\v/' Naturwissenschaftliche Wochenschrift BEGRÜNDET VON H. POTONlfi HERAUSGEGEBEN VON Prof Dr. H. MIEHE IN BERLIN NEUE FOLGE. 16. BAND (DER GANZEN REIHE 32. BAND) JANUAR — DEZEMBER 1917 MIT 180 ABBILDUNGEN IM TEXT /T^ojim^smi^ JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1917 Alle Rechte vorbehalten. Register. I. Größere Originalartikel und Sammelreferate. Andree, K., Einige Bemerkungen zur Geschichte der Geologie, insbesondere der „phantastischen Periode" der Palä- ontologie. 719. Becker, A., Über den Kathodenstrahlen- durchgang durch Materie. 513. Brehm, V., Dr. Absolon's zoologische Höhlenforschungen auf der Balkanhalb- insel. 49. Bretschneider, Fr., Zur mathema- tischen Behandlung des Inzuchtgrades. 835- Coehn, Alfred, Das Stickstoffproblem und seine Lösungen. 129. Dittrich, G., Die Pilzvergiftungen der letzten Jahre. 297. Düggeli, M., Die Schwefelbakterien und ihre Tätigkeit in der Natur. 32 1. EicbwaldjE., Atmung und Gärung. I. Engelhard t, V., Faraday's Stellung in der Geschichte der Physik. 465. Engelhardt,V., D'Alembcrt'sBedeutung für die Naturwissenschaften. 641. Krank, M., Abschätzen von größeren Entfernungen unter Berücksichtigung der Luftperspektive. 486. Freund, L., Keimdrüsen und Kastration der männlichen Vögel. 569. Frickhingcr, H. W., Die deutschen Seidenbaubestrebungen und das Problem der Schwarzwurzelfütterung. 541. Günther, H., Sulfit- und Karbidsprit. 609. Hahn, Ed., Brennesseln in alter und neuer Verwendung. 328. Halbfaß, W., Die im Elb- und Üder- stromgebiet vorhandene Wassermenge. 105. Hennig, Edw., Zum Problem der Wün- schelrute. 251. Hennig, Edw., Untersuchungen mit der Wünschelrute. 537. Hennig, R., Das „Wiederholungsgefühl" als Quelle des Seelenwanderungs-Glau- bens. 585. Hirsch, G. Chr., Der Arbeitsrhythmus der Ganglienzellen. 185. Herrmann, Ursprung, Verbreitung und Nutzbarmachung der chemisch-industri- ellen mineralischen Rohstoffe. 657. Kathariner, L., Der Anthropomorphis- mus in der Zoologie. 61 1. Kelhofer, E., Wegener's Verschiebungs- tbeorie. 702. Killermann, S., Der Alraun (Mandra- gora). 137. KiUerniann, S., Die Entdeckung der Paradiesviigel. 40g. Killermann, S., Maischwamm und Erd- simmerling. 430. Krause, Grundwasser und Quellen. 265. Berichtigung dazu 480. Krause, K., Die Veränderungen der Landoberfläche durch das Wasser. 673. Kraus el, R., Zur Bestimmung fossiler Blattabdrücke. 214. Kräusel, R., Die Bedeutung der .Ana- tomie lebender und fossiler Hölzer für die Phylogenic der Koniferen. 305. Notiz und Berichtigung dazu 408. Kräusel, R.. Die Seefelder bei Reinerz in Schlesien, ein des Schutzes bedürftiges Hochmoor. 659. Kfizenecky, J., Versuch einer metho- dischen Bestimmung des Inzucbtsgrades mittels mathematischer Methode. 73. K u h n , K., Das Coronium, ein unentdecktes Edelgas. 381. Kuhn, K., Neuere Ergebnisse der Kanal- Strahlenforschung. 697. Lenk, E., Slützgewebe und Integumente der Tiere. 209. Literaturliste dazu 422. Lipschütz, AI., Studien zur Nerven- regeneration. 625. Mecklenburg, W., Siliciumchemie und Kohlenstoffchemic. 163. Mecklenburg, W., Der Basenaustausch der Silikate. 441. Menzel f, H. Zur Entwicklung und Gliederung der Quartärbildungen des nördlichen Deutschlands. 193. M e r t e n s , R., Über einige Fälle des Scheinhermaphroditismus bei Fischen. 683. MilewskigA., Zur Kenntnis des Genus. Typhlonectes Peters der Gymnophiona (Amphibia apoda). 33. Möbius, M., Die Reduktionsteilung im Pflanzenreich. 713. Mötef ind t, H., Georg Schweinfurth. 57. Müller, A., Gehört die Psychologie zu den Naturwissenschaften? 553. Müller, K. Angewandte Botanik. 97. Müller-Freienfels, Zur Psychologie und Biologie der Gefühle. 629. Neu mann, W., Bemerkungen zu der Entgegnung Ziegler's. 24. Oudemans, A. C, Sind die Maskarenen und die zenlralpazifischen Inseln oze- anisch? 201. Pax, F., Die Verbreitung des wilden Kaninchens in Russisch-Polen. 299. Radestock, H., Femwetterprophezeiung. 337- Rählmann, E., Goethe's Farbenlehre und die Naturwissenschaft. 601. Reichenau, W. v., Der Sang der Un- sichtbaren im Föhrenwalde. 144. Riebeseil, P., Relativität und Gravita- tion. 113. Rößle, Über das Altern. 241. Seh eleu z, H., Die Wünschelrute. 39. Schilling, F., Vitamine. 229. Schoy, C, Eine merkwürdige Naturer- scheinung im Jordantal. 17. Schutt, K., Über den Druck der Licht- strahlen. 425. Schutt, K., Kristallstruktur und Rönt- genstrahlen. 521. Notiz dazu 608. S u d h o f f , K., Ein Alkoholrezept aus dem 8. Jahrhundert? 68 1. Taschenberg, 0., Etwas über den Be- griff „Brutparasitismus". 353, 369. Taschenberg, O., Einige Betrachtungen über die Begriffe Parasit, Raubtier und Pflanzenräuber. I53, 169. Taudin Chabot, J. J., Zur Bewertung der geistigen Leistungen von Hund und Pferd. 377. Theel, J., Über die Bedeutung der Größe für Organismen. 481. Trojan, E., Zur Lösung der Frage des Organisraenlichtes. 457. Wachs, H., Ein Beitrag aum Problem der Seidenraupenzucht mit Schwarz- wurzelfütlerung. 729. Werner, F.. Scheinwaffen im Tierreiche. 89. Wesemüller, A., Die Wanderungen unserer Seevögel. 393. Ziegler, E. H., Über denkende und buchstabierende Hunde. 20. Zillig, H., Hanf. 249. II. Einzelberichte. A. Zoologie, Anatomie, Forstwirtschaft. Babak,E., „Hypnose" bei Fischen. 375. Bauraann,E., Wildkaninchenvorkommen in Griechenland. 333. Benecke, Zum Vorkommen der Wachtel. 646. Berg, Frhr. v., .-Ibnehmen der Wald- schnepfen. 488. Berner, U., Die Bestäubertätigkeit der Insekten in Zahlen. 688. Börner, K., s. De witz. Boulenger, G. A., s. Physalix. I Brücke, Th. v., Richtung der Flimmer- bewegung. 375. Buddenbrock, W. v., Zweck der sog. Schwingkölbchen der Dipteren. 341. Burckhardt, F., Eine auffallende Ge- spinstbildung infolge Massenauftretens einer Gespinstmotte. 651. De witz J. und Börner, K., Serobiolo- gische Studien über Blattläuse und deren Wirtspflanzen. 357. Register. D e w i t z , J., Zucht des Edelseidenspinners im Freien. 236. D e w i t z , Die Zucht des Seidenspinners im Freien. 688. D ü r k e n , B., Farbenwirkung auf Schmet- terlingspuppen. 219. Dürken, B., Physiologische örtliche Rassen beim Grasfrosch. 436. Eberts, Krammetsvogelfang im Dohnen- stieg. 315. Ennerst, Wildschaden durch Fasanen. 55°- Erdmann, s. Woodruff Esche rieh, K., Bockkäferkalamität in Eichenwäldern. 47. Faust, s. Zeleny. Fischer, s. Goeldi. Fischer, E., Eiablage und Paarung von Tagfaltern in der Gefangenschaft. 28. Franz, V., Gegenwärtiger Stand der Metamerentheorie des Wirbeltierkopfes. 6:2. Franz, V., Farbenvariationen von Helix nemoralis. 121. Druckfehlerberirhtigung dazu 224. Franz, V., Hiidschnucken in freier Wild- bahn. 191. Frickhinger, H.W. Massenhaftes Auf- treten des Girtenlaubkäfers in einigen Bezirken Oberbayerns. 688. Friedberger, E., Färbung mikrosko- pischer Präparate mit Farbsliften. 708. Goeldi u. Fischer, Der Generations- wechsel im Tier- und Pflanzenreich. 124. Goldsmith, M., Das Verhalten der Kopffüßler in bezug auf das Sehen. 388. Goldschmidt, Beobachtungen und Ver- suche über Spermatogenese in Gewebe- kulturen. 636. Gravier, Ch. J., Symbiose zwischen Kieselschwamm, Aktinie und Ringelwurm 417. Günther, W., Der Wildstand im Bialo- wieser Urwald. 234. Günther, S., Schönheitssinn im Tier- reich. 464. Haecker, V., Die Erblichkeit im Man- nesslamme. 605. Berichtigung dazu 656. Haecker, V, Entwicklungsgescbichtlich begründete Vererbungsregel. 190. Headley, Th., Kampf eines Staates gegen die Moskitos. 62. Heß, C. V. u. Stellwaag, Fr., Neue Untersuchungen über den Farbensinn der Insekten. 203. Heymons, R., Blausäure im Kampf gegen die Mehlmntte. 519. Hiltner, L., Gesi-tzmSßigkeit beim Fort- schreiten der Feldmäuseplagen in Süd- deutschland. 247. H o I i k , O., Zur Biologie der Bärenspinner. 477. Hoge, Der Einfluß der Temperatur auf die Entfaltung eines erblichen Merk- mals. 651. Hühner, E., Zur Eiablage und Paarung der Tagfalter in der Gefangenschaft. 342. ' Jöakimoff, s. Popoff. J o II o s , Beobachtungen über die Partheno- genese bei Infusorien. 414. Knopfli, W., Mutmaßliche Ausbildung und Geschichte der Vogelgesellschaften des schweizerischen MittcUandes. 317. Kofferath, R., Kaninchenjagd mit dem Frettchen. 664. Korscheit, Lebensdauer, Altern und Tod. 358. Krohn, Bnmbenwerfende Flieger in der Natur. 38Q. Kutin, A., Die parasitäre Schlupfwespe der Kohlraupe als indirekter Schädling des Weizens. 236. Larsen, W. P., Der Krieg und die Wanderstraßen der Zugvögel. 191. Linshauer, Selbstleuchtende Regen- würmer. 332. Lohmann, Isoplankten. 12. Lörn, A. L., Nahrung des Fasans. 189. Lucanus, Die Höhe des Vogelzuges. 574- Lüstner, G., Magenuntersuchungen an Wespen. 687. Metz, Chromnsomengarnituren in der Gattung Drosophila. 217. Natorp, O, Gelegentliches Überwintern von Zugvögeln, igi. Natzmer, G. v, Beiträge zur Instinktpsy- chologie der Ameisen, 376. Orelli, Generationenzahl beim Borken' käfer. 414. Orth, J., Das biologische Problem in Goethe's Wahlverwandtschaften. 435. Physalix,M. und Boulenger, G. A., Giftschlangen und ungiftige Schlangen. 619. Plate, L., Fauna ceylanica. 206. P o p o f f , M., Parallele zwischen der künst- lichen Parthenogenese und der Anregung zur Wundheilung durch die gleichen Agenzien. 66. Popoff u. Jöakimoff, Die Bekämpfung der Reblaus usw. 475. Prell, H., Springende Insektenlarven. 206. Prell, Trommelnde Spinnen. 364. Ranninger, R., Bekämpfung des Mohn- wurzelrüssclkäfers. 342. Reh, L., Die Nacktschneckeoplage im Sommer 1916. 475. Reh, L., Die Schädlichkeit der Amseln. 55°- Roule, L., Laichwanderung der Forelle. 260. Reuter, M., Tollwut des Wildes. 235. Schiefferdecker, F., Das Verhältnis der Fasern und Kerne der Muskulatur des menschlichen Herzens zueinander. 438- Schlesinger, F. W., Unheilvolle Ein- wirkung der Verschilfung der stehenden Gewässer auf die Fischzucht 646. Schmidt, M., Über den Verschluß von Präparatenglä'iern. 666. Schneider-Orelli, O., Dauer der Puppenruhe beim Frostspanner. 416. Schumann, Ad., Brutdauer und erste Jugendstadien des Bartgeiers. 12. Schuster, W., Das Gewicht lebender Vogeleier. 488. Schuster, W., Ein Beitrag zur Biologie der Schwebefliegen. 6go. Schwaab, Bedeutung Italiens für den Vogelschutz. 260. Seligo, A., Verteilung des Fettes bei einigen Fischen. 95. S e n a y , s. Zeleny. Shull, s. Whitney. S p i -x , A, A. Weismann als Nalurphilosoph. 621, Steinach, E., Ergebnisse der bei Meer- schweinchen vorgenommenen Trans- plantation der Keimdrüsen. 373. Stellwaag, Fr. s. Heß. Stitz, H., Wirtschaftliche Bedeutung der Ameisen für den Menschen. 725. Strindberg.H., Bau und Entwicklungs- geschichte der Mallophagen. 436. Ströse, Nützlichkeit und Schädlichkeit der Spechte. 647. S t ü b 1 e r , H., Der Spiegelfleck am Vogel- köpfchen. 488. Taschenberg, Schlupfwespen als Pflanzenparasiten. 342. Thienemann,J., Krieg und Vogelzug. 573- Thienemann, Die Verbreitung der Coregonen. 650. Toldt, Inscktenfährten im Ladenstaub naturwissenschaftlicher Sammlungen. 303- Vogelschutz im Kriegsjahr 1916. 127. Wegelin, Erbliche Mißbildung. 462. Whitney u. Shull, Einfluß der Nah- rung auf das Gechlecht bei Rota- torien. 94. Winterstein, Die osmotischen und kolloidalen Eigenschaften tierischer Ge- webe. 333. Woodruff u. Erdmann, Der perio- dische Reorganisationsprozeß bei Infu- sorien. 27. Zander, Die Zukunft der deutschen Bienenzucht. 330. Zander, Zeitgemäße Bienenzucht. 477. Zeleny, Faust u. Senay, Spermato- zoendimorphismus. 534. Ziegler, H. E., Urdarmhöhle und Cö- lom. 575. B. Physiologie, Medizin, Hygiene. Amar, Weir-Mitchell'sches Phänomen. 147. Beck, Vergiftung durch Muskatnuß. 344. Baumgaertel, Farb>tofTtabletten. 733. Bardachzi u. Zoltan, Vorkommen von Nematoden als Darmschmarotzer im Osten 547. D o I d , H., Immunisierungsversuche gegen das Bienengift. 561. Fuchs v. Wolfring, Rindertuber- kulose. 732. Laurent, O., Transplantation. 146. Lux, Fr., Verfahren der okjektiven Prü- fung und Messung der Hörfähigkeit. 639. Jossei, M. B., Verbreitung des Krebses in der Schweiz. 649. Kaup, Wert und Wirkungsdauer der Choleraschutzimpfung. 344. K o e I s c h , Hautschädigungen durch Kalk- stickstoff. 342. Kühn, Scheintod und Wiederbelebbar- keit. 345. Legendre, J., Mückenvertilgung durch Fische. 147. May, Der Spargel als Heilmittel. 693. Pfeiffenberger, K., Schilddrüsenstö- rungen und Meereshöhe. 491. Schützengrabenfuß. 406. Wegelin, Ergebnisse der experimentellen Krebsforschung. 474. Zoltan, s. Bardachzi. Register. C. Botanik, Landwirtschaft, Pflanzenkrankheiten. B a n n e r t , Ursache der Blütenstielkrüm- mungen. 405. Bobilioff-Preifler, W, Wanderung des Zellkerns. 314. Brenner, W., Sclenbakterien. 340. E h r m a n n , Bestäubung von Blüten durch Schnecken. 301. Ernst, A., Jungfernzeugung im Pflanzen- reich. 404. Esenbeck u. Fischer, W., Physiolo- gischer Wert der Erstlingsblätter. 617. Fischer. W., s. Esenbeck. Haberlandt, G., Die Pilzsymbiose der Bärlapp-Vorkeime. 534. Hahn, Ed., Über alte Nutz- und Kultur- pflaozen. 255. Härder, R., Die Ernährung der Blau- algen durch organische Stoffe. 384. Heinricher, Geotropismus der Mistel. 385. H i 1 1 n e r , Silene dichotoraa, erst Unkraut, dann Kulturpflanze. 314. Hoff mann, Düngung und Insekten- befall. 47. Ißleib, M. u. St rose, Die Reismelde als deutsche Getreidepflanze. 80. Kräasel, R., Variation der Blattform von Ginkgo biloba L. und ihre Bedeutung für die Paläobotanik. 405. Keilhack, Tropische und subtropische Moore usw. 637. Lampa, A., Beobachtungen über das Leben niederer Pflanzen. 638. Lange, R., Beitrage zur biologischen Blütenanatomie. 722. Lingelsheim, Zur Kenntnis der Deut- schen Tertiärfloren. 368. Lingelsheim, Teratologische Beobach- tungen. 562. Lingelsheim, Über die Fluoreszenz wäss- riger Rindenauszüge von Eschen usw. 5 76. Molisch, Über das Treiben von Wur- zeln. 533. M o 1 i s c h , H , Eigenartiger Bau des Plas- makörpers. 644. Naturdenkmal Deutsch • Südwestafrikas unter britischem Schutze. 26. Pack, Ch. L., Die Gefährdung der ame- I rikanischen Waldungen durch den Wey- | mouthkieferblasenrost. 128. Pander, H., Einwanderung einer ameri- I kanischen Pflanze nach Norwegen. 1 12. Plaetzer, H., Assimilation und Atmung j von Wasserpflanzen. 722. [ Reese, L., Zerstörung von Ziegelmauer- werk durch Organismen. 26. Sauvageau, C, Geschlechtlichkeit bei den Laminarien. 578. Stern, K., Die Entwicklung der Nepen- j thaceen. 6 5. Ströse, s. Ißleib. T h e 1 1 u n g , Neue Wege der pflanzlichen Systematik. 81. Thellung, Stratiobotanik. 723. Theune, E., Fruchtbildung geokarper Pflanzen. 724. U 1 e , E., Die Vegetation des Amazonas- gebietes. 615. Wettstein, Fr. von, Beobachtungen über das Leben niederer Pflanzen. 63.**. Windel, E, Beziehungen zwischen Funk- tion und Lage des Zellkerns. 437. Zlataroff, Über das Altern der Pflanzen. D. Geologie, Paläontologie. Böker,H.E. und Frech, F., Die Kohlen- vorräte des Deutschen Reiches. 248. Braun, R., Laacher Trachyt. 1S2. Bräunhäuser, M., Rhätsandstein im Schönbuch. 418. CIoos, H., Zur Entstehung schmaler Störungszonen. 261. Daly, R. A., Theorie der Koralleninseln. 563. De ecke, W., Gastropoden. 63. D e e c k e , Paläobiologische Studien. 386. Diener, C, Die marinen Reiche der Triasperiode. 122. Escherich, K., Bekämpfung der Läuse- plage. 549. Frech, Fr., Kohlenvorräle der Welt. 189. Frech, Fr. s. Böker, H. Geinitz, F., Die neun Endmoränen .Nordwestdeutschlands. 46. Goldschmidt, Geologisch-Petrogra- phische Studien im Hochgebirge des südlichen Norwegens. 362. Hohenstein, V., Die schwäbischen Eisenerzvorkommen. 179. Koert, W., Über den Krusteneisenstein in den deutsch-afrikanischen Schutz gebieten. 150. Kranz, W., Geologie und Hygiene im Stellungskrieg. 84. Kranz, W. , Wasserversorgung durch oflene Gräben. 665. Kranz, W., Die Beschaffung von Roh- slofi'en des Bodens für militärische Er- fordernisse. 693. K r u s c h , Die Bodenschätze Belgiens. 1 79. Lara brecht. K., Osteologische Ver- gleiche an fossilen Vogriresten. 46. Leuchs, K., Die Geologie des mazedo- nischen Kriegsschauplatzes. 473. Loewinson-Lessing, F., Vulkane und Laven des zentralen Kaukasus. 24. Moritz, Die Goldlagerstätten Arabiens. 607. M ü g g e , O., Weilerwachsen von Orthoklas im Ackerboden. 436. Offermann, J., Beiträge zur Geologie der Kolonie Neupommern. 546. Range, P., Grundwasserverhältnisse im Namalande. 220. Richter, R., Zur stratigraphischen Be- urteilung von Caiceola. 648. Richter, R. u. E., Die Lichadiden des Eifler Devons. 549. Salomon, W., Die Bedeutung derSoli- fluktion für die Erklärung deutscher Landschafts- und Bodenformen. 570, Scupin, li, Erdgeschichiliche Entwick- lung des Zechsteins im Vorland des Riesengebirges. 383. Scupin, H., Die Fossilführung des Zech- steins von Niederschlesien. 406. Schlosser, M., Die z»itliche und räum- liche Verbreitung u. Stammesgeschichte der fossilen Fische, 668. Schroeder, H., Eozäne Säugetierreste aus Nord- und Mitteldeutschland. 66S. Schultz, A., Die nutzbaren Mineralien des Pamir. 666. Stremme, Die geologischen Ursachen der Zerstörung von Talsperren. 545. Walt her, J., Das geologische Alter und die Bildung des Laterits. 83. W e r V e c k e , L.v., Die Bodenschätze Elsaß- Lothringens. 148. Willruth, K., Die Fährten von Chiro- therium. 70S. Wütschke, J., Das französisch-lothrin- gische Industriegebiet, besonders das Becken Briey-Longwy. 148. E. Völkerkunde, Anthropologie, Urgeschichte. Greulich, O., Die Kreolen. 546. Kölsch, A., Die Eigenart der Musiker- scbädel. 412. Mollison, Die Maori. 449. Sarasin, Bewohner von Neukaledonien und der Loyaltyinseln. 477. Schlaginhaufen, Pygmäenproblem. 311- Siegel, Konzeptionsfähigkeit und Ge- schlechtsbestimmung beim Menschen. 670. Sokolowsky, A. , Die Psyche der Malayen und ihre Abstammung. 733. F. Geographie, Meteorologie. Barkow, E., Turbulenz und Windände- rung mit der Höhe. 450 Bigourdan, G. s. Perot. Defant, A., Vorhersage des Wetters. 48. Deslandres, Geschützfeuer und Weiter- lage. 613. Halb faß, W., Der Landzuwachs an den Küsten Schleswig-Holsteins. 532. Helgesen, Peary's Entdeckerlatein und die amerikanischen Polarkarten. 82. Houssay, F., s Perot. Hut ton, j., Einfluß des Geschützfeuers und der Minensprengungen auf die Witterung. 70Ü. Jessen, O.. Das Landschaftsbild der trocknen Champagne. 472. Koppen, W., Vertikale Gliederung der täglichen Windperiode in Zyklonen und Antizyklonen. 182. Krebs, VV., Mistpoeffer-Erscheinungen an der holländischen Küste infolge einer nordenglischen Explosion. 721. L e m o i n e , G., Geschützfeuer und Wetter- lage. 613. Perot, A., Bigourdan, G. u. Hous- say, F., Die mit dem Artilleriefeuer zusammenhängenden akustischen Phäno- mene. 53. Sandström, J. W., Hydrographie Neu- fundlands. 83. Sebert, -Geschützfeuer und Wetterlage. 613. Schmidt, W., Zonen abnormer Hörbar- keit. 302. Schrödinger, E., Äußere Zone ab- normer Hörbarkeit. 707. S p i t a I e r , R., Taglicher Gang der Wind- geschwindigkeit in höheren Luftschich- ten. 29. Sverdrup, H. U., Druckgradient, Wind und Reibung an der Erdoberfläche. 86. Weber, L., Die Albedo des Luftplank- tons. 96, Register. G. Chemie, Mineralogie. Allen, E. s. Pos njak. Böltger, W., Herstellung homogener Wolframkristallfäden für Glühlampen. 399- Chi Che VVang u. Blunt, C, Chemie der chinesischen Dauereier. 317. Fajans, K., Zur Erkenntnis der Isotopen Elemente. 68. Gerlach, Die Einwirkung von gasför- migem Ammoniak auf Superphosphate usw. 667. Hedvall, J. A., Die Abhängigkeit der Reakiionsgeschwindigkeit von der Korn- größe. 44. Hofmann, K. A., Aktivierung von Chlo- ratlösungen durch Osmiumtetroxyd usw. 237. Hönigschmid, O., Isotope Elemente. 618. Hüttner, E. s. Mylius, F. J a n z e n , Zerstörungen von Metallen durch Wasser. 413. K e 1 b e r , C, Katalytische Hydrogenisation organischer Verbindungen mit unedlen Metallen. 275. Kremann, R. u. Schniderschitsch, N, Versuche über die Löslichkeit von Kohlensäure in Chlorophyllösungen. 181. Kuß, E. s. Stock, A. Merwin, H. E. s. Posnjak. Mylius, F., Reinheitsgrade in der Her- stellung wichtiger Metalle. 42. Mylius, F. u. Hüttner, E., Plaünund Leuchtgas. 44. Paul, Th., Beziehungen zwischen der Wasserstoftlonenkonzentration von Flüs- sigkeiten und ihrem sauren Geschmack. 398. Platin, Gewinnung aus Gesteinen. 618. Posnjak, E., Allen, E.T. u. Merwin, H. E., Die Sulfide des Kupfers. 78. Schlenk, W., Eine Reihe sehr inter- essanter Verbindungen. 40a. Schulz, E. H., Die Veredelung des Zinks. 79. Stock, A. u. Kuß, E., Das Kohlenoxy- sulfid. 181. H. Physik. Andren, L., Zählung und Messung der komplexen Moleküle einiger Dämpfe nach der neuen (Lenard'schen) Konden- sationstheorie. 691. Arndt, Elektrochemie derTaschenlampen- batterien. 633. Debye, P. u. Seh err er ,P.,Raumgefüge der Kohlensotffmodifikationen. 634. Elster und Gei tel, Stromschwankungen in Vakuumröhren. 30. Geitel, s. Elster. Glühkathoden-Röntgenröhre. 490. Hell mann, Angebliche Zunahme der Blitzgefahr. 448. Herr, W., Einfluß der Größe der Mole- küle auf die Löslichkeit. 490. König, Atomistischer Bau der Elektrizi- tät. 44S. Krogness, O. s. Vegard. Küppers, K., Präzisionsverfahren zur Herstellung genau dimensionierter Glas- rohre. 29. Kutter, V., Analyse schwingender Trop- fen. 13. Mikola, S., Lichtenberg'sche Figuren. 403- Rausch V. Traubenberg, H., Rönt- genröhre usw. 548. Rubens, Licht und Elektrizität. 578. Vegard, L. u. Krogness, O., Höhe des Nordlichts. 403. Weber, L., Verbesserung der Blitzab- leiter. 448. Wolfke, M., Neue Sekundärstrahlung der Kanalstrahlen. 710. I. Astronomie. Ainslie, Vorübergang des Saturnringes. 548. Guthnik und Prager, Die Veränder- lichen. 301. Lau, Veränderungen auf dem Mars. 346. Van Maanen, Spiralnebel. 489. Merril, Chemische Zusammensetzung der Meteore. 462. Meteorsteine. 462. Neue Sterne. 300. Oppenheim, S., Bau des Universums. 548. Photometrische Bestimmung der Hellig- keit. 489. Stephan, Vorgeschichtliche Astronomie und Zeiteinteilung. 86. Vegard, L., u. Krogness, O., Höhe des Nordlichts. 234. Wood, Aufnahmen mit monochroma- tischem Licht an Himmelskörpern. 65. III. Kleinere Mitteilungen. Druckstöcke aus Hefe (nach H, Blücher und R. Krause) 571. Epstein, H., Mineralogische Beobach- tungen in Wallis. 529. Epstein, H., Zur Frage der Genese von Spirula und anderer Tintenfische. 232. Epstein, Brasilianische Säugetiere und Vögel im naturhistorischen Museum zu Bern. 597. Eckardt, W. R., Weiteres zur Ethologie und Psychologie der Anatiden, insbe- sondere des Schwarzschwanes. 254. Franz, V., Farbenvariationen von Helix nemoralis. 121. Franz, V., Das deutsche Tierleben in der verflossenen Kälteperiode. 396. Franz, V., Nesselfasergewinnung. 530. Berichtigung dazu 583. Graefe, Mineralöl als Speiseöl. 121. Hahn, E., Zur Geschichte der Ernährung. 92. Hoffer, W., Biologische Beobachtungen am Blindmoll 595. Hofmann, A., Über eine merkwürdige Oszillation des Rheinspiegels. 677. Keyl, Fr., Ein Beispiel für die Beein- flussung lokaler Faunen durch den Weltkrieg. 10. Lüttschwager, H., Bemerkungen zur Tonerzeugung der Schwebefliegen. 397. May, W., Antike Vererbungstheorien. 9. Nölke, Fr., Über die Hörbarkeit des Geschützdonners. 253. Oettli, Hufeisendünen aus Schnee. 593. Rabes, Wandernde Libellen. 531. Reisinger, L. , Eine prähistorische Operation. 231. R ö z s a , Fledertnausguanolager in der Um- gebung von Budapest. 434. Schumacher, Samenverschleppung durch die Feuerwanze. 531. Zaunick, R., Literatuihinweise zuKiller- mann's Aufsatz über „Die Entdeckung der Paradiesvögel", 594. Zieprecht, E., Beobachtungen über das Vogelleben im Sommegebiet. 120. IV. Bücherbesprechungen. Abderhalden, E., Die Grundlagen I unserer Ernährung unter besonderer Be- rücksichtigung der Jetztzeit. 696. 1 Abel, 0., Allgemeine Paläontologie. 566. JAdloff, P., Die Entwicklung des Zahn- systems. 480. ] Arzneipflanzen-Merkblätter. 672. Aselmann, E., Chemie im Kriege. 318. Asher, L., Praktische Übungen in der Physiologie. 69. Aus dem Leben und Wirken von Arnold Lang. 262. B a i s c h , K., Gesundheitslehre für Frauen. 151. Becher, E., Die fremddienliche Zweck- mäßigkeit der Pflanzengallen usw. 350. Beiträge zur Kenntnis der Meeresfauna Westafrikas. Bd. 11, Lief. i. 334 Beiträge zur Kenntnis der Land- und Süß- wasserfauna Deutsch - Südwestafrikas. Lief. 3. 304. Lief. 4. 334. Biesalski, K. u. Würtz, H., Verhand- lungen der außerordentlichen Tagung der Deutschen Vereinigung für Krüppel- fürsorge, E. V. 166. Boas, J. E. V., Zur Auffassung der Ver- wandtschaftsverhältnisse der Tiere. 736. Bolle, J., Die Bedingungen für das Ge- deihen der Seidenzucht usw. 453. Boruttau, H., Fortpflanzung und Ge- schlechtsunterschiede desMenschen. 151. Brehm's Tierleben. IV. Bd. 56. Brehm's Tierleben, Säugetiere. 4. Bd. 263. Bronsart v. Schellendorf, F., Afri- kanische Tierwelt, III u. IV. 208. Calwer's Käferbuch. 420. Dahl, Fr., Die Asseln oder Isopoden Deutschlands. 222. Das Land Goethe's 1914 — 1916, ein vater- ländisches Gedenkhuch. 31. Deutsches Wörterbuch für die gesamte Optik. 407. Dessoir, M., Vom Jenseits der Seele. 695- D i 1 1 r i c h , O., Mittel und Wege zur Pilz- kenntnis. 319. Doelter, C. , Die Mineralscbätze der Balkanländer und Kleinasiens. 439. Doflein, F., Der Ameisenlöwe. 167. Doflein, Fr., Die Fortpflanzung, die Schwangerschaft und das Gebären der Säugetiere. 439. Einstein, A., Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie. 680. Exner, F. M., Dynamische Meteorologie. 494- Fauth, Ph., 15 Astronomische Stereos zur Unterstützung des Raumsinnes usw. 364. Fitting, H., Die Pflanze als lebender Organismus. 726. Föppl, A., Vorlesungen über Technische Mechanik. 623. Register. Frech, F., Der Kriegsschauplatz in Arme- nien und Mesopotamien. 70. Frech, Fr., Geologie Kleinasiens im Bereich der Bagdadbahn. 419. Freundlich, E., Grundlagen der Ein- stein'schen Gravilationstheorie. 368. Graetz, L., Das Licht und die Farben. 599- Graetz, L., Die Physik. 654. Greulich, O., Peru, Studien und Erleb- nisse. 263. G r i m s e h 1 , E., Lehrbuch der Physik. 279. Großmann, j.. Das Holz. 221. Großmann, H., Englands Kampf um den naturwissenschaftlichen Unterricht. 349. Haber lan dt, L., Über Stoffwechsel und Ermüdbarkeit der peripheren NerTen. 166. Haus er, O., Der Mensch vor 100 000 Jahren. 599- Heim, A., Geologie der Schweiz. 14. Henning, H., Der Geruch. 390. Henseling, R., Sternbüchlein für 191 7. 364- Hertwig, O., Das Werden der Organis- men. 365. Hertwig, K., Lehrbuch der Zoologie. 277. H e s s e , A. u. G r o ß m a n n , St., Englands Handelskrieg und die chemische Indu- strie. 493. Hettner, A., Englands Weltherrschaft und ihre Krisis. 599. Hirt, W., Ein neuer Weg zur Erforschung der Seele. 392. Hoffmeister, K., Kurze Einführung in die Wunder am Sternenhimmel. 364. Junge, G., Unsere Ernährung. 696. K e i b e 1 , F., Über experimentelle Entwick- lungsgeschichte. 694. Killermann, S., Blumen des heiligen Landes. 277. Kobert, R., Über die Benutzung von Blut als Zusatz zu Nahrungsmitteln. 421. Kohlrausch, F. und Holborn, L., Das Leitvermögen der Elektrolyte usw. 653- Koppe, M., Die Bahnen der beweglichen Gestirne im Jahre 191 7. 440. Koßmat, Fr., Paläogeographie, Geolo- gische Geschichte der Meere und Fest- länder. 70. Kraepelin, K., Exkursionsflora. 654 Kunkel, K., Zur Biologie der Lungen- schnecken. 451. Lietzmann, W., Riesen und Zwerge im Zahlenreich. 451. Link, G., Fortschritte der Mineralogie usw. 239. Lipschülz, A., Physiologie und Ent- wicklungsgeschichte und über die Auf- gaben des physiologischen Unterrichts an der Universität. 69. L ö h n er , L., Die E.xkretionsvorgänge im Lichte vergleichend-physiologischer For- schung. 151. Lohns, H., Aus Forst und Flur. 239. Lassar-Cohn, Chemie im täglichen Leben. 419. Legahn, A., Physiologische Chemie. 270. L e i d e c k e r , K., Im Lande des Paradies- vogels. 334. Machatschek, Fr., Gletscherkunde. 492. Maurer, Fr., Die Bedeutung des biolo- gischen Naturgeschehens und die Be- deutung der vergleichenden Morpho- logie. 734. Mehmke, R., Leitfaden zum graphi- schen Rechnen. 440. Meißner, K., Das schöne Kurland. 334. M e y e r , St. u. S c b w e i d 1 e r , E. v., Ra- dioaktivität. 622. Michels, V., Goethe und Jena. 278. Mittag, M., .Anfangsgründe der Chemie und Mineralogie. 184. Möbius-Kobold, Astronomie. 87. Müller, A., Theorie der Gezeitenkräfte. 30. Naef, A., Die individuelle Entwicklung organischer Formen als Urkunde ihrer Slamraesgeschichte. 493. Neeff, F., Gesetz und Geschichte. 598. Novellen aus dem Tierleben. 239. O e tt inge r, W., Die Rassenhygiene und ihre wissenschaftlichen Grundlagen. 335. Pax, F.. Schlesiens Pflanzenwelt. 318. Pflanzenreich. 221. Pilger, R., Meeresalgen. 368. Posch 1, V., Stoff und Kraft im Kriege. 184. Rabenhorst's Kryptogamenflora. Die Leber- moose. 221. Riebeseil, P., Die mathematischen Grundlagen der Variations- und Ver- erbungslehre. 240. Sachs, A., Die Bodenschätze der Erde. 407. Sachs, H., Bau und Tätigkeit des mensch- lichen Körpers. 184. Sachsze, R., Chemische Technologie. i 680. Sapper, K., Geologischer Bau und Landschaftsbild. 581. Sarasin, F., Streiflichter aus der Ergo- logie der Neu-Kaledonier und Loyalty- Insulauer auf die europäische Prähistorie. I 693- 1 Schaxel, J., Über den Mechanismus der Vererbung. 31. Schmidt, F. W., Bau und Funktion der Siebröhre der Angiospermen. 735. C. K. Schneider's Illustriertes Handwörter- buch der Botanik. 654. Schroeder,H., Die Hypothesen über die chemischen Vorgänge bei der Kohlen- säure-Assimilation. 680. Schuster, W., Die Tierwelt im Welt- krieg. 735. Schwarzschild, K., Über das System der Fixsterne. 451. Soergel, W., Das Problem der Perma- nenz der Ozeane und Kontinente. 567. Sommer, G., Geistige Veranlagung und Vererbung. 183. Stadler, H., .'\Ibertus Magnus De ani- malibus libri XXVI. 71. Steinmann, G., Die Eiszeit und der vor- geschichtliche Mensch. 351. Stempeil, W. u. Koch, A., Elemente der Tierphysiologie. 70. Strasburger's Lehrbuch der Botanik. 672. Süß, E., Erinnerungen. 87. JThedering.F., Das Quarzlicht und seine j Anwendung in der Medizin. 166. Thorbeck e, F., Im Hochland von Mittelkamerun. 263. T o b I e r , Textilersatzstoflfe. 653. Trabert, W., Meteorologie. 319. Tschermak, A. v., Allgemeine Physio- logie. 69. Verworn, M., Biologische Richtlinien der staatlichen Organisation. 671. Warburg, O., Die Pflanzenwelt. 278. Warming-Gräbner, Lehrbuch der ökologischen Pflanzengeographie. 347. Was mann, E., Das Gesellschaftsleben der Ameisen. 183. Werth, E., Das Eiszeitalter. 492. Westrußland in seiner Bedeutung für die Entwicklung Mitteleuropas. 728. Wolff, H., Karte und Kroki. 566. ! V. Anregungen und Antworten. , Anatomie der Wirbeltiere, Literatur. 304, 423- ' Alraun. 35J. i Barometer, Modell Thöne. 656. ^ Bewußtsein im Traum. 88. I Blattminierer. 536. Brot, Streckungsmittel vor loo Jahren. 72. Culex annulalus, Variieren der Tonhöhe, i 608. I Echophänomen. 456. Elster, ihre Zunahme in Deutschland. 136. Erdbebenursachen. 551. I Erwiderung (Lipschütz). 248. j Farbensinn der Insekten. 735. I Fronttiere und Etappentiere. 711. I Gemälde, Photographieren derselben. 264. I Gewehrschüsse, Doppelklang. 15. j Haferblatt, krankes. 624, I Hausschwamm, Mittel zu seiner Bekämp- fung. 608. Herbar, eigentümliches. 152. Höhlenfauna. 240. Isostasie. 408. Infusorienerde. 640. Kant und Herder als Vorläufer Weis- matm's. 223, 551. Kanonendonner, seine Hörbarkeit. 16, 223. Kohlweißlinge, Zug der. 712. Kolbenschilf, V'erwertung. 376. Krakatau, Nachtrag zur Katastrophe. 454. Luftfarben und Schattenfarben im Ge- lände. 736. Luftwellen als Schlieren sichtbar. 456, 583. Maskarenen, ozeanisch? 581. Mehlerde im Anhaltischen 161 7. 496. Namenliste der Vögel, Kritik. 654. Orniihologische Beobachtungen in Galizien, Wolhynien und Russisch-Polen. 320. , Ostruflland und Sibirien, Vorgeschichte. 72. Paradiesvögel, Entdeckung. 583. Phanerogamen auf den Kriegsschauplätzen. 335- Pfeiftöne, Anfrage über Zustandekommen. 223. I Rechenmethoden unserer Feinde. 495. ! Schallerscheinung, merkwürdige im Felde. 655- Schnecken, Kriechen. 623. 1 Schwebefauna der Luft. 136. Sonnentau als Inseklenvertilger. 581. ; Sperlinge, Abnahme. 656. j Störche, Familienleben. 581. Slräucher und Bäume, Bestimmungsbuch. 136, 304- Strichzeichnungen, Photographieren der- selben. 264. Tierarten, Zunahme im Kriege. 454, 656. ; Tiere, Bestimmung freilebend beobachteter. 423- Tiere, Genießbarkeit mancher, bishernicht beachteter. 624. Tierwelt, Veränderung durch Kriegsein- flüsse. 640. Trepanation alter Schädel. 423. Register. Unsichtbare im Föhrenwalde. 423. Vervieltälligungsmethode, russische. 281. Weiden, epiphytische Flora der. 16, 223. Wünschelrute. 656. Wünschelrutenjubiläum. 424. Zikaden und Heuschrecken bei Goethe. 496. Zwergwuchs bei Pflanzen. 536, 696. VI. Verzeichnis der Abbildungen. Alraun. 138, 139. Artesischer Brunnen. 269. Bergsturz. 275. Braunkohle, mikroskopische Schnitte. 305. Calceola sandalina. 649. Carpinus grandis, Blaltabdrücke. 217. Chamaeleon deremensis. 89. Chamaeleon bifidus. 89. Christian II. von Sachsen. 607. Chromosomengarnituren beiDrosophiliden. 218. Clitocybe cartilaginea. 432. Doline. 271. Drosophiia ampelophila, abnorme Beine. 651. Dürer's Stich „Die vier Hexen". 143. Erdoberfläche, hypsometrische Kurve. 703. Erdsimmerlmg. 431, 432» Fledermäuse im Winterschlaf. 434. Fliederzweige, getrieben. 67. Gründwasserspiegel. 265, 2ö6. Hakea, Blauformen. 617, 6 18. Hanf, Ernte, Röste, Samengewinnung. 249, 250. Haushahn, Keimdrüsen. 570. Helix nemoralis, Farbenvariationen. 122. Hufeisendüne aus Schnee. 593. Karst, Flußentwicklung. 273. Karstlandschaft. 271. Karstquelle. 273. Kohlweißlingspuppen. 219. Koniferenhölzer, fossile. Mikroskopische Ansichten. 305—308. Maischwamm. 430. Mißbildung des kleinen Fingers, Röntgen- bild. 463. Nervenregenerationen beim Igel. 626-628. New-Jersey vor und nach dem Mücken- kriege. 63. Pock-Schwinde. 273. Paradiesvögel, alte Bilder, 409 — 411. Pontosphaera huxleyi.Dichte-Verbreilungs- karte. 13. ! Quellen. 269. Quellhorizonte. 269. Regenrinnen. 676. Rutengänger. 39. Rutschungsterrasse. 275. Salix longa, Blattabdruck. 215. Schädeltrepanation, prähistorische. 232. Schottenmönche, Die drei. 142, , Schichtquelle. 269. Schwefelbakterien. 324 — 327. 1 Seefelder bei Reinerz, Ansichten. 662, 6Ö4. Seidenraupen. 730. • Sophie von Brandenburg. 606. Talanzapfung. 677. Talgehänge, Entwicklung. 673. Teafelslochhöhle, schematischer Grund- riß. 434. Ulmus carpinoides. Blattabdrücke. 216. Ulmus longifolia. Blattabdrücke. 216. Unz, Austritt. 273. Urpberfläche, Diagramm. 673. Vollameter. 469. Voratlantischer Kontinentalblock. 705. Warme Quellen im Schneegebirge. 270. Wolframkristallfädcn, mikroskopische Bil- der. 400, 401. Zertalung. 676. G. Pälz'sche Buctidr. Lippe; Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 7. Januar 1917. Nummer 1. [Nachdruck verboten." Atmung und Gärung. Von Dr. Egon Eichwald (Halle a. S.)- Die ersten, den heutigen Auffassungen sich nähernden Vorstellungen über das Wesen der Atmung beschäftigten sich naturgemäß mit der Lungenatmung der Säugetiere. Es wurde gezeigt, daß die Atmung ein durch den Sauer- stoff der Luft hervorgerufener Verbrennungs- prozeß ist, der dazu dient, dem Organismus die nötige Betriebsenergie zur Verfügung zu stellen. legt wird. Vor den bahnbrechenden Buchn er- sehen Arbeiten war man der Ansicht, daß es unter allen Umständen der Gegenwart lebender Zellen bedürfe, um die alkoholische Gärung her- vorzurufen, und es spielte demgemäß in allen Diskussionen über die Hefegärung der Begriff der Lebenskraft eine große Rolle, bis schließlich durch die Tatsache, daß vollkommen zellfreie dachte sich, daß dieser Verbrennungsprozeß Preßsäfte die gleichen Erscheinungen erzeugen Me in den Alveolen der Lunge vor sich gehe, ohne zunächst an den zahlreichen Schwierigkeiten dieser Auffassung Anstoß zu nehmen. Es waren zwei Probleme, die mehr und mehr diese erste primitive Verbrennungstheorie er- schütterten: Erstens die zunächst unerklärliche Tatsache, daß die Verbrennung im Organismus bei einer Temperatur stattfindet, die wesentlich können, der Nachweis geführt war, daß es sich keineswegs um Lebenstätigkeilen der Zelle handelt, sondern um Vorgänge, die durch ein Ferment, die Zymase, auch außerhalb der Zelle reproduzierbar sind. Seitdem hat man eine große Zahl solcher „intrazellulären" P'ermente isoliert und durch diese Isolierung die Bedin- gungen zu eingehender chemischer und physika- niedriger ist als die außerhalb des Organismus lisch-chemischer ^Erforschung ihrer Wirkungsweise zu Verbrennungen notwendige. Und zweitens die Frage, auf welche Weise die ohne freien Sauer- stoff lebenden Organismen ihre Energie sich be- schaffen, eine P>age, die um so entscheidender wurde, als durch Pflüger nachgewiesen wurde, daß P'rösche auch ohne Sauerstoffzufuhr noch längere Zeit Kohlensäure ausscheiden. Bei zahl- reichen anaeroben Pflanzen wurde dieses eben- falls beobachtet, vor allem bei der Hefe. Die erste Schwierigkeit führte zu der heute herrschenden fermentativen Auffassung der Atmungsprozesse, die zweite zu der Erkennt- nis der Vorgänge der sogenannten intramole- kularen Atmung, die, konsequent durch- geführt, schließlich die Tätigkeit der Lunge nur noch auf den Austausch von Sauerstoff und Kohlensäure beschränkte, dagegen den eigent- lichen Veratmungsprozeß auch bei den lungen- atmenden Tieren in das Innere des Körpers als intramolekulare Atmung verlegte. Bei beiden Vorgängen wurde die auch sonst in der Ge- schichte der Biologie im Vordergrunde stehende alkoholische Gärune noch ein weiteres Mal ent- geschaffen. Denn erst jetzt war es möglich, die Permente genau zu dosieren und dadurch den Einfluß ihrer Menge auf den Umsatz der zersetzten Substanzen zu studieren, erst jetzt möglich, den Einfluß bestimmter chemischer Stoffe zu unter- suchen und ein Bild über den genaueren che- mischen Verlauf der sich abspielenden Umsätze zu gewinnen. Der Erfolg dieser Arbeiten war, daß man den vorher einfachen Prozeß in eine Reihe von Zwischenstufen zerlegte und im Zu- sammenhang damit das vorher als einheitlich be- trachtete Perment „Zymase" als ein Gemisch verschiedenartiger, sich gegenseitig ergänzender I-'ermente erkannte. Betrachten wir zunächst die chemische Seite des Problems. Bei der alkoholischen Gärung wird Trauben- zucker nach folgender Formel in Alkohol und Kohlensäure zerlegt: C,H,.,0„ = 2 CH3CH2OH + 2 CO.,. So einfach diese P'ormel aussieht, so unbe- friedigend muß sie trotzdem bei eingehender Be- scheidend für unsere Vorstellungen bei den Pro- trachtung bleiben, da sie offenbar einen sehr zessen der Atmung, da sie ja ein besonders komplizierten Zerfall des Traubenzucker-Moleküls augenfälliges Beispiel der intramolekularen At- voraussetzt. mung darstellt, und es ist deshalb zuerst not- Die Bemühungen, Einzelheiten über den Ab- wendig, uns mit den augenblicklich herrschenden bau des Traubenzuckers bei der Gärung zu er- Auffassungen über die Gärungsvorgänge vertraut fahren, führten zuerst zu einer Theorie, die durch zu machen. Die Hefegärung Die Vorgänge bei der Hefegärung bestehen bekaimtlich darin, daß Traubenzucker unter dem Einfluß des von Buchner isolierten Fermentes, der Zyi einen hauptsächlich im Tierkörper, unter ge- wissen Bedingungen aber auch im Pflanzenkörper ablaufenden Abbau des Traubenzuckers nahe liegt. Man nahm nämlich an, daß zuerst sich Milch- säure bildet und daraus Alkohol und Kohlen- säure. Indessen steht dieser Auffassung entgegen, in Alkohol und Kohlensäure zer- daß Milchsäure vollkommen unvergärbar ist und Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. I also nicht als Zwischenprodukt bei der alkoho- lischen Gärung vorausgesetzt werden kann. Viel- mehr ist es wahrscheinlich, daß zunächst irgend- eine andere, leicnt umsetzbare Substanz ent- steht, die dann je nach den Bedingungen, ent- weder Milchsäure liefert (im Tierkörper und bei der Milchsäuregärung) oder durch weitere Zwischenstufen hindurch schließlich Alkohol und Kohlensäure (alkoholische Gärung). Als solche primäre Abbaustufe hat man vor allem den Glyzerinaldehyd ins Auge gefaßt. Vor allem spricht hierfür der von Iwanow geführte Nachweis, daß bei der Hefegärung ein Triosephosphorsäureester eine Rolle spielt, d. h. die esterartige Verbindung von Phosphorsäure mit einem Zucker aus 3 Kohlenstoffatomen. Schon früher hatte man die günstige Einwirkung erkannt, die Phosphate auf den Gärprozeß aus- üben. J w a n o w ^) wies dann nach, daß hierbei die Phosphorsäure esterartig an ein Kohlen- hydrat gebunden wird. Ob an eine Hexose oder an eine Triose, blieb zunächst zweifelhaft, aber die letzten Untersuchungen Euler's und Fodor's über diesen Gegenstand sprechen da- für, daß sowohl Hexose- wie Triosephos- phorsäureester auftreten. Ungewiß ist hierbei nur noch, ob diese Phosphorsäureester notwendige Zwischenstufen des Gärungsprozesses bilden oder vielleicht als Aktivatoren der Gärungsfermente d. h. als Stoffe wirken, die die Gärungsfermente erst wirksam machen und sie aus einem poten- tiellen in einen aktiven Zustand überführen. Solche Stoffe sind ja bei zahlreichen F'ermenten von Bedeutung. Von Euler und seinen Schülern wurde auch festgestellt, daß es sich bei der Veresterung der Phosphorsäure mit dem Kohlehydrat um einen fermentativen Prozeß handelt und daß das be- treffende Ferment, er nennt es Phosphatese, von den übrigen, bei der Hefegärung in Betracht kommenden Fermenten abtrennbar und also eine selbständige Komponente des Zymase-Systems ist. Das folgt daraus, daß es bei schwach gärenden Trockenhefen möglich war, eine Ver- esterung zugesetzter Phosphorsäure zu erzielen, ohne daß Bildung von Alkohol und Kohlensäure auftrat. Gleichzeitig wurde dann auch gezeigt, daß nicht der ursprüngliche Zucker sich mit der Phosphor- säure verestert, sondern irgendein Umwandlungs- produkt. Sobald man nämlich zu einer solchen unwirksamen Hefe reine Glukoselösung sowie Phosphorsäure hinzusetzte, trat keine Abnahme der mit Magnesiamischung fällbaren Phosphor- säure ein, mit anderen Worten, es hatte sich keine Phosphorsäure verestert. Wohl aber war dies der Fall, falls man bereits angegorene Zuckerlösung zusetzte, die also bereits Umwand- lungsprodukte der Glukose enthielt. Bevor wir eins der von den heutigen For- schern aufgestellten Schemen des Traubenzucker- ') Zeitschr. f. physiolog. Chemie, Bd. 50, S. 2S1, 1907. abbaus mitteilen , wollen wir zuerst noch die weiter bekannten Tatsachen betrachten. Hier ist vor allem an die Forschungen Neuberg's und seiner Schüler über „Zuckerfreie Gä- rungen" zu erinnern. Bereits oben sahen wir, daß ein gewichtiger Einwand gegen das Auftreten von Milchsäure als Zwischenprodukt in der Unvergärbarkeit dieser Substanz durch Zymase vorliegt. Auf einem ähnlichen Forschungsprinzip beruhen die Arbeiten von Neuberg, der eine Reihe der verschieden- sten Substanzen der Hefe darbot und aus ihrem Verhalten schloß, ob sie als Zwischenprodukte der Gärung in Frage kommen oder nicht. Stets wenn bei Abwesenheit von Zucker der betreffende Stoff unter Kohlensäureentwicklung vergoren wird, liegt offenbar die Möglichkeit seines Auf- tretens als Zwischenprodukt vor. Vor allem sind es eine Reihe von organischen Säuren, die der zuckerfreien Gärung unterliegen. Neuberg nimmt an, daß diese Gärung unter dem P^influß eines bis dahin unbekannten P"er- mentes, der „Ca rboxy 1 as e" von statten geht, und daß diese Carboxylase auch bei der normalen Gärung mitwirkt, also zu dem Komplex der als Zymase bezeichneten Fermente hinzugehört. Aus Brenztraubensäure wird unter dem Einfluß der Carboxylase Acetaldehyd und Kohlensäure: CHgCOCQf^ = CHgC^ + CO., Brenztrauben- Acetal- Kohlen- säure dehyd säure In der Tat hat man bei allen Gärungen das Auftreten von Acetaldehyd feststellen können. Auch die Salze der Brenztraubensäure werden durch die Carboxylase zersetzt und aus der dabei entstehenden Kohlensäure bilden sich kohlensaure Alkalien, so daß also aus dem Salz einer orga- nischen Säure ein fixes Alkali entstanden ist, ein Prozeß, der bei höheren pflanzlichen Organismen allgemein als Veratmung von Pflanzensäuren be- kannt ist. Es sind noch sehr zahlreiche Substanzen auf ihr Verhalten bei der zuckerfreien Gärung geprüft worden, und es hat sich ergeben, daß fast alle Säuren, die in den Sioffwechselprodukten der Hefe vorkommen, von der Carboxylase zersetzt werden. Als solche kommen z. B. in Betracht die Ameisen- und die Essigsäure, die Glyzerinsäure und vor allem die Oxalessigsäure C OH^^^^'^'^OH Diese Säure, die interessant ist wegen ihrer Be- ziehungen zur Wein- und zur Apfelsäure, ist be- sonders leicht angreifbar. Daß es sich bei diesen Zersetzungen wirklich um ein von den übrigen Zymaseenzymen unterschiedenes Ferment handelt, läßt sich dadurcli nachweisen, daß die Zersetzung auch nach Abtötung der Hefe mittels Toluol oder Chloroform noch weiter vor sich geht. Hierbei wird der Zymase die Möglichkeit genommen, ein- zuwirken, da sie als intrazelluläres Enzym nur nach N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. der Zerstörung der Hefezellen und der Gewinnung des Hefepreßsaftes zu wirken vermöchte. Die Carboxylasewirkung bleibt jedoch, trotz der Ab- tötung der Hefezellen erhalten, ebenso wie die Invertasewirkung, ein gleichfalls in der Hefe vor- handenes Ferment, das imstande ist, Rohrzucker in Traubenzucker und Fruchtzucker zu zer- legen. Wir sahen oben, daß aus Brenztraubensäure Kohlensäure und Acetaldehyd entsteht. Um diesen Befund für die Aufklärung der alkoholischen Gärung fruchtbar zu machen, müssen sich uns zwei neue Fragen ergeben: Einmal, woher die Brenztraubensäure stammt und weiterhin, ob und in welcher Weise aus dem Acetaldehyd, der bei allen Hefegärungen in reichlicher Menge auftritt, .Äthylalkohol entsteht. Zuvor jedoch müssen wir einige allgemeinere Bemerkungen über die bisher geschilderten Versuche einschalten. Oftenbar haben wir es bei der alkoholischen Gärung mit einem Proceß zu tun, dessen Ana- lyse aus mehrerlei Gründen außergewöhnliche Schwierigkeiten bietet. Neben der Zersetzung des Zuckers in Alkohol und Kohlensäure laufen eine Reihe von anderen Zersetzungsprozessen her, die z. T. zu organischen Säuren, wie Essigsäure, Bernsteinsäure, Buttersäure und anderen führen, z. T. zu Stoffen, wie Glyzerin und Amylalkohol. Es wird also jedesmal, wenn wir einen bestimmten Prozeß aus dem Gesamtvorgang isoliert haben, notwendig sein zu entscheiden, ob dieser Teil- prozeß zu der Hauptreaktion, der Zuckerzersetzung in Alkohol und Kohlensäure gehört, oder ob er zu einer der Nebenreaktionen gehört, die von Kohle- hydraten, Eiweißkörpern, Fetten oder Pflanzen- säuren ausgehend zu den mannigfaltigsten Stoff- wechselprodukten hinführen. Für die Brenztraubensäure dürfte es wahr- scheinlich sein, daß sie von den Kohlehydraten abstammt und also dem Hauptprozeß angehört. Da, wie oben erwähnt, aus dem Traubenzucker zunächst eine Triose entsteht, und hier vor allem Glyzerinaldehyd in Frage kommt, so haben fol- gende Umwandlungen sehr viel Gründe für sich, obwohl sie keineswegs experimentell in allen Einzelheiten klar gestellt sind: Traubenzucker > 2CH.,OH ■ CHOHCp^ Glyzeriiialdehyd CH.CO-C^ Methylglyoxal CH3COCQJ , Brenztraubensäure CHgCOCHaOH Brenztraubenalkohol CH.Cq + CO., Acetaldehyd • CH3CH.,0H Alkohol Der Übergang vom Glyzerinaldehyd zum Methylglyoxal geschähe hierbei durch die Ver- schiebung einer Hydroxylgruppe, ein Vorgang, der bei biologischen Reaktionen nichts Außer- gewöhnliches hat. .^uch der folgende Vorgang gehört einer Gruppe von Reaktionen an, die sich sehr häufig in der Chemie der Zelle verwirklicht findet. Es wird nämlich ein Teil des Methyl- glyoxals auf Kosten eines anderen Teils oxydiert und aus dem Aldehyd entsteht eine Säure sowie ein Alkohol : nämlich Brenztraubensäure und Brenztraubenalkohol, der isomer mit Glyzerin ist und ebenfalls durch Hydroxylverschiebung leicht darin übergeht. CHgCOCHoOH isomer CH.,OHCHOH-CH,OH Brenztraubenalkohol Glyzerin. Wie aus der Brenztraubensäure dann unter der Einwirkung der Carboxylase Acetaldehyd und Kohlensäure entstehen, haben wir vorhin näher ausgeführt. Es bleibt also nur noch der letzte Schritt zu tun, nämlich zu erklären, wie der Acetaldehyd zu Äthylalkohol reduziert wird, ' um ein wenigstens vorläufiges Bild der Zucker- vergärung zu haben, das mit den bisherigen ex- perimentellen Befunden im Einklang steht. Für die Reduktion des Acetaldehydes zu Äthylalkohol ist Wasserstoff nötig, und es ist sehr wohl möglich, daß dieser Wasserstoff ver- mittels einer sogenannten gekoppelten Reaktion aus den Elementen des Wassers bezogen wird, wobei dann gleichzeitig der Sauerstoff des Wassers zu C)x)-dationsprozessen verbraucht wird, wie sie z. B. bei der Umwandlung von Methylglyoxal in Brenztraubensäure erforderlich sind. Abgesehen von dieser Auffassung ist noch eine andere möglich, daß nämlich das entstandene Gemisch aus Brenz- traubensäure und Brenztraubenalkohol (isomer Glyzerin) sofort bei der Zersetzung Ahylalkohol liefert. In der Tat haben Neuberg und Kerb den Nachweis geführt, daß bei der Einwirkung von Hefe auf Brenztraubensäure bei Gegenwart von Glyzerin statt Acetaldehyd — Äthylalkohol sich bildet. Eine wichtige Aufgabe für jede Gärungs- theorie wird, aisgesehen von der Erklärung des Hauptprozesses, die Entstehung der bei der Gä- rung auftretenden Nebenprodukte sein. Als solche kommen in erster Linie höhere Alkohole, wie z. B. der optisch aktive Amylalkohol, ferner auch organische Säuren sowie Glyzerin in Betracht. Dabei ist dann wiederum ein erschwerender Um- stand, daß diese Nebenprodukte je nach den Heferassen stark variieren und weiterhin, daß ein und dasselbe Endprodukt aus ganz verschiedenen Ausgangsmaterialien gebildet sein kann. So kann Naturwissenschaftliche Wochenschriit. N. F. XVI. Nr. z. B. die Brenztraubensäure sich außer aus Kohle- hydraten auch aus einem Abbauprodukt des Ei- weiß, dem Alanin, sich bilden. Ebenso kann sich, wie wir sehen werden, Milchsänre aus Kohle- hydraten sowie aus Eiweißstofifen , ja auch aus anderen Pflanzensäuren bilden , so daß hier in jedem Falle eine sehr vorsichtige Beurteilung der experimentellen Befunde geboten ist. Die Entstehung höherer Alkohole ist zuerst durch die Untersuchungen von Felix Ehrlich klargestellt worden. Sie entstehen aus Amido- säuren , also aus Spaltprodukten des Eiweiß- moleküls. Vor allem wies Ehrlich dies nach beim Amylalkohol , dem sog. Fuselöl. Es entsteht nach folgender Bruttogleichung aus Isoleucin: ^ J5'/CHCH.NH., . C Isoleucin Qp^ + H.3O = ^ []^j)CH.CH.,OH + CO., +NH3 Amylalkohol. Indessen haben Neubauer und Fromberg') gezeigt, daß die Umwandlung des Isoleucins durch sogenannte oxydative Desaminierung geschieht. Zunächst bildet sich durch Oxydation und nachherige Abspaltung von Ammoniak eine ß-Ketosäure. Diese a-Ketosäure wird dann unter Abspaltung von Kohlensäure und gleichzeitiger Reduktion in den entsprechenden Alkohol über- geführt. Zweckmäßig stellt man sich dabei vor, daß die Kohlensäureabspaltung durch Carboxylase, ähnlich wie bei Brenztraubensäure erfolgt, und der hierbei entstehende Aldehyd weiter zum Al- kohol reduziert wird. Es ist Neubauer im wesentlichen gelungen, diese Vorgänge stufenweise zu verfolgen und da- durch die Entstehung höherer Alkohole aus Amido- säuren auf die angegebene Weise verständlich zu machen. In chemischen Gleichungen erhält man folgen- des Bild: QHj/^^-^^-^OH NR, Isoleucin .CH.CH.,OH Methyläthylbrenztraubensäure Isovaleraldehyd Isoamylalkohol. Von den anderen Nebenprodukten der alko- holischen Gärung sind vor allem noch die ver- schiedenen sich bildenden Säuren von Interesse, und zwar hauptsächlich deshalb, weil eine Reihe von niederen Organismen diese Nebenreaktionen der Hefe zur Hauptquelle ihrer Betriebsenergie ausgebildet haben. Dadurch sind andere Typen von Gärungen entstanden, die je nach dem ent- stehenden Hauptprodukt als Milchsäure-, Butter- säure-, Capronsäuregärung usw. bezeichnet werden. Zum Teil werden diese Säuren auf einfache Art aus Kohlehydraten entstehen, z. B. die Milchsäure CHgCH- OH -Cqi^ aus Glyzerinaldehyd CH.OHCHOHC^. Bei der Bildung der ge- sättigten Fettsäuren jedoch, z. B. der Buttersäure CHgCHgCHjCQp^ bedarf es einer weitgehenden Reduktion, über deren speziellen Verlauf wir noch wenig unterrichtet sind. Ohne Zweifel spielen außer den abbauenden Prozessen auch synthetische Vorgänge hierbei eine Rolle, besonders die Kon- densation des Acetaldehydes, der ja bei allen Gärungen auftritt, zu Aldol, der dann seinerseits sich in ,jOxybuttersäure und Buttersäure ver- wandelt. CH3CQ -j- CH3CQ Acetaldehyd CH3CH.0HCH,,Cq Aldol ■CHaCHOHCRC^f^ p'-Oxybuttersäure CH3CH.XH.X Buttersäure, O OH Aber auch aus bereits vorgebildeten or- ganischen Säuren können gesättigte Fettsäuren entstehen. So wies Karezag nach, daß Wein- säure bei der Gärung sich in zahlreiche andere Säuren verwandelt, in Essigsäure, Propionsäure, Bernsteinsäure und Milchsäure. Die Mannigfaltigkeit der experimentell bereits nachgewiesenen Umwandlungen ist also außer- ordentlich groß und wird dadurch noch ver- wirrender, daß nicht nur die einzelnen Heferassen 'j Zeitschr. f. physiolog. Chemie, Bd. 70, S. 336, 19 u. weitgehende Unterschiede aufweisen, sondern auch die Anpassung an ihr Nährsubstrat keineswegs so spezifisch ist, wie bei höheren Organismen, so daß auch ungewohntes Nährmaterial innerhalb gewisser Grenzen die Stelle der normalen Nährstoffe er- setzen kann. Ein Befund, der bei allen Versuchen über Gärung sorgfältig zu berücksichtigen ist. Bei höheren Organismen pflanzlicher und tierischer Art ist diese Anpassungsfähigkeit nicht mehr in so hohem Maße vorhanden, so daß wir erwarten dürfen, dort konstantere Verhältnisse anzu- treffen. N. F. XVI. Nr. Naturwissenschafiliche Wochenschrift. Die intramolekul A t m u II i Wenn wir jetzt daran gehen, die Vorgänge der intramolekularen Atmung bei höheren sauer- stoftbedurfügen Organismen zu studieren, so wird zunächst von Interesse sein, ob der Prozeß der alkoholischen Gärung auch von höheren pflanz- lichen oder gar tierischen Organismen als hnergie- quelle benutzt werden kann. Für pflanzliche Organismen ist dies in der Tat der Fall. Schon friiher hatte man vereinzelt Alkohol in den Organen höherer Pflanzen nachgewiesen, und als dann Pfeffer seine Theorie der intramolekularen Atmung aufstellte, daß nämlich alle, auch die aerobiüiischen Atmungsvorgänge auf intramole- kularen Umsetzungen beruhen, da war man nahe- zu allgemein der Ansicht, daß diese intramole- kularen Reaktionen ausschließlich Vorgänge der alkoholischen Gärung seien. Später gelang es dann Stoklasa, aus dem Gewebe zahlreicher höherer Pflanzen ein P'ermentgemisch zu isolieren, das die wesentlichen p:igeiischafien der Zymase besitzt, vor allem also Zucker in Alkohol und Kohlensäure spaltet. Er gewann dieses Ferment- gemisch aus Pflanzengewebe nach der von Büchner zur Gewinnung von Hefepreßsaft be- nutzten Methode, indem er das Gewebe zerrieb und mittels eines Druckes von 300— 400 Atmo- sphären den Zellsaft herauspreßte. Aus diesem Saft ist das Fermentgemisch mit Alkohol aus- füllbar. Es fragt sich nun, wie man sich die Rolle dieses Zucker vergärenden Enzyms vorzustellen hat. Offenbar sind zwei Annahmen möglich. Nach der einen würde die alkoholische Garuug ein normaler Vorgang im pflanzlichen Stoffwechsel sein, der nur deshalb für gewöhnlich nicht in Er- scheinung tritt, weil der gebildete Alkohol sofort weiter oxydiert wird , ehe er sich in größeren Mengen ansammelt. Nacfi der anderen dagegen wurde bei aerober Atmung die Zersetzung der Kohlehydrate überhaupt nicht bis zum Alko- hol gehen, sondern vorher bereits ein Zwischen- produkt durch oxydativen Abbau weiter zerlegt werden. Falls aber der Sauerstoff fehlt, so würde allerdings unter dem Einfluß der Zy- mase sich Alkohol bilden. Mit beiden Auffassungen ist die Tatsache ver- einbar, daß bei Abschluß der Luft fast stets eine erhebliche Produküon von Alkohol statthndet. Pal ladin, uud ebenso Kostyischew, haben eingehende Versuche darüber geniai-ht, wie viel Kohlensäure und wieviel Alkohol sich bei anae- erober Atmung verschiedener Pflanzenteile bilden. Dabei haben sie die Pflanzen zunächst durch Gefrieren auf —20" abgetötet, so daß die erzielte Kohlensäureproduktion ausschließlich auf Rech- nung enzymatischer Prozesse zu setzen ist. Wäh- rend nämlich das Protoplasma durch längere Einwirkung tiefer Temperaturen abgetötet wird, sind die Fermente ei heblich widerstandsfähiger. Dadurch ist es möglich, ihre Wirkung rein und unbeeinflußt*durch die Tätigkeit des Protoplasmas zu erforschen. Aus den Versuchen Palladin's und Kos ty- tschew's ergibt sich, daß in zahlreichen Fallen allerdings ein erheblicher Teil der an ae- roben Kohlensäure-Entwicklung aus alkoho- lischer Gärung stammt, in anderen F'ällen jedoch nur wenig, oder gar kein Alkohol gebildet wird. Die beiden Forscher verfuhren folgendermaßen: Sie töteten das zu untersuchende pflanzliche Organ durch Erfrieren ab, brachten es dann, um die anaerobe Atmung zu studieren, in einen Wasserstoffstrom und maßen die ausgeschiedene Kohlensäure. Ebenso bestimmten sie auch den gebildeten Alkohol. Bei der Zuckergärung müßte auf i Molekül Kohlensäure 1 Molekül Alkohol sich bilden. In Vk'irklichkeit wurde fast immer weniger Alkohol gebildet, oft überhaupt keiner. Daraus folgt dann, daß bei anaerober Atmung die alko- holische Gärung häufig zwar eine mehr oder weniger große Rolle spielt, ganz gewiß aber nicht der einzig verlaufende Prozeß ist, vielmehr durch andere, ebenfalls Kohlensäure erzeugende Ferment- reaktionen ersetzt wird. Bei aerober At- mung wurde fast überhaupt kein Alkohol ge- bildet. Die Atmung im tierischen Organismus. Bevor wir die Vorgänge im pflanzlichen Ge- webe weiter verfolgen, wollen wir einen orien- tierenden Blick auf die Atmungsvörgänge im tierischen Organismus werfen. Hier tritt uns sofoit mit viel größerer Dring- lichkeit die Frage entgegen , in welcher Weise der Sauerstoff der Luft in die Atmungsvorgänge eingreift. Auch bei der pflanzlichen Atmung ist diese PVage selbstverständlich nicht zu umgehen, aber, da auch die höheren Pflanzen einige Zeit ohne Sauerstoff zu atmen vermögen, ist die Rolle des Sauerstoffs nicht so in die Augen fallend wie beim höheren Tier. Daß umgekehrt trotz der dauernd notwendigen Zufuhr von Sauerstoff auch im höheren Tier ständig Umsetzungen verlaufen, die denen der Pflanzen analog sind, ist durch die Forschungen Embden's und seiner Schüler sicher gestellt. Hier interessiert uns davon na- mentlich die Umsetzung der Kohlehydrate. Die genannten Forscher verfuhren in der Weise, daß sie untersuchten, was aus dem zu Blut hinzugesetzten Traubenzucker wurde, wenn sie das Blut durch eine überlebende Leber hindurch leiteten. Es zeigte sich, daß stets eine Vermehrung des Milch- säuregehahes stattfand. Auch wenn Blut durch glykogenhaltige Leber hindurchfloß, ergab sich eine Vermehrung der Milchsäure, nicht jedoch, ■ wenn die Leber vorher durch Hungern des Tieres vom Glykogen befrrii war. Dadurch ist ein- deutig bewiesen, daß Milchsäure ein Abbauprodukt des Traubenzuckers im lierischen Orgamsmus ist, ohne daß Traubenzucker allerdings der einzigste Stoff ist, aus dem Milchsäure entsteht. Denn Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. auch aus Eiweißabbauprodukten, wie Alanin, ver- mag Milchsäure sich zu bilden. Embden hält es für wahrscheinlich, daß aus dem Traubenzucker zunächst Glyzerinalde- hyd gebildet wird. Und zwar würde es sich um optisch aktiven Glyzerinaldehyd handeln, da die daraus entstehende Milchsäure ebenfalls op- tisch aktiv ist. In der Tat hat sich bei Leber- durchblutungsversuchen herausgestellt, daß Gly- zerinaldehyd in hohem Maße als Milchsäurebildner wirkt. Auch im Blute wird aus Zucker zunächst Milchsäure gebildet. Dagegen ist bei der seit langem schon bekannten Bildung von Milchsäure im arbeitenden Muskel nicht ausschließlich der Traubenzucker die milchsäurebildende Substanz, sondern eine andere, noch nicht näher charakte- risierte Verbindung, die Embden vorläufig als Lac tac i d og e n bezeichnet. Es ergab sich näm- lich, daß die im Muskelpreßsaft gebildete Milch- säuremenge unabhängig war von der Menge von zugesetztem Traubenzucker oder Glykogen. Im lebenden tätigen Muskel wird sich wahrscheinlich auch aus diesen Substanzen Milchsäure bilden, aber es ist anzunehmen, daß auch hier die als Lactacidogen bezeichnete Zwischenstufe durch- laufen wird. Bis zum Abbau des Traubenzuckers zur Milch- säure ist energetisch noch kaum eine Ände- rung eingetreten, so daß es nur einer geringen Zufuhr von Energie bedarf, um aus der Milch- säure Traubenzucker zurückzubilden. Diese Ten- denz, seine Substanzen möglichst wenig abzu- bauen, findet man allgemein bei den che- mischen Vorgängen in den Organismen. Be- sonders gilt dies für alle hydrolytischen Prozesse, alle jene Vorgänge also, die durch die zerlegende Wirkung des Wassers hervorgerufen werden, so z. B. die Aufspaltung der Eiweißkörper und der Fette, auch die des Glykogens oder der Stärke in Traubenzucker. Solange wie möglich sucht der Organismus seinen Energiebestand intakt zu halten, und sich die Möglichkeit zu bewahren, leicht aus den Zersetzungsprodukten die ursprüng- lichen Stoffe zurückzubilden. Auf der Stufe der Milchsäure ist dies noch ohne Mühe durchfuhr- bar, und ebenso, wie sich in zuckerreichem Blute bei der Leberdurchbluiung Milchsäure bildet, ebenso bildet sich auch umgekehrt in milchsäure- reichem Blute Traubenzucker unter Verbrauch der Milchsäure. Erst bei dem nächsten Schritt kommt es zu einem Eingrifif, der schwerer reversibel ist. Aus der Milchsäure bildet sich Brenztraubensäure, derselbe Stoff also, mit dem wir uns oben bei der alkoholischen Gärung eingehend beschäftigt haben. Weiterhin entsteht dann in der Leber aus Brenz- traubensäure die Acetessigsäure und hieraus durch Kohlensäureabspahung Aceton. Diesen Reaktions- verlauf erklärt man wohl am besten, wenn man annimmt, daß die Brenztraubensäure sich in Acet- aldehyd und Kohlensäure zersetzt und der Acet- aldehyd sich zy Aldol kondensiert, der sich durch Oxydation in Acetessigsäure umwandelt. Es er- gäbe sich also folgendes Schema des Zucker- abbaus im tierischen Organismus: ^) d-Glukose it I. Aktiver Glyzerinaldehyd It 11. d-Milchsäure it III. Brenztraubensäure i IV. Acetaldehyd Essigsäure CH3C0H CH,.OH.(CHOH),Cj^ CH2OHCHOHC CHgCH-OH-C, OH CH3CO • Cqji Acetessigsäure CHXOCHX, 2^0H Außer dieser Art des Abbaus dürften aber noch andere Arten vorkommen, wie sich vor allem aus dem Auftreten von Glukuronsäure schließen läßt. In diesem Falle würde bereits an dem in- takten Zuckermolekül eine Oxydation einsetzen und erst nachher eine Zertrümmerung des Mole- küls in kleinere Teile erfolgen. Leider ist über diese Form des oxydativen Abbaus noch wenig bekannt. Deshalb wenden wir uns, anstatt uns weiter darin zu vertiefen, einer näheren Betrachtung der oxydativen Pjozesse zu. Im tierischen Organismus setzen diese, falls wir das oben mitgeteilte Schema zugrunde legen, bei dem Übergang von Milchsäure in Brenztrauben- säure ein. Wie findet nun diese Oxydation statt? Ist der Ort dieser Oxydation im Blut oder im Gewebe? Und weiterhin: Findet sich im Blut oder im Gewebe freier Sauerstoff oder gibt es andere Substanzen, die die oxydative Wirkung zu entfalten vermögen? Zunächst ist nachgewiesen, daß ein Teil der Oxydation im Blute stattfindet, und zwar sind es die Formelemente des Blutes, welche die Oxydation bewirken. Dabei spielt dann das Hämoglobin des Blutes die Rolle eines Sauerstoff- überträgers, indem es sich mit dem Sauerstoff der Lult zu Oxyhämoglobin verbindet und den aufgenommenen, nur lose gebundenen Sauerstoff an die oxydationsfähigen Substanzen weitergibt. Aber auch in den Geweben findet bereits eine ') Vgl. G. E m b d e n und M. O p p e n h e i m e r , Biochf Zeitschr. 45, 202. N. F. XVI. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Oxydation statt, wie vor allem durch die P f 1 ü g e r - sehen Versuche nachgewiesen ist. Pflüger er- setzte nämlich das Blut von P'röschen durch physiologische Kochsalzlösung und fand, daß so behandelte F~rösche in einer Atmosphäre von reinem Sauerstoff noch etwa 2 Tage zu leben vermochten und Kohlensäure ausschieden und zwar ebensoviel , wie normale Frösche. Es ist nicht anzunehmen, daß hierbei erhebliche Oxydationen in der Kochsalzlösung vor sich gehen, zumal dann nicht, wenn man bedenkt, daß in der Kochsalz- lösung vollkommen die Formelemente fehlen, die im Blute Träger der Oxydationswirkungen sind. Auch bei den niederen Tieren, die noch kein Blutgefäßsystem besitzen, findet die Oxydation notwendigerweise in den Geweben statt, da sie bei Entziehung des freien Sauerstoffs sehr bald zugrunde gehen. Daß aber andererseits bei den höheren Tieren auch im Blute Oxydationsprozesse verlaufen, geht aus dem Verhalten des Blutes er- stickter Tiere hervor. Normales Blut enthält nur geringe Mengen von oxydablen Stoffen. Infolge- dessen verschwindet freier Sauerstoff, der zu normalem Blute außerhalb des Körpers hinzugefügt wird, nur sehr allmählich. Anders ist dies aber, wenn die Tiere erstickt sind, wenn also die aus den Geweben ins Blut gelangenden oxydablen Stoffe aus Mangel an Sauerstoff nicht oxydiert werden konnten. Das Blut ist dann reich an re- duzierenden Substanzen und in der Tat ver- schwindet Sauerstoff, der zu Erstickungsblut hinzu- gefügt wird, mit großer Geschwindigkeit unter Bildung von Kohlensäure. Wir können also sagen, daß sowohl das Ge- webe als auch das Blut die Orte sind, wo die Oxydationen stattfinden. So bleibt uns noch die PVage zu beantworten , in welcher Weise diese Oxydationen vor sich gehen, ob durch freien Sauer- stoff oder mit Hilfe anderer Substanzen. Nun ist allerdings in einigen Organen, z. B. in der Speicheldrüse, in der Plazenta der Säugetiere, in den Leuchtorganen von Lampyris splendidula das OH OH-H Auftreten freien Sauerstoffs nachgewiesen, aber, wie wir oben sahen, ist aus chemischen Gründen eine einfache Oxydation durch freien Sauerstoff gänzlich unbegreifbar. Wir müssen die neueren Forschungen der Pflanzenphysiologie zugrunde legen, um in das Innere der hierbei verwendeten Mechanismen einen Einblick zu gewinnen, möchten aber zum voraus darauf hinweisen, daß es sich hierbei um komplizierte, nicht ganz leicht zu verstehende Vorstellungen handelt. Indessen sind sie von so fundamentaler Bedeutung für das Verständnis der Atmungsvorgänge, daß wir zum Abschluß unserer Betrachtungen eine kurze Dar- stellung dieser Theorien geben wollen. Die Oxydationsfermente. Zunächst eine chemische Betrachtung. Bei der Oxydation eines Körpers durch den Sauerstoff der Luft hat sich ergeben, daß fast stets außer den eigentlichen Oxydationsprodukten noch andere weniger beständige Stofte auftreten. Und zwar handelt es sich dabei um Stoffe, die ihrerseits eine erheblich größere Oxydationsfähigkeit besitzen als der freie, molekulare Sauerstoff. Es können also unter ihrem Einfluß Oxydationen ein- treten, die der freie Sauerstoff der Luft nicht zu bewirken vermag, mit anderen Worten, es ist eine Aktivierung des Sauerstoffes eingetreten. Zwei Arten einer solchen Aktivierung kommen hierbei hauptsächlich in Betracht: Das Auftreten von Wasserstoffsuperoxyd und das Auftreten anderer Peroxyde. Der erste Fall tritt ein in jenen Fällen, die der Traube 'sehen Oxydations- theorie folgen. Nach Traube wirkt nicht der iTiolekulare Sauerstoff als oxydierendes Agenz, sondern zunächst wird Wasser in H und OH gespalten. Die Hj'droxylionen treten an die zu oxydierende Substanz, während die freien Wasser- stoffionen mit Sauerstoff zusammen Wasserstoff- superoxyd bilden. Der Vorgang wäre also z. B. bei der Oxydation von Oxanthranol zu Antrachinon folgender : OHx /OH C„H, ( >CeH, + +0, = C,;H,\ /QH, + H.,0, " ^\C/ « "^OH-H^ ' " 'V/ OH Oxanthranol Wasser OH OH Ist der Reaktionsverlauf richtig formuliert, so muß die doppelte Menge Sauerstoff bei der Oxy- dation verbraucht werden, als wenn kein Wasser- stoffsuperoxyd entstünde, eine Folgerung, die nach Manchot mit dem experimentellen Befund über- einstimmt. Gleichzeitig vermag jetzt das Wasser- stoffsuperoxyd neue, durch freien Sauerstoff nicht vollziehbare Oxydationen in Gang zu setzen. Eine andere Reihe von Oxydationen verläuft nach dem von Engler und Wild, sowie von Bach undChodat entwickelten Schema. Hier- nach entstehen zunächst Substanzen vom Charakter der Peroxyde nach folgender Gleichung: A + O, = AO.,. Diese peroxydartigen Verbindungen, wie sie z. B. von den katalytisch wirkenden Platinmetallen bekannt sind, vermögen jetzt leicht die Hälfte, häufig sogar den ganzen aufgenommenen Sauer- stoff weiterzugeben und dadurch selbst schwierige Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. I Oxydationen hervorzurufen. Man nennt diesen zweiten Stoff den Acceptor, und es ist be- merkenswert, daß nicht nur der Acceptor durch das Peroxyd stärk-er als durch Luftsauerstoff oxy- diert wird, sondern daß häufig auch umgekehrt die Gegenwart eines Acceptors die Oxydations- geschwindigkeit des ersten Stoffes erhöht. Dies ist i. B. der Fall bei der Oxydation von Ferrosulfat an der Luft, die unter normalen Bedingungen nur sehr allmählich verläuft, schnell dagegen bei Zusatz einer alkalischen Lösung von arseniger Säure. Hierbei bildet sich zunächst eine Peroxydverbindung des Eisens, die dann die Hälfte ihres Sauerstoffs an die arsenige Säure abgibt und dabei selbst zu Ferrisalz reduziert wird. Es scheint nun auf Grund der Arbeiten Bach und Chodat's"), daß die beiden angeführten Oxydationstypen eine große Rolle bei den At- mungsprozessen spielen. Und zwar handelt es sich um fermentative Prozesse, da durch Erhitzen auf höhere Temperatur die betreffenden Vorgänge vernichtet werden. Zunächst wiesen die genannten Forscher nach, daß bei den pflanzlichen Oxydationsvorgängen zwei voneinander unterschiedene Stoffe zu berück- sichtigen sind; Ein peroxydartiger Körper, den sie Oxygenase nannten, und zweitens ein Oxy- dationsferment, das die Aufgabe hat, den Sauer- stoff des Peroxydes auf die zu oxydierende Sub- stanz zu übertragen. Dieses Ferment nannten sie Peroxydase. Es gelang ihnen, beide Stoffe voneinander zu trennen, indem sie aus einem stark oxydierenden Extrakt von R u s s u 1 a die Oxygenase mit 40 "/„ igem Alkohol ausfällten. Die so isolierte Oxygenase vermochte nur sehr ge- ringe Oxydationswirknng hervorzurufen. Sobald man aber peroxydasehaltiges Filtrat hinzufügte, trat starke Oxydation ein. Andererseits war es auch möglich, die ausgeschiedene Oxygenase durch Wasserstoffsuperoxyd zu ersetzen. Es steht dies im Einklang mit der ausgeführten Theorie, nach welcher es sich bei der Oxygenase um eine peroxydartige Verbindung handelt, um eine Ver- bindung also, die nach dem Typus des Wasser- stoffsuperoxydes gebaut ist. Es ist demnach ein recht komplizierter Mecha- nismus erforderlich, um den Sauerstoff der Luft für die Zwecke der Organismen verwerten zu können. Pal lad in hat im Anschluß an diese Theorie die Atmungsprozesse genauer verfolgt und den Anteil der einzelnen Komponenten ein- gehend herausgelöst. Zunächst verfährt er dabei wieder so, daß er die Pflanzen durch Gefrieren abtötet , um sicher alle beobachteten Erschei- nungen auf Enzymwirkungen zurückführen zu können. Dann läßt er die getöteten Pflanzen zu- nächst im Wasserstoffstroni Kohlensäure ent- wickeln und erhält dadurch ein Maß für die anaeroben intramolekularen Prozesse, die wir oben betrachtet haben und die auf Fermente der alko- holischen Gärung oder ähnliche Fermente hin- weisen. Dabei werden intermediäre Stoffe ge- bildet. Wird jetzt die Pflanze aus dem Wasser- stoffstrom entfernt und in einen Strom von Luft gebracht, so findet von neuem Bildung von Kohlensäure statt, die ein Maß liefert für die oxydativen Prozesse. Nach dem Aufhören der Gasentwicklung sind die eigentlichen Atmungs- prozesse beendet. Aber trotzdem enthält die Pflanze sowohl noch wirksame Oxygenase wie auch Peroxydase. Wenn man nämlich die Pflanze zerkleinert und Pyrogallol hinzusetzt, so findet eine Oxydation des Pyrogallols statt, die erst auf- hört, wenn keine Oxygenase mehr vorhanden ist. Aber noch ein letztes Mal kann man das zer- riebene Gewebe zu neuer Tätigkeit anregen, in- dem man an Stelle der verbrauchten Oxygenase \\'asserstoffsuperoxyd hinzusetzt. Jetzt sind wieder die Bedingungen zur Oxydation vorhanden und erst wenn jetzt die Kohlensäureentwicklung auf- hört infolge Verbrauchs der Peroxydase, ist die Pflanzensubstanz zu keiner weiteren oxydierenden Tätigkeit mehr imstande. Durch dieses Fraktionieren der Atmungs- tätigkeit, wie man es nennen kann, hat Palla- d i n *) sehr interessante Ergebnisse erzielt. Es hat sich dabei herausgestellt, daß je nach der Pflanze, je nach dem Pflanzenteil, je nach dem Alter der Pflanze ganz verschiedene Mengen der einzelnen Atmungsfermente vorhanden sind. Be- sonders deutlich wird dies bei einer Gegenüber- stellung des Verhaltens von erfrorenen Weizen- keimen und etiolierten Blättern von Vicia Faba. Setzt man die im Wasserstoffstrom ausgeschiedene Kohlensäuremenge gleich 100, so erhält man: s ^ Pfl.-.nzen i II . ■|ir m 1!^ an i |ii" 0 ^° t-.^ Weizenkeime 100 0 7 123 Etiolierte Blätter von Vicia Faba 100 142 648 293 Dieselben nach Saccharose und Lichtnahrung 100 225 967 621 •) Berichte d. Deutsc Gesellsch., Bd. 36, S. 606, Aus der Tabelle ersieht man, daß erfrorene Weizenkeime eine ausschließlich anaerobe Tätig- keit haben. Trotz bedeutender Mengen Peroxy- dase können sie keine Oxydationsprozesse aus- führen, weil es ihnen an Oxygenase fehlt. Das- selbe ist bei erfrorenen Erbsensamen der Fall und erklärt, daß diese selbst bei Luftzutritt Alko- '} Vgl. z. B. Biochemische Zeitschr. IS, 251. N. F. XVI. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. hol bilden , also einen vollkommen anaeroben Reaktionstypus aufweisen. Dagegen sind etiolierte Blätter von Vicia Faba zu lebhaften Oxydationsprozessen befähigt, und alle in Betracht kommenden Faktoren werden noch erhöht, wenn die normalen Atmungsbedin- gungen der Blätter, vor allem Lichtnahrung, wieder hergestellt werden. Es tritt dann eine erhebliche Vermehrung ihres Oxygenase- und Peroxydasegehaltes ein. Noch eine letzte, aber wichtige Frage bliebe zu erörtern, ob wir nämlich irgend etwas Näheres über die hypothetischen peroxydartigen Körper wissen, die nach der Bach-Chodat'schen Theorie bei der Atmung notwendig sind. Pal ladin ist der Ansicht, daß wir zwar mit Sicherheit noch nichts darüber sagen können, daß aber in nahezu allen Pflanzen eine Gruppe von Stoffen vorhanden ist, die auf eine den Peroxyden ähnliche Tätig- keit bei der Atmung hinweist: Es sind dies die sogenannten Atmu ngschromogene. Durch eine alltägliche Erfahrung sind uns die Atmungschromogene eigentlich sehr wohl be- kannt. Wenn man nämlich einen Apfel durch- schneidet und an der Luft liegen läßt, so beob- achtet man nach k\irzer Zeit eine Braunfärbung der Schnittfläche. Dasselbe kann man bei Kar- toffeln, sowie bei sehr vielen anderen Pflanzen- teilen beobachten. Es beruht darauf, daß in den Pflanzensäften Stoffe vorhanden sind, die mit dem SauerstofT der Luft Farbstoffe bilden. Pal lad in stellt sich nun vor, daß in der un- verletzten Pflanze diese Chromogene deshalb keine Farbstoffe bilden, weil sie sofort wieder reduziert werden. Und zwar sind seiner Auffassung nach zwei Möglichkeiten vorhanden, wie diese Atmungs- chromogene wirken: Einmal können sie sich selbst unter der Einwirkung des Luftsauerstoffs oxydieren, und es könnte bei dieser Oxydation im Sinne der Traube'schen Theorie sich Wasserstoff-^uper- oxyd bilden, das dann seinerseits in den eigent- lichen Atmungsprozeß eingreift. Es ist aber auch möglich, daß die Atmungspigmente die Rolle der Peroxyde übernehmen im Sinne der Bach Cho- dat' sehen Theorie und dann noch viel unmittel- barer in den Atmungsvorgang einereifen als bei der ersten Annahme. In beiden Fällen sind sie von größter Bedeutung bei der Erklärung der Atmungserscheinungen, und es ist zu hoffen, daß ihr näheres Studium noch viel Aufschluß über diesen wichtigsten Vorgang, des Stoffwechsels geben wird. Die Atmungspigmente würden innerhalb des pflanzlichen Organismus dieselbe Rolle spielen, wie die Blutfarbstoffe im tierischen Organismus. Es würde sich dann als wichtige Folgerung er- geben, daß auch der Blutfarbstoff, das Oxyhämo- globin, eleichsam ein Peroxyd darstellt, das ver- mittels Oxydasen, die in den Blutkörperchen und im Gewebe vorhanden sind, seinen Sauerstoff an die oxydablen Stoffe abgibt. Da auch das farb- lose Blut niederer Tiere sich bei Luftzutritt durch Vermittlung von Oxydasen färbt, also ebenfalls Atmungschromogene enthält, so ergibt sich daraus eine weitgehende Übereinstimmung des Mecha- nismus der Atmung innerhalb des gesamten organischen Reiches, eine Folgerung, die eine starke Stütze für die hier vorgetragenen Auf- fassungen bildet, so sehr sie eine weitere Forschung im einzelnen auch noch ergänzen und berichtigen mag. Kleinere Mitteilungen. Antike Vererbung.stheorien. Vor mir liegen drei starke Bände, betitelt „Hippokrates sämtliche Werke". Sie enthalten 55 Abhandlungen me- dizinischen Inhalts, die jedoch nur zum Teil den großen koischen Arzt selbst zum Verfasser haben. Außer ihm haben zahlreiche andere griechische Ärzte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts an dieser Schriftensammlung mitgearbeitet, die in ihrer Gesamtheit ein gutes Bild von dem Stand der medizinischen und damit auch der biologischen Wissenschaft ihrer Zeit gewährt. Von besonderem Interesse sind die Speku- lationen der hippokratischen Ärzte über die Ver- erbung. In der Schrift über den Samen wird behauptet, daß sowohl der Mann als auch das ' Weib Samen absondere, weshalb das Kind beiden Eltern in irgendeiner Beziehung gleichen müsse und weder dem Vater allein noch der Mutter allein noch auch keinem von beiden ähnlich sein könne. Ferner nimmt der Verfasser dieser Schrift an, daß der Same in beiden Geschlechtern von allen Teilen des Körpers herkomme. Von schwachen Teilen soll schwacher, von kräftigen Teilen kräftiger Samen ausgehen. Daher seien die schwachen Teile des elterlichen Körpers auch beim Kinde schwach, die kräftigen kräftig. Wenn von einem Teil des männlichen Körpers mehr Samen ausgehe als von dem entsprechenden Teil des weiblichen Körpers, so gleiche das Kind in diesem Teile mehr dem Vater, wenn dagegen von einem Teil des weiblichen Körpers mehr Samen ausgehe, als von dem entsprechenden Teile des männlichen Körpers, so gleiche das Kind in diesem Teile mehr der Mutter. Auffallend ist die Ähnlichkeit dieser hippo- kratischen Vererbungstheorie mit der von Darwin aufgestellten Pangenesishypothese, nach der von allen Zellen des Körpers kleine Keimchen ab- gesondert werden, die sich in den Geschlechtszellen Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. I sammeln und in der folgenden Generation wieder zu den Zellen heranwachsen, von denen sie ab- stammen. Eine notwendige Folgerung aus dieser Theorie ist die von anderer Seite, besonders von der W e i s m a n n ' sehen Schule so heftig bestrittene Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften. Diese wird denn auch von den Hippokratikern an- genommen. In der dem Hippokrates selbst zugeschriebenen klassischen Schrift „Über Luft, Wasser und Ört- lichkeit" ist u. a. von dem asiatischen Völkerstamm der Makrozephalen die Rede. Bei diesen galten die mit langen Köpfen ausgestatteten Menschen für Angehörige der edelsten Rasse, weshalb bei den Neugeborenen der Kopf durch Binden künstlich in die Länge gepreßt wurde. „Im weiteren Ver- lauf der Zeit aber", schreibt Hippokrates, „wurde der Brauch zur Natur, so daß man ihn nicht mehr nötig hatte Denn der Same geht von dem gesamten Körper aus, gesunder von ge- sunden Teilen, krankhafter von krankhaften Teilen. Wenn nun von Kahlköpfigen Kahlköpfige, von Blauäugigen Blauäugige, von Schielenden Schielende in der Regel erzeugt werden und bei anderen körperlichen Gebrechen dasselbe Gesetz obwaltet, was hindert da, daß von Langköpfigen Langköpfige gezeugt werden ?" Doch fügt der große griechische Arzt hinzu, daß die Kinder der Makrozephalen jetzt nicht mehr in derselben Form wie früher auf die Welt kommen, da der Brauch wegen der Nachlässigkeit der Menschen nicht mehr in Blüte stehe. Hippokrates glaubt also, daß die ur- sprünglich künstlich erworbene und später vererbte Veränderung der Kopfform nicht von Dauer ist, sondern daß einige Zeit nach Aufhören der künst- lichen Einwirkung ein Rückschlag in die natürliche Form des Kopfes erfolgt. — Die Vererbungstheorie der Hippokratiker wurde später von Aristoteles in seinen bewunderns- würdigen „Fünf Büchern von der Zeugung und Entwicklung der Tiere" bekämpft. Doch behauptet auch er die Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften und belegt sie durch folgende Fälle: Wenn die Eltern Narben hatten, wurde auch bei ihren Kindern an derselben Stelle das Zeichen der Narbe be- obachtet. In Chalcedon zeigte sich bei dem Kinde eines Mannes, der auf dem Arm ein Brandzeichen hatte, derselbe Buchstabe, nur verwischt und nicht scharf ausgeprägt. Auch die Erscheinung der unterbrochenen Vererbung war Aristoteles be- kannt. Er erzählt, daß in Elis ein Mädchen mit einem Mohren Umgang hatte, wobei nicht ihre Tochter, sondern deren Sohn von schwarzer Farbe war. Aristoteles teilt aber diese Tatsachen nicht nur mit, sondern sucht sie auch durch eine Vererbungstheorie zu erklären, wobei er zugleich die Ursachen der Entstehung männlicher und weiblicher Individuen berücksichtigt. Das Erzeugende, lehrt er, wirkt in verschiedenen Richtungen, als Mann, als Individuum und als Mensch. Der Antrieb in einer Richtung kann zu- grundegehen, dann schlägt er in das Gegenteil um, der des Vaters in den der Mutter, der des Vaterindividuums in den des Mutterindividuums. Der Antrieb kann auch geschwächt werden, dann geht er in den nächstliegenden Antrieb über, in den des Vaters des Erzeugers oder bei stärkerer Schwächung in den des Großvaters oder einer noch früheren Generation. Die Ursache, daß die Antriebe unterliegen, besteht entweder in ihrer geringen Kraft und Wärme oder in der Kälte des zu bewältigenden Stoffes. Die Ursache der Schwächung der Antriebe liegt in der Gegen- wirkung des Stoffes. Aus der .Anwendung dieser allgemeineu Prinzipien ergeben sich für Aristo- teles folgende, die Vererbungstatsachen be- leuchtenden Gesetze: Wenn der vom Vater ausgehende Antrieb in allen Beziehungen überwiegt, so entsteht ein Knabe, der dem Vater ähnlich ist. Wenn der vom Vater in seiner Eigenschaft als Mann aus- gehende Antrieb überwiegt, der vom Vater als Individuum ausgehende aber nicht, so entsteht ein Knabe, der der Mutter ähnlich ist. Wenn der vom Vater in seiner Eigenschaft als Mann ausgehende Antrieb unterliegt, der vom Vater als Individuum ausgehende aber nicht, so entsteht ein Mädchen, das dem Vater ähnlich ist. Wenn der vom Vater in seiner Eigenschaft als Mann und als Individuum ausgehende Antrieb unterliegt, so entsteht ein Mädchen, das der Mutter ähnlich ist. Wenn der vom Vater in seiner Eigenschaft als Mann ausgehende Antrieb erhalten, der von ihm als Individuum aus- gehende aber geschwächt wird, so entsteht ein Knabe, der dem Großvater oder einem der früheren Vorfahren ähnlich ist. Wenn der vom Vater in seiner Eigenschaft als Mann und Individuum aus- gehende Antrieb bewältigt, der von der Mutter als Individuum ausgehende aber geschwächt wird, so entsteht ein Mädchen, daß der Großmutter oder einem früheren mütterlichen Vorfahren gleicht. Wenn alle Bewegungsaniriebe geschwächt werden, so gleicht das Junge keinem der Angehörigen und Verwandten mehr, sondern es bleibt nur das ihnen allen Gemeinsame, daß es ein Mensch ist. In äußersten Fällen wird der Bildungstrieb so weit geschwächt, daß das Kind nicht mehr menschliches Wesen ist, sonderm einem Tier gleicht, also eine Mißgeburt darstellt. Wenn diese Vererbungstheorie des Aristo- teles auch keine wirkliche Erklärung der Er- scheinungen bietet, so läßt sie doch erkennen, mit welchem Eifer bereits die alten griechischen Denker das Vererbungsproblem zu lösen versuchten. Walther May, Karlsruhe. Ein Beispiel für die Beeinflussung lokaler Faunen durch den Weltkrieg. Außerordentlich groß ist zwar das Verbreitungsgebiet der Elster (Pica pica Linne) in Deutschland und doch finden sich Be- zirke, in denen es zahlreiche Bewohner gibt, die noch kein lebendes Exemplar dieses Vogels im Freien beobachtet haben. In der nächsten Um- N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. gebung von Frankfurt a. M. nördlich des Mains konnte man vor dem Krieg keine Fister finden. Man mußte schon bis an den Fuß des Taunus wandern, um diesen schönsten unserer Rabenvögel anzutreffen. Dort hauste er in den kleuien Ge- hölzen am Rande üppiger Wiesen in der Umgegend von Oberusel und fiomburg v. d. Höhe, doch war seine Anzahl dank den Nachstellungen, die er seitens der Jäger zu erdulden hatte, nur ver- hältnismäßig gering. Seit Herbst 1914 machte sich aber eine auf- fallende Vermehrung der Elster bemerkbar und es ließ sich feststellen, daß immer weitere Gebiete des Vortaunus von ihr bevölkert wurden. Im Frühjahr dieses Jahres (10. Mai 1916) konnte ich in der Nähe von Fschersheim, einem Vorort Frankfurts etwa 2 Wegstunden von Oberursel entfernt, wo seither von mir keine Elstern fest- gestellt wurden, ein Elsiernpaar sichten. In einem dichten alten Obstgarten halte es Wohnung ge- nommen. Im Laufe des Jahres nahm die Zahl der Vögel zu, einmal durch die erbrüteten Jungen, dann aber auch wohl durch neue Zuzügler. Sie haben jetzt schon Besitz ergriffen von mehreren in der Nähe des vorerwähnten Obstgartens lie- genden Gärten und kleinen Waldanlagen Wie ist dieses plötzliche Auftreten der Elster in einem Bezirk, der jahrzehntelang elsternfrei war, zu erklären? Wohl nur dadurch, daß infolge des Krieges und der dadurch bedingten mäßigen Ausübung der Jagd der Abschuß der Elstern im Taunubvorland so sehr abgenommen hat, daß die Vögel genötigt waren, sich andere Raub- und Futierplatze zu suchen. Vom Standpunkt des Vogeüreundes ist diese Zunahme des prächtigen Rabenvogels, der durch auf ihn gesetzte Schuß- prämien vogelfrei geworden der Ausrottung nahe war, nur zu begrüßen. Einer Überhandnähme des Nestplünderers und Räubers der Klcinvogelwelt wird nach dem Kriege schon Schranken gebogen werden. Sicherlich lassen sich solche Beobach- tungen von Änderungen der lokalen Faunen in- folge des Krieges noch mehr anstellen, und ich wäre für deren gelegentliche Mitteilung dankbar. Fr. Keyl. Einzelberichte, Botanik. Über das Altern der Pflanzen. Untersuchungen, die im Laufe der letzten Jahre von einer Reihe von Autoren an Einzelligen aus- geführt wurden, haben ergeben, daß Einzellige unter dem Einfluß von Stoffwechselprodukten einer Degeneration und schließlich dem Tode verfallen (Enriqucz, Popoff, Woodruff). Die Unter- suchungen an Einzelligen haben auch gezeigt, daß die Teilungsgeschwindigkeil durch den Einfluß von Stoffwechselprodukten herabgesetzt wird. Da nun die Wachstumsgeschwindigkeit eines viel- zelligen Organismus durch die Teilungsgeschwin- digkeit der Zellen, aus denen er aulgebaut ist, bedingt wird, so ist von vornherein die Annahme gerechtfertigt, daß auch die allmähliche Abnahme der Wachsiumsintensität vielzelliger Organismen und der schließliche Stillstand ihres Wachstums eine Wirkung von Stoffwechselprodukten ist, die im Zellenverband des vielzelligen Organismus zur Anhäufung gelangen. Und man hat auch in eigens darauf gerichteten Versuchen an vielzelligen Orga- nismen (Schnecken, Karpfen, Kaulquappen, Da- phnien) feststellen können, daß unter dem Einfluß von Stofiwechselprodukten im Kulturmedium eine Verlangsamung des Wachstums eintritt. Ahnliche Versuche sind auch an Pflanzen aus- geführt worden. So hat Whitney gefunden, daß ein wässeriger Extrakt aus erschöplltm Boden einen hemmenden Einfluß auf das Wachstum der Pflanze ausübt. Die Wachsiumshemmung war um so ausgesprochener, je stärker konzentriert der für den Versuch verwendete Extrakt war. Zlataroff) hat nun eine Reihe von Versuchen mit Keimlingen der Kichererbse ausgeiührt, in denen der Einfluß von Harnstoff, Guanidinkarbonat, Ammoniak und Wasserglas (in der jungen Pflanze der Kichererbse häuft sich Siliciumdioxyd an), die als Stoffwechselprodukte in Betracht kommen, auf das Wachstum der Keimlinge verfolgt wurde. Auch der Einfluß eines Extraktes aus etwa einem Monat alten etiolierten Keimlinge der Kichererbse auf das Wachstum wurde untersucht. Die Versuche wurden in der Weise ausgeführt, daß die Samen zu- nächst 10 Tage lang der Keimung über destilliertem Wasser überlassen wurden, um dann auf die ver- schiedenen Versuchsflüssigkeiten verteilt zu werden. Das Ergebnis war, daß in allen erwähnten Lösungen das Wachstum der Keimlinge eine Hemmung erfuhr. Die schädliche Wirkung der Lösungen zeigte sich auch darin, daß die Turgeszenz der Keimlinge abnahm. Wurden die geschädigten Keimlinge aus den Versuchsflüssigkeiten über eine Knoop'sche Lösung gebracht, der Pflanzenlecithin, Rhamnose oder Glanutosterin (ein von Zlataroff aus den Samen der Kichererbse isoliertes und chemisch definiertes Phytosterin) beigegeben waren, so er- holten sich sämtliche Keimlinge wieder. In einer -Knoop 'sehen Lösung dagegen erholte sich nur eine geringe Anzahl der geschädigten Keimlinge. Die Versuche von Zlataroff, die mit che- misch wohldefinierten Stoffen ausgeführt wurden. ') As. Zlataroff, Über das Allern der Pflanzen. Zeit- schrift f. allgem. Physiologie., Bd. 17, 1916, S. 205—209. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 1 die als Abbauprodukte von Eiweißstoffen bekannt sind, bestätigen die Auflassung, daß die im Laufe der oiitogenetischen Entwicklung der vielzelHgen Organismen einsetzende Wachsuimshemmung, die in Alter und Tod ausläuft, auf einer lähmenden Wirkung von Stoftvvechselprodukten beruht. ^) Die ein- und zweijährigen Ptianzen unterscheiden sich in dieser Beziehung nicht von den Tieren. • Eine sehr inieressanie Frage ist es, ob die wirksamen Stoffwechsciprodukie spezifischer oder nicht spezifischer Natur sind. Au Einzelligen hat Woodruft gezeigt, daß bei ihnen Stoffwechsci- produkie gebildet werden, die hemmend aut die Teilungsgeschwindigkeit nur der einen bestimmten Spezies wirken. Aber es ist natürlich nicht aus- geschlossen, daß auch nicht spezifische Stotfwechsel- produkte gebildet werden, d. h. solche, die auch auf andere Arten wirken. Vor kurzem hat Molliard -') Versuche über den Einfluß von Stoffwechselprodukien der Erbse angestellt und er ist zur ÜDerzeugung gelangt, daß die Stoff- wechsciprodukie der Erbse nicht auf das Wachs- tum von Erbsenkeimhngen, sondern auch von anderen Arten einen hemmenden Einfluß aus- zuüben vermöchten. Die Arbeil von Molliard ist dem Ref. im Original bisher leider nicht zu- gänglich gewesen. Alex. Lipschütz. Zoologie. Brutdauer und erste Jugendstadien des Bartgeiers Gypactiis barbatits L. In dem von König Ferdinand I. untertialicnen zoologischen Garten in Sofia ist vergangenen VVmier zum ersten Mal die Zucht des Bartgeiers in Ge- fangenschaft gelungen. Darüber berichtet Ad. Schümann.^; Im Garten werden 4 Bart- geier gehalten. Zwei Stück waren seit 3 Jahren gesondert in einem Flugkahg untergebracht. Am 20. Dezember 1915 wurde die Paarung dieser beiden Geier beobachtet. Am 30. Dezember 1915, als das Thermometer in Sofia bis zu 29" C Kalte zeigte, fand sich am Morgen ein frischgelegtes El vor. Das Weibchen begann sofort mit seiner Bebrütung. Am 3. Januar 1916 lag ein zweites Ei im Nest. Die für den Bartgeier bisher unbekannte Brut- dauer konnte bei diesem Anlaß festgesieüt werden, indem sich beide Eier als befruchtet erwiesen. Sie betrug 55 Tage, was sehr lang ist. Das erstgelegie Ei kam am 2j. Februar aus. Am 27. scheint das zweite Junge ausgeschlüpfi zu sein; dasselbe wurde aber durch die Alten getötet und zum größten Teil aufgefressen. Dieser Umstand würde der Behauptung recht geben, daß der Bartgeier stets nur ein Junges aufziehe. ') Vgl. die zusammenfassende Darslellung von L i p s c ti ü t z , Allgemeine Physiologie des Todes. Braunschweig 1915. ^j Marin Molliard, Revue generale de Botanique, Bd. 27, 1915, p. 2S9— 296. ^J Ad. Schumann, Erfolgreiche Zucht von Gypaetus barbatus im Königlich Zoologischen Garten von Sophia. „Zoologischer Beobachter", Frankfurt a. M., 1916, S. 209 — 216. An der Fütterung des Jungen beteiligte sich auch das Männchen. Das Junge wurde nicht aus dem Kropf gefüttert, sondern es wurden dem- selben ganz kleine Stückchen Fleisch vorgehalten, die es dann den Allen aus dem Schnabel nahm. Die Eltern kauien das Fleisch gewissermaßen vor. Der frisch geschlüpfte Bartgeier zeigte ein weißes, wolliges Dunenkleid. Der verhältnismäßig große, schwere Kopf, den das lierchen nicht tragen konnte, ruhte mit der Schnabelspitze am Boden. Die dunklen Augen waren schon am ersten Tag geöffnet. Am 14. März, also im Aller von 3 Wochen, war der junge Geier etwas größer als eine ausgewachsene Haustaube. Er war schon ziemlich beweglich und nahm Fleischsiückchen aus der Hand des Wärters. Die weißen Dunen waren aut Rücken und Kopf ca. i cm lang, in der Achselgegend und am Hals jedoch kaum 2 mm. Die Federhuren waren bereits deuUich erkennbar, aber es zeigte sich noch keine Spur von Kielen. Am 23. März wurden am Kopf des jungen Bart- geiers ganz kleine schwarzbraune Flaumtederchen entdeckt. Die Farbe des Dunenkleides zeigte einen Strich ins Blaugraue. Die dunkle charakte- ristische Kopfzeichnung des Bartgeiers war schon vom Alter von 14 Tagen an erkennbar. Dieser ganz unerwartete Zuchterfolg hat eine Anzahl Fragen über das Leben des Bartgeiers gelöst, oder doch ihrer Lösung näher gebracht. A. Heß. Isoplankten. Nennen wir die Linien gleicher hydrographischer Eigenschalten des Meerwassers, wie die Isohalinen und Isothermen, zusammen- fassend Isohydren, so können wir, lührt Loh- mann'j aus, die Linien gleicher biologischer Eigenschatten Isobien nennen. Kommen nur Flanktonorganismen in Frage, so spricht L o h m a n n von Isopia nkien. Kurven gleicher Volksdichte einer planklonischen Oiganismenart sind Isone- phen; andere Isoplankien wären die Linien gleicher Arienzahl, gleicher Flanktonmassen und andere mehr. Seit 1912 hat Loh mann sich bemüht, Isoplankten, und zwar Isonephen, tur Organismen des Nannoplaiuons im Ailaniischen Ozean nach zeiitrifugierten Wasserproben von 300 ccm zu zeichnen. Er legt jetzt die Ergebnisse nament- lich für einige Coccohthophoriden, also kleine kalkhaltige Mageilaten, vor, zunächst Veriikal- schniiie durch das M^er längs der Fahrt der „Deutschland" vom 7. Mai bis 7. September 1911 von Hamburg nach Buenos Aires; sie lehren, daß das Maximum von Calyptrosphaera oblonga Lohm., wo bis 4Ö8 Stück des Organismus in i l Wasser leben, etwa bei 45" w. L. und 25" n. Br. und zwar ungelähr in lOO m Tiefe hegt, umgeben — auf der Querschnitiskarte — von ring- ') H. Loh mann: Neue Untersuchungen über die Ver- teilung des Planktons im Ozean. Sitzungsber. d. Gesellschaft naturlorsch. Freunde, Berlin, Jahrg. 191Ö, Nr. 3, S. 73—126. 10 Textfig., I Tabehe, 2 Taf. N. F. XVI. Nr. 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. förmigen geschlossenen Isonephen von charakte- ristischer Gestalt. Südlich vom Äquator, im Süd- äquatorialstrom, wurde in etwas geringerer Tiefe das Zentrum der scharf umschlossenen Volksmasse von Coccolithophora fragilis gefunden, während das von Fontosphaera huxleyi. über looo Indivi- duen im Liter, dort an der Oberfläche liegt und die Isonephen um diesen Punkt nach der Tiefe hin eine Asymmetrie haben, eine doppelte insofern, als bis etwa 125 m Tiefe das Maximum für die jeweilige Tiefe nördlich von jenem Oberflächen- maximum liegt, in Tiefen von 250 — 400 m aber 90° 80» 70° 60 50^ 40° 30° 20^ 10 0 10 20 :ntwurf einer Dichte- Verbreitungskarte von Fontosphaera huxleyi. Nach Lohmann, Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde, Berlin, Jahrg. 1916, Nr. 3 |S. Ilo). südlich von ihm. In ähnlicher Weise zeichnet Loh mann die vertikalen Kurven für bestimmte Teile der Fahrt für eine Englenide, für die Zoo- flagellate Rhynchomonas marina, für die Coccolitho- phoride Syracosphaera pulchra Lohm., für nackte Flagellaten und für alle Diatomeen. Syracosphaera im Nordäquatorialstrom hatte im Kern der Volks- masse ein Minimum, das Gebiete größerer Volks- stärke bogenförmig umlagern, vermutlich infolge davon, daß das Volk in seinen zentralen Teilen Ruhestadien oder nackte Schwimmer bildete, die der Zählung entgehen, oder ein einfaches .A.b- sterben eingetreten war. Auf einer Tafel werden einige Ouerschnitte längs der ganzen Fahrt an- gefügt. Äußerst mannigfach ist das so gewonnene Bild für Fontosphaera huxleyi, die am weitesten verbreitete Art unter den Coccolithophoriden. Erst unterhalb etwa 150 m Tiefe wechseln Fund- gebiete und Freigebiete dieser .-^rt miteinander ab und halten sich etwa das Gleichgewicht, dar- über sind die Volksmassen offenbar miteinander verschmolzen. Solche und andere Kurvenbilder der Fahrt- schnitte beweisen zunächst die Brauchbarkeit der von Loh mann ersonnenen Methode und haben jedes für sich hohes Interesse, doch mag es hier wohl zu weit führen, sie alle einzeln zu besprechen. Um nun nach diesen Fahrtschnitten ein Bild von der wirklichen Verbreitung der Volksdichte der Arten im Ozean zu erlangen, stehen wir freilich vor derselben Schwierigkeit ,.als wenn man von einem noch nicht näher bekannten Organismus nichts weiter als einen einzigen Längsschnitt hätte und daraus Schlüsse auf den Bau des Tieres ziehen wollte". Doch gibt uns „das, was wir von den hydrographischen Verhältnissen des Wohn- raums und den biologischen Eigenschaften der betreffenden Arten wissen, wichtige Hinweise dar- auf, wie wir diese Schnittbilder in Wirklichkeit zu ergänzen haben". Solche Abbildungen, wie wir deren eine nebenstehend wiedergeben, ver- mitteln also zunächst nur eine hypothetische Vor- stellung, deuten aber das Ziel an, zu welchem die methodische Fortsetzung solcher Untersuchungen führen muß. V. Franz. Physik. Eine hübsche Methode zur Analyse schwingender Tropfen beschreibt V. Kutter in der Fhysikal. Zeitschr. XVII, 424 (1916). Läßt man aus mäßiger Höhe Tropfen einer verdünnten Kaliumpermanganatlösung in eine Ferrosulfatlösung fallen, so entsteht beim Eindringen des Tropfens in die Flüssigkeitsoberfläche ein schön ausgebildeter Wirbel ring, der bis zu einer gewissen Tiefe eindringt, um dann zu zerfallen. Beim \''ermischen der beiden Lösungen verschwindet die rote Farbe der Permangatlösung wegen der Reduktion durch das Eisensalz; man kann also mit der gleichen F"lüssigkeitsmenge den Versuch häufig wieder- holen. Man kann auch eine stark verdünnte salz- saure Lösung von Antimonchlorid in reines Wasser tropfen lassen und erhält dann milchig trübe bis weiße Wirbelringe. Man sollte nun erwarten, daß wenn man die Fallhöhe der Tropfen steigert, die Wirbelringe bis zu größerer Tiefe in die Flüssigkeit eindringen. Das tritt aber nicht ein, vielmehr beobachtet man folgendes: zunächst nimmt die Einsinktiefe der Wirbelringc zu, wird dann wieder kleiner, um bei weiterer Vergrößerung der Fall- höhe der Tropfen wieder bis zu dem ersten Maximum zu steigen und so fort. Es findet also ein ganz regelmäßiges periodisches Schwanken zwischen einem höchsten und einem niedrigsten Wert der Einsinktiefe statt. Diese Erscheinung erklärt sich dadurch, daß jeder fallende Tropfen Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. ellipsoidische Schwingungen um die Kugelgestalt ausführt, und zwar steht die große Achse des Ellipsoids abwechselnd vertikal und horizontal, zwischen diesen beiden Extremen hat der Tropfen einen Augenblick Kugelgestalt. Wenn er nun auf die Flüssigkeitsoberfläche auftrifft, so findet an der Berührungsstelle ein sofortiges Zusammen- fließen der beiden Flüssigkeitsmassen statt, so daß in diesem Augenblick der Tropfen als eine Ausbuchtung der Flüssigkeitsoberfläche nach oben erscheint. Eine solche beseitigt aber die Ober- flächenspannung und zwar mit einer Kraft, die der Größe der Deformation proportional ist. Ist nun die Fallhöhe des Tropfens gerade eine solche, daß er im Augenblick des Auftreffens die Gestalt eines Ellipsoids mit vertikaler großer Achse hat, so ist die Ausbuchtung nach oben die größt- mögliche, während sie, wenn die große Achse horizontal liegt, am kleinsten ist. Im ersteren Fall erreicht der Wirbelring seine größte, im letzteren seine kleinste Einsinktiefe, während sie für den kugelförmigen Tropfen eine mittlere ist. Steigert man die Fallhöhe des Tropfens um eine Strecke, daß sich die Tiefe seines Eindringens von einem Maximum bis zum nächsten verschiebt, dann hat der Tropfen während des Durchfallens dieser Strecke eine volle Schwingung ausgeführt, deren Dauer sich mittels der Fallgesetze aus den beiden Fallhöhen berechnen läßt. Die Periode der Schwingungen hängt vom Tropfengewicht und der Oberflächenspannung der Flüssigkeit ab; letztere ergab sich zu 7,378 — -. Die genauere Untersuchung zeigt weiter, daß die beiden Halb- perioden der Schwingung nicht gleich sind; es lagern sich vielmehr über die Hauptschwingung Oberschwingungen, welche die Symmetrie der Hauptschwingung zerstören. — Die Methode, aus der Periode der Tropfenschwingung die Ober- flächenspannung zu ermitteln, hat vor der anderen (statischen) Methode den Vorteil, daß man es mit ganz frischen Oberflächen oder solchen von genau meßbarem Alter zu tun hat. Bekanntlich ist die Oberflächenspannung einer reinen und frischen Wasseroberfläche besonders groß, sie wird indessen sehr bald geringer, da sich meistens irgendwelche Verunreinigungen (Spuren von Fetten, Dämpfen) auf ihr ausbreiten. Schon vor längeren Jahren ist die Oberflächenspannung von Flüssig- keiten von Lenard nach der Methode der schwingenden Tropfen gemessen worden, doch auf andere Weise. Beobachtet man die von einem Wasserhahn herabfallenden Tropfen (oder auch Regentropfen), so sieht man, daß dieselben in ganz bestimmten Entfernungen unter dem Hahn hell aufblitzen; der Reflex tritt immer dann auf, wenn der Tropfen nach Vollendung einer Schwingung wieder dieselbe Gestalt angenommen hat. Dadurch, daß an einer vertikalen Skala der Abstand der Reflexe bestimmt wird, kann man ihre Schwingungsdauer und daraus ihre Ober- flächenspannung berechnen. K. Seh. Albert Heim. Geolog Lieferung i. Leipzig 19 16. Chr Herm. Tauch- nitz. Ca. 10 Lieferungen a 6 M. Wem es beschieden ist, in der geologischen Erforschung eines Landes seine ganze Lebens- arbeit aufzuopfern, der hat ein Anrecht darauf, Rückblick zu halten auf das Geschaffene und eine zusammenfassende Übersicht über die gewonnenen Resultate seiner Zeit zu geben. Und wem zum Wissen noch das Lehrgeschick gegeben ist, wie es ein Albert Heim besitzt, von dem wird man mit Spannung ein Buch entgegen nehmen, wie es die vorliegende i. Lieferung der Geologie der Schweiz einleitet. Sagen wir es zum vorneherein : Jede Seite der vorliegenden Geologie ist Heim- sche Sprache und tönt uns entgegen, als ob wir den greisen Geologen von dem Katheder, wo er so viele Jahre gewirkt, hören würden. Oder ist seine Einleitung nicht Heim 'sehe Sprache, wenn er schreibt : „Eine wahre Wallfahrt von Menschen wandelt alljährlich in die schweizerischen Berge zur Erholung, zur Stärkung von Geist und Körper. Von hohen Aussichtswarten bewundern sie mit uns die henliche Gestaltung der Erdoberfläche. Alles was wir da vor uns sehen, ist, sowohl in den großen Formen wie bis in das feinste Einzelne Bticherbesprechuugen. der Schweiz, hinein, die Wirkung geologischer Vorgänge. Diese sind es, welche das vor uns liegende Land so schön gestaltet haben. Verstandenes zu schauen ist ein weit edlerer größerer Genuß als Un- verstandenes anzustaunen. Der Anblick erweckt das Bedürfnis nach Verständnis. Je weiter wir in das Verständnis eindringen, desto mehr beseelt uns das Bewußtsein, daß die Forschung die er- habenste Pflicht des Menschengeistes ist. In diesem Sinne ist unsere „Geologie der Schweiz" ge- schrieben." - — Schon der erste Abschnitt, die Geschichte der Geologie der Schweiz, verrät den Mann, der über- all mitgewirkt hat. Wir verweisen z. B. auf die ausführliche Würdigung der Geologen Studer und Esc her. Der historische Abriß über die Schweiz, geologische Kommission, die geologische Gesellschaft, die topographische Landesdarstellung geben uns einen P^inblick in das reiche Arbeiten der vergangenen hundert Jahre. Auch dem jungen Geologen wird es nichts schaden, von dem Selbst- bewußtsein der Gegenwart zu den Arbeiten ver- gangener Tage zurückzublicken. Und dazu ist Heim ein vortrefflicher Führer. Das Buch hält sich an die drei Hauptzonen des Schweizerlandes, Mittelland, Juraland, Alpen- N. F. XVI. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. land. So beschäftigt sich der erste Hauptteil mit dem Alittelland, d. h. Molasseland und Diluvium, jenem Gebiet, das den Winkel zwischen Alpen und Jura füllt. Das Wort „Molasse", zuerst von Saussure gebraucht, bezeichnet in erster Linie weiche, zerreibliche Sandsteine, im ganzen aber gemischte Gesteinsarten, die aus der Verwitterung, Schlämmung und dem Wiederabsatz mächtiger Gebirgsmassen hervorgegangen sind. Es werden unterschieden : Untere Molasse, Sarmatische Stufe und obere Wienerstufe, Mittlere Molasse, untere Wienerstufe und Bordeaux-Stufe, Obere Molasse, aquitanische und stampischc Stufe. Nach einer kurzen Übersicht bespricht Heim ausführlich die Gesteine der Molasse, als da sind : Nagelfluh, Sandsteine, Mergel, Kalksteine und Kohlen. Eine sehr ausführliche Datstellung hat die Nagelfluh erfahren, wobei eine instruktive Karte die Ausbreitung derselben angibt. Hier kommen namentlich die drei großen Gerölldelta des Napf, des Rigi-Roßberg und zwischen Linth und Rhein zum Ausdruck. Eine detaillierte Tabelle gibt Auskunft über die Herkunft der Nagelfluhgeröllc. Was eine künftige Forschung uns noch für Aufklärung bringen mag, so viel ist sicher, daß die subalpine tertiäre Nagelfluh der Schweiz aus den ursprünglich südlicheren Zonen der Alpen stammt und von dort zuerst teils durch Deckenschub, dann durch Abspülung hierher ge- langt ist und am Alpenrande liegt als der tertiäre Schutt der jungen beginnenden Alpen." Auch den besonderen Erscheinungen der Nagelfluhgerölle, den Eindrücken, der Glättung und Streifung, der Dislokationsumformung, wird besondere Auf- merksamkeit erwiesen. Instruktive Textbilder begleiten das Wort. Im Juraland trifft man außer der Nagelfluh mit alpinen Gerollen auch noch eine Nagelfluh mit Gerollen, die von Norden her- stammen, die man als Juranagelfluh bezeichnet hat. .Auch diesen Gesteinen wird eine ausführliche Besprechung gewidmet. Als Hauptabänderungen der Molassesandsteine führt er an : Kalkige Sand- steine, granitische Molasse, graue Molasse, platten- förmige Molasse, Ralligsandsteine, Berner Sand- steine, Knauermolasse, weiche Sandsteine, gemeine Molasse, Mergelmolasse, Muschelsandsteine. Jedem .Abschnitt ist ein ausführliches Literaturverzeichnis beigegeben, so daß man auf bequeme Weise die Originalarbeiten zu Rate ziehen kann, wenn man sich weiter in ein Thema vertiefen will, oder mit der .Auffassung des Autors sich nicht einverstanden erklären kann. Das ist ja das Wertvolle an der „Geologie der Schweiz", wie wir eingangs schon bemerkt haben, daß Heim überall mit seiner persönlichen Auffassung nicht zurückhält. Wir weisen nur auf die Diskussion der Glazialerosion hin ..(Seite li fif.j. Über die Illustrationen können wir erst ur- teilen, wenn weitere Lieferungen vorliegen. Ob die Anwendung des wirklich kleinen Kleindruckes ein Vorzug ist, möchten wir sehr bezweifeln. Der Preis des Werkes mag auf den ersten Blick hoch erscheinen. Wer sich aber die Mühe ninmit, die erste Lieferung nur oberflächlich an- zusehen, der wird unbedenklich dieses Buch seiner Bibliothek einverleiben. Hans Bachmann. Anregungen und Antworten. H. M. in L. Sie schreiben: „Jedem, der im Schützen- graben gewesen ist, wird der eigentümliche Doppelklang der Gewehrschüsse aufgefallen sein. Man vernimmt zunächst einen starken helleren Knall und unmittelbar darauf einen dumpferen, der jenen kurz abschneidet. Diese eintönigen Doppelkl.inge sind namentlich nachts sehr charakteristisch. .Außerdem kann besonders in waldigem Gelände bisweilen noch der rollende Widerhall hinzukommen, der also keinesfalls die Ursache des zweiten Schlages sein kann. Aufier diesen offenbar mit dem Abschuß zusammen- hängenden Geräuschen hört man noch das eigentümliche Zischen, Quarren, Wimmern oder Brummen der Geschosse in der Luft, doch ist es im allgemeinen nicht möglich, etwa einen einzelnen dieser langgezogenen Töne mit einem be- stimmten Doppclklang in Zusammenhang zu bringen. Wie es scheint, sind es nur die von dem Feind gegenüber abge- gebenen Schüsse, die den Doppelkrach hervorrufen; die aus dem eigenen Graben kommenden sind nicht von ihm begleitet. Deshalb macht man auch diese Beobachtung auf dem Schieß- stand nicht. Doch kann ich mich auch nicht erinnern, den Doppelklang in der Anzeigerdeckung deutlich gehört zu haben, wenn ich auch damals nicht darauf geachtet habe. Bei Platz- patronenschlachten fehlt er sicher. Die Entfernung, aus der der Feind seh war 3 — 500 m.' Auf den doppelten Knall scharfer Schüsse ist man erst in neuerer Zeit aufmerksam geworden, als man den Geschossen eine Anfangsgeschwindigkeit von vielen hundert Metern zu geben verstand. Die Beobachtungen zeigen , daß der erste scharfe Knall bedeutend schneller anlangt, als sich aus der normalen Schallgeschwindigkeit in der Luft ergibt, während die Geschwindigkeit des zweiten dumpferen Knalles diesem Werte entspricht. Eine Zeitlang glaubte man , daß die Heftigkeit der Schallerregung die Urs.ache der eigentüm- lichen Erscheinung sei, E. Mach u. a. haben aber gezeigt, daß die schnelle Ausbreitung des ersten Knalles auf einer Art M i t f ü h r u n g des Schalles durch das schnell fliegende Geschoß beruhe. Der Sehall geht so lange mit dem Geschoß, als es sich noch mit (jberschallgeschwindigkeit bewegt, und löst sich von ihm los, sobald die Geschwindigkeit unter die Schallgeschwindigkeit herabsinkt. Durch den Druck des sich bewegenden Geschosses wird die vor ihm befindliche Luft verdichtet; diese Luftverdichtung breitet sich mit Schall- geschwindigkeit aus. Wenn sich das Geschoß langsamer be- wegt als der Schall, so werden also die in aufeinander- folgenden Zeitpunkten entstehenden Verdichtungen hinter- einander hereilen, d. h. bis auf große Entfernung von dem Geschoß schiebt sich vor demselben die Luft gleichmäßig zusammen, aber es kommt nicht zur Ausbildung einer Welle Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. (vgl. Abb. i). Bewegt sich aber das Geschoß schneller als der Schall, so wird die vor dem Geschoß entstehende Ver- dichtung bei ihrem Bestreben, sich mit Schallgeschwindigkeit auszubreiten, von dem Geschoß selbst stets überholt, die in aufeinanderfolgenden Zeitpunkten entstehenden Verdichtungen laufen also nicht hintereinander her, sondern kreuzen, durch- dringen sich. Dadurch entsteht eine scharf ausgeprägte Ver- dichtungswelle, die sich von dem Geschoß abzweigt, ähnlich •wie die Bugwelle von einem fahrenden Dampfer (vgl. .•\bb. 2). Sie erzeugt den zuerst zu hörenden scharfen Knall , während der an der Gewehrmündung durch das Abfeuern hervor- gerufene und mit normaler Schallgeschwindigkeit sich aus- breitende Knall ihm nachfolgt. Mach hat die von dem fliegenden Geschosse ausgehenden Schallwellen durch geeignete Methoden sichtbar gemacht. auf der man sieht, wie auf einer Weide eine Eberesche ge- wachsen ist. Ich habe Gelegenheit gehabt, ähnliche Be- obachtungen zu machen. So hatte auf einer Weide sich eine große Robinia pseudacacia angesiedelt (s. d. Abbildung). Sie hat lange Jahre gelebt, bis sie ein starker Wind zersplitterte. In einer Spalte des Stammes einer anderen Weide hatte sich ebenfalls eine wilde Akazie entwickelt, deren Stamm einen Durchmesser von 4 cm hatte. Auf dem Kopf einer dritten Weide hatte sich ein Prunus cerasus von 2 m Höhe und 7 cm Durchm. entwickelt. In einem anderen Kall habe ich einen Faulbaum (Rhamnus frangula) auf dem Kopf einer Weide ge- sehen. Doch können noch sehr viele andere Pflanzenarten auf Weiden vorkommen; hier eine Liste solcher, die ich selbst bemerkt habe: Tamus communis, Lamium macu- latum, Solanum dulcaraara, Sambucus nigra. Die besondere Gestalt der Geschoßspitze ergab dabei anstatt einer Kegelwelle eine solche in der Form eines Hyperboloids, außerdem eine Gliederung in Kopf-, Seiten- und Achterwelle und endlich eigenartige hinter dem Geschosse sich bildende Wirbel (vgl. Abb. 3). Die Richtigkeit der angegebenen Er- klärung wird durch die öfters gemachte Beobachtung be- stätigt, daß zu kurze Schüsse nur von einem schwachen Knall begleitet sind, was von Mach auf das Erlöschen der Kopf- welle zurückgeführt wird. Das eigenartige Pfeifen, Sausen und Schwirren des Ge- schosses erklärt sich durch die Reibung desselben an der Luft. Es entsteht ähnlich wie das kratzende Geräusch, das der über die Saiten einer Geige hingleitende und sie zum Tönen bringende Bogen verursacht. (G.C.) Dr. Fr. Nölke. Hörbarkeit des Kanonendonners. ,,Sehr zahlre obachter meinten", heißt es iu der Naturw. Wochensch S. 589, „daß der Schall durch den Boden oder d Wasserläufe fortgeleitet werde". Ich gestatte mir, hierzu ; die im Felde ganz gewöhnliche Erfahrung hinzuweisen, c man entfernte Kanonaden stets am deutlichsten in Unterstänc vernimmt. Sobald man aus dem Unterstande nur in c Graben heraustritt, hört man viel weniger oder unter Ü ständen nichts mehr. (G.C) Dr. V. Franz. he Be- Nr. 41, •ch die Über die Flora der Weiden. Kein Baum ist eine reiche epiphytische Flora zu beherbergen, wie Das Studium der Pflanzen, die auf dem Kopf oder Höhlungen der Weidenstämme leben, würde sehr sein. Nicht nur kleine Pflanzen, sondern auch Bäume auf Weiden eine Entwicklung finden. So hat G. K schöne Photographie veröft dieser Zeitschrift ' geneigt, Weide. ntlicht, Achillea millefolium, Taraxacum officinale, Oxalis acetoseUa, Stellaria media, Geranium sanguineum, Viola odorata, V. canina. Barbare a sp., Malva silvestris, Rubus discolor, Fragaria vesca, Chelidonium majus, Rumex acetosa, Urtica dioica, Parietaria officinalis, Humulus lupulus, Polypodium vulgare, Aspidium fili.x mas. Die mit verschiedenfarbigen Blüten und Beeren geschmückten Weiden gewähren einen schönen Anblick. Wie können alle diese Pflanzen auf den Weiden sich entwickeln ■ Es ist sehr wahrscheinlich, daß nicht nur der Wind, sondern auch Tiere, die Keime dieser Pflanzen auf die Weiden verbreiten. B. Galli-Valerio. 'J 1916 S. 591. Inhalt: Egon Eichwald, Atmung und Gärung. S. i. — Kleinere Mitteilungen: Walther May, Antike Vererbungs- theorien. S. 9. Fr. Keyl, Ein Beispiel für die Beeinflussung lokaler Faunen durch den 'Weltkrieg. S. 10. — Einzelberichte: Zlataroff, Über das Altern der Pflanzen. S. il. Ad. Schumann, Brutdauer und erste Jugend- stadien des Bartgeiers Gypaetus barbatus L. S. 12. Loh mann, Isoplankten. S. 12. V. Kutter, Analyse schwingender Tropfen. S. 13. — Bücherbesprechungen: .Albert Heim, Geologie der Schweiz. S. 14. — Anregungen und Antworten: Doppelklang der Gewehrschüsse. S. IS. Hörbarkeit des Kanonendonners. S. 16. Über die Flora der Weiden. S. 16. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 14. Januar 1917. Nummer 3. Eine merkwürdige Naturerscheinung im Jordantal. Dr. Carl Schoy, Essen Mit 3 Abbildungen. Es dürfte sich auf unserem Erdball nicht so leicht eine zweite Stelle mit ähnlichen klima- tischen und physikalisch geologischen Sonder- heiten finden, wie sie jener dem irdischen Ant- litz tief eingerissenen Grabenfurche eigen sind, die heute der Jordan von Nord nach Süd durch- strömt und die in ihrem tiefsten Teile vom Toten Meer erfüllt ist. Die Beduinen nennen dies Tal El-Ror (die Einsenkung), den Jordan Scheriat el- Kebire (die große Tränke) und das Tote Meer Bahr el-Lut (Meer des Lot). Aber nicht nur bis hierher zerbarst einst eine langgestreckte Erdscholle in einen tiefen Schlund: die Wir- kungen dieses katastrophalen Ereignisses reichen heute noch weit durch das Wädi el-'Araba bis zur Küste des roten Meeres, ja selbst bis ins äquatoreale Afrika hinein. Es ist insbesondere das Verdienst Professor M. Blanckenhorn's uns diesen interessanten Teil Palästinas klima- tisch , meteorologisch und geologisch erschlossen zu haben. Die Resultate seiner Palästinafor- schungen hat Blanckenhorn in einer Anzahl Schriften niederlegt, von denen für uns in erster Linie die „Naturwissenschaftlichen Studien am Toten Meer und im Jordantal" '), sowie „Syrien, Arabien und Mesopotamien" -) in Betracht kommen. So gewaltig war dereinst der Sturz einer Landmasse zur Tiefe, daß sich schon vom See Genezareth an die Talsohle 208 m unter den Spiegel des Mittelmeeres senkt, um am Toten Meer die Zahl — 393 m zu erreichen. Dazu hat das altbekannte „Meer der Wüste", das „Salz- meer" der Israeliten, oder der „Asphaltsee" der Griechen, selbst eine größte Tiefe von 401 m, so daß die Gesamttiefe der Erdspalte — 794 m beträgt. Wer vom Ölberg (-j- 806 m) zu dieser Stätte der Verwerfung hinunterpilgert, steigt nicht weniger als 1200 m hernieder, während das Baro- meter bei dem Druck der schweren Luftmassen, die über dem Ror lagern, zuletzt auf über 800 mm zu stehen kommt. Und wem in den Winter- monaten Frost und Schnee den Aufenthalt in Jerusalem verleiden, der wandere dieselbe Straße nach Jericho, die uns aus des Heilands Gleichnis bekannt ist, und wenn er von Beduinen unbe- helligt nach der uralten Palmenstadt gelangt, so umfängt ihn dort sonnig-warmer Odem und ') Bericht über eine im Jahre 1908 des Sultans der Türken Abdul Hamid Forschungsreise in Palästina. Berlin 1912. -) Handbuch der regionalen Geologie Heidelberg 1914. Auftrage S. M. unternommene lachender Lenz. Denn dem Ror ist kein Winter gegeben, dafür ein Sommer, dessen Hitze mit jener des südlichen Nubiens wetteifert. ') Kein Wunder, daß hier um die Blüten der Orangen- bäume der Gärten Jerichos das „zarteste farben- prächtigste" Vöglein, der Palästina- Honigsauger, schwebt, den süßen Nektar des Kelchinhaltes frei in der Luft erhaschend. (Vgl. die in- teressanten Mitteilungen in Blanckenhorn's Naturwiss. Studien usw. S. 410 ff.). Doch sind es nicht solche Dinge, von denen ich eigentlich berichten will, als vielmehr von der Überraschung, die dem von Jerusalem kommen- den Reisenden die Magnetnadel in der Gegend von Jericho bereitet. Es möge hier die Stelle aus den Naturwissenschaftlichen Studien usw. Blanckenhorn's, wo zum erstenmal von etwas derartigem im Jordantal die Rede ist, wörtlich angeführt sein (S. 68 und 69): „Herr Treidel (Kulturingcnieur der Blanckenhorn- schen Expedition) hatte im Laufe des Tages (23. Februar) den astronomischen Meridian fest- gestellt, durch Signale markiert und die magne- tische Deklination mit Hilfe meiner aus- gezeichneten Breithaupt 'sehen Bussole zu l"2' nach O. bestimmt, während sie sonst in Palästina augenblicklich meist zu 11 — 13" nach W. ange- nommen wird. Das war ein unerwartetes wissen- schaftliches Resultat, das einer Kontrolle bedurfte. Letztere führte er noch in der Nacht durch Vi- sieren nach dem Polarstern während der Kul- mination mit Hilfe eines Fadendiopters aus. Das Resultat blieb das nämliche. Später hat Treidel noch an anderen Stellen derartige Vermessungen vorgenommen, wie fol- gende Tabelle zeigt. (.Siehe Tabelle S. 18) Die Abweichung der Deklination des unteren Jordantales von derjenigen von Jerusalem beträgt demnach 12 — 13". Dazwischen dürfte eine Iso- gone von o" ungefähr in SN Richtung verlaufen und mit dem stärksten Gebirgsabfall, d. h. der westlichen Randspalte des Grabens zusammen- fallen. Natürlich wäre zur Erklärung dieser ab- normen Erscheinung weniger an vorhandene be- nachbarte Eisenmassen als an die Attraktion der Gebirge im W. zu denken. Aber auch diese Erklärung befriedigt nicht recht, zumal auch der vom Gebirgsfuß am weitesten entfernte Punkt ') Vgl. M. Blanckenhorn, Studien über das Klima des Jordantales. (Zeitschr. d. deutschen Palästinavereins, XXXII. Bd., 1909, S. 38 ff.) Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 2 Standpunkt Zeit der Feststellung Deklii ation Methode I. Teil el-Kos östlich von Jericho 23. Februar östlich I»2' Beobachtung korrespondierender Sonnenhöhen (Thcodollth) kon- trolliert durch Polarsternbeob- achtung (Fadendiopler.) 2. 'Ain Feschcha 1. März östlich ca. 2» Polarsternbcobachtung 3. Kasr Hadschla (auf flachem Dache) 6. März östlich 2° 34' korrespondierende Sonnenhöhen 4. Jerusalem (Hötcl Fast auf dem Dache) 17. März westlich 10» 40' korrespondierende Sonnenhöhen Kasr Hadschla die größte Deklination aufweist. Vielleicht sind es mehr die relativ höheren Ge- birge im O., welche störend einwirken. Der Lö- sung dieser interessanten erdmagnetischen Frage wird sich nur durch eine größere Reihe von weiteren Beobachtungen im ganzen Depressions- gebiete anf beiden Seiten des Flusses, also nament- lich noch am Fuß des östlichen Gebirges und auf den beiderseits umgebenden Hochplateaus, näher kommen lassen." In nebenstehendem Kärtchen (Abb. i) sind die in Frage kommenden Oite mit der ihnen zuge- hörigen Deklinationsrichtung der Magnetnadel ver- zeichnet. Selbstverständlich macht die im Vor- beigehen hingeworfene Bemerkung Blancken- horn's über die mögliche Ursache der ma- gnetischen Anomalien im Ror keinerlei Anspruch darauf, die endgültige Lösung des Rätsels zu sein. Unsere Kenntnisse vom Zusammenhang des Ge- birgsmagnetismus mit der Tektonik sind noch zu gering und unsicher, als daß damit eine bündige Theorie dieses merkwürdigen Problems in der Jordansenke gewagt werden könnte. Nichtsdesto- weniger aber ist es geeignet, das spekulative Interesse in hohem Grade zu erregen, und so möchte ich in den folgenden Zeilen versuchen, die möglichen Ursachen zu erörtern. Zunächst bemerkte ich, daß die Längsachse des Rors vom Nordufer des Toten Meeres bis zum Fuße des Libanon fast genau von Süden nach Norden gerichtet und nur ganz schwach nach Nordosten geneigt ist, m. a. W. recht auf- fallend mit der von Treidel konstatierten De- klination der Magnetnadel übereinstimmt. Dies scheint mir kein Zufall zu sein, sondern eher da- rauf hinzudeuten, daß die meridionale Grabensenke selbst es ist, die auf die Magnetnadel richtend wirkt. Läßt man diese Annahme gelten, so erhebt sich die weitere Frage: Was ist die endgültige Ursache dieser magnetischen Richtkraft der Jordansenke? Man könnte zuerst an Eisenerzlager der Randgebirge rechts und links der Talfurche denken, wodurch eine lokale Störung der Magnetnadel in ablenken- dem Sinne bewirkt würde, aber diese Annahme entbehrt jeder besonderen Stütze. Auch vulka- nisches Gestein, das ja magnetische Ladung auf- weist, findet sich nirgends in der Nähe, sondern ist viel weiter im Norden und im Haurängebirge. Bis in die Gegend von Jericho dürfte aber sein magnetischer Einfluß keinesfalls reichen. Und da auch der Untergrund des Rors keine vulkanischen Gesteine enthält, wie mir Herr Professor Dr. Blanckenhorn brieflich noch besonders ver- sicherte und wie auch die Profile S. 88 der schon erwähnten Schrift Bla ncke n h or n's „Syrien, Arabien und Mesopotamien" deutlich zeigen, so verbleibt nur die Schlußfolgerung, daß die ge- heimnisvolle Ursache ganz allein im Ror selbst zu suchen ist. Wie kann man sich das denken? Einen Fingerzeig gibt die unbestreitbar er- wiesene Tatsache, daß hier einst eine langgestreckte Erdmasse in die Tiefe sank. Für die eingehende Schilderung der einzelnen Phasen der Aus- und Umbildung des Jordantales möchte ich auf Blankenhorn's eben erwähntes geologisches Werk (S. 50 ff. u. 82 ff.) verweisen. Wir haben uns für unser Problem vor allem zu vergegen- wärtigen, daß vor dem Einsturz ein unterirdischer Hohlraum bestanden haben muß, dessen Gestalt N. F. XVI. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ungefähr mit derjenigen der heutigen Talfurche übereinstimmte. Nun sind nach den allgemeinen physikalischen Vorstellungen die Deklinationslinien oder Isogonen auf der hrdoberfläche nichts anderes als die Richtungslinien der magnetischen Kraft, die von einem magnetischen Pol der Erde zum anderen strömt. Bekanntlich ist eine wagerecht schwebende Magnetnadel in der Richtung dieser magnetischen Kraft im Gleichgewicht oder anders ausgedrückt: wir bestimmen die horizontale Di- rektion der magnetischen Kraft durch Feststellung des Richtungsunterschiedes der Nadel mit der astronomischen Nordsudrichtung eines Ortes und nennen diesen Winkelunterschied östliche oder wcsihche Deklination, je nachdem der Nordpol der Nadel nach Osten oder Westen von der ort- lichen Mittagslinie abweicht. Aber nicht nur die Oberfläche der Erde wird von solchen magnetischen Richtlinien durchzogen, die magnetische Richtkraft wird auch im Erdinnern bestehen. Also werden auch magnetische Kraftlinien auf jenen ur- sprünglichen Hohlraum des Rors aufgetroffen haben. Da fand ihr bisheriger Verlauf im Gestein plötzlich eine Unterbrechung durch einen Lult- körper, und wir werden nicht erwarten dürfen, daü sie denselben einfach ohne Ricntungsänderung durchsetzten. Zur Veranschaulichung ihrer mut- maßlichen Ablenkung diene der Versuch mit dem eisernen Hohlzylinder oder der Hohlkugel, die man in ein magnetisches Feld bringt. Da der Luttraum den Kraftlinien beim Durchgang viel mehr Widerstand entgegensetzt als weiches Eisen, so nehmen sie in einer Hohlkugel den in Abb. 2 dargestellten Verlauf, sie scheinen vor dem Hohl- raum auszubiegen und sich am Rande der Kugel zusammenzudrängen. Nun ist ja freilich ein Unterschied zwischen der magnetischen Leitungsfähigkeit des Eisens und des Gesteins; aber letzteres übertrifift sicher an magneiibcher Durchlässigkeit die Lult. Man kann sich den geringen Grad der magnetischen Leitungsfahigkeit der Lult als einen Widerstand des Lullkörpers vorstellen, der gewissermaßen die magnetischen Kraftlinien des (jesteins von sich abdiängt. An einer langgestreckten Hohllorm wird dann der Verlauf der ivialtlinien der gewesen sein, daß sie, nach dem Parallelogramm der Kräfte, der Resultanie folgend, mehr der Längsrichtung der Hohlform entlang zogen und sich am Rande verdichteten. Nur wenige Kraftlinien werden ohne grüße Ablenkung den Hohlkörper direkt durch- setzt haben (Abb. 3). Wahrscheinlich haben sie schon damals, also vor erlolgtem Einbruch, durch ihre Induktionskraft das über der Huhlform lagernde Gestein so magnetisiert, daß die Kraftlinien in demselben ebenfalls die Längsrichtung der Hohl- form annahmen und nach dem Einsturz dauernd beibehielten. Tnft'i diese Vermutung zu, so er- laubt sie folgende Schlußfolgerungen: I. Besonders an den Rändern einer Bruchzone, wo sich die Kraftlinien verdichteten, dürfte eine völlige Koinzidenz ihrer Richtung mit derjenigen der Bruchlinie stattfinden. 2. Infolgedessen könnte man erwarten, daß längs des ganzen Rors, vom Nordrande des Toten Meeres bis zum See von Tiberias, die Richtung der Magnet- nadel ungefähr dieselbe ist, und daß die Nadel im Süden \ \ des Rors noch weiter nach \ \ Osten abweicht. 3. Damit erklärte sich auch die größere östliche Deklination bei Ksar Had- schla, das berehs an der Flexur liegt, mit der das Ror mehr in eine südsüd- westliche Richtung übergeht. (Vgl. die Geologische Karte, dießlankenhorn's Tote- Meer-Buch beigegeben ist.) Bei 'Ain Feschcha (Quelle Feschcha) streicht die Bruch- linie um etwa 8" gen Nordost. Trotzdem hat diese Stelle nur 2" östliche Deklination. Hier ist eine störende Ein- wirkung des Randgebirges sehr wahrscheinlich. 4. Auch auf die magne- tischen Anomalien in der Nähe von Vulkanen fiele durch diese Annahme etwas Licht. Denn die unterirdi- schen Hohlräume, denen die Magmamassen entsteigen, werden stets eine Verände- rung der Richtung der magnetischen Kraftlinien be- wirken, etwa wie bei einer Hohlkugel. Ebenso dürfte man alsdann bei tekto- nischen Beben daran denken, daß räumliche Verände- rungen im Erdkörper eine Störung der magnetischen Kraftlinien auslösten. Ganz von selbst verstände es sich in unserem F"alle, daß die magnetischen Isogonen in der ostasiatischen Inselwelt sich oft ganz auffallend parallel mit der Inselküste er- strecken. (So auf Sumatra, Java und in Japan.) Dort begegnen wir der größten Bruchzone der Erde. 1) 5. P'erner könnte auf Grund der dargelegten Vermutung auch eine Erklärung des kosmischen Magnetismus versucht werden. Wenn Sonnen- flecken nichts anderes als gewaltige Verliefungen des Sonnenkörpers sind, so ist damit eine Störung des Sonnenmagnetfeldes sofort gegeben und auch Abb. 3. ') Vgl. für nähere Details über magnetische Störungs- gebiete: E. Naumann, Die Erscheinungen des Erdmagne- tismus in ihrer Abhängigkeit vom Bau der Erdrinde, StuUgart 18S7, wo be onders die magnetische Vermessung Japans durch Naumann eingehend behandelt ist, sowie S. Günther, Handbuch der Geophysik, 2. Aufl., Stuttgart 1897, I. Bd., S. 578 ff. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 2 eine Verdichtung der Kraftlinien an den Rändern eines solchen Fleckes. ^) Und vielleicht ist die sog. säkulare Variation des Erdmagnetismus in letzter Linie auch an innere räumliche Umlage- rungen gebunden. Sollte ich mit diesem Erklärungsversuch, auf den ich in der erdmagnetischen Literatur noch nirgends gestoßen bin, nicht wesentlich irren, ') ') Über sehr genaue Messungen der magnetischen Feld- stärke von Sonnenflecken möge man die interessanten Aus- führungen G. F.. Haies: „The Earth and Sun as Magnets". (.\na. Rep. of the Smith sonian Inst, for the Year ending June 30, 1913 u. 1914) zu Rate ziehen. ^) Der Einfluß der Temperatur auf die Stellung der Magnetnadel ist freilich auch nicht ganz außer acht zu lassen. Die Wärme wird auf einem flachen Dach zu Kasr Hadschia am 6. März sicher niclit gering gewesen sein. Blankenhorn SO müßte eine vollständige magnetische Durch- forschung des Rors die Probe aufs Exempel liefern. Ich hoffe sie in friedlicheren Zeiten an Ort und Stelle machen zu können ! verzeichnet für Kasr Hadschia +38» C als höchste März- temperatur im Schatten. (Vgl. Studien über das Klima des Jordantales S. Ö3.) Wieviel Grade mag dann die von der Sonne durchstrahlte Luft gehabt haben! J. v. Lamont hat in seinem Handbuch des Erdmagne- tismus, Berlin 1849, I. Bd., S. 127 folgende Angaben über den Temperatureinfluß auf die Stellung eines Magneten gemacht: Temperatur: Ablesung des Kreises: a,-" 294° 15,6' 46,9° 293037,1' 9" 294017,4' 42,30 293044,5' 3S0 293" 51.9' 28O 294O 3,0' usw. [Nachdruck verboten. Jede neue Entdeckung muß einen Kampf um ihre Anerkennung bestehen, umsomehr je wich- tiger die Entdeckung ist und je mehr sie den herrschenden Anschauungen widerspricht. Es ist also begreiflich, daß die neue Lehre von den Über denkende und buchstabierende Hunde. Eine Entgegnung von Prof. Dr. H. E. Ziegler (Stuttgart). Es gibt eine große Menge von zuverlässigen Beobachtungen, durch welche mit voller Sicher- heit bewiesen ist, daß diese Hypothese der Zeichen- gabe nicht richtig ist und daß die Äußerungen aus dem Tiere selbst stammen. Ich muß in dieser rechnenden und buchstabierenden Tieren mannig- Hinsicht auf die ganze Literatur') verweisen, da fachen Widerspruch gefunden hat. Aber wissen- es nicht möglich ist, an dieser Stelle über alle die zahlreichen und mannigfaltigen Versuche zu be- richten. Hier will ich nur den Nachweis führen, daß die Hypothese von Dr. Neu mann nicht richtig ist und daß seine Versuche durchaus keine Beweise für seine Ansicht bilden. Die Einwände, welche gegen die Echtheit der Äußerungen der buchstabierenden Hunde vorge- bracht werden, lassen sich in folgende Kategorien bringen : 1. Einwände aus direkter Beobachtung. 2. Einwände aus Versuchen mit einem Er- gebnis. 3. Einwände aus Versuchen ohne Ergebnis, d. h. solchen Versuchen, bei welchen der Hund überhaupt keine Antwort oder keine zugehörige Antwort gegeben hat. 4. Einwände, welche aus der Höhe der Lei- stungen abgeleitet werden. Einwände aus direkter Beobachtung werden von Dr. N e u m a n n nicht erhoben , wohl aber von Prof Herbst, welcher behauptet, in der öffentlichen Vorführung am II. IVlai 1915 vom Zuschauerraum aus gesehen zu haben, daß bei jeder Zahl mit dem Karton ein Zeichen gegeben werde. '■') Aber ich habe das Klopfen sehr oft von allernächster Nähe beobachtet und keine Spur solcher Zeichen gesehen. Auch alle anderen schaftlich ist zu fordern, daß die sogenannten Entlarvungen ') einer ebenso strengen Kritik unterworfen werden wie die positiven Versuche, und aus diesem Grunde muß ich die Veröffent- lichung von Dr. med. W. Neumann in Nr. 37 dieser Zeitschrift einer eingehenden Besprechung unterziehen, -j Bekanntlich klopft der Hund die Zahlen, welche Buchstaben bedeuten, auf die Hand oder auf einen mit der Hand hingehaltenen Pappdeckel. Dr. Neu mann spricht nun wieder die schon oft vorgebrachte Hypothese aus, daß mit der Hand oder dem Pappdeckel dem Hunde Zeichen ge- geben würden. Folglich würde es sich bei allen derartigen Versuchen überhaupt nicht um Ge- danken des Tieres handeln, sondern um Äuße- rungen derjenigen Person, welche den Pappdeckel in der Hand hält. 'j Die Entlarvungen bestehen immer darin, daß die Leistungen der Tiere aus einer Zeichengebung abgeleitet werden, aber diese einfache Erklärung hat sich schon in früheren Fällen als unrichtig erwiesen. Dr. Pfungst be- hauptete, daß das Pferd des Herrn v. Osten durch unbe- wußte kleine Zeichen beeinflußt gewesen sei, und der Zauber- künstler Faustin US stellte die Meinung auf, daß den Elber- felder Pferden durch den Pferdewärter Albert Zeichen ge- geben worden seien. Das eine ist so falsch wie das andere, wie ich an anderer Stelle nachgewiesen habe (Die Seele des Tieres, Berliu 1916, S. 36—42. Mitteilungen der Gesellschaft für Tierpsychologie, 1916, S. 20—25). Ich verweise auch auf meinen Artikel über die Elberfelder Pferde in Nr. 16 der Naturw. Wochenschr. 1915. ") Eine ausführlichere Widerlegung der Behauptungen von Dr. Neu mann habe ich in den „Mitteilungen der Gesell- schaft für Tierpsychologie" (1916, 2. Heft) veröffentlicht. ') Ich nenne die Schrift „Die Seele des Tieres" (Berlin, W. Junk, 1916) und die „Mitteilungen der Gesellschaft f. Tier- psychologie" 1913 — 1916, wo auch die übrige Literatur er- wähnt ist. ^) Naturw. Wochenschr. 1916, Nr. 38, S. 538. N. F. XVI. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. wissenschaftlichen Beobachter, die stundenlang aus der Nähe das Klopfen verfolgten, haben nichts von solchen Zeichen bemerkt. Wenn solche Zeichen überhaupt vorhanden wären, so müßten sie jedenfalls so klein sein, daß sie aus direkter Beobachtung weder zu beweisen noch zu widerlegen sind. Folglich ist die Streitfrage bei dem Hunde Rolf durch die einfache Beobachtung nicht zu entscheiden. Bei der Hündin Lola, welche von Fräulein H. Kind ermann unter- richtet wurde und ganz ähnliche Leistungen auf- weist, läßt sich die Zeichenhypothese schon durch die direkte Beobachtung ausschließen; denn Lola gibt die Einer mit der linken Pfote, die Zehner mit der rechten Pfote an, wie dies K. Krall bei den Elberfelder Pferden einführte. Daraus ergibt sich eine Abwechslung in der Verwendung der Füße, welche durch die von Prof Herbst an- genommene Zeichengebung nicht zu erklären wäre. ') Übrigens beruht der Beweis für die Echtheit der Antworten der Hunde überhaupt nicht dar- auf, daß man solche Zeichen nicht sieht, sondern auf den überaus eigenartigen und mannigfaltigen Äußerungen der Tiere und insbesondere auf den sehr oft angestellten „unbewußten" Versuchen, bei welchen das Tier über Gegenstände und Ereig- nisse Au-^kunft gab, welche der den Karton haltenden Person gar nicht bekannt waren, und zu welchen sie also gewiß keine Zeichen geben konnte. Denn was man selbst nicht weiß, kann man weder aussprechen noch durch irgendwelche Zeichen mitteilen. Ich komme also zu denjenigen Einwänden, welche auf Grund positiver Versuche erhoben werden. In dieser Hinsicht liegen nur die zwei Versuche vor, welche Dr. Neu mann und Dr. L o t m a r angestellt haben ; Neumann undLot- mar behaupten, daß der IVlannheimer Hund bei diesen beiden Versuchen etwas buchstabiert habe, was er gar nicht gewußt habe, sondern was nur Fräulein Moekel bekannt gewesen sei. Aber in diesen Versuchen sind so offenkundige Fehler- quellen vorhanden, daß ihnen gar keine Beweis- kraft zukommt. Der eine Versuch beruht darauf, daß der Hund den Namen Lotmar geklopft hat, den er angeblich nicht wissen konnte. Aber die Herren Neu mann und Lotmar dachten nicht daran, daß Dr. Neu mann schon früher in der F~amilie Moekel von seinem Freunde Lotmar ge- sprochen hatte. Nach den übereinstimmenden Berichten von Fräulein Luise IVIoekel und ihrer Großmutter, Frau Major von Moers, hatte Dr. Neumann früher schon seinen Freund er- wähnt und den Gedanken geäußert, daß Fräulein Moekel — eine begabte Violinspielerin — mit ihm musizieren solle. Der Name war also Fräu- lein Luise von Anfang an bekannt und auch ') Vgl. meine Bemerkung über die Zählweise der Elbs felder Pferde in „Die Seele des Tieres" S. 39. der Hund konnte ihn wissen. Außerdem wurde der Name während des Versuches selbst ausge- sprochen, insbesondere hat sich Dr. Lotmar während des Versuches der eintretenden Groß- mutter mit seinem Namen vorgestellt. Außer- dem flüsterte Dr. N e u m a n n den Namen P^räulein Luise ins Ohr, wobei also die Mög- lichkeit besteht, daß der Hund mit seinem feinen Gehör das vernommen habe. Der Versuch ist also überaus nachlässig angestellt, und kein kri- tischer Forscher kann demselben irgendwelche Beweiskraft zusprechen. Ich stelle hier die ganz verschieden lautenden Berichte nebeneinander. Bericht von Dr. Neumann. Wir beide haUen ausge- macht, dem Hunde nicht den Familiennamen Lolmar , son- dern Dr. Lotraar's zweiten Vornamen Ferdinand zu sagen. Rolf hat also den Namen Lotmar nie gehört. Später fragte ich , indem ich auf Dr. Lotmar zeigte : „Rolf, wie heißt denn dieser Herr?" Der Name Lotmar war in Rolfs Gegenwart noch nie aus- gesprochen worden; darauf hatte ich besonders scharf aufgepaßt. Rolf antwortete „Mag nid", d. h. Mag nicht. Ich sah deutlich , daß Luise Moekel den Namen Lotmar sich nicht gemerkt hatte. Da zu diesem Augenblicke Rolf in eine andere Ecke des Zimmers sprang um dort etwas Eßbares zu erhaschen, flüsterte ich, indem ich meine Lippen ganz nahe an ihr Ohr brachte und sehr deutlich aussprach Luise Moekel ins Ohr: „Glau- ben Sie, daß der Name Lotmar vielleicht zu schwer istf" Niemand bemerkte die Szene, selbst Dr. Lotmar nicht. Luise antwortete; „Nein, nicht zu schwer." Rolf wurde zu- rückgerufen und abermals nach dem Namen gefragt. Er antwortete ohne Zögern „Lodmr", d. h. Lolmar. Er buchstabierte also einen Na- men, den er nie gehört, während er den Namen Ferdinand, der ihm gesagt wurde, nicht erwähnt. Bericht von Fräulein Moekel. Dr. Neumann hatte uns geschrieben, daß er einen Besuch aus dem Felde mit- bringen werde. Er kam auch mit einem Herrn in feld- grauer Uniform , den er uns aber so undeutlich vorstellte, Namen verstehen konnte. Als etwas später meine Groß- mutter ins Zimmer kam, stellte sich der Gast in m e iner Gege n w art sehr deutlich als Dr. Lotmar vor. In der Folge sagte Dr. Neumann während des Gesprächs zu mir; „Sehen Sie, Luise, das ist nun mein Freund, von dem ich Ihnen das letzte- mal erzählte; er spielt wirk- lich wunderschön Violine", und zu Dr. L. gewandt, fuhr er fort: ,, Lotmar, möchten Sie nicht mit Frl. Moekel Duette spielen, das wäre nett." Dr. Neumann hat also den Namen Lotmar (wahrschein- lich , ohne es selbst zu be- merken) ausgesprochen, und zwar in Gegenwart des Hundes, der während der ganzen Zeit neben meinem Stuhl lag. Es ist bekannt, daß dem Hund nichts entgeht, was im Zimmer gesprochen wird. Kurze Zeit darauf bat mich Dr. Neumann, den Hund nach dem Namen seines Freundes zu fragen. Der Hund gab aber bloß „nein" und sprang zum Büfett, wo gerade belegte Brötchen serviert wurden. Da kam plötzlich Dr. Neumann auf mich zu und sagte mir — auffallend deutlich — ins Ohr ; „Glauben Sie nicht, Luise, daß der Name Lotmar viel- leicht zu schwer ist?" Ich verneinte und war erstaunt über diese .Äußerung, Etwas später frug ich den Hund noch einmal nach dem Namen, worauf ich nun die Antwort „lodmr" erhielt. Da feststeht, daß dieser Name vorher mehrere Male von Herrn Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 2 Dr. Neuraann selbst ausge- sprochen worden war, so sind die Behauptungen des Herrn Dr. Neumann, dafi ich den Namen zurzeit der ersten Weigerung des Hundes nicht gekannt hätte und daß der Hund den Namen überhaupt nicht gehört hätte, restlos widerlegt. Der andere Versuch der Herren Neu mann und Lot mar ist nicht besser als der eben- genannte. Dr. Neumann behauptet, daß er der kleinen zehnjährigen Karla auf dem Vorplatz der Wohnung einen Hund aus Papierma«se, einen schwarzen Teckel, und zugleich eine Schachtel gezeigt habe, und daß der buchstabierende Hund Rolf von diesen Dingen gesprochen hätte, ohne sie gesehen zu haben. Dr. Neu mann nimmt an, daß die kleine Karla davon wohl ihrer Schwester Luise berichtet habe, daß aber der Hund davon nichts erfahren habe. Man sieht sofort, daß der Versuch unklar ist, weil die Möglichkeit besteht, daß der Hund eine solche Mitteilung ge- hört haben könnte. In Wirklichkeit hat aber Dr. Neu mann den Teckel und die Schachtel in das Versuchszimmer hineingebracht, so daß der Hund beides sehen konnte. Die nachherige Äußerung über die Schachtel ist also vollkommen begreiflich. Das Tier ist in un'^erer Zeit der Fleisch- und Brotmarken immer sehr freßgierig und vermutete in der Schachtel etwas Eßbares, da ihm ja von den Besuchern oft Leckerbissen in Schachteln ge- bracht worden sind. Als nun der Hund nachher von Fräulein Luise veranlaßt wurde, etwas über den Vorgang zu äußern, so klopfte er folgendes: ,,Is was dsu sn in glei braun egig sagdl fon dr dagl", d. h. Ist was zu essen in klein braun eckig Schachtel von dem Dackel. Ich meine, daß diese Äußerung nach Form und Inhalt den Stempel der Echtheit trägt. Ich stelle nun wieder die ganz verschieden lautenden Berichte nebeneinander: Moers); „in glei bra. sagdl fon der dagl is d Bericht von Dr. Neumann. Ich ging mit der zehn- jährigen Karla in den Vorplatz, wo wir allein waren. Dort zeigte ich ihr das Paket mit dem Dackel, packte es aber nicht aus. Ich zeigte ihr auch die braune Schachtel und sagte, daß ich etwas für Rolf zu essen hineintun wolle. Nachher gingen wir spazieren, und nur Frau v. Moers und Fräulein Luise Moekel blieben zurück, um von Rolf zu er- fahren, was Dr. Lotmar und ich ihm^^gezeigt hatten. Als wir zurückkehrten, vernahmen ■wir, daß Rolf auf das 'von Luise Moekel gehaltene Klopf- brett folgendes geklopft hatte (protokolliert von Frau v. Bericht von Fräulein Moekel. „Meine Großmutter und ich hielten uns im Wohn- zimmer auf, als Herr Dr. Neu- mann mit meiner kleinen Schwester Karla auf den Korridor ging, woselbst er ihr einen kleinen aus Pappe ge- fertigten Teckel zeigte. Gleich- zeitig frug er, ob sie ihm et- was Gummi arabicum geben könne, weil er ein kleines Schächtelchen, in welchem sich Bonbons befanden, an dem Teckel befestigen wolle. Hierauf ging Dr. Neumann mit Karla nach dem F.ßzimmer, wo er in der offenen Türe stehen blieb, den Teckel samt der Schachtel unter dem Rock verbarg und meine Schwester Frieda zur entgegengesetzten Türe des Zimmers hinaus- schickte. Hierauf nahm er die beiden Sachen wieder aus dem Rock hervor, während der Hund ihn beschupperte und begrüßte. Dann löste der Hund einige Rechen- aufgaben, klopfte aber plötz- lich statt einer zu gebenden Lösung das Wort „Hundl". Dr. Neumann unterbrach rasch und sagte : ,,Was Rolf eben geklopft hat, bezieht sich auf einen Versuch, ich will das erst später von ihm hören; Luise wird so gut sein und ihn nachher fragen, was ich ihm mitgebracht habe." Als die beiden Herren dann mit meinem Vater und meinen Geschwistern spazieren gingen, klopfte Rolf bei mir nach langem Sträuben, und erst nachdem ich ihn geschlagen hatte, ,,is was dsu sn braun egig", und als ich das nicht verstehen konnte und ihn drängte, sich deutlicher aus- zudrücken, gab er nach wieder- holter Weigerung : „sagdl fön dr dagl". Wir faßten diesen Satz als Frage auf. ."Ms Dr. Neumann wieder zurückkam, gab ich ihm diese von meiner Großmutter gemachte Auf- zeichnung, worüber er sich sehr erfreut zeigte." Daß die Beschreibung von Fräulein Moekel richtig ist, geht mit voller Sicherheit daraus hervor, daß der Hund während der Rechenaufgaben auf den gezeigten Dackel Bezug genommen hat; folglich muß er zu dieser Zeit das Hündchen schon gesehen haben. Dieser Versuch hat also ebenfalls gar keine Beweiskraft in dem Sinne, wie ihn die Herren Neu mann und Lotmar ver- wenden wollen. Die angeblichen Gegenbeweise sind also ganz hinfällig. Ich komme nun zu denjenigen Einwänden, welche aus mißlungenen Versuchen abgeleitet werden, also solchen, bei welchen der Hund ge- stellte Fragen nicht beantwortet oder eine er- wartete Antwort nicht gegeben hat. Es ist von vornherein einleuchtend, daß solche negative Ver- suche gar keine Beweiskraft haben. Irgendeine Störung, Ablenkung oder Hemmung, jeder Mißrruif, jede Abneigung, jeder Eigensinn des Hundes kann das erwartete Ergebnis vereiteln. Es besteht in dieser Hinsicht ein großer Unterschied zwischen Dressurleistungen und Verstandesleistungen; die ersteren kann man erzwingen, die letzteren nicht; die Dressur kann man durch häufige Wiederholung so geläufig machen, daß sie stets gelingt, aber die Denkarbeit wird leicht durch allerlei Störungen gehemmt. Wie die Schüler einer Klasse vor einem plötzlich erscheinenden Schulinspektor meistens schlechter antworten als im täglichen Unterricht, N. F. XVI. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 23 so kommen auch bei den buchstabierenden Tieren die Höchstleistungen bei den Prüfungen und Vor- führungen meistens nicht heraus. Oft versagen die Tiere in solchen Fällen vollständig. Das hat sich schon bei den Eberfelder Pferden gezeigt und tritt in ganz ähnlicher Weise auch bei dem Mann- heimer Hund zutage. Wenn man von den Tieren Verstandesleistungen erwartet, ist man auf den guten Willen derselben angewiesen. Wird das Tier unwillig oder wider- spenstig, so stehen alle seine Äußerungen unter dem Einfluß dieser Stimmung. \) Daher spielt auch die Zuneigung oder Abneigung des Tieres eine große Rolle. Ein Beobachter, gegen welchen das Tier eine Abneigung oder ein Vorurteil besitzt wird immer Mißerfolge haben. Dieser Fall lag bei Dr. Ne u m a n n vor. Er erzählt ja selbst (S. 523), wie der Hund jede Antwort ablehnte mit dem Bemerken : „Neumanns Versuch, mag nit." Da- her kommt es mir geradezu unverständlich vor, daß Neu mann aus seinen negativen Ergebnissen Ein- wände gegen die gut gelungenen Versuche anderer Beobachter ableiten will. Es beweist gar nichts, wenn der Hund den ihm vorgesagten Namen „Ferdinand" nicht wiederholte und von Neumann's Fähnchen und Heringen nichts wissen wollte. Über alle diese negativen Resultate kann ich also ohne weiteres hinweggehen. Ich komme nun zu denjenigen Einwänden, welche aus der erstaunlichen Höhe der Leistungen abgeleitet werden. Diese machen auf die Leser den meisten Eindruck, denn jeder Mensch glaubt eine ungefähre Vorstellung von den etwa möglichen Fähigkeiten eines Hundes zu haben; wenn die Leistungen der buchstabierenrien Hunde darüber hinaus gehen, so sagt er alsbald: ,,Das glaube ich nicht." Aber im Grunde handelt es sich nur um ein Vorurteil. Es hat früher niemals buch- stabierende Hunde gegeben, also kann niemand a priori wissen, was sich nun zeigen kann, wenn dem Hunde die Möglichkeit der Gedankenäußerung gewährt wird. Es verhält sich mit der Beurteilung der gei- stigen Fähigkeiten von Pferden und Hunden eben- so wie bei den taubstummen Menschen, welche in früherer Zeit oft unterschätzt wurden, während ') Für einen aufmerksamen Benbachter ergibt sich sogar ein Beweis für die Echtheit der Äußerungen der Tiere aus dem Umstand, daß dieselben stets mit der Stimmung des Tieres, nicht mit der Absicht des Versuchsleiters überein- stimmen. Ist das Tier hungrig, so kommi-n auch diesbezüg- liche Äußerungen; z. B. zeigte ich dem Hunde im Neben- zimmer eine Postkarte und er sagte dann: ,,isd egal was auf dum gard sdd, libr dsu sn" (ist egal was auf der dummen Karte steht, lieber zu essen.) Ist das Tier eigensinnig, so kann man ihm auf alle Art zureden, es kommen doch nur unsinnige oder unartige Äußerungen heraus. Bei einem neuer- dings angestellten Experiment vor fremdem Besuch war der Hund widerwillig, während Fräulein Luise sich alle erdenk- liche Muhe gab, ihn zu guten Antworten zu bewegen. Schließ- lich sagte sie zu ihm; ,,\Venn du jetzt nicht artig antwortest, wirst du in den Keller gesperrt und bekommst nichts zu fressen." Der Hund antwortete nach Art eines unartigen Knaben „fang radl in glr" (fange Ratten im Keller). man ihnen jetzt durch geeigneten Unterricht die Möglichkeit des Sprechens gibt und dadurch ihre wahren Fähigkeiten erkennt. Ein im Verkehr mit den Menschen lebender Hund lernt die Sprache der Menschen und nimmt damit einen großen Teil der Gedankenwelt der Menschen in sich auf. ') Gibt man ihm nun die Fähigkeit sich auszudrücken, so kommen seine Gedanden zutage, großenteils solche, welche er von den Menschen übernommen hat. Wie ein Kind von 5 Jahren in seinen Äußerungen die Ausdrucksweise und Gedanken- welt des Elternhauses bekundet, so spiegelt sich auch in dem Hunde das was er in seiner Um- gebung gehört hat. Es ist aKo gar nicht auf- fallend, daß das Tier nach dem Tode von Frau Dr. Moekel einen Brief geschrieben hat, in welchem sich Wendungen finden, die offenbar aus Beileids- briefen stammen, welche in der Familie verlesen wurden. In ähnlicher Weise ist es zu verstehen, daß er vor Weihnachten vom Christkindchen ge- sprochen hat. Aus philosophischen Gesprächen, die in der Familie geführt wurden, hat er sogar den Gedanken aufgeschnappt, daß die Tiere von einer „Urseele" stammen. ') Diese Äußerung klingt sehr auffallend, aber sie erklärt sich eben- so einfach wie die Bezugnahme auf das Christ- kindchen. Ich kenne eine sehr große Menge von Äuße- rungen des Mannheimer Hundes, da ich alle die Aufzeichnungen gelesen habe, welche Frau Dr. Moekel im Laufe von mehreren Jahren gemacht und in dem Manuskript ihres Buches zusammen- gestellt hat. ^) Ich kann also versichern, daß sich alle ohne Schwierigkeit erklären lassen, wenn man dem Hunde das Eriimerungsvermögen und Denkvermögen eines Kindes zuerkennt. Ich trete seit mehreren Jahren mit meinem wissenschaft- lichen Namen dafür ein, daß es sich um echte Äußerungen des Tieres handelt, und die Richtig- keit meiner Ansicht hat sich in einer Menge neuer Beobachtungen durchaus bestätigt. Aber ich habe nicht zu verantworten, was die Gegner erfunden haben. So hat Dr. Neumann fälschlich die Behauptung aufgestellt , daß der Hund „Gedichte" mache. Ein von ihm flüchtig gemachter Auszug aus dem Manuskripte der Frau Dr. Moekel ist die Ursache dieses Irrtums — wenn man überhaupt eine solche in bestimmter Absicht aufgestellte Behauptung noch einen Irr- tum nennen kann. In der Familie Moekel weiß niemand etwas von Gedichten des Hundes, und Dr. Neu mann kann das nicht besser ') Ich verweise auf meine Aufsätze über „Das begriffliche Denken beim Menschen und bei Tieren" und „Das Gedächtnis und die Rechenfähigkeit" in der Schrift über die „Seele des Tieres" (Berlin 1916). '-) Der Gedanke, daß alle Lebewesen von einer Urseele stammen, findet sich in der neuplatonischen Philosophie und auch anderwärts. ^) Das Erscheinen des Buches, welches sich im Verlage von Robert Lutz in Stuttgart befindet, ist bis jetzt durch den Krieg verhindert worden. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 2 wissen wollen, da ja sein ganzes Material von der Familie Mo ekel stammt. Alle die angeblichen Gegenbeweise fallen also in sich zusammen. Dadurch erledigen sich auch alle die Folgerungen, welche Dr. Neu- mann an seine Experimente geknüpft hat. Es gibt ja andere Versuche genug, aus welchen die Unrichtigkeit seiner Ansicht klar zu erkennen ist. Ich verweise auf die Experimente von Prof G. Wolff, Dr. Mackenzie und Dr. Gru ber ij, sowie auf den Versuch von Dr. Ritters- bacher und Dr. Lindemann in Bergzabern.'-) Ferner erwähne ich meinen neuen Versuch, bei welchem ich dem Hunde eine lebende Ratte mit- gebracht hatte, wovon niemand etwas wußte, sowie den notariell beglaubigten Fall, in welchem der Hund die Striche auf dem Rücken eines künstlichen Kanarienvogels erwähnte „dr hd fei hr bei bugl" (der hat fein Haar bei Buckel), der ihm in einem entfernten Zimmer gezeigt worden war •■*). Wie in dem vorletzten Hefte der Mitteilungen ») G. Wolff, Die denkenden Tiere von Elberfeld und Mannheim (Süddeutsche Monatshefte, Januar 1914 und Tier- seele 1914, 4. Heft). Dr. W. Mackenzie, Meine Versuche mit dem Hunde Rolf (Tierseele 1914, 4. Heft). Dr. K. Gruber, Vom denkenden Hunde Rolf (Mitteil. d. Ges. f. Tierpsychol. 1913). 2) Der Versuch vom 12. Mai 1914, Mitteil. d. Ges. f. Tierpsychol. 1914. ä) Mitteil. d. Ges. f. Tierpsychol. 19 16, 2. Heft. Bern errungen zu der Der Aufforderung des Herrn Herausgebers, mich zu Herrn Prof Z ie gler's Ausführungen zu äußern, kann ich deswegen sehr kurz nachkommen, weil Herr Ziegler ungefähr das gleiche, was er oben gegen meine Versuche einzuwenden hatte, schon mehrfach veröffentlicht hat und weil ich ihm in der ,, Badischen Landeszeitung" (Nr. 419 vom 8. September 191 6) schon entgegengetreten bin. Ich habe es darum nicht nötig, nochmals Einzelheiten zu besprechen und darzulegen, daß Herr Ziegler seine Behauptungen nicht auf Nach- der Ges. f. Tierpsychologie mitgeteilt wird, gibt es außer dem „Rolf noch drei andere Hunde, Nachkommen desselben, welche ebenfalls buch- stabieren können, und an welchen die Besitzer ganz unabhängig voneinander ähnliche Beobach- tungen gemacht haben. Das Buchstabieren der Hunde ist also nicht an bestimmte Personen ge- bunden, und damit erweisen sich alle die Ver- dächtigungen als hinfällig, welche gegen einzelne Personen vorgebracht worden sind. Der Mann- heimer Hund buchstabierte nicht nur bei Frau Dr. Moekel, sondern er tut dasselbe bei ihrer Mutter, bei ihrer erwachsenen Tochter Luise und bei der zehnjährigen Tochter Karla, ja zu- weilen auch bei den Dienstmädchen. Der Hund von Fräulein Kindermann antwortet nicht nur ihr selbst, sondern auch ihrer Mutter und ihrem Bruder. So ist die Möglichkeit einer absichtlichen Täuschung vollkommen ausgeschlossen, während eine unabsichtliche Zeichengebung bei den mannig- faltigen, in Form iind Inhalt so eigenartigen und oft recht langen Äußerungen der Hunde über- haupt undenkbar ist. Wer sich über die ganze Streitfrage ein Ur- teil bilden will, muß eben die zugehörige Literatur studieren, in welcher die zahlreichen und ijnbe- streitbaren Beweise für die Echtheit der Äuße- rungen der Hunde enthalten sind. Wer diese Mühe scheut, mag bei den alten Vorurteilen bleiben. obigen Entgegnung. Untersuchungen stützt, die meinen Versuchen an- gepaßt sind, sondern auf die Aussagen von jungen Mädchen, deren Glaubwürdigkeit durch meine und Dr. Lotmars Versuche hinfällig geworden ist. Seine Behauptungen sind deshalb vollkommen wertlos. Auch die oben meinen Versuchs- protokollen gegenübergestellten nachträglich von Frl. Luise Moekel verfaßten Berichte über die fragliche Sitzung kann ich nur als Er- innerungstäuschungen auffassen, die entsprechend zu beurteilen sind. Wilhelm Neumann. Einzelberichte. Geophysik. Eine Reihe vulkanologischer Probleme erfahren eine neue Beleuchtung durch die von F. Loewinson- Lessing (Tschermak's Miner. u. petrogr. Mitteil. 33, 377, 191 5) anläßlich der Vorarbeiten für die zentralkaukasische Eisen- bahn durchgeführten Untersuchungen über die Vulkane und Laven des zentralen Kaukasus. Das Gebirge ist mehrmals der Schauplatz vulka- nischer Tätigkeit gewesen, zuletzt am Ende der Tertiärzeit. Diese letzte Periode ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Das Eruptions- gebiet beschränkt sich auf den Zentralteil der Hauptkette und die sog. Nebenkette. Es ist eine Eigentümlichkeit dieser vulkanischen Region, daß dem Gebirge neuere Vulkane aufgesetzt sind, die auch zum Teil nach beendeter Gebirgsbildung noch in postpliozäner Zeit tätig waren, so daß den jüngeren vulkanischen Gesteinen ein bedeu- tender Anteil an der Bildung der höchsten Teile der Kette zukommt. Aschen und Tufle fehlen in diesem Gebiet fast vollkommen, und Schlacken- kegel spielen nur eine ganz untergeordnete Rolle. Im wesentlichen treten nur Lavavulkane, Quell- kuppen und extrusive Massen auf. N. F. XVI. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Die Laven des zentralen Kaukasus gehören überwiegend zur dacitischen P^amilie im weiteren Sinne des Wortes. Es treten , ausgehend vom Dacit vier Reihen von Übergängen zu benach- barten sauren Lavatypen nach dem folgenden Schema auf: Andesitbasalte I Andesite 1 Andesitdacite Pantellerite — Pantelleritdacite — Dacite— Trachytdacite — Trachyte Liparitdacite Quarztrachyte I Liparite Von allen vier Zweigen wurden Vertreter ge- funden. Dies läßt auf ein gemeinschaftliches Magmareservoir für das ganze Gebiet schließen. Zu Beginn der Tätigkeitsperiode treten die sauersten Laven, Liparitdacite auf; dann folgt eine lange Zeit andesitdacitischer und dacitischer Eruptionen; die jüngsten Eruptionsprodukte weisen hin auf eine Neigung des Magmas basaltisch zu werden. Als Erklärung dafür wird angenommen, daß das Magma ursprünglich andesitische Zusammensetzung hatte; in der der Eruption vorangehenden Ruhe- pause ging jedoch eine Differenzierung vor sich unter Bildung einer oberen sauren und einer unteren basischen Schicht; infolgedessen mußte die Eruption mit sauren Typen beginnen und mit basischen endigen. Bei den. im zentralen Kaukasus auftretenden vulkanischen Apparaten sind zwei Haupttypen zu unterscheiden : Einmal finden wir Schlacken- und Lavakegel, die auf Lavaströmen aufsitzen und als sekundäre Bildungen, wahrscheinlich unter Mit- wirkung von Gasen entstanden, zu betrachten sind. Die andere Kategorie umfaßt morphologisch recht verschiedene Bildungen , die jedoch eine Reihe von gemeinsamen Eigenschaften haben. Alle sind kraterlose reine Lavavulkane ohne An- zeichen von Explosionen. Sie befinden sich in den höchsten Partien der Gebirgskämme. Die angelehnten Schiefer sprechen mehr oder minder deutlich dafür, daß diese Vulkane an durchbrochene und zerstörte Antiklinaldome gebunden sind. Jeder Vulkan hat sich in einer Eruptionsphase erschöpft. In der Verteilung zeigt sich keinerlei Regel- mäßigkeit, die auf Gruppierung längs einer Spalte schließen läßt, vielmehr bietet das ganze Gebiet das Bild einer auf kleinem Raum von einer Reihe unabhängiger Vulkanschlote siebartig durch- löcherten Gebirgskette. Die verschiedenen vul- kanischen Apparate scheinen durch die gemein- same Quelle ihrer Laven genetisch eng verknüpft zu sein. Der Viskositätsgrad und die Menge der letzteren sind bestimmend für den morphologischen Typus jedes einzelnen Vulkans; die sauren, vis- kosen Laven neigen zu baldiger Verstopfung des Schlotes und Bildung von Lakkolithen und ex- trusiven Massiven , die leichtflüssigen , basischen erzeugen Lavavulkane und ausgedehntere Ströme. Als Extrusion bezeichnet Verf. die Bildung solcher vulkanischer Apparate, an deren Erzeugung nicht Explosion , sondern nur Magmadruck teil- nimmt. Extrusivmassive sind demnach als zur Erdoberfläche durchgedrungene Intrusivkörper an- zusehen. Die Möglichkeit solcher Bildungen wurde in neuester Zeit durch vulkanologische Untersuchungen auf Island, den Liparischen Inseln u. a. wieder wesentlich näher gerückt — eine wenigstens teilweise Rechtfertigung der alten Theorie der ErhebungskraterLeopoldv. Buchs. — Der enge Zusammenhang der Extrusivkörper mit den übrigen vulkanischen Erscheinungen erhellt aus der folgenden systematischen Zusammen- stellung: 1. Explosive Bildungen (Maare, Schlacken- kegel usw.) 2. Lavavulkane(Schildvulkane, Spaltergüsse usw.) 3. Gemischte polygene Vulkane vom Vesuv- typus. 4. Extrusive Bildungen (Quellkuppen, Eruptions- lakkolithe usw.) 5. Intrusive Bildungen (Lakkolithe, Intrusiv- gänge usw.) Im untersuchten Gebiet des zentralen Kaukasus sind alle fünf Gruppen vertreten, hauptsächlich die zweite und vierte. Über die Ursache der Bildung von Extrusiv- massiven liegen verschiedene Meinungen vor. Bergeat nimmt Ausdehnung von Gasen an, Stübel Ausdehnung des Magmas bei der Verfestigung, G 1 a n g e a u d — für die Auvergne — Druck sinkender Schollen. Letzteres ist auch für das Kaukasusgebiet anzunehmen, das überhaupt viel Ähnlichkeit mit der Auvergne hat. Der vulkanische Prozeß ist hier offenbar nur eine passive Erscheinung; das aktive Element ist die Dislokation der Erd- kruste zur Zeit des letzten und stärksten Forma- tionsprozesses des Kaukasus. Dabei sonderte sich in der Tiefe längs der Wasserscheide ein Magma- bassin ab, dessen Inhalt an die Stellen geringsten Widerstandes, d. h. in die Antiklinalgewölbe ge- drängt wurde. Es tritt daher an diesen Regionen 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 2 zerrender Spannung eine Häufung von Intrusiv- körpern, eventuell, bei schwachen Gewölben, von Extrusivmassiven auf. Von diesem Standpunkt aus braucht auch nicht nach unsichtbaren Spalten gesucht werden, an welche die vulkanische Tätigkeit gebunden sein soll. Sichtbare Spalten sind nicht vorhanden. Verf neigt zu der Annahme, daß allgemein Masseneruptionen , seien es Lava- vulkane oder Spalteruptionen, in letzter Instanz auf Dislokationsbewegungen in benachbarten oder entfernteren Teilen der Erdkruste zurückzuführen sind. Die Last der dort sinkenden Schollen ist die erste Ursache von den in benachbarten Faltungs- und Hebungsgebieten auftretenden Eruptionen, die somit unabhängig von präexistierenden Spalten sind. Dies gilt aber nicht für Vulkane, die in Glasexplosionen oder Deckenschmelzung flach liegender Magmaherde ihren Ursprung haben. Scholich. Botanik. Ein Naturdenkmal Deutsch-Südafrikas unter britischem Schutze. Die deutsche Verwaltung unserer südwestafrikanischen Kolonie hatte vor dem Kriege eine der Charakterpflanzen der süd- afrikanischen Wüste unter ihren besonderen Schutz gestellt. Es handelt sich um Welwitschia mirabilis, eine der merkwürdigsten aller bekannten Pflanzen, die mit ihren zwei langen, bandförmigen Blättern an dem zwergartigen , kreiseiförmigen Stamme, wie F. W. Neger sich ausdrückt, eine Karikatur der stolzen Familie der Gymnospermen darstellt. Nahe der Haltestelle Welwitsch an der Windhuk- bahn war von der deutschen Verwaltung ein Gebiet, in dem die Pflanze vorkommt, eingehegt. Nach einer Mitteilung des Sekretärs der (britischen) Gesellschaft zur Förderung der Naturschutzgebiete, W. R. Ogilvie Grant (Times, 2i. IX. 1916) hat die südafrikanische Union den Schutz der Welwitschia Bainesii, wie die Engländer sie nennen (sie wird auch mit Benutzung des einheimischen Namens N'tumbo als Tumboa Bainesii bezeichnet) übernommen, das eingehegte Gebiet bleibt Schutz- gebiet für diese Pflanze, und es ist verboten, Exemplare auszugraben oder zu verkaufen. H. P. Zerstörung von Ziegelmauerwerk durch Orga- nismen. Dipl. Ing. Ludwig Reese hat in einer Dissertation: Krankheiten und Zerstörungen des Ziegelmauerwerkes (Diss. a. d. Kgl. Techn. Hochschule zu Hannover, Leipzig 1916) u. a. auch die durch Organismen hervorgerufenen Zer- störungen an Ziegelmauerwerk gewürdigt. Ist die Oberfläche des Ziegelmauerwerkes an- gegriffen, zeigen sich Risse. Sprünge oder Ab- Sprengungen an Ziegeln und Fugen, so setzen sich leicht erdige Bestandteile darin fest, und pflanzliche Organismen setzen das Werk der Zerstörung fort. Moose, Flechten und Gräser zwängen ihre Wurzeln in die Spalten und sprengen allmählich kleinere Stücke ab, bis schließlich größere Pflanzen im Mauerwerk Fuß fassen und es vernichten. Welche Kraft die Pflanzen bei ihrem Wachstum entfalten, ersieht man z. B. an dem sog. geöffneten Grab auf dem Friedhof der Gartenkirche in Hannover, wo durch eine Birke ein großer Sandsteinblock beiseite geschoben und sogar die eisernen Klammern gesprengt wurden, welche den Block hielten. Aber auch kleinere Pflanzengebilde können in entsprechender Zeit dem Mauerwerk zum Schaden gereichen. Mann kann des öfteren die Beobachtung machen, daß diejenigen Stellen des Ziegelmauerwerks, welche mit altem Moos bewachsen sind, einen poröseren Eindruck machen als unbewachsene Stellen, wobei allerdings die Frage ist, ob die Moosvegetation die Ursache oder die Folge ist, und wenn das erste zutrifft, ob das Moos selber zerstörend wirken kann. Algen ver- leihen dem Ziegelmauerwerk eine gelbliche oder grüne Färbung. Ihr Auftreten ist weniger durch die Beschaffenheit des Materials als durch dessen Färbung bedingt, denn nach Seger treten sie ausschließlich an hellgefärbten Steinflächen auf, während dunkle Stellen davon freibleiben. Auch zeigen sie sich nicht nur bei den gewöhnlichen, gelben Ziegeln mit kalkhaltiger Masse, sondern auch bei Chamottesteinen, wenn sie vor direktem Sonnenlicht geschützt und der Feuchtigkeit aus- gesetzt sind. Bei der Tatsache, daß manche Spaltpilze eine sehr geringe Größe, nämlich weniger als ^/, 000 Millimeter, besitzen und imstande sind, die Wan- dungen selbst schwachporöser, zur Filtration von Wasser dienender Gefäße zu durchwachsen, liegt die Vermutung nahe, daß auch das Ziegelmauer- werk mit seinen relativ großen Poren als Aufent- haltsort für Mikroben dienen könnte. Diese Frage ist mehrfach untersucht, erörtert und wohl end- gültig von Hesse und Emmerich entschieden worden. Zunächst steht fest, daß Zimmerluft durchweg mikrobenreicher ist als Außenluft, das Eindringen von Außenluft also die Mibrobenmenge nicht ver- größern, sondern nur herabsetzen kann. Die Versuche ergaben, daß Luftströme von so geringer Geschwindigkeit, wie sie dei der Poren- ventilation auftreten, nicht imstande sind, Bakterien durch eine Mauer zu führen, sondern sie nur gegen die Mauerfläche zu drängen vermögen, an welcher sie dann hängen bleiben. Ob sie hier untergehen oder fortleben, hängt von der Oberflächenbeschaf- fenheit der Mauer ab. Bei feuchtwarmem Zustande kann allerdings ein Wachstum und sogar ein ge- wisses Hineinwachsen der Bakterien in die Mauer eintreten, doch soll dies nach Eminerich be- langlos sein, da ein Hindurchwachsen unter der stark desinfizierenden Wirkung des Kalkhydrates, welches bei Feuchtigkeit der Mauer immer be- steht, nicht denkbar ist. Es sollen sogar Wände aus undurchlässigem Material dem Gedeihen der Mikroben günstig sein, weil an der Innenseite leicht Feuchtigkeit sich niederschlägt, die aus der Zimmer- luft sowohl Bakterien als auch Nährmittel für N. F. XVI. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 27 dieselben aufnehmen kann; ausreichend poröse Wände sind davon frei. Als Ausnahmen können allerdings im Kerne des Mauerwerkes Bakterien vorkommen, wenn z. B. bei Mauern aus großen Werkstücken nicht genügend Kalkhydrat vorhanden ist, oder wenn durch Gehalt der Mauer an ge- wissen Stoffen, wie Schwefelsäure, oder durch Zuführung von Urin der Ätzkalk neutralisiert wird. Die Möglichkeit, daß Bakterien, welche bei Her- stellung der Formlinge in den Ton gelangten, in den gebrannten Ziegeln fortleben könnten, ist ausgeschlossen, weil die Steine bei so hoher Temperatur gebrannt werden, daß ein Weiter- bestehen der Mikroben undenkbar ist. Bei der Salpeterbildung können die mit Nitro- monas bezeichneten Spaltpilze durch die Wirkung ihrer Stoffwechselprodukte nachteilig auf Ziegel und Mörtel einwirken, doch wird ihr Einfluß sich hauptsächlich auf der Oberfläche des Mauerwerks bemerkbar machen. Von den sog. Trockenfäulepilzen ist ein Eindringen der Mycelfäden in das Ziegelmauerwerk wegen ihrer Dicke und Kürze nicht zu befürchten. Anders verhält es sich dagegen mit dem echten Hausschwamm (Merulius lacrymans). Sein Mycel vermag vom Holz auf das Mauerwerk überzugreifen, denn die Mycelfäden des Hausschwammes sind so dünn und werden lang, daß sie durch die Poren in das Ziegelmauerwerk eindringen können. Nahrung findet er dort zwar nicht, da im Mauerwerk kein Kohlenstoff vorhanden ist. Bei der Holzreparatur kommt es leicht zu einem Wiederauftreten des Hausschwammes, weil das neue Holz von dem im Mauerwerk sitzenden Myrel angesteckt wird. Bei Schwammreparaturen muß also auf diesen Umstand Rücksicht genommen werden. An feuchten Wänden zeigen sich häufig weiß- graue, watteartige Schimmelwucherungen, die ihr Wachstum meist dem verderbenden Tapetenkleister verdanken. Bei Beseitigung der F'euchtigkeit ver- schwinden sie regelmäßig. Es sei jedoch darauf aufmerksam gemacht, daß manche Salzauswitte- rungen sehr häufig das Aussehen von Schimmel- pilzen haben und ebenfalls weißgrau, haarähnlich oder watteartig das Mauerwerk bedecken, so daß man sich leicht täuschen kann. Dr. Aulmann. Zoologie. Der periodische Reorganisations- prozeß bei Infusorien. Als „Endomixis" haben Woodru ff und Erdmann vor zwei Jahren einen Vorgang beschrieben, der bei Paramaecium aurelia periodisch wiederkehrt und in einer vollständigen Erneuerung des Kernapparates dieses Infusors be- steht. Der ganze Reorganisaiionsprozeß erinnert sehr an die Vorgänge bei der Konjugation, jedoch findet er in einer einzigen Zelle statt, es erfolgt keine Zellverschmelzung, es unterbleibt somit auch die Amphimixis. Von verschiedenen Seiten ist der Prozeß als „Parthenogenese" bezeichnet worden — im Gegensatz zu Woodruff und Erdmann freilich, die diese Bezeichnung ab- lehnen — , und in der Tat dürfte es sich auch im wesentlichen um die gleiche Erscheinung handeln wie bei der parthenogenetischen Fortpflanzung der Metazoen. Die Ergebnisse der Untersuchungen Woodruffs und Erdmann's an Paramaecium aurelia, die für unsere theoretischen Vorstellungen von den Potenzen einer Protozoenzelle und von der Unsterblichkeit der Einzelligen von der größten Wichtigkeit sind, wurden im vorigen Jahrgange dieser Zeitschrift bereits eingehend besprochen i). Erdmann und Woodruff haben ihre Unter- suchungen nunmehr auch auf Paramaecium cau- datum ausgedehnt und konnten hier den gleichen Reorganisationsprozeß konstatieren. -) Sodann teilt Rhoda Erdmann mit, daß Calkins bei Didi- nium nasutum die gleiche Erscheinung gefunden hat, und so dürfen wir wohl annehmen, daß die „Endomixis'- ein bei den Infusorien periodisch sich wiederholender Prozeß ist, ja wir können vermuten, daß sich auch bei anderen Protisten (Amöben z. B.) ähnliche bzw. gleichwertige Vor- gänge werden nachweisen lassen. Der Nachweis des Reorganisationsprozesses bei Paramaecium caudatum war mit wesentlich größeren Schwierigkeiten verbunden als bei P. aurelia. Zunächst einmal ist die Zucht von P. caudatum nicht leicht. Im hohlgeschliffenen Objektträger halten sich die Kulturen nur be- schränkte Zeit. Man muß die Tiere in einem etwas größeren Volumen Nährflüssigkeit, in ganz kleinen Tuben, züchten, um sie dauernd lebens- fähig erhalten zu können. Die Vergrößerung des Kulturmediums erschwert aber natürlich die stän- dige Kontrolle der Kulturen. t>schwerend für die Untersuchung ist auch, daß der Reorgani- sationsprozeß bei P. caudatum in größeren Zwischen- räumen erfolgt als bei P. aurelia und schneller abläuft als bei dieser Spezies. Während bei P. aurelia nach 40 — 50 Generationen, d. h. nach etwa 25 — 30 Tagen, der Kernapparat erneuert wird, findet bei P. caudatum erst nach Sb — lOO Generationen, d. h. nach 50—60 Tagen, eine Re- organisation statt. Die Sterblichkeit ist während des Höhepunktes des Prozesses (Tiefstand der Teilungsratc) bei P. caudatum im Gegensatz zu aurelia sehr groß. Die Reorganisation selbst verläuft in ihren wesentlichen Zügen bei beiden Spezies in gleicher Weise , jedoch ähneln die einzelnen Stadien bei P. caudatum noch mehr den entsprechenden Stadien der Konjugation bei der gleichen Spezies. Da P. caudatum nur einen Mikronukleus besitzt — P. aurelia hat zwei, und dies ist das wichtigste Unterscheidungsmerkmal der beiden Spezies — , ') Sielie H. N a c h t s h e i ni , Parthenogenese bei Infusorien. Naturw. Wochenschr., N. F. 14. Bd., 1915. 2) Rhoda Erdmann, Endomixis und ihre Bedeutung für die Infusorienzelle. Sitzungsber. d. Ges. naturforschender Freunde, Berlin, Jahrg. 19 15. Rhoda E r d m a n n and L. L.Woodruff. The perio- dic rcorganization process in Paramaecium caudatum. Journ. of experim. Zool., Vol. 20, 1916. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. sind die Verhältnisse hier etwas übersichtlicher. Während der Makronukleus zu degenerieren be- ginnt, macht der IVlikronukleus die sogenannten Reifungsteilungen durch, die aber, wie wir an- nehmen müssen, beide Aquationsteilungen sind und also nicht zu einer Reduktion der Chromo- somenzahl führen. Von den vier Mikronukleis, die durch die beiden Teilungen entstehen, gehen drei zugrunde, der vierte liefert das gesamte Kern- material der reorganisierten Zelle. Durch drei- fache Teilung werden zunächst acht neue Mikro- nuklei gebildet, von denen vier sich in Makro- nuklei umwandeln. Damit besitzt die Zelle die Kernapparate für vier Individuen. Indem nun bei den nächsten Zellteilungen noch keine Kern- teilungen erfolgen und die Kernapparate auf die Tochter- und Enkelindividuen verteilt werden, wird der Reorganisationsprozeß beschlossen. Er- wähnt sei noch, daß die Degeneration des Makro- nukleus bei P. caudatum auf verschiedene Weise vor sich gehen kann. Entweder wird wie bei P. aurelia das Chromatin in einzelnen Brocken ausgestoßen, bis schließlich die leere Makronukleus- hülle übrig bleibt, während die Zelle mit zahl- reichen Chromatinbrocken erfüllt ist. Der Zerfall kann aber auch ähnlich vor sich gehen wie bei der Konjugation von P. caudatum, bei der er mit einer Zerstückelung des IVlakronukleus in größere Teile beginnt. Das Endergebnis ist hier wie dort das gleiche: vollkommene Auflösung des alten Makronukleus. Er d m a n n und Woodruff wenden sich auch neuerdings wieder gegen die Bezeichnung des Prozesses als Parthenogenese. Ihre Einwände sind die gleichen geblieben, ohne aber an Überzeugungs- kraft gewonnen zu haben (vgl. die Besprechung ihrer ersten Untersuchung an dieser Stelle). Es ist aus verschiedenen Gründen unwahrscheinlich, daß die bei der Konjugation von Paramaecium erfolgende dritte Teilung, welche zur Bildung von Wand^rkern und Stationärkern führt, eine Reduk- tionsteilung ist, für Didinium, bei dem ja nach den Mitteilungen Rh. Er d mann 's der Reorgani- sationsprozeß ebenfalls bereits festgestellt ist, ist es durch die Untersuchungen Prandtl's sogar erwiesen, daß die dritte Teilung eine Äquations- teilung ist. Doch selbst wenn sie es nicht wäre, so wäre es verfehlt, den „gereiften" Paramaecium- Zellen den Charakter von Gameten abzusprechen, denkt man doch auch bei Metazoen nicht daran, ein Ei, das sich parthenogenetisch entwickelt und nur eine Äquationsteilung durchmacht, nicht als solches zu bezeichnen. Die Bezeichnung des Re- organisationsprozesses als „Parthenogenese" halte ich deshalb nicht nur für berechtigt sondern für wesentlich besser als das von Woodruff und Erdmann neu geprägte Wort „Endomixis". Hinsichtlich der Bedeutung der Untersuchungen Erdmann's und Woodruffs für das Problem der Unsterblichkeit der Einzelligen ist zu be- merken, daß die Verfasser in ihrer neuen Arbeit ähnliche Betrachtungen anstellen, wie ich es be- reits bei Besprechung ihrer ersten Arbeit getan habe. Durch seine früheren Untersuchungen hatte Woodruff gezeigt, daß man Paramäcien tausende von Generationen jahrelang züchten kann, ohne daß Konjugation erfolgt. Woodruff hatte dar- aus mit Recht den Schluß gezogen, daß sich eine Paramäcium-Zelle rein vegetativ bis ins Unbe- grenzte zu teilen vermag, ohne daß ihre Lebens- fähigkeit im Laufe der Zeit eine Einbuße erleidet. Gerade diese Untersuchungen W o o d r u f f 's waren es, die die Weisman n'sche Theorie von der Unsterblichkeit der Einzelligen neu belebten. Heute aber sieht das Bild wesentlich anders aus. Die neuen Untersuchungen Woodruffs und Erdmann's haben zu dem Resultat geführt, daß in den scheinbar rein vegetativ sich fortpflanzen- den Paramäcien- Rassen in bestimmten Perioden Vorgänge geschlechtlicher Art sich abspielen, die zu einer vollkommenen Reorganisation der Zelle führen. Es wäre nichts anderes als ein Jonglieren mit Worten, wollte man da noch im naturwissen- schaftlichen Sinne von „Unsterblichkeit" sprechen. „Es gibt gewiß", sagt Rhoda Erdmann, „eine Sterblichkeit bei Protozoen. Sterblich ist der alte oder die alten Mikronuklei, der alte Makro- nukleus und der Zellinhalt selbst. Aus der all- gemeinen Zellzerstörung bleibt nur ein Teil- produkt des alten Mikronukleus übrig, der aber sicher kein altes sondern umgeordnetes neues Chromatinmaterial besitzt. Die Unsterb- lichkeit der Protozoenrasse wird vorgetäuscht, weil für unser Auge eine Unsterblichkeit der Form vorhanden ist; wir können den Molekültod ja nicht bewachen, nur den Individualtod und den Rassentod. Da die Unsterblichkeit der Form sich nicht experimentell fassen läßt, so gehören Unter- suchungen über sie nicht in das Bereich der exakten Naturwissenschaft; mit dieser Frage, der Unsterblichkeit der Form bei einzelligen Lebe- wesen, hat sich die Philosophie zu befassen." Nachtsheim. Über Eiablage und Paarung von Tagfaltern in der Gefangenschaft berichtet Dr. med. E. Fischer (Zürich) in der Societas entomologica (31. Jahrg., 1916, Nr. 12). Während die Nachtfalter, vor- nehmlich die Spinner, dann aber auch die Spanner, Eulen und Schwärmer, in der Gefangenschaft leicht zur Paarung schreiten und ihre Eier auch oft ohne vorhergegangene Kopulation ablegen, galt es lange Zeit als sehr schwierig, bei Tag- faltern — vielleicht mit der einzigen Ausnahme des Apollofalters [Paniassfiis Apollo L.) — im Zuchtkasten Paarung und Eiablage zu erzielen. Um dies zu erreichen, griff man früher zu aller- hand künstlichen Mitteln, wie Berauschung und Betäubung der Falter, und erzielte damit in seltenen Fällen auch Erfolge. Dr. Fischer hat nun seit 1907, wie vor ihm schon manche anderen Entomologen, den Versuch gemacht, eine Reihe von Tagfalterarten unter natürlichen Bedingungen N. F. XVI. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 29 zur Eiablage zu bewegen. Er hat seine Versuche mit dem kleinen Perlmutterfalter {Argyiiiiis lathoiiia L.) begonnen und sie nach den dabei gewonnenen günstigen Ergebnissen mit anderen Tagfaltern, wie mit dem Schwalbenschwanz [Papilio iiiacliaoii L.) und dem großen Kohl- weißling [Picris brassicac L.) fortgesetzt. Überall gelang dem Verfasser seine Absicht, sofern die Ealter nur in einem größeren Einmachglas oder in einem Raupenzuchtkasten mit Stoffüberzug oder unter feiner weicher Gaze auf die Nahrungs- pflanzen ihrer Raupen verbracht wurden. — Viel schwieriger als die Eiabgabe ist bei den Tag- faltern die Paarung in der Gefangenschaft zu er- reichen. Die Geschlechter werden nach den Er- fahrungen des Verfassers nur dann zur Kopulation schreiten, wenn „man sie zu allererst mit Hilfe von Süßigkeiten zähmt und zutraulich macht". Sind die F'alter nicht mehr scheu, dann wird es mit wenigen Ausnahmen gelingen, sie m Paarung treten zu lassen, wie F"ischer das bei 28 ver- schiedenen Tagfalterarten in über 150 Einzelfällen beobachten konnte. Es seien nur wenige Arten hier noch genannt, bei denen die Paarung im Zuchtkasten glückte : beim Rübsaatweißling (Picris iiapi L.j, beim Resedafalter [P. Daplicidc L.j, beim Kiemen Fuchs y J '^a/wssu iirfkac L.), beim Silber- strich i^Argyiiiiis Papliia L.). Bei einer der zu den Versuchen herangezogenen Argyiinis - Arten, bei Argyniiis valcsiiia, konnten aut diese Weise sogar 5 Inzuchtgenerationen erzielt werden. H. W. F"rickhiiiger. Meteorologie : Über den täglichen Gang der Windgeschwindigkeit in höheren Luftschichten geben die von R. bpitaler (Meteorol. Zeitschr. 1916, S. 337) in den Jahren 1904 bis 1910 auf dem Donnersberg in Böhmen in 857 m Höhe ge- machten Messungen wichtige neue Aufschlüsse. Im Gesamtmiitel zeigen die Beobachtungen für den Verlauf der Windgeschwindigkeit, wie aul anderen Berggipfeln, eine tägliche Periode mit einem IVliiiimum am Tage und einem IVlaximum bei Nacht. Die Amplitude ist in der warmen Jahreszeit doppelt so groß wie in der kalten, in der größere Windstärken vorherrschend sind. Das Bild ändert sich jedoch, sobald die Tage mit stürmischem Wind, d. h. mit einem Tagesmittel von mindestens 50 km pro Stunde, für sich be- trachtet werden. Hier zeigt der tägliche Gang unerwarietervveise eine ausgesprochene Doppel- periode, je ein Minimum um Mittag und Mitternacht und je ein Maximum am Vor- und Nachmittag. Die harmonische Analyse ergibt nun, daß auch bei den Winden mit normaler Geschwindigkeit die Doppelwelle vorhanden ist. Sie wird jedoch überlagert von einer stärkeren, der oben erwähnten, einfachen Welle. Diese beherrscht bei schwachen Winden das Bild vollkommen, indes ist auch hier die Doppelperiode nachweisbar, allerdings mit einer wohl infolge der Reibung sehr kleinen Amplitude. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Sturmtagen mit einem Tagesmittel von mindestens 75 km pro Stunde. Auch hier wird die Doppelwelle durch eine sehr stark ausgeprägte einfache zurückgedrängt. Diese hat aber einen ganz anderen Charakter als die früher genannte. Hier tritt nämlich das Maxi- mum bei Tage und das Minimum bei Nacht auf. Dies ist nun der charakteristische Verlauf für die Windgeschwindigkeit in den im Tiefland unmittel- bar auf dem Boden lagernden Luftschichten. Die Einwirkung der letzteren erstreckt sich also an solchen Sturmtagen bis in Höhen, die normaler- weise vollständig außerhalb ihres Machtbereichs liegen. Wie im vorstehenden dargetan, zeigt der tägliche Gang der Windgeschwindigkeit in jedem F'alle die Einwirkung zweier selbständiger Phä- nomene, die sich in Form von zwei verschiedenen übereinandergelagerten Wellengängen äußern. Der eine mit nur einem Minimum und einem Maxi- mum im Laufe von 24 Stunden stellt nach der EpsyKöppen 'sehen Theorie die Wirkung der Konvektionströme dar. Der andere mit zwei Perioden am Tage läuft nahezu synchron mit der täglichen Schwankung des Luftdruckes und ist offenbar durch diesen bedingt. Das Vorhanden- sein einer solchen Wirkung wurde schon früher von H a n n erwiesen. Scholich. Chemie. Ein neues Präzisionsverfahren zur Herstellung genau dimensionierter Glasrohre ist von Karl Küppers in Aachen ausgearbeitet worden und wird von Lambris in der Zeitschr. f. angew. Chemie, Jahrg. 1916, Bd. I, S. 382 — 383 kurz beschrieben. Glasröhren werden bis jetzt bekanntlich durch Ziehen einer glühenden , hohlen Glasmasse her- gestellt und besitzen daher einen in der Länge wechselnden Querschnitt : sie sind schwach konisch ausgebildet. Es haben daher gleiche Längen- abschnitte der Röhren verschiedene Volumina, und darum müssen alle aus Glasröhren hergestellten Meßgefäße einer besonderen, verhältnismäßig kost- spieligen Eichung unterzogen und Rohre, die, etwa damit sich ein Kolben dicht anschließend in ihnen bewegen kann, streng zylindrisch sein müssen, nachträglich mit großer Sorgfalt ausgeschliffen werden, ebenfalls ein teurer Prozeß. Hier schlägt nun Küppers ganz neue Bahnen ein. Sein Verfahren ist kurz folgendes: In das nach dem üblichen Verfahren hergestellte rohe Glasrohr wird ein sorgfältig gearbeiteter F"ormkern von dem gewünschten Querschnitt und den ge- wünschten Dimensionen geschoben, das Rohr evakuiert, an beiden Enden luftdicht verschlossen -und nun in geeigneter Weise von außen her bis zum Erweichen erhitzt, so daß das erweichte Glas von dem äußeren Luftdruck auf den Form- kern niedergepreßt wird und genau dessen Form annimmt. Man kann so Rohre von beliebigem, runden, ovalen, dreieckigen, viereckigen Querschnitt, von genau zylindrischem oder beliebig konischem 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 2 Verlauf herstellen. Die so hergestellten Rohre sind, wie Versuche ergeben haben, absolut genau dimensioniert, so daß sich ihre nachträgliche Eichung oder sonstige Bearbeitung erübrigt, ja es können sogar, indem die Formkerne mit geeigneten Skalen versehen werden, die Rohre direkt fertig skaliert erhalten werden. Das Kupp er 'sehe Verfahren dürfte eine sehr große technische Bedeutung gewinnen. Mg. Physik. MitdenStromschwankungeninVakuum- röhren beschäftigt sich eine Arbeit von Elster und Geitel (Physikal. Zeitschr. XVII, 268, 1916). Zur Untersuchung der Erscheinung wird als licht- elektrische Zelle eine kugelförmige Glasröhre ver- wendet, die im Innern mit einem kalottenförmigen Silberüberzug versehen ist, auf dem ein Alkali- metall in dünner Schicht niedergeschlagen ist. Das Metall ist leitend mit dem negativen Pol einer Akkumulatorenbatterie von 166 Zellen ver- bunden, deren positiver Pol an der Erde liegt. Durch Abschalten eines Teiles der Akkumulatoren kann die Spannung verändert werden. Als Anode dient ein Platindraht, der mit einem Einfaden- elektrometer verbunden ist. Verschließt man die Zelle vollkommen lichtdicht und steigert nun die Spannung bis zu einem Wert, der nahe unter dem liegt, bei welchem eine kontinuierliche leuchtende Entladung durch die mit Argon von 0,1 bis 0,5 mm Druck gefüllte Röhre hindurch- geht, dann zeigt sich, daß das Elektrometer ruckv^eise Sprünge macht, ein Zeichen, daß Stromstöße durch die Zelle gehen. Diese spon- tanen Stromschwankungen treten besonders auf, wenn die Zelle Kalium oder Rubidium enthält. Doch kann die Aktivität dieser Metalle nicht die Erscheinung erklären, da sie auch bei Natrium, das inaktiv ist, auftritt. Ja die Stromstöße zeigen sich in jeder Entladungsrohre. Das Entladungs- potential einer solchen mit Silberelektroden liegt bei 550 Volt; nachdem die Glimmentladung eine Zeitlang hindurchgegangen ist, ist es auf rund 100 Volt gesunken. Wird die Spannung jetzt dicht unter diesem Wert gehalten, so treten im Dunkeln Schwankungen auf. Die Tatsache , daß die Röhre jetzt gegen Tageslicht eine größere lichtelektrische Empfindlichkeit zeigt, legt die Vermutung nahe, daß durch die Glimmentladung aus natrium^haltigem Staub Spuren von Alkali- metallen auf den Elektroden niedergeschlagen sind. Die Bestätigung liefert folgender Versuch: Läßt man auf einer Elektrode ein wenig sehr verdünnter Kochsalzlösung verdunsten, so scheidet sich das Salz (etwa i mg) auf der Elektrode ab; so lange keine Glimmentladung durch diese Röhre hindurchgegangen ist, zeigt sie hohes Entladungspotential und geringe lichtelektrische Empfindlichkeit; beides ändert sich nach Durch- gang der Entladung. Die Zersetzung des Salzes wird durch thermische Dissoziation oder durch die Wirkung der Kathodenstrahlen hervorgerufen. Auf jeden Fall sind also die Strom- schwankungen, wie sie an Röhren in der Nähe des Entladungspotentials beobachtet werden, auf freies Alkali- metall zurückzuführen. Wie sich die Elektronenemission desselben bei Abwesenheit von Licht erklärt, darüber kann man nur Ver- mutungen äußern: Da die Alkalimetalle auch bei Bestrahlung mit rotem und ultrarotem Licht lichtelektrisch wirksam sind, ist es vielleicht die Gleichgewichtsstrahlung zwischen Röhre und der sie umgebenden, als Lichischutz dienenden Wandung, vielleicht eine Phosphor Cisenzstrahlung der Wandung oder auch die durchdringende /-Strahlung, die allgemein in der Atmosphäre besteht. Durch Licht wird die Stromstärke in der Röhre vermehrt und war auch für ganz schwaches Licht proportional der Beleuchtungs- stärke, so daß man mittels einer solchen Röhre die geringsten Beleuchtungsstärken ermitteln kann. Die untere Grenze, die man noch messen kann, beträgt für blaues Licht 3 lO"?, für gelbrotes 2-io~7 Erg pro cm^ u. sec. — Es sei bemerkt, daß die geringste mit unserem Auge wahrnehm- bare Lichtmenge 1,36-10^9 Erg pro Sek. = 360 Planck 'sehen Quanten in der sec. beträgt. K. Seh. Bücherbesprechungen. Müller, Dr. Aloys, Theorie der Gezeiten- kräfte. Sammlung Vieweg. Heft 35, 81 S., 17 Fig. Braunschweig 1916. — Preis brosch. 2,80 M. Die mannigfache Art der Darstellung und Er- klärung der Gezeiten in den verschiedenen Lehr- büchern ist nach dem Vei fasser teils unvollständig, teils irreführend, so daß er sich die dankenswerte Aufgabe macht , unter Anwendung nur elemen- tarer mathematischer Darstellung die Erörterung über den Ursprung des Kraftfeldes, dem die Tiden ihre Form verdanken, in endgültiger Weise zum Abschluß zu bringen. Er unterscheidet zwischen primären und sekundären Ursachen, und findet erstere in der Translationsbewegung der Erde um die Systemachse, und in der Abhängigkeit der Gravitation von den Koordinaten. Dies wird ein- gehend bewiesen, während die Aufzählung der 10 sekundären Ursachen ohne weiteres als richtig einleuchtet. Besondere Sorgfalt widmet der Ver- fasser noch der Zentrifugalkraft und ihren Be- ziehungen zu den fluterzeugenden Beschleunigungen. Für Leser mit historischen und kosmologischen Interessen ist der Schluß wertvoll, der zeigt, N. F. XVI. Nr. 2 Naturwissenschaftliche VVocliensclirift. wie Galilei sich bemühte, die Gezeiten als Beweis der Richtigkeit des kopernikanischen Systems auszunutzen, und wie dieser Beweis in Wahrheit zu führen ist. So wird das Büchlein hoffentlich dazu beitragen, die oft unmöglichen Darstellungen in populären Werken zum Ver- schwinden zu bringen. Und das wäre auch ein großes Verdienst. Riem. Das Land Goethes 1914 — 1916, ein vater- ländisches Gedenkbuch. Herausgegeben vom Berliner Goeihebund. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart und Berhn. In dem die hntwicklungsmechanik behandelnden Abschnitt führt der Begründer dieser Wissenschalt, Prof. Dr. Wilhelm Roux (Halle a. S.j aus, welches Ziel man in diesem VN'issenszweig an- strebe und was in demselben bereits geleistet wurde. „Die Enlwicklungsmechanik sucht die Faktoren- kombinationen des organischen Gestaltungsge- scheliens, sowie deren Wirkungsweisen zu er- mitteln". Wenn auch das Ziel der hntwicklungs- mechanik ein theoretisches ist, so sind doch manche ihrer Ergebnisse von hohem Wert lür die arztliche Praxis und die iintwicklungsmechanik revanchiert sich so lür Anregungen, die sie der Chirurgie und der Pathologie verdankt. „In der kurzen Zeit von kaum mehr als 3 Dezennien hat uns die hntwicklungsmechanik viel Ungeahntes und manclies geradezu lür unmöglich Geliakene an Einsicht und Können gewahrt". Im Jahre 1685 gelang es Roux naclizu weisen, daü es möglich ist, im runden Ki durch willkürliche Wahl der Befruchtungsrichtung, die Richtung des künf- tigen Embryo zu bestimmen. Er fand nämlich, daß die von der Samenzelle durchlaufene Hallte des Eies eine derartige Veränderung des Dotiers erlahri, daß sie steis zur Schwanzhallte wird, während die andere Eihallte die Kupt hallte des Embryo entstehen läßt. Der Deutschamerikaner J. Loeb, der Franzose Bataillon, der Belgier Ch. Brächet u. a. zeigten, daß auch bei den Wirbeltieren die Entwicklung ohne Befruchtung durch eine Samenzelle, „künstliche Parthenogenesis", möglich ist. Es gelang terner der Nachweis, daß aus einer linken oder rechten Hälfte des Embryo durch nachträgliche Regeneration, „Postgeneration", ein Oanzembryo entstehen kann, wahrend sich andererseits zwei Eier vereinigen lassen, so daß ein Riesenlebewesen entsteht. Auf dem Wege der Regeneration ist es gelungen, Doppel- und Mehrfachbildungen hervorzubringen, also Wesen mit Zwei, ja drei Köpfen, mit mehreren Schwänzen und überzähligen Gliedmaßen. Viel Neues ver- dankt die Biologie der sog. „Explantation" oder „in vitroKultiir". Es werden dabei dem Organismus lebend entnommene Teile in geeignete Flüssig- keiten übertragen, in denen ihnen das Weiterleben und uns die Beobachtung der während desselben eintretenden Veränderungen möglich ist. So gelang zuerst im Jahre 1S84 Roux die künst- liche Bildung einer Rautengrube am ausge- schnittenen Rückenmark eines Hühnerembryos. Die Präge nach der Entstehung der Nervenfasern fand ihre Beantwortung, als man den Achsen- zylinder aus isolierten embryonalen Nervenzellen herauswachsen sah. Das embryonale Herz und die gesamten Eingeweide des erwachsenen Tieres wurden wochen-, ja monatelang lebend und tätig erhalten ; es wurde so möglich, Einsicht in ihre Selbstregulation zu bekommen, d. h. zu erfahren, wozu sie aus sich heraus befähigt sind, während sie im Körper der gestaltenden Regulation seitens anderer Organe unterliegen. Die praktische Bedeutung der Entwicklungs- mechanik bewies bald die 1 ransplantation , d. h. die Übertragung, Einheilung und Entwicklung ganzer Organe bei Tieren. Dem Chirurgen ge- lang die Transplantation der Harnblase, der Milz, der Gelenke usw. auch beim JVlenschen. Die Überpflanzung von Teilen der Schilddrüse von der Mutter auf das Kind bewahrte dies vor Ver- blödung; die gleichfalls gelungene Vertauschung der Keimdrüsen bei verschiedengeschlechtlichen Individuen einer Tierart und anderes erötfnet weite Perspektiven in die fernere Gestaltung der von der Entwicklungsmechanik zu erwartenden Beeinflussung der Lebewesen einschließlich des Menschen. Katharmer. Schaxel, J., Über den Mechanismus der Vererbung. 31 Seiten. Jena 1916, Verlag von Gustav Fischer. — Preis geh. 0,75 M. Erblichkeit bedeutet Anwesenheit gleicher genotypischer Elemente, Gene, in Nachkommen und Vorlahren, sagi Johannsen. Ist aber, so tragt Schaxel, mit der Annahme genoiypischer Gleich- heit als Ursache der Gleichheit von Aszendenz und Deszendenz ein Einblick in die Geschehens- weisen gewonnen, welche die Herstellung ähn- licher, voneinander abstammender Personen be- wirken ? Die P rage müssen wir verneinen. Die Erbformel beschrankt sich auf statistische Angaben, sagt aber über den Vererbungs- mechanismus nichts aus. Diese Un Vollkommen- heit, die in der bloßen Registrierung der Erblich- keitsverhältnisse liegt, wird von den bedeutendsten Vertretern der Erblichkeitsforschung anerkannt. Nach Johannsen bedart der Mendelismus eines morphologischen Korrektivs, um die Re- aktionen während der Oinogenie zu verstehen. „Und dieses Korrektiv", so fahrt er fort, „dürfte besonders von der experimentellen Embryologie, der sogenannten „Entwicklungsmechanik", zu er- • warten und zu erwünschen sein, im geringeren Grade wohl auch von der Zellforschung." Schaxel beabsichtigt, in seinem Vortrage dieses morphologische Korrektiv, das den Mendelismus vertiefen soll, in seinen Grundlinien anzudeuten und zu zeigen, wie die Entwicklungsmechanik die Johannsen' sehe Forderung zu erlüllen vermöchte. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 2 Vom enlwicklungsmechanischen Standpunkte aus ist das Vererbungsproblem eine Teilfrage des allgemeinen D e t e r m in a t io n s - Problems, dessen Lösung durch eine genaue Durchforschung der Ontogenesis gesucht wird. Kennen wir erst einmal die Entwicklungsfaktoren einer Ontogenesis, so sind uns damit auch die aller Generationen der gleichen Art bekannt, so- lange sie sich gleich bleiben. Die Domäne der registrierenden Erblichkeitsforschung sind die Bildungen der letzten Phase der Ontogenesis, die Dauerstrukturen. Bei Betrachtung des Ver- erbungsproblems vom entwicklungsmechanischen Standpunkte werden auch die der h ist o gene- tischen Differenzierung vorausgehenden Phasen, Organanlagenformierung und Furchung, in den Kreis der Erörterungen ge- zogen. Während in der letzten Phase der Onto- genesis mütterliche und väterliche Anteile in gleichem Maße zur Geltung kommen, werden Furchung und Bildung der Organanlagen nach Schaxel ganz von mütterlichen Faktoren be- herrscht. Diese Feststellung führt Schaxel zu einer von der bisherigen Anschauung abweichenden Auffassung der determinativen Bedeutung der Zygotenbestandteile. O. Hertwig hat diese Be- deutung in den Worten zum Ausdruck gebracht — und damit gibt er die Ansicht wohl der meisten Biotheoretiker wieder — : „Es ist ein als Wahrheit sich von selbst aufdrängender und daher gleichsam als Axiom verwertbarer Gedanke, daß Ei- und Samenzelle zwei einander entsprechende Einheiten sind, von denen eine jede mit allen erblichen Eigenschaften der Art ausgestattet ist und jede daher gleich viel Erbmasse dem Kind überliefert. Das Kind ist im allgemeinen ein Mischprodukt seiner beiden Eltern; es empfängt von Vater und Mutter gleiche Mengen von Teil- chen, welche Träger der vererbbaren Eigenschaften sind (Bioblasten)." Schaxel widerspricht dem. Zwar ist auch er von der überragenden Rolle des Chrorftatins im Zellenleben überzeugt und verwirft die Meves'sche Hypothese, nach der die Piaslosomen Vererbungssubstanzen des Zyto- plasmas darstellen. Gleichwohl erkennt er dem Ei eine größere Bedeutung für die zellulare Determination zu als dem Spermium. Einen wichtigen Tatsachenkomplex, der „der Genotypus- lehre ungelegen sein muß", führt Schaxel für die Richtigkeit seiner Ansicht ins Feld, die Ver- schiedenheit reziproker Bastarde nämlich. Bei der Annahme gleichmäßiger Determination der ver- einigten Gameten in der Ontogenesis fehlt für diese Erscheinung eine Erklärung. Macht aber der elterliche Determinationskomplex zunächst — eben während der Furchung und der Bildung der Organanlagen — eine mütterliche Vorentwicklung durch, so ist das verschiedene Verhalten der re- ziproken Bastarde ohne weiteres verständlich. Auch O. Hertwig gibt zu, daß die Richtungen der ersten Teilungen, die Größe und die Be- schaffenheit der Embryonalzellen und die Form des Embryos in den Anfangsstadien seiner Ent- wicklung durch „Form und stoffliche Differen- zierung der Eizelle" bedingt sind, betrachtet diese Bestimmungen aber als ,, untergeordnete Faktoren des Entwicklungsprozesses". Schaxel erhebt demgegenüber die P'orderung, „die Erforschung der offenkundigen Verschiedenheit der Eltern- anteile am Anfang des Kindes nicht durch theore- tische Postulate zu verschleiern, sondern sie zu einer Aufgabe der Entwicklungsmechanik zu machen". Ohne hier in eine Diskussion der P'rage eintreten zu wollen, ob es zweckmäßig oder gar notwendig ist, den H er t wig 'sehen Satz von der Äquivalenz von Ei- und Samenzelle aufzu- geben, sei soviel bemerkt, daß jedenfalls die von Schaxel der Entwicklungsmechanik gewiesenen Wege zur Lösung des Vererbungsproblems uns sehr aussichtsreich und vielversprechend erscheinen, und es sei der Wunsch ausgesprochen, daß, wie in den letzten Jahren der moderne Mendelismus und die Zytologie zu ihrer beider Vorteil mehr und mehr Hand in Hand zu arbeiten begonnen haben, so auch die Entwicklungsmechanik in der Vererbungsforschung den ihr gebührenden Platz einnehme. Ansätze dazu sind übrigens bereits gemacht. Nachtsheim. Literatur. Freundlich, E., Die Grundlagen der Eins t ein 'sehen Gravitationslheorie. Mit einem Vorwort von A. Einstein. Berlin 'l6, J. Springer. — 2,40 M. Dolder, J., Die Fortpflanzung des Lichtes in bewegten Systemen. Mit 9 Figuren. Lorentz, H. A, The Iheory of electrons and its appli- cations to the phenomena of light and radiant heat. A course of Icctures dclivered in Columbia University, New York, in March and April 1906. 2. Edition. Leipzig '16, B.G. Teubner. — 9 M. Inhalt: Carl Schoy, Eine merkwürdige N und buchstabierende Hunde. S. 20. \V belichte: F. Loewinson-Lessing, Naturdenkmal Deutsch-Südafrikas heinung im Jordantal, 3 Abb. S. 17. H. E. Ziegler, Über denkende heim Neumann, Bemerkungen zu der Entgegnung. S. 24. — Einzel- Vulkane und Laven des zentralen Kaukasus. S. 24. C> g i 1 v i e G ra n t , Ein britischem Schutze. S. 26. Ludwig Reese, Zerstörung von Ziegelmauerwerk S. 27. durch Organismen. S. 26. Woodruff und Erdmann, Der periodische Reorganisationsprozeß bei Infus E. Fischer, Über Eiablage und Paarung von Tagfaltern in der Gefangenschaft. S. 28. R. Spitaler, Über den täglichen Gang der Windgeschwindigkeit in höheren Luftschichten. S. 29. Karl Küppers, Ein neues Präzisionsver- fahren zur Herstellung genau dimensionierter Glasrohre. S. 29. Elster und Gcitel, Stromschwankungen in Vakuum- röhren. S. 30. — Bücherbesprechungen: Aloys Müller, Theorie der Gezeitenkräfte. S. 30. Das Land Goethes 1914— 1916, ein vaterländisches Gedenkbuch. S. 31. J. Scha.'iel, Über den Mechanismus der Vererbung. S. 31. — Literatur: Liste. S. 32. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, '. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Na valide aße 42, erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 21. Januar 1917. Nummer 3. Zur Kenntnis der Genera Typhlonectes Peters der Gymnophiona (Amphibia apoda). Iilewski, Berlin-Wilmersdorf. Mit I Abbildung. I. All :e mein es. Die merkwürdige Ordnung der Gyinnophioiia {Aiuphihia apoda) hat von jeher das größte Interesse der Naturforscher erregt. Sie umfaßt wurmartig gestaltete, fußlose Amphibien mit ceylonesischen Blindwühle gewidmet ist, führen Paul und Fritz Sarasin in die überwältigende Natur und Vegetation im Zentrum Ceylons. „Nach einer sternenhellen Nacht sammeln sich Morgen weiße, feuchte Nebel über der langgestrecktem , geringeltem Körper und mit ^t>ene, welche vor der aufgehenden Sonne langsam sehr kurzem verkümmertem oder ganz fehlendem ^"^^ zerstreuen und dem staunenden Auge die Schwänze. Nach dem im Auftrage der Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin von Franz Eilhard Schulze herausgegebenen, gewaltigen, noch nicht abgeschlossenen Werk „Das Tierreich" ') setzt sich diese Ordnung zu- sammen aus einer einzigen Familie [Caecäiidai], 19 Gattungen, 55 sicheren Arten und einer un- sicheren Art. ^j Ihr Verbreitungsgebiet sind die tropischen Gegenden von Amerika, Afrika und Asien. Verschiedene Gattungen und Arten dieser Familie waren der Wissenschaft schon lange bekannt. Die eigenartige, geheimnisvolle Lebensweise dieser Geschöpfe erschwerte aber ein Studium. Allgemein hieß es, daß sie in den sumpfigen und feuchtwarmen Gebieten der Tropen ein ausschließlich unterirdisches Leben nach Art unserer Regenwürmer führen. Trommelfell und Paukenhöhle fehlen ihnen, und die Augen sind stets verkümmert; meist liegen sie unter der Haut verborgen und schimmern mehr oder weniger deutlich durch, oder sie liegen unter dem Schädel- knochen verdeckt. Diese mangelhafte Ausrüstung, sowie die Feststellung, daß die Haut aller Tiere durch zahlreiche, quere Ringfalten'') in breite, ringtörmige Abschnitte gegliedert ist, mußte ja auch zu der Anschauung führen, daß nur eine wühlende, unterirdische Lebensweise im lockeren Erdreich Platz greifen könne. In einer anschau- lichen Schilderung •»), die der Erforschung der Berli ') „Das Tierreich". Verlag von R. Friedlände Sohn, ^) op. cit. 37. Lieferung : „Gymnophiona (.Amphibia apoda)' bearbeitet von Dr. Fr. Nieden, Berlin. Ausgegeben in Mai 1913, S. 4. ') Es sind primäre und sekundäre Ringfalten zu unter scheiden. Die primären Rmgfahen kommen allen Arten zu Sie sind entsprechend der Gliederung der Wirbelsäule in dei Regel in gleichmäüigen Abständen über den ga verteilt. Die sekundären Rmglalien treten nur t Arten auf, so, daß eine sekundäre Falte immer zwischen zwei primären Falten liegt. ') Paul und Fritz Sarasin, „Ergebnisse naturwissen- schaftlicher Forschungen auf Ceylon in den Jahren 1884— iS86." Bd. 11: „Zur Naturgeschichte und Anatomie der Ceylonesischen Blindwühle Ichthyophis glutinosus S. 3/4. rper reichste Vegetation enthüllen. Gegen Mittag steigert sich die von der höher und höher steigenden Sonne herabströmende Wärme zu be- deutender Hitze." „In diesem feuchtwarmen Ge- biet ist der ganze Boden von wühlenden Ge- schöpfen aller Art durchsetzt, und hier ist es nun auch, wo die Blindwühle [^Ichthyophis glutinosus) am häufigsten angetroffen wurde." — In diesem allgemeinen Rahmen erblickte man gewissermaßen einen Spiegel der allen Blindwühlen gemeinsamen Lebensweise. So führte denn auch nichts auf die Vermutung, daß bei einzelnen Arten eine andere als die unterirdische Lebensweise herrschen könne. Um so befremdlicher mußte es wirken, als die Beobachtung gemacht wurde, daß eine Art, Ichthyophis glutinosus, ihr Larvenstadium im freien Wasser verbringt. Eine Beobachtung, die bei Sarasin zu der Annahme führte, daß „wahr- scheinlich alle Blindwühlen die sämtlichen Ent- wicklungsstadien der Salamandriden ebenfalls durchlaufen, die Caecilien also nicht mehr als eigene dritte Ordnung neben die Urodelen und Anuren gestellt werden dürfen, sondern, daß sie hintort den Urodelen unterzuordnen und den Salamandriden parallel zu setzen sind." ') Die Schlußfolgerung S a r a s i n ' s erwies sich als irrig. Ein den Urodelen ähnliches Entwicklungs- stadium wurde bei einer zweiten Art der Caeciliidae nicht mehr gefunden. Dafür wurde eine andere, noch befremdlichere Entdeckung gemacht: ein- zelne Arten wurden im freien Wasser lebend aufgefunden. Zunächst wurde dieses bei einer amerikanischen Blind wühle beobachtet, die Caecilia compressicauda genannt wurde. Sarasin folgerte wiederum aus dieser Beobachtung, „daß die Jungen in dem zur Geburt reifen Entwicklungs- siadium gar nicht für das Leben im Wasser be- 'stimmt sind, sondern auf dem Lande geboren werden, ihre Kicmenlappen abwerten und ohne weiteres wie die Alten im Boden leben" '^). Auch diese Voraussage hat sich nicht erlüUt. Es wurden ') op. cit. ''j op. cit. S. 28. S. 27. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 3 bis heute drei Blindwühlen gefunden, die aus- schließlich eine Lebensweise im freien Wasser führen. Sie sind nach der neuesten Systematik \) zu der Genera Typliloncdcs Pdcrs vereinigt und setzen sich zusammen aus: TypJiloncdcs compressicauda (Dum, u. Bibr.) Typhlonedes natans (J. G. Fisch.) Typhlo7iedes kaupii (Berthold). Diese Angehörigen gelten als „Wasser-Cäcilien", als „merkwürdige, schlangenförmige Batrachier", als „riesige Wasserwürmer". Auf die Eingeborenen wirken sie nach den vorliegenden Schilderungen häßlich und abschreckend. Sie werden von ihnen nicht angefaßt, sondern gemieden und am liebsten wie Schlangen getötet. Die Wissenschaft hingegen hat sich ihrer mit größtem Interesse angenommen. Anatomische Untersuchungen reichen bis m die jüngste Zeit hinein. Sie haben Ergebnisse ge- zeitigt, die von hoher Wichtigkeit sind, weil sie einen Einblick in eine ganz merkwürdige Ein- richtung der Natur gewähren. Bei der großen Seltenheit des Materials ist das Studium noch nicht abgeschlossen. Erfreulich ist es, dnß Dank den Bestrebungen auf dem Gebiete der Aquarien- kunde einzelne lebende Tiere in Deutschland 1) „Das Tierreich" eingeführt und gepflegt werden konnten. Hierauf kommen wir bei der Behandlung der einzelnen Arten zurück. IL Typhlonedes compressicauda (Dum. u. Bibr.). Am längsten bekannt von den drei aquatilen Cäcilien ist Typhlonedes compressicauda. Diese Ringelwühle wurde zuerst im Jahre 1841 von Dumeril und Bibron kurz beschrieben, i) und zwar als „Caecilia compressicauda". Näheres wurde erst im Jahre 1874 durch Peter s'-^j be- kannt. Danach erfuhr Peters, daß der natur- wissenschaftliche Reisende Jelski in Cayenne unerwartet auf eine im Wasser lebende Caecihe stieß. Auf einer am Flusse Kaw liegenden Plantage heß er von Negern und Matrosen in einem Trink- wasserkanale einen Fischfang ausüben. „Im Ver- laufe der Jagd stieß plötzlich der Neger, der_ die Fische vom Ufer verscheuchte, einen heftigen Schrei aus. Wir alle erblickten etwas, das wie ein elektrischer Aal aussah, dicht unter der Ober- fläche des Wassers mit wurmförmiger Bewegung dahinschwimmen. Wir hielten den Neger zurück, der im Begriff war, das Tier mit einem Säbel zu zerhauen. Das Zugnetz wurde gehoben und das Tier ans Ufer geworfen. Alle glaubten, es sei ein Aal. Bei näherer Betrachtung entschieden sie jedoch, es sei ein riesiger Wasserwurm. Ich legte das Tier in ein besonderes Gefäß, und da ich bereits hinreichend Fische hatte und keine anderen zu erlangen hoftte, so begab ich mich nach Hause. Als ich jenes rätselhafte Tier aus dem Gefäße herauswarf, um es in die Kalebasse zu legen, er- blickte ich anstatt eines ihrer zwei : die Alte hatte ein Junges geworfen! Nachdem ich die Alte auf den Tisch gelegt, betrachtete ich sie näher. Sie zeigte sehr langsame, zitternde, scheue Bewegungen. Daneben befand sie sich in eigentümlichen Kon- vulsionen. Ich bemerkte, daß sie ein zweites Junges gebären woüte. Ich legte sie in Spiritus, damit man sich von dem Lebendiggebaren über- zeugen kann." Beim Sezieren des Tieres wurden im Innern noch fünf Junge gefunden. Alle zeichneten sich durch einen membranösen Aus- wuchs auf dem Nacken aus, der sehr leicht abriß und eine quere lineare Narbe hinterließ. Kiemen- öffnungen wurden nicht gefunden." Diese Feststellungen erregten höchstes wissen- schaftliches Interesse. Peters untersuchte das alte Tier und auch die Jungen und berichtete über seine Befunde. ») Danach erreichen die Jungen eine bedeutende Größe, bevor sie geboren werden, denn sie sind vor ihrer Geburt höchstens 3-^/8 mal kleiner als das Muttertier. _ Nach den bisherigen Beobachtungen werden die Alten bis 50 cm lang und erreichen einen Körperdurch- ') Erpet. gen. VII. S. 27S. 2) „Über die Entwicklung der Caecilien und insbesondere der Caecilia compressicauda" in „Monatsberichte der Kgl. Preuß. Akademie der Wissenschaften in Berlin" 1874, S. 45' 3) In „Monatsberichte" usw. 1875, S. 483. N. F. XVI. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 35 messer bis zu 20 mm. Die Jungen, deren Zahl höchstens sechs beträgt, messen bei der Geburt bis 157 mm und sind bis 12 mm dick. Auf- fallend sind ein Paar große, monströse, bis 55 mm lange Kiemenlappen, die im Nacken sitzen und wahrscheinlich gleich bei der Geburt abgeworfen werden. Bei den erwachsenen Tieren ist die Schnauze breit und abgerundet. Die Augen sind durch die Haut deutlich zu sehen. Die Haut ist schlippenlos. Der Körper ist gedrungen und mäßig gestreckt; nach dem Schwanzende hin er- scheint er allmählich mehr und mehr von der Seite zusammengedrückt und auf der Oberseite gekielt. Der Schwanz ist undeutlich. Am After befindet sich eine Art Haftscheibe. Die Farbe stellt ein Olivenbraun dar. An Hautfahen werden 135 — 167 gezählt, die auf dem Rucken unter- brochen sind, 'j In dieser Beziehung schwanken aber die ziffernmäßigen Angaben der Forscher. Es besteht die noch nachzuprüfende Vermutung, daß Unterschiede bei Tieren vorkommen, die sich nach den betreffenden Fundorten lichten. Denn diese Spezies kommt vor in Guayana, Vene- zuela und Nordbrasilien. Bei der anatomischen Untersuchung stellte Peters'') fest, daß der Magen langgestreckt ist. Leber und Herz sind sowohl auf der rechten, wie auch linken Körperseite gefunden worden. Bei einem Exemplar war die rechte Lunge 5 cm länger als die linke, ^j Weitere anatomische Unter- suchungen nahm Fuhrmann vor, deren Ergeb- nisse sehr überraschend waren. *} Während sich bei allen anderen Gymnophionen der linke Lungenflügel als sehr rudimentär zeigt, und ge- wöhnlich nur einige Millimeter mißt, wohingegen der rechte Lungenflügel für gewöhnlich bis auf die Höhe des letzten Drittels der langgestreckten Leber reicht, liegen die Verhältnisse bei den Arten des Genus Typhldiirctcs ganz anders. Bei Typhlo- ncdes coinpressicanda reicht der rechte Lungen- sack, der bei den Gymnophionen sehr eng ist (etwa 2 mm), bis fast an die Kloake und mißt 26 — 27 cm. Der sonst rudimentäre linke Lungen- flügel ist bedeutend länger als die rechte, wohl- entwickelte Lunge der übrigen Gymnophionen. Er reicht bis weit hinter das Hinterende der Leber und maß bei den untersuchten Exemplaren 20,5 cm. Fuhrmann fand aber noch weitere sehr bemerkenswerte Einrichtungen die dem Genus Typldoiiccfcs überhaupt zugute kommen und ge- eignet sind, manches in dem Leben dieser eigen- artigen Tiere zu erklären. Die Trachea ist nämlich lang und wird von ventral offenen Knorpelringen gestützt. Sie zeigt vor dem Herzen eine eigen- tümliche spindelförmige Erweiterung, die in ähn- licher Form und Struktur noch nirgends angetroffen wurde. Dieses Organ ist 4 — 5 cm lang und hat ') „Das Tierreich", Lieferung 37, S. 22. ^) „Monatsberichte" 1875 usw., S. 484. ') „Monatsberichte" 1879 usw., S. 941. *) Veröffentlicht in „Zoologischer Anzeiger", Bd. 42 {1913), einen maximalen Durchmesser von 6 mm. Es ist mit einem reich verzweigten Kanalsystem durch- zogen, das mit der Trachea in mehrfacher Ver- bindung steht. Das Gebilde besitzt absolut die histologische Struktur einer Amphibienlunge. Es ist also ein akzessorisches Atmungs- organ, eine dritte Lunge, und P'uhrman n meint, daß es, nach Lage und Struktur zu urteilen, vielleicht aktiver ist, als die sehr engen, lang- gestreckten Lungensäcke. — Damit sind aber die Ätmungsorgane noch nicht erschöpft. Denn es findet noch eine sehr starke Hautatmung statt. Die Haut besitzt nämlich eine eigenartige Dis- position. Sie ist wie bei den meisten Amphibien aus einer beschränkten Anzahl Schichten zu- sammengesetzt, und zwar 4 — 6 auf dem Körper und 8—10 auf dem Kopfe. Jede Schicht hat eine Dicke von 0,05 mm. Die äußere Schicht und diejenige, die sich unter ihr befindet, ist leicht überhäutet und zeigt einen zellenförmigen Kern. Das Bindegewebe steht in engster \'er- bindung mit der Haut, und die Hautkapillaren (Haar- röhrchengefäße) bilden ein voll^tänciiges Netz in ihr und stehen in sehr engem Kontakt mit dem Wasser. Das ist einer intensiven Hautatmung überaus förderlich. Ein derartiger Reichtum an Gefäßen ist bisher bei keinem Amphibium gefunden worden. Merkwürdig beschaffen ist auch die Mund- schleimhaut. In der Zunge und auch unter der Haut des Gaumens tritt ein überaus starker Gefäß- reichtum auf, und zwar so, daß namentlich im letzteren Organ Bindegewebe und Muskulatur durch die überaus zahlreichen Blutgefäße und Blutsinuse sehr reduziert sind. Diese Disposition deutet Fuhrmann dahin, daß außer der Lungen- atmung, der Atmung des Trachealorganes und der Haut möglicherweise auch noch eine Buccal- respiration (Maulatmung) stattfindet. Tat- sächlich habe ich, wie ich bereits berichtet habe *) und worauf ich hier noch zurückkomme, an einem lebenden Exemplar von TypJilonccfcs mitaiis be- obachtet, daß es von Zeit zu Zeit atmosphärische Luft atmet. — Diese vierfache Atmung hängt offenbar mit der Lebensweise der Tiere zusammen. Sie verhalten sich lange unter der Wasseroberfläche, was bedeutenden Sauerstoffverbrauch verlangt. Und diesem können die langen und sehr engen Lungen nicht genügen. So wichtig diese Feststellungen an totem Material sind, so bedauerlich ist es, daß Be- obachtungen über die Lebensweise von Typhlo- iiecfcs coinprcssicanda im Freien und in der Ge- fangenschaft fehlen. Peters sagte schon früher,-) daß es wahrscheinlich sei, daß die Tiere nur selten und zu einer bestimmten Zeit den Fischern zu Gesicht kommen. Sie werden von diesen nicht gekannt und wegen ihres häßlichen, wurmförmigen Aussehens verabscheut und vernichtet. Daher ') Milewski; „TyphlonectescompressicaudaundTyphlo- nectes natans" in „Wochenschrift für Aquarien- und Terrarien- kunde", 1916, S. 131. ') „Monatsberichte" usw. 1S74, S- 49. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 3 fallen sie Sammlern selten in die Hände. Um so ertreulicher war es, daß es der bekannten Zier- fischzüchterei-Besitzerin, Frau Kuhni in Konrads- höhe gelang, im Interesse der Aquanenpfleger zum ersten Male lebende Exemplare der Art Typlilo- iiccies coiiipresstcauda in Deuischland emzuluhren. Im Juni 1912 importierte Frau Kuhnt drei lebende Tiere, die aus dem Amazoneiistrom stammten. Sie wurden an Liebhaber nach Rußland verkauft. Im Juli desselben Jahres führte Frau Kuhnt ein weiteres Tier ein. Leider siarb es bald. Im August 1912 konnten noch zwei lebende Exem- plare eingetührt werden. Davon starb eins an einer pockenartigen Krankheit. Das andere ver- unglückte infolge Auslaufens des Bassins. Alle diese Tiere wurden im Zoologischen Museum in Berlin als Typhloiiectes coiiipnssicanda Dum. u. Bibr. festgesiellt. 'j Es ist bedauerlich, daß an diesen lebenden Exemplaren keine eingehenden Studien gemacht werden konnten. III. Typhlonedes iiatans J. G. Fischer. Über diese zweite im Wasser lebende Blind- wühle berichtete zuerst J. G. Fisch er. -j Darauf erwähnte sie kurz Peters.") Die ersten Exem- plare erbeutete Groß köpf im Jahre 1879 im Cauca, einem Nebenfluß des Magdalenenstroms in Neu-Granada an einer mit festem Kiesgrunde versehenen Stelle. Später, 1912, war Fuhrmann Zeuge eines Fanges eines Tieres, als er sich auf einer Forschungsreise in Columbien befand. Er berichiete darüber in einem über die Ergeb- nisse der Forschungsreise herausgegebenen Werk.^j An der Mündung des Magdalencnflusses fischte ein Indianer an einer Stelle, wo das Wasser sehr tief und das Ufer abschüssig war. Mit Entsetzen sah er an seiner Angel einen großen Wasserwurm hängen, der ihn zu dem Ruf veranlaßie: „Eine Schlange; eine Schiangel" Fuhrmann betreite das sich sehr wehrende Tier vom Haken und steckte es in Alkohol. Später sandte er es an drei Spezialisten, die es als lypliloncc/cs natatis erkannten. Ein Referat hierüber erschien von Werner.^) Neben dem Bericht über den Fund- ort verdanken wir Fuhrmann auch noch interes- sante Angaben über die von ihm festgestellten ana- tomischen Befunde.^) lyphlonectes nataus unterscheidet sich von TypIiLonectes comprcssicauda äußerlich zunächst durch eine andere Kopftorm. Die Schnauze ist nämlich stark vorspringend und der Kopf ab- geplattet. Die Augen sind hier deutlich sichtbar. ') „Wochenschrift" 1916, b. 131. '^) In „Archiv für Naturgeschichte in Berlin" iSSo, S. 217. ») In „Monatsberichte" usw. 1879, S. 94I. *J Fuhrmann und Mayor: „Le Genre Typhlonectes ; ,,Voyage D'txploration Scientifique En Colombie" („Mera. Soc. Neuchäteloise des Sei. Nat. Vol. V; 1912). *•) In „Zentralblatt für Zoologie und Biologie", Bd. 2, 1914, S. 40. "J op. cit. und „Zoologischer Anzeiger", Bd. 42, 1913, S. 229. Der Körper ist mäßig gestreckt und hinten stark von der Seite zusammengedrückt. Auf dem Rücken springt eine Längsfalte mehr oder weniger deutlich hervor. Die Haut, die ebenfalls schuppenlos ist, erscheint gekornelt. Die Farbe stellt ein Braun- grau bis Schiefergrau dar; die Bauchseite ist etwas heller gefärbt. Die Haftscheibe am After ist stärker ausgeprägt wie bei Typhlonectes coinpressi- cauda und weiß. Das ausgewachsene Exemplar erreicht eine Länge von etwa 50 cm. Der größte Körperdurchmesser beträgt 13 mm. Auch bei dieser Art sind die anatomischen Befunde durch Fuhrmann sehr interessant. DieLungehatdieForm einer langen, scnmalen Röhre. Der rechte Lungen- sack ist wie lyp/ilouecfes cumpressicauda sehr lang. Er reicht bis fast an die Kloake und mißt 26 — 27 cm. Die linke Lunge ist aber kürzer wie bei jener Art; sie mißt nur 12 cm. Als überaus interessante Erscheinung enthahen die Lungen, wie auch die Trachea, auf der einen Seite offene Knorpelringe. Diese sind 0,2 mm bieit und 1,1 — 1,6 mm voneinander entfernt und verteilen sich auf die ganze Länge der langgesteckten Lungen. Die rechte Lunge enthält etwa 1 So solcher Knorpelringe. Eine ähnliche Disposition ist bei keinem Am- phibium zu finden. Es wird angenommen, daß sie den Zweck hat, den engen und langen Lungen- sack offen zu halten, damit die Luft leichter zu zirkulieren vermag. Links und rechts von der Lunge befinden sich sehr große, blutreiche Geiäße. Die Zellen sind sehr einlach und zeigen die ab- solut gleiche Struktur wie die Lungen der Am- phibien. Ist schon die ganze Struktur der Lungen geradezu kurios, so besteht noch eine weitere Merkwürdigkeit darin, daß sie, abgesehen von ihrer seltenen (jröße, sich bis fast zur Kloake hinzieht. Wichtig ist, daß die Gelegenheit vorhanden ist, diese seltene aquatile Art in der Gefangen- schaft zu beobachten. Anfang Juli 1914 gelang es der erwähnten Züchterin Frau Kuhnt, zwei Exemplare auch dieser Wasserwühle lebend ein- zutühren. Sie wurden im Zoologischen Museum in Berlin als Typhlonectes natans J. G. Fischer identifiziert. Unmittelbar danach gingen sie in den Besitz des Berliner Aquariums über. Hier wurden sie von mir beobachtet. Ein Bericht darüber erfolgte später. ') Das eine Exemplar wog 180 g und hatte eine Länge von 48 cm. Es stellte sich als ein Weibchen heraus. Das andere Tier, ein Männchen, wog nur 60 g und maß 33 cm. Nach acht Monaten hatte das Weibchen eine Länge von 53,6 cm und das Männchen eine solche von 44 cm erreicht. Die Tiere erhielten ein geräumiges Becken, das sie allein bewohnten und in dessen Mitte eine Cyperus alternifolius Staude eingepflanzt war. Diese Be- hausung erwies sich als sehr zweckmäßig. Regel- mäßig lagen sie um die Cyperus-Staude geringelt ')Milewski, „Typhlonectes compressicauda und Typhlonectes natans" in „Wochenschrift für Aquarien- und Terrarienkunde" 1916, S. 132. N. F. XVI. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 37 und nach Schlangjenart miteinander verflochten. Nie war eine uneebärdige Regung wahrnehmbar. In ausgesuchtester Harmonie lebten sie gleichmäßig und friedlich dahin, stoisch und phlegmatisch. Nie störte eine Uneinigkeit die Ruhe. Es war eine Friedlichkeit, wie sie selten im Tierreiche zu finden ist. Ihre Nahrung bestand in Fischen, wurmähnlich geschnittenen Fleischstückchen und Regenwürmern, die sie auflutschten. Die Nahrungsaufnahme war beträchtlich. Wenn sie sich genügend gefüllt hatten, schwollen sie auf, wie kleine Tonnen. Selten ringelten sie sich aus- einander und lagen getrennt, aber auch dann stets in sich zusammengerollt oder um die Staude ge- ringelt. Noch seltener bewegten sie sich schwimmend im Wasser. War das aber mal der F"all, so war die ausgesprochen egelartige I-"ortbewegung, die nicht hastig, sondern ruhig und gleichmäßig er- folgte, zu sehen. Von Zeit zu Zeit schlängelten sie sich an den Halmen zur Wasseroberfläche empor, nahmen — trotz künstlicher Durchlüftung — einen kleinen Schluck atmosphärische Luft mit dem Maule auf und tauchten gleich wieder in Ruhe unter. Der Aufstieg fand in sehr großen Pausen statt. Häufig war ihre Stellung so, daß sie sich an der Pflanzenstaude so weit hinauf- geringelt hatten, daß ihre Schnauzenspitze ein wenig über die Wasseroberfläche hinausragte. In dieser Haltung hielten sie lange aus. Dann war aber von einer Aufnahme atmosphärischer Luft nichts zu bemerken, wie ja diese Respiration über- haupt kaum erkennbar ist. Lagen die Tiere mit- oder ineinander verschlungen, so schien es un- möglich, die Linien ihrer Leiber zu verfolgen. Für den Laien war dann die Unterscheidung von Kopf und Schwanz fast ausgeschlossen. Bei günstiger Lage ließ sich die weißliche, einem stumpfen Dreieck ähnelnde, hell gebettete Haft- scheibe am After deutlich beobachten. Die be- schriebene F"orm der Schnauze und die auf der zweiten Hälfte des Körpershervortretende Längsfalte ließen dem mit der Literatur vertrauten Beobachter keinen Zweifel darüber, daß es sich um Exem- plare der Art Typhloiiccfes nafans handelte. Die Hautfalten waren sehr undeutlich. Sie waren nur bei entsprechenden Biegungen des Körpers sicht- bar. (Die wissenschaftlichen Angaben über die Zahl der Hautfalten schwanken auch hier. Es sollen ungefähr lOO primäre und 86 sekundäre Falten vorhanden sein.') Die Färbung bestand aus einem dunkelgetonten Schiefergrau bis Braun mit einem ganz matten Glanz. Die Bauchseite hob sich merklich heller ab. — Bei der guten Pflege entwickelten sich die Tiere, wie die an- gegebenen Messungen beweisen, vorteilhaft. Am Morgen des 15. Januar 191 5 lagen vier Junge da, völlig unvermutet. Sie besaßen die bedeutende, gleichmäßige Lärige von 20 cm und wogen 20 gr Die Kiemenlappen müssen gleich nach der Geburt fortgeworfen worden sein. Nur quer über dem ') „Das Tierreich", Lieferung 37, S. 23. Nacken zog sich eine ganz feine, hellgraue Furche von ca. */, cm Länge und i — 2 mm Breite hin, wie Heinroth berichtete.') Es waren dieses die Ansatzstellen der früher vorhandenen Kiemen- lappen. Die Jungen ähnelten nach Farbe und Ge- stalt völlig den Eltern. Charakteristisch war, daß sie sich gleich mit diesen vereinigten. Sie ringelten sich mit ihnen in- und untereinander, und da sie, wie gesagt, von vornherein eine be- deutende Größe besaßen, fiel es schwer, sie zu unterscheiden. Dieses wurde noch schwieriger mit dem zunehmenden Wachstum. Diese Vor- liebe zur Vereinigung der ganzen Familie hielt auch weiter an. Stets befanden sich alle Tiere auf einem Fleck vereinigt, wie ein Haufen in- einander verschlungener Schlangen. Von Anfang an pflegen die Jungen das Phlegma der Alten. Auch sie bewegen sich selten frei. Tun sie dieses, so schlängeln sie sich in tiefen Wellenlinien wie Egel vorwärts. Dieser Zustand ist bis heute ge- blieben. Alle Tiere sind am Leben geblieben und gedeihen weiter. Nach etwa zehn Monaten maßen von den Jungen: das kleinste Exemplar 21,2 cm und das größte 25,8 cm, nach i^/^ Jahren das kleinste 25.5 cm und das größte 34 cm. Bei den Messungen war zu beobachten, daß zwei Tiere den beiden anderen stets im Wachstum voraus waren. Es liegt die Vermutung nahe, daß hier Geschlechts- unterschiede eine Rolle spielen. Man kann nach den Größenverhälfnissen der Alten annehmen, daß die Männchen im WacJistum hinter den Weibchen zurückbleiben. Eine Prüfung des Gewichtes der Alten läßt die weitere Vermutung aufkoinmen, daß das Weibchen wieder trächtig ist. Denn es wog: am 15. Februar 1915: I/O g und maß 50 cm, am 14. März 1916: 270 g und maß 53,6 cm. Woher die Elterntiere stammen, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Als Heimat von Tvphlo- iirdrs iiataiix wird der Caucafluß und Barran- quilla in Columbia angegeben. IV. TypJihnicdcs kaitpii (Berthold). Diese dritte und letzte Art der ausschließlich im Wasser lebenden Blindwühlen wurde zuerst von B e r t h o 1 d im Jahre 1859 als „Cafcilia kanpü" beschrieben.'-) Im Jahre 1867 führte sie Kef er- st ein bei der Erwähnung „einiger neuer oder seltener Batrachier aus Australien und dem tro- pischen Amerika" als „Sip/ionops kaiipii'" auf. *) 1877 berichtete Peters weiter von ihr als „Cae- cilia dorsalis".*) Im Jahre 1879 erwähnte sie Peters bei der ,, Einteilung der Caecilien" als ' „Typhlonedes dorsah's".^) Boulenger jedoch 1) „Blätter für Aquarien- und Terrarienkunde", 1915, S. 34. ') „Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissen- schaften und der Georg- August -Universität zu Göttingen" 1859. Bd. I, S. 181. ^1 ibid. T867, S. 361. *') „Monatsberichte" usw., 1877, S. 459. ^) ibid. 1S79, S. 941. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschr N. F. XVI. Nr. 3 bestimmte diese Art als „Typhlonedes katipii".'^) Anatomische Aufklärungen gab erst in allerletzter Zeit Fuhrmann.-) TypJiloHcdcs kaupii ist die kleinste der „Wasser- Caeciiien". Das Tier erreicht nur eine Länge von etwa 26 cm und einen Körperdurchmesser von höchstens 7 mm. Es besitzt einen abge- platteten Kopf und eine kürzere, abgerundete vorspringende Schnauze. Die Augen sind unter der unbeschuppten Haut leicht erkennbar. — Fuhrmann sagt, daß diese interessante Spezies die beste Anpassung an das Leben im Wasser zeigt. Tatsächlich ist der Körper fast über die ganze Länge zusammengedrückt. Peters be- stätigt diesen Befund, wenn er angibt, daß die Mittel- und Rückenlinie sich zu einer dicken Längenfalte, einer Längswulst, forme, die einen Rückenkamm über fast die ganze Körperlänge darstelle. Dieser Kamm erreicht hinter dem Kopfe eine Höhe von 4—5 mm. Vor den Ex- tremitäten erscheint er etwa 5 mm hoch. Die seitliche Zusammenpressung des Körpers beginnt schon 3 cm hinter dem Kopf Der Rückenkamm, der als Schwimmkamm angesprochen wird, tritt gegen das Ende besonders stark hervor. Nach dieser Körperdisposition muß das Tier ein sehr gewandter Schwimmer sein. Einen Beweis hierfür sieht Fuhrmann auch in der Tatsache, daß er irn Magen eines der untersuchten Tiere zwei Fische von einer Länge von 5 — 6 cm vorfand. — Die Farbe des Körpers stellt ein ins Bräunliche spielende Olivengrün dar. Es wurden 99 sehr deutliche, fast vollständige Ringe bildende Haut- falten gezählt. Die Ringfurchen sind schwarz. Sekundäre Hautfalten sind nicht vorhanden. Der After liegt innerhalb einer länglichen, 5V2 mm langen Haftscheibe. Fuhrmann hat auch diese Art anatomisch untersucht. Die Speiseröhre ist sehr lang. Direkt hinter dem Herzen beginnt der Magen, der nahezu die Länge der Leber hat. Der Darm beginnt sehr schmal, erwehert sich aber stark nach hinten. Die Leber ist 14,5 cm lang und besitzt eine Anzahl Lappen, die weniger groß als bei den anderen beiden Arten ist. Auch die Milz ist sehr schmal; vor ihr scheint eine kleine Nebenmilz zu liegen. Die Atmungsorgane sind auch hier sehr typisch. Die rechte Lunge erweitert sich bis zu I 5 cm und hat eine ungefähre Länge von 24 cm. Der Durchmesser ist aber doppelt so groß, wie bei den anderen Typhlonectes; er beträgt 4 mm. Die linke Lunge dagegen ist erheblich kürzer wie bei jenen. Sie besteht in einem kurzen, nur 6,5 cm langen Sack. Dafür ist ihr Durchmesser größer, denn er erreicht i cm. Dadurch erscheint sie als ein weiter Sack. Sonst herrschen die gleichen, kurios anmutenden inneren Einrichtungen wie bei den anderen Arten vor. Die Struktur der Haut weist die gleichen Eigentümlichkeiten wie bei Typhlonectes compressicauda auf. Typhloiiec/es kaiipii_ ist bisher noch nicht lebend eingeführt worden. Über ihre Lebensweise läßt sich also zurzeit noch nichts sagen. Als Heimat gilt Angostura im Orinoco. V. Schlußbemerkungen. Die Genera Typhlonectes unterscheidet sich von den G y m nophionen im wesentlichen dadurch, daß die drei zu ihr gehörigen Arten ausschließlich eine Lebensweise frei im Wasser führen. Sie haben alle eine unbeschuppte Haut und sind lebendgebärend. Alle be- sitzen zwei Zahnreihen im Unterkiefer. Ein ge- meinsames Merkmal der Gymnophionen haben auch sie: am Kopf zwischen Augen und Nase rätselhafte, mit einer Drüse in Verbindung stehende, vorstreckbare, fühlerartige Organe, „Tentakel." Der Besitz der Tentakel unterscheidet die gesamte Gruppe der Blindwühlen von allen anderen Am- phibien der jetzigen Lebewelt. Sie stellen einen recht kompliziert gebauten, zylinderförmigen Fort- satz dar, dessen stumpfes, vorderes Ende aus einem Hautkanal unter dem Auge hervorsieht und zurückgezogen werden kann. (Johannes Müller.) Der Zweck der Tentakel ist noch nicht aufgeklärt. Sarasin^) hält sie für Fühler, Tastorgane, denn er sah sie bei der ceylonesischen Blindwühle, an der er diesen eigenartigen Apparat untersuchte, -) sich fühlerartig betätigen. Die Blindwühle tastete mit ihnen, wie ein Blinder mit dem Stock, und die Tentakel wurden, wie bei einer Schnecke beliebig hervorgestoßen und zurückgezogen. Wiedersheim^) dagegen sagt: ,Von einem Tastorgan muß man absehen; vielmehr ist es in erster Linie ein Sekretionsorgan, vielleicht ein Giftorgan, das das Sekret im Strahl ejakuliert, ein in die Ferne wirkendes Angrifi's- oder Ver- teidigungsmittel." -- Bei den Typhlonectes- Arten ist dieses rätselhafte Organ noch nicht untersucht worden. • Als auffallend hebt Sarasin-*) hervor, daß es ihm nicht gelungen ist, Seitenorgane bei der Genera Typhlonectes zu entdecken. Er sagt: „Sollte sich dieses Fehlen der Seitenorgane be- stätigen, so wäre dieses eine nach jeder Richtung hin auffallende Tatsache. Die Seitenorgane er- halten sich mit großer Zähigkeit auch unter Umständen, wo wir einen Nutzen derselben für ihren Träger nicht zugeben können." „Das lange Persistieren der Kiemenlappen von Typhlonectes zu einer Zeit, wo auch jedenfalls die Kiemen- spalten sich schon geschlossen haben und die ge- ichaftlicher Forschungen ') „The Annais and Magazine of natural History, including Zoologyi Botany and Geology" London ser. 6 v. 8, S. 457. ■-) Fuhrmann in „Voyage D'Exploration" usw., 1912, S. 124. 1) Sarasin: „Ergebni auf Ceylon" usw., Bd. 2, S. 205. -) Sarasin: „Über den Tentakel von Ichthyophis gluti- nosa" in „Sitzungsb'er. d. Ges. naturf. Freunde in Berlin", 1889. 3) Wiedersheim: ,, Die Anatomie der Gymnophionen." Jena 1879, S. 54. *) Sarasin, „Ergebnisse naturwissenschaftlicher For- schungen auf Ceylon", Bd. 2, S. 27. N. F. XVI. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 39 wiß einmal vorhanden gewesenen Seitenorgane verschwunden sind, hat einen physiologischen Grund, über den wir uns weiter unten im Vergleich mit anderen Erscheinungen dieser Art bei den Amphibien verbreiten wollen. ■' Bei der letzteren Bemerkung gingSarasin von der Annahme aus, daß auch die Genera Typhlonectes die sämtlichen Entwicklungsstadien der Salamandriden durchläuft; eine Annahme, die durch die neuzeitlichen Be- obachtungen an lebendem Material sich als fehl- gehend erweist. — Auch der Zweck der alle drei Arten auszeichnenden Haft Scheibe an der Kloake erscheint noch ungeklärt, denn bei den lebenden Exemplaren des Typhlonectes nataiis habe ich nie beobachten können, daß sie praktisch betätigt wird. Nicht minder merkwürdig ist neben den anatomischen und histologischen Eigentüm- lichkeiten der Bau der Atmungsorgane, das Fehlen von Drüsen in der Mundhöhle, der Bau der Trachea und des Schädels und die starke Entwicklung der Lungen. Letztere bringt Fuhrmann mit einer wahrscheinlichen regen Tätigkeit der Tiere im Wasser zusammen; eine Vermutung, die indes durch die Beobachtung von Typhlonectes nataiis, der großes Phlegma bekundet, nicht bestätigt wird. Eher läßt sich mit Werner') annehmen , daß Typhlonectes eine primitive Gattung der Apoden vorstellt und weitere Unter- suchungen an reicherem Material erst zeigen müssen, „ob diese anscheinend primitiven Merk- male nicht durch die Anpassung an die aquatische Lebensweise zu erklären ist." ') „Zentralblau für Zoologie und Biologie", 1914, S. 41, [Nachdruck verboten. 1 Wünschelruten sind sie zwingen am Sta lenden Hand regt sich das magische Reis. Goethe, Weissagungen des Bakis Eine Rute, ein Stab ist die Urhandwaffe, mit der ihr Besitzer, der „Herr", seine Wünsche, seine Herrschaft kundgibt und nötigenfalls erzwingt. Der Stab, das griechische Skeptron wird zum Kennzeichen des Ansehens, und wie denen, welche ob der ihnen innewohnenden hervorragenden Eigenschaften kämpfend, siegend den Besitz solcher Herrschaftszeichen errangen, fürderhin gehuldigt, ihren Wünschen gedient wurde, wie alle Welt ihrer suggestiven Macht sich beugte, wie man dem Winke des Stabes gehorsamte, so umwob man ihn, frühzeitig sicherlich, mit einem geheimnis- vollen magisch-mystischen, wunderbaren Nymbus, man suggerierte ihm , um modern zu sprechen, die Kraft des Besitzers, man hielt ihn schließlich allein für den Träger von dessen Wunder wirkenden Kräften, man gehorchte ihm, man erfüllte blind- lings die Wünsche auch dessen, der sich wider- rechtlich, ja seiner unwürdig, in seinen Besitz setzte. Nicht die Eigenschaften, welche das Volk Assurs seiner Göttin der Unterwelt andichtete, gaben ihr Macht über ihre Untertanen und Ge- walt, die Erde zu sprengen und ihre Schätze dem staunenden Auge der Menschen bloßzulegen, sondern der- Wunderstab in ihren Händen, der ihr auch den Namen „G öttin des Stabes" gab. Ebenso ging es dem Götterboten Hermes- Mercur. Wenn er mit der Rute, der goldigen Virgula, an die Pforten der Hades pochte, dann erschloß sie sich nicht ihm, dem Gotte, nicht er übertrug Wunder wirkende „göttliche" dem Ver- Die WilnscLelrute. Von Hermann Schelenz, Cassel. Mit I Abbildung. hängnis gebietende Eigenschaften auf sie und macht sie zur divina fatalis. Gerade umgekehrt stellte man sich die Sachlage vor, und ganz ebenso erklärte man die Macht des Hermes- Ebenbilds Odin unserer nordischen Gölterlehre. Nicht er, nein seine Wunsch-, Wunder- oder Ruf- Rute senkt unwiderstehlichen Schlaf wunder- :Schä Rutengänger na> li I Buch „Vom Bergk mächtig auf Brunhildens Augenpaar und zwingt in winterstarre Ruhe Wald und Flur. Daß Aron mit seinem Stabe Wasser in Blut wandelt, daß Moses mit dem seinen Wasser aus Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 3 dem Felsen schlägt, wird geradewegs als Ver- dienst des Stabes geschildert, nicht als das ihrer Träger oder noch richtiger des fürsorglichen, allmächtigen Gottes, der im ersten Falle, noch vor einem Jahrhundert als Wunder angestaunten „Blutregen" sandte und im zweiten Falle Mosen die wasserführende Ader gezeigt oder, wissen- schaftlich gesprochen, wunderbare Geistesgaben mitgegeben hatte, die ihn befähigten, an ge- wissen, ihm bekannt gewordenen geologischen Kennzeichen zu erkennen , wo Wasser zu ver- muten war, wo er „Wasser schlagen" konnte. Aus, wegen der Seltenheit seines Vorkommens und ob seiner Eigenschaften kostbarem Gold, das schon allein aus diesem Grunde seines Besitzers Wünsche in hohem Grade erfüllen konnte, wurden die Herrschaftszeichen der Mächtigen angefertigt. Holz-itäbe, die wegen ihrer seltsamen Gestaltung, ihrer Färbung oder sonst wie auffielen, als Natur- wunder erschienen, wurden von den Naturkindern — Naturkindern gleich sind in unserer Zeit der Wunder der Elektrizität die der Natur entwöhnten Gebildeten noch fast samt und sonders! — in begreiflicher Gedankenverbindung ebenfalls als Träger wundertätiger Kräfte angesehen, die sich auf den glücklichen Besitzer übertrugen. ^) Die Rute der Sybille, welche dem Aeneas nach Vergils rührender Schilderung die Pforte des Orkus öffnete, war ein solch auffallendes Naturwunder, vermutlich ein goldgelber Mistelzweig. In der Tat ist die Pflanze ganz dazu angetan, aufzufallen. Buschig zusammengedrängt hebt sich die Mistel von dem Baum ab, der winterlich entblättert gen Himmel starrt, und zur Sommerszeit ,,in drangvoller Dichte des Baums sproßt im Gewirr der grünenden Blätter die goldige Pflanze", die sich durch sperrige, regelmäßig -zweigabelige Teilung jedenfalls von den allermeisten Gewächsen, unterscheidet, von denen sie ein Teil zu sein scheint und die ihr doch nur einen Platz zur Ansiedelung und Nahrung bieten. Ihre Herkunft ist geheimnis- umwoben, unbegreiflich vom Himmel herab- gefallen muß sie sein , sie ist eine Göttergabe. Bald wurde der göttliche Zweig, die Virga divina, ein mit göttlicher Macht, mit der Gabe der Weissagung begabter Zweig, eine Virga divinatoria, damit gleicherzeit eine wunscherfüllende, eine Wunschrute. Um Mistel-Wunschruten handelte es sich auch in dem Kult der Druiden, der immerhin beein- ') Vor ganz kurzer Zeit erst konnte Max Kirmis Ke- fehlstäbe aus seinen Sammlungen (im „Daheim") im Bilde vorführen und mitteilen, daß sie, Kriwe (jedenfalls nach dem slawischen Krsive, krumm, verkrüppelt), auffällig reuelwidrige hin- und hergebogene Stockausschläge offenbar verschiedener Bäume, seit vielen Jahrhunderten von den Orlsvorstehern in Liltauen und darüber hinaus als Zeichen ihrer Würde und Macht getragen wurden. Den Schulzen im Posenschen wurden vor einigen fünfzig Jahren zu gleichem Zwecke staatsseitig lange „Schulzenstöcke" verliehen. Hierher gehören die im Stil und Namen deutlich den pflanzlichen Ursprung verratenden Ferulae oder Sambucae, die Bischofsstäbe, die Kammer- herrnstäbe, die Zauberstöcke unserer modernen Zauber- künstler usw. flußt sein kann von den ebengedachten, von phönikischen Seefahrern nordwärts gebrachten Anschauungen der klassischen und weiter zurück orientalischen Völker. Nichts war den Druiden, den keltischen Derwydd oder Dryod, den Weisen des Stammes, so heilig, wie die Mistel vom Eichbaum, berichtet Plinius: Mit großer Feierlichkeit wurde die „Luftpflanze", die Göttergabe in besondern, heiligen Nächten beim bleichen Schein des Voll- monds — der Leser sah die Zeremonie am Ende gelegentlich in einer „naturalistischen" Aufführung von Bellinis Norma — von den Oberdruiden mit goldener Sichel geschnitten. Nie hatte sie die Erde berührt, peinlich wurde sie vor ihrer Be- rührung gehütet und in schneeigem Tuch bis zu ihrer Verwendung aufbewahrt. Sie war und ist in Wales noch jetzt Wunschrute auch in bezug auf das höchste Gut der Gesundheit, und der Mistle-toe erfüllte auch in unserm verenglän- derten Vaterland den Wunsch nach einem Ktiß von den Lippen der Schönen, die sich, wohl nicht immer zufällig, unter ihm haschen ließ. Neidisch stellen die Götter sich den Wünschen der Erdenmenschen in den Weg, neidisch ver- sperren ebenso die Untergötter, die als Dämonen, böse Geister usw. das Weltall zu vielen Tausenden bevölkern und sich in die Herrschaft über Pflanzen und Tiere, über die Steine, über Wasser und Feuer, kurz über alles Irdische teilen, ihnen die Grenzen zu ihrer Machtvollkommenheit. Geheime Künste, Kabbala, Magie lehren Mittel und Wege, die Dämonen zu betören, die Pforten zu ihrem Besitz sprengen, ihnen die Erfüllung aller Wünsche abringen. Gerade der Bergmann, der den dunklen Schoß der Erde, von steten Gefahren bedroht, nach Schätzen durchwühlt, ist ebenso wie der Land- mann und Schiffer, die gleich ihm im steten Kampf mit den Naturgewalten stehen, solchem Aberglauben unterworfen. Die Schatten, die das fahle Licht seiner Lampe von ihm selbst auf die Wände seiner Gänge wirft , deutet ihm seine Phantasie als Kobolde und Nickel, die ihn gold- gleisendes taubes Erz statt lautern Goldes finden und seinen Schacht ersaufen lassen. Er wird nach magischen Helfern ausschauen, damit sie ihm im Kampf mit den Erdgeistern beistehen, nach „Springwurzeln", die das Gestein brechen und die Goldader frei werden lassen, nach Wunschruten, die ihm anzeigen, wo er den Schacht abtäufen soll. Und von jeher gab es sicher Leute, die solchen Glauben und den ihnen und ihren Ruten besonders innewohnende Kräfte, nicht nur aus selbstlosen Gründen förderten. Jedenfalls gab es schon früh ,, Rutengänger", die berufsmäßig als Angestellte von Bergwerken das Gelände mit ihren Wunderruten begingen und die Stellen, wo die Rute „schlug" als erz- oder wasserversprechend anzeigten, oder die von Fall zu Fall gegen Ent- gelt ihre Wunderhilfe darboten. N. F. XVI. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Der erste, der von unserer Wünschelrute wissenschaftlich spricht ("dies Wort hrdeutete friiher z. ß. in Meeren berg's „Buch der Natur" aus dem XIV. Jahrh. etwas ganz anderes: die Virga, welche wegen ihrer, den Bestand der Welt ge- währleistenden Wunderkraft im Phalluskultus des Altertums geradezu göttlicher Verehrung gewürdigt wurde), ist Paracelsus, richtiger Hohenheim. Er nennt den Gebranch der aus Haselstrauch gefertigten Rute altbekannt. Auch um sie wob, wie um die Mistel, seit altersher die Sage ihr geheimnisvolles Gewand. Vergil schildert den schattenspendenden Strauch als Liebling der Hirten und Unterschlupf liebender Paare, und des großen Dichters Spuren folgen die Brüder in Apoll bis zum Sänger des Kabaret- Idylls: Unter dem Haselstrauch. Aus ihm schnitt m^n Wünschelruten aufGrund uralter Volksvorliebe für ihn, und weil er bequemer zu erreichen war als die in der Tat sehr seltene Eichenmistel. In Anlehnung aber an deren ,, Dichotomie", zweizinkige Gabelung des Vorbildes wurde eine ähnlich ge- staltete ,, Zwiesel", unter Anlehnung wieder an der Druiden Brauch und ihn mit christlicher Mystik verquickend, in mondhellen Johannisnächten unter absolutem Schweigen mit neuem Messer ge- schnitten. Ein Mann wie Georg Agricola konnte in seinem berühmten „Buch vom Bergwerk", das dieser wichtigen Hantierung erst wissenschaftliches Gefüge gab, nicht achtlos bei der Wünschelrute vorübergehen, ohne die Berghau im Grunde un- möglich war. Allerdings gab es schon, so zu sagen, Handwerksregeln für Erzsucher. „An welchem Ort viel Bäume, lang nacheinander ordentlich gesetzt, zu unrechter Zeit verdorren und schwarz werden oder sunst ihre rechte Färb ver- lieren und vom Ungestüm der Winde niederfallen, daselbig liegt ein Gang verborgen", weil aus dem Fallen der Bäuine zu folgern ist, daß ihre Wurzeln durch Erzadern am Eindringen in den Boden und Festhalten des Baumes verhindert werden. Je nach dem gewünschten Erz wechselte man damals aus allerhand Erwägungen mit dem Rutenmaterial (nach Theophrast wechselte die Mistel ihre Eigenschaften je nach ihrem „Wirt"). Haselnuß- ruten zeigten Silber, solche aus Tannenholz Blei und Zinn, eiserne oder stählerne Gold an. In der nach oben gekehrten bloßen Hand (die beigegebene Abbildung aus dem gedachten Werk, die besser als viele Worte das Rutenlaufen zeigen, deutet das dadurch an, daß sie auf dem Baumstumpf die ausgezogenen Handschuhe sehen läßt!), also in recht gezwungener, die Arm- und Handmuskulatur fast krampfhaft anspannender Haltung, wird die Rute an den Gabelenden senkrecht vor der Brust getragen. Über dem Erzgange oder der Wasser- ader sollte sie in zuckende Bewegung geraten und schließlich geradezu nach unten zeigen. Der Wunsch ist der Vater des Gedankens. Er ist stark genug, seine Spuren auf dem Gesicht zu zeigen, er wird unzweifelhaft auch die gedachte Muskulatur beeinflussen, zumal wenn sie straff ge- spannt ist (etwa wie die Saiten einer Harfe vom leisesten Windzug zum Tönen gebracht werden) und noch mehr, wenn sie einem Menschen gehört, der seinen Weg nicht geht, sondern, wenn auch unbewußt, beeinflußt von seinem Sachverständnis, ihn sucht, selbst nur dahin, wo umgestürzte Bäume eine Erzader oder eine Talmulde Wasser vermuten lassen. Auch Agricola verschloß sich solchen Er- wägungen nicht. Ihm ist die Rute „mit der schon im Altertum Zauberei getrieben" wurde, zuwider. ,.Ein Bergmann", sagt er, „dieweil er ein frommer ernstlicher Mann sein soll, gebraucht der Zauber- ruten in keinem Wege, denn er ist der natürlichen Dinge erfahren und weiß, daß ihm die Wünschel- ruten, wie eine Gabel geformiert, kein^ Nutz seien." Er belehrte, aber er beseitigte den Aberglauben nicht. Mächtig flammte er auf, als 1692 die Wundertat eines Franzosen Aimar von sich reden machte. In der Dauphine als Rutengänger be- kannt, wurde er herbeigeholt, als eine Mordtat in Paris den Bemühungen der Behörden spottete und nicht aufgeklärt werden konnte. Der Mann mit seiner Wunderrute, die ihm alles verborgene offen- barte, wurde herbeigeholt, und sie führte ihn über die Rhone hinweg nach Beaucair bis vor den Mörder, der zitternd seine Untat eingestand. Daß die Rute eine ganz gemeine Holzrute war, ein Werkzeug in der Hand eines Mannes, der auch vor Betrug nicht zurückbebte, bewies wenig später der Prinz von C o n d e , der Aimar d bei seinen Versuchen streng beobachtete und ihn, vielleicht eine Art von „Gedankenleser", als Schwindler entlarvte. Kurze Zeit später rechnete Joh. Gott fr. Zeidler, ein geistreicher Theologe, gründlich mit der Rute ab, so gründlich, daß ein halbes Jahrhundert später ein Braunschweiger Arzt Joh. Nicol. Marti US, trotzdem er selbst so wunder- gläubig war, daß er einen Bratspieß, weil er aus Haselnußholz angefertigt war, für imstande hielt, sich von selbst zu drehen, in seinem Lehrbuch der Magie naturalis bekennt, „daß der Alten aber- gläubisch Geschwätz zur Würckung besagter Ruthe nichts beitrage, sondern die Ursachen des Effects aus einem anderen Grund hervorgesucht sein müßten". Trotzdem spornte die Wunderrute wieder fünfzig Jahre später ernsthafte, zumeist Münchener Gelehrte zu neuen Untersuchungen an. Der Mag- netismus genügte zu ihrer Deutung nicht, Galvanis staunenerregende Entdeckung wurde herangezogen, ein verbesserter „bipolarer Zylinder", ein „siderisches Pendel" konstruiert, das sicherer arbeiten sollte als die alte Rute — die moderne Forschung bestätigte aber lediglich, was Agricola vor drei Jahr- hunderten gelehrt hatte, was ich klarzulegen mich bemühte: daß der Rute Leistungen trügerische, nicht ihr zukommende, sondern Folgen „ideo- motorischer Bewegungen" des Trägers sind, daß sie erst in der Hand ihres Trägers, unter dem Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 3 Einfluß seines gelegentlich Wunder wirkenden Geistes, von ihm instruiert, zu der Gerätschaft einer Wunder- Wunschrute wird, gleich wie das In- strument, die Gerätschaft erst in den Händen des Kundigen, dessen, der „kennt", das Erwünschte ge- raten läßt. Die Rute gleicht dem Modellierstab, den der Banausos nur dürrem Holz gleich achtet, und das doch, von der „könnenden" Hand des gott- begnadeten Künstlers geführt, aus formlosem Ton Wunderwerke hervorzaubert. Sie gleicht der Geige aus ebenso dürrem, an sich wertlosem Holz, denen Meister der Töne, Künstler, gar wunder- same Melodien entlocken, die ihrem Sehnen und Fühlen Ausdruck geben und alle Wünsche, alles Sorgen und Kümmern der Zuhörer zum Schweigen bringen, erfüllen. Was immer wieder, auch jetzt wieder die Wünschelrute in aller Welt Neues brachte, das waren Begleitumstände, die sie selbst nicht an- gehen. Auch ohne die nüchterne Aufzählung von zum Teil lächerlichen Fehlgängen '■) und andere aufklärende Mitteilungen über die Rute wird sie wieder zur Ruhe kommen, der Glaube an sie oder ihresgleichen wird aber erst schwinden, wenn des Kindes Phantasie sich nicht mehr an dem Märchen von der Springwurz, von Wunsch er- füllenden Heinzelmännchen u. dgl. ergötzt, und wenn der Mensch nicht mehr hofft und wünscht — niemals! ') Vor kurzem (N. W. Bd. 31, S. 161 u. S. 672) wurc über besonders augenfälliges Versagen der Ruten berichtet. Einzelberichte. Chemie. Der bedeutsamen Frage, bis zu welchem Grade die Reinheit die Technik die wichtigeren Metalle herzustellen vermag, hat die Physikalisch- technische Reichsanstalt in den letzten Jahren ihre besondere Aufmerksamkeit zugewendet, und es soll nun im folgenden im Anschluß an die bisher erfolgten Veröffentlichungen (F. Mylius, Zeitschr. f. anorg. Chem. Bd. T4 [1912], S. 407— 427; F. Mylius und E. Groschuff, ebenda Bd. 96 [1916], S. 237 — 264)') ein kurzer Bericht über die bis jetzt erhaltenen Resultate gegeben werden. Die Aufgabe, die sich die Reichsanstalt ge- stellt hat, zerfällt in zwei ganz verschiedenartige Teile, nämlich einerseits in den analytischen, andererseits in den präparativen Teil; in jenem werden die in den Metallen vorhandenen Fremd- stoffe festgestellt, in diesem werden der Technik nach Möglichkeit Hinweise gegeben, auf welchem Wege die Reinigung der zunächst ja im weniger reinen Zustande gewonnenen Metalle durchgeführt werden kann. Der analytische Teil der Aufgabe hat nicht unerhebliche Schwierigkeiten, denn die üblichen Methoden der analytischen Chemie sind auf das spezielle Problem der Ermittlung und Bestimmung von sehr geringen Mengen oder gar Spuren in Anwesenheit großer oder übergroßer Mengen eines Hauptstoffes nicht zugeschnitten. So ist es z. B., wenn es sich etwa um die Analyse von „reinem" Zink handelt, vollkommen ausgeschlos'^en , den Zinkgehalt der Probe unmittelbar zu bestimmen, weil die Genauigkeit der Bestimmung selbst bei sorgfältigstem Arbeiten kaum 0,1 •*/„ erreichen würde. Der allein zulässige Weg ist vielmehr der der indirekten Analyse, d. h. es werden sämt- liche, in dem Metall enthaltene Fremdstoffe nach ') Vgl. auch den Bericht über die Tätigkeit der Physi- kalisch-technischen Reichsanstalt im Jahre 1915, Zeitschr. f. Instrumentenk. 36 [1916], S. 154—157. Art und Menge genau bestimmt, und dann wird, nachdem ihr prozentischer Gesamtbetrag — z. B. 0,484 "/d von 100 abgezogen ist, der Rest 99,516% als der Reingehalt der Probe angeschen. Dieser Weg ist allerdings sehr umständlich, aber er allein gibt, wie die folgende Überlegung zeigt, genaue Resultate. Die Genauigkeit einer analytischen Untersuchung ist innerhalb gewisser Grenzen von der absoluten Menge des zu bestimmenden Stoffes mehr oder minder unabhängig. Demnach ist, wenn wir als mittlere Genauigkeit der Bestim- mung der einzelnen zu bestimmenden Stoffe im Durchschnitt i"/,, annehmen, und im ganzen Ver- unreinigungen im Gesamtbetrage von 0,484 "/,, zu bestimmen sind, der bei deren Bestimmung unter- laufende Fehler im ungünstigsten Falle, d. h. wenn sich alle Einzelfehler addieren, i "/o ^on o,484'',|,, d. h. 0,005 '*/,). Der Reingehalt des Zinks ist also auf diesem indirekten Wege zu gg.sie^/g mit einem Fehler von nur 0,005% festgestellt, während bei der direkten Bestimmung, trotzdem hier die pro- zentische Genauigkeit der Analyse unter Annahme ihrer ganz besonders sorgfältigen Durchführung zehnmal größer vorausgesetzt worden ist, der Wert 99,5 mit einem P"ehler von 0,1%, also mit einer zwanzigmal geringeren Genauigkeit erhalten worden ist. Nun bietet allerdings, wie bereits angedeutet und bei der Annahme über die Größe der wahr- scheinlichen Fehler bereits berücksichtigt worden ist, die Bestimmung kleiner Mengen von Fremd- stoffen neben einer großen Menge eines Haupt- stoffes besondere Schwierigkehen. In der Tat verlangt die genaue Durchlührung der indirekten Analyse, daß man zunächst den Hauptbestandteil in geeigneter Form mehr oder minder vollständig aus der Gesamtmasse entfernt und für die eigent- liche Analyse die von dem Bällast befreite Rest- masse benutzt. Der Erfolg der Arbeit hängt hier — das erscheint ja selbstverständlich — sehr N. F. XVI. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. wesentlich von der Form ab, in der die Haiipt- menge des Hauptbestandteiles entfernt wird, denn es muß natürlich peinlichst vermieden werden, daß mit dem Hauptbestandteil etwa auch Teile der zu bestimmenden Fremdstoffe — etwa durch „Mitreißen", durch „Adsorption", durch „Misch- krystallbildung" usw. — entfernt werden. Man wird also vor allen Dingen vermeiden müssen, den Hauptbestandteil in Form eines mehr oder minder amorphen Niederschlages, das Zink also z. B. als Schwefelzink, abzuscheiden, man wird vielmehr die Abscheidung des Zinks nach der Auflö-iung des Metalls in Form einer gut kristalli- sierenden Verbindung, etwa aus salpetersaurer Lösung als Zinknitrat Zn(N03)., -öHoO, vornehmen. Indessen ist dies Verfahren, obwohl durchführbar, darum nicht besonders zweckmäßig, weil das Zink- nitrat mit Kupfernitrat, Nickelnitrat usw. Misch- kristalle bildet, deren Entstehung begreiflicher- weise dazu führen kann, daß ein Teil des in der Lösung vorhandenen Kupfers und Nickels mit dem Zink entfernt wird und sich so der Bestimmung entzieht, und Mylius zieht daher jetzt nach Durchführung sehr sorgfältiger Einzelstudien die Ab«cheidung des Zinks als Zinkammonium- sulfat vor. Die Bestimmung der in einem Metall ent- haltenen Fremdbestandteile setzt also, wie schon aus diesen kurzen Andeutungen hervorgeht, in jedem Falle ein besonderes Studium voraus; der allgemeine und in Wirklichkeit keineswegs über- treibende Satz, daß jede genaue chemische Ana- lyse eine wissenschaftliche Arbeit für sich ist, gilt in erhöhtem Maße für die schwierige Auf- gabe der genauen Bestimmung des wahren Rein- gehaltes eines „reinen" Metalles. Um die Ergebnisse seiner Untersuchungen kurz darstellen und eine leichte Charakterisierung der Handelsmetalle nach ihrem Reinheitsgrade durchführen zu können, hat Mylius den Begriff der „Reinigungsstufe" eingeführt. Er sieht hierbei von der Natur der in einem Metall vorhandenen Verunreinigungen ganz ab, berücksichtigt also insbesondere nicht, ob die eine Verunreinigung für die praktische Verwendung des Metalles schäd- licher als die andere ist, sondern bemißt, indem er in rein chemisch-analytischer Betrachtungsweise als Grundlage für die P^eststellung der Reinigungs- stufe nur die Summe sämtlicher überhaupt vor- handener Fremdstoffc benutzt, die Reinigungs- stufe als in den Potenzen von lo ausgedrücktes Gewichisverhältnis des „reinen" Metalls zur Summe der Verunreitugungen. So entspricht weniger als I Teil Verunreinigungen in lo Teilen des Metalls der Reinigungsstufe I, weniger als i Teil in lO^ ^ lOO Teilen der Reinigungsstufe II usw. Ein Metall von der Reinigungsstufe IV ist demnach ein Metall, dessen Verunreinigungen insgesamt weniger als I : lo' = I : loooo^ = o,oi% betragen. Ein Metall, das in lo Gewichtsteilen mehr als i Gewichts- teil, d. h. mehr als io'7o Fremdstoffe enthält, hat die Reinigungsstufe O, es ist „unrein". Eine Übersicht über die reinsten Metalle des Handels nach Analysen, die in der physikalisch- technischen Reichsanstalt von Mylius und im geophysikalischen Institut in Washington von Allen ausgeführt sind, gibt die folgende Tabelle: Bezeichnung des Mctalles Ana- lysiert Summe der Kremdstoffe Reini- gungs- stufe Reinstes Gold Allen nicht bestimmbar Vl(f) Reinstes Blei „Kahlbaura" Mylius 0,002 IV Reinstes Silber Allen 0,003 IV Reinstes Zinn „Kahlbaum" Mylius 0,004 IV Reinstes Cadmium „Kahlbaum" Mylius 0,006 IV Reinstes Kupfer -Mlen 0,008 IV Reinstes Zink „Kahlbaum" Mylius 0,009 IV Reinstes Wismuth Mylius <0,OI IV') Palladium von Heracus Allen 0,025 111 Reinstes Kobalt „Kahlbaum" Allee 0,04g 111 Antimon „Kahlbaum" Mylius o,oS 111 Die Tabelle lehrt, daß die Technik in der Tat imstande ist, Metalle von einem sehr hohen Rein- heitsgrade herzustellen, einem Reinheitsgrade, der allen Anforderungen der Wissenschaft und der Technik entspricht. Die physikalisch - technische Reichsanstalt hat daher zunächst mit der be- kannten Firma C. A. F. Kahlbaum in Berlin-Adlers- hof einen Vertrag abgeschlossen, nach dem die Firma unter Aufsicht und Bürgschaft der Reichs- anstalt „normierte Metalle" mit einer maximalen Gesamtverunreinigung von 0,0 1"/,, in den Handel bringt. Der Anfang ist bereits gemacht, und zwar mit dem „normierten Zink". Diese „normierten Metalle" sollen vor allen Dingen für wissenschaft- liche Zwecke dienen, weil viele wichtige Eigen- schaften der Stoffe, so die Speklralreaktionen, die Lumineszenzerscheinungen, das elektrische Leit- vermögen bei sehr tiefen Temperaturen, die elek- trischen Potentiale, die katalytischen Wirkungen usw. von kleinen Mengen von Fremdstoffen in starkem Maße beeinflußt werden. Als Beispiel für den zweiten Teil der Aufgabe, die die Reichsanstalt sich gestellt hat, seien die plan- mäßige Untersuchung von Mylius und G rö- sch uff über die Reinigung des Wismuths an- geführt. Während bisher vielfach die Meinung vertreten war, daß das elektrolytisch hergestellte Wismuth das reinste sei, ist jetzt von den beiden genannten Autoren der Nachweis erbracht worden, daß die Reinigung des Wismuths am rationellsten durch Kristallisation entweder des normalen Nitrats Bi(N03).j ■ 5H.,0 aus wässerig-salpetersaurer Lösung ') Zu Metallen der IV. Reinigungsstufe gehören außer den genannten noch Platin und Quecksilber. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 3 oder des Metalles selbst aus dem Schmelzflusse bewirkt werde. Hier hat die Präzisionsanalyse mit der präparativen Chemie in erfolgreicher Weise zusammengewirkt. Mg. Interessante Versuche über die Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der Korngröße der Materialil;n^hat J. Arvid H edvall in Er- gänzung seiner früheren , auch an dieser Stelle (Naturw. Wochenschr., N. F. Bd. 13 [1914]. S. 713, Bd. 14 [1915], S. 726) besprochenen Arbeiten über Rinmans Grün, Thenards Blau, Kobaltmagnesium- rot und Kobaltzinngrün in der Zeitschr. f. anorg. u. allgem. Chem. Bd. 9B [1916], S. 64—74 ver- öffentlicht. Gerade so wie sich bei einer Schmelzung der Schmelzprozeß und bei einer Kristallisation der Kristallisationsprozeß durch Aufnahme oder Ent- wicklung von Wärme und damit durch eine Störung der unter dem Einfluß einer stetig wirkenden Heiz- oder Abkühlungsquelle erfolgenden Temperaturzu- oder -abnähme desSystems zu erkennen gibt, müssen auch alle anderen, mit positiver oder negativer Wärmetönung verbundenen Vorgänge, sofern sie rasch genug verlaufen, eine Unregelmäßigkeit in der Kurve hervorrufen, die die gleichmäßig er- folgende Ab- oder Zunahme der Temperatur als Funktion der Zeit darstellen. Voraussetzung da- für ist nur, daß die Wärmetönung der fraglichen Reaktion nicht zu gering ist und die Reaktion selbst rasch verläuft, da sich die Erscheinung sonst der Beobachtung entzieht. Eine Reaktion, für die diese Voraussetzung zu- trifft, ist die reversibele Dissoziation des Kobalt- oxyduloxyds : 2C03O, 7— >- ecoo + o,. Bringt man z. B. ein Co^Oj -Präparat in einen Raum, dessen Temperatur bei 1150" liegt und erhalten wird, und mißt von 30 zu 30 Sekunden seine Temperatur, so findet man, daß die zu- nächst regelmäßige Zunahme der Temperatur bei etwa 938" C eine deutliche Minderung erfährt, weil bei etwa 938^' die mit Absorption von Wärme verlaufende Dissoziation des Oxyds eintritt und damit ein Teil der dem Präparat zuströmenden Wärme anstatt zur Erhöhung seiner Temperatur zu seiner Zersetzung verwendet wird. Wenn die Dissoziation des Kobaltoxyduloxyds momentan verliefe, so wäre 938° die genaue „Zer- setzungstemperatur", d. h. die Temperatur, bei der der mit wachsender Temperatur wachsende Dissoziationsdruck gerade eben den in der Um- gebung des Präparats herrschenden Sauerstoff- druck "überschreitet. Tatsächlich aber verläuft sie nicht momentan, und darum macht sich die Zer- setzung in der Kurve „Temperatur-Zeit" erst be- merkbar, nachdem die eigentliche Zersetzungs- temperatur überschritten ist, d. h. die wahre Zer- setzungstemperatur liegt nicht bei 938", sondern tiefer, Bemerkenswert ist es nun, daß die auf diesem Wege gefundene scheinbare Zersetzungstemperatur um so höher liegt, je kompakter das für den Versuch benutzte Oxyduloxyd ist. So ist z. B. das durch Glühen bei 450" aus Kobaltnitrat her- gestellte C03O4 viel kompakter als das bei der- selben Temperatur aus Kobaltkarbonat erhaltene Präparat, und dementsprechend erfolgt seine Zer- setzung bei 952", während die des zweiten, weniger kompakten Präparats schon bei 922" erfolgt. Ganz analog findet man , daß die spontane Oxydation des Kobaltoxyduls 6C0O + O.J = 2CogO, bei um so höherer Temperatur eintritt, je länger das CoO-Präparat vor der Oxydation in einer Stickstoffatmosphäre geglüht ist, d. h. es gilt der Satz, daß, je stärker die Sinterung oder Feuer- schwindung des Präparates ist, desto geringer seine Dissoziations- oder Oxydationsgeschwindigkeit ist. Bestätigt werden diese Resultate durch die Ergebnisse von Versuchen zur Herstellung von Thenard's Blau, Kobaltzinngrün und Rinman's Grün. Die Reaktionsgemische, z. B. das Gemisch CoO -[- A1„0.;, treten zur Bildung des farbigen Komplexes, im vorliegenden Falle also des blauen CoO-AljOg, nur bei einer um so höheren Tem- peratur zusammen, je kompakter die Oxyde sind, ein Umstand, der sich z. B. auch dadurch be- merkbar macht, daß die Reaktion erst bei einer um so höheren Temperatur eintritt, je langsamer die Erhitzung ist. Die hier skizzierten Tatsachen dürften auch lür die Technik von Interesse sein. Mg. „Platin und Leuchtgas", ist der Titel einer inter- essanten Untersuchung, die auf Veranlassung der bekannten Firma W. C. Heraeus in Hanau in der Physikalisqh-technischen Reichsanstalt von F. Mylius und E. Hüttner ausgeführt worden ist (Zeitschr. f. anorg. Chem., Bd. 95, 257—283, 1916). Daß die gewöhnlichen Leuchtgasflammen, ins- besondere die leuchtenden Flammen den Gerät- schaften aus Platin Gefahr bringen können, weiß ein jeder, der in einem chemischen Laboratorium mit Platintiegeln oder Platinschalen gearbeitet hat. Die vorher spiegelglatte Platinfläche beschlägt sich bei unvorsichtigem Arbeiten mit Ruß und erweist sich, nachdem der Ruß wieder weggebrannt ist, als mehr oder weniger aufgerauht. Das Metall selbst er- leidet hierbei zunächst keinen oder doch nur einen sehr kleinen Gewichtsverlust, eine Verflüchtigung des Platins findet also nicht statt, jedoch führt öftere Wiederholung des Vorganges eine zu- nehmende Korrosion des Metalles und schließlich seine völlige Zerstörung durch Zerreißen und Ab- bröckeln herbei. I. Einfluß des Reinheitsgrades des Platins auf die Erscheinung. — Ver- gleichende Versuche, bei denen die in ein Rohr aus schwer schmelzbarem Glase eingeschlossenen Platinproben der Wirkung eines genau definierten N. F. XVI. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 45 Stromes von Leuchtgas bei bestimmter Temperatur (600" — 650" C) ausgesetzt wurden, ergaben, daß auch Bleche aus sehr reinem Platin, dessen Ver- unreinigungen (Gold, Palladium, Iridium, Kupfer, Eisen usw.j insgesamt nicht mehr als 0,01% aus- machen, von dem Leuchtgase angegriffen wird, daß aber die angreifende Wirkung mehr und mehr nachlaßt, je sorgfähiger das Platin durch Be- handlung mit konzentrierter Salzsäure von dem ihm oberflächlich von dem Walzprozeß her an- haltenden Eisen befreit wird, ^j Ganz — auch oberflächlich — reines Platin wird nicht an- gegriffen, der Angriff ist also von dem Reinheits- grade des Platins abhängig. Von besonders un- günstigem Einfluß ist ein Gehalt des Platin an Palladium und vor allen Dingen an Rhodium, während sich Iridium als nur wenig aktiv erweist, eine Talsache, die für die richtige Behandlung der aus Platin und eine Platinrhodiumlegierung bestehenden Thermoelemente von Wichtigkeit ist. 2. Einfluß der Zusammensetzung des Leuchtgases aufdie Erscheinung. — Von großer Bedeutung war die Frage, ob bestimmte Bestandteile des Leuchtgases und gegebenenfalls welche die Ursache für die schädigenden Wirkungen sind. Planmäßige Versuche führten zu dem Er- gebnis, daß bei Kohlenoxyd und Benzol keine, bei reinem Methan eine sehr geringe, bei reinem Ace- tylen eine sehr erhebliche Rußabscheidung ein- tritt, daß aber Wasserstoff nicht nur bei Methan, sondern auch beim Acetylen die Rußabscheidung verhindert. Dementsprechend gab ein synthetisch hergestelltes Gas, das 50 Vol.-''/o Wasserstoff, 30 Voi.^/o Methan, 12 VoL-^/o Kohlenoxyd und 4 Vol.-'7o Acetylen und Benzoldämpfe sowie geringe Mengen von Luft enthielt, auf an sich wirksamem Platin keine Veranlassung zur Abscheidung von Ruß. Die Wirkung des Stcinkohlenleuchtgases ist also auf einen Nebenbestandteil zurückzuführen, und dieser Nebenbestandteil ist, wie mit Sicherheit festgestellt werden konnte, der Schwefelkohlen- stoff CS2. Daß Platin bei 400 bis 450" C mit reinem oder durch inerte Gase verdünntem Schwefelkohlenstoff unter Bildung einer schwarzen, amorphen, aber ein- heitlichen Verbindung von der Formel Ptj-CSj re- agiert, ist schon 1895 von Schützenberger nachgewiesen worden und wird -von Mylius und Hüttner bestätigt. Durch Wasserstoff wird die Verbindung in der Hitze unter Entwicklung von Schwetelwasserstoft' und Hinterlassung eines amor- phen, karbidähnlichen Rückstandes zersetzt, der neben vielem Kohlenstoff auch etwas Schwefel ent- hält. So wird es begreiflich, daß das an Platinblech wirkungslose synthetische Leuchtgas durch Hinzu- fügung von auch nur wenig Schwefelkohlenstoff (oder der in reduzierender Atmosphäre ähnlich ') Das aus dem Walzprozeß stammende Eisen in den äußeren Schichten der Platingeräte wird bei Heracus in Hanau entfernt, bevor die Geräte in den Handel kommen, eine Maß- regel , die die Haltbarkeit der Platingeräte wesentlich be- günstigt hat. wie Schwefelkohlenstoff wirkenden schwefeligen Säure SOj) die Befähigung zu starker Rußbildung erhält. Darnach erklärt sich also die Korrosion des Platins durch eine leuchtende Leuchtgasflamme durch die intermediäre Bildung des voluminösen Pt, -CS.,, dessen Entstehung von einer Auflockerung des Metallgefüges begleitet ist, und dessen Zer- setzung durch den im Gase enthaltenen Wasserstoff. 3. Die Einwirkung von Leuchtgas auf Platin bei Anwesenheit eines Über- schuses von Luft. — Die Versuche, durch die die bisher skizzierten Ergebnisse erhalten worden sind, entsprechen insofern nicht der alltäglichen Laboratoriumspraxis, als bei der benutzten Ver- suchsanordnung — Erhitzen der Platinproben in einem Strome von Leuchtgas — der in der Praxis wesentliche Luftzutritt nicht berücksichtigt worden ist. So lange allerdings die zu dem Gase hin- zutretende Luft zur vollständigen Verbrauchung aller seiner Bestandteile und damit auch des Schwefel- kohlenstoffs nicht ausreicht, wird dieser seine schäd- liche Wirkung in der angegebenen Weise ausüben können, bei einem Überschuß von Luft aber wird der Schwefelkohlenstoff verbrannt, ehe sein nach- teiliger Einfluß zur Geltung kommen kann. So gut also auch die entwickelte Schwefelkohlen- stofftheorie die schädliche Wirkung von leuch- tenden Flammen erklärt, so vertagt sie doch bei der Erklärung der — allerdings viel schwächeren — Wirkung, die die nicht nicht-leuchtenden Bunsenflammen auf das Platin haben. In diesem ist das schädliche Agens in der Tat ein anderes, es ist der Sauerstoff. Schon vor einigen Jahren hat Lothar Wöhler gezeigt, daß die gewöhnliche Meinung, Sauerstoff wirke auf kompaktes Platin nicht ein, irrig ist, denn bei 420" bis 450" wird wie die anderen Platinmetalle auch das reine Platin vom Sauer- stoff oxydiert. Dies tritt besonders deutlich bei dem vonHolborn und seinen Mitarbeitern eben- falls in der Physikalisch-technischen Reichsanstalt näher untersuchten elektrischem Glühen des reinen Platins hervor: Beim Glühen des Metalls in Sauer- stoff zeigte sich eine von Gewichtsverlust be- gleitete Ätzung der Metallflächen unter Blpßlegung des Kristallgefäßes, während die Erscheinung in Stickstofiatmo>phäre ausblieb. Damit ist Oxyd- bildung als Ursache für den Gewichtsverlust nach- gewiesen, wobei praktisch unerheblich ist, ob die Gewichtsabnahme durch Verflüchtigung des inter- mediär gebildeten Oxyds oder durch seine Zerstäubung zu erklären ist. Neu hergestellte Platintiegel erleiden daher auch nach dem ersten Glühen, bei dem sie infolge von Verflüchtigung der vorhandenen Verunreinigungen, insbesondere von Osmium, und Ruthenium zwei Metallen, die bekanntlich flüchtige Sauersioffverbindungen bilden, an Gewicht stark verlieren, einen dauernden Ge- wichtsverlust, dessen Größe als Maß für die voraussichtliche Haltbarkeit des Platins dienen kann. Ein Piatintiegel von 16 bis 20 g Gewicht darf in der Stunde bei elektrischem Glühen bei 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 3 iioo" C höchstens 0,2 mg an Gewicht verHeren; der Gewichtsverlust gewöhnlicher technischer Platintiegel beträgt beim Glühen über der Bunsen- flamme etwa i mg in der Stunde. Mg. Geologie. Die neun Endmoränen Nordwest- deutschlands. Die Ablagerungen der baltischen Endmoräne Norddeutschlands lassen sich in einen Weichsel — Oder — und holsteinschen Lobus gliedern. Das nordwestdeutsche Gebiet gehört den Anteilen der beiden letzteren an. Zwischen dem Allertal und Rügen verlaufen mit weitgehender Parallelität 9 Endmoränenzüge, welche E. Geinitz (Centralbl. f. Mineralogie, Geologie und Paläonto- logie 1916) nach benachbarten Orten tolgender- maßen bezeichnet; 1. Südlicher Zug der Lüneburger Heide: oberer DrawehnEschede-Soliau; unentschieden ist noch, ob die Endmoränen von Burg — Fläming oder die linkselbischen in seine Fortsetzung gehören. 2. Perleberg — Wendisch-Warnow — Hitz- acker — Ebstorf — Harburg — Blankenese, im SO Anschluß an die Endmoränen des Fläming oder der Gegend südlich Berlin. 3. Die mecklenburgische südliche Außenmoräne von den Ruhner Bergen über Parchim — Ludwigs- lust — Hagenow — Vellahn — Granzin — Lauen- burg — Ahrensburg, nach O zwischen Wittstock und Pritzwalk mit südlicher Umbiegung anf die Gegend von Berlin führend. 4. Die meckl. südl. Hauptendmoräne; Fürsten- berg • — Schwerin — Molin, nach SO an den Granseer Bogen anschließend, im westl. Teile über Oldesloe nach dem Plöner See verlaufend. 5. Die meckl. nördl. Hauptendmoräne; Feldberg — Bäbelin — Kalkhorst mit Anschluß an den ucker- märkischen Zug, der nach dem Oderknie bei Oderberg führt. In Holstein ist die 5. wie die 4. Endmoräne in mehrere parallele Einzelstaffeln zerlegt, die be- sonders in der Kieler Gegend reichlich ausgebildet sind. Erklärt wird diese Mannigialtigkeit damit, daß in der Gegend der Lübecker Bucht das Eis eine lange Stillstandszeit gehabt hat und die vielen Schwankungen innerhalb dieser Zeit diese zahlreichen Moränenzüge bilden konnten. In den beiden meckl. Hauptendmoränen vollzieht sich der Anschluß von Oder- und holsteinschem Lobus. Scheitelpunkte sind Sonneiiberg und Wendisch- Warnow; bei der i. Endmoräne am oberen Dra- wehn. 6. Die meckl. nördl. Außenmoräne erstreckt sich von den Bröhmer Bergen über Demmin — Tessin nach Kühlung und steht im SO mit Penkun in Verbindung, nach NW mit der Gegend von Gnoien. 7. Elbert's „mittl. Randmoräne", von Greifs- wald nach Ribnitz und in .Mecklenburg über Jahnkendorf —Wulfshagen nach Rostock verlaufend. 8. Elbert's „nördl. Randmoräne" in Pommern mit dem charakteristischen Bogenteil Velgast — Barth — Fischland. Der nach N aufsteigende Bogen dürfte der Vereinigung von Oder- und holsteini- schem Lobus entsprechen. 9. Ähnlich verläuft noch auf Moen und Rügen ein Endmoränenzug. Diese 9 Endmoränenzüge oder Staffeln ent- sprechen dem staffeiförmigen Rückzug des Inland- eises und bilden ziemlich regelmäßig hinter- einanderfolgende Absätze aus der ziemlich ein- heitlichen Rückzugsperiode. Die Abstände der einzelnen Endmoränenzüge schwanken zwischen 12 und 40 km und betragen zwischen i u. 2 40 km 2 u. 3 20-35 km 3 u. 4 17 km 4 u. 5 30 km 5 u. 6 40 — 21 km 0 u. 7 12 — 15 km 7 u. 8 13 — 19 km 8 u. 9 30 km Die Zeiten zwischen den einzelnen Endmoränen müssen sehr verschieden lang gewesen sein, z. T. sehr beträchtlich lang. Ein grußer Unterschied besteht z. B. zwischen der 5. und 6. Endmoräne; vor 5 noch vorherrschend Sand und starke Wasser- wirkung nach einer ruhigeren Zeit, in der Becken- tone zur Ablagerung gelangten. Zwischen 5 u. 6 Vorherrschen von Grundmoräne, Zungenbecken, Osreihen, subglazialen Wasserläufen. Schnell muß sich infolge raschen Abschmelzens des Eises der Rückzug von 5 auf 6 und die folgenden Staffeln vollzogen haben. Zur Zeit der älteren Endmoränen existierte das untere Elbtal noch nicht, sondern der Urstrom entwässerte durch das Allertal. Der Elbdurch- bruch vollzog sich in der Zeit der 4. oder 5. End- moräne. Das untere Elbtal ist somit kein dem E^isrand folgendes (marginales) Tal, sondern ein Durchbruchstal. Das Lauenburger Torilager hält Geinitz für postglazial, während es bisher einer Interglazialzeit zugerechnet wurde. Damit würde sich die Existenz einer gemäßigten Flora nahe dem Eisrande er- geben. V. Hohenstein. Paläontologie. In mehreren ungarisch und deutsch geschriebenen Mitteilungen ') veröffentlicht K. Lambrechi seine eingehenden osteologischen Vergleiche an fossilen Vogelresten aus dem ungarischen Diluvium. Darunter sind alt- diluviale („präglaziale") Funde vom Nagyharsäny- Berge, Beremend und anderen Stellen, ferner der erste fossile Rest des Uhu aus der Otto ') K. Lambreclit, Die erste ungarische präglaziale Vogelfauna. — , Fossiler Uhu (Bubo maximus Flem.) und andere Vogelresle aus dem ungarischen Pleistozoon. — , Der erste fossile Rest des Steppenhuhns (Syrrhaptes paradoxus fall.) aus: Aquila Bd. 22 Kgl. Ungar. Ornithol. Zentrale, Budapest 191 6. N. F. XVI. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 47 Hermann-Höhle im Komitat Borsod, eine größere Zahl von Alpenkrähen aus einer Höhle im Tal der kalten Szamos (Komitat Kolozsvar) und vieles andere. Bemerkenswert in zoogeographischer und klimatischer Beziehung erscheint auch die Fest- stellung des Steppenhuhns im Postglazial der Um- gebung von Budapest. Sämtliche Funde sind iso- lierte Knochen oder Knochenbruchstücke, zu deren Bestimmung es genauester ornithologischer Kennt- nisse bedarf. Edw. Hennig. Forstwirtschaft. Bockkäferkalamität in Eichen- wäldern. Seit einiger Zeit wurden aus verschie- denen Teilen Deutschlands, so aus der bayerischen Rheinpfalz, aus Westfalen und aus Mecklenburg Klagen laut über schwere Beschädigungen in Eichen- stämmen durch Insekten. Prof. Dr. K. Escherich hatte Mitte Mai dieses Jahres Gelegenheit in einigen Forstämtern der bayerischen Rheinpfalz die Insektenschäden an den Eichbäumen zu studieren (Zeitschr. f. angewandte Entomologie, Bd. III, Heft 3). Die gefällten Eichenstamme zeigten neben geringfügigen Borkenkäferspuren (Einbohrlöcher von Xylcbonis iiioitograpJnis Fbr.) unter der Rinde staiken Bockkälcrtraß. Die Bockkäfergänge waren meist sehr lang und führten tief ins Holz hinein : einige der aufgedeckten Puppenwiegen enthielten eben in der Verwand- lung begriffene Imagines von Clyliis arciiatus L. (Die der- Gattung Clytus eingeordneten Arten gehören zu den Cerambycidcn und werden ob ihrer überwiegend recht bunten Färbung auch „Zierböcke" genannt.) Neben derartigen noch nicht völlig ausgefärbten Käfern wurden gleich- zeitig auch frische Puppen und Larven ver- schiedenen Alters gefunden, während ein Besuch des gleichen Gebietes im September ausschließlich Larven, aber keinerlei Puppen und Imagines mehr ergab. Dadurch wurde die Frage nach den Generationsverhältnissen von Clytus arcuahis an- geschnitten — ob der Käfer eine i jährige oder 2 jährige Entwicklungsdauer besitzt — deren Studium jedoch noch zu keinem endgültigen Ab- schlüsse zu führen war. Für die Praxis sind die Beobachtungen Prof. Escherich's wichtig, daß der Schädling in der Hauptsache nur gefällte Stämme angeht, stehende Bäume werden von ihm nur dann befallen, wenn sie schlechtwüchsig sind oder kränkeln. 67. arciiafiis ist demnach als „stark sekundärer bzw. vornehmlich technischer Eichenschädling anzusprechen, der durch seine tief, mitunter bis in den Kern dringenden Larven- gänge das Holz stark entwertet". Als Ursache für die im letzten Jahre zu beobachtende Über- vermehrung des Schädlings ist sicher die Erhöhung der Brutgelegenheiten zu bezeichnen. Sind es in Westfalen und Mecklenburg vornehmlich kränkelnde Eichenwälder, welche der Massenvermehrung des Clytus Vorschub leisten, so ist in der Pfalz haupt- sächlich der durch den jetzt im Kriege stark hervortretenden Leutemangel hervorgerufene ver- spätete Abtransport der gefällten Eichenstämine dafür verantwortlich zu machen. Diese Erkenntnis gibt uns ohne weiteres die Gegenmaßregeln an die Hand, durch welche einer weiteren Überhand- nähme des Schädlings gesteuert werden könnte: „Entfernen der unterdrückten, absterbenden Eichen und rechtzeitige Abfuhr (spätestens bis Ende April) der gefällten Stämme." Da Cl. arcitatus sehr sonnenliebend ist, könnten Stämme, bei denen ein längeres Lagern nicht zu umgehen ist, viel- leicht auch dadurch geschützt werden, daß sie im Schalten aufbewahrt werden. Durch die An- wendung verwitternder Anstrichmittel endlich müßte versucht werden, die Käfer überhaupt von der Eiablage abzuhalten. H. W. Frickhinger. Düngung und Insektenbefall. Interessante Zu- sammenhänge zwischen der Art der Düngung und dem Grade des Insektenbefalles legen Beobachtungen klar, welche der kgl. Ö k o n o m i e r a t H o f f m a n n (Speyer) anläßlich einer Raupe nka lamit ät im Germersheim er Versuchsfeld im Frühjahr 1915 machen konnte (Prakt. Blätter f. Pflanzenbau u. Pflanzenschutz 191 5 Heft 56 und Zeitschrift f. angew. Entomologie 1916 Bd. 3 Heft 2). Die Obstbäume des Versuchsfeldes waren stark mit Raupen des ¥ rosts^Anncrs [C/ieiiiiatobta bore- ata Hb.), des Ringelspinners {Malacosoma ncustria L.), der Apfel bau mgesp inst motte {Hyponomeuta malincllus Zell) und der ver- änderlichen Gespinstmotte {Hyp. variablis Zell.) besetzt. Dabei zeigten sich merkbare Unter- schiede in dem Grade des Insektenbefalles, der sich mit der Intensität der Bodenbearbeitung und der Düngungsmethode steigerte, so zwar, daß der Verfasser den Satz aufstellen konnte: „je voll- ständiger die Düngung, desto stärker der In Sekten befall." Unzweifelhaft hat hier der günstige Ernährungszustand der Bäume, die Saftigkeit und Zartheit der Blätter den hohen Schädlingsstand verursacht, wie ja auch bekanntlich Schild- und Blattläuse sich besonders gerne auf gutgedeihenden Pflanzen ansiedeln. Über die Art, wie dieser starke Insektenbefall zustande gekommen war, ob etwa schon die eierlegenden Weibchen, die in den besten Ernährungsverhältnissen be- findliche Bäume zur Eiablage auswählten, oder ob erst die jungen Räupchen instinktmäßig die saftigsten Blätter aufsuchten, darüber konnte der Verfasser leider, keine Beobachtungen sammeln. — Andererseits schienen wieder andere Insekten, wie der Pflailmensplintkäfer [Scolytus pruni Rtzg. und Sc. rugulosiis Rtzg.) und der un- gleiche Borkenkäfer {Tümicus dispar) sich durch die Folgen einer guten Düngungsmethode vom Befall der Bäume abhalten zu lassen. Wenigstens wurden bei der starken Vermehrung dieser Schädlinge, welche der heiße Somme 191 1 in der Rheinpfalz verschuldete, Zwetschenbäume auf einem mit „starker Volldüngung" behandelten Teilstück des Germersheimer Versuchsfeldes von 4S Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i den Käfern in keiner Weise angegangen, während die Bäume auf der Nebenabteilung, die nicht ge- düngt worden war, 33 ",0 ihres Bestandes durch den Borkenkäferbefall einbüßten. Auch Prof Dr. L. Reh (Hamburg) hat, angeregt durch die Ho ffmann 'sehen Beobachtungen, seine Er- fahrungen auf diesem Gebiet niedergelegt (Zeitschr. f. angew. Ent. Bd. 3 1916 Heft i). Er glaubt, daß manche Schädlinge sich sicherlich durch den durch eine gute Düngung verbesserten Ernährungs- zustand der Pflanzen anlocken lassen, wie ja all- gemein die Kulturpflanzen dem Insektenbefall viel mehr ausgesetzt sind als die unkultivierten Ge- wächse und unter den Kulturpflanzen wiederum die hochgezüchteten eher befallen werden als die weniger sorgsam gezogenen (Spalier- und Form- obst; die in Mistbeet- und Treibkästen gezogenen Pflanzen). Andere Schädlinge die „langsam wach- sende Pflanzen oder Pflanzenteile vorziehen, wie die meisten Borkenkäfer, dürften durch kräftige Düngung eher zurückgehalten werden". Prof Reh hat in den Vierlanden bei Hamburg häufig die Erfahrung machen können, daß „gerade Stalldünger oft größeren Insektenbefall nach sich zieht. Auch übermäßige Düngung mit Salpeter übt ähnlichen Einfluß aus. Ebenso mögen gerade saugende In- sekten derartig gewaltsam getriebene Pflanzen anderen vorziehen. Andererseits wirken Kalk- und Phosphorsäure-Düngung meist recht vorteilhaft zur Verminderung der Schädlingsplage." Die Er- gebnisse der beiden Forscher stimmen in ihren Hauptlinien, wie wir gesehen haben, überein. Nun wird es sich, wie Prof Reh schließt, darum handeln, in Pflege und Düngung „für jede Pflanze, für jedes Alter, jeden Standort usw. das Optimum zu suchen; denn bei Pflege und Düngung aller Bäume und der anderen Kulturpflanzen rächt sich jede Unterlassung ebenso, wie jede Über- treibung." H. W. F'rickhinger. Meteorologie : Zur Vorhersage des Wetters dienen bei uns im allgemeinen die Wetterkarten der Hamburger Seewarte. Für die Hauptkarte, die auf Grund der um 8 Uhr vormittags auf allen Stationen angestellten Beobachtungen angefertigt wird, werden als Ergänzung gewöhnlich noch je eine Karle der Barometerveränderung in den letzten 3 bzw. 24 Stunden gezeichnet, um so aus der Ver- teilung der Steige- und Fallgebiete einen Anhalt für die Bewegung der barometrischen Maxima und Minima zu gewinnen. Als ein neues Hilfsmittel für die Voraussage empfiehlt nun A. Defant (Meteorol. Zeitschr. 1916, S. 103) die Verwertung der Divergenz des Windes auf den synoptischen Wetterkarten. Schon Guilbert'j hat vor einigen Jahren die Regel aufgestellt: Divergente Winde bedingen einen Fall, konvergente einen Anstieg des Luftdruckes. Da die Divergenz jedoch nicht genau definiert war, konnte die Ver- wendbarkeit in der Praxis nur eine geringe sein. Auf Grund der theoretischen Arbeiten von Bjerknes^) ergibt sich nun für die Bewegung des Windes an der Erdoberfläche die Gleichung ,. öv , öß div v= X- +v---; ÖS ' ön' hierbei ist v die Windgeschwindigkeit, s die Richtung der Stromlinien des Windes, n der Abstand be- nachbarter Stromlinien und u der von diesen ge- bildete Winkel. Dann ist div v der Ausfluß der strömenden Luft aus der Flächeneinheit zwischen benachbarten Stromlinien. Er ist positiv, wenn letztere in Richtung der Strömung divergieren, negativ, wenn sie konvergieren. Verf. zeichnete nun für eine Reihe von Pagen Divergenzkanen des Windes. Ein Vergleich mit der zugehörigen Karte der 3 stündigen Barometerveränderung ergab eine ziemlich gute Bestätigung der Guilbert- schen Regel: die Fallgebiete und Gebiete negativer Divergenz fanden sich etwa an derselben Stelle und umgekehrt. Wesentlich wichtiger ist aber die Beobachtung, daß einem negativen Divergenz- gebiet etwa 24 Stunden später ein Steiggebiei des Lultdrucks, einem positiven Divergenzgebiet da- gegen ein Fallgebiet entspricht. Die Orte größter Divergenz fallen meist mit den Stellen der größten Druckänderung zusammen. Das neue Verfahren ist zwar etwas zeitraubender als die Herstellung der bisher üblichen Hilfskarten, dürfte aber, falls es sich auch für eine größere Zahl von Wetter- karten, als der Verf vorerst bearbeitet hat, in der gleichen Weise bewährt, ein wertvolles Hilfsmittel für die Prognose darstellen. Eine wenigstens teilweise Erklärung der Erscheinung ergibt sich aus dem Kontinuitätsprinzip. (GX.j Scholich. ') G. Guilbert, Nouvelle Methode de Prevision du Temp ; Paris 1909. '') Bjerknes, Dynamic Meteorologie and Hydrographie Washington. Inhalt I A. Milewski, Zur Kenntnis der G( Hermann Seh elenz, Die Wünschein Grade der Reinheit die Technik die wi( hängigkeil der Reaklionsgeschwindigk( nera Typhlonectes Peters der Gymnophiona (Amphibia apoda). I .\bb. S. 33. te. I Abb. S. 39. — Einzelberichte: F. Mylius, Frage, bis zu welchem htigeren Metalle herzustellen vermag. S. 42. J. Ar vi d H e d v a 1 1, Die Ab- von der Korngrüße der Materialien. S. 44. F. Mylius und E. Hüttner, „Platin und Leuchtgas" Osteologische Vergleiche Hoff mann, Düngung 4. E. Geinitz, Die neun Endmoränen .Nordwestdeutschlands. S. 46. K. Lambrecht, fossilen Vogclresten. S. 46. K. Esc her ich, Bockkäterkalamität in Eichenwäldern. S. 47. Insektenbefall. S. 47. A. Defant, Vorhersage des Wetters. S. 48. Manuskripte und Zuschriften deu an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 28. Januar 1917. Nummer 4. Dr. Absolon's zoologische Höhlenforschungen auf der Balkanhalbinsel. [Nachdruck verboten.] Ein Sammelreferat vo „Der bekannte Höhlenforscher A. Kral und ich waren an dem F'undgebiete der Spelaeolla gerade in voller Arbeit, als der VVclikrieg aus- brach und wir konnten nur mit knapper IVlühe und unter Zurücklassung eines großen Teiles meines technischen Höhlenuntersuchungsmateriales noch rechtzeitig Ragusa und den Anschluß an den Rückweg erreichen ; da der Fundplatz in einer heißumstrittenen Kriegszene liegt, ist es vorläufig unmöglich, frisches Material von Spelaeolla zu erlangen." Aus diesen Worten Dr. Absolon's (Coleopt. Rundschau 191 5) geht hervor, daß der Wellkrieg auch den seit Jahren von dem genannten Kustos am Landesmuseum in Brunn in Mähren ziel- bewußt durchgeführten zoologischen Forschungen in den Höhlen der Balkanhalbuisel vorläufig ein Ende gesetzt hat. So ist vielleicht gerade jetzt ein geeigneter Zeitpunkt, um in eintm Resume einen Teil der bemerkenswerten Ergebnisse, die Dr. Absolon gewonnen hat, zusammenzufassen, zumal die meisten diesbezüglichen Mitteilungen in nur von Spezialisten gelesenen Fachschrilten und z. T. im ccchischer Sprache veröffentlicht worden sind. Halten wir zunächst einmal Umschau, um einen Überblick über die neuenldeckien I-ormen zu gewinnen, so müssen wir bei der überreichen Fülle des Materiales uns darauf beschränken, nur besonders auffallende Typen namhaft zu machen. Nach Lampert wäre für die dalmatinischen Höhlen besonders eine spezifische Käfer- und Pseudoskorpionenfauna kennzeichnend, während die mährische Höhlenfauna durch Springschwänze und Milben, die f^anzösi^che durch Crustaceen aus- gezeichnet wäre. An dieser fauni-,tischen Gliede- rung der europäischeil Höhlensysteme muß wohl auf Grund der neuer-ten Ergebnisse Absolon's eine Korrektur vorgenommen werden, denn gerade die bemerkenswertesten Funde aus dem albani- schen Karst gehören zu den Crustaceen. Der bereits 191 3 gemeldeten Entdeckung eines 5 cm langen, schneeweißen, siachelbewehrien blinden Höhlenamphipoden: ,Stygodytes balcani- cus' folgte rasch nacheinander die Auffindung des Antroplotes herculeanus, des Genus Metohia, welches ebenso wie das bereits früher aus Montenegro gemeldete Genus Typhlogammarus zu den „Gammariden" gehört, während die beiden vorher genannten Gattungen in den Verwandt- schafiskreis von Niphargus zu zählen sind. Die phylogenetische Auswertung dieser Funde, die geraJezu an die Tiefenfauna des Baikal erinnern, Steht noch aus. Vermutlich handelt es sich um Dr. V. Brehm-Eger. Tertiär-Relikte, für deren Lebenderhaltung ja die Balkanhalbinsel von größter Bedeutung ist. Ähn- liches gilt auch von zahlreichen Käferformen, wie Antrophilon primitivum, Antroherpon Matulici, Blaitodromus herculeanus, Anophthalmus Hilfi. Bieten diese Formen durch ihre Morphologie dem Deszendenzlheoretiker wertvolle Anhaltspunkte, so geschieht dies seitens anderer Höhlenkäler in mehr biologischer Hinsicht, so z. B., wenn die Silphidengattung H a d e s i a sich derart dem Wasser- leben angepaßt hat, daß dieser paradoxe Käfer von Absolon biologisch mit der bekannten Unter- wasserhymenoptere Prestwichia verglichen wird. Weiter haben uns Absolon's Untersuchungen mit zwei sehr interessanten Höhlenfliegen bekannt gemacht; die eine, Gymnomus troglodytes, war be- reits zweimal vorher gesehen worden und hat sich als ein sehr angepaßtes Höhlentier entpuppt, aber es kam nach der Auffindung dieser ersten Fliege „ein Dipteren Monstrum zum Vorschein", von dem der Entdecker sagt, daß er es in der Höhle beim Lampenlicht für eine Spinne hielt. Es ist dies die tiefschwarze Speomyia Absoloni, die sich durch völliges Fehlen der Ocellen, durch abenteuerliche Proboscisvergrößerung, durch nicht zum Fliegen taugliche Flügel usw. als typisches Höhlentier er- weist, während ihre Farbe vom Leben im Dunkeln unbeeinflußt blieb. Daß auch die Myriopoden um außerordentlich interessante neue Typen wie Polybothrus gloria stygis bereichert wurden sowie die Apterygoten, Dr. Absolon's spezielles Arbeits- gebiet, sei hier nur flüchtig erwähnt. Schließlich sei noch auf die Entdeckung eines zu den marinen Röhrenwürmern gehörigen Tieres verwiesen, einer Süßwasserserpuhde, für die ihr Entdecker noch keinen Namen vorgeschlagen hat. Bezüglich der zoologischen Details muß natür- lich auf die Orginalabnandlungen verwiesen werden ; eine Reihe in diesen Arbeiten eingestreuter Be- merkungen allgemeiner Natur mögen aber noch im folgenden zusammengestellt werden. Bereits 181^6 hat Hamann anknüpfend an die Tatsache, daß viele Höhlentiere, die nicht erst in jüngster Zeit Höhlenbewohner geworden sein können, Sehorgane besitzen und daß andererseits viele blinde Höhlentiere Verwandtschaftskreisen angehören, welche auch in ihren oberirdischen Vertretern vorwiegend blinde Formen aufweisen, den Gedanken ausgesprochen, „daß die Blindheit dieser Tiere gar nicht in den Hohlen entstanden sei, sondern daß diese Arten bereits blind in die Höhlen gerieten". Er stützt sich dabei auf Unter- suchungen des amerikanischen Biologen Gar man, Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. XVI. Nr. 4 der die Ansicht verficht, daß die jetzt in Höhlen lebenden Tiere Kentuckys bereits längst, ehe es Höhlen gab, zum Leben unter der Krde fähig und geeignet waren; und im Zusammenhang mit dieser Anschauung glaubt Gar man behaupten zu dürfen, daß die Rückbildung und der Schwund der Augen, also die Entstehung blinder Arten, älteren Datums ist als die Entstehung der in Be- tracht kommenden Höhlen. Er verweist zur Ver- tretung seiner Ansicht u. a. auf die Verbreitung des bhnden Krebses Caecidotea stygia, der in höhlenlosen Gegenden ebenso lebt wie in Höhlen. Diese Streitfrage ist an verschieden- artigem Material seither von Grat er, Thiene- mann und nun auch von Absolon ventiliert worden, die Frage nämlich, ob die Blindheit vieler Höhlentiere eine F'olge des Aufenthalts in der Höhle sei oder ob umgekehrt eine primär ge- gebene Blindheit das betrefifende Tier zum Höhlen- aufenthalt geeignet machte. Grat er weist zu- nächst auf den geringen Prozentsatz der blinden Kopepoden hin, von denen ja auch mehrere oberirdisch lebende augenlose F'ormen bekannt sind. Dieser Befund spricht sehr zugunsten der Gar man 'sehen These. Dazu kommt die weitere überraschende Erscheinung, daß gerade die mit oberirdischen Arten nahe verwandten Spezies blind sind, während die isolierten Typen , die offenbar schon länger der Höhlenfauna angehören, Augen besitzen. Diese den alten Anschauungen widersprechende interessante Tatsache erklärt Grat er durch die plausible Annahme, daß wir anpassungsfähige und konservative Typen unter- scheiden müssen. Erstere haben sich, auch wenn sie erst in jüngster Zeit in die Höhlen einge- wandert sind, eben dank ihrer Anpassungsfähig- keit bereits durch Augenschwund dem Höhlen- leben akkommodierl, während die stabilen alten Formen trotz langen Höhlenaufenthaltes unver- ändert geblieben sind, also auch die vermutlich überflüssigen Augen beibehalten haben. Um nun das Vorkommen blinder Kopepoden außerhalb der Höhlen zu erklären, greitt Grat er auf eine Hypothese Thienemann's zurück, die durch Studien an einer anderen Tiergruppe gewonnen wurde. Die Gattung Niphargus, ein durch F^arb- losigkeit und Augenmangel ausgezeichnetes Ge- schlecht der Krebse wird nicht selten auch in kalten Gewässern der Erdoberfläche angetroffen. Die Vorliebe für kaltes Wasser und der durch Vejdovsky geführte Nachweis einer schrittweise eingetretenen Augenreduktion veranlaßten die Auf- stellung folgender Hypothese durch Thiene- mann: Die ursprünglich sehenden Niphargiden wurden durch die Eiszeit in die temperierten Ge- wässer der Höhlen verdrängt und verloren durch den langen Aufenthalt im Dunkeln die Sehorgane. Bei Wiedereintritt milderen Klimas vermochten die Niphargiden zwar die Tagwässer wieder zu besiedeln, aber die einmal verlorenen Augen konnten nach Dollo's Gesetz der irreversibilite d'evolution nicht wieder aktiviert werden; darum treften wir heute blinde Niphargiden in Tag- wäbsern. So bestechend die Thiene man n'sche Hypothese im Falle Niphargus auch ist, so schwere Bedenken stellen sich deren Übertragung auf die Kopepoden entgegen. Denn die als IVluster- beispiel angeführten Gattungen Phyllognathopus und Epactophanes sind nach den neuesten Er- fahrungen, die Chappuis machte, derart eurytherm, daß eine Wohngcbietsverschiebung durch die Eis- zeit kaum diskutierbar erscheint. Hingegen hat die vom selben Autor und von IVlenzel ge- fundene Tatsache, daß diese blinden Formen vor- zugsweise in Moospolstern wohnen, ihr Blindsein zu einer leicht verständlichen Erscheinung ge- stempelt. Denn auch im Innern der Moo>polsier herrscht Dunkelheit. Lichtmangel ist ein den beiden sonst so verschiedenen Biocönosen — Moos- fauna — und Höhlenfauna — gemeinsamer Faktor. So konnte Dr. Menzel anlaßlich der Wieder- entdeckung des blinden, in Moospolstern lebenden Canthocamptus typhlops sagen: „Was das Licht betrifft, können in derartigen Moospolstern gleiche oder ähnliche Bedingungen herrschen wie in Höhlen." Für die Entstehungsgeschichte der Höhlen- fauna und für eine richtige Beurteilung der blinden Mitglieder derselben ist der Gedanke, daß viele Höhlenbewohner ursprünglich mikrokavernikole Organismen sind von großer Bedeutung. An um- fassendem amerikanischen Fischmaterial hat Eigen- mann und auf Grund eingehender CoUembolen- und Slaphylinidenstudien hat Absolon den Satz ausgesprochen, daß „hier wieder der Instinkt die Umgebung bestimmt hat". Zwei Punkte dürfen aber bei der Annahme dieses Standpunktes nicht außer acht gelassen werden, nämlich, daß i. sich keineswegs die ganze Höhlenfauna diesem Ge- sichtspunkt unterordnen läßt und daß 2. sich abermals die Frage stellen läßt : Sind diese Mikro- kavernikolformen subterran geworden infolge ihrer Bauart oder sind ihre Baueigentümlichkeiten eine Folge des Übergangs zur subterranen Lebensweise. Zur Aufklärung dieser Verhältnisse sind zu- nächst biologische Untersuchungen der „Mikro- kavernikolen" nötig. Wir müssen deren Treiben — wie Absolon sagt — beobachten „nicht vom menschlichen Standpunkt aus, sondern beispiels- weise aus einer Luedius Perspektive, für welchen Käfer ein Zieselloch eine geradeso kolossale Höhle ist, wie für uns die Adelsbergergrotte, und für den ein Marsch in einem Maulwuifsgange viel- leicht eine größere Tour ist, als für uns der Ab- stieg in den Riesenponor am Popovo Polje". Vielleicht lernen wir dann auch manche heute rätselhafte Übereinstimmung zwischen mikro- kavernikolen und Höhlentieren verstehen z. B. die Physogastrie, die die Höhlenfliege Speomya Ab- { soloni ebenso auszeichnet wie die berühmten Termitenfliegen Termitoxenia und Thauma- t o X e n a. Gewiß wird die erst in den letzten Jahren be- achtete Fauna kleiner Erdlöcher, der Maulwurfs- N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. gänge und Nagetierhöhlen, des in feinen Erd- klüften zirkulierenden Grundwassers usw. manchen wichtigen Beitrag zur Besiedelung großer Höhlen gestellt haben. Aber man darf die Höhlenfauna nicht allein unter dem Gesichtswinkel des Licht- mangels betrachten. In Zeiten starker Klima- schwankungen dürften die Höhlen für manche keineswegs lichf^cheue Form eine durch ihre gleich- mäßige erträgliche Temperatur willkommene Zu- fluchtsstätte gebildet haben. In einem Gebiet, das wie die Balkanhalbinsel zur Erhaltung tertiärer Relikte wie geschaffen erscheint und das daher in Simroth's Pendulationstheorie als adriatischer Winkel eine besondere Rolle spielt, kann es nicht überraschen, wenn zahlreiche Formen auftreten, von denen man mit großer Wahrscheinlichkeit behaupten kann, sie hätten hier als Überbleibsel der tertiären Organismenwelt die Eiszeit über- dauert. Nicht jede Höhle aber repräsentiert ein klima- tisches Tuskulum. Schon Schmitz berichtet in einer Monographie der Insektenfauna niederländi- scher Mergelgrotten : „Bei großer Kälte im Winter kann die Temperatur des Louwberges in der Nähe der Eingänge so tief sinken, daß sich Eis bildet. Merkwürdigerweise halten es einige Insekten, z. B. Rymosia fenestralis Mg. trotz dieses Eises ganz gut aus." Ähnliche Beobachtungen machte Absolon im mährischen Karst und verweist bei Behandl'ing dieser Erscheinung (loc. cit. Seite 148) auf Bachmetews „Experimentell entomologische Studien", denen zufolge die Insekten einen kritischen Punkt ihrer Körperwärme besitzen, nach dem sich die Körpersäfte des Tieres nach dem in der Physik geltenden Gesetze der Überkältung tat- sächlich überkälten lassen, ohne zu gefrieren. So ändert sich bei Schmetterlingen bei einer Tem- peratur von — 94 (kritischer Punkt!) die Körper- temperatur bei zunehmender Kälte nicht in der Richtung gegen — 10, sondern springt plötzlich auf — 1,4 zurück. Abgesehen von den Licht- und Temperatur- verhältnissen bieten die Höhlen noch durch das sich periodisch wiederholende Unterwassergesetzt- werden besondere biologische Bedingungen. Man sollte meinen, daß so plötzliche völlige Erfüllung eines Hohlraumes mit Wasser, die gesamte luft- atmende Bewohnerschaft vernichten müßte. Aber die im Popovoponor von Absolon gemachten Beobachtungen zeigen, daß die kleinen Höhlen- insassen der drohenden Gefahr leicht entgehen. Jede Höhlendecke weist Hunderte von Spalten und Rissen des verschiedensten Kalibers auf die z. T. bis in die Humusdecke der Erdoberfläche führen und einerseits den in den oberen Erd- schichten hausenden Tieren den Zutritt zur Höhle verschaffen und andererseits den Höhlenbewohnern im Falle einer Überflutung Zuflucht gestatten. „Noch hat keines Forschers Auge eine Antro- herponlarve erblickt, obwohl manche ."^rten dieser Gattung zu Hunderten in der Höhle leben, weil diese Käfer höchstwahrscheinlich ihre Metamor- phose in der Höhe durchmachen und erst als fertige Insekten sich nach unten auf Jagd begeben." Trotz des Vorhandenseins solcher rettender Aus- wege besitzen manche Arten noch eine zweite Möglichkeit, dem Ertrinkungstode zu entgehen. Sie leben zeitweise unter Wasser. Ich finde bei Absolon keinen Aufschluß über die Atmungs- physiologie solcher Formen. Hier scheint noch ein äußerst interessantes Kapitel der Physiologie einer Lösung zu harren. Von der vorübergehen- den Wasserlebensweise eines Aaskäfers war be- reits die Rede, nämlich von Hadesia; noch über- raschender ist die Mitteilung, die uns Absolon über einen Isopoden macht, der zu einer ganz ungewöhnlichen Anpassung gezwungen wurde: „Titanethes hercegovinensis sucht bei Lebensgefahr seine Rettung im — Tropfbrunnen, dem er im raschen Laufe zustrebt, um im Wasser zu Boden zu sinken." Snwie die Tiefsee infolge ihres Mangels an assimilierenden Pflanzen der Ernährungsphj'siologie wichtige Probleme stellte, so ist auch die der grünen Vegetation entbehrende Höhle ein Gebiet, daß dem Nahrungsphysiologen vor bedeutsame Fragen stellt. Pilze und Moder betrachtet Simroth als ursprünglichste Tiernahrung; ihm sind daher die Höhlen, deren Tropfsteingebilde oft ganz mit Pilzmyzel überzogen sind, nicht eine Stätte spezialisierter Anpassung in der Ernährung, sondern im Gegenteil abermals Wohngebiete, die selbst hinsichtlich der Ernährung sehr konservativen Typen ein Refugium gewähren. So erscheinen uns hier die Nahrungsverhältnisse nicht als An- passung ans Höhlenleben, sondern umgekehrt scheinen Organismen mit primitiver Ernährungs- weise die Höhlen aufgesucht zu haben , sowie ja auch z.B. Absolon mit der Möglichkeit rechnet, daß der in Fledermausfäkalien lebende Höhlen- käfer Atheta spelaea infolge seiner koprophilen Lebensweise zum Höhlenlcben prädestiniert war. Er bildet übrigens nebenbei erwähnt einen inter- essanten biologischen Parallelfa'l zu dem ebenfalls auf Fledermauskot in einer Höhle der Halbinsel Krim lebenden Canthocamptus (-Troglo- camptus) subterraneus. — Neben solchen Pilzmyzel- und Moderfressern spielen räuberische Formen in Höhlen eine bedeutsame Rolle; gleicht ja in dieser Hinsicht die Höhle, in der nach der allerdings bestrittenen Anschauung mehrerer Spelaeologen „Hungersnot den herrschenden Zu- stand darstellt", wiederum der Tiefsee , in der viele Fische durch exzessive Raubtiercharaktere ausgezeichnet sind. Solche in die Augen springende Merkmale der räuberischen Lebensweise fehlen der Höhlenfauna. Selbst Niphargus, der nach Vire's Versuchen in der Gefangenschaft in 24 Stunden ein seinem Körpergewicht gleichkommendes Fleischquantum verzehrt , zeigt keinen ent- sprechenden Körperbau. Eine Überraschung für die Faunistik bildete eine Kollektion von Dr. Absolon gesammelter Höhlennacktschnecken, weil solche bisher nicht 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. gefunden waren , während Gehäuseschnecken in Höhlen reichlich vertreten sind. Die Nackt- schnecken boten aber noch in einer bestimmten Hinsicht Interesse. S i m r o t h berichtet auf Grund des von ihm bearbeiteten Materiales: „Das Auf- fallendste an unseren Tieren ist die völlige Un- abhängigkeit der Pigmentierung von der Finsternis der Umgebung. Die Farbstoffe, zumal der schwarze, entwickeln sich genau unter wie über der Erde, nur die Zeichnung der Amalien weicht durch die Neigung zu grober Fleckenbildung ab. Im Grunde genommen ist diese Unabhängigkeit nicht über- raschend. Denn nach meinen Erfahrungen wird die Pigmentierung der Nacktschnecken, je in den Grenzen der Gattungen, lediglich bedingt durch Feuchtigkeit und Temperatur, keineswegs aber durch das Licht, so abweichend .sich auch andere Tiergruppen stellen mögen." A b s o 1 o n ' s eigene Erfahrungen haben die Tatsache, daß Höhlentiere wohl pigmentiert sein können, wesentlich erweitert und der bereits in Schulbüchern tradierten Lehre von der Pigmentlosigkeit der Höhlenfauna in ihrer Verallgemeinerung weitere Stützen entzogen. Noch Hamann sagt einerseits (Höhlenfauna S. 5) „Lichtmangel kann das Schwinden des Pigmentes veranlassen, braucht es aber nicht", sammelt aber auf den folgenden Seiten alles Material, das zu- gunsten einer Depigmentierung als Folge des Höhlenlebens sprechen könnte. Demgegenüber sei nochmals auf das seltsame, oben erwähnte Höhlendipteron Speomyia Absoloni verwiesen, das trotz seiner sonst allseitigen Höhlencharaktere eine tiefschwarze Farbe aufweist. Und von Spelaeolla Absoloni berichtet ihr Entdecker: „Die Farbe ist rotbraun, jene spezifische Farbe, wie sie z. B. bei A nophthalmen, bei der Fliege Gymnomus trnglodytes bei Tausendfüßern (Polybothrus stygis gloria), bei Spinnen (Stalita hercegovinensis) usw. angetroffen wird. Vielleicht verhalten sich in dieser Hinsicht — wie Simroth vermutet — verschiedene Tier- stämme wirklich verschieden. Wir vermissen unter A b s o 1 o n ' s Beispielen pigmentierter Höhlen- tiere die Crustaceen. Und in der Tat gehören die gewöhnlich zitierten Fälle pigmentloser Höhlen- tiere — von Proteus abgesehen — gerade den Crustaceen an: die Niphargiden, die von Absolon entdeckten neuen Riesenamphipoden, Titanethes albus oder der aus der unerschöpflichen Mammut- höhle Kentucky's beschriebene Palaemonias Ganteri, der so durchsichtig ist, daß man meist nur seinen Schatten im Wasser sieht. Im Gegen- satz zu den Nacktschnecken scheinen hingegen die Gehäuseschnecken in Höhlen leicht einer Ent- färbung ausgesetzt zu sein, wie in Übereinstimmung mit früheren Beobachtern Wagner bzg. des von Absolon gesammelten Materials mitteilt : (Höhlen- schnecken aus SüdDalmatien usw. Sitzungsber. Akad. Wien 1914). Anschließend an die Pigmentierung der Schnecken sei noch einer Erscheinung Erwähnung getan, die Simroth im selben Zusammenhang berührt, wenn er sagt: „Überraschender als die Unabhängigkeit der Pigmentierung scheint die Abhängigkeit der Fortpflanzungsjieriode von den Jahreszeiten. Machen sich die Niederschläge doch noch in der wechselnden Durchtränkung der Felsen geltend?" Daß Temperaturverhältnisse hier nicht im Spiele sind, ist bei der Konstanz der Temperatur wohl außer Zweifel. Luft- wie Wassertiere leben in den Krainer Höhlen jahraus, jahrein bei 7 — 8" R; dies führte Ha man zu der 1896 geäußerten Vermutung: „Dementsprechend zeigt sich wahrscheinlich auch nicht die Peri- odizität im Leben, wie bei oberirdisch lebenden Tieren ausgeprägt." Diese Vermutung ist durch Simroth's Untersuchungen an den von Ab- solon gesammelten Schnecken widerlegt. Zu- gleich sind auch bereits einige anderweitige Beobachtungen von Periodizität im Leben der Höhlenorganismen bekannt, die Simroth's Angabe bekräfiigen, trotzdem aber auch mit seinem Erklärungsversuch in Widerstreit geraten. So soll nach Hay Cambarus pellucidus nur im Herbst kopulieren und seine Eier im Winter ab- legen, eine Angabe, mit der sehr gut die Be- obachtung Bantas übereinstimmt, der von einer Varietät dieses Höhlenkrebses Junge nur im Früh- jahr auffand. Da es sich in diesem P'alle um einen Wasserbewohner handelt, kommt Simroth's Annahme, daß wechselnde Durchfeuchtung der Felsen die sexuelle Periodizität regle, hier nicht in Frage. Hier wird man den regulierenden I<"aktor wohl doch unter den inneren Faktoren suchen müssen. Das Gleiche wird man wohl auch hinsichtlich der Lartetien (-Vitrellen) be- haupten dürfen, die nach Seibold sich im Februar fortpflanzen. Bis das riesige von Ab- solon gesammelte Material durchgearbeitet sein wird, wird sich vielleicht die Fratje entscheiden lassen, ob die bisher bekannten Fälle periodischer Erscheinungen auf Grund verfrühter Verall- gemeinerung vereinzelter Beispiele aufgestellt wurden oder ob nicht doch wen'gstens bei ge- wissen Tiergruppen trotz der Gleichförmigkeit der äußeren Bedingungen eine dem Organismus durch innere P'aktoren vorgeschriebene Periodizität zum Ausdruck kommt. Vor eine schwierige Frage stellt uns Absolon bei der Besprechung der geographischen Ver- breitung von Lesteva Villardi und der Spinne Paraleptoneta; an der Hand eines instruktiven Kärtchens sehen wir die Wohngebiete einerseits auf die Westalpen, andererseits auf den Karst beschränkt. „Dies diskontinuierliche Höhlen- vorkommen einem Zufalle zuzuschreiben, darf ich nicht wagen; ich vermute darin eine Gesetz- mäßigkeit." In der Tat besteht eine solche und zwar nicht nur für die Höhlenfauna wie Absolon vermutet, sondern auch für die oberirdische Fauna. So lebt z. B. am Ostrand der Alpen im Gebiet der Lunzer Seen eine Wassermilbe Lebertia maglioi, die bisher nur aus den westitalienischen Alpen bekannt ist und ein Käfer Hydraena truncata N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 53 der ebenfalls der Lunzer Fauna angehört, ist bisher nur aus den französischen Alpen bekannt. Ähnliche F'älle sind bereits früher auf botanischem Gebiet ermittelt worden, so daß Absolon's diesbezügliche Funde zwar neues Material zu einer bereits be- kannten seltsamen zoogeographischen Erscheinung beigetragen haben, ohne uns deren Erklärung näher zu bringen. Vielleicht spiegeln sich diese unerklärlichen Beziehungen zwischen der west- und ostalpinen Organismenwelt noch in einem anderen höchst fremdartigen Vorkommen wieder. Ich meine in dem Auftreten einer Serpulide (marine Würmergruppe!) im Süßwasser der Balkanhalbinsel. Erinnert dieser abnorme Fund Absolon's nicht an das .'\uftreten einzelner Vertreter der snnst marinen Sphaeromiden und Cirolaniden in französischen Höhlen? Aus dem Umstand, daß alle französischen Fundorte dieser seltenen Asseln in der Nähe maüner Tertiär- formationen sind, zog Vire den Schluß, daß die Sphaeromiden zur Tertiärzeit flußaufwärts gingen bis in die Höhlen und dort bis heute erhalten blieben. Sollte diese hier nach Grat er wieder- gegebene Ansicht Vire's auf Absolon's Serpulidenfund anwendbar sein? Hand in Hand mit der Behandlung solcher zoogeographischer Probleme gehen verschiedene Fragen über „Entstehung der Arten". Absolon hat bereits mehrfach solche bei der Besprechung neuer Apterygoten und neuer Staphyliniden an- geschnitten; zunächst auf Grund vergleichend morphologischer Methoden. Ich selber iiabe bei dem Versuch das Artenbild und die geographische Verbreitung der ostalpinen Niphargiden in einen kausalen Zusammenhang zu bringen keinen Weg zur Lösuntj der nächstliegenden Fragen gefunden und die Hoffnung ausgesprochen, daß die ver- wirrende Mannigfaltigkeit der Niphargu-kolonien auf experimentellem Weg unserem Verständnis näher zu bringen sein wird. Vom morphologischen Standpunkt aus böte die Gattung Niphargus — und wohl noch so manches andere Höhlentier — ein geradezu ideales Material für vererbnngs- theoretische Experimente. Gelingt es diese Tiere der Kultur und Aufzucht zu unterwerfen, so ist der Grund gelegt zu einem sehr viel versprechenden neuen Zweig der Höhlenzoologie, zur experi- mentellen. Ein guter Anfang hierzu ist bereits gemacht. In der Wiener Praterstation hat Kammerer mit dem klassischen Höhlentier, dem Grottenolm, erfolgreich experimentiert. Vire hat Niphargus mit Erfolg als Aquariumtier gehalten. Allerdmgs werden solche Versuche oft komplizierte Bedingungen erheischen: Kultur im Dunkeln, bei konstanter entsprechend tiefer Tempe- ratur, zusagende Wasserqualität und Nahrung usw. Sah doch Absolon Beispiele tödilicher Wirkung des Lichtes bei Höhlentieren, so daß er auf ge- wis-e Collembolen anspielend sagen konnte: „Was das Wasser für die Fische ist, das ist die ewige Finsternis für diese Geschöpfe", und bei Niphargus bemerkte ich tödliche Wirkung des Wassei;wechsels, obw >hl das neue Wasser von derselben Örtlichkeit stammte. Der Umstand, daß Absolon seine im mährischen Karst erprobte Höhlentechnik auf das Balkangebiet übertrug, hat nicht nur, wie Simroth sagt, uns eine vielseitige Fauna erschlossen, von der immer noch neue Schätze ans Tageslicht kommen sondern hat auch viel dazu beigetragen, die zoologische Höhlenforschung aus dem Stadium derMusealzoologie in das der „Freilandbeobachtung" weiterzuführen. Die Fortsetzung seiner Arbeiten nach Kriegsende läßt nicht nur noch viel neues biologisches Beobachtungsmaterial erhoffen, sondern wird gewiß auch viel Anregung für die oben an- gedeutete experimentelle Behandlung gewisser Fragen der Höhlenzoologie bringen. Verzeichnis der behandelten Literatur. Absolon, K., Über .-\ntrophilon ]iriiiiiliTuni. Coleopt. Kundsch., 1913. — , Über Scotoplanetes arenstorffianus. Coleopt. Rundsch., 1913- — , Vysledky vyzkumnych cest po Balkanö. Zeitscbr. d. mährisch. Landesmuseums, 1914 — 1916. — , Bericht über höhlenbewohnende Staphyliniden. Coleopt. Rundsch., 1915 — 19:6. Simroth, H, L'ber einige von Dr. K. Absolon in der Ilerzegovina erbeutete höhlenbewohnende Nacklschnecken. Nachr. raalakozool. Ges., 1916. Wagner, A. J., Beiträge zur Anatomie und Systematik der Stylommatophoren. Denkschr. .'\kad. Wiss. Wien, 1914. Einzelberichte. Physik. Auch in Frankreich erwecken die mit dem Artilleriefeuer zusammenhängenden aku- stischen Phänomene besonderes Interesse, wie die letzten Sitzungen der Pariser Akademie zeigen. A. Perot versucht die „Zone des Schweigens" durch den Einfluß des Windes zu erklären (C. R. Ac. sc. Paris, Nr. ii, 19 16). Einen Schall höre man, wie längst bekannt sei, in der Windrichtung viel besser, als bei Gegenwind, Die Kriegsereignisse, besonders die Kanonade in der Picardie, hätten nun die Auf- merksamkeit auf eine andere Erscheinung gelenkt und es ermöglicht, die akustischen Verhältnisse für das Hören eines sehr entfernten Schalls bezüglich der „Zone des Schweigens" zu er- forschen. Steht der Wind von Süden nach Westen, herrscht also Gegenwind, hört man den Kanonendonner in einer Entfernung von ungefähr 120 km, bei Nord- oder Ostwind dagegen gar nichts. Diese Erscheinung läßt sich nun in folgender Weise erklären. Nimmt man an, daß 54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 4 in einer sehr ausgedehnten Luftschicht Wind herrscht, darüber aber Windstille besteht, Gegen- wind herrscht oder auch ein gleichgerichteter, aber doch schwächerer Wind, so gilt Folgendes. I. Befindet sich die Schallquelle in einer ruhenden Schicht, so breiten sich die Schall- wellen mit konstanter Geschwindigkeit nach allen Richtungen aus. Schwankungen im Luftdruck spielen dabei gar keine Rolle, und nur die Temperatur kann, aber auch diese nur in engen Grenzen, eine Verschiedenheit bedingen. Herrscht z. B. ein konstanter Wind von lo Sekm Ge- schwindigkeit, so beträgt für einen Beobachter in der Windrichtung die Geschwindigkeit des Schalls 340 m, in der Gegenrichtung dagegen nur 320 m. Man kann also sagen, daß in der Windrichtung die Schallbrechung um so schwächer ist, als der Wind stärker wird. Die Schallbrechung nimmt also proportional mit der Höhe zu, wo der Wind schwächer wird, dagegen nimmt sie ab in der entgegengesetzten Richtung. In dieser Be- ziehung, also bei Gegenwind, verhält sich die Schallbrechung gerade umgekehrt, wie die Licht- brechung bei einer Luftspiegelung. Die Schall- wellen gehen unter einem gewissen Winkel zur Entfernung von der Erdoberfläche, weil die Windgeschwindigkeit infolge Wegfalls der natür- lichen Hemmnisse und der Reibung an der Erd- oberfläche zunimmt. Es gelte also hier gerade das Gegenteil, wie für das Hören des Kanonen- donners auf große Entfernungen. Bei gleich- gerichtetem Wind würden die Schallwellen nach unten zurückgeworfen, während sie sich im um- gekehrten Fall von der Erdoberfläche entfernten. Daraus ginge hervor, daß jemand in der Wind- richtung von einer größeren Energiemenge ge- troffen wird und den Schall stärker hört als bei Gegenwind. Es wäre interessant, in großer Entfernung vom Erdboden, etwa in einem Fesselballon, das Ge- sagte auf seine Richtigkeit zu prüfen. G. Bigourdan behandelt die Fortpflanzung des Schalls auf große Entfernungen hin (C. R. Ac. sc. Paris Nr. 14, 1916). Die von der Kampf- front her hörbare Kanonade habe verschiedenen Ursprung; teils entspräche sie dem Geschütz- donner, teils rührte sie vom Platzeri der Granaten oder von Minensprengungen her. Über die Fort- pflanzung des dadurch verursachten Schalls auf große Entfernungen von 200 — 300 km hin, be- Windstille ..^ konstanter Wind 1^ Windstille Horizontalen ab und treffen in einem Brennpunkt zusammen. Dieser nun kann mit dem Punkt zusammenfallen, wo sich der Beobachter be- findet (Abb. 1). Da nun die Schallquellen über eine ganze Zone verbreitet sind, so können auch Brennpunkte innerhalb einer ganzen Gegend an- getroffen werden; zwischen dieser und der Schall- quelle selbst liegt die „Zone des Schweigens". In einem Biennpunkt ist der Schall übrigens viel stärker als der bei normaler Fortpflanzung. Aus Versuchen, auf die P. nicht weiter eingehen wollte, ging hervor, daß die Schallstrahlen das Ohr nicht tangential zur Erdoberfläche träfen, vielmehr unter einem sehr beträchtlichen Winkel, wie die Licht- strahlen bei einer Luftspiegelung. Die ,,Zone des Schweigens" erreiche übrigens eine verschiedene Ausdehnung, je nach den atmosphärischen Bedin- gungen, wie Windgeschwindigkeit und Mächtig- keit der Luftschicht, in welcher der Wind herrscht. In der Windrichtung findet dagegen eine Zer- streuung der Schallwellen statt (Abb. 2), so daß nichts von dem zutrifft, was für eine Luft- spiegelung gilt. Der Schall reicht nur bis in eine geringe Entfernung. 2. Ist der terrestrische Schall nur schwach, so verstärkt sich die Schallgeschwindigkeit mit der stände kein Zweifel; man sei aber darüber im Unklaren, wodurch sie ermöglicht würde. Er hätte nun von verschiedenen Seiten Mitteilungen erhalten, welche auf diese Frage ein Licht würfen. Ein 52 Jahre alter Ingenieur, der im Alter von 6 Jahren infolge von Gehirnhautentzündung das Gehör gänzlich verlor und nun vollständig taub wäre, habe ihm darüber Folgendes berichtet. Un- mittelbar dicht neben einer Lokomotive stehend, hörte er deren Pfiff nicht , sondern spürte nur einen stechenden Schmerz im Trommelfell, der übrigens sofort wieder aufhörte, auch wenn das Pfeifen länger andauerte. Schon vor 20 Jahren hätte er konstatiert, daß ein Kanonenschuß aus 1000 — 1500 m Entfernung ihm als aus zwei auf- einanderfolgenden Schlägen zusammengesetzt er- schiene; der erste würde offenbar durch den Boden, der zweite durch die Luft fortgepflanzt. Seit Beginn der Somme Offensive nähme er nun die Kanonade von seinem Wohnort im Weichbild von Paris wahr, aber nur das F"euer der schweren Geschütze; er hörte es in demselben Augenblick, wie Leute mit normalem Gehör. Bei der Ent- fernung bis zur Sommefront (120 km) wäre nun eine Fortpflanzung durch die Luft gänzlich aus- geschlossen. Nur eine solche durch den Erd- N. I". XVI. Nr Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 55 boden könnte in Betracht kommen und es erkläre sich dann auch, warum er und ein Normalhöriger den Schall zu gleicher Zeit wahrnähmen (vgl. „Hörbarkeit des Kanonendonners", Naturw. Wochenschr., Nr. 41, S. 589, 1916). Von Frederic Houssay wird die Frage abermals erörtert, ob es auf Wirklichkeit oder auf Täuschung beruhte, daß man die Kanonade von der Kampffront her auf unglaublich weite Ent- fernungen hin höre (C. R. Ac. sc. Paris, Nr. 15, 1916). Er sagt, er habe seine Beobachtungen im Norden des Weichbilds von Paris gemacht. Das Geschützfeuer von der Schlacht an der Maas höre man ganz deutlich, selbst am hellen Tag mitten in Paris, in ruhigen Straßen und in den stillen Promenadegängen des Jardins du Luxembourg, sowie überall in der Sülle der Nacht. Im Wmter 1914 hätten ihm Nachbarn übereinstimmend ver- sichert, daß sie das Geräusch fortwährend hörten ; er selbst habe es indessen nicht vernehmen können trotz fortwährender Aufmerksamkeit. Ende Mai 1916 dagegen hätte er gespannt ge- horcht und beim P'ehlen von störenden Geräuschen während der Nacht ein sehr fernes Kanonenfeuer aus nördlicher Richtung wahrgenommen; dasselbe wäre sehr lebhaft gewesen, aber so schwach zu hören, daß es durch die germgsten Geräusche, wie z. B. das Rascheln der Blätter, erstickt worden wäre. Wie er nachher erfahren hätte, rührte der Kanonendonner vom Kampf bei Carency, Ablain- Saint Nazaire her. Seitdem hörte er die Kanonade an jedem ruhigen Abend, an dem eine solche statt- fände, dagegen nichts, wenn keine gewesen wäre; eine Suggestion läge also nicht vor. Er hörte die Kanonade zu Hause und in ganz Hurepoix, in den Tälern, auf den Höhen oder im Wald; be- sonders gut würde sie im Wald, namentlich in der Nähe von Sümpfen gehört. Die Windrichtung spiele dabei keine Rolle außer daß Gegenwind, d. h. Südwind, für die Erscheinung am günstigsten wäre; bei Nordwind dagegen müßte man eine geschützte Stelle aufsuchen, um etwas von dem sehr schwachen Geräusch zu hören. Von Mai 1915 bis Oktober 1916 hätte er gehört, was nach dem Bericht als heftiger intensiver Artilleriekampf bezeichnet wurde, dagegen nichts von dem ge- wöhnlichen Kanonenfeuer. Man höre eben nicht die einzelnen Kanonenschüsse auf große Ent- fernungen, nur sehr lebhaftes anhaltendes Geschütz- feuer, und auch das nicht immer. Nicht mangel- haftes Gehör sei daran schuld, wenn man nichts hörte, sondern der Grund dafür liege darin, daß man von den tausend störenden Geräuschen in der Umgebung nicht absehen könnte. Die Zonen des Schweigens dürften also nicht nach dem" Aus- fall einer allgemeinen Stimmenmehrheit aufgestellt werden. Nur geübte Beobachter wären dabei in Betracht zu ziehen. Es sei sehr schwer, die Gegend zu bestimmen, aus welcher der Ton käme. Ein gelegentlicher und selbst ein geübter Be- obachter täuschten sich leicht (in 90 "/q der Fälle und mehr). So hätte er genau die Kanonade von der Maas gehört (40 km), vom Soissonais (100 km), aus der Picardie (130 km), von Artois (200 km), aus der Champagne (200 km), am besten in den beiden letztgenannten Fällen; dagegen hätte er v^on den Argonnen her gar nichts gehört. An zwei aufeinanderfolgenden Abenden um den 20. Juni 1916 herum, hätte man ein starkes Kanonenfeuer in der Richtung von Verdun (245 km) vernommen, und zwar etwas besser bei Ostwind. Dies habe ihn um so mehr überrascht, als er in den 4 ersten Monaten der schrecklichen Schlacht nichts wahrgenommen hätte und auch seitdem nichts wieder. Er hätte aber das Geräusch ganz sicher gehört, freilich nicht lange genug, um mit Sicherheit angeben zu können, aus welcher Richtung es herkäme. Was nun die „Zone des Schweigens" anbelange, so könne er in den zahlreichen an- gegebenen F'äilen , die er nachgeprüft und über die er berichtet hätte, keinerlei Beweise dafür finden, daß es eine solche gäbe. Ende Juli hätte er Tag und Nacht eine ununterbrochene Kanonade aus der Picardie gehört, noch bevor die Zeitungen etwas berichteten, dann erst habe er erfahren, daß es sich um die Offensive an der Somme gehandelt hätte. Tagelang hörte dieselbe nicht auf; bald ließ sie nach, bald flammte sie wieder auf. Um den 15. Juli 1916 herum — das genaue Datum könnte er nicht angeben — hätte er nichts mehr gehört und seitdem auch nichts mehr, trotzdem das furchtbare Kanonenfeuer weiter angehalten hätte. Aus allem , besonders dem zuletzt Gesagten, müsse man schließen, daß man nicht die einzelnen Schüsse hörte, sondern nur eine fortwährende Lufterschütterung wahrnähme. Das Ganze könnte man als eine fortwährende Folge von Klopfschlägen (battements) bezeichnen. Es sei begreiflich, daß das Relief des Land- striches , aus welchem der Ton käme , von erst- klassiger Bedeutung wäre. Eine Verschiebung der Geschütze um 4 km könnte eine Verlagerung der Zone des Schweigens um 130 km zur Folge haben. Daß man den Kanonendonner von Verdun so selten hörte, dürfte gleichfalls mit gewissen Stellungen der feindlichen Artillerie zusammen- hängen; daß man aus den Argonnen nichts hörte, hätte nach seiner Ansicht denselben Grund. Kathariner. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 4 Bücherbesprechungen. Brehm's Tierleben. Allgemeine Kunde des Tierreichs. Vierte vollständig neu bearbeitete Auflage. Herausgegeben von Prof. Dr. C. z u r Strassen. Säugetiere. IV Bd., neu bearbeitet von Max Hilzheimer und Ludwig Heck. XXII, 714 Seiten gr. 8^ mit 204 Abbildungen nach Photographien auf 26 Duppeltafeln, 86 Textabbildungen, 23 farbigen und 4 schwarzen Talein. Leipzig, Wien, Bibliographisches Institut. 1916. In dem vorliegenden Bande, der die Säugetiere abschließt, haben Hilzheimer die Paarhufer und Heck die Halbaffen behandelt und den Text durch zahlreiche Abbildungen, wie sie die photo- graphische Kammer und der Pinsel des IVlalers in hoher Vollendung lieferten, vervollständigt. Die Verf. täuschen sich wohl nicht, wenn sie im Vorwort betonen, daß gerade dieser Band viele Brehmleser besonders anziehen wird, weil in ihm unter den Paarhufern das wichtigste Wild und die wichtigsten Haustiere und in den Affen die dem Menschen am nächsten stehenden Säuge- tiere zur Darstellung gelangen. Den bedeutenden Fortschritten in der Systematik, in der morpho- logischen und stammesgeschichtlichen Erkenntnis ist ebenso Rechnung getragen wie denen in der Bit)logie und den psychischen Lebensäußerungen. Die Menge des Stoffes — sind doch z. B. 201 Arten Halbaffen und Affen gegenüber 85 der vorausgehenden Auflage behandelt — bedmgte eine weitgehende Umgestaltung des früheren Textes, von dem nur sehr wenig stehen geblieben ist. Die 23 Farbentafeln von der Hand unserer ersten Tiermaler sind nicht minder hervorragend wie die 26 Doppeltafeln nach Photographien. Zu den schwarzen Tafeln und den Textabbildungen bringt der Hand noch 4 Tafeln mit 12 Erdkarten, auf denen Arldt die geographische Verbteitung der Säuger darstellt — also eine Fülle von durchweg vortrefflichen Illustrationen, wie sie anderwärts in gleicher Güte auch nicht annähernd so hoch zu finden sind. Insgesamt sind die vier Säugetierbände mit 73 farbigen, 18 schwarzen Tafeln, 92 Doppeltafeln (nach 520 Photographien) und 268 Textabbildungen geschmückt ; doch es kommt nicht so sehr auf eine hohe Zahl von Illustrationen, die leicht zu erreichen ist, an, als auf deren Beschaffenheit und zweckmäßige Auswahl; in dieser Beziehung können Verfasser und Verlag auch sehr scharfer Prüfung mit voller Ruhe entgegensehen. Bei der riesig angewachsenen Literatur war aber die Auswahl des den Lesern darzu- bietenden Stoffes sicherlich das Schwerste; es galt nicht nur den gemeinverständlichen Charakter und die Tendenz des Werkes beizubehalten und doch den großen Fortschritten der letzten Jahr- zehnte vollauf Rechnung zu tragen, sondern auch das Ganze über einen vorher bestimmten Umfang nicht hinauswachsen zu lassen. Alle Kapitel sind neu gestaltet und gar viele gewiß mehrfach um- gearbeitet worden, ehe alle Anforderungen erfüllt waren und doch ist der Text flüssig geblieben und hat durch die Wissenschaftlichkeit, die ihm gegeben wurde, nichts eingebüßt, im Gegenteil nur gewonnen. So wird Brehm's Tierleben auch in modernisierter Form die alten F"reunde, die freilich vielfach umlernen müssen, vollauf befriedigen und viele neue gewinnen; es ist aber jetzt auch im- stande, höheren Anforderungen zu entsprechen, und wird selbst Fachleuten über viele Dinge zu- verlässige Auskunft geben, die sie anderwärts nicht so leicht linden. Dem Verlage ist besonders für die schöne und reiche Ausstattung sowie dafür zu danken, daß trotz der Ungunst der Zeiten eine wesentliche LTnterbrechung im Erscheinen nicht eingetreten ist, wozu natürlich auch die Mitarbeiter und der Pierausgeber ihr Teil beigetragen haben. M. Braun. Literatur. Lotsy, J. P., Evolution by roeans of hybridization. The Hague 'l6, M. Nijhoff. Lassar-Cohn, Prof. Dr., Die Chemie des täglichen Lebens. Gemeinverständliche Vorirägc. 8. vcrb. Auflage. Mit 23 Textabbildungen. Leipzig 'l6, L. Voß. — 4,80 M. Möbius, A. F., Astronomie usw., neu bearbeitet von Prof. Dr. H. Kobold. II. Kometen, Meteore und das Stern- system. Mit 15 Figurin und 2 Sternkarten Berlin und Leipzig '16, G. 1. Göschcnsche Verlagshandlung G. m. b. H. — 90 Pf. Greulich, Dr. O. , Peru. Studien und Erlebnisse. Nr. 381—390 von OreU FüSli's Wanderbildern. Zürich '16, ürell Füßli. — 5 M. Verhandlungen der außerordentlichen Tagung der Deutschen Vereinigung für Krüppellürsorge E. V. im Reichstagsgebäude am 7. hebruar 1916. Leipzig '16, L. VoB. - 3,20 M. Riebesell, Dr. P., Die mathematischen Grundlagen der Variations- und Vererbungslehre. Leipzig und berlin '16, B. G. Teubncr. — 80 Pf. Roh berg, A., Theorie und Pra.xis des Rechenschiebers. Ebenda. — 80 Pf. Systematisches Verzeichnis der Abhandlungen, welche in den Schulschriften sämtlicher an dem Programmaustau.sch teil- nehmenden Lehranstalten erschienen sind. Bearbeitet von Prof. Dr. R. Klufimann. ^ Band, 1901—1910. Leipzig- Berlin '16, B. G. Teubner. — 14 M. Inhalt; V. Er eh m, Dr. Absolon's zoologische Höhlenforschungen auf d A. Perot, G. Bigourdan, F. Houssay, Die mit dem Artilleriefei (2 Abb.) S. 53. — Bücherbesprechungen: Brehm's Tierleben. IV. Balkanhalbinsel. S. 49. — Einzelbetichte : zusammenhängenden akustischen Phänomene, d. S. 56. - Literatur: Liste S. 56. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidcnstraße 42, erbetc Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 4. Februar 1917. Nummer 5. Georg Schweinfurth. Zu seinem achtzigsten Geburtstag Mötefindt. (29. Dez. 19 16). (Nachdruck verboten.] Von HugC In aller Stille beging am 29. Dezember des soeben verflossenen Jahres Professor Dr. Georg Schweinfurth seinen achtzigsten Geburtstag. Vom Geschlechte der großen Erforscher Afrikas, der Nachiigal, Rohlfs usw., ist der jetzt 80jährige Georg Schweinfurth der letzte Überlebende, der Nestor der deutschen Afrikaforschung. Wir wollen diesen Anlaß benutzen, unseren Lesern ein Lebens- bild des berühmten Forschungsreisenden und hervorragenden Botanikers vorzuführen. Schweinfurths Vorfahren lassen sich väter- licherseits nur bis zum Beginn des 18. Jahr- hunderts nachweisen. Infolge der Verwüstung der Pfalz sind auch die älteren Kirchenbücher von Wiesloch (Großherzogtum Baden) zerstört ; das älteste, heute dort noch vorhandene, das erst mit dem Jahre 1700 beginnt, nennt bereits einen Weißgerber Johann Jakob Schweinfurth, der sich im Jahre 1708 mit der Pastorsiochter Sibylle Margaretha Ambtin vermählte. *) Von Wiesloch aus ist Schweinfurths Vater als Sohn kinder- reicher Eltern im Jahre 1809, vor der Konskription flüchtend, nach Lübeck und Riga gekommen; in Riga hat er sich dauernd niedergelassen und im Jahre 1819 verheiratet. Im Jahre 1820 gründete er die heute noch unter seinem Namen besiehende Firma und betrieb einen ausgedehnten Handel mit importierten Weinen nach dem Innern Rußlands. Der Großvater von Schweinfurths Mutter, Martin Mauer, war auch aus Deutschland (Stendal) nach Riga eingewandert. Als jüngstes Kind dieser Eltern wurde Georg Schweinfurth am 29. Dezember 1836 in Riga geboren. In dem heute heiß umkämpften Riga verlebte Georg Schweinfurth seine Jugendjahre. Als Knabe hat er mehrere Jahre in einer mitten in Livland gelegenen Erziehungsanstalt verbracht und später die oberen Klassen des Rigaischen Gymnasiums besucht. Wie gänzlich anders sati es dort in Riga zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausl Zu Schwein- furths Jugendzeit hatte das damalige Riga kaum den zehnten Teil seiner heutigen Bewohner. Trotz der von vielen Russen und Letten bewohnten Vorstädte konnte man es als eine durchaus deutsche Stadt bezeichnen, und auf dem Gymnasium wurden, mit Ausnahme des Russischen, alle Fächer in deutscher Sprache gelehrt. Schweinfurth erinnert sich, im Kreise seiner Eltern selber nie russisch sprechen gehört zu haben. Schweinfurths Vater war Rußland gegenüber von äußerst loyaler Ge- sinnung und hielt streng darauf, daß sich auch seine Kinder einer solchen Gesinnung befleißigten. F'rühzeitig wurde in dem jungen Schweinfurth durch das Lesen von Reisebeschreibungen der Sinn für Forschungen und Entdeckungen in entlegenen Teilen der Welt erweckt. Unauffällig suchte er sich fortan an Strapazen und Entbehrungen aller Art zu gewöhnen, vornehmlich durch ausgedehnte Fußwanderungen, die er ohne Begleitung in den heimatlichen (baltischen) Provinzen unternahm, um selber einmal im ge- reiften Leben derartige Entdeckungen vornehmen zu können. In den Jahren 1857 — 1860 ging er zum Studium nach Heidelberg; hier widmete er sich den Naturwissenschaften, vor allem der Botanik. In München und Berlin brachte er seine Studien zu einem vorläufigen Abschluß. 1862 promovierte er an der Berliner Universität. Seine Dissertation — Plantae quaedam niloticae, quas in itinere cum divo Adalberto libero barone de Barnim facto collegit RobertusHartmann. Berlin 1862 — zeigt ihn uns zum ersten Male auf dem Gebiet, dem er später seine Lebensarbeit widmen sollte, in der Botanik Afrikas, vor allen Dingen Ägyptens. Aus den Berliner Jahren stammen einige andere botanische .'arbeiten, auf welche die heutige F"orschung noch immer gern zurückgreift; ich nenne von ihnen nur den „Versuch einer Vegetationsskizze der Umgegend von Straußberg", der von einer prächtigen Karte begleitet ist (Verhandlungen des botanischen Ver- eins für Brandenburg. III — IV. 1861. S. 91 — 126). ') \'on Heidelberg aus hatte Schweinfurth wieder allein und zu P'uß die Insel Sardi nie n pflanzen- sammelnd durchzogen und dort in einer ihm fremden Welt seine Leistungsfähigkeit erprobt. In jene Jahre fällt auch seine Besteigung des Großglockners (vgl. Carinthia XLVIII. Klagenfurth 1858.' S. 41). Als Schweinfurth 1862 seine Studien beendet halte, war sein brennendster Wunsch, eine größere Studienreise nach Afrika zu unternehmen, und das Land, das von jeher das Ziel seiner Wünsche gewesen war und dessen botanischer Erforschung er sich in den letzten Jahren gänzlich gewidmet hatte, aus eigener An- schauung kennen zu lernen. Sein Vater war in- ') Vgl. hierzu Schweinfurt rühmte Autoren des Verlages Brockhaus 1914. S. 76. Selbstbiographie in ,,Be- . A. Brockhaus", Leipzig. >) Vgl. in Briefe, Aufsatz übrigen Georg Schweinfurth , Veröffentlichte und Werke 1860—1916. Berlin 1916. 58 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. S zwischen verstorben; seine Mutter willfahrte den Plänen ihres Sohnes und schenkte ihm loooo Rubel. So betrat er am 26. Dezember 1863 zum ersten Male afrikanischen Boden in Alexandria. Er hatte sich die botanische Er- forschung der Nilländer und der benachbarten Gebiete als das zu verfolgende Ziel gesteckt. Diese erste Reise ins Unbekannte brachte zahlreiche Stichproben der Forschung zustande. Die un- erforschten Gebirge an der Küste des Roten Meeres zogen Schweinfurth vor allen Dingen an. Besonders war es das Gebiet der unabhängigen Bischarin, welches seine Neugierde erregte. Das Land zwischen Nil und Meer wurde wiederholt durchwandert, als erster Europäer bereiste er die Küsten von Nubien. An der untersten Terrasse des abessinischen Hochlandes genoß er den siillen Zauber der afrikanischen Natur, das Rote Meer befuhr er auf einer Barke. Dann zog er von Suakin landeinwärts nach Kassala und nach Galla- bat, wo er die Regenzeit verlebte und von wo aus er später auf dem Rückwege über Sennar 1866 nach Chartum zurückgelangte. Im Sommer 1866, zur selben Zeit, als die Schlacht von Königgrätz geschlagen wurde, war er auf der Heimreise von Wien aus zu seinen Angehörigen begriffen. Schon diese erste Reise zeitigte zahlreiche wichtige Ergebnisse für die Pflanzengeographie. Ein prachtvolles Herbar war zunächst der heim- getragene Lohn seiner Mühen. Außerdem wurden zahlreiche Beiträge zur Vervollständigung des Kartenbildes der durchreisten Gegenden gewonnen, und, auf der Reise nach Kassala, Maman, die alte Gräberstadt der Bega, entdeckt. Die Ergeb- nisse dieser ersten Reise haben in wissenschaft- lichen Kreisen Schvveinfurths Namen weithin be- kannt gemacht. Welch hohes Ansehen er genoß, zeigt sich darin, daß er zur Mitarbeit an der von Ascherson unter der Mitwirkung zahl- reicher anderer herausgegebenen Flora Äthiopiens (Berlin 1867) herangezogen wurde und dabei die wichtigste Aufgabe erhielt. Daneben veröffentlichte ereinegroßeAnzahl kleinerer Abhandlungen und Aufsätze in der Zeit- schrift für allgemeine Erdkunde in Berlin, in der Linnäa, in den Verhandlungen der k. k. botanischen Gesellschaft in Wien, in Petermanns geographi- schen Mitteilungen; in letzterer Zeitschrift finden sich auch seine ausführlichen Reiseberichte. Doch nicht lange hielt es Schweinfurth in seiner Heimat aus; er trug sich mit groß- zügigen Plänen zur Erforschung der zum größten Teil noch u n bekann ten Ge- biete am oberen Nil. Zur Erfüllung dieser Pläne wandte er sich 1867 an die von der Berliner Akademie der Wissenschaften verwaltete „H u m - boldtstiftung für Natur forschung und Reisen", und von dort aus wurden ihm — nach erfolgreichem Wettbewerb mit anderen — die während der Dauer von fünf Jahren verfügbaren Fonds der Humboldtstiftung zur Verfügung ge- stellt. Seine Aufgabe betraf die botanische Er- forschung des Stromgebietes des Bahr-el-Ghasel, also der westlich des oberen Nils gelegenen Länder und der nach dem Kongo sich senkenden Wasser- scheide; daneben sollten auch geographische und ethnographische Forschungen im Auge behalten werden. Im Jahre 1868 trat Schweinfurth diese zweite Forschungsreise an. Seitens der ägyptischen Regierung wurde seinem Unternehmen nachdrück- lichst Vorschub geleistet; Schweinfurth gelangte dadurch bei den im Forschungsgebiet tätigen Chartumer Elfenbeinhändlern zu derartigem An- sehen, daß alle in Liebenswürdigkeiten gegen ihn wetteiferten und in den Niederlassungen der Be- fehlshaber die bewaffneten Wanderscharen mit- einander um den Vorzug stritten, seinen Plänen dienlich sein zu dürfen. Statt ihn finanziell aus- zubeuten, wie das sonst der Fall war, lieferten sie ihm kostenfrei Träger und Proviant, und in den Stationen wurde ihm ausgiebige Gastfreundschaft gewährt. In Chartum gelang es ihm, mit dem libyschen Großhändler Ghattas einen Vertrag ab- zuschließen, der ihm gestattete, sich einer 1869 nach dem Gazellenfluß abgehenden Expedition anzuschließen. Am 5. Januar 1869 brach er von Chartum auf. Er durchstreifte die Gebiete der Dinka, Dschur und Bongo und unternahm dann eine Rundtour durch das Gebiet zwischen den Dschur und Bahr-el-Dschebel. Im Januar 1870 betrat er das Gebiet der NiamNiam, durchzog deren Land und besuchte dann das Gebiet der Monbutlu, wo er mit dem Zwergvolk der Akka bekannt wurde. Auch entdeckte er auf der Reise durch das Land der Monbuttu den Fluß Uelle. Nach Beendigung der wichtigsten Abschnitte dieser Reise, nach dem gegen Süden bis ins Land der Monbuttu gerichte- ten Vorstoß, wurde er durch eine Feuersbrunst fast seiner ganzen Habe beraubt; die Sammlungen waren zu gutem Glück schon auf dem Wege nach Europa. Nach gefahrvollem Rückwege durch meist unbekannte Länder traf er am 27. Juli 1871 in Chartum ein. Im Frühjahr 1872 kehrte er nach Deutschland zurück. In Berlin wurde Schweinfurth bei der Rück- kehr von seiner zweiten Forschungs- reise von der Gesellschaft für Erdkunde, von seinen zahlreichen Freunden und von seinen aka- demischen Gönnern der wärmste und ehren- vollste Empfang zuteil. Mit lebhaftem In- teresse nahm die ganze wissenschaftliche Welt Europas an seinen Entdeckungen Anteil. Besondere Beachtung fanden seine Reiseergebnisse in Eng- land. In der zu Brighton tagenden „British Association" hatte Stanley, der vor kurzem den verschollenen Livingstone gefunden hatte, dessen Ansicht eifrigst verteidigt, daß der Lualaba nord- wärts dem Gazellenfluß zuströme. Stanley ver- suchte damit den Nachweis zu liefern, daß von Livingstone nunmehr die wahre Nilquelle fest- gelegt sei. Dem aber widersprach aufs entschie- denste Grant, der Reisegenosse von Speke, und er bewies, daß diese Hypothese infolge der durch N. F. XVI. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 59 Schweinfurth gemachten Entdeckung eines sich mit verkehrter Stromrichtung dazwischen ein schaltenden Flusses, des Uelle, durchaus unhalt- bar geworden sei. Vom grüßen Kongo, dessen Festlegung auf unseren Karten in der Folge Stan- ley zum größten Enideckungsreisenden Afrikas stempeln sollte, hatte man damals noch keine Ahnung. In Berlin arbeitete Schweinfurth in den folgenden zwei Jahren sein berühmtes Werk „Im Herzen von Afrika" aus, das im Verlage von Brock- haus in Leipzig im Jahre 1874 in zwei Bänden erschien. Der Erfolg war ein ungeahnter. Die schlichte Art, in der Schweinfurth in diesem Buche von seinen Erlebnissen berichtete, verschaffte ihm einen ungeheuren Leserkreis. Sehr rasch war die deutsche Auflage vergriffen. 1878 erschien eine gekürzte Auflage in emem Bande. Übersetzungen in alle möglichen Sprachen folgten: 1S74 erschien in London eine englische Übersetzung von Ellen E. F"rewer, es folgte 1875 eine französische und eine italienische Übersetzung, 1876 eine zweite französische Ausgabe, 1877 sogar eine dritte. Als Kuriosum darf wohl auch die türkische Über- setzung angeführt werden, die in einem starken und illustrierten Bande zu Konstantinopel im Jahre 1875 erschien. Durch das Erscheinen dieses Buches erlangte Georg Schweinfurths Name in Europa eine Weltberühmiheit. An das Erscheinen des Buches schlössen sich zahlreiche wissenschaft- liche Ehrungen an. So erhielt er z. B. von der Londoner geographischen Gesellschaft die goldene Medaille zuerkannt, wie die Begleit- urkunde sagt, auf Grund der langjährigen bota- nischen Forschungen im Nilgebiet, der Fe^t^tellung der südwestlichen Begrenzung des Nilbeckens und der Entdeckung des Uelle jenseits dieser Wasser- scheide, dann auch der Auffin^iung und Beschrei- bung des Zwergvolkes der Akka, als Bestäiigung der alten Pygmäenansicht, und auf Grund seines Werkes „Im Herzen von Afrika". 1875 erschien in dem Verlage von Brockhaus in Leipzig noch ein zweites Werk „Art es africanae. Abbildungen und Beschreibung von Erzeugnissen des Kunstfleißes zentralafrikanischer Völker". Diesem Werke war die Aufgabe gesteckt, die reichen völkerkundlichen Sammlungen Schweinfurths der Öffentlichkeit zu erschließen. Damit war das Werk von vornherein nur für die Fachwissenschaft bestimmt, die auch noch heute nach mehr als 40 Jahren immer gern darauf zurückgreift. Aus derselben Zeit stammen weiter eine Reihe von geographischen Arbeiten und trefflichen Karten in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin, in Petermann's geographischen Mitteilungen und im Globus, von völkerkundlichen Studien in der Zeitschrift für Ethnologie und in den Verhand- lungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft. Einige zoologische Beobachtungen finden sich im Globus und in den Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin mitgeteilt. Auch auf dem Gebiete der Li n gu ist i k hat er umfangreiche Studien gemacht, die er einem Ergänzungshefte der Zeitschrift lür Ethnologie (IV, 1872) unter dem Titel ..Linguistische Ergebnisse einer Reise nach Zentralafrika" niedergelegt hat. Einige Bei- träge zur Archäologie und alten Geographie wurden in Petermann's geog»aphischen Mitteilungen abgedruckt. Außerdem brachte die Kölnische Zeitung zahlreiche Berichte über seine Reisen, über Politik und Koloniales. Nicht zu vergessen ist schließlich auch die große Reihe von bota- nischen Arbeiten über das auf .»-einen Forschungs- reisen gewonnene Material, die sich vor allen Dingen in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, im Bulletin de rinstilut de l'Egypte, in der botanischen Zeitschrift finden. Eine Reise von gleicher Ausdehnung hat Schweinfurth später nicht wieder unternommen. Neue kürzere Forschungsreisen folgten. Im Winter 1873 bis Frühjahr 1874 war Schweinfurth mit der topographischen und botanischen Erfor- schung der Oase El ■ C hargeh in der libyschen Wüste beschäftigt. Im Wmter 1874/75 erging darauf von dem Chedive Ismail der Ruf an Schweinfurth, in Kairo ein geographisches Institut für Ägypten zu begründen. Schwein- furth leistete 1875 diesem ehrenvollen Rufe Folge. Außer der Bearbeitung seiner reichen botanischen Sammlungen aus Zentral- afrika beschäftigte ihn in dieser neuen Stellung in Kairo vor allen Dingen die Aufhellung der östlichen Wüste, zwischen Nil und Rotem Meer, durch welches Gebiet er 1876 — 1886 zwölf größere Streifzüge ausführte. 1880 erforschte er nach einer fünften Reise in der arabischen Wüste die P'lora des Libanon. 1881 begleitete er Ri ebeck durch die arabische Wüste nach Süd- arabien und Sokotra, wobei er vor allen Dingen die Flora dieser letztgenannten Insel er- forschte. 1882 untersuchte er das Niltal von Siüt bis Assuan, 1883 die Küste von Marmorica und die geologischen Verhältnisse in der Umgegend von Kairo, 188485 unter- nahm er wieder eine ausgedehnte Reise durch die arabische Wüste, 1887 erforschte er mit Walt her die geologischen Verhältnisse der Pyramidenregion, darauf weilteer wieder in der arabischen Wüste. Im Winter 1888 und im Frühjahre 1889 durchstreifte er das Ge- birge Vemens. 1889 endlich gab er seine Stellung als Vorsitzender des Institut egyptien in Kairo auf und siedelte nach Berlin über. Damit ist die Zeit seiner großen Forschungsreisen abgeschlossen; die zweite Hälfte seines Lebens, die er abwechselnd in Berlin und Ägypten zu- brachte, hat er zur Vertiefung und Erweiterung seiner Forschungsergebnisse verwendet. In der Zeit dieser zahlreichen großen Reisen ist Schweinfurth gleichzeitig literarisch höchst erfolgreich tätig gewesen. Aus diesen Jahren stammen zahlreiche Notizen über seine Reisen, eine Reihe von geographischen Ab- 6o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 5 h an diu n gen mit trefflichen Karten, von 1883 an auch wieder einige botanische Arbeiten, die seit 1873, wenigstens auf literarischem Gebiete, vollständig in den Hintergrund getreten waren. Sehr eingehend hat er sich dann seit 1882 mit den geologischen Problem en Ägypte ns, vor allen Dingen der* Nilgege nd, beschäftigt; zahlreiche Arbeiten in der Zeitschrift der deut- schen geologischen Gesellschaft und in dem Bulletin de rinstitut egyptien geben von diesen emsigen Studien Zeugnis. Seit 1884 beschäftigte er sich immer lebhafter mit den Resten der Steinzeit von Ägypten. 1885 gab er die ersten Funde von der seitdem wiederholt von ihm besuchten schier unerschöpflichen Fundstelle in Heluan be- kannt (vgl. Verhandlungen der Berliner anthropo- logischen Gesellschaft 1883. S. 302 und die fol- genden Jahrgänge dieser Zeilschrift). Außerdem finden sich in denselben Zeitschriften einige Aufsätze zur Archäologie und alten Geographie von Ägypten. Zu nennen sind endlich auch wieder die zahlreichen Berichte in der Kölnischen Zeitung. Neben diesen zahlreichen Aufsätzen und Ab- handlungen stehen auch einige umfangreiche Werke, die aus dem gleichen Zeitabschnitt her- rühren. So gab er i88q mit P. Ascherson eine „Illustration de la Flore d'Egypte' in den Memoires de l'Institut egyptien ä Cairo, (Band II. S. 25 — 260) heraus, der in demselben Jahre ein umfangreicher Nachtrag folgte (Eben- dort II. S. 745—786). 188S endlich gab er zu- sammen mit Friedrich Ratzel die Reise- bücherund Berichte Emin Paschas heraus. Auch von dem Augenblick seiner dauernden Übersiedelung nach Berlin (1889) an ist Schweinfurth beinahe Jahr um Jahr auf großen Reisen in Ägypten, Abessinien, Tunesien, Sizilien, Frankreich u. a. m. gewesen. 1890 — 94 weilte er in Nordabessinien, zwischen 1895 und 1906 be- suchte er Teile von Ägypten, Abessinien und Tunesien. Der Grund, der für seine dauernde Übersiedelung nach Berlin ausschlaggebend war, ist darin zu suchen, daß er jetzt in stiller Ruhe die Ergebnisse seiner unzähligen Reisen aufarbeiten wollte. So ist es zu verstehen, daß in diese Jahre seit 1889 die größte Zahl seiner literarischen Ar- beiten fällt. Aus diesen Jahren stammen zahlreiche Reise- notizen und geographische Aufsätze, das treffliche Kapitel „Zur Kenntnis des ägyp- tischen Landes und Volkes" in der fünften Auflage von Bädeckers Ägypten (1902. S. XLIII— LXIV), zahlreiche Karten, darunter die trefflichen „Aufnahmen in der östlichen Wüste von Ägypten" (Berlin I, 1899— X, 1902). Unsere Aufmerksamkeit verdient weiter eine große Reihe von botanischen Arbeiten, darunter die Studien „Über die Florengemeinschaft von Südarabien und Nordabessinien" (Verhandlifngen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 1891. S. i — 20) und „Ägyptens aus- wärtige Beziehungen hinsichtlich der Kulturgewächse" (Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft 1891. S. 649—669), die umfassende „Sammlung arabisc h- äthio- pischer Pflanze n" (I. Bulletin de l'Herb. Boiss. II, Appendice II. 1894. S. i — 113. II. Ebendort IV, App. IL 1896. S. 114-266. III. Ebendort VII, App. II. 1899. S. 267 — 340), das in Gemeinschaft mit G. Volkens herausgegebene Werk „Liste des plantes recoltees par les princes Demetre et Nicolas Ghika-Comenesti dans leur voyage au pays des Somalis" (Bukarest 1897) und die in Gemeinschaft mit Ludwig Diels herausgegebene Studie „Vege- tationstypen aus der Kolonie Er ythräa" (Jena 1905). Zu nennen sind schließlich einige geologische Arbeiten und zahlreiche Arbeiten über die Steinzeit in Ägypten, in Tunesien und Sizilien in den Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft und in der Zeitschrift für Ethnologie, vor allen Dingen die prächtigen zusammenfassenden Arbeiten „Stein- zeitliche P'orschungen in Oberägypten" (Zeitschr. für Ethnologie 1904. S. 766 — 825), „Steinzeitliche Forschungen in Süd- tunesien" (Ebendort 1907. S. 139 — 181) und „das Höhlen paläolithikum von Sizilien und Südtunesien" (Ebendort 1907. S. 832 — 915) Nicht zu vergessen ist schließlich das für jeden Forscher, der sich mit der älteren Steinzeit über- haupt befaßt, durchaus unentbehrliche „de utsch- französischeWörterverzeichnisderdie Steinzeit betreffenden Literatur" (Berlin 1906), eine äußerst verdienstliche Arbeit, die es wirklich einmal verdiente, in einem Neudruck den weitesten Kreisen derer, die sich mit der Er- forschung der älteren Steinzeit befassen , zu- gänglich gemacht zu werden. In zahlreichen Abhandlungen hat Schweinfurth weiter seine Studien über Archäologie und alte Geographie niedergelegt; aus ihrer großen Zahl greifen wir hier die treffliche Studie „über den Ursprung der Ägypter" (Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft 1897. S. 263 — 286) heraus. Auch auf dem Gebiete der Linguistik hat er eine umfangreiche Studie über „Abessinische Pflanzennamen" veröffentlicht (Anhang der Sitzungsberichte der K. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. XXXIII, 1893. S. 1 — 84), der 1912 ein 232 Seiten starkes Buch über „Arabische Pflanzennamen aus Ägypten" folgte. Hinzuweisen ist schließlich auch noch auf die zahlreichen Notizen über koloniale Fragen und weiter auf die seit 1896 in der Vossischen Zeitung erschienenen zahlreichen Auf- sätze populären Inhalts; unser ihnen befindet sich so manch köstlicher kleiner Aufsatz, der eigentlich nicht dazu bestimmt ist, der ewigen Vergessenheit anheimzufallen. Die Titel der wichtigsten dieser Aufsätze und Mitteilungen finden sich jetzt in dem eingangs erwähnten Schriftenverzeichnis zusammengestellt; viel- N. F. XVI. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6l leicht kommt einmal ein unternehmungslustiger Verleger auf den guten Gedanken, die wichtigsten von diesen kleinen Aufsätzen und Abhandlungen in einigen Sammelbändchen zusammenzustellen. Gerade auf dem Gebiet des literarischen Essays hat Schweinfurth von jeher ein großes Talent entfaltet; noch vor kurzem erschien in den süd- deutschen Monatsheften eine neue fesselnde Plauderei über das Thema „Vom beliebten Deutschen und unbeliebten" (191 5, S. 769 — 786J. Wir haben bisher lediglich versucht, einen Überblick über Schweinfurths Leben und die wichtigsten Hauptmomente seiner Tätigkeit zu gewinnen. Dieses Bild bedarf noch der Ergänzung und Vervollständigung durch eine kurze Darstellung seiner Persönlichkeit, seiner äußeren Erscheinung wie seines Inneren Wesens. Beginnen wir mit seiner äußeren Er- scheinung. Eine sehnige, hagere Gestalt von mittlerer Größe, ein mäßig großes Haupt, von weißgrauen Haaren bedeckt, ein von mehrfachen Falten gefurchtes Gesicht mit scharf geschnittenen Zügen , klar blickende graue Augen , von rauh entwickelten buschigen Brauen beschattet , eine hochgewölbte und wenig querfaltige Stirn — so sehen wir ihn immer vor uns. Die straffe, gerade Haltung seines Körpers verbunden mit der ruhigen Würde, die für gewöhnlich über der ganzen Er- scheinung liegt, macht auf den Fremden unwill- kürlich einen imponierenden Eindruck. Dieser imponierenden äußeren Erscheinung entspricht auch das Innere Wesen. Mit reichen Gaben des Geistes und des Gemütes ausgestattet sehen wir Ihn von energischer Willenskraft be- seelt, die ihn ein einmal ins Auge gefaßtes Ziel unweigerlich erreichen läßt, unermüdlich im Ar- beiten, knapp im Bemessen der Ruhe, leidenschaft- lich ausdauernd bei körperlichen Anstrengungen, ein Urbild von Kraft und Lebensenergie. Mit dem Enthusiasmus eines Jünglings kann er sich noch heute der großen wissenschaftlichen Er- rungenschaften freuen : er gehört eben einer aus- sterbenden Generation an, die vielseitiger und universeller in Ihren Zielen war als die jetzige. Wir finden hier einen Charakter vor uns, an dem jede Linie scharf und klar gekennzeichnet ist. Ehren und Auszeichnungen hat er in seinem Leben nie erstrebt, aber es konnte nicht fehlen, daß sie ihm in reichem Maße zuteil wurden. Wenn er auch die ihm Fremden stets höflich, ja sogar mit großer Liebenswürdigkeit behandelt, wenn er sich den Wünschen derselben stets zuvorkommend und gefällig zeigt — zunächst bleibt er ihnen gegen- über doch kühl und von einer gemessenen Zurück- haltung. Sich schnell an Fremde anzuschließen liegt ihm durchaus fern ; erst wenn er jemanden längere Zeit und genauer kennen gelernt hat, erst wenn derselbe Ihm persönlich näher getreten Ist, erst dann gestattet er ihm einen tieferen Einblick in sein Inneres Fühlen; dann aber kann er von einer hinreißenden Liebenswürdigkeit, von einer herzgewinnenden Güte sein. Wenn diese Charakterzüge Schweinfurths naturgemäß nur einem beschränkten Kreise kenntlich werden, so können dagegen auch ihm weniger Nahestehende einen anderen hervorstechenden Zug seines Wesens erkennen: die ehrliche Offenheit seines Urteils. Es ist nicht Schweinfurths Art, ein abweisendes Urteil in verbindliche oder vermittelnde F"orm zu kleiden noch dort, wo ihm etwas mißfällt, an Stelle des Tadels ein zurückhaltendes und ab- gemildertes L^rtell abzugeben. Er pflegt im Gegen- teil seine Ansicht über alle Dinge frei und offen, oft mit geradezu verblüffender Ehrlichkeit auszu- sprechen. So können wir als die hervor- stechendsten Züge seines Charakters Offenheit und Herzensgüte bezeichnen, neben denen andere, wie höfliches Entgegen- kommen, Freundlichkeit, eine seltene Fähigkeit zu angenehmen, geselligen Verkehr, ein köstlicher, nie versagender Humor und ein zuweilen sehr scharfer VVitz mehr zurücktreten. In den langen Jahren seines Lebens hat sich Schweinfurth zu einer festgeschlossenen Weltanschauung emporgearbeitet, die Ihm auch geistig jene Ruhe und Beständigkeit dauernd sichert, die als eine wesentliche Grundlage wahren Glückes anzusehen ist. Ihm ist vor allen Dingen jene Lebensanschauung zu eigen, ohne welche ein wahres, dauerndes Glück überhaupt nicht möglich ist, und welche nicht in der Anerkennung anderer, nicht in den äußeren Lebensverhältnissen Befrie- digung und Glück sucht, sondern dieselben ganz und gar in sich allein und im Verkehr mit der Wissenschaft zu finden weiß. Was Schweinfurth geschaffen hat, wird im Reiche der Wissenschaft fortleben und segensvoll wirksam bleiben, so lange das Menschengeschlecht überhaupt die Wissenschaft zu ergründen bestrebt ist. Seine Persönlichkeit hat ihm in seinen Freun- den und Verehrern ein Denkmal, dauernder als Erz, gesichert. So wünschen wir ihm denn zu seinem Festtage, daß er im Voll- besitz seiner geistigen Kraft, frei von Altersschwäche, Hinfälligkeit und langem Siechtum uns noch recht lange erhalten bleiben möge. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 5 Einzelberichte. Zoologie. Gegenwärtiger Stand der Meta- merentheorie des Wirheltierkopfes. Der Gedanke, dlelnrVVirbertierkörper' deuthche Segmentierung oder Metamerie müsse auch am Kopfe erkennbar sein, erzeugte bekanntlich bei Oken und Goethe die 'Wirbehheorie des Schädels, die man gänzlich verlassen hat, seitdem man den knöchernen Schädel auf der Grundlage eines ungegliederten Knorpelschädels entstehen sah. Den Abschnitten des Gehirns und verlängerten Rückenmarkes, meint Ziegler, i) komme gleichfalls keine Be- deutung für die Frage der Kopfsegmentierung zu, sondern die in der Ontogenie erscheinenden Ouer- falten der Medullarplalte seien embryologische Gebilde ohne vergleichend anatomische Bedeutung. Vielmehr lehren' Amphioxus und die Tunikaten, Tiere mit deutlicher Segmentierung der Muskulatur und der Rückenmarksnerven, doch mit unge- gliedertem Medullarrohr, daß zuerst die Muskulatur segmentiert war, oder daß als erste segmental angeordnete Gebilde die paarigen Aussackungen der Leibeshöhle entstanden, die sogenannten Ur- segmente, die embryologisch die Muskelsegmente liefern. Die Kiemenspalten liegen jede zwischen zwei Ursegmenten, so daß die Branchiomerie, wo ursprüngliche Verhältnisse herrschen, der Meta- merie des Kopfes entspricht. Ziegl er verteidigt diese seine Ansicht namentlich gegen die von Anton Dohrn, die, neuerdings durch Gast hochgehalten, vor dem vordersten Kiemenbogen, dem "kieferbogen, noch eine Mehrzahl von Seg- menten sucht, und stellt etwa folgende hier ge- kürzt wiedergegebene Grundgedanken auf, die in den wesentlichsten Punkten den Beifall der Mehrzahl finden dürften. Von vorn nach hinten das erste Segment ist das Prämandibularsegment, das bei Selachier- embryonen die Prämandibularhöhle, ein von der Leibeshöhle völlig abgeschnürtes Ursegment, um- schließt und den ganzen vorderen Kopf bis aus- schließlich Mund und Kiefersegment umfaßt. Das Auge, eine spätere Bildung, liegt größtenteils auf diesem Segment; daher bilden sich die meisten Augenmuskeln, die vom Oculomotorius inner- vierten, aus ihm. Das zweite Segment ist das Kiefersegment. Es liefert dem Augapfel zwei von seinen sechs Muskeln, den Oblic^uus superior und den Rectus externus. Es umschließt die mit der Leibeshöhle kommunizierende erste oder, mh Einrechnung der abgeschnürten Prämandibularhöhle, zweite Aus- sackung der Leibeshöhle, die Mandibularhöhle. Das Spritzloch der Haie, die ursprünglich erste Kiemenspalte, trennt dieses Segment vom dritten, dem Hyoidsegment. Auf diesem liegt das Ohr- bläschen. Wiederum eine Kiemenspalte trennt das Hyoidsegment vom vierten, dem Glosso- ') H.E. Ziegler, Das Kopfproblem. i. 48, 1916, S. 449—465- pharyngeussegment, und in gleicher Weise folgen als 5.-7. Segment drei Vagussegmente. Dem letzten von ihnen folgt die letzte Kiemenspahe der pentanchen Haie, d. h. derjenigen mit fünf Kiemenspalten, und das Auftreten einer sechsten und siebenten Kiemenspalte bei manchen Haien erachtet Ziegler für eine sekundäre Vermehrung gleichartiger Organe, vergleichbar entsprechenden Entwicklungen bei den Zähnen der Wale, Rippen der Schlangen, Segmenten der Myriapoden und schließlich der Vermehrung der Kiemenspalten bei dem Myxinoiden Bdellostoma und bei Am- phioxus. Wie schon teilweise die Namen der Segmente andeuten, gehören zu jedem bestimmte Gehirn- nerven mit ihren Ganglien, und zwar sind ur- sprünglich für jedes Segment ein sensibler Nerv mit Ganglion und ein motorischer Nerv an- zunehmen, wie sie bei jedem Körpersegment vor- handen sind ; man findet ; für das erste Kopfsegment, etwas modifiziert, den Ramus ophthalmicus pro- fundus des Nervus trigeminus mit dem Ciliar- ganglion und den Nervus oculomotorius, fürs zweite den Trigeminus mit Trigeminusganglion und den Trochlearis, für das dritte den Facialis- Acusticus mit seinen Ganglien, im vierten den Glossopharyngeus mit Ganglion und im 5.-7. je einen Vagusast mit Ganglion. Alle erwähnten Bestandteile sind bekanntlich bei ausgebildeten und ganz besonders bei warm- blütigen Wirbehieren hochgradig durcheinander- geschoben, während man sie bei Selachierembryonen noch in segmentaler Anordnung finden konnte. Der Kampf eines Staates gegen die Moskitos. Vor^^ei Jahren" ist im amerikanischen Staate New Jersey ein Gesetz in Kraft getreten, das ausschließlich zur Ausrottung der Moskitos er- lassen worden ist, und damit hat eine Bekämpfung der stechenden Insekten begonnen, wie sie in diesem Maße wohl noch nicht dagewesen ^ ist. Trotz der Nähe von Riesenstädten wie New York und Philadelphia blieben die Sommerbesucher den Küstenplätzen fern, weil die stechenden In- sekten den Aufenthalt dort unerträglich machten, und aus dem gleichen Grunde lagen weite Land- striche brach oder waren unbewohnt. Nach der amerikanischen Statistik sind rund 5 '% des Staats- gebietes von New Jersey mit Sümpfen bedeckt, die, wie sich von selbst versteht, für Moskitos — darunter begreift der Amerikaner alle fliegenden und stechenden Insekten — ideale Brutstatten bilden. Das neue Gesetz gab dem Staatsentomo- logen von New Jersey, Dr. Thomas J. Headley, Vollmacht, die Insektenbrutstätten mit allen er- denklichen Mitteln zu beseitigen, und mittlerweile hat diese Arbeit erhebliche Fortschritte gemacht, wie die Kärtchen zeigen. Von vornherein gab N. F. XVI. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 63 es zwei Wege, die Insektenbrutstätten unwirksam zu machen: man konnte die Sümpfe trocken- legen oder durch Bedecken des Wassers mit luft- undurchlässigen Stoßen für die Larven unbewohnbar machen. Bei großen Sumpfflächen hat man den ersten, bei den nach tausenden zählenden kleineren Flächen stehenden Wassers den zweiten gewählt. Der nordwestliche Teil von New Jersey, der ge- birgig ist , weist fast gar keine Sümpfe auf; die &---3 Gebiete mit Sümpfen. i^H Gebiete mit Salzsümpfen. Abb. I. New Jersey vor dem Mückenkriege. Abb. 2. New Jersey nach 3jäl]r. Mückenkriege. nördlichen Küstengebiete — von Norden nach Süden die Bezirke (Counties) Bergen, Essex, Union und Middlesex — haben große Salz- und Süß- wassersümpfe, dann folgt in der Mitte des Staats- gebietes ein waldreiches, fast sumpffreies Gebiet, und die Bezirke Ocean, Atlantic, Cumberland und Cape May, die der atlantischen Küstenebene an- gehören, sind überreich mit Sümpfen beider Art gesegnet. Es sind nun gewaltige Systeme von Entwässerungsgräben durch besondere Maschinen gezogen worden. Sie sind durchschnittlich 25 cm breit, manche auch 75 cm, und haben eine Tiefe von 75 cm. In Atlantic allein sind rund lOOO km solcher Gräben gezogen worden, und im ganzen Staate bisher mehr als doppelt soviel; die Arbeit ist aber noch lange niciit beendet. \'iele der Sumpfgebiete lagen unterhalb des Meeresspiegels, und in diesem Falle war die Eindeichung nötig. Gleichzeitig mit den Gräben entstanden große Pumpwerke, die das Wasser in Bewegung setzten und fortschafften. Besonders schwierig war die Unwirksammachung der kleinen stehenden Ge- wässer, deren Lage zunächst gesucht werden mußte, wenn man sie aus dem Auftreten der Moskitoplage erschlossen hatte. Zu diesem Zwecke verfügt jeder Bezirk über Fachleute, die zur Nacht- zeit in den moskitoreichen Gegenden die Moskitos fangen, mit Blausäuredämpfen töten, dann die Beute nach Arten einteilen und schließlich nach dem Befunde entscheiden, ob ein Salzsumpf oder ein Süßwassersumpf in der Nähe sein muß. Überwiegt in dem Fange beispielsweise Culex pipiens, die gemeine Stechmücke, so ist das Brut- gebiet ein gewöhnlicher Sumpf überwiegt dagegen Aedes solicitans, deren Larven im Salzsumpf leben, so ist ein solcher aufzusuchen. Es sollen auf diese Weise hunderttausende von Moskitobrut- stätten, von größeren Sümpfen bis zur Regen- tonne, ermittelt und unschädlich gemacht worden sein. Die Anwendung von Petroleum zur Be- deckung stehender Gewässer haben die einzelnen Arbeitsausschüsse aufgegeben, weil dessen Wirkung nur etwa 2 Wochen anhält. Statt dessen wird eine nicht näher bezeichnete Lösung verwandt, die etwa 6 Wochen lang wirksam sein soll. Bisher ist für den Moskitokrieg ein Betrag von mehreren Millionen Dollars aufgewandt worden. Dafür soll freilich nach den Angaben von Sach- verständigen der Wert des Grund und Bodens um mehr als eine Milliarde Dollars gestiegen sein. H. P. Paläontologie. „Über Gastropoden" handelt W. Deecke's IX und letzter Aufsatz seiner über- aus anregenden paläontologischen Betrachtungen (Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie, Beil.-Bd. 40, 1916). Die Schneckenschale gewährt Schutz gegen Feinde oder Verletzungen des Weichkörpers. Wegen der freien Ortsbewegung muß die Schale so gebaut sein, daß sie dem Tiere nicht zum Hindernis wird. Abgesehen von dem alten Stamme der Chitoniden hat Patella das einfachste Gehäuse — ein symmetrischer Napf, der mit dem Wachsen des Tieres größer wird unter schwacher Krümmung der Wirbelpartie. Die seil dem Silur bekannten Patellen sitzen zumeist fest und leben von Algen auf Steinen oder ihnen zugetriebener Nahrung, weshalb sie an bewegtes Wasser gebunden sind. Chitoniden und Patellen sind bilateral symmetrisch; dasselbe gilt auch von den Bellero- phonten die zu den Pleurotomarien gestellt werden. Die Bellerophonten lebten zumeist auf paläozoischen Riffen oder in Crinoidenrasen oder auf mergeligem Grunde zusammen mit einer reichen Lebewelt. Aus den Verbreiterungen an der Mündung .schließt Deecke, daß sie gekrochen sind. Auffallend ist die morphologische Ähnlichkeit von Bellerophonten und den zu den Cephalopoden gehörenden Goniatiten, welche beide dieselbe starke Aufrollung und die gleich gering entwickelte Skulptur auf- weisen. Ebenso gleichen die Porcellien des Unterkarbons rein äußerlich manchen ober- devonischen Clymenien. Es scheint, als ob die paläozoischen Ammoniten und die Bellerophonten 64 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 5 kräftige Konkurrenten waren. In der Trias starben die Bellerophonten aus und es entfalteten sich dafür die Ammoniten mit ihrer durch die Luftkammern beweglicheren Schale immer mehr. Warum die Schneckenschale die Gestalt einer unsymmetrischen Spirale annimmt, ist sehr schwer zu sagen; jedenfalls ist sie uralt, denn sie begegnet uns bereits im Cambrium. Sie muß mit dem Wachsen genetisch eng verbunden sein, denn wir treffen sie ebenso bei den Serpuliden (Würmer) und den Muscheln (Requienia, Exogyra), anderer- seits muß sie mit der kriechenden Bewegung in Beziehung stehen, da wahrscheinlich die Bewegung die Verlagerung auf eine Seite hervorrief und damit den Gesamtbau des Tieres veranlaßte. Die Schale gewährt dem Tiere Schulz vor Zerstörung, deshalb muß sie dick und fest sein. Massige Schalen zeigen die in der Wellenregion lebenden beweglichen Formen; in der Jetztzeit die Strombus-, Cassis-, Terebra-, Mitra-, Conus- Cypraea-Arten, früher ähnliche Formen in der Kressenberg-Fauna, die Actaeonellen und Nerineen in den Hippuritenriffen. Frei bewegliche Schnecken resorbieren vielfach die inneren Windungen, damit die Schale nicht zu schwer wird. (Conus, Cypraea). Schnecken, die auf weichem Boden oder in größerer Tiefe leben, haben ein mäßig starkes Gehäuse. In Tonen kommen kleine und leichte Gehäuse vor. Das Gehäuse bietet auch Zuflucht vor Feinden, vor allem vor Seesternen, Fischen, Krebsen und vielleicht auf dem Boden kriechenden Cephalopoden. Die erst in jüngeren Formationen auftretenden Krebse sind gefährliche Räuber und wohl schuld daran, daß die Schneckenschalen gegenüber dem Paläozoikum dickschaliger sind. Auffallend ist die schwache Skulptur der meisten paläozoischen Schnecken. Dornen und Stacheln, wie sie Murex zeigt, fehlen ganz. Mit dem Aufblühen der Krebse mußte die Schneckenschale durch starke Rippen, Knoten und Dornen geschützt werden. Da die Schale in der Nähe der Mundränder zart und zerbrechlich, sowie leicht angreifbar ist, ist sie von da ab verdickt und versteift. Gegen ein Eindringen zum Weichkörper schützt oft ein flach kegelförmiger oder ebener Deckel, welcher der Mündung angepaßt ist und mit ihr Spiral wächst. Turmförmige, Spiral ge- drehte Deckel kommen bei Euomphalus aus dem Obersilur vor, heute noch bei Solarium und Torinia. Die Schale wird vom Mantel erzeugt und ge- tragen. Auffallend ist es, wie im Laufe der Erd- geschichte bei den verschiedensten Gruppen immer wieder dieselben Formen entstehen. Sieht man von der Skulptur ab, so ist die Mannigfaltigkeit gar nicht so groß. Trochus und Turbo sind kreiseiförmig, uralt und weitverbreitet. Das ab- geplattete Natica- bis SigaretusGehäuse tritt in allen Formationen auf Planorbis, Euomphalus, Solarium sind flach mit weitem Nabel, Actaeonella und Conus kurz kegelförmig, Murchisonia, Nerinea, Loxonema, Chemnitzia, Cerithium und Turritella lang turmförmig. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Formen mit der Lebensweise und dem Kriechen in Beziehung stehen. Murchisonia, Nerinea, Chemnitzia, Pseudo- melania, Phasianella, Terebra und Mitra sind in Riffen, oolithischen Bildungen oder in der zer- klüfteten Strandzone am mannigfaltigsten und zahlreichsten. Cerithium fehlt keinem tertiären Strandgrus. In Crinoidenkalken des Silur, Devon und Carbon kommen meist kleine kugelige Gehäuse und der Natica-Typus, sowie abgeplattete Euomphakisformen vor. Eine 3. nur im Tertiär vorkommende Lebensgesellschaft stellen Strombus, Oliva, Conus, Cypraea, Bulla, in der Kreide Actae- onella dar; bei diesen reicht der Offnungsschlitz weit gegen das Gewinde hinauf, wodurch eine Konzentrierung der Gehäuselast beim Kriechen ermöglicht wird. Vermetus und Magilus gehören zur 4. Gruppe mit sitzender Lebensweise. Dadurch entsteht ein ganz abweichender Habitus, indem die Spirale sich auflöst oder klein bleibt und eine röhrenartige Schale mit gedrehter Rippenskulptur und unregelmäßigen Anwachsstreifen entsteht. Im großen und ganzen ist eine bestimmte P'ormen- gesellschaft immer vorhanden, wobei die einzelnen Familien sich ablösen; dies ist für Deecke ein Hauptgrund, eine gewisse Funktion des Gehäuses anzunehmen. Es handelt sich um Konvergenzen, was wiederum für die Beurteilung der den Schnecken nah verwandten Cephalopoden wichtig ist. Es spricht dies direkt gegen die Rassen- persistenz, da selten die Formen bleiben, sondern aussterben und wieder von andern Familien ersetzt werden. Dauertypen ohne größere Variabilität mit erheblicher Anpassungsfähigkeit und einfacher Lebensform sind die durch alle Formationen durch- gehenden Naticiden, Trochiden und Neritinen; sie sind dadurch ausgezeichnet, daß sie klein sind und in jeder Facies auftreten können. Eine Konvergenzerscheinung ist das Helicidengehäuse unter den Landschnecken, da die Tiere oft sehr voneinander abweichen. Manche Formen sind stark umbildungsfähig, wie das Valvata multiformis aus Steinheim und die obermiocänen und pliocänen osteuropäischen Melanopsis- und Paludina- Arten zeigen. Dasselbe zeigen die Nerineen im oberen Jura, Cerithium im Alttertiär, Pleurotoma im Oligocän, Melania im Brackwasser an der Grenze von Jura und Kreide. Ein wichtiges biologisches Moment stellt der rhombische Längsschnitt vieler Schneckenschalen dar, da beiderseits der Diagonale nach Art eines Wagebalkens gleiches Gewicht hängt. In andeier Hinsicht ist die Mütidung von Interesse. Vielfach ist eine Lippe mit Umschlag oder Verbreiterung vorhanden, welche beim Wachsen nach Art von Reservematerial resorbiert wird. Die meist glatte Beschaffenheit der Schale an der Spindelseite neben der Mündung, sowie die Schwielen- und Nabelbildung hängen wohl mit dem Tragen des Gehäuses zusammen. Im Gegensatz zur Skulptur N. F. XVI. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6S sieht De ecke in der Ausbildung der Innenlippe und des inneren Umschlages ein sehr wichtiges systematisches Merkmal, weil diese Eigenschaften eng mit der Bewegung und Lebensweise des Tieres zusammenhängen. Sehr verschieden ist auch die Nabelöffnung; bei lang turmförmigen Schnecken wie Murchisonia und Nerinea ist sie klein und röhrenartig, bei kegelförmigen verbreitert und trichterartig, bei Planorbis und Euomphalus ist sie weit. Hauptzweck ist wohl die Erleichterung des Gehäuses. Applattung der Basis zeigt sich bei kurz kegeligen regelmäßigen Gehäusen (Trochus, Xenophora, Pleurotomaria). Die Skulptur zerfällt in Radial- und Läng-falten. Bald treten die Anwachsstreifen mehr hervor, bald die auf eine Querfaltung der Mündung zurückgehende Spiralstreifung. Vereinigen sich beide Systeme, so entsteht Knotung. Das Auftreten der Schnecken ist oft massen- haft, so in alluvialer Seekreide, im Süßwasserkalk von Steinheim, in den Litorinellenkalken und den Cerithiensanden und -Kalken des Mainzer Beckens, in den Mclania strombiformis-Piatten des nord- deutschen Wealden, in den Turritellengesteinen der schwäbischen und schweizerischen Molasse, den Nerineenkalken des Maims sowie in der Schneckenfauna der mittleren Trias von Esino. Gegenüber diesen an Schnecken wimmelnden Lagen können oft plötzlich benachbarte Lagen spärlich, selten oder gar keine Schnecken führen. Der Hettinger Sandstein des lothringischen Unter- lias enthält eine prächtige Schneckenfauna, im tonigen Hangenden dagegen nichts. Die Nerineen, Pterocera, Natica des mittleren Kimmeridge sind in den Virgula-Mergeln fast alle verschwunden. Die feinen Ton- und Mergelschichten bergen wiederum eine andersartige Fauna mit kleinen Schnecken; hierher gehören die Liastone und Mergel Nord- und Süddeulschlands, die Rcngeri- und Ornatentone im Oberrheingebiet, dieSeptarien- tone Norddeutschlands und die westfälischen Miocäntone. Eigenartig ist die Zwergfauna der alpinen Triasriffe wie auch die Gesellschaft von Natica, Omphaloptycha, Loxonema im Schaumkalk Norddeutschlands und in manchen Muschelkalk- oolithen. Ausgesprochene P'oraminiferengesteine (Schreibkreide, Globigerinenkalk) sind arm an Schnecken. Eine wohlcharakterisierte Lebens- gesellschaft (Trochus, Turbo, Cerithium, Rostellaria) lebte auf den Spongienrasen des oberen Jura und der oberen Kreide (Pläner). Es zeigen also auch die Gastropoden eine starke Abhängigkeit von der Facies. Wichtig ist weiterhin auch die Ver- schleppung von Schneckenschalen, da in vielen Schalen sich nach dem Tode Verwesungsgase bilden, wodurch die Schalen aufsteigen und an .den Strand oder in die Litoralzone sich ver- schleppen. Dies gilt vor allem für gedeckelte Schnecken, sowie für Natica, Murex, Buccinium, Turbo. Hinsichtlich der Erhaltungsart der Schneckea- schale ist es bemerkenswert, daß gegenüber Korallen, Seeigeln und Zweischalern relativ selten Schneckenschalen in verkieseltem Zustande vor- kommen. Häufig ist die Ausfüllung mit Pyrit und damit die Bildung von Pyritsteinkernen in tonigen bituminösen Schichten, so im pommerschen Septarienton, in vielen Juratonen Süddeutschlands. Bei größeren als kalkige Steinkerne erhaltenen Schnecken ist das P'ehlen des ältesten Gewinde- abschnittes ganz gewöhnlich, z. B. in der Kressen- bergfauna, in den Pterocera- und Naticamergeln des Malms, Muschelkalk- und Wellenkalkschichten. Nicht immer ist dies auf Verwitterung zurück- zuführen , sondern die prachtvollen Steinkerne enden plötzlich mit Hohlraum und Abdruck des ganzen Exemplars. Sehr häufig ist die Kalzinierung in bituminösen Süßwasser- und Brackwasser- sedimenten, in Lithothamiiien- und triadischen Alpenkalken. Glaukonitreiche Mergel enthalten meist Sleinkerne (Molasse am Bodensee, Kressen- berg), während die nah verwandten Eisenoolithe und auch typische Oolithe oft treffliche Schalen einschließen (Mumienhorizonte in Oberbaden, Nerineenoolithe des Malm). In gleichmäßigen Tonen wie den Septarien- und Torulosustonen kommen oft prächtige Schalen vor, in kalkreichen Mergeln meist sehr schlecht erhaltene Reste. V. Hohenstein. Astronomie. Über Aufnahmen mit mono- chromatischem Licht an Himmelskörpern berichtete Wood im Astroph. Journal 43, 185. Nachdem er schon 1912 am iVIond mit Hilfe von Strahlenfiltern auffallende Ergebnisse erzielt hatte, ist das Verfahren weiter ausgebildet worden. Es hatte sich damals gezeigt, daß die Verteilung der hellen und dunklen Stellen auf dem Monde bei Anwendung von Strahlenfiltern ganz anders ausfällt, wie bei der Fernrohrbeobachtung. Besonders war um Aristarch herum ein großer dunkler Fleck iin ultravioletten Licht erschienen, der sonst absolut unsichtbar ist. Kontrollversuche haben dann wahrscheinlich ge- macht, daß es sich hier um eine Ablagerung von Schwefel oder stark schwefelhaltigem Gestein handeln muß, das im ultravioletten Licht so wirkt. Für die Aufnahmen an Jupiter und Saturn wurden vier Strahlenfilter hergestellt, für infrarot, gelb, violett und ultraviolett. Als Instrument diente der Spiegel des 150 cm Teleskopes. Der Saturn zeigte die merkwürdigsten Bilder. Im infraroten Licht erschien nicht die geringste Zeichnung auf dem Planeten, während im gelben Licht das Bild fast ebenso aussah, wie dem Auge im Fernrohr. Im violett aber traten breite dunkle Streifen um den Äquator auf und eine dunkle Zone an den Polen, beides Erscheinungen, die noch nie gesehen worden sind. Im ultraviolett traten diese beiden dunklen Stellen wieder etwas zurück, aber sind doch so auffallend, daß man beim Vergleich des gelben mit dem violetten oder ultravioletten Bilde nicht glauben sollte, denselben Gegenstand auf der Platte zu haben, 66 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 5 Wood denkt zur Erklärung dieser eigentümlichen Erscheinung an einen Dunstring um den Planeten innerhalb des Ringes, der ja schon durch den bekannten Crappring in Dunst übergeht. Hierfür spricht der Umstand, daß auf den Aufnahmen der Himmel zwischen Planet und Ring dunkler aussieht als außerhalb. Es muß also der Raum innerhalb des Ringes mit einer Materie ausgefüllt sein, die in geringem Maße das kurzwellige Licht reflektiert. Eine andere Annahme ist die des Vorhandenseins von Gasen in der Saturnatmosphäre, die die kurz- welligen Strahlen absorbieren. Beim Jupiter zeigte sich ein ähnliches Verhalten in den Unterschieden der vier Aufnahmen. Riem. Physiologie. Eine interessante Parallele zwischen der künstlichen Parthenngenese und der Anregung zur Wundheilung durch die gleichen Agentien entwickelt Methodi Popoff (Biolo- gisches Centralblatt, XXXVI. Bd., 1916, Nr. 4). Von den einzelligen Tieren, Protozoen, wissen wir aus den Untersuchungen von Calkins, Maupas, R. Hertwig, Popoff u. a., daß sie gewisse Perioden durchlaufen, Depressionszustände („degenerescence senile"), in denen ihnen die weitere Existenz unmöglich ist, daß aber durch Verschmelzung zweier Individuen bei der Fort- pflanzung oder durch andere Umregulierungs- prozesse die depressionierten Zellen wieder auf- gefrischt und lebensfähig gemacht werden. Aber nicht nur die freilebenden Zellen, sondern auch die Geschlechtszellen der Vielzelligen sind einer derartigen physiologischen Depression unterworfen, an der sie schließlich selbst unter den günstigsten Verhältnissen zugrunde gehen. Eine scheinbare Ausnahme machen die normal- parthenogenetischen Eier, aber auch sie gehen nach einer Reihe von Generationen an einer physiologischen Depression zugrunde. Der normale Ümregulierungsprozeß für die Eizelle ist die Befruchtung. Zahlreiche Beob- achtungen und Versuche haben nun gezeigt, daß die in tiefer Depression sich befindenden Eizellen durch die verschiedensten Agentien wieder ent- wicklungsfähig gemacht werden können , künst- liche Parthenogenese. Tichomiroff (1886) fand zuerst, daß die unbefruchteten Eier des Seiden- spinners durch kurzes Eintauchen (2 Minuten) in Salzsäure, Schwefelsäure oder rein mechanisch (durch Bürsten, Schütteln usw.) dazu gebracht werden können, sich zu teilen und kleinen Em- bryonen Ursprung zu geben. O. und R. Hertwig fanden ein Jahr später, daß auch die unbefruchteten Eier des Seeigels Strongylocentrotus durch die Einwirkung von Chemikalien zur künstlichen Parthenogenese veranlaßt werden können. Von anderen Agentien, welche dieselbe Wirksamkeit hatten, wurden weiter ermittelt NaCl, KCl, MgCl.,, MnCI.^, COo, NH.j, ferner Tanin, verschiedene Fett- säuren, Spermaextrakte, Serumeinwirkungen und die Behandlung^ mit Xylol, Toluol, Äther usw. Als sehr wirksame künstlich parthenogenetische Agentien haben sich außerdem die Änderung des osmotischen Druckes des umgebenden Mediums, die Wasserentziehung und die verschiedensten mechanischen Einwirkungen erwiesen. Für einige dieser Agentien, z. B. die hypertonischen Lösungen der Salze, ergab sich, daß die günstige Wirkung auf das Ei auf ihrer Wasserentziehung beruht. Dasselbe konnte seine Entwicklung bis weit über das Larvenstadium hinaus fortsetzen und Yves Delage vermochte sogar junge Seeigel auf künst- lichem parthenogenetischem Wege zu züchten. Die Wasserentziehung wurde von Bataillon, Loeb, Delage u. a. mit bestem Erfolg zur Hervorrufung künstlicher Parthenogenese bei den verschiedensten Tierarten benützt. Normalerweise geschieht dieselbe dadurch , daß bei der Bildung des männlichen und des weiblichen Vorkerns nach dem Eindringen des Samenkerns dem Proto- plasma der Eizelle Wasser entzogen wird. Beide Geschlechtskerne vergrößern sich durch Aufnahme von Flüssigkeit aus dem umgebenden Protoplasma. Bei den angewandten Reagentien soll die lonen- wirkung die Einwirkung der Alkalität die Ände- rungen der peripheren Eischicht durch lipoid- lösende alkalische Reagentien usw. für die künst- liche Parthenogenese als Erklärungsursachen in Betracht kommen. Alle diese Erklärungsversuche gruppieren sich um zwei Theorien, die von Loeb und die von Delage. Loeb geht davon aus, daß hypertonische Lösungen eine stark stimulierende Wirkung auf die Lebensprozesse der Zellen ausüben, die bei der Eizelle in der Segmentierung bestehen ; daher müssen sie bei dieser künstliche Partheno- genese hervorrufen. In der Tat gelangen Loeb bei der Behandlung von Eiern mit Fettsäure und hypertonischen Lösungen (MgCL) fast loo"/,, seiner Versuche. Aber auch Delage erreichte dasselbe günstige Resultat mit einer ganz anderen Methode; er geht dabei von folgender Ansicht aus. Die Lebenssubstanz ist ein Komplex von Albumin- stoffen, die sich in kolloidaler Lösung in einem elektrolytischen flüssigen Medium befinden, dessen Zustand instabil ist, so daß die Sol- und Gelphasen nahe ihrem kritischen Punkt sind. Die Zellteilung nun wird charakterisiert durch Koagulierung und Auflösung. Erstere liegt der Bildung der Chromo- somen der mithotischen Figur zugrunde, letztere der Auflösung der Kernmembran. Als Koagu- lierungsagens gebraucht Delage das Tannin, als Lösungsagens das Ammoniak. Beide Autoren gehen von der Ansicht aus, daß die Einwirkungen beider Agentien die Eizelle in jenen Zustand ver- setzen , welcher normalerweise durch die einge- drungene Samenzelle herbeigeführt wird. Es würde so durch den Ümregulierungsprozeß der Depressionszustand aufgehoben , in welchen die. Eizelle geraten ist, und diese reagierte darauf durch den in der Teilung liegenden Beginn der Entwicklung. Die künstliche Parthenogenese wäre also eine Verjüngungserscheinung; die sie verursachenden N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Reagentien wirken aber nicht nur auf die Kizelle, sondern allgemein auf die Zellen verjüngend. Freilich ist ein Unterschied zwischen der Ei- und der Somazelie insofern vorhanden , als die letztere nur die Fähigkeit wieder erlangt, sich in engen Grenzen morphologisch zu differenzieren. Von dieser Überlegung ausgehend hat P. eine Reihe von Versuchen unternommen, über die er nun berichtet. Von den hypertonischen Lösungen wirkte besonders günstig NaCl und MgCI.,. Ihre zellstimulierende Wirkung beschränkt sich aber nicht nur auf die Geschlechtszellen. P. benutzte zunächst in Winterruhe befindliche Pflanzenknospen, und zwar solche des Flieders (Syringa vulgaris). Sollte es gelingen, dieselben durch hypertonische Lösungen aus ihrer V\'int erstarre zu erwecken, so würde dies deren stimulierende Wirkung beweisen. Am i8. Januar 19 16 wurden von einem Ast eines und desselben Strauches drei vorjährige Sprößlinge genommen; zwei Endknospen wurden ' , ccm von MgCI., (4o7no) und NaCl (20 "/„o) + MgCI., (20" „J an derselben Stelle injiziert, während die dritte Knospe zur Kontrolle unbehandelt blieb. Alle drei Sprossen kamen in ein gemeinsames Glas mit Brunnenwasser und blieben bei Zimmertemperatur stehen; dieselbe schwankte zwischen 20" C bei Tag und 10" C bei Nacht. Bereits nach 7 Tagen war ein Unterschied deutlich bemerkbar und am 14. Tag waren die Blumenknospenanlagen schon sehr weit entwickelt und in die Länge gewachsen (Fig. a u. b), während an der Kontrolle noch nichts derartiges zu bemerken war (c). Daraus ergibt sich die stimulierende Wirkung der die künstliche Parthenogenese hervorrufenden hyper- tonischen Lösungen auch für die somatischen Zellen. Schon früher wurde durch Versuche Weber's, Jesenko's u. a. gezeigt, daß ruhende Knospen durch Injektion von schwachen Lösungen ver- schiedener Salze (Na- und Mg-Salze) zum Aus- treiben gebracht werden können. Von dem Gedanken an die stimulierende Wirkung der hypertonischen MgCl.^- und NaCl- Lösungen ausgehend, versuchte P. mit bestem Erfolg deren Verwendung für die Wundregeneration. Mit hypertonischer NaCl (30 "/oo) Lösung behandelte er 10 — 25 cm lange und 5 — 10 cm breite ober- flächliche oder tiefe Muskelwunden. Dieselben wurden mit Kochsalzlösung gut ausgewaschen, eventuell in der hypertonischen Lösung gebadet (20 Minuten bis ' ., Stunde). Während die Wunden bisher in atonischem Zustand gewesen waren und nicht granulieren wollten, regenerierte jetzt das Grundgewebe sehr stark und die Wundheilung wurde beschleunigt. Denselben günstigen Einfluß bezüglich der Granulation und der Epithelisation hatte die Behandlung von Wunden mit MgClj und NaCI (ää 1 5 " „„). Dieselben günstigen Ergeb- nisse hatte die Behandlung von Erfrierungen, bei denen bekanntlich das torpide Verhalten der Ge- webe die Heilung sehr erschwert und die von Frakturen, bei denen es in erster Linie auf die Regeneration des Knochengewebes ankommt. Antiseptische, also gewebstötende Mittel wurden dagegen bei aseptischen Wunden gar nicht ver- wendet. Alle diese Versuche sprechen also zu- gunsten der vertretenen Auffassung von der all- gemeinen zellstimulierenden Wirkung der hyper- tonischen, künstliche Parthenogenesis bedingenden Agentien. Seit Molisch, Johansen, Weber u. a. ist es bekannt, daß die mit Äther behandelten Pflanzen zu frühem Austreiben angeregt werden. In der Gärtnerei wird diese Wirkung der Ätherdämpfe zur Frühtreiberei benutzt (Flieder, Vogelkirschen- zweige usw.). Der Äther ist aber auch ein Mittel, welches künstliche Parthenogenese veranlaßt (Matthews). Die in Anbetracht dessen vorge- nommene Behandlung von schwerheilenden Wunden mit Äther hatte gleichfalls den besten Erfolg. Eine Mischung von 1 Teil Äther mit 3 Teilen Olivenöl wurde direkt auf die Wunde gebracht oder auf dieselbe mit dieser Mischung gut ge- tränkte Mullgaze aufgelegt. Täglich oder einen Tag über den anderen wurde der Verband ge- wechselt. In kurzer Zeit, schon nach 2 — 3 Wochen, schlössen sich große Wunden, die lange Zeit vor- her Wochen-, ja monatelang keinen Fortschritt gezeigt hatten. Besonders Erfrierungen, welche sonst sehr schwer heilen, nahmen einen äußerst günstigen Heilungsverlauf. Alle Versuche zeigen, wie berechtigt die Auf- fassung ist, nach welcher die Mittel, welche künst- liche Parthenogenese hervorrufen, als allgemeine Zellstimulantien zu betrachten sind. Durch die Versuche von Tichomiroff mit den Eiern des Seidenspinners haben wir auch die mechanische Reizung als ein Mittel kennen gelernt, welches künstliche Parthenogenese hervorrufen kann. iVIatthews (1901) gelang es, die Eier .des Seesterns durch Schütteln allein zur Ent- wicklung zu bringen; also wäre eine stimulierende Wirkung auch für die Körperzellen von mecha- nischen Einwirkungen zu erwarten. Einer ent- sprechenden Anwendung bei der Wundbehandlung stehen praktische Schwierigkeiten entgegen. Nur eine örtliche Massage in der Nähe des Wund- 68 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 5 randes war durchführbar; die damit gemachten Erfahrungen waren sehr zufriedenstellend. Nach P. beruhen die Heilerfolge bei der Massage auf der zeilstimulierenden Wirkung des mechanischen Reizes. Die Erfahrungen, daß völlig immobilisierte Frakturen nur langsam heilen, spricht gleichfalls für diese Auffassung. Andererseits findet dieselbe eine Bestätigung durch die raschere Bildung von Gewebe an Stellen eines mechanischen Reizes. Beruht ja darauf auch die Entstehung der Hühner- augen. Als weiteres Mittel zur Hervorrufung künst- licher Parthenogenese lernte man die Entwässerung des Eiplasmas kennen. In den Jahren 1900—1910 brachte Bataillon die Eier des Seeigels zur parthenogenetischen Entwicklung in hypertonischen Lösungen von NaClTraubenzucker, Tierserum u. dgl. 1910 erzielte er sogar die Entwässerung durch Anstechen der Eier von Rana mit sehr feinen Nadeln. Auch für die Wundbehandlung zeigte sich die Entwässerung des Zellprotoplasmas als vorteilhaft. In einem Saal des Lazaretts kamen die Wunden, welche mit Jodpinselungen. Lysoform- waschungen behandelt wurden, viel langsamer zur Heilung als in einer anderen Abteilung, wo die- selben trocken und aseptisch verbunden wurden. Wurden die Wunden bei Fernhaltung einer In- fektionsmöglichkeit dem austrocknenden Einfluß der Luft ausgesetzt oder mit trockenen aseptischen Verbänden versehen, so zeigten sie eine viel stärkere Heilungstendenz. Die raschere Bildung des Regenerationsgewebes ist hier nach P. gleich- falls der Zellplasmaentwässerung zu verdanken, also auch hier wieder die zellstimulierende Wirkung eines Mittels, welches zur künstlichen Partheno- genese herbeigezogen wird. Es wäre endlich die Wirkung des Spermien- extraktes zu erproben, denn auch dieses hat sich bei Versuchen mit künstlicher Parthenogenese wiederholt als wirksam erwiesen. Für die Alters- erscheinungen wird ja von Brown-Sequard der Wegfall des inneren Sekrets der Keimdrüsen verantwortlich gemacht. Man könnte daher ver- suchen, den allgemeinen Körperzustand alternder und kachektischer Individuen durch Injektion von Spermienextrakten zu heben. Näheres über diesen Punkt behält sich P. für eine andere Gelegenheit vor. Als einen einfachen Weg zur Verwendung der künstliche Parthenogenese hervorrufenden Lö- sungen zur Stimulation der Körperzellen empfiehlt P. die subkutane oder intravenöse Injektion von NaCl und MgCl.,. ') Aus allen Beobachtungen und Versuchen zieht er den Schluß, daß die Mittel zur Hervorrufung der künstlichen Parthenogenese als allgemeine 1) Das Einspritzen, sogar von reinen MgCl., in hypertonischen Lösungen zeigt, wie P. aus seinen Versuchen an Meerschweinchen entnimmt, gar^ keine unangenehmen Überraschungen (intra- peritoneale Einspritzungen von 4%,) MgClj-Lösung). Zellstimulantien zu betrachten sind. Vielleicht könnte man auf diesem Weg einer, wenn auch nur zeitlichen, Behebung der Alterserscheinungen näher kommen. (G.C.) Kathariner. Chemie. Einen sehr wertvollen Beitrag zur Kenntnis der Isotopen Elemente, d. h. jener Elemente, die chemisch identisch sind, sich aber durch ihr Atomgewicht unterscheiden, liefern die Arbeiten von K. Fajans und seinen Schülern über die Löslichkeit des Bleies und einiger seiner Isotopen und die zu relativen Atomgewichts- bestimmungen verwendbaren Unterschiede in den spezifischen Gewichten ihrer gesättigten Lösungen (K. Fajans und J. Fischler, Zeitschr. f. anorg. u. aligem. Chem., Bd. 1)5, S. 284—296 und K.Fajans undM.Lembert, ebendaS. 297 — 339, 1916). Unter der Voraussetzung, daß die gesattigten wässerigen Lösungen zweier isotoper Bleinitrate die gleiche molekulare Zusammensetzung haben und daß gleiche Volumina der Lösungen gleich viele Mole der Salze enthalten, folgt, daß, da die Molekulargewichte der Salze verschieden sind, sowohl die in Gramm pro Liter ausgedrückte Löslichkeit der Salze als auch die Dichte der ge- sättigten Lösungen verschieden sein müssen. Das Ziel der Untersuchung bestand darin, den Unter- schied in der Dichte der Lösungen experimentell zu bestimmen, ihn mit dem unter der obigen Voraussetzung berechneten Unterschiede zu ver- gleichen und schließlich festzustellen, ob und in wieweit er sich zu einer relativen Bestimmung der Atomgewichte benutzen lasse. Für die Versuche standen den Autoren drei verschiedene Bleie, nämlich 1. gewöhnliches Blei Pb mit dem Atom- gewicht 207,15, 2. Blei aus Carnotit Pb' mit dem Atomgewicht 206,59 und 3. Blei aus Joachimsthaler Pechblende Pb" mit dem Atomgewicht 206,57 zur Verfügung. Für das mit allen Vorsichtsmaßregeln der wissenschaftlichen Technik bestimmte spezifische Gewicht d— ^^ der bei 24,45" gesättigten Lö- 4 sungen der Nitrate wurde gefunden: für PMNOg)., . . . ■ 1,444499 + 0,000013 für Pb'(N03)o 1,443587+0,000016 und für Pb"(N03)„ .... 1,443586 + 0,000015. Die Analyse der bei 24,45" gesättigten Lö- sungen von Pb(NO,)., und Pb'(NO.,),, ergab, daß die Löslichkeit beider Nitrate bis auf 0,75 "/„o, einer durchaus innerhalb der Fehlergrenze der Bestimmungen liegenden Differenz, identisch gleich 1,6172 Mol im Liter ist. Die Annahme, daß auch das dritte Bleinitrat Pb"(NO,,)2 bei 2445" die gleiche Löslichkeit von 1,6172 Mol. im Liter be- sitzt, erscheint darnach berechtigt. Unter dieser Annahme berechnet sich unter Berücksichtigung N. F. XVI. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 69 der verschiedenen Atomgewichte der drei Bleie, daß I ccm der Pb(N03)2-Lösung 0,904 + 0,026 mg mehr als i ccm der Pb^NO^jj - Lösung und 0,935+0,052 mg mehr als i ccm der Pb"(N03)2- Lösung wiei^t, Zahlen, die mit den experimentell bestimmten Werteno,9i 2 + 0,029 bzw. 0,9 1 3 + 0,028 recht gut übereinstimmen, also als Beweis für die Richtigkeit der Grundannahme einer gleichen An- zahl von Molekülen der drei Nitrate in der Raum- einheit der gesättigten Lösungen angesehen werden dürfen. Daraus ergibt sich aber weiter die Möglichkeit einer relativen Bestimmung der Atomgewichte von Isotopen mit Hilfe der gesättigten Lösung eines geeigneten Salzes, und dies bedeutet insofern einen wesentlichen Vorteil, als die genaue Be- stimmung eines spezifischen Gewichtes erheblich leichter ist und erheblich schneller geht als eine ebenso genaue Atomgewichtsbestimmung durch chemische Analyse. Mg. Bücherbesprechuiigen. A. V. Tscher mak. Allgemeine Physiologie. Eine systematische Darstellung der Grundlagen sowie der allgemeinen Ergebnisse und Probleme der Lehre vom tierischen und pflanzlichen Leben. Berlin 1916. J. Springer. „Die folgende Darstellung der allgemeinen Physiologie wendet sich an solche Leser, welche eine tiefer schürfende, kritische Behandlung der Probleme und Ergebnisse dieses F"orschungsgebietes suchen. Dem Bedürfnisse nach einer mehr po- pulären Darstellung, welche den Anfänger über- sichtlich — wenn auch mitunter etwas einseitig — orientiert, ist ja bereits mehrlach entsprochen worden." Mit diesen Worten charakterisiert der Verf selbst das vorliegende Werk, in dessen erstem Halbbande er nach einer allgemeinen Charakteristik des Lebens die physikalische und chemische Be- schaffenheit der lebenden Substanz behandelte. Es ist schwer im Rahmen eines kurzen Referates die außerordentliche synthetische Arbeitsleistung zu werten, der dieses Buch entsprungen ist. Das Werk trägt den Charakter eines Handbuches, aber eines Handbuches von ausgesprochen individuellem Gepräge, dessen Wert in gleicher Weise in der außerordentlich reichen Literatur-Sammlung aus allen (auch entlegenen) Gebieten der Natur- wissenschaft, wie in der musterhaften Zusammen- fassung und kritischen Darstellung des fast unübersehbar großen Tatsachenmateriales liegt. Ganz besonders sei auf die einleitenden Kapitel „die allgemeine Analyse des Lebensprozesses" und „die Charakteristik des unbelebten Stoffes und Vergleich mit dem belebtem Stoffe" hin- gewiesen, in denen die einschlägigen Fragen in einer bisher kaum erreichten Klarheit erörtert werden; dabei stellt sich der Verf. selbst auf den Boden eines phänomenologischen Dualismus von Belebtem und Unbelebtem : „Wir betrachten dem- gemäß im folgenden die Physiologie nicht einfach als angewandte Physik und Chemie, vielmehr das Leben als einen Erscheinungskomplex für sich, Belebtes und Unbelebtes als verschiedene, selb- ständige und gleichwertige Objekte der natur- wissenschaftlichen Forschung." Auf wie streng physikalisch-chemischem Standpunkte der Verf. trotz seines Bekenntnisses zu einer in mancher Hinsicht vitalistischen Auffassung steht, zeigen die folgenden Kapitel, unter denen speziell hingewiesen sei auf die Charakteristik des Protoplasmas nach Aggregatzustand und Formart als auf die beste bisher vorliegende Darstellung der Kolloidchemie in ihren innigen Beziehungen zur Physiologie des Protoplasmas. Wem es nicht darum zu tun ist eine mehr belletristische Darstellung des gegenwärtigen Standes der allgemeinen Physiologie zu lesen, sondern wer — biologisch vorgebildet — in ernster Arbeit tiefer in diese Wissenschaft ein- zudringen sucht, dem kann hierfür kein besserer und gewissenhafterer Führer empfohlen werden als das vorliegende Werk v. Tschermak's. Möge seine Vollendung nicht zu lange auf sich warten lassen. v. Brücke. L. Asher, praktische Übungen in der Physiologie. Eine Anleitung für Studierende. Berlin 1916. J. Springer. Im Wesentlichen beschränkt sich der Verf. auf die Darstellung der Methode der angeführten Versuche; die Beobachtungen, um derentwillen die einzelnen Versuche angestellt werden, werden nur in wenigen Sätzen besprochen. Ebenso hat der Verf. auf alle theoretischen Auseinander- setzungen und auf eine eingehende Beschreibung der verwendeten Apparate verzichtet, wodurch er in das relativ kurze Buch (200 Seiten) eine so reiche Fülle von Versuchsmaterial aufnehmen konnte, daß fast alle Versuche darin enthalten sein dürften, die an physiologischen Instituten von Studenten praktisch au.sgeführt werden. Dem Studenten wird das Asher 'sehe Prak- tikum sicher ein willkommenes Hilfsbuch sein, und auch jeder Leiter eines physiologischen Praktikums kann Anregungen aus der Auswahl und der Ausführungsart der Versuche gewinnen. V. Brücke. A. Lipschütz, Physiologie und Ent- wicklungsgeschichte und über die Aufgaben des physiologischen Unter- richts an der Universität. Jena 1916. G. Fischer. 70 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 5 An der Hand einiger dem Referenten nicht gerade glückHch gewählt erscheinender Beispiele erörtert der Verf. die Bedeutung der physiologischen Forschung für die Klärung biologischer Er- scheinungen, die bisher mehr von ihrer vergleichend- anatomischen und embryologischen Seite her be- trachtet worden waren. Die Bedeutung der Homoiothermie für die Entwicklung der Großhirnfunktionen darf nach den Erfahrungen an VVinterschläfern und Vögeln sowie nach der fortschreitenden Entwicklung der Großhirnfunktionen in der Reihe der poikilothermen Vertebraten wohl nicht zu sehr in den Vordergrund gestellt werden. Das Bedürfnis eines theoretischen und prak- tischen Unterrichts in allgemeiner Physiologie im Rahmen der naturwissenschaftlichen Fakultäten wird von allen Biologen anerkannt werden. V. Brücke. W. Stempell u. A. Koch, Elemente der Tierphysiologie. Ein Hilfsbuch für Vor- lesungen und praktische Übungen an Univer- sitäten und höheren Schulen sowie zum Selbst- studium für Zoologen und iVIediziner. Jena 1916. G. Uscher. Mit aufrichtiger Freude und Dankbarkeit wird jeder Biologe dieses Werk begrüßen ! Es ist dem Verf. gelungen in dem Rahmen eines vergleichend physiologischen Praktikums eine streng wissen- schaftliche, dabei aber äußerst anregend ge- schriebene Darstellung fast des gesamten Gebietes der Biologie zu geben. Der Zoologe wie auch der Medizmer findet hier eine Fülle von Versuchen und Beobachtungen zusammengestellt, deren syste- matische Durchfuhrurg zu einer außerordentlichen Bereicherung seiner biologischen Kenntnisse und zu einer wesentlichen Vertiefung des Verständnisses der Lebensvorgänge führen muß. Das vorliegende Werk, das auf Grund längerer praktischer Erfahrungen entstanden ist, enthält 15 Kapitel, von denen jedes in einem ausführlichen theoretischen und einem praktischen Teile ein abge- grenztes Gebiet der Biologie umfaßt. Die ersten drei Kapitel sind der Biologie der Protozoen gewidmet. Die drei nächsten dem Stoffwechsel der Proto- und Metazoen, und drei weitere Kapitel dem Säftekreislauf und der Atmung; das 10 Kapitel behandelt die Sekretions- und Exkretionsvorgänge, das 1 1. die Produktion mechanischer und elektrischer Energie; die drei nächsten befassen sich mit den Reaktionen des zentralen und peripheren Nerven- systems auf die verschiedenen äußeren Reize, und im letzten Kapitel wird die Schall- und Licht- produktion sowie die Fortpflanzung der Metazoen besprochen. Der Umfang jedes Kapitels ist so gewählt, daß die entsprechenden praktischen Übungen in etwa 5 bis 6 Wochenstunden kurs- mäßig durchgeführt werden können; dabei sind die Versuche so eingehend und klar besprochen und zum großen Teile so leicht ausführbar und durch so gute Abbildungen erläutert, daß sie sich auch in hohem Maße zur Demonstration im bio- logischen Unterrichte an Matelschulen eignen. Nach der Ansicht des Ref. ist das vorliegende Werk berufen die Entwicklung physiologisch- zoologischer Praktika an unseren Hochschulen mächtig zu fördern; es wird aber andererseits auch dem Lehrer an höheren Schulen, der mit Liebe an seine schöne Aufgabe herantritt, bei der Jugend Interesse für biologisches Geschehen zu erwecken, ein ausgezeichneter und verläßlicher Führer sein, so daß wir wohl auch in dieser Hinsicht reichen Segen von dem Stempell- Koch 'sehen Buche erhoffen dürfen. V. Brücke. Franz Ko§mat, Paläogeographie. Geo- logische Geschichte der Meere und Festländer. (Sammig. Göschen Nr. 406). Mit 6 Karten. 2. neubearb. Auflage. Leipzig u. Berlin 1916. G. J. Göschen. — Preis, geb. I M. Das bekannte, in neuer Auflage erschienene Werk verdankt seinen Wert der übersichtlichen Darstellung der Ergebnisse der Paläogeographie auf Grund des für diese Ergebnisse uns zur Ver- fügung stehenden Beobachtungsmaterials (Ver- breitung der Meeres und Koniinentalablagerungen, der Tier- und Pflanzenformen und der vulkanischen und klimatischen Erscheinungen). Manche in der I. Auflage nur auf Wahrscheinlichkeitsschlüssen aufgebaute Phasen haben durch neuere Funde eine Vertiefung erfahren (Asien war besonders reich an solchen Ergebnissen), so daß ein in den Hauptzügen sicheres Bild der Veränderungen der Festländer und Meere entsteht. G. Hornig. F. Frech, Der Kriegsschauplatz in Ar- menien und Mesopotamien. Heft 5 der Sammlung: Die Kriegsschauplätze, herausge- geben von Prof. Dr. A. Hettner. Leipzig und Berlin 1916. B. G. Teubner. — Preis geh. 2,40 M. Beide Kriegsschauplätze haben nur den Cha- rakter einer Nebenbühne im Weltkriege, trotzdem sind die dabei auf dem Spiel stehenden Werte bedeutsam wegen des Schicksals der Bagdadbahn und der persisch-mesopotamischen Erd- ölquellen, deren Besitz die Engländer unab- hängig vom amerikanischen Monopol machen würde. Auch der Zugangsweg über die freie Balkanhalbinsel nach dem Persischen Golf muß fest in unserer Hand bleiben. Von N her, über das pontische Küstenland und Transkaukasien sind die Russen in das Hochland von Armenien eingedrungen, über dessen Boden- schätze (Stein- und Braunkohlen sowie Erzgänge) Frech uns ausführliche Angaben macht, nach- dem er uns die Physiognomie des Landes ge- schildert hat. Die Betrachtung der Armenien be- N. F. XVI. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 71 wohnenden Völkerstämme führt dann zur Dar- stellung der kriegerischen Ereignisse bis zur IVlitte des Jahres 1916. Ungleich wichtiger als Mündungsgebiet am Euphrat und Tigris ist der Kampf in Mesopo- tamien, dessen Bedeutung für den Weltmarkt nicht nur in seinem Erdöl, sondern auch in seiner alten Ackerbaukultur besteht. Das Alluvialland des alten Babylonien und die Steppenlandschaft Assyriens, ihr Ackerbau und ihre Bewässerungs- anlagen sowie ihre Erschließung durch die Bagdad- bahn werden uns in glänzender Darstellung vor Augen geführt. Der Kampf um diese Länder in ihrer wechselvollen Geschichte und im jetzigen Kriege wird uns im folgenden Abschnitt geschildert ; den Schluß bildet euie Beschreibung der Erdöl- vorkommen Mesopotamiens und des türkisch- persischen Grenzgebietes. In mehreren typisch ausgewählten Tafeln werden uns die Landschaftsformen und Kultur- güter der geschilderten Gebiete vorgeführt. G. Hornig. H. Stadler, Albertus Magnus, de animali- bus libri XXVL Nach der Kölner Urschrift. Erster Band, Buch I--XII enthaltend. — In „Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Texte und Untersuchungen Bd. XV." Münster i. W. 1916. Aschendorff'sche Verlags- buchh. — Preis 28,75 M. Albert, mit dem Beinamen der Große, von BoUstädt (Lauingen a. d. Donau), geboren um 1207 und gestorben in Köln 1280, genießt in weiten Kreisen den Ruf des größten Natur- forschers, der im Mittelalter lebte. Schon von verschiedener, auch naturwissenschaftlicher Seite wurde seine große Bedeutung für die heimische Naturgeschichte gewürdigt: so hat E. K. von Martens „über die von Albertus M. erwähnten Landsäugetiere" geschrieben (Archiv für Naturg. XXIV 1858); C. Jessen gab die botanischen Schriften heraus (Berlin 1867); der Unter- zeichnete selbst behandelte „die Vogelkunde des Albertus M." (Regensburg 1910); J. H. F. Kohl - brugge (die morphologische Abstammung des Menschen, Stuttgart 1908, S. 89) wünscht dringend eine Darstellung der anthropologischen Anschau- ungen des großen mittelalierlichen Gelehrten. Aber solche Detailuntersuchungen waren bisher sehr erschwert infolge der mangelhaften Über- lieferung des ursprünglichen Textes. Das Tierbuch ist zwar mit den anderen Werken des Albertus in der Pariser Ausgabe von Borgnet (1891), die 26 Bände umfaßt, als Bd. XI und XII abgedruckt, aber leider voll Fehler und Lücken, namentlich, was die Wiedergabe etwaiger deutscher Namen betrifft. Diesen Schwierigkeiren ist nun mit der Arbeit H. Stadler's abgeholfen. Seine Ausgabe beruht auf dem Codex Coloniensis, der im Städtischen Archiv zu Köln sich befindet und nachweisbar die aus der Hand des Albertus selbst stammende Urschrift des Tierbuches darstellt. Nach erheblichen Vorarbeiten ging H. Stadler auf Zureden der be- kannten Zoologen, Herrn Geheimrat R. v. Hertwig (München) und P. E. Wasmann S. J. (Exaeten), denen auch das Werk gewidmet ist, an die Her- stellung einer kritischen Ausgabe des Originals. Die Drucklegung geschah mit Hilfe der K. bayr. Akademie der Wissenschaften zu München, der deutschen Görresgesellschaft und der rheinischen Gesellschaft für wissenschaftliche Forschung. So liegt vor uns ein starker Band von fast 900 Seiten, der die ersten 12 Bücher der Tier- geschichte des A. M. umfaßt und hauptsächlich die Anatomie des Menschen und der Tiere be- handelt. Es würde zu weit gehen, sich in die Einzelheiten zu vertiefen ; schon aus den Kapitel- überschriften erhellt, wie modern Albertus den Stofi gliedert, wie ihm die vergleichende Be- trachtung der Organismen kein fremdes Gebiet ist. Albertus baut bekannilich auf A ristoteles und Aviceüa auf, kommentiert sie und macht Zusätze, in denen hauptsächlich die Quellen für heimische Naturgeschichte verborgen liegen. Der Herausgeber hat mit riesigem Fleiße das Eigen- und das Lehngut seines .Autors geschieden und durch Einsetzen von einfachen und Doppel- strichen kenntlich gemacht. Diese dankenswerte Zugabe überhebt uns der mühsamen Arbeit, den Quellen des Albertus nachzugehen; sie charak- terisiert aber auch Stadler's Werk als eine äußerst sorgfältige Arbeit. Mit diesem Buch, dessen Drucklegung sich mitten im Weltkrieg vollzieht, ist von der deutschen Forschung eine Ehrenschuld abgetragen. Das Werk bildet an der Seite des erwähnten gerade vor 50 Jahren von C. Jessen herausgegebenen Pflanzenbuches des A. M. eine Zierde der historischen Abteilung jeder giößeren naturwissenschaftlichen Bibliothek. Mit Spannung erwarten wir den 2. Teil, in dem die eigentliche (systematische) Zoologie, der für die heimische Fauna besonders wichtige Abschnitt, neben den Indices enthalten sein wird und mit dem das ganze Werk zum Abschluß kommt. S. Killermann. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. s Anregungen und Antworten. Streckungsmittel des Brotes vor loo Jahren. Allem An- schein nach war unsre Körnerernte so ergiebig, daß das Volk sich über den Ausfall von Kartoffeln mit der Hoffnung hinwegtröstet, der Mangel daran könne ihm durch eine Mehr- spende von brot wett gemacht werden. Dem Vernehmen nach wird das Brot aber nach wie vor mit Kartoffeln ,, gestreckt", wie diese verdünnende oder längende Tätigkeit jetzt heiBt. Das legt die Frage nach einem Ersatz der , .streckenden" Kartoffeln nahe und zeitgemäß erscheint ein Vorschlag, der just vor hundert Jahr gemacht wurde , als die Zeiten infolge der eben bestandenen Kriegsnöte noch recht schlechte waren und Mißernte die Nahrung, in der unsere schier unentbehrlich erscheinende Kartoffel noch eine Nebenrolle spielte, äußerst knapp machte. Mit ruhmlichem Eifer hatte der Königl. Aktuar Bayrhammer Versuche für das allgemeine Wohl angesiellt, „durch verhältnismäßige Beimischung von Runkelrüben, Erdkohlraben oder weißen Rüben unter dem Korn- mehle zu erzielendes wohlfeileres uud doch wohlschmeckenderes Brot zu erzielen." Nachdem ihm das gelungen, machte die Königliche Landesdirektion als Wohlfahrtskomilee, gez. Krhr. V. Zurheira, Würzburg den 25. Febr. 1817 eine Anweisung bekannt „Zur Brotvermehrung durch Erdkohlraben oder Untersich-Kohlraben') auch Kaulrüben genannt, — durch Runkelrüben, Dickrüben oder Rangers- Wurzeln (Schneller's Bayrisches Wörterbuch kennt nur als gleichbedeutend mit R u n k e 1 rüben Range und Rande!) — durch gemeine weiße Rüben." Kurz ist das Vcrtahren folgendes: Die Rüben werden gut gereinigt, geschält (bei weißen Rüben genügt das Beaeitigen der Herzblättchen, Wurzelschüsse), schlechte Stellen beseitigt, möglichst fein zer- kleinert (zerrieben, zerstampft), etwa eine Stunde lang gesotten. Die Suppe wird gekeltert ^durchgeseiht und abgepreßt, die Flüssigkeit kann, unter Zufügen von etwas Sauerteig oder Hefe vergohren, zur Alkoholdeslillation verwandt oder aber ohne weiteres zu einem süßen „Kraut" eingedampft werden I), der Brei in einem Backtröge mit Sauerteig und dem nötigen Mehl „eingemehrt", d. h. zu einem Teig angerührt und zur Gährung gebracht, der Teig schließlich in gewöhnlicher Art verbacken. 50 kg Erdkohlraben gaben rund 27 kg abgepreßten Brei, der mit 24 kg Sauerteig (darin 16 kg Mehl) und 43 kg Roggen- mehl den Teig anmachen ließen. An die Stelle der Kohlraben können ganz oder teilweise mit gleich gutem Erfolg Möhren (gelbe Rüben) treten. Von der Preisberechnung kann ab- gesehen werden, da die Grundlagen völlig andere geworden sind. Bei unserem Kartoffelmangel verdient aber der Hinweis auf das Hilfsmittel der Vorzeit jetzt zweifellos einige Beachtung. Die Ben Akiba'sche Wahrnehmung: ,, Alles ist schon dage- wesen" tröstet außerdem über die „noch nie erlebten" uner- hörten, aber vorerst noch recht gut zu tragenden Kummer- Nahrungsverhältnisse. Hermann Schelenz. ') Auch dies Wort wie Kohlrabi machte sich die germa- nische Welt aus dem lat. rapa (franz. rave, bette-, chou-rave) mundgerecht, während Radi und Radieschen die umgewandelte radix ist. Herrn G. Josephy, Jena. Eine moderne zusammenfassende deutsche Darstellung der Vorgeschichte Ostrufilands und Sibiriens fehlt bis heute. Über die russische Literatur, die wohl nicht in Frage kommt, gibt das Werk Minns, Scythians and Greeks (Cambridge 1913) in einer vortrefflichen Biblio- graphie Aufschluß; dort kommt vor allen Dingen das umfang- reiche Werk von W. Radioff, Sibirische Altertümer (russ. Petersburg 1SS8) in Frage. Es bleibt also lediglich die ältere Literatur; da ist zunächst das umfangreiche Werk von F. R. Martin zu nennen (L'age du bronze au Musee de Minoussinsk, Stockholm 1S93); daneben ist Aspelin, Antiquite du Nord finno-ougrien I. L'age du bronze altaico-ouralien (Stockholm 1874) heranzuziehen. Mancherlei wertvolle .Angaben finden sich in den älteren Jahrgängen der Zeitschrift für Ethno- logie und der Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft, worüber durch die Generalregister dieser Zeit- schriften sich leicht näheres feststellen läßt; vor allen Dingen kommen wohl Verhandlungen 1879, S. 300 und Zeitschr. f. Ethnol. 1897, S. 141 in Frage. Hugo Mötefindt, Wernigerode. Literatur. Grimsehl, Prof. Dr. E.f, Lehrbuch 'der Physik zum Gebrauch beim Unterricht, bei akademischen Vorlesungen und zum Selbststudium, i. Bd.: Mechanik, Akustik und Optik. — 12 M. 2. Bd.; Magnetismus und Elektrizität. Leipzig-Berlin '16, B. G. Teubner. — SM. Fauth, Phil., 15 Astronomische Stereos zur Unter- stützung des Raumsinnes usw. Kaiserslautern '16, H. Kayser. — 4,50 M. Frech, F., Geologie Kleinasiens im Bereich der Bagdad- bahn. Mit 20 paläontologischen Talein, 3 geologischen Karten, I Profiltafel und 5 Textbildern. Stuttgart 'ib, F. Enke. — 20,50 M. Dennert, Prof. Dr. E., Not und Mangel als Faktoren der Entwicklung, eine biologische Studie mit besonderer Be- rücksichtigung des Krieges. Godesberg '16, Naturw. Verlag (.\bt. d. Keplerbundes). — 0,50 M, Dahl, Prof. Dr. Fr., Die Asseln oder Isopoden Deutsch- lands. Mit 107 Textabbildungen. Jena '16, G. Fischer. — 2,80 M. Adloff, Prof. Dr. P., Die Entwicklung des Zahnsystems der Säugetiere und des Menschen. Eine Kritik der Dimer- theorie. Berlin '16, H. Meußer. — 5 M. Frech, Prof. Dr. F., Der Kriegsschauplatz in Armenien und Mesopotamien. Mit 13 Abbildungen auf 9 Tafeln sowie 3 Kartenskizzen. Leipzig und Berlin '16, B. G. Teubner. — 2,40 M. Heim, A., Geologie der Schweiz. Vollständig in etwa 10 Lieferungen mit etwa 40 Tafeln und Karten, sowie 200 Textabbildungen. Lieferung I. Leipzig '16, Chr. H. Tauchnitz. — Jede Lieferung 6 M. Inhalte Hugo Mötefindt, Georg Schweinfurth. S. 57. — Einzelberichte: Franz, Gegenwärtiger Stand der Meta- raerentheorie des Wirbeltierkopfes. S. 62. Thomas J. Headley, Der Kampf eines Staates gegen die Moskitos. (2 Abb.) S. 62. W. De ecke, „Über Gastropoden". S. 63. Wood, Über .aufnahmen mit monochromatischem Licht an Himmelskörpern. S. 65. Me t h odi Po p o ff , Eine interessante Parallele zwischen der künstlichen Parthenogenese und der Anregung zur Wundheilung durch die gleichen Agenticn. (l Abb.) S. 66. K. Fajans, Zur Erkenntnis der isotopen Elemente. S. 68. — Bücherbesprechungen: A. v. Tschermak, Allgemeine Physiologie. S. 69. L. As her, Praktische Übungen in der Physiologie. S. Ö9. A. Lipschütz, Physiologie und Entwicklungsgeschichte und über die Aufgaben des physiologischen Unterrichts an der Universität. S. 69. W. S t em p e 1 1 u. A. K o c h , Elemente der Tier- physiologie. S. 70. Franz Koßmat, Paläogeographie, Geologische Geschichte der Meere und Festländer. S. 70. F. Frech, Der Kriegsschauplatz in Armenien und Mesopotamien. S. 70. H. Stadler, Albertus Magnus, de animalibus libri X.XVl. S. 71. — Anregungen und Antworten: Streckungsmittel des Brotes vor 100 Jahren. S. 72. Vorgeschichte Ostrußlands und Sibiriens. S. 72. — Literatur: Liste. S. 72. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalider Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg ! 42, erbe Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den ii. Februar 1917. Nummer 6 Versuch einer methodischen Bestimmung des Inzuchtsgrades mittels mathematischer Methode. [Nachdruck verboten Von Jaroslav Kfizenecky, Prag, Kgl. Weinberge. Der Begriff der Inzucht ist heute noch recht unklar und zu breit, wobei seine Grenzen fast bei jedem Autor andere sind. Im breitesten Sinne bedeutet „Inzucht" eine Zeugung innerhalb einer gewissen Gruppe von Organismen, die nach außen isoliert ist. Aber eben die Breite dieser Gruppe ist unbestimmt und fast unendlich ver- änderlich; und damit variiert auch der Begriff der Inzucht: diese kann sich abspielen entweder innerhalb eines gewissen Volkes — wenn wir die Menschen betrachten — , oder innerhalb einer gewissen Kaste, Gesellschaft, innerhalb einer Rasse oder endlich innerhalb einer oder mehreren Familien. So versteht z. B. Re ibmay er (1897) unter Inzucht nicht eigentlich eine Verwandtschafts- oder Blutsverwandtschaftskreuzung, sondern eine Kreuzung innerhalb einer kleineren, nach außen isolierten Gesellschaft. Enger begreift das Wort „Inzucht" Martius (1914), der damit schon eine Verwandschafts- oder Blutsverwandtschaftskreuzung versteht, und unterscheidet dabei mehrere Typen der Inzucht: Kreuzung unter Individuen derselben Art, oder unter verschiedenen Arten derselben Gattung oder endlich eine engste Blutsverwandt- schaftskreuzung. Wenn wir aber die Sache nur ein wenig strenger betrachten, dann sehen wir, daß z. B. die Menschen eigentlich unter einer dauernden Inzucht leben. Es erhellt dies aus folgender Erwägung: sollten alle Menschen untereinander vollständig blutsfremd sein, dann müßte jeder von ihnen zwei untereinander fremde Ehern besitzen, von diesen wieder jeder zwei solche . . . usw., so daß in solchem Falle die Zahl der Aszendenten, Vorfahren von jedem Mensehen in zurückkehrender Richtung in einer geometrischen Reihe mit dem Quotient = 2 und dem Anfangsgliede = I zunehmen müßte. Rechnen wir auf ein Jahrhundert je drei Gene- rationen, dann müßte jeder im Jahre 1900 lebende Mensch, sollte er nämlich inzuchtsfrei sein, zu Zeiten Gregor's VII. (um das Jahr 1050) ca. 11 777000 Vorfahren zeigen, zu Christi Zeiten dann über 18 Millionen. Beträgt heute die Menschheit un- gefähr 600 Millionen, dann müßte die Zahl solcher theoretischer Vorfahren zu Zeiten Christi über loS6- 10' betragen, was mehr als absurd ist. Auf der anderen Seite müßte aber umgekehrt die Zahl der Menschen notwendigerweise abnehmen, denn aus jeder Ehe könnte nur ein Kind seinen Ursprung nehmen, was ein vollständiges Aussterben der Menschheit in nicht ganz einem Jahrtausend zur Folge hätte. In der Tat verhält sich die Sache aber eben umgekehrt: die Menschheit nimmt in ihrer Zahl nicht ab, sondern zu, die Menschen vermehren sich und zwar beinahe in einer geometrischen Reihe, wie darauf schon im Jahre 1798 Malthus in seinen „Essay on the principle of po- pulation" hingewiesen hat. Die Folge davon ist, daß bei jedem Menschen in seinem Stamm- baume mehrere Aszendenten sich wiederholen müssen, so daß die wirkliche Zahl von ver- schiedenen Vorfahren kleiner als die theoretische ist; es entsteht dabei der sogen. „Ahnenverlust", was bedeutet, daß die Menschheit eigentlich in einer Inzucht lebt, denn eben jedes Individuum, das in seinem Stammbaume einen Ahnenverlust zeigt, ist als Produkt einer Inzucht zu bezeichnen. Infolgedessen muß auch Reibmayer's so breit gefaßte Inzucht nach einer gewissen Zeit sich zu einer engeren Verwandtschafts- oder endlich Blutsverwandschaftskreuzung verändern und zwar desto früher, je kleiner die betreffende Gesellschaft wäre. Es ist aber selbstverständlich, daß man die Sache solcherweise nicht annehmen kann, denn der Grad der Verwandtschaftlichkeit ändert sich danach, in welcher Generation sich ein Aszendent wiederholt, und auch danach, wieviel solche sich wiederholende Ahnen es gibt. In der Tierzucht- lehre ist z. B. als die Grenze die achte Ahnen- generation eingeführt: besitzen zwei Tiere, ein Männchen und ein Weibchen in den vorhergehenden sieben Generationen einen oder mehrere ge- meinsame Aszendenten, dann ist ihre Nachkommen- schaft als ein Produkt verwandtschaftlicher Inzucht zu bezeichnen. Wiederholt sich nun solche verwandtschaftliche Inzuchtskreuzung in mehreren Generationen, so kann sich endlich bis zu einer bluts verwandtschaftlichen Inzucht oder einem Inzest (Kreuzung unter Eltern und Kindern oder den Geschwistern selbst) steigern. Darwin hat seinerzeit ähnlich zwei ver- schiedene Grade der Inzucht aufgestellt, nämlich sogen. ,,interbreeding" (Inzucht in weiterem Sinne) und sog. Inbreeding" (enge Inzucht oder Inzestzucht), Begriffe, welche noch heute von englischen und amerikanischen Forschern benutzt werden; dabei soll bedeuten: „Inbreeding" eine Kreuzung zwischen Geschwistern oder zwischen Eltern und den Kindern, „interbreeding" eine Kreuzung innerhalb der gleichen Spezies oder Rasse und überhaupt unter Individuen, die nicht in nahem Verwandt- schaftsgrade zueinander stehen (vgl. hierüber Morgan, 1909, S. 226). Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 6 In WirkHchkeit kann man aber bei der Inzucht eigentlich eine ganze Reihe von verschiedenen Graden unterscheiden, welche Grade sich unter- einander aber keineswegs qualitativ, sondern nur quantitativ unterscheiden, je nachdem, wie nahe oder ferne sich die Eltern stehen, die dabei in Betracht kommen. Deswegen kann auch der Unterschied zwischen der „verwandtschaftlichen" und der „blutsverwandtschaftlichen" Inzucht, ebenso wie ein solcher zwischen ,,interbreeding" und ,, In- breeding" keineswegs ein absoluter und scharfer sein. Dieser Umstand ermöglicht es aber zugleich, den Grad der Inzucht zu messen, denn eben nur quantitativ verschiedene Werte sind meßbar. Den Grad der Inzucht mathematisch zu messen und zu bestimmen, wurde nun unlängst von Raymond Pearl, dem Vorstand der biologischen Abteilung der landwirtschaftlichen experimentellen Station der Universität zu Maine (Orono, U. S. A.) versucht. Seine Methode gründet Pearl auf den Ahnen- verlust, so daß er die Differenz zwischen der theoretischen Zahl von verschiedenen Aszen- zendenten und der Zahl der wirklichen Aszendenten in einer ;/-ten Generation bestimmt; das pro- zentuelle Verhältnis dieser Differenz zu der theoretischen Ahnenmenge bezeichnet er dann als „coefficient of Inbreeding", In, durch den der Inzuchtsgrad gegeben wird; diesen „Inzuchtskoeffizienten" bestimmt Pearl mittels folgender Formel: Zn = -°^*^Pe+-L— Si+J») Pn + i wobei bedeutet (/>/, -Li) die theoretische Zahl von verschiedenen Aszendenten, (j^, + i) die wirkliche Zahl von verschiedenen Aszendenten und Z)i den Inzuchtskoeffizienten hinsichtlich der //-ten Generation. Als bestes Beispiel zu einer konkreten Dar- stellung der Pearl 'sehen scharfsinnig begründeten Methode kann uns eine Familie, in welcher eine Reihe von Generationen hindurch konsequent eine Paarung zwischen Geschwistern, Brüdern und Schwestern, ausgeführt wurde, dienen. Dauerte eine solche Kreuzung, nehmen wir an, während vier Gene- rationen, dann bekommen wir in der fünften Generation ein Individuum .v, welches in seiner ersten vorhergehenden Generation (nämlich Ahnen- generation) zwei verschiedene Eltern, nämlich a und b, besitzt, welche beide wieder gemeinsame Eltern haben, nätnlich c und (/, bei welchen dem ebenso ist, so daß uns der Stammbaum eines solchen Individuums folgendes Bild gibt:') I. Deszendentgeneration . II. Deszendentgeneration . III. Deszendentgeneration . IV. Deszendentgeneration . . V. Deszendentgeneration . . gh gh gh gh gh gh gh gh. . . 4. Ahnengeneration e f e f e f e f . . . 3. Ahnengeneration c d c d . , b . . 2. Ahnengeneration a . I. Ahnengeneration Aus diesem Stammbaume ersehen wir, daß man bei einer konsequenten Kreuzung zwischen Geschwistern, in der fünften Deszendentgeneration (V) ein Individuum bekommt, das in seiner vierten Ahnengeneration (4) anstatt sechzehn nur zwei verschiedene Ahnen [q und li) zeigt. Setzen wir nun in Pearl's Formel ein, so bekommen wir Z,-= 100(16 — 2) 87,5 der tnzuchtskoeffizient ist in diesem Falle gleich 87,5. Ein anderes Beispiel bietet uns eine hypo- thetische Familie, in welcher in vier Generationen eine Kreuzung zwischen dem Stammvater a und den Nachkommen stattfand. Bezeichnen wir das Glied der fünften Deszendentgeneration (V.) mit y, seine Eltern mit a und b und die übrigen Aszendenten mit c, d, r, /, g . . usw., dann be- kommen wir durch Entwicklung des Stammbaumes das folgende Bild: I. Deszendentgeneration . II. Deszendentgeneration . III. Deszendentgeneration . IV. Deszendentgeneration . V. Deszendentgeneration . m n f 1 f g d 0 f g d i de a s . , . . 4. Ahnengeneration f g d i d e a k . . . 3. Ahnengeneration d e a c . . . 2. Ahnengeneration a b . I. Ahnengeneration ') Hierbei ist es nötig, den Unterschied zwischen einer „folgenden" und einer „vorhergehenden" Generation gut zu beachten: die erste bedeutet hier eine Deszendentcngeneration, nämlich die Kinder den Eitern gegenüber, welche Generation im folgenden mit römischen Zilifern (1, II, III . . .) bezeichnet wird, die andere eine Aszendenten- oder Ahnengeneration, die uns umgekehrt die Eltern gegen die Kinder repräsentieren, und diese Generation wird im folgenden mit gewöhnlichen arabischen Ziffern (i, 2, 3 . . .) bezeichnet. In unserem Falle sehen wir, dafi die erste Deszendentengeneration (1) unter Be- rücksichtigung des Individuums x seine vierte Ahnen-, Aszen- dentengeneration (4) ist. N. F. XVI. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. In diesem Falle zeigt die vierte Ahnen- generation (4) entgegen der theoretisch er- wünschten Zahl 16 nur il verschiedene Aszen- denten. Nach Einsetzen in Pearl's Formel hätten wir also iür den Inzuchtskoeffizient den Wert 31,25 bekommen; Pearl gibt aber in diesem F"alle den Wert 67,75 an. Suchen wir nun nach der Ursache dieser Differenz, so erkennen wir, daß Pearl als die Zahl von verschiedenen As- zendenten in der vierten Ahnengeneration die Zahl 5 angibt, trotzdem es, wie sich jeder an dem schematischen aus Pearl's Publikationen direkt übernommenen Stammbaume überzeugen kann, in dieser 11 verschiedene Aszendenten gibt: Der Aszendent ni kommt hier einmal vor ... 1 II 16 Wirkliche Zahl Theoretische Zahl verschiedener verschiedener Aszendenten Aszendenten. Die Ursache, warum Pearl hier nur von fünf verschiedenen Aszendenten spricht, liegt darin, daß Pearl hinsichtlich ihrer Wiederholung sich nicht nur auf diese vierte Ahnengeneraiion, beschränkte, sondern auch die vorhergehende Ahnengeneration (3, 2, i) in Betracht gezogen hat; mit anderen Worten: als einen sich wiederholenden Aszendenten bezeichnet Pearl nicht nur einen solchen, der mehr als einmal in der vierten Ahnengeneration vorkam, sondern auch einen solchen, der auch schon in einer von den vorhergehenden Gene- rationen — event. Ahne ngeneration — nämlich in der 3, 2 und i erschienen ist, obzwar er i n der vierten nur einmal vorhanden war. So liegt die Sache in unserem Beispiele mit den Aszendenten /' und c, welche beide in der vierten Ahnengeneration nur einmal vorkommen, welche aber Pearl trotzdem unter die sich wiederholenden reiht, denn sie sind schon in der dritten [3] (alle beide) und in der zweiten [2] (l) vorhanden. Trotzdem al>o, daß Pearl den Ausdruck ^„ + 1 als „the actual number of diffcrent individuals in the matings (the matings of the n + i Generaüon)" definiert, so ist ihm in der Praxis dieser Ausdruck doch nur die Anzahl von verschiedenen Aszen- denten, zwar in der « ten Generation, aber nicht nur hinsichtlich dieser, sondern hinsichtlich des ganzen Stammbaumes. Am klarsten erscheint diese Sache aus zwei von Pearl angeführten und besprochenen praktischen Beispielen. Das erste betrifft ein reinblütiges Pferd Namens Postiiiinis. Der Stammbaum dieses Pferdes, wie ihn Pearl von Bunsow (1911) entnimmt, ist folgender : (Siehe Stammbaum S. 7b.) Berücksichtigen wir in diesem Falle bloß die fünfte Ahnengeneration, dann erkennen wir als sich wiederholende Aszendenten die folgenden: T/wn/iaiihy, Sfockwell und Voltaire, deren Namen in dem Stammbaume kursiv gedruck sind. Dem- nach ergibt der Ausdruck (pn-^^ — ^« + 1) den Wert 3 und der Inzuchtskoelfizient wäre hier 9,375. Pearl gibt aber den Wert 15,625 an und zwar deswegen, weil bei ihm der Ausdruck {p„ _!_ I — i'« 4- j) den Wert 5 darstellt, da er als sich wiederholende Aszendenten auch die: Mrs Ridgivay und Voltigciir betrachtet, welche in dem Stammbaume schon einmal in der vierten Ahnen- generation vorkommen (von Pearl als sich wieder- holend betrachtete Aszendenten sind in dem Stammbaume mit * bezeichnet). Ähnlich ist es auch in dem zweiten Falle, in welchem es sich um den Stammbaum einer Milch- kuh Bess JVemrr handelt; dieser Stammbaum ist wie folgt: (Siehe Stammbaum S. 77.) Durchmustern wir in diesem Stammbaume die vierte Ahnengeneraiion, so sehen wir, daß sich in dieser wiederholen : Alphrds S/oke Pogis, Carlo's Jidio, Diiclicss Stokr Pogis und Edä/i Darby (mit Kursiv gedruckt). Die Differenz (/„ 4. ^ — ^x -F i) beträgt in diesem Falle 4 und der Inzuchtskoefhzient wäre hier gleich 25,00. Da aber Pearl als sich wiederholende noch: Patrick Fawkcs und Bahn betrachtet, welche in der dritten Ahnengeneraiion vorkommen, beträgt nach ihm die Differenz (pn + i— qn-f i) den Wert 6 und der von ihm an- gegebene Inzuchtskoelfizient ist infolgedessen in diesem Falle 37,5. Pearl weicht also in der Praxis von seiner theoretischen Definition (vgl. oben) ab: er be- trachtet nämlich die verschiedenen, resp. umgekehrt sich wiederholenden Ahnen nicht nur mit Rücksicht auf die Generation, mit welcher er arbeitet, sondern eigentlich in Hinsicht auf den ganzen Stammbaum. Dadurch entsteht aber in seiner ganzen Methode — wie diese nämlich praktiziert wird — eine große Ungieichmäßigkeit: während die theoretische Zahl verschiedener Aszendenten ihm bloß durch jene einzige Generation gegeben sein wird, stellt Pearl die wirkliche Zahl dieser mit Hilfe des ganzen Stammbaumes fest; mit anderen Worten: Pearl vergleicht und manipuliert in der Praxis seiner Methode mit Werten, die hinsichtlich ihrer Erwerbung und ihres Ursprungs verschiedenartig sind und sich deswegen untereinander nicht ver- gleichen la-^sen. Diese Ungieichmäßigkeit zu beseitigen, ist auf zweierlei Weibe möglich: entweder dadurch, daß wir überall nur jene betreffende Generation be- rücksichtigen werden, oder dadurch, daß wir fortwährend den gan zen Stammbaum in Be- tracht ziehen. Was die erste Möglichkeit anbetrifft, 16 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 6 Maid of Wye Napoli Flying Duchess Euxine Vedette r Isola Bella I Sterling r Sunshine ) Macaroni i Rouge Rose ( Doncaster f Liltle Fairie hon f Pocahontas I Harcaway [ Merope \ Flying Dutchman f Mrs. Ridgway ( Voltigeur / Varna \ King Tom {*Mrs. Ridgway *VoItigeur ( Isolene \ Stockwell ( Whisper » Oxford ( Sunbeam \ Thormanby f Jocose I Sweetmeat ) EUeen Home \ * Thormanby I Marigold I Lacerta ( Horusea ( Margaret \ Cain / Marpena ^ Glencoe i Fanny Dawson fiUy ( Economist ( Velocipede's dam \^ Voltaire ( Barbelle \ Boy Middleton ( Nan Dareil \ Birdcatcher Ahne;i- generation SO ahnte wahrscheinlich schon Pearl gut, daß dies eine sehr unbestimmte Methode wäre, mittels welcher es überhaupt nicht möglich ist, z. B. das Wiederholen eines Gliedes der betreffenden Generation noch in den vorhergehenden Ahnen- generationen zu berücksichtigen. Die einzig richtige und mögliche ist die zweite Weise, nämlich den ganzen Stammbaum zu be- rücksichtigen: die theoretisch mögliche Zahl der Aszendenten wäre hier mit der Summe der geo- metrischen Reihe mit dem Anfangsglied a, = i und dem Quotient k = 2 bis zu dem w-ten Gliede gegeben, nach der F"ormel: a^Jk«-!) k — I wobei ;/ die Zahl der Ahnengenerationen, welche wir in diesem oder jenem bestimmten Falle be- trachten, bedeutet ; dadurch wäre der Wert /„ ge- geben, welclier anstatt Pearl's /i„ + , zu setzen ist. Durch Eliminierung aller sich wiederholenden Aszendenten unter Berücksichtigung des ganzen Stammbaumes bekommen wir die wirkliche Zahl verschiedener Aszendenten, nämlich ^„, welche wieder anstatt Pearl's Sistra »Duchess Stoke Pogis Nr. 6246 9 »£Ä//6 ZJar*)' Nr. 79860 9 Nr. 19350 c^ Nr. 10469 a- Patrick Faw kes Regal Koffee Nr. 2: 574 9 c« Baltimore Kermesse a Nr. 17900 V Nr. 3286 0^ "■ Avoca 2nd Charapion's Son Nr. 17769 9 Avoca .Nr. 14 207 o- Alphea's Stoke Pogis 1 tu Sisera's Sloke Pogis Nr. 126626 9 Kate Weavcr Juno s Sloke Pogis Nr. 14436 Carlos Juno 9 Nr. 87346 Sisera 9 Nr. 18811 Duchess Stoke P Dgis Nr. 6246 Edith Darby 9 Nr. 36382 General Kellj Nr. 19350 *Patrick Fawkes Nr. 95606 *Balm 9 ■^ Nr. 95606 Halm 9 Nr. 7056 America's Champ ^ Nr. 95605 Maid of Gilead j nd Ahnen- 2 3 4 Vergleichen wir nun die Koeffizienten mit den Koeffizienten, die Pearl angibt (67,75, 87,5, 15,62, 37,5), so sehen wir auf den ersten Blick, daß sie beträchtlich kleiner sind als diese; dagegen stehen sie viel näher den Koeffizienten, die präzis und wörtlich nach Pearl 's Formel nämlich unter Berücksichtigung der bloßen ;/-ten Generation berechnet sind: 31,25, 87,5, 9.375, 25.00. Dieser Umstand kann nur zugunsten meiner Modi- fikation von PearTs Methode zeugen, denn die beträchtliche Größe der von Pearl be- rechneten Koeffizienten hat eben in der „Un- gleichmäßigkeit" (vgl. oben) der vergleichenden Zahlen ihren Grund: es muß nämlich, wie selbst- verständlich, die Differenz (p„ — q,,), unter Be- rücksichtigung des ganzen Stammbaumes festgestellt, entgegen der theoretischen Ahnenzahl aus bloß einer Generation unverhältnismäßig größer sein, als wenn wir nur und ausschließlich eine einzige Generation berücksichtigen. Beschrän- ken wir uns dagegen überhaupt nur auf eine Generation, so verschwindet die Möglichkeit, eine eventuelle Wiederholung eines oder mehrerer Aszendenten auch in den vorhergehenden Ahnen- generationen zu erfassen, und infolgedessen würden immer die auf diese Weise berechneten Inzuchts- koeffizienten kleiner sein — • abgesehen schon von ihrer Unbestimmtheit. Berechnen wir den Inzuchts- 78 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 6 koeffizienten unter Berücksichtigung des ganzen Stammbaumes, wie ich eben auseinandergesetzt habe, so weichen wir dadurch beiden diesen Ex- tremen aus und infolgedessen werden auch die auf diese Weise — auf einem goldenen Mittel- weg — gewonnenen Koeffizienten richtiger und der Wirklichkeit mehr entsprechend sein. Nach der von mir modifizierten Pearl 'sehen Methode bestimmt man den Inzuchtskoeffizient nach der Formel: 2 ^I00(pn-qj Pn in welcher bedeutet: /„ die theoretisch mögliche Zahl verschiedener Aszendenten eines bestimmten Individuums in seiner 7/-ten Ahnengeneration und q^ die wirkliche Zahl solcher Aszendenten. Z^, der sog. Inzuchtskoeffi/.ient, ist nun das prozentuelle Verhältnis der Differenz zwischen theoretischer und wirklicher Zahl der verschiedenen Aszendenten zu ihrer theoretischen Zahl. Diese Modifikation der'Pearl'schen Methode betrifft also bloß den Inhalt einzelner Bestandteile der Formel, etwas anderes verändert sie aber in dieser nicht. Pearl's Gedanke bleibt hier also unberührt erhalten, und damit behält die ganze Methode auch ihre Vorzüge, nämlich ihre Einfachheit und Einheitlichkeit, so daß ich glaube, daß es uns mit ihrer Hilfe in der Zukunft gelingen wird, auf das Problem der Inzuchtswirkung näher ein- zugehen, welches Problem außer seiner Bedeutung für die theoretische Biologie auch eine solche für die Anthropologie, Soziologie und Gesellschaftsbiologie überhaupt und nicht in letzter Hinsicht auch für landwirtschafliche Produktion, nämlich für Züchtungsbiologie, besitzt. Literatur. Bunsow, R., Inheritanze in Race Horses. Mendel Journal, Vol. 1, 191I. Lorenz, Lehrbuch der gesamten und wissenschaftlichen Genealogie. Berlin 1898. Martius, F., Konstitution und Vererbung in ihren Be- ziehungen zur Pathologie. Berlin 1914, Springer. Morgan, T. H., E.vperimentelle Zoologie. Deutsche Übersetzung. Berlin 1909, Gebr. Teubner. Pearl, R., A contribution towards an Analysis of the Problem of Inbreeding. Americ. Naturalis., Vol. XLVU, New York 1913. — , The Measurement of the Intensity of Inbreeding. Maine Agricult. Experiment Station, Bulletin Nr. 215, August 1913- Reibmayr, Alb, Inzucht und Vermischung beim Menschen. Wien-Leipzig, DeuUcke 1897. Einzelberichte. Chemie. Über die Sulfide des Kupfers haben Eugen Posnjak, E. T. Allen und H. E. Merwin vom geophysikalischen Laboratorium der Carnegie- Instiuition eine eingehende Untersuchung') aus- geführt, über die, da sie unsere Kenntnisse von diesem Gegenstande wesentlich erweitert und vertieft hat, im folgenden berichtet werden möge. In der Natur kommen zwei reine Sulfide des Kupfers, das Kuprosulfid Cu.^S (Kupferglanz, Chal- cocit) und das Kuprisujfid CuS (Kupferindig, Covellin) vor, von denen das an erster Stelle ge- nannte bei weitem das häufigste und wirtschaftlich wichtigste ist. Dem praktisch arbeitenden Chemiker hingegen, insbesondere dem Analytiker tritt meist das Kuprisulfid entgegen, denn dieses bildet sich immer bei der Einwirkung von Schwefelwasser- stoffion auf Cupriion: Cu++ + S — = CuS; die nicht selten gemachte Angabe, daß hierbei ein Gemisch von Kupfersulfür, Kupfersulfid und Schwefel entstehe, indem gleichzeitig auch die Reaktion 2 Cu ++ + S — = Cu.,S + S eintrete, ist nach Posnjak, Allen und Merwin nicht richtig. Jedoch spielt auch das Kuprosulfid ') Deutsch in der Chemie, Bd. 94, S. 95- Zeitschr. f. 138; 1916. in der analytischen Chemie eine wichtige Rolle, denn als Kuprosulfid wird das als Kuprisulfid ge- fällte Kupfer sehr häufig ausgewogen, und zwar geschieht die Umwandlung des Kupri- in das Kuprosulfid durch schwaches Glühen des mit reinem Schwefel gemischten Kuprisulfids im Wasser- stoffstrom. I. Das Kuprosulfid. — Reines kristalli- siertes Kupfersulfür stellen Posnjak, Allen und Merwin durch Erhitzen von geschmolzenen Kupfersulfidpräparaten im Vakuum bis zum Schmelzpunkte dar. Der Schmelzpunkt des reinen Kupfersulfürs liegt bei 1 1 30" C. Sein 25" spezifisches Gewicht ergab sich zu d — ^- = 5,784 — 5,785, während die ebenfalls auf Wasser von 4" C bezogenen spezifischen Gewichte von reinem natürlichen Chalcocit bei 25" C zu 5,774—5,783, also in sehr guter Übereinstimmung mit dem des künstlichen Produktes gefunden wurden. In der Natur kommt das Kuprosulfid nur in rhombischen Kristallen vor, bei der künstlichen Herstellung hingegen immer in regulärer Form. Das Kuprosulfid ist also dimorph. Die nähere Untersuchung dieser Verhältnisse durch Posnjak, Allen und Merwin sowohl an natürlichem als auch an künstlichem Material bewiesen die Existenz eines bei 91" C liegenden Umwandlungs- punktes: unterhalb 91" C ist die reguläre, oberhalb N. F. XVI. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 79 91** C die rhombische Modifikation die beständige Form. II. Schwefelhaltiges Kuprosulfid. — Das durch Zusammenschmelzen von Kupfer und Schwefel entstehende Produkt enthält erfahrungs- gemäß immer einen über die F"ormel Cu.,S hinaus- gehenden Überschuß von Schwefel, der nicht ohne weiteres durch Erhitzen des Produktes auf höhere Temperaturen vertrieben werden kann, eine schon i. J. 1S51 von Hittorff aufgefundene und durch die Annahme eines Gehaltes der Präparate an Kuprisulfid gedeutete und neuerdings auch von anderen Autoren bestätigte Tatsache. In der Tat nimmt reines Cu.,S beim Erhitzen im Schwefel- wasserstofTstrom Schwefel auf, und zwar stellt sich bei genügend langem Erhitzen ein definiertes Gleichgewicht ein, wie es die folgende Tabelle zeigt. Tabelle. Zusammensetzung von Schwefelkupfer nach Er- reichung des Gleichgewichtszustandes in Schwefel- wasserstoffatmosphäre bei verschiedenen Temperaturen. Zusammensetzung Temperatur '" ■^ Über die Verbindung Cu^S hinausgehender Gehalt an Schwefel "C "„ ".. ".0 410 485 700 1050 77.53 78,09 7S,47 78. '^2 22.47 21,91 21,53 21,4s 1 2,90 2,20 1,73 1,66 Diese Aufnahme von Schwefel durch Kupfer- sulfür läßt sich in verschiedener Weise erklären. Ent- weder bildet sich ein heterogenes Gemisch von Kupfersulfid und Kupfersulfür, oder es entsteht ein homogenes System, indem sich entweder der Schwefel als solcher oder in Form von Kupfersulfid CuS im Kupfersulfür unter Bildung einer „festen Lösung" auflöst. Alle von Pos nj ak, Allen und Merwin angestellten Versuche deuten nun darauf hin, daß die fraglichen Produkte feste Lösungen von Kupfersulfid in Kupfersulfür sind, denn erstens läßt die mikroskopische Prüfung keine Inhomo- genitäten erkennen, d. h. das System ist homogen, zweitens nimmt die Schmelztemperatur der Pro- dukte mit steigendem Schwefelüberschuß in einem sehr starken, weniger dem geringen Überschuß an Schwefel als dem großen Gehalt der Prä- parate an CuS entsprechendem Grade ab, und drittens konnte durch folgenden Versuch die Auflö.sung von CuS in Cu,,S unmittelbar verfolgt werden: „Sehr fein gepulverter reiner natürlicher Chalcocit und Covellin wurden miteinander im Gewichtsverhältnis 9 : i gemischt. Das Gemisch wurde dann unter 12000 Atmosphären zusammen- gepreßt. Die gepreßten Sulfide bildeten einen harten zusammenhängenden Kuchen, der leicht angeschliffen und mikroskopisch untersucht werden konnte. Covellin und Chalcocit waren beide deutlich sichtbar. Die Menge des Covellins be- trug schätzungsweise etwa 10% und entsprach somit der Zusammensetzung des ursprünglichen Gemisches. Ein Teil des zusammengepreßten Gemisches wurde dann in einem Glasrohr 2 Stunden bei 100 bis iio" erhitzt und wieder mikroskopisch geprüft; die Oberfläche zeigte einige Sprünge und mußte von neuem poliert werden. Es war nun viel weniger Covellin zu sehen, dessen Menge Merwin auf 3 — 5"/^ schätzte. Man erhitzte dann dasselbe Stück über Nacht auf dieselbe Temperatur; am nächsten Morgen ließ sich mikroskopisch kein Covellin mehr auffinden, selbst nicht auf tief geschliffenen Stellen." Derartige feste Lösungen von Kuprisulfid in Kuprosulfid kommen auch in der Natur vor. III. Das Kuprisulfid. — Das Kuprisulfid, dessen spezifisches Gewicht Posnjak, Allen und Merwin an zwei sehr reinen natürlichen Präparaten aus Butte (Montana; zu d— ^^4,677 bis 4,684 bestimmen, kann auch in krystallisierter Form, künstlich nach zahlreichen Methoden, so durch Erhitzen von Kuprosulfid in Schwefelwasser- stoff auf Temperaturen bis zu 358" C, durch Er- hitzen von Kuprisalzen mit Schwefelwasserstoff im Einschmelzrohr auf 250" C usw. hergestellt werden. Schon bei verhältnismäßig niedrigen Temperaturen dissoziiert es nach der Gleichung 4CuS < 1 > 2Cu.,S + S., in Kupfersulfür und Schwefel. Nach Preuner und Brockmöller ist der Gesamtdampfdruck des Schwefels A und der Partialdampfdruck p der S,,-Moleküle über Schwefelkupfer bei 450" C A = 80 mm p = 14,5 mm 470 200 31 475 250 37 4S0 313 44 500 980 92 Bei 358" C ist der Dissoziationsdruck des Kuprisulfids im Gleichgewicht mit dem Teildruck des Schwefels in dem — bei dieser Temperatur ja zum Teil nach der Gleichung 2H.,S <_. > 2H,, 4- S., dissozierten — Schwefelwasserstoff. Oberhalb dieser Temperatur wächst der Dissoziationsdruck des Kupfersulfids viel rascher als der des Schwefel- wasserstoffs, so daß das CuS dann rasch unter Bildung von festen Lösungen von CuS in Cu.,S Schwefel abgibt, (g. c. ) Mg. Die Veredelung des Zinks, d. h. die Um- wandelung des gewöhnlichen Zinks in eine P'orm von höheren Festigkeitseigenschaften, ist nicht nur eine für die gegenwärtige Zeit wichtige Auf- gabe, sondern wird auch nach dem Kriege darum für die deutsche Industrie von allgemeinerer Be- deutung sein, weil Deutschlands Produktion an 8o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 6 Zink mehr als den vierten Teil der Weltproduktion ausmacht. Die folgenden Angaben , die einer in der Zeitschrift „Metall und Erz" (Bd. 4, S. 279—289, 1916) erschienenen Mitteilung von E. H. Schulz entnommen sind, dürften daher für die Leser der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift nicht ohne Interesse sein. Zur Veredelung eines Metalles stehen, wie das Beispiel des Eisens zeigt, grundsätzlich zwei Wege offen, ein chemischer, nämlich die Legierung des zu veredelnden Metalles mit anderen Metallen, und ein physikalischer, nämlich eine geeignete mechanische und thermische Behandlung des Materials. Natürlich lassen sich beide Wege auch nebeneinander beschreiten, und man erhält dann unter Umständen besonders hochwertige Produkte, so beim Eisen die heute unentbehrlichen Spezial- stähle. Als Au.sgangsmaterial für die Veredelung des Zinks stehen im Prinzip drei Sorten von Zink zur Verfügung: 1. das gewöhnliche, besonders durch Blei stark verunreinigte ,, Hüttenzink", 2. das im Raffinierofen durch Umschmelzen mit daran anschließendem Seigerungsprozeß ge- reinigte und nur noch etwa i,3"/ü Blei, 0,2% Eisen und etwas Kadmium enthaltende „Raffinade- zink" und 3. das „Feinzink" ein weiter gereinigtes Produkt von 99,7 bis 99,9"/,, Reingehalt. Praktisch kommt jedoch nur das Raffinadezink in Betracht, denn das Feinzink scheidet wegen seines zu hohen Preises und das Hüttenzink des- wegen aus, weil es insbesondere infolge seines hohen Bleigehaltes, der dem Zink, soweit es über 1,3% hinausgeht, nur mechanisch beigemengt, aber nicht in ihm homogen gelöst ist, leicht zur Entstehung von inhomogenem Material neigt. Das gewöhnliche Raffinadezink ist ein ziemlich grob- kristallinisches, sprödes Material, dessen Zerreiß- kg fertigkeit den sehr niedrigen Wert von 2 — 3 ^ & j qmm und dessen Härte (nach Shore) den ebenfalls nur niedrigen Wert 13 hat. Es entspricht demnach nicht einmal den bescheidenen Ansprüchen , die man auch nur an untergeordnete Konstruktions- materialien zu stellen hat. Zum Zweck der chemischen Veredelung hat Schulz dem Raffinadezink Blei, Eisen, Zinn, Aluminium und Kupfer, und zwar, da das Material entsprechend dem erstrebten Ziel in chemischer Hinsicht noch „Zink" sein soll, im Höchstbetrage von insgesamt io"„ zugesetzt. Von diesem Metall übte jedoch nur das Aluminium und vor allem das Kupfer einen wesentlichen Einfluß aus. So betrug, um nur ein Beispiel anzuführen, die Festigkeit eines 3 — 4"/^ Kupfer enthaltenden Raffinadezinks i 3 — ^ , und seine Härte entsprach qmm dem Werte 24—27. Auch bei der metallo- graphischen Untersuchung tritt die Verbesserung des Materials hervor: es ist nicht mehr, wie das Zink selbst, grob, sondern sehr fein kristallin. Die allerbesten Ergebnisse aber wurden durch den gleichzeitigen Zusatz von 6 "/(, Kupfer und 3 "/„ Aluminium zum Raffinadezink erhalten; diese kg Legierung besitzt eine Festigkeit von l{ die Härte 38 und eine Biegefestigkeit von 2 qmm kg qmm und weist auch gute Allgemeineigenfchaften auf, denn sie gibt bei sorgfältiger Arbeit einen guten, von Hohlräumen freien, feinkörnigen Guß. In dieser Legierung „steht demnach ein Material zur Verfügung, das, wenn auch nicht als Konstruktions- material zu bezeichnen, so doch ein gutes, für mancherlei Zwecke brauchbares Gußmaterial dar- stellt, das ebenso wie das Gußeisen neben dem Stahl für gewisse Verwendungszwecke neben Messing und anderen hochwertigen Legierungen sehr wohl bestehen kann". Einen noch größeren Fortschritt in der Ver- edelung des Zinks als auf chemischem Wege hat Schulz auf physikalischem Wege erzielt. Daß das Zink durch mechanische Bearbeitung erheblich gewinnt, ist bereits seit langem bekannt, wird doch durch das — bei Temperaturen von 90'' bis 1 50" C vorgenommene — Walzen des Raffinade- oder Feinzinkes zu Blech ein ziemlich zähes kg Material von 19 — 25 — ^ Festigkeit erhalten. ^ ^ qmm ^ So erscheint es begreiflich, daß auch die An- wendung des Walzprozesses zur Herstellung von Stangenzink ein wertvolles Material von erheb- licher Zähigkeit und beträchtlicher Festigkeit und Härte zu liefern vermag. Auch ein dem Dirkschen Preßverfahren zur Herstellung von Preßzink nach- gebildetes Verfahren — Herauspressen des Zinks mittels eines Stempels aus einer Lochmatrize — hat bei Innehaltung geeigneter Versuchsbedingungen zu einem ziemlich harten und nicht zähen Materini kg von 17 Festigkeit geführt. Eis wird bei diesem Preßverfahren — das ist das Interessante — die kristallinische Struktur des Ausgangsmateriales vollkommen zerstört: Beim Herauspressen des Zinks aus der Düse werden die Kristalle des Ausgangsmaterials zertrümmert, und man erhält ein Produkt von sehr feinem Korn. Daß die gleichzeitige Anwendung des chemi- schen und des physikalischen Veredelungsver- fahrens besonders hochwertige Produkte liefern wird, ist zu erwarten, und in der Tat haben denn auch schon die wenigen bisher in dieser Richtung angestellten Versuche zu recht befriedigenden Ergebnissen geführt, (öx.) Mg. Botanik. Die Reismelde als deutsche Getreide- pflanze. Von Änbauversuchen mit einer Art der Chenopodiazeen oder Gänsefußgewächse berichtet Dr. M a X I ß 1 e i b (Magdeburg) in der Illustrierten N. F. XVI. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Landwirtschaftlichen Zeitung, 36. Jahrgang, Nr. 88, vom I. Nov. 1916 und Dr. Ströse in den der Deutschen Jägerzeitung regelmäßig beigegebenen „Mitteilungen des Instituts für Jagdkunde, Neu- damm" vom 26. Nov. 1916. Es handelt sich um die sogenannte R e i s m e 1 d e oder den chilenischen Gänsefuß, Chenopodium Quinoa, die gewöhnlich für eine der häufigen Melde, Chenopodium album, nahestehende Art gilt, wahrend Ißleib in ihr nur eine Kuhurform dieses Unkrauts sieht, die wir den alten Inkas verdanken. Die gleich unserer Melde bis über mannshoch werdende Pflanze wird in Mexiko und fast allen Provinzen Südamerikas angebaut, gedeiht in Peru und Chile bis zu 4000 m Höhe über dem Meere hinauf, also weit über die Getreidegrenze, und gilt dort allgemein für ebenso nützlich wie Kartoffeln, Getreide und Mais. Sie liefert mit ihren Blättern ein spinatartiges Gemüse, dem nach Ströse der scharfe Geschmack unseres Spinats fehlen soll — bekanntlich gehört auch unser Spinat nebst dem Mangold und der Zucker- rübe zu den Chenopodiazeen — und nützt vor allem durch ihre reichlichen Samen, die, mit Wasser oder Milch gekocht oder zu Mehl ver- arbeitet und dann gebacken oder als Brei genossen, ein tägliches Nahrungsmittel bilden. Der Nähr- wert des Samens ist höher als der allen Getreides und des Reises und des Maises und nähert sich dem der Hülsenfrüchte mit 22,87 v. H. Stickstoff- substanzen, 46,10 v. H. Stärkemehl, 6,10 v. H. Zucker, 4,81 v. H. Fett und 433 v. H. Asche in der Trockensubstanz nebst geringen Mengen von Gummi, Holzfasergehalt und sonstigen Extraktiv- stoffen. Warburg spricht sich in seiner „Pflanzenwelt" dahin aus, es sei erstaunlich, daß man Kulturversuche mit dieser Pflanze in nordischen und alpinen Gegenden Europas, wo Getreide nicht mehr gedeiht, noch nicht begonnen habe. Ißleib, dem die Pflanze und ihr ungewöhnlich reicher Samengehalt aus deutschen botanischen Gärten bekannt war, gelang es, nach Einziehung von Erkundigungen beim Hamburger Institut für angewandte Botanik und bei den Gärtnereien Dippe in Quedlinburg und Haage und Schmidt in Erfurt, im Frühjahr IQ\6 etwa 1000 deutsche Gärtner, Landwirte und Jäger vorzugsweise in und bei Magdeburg, aber auch im übrigen Deutschland und in Österreich für die Rei>melde zu interessieren und konnte bereits im August über die Erfolge der Aussaat berichien, die nur in verschwindend wenigen F"ällen unbefriedigend waren, wohl infolge ungeeigneter Behandlung des Samens, seine zu tiefe Einbringung in die Erde. Da die Pflanze etwas salzliebend ist, haben fast alle deutschen Kaliwerke Versuche in der Nähe von Salzhalden angestellt. Viel Interesse findet die Reismelde bei der Jägerwelt, die sich nebenbei von ihr auch ein geeignetes Wilddeckungs- und Äsungsgewächs mit Recht versprechen dürfte. Ißleib hält die Pflanze für sonnenliebend; nachStröse's Versuch im Garten des Instituts für Jagdkunde, Abt. Berlin - Zehlendorf, macht sie weder an Be- sonnung noch an die Bodenbeschaffenheit, wofern der Nährstoffgehalt nicht zu gering jst, allzu hohe Ansprüche, und ist dabei hart gegen Maifröste. Der Same mag auch als Geflügelfutter nützlich verwendbar sem, namentlich wegen seines Stick- stoffgehaltes auf die Eiererzeugung bei Hühnern vorteilhaft wirken, und das getrocknete Kraut kann noch als Viehfutter dienen. Zur Aussaat darf der Same höchstens einen Millimeter tief mit Erde bedeckt sein. Ein Quadratmeter Boden vermag nach Ströse 16 Pflanzen und auf ihnen 860 g Samen zu tragen. Ißleib, der weiterhin für die Sache wirbt und Samen zur Aussaat in kleinen Mengen abgibt, hofft, daß in einigen Jahren sich die Mehrzahl der Gartenbesitzer im Meldenreis einen viel nahr- hafteren Ersatz für den Reis selbst heranziehen können wird. Ströse schließt sich der Meinung Ißleib's an, es sei nicht ausgeschlossen, daß die Reismelde dereinst eine unserer nützlichsten Kulturpflanzen werden wird. Sie soll dazu bei- tragen, die Aushungerungspläne unserer Gegner zu nirhte zu machen und Deutschlands Produktion zu erhöhen, um das Land für immer unabhängiger vom Auslande zu machen. V. F"ranz. Neue Wege der pflanzlichen Systematik. In der ersten Wintersitzung der Züricher bo- tanischen Gesellschaft sprach Herr Privatdozent Dr. Thellung über „Einstige und heutige Wege der botanischen Systematik, erläutert am Beispiel der Getreidearten". Vielfach herrscht auch in gelehrten Kreisen die durchaus falsche Ansicht, die Systematik sei eine mehr oder weniger ab- geschlossene Wissenschaft und es gebe da nicht viel Neues zu tun. Die Arbeit bestehe in der Hauptsache darin, neuentdeckte Pflanzenformen in die entsprechende Abteilung des fertigen Systems, gleichsam in die richtige Schublade, einzureihen. Tatsächlich war das früher der Fall, nämlich so lange, als die Aufgabe der Systematik fast einzig darin bestand , eine gewisse Ordnung in die Überfülle der pflanzlichen Formen zu bringen. Allein die heutige Systematik verfolgt neue, höhere Ziele. Sie strebt darnach, die Pflanzen nach ihrer wirklichen Verwandtschaft, nicht in erster Linie nach ihrer äußeren Ähnlichkeit zu gruppieren. Ihr Ziel ist — im Zeitalter des Ent- wicklungsgedankens — ein phylogenetisches System, also ein System, das erkennen läßt, wie die verschiedenen Formen sich auseinander ent- wickelt haben. So hoch das Ziel ist, so mannig- faltig sind die Mittel, deren sich der Systematiker bedient. Immer noch wendet man vor allem die morphologische Methode an, die in der früheren Systematik sozusagen ausschließlich benützt wurde, aber daneben werden eine Reihe anderer Dis- ziplinen zu Hilfe gezogen; so die Anatomie, dann besonders die Entwicklungsgeschichte, die nament- lich auf dem Gebiet der niederen Kryptogamen schon zu sehr schönen Resultaten geführt hat. 82 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 6 Man zieht ferner ökologisch-phänologische Ge- sichtspunkte in Betracht und schenkt neuerdings der geographischen Verbreitung der Arten ein- gehende Aufmerksamkeit. Es ist das Verdienst Richard von Wettstein'sin Wien, zuerst das Studium des geographischen Areals in den Dienst der Systematik gestellt zu haben. Wichtig geworden ist sodann endlich in den letzten Jahren die serologische Methode (s. Naturw. Wochenschr. Bd. 31 S. 631), die uns Auskunft gibt über den Grad der Verwandtschaft der Eiweißstoffe der verschiedenen Arten. — Der Referent unternimmt es nun im zweiten und Hauptteil des Vortrages, die Anwendung dieser Methoden zu demonstrieren am Beispiel der Getreidearten, einem seiner speziellen Forschungsgebiete. Besonders instruktiv sind die Verhältnisse beim Hafer, auf den hier einzig kurz eingegangen werden soll. Die alten Systematiker warfen die verschiedenen Arten bunt durcheinander. Später wurden die Saathafer einerseits einander nähergerückt, und die Wild- hafer anderseits. Allein die neuern Untersuchungen haben nun eben ergeben, daß die nahe Verwandt- schaft der verschiedenen Saathafer nur eine scheinbare ist: ihre Übereinstimmung beruht nämlich auf Konvergenzerscheinungen, die die Folge der Zucht, der Kultur sind. Den Saat- hafern fehlen infolge der Domestikation die Ver- breitungsmittel. Es stand also fest, daß die Saat- hafer von den Wildhafern abzuleiten seien, und es erwuchs nun die Aufgabe, zu zeigen, an welchen Wildhafer jeder der drei bekannten Saathafer anschließe. Das ist gelungen. Wir wissen heute, daß die im extramediterranen Gebiet kultivierte Avena sativa von A. fatua, einer östlichen Steppenpflanze abstammt, während die ^wei anderen Saathafer, die der Mittelmeer- länder, von Wildhafern ihres Gebietes herzuleiten sind. Gerade bezüglich der Hafer hat die An- wendung der verschiedenen Methoden zu völlig übereinstimmenden Resultaten geführt. Insbe- sondere darf erwähnt werden, daß speziell die serologischen Untersuchungen die Theorie aufs glänzendste bestätigten. Das ist um so bemerkens- werter, als Zade in Jena, dem wir diese sero- logischen Arbeiten verdanken, vorher ein ent- schiedener Gegner der Theorie war, somit den Beweis für die Richtigkeit derselben zweifellos ganz gegen seinen Willen erbracht hat. — Der Redner sprach noch über die analogen Arbeiten und Ergebnisse bezüglich des Weizens und der Gerste, auf die einzutreten hier zu weit führen würde. Ernst Kelhofer. Geographie. Peary's Entdeckerlatein und die amerikanischen Polarkarten. Daß Pcary den Nordpol nicht erreicht hat, ja auch nicht einmal bis in seine Nähe vorgedrungen ist, haben die Amerikaner im Kongresse zugestanden, ohne davon viel Aufhebens zu machen. Sie sind aber noch viel weiter gegangen und haben eine Reihe von früheren Angaben Peary's für falsch erklärt und auf einer Reihe amtlicher Karten gestrichen. Einer der eifrigsten Gegner Peary's ist ein Mit- glied des Kongresses, der Vertreter Nord-Dakotas, Henry T. Helgesen, dem Namen nach ein Amerikaner skandinavischer Abkunft. Helgesen hat unlängst im „American Magazine" ausgeführt, was von Peary's Entdeckungen bisher als Ent- deckerlatein erwiesen und daher auf den ameri- kanischen Karten gestrichen worden ist. Im wesentlichen handelt es sich um vier Erfindungen Peary's über das Nordpolgebiet; 1. Auf seiner Forschungsreise 190I/02 ent- deckte Peary den nach ihm benannten „Peary- Kanal", die nördliche Begrenzung Grönlands. Er behauptete, hiermit die Inselnatur Grönlands nachgewiesen zu haben, die im Jahre 1882 die G r e e 1 y - Expedition schon erkannt hatte. Fünf Jahre später forschte in dieser Gegend M y 1 i u s - Erichsen. Er fand an der Stelle des Peary- Kanales kein Wasser; „ein wildreiches Hochland" nimmt diese Gegend ein, wie im Jahre 1912 Knud Ras müssen feststellte. Infolge dieser Angaben skandinavischer F"orscher von Weltruf hat die amerikanische Marine (das Navy Depart- ment) sowie der Küstenvermessungsdienst (Coast Survey) den Peary- Kanal von allen Karten ge- strichen. 2. Gleichfalls auf der P'orschungsreise 1901/02 entdeckte P e a ry am Ende seines Peary Kanales die Ostgrönland-See. Dieses Polarmeer beginnt nach seinen Kartenangaben unter 82'* 10' und liegt zwischen 31" und 120" westlicher Länge. Auch diese Angabe wurde durch Mylius-Erichsen als falsch erkannt, und Mikkelsen's und Rasmussen's Forschungen bestätigten dessen Angaben. Infolgedessen ist P e a r y ' s Ostgrönland- .See von den Regierungskarten gestrichen. 3. Im Jahre 1906 entdeckte Peary im Nord- westen von Grant-Land ein großes Landgebiet, das er als C r o c k e r - L a n d bezeichnete. Im Jahre 191 3 sandte das American Museum of Natural History eine Forschungsreise zu Erforschung dieses neuen Polarlandes aus. Sie ist vor kurzem zurückgekehrt, und das Ergebnis ihrer Forschung lautet, daß sich an der Stelle von Peary's CrockerLand nichts findet, als Wasser. Von den Regierungskarten hat man daher Crocker-Land gestrichen. Im Juli des Jahres 1898 sah Peary nach seiner Angabe von der Höhe des Ellesmere-Land-Kaps das „Jesup-Land". Es handelt sich dabei um eine große, vor der Küste Grönlands gelegene Insel, die Otto Sverdrup im Jahre 1900 ent- deckt und als Axel-Heiberg-Land auf seinen Karten verzeichnet hat. Erst 1907, in seinem Buche „Nearest the Pole" trat Peary mit der Behauptung hervor, er habe dieses Land zwei Jahre vor Sverdrup gesehen. Diese Angabe (Seite 202 der amerikanischen Ausgabe) steht im Widerspruche mit einer anderen dieses Werkes. N. F. XVI. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Ö3 Während Peary sich nämlich, wie er berichtet, im Juli auf EUesmere-Land befand, verbrachte er (Seite 296/297) die Zeit vom 4. Juli bis zum 13. August mit der Reise von New York nach Kap York mit der Walroßjagd und dem Zu- sammenbringen der Eingeborenen aus der Um- gebung dieses Punktes, die an der Reise teil- nahmen. Er war also nach eigener Angabe gleich- zeitig an zwei Orten, die 500 km voneinander entfernt liegen. Wäre er aber zu der fraglichen Zeit auf Ellesmere Land gewesen, so hätte er sein Jesup-Land nicht sehen können, denn es liegt weiter südlich und auch weiter westlich, als er angibt! Von den Karten der Regierung und denen der National Geographical Society hat man daher das Jesup-Land gestrichen und das Axel-Heiberg-Land nach den Angaben Sverdrup's statt dessen eingezeichnet. H. P. In der physikalischen Gesellschaft zu Stockholm (Sitzung von 11. XI. 1916) hielt der Staats- meteorologe J. W. Sandström einen Vortrag über die Hydrographie Neufundlands, in dem er über die jüngsten Forschungen im Gebiete der Neufundlandbank und deren Ergebnisse berichtete. Seit dem Untergange der „Titanic" kreuzen dort dauernd Beobachtungsfahrzeuge, die durch draht- lose Telegraphie die Handelsschiffe vor Eisbergen warnen sollen. Von Zeit zu Zeit führen sie auch hydrographische Untersuchungen aus, und dabei sind einige merkwürdige Beobachtungen über die Wassertemperaturen gemacht worden. In 100 bis 150 Metern Tiefe findet sich nämlich eine starke Wasserschicht, deren Temperatur unter Null liegt, und um dieser P>age weiter nachgehen zu können, berief die kanadische Regierung einen Fachmann, den norwegischen Fischereidirektor Dr. Johan Hjort aus Bergen, zur Leitung zweier zeitlich getrennter hydrographischer Forschungsreisen im Gebiete der Neufundlandbank und des ganzen Lorenzgolfes, die im Frühjahr und im Sommer vorigen Jahres durchgeführt wurden. Die dynamische Bearbeitung der Beobachtungen hat Sandström au<;geführt. Das Meereswasser des Beobachtungsgebietes ist sehr stabil geschichtet; das Oberflächenwasser hat ein bedeutend geringeres spezifisches Gewicht als das Wasser in der Tiefe. Hieraus folgen einige eigentümliche Eigenschaften. So ist es beispielsweise durch Wind nur schwer aufzustören, denn das leichte Oberflächenwasser hat keine Neigung, sich in die Tiefe drängen zu lassen, und das schwerere Tiefenwasser neigt nicht dazu, an die Oberfläche zu kommen. Mithin kommen nur besondere, eingeschränkte Bewegungen vor, und das Wasser macht den Eindruck „gallertartiger" Konsistenz. Für die Neufundlandfischer ergibt sich hierans eine eigentümliche Sturmwarnung. Sobald das Wasser in einer gewis'Jen Richtung strömt, wissen sie, daß aus der Richtung, in die das Wasser strömt, ein Sturm im Anzüge ist; Die Ursache dieser Sturmwarnung ist eine große Unterwasserwelle, die in der Grenzschicht zwischen zwei Wasserschichten von verschiedenem spezi- fischen Gewicht entsteht und eine Folge des herankommenden Sturmes ist. Das Oberflächen- wasser muß über den Kamm dieser Welle hinweg und strömt daher kräftig in der Richtung gegen den aufkommenden Sturm. Wegen der Erdumdrehung führt der Labrador- strom eine Schraubenbewegung derart aus, daß das Oberflächenwasser auf die Neufundlandküste zutreibt, während das Bodenwasser umgekehrte Stromrichtung hat. Da außerdem diese Meeres- gegend sehr nebelreich ist, werden die Schiffe aus ihrem Kurse getrieben und stranden. Wo sich der warme, salzhaltige Golfstrom mit dem kalten, weniger Salz enthaltenden Wasser des Labradorstromes vermengt, entsteht ein Misch- wasser, das ein höheres spezifisches Gewicht hat, als beide Bestandteile. Das Mischwasser sinkt daher in die Tiefe, und dies ist der Grund des plötzlichen Verschwindens des Labradorstromes. Aus dem Versinken des Labradorstromes folgt eine starke Drift in dem Grenzgebiete der beiden Meeresströmungen, und deren Folge ist, daß sich die Eisberge im Grenzgebiete ansammeln. Aus diesem Grunde finden sich die Eisberge teils hier, teils an der Neufundlandküste, wohin die Erd- umdrehung sie führt, aber im Labradorstrom kommen sie selten oder gar nicht vor. Die Bildung der eiskalten Mittelschicht läßt sich durch einen einfachen Versuch nachahmen ; man bringt in ein Gefäß erst warmes, salzreiches Wasser, darüber gießt man warmes, weniger salz- haltiges Wasser, und auf dieses legt man ein Eisstück. Hierdurch wird das Wasser in der nächsten Umgebung abgekühlt, so daß es dichter wird und niedersinkt. Aber das kalte, nieder- sinkende Wasser kann in das dichtere Bodenwasser nicht eindringen, sondern breitet sich darüber aus. Nun ist eine warme, salzreiche Bodenschicht vor- handen, eine warme, weniger salzhaltige Oberflächen- schicht, und dazwischen befindet sich eine eiskalte Schicht, ganz wie bei dem Wasser der Neu- fundlandbank. Bei der Neufundlandbank ist diese für die Fischerei außerordentlich wichtige eiskalte Mittelschicht eine P'olge der Eisschmelze während des Frühjahrs. H. P. Geologie. Das geologische Alter und die Bildung des Laterits. In weiter Verbreitung kommen zwischen den Wendekreisen rotgefärbte Böden vor, die man bis vor ganz kurzer Zeit unter dem heutigen Tropenklima entstanden erklärte. Die Literatur über den Laterit und vor allem über seine Entstehung ist groß. Unter den neueren Autoren rechnet der russische Bodenkundler K. Glinka ganz in Anlehnung an F. V. Richthofen den Laterit zu den Böden mit optimaler Befeuchtung und schreibt ihm die Entstehung als Waldboden zu. Dieselbe Auf- 84 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 6 fassung vertreten auch Stremme und Lacroix. Im Gegensatz dazu hat R. Lang zum ersten Male gezeigt (vgl. Naturvv. Wochenschr. Nr. 21 S. 332 191 5), daß der Laterit auf Java nicht ein heutiges Bodenprodukt ist, sondern unter dem der- zeitigen regenreichen Tropenklima oberflächlich in Braunerde übergeführt wurde. Eine Bestätigung dieser Ansicht für weite Gebiete von Afrika (Sudan, Nubien, Senegambien, Togo, Kamerun, Ostafrika), Asien (Ostindien, Ceylon, Java, Celebes) Australien mit Samoa und Karolinen, und Süd- Amerika (Brasilien) sowie interessante Mit- teilungen über das geologische Alter und die Bildung des Laterits gibt Joh. Wal t her in einer zusammenfassenden Studie in Petermann 's Mit- teilungen 1916. In all diesen Gebieten wird der Laterit von einer Braunerdedecke überlagert. Sehr schön läßt sich dies an den meterhohen Boden- profilen (Glaszylinder) aus Afrika, Australien und Sudamerika der Bodensammlung des landw. In- stituts der Universität Halle studieren. Der Name Laterit stammt von A. Buchanan welcher hierunter (1807) ziegelrote zur Herstellung von Luftziegeln verwendete Verwitterungsmassen der Malabarküste verstand und sie mit der Argilla lapidea von W a 1 1 e r i u s verglich. Bei der späteren geologischen Kartierung Indiens legte man mehr Wert auf die braunrote harte Eisenkruste im Hangenden als auf die weichen knetbaren Ziegel- tone. In Deutschland hat man sich mehr für die rote Farbe der Verwitterungsmassen entschieden. Joh. Walther legt den Hauptwert auf den geologischen Vorgang der Laterisation und spricht von laterisierten Gesteinen, um die große Mannig- faltigkeit der aus den verschiedenen Gesteinen hervorgegangenen Massen einbegreifen zu können. Der Laterit ist kein „Gestein", sondern eine „Ver- witterungsdecke". Nach Joh. Walther handelt es sich innerhalb der heutigen Tropen und der ihnen benachbarten Klimazonen um eine einheit- liche Lateritdecke, die nur einmal entstanden ist (wahrscheinlich in der Diluvialzeit) und seither der Denudation (Abtragung) unterliegt. In Ost- indien wird der Laterit überlagert von den 25 m mächtigen AUuvionen des Ganges, in Südindien von 6 m Regur (humoser Boden), auf Java von den 1500 m hohen Kegeln der rezenten Vulkane, in Australien von bis 100 m hohen Dünensand- steinen, im Sudan von 30 m mächtigen AUu- vionen des Nil. In Westaustralien hat sich der Helenafluß eine 70 m tiefe Rinne in die von di- luvialen Bruchlinien zerschnittene Lateritdecke geschaffen. Mit dem Laterit identisch betrachtet J. W a 1 1 h e r den oberitalienischen Ferretto; es sind das hoch- rote eisenschüssige Böden, welche in einer wechselnden Breite von 2 — 6 km vom Alpenrand nach der Niederung ziehen. Der primäre Ferretto liegt diskordant auf dem marinen Pliocän, erreicht eine bis 80 m betragende Mächtigkeit (Mongrando) und wird von einer 2 m mächtigen Oberschicht von brauner Erde überlagert. Hier kann das Alter sicher als m i 1 1 e 1 d i 1 u v i a 1 bestimmt werden. Die Bildung des Laterits vollzog sich unter ganz bestimmten klimatischen Umständen. Eisen- haltige, besonders eisenreiche kristallinischeSchiefer, Tiefengesteine, Eruptivgesteine und deren Tuffe, Konglomerate und Blocklehme, Glaukonitgesteine werden laterisiert, wobei das Gestein von oben nach unten durchwässert wird, Eisensalze und Silikate gelöst werden, der Eisengehalt durch intensive Verdunstung nach oben geschafft wird und in einem gewissen Abstand von der Erd- oberfläche (subterran) als konkretionäre Zone oder als Eisenkruste abgeschieden wird. Über dem erweichten Grundgebirge oder Muttergestein folgt die Bleichzone, in welcher die Eisen- verbindungen ausgelaugt sind, darüber durch Übergänge mit roten Flecken die F'leckenzone und darauf die meist rotgefärbte Oberzone mit Bohnerzkörnern oder einer Eisenkruste. In Ost- indien ist die Eisenkruste i — 2 m mächtig, die darunter lagernden weichen Tone der Flecken- und der Bleichzone etwa 30—50 m. Charakte- ristisch für den Laterit ist die rote Farbe, die in dem humiden Tropenklima zu oberst in Braunerde übergeführt wird, während sie sich in den trockeneren Halbwüsten erhält. Durch Abwehung (Deflation) wird der Laterit umgelagert und als rotgefärbte Sande und Letten in Sammelmulden mit oft großer iMächtigkeit wieder auf zweiter Lagerstätte angehäuft. Primärer Laterit entsteht jetzt nirgends. Die Verteilung von Roterde und Laterit zeigt völlige Unabhängigkeit vom heutigen Klima. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der oberitalienische Ferretto sowie der primäre Laterit der ver- schiedenen Erdteile durch einen gleichzeitigen klimatischen Vorgang in der Diluvialzeit ent- standen ist. Die Laterisierung wäre dann das tropische Äquivalent der ariden Lößbildung, der polaren Geschiebelehme und der fluvioglazialen Ablagerungen. Da der Ferretto interglazial ist, muß man die Laterisierung als einen interglazialen Vorgang betrachten. Außer der diluvialen Late- risierung unterscheidet Walt her noch eine eocäne und eine unterpermische, welch letztere sich auf sekundärer Lagerstätte durch Umlagerung bis in die Keuperzeit erhalten hat. Für die Entstehung des Laterits sind starke Durchwässerung des Bodens und hohe Tempera- turen, Eindringen des Regenwassers bis in große Tiefen, eine lebhafte Aufwärtsbewegung der im eisenreichen Grundgebirge entstandenen Lösungen, Abdestillieren des lösenden Wassers und Aus- fallen des gelösten Eisens in einer subterranen Zone unterhalb der Erdoberfläche erforderlich. V. Hohenstein, Halle a. S. Geologie und Hygiene im Stellungskrieg. Der augenbHckliche Weltkrieg hat die große praktische Bedeutung der Geologie und be- sonders der geologischen Bodenaufnahme er- N. F. XVI. Nr. f. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 85 geben. Von ganz besonderem Werte ist die Geologie und Hygiene des Wassers, worüber Major W. Kranz, Straßburg, im Centralbl. f. Mineralogie, Geologie und Paläontologie Nr. 1 1 u. 12 1916, sowie in einer gedruckten bisher nicht veröffentlichten Fortsetzung lehrreiche Mitteilungen macht, welche in einem „Abriß der Militärgeologie" fortgesetzt werden sollen. Die Gewinnung eines keimfreien, dabei schmack- haften und bekömmlichen Trinkwassers ist sowohl für die an den Ort gebundene Truppe im Stellungs- krieg wie auch für die marschierende Truppe von allergrößter Bedeutung. Die fahrbaren Trinkwasser- bereiter sind den Armeeärzten unterstellt. Das sicherste und altbewährteste Mittel, um verdächtiges Wasser unschädlich zu machen, ist das Abkochen desselben. Filter müssen sorgfällig und sachgemäß behandelt werden. Die Reinigung des Wassers allein durch chemische Mittel ist nicht sicher und bleibt nur ein Notbehelf. Außer der grobsinn- lichen Prüfung (Aussehen, Geruch) erlolgt die chemische Trinkwasseruntersuchung durch den Oberapotheker bei der Saniiätskompagnie und dem Feldlazarett, die mikroskopisch -bakteriologische durch den Hygieniker beim Korpsarzt. Alle Not- behelfe sind im Stellungskrieg wie im Etappen- und Besatzungsgebiet nicht notwendig; hier er- schließen Geologie und Technik hygienisch ein- wandfreies Trink- und Gebrauchswasser. Zur Aufschließung von Grundwasser und zur Beobachtung von Grundwasserströmungen dient der Abessinierbrunnen oder abessinische Brunnen. Er läßt sich allerdings nur bei genauer Kenntnis des Untergrundes zweckmäßig anwenden, andernfalls tritt häufig Versagen ein. Zwecklos ist das Einrammen des Abessinierbrunnens in Ton oder tonigen Mergel, schwierig oder unmöglich in zähtonigen, felsigen und grobsteinigen Boden, meist erfolglos in Trieb- oder Schwimmsand- schichten wegen Versandens. Anwendbar ist er nur bis zu einem Grundwasserspiegel von 7 m, andernfalls wählt man besser eine Saug- und Druckpumpe. Brunnenbohrungen können nur in stark durchlässigen Gesteinen und Böden (klüftiger Kalkstein und Sandstein, Konglomerat, Kies, Sand) oder in einem Wechsel solcher Schichten mit wenig oder nicht durchlässigen Schichten empfohlen werden. Artesisch gespanntes Wasser ist vielfach erfolgreich erbohrt worden. Wenn irgend möglich, soll das Wasser einer Kies- oder Grobsandschicht entnommen werden. Vor Beginn von Bohrarbeiten sind erfahrene Geologen zu Rate zu ziehen, andernfalls wird in sehr vielen Fällen Zeit, Arbeits- kraft und Gerät nutzlos verwendet. In den Jura- Kreide- und Tertiärgebieten des besetzten Frank- reich sucht man fast überall vergebens nach Kiesschichten; sehr häufig liegt aber dort eine wenig ergiebige wasserführende Schicht über mächtigen Tonen. Tieferbohren bringt hier meist keinen Erfolg. Zweckmäßig verbessert man des- halb die Erschließung von Wasser durch Brunne n- schachten, um dem Wasser möglichst große Zuflußfläche zu verschaffen. Dies gilt ganz be- sonders für wenig durchlässige Gesieine wie Mergel. Bei spärlichem Zufluß werden gut vermauerte Kessel- oder Schachtbrunnen angewendet, deren Schachtsohle bei 0,9 — 1,5 m lichter Weite etwa 3 — 5 m unter dem Grundwasserspiegel liegt. Tagwasser darf keinesfalls Zutritt erhalten. Der im Grundwasserniveau befindliche Teil des Brunnens wird mit offenen Fugen oder mit Lochsteinen vermauert bzw. mit gelochten Betonringen ver- kleidet, um den Zutritt des Wassers zu ermög- lichen. Die Schachtwände werden mit einer Sickerpackung aus gewaschenen Steinen oder Grobkies umgeben. Bei Anlage von Brunnen ist die Nähe von Dung- und Abfallgruben , sowie von .Sickergruben und sonstigen Schmutzwasser- anlagen zu vermeiden. Vielfach müssen neue Brunnen außerhalb der Dörfer angelegt werden. Die zu wählenden Stellen hängen ganz von den Bodenverhältnissen ab und müssen durch Geologen angegeben werden. Im Stellungskrieg, Etappen- und Besatzungsgebiet geht das ohne weiteres. Das Wasser ist dem Kesselbrunnen durch eine Pumpe zu entnehmen, welche mindestens 2 m seitlich vom Brunnenschacht aufzustellen ist. Oft'ene Zieh- und Schöpfbrunnen sind unzulässig. Bei jeder Art von Quellfassungen sind wegen Faulens Holzverkleidungen auszuschließen. Dauernd unter Wasser befindliches Holz hält sich gut, nicht aber solches in schwankendem Wasserspiegel. Während der Brunnenarbeiten ist vom Führer des Bautrupps alles für die Beurteilung der Boden- und Grundvvasserverhälinisse Wichtige zu sammeln, so vor allem von Bodenproben jeden halben Meter. Die genaue geologische Beobachtung und Be- ratung vor und während der Wassererschließungs- arbeiten ist unerläßlich, zumal wirklich gute Fach- leute des Brunnenbaues auf den ungeheuren Fronten des Stellungskrieges nicht sehr häufig sind. Von ganz besonderem Werte für die Hygiene des Quell Wassers ist die Art der Fassung. In stark zerklüfteten Bodenarten, wie in den Kalk- und Kreideschichten des besetzten Frankreich, kann das Quellwasser durch einen mehrere Kilo- meter von der Quelle entfernten Herd verseucht werden. Der Stellungskrieg mit seiner gewaltigen Anhäufung von Menschen auf engem Räume mahnt doppelt zur Vorsicht. Eine heute noch hj'gienisch erscheinende Quelle kann morgen be- reits durch Anbauten wie Aborte, Abfallgruben, Beerdigungsstätten u. dgl. verseucht sein. Wichtig ist auch die Kenntnis der Ergiebigkeit einer Quelle, damit ihr Haushalt geregelt werden kann. Völliges Leerpumpen darf nie eintreten. Zu jeder Tages- und Jahreszeit muß die erforderliche Menge Wasser zur Verfügung stehen. Schlüsse auf die Er- giebigkeit lassen sich bei gleichen Niederschlags- mengen aus ihrem geologischen Vorkommen ziehen. Hochliegende Quellen mit kleinem Sammel- gebiet werden wenig ergiebig sein und im Sommer 86 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 6 versiegen, während tiefliegende mit großem Sammelgebiet fortwährend fließen werden. Aus alledem geht die mannigfaltige oft ver- antwortungsvolle Tätigkeit der Kriegsgeologen hervor, die schon vielfach segensreich für unsere Truppen gewirkt haben, (g.c.) V. Hohenstein. Meteorologie. Guldberg und Mohn stellten 1876 folgende Bewegungsgleichungen für die Luft in der Nähe des Erdbodens auf: dv, dt d^ dt -I- ;i.vy — k-v^; — A-Vx — k-Vj,. Vi und Vy sind die Komponenten der Wind- geschwindigkeit in den beiden auf einander senk- rechten Richtungen x und y; p ist der Luftdruck, a das spezifische Volumen der Luft; 1 = 2 10 -sm (p stellt die Zentrifugalbeschleunigung dar und hängt nur von der geogr. Breite (p und der Winkel- geschwindigkeit w der Erde ab; k ist der Reibungskuetfizient zwischen der Luft in Anemo- meterhöhe und dem Erdboden. Die Gleichungen setzen voraus, daß die Reibungskraft der Wind- geschwindigkeit proportional und der Windrichtung entgegengesetzt ist. Bei unbeschleunigter Be- wegung muß ferner der Ablenkungswinkel des Windes von der Normalen der Isobaren unabhängig von der Windgeschwindigkeit und die Gra- dientkraft ^) der letzteren proportional sein. H. U. Sverdrup (Annalen der Hydrogr. 44, 413, 1916) hat nun daraufhin die Beziehungen zwischen Druckgradient, Wind und Reibung an der Erdobertläche an Hand des Beobachtungs- materials der Wetterkarten für Nordamerika, den Atlantischen Ozean und Europa einer Prüfung unterzogen. Die bei der atmosphärischen Zirkulation auf- tretenden Beschleunigungen sind klein und fallen bei der Mittelwertbildung fort, bzw. können sie als Beobachtungsfehler angesetzt werden. Unter Zuhilfenahme des Korrelationsfaktors ergab sich aus den mit verhältnismäßig großen Fehlern be- hafteten Werten des Druckgradienten, der Wind- geschwindigkeit und des Winkels zwischen beiden, daß letzterer von den beiden ersten unabhängig ist; dabei wurde vorausgesetzt, daß die Beo- bachtungsfehler sich auf alle drei Größen gleich- mäßig verteilen. Unter der gleichen Annahme ist im Mittel die Gradientkralt und ebenso die Reibungskraft der Windgeschwindigkeit proportional zu setzen. Nur für den atlantischen Ozean ergab sich eine merkliche Abweichung. Diese ist jedoch ') Die Gradientkraft ist die Kraft, welche die Luft von Arten höheren Druckes zu solchen niederen Druckes treibt. Sie wirkt also in der Richtung des Druckgradienten, d. h. senkrecht zu den Isobaren. wahrscheinlich auf die besonders großen F'ehler iit der Windbeobachiung auf dem Meere zurück- zuführen. Ein wesentlicher Unterschied gegen- über den Guldberg-Mohn'schen Voraus- setzungen wurde jedoch bezüglich der Richtung der Reibungskraft gefunden. Diese bildet nämlich mit der Windrichtung einen konstanten Winkel, der nur von der Lage der Station abhängt; er ließ sich nicht in eine bestimmte Beziehung zur Anemometerhöhe setzen. Verf stellt nun auf Grund dieser f>gebnisse von neuem Bewegungs- gleichungen für die Luftströmungen in der Nähe des Erdbodens auf, die allerdings nur für einen mittleren Zustand gelten, nicht aber ohne weiteres auch für den Einzelfall, was aber für die theo- retische Betrachtung genügt. Die Gleichungen haben äußerlich dieselbe Form wie die oben an- geführten von Guldberg und Mohn. Im zweiten Glied der rechten Seile ist aber bei ihnen außer der Ablenkung durch die Erdrotation auch ein Teil der Reibungskraft enthalten, so daß auch das letzte Glied nicht mehr die gesamte Verzögerung durch die Reibung darstellt. Scholich. Vorgeschichte. Vorgeschichtliche Astronomie und Zeiteinteilung. Mächtige Sieinsetzungen in England und der Bretagne überliefern uns die Kunde von mathematischen und astronomischen Kenntnissen eines auf hoher Kulturstufe stehenden vorgeschichtlichen Volkes. Den Schlüssel zum Verständnis ihrer Sprache haben uns der Astronom Lockyerin seinem Werke „Stonehenge" (London 1906) und der Korvettenkapitän Devoir in einer Abhandlung im Mannus Band 1 1909 gegeben. In einer sehr lehrreichen Abhandlung behandelt der Regierungslandmesser Stephan aus Posen jetzt einige wichtige Steinkreise zu Obry im Kreise Konitz in Westpreußen, und unternimmt dabei den Versuch, diese Steinkreise gleichfalls für die Astronomie zu verwerten („Vorgeschichtliche Stern- kunde und Zeileinteilung", Mannus Vll, 1916. S. 213 — 248). Es handelt sich um Steinkreise von 16 — 29 Findlingsblöcken, die aus größeren Blöcken abgespalten sind und 0,10—1,10 m über den Erdboden hervorragen. Der Durchmesser dieser Kreise ist sehr verschieden; doch scheint eine bestimmte Maßeinheit vorzuliegen, die Stephan auf 1,154 ™, also vier Fuß zu 28,85 cm berechnet. Von diesen Steinkreisen scheint eine zur Beobachtung des Mitsommer-, ein anderer zur Beobachtung des Mitwintersonnenaufgangs gedient zu haben; andere haben vielleicht zur Avisierung eines Sternes gedient. Die hier in Obry vorliegenden Richtungen würden einer Deklination entsprechen, welche Arkturus um 350 V. Chr., Capeila dagegen ums Jahr 1760 v. Chr. hatten. Da in den Sieinkreisen Steinzeitgrab- funde beobachtet sind, scheidet die ersiere Zahl ohne weiteres aus. Wenn die Voraussetzungen richtig sind, hätten wir mit 1760 v. Chr. die un- gefähre Entstehungszeit der Kreise und somit für N. F. XVI. Nr. 6 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. 87 Deutschland die erste absolute Datierung iür so frühe Zeiten gefunden. Eingehend behandelt Stephan dann die Frage, welche Beziehung diese Steindenkmäler zum Kalender haben, und kommt zu dem Er- gebnis, daß sie sinnreiclie Kaiendarien darstellen. Er errechnet dabei 18 Monate zu 20 Tagen; da die indogermanische Woche fünf Tage hatte, kämen damit auch wieder unsere „vier Wochen" heraus. Ob die Abhandlung immer auf richtigen Vor- aussetzungen beruht, vermag ich als„Nichiastronom" nicht festzustellen. Sie bietet jedenfalls zahlreiche wertvolle Ausblicke für die Zukunft und sollte deshalb von Fachkennern einmal eingehend ge- prüft werden, andernteils aber auch die genaue Aufnahme aller übrigen etwa noch vorhandenen Denkmäler zur weiteren Diskussion der Frage veranlassen. Hugo Mötefindt. Bücherbesprechuugen. Eduard Sue§, Erinnerungen. Leipzig 1916. Hirzel. Die Erinnerungen des bekannten Geologen sind bei Hirzel in Leipzig erschienen. Sie gehen bis zu seiner Kindheit zurück, die er in England, wo er geboren ist, und in Prag verlebte. Mit wunderbarer Treue schrieb er bis 1894 alles auf, was sein so erinnerungsreiches Leben in seinem politischen und wissenschaftlichen Arbeiten ihm an Freuden und Enttäuschungen schenkte. Vorher legte er alle seine Ämter nieder, seine Professur in Wien, das Amt eines Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, seine Ämter als Abgeordneter. Wir sehen ihn als Mitglied der Studentenlegion im Jahre 1848 um die Verfassung kämpfen, sehen ihn in Karlsbad seine ersten geo- logischen Studien treiben, die er in einem geo- gnostischen Beitrag zu einem Führer für die Kurgäste — seine erste geologische Veröffent- lichung — niederlegt. Prags Museumsschätze, seine Umgebung lassen ihn Graptolithenstudien treiben, die 1851 in Hai d inger's Abhandlungen erschienen. Sein Vater, der eine Fabrik in Wien übernehmen mußte, hätte ihn gern als Schüler des Wiener Polytechnikums später als Leiter seines Betriebes gesehen. Aber Su eß steuerte der geo- logischen Wissenschaft zu. Grundlos verhaftete man ihn 1850, mußte ihn ebenso schuMlos wieder freigeben. Am Reichsmuseum in Wien ordnet er die fossilen Brachiopoden, wird Extraordinarius für Geologie an der Wiener Universität. Nun beginnt ein Leben der Arbeit, ganz seiner geliebten Geologie gewidmet. Auf Reisen nach Berlin, London, Paris knüpft er den Verkehr mit den Größen damaliger geologischer Wissenschaft an. Seine unzähligen Beobachtungen häufen sich, drängen ihn, sie zu einem Werke großzügigster Art zusammenzufassen, seinem „Antlitz der Erde". Aus 3 Teilen, die er mit dem Verleger vereinbart, wurden 4 dicke Bände. Die besten Jahre seines Lebens sind dem Lebenswerk gewidmet. Daneben findet er immer noch Zeit, seine arbeitreichen politischen Ämter zu besorgen und voll und ganz auszufüllen, seine Reisen mit den wichtigsten Erfahrungen auszufüllen, die seinem Lebenswerke, dem „Antlitz der Erde" galten. Dieses klassische Werk moderner Geologie hat seinem Namen Un- sterblichkeit in der geologischen Wissenschaft verliehen. Alle modernen Anschauungen über Gebirgsbau sind darin niedergelegt. Seine Ver- dienste um die Stadt Wien erkannte man an, indem man ihn zum Ehrenbürger erwählte. Er schenkte der Stadt Wien die großartige Wasser- leitung, durch die sie aus den Alpen mit frischem Gebirgswasser versorgte. Keine andere Stadt wird durch eine solche großartig angelegte Wasserleitung versorgt wie Wien, die nach den neusten geologischen Forschungen erbaut worden ist. Was sie gesundheitlich den Bewohnern Wiens geworden ist, das sprechen die Statistiken. Ein gleich gesundheitlich wertvolles Werk war die Verlegung des Donaubeties durch einen Durch- stich, zu dem er wertvolle Anregungen und Hin- weise bei der Reise zu den Suezkanaleröffnungs- feierlichkeiten, zu denen er als Vertreter geschickt wurde, sammelte. So schenkte er Wien zwei Werke von ewigem Wert. Staunenswert ist es, wie er bei all diesen zeitraubenden Arbeiten immer noch Zeit fand, seinen politischen Ämtern voll und ganz nachzugehen. Was er als Mitglied der Studentenlegion gewesen war, ein Kämpfer der Freiheit, ist er bis zu seinem hohen Alter geblieben. Seine Erinnerungen sind ein Buch, darin ein Großer seine Lebensanschauung bekennt, darin von Arbeitsfreudigkeit und verdientem Lohn ge- schrieben ist, die wertvoll sind für alle Zeiten. Rudolf Hundt. Möbius-Kobold, Astronomie. II. Teil, Kometen, Meteore und das Sternsystem. Sammlung Göschen 529, 128 S. mit 15 F"ig. und 2 Stern- karten. Leipzig 1916. — Preis geb. 0,90 M. Der bekannte Herausgeber der Astronomischen Nachrichten gibt hier auf den ersten 37 Seiten das wesentliche unserer heutigen Anschauungen über Kometen und Meteore wieder, ihr Äußeres, Bewegung und Bahn. Bei der Besprechung der bekanntesten Kometen, darunter der Halleysche und seine Erscheinung 1910, sind die Einflüsse der großen Planeten sehr klar dargestellt, und eine Zeichnung macht den Begriff der Kometen- familie des Jupiter unmittelbar klar, die aus Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. I<. XVI. Nr. 6 15 Glieder» besteht. Der andere Teil des Buches ist den Fixsternen gewidmet, besonders dem Ge- biete, auf dem der Verfasser selbst wertvolle Arbeiten geliefert hat, betreffend den Bau des Weltsystems und die Verteilung der Sterne. Wir finden hier die neuen Ergebnisse von Kapteyn, Seeliger, Schwarzschild, Kobold und anderen zusammengestellt, und die merkwürdigen Zusammenhänge zwischen Eigenbewegungen, Parallaxen und Spektraltypen der Sterne, also die Probleme, an deren Erweiterung und Vertiefung die heutige Astronomie arbeitet. Die Erörterungen über die Kosmogonie zeigen, daß der Autor der Nebularhypothese huldigt, ja sogar die La place - sehe Anschauung für gesichert erklärt. Vielleicht dürfte die nächste Auflage auch die zum Teil vernichtende Kritik an dieser Hypothese bringen, sowie die Gedankengänge der entgegenstehenden Anschauungen von Multon, Lockyer, See und Hörbiger, die der Nebularhypothese sicher gleichwertig sind. Riem. Anregungen und Antworten. Bewußtsein im Traum. ersten Tagen eines vier- 1 im Fieber. Des Nachts iber schlummerte ich viel. wöchentlichen Krankenbettes lag i schlief ich schlecht und des Tages Dieser Schlummer war nun, wahrscheinlich durch die Geräusche und den Lärm sowohl im Hause als in der Umgebung, bis- weilen ein Zustand zwischen Wachen und Schlafen. Ich träumte dann wirklich, aber ich wußte es, und ich hatte meine Freude daran, lächelte selbst dabei. — Verschiedene Träume waren es natürlich, und ich nahm mir vor, sie im Gedächtnis zu behalten, aber nach einigen Tagen, als das Fieber vorüber war, hatte ich die meisten schon wieder vergessen. Nur einer ist hängen geblieben, und diesen will ich erzählen, weil ich dabei noch eine andere Beobachtung machte. — Ich träumte, einer meiner Schüler zeigte mir sein Skizzenbuch, worein er Tiere und Pflanzen und Teile derselben mit Tinte eingezeichnet hatte. Es war ein liegend-längliches Buch, war also breiter als lang (hoch); die Blätter waren gelblichbiaun, aber dabei durchscheinend, so daß ich durch zwei, drei Blätter hindurch die Figuren, obwohl etwas undeutlich, sehen konnte. Als ich die Abbildungen eines Blattes durchmustert hatte, schlug ich das Blatt um, bis ich endlich die Hinterdecke des Zeichen- buchs zuklappte. — Nun, bei jedem Umschlagen eines Blattes und endlich der Hinterdecke machte ich mit der rechten Hand die Bewegung des Umschlagens, aber nur schwach und nur im Handgelenke. Und ich erinnerte mich dabei sofort, daß ich vor etwa dreißig Jahren einen kleinen Hund hatte, der, wenn er in seinem Korbe schlief und träumte, leise „wuf-wuf" bellte und dabei mit allen Vieren Laufbewegungen machte, aber nur in den Pfotengelenken. Ich fand es außerordentlich drollig, daß ich nun ,,im Schlafe" dieselben Bewegungen machte! Nach fast vollständiger Genesung wurde ich wieder vom Fieber ergriffen, und wieder nahm ich bei mir dieselbe Er- scheinung war; aber nun traf ich Maßnahmen, um die Träume nicht zu vergessen. Sobald ich erwachte, notierte ich sie in meinem Notizbuche, das neben mir lag, um die F'ieber- temperaturen zu notieren. So bin ich imstande, noch drei Beobachtungen hinzuzufügen. — Jeden Monat kommt der Türhüter zu mir mit zwei „Zahlungsanweisungen", welche ich zu unterzeichnen habe, worauf mir vom Gemeinde-Einnehmer mein Honorar ausbezahlt wird. Nun träumte ich, daß ich die Unterschriften vollzog, und beobachtete bei mir selbst, daß ich den Daumen und zwei Finger meiner rechten Hand streckte und zum Griff des Federhalters zusammenbrachte. — Während meiner Krankheit brachte meine Frau mir jeden Tag eine Fleischsuppe. Ich träumte einmal, daß dies geschah, und nahm bei mir selbst wahr, daß ich die Lippen dem geiräumten Löffel dillenförmig nach vorn streckte. — In einem Traume spazierte ich auf der Straße und nickte Jemandem zu. Wirk- lich machte ich eine kurze Kopfbewegung. Arnhem (Niederland). A. C. Oudemans. Literatur. Timerding, H. E , Die Aufgaben der Sexualpädagogik. Leipzig u. Berlin '16, B. G. Teubner. — o,So M. Aus dem Leben und Wirken von Arnold Lang, dem Andenken des Freundes und Lehrers gewidmet. Jena '16, G. Fischer. — 7 M. Li p schütz, Dr. AI., Physiologie und Entwicklungs- geschichte und über die Aufgaben des physiologischen Unter- richts an der Univer.siiät. Jena 16, G. Fischer. — 0,60 M. Fonrobert, D. E., Das Ozon. Mit I Textabbildung. Stuttgart '16, F. Enke. — 10,80 M. Lerche, J., Waldhof. Geschichten seiner Freunde und Feinde. Mit 8 farbigen und 40 schwarzen Bildern von F. Lang. Stuttgart, K. Thienemann. — 4,50 M. Asher, Prof. Dr L., Praktische Übungen in der Physio- logie. Eine Anleitung für Studierende. Mit 21 Textfiguren. Berlin '16, J. Springer. — 6 M. Tschermak, A. von, Allgemeine Physiologie. Eine systematische Darstellung der Grundlagen sowie der allge- meinen Ergebnisse und Probleme der Lehre vom tierischen und pflanzlichen Leben. In 2 Bänden. I. Bd.: Grundlagen der allgemeinen Physiologie. I. Teil: Allgemeine Charakte- ristik des Lebens. Physikalische und chemische Beschaffenheit der lebenden Substanz. Mit 12 Textabbildungen. Berlin '16, J. Springer, — 10 M. Inhalta Jaroslav Methode. S. 7- Kupfers. S. 78- deutsche Getrei zenecky, Versuch einer methodischen Bestimmung Einzelberichte: Eugen Posnjak, E. T. Allen 1 H. Schulz, Die Veredelung des Zinks. S. 79. Ma: spflanze. S. 80. TheUung, Neue Wege der pflanzliche ~ ' " " " W. Sands es Inzuchtsgrades mittels mathematischer I H. E. Merwin, Über die Sulfide des ßleib und St rose. Die Keißmelde als Systematik. S. 81. Helgesen, Peary's Enldeckerlatein und die amerikanischen Polarkarten. S. 82. J. W. San d s t r ö m , Hydrographie Neufundlands. S. 83. J. Walther, Das geologische Alter und die Bildung des Laterits. S. 83. W. Kranz, Geologie und Hygiene im Stellungskrieg. S. 84. H. U. Sverdrup, Druckgradient, Wind und Reibung an der Erdoberfläche. S. 86. Stephan, Vorgeschichtliche Astronomie und Zeiteinteilung. S. 86. — Bücherbesprechungen: Eduard Süß, Erinnerungen. S. 87. Möbius-Kobold, Astronomie. S. 87. — Anregungen und Antworten: Bewußtsein im Traum. S. 88. — Literatur: Liste. S. 88. Manuskripte und Zus iriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbe Verlag von Gustav Fischer in Jena. G. P.ätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ■ ganzen Reihe 32. Band. Sonntag, den 18. Februar 1917. Nummer 7. Scheinwaffen im Tierreiche. [Nachdruck verboten.] Mit 2 Abbildu Im jetzigen Weltkriege hat man oft genug von Scheingescliützen und -mörsern gehört, die, aus Blechröhren oder hölzernen Tonnen bestehend, dem Feinde eine bedrohliche Armierung eines kleinen Teiles unserer Stellungen vortäuschen. Von nichts Derartigem soll hier die Rede sein. Die Waffen, die ich im Sinne habe und die ihrem Träger ein überaus stattliches und wehrhaftes Aussehen verleihen, werden, soviel wir wissen, niemals gebraucht, wie man schon daraus ersieht, daß sie kaum je Spuren einer Abnutzung zeigen oder gar abgebrochen oder verbogen sind; ja es ist sehr die Frage, ob in diesen Fällen in dem Besitzer solcher Waffen jenes gesteigerte Kraft- gefühl vorhanden ist, das wir dem männlichen Hirsch, dem wilden Büffel, vielleicht sogar dem Hirschkäfermännchen sicherlich mit Recht zu- schreiben. Es sind diese Waffen demnach nicht einmal dem Galantcriedegen zu vergleichen, der dem Staatsbeamten an der Seite hängt, aber, ob- gleich kaum jemals gebraucht, doch das Selbst- vertrauen des Trägers mächtig erhöht, weil er sich des Waffenbesitzes wenigstens bewußt ist. Die Waffen, von denen ich hier reden will, sind ausschließlich in der Form von Hörnern entwickelt, die sich entweder an der Schnauzenspitze oder an den Augenbrauen, bzw. (bei Käfern) am Vorderrande des Halsschildes befinden. Derartige Hörner kennen wir namentlich von zahlreichen Arten von Chamäleons von Afrika und Madagaskar; und zwar sind es entweder seitlich plattgedrückte [CIiamaiicDii hifiJ/is, fiscJ/cn', zvillsii. iiiiiior), oder scharf dreikantige (67/. favcfcnsis) paarige Hörner, die auf der Schnauzenspitze nebeneinander stehen und mit Schuppen bedeckt sind oder ein einziges, gegabeltes Hörn , gleichfalls beschuppt imd auf der Schnauzenspitze {Ch. ///reifer) oder ein un- paares, ynesserartiges Hörn von gleicher Beschaffen- heit an derselben Stelle ( C/i. rI/i)/oeeraf//s^ xciio- rl/i>///s fej/i//s u. a.). Außerdem aber gibt es zahlreiche Chamäleon- Arten mit lang kegelförmigen, geringelten Hörnern ; entweder zwei nebeneinander auf der Schnauzenspitze (67/. 11/01/ fi//iii) oder außen davon noch je ein kleineres Hörn {Ch. q//adr/.cor///s) oder ein langes Schnauzen- und je ein langes, wie dieses nach vorn gerichtetes Augenbrauenhorn (das westafrikanische Ch. owci/i und fast ein halbes Dutzend Ostafrikaner (67/. eleremei/s/s, jackso////', joh//sto//i/, ivenieri usw.). Bei allen diesen und noch weiteren gehörnten Chamäleons ist nur das Männchen mit diesem martialischen Schmuck versehen und nur bei einer einzigen Art oder Unterart, Cl/. ii/nfsehief besitzt auch das Weibchen ein Paar beschuppter Schnauzen- hörner, die allerdings meist kleiner sind, als beim Männchen. Man kann nun denken, daß, wie bei anderen Tieren, die einen solchen Kopfschmuck besitzen, bei Hirschen, Rindern, Schafen, Ziegen, Antilopen, Kopf von Chama,lioii /lijhliis fMannchen) (Madagaskar). ([>eutsch-i l5tafrika). d-ie Männchen Kämpfe um den Besitz der Weib- chen zu bestehen haben, wobei ihtien die Hörner gute Dienste leisten. Aber niemand hat noch zwei männliche Hornchamäleons in dieser Weise kämpfen gesehen und an den zahlreichen Exem- plaren, die mir durch die Hände gegangen sind. 90 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 7 habe ich fast niemals (^nur an Ch. pardalis, aber an Exemplaren, die sich in Gefangenbcnaft bei Fluchtversuchen die Hörner wundgescheuert hatten) Verletzungen der Hörner beobachtet, wohl aber Verkrümmungen, die sich gerade durch den Nichtgebrauch erklären lassen, auch an den Krallen und Hufen verschiedener in Gefangenschaft ge- haltener Säugetiere und an den Nagezähnen von Nagern, denen die Antagonisten dieser Zähne verloren gegangen sind, sowie an den zurück- gebogenen Eckzälinen des Hirschebers {Porciis ßabinissa) in Erscheinung treten. Aber auch als Abwehrvorrichtungen gegen einen Feind dürlten sie kaum anzusehen sein. Freihch habe ich niemals ein erwachsenes männ- liches Hornchamäleon im Magen einer Baum- schlange, eines der schlimmsten Feinde der Chamäleons überhaupt, gefunden; aber auch noch kein Weibchen derselben Arten; ich zweifle nicht, daß in Gegenden, wo solche häuhg sind, beide Geschlechter von den Schlangen gefressen werden, da bei der gewaltigen Ausdehnbarkeit des Rachens dieser Schlangen solche Hörner, auch wenn sie nach vorn divergieren, kein wesentliches Hindernis vorstellen. Raubvögel, die sich an Chamäleons auch öfters vergreifen, werden aber dieser ziemlich unbehilflichen Tiere sehr leicht Herr, gleich- gültig, ob sie Hörner haben oder nicht. Ganz das- selbe gilt auch von den gehörnten mittelamerika- nischen Krötenechsen (jPhryuosoina) und dem Moloch Australiens, die gegen Schlangen und Raubvögel im gleichen MaÖe wehrlos sind. Wir können also in den Hörnern der Chamäleons nur einen Schmuck erblicken, durch hypertrophisches Wachstum entstandene Gebilde, wie wir sie in den eigentlich tropischen Teilen von Afrika auch in anderen Tiergruppen antreffen (blattartige Er- weiterungen an den Beinen bei Gottesanbeterinnen und Gespenstheuschrecken). In den trocken- heißen Regionen Afrikas, in Nord- und Südatrika fehlen Hornchamäleons vollständig, alle Arten dieser Länder sind in beiden Geschlechten hornlos. Eine andere Gruppe von gehörnten Tieren ohne erkennbare Offensiv- oder Defensivbedeuiung sind die Koffei fische {Osiracion) der tropischen Meere. Diese kantigen Tiere, an denen außeJ den Flossen und dem langen, kräftigen Stiel der großen Schwanzflosse nichts beweglich ist, nicht einmal der Kiemendeckel, so daß die Brustflosse die Aufgabe hat, die Bewegung des Atemwassers zu vermitteln, lassen ebenso wie die Chamäleons verschiedene Grade der Hörnerbildung erkennen; es gibt ganz hornlose Arten {O. culncus, scbac, fimctatns) und solche mit sehr langen, nach vorne gerichteten Augenbrauenhörnern (ö. diapliaiiiis). Hier sind die Hörner in beiden Geschlechtern entwickelt, aber wir wissen über ihre Bedeutung nichts, können aber aus ihrer steten Unversehrtheit entnehmen, daß sie als Waffen gleichfalls nicht in Betracht kommen. Kofferfische sind in europäischen Museen nichts weniger als selten, Verletzungen der Hörner oder aber solche des Panzers, die durch diese entstanden sein könnten, sind mir aber niemals zu Gesicht gekommen. Jedenfalls werden Koff'erfische von anderen Fischen ihres harten Panzers wegen überhaupt nicht gefressen, ob mit oder ohne Hörner. Eine dritte Kategorie horntragender Tiere sind die Insekten, von denen namentlich Käfer, aber auch Heuschrecken und Cicaden und vereinzelte Vertreter anderer Ordnungen sich durch oft an- sehnliche Hörnerbildungen auszeichnen. Unter den Käfern sind es namentlich die Blatthörner {Laiiiiiliconiicr) die in dieser Beziehung excellieren und das mächiige Kopf hörn des männlichen Nas- horn-Käfers [Orycii's nasicontis) und Mondhorn- käfers {Copris luiiaris) ist allgemein bekannt, nicht minder auch die ungeheuren Hörner tropischer Arten, die teils auf der Oberseite des Kopfes stehen und entweder gerade oder gekrümmt nach aufwärts gerichtet sind, oder nach vorne, oder schließlich z. B. bei dem bei uns vorkommenden kleinen Mistkäfer {Oiif/iophaoiis fa/tnis) wie beim Büffel im Bogen nach hinten. Mit den Kopf- hörnern, die ganz unpaar, gegabelt (ausnahmsweise wie bei dem indischen A>/('//'7//c.f diclwtoiims sogar doppelt gegabefi) oder paarig sind, kommen häufig nach vorne gerichtete F'ortsätze des Halsschild- vorderrandes zusammen vor, wie namentlich bei den Herkuleskälern {Dynastes und Thcogoics) bei Golofa, Älegasoma, Chalcosoiiia u. a., lerner bei vielen tropisch- afrikanischen Rosenkäfern [Dicra- iiorhiiia, Akgalorhiim). Ausnahmslos kommen hier die Hörner und die hornartigen Halsschild- fortsätze den Männchen zu. Es unterliegt keinem Zweifel, daß bei Vorkommen eines unpaaren Kopf- und Halsschildhornes, falls beide durch Koptbewegungen einander sehr genähert werden können, ein Gegenstand zwischen ihnen einge- klemmt werden kann; aber die Berührungsstellen der beiden Hörner sind so klein und die Kraft kaum so groß als in den Mandibeln eines großen Hirschkäfers, abgesehen davon, daß die Wahr- scheinlichkeit, daß irgendein F"eind zwischen diese Zangen gerät, eine sehr geringe ist. Es handelt sich also auch hier um eine bloße Zierde des Männchens und trotz des drohenden und gefähr- lichen Aussehens dieser mannigfachen Hörner um keine Waffe. Dasselbe gilt im erhöhten Maße für Hörner, die bei anderen, noch weit kleineren Käfern, z. B. Tenebrioniden (auch hier beim Männchen), bei Heuschrecken {PscudorIiy)ichus, Gouyacaiitha u. V. a.), Cicaden (z. B. unserem Ccntrotiis coniutus) hier wie bei den Orthopteren in beiden Ge- schlechtern, ferner bei Gottesanbeterinnen (in beiden Geschlechtern, aber merkwürdigerweise mitunter beim Weibchen weit stärker entwickelt: z. B. bei Sigcrpcs). In allen Fallen ist das Hörn, so spitz und lang es auch sein mag, als Waffe nicht verwendbar und spielt auch als solche keine Rolle — weder bei den flüchtigen und faktisch wehrlosen Akndiern , noch bei den bissigen Locustiden oder den mit kräftigen Raubbeinen zu N. F. XVI. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Angriff und Verteidigung gleich gut ausgerüsteten Mantiden. Wachsen Organe, die an sich zur Verteidigung oder zum Angriff wohl geeignet sind, über ein gewisses Maß hinaus, so verlieren sie häufig ihren Charakter als Waffe und werden zu bloßen „männlichen Sexualmerkmalen". Dies kann man an den Mandibeln gewisser Insektenmännchen sehen , die ihren Charakter als kräftige Zangen durch ungewöhnliche Verlängerung verloren haben. Wenn auch große männliche Hirschkäfer noch ganz wehrhafte Tiere sind, so ist die Kraft ihrer Mandibeln doch kaum mehr größer als die der kleinen des Weibchens; und daß die zwar langen, aber dünnen Oberkiefer gewisser Orthopteren {Aiiosfosfoiiia) und Hymenopteren (Syiiogris) keine Zangen von irgendwelcher Kraft mehr sind , ist leicht einzusehen; sie sind zu Luxuswaffen ge- worden, mit dem wahrscheinlich dem Weibchen, aber keinem Rivalen oder Feinde mehr imponiert werden kann und die höchstens noch zum Fest- halten des Weibchens bei der Copula dienen könnten. Wir sehen also, daß Waffen, die wir bei den Säugern nach unbedenklich, auch ohne Kenntnis der Ethologie der betreffenden Arten als solche anzusehen gewöhnt und wohl auch berechtigt sind, trotz gleicher Lage am Körper und trotz oft vorhandener praktischer Brauchbarkeit bei verschiedenen anderen Tierkategorien nicht als Waffen gebraucht werden, daß sie weder (wo sie nur beim Männchen vorhanden sind) zu Kämpfen mit Nebenbuhlern, noch zur Abwehr von Feinden verwendet und wohl nur im Zusammenhang mit überhaupt bedeutenderer Körpergröße als Angriffs- oder Verteidigungsmittel überhaupt gedeutet werden können. Denn man kann sich kaum vorstellen, daß die im Verhältnis zur Körpergröße immerhin recht ansehnlichen Hörner der kleinen Tenebrioniden Giiaihoccrux coniittiis , Huploce- pliala , .bif/iracias auch einem kleinen Feinde gegenüber von irgendwelcher Bedeutung sein könnten. Finschlagbare Raubbeine, wie sie bei so vielen Insekten und Crustaceen auftreten, sind wohl stets als wirksame Waffen anzusehen; dagegen gilt dies nicht von exzessiver Verlängerung der Vorder- beine, wenn sie auch mit starker Verdickung der Basalteile in Verbindung vorkommt; und wir sehen stets, daß eine solche immer nur beim Männchen auftritt (z. R. bei den Käfern : Eiichinis. Prupoiiiacnis, Älacropiis, Labidostoniis usw., bei Ephemeriden) also wohl nur zum Festhalten des Weibchens bei der Paarung dienen wird. Es ist dies ein vollständiges Analogon zu der Erscheinung, daß verdickte Schenkel, wenn sie in beiden Ge- schlechtern auftreten, wie bei den Heuschrecken und Grillen, Qcadinen, Flöhen, Springrüsselkäfern (Orc/ifsfrs), Blattflöhen {Halticincii) wirklich auf Springfähigkeit hindeuten (Ausnahme nur bei den dickschenkeligen. aber nicht springenden Wespen der Gattungen Sniicra, Lnicuspis usw.), während sie bloße sekundäre Sexualcharaktere vorstellen, wenn sie bloß beim Männchen vorkommen : so bei gewissen einheimischen und exotischen Baum- wanzen, der Blattkäfergattung Sagra, der Fliegen- gattung Merodoii u. v. a. Wenn wir die exzessiv entwickelten Oberkiefer der vorhin erwähnten Insekten betrachten, so sehen wir, daß ihre geringe Kraftwirkung damit zusammenhängt, daß sie im Verhältnis zu ihrer Länge zu dünn sind; schon bei unserem Hirsch- käfer steht die Kraft der kurzen Mandibeln des Weibchens denen der langen und relativ kräftigen eines großen Männchens nur wenig nach und wir können im allgemeinen sicherlich annehmen, daß Lucaniden mit dicken, kräftigen Mandibeln, wie Oduiifolabis solchen mit langen , dünnen wie bei OiiasogiiatliKs erheblich überlegen sind ; im ersteren F'alle sind die Oberkiefer in beiden Geschlechtern nach demselben Typus gebaut, aber beim Mann chen im Zusammenhange mit dem größeren Halsschild und Kopf mächtiger entwickelt, im letzteren aber beim Weibchen ganz von dem überhaupt für die Lucaniden gültigen Typus, beim Männchen aber exzessiv verlängert und verdünnt und damit als Waffe wertlos geworden. Bei den Kofferfischen hängt die Wertlosigkeit der Hörner als Waffe mit der geringen Beweglich- keit der Tiere zusammen. Dieselbe Waffe bei einem beweglichen und gelenkigen Tiere kann schon eine ganz erhebliche Wirkung haben. Wie geschickt macht z. B. der schwarze Wasserkäfer {Hydroiis picciis) von seinem Bruststachel Gebrauch, der wahrscheinlich ursprünglich über- haupt nicht zur Verteidigung bestimmt ist; ebenso würden die Hörner bei einer schnellaufenden Kidechse, die mit einer gewissen Wucht einen Gegner anrennen können, noch ganz gut zur Wirkung gelangen können, während sie bei einem Chamäleon als Defensiv- wie Offensivwaffen be- deutungslos bleiben und das Aufsperren des Rachens, das Aufblasen des Körpers, das laute Fauchen und der lebhafte Farbenwechsel — Eigen- schaften, die jedes Chamäleon zu entwickeln im- stande ist — machen zweifellos einen weit größeren Eindruck, als die primitive Schnauzen- und Stirn- bewaffnung. Wir können also sagen, daß auch die Masse und die Beweglichkeit des Körpers eine beträchtliche sein müßte, um einer Waffe, wie sie die Hornchamäleons besitzen, zu einer Wirkung zu verhelfen. Diese Hörner sind von vornherein nicht als Waffe entstanden, sondern, wie schon erwähnt, unter dem Einflüsse des tropischen Klimas, als hypertrophische Bildungen und zwar nach dem Gesetze der männlichen Präponderanz (Eimer) zuerst beim Männchen, dem in manchen ■Fällen auch das Weibchen folgt. Auf derselben Erscheinung der lokalen Hypertrophie beruhen auch die Schnauzenhörner der Nashornvipern des tropischen Afrika (Bifis iiasiconiis und gabonicd) während die Augenbrauenhörner der Hornvipern Nordafrikas [Ccrastcs coniufits] Südafrikas {Bitis caiididis und uanmhis), des tropischen Afrika 92 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 7 {Athens ccratophorus), Persiens [Psciidoccrastcs persictis), Nordamerikas {Crptaliis ccrastcs), die alle mit Ausnahme der ^Wieris Wüstenbewohner sind, dabei teils in Sand-, teils in Steinwüsten leben, vorläufig wohl allen annehmbaren Er- klärungsversuchen trotzen; übereinstimmend ist bei allen gehörnten Schlangen, daß die Hörner. ob auf Schnauze oder Augenbrauen, niemals se- kundäre Geschlechtsmerkmale vorstellen, sondern beiden Geschlechtern in gleicher Weise zukommen (au.snahmsweise auch beiden fehlen können — Ccrastcs cvnnitns var. iniitila, in Algerien, Dongola und auf der Smai-Halbinsel nicht selten — vgl. die hornlosen Rinderrassen). Da alle Hörnerbildungen, die bei Schlangen vorkommen, wenig resistent sind, so kommen sie als Waffen von vornherein nicht in Betracht. Fassen wir nun die vorstehenden Ergebnisse zusammen, so kommen wir zu dem Schlüsse, daß die meist zur Kategorie der Hörnerbildungen ge- hörigen, seltner (bei Insekten) als exzessiv verlängerte Mandibeln imponierenden Scheinwaffen deswegen zu Angriff wie Verteidigung in gleicher Weise unbrauchbar sind, weil sie entweder nicht mit entsprechender Körpermasse koinzidieren, die einen Angnfi' auch kleinerer gehörnter oder geweih- traeender Säuger (z. B. eines Ziegenbockes) so wirkungsvoll macht, oder die Beweglichkeit des die Waffe tragenden Körperteiles fehlt, bzw. die betreffende Tierart überhaupt wenig lebhaft ist. Ein großer Teil dieser Waffen ist in die Kategorie der sekundären Sexualcharaktere zu verweisen; sie machen vermutlich auf das Weibchen einen eben- solchen Eindruck, wie bei anderen Tieren prächtige Farben, bei Vögeln Schmuckfedern u. dgl. — Dagegen sind die Fortsätze der Augenbrauenregion (und nach hinten gerichtete, hornartige Fortsätze des Panzers auf der Bauchseite) der wehrlosen Kofferfische nicht von diesem Gesichtspunkte zu beurteilen. Es ist möglich, daß diese Hörner früher vorhanden waren, als der Panzer und in dieser Zeit, da der panzerlose Fisch noch weit beweglicher war, wirklich wenigstens zur Abwehr sich geeignet erwiesen, wie so manche Horn- oder Stachelbildungen, die entweder durch Ver- stärkung der ersten Rücken-, Brust- (auch Bauch- oder After-) flossenstrahlen entstehen oder aber neue Bildungen vorstellen (Schwanzdorn von ^icaiithiinis cliinirgiis)\ daß sie aber mit der Erstarkcing des Panzers entweder sich vollkommen rückbildeten oder aber bei anderen Arten als wenigstens für den Fortbestand der Art nicht hinderlich sich erhielten. Wir hätten hier dann den Austausch einer weniger wirksamen Defensiv- waffe gegen eine bessere, ähnlich wie bei den Hirschen die schwächere Offensivwaffe der Eck- zähne (Moschustier) in der Phylogenie durch die stärkere der Geweihe ersetzt wurde, wobei freilich aber immer noch gewellilose Hirsche mit Eckzahn- hauern existieren, trotzdem andere inzwischen eine enorme Entwicklung des Geweihes erreicht haben, ja sogar (Rentier) das Weibchen dem Männchen in dessen Entwicklung nachgekommen ist. Kleinere Mitteilungen Zur Geschichte der Ernährung. Die Schwierig- familiäre und keiten, denen die Beschaffung der täglichen Nahrung heute begegnet, haben es wohl jedem klar ge- macht, daß die Ernährung des Menschen kein isolierter Vorgang, sondern daß sie aufs innigste mit fast allen Zweigen des privaten und öffent- lichen Lebens verknüpft ist. Dieser Zusammen- hang, wenn auch jetzt fühlbarer, ist nicht erst durch die gegenwärtige Lage geschaffen worden. Er ist so alt wie das Menschengeschlecht selbst. In Friedenszeiten, wo die Beschaffung der Nahrung im geregelten Wirtschaftsleben glatt verläuft, kommt er den Wenigsten zum Bewußtsein. Das ist wohl auch der Grund , daß man bisher Er- nährungsfragen als einen untei geordneten Gegen- stand ansah, den man in gebildeter Unterhaltung keinen Platz einzuräumen braucht. Ja selbst an den Universitäten verschließt man sich noch der Erkenntnis der Notwendigkeit, diese eminent wichtigen Probleme in wissenschaftlichem Zu- sammenhang zu lösen. Die Kriegserfahrungen werden hier hoffentlich zu gründlichem Wandel Anlaß geben. Um den Einfluß des Nahrungs- bedürfnisses und der Nahrungsbeschaffung auf das staatliche Leben der Menschen zu erkennen, ist eine gründliche historische Betrachtung unerläßlich. Sie ist ebenso wichtig als Vorarbeit für etwaige nach dem Kriege zu treffenden Maß- nahmen zu einer gesicherten Volksernährung. Professor Eduard Hahn, der sein Leben dem Studium dieser Fragen gewidmet hat, legte diese Zusammenhänge in einer Sitzung der Anthropo- logischen Gesellschaft in gründlicher und an- regender Form klar. DieBeschaffenheit der körperlichen und geistigen Entwicklung des menschlichen Geschlechtes in historischer Zeit, wie auch entsprechende Beob- achtungen bei Naturvölkern gestatten uns den Schluß, daß das .Alter der Menschheit, das man bisher mit etwa looooo Jahren seit der Eiszeit annahm, erheblich weiter zurückreicht. Mit Ratzel pflegt man in der kontinuierlichen Ent- wicklungsreihe animalischer Wesen den Menschen beginnen zu lassen mit der Hervorbringung und bewußten Verwendung des Feuers. Der erste willkürlich erzeugte Feuerfunke entspricht dem ersten geistigen Funken in der Seele des Menschen. Das p'euer wird definiert als „l-Vucht der Arbeit". N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 93 Die häufigste Form der Hervorbringung desselben besteht in dem Bohren eines harten Stockes in weichem Holze. Der Urmensch , dessen An- schauung den Dingen noch so nahe steht, wendet dies Abbild unbedenklich auf das Verhältnis der menschlichen Geschlechter an. Die germanische Ursage läßt die ältesten Menschen aus zwei Bäumen hervorgehen, und zwar den männlichen Teil aus der härteren Esche, so daß wir hier den- selben Gegensatz vorfinden. Auch in ihrem Ver- halten zum Feuer selbst prägt sich die Spaltung der Geschlechter aus. Der Mann reibt das Feuer, die Frau ist die Hüterin des Herdes, dem Manne bleibt das Braten vorbehalten , der Frau das Kochen. Diese frühe Trennung der Geschlechter ist wesentlich, sie ist bei der weiteren Entwick- lung durchaus im Auge zu behalten. Wenn in Rom das lieiligc Feuer, das die Vestalinnen zu bewahren hatten, verlöscht war, durfte es nur vom Oberpriester wieder angezündet werden. Die Frau der Urzeit ist die Erfinderin des Topfes, dessen Grundlage der geflochtene Korb ist. Das Kochen im Topfe ist jedoch schon eine spätere Form. Die ältere Stufe kennt nur das Kochen in Gruben und Körben, mit Hilfe von glühenden Steinen, eine Form, die sich noch bei Natur- völkern findet, z. B. bei den Indianern Nordwest- Amerikas. Neben dem Gebrauch des Feuers gibt es noch eine andere, nicht minder wichtige Art der Zubereitung der Nahrung, ebenfalls mit Hilfe einer Grube: die Gährung. Hier wird nun die interessante Beobachtung gemacht, — sie ist zu- erst formuliert von der Schwester und tätigen Mitarbeiterin des Vortragenden — daß die Stofife, die die alte Menschheit zur hauptsächlichen und dauernden Nahrung verwendete, im Naturzustand ungenießbar, schädlich, ja geradezu giftig sind. Die Ureinwohner Südamerikas, die zum großen Teil von Maniok leben, stellen bei der Brot- bereitung daraus zugleich das stark wirkende Pfeilgift her. Ähnliche Verhältnisse lassen sich für die Nahrungsmittel eines großen Teiles der Menschheit nachweisen. Man denke an unsere Kartoffel, die zu den mehr oder weniger giftigen Solaneen gehört. Diese Vegetabilien müssen erst durch ein oft sehr umständliches \'erfahren ent- giftet und entbittert werden, ein Vorgang, dessen Kompliziertheit nicht nur auf eine lange Ent- wicklungsdauer schließen läßt, sondern auch ge- eignet ist, die Fabel von der „Einfachheit" der Nahrung in Urzeiten zu zerstören. Welche Er- fahrung der älteren Menschheit spricht schon aus der Tatsache, daß die Neuzeit nicht eine einzige neue Giftpflanze entdeckt hat ! Auch bei den durch Gärung hergestellten Getränken findet sich von vornherein die Scheidung der Geschlechter. Die Bereitung der berauschenden Getränke fällt den Frauen zu, der Genuß ist den Männern vorbehalten. Die alte Zeit kennt wohl eine Trennung der Geschlechter, keine Überordnung des einen über das andere. Die neuzeitliche Auffassung hatte, bevor ihr Prähistorie und Ethnologie richtigere Anschauungen vermittelte, die Ver- hältnisse des Mannes allein im Auge und ent- wickelte die Theorie der Jäger-, Hirten- und Ackerbauvölker. Diese Stufenfolge, schon in der Antike begründet, herrschte bis heute, sogar die immer wiederholten, scharfen Angriffe W i 1 h elm von Humboldt's überdauernd. Erst 1889 auf dem Naturforschertag in Halle ist es dem Vor- tragenden gelungen, diese Hypothese zu zerstören. Die Dreistufenlehre ist leider damit noch nicht ersetzt, ja noch nicht einmal abgetragen, da die vielfachen Schlußfolgerungen aus dem alten Schema, z. B. auf dem Rechtsgebiete noch fort- wuchern. Die Rechtsanschauung des Mannes, der sich selbst als den maßgebenden Teil in der Familie ansieht, ist hier noch in viel zu großem Umfange geltend, ja es ist möglich, daß die Rücksicht auf diese falsche Auffassung auf die entschieden ungünstige Stellung der Ethnographie unter den anderen Wissenschaften zurückgewirkt hat. In Wirklichkeit kann die Jagd durchaus nicht Jahrtausende lang als ausreichende wirtschaftliche Versorgungsmöglichkeit gegolten haben, wie es überhaupt undenkbar ist, daß sich auf eine solche Versorgung allein wirtschaftliche und kulturelle Verhältnisse gründen ließen. Die neuere Forschung stellt in Hinsicht auf die Nahrungsbeschaftung vor den Beginn aller Pflanzen und Haustierzüchtung die Stufe des Sammlers auf und schiebt die dauernde Ernährung, insbesondere des wichtigen Nach- wuchses des Stammes, ohne die an eine steigende Kultur nicht zu denken ist, im weitaus größtem Maße den Frauen zu. Die vom Manne ausgeübte Jagd war, wie auch heute noch, mehr Sport, als auf Ernährung des Stammes gerichtet. Daneben freilich nehmen auch entschieden ideale Be- strebungen des erwachenden Menschengeistes, die Rechtspflege, die Ausbildung des Rituals und der religiösen Anschauung, die Entwicklung der po- litischen Verhältnisse und so fort , die Tätigkeit der Männer in hohem Grade in Anspruch. Das Interesse der Frau konzentriert sich wesentlich auf Wirtschaft und häuslichen Herd. Es ist eigentlich wunderlich, daß die Vorge- schichte für den Menschen an der Vorstellung einer Jägerstufe bis in die neueste Zeit fest- gehalten hat, obgleich wir doch durch Darwin's entscheidende Schrift bereits von der Vorstellung des Menschen als eines besonderen Geschöpfes abgekommen waren. Wenn man aber den Menschen, wie das schon Linne getan hat, ins zoologische System einreihen will , so kann man ihn doch nur in der Nähe der pflanzenfressenden Affen unterbringen und nicht etwa bei irgend- . einer fleischfressenden Gruppe. Die Ursache dieses eigentümlichen Irrtums lag in einer Schule der griechischen Philosophie, die neben der von den Dichtern ja auch viel benutzten Hypothese des Sinkens der Menschheit von einer ursprüng- lich goldenen Zeit eine schnelle Entwicklung aus einem rohen Zustande annahm, wie man sich den 94 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 7 Jäger ohne Feuer und mit blutiger Nahrung dachte. Die Grundlage der neueren Auffassung hat Heinrich Schurtz in seinem Buche „Alters- klassen und Männerbünde" gelegt. Hier ist auch auseinandergesetzt, wie die Männer sich durch ihre Fähigkeit zur Organisation dauernd die Oberhand in allen rechtlichen, politischen und idealen Dingen sicherten. Die Rechtsstufe der Frau ist weniger entwickelt worden, und die Ethnologie muß es als sehr zweifelhaft ansehen, ob durch eine schematische Gleichstellung beider Geschlechter in diesen Beziehungen, unter so schwierigen Verhältnissen eine richtige Lösung gegeben werde. Der Vortragende vertritt die Ansicht, daß eine rechiliche Verstärkung der Pflichten der Männer eine bessere Grundlage eines Ausgleichs der Rechte beider Geschlechter bilden würde. Karl Soll. Einzelberichte. Zoologie. Der Einfluß der Nahrung auf das Geschlecht bei Rotatorien. Bereits des öfteren war an dieser Stelle von den zahlreichen und um- fassenden Experimenten der beiden amerikanischen Forscher Whitney und ShulP) die Rede, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Faktoren zu ergründen, welche den Ablauf des Generations- zyklus bei Rotatorien, speziell bei Hydatina senta, bedingen. Die zuletzt hier besprochenen Unter- suchungen Whitney 's-) hatten diesen zu dem Resultat geführt, daß die Zusammensetzung der Nahrung von wesentlichem Einfluß auf das Geschlecht der Nachkommen eines Hydatina- Weibcheijs ist. Fütterte Whitney die Tiere mit einem farblosen Flagellaten, Polytoma, so wurden ausschließlich oder doch fast ausschließlich Weibchenerzeuger gebildet, fütterte er hingegen mit Chlamydomonas, einem grünen Flagellaten, so traten gleich auch Männchenerzeuger auf, und zwar ein ziemlich hoher Prozentsatz, bis zu 88 "/g. Inzwischen haben die beiden Autoren weitere Arbeiten veröffentlicht. Die Resultate der neuesten Untersuchungen ShuU's^) stehen in einem gewissen Gegensatz zu den Ergebnissen Whitney' s. ShuU bestreitet zwar nicht die von ihm in früheren Untersuchungen selbst festgestellte Beeinflußbarkeit des Lebens- zyklus von Hydatina durch äußere Faktoren; daß z. B. qualitative Differenzen in der Ernährung die Produktion von Männchenerzeugern beeinflussen, hält er nach den oben erwähnten Untersuchungen Whitney 's ebenfalls für erwiesen. Äußere Faktoren sind aber seiner Ansicht nach nicht allein maßgebend, auch innere Faktoren spielen beim Ablauf des Lebenszyklus eine wichtige Rolle. Shull glaubt eine Periodizität in der Entstehung der Männchenerzeuger entdeckt zu haben, die sich nicht auf äußere Faktoren zurückführen läßt. ') Siehe insbesondere H. Naclils h eim , E.\perimencellc Untersuchungen über den Generationszyklus der Rotatorien. Naturw. Wochenschr., N. F., 12. Bd., 1913. «) Whitney, D. D., Der Einfluß der Nahrung auf das Geschlechtsverhältnis von Hydatina senta. Naturw. Wochenschr., N. F., 14. Bd., 1915. ') Shull, A. F., l'eriodicity in the productioii of malcs iu Hydatina senta. Biol. Bull., Vol. 28, 1915. Bei gleichmäßiger Ernährung traten in mehreren Linien von Hydatina in ganz bestimmten Abständen Männchenerzeuger in größerer Zahl auf. Was Shull besonders veranlaßte, diese Periodizität inneren Ursachen zuzuschreiben, war die Tat- sache, daß die Zwischenräume zwischen zwei Perioden in einer Linie im großen und ganzen alle gleich waren, bei den drei untersuchten Linien aber im Vergleich miteinander verschieden groß. So traten in der ersten Linie — sie ent.stammte der Kreuzung einer englischen Rasse mit einer Rasse aus Nebraska (Nordamerika) — jeden Monat Männchenerzeuger auf, in der zweiten Linie, die englischen Ursprungs war, erschienen sie ungefähr alle zwei Monate. In der dritten Linie endlich, die aus Nebraska war, trennten Zwischenräume von drei bis fünf Monaten die Perioden männlicher Produktion; in dieser Linie nahmen die Zwischen- räume mit dem Alter der Linie langsam zu. Die weiteren Experimente Whitney's^) lassen es indesen fraglich erscheinen, ob die Schlüsse, die Shull aus seinen Beobachtungen gezogen hat, berechtigt sind. Wh it ney züchtete eine Linie 288 Generationen 22 Monate lang, indem er sie fortgesetzt mit Polytoma, dem farb- losen Flagellaten, fütterte. Die Folge war, daß nur Weibchenerzeuger entstanden, nicht ein Männchenerzeuger trat während dieser nahezu zwei Jahre währenden Beobachtungszeit auf. In anderen Linien erschienen zwar einige Männchen- erzeuger, aber in verschwindend geringer Zahl. So traten in einer zweiten Linie, die 14 Monate lang 181 Generationen gezüchtet wurde, 8 Männchenerzeuger — im Vergleich zu 1731 Weibchenerzeugern — auf, insgesamt weniger als I "/(,. Eine dritte Linie produzierte in 22 Monaten 92 Männchenerzeuger, d. h. nahezu 4"/'o- Von einem periodischen Auftreten von Männchen- erzeugern, unabhängig von äußeren Bedingungen, kann aber auch bei diesen Linien, geschweige denn bei der ersten, nicht die Rede sein. Um dem Einwände zu begegnen, es sei diese 1) Whitney, D. D., The production of males and females controlled by food conditions in the Knglish Hydatinu senta. Biol. Bull., Vol. 29, 1915. N. F. XVI. Nr. ; Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 95 Regulierung des Geschlechtsverhältnisscs bei H)- datina durch die Art der Ernährung eine Eigen- tümlichkeit der von ihm verwandten amerika- nischen Rasse, unterwarf Whitney eine englische Rasse den gleichen Versuchsbedingungen. Der Erfolg war der gleiche: bei Polytoma Fütterung keine Männchenerzeuger (das Experiment wurde 2 Monate fortgesetzt, in dieser Zeit wurden 20 Gene- rationen gezüchtet), bei Chlamydomonas-Füiterung Mäniichenerzeuger in großer Zahl (bis zu 85 %). Das Ergebnis ist um so interessanter, als die von Whitney verwandten Tiere den gleichen Ursprung hatten wie Shull's „englische Linie'', in der er alle zwei Monate eine Periode männlicher Pro- duktion beobachtet zu haben glaubte. Whitney ') dehnte sodann seine Experimente auch auf andere Rotatorienspezies aus. Brachionus pala, Diaschiza sterea, Diglena cateliina, Pedalion mirum wurden zu den folgenden Experimenten benutzt. Außerdem wurde auch die Zusammen- setzung der Nährtlüssigkeit variiert, indem statt Chlamydomonas Chlorogonium oder verschiedene andere grüne Flagellaten genommen wurden. Bei allen Formen war die Wirkung des P'utters im wesentlichen die gleiche wie bei Hydatina: die grünen Flagellaten bewirkten die Entstehung zahl- reicher Männchenerzeuger. Es galt nunmehr festzustellen, welches die Ursache der verschiedenen Wirkungsweise der farblosen und der grünen Flagellaten auf das Geschlechtsverhältnis der Rotatorien ist. Polytoma ist farblos, d. h. diesem Flagellaten fehlt das Chlorophyll, es ist also auch nicht befähigt. Stärke und andere Kohlehydrate (Zucker) zu bilden. Die Fütterung mit Polytoma ist somit eine mangel- hafte Ernährung im Vergleich zur Chlamydomonas- Fütterung. Und daß in der Tat die Quantität der Nahrung von ausschlaggebender Bedeutung ist, zeigt sich, wenn man die Rotaiorien nur ganz spärlich mit Chlamydomonas füttert. Spärliche Fütterung mit Chlamydomonas führt zu den gleichen Resultaten wie Polytoma-Fütterung: die Männchenerzeuger verschwinden. Man war bisher geneigt, für den Ablauf des Generationszyklus bei Hydatina senta äußere und innere Faktoren verantwortlich zu machen. Nach den neuesten Untersuchungen Whitney 's sind aber Qualität und Quantität der Nahrung, d. h. äußere Fakturen, bestimmend für das Gescnlechts- verhälinis bei Hydatina. Damit ist nicht gesagt, daß in der freien Natur nicht auch noch andere Faktoren wirksam sind oder sein können. Immer- hin scheinen innere, im Organismus selbst ge- legene Faktoren gegenüber den Wirkungen der Umwelt stark zurückzutreten. Und das gilt nicht nur für Hydatina. Die älteren Experimente — von Maupas, Nußbaum, Punneit, Whitney und Shull — waren alle an diesem Rotator aus- geführt worden, und man hatte der Vermutung ') Whitney, D. D., The control of se.x by food in five species of Rotifers. Journ. exper. Zool., Vol. 20, 1916. Ausdruck gegeben, Hydatina nehme in ihrem sexuellen Verhaken eine Ausnahmestellung ein, sie reagiere mehr auf Änderungen ihrer Umwelt als die in einem ganz regelmäßigen Zyklus sich fortpflanzenden Planktonrotatorien, bei denen, so nahm man an, der Ablauf des Zyklus fast oder ganz ausschließlich durch innere P'aktoren geregelt wird. Das ist nun aber offenbar nicht der P"all. Die in der freierf Natur monozyklischen Formen Brachionus und Pedalion z. B. reagierten im Ex- periment ganz ähnlich wie Hydatina. Es erscheint somit zweifelhaft, ob bei den heterogonen Räder- tieren überhaupt ein „erblicher Rhythmus" als Ursache der Sexualitätsänderung besieht, wie das bei den Aphiden und — bis zu einem gewissen Grade — auch bei den Cladoceren der Fall ist. Nachtsheim. Über die Verteilung des Fettes bei einigen Fischen hat A. heligo einige Unter- suchungen angestellt (Mitteilungen des westpreuß. F"ischerei- Vereins in Danzig 191O, Hydrobiologtsche Untersuchungen VI). Fettgewebe tritt bei Fischen überall dort auf, wo Bindegewebe vorkommt, zwischen den Muskeln, der Haut, in den Knochen, „namentlich aber im Füllgewebe der Körperhöhlen, der Bauchhöhle, der Hirnhöhle, der Augenhöhlen". Die Aufspeicherung des Fettes findet statt in den Zeiten der intensiven Nahrungsaufnahme, d. h. während der warmen Jahreszeit, in der vorwiegend der Fisch frißt, während im Winter von vielen Fischen wenig Nahrung oder überhaupt keine aufgenommen wird. So kommt es, daß der Fett- gehalt der Fische gegen den Herbst zu größer wird. Auch sind gewöhnlich ältere Fische fett- reicher als jüngere. Zu den Arten, die besonders viel Fett im Muskelgewebe enthalten, gehören der Aal und der Lachs. Infolge des überwiegenden Oleingehaltes der F'ette bei den Wassertieren sind diese in der Regel flüssig und als Tran bekannt (Lebertran aus der Leber der Dorsche). Eine Aufstellung über die Zusammensetzung des Pleisches verschiedener Fischarten stammt von P. Brofeldt, aus der hervorgeht, daß der Eiweiß- gehalt, der Aschengehalt und im allgemeinen auch der Wassergehalt des Fischfleisches nur wenig schwankt. Anders verhält es sich mit dem Fett- gehalt. Er beträgt z. B. beim Lachs 12''/d, während er beim Dorsch nur 0,25 "/g des frischen Plschfleisches ausmacht, bei den übrigen unter- suchten Arten schwankt er zwischen 0,37 und 4,06 "/q. Im übrigen ist der Fettgehalt nicht nur von der Art abhängig, sondern auch bei der gleichen Art von der Jahreszeit, dem Lebensalter, den ein- zelnen Individuen. Untersuchungen hierüber hat .Lichtenfeit bereits früher veröffentlicht, die sich auf Seefische erstrecken. S e 1 i g o hat nun „die Verbreitung des Fettes in den einzelnen Körperteilen des Fisches" zum Gegenstand seiner Untersuchung gemacht. Nach der üblichen Technik bestimmte er die ätherlöslichen Stoffe 96 Natuiwissenschaftliclic Woclicnschriil. N. F. XVI. Nr. in den einzelnen Organen und Körperteilen. Da außer Fett sonstige ätherlösliche Stoffe bei den Fischen im Körper nur in geringem Maße vor- kommen, so sieht S. die Menge der ätherlö-lichen Stoffe als die Fettmenge an. Die Fettmenge (und auch die Wassermenge) wird in Tausendsteln der angewandten Organmenge angegeben. Die Untersuchungen beziehen sich auf mehrere Indi- viduen der betreffenden Fischarten, die aus ver- schiedenen Gewässern stammten und zu ver- schiedenen Jahreszeiten untersucht wurden. Seligo kommt zu folgenden Schlüssen: Bei normalen Fischen ist die Schädelhöhle stets reich an Fett, während bei kranken oder hungernden Tieren hier eine Abnahme eintiitt. Bei großen Brassen, Zehrten, Meerforellen, Regenbogenforellen, Schnepel (im Sommer), Flunder (im Sommer), Perzel, Aal und Neunauge wird Fett im Fleisch abgelagert, beim Aal jedoch im Alter in höherem Maße als in der Jugend. Ähnlich verhält es sich mit dem Lachs. „Im allgemeinen nimmt der Fettgehalt des Fleisches mit dem Alter sowie mit dem Vorschreiten der warmen Jahreszeit zu." Es wird darauf hingewiesen, daß sich z. B. bei der Plötze erst bei Exemplaren von i Pfund Gewicht größere Fettablagerungen bilden, was den Autor veranlaßt anzunehmen, daß dieser Frisch bei uns zu klein fortgefangen wird. Zu den fettreichen Körperteilen gehören noch die Knochen, bei den meisten Fischarten auch die Leber in hervor- ragendem Maße. Die Anhäufung von Fett in dem den Darmkanal umgebenden Bindegewebe ist bei einigen Arten bedeutend, bei anderen, z. B. dem Barsch, der F'lunder und denjenigen Fischen, die viel Fett im Fleisch enthalten, gering. Die Niere und die Geschlechtsorgane sind an und für sich fettarm, jedoch von Fettgewebe oberflächlich bedeckt. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß in feitknapper Zeit die Eingeweide der Fische bei der Zubereitung, soweit sie fettreich sind, vor allem die Leber nicht fortgeworfen werden, sondern nach Entfernung der Galle und des Darmes mit- verarbeitet werden sollen. Willer. Meteorologie. An den Vorgängen der Ab- sorption und Emission des Lichtes in der Atmo- sphäre" beteiligen sich außer den einfachen Gas- molekeln Molekelbaufen, Wasserteilchen in fester und flüssiger' Form , Staub mannigfachster Art und gelegentlich Schwärme kleinster Lebewesen; dies alles'läßt sich unter dem Namen „Luftplankton" zusammenfassen. Das von ihm diffus ausgestrahlte Licht ist bisher meist nur für die gesamte Er- streckung der Atmosphäre gemessen worden. L. Weber konnte durch eine kleine Abänderung des von ihm angegebenen Relativphotometers die Albedo des Lufiplanktons schon an Schichten von wenigen Metern Dicke messen (Ann. d. Phys. 51, 427, 1916). Im verfinsterten Zimmer wird ein eindringender Lichtstrahl dadurch sichtbar, daß die diffus reflektierenden Planktonteilchen sich vom dunklen Hintergrund abheben. Nach diesem Prinzip vergleicht Verf. die Helligkeit einer Luft- schicht, hinter der ein physikalisch schwarzer Körper aufgestellt ist, mit der Stärke des die Schicht beleuchtenden Tageslichts. Da die Hellig- keit offenbar von der Beobachtungsrichtung ab- hängig ist, muß für die Albedo zunächst eine praktisch brauchbare Definition gegeben werden. Es wird unter der Albedo eines inhomogen re- flektierenden ebenen Schirmes das mit tt multipli- zierte Verhältnis der Helligkeit in der Beobachtungs- richtung zur ebenen Beleuchtungsstärke verstanden. Diese Festsetzung wird zunächst erweitert auf ein homogenes Kügelchen und dann auf eine mit solchen Kügelchen erfüllte Raumeinheit. So wird die Haufen- oder Planktonalbedo definiert als der 4.T-fache Wert der Helligkeit, in welcher der Einheitswürfel des mit Plankton erfüllten Raumes dem Beobachter erscheint, dividiert durch die räumliche Beleuchtungsstärke am Orte des Planktons. Die Albedo ist am größten, wenn die Be- obachtungsrichtung der Sonne entgegen gerichtet ist. Daher wurde zur Untersuchung im allgemeinen eine seitlich beleuchtete Luftschicht gewählt. Auf kurze Entfernungen zeigt sich große Unregel- mäßigkeit in der Verteilung des Planktons, so daß zur Erlangung brauchbarer Werte die Messungen an Schichten von mehreren Metern Dicke vor- genommen werden müssen. Unter der Annahme der Proportionalität zwischen Helligkeit und Schichtdicke ist die Albedo gleich dem halben reziproken Wert der Entfernung, bei der die Helligkeit gleich der des Himmels ist, d. h. der Sichtweite. In der Tat liegt diese jedoch zwischen dem einfachen und doppelten des so gefundenen Wertes, da bei größeren Entfernungen die Ab- sorption schon eine merkliche Rolle spielt. Immerhin dürfte die Fortführung der Unter- suchungen wertvolle Ergebnisse über die Ver- änderlichkeit der Sichtigkeit der Luft geben, die besonders für die See- und Luftschiffahrt von Bedeutung sind. Scholich. Inhalt) F. Werner, Scheinwaffen im Tierreiche. (2 Abb.) S. 89. — Kleinere Mitteilungen: Eduard Hahn, Zur Ge- schichte der Ernährung. S. 92. — Einzelberichte: Whitney und Shull, Der Einfluß der Nahrung auf das Geschlecht bei Rolatorien. S. 94. A. Seligo, Die Verteilung des Fettes bei einigen Fischen. S. 95. L. Weber, Die Albedo des Luftplanktons. S. 96. Manuskripti und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, InvalidenstraSe 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G.m.b.H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Folge 16. B; «„ Reihe 32 Sonntag, den 25. Februar 1917. Nummer 8. [Nachdiuck verböte Sammelbcricht, Angewandte Botanik. ert von Dr. K. Müller, Augustcnberg Karlsruhe (Bade Trotz der Vielseitigkeit und praktischen Be- deutung der angewandten Botanik für das tägliche Leben wurde sie bisher häufig nicht in der ge- bührenden Weise beachtet. Krst der jetzige Krieg, der ja manche eingefleischte, veraltete Anschau- ung in kürzester Zeit überholte, wird vielleicht auch der angewandten Botanik mehr Anerkennung verschaffen, denn in vielseitiger Weise hat sie an der schweren Aufgabe des Durchhaltens mitgearbeitet. Es war ein nützlicher Gedanke, daß die Ver- einigung für angewandte Botanik trotz des Krieges sich entschloß, vom 25. — 28. September in Frank- furt a. M. eine Versammlung abzuhalten, um durch eine größere Anzahl von Vorträgen aus dem Ge- biete der Kriegsbotanik, auch dem Fernerstehenden wenigstens einen Teil der Arbeiten vorzuführen, die im Zusammenhang mit den durch den Krieg aufgetauchten Fragen stehen. Die dort gehaltenen Vorträge werden im Jahresbericht der Vereinigung für angewandte Bo- tanik für 1916 (Verlag Gebr. Bornträger-Berlin) zum Abdruck kommen. Sie bieten aber auch für einen größeren Leserkreis soviel Interessantes, daß sie auch hier kurz besprochen werden sollen. Die Referate sind größtenteils von dem Herrn Vortragenden selbst verfaßt und mir zur gemein- samen Veröffentlichung zugesandt worden. Prof. Lehmann -Tübingen sprach über den Biologen (Botaniker und Zoologen) im Kriege. Ausgehend von der allgemein geläufigen An- schauung, welche im Botaniker den Pflanzen- sammler sieht, wird dargestellt, wie diese An- schauung heute durchaus nicht mehr zurecht be- steht. Die Biologen beschäftigen sich mit den Lebensvorgängen der großen und kleinen Lebe- wesen. Ihr besonderes Arbeitsgebiet ist die mikro- skopische Forschung. So werden auch in diesem Kriege schon zahlreiche Biologen zur Untersuchung der krankheitserregenden Bakterien und Protozoen (Malaria usw.) herangezogen werden, deren Kennt- nis z. T. auf die Biologen zurückgeht. (Man denke an den Zoologen Schaudinn, den Entdecker der Syphilisspirochäte 1) Über Stickstoffversorgung in der K r i e g s z e i t berichtet Prof. Dr. A 1 f r e d K o c h - Göttingen. Möglichst hohe Ernten an Pflanzen- stoffen sind jetzt im Kriege nötig, um die fehlende Einfuhr an pflanzlichen Nahrungsmitteln für Mensch und Tier zu ersetzen. Die hierzu nötige Acker- fläche wird noch dazu dadurch beschränkt, daß ein Teil des Ackers fehlende, sonst aus dem Aus- land eingeführte Industrierohstoffe hervorbringen muß. Nur von ausgiebig, besonders mit Stick- stoff ernährten Pflanzen sind aber reiche Ernten zu erwarten. Jeder fehlende Zentner Stickstoff- dünger drückt die Getreideernte um 3 — 4 Ztr., die Kartoffelernte um 24 Ztr. und die Ernte an Zuckerrüben um 30 Ztr. Stickstoffdüngung ist im Kriege nun aber er- schwert durch die ausbleibende Chilisalpeterein- fuhr, die für Deutschlands Landwirtschaft etwa 5 Millionen dz jährlich vor dem Kriege betrug. Allerdings hat unsere heimische Luftstickstoff- industrie, die Kalkstickstoft' oder Ammoniak aus dem Stickstoff der Luft macht, während des Krieges ihre Leistungsfähigkeit großartig gesteigert. Dafür aber tritt als Konkurrent der Landwirtschaft im Kampfe um den Stickstoft' die Munitionserzeugung auf den Plan. Denn alle unsere Sprengstoffe sind stickstoffhaltige Verbindungen. Aus diesem Grunde haben wir in der Landwirtschaft trotz aller Ver- größerung der Luftstickstoffabriken immer noch mit Siickstoffmangel zu kämpfen und wir müssen daher mit dem verfügbaren Stickstoff haushälterisch umgehen und ihn möglichst ausnutzen. Schwierigkeiten in dieser Hinsicht bietet der Kalkstickstoff, das eine der uns verfügbaren Luft- stickstofipräparate. Um Verfahren zu finden, die ihm die lästige Neigung zum Stäuben beim Aus- streuen nehmen , sind Preisausschreiben erlassen. Zu beachten ist auch die Giftwirkung der aus dem Kalkstickstoff entstehenden Verbindungen Cyanamid und Dic\andiamid auf Pflanzen und Bodenbakterien. Deshalb wird empfohlen, Kalkstickstoff zu Wintergetreide nur während der Winterruhe bis Mitte Februar anzuwenden. Muß man, wie in diesem Jahre, den Kalkslickstoff als Kopfdünger auf wachsende Pflanzen z. B. Rüben verwenden, so ist eine schwere Schädigung der Pflanzen unvermeidlich, die nachher freilich in freudiges Wachstum umschlägt. Die Umsetzung des Kalkstickstoffes in Ammoniak durch Bakterien und die anschließende Nitratbildung geht natürlich in bakterienarmen, untätigen Böden, z. B. Moorböden, nur langsam vor sich, andererseits aber auch bei zu starker Kalkstickstoftgabe, wegen der dann eintretenden Giftwirkung auf die Bakterien, wie Wagner darlegte. Nach eigenen Versuchen zeigt der Vortragende, wie auch die Dicyandiamid- bildung im lagernden Kalkstickstoff die Nitrat- bildung wegen der Giftwirkung des Dicyandiamids hemmt. Die Versuchsstationen sollten daher die Kalkstickstoffe des Handels immer auf Dicyan- diamid und nicht nur, wie jetzt üblich, auf Ge- samtstickstoffgehalt prüfen. Man sollte aus Kalk- stickstoff Ammoniak oder nach Kappen 's Ver- suchen Harnstoff mit Hilfe von Mangan als Kata- lysator in viel größerem Umfange machen. Fa- brikatorisch ist dies sehr gut möglich. Die nötige Sparsamkeit mit Kalkstickstoff- 98 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 8 düiigern zwingt andererseits zur Vermeidung von Stickbtoffverlusten. Manche Vorgänge dieser Art können wir nicht verhindern. So können wir die Auswaschung des im Beden entstehenden .'~'alpeters durch Regen nicht hemmen, ein Vorgang, der z. B. der Ackerkrume eines Morgens Lehmboden in Göttingen mindestens 4 Ztr. Salpeter jährlich entzieht. Große Stickstofifverluste drohen dadurch, daß Mensch und Tier den Hauptteil des aufgenommenen Nahrungsstickstofts im Harn wieder ausscheiden und von den betreffenden Verbindungen nur einen stickstoffreien Teil als Energiematerial verwenden. So scheiden die Menschen auf der Erde im Tag 17 Millionen kg Stickstoff = i Million dz Chili- salpeter im Harn aus und von der stickstoft"- haltigen Nahrung unserer Nutztiere wandern 80 "'0 in den Dünger. Deshalb geht der Stickstoff, den die Landwirt- schaft zur menschlichen Nahrung in die Städte liefert, zum weitaus größten Teil verloren, wenn man die Aborte an die Kanalisation anschließt, abgesehen von den wenigen Fällen, wo Riesel- felder möglich sind. Gegen diese Verluste wird kaum etwas zu machen sein. Die Stickstoffver- luste aus den tierischen Ausscheidungen dagegen hat man seit Jahrzehnten zu vermindern gesucht, aber ohne großen Erfolg. Soxhlet halte frei- lich schon längst den wichtigen Weg zur Stall- düngerkonservierung gewiesen, der in einer Trennung der flüssigen und festen Ausscheidungen liegt. Aber erst der Zwang der Kriegsnot hat zu großen F'ortschritten aut diesem Wege ver- helfen. Mit Hilfe des Landeskulturrates und des Kriegshilfeauschusses in Sachsen haben Andrä und Vogel gezeigt, daß es praktisch sehr wohl durchführbar ist, den Jauchestickstoff vor Ver- lusten zu schützen, wenn man die Jauche nur sorgsam vor Berührung mit der Luft schützt, weil sonst das aus dem Harnstoff entstehende kohlen- saure Ammoniak leicht in die Luft entweicht. Die Erfahrungen des mecklenburgischen Land- wirtes Ort mann wurden dabei benutzt. Es ist dabei nicht nur nötig, die Jauche beim Einlaufen in die Jauchegrube und beim Aufbewahren in derselben vor Luftzutritt zu schützen, sondern auch nach dem Ausfahren auf den Acker. Die Jauche muß in den Boden eingedrillt oder sofort unter- gepflügt werden. Der Wert des auf solche Weise zu sparenden Stickstoffs der Jauche ist gleich der Summe, welche Deutschlands Landwirtschaft vor dem Kriege für Chilisalpeter ausgab. So ist also durch diese Arbeiten ein neuer gangbarer Weg gezeigt, um uns von der Einfuhr an Stickstoffdüngemitteln dauernd unabhängig zu machen. Hoffentlich benutzen nun auch unsere Landwirte diesen Weg. Dem Stickstoffmangel können wir auch durch Erschließung verfügbarer Reserven abhelfen. So können wir durch Ätz- kalkdüngung den Bodenstickstoff mobilisieren und den Pflanzen in erhöhtem Maße zugänglicher machen. So fand Vortragender in schwerem Muschelkalkboden ohne Atzkalkdüngung 2, mit Atzkalk 1 1 Ztr. Salpeter pro Morgen Ackerkrume, deii aus dem durch Ätzkalk aufgeschlossenem Bodenstickstoff entstand. Ätzkalk wirkt daher in solchem Boden wie Mist auf die Ernte. Durch Leguminosengründüngung können wir bekanntlich dem Boden Luftstickstoff zuführen. Ratsam ist, Gründüngung immer möglichst spät unterzupflügen, weil sonst infolge der schnellen und massenhaften Salpeterbildung aus der Grün- dungungsmasse große Stickstoffmengen in den Untergrund gewaschen werden. Impfungen mit angepaßten Bakterien haben besonders auf Moor und Neuland Erfolg, im übrigen nur bei Pflanzen, denen der betreffende Boden nicht zusagt. Die Ausnutzung des verfügbaren Stickstoffs können wir durch Verbesserung der physikalischen Boden- beschaffenheit steigern, weil dann die Pflanzen weniger Assimilationsprodukte zur Arbeitsleistung beim Vortreiben der Wurzeln im Boden braucht. Gutes Pflügen und Einschaltung blätterreicher, schattender Pflanzen in die Fruchifolge dient diesem Zwecke und ist daher in jetziger Zeit wohl zu beachten. Auf Sandboden kann man nach Versuchen des Vortragenden durch Tonzusatz das Gleiten der Wurzeln im Boden erleichtern und aus diesem und anderen Gründen die Ernte bei Weizen und Roggen auf das Dreifache, bei Hafer auf das Vier- zehnfach steigen. Gerlach erhielt bei Feldver- suchen nach diesem Prinzip in 5 Jahren 80 "^ Ernte mehr durch Tonzusatz. Solche Maßnahmen erhöhen die Düngeraus- nutzung. Von gleicher Düngerinenge wurde in den erwähnten Versuchen des Vortragenden in Sand mit Tonzusatz bei Weizen die doppelte, bei Hafer die achtfache Stickstofifmenge aufgenommen im Vergleiche zu Sand ohne Ton. So kann man den Stickstoftverlust durch Auswaschung vorbeugen und gleichzeitig viel höhere Ernten erzielen. Warum haben wir aber trotz jahrelangem Stick- stoffmangel dieses Jahr doch eine Mittelernte er- zielt? Hat der Boden, statt zu verarmen, seinen SiickstofTvorrat durch Bakterien vielleicht aus der Luft ergänzt, trotzdem dies von gegnerischer Seite oft und heftig bestritten wird? Daß bei Zusatz von Energiematerial (Zucker, Zellulose) für die stickstoffbindenden Bakterien der Boden sich über- reich mit Luftstickstoff anreichert, hat Vortragender bewiesen und Hofer hat dies bei Fischteich- düngungen neuerdings in die Praxis umgesetzt. Aber auch ohne Zusatz von Energiematerial zum Boden spielen sich ähnliche Vorgänge der Stickstoffbindung im Boden wenn auch langsam ab. Vortragender hat durch zehnjährige Gefäßversuche, die im Fruchtwechsel bepflanzt waren, 17 mg Stick- stoff aus 100 g Boden geerntet. Und doch hatte der Stickstoffgehalt des Bodens nicht abgenommen. Daraus darf nun aber nicht gefolgert werden, daß jede Stickstoffdüngung zwecklos wäre. Wenn das Wetter günstig ist und man den Boden vor- züglich bearbeiten kann, macht man auf besserem Boden auch ohne Düngung reiche Ernten. Ist aber die Witterung ungünstig und die Bearbeitung schlecht N. R XVI. Nr. S Naturwissenscliafiliche Wochenschrift. 99 i^elungeii, su trill die Düngung ausgleichend ein und liefert so im Durchschnitt Mittelernten. Prof. B u c h w a 1 d - Berlin sprach über Kriegs- müllerei und -bäckerei. Die Kriegsverord- nungen, welche für das Ausreichen der vorhan- denen Brotgetreide Sorge tragen, erstrecken sich auf die Bewirtschaftung des Getreides und auf die Streckung der Vorräte. Bezüglich der Brotgetreide wurde zunächst ein Verfütterungsverbot erlassen für mahlfähigen Roggen und Weizen. In Praxis bedeutet dieses Verbot ganz allgemein das Verfüttern von Brot- getreide, da jedes Brotgetreide mahlfähig ist, vorausgesetzt, daß es nicht etwa durch Verderben zur menschlichen Nahrung ungeeignet geworden ist. Eine sehr schwierige Aufgabe lag in der Ge- sunderhaltung des inländischen Brotgetreides auf lange Zeit hindurch bis zur neuen Ernte. Die Verantwortung für die Gesunderhaltung hatten die Mühlen zu tragen, die außerordentlich große Mengen Getreide jeder Beschaffenheit, trockenes sowie klammes und feuchtes, aufnehmen mußten. Es hat sich aber gezeigt, daß das inländische Ge- treide gesund erhalten werden kann, wenn mit der Bearbeitung während der kühlen Winterzeit schon frühzeitig begonnen und nicht erst gewartet wird, bis im Frühjahr bei warmer Witterung das Getreide durch Schimmel zu verderben beginnt. Getreide mit i8 "„ Feuchtigkeit und mehr müssen künstlich getrocknet werden. Die Getreide zwischen i6 und l8"„ müssen durch einfache Bearbeitung während der kühlen Zeit allmählich auf einen Feuchtigkeitsgehalt von lö",, gebracht werden. Die Notwendigkeit, den Feuchtigkeitsgrad des Ge- treides ständig zu kontrollieren, hat zur Schaffung einer Schnellwasserbestimmungsmethode der Ver- suchsanstalt für Getreideverarbeitung nach Dr. F'or- net geführt, mittels deren innerhalb lO Minuten der Feuchtigkeitsgehalt mit für die Praxis ge- nügender Genauigkeit ermittelt werden kann. Die vielen Entmuft'ungsverfahren, welche empfohlen wurden, um verdorbenes Getreide gesund zu machen, sind wertlos. Ist der Zustand so, daß noch eine Rettung möglich ist, so genügt im allgemeinen TrocknenoderWaschen und Trocknen desGetreides. Um mit den Getreidevorräten auszureichen waren Bestimmungen über den Ausmahlungsgrad der Mehle getroft'en. Im Frieden wurde im all- gemeinen Roggen auf 68 69 " „ Mehl ausgemahlen, Weizen auf 78/79 "/„. Diese Ausbeute bildete aber keine einheitlichen Mehle. Die Mehlsorten waren fast in jeder Mühle anders. Es ist zu hoffen, daß zu diesen Verhältnissen eine Rückkehr nicht wieder stattfindet. Im Kriege mußte Roggen auf min- destens 82'% Mehl, Weizen auf mindestens 80",, ausgemahlen werden. Besondere Verhältnisse er- forderten dann, daß innerhalb gewisser Grenzen neben den durchgemahlenen Mehlen auch Auszugs- mehle, die etwa den ersten 7 — 8 Prozenten ent- sprachen, hergestellt wurden, ferner, daß auch Schrotmehle bis zu 93 '% der Ausmahlung erzeugt wurden. Die Mehlmenge, die so aus Weizen ge- zogen wurde, war, mit den Friedensverhältnissen verglichen, nicht oder nur unwesentlich größer, dagegen war beim Roggen der Unterschied von 68 09 auf 82 "n erheblicher. Roggenmehle letz- teren Ausmahlungsgrades sind auch die üblichen Kommißmehle, wie sie auch im Frieden hergestellt werden. Die Technik, welche die Mühlen zur Herstellung der Mehle anwendeten, war dieselbe wie in Friedenszeiten. Die hochgezogenen Kriegsmehle sind dem Ver- derben leichter ausgesetzt als die helleren Friedens- mehle. Sie werden leichter dumpf und muffig und besitzen öfters einen bitteren Geschmack. In Friedenszeiten würden fraglos solche Mehle als zur menschlichen Nahrung nicht geeignet bean- standet werden, jetzt im Kriege mußten aber un- bedingt auch solche Mehle zu Genußzwecken Ver- wendung finden. Tatsächliches Verderben von Mehl kam verhältnismäßig selten vor, die Ursachen waren Klumpigwerden verbunden mit starker Schimmelbildung und Mottengespinsten. Im zweiten Kriegsjahr war die Menge der zu beanstandenden Mehle erheblich geringer. Die größeren Erfahrungen in der Gesunderhaltung der Getreide, besonders die künstliche Trocknung dürften die Ursachen gewesen sein. Neben der Roggen- und Weizenmüllerei nahm die Vermahlung von Mais zu Gries und Mehl, und von Kartoffel- flocken zu Walzmehl großen Umfang an, ebenso wurden andere Produkte wie Stroh, Spelzen, zu Mehl fein vermählen. Die Herstellung von groben Graupen aus Gerste nahm bedeutenden Umfang an. Es wurde auch dahin gestrebt, das Fett, welches in den Keimen der Getreide sich findet, zu gewinnen. So wurde besonders der Keim aus dem Mais nach besonderen neuen Müllereiverfahren herausgebrochen und das Ol gepreßt bzw. extra- hiert. Auch die Gewinnung des Fettes aus Roggen und Weizenkeimen wurde in großem Maßstabe in die Wege geleitet. Zur Streckung der Mehlvorräte mußten schließ- lich in der Bäckerei dem Mehl Zusatzmehle zu- gemischt werden, abgesehen davon, daß je nach den vorhandenen Vorräten dem Weizenmehl Roggenmehl und dem Roggenmehl Weizenmehl zugemischt wurde. Als Zusatzstoffe kamen in FVage solche, bei deren Zusatz der Brotcharakter, Brotgeschmack im wesentlichen bewahrt wird, wie Kartoffeln und die daraus gewonnenen Pro- dukte: Kartoft'elstärkemehl, Kartoffelflocken, Kar- toffelwalzmehl, ferner Zucker und Melasse. Natür- lich sind auch alle mehlartigen Stoffe als Zusatz- mehle geeignet, sie standen jedoch im allgemeinen nicht in genügenden Mengen zur Verfügung, wie Gerste, Reis, Mais, Buchweizen, Tapiokamehl, Mandiokastärke, Hirse, Hafer. Zusatzstoffe, welche den Brotcharakter ungünstig beeinflussen, waren abzulehnen. Als solche kamen in Frage Blut, Torf, Soya, Lupinen, bitteres Kastanienmehl. Ebenso können als Streckungsmittel nährstoft'lose oder sehr nährstoffarme Stoffe nicht in Frage kommen, wie z. B. Holzmehl, Holzschliff, Strohmehl, Spelzspreumehl, wenn auch das eine oder andere dieser Produkte bäckereitechnisch sich wohl als Zusatz benutzen läßt. Naturwissenschaftliche Woclicnschrift. N. F. XVI. Nr. t^ Als die Brotmarken zur Kinführung kamen, wurden Verfahren angegeben , um aus Mehl- mischungen, besonders Kartoffelprodukten, die kein Brotgetreide (Roggen und Weizen) enthielten, genügend gelockerte, einwandfreie Gebäcke zu erzeugen. Schließlich wurden auch Gärverfahren gefunden, mit deren Hilfe die üblichen Hefe- mengen in der Weißbrotbäckerei sehr stark (95 %) herabgesetzt werden konnten, bzw. ganz ohne Preßhefe gebacken wird analog den Sauerteig- verfahren in der Schwarzbrotbäckerei. Die Ver- suchsanstalt für Getreideverarbeitung ist zurzeit bemüht, diese Verfahren in der Praxis einzuführen. Prof. Büsgen-Hann.-lMünden trug über die Nutzung des deutschen Waldes im Kriege vor. Der deutsche Wald, der über '/i des deutschen Bodens überzieht, ist in der Lage, aus bei der vorsichtigen Wirtschaft unserer Forstwirte ange- sammelten Vorräten, durch Wiederbelebung alter und Einführung neuer Nutzungen den durch Weg- fall unserer Einfuhr gegebenen Mangel an Holz, Futtermitteln und Rohstoffen für unsere Gewerbe zu einem nicht unbedeutenden Teile auszugleichen. Der dem Kriegsernährungsamt beigegebene Forst- mann findet ein weites Arbeitsfeld. Zur Streckung der Futtermittel kommen die Wald weiden wie Gräser, Seggan und Adlerfarn, nach der Me- thode von Ramann und Jena behandeltes Reisig, Waldfrüchte, Waldfeldbau und Zwischen- bau von Roggen und Buchweizen in den Schäl- wäldern in Betracht; ferner nach den Verfahren von Windesheim und ten Doonvkaat, Zdarek, Classen und Schwalbe chemisch aufgeschlossenes Holz, das auch zur Spiritus- gewinnung dient. Harz liefert beim Abkratzen der von Wild verursachten Schälwunden an Fichten, die Ausbeutung der Kiefernstöcke oder Stubben, die bei der Fällung im Boden bleiben und die Harzung stehender Kiefern während einiger Jahre vor der Fällung, worüber Forstmeister Kienitz in Chorin Versuche angestellt hat. Zur Streckung der beim Leimen des Papiers nötigen Harzvorräte stellt Heuser unter Benutzung des Buchenholz- theers einen Theerleim her. Zum Ersatz der amerikanischen Einfuhr von Gerbmitteln ist die Wiederbelebung und Fortbildung der alten Eichenschälwaldwirtschaft ins Auge gefaßt und die Nutzung der bisher vernachlässigten gerbstoff- reichen Fichtenrinde, des gerbstoffreichen Holzes der Edelkastanie, der Abfälle älterer Eichenstämme und der Weidenabfälle der Korbflechterei. Für die menschliche Ernährung könnte Zusatz von äußerst fein gemahlenem Holzmehl zum Brot oder besser chemisch in Zucker verwandelte Plolz- abfälle und geeignete Rinden Verwendung finden. Auf den kanarischen Inseln dienten früher der nährstoffreiche Grundstock des Adlerfarn zur Her- stellung einer Speise. Die Pilze können mehr als bisher zur Ernährung herangezogen werden, na- mentlich der Champignon, zu dessen Kultur Prof. Falck in Hann.-Münden Aussaatkulturen liefert, die bisher aus Frankreich bezogen wurden. Ö 1 liefern Buchein (427,1), Lindensamen (9 — 2o"/„) und in den Schälwäldern anzubauende Ölpflanzen. Nadelholzsamen enthalten über 2o"/(, Ül, das bis- her nicht gewonnen zu werden scheint. Prof. Zornig in Basel sprach dann über Arzneipflanzenkultur. Da wir alljährlich eine große Menge Arzneipflanzen aus dem Aus- lande beziehen, die jedoch ebensogut bei uns ge- baut werden könnten, wodurch viele Millionen im Inland blieben, wird angeregt mehr als bisher, unter Berücksichtigung einer sachgemäßen Kultur die Arzneipflanzen im Inland anzubauen. Nach einer eingehenden Schilderung der augenblicklich in den einzelnen Ländern angebauten Arznei- pflanzen und des Umfanges der Kultur, wird auf diese selbst eingegangen. Hierbei wird verlangt, daß die Züchter ebenso wie sie den Kulturpflanzen ihre Achtsamkeit schenken, das auch hinsichtlich der Arzneipflanzen tun müßten. Als bei uns am leichtesten anzubauende Pflanzen werden erwähnt : Althaea rosea, A. officinalis, Malva silvestris, Matricaria chamomilla, Cnicus benedictus, Melissa officinalis, Mentha peperita und M. crispa, Capsicum annuum, Salvia officinalis, Verbascum phlomoides oder V. Thapsus, Valeriana officinalis, Origanum vulgare, Chrysanthemum cinerariae- folium. Der Vortragende ist der Ansicht, daß sich der Anbau der Arzneipflanzen bei uns bei der Kultur im kleinen sicher lohnen wird und daß die angebauten Pflanzen den wildwachsenden an Wirksamkeit nicht nachstehen werden. Durch Lichtbilder wurden solche Kulturen noch erläutert. Prof. Dr. A. Voigt- Hamburg schilderte die Entwicklung der Ölpalmen- nutzung in Kamerun. Auf 2 Studienreisen 191 1 und 19 14 war es ihm möglich, recht wert- volles Vergleichsmaterial für die Beurteilung der Entwicklung zu gewinnen. Während 191 1 die Nordbahn eben ihrer Vollendung entgegenging und die Mittellandbahn kaum im Bau begriffen war, konnten 1914 die Gebiete des Innern mit Hilfe der beiden Bahnen bequem und regelmäßig erreicht werden. Der Reichtum der Kolonie an Ölpalmen konnte zwar 191 1 vermutet werden, er wurde aber durch die weitere Entwicklung der Bahnen zur vollen Gewißheit. In der kurzen Spanne von 3 Jahren sind nun an vielen Stellen durch Niederlegung des Busches große Ölpalmen- bestände freigelegt und andererseits an verschiede- nen Orten regelrechte Neupflanzungen von Öl- palmen angelegt worden. Zur besseren Ausnutzung der Rohstoffe wurde bereits 191 1 in günstiger Verkehrslage an Wasserstraßen und Eisenbahn ganz nahe von Duala eine große Fabrik gebaut, die sich außerdem in den 3 Jahren gute Verkehrs- wege in die umliegenden Ölpalmengebiete ge- schaffen hat. Mehrere größere Plantagen und Pflanzer haben sich ebenfalls Palmölaufbereitungs- anstalten zugelegt. Wenn Kamerun auch bisher nur einen geringen Prozentsatz der von der gesamten Westküste Afrikas ausgeführten Palmkerne und Palmöle lieferte, so berechtigten doch die reichen Bestände des Landes N. F. XVI. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. und die bedeutende Entwicklung, die Anbau und Nutzung gerade in den letzten Jahren gefunden haben, zu^der begründeten Hoffnung, daß diese Kolonie einmal einen der ersten Plätze unter den Ölpalmgebieten der Westküste Afrikas einnehmen wird, an deren Erzeugnissen Deutschland, was das Palmöl angeht, in erster Linie, und was die Palmkerne betrifft , fast ausschließlich inter- essiert war. Der Vortrag wurde durch vergleichende Licht- bilder aus den Jahren 191 1 und 1914 unterstützt. Prof. M u t h - Oppenheim a. R. sprach über die Gewinnung von Öl aus den Samen einheimischer Holzgewächse. Deutschland hatte vor dem Weltkriege einen Einfuhrüberschuß an Ölsaaten und Ölfrüchten von 1600000 t, die nach der Ausbeute der einzelnen Ölsaaten berechnet eine Ölausbeute von 570000 t ergaben. Das Inland lieferte 20 — 30000 t Öl, während die Ein- und Ausfuhrbilanz fertiger pflanz- licher Öle mit einem Ausfuhrüberschuß von 35000 t abschloß, so daß unser jährlicher Ölver- brauch vor dem Krieg etwa 560 000 t betrug. Die Einfuhr von Ölsaaten und von Ölen und Fetten ist seit Kriegsbeginn beinahe vollständig unterbunden. Wir sind also auf unsere inlän- dischen Produkte angewiesen. Dabei spielen die früher kaum beachteten ölhaltigen Samen unserer einheimischen Holzgewächse eine nicht unwesent- liche Rolle. Die wichtigsten sind die Rebenkerne mit durchschnittlich 8 — io°/„ Öl, die Steinobst- kerne mit durchschnittlich iS— 47''/(, Öl, die Wal- nüsse mit 50 — 60%, die Haselnüsse mit 40 — 50, die Bucheckern mit 20 — 25 ",„ Öl. Unter beson- deren Umständen kommen für die derzeitige Ölgewinnung noch in Betracht die Kerne der Kernobstfrüchte mit einem durchschnittlichen Ol- gehalt von 14 — 24 "/o. die Samen des Beerenobstes mit einem Ölgehalt von 10,50—15%,, die Samen der verschiedenen Lindenarten mit einem durch- schnittlichen Olgehalt von 22 — 28%, die Früchte des roten Holunders mit einem Ölgehalt der ge- trockneten Früchte von 23 — 24''/o. die F"rüchte der Ulmen mit 9 — 14"/,,, die Sarnen der Roß- kastanie mit durchschnittlich 2 •*/„ Ol, sowie die Samen der gemeinen Kiefer mit etwa 32 "/„, die Samen der Zirbelkiefer mit etwa 35 "/,, fettem Öl. Ein Teil der genannten Samen, wie die der Rebe, sind gesetztlich beschlagnahmt. Über die Menge des aus den Samen unserer Holzgewächse zu ge- winnenden Öles ließen sich Berechnungen nicht gut ausführen. F"ür die Rebenkerne hat man für das Jahr 1916 eine Ausbeute von looo Tonnen berechnet. Immerhin ließen sich bei möglichst weitgehender Ausnutzung der uns hier zur Ver- fügung stehenden ()lquellen Mengen erhalten, die zur Linderung der großen Öl- und P'ettnot in merkbarer Weise beitragen. An Enttäuschungen hat es natürlich auch bei der Gewinnung des Öles aus den Samen unserer Holzgewächse nicht gefehlt. Man hat sich bei den Kalkulationen teil- weise auf Literaturangaben verlassen, die sich nicht als zuverlässig erwiesen, obgleich man leicht durch Analysen von jederzeit durch unsere Samen- handlungen erreichbarem Rohmaterial eine einiger- maßen sichere Grundlage sich hätte verschaffen können. Die Enttäuschung ist besonders bei den Lindensamen sehr groß gewesen. Bei den Linden ist außer anderen den Ölgehalt beeinflussenden Faktoren der sehr stark schwankende Befruchtungs- grad zu berücksichtigen. Man kann bei manchen Bäumen oft sehr viel taube F"rüchte feststellen. Eine weitere Enttäuschung brachte häufig die An- wendung des Preßverfahrens bei wenig Öl- haltigen Samen, anstelle des heute hochentwickel- ten und anpassungsfähigen Extraktionsverfahrens. Letzteres verdient gerade bei dem größeren Teil des hier in F"rage kommenden Rohmaterials den Vorzug. Auf die möglichst vollständige Verwer- tung der Preßrückstände zu Futterzwecken ist der größte Wert zu legen, wobei eventuell besondere Entbitterungsverfahren, wie bei der Roßkastanie, oder Aufschlußverfahren zur Erhöhung der Ver- daulichkeit nötig sind. Hierauf hält Prof. Wehmer- Hannover einen Vortrag über Einige bislang ungenutzte vegetabi- lische Rohstoffe. 1. Verwertung verdorbener Kartoffeln als Futter und technisches Rohmaterial. Von der in normalen Jahren gegen 50 Millionen Tonnen ausmachenden Kartoffelernte Deutschlands gehen immer noch einige Prozent jährlich durch Krankheit, Erfrieren usw. verloren, rechnet man auch nur ein Viertel Prozent Verlust, so macht das doch schon über eine Million Zentner aus, von denen sicher ein erheblicher Teil verwertet werden könnte. In diesem Jahre ist eine solche Forderung besonders wichtig. Jene Menge ver- derbender Knollen würde bei Verarbeitung min- destens lOOOOO Zentner Stärke oder gut das Drei- fache eines als Viehfutters wertvollen Schrotes liefern können. Auch nur ein Zehntel dieser Menge würde heute einen erheblichen Wert repräsen- tieren. Zurzeit werden kranke oder faule, nicht mehr als Futter brauchbare Knollen bekanntlich allgemein auf den Düngerhaufen geworfen, eine kaum verantwortliche Verschwendung eines hoch- wertigen Rohmaterials, denn sie enthalten den vollen Stärkegehalt der gesunden, weil die Stärke bei der Zersetzung durch Mikroorganismen kaum angegriffen wird. In einem einzigen dem Vortr. bekannt gewordenen F'alle sind im letzten Winter allein nicht weniger als ca. 400 Zentner erfrorener und verfaulter Knollen glatt vernichtet worden. Die Möglichkeit der Verarbeitung selbst hoch- gradig naßfauler Knollen hat Vortr. im Anschluß an vorherige Laboratoriumsversuche in einem größeren Experiment mit über 100 Zentner fest- gestellt. Das zu ca. 40"',, aus ihnen gewonnene rohe Kartoftelmehl bzw. Schrot, von dem Proben vorgelegt wurden, war ein völlig geruch- und ge- schmackloses, sauberes Produkt mit rund 50% Stärke und 6";,, Stickstoflsubstanz, das sich bei einigen Fütterungsversuchen gut bewährt hat. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 8 Die Verarbeitung der Knollen kann in verschie- dener Weise stattfinden, die auf trokenem ist viel- leicht der auf nassem Wege (Stärkegewinnung durch Rotte unter Wasser) vorzuziehen, üble Ge- ruchs- und Geschmacksstoffe werden dabei völlig beseitigt. Unter kleinen Abänderungen kann man die Stärke auch auf dem üblichen Wege heraus- holen, sie steht zwar nicht der aus gesunden Kar- toffeln dargestellten völlig gleich, das ist aber bei Verwendung für technische Zwecke (Kleister, Dex- trin, Alkohol u. a.) belanglos; hierbei kann man natürlich aber auch direkt von den kranken Knollen ausgehen, die Säureverzuckerung geht glatt. Schwierigkeiten einer rationellen Nutzung der verdorbenen Kartoffeln liegen in dem Sammeln des Materials; es ist überall im Lande verstreut, fabrikmäßige Verarbeitung verlangt aber möglichst große Mengen. An diesem Punkte müßte durch ganz bestimmte behördliche Vorschriften einge- griffen werden. 2. Maiblumen fasern (Convallaria majalis). Als Abfallprodukt liefern die Maiblumenkulturen der Gärtnereien jährlich nicht unerhebliche Mengen von Blättern, welche nach Versuchen des Vortr. durch Tau- oder Wasserrötte eine brauchbare, ziemlich zähe und lange Faser ergeben (Gefäß- bündel der Blätter). Bislang ist diese Faser nir- gend erwähnt, bekannt sind aber andere ver- wandte monokotyle Pflanzen als wichtige Faser- lieferanten für Seilergewerbe, Netzfabrikation usw. (Blattfasern von Agaven, Phormium, Musa als Sisalhanf, Neuseeländischer Flachs, Manilahanf u. a.). Die zur Verfügung stehende absolute Menge von Maiblumenblättern ist zwar keine große, sie sind aber kostenloses Nebenprodukt, das auf billigem Wege nutzbar gemacht werden könnte. Dargestellte Präparate der Fasern wurden vom Vortr. vorgezeigt. Dr. Olga Knischewsky, z. Zt. wissen- schaftliche Lehrerin an der wirtschaftlichen F"rauen- schule Bad Weilbach, Reg.-Bez. Wiesbaden, sprach dann über den naturwissenschaftlichen Unterricht alsGrundlage für die Haus- wirtschaftskunde. Sie schilderte den Unter- richt an der genannten Schule und forderte die Gründung hauswirtschaflticher Lehr- und For- schungsinstitute, wie sie in Amerika schon seit langem bestehen. Eine Arbeit von Prof. W i e 1 e r in Aachen über Kaffee- und Teeersatz wurde wegen Verhinderung des Verf von Dr. Fischer- Brom- berg vorgetragen. Ein voller Ersatz für Kaffee, ebenso wie für Tee ist nicht möglich, da unserer Flora die koffeinhaltigen Pflanzen fehlen. Wohl aber können andere gute Eigenschaften des Kaffees ersetzt werden wie Geschmack und Aussehen, die Eigen- schaft, uns das Gefühl der Nüchternheit zu nehmen und seine durststillende Eigenschaft. Hierfür sind schon seit langem Surrogate im Gebrauche, die aus Wurzeln, Samen und Früchten hergestellt werden, von denen heute freilich ein Teil ausfällt, da er anderweitig gebraucht wird oder nicht zu haben ist, Deshalb hat man heute eigentlich nur mit Gerstenkaffee oder Malzkaffee und Zichorie zu rechnen. Neu kommt hinzu die Mehlbeere und die Frucht des Weißdorns. Verf empfiehlt außerdem die Queckenwurzeln. Er weist auch daraufhin, daß man die Surrogate durch Zusatz des Kaffeearomas verbessern könnte, dies aber könnte man nach einem Vorschlage von Lehmann aus den Röstprodukten des Kaffees gewinnen. Weniger Erfahrungen liegen für den Ersatz für chinesischen Tee vor. Seine Surrogate sind meist Ersatztees, die von den Eigenschaften des chinesischen Tees nichts an sich haben. Zu ihrer Herstellung werden Blätter von Erdbeere, Brom- beere, Himbeere, Kirsche, Schwarz- oder Schlee- dorn, Heidelbeere, Moosbeere, Preiselbeere, schwarze Johannisbeere, Stechpalme, Birke, Ulme, Weide, Eberesche und Weidenröschen empfohlen. Auch andere Pflanzen sind vorgeschlagen worden, die noch näher zu prüfen wären. Über die Herstellung solcher Ersatztees liegen wenig genaue Angaben vor. Das Rösten wie beim chinesischen Tee scheint ihnen zu schaden, während sie aromatischer werden sollen, wenn man sie fermentiert. Da man die chemischen Verbindungen kennt, die das Aroma des chinesischen Tees hervorrufen, so müßte es möglich sein, Surrogate mit seinem Aroma zu schaffen. Versuche des Verf zeigen, daß es möglich ist, das Aroma zu erhalten, doch bedarf es noch eingehender Versuche, um damit einen zweckmäßigen Tee zu verschaffen. t^ber eine Arbeit von Quanjer betitelt: „Phloemnekrose und Mosaik und die züchterischen Maßnahmen, wodurch man der Entartung, welche von diesen Krankheiten verursacht wird, in Holland vorbeugt," berichtete Geh. Reg.-Rat Dr. Appel- Dahlem. Auf Grund langjähriger Untersuchungen war Quanjer schon früher zu der Ansicht gelangt, daß die besondere Art der Blattrollung, welche bei der Blattrollkrankheit der Kartoffeln beobachtet wird, in Zusammenhang steht mit Absterbeerschei- nungen der Siebröhren. Es führte daher den Namen Phloemnekrose für diese Krankheit ein. Nach seinen weiteren Untersuchungen kommt er nun zu dem Schluß, daß diese Krankheit, deren Ursache man bis jetzt noch nicht kennt, übertrag- bar ist und begründet dies mit folgenden Be- obachtungen: Die Krankheit breitete sich in Moorkulturen Nordhollands von einem Zentrum nach außen hin aus. Einzelne gesunde Stöcke in kranken Beständen ergaben nicht zuverlässig ge- sunde Pflanzen. Nachkommen gesunder Stauden wurden in eine Gegend verpflanzt, in der die Krankheit stark aufgetreten war, und wurden krank. Die Schwesterpflanzen in der Heimat blieben gesund. Kranke Stengelteile auf gesunde Stengelteile gepfropft, führten zur Erkrankung der Pflanze. Kranke und gesunde Knollenhälften zur Verwachsung gebracht, hatten auch eine Erkran- kung der Sprossen der gesunden Hälfte zur Folge. Von halbierten gesunden Knollen erwuchsen auf Boden, der vorher kranke Stauden getragen hatte, N. F. XVI. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 103 kranke Stauden, auf gesundem gesunde. Auf einem Feld, das lange nicht zu dem Kartoffelbau benutzt worden war, und das an ein krankes Feld angrenzte, ent.standen aus gesunden Knollen an der Grenze kranke Pflanzen, von 2 m Entfernung an gesunde Pflanzen. Aus Samen erhielt Quanjer auf sterilisiertem Boden gesunde Pflanzen, gleich- gültig ob die Samen von gesunden oder kranken Pflanzen abstammten. Er nennt daher die Blatt- rollkrankheit, die er in dieser Richtung mit der Serehkrankheit des Zuckerrohres in Beziehung bringt, Pseudohereditea. Auch für die Mosaikkrankheit der Kartoffeln treffen einige der für die Blattrollkrankheit ge- machten Beobachtungen zu, so daß man es auch hier vielleicht mit einer ansteckenden Krankheit zu tun hat. Wegen mancherlei Analogien vergleicht er diese Krankheit mit der Mosaikkrankheit des Tabaks, der Peach yellow der Amerikaner, und den infektiösen Chlorosen Bau r 's. Ein Krank- heitserreger konnte für diese Krankheiten noch nicht gefunden werden. Es erscheint dem Autor jedoch nicht ausgeschlossen, daß ein Virus als Krankheitserreger in Betracht kommt. Über die Mosaikkrankheit der Kar- toffeln in Holland teilte dann noch FVäulein Dr. O. Westerdijk eigene Erfahrungen an den Sorten „Bonten" und „Blauwen" mit, deren Laub im Juni oder Anfang Juli gelb gescheckt wird. Die gelben Stellen im Blatt wechseln mit stark dunkelgrün gefärbten, etwas gefalteten Stellen ab. Das Laub entwickelt sich zwar' öfter nicht so üppig als bei den genannten Pflanzen, doch fällt im allgemeinen die Krankheit wenig auf. Verf. hat während einer Reihe von Jahren versucht, den Einfluß der Krankheit auf den Knollenertrag festzustellen. Die Krankheit, die früher unter dem Sammelnamen Blattrollkrankheit bekannt war, ist bei einigen Sorten sehr deutlich ausgeprägt und von dem jetzt festgestellten Begriff BlattroJl- krankheit verschieden. Von der „bonten" und „blauwen" wurden 191 1 verschiedene kranke Stöcke ausgewählt und nachgebaut, während die Nach- kommenschaft gesunder Stöcke von solchem Felde als Kontrollpflanzen galten. Es hat sich nun her- ausgestellt, daß die mosaikkranken Stöcke im Er- trag zurückgehen ; bei einzelnen geht die Ernte rasch, bei anderen langsam herunter. So wurde der mittlere Stockertrag eines bekannten Stammes, 191 1 ausgewählt, nach zwei Jahren bis auf 33"/,, des ursprünglichen mittleren Ertrages abgebaut. Der Ertrag der gesunden Kontrollpflanzen hatte sich während derselben Jahre um 6 "/n erhöht. Ein kleiner Teil des Rückganges muß auf Kosten des kleiner werdenden Saatkartoffelgewichtes ge- bracht werden. Auch unter den urspünglich gesunden Stämmen traten im Nachbau kranke Stöcke auf. Wenn sich in einem bestimmten Jahr ein gesunder Stamm in gesunde und kranke Nachkommen spaltete, so wies sich ein eben so starker Rückbau auf, wie bei den Knollen, über deren Stammbaum 191 1 nichts bekannt war. Weiter wurde noch der Einfluß der Krankheit auf den Ertrag an großen, zu Speisezwecken ge- eigneten Knollen (über 30 Gramm Gewicht) fest- gestellt. Der Prozentsatz dieser großen Knollen ist bei den mosaikkranken Stöcken kleiner als bei den gesunden, so daß der Einfluß des Mosaiks schließlich auf den Wert des Ertrags noch stärker ist als im Anfang erwähnt wurde. Einzelne Stämme haben als Ausnahme eine Steigerung im Ertrag aufgewiesen und ein kranker Stamm hat gesunde Tochterpflanzen erzeugt. Unter deren Nachkommen fanden sich zweimal Knospenvaria- tionen, einmal ein Stamm mit roten, einmal ein mit rein weißen Knollen, die sich als konstant (vegetativ natürlich) erwiesen. Die Frage, ob die fortwährende Benutzung kleiner Saatkartoffeln die Mosaikkrank- heit fördere, mußte verneinend beantwortet werden. Geh. Reg.-Rat Dr. Appel gibt in seinem „Neues über die Blatt fallkrankheit und das Rollen der Kartoffelblätter" betitelten Vortrag ein Bild von dem jetzigen Stand unserer Kentnisse der Kartoft'elkrankheiten, bei denen ein Rollen der Blätter zu beobachten ist. Er kommt dabei zu einem Schema dieser Krankheiten, das er bereits 1913 aufgestellt und auch bei seinen Vorlesungen in Amerika benutzt hat. Er teilt die in Frage kommenden Krankheiten ein in : Ge- fäßkrankheiten, die wieder zerfallen in Gefäß- mykosen und Gefäßbakteriosen. Von den Gefäß- mykosen ist die bekannteste die Welkekrankheit, bei der der Pilz in den Tracheen wächst (Trache- osen, Quanjers), daneben gibt es aber auch Gefaßmykosen, bei denen der Pilz sich auf die Tracheiden beschränkt. Als Gefäßbakteriosen sind die Bakterienkrankheiten zu betrachten. Die 2. Gruppe bilden die F'ußkrankheiten, ,die eben- falls in Gefäßmykosen und -bakteriosen zerfallen. Zu den ersteren gehört die Rhizoctinia, zu letzteren die Schwarzbeinigkeit. Als 3. Gruppe sind die- jenigen Krankheiten zusammengefaßt, die soweit bis jetzt bekannt ist, keine Organismen als Ur- sache haben, dorthin gehört vor allen Dingen die Blattrollkrankheit (Phloemnekrose). Als wesent- lichen Fortschritt der Arbeit in den letzten Jahren wird es betrachtet, daß aus dem ehemaligen Sammel- begriff der Blattrollkrankheit eine Anzahl von beson- deren Krankheitstypen herausgenommen und näher aufgeklärt werden konnten. Wegen der zahlreichen Einzelheiten muß auf das Original verwiesen werden. Im Anschluß daran teilte auch Prof. Schander- Bromberg neuere, durch umfangreiche eigene Ver- suche gewonnene Erfahrungen über die Blattroll- krankheit der Kartoffeln mit. Prof. Lüstner- Geisenheim sprach „Über Ersatzmittel bei der Schädlingsbekämp- fung im Weinbau." Kupfervitriol und Schwefel, niit dem seither Peronospora und Oidium bekämpft wurden, sind nicht mehr erhältlich, weil sie be- schlagnahmt sind und aus dem Auslande nicht mehr eingeführt werden können. Zur Erhaltung der Weinernte müssen also Ersatzmittel gefunden werden. Zur Bekämpfung des Oidiums wurde bereits vor einem halben Jahrhundert gewöhnlicher „Straßenstaub" verwendet. Damit ausgeführte Ver- I04 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 8 suche schlugen fehl. Auch andere neutrale Pulver (Kaolin, Gips und Zement) haben sich nicht be- währt. Dagegen befriedigte die Wirksamkeit eines neuen Schwefels sehr, weshalb er zur weiteren Prüfung empfohlen wird. Als Ersatzmittel für Kupfervitriol kann allem Anscheine nach das „Perozid", ein in der Hauptsache aus schwefel- sauren Ceriterden bestehendes Präparat, gelten. Die damit im großen mit 2",, und 2,5 **/(, igen Brühen ausgeführten Versuche hatten ein gutes Ergebnis, auch die „Bordola-Pasta" und ein neues „Cupron" genanntes Präparat bewährten sich gut. Zu beachten bleibt nur, daß die Peronospora in diesem Jahre nicht epidemisch aufgetreten ist, und daß zu ihrer Bekämpfung selbst eine 0,5 "/„ ige Kupferkalkbrühe ausreichend war. „Chlorphenol- quecksilber" war zwar gegen die Peronospora wirk- sam, rief jedoch an den grünen Rebteilen Verbren- nungen hervor, so daß es noch keine Verwendung im Weinbau finden kann. Ersatzmittel für Nikotin und Schmierseife zur Bekämpfung des Heu- und Sauerwurms sind noch nicht gefunden. Über Versuche mit Ersatzmitteln zur Rebschädlingsbekämpfung, ausgeführt in Baden im Jahre 1916 sprach Dr. K. Müller-Augustenberg. Als Ersatzmittel für Kupfervitriol zur Peronosporabekämpfung wurde „Perozid", das hauptsächlich aus Cer-Didym- und Lanthansulfat besteht, dann auch Bordola- Pasta, ein niederprozentiges (2 "/„ Cu), gelatinöses Kupferpräparat, in verschiedenen Gegenden des Landes ausprobiert. Auf den Kontrollparzellen kam I % ige Kupferkalkbrühe zur Verwendung. Die Peronospora ließ sich selbst bei sehr starkem Auftreten durch vorbeugendes Behandeln mit 2 "!„ iger Perozidbrühe fernhalten, wenn man die Reben sorgfältig, vor allem auch die Blattunter- seiten spritzte. Weniger gut wirkte Bordola, wohl deshalb, weil der Kupfergehalt nur etwa '/s desjenigen einer einprozentigen Kupferkalkbrühe beträgt. Die Versuche haben gezeigt, daß während der Kriegszeit, solange eine Kupfervitriolknappheit besteht, die Peronospora auch durch niederprozen- tige Kupferkalkbrühen praktisch genügend fern- gehalten werden kann, wenn man die Blattunter- seiten gründlich spritzt. Wenn Kupfervitriol ganz' fehlen sollte, gestattet sorgfältiges Spritzen mit Perozid die Peronospora- Krankheit , selbst bei seuchenartigem Auftreten, zu unterdrücken. Der neue, in Deutschland hergestellte Wein- bergschwefel stand wegen zu geringer Feinheit in seiner Wirksamkeit gegen den \'entilatoschwefel zu- rück. Das Bespritzen der Reben mit stark verdünnter Schwefelkalkbrühe unterdrückte den Mehltau. Prof. Dingler- Aschaffenburg machte Angaben über Wurzelbrutverbänderung und deren vermutliche Ursachen. Die Erscheinung ist bisher nur selten und von wenigen Pflanzen- arten bekannt geworden. Der Vortragende fand sie reichlich und in schöner Entwicklung an 20 bis 39 cm tief horizontal streifenden Wurzeln eines Reineclaudenbaumes seines Hausgartens. Ein- gehende wiederholte Untersuchung führte zu fol- genden Schlußfolgerungen : Wenn im vorliegenden Fall nicht eine besondere ererbte individuelle Veranlagung zu Bandsproßbildung vorhanden ist, was einstweilen offen bleiben muß, so kann man annehmen, daß bei Prunus insititia, wie bei vielen anderen Holzarten überhaupt eine gewisse P'ähigkeit besteht, unter bestimmten Bedingungen verbänderte Sprosse zu erzeugen. Wir kennen bisher nur eine einzige solche Bedingung sicher; Vollsaftigkeit („Plethora" der Mediziner) durch überstarke Ernährung des ganzen Individuums oder einzelner Glieder, im letzteren P'all erzeugt durch Wegnahme anderer mit ihnen um den Nahrungsstrom konkurrierender. Sachs, Goe- bel, H. de Vries und Lopriore haben experi- mentelle Beweise dafür geliefert. Es war hier also die Frage, ob die Bandsprosse erzeugende Wurzelbrut unter abnorm gesteigertem Saftdruck steht. Es liegen in der Tat zweierlei Gründe dafür vor: Immer wiederholtes Abschneiden oder Abstechen aller über die Erde tretenden Schöß- linge und der Widerstand, welchen die Erde, be- sonders in sehr dichten Bodenteilen und in den tieferen Schichten, den sie in negativ geotropischer Richtung zu durchbrechen strebenden jungen Wurzelsprossen bietet. In der Tat zeigen in festem Boden die Wurzelsprosse sehr auffallende Knickun- gen, Windungen und förmliche Verknäuelungen, durch die wahrscheinlich starker Saftdruck entsteht. Prof. Kroemer-Geisenheim besprach in seinem Vortrage „Die Rebe in der Kriegs- zeit" die Einwirkungen des Krieges auf den deutschen Weinbau und erörtert zunächst die Forderungen, die sich aus den veränderten Ver- hältnissen für die Anlage und Bestellung der Weinberge ergeben. Sie zielen im wesentlichen alle darauf hin, den intensiven Betrieb im Wein- bau mehr als bisher zur Geltung zu bringen. Der Rückgang der Rebenanbaufläche, der sich im Kriege stärker bemerkbar macht als in den letzten Friedensjahren, kommt der Einführung dieser Wirt- schaftsform sehr zustatten und ist deshalb für den Bestand unseres Weinbaus vollkommen unbedenk- lich. Bei dem Fehlen aller Auslandzufuhren ist es trotz ansehnlicher Weinvorräte und trotz der reichen Lese des vorigen Jahres zu einem sehr emp- findlichen Weinmangel gekommen, der bei den ungünstigen Herbstaussichten dieses Jahres zu einer ganz außergewöhnlichen Erhöhung der Weinpreise führen wird. Schon seit dem ersten Kriegswinter sind Versuche im Gange, den Weinbau in erhöhtem Maße auch für die menschliche Ernährung und die Viehhaltung nutzbar zu machen. So sind Zwischenkulturen von Gemüsen und Feldfrüchten in bestockten und brachliegenden Weinbergen häufig anzutreffen, allerdings vorwiegend in den geringeren Lagen ; angeregt und erfolgversprechend ist auch die Verwertung der beim F'rühjahrsschnitt und bei der Laubbehandlung der Reben abfallenden verholzten und unverholzten Triebe als Futtermittel. Die Ausnützung der in den Preßrückständen der Trauben, den sog. l'rcslern enthaltenen Nährwerte ist durch die Beschlagnahme dieser Abfälle bereits N. F. XVI. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 105 gesichert und verspricht nach den bisherigen Schätzungen neben beträchtlichen Mengen von Futtermehl allein für dieses Jahr eine Ausbeute von rund 500000 1 Speiseöl. In ähnlicher Weise gedenkt man die Nährwerte der Weinhefe zu er- fassen, was bei dem hohen Weinstein- und Alkohol- gehalt dieser Hefen allerdings weniger leicht zu erreichen sein wird. (G.G.) Die im Elb- iiud Oderstrouigebiet vorhaudeiie Wasseriueuge. .) Von Prof. Dr. W. Halbfaß, Jena. aus den Vorräten früherer Jahre zusammensetzt und z. B. in Zeiten großer Dürre den zur Neige gehenden Vorrat des oberen Grundwassers zu ergänzen vermag. Außer dem Oberflächenwasser des Hauptstroms mit seinen Nebenflüssen, dem Inhalt der Seen und dem Volumen des Grundwassers kämen vielleicht noch der Inhalt der Brunnen und der aufgespeicherten Schneemenge in Betracht. Doch steckt ja das Wasser der Quellen zum größten Teil bereits in der Grundwassermenge und kann für sich allein nicht gut in Rechnung gesetzt werden, und die Schneemengen kommen, so ge- wichtig ihre Rolle im Wasserhaushalt des Flusses ist, deshalb nicht in Betracht, weil sie ja keine dauernde Erscheinung sind, sondern im Laufe eines oder mehrerer Abflußjahre kommen und verschwinden. Bei der Berechnung der zuerst genannten Wassermenge benutzte ich als Grundlage das von der Kgl. Preußischen Klbstrom-Bauverwaltung in Magdeburg herausgegebene sog. Eibstromwerk „Der Eibstrom, sein Stromgebiet und seine wich- tigsten Nebenflüsse", 3 Bd. Textband, i Tabellen- band und I Atlasband, Berlin 1898, bzw. das Oderstromwerk der Preuß. Bauverwaltung im gleichen Umfang, Berlin 1896, sowie die von der Kgl. Preußischen Landesanstalt für Gewässerkunde herausgegebenen Jahrbücher für die Gewässerkunde Norddeutschlands, deren letztes, das Abflußjahr 191 1 umfassend, im Jahre 1913 erschien: In bezug auf die in den Seen und im Grundwasser vor- handenen Wassermengen war ich in der Hauptsache auf eigene Schätzungen angewiesen, wenn es auch in der Literatur nicht gänzlich an einigen An- deutungen fehlt; die Verantwortung für diese Zahlen muß ich also allein tragen. [Nachdruck verboten.) Vor einiger Zeit versuchte ich in diesen Blättern (N. F. Bd. 1 5 Nr. 43) den Jahreshaushalt der Elbe und der Oder festzustellen, zweier deutscher Ströme, deren hydrographische Ver- hältnisse einerseits gut bekannt, andererseits relativ einfacher Natur sind gegenüber z. B. dem Rhein und der Weichsel, deren Haushalt weit kompli- zierter und größeren Veränderungen unterworfen ist. Ich möchte in den folgenden Zeilen den Versuch unternehmen, die bei einem mittleren Niederwasserstand, einem mittleren Wasserstand und einem mittleren Hochwasserstand im Strom- gebiet der beiden genanten Fiüße überhaupt vor- handenen Wassermengen abzuschätzen. Auf den ersten Augenblick scheint dieser Versuch von vornherein fruchtlos zu sein, da ein so ausgedehntes Flußsystem, wie das der Elbe oder der Oder zu keiner Zeit im Jahr genau den gleichen Wasserstand besitzt und weil es auch an genügenden exakten Messungen fehlt, das den Berechnungen zugrunde gelegt werden könnte. Beide Einwände sind vollkommen gerecht- fertigt und es liegt auf der Hand, daß irgend- welche Ansprüche auf eine auch nur bescheidene Genauigkeit der zn findenden Zahlenwerte ohne weiteres fortfallen müssen. Allein einerseits sind in beiden Stromgebieten die Niederschlags- verhältnisse, von denen ja der Wasserstand des Flusses in erster Linie abhängt, sowohl örtlich wie zeitlich relativ geringen Schwankungen unter- worfen, wenn man sie mit denjenigen anderer mittel- europäischer Stromgebiete — von subtropischen und tropischen ganz zu schweigen — vergleicht und dann sind für beide Ströme wenigstens so viel Messungen bekannt, daß man es wagen sollte, gerade bei ihnen einen Zahlenwert zu ermitteln, welcher gewiß für jedes einzelne größere Fluß gebiet höchst charakteristisch ist. Freilich sind wir namentlich hinsichtlich der in einem Fluß- gebiet etwa vorhandenen Grundwassermenge vor- läufig auf Schätzungen angewiesen, welche, wie ich schon in der oben erwähnten Arbeit zeigte, mehr auf bloßen Vermutungen, als wirklichen Messungen beruhen und die daher auch nur sehr relativen Wert besitzen können. Das in jedem Stromgebiet aufgespeicherte Wasser zerfällt in 3 Gruppen : in das zutage liegende Oberflächenwasser des Hauptflusses und seiner Nebenflüsse, das Wasser der angeschlossenen Seen und in das mit ihm in engen Zusammen- hang stehende Grundwasser, worunter ich nicht bloß das sog. „obere" Grundwasser verstehe, das in \^erlauf eines Abflußjahres in Mitleidenschaft ge- zogen wird, sondern auch das „untere", das sich L Das Eibgebiet. a. Das Oberflächenwasser. Die in einem Fluß enthaltene Wassermenge erhält man, indem man den jeweiligen Querschnitt mit derjenigen Flußlänge multipliziert, innerhalb welcher der Querschnitt als konstant angenommen werden kann. Solche Flußlängen sind namentlich im Ober- und im Mittellauf eines Flusses außer- ordentlich kurz. Breite und Tiefe pflegen sehr häufig zu wechseln, so daß man, wenn man die Rechnungen nicht bis ins Unendliche ausdehnen und in einer Art Auswertung von Integralen er- blicken will, sehr bald genötigt ist, diese Strom- längen auf gut Glück zu verlängern und sich mit io6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. S rohen Schätzungen zu begnügen. Ohnehin nötigt dazu die geringe Zahl von Querschnitten, die sich in den oben angegebenen Quellen vorfinden. Gilt diese Beschränkung schon für den Hauptfluß, so gilt sie für die Nebenflüsse in noch weit höherem Grade. Für diese liegen genauere Angaben über Tiefe und Breite nur in so beschränktem Umfang vor, daß man noch weit mehr auf bloße Vermutungen angewiesen ist, die auf den Strom- beschreibungen fußen. Selbstverständlich kommen überhaupt nur größere Neben- und Zuflüsse in Betracht, für kleinere kann keine Rechnung auf- gestellt werden, doch fällt ihre Wassermenge gegenüber der im Hauptstrom und in den größeren Nebenflüssen enthaltenen absolut nicht ins Gewicht. Den Unterabteilungen des Elbstromwerkes ent- sprechend habe ich den Hauptstrom in 9 Abschnitte eingeteilt und in der Tab. i versucht, für die Querschnitte des Stromes innerhalb derselben konstante Zahlenwerte bei MNW, MW und NHW einzusetzen, es der Kritik überlassend, diese Festsetzungen zu bemängeln. F'ür die Zahlenwerte sind zwar in erster Linie die Angaben an den genannten Stellen maßgebend. doch wurden sie nicht rein mechanisch aus den Quellen entnommen, sondern mit den sonstigen Angaben über Querschnittsverhältnisse an anderen Stellen des Flusses verglichen und demgemäß ent- sprechend modifiziert. Bei der Bestimmung des Querschnitts bei MHW wurde noch besonders Rücksicht auf die im i. Band des Eibstromwerks S. 252 zusammengestellten mittleren Hochwasser- werte bei eingeschränktem Überschwemmungs- gebiet genommen. Besondere Schwierigkeiten bereitete der Be- rechnung die unterste Strecke der Elbe vom Ein- fluß der Seeve abwärts, weil hier Ebbe und Flut hereinspielen und die Flußmenge gewaltig be- einflussen, fließen doch bei Glückstadt zur Zeit der größten Ebbe in der Sekunde 20 000 cbm ab, während einer Tide von ungefähr 13 Stunden also über 900 Millionen cbm. Hieran ist aber die Oberwassermenge nur mit etwa V« beteiligt, während auf die Tidewasser rund 600 Millionen cbm kommen, d. i. ungefähr - ., von derjenigen Wassermenge, welche nach meiner Berechnung der Hauptstrom von der Quelle bis zur Mündung bei MW enthält, abgesehen vom Tidewasser. In Tabelle I. Die Elbe. des ugehörig. Grundw. jg < Querschnitt Voluraeu Teilstiecken Länge <.ug>..,u..s- •^,^^^-. Qes MNW MW MHW Mi\W MW MHW f"'"^- führenden Grundw. gebiets Areals km qm Millionen cbm qkni qkm "/(, cbkm 155 41 üio 4 200 10 5 Von der Quelle bis zur Einmündung der Moldau 309 40 100 500 12 bei Pardubitz Von der Einmündung der Moldau bis zur sächsischen Landesgrenze io6 loo 260 700 II 27 75 9 552 95° 20 i bei Dresden Von der sächsischen bis zur preußi- schen Landesgrenze 122 t)o 350 1400 11 43 170 3 65S 730 20 0,7 IV. Von der preußischen bis zur anhalti- nischen Landesgrenze '05i5 'öo 300 I 300 >5 ö 748 1 .S50 30 1.2 V. Von der anhaltinischen Landes- grenze bis zur Einmündung der Saale ö6,4 220 420 1100 15 28 75 32279 9800 50 9 bei Hämerten VI. Von der Saalemundung bis zur Havelmündung 140,6 300 6(jo 3300 42 94 450 28150 14000 50 13 bei Wittenberge VII. Von der Havelmünduug bis zur Jeetzelmündung 91,7 390 700 4300 36 04 390 9714 4 Soo 50 4,. bei Lauenburg \'lll. Von der Jeetzelmündung bis zur Secvemündung 82 4Ö0 Siio 2 700 37 70 220 () 53S 3 900 00 3,1 bei Nienstedtcn IX. Die Unterelbe gi 3400 6200 10 100 310 560 920 5607 3400 6c 3,1 Summen 490 950 2600 144035 43000 30 4I N. F. XVI. Nr. 8 Naturvvisseiiscliaftliche Wochenschrift. 107 der Zuütaminenstellung in Tab. I habe ich dies Tidewasser außer Anschlag gelassen, weil es so- zusagen kein Flußwasser, sondern geliehenes Ozeanwasser ist, das nicht einen Teil seines eigenen Kapitals bildet. In Tab. II habe ich dieselbe Rechnung wie für den Hauptstrom für 30 Neben- und Zuflüsse der Elbe durchgeführt, denen ich noch 2 mit der Elbe in Zusammenhang stehende Kanäle an- geschlossen habe, den Oder-Spreekanal und den Flaue Ihlekanal, obwohl die der Berechnung ent- gegenstehenden Schwierigkeiten sich hier noch mehr häufen, als bei den Nebenflüssen. Bei diesen habe ich in vielen F"ällen aus den allgemeinen .'\ngaben über Ouerschnitts- verhältnisse Rückschlüsse auf den mittleren Querschnitt zu ziehen versucht, in anderen P'ällen geben die Angaben über die Abflußmengeii bei verschiedenem Wasserstand einigen Aufschluß, obwohl sie natürlich wegen der meist nicht be- kannten und wechselnden Flußgeschwindigkeit nur mit großer Vorsicht gebraucht werden können. Bei Flüssen, welche, wie die Adler, die Mulde usw. aus mehreren annähernd gleichlangen Quell- flüssen sich zusammensetzen, wurden natürlich beide Flußarme addiert, dadurch erscheint ihre Länge in der Kolonne A der Tab. II ungewöhnlich groß. Bei MNW und MHW scheint die Mulde, bei MW die Moldau der wasserreichste Nebenfluß der Elbe zu sein, während die Saale, noch mehr aber die Havel, trotz größerer Flußgebiete ziemlich weit zurückstehen : Im ganzen nimmt der Anteil der Nebenflüsse an der Gesammtwassermenge des Flußgebietes mit wachsendem Wasserstand zu, denn er beträgt bei MNW 2^, bei MW 2.S, bei MHW dagegen 36 V. H. Die Wassermenge der vielen kleinen Zu- und Nebenflüsse zu berechnen, habe ich, wie oben bereits gesagt, von vornherein abgelehnt. Jeden- falls spielt sie im Verhältnis zu den anderen Wassermengen keine irgendwie entscheidende Rolle. Um die Zahlen für die Gesammtmenge abzurunden, habe ich sie auf gut Glück auf 60 bzw. 180 bzw. 460 Millionen cbm angenommen, wahrscheinlich sind diese Zahlen zu hoch, aber, wie gesagt, es kommt für das Ganze nicht viel darauf an. Addiert man die Wassermengen des Haupt- flusses, der größeren und der kleineren Nebenflüsse, so gelangt man zu dem Ergebnis, daß die an Oberflächenwasser des Eibgebietes vorhandene Wassermenge sich bei MNW auf 700, bei MW auf I 500 und bei MHW auf 4 500 Millionen cbm beläuft. Das Volumen bei MNW entspricht etwa dem des Spirdingsees in Ostpreußen oder des Madusees in Pommern, bei MW dem des Walchen- sees in Oberbayern, bei MHW dem des Züricher Sees ödes des Attersees im Salzkammergut. Im allgemeinen darf man die Zahlen wohl als obere Grenzwerte ansehen; wenn einmal eine genauere Auswertung der vorhandenen Messungen möglich sein wird, werden sich vermutlich etwas kleinere Zahlen ergeben. b. Das Wasser der Seen des Eibgebietes. Im Elbgebit kommen giößerre Ansammlungen stehenden Wassers nur bei der Moldau mit der Wottawa, bei der Havel mit der Spree, bei der Eide und bei der Sude vor. Die mit der Moldau und Wottawa verbundenen Seen sind sämtlich künstlichen Ursprungs und für die Fischzucht angelegt worden, daher durchweg sehr flach. Bei einem Areal von rund 20 qkm und einer mittleren Tiefe von etwa ^/j m fassen sie etwa 15 Millionen cbm, also soviel wie etwa die Moldau bei MNW. Die der Havel und Spree tributären Seen nehmen etwa 300 qkm ein; bei einer mittleren Tiefe von 4 m würde ihnen ein Volumen von 1,2 cbm; entsprechen, das Areal der von der Eide entwässerten Seen ist etwa das gleiche, ihre mittlere Tiefe dürfte dagegen eine größere sein, rund 6 m, so daß sich ihr Volumen auf 1,8 cbm beliefe. Die Oberfläche der Seen, welche die Sude entwässert, kann auf 40 qkm veranschlagt werden, ihr Volumen auf rund 400 Millionen cbm, weil sich unter ihnen der relativ tiefe Schaalsee befindet. Nimmt man das Volumen derjenigen Seen, die sich noch im Zusammenhang anderer Nebenflüsse befinden, zu rund 100 Millionen cbm an, so kommen wir zu dem Resultat, daß sämtliche zum Eibgebiet gehörigen Seen etwa 3V0 cbkm fassen, also soviel wie der lac de Bourget in Savoyen, aber mehr als doppelt so viel als das Oberflächen- wasser des Eibstromgebietes bei MW. Die Am- plitude des Seevolumen bei MNW und MHW habe ich in der Tab. I auf 300 Millionen cbm ver- anschlagt. c. Die Wassermenge des Grundwassers. Wie schon mehrfach betont, sind wir für Maß- bestimmungen des Grundwassers in einem Strom- gebiet in der Hauptsache noch lediglich auf mehr oder vage Vermutungen angewiesen, die sich auf nur wenige wirklich verläßliche Messungen stützen. In der Tab. 1 habe ich für die verschiedenen Unterabteilungen des Eibgebietes den Anteil des Grundwasser führenden Bodens zum Gesamtareal zu schätzen versucht und die so gewonnene Fläche mit dem ein und halb fachen der Niederschlagsmenge multipliziert.') In einer in der „Zeitschrift für die gesammte Wasserwirtschaft", ') Wenn ich in den Tabellen nur einen gewissen Prozent- salz des betr. Flufiareals als Grundwasser führend angesetzt habe , so wollte ich damit natürlich nicht die Ansicht aus- sprechen, als sei das übrige Gebiet überhaupt ohne Grund- wasser, sondern wollte nur dadurch andeuten," dafl nur in einem gewissen Teil eines Flußgebietes die vorhandene Grund- wassermenge so verteilt ist, daß sie Einlli des Oberflächenwassers gewinnen kann. uf di. io8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 8 Tabelle II. Nebenflüsse der Elbe. Name des Klusses I. Aupa 2. Mottau 3- Adler 4- Iscr 5- Moldau 6. Maltsch 7- I.uznitz 8. Wottawu 9- Sazawa lO. Beraun II. Eger 12. Schwarze Eist. '3- Mulde M- Saale ■5- Unstrut i6. Weiße lilstcr .7. Kode iS. Ohre 19- Tanger 20. Havel 21. Spree 22. Rhin 23. Oder-Spreekanul 24. Planer u. Ihlekanal 25. Stepenilz 26. .-Klaud 27. Lücknitz 28. Eide 29. Jeetzel 30. Seewe 31. Ilmenau 32. Stör 79,2 257,8 103,4 435 94 193,4 114,4 203 433.6 42t),8 186,7 246,7 169 87,6 So,8 79,5 103,8 74,2 236,4 81,5 79.6 106,; 89,2 300 200 200 500 200 40 110 bei Elsterwerda 150 600 bei Dessau 80 400 bei Kamburg 40 160 bei Artern 50 200 bei Meilitz 20 So bei Quedlinburg 20 45 bei Meseberg 15 40 100 150 bei Brandenburg 100 180 bei Kosset.blatt 27 35 bei Alt-Ruppin 50 60 bei Osterburg 20 loo 30 45 bei Parchim 35 70 ei Langenhorst 70 120 bei Benitz 20 50 30 200 Su. nmen MW Millionen cbm 7,3 6 5 34 7,5 12,5 3,4 0.5 34 7 5 72 32 220 ly 38 56 40 66 125 260 170 30 N. I'. XVI. Nr. S Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. t09 VIII, 9 (191 3) erschienenen Arbeit „der Wasser- vorrat der Erde" hatte ich auf GruiKl von Angaben, welche Keilhack in seinem bekannten Lehrbuch der Grundwasser- und Quellenkunde gemacht hat, die im Boden des Oberrheintals aufgespeicherten Wasserschätze auf das fünffache der jährlichen Niederschlagsmenge angesetzt, wobei ich mir keineswegs verhehlte, daß wir dort einen ganz besonders günstigen Ausnahmefall vor uns haben, den man sich schwer hüten muß zu verall- gemeinern. Immmerhiii lassen gewisse Beo- bachtungen in anderen Gegenden unseres Vater- landes den Schluß zu, daß die Grundwassermengen des Bodens die jährlichen Niederschlagsmengen erheblich übertreffen müssen und ich hatte sie in dem erwähnten Aufsatz auf das Doppelte der betreffenden Niederschlagsmenge angenommen. Um aber ganz sicher zu gehen, habe ich, wie oben gesagt, sie nur auf das Anderthalbfache des jähr- lichen Niederschlags angesetzt, so daß man also die so erhaltene Grundwassermenge wohl als ein Minimum der wirklich vorhandenen annehmen darf. Man erhält auf diese Weise als Gesamtmenge des im Eibgebiet vorhandenen Grundwassers rund 41 cbkm, ein Volumen, das hinter dem des Bodensees noch erheblich zurückbleibt, die jährliche Abflußmenge der Elbe aber beinahe um das Doppelte, das in den Seen bei MW aufgespeicherte Wasser um das Zwölffache, das eigentliche Ober- flächenwasser des Stromgebietes selbst bei gleichem Wasserstande aber um das Zweiundvierzigfache überragt und man ersieht daraus den gewaltigen li,influß des Grundwassers auf den Wasserhaushalt der Elbe. Auf den ersten Blick mag die Menge des Grundwassers übertrieben hoch erscheinen, sie verliert jedoch das Überraschende, wenn man sie mit den Grundwassermengen vergleicht, welche man für andere Flußgebiete berechnet hat. Friedrich König, der bekannte Hydrotekt und Hydrograph, berechnete in einem Aufsatz, über die Wasserschätze des Rheins in der Zeitschrift „das Wasser", daß im gesamten Rheingebiet in einem Jahre durchschnittlich rund 27 cbkm Wasser aufgespeichert würden, wovon 23 cbkm auf Grundwasser entfallen, Keil hack berechnet die allein im Oberrheintal zwischen Basel und Mainz aufgespeicherte Grund- wassermenge auf rund 37 cbkm, König dieselbe Menge gar auf 95 cbkm, Beyschlag und Wahnschaffe veranschlagten nach einer Mit- teilung des Wasserbaudirektors Eggert auf einem Verbandstage deutscher Ingenieure in Berlin die in der Umgebung von Berlin auf einem Areal von etwa 4500 qkm eine Grundwassermenge von rund 6 cbkm. Letztere Menge würde etwa der zwei- bis dreifachen Menge des jährlichen dortigen Niederschlags entsprechen. IL Das Odergebiet. Wir können uns hier wesentlich kürzer fassen, da der Grundgedanke im großen und ganzen in der gleichen Weise durchgelührt wurde wie beim Eibgebiet. Tabelle III Die Odei Querschnitt Areal Volumen ''^ Lj^npg zugehörig. Grundwasser MNW MW MHW MNW MW MHW Einzugs- führend gebietes km qm Millionen cbm qkm qkm "„ 1. Oderquellgebiet bis zur F.inmündung der Olsa 132,7 20 50 200 2,6 4 26 5 erflächen\vasser der ( )dcr. Die Ermittelung der wahrscheinlichsten Werte für die Querschnitte des Hauptstroms und der Nebenflüsse, von denen 28 in Tab. IV aufge- nommen wurden, unterlag noch größeren Schwierigkeiten wie beim Eibstrom, da die Quellen hier nocli spärlicher fließen als dort. Der Einteilung des Oderwerks entsprechend, wurde der Hauptfluß in 6 Abschnitte eingeteilt, innerhalb derer die Querschnitte als konstant an- gesehen werden mußten. Die Berechnung, deren Resultate die Tab. III wiedergibt, gestaltete sicii insofern einfacher, als bei der Elbe, weil der Oder die Gezeiten fehlen, welche die Volumen- berechnung des untersten Teiles des Eibstroms wesentlich erschwerten. Das Stettiner Haft' blieb bei der Volumen- berechnung der Oder außer Ansatz, da seine 3 Aus- flüsse nicht als Mündungsarme der Oder anzusehen sind, sondern lediglich als Ausgleichsströmungen der Wasserstände des Haffs mit der Ostsee; es bildet also einen Teil der Ostsee, nicht einen Teil der Oder. Würde man dasselbe in die Rechnung Tabelle IV. Nebenflüsse der Oder. Name des Flusses Lange MN\ km I Oppa 273 6 2 Ostrawitj 93.5 8 3 Olsa 99 6 4 5 Zinn.i Klodnitz 56,5 84,. 5 6 Klodnitr- •Can.al 45,7 12 7 HoUenplc tz 124,4 4 8 Malapane 131 4 9 Glatzer N eiUe 195.5 12 10 Stober 85 2 II Ohle 100 6 12 Lohe 86,1 0, 13 Weistritz 249,6 3 14 Weide 110 2 15 Katzbach 89 4 16 Bartsch «38,5 3 17 Bober 520 7 18 Lausitzer Neiße 256 10 19 (Idcr-Spree-Kanal Friedrich-Wilhelm-Kanal 43,8 30 1 Obere 411.3 15 20 Warthe Mittlere 259 1 50 1 Untere 91,7) 21 Netze j Obere Untere 173 120 16 30 22 Prosna 22g 5 23 Welna 117 2 24 Obra 295 6 25 Küddow ■ 46,7 12 26 Drage '95 8 27 Fihnow-K anal 46,1 24 2S Ihna 128,1 4 MIIW M.WV MW MIIW Mill onen -bm 60 ',5 4 ili 100 0,7 2,8 9 So 0,6 2.5 8 5° 0,3 1,2 2,8 100 0,7 2,4 S,4 20 0,6 0.7 0,9 ÖO 0.5 '.5 7.5 50 0,5 1.3 6,5 300 2.3 0 60 20 0,2 0,5 2 80 0,6 !,(.. 8 80 200 18 14 4.7 9 15 N. F. XVI. Nr. 8 N'atiirwisseiischaftliche Wochenschrift. hineinbeziehen, so würde man zu jraiiz anderen Resultaten gelangen, als die Zahlen der Tab. 111 angeben, nimmt doch das Stettiner Haff ohne die Ausflüsse Dievenow, Swineund Peene, nach J. Kres, Deutsche Küstenflüsse, Berlin 191 1, ein Areal von rund 630 qkm und eine mittlere Tiefe von 4 m gerechnet, ein Volumen von rund 2,5 cbkm ein, d. h. zweimal mehr als der Hauptstrom bis Hohensaathen bei MW faßt. Das Volumen des Hauptstronis beträgt bei den geschilderten Grenzen bei MNW nur 19 v. H., bei MW und MHW je nur 24 v. H. des ent- sprechenden Volumen des Eibstromes, es umfaßt bei MNW nur ungefähr das Volumen des Wotsch- winsees, bei MW des Lübbesees und steht selbst bei MHW noch erheblich hinter dem des Madüsees zurück. Die zum Vergleich herangezogenen Seen liegen sämtlich in Pommern und gehören zum Flußgebiet der Oder. Bei der V^olumenberechnung der haupt- sächlichsten Nebenflüsse, deren Resultat die Tab. IV wiedergiebt, sind wiederum, wie bei der Elbe, bei denjenigen Flüssen, die aus mehreren annähernd gleichlangen Quellflüssen sich zusammen- setzen, diese sämtlich in Betracht gezogen. Da- durch erklären sich die sonst auffallig hohen Zahlen für die Flußlängen der Oppa, Hotzenplotz, Weistritz, des Bober und der Obra, deren ver- schiedene Kanalsysteme eine Addition er- fuhren. An Wasserreichtum steht selbstverständlich die Warlhe allen ihren Rivalen weit voran, an zweiter Stelle steht die Lausitzer Neiße, an dritter der Bober mit Einschluß der Queis und anderer Zu- flüsse. Das Gesamtvolumen der Nebenflüsse bei MHW steht hinter den entsprechenden des Haupt- stroms nicht wesentlich zurück, beträgt jedoch bei MN\\' und MW nur etwa 60 v. H. der ent- sprechenden Menge beim Hauptstrom. Für das Volumen der kleinen hier nicht besonders an- geführten Neben- und Zuflüsse, wurde nach bestem Ermessen soviel in Rechnung gestellt, daß ich als das Gesamtvolumen des Oberflächenwassers des Oderstromes die runde Summe 170 bzw. 420 bzw. 1300 Millionen cbm erhielt, d. i. je 24 bzw. 28 bzw. 29 v. H. der entsprechenden Volumina des Eibstroms. Selbst bei MHW übertrifft also das Odervolumen dasjenige des Mauersees in Ost- preußen nur um etwa 30 v. H., bei MW kommt es etwa dem des Dratzigsees gleich, bei MNW bleibt es noch ansehnlich hinter dem Volumen des Gr. Lübbesees zurück. b. Das Wasser der Seen des Odergebietes. Von den Nebenflüssen der Oder besitzen die Bartsch, Warthe, Netze, Welna, Obra, Küddow, Drage und Ihna Seen, jedoch in sehr verschiedenem Umfang, dazu kommt noch der Dammsche See, welcher mit dem Hauptfluß unmittelbar im Zu- sammenhang steht. Das Bartschgebiet umfaßt Teiche mit einem Areal von ungefähr 80 qkm und einem Wasservolumen von höchstens 60 Millionen cbm, das Seengebiet der oberen Netze veranschlagt das Oderstromwerk auf loi qkm, das der Küddow auf iiS qkm, das der Drage auf 100 qkm. Die Oberfläche der Seen der mittleren und oberen Warthe schätze ich auf 50 qkm, auf etwa ebensoviel je das der Obra und Welna, auf 100 qkm das der Ihna und der kleinen Zuflüsse der Oder. Zusammen mögen die an die Oder angeschlossenen natürlichen Seen 550—600 qkm umfassen, deren Volumen bei der rel. bedeutenden Tiefe mehrererSeen Hinterpommerns auf mindestens 3V.2 cbkm zu schätzen ist. Dazu kommt noch der Dammsche See mit einem Volumen von etwa 0,3 cbkm , so daß die Wassermenge sämt- licher Oderseen rund 4 cbkm betragen mag, also absolut genommen nur etwas mehr, als die Wassermenge der Eibseen. Im Verhältnis aber zu dem im freien Flußs\-stem aufgespeicherten Wassermengen ist ihr Anteil erheblich größer als beim Eibstrom, denn sie übertrifft bei MW die- jenige des Hauptstromes um mehr als das 26 fache und die des ganzen Stromsystems um mehr als das 14 fache. Die Seen der Warthe mit ihren Nebenflüssen entsprechen ungefähr denen der Havel und der Spree; hier wie dort liegt in ihnen ein nicht unbeträchtlicher Teil des gesamten Grundwassers aufgespeichert, das sie in der Hauptsache er- nährt. c. Die Grundwassermenge des Odergebietes. Über die Berechnungsweise habe ich mich bereits oben bei der entsprechenden Berechnung des Grundwassers im Eibstrom ausgesprochen; ihr Volumen läßt sich auf 46 cbkm schätzen, d. i. absolut etwas mehr als bei der Elbe, noch weit schwerwiegender aber im Verhältnis zu den übrigen Wasserschätzen des räumlich erheblich kleineren Flußgebietes. Sie kommt dem Volumen des Bodensees nahezu gleich. Für die größere Grundwassermenge gegenüber dem Eibgebiet ist unstreitig ausschlaggebend der größere Einfluß der Urstromtäler der Eiszeit, welche bei der Oder schon am oberen Teil des Mittellaufes ihre Wirkung zeigen und namentlich auch das Flußgebiet des größten Nebenflusses, der Warthe, fast vollkommen beherrschen, während er sich im Eibgebiet in der Hauptsache erst vom unteren Teil des Mittellaufes ab geltend macht und dann besonders im Havelgebiet zum Ausdruck kommt, das sich aber an .Ausdehnung und Mächtig- keit mit dem Warthegebiet in keiner Weise messen kann. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. XVI. Nr. 8 Wassermenge des Hauptstromes Wassermenge der größeren Nebenflüsse Wassermenge der kleineren Nebenflüsse Gesamtwassermenge des fließenden Stromes Wassermenge der angeschlossenen Seen Gesamtwassermenge des Oberflächenwassers Wassermenge des Grundwassers Elbe Oder MNW M\\ MHW Millionen MNW cbm MW MHW 490 950 2600 92 225 62c 150 370 I 440 56 140 540 60 iSo 460 22 55 iSo 700 I 500 4500 170 420 1300 3 200 3500 3 800 3500 3800 4 100 3900 5000 41 000 8300 3670 4220 46000 (Gx:) 5400 Einzelberichte. Botanik. Einwanderung einer amerikanischen Pflanze nach Norwegen. Der norwegische Bota- niker Rolf Nordhagen berichtet (Nyt Magazin for Naturvidenskaberne) über eine Pflanze, die bisher in Europa nur von einer Fundstelle her bekannt und aller Wahrscheinlichkeit nach aus den Vereinigten Staaten eingewandert ist. Es handelt sich um eine kleine, unansehnliche Strand- pflanze, Ranunculus cymbalaria, Pursh, die an der nordamerikanischen Ostküste zwischen Labrador und New Jersey, ferner in Südamerika und in Innerasien vorkommt. Im Sommer des Jahres 1916 entdeckte Nordhagen sie zufällig am Strande von Asmal, einer kleinen Insel im Kristianiafjord. Dort wächst sie in einer großen, üppig gedeihenden Kolonie, da ihr die Lebens- bedingungen anscheinend vortrefiflich zusagen. Nordhagen ist der Frage nachgegangen, wie dies vereinzelte Auftreten der Ranunculusart zu erklären sei, und er ist zu einer Antwort gelangt, die sicher befriedigt. Daß es sich um ein Eiszeit- relikt handelt, ist wegen der Lage des Fundortes höchst unwahrscheinlich. Fast sicher ist, daß es sich um eine Einwanderung in jüngster Zeit handeln muß. Die amerikanische Herkunft ist das Wahrscheinlichere, anderenfalls müßte man Verschleppung durch Vögel aus Asien annehmen, und in diesem Falle wäre es auffallend, daß der Fundort so weit westlich liegt, während kein anderer, weiter östlich gelegener bekannt geworden ist. Nimmt man die Einwanderung aus Nord- amerika an, so kommt der Wind als Überträger kaum in Betracht; da die Fundstelle abseits vom Verkehr liegt und nur Lokaldampfer Asmal be- rühren, scheidet auch die Einschleppung durch Verkehrsmittel aus, und falls es sich nicht um absichtliche Anpflanzung durch einen Liebhaber — man denke an die Verbreitung von Linaria cymbalaria durch den Dichter und Naturfreund Heinrich Seidel! — handelt, muß der Golf- strom Samen der eingewanderten Pflanze an Algen oder frei im Wasser an die Insel gespült haben, was ein Beweis für die große Widerstandskraft der Samenkörner dieser Pflanze gegen Salzwasser wäre. Daß der Golfstrom wirklich Früchte und Samenkörner an die jütische und skandinavische Küste trägt, haben besonders Lind man und Sernander nachgewiesen. Daß die Samen- körner gerade nach Asmal gelangt sind, muß als Zufall aufgefaßt werden. Durchaus wahrscheinlich ist es auch, daß die neuaufgefundene Hahnenfußart auch auf der einen oder der anderen der vielen Inseln an der skandinavischen Küste Fuß gefaßt hat, die botanisch durchaus nicht alle durchforscht sind. H. P. Literatur. Rult weit. 522 1,25 M. Sachs, Prof. Dr. H., Bau und Tätigkeit des mensc: , W. J., Berufswahl. Aus Natur und Geistes- Leipzig und Berlin '16, B. G. Teubner. — liehen Köi per; Einführ die Physiologie des Menschen 4. Aufl. Mit 34 Textabbildungen, ebenda. — 1,25 M, Kossmat, Prof Dr. Fr., Paläogeographie. (Geologische Geschichte der Meere und Festländer.) 2. neubearbeitete Aufl. Mit 6 Karten. Berlin und Leipzig 16, G. J. Göschensche Verlagshandlung. - I M. Hoffmeister, C, Kurze Einführung in die Wunder am Sternenhimmel. Für nächtliche Wanderer, unsere Jugend und unsere Soldaten mit Rücksicht auf den Gebrauch des Feldstechers. Mit i Tafel. Bamberg '16, C. C. Buchner. — 0,50 M. Inhaltt K. Müller, Angewandte Botanik. S. 97. W. Halb faß, Die im Elb- und Oderstromgebiet vorhandene Wasser- menge. S. 105. — Einzelberichte: H. Pander, F.inwanderung einer amerikanischen Pflanze nach Norwegen. S. I!2. — Literatur: Liste S. 112. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 4. März 1917. Nummer 9. Relativität und Gravitation. [Nachdruck verboten.] I. Absolute und relative Bewegung. Wir befinden uns in einem von zwei Eisenbahn- ziigen, die auf einem Bahnhofe halten. Langsam setzt sich der eine Zug in Bewegung. Niemand von uns kann genau sagen, welcher Zug es eigentlich ist. Wir pflegen in solchem Falle instinktiv nach der anderen Seite hinauszuschauen, um an den feststehenden Bahnhofsgebäuden zu entscheiden, welcher Zug sich in Bewegung ge- setzt hat. Diesen Tatsachen liegt das Prinzip zugrunde, daß man die Bewegung eines Systems nur mit Zuhilfenahme von Punkten, die außerhalb dieses Systems liegen, feststellen kann und nur die Bewegung in bezug auf diese messen kann. Dazu noch einige Beispiele: Wir befinden uns in einem Ruderboot auf einer Wasserfläche, die irgend- eine Strömungsrichtung hat. Ufer, Sterne, Grund, Wind sollen nicht vorhanden sein. Ist es dann möglich, durch irgendwelche Hilfsmittel im Boot, etwa die Ruder, festzustellen, wohin das Wasser strömt? Viele Menschen, denen ich diese Frage vorlegte, bejahten zunächst. Sie glauben, es sei schwerer gegen den Strom als mit dem Strom zu rudern. Doch wenn man sich klar macht, daß das Boot in bezug auf die umgebende Wasser- masse in Ruhe ist und es nun gleichviel Arbeit erfordert, das Boot nach irgendeiner Seite hin in bezug auf die es umgebenden Wassermoleküle zu verschieben, so ist einzusehen, daß man die Frage verneinen muß. Man muß nur fähig sein, von den außerhalb liegenden Punkten, also namentlich dem Ufer, völlig abzusehen. Ist jemand durch diese Beweisführung noch nicht überzeugt, so möge er sich überlegen, daß es im anderen Falle ja auch schwieriger sein müßte, in einem gleichmäßig fahrenden Kisenbahnzuge nach vorn zu gehen als nach hinten, oder auf der Erde müßte man nach Osten schwerer vorwärts kommen als nach Westen. Die Antwort: Es ist schwerer gegen den Strom zu rudern als mit ihm, ist also nicht richtig. Das Wort „Strömung" hat eben, wenn kein weiteres Bewegungssystem vorhanden ist, gar keinen Sinn. Da man also eine Bewegung immer nur re- lativ zu gewissen äußeren Punkten feststellen kann, ist es unmöglich, eine absolute Bewegung fest- Von P. Riebeseil in Ilamljurg. Mit 2 Abbildungen im Text. zustellen, relativ zu einem ab.solut ruhenden Ko- Eins Für weitergehende Studien sind zu empfehlen: n, Die Grundlage der allgemeinen Relativitäts- theorie, Leipzig 1916; K. Freundlich, Die Grundlagen der Berlin 1916; M. Born, der allgemeinen ilhcorii Ein st ein sehen Gravitation Einsteins Theoiie der Gravitation Relativität, Phys. Zeitschr. 1916. ordinatensystem, das ich ja auf keine Weise irgend- wo fixieren kann. Kann ich nun aber absolute Bewegung nicht feststellen, so darf diese unbekannte Größe auch in den Naturgesetzen nicht vorkommen, es muß ganz gleichgültig sein, wie sich unser Koordi- natensystem, auf das ich die Erscheinungen be- ziehe, gegen irgendein anderes bewegt. Für eine gewisse Art von Bewegungen scheint dies richtig zu sein: nämlich für alle geradlinig gleich- förmigen. Die Geschwindigkeit der Erde zu einem absoluten Raum spielt in der Mechanik niemals eine Rolle, ja wir wissen auch seit Galilei und Newton, daß alle mechanischen Vorgänge ganz gleichartig verlaufen, wenn ich sie von verschiedenen Systemen aus betrachte, wenn nur diese Systeme in geradlinig gleich- förmiger Bewegung gegeneinander begriffen sind. Erst wenn Beschleunigungen auftreten, ändern sich diese Verhältnisse. Diese Anschauungen haben durch das alte Trägheitsgesetz und den Satz: Kraft = Masse mal Beschleunigung ihre F"ormulierung erhalten. Man kann sie auch als das Galileische Relativitätsprinzip bezeichnen. Alle neueren Erweiterungen folgen mit Not- wendigkeit aus dieser Grundlage, alle Gegner der neueren Ergebnisse sind sich über die Be- deutung des alten, lange anerkannten Prinzips und über die ihm zugrunde liegenden Forderungen nicht klar geworden. 2. Relativität und Äther. Während in der Mechanik das so definierte Relalivitätsprinzip allgemeine Geltung zu haben schien, traten in der Optik Schwierigkeiten auf Hier kommt zu zwei Systemen immer ohne unser Zutun als drittes der Äther hinzu. Habe ich also zwei verschiedene Systeme oder Laboratorien S und S, , die in einer gleichförmigen Translation gegeneinander begriffen sind, so kann das eine in bezug auf den Äther ruhen, während das andere sich bewegt. Es streicht also durch das eine ein Ätherwind, und dieser könnte an den optischen oder auch elektromagnetischen Er- scheinungen meßbar werden. So müßte z. B. die Geschwindigkeit des Lichts nach verschiedenen Himmelsrichtungen auf der Erde eine verschiedene sein. Denn, fassen wir das Licht als von der Licht- quelle in den Äther ausgesandte Boten auf, so müßten diese schneller vorwärts kommen, wenn die Erde H Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 9 ihnen entgegenkommt, während sie in bezug auf die Erde langsamer vorwärtskommen, wenn diese gleichsam unter ihren Füßen wegläuft. Die Be- wegung der Erde um die Sonne, die wir als schnellste Bewegung (etwa 30 km in der Sekunde) zur Verfügung haben, müßte also auf die optischen Erscheinungen von Einfluß sein. Natürlich wird dieser Einfluß schwer zu beobachten sein. Denn, man kann sich leicht vorstellen, daß er haupt- sächlich von dem Verhältnis der Erdgeschwindig- keit zur Lichtgeschwindigkeit abhängt. Da dieses Verhältnis nun sehr klein ist (v ; c = 30: 300 000, d. h. v: c= I : loooo) und sich außerdem zeigen läßt, daß erst die zweiten Potenzen von v : c in Frage kommen, so ist klar, daß der Effekt nur schwer feststellbar ist. Es hat sich aber ein Ver- such anstellen lassen, bei dem auch Größen zweiter Ordnung im Bereich der Beobachtungsmöglichkeit lagen, das ist der Michelsonsche Versuch, der nun beschrieben werden soll. 3. Der Michelsonsche Versuch. Es handelt sich um einen Versuch, der die Veränderung der Lichtgeschwindigkeit mit der Richtung zeigen sollte. Es ist eigentlich der be- kannte Fizeausche Versuch, nur daß zwei Richtungen gleichzeitig unter sucht werden. Ist '^A A, in, der Abb. I AB in Richtung der Erdbewegung aufgestellt und AC senkrecht dazu, außerdem AB = AC = a, so sollen die Zeiten betrachtet werden, die das Licht zu den Wegen ABA und ACA gebraucht. Für den Weg AB wird die c -j- v' Der Gesamtweg ist also: . a 2ac 2a ■v c-j-v c^ — v^ c „ Vernachlässigen wir Glieder höherer Ordnung als die zweiter in , so ist die Zeit t. = 2 - ( i -i — --). c ' c \ c- / Für die Berechnung der Zeit t, ist zu be- achten, daß der Lichtstrahl den Spiegel C treffen wird, wenn dieser sich etwa in Cj befindet. Dann ist die resultierende Geschwindigkeit in Richtung Aj Cj gegeben durch }c- — v-. Dadurch wird 2a _ 2a _ a / I v-\ ^2 = Y^ISyi' - -l/^^~~ ^ C '/ + 7 C^l' '7 ' ^ wenn wir wieder die Glieder höherer Ordnung weglassen. Der Zeitunterschied ist also Dieser Zeitunterschied müßte sich nun bei Drehung des Apparates ändern und dadurch an Interferenzen nachweisen lassen. Alle Versuche haben aber ein negatives Resultat gehabt. Der Ätherwind scheint also gar nicht zu existieren. Um dieses merkwürdige Resultat zu erklären, gibt es mehrere Möglichkeiten: 1. Es gibt keinen ruhenden Äther, sondern dieser wird von jedem bewegten Körper mit- geführt. 2. Wenn das Licht aus fortgeschleuderten Teilen besteht, so haben diese außer der Ge- schwindigkeit c noch die Geschwindigkeit der Lichtquelle, und dann wäre die Geschwindigkeit des Lichts von seiner Richtung und von der Be- wegung der Lichtquelle abhängig. Interferenzen brauchten in diesem Falle nicht aufzutreten. Leider lassen sich beide Annahmen mit ver- schiedenen astronomischen Tatsachen nicht ver- einbaren, und so bleibt nur die folgende Mög- lichkeit übrig. 3. Die Strecke AB hat sich verkürzt. Inwie- weit diese Verkürzung nur eine scheinbare ist, soll später gezeigt werden. 4. Die geometrischen Transformationen. Das Eigentümliche an Einsteins Schluß- weise ist, daß er den Mich elson sehen Versuch an die Spitze stellt und nun die Forderung er- hebt: Ich muß die Raum- und Zeitmessungen bei bewegten Systemen so einrichten, daß der M i c h e 1 s o n sehe Versuch gar keinen Erfolg zeigen kann. Wie muß ich das machen.' Ich brauche nur zu verlangen, daß in jedem bewegten System die Lichtgeschwindigkeit dieselbe, gleich c, ist, dann können Abweichungen, die heim Mich eis onschen Versuch erwartet werden, gar nicht auftreten. Das heißt aber weiter nichts, als daß die Uhrenregulierung, d. h. die Definition der Zeit, in jedem System unabhängig vom anderen geschehen soll, nur nach der Vor- N. F. XVI. Nr Naturwisscnschaftliclie Wochenschrift. aussetzung, claß das Licht in einer Sekunde nacli allen Richtungen c = 300000 km zurücklegen soll. Um dies noch klarer zu machen , wollen wir etwas weiter ausholen. Ist in Abb. 2 die P^ntfernung zweier benach- barter Punkte ds, ein sogenanntes IJnienelement, zu berechnen, so ergibt sich (i) ds- = dx2 + dy-, wenn dx und dy die Unterschiede der Koordi- naten Xj , y^ von Xj , y^ "angeben. Es ist nun ganz gleichgültig, welches System ich zur Be- rechnung von ds zugrunde lege. Nehme ich z. B. das System x', y', das gegen x, y gedreht ist, so ergibt sich : ds- = dx'- -f dy'-. Ebenso könnte ich das x, y-System beliebig verschieben. Dasselbe würde natürlich sein, wenn ich das Koordinatensystem fest lasse und die Strecke ds beliebigen Verschiebungen oder Dre- hungen unterwerfe. Die Strecke ändert ihre Länge nicht. Das scheint selbstverständlich zu sein. Es ist aber nötig, auf diese Voraussetzung, die wir über die Beschaffenheit unseres Raumes machen, besonders aufmerksam zu machen. Was wir hier von Strecken behauptet haben, gilt auch von Figuren, es sind das die Voraussetzungen, die wir bei allen Kongruenzsätzen unserer Geometrie machen : Die Figuren lassen sich ohne Verände- rung beliebig verschieben. Wichtig ist, daß diese Eigenschaft der Unveränderlichkeit des Linien- elementes nicht nur in der Ebene, sondern, wie Gauß gezeigt hat, auf allen Flächen konstanten Krümmungsmaßes erhallen bleibt. So kann ich ein einmal auf einer Kugel gezeichnetes Dreieck ohne Änderung an eine beliebige Stelle der Kugel verschieben, während ich das beispielsweise auf einer eiförmigen Fläche nicht kann. Ebenso bleibt das Linienelement in seiner Länge erhalten, wenn ich von einer Fläche zu einer anderen auf ihr abwickelbaren übergehe. Beispielsweise kann ich ein Blatt Papier auf einen Zylinder abwickeln, ich kann auch das Papier zerknittern, die Längen bleiben dieselben. Ich kann aber das Stück Papier nicht lückenlos auf einer Kugel abwickeln. Bei all diesen Übergängen von einem System zum anderen bleibt das Linienelement unver- änderlich, oder wie man sagt, invariant. Da nun zwischen den Koordinaten des einen Systems X, y usw. und denen des anderen Systems x', y' usw. leicht ableitbare Beziehungen bestehen, sogenannte Transformationsgleichungen, so müssen diese so beschaffen sein, daß wenn in den Aus- druck für ds statt der dx usw. die Größen des gestrichenen Systems eingeführt werden, der Aus- druck im gestrichenen System dieselbe Form hat wie im ungestrichenen. Das ist nun aber nicht nur für das Linienelement der Fall , sondern für alle geometrischen Eigenschaften und auch für die Naturgesetze. Wir wissen seit Kopernikus, daß es kein oben und unten, kein rechts und links mehr gibt, d. h., daß das Relativitätsprinzip für den Raum absolut gültig ist. Die Naturgesetze bleiben invariant, d. h. wahren ihre Form, von welchem der zueinander ruhenden Raumysteme ich sie auch betrachte. 5. Die Galilei -Transformation. Wie ist es nun aber, wenn die Systeme in Bewegung gegeneinander sind ? Stellen wir uns wieder zwei Laboratorien vor, die zunächst in gleichförmiger Translation gegeneinander be- griffen sind. Das in bezug auf A ruhende Ko- ordinatensystem , in dem A die Vorgänge der Natur beschreibt, sei x, y, z, die Zeit t. Die ent- sprechenden Werte in B seien x', y', z', t'. Be- wegt sich nun B mit gleichförmiger Geschwindig- keit V längs der X-Achse des Systems A, so daß die X'-Achse in die Richtung der X Achse fällt, und die Y'- bzw. Z'-Achse den Achsen in A parallel bleiben, so gelten die Transformalionen : (2) x' = X — vt, y' = y, z' = z, t' = t. Diese Transformationsgleichungen sind seil Galilei die Grundlage der Mechanik. Die Natur- gesetze bleiben invariant, wenn man mit Hilfe dieser Gleichungen von einem System zum anderen übergeht. Das wichtigste Merkmal der Gleichungen ist, daß die Zeit in allen Systemen dieselbe bleibt. Ist also in einem die Zeit so definiert, daß das Licht in einer Sekunde c Meter zurücklegt, so gilt die gleiche Definition nicht mehr in einem zweiten. Lasse ich z. B. zur Zeit Null einen Lichtstrahl von A ausgehen, so zeigt die Uhr in B, wenn der Lichtstrahl dort angekommen ist, AB die Zeit . Denke ich mir nun als zweites c Laboratorium ein Luftschiff, das von A aus nach B fährt, so könnte dieses seine Uhren nicht nach derselben Definition stellen , es müßte vielmehr seine Uhren nach den gerade unter ihm befind- lichen des Systems A regulieren, denn in bezug auf das Luftschiff würde sich ja die Lichtwelle ganz anders ausbreiten. Welches System ist nun aber das zu bevorzugende? Wir sehen, daß wir hier an einer bedeutsamen Schwäche der früher ii6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 9 stets als richtig angesehenen Galilei- Iransfornia- tion angelangt sind. Die Zeitdefinition ist in- konsequent. Wegen der Größe der Lichtge- schwindigkeit sind die Abweichungen allerdings nicht hervorgetreten, aber in der Optik und Elektrodynamik zeigte sich, daß die Maxwell- schen Gleichungen der Galilei -Transformation gegenüber nicht invariant sind. 6. Die Lore ntz-Transformation. Die Frage, wie die allgemeinen Transforma- tionsgleichungen für eine gleichförmige Trans- lation beschaffen sein müssen, hat zuerst Lorentz beantwortet. Bewegt sich wieder das gestrichene System in derselben Weise wie im vorigen Ab- schnitt, und setzt man fest, daß die Zeiten unab- hängig voneinander nach irgendeinem vorher fest- gesetzten Modus definiert werden, so ergeben sich folgende Gleichungen : k- I (3) x'=k(x— vt),y' = y,z' = z,t'=k(t— ., -x), wo k eine Größe bedeutet, die mit einer Kon- stanten n durch die Gleichung verknüpft ist. n muß als universelle Raumkonstante bezeichnet werden, da sie rein durch die mathematische Operation der Aufstellung der Transformations- gleichungen auftritt, somit von keiner physi- kalischen Erscheinung abhängig ist. Um den Zahlenwert von n zu bestimmen, kann man ent- weder irgendeine Längen- oder Zeitmessung des Systems A von B aus nachprüfen, oder irgend- eine physikalische Erscheinung von beiden Sy- stemen aus beobachten. Beide Methoden liefern: 1. Überlichtgeschwindigkeiten gibt es nicht, da für V > c die Wurzeln imaginäre Werte liefern. 2. Zwei Ereignisse, die an verschiedenen Orten im ersten System gleichzeitig vor sich gehen, haben im zweiten System B die Zeit- differenz r 3. Die Entfernung zweier Punkte im System A : Xj — Xj = a verkürzt sich, wenn sie von B aus gemessen wird, nach der Formel; 4. Die Zeit ändert sich mit der Geschwindigkeit. Wie die Formel (4) für t' zeigt, wird die Zeit mit wachsendem v kleiner. Die bewegten Uhren scheinen vom ruhenden System aus betrachtet lang-, samer zu gehen. 5. Es wird: (5) x'--f y'- + z'- — c^t'- = x^ -f y- + z- — c''t-, d. h. zur Zeit t ist das Licht in A bis zur Kugel mit dem Radius et gekommen und in B ebenfalls bis zu einer Kugel mit dem Radius et'. Das ist aber nichts anderes als die Forderung unabhängiger Uhrenregulierung in beiden Systemen. Man hätte anch diese Forderung an die Spitze des ganzen Paragraphen stellen können und nach den Trans- formationsgleichungen fragen können, die diese Gleichung erfüllen. Das hätte uns auch zur Lore ntz-Transformation geführt. Dann heißen die Transformationsgleichungen, die sog. Lorentz-Transformation: 6. Führt man an Stelle der Zeit als vierte Koordinate die Größe / N , X Vt (4) X' = ~^=rr.=^=,, y 1/ = y, z'= z, t' f-^ Es tritt also hier die Lichtgeschwindigkeit c als universelle Konstante auf. Im allgemeinen wird natürlich jede Geschwindigkeit, die beobachtet wird, einen verschiedenen Wert ergeben, je nach dem System, von dem aus sie beobachtet wird. Nur die Lichtgeschwindigkeit ist in allen Systemen dieselbe. Zunächst sollte man meinen, daß nur eine unendlich große Geschwindigkeit in allen Systemen denselben Wert haben kann, doch die Loren tzschen Gleichungen zeigen, daß dies bereits für c der Fall ist. Außerdem sind noch einige interessante Folgerungen aus den obigen Gleichungen zu ziehen: ein, wo 1 = }' — i, so nimmt der obige Ausdruck die Form an: (6) 5- = x- + y2 + zä + F Das ist aber ein ganz ähnlicher Ausdruck, wie wir ihn vorher für das Linienelement abgeleitet haben. Die Loren tz-Transformationen sagen dann nichts weiter aus, als daß diese geraden oder kürzesten Linien im vierdimensionalen Raum bei beliebiger Drehung und Verschiebung des Koordinatensystems, d. h. gleichförmiger Trans- lation im dreidimensionalen Raum, ihre Länge nicht ändern. Die gleichförrnige Translation ist damit zurückgeführt auf eine Änderung der Zeit- koordinatenachse, die Physik wird eine Erweiterung der Geometrie. Die bisherigen Erörterungen ge- hören zur sog. „speziellen" Relativitätstheorie. N. F. XVI. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 7. Erweiterung auf allge me i n e Bewegungen. Muß nun nicht eine Ausdehnung der bisherigen Betrachtungen, die nur für gleichförmige Trans- lationen galten, auch auf ganz beliebige Be- wegungen vorgenommen werden ? Zunächst scheint das nicht möglich zu sein. Schon bei der gleichförmigen Rotation scheint das Relati- vitätsprinzip nicht erfüllt zu sein. Bisher waren alle Systeme, die sich gleichförmig geradlinig be- wegten, einander gleichberechtigt, ihre absolute Bewegung konnte man nicht feststellen, es waren, wie man sagt, berechtigte Systeme. Bei der Rotation scheint das anders zu sein. Wäre auch der Himmel ständig mit Wolken bedeckt, so daß wir außer der Erde liegende Punkte nicht wahr- nehmen könnten, so würde uns doch der Foucaultsche Pendelversuch die Rotation der Erde zweifelsfrei anzeigen. Und ähnlich ist es mit beschleunigten Systemen, die wesent- liche Abweichungen, bereits in den mechanischen Gesetzen, zeigen würden. Und doch sprechen verschiedene Gründe für eine Erweiterung der vorhergehenden Betrachtungen auf allgemeine Be- wegungen. Zunächst ein er ke nn t n i s t h eore t isc her Grund, auf den zuerst Mach aufmerksam gemacht hat. Es seien zwei flüssige Massen gegeben, die genügend weit voneinander entfernt sind, um gegenseitig keinen Einfluß aufeinander auszuüben. Beide Massen rotieren um die gemeinsame Ver- bindungslinie, wenn sie gegenseitig von Punkten der jeweilig anderen Masse beobachtet werden. Die Messung soll nun zeigen, daß die eine Masse eine Kugel, die zweite Masse ein Rotationsellip- soid ist. Welche Erklärung würden wir für diesen Vorgang abgeben? Wir sagen: der Raum, für den die kugelförmige Masse in Ruhe ist, ist ein berechtigter Raum, für ihn gelten die Naturgesetze, während der Raum, in bezug auf den das zweite System in Ruhe ist, kein berechtigter Raum ist. Man darf aber nur beobachtbare Tatsachen als erklärende Ursachen zulassen. Der „berechtigte Raum" ist nicht beobachtbar. An sich liegt kein Grund vor, den einen Raum als berechtigt, den anderen als unberechtigt zu erklären. Der Grund liegt vielmehr, wie wir wissen, in den sonst noch vorhandenen Massen. Die Naturgesetze müssen also so beschaffen sein, daß sie beide Räume als berechtigt anerkennen, und die verschiedenen Vorgänge von beiden Systemen aus mit Hilfe der fremden Massen erklären. Die Gesetze der Physik müssen demnach für beliebig bewegte Systeme gelten. Das folgt allein aus der besprochenen erkenntnistheoretischen Forderung, nur beob- achtbare Tatsachen zur Erklärung der Wirkungen heranzuziehen. Aber auch physikalische Gründe sprechen für die P>weiterung. Denken wir uns wieder unsere beiden Labora- torien A und B etwa als zwei Fahrstühle in Be- wegung gegeneinander begriffen. A soll ruhen und B in beschleunigter Bewegung nach oben begriffen sein. Dann scheinen alle außerhalb befindlichen Gegenstände in bezug auf B nach unten zu fallen. Kann nun ein Beobachter in B wirklich behaupten, daß er sich in beschleunigter Bewegung befindet? Etwa aus der Tatsache, daß alle Gegenstände unabhängig von ihrer physikalischen und chemi- schen Beschaffenheit sich gleichmäßig beschleunigt nach unten bewegen ? Offenbar nicht. Denn wir kennen eine Kraft, die dieselben Wirkungen auf die Körper ausübt: die Gravitationskraft. Auch diese erteilt allen Körpern, ganz unabhängig von der stofflichen Zusammensetzung, dieselbe Be- schleunigung. Diese Gleichheit der trägen und schweren Masse ist von jeher ange- nommen, sie ist durch die peinlich genauen Ver- suche von Eötvös noch besonders bewiesen worden. Ich kann also auch B als ruhendes und berechtigtes System ansehen. Durch die Koordi- natentransformation „erzeuge" ich dann ein Gra- vitationsfeld. Ähnlich ist es bei den Rotationen. Die bei ihnen auftretenden Zentrifugalkräfte können auch auf die Rotation der ponderablen fernen Massen der Umgebung zurückgeführt werden. Zentri- fugalkraft und Schwerkraft werden ja durch ein und dieselbe Naturkonstante, die Gravitations- konstante, gemessen. Das Zentrifugalfeld des rotierenden Körpers kann auch als Schwere- feld eines ruhenden Körpers gedeutet werden. Wir wollen dazu einige Beispiele geben. Newton schloß auf den absoluten Charakter der Rotation , indem er ein zylindrisches Gefäß mit Wasser in schnelle Rotation versetzte. Zu- erst nimmt nur das Gefäß die Rotation auf und solange bleibt die Oberfläche des Wassers hori- zontal. Je mehr aber das Wasser von den Wänden mitgerissen wird, um so mehr höhlt sich durch den Einfluß der Zentrifugalkraft die Ober- fläche aus, Die relative Rotation der Gefäßwände löst also in dem Wasser keine Zentrifugal- kräfte aus. Das ist natürlich kein zwingender Beweis. Denn es ist wohl möglich, daß, wenn das Gefäß eine Dicke von mehreren Kilometern hat, auch eine Zentrifugalwirkung zu beobachten wäre. Die Brüder F'riedländer haben zur Prüfung dieser Frage folgenden Versuch vorgeschlagen. Das Wasser wird durch eine empfindliche Drehwage ersetzt und das Gefäß durch die Masse großer Schwungräder. Die Zentrifugalkraft muß sich in einem Druck äußern, der von der Rotationsachse des Schwungrades weg gerichtet ist. Stellen wir also eine drehbare Nadel so auf, daß ihr Dreh- punkt in der Verlängerung der Achse liegt, so muß sich die Ebene der Nadel der des Schwung- fades parallel stellen, da dann alle Punkte der Nadel möglichst weit von der Achse entfernt sind. Daß der Versuch kein Ergebnis gehabt hat, spricht nicht gegen die Überlegungen, da die Massen des Weltalls immer noch unendlich groß gegenüber der des Schwungrades sind. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 9 8. Das Trägheits- und Gravitations- gesetz. Einstein erkannte, daß die Schwierigkeiten, die sich der Erklärung dieser Vorgänge bieten, in dem der Mechanik zugrunde liegenden Träg- heitsgesetz ihren Ursprung haben. Nach diesem Gesetz Galileis soll sich ein äußeren Kräften nicht unterworfener Körper mit gleichförmiger Geschwindigkeit in gerader Bahn bewegen. Be- trachtet man dieses Gesetz näher, so merkt man, daß es sehr wenig streng definierte Grundlagen besitzt. Zunächst fehlen zwei Bestimmungen: Auf welches Koordinatensystem bezieht sich die geradlinige Bewegung, und wie soll die Zeit de- finiert werden, nach der die Gleichförmigkeit vor sich gehen soll. Existiert allein der sich be- wegende Körper, so hat das Trägheitsgesetz natürlich keinen Sinn, ebenso wenn das Bezugs- system allein gegeben ist. Auch wenn das System unabhängig von einem greifbaren Körper gegeben ist, können wir dem Gesetz keinen Sinn beilegen. Ist aber das Koordinatensystem mit der Erde oder Sonne verbunden, so treten auch bereits Gravitationswirkungen auf. IVIit dem alten Trägheitsgesetz hängt nun aber die Definition des Massebegrififs aufs engste zu- sammen. Über die Schwierigkeit , die Masse zu definieren, wird sich wohl jeder Physiker einmal den Kopf zerbrochen haben. Nun stellte sich, zunächst bei den Kathodenstrahlen, heraus, daß die Masse der Elektronen abhängig von der Ge- schwindigkeit ist. Man ging dann dazu über, eine wahre Masse überhaupt zu leugnen , und die Masse nur auf Selbstinduktion der Elektronen zurückzuführen. Damit scheint aber auch das Gesetz von der Gleichheit der trägen und schweren Masse zu fallen. Einstein hat daher für die Formulierung dieses Gesetzes folgende Fassung vorgeschlagen : Der Satz, daß die Schwerkraft auf alle Körper gleich stark wirkt, soll in aller Strenge gültig sein. Bewegt sich dann ein Beobachter mit gleichförmiger Beschleunigung, so scheint ein allen Kräften entzogener Körper sich gleichförmig beschleunigt zu bewegen, geradeso als ob er in einem Schwere- felde fiele. Umgekehrt erscheint ein fallender Körper ruhend, wenn der Beobachter sich mit derselben Beschleunigung in Richtung des Gravi- tationsfeldes bewegt. Diese Tatsache wird von Einstein folgendermaßen verallgemeinert und als Äquivalenzprinzip an die Spitze seiner Mechanik gestellt: Jede unter der Wirkung irgend- welcher Kräfte stattfindende Bewegung eines Körpers kann durch geeignete Bewegung des Beobachters aufgehoben werden. Und umgekehrt: Jede durch Bewegung des Beobachters entstehende Änderung der Erscheinungen kann als Wirkung von Gravitationsfeldern aufgefaßt werden. Es müssen also die Naturgesetze ganz beliebigen Transformationen gegenüber invariant bleiben, wenn nur auf das Auftreten der Gravitationsfelder Rücksicht genommen wird. Trägheits- und Gravi- tationsgesetz sind somit zu einem Gesetz zusammengefaßt. Daß die Naturgesetze beliebigen Transformationen gegenüber invariant sein sollen, kann man sich zunächst nicht vorstellen. Doch es ist hier an die geometrischen Eigenschaften einer Fläche zu denken, die, wie bereits erwähnt wurde, bei Verbiegung und Verschiebung un- verändert bleiben, wenn nur der Abstand be- nachbarter Punkte, das Linienelement, konstant bleibt. Das ist eine Analogie zur vollständigen Relativität. 9. Die Einstein - Transformation. Daß nun bei der allgemeinen Relativitätsich außer der Zeit auch die gewöhnlichen Begrifte vom Raum nicht aufrecht erhalten lassen, zeigt Einstein auf folgende Weise: Wir denken uns zwei Systeme x, y, z und x', y', z' mit gemein- samer Z-Achse. Das zweite System rotiert um die Z-Achse. In den beiden zusammenfallenden X, Y-Ebenen denken wir uns einen Kreis und nun Umfang und Durchmesser dieses Kreises einmal im ruhenden, einmal im bewegten System gemessen. Im ruhenden ergiebt sich als Maß für das Verhältnis dieZahl TT. Mit dem bewegtenMaß gemessen, kommt aber eine Zahl heraus, die größer als n ist. Denn der am Umfang angelegte Maßstab erfährt eine Loren tz- Verkürzung, der am Durchmesser aber nicht. Das gewöhnliche, sog. euklidische Maßsystem läßt sich also nicht mehr anwenden. Ähnlich ist es mit der Zeit. Liest man z. B. die am Umfang des bewegten Kreises angebrachten Uhren vom ruhenden System aus ab, so scheinen sie infolge der Bewegung langsamer zu gehen. Die Ganggeschwindigkeit einer Uhr scheint also vom Orte abzuhängen, da die an der Peripherie des Kreises angeordneten Uhren langsamer gehen als die im Koordinatenanfangspunkt. Da sich kein bestimmtes Maßsystem für Raum und Zeit finden läßt, kommt man dazu, den Raum oder die Welt ganz allgemein als drei- bzw. vierdimen- sionale Mannigfaltigkeit aufzufassen und alle denkbaren Koordinatensysteme als gleich- berechtigt anzusehen. Den Begriff der M a n n i g f a 1 1 i g k e i t entlehnt Einstein von dem Mathematiker Riemann. Als Beispiel für eine solche Mannigfaltigkeit sei hier das System der Töne genannt. Ordnen wir die Töne nach Höhe und Stärke, so erhalten wir eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit. Zu jedem Ton gehören zwei Zahlen. Über die Maß- verhältnisse in der Mannigfaltigkeit ist aber zunächst gar nichts auszusagen, darüber muß die Erfahrung entscheiden. Bei den Tönen ist es ja so, daß jede Dimension mit einem besonderen Maß gemessen wird. Ähnlich können wir beim Raum jedem Punkt drei Zahlen zuordnen x,, Xj, x^, die irgendwelche Abmessungen bezeichnen, aber nicht etwa geradlinige Koordinaten. Es entsteht nun die Frage: Welchen mathe- N. F. XVI. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 119 matischen Ausdruck kann man dann für den Ab- stand zweier Punkte wählen? Darüber lassen sich folgende allgemeine Regeln aufstellen: 1. Sind die beiden benachbarten Punkte Xj, X2, x'; und x'i+dx,, x., + dxg, Xg + dxg, so soll die Entfernung ds proportional mit den dx wachsen. 2. Die Maßrichtung soll keinen Einfluß auf das Vorzeichen von ds haben, d. h. ds soll das Zeichen bewahren, wenn die dx ihr Zeichen wechseln. 3. ds soll nach allen Seiten zunehmen und im Anfangspunkt ein Minimum haben. Es muß also der erste Difterentialquotient verschwinden und der zweite von Null verschieden sein. Also muß der Ausdruck, der die Entfernung definieren soll, gleich ds- sein, wo ds die Quadratwurzel aus einer positiven ganzen homogenen Funktion zweiten Grades in den dx ist. Wir erhalten also : (7) ds = y gl, dxi 2 + gi2 dx, dxa + . . . + ggg dXg-, wo die g stetige Funktionen der drei Größen x,, X.,, X3 sind. Dabei sind über die Maße, in denen die x zu messen sind, gar keine Voraussetzungen gemacht. Legt man spezielle Kartesische Koordinaten zu- grunde, so haben wir nach den früheren P^ormeln für die g die Zahl i zu setzen. Dieser Spezialfall bedeutet nichts anderes als daß das Linienelement von der speziellen Lage des Punktes ganz un- abhängig ist, es ist beliebig verschiebbar. Dem- gegenüber hat nun die verallgemeinerte Darstellung des Linienelementes den Vorteil, daß sie nicht nur V^erschiebungen, sondern ganz beliebige Transformationen zuläßt und doch die P'orm be- wahrt. Es muß also zugrunde gelegt werden, wenn wir die Lwarianz der Naturgesetze beliebigen Transformationen gegenüber verlangen. Lassen wir auch noch Bewegungen der Koordinatensysteme zu, so können wir diese, wie wir gesehen haben, durch Zuhilfenahme der vierten Koordinate Xj, die durch die Zeit bestimmt wird, in einer vierdimensionalen Mannigfaltigkeit deuten. Aus den Gleichungen für das Linienelement kommt man nun zwanglos zu den physikalischen Grundsätzen : Ein kräftefreier Körper soll sich nach dem Hamiltonschen Prinzip auf geradester Bahn bewegen. Von den verschiedenen ds , die von einem Punkt aus möglich sind, soll das kleinste ausgesucht werden. Das wird mathematisch aus- gedrückt durch den Ausdruck, der für die geodä- tischen oder kürzesten Linien auf einer Fläche gilt ; (S) dfds = o, d. h. die Variation zwischen zwei genügend nahen Punkten der Bahn soll verschwinden. Darin steckt natürlich das alte Trägheitsgesetz. Ebenso die Forderung der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit der speziellen Relativitätstheorie. Legen wir nämlich die einfache Form (9) ds- = dx- + dy- + dz'-' — c'- dt' zugrunde, so ergibt sich daraus die Gleichung für die Lichtausbreitung x2 + y2 + z2 — cH'^ = 0, die wir bereits früher abgeleitet haben (5). In der neuen Einst ein'schen Fassung liefert aber die Gleichung (8) ein viel allgemeineres Gesetz. Unter dem Einfluß von Trägheit und Schwere schreitet jeder Punkt auf einer geodätischen Linie der Raum -Zeit -Mannigfaltigkeit fort. Das sind natürlich im allgemeinen keine geraden Linien, da das Gravitationsfeld mit dem Zwang zu ver- gleichen ist, der den Punkt veranlaßt, sich auf einer bestimmten Fläche zu bewegen. Die g (Gravitationspotentiale) sind dabei Funktionen, die von den umgebenden Massen abhängen. Ist kein Gravitationsfeld vorhanden, bewegt sich der Punkt also kräftefrei, so gilt die Gleichung: df]' dx- + dy- + dz-^c"^Mt^= O. L^nterwerfe ich diesen Ausdruck irgendeiner Beschleunigungstransformation, so treten in ihm die Größen g auf. Es wird: (•o) öf] gji dxi^ -f gi2 dx.j2 -f . . . . gii dx,'^ = O. Es können also die durch die Transformation „erzeugten" Funktionen g auch als Wirkungen eines Gravitationsfeldes erklärt werden, so daß das Äquivalenzprinzip erfüllt ist. Die Gravitations- probleme sind somit Folgerungen einer allge- meinen Bewegungslehre der Relativitätstheorie. Aus (10) gelang es Einstein, die Gesetze der Planetenbewegung abzuleiten, und zwar folgt das Newton' sehe Gesetz als Spezialfall aus ihnen 10. Bestätigungen der Theorie. 1. Betrachten wir zunächst ein zeitliches Linienelement, d. h. setzen wir dx, = dxj = dx., = o, so wird: ds- = gii'dx^-. Da nun g^^ von Ort zu Ort sich ändert, heißt das : die Zeit ist mit dem Ort und dem Gravi- tationsfeld veränderlich. Man kann aber jedes schwingende Gebilde als L'lir auffassen, und es müßten die Schwingungszahlen dieser Uhr in der Nähe großer Massen mit dem Gravitationspoten- tial g sich ändern. Diese Änderung hat sich bei den Spektrallinien der Sonne tatsächlich mit großer Wahrscheinlichkeit gezeigt. Es ergab sich in dem größeren Gravitationsfeld der Sonne eine langsamere Schwingung der Natriumteile als auf der Erde, d. h. eine X'^erschiebung der Spektral- linie nach rot. 2. Nehmen wir ein räumliches Linienele- ment, d. h. setzen wir dt = o, so wird, wenn wir der Einfachheit halber auch dx, und dx., -= o setzen : ds-=g,idxi-. 120 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. Das ist im aligemeinen eine krumme Linie, d. h. auch die Bewegung des Lichts kann im Gravitationsfeld nicht geradlinig sein. Das ist ja auch unmittelbar einzusehen. Denn, denken wir uns einen Lichtstrahl durch das Fenster ins Zimmer treten und dieses in stark beschleunigter Bewegung, so muß der Strahl eine parabolische Bahn sein, wie aus der Analogie mit der VVurfparabel folgt. Die Abweichung würde für einen gerade am Sonnenrand vorbeigehenden Strahl etwa 2" be- tragen. Ein Stern müßte also um diesen Betrag gegen seinen wahren Ort versetzt erscheinen. Für die Beobachtung eines solchen Strahles kommen aber nur die totalen Sonnenfinsternisse in Frage. Wegen des Kriegsausbruchs hat die geplante Beobachtung 1914 nicht stattfinden können. 3. Die dritte Möglichkeit der Bestätigung liegt in der Abweichung des Einst einschen Gesetzes für die Planetenbewegung von dem Newtonschen. Nach dem Newtonschen Gesetz beschreibt jeder Planet eine Ellipse um die Sonne, in deren einem Brennpunkte die Sonne steht. Dabei ruht die Lage der Achsen dieser Ellipse zum Fixsternsystem. Es ist nun aber bei den meisten Planeten eine lang- same Drehung der Ellipse im Sinne der Bahn- bewegung festgestellt. Bei den meisten gelang eine Erklärung mit Hilfe der Störungseinflüsse anderer Planeten. Dagegen gelang diese Er- klärung nicht beim Merkur, der eine Drehung seines sonnennächsten Punktes (Perihel) um etwa 45" im Jahrhundert zeigt. Einsteins Ansatz für die geradeste Bahn des Merkur führt in erster Annäherung auf die Newtonschen Gleichungen, in zweiter liefert sie aber die Drehung qualitativ und quantitativ richtig. Es gibt natürlich zahl- reiche Theorien, die den Merkureffekt auch auf andere Weise erklären können. Aber fast alle müssen noch nicht beobachtete unbekannte Massen zur Hilfe nehmen, während Einstein die Wirkung nur aus der Sonnengravitation folgert. II. Schluß. Wenn so auch die praktischen Ergebnisse, die für die verallgemeinerte Relativitätstheorie sprechen (von den Beweisen der speziellen sollhier abgesehen werden), nur gering an Zahl und Wirkung sind, so ändert das an der großen Bedeutung der Grundge- danken der Theorie nichts. Sie enthält die spezielle Theorie (Lo rentz -Transformation) in sich, da diese im unendlich kleinen gilt, und ebenso enthält sie die klassische Theorie, die für c = 00 folgt. Daß die praktischen Abweichungen von der klassischen Theorie so gering sind, liegt natürlich an dem großen Wert für die Lichtgeschwindigkeit. Wenn also auch die Theorie eine Preisgabe der realen Bedeutung von Raum und Zeit verlangt, so liefert sie doch Gesetze, die allgemein, sowohl für die Bewegung der Himmelskörper als auch für die Bewegung der Atome, gelten. Alle mechanischen Kräfte sind aufGravitationswirkungen zurückgeführt. Ob die bei der Gravitation hier mit Erfolg vorge- nommene Ausschaltung des Begriffes Kraft, wie dies bereits Heinrich Hertz anstrebte, von der Gravitation auf alle Kräfte ebenso erfolgreich ausgedehnt werden kann, muß allerdings weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. Erfreulich ist, daß an dem Ausbau der Theorie hauptsächlich deutsche Forscher Anteil haben. Kleinere Mitteilungen. Beobachtungen über das Vogelleben im Sommegebiet. In den Monaten Oktober und November 1916, in denen unser Regiment an der Somme lag, hatte ich Gelegenheit, interessante Beobachtungen über die dortige Vogelwelt zu machen. In der genannten Zeit tobte ununter- brochen Tag und Nacht der Kampf der Geschütze aller Kaliber, buchstäblich keine Minute gab es Ruhe in dem Tosen und Krachen. Und trotz alledem konnte man ein reiches Vogelleben be- obachten, wieder ein Beweis dafür, daß die Vögel nicht durch den Geschützdonner, ja selbst nicht durch einschlagende Granaten und platzende Schrapnells veranlaßt werden, ihre gewohnten Nist- und F'utterplätze zu verlassen. So konnte ich in Hof und Garten meines Ouartieres in P., das täglich beschossen wurde, Buchfinken, Meisen und Sperlinge munter sich tummeln sehen. L'nd dabei stand gar nicht weit davon eine schwere deutsche Batterie, die häufig über unser Quartier hinweg feuerte. Wenn wir im Morgengrauen zu unserer Infanteriebeobachtung in der Nähe eines Parkes bei P. wanderten, begrüßte uns jeden Morgen das heisere Krächzen mehrerer Krähen- paare, die in den Bäumen des Parkes ihr Heim aufgeschlagen hatten. Wenn der Park, der jeden Tag ein paar Hundert Granaten und Schrapnells von den Franzosen zugesandt bekam, unter Feuer lag, kreisten die Krähen gleichsam über die Munitionsverschwendung schimpfend über den Bäumen, bis es wieder Ruhe gab. Als eines Tages unser Graben, der Park und der dazwischen liegende Acker besonders stark im P"euer lagen, erhob sich in einer F"euerpause aus dem Acker eine Lerche und stieg, als ginge sie das alles nichts an, trillernd in die Höhe. Das Scheren- fernrohr zeigte auch reizvolle Vogelbilder, vor uns lag eine Kiesgrube umstellt von hohen Bäumen, in ihren Asten trieb ein ganzer Schwärm, wohl 20 — 30 Stück von Eichelhähern sein munteres Spiel. Und in der Kiesgrube landeten täglich N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. schwere Minen und Granaten. In dem daneben hegenden Waldstückchen, meist Erlen, beobachtete ich Tag für Tag einen Schwärm Zeisige und Elstern. Vom Obergeschoß meines Quartieres in P. hatte man einen weiten Blick über das Sumpf- gebiet der Somme. Manche Stunde habe ich dort zugebracht mit der Beobachtung der grünfüßigen Teichhühner, die in großer Zahl die Wasserflächen belebten, und der allerdings weniger zahlreichcTi Stockenten. Mit dem Glase sah man die munteren Tierchen herumrudern und tauchen. Daß hier öfters schwere Granaten einschlugen, war ihnen offenbar völlig gleichgültig, ja sie hatten sogar schon allerlei im Kriege gelernt. Eines Tages beobachtete ich nämlich ein äußerst komisches Bild. In der Nähe einer Wasserfläche, auf der sich etwa 15 Teichhühnchen tummelten, schlug eine schwere Granate ein, die V\'asserfläche mit Erde, Holzstückchen usw. überschüttend. Sowie die Granate krepierte, waren alle Tcichhülmchen untergetaucht, sie „nahmen volle Deckung", als der Wasserspiegel sich einigermaßen beruhigt hatte, erschienen sie wieder auf der Bildfläche und schwammen umher, als sei nichts geschehen. Um so mehr war ich überrascht, als ich in und unmittelbar bei dem Dörfchen H. fast gar keine Vögel entdecken konnte, trotzdem es hier viel ruhiger war als an den -Stellen, von denen ich oben sprach. Ich glaube des Rätsels Lösung darin finden zu können, daß es hier zahlreiche wildernde Katzen gab, die von der Zivilbevölkerung zurückgelassen waren. Kam man weiter vom Dorfe ab zur Somme hin, so erschienen auch wieder die Vögel, und in mancher Nacht mischte sich in das scharfe Tak-tak-fak der feindlichen Maschinengewehre das laut prahlende Tak-tak-tak- tak der Enteriche auf der Somme. An anderer Stelle sah ich, wie zwei Granaten, die einem von uns besetzten Dorfe galten, durch die Kronen einer l'appejgruppe fuhren, ein Schwärm von wohl mehreren Tausenden von Staren erhob sich, kreiste einige Zeit und ließ sich dann ruhig wieder am alten Platze nieder. Gänzlich erloschen ist das Tierleben nur dort in der Kampfzone, wo von den Dörfern kaum noch die Grundmauern stehen, wo die Bäume nur zer- splitterte Strünke sind und wo auf dem Lande ein Granattrichter neben dem andern liegt. An solchen Stellen sah ich tierisches Leben nur noch in den Gräben: Ratten von der Größe der Katzen und Läuse in Stärke ganzer Divisionen. E. Zieprecht. Mineralöl als Speiseöl. Die tiefgreifenden Änderungen, die der Krieg auf dem Nahrungs- und Genußmittelmarkt hervorgerufen hat, haben es mit sich gebracht, daß wir manche unserer Anschauungen über die Zulässigkeit gewisser Er- satzprodukte einer Revision unterzogen haben. Es genügt, hier an das jetzt so willkommene Saccharin als Zuckerersatz zu erinnern. Infolge- dessen darf es nicht wundernehmen, daß auch die Frage, ob Mineralöle sich zum mensch- liche Genüsse eignen, ernstlich in Erwägung ge- zogen wird. In der Fachzeitschrift „Petroleum" machte Dr. Ed. Graefe, einer unserer bekann- testen Erdölforscher, vor kurzem den Vorschlag, als Notbehelf für Speiseöl zur Zubereitung von Salaten usw. hochsiedende, gereinigte Mineralöle zu verwenden. Voraussetzung ist hierbei, daß die Mineralöle auf chemischem \\'ege so weit ge- reinigt sind, daß sie ihren typischen Mineralöl- geschmack und -geruch verloren haben. Graefe hat seit längerer Zeit Versuche im eigenen Haus- halt mit Paraffinöl und mit gereinigten Schmier- öldestillaten rumänischer Herkunft angestellt und niemals unangenehme oder schädliche Wirkungen feststellen können. Es wäre daher erwünscht, wenn das Reichsgesundheitsamt sich mit dieser Frage befassen würde, da bei Bestätigung der Er- fahrungen Graefe's auf diese Weise ein in be- zug auf Geschmack und Wirkung vollwertiges Salatölersatzmittel gewonnen werden könnte. Der einzige Unterschied zwischen einem derartigen Mineralöl und einem Speiseöl besteht darin, daß ersterem kein Nährwert zukommt; die Verhält- nisse liegen hier also genau so wie beim Saccharin und Zucker. Da durch die Ausführung des Graefe 'sehen Vorschlags große Mengen von Speiseölen für die Kunstspeisefettherstellung ge- wonnen würden, die bei der Verwendung als Salatöl zum Teil verloren gehen, so verdient die Anregung jedenfalls zur Diskussion gestellt zu werden. Dr. B. Farbenvariationen von Helix nemoralis auf dem westlichen Kriegsschauplatz. Die jedermann bekannte, im größten Teile Europas sehr häufige Zirkelschnecke Helix nemoralis L. oder Tachea nemoralis (L.) neigt im Süden und Südwesten Europas zu erheblicherer Variabilität an Größe, Gewindehöhe, Schalenskulptur und durch Auf- lösung der Bänder in Fleckenreihen als sonst in ihrem Verbreitungsgebiet, wo sie zwar, wie z. B. in Deutschland, recht viele der 89 mathematisch möglichen Bändervariationen durch Ausbleiben und Zusammenfließen der fünf Bänder bildet, auch in der Grundfarbe des Gehäuses etwas ab- ändert, im übrigen aber doch recht konstant ist. Schon auf dem westlichen Kriegsschauplatze fanden sich an der Aisne weitergehende Abänderungen als bei uns. Nicht ganz selten bemerkte ich pigmentlose, hyaline Bänder und die Auflösung der Bänder in Fleckenreihen, was man beides, namentlich das letztere, in Deutschland viel weniger oft findet. Eine recht bemerkenswerte Abänderung "ist die in Abbildung 1, a u. b dargestellte: es handelt sich um Stücke, bei denen die Grundfarbe des letzten Umganges auf der unteren Hälfte vom dritten Bande ab oder, wenn dieses fehlt, von der Linie, die seine obere Begrenzung bilden würde, bis zum Nabel wesentlich heller gefärbt ist als Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 9 die obere Hälfte , und zwar stoßen die hellere und die dunklere Farbe mit äußerst scharfer Gtenzlinie aneinander. Besonders auffällig sind rötliche Stücke dieser Varietät dadurch, daß die untere Hälfte des Umgangs nicht nur heller, sondern zugleich viel gelber bis rein gelb gefärbt ist Solche Stücke sind also in der Grundfarbe ausgesprochen zweifarbig, mit den dunkelbraunen Bändern dreifarbig. Von den Bändern fehlt bei ausgeprägten Stücken dieser Varietät stets das erste und zweite und sehr oft (Abb. i b) das dritte, und es ist bemerkenswert, daß Gehäuse mit solcher Bänderung, also mit der Formel OOO45, an sich bei dieser Art und ähnlichen überaus selten sind. Ist das dritte Band vorhanden, so ist es doch nur fadendünn oder (Abb. i a) noch dünner. Das vierte und fünfte Band sind stets vorhanden, kräftig ausgebildet (Abb. i b) und oft zusammenfließend (Abb. 1 a). Neben ausgeprägten Stücken dieser P^arben- und Bändervarietät, die zusammen mit gewöhnlichen vorkommen, finden sich auch Mittelformen zwischen jenen und diesen. Eine andere dort in einer Mehrzahl von Stücken aufgefundene, sonst noch nicht beschriebene Farben- oder, genauer gesagt, lediglich Bänder- varietät besteht darin, daß in der Mitte zwischen dem dritten und vierten Bande ein fadendünnes überzähliges Band zieht, wie in Abb. i c. Genauer werde ich diese beiden Varietäten an anderer Stelle beschreiben und die erstere „var. tricolor" benennen. V. Franz. Einzelberichte. Paläontologie. Die zunehmende Kenntnis triadischer Faunen aus allen Teilen der Erdober- fläche ermöglicht es, eine zusammenfassende Dar- stellung der paläogeographischen,- biologischen und klimatischen Verhältnisse während derTrias- periode zu geben, um so mehr als bereits eine derartige Abhandlung für den Jura und die Unterkreide vorliegt. C. Diener behandelt die marinen Reiche der Triasperiode (Denkschriften der Kaiser!. Akad. d. Wissensch. in Wien, Mathem.- naturw. Klasse. 92. Bd.). Für die Aufstellung mariner Reiche in der Trias erscheinen die Cephalopoden wegen ihrer kurzen Lebensdauer, ihrer großen und raschen Verbreitungsfähigkeit, der leichten Veränderlich- keit ihrer spezifischen Merkmale besonders geeignet. Von den anderen Wirbellosen können die I^amelli- branchiaten, namentlich die Gattungen Halobia, Daonella, Pseudomonotis, Myophoria, bei paläo- geographischen Untersuchungen wichtig werden. Im allgemeinen lassen sich in der Trias vier große marine Reiche unterscheiden: I. das boreale Reich, 2. das mediterrane Reich, 3. das hima- malayischc Reich, 4. das andine Reich. Das boreale Reich umfaßt die marinen Ab- lagerungen von Spitzbergen, der Bäreninsel, des unteren Olenek, nördlichen Sibiriens, von Elles- merland, Alaska, Britisch Kolumbien bis Vancouver. Es ist charakterisiert durch eine Anzahl Cephalo- podengattungen, die wieSibyllonautilus, Arctoceras, Czekanowskites, Olenekites, Keyserlingites, Telle- rites, Nathorstites, Dawsonites spezifisch boreal sind, und in den anderen Reichen nicht vorkommen. Namentlich in der Unter- und Mitteltrias des zirkumpolaren Gebietes macht sich eine starke Ab- geschlossenheit der borealen gegenüber der ge- mäßigt-äquatorialen Fauna geltend; erst in der hämischen Stufe gleichen sich die faunistischen Gegensätze immer mehr aus. Das mediterrane Reich umfaßt den Westabschnitt der Tethys von der Straße von Gibraltar bis Hocharmenien, greift aber zeitweise über die astrachanische Steppe bis in das Ouellgebiet des Jenissei hinein. Der fau- nistische und liihologische Unterschied zwischen der alpinen Trias und den sie im Norden, Westen und Süden umgebenden neritischen Randgürtel in Binnenmeerfacies zwingt zur Sonderung einer germanischen Provinz im Bereich des heutigen Deutschland und der Provence sowie einer iberisch- nordafrikanischen Provinz von dem eigentlichen mediterranen Reich. Die Errichtung anderer Provinzen innerhalb der mediteranen Trias läßt sich faunistisch nicht begründen. Dem medi- teranen Reich sind 10 Nautiloiden und 60 Ammo- noiden Genera bzw. Subgenera eigen, deren wichtigste Gruppen Syringoceras, Epiceratites, Kellnerites, Hauerites, Cochloceras, Glyphidites, Heraclites, Judicarites, Norites, Phyllocladiscites Psilocladiscites, Klipsteinia, Sphingites sind. Von den Bivalven zeichnen sich durch Niveaubeständig- keit aus Pseudomonotis in der skythischen Stufe, und Monotis in der Obertrias. Die Aufstellung eines himamalayischen Reiches erhäh seine Berechtigung infolge übereinstimmender Faunenentwicklung im Himala_\'a, in Südchina, Tonkin, Japan, bei Wladiwostok, auf Madagaskar, dem malayischen Inselarchipel , Neucaledonien , und Neuseeland. Wie im mediterranen Reich ist auch in diesem Lebensbezirk eine über 1000 m. N. F. XVr. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 123 mächtige Aufeinanderfolge geschichteter, tonig mergeliger, schiefriger, dolomitischer und kalkiger Sedimente von einer gering mächtigen bathyalen Kalk- und Marmorfacies (Tibetanische Klippen, Timor) zu trennen. Innerhalb des himamalayischen Reiches ist die Himalayische oder indische Trias- provinz von der IWalayischen Provinz zu unter- scheiden; zwischen beiden vermittelt die chine- sisch-hinterindische Provinz oder Subregion. Eine ziemlich gesonderte Stellung nimmt ferner die IVIaorische Provinz (Neucaledonien und Neu- seeland) ein. Faunistisch schließt sich das hima- malayische Reich an das mediterrane an. Zur skythischen Zeit macht sich allerdings ein fau- nistischer Gegensatz bemerkbar; doch sind zur amisischen und namentlich karnischen Zeit die Beziehungen zum mediterranen Reich sehr eng. Zahllose Gattungen sind beiden Reichen gemeinsam. Andererseits sind über 40 Genera oder Subgenera spezifisch himanialayisch, unter denen Buddhaites, Kashmirites, Parajuvavites, Tibetites die häufigsten und wichtigsten Formen abgeben. Als bezeich- nendes negatives Merkmal ist die Abwesenheit der im mediterranen Reich stark entwickelten Gattungen ßalatonites, Judicarites, Norites, Phyllo- cladiscites, Sibyllites usw. hervorzuheben. Ent- wicklungsgeschichtlich ist das himamalayische Reich wichtig als Heimat der Meecoceratiden und Ceratitiden, deren gemeinsame Wurzel in der permisch-skythischen Gattung Xenodiscus zu suchen ist. Das andine Reich erstreckt sich einerseits über die nordamerikanischen Staaten Californien, Oregon, Idaho, Nevada, andererseits über Mexiko, sowie Bolivien und Peru, zwar derart, daß eine californischc, peruanische und mexika- nische Provinz innerhalb des einheitlichen andinen Reiches zu unterscheiden sind. Obschon es mit den drei anderen Reichen, vor allem dem medi- terranen Reich, durch manche gemeinsame Typen verbunden ist, bleibt seine Selbständigkeit als mariner Lebensbezirk gesichert. Sie äußert sich in einer beträchtlichen Anzahl „andiner" Cephalo- podengattungen, als auch in dem völligen Fehlen der in den übrigen Triasreichen verbreiteten Cladiscitiden und Pleuronautiloideen. Eine Eigen- tümlichkeit der Californischen Provinz ist die starke Differenzierung der Ichthyosaurier sowie der Reptiliengruppe der Thalattosaurier. Die Verbreitung der marinen Faunen in den vier Reichen gestattet, die Hauptlandkomplexe von den dauernd vom Meer bedeckten Geosyn- klinalregionen abzugrenzen und deren Umrisse in den Grundzügen festzulegen. Ein großer Kontinent im Norden der Tethys, aus Fennoskandia und Angaraland gebildet; zwei der Tethys im Süden vorgelagerte Landkomplexe, Indoafrika im Westen, Australien im Osten; auf der westlichen Halbkugel Laurentia einschließlich des Mississippigebietes und Brasilia. Die zugehörigen Meere sind: i. Das Arktische Meer im Zirkumpolargebiet. Es hatte zur Zeit der karnischen Transgression seine größte Ausdehnung, doch war Nordsibirien west- lich der Lenamündung, Nowaja Semlja, Franz Josephs Land und das mit Laurentia verschmolzene Grönland Festland. Die Verbindung mit dem pazifischen Randmeer, die auf Grund faunisti- scher Übereinstimmungen angenommen werden muß, fand vom Ochotskischen Meer quer über Ostsibirien zur Olenek- Mündung statt. 2. Die Tethys erstreckte sich von der Straße von Gibraltar im Bereich der jungen P'altengebirge bis nach Tonkin; zur skythischen Zeit greift sie über die astrachanische Steppe hinüber und stand vielleicht an der Ostseite des Ural entlang mit dem Eismeer in Verbindung. Dem westlichen Teil der Tethys ist angegliedert das germanische und spanisch nordafrikanische Binnenmeer. Ersteres ist von der Tethys durch den sich s. w. bis n. ö. erstreckenden vindelizischen Rücken getrennt. Die Verbindung mit der alpinen Trias ging im Osten über Oberschlesien, die Tatra und die Beskiden nach den inneren Karpathen und dem Bakony, im Westen über das Rhünetal und die Provence, wo es mit dem spanisch - nordafrika- nischen Binnenmeer zusammentraf. Letzteres ist seinerseits von der alpinen Tethys durch den korsisch - sardinischen Inselrücken getrennt. Die alpine Tethys ist als ein Meer von mäßiger Tiefe mit einzelnen herausragenden Inseln (Montblanc Massiv, östliche Zentralalpen, Karnische Kette, Serbisches Massiv, Rhodope Masse) aufzufassen. Die Grenzen mit der östlichen Tethys sind noch unsicher. Südlich der Indusmündung schob sich das langgestreckte äthiopische Mittelmeer bis Madagaskar zwischen den afrikanischen Kontinent unddiemadagassisch-indischeHalbinsel(Gondwana- halbinsel), im Norden war Russisch-Asien und das mittlere China P'estland. Im Gebiet des heutigen Hinterindien trennte die Insel von Kambodscha einen ostchinesischen von einem burmanischen Meeresarm, die sich beide im Sunda Archipel wieder vereinigten. Ein Ozean im morphologischen Sinne war die Tethys nicht; sie stellt sich uns vielmehr dar als eine Aneinanderreihung einzelner inselreicher, zerlappter Ingressionsmeere mit wechselnder, aber meist geringer Tiefe und einer Maximalbreite von 2000 km; zeitweise muß eine Überbrückung dieses Mittelmeergürtels vorhanden gewesen sein, worauf die engen Beziehungen der Landwirbeltierfauna, namentlich der Labyrintho- donten von Schwaben, Südafrika und Indien hin- weisen. 3. Das pazifische Randmeer, dessen Ablagerungen von Neuseeland , Neucaledonien, den Molukken, den japanischen Inseln, der Mamga- Bucht am ochotskischen Meer, Alaska, der nord- amerikanischen Westküste bis Nieder-Californien, von Columbien und Peru bekannt sind , kommt dem Umriß des heutigen Pazifischen Ozeans ziemlich nahe. Wie in der Gegenwart war auch zur Obertrias das pazifische Randmeer von einem Kranz von \''ulkanen umgeben. Für die Annahme eines in der Mitte des heutigen pazifischen Ozeans gelegenen triadischen Kontinentes (Hang) sind keine positiven Beweise vorhanden. 4. Die Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 9 califo mische See bildet eine Erweiterung des pazifischen Raiidmeeres und reichte vom Puget Sound über Oregon, Wyoming, Idaho, Nevada und CaUfornien. Ihre Ostgrenze wird durch die kontinentalen redbeds bezeichnet, die von den Rocky Mountanis bis in das westliche Texas und weiter östlich dieser Linie nachgewiesen sind. 5. Der Poseidon. Wenngleich marine Ablage- rungen dieses „miitelatlantischen" Meeres nicht bekannt sind, muß seine Existenz aus den fau- nistischen Beziehungen zwischen der californischen und mediterranen Trias angenommen werden. Die Verbindung fand im Osten über die betische KordiUere, im Westen über die durch Meeres- ablagerungen gekennzeichnete Straße von Zacatecas in Mexiko statt. Ob eine zweite Verbindung nach dem andinen Reich über Columbien vor- handen war, läßt sich nicht mit Sicherheit nach- weisen. Während der Obertrias war der nörd- liche Atlantik von dem arktischen Meer durch eine wahrscheinlich in einen Inselarchipel auf- gelöste Landbrücke getrennt, über die die Land- Labyrinthodonten und Reptilien Mittel- Europas ihren Weg nach den westlichen Staaten Nord- amerikas fanden. Nach Süden dehnte sich der Poseidon etwa in seinem heutigen Umfang aus; positive Beweise für eine Landverbindung des Festlandes von Süd-Afrika mit Brasilia lassen sich aus der Wirbeltierfauna und der Flora beider Kontinente nicht entnehmen. 6. Die Ausdehnung des Indischen Ozeans während der Trias ist nicht bekannt, da Triassedimente im Küsten- bereich des heutigen Indischen Ozeans nur von Tenasserim, Malaka, Sumatra angegeben sind. Die Ähnlichkeit der Wirbeltierfauna und der Flora von Cambodscha und dem während der Trias festländischen Australkontinent macht eine zeit- weilige Verbindung beider Gebiete über die Inselbrücke des hinterindschen Archipels wahr- scheinlich. Die andere Begrenzung des indischen Ozeans ist zu suchen in der langgestreckten Gondwanahalbinsel, deren Existenz aus den engen verwandtschaftlichen Beziehungen der Landwirbel- tierfauna der südafrikanischen Karroo- und der indischen Gondwana-Schichten allgemein aner- kannt wird. Die Annahme eines indischen Ozeans macht zudem das unvermittelte, fast gleichzeitige Auftreten der Tropitiden und Haloritiden im Mittelmeer, im Himalaya und in der californischen See erklärlich, da für diese kryptogenen Typen der Indische Ozean eine ungestörte Entwicklung ermöglichte. Im allgemeinen betrachtet , erhält man ein Kartenbild von der Trias, das dem der Gegenwart ziemlich nahe kommt und mit der Annahme von der Stetigkeit der Kontinente und Ozeane gut übereinstimmt. Schon für die Trias ergibt sich ein Überwiegen der Landbedeckung auf der nörd- lichen, der Wasserbedeckung auf der südlichen Halbkugel, im Gebiet des Nordpols ein arktisches Meer, auf dem entgegengesetzten Pol ein ant- arktisches Festland. Der Nachweis von Klima- gürteln während der Trias, wie sie Neumayer für den Jura und die Kreide annimmt, läßt sich aus der Betrachtung der marinen Faunen allein nicht erbringen, wenngleich der ausgeprägte Gegensatz der borealen von der gemäßigt äquatorialen Fauna während der skythischen und anisischen Stufe den Gedanken einer klimatischen Differenzierung als Ursache dieser Faunensonderung leicht auf- kommen läßt. Dagegen spricht das Auftreten einer karnischen Fauna auf den Neusibirischen Inseln, die kein boreales Gepräge besitzt, vielmehr enge Beziehungen zum himalayischen Reich aufweist, sowie das Vorkommen rift'bauender Korallen in Alaska unter 6o-' nördlicher Breite. Auch die über weite Flächen übereinstimmende Verbreitung der Landfauna und Flora spricht mehr für ein gleichförmigeres Klima. Gleichwohl werden klimatische Differenzierungen vorhanden gewesen sein , nur gibt uns Fauna und Flora hierüber einstweilen keine x'^nhaltspunkte. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß alle bisher bekannten Triasfloren aus den Randgebieten der Meere stammen, daß aus dem Innern der Kontinente, wo die Annahme exzessiven Klimas sehr wahrscheinlich ist, bisher fossile Floren nicht bekannt sind. Auch dürfte die Verteilung von Land und Meer während der Trias, die Aus- bildung einer einheitlichen Wasserbedeckung im Bereich der heutigen äquatorialen Gebiete rings um die Erde ein wesentlich gleichmäßigeres Klima als in der Gegenwart bewirkt haben. L. Zoologie. Der Generationswechsel im Tier- und Pflanzenreich. Goeldi und F'ischer ^), Zoologe und Botaniker, ziehen einen Vergleich zwischen dem Entwicklungsverlaufe bei geschlechtlicher Fort- pflanzung im Tier- und Pflanzenreich und kommen zu dem Resultat, daß „der artliche Lebenszyklus bei Pflanze und Tier in bezug auf Entwicklung und Fortpflanzung in übereinstimmender Weise verläuft" (Goeldij. Der von Hofmeister bei den höheren Kryptogamen um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts entdeckte Generations- wechsel, der regelmäßige Wechsel zwischen un- geschlechtlicher und geschlechtlicher Generation, zwischen Sporophyt und Gametophyt, findet sich nicht nur auch bei Phanerogamen und niederen Kryptogamen, sondern er kommt nach Goeldi und Fischer überhaupt allen geschlechtlich sich fortpflanzenden Organismen zu, wenn er auch bei ') Goeldi, E. A., Vergleich zwischen dem Entwicklungs- verlauf bei der geschlechtlichen Fortpflanzung im Pflanzen- und im Tierreich und Vorschlag zu einer Verständigung zwischen Zoologen und Botanikern auf Grund einer einheit- lichen biologischen Terminologie. Verhandl. d. Schweiz. Xalurf. Ges., 97. Sitz., 11. Teil, Genf 191;. Goeldi, E. A. u. Fischer, Ed., Der Generations- wechsel im Tier- und Pflanzenreich, mit Vorschlägen zu einer einheitlichen biologischen Auffassung und Benennungsweise. Ein Beitrag zur Förderung des höheren naturkundlichen Unter- richts und des Verständnisses fundamentaler Lebensvorgänge. Milteil. d. Naturf. Ges. in Bern aus dem Jahre 1910, Bern 1916. N. F. XVI. Nr. 9 Naturvvissenscliaftliche Wochenschrift. [2S den höheren Organismen meist stark modifiziert ist und sich sein Vorhandensein nur noch durch theoretische Erwägungen erkennen läßt. Das veranlaßt sie , Vorschläge zu einer einheitlichen biologischen Auffassung und Benennungsweise zu machen , deren Annahme oder wenigstens Dis- kussion sie im Interesse der biologischen Forschung für dringend erwünscht halten. Diese Auffassung, des Generalionswechsels ist nicht neu, und be- sonders G o e 1 d i betont auch wiederholt , daß sein Interesse an diesen Fragen ganz wesentlich durch die Lektüre einer vor einigen Jahren er- schienenen Schrift des französischen Entomologen Jan et') geweckt und angefacht wurde. Janet hat indessen seinerzeit wenig Gegenliebe für seine Ideen gefunden, und nach einigen Aufsätzen zu urteilen , die das gleiche Thema behandeln und ungefähr zur gleichen Zeit erschienen sind wie die Abhandlungen von Goeldi und Fischer, dürfte es diesen niciit viel anders ergehen. Doch betrachten wir, ehe wir die Einwände anderer Forscher erörtern, zunächst die Vorschläge G o e 1 d i ' s und F i s c h e r ' s. Will man den Begriff „Generationswechsel", wie ihn die Botaniker seit Hofmeister ver- wenden, auf das Tierreich übertragen, so muß man, um Verwirrungen vorzubeugen, für den „zoologischen Generationswechsel" eine andere Bezeichnung suchen. Denn der Generationswechsel der Zoologen, den A. v. Chamisso 1819 zuerst bei den Salpen entdeckte, ist durchaus verschieden von dem Hofmeister' sehen Generationswechsel. Während dieser, auch „antithetischer (ienerations- wechsel" genannt, sich innerhalb des onto- genetischen Lebenslaufes eines und desselben Individuums abspielt, stellt jener einen Lebenszyklus zweier oder auch mehrerer, häufig sogar zahlreicher Individuen einer und derselben Art dar. Beim botanischen Generationswechsel folgt in strengem Rhythmus auf die sporophytische Generation die gametophytische oder, wenn wir die verschiedene Chromosomenzahl der beiden Generationen in der Bezeichnung zum Ausdruck bringen wollen, die diploide auf die haploide Generation. Beim zoologischen Generationswechsel können auf die geschlechtliche Generation mehrere ungeschlecht- liche folgen, auch ist die Fortpflanzungsweise der ungeschlechtlichen Generation (durch Teilung oder Knospung) eine ganz andere als dort, und sodann sind alle Generationen , geschlechtliche wie un- geschlechtliche, diploid, d. h. alle besitzen die „normale", die doppelte Chromosomengarnitur. Wollte man nach derh Prioritätsgesetze verfahren, so müßten freilich die Botaniker auf ihre Be- zeichnung verzichten, da ihr „Generationswechsel" der jüngere ist, aber in diesem Falle dürfte es wohl auch den meisten Zoologen zweckmäßig erscheinen, für den Hofm eist er "sehen Gene- 'j Janet, Ch., Le sporophyte et le gamctophyte du vegetal; le soma et le germen de l'insecte. Limoges 1912. ralionswechsel diese Bezeichnung beizubehalten, zumal da für den alten zoologischen Generations- wechsel bereits eine andere Bezeichnung existiert — Metagenesis. Sodann wird der Begriff von den Zoologen in sehr verschiedenem Sinne gebraucht; die einen bezeichnen nur den Wechsel zwischen geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Genera- tionen (Metagenesis) als Generationswechsel, die anderen rechnen auch den Wechsel zwischen zw ei geschlechtlichen und eingeschlechtlichen, d. h. parthenogenetischen, Generationen (Hetero- gonie) dazu. Dem Vorschlage von Goeldi und Fischer, die zoologische Auffassung des Be- griffes vom Generationswechsel aufzugeben, kann man also, wie mir scheint, ohne Bedenken zu- stimmen. Die beiden Hauptabschnitte beim antithetischen Generationswechsel sind der sporobiontische und der gametobiontische Abschnitt, Sporobi ont und Gametobiont oderDiplont und Haplont. Der Moment der Reduktionsteilung stellt den Übergang von der ungeschlechtlichen zur geschlecht- lichen Generation dar. Jeden der beiden Abschnitte teilen Goeldi und Fischer wieder in vier Unter- phasen ein. Die ungeschlechtliche, diploide Gene- ration beginnt mit der Zygote. Aus dieser ent- wickelt sich das Soma desSporobionten. Die dritte Unterphase bezeichnen sie alsSporo- gonarium, das die Gonotokonten erzeugt, d. h. diejenigen Zellen, welche die Redukiions- teilung eingehen. Die Gonotokonten werden durch zweimalige Teilung, die sog. Tetradenbildung, in vier Zellen aufgeteilt. Damit erhalten wir das erste Stadium des Gametobionten, die Tetracyte. Aus dieser entsteht das Soma des Gameto- bionten. Die dritte Unterphase dieser Generation ist das Ga melangium , welches unmittelbar die Gameten erzeugt. Das Produkt der Vereinigung zweier Gameten ist wieder die Zygote, und damit ist der Kreislauf geschlossen. Betrachten wir den Generalionswechsel bei einem kryptogamischen Gewächs mittlerer Organi- sationshöhe, z. B. einem Moose, so ist es nicht schwer, die beiden Hauptabschnitte und die acht Unterphasen herauszufinden. Beide Generationen, Sporobiont und Gametobiont, sind wohl entwickelt. Aus der befruchteten Eizelle, der Zygote, geht ein Embryo hervor, welcher zum Sporogonium, dem Soma des Sporobionten, heranwächst. Die Mooskapsel stellt die dritte Unterphase der sporo- biontischen Generation, das Sporogonarium, dar, in dem als Sporenmutterzellen die Gonotokonten entstehen. Die Sporen sind gleich den Tetracyten, also das erste Stadium des Gametobionten. Sie liefern das Soma des Gametobionten, bei den Moosen als Protonema und Moospflanze bezeichnet. Tn den beiden letzten Phasen erfolgt die Bildung der Sexualorgane. Antheridien und Archegonien sind gleich dem Gametangium, Spermatozoiden und Eizellen sind die Gameten. Bei den höheren Pflanzen, den Pteridophyten und vor allem den Phanerogamen, tritt der 126 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr Gametobioiil gegenüber dem Sporobionten mehr und mehr zurück, so daß es bei den Angio- spermen schwer wird, im Gametobiontabschnitt noch vier Unterphasen zu unterscheiden. Zygote — Embryo, beblätterte Pflanze — Pollensack und Nucellus der Samenanlage — Pollenmutterzelle und Embrj'osackmutterzelle sind nach Goeldi und Fischer die vier Unterphasen des Sporo- bionten. Der Gametobiont beginnt bei den Angiospermen mit dem Pollenkorn einerseits, dem Embryosack -f 3 degenerierten Schwesterzellen andererseits (Tetracyten). Das Soma des Gameto- bionten ist außerordentlich reduziert; es besteht im männlichen Geschlecht nur aus der vegetativen Zelle (Pollenschlauch), im weiblichen aus den Antipoden und den Polkernen sowie den Syner- giden. Die dritte Unterphase läßt sich nur im männlichen Geschlecht konstatieren: generative Zelle gleich Gametangium. Die Spermakerne und die Eizelle sind die Gameten. Noch schwieriger ist die Erkennung der ein- zelnen Stadien des antithetischen Generations- wechsels bei den höheren Tieren. (Von den Protozoen, die Goeldi in einem eigenen Ab- schnitte behandelt, wollen wir in dieser Be- sprechung absehen.) Beginnen wir wieder mit dem Sporobionten (im speziellen auch S p o r o z o i t genannt im Gegensatz zum Sp orophy t e n). Aus der Zygote entstehen Blastula und Soma des Tieres. Anlage und Differenzierung der Keim- drüsen bezeichnen die dritte Unterphase , das Sporogonarium. Spermatocyte und Oocyte I. Ordnung sind die Gonotokonten. Die beiden Reifungsteilungen leiten zum Gametobionten (auch Gametozoit im Gegensatz zum Gameto- phyten) über, die Spermatiden und die jungen Eier (-|- 3 Richtungskörperchen) sind die Tetra- cyten. Das Soma des Gametozoiten und die Gametangium-Phase fehlen bei allen Metazoen vollständig, und auch die vierte Unterphase ist fast gleich der ersten: Spermatiden und junges Ei werden zu den Gameten, den Spermien und dem Reif- Ei. Es ist gewiß nur zu begrüßen , wenn die beiden biologischen Disziplinen, Botanik und Zoologie, mehr und mehr Hand in Hand arbeiten. Wie notwendig es ist, daß einheitliche Probleme von Botanikern und Zoologen unter einheitlichen Gesichtspunkten bearbeitet werden, wenn unnütze Arbeit vermieden werden soll, das zeigt neuer- dings zur Genüge die Vererbungsforschung. Gleiche Erscheinungen sollten auch gleiche Benennungen finden. Als Motto stellen Goeld i und Fischer ihrer Abhandlung die Worte O. Hertwig's voran : „Tiefere P^orschung deckt überall die Einheit in den fundamentalen Lebensprozessen der ganzen Organismenwelt auf" Gern wird man dem zu- stimmen. Diese Erkenntnis darf uns indessen nicht verleiten, nun alles in ein Schema zwängen zu wollen. Goeldi und P"ischer postulieren den Generationswechsel „als eine dem Individuum zukommende Allgemeinerscheinung". Sie vermögen aber bei den Metazoen nur eine Generation nach- zuweisen. „Von einer Generation", sagt G o e b e U) ganz mit Recht, „kann man eigentlich nur reden, wenn es sich um einen wenigstens einigermaßen selbständig für sich bestehenden Entwicklungs- abschnitt handelt, also einen solchen, bei welchem der Bildung der Fortpflanzungszellen vegetative Teilungen vorangehen, oder doch — wie aus vergleichenden Gründen angenommen werden muß — ursprünglich vorangegangen sind." Irgend- ein Beweis für die ehemalige Existenz einer zweiten Generation bei Metazoen fehlt indessen. Goeldi und Fischer gehen aber auch bereits zu weit, wenn sie behaupten, daß die Botaniker allgemein „den Generationswechsel als eine jedem Pflanzenindividuum zu- kommende, generelle Allgemein- erscheinung postulieren". So schreibt erst kürzlich Renner'-) zu dieser Frage: „Die Ein- beziehung der niedersten Kryptogamen und der Tiere in das Generationswechselschema hätte nur dann eine gewisse Berechtigung, wenn Grund zu der Annahme vorhanden wäre, daß die jeweils durch die minimale Zellenzahl repräsentierte , Generation' durch Reduktion in den rudimentären Zustand gekommen sei. Diese Annahme hat aber noch niemand wahrscheinlich gemacht. Ohne Beziehung auf höhere Formen würde niemand in dem Entwicklungsgang einer Grünalge wie Oedo- gonium, um bei den Pflanzen zu bleiben, einen .antithetischen' Generationswechsel entdecken, und wenn wir eine tatsächliche phylogenetische Be- ziehung im absteigenden Sinne leugnen, müssen wir sagen: Oedogonium hat keinen, oder wenn wir wollen, hat noch keinen Generationswechsel. Ebensowenig wissen wir von den pennaten Dia- tomeen, wie sie zu ihrem diploiden Vegetations- körper gekommen sind, der wie ein Tier nur haploide Gameten erzeugt, und so lange wir nicht urteilen können: Surirella hat keine aus- gebildete haploide Generation mehr, so lange wenigstens müssen wir sagen: Surirella besitzt keinen Generationswechsel." Zum Schluß auch noch das Urteil eines Zoologen: „Unserer Meinung nach", sagt Hart- mann,'') „handelt es sich hierbei um eine Über- tragung eines Schemas, das bei höheren Pflanzen durch die konstante Verbindung von Sporen- bildung mit der Reduktion zustande gekommen ist und hier seine teilweise Berechtigung hat, das aber nur mit Zwang und in voller Verdrehung des Ausdrucks Generation und Generationswechsel auf die meisten Algen und Pilze übertragen werden kann. Denn es ist doch eine Verkennung des Begriffs Generation, wenn eine sog. Genera- ') Goebel, K., Organographie der Pflanzen. 2. Aufl., Jena 1901. '-) Renner, O., Zur Terminologie des pflanzlichen Gene- rationswechsels. Biol. Centralbl., Bd. 36, 19 16. ') Hartmann, M., Mikrobiologie. Allgemeine Biologie der Protisten. In: Die Kultur der Gegenwart, 3. Teil, 4. Abt., I. Bd., Allgemeine Biologie. Leipzig u. Berlin 1915. N. F. XVI. Nr. 9 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. tion als solche überhaupt keine Generation, keine Vermehrung zeigt. Dazu führt aber die skizzierte Auffassung der Botaniker, die ohne weiteres Gametophytmit haploider, Sporophyt mit diploider Generation identifiziert, wenn man sie auf die Protozoen und viele Algen anzuwenden sucht. Bei fast allen Protozoen (und Metazoenj, und dasselbe gilt für die Diatomeen und Fucus unter den Algen, bestände der Gamont (Gametophyt) nur aus einer Zelle, der Gamete, die sich als solche nicht fortpflanzt, sondern nur kopuliert. Alle fortpflanzungsfähigen Generationen zu- sammen aber, die agamen wie die gameten- bildenden , entsprächen dem Sporonten (Sporo- phyten). Umgekehrt ist für die konjugaten Algen der Sporophyt auf ein Zellindividuum, die Zygote, beschränkt, und alle übrigen sind haploid, bilden also zusammen den Gametophyten. Ganz un- durchfühibar ist diese Auffassung aber bei einem Flagellat mit extremer Autogamie, da hier die gleiche Zelle nacheinander erst die diploide, dann die haploide, dann wieder diploide Generation darstellen würde. Wenn man in dieser Weise den Generationswechsel faßt, dann muß eben jedem Organismus mit Befruchtung ein solcher zukommen; denn wie Weis mann in genialer Konzeption theoretisch vorausgesagt hat, und wie in allen Arbeiten aufs neue bestätigt wird, ist mit jeder Befruchtung auch eine Reduktionsteilung verbunden, und neuere Befunde bei Amöben, Algen und Pilzen zeigen so recht deutlich , daß die Reduktion nur eine Folge der Caryogamie ist, gleichgültig, ob sie sofort in der Zygote erfolgt (Spirogyra) oder erst vor einer neuen Befruchtung (Protozoen, Diatomeen) oder in der Mitte.zwischen zwei Befruchtungen. Da aber die Befruchtung ein Vorgang ist, der ursprünglich nichts mit der Fortpflanzung (Generation) zu tun hat, so kann auch die Reduktion ursprünglich nichts mit Fort- pflanzung zu tun haben (dies zeigen auch gerade dieReduktionsvorgänge bei den primitiven Amöben), und ist erst sekundär aus ökonomischen Gründen mit zur Fortpflanzung verwendet worden." Nachtsheim. Der deutsche Vogelschutz im Kriegsjahr 191 6. Die diesmaligen Jahresberichte über Vogel- schutz im ersten Heft der Ornithologischen Monatsschrift, Jahrgang 1917, klingen zum Teil weniger optimistisch als die vorm Jahre. Der deutsche Verein für Vogelschutz hat nicht nur ein erschwertes Durchhalten, sondern sieht manche von seinen Zielen in weitere Ferne gerückt als je. So beklagt er die Wiedereinführung des Dohnenstiegs, die bekanntlich 1916 zu spät kam, als daß sie viele Krammetsvögel hätte auf den Markt bringen können, und hebt die wirtschaftliche Geringfügigkeit dieser Maßregel hervor, während der Waidmann ihre Bedeutungslosigkeit für die Vogelwelt, namentlich bei nicht international ge- übtem Schutz, zu betonen pflegt. Die auf Jahre hinaus eingetretene Hemmung der internationalen Bestrebungen wird gleichfalls tief beklagt, die Zer- störung von Vogel freistätten an der Nordseeküste, die fortschreitende Kultivierung der Moore und das vielfache Aufhören der Vogelfütterung be- dauert. In diesen Punkten hat der Vogelschutz hinter wichtigeren Aufgaben zurücktreten müssen. Ein Lichtblick ist die Einführung der Katzensteuer. Die Beschaffung von Wohnstätten für Vögel ist während des Krieges fortgesetzt worden. Da der „Ellenbogen" von Sylt militärischen Zwecken dienen mußte, ist eine überaus reiche, seit Naumann's Tagen hoch berühmte Möven- brutkolonie fast vollständig zerstört und damit die einzige Brutstätte der Kaspischen See- schwalbe, Sterna caspica, in Deutschland voraus- sichtlich für immer dahin. Durch Eierraub schwand nach Berg der Säbelschnabler, Recurvirostra avosetha bis auf wenige Paare von Hiddensee; 13 haben nach Hübner gebrütet. Auch andere dortige Vogel- arten hatten unter Eierraub mehr denn je zu leiden, trotzdem haben die schon vorher überaus zahl- reichen Kiebitze nach übereinstimmenden An- gaben von Hübner und Berg noch zugenommen, ebenso der Rotschenkel, Totanus totanus und bei- läufig bemerkt, das schwarze Wasserhuhn und die Brandgans. Neue Brutvögel sind der Bruchwasser- läufer und, wenigstens zum ersten Male sichergestellt, der Wachtelkönig. Aus nicht zu erklärenden Gründen waren die Turnierplätze der Kampfläufer weniger besucht als früher, eine wahrscheinlich vorübergehende Erscheinung. An der pommcrschen Küste stellte Professor Hübner eine Verspätung des Frühjahrszuges unter anderem beim Kiebitz fest. Die ersten Kiebitze erschienen am 17. März, während ihre mittlere Ortsankunft auf den i. März fällt. Dies und das Eintreffen ungeheurer, die Sonne ver- finsternder Scharen von Kiebitzen am 29. März wird auf die Kriegsereignisse an der Westfront zurückgeführt. Ich habe an der Aisne 191 5 und 1916 keine Störung des Kiebitzdurchzuges infolge von Kriegsereignissen bemerkt, ebenso wenig Weyland, der in der Deutschen Jägerzeitung Band 68, Nr. 17, S. 266 -2ö8 über den von der ansässigen Bevölkerung gewerbsmäßig in großem Maßstabe betriebenen Kiebitzfang in der Champagne berichtet. Die allerersten Kiebitze erschienen an der Aisne 1916 in der Nacht vom 27. zum 28. Januar, bis zum März wurden ihrer immer mehr und einmal an 10000 Stück auf einem Platze, worüber ich berichtet habe. Erfreuliches berichtet L e e g e von der Vogel- kolonie Memmert an der Nordsee. Dort vollzog sich im Angesicht des Feindes der Vogelschutz wie mitten im tiefsten Frieden. Nur unter Sturm- fluten hat der Memmert gelitten und stellenweise eine Salzflora anstatt der früheren Pflanzendecke erhalten; ein schöner Süßwasserteich wurde zu Jauche mit Stichlingen, Gasterosteus aculeatus, die [28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 0 früher fehlten, als einzigem Tierlebcn, alle anderen zahlreichen Süßwassertiere, darunter im Frühjahr 191 1 angesiedelte Süßwasserschnecken verschie- dener Art, die sich fabelhaft vermehrt hatten, waren geschwunden, ebenso fast das ganze reiche Schneckenleben am feuchten Uferboden und die Amphibien, während Slurmmöven geduldig das Fallen des Wassers abwarteten, Enten wieder- kehrten, das Schwarze Wasserhuhn auch hier zunahm und Brandseesch walben gerade in der ni it Trümmern besäten Stätte einen willkommenen, obschon ver- änderten Brutplatz wiederfanden. Rotschenkel als besondere Freunde des Brackwassers kamen gut auf ihre Rechnung. So bemerkt man im all- gemeinen eine Gleichgültigkeit der Strandvögel gegen Veränderungen des Brutplatzes. Stare zogen, vielleicht wegen der eintöniger gewordenen Nahrung, frühzeitiger als sonst ab. Wie es auf den anderen Freistätten in der Nordsee, insbesondere auf Norderoog, Jordsand und Trischen aussieht, darüber läßt sich gegen- wärtig nichts sagen. V. PVanz. Botanik. Die Gefährdung der amerikanischen Wälder durch den Weymouthkieferblasenrost. Während noch vor kurzem der Weymouihkieier- blasenrost in der Heimat der Weymouthkiefer unbekannt war, taucht er neuerdings allenthalben in den Vereinigten Staaten und in Kanada auf und hat jetzt eine solche Verbreitung erreicht, daß ganze, große Waldgebiele mit Vernichtung be- droht sind. Wie gefährlich die Pflanzenkrankheit in den amerikanischen Waldungen wütet, ver- anschaulicht am besten die Tatsache, daß der Vorsitzende der American Forestry Association, Charles Lathrop Pack, die Gouverneure aller Staaten der Union, in denen die Weymouth- kiefer wächst, sowie Vertreter der kanadischen Regierung für den Januar dieses Jahres zu einer Versammlung nach Washington eingeladen hat, die ausschließlich darüber beraten soll, welche gesetzlichen Maßregeln zur Eindämmung der Krankheit nötig sind und wie sie durchgeführt werden können. Ergriffen sind bisher die Weymouth- kieferwaldungen des Staates New York — diese am stärksten — , die der Neuenglandstaaten, die Kanadas und die benachbarter Gebiete; in der Grafschaft Essex des Staates New York und in der Gegend westlich des Champlain-Sees sollen bereits außerordentlich viele Bäume vernichtet sein. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß der Kieferblasenrost aus Europa eingeschleppt ist. Die amerikanischen I-'achleute behaupten aufs be- .stinimteste, daß der Erreger der Krankheit, Peridermium Strobi , vor zehn Jahren mit einer großen aus Deutschland bezogenen Sendung junger Weymouthkiefern eingeschleppt worden sei; man habe das Unheil erst nach ein paar Jahren be- merkt, als die eingeführten Kiefern schon längst auf mehrere Staaten verteilt waren. Während nun die der Weymouthkiefer nahe verwandte Pinus cembra wenig empfindlich gegen den Pilz ist, leidet in Deutschland die Weymouthkiefer schwer unter ihm, und in der neuen Welt hat der Pilz die denkbar besten Lebensbedingungen angetroffen. In den ausgedehnten Weymouth- kieferwaldungen , zwischen denen die jungen Kiefern angepflanzt sind, wachsen nämlich wilde Stachelbeeren in Mengen, und zudem werden in den oben angeführten Staaten Johannisbeeren und Stachelbeeren in großem Maßstabe angebaut. Gerade die Ribes-Arten, auf denen Peridermium Strobi seine Uredo- und Teleutosporen bildet, sind massenhaft in nächster Nähe vorhanden ! Da der Pilz Generations- und Wirtswechsel hat, gibt es einen sicheren Weg zu seiner Ausrottung, und diesen denken die Amerikaner in der Tat einzuschlagen, obwohl es sich um eine tief in das wirtschaftliche Leben einschneidende Maßregel handelt. Man steht vor der Wahl, entweder die Weymouthkieferwaldungen zu verlieren oder die Beerenobststräucher opfern zu müssen, und da das Holz der „white pine", wie die Amerikaner die Kiefer nennen, volkswirtschaftlich die bedeutend wichtigere Rolle spielt, will man die wildwachsenden Beerensträucher der betroftenen Gebiete ausrotten, und die gebauten gleichfalls vernichten, womit die Marmeladen-, die Geleeerzeugung und die verwandten Erwerbszweige einiger Staaten mit einem Schlage ihrer Rohstotle beraubt werden. Die Beobachtung hat gezeigt, daß nur vollkommene Ausrottung der Wirtspflanzen aus der Gattung Ribes zum Ziele führen kann; während des herbstlichen Blattfalles kann der Pilz nämlich über Entfernungen von vielen Meilen verweht werden. Neben der Aus- rottung der Beerensträucher ist noch eine sorg- fältige Überwachung aller Weymouthkieferbestände nötig, bei der, da die Krankheit bei den Kiefern nicht immer leicht zu erkennen ist, P'achleute die Wälder planmäßig nach erkrankten Bäumen ab- suchen müssen. Der Staat Neu York, in dem die Weymouthkiefer alle anderen Bäume überwiegt, hat im vorigen Sommer für diesen Zweck schon 15000 Dollars aufgewandt, und in diesem Jahre soll annähernd die doppelte Summe zur Aus- rottung des Weymouthkieferblasenrostes zur Verfügung gestellt werden. H. P. Inhalte P. Riebesell, ReUuivilät und Gravitation. (2 Abb.) S. 113. — Kleinere Mitteilungen: E. Zieprecht, Beob- achtungen über das Vogelleben im Sommegebiet. S. I20. üraefe, Mineralöl als Speiseöl. S. 121. V. Kranz, Farbenvariationen von Helix nemoralis. (I Abb.) S. 121. — Einzelberichte: C. Diener, Die mannen Reiche der Triasperiode. S. 122. Goeldi und Fischer, Der Generationswechsel im Tier- und Pflanzenreich. S. 124. — Der deutsche Vogelschutz im Kriegsjahr 1916. S. 127. Charles Lathrop Pack, Die Gefährdung der amerikanischen Wälder durch den Weymoulhkieferblasenrost. S. 128. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena, hen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Druck der G. Pätz's Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den ii. März 1917. Nummer 10. Das Stickstoffproblem und seine Lösungen. [Nachdn Von Prof. Dr. Alfred Coehi Wenn wir Lebendiges zerstören und durch alle Hilfsmittel, die wir kennen, durch mechanische und chemische Einwirkungen, in seine letzten Bestandteile zerlegen, so finden wir, daß alles Organische — Pflanzen, Tiere und Menschen — in der Hauptsache vier Elemente, d. h. durch menschliche Kunst nicht weiter zerlegbare Stoffe enthält, nämlich Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stick- stoff. Damit also Lebendiges existieren und wachsen kann, müssen ihm diese Stoffe in immer neuen Mengen zugeführt werden. Das einzige aber dieser vier Elemente, das von allen Lebe- wesen ohne weitere Zubereitung aufgenommen werden kann, ist der Sauerstoff. Ein Fünftel unserer Luft besteht daraus, und Tiere und Menschen können den Luftsauerstoff einatmen und ihn in ihrem Innern zur Aufrechterhaltung der Lebens- vorgänge verarbeiten. Auch die Pflanzen atmen — allerdings wahrnehmbar nur während der Nacht, wenn kein Licht auf sie wirkt — den Luftsauer- stoff ein. Die übrigen drei notwendigen Elemente können, wenn sie rein sind, weder von Menschen und Tieren noch im allgemeinen von Pflanzen aufgenommen werden. Reinen Wasserstoff, Kohlen- stoff und Stickstoff kann man weder einatmen noch essen oder trinken. Sie müssen, um ge- nießbar zu sein, schon vorher untereinander ver- bunden, in „chemischer Verbindung" sein. Zur Aufnahme des Wasserstoffs stellt uns die Natur als einfachste genießbare P'orm seine Verbindung mit Sauerstoff, das Wasser, zur Verfügung. Wird das starke Bedürfnis der Tiere und Pflanzen nach dieser Verbindung nicht befriedigt, so verdürsten sie, wie sie beim Mangel an .Sauerstoff ersticken. Für die }""orm aber, in der die beiden anderen Elemente, Kohlenstoff und Stickstoff, aufgenommen werden, gehen die Bedürfnisse der Pflanzen, Tiere und Menschen, auseinander. Die Pflanzen können den Kohlenstoff, den sie zu ihrem Aufbau brauchen, der Atmosphäre entnehmen , in der stets eine kleine Menge einer Kohlenstoff- Sauerstoffver- bindung, die Kohlensäure, vorhanden ist. Unter der Mitwirkung des Tageslichts wird diese von den Pflanzen in für den Aufbau der Pflanze nutz- barer Weise zerlegt und mit Wasserstoff und Sauer- stoff Stärke, Holz, Zucker usw. daraus gebildet. Daher denn die Pflanzen ihrem „Hunger" nach Kohlensäure und Licht Ausdruck geben , indem sie ihre hier allein wirksamen Bestandteile, die grünen Blätter, in großen Flächen der Luft und dem Licht entgegenbreiten. Auf solche Weise kommt ja das dem beobachtenden Menschen immer wieder erstaunlich erscheinende Ergebnis zu.stande, daß der Stoff zu dem dicken Stamm (Göttingenl. eines alten Baumes den verschwindend kleinen Spuren von Kohlensäure entnommen ist, die in der Lult enthalten sind. Daß dieser Gehalt der Luft an Kohlensäure trotz des Verbrauchs durch die Pflanzen nicht abnimmt, dafür sorgen wieder Tiere und Menschen, indem sie den eingeatmeten Sauerstoff, nachdem er sich mit bereits im Körper vorhandenem Kohlenstoff verbunden hat, als Kohlensäure wieder ausatmen. Woher aber kommt dieser Vorrat an Kohlenstoff im tierischen Körper? Durch die Nahrungsmittel. Die Tiere können nicht, wie die Pflanzen, ihren Kohlenstoffbedarf der Kohlensäure der Luft entnehmen, sondern müssen dazu essen und trinken. Dabei genießen sie den Kohlenstoff in der Form von Verbin- dungen mit Wasserstoff und Sauerstoff, wie sie die Pflanze bei ihrem Lebensprozeß hergestellt hat, z. B. als Zucker. Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff bilden zusammen auch noch eine andere für die Ernährung sehr notwendige Art von Verbindung, die Fette. Auch diese werden von den Pflanzen — von einigen z. B. den Oliven in sehr großer Menge — hervorgebracht. Wollten aber Lebewesen auch noch so viel Zucker und Fett aufnehmen , so müßten sie , wenn sie dies allein hätten, verhungern. Denn es fehlt ja darin das vierte der allem Leben notwendigen Elemente - der Stickstoff. Während aber Menschen und Tiere den Stick- stoft' nur in der Form sehr komplizierter Ver- bindungen mit Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauer- stoff, den sogenannten P^iweißverbindungen, auf- nehmen können, sind die Pflanzen viel anspruchs- loser. Sie können ihren Stickstoffbedarf decken und daraus Eiweißverbindungen aufbauen mit Hilfe von ganz einfachen chemischen Verbin- dungen, den anorganischen Salzen. Sie entnehmen diese als Ammoniakverbindungen — Stickstoff an Wasserstoff gebunden ■ — oder als Salpetersäure- verbindung — Stickstoff an Sauerstoff gebunden — dem Erdboden. Wenn wir aber für die Zwecke unserer Ernährung alljährlich dem Acker mit den Ernten große Mengen an Stickstoffverbindungen entziehen, so verarmt er daran und die Ernten fallen immer weniger ertragreich aus. Man hat deshalb früher die Äcker nach mehreren Ernte- jahren ruhen lassen, damit aus dem Inneren durch die Einflüsse der Witterung neue Stickstoffver- bindungen an die Oberfläche gelangen können. Auch hat man schon sehr früh erkannt, daß durch den Dünger — die tierischen Exkremente — ■ ein teilweiser Ersatz geschaffen werden kann. Mit der Zeit aber, als die überall dichter werdende Bevölkerung die bessere Ausnützung des für den [30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 10 Anbau zu Ernährungszwecken noch verbleibenden Bodens erforderlich machten , begann man alle dem Boden bei der Ernte entzogenen Stofte in Form einfacher chemischer Verbindungen als „künstlichen Dünger" zu verwenden. Als man sich nun nach billigen Stickstoffverbindungen für solche Zwecke umsah, zeigten sich die Ammoniak- verbindungen, zu denen man die Abfallprodukte der Kokereien und Gasfabriken verarbeiten konnte, als geeignet. Denn die dazu verwendete natür- liche Kohle, die aus uralten Wäldern entstanden ist, ist nicht reiner Kohlenstoff, sondern enthält — ihrem Ursprung entsprechend — auch Stick- stoffverbindungen. Der Bedarf an Leuchtgas aber ist ein viel zu geringer, als daß die Deckung des Stickstoffbedarfs an die Gasfabriken sich binden konnte. Beträchtlichere Mengen konnten schon die sogenannten Kokereien liefern, in denen die gewöhnliche Steinkohle in Koks verwandelt wird, in welcher Form sie erst für die Herstellung des Eisens aus seinen Erzen geeignet ist. Aber auch damit kann dem Bedarf nicht genügend ent- sprochen werden. Nun hat die Natur an einigen Stellen der Erde, vor allem in Chili, ein unge- heures Lager von Stickstoffverbindungen ge- schaffen. Chili wurde der Lieferant künstlichen Düngers für die ganze Welt, und diese wurde ihm tributpflichtig. Im Jahre 191 2 war der Verbrauch der ganzen Welt an Chilisalpeter 2525000 Tonnen, der von Deutschland allein 788000 Tonnen. Natürlich wurde es ein Problem der Chemiker aller Länder, die Stickstoffvei- bindungen in ihrem Lande selbst künstlich her- zustellen. Nicht weil man dachte, daß jemals die Menschheit einen so unseligen Krieg anfangen würde, der die Zufuhr des Chilisalpeters ab- schneiden könnte, sondern weil es bei dem Un- geheuern Bedarf an Chilisalpeter den ackerbau- treibenden Ländern sehr bedeutungsvoll war, die Summe dafür im Lande zu behalten. Und weiter kam hinzu, daß die Stickstoffverbindungen nicht nur als künstlicher Dünger sehr stark begehrt wurden, sondern auch, wenn auch in geringerer Menge (20 "/o des Ganzen) für andere wichtige Zwecke. So vor allem für die Sprengstofftechnik. Die friedliche, mit der man Felsen sprengt, um Wege zu Schäften, damit die Menschen zueinander kommen können, und die kriegerische, mit der die Menschen einander durch Explosivgeschosse vernichten. Weitere Mengen braucht die Farb- stoffmdustrie , die Herstellung des Celluloids, die Fabrikation künstlicher Seide und andere Gebiete der Technik. Man kann danach verstehen, daß die chemische Wissenschaft es seit langer Zeit als eine wichtige Aufgabe angesehen hat , die für die Ernährung und die Technik so wichtigen Stickstoftver- bindungen aus einfachen, überall zur Verfügung stehenden Substanzen herzustellen. Der Stickstoff selbst steht uns ja in Ungeheuern, unerschöpflichen Mengen kostenlos zur Verfügung; besteht doch unsere Atmosphäre zu vier Fünfteln daraus. Der über der Erde lagernde Luftraum reicht etwa 70 km in die Höhe; schon der über einem Zehntel Quadratkilometer Grundfläche vorhandene Stick- stoff würde ausreichen, den jährlichen Bedarf der ganzen Welt an Stickstoffverbindungen zu decken. Die Aufgabe der Chemie ist, diesen Luftstick- stoff in nutzbare Form zu bringen, am einfachsten ihn entweder an Wasserstoff zu Ammoniakver- bindungen oder an Sauerstoff zu Salpetersäure- verbindungen zu binden. Daß beides möglich ist, hatten Laboratoriumsversuche längst gezeigt. Ein technisch brauchbares Verfahren aber hatte sich nicht finden wollen. Der Stickstoff erwies sich als ein überaus träges Element, d. h. seine Neigung, Verbindungen einzugehen, als sehr gering. Der Energiebedarf bei der Siickstoff- b i n d u n g. Es gibt, vom technischen Standpunkte aus angesehen, zwei prinzipiell verschiedene Arten chemischer Verbindungen und dementsprechend auch zwei prinzipiell verschiedene Methoden, die Entstehung chemischer Verbindungen zu bewirken . Sie unterscheiden sich in derselben Art, wie wenn man einen schweren Gegenstand eine schiefe Ebene herabgleiten läßt oder wenn er auf ihr in die Höhe gebracht werden soll. Der erste dieser beiden Vorgänge geht von selbst vor sich. Warten wir lange genug, so kommt der schwere Gegen- stand von selbst unten an. Seine Reibung auf der schiefen Ebene kann bewirken, daß das Herabgleiten nur sehr langsam geschieht. Wollen wir es beschleunigen, so können wir diese Reibung verringern, indem wir z. B. etwas Schmieröl an- wenden. Alles Schmieröl der Welt aber würde uns nichts helfen, wenn wir den schweren Gegen- stand die schiefe Ebene hinauf bringen wollten. Dazu müssen wir Arbeit aufwenden und zwar eine genau bestimmte Menge von Arbeit, deren Größe von dem Gewicht des Gegenstandes und der Höhe, um die wir ihn nach oben bringen wollen, abhängt. Geradeso ist es mit den che- mischen Verbindungen. Viele bilden sich mit der Zeit von selbst, z. B. die Vereinigung von Schwefel mit Sauerstoff zu Schwefelsäure. Es geht aber so ungeheuer langsam, daß wir für unseren Bedarf an Schwefelsäure darauf nicht warten können. Es ist, als ob da auch eine Art von Reibungswiderstand vorhanden wäre. Die Aufgabe der Technik in solchen Fällen ist nichts anderes als die rechte Art von „Schmieröl" hinzu- zufügen, damit der Reibungswiderstand über- wunden und damit der Ablauf des Vorganges beschleunigt wird. Solche Zusatzstoffe, die bei chemischen Vorgängen dieselbe Rolle spielen wie das Schmieröl bei mechanischen , nennt man „Katalysatoren". Leider aber gibt es für che- mische Vorgänge kein solches Universal-Schmier- mittel, wie das Öl für mechanische. Und die Technik steht vor der mühsamen Aufgabe, für N. F. XVI. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. jeden einzelnen der zwar von selbst aber zu langsam ablaufenden chemischen Vorgänge den geeigneten Katalysator zu finden. Bei der zweiten Klasse chemischer Verbindungen müssen wir, damit sie überhaupt (gleichviel ob schnell oder langsam) vor sich gehen, Arbeit in irgendeiner Form aufwenden. Dazu gehört z. B. die Zerlegung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff oder auch die von Schwefelsäure in Schwefel und Sauerstoff. Wie beim Heben eines bestimmten Gewichtes um eine bestimmte Höhe hat auch hier die für einen bestimmten chemischen Vorgang erforderliche Arbeit eine ganz bestimmte Größe. Die Arbeit kann dabei in irgendeiner F"orm z. B. als Wärme oder als elektrische Energie den Stoffen, die chemisch aufeinander wirken sollen, zugeführt werden. Unter den Stickstoffverbindungen, deren Her- stellung die Technik anstrebt, sind beide Klassen vertreten: die einen bilden sich von selbst, die anderen fordern zu ihrer Entstehung eine Zufuhr von Energie. Die Bildung von Ammoniak aus Stickstoff und Wasserstoff ist ein von selbst ver- laufender Vorgang. Bringen wir die beiden Elemente zusammen, so sind sie, wie man sich ausdrückt, nicht im Gleichgewicht, so wenig wie eine Kugel, die sich oben auf einer schiefen Ebene befindet. Sind dabei Ebene und Kugel etwa aus Eisen und stark rostig, so geht der von selbst verlaufende Vorgang, das Herabgleiten, nicht recht vor sich. Bringen wir aber einige Tropfen Schmieröl dazwischen, so stellt sich das Gleichgewicht ein: die Kugel rollt „von selbst" zu dem tiefsten Punkt, den sie erreichen kann. In solchem Sinne erweisen sich Stickstoff und Wasserstoff als stark rostig; dem Vorgang, von dem wir genau wissen, daß er von selbst, das heißt ohne Arbeitsaufwand von unserer Seite verlaufen muß, setzen sich starke Reibungs- widerstände entgegen. Worin eigentlich solche chemischen Reibungswiderstände, sogenannte Reak- tionswiderstände, bestehen, das wissen wir nicht. Würden wir eine ganz geringe Menge von „Schmieröl", das heißt in diesem Falle von dem richtigen Katalysator hinzubringen, dann können wir erwarten, daß Stickstoff und Wasserstoff rasch zu Ammoniak sich vereinigen. Ganz anders ist es mit der Vereinigung von Stickstoff und Sauer- stoff. Deren Verbindung kann niemals von selbst vor sich gehen. Hier haben wir die Kugel den Berg hinaufzubringen. Die Theorie kann genau berechnen, welche Menge von Arbeit nötig ist, um eine bestimmte Menge von Stickstoff mit Sauerstoff zu vereinigen. Diese Arbeit ergibt sich als recht beträchtlich. Man kann also von vorn- herein sagen, daß diese Methode der Stickstoff- bindung, die Vereinigung mit Sauerstoff, sehr teuer sein muß, während man von der ersteren Methode, der Vereinigung mit Wasserstoff, ebenso behaupten darf, daß sie billig sein kann. Trotzdem aber hat sich die Auffindung eines gut wirksamen Katalj'sators für die direkte Ammo- niakbildung aus Wasserstoff und Stickstoff und die sonstige Ausgestaltung des „von selbst" verlaufen- den Vorgangs als so schwierig erwiesen, daß man doch eher dazu gelangte, die einen hohen Arbeits- aufwand erfordernde Bindung des Stickstoffs an Sauerstoff auszubilden. Hatte man bei dieser Methode neben dem genannten Nachteil doch den Vorteil, daß beide aneinander zu bindende Elemente kostenlos in der Luft zur Verfügung stehen. Salpeter aus Luft. Wir haben vorhin gesehen, daß sich Stickstoff und Sauerstoff nicht von selbst miteinander ver- binden. Fügen wir nun Arbeit in Form von Wärme hinzu, so tritt Vereinigung ein. Es bildet sich eine Verbindung, das Stickoxyd. Und zwar eine um so größere Menge Stickoxyd im Verhält- nis zu dem vorhandenen Stickstoff und Sauer- stoff, je höher wir die Temperatur steigern. Für jede Temperatur stellt sich ein „Gleichgewicht" zwischen den drei Stoßen Stickstoff, Sauerstoff und Stickoxyd ein. Bei 1200" sind z. B. weniger als 0,1 "/n Stickoxyd, bei 2000" etwas über i 7,i. bei 3000 *•/„ schon über 4 "'1,, bei 5000'^ '3% '" '^^^ Luft enthalten. Da nun aber außerdem alle chemi- schen Vorgänge bei hoher Temperatur rascher verlaufen als bei niederen , so stellt sich das günstigere Gleichgewicht für die hohen Tempera- turen noch obendrein sehr viel schneller ein als das ungünstigere bei den niederen Temperaturen. Es scheint also, daß wir Luft, um viel Stickoxyd daraus zu gewinnen, nur sehr hoch zu erhitzen brauchen. Nun müssen wir ja aber das Stickoxyd schließlich wieder auf unsere gewöhnliche Tempe- ratur bringen, um es zu benutzen oder weiter zu verarbeiten. Würden wir dazu einfach die Heiz- vorrichtung abstellen und das aus den drei Stoffen bestehende Gas sich abkühlen lassen, dann würde für jede niedere Temperatur, die es durchläuft, sich wieder das dieser entsprechende Gleichgewicht mit immer kleinerem Stickoxjdgehalt einstellen. Und wenn wir schließlich bei gewöhnlicher Tem- peratur ankämen, so wäre alles Stickoxyd wieder zerfallen und wir hätten wieder Luft. Nun haben wir bereits erwähnt, daß — ganz abgesehen von der Lage des Gleichgewichts — alle chemischen Reaktionen bei hohen Temperaturen sehr viel rascher verlaufen als bei niederen. Es brauchen z. B. Vorgänge, die bei 1000" in einem Bruchteil einer Sekunde verlaufen, bei gewöhnlicher Tem- peratur viele Jahre. Würden wir daher das Gas von dem Gleichgewicht mit großem Stickoxyd- gehalt, das sich bei hoher Temperatur eingestellt hat, mit ungeheurer Schnelligkeit auf gewöhnliche Temperatur abkühlen, dann würde es in den mitt- leren Temperaturgebieten zu kurze Zeit verweilt haben, um sich stark in ungünstigem Sinne zu verändern, und unten angekommen wäre der bei der hohen Temperatur eingestellte Zustand gleich- sam eingefroren. Das heißt, wir hätten dann bei gewöhnlicher Temperatur einen hohen Stickoxyd- gehalt, 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. Die Lösung des Problems der Bindung von Stickstoff an Sauerstoff besteht also darin, daß Vorrichtungen ausfindig gemacht werden, welche es ermöglichen, Stickstoff und Sauerstoff sehr hoch — mehrere tausend Grad — zu erhitzen und dann momentan auf tiefe Temperatur abzukiihlen. Zu den erforderlichen hohen Temperaturen kann man nun nicht gelangen, indem man in üblicher Weise eine Wärmequelle zur Heizung eines Ofens benutzt. Cavendish hatte schon im Jahre 1775 gefunden, daß beim Durchschlagen elektrischer Funken durch Luft sich Stickoxyd bildet. Es ist die hohe Temperatur des elektrischen Funkens, die hier wirksam ist. Man kann den Vorgang ausgiebiger gestalten, wenn man statt elektrischer Funken den elektrischen Lichtbogen benutzt, wie er in unseren Bogenlampen verwendet wird. In seiner unmittel- baren Xähe ist die Temperatur der Luft mehrere tausend Grad. Hier stellt sich also sofort das Gleich- gewicht mit etlichen Proz. Stickoxyd ein. Und es kommt darauf an, diesen Zustand „einfrieren" zu lassen, das heißt, sehr rasch auf niedere Tem- peraturen abzukühlen. Dazu kann man entweder den Lichtbogen selbst oder auch die Luft sehr rasch bewegen. In ersterem Falle würde man den Lichtbogen in rascher Folge zünden und wieder verlöschen lassen, während die Luft langsam vorübergeführt wird ; im zweiten Falle würde man den Lichtbogen ruhig brennen lassen, aber die Luft sehr rasch daran entlang jagen. Beide Methoden sind technisch benutzt worden. Da sie für die großen Lichtbögen großen Aufwand an Energie erfordern, so zog sich die Fabrikation an solche Stellen der Erde, wo Energie in Gestalt großer Wasserkräfte billig zur Verfügung steht. Die erste größere Anlage wurde an den Niagara- fällen errichtet. Sie bediente sich rotierender Zylinder mit Platinspitzen, zwischen denen die Lichtbögen beim Rotieren immer wieder abrissen und sich neu entzündeten. Die erforderliche Apparatur aber war so kompliziert, daß man eifrig nach Vereinfachungen suchte. Eine solche wurde von Birkeland undEyde durchgeführt in ihrer Heimat Norwegen, wo ja auch Wasserfälle große Energiemengen billig darbieten. Der elektrische Lichtbogen ist ein Stück eines elektrischen Stromes. Nun kann jeder bewegliche elektrische Leiter durch Magnete aus seiner Stellung abgelenkt werden. Der Lichtbogen kann also aus seiner ursprüng- lichen Stellung durch Magnete stark zur Seite ge- führt und bei geeigneter Anordnung der mag- netischen Kräfte fortschreitend an immer anderen Stellen aus der ursprünglichen geraden Linie herausgeblasen, schließlich so rasch im Kreise herumgewirbelt werden, daß er dem Auge eines Beschauers als mächtige leuchtende Scheibe er- scheint. In Wahrheit aber entsteht nur ein Licht- bogen an immer neuen Stellen. Der unmittelbar daran sich einstellende, der hohen Temperatur entsprechende Stickoxydgehalt bleibt also bestehen, da gleich nach seiner Bildung am Ort des Ent- stehens mit dem Weiterrücken des Lichtbogens schon wieder niedrige Temperatur herrscht. Man sieht also, daß beim langsamen Vorüberführen eines Luftstromes an der scheinbar zusammenhängenden leuchtenden Scheibe sich sehr annähernd der der Temperatur des Lichtbogens entsprechende Stick- oxydgehalt gewinnen läßt. Das Verfahren von Birkeland und Eyde arbeitet vortrefflich. In Notodden in Norwegen werden einer Wasserkraft 60000 Pferdekräfte dafür entnommen. Eine andere Methode, den elektrischen Licht- bogen scheinbar zu einer breiten Fläche auseinander zu ziehen, ist von den Gebrüdern Pauli ng aus- gearbeitet worden. .Sie benutzen den sog. Hörner- Blitzableiter, zwei unter einem Winkel gegen ein- ander gebogene Metallstäbe, an deren tiefster, am nächsten benachbarter Stelle ein Lichtbogen sich entzündet, der durch die heiße Luft selbst nach oben an die breitere Stelle getrieben wird, bis er abreißt, wobei er aber am tiefsten Ende schon wieder entstanden ist, so daß es aussieht, als ob der Raum zwischen den beiden schräg gegen ein- anderstehenden Stäben von einer ruhenden leuch- tenden Scheibe erfüllt wäre. Man sieht leicht, daß die Wirkung ähnlich, wenn auch nicht ganz so stark ist, wie im vorigen Falle. Auch dieses Ver- fahren hat sich naturgemäß an Stellen mit großen natürlichen Energiequellen ziehen müssen; es wurde in Patsch bei Innsbruck in Tirol im Jahre 1904 von der Salpeterindustriegesellschaft in Gelsenkirchen eingerichtet. Auch in Frankreich ist eine derartige Anlage ausgeführt worden: La Nitrogene in La Roche de Rame bei Brianron. Die Weiterverarbeitung des Stickoxyds geschieht in einfacher Weise so, daß man aus dem Stick- oxyd durch überschüssige Luft ein höheres Oxyd des Stickstoffs, das Stickstoffdioxyd, erhält, das mit Wasser leicht Salpetersäure gibt. Da .Salpeter- säure selbst schlecht verwendbar ist, so leitet man sie auf Kalkstein und erzeugt so salpetersauren Kalk, den sog. Kalksalpeter oder Norgesalpeter, oder bringt sie mit Soda zusammen, wobei Natriuni- nitrit entsteht. Während die Verfahren von Birkeland-Eyde und Pauli ng die rasche Abkühlung dadurch be- wirken, daß sie den Lichtbogen beweglich machen, läßt das von Schönherr ausgearbeitete und von der Badischen Anilin- und Sodafabrik ausgeführte Verfahren die Luft um einen ruhig brennenden Lichtbogen stark herumwirbeln. Das Verfahren ist einfacher und billiger als die vorher genannten. Schönherr läßt den elektrischen Lichtbogen in einem engen Rohr brennen, und es gelingt, ihn dort auf mehrere Meter auseinanderzuziehen. Um diesen aufrecht stehenden ungeheuren Lichtbogen wird nun die unten seitlich eintretende Luft herum- gewirbelt. Bei Berührung mit dem Lichtbogen bildet sich die dem Gleichgewicht für die hohe Temperatur entsprechende Stickoxydmenge, die erhalten bleibt, da die stark wirbelnde Bewegung immer neue Teile der Luft an den Rand des Lichtbogens bringt. Auch dieses Verfahren war wie die andern durch seinen hohen Energieverbrauch N. F. XVI. Nr. lO Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. '33 darauf angewiesen, Stellen aufzusuchen, wo Energie billig zur Verfügung steht. Es wurde von der Badischen Anilin- und Sodafabrik in Rjukan in Norwegen eingerichtet. Da aber die Wasserlalle und ihre Energie zwar von der Natur dem Menschen frei zur Verfügung gestellt aber doch im Besitz von Menschen sind, die sich des Wertes ihres Besitztums und seiner steigenden Inanspruchnahme immer mehr bewußt geworden sind, so konnten Verfahren, welche schon theoretisch großen Energie- aufwand erforderten, auch wenn die zu verarbeiten- den Rohstofte in der Luft kostenlos zur Verfügung stehen, niemals sehr billig werden. Einen so großen Erfolg der Wissenschaft und der Technik die ge- schilderten Verfahren darzustellen so war es doch sehr fraglich, ob es auf diesem Wege gelingen würde, die Stickstoff-Sauerstoffverbindungen billiger zu erhalten, als sie der Welt von Chili in dem natürlichen Salpeter geboten wurden. Im Notfall freilich, wenn die Kosten nicht in Betracht kommen, z. B. wenn in einem Kriege die Zufuhr von Chili- salpeter abgeschnitten wird, hatte man jetzt die Möglichkeit sich zu helfen , besonders in einem Lande, das reich an Kohle ist und diese als Energiequelle benutzen kann. Aber eben nur in solchem Notfall' — im Frieden wäre man gern wieder zum Chilisalpeter zurückgekehrt. Der Kalkstickstoff. Nach dem in der Einleitung Gesagten konnte vom Standpunkte der Theorie ein weit günstigeres Ergebnis erwartet werden, wenn man Erfolge er- ringen würde mit dem gar keine Energie erfor- dernden , von selbst verlaufenden Vorgange der Vereinigung von Stickstoff und Wasserstoff zu Ammoniak. Bevor man aber damit noch einen praktischen Erfolg erreichte, wurde ein Verfahren der Stickstoff- bindung entdeckt, dem man" unter dem in unserer Betrachtung hervorgehobenen Standpunkte des Energieverbrauchs eine Art Zwischenstellung ein- räumen kann insofern als dabei die eigentliche Bindung des Stickstoffs in einem keine Energie erfordernden „von selbst verlaufenden" Prozesse erfolgt; die Substanz aber, an die dabei der Stick- stoff gebunden wird, existiert nicht frei in der Natur, bildet sich auch nicht von selbst, sondern muß von uns mit Aufwand 'von Energie erst her- gestellt werden. Dieser Stoff ist das Kalziumkarbid, eine Verbindung aus Kalzium'und Kohlenstoff, die man dadurch erhält, daß man ein Gemisch von Kalk und Kohle im elektrischen Ofen auf hohe Temperatur bringt. Es wird dazu eine gewisse Menge elektrischer Energie erfordert. Leitet man nun über pulverisiertes Kalziumkarbid reinen Stick- stoff, so wird dieser gebunden. Der von selbst verlaufende Vorgang erfolgt unter] Wärmeentwick- lung ganz wie eine Verbrennung. Gerade so, wie man die auch Wärme entwickelnde Verbrennung z. B. von Holz oder Kohle in Sauerstoff, damit sie mit merklicher Geschwindigkeit verläuft, durch vorheriges kurzes Anwärmen, das Anzünden, erst anregen muß, so muß man auch hier das Kalzium- karbid erst einmal kurz auf etwa looo'' erwärmen, damit es den Stickstoff rasch aufnimmt. Weitere Wärmezufuhr ist dann nicht erforderlich: die Reaktion geht von selbst unter Wärmeentwicklung weiter und hält das Ganze bei so hoher Tempe- ratur, daß sie genügend rasch verläuft. Wie aber alle von selbst verlaufenden chemi- schen Vorgänge, so kann man auch diesen durch Hinzubringen eines geeigneten Katalysaters be- schleunigen. Ein solcher wurde von Polzenius im Chlorkalzium gefunden. Bei Hinzufügen von Chlor- kalzium geht eine lebhafte Stickstoffbindung des Kalziumkarbids schon bei 700" vor sich. Die ent- stehende Verbindung besteht aus Kalzium-Kohlen- stoffstickstoff und wird Kalziumcyanamid oder Kalkstickstoff genannt. Freilich ist zum Überleiten über das Kalzium- karbid der Stickstoff nicht einfach so verwendbar, wie die Natur ihn uns in der Luft im Gemisch mit Sauerstoff bietet. Der Sauerstoff würde auf das Kalziumkarbid noch viel energischer wirken als der Stickstoff. Er muß also aus der Luft zu- erst entfernt werden. Das kann durch jeden gewöhnlichen Verbrennungsprozeß, z. B. von Kohle, geschehen. Dadurch aber würde Kohlensäure ent- stehen, und auch diese würde sich bei dem von uns schließlich beabsichtigten Prozeß als schädlich erweisen. Man bindet daher den Sauerstoff der Luft durch einen Oxydationsvorgang, bei dem keine Kohlensäure entsteht, sondern bei dem ein festes Oxyd sich bildet. Dies geschieht, wenn man die Luft über glühendes Kupfer leitet. Dabei bildet sich Kupferoxyd, und der gleichzeitig vor- gewärmte Stickstoff wird dann auf das Kalziuni- karbid geleitet. Um das Kupferoxyd wieder für neue Sauerstoffbindung brauchbar zu machen, leitet man sog. Wassergas darüber, ein Gas, wel- ches entsteht, wenn man Kohle mit Wasserdampf behandelt, und welches die Eigenschaft hat, das Kupferoxyd wieder zu metallischem Kupfer zu reduzieren. Noch auf einem anderen sehr interessanten Wege hat man es möglich gemacht, den Sauer- stoff und den Stickstoff der Luft zu trennen. Es ist bekannt, daß man die Luft durch sehr starke Abkühlung verflüssigen kann. Die ersten technisch brauchbaren Maschinen dazu hat Prof. Linde in München gebaut. Läßt man die flüssige Luft langsam wieder verdampfen, so trennen sich ihre Bestandteile infolge ihrer verschiedenen Flüchtig- keit, und man kann es so einrichten, daß der Stickstoff verdampft, während der Sauerstoff als Flüssigkeit zurückbleibt. Den so auf die eine oder die andere Weise er- haltenen reinen Stickstoff leitet man also über Kalziumkarbid. Da aber dessen Herstellung, wie wir gesehen haben, Energiezufuhr erfordert, so wird die Erzeugung des Kalziumkarbids — gerade wie die direkte Salpetcrgewinnung aus der Luft — sich mit Vorliebe an Orte ziehen, wo Energie in 134 Naturwissenschaftliche Wochenschriit. N. F. XVI. Nr. 10 Form von Wasserfällen billig zur Verfügung steht. Man richtet deshalb auch die Weiterverarbeitung des Karbids zu Kalkstickstoff gleich an solchen Stellen ein. Ja, man kann die besondere Her- stellung von Kalziumkarbid umgehen und kann nach einem Verfahren von Siemens & Halske das Zusammenschmelzen von Kalk und Kohle gleich mit der Stickstoffabsorption verbinden. Natürlich auch wieder an Orten mit billiger Energie. Eine solche Fabrik wurde von Siemens & Halske in Piano d'Orte bei Pescara in Oberitalien ein- gerichtet, eine andere befindet sich in Odda in Norwegen. Der so erhaltene Kalkstickstoff kann nun ohne weiteres als Düngemittel verwendet werden. Aber man kann ihn auch leicht zu anderen wertvollen Stickstoffverbindungen verarbeiten, zu Cyaniden, vor allem auch zu Ammoniak. Und dieses letztere ist besonders deshalb wichtig, weil der Kalkstick- stoff kein langes Lagern an der Luft verträgt und bald zur Düngung benutzt werden muß. Erhitzt man ihn aber mit gespanntem Wasserdampf, so entwickelt sich Ammoniak daraus. Bindet man dieses Ammoniak an eine Säure, z. B. Schwefel- säure, so erhält man in dem Ammoniaksulfat ein unbegrenzt lange aufbewahrbares Düngemittel. Ein noch viel wertvolleres, weil noch mehr Stickstoff enthaltendes Erzeugnis aber entsteht, wenn man als Bindemittel für das Ammoniak an Stelle der Schwefelsäure Salpetersäure verwendet. Und so ergibt sich ganz von selbst ein Zusammenwirken der beiden bisher besprochenen an Orte mit natür- lichen Energiequellen gebundenen Verfahren, der Salpetersäureherstellung aus der Luft und der Ammoniakdarstellung durch vorhergehende Er- zeugung von Kalkstickstoff. Man bringt also die Endprodukte der beiden Fabrikationsweisen mit- einander chemisch verbunden als Ammoniumnitrat oder Ammonsalpeter zur Verwendung. Wie reich an Stickstoff dieses Produkt ist, mag aus dem Ver- gleich mit Kalksalpeter ersehen werden; während dieser nur 13 "/„ Stickstoff enthält, sind im Ammon- salpeter 35 "/o enthalten. Beiläufig sei noch bemerkt, daß man als Aus- gangsstoff für die Ammoniakdarstellung auf dem Wege über Karbide auch andere als Kalziumkarbid verwenden kann. So hat der (Österreicher .S e r p e k ein Verfahren ausgearbeitet, welches sich des Aluminiumkarbids bedient. Die direkte A;mmoniaksy nthese. Über das Erreichte hinaus aber suchte man nach vollständiger Befreiung von der Notwendig- keit, für die Stickstoffbindung selbst oder für die Herstellung des Bindungsmittels abgelegene Stellen der Erde mit den natürlichen Energiequellen großer Wasserfälle aufzufinden. Das Ziel wäre erreicht, sobald es gelänge, für den ohne Energie- zufuhr „von selbst", aber unter gewöhnlichen Umständen mit unmeßbar kleiner Geschwindigkeit verlaufenden Prozeß der direkten Vereinigung von Stickstoff und Wasserstoff den geeigneten die Reaktionsgeschwindigkeit genügend steigernden Katalysator zu finden. Einen gewissen, aber gegenüber seinen Vor- teilen zurücktretenden Nachteil gegen die Salpeter- säuregewinnung aus der Luft würde das Verfahren der direkten Ammoniakgewinnung allerdings immer darin haben, daß der Stickstoff erst von Sauerstoff befreit und der Wasserstoff" auf irgend- eine Weise aus seiner einfachsten Verbindung, dem Wasser, dargestellt werden muß. Wir haben aber bereits gesehen, daß wir reinen Stickstoff aus der Luft auf zwei verhältnismäßig leicht zu- gänglichen Wegen erhalten können. Für die Wasserstoffgewinnung aus dem Wasser hat man eine ganze Reihe brauchbarer Verfahren aus- gearbeitet. Ein Bedürfnis darnach lag ja bereits seit einiger Zeit vor, seit man sich dieses Gases zur P'üllung der Luftschiffe in immer steigendem Maße bedient. Im Prinzip gleichen die Verfahren denen zur Stickstoffgewinnung. Es kommt in beiden Phallen darauf an, den neben dem gewünschten Gase, Wasserstoff' oder Stickstoff, noch vorhandenen Sauerstoff zu binden. Man kann dazu z. B. Kohle verwenden. Leitet man Wasserdampf über glühende Kohle, so wird der Sauerstoff in die beiden Verbindungen Kohlenoxyd und Kohlen- säure übergeführt. Das Gasgemisch, das danach Wasserstoff, Kohlenoxyd und Kohlensäure enthält, nennt man Wassergas. Man kann, um daraus den Wasserstoff allein zu gewinnen, ähnlich verfahren, wie bei der Trennung der Bestandteile der Luft nach dem Linde' sehen Verfahren : Man kühlt stark ab. Dabei kondensieren sich zunächst der Wasserdampf, dann Kohlensäure und Kohlenoxyd. Der Wasserstoff ist so schwer zu verflüssigen, daß er hier allein als Gas übrig bleibt. • Oder aber man bringt zu dem Wassergas erst noch Luft und kann dann durch einfache Prozesse und durch schließliches Abkühlen bewirken, daß ein Gemisch von Wasserstoff und Stickstoff übrig bleibt. Das Verfahren läßt sich so leiten, daß dieses Gemisch gerade die zur Ammoniakbildung erforderliche Zusammensetzung hat. Dieses Gemisch aus Wasserstoff und Stickstoff gilt es also zu Ammoniak zu vereinigen. Deutsch- land ist das Land der Theorie, und so hatte man hier lange, bevor irgendein praktisch brauchbarer Erfolg in Aussicht stand, in Laboratorien für physikalische Chemie, insbesondere in den Labora- torien von Nernst und von Haber, den Vor- gang der Ammoniakbildung genau studiert. Man hatte dabei erkannt, daß zwar, wie alle chemischen Reaktionen, so auch die Vereinigung von Stick- stoff und Wasserstoff durch Temperaturerhöhung beschleunigt wird, daß aber die Vereinigung selbst bei um so geringerem Ammoniakgehalt des Gasgemisches Halt macht, je höher die Temperatur ist. Es ist also gerade umgekehrt, wie bei der Stickoxydbildung. Je höher wir Stickstoff' und Sauerstoff' erhitzen, desto größer war im endlich erreichten Gleichgewichtszustände N. F. XVI. Nr. 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 135 die Konzentration der entstehenden Verbindung, des Stickoxyds. Je höher wir aber hier, bei Stickstoff und Wasserstoff die Temperatur steigern, desto kleiner ist im Gleichgewichtszustande der Gase der Gehalt an Ammoniak. Man ist also in einem Dilemma. Beschleunigt man die Reaktion durch Temperaturerhöhung, so tritt sie zwar schneller ein, sie macht aber, je mehr wir sie auf solche Weise beschleunigen, bei um so kleinerer Ammoniakkonzeiitration halt. Die minimale Spur, die bei mehreren tausend Grad vorhanden sein kann, stellt sich sofort ein, die große Menge aber, die bei gewöhnlicher Tempe- ratur vorhanden sein kann, würde eine sehr große Anzahl von Jahren erfordern. Und darin eben besteht die Aufgabe ; die Langsamkeit der Reaktion bei niederer Temperatur durch Zufügen eines die Reaktionswiderstände über- windenden „Schmieröls", eines Katalysators zu überwinden. Nach langem Suchen hat Haber einen solchen im Osmium, später im Uran gefunden. Im An- schluß an seine Arbeiten ist noch eine Unzahl von Substanzen' auf ihre Brauchbarkeit als Kata- lysatoren für die Stickstoff- und Wasserstoffver- einigung durchprobiert worden. Man ist dabei zu sehr wirksamen Resultaten gelangt. Es ist verständlich, daß diejenigen, die sie gefunden haben, kein Interesse daran haben, sie öffentlich bekanntzugeben. Weiter aber hatte die rein theoretischeForschung auch den Einfluß des Druckes auf die Reaktion untersucht. Indem Stickstoff und Wasserstoff sich zu Ammoniakgas vereinigen, tritt eine Kon- traktion, eine Verringerung des Gasvolumens ein; aus drei Volumina Wasserstoff und einem Volumen Stickstoff werden nicht vier Volumina Ammoniak, sondern nur zwei. Diesen Vorgang der Volumen- verkleinerung kann man nur dadurch unterstützen, daß man von außen einen starken Druck auf das Gasgemisch wirken läßt. In der Tat läßt sich theoretisch berechnen und hat sich experimentell gezeigt, daß z. B. für die Temperatur von 500 " das Gleichgewicht, also der dabei überhaupt mög- liche Gehalt an Ammoniak, bei gewöhnlichem Druck noch nicht 1 "/^ beträgt, bei einem Druck von 100 Atmosphären etwa 1 1 "/„, und bei 200 Atmosphären schon über iS^'/o- Die Prinzipien für die direkte Ammoniakge- winnung aus Wasserstoff und Stickstoff sind damit also gegeben : Man hat bei möglichst tiefer Tem- peratur und bei möglichst hohem Druck zu arbeiten. Wie tief man mit der Temperatur heruntergehen kann, das hängt ab von der Wirksamkeit des an- gewandten Katalysators. Selbst die wirksamsten machen immer noch eine Temperatur von einigen hundert Grad erforderlich. In dieser Hinsicht liegt also die Möglichkeit für weitere Vervollkommnung des Verfahrens vor. Wie hoch man mit dem Druck gehen kann, das hängt von der Haltbarkeit des Materials für die Gefäße und von der Möglich- keit, die Verschlüsse dicht zu halten, ab. Es ist ein großer Erfolg der Technik, daß sie Apparaturen schaffen konnte, welche ein sicheres Arbeiten bei 200 Atmosphären ermöglichen. Die Ausführung des Verfahrens geschieht im I^rinzip so, daß man Wasserstoff und Stickstoff in einer vollständig geschlossenen Apparatur, in der ein Druck von 200 Atmosphären herrscht, einen Kreislauf ausführen läßt. An einer Stelle des Kreises streichen die Gase über den auf mehrere hundert Grad erwärmten Katalysator und werden dabei zu etlichen Proz. Ammoniak vereinigt. Das weitergehende Gasgemisch gelangt in einen anderen Teil des Apparates, der so tief abgekühlt ist, daß das im Vergleich zu Wasserstoff und Stickstoff leicht kondensierbare Ammoniak sich verflüssigt. Dieses kann dort von Zeit zu Zeit abgezapft werden, die unverbunden gebliebenen Gase gelangen im Kreislauf wieder über den Katalysator. Mit diesem Verfahren wurde man zum ersten Male unabhängig von den Stätten, an denen natür- liche Energiequellen zur Verfügung stehen. Die Sprengstofftechnik bedarf freilich des Stickstoffs nicht in der Form von Ammoniak, sondern in der der Salpetersäure. Es bietet aber, wenn der träge Stickstoff überhaupt erst einmal in eine chemische Verbindung eingefangen ist, keine Schwierigkeit, ihn in andere überzuführen. Die Oxydation des Ammoniaks zu Salpetersäure geht wieder in einem „von selbst" verlaufenden Prozesse vor sich. Und man kennt Katalysatoren, welche diesen Prozeß mit ausreichender Geschwindigkeit verlaufen lassen. So sehen wir, wie es dem Menschengeist ge- lungen ist, das große, für die Ernährung und die Technik bedeutungsvolle Problem der Stickstoff- gewinnung in erstaunlich einfacher Weise zu lösen. Als Ausgangsstoffe brauchen wir für die Salpeter- säuregewinnung nichts als die Luft und für die Ammoniakgewinnung Luft und Wasser. F'ür die europäischen Länder ohne eigne große Energiequellen, ist das neue Verfahren der Am- moniakgewinnung noch von besonderer Bedeutung. Sie sind damit nicht nur unabhängig gemacht von der Zufuhr desChilisalpeters von jenseits des Meeres, sondern auch unabhängig von der Notwendigkeit, in Europa Länder mit großen Wasserfällen aus diesem Grunde sich geneigt halten zu müssen. Für Deutschland ist noch weiter darüber hinaus die Aussicht wertvoll, daß es nach Wiederkehr friedlicher Zeiten an den Erzeugnissen der gewal- tigen Einrichtungen, die es jetzt zur Stickstoff- gewinnung getroffen hat, auch andere Länder teil- nehmen lassen kann. Daß heißt, daß es Stick- stoffverbindungen, die es bisher einführen mußte, dann exportieren kann. Hoffen wir, für lange Jahre nur zu friedlichen Zwecken. (G.G.) Natiirwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 10 Anregungen und Antworten. „Bremen". Sie fragen ; Sind Untersuchungen darüber angestellt (quantitative und qualitative) , ob in der Luft eine besondere Verteilung (Schichtung) von dort vorwiegend (zeit- weise) lebenden Organismen statthat in der Weise, daß ge- wisse Tiere nur oder vorwiegend in gewissen Höhen oder über gewissen besonderen Bodenformationen (Wald, Wasser, Wiese usw.) angetroffen werden r Gibt es eine Schwebefauna der Luft entsprechend etwa dem Plankton des Wassers? Sind z. B. Fänge vom Ballon aus gemacht worden? Die Organismen, die in der Luft gefunden werden, sind in ihrer Gesamtheit mit dem Plankton desWassers nicht ohne weiteres zu vergleichen , da das Luftmeer nicht dasselbe geschlossene Produkiionsgebiet sein kann, wie das Wasser. Hier sind die Ernährungsbedingungen für Pflanzen gegeben, so daß sich von hier aus ein vollständiger Kreislauf der Stoffe herstellen kann. In der Luft dagegen können Pflanzen nicht leben. Als Produzent organischer Stoffe würde also nur die Pflanzendecke des Bodens anzusehen sein. Das würde aber nicht ausschließen, daß gewisse Tiere theoretisch dauernd in der Luft leben und sich vermehren könnten, indem sie sich von anderen zeitweilig emporsteigenden und schwebenden Tieren ernähren. In Wahrheit wird es aber solche Tiere nicht geben. Mindestens zur Ablage der Brut oder der Eier werden sie auf das große Produktionsgebiet des Bodens zurückkehren müssen und die Jungen werden hier ausnahmslos ihre ersten Entwicklungs- stadien durchlaufen. Zudem würde in der gemäßigten und der kalten Zone die allgemeine -Abnahme der Schwebefauna auch die etwa dauernden Luftorganismen auf den Boden oder nach anderen Breiten hin zwingen. Es bliebe nur noch die Frage zu erörtern , ob vielleicht ganz einfach sich ernährende Mikroorganismen, etwa Bakterien, dauernd in der Luft gedeihen könnten. Daß sie in Sporen form ebenso wie andere die Austrocknung überstehende Ver- mehrungsorgane von Pflanzen (Moosen, Farnen usw.) lange schweben und horizontal und vertikal weit verbreitet werden können, ist bekannt genug. Die Lehrbücher der Bakteriologie und Hygiene bieten auch genug Zahlenangaben, die teils auf hohen Gebäuden, teils auf Bergen, teils im Ballon gewonnen wurden. Aus ihnen geht hervor, daß die Zahl von Bakterien- keimen nach der Höhe parallel mit derjenigen der schwebe- fähigen toten Teilchen überhaupt rasch abnimmt. Auch ein Zusammenhang mit der Beschaffenheit der Erdoberfläche unterhalb der untersuchten Luftschichteil ergibt sich insofern, als um so mehr Keime in der Luft gefunden werden, je besser die Wachstumsbedingungen und die Versläubbarkeit auf dem Boden sind. So ist (starke Horizontalströmungen natürlich ausgeschlossen) der Keimgehalt über dem Meere oder großen Binnengewässern oder über großen Schneefeldern sehr gering ; im hohen Norden hat man in Tausenden von Litern keine Keime gefunden. Wie sich die Luft über großen Wüsten- flächen verhält, ist nicht untersucht worden. Ob nun eine spezifische Mikroorganismenflora in der Luft in dauernder Lebenstätigkeit sich erhalten kann, ist nicht speziell fest- gestellt; es würde die Entscheidung darüber, was Spore oder wachsender Keim ist, auch sehr schwer zu fällen sein. Man kann es aber wohl als sehr unwahrscheinlich bezeichnen, daß je ein solches „Luftplankton" im strengsten Sinne existiert. Denn wenn vielleicht auch unter besonders günstigen Be- dingungen dauernd Feuchtigkeit zur Verfügung stünde, so fehlten doch die Nährstoffe. Aus Wasserstoff, Stickstofi', Sauerstoff und Kohlensäure vermag sich , soweit wir bis jetzt ' wissen, kein Lebewesen aufzubauen. Ihre Frage läßt sich also ganz allgemein dahin beant- worten, daß es eine eingeborene Lebewelt in der Luft nicht gibt, daß vielmehr nur passiv beförderte Keime oder zeitweilig ins Luftmeer vordringende Organismen in Betracht kommen. Daß bei den letzteren wieder alle möglichen Abstufungen der Aufenthaltsdauer, der vertikalen und horizontalen Verbreitung e.sislieren, ist selbstverständlich. Systematische Untersuchungen darüber sind mir nicht bekannt, dagegen wird es eine große Menge Einzelangaben über das Antreffen von Vögeln, In- sekten usw. in verschiedenen Höhen, resp. ihre Wander- fähigkeit geben. Die Angaben sind wohl für die betreffende Tierart interessant, haben auch oft Kuriositätswert oder können für besondere physiologische Probleme wichtig sein, ihre Bedeutung für große allgemein - naturwissenschaftliche Fragen aber, vergleichbar denen, wie sie uns das Leben im Wasser stellt, dürfte aus den eingangs gegebenen Erwägungen heraus nur recht gering sein. Vielleicht kann einer der Leser besondere Angaben darüber machen, in welchen Höhen be- stimmte Tiere bei gewissen Gelegenheiten angetroffen wurden. M. Zunahme der Elster in Deutschland. Wie bei Frankfurt a. M. seit Herbst 1914, so hat auch bei Lüneburg wenigstens seit Sommer 1916, wie mir von dorther mitgeteilt wird, die Elster merklich zugenommen. Fr. Keyl wird gewiß nicht fehl- gehen, wenn er den von ihm beobachteten Fall auf verminderten Abschuß des Vogels infolge der Kriegsverhältnisse zurück- führt und anderwärts ähnliches vermutet. Unterscheidet sich doch die deutsche Ornis von derjenigen der beiden in Jagd- und Forstpflege hinter ihm zurückstehenden östlichen und westlichen Nachbarländer in kaum etwas anderem so augen- fällig wie in der viel geringeren Häufigkeit der Elster, wie zahlreiche Beobachtungen von Kriegsteilnehmern lehren. V. Franz. Herrn L. R. — Ein kleineres Bestimmungsbuch für die bei uns kultivierten nicht einheimischen Slräucher und Bäume (einschließl. Nadelhölzer) ist mir nicht bekannt. Gute Dienste leistet jedenfalls das gründliche Werk von E. Koehne, Deutsche Dendrologie (Stuttgart 1893, F. Enke; antiq. 9 Mk.), das Nadel- und Laubgehölze umfaßt. Ein empfehlenswerter Auszug daraus, der aber nur die Laubhölzer berücksichtigt, ist O. E. Kunze, Kleine Laubholzkunde (Stuttgart 1899, antiq. 2 Mk.). Für Nadelhölzer benutzt man sehr viel das Werk von C. von Tubeuf, Die Nadelhölzer mit besonderer Berücksichtigung der in Mitteleuropa winterharten Arten (Stuttgart 1897; 4 Mk.). — Viele verbreitete Arten sind auch in den gangbaren Bestimmungsbüchern von A. Garcke (Fl. von Deutschland) und O.Wünsche (Die höheren Pflanzen) enthalten. H. Harms. Literatur. Kunkel, K., Zur Biologie der Lungenschnecken. Er- gebnisse vieljähriger Züchtungen und Experimente. Mit 48 Textabbildungen und einer farbigen Tafel. Heidelberg '16, C. Winter. — 16 M. Löhner, L., Die Exkretionsvorgänge im Lichte ver- gleichend-physiologischer Forschung. Tena'16, G. Fischer. — 0,80 M. Haberlandt, Dr. L., Über Stoffwechsel und Ermüd- barkeit der peripheren Nerven. Jena '16, G. Fischer. — 0,80 M. Eversheim, Prof. Dr. P., Angewandte Elektrizitätslehre. Ein Leitfaden für das elektrische und elektrotechnische Praktikum. Mit 215 Textfiguren. Berlin '16, J. Springer. — SM. Inhalt: Alfred Cochn, Das Stickstotfproblem und seine Lösungen. S. 129. — Anregungen und Antworten: Schwebe- fauna der Luft. S. 13b. Zunahme der Elster in Deutschland. S. 136. Bestimmungsbuch für Sträucher und Bäume. S. 136. — Literatur: Liste S. 136. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G.m.b.H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den i8. März 1917. Nummer 11. Der Alraun (Mandragora). Eine natur- und kulturhistorische Studie vo [Nachdruck verboten.] Mit 4 Abb Es war in dieser Zeitschrift schon einmal im Rahmen eines größeren Aufsatzes ') die Rede von der berühmten Zauberpflanze des Akertums und iVIittelahers, der Alraunwurzel (Mandragora officinarum L.). Ich möchte hier neue Lesefrüchte vorlegen und namentlich an der Hand der Quellen selbst den Fortschritt der Wahrheit und des Irr- tums, der sich an diese Pflanze bindet, schildern. Der Name mandragora, bei Dioskorides mandra- goras (männlich), wird hergeleitet -j von mandra (griech.) Stall und ageiro (griech.j sammeln, weil die Pflanze außer anderen Wunderkräften auch die Viehherden zusaÄimenhalten sollte, oder weil sie vielfach in der Nähe von Viehställen auf gedüngtem Boden gefunden wurde. Der deutsche Name Al- raun hängt mit alrüna ■•) — die allwissende — zusammen. Die Mandragora ist kein einheimisches Gewächs, sondern im Mittelmeergebiet zuhause. Sie gehört zu den Solanaceen, ist im allgemeinen betrachtet ein stengelloses, rübenförmiges Kraut mit dicker, oft zweiteiliger Wurzel, großen, fast ganzrandigen Blättern und Beerenfrüchten gleich der Tollkirsche. Es ist eine kleine Gattung mit höchstens 4 Arten, von denen eine auch im Himalayagebiete vor- kommt. Abbildungen finden sich bei Engler- Prantl, Natürliche Pflanzenfamilien IV. Teil, 3. Abt. b, Fig. 12 M, bei Reichenbach, Icones Bd. XX (1862) Taf. 6 u. 7.; eine ältere, m. E. sehr gute Darstellung im Herbarium Blackwellianum *), Centuria IV, Tab. 364. Nach E. de Haläcsy*) sind die mediterranen Mandragora-Arten in zwei Gruppen zu bringen: Die eine mit grünlichgelber Korolle, kugeliger Beere, weißer Wurzel und stinkenden Blättern M. officinarum L. — die andere mit violetter Ko- rolle, länglicher Beere und schwarzer Wurzel M. autumnalis Sprengel. Dazu gehört noch die von Heldreich*) aufgestellte ebenfalls blau- blühende M. Haußknechtii Heldr. Außerdem wird ein Bastard officinarum ~ ■;^ Haußknechtii unterschieden. ') H. Marzell, Über Zauberpflanzen in alter und neuer Zeit. Naturw. Wochenschr., N. F. VIII (1909), S. 160—169. ^) Leunis, Synopsis der Pflanzenkunde. 2. Bd., S. 586, Anm. 9. So übrigens schon von M. de Lobelius, Nova Slirpium adversaria (Antverpiae I=;76), p. 106. 3) J. A. Seh melier, Bayerisches Wörterbuch, I. Bd. (München 1872), Spalte 56. Grimm, Wörterbuch, I. Bd., 246. ^) Vermehrtes und verbessertes Blackwellisches Kräuter- buch usvi-. verlegt, gcmahlet und in Kupfer gestochen von N. Fr. Eisenberger, Nürnberg 1760. ") Conspectus Florae graecae Volumen II, Lipsiae 1902, S. 366—368. "j Mitteil, der geogr. Gesellsch. Thüringen, V, S. 77. a. Prof. Dr. S. Killermann, Regensburg. M. officinarum findet sich in Griechenland auf sonnigen unkultivierten Stellen der niederen Region, in Thessalien, um Korinih, auf Kreta, den Kykladen usw. und blüht im Winter, Dezember bis März. M. autumnalis wächst an ähnlichen Orten, in Attika, Eleusis usw.; sie scheint nicht so verbreitet zu sein und blüht im Herbst von September bis November. M. Haußknechtii hat ihren Standort im Küsten- sand und ihre Blütezeit im März und April. A. Bertoloni\), der diese Pflanzengruppe in einer Monographie behandelte, stellt 3 Arten auf: M. vernalis, officinarum L. und microcarpa. Die erste davon, welche nach Bertoloni große stinkende Blätter, grünlich- weiße Blüten und gelbe Beeren größer als der Kelch hervorbringt, ist unsere officinarum L. Die anderen zwei Berto- loni'schen Arten, seine officinarum L. und die microcarpa (s. Abb. i) werden wegen ihrer vio- letten Blüten, kleinen Beeren und schmäleren Blättern von Haläcsy wohl mit Recht zu autum- nalis Sprengel gerechnet. Nach Bert o loni wird die erste Art allgemein in den Gärten Italiens seit ältester Zeit kultiviert; sie dürfte demnach schon die wahre M. officinarum Linne's (Spec. 181) sein. Die zweite .Art bekam Bertoloni aus Sizilien und die dritte aus Sardinien von Professor Morisio. Auch in Italien ist die Verbreitung der autumnalis viel beschränkter als die der officinarum. Diese letztere wird ferner angegeben v. Tenore-) für Kampanien (Mte Kassino), von Reichenbach-') für Ragusa. Die Funde bei Salzburg (vgl. Hoppe, Taschenbuch 1799 p. 121) und Tirol sind irrtümlich. Die Alraunpflanze ist wie viele Solaneen giftig. Über das in ihr wirksame Alkaloid verlautet in der Literatur nicht viel. H. Karsten*) gibt nach Ahres an, daß es dem Hyoscyamin isomer er- scheine, ein sprödes bei 77 — 79" schmelzendes Harz sei, dessen Sulfat in glänzenden Blättchen kristallisiere und gleich dem Atropin pupillen- erweiternd wirke. Ich finde an meiner in meinem Besitze befindlichen alten Wurzel das Zellgewebe von dem anderer Pflanzen wenig verschieden; es ist ziemlich hart, fast etwas holzig") oder ') Commentarius de Mandragoris. Bononiae 1835 mit 3 Tafeln. 2) Sylloge plantarum vascularium Florae neapolitanae etc. (Neapoli 1831), S. 114. - ■■') a. a. O. Bd. XX, S. 4- *) H. Karsten, Flora von Deutschland, 2. Aufl., II. Bd. (1895), S. 544. S. auch H. Molisch, Mikrochemie der Pflanze (Jena 1913), S. 258. '■'^ So schildert sie schon Albertus s. u. Auch die Abbildung bei Post (Flora of Pal.iestina) gibt eine fast holzige Wurzel. 138 Naturwissenschaftliche VVoclienschrift. N. V. XVI. Ni korkig. Mit Kalilauge aufgeweiciit riecht die Wurzel ähnlich wie eine rohe Kartoffel. Einige Zellen von etwas kubischer Form (6o /( groß) enthalten eine gelbliche Substanz, wohl jenes Harz. Mit Jodkali tritt keine Reaktion auf et- waigen Stärkegehalt ein. Die Beeren sind bei beiden Arten in reifem Zustand durch scharfen Geruch ausgezeichnet. Bertoloni sagt von der Art officinarum L. : cum jucunditate quadam graveolens, odore caput ten- tante, also etwas angenehm, aber betäubend riechend; von der Art autumnalis Spr. : odore gravi, tarnen non ingrato, praedita. Der Duft der Blüten ist bei der ersteren leicht unangenehm (ingratus. auf Brachfeldern vor und zwar nur die Art M. officinarum L. 'J Bertoloni'-) ist dagegen der Ansicht, daß es sich in jenen Stellen nicht um eine der Man- dragoraarten handelt ; denn sie blühen spät und tragen im Frühjahr Beeren, nicht „zur Zeit der Weizen- ernte"; ihr Duft sei auch nicht besonders ange- nehm. F!r möchte die Dudaim für süßschmeckende und aromatisch duftende Melonen anspreclien, viel- leicht für die von Finne oben darnach genannte Cucumis Melo var. Dudaim. Aber die Melonen scheinen dem grauen Altertum nicht bekannt ge- wesen zu sein. Weder wird diese Frucht in der altägyptischen Flora ■') aufgeführt, noch für den :%:Mä .^^^ m Kelch und Frucht (Mandragora autumnalis Sprengel), raf. -' sed levis), bei der zweiten etwas narkotisch (sub- narcoticus). Eingehend auf die Geschichte unserer Pflanze, finden wir sie zum erstenmal erwähnt in der Bibel. Die „Dudaim", welche Kuben zur Zeit der Weizen- ernte auf den Feldern fand und seiner Mutter Lia verehrte und die dann bei der Zeugung indirekt eine Rolle spielten (s. Moses Kap. 30, 14 — 16), werden als Alraunfrüchte erklärt; desgleichen die „Liebesäpfel", welche auf dem Türgesimse nach dem Hohenliede (Kap. 7, 14) duften. Das Wort Dudaim wurde zuerst von den 70 Übersetzern der hebräischen Bibel mit Mandragora wiedergegeben. Die Pflanze kommt auch tatsächlich im hl. Lande jetzigen Orient von Boissier als einheimisch be- trachtet. Er wie auch Dinsmore^) sprechen sie für Palästina nur als Kulturpflanze an, die sich allerdings auf Schutthaufen und sich selbst über- lassenen Böden mit Leichtigkeit einbürgere. Nach De Candolle,'') der sich auf die Ausführungen ') Vgl. S. Killermann, Die Blumen des hl. Landes. Leipzig 1915, S. 38 u. 132. j. E. Dinsraore, Die Pflanzen Palästinas. Leipzig 1911, S. 64. Auch Boissier, Pos t u. a. m. ■') a. a. O. S. 3 u. 4- ■') S. Fr. Woenig, Die Pflanzen im alten Ägypten. 2. Aufl., Leipzig 1886. *] J. E. Dinsmore, a. a. O. S. 40. ■') A. de C and olle, Der Ursprung der Kulturpflanzen, übersetzt von E. Goeze. Leipzig 1884, S. 322—328. N. XVI. Nr. . I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. i.V; N a u d i n ' s und H o o k e r ' s stützt, sind die Melonen teils in Britisch-lndien und Beludschistan, teils in Afrika zuhause und erst mit Anfang der christlichen Zeitrechnung bei den Griechen und Römern ein- geführt worden. So müßte man demnach doch unter den „Dudaim" Alraune verstehen. Die Frage wird niemals sicher entschieden werden können. In der profanen Literatur des Altertums er- scheint unsere Mandragorazuerstals«c,!/^iu7r(J,((o(ir/)ot; (anthrupumorphos) in einer verloren gegangenen Schrift des i^seudo - Pythagoras 'j und dann bei Theophrast (hb. IX, Kap. 8 am Ende u. g).-) Was sich aber Theophrast unter der Mandragora vorstellte, ist nach Bertoloni zweifelhaft; nach der Beschreibung scheint sie einen Siengel und weintraubenähnhche schwarze Früchte zu besitzen. Vielleicht hatte Theophrast (das ist mein Gedanke) eine Bryonia im Auge. Noch seltsamer mutet uns die Kunde an: „Den Mandragoras soll man drei- mal mit einem Schwerte umschreiben und aus- siechen mit nach Westen gerichtetem Antlitz; ein anderer aber soll im Kreise herumtanzen und so- viel als möglich von Liebessachen sprechen." Eine ähnliche Erzählung, aber noch abenteuer- licher und gruseliger, bringt Fl a vi US Josephus, wie schon Marzell andeutet, in seiner Geschichte „Vom Jüdischen Kriege" (7. Buch, 6. Kap.): „Das Tal, welches die Stadt (Machärusj auf der Noid- seite einschließt, heißt Baara, und erzeugt eine wunderbare Wurzel gleichen Namens. Sie ist flammendrot von I'^arbe. und wirft des Abends Strahlen aus; sie auszureißen ist sehr schwer, denn dem Nahenden entzieht sie sich und hält nur dann Stand, wenn man Urin oder Blutfluß vom Weibe daraufgießt. Auch dann ist bei jeder Berührung der Tod gewiß, es trage denn Einer die ganze Wurzel in der Hand davon. Doch be- kommt man sie auf andere Weise geiahrlos und zwar so. Man umgräbt sie rings so, daß nur noch ein kleiner Rest von der Wurzel unsichtbar ist: dann bindet man einen Hund daran, und wenn dieser dem Anbinder schnell folgen will, so reißt er die Wurzel aus, stirbt aber auf der Stelle als ein stellvertretendes Opfer dessen, der die Pflanze nehmen will. Hat man sie einmal, so ist keine Gefahr mehr. Man gibt sich aber soviel Mühe um sie, wegen folgender Eigenschalt. Die Dämonen, d. h. bösen Geister schlechter Menschen, welche in die Lebenden hineinfahren und sie töten, wenn nicht schnelle Hilfe geleistet wird, werden von dieser Pflanze ausgetrieben, sobald man sie den Kranken auch nur nahe bringt." '') ') Vgl. auch L. Fuchs, New Kreuterbuch. Basell 1^43, Cap. CCl. ''} Theophiasti Eresii histoiia plantarum ed. Kr. Wimraer, VraUslaviae 1842, S. 314. Die Stelle lautet; TTeoiyjjcicfeiv de x«i töi' fiavöoayöijai' eis Tpiä liy''' reiifeir Oe Tioö^ eoneQni^ ^keTtOfja' töv ö' eieooi' y.vyÄm TteotoQyeTaüai y.ai /.(yen- (hs Tikelaia rrepe äfpoÖioicot: ") Die Werke des Flavius Josephus, übers, von Cotta und Gfrörer. Philadelphia 1838, S. 762. Die Herausgeber bemerken zu dem Berichte: Schade, daß diese naturhistorischc Merkwürdigkeit nicht mehr vorhanden ist I Die erste naturwissenschaftliche Beschreibung unserer Pflanze verdanken wir Dioskorides (lib. IV cap. 76 und lib. VI cap. 16.)') „Die Man- dragora, von einigen Gegengift, von anderen Hexenkraut (Circaea) geheißen, weil die Wurzel zu Liebeskünsten zu führen scheine, ist zwei- geschlechtlich: die schwarze, welche für das Weib- chen gehalten wird, thridacias genannt, hat schmä- lere und kleinere Blätter als der Lattich; sie sind gitiig, stinken und bilden eine Rosette auf dem Boden; Äpfel hat sie, den Vogelkirschen ähnlich, blaß, wohlriechend und birnartigen Samen; sie haftet gut mit starken Wurzeln, die zu zwei oder drei inemander verschlungen, außen schwarz, innen weiß und mit einer dicken Rinde bekleidet sind; die Pflanze ist ohne Stengel. Der andere Alraun ist der weiße, das Mannchen, von einigen Norion geheißen; seine Blätter sind groß, weit, breit und glatt wie die der Runkelrüben. Die Äpfel sind nochmal so groß als bei der vorigen, safranfarben, angenehm, aber etwas betäubend riechend; von ihnen werden manchmal die Hirten, wenn sie davon essen, betäubt. Die Wurzel ist der anderen gleich, dabei größer und weißlicher, auch sie ohne Siengel . . . Man sagt, daß noch ein anderer Alraun namens Morion vorkäme, der an schattigen Orten neben Höhlen wächst; die Blätter sind ähn- lich denen der weißen Mandragora, kleiner, weiß und eine Rosette um die Wurzel bildend; diese ist zart, weiß, etwas' größer als eine Hand und etwa daumendick." Über die Blütenverhältnisse, die P'arbe und den Geruch derselben, schweigt sich Dioskorides aus. Wir dürfen mit Bertoloni in den zwei Geschlechtern, die Dioskorides vor allem unter- scheidet, die zwei Hauptarien der Mandragora er- kennen : Das Männchen mit den großen Früchten und Blättern ist M. olficinarum L., das Weibchen mit den schmalen Blättern und kleinen Früchten autumnalis Spreng. (Bei Bertoloni sind die Be- zeichnungen vertauscht.) Mit der dritten Art des Dioskorides könnte eine der Nebenformen der autumnalis (s. o.) gemeint sein. Des Josephus Erzählung von ihr hat ungefähr gleichen Wert mit seinen Nachrichten von Salomos Weisheit und Schriften. 'j Mandragoram, aliqui antimalum, alii circaeara vocant, quoniam videatur radix ad amatoria conducere. Duo eins gcnera: niger, quae femina cxistimatur, thridacias appellatus, angusiioribus foliis , ac minoribus quam lactucae, virosis ac graveolentibus, in terra spaisis ; mala gerit sorbis similia, pallida, odoraia, in ijuibus Ecmen veluti pirorum : radicibus inhacret bene raagnis, bims ternisve, inter se convolutis, nigris foris , intus albis, crasso cortice vestitis; caule viduus est. Alter candidus, qui mas dicitur, nonnuUis norion vocilatus ; huius folia magna, alba, lata, laevia ut betae: mala quam altcrius duplo maiora, colore in crocum inclinanle, iucunde cum gravidate quadam olentia: quorum pomorum cibo , ali- quantum opiliones soporamur. radix altenus similis, maior et candidior, orbaia et haec caule . . . Alium tradunt esse mandragoram, nomine morion, in opacis juxla specus enatum : foliis aloi mandragorae, minoribus, albis, dodrantalibus, radicem ambientibus; quae mollis est et Candida, paulo maior palmo, pollicemque crassitudine aequat. Dioscoriaes Lib. IV, Cap. 7b. Pariser Ausgabe 1549, S. 218—220. In der Wellmann'schen Ausgabe iBerlin 1906} Cap. 75 (nur griechisch). 140 Naturwissenschaftliche Wochenschrilt. N. F. XVI. Nr. Daß unsere Autfassung richtig ist, ergibt sich auch aus den ältesten Bildern, die von der Man- dragora erhalten sind und in einer der Wiener Dioskorides- Handschriften, im sog. Codex Neapo- litanus ') stecken (s. Abb. 2). Diese Handschrift M. aulumnalis Spr. (Co großen Früchten Alraunbilder aus Dioscorides Vindob. Neapol. fol. 90.) entstand im 7. Jahrh. in Neapel und führt uns wie der gleichberühmte Codex Constantinopolitanus über 400 Pflanzen in farbigen Abbildungen vor, die in ihrer Art einzig dastehen und die Neapolilanu.s, sacculi terc Vif. Supplcni. gracc. Nr. 28. ältesten botanischen Urkunden der Welt dar- stellen. >j In dem genannten Codex Neapolitanus er- scheinen auf fol. 90 zwei Bilder (s. Abb. 2) von der Mandragora als Weibchen {^r,h:) thelu und Männchen ctQQiv (arren) bezeichnet; das erstere mit kleinen Blättern, blauen, über die Blätter hinaus- ragenden Blüten und roten, zwischen den Kelch- zipfeln steckenden Früchten; das Männchen mit großen Blättern und braunen, kugeligen Beeren (Blüten fehlen). Die Wurzeln sind bei beiden braungefärbt und sichtlich der Menschengestalt nachgeformt. Das „Männchen" ist offenbar die Art M. officinarum L., das „Weibchen" die Art autumnalis Sprengel I microcarpa Bert.) '') Der zweite Wiener Dioskorides, der sog. Codex Constantinopolitanus, ■■) wäre noch älter, wurde um 512 n. Chr. gemalt; aber es fehlen in ihm (zwischen fol. 2l6 u. 217) die Mandragorenbilder, die irgend einmal, wie es scheint, herausgeschnitten wurden. Dafür aber weist er in dem einleitenden Teile ein Bild (Nr. 5) auf, das für die nebenher- laufenden abergläubischeMandragorenkunde charak- teristisch ist. Es wird uns der Autor Dioskorides vorgestellt, wie er nach der Mandragora greift, welche in menschlicher Gestalt mit fünf Blättern auf dem Kopf abgebildet ist und von einer weib- lichen Figur, der tigioig (heuresis = inventio), ge- halten wird, während zu seinen Füßen der eben verendende Hund rücküber fällt. Auf einem anderen Blatt ist als Schlußzeichnung ein springendes Alraunmännchen zu sehen, dem die Blätter aus dem Kopfe wachsen. Der echte Dioskorides weiß von diesen Sachen nichts, die offenbar eine spätere, aus jüdisch-christ- lichen Kreisen stammende Zugabe darstellen. Er behandelt die Gewinnung des Alraunsaftes durch Pressen der Wurzel und Destillation, sowie die Anwendung desselben als einschläferndes, schmerz- stillendes Mittel bei chirurgischen Operationen. Der Saft wurde mit Wein gereicht, die Dosis wird genau angegeben. Die Blätter seien für Augenleiden gut, die Wurzel gerieben für Schlangen- bisse; die Früchte führen schon beim Riechen Schlaf herbei, im Übermaß erzeugen sie Bewußt- losigkeit; die Samen seien gut für Frauenleiden u. a. m. Seltsam ist die Kunde, daß sich sogar Elfenbein, wenn es in Alraunsaft gekocht werde, weich machen lasse. Ähnliches erzählt auch Plinius in seiner Naturgeschichte 25. Buch, Kap. 13 (94). Wenn wir ins Mittelalter hinaufsteigen, so ') Verfasser ist im Begriffe, diese Pflanzenbilder nach ihrer Art zu identifizieren. '■') Diese letztere Art soll zuerst 1562 Matthioli in Italien und dann Tragus in Deutschland gekannt haben. Vgl. P. A. Saccardo, Cronologia della Flora italiana (Padova 1909), S. 233; ferner K. Wein, a. a. O., S. 506, Anm. 3. F.igentlich war die Pflanze als besondere Form schon den Alten bekannt. ') Codex Aniciae Julianae, picturis illustratus. W. Hof- bibliothek Med. graec. Nr. I. Jetzt herausgegeben phototypisch von A. W. .Sijtlioff. Lugduni Batav. 1906. N. F. XVI. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 141 finden wir, daß sich vor allem mit dem Alraun sehr eingehend die hl. Hildegard beschäftigt, die als die früheste deutsche Naturforscherin gilt (t 1179 als Äbtissin auf dem Rupertsberge bei Bingen). Auf diese Quelle haben bereits P". A.R e u ß , ') R. V. Fischer- Benzon ■) und in neuerer Zeit P. Kaiser") aufmerksam gemacht. Hildegard kannte kaum den Alraun selbst, höchstens vielleicht die Wurzel ; sie beschreibt ihn auch nicht, sondern weiß nur von seinen W'underwirkungen zu be- richten. Volkskundlich ist dieses Kapitel (Physica lib. I de plantis, Cap. de Mandragora) sehr interessant. Nach Hildegard ') ist ,.die Mandragora warm, '; F. A. Reuss, Der hl. Hildegard subtilitalum diver- sarum naturarum crealurarum libri IX. Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichte (1859), Bd. VI. '') R. V. Fischer-Benzon, Altdeutsche Garteuflora (Kiel 1894), S. 191. ') P. K:user, Die naturwissenschaftlichen Schriften der Hildegard von Bingen. Berlin 1901. Programm des Königs- städtisclien Gymnasiums, N. 59. •■) Die ganze Stelle lautet im Urtexte: Mandragora calida est et aliquantulum aquosa, et de terra illa, de qua Adam crcatus est, dilatata est; homini aliquantulum assimilatur. Sed tarnen herba haec, et propter similitudinem hominis, suggestio diaboli huic plus quam aliis herbis adest et insi- diatur. L'nde etiam secundum desideria sua homo, sive bona, sive mala sint, per eam suscilatur, sicut etiam olim cum idolis fecit. Cum autem de terra etfoditur, mox in fontem, id est queckbormii, per diem et per noctem unam ponatur, et sie omne malum et contrarius humor qui in ipsa est ejicitur, id est ussge/'issm, ila quod amplius ad magica et ad fantaslica non valet. Sed cum de terra eradicatur, si tunc cum terra sibi adhacrente deponitur, ila quod in ijn,-/;6oni non purgatur, ut dictum est, tunc ad multas utilitates magi- corum et fantasmagorias nociva est, velut etiam multa mala cum idolis aliquando facta sunt. Quod si quis vir aut per magica, aut per ardorem corporis sui inconlinens est, recipiat speciem leminae huius herbae quae in praeHicto fönte purgala est, et hoc quod in eadem herba, inter pectus et umbilicum suum per tres dies et per Ires nocies ligatum habeat, et postea eumdem fruclura in duas partes dividat, atque super utrumque lancktin (ilium) partem unam per tres dies et per tres noctes ligatum teneat. Sed et sinistram manum eiusdcm imaginis pulverizet, et huic pulveri modicum gamphora addat, et cum ita comedat et curabitur. Quod si femina eumdem ardorem in corpore suo patitur, speciem masculi eiusdem imaginis inter pectus et umbilicum recipiat, et, sicut supra dictum est, et ipsa cum ea faciat. Sed et dexteram manum eins pulverizet et modicum de gamphora addat, et pulverum istum, sicat praefatum est, comedat, et ardor ille in ca ex- stinguilur. Sed qui in capite qualicumque infirmitate dolet, de capite eiusdem herbae comedat, quomodocunque velit; aut si in collo suo dolet, de coUo illius comedat; vel si in dorso, et de dorso illius; vel si in brachio et de brachio illius; vel si in manu et de manu illius, vel si in genu et de genu illius, vel si in pede, et de pcde illius comedat; aut in quocunque membro dolet et de simili membro eiusdem imaginis raanducet, et melius habebit. Species autem masculi eiusdem imaginis ad medicaraenta plus valet quam species mulieris, quoniam masculus muliere fortior est. Et si aliquis homo in natura sua indissinatns est, .[uod semper tristis est et quod in aerumpnis est semper, ita quod defectum et dolorem assidue in corde suo habet, recipiat mandragoram, cum jam de terra eradicatur, et in qtiechborn, ut praedictum est, per diem et per noctem ponat, et tunc de fönte ablatum in lectum suum juxta se ponet, ita de sudore suo eadem herba incalescat et dicat: „Deus, qui homincm de limo terrae absque dolore fecisti, nunc terram istam, quae nunquam transgressa est, juxta nie pono, ut etiam terra mea pacem illani sential , sicut eam creasti." [Quod si mandra- goram non habes, accipe inicium, id est primum ccspitem de etwas wässerig und von der Erde, aus der Adam geschaffen, bereitet; sie gleicht einigermaßen dem Menschen. Doch wohnt dieser Pflanze eben wegen ihrer Menschenähnlichkeit der teuflische Versucher mehr inne, als anderen Kräutern und stellt (uns) nach. Daher wird der Mensch in seinen Gefühlen, ob sie nun gut oder schlecht, durch sie gereizt, wie er es auch mit den Götzenbildern gemacht hat. Wenn man sie nun aus der Erde gezogen, soll man sie baldigst in Quellwasser (queckborn) einen Tag und eine Nacht legen; so wird alles Böse und jede schädliche Feuchtigkeit in ihr aus- getrieben („ausgebissen"), so daß sie zu magischen und zauberischen Künsten nichts mehr taugt. Wenn man sie aber aus der Erde auszieht und mit den anhaftenden Erdteilchen aufhebt, sie also nicht in der beschriebenen Weise wäscht, dann ist sie zu vielen magischen und zauberischen Ge- bräuchen (verwendbar und wirkt) schädlich, wie auch viele schlechte Dinge mit den Götzenbildern ausgeführt wurden. Wenn nun ein Mann infolge magischer Einflüsse oder aus Begierlichkcit des Körpers unenthaltsam ist, dann soll er die weib- liche Gestalt dieser Pflanze, nachdem sie in Quell- wasser gereinigt worden ist, nehmen und ihren Inhalt zwischen Brust und Nabel drei Tage und drei Nächte lang anbinden; sonach diese FVucht I Wurzel) in zwei Teile spalten und über beiden Lenden (lanckum) ebensolang binden; ferner die linke Hand dieser Gestalt zerreiben, mit etwas Kampfer mischen und so essen, dann wird er geheilt werden." Für das weibliche Geschlecht wird von Hildegard natürlich dasselbe Mittel emp- fohlen, nur mit dem Unterschied, daß die männliche Gestalt und die rechte Hand benutzt werden soll. P'erner wird die Mandragora als Heilmittel für Kopf- und Halsweh usw. erklärt, wobei die ent- sprechenden Teile der wie gesagt menschenähn- lichen Pflanze verwendet werden müssen. Das Männchen soll dabei wirksamer sein, als die weib- liche Pflanze, wie eben auch der Mann stärker als das Weib sei. Endlich sagt Hildegard: Wenn ein Mensch von Natur aus melancholisch (d. h. immer traurig, bei seinen Leiden und Widerwärtigkeiten voll Herzeleid) sei, dann nehme er die Mandragora und lege sie gewaschen, wie oben beschrieben, neben sich in sein Bett , bis das Kraut von seinem Schweiße warm wird, und sage: „Gott, der du den Menschen aus Erde ohne Schmerz geschaffen, jetzt lege ich diese Erde, die niemals gesündigt, neben mich, damit auch mein irdischer Leib den Frieden fühle, wie du ihn geschaffen." Hat man keine Mandragora, dann tügt Hildegard noch bei, dann genügen auch Buchentriebe. "Es eröffnet sich in diesem Kapitel ein großes Stück Aberglauben, das in schroffem 'Gegensatz zu den nüchternen Darlegungen des Dioskorides fago, quoniam eamdem naturam feliciter in hoc opere habent etc.] S. Hildegardis Physica, lib. I de plantis cap. de Mandragora Migne, S. lat. Tom. 197, Col. 1151 u. 11 52. 142 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 1 1 steht. Ob Hildegard wirklich des Glaubens war, daß die Pflanze solche Wunder wirke, oder ob sie nur die Anschauungen ihrer Zeit wieder- gibt, kann ich nicht entscheiden. Es war ein jugendliches Volk, das gleich den heutigen Natur- völkern überall Spuk und Zauberei witterte, das aber auch die Missionare und Klosterleute als Heilkünstler und „Medizinmänner" verehrte (nach P. Kaiser). Die religiösen Ideen, die Hildegard in ihrer Betrachtung der Alraunwurzel einflocht, scheinen zu ihrer Zeit sehr im Schwange gewesen zu sein. Wir begegnen der Pflanze öfters in theologischen Werken jener Zeit. So bildet Swarzenski in seinem Buch „Salzburger Malerei" ^) eine alte Miniatur ab: eine nackte Frau hält in der Linken einen Zweig, in der Rechten eine (Mandragora-) Frucht. Noch merkwürdiger ist das Bild, das J. A. Fndres") aus einem alten Kommentar des mittelalterlichen Gelehrten Honorius Augusto- dunensis veröffentlichte. Da wird die Mandra- gora (so auch genannt in der Überschrift des Bildes) als nackter Frauenleib von Christus und den Heiligen zum Leben erweckt. Unter diesen Abb. 3. Die drei SclioUenmönche und links davon die Alr.iunwurzel, am Portal der Schottenkirche in Regensburg. (Phot. von Kill er mann.! Umständen könnte man auch eine der seltsamsten Gestalten an dem berühmten Jakobsportal in Regensburg als Mandragora deuten. Die aus Stein gehauene Figur (s. Abb. 3) hat etwas Menschengestalt und ist in zwei lange schweif- artige Extremitäten ausgezogen; der Kopf fehlt oder wurde einmal weggeschlagen. Gewöhnlich wird die Gestalt als Meerweibchen, wie auch manch andere Tiergestalten des Bestiarius an dem Portal als Symbole verewigt sind, angesprochen; nach Endres könnte es aber auch die Mandragora sein, als Symbol der Weisheit der neben ihr er- scheinenden drei Stifter des Klosters, die aus Schott- land stammten. Echt naturwissenschaftlich gehalten ist dagegen die Darstellung, welche der auf Hildegard folgende Albertus Magnus^) von der Mandra- gora bringt; er sagt von dem abergläubischen Zeug keine Silbe, wie er auch sonst in seinen Werken sehr wissenschaftlich verfährt. In der Hauptsache sich an Avicenna anschließend, nennt er die Mandragorawurzel iahro (auch labro). „Sie ist groß, hat Menschenähnlichkeit; das Wort mandragora klingt unserem Autor wie hominis imago (Menschenbild). Die Wurzel ist hölzern, aschenfarben und innen etwas schwarz. Sie ist kalt und trocken, überhaupt ein starkes Desikkativ; die Rinde der Wurzel ist schwach. Die Pflanze hat narkotische Eigenschaften, hat eine tränen- artige Flüssigkeit und einen Saft; der letztere ist stärker als der erstere. Bei der Mandragora sind zwei Geschlechter zu unterscheiden: Männchen und Weibchen, ersteres mit rübenähnlichen, letzteres mit lattichartigen, aber etwas rauhen Blättern." Die Unterscheidung deckt sich ziemlich mit der des Dioskorides und betrifft die beiden Arten officinarum L. und autumnalis Spreng., wie schon Jessen findet. Der übrige Teil des Kapitels handelt von den medizinischen Wirkungen; die erste Übersetzung davon gibt (Mitte des 14. Jahrhunderts) Kon rad von M e g e n b e r g -). Ev legt (Buch V. Nr. 48) der Mandragora bereits den Volksnamen „Alraun" bei und bemerkt: „Kinder, die die Wurzel fanden und davon aßen, starben in großer Zahl, einigen iedoch kam man mit Butter und Honig zu Hilfe. Die Pflanze bringt sehr wohlriechende F'rüchte, Erdäpfel genannt. Wurzel, Rinde, Blätter und Früchte des Alrauns sind als Arznei zu gebrauchen und wirken zusammenziehend und wegbeizend. Will man einem Kranken Schlaf verschaffen, so mische man gepulverte Alraunwurzel mit Frauen- milch und Eiweiß, bereite daraus ein Pflaster und lege es auf die Stirne und die Schläfen bei den Ohren. Gegen Kopfweh durch Erhitzung soll man die zerquetschten Blätter auf die Schläfen - gegend legen. Alraunöl wird so hergestellt : man zerquetscht Alraunblätter gründlich, mischt sie mit Baumöl, siedet alles zusammen und seiht es durch ein Tuch. Das ist dann das Alraunöl. Es bringt den Schlaf, vertreibt Kopfschmerz und die Fieberhitze, wenn man Stirn und Schläfen mit ') Lambacher Kodex in der Herliner Bibliolhelj. tlieol. lat. IV 0 150. -) J. A. Endres, Uas St. Jakobsportal in Regensbur; KiMiipton 1903. Vgl. besonders S. 63--O5. ') Alberti Magni, ex ordine praedicatorum, de Vege- tabilibus libri VII. Ausgabe von C. Jessen (Berolini 1867), S. 535 — 536. Die Stelle lautet: Mandragora est herba, cuius radix iabro vocatur. Et est radis magna, habens similitudinem cum forma hominis, ut dicit Avicenna: et ideo etiam mandra- gora vocatur, quod sonat hominis imago. Est autem radix lignea, cinericia, et invenitur aliquando nigra. Est autem frigida et sicca ; et radix eius est fortiter desiccativa, et cortex radicis eius est dcbilis. Est autem narcoticam habens virtufem, et habet lacrimam et succum , sed succus eius est fortior lacrima ipsius. Est autem in mandragora masculus et femina; et mas quidem habet folia similia foliis bliti; sed femina habet folia sicut lactuca, sed asperiora aliquanlulum etc. Der Ausdruck iabro hat sich als jabrüh jetzt noch in Palästina im Volksdialekt erhalten; vgl. G. Dal man bei Dinsmore a. a. O. S. 64. ■-) „Das Buch der Natur". Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. Ausgabe von II. Schulz (Grcifswald 1897), S. 349. N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ihm einreibt. Koch Alraunwurzel mit Wein und gib ihn dem zu trinken, dem ein Glied abgenommen werden soll; er fühlt dann in dem tiefen Schlaf die Schmerzen nicht. Bringt man ein Stückchen der Wurzel, besonders der männlichen, in Wein, so wirkt dieser schneller berauschend. Wenn aber jemand die Wurzel öfter anwendet, auch viel daran riecht, so bekommt er die fallende Sucht (Apoplexia). Zur Erleichterung der Geburt stellt man den Frauen etwas von dem Wurzel- saft unter. Alraunsamen wirkt reinigend auf die Gebärmutter, und wenn eine Frau über einer Mischung des Samen mit Schwefel, der nie ans F'euer gekommen ist, sitzt, so wird sie von Metror- rhagie befreit." Wir sehen, daß sowohl Albertus Magnus wie Konrad von Megenberg, der sonst Märchen nicht abhold ist, von den abergläubischen Gebräuchen, die mit der Mandragora in Verbindung stehen, nichts wissen wollen oder überhaupt keine Kunde hatten. Mir scheint, daß erst mit der llumanistenzeit diese Gebräuche sich einbürgerten. Das Rankenwerk, daß sich in den eigentlich nicht naturwissenschaftlichen Kreisen um den Alraun wand, wurde immer krauser. Nach Perger') erzählt die deutsche Mythe — aus welcher Zeit, ist nicht angegeben; „Diese glück- bringende Wurzel wächst nur unter dem Galgen und zwar nur dann, wenn ein Erbdieb, der jedoch noch vollkommen reiner Jüngling sein muß, ge- hängt wird, der bei der Vollstreckung des Urteils den Harn ließ aut sperma efü'undit. Sie schreit, wenn sie ausgegraben wird, so entsetzlich, daß man vor Angst stirbt, weshalb man. wie Odysseus bei den Syrenen die Ohren mit Wachs verstopfen muß" usw. Der Alraun wurde zum glückbringenden Haus- geist, zum Kobold und Heinzelmännchen, zum Spiritus familiaris, -') den man in hohen Ehren hielt und in Eiebes- aber auch wohl in anderen Nöten um Hilfe rief. Wie sehr die fabelhafte Mandragora auch die Gedankenwelt der Renaissanze beschäftigte, er- sehen wir aus dem Kupferstich A.Dürer 's, der unter dem Namen der „vier Hexen'' geht, und aus Machiavelli's Komödie ,,la Mandragola". Dürer, der sich, wie ich hier schon öfters dar- legte, für naturwissenschaftliche Dinge sehr in- teressierte, hat in jenem aus dem Jahre 1491 stammenden Stiche über den vier nackten Frauen deutlich einen Alraunapfel abgebildet (s. Abb. 4). Der Stiel der F'rucht ist zwar knopfartig verdickt und unrichtig wiedergegeben, aber die fünf Kelch- blätter, die an der Beere erhalten bleiben, sind deutlich gesägt und umfassen sie nur zu einem Drittel, wie es für die Art M. officinarum L. charakteristisch ist. Die Frucht selbst erscheint gerieft, vielleicht weil es ein altes, eingetrocknetes Separat. Wien lS62(?). ') Vgl. Schnicllci Exemplar war, das Dürer abzeichnete. Wir er- blicken darauf eingegraben die Jahreszahl 1491 und die Buchstaben O. G. H. Nach R. W u s t ma n n ') läge hier ein Fehler vor und müßte M gelesen werden, die Abkürzung für omnium gentium matres, d. h. der drei rheinisch-keltischen Mütter. Er sieht in den F"rauen nicht gerade Hexen, deren Typus bei Dürer ein anderer sei, sondern Alraunen, die bei der Zeugung eine Rolle spielen. Eine ältere Deutung, welche Sandrart (Deutsche Akademie II 222) gibt, dünkt uns besser, zumal hier auch wirklich der dritte Buchstabe für ein H genommen wird: „O Gott hüte" (d. h. behüte uns vor Zauberei). Ob dann nicht auch Kon rad von Megenberg, den wir im Wortlaut vor- führten und den Dürer sicherlich kannte, zur Erklärung des Bildes herbeigezogen werden muß? Machiavelli's Theaterstück '-) entstand etwas später, wahrscheinlich um 1519. Die Idee ist eine ähnliche; es soll durch den Alrauntrunk leibliche Fruchtbarkeit verliehen werden. Im Laufe des 16. Jahrhunderts artete die Vor- liebe für die Alraunpflanze zu einer förmlichen Manie aus — ein merkwürdiges Gegenstück zu Abb. 4^ Die Alraunfrucht auf Uürer's .Stich ,,Dic %'ier Hexen" (Ausschnitt). der damals auflebenden Naturwissenschaft und eine Parallele zu der bekannten Tulpen- und Nelken- manie. Bei den Pflanzenvätern wird natürlich die Mandragora viel genannt und oft abgebildet. Nach dem Zeugnis des Lobelius'') brachte man die Wurzeln und den Samen aus Kreta und den Ky- kladen in die Gärten von Italien, Frankreich und Spanien; selbst in England gedieh die Pflanze in Gärten und brachte es zu Blüten und Früchten. In Deutschland mußte man sich anscheinend mehr mit getrockneten Exemplaren begnügen, oder mit Fälschungen, wozu hauptsächlich die Zaunrübe (Bryania) verwendet wurde. Val. Cordus bemerkt bezüglich der Verbreitung des .\lrauns in deutschen Gärten im 16. Jahrhundert: „apud nos a paucissimis colitur." ') Der berühmte M Von einigen Tieren und Pllanzeu bei Uürer. Zeit- schrift für bildende Kunst. N. F. XXII. Heft 5. -) J. Sparapanato, la Mandragola ncUa comedia e nella vita ilal. del 500. Noia 1897. ■') a. a. O. Nova Stirpium adversaria, S. lou. 'J Vgl. K. Wein, Deutschlands Gartenpflanzen um die MiUc des 16. Jahrhunderts. Beihefte zum Bot. Contralbl,, l;d. XXXI (I9I4\ Abt. II, S. 506. 144 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 1 1 Garten der F'ürstbischöfe von Eichstätt in Bayern weist um i6oo die Pflanze, die auch heute noch in botanischen Gärten eine Seltenheit sein dürfte, gar nicht auf. ^) Die Mandragoramanie, wie wir sie nennen wollen, grassierte weniger in den naturwissen- schaftlichen als in den sog. Liebhaberkreisen. Die Pflanze, die einmal einen Ruf genoß und bei uns nicht zu haben war, wurde um Gold gekauft, mit ehrerbietiger Scheu betrachtet und aufs zärtlichste behandelt. Besonders war für diese Seltenheiten Kaiser Rudolf II. eingenommen, dem übrigens die Gartenbotanik durch Einführung vieler orientalischer Arten viel verdankt. In der k. k. Hofbibliothek werden aus seiner Zeit noch zwei Alraune und zwar ein Männchen und ein Weibchen, beide in Sammtröcke gehüllt, aufbewahrt; sie sind nach Perger aus dem „Cimeliarchicum physicum" Kaiser Rudolfs II. i68o in die genannte Hofbiblio- thek gelangt. Sie sind abgebildet in Nessel 's Katalog der Handschriften der kaiserlichen Biblio- thek, pars VII. -) P-ine Vorstellung von solchen Alraunmännchen im Sinne des i6. Jahrhunderts gibt uns eine Zeichnung bei Thümen"). Auch bei Shakespeare*) wird die Mandragora genannt, doch mehr in medizinischer Bedeutung als Schlafmittel : Mohnsaft nicht noch Mandragora, Noch alle Schlummerkrafte der Natur Verholfen je dir zu dem süßen Schlaf, Den du noch gestern hattest. ((Jthello III. 3, 3}(<.-^ Im Laufe des i6. Jahrhunderts lassen sich be- reits Stimmen gegen den Alraunaberglauben, der von Betrügern weidlich ausgenutzt wurde, ver- nehmen: so die Pflanzenväter L. Fuchs (1534) und P. A. M a 1 1 h i o 1 i ( 1 563)^ ), auch Nichtbotaniker, >) Vgl. J. Seh wert Schlager, Der botanische Galten der Fürstbischöfe von Eichstätt. {Dortselbst 1890.) S. 65. ■-) Ich habe die Sachen in Wien nicht gesehen. Nach Perger sind selbst diese Alraune gefälscht (vgl. März eil a. a. O.). 3) F. V. Thümen, Die Pflanze als Zaubermittel. Wien 1881. Der Vortrag ist zum Teil nach einer Abhandlung ünger's bearbeitet. ■*) Vgl. H. W. Seagcr, Natural Hislory in Shakespearc's Time (London 1S96), S. 195— 19S. Dort auch zwei charakte- ristische Zeichnungen von einem Alrauomännchcn u. -Weibchen. Andere Stellen s. bei E. O. von Lippmann, ,, Naturwissen- schaftliches aus Shakespeare". Zeitschr. f. Naturw., Bd. 74 (Stuttgart 1901), S. 347 u. 34S. ■■■') Die Stelle, welche bei Matthioli und Fuchs ziem- lich gleich lautet, ist von II. März eil (1. c.) ausführlich wie der Jurist Martin del Rio (1578)') und Anhorn (1674).^) Mit der Zeit hörte der Glaube an die Wunderkraft der Mandragora, wie es scheint, von selber auf. Um 1703 schreibt ein Anonymus: „Die Historien von solcher Alraunwurzel oder Kobolgen, welche meistens von alten Weibern und einfältigen Leuten geglaubt werden, weil sie wider alle Vernunft, Billigkeit und Ordnung der Natur streiten, halte ich für unmöglich, abergläubisch und bloße Einbildungen." ^) Man kennt jetzt in deutschen Landen den Alraun wohl nur mehr vom Hörensagen; ') nur in Volkssprüchen hat sich das Wort da und dort er- halten: Z. B jetzt schaust grad aus wie „D'Olrau" d. h. Hexe (so in Oberfranken, Oberpfalz) *) oder „Der muß ein Oranel (Alräunchen) im Sack haben", wie man in Wien ") sagt, wenn einer besonderes Glück im Kartenspiel hat. Die östlichen Länder Europas (Walachei, Südrußland) sollen noch Gegen- den sein, wo der Mandragorakult in Blüte steht. ') Vielleicht könnten unsere Feldgrauen dort noch wirkliche Alraune und Heinzelmännchen entdecken. wiedergegeben. L. Fuchs, New. Kräuterbuch. Basel 1534, S. 201. ') Als ich anno 1578 das Richterliche Ampt anoch ver- waltet, ist mir unter eines beklagten Licentiaten'confiscirten Schriften , neben einem mit wunderlichen Charakteren und Zeichen erfüllten Zauberbuch auch ein Lädlein, wie ein Todten- sarg formiret, zur Hand gekommen, in welchem ein alt schwarz Alraun-Männlein gelegen , mit sehr langem Haar aber ohne Bart, welches zu Zauberei und Vermehrung des Geldes ge- braucht worden. Ich habe die Arme von dem .Alraun weg- gerissen. Die welche das gesehen, haben gesagt, es werde mich zu Hause ein großes Unglück angehen. Ich hab' aber darüber gelacht und gesagt, wer sich fürchte, der könne wohl hinweg gehen. Ich hab endlich das Buch, Lädlein und Allraun- Männlein in das F'eucr geworfen und hievon keinen anderen Gebrauch, als den einer verbrannten Wurzel gerochen." Dis- <|uisitiones magicarum (Lovanii 1595), !. IV. c 2. m 547 (nach Pe rgcr). '-) ,, Diese Allraun ist nichts Anderes, als eine natürliche Wurzel, in und bei deren der lebendige Teufel selber sich, dem Geizigen zu dienen, darstellet, damit er von ihnen als ihr Gott und Gutthäter hinwiederumb geehrt werde und reißet endlich anstatt des Zinses die Seele in den Abgrund der Höllen !'' Magiologia Basel, 1674, 8. P. II, Cap. 3 (nach Perger"). 3) Nach Thümen a. a. O. S. 16. ■*) Eine sehr drastische, kaum wahrscheinliche Schilderung des Mandragorakulles aus der Gegend von Neuötting am Inn s. im bayer. Familienblatt, lahrg. VIII, Nr. 1 (l. X. 1910I; Verfasser der Novelle M. ]. Lehn er. ••■•) Schmeller's Wörterbuch s. o. Bd. II, Sp. 107. ") Daselbst soll noch in den 70 er Jahren ein damals viel genannter Minister in wichtigen Angelegenheiten sein kostbar gehaltenes Alräunchen gefragt haben. •j Vgl. Mar Zell a. a. Ü., S. 163. Der Sang der Unsichtbaren im Fölirenwalde. Von Prof. Dr. Wilhelm von Reichenau. Ein warmer Tag im Sominerhalbjahr lädt uns ein, den von Mainz aus viel besuchten Lenneberg- wald zu begehen, wo köstlicher Kiefernadelduft uns umgibt und, oben angekommen, eine herrliche Aussicht dem überraschten Spaziergänger lohnt, In dem Föhrenbestand herrscht zurzeit völlige Windstille. Kein Zweiglein zuckt an den Wipfeln, nicht der schwankste Grashalm am Boden regt sich. Auch der Horizont teilt die allgemeine Ruhe, denn die Umrisse jener weißen Wolke hinter dem N. F. XVI. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 145 Taunus bleiben gänzlich unverändert. Die Sonne hat für heute ihren höchsten Stand erreicht und spendet uncrehindert ihre lebenerweckenden Strahlen. Kein Vogellaut ertönt ringsum, denn die befiederten Waldeskinder halten Mittagsruhe — Pan schläft. Dennoch ist die Luft nicht klanglos: Wie aus unbekannten Fernen trifft eine eigentümliche Musik unser Ohr, ein Summen, wie sich verlierender Glockenklang. Und dieses Tönen ist überall ver- breitet, auf stundenweges weit, wohin wir uns nur wenden in diesem singenden Walde. Welches sind nun die Hervorbringer des Sanges — oder sollte gar jener Physiker das richtige ge- troffen haben, der ausströmende Elektrizität aus den Nadelspilzen für jenes Konzert verantwortlich machen wollte? Schon Landois in Münster schrieb ganz all- gemein'): „Auch jede Gegend bietet ihre eigenen Klänge. Der hohe Berg, das tiefe Tal; die öde Heide wie die fruchtende Flur, Sumpf, Wald, Röhricht und weite Wasserflächen haben ihren eigenen Ausdruck, ihren Dolmetscher, in der Stimme ihrer Bewohner." Vor Jahren hat jener Sang in hohem Grade meine Aufmerksamkeit angezogen, doch gelang mir es damals nicht wie jetzt, die Chorsänger mit Sicherheit zu ermitteln. '-) Der freundliche Leser soll aber Mitentdecker dieser Wesen sein. Er strenge sich daher an, den vielleicht schon ge- übten Blick in die lichten Räume zwischen dem Gezweige zu richten ... sie müssen zu weit ab sein, die Summer, denn wir sehen nichts. Aber Geduld! Die Wolke da drüben hebt sich, ein leichter Wind streicht über die Wipfel : Sogleich kommt der Gesang näher, denn er wird viel lauter! Der Wind verstärkt sich, der Sang, dessen Viel- stimmigkeit jetzt außer allem Zweifel steht, senkt sich zwischen die Wipfel herab, endlich unter die- selben. Stärkere und feinere Stininien sind zu unterscheiden. Endlich, es rauschen die Wipfel, sehen wir auch kleine dunkle Punkte durcheinander sausen oder auch wie angenagelt in der Luft schweben: Insekten sind es, Zweiflügler! Mit vielen weißen Wölkchen, die einen Schirm nach dem anderen vor der Sonne bilden, fährt ein kühlerer Windstoß daher, und die Schtvebcr kom- men mehr und mehr herab: Zweiflügler vieler Gattungen, das Hauptkontingent der himmlischen Heerscharen aber stellen die Schweb- oder Seh wirr fliegen (Syrphus). Wir hören nun -deutlich, daß gerade sie den Grundton angeben und festhalten. Im Weiterschreiteii geht es überall „summ summ", bald näher, bald ferner, von Kopf- höhe bis zu den sausenden Zweigen hinauf schweben die Syrphiden. Hier kleinere, dort größere. Alle schwirren und singen mit ihren Bruststimmen. Denn es ist der mit Leidenschaft, ') Tierstimmen. Von Dr. II. Landois, Professor der Zoologie. Freiburg i. B., 1874, Herder'sche \'erlagshandlung. -) Bilder aus dem Naturleben. Nacli eigenen Erfahrungen alsjägeru. Sammlergeschildert von W il hei m v. Reichcnau Leipzig, Ernst Günther's Verlag, 1892, S. 70. bald stärker, bald mäßiger willkürlich ausgestoßene Ton, den wir vernehmen, eine richtige Singstimme, kein Flügelgeräusche. Für die Gattung Eristalis hat in dem angeführten Werke Landois sehr schön die Tonapparate erläutert (S. 73 ff), Syrphus hat er nicht untersucht, und doch macht gerade diese Gattung den Wald si n gen. Sie ist wirk- lich tonangebend und spielt ihre Instrumente zu Millionen im Chorus, soweit es Bäume gibt, den Wald erfüllend. Aber auch zudringliche Sänger gibt es unter der Masse, freilich nur zufällig an ihrem Schwebeort von uns aufmerksam gemachte einzelne und dabei nur die ganz großen Arten mit dem fast papierdünnen, eiförmigen schwarzen Hinterleib, dessen Ringe querüber mit zwei Mond- flecken gezeichnet sind. Sobald wir nämlich vor- bei sind, wittern sie unseren warmen Dunstkreis. „Hier ist gut sein", so empfinden sie wohl, und die Stimme hinter uns erhöht sich, wird nahezu piepend, wie bei Immen und Mücken, die stechen wollen, und unwillkürlich fahren wir herum, ziehen den Nacken ein und erheben die abwehrende Hand. Doch wir fassen uns, denn es ist ja lächerlich, sich von einer ganz unschädlichen Zierfliege ein- schüchtern lassen zu sollen. Wir lassen sie ruhig gewähren. „Uüh, ühi hiiü" (jetzt hätte der Stich zu kommen — aber er bleibt aus) und das hübsche Fliegentier sitzt stille am Rande unseres Kragens, da, wo im Nacken die warme Körperluft unterm Hemde aufsteigt. Es wärmt sich an uns als seinem willkommenen Kachelofen. Mittlerweile hat die Bewölkung abgenommen, der Wind hat aufgehört, die Sonne brütet wieder unbehindert, die Wärme- .strahlen heben sich vom Boden aufwärts — und mit ihnen die Waldessänger, die Syrphiden. Beim Verlassen des Waldes ertönt wieder hoch über den Wipfeln, vom Himmel herab, der Sang der Unsichtbaren. ,L'ns bleibt nur noch übrig, die Gegenwart der Jahr für Jahr in unzählbarer und unschätzbarer Menge den Föhrenwald bewohnender Syrphusarten zu erklären. Dies geschieht un- schwer, wenn man ihre Lebensweise in Betracht zieht. Die F"iiege leckt Blumensäfte, aber auch den süßen Auswurf, d. h. den flüssigen, dextrinhaltigen, mittels der Hinterfüße fortgeschleuderten Kot der Blattläuse. Die letzteren finden sich in einer so trockenwarmen Gegend zwischen den Nadeln der jungen Triebe in unübersehbaren Massen. Sie dienen vielen Tieren als Nahrung, vornehmlich den Singvögeln für die erst kürzlich ausgebrüteten Jungen, als ausschließliche Nahrung u. a. für die Sonnenkälbchen, Herrgotts- oder Marienkäferchen (Coccinellae) und deren Larven, für die Blattlaus- löwen oder Florfliegen (Chrysopa), dann für die Maden der Schwebfliegen. Diese haben einige Ähnlichkeit mit Blutegeln, sofern letztere ausge- streckt sind, doch auch wieder mit Spannerraupen, wiewohl diese ja einen Kopf besitzen. Es sind wurmförmige, köpf- und beinlose, vorn gegen den Saugmund zu allmählich zugespitzte grünliche oder rötliche Larven, die mittels geeigneter Wülste ihrer hintersten Leibesringe sich fortbewegen, mit dem 146 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. I Rüssel dabei wie echte Bünde umhertastend. Haben sie eine Blattlaus erwischt, so wird dieselbe flugs ausgesaugt, so daß nur die farblose Haut übrig bleibt. So leben sie zwischen ihren Nährtieren, bis sie sich verpuppen. ') Aus der Puppentonne erscheint ') Näheres hierüber bei Brehms Dr. E. L. Taschen berg. erleben, Di( nach einiger Zeit durch Absprengung der deckei- förmigen vordersten Ringe die Schwebfliege. Sie zeigt zunächst noch Flügelläppchen und pumpt mit gewaltiger Wirkung Luft in ihren Körper. Ist sie erst „trocken hinter den Ohren", so beginnt ihr Flugwesen, das lediglich der Lebens- freude gilt. Einzelberichte. Medizin. In der Neuzeit wurde häufig zu theore- tischen und praktischen Zwecken von dem Ver- fahren der Transplantation Gebrauch gemacht; dieselbe besteht darin, daß Gewebsstücke von einem lebenden Tier oder Menschen auf ein anderes Individuum verpflanzt und dort zum Einheilen ge- bracht werden. Letzteres gelingt um so leichter, je gleichartiger das Serum des Organismus, von welchem das Transplantat genommen wurde, und der Gewebssaft des anderen Lebewesens ist, mit dem das Transplantat verbunden werden soll. Die Übereinstimmung im Gewebssaft des Transplantats und des Empfängers ist am größten, wenn dieses nur an eine andere Stelle des gleichen Körpers verpflanzt wird (autoplastische Transplantation). Etwas größere Schwierigkeiten bietet die Trans- plantation auf ein zwar arilich gleiches, aber individuell verschiedenes Lebewesen (homoioplasti- sehe Transplantation). Bis zum Nichtgelingen ist die Schwierigkeit gesteigert bei der Überpflanzung zwischen zwei minder oder mehr verschieden ge- arteten Organismen (heteroplastische Transplan- tation). In diesem Fall stirbt der nicht genügend eingeheilte und daher schlecht ernährte Pfropf ab, zersetzt sich, die dabei gebildeten Toxine gelangen in den Säftestrom des Individuums, auf welches transplantiert wurde, und vergiften es. In der Kriegschirurgie ist häufig eine Trans- plantation von Hautstücken, Nerven oder Knochen nötig. In der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 26. Dezember 19 16 sprach O. Laurent über die vorübergehende Vereinigung zweier Individuen zum Zwecke der sicheren Ernäh- rung des Transplantats (Realisation du siamoisisme chez les animaux. Presentce par Ed. Perrier. C. R. Ac. sc. Paris No. i , 1917). Er habe zweimal zwei Verwundete miteinander verbunden, um das Transplantat lebend zu erhalten. Den Wert dieses neuen Verfahrens hätte er im Tierversuch erprobt, indem er zahlreiche Versuche mit den verschie- densten Wirbeltieren anstellte, mit Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Lurchen und Fischen. Die Versuche waren in der Veterinärschule von Alfort im Laboratorium von Professor Roule ausge- führt worden. Beim Betreten des neuen Gebietes in der Biologie sei er auf bedeutende Hindernisse gestoßen, sowohl auf solche allgemeiner als spezieller Natur. Mit Chamäleon, Salamander, Frosch, Goldfisch und Schleie hätte er positive Resultate ' erzielt. Bei Vögeln und Säugetieren hätte er sehr interessante Entdeckungen ge- macht. So wären zwei Hühnchen während eines ganzen Monats miteinander verbunden geblieben. Ein anatomisches Präparat zeigte deutlich die Verlötung zweier Hühnchen miteinander nach I Monat; ein anderes Präparat bezöge sich auf dieselbe Erscheinung bei zwei Pferden, welche die Operation 34 Tage überlebten. Während es sich in den genannten Versuchen um einen „siamoisisme homologue" (homoioplatische Transplantation) ge- handelt hätte, wäre es ihm gelungen auch ganz verschiedenartige Tiere miteinander zu verbinden (heteroplastische Transplantation), z. B. eine Taube und ein Huhn, sowie einen F"asan und eine Ente. P'reilich seien diese Versuche sehr zeitraubend und es käme häufig vor, daß sich die Tiere ganz un- erwartet voneinander trennten. Der ,, Siamoisisme" eröffnete seiner Ansicht nach ganz neue Aus- bücke in Medizin, Biologie und Botanik. Laurent denkt vielleicht zu optimistisch über die von der Transplantation zu erhoffenden Erfolge. Viel weniger verheißend klingt der Bericht von H e n r i J u d e t in der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 26. Dezember 1916. Bei drei Verwundeten, welchen durch einen Schuß die Vorderarmknochen bis 7- ihrer Länge zerschmettert worden waren , wurden Überpflanzungen der Knochenhaut der Rippe vom Kalb vorgenommen. Obwohl das aseptisch übertragene Transplantat ohne jede Komplikation vertragen wurde, galt es doch wie in allen anderen Fällen von heteroplasti- scher Transplantation nur als Fremdkörper und gab zur Knochenneubildung keinerlei Anstoß. Noch viel merkwürdiger war das Resultat bei einer autoplastischen Transplantation. Hier wurde näm- lich Knochenhaut vom Schienbein desselben Patienten genommen und zwar solches mit und ohne Knochenbildungskerne, aber auch hier kam es nicht zu einer davon ausgehenden Knochen- neubildung. In allen 3 I-'ällen wurde nur in kosmetischer Beziehung etwas erreicht, indem die eingesunkenen Narben verschwanden. In funktioneller Beziehung dagegen war der Mißerfolg vollständig; das fibröse Bindegewebe um das eingekapselte Trans- iMantat trat als mechanische Stütze an die Stelle N. F. XVI. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 147 des verschwundenen Knochens, aber nicht einmal Pro- und Supinationsbewegungen konnten dadurch von einem Stück des Radius auf das andere über- tragen werden. (gTc.) Kathariner. Eine der merkwürdigsten Beobachtungen auf medizinischem Gebiet hat im gegenwärtigen Weltkrieg ihre Bestätigung und eine, wie es scheint, befriedigende Erklärung gefunden. Es ist das im Jahre 1867 von dem amerikanischen Forscher entdeckte und nach ihm benannte Weir-Mitscheir sehe Phänomen. Es besteht darin, daß jemand, welcher durch Amputation Hand oder Fuß verloren hat, noch längere oder kürzere Zeit nach der Operation, bisweilen monatelang glaubt, er mache noch Gefühlswahrnehmungen mit den längst nicht mehr vorhandenen Körperteilen. Er glaubt Hand oder Fuß noch zu fühlen und zwar, als wenn er damit die gewohnte Tätigkeit ausübte, also etwa die Hand, als hielt er darin ein Werkzeug, den Fuß, als triebe er damit eine Schleifmaschine oder ein Rad. Gewöhnlich geht dem Eintritt der eigen- tümlichen Empfindung ein Kribbelgefühl, das sog. „Ameisenlaufen" der Medizin, in der Umgebung der Amputationsnarbe voraus. Nach dem fran- zösischen Forscher Amar ist diese Erscheinung nicht die Folge einer Veränderung in der Sinnes- sphäre des Gehirns, wie der Entdecker glaubte, sondern erklärt sich folgendermaßen. Die von den Hautsinnesorganen der Hand oder des Fußes gemachten Gefühlswahrnehmungen gelangen durch die den Aim bzw. das Bein durchziehenden zentri- petalen Nerven ins Gehirn. Hier wird jede Er- regung eines Sinneszentrums ohne weiteres auf eine entsprechende Erregung des normalen End- apparats bezogen, auch wenn derselbe wie hier durch Amputation entfernt wurde. Die Erregung der zentripetalen Nerven kommt nun nach A. in folgender Weise zustande: Der in umgekehrter Richtung vom Gehirn nach der Hand verlaufende zentrifugale motorische Reiz, welcher früher die dort vorhandenen Muskeln in Tätigkeit setzte, kann am Ende des Amputationsstumpfes angelangt, nicht wie normalerweise in die Nervenbahnen der Bewegungsmuskeln ausstrahlen, und wird sich des- halb an der Amputationsnarbe stauen, um schließ- lich auf den umgekehrt leitenden Gefühlsnerven überzuspringen; diese Stauung kommt im Gefühl des „Ameisenlaufens" zum Ausdruck. Mutatis mu- tandis gilt das Gleiche für den Fuß." Dafür, daß mit dieser Deutung das Richtige getroffen wird, spricht die Erfahrung, daß sich die Erscheinung mit der Zeit verliert, und zwar um so eher, wenn durch zweckmäßige Apparate die Betätigung des Am- putationsstumpfes und somit der normale Verbrauch des zentrifugalen motorischen Nervenreizes er- möglicht wird. (G.C.) Kathariner. Hygiene. Mückenvertilgung durch Fische. Das schon im .Mtertum bekannte und gefürchtete Wechselfieber, die Malaria, ist in ihrem Auftreten an das Vorhandensein freier Gewässer in den von ihm heimgesuchten Gegenden gebunden, was schon in dem Namen „Sumpffieber" zum Ausdruck kommt. Jahrhundertelang schrieb man die Schuld an der Ungesundheit eines von ihm heimgesuchten Land- striches aus den Sümpfen aufsteigenden Dünsten, „Miasmen", zu. Erst Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts fand der italienische Forscher Grassi, daß das Wechselfieber lediglich von im Blut lebenden einzelligen Tieren, „Sporozoen" verursacht wird und daß der Malariaerreger durch eine Stechmücke, Anopheles, vom kranken auf den gesunden Menschen übertragen wird. Die Mücke nimmt mit dem Blutkörperchen auch den darin enthaltenen Malariaerreger auf; derselbe vermehrt sich in ihr, und beim Saugen ati einem gesunden Individuum überträgt sie Sporen des Malariaparasiten auf dieses. Grassi zeigte durch den Versuch, daß man in den gefürchteten Fiebergegenden unbedenklich weilen, selbst im Freien übernachten kann, wenn man sich nur vor der Anophelesmücke, der Trägerin des Malaria- kcinis, schützt. Schon den .Alten war es bekannt, daß durch Entwässerung die Gesundheitsverhältnisse in einem wegen des Fiebers verrufenen Land gebessert werden konnten. Der Grund, warum dies infolge der Trockenlegung eintrat, blieb neuerdings noch Jahrhundertelang unbekannt. Jetzt wissen wir, daß die Zahl der Überträger der Krankheit und somit auch die der Krankheitsfälle dort geringer sein, eventuell verschwinden muß, weil die Ano- lihelesmücke aus einer in Gewässern lebenden I.arvc entsteht. Alles, was die Larve vertilgt, kommt also auch der Gesundung des betreffenden Landes zugute. In der Sitzung der Pariser Akademie der Wi-ssenschaften vom 9. Okt. 1916 berichtet Jean Legendre über die Erfahrungen, welche man mit der Einbürgerung von Süßwasserfischen bezüglich der Mückenvertilgung in den fran- zösischen Kolonien gemacht hat. (Destruction des moustiques par les poissons. Presentee par Ed. Perrier. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 15, 1916.) Für die Reisfelder in den Kolonien kämen namentlich solche Cypriniden in Betracht, welche in ruhigem warmem Wasser gediehen. Der Generalgouverneur der Insel Madagaskar, deren Reisfelder eine Fläche von über 300000 Quadrat- kilometern einnehmen und deren Bevölkerung vom Sumpffieber dezimiert wurde, hätte es ihm ermöglicht, in der Bannmeile von Tananarivo dies- bezügliche Versuche vorzunehmen. Er hätte zu dem Zweck zwei Arten von Cypriniden eingeführt, den Spiegelkarpfen aus Frankreich und Maillard- Karpfen von der Insel Reunion. Er hätte außer- dem Versuche mit dem Goldfisch (Carassius auratus) angestellt und gefunden, daß der Goldfisch in den Reisfeldern Mückenlarven vertilgte und ungemein schnellwüchsig würde. Dafür wolle er nun ein Beispiel angeben. Ende Januar 1916 148 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. hätte man auf ungefähr i ha 1300 Fische im Gesamtgewicht von 6 kg ausgesetzt; dieselben vermehrten sich in 5 IVIonaten auf 18000 Stück im Gesam.tge wicht von 120 kg; das schwerste Stück wog 1 59 g. Daraus ginge hervor, daß der Goldfisch in den Reisfeldern außerordentlich gut gedeihe. Derselbe nähme, wie die Magen- untersuchungen zeigten, an der Vertilgung der Ano- pheleslarven intensiven Anteil, trage also wesent- lich zur Sanierung des betreffenden Landstriches bei. Kathariner. Geologie. Das französisch -lothringische Indu- striegebiet, besonders das Becken Briey-Longwy, bildet nach Joh. Wütschke (Geographischer Anzeiger S. 164, 1916) zusammen mit dem deutsch- lothringischen und luxemburgischen Erzgebiet wie mit dem südlicher gelegenen Becken von Nancy das lothringisch-luxemburgische Minetterevier, das am Ostrande des Pariser Beckens gelegen ist. Die Mi nette ist ein 30— 40"^, phosphorhaltiges ooli- thisches Eisenerz, welches in kalkigen und mehr kieseligen Lagen vorkommt und so durch Mischung eine unmittelbare Verhüttung ohne Zusätze ermög- licht. Es sind ursprüngliche Meeresablagerungen, die dem unteren Dogger angehören. Der reiche \\'echsel harter und weicher Schichten hat ein vielgestaltiges Landschaftsbild geschaffen. Auf der Fahrt von Metz nach Longuyon-Montmedy fallen 2 Geländestufen auf, die sich auch in der langsamen Fahrt des Zuges von beiden Seiten her bemerkbar machen; einerseits die Moselhöhcn mit der Woevre-Ebene (Lias-Dogger), andererseits die mehr gegen das Beckeninnere (nach Frankreich hinein 1) gelegenen Maashöhen (Cote Lorraine, aus Malm bestehend). Der nördliche Teil der Woere-Ebene, etwa die Gegend östlich der Bahn Conflans-Longuyon bis zu den Moselhöhen, ist der wichtigste Teil des französisch lothringischen Industriegebiets und um- faßt das Becken von Briey-Longwy. In die ein- tönige Hochebene sind die Täler der unteren Orne, Crusnes, Chiers usw. tief eingeschnitten. Weiter nordwärts im nordöstlichen Zipfel F'ranzö- sich-Lothringens, Südbelgiens und Südluxemburgs wird die Landschaft mit ihren tiefen Tälern und romantischen Schluchten reizvoller. Überall deuten Hochöfen, Fördertürme und Schornsteine darauf- hin, daß wir uns inmitten des Erzgebietes befinden. In den Tälern der Chiers, F>nsch, Orne und ihrer Nebenflüßchen ist teilweise Tagebau möglich, weiter westwärts um Conflans und Landres sind Schächte bis über 200 m Tiefe abgeteuft. Die Verhüttung ist auf einige engbegrenzte Gebiete beschränkt; in F"ranzösisch-Lothringen um Briey und Longwy mit ca. 50 Hochöfen, in Deutsch-Lothringen im Ornetal (de Wendel), im FenSchtal (de Wendel), Moseltal (Röchling bei Diedenhofen, Stumm bei Uckingen) und um Deutsch Oth (Gelsenkirchener B.A.G.) mit zusammen 60 Hochöfen, in Luxemburg bei Esch, Differdingen und Petingen mit 30 Hoch- öfen und in Belgien um Halanzy und Athus mit 6 Hochöfen. Der abbauwürdige Vorrat an Minetteerzen wird in F'ranzösisch- Lothringen auf 3 Milliarden t ge- schätzt gegen nahezu 2 Milliarden t in Deutsch- Lothringen und ^j^ Milliarde t in Luxemburg. Der etwa 5 Milliarden t betragende Erzvorrat entspricht einer Roheisenmenge von etwa iV., Mil- liarden t. Es sind das ungeheure Werte, von denen der Hauptanteil auf Frankreich entfällt. Die Erze kommen uns heute um so mehr zu gute. Die Förderung betrug: Franz.Lothr. Deutsch-Lothr. Luxemburg 1872 1009000 t 678000 t I 174000 t 1892 2928000 „ 3571000 „ 3370000 „ 1902 4129000 ,, 8753000 „ 5130000 „ 1913 18499000 „ 21 134000 „ 7331000 „ Aus diesen Zahlen geht hervor, daß Frankreichs Förderung seit 1892 von Deutschland überflügelt worden ist. DieGesamteisenförderung von Frankreich betrug 1912 18500000 t, wovon 93*'/o (17235000 t) auf F"ranzösisch-Lothringen entfallen. Wir sind also augenblicklich im Besitze fast der gesamten Eisen- erzförderung Frankreichs. Die französisch-lothrin- gischen Erze hatten schon im Frieden eine große Bedeutung für unsere deutsche Roheisenproduktion. Die Erzausfuhr nach Deutschland ist von 900 000 t im Jahre 189S auf über 3 800 000 t im Jahre 1913 gestiegen. Etwa 20"/,, der in P"ranzösisch- Lothringen geförderten Erze wandern nach Deutsch- land, wo eine ständig wachsende Plisenindustrie ihrer bedarf Den Wert der französisch lothringi- schen Eisenerze hat Geh. Rat F'rech auf ca. 8 Milliarden Mark geschätzt, also das Doppelte der Kriegsentschädigung von 187 1. Wir haben somit ein gutes Faustpfand in unseren Händen, das uns im Kriege wertvolle Dienste leistet und das wir unbedingt uns angliedern müssen. Der P'ranzose allerdings denkt anders. Er trachtet nach unseren Kalisalzlagern im Ober- el>aß und nach unserem lothringischen Erzgebiet. Da er mit den Erzen allein bei der in PVankreich herrschenden Kohlenarmut nichts anzufangen ver- mag, so möchte er auch noch nach'den Kohlen des Saargebietes greifen. Demgegenüber ist zu betonen, daß die Angliederung des französisch- lothringischen Minettereviers Briey-Longwy für die deutsche P.isenindustrie und wegen des etwa 1,2 — 1,6"/,, betragenden Phosphorreichtums der Minette (Thomasmehl) auch für die deutsche Land- wirtschaft eine Lebensfrage ist. V. Hohenstein. Die Bodenschätze Elsaß - Lothringens werden in einem Vortrag des Straßburger Geologen Leopold vonWerveke (Schriften der Wissen- schaftlichen Gesellschaft in Straßburg) zusammen- fassend behandelt. In erster Linie sind Kohlen zu nennen. Doch sind die P^rwartungen, die man an die Bohrungen N. !■ . XVI. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliclie Woclienschrift. 149 in Französisch- l.othringen geknüpft hat, nicht so erfreulich gewesen. In der Kreuzwalder Ebene findet sich das Kohlengebirge bei Rossein unter einer Bedeckung von 75 m, in Spittel unter 172 m. Unter Muschelkalk lagert es in Falkenberg bei 590 m, in Baumbiedersdorf bei 405 m und in Bolchen bei 462 m Tiefe. InFranzösisch-Lolhringen liegt bei P^ply die Kohle 659 ni und bei Greey in 955 m Tiefe. Bei Fply hat man zwischen 1273 m und 1505 m Tiefe 8, davon 7 abbauwürdige Flöze gefunden. Bei Dombasle fand man unter 4 Flözen 3 abbauwürdig. Ebenfalls 4 bauwürdige Flöze wies man bei Aboucourt nach. Hohe Temperatur und allzu reichliches Wasser werden einen gewinn- bringenden Abbau erschweren. Weitere Bohrungen waren aussichtslos und in Luxemburg ist mit einem Vorkommen der Kohlenformation nicht zu rechnen. Auf deutsch -lothringischem Gebiete liegen die Saarbrückener Schichten nur in einem Sattel, nicht aber an den Flügeln, in denen nur die flözarmen Oitweiler Schichten angetroffen wurden. Mit der Tatsache, durch neuere Bohrungen günstigere Aussichten zu bekommen, darf nicht ge- rechnet werden. Von Bedeutung ist das Kohlenbecken von Ronchamp am Südfuß der Vogesen. Es reicht zwar nicht bis ins Gebiet des Reichslandes, aber der Vorrat von Fett- und Kokskohle wird als sicher 3 Millionen Tonnen, wahrscheinlich noch weitern 3 Mill. Tonnen, möglicherweise 10 Mill. Tonnen angegeben. Aus dem Rotliegenden und dem Buntsandstein sind keine Erzlager bekannt geworden, wohl aber im Vogesensandstein und Oberen Buntsandstein Durch- setzungen von Blei- und Kupfererzen, die in der Gegend von Hargarten, Lubeln und St. Avold früher abgebaut wurden. Salz lagert in Lothringen im mittleren Muschel- kalk und im unteren Keuper. Das Gebiet zwischen Saralben, Mulsach, Luneville, Nancy und Salzburg ist salzführend. In einer Bohrung bei Duss (Dieux) wurden im Salzkeuper in 19 Lagern 70 m Salz, im mittleren Muschelkalk in 6 Lagern 15,65 m Salz angetroffen. Bergbau auf Salz betreibt man nicht mehr. Alles Salz gewinnt man aus Solen, während in Französisch Lothringen das Salz so- wohl durch Bergbau als auch durch Solen ge- wonnen wird. 1905 wurden in Deutsch-Lothringen I 475070 m Salz gewonnen. Auf der Salzgewinnung baut sich die Sodabereitung auf. Die Nester von Polyhalit in der Keupersalzlagerstätte sind für einen Abbau zu wenig mächtig, wie nach L. v. Wer- veke in Deutsch- sowie Französisch-Lothringen keine Kalilager zu erwarten sind. In der mittleren Abteilung des Muschelkalkes und in dem Roten Mergel des Keupers findet sich Gips, der aus Anhydrit entstanden ist. Die Keuperkohlen bei Balbronn im Elsaß, bei Pieblingen und Hilsprich in Lothringen sind wegen des Reichtums an Eisenkies (bis 58 "/o) "'cht ab- bauwürdig. Toneisensteinknollen aus dem Keuper im Wald von Walwingen wurden früher für die Hochöfen von Kreuzwald ausgebeutet. L. v. Werveke weist auf den Posidonien- schiefer des Oberen Lias hin als Lieferant von Öl, der in Lothringen wegen seiner ungestörten Lagerung mehr als im Elsaß dazu geeignet ist. Die wichtigen Eisenerze aus dem Unteren Dogger, die sogenannten Minetten, deren Ver- breitung in Lothringen zur Grenzfestlegung nach dem Kriege 1870/71 von Einfluß war, sind auf größerem Räume verteilt, wie man damals ange- nommen hatte. Aber auch heute halten wir be- setzt, was die Franzosen nach 1871 auf ihrem Gebiete neu entdeckt haben. Die Minetten ver- teilen sich auf zwei Becken; das eine liegt bei Nancy auf französischem Gebiete, das andere bei Briey verteilt sich auf französisches und deutsch- lothringisches Gebiet. Sie reichen auch nach Luxemburg und Belgien hinein. 70 — 80 000 abbau- würdige Lager verteilen sich so, daß 40—50000 ha auf Französisch-Lothringen, 27 — 2800 ha auf Deutsch-Lothringen und 2500 ha auf Luxemburg kommen. Belgien bekommt davon nur einige hundert Hektar. Nach der Meinung von Fach- leuten stimmen die Angaben nicht ganz und es wäre zu wünschen, wenn neue Beobachtungen über die Verbreitung der Minetten gesammelt würden. Einen weiteren bedeutenden Wert besitzen die Minetten wegen ihres Phosphor- gehaltes, den man der deutschen Landwirtschaft zuführt. Seit 1874 entphosphorisiert man die Minetten, gewinnt Stahl daraus, während die Schlacke den Phosphor bindet. Die Thomas- schlacken haben unsrer Landwirtschaft in dem Kriege großen Nutzen gewährt, da alle Einfuhr von Rohphosphaten aufhörte. Wichtig sind die tertiären Bohnerze, die früher trotz ihrer geringen Mächtigkeit von i- — 2 m, selten 5 m im Kreise von Altkirch und Hagenau, in Lothringen westlich der Mosel abgebaut wurden. Im Eocän lagern Braunkohlenlager, die ebenfalls früher im Unterelsaß bei Buxweiler und Lobsann von 1816 — 1881 abgebaut wurden. 0,50 — 2,00 m, selten 2,20 m ist sie bei Buchsweiler mächtig, enthält aber in den oberen 0,50 m 12 — 13% Eisen- kies, aus dem man Alaun gewann. Im Oberelsaß erbohrte man bei Niederbruck in 445 m Tiefe Steinsalz mit Kalisalz. Zwei Lager Kalisalze hat man bis jetzt entdeckt. Die Kalisalze sind Sylvinit, Sylvin und Chlornatrium. Das untere Lager ist 4,15 m, das obere 1,16 m mächtig. Bei einer Flächenausdehnung von 172 qkm für das untere Lager hat man 6o3 250000cbm be- rechnet, für das untere 84 qkm große 1 7 750000 cbm. Dem Werte nach sind für gegen 50 Milliarden Mark Kalisalze dem Boden eingelagert. Nach der Bur- gundischen Pforte hin sind Kalifunde aussichtslos. Im Unteroligocän des Unterelsaß findet sich Petroleum und gegen das Mitteloligocän hin zeigen sich Asphaltablagerungen. „Keine der zahlreichen Bohrungen im Oberelsaf.^ hat Ol in nennenswerter ISO Natuiwissenschaftliclic Wochenschrift. N. R XVI. Nr. I Länge aufgeschlossen. Das Salzgebiet schließt, wie es scheint, das Erdölvorkommen aus." Nur das Pechelbronner (Tcbiet läßt Petroleumschätze erwarten. Asphalt ist nur auf eng umgrenztem Gebiet nachgewiesen. Zu bituminösen Schiefern gehören die Fischschiefer des mittleren Oligocäns, aus denen Bitumen zu gewinnen ist. Die diluvialen Eisenerze, die ehemals ge- wonnen wurden, bieten keine Aussicht wieder, abgebaut zu werden. Gold enthält der Rheinkies, dessen Gewinnung daraus durch die Reinkorrektion und die Steigerung des Tagesverdienstes zum Er- liegen gekommen ist. Daubree berechnete den Goldwert aus den Rheinkiesen zwischen Rheinau und Philippsburg auf 1 14 ',,, Mill. Gold. Torf findet sich an verschiedenen Stellen des Reichslandes in der Umgebung von Siürzelbronn, Neudörfel, Dambach, Haspelheid, im Gebirge auf der Nordseite und Westseite des Weißen Sees, auf dem Hochfelde, am Schneeberg, am Donon und bei Salm. (g. c.) Rudolf Hundt, z. Z. i. F. Über den Krusteneisenstein in den deutsch- afrikanischen Schutzgebieten. — In den afrikanischen Tropen treten im Boden weitverbreitet harte Eisen- krusien auf, die man in der älteren Literatur viel- fach Raseneisenstein, in der neueren als Laterit bezeichnet hat. Da für die Begriffsbestimmung des Laterits mehr und mehr die chemische Be- griffsbestimmung M. Bau er 's, in welcher be- sonders auf den Gehalt freier Tonerde verwiesen wird, eingebürgert ist, so schlägt W. Koert') den Namen Krusteneisenstein vor. W. Koert hat solchen eingehend in Togo und im Hinter- lande von Tanga (Deutsch Ostafrika) studiert. Der Form nach sind unter den Kisenkrusien zu unterscheiden: Rinden, welche zumeist aus zahl- reichen dünnen Lagen von dichtem Brauneisen ge- bildet sind; Konkretionen wie Knauern und Bohn- erz; Bindemittel im Sand, Kies und Gesteinsschutt, welche zu Eisensandsteinen, Konglomeraten und Breccien verkittet sind; Imprägnationen z. B. in fein- sandigen Schiefertonen. Alle diese sind von Koert chemisch und mineralogisch sorgsam untersucht worden. In Togo fehlt der Krusteneisenstein gänzlich auf der sandigen, alluvialen Nehrung der Togoküste, auf den tonigen Bildungen der hinter der Nehrung gelegenen, zeitweise austrocknenden Lagune und in den tonigen und sandigen Flußalluvionen, in welchen gelegentlich hÄhstens eisenschüssige Tone angetroffen werden. Auf dem fluviatilen Diluvialgüriel des südlichen Togo tritt Krusten- eisen noch wenig hervor, nur im Steilufer der Lagune war ein Maschenwerk von Eisensandstein im grünlichgrauen sandigen Lehm als beginnende Bildung einer Eisenkruste anzusehen. Eine ober- flächliche Eisenkruste ist aber im Süden des ') Beiträge zur geologischen Erforschung der deutschen Schutzgebiete. Heft 13: W. Roert, Der Ivrusteneisenstein in den deutsch-afrikanischen Schutzgebieten, besonders in Togo und im Hinterland von Tanga. Berlin 1916. Diluvialgürtels noch nirgends vorhanden, dies ist erst am Nordrande des Gürtels der Fall, wo im t^bergang zu der noch auf primärer Lagerstätte befindlichen Verwitterungsboden des altknstallinen Gebietes größere Blöcke auf einer mit Busch und Ölpalmen bedeckten Platte auftreten. Häufiger trifft man Krusteneisenbildungen auf den Rumpf- ebenen des südlictien und östlichen Togo, welche in das aus Gneisen und alten Tiefengesieinen ge- bildete Grundgebirge eingeschnitten sind. Von hier werden überaus wertvolle Profile von Brunnen - bohrungen und Bahnbauten mitgeteilt, welche zeigen, daß Krusteneisen häufig unter humosen, meist sandigen Oberkrumen auftritt. Auf dem Togogebirge sind W. Koert 's Krusteneisen hauptsächlich in dem plateauartig entwickelten Teil, weniger im Bereich der Ketten und der Vorberge. Auf den Gipfeln und Kämmen wurde es nicht beobachtet, sondern höchstens an den Flanken. Im Westen wird das Togogebirge von Vorgebirgen und Vorhügeln begleitet, welche sich aus den stark gestörten Sedimenten der wohl paläozoischen Buemformation zusammensetzen. In dieser Schollengebirgsiandschatt findet sich Krusten- eisen hauptsächlich in den Längstälern und auf den Stufen zwischen den Gebirgsteilen, weniger auf den Rücken und Hügeln. Der Nordwesten Togos wird von einem weiten Becken durchzogen, dessen Schichten, Schiefertone mit Kalklagen und Sandsteine, wahrscheinlich mesozoischen Alters sind. Die Schichten liegen flach, außerdem herrscht nur geringes Gefälle, so daß während der Regenzeit weite P'lächen unter Wasser stehen und versumpfen. Hier ist vielfach Krusteneisen flächen- artig verbreitet und hat nicht selten auch beträcht- liche IVlächtigkeit. So sah W. Koert an einer Stelle ein kleines Gewässer über eine i in hohe Stufe von Krusteneisen herabfallen. Die Stufe war unterspült und zahlreiche große Blöcke von ihr abgebrochen. Bei Tanga und dessen Hinterland in Deutsch- Ostafrika weisen schon die Diluvialschichten deutlich Anfänge der Krusteneisenbildung auf. In einem Siraßeneinschnitt sah W. Koert 1902/3 einen grünlichgrauen Lehm mit haselnußgroßen Brauneisenknauern erfüllt. 11 Jahre später war die Wand des Einschnittes stark verfestigt und von löcherigen Eisenkrusten durchzogen. Weiter andeinwarts war Krusteneisen auf den Karoo- schichten weit verbreitet, wo ebenfalls während der Regenzeil starke Überschwemmungen herrschen und Parklandsciiaft auftritt. Dagegen lehlt Krusten- eisen in der Rumpfebene von Bamba, deren Boden eluvialer Rotlehm bildet, welcher von Hoch- und Buschwald bestanden ist. .An der Südostseite von Ostusambara, wo noch 1902 Baumsavanne vor- herrschte, fand sich Krusteneisen häuhg, während es im Gebirgslande von Ostusambara fehlte. Hier waren im Lateritlehm gelegentlich eisenreiche dichte Konkretionen ohne den Lagen- oder Schalenbau der Krusteneisensteine zu finden. Aus anderen Teilen Deutsch-Ostafrikas werden diese N. I<'. XVI. Ni Naturwlsseiiscliaftliclic VVocheiisclirift. nach Literaturstellen nachgewiesen, ferner z. T. nach Sammlungsproben aus Kamerun und Südwest. Den Eingeborenen hat früher Krusteneisenslein vielfach als tisenerz zur Verhüttung gedient, doch erreicht der Eisengehalt selten 30 "/„. Als Eisen- erz im europäischen Sinne kommt es nicht in Frage. Dagegen ist es ein wertvolles Schottermatenal, auch vermögen die Eingeborenen einen brauch- baren Estrich daraus herzustellen. Agronomisch ist Krusteneisen als sehr schlechter Boden an- zusehen, doch gedeiht \'amskultnr auf dem mit Knauern und Bohnerz durchsetzten Boden, während Baumwolle auf einem solchen schlecht gedeiht. Da VV. Kocrt Krusteneisenstein hauptsächlich bei Savannenvegetation fand, so muß nach seiner Ansicht dieser die bezeichnende Oberflächenbildung der Savanne bilden. Zu einem beträchtlichen Teile seien beide das Werk des mit dem Feuer rodenden und jagenden Menschen. Doch war an der Ostseite des Viktoriasees Krusteneisen bereits in voruniermiocäner Zeit gebildet. Den Haupt- anleil an der lagenweisen .Ausbildung der Rinden habe die periodische V^ersumpfung während der Regenzeit, w-elche Eisen- und Manganverbindungen zur Lösung und zum Absatz als kolloide Oxyd- hydrate bringt. Stramme. Bücherbesprechuugen. H. Boruttau, Fortpflanzung und Ge- schlechtsunterschiede des Menschen. „Aus Natur und Geisteswelt", Bd. 540. Leipzig 1916, B. G. Teubner. Dieses neue Bändchen der Te ubne r 'sehen Sammlung gibt eine Zusammenfassung vieler schon geraume Zeit bekannter Tatsachen aus der .Sexualbiologie, es gewährt aber auch einen Ein- blick in die neuesten Forschungen auf diesem Gebiet. Wir lesen zunächst von den anatomischen Erscheinungen bei der Fortpflanzung der Ein- zelligen und denen der geschlechtlichen Fort- pflanzung, sodann über die physiologischen Grund- lagen der Befruchtung. Es folgt eine Besprechung der Geschlechtsunterschiede und der allmählichen Entwicklung der Geschlechtsfunktion bis zu ihrem Erlöschen. Dabei wird auch der Geschlechts- bestimmung gedacht. Zwei volle Kapitel sind den modernen I-'orschungen über die Funktion der Geschlechtsdrüsen, insbesondere auch ihrer inneren Sekretion und Korrelation mit anderen Drüsen und ihrem Einfluß auf die Geschlechts- merkmale, eins den Beziehungen des Geschlechts- lebens zum Nervensystem (Geschlechtsirieb !) ge- widmet. — Von den Erscheinungen der Brut- pflege bei den höheren Tieren leitet Verf. sodann auf die Rolle des weiblichen Geschlechts im Leben der höheren Tiere und des Menschen über und kommt so auch zu einer biologischen Be- trachtung der Frauenfrage. Ein Schlußkapitel ist den für die Erhaltung der Art wichtigen Faktoren gewidmet. Hiermit ist in ganz kurzen Umrissen der Inhalt des Buches angedeutet. Im einzelnen hat es einen erstaunlich reichen Inhalt und ist dabei so klar geschrieben, daß es auch einem Neuling verständlich und lehrreich sein wird. Hübschmann. K. Baisch, Gesundheitslehre für Frauen. „Aus Natur und Geisteswelt", Bd. 5 38. Leipzig 1916, B. G. Teubner. „Die Unkenntnis unserer Frauen und Mädchen über ihren eigenen Körper, seine einzelnen Organe und Aufgaben ist unglaublich groß. Es muß im Interesse der kommenden Generationen als eine dringende Aufgabe angesehen werden, den künftigen Müttern klarere Vorstellungen über alle diese sie am nächsten berührenden Dinge zu vermitteln. Alle Gründe , die rückständige Prüderie gegen diese Aufklärungsarbeit anführt, sind leicht zu widerlegen. Der überreiche Zuspruch, den Vor- träge und Lehrkurse über diese Gegenstände beim weiblichen Publikum aller Kreise finden , ist ein untrügliches Zeichen, daß ein lebhaftes Bedürfnis nach einer solchen Fortbildung besieht, und wir haben nicht nur das Recht, sondern vielmehr die zwingende Verpflichtung, dieses Bildungsbedürfnis zu fördern und zu befriedigen. Sache der Lehrenden ist es, den richtigen Mittelweg zwischen ober- flächlichem Dilettantismus und spezialärztlicher Detaildarstellung zu finden." Das sind Worte des Verf. selbst, denen ich mich anschließen möchte, indem ich zugleich be- tone, daß ihm die Darstellung in seinem Sinne wohl gelungen ist. Wir lesen in 9 Kapiteln von dem Bau und den Funktionen der weiblichen Geschlechtsorgane, von der Menstruation, von der Hygiene der Kindheit und der Pubertätsjahre, von den Gefahren des Geschlechtsverkehrs, von der Hygiene der Schwangerschaft, der Geburt, des Wochenbetts, der Wechseljahre und endlich von der Verhütung der Frauenkrankheiten. Das Büch- lein kann allen Kreisen warm empfohlen werden. Hübschmann. Leopold Löhner, Pri v.-Doz. Dr., DieExkretions- vorgänge im Lichte vergleichend- physiologischer Forschung. (Sammig. anatom. u. physiol. Vorträge u. Aufsätze, Heft 28). Jena 1916. — Preis o,.So M. Durch jeden Organismus ergießt sich dauernd ein Strom von Stoffen. Der Austritt der Stoff- wechselendprodukte aus dem Stoffwechsel des Orga- nismus ist (im weitesten Sinne) als Exkretion zu bezeichnen. So unendlich mannigfaltig die Auf- nahme von Stoffen in den Organismus ist, ebenso mannigfaltig die verschiedensten Methoden der Abgabe. Die vorliegende Arbeit will einen knappen Überblick über diese Mannigfaltigkeit geben , indem sie versucht , die verschiedenen IS2 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 11 Methoden der Kxkreliun nach Ähnlichkeiten zu gruppieren und die Gruppen nach Differenzierungs- stufen zu ordnen. Zunächst wird eine U e f i n i t i o n der Exkretion gegeben als „Ausscheidung der nichtgasförmigen Abfallstoffe unter Ausschluß der unresorbierten Nahrungsreste" (nach Burian), wobei leider das Wort „Abfallstoff" bereits sehr schwer zu be- handeln ist, weil sich ein Gegensatz zur Sekretion so schwer begriinden läßt: wie wollen wir den „Nutzen" erkennen? Besser wäre es, als Defini- tion das Prinzip zu wählen: „die Beseitigung, d. h. also Unschädlichmachung der Stoffwechselend- produkte". Dann wird ein System versucht, das in seinen Hauptteilen erstens die räumliche Trennung der Abfallstoffe von der Zelle (Zellularexkretion), zweitens die räumliche Trennung von dem Orga- nismus (Individualexkretion) enthält. Die Zell- arbeit erfolgt im ersten Fall im ganzen Umfang der Zelle oder an besonderen Fxkreiiünspunklen oder durch besondere Organellcn. Die Individual- exkretion dagegen geschieht auf sehr mannig- fache Weise: direkt durch Ausscheidung in Leibes- höhlen oder an Oberflächen, indirekt durch Trans- port vermittels Wanderzelleii oder durch Auf- sammlung in bestimmten Emunktorien (Burian). Die einzelnen Typen sind gekennzeichnet durch Benennung der betreffenden Tierarten, bei denen sie, wieder mannigfach variiert, vorkommen, was den Vorteil hat, daß dem Zoologen viele Tier- gattungen vorgeführt werden, aber den Nachteil, daß nur er ein wirkliches Bild der Differen- zierungssteigerung bekommt, da der Vortrag sich jeder Einzeldarstellung und jedesßildes enthält. Dem Fachmann aber bietet sich eine recht interessante Gedankenarbeit zur vergleichenden Physiologie, die sich müht, eine ebenbürtige Schwester der älteren vergleichenden Anatomie zu werden. Gottwalt Chr. Hirsch. Anregungen und Antworten. Vor wenig Wochen brachte die Frankfurter „Umschau" eine Mitteilung von W. Lamprecht über ein von ihm zu- fällig in dem fernen, hoffentlich in nicht zu langer Zeit wieder reichsdeutschen Milau in dessen kurliindischem Museum auf- gefundenes „eigentümliches llerbar", über eine in die Form von Büchern gebrachte Sammlung von 45, zum Teil nicht kurländischen Hölzern. Er konnte feststellen, daß sie von einem Generalleutnant is'icol. Friedr. Gg. von Korff, zweifellos von einer seiner vielen Reisen nach Deutschland mitgebracht, und nach seinem Tode im Jahre 1823 etwa dem Museum gespendet worden ist. Bald darauf teilte Prof. Seb. Hillermann aus Regensburg mit, dafl auch dort ein ähnliches Herbar sich befände, und daß von einem Kardinal Haynal, einem berühmten Botaniker, ein anderes dem Museum in Budapest vererbt worden sei, das er dort zu sehen Gelegenheit gehabt hätte. Die beiden Sammlungen gehen auf eine zurück, über die ich im Jahre 1905 schon in einer offenbar nur sehr wenig bekannt gewordenen Schrift „Pflanzensammlungen und Kräuterbücher mit besonderer Be- rücksichtigung der dem Casseler Museum gehörigen", hin- gewiesen habe. Außer dem damals ältest bekannten Ratzen- ber ge r 'sehen liegt hier noch eine sog. „Holzbibliothek", 340 ,, Bücher", mit Säge und Hobel in Buchform gebrachte Siücke zumeist von Hölzern aus den weltbekannten herr- lichen den bei der Stadt gelegenen damals landgräflichen Parkanlagen. Ihr Kücken zeigt die charakteristische Rinde mit ihren Epiphylen; in dem .ausgehöhlten Innern sind Blätter, Blüten, die auf dem Baume lebende Tierwelt, phyto- chemische und technische Angaben usw., schön übersichtlich angebracht, ähnlich, aber natürlich wesentlich anscliaulichcr als es in den vielen Abbildungswerken geschehen kann. Karl Schildbach, seit 1771 der Verwalter der von Land- graf Carl angelegten, jetzt nur dem Namen nach noch be- kannten „Menagerie" (kein geringerer als Sömraerring hat seine Studien an Präparaten angestellt, die aus ihren Resten angefertigt wurden, und Goethes Augen haben hier mit Interesse auf ihnen geruht!), hat, als der sparsame Nach- komme Wilhelm IX. sie eingehen ließ, als Direktor der •Jkonomie Weißenstein sich die Mühe gemacht, nach von ihm erdachten Plan die Sammlung anzufertigen. „Die Arbeit stellt vom wissenschaftlichen Standpunkt sich als eine äußerst geistreiche und zweckentsprechende dar und verdient auch von rein technischem Standpunkt die größte Hochachtung. Durch Beigabe von Präparaten, wie sie die moderne Zeit er- möglicht, durch Beigabe weiterer Ergebnisse phytochemischer Arbeiten usw. ergänzt, gäbe sie oder ihres gleichen ein un- übertreffliches Lehrmittel ab", sagte ich damals, und ich bin der gleichen Meinung auch jetzt noch. Camper, Buffon, Günderode, der Gießener Professor Müller zollten ihr uneingeschränktes Lob und stellten sie weit über die Gleiches bezweckenden von Albert Seba, Ilitzcl in Coblenz und eine Holzsammlung in Dresden. 1788 schon erschien im nd für Deutschland" eine Beschreibu ng aer Seh ildbach 'scheu Holzbibliothek, 1816 starb der schlägische Mann, nachdem es ihm gelungen war, sein Werk für ein lebenslängliches Ruhegehalt von 450 Tl. jährlich, dem Landgrafen zu verkaufen. Wenngleich die Casseler Samm- lungen bis in die preußische Zeit kaum, und dann nur gegen ein hohes Eintrittsgeld, das in die landgräfliche, dann kur- fürstliche Tasche geflossen sein soll, dem Volk zugängig waren, drängten sich doch viele Fremde, darunter Ritler vom Geiste dazu , die Wunder der Stadt zu sehen. Daß unsere Sammlung auch in Rußland bekannt war, erhellt daraus, daß Kaiserin Catharina dem Verfertiger 2000 Taler für sie ge- boten hat. Jene Sammlung in Dresden, die Prof. Ernst Dominik Wittmann angelegt hat und von der 1812 viel „Spektakel" gemacht wurde, stützte sich gewiß auch auf die Seh il d bach 'sehe, das Mitauer und das Regensburger und Budapester tun es aller Wahrscheinlichkeit auch. Die Holz- bände machen auf jeden Beschauer in der Tat den allerbesten Eindruck und erwecken den Wunsch des Besitzes. Für Lehr- zwecke kann ich mir, wie schon gesagt, kaum etwas zweck- mäßigeres denken. Hermann Schelenz. Inhaiti S. Killermann, Der Alraun (Mandragora). (4 Abb.) S. 137. Wilhelm von Reicbenau, Der Sang der Unsichtbaren im Föhrenwalde. S. 144. — Einzelberichte: O. Laurent, Transplantation. S. I46. Amar, Weir- Mitschell'sche Phänomen. S. 147. Jean Legendre, Mückenvertilgung durch Fische. S. 147. Joh. WUtschke, Das französisch-lothringische Industriegebiet, besonders das Becken Briey-Longwy. S. 148. Leopold von Werveke, Die Bodenschätze Elsaß-Lothringens. S. 148. W. Kocrt, Über den Krusteneisenstem in den deutsch-afrikanischen Schutzgebieten. S. 150. — Bücherbesprechungen: H. Boruttau, Fortpflanzung und Geschlechtsunterschiede des Menschen. S. 15t. K. Baisch, Gesundhcilslehre für Frauen. S. 151. Leopold Löhner, Die Exkretionsvorgänge im Lichte vergleichend-physiologischer Forschung. S. 151. — Anregungen und Antworten: „Eigentümliches Herbar". S. 152. Manuskripte und Zuschriften werden Druck der G. I Prof. Dr. H. M Fisch Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena, ■ätz'schen Buchdr. I.ippert .^ Co. G.m.b.H., Naumburg a. d. S, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 25. März 1917. Nummer 13. Einige Betrachtungen über die Begriffe Parasit, Raubtier und Pflanzenräuber. [Nachdruck verboten.) Von Prof. Dr. O. Über Parasiten und Parasitismus ist in der letzten Zeit sowohl auf streng wissenschaftlichem Gebiete wie in der allgemeinverständlichen Literatur so oft und so viel geschrieben worden, daß man meinen könnte, dies Thema sei nachgerade er- schöpft. Doch eine solche Annahme müßte sich bei eingehender Beschäftigung mit diesem ebenso umfangreichen wie interessanten Gegenstande sehr bald als Irrtum des urteilenden Laien erweisen; denn der Fachmann ist sich nur zu gut bewußt, daß beim Studium der Natur und im besonderen der organischen Schöpfung von einer wirklich ab- schließenden Erkenntnis kaum je die Rede sein kann; denn für ihn bleibt das Wort eine ewige Wahrheit, daß man sehr viel wissen muß, um zu wissen, wie wenig man weiß. Aber auch dem Laien, der ernstlich nach Bereicherung seiner Kennt- nisse strebt, kann es nicht verborgen bleiben, daß gerade die eigenartige Lebensweise, die man Parasitismus nennt , immer von neuem zur Er- weiterung und Vertiefung unseres Wissens anregt, da der Mensch selbst gar zu häufig Gefahr läuft, in den Wirkungskreis solcher Organismen hinein- gezogen und an seiner Gesundheit geschädigt, so- gar mit dem Tode bedroht zu werden. Haben doch gerade die Erfahrungen, die im Laufe des schwer auf der Menschheit lastenden Weltkrieges gemacht sind, in nicht mißzuverstehender Weise gezeigt, wie die gewaltigen Anstrengungen und Leiden der wackeren Streiter für Sein und Nichtsein unserer Zukunft noch um vieles vermehrt werden durch jene lästigen Parasiten, die es ebenfalls nach unserem Blute gelüstet und die uns überdies noch mit viel schlimmeren Feinden zu infizieren ver- mögen und so zu Vermittlern todbringender Krank- heiten werden können. Doch über die Wichtigkeit der Kenntnis solcher Parasiten vom sanitären Standpunkte aus und über die großen Schwierig- keiten, einen klaren Einblick in deren oft ver- wickelten und geheimen Lebensgang zu gewinnen, soll hier nicht gehandelt werden, auch soll nicht auf einzelne, besonders interessante Vertreter aus der gewaltigen Schar derer, die den Namen Parasiten mit Recht verdienen, eingegangen werden — darüber findet der Belehrungsbedürftige in Büchern und Einzelartikeln genügende Aufklärung — es liegt vielmehr in der Absicht des Verfassers, auf gewisse allgemeine Fragen etwas näher • einzugehen, die nur dann aufgeworfen und beant- wortet werden können, wenn man das Gesamtgebiet der parasitischen Lebensweise und deren Zusammen- hang mit anderen Formen der Betätigung tierischen und pflanzlichen Lebens und Kämpfens um die Taschenberg. Existenzbedingungen zu überschauen und damit zu beurteilen vermag, wo wir überhaupt berechtigt sind, von Parasitismus zu sprechen, wo die Grenzen gegenüber anders gearteten Lebenserscheinungen zu ziehen sind und daß sich auch hier, wie überall im Reiche des Organischen, dem prüfenden Blicke des Forschers allmähliche Übergänge da er- schließen, wo der Laie schroffe Gegensätze zu erblicken geneigt ist. Wenn ein solcher nach dem Wesen des Parasitismus gefragt wird, so pflegt er wohl einzelne prägnante Beispiele für diese eigenartige Lebensweise anzuführen, wie etwa den Bandwurm, die Trichine, vielleicht auch gewisse auf mikroskopische Organismen zurückzuführende Krankheitserscheinungen, aber eine Definition des Begriftes „Parasitismus" zu geben, wird er schwerlich imstande sein, und das ist auch keines- wegs zu verwundern; denn die Beantwortung dieser Frage ist auch für den Fachmann so schwierig, daß er ihr in seinen eigenen Dar- stellungen über diesen Gegenstand in der Regel aus dem Wege geht und nach einigen allgemeinen Bemerkungen kühn medias in res hineinspringt, um über Einzelfälle zu berichten. Es ist tatsächlich nicht leicht, eine Definition, d. h. eine scharfe Um- grenzung und für alle Einzelheiten gültige Charak- terisierung da zu geben, wo es sich nicht um Dinge handelt, die lediglich der menschlichen Psyche ihr Dasein verdanken, sondern um Vor- gänge der „lebendigen Natur, da Gott den Men- schen schuf hinein". Der menschliche Geist, dem gewisse Schranken der Erkenntnis gesetzt sind, vermag sich in einer Vielheit von Dingen und Er- scheinungen nicht anders zurechtzufinden als da- durch, daß er Gleiches oder genauer gesprochen, das ihm als gleich Erscheinende von dem davon Verschiedenen trennt, beides einander gegenüber- stellt und durch Über- und Unterordnen ein System, eine Art Fachwerk schafft, wie es ihm für seine Zwecke am geeignetsten erscheint. Anders kann er auch der unendlichen Mannigfaltigkeit der Natur nicht gegenübertreten, und da kommt er gar häufig in Kollision, besonders im Reiche des Orga- nischen, wo „alles fließt", nirgends Stillstand herrscht, ein ewiges Werden und Sichverändern sich voll- zieht und der Tod nur ein „Mittel ist, viel Leben zu haben". Einem solchen dauernden Entwick- lungsprozesse gegenüber hat das Ruhebedürfnis der menschlichen Psyche wahrlich keinen leichten Stand. In diesen Tatsachen liegt die Begründung für die Schwierigkeit der Definition organischer Vorgänge, und diese wird noch dadurch erhöht, daß eine kurzgefaßte klare Fassung, wie sie von 154 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. vornherein erwünsclit ist, selten erschöpfend, eine allen Anforderungen entsprechende aber langatmig und schwerfällig ausfällt. So ist es, wenn man die Begriffe „Organismus", „Leben", „Tier", „Para- sitismus" usw. definieren will. Bei diesem letzteren wollen wir nun nach den einleitenden Betrachtungen stehen bleiben. Eine der wenigen Definitionen dieses Begriff"es verdanken wir dem hervorragendsten Forscher auf diesem Gebiete, unserem Rudolf Leuckart, der in die zweite (von 1879 an veröffentlichte) Auflage seines berühmten Werkes „Die Parasiten des Menschen" wörtlich heriibergenommen hat, was er bereits in der ersten (1863) ausgesprochen: „Als Parasiten bezeichnen wir im weiteren und eigentlichen Sinne des Wortes alle diejenigen Geschöpfe, die bei einem lebendigen Organismus Nahrung und Wohnung finden." Diese Fassung ist kurz und klar, sie läßt im großen und ganzen auch nichts unberücksichtigt, was in das Bereich dieser eigenartigen Lebensweise hineingehört; was viel- leicht zu Irrungen Veranlassung geben könnte, werden wir im Laufe unserer weiteren Betrach- tungen noch zu berühren haben. Das Wort „Ge- schöpfe" umfaßt Tiere und Pflanzen — und tat- sächlich treft"en wir in beiden organischen Reichen Parasiten. Als Erfordernis, einen Organismus so nennen zu dürfen, steht im Vordergrunde die Nahrung, die bei einem anderen lebenden Organismus gefunden wird. Tiere oder Pflanzen, die ihre Nahrung von toten Organismen entnehmen, können nie und nimmer Parasiten genannt werden. Man hat es alsdann mit Aasfressern, „Leichen- würmern", Saprophytcn und Saprozoen, d. h. Fäulnisbewohnern zu tun, und an diese reihen sich solche Tiere an, die ihr Leben mit den un- verdauten, nach außen abgegebenen Speiseresten anderer zu fristen vermögen, die Kotfresser oder Koprophagen. Der Parasitismus ist in erster Linie eine Form der Ernährung und, wie wir des weiteren noch sehen werden, nicht sowohl was die Art der Nahrung, den Nährstoff anlangt, als vielmehr die Art und Weise, wie diese gewonnen wird. Um auf diesen wichtigen Punkt näher eingehen zu können, müssen wir zunächst einmal die Pflanzen beiseite lassen und uns nur den Tieren zuwenden; denn beide Naturreiche unterscheiden sich im all- gemeinen wesentlich in ihrem Nahrungsbedürfnis. Während die Pflanzen hauptsächlich anorganische Stoffe aus dem Erdboden und der Atmosphäre aufnehmen und durch den chemischen Prozeß in ihren Geweben höher zusammengesetzte, organische Verbindungen aufbauen, bedarf jedes Tier vor allen Dingen organischer Stoffe, die sich zum mindesten in den Resten abgestorbener Organismen, auch im Schlamme, im Sande und in der Erde finden, wo- mit manche Tiere ihren Nahrungskanal anfüllen. Halten wir also vorläufig einmal daran fest, daß die parasitische Lebensweise im wesentlichen eine besondere Form der Ernährung: dar- stellt. Und das offenbart sich dem Sprachkundigen schon durch das bloße Wort; denn „Parasit", aus dem griechischen jniQÜatioc, in fast alle modernen Sprachen herübergenommen, bedeutete im Alter- tume ursprünglich einen, der neben, mit oder bei einem anderen ißt, und wurde in durchaus unver- fänglichem Sinne ' von den beim Opfer gemein- schaftlich und wohl auf öffentliche Kosten speisen- den Priestern gebraucht, deren Versammlungsort darum auch naqaaiTinv genaimt wurde und gleich- zeitig auch das Gebäude bezeichnete, in dem die den Tempeln zufallenden Getreideabgaben auf- bewahrt wurden. Denn die zweite Hälfte des Wortes (a/TOi,') heißt zunächst Weizen, Getreide, Korn, dann auch, was daraus bereitet wird, Mehl, Brot, und noch mehr verallgemeinert: Nahrung, Speise, Lebensmittel im Gegensatz zu Fleisch, schließlich sogar auch dies einbegriffen im Gegen- satz zu Getränk. So die ursprüngliche und einzige Bedeutung des Parasiten. Erst durch die neuere attische Komödie erhielt das Wort eine ganz andere, stark anrüchige Bedeutung, indem es für die in der älteren Komödie Schmeichler [y.olai) genannten Persönlichkeiten gebraucht wird, die für ein gutes Gericht und leckere Bewirtung, zu der sie sich auch ungeladen einfinden, sich zur Zielscheibe des ausgelassenen Spottes machen oder sich die schmachvollste Behandlung seitens des Wirtes und seiner Gäste gefallen lassen müssen und zu jedem Dienste benutzt werden. Diese Gattung Komödie ist auch von den Römern nach- geahmt, so von Plautus in seinem 'Curculio' und von Terentius in seinem 'Phormio', wo in beiden Fällen der Titel gleichlautend ist mit dem Namen des im Stücke gekennzeichneten „Parasiten"; denn auch diesen Ausdruck (Parasitus, und auch als Femininum Parasita) haben die Römer von den Griechen angenommen. Und so ist denn dieses Wort zur Anwendung auf eine Kategorie von Menschen gelangt zu einer Zeit, in der man nicht entfernt ahnte, eine wie große Menge anderer Organismen es gibt, die denselben Namen mit einem gewissen Rechte verdienen, nur daß sie für eine derartige Lebensweise nicht ebenso ver- antwortlich gemacht werden können, wie jene Subjekte, die uns noch heutzutage genau so be- lästigen und darum unter der gleichen Bezeichnung zum Vergleiche mit gewissen Tieren herausfordern. Wir Deutschen haben für sie noch einen anderen Namen, der, soviel uns bekannt, von keiner anderen Sprache angenommen ist, nämlich Schmarotzer, früher vielfach auch Schmarutzer und ferner Schranze, besonders in der Zusammensetzung von Hofschranze, da die „Höfe" der Großen und Reichen die beste Entwicklungsstätte für „Höflinge" d. h. Schmarotzer abgeben. Woher das Wort „Schmarotzer" und das gleichlautende Zeit- wort „schmarotzen", das seit dem i 5. Jahrhundert bekannt ist, stammt, wie es abzuleiten ist, weiß man nicht; ebenso ist es zweifelhaft, ob „Schranze", gelegentlich auch als Femininum auf einen Mann angewandt, und selten auch als Verbum (schranzen, N. F. XVI. Nr. 12 Naturwi-ssenschaftliche Wochenschrift. 155 cl. h. sich nach Schranzenart benehmen) gebraucht, mit dem mittelhochdeutschen Wort Schranz („d^ Riß") zusammenhängt. Schranze bedeutete übrigens früher noch nicht den typischen Schmarotzer, sondern einen „jungen Mann" mit der Eigenschaft sich zu putzen, dann verächtlich den „Stutzer" oder „Gecken", also in gewissem Sinne eine Vor- stufe des eigentlichen Schranzen. In der Zoologie und Botanik ist die Bezeichnung Schmarotzer voll- kommen gleichbedeutend mit Parasit; man spricht vielleicht häufiger von „Schmarotzerpflanzen" und tierischen Parasiten, aber lediglich aus Gewohnheit; jedenfalls ist das international verständliche „Parasit" und „parasitisch" vorzuziehen, namentlich das Adjek- tivum dem schweraussprechbaren „schmarotzerisch", wogegen wiederum das Partizip „schmarotzend" bequemer erscheint als „parasitierend". Kehren wir nach dieser sprachlichen Ab- schweifung zum Ausgangspunkt unserer Betrach- tungen zurück, daß der Begriff des Parasitismus in der Nahrungsaufnahme wurzelt und daß die Nahrung der Tiere neben gewissen anorganischen Stoffen (Salzen und Wasser) aus organischen Stoffen bestehen muß. Diese können von anderen Tieren und deren Produkten oder von Pflanzen herrühren, stammen aber, da nur die Pflanze imstande ist, aus anorganischen Substanzen organische aufzu- bauen, in letzter Instanz aus dem Pflanzenreiche. Für die Ernährung des Tieres sind also drei Mög- lichkeiten vorhanden: sie leben ausschließlich von tierischer oder ausschließlich von pflanzlicher Kost oder verbinden beiderlei Nahrung mitein- ander, wie es der Mensch zu tun pflegt, sofern er nicht aus Gesundheitsrücksichten oder Schrulle reiner Vegetarianer ist, der es aber dennoch meist so hält wie der strenggläubige Katholike an Fasten- tagen mit dem Fleische. Wenn diese verschiedenen Ernährungsweisen für die Tiere in ihrer Allgemein- heit in F"rage kommen, so können auch die Para- siten unter ihnen keine Ausnahme machen, und das tun sie auch nicht. Sie berechtigen uns daher, zwischen tierischen Parasiten bei Tieren und tierischen Parasiten bei Pflanzen, zwischen Zoo- parasiten und Phytoparasiten zu unter- scheiden. Wenn die Verhältnisse aber tatsächlich so liegen, so drängt sich uns unwillkürlich die Frage auf, woran erkennen wir dann eigentlich den Parasiten? Er entnimmt seine Nahrung ent- weder einer Pflanze, z. B. die Blattläuse und Schildläuse, welch letztere im weiblichen Ge- schlechte sogar ihren Saugrüssel dauernd in das Pflanzengewebe versenken und darum fest mit ihm verbunden sind, oder einem Tiere, wie etwa der Floh, der auf Blutsaugen angewiesen ist oder der Bandwurm, der seine Nahrung denselben Stoffen entnimmt, die seinen Träger, seinen „Wirt" am Leben erhalten. Dasselbe gilt aber auch von den Nicht Parasiten, unter denen man in bezug auf ihre Nahrung zu unterscheiden pflegt nach der volks- tümlichen Ausdrucksweise zwischen: Alles- fressern (Omnivora), Pflanzenfressern (Herbi- vora) und P'l eise hfr esse rn (Carnivora). Diese Klassifizierung ist für unsere weiteren Auseinander- setzungen von besonderer Wichtigkeit. Der auf- merksame Leser wird leicht eine gewisse Inkonse- quenz in der Benennung dieser drei Kategorien, genauer gesprochen, im Namen der dritten davon herausmerken: warum stellt man den Pflanzen- fressern nicht die „Tierfresser" gegenüber? Weil man sich daran gewöhnt hat, in diesem Zusammen- hange „F'leisch" statt „Tier" zu sagen und dabei doch das ganze Tier zu meinen. Und das kommt daher, daß man zu der Zeit, wo man jene Aus- drücke einführte und sie aus dem Lateinischen zu Termini technici erhob, in erster Linie nur die höheren, dem Menschen selbst am nächsten stehenden Tiere im Auge hatte und in der Um- gangssprache das Fleisch, worunter man streng genommen ausschließlich die Muskulatur zu ver- stehen hat, als das allein Genießbare „Haut und Knochen" gegenüberzustellen pflegt. Vielleicht hat man sich auch des biblischen Sprachgebrauchs erinnert, wo das Wort „Fleisch" in gewissen Redewendungen nicht nur mit Tier, sondern mit Lebewesen überhaupt identifiziert wird. So: „alles Fleisch ist wie Heu", „den Weg alles Fleisches gehen"; dann im Gegensatze zum Geiste „der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach". Um auch niedere Tiere als Nahrung anderer be- sonders hervorzuheben, hat man den besonderen Namen der Insektenfresser (Insectivora) eingeführt und ihn weitgenug gefaßt, darunter auch solche mitzubegreifen, die sich mit „Würmern" ernähren, wie denn der Name „Wurm" vom Volke sehr gewöhnlich da gebraucht wird, wo ihn der Fach- mann nicht gelten lassen kann. Daß „Fleisch- fresser" sowohl wie „Insektenfresser" zu den „Tier- fressern" gehören, wird niemand bestreiten, aber der Sprachgebrauch ist gegen diesen Ausdruck, wie man sich auch gescheut hat, den entsprechen- den lateinischen Namen Animalivora zu schaffen, obgleich er grammatikalisch nicht zu beanstanden wäre. Aber Carnivora „liegt" unserer Zunge besser! Damit jedoch nicht genug! Man hat sich in der Umgangssprache daran gewöhnt, dem Gegensatze von Tier- und Pflanzenfressern noch anderen Ausdruck zu verleihen und von Raub- tieren und Pflanzenfressern als Gegen- sätzen zu sprechen. Darin liegt der Kernpunkt dieser Betrachtungen, die vielleicht manchem ziem- lich banal erscheinen, die aber nicht unterbleiben konnten, wenn die w eiteren Folgen unseres Sprach- gebrauchs ins richtige Licht gestellt werden sollen. Wenn man von Raubtieren spricht, denkt man unwillkürlich an die ausgeprägtesten Vertreter dieser Ernährungsweise, man denkt an Löwe, Tiger, Wolf, Marder u. a., die man tatsächlich auch in der Zoologie speziell in eine besondere Ordnung unter dem Namen Carnivora vereinigt; ebenso spricht man von Raubvögeln und meint Geier, Adler, Falken usw.; gewöhnlich vereinigte man auch diese im zoologischen Systeme in eine Gruppe, die Rapaces. Nur ganz beiläufig sei hier bemerkt, daß man neuerdings die tiulen oder Nachtraub- 156 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i: vögel im Systeme von den übrigen oder Tagraub- vögeln trennt. Man ist sich wohl auch in Laieii- kreisen bewußt, daß manches Tier, das nicht zu den „Raubtieren" unter den Säugern und nicht unter die „Raubvögel" gestellt wird, nichtsdesto- weniger eine ganz ähnliche Lebensweise führt, z. B. Krähen und Würger. Da pflegt man dann von argen „Räubern" zu sprechen, wie man be- kanntlich auch „Raubfische" den „Friedfischen" gegenüberstellt. Wenn nun aber der Sachkenner kommt und erklärt Nachtigall und Schwalbe für Raubtiere, da macht mancher große Augen und denkt, man will ihn zum besten haben. Aber wie soll man einen Vogel, der notorisch ausschließlich von Tieren lebt, die er noch dazu im Fluge lebend verschluckt, anders nennen als Raubtier, wenn man nicht daran gewöhnt ist, von „Tierfressern" zu sprechen! Durch die pointierte Gegenüber- stellung von Raubtier und Pflanzenfresser erscheint andererseits der letztere in einem zu milden IJchte. Man denkt dabei an „harmlose" Tiere, etwa an das gutmütige Schaf („fromme Schäfchen") und vergißt darüber, daß auch der wilde Stier mit seinen gefährlichen Hörnern, das Wildschwein mit den erdaufwühlenden Hauern, der Hirsch mit seinem kampfbereiten Geweih dahin gehören; man erinnert sich vielleicht auch nicht der Vögel, die durch ihre Nahrungsgelüste unseren Getreidefeldern und Obstpflanzungen gewaltigen Schaden zufügen, gar nicht hervorzuheben die in den Plantagen der Tropen arg hausenden Papageien und Affen. Freilich bleiben alle diese Tiere Pflanzenfresser, man wird sich aber nicht wundern dürfen, wenn wir sie nachher als „Pflanzen r ä u b e r" brandmarken, weil sie .ihrer pflanzlichen Nahrung genau so gewalt- sam zusetzen, wie ein Raubtier seiner Beute. Mit dem Begriffe „Pflanzenräuber" wird aber der Gegensatz von Pflanzenfresser und Raubtier illu- sorisch. Doch zunächst werden wir wieder zu der Frage zurückgedrängt, wie unterscheiden sich die bei Tieren lebenden Zooparasiten von den Raubtieren? Beide gehören nach ihrer Nahrung zweifellos zu den Tierfressern, wie auch die Aas- fresser, die aber durch die Art ihrer abgestor- benen Nahrung in keine der beiden anderen Gruppen hineinpassen. Wenn Parasiten wie Raub- tiere auf lebende tierische Nahrung angewiesen sind, so kann eben nicht die Nahrung als solche, sondern die Art und Weise ihrer Ge- winnung den Unterschied, den wir zwischen ihnen festzustellen berechtigt und genötigt sind, bedingen. Und das ist es, worauf unsere Be- trachtungen hinauswollen. Das Charakteristische des Raubtieres liegt in dem Gewaltsamen , mit dem der Stärkere den Schwächeren überfällt, um ihn entweder „mit Haut und Haaren" zu ver- schlingen oder ihn, nachdem er getötet, allmählich ganz oder teilweise zu zerreißen und zu fressen. In jedem Falle handelt es sich bei dieser Er- nährungsweise um Vernichtung der Beute, um Aufhebung der Individualität. Dem- gegenüber ist der Parasit, der seiner Nahrungs- quelle, seinem „Wirte" gegenüber von vornherein ?ils der Schwächere erscheint, darauf angewiesen, in weniger gewaltsamer Weise seinen Zweck zu erreichen, ja er ist es, so zu sagen, sich im eigenen Interesse schuldig , schonend zu Werke zu gehen, denn durch öftere Anzapfung und allmähliche Nahrungsentziehung gewinnt er den V^orteil, seine Ernährungsquelle möglichst lange zur Verfügung zu haben; er richtet seinen Wirt, wenn überhaupt, was durchaus nicht immer der Fall ist, nur nach und nach zugrunde. Somit kann man auf den Parasiten mit Recht jenes Wort anwenden, welches Faust dem Mephisto ins Gesicht sagt „Nun kenn' ich deine würd'gen Pflichten. Du kannst im Großen nichts vernichten Und fängst es nun im Kleinen an." Ich hoffe, gezeigt zu haben, daß parasitische und räuberische Lebensweise aufs engste mitein- ander zusammenhängen, daß sie eigentlich prin- zipiell übereinstimmen und nur zwei verschiedene Wege darstellen, um das gleiche Ziel zu erreichen. Das würde freilich nicht ohne weiteres einleuchten, wenn man zwei eklatante Beispiele einander gegen- überstellen wollte, Beispiele, die das höchste Maß jeder Art der Nahrungsgewinnung verkörpern. Man vergegenwärtige sich einen Tiger, der in den indischen Dschungeln auf der Lauer liegt und mit einem kühnen Sprunge den Büffel überfällt und mit Pranken und Zähnen trotz seiner Größe und Stärke niederzwingt, oder man erinnere sich an des Dichters Schilderung, wie der Wüstenkönig die Girafie bewältigt: „Plötzlich regt es sich im. Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken springt der Löwe; welch ein Reitpferd 1" Und dann stelle man sich einen Bandwurm vor, jene lange Glieder- kette, die mittels eines „Kopfes" (dem sog. Skolex), der Saugnäpfe und dazu vielleicht auch noch Haken trägt, in der Darmschleimhaut seines Wirtes — es kann der Mensch sein — festgeheftet, gleich- sam umspült von ernährender Flüssigkeit, die in Ermangelung eines Mundes und Darmes auf der ganzen Oberfläche in das Innere des Körpers ein- dringt und ihn so reichlich ernährt, daß Glied an Glied sich reiht, bis ein oft meterlanges Band zur Ausbildung gelangt ist, das von der Stelle losgerissen und auf natürlichem Wege aus dem Darme ins Freie gelangt, nie mehr imstande ist, in dieser Form unter Bedingungen der Fortexistenz zu geraten — ein Bild der Ohnmacht und Schwäche trotz der gewaltigen, muskeldurchsetzten Körper- massel Oder man wähle gar die Trichine zum Vergleiche, die, wenn sie erst einmal in die Mus- kulatur gelangt ist, in der charakteristischen zitronen- förmigen Zyste eingekapselt Jahre lang wohl lebens- fähig bleibt, aber niemals geschlechtsreif wird, wenn sie nicht samt ihrer fleischigen Umwallung in den Magen und Darm eines anderen Wirtes übertragen wird, also vollkommen auf passive Be- freiung angewiesen ist. Wenn es nur solche Raub- tiere und solche Parasiten gäbe, würde man sich nicht zu bemühen brauchen, eine Grenze zwischen N. F. XVI. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 15; beiden Formen der Nahrungsgewinnung zu suchen und zu finden. Demgegenüber aber gibt es Fälle, wo ein und dasselbe Tier, dasselbe Indivi- duum bald die Rolle eines Parasiten, bald die eines Raubtieres übernimmt. Gewisse Blutegel, die im Wasser leben, und darauf angewiesen sind, sich von den Säften anderer Tiere, zuweilen vom Blute eines Warmblüters zu ernähren, zu dem sie sich mittels einschneidender Kiefer den Zugang ver- schaffen, saugen sich, wenn die Gelegenheit günstig ist, an ein wassersaufendes Lasttier, an einen badenden Menschen an und bleiben da so lange angeheftet, bis sie, völlig gesättigt, abfallen. So macht es der Parasit. Wenn ihm aber ein solcher Wirt nicht zur Verfügung steht, dann überfällt er ein kleineres Tier, etwa eine Kaulquappe, und tötet seine Beute ohne weiteres, damit wird er zum Raubtiere! Was man hier von derselben Tierart beobachten kann, das zeigt sich in anderen Fällen auf nahe verwandte Tiergruppen verteilt. Die bekannten, wegen ihres beim Fliegen erzeugten brummenden Tones als Bremsen bezeichneten Fliegen sind, soweit es sich wenigstens um die Weibchen handelt, auf Blutsaugen angewiesen und können oftmals, besonders bei schwüler Witterung, für Mensch und Tier eine Plage werden. Eine im System nahestehende P'amilie der Fliegen führt nach ihrer Lebensweise den Namen der Raubfliegen (Asilidae); sie überfallen andere Insekten, denen sie regelrecht wie die Wegelagerer auflauern, und saugen sie aus. So gibt es auch unter den von anderen Tieren sich ernährenden Wanzen — die meisten saugen Pflanzensäfte — solche, die ein Räuberleben führen und danach genau so wie die eben genannten Fliegen, benannt werden : Raub- wanzen (Reduviidae), wegen ihrer Bewegungsart, die sie mit ihren langen dünnen Beinen ausführen, auch Schreit Wanzen geheißen, und andere, die das Blut höherer Tiere saugen, wie die unrühm- lich bekannte Bettwanze (Cimex lectularius), der Schrecken schlaf bedürftiger Menschen, die übrigens gelegentlich einer in unseren Behausungen vorkommenden Raubwanze (Reduvius personatus) zum Opfer fällt. Wenn es nun aber auch nach diesen Mitteilungen zugegeben werden muß, daß die Grenze zwischen Parasit und Raubtier willkürlich ist und auf schwan- kenden Merkmalen beruht, so werden wir darum die Unterscheidung dieser beiden Formen der tierischen Ernährungsweise doch ebensowenig auf- geben, wie wir nach wie vor Botanik und Zoologie nebeneinander bestehen lassen müssen, obgleich wir längst zu der Überzeugung gelangt sind, daß die beiden Reihen von Organismen, die wir als Pflanzen und Tiere zu unterscheiden von altersher gewöhnt sind, in einer gemeinsamen Basis wurzeln, vergleichbar zweien Stromgebieten, die aus einer Quelle entspringen, im Laufe der eingeschlagenen Bahnen aber immer weiter sich voneinander ent- fernen, nun schließlich den gemeinsamen Ursprung nirlit mehr erkennen zu lassen, während sie doch bis zuletzt aus dem gleichen Stofife bestehen und sich am Ende in dem großen Weltmeere wieder ver- einigen. Übrigens hat man es in der Wissenschaft in der letzten Zeit aufgegeben, neben den Pflanzen- fressern von Raubtieren statt von Tierfressern zu sprechen, pflegt für beide Kategorien die Termini technici auch nicht mehr dem Lateinischen zu ent- lehnen, sondern der Sprache der alten Griechen, die für solche Zwecke dank ihrer Bildsamkeit und besonders leichten Möglichkeit der Wortzusammen- setzung viel geeigneter erscheint. Man spricht darum jetzt meist von Phytophagen und Zoophagen, die man in weitere Untergruppen zu zergliedern gelernt hat. Wenn man aber kon- sequenterweise auch die „Allesfresser" nicht mehr als Omnivora bezeichnen will, so sollte man sie nicht sowohl Polyphaga, wie vielfach geschieht, sondern Pantophaga oder Pamphagen — ein schon von Aristoteles für eine biologische Gruppe von Tieren gebrauchter Ausdruck — nennen. Denn Polyphaga bedeutet im Grunde das, worunter wir mit einem Anfluge von Miß- billigung manchen Menschen als „Vielfraß" kenn- zeichnen, und das nimmt lediglich auf Quantität und nicht auf Qualität der Nahrung Bezug, während wir doch unter dem alten Ausdruck Omnivora Tiere verstehen, die sowohl aus dem Tier- wie aus dem Pflanzenreiche ihren Nahrungsbedarf wählen. Darum könnte man sie auch, ohne Mißverständnisse zu veranlassen, Amphoterophagen nennen. Ebensowenig wie Polyphaga trifft der entsprechende Name Oligophaga den Kern der Sache; denn er soll nicht Tiere bezeichnen, die mit einer ge- ringen Nahrungsmenge vorlieb nehmen, sondern solche, die bezüglich ihrer Auswahl zwischen Monophagen und Pantophagen stehen: ,, Wahl- fresser"; man kann sie folgerichtig Pleophaga heißen — ein Ausdruck, der, wie ich nachträglich gesehen habe, in der Botanik in dem gleichen Sinne schon Anwendung gefunden hat. Doch wir sind mit unseren Erörterungen über das Schwankende der Begriffe Parasit und Raubtier noch nicht am Ende; denn wir haben bisher lediglich die Tiere untereinander zum Gegen- stande unserer Betrachtungen erhoben, und müssen nun auch einen Blick auf das Verhältnis der Tiere zu den Pflanzen vom ernährungsphysiologischen Standpunkte aus werfen. Da ist denn zunächst zu betonen, daß es auch unter den pflanzen- fressenden Tieren, den Phytophagen, sehr viele Parasiten gibt, so daß man, wenn man nicht etwa behaupten will, sie seien sämtlich so zu bezeichnen, von vorneherein einen ähnlichen Gegensatz wie unter den Zoophagen erwarten muß. Da komme ich zu- rück zu der Einleitung Leuckart's in sein großes Parasitenwerk. Nach der oben angeführten kurzen Kennzeichnung des Parasiten, mit der er seine Einleitung „Natur und Organisation der Parashen" beginnt, fährt er also fort: „Nach dieser Definition gibt es nicht bloß pflanzliche und tierische Para- siten (Phytoparasiten und Zooparasiten), sondern 158 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 12 auch Parasiten an Pflanzen und an Tieren. Die Larve, die das Holz eines Baumes oder das Fleisch einer Frucht bewohnt, ist danach ebensogut ein Parasit, wie der Spulwurm imDarmkanale des Me nschen, und der Käfer, der unsere Waldungen entblättert, ebensogut wie die Spinn- fliege zwischen den Federn der Schwalbe." Hier kann ich unserem großen Helminthologen und hervorragenden Zoologen nicht beistimmen! Wohl darin, daß ein Holzbohrer und Fruchtbohrer den typischen Parasiten beizuzählen ist, nicht aber darin, daß auch der „Käfer" — es darf im speziellen dabei an den Maikäfer gedacht werden — „der unsere Waldungen entblättert". Wo bleibt da der Begriff des Parasiten, wenigstens in dem Sinne, wie wir vorher den Unterschied zwischen der Nahrungsgewinnung eines Raubtieres und eines Parasiten zu charakterisieren versucht haben ' Leuckart freilich beruft sich auf seine Definition, nach der jedes Geschöpf, „das bei einem lebenden Organismus Nahrung und Wohnung findet" ein Parasit sei. Wo bleibt dann aber überhaupt die Berechtigung zwischen einem solchen und einem anderen Tier- bzw. Pflanzenfresser zu unterscheiden r Findet nicht auch das ausgeprägteste Raubtier seine Nahrung bei einem anderen Tiere? Von der weiteren Voraussetzung, die sich auf die „Wohnung" bezieht, sehen wir zunächst ab, wollen aber schon jetzt bemerken, daß sie auch für einen zweifellosen Parasiten nicit bedingungslos zu fordern ist. Und wenn der Maikäfer den Parasiten zugezählt werden soll, warum dann nicht auch die Heuschrecken, von denen gewisse Arten die blühendsten Gefilde in wenigen Stunden in ver- ödete, wie vom Hagel vernichtete Steppen zu verwandeln vermögen, oder die Raupen des Kohl- weißlings, die ganze Felder bis auf die Strünke entblättern oder der „Nonne", die tatsächlich ganze Wälder für immer vernichten kann? Leuckart müßte und würde, nach dem von ihm gewählten Beispiel, auch die hier hinzugefügten in seinem Sinne in Anspruch nehmen. Aber muß dann nicht auch der Hase, der in strengen Wintern schon manchmal die auf den Ertrag edeln Spalierobstes gesetzten Hoffnungen gründlich zerstört hat, oder das Hochwild, das namentlich in den Alpenländern so manchen Bauern das Gewehr in die Hand ge- zwungen und aus Verzweiflung zur schweren Be- strafung als Wilddieb verführt hat, überhaupt jeder „harmlose" Krautfresser zu den Parasiten gerechnet werden? Im Prinzip vermag ich in der Ernährungs- weise eines Maikäfers und eines Wiederkäuers keinen Unterschied zu entdecken. Wenn man aber zugibt, daß der Laubentblätterer ein Parasit sei, wo soll man noch die Grenze zwischen einem solchen und einem „Pflanzenfresser'' schlechthin ziehen ? Und diese Grenze ist tatsächlich nicht zu ziehen, so lange man auf die Nahrungsstoffe aus- schließlich Rücksicht nimmt und nicht gleichzeitig die Art und Weise betont, wie sie gewonnen werden. Legen wir aber an die parasitischen und die gewöhnlichen Pflanzenfresser denselben Maß- stab, den wir oben zur Unterscheidung von Zoo- parasiten und Raubtieren vorgeschlagen haben — und was kann uns hindern, in beiden Fällen mit dem gleichen Maße zu messen? — dann können und, wie mir scheint, müssen wir logischerweise einander gegenüberstellen Pflanzenfresser, die nach Parasitenart ihre Nahrung gewinnen und solche, die es auf Raubtierart tun, wobei im ersteren Falle also das Schonende, im anderen das Ge- waltsame in den Vordergrund tritt und so einen Unterschied, wenn auch nicht in der Nahrung als solcher, so doch in der Form der Erwerbung zu formulieren berechtigt. Ich nehme keinen Anstoß, von diesen Gesichtspunkten aus von Parasiten an Pflanzen und von Pflanzenräubern zu sprechen und habe seit Jahren in meinen Vorlesungen für letztere die wissenschaftliche Bezeichnung Phyto- harpakten vorgeschlagen. Wo man zwischen beiden die Grenze ziehen soll, das ist allerdings mit so großen Schwierigkeiten verbunden, daß ich es hier nicht wage, ihr näherzutreten. In vielen Fällen, wie bei den von Leuckart ge- wählten des Holz- und Fruchtbohrers, ist es nicht zweifelhaft, sich für den Parasitismus zu entscheiden, ebensowenig bei den außerordentlich zahlreichen Blattminierern unter den Insektenlarven, bei den Bewohnern von Pflanzensamen, den Borkenkäfern, den säftesaugeriden Pflanzenläusen — in allen diesen Fällen liegen die Analogien mit Blutsaugern und Krätzmilben auf der Hand; aber es bleiben noch genug andere Formen des Insektenfraßes übrig, wo berechtigte Zweifel über die Einordnung in das von unserem beschränkten Verstände aufge- baute Fächerwerk — oder sollen wir gleich sagen „Kartenhaus"? — bestehen, und das noli längere vorsichtiger erscheint als Vergewaltigung. Eine besondere und hoch interessante Form von tierischen Parasitismus, die aber auch vom Ge- sichtspunkte der Symbiose im allgemeinen Sinne betrachtet werden kann, zeigt sich in den sehr zahlreichen Pflanzen gall e n, die durch Insekten verschiedener Ordnungen und andere Organismen (auch Pilze), verursacht werden. Daß auch hier die Grenze keine natürliche, sondern nur eine vom praktischen Standpunkte eingegebene, also eine künstliche ist, kann und soll nicht einen Augenblick geleugnet werden. Hier befindet man sich eben in der Lage, von der früher die Rede war, die Schwierigkeiten zu er- kennen, die sich durch die Natur der Dinge dem Wunsche nach einer ,, Definition" entgegenstellen. Und diese Schwierigkeiten sind in diesem Falle noch erheblich größer als bei dem Versuche, einen Gegensatz zwischen Raubtier und Parasit zu kon- struieren. Denn dort durften wir als unausbleib- hche Folge des gewaltsamen Nahrungserwerbs eines Raubtieres die Aufhebung der Individualität des Beutetieres feststellen. Das Gleiche gelingt uns nicht beim Pflanzenräuber. Das liegt aber nicht daran, daß hier etwa die gleichen Vorbe- dingungen in der Wahl der Mittel fehlten — denn N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 159 Räuber bleibt Räuber — sondern daran, daß die Organisation der Pflanze eine andere ist als die des Tieres, daß die einfacher gebaute Pflanze viel widerstandsfähiger gegen feindliche Eingrift'e als das viel komplizierter gebaute und darum viel zarter besaitete Tier ist. Ein Baum kann unter Um- ständen völlig entlaubt, zum mindesten eines großen Teils seines aus so zahlreichen Einzelorganen zu- sammengesetzten Rlätterwerks beraubt werden, die Adventivknospen entwickeln sich noch im gleichen Jahre zu neuen Blättern ; eine Wiese kann in ihrem ganzen oberirdischen Bestandteile abgegrast sein, so lange die „Grasnarbe" unversehrt ist, läßt sie neues Grün emporsprossen; von einem Baum- stamme ist zuweilen nicht viel mehr als eine Wand übrig — man denke an Weiden- und Olivenbäume — und oben grünen die Blätter und reifen eventuell die Früchte. Die Pflanzen — abgesehen natürlich von den niedrig organisierten Einzelligen — können mit Recht als aus zahlreichen Einzelindividuen zusammengesetzt angesehen werden, und eben darum können sie einer ganzen Anzahl solcher Individuen entbehren, um doch noch lebensfähig zu bleiben. Aus diesem Grunde also ist die Ein- wirkung gewaltsamer P^ingriffe von selten pflanzen- fressender Tiere auf Pflanzen zumeist viel weniger wirkungsvoll als die gleiche Schädigung eines Tieres. Nichtsdestoweniger gibt es noch gerade genug Beispiele, wo die Angriffe von Pflanzen- räubern zu dem gleichen Resultate führen, wie die Ernährungsart eines Raubtieres: einzellige Pflanzen sind selbstverständlich vernichtet, wenn sie Tieren zum Opfer fallen; ferner sind es die einjährigen Pflanzen viel leichter als mehrjährige, jugendliche leichter als alte. Wenn ein Weidetier eine einjährige Pflanze mit der Wurzel herausreißt und, wie man hier zu sagen pflegt, „mit Stumpf und Stiel" in seinem Maule verschwinden läßt, ist sie natürlich ebenso umgebracht wie ein Tier, das „mit Haut und Haaren" hinuntergewürgt war, und dem jungen Bäumchen geht es nicht anders, wenn es aus dem Boden gerissen ist, wie anderer- seits das Absterben jedweder Pflanze die fast un- vermeidliche P'olge vom Durchnagen ihrer Pfahl- wurzel ist. Werden dieselben Pflanzen von ver- einzelten Raupen an- oder auch über der Erde abgefressen, so braucht ihre Individualität durchaus nicht immer aufgehoben zu sein — eben dank der eigenartigen Organisation der Pflanze gegen- über dem Tiere, das aber auch vielfach gewisse Verstümmelungen seines Körpers zu überstehen vermag. Die Unterschiede zwischen Raubtier und Pflanzenräuber, auf die besonders hinzuweisen wir für unsere Pflicht hielten, sind also schließlich doch nur relative und gradweise und können unserer Parallesierung beider Ernährungsformen nicht hinderlich sein. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Beutetiere sowohl wie die Wirte durch die Nahrungsaufnahme anderer Tiere in jedem Falle, bald mehr bald weniger geschädigt werden. Es soll aber noch besonders darauf hingewiesen sein, daß manche Geschöpfe, namentlich die im Boden festgewurzelten Pflanzen, die vor einem Feinde nicht Reißaus nehmen können, zuweilen ganz unabhängig von dessen Ernährungsgelüsten Schaden erleiden und zwar durch rein mechanische Eingriffe. Eine Krähe z. B. bricht zuweilen durch ihr Körpergewicht von einem jungen Bäumchen einen Zweig ab, was bei wertvollem Spalierobste für den Gärtner sehr verdrießlich ist ; Wühlmäuse, Maulwürfe und die in ihrer Erdarbeit ähnliche Maulwurfsgrille unter den Insekten, richten oft großen Schaden an durch Entblößen junger Wurzeln, die damit ihrer Ernährungsfunktion verlustiggehen und die Pflänzchen zum Absterben bringen; Hirsche beschädigen beim ,, Fegen" d. h. bei dem Versuche die Geweihe von der anfänglich darüber gelagerten Haut zu befreien, die Bäume des Waldes; wo Herden der großen Huftiere, der Büffel, Nas- hörner, Elefanten sich umhertreiben, da lassen sie „kein Gras wachsen", und auf andere Weise, näm- lich durch ihre massenhaft abgelagerten Exkre- mente, vernichten die Kolonien von Krähen, Reihern, Kormaranen den Untergrund der Wälder; in Nordamerika lichtet der Biber die Urwälder durch sein Baumfällen, das er zum Deichbauen betreibt. In allen diesen Fällen kann der Schaden nicht dem Nahrungserwerb zur Last gelegt werden, kennzeichnet also weder einen Räuber noch einen Parasiten. Wir werden später auch gewisse Pflanzen zu erwähnen haben, die auf rein mecha- nischem Wege andere Pflanzen so zu schädigen vermögen, daß sie zum Absterben gelangen. Man spricht dann in bezeichnender Weise von „Pflan- zenwürgern", hat sie aber früher vielfach als Schmarotzerpflanzen angesprochen. Mit Unrecht, denn die Grundbedingung für den Parasitismus, die Entnahme der Nahrung von einem lebenden Organismus, liegt nicht vor. Um dies Kennzeichen der parasitischen Lebens- weise als eine besondere Form der Ernährung, die ganze Angelegenheit in erster Linie als eine er- nährungsbiologische Frage in das rechte Licht zu stellen, haben wir bisher ein anderes Merkmal, das sehr häufig, sogar in den weitaus meisten Fällen den Parasiten viel eher verrät, als uns seine Ernährungs- art klar wird, absichtlich außer Acht gelassen, um es nunmehr besonders zu besprechen. Ich meine die Tatsache, die in der Leuckart 'sehen Definition so deutlich hervortritt: daß als Parasiten alle die- jenigen Geschöpfe anzusehen seien, die bei einem lebenden Organismus nicht nur Nahrung, sondern auch Wohnung finden. Diese Vereinigung zweier verschiedener Tierarten zu einem engeren Ver- bände, wie sie in den meisten Fällen des Para- sitismus hervortritt, ist tatsächlich ein so in die Augen springendes Merkmal, daß es auch dem -Laien nicht entgehen kann, der sich darum den Parasiten meist nur in dieser Abhängigkeit von einem anderen Tiere denkt und zu dieser An- nahme um so mehr berechtigt zu sein scheint, als sehr viele Parasiten, von ihrem Wohntiere getrennt, völlig hilflos, dem Untergange geweiht sind, wie i6o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. V. XVI. Nr. 12 sie denn auch in ihrer körperlichen Beschaftenheit einen durchaus unvollkommenen, man darf sagen, heruntergekommenen Zustand darstellen. Diese hilfsbedürftige Verfassung des Parasiten findet darum auch weiteren Ausdruck in der Bezeichnung seines VVohntieres und Wohltäters als seines Wirtes. Das klingt freilich ein wenig euphe- mistisch, wenn man sich bewußt wird, daß ein solcher Gast sich ungeladen einstellt und von seinem Wirte nicht nur einen Anteil an seinen Nahrungsvorräten erwartet und fordert, sondern es auf dessen „Fleisch und Blut" abgesehen hat. Und lediglich in diesem Gelüste des Parasiten liegt die Berechtigung, ihn so zu nennen. Wenn er bloß einen Anteil von dem beansprucht, was sein Wirt für den eigenen Bedarf erworben und als guter Hausvater angesammelt hat, dann wäre er eben kein Parasit — wir werden noch sehen, wie ihn in einem solchen Falle die heutige Wissen- schaft zu benennen pflegt — , sein eigentlicher Zweck ist die Gewinnung einer ganz bestimmten Nahrung, und es ist lediglich die Folge dieses seines natürlichen Ernährungsinstinktes, daß er da, wo er die Bedingungen dafür verwirklichen kann, sich auch häuslich niederläßt. Die „Wohnung", die er bei dem anderen Organismus findet und sucht, ist erst etwas Sekundäres, etwas allmäh- lich Erworbenes, eine besondere Anpassungs- erscheinung, die um so begreiflicher erscheinen muß, als die Vorteile, die mit der Aufgabe der P'reiheit gewonnen werden, unschwer zu erkennen sind. Das Leben der Tiere und ganz besonders das Ernährungsbedürfnis, hat so viel Ähnlichkeit mit den Verhältnissen, unter die der Mensch selbst gestellt ist, daß sich die Vergleichspunkte uns geradezu aufdrängen. Man denke an eins von jenen Subjekten, die wir in unserem sozialen Leben von altersher als Schmarotzer zu bezeichnen pflegen. Angeborene Unlust zur Arbeit führt zum Müßiggang und damit allmählich zur Verarmung; der Hunger macht den Bettler, die Wohltätigkeit der Mitmenschen schützt vor dem Untergange, erhöht aber gleichzeitig die Sucht nach dieser bequemen Versorgung; der Bettler, der anfanglich nur in gewisser Zeit, ab und zu, um ein Almosen bitten kam, stellt sich allmählich immer häufiger ein ; wenn es ihm nicht gewehrt wird, nächtigt er auch in der Nähe seiner Nahrungsquelle, er wird immer dreister und seßhafter; denn er findet es viel bequemer, den gedeckten Tisch gleich vor- zufinden, wenn es ihn hungert, als erst die Wander- schaft danach anzutreten ; die Gabe , die früher mit Bitten erlangt und mit Dank in Empfang ge- nommen wurde, wird schließlich zur selbstverständ- lichen Forderung; eine Verweigerung zeitigt den heimlichen Dieb, der unter Umständen seine schmachvolle Karriere mit dem Räuberhandwerke abschließt, das zur P>reichung seines Zweckes auch nicht vor Totschlag und Mord zurückschreckt. So der Lebensgang manches Verbrechers, wie ihn nicht nur die Phantasie ausmalt, sondern ,,dic himmlischen Mächte" ihn entstehen lassen. In ähnlicher Weise haben wir uns den Werde- gang vorzustellen, den die Natur solche Geschöpfe nehmen läßt, denen mit dem Mangel eines „mora- lischen" Bewußtseins auch die Verantwortlichkeit für ihre Handlungsweise fremd ist. Der Hunger ist überall das Leitmotiv, die jedesmalige Organi- sation schreibt den Weg vor, ihn zu stillen, die Konkurrenz mit vielen gleichzeitigen Bewerbern lehrt Gewalt oder List, schafft je nachdem Räuber und Mörder oder Bettler, Schmarotzer und Ein- mietler. Alle diese Abstufungen treffen wir tat- sächlich im Tierreiche verwirklicht und wir haben berechtigte Veranlassung, sie als allmähliches Resultat des ganz allgemein hin und her wogenden Kampfes ums Dasein aufzufassen. Der Parasitismus im besonderen erklärt sich uns als Anpassungs- erscheinung an eine ganz bestimmte Art des Nahrungserwerbs, die Aufgabe der freien Orts- bewegung, die von vornherein einer der hervor- ragendsten Charaktere des Tieres ist, wird Mittel zur bequemeren Erreichung des Zieles; je seß- hafter der Parasit wird, um so mehr büßt er an Selbständigung und Vollkommenheit der Organi- sation ein, aber um so leichter fließen ihm die Nährstoffe zu, er wird schließlich ein degenerierter Körper, der nur eine Fortpflanzungsmaschine dar- stellt. Diesen rückschreitenden Entwicklungsgang brauchen wir uns nicht auf dem Wege der Kom- bination künstlich zu konstruieren, wir können ihn in vielen Fällen im Leben eines Individuums Schritt für Schritt verfolgen und damit den Ge- danken der Deszendenztheorie verkörpert sehen. Aber nicht nur im Entwicklungsgange desselben Tieres, sondern auch in Form verschiedener Ab- stufungen durch die Reihe der Tiere hindurch, von denen die einen auf diesem, die anderen auf jenem Stadium der Ontogenie stehen bleiben und dann verschiedene Grade des Parasitismus ver- gegenwärtigen. Es wurde schon hervorgehoben, daß die „VVohnung" bei einem anderen Organis- mus für den Parasiten erst etwas Sekundäres, etwas allmählich Erworbenes, man könnte sagen; durch die Not Anerzogenes ist. Wenn das wirklich wahr ist — so wird der aufmerksame Leser unsere Darlegung mit Recht unterbrechen — so müßte es also auch Parasiten geben, die ihre Freiheit völlig bewahren und sich bei keinem „Wirte" vor Anker legen ! Und solche Parasiten gibt es in der Tat, und damit wird das Kennzeichen der Wohnung als conditio sine qua non für den Begriff des Parasitismus hinfällig I Zu einer solchen Einsicht sind wir allerdings erst allmählich gelangt; nicht als ob man in früheren Zeiten die freilebenden Parasiten nicht gekannt hätte, man hat sie aber nicht unter diesen Gesichtspunkten beurteilt, weil man durch die Analogie mit den tausenden von anderen Beispielen verleitet und im Urteil be- fangen war und meinte, mit dem Begriffe des Parasiten wäre eo ipso die dauernde Vergesell- schaftung mit einem Wirte unzertrennbar verknüpft. Damals formulierte man nicht nur den Gegensatz von „Parasit" und „freilebendes Tier", sondern N. F. XVI. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. i6i man sah in den ersteren sogar eine Gruppe von Lebewesen, die allen anderen Tieren gegenüber eine unüberbrückbare Stellung einnahmen und hauptsächlich unter dem Namen der Helminthen eine hervorragende Rolle spielten. Die Blutegel, die wir früher als Beispiel für die Schwierigkeit einer Abgrenzung von Raubtier und Parasit heran- gezogen haben, rechnet man erst seit Leuckart zu den letzteren, und doch lag diese Auffassung gerade hier gar nicht so fern, weil man eine An- zahl von Arten fast immer auf dem Körper von Fischen oder Krebsen antrifft, ohne daß sie dazu gezwungen wären, denn sie vermögen unter Schlängelung ihres Körpers sehr geschickt frei im Wasser zu schwimmen. Jedenfalls gibt es aber auch solche, die ihren Wirt lediglich zum Blutsaugen aufsuchen und ihn nach Stillung ihres Hungers für ziemlich lange Zeit wieder verlassen, ein völlig freies, durchaus nicht an die Lebensweise eines typischen Parasiten erinnerndes Wasserleben führen. Zu dieser gehört auch der medizinische Blutegel , mit dem es Leuckart in seinem Werke über Parasiten des Menschen in erster Linie zu tun hatte. Daß er ihn den Parasiten einreihte, war durchaus berechtigt, weil er, wenn auch nur im erwachsenen Zustande, und zur Erlangung der Geschlechtsreife seine Nah- rung einem warmblütigen Tiere in Form von flüssigem Blute zu entnehmen genötigt ist. Daß er sich zu diesem Zwecke eine gewisse Zeitlang an seinem Wirte festsaugen muß, kann aber wohl kaum dazu berechtigen, diesen als „Wohnung" in Anspruch zu nehmen. Denn sonst gehörte auch eine Spinne, die ihre Beute niemals vollständig verzehrt, sondern nur aussaugt und sich natür- licherweise dazu eine Zeillang bei ihr aufhalten muß, zu den Tieren, die „bei einem lebenden Organismus Nahrung und Wohnung finden"; es würde damit also der Unterschied zwischen Raub- tier und Parasit im Sinne der Leuckart 'sehen Definition des letzteren hinfällig werden. Die Blutegel, ich meine die ganze Klasse der Hirudinea, die man jetzt längst nicht mehr mit den Saugwürmern vereinigt, sondern dem Formen- kreise der Ringelwürmer (Annelides) zurechnet, sind übrigens ein sehr lehrreiches Beispiel für das Ineinandergreifen von räuberischerund parasitischer, von freilebender und festsitzender Lebensweise. Nicht nur, daß manche Arten in einer Person bald Raubtier bald Parasit darstellen, es gibt auch solche, bei denen das Raubtiernaturell ausschließlich zu Tage tritt und damit stets eine freie Ortsbewegung Hand in Hand geht, wie z. B. bei dem bekannten „Pferdeegel" (Aulostomum gulo, nach der neueren Nomenklatur Haemopis sanguisuga zu nennen) unserer stehenden Gewässer, der sehr zu Unrecht und nur vom Laien mit dem medizinischen Blut- egel identifiziert wird, sowie bei den nahe verwandten Clepsine-Arten gleicher Aufenthaltsorte — beide fressen Schnecken und Würmer, zuweilen auch junge Fischchen — und es gibt andererseits typi- sche Parasiten, von denen aber die einen nur zeit- weise ihren Wirt aufsuchen, während andere dauernd auf seiner Haut oder seinen Kiemen ihren Wohn- sitz aufschlagen. Den letzteren Sitz wählt ein Parasit unseres Flußkrebses, den man die längste Zeit hindurch den Blutegeln zurechnete, neuerdings aber den Oligochäten einreiht, Branchiobdella parasita. Sehr zutreffend nennt darum Leuckart (in der 2. Auflage seines Parasitenwerkes) die Lebensweise der Hirudineen nicht so ausschließ- lich eine parasitische, wie etwa die der Trema- toden. „Sie gestaltet sich im großen und ganzen freier und selbständiger und zeigt die mannigfachsten Übergänge von dem parasitischen Leben zum räuberischen. Deutlicher, als irgend wo anders, zeigt sich hier die Gemeinschaft der in ihren Extremen anscheinend so verschiedenen Lebens- formen. Unverkennbar, daß der Parasit eigentlich ein Raubtier ist, nur ein solches, daß zu schwach und zu klein, seine Beute zu überwältigen, sich darauf beschränkt, dieselbe zu plündern". Diese Tatsachen haben aber für uns auch darum ein besonderes Interesse — und sind aus diesem Grunde hier ausführlicher auseinandergesetzt — weil das, was uns hier als „Übergänge" des gegenwärtig bestehenden Zustandes erscheint, im Laufe der Zeiten erst so entstanden sein muß. Anders aus- gedrückt: aus der ursprünglichen Lebensweise des freilebenden Raubtieres hat sich durch Anpassung an besondere Existenzbedingungen allmählich ein Parasit herausgebildet, der bei seiner Gewohnheit nur von Zeit zu Zeit ein Wohntier aufzusuchen, als „temporärer" Parasit gekennzeichnet ist, sehr leicht aber durch dauernden Aufenthalt auf jenem zum „stationären" wird und seine frühere freie Lebensweise nach wie vor als „Ekto- parasit" dokumentiert, ebensogut aber, wozu der erste Schritt durch die Kiemenbewohner ge- tan ist. zum Entoparasitismus übergehen kann und damit die intimste Form des Parasitis- mus anzunehmen begotmen hat. Mit diesen ver- schiedenen Bezeichnungen sind gleichzeitig die verschiedenen Gruppen von Parasiten hervorge- hoben, die man zu unterscheiden pflegt, um die einzelnen Grade dieser im allgemeinen so außerordentlich mannigfaltigen Lebensweise ins richtige Licht zu stellen. Immer wieder erkennen wir, daß das Wesentlichste für die Kennzeich- nung des Parasitismus nicht sowohl die Vergesell- schaftung mit dem Wirtstiere als vielmehr die An der Nahrungsgewinnung ist, für die ein engerer Anschluß an die Nahrungsquelle freilich ein viel wirksameres Mittel wird. Derartiges lehren uns aber keineswegs nur die zunächst als Beispiel gewählten Blutegel. Noch viel befremdender könnte es erscheinen, namentlich im Vergleiche mit den Anschauungen früherer .Zeiten, wenn wir auch für die Stechmücken die Bezeichnung Parasiten geltend machen : sie, die mit Hilfe ihrer Flügel als freie Bewohner der Luft sich betätigen, in ihr „spielen" und „Tänze" aufführen, Rauchwolken ähnlich zu gewaltigen Schwärmen vereinigt, hier bald unbeweglich still zu stehen l62 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 12 scheinen, um im nächsten AugenbHcke weiter hinaufzusteigen oder wie im Falle sich herabzu- stürzen, Bewegungsmodulationen, die eben zu jenen volkstümlichen Ausdrücken Veranlassung gegeben haben. Und leise, ganz vorsichtig naht sich so ein leichtbeschwingter Scheinheiliger, nimmt auf unserer entblößten Haut unbemerkt Platz — die Empfindung eines feinen Stiches schreckt uns aus der beschau- lichen Ruhe unserer Naturbetrachtung, und da ist der Plagegeist auch schon wieder entflohen, nach- dem er ein winziges Tröpfchen unseres Blutes mit seinem spitzen Rüssel dem Nahrungskanale zu- geführt hat. Haben wir ihn für den Bruchteil einer Minute als „Wohnung' gedient? Diesen Ausdruck zu wählen, würde uns wohl schwerlich einfallen ; aber den Wirt für einen Parasiten haben wir tatsächlich abgeben müssen — für einen Parasiten, der ein völlig freies Leben führt. Und was noch eine besondere Eigentümlichkeit der Stechmücken ist: sie betätigen sich nur im weib- lichen Geschlecht als Blutsauger, die Herren Gemahle begnügen sich mit ein wenig Feuchtig- keit und überlassen den besonderen Saft ihren Weibern, die ihn brauchen, um die Eier in ihrem Leibe zur Reife zu bringen ! So ist es auch bei gewissen anderen blutsaugenden Fliegen, die nicht in die nähere Verwandtschaft der „langhörnigen" Mücken gehören, wie z. B. die Viehbremse n (Tabanidae), zu denen auch die dem Menschen besonders unangenehmen Blind fliegen oder Grünaugen (Chrysops) und Rogenbremsen (Haematopota pluvialis) zu zählen sind. Diese Tatsachen zwingen uns, unweigerlich anzuer- kennen, daß es Tiere gibt, die nur in einem Ge- schlechte mit Recht als Parasiten angesprochen werden können, während das andere, wie wir sahen, das männliche nicht unter den gleichen Gesichtspunkten zu betrachten ist — wahrlich ein Beispiel für das ganz gelegentliche Auf- treten dieser eigenartigen Lebensweise, wie es geeigneter nicht gedacht werden kann, uns vor einer schablonenmäßigen Behandlung der Er- scheinungen in der Natur zu warnen und zugleich ein Beweis dafür, daß Parasitismus überall Platz greifen kann, wo es für die Ernährungsfrage von Vorteil ist. P^s gibt nun noch eine ganze Gruppe von eigenartigen F"liegen, die in allen ihren Mitgliedern und auch in beiden Geschlechtern blutsaugende Parasiten enthält und uns ähnliche Übergänge von der freien zur festsitzenden Lebensweise zeigt wie die Blutegel. Das sind die sog. Laut fliegen oder Pu ppengebärer (Pupipara), wie sie nicht ganz mit Recht genannt werden — sie sind lebendig gebärend und entledigen sich ihrer Larven in einem so weitvorgeschritienen Larvenstadium, daß dieses alsbald zur Puppe wird und deshalb früher die Meinung des Puppengebärens vorgetäuscht hatte — ; sie schmarotzen auf Säugetieren und Vögeln, gewisse Arten auf beiden zugleich; nur eine einzige Art entnimmt ihre Nahrung der Honigbiene. Mit manchen „Spinn fliegen", wie sie auch noch heißen, kann auch der Mensch gelegentlich nähere Bekanntschaft machen, wenn er an schönen Herbst- tagen in gewissen Waldungen spazieren geht und von den schnellfliegenden, plattgedrückten Tierchen umschwärmt wird, die sich nicht selten auf seinem Anzüge niederlassen oder im Barthaar verfangen. Sie saugen Blut von gewissen Waldvögeln (Hühner- vögeln), denen gegenüber sie sich als temporäre Parasiten benehmen, wozu ihnen einerseits die F"lügel, andererseits die Einrichtung ihrer Klammer- füße als geeignete Hilfsmittel zur Verfügung stehen. In einer bestimmten Zeit aber geben sie die vaga- bundierende Lebensweise auf und schlagen dauernd ihren Wohnsitz auf einem Wirte auf, den sie darum nicht wieder verlassen, weil sie nunmehr ihre Flügel verlieren. Eine verwandte Art, diePferde- lausfliege (Hippobasca equine) behält ihre Flügel dauernd, macht daher auch gelegentlich davon Gebrauch, um den Wirt zu wechseln oder auch nur eine Körperstelle desselben mit einer anderen — am liebsten wählt sie die wenig behaarten — zu vertauschen. Wieder andere Arten, wie die „Schaf zecke", Schafteke (Melophagus ovinus) und ganz eigenartig gestaltete Schmarotzer auf Fledermäusen, die Nycteribiidae, sind zu stationären Parasiten geworden und bringen überhaupt niemals Flugorgane zur Entwicklung, zeigen also den am weitesten vorgeschrittenen Grad der Anpassung an diese Lebensweise; haben z. T. auch die Seh- organe verloren, wie auch die ebenfalls völlig flügellose Bienenlaus (Braula coeca), die nach neueren Beobachtungen wegen ihrer Ernährungs- weise vom wirklichen Parasitismus ausgeschlossen werden zu müssen scheint. Solche allmäh- liche Übergänge von freilebenden zu fest- sitzenden Parasiten sind auch unter Milben, Krebsen usw. zu beobachten, worauf hier unmöglich weiter eingegangen werden kann. F'ür unsere Zwecke genügt es, auf die verschiedenen Abstufungen in der parasitischen Lebensweise und auf ihre ver- mutliche oder tatsächlich nachweisbare Entstehung hinzuweisen. Aber etwas anderes muß in diesem Zusammen- hange noch zur Sprache kommen. Wir sahen, daß mit dem Parasitismus eine Vergesellschaftung mit dem Wirtstiere verknüpft sein kann, sogar in den weitaus meisten Fällen verknüpft ist. Dürfen wir daraus den Schluß ziehen, daß da, wo eine solche Vergesellschaftung tatsächlich zur Beobach- tung kommt, immer ein F"all von Parasitismus vor- liegt? Nein, und abermals nein I Diesen F'ehler hat man früher nicht selten gemacht, indem man das Zusammenleben zweier verschiedener Tierarten ohne weiteres als das Verhältnis von Parasit und Wirt angesehen hat, ohne zu untersuchen, ob der Name des ersteren durch seine Ernährungsweise berechtigt wird. Diese Berechtigung besieht nur dann, wenn das eine der beiden eine Gemeinschaft verschiedener Arten bildenden Individuen den Geweben oder Säften des anderen seine Nahrung entnimmt; nicht aber, wenn es nur an den Nahrungsmitteln des anderen Anteil hat. Daß das letztere aber N. F. XVI. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 163 oft genug der Fall ist, hat man schon vor ge- raumer Zeit erkannt, und der ältere van Beneden hat für eine derartige „Bewirtung" den Namen T i s c h g e n o s s e n s c h a f t (C o m m e n s a 1 i s m u s) eingeführt; die Beteiligten heißen Kommen- salen oder Mitesser. Doch da diese F'orm der Vergesellschaftung wieder nur eine besondere Form eines noch allgemeiner auftretenden gegen- seitigen Anschlusses darstellt, wollen wir gleich etwas weiter ausholen und dem Begriffe des Parasitismus noch von einem anderen Gesichts- punkte als dem des bisher in den Vordergrund gestellten Nahrungserwerbs zu Leibe zu gehen suchen. ^.Schluß folgt.) Siliciunu'heiiiie und Kohleustotfcheinie. Ein unter besonderer Berücksichtigung der neueren Arbeiten von Alfred Stock erstatteter Bericht. üie PVage, ob sich der vom vierwertigen Kohlenstoffatom abgeleiteten Kohlenstoffchemie eine vom vierwertigen Siliciumatom abzuleitende .Siliciumchemie gegenüber stellen lasse, ist oft dis- kutiert worden und besonders in der allerletzten Zeit, seitdem Stock sein großes experimentell- präparatives Geschick in den Dienst der Silicium- chemie gestellt hat, wieder in den Vordergrund des Interesses getreten. Stocks Untersuchungen gehen von den Sili- ciumwasserstoffen aus, die bei der Zersetzung des Magnesiumsilicids durch Säuren entstehen. ^) Das „Magnesiumsilicid", ein MagnesiumSiliciumKom- plex von unbestimmter Formel, entsteht bei der Entzündung eines Gemisches von i Teil ganz ge- ringe Mengen von Alkali als Verunreinigung ent- haltenden, wasserfreien Siliciumdioxyds mit 2 Teilen Magnesiumpulver mittels eines Sturmstreichholzes „magnesio- thermisch" unter Selbsterhitzung des reagierenden Gemisches bis zur Weißglut als eine schön blau gefärbte, krystallinisch glänzende Masse, die mit Salzsäure unter Hinterlassung eines weiß- lichen Rückstandes ein aus einem Gemisch von Siliciumwasscrstoften und gewöhnlichem Wasser- stoffbestehendes selbstentzündliches Gas entwickelt. Die Ausbeute von Siliciumwasserstoffcn hängt von den Versuchsbedingungen ab, und zwar erwies es sich am zweckmäßigsten, das Magnesiumsilicid in Form eines groben Pulvers in lO^gige .Salzsäure zu schütten. Der bei Berührung mit Luft ein- tretenden Selbstentzündung der Siliciumwasser- stoffe wegen mußte diese Reaktion in einem mit Wasserstoft' gefüllten geschlossenen Apparat vor- genommen werden. Das Rohgas wurde mittels flüssiger Luft kondensiert und die Flüssigkeit dann durch fraktionierte Destillation im Vakuum in eine Reihe einheitlicher Fraktionen zerlegt. Diese be- standen zum weitaus größten Teile aus Monosilan SiH^ und enthielten daneben auch beträchtliche Mengen von Disilan Si.,H,. und Trisilan Si^H,,, eine geringe Menge von Tetrasilan Si^H^ sowie >) Alfred Stock und Carl SomiesUi, Silicium- wasserstoffe. I. Die aus Magnesiumsilicid und Säuren ent- stehenden Siliciumwasscrstoffe. Ber. d. D. c:heni. Ges. 4!» 1916), S. 111 — 157. Werner Mecklenburg. möglicherweise etwas Pentasilan SijHj.^; so betrug bei einem Versuche das Molekularverhältnis SiH, : Si.Hß : SigHs : Si^Hj,, I : 0,39 : 0,15 : 0,06 Von der Gesamtmenge des im Magnesiumsilicid enthaltenen Magnesiums wird bei den Stockschen Versuchsbedingungen etwa ein Viertel in Silicium- wasserstoffe verwandelt; der Rest geht im wesent- lichen in eine amorphe, nichtflüchtige, wasserun- lösliche Substanz, die sog. „Silico-oxalsäure" /SiO-OH\ VSiO-OHA über. Der Besprechung der im einzelnen erhaltenen Resultate muß eine kurze Besprechung der von Stock vorgeschlagenen Nomenklatur derSilicium- verbindungen ') vorangeschickt werden: Die den gesättigten Kohlenwasserstoffen C„H_,n_^, Methan CH^, Aethan C.,H„, Propan QH^, Butan C,Hju usw. entsprechenden gesättigtenSilicium Wasserstoffe wer- den allgemein als S i 1 a n e und die einzelnen Glieder der Reihe SinH^^ ___ , nach der Anzahl der in ihnen enthaltenen Siliclumatome als Monosilan SiH^, Di- silan SioH,,, Trisilan Si.,H^ usw. bezeichnet. Von den Namen der Silane werden die Bezeichnungen für die anderen Siliciumverbindungen nach den Regeln der rationellen Nomenklatur der Kohlen- stofifverbindungen abgeleitet, z. B. SiH., : SiH, = Disilen , SiH, _ = Monosilyl , SiHCL = Trichlor- monosilan, SiH^ • OH = Monosilanol, (SiO • OH)j = Disilandisäure usw. -) Nur für die in der Sili- ciumchemie sehr wichtigen sauerstoffhaltigen Ver- bindungen, deren Sauerstoft' ebenso wie in der Kohlenstoffchemie der Äthersauerstoff gebunden ist, wird eine Ausnahme gemacht, da die Äther der Kohlen^toffchemie und die ihnen formell ent- sprechenden SauerstoHVerbindungen der Silicium- chemie in ihrem Verhalten einander so unähnlich ') .-Mfred Stock, Die Nomenklatur der Silicium- und Borverbindungen. Ber. d. D. Chem. Ges. 49 (iqi6), S. 108— UI. -) In gleicher Weise läßt sich eine Nomenklatur der Borverbindungen mit dem — noch nicht bekannten — Mono- boran BH^ als Ausgangspunkt ableiten. 104 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 12 sind, daß eine gleichartige Nomenklatur unange- bracht erscheint. Die von Stock für sie vorge- schlagene Nomenklatur ') geht von den als Stamm- formen betrachteten, bisher nicht dargestellten wasserstofifhaltigen Verbindungen H,Si— 0-SiHo usw. ■ ' 0— H^Si— O— SiHs aus, die allgemein Siloxane und im einzelnen nach der Zahl der vorhandenen, abwechselnd mit- einander verbundenen Sl- und OAtome Disiloxan, Disildioxan, Trisildiox-an usw. benannt werden sollen. So heißt z. B. die Verbindung ClaSi— O— SiClg Hexachlordisiloxan und die Verbindung {C6Hi),Si— O— Si(CeH,)o- O -Si(CoH6)j-0-Si(CeH.,)2 'l -0 ' Octaphenyl-tetrasil-tetroxan. „Ist die Summe der Si- und 0-Atome eine un- gerade Zahl, so handelt es sich um eine ofifene Kette, ist sie gerade, um einen geschlossenen Ring; die ringförmigen Siloxane sind Polymere von H^SiO." Bei den Polykieselsäuren und den Poly- silikaten soll die eingebürgerte Bezeichnungsweise zunächst beibehalten werden. Nach diesen Zwischenbemerkungen über die Stock 'sehe Nomenklatur der Siliciumverbindungen kehren wir zur Siliciumchemie zurück und wenden uns zunächst der Besprechung der gesättigten Siliciumwasserstoffverbindungen, der Silane, zu, von denen einzelne Glieder, besonders das schon im Jahre 1857 vonWöhler und Buff entdeckte und später häufig untersuchte Monosilan, bereits seit langem bekannt sind. Die Affinität zwischen Siliciuni und Wasser- stoff ist klein, viel kleiner, als die zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff. Selbst das bei weiten beständigste Silan, das Monosilan SiH^ zerfällt bereits bei 300 bis 400" in seine Kompo- nenten; durch Wasser wird es langsam schon bei Zimmertemperatur nach der Gleichung SiH, + 2H.,0 = SiO. + 4H., in Kieselsäure und Wasserstoff zerlegt. Mit Laugen reagiert es, je konzentrierter sie sind, um so rascher nach der Gleichung SiH, + 2NaOH + H^O =- SiO.Na., + 4H2 ; mit 30 "/o igei' Natronlauge geht die Zersetzung bei Zimmertemperatur quantitativ bereits inner- halb etwa zwei Stunden von stattefi, so daß sie zur quantitativen Bestimmung des Monosilans be- nutzt werden kann. An der Luft fängt das Monosilan, auch wenn es ganz rein ist, häufig Feuer: „augenscheinlich hängt es von Zufällig- keiten ab, ob sich SiH^ an der Luft entzündet oder nicht". Die anderen Siliclumwasserstofi'e , die von Stock näher untersucht worden sind, nämlich das gasförmige Disilan sowie das flüssige Trisilan und das ebenfalls flüssige Tetrasilan zeigen im wesentlichen das gleiche Verhalten wie das Mono- silan. Silicium-Kohlenstoffverbindungeni) sind in großer Zahl bekannt; außer dem Siliciumkarbid (SiC)„ , dem Karborundum, sind einige Verbindungen von dem Typus SiHRg sowie zahlreiche Verbin- dungen vom Typus SiRj hergestellt worden -), von denen insbesondere die mit asymmetrischem Bau, wie die komplizierte Sulfosäure C0H3 CH-, r r SOH3 . C,;H, • CR,- Si— O— Si-CH,j . C„H, • SO3H C3H, QH, interessant sind, weil sie die von der Theorie vor- ausgesehene Erscheinung des optischen Drehungs- vermögens besitzen. Die Festigkeit der Siliciumhalogenverbindungen ist ziemlich groß; sie steigt vom Jod über das Brom und Chlor zum Fluor. Auch Verbindungen mit Silicium - Stickstofifbindungen sind gewonnen worden. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Silicium- und den Kohlenstoffverbindungen liegt in der Neigung zur Kettenbildung. Die Stabilität der Bindung ^Si— Si:, ist verhältnismäßig ge- ring, und darum zerfallen alle Verbindungen mit mehreren, kettenartig aneinander gereihten Silicium- atomen mehr oder minder leicht. Verbindungen dieser Art, die eine definierte Struktur hätten, sind, von den nichtsubstituierten Silanen abge- sehen, überhaupt nur vom Disilan bekannt. Die bereits erwähnte „Silicooxalsäure" SiO-OH /biU-UM\ Isio-ohA sowie die „Silico-mesoxalsäure" SiO-OH^ Si(OH), I .SiO-OH entsprechen ihren organischen Namensvettern nicht; sie sind amorphe, nicht-flüchtige, wasser- unlösliche, also aller Wahrscheinlichkeit nach hoch- molekulare, aber trotzdem wenig beständige Ver- bindungen; die Silico-oxalsäure zerfällt beim Er- wärmen, die Silico-mesoxalsäure sogar schon in der Kälte explosionsartig unter Abgabe von Wasserstoff. Verbindungen mit doppelter oder dreifacher Bindung zwischen den Siliciumatomen sind — das erscheint nach dem Gesagten ja begreiflich — i) Alfred -Stock, Zur Nomenkbtur der Siliciumver- bindungen. Ber. d. U. Chem. Ges. 50 (191 7). i^- 169— i?"- ') Vgl. zum Folgenden: Alfred Stock, „Siliciumchemie und Kohlenstoffchemie", Ber. d. D. Chem. Ges. 50 (1917). S. 170—182. ■') R bedeutet hier wie -stets in derartigen Darstellungen ein aliphatisches oder aromatisches Radikal. N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliclie Wochensclirift. 165 bisher nicht bekannt. Auch kennt man zur Zeit nur eine Verbindung mit der Atomgruppe = Si = C=, das i. J. 191 2 von Seh lenk hergestellte (QH,),Si:CH2. Von größter Bedeutung und vielleicht charak- teristisch für die Siliciumchemie ist die Festigkeit der Bindung zwischen Silicium und Sauerstoff. Das einzige Beispiel, in welchem die Bindung Si — O schon bei gewöhnlicherTemperatur gelöst wird, liegt in der Einwirkung der Flußsäure auf die Kiesel- säure und ihrer Salze vor: SiOi, + 6HF =3 SiF„H., + 2H.,0. Neben den weniger interessanten Verbindungen wie den Silanolen RgSi-OH, den Silandiolen R,,Si(OH)o und den sofort bei ihrer Entstehung in"SilansäürenRSiO-OH übergehenden Silantriolen RSi(0H)3 und ähnlichen Verbindungen sind hier als besonders wichtig die sich außerordentlich leicht bildenden Siloxane, d. h. Verbindungen von der Kettenstruktur . . . -Si-O-Si-0— Si- . . . anzuführen. So liefert z. B. das Tetrachlormono- silan SiCl^ bei der Oxydation das Hexachlordisil- oxan SiCla-0'SiC].j, während der Tetrachlorkohlen- stoff unter ähnlichen Bedingungen in das Phosgen COCU übergeht. Die den Ketonen der Kohlen- stoffchemie entsprechenden Silanone R„SiO, die durch Wasserabspaltung aus Silandiolen R„Si(OH)., entstehen sollten, polymerisieren sich den Unter- suchungen von Kipping zufolge sogleich bei ihrer Entstehung zu Abkömmlingen des Di-, Tri- oder Tetrasiloxans; als Beispiel sei das Diphenyl- monosilandio! (C„H,-,).2Si(0H)., angeführt, unter dessen Kondensationsprodukten sich ein Tctrasil- trioxan-Derivat von der F'ormel (HO)(CaH,)sSi— 0-Si(C,H6)2-0— Si(C8H5)„-0-Si(CeH5)j(OH) sowie das bereits weiter oben erwähnte Octaphenyl- tetrasil-tetroxan haben nachweisen lassen. Auch die Kieselsäure und ihre Salze sind nach Stock ein Beweis für die Neigung des Siliciums zur Bil- dung von Siloxanen. Schon diese wenigen hier angeführten Beispiele lassen erkennen, daß zwischen dem Kohlenstoff- und dem Siliciumatom ein wesentlicher Unter- schied besteht. „Die Kohlenstoffchemie, sagt Stock, verdankt ihre Mannigfaltigkeit hauptsäch- lich den gleichmäßigen Bindungskräften des Kohlenstoffatomes gegenüber den verschieden- artigen Liganden. ') Positive und negative Höchst- •) Als „Liganden" (von ligare binden) bezeichnet Stock in sehr zweckmäßiger Weise allgemein die Atome oder Atom- gruppen, die von einem Atom oder einer Atomgruppe ge- bunden sind oder gebunden werden können. Wertigkeit des Kohlenstoffs sind übereinstimmend gleich vier", auch ist die Bindung zwischen dem Kohlenstoffatom und positiven und negativen Liganden ungefähr gleich fest. „Wasserstoff, Sauer- stoff, Schwefel, Stickstoff, Halogene, andere Kohlen- stoffatome werden vom Kohlenstoff mit annähernd gleicher Festigkeit gebunden." Anders das Silicium. Obwohl in maximo vierwertig wie der Kohlenstoff, besitzt es doch zu negativen Liganden vor allen Dingen zum Chlor, zum Fluor und zum Sauerstoff eine viel größere Verwandschaft als zu positiven Liganden. So erklärt sich der ausgesprochene Gegensatz im Verhalten des verhältnismäßig sehr beständigen, nach Schlenk bei 354" unzersetzt siedenden Hexaphenyldisilans (QU,).ßi - Si(C,;H, ). und des sich spontan in zwei Moleküle Triphenyl- methyl, d. h. zwei Moleküle mit je einem drei- wertigen Kohlenstoffatom spaltenden Hexaphenyl- aethans : (C,H5)3C-C(C„H,), :<=> 2(C«HJX. Hierzu kommt die ausgesprochene Neigung der Silicium-Sauerstoffverbindungen zu spontaner Kon- densation durch Sauerstoffverkettung, eine Neigung, die sich z. B. schon dadurch bemerkbar macht, daß im Gegensatz zu dem im wesentlichen mono- molekularen Kohlenstoffdioxyd des Siliciumdioxyd SiO., ein alle Anzeichen starker Polymerisation aufweisender Stoff ist. „Der Existenz des stabilen gasförmigen Oxydes CO., verdankt der Kohlenstoff zum wesentlichen Teil seine Rolle in der Natur. Nachdem es in Pflanze und Tier zahllose chemische Verwand- lungen durchgemacht hat, erscheint es dank der oxydierenden Wirkung der Atomsphäre immer wieder als flüchtiges, überall hindringendes CO^, dank seiner reichen Affinitätsfähigkeiten von neuem bereit, die F'üUe organischer Verbindungen zu er- zeugen. Beim Silicium dagegen muß die ausge- sprochene Neigung zur Bindung von Sauerstoff und zur Kondensation der einfacheren Moleküle zur „Petrifizierung" führen. Wie die Mannigfaltig- keit der Kohlenstoffverbindungen dem vielseitigen Charakter des Kohlenstoft'atomes entspricht, so erklärt sich das natürliche Vorkommen des Sili- ciums in der starren Form der Kieselsäure und der Silikate durch die einseitigen Affinilätsverhält- nisse der Siliciumatome. Auch dort, wo Silicium in der organischen Natur auftritt, wie in Pflanzen, Seetieren, Haaren, F"edern , geschieht dies wohl immer als Kieselsäure oder Silikat. Das von Ladenburg für möglich gehaltene Vorkommen organischer Siliciumverbindungen ist wenig wahr- scheinlich, weil es eben in der Natur für die Sili- ciumoxvde kein Zurück zu andere Verbindungen gibt." 166 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i: Bücherbesprechuugeu. Ludwig Haberland, Priv. Doz. Dr., Ü b e r S t o f f - Wechsel und Ermüdbarkeit der peri- pheren Nerven. (Sammlung anatomischer und physiol. Vorträge u. Aufsätze, Heft 29.) Jena 1916. — Preis: 0,80 M. Jedem ist der Zustand der Ermüdung bekannt. Die Physiologie arbeitet nun seit vielen Jahren daran, das Wesen der Ermüdung und mit ihr das Wesen der Arbeitsleistung eines Organs kennen zu lernen. Da sind Skelettmuskeln und Ganglien- zellen die vorzüglichsten Objekte gewesen, und ihre Ermüdung durch andauernde Arbeit und ihre Erholung zurzeit der „Ruhe" sind urts heute in vielen Phasen des Arbeitsablaufs bekannt. All- gemein gesagt: in einem nicht arbeitenden Organ herrscht Stoffwechselgleichgewicht, d. h. Stoffaufbau und Sioffabbau halten sich die Wage. Trifft nun ein Reiz das betreffende Organ, so gibt dies eine erkennbare Arbeit nach außen ab, was in vielen Fällen so geschieht, das bestimmte Stoffe plötzlich abgebaut werden und nun wieder von neuem aufgebaut werden müssen. Ist nun der Abbau größer als der Aufbau, so werden nach einiger Zeit die Reserven knapp und die Abbau- produkte als schädliche „Ermüdungsstoffe" häufen sich an : das Organ kann zuletzt keine Arbeit mehr leisten und ermüdet. Eine solche Ermüdung ist an vielen Organen nachweisbar. Aber seit längerer Zeit wurde be- hauptet, daß es im Körper der höheren Tiere ein Funktionssystem gäbe, daß nicht ermüdbar sei: die periphere Nervenfaser. Die Geschichte dieser Frage: gibt es von der allgemeinen Erscheinung der Ermüdbarkeit eine Ausnahme, behandelt sehr geschickt vorliegender Vortrag. Er gibt nach einigen einleitenden Abschnitten zunächst die Ver- suche, die für eine Unermüdbarkeit der peripheren Nervenfaser sprachen, und dann ausführlicher die Versuche, die auch ihre Ermüdbarkeit nachweisen. Zwei Wege gab es für diesen Zweck: Die Beob- achtung des allmählichen Sinkens des Aktions- stroms und zweitens der Fortpflanzungsgeschwindig- keit. Zum Schluß werden die Bedingungen der Ermüdung kurz angegeben, die denen anderer Organe gleich sind, woraus man schließen kann, daß auch die Vorgänge der Ermüdung in allen verschiedenen Organen prinzipiell ähnlich sind. Es wurde nämlich erstens beobachtet, daß die bei den Stoffwechselvorgängen während der Arbeit in den Nerven abgespaltene Kohlensäure hemmend wirkt; und zweitens, daß Sauerstoffmangel die gleiche Wirkung hat. Es muß also bei nor- maler Nervenleitung Kohlensäure abtransportiert und Sauerstoff zugeführt werden. Also auch die peripheren Nerven sind ermüd- bar, d. h. sie besitzen einen Stoffwechselkreislaul, der bei starker Arbeit einer gewissen Zeit bedarf um abgelaufen zu sein. Aber diese Zeit, in welcher die abgebaute Substanz durch neuaufgebaute er- setzt wird, ist bei ihnen so kurz, daß man unter normalen Verhältnissen von einer praktischen „Un- ermüdbarkeit" sprechen darf. All dies setzt vorliegender Vortrag klar aus- einander. Goltwalt Chr. Hirsch. V'erhandlungen der außerordentlichen Tagung der Deutschen Vereinigung für Krüppelfürsorge, E. V. (Deutsche Krüppelhiffe, Ergänzungs- hefte der Zeitschrift für Krüppelfürsorge, heraus- gegeben von K. Biesalski und H. Würtz). Leipzig 1916, Leopold Voß. Es ist wohl nicht nötig, im allgemeinen auf die großen Aufgaben hinzuweisen , die dem deutschen Volke nach der siegreichen Beendigung des Krieges erwachsen. Unter diesen Aufgaben wird die Krüppelhilfe eine hervorragende Stellung einnehmen, und sie wird nicht nur die Ärzte- schaft, sondern die weitesten Volkskreise in An- spruch nehmen. Ein Hinweis, was heute schon, der hohen Bedeutung der Sache entsprechend, geschieht, erscheint darum auch an dieser Stelle zweckmäßig. Die Deutsche Vereinigung für Krüppelfürsorge besteht schon seit 1909. Die Richtlinien für ihre neuen Aufgaben, für die Kriegs- krüppelfürsorge, wurden vor etwa 2 Jahren fest- gelegt und unter der Förderung einflußreicher Persönlichkeiten energisch in Angriff genommen. Das vorliegende Heft, ein stenographischer Be- richt der außerordentlichen Tagung im Reichstag- gebäude am 7. Februar 1916, gibt einen guten Einblick in die bisherige Tätigkeit und die weiteren Ziele. Der Inhalt ist so reich, daß er im Rahmen dieses Hinweises auch nicht annähernd erschöpft werden kann. Die Vorträge sind nur zum Teil von Ärzten gehalten; in Anbetracht der Viel- seitigkeit des Gegenstandes wenden sie sich an jedermann. Und jeder, der an der Hand dieses Berichtes sich mit der Sache beschäftigen wird, wird auch einen Weg finden, wie er selbst bei der Erfüllung der hohen Aufgaben mitwirken kann. — Es möge noch betont werden, daß die „Deutsche Krüppelhilfe" im Buchhandel erhählich ist und daß Mitglieder der Vereinigung öffent- liche Verbände, Korporationen, Vereine und Einzelpersonen werden können. Die Satzungen der Vereinigung sind dem Bericht angefügt. Hübschmann. F. Thedering, Das Quarzlicht und seine Anwendung in der Medizin. Olden- burg i. Gr. 1916, Gerhard Stalling. Diese Monographie ist wohl nur für Ärzte geschrieben und wird auch wohl nur diesen ver- ständlich sein. Im ersten Teil sind die physi- kalischen Grundlagen der Quecksilber-Quarzlampen oder , .künstlichen Höhensonnen" besprochen, so- wie die allgemein biologischen und physiologischen Wirkungen des Ouarzlichtes kurz zusammengefaßt. N. F. XVI. Nr Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 167 Im zweiten reii bringt Verf seine eigenen Er- fahrungen über die Anwendung der neuen Licht- behandlung auf mannigfache Hautkrankheiten und auch auf Allgemeinerkrankungen. — Willkommen ist das ausführliche Literaturverzeichnis. Hübschmann. Der Ameisenlöwe, Eine biologische, tierpsycho- logische und reflexbiologische Untersuchung von Dr. Franz Doflein. Mit 10 Tafeln und 43 Abbildungen im Text. Jena 1916, Verlag von Gustav Fischer. — Geh. 9 M. Die moderne Tierpsychologie hat mit dem Standpunkt, als ob allen Tieren menschliche Empfindungen und Gefühle zukommen würden, gründlich aufgeräumt. Ein Werk wie Maeterlink's Leben der Bienen ist eine wissenschaftliche Un- möglichkeit. Haben doch die neueren Unter- suchungen ergeben, daß die Bienenkönigin durch- aus kein volks- beherrschendes Wesen, sondern im Gegenteil ein Mitglied des Staates ist, dem sogar zahlreiche Fähigkeiten seiner Volksgenossen abgehen. Sie ist zur Eierlegemaschine herab- gesunken. Die neueren Ergebnisse lassen sich kurz zu- sammenfassen. Der eine Teil der Handlungen eines Tieres geht rein reflektorisch vor sich. Was man als Instinkt bezeichnet, sind komplizierte Reflexe. Der andere Teil der Handlungen wird durch die Fähigkeit zu lernen ermöglicht. Während die reflektorischen Vorgänge starr und unver- änderlich sind, gewährleisten die mnemischen Leistungen dem Tier eine gewisse Regulierbarkeit der Handlungen , eine Anpassungsfähigkeit des Individuums an die wechselnde Umgebung. Die Fähigkeit zu lernen, und sich die Bedingungen der Außenwelt unterzuordnen, ist bei den höheren Tieren verschieden entwickelt; das Höchstmaß wird dort erreicht, wo das Individuum die re- flektorischen Vorgänge bemeistert, die Reize der Außenwelt in Assoziationen, Gedankengängen und logischen Verknüpfungen verarbeitet , wo nicht nur örtlich, sondern auch zeitlich verschiedene Eindrücke dem immer reicher werdenden Ge- dächtnisschatz einverleibt werden. Umgekehrt steht ein Tier auf einer ganz niederen Stufe psychischer Fähigkeiten, wenn kaum von einer Lernfähigkeit gesprochen werden kann, während die reflektorischen Vorgänge sein Leben und Treiben beherrschen. Bisher sind nur wenige Tiere nach dieser Richtung hin monographisch bearbeitet worden. Das Buch von H. von Buttel-Reepen über Leben und Wesen der Biene hat mit einer großen Zahl von Reflexen und mnemischen Handlungen der verschiedenen Stockinsassen bekannt ge- macht. Hier liegen die Verhältnisse aber außer- ordentlich schwierig. Die Biene ist nicht an den Ort gebunden und erschwert dadurch die Be- obachtung. Sie hat aber außerdem einen Reichtum von psychischen Fähigkeiten aufzuweisen, der der übergroßen Mehrzahl der anderen Insekten abgeht. Wesentlich günstiger gestaltet sich die wissen- schaftliche Untersuchung an Tieren, die wegen ihrer beschränkten Beweglichkeit beinahe als fest- sitzend betrachtet werden können. Sie unter- stehen der ständigen Kontrolle. Als ein außer- ordentlich günstiges Objekt hat sich hier die Larve des Ameisenlöwen erwiesen. Man findet Ameisenlöwen meist an sonnigen Waldrändern, wo sie in der Tiefe eines in feiner Erde oder Sand eingesenkten Trichters auf Beute lauern. Während nämlich den meisten seßhaften Tieren in genügendem Maße Nahrung zur Ver- fügung steht, ist der Ameisenlöwe gezwungen, sich selbst zu versorgen. Er lebt von den Insekten, die der Zufall ihm in seine Falle spielt. Eine Menge von Lebensschwierigkeiten, die ihm die Außenwelt bereitet, hat er durch diese spezielle Art, sich Nahrung zu verschaffen, zu überwinden. Er wird ihrer Herr durch die Eigenart seiner psychischen Verfassung. Seit Rösel von Rosenhof, also seit etwa 150 Jahren ist der Ameisenlöwe das Schulbeispiel von Ausdauer und Schlauheit. Diese wesent- lichen Eigenschaften sollen ihm ersetzen, was ihm durch den Mangel anderer Naturanlagen versagt ist. In seinem ausgezeichneten Buch : Der Ameisen- löwe zerstört Doflein dieses alte Märchen, das der Larve höchste psychische Fähigkeiten an- dichtet. Seine Untersuchung führt ihn dazu den Ameisenlöwen geradezu als Reflexautomaten zu bezeichnen. Trotz der jahrelangen Beobachtungen hat Doflein kaum Anklänge an mnemische Fähigkeiten feststellen können. Alle komplizierten Handlungen des Trichterbaues, des Ameisenfanges, die Bewegungen beim Umdrehen, beim Einbohren in den Sand, bei der Ortsveränderung sind auf ganz einfache Reflexe zurückzuführen. Die eingehende Untersuchung der körperlichen Verhältnisse des Ameisenlöwen ergibt, daß das Tier in engster, einseitigster Weise an das Leben im Sand und an die Art der Nahrungserwerbung angepaßt ist. Die äußere Form des Kopfes, Halses und Rumpfes, die Zuspitzung des Hinterleibes, der Bau und die Einlenknng der Beine und vor allem die Menge der in zweckmäßigster Weise ange- ordneten Borsten bedingen die Art der Bewegungen des Tieres. Was an allen anderen Orten unter allen anderen Bedingungen der Umgebung den Ameisenlöwen zu einem hilflosen Geschöpf macht, das gibt ihm im lockeren Sand eine vollkommene Überlegenheit über andere Tiere. So innig die körperliche Abhängigkeit des Tieres von seiner Umgebung ist, so eng ist der Zusammenhang zwischen den morphologischen Eigenschaften und den Reflexen. Nur so ist es ■dem Tier möglich, seine Hauptlebensfunktionen zu erfüllen, noch dazu mit einer geradezu staunens- werten Armut an Reflexen. Sobald die Larve die Eihülle verläßt, sucht sie eine geeignete Stelle für den Trichter aus. Die Reaktion auf das einfallende Licht und den i68 Natur wisseiischaftliclie Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. Wechsel der Wärme, sowie die auf den iastsinn wirkenden Reize bestimmen die Auswahl des Ortes. Phototaxis, Thermotaxis und Thigmo- taxis beherrschen das Tier. Nun beginnt der Trichterbau. Hier spielt der Einbohrreflex die ausschlaggebende Rolle. Taktile Reize der Unter- seite des Abdomens lösen wiederholte zuckende Bewegungen der Hinterleibsspitze aus, und der Körper gleitet nach rückwärts in den Sand hinein. Kaum beginnt der Kopf in ihn einzutauchen, so daß sich einige Sandkörner auf seiner Oberfläche ansammeln, so schnappt der Kopf mit dem Hals und den ersten Brustsegmenten nach rückwärts: Der Tastreiz erzeugt den Schleuderreflex. Solche Schleuderbewegungen erfolgen schnell und ruck- weise aufeinander nach verschiedenen Richtungen hin. Alle Sandkörnchen, die den Kopf berühren, werden weggeschaufelt und der entstehende Trichter wird tiefer und tiefer, wobei das Tier selbst einsinkt. Ist der von der Größe des Tieres abhängige Trichterumfang erreicht, so bleibt dieses ruhig am Grunde sitzen, Augen und Fühler aus dem Sand hervorstreckend. Wenn Sand herab- rieselt, so wird er hinausgeschleudert, gleitet aber ein Beutetier in die Falle, so tritt ein neuer Reflex, der Schnappreflex, in Tätigkeit. Er wird aus- gelöst, wenn die Mundgliedmaßen und die vorderen Regionen des Kopfes berührt werden und kann für sich oder in Verbindung mit dem Schlcuder- reflex erfolgen. Die Beute wird mit den Mandibeln ergriffen und ausgesaugt in der gleichen Weise, wie dies von den Larven der Leuchtkäfer oder von Dytiscus bekannt ist. Die unverdaulichen Reste nach der Mahlzeit werden aus dem Trichter herausgeschleudert. Außer den geschilderten Reflexen läßt sich wohl noch eine Reihe anderer feststellen, man kann sie aber alle auf diese drei zurückführen. Einbohrreflex, Schleuderreflex und Schnappreflex beherrschen also die Lebenserscheinungen des Ameisenlöwen. Hat der Ameisenlöwe bei seinen anfänglichen Suchbewegungen keinen für seinen Trichter ge- eigneten Platz gefunden, an dem auch Ameisen vorhanden sind, so verläßt er seinen Trichter und wandert ruhelos, um in neuer Umgebung einen neuen Trichter zu bauen und dort auf Beute zu lauern. Diese Wanderungen erstrecken sich aber kaum über weite Entfernungen, denn schon das Imago hat, dem Triebe aller Insektenmütter folgend , bei der Eiablage den geeigneten Platz gewählt. Alle Bewegungen, alle Handlungen vom Ver- lassen des Eies an bis zur Verpuppung verlaufen also gesetzmäßig. Der Ameisenlöwe ist tatsächlich ein echter Reflexautomat. Keine Handlung, kein Vorgang deutet auf eine höhere psychische Fähig- keit hin, nicht einmal komplizierte Instinkte konnte Doflein ausfindig machen. Damit stimmt auch der primitive Bau des Xerven- systemes und des Gehirnes überein. So klar und sicher die Reflexe ablaufen, wenn das Tier normale Verhältnisse findet, so gefährlich wird die Lage unter ungewohnten Bedingungen. Als ausgeprägter Lebensspezialist, der nur mit ererbten Fähigkeiten operiert und nichts dazu lernen kann, muß das Tier dann unrettbar zu- grunde gehen. Schon aus dem Wenigen, was hier mitgeteilt werden konnte, geht hervor, welch wesentlichen Fortschritt das Doflein 'sehe Buch bedeutet. lO Tafeln und 43 Textabbildungen erläutern den Inhalt. Slellwaag. Literatur. Leidecker, C, Im Lande des Paradiesvogels. Ernste und heitere Erzählungen aus Deutsch-Neuguinea. Leipzig '16, F. Haberland. — 3 M. Stempel, Prof. Dr. W. und Koch, Dr. A., Elemente der Tierphysiologie. Ein Hilfsbuch für Vorlesungen und praktische Übungen an Universitäten und höheren Schulen sowie zum Selbststudium. Mit 360 Textabbildungen. Jena '16, G. Fischer. — 16 M. Winter, D. F. W., Aufklärung zur Pilzernte. Tafel. Frankfurt a. M., Werner und Winter. Kultur der Gegenwart. Physiologie und Ökologie. 1.: Bo- tanischer Teil. Unter Redaktion von G. Haberlandt bearbeitet von Fr. Czapek, II. v. Guttenberg und E. Baur. Mit 119 Te.\t- abbildungen. Leipzig und Berlin '17, B. G. Teubner. D a n e e 1 , Dr. H., Elektrochemie. I. : Theoretische Elektro- chemie und ihre physikalisch- chemischen Grundlagen. Mit 16 Figuren. 3. Aufl. Berlin und Leipzig 16, J. Göschenschc Vcrlagshandlung. — IM. Henning, H. Privatdozent Dr., Der Geruch. Leipzig'i6, J. A. Barth. — 15 M. Schaffer, Prof. Dr. Fr. X., Grundzüge der allgemeinen Geologie. Mit i Farbcndrucktafel und 480 Textabbildungen. ■ipzig Wien '16, F. Deuticke 17 M. Rabenhorst's, Kryptogamen- Flora. 6. Band; Die Lebermoose. Mit vielen Textabbildungen von Dr. K. Müller. 2S. Lieferung (Schlußheft). Leipzig '16, E. Kummer. — 4M. Hegi, Prof. Dr. G., Illustrierte Flora von Mittel-Europa. VI. Band, 9. Lieferung. München, J. F. Lehmann. — 1,50 M. Th orbecke, F., Im Hochland von Mittelkamerun, 2. Teil. Mit 37 Abbildungen und 2 Kartenskizzen. Hamburg '16, L. Friedrichsen u. Co. — 6 M. Inhalt a O. Taschenberg, Einige Betrachtungen über die Begriffe Parasit, Raubtier und Pflanzenräuber. S. 153. Werner Mecklenburg, Siliciumchemie und Kohlenstoftchemie. S. 163. — Bücherbesprechungen: Ludwig Haberland, Über Stoffwechsel und Ermüdbarkeit der peripheren Nerven. S. 166. K. Biesalski und H. Würtz, Verhandlungen der außerordentlichen Tagung der Deutschen Vereinigung für Krüppelfürsorge, E.^V. S. 166. F. Thedering, Das Quarzlicht und seine Anwendung in der Medizin. S. 166. " ^ - • löwc. S. 167. — Literatur: Liste S. 16S. inz Dofl .\meisen- Manuskripte und Zuschriften Druck d den an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, Verlag von Gustav Fischer in Jena. G. Pätz'schen Buchdr. I.ippert S: Co. G.m.b.H., Naumburg a. d. S. rbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den i. April 1917. Nummer 13. Einige Betrachtungen über die Begriffe Parasit, Raubtier und Pflanzenräuber. (Nachdruck vcrbutcu.] Von Prof. Dr. Bei der imponierenden Harmonie, die das All durchdringt und die sich auch in dem unentwirr- baren Getriebe der Lebewesen geltend macht, ist das Einzelwesen an sich gar nicht denkbar und kann nur als winziges Glied einer großen Gemein- schaft, in der alles in gegenseitiger Abhängigkeit steht, beurteilt und verstanden werden. Diese Ab- hängigkeit ist nicht nur bedingt durch die innere Beschaffenheit d. h. durch die Organisation jeder Art, sondern ebenso von den äußeren Lebensver- hältnissen, von der umgebenden Natur, von der anorganischen sowohl wie von den zahllosen Mitgeschöpfen, die alle von dem einen Triebe beherrscht werden: zu leben. Darum kann man die Gesamtheit der Geschöpfe, die unsere Erd- oberfläche bevölkern, als eine große Lebens- gemeinschaft ansehen, die zwar in Abhängigkeit von der geographischen Verteilung je ein anderes Bild zeigt, aber im großen und ganzen sich durch lange Zeiträume im Gleichgewicht erhält, besonders wenn „der kleine Gott der Welt" seine Hand dabei aus dem Spiele läßt. Solche Lebensgemeinschaften oder Biozönosen, wie sie die neuere Wissen- schaft genannt hat, nehmen einen anderen Charakter an, je nachdem sie zwischen Mitgliedern einer Art Zustandekommen und dann zu dem führen, was man in Analogie mit menschlichen Verhält- nissen, als Ehe, Familie, Herde, Staat bezeichnen kann — das gemeinsame Band ist hier in der Erhaltung der Art, also in letzter Instanz in der Ausübung des Geschlechtstriebes zu erkennen — oder sich aus verschiedenen Arten zusammensetzen, die der Selbsterhaltungstrieb zusammenführt. Es erscheint hier im großen Rahmen für die Allgemein- heit dasselbe Antlitz, mit dem uns das menschliche Leben von altersher anblickt: „Warum treibt sich das Volk so und schreit ? Es will sich ernähren, Kinder zeugen und die nähren, so gut es vermag. Merke dir, Reisender, das und tue zu Hause des- gleichen! Weiter bringt es kein Mensch, stell' er sich, wie er auch will". Im Zusammenhange mit unserem Thema gehen uns hier nur die Vergesellschaftungen zwischen Mitgliedern verschiedener Arten an, wobei nicht nur Tiere und Pflanzen je untereinander, sondern auch Vertreter beider organischer Reiche in Frage kommen können. Man kann, ohne dem Begriffe Gewalt anzutun, auf diese Art von Lebensgemein- schaft das ursprünglich in viel beschränkterem O. Taschenberg. (Schluß.) Sinne gebrauchte Wort Symbiose^) anwenden das schon durch seine Bedeutung „Zusammen leben" den weiten Umfang andeutet, in dem es gebraucht werden kann und die bequeme Ablei tung Symbionten für die Beteiligten zuläßt Aber eben wegen dieser großen Dehnbarkeit des Begriffes der Symbiose werden weitere Unterab teilungen nötig. Da das Zusammenleben zweier verschiedener Tierarten ein mehr oder weniger zufälliges, ihre Existenzfähigkeit nicht direkt be- dingendes sein, andererseits aber sich zu einem Verhältnis ausbilden kann, bei dem der eine der Symbionten notwendig auf den anderen angewiesen ist oder bei dem beide einander gegenseitig be- dürfen, so liegt es nahe, von Symbiose mit ein- seitiger und solcher mit gegenseitiger An- passung zu reden, und dann dürfte es nicht schwer fallen, dem Parasitismus seinen richtigen Platz innerhalb dieser Lebensgemeinschaften an- zuweisen. Denn daß er eine bymbiose darstellt, muß selbstverständlich erscheinen. Jemand, der bei einem anderen „Nahrung und Wohnung tindet", ist eben ohne den anderen nicht denkbar; der „andere" aber hat nicht nur kein Interesse daran, den Wirt zu spielen, sondern wird von seinen ungebetenen Gasten sogar benachteiligt, zuweilen in so hohem Grade, daß er unter dieser „PVeund- schafi" zugrunde geht; die Anpassung ist also eine sehr einseitige. Da bei dem Verhältnis zwischen Beutetier und Raubtier der Vorteil genau so ein- seitig und die Lage für ersteres insoiern noch viel bedenklicher ist, weil es von vornherein im Kampfe zu unterliegen pflegt, so hatte es seine Schwierig- keiten, zwischen beiden Lebensweisen eine scharte Grenze zu ziehen. Vom Gesichtspunkte der Ver- gesellschaftung aus ist es leichter; denn das Beute- tier wird sich hüten, mit einem ausgesprochenen l*"einde ein Bündnis einzugehen, und das Raubtier kann nur bei seinesgleichen, aber auch da keines- wegs immer auf Freundschaft rechnen. Wenn ') Kraepelin (Die Beziehungeu der Tiere und Pflanzen zueinander, 2. Aufl., Leipzig 1913, TeubnerJ gebraucht den Namen Symbiose nur lür ein Zusammenleben mit gegen- seitiger Anpassung, im Sinne von iMutualismus , und nennt das, was hier als Symbiose bezeichnet ist, Synökie im weiteren Sinne, der mithm ein solche im engeren Sinne unter- geordnet ist. Namen tun hier nichts zur Sache, die Auf- lassung der Verhältnisse ist in beiden Fällen die gleiche. B.emerljenswert ist übrigens, daß gerade derjenige Fall von Genossenschaft, für den zu allererst von de Bary der Name Symbiose in Anwendung gebracht ist, von den Botanikern der heutigen Zeit, nicht mehr in diesem Sinne aufgefaül, nämlich die Vereinigung gewisser Pilze mit Algen zu den F'lechten, sondern als He 1 o tis m us , d. h. eine Art von „Sklaverei", in der sich die Alge seitens des Pilzes befindet. 170 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 13 wir also außer dem Parasitismus noch andere Formen von Symbiose zu erwarten haben, so müssen sie auf weniger einseitigen, wenigstens auf solchen Neigungen beruhen, die mit denen des Partners nicht direkt kollidieren. Tatsächlich sind die Motive zu einem für beide Teile erträglichen Zusammenleben so zahlreich, die damit verbundenen Vorteile für einen oder für alle beide so ver- lockend, daß wir in sehr passender Weise mit Karl Kraepelin') drei große Gruppen von Symbionten unterscheiden können: Epöken, Synöken und Paröken. Wenn ein Gast auf oder in dem Körper seines Wirtes lebt, erscheint er als Epök; wenn er nur die Wohnung desselben mitbenutzt, als Synök und wenn er sich gar nur in der Nähe des ihm sympathischen Wesens aufhält, als Parök. Mag nun die räumliche Vereinigung so oder so, enger oder weniger eng stattfinden, eine besondere Stellung nimmt der Gast dann ein, wenn er bei diesem Zusammenwohnen auch noch einen gewissen Anteil an der Nahrung seines Wirtes erhält. Solche Mitbewohner heißen dann Mitesser; der Kommensalismus ist mithin nur eine besondere Form der Symbiose mit einseitiger Anpassung. Damit sind wir an dem Punkte an- gelangt, von dem wir im Zusammenhange mit dem Einmieten ausgingen. Jetzt werden wir aber hoffentlich etwas besser darüber Bescheid wissen, warum man nicht berechtigt ist, aus dem Zu- sammenleben zweier verschiedener Organismen ohne weiteres auf das Verhältnis von Parasit und Wirt zu schließen. Das Kriterium dafür bildet immer erst der Nachweis, daß der Gast seine Nahrung dem „Fleische und Blute" seines Wirtes entnimmt. Daß dieser immer leicht zu führen sei, soll keineswegs behauptet werden. Daher sind auch heute noch in manchen Fragen auf diesem Gebiete die Ansichten der Fachleute ge- teilt, ganz abgesehen davon, daß man in gewissen Fällen darüber streiten könnte, ob ein Nährstoff des Symbionten noch mit Recht als integrierender Teil eines lebenden Organismus angesprochen werden darf; darüber später noch einige Worte. Auf die mannigfachen und sehr interessanten Fälle der hier angedeuteten Verhältnisse genauer einzugehen, liegt nicht in der Absicht dieser Dar- legungen. Nur einige Bemerkungen zum näheren Verständnis des Gesagten erscheinen unerläßlich. Es ist hervorgehoben, daß neben dem Nahrungs- bedürfnis auch noch andere Motive zur Symbiose hinführen. Unter diesen spielen der Wunsch nach persönlichem Schutze, nach Sicherung der hilfs- bedürftigen Brut und nicht an letzter Stelle die Notwendigkeit, irgendwo in der Welt „festen Fuß zu fassen"u.dgl.,einehervorragendeRolle. Was letzteren Punkt anlangt, so muß daran erinnert werden, daß außer festsitzenden Parasiten auch noch eine nicht geringe Zahl von anderen Tieren eine festsitzende Lebensweise führt, zu der sie aller- dings in der Regel erst nach einer Zeit des freien ') In dem oben bereits zitierten Werkchen. Herumschwärmens sich anschicken. Solche Tiere finden ihre Lebensbedingungen fast ausschließlich im Wasser, denn, weil sie nicht wie die Pflanze ihre Nahrung dem Erdboden und der Atmosphäre zu entnehmen vermögen, im festsitzenden Zustande aber unmöglich auf die Nahrungssuche „ausgehen" können — darum ist die freie Ortsbewegung im allgemeinen ein Hauptcharakter des Tieres — , so bleibt ihnen, da Parasiten hier nicht in Frage kommen, nichts weiter übrig, als es so zu machen, wie der Junge im Märchen, der sich die gebratenen Tauben ins offene Maul fliegen läßt, d. h. auf die nüchterne Wirklichkeit reduziert: sie sind auf das angewiesen, was ihnen von außen zugetragen wird, und die Rolle des Zuträgers kann eben nur das flüssige und fließende Medium, das Wasser, über- nehmen. Daher finden wir festsitzende, nicht parasitische Tiere sowohl im Süßwasser als auch, und zwar noch unendlich viel zahlreicher, in den weiten und tiefen Gründen des Meeres, der Ge- burtsstätte alles Lebens. Da handelt es sich nun zuerst darum, eine Stätte zu finden, wo ein solches Tier festen Fuß faßt. Dazu bieten sich mannig- fache Gelegenheiten und beim Ergreifen irgend- einer solchen dürfte häufig der „Zufall" den Aus- schlag geben. Der Untergrund des Wassers, der Stein, der darin liegt, der Rand des Ufers, die Klippe des Meeres, die Wand eines Schiffes, ein treibendes Stück Holz usw. usw., aber ebensogut auch eine Pflanze oder ein anderes Tier, vor allem ein Weichtier mit fester Schale, ein Krebs mit derbem Chitinpanzer, aber auch die Haut des Fisches, des Wales, kurz alles, was einen Halt bietet, und daß dazu auch lebende Organismen gehören, ist der brennende Punkt in dem uns hier interessierenden Zusammenhange ; denn der lebende und besonders der sich einer treien Ortsbewegung erfreuende Organismus gibt wieder neue Gelegen- heit zur Anknüpfung von mancherlei intimeren Beziehungen. In der Seßhaftigkeit vieler Tiere haben wir also den Schlüssel zum Verständnis des Zusammenltbens verschiedener Arten. Der lebende Träger bietet nicht nur den festen Stützpunkt, durch den er zum „Wohntiere" für andere wird, sondern vielfach auch Schutz vor feindlichen Ele- menten, Gelegenheit, hier und da einen Bissen aufzuschnappen, der von des Wirtes Mahle abfällt, in nahrungsreichere Regionen versetzt zu werden, das Atmungswasser häufiger zu wechseln usw. — alles Vorteile, die den einen der Symbionten wesentlich fördern, ohne daß für den anderen Nachteile damit verbunden zu sein brauchen. Man versteht, wie die mannigfaltigsten Beziehungen zwischen beiden zustande kommen können, wie sich ein Kommensalismus ausbildet, wie der Epöke durch Benutzung freier Zugänge von der Ober- fläche seines Wirtes in dessen Inneres (Kiemen, Mantelhöhle, Rachen oder auch in die entgegen- gesetzte Öffnung des Nahrungsrohres) eindringt, wie er sich nicht bloß an seiner Haut anklammert, sondern auch tiefer in sie eingräbt, wie er aber auch den eigentlichen Körper seines Trägers ver- N. F. XVI. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 171 lassen und nur dessen Wohnung (Muschel- und Schneckenschalen, Wurmröhren) mit benutzen, mithin vom Epöken zum Synöken und schließlich, wenn es sich z. B. nicht um Einzeltiere, sondern um Tierstöcke (Korallenriffe) handelt, auch zum Paröken werden kann; man begreift aber auch, wie sich aus einem solchen Zusammenleben für den anderen Teil Vorteile herausstellen können, Vorteile, die für jeden unentbehrlich werden und zu einem dauernden und ganz intimen Freund- schaftsbündnisführen, wie sich mit anderen Worten eine Symbiose mit gegenseitiger Anpassung, die Symbiose im engsten Sinne, oder der Mutualis- mus entwickelt. Es braucht wohl nicht bezweifelt zu werden, daß solche Erwägungen nicht bloß theoretischer Natur sind, sondern daß man zu der Annahme berechiigt ist, daß in dieser Weise die mannig- fachen Formen des Zusammenlebens verschiedener Tierarten wirklich zustande gekommen sind und auch noch weiter zustande kommen können. Ebensowenig aber kann bestritten werden, daß in der Synökie im weiteren Sinne Kraepelin's die Basis tür gewisse Fälle des Parasitismus zu erkennen ist und daß speziell der Kommensalismus dem letzteren so ähnlich ist wie ein Ei dem anderen, ein Vergleich, der bekanntlich nur dazu dient, gewisse Verschiedenheiten bei scheinbarer Gleich- heit aufzudecken. Dasselbe Ziel wird oft auf ver- schiedenen Wegen erreicht: der Parasitismus kann ebensogut als abgeschwächtes Raubsystem wie als gesteigerte Tischgenossenschaft erscheinen, der Parasit im ersten Falle einem heruntergekommenen Raubritter, im anderen einem frechen Mitesser ver- glichen werden. Es ist darum nur zu leicht ver- ständlich, driß man früher beiderlei Lebensformen miteinander verwechselte und erst verhältnismäßig spät unterscheiden lernte. Das soll noch an einigen Beispielen erläutert werden. Der in der Mantelhöhle von Muscheln unserer deutschen Meere, besonders regelmäßig von Cypridina islandica lebende Schnur wurm (Nemertine), Malacobdella grossa, ein 3 — 4cm langes, ziemlich breites Tier, galt lange Zeit als typischer Parasit und schien nicht nur durch diesen Aufenthalts- ort, sondern auch durch den an seinem hinteren Körperende befindlichen großen Saugnapf, dessent- wegen man ihn früherden Blutegeln zurechnete, als solcher gekennzeichnet zu sein, vergreift sich aber nie an den Geweben der Muschel , sondern lebt lediglich von den Diatomeen, anderen kleinen Algen und Krebschen, die die Muschel ebenfalls genießt und dem umgebenden Wasser, das von ihr herbei- gestrudelt, ständig durch die Mantelhöhle zirkuliert, entnimmt. Unser Wurm erweist sich somit im wirklichen Sinne des Wortes als ein Mitesser, dem die Erreichung seines Zwecks durch den gewählten Aufenthaltsort sehr bequem gemacht wird. Ein noch etwas intimeres, höchst originelles Verhältnis hat sich zwischen einem sehr eigenartigen scheiben- förmigen, in seiner systematischen Stellung lange Zeit unsicheren und jetztden Anneliden zugezählten Wurme, Myzostoma geheißen, und einem im Mittelmeere häufigen Haarsterne (Comatula medi- terranea, nach neuerer Nomenkiaiur: Aniedon bifida) herausgebildet. Der Wurm krallt sich mit Hilfe seiner Fußhaken in der Umgebung des Mundes seines Wirtes derart ein, daß sein Rüssel direkt in den ersteren hineinreicht und so unmittel- bar an den aus den zehn Armen des Haarsterns hier zusammenmündenden Nahrungsströmen abzu- schöpfen vermag. Da der Wirt gar nicht selten mehrere solcher liebenswürdigen Gäste auf einmal zu Tische hat, so wird er immerhin ziemlich stark ausgenutzt und benachteiligt, so daß man einer Definition der Synöken als „Tieren, welche mit anderen Arten in enger Gemeinschaft leben, ohne jenen zu sc had e n , sich selberaberzum Nutzen" nicht vollkommen beipflichten möchte. Man hat Tiere, die bei anderen Organismen nur Unter- kunft finden, ohne ii'gendwelchen Anspruch auf Ernährung zu erheben, vielfach als Raumpara- siten bezeichnet und diesen Ausdruck zuerst auf gewisse Rädertierchen angewandt, die sich dauernd in den sog. Wasserschläuchen von Lebermoosen einnisten. Meines Erachtens ist diese Bezeichnung durchaus unstatthaft; denn sie ist eine Art von contradictio in adjecto. Wenn Parasitismus eine besondere Art der Ernährung ist, die in vielen Phallen durch die Einmietung beim Wirte noch wirkungsvoller wird, so ist der bloße Anteil an der Wohnung ohne gleichzeitige Nahrungsent- ziehung aus dem Körper des Wirtes überhaupt kein Parasitismus; also ist „Raumparasitismus", oder wie von anderer Seite gesagt wird, „Woh- nungsparasitismus" Nonsens. Man nenne sie Wohnungsgenossen, wodurch sie in einen gewissen Gegensatz zu den Tischgenossen gestellt werden, aber lasse den „Parasitismus" bei- seite, wo er nicht hingehört. Am meisten ver- unglückt dürfte der gelegentlich in der Literatur vor- kommende Ausdruck „T ransportschmarotzer" sein zur Bezeichnung der Gewohnheit jenes als Schiffshalter (Echeneis naucrator) bekannten Fisches, der sich mit Hilfe seiner kopfständigen Saugscheibe an Schiffen oder größeren anderen Frischen oder Walen festsaugt, lediglich um bei der damit erzielten schnelleren Durchsegelung des Meeres bessere Beute machen zu können, die er nach Räuberart gewinnt. Wenn man in solchem Zusammenhange das Wort „Parasit" verwendet, so gibt man ihm einfach die Bedeutung von Mit- bewohner. Um einen völlig indifferenten Namen für einen solchen zur Verfügung zu haben, schlage ich Öket (vom griech. oiy.iii]^) vor. Damit hat man die Möglichkeit, einmal eine gemeinsame Be- zeichnung für Epöken, Synöken, Paröken und Kommensalen anzuwenden, dann aber den allge- meinen Begriff, wenn es erwünscht ist, durch Vor- setzung eines geeigneten Adjektivs zu spezialisieren, indem man von einem kommensalen, murualisti- schen (bzw. symbiontischen) , sogar parasitischen Öketen spricht; jedenfalls würden Mißverständnisse durch solche Bezeichnungen nicht zu befürchten und 172 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 13 der Pleonasmus „Nähr ungsparasii" (der sich zusammen mit dem Transportschmarotzer findet) zu vermeiden sein. Etwas anders verhält es sich mit wieder einer besonderen und zwar besonders interessanten Lebensgemeinschaft, die man als Brutparasitismus bezeichnet hat. Es würde aber zu weit führen, darauf an dieser Stelle näher einzugehen, vielleicht einmal in einem eigenen Artikel, nur die Bemerkung mag hier noch Platz finden, daß auch in diesem Zusammenhange der „Parasitismus" nicht recht hingehören dürfte. Die Gewohnheit des Kuckucks, seine Eier in fremden Nestern von anderen Vögeln ausbrüten und die Jungen alsdann ebenso grolälüttern zu lassen, scheint mir, bei all ihrer Eigenart, noch am ehesten dem Kommensalismus angereiht werden zu können; es ist eine Tischgenossenschaft, die bis zur Unver- schämtheit gesteigert ist, und für die Pflegeeltern mit dem Verzicht auf eigene Nachkommenschaft zusammenfällt. — Auch sonst gibt es noch Biozönosen, die nicht ohne Berührungspunkte mit dem Parasitismus sind, gewissermaßen (jrrenzgebiete darstellen, wie sie bei der großen Mannigfaltigkeit der Existenzbe- dingungen und der Anpassungsfähigkeit der Orga- nismen nicht unerwartet erscheinen können, aber dem schematisierenden menschlichen Geiste Schwie- rigkeilen bereiten. Um so mehr sollte man im Gebrauche der Worte Parasitismus und Parasit etwas gewissenhafter sein und an dem alten Grund- satze tesihalten „doch ein BegrifT muß bei dem Worte sein". Ein rühmlichst bekannter, auf ver- schiedenen Gebieten hervorragender französischer Zoologe, E. L. Trouessart, hat ein recht brauch- bares populäres Büchelchen geschrieben unter dem Titel „Les parasites des habitations humaines et des densees alimentaires ou commerciales", der eigentlich schon genügt, um den Verdacht eines Mißbrauches des Wortes „Parasiten" aufkommen zu lassen. Das Buch behandelt tatsächlich nicht etwa nur die bekannten Plagegeister des Menschen, wie Wanzen, Flöhe, Läuse, Stechmücken, Milben und ferner gewisse Zooparasiten bei Pflanzen, sondern ist eine Art von Fauna der Gliederfüßer der menschlichen Behausungen in der Heimat des Verfassers. Wenn der Gegenstand nicht auf diesen Verwandtschaftskreis beschränkt wäre, hätten folge- richtig auch Ratten und Mäuse und wer weiß was noch zur Sprache gebracht werden müssen. Und das alles unter der Bezeichnung „Parasiten"! Dann freilich ist es nur noch ein kleiner Schritt, um das bekannte Wort gelten zu lassen, der Mensch sei ein „Parasit der Erde"; aber das ist nur eine bildliche Ausdrucksweise, die nicht in eine wissenschaftlicheBetrachtunggehört; überigens ist der Vergleich nicht einmal zutreftend, denn der Mensch ist nach seinem wahren Charakter das größte und brutalste Raubtier unter der Sonne: „er nennt's Vernunft und braucht's allein, nur tierischer als jedes Tier zu sein"! Von anderer Seite wird für den Begriff des Parasiten der Grad der Schädlichkeit, die er dem Wirt gegenüber hat, in Anspruch genommen. Das ist meines Erachtens prinzipiell unrichtig. Daß jedes Geschöpf, welches „auf Kosten" eines anderen lebenden Organismus sich ernährt, mag es ein Raubtier oder ein Parasit sein, dieses andere mehr oder weniger schädigt, ist einlach selbst- verständlich, verschieden ist nur der Grad des Schadens, der in dem einen Falle vollständig gleich Null sein kann, d. h. so gering, daß er sich der Beobachtung völlig entzieht und gar nicht empfunden wird, im anderen Fall eine Intensität erreicht, die den Ausdruck „Schaden" beinahe als Zynismus erscheinen läßt, weil er mit der völligen Vernichtung des Beutetieres identisch ist! Im ersteren Falle ändert die geringe Ein- wirkung ebensowenig an der Berechtigung, von Parasitismus zu sprechen, wenn die Nahrungs- entnahme sich in dem von uns genügend hervor- gehobenen Sinne vollzieht, wie ein das Leben bedrohender Eingriff die Anwendung dieser Be- zeichnung verbieten würde, wenn der Schaden auf rein mechanischem Wege, ohne durch die Nahrungsaufnahme bedingt zu sein, ') zustande kommt. Eine Krankheit kann in sehr ver- schiedener Weise entstehen, unter anderem auch durch tierische und pflanzliche Parasiten, aber solche Krankheitserreger bleiben ihrer Natur nach auch dann „Parasiten", wenn sie im gegebenen Falle es einmal nicht zur Krankheit kommen lassen. Wenn also P. Megnin die van Be- neden'sehe Definition, nach der Parasiten im eigentlichen Sinne solche Organismen sind 'qui ont besoin, pour vivre des humeurs qui entretiennent la propre vie de leur höte', nicht gelten läßt und einen Unterschied konstituiert zwischen 'les para- sites inoffensives et les parasites dangereux ou pathogeniques', so ist das für die Bestimmung des Begriffs „Parasit" nicht berechtigt, sondern nur für die PVage von Wichtigkeit, ob man gegen den F"eind energisch vorgehen oder ihn als zu un- bedeutend ignorieren soll. Dabei verhält es sich beim Übergange vom „Harmlosen" zum „Gefähr- lichen" beinahe ebenso wie mit dem vom Guten zum Bösen, und der gilt bekanntlich als Maßstab für den Begrift' der Schnelligkeit! Wie wenig genau es übrigens Megnin mit seinen Begriflsbestimmungen nimmt, geht auch daraus hervor, daß er gleich im Anfange seines Buches behauptet, van Beneden teile die Para- siten in drei Klassen: in Kommensalen, Mutualisten und eigentliche Parasiten, während er den Tat- sachen entsprechend sagen mußte, der belgische Zoologe habe die zahlreichen Tiere, die man bis- her unter dem Namen von Parasiten zusammen- zufassen pflegte, in solche geteilt, die diese Be- ') Es gibt auch Schädigungen, die mit der xNahrungs- aufnähme der Parasiten eng verbunden und mechanischer Art sind, wie die Verstopfung von Hohlräumen, Durch- bohrungen von Organen, Uruckerscheinungen, Reize infolge von Körperbewegungen u. dgl., was besonders bei den von manchen Parasiten innerhalb des Wirtstiers vorgenommenen Wanderungen zur Beobachtung liommt. N. F. XVI. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 173 Zeichnung wirklich verdienen und andere, für die er die Namen Kommensalen und Mutualisten vor- schlägt; denn bei van Beneden heißt es am Schlüsse seiner Einleitung — mir liegt allerdings nur die Übersetzung vor — „in dem ersten Buche wollen wir uns mit den Mitessern, in dem zweiten mit den Mutualisten und in dem dritten mit den Schmarotzern beschäftigen", und an einer früheren Stelle ist zu lesen : „wir glauben ihnen gegenüber" — nämlich denen, die gegenseitig aufeinander ange- wiesen sind — „gerechter zu sein, wenn wir sie Mutualisten nennen und dem Mutualismus einen Platz neben dem Kommensalismus und dem Para- sitismus einräumen." Deutlicher kann man sich doch nicht ausdrücken, um den Parasitismus den beiden anderen Formen des Zusammenlebens gegenüberzustellen. In der Wissenschaft ist mit der landläufigen Redensart „der Name tut nichts zur Sache" schlechterdings nichts anzufangen. Man könnte zwar in Anlehnung an das bekannte Dichterwort auch in unserem Zusammenhange sagen: was ist ein Name? Das, was wir Parasiten nennen, bleibt's seinem Wesen nach, auch wenn es anders hieße! Ja „with any other name" — aber einen Namen muß es tragen, wenn unsere Sprache sich darüber äußern soll, und ein Begriff" muß bei dem Namen sein, wenn wir uns durch die Sprache über ein Ding verständigen wollen. Und eben darum ist es sehr wünschenswert, daß die Vertreter der Wissenschaft eine gegenseitige Verständigung nicht erschweren durch Ungenauigkeit im Ausdruck und Unstimmigkeit zwischen Name und Begriff. Wir alle empfinden die Segnungen der seit I. inne eingebürgerten binären Nomenklatur und leiden gegenwärtig nicht wenig unter den Schwierigkeiten der Durchführung einer einheitlichen Benennung aller Lebewesen in völliger Unabhängigkeit der zahlreichen Sprachen; aber man sollte es nicht weniger ernst mit unseren Kunstausdrücken, den sog. Termini technici, nehmen, die oft unter den Mitgliedern einer Nation zu Mißverständnissen führen müssen, wenn man die Sorgfalt in ihrer Handhabung beiseite läßt! Dafür liefert unser Thema mancherlei Beispiele und sie sind z. T. schon in diesen Darstellungen entgegengetreten: ich erinnere nur an den verschiedenen Gebrauch des Wortes „Symbiose". Wendet man es so an, wie es hier geschehen — und darin ist uns Oskar Hertwig in seinem hübschen Schriftchen „Die Symbiose im Tierreiche" (Jena 1S83) voran- gegangen — , dann vermeidet man leicht die zwei- malige Wiederkehr von Synökie, einmal im weiteren und dann im engeren Sinne. Die sehr mannigfachen Formen des Parasitismus haben eine Reihe be- sonderer Bezeichnungen nötig gemacht, die meist leicht verständlich sind und auch keine Mißdeutungen veranlassen: wie Ekto- und Entoparasiten (Außen- und Binnenschmarotzer) nach dem räum- lichen Verhalten — durch die freie Kommuni- kation gewisser innerer Organe mit der Körper- oberfläche nicht ohne Übergänge ; tempo- räre (zeitweilige) und stationäre (dauernde) Parasiten nach der Zeitdauer, wobei die ersteren auch als freie den festsitzenden gegenübertreten — natürlich nur Stadien im NA'crdegange. Ferner hat man gelegentliche (fakultative) und konstante oder obligato- rische Parasiten darum einander gegenüberstellen zu müssen gemeint, weil zuweilen Tiere, die unter normalen Verhältnissen als Saprozoen auftreten, in die Lage kommen, sich als Parasiten zu be- tätigen, dann nämlich, wenn sie bei einem lebenden Organismus ähnliche Bedingungen (faulende und gärende Stoffe — in eiternden Wunden , im Magen — ) vorfinden, unter denen sie im Freien zu leben pflegen (Beispiele sind verschiedene Fliegenlarven, gewisse Rundwürmer). Als „ge- legentliche" hat man manche Parasiten aber auch in einem anderen Sinne bezeichnet : nämlich nicht als Tiere, die gelegentlich schmarotzen, während sie sonst in Unabhängigkeit von anderen Organismen leben, sondern als Parasiten, die statt ihres gewohnten Wirtes gelegentlich einen anderen Wirt wählen. Im letzteren F'alle bezieht sich das „gelegentlich" eigentlich auf den Wirt und nicht auf den Parasiten, das kann man aber der Zu- sammenstellung „gelegentlicher Parasit" nicht ansehen; man sollte sie also lieber ver- meiden, um keine Mißverständnisse herbeizuführen. Es handelt sich hier im Grunde um etwas, was auch Nicht-Parasiten betrifft, nämlich um die Beschränkung oder Ausdehnung in der Wahl der Nahrungsquelle. Denn ein Parasit, der nur eine geringe Anzahl verschiedener Tier- oder Pflanzen- arten zu seiner Nahrung wählt, verhält sich schließlich nicht anders als ein Räuber, der beim Beutemachen ebenfalls wählerisch ist. Man kann also recht gut auch von monophagen und pleophagen Parasiten reden und unter ersteren noch besondere „Spezialisten" mar- kieren. Eine besondere Bezeichnung für einen „Wechselbalg", dem ausnahmsweise einmal ganz besondere Gelüste überkommen, fehlt bisher, und doch deutet ein solcher Befund vielleicht nur den Weg an, wie ein Spezialist zum Monophagen usw. geworden ist, vielleicht auch — und das wäre noch interessanter — wie ein Parasit entstanden ist, der regelmäßig im Laufe seiner Entwicklung zwei oder mehrere verschiedene Wirte heimsucht, der, wie man es bekanntlich nennt, eines Wirts- wechsels bedarf. Dieser komplizierte Ent- wicklungsgang kommt, wenn auch viel seltener als bei Tieren, auch bei Pflanzen zur Beobachtung, und danach unterscheidet der Botaniker heter- ökische Parasiten von autökischen. Aus- drücke, die man in demselben Sinne auch in der Zoologie anwenden könnte, bisher aber, soweit mir bekannt, nicht gebraucht hat. Doch um auf die „gelegentlichen Parasiten" in der Bezüglichkeit auf den Wirt zurückzukommen, so könnte man vielleicht von verirrten Parasiten sprechen und, wenn es dann ohne Terminus technicus nicht ab- gehen darf, dafür das Adjektivum paratropisch '74 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. einführen. Auf die gelegentlichen Parasiten im anderen Sinne, also auf die fakultativen, hat man wohl auch manchmal den Ausdruck „Pseudo- parasiten" angewandt, wovor aber schon Leuckart warnt, um Mißverständnisse zu ver- meiden; denn auch dieser Terminus tritt in ver- schiedenem Sinne auf. In der Botanik spricht man gelegentlich von Scheinschmarotzern — und das ist doch nur die Verdeutschung da- von — , um „Überpflanzen", die zwar auf anderen Pflanzen wachsen , ohne aber diese ihre Unterlagen der Nahrungssäfte zu berauben , den wirklichen Schmarotzern gegenüberzustellen, während sie in früheren Zeiten vielfach mit diesen auf gleiche Stufe gestellt wurden. Es verhält sich also damit genau so wie mit den Epöken unter den Tieren. In der Zoologie dagegen hat man von Pseudoparasiten gesprochen, um Tiere, die vollkommen irrigerweise, zum Teil sogar in absichtlich irreführender Weise als gelegentliche Bewohner des menschlichen Körpers vorgewiesen sind, wie Frösche, Eidechsen, Spinnen, ja nicht nur Tiere, sondern überhaupt Fremdkörper, wie Pflanzenfasern, Apfelsinenzelien , Rosinenstengel, Knöchelchen, Zwirnsfäden usw., mit einem Namen zusammenzufassen. Und Leuckart meint, auf solche Dinge möge man den Ausdruck „Pseudo- parasiten" beschränken. Wenn es an und für sich recht gewagt erscheinen muß, von wahren oder echten und falschen oder unechten Parasiten zu sprechen, denn ein Wesen ist entweder ein Parasit oder es ist kein Parasit und im letzteren P'alle könnte man den Gegensatz am einfachsten mit „Nicht-Parasit" hervorheben (sein oder nicht sein, das ist hier die Frage I), so möchte man eigentlich die Berechtigung eines besonderen Kunstausdruckes überhaupt bestreiten, wenn es sich um nichts anderes handelt, als die einfältigen Ansichten von Laien oder die betrügerischen Absichten von Gaunern mit einem besonderen Gewände zu bekleiden. Sollte nicht auch hier die bekannte Nebenbedeutung von „Blech" am Platze sein? Zum mindesten im AIltagsge>ipräche, und in die Wissenschaft gehört die Durhmheit nur, wenn sie Gegenstand der Analyse oder sanktio- niert ist, d. h. nicht dafür gehalten wird. Man hat auch wohl von „Hyperparasitismus" gesprochen und damit die gar nicht so selten vorkommenden Fälle besonders hervorheben wollen, wo ein Parasit zum Wirt eines anderen Parasiten wird (bei gewissen Krebsen und be- sonders bei Schlupfwespen und Verwandten). Der Name „Überp arasi t", wie es zu deutsch heißen würde, scheint mir nicht besonders glücklich ge- wählt zu sein; denn das, was der Parasit des Parasiten in seiner Lebensweise betätigt, geht keineswegs über das Maß irgendeines anderen Parasiten hinaus, und das müßte man doch von dem „Über" oder „Hyper" in der Wortzusammen- setzung erwarten , wie man von einem ,, Über- menschen" oder in anderem Zusammenhange von „Überstunden" bezüglich der Arbeit spricht. So gut wie man Zoo- und Phytoparasiten unter- scheidet, könnte man für die in Rede stehenden Geschöpfe das Wort Parasitoparasiten ge- brauchen und auch noch Zooparasitoparasiten von Phytoparasitoparasiten trennen, obgleich man für gewöhnlich sich nicht bewußt wird, daß nicht nur eine Schlupfwespe, die von einer anderen Schlupfwespenart bewohnt wird, als Beispiel dient; denn die erste Schlupfwespe ist stets ein Parasit, z. B. bei einer Schmetterlingsraupe, sondern daß sich der Parasit eines Apfelwicklers in genau der gleichen Lage befindet, da letzterer sich auch als Parasit ausweist, aber freilich als Phytoparasit. Man hat übrigens statt Hyperparasitismus ange- messener auch von einem Parasitismus zweiten Grades und von einem sekun- dären Parasiten dem primären gegenüber gesprochen. Es war vorher davon die Rede, daß zuweilen ein Tier, das der Regel nach zu den Saprozoen gehört, zum Parasiten werden kann, wenn nämlich die „Gelegenheit Diebe macht". Daß es auch Fälle gibt, wo man im Zweifel sein könnte, ob man es mit einem Kotfresser oder mit einem Parasiten zu tun hat, sollte man von vornherein kaum für möglich halten, zumal man voraussetzt, daß ein Kotfresser in keinem anderen Abhängig- keitsverhältnisse zu einem anderen Tiere steht, als daß er auf dessen nicht verdaute Nahrungs- reste angewiesen ist. Wenn er es nun aber nicht abwartet, bis diese den Weg aus dem Darme des anderen ins Freie gefunden haben, sondern ihnen gewissermaßen entgegengeht, indem er sich im Enddarme des betreffenden Tieres häuslich nieder- läßt? So machen es tatsächlich gewisse Infusorien (Opalina), die im Enddarme von Batrachiern leben, und gewisse Rädertiere (Albertia), die denselben Teil des Nahrungsschlauches bei Schnecken und Regenwürmern zur Wohnung wählen und in beiden Fällen nichts als die verdauten Nahrungsreste be- anspruchen. Übrigens dürfte es hier immerhin gewiesen sein , die genannten Organismen nicht den Koprophagen einzureihen, sondern unter dem Gesichtspunkte des Kommensalismus zu beurteilen; denn ihre Nahrung besteht wörtlich aus Abfallen von des Wirtes Mahlzeit. Ähnlich liegen die Ver- hältnisse in einem anderen Falle. Es gibt Krebse verschiedenen Verwandtschaftsgrades, die den volkstümlichen Namen „Fischläuse" führen, weil sie in ähnlicher Weise wie wirkliche Läuse auf der Haut von Fischen, Seeschildkröten und Walen leben und sich hier hauptsächlich von dem ausgeschiedenen Schleim dieser ihrer Wirte er- nähren. Man kann K. Kraepelin nur bei- stimmen, wenn er in diesem Zusammenhange bemerkt: „Es gehört entschieden eine gute Dosis juristischen Scharfsinns dazu, um mit Sicherheit zu entscheiden , ob diese Abscheidungsprodukte der Haut noch als „Teile" des betreffenden Wirtskörpers aufzufassen sind oder nicht." Wenn übrigens der genannte Forscher fortfährt: „Ähnlich verhält es sich mit den Haarlingen N. F. XVI. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. •75 (Trichodectes) und Federungen (Mallophagen), denen vornehmlich die Abfallprodukte der Haut von Landtieren, also die Schuppen und Feder- scheiden, aber auch wohl die Haare zur Nahrung dienen" , so kann ich ihm in dieser von P. van Beneden angebahnten Auffassung nicht beistimmen. Der verdiente ehemalige Professor von Loewen sagt in seinem schon einmal herangezogenen Buche „Die Schmarotzer des Tierreichs" (Leipzig 1876, F. A. Brockhaus) wört- lich, wie folgt (5. 78): „Eine Anzahl Insekten siedeln sich im Pelz von Säugetieren, andere in den Flaumfedern von Vögeln an , um von den Haaren oder Federn die herumliegenden Haut- schuppen und Epidermisreste aufzulesen. Indem sie so für die Toilette ihres Wirtes sorgen, leisten sie ihm gleichzeitig einen großen Dienst in hygienischer Hinsicht." Van Beneden führt daher die Mallophagen als Vertreter der Mutualisten an. Diese optimitische Auffassung von der Er- nährungsweise der Mallophagen, die seitdem von vielen Seiten wiederholt ist, trifft aber keineswegs mit der Wirklichkeit zusammen. Man muß Vögel gesehen haben , die von zahlreichen Federungen bewohnt — und zuweilen „wimmelt" es in ihrem Gefieder von diesen zierlichen Tierchen — und zugerichtet sind. Ihre Toilette ist arg „derangiert"; die Federn sind abgebissen und gelichtet, so daß das Gesamtgefieder zerschlissen erscheint; sie sehen mit einem Worte „ruppig" aus. Ebenso lehrt eine Untersuchung des Mageninhalts solcher Läuse, daß keineswegs bloße „herumliegende" Hautschuppen und Epidermisreste „aufgelesen" sind, ^] er ist oft gefüllt mit einem ganzen Ballen von Feder- und Haarteilchen (wenn es sich um die Bewohner von Säugetieren handelt), die in einem mikroskopischen Präparate als unschöne Flecke im Körper ihrer Wirte erscheinen und so von manchem Zoologen auch im Bilde wieder- gegeben sind. Aber noch etwas anderes spricht gegen die Annahme, daß die Mallophagen („Pelz- fresser") lediglich mit abgestorbenen Teilen der Epidermis vorliebnehmen. Wenn der Wirt eines solchen Insekts mit Tode abgegangen ist (bei geschossenen oder geschlachteten Vögeln ist das leicht zu beobachten), so verlassen ihn diese Be- wohner ebenso schleunig wie es blutsaugende Läuse tun , obgleich doch die Pelzfresser nach wie vor im Vollbesitze ihres Nahrungsmaterials ') Die Mundwerkzeuge der Mallophagen sind auch durch- aus geeignet zum Beißen, nicht nur zum Ergreifen loser Hautschüppchen. Davon können sich oft genug die Mägde auf dem Lande an ihrem eigenen Körper überzeugen; wo nämlich die Sitte oder vielmehr Unsitte, noch richtiger Roheit besteht, lebende Gänse, ehe sie zum Schlachten reif sind, mehrere Male zur Bettfedergewinnung zu rupfen , kriechen nicht selten Federlinge, von denen eine ziemlich grofle (etwa 6 mm lange) Art (Trinotum comspurcatum) unsere Hausgans bewohnt, auf die Mägde, die den Vogel bei dieser grausamen Beschäftigung zwischen den Beinen festzuhalten pflegen, über und zwicken sie ganz empfindlich in die Haut; daher nennt man die Parasiten auch mit einem volkstümlichen Namen ,, Gänsekneifer". bleiben. Sie rühren es nicht mehr an, wenn die Blutwärme aus dem Körper ihres Wirtes gewichen ist; sie werden darum auch niemals unabhängig von einem solchen an Hornsubstanzen angetroffen, wie es doch sonst eine Anzahl von anderen In- sekten gibt, die das Kreatin als Nährstoff aus- beuten. Die Mallophagen suchen nach dem Tode ihres ursprünglichen Trägers möglichst schnell einen anderen Wirt zu erreichen, wobei es vor- kommen mag, daß sie einen „falschen" erwischen und dadurch Irrungen in den Angaben der Spezialforscher veranlassen; denn die sehr zahl- reichen Arten, die man von solchen Mallophagen bisher kennt, haben ebenso wie andere Parasiten im allgemeinen ihre ganz besonderen Wirte, von denen einer öfter mehrere Parasitenarten be- herbergt als eine solche verschiedenen Wirten eigen zu sein pflegt ; wo dies der Fall, stehen die Wirte in näherer Verwandtschaft, und Einzelbefunde von Abweichungen davon erwecken von vorn- herein den Verdacht, daß hier unfreiwillige Ver- hältnisse vorliegen. Jedenfalls wird durch die an- geführten Tatsachen bewiesen, daß die Mallophagen sich von Teilen eines lebenden Organismus er- nähren und damit gehören sie zu den Parasiten. Wie es sich mit den Krebsegeln, Würmern verschiedener und z. T. unsicherer systematischer Stellung, verhält, die man zwischen den am Schwänze von Krebs- und Krabben - Weibchen befestigten Eierballen herumkriechend antrifft, mag dahingestellt bleiben. Man sagt ihnen nach, daß sie nur die abgestorbenen Eier verzehren ; ob das wirklich so sichergestellt ist? Und wenn es so wäre, so könnte man das Verhältnis der Würmer zu ihren Trägern wohl kaum als Kommensalismus bezeichnen; denn bei den Eiern handelt es sich nicht um Nahrungsreste des Wirts, sondern um eine Schutzeinrichtung im Zusammen- hange der Brutpflege. Wer die normalen lebenden Eier frißt, ist ein Raubtier, darüber ist kein Streit; wenn er nur abgestorbene aussuchte, müßte er unter die Aasfresser, bzw. Saprophagen gerechnet werden. Man sieht aus solchen und ähnlichen Bei- spielen, daß es keineswegs immer leicht ist, die biologischen Gruppen der Tiere gegeneinander abzugrenzen und daß infolgedessen wohl Irrungen in den Deutungen der einzelnen Autoren unter- laufen können, daß sich vielleicht auch noch manches im Laufe der Zeit als irrig erweist, was man gegenwärtig für sichergestellt ansieht. Das sehr interessante Gebiet des Mutualis- mus näher zu betreten, liegt nicht im Zwecke dieser Betrachtungen; denn, wenn es richtig ab- gegrenzt ist, kann es weder mit dem Parasitismus noch mit der Lebensweise des typischen Raub- tieres verwechselt werden. Aber ein anderes muß dem ursprünglichen Plane gemäß, wenigstens noch angeschnitten, wenn auch nicht ausführlich behandelt werden, nämlich der Parasitismus im Pflanzenreiche. Dies Thema ist bisher absichtlich beiseite geschoben worden und zwar ^^6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 13 wegen des im allgemeinen verschiedenen Er- nährungsprozesses bei Tieren und Pflanzen. Wenn von den letzteren ausnahmslos gelten würde, was früher als das Charakteristische im Gegensatz zu den Tieren hervorgehoben ist, daß sie nämlich mit anorganischen, der Erde, dem Wasser, der Luft entnommenen Substanzen sich ernähren, dann wäre ein Parasitismus bei ihnen von vornherein und grundsätzlich ausge- schlossen, denn, wie wir sahen, ist die Grund- bedingung für diese Ernährungsweise die Entnahme der Nährstoffe von anderen lebenden Or- ganismen. Wie notwendiges ist, dieses Kenn- zeichen des Parasitismus immer und immer wieder in den Vordergrund zu stellen, werden unsere Betrachtungen zur Genüge klargestellt haben; darum aber wurden in ihnen die Pflanzen zunächst ganz ausgeschaltet, um nicht immer auf gewisse Gegensätze und Ausnahmen hinweisen zu müssen. Denn eine parasitische Pflanze kann im allgemeinen als Ausnahme von der Regel angesehen werden. Die Fähigkeit der Pflanze, sich mit anorg^anischen Stoffen zu ernähren, beruht auf der Zerlegung der in der atmosphärischen Luft vorhandenen Kohlen- säure in ihre Bestandteile: Sauerstoff und Kohlen- stoff; der dabei freiwerdende Kohlenstoff geht die verschiedenartigsten Verbindungen mit den durch die Pflanzenwurzeln aufgenommenen Nähr- salzen ein und so entstehen die organischen Stoffe, aus denen sich ieder Organismus aufbaut, nämlich Kohlehydrate, Eiweißkörper, P'ette usw., die wieder- um dem Tiere zur Ernährung notwendig sind, ohne daß es imstande ist, sie selbst aufzubauen. Die Kohlensäurezerlegung, ein als Reduktion be- zeichneter Prozeß, wird der Pflanze ledielich durch jenen grünen Farbstoff, der für diese Organismen so charakteristisch ist, durch das Chlorophyll ermöglicht und nur unter Einwirkung des Sonnen- lichts. Wenn der Pflanze das Chlorophyll fehlt, ist sie unfähig Kohlensäure zu reduzieren und damit auch unfähig, aus anorganischen Stoffen organische aufzubauen; dann muß sie, um leben zu können, sich den Kohlenstoff auf eine andere Art verschaffen, und das ist genau dieselbe, die auch das Tier hat, nämlich organische Nahrung. Und in dieser Lage sind gewisse Pflanzen, denn es gibt solche, die des Chlorophylls entbehren und darum auch nicht grün aussehen. Dahin gehört vor allem die große Menge aller Pilze, aber auch eine Anzahl von Samenpflanzen, wie in unserer engeren Heimat die Arten von Sommerwurz (Orobanche), die durch ihre weißliche, gelblich- braune oder rötliche Färbung sofort auffallen, und der ihnen ähnliche strohgelbe „F i c h t e n s p a r g e 1" (Monotropa hypopitys), während in wärmeren Zonen noch andere solche wachsen. Diese be- dürfen also, um sich ernähren, um leben zu können, unbedingt eines organischen Substrats, und das finden sie in der Natur entweder in Form von abgestorbenen und der Fäulnis ausgesetzten Lebe- wesen oder als lebende Geschöpfe; im ersteren Falle erscheinen die chlorophyllfreien Pflanzen als Fäulnisbewohner (Saprophyten), im anderen als Schmarotzer (Parasiten oder, wie der Bo- taniker auch sagt, als paratroph e*) Pflanzen). Nun gibt es aber auch chlorophyllhaltige Pflanzen unter den Algen wie unter den Blüten- pflanzen, die dennoch als Parasiten leben; sie entnehmen aber ihren Wirten nur einen Teil ihrer Nahrung, nämlich Wasser und mineralische Nähr- salze, während sie die organischen Stoffe (Kohle- hydrate usw.) in eigener Fabrik herstellen, wie die vollständig frei lebenden chlorophvllführenden Pflanzen, d. h. durch Assimilation von Kohlensäure mittels ihres Chlorophylls. Zu dieser Kategorie von Parasiten gehören aus unserer Heimat die bekannte Mistel (Viscum) die mit zahlreichen anderen in den Tropen lebenden Arten zur Familie der Loranthaceen gehört und, wie auch diese, auf Bäumen und Sträuchern schmarotzt, während noch andere Familien, die Santalaceen und Rhinantaceen, erstere durch Thesium, letztere durch Melampyrum, Rhinanthus und Euphrasia bei uns vertreten, Wurzelparasiten sind. Der Bo- taniker unterscheidet die chlorophyllhaltigen Para- siten als H em i parasi t en von den übrigen, den Holoparasiten, ohne aber scharfe Grenzen zwischen ihnen aufstellen zu können, ebensowenig wie solche bestehen zwischen Saprophyten und Parasiten, so daß man sogar von Hemisapro- phyten spricht und darunter gewisse Schlauch- pilze (Botrytis z. B.) versteht, die höhere Pflanzen befallen, deren Gewebe aber, ehe sie von ihnen zehren, durch Ausscheidung von Giften, abtöten. Darin die Lebensweise von Saprophyten zu er- kennen, erscheint mir allerdings eine eigenartige Auffassung, über deren Berechtigung man doch wohl streiten könnte. Bei uns Zoologen wenigstens ist man zu einer ähnlichen Deutung bisher nicht gelangt, und doch kennen wir Beispiele genug, wo dem Verzehren der Nahrung eine Vergiftung vorausgeht. Wir halten eine Spinne wie eine Viper für Raubtiere, die ihre Giftsekretion dazu benutzen, um Beute zu fangen und festzuhalten; und ob diese Beute vergiftet oder einfach tot- gebissen wird auf mechanischem Wege, ist dabei gleichgültig. Wenn man dem Tropfen Gift, mit dem eine Mordwespe die Raupe paralysiert, die sie für ihre Nachkommenschaft als Nahrung ein- trägt, gleichzeitig die Eigenschaft zuschreibt, den Tierkörper zu konservieren, so kann man ihn noch nicht einmal zu den Fäulnisprodukten rechnen und die Wespenlarve nicht zu den Sapro- zoen. Doch mag dem sein, wie ihm wolle, uns in- teressiert hier vor allen Dingen, daß in den beiden ') Das Wort besagt genau dasselbe wie parasitisch , nur daß seine zweite Hälfte in letzterem auf ein griechisches Sub- stantiv, das Nahrung bedeutet, in ersterem auf ein griechisches Verbum, das „ernähren" heißt, zurückzuführen ist, daher könnte paratrophisch ebensogut auf tierische Schmarotzer angewendet werden. — Paratrophisch ist nicht zu verwechseln mit dem oben vorgeschlagenen paratropisch, das auf dasselbe Verbum zurückzuführen ist wie polytropes, das bekannte Beiwort des „in der Welt herumgeworfenen" Odysseus. N. F. XVI. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 177 großen Reichen der Organismen trotz eines im allgemeinen entgegengesetzten Stoffwechsels doch ganz ähnliche Ernährungsverhältnisse zur Be- obachtung kommen. Der Begriff des Parasitismus basiert für Tiere und Pflanzen auf genau den gleichen Voraussetzungen ; in der Botanik hat man sein eigentliches Wesen sogar eher scharf hervorzuheben verstanden, als in der Zoologie; denn in der 1720 erschienenen Sciirift von Micheli ,De Orobanche' wird zum ersten Male der Aus- druck „Schmarotzer" gebraucht für Gewächse, die lebenden Pflanzen und Tieren organische Ver- bindungen entnehmen und sich die Arbeit ersparen, selbst solche Verbindungen aus Wasser, Nährsalzen und Gemengteilen der Luft zu bilden. Wenn man in der Botanik früher auch zahlreiche „Über- pflanzen" (Epiphyten), bloß weil sie auf anderen Pflanzen wachsen, jedoch ohne diese ihre Unter- lagen der Nährungssäfte zu berauben, zu den Schmarotzern rechnete, so war das genau der gleiche Irrtum, der in der Zoologie gegenüber den Epöken, Synöken und Paröken, bzw. den Kommensalen herrschte. Was wir heutzutage unter den letzteren Namen verstehen, be- zeichnet Kerner von Marilaun als Schein- schmarotzer. Da das Wort dasselbe bedeutet wie Pseudoparasiten, so würde die Anwendung dieser Bezeichnung in der Botanik und Zoologie sich nicht decken. Beiläufig sei noch einmal hervorgehoben, worauf schon bei früherer Gelegen- heit hingewiesen wuide, daß solche Überpflanzen die von ihnen bewohnten Pflanzen in ihren Lebensfunktionen arg beeinflussen (u. a. durch Be- schränkung des Atmungsprozesses) und sogar töten können — man nennt gewisse Arten mit Recht Baumwürger — , daß derartige mechanische Wirkungen aber als Kriterium für einen Parasiten nicht geltend gemacht werden dürfen. Der Laie ist wohl auch geneigt, in Flechten und Moosen, die unter Umständen durch ihren dichten Überzug der Baumrinde die Bäume schädigen — man erinnere sich des kümmerlichen Aussehens, das z. B. die so belagerten Ebereschen in unseren Gebirgen häufig zeigen — , Schmarotzer zu er- kennen, was natürlich vom wissenschaftlichen Standpunkte aus ebensowenig berechtigt ist. Die heutige Botanik kennzeichnet unzweideutig und präzise die Schmarotzerpflanzen als solche Ge- wächse, die andere Lebewesen befallen, sich auf oder in ihnen ansiedeln und ihnen Nahrung ent- ziehen, ohne ihnen Gegendienste zu leisten. Mit den letzten Worten werden die Mutualisten aus- geschlossen, durch das sehr passend gewählte Wort „befallen" auch die nicht stationären, frei- lebenden Parasiten einbegriffen. Zu den letzteren gehören die einzelligen Vampyrellen (die aller- dings von manchen Forschern den Tieren zu-- gerechnet werden). „Wenn sich eine länger dauernde Lebensgemeinschaft zwischen Parasit und Wirt ausbildet, die dem ersteren zum Nutzen gereicht", so liegt „symbiotischer Para- sitismus" vor. Dieser Ausdruck deckt sich also mit dem bei den Zoologen üblichen „stationärer Parasitismus." Man darf sich daher durch die Be- zeichnung des Botanikers nicht irreleiten lassen und etwa an eine Identifizierung mit Symbiose im Sinne von Mutualismus denken; den letzteren unterscheidet auch der Botaniker, wenngleich von mancher Seite, wie schon gelegentlich bemerkt wurde, die von de ßary zuerst als Symbiose bezeichnete Form des auf Gegenseitigkeit be- ruhenden Zusammenlebens jetzt unter dem Gesichts- punkte des Helotismus beurteilt wird. Es beruht das wieder auf einer sehrpeniblen, vielleicht zu penib- len Abwägung, wieweit der Nutzen beiden Symbion- ten zu gleichen Teilen oder in Bevorzugung des einen davon zufällt; obgleich Eug. Warming von vornherein bemerkt, „ob es einen Mutualismus mit vollkommener Gegenseitigkeit, einem für beide Teile gleich vorteilhaften Zusammenleben, gebe, ist zweifelhaft". W. Niemburg (in seinem Artikel „Symbiose" im Handwörterbuch der Naturwissen- schaften, IX. Bd. iqi3, S. 938) sagt bezüglich des Verhältnisses von Pilz zur Alge in den Flechten: „er gleicht einem klugen Herren, der seine Sklaven gut füttert, damit er sie dann um so besser aus- nutzen kann". Dieser Vergleich paßt vollkommen auf das Verhältnis des Menschen zu seinen Haus- tieren — und auch dies muß als eine Symbiose, als ein Fall von Mutualismus angesehen werden, der bis zu einem gewissen Grade sogar als Ideal bezeichnet werden darf und sein Ebenbild in den sklavenhaltenden Ameisenstaaten findet. Ideal glaube ich dies Gegenseitigkeitsverhältnis nennen zu dürfen, weil auch im menschlichen Leben dauernde Beziehungen viel leichter unter nicht völlig gleichen, sondern verschieden beanlagten, einander aber in richtiger Weise ergänzenden Individuen möglich sind und zustande kommen. So ist es in der Ehe, in der Freundschaft und im Geschäftsleben. Darum darf man auch annehmen, daß das symbiotische Zusammenleben verschiedener Arten von Organismen als das Resultat eines langen Entwicklungsprozesses im Kampfe ums Dasein gerade auf den beiden Teilen adäquaten Eigen- schaften und Bedürfnissen beruhen werde, wobei es gleichgültig ist, ob in menschlicher Beurteilung der eine von beiden besser weggekommen zu sein scheint, zumal zugegeben werden wird, daß es in vielen P'ällen recht schwer sein dürfte, einen richtigen Einblick in diese verwickelten Verhält- nisse und daher ein richtiges Urteil zu gewinnen. Doch, mag dem sein, wie ihm wolle, für uns kommt es hier nur darauf an, festzustellen, in wieweit in der Botanik und Zoologie bezüglich des Zusammenlebens verschiedener Arten analoge Verhältnisse bestehen und darum auch die gleichen Bezeichnungen dafür zu erwarten, jedenfalls für ein leichteres Verständnis zu wünschen wären. Da kann dann bemerkt werden, daß auch der Botaniker zwischen Ekto- und Entoparasiten') ') Wenn man bald Entoparasiten , bald Endoparasiten geschrieben findet, so handelt es sich dabei weder um einen 178 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 13 unterscheidet, wobei die Kriterien ein wenig anders ausfallen, als in der Zoologie, da die Ernährungs- organe beider Organismen einen wesentlich anderen Charakter haben. Bei der ektoparasiiischen Pflanze müssen die der Nahrungsaufnahme dienenden Or- gane selbstverständlich in das Innere der Wirts- pflanze eingesenkt werden (beim Tiere event. nur der Saugapparat bis in die Haut). Eine Mittel- stellung nehmen unter den Pflanzen diejenigen ein, die zwar ihre vegetativen Organe im Innern des Wirtes ausbilden, ihre Fruktifikationsorgane aber ins Freie ragen lassen. Ferner unterscheidet auch der Botaniker zwischen obligatorischen und fakultativen Parasiten und versteht unter letzteren solche, die bald sapro- phytisch, bald parasitisch oder autophytisch leben. Wenn er aber auch von temporären Para- siten spricht und damit solche meint, die im Laufe normalen Entwicklungsganges zeitweise saprophyt leben (wie z. B. Ustilago und Cordiceps militans unter den Pilzen), so deckt sich dieser Begriff nicht mit dem, was der Zoologe mit temporären Parasiten bezeichnet, nämlich ein im allgemeinen frei lebendes Tier, das seinen Wirt nur behufs der Nahrungsentnahme befällt. Für den Zoologen ist der temporäre Parasit im Sinne des Botanikers ein periodischer stationärer gegenüber dem lebenslänglichen Parasiten. Wenn wir nach dem langen Wege, den wir zusammen über das ins Auge gefaßte Thema zurückgelegt haben, zum Schluß noch einmal auf die L e u ckar t 'sehe Definition des Parasiten einen prüfenden Blick werfen, so erscheint uns der Begriff dieser eigenartigen Lebens- und Ernährungsweise an fünf Grundbedingungen geknüpft: es handelt sich i. um Organismen im Gegensatz zu anorganischen Naturkörpern ; 2. um andere Organismen, von denen sie abhängig sind, 3. diese müssen im lebenden Zustande zur Verfügung stehen — dies im Gegensatze zu sapro- trophischen Geschöpfen; 4. die Abhängigkeit be- ruht nicht auf einer morphologischen Beschaffen- heit, sondern auf einem physiologischen Prozesse, nämlich der Ernährung und 5. die Nahrungs- entnahme macht eine, wenn auch zeitlich noch so geringe, räumliche Vereinigung (die gleiche „Wohnung") zur Notwendigkeit. Fragen wir uns nun, ob bei der Le u ckar t' sehen sehr präzisen Fassung „Geschöpfe, die bei einem lebenden Organismus Nahrung und Wohnung finden" alles, was wir bei unseren langen Be- trachtungen in den zahlreichen Einzelfällen para- sitischer Lebensweise kennen gelernt haben, ein- begriffen und nichts ausgeschlossen ist, aber auch nichts darunter Platz finden kann, was nach der gewonnenen Überzeugung nicht hineingehört, so Druckfehler noch um eine falsche Schreibweise ; im Griechischen gibt es den Stamm fi'itoi' und ttjoi in der Bedeutung von „innen" und „innerhalb". In der Zoologie hat jetzt die Schreibweise mit dem t eine weitere Verbreitung gewonnen. können diese Fragen nicht ohne weiteres in be- jahendem oder verneinendem Sinne beantwortet werden; denn fassen wir Nahrung und Wohnung gleichsam als eine Bedingung auf, d. h. als zwei inhärente Bedingungen, von denen eine nicht ohne die andere gedacht werden kann, dann sind i. die sog. freilebenden ,. temporären" Parasiten aus- geschlossen, es sei denn, man täte der üblichen Auffassung des Begriffes „Wohnung" starken Zwang an; und 2. findet die Definition auch An- wendung sowohl auf die Kommensalen wie auf die Raubtiere und Pflanzenräuber und auf die Mutualisten, lassen wir dagegen Nahrung und Wohnung auch getrennt voneinander gelten, dann gehören der ersteren nach auch Raubtiere zu den Parasiten, der zweiten entsprechend aber alle Epöken, Synöken und Paröken, sofern sie nicht gleichzeitig Kommensalen sind. Da es nicht dem geringsten Zweifel unterliegt, daß Leuckart in Wirklichkeit den Begriff „Para- sit" nur darin etwas anders hat aufgefaßt wissen wollen, als es hier geschehen, daß er ihn auch noch auf die „Pflanzenräuber" ausgedehnt hat, so ergibt sich aus der scheinbaren Unstimmigkeit, daß seine Definition zu allgemein gehalten ist und wahrscheinlich absichtlich, um sie durch Einengung nicht zu langatmig und vielleicht gar unklar zu gestalten. Die meisten Autoren, die über dies Thema von allgemeineren Gesichts- punkten aus gehandelt haben, sind in ihren Be- griffsbestimmungen des Parasitismus im wesent- lichen Leuckart gefolgt, wenn sie auch seine Worte nicht einfach wiederholt haben. Der häufig gebrauchte Ausdruck, „auf Kosten anderer Or- ganismen ('aux depens' bei den Franzosen) sich ernähren" ist zu allgemein gehalten, um nicht auch die Ernährungsweise des Räubers mit ein- zuschließen. Über die unzulässigen Zusammen- setzungen mit -parasiten und -parasitismus ist zur genüge gesprochen worden. Vielleicht wird der Zweck einer etwas ge- naueren Definition unter Vermeidung zu großer Breite und Unverständlichkeit erreicht, wenn folgende Form vorgeschlagen wird: Parasiten (Schmarotzer, paratrophe Tiere und Pflanzen) sind solche Orga- nismen, die ihre Nahrung einem anderen lebenden Organismus entnehmen (wie die Raubtiere), aber ohne dessen Existenz damit gleichzeitig zu ver- nichten (oder dies wenigstens erst allmählich tun können), vielmehr sehr gewöhnlich sich auf oder in dessen Körper einquartieren und auf kürzere oder längere Zeit mit ihm vereinigt bleiben, sogar infolge bestimmter Anpassungen an diese Lebensweise nicht mehr ohne ihren „Wirt" existiere n können, ihm dafür aber keine Gegen- dienste leisten. N. F. X\l. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Einzelberichte. Geologie. Die schwäbischen Eisenerzvor- kommen. Der würltembergische Landtag hat in seiner Sitzung vom 14. Dezember 1916 das Berg- gesetz von 1874 und 1906 dahin abgeändert, daß das Schürfen nach Eisen und Eisenerzen ebenso wie schon vorher nach Steinsalz und anderen Salzen, sowie nach Solquellen dem Staate vor- behalten bleibt. Durch königl. Verordnung kann das Schürfen dritten Personen gestattet werden. Die württembergischen Eisenerze gehören dem unteren Dogger (Brauner Jura) an und finden sich zwischen Geislingen und Aalen (schwäbischer Jura) in horizontal liegenden Flözen. Stratigraphisch liegen sie etwas höher als die lothringischen Minetten. Bei Wasseralfingen sind es 2 Flöze, ein oberes (1,7 m) und ein unteres (1,4 m) Flöz, von denen aber nur das untere abgebaut wird; bei Kuchen und Aalen ist nur noch ein Flöz entwickelt. Nach Schätzungen von Geh. -Rat Wüst in Aachen sind 1600 Millionen t verhüti barer Toneisenerze vorhanden, die eine lohnende Eisenindustrie im Neckartal mit Eisen versorgen könnten. Das Erz ist ein 40"/,, kieselhaltiges oolithisches Toneisen- erz (ca. 31 "/o Ausbeute), das der Qualität nach zur Minette, wenn auch nicht erster Güte, gehört. Leider enthalten die Erze sehr viel Kieselsäure, die nur durch einen starken Zuschlag von Kalk bei einem erheblichen Aufwand an Kohle als Schlacke abgeschieden werden kann. Das Fehlen von Kohlen in Württemberg und die ungünstigen Verkehrsverhältnisse haben bisher die Konkurrenz mit den weit günstiger gelegenen rheinischen und lothringischen Industriegebieten erschwert. Dies hat zur Einstellung verschiedener Erzgruben z. B. bei Kuchen geführt und das staatliche Eisenwerk in Wasseralfingen arbeitet ohne großen Nutzen. Ein lohnender Abbau der an sich abbaufähigen Eisenerzlager wird einmal möglich sein, wenn der geplante Neckarkanal bis Plochingen geführt sein wird und Kohle auf dem Wasserwege billiger als auf der Eisenbahn herangeschafi"! werden kann. Das Gesetz bezweckt, der Allgemeinheit einen entsprechenden Anteil an dem bereits eingetretenen und noch zu erwartenden Wertzuwachs der Eisen- erzlager zu sichern. (OTC.) V. Hohenstein. Über die Bodenschätze Belgiens hat Geh. Berg- rat Krusch eine Reihe von Abhandlungen in der „Berg- und Hüttenmännischen Zeitschrift Glückauf" erscheinen lassen. Er geht zunächst auf Belgiens Reichtum an Kohlen ein. Das belgische Kohlenvorkommen ist vorzugs- weise auf den Norden und den Süden des Brabant- Plateaus, dessen Silur- und Kambriumkern seine Entstehung der vordevonischen kaledonischen Faltung verdankt, beschränkt. Das Südbecken ist das von „Haine Sambre-Maas", das nördliche das der „Campine". Das Haine Sambre-Maas- Gebiet ist ini Süden von der großen Überschiebung begrenzt, die bewirkte, daß ältere Schichten — Kambrium, Silur, Devon — weit nach Norden, die Kohlen bedeckend, verschoben wurden, so daß die Kohlen viel weiter nach Süden reichen wie sie im Norden ausstreichen. Nördlich lagern sich dem Brabant Plateau Kohienkalke an. Wenn man das Brabant Plateau nördlich überschreitet, so liegt an dessen Nordkante ebenfalls Kohlen- kalk und weiter nördlich der ahpaläozoischen Schichten, dem Plateau angelagert, produktives Karbon. Am weitesten südlich tritt das Steinkohlen- gebirge in der Devonmulde von Dinant zu Tage. Nördlich davon liegt die Haine-Sambre-Maas- Mulde, die wieder in einzelne kleinere Mulden zerfällt. Und weiter nördlich vom Brabantplateau liegt das Kohlengebiet der Campine. In der Dinantmulde streichen die Steinkohlen- gebirgsschichten aus, während sie in der Haine- Sambre-Maas-Mulde erst in den tieferen Tälern angeschnitten sind, weil sie hier wie in der Campine unter einem Deckgebirge ruhen. Die Abrasion der Ardennen hat auch das Kohlen- gebirge der Dinantmulde stark mitgenommen, so daß nur noch in den tiefsten Teilen der Mulden Karbon vorhanden ist. Dagegen sind die beiden anderen belgischen Kohlenvorkommen noch zu- sammenhängende Flächen. Bergbaulich ist das Kohlengebiet von Dinant ohne Bedeutung, während die Haine-Sambre-Maas-Mulde schon seit Jahr- hunderten ein wichtiges Kohlengebiet darstellt. In der Campine entdeckte man die Kohlen erst 1901, und jetzt ist man durch Abteufen von 12 Schächten im Begriff, diese wichtige Kohlen- gebiete zu erschließen. Die belgischen Kohlengebiete hängen mit dem deutschen, dem rheinisch-westfälischen zusammen. Die herzynische Faltung läßt nach Westen hin immer mehr nach und macht dort einem Schollen- gebirge Platz. Aber trotz aller tektonischen Störungen, aller postkarbonischen Abrasionen, aller F"altungen besteht ein zusammenhängendes, ununterbrochenes Kohlenbecken von Münster und Aachen bis nach Kent. Nach Krusch 's neuen Forschungen bildet das Kentkarbon nördlich von Stour eine Decke, die flach auf alte paläozoische Schichten aufgeschoben und von der herzynischen Bewegung losgerissen wurde, während die ähnlichen Vorgänge im Süden von Brabant nur zu einer Überschiebung führten. Die Mulde von Haine-Sambre Maas ist in Belgien 170 km lang, 3 — 17 km breit und von einem Flächeninhalt von 1400 qkni. Getrennt wird die Mulde durch einen Qiiersattel im Samson- tale bei Lüttich, der im mittleren Oberkarbon hochgefaltet wurde. Von da aus fallen die Schichten sowohl nach Westen als auch nach Osten ein, so daß eine Parallelisierung der Schichten unmöglich ist. Das Gebiet gehört zu den paralischen, die [8o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 13 in der Nähe des Meeres sich bildeten. Man teilt die Kohlen nach ihrem Gasgehalt so ein : Gasgehalt Antei an der Gesamtförderung 7o Flenus 25 rd 10 Gras 16-25 „ 26 Demi-gras 11—16 .. 43 Maigre unter il >• 21 Das südliche belgische Kohlengebiet ist eine überkippte Mulde, die ein überkippter Sattel im Süden begrenzt. Di^e Grenze zwischen Sattel und Mulde bildet eine Überschiebungszone. So trügt das Deckgebirge beim Aufsuchen von Kohlen sehr oft. Man setzt z. B. die Bohrung im Devon an, durchsinkt Silur und stößt dann erst im Liegenden auf Kohlen. Die Mulde zerfällt in einzelne Teile, die rein verwaltungstechnisch zu ihrer Abgrenzung und Bezeichnung kamen. Das östliche Becken ist das von Lüttich, in dem die tektonischen Verhältnisse sehr kompliziert sind. Das produktive Karbon ist hier 17 — 1800 m mächtig und enthält 59 bauwürdige Flöze, wovon 20 in ihrer ganzen Ausdehnung ertragreich sind und 45 Flöze zusammen 35 m Kohle enthalten. An dieses Becken schließt sich das des Henne- gaus. Hier steht Karbon im Osten unter Alluvium, bei Charleroi unter Tertiär und Kreide an, die bei Mons eine Mächtigkeit von 300—350 m er- reicht. Die tektonischen Verhältnisse sind hier noch schwieriger wie im Osten. Mitten im Karbon treten wurzellose Stöcke von Devon und Silur auf, die Spuren der Überschiebungsdecke dar- stellen. Man kennt 8 solche Überschiebungen, die schuppenartig übereinander liegen und man hegt Vermutungen, daß sogar die Karbonschichten eine Verschiebung nach Norden erlitten hätten. Die Flöze des Süd- und Nordrandes sind nicht leicht zu identifizieren, da die Störungen zu groß und die Faltungen von Nord nach Süd zunehmen. So durchsank der Bohrer bei Ressaix 126 m Devon, dann 209 m Silur, darauf unter einer Über- schiebungszone 419 m unteres Oberkarbon, eine zweite Überschiebung, im Liegenden dieser 8 Flöze des oberen Oberkarbons mit 21,2 — 11% Gas, da- runter eine dritte Überschiebung, in deren Unter- grund ein 9. Flöz mit 20% Gas in 907 m sich fand. Hier wie im Becken von Lüttich kann man eine flözreiche, obere Partie und eine flözarme, untere Partie unterscheiden. Im großen und ganzen ist man über die stratigraphische Stellung der Flöze nicht klar. Als man die Überschiebungen noch nicht erkannt hatte, zählte man lOO — 125 Flöze, die nach dieser wichtigen Erkenntnis auf 29 im Becken von Charleroi zusammenschmolzen. Man kennt Flöze von 90 cm Mächtigkeit und darunter, die aber nicht in ihrer ganzen Strecke bauwürdig sind. Der Gasgehalt der Kohlen nimmt mit der Tiefe ab, nach Westen hin und von Norden nach Süden hin zu. Ein neues belgisches Kohlengebiet hat man in der Campine zwischen der südlichen Kulmgrenze von Brabant und dem nördlichen holländischen Grabeneinbruch durch Bohrungen abgetastet. Das Deckgebirge ist außer alluvialen Sauden, Tonen, Eisenerzen, Diluvium, Tertiär, Kreide und Permo- Trias. Unter dem Steinkohlengebirge lagern Kohlenkalk, Devon und Silur-Kambrium. Das Deckgebirge macht im Westen 700 m und im Osten 600 m aus. Die Fossilien des Campine- SteinkohlenGebietes deuten auf ein gleiches Alter der Kohlen hin, wie der Englands, Nordfrankreichs und Westfalens. Die Zahl der bisher erkannten Flöze beträgt 46 (Westfalen "](>, Mons 112). Die Campine steht, nach dem Kohlenreichtum geschätzt, zwischen dem niederrheinisch-westfälischen (0,9 m) und dem belgischen Gebiet (0,68 m). Den Vorrat an Kohlen in der Campine schätzt man auf 8 Milliarden t, davon kommen 7 Milliarden auf die Provinz Limburg und i Milliarde auf Antwerpen. Die Campine enthält also über eine große Fläche hingebreitet einen reichen Kohlenschatz, so daß man ernstlich daran geht, jährlich 6 Millionen t zu fördern, um nach Fertigstellung weiterer Schächte eine Jahresförderung von 20 Millionen t zu erreichen. Von dem Gebiet der Campine hat sich der belgische Staat drei Flächen von 200 qkm, zwei querschlägig, eine im Streichen verlaufend, be- wahrt. Die beiden östlichen Reservate sind wert- voller wie das dritte westliche. Belgien liefert mit seinem Blei-Zinkerzbergbau ungefähr 1000 t. Dagegen beträgt Hüttengewinn aus den östlichen deutschen und importierten überseeischen Erzen im Jahre 191 2 für Zink 205490 t und für Blei 54940 t. An die Schnittstellen der Kalke mit den Ver- werfungen sind Blei- und Zinkerze gebunden. Die Verwerfungen durchsetzen vom Karbon bis zum Kambrium alle Schichten des Paläozoikums nord- westlich des hohen Venns. Die Spalten entstanden schon vor der Senontransgression. Bis zum Dilu- vium geschahen auf diesen Spalten im Westen Erdbewegungen. Wo Mitteldevon- bis unter Oberdevonkalk und Kohlenkalk auftritt, fanden sich auch die Erze. Die Gruben von Eschbruch und Mützhagen bauen die Vorkommen im Kohlen- kalk ab. Gänge, Höhlenfüllungen, hydrometaso- matische Körper liefern die Erze. Die Erze sind sulfidisch als Schalenblende, Bleiglanz, Schwefelkies und Markasit, oxydisch als Galmei und Willamit vertreten. In Belgien gewann man bis 1900 aus 5 Gruben 233031 t Galmei, 27080 t Blende und 11 811 t Bleierz. In Moresnet gewann man von 1850 — 1904 2150000 t Galmei und die preußischen Gruben lieferten 195543 t Galmei, 201 619 t Blende und 1 1 624 t Bleiglanz. In Belgien ist der Blende- Bleiglanzbergbau im Erlöschen, denn im Jahre 191 2 betrug die Ausbeute i 167 t Zinkblende für 141 500 Fr. und 107 t Bleiglanz für 26850 M. N. F. XVI. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Woch enschrift. r8i Von 1854 — 1873 lieferten die belgischen Eisenerzgruben jährlich durchschnittlich 778 000 t. Heute sind viele Gruben eingegangen. Mit dem Belgisch-Luxemburger Minettevorkommen, Ver- witterungslagerstätten in der Campine zusammen beträgt die jetzige Jahresförderung 200000 t. Da- gegen brauclit Belgien jährlich 3 Millionen t. Vier Lager kann man unterscheiden: Das wenig- wichtige oolitiiische mitteldevonische Roleisenlager der Givetien in den Provinzen Namur und Lüttich, das sehr wichtige oberdevonische F'amennelager, daß das Kohlenlager von Lüttich und Namur ein- faßt und bis 2 m starke Lager aufweist. Die Erze haben hier 45 "/o und mehr, die ärmeren 29% Gehalt. Die Famenne-Erze kommen auf einer Fläche von 450 qkm vor, die Vs bauwürdig ist. Eine Erzplatte von i m Mächtigkeit, 15 qkm Fläche, von einem spez. Gewicht von 3,5 hätte 50 Millionen t. Erz. Die Eisenkarbonate des Steinkohlengebirges von Lüttich kommen für einen Abbau nicht in Frage. Die oolithischen Roteisenerze der Juraformation bei Longwy mit einer jetzigen jährlichen Ausbeute von 80000 t gelten als erschöpft. Bei Ligny und Tregrinne baut man gangförmige und hydro- metasomatische Eisenerze ab, die nicht nur auf die Provinz Namur, sondern auch in Hainaut und Lüttich sich finden. Sie sind an die Zerrüitungs- zonen der Kalkgebiete gebunden. In der Campine hat man in den Provinzen Antwerpen und Limburg das Verwitterungsprodukt eisenhaltiger Sande (Tertiär) abgebaut. I m mächtig in 40 — 50 cm Tiefe gewinnt man auf I ha 6 — booo t Erz. Das 3''/o Phosphor enthaltende Erz bildet sich sehr schnell (Gebiete, die man seit 1846 dreimal schon abgebaut hat) und enthält bis 5o"/o Eisen. Wegen des Phosphorgehaltes sah man die Erze, deren Vorrat man auf 7,5 Millionen t schätzt, sehr gern. Die Manganerzlagerstätten ließen eine sehr wechselnde Förderung zu. 1902 erreichte sie mit 14400 t die Höhe, um seit dieser Zeit immer mehr abzunehmen. Die Lagerstätten liegen im südlichen hohen Venn, im kambrisch-silurischen Kern der Ardennen. Die Erzlagerstätten ent- standen durch Oxydation und Verlehmung der Manganschiefer mit metasomatischer Verdrängung des Gesteins. In Polianit, Eisenmanganerz und Mangan-Schiefereiz tritt Mangan gewinnbringend auf. Phosphate kennt man aus der Kreide von Bergen bei Mons und bei Lüttich. Man baut Phosphatkalke ab. Die von Bergen zieht man wegen ihrer Eisenlosigkeit denen von Lüttich vor. R. Hundt, als Kriegsgeologe im Felde. Chemie. Das Kohlenoxysulfid (COS), das interessante gasförmige Zwischenglied zwischen Kohlendioxyd und Schwefelkohlenstoff, ist der Gegenstand einer neueren Veröffentlichung von A. Stock und E.Kuß aus dem Kaiser- Wilhelm- Institut für Chemie (Berichte d. D. Chem. Ges. 50 (191 7), Nr. i). Man erhält das Kohlenoxy- sulfid leicht und rein durch Zersetzen des käuf- lichen thiocarbaminsauren Ammoniums mittels Säure. Es wird durch Wasser langsam unter Bildung von Kohlendioxyd und Schwefelwasser- stoff angegriffen. Zur völligen Reinigung kann man das Kohlenoxysulfid mit flüssiger Luft kon- densieren und dann im Vakuum fraktioniert destil- lieren. In reinem , trockenem Zustand ist die Verbindung vollständig geruchlos. Bei Ausschluß von Feuchtigkeit hält sie sich auch in der Sonne bei Zimmertemperatur unverändert. Mit Baryt- wasser gibt sie im ersten Augenblick keine er- kennbare Reaktion, zum Unterschied von Kohlen- dioxyd; nach einigen Sekunden erfolgt eine Trübung, und bei längerem Schütteln wird das Gas vollständig absorbiert. Von Alkalilaugen wird es mehr oder weniger rasch absorbiert, wobei sich primär Thiocarbonat bildet. Dr. B. Versuche über die Löslichkeit von Kohlensäure in Chlorophyliösungen haben Robert Kremann und Norbert Schniderschitsch im Che- mischen Institut der Universität Graz ausgeführt; sie berichten darüber im letzten Heft des Jahr- gangs 1916 der Wiener Monatshefte für Chemie. Die Assimilation der Kohlensäure in den grünen Blättern ist bekanntlich eine photochemische Re- aktion, bei der das Chlorophyll als Katalysator wirkt. Da bei den meisten chemischen Reaktionen zunächst eine einfache Addition der reagierenden Stoffe vorhergeht, so liegt es nahe, anzunehmen, daß sich auch bei der Assimilation der Kohlen- säure zunächst eine Additionsverbindung von Kohlensäure mit Chlorophyll bildet. Zur Prüfung dieser P>age untersuchte Kremann mit seinem Mitarbeiter, ob und bis zu welchem Betrage Chlorophyll und Kohlensäure Additionsgleich- gewichte eingehen. Wenn ein derartiges Gleich- gewicht im Licht oder Dunkeln mit erheblichem Grade bestände, müßte die Löslichkeit der Kohlen- säure in einer geeigneten Lösung von Chlorophyll erheblich größer sein als im reinen Lösungsmittel. Es ergab sich also die Aufgabe, die Löslichkeit der Kohlensäure in Chlorophyliösungen mit der in den betreffenden reinen Lösungsmitteln zu ver- gleichen. Als Lösungsmittel wurde 95'7oiger Al- kohol gewählt, in dem das Blattgrün hinreichend löslich ist, und chemische Veränderungen dieser Substanz beim Lösen bei gewöhnlicher Temperatur nur in geringem Grade eintreten, also die in der Natur vorliegenden Verhältnisse sehr gut nachgeahmt werden. Die Versuche haben nun ergeben, daß die Löslichkeit von Kohlensäure in Alkohol und alkoholischen Chlorophyliösungen unter vergleich- baren Verhältnissen praktisch gleich ist. Die oben gestellte Frage ist also dahin zu beantworten, daß weder im Lichte noch im Dunkeln eine Addition von Kohlensäure durch Chlorophyll in alkoholischer l82 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 13 Lösung in analytisch nachweisbarem Betrage statt- findet. Ebenso konnte auch eine Adsorption von Kohlensäure durch in etwa 45''/„igem Alkohol aufgeschwemmtes kolloidales Chlorophyll in nen- nenswertem Betrage nicht beobachtet werden. Petrographie. Der charakteristische Bestand- teil der im wesentlichen auf das eigentliche Laacher See-Gebiet beschränkten grauen Trachyt- tuffe ist der nach H. v. Dechen sog. „Laacher Trachyt". An der Hand einer großen Reihe von Analysen uniersuchte nun R. Braun's die Be- ziehungen desselben zu anderen Gesteinen dieser Gegend (Neues Jahrb. f. Mm. usw., Beil.-Bd. 41, 420, 1916). Man unterscheidet den hellen und dunklen Laacher Trachyt, die recht verschieden in ihrer Zusammensetzung sind, zwischen denen jedoch eine kontmuierliche Ubergangsreihe be- steht. — Der helle Laacher Trachyt, das ver- breiteste Gestein im engeren Gebiet des Sees, ist mit dem weißen Bimsstein und dem Dachsbusch- trachyt der benachbarten Lagerstätten so nahe verwandt, daß alle drei als aus einem Magma stammend betrachtet werden können. Die Unter- schiede im Habitus sind auf die Wirkung der ge- spannten Gase, die am Anfang der Eruption — beim weißen Bim->stein — am stärksten war. Man kann diese Gesteme ihrer Zusammensetzung nach als phonolithoide Trachyte bezeichnen. Eine kleine Gruppe dieser Auswürflinge zeigt mehr den Cha- rakter trachytoider Phonolilhe; ihre Bildung kann durch geringfügige Spaltungen im Magma und Auflösung kristalliner Schiefer erklärt werden. Beim Dachsbuschtrachyt fehlt im Gegensatz zum Laacher Trachyt und weißen Bimstein der Hauyn, dagegen führt er häufig Nosean, der wahrscheinlich nachträglich pneumatolytisch gebildet worden ist. Der dunkle Laacher Trachyt erhält seinen Namen nur durch seinen Zusammenhang mit dem hellen Trachyt. Er nähert sich chemisch mehr den tephritischen Laven des Gebietes. Hier hat wahrscheinlich trachytisches Magma in der Tiefe Bestandteile tephritischer (lesteine aufgenommen. Die genannten Laven sind die ältesten und zu- gleich basischsten Ergußgesteine des Laacher See-Gebietes. Dann folgen nach Alter und Säure- gehalt: Noseanphonolithe, weißer Bimsstein und als jüngstes der Laacher Trachyt. Ob der noch säurereichere Dachsbuschtrachyt noch jünger ist, läßt sich bis jetzt nicht entscheiden. Den Aus- wurfmassen des Laacher Gebietes fehlt im Gegen- satz zu den Noseanphonolithen und Leuzitphono- liihtuffen des Riedener Gebietes der Leuzit voll- kommen, ohne daß es bisher gelungen wäre, eine Erklärung dafür zu finden. — Verf weist dann noch auf die Möglichkeit hin, daß sich aus Laacher Trachyt pneumatolytisch Hauynsanidinit entwickeln kann Er nimmt an, daß in der Tiefe unter dem Einfluß heißer Gase eine Um- kristallisation stattgefunden hat. Darauf deuten vor allem die Auswürflinge vom Charakter der Nephelinsynite im Riedener Gebiet hin. Scholich. Meteorologie. Bemerkenswerte Unterschiede in der vertikalen Gliederung der täglichen Wind- periode in Zyklonen und Antizyklonen konnte W. Koppen an der Windmeßstelle Eilvese feststellen (Ann. d. Hydrogr. 44, 537, 191 6). Sechs Anemographen registrieren dort die Windstärke in 2 bis 124 m Höhe. Die Pentadenmittel zeigen bei zyklonaler Wetterlage in allen Höhen ein Maximum der Windstärke zu Mittag und ein Minimum in der Nacht. In der Antizyklone zeigt sich bereits von etwa 80 m Höhe aufwärts eine ausgesprochene Umkehrung dieser Periode und zugleich die Überlagerung einer schwachen Doppel- periode. Bemerkenswerte Unterschiede im Tages- mittel der Windstärke waren dabei nicht zu be- obachten, wie früher bei ähnlichen Untersuchungen von Hellmann, Hergesell und Spitaler. Verf führt daher die Unterschiede auf das ver- schiedene Maß des vertikalen Luftaustausches zu- rück. Frühere Arbeiten hatten ergeben, daß der Austausch die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den Schichten verringert. Steht bis zu einigen hundert Metern über dem Erdboden eine bestimmte Luftschicht mit höheren im Austausch, so wird die Windgeschwindigkeit in ihr erhöht, durch eine tiefere aber vermindert. Dement- sprechend ist bei der Tag und Nacht fortdauernden Abnahme der Temperatur mit der Höhe in den unteren Luftschichten der Zyklone ein fort- währender vertikaler Luftaustausch bis weit über 120 m Höhe vorhanden, so daß auch in dieser „Zirkulationsschicht" durchweg die gleiche Perio- dizität des Windes zu beobachten ist. Dagegen lagert in der Antizyklone des Nachts eine starke Temperaturumkehr auf dem Boden, in der keine merkliche vertikale Zirkulation stattfindet. Durch die Erwärmung des Bodens hebt sich des Morgens diese „Sperrschicht" in die Höhe. Die unmittelbar unter ihr liegende Luft vermag nur mit den tieferen Schichten in Austausch zu treten. So wird am Vormittag in einer bestimmten Höhe etwa zur Zeit des Durchganges der unteren Grenze der Inversion ein Minimum der Windgeschwindigkeit eintreten. Durch weitere Ausrüstung der Wind- meßstelle insbesondere mit Thermohygrographen sollen diese Verhältnisse noch eingehender unter- sucht werden. Scholich. N. F. XVI. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 183 Bücherbesprechuugen. Wasmann, S. J. E., Das Gesellschafts- leben der Ameisen. Das Zusammenleben von Ameisen verschiedener Arten und von Ameisen und Termiten. Gesammelte Beiträge zur sozialen Symbiose bei den Ameisen. 2. be- deutend vermehrte Auflage. I. Band. XVIII u. 413 S. Mit 7 Tafeln und 16 Figuren im Texte. Münster i. W. 191 5, Aschendorff'sche Verlags- buchhandlung. — Preis 12 M. Seit 12 Jahren war des Verfassers Buch „Die zu- sammengesetzten Nester und gemischten Kolonien der Ameisen" (1891) völlig vergriffen. Anstatt eine Durcharbeitung auf veränderter Grundlage vorzunehmen, entschloß Wasmann sich, einen Neudruck zu veranstalten unter Beibehaltung der Seitenzahlen der ersten Auflage. Anmerkungen verweisen auf die seither gemachten Fortschritte, die in den folgenden Teilen des Werkes besprochen werden. Die zweite Hälfte bringt die Neuauflage der verschiedenen Abhandlungen über „Neues über die zusammengesetzten Nester und die ge- mischten Kolonien der Ameisen", unter starker Vermehrung des Inhalts auf Grund seither ge- machter Beobachtungen. Leider verbietet der jetzt herrschende Raum- mangel ein näheres Eingehen auf den Inhalt des eine unendliche Fülle interessanter Tatsachen bietenden Werkes, dessen II. Band noch aussteht und wohl erst nach Beendigung des Krieges er- scheinen dürfte. In diesem II. Bande soll einer- seits die Stammesgeschichte der Sklaverei und des sozialen Parasitismus behandelt und anderer- seits eine ganz neu ausgearbeitete kritische Über- sicht über die Tatsachen der sozialen Symbiose bei den Ameisen und über die zu ihrer Erklärung aufgestellten Hypothesen gegeben werden. Während andere Werke (Escherich, Wheeler) eine zusammenfassende Darstellung des ganzen Ameisenlebens bieten, hat Wasmann, dessen ausgezeichnete, wissenschafthch gründliche Leistungen auf diesem Gebiete nicht weiter hervor- gehoben zuwerden brauchen, in der vorliegenden Arbeit nur das Gesellschaftsleben der Ameisen, d. h. die Beziehungen dargestellt, die in den zu- sammengesetzten Nestern und den gemischten Kolonien zwischen Ameisen verschiedener Arten oder Rassen und zwischen Ameisen und Termiten walten. Zugleich ergiebt sich durch die besondere Art der Veröffentlichung ein lehrreicher Überblick über die Geschichte der biologischen Theorien und deszendenztheoretischen Betrachtungen. Besonderes Interesse verdienen auch die Aus- führungen über die Psychologie der Ameisen- gesellschaften. Hier liegt die Gefahr nahe, daß der Verfasser als Jesuitenpater aus dogmatischen und sonstigen Rücksichten von der Bahn streng wissenschaftlicher Forschung abgleiten könne. Das Gebiet liegt aber so günstig, daß die Forschungsergebnisse nicht hierdurch berührt er- scheinen, trotzdem mancherlei besondere Auf- fassungen dadurch gezeitigt werden. So heißt es beispielsweise bei der Ablehnung einer Ameisenintelligenz in bezug auf den Instinkt der Amazonenameise (Polyergus): „aber mit einer kunstreichen Maschine hat er" (nämlich dieser Instinkt) „doch die eine treffende Ähnlichkeit, daß die Intelligenz, welche das ganze Getriebe der Federn und Rädchen geordnet, nicht im Tiere selber zu suchen ist, sondern in einem höheren Werkmeister" (p. 205). Tatsache ist, daß die Re- sultate, die bei Wasmann über die Psychologie der Ameisen herausspringen, sich so gut wie völlig decken mit den Ergebnissen, die bei anderen staatenbildenden Insekten — den Bienen — auf diesem Gebiet seitens der Referenten gewonnen wurden. Auch hier mußten eine eigentliche In- telligenz und die Vermenschlichungen abgelehnt werden, die so vielfach in diese Insektenkolonien hineingeheimnißt worden sind. Für die Stellung Wasmann's zur Deszen- denztheorie genüge folgender Satz: „Wir können daher mit vollem Recht sagen, daß die Deszendenz- theorie allein uns den Schlüssel biete zum ein- heitlichen Verständnis der Erscheinungen des Sklavenhaltens und des sozialen Parasitismus bei Ameisen" (p. 334). Das Werk, über das beim Erscheinen des II. Bandes noch Eingehenderes zu sagen sein dürfte, erscheint für den Ameisenforscher un- entbehrlich und bietet auch weiteren Kreisen viel Interessantes, zumal die Darstellung eine leicht verständliche ist. v. Buttel-Reepen. Sommer, G., Geistige Veranlagung und Vererbung. ,,Aus Natur und Geisteswelt", Bd. 512. B. G. Tcubner, Leipzig-Berlin 1916. Das vorliegende Büchlein, eine der letzten Errungenschaften der Teubnerschen Sammlung, bedeutet für sie einen recht schönen Zuwachs. Klar und fließend werden die nicht immer gerade leichten Probleme entwickelt und erörtert, so daß der Leser von Anfang bis zum Ende gefesselt ist. Nach kurzen Vorbemerkungen über die Grund- lagen der Vererbungsforschung auf psychischem Gebiet werden die psychischen Eigenschaften und damit die Grundzüge der Psychologie überhaupt besprochen, sodann das körperliche Substrat der Seele, das Nervensystem; inwieweit hier die physio- logische Forschung mit der Psychologie Hand in Hand zu gehen vermag, ersehen wir aus diesem Kapitel. In dem Abschnitt „Die ererbte seelische Konstitution" werden dann diese Fäden weiter gesponnen und insbesondere die Anwendung der X'ererbungslehre auf seelische Eigenschaften im allgemeinen näher zergliedert. Am anziehendsten wirkt dann aber das nächste Kapitel, das sich mit speziellen Anlagen, Instinkt, Sprache, Be- gabung, Talent und Genie, und ihren Beziehungen zur Vererbung beschäftigt. Mannigfache Beispiele [84 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 13 aus Geschichte und Literatur beleben dies Kapitel auf das Vorteilhafteste. Auch das letzte Kapitel, das sich mit der Vererbung im Individualleben erworbener psychischer Eigenschaften beschäftigt, hat dieselben Vorzüge und gibt außerdem einen lehrreichen Beitrag zur Frage der Vererbung er- worbener Eigenschaften überhaupt. Nicht nur gebildeten Laien, sondern auch engeren wissen- schaftlichen Kreisen dürfte dies Büchlein wertvoll sein. Hübschmann. ist aber nicht zu leugnen, daß diese leicht faßliche Physiologie des Menschen dem wißbegierigen Laien von Nutzen sein wird. Hübschmann. Sachs, H., Bauund Tätigkeitdesmensch- lichen Körpers. „Aus Natur und Geistes- welt" Bd. 32. 4. Auflage. B. G. Teubner, Leipzig- Berlin. 19 16. Das Büchlein stellt eine Einführung in die Physiologie des Menschen dar. Der Sache und dem Zweck entsprechend sind aber auch die anatomischeu Verhältnisse recht genau geschildert. Das Buch gliedert sich in vier Abschnitte. Der erste behandelt allgemeine Gesichtspunkte: der Körper wird als Zellenstaat bezeichnet, seine Funktionen mit denen einer Maschine verglichen, wobei einige chemische und physikalische Gesetze kurz gestreift werden, endlich die Art seiner Erhaltung, insbesondere durch Zuführung der Nahrungsmittel, geschildert. Der zweite Abschnitt handelt von der Ernährung, bzw. den vegetativen Funktionen: Verdauung, Blutumlauf, Atmung, Ab- sonderung, einschheßlich der Drüsen mit innerer Sekretion, und der VVärmeproduktion. Das dritte Kapitel spricht von den Leistungen des Körpers: Funktion der Knochen und Gelenke, der Muskeln, des Nervensystems und der Sinnesorgane. Der vierte Abschnitt endlich enthält die Lehre von der Entstehung neuer Zellen und Organismen. — Die Darstellung ist sehr populär und leicht ver- ständlich, oft durch Bilder aus dem alltägUchen Leben unterstützt, die Abbildungen sind rein schematisch. Das Erscheinen des Büchleins in vierter Auflage spricht für seine Beliebtheit. Um so mehr ist es vielleicht angebracht, bei ferneren Auflagen etwas anspruchsvoller gegen die Leser zu werden, vielleicht auch hier und da das Tat- sachenmaterial noch etwas zu kontrollieren. Nur ein Beispiel möchte ich bemerken. Daß der Besprechung des menschlichen Kostmaßes die Voit'schen Zahlen ohne Kommentar zugrunde gelegt werden, kann zumal in der jetzigen Zeit nur verwirrend wirken. — Im ganzen genommen Anfangsgründe der Chemie und Mineralogie. mit besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse des praktischen Lebens. 9. erw. Auflage. Unter Mitwirkung von W. Haber, Hildesheim, neubearbeitet von M. Mittag, Cöthen. Mit 112 in den Text gedruckten, z. T. farbigen Abbildungen und einer farbigen Nahrungsmiitel- tafel. Hildesheim und Leipzig 1916. August Lax, Verlagsbuchhandlung. Das äußerlich unscheinbare Büchlein hat einen erfreulich gediegenen Inhalt. Die Notwendigkeit, zu vereinfachen und gemeinverständlich im Aus- druck zu sein, führt hier und da natürlich zu Kompromissen in der Darstellung des Stoffes; trotzdem sind Unrichtigkeiten und offenbare Ver- flachungen des Themas vermieden. Überall wird geschickt angeknüpft an die Bedürfnisse des täg- lichen Lebens, und auch die volkswirtschaftliche Bedeutung der Chemie findet gebührende Hervor- hebung. Daß die im Kriege erschienene Neu- auflage auch die Wichtigkeit der Chemie für Deutschlands Heer und Volk betont, ist selbst- verständlich. Der Leser, der das Büchlein mit Verständnis durchgearbeitet hat und sich auch über die zahlreichen Fragen am Schluß jedes Kapitels Gedanken gemacht hat, wird es, auch wenn ihm chemische Vorkenntnisse gefehlt haben, reich belehrt wieder aus der Hand legen. (Für die nächste Auflage ein kleiner Wunsch des Re- zensenten : Streichung des Wortes „Asche", das häufig an Stelle von Oxyd gebraucht wird; der- artige termini technici durch deutsche Wörter er- setzen zu wollen, heißt das Wesen der Sprach- reinigung verkennen 1) Bugge. StofT und Kraft im Kriege. Von Prof. Dr. V. Pöschl, Direktor des Instituts für Waren- kunde an der HandelsHochschule Mannheim. Verlag von J. Bensheimer. Mannheim, Berlin und Leipzig. 1916. — Preis 1,20 M. Eine nützliche kleine Broschüre, die in an- schaulicher Darstellung schildert, was Chemie und Physik im Kriege von heute leisten. Ein Anhang geht näher aut Einzelheiten ein; auch die ge- schichtliche Entwicklung der Kriegswerkzeuge und -hilfsmittel wird gestreut. Bugge. Inhalts ü. Tascheaberg, Einige Betrachtungen über die Begriffe Parasit, Raubtier und Pflanzenräuber. (Schlufl.) S. 169. — Einzelberichte: V. Hohenstein, Die schwabischen Eisenerzvorkommen. S. 179. Krusch, Über die Bodenschätze Belgiens. S. 179. A. Stock und E. Kuß, Das Kohlenoxysulfid. S. l8i. Robert Kreraann und Norbert Schniderschitsch, Versuche über die Löslichkeit von Kohlensäure in Chlorophyllösungen. S. 181. R. Braun, „Laacher Trachyt". S. 182. W. Koppen, Vertikale Gliederung der täglichen Windperiode in Zyklonen und Anti- zyklonen. S. 182. — Bücherbesprechungen: E. Wasmann, Das Gesellschafisleben der Ameisen. S. 183. G. Sommer, Geistige Veranlagung und Vererbung. S. 183. H. Sachs, Bau und Tätigkeit des menschlichen Körpers. S. 184. M. Mittag, Anfangsgründe der Chemie und Mineralogie. S. 184. V. Pöschl, Stoff und Kraft im Kriege. S. 184. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 8. April 1917. Nummer 14. Der Arbeitsrhythmus der Ganglienzellen. [Nachdruck verboten.] Von Gottwalt Chr. Rhythmische Vorgänge aus unserem eigenen Körper sind jedem eine ganze Anzahl bekannt: z. B. die Herzarbeit, die Atmungsarbeit, Wachen und Schlafen. Die Physiologie ist nun seit ihrem Entstehen darauf aus, das Wesen solcher perio- discher Erscheinungen, das heißt ihre Bedingung;en näher zu analysieren. Aber wie schwer das ist, zeigt die Tatsache, daß es bisher weder für die Herz- noch die Atemperiodizität vollkommen ge- lungen ist, ihre Bedingungen aufzudecken; über viele Punkte herrschen große Meinungsverschieden- heiten, über andere haben wir nicht einmal eine Meinung. Der Grund dafür ist einfach der: das Arbeitssystem, welches in beiden Fällen rhythmisch arbeitet, ist sehr kompliziert, setzt sich aus so vielen Einzelsystemen, die sich gegenseitig be- einflussen, zusammen, daß es bis heute schwierig ist, in das Getriebe eines solchen Teils hineinzublicken. Schwieriger noch ist es, das Ganze zu überschauen. Ebenso steht es mit den Untersuchungen des Rhythmus pflanzlicher Organismen. Man hat infolgedessen sich mit der Arbelt kleinerer Arbeitssysteme beschäftigt, hat deren Rhythmus beobachtet und zu ihrem Verständnis manches gewonnen. Es stellte sich dabei heraus, daß vielerlei lebendige Systeme imstande sind, rhythmisch zu arbeiten: z. B. Muskeln, Nerven, Ganglienzellen. Ich möchte hier den Rhythmus der letzten: der Ganglienzellen referierend ab- handeln, indem ich mich vorwiegend dazu jenes schönen Werkes Verworn's bediene: Erregung und Lähmung (Jena 1914), das, als Muster- beispiel starker gedanklicher Verarbeitung eines Tatsachenmaterials, über den Rhythmus der Ganglienzellen zerstreut Ausgezeichnetes bringt, das auch für weitere Kreise interessant ist. Um die Bedeutung der Ganglienzellarbeit zu würdigen, wollen wir aus ihren Aufgaben einen Teil herausschneiden. Es ist jedem bekannt, daß die Bewegung, also die Kontraktion der Glied- maßenmubkeln, in hohem Maße von der Erregung durch Ganglienzellen abhängt. Es hat nun seiner- zeit berechtigtes Aufsehen erregt, als man fand, wie groß die Anzahl der Muskelkontraktionen in der Sekunde sein kann, fand man doch bei In- sekten weit über 100, für die Stubenfliege sogar 330 Kontraktionen in der Sekunde. Es ist nun wahrscheinlich, daß jede solcher einzelnen Kon- traktion auf einer besonderen Erregung durch Reize der betreffenden Ganglienzellen des Insektes beruhen. Auch wenn wir Menschen einen Muskel Hirsch, z. Zt. im Felde. längere Zeit hindurch anspannen, so erhält er von seinen Ganglienzellen in der Sekunde viele Impulse, deren Zahl man früher auf 20 — 50 angab, neuerdings auf 120 — 180 schätzt. Tatsache ist also, daß die Ganglienzellen in großer Zahl Impulse in rhythmischer Folge aussenden können; ob nun alle Muskelkontraktionen in der Sekunde allein auf das Diktat der Ganglienzellen zurückgeführt werden können, oder ob die Muskeln auch in diesen Fällen den Rhythmus der Impulse transformieren in einen besonderen Eigenrhythmus, diese Frage steht noch offen, und wir begnügen uns zu- nächst mit der Arbeit der Ganglienzellen, deren Bedeutung einleuchtet. Wir erforschen die Arbeit der Ganglienzellen so, daß wir sie vermittels des elektrischen Stromes (oder durch andere Einwirkungen) in verschiedener Stärke, Dauer und Reizfolge reizen und nun den Reizerfolg beobachten entweder an den Zuckungen desjenigen Muskels, welcher zu den betreffenden Ganglienzellen gehört, oder an den Schwankungen eines Saitengalvanometers. Die zunächst zu be- obachtenden Tatsachen sind sehr einfach: reizen wir z. B. die motorische Sphäre des Großhirns am Hund mit langsam aufeinanderfolgenden In- duklionsschlägen , so bewirkt jeder Reiz eine Zuckung in dem zugehörigen Muskel. Wenn wir jetzt die Reize schneller aufeinander folgen lassen, so ruft nicht mehr jeder Reiz, sondern nur noch jeder zweite, dritte oder vierte eine Muskelzuckung hervor. Es wird also nicht mehr nach Diktat gearbeitet, sondern nach einem Eigenrhythmus, nur unter Mitwirkung der fremden Reize. Dasselbe zeigt sich, wenn die Erregbarkeit der Ganglienzellen durch Strychnin stark erhöht wurde; dann genügt ein einziger Öffnungsinduktionsschlag auf die Ganglienzellen, um eine lange Reihe rhythmischer Impulse in diesen auszulösen, d. h. ein unrhythmischer Reiz wird rhythmisch (im Eigenrhythmus) beantwortet. In dem ersten Falle dagegen wurde ein rhyth- mischer Reiz in demselben Rhythmus beantwortet; Verworn nennt einen solchen einen exonomen, dagegen den zweiten Fall (Eigenrhythmus) einen endonomen Rhythmus. ') Von der Exonomie wollen wir nun in der Folge ganz absehen, weil hier die Bedingungen klar sind. Dagegen soll ■ uns jetzt bei dem endonomen Rhythmus die Frage beschäftigen: welches sind die Bedingungen 1) Von weiteren begrifflichen Fassungen anderer Eigen- rhythmen, die Verworn gibt, sehe ich hier ab. Zur Nomen- klatur des Eigenrhythmus s. Hirsch, Gottwall, Arbeits- rhythmus der Verdauungsdrüsen. Biol. Zenlralbl. 1917. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 14 eines solchen rhythmischen Vorgangs, wie ent- steht er? Zunächst ist es eine alte Beobachtung, daß dieser Rhythmus aus einer Folge von Perioden besteht, von denen jede aus einem Impuls und der darauf folgenden Pause sich zusammensetzt; auch ein konstanter Reiz vermag in den Ganglien- zellen nicht einen konstanten Impuls zu wecken, den diese durch den Nerven versenden, sondern immer nur den Wechsel: Impuls -Pause -Impuls- Pause usw. Darin also besteht zunächst das Wesen des endonomen Rhythmus, daß diese zwei Phasen: Impuls und Pause notwendig hinter- einander koordiniert sind, mag nun ein ein- zelner, ein rhythmischer oder ein dauernder Reiz die Ganglienzellen treffen. Um noch tiefer einzudringen, machen wir uns klar, was auf den die Zellen treffenden Reiz in ihnen geschieht. Verworn hat hier eine Theorie aufgestellt, die auch an anderen Objekten eine Bestätigung erfahren hat. Es befindet sich die Zelle, wenn kein Reiz sie trifft, im sogenannten „Ruhestoffwechsel", d. h.: Aufbau und Abbau halten sich die Wage. Der Begriff „Ruhe" ist natürlich nicht als ein völliger Stillstand der P'unktionen anzusehen, vielmehr nur als ein Gleichgewicht von Einnahme und Ausgabe der Zelle, verbunden mit chemischem Gleichgewicht des zellulären Systems. Trifft nun ein Reiz die Zelle, so wird der Ruhestoffvvechsel dadurch gestört, daß an einem bestimmten, be- sonders labilen Punkte des Stoffwechsels plötzlich ein Körper zerfällt; die uns heute näher bekannten Reize haben vorzüglich diese dissimilatorische Wirkung. Dieser plötzlich zerfallende Teil des sich in der Zelle abspielenden Ruhestoffwechsels ist der „primäre Angriffspunkt des Reizes"; der Zerfall ist dessen erste Wirkung. Diesen plötzlichen Abbau eines bestimmten Körpers stellt auch nach außen die erste spezi- fische Arbeitsleistung des betreffenden Systems dar, in unserem Falle den Impuls der Ganglien- zelle. Der Abbau kann durch mannigfache Änderung der Lebensbedingung der Zelle hervor- gerufen werden ; z. B. auch durch erhöhte Tempe- ratur: bringe ich meinen Frosch in einen Wärme- kasten von 40" C, so zeigen sich an ihm in Kürze tetanische Krämpfe, was vermutlich darauf zurück- zuführen ist, daß die „Temperatursteigerung den Umfang des Ruhestoffwechsels mehr und mehr erhöht. Damit steigt die Erregbarkeit, bis ausschließ- lich explosionsartige Entladungen erfolgen." Wäre es nun möglich, daß dieser explosions- artige Abbau in gleichem Maße fortschritte, so- lange ein gleichmäßiger Reiz die Zelle trifft, dann würde der Impuls der Zelle auch gleichmäßig dem Nerven zufließen. Da dies letztere aber nicht geschieht, so ist offenbar, daß der Abbau einmal sein Ende haben muß, d. h. der abgebaute Körper muß ersetzt werden. Nach einiger Zeit setzt also eine „Restitution" in der Zelle ein. Diese besteht erstens in einem Ersatz des ab- gebauten Körpers. Dies kann entweder aus den Vorratskammern der Zelle geschehen oder durch sofortige Neubildung der betreffenden Substanz. Zweitens aber ist für die Begrenzung des Abbaus eine andere Bedingung wichtig, zum Abbau ge- hört Sauerstoff. Besitzt die Zelle ihn nicht mehr ausreichend, so muß sie den Abbau einstellen, was sich in einem Nichtreagieren auf die äußeren Reize kundtut: die Zelle erstickt, wird gelähmt. Das konnte Verworn's Schule demonstrieren durch Versuche, bei denen das Blut eines Frosches ersetzt wurde durch kreisende physiologische Kochsalzlösung, die sauerstofffrei gemacht war. Die Pausen der Ganglienzellarbeit wurden immer länger, bis zuletzt die Zellen nicht mehr erregbar waren; wurde dann aber sauerstoffhaltige Koch- salzlösung durchgespült, so trat die Erregbarkeit wieder auf Die dritte Bedingung ist die Fortschaffung der Abbaureste vor allem durch den Blutstrom. Zirkulierte in den Versuchen die Kochsalzlösung nicht, sondern stand in den Gefäßen, dann trat die Nichterregbarkeit erheblich schneller ein als beim zirkulierenden Strom. Häufen sich also die Abbauprodukte in den Zellen an, so wird der Abbau ebenso begrenzt wie durch Sauerstoff- mangel. Neubau der abgebauten Substanz, Sauerstoff- zufuhr und Resteabfuhr sind also vorzügliche Be- dingungen der Reizfähigkeit, d. h. desjenigen Stoff- wechsels, der auf den Reiz hin einsetzt, des Reiz- stoffwechsels. Ob er von dem Ruhestoffwechsel qualitativ verschieden ist, das müssen weitere Untersuchungen lehren, jedenfalls ist er bezüglich der Zeit seines Ablaufs verschieden, so daß man wohl den die Zelle treffenden Reiz als einen Be- schleuniger (Katalysator) bezeichnen kann. Die primäre Reizwirkung ist der Zerfall eines bestimmten Körpers in der Ganglienzelle, die se- kundäre Wirkung dagegen das Einsetzen der Restitution dieses Körpers. Diese Wiederher- stellung ist (nach Hering) die „Selbststeuerung des Stoffwechsels" genannt worden. Durch die primäre Reizwirkung ist das Gleichgewicht der Zelle gestört und dieses wird nun durch eine Reihe von Arbeiten selbsttätig wiederhergestellt; dies erfolgt vermutlich, indem die Zelle aus den Reserven Stoffe herbeiholt oder sie neubaut und indem der Organismus Sauerstoff liefert und Reste fortschafft. Diese Beteiligung des Organismus hat aber letztenendes und direkt mit dem Aufbau des spezifischen Stoffes nichts zu tun, sondern ist nur eine allgemeine Arbeitsbedingung der Zelle, ebensowenig wie Kohlt-nzufuhr und Aschen- abfuhr nicht besondere Bedingungen des spezi- fischen Arbeitsablaufs in der Maschine sind, sondern nur allgemeine Bedingungen unendlich verschie- dener Maschinen. N. F. XVI. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. [87 Während dieser sekundären Reizwirkung, der Restitution, ist die GangUenzelle nicht erregbar; wir bemerken eine Pause nach dem Impuls. Ein solches Stadium der Unerregbarkeit nennt man allgemein das Refra ktärstadiu m, welches bei sehr verschiedenen lebenden Systemen zu be- obachten ist. Der erste Versuch über ein Re- fraktärstadium bei Ganglienzellen ist folgender- maßen aufgestellt worden: ein Hund hatte Veitstanz, und gewisse Muskeln zuckten rhythmisch in Intervallen von I Sekunde; wurde nun seine Großhirnrinde elektrisch gereizt, so zeigte es sich, daß 0,5 Sekunden nach einer Zuckung die Ganglien- zellen nicht erregbar waren, in den darauffolgenden 0,25 Sekunden nur schwach, in weiteren 0,25 Se- kunden voll erregbar. Es befanden sich also 0,5 Sekunden nach einem Anfall die Ganglien- zellen im Refraktärstadium. Seitdem ist für die normale Großhirnrinde ein solches von o, i Sekunden festgestellt; ferner ist ein solches bei dem Lidreflex, dem Hautreflex und dem Kniereflex beobachtet. Das Refraktärstadium findet seine natürlichste Erklärung in jener Restitution, hervorgerufen durch die Selbststeuerung des Stoffwechsels. Solange derjenige Körper, auf den der Reiz primär einwirkt, nicht neugebildet ist, solange nicht Sauer- stoff herbei — und Abfallstoffe fortgeschafft sind — , solange ist die Zelle nicht reizbar, sie ist refraktär. Daß vielleicht außerdem noch andere Bedingungen eine Herabsetzung der Erregbarkeit herbeiführen können, ist möglich. Wenn wir eine Ganglienzelle in einer rhyth- mischen P'olge reizen, so kommt es für den Erfolg also darauf an, ob die Zeitspanne zwischen unseren Reizen so weit ist, daß die Zelle Zeit hat, den zerfallenden Körper neu aufzubauen oder ander- weitig zu ersetzen. Es kommt also nicht nur auf die Qualität und Quantität des Reizes an, sondern auch ebenso auf den Zustand, in welchem der Reiz das lebendige System gerade antrifft. Wir können uns das an folgendem Bild veran- schaulichen. Der Schlagbolzen eines Maschinen- gewehres löst in seiner primären Wirkung durch Explosion einer gewissen Pulvermenge den Schuß aus; ehe aber ein neuer Schlag des Bolzens einen neuen Schuß auslösen kann, muß eine bestimmte Kette von Vorgängen in dem System des Maschinengewehres abgelaufen sein, welche die sekundäre Wirkung des Schlages vorstellt: Heraus- werfen der alten Hülse, Neuspannung der Feder, Hineinschieben einer neuen Patrone. Es ist selbst- verständlich, daß der Schlagbolzen, wenn er in der Zeit dieser Vorgänge aufschlüge, kein Pulver zur Entzündung bringen könnte: das System be- findet sich im „Restraktärstadium" solange, bis derjenige Zustand wiederhergestellt ist, von dem der Kreislauf der Geschehnisse bei der Reizwirkung ausging. Ich sprach oben von der Koordination der Geschehnisse in der Ganglieiizelle: Impuls- Pause - Impuls - Pause usw. ; die Notwendigkeit einer solchen Koordination wird durch die Annahme der Restitution des ursprünglichen Zu- standes ver.ständlich. Aber auch innerhalb der Restitutionszeit spielt die Koordination der Ge- schehnisse eine ausschlaggebende Rolle; wir wissen es bei anderen Reizwirkungen genauer als bei Ganglienzellen, daß die Restitution sich in ganz bestimmten Bahnen, die diesen Zellen eigentümlich sind, abspielen muß. Ist es doch derjenige Stoff, der auf den Reiz hin „explodiert" und die nach außen erkennbare primäre Reizwirkung darstellt, ein spezifischer Stoff, dessen Neubau sich in be- stimmten spezifischen Bahnen abspielen muß. Es kommt uns bei diesem Neubau wesentlich darauf an, in welcher Zeit er sich vollziehen kann; hängt doch davon die Zeit ab, binnen der die Ganglienzellen wieder erregbar, das heißt arbeits- fähig sind. Es kommt also auf die Reaktions- geschwindigkeit des betreffenden lebenden Systems an. Die Ganglienzellen und in noch höherem Maße die Nerven gehören nun zu den Systemen mit großer Reaktionsgeschwindigkeit, das heißt die abgebaute Substanz wird mit großer Schnelligkeit wieder ersetzt. Ferner kommt es für die Wiedererregbarkeit, die Überwindung des Refraktärstadiums, sehr darauf an, ob das betreffende lebendige System auf einen bestimmten Reiz hin viel oder wenig der labilen „Angriffssubstanz" — wie ich mal kurz sagen möchte — abbaut. Wird viel abgebaut, so ist die Zeit der Erneuerung dieser Substanz, der Zufuhr von neuem Sauerstoff und Abfuhr von Resten natürlich länger als bei geringem Abbau. Vergifte ich z. B. die Ganglienzellen des Frosch- rückenmarkes mit Strychnin, so wird die Erreg- barkeit, will sagen die Reaktionsgeschwindigkeit in der Zelle, so sehr erhöht, daß auch schwächere Reize, die in den normalen Zellen noch gar keine Reaktion erzeugen, hier bereits eine vollständige „Entladung" hervorrufen und daß es vor allem nicht möglich ist, durch mehrere aufeinander- folgende Reize die Reaktion zu summieren. Bei anderen lebendigen Systemen wird die vollständige Entladung auf einen bestimmten Reiz auch im normalen Zustand beobachtet; das heißt, es löst hier jeder überhaupt wirksame Reiz sogleich eine maximale Wirkung aus, die durch stärkere Reize also nicht überboten werden kann. Man hat diese Erscheinung das „Alles-oder-Nichts- Gesetz" genannt, weil ein Reiz alles oder Nichts hervorruft. Zuerst glaubte man, daß diese Er- scheinurg eine spezifische Eigentümlichkeit be- stimmter lebendiger Systeme, z. B. des Herzens wäre. Sollte es sich jedoch bewahrheiten, daß — wie Verworn meint — sich das Alles - oder - Nichts - Gesetz auch bei der einzelnen Nerven- fibrille oder der einzelnen Muskelzelle und Ganglienzelle bestimmten Erregbarkeitsgrades findet, dann wäre dies Gesetz der Ausdruck eines Erregbarkeitsgrades jedes lebenden Systems, aber nicht mehr der Ausdruck einer spezifischen chemischen Struktur eines besonderen lebenden Systems. — Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 14 So ergibt sich im ganzen eine ziemlich klare Vorstellung von der primären und sekundären Wirkung der Reize. Sie ist vor allem dann klar, wenn wir einen konstanten Reiz auf die Ganglienzelle einwirken lassen, auf den sie nur rhythmisch antwortet. Dieser plötzlich einsetzende Reiz ruft einen starken Abbau der Angriffssubstanz in der Zelle hervor, der bis zu einem Grade fort- schreitet, welcher im Verhältnis steht zum Reiz und zu den inneren Bedingungen der Zelle. Ist also eine gewisse Menge der Substanz abgebaut, dann setzt die Restitution ein und mit ihr die Unempfindlichkeit, das Restraktärstadium. Ist darauf eine gewisse Menge der Angriffssubstanz wieder erneuert und ist — wie in normalen physiologischen Umständen wohl meist — ge- nügend Sauerstoff vorhanden und sind die Abfall- produkte fortgeschafft, hat sich also ein kreis- förmiger koordinierter Vorgang abgespielt, dann ist der Dauerreiz erneut wirksam, eine neue Menge Angriffssubstanz wird abgebaut, bis das Refraktärstadium mit seiner Restitution erneut eintritt. Also die Erklärung des Eigenrhythmus bei kon- stantem Reiz. Bei rhythmischem Reiz, der in einem Eigenrhythmus der betreffenden Ganglien- zelle transformiert wird, ist die Erklärung die gleiche. Schwieriger dagegen wird die Vorstellung, wenn auf einen momentanen Reiz, z. B. einen kurzen Öffnungsinduktionsschlag, auch eine Reihe von rhythmischen Entladungen sich abspielt. Ist z. B. das Rückenmark des Frosches durch Strychnin in einen Zustand starker Erregbarkeit gesetzt, so genügt ein momentaner Reiz, um eine lange Reihe rhythmischer Entladungen auszulösen. Früher erklärte man diese auffallende Tatsache so, daß man ein Zurückfließen des Reizes vom Muskel zu den Ganglienzellen annahm, welches ein Wiederreizen zur Folge hat. Ein solches Rückfließen soll aber durch Verworn's Schüler unmöglich gemacht worden sein, und trotzdem zeigen die Ganglienzellen weitere rhythmische Entladungen. Somit bleibt nach Verworn's Ansicht nichts übt ig, als anzunehmen, daß von dem einmaligen Reiz in den Ganglienzellen Reste zurückbleiben, welche nach Überwindung des Refraktärstadiums durch die Zellen von neuem als Reiz wirken. Das wäre in großen Zügen eine Übersicht über rhythmische Vorgänge in Ganglienzellen und ihre Erklärung. Wie ich eingangs andeutete, er- scheinen mir diese Tatsachen und ihre gedankliche Verarbeitung für das Verständnis auch anderer rhythmischer Vorgänge in unseren Körper wie bei allen anderen Organismen nicht ohne Be- deutung. *) Mag sich auch im Einzelnen an der Erklärung noch viel ändern — die Natur ist immer differenzierter als unser Erkenntniswahn es zugibt! — es ist hier jedenfalls eine klare Arbeitshypothese gegeben, die Experimente ge- stattet; denn es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie. Zuletzt läuft diese Theorie meiner Meinung nach darauf hinaus, daß es zwei Bedingungskomplexe sind, welche den Arbeitsablauf bedingen : Erstens die spezifische Energie der be- treffenden Zellen. Diese besteht zunächst in einer be- stimmten Arbeitskoordination der Gescheh- nisse in den Zellen, ausgedrückt in unserem Falle durch die Restitution der abgebauten Substanz. Man könnte es so formulieren: In einem lebendigen System rollen die physiologischen Geschehnisse, ausgelöst durch einen Reiz, in einer bestimmten Reihenfolge (Koordination) ab; diese ist bei normalen Vorgängen (auf normale Reize) nicht abänderbar; sie bedarf einer gewissen Zeit zum Ablauf, die verschieden ist je nach der Reaktions- geschwindigkeit des betreffenden Systems ; während ihres Ablaufes ist die Reizbarkeit des Systems herabgesetzt oder erloschen (Refraktärstadium). Der zweite Teil der spezifischen Energie besteht darin, daß der „Angriffspunkt" des Reizes spezifisch ist. Verworn formuliert dies so: „Jedes lebendige System, solange es sich in dem gleichen funktionellen Zustand und der gleichen Entwicklungsphase befindet, reagiert auf die physiologischen Reize, welcher Art sie auch sein mögen, stets primär mit einer Intensitätswanderung seines spezifischen Lebensvorgangs. Dabei bildet dasjenige Partialglied des Lebensvorganges, das besonders labil ist, den primären Ausgangspunkt für die Erregung oder Lähmung seiner spezifischen Leistung." — Diese zwei Eigentümlichkeiten des lebendigen Systems bilden den einen Bedingungs- komplex des rhythmischen Ablaufs; sie stellen sich als autonom den Bedingungen der Umwelt gegenüber. Den zweiten Bedingungskomplex bilden die den koordinierten Ablauf treffenden Reize. Im nor- malen Geschehen verändern sie weder die Koor- dination noch den Angriffspunkt, sondern wirken — wie gesagt — nur auf den einen Punkt der koor- dinierten Kette der Geschehnisse hemmend oder anregend ein, wirken also zeitbestimmend. Von ihren weiteren metamorphotischen Wirkungen, welche sich auch auf die innere Arbeit und seine Koordination erstrecken, können wir hier absehen. Wie der Rhythmus einer Melodie zustande kommt durch eine bestimmte Koordination von Tönen und durch eine bestimmte zeitliche Ein- ordnung dieser Töne, so auch der Rhythmus der Ganglienzellen (und gewiß noch vieler anderer Zellen) durch eine innere Koordination der Arbeit und äußeren Zeitbestimmung. ') S. die ausführliche Darlegung bei Hirsch, Gottwalt Chr., ,, Arbeitsrhythmus der Verdauungsdriisen", Biol. Zenl- ralbl. 1917, sowie angedeutet, „Erregung und Arbeitsablauf der Verdauungsdrüseu", Naturw. Wochenschr. 1916, Bd. 31, S. 553- N. F. XVI. Nr. I. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Einzelberichte. Geologie. Die Kohlenvorräte der Welt. Die Redaktionskommission des I2. Internationalen Geologenkongresses zu Toronto in Kanada 191 3 hat noch kurz vor dem Kriege eine Zusammen- stellung der Kohlenvorräte der Welt in 3 Bänden mit Atlas herausgegeben, zu welcher die geo- logischen Landesuntersuchungen und verwandte Anstalten ausführlicheÜbersichten des Vorkommens, der Vorräte und der Produktionsziffern geliefert haben. Einen kurzen Überblick über dieses große Werk gibt Fr. Frech im Neuen Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie 1916, II. Bd. Die Vorräte sind bis 2000 m Tiefe auf- genommen. Es werden zumeist die tatsächlich nach- gewiesenen und die wahrscheinlich vorhandenen (eingeklammert!) Vorräte an Steinkohlen und Braunkohlen unterschieden. Davon besitzt Mill. t Mill. t Steinkohle Mill. t Braunkohle zusammen Österreich 2970 (25417)' 12231 (663)^ 41 281 Deutsches Reich 94865 (315 HO) 9313 (4268) 423556 GrOßbrit. u. Irland 141 499 (48034) — 189533 Rußland 57 (58391) 12 (1646) 60106 Frankreich 4203 (II 748) 301 {1331) 17583 Belgien (II 000) — II 000 Spanien 5826 (2175) 394 (373) 8768 Spitzbergen (8750) — 8750 Niederlande 209 (4193) — 4402 Serbien 2 (43) 58 (426) 529 Bulgarien (30) (358) 388 Italien I (143) 51 (48) 243 Europa 249632 (485034) 22360 (9 113) 766139 Vereinigte Staaten Canada 29836 (1975205) (256483) 384968 (1863452) (563482) 3838657 1234269 Nordamerika 29836 (2231698) 384968 (2426934) 5 073 426 Südamerika 2087 (30010) — 32097 Amerika 31923 (2261709) 384968 (2426934) 5 105 528 Australien 2504 (131 636) I 569 (34701) 170410 Afrika 345 (56440) 154 (9001 57839 Asien 20205 (i 147 530) 297 554) 1279586 Davon entfallen 995587 Mill. t auf China, 174000 Mill. t auf Sibirien, 1210 Mill. t auf die Mandschurei, 79000 Mill. t auf Indien, 20000 Mill. t auf Indochina, 7970 Mill. t auf Japan, 81 Mill. t auf Korea und i S58 Mill. t auf Persien. Vergleicht man die Vorräte der einzelnen Erd- teile, so steht Amerika an erster Stelle; dann folgen Asien, Europa, Australien und Afrika. Deutschlands Steinkohlenvorräte betragen 410 Milliarden t und sind 10 mal so groß wie die- jenigen Österreichs. Die mittlere jährliche För- derung in den Jahren 1906 — 1912 betrug in Deutschland 222 Mill. t, so daß die deutschen Kohlenvorräte 1 800 Jahre ausreichen würden. Großbrit. und Irland besitzen 190 Milliarden t. Das jährliche Produktionsmittel beträgt etwa 268 Mill. t. Unter Zugrundelegung dieser Ziffern würden die Kohlenvorräte in 700 Jahren auf- gebraucht sein. 1) Die eingeklammerten Zahlen geben die wahrscheii Torhandenen Kohlenvorräte an, Rußlands Vorräte werden auf 58 ■/2 Milliarden t geschätzt ; die järliche Produktion beläuft sich auf 27 Mill. t. Frankreichs Vorräte betragen etwa 16 Milli- arden t und würden bei einem jährlichen Abbau von 38 Mill. t. etwa 420 Jahre reichen. Belgiens Vorräte reichen bei einer jährlichen Förderung von 24 Mill. t. etwa 450 Jahre. Da der Steinkohlenbergbau immer tiefer geht und dadurch die Selbstkosten mit wachsender Teufe immer größer werden, so ist für künftige Zeiten mit rasch anschwellenden Betriebskosten und Kohlenpreisen zu rechnen. V. Hohenstein. Zoologie. Die Nahrung des Fasans. All- gemein gilt der Fasan, Phasianus colchicus L., hauptsächlich als Körnerfresser. Nach Brehm's igo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 14 Tierleben, 4. Auflage, wurde er in den 90er Jahren im westlichen Küstengebie der Vereinigten Staaten als Getreidefresser so schädlich , daß man erörterte, ob sein Nutzen den Schaden überwiege, und dieselbe Frage stellt sich bei uns mancher Landwirt, auch wenn die Fasanen nicht so zugenommen haben, wie in dem amerikanischen Ansiedelungsgebiet. Nach dem „Brehm" frißt der Fasan Saat, Körner und Beeren, nebenbei Tiere. Es wird interessieren, was A. L. Lörn in der deutschen Jägerzeitung, Bd. 68, Nr. 24, hierüber mitteilt. Der Kropf einer größeren An- zahl von Fasanen barg überwiegend Schnecken mit und ohne Gehäuse, daneben Käfer, besonders Larven des „Blattkäfers", in einem Falle enthielt der Kopf eines bei Salzburg erlegten Fasans fast ausschließlich einen faustgroßen Ballen aus mehr als 700 Larven des öfter überaus schädlichen, namentlich in Österreich-Ungarn, Rußland, Posen, Preußen und Sachsen wiederholt massenhaft auf- getretenen Getreidelaufkäfers, Zabrus tenebrioides Goeze, der als Volltier an den Ähren zehrt, während die Larve im gleichen Maße der Saat schadet. Nur in einem Falle enthielt ein Fasanen- kropf Maiskörner; das war im harten Winter, und die Körner stammten nachweislich von einem Futterplatze. Der Gewährsmann stellt nicht in Abrede, daß Körneräsung vom Fasan zur Er- gänzung der tierischen Nahrung genommen wird und regt zu weiteren Untersuchungen dieser Frage an, wozu sich öfter auch in der Küche Gelegenheit finden wird. V. F. Eine entwicklungsgeschichilich begründete Ver- erbungsregel. Nur auf einfache Weise verur- sachte Merkmale, meint Valentin Haecker*), fügen sich genau den Mendel' sehen Regeln, oder, wie esHaecker in zwei Sätzen ausspricht: „I. Merkmale mit einfach verursachter, frühzeitig autonomer Entwicklung weisen klare Spaltungs- verhältnisse auf. 2. Merkmale mit komplex ver- ursachter, durch Korrelation gebundener Entwick- lung zeigen häufig die Erscheinung der unregel- mäßigen Dominanz und der Kreuzungsvariabilität sowie ungewöhnliche Zahlenverhältnisse und deut- liche Selektionswirkungen." Was auf einem all- gemeinen Chemismus beruht, wie die Unterschiede der Haarfarbe der Neger, soweit sie auf Farbe und Dichtigkeit der Pigmentkörner beruht, oder der Albinismus, spaltet sich rein nach den Mendel' sehen Regeln , nicht aber das auf Strukturverschiedenheiten beruhende Taubenblau, ebensowenig die gelbe Haarfarbe der Mäuse, die korrelativ mit Fettsucht und Sterilität auftritt, also auf einem komplizierteren Chemismus beruht, oder die Rotäugigkeit bei dunklem Haarkleid, die durch einen Wechsel der Pigmentbildungsbedin- ') MitleilunKcn der Naturforschenden Gesellschaft zu Halle a. S., Bd. 4, 1916. Eine ausführlichere Darstellung wird in der Zeitschrift für induktive Abstammungslehre er- scheinen. gungen zwischen der Retina- und der Haar- entwicklung beruhen muß. Das Wildgrau wiederum beruht auf Anordnung der Pigmentkörner in Zonen im Haar, somit auf einem ausgesprochen rhyth- mischen und schon deshalb einfachen Wachstums- und Differenzierungsprozeß, daher mendelt es regel- mäßig. Die Zeichnung der Wirbeltiere scheint nach Haecker's Untersuchungen am Axolotl mit der „Wachstumsordnung" des Integuments zusammenzuhängen, gehäufte Zellteilungen liegen bei frühen Stadien in einem bestimmten Muster, dem später die Zeichnung entspricht. Bei der primären Längsstreifung ist dieses Muster offenbar ein einfaches, und dem entsprechen die zunächst bei Hühnern und Schweinen nachweisbaren regel- mäßigen Spaltungsverhältnisse. Anders die Mosaik- und Metameroidscheckung der Säuger, bei der an bestimmten hochwichtigen Körperstellen, wie am Auge, Ohr, Schulterblatt und Kreuzbein, das Pigment am zähesten festgehalten wird; ihren komplexen Ursachen entsprechen eine hochgradige individuelle und Kreuzungsvariabilität sowie häufig unklare Zahlenverhältnisse. Die Zeichnung der Vogelfedern beruht auf der Wachstumsordnung des Federkeims, eines hochgradig autonomen und rein epidermalen Gebildes; ist sie einfach, wie bei gesperberten Hühnern, so mendelt sie; da- gegen zeigt sie in der Regelmäßigkeit ihrer Aus- bildung wie ihrer Vererbbarkeit alle Abstufungen bis zu den kompliziertesten Typen bei Fasanen. Unter den Kammformen der Hühner mendeln die einfacheren regelmäßig, wie der „einfache" und der Erbsenkamm, aber nicht der Rosenkamm und der V-Kamm. Die hohen Nasenlöcher bei den Polen und Houdans vererben sich unregel- mäßig, weil sie, wie schon Darwin wußte, durch Zusammenwirken vieler Skelett- und Mesenchym- teile entstehen. Die für einige der vorigen und ähnliche Fälle geltende „Epidermis-Mesenchym-Rege 1", nach der ein Merkmal um so besser mendelt, je ausschließlicher es auf der Epidermis beruht, je weniger auf dem Mesenchym, bestätigt sich auch im klaren Mendeln des Angorismus der Kaninchen, der gekräuselten Haarform des Menschen, der ge- krümmten und zerschlissenen Federform bei Hühner- rassen, des geschichteten Stars der Augenlinse, wogegen wiederum die Körpergröße bei Menschen, Tieren und Pflanzen in ihren Übertragungsverhält- nissen unübersichtlich ist. Mikromelie oder Kurz- gliedrigkeit des Menschen beruht wahrscheinlich auf einer bestimmten Funktionsweise der Hypo- physis, ebenso die Form der Nase und sonstigen Gesichtszüge im Habsburger Familientypus, daher mendeln diese Eigenschaften gleich wie Brachy- daktylie und Hypophalangie, während sonstige I-'ormen der Nase und die nicht korrelativ mit anderen Anomalien auftretenden Erscheinungen der Hyperdaktylie, Hyperphalangie und Syndaktylie es nicht tun. Wenn die Erblichkeitsverhältnisse des Chloro- N. F. XVI. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. phyUmangels der Pflanzenkeimlinge, der Immunität von Pflanzen gegen Brand und Rost und ihrer Kältefestigkeit sich in die Haecker'sche Regel nicht fügen, sondern von Art zu Art verschiedene sind, so mag, meint Haecker, zu bedenken sein, daß besonders bei chemisch physiologischen Vor- gängen zurzeit noch ein wirklicher Maßstab für die Beurteilung des Grades der Einfachheit oder Komplexität fehlt. Es liegt wohl zweifellos etwas Erklärendes in der Anschauung, daß nur das einfach Ent- standene einfache Vererbungsverhältnisse auf- weisen kann. V. Franz. Heidschnucken in freier VVildbahn. Nachdem bekanntlich das Muffelwild, Ovis musimon, sich auf deutschem Boden überall, wo es ausgesetzt wurde, gut bewährt hat, gehen neuerdings Mit- teilungen durch die landwirtschaftliche und Jagd- presse, wonach man auch mit Heidschnucken in freier Wildbahn gute Erfahrungen gemacht hat. Über solche verfügt seit 6 Jahren Fürst zu Leiningen in Schloßaue im Odenwald, und von dorther erfahre ich, daß 1910 zunächst ein Bock und zwei einjährige Lammschafe ausgesetzt wurden. Später wurden noch weitere Stücke hinzugefügt. Sie besuchen nie eine Schutzhütte, haben vielmehr eine aus Fichtenholz erbaute aufgefressen, und überstanden auch die kalten Wintertage 19 17 aus- gezeichnet. Ihre Vermehrung ist sogar besser als in der Lüneburger Heide, da die Schafe fast all- jährlich Zwillingslämmer werfen. Sie fressen im Winter gemeinsam mit Edel- und Dammwild das diesem gebotene Heu, kratzen Äsung unter dem Schnee hervor und nehmen auch gierig Kiefern- und Fichtenreisig auf. Genutzt wird der Bestand, der gegenwärtig infolge des Krieges eine Ver- minderung erfahren hat und sich nur noch auf 16 Stück beläuft, durch regelmäßigen Abschuß — die Stücke sind gut von ausgezeichnetem, im Ge- schmack wildartig gewordenen Wildpret — und, soweit möglich, durch Schur der Wolle; doch sind die wilden Tiere oft gar nicht einzufangen. Anderwärts, wo junge Tannenkulturen nicht eingehordet sind, machen sich nach der Deutschen Jägerzeitung vom 28. Januar 1917 wild gehaltene Heidschnucken durch starkes Verbeißen der Pflanzen schädlich. ^) Dort sowie gelegentlich in Schloßaue hat man übrigens beobachtet, daß Böcke sich mitunter mit ihrem Schneckengehörn in die Hals- und Nackenwolle verwickeln und dann elend verhungern müssen. Herr Rittergutsbesitzer Wilke in Döbra bei Kamenz, Königreich Sachsen, teilt mir mit, daß er seit November 1916 gleichfalls Schafe, und zwar langwollige Holsteiner, in freier ') Sollte nicht die ganze Lüneburger Heide ein allein durch die Schafe in Ödland verwandeltes ehemaliges Wald- gebiet sein? Wildbahn hält. Sie sind noch in keinen Stall ge- kommen und haben die kalten Januartage gleich- falls gut überstanden. V. Franz. Gelegentliches Überwintern von Zugvögeln, wie es O. Natorp in Myslowitz im November 1916 an zwei Mönchsgrasmücken und einem Gartenrotschwänzchen beobachtete, kann nach gelegentlichen weiteren Beobachtungen des Ge- nannten auf Verletzung der Vögel an Telegraphen- drähten während des Herbstzuges beruhen. Über- winternde Singvögel, die verheilte Verletzungen trugen, sah Natorp 1909, eine Gartengrasmücke und eine Weiße Bachstelze. Letztere trug übrigens Anfang März noch Wintertracht, hatte also im Gegensatz zu den inzwischen zurückgekehrten ^ Artgenossen die wohl in den Februar fallende Wmtermauser nicht durchgemacht. (Ornithol. Monatsschrift 191 7, Nr. 2.) V. Franz. Der Krieg und die Wanderstraßen der Zug- vögel. Die große Mehrzahl der Zugvögel hat seit Wochen bereits die alljährliche Reise in wärmere Gegenden angetreten, aber der Mensch vermag ihnen, seitdem der Krieg in Europa wütet, nicht mehr so leicht zu folgen, wie er es früher vielleicht gewohnt war, denn die Bahnverbindungen zwischen den feindlichen Ländern sind unter- brochen, und selbst die Schiffahrt hat ihre Linien der Minengefahr und sonstiger durch den Krieg entstandener Hindernisse wegen zum Teil verlegt, zum Teil sogar für die Kriegsdauer ganz auf- gegeben. Aber es sind nicht nur die menschlichen Verkehrswege, die durch den Krieg eine Änderung erfahren haben, sondern auch die Wanderstraßen der Zugvögel, aufweichen diese seit Zehntausenden von Jahren daherziehen, sind durch den Weltkrieg in Mitleidenschaft gezogen worden. Sowohl von der Westfront wie auch von der Ostfront liegen Mitteilungen darüber vor, daß die Vögel sich den Schlachtgebieten möglichst fernhalten, vermutlich weil der andauernde Kanonendonner und das Explodieren der Granaten ihnen als eine Art furchtbares Unwetter erscheinen, dem sie möglichst aus dem Wege zu gehen trachten. — Natürlich ist die Abneigung gegen das Schlachtfeld nicht bei allen Vogelarten gleich entwickelt, sondern richtet sich ganz nach dem Naturell und den Gewohnheiten der betreffenden Art; so stört, z. B., die Raben und Krähen das Schlachtfeld nicht im geringsten und sie zeigen auch keine Scheu oder Furcht, sondern sind vielfach in ihrer unersättlichen Beutegier von einer früher nicht gekannten Dreistigkeit. Das bisher vorliegende Beobachtungsmaterial über die Wirkungen des Krieges auf die Vogel- welt ist allerdings noch nicht sonderlich reichhaltig und wird sich wohl erst nach und nach vervoll- ständigen lassen; einstweilen beziehen sich die Beobachtungen natürlich vor allem auf die be- kannteren Vögel, wie Stare, Schwalben, Lerchen 192 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. oder solche Vogelarten wie Schnepfen und Störche, deren Körpergröße es möglich macht, sie während des Fluges auch auf größere Entfernungen zu beo- bachten. Die meiste Aufmerksamkeit ist in allen kriegführenden Ländern, wo er noch vorhanden ist, dem Storch zugewendet worden und alle Mit- teilungen stimmen darin überein, daß der Storch von allen Vögeln den Wirkungen des Krieges gegenüber mit am empfindlichsten ist. Er verläßt fluchtartig die Gegenden, in welchen sichkriegerische Handlungen abspielen und kehrt nur in den sel- tensten Fällen und auch dann voller Scheu und Mißtrauen in sie zurück. Es ist bekannt, daß die Wanderstraßen der Zugvögel mit Vorliebe den Meeresküsten und den Flußiälern folgen. Über Helgoland, das für die riesigen Scharen der dort vorüberkommenden Zugvögel bekannt ist, führt der Flug an der deutschen und der holländischen Nordküste ent- lang und schwenkt dann bei der Rheinmündung über das Festland ein. Hier teilt der Zug sich in zwei Teile; der eine folgt dem Rheintal und der andere dem Maastal, und erst im im Rhöne- tal treffen die beiden Züge wieder zusammen, um sodann gemeinsam die Reise an die Miitelmeer- küste fortzusetzen. Man sieht also, daß die eine der großen europäischen Wanderstraßen, diejenige durch Belgien und Ostfrankreich, gerade durch diejenigen Gebiete führt, in denen der Krieg nun seit zwei Jahren mit besonderer Erbitterung ge- führt wird. Die soeben erwähnte Zugstraße wird außer von vielen anderen Vögeln auch von den in Holland und Nordeuropa wohnenden Störchen be- nutzt, da der Storch, dank dem Schutz, welcher ihm dort zuteil wird, in diesen Ländern noch ziemlich häufig ist, während beispielsweise in Mittelfrankreich die Störche bereits seit längerer Zeit vollständig verschwunden sind. Das Merk- würdige ist nun, das seit Kriegsausbruch in Mittel- sowohl wie in Westfrankreich die Störche wiedergekehrt sind und zwar nicht in einzelnen Exemplaren, sondern zu ganzen Scharen. Besonders stark soll, wie die Iranzösische Presse angibt, die Zuwanderung in der Umgegend von Orleans und im Departement Seine-et Oise gewesen sein. Auch über die Schnepfen und Lerchen liegen Beobach- tungen vor, aus denen hervorgeht, daß diese Vögel von ihren gewöhnlichen Zugstraßen ab- gewichen sind und ihren Weg nun durch die Gebiete des mittleren Frankreichs nehmen. Auch die Mitteilungen, welche von der Ost- front vorliegen, beziehen sich zum großen Teile auf die Störche: so ist beobachtet worden, daß sie in allen Gebieten der nördlichen russischen Front, also in den baltischen Provinzen, in Polen und selbst in Galizien seit Ausbruch des Krieges ihre Herbstreise viel früher als gewöhnlich, antraten und auch viel früher über Österreich hinzogen, denn während sie dort sonst erst im September einzutreffen pflegten, erschienen sie seit dem Kriege stets berehs um die Mitte August. — Es wäre natürlich von großem Interesse, möglichst viele Einzelbeobachtungen zur Verfügung zu haben, um sich auf Grund dieser ein vollständigeres Bild über die Einwirkung des Krieges auf das Vogel- reich machen zu können, leider aber sind diese Beobachtungen zurzeit schwer zugänglich, da sie in den verschiedenen ornithologischen und natur- wissenschaftlichen Zeitschriften der kriegführenden Länder verstreut sind. Einer dieser Zeitschriften wird von einem Vogelfreund aus der österreichischen Stadt Mastig mitgeteilt, daß er in diesem Jahre bereits am i8. August nach Hunderten zählende Scharen von Störchen ziehen sah, die sich auf dem Wege nach dem Süden befanden; eine andere Mitteilung aus den baltischen Provinzen besagt, daß auch die Stare sich in diesem Jahre viel früher als sonst auf die Reise gemacht haben, trotzdem die Witterungsverhältnisse früheren Jahren gegenüber keineswegs ungünstiger waren. Es scheint demnach doch ein gar nicht so geringer Zusammenhang zwischen den Wanderungen der Zugvögel und den Kriegsereignissen zu bestehen, der sich näher allerdings wohl erst nach der Wiederkehr normaler Zeiten wird erforschen lassen. W. P. L. Inhalt: Gottwalt Chr. Hirsch , De Die Kohlenvorräte der Welt. S. i8c enlwicklungsgeschichtlich begründete O. Natorp, Gelegentliches Cberwii der Zugvögel. S. 191. — Literatur Literatur. Trabert, Prof. Dr. W., Meteorologie. 4., z. T. umge- arbeitete Aufl. bearbeitet von Dr. A. Defant. Berlin u. Leipzig '16, Sammlung Göschen. — i M. Ligahn,"Dr. A., Physiologische Chemie. Mit 2 Tafeln. 2., neubearbeitete Aufl. Ebenda. — i M. Vetter, Dr. R., Beiträge zur Kenntnis der anelytischen Eigenschaften der Kohlcnstoffmodifikationen und orientierende Versuche über ihre Entstehungsbedingungen. Berlin-Oldenburg '16, G. Stelling. — 3,50 M. Hirt, Dr. W., Ein neuer Weg zur Erforschung der Seele. München '17, F. Reinhardt. Graetz, Prof. Dr. L., Das Licht und die Farben. 4. Aufl. 17. Kd. der Sammlung ,,Aus Natur- und Geisteswelt". Leipzig und Berlin 'ib, B. G. Teubner. — 1,25 M. Heuseling, R., Sternbüchlein für 1917. Mit 55 Ab- bildungen. Stuttgart '17, Frankh'sche Verlagshandlung. — I M. Deutsches Fremdwörterbuch für die gesamte Optik. Als Ratgeber beim Verdeutschen für Optiker, Augenärzte, Fein- mechaniker, Photographen und verwandte Berufe. Berlin, AI. Ehrlich. ■ Arbeitsrhythmus der Ganglienzellen. S. 185. — Einzelberichte; Fr. Frech, . A. L. Lörn, Die Nahrung des Fasans. S. 189. Valentin Haecker, Eine Vererbungsregel. S. 190. V. Franz, Heidschnucken in freier Wildbahn. S. 191. tern von Zugvögeln. S. 191. W. P. Larsen, Der Krieg und die Wanderstraßen Liste S. 192. Manuskripte und Zuschriften werden Ve Druck der G. Pätz'schec Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten, von Gustav Fischer in Jena, ichdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 15. April 1917. Nummer 15. Zur Entwicklung und Gliederung der Quartärbildungen des nördlichen Deutschlands. Von H. Menzel, (t) A. Einleitung. Während in den älteren Gebirgsformationen und der zugänglichen Erdrinde in fast allen Stufen und Ländern eine ebenso allgemeingültige wie eingehende Gliederung durchgeführt worden ist, während wir in Absätzen so weit zurückliegender Epochen, daß ein nicht an geologische Zeitvor- stellungen gewöhnter Geist sie gar nicht mehr ausdenken kann, Abteilung für Abteilung, Zone für Zone (ja mitunter auch ganz kleine Bänkchen) über Meilen und Länder hinweg verfolgen können, treten uns aus der — geologisch gesprochen — jüngsten Zeit unserer Erde, aus der Quartärzeit, noch Rätsel auf Rätsel, ungelöst und unergründet. Schritt für Schritt entgegen, und die Ablagerungen, die wir fast noch vor unseren Augen haben ent- stehen sehen, sie wollen sich nicht dem Zwange der schematischen Gliederung fügen, wenigstens nicht in dem Maße wie ihre älteren Geschwister. Das mag fast wie ein Spiel des Zufalls er- scheinen, ist es aber keineswegs. Vielmehr hängt es durchaus damit zusammen, daß die Faktoren, die an ihrer Bildung in erster Linie beteiligt waren, ganz anderer Art sind und rascherem zeillichem wie örtlichem Wechsel unterworfen waren: während in den älteren Formationen unserer Gegenden, dem Mesozoikum und Paläo- zoikum, die Meeresabsätze bei weitem vorherrschen, treten dieselben — im nördlichen Deutschland wenigstens — im Känozoikum mehr und mehr zu- rück, und in der zweiten Hälfte derselben, zur Zeit des jüngeren Tertiärs und vor allem zur Quartärzeit, rücken an ihre Stelle die Festlands- bildungen. Dazu tritt noch eine andere Eigenschaft der Quartärzeit. Während der zweite für die Ent- stehung geologischer Absätze und für die Lebens- bedingungen der gleichzeitigen Tier und Pflanzen- welt ungemein wichtige Faktor, das Klima und die meteorologischen Verhältnisse, sonst von annähernder Konstanz waren und nur ganz gesetz- mäßigen, langsam wirkenden Änderungen unter- worfen gewesen waren, setzten zum Beginn der Quartärzeit jene eigenartigen abnormen Klima- schwankungen ein, die uns unter dem Namen der Eiszeiten geläufig sind. Beide Eigenschaften der Quartärbildungen unserer Gegenden, die Ent- stehung auf dem Festlande mit seinen zeitlich wie örtlich rasch wechselnden Bildungsbedingungen, sowie der noch erheblich verstärkte und ver- mehrte Wechsel infolge der meteorologischen Schwankungen, haben die ungemein mannigfache Ausbildung und Entwicklung unserer Quartär- bildungen hervorgerufen, aber auch ihre Sprödig- keit gegenüber allen Gliederungsversuchen be- dingt, besonders wenn dieselben auf größere Erstreckung ausgedehnt oder gar verallgemeinert werden sollten. B. Die vorquartäre Zeit. Festlandsbildungen sind immer in erhöhtem Maße abhängig von dem Untergrund und den älteren P^ormationen , sowohl hinsichtlich ihrer Verbreitung und Erscheinung wie auch ihrer stofflichen Zusammensetzung. Die Gebirge Mitteldeutschlands werden wie bekannt aufgebaut aus Schichten fast aller Forma- tionsglieder vom Cambrium ab. Im Rheinischen Schiefergebirge, im Thüringer Wald, Franken- wald , Erzgebirge , Vogtland , Schlesien , Bayern, Böhmen usw., im Harz und an einigen anderen Stellen wie Magdeburg usw. treten Gesteine des Paläozoikums an die Tagesoberfläche. Alle übrigen Gebirge werden von mesozoischen Gesteinen zu- sammengesetzt. Paläozoische wie mesozoische Formationen bestehen zum weitaus größten Teile aus den weithin gleichbleibenden und gut ver- folgbaren Absätzen meist ruhiger Meere. Am Schlüsse des Paläozoikums schiebt sich eine Fest- landsbildung ein, zur Zeit des produktiven Karbons, während der die gewaltigen Süßwasser- und Sumpf- bildungen entstanden. Gleichzeitig ereigneten sich die großen tektonischen Vorgänge, die unter dem Namen der erzgebirgischen Faltung bekannt sind und in nicht geringem Maße zur späteren Ober- flächengestaltung des Landes beitrugen. Auch im Mesozoikum überwiegen die marinen Absätze noch. Wohl schwankt der Meeresspiegel zeitweise auch stark, wohl wechseln positive und negative Strandverschiebungen stetig miteinander ab. Es kommt zur Festlandsbildung zur Keuper- zeit. Dasselbe wiederholt sich am Ende der Jura- periode und dauert bis tief in die Kreide. Hand in Hand gehen starke Erosionen , Abrasionen, Süßwasser-, Sumpf- und Strandbildungen. Aber immer wieder überzieht das Land die Meeresflut und deckt seine Ablagerungen darüber. Erst von der Zeit der Oberen Kreide an neigt sich im Kampf des Meeres mit dem Festlande das Zünglein der Wage zugunsten des letzteren. Über weite Strecken hin fehlen die obersten Kreidebildungen und haben wohl immer gefehlt. Das gleiche gilt von den tiefsten Schichten des Tertiär, dem Paleozän und Eozän. In Frankreich, 194 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. IS England, Belgien und Dänemark vorhanden, sind sie im nördlichen Deutschland zum Teil nur durch Geschiebe und durch Bohrlochfunde angedeutet. Eine der ältesten im nördlichen Deutschland auf- tretenden tertiären Schichten besitzt ein unter- oligozänes, richtiger wohl eozänes Alter, sie be- stehen aus Festlandsbildungen, Braunkohlen, Tonen und Sanden, wie sie in der Gegend von Halle und von Frohse, Egeln usw. auftreten. Ihrer Ablagerung vorausgegangen ist eine Zeit meist der Abrasion und Erosion, die noch eine Zeillang anhält und begleitet ist von ganz erheblichen Bewegungen der Erdrinde, die stellenweise zu Verwerfungen geführt haben. Diese Festlands- bildungen werden wieder von marinen Schichten des Unteroligozän bedeckt, sodann folgt das Mitteloligozän und das Oberoligozän. Zur unteren Miozänzeit hebt sich aber das Land wieder weithin aus dem Meere heraus, und weite Süßwasserseen und Sümpfe nehmen Norddeutschland ein. Es entstehen die Märkischen Braunkohlenbildungen mit ihren Sanden, die weit über die Mark hinaus sich nach Osten, Westen und Süden fortgesetzt hatten. Am Ende der Untermiozänzeit erreichen die tektonischen Bewegungen der Erdrinde wieder seinen Höhepunkt in der weithin wirksamen herzynischen Faltung, die den Gebirgsbau Mitteldeutschlands am eingehendsten beeinflußt hat. Mit ihr trat in dem weitaus größten Teile Norddeutschlands die Festlandszeit endgültig ihre Herrschaft an. Nur ganz im Nordwesten, an der unteren Elbe, im nördlichen Hannover, in Schleswig- Holstein usw. war ein Teil des Miozänmeeres zurückgeblieben. Dazu gesellte sich ganz im Osten von Norddeutschland ein weiteres umfangreiches Süßwassersee- und Sumpfgebiet: im Bereich der Bildung der Posener Flammentone. In beiden Wasserbecken ergossen sich die Wasserläufe der damaligen Zeit und zwar wahrscheinlich aus den Posen benachbarten Gegenden von Brandenburg, aus Schlesien und den anliegenden russischen Gebieten in den Flammentonsee; aus dem weit- aus größeren Gebiete des mittleren Norddeutsch- lands, also aus Pommern, Brandenburg, Mecklen- burg, Sachsen, Hannover, Westfalen usw. in das Miozänmeer der heutigen Unterelbe. Die heutige Verbindung durch den Rhein nach Süddeutsch- land war anscheinend noch nicht offen. Denn in der Gegend des heutigen Mainzer Beckens bis in die Gegend der Wetterau befand sich vom älteren Miozän ab ebenfalls ein Brackwasserbecken, das im Laufe der Zeit sich immer mehr aussüßte. Nach der Donau zu war das nördliche Deutsch- land in hydrologischer Beziehung durch eine ähnliche wie die heutige verlaufende Wasserscheide gelrennt. In dem zum Festlande umgestalteten Teile des nördlichen Deutschlands herrschte von der Miozänzeit ab bei weitem die Erosion vor. Es begannen damals sich die Gebirge und die Fluß- läufe herauszugestalten, wie sie vor Eintritt in die Quartärzeil beschaffen waren und wie sie sich in ihren Grundzügen heute noch unserem Auge darbieten. Ablagerungen aus jener Zeit fehlen auf dem Festlande entweder ganz oder sind recht selten. Zur Pliozänzeit finden sich an einigen Stellen, in Thüringen, der Rhön, im Maingebiet, Ablagerungen mit Mastodonresten, wie sie in Süddeutschland, Frankreich, Italien und an anderen Orten sich aus dieser Zeit erhalten haben. Ganz im Nordwesten, in England, befand sich die ganze jüngere Miozän- und Pliozänzeit über das Crag-Meer, in dessen Ablagerungen marine Bildungen mit Festlandsabsätzen wechseln und in denen deutlich ein Kühlerwerden des Klimas und ein allmähliches Zunehmen der vorher weiter nördlich lebenden Mollusken erkennbar ist. Den Beschluß dieser pliozänen Schichtenreihe bilden die Forest-beds von Cromer, in denen unter anderem noch Hippopotamus und Elephas meridionalis vorkommen. Gleichaltrige Bildungen sind un- längst auf dem Festlande in Belgien entdeckt worden. Ihnen möchte ich in der Hauptsache Ablagerungen gleichstellen, die sich u. a. im süd- lichen Hannover bei Eime und in den Braun- kohlen von Wallensen gefunden haben. Alles in allem sind die Funde aus dieser Zeit noch selten. Am Ende der Tertiärzeit war also unser nörd- liches Deutschland schon ganz ähnlich gestaltet wie heutzutage das Gebirgsland. Es war ein Festland, von Flüssen durchschnitten, die aller- dings teilweise wenigstens eine andere Richtung halten, und sich in Meere oder Süßwasserseen von etwas abweichender Lage ergossen. Auch die klimatischen Verhältnisse halten sich im Lauf des Miozäns und Pliozäns den heuligen Verhält- nissen erheblich genähert. Damit war eine der jetzigen schon ganz ähnliche Flora und F"auna erwachsen , denen allerdings eine große Anzahl jetzt ausgestorbener Arten eigen waren. Ganz am Schlüsse der Pliozänzeit scheinen Bewegungen der Erdrinde stattgefunden zu haben, die die Ablagerung mariner Schichten, z. B. noch über den Porestbed-Bildungen verursachten. Dahin rechne ich auch die Cardiensande, die von Maas in Westpreußen über den Posener Plammentonen und als Liegendes der Glazialbildungen nachge- wiesen worden sind. Vielleicht sind hierher auch die präglazialen Cardiensande G. Müller's von Lauenburg a. Elbe zu stellen. Ich kann hier nicht ganz den Gedanken unterdrücken, ob nicht die doch nur kurze Zeit andauernde marine Transgression vor Ablagerung der ältesten Glazialbildungen schon mit dem Herannahen der Eiszeit zusammenhängt und z. T. mit durch das Verdrängen des Meeres in nördlicheren Gegenden durch das vorrückende Eis bedingt gewesen ist. C. Die Quartärzeit. Den Beginn der Quartärzeit rechnet man im nördlichen Deutschland von dem Zeitpunkte ab, wo die ersten Spuren der Eiszeil auftreten. N. F. XVI. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 195 Man mag über die Ursachen der Eiszeiten denken und Theorien entwickeln , welcher Art sie auch sein mögen. Über die Tatsache ihres Vorhandenseins wird man nicht hinwegkommen. Man wird auch über die Tatsache nicht hinweg- kommen, daß die Eiszeit nicht eine rein örtliche, nordeuropäische und nordamerikanische Erschei- nung war, sondern eine Erscheinung, die auch an den Gebirgen tropischer Länder zum Ausdruck kommt, ja auch in der südlichen Hemisphäre nachgewiesen ist, also eine gewisse Allgemein- gültigkeit für unsere Erde besitzt. Aus diesem Grunde kann auch der Versuch von E. Geinitz, die Ursachen der Eiszeit auf örtliche meteoro- logische Verhältnisse, bedingt durch andersartige Konfiguration der Kontinente, zurückzuführen, nicht ganz befriedigen, obwohl derartige, wie die von ihm geschilderten Verhältnisse mitgespielt haben können. Will man das Wesen der Eiszeit und zwar vorerst nur in unserem nördlichen Deutschland definieren, so ergibt sich als untrennbar von ihr 1. ein kühleres Klima und 2. eine Vermehrung der Nieder- schläge. * Es soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden, ob und wie diese beiden Erscheinungen in einem ursächlichen Verhältnis zueinander stehen und welcher das primäre ist. Die fossilen Funde von Pflanzen und Tieren weisen mit voller Be- stimmtheit darauf hin, daß das Jahresmittel während der Glazialzeit niedrigerer gewesen sein muß als vorher und nachher; und die ungeheuren Mengen von glazialem, fluvioglazialem und fiuvio- tilem Schutt und Schotter ,aus jener Zeit sind ein unumstößlicher Beweis für reichere Nieder- schlagsmengen, mögen sie nun Schnee und Gletschereis oder Regen gewesen sein. Überraschend, plötzlich, katastrophenartig brach nun die Eiszeit nicht herein; aber schnell und rasch im Verhältnis zu der vorherigen Wandlung der klimatischen Verhältnisse scheint es doch bei der Erniedrigung der Temperatur vor sich ge- gangen zu sein, voi- allem aber unvermittelt scheint die gewaltige Vermehrung der Nieder- schläge gekommen zu sein. Die auffälligsten Folgeerscheinungen derselben, die ihr auch den Namen gegeben haben, sind die Vereisungen, d. h. die Überdeckung großer, vorher eisfreier Länderstrecken mit Inlandeis, wenn dieses auch lange nicht die einzigen F"olgen sind. Den Vorgang bei einer Vereisung werden wir uns etwa folgendermaßen denken müssen. Durch die vermehrten Niederschläge bei gleichzeitiger Erniedrigung der Temperatur wuchsen in dem skandinavischen Heimatgebiet der Vereisungen die dort schon vorher vorhandenen Gletscher fort und fort an. Das Eis fing infolgedessen physi- kalischen Gesetzen folgend an, sich auszubreiten und vom Innern nach den Seiten zu fortzuschreiten. Dieses Fortschreiten der Ränder dauerte so lange, als die Zufuhr auf dem Eise die Menge überwog, die durch Abschmelzen alljährlich im Sommer verloren ging. Es lassen sich nun zwei Phasen des Vorschreitens der Vereisung und damit zwei verschieden zu betrachtende Gebiete unterscheiden. Die eine reicht von dem Ausgangsgebiet bis an die heutige Ost- und Nordsee, die, wenn auch in anderer Gestalt, so doch als wassererfüllte Senken zwischen Deutschland und Skandinavien lagen. Bis zu dieser Senke flössen die Gletscher gewisser- maßen in normaler Weise bergab. Die Schmelz- wasser sammelten sich vor dem Rande in der Senke und wurden in ihr wahrscheinlich nach Westen abgeführt. Nachdem indessen das Eis die Ost- und Nord- see überschritten hatte, tritt es in eine andere Phase seines Vorstoßes ein. Es mußte von nun an sozusagen bergauf strömen, denn das Gelände Norddeutschlands senkte sich im allgemeinen, wie oben ausgeführt worden ist, auch damals schon von Süden nach Norden. Das hatte aber zur Folge, das von nun ab nicht mehr nur die Schmelzwasser des Eises sich vor dessen Rande aufstauten, sondern auch das Wasser der von Süden her nach Norden dem Meere zustrebenden Flußläufe. Da nun aber die Niederschläge in der Eiszeit nicht nur über dem Eise selbst eine Ver- mehrung erfahren hatten, sondern diese vermehrten Niederschläge auch noch südlich des Eisrandes, in dem bis dahin eisfrei gewesenen Gebiete wirk- sam gewesen waren, so waren die Flußläufe auch über ihr normales Maß angeschwollen und führten infolgedessen in erhöhtem Maße aus ihrem Ober- laufe Schutt, Geröll und suspendierte Teile mit sich. Sobald diese Binnenwasser aber in den Be- reich des vor dem Plise aufgestauten Schmelzwassers kamen, mußten sie notgedrungen ihren Strom verlangsamen und waren dadurch gezwungen, die mitgeführten Massen wenigstens insoweit fallen zu lassen und abzulagern, wie ihre Stoßkraft und Transportfähigkeit nachlies. Je weiter nun das Eis vorschritt, desto höher wurden auch die Wasser angestaut, desto höher erfolgte auch in- folgedessen die Aufschüttung und desto geringer war das Gefälle der Binnenflüsse. Und infolgedessen mußten die Flüsse immer eher und weiter fluß- aufwärts ihre Schotter fallen lassen, und so schritt die Akkumulation immer weiter nach rückwärts vor. Das Eis schritt aber ebenfalls immer weiter nach Süden und überdeckte die kurz zuvor vor seinem Rande aufgeschütteten Sande und Kiese. Am Rande unseres heutigen Gebirgslandes etwa machte das Eis halt. Stellenweise drang es noch in die Täler desselben nicht unerheblich ein. Dadurch gewann es aber einen Einfluß auf ein drittes Gebiet, das sich wieder von dem vorigen ■scharf unterscheidet. In diesem nicht vereist gewesenen Gebiete hatten die Niederschläge dieselbe Wirkung gehabt, wie in dem nachher vom Eis überschrittenen zweiten Gebiet. Die Flußläufe waren wasserreicher geworden und hatten in verstärktem Maße Geröll und Schlamm 196 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 15 talabwärts geführt. Nachdem das Eis bis in ihre Täler vorgedrungen war und ihnen den Weg tal- abwärts verlegt hatte, mußten auch sie einen großen Teil ihrer Lasten ablegen, ihre Betten er- höhen und sich andere Wege zum Meere suchen. So macht sich auch in dem nie vereist gewesenen Gebiete der Einfluß der Vereisung hoch hinauf geltend, indem er Anlaß gab zu immer weiter rückwärts schreitender Akkumulation. Die Ab- lagerungen dieses Abschnittes unterscheiden sich von denen der zweiten in gleicher Weise ge- bildeten durch ihren völligen Mangel an nordischem Material und dadurch, daß das Eis sie nachmals nicht mehr überzog. Aber die Eis- zeit hatte nicht nur auf die Art und Beschaffen- heit der unter ihrer Herrschaft abgelagerten Bildungen bestimmend gewirkt, sie hat auch einen bedeutenden Einfluß auf die zeitgenössische Flora und Fauna ausgeübt. Vor dem Herannahen der Eiszeit war die Verteilung des Klimas und der klimatischen Zonen völlig ähnlich der heutigen. Dem Pol zu- nächst folgte die arktische Zone, der sich südwärts die subarktische anschloß, die noch weiter nach Süden in die gemäßigte überging. Eine jede Zone, innerhalb deren nun wieder kleinere Unter- schiede stattfanden, hatte ihre eigene Flora und Fauna. Mit dem Beginn der Eiszeit und dem Vor- rücken des Eises beginnt eine Verschiebung der klimatischen Zonen nach Süden. Hand in Hand damit findet eine Verschiebung der arktischen und subarktischen Floren und Faunen nach Süden zu statt. Doch ist der Vorgang bei dieser Ver- schiebung nicht ganz einlach. Schon in der Vermehrung der Niederschläge liegt ein bedeut- samer Unterschied. Sodann ist eine Faunen- und Florenverschiebung nicht so ohne weiteres mathe- matisch möglich. Die Vorgänge dabei sind viel- mehr recht kompliziert. Betrachten wir nur einmal den II. Abschnitt, das vereist gewesene Gebiet Norddeutschlands. Vor dem Heranrücken der Vereisung herrschte hier ein gemäßigtes Klima und war eine gemäßigte Flora und Fauna einheimisch. Diese setzt sich in beiden Fällen zusammen einmal aus der großen Masse weit verbreiteter indifferenter und sehr anpassungs- fähiger Pflanzen und Tiere; zum anderen aus einer kleinen Zahl von Geschöpfen, die ihre Hauptverbreitung in südlicheren Gegenden haben, in diesem Gebiete ihre nördlichste Verbreitung besitzen. Diese wird gegen ein Sinken der Temperatur am empfindlichsten sein. Und schließ- lich lebt eine Anzahl von Pflanzen in dem Gebiet, die weiter nördlich zuhause sind, in unserm Ge- biete aber die Südgrenze ihrer Verbreitung haben. Wenn nun das Klima infolge der einbrechenden Eiszeit sinkt, so werden vorerst die Masse der in- differenten Pflanzen und Tiere ruhig weiterleben, vielleicht nur ein wenig ihre Gewohnheiten ändern und geschützte Stellen aufsuchen. Auch die süd- licheren Geschöpfe werden nicht ohne weiteres aufhören zu existieren. Die erwachsenen Exem- plare ertragen die veränderten klimatischen Be- dingungen, ohne Schaden zu nehmen. Sie können sich ja, bei den Tieren wenigstens, durch bessere Unterschlüpfe schützen. Im übrigen ist es ja auch nur das Jahresmittel, das insgesamt fällt. Die Sommer der Eiszeit werden durchaus, wenn auch nicht lang, so doch warm gewesen sein. Und das genügt vielen Geschöpfen völlig zum Wachstum. Nur wenn der junge Nachwuchs unter der Kürze der warmen Jahreszeit zu leiden be- ginnt und die Zahl der heranwachsenden Jungen immer geringer wird, dann beginnt eine Tier- oder Pflanzenart an einem Orte auszusterben. So ist das Erlöschen der wärmeliebenden Tiere und Pflanzen in der Eiszeit außerhalb der Vereisungen auch nur ein allmähliches gewesen. Die Klasse der kälteliebenderen Organismen dagegen ist rascheren Veränderungen unterworfen gewesen ; vor allem in der Verbreitung der größeren Tiere. Die anwachsenden Eismassen verdrängten sie von Norden her aus ihren Wohnplätzen. Die an Strenge zunehmenden Winter zwangen sie, ihre winterlicHen Wanderungen, die ja die nordische Säugetier- und Vogelwelt noch heute unternimmt, länger und weiter nach Süden auszudehnen. So kamen schon nordische Gäste in unsere Gegenden, als auch die wärmeliebenden Tiere hier ihr Leben noch fristeten. Die große Zahl der weniger be- weglichen Tiere, der Schnecken z. B., und der Pflanzen kam erst später, teils langsam sich aus- breitend infolge größerer Vermehrung unter günsti- geren Lebensbedingungen, teils mechanisch durch diese und auf dem Rücken des Eises oder durch die größeren Tiere verschleppt. So erlischt all- mähüch, in den dem Eise näher gelegenen, den nördlicheren Gegenden, schneller, im Süden lang- samer, die Zahl der wärmeliebenden Geschöpfe, und es stellten sich zu den überlebenden indiffe- renten Formen immer mehr nordische Gäste ein, die zum Schlüsse überwiegen. Nachdem der Höhepunkt erreicht und ein weiteres Vordringen des Eises nicht mehr möglich war, weil die alljährlich an den Rändern und an der Oberfläche abschmelzende Menge den Nach- schub überwog, einmal, weil vielleicht die Tem- peratur wieder gestiegen war und zum anderen, weil, was wahrscheinlicher ist, die Menge der Niederschläge nachgelassen hatte, begann das allgemeine Abschmelzen, der Rückgang der Ver- eisung, sowie der Vorstoß in zahlreichen Schwan- kungen (Oszillationen). Die dabei frei werdenden ungeheuren Mengen von Schmelzwasser im Bunde mit den aufgestauten Binnenwässern der Flüsse suchten ihren Abfluß in den weiten Urstromtälern, aus denen sich nach und nach unsere heutigen P'luß- und Seesysteme entwickelten. Das vom Eis und Wasser ver- lassene weite Sand- und Schuttfeld aber besiedelte sich allmählich mit den Pflanzen und Tieren, die vor dem Eisrande außerhalb der vom Wasser eingenommenen Gegenden gelebt hatten. Ehe N. F. XVI. Nr. IS Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 197 sie jedoch noch Besitz ergriffen hatten von der gesamten Schuttlandschaft, war diese der nahm- haften Erosion ausgesetzt, die die heftigen herr- schenden Stürme ausübten und die an anderen Stellen wieder zu einem Absatz führten. So ent- standen an der Wende der Eiszeit die ausgedehnten Flug(Dünen-)sand- und die Lößbildungen, die erst nach und nach aufhörten, als die Vegetation alle Flächen überzog. Von da ab wirkte nur noch die Wassererosion in den sehr wasserarm ge- wordenen Flußläufen und die Abspülung an den Steilhängen. Dafür begannen sich aber an gewissen Stellen Ablagerungen zu bilden, die von denen der vorangegangenen Glazialzeit durchaus verschieden waren. Während dort entsprechend der vermehrten Wassermengen in der Hauptsache gröberes IVIaterial, Kies und Sand, zur Ablagerung gekommen war, entstanden -nun fast ausschließlich feinkörnigere Absätze, wie wir sie z. B. heute noch entstehen sehen : feinsandige und tonige Ausfüllungen langsam fließender Wasserbecken oder Überschwemmungsgebiete (Schlick) oder kalkige, eisenhaltige oder humose Absätze stehender Gewässer oder schließlich die große Menge der Torfbilduhgen. Nach dem Abschmelzen des Eises und mit der Rückkehr des trockneren und wärmeren Klimas ging auch wieder eine Änderung der Flora und F"auna Hand in Hand. Die Masse der indifferenten Lebewesen , soweit sie ausgedauert hatte, blieb bestehen und nahm etwas mehr überhand. Die zum Schlüsse der Eiszeit über- wiegenden kälteliebenden Formen hielten wohl noch eine Zeitlang dem Klima stand, nahmen aber nach und nach an Häufigkeit ab und ver- schwanden schließlich fast ganz. Von Süden her aber dringen erst vereinzelt, dann immer zahl- reicher die wärmegewohnten Wesen heran, die nun wieder günstigere Lebensbedingungen haben. So sehen wir, daß bei der Beurteilung von Floren und Faunen aus der Eiszeit und Nach- eiszeit mit großer Vorsicht verfahren werden muß. Vor allem ist sehr auf die petrographische Beschaffenheit der die Flora und Fauna um- schließenden Schichten zu achten. Sodann, und das gilt natürlich nur im vereist gewesenen Ge- biete, auf ihre Lagerungsverhältnisse zu Eis- ablagerungen (Grundmoräne). Erst nach Fest- stellung dieser Verhältnisse ist eine Beurteilung der Floren und Faunen nach ihrer Zusammen- setzung möglich. Wenn nun das Eis abgeschmolzen und aus unserer Gegend verschwunden gewesen ist und Flora und Fauna Zeit gehabt hatten, sich wieder auf dem verlassenen Gebiete niederzulassen und es erfolgte dann ein neuer Vorstoß des Eises, der diese bis dahin nacheiszeiilichen Gebilde wieder mit eiszeitlichen Ablagerungen deckt, so wird diese Nacheiszeit zur Zwischeneiszeit. Solche Zwischeneiszeit und damit eine Wiederkehr der Vereisung ist ohne Zweifel bei uns mindestens einmal vorhanden. Und bei der Wiederkehr der Eiszeit und damit der Vereisung wiederholten sich ganz genau die Vorgänge wie bei der ersten Ver- eisung. Um aber von einer wirklichen Interglazialzeit nach der üblichen Definition sprechen zu können, verlangte man also, daß das Eis in ihr zum mindesten bis aus dem II. Abschnitt ganz ver- schwunden gewesen ist und zwar für so lange Zeit, daß die gemäßigte Flora und Fauna von dem verlassenen Lande wieder hat Besitz ergreifen können. Denn außer einem oder mehreren großen Rückzügen haben unzweifelhaft noch zahlreiche kleinere Vorstöße und Rückzüge stattgefunden, während deren sich im Grunde genommen die gleichen Vorgänge abspielten: Erosion, Bildung feinkörniger Ablagerungen, Nachdrängen der Pflanzen- und Tierwelt usw., wenn auch alles nicht in dem Maße wie bei einem längeren Rückzuge des Eises. Wir werden aber ohne weiteres zu- geben müssen , daß beide Erscheinungen nur graduell verschieden sind und man sich darüber verständigen muß, ob man beides als Interglazial- zeiten anerkennen will oder nur die Ablagerungen aus der großen Rückzugsperiode. Es ist aber mitunter ungemein schwer, Ablagerungen beider Art auseinanderzuhalten. Denn es ist durchaus denkbar, daß durch einen Zufall in der Zeit des Abschmelzens — äußerhalb der Schmelzwasser- straßen etwa auf einer Hochfläche — , während das Eis noch in der Nähe lag, eine Ablagerung sich bildet mit einer Flora oder Fauna, die keine arktischen Beimengungen enthält, sondern nur eine Gemeinschaft von Pflanzen oder Tieren, die auch noch heute bei uns lebt, die aber auch weiter im Norden munter gedeiht. Wenn dieser Ablagerung Formen, die unbedingt für wärmeres Klima sprechen, durchaus fehlen, so sind wir auch nicht gezwungen , ein solches anzunehmen und die Ablagerung als eine Interglazialbildung anzusprechen, man wird es aber auch keinem verargen können , die Ablagerung nicht als eine Glazialbildung betrachten zu wollen. Hier wie überhaupt bei der Beurteilung fossilführender Diluvialablagerungen ist äußerste Sorgfalt und Be- rücksichtigung aller Umstände und vor allem ein ausgedehnteres Vergleichsmaterial nötig, als wir bisher zur Verfügung haben. Es erübrigt nun noch, an einer Reihe von allgemein bekaniiten Diluvialablagerungen zu ver- suchen, sie in dieser theoretischen — aber immer- hin der Natur entnommenen und durch zahlreiche Beobachtungen gestützte — Stockwerke einzu- reihen und so an der Hand der Vorkommnisse versuchen das Diluvialgebäude zu errichten. Die vorquartäre Erosionsfläche als Unterlage ist überall da. Ablagerungen der sog. Präglazialzeit, d. h. der jüngsten Tertiär- oder Pliozänzeit sind selten. Das ist naturgemäß, denn einmal gab es deren im Verhältnis zur Erdoberfläche überhaupt nicht sehr ausgedehnte, und zum anderen sind die 198 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. IS wenigen noch zum weitaus größten Teile tief unter den quarlären Bildungen verschüttet. Einzelne mögen auch noch übersehen oder verkannt sein. Im Abschnitt III zähle ich zu ihnen die wenigen Mastodonfundstücke Mitteldeutschlands. Es sind aber auch noch unzweifelhaft eine Reihe Vor- kommnisse kalkiger und humoser Art, vor allem kleinere Braunkohlenbildungen hierherzuzählen. Im II. Abschnitt, dem vereist gewesenen Gebiet Norddeutschlands, gehören hierherdie Ablagerungen von Edertsleben, die Torfe von Eime und die Braunkohlen von Wallensen. Es ist mir auch nicht ganz unwahrscheinlich , daß die obersten Schichten der Posener Flammentone bis ins Pliozän und zwar bis ins jüngere Pliozän hineinragen. Immerhin sind die Fundorte noch selten. Aus dem II. Abschnitt, dem außerdeutschen Gebiete, wenn auch dicht an der Grenze, haben die Dänen eine Reihe solcher Bildungen be- kannt gemacht: Die Ablagerung von Gudbjerg und die Corbicula - Sande aus dem Freihafen von Kopenhagen und von Ffirslevgaard. Außer- halb des besprochenen Gebietes gehört hierher vor allem die klassische Lagerstatt von Cromer und völlig gleichartige Bildungen, die vor kurzem Dubois in Belgien gefunden und beschrieben hat. Alle diese Bildungen haben das gemeinsam, daß sie nach Flora und Fauna durchaus auf ein gemäßigtes, vielleicht noch etwas wärmeres Klima als das heutige hindeuten und in einer keinesfalls niederschlagsreicheren Zeit als die heutige ent- standen sind. Diese präglazialen Bildungen werden, wo sie nicht zutage liegen, bedeckt von Bildungeil einer Eiszeit, d. h. einer Zeit, die reicher an Nieder- schlägen und kühler war, als die vorhergehende und die nachfolgende Zeit. Diese Bildungen sind im nicht vereistem Gebiete Kiese und Schotter, im vereist gewesenen glaziale Sande, Kiese und Grundmoränen. Alle diese eiszeitlichen Bildungen rechne ich zu einer und derselben und zwar zur ältesten Eiszeit, zu der ich in gleicher Weise alle Ablagerungen der tiefsten Vereisung rechnen muß, so lange nicht ihr jüngeres Alter erwiesen ist. Alsdann ist aber immer an dieser Stelle eine Schichtenlücke. Denn vorausgesetzt — und mit dieser Voraussetzung steht und fällt meine Aus- führung — die Eiszeiten sind nicht nur lokale, sondern weitverbreitete Allgemeinerscheinungen gewesen, so müssen auch ihre Spuren ungefähr gleichzeitig auftreten. Also der Beginn der Eis- zeit ist überall annähernd gleichzeitig, der Beginn der Vereisung aber nicht. Von diesem Satze also ausgehend, rechne ich zur ältesten überhaupt vorhandenen Vereisung die Grundmoränen und glazialen Schotter des südlichen Hannovers, die älteren Glazialablage- rungen des nördlichen Hannovers und daran an- schließend Schleswig -Holsteins, Mecklenburgs, Brandenburgs, Sachsens, Pommerns, Posens usw. Also überhaupt die ältesten Glazialablagerungen Norddeutschlands. Aus derselben Zeit stammen nach meiner Auffassung sodann weiter die ältesten Kiese des außerglazialeii Teiles Norddeutschlands, die hoch- gelegenen Kiesterrassen des südl. Leinetales und des südl. Wesertales, die G r u p e beschrieben, u. a. m. Ferner die nördlichen Fortsetzungen dieser süd- lichen, einheimischen Kiese in dem vereist ge- wesenen Gebiet, wie z. B. in der Hallenser Gegend. Die Kiese von Süßenborn. Hierher stelle ich auch die Mosbacher Sande. Die beiden letztge- nannten zeigen eine Mischfauna, die zur reinen Pliozänzeit unmöglich ist. Die nordischen Bei- mengungen im Bunde mit der augenscheinlichen Verflachung der Wasserläufe , die sie abgesetzt haben, deutet den Beginn der Eiszeit an. In diese Zeit möchte ich auch die Entstehung der älteren Rheinterrassen setzen, und ich möchte an die Herren T i e t z e und S c h u c h t die Frage richten, ob nicht auch ihre präglazialen Bildungen in der Emsgegend aus dieser Zeit stammen könnten. Diese Kiese führen außerhalb des vereisten Gebietes oder an den Rändern der Vereisung eine reiche Fauna, vor allem von Conchylien und Säugetiere. Als leitend im gewissen Sinne kann man für sie Elephas antiquus Falc. und Rhinoceros et- ruscus Falc. bezeichnen. Nähere vergleichende Studien werden wahrscheinlich noch weitere Leitformen, vor allem von Conchylien ergeben. Nach Beendigung der Eiszeit, d. h. nach Nach- lassen der Niederschläge und Zunahme der Tem- peratur trat ausgedehnte Erosion ein, und es bildeten sich die ältesten Interglazialschichten. Dazu stelle ich vor allem die Paludinenbänke der Berliner Gegend. Da ich aber den dieselben unterlagernden Geschiebemergel für gleichaltrig halte mit dem südhatmoverschen — aus den oben angeführten Gründen — , so parallelisiere ich die Paludinenbänke, allerdings ohne faunistischen Be- weis, mit dem Wallenser Interglazial. Dasselbe ist aber faunistisch gleichaltrig mit Taubach, mit den Beiziger Kalk- und Torfbildungen, mit den Nordhannoverschen Kalk- und Diatomeenlagern, mit dem Schwanebecker Kalktuft", dem Kalktuff von Cannstadt und einer Reihe anderer Bildungen, die erwiesenermaßen diesen Bildungen gleichaltrig sind. Allzugroß ist ihre Zahl indessen nicht. Vor allem fehlen uns im nördlichen Deutschland, in Pommern, Mecklenburg, Posen, West- und Ost- preußen, Schleswig-Holstein noch fast ganz oder völlig ident mit diesen durch Art der Ausbildung und Fossilführung erwiesene Bildungen. In West- und Ostpreußen einerseits und an der unteren Elbe (Stade) wie in Schleswig-Holstein andererseits scheinen an ihre Stelle marine Ab- sätze zu treten. Aus diesen Ablagerungen bestimmte Leit- fossilien zu nennen , bin ich heute noch nicht imstande. Dazu wird wohl mit in erster Linie die Paläobotanik berufen sein. Im übrigen zeigt sich in der Fauna dieser Schichten deutlich, daß ebenso wie heute oder vielleicht noch schärfer N. F. XVI. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 199 ein allmähliches Abnehmen wärmeliebenderer Wesen nach Norden zu zu bemerken ist. Es kam die zweite Vereisung, von unten ge- rechnet, und damit wieder reichere Niederschlags- mengen und ein kühleres Klima. Als Absätze aus dieser Zeit haben in erster Linie die Glazial- bildungen zu gelten, die über den genannten Interglazialschichten liegen. Im südlichen Han- nover, bis wohin diese zweite Vereisung nicht gelangt ist, sind in dieser Zeit die Schotter der Leine und Weser entstanden, in denen sich eine ziemlich reiche Fauna sowohl an Säugetieren, wie an Conchylien gefunden hat. In dieser Fauna herrscht bei weitem das Mammut und das woll- haarige Rhinozeros vor. Vereinzelt hat sich Ovibos gefunden. Auch die ziemlich reiche Conchylien- fauna deutet durchaus kühleres Klima an. Für ungefähr gleichaltrig mit diesen Kiesen halte ich nun auch den Rixdorfer Horizont. Dieser ent- hält allerdings eine Mischfauna, in der Elephas antiquus und Rhinoceros etruscus vorkommt. Be- denkt man aber, daß diese Tiere vor Anbruch der jüngeren Eiszeit, in der Interglazialzeit, in der Gegend lebten, wie ihr Vorkommen im Kalktuff von Taubach beweist, und bedenkt man, daß die Rixdorfer Sande und Kiese nach meinen obigen Ausführungen südlich des Eisrandes durch die Staugewässer aufgeschüttet worden sind, so wird man sich diese Mischung der F'auna ohne weiteres erklären können, zumal der übrige Teil derselben durchaus ident ist mit der Säugetierfauna aus den Weserkiesen bei Hameln. Gleichaltrig mit den Rixdorfer Sanden, d. h. gebildet während der jüngeren Eiszeit, aber außerhalb der Vereisung, sind aber nach meiner Ansicht eine ganze Reihe anderer fossilführender, bisher großenteils als in- terglazial angesehener Bildungen, so die Velvaten- sande in der großen Kiesgrube am Schilling bei Posen und andere derartige Velvaten führende Spatsande. Gleichaltrig sind meiner Meinung nach auch die Eberswalder Kiese und Sande, in denen Herr P. G. Krause die menschlichen Spuren gefunden hat. Gleichaltrig sind auch die Hundisburger Schotter, die Herr Wiegers an das Ende der Interglazialzeit stellt. Ich kann auch ferner nicht den Verdacht unterdrücken, daß hierher ebenfalls die einheimischen Kiese des Flämings zu stellen sind, über die die Herren Keil hack und Schmierer seinerzeit be- richtet haben. In Süddeutschland zeigen eine fast völlig idente Fauna, wie die jungdiluvialen Leine- und Weser- kiese, die Sandlößbildungen des Rheintales. Hier- her gehörte unzweifelhaft auch die sog. Lößfauna Nehring's von Thiede und Westeregeln sowie die von Ed. Wüst von Osterode und anderen Orten beschriebenen Bildungen. Hauptcharakter- tiere der fossilführenden Bildungen dieser Zeit sind außer einigen Schnecken wie Succinea Schu- macheri und Sphyredium Columella, vor allem das Mammut, das wollhaarige Rhinozeros und der Moschusochse. Es ist im Anschluß hieran nötig, noch einmal mit einigen Worten auf die Rixdorfer Sande zurückzukommen. In der alten Rixdorfer Kies- grube ist von Berendt festgestellt worden, daß der die Säugetierreste führende Horizont von einem Geschiebemergel überlagert ist, der sich in die Teltower Hochfläche fortsetzt und allgemein als Oberer gilt. Desgleichen sind die Rixdorfer Sande von einem Geschiebemergel unterlagert gewesen, der von Berendt und anderen als Unterer angesprochen worden ist. Da nun die Rixdorfer Sande eine fossilführende Bildung zwischen zwei Geschiebemergeln, also zwei Glazialbildungen, darstellte, mußte sie interglazial sein. Dieses interglaziale Alter ist aber seitdem von vielen Seiten angezweifelt und von mir un- beschadet der Beimengung von El. antiquus und Rhin. etruscus nie recht geglaubt worden. Wenn ich ich daher in meiner kleinen Notiz „Über die älteste Vereisung bei Rüdersdorf und Hamburg und die Altersstellung der Paludinenschichten der Berliner Gegend" die Rixdorfer Sande nicht erwähnt habe, so hat es mir völlig fern gelegen, weder denselben, noch den Herren Geheimrat Wahn schaffe und Schroeder zu nahe zu treten. Ich habe sie stillschweigend zum oberen Diluvium gerechnet, zumal auf keine Weise bisher der strikte Nachweis geliefert worden war, daß die Rixdorfer Sande von der Paludinenbank durch die Grundmoräne einer Vereisung getrennt war. Die Geschiebemergelbank unter denselben konnte auch zu derselben Vereisung gehören, die die Paludinenbänke unterlagerte, wenn auch da- gegen durchaus die so verschiedene Höhenlage beider sprach. Als ich meine oben genannte Notiz schrieb, tat ich es hauptsächlich aus dem Grunde, um eine Klärung dieser Frage herbei- zuführen. Die in der Literatur angeführten Gründe für eine 3. ältere Vereisung schienen mir wie vielen anderen nicht zu genügen. Ich erwartete von kompetenter Seite eine genügende Auf- klärung, zum mindesten wollte ich die Diskussion darüber in Fluß bringen. Das letztere ist mir gelungen. Meine erste Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Auch die Antwort des Herrn Geheimrat Wahn seh äffe hat mir nicht die nötige Klarheit gebracht. Ich kann ihm nicht beistimmen, wenn er daran festhält, die Rixdorfer Sande als inter- glazial anzusehen. Wohl stimme ich ihm wie Herrn Schroeder rückhaltslos bei, wenn die genannten Herren die Rixdorfer Fauna nicht für rein sekundär ansehen. Ich bin sogar derselben Ansicht wie Herr Schroeder, daß dieselbe zum Teil sogar gar nicht gerollt ist, sondern die Reste wohl ursprünglich teilweise als Kadaver eingebettet sind. Das ist ja nur natürlich in einem großen wirbelnden Wasserstau, aus dem ich mir die Sande abgesetzt denke. Nun ist aber in die ganze Frage ein neues Moment gekommen durch das Auffinden des Motzener Torflagers und den Nachweis des dilu- vialen Torflagers im Teltowkanal durch Herrn Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 15 Dr. Korn. Der Motzener Torf wird von Ge- schiebemergel überlagert, also ist er noch einmal vom Eis überdeckt gewesen. Er wird aber von einer Grundmoräne überlagert, die Paludina dilu- vina führt. Demnach muß diese Grundmoräne jünger sein als die Paludinenbänke. Der Rixdorfer Horizont findet sich aber auch anscheinend hier wieder zwischen dem Torf und der überlagernden Grundmoräne. Also hätten wir zweifellos be- wiesen eine dreimalige Vereisung und eine zwei- malige Interglazialzeit. — Vorausgesetzt, daß diese Beobachtungen alle so zutreffen — und ich habe gar keinen Grund, daran zu zweifeln — erkenne ich eine dreimalige Überdeckung mit Eis, also eine dreimalige Vereis ung der Berliner Gegend jetzt rückhaltslos an. Aber — und das ist der Haupterfolg meines kleinen Fehdeartikels — nicht in dem Sinne der früheren Wah n schaff e'schen Dreiteilung, sondern ich werde dazu gedrängt, die Vermutung auszusprechen, daß wir zur jüngeren Eiszeit ein- mal schon ein ganz erhebliches Abschmelzen ge- habt haben, auf das dann wieder ein Vorstoß erfolgt ist. Dieser Gedanke ist ja auch keines- wegs neu. Er ist ja für andere Gegenden schon so oft ausgesprochen worden, so erst kürzlich wieder von Herrn A. Jentzsch für die Weichsel- gegend. Ja die ganze baltische Endmoräne ist ja als einer besonderen jüngsten Eiszeit angehörig gedeutet worden. Ob aber diese Torfe von Motzen und vom Teltowkanal echte Interglazial- bildungen sind und ob die darüber liegende Grundmoräne einer wirklichen gesonderten Eis- zeit angehört, ob also das Eis zur Bildungszeit der Motzener Torfe bis hoch nach Skandinavien hinauf abgeschmolzen war, das ist selbst für einen, der sich redlich bemüht, nicht rückständig im Sinne von Weißer mel zu sein, sehr schwer zu entscheiden. Hier wird eine eingehende Unter- suchung der Flora einsetzen müssen. Auf jeden Fall halte ich den Gedanken für wert, einer Prüfung unterzogen zu werden, zumal da ähnliche Verhältnisse ja auch schon z. B. für die Gegend von Lauenburg a. d. Elbe ausgesprochen und wahr- scheinlich sind, wo in der Tat die G. M ü 1 1 e r ' sehen Präglazialschichten ein Interglazial, das weit ver- breitete marine Interglazial der Gegend, zu sein scheinen und die bekannten Lauenburger Torfe ein zweites Interglazial oder auch nur ein Inter- stadial darstellen. Am Ende der jüngsten Glazialzeit beginnen sich dann unsere Alluvialabsätze zu bilden, ein- geleitet durch Übergangsgebilde mit gemischter Fauna und Flora. An diesen läßt sich trefflich beobachten, wie zuerst das Nachlassen der ver- mehrten Niederschläge einsetzt und das Ab- schmelzen des Eises begünstigt, das Klima aber noch kühl bleibt und eine arktische Flora und E'auna vorerst noch ausharrt. Denn aus dieser Zeit stammen die Dryastone, die arktischen Schneckenrelikte am Grunde unserer Moor- und Kalklager und die Dünen- und Lößbildung. Auf die weiteren alluvialen Bildungen soll hier nicht mehr eingegangen werden. Faziell sind sie ebenso beschaffen wie die Präglazial- und Inter- glazialbildungen. Völlig übergangen sind in dieser Darstellung auch die Bewegungen der Erdrinde zur Inter- glazialzeit, obwohl auch sie jedenfalls von großer Bedeutung für die Eiszeitprobleme sind. Zum Verständnis meiner Ausführungen sind sie nicht nötig. Wenn wir nun am Schlüsse noch einmal zurückschauen auf diese gesamten Ausführungen, so möchte ich noch einige Punkte als besonders wichtig herausgreifen. 1 . Eiszeiten sind Zeiten vermehrter Nieder- schläge und verminderter Temperatur. Sie sind nicht lokale Erscheinungen, sondern besitzen zum mindesten für unsere nördliche Hemisphäre all- gemeine Gültigkeit. 2. Vereisungen sind Teilerscheinungen der Eiszeiten lokaler Natur. Eiszeitliche Ab- lagerungen außerhalb von Vereisungen bestehen in Aufschüttungen gröberen Materiales mit einer gemischten Flora und Fauna. Diese Ablagerungen können nochmals von dem Eise derselben Eiszeit überdeckt gewesen sein. 3. Zwischeneiszeiten (Interglazialzeiten) sind Zeiten mit normalen metereologischen Ver- hältnissen, gleich oder ähnlich den Verhältnissen, wie sie zur Voreiszeit geherrscht haben und wie sie heute herrschen. Ihre Ablagerungen sind in der Hauptsache gleich denen der heutigen Zeit: im Gegensatz zu den eiszeitlichen also feinkörniger und reicher an organischen Resten , besonders Pflanzen. Ihre Flora und Fauna kann ebenfalls noch eine Mischfauna sein. 4. Bei Beurteilung eiszeitlicher und zwischeneiszeitlicher fossil führender Ablagerungen muß mit allergrößter Vorsicht vorgegangen werden und nicht nur auf Flora und Fauna, sondern ebensosehr auf alle anderen Um- stände, wie Lagerung zu echten Glazialbildungen, Verbreitung, Zusammensetzung und Entstehungs- bedingungen geachtet werden, und vor allem ihr Verhältnis zu ähnlichen oder gleichartigen Bil- dungen in Betracht gezogen werden. Lim aber heute schon zu einem ersprießlichen Ergebnis über die Gliederung der Glazialbildungen zu kommen, fehlt uns vor allem noch ein ge- nügendes Vergleichsmaterial. Wir kennen noch zu wenig fossilführende eiszeitliche Ab- lagerungen, und die bekannten sind noch nicht in ausreichender Weise durchforscht. Meine Über- zeugung ist aber, daß wir ebenso wie in älteren marinen Bildungen, so auch im Quartär nur durch sorgfältigste Beachtung und Vertiefung in die er- haltenen Lebewesen uns ein klares Bild der Bildungsverhähnisse werden machen können. N. F. XVI. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sind die Maskarenen und die zeutralpazifischen Inseln ozeanisch Von Dr. A. C. Oudemans in Arnhem. [Nachdruck verboten.] Im vergangenen Jahre mit Dodo-Studien be- schäftigt '), kam ich auch in das spekulative Gebiet der Abstammung, der Artspaltung und des geologischen Alters dieser interessanten Gruppe von ausgestorbenen Vögeln. In obengenannten Studien beschrieb ich mög- lichst genau die Unterschiede zwischen den beiden Dodo-Formen, welche die Insel Maskarenhas (Bourbon) und die Schwaninsel (Mauritius) be- wohnten, und kam zu dem Schluß, daß eine Trennung nicht nur in Arten , sondern auch in Genera nötig sei. Es gibt aber noch zwei andere Gründe, durch welche die Scheidung der zwei Dodo Arten wissen- schaftlich verteidigt werden kann; diese sind ein geologischer Faktor: die Zeit, und ein biolo- gischer: die Isolation. Die drei Maskarenen-Inseln sind in ihrer gegenwärtigen Gestalt gewiß in oder nach der Miozänzeit, aber noch im Neozän entstanden. Auf diesen Inseln wurden Riesenlandschildkröten [Tcsfudo] gefunden, jedoch keine anderen Land- tiere, was dieser Vorstellung Nachdruck verleiht. Diese drei Berggipfel eines unterseeisch versunkenen Berglandes — denn als solches müssen sie be- trachtet werden — sind also nach menschlicher Berechnung zwischen 6^.. und 3 Millionen von Jahren alt, also wahrscheinlich ungerähr 3 Millionen von Jahren getrennt, und die drei darauf lebenden Dodo- Arten (Raphidae) ebensolange isoliert ge- wesen. Welche Ursachen man nun annehmen will, innere (Jordan, Kon i ngsberger) oder äußere (Eigenman, Plate, Hertwig), nach solch einer langen Isolation müssen drei ver- schiedene Arten entstanden sein, welche so von- einander abweichen, daß ein Biologe sie, den gegenwärtig herrschenden Begriffen gemäß, in drei Genera unterbringt {Raplins cuciillatus L., Apfcrornis soUtarms S e 1 y s , Pezophaps folitarius Gmel.). Ich bin mir wohl bewußt, daß einige Geologen, u. a. mein Freund Dr. G. A. F. Molen graa ff, Universitäts-Professor in Delft, einer ganz anderen Meinung über die Maskarenen zugetan sind. Sie betrachten diese und die Inseln des Zentralen Pazifischen Ozeans als „wahre ozeanische Inseln, d. h. vulkanische Inseln, welche nicht mit ihrem Fußgestelle mit kontinentalen Schollen zusammen- hängen, sondern unmittelbar vom Boden der Ozeane emporsteigen und niemals Teil eines Kontinentes ausmachten" ") (1. c. S. 224). n Verhandelingen der Wis- Koninklyke Akademie van ') Sie erscheinen bald in < en Natuurkundige Afdeeling de Wetenschappen te Amsterdam. 2) G. A. F. Molengraaff in literis. — Derselbe, Het probleem der koraaleilanden en de isostasie. In: Verslagen der gewone Vergaderingen der Wis- en Natuurkundige Afdeeling der Koninklijke Akademie van Wetenschappen te Amsterdam, V. 25, 1916, p. 215—231. Auf meine briefliche Frage: „wie erklären Sie dann das Vorkommen jener Riesenlandschildkröten auf den Maskarenen und Seyschellen ?" erhielt ich eine Gegenfrage : „können jene nicht anderswoher eingeführt sein?" Meine Antwort lautet, und alle Zoologen werden mir beipflichten: unmöglich. Wohl erkennen die Zoologen die Möglichkeit der Verschleppung von Sauriern (Eidechsen u. dgl.) und Schlangen auf durch Banjirs losgerissenen und mitgeführten im Meere treibenden Bäumen; sie haben dafür selbst Beweise; aber gerade diese Tiere fehlten auf den Maskarenen zur Zeit als sie entdeckt wurden ! Außerdem sind Land- schildkröten sehr empfindlich für Meerwasser. Obwohl sie einige Tage darin lebend bleiben, sind sie darauf sowohl aus- wie inwendig durch das ihnen schädliche Element so angegriffen und werden dabei von der Brandung so gehauen, daß sie nur noch ein paar Tage leben. Vermischung der Inselrassen untereinander auf dem Wege über das Meer ist daher gänzlich ausgeschlossen. ') Die Riesenlandschildkröten waren früher auch auf der Insel Madagaskar weit verbreitet und verschwanden dort vielleicht allmählich, nachdem sie von Menschen bewohnt ward. Lebend sind sie auf den Maskarenen. Aldabras, Amiranten und Seyschellen gefunden. ") Sie sind Beweise dafür, daß diese Inseln alle einmal mit Madagaskar zu- sammenhingen. Ein Studium der Karte genügt, um einzusehen, daß die Tschagos-, Maldiv- und Lakkadiv-Inseln ein Ganzes bildeten, das offenbar eine Fortsetzung des westlichen GhatsGebirges der Malabarküste war. Die Indischen Ozean Inseln sind also jedenfalls keine „wahren ozeanischen Inseln". Der Verband zwischen allen den kleineren Inseln des Indischen Ozeans einerseits und Mada- gaskar andererseits war ganz bestimmt unter- brochen, bevor diese letztere größere Insel von Menschen bewohnt ward; denn als Madagaskar entdeckt wurde, war es von Menschen bewohnt und waren die Riesenlandschildkröten schon von diesen ausgerottet, während, als kurz darauf die übrigen Inseln des Indischen Ozeans entdeckt wurden, diese nicht von Menschen bewohnt waren und von Riesenlandschildkröten wimmelten. Diese sind weder im Ei, noch als lebendige Tiere, junge oder alte, auf die Inseln irgendwoher gekommen, ebensowenig wie die Elefanten von Zeylon und Sumatra dorthin transportiert sind. Ebenso sicher wie diese zwei großen Inseln einmal zusammenhingen , ebenso gewiß bildeten alle genannten Inseln des Indischen Ozeans einmal einen Kontinent. ') JohnVanDenburgh, The Gigantic Land Tortoises of the Galapagos Archipelago. — In: Proc. Calif. Acad. Sei. s. 4, V. 2, Pt. I, p. 202 — 374, tab. 12—124, Sept. 30. 1914. 2) A. Günther, The President's Anniversary Address, In: Proc. Linn. Soc. Lond. 189S, p. 14 — 29. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 15 Auch die Galapagos-Inseln sind von Riesen- schildkröten bewohnt, welche näher denen des Indischen Ozeans verwandt sind als denen des amerikanischen Festlandes. — John Van Den- b u rgh hat diesen Tieren ein ausgedehntes Studium gewidmet und kommt zu dem Schluß: „The evidence offered by these tortoises, therefore, seems to be against the view that these are oceanic Islands, which have been independently thrust above the surface of the water, and have received such animals as have drifted to them. V\'e must rather adopt the view that the Islands are but the remains of a larger landmass which formerly occupied this region, and was inhabited by tortoises, probably of but one race ; that the gradual partial submersion of this land separated its higher portions into various Islands; and that the resulting Isolation of the tortoises upon these Islands has permitted their differentiation into distinct races or species." Allen Geologen sei die Beachtung dieser Studien sehr empfohlen. Merkwürdigerweise waren diese Inseln bei ihrer Entdeckung nur von Riesenschildkröten und einigen Eidechsen, nicht von Menschen bewohnt, während fast alle zentralpazifischen Inseln bewohnt waren, aber keine Riesenschildkröten (mehr?) aufwiesen. Hier begegnen wir also demselben Fall wie im Indischen Ozean. Dort bildeten, wie wir oben sahen, die von Menschen und die von Riesenland- schildkröten belebten Inseln einmal ein Ganzes. — Haben wir nun Grund zu vermuten, daß die Galapagos ebenfalls mit den übrigen zentral- pazifischen Inseln einmal zusammenhingen? Ganz gewiß! Betrachten wir mit Aufmerksamkeit die Karte des Pazifischen Ozeans, worauf John Murray, der berühmte Leiter der Challenger-Tief-ee- Expe- dition, den Gehalt an kohlensaurem Kalk in. den Ablagerungen auf dem Meeresboden angegeben hat, so sehen wir im Geiste ein ausgedehntes Festland emportauchen, das vielleicht folgende Gestalt hatte. Ein großes Land umfaßte die Galapagos-, Clipperton-, Markesas-, Manahiki- (Penrhyn-), Sozietäts-, Paumotu-, Rapa-nui- (Oster-), Sankt F"elix- und Juan Fernando- (bei Chile) Inseln. Ein schmaler Streifen zwischen 50 und 60" s. Br. verband dieses Land mit der Campbell-Insel süd- lich von Neu-Seeland. Von dort streckte es sich nordwärts aus und umfaßte die Kermadek-, Tonga-, Fidschi-, Neu-Kaledonien-, Neu Hebriden-, Salomon- und Bismarcklnseln. Über Neu-Guinea hing es mit Indien zusammen. ^) Merkwürdigerweise haben wir in den Riesen- bauwerken auf Tonga-tabu und Rapa-nui die Beweise, daß dieses Festland einmal bewohnt war von einer viele Millionen zählenden Bevölkerung, welche eine Entwirklungshöhe erreichte, die mindestens der der Chinesen, Indier und Ägypter ') Australien (Neu -Holland) nenne ich nicht, weil von dort, selbst fossil keine Riesenlandschjldkröten (^Testitdo) be- kannt sind. glich. — Der Verband zwischen allen den kleineren Inseln des zentralen pazifischen Ozeans einerseits und den Galapagos andererseits muß also unter- brochen sein, bevor die ersteren von Menschen bewohnt wurden, denn auf den Galapagos waren niemals Menschen, wohl aber Riesenschildkröten. — Dieses Festland versank also, als es schon von Menschen bewohnt war, vielleicht schon vor einem oder mehreren Millionen von Jahren, aber es hat bestanden! Vielleicht war selbst dieses Land die Wiege der Menschheit! Bekanntlich hat man auf Rapa-nui über 500 kolossale Bilder gefunden, wie kein Volk der Erde sie je geschaffen hat. Sie bestehen nur aus dem Haupte und einem Teile der Brust, oder nur aus dem Haupte und dem Rumpfe; fast allen fehlen Hinterhaupt und Rücken; einige tragen einen Hut; andere sind gekrönt. Das Gesicht ist nicht unschön, gut geschnitten; die Unternase ist breit und weist malaiische Züge auf; Bartwuchs und -tracht dagegen sind mehr den der altpersischen Satrapen ähnlich. Das Volk war also ganz be- stimmt ein anderes als die Süd -Amerikaner und ebenso als die jetzt lebenden Polynesier! Aus dem Zustand, worin sich die Bilder befinden — ver- schiedene sind noch nicht aufgerichtet, viele noch nicht gekrönt, viele Kronen schon fertig, aber noch nicht auf die Häupter gesetzt — meint man schließen zu dürfen, daß die Bevölkerung die Bilder in aller Eile gehauen und aufgerichtet hat, wie um eine nähernde gewaltige Katastrophe zu beschwören, und während sie damit beschäftigt waren, die Insel in aller Eile verlassen hat. Man hat dabei an eine vulkanische Eruption gedacht. Nach meiner bescheidenen Meinung war es keine vulkanische Eruption, welche die Bevölkerung be- unruhigte und zur Flucht veranlaßte, denn die Bilder, welche an der Binnenneige des Kraters der drei gelöschten Vulkane stehen, haben ihre Gesichter nicht nach dem Zentrum des Kraters gerichtet. Vielmehr war es die Absicht, das alles verschlingende Meer zu beschwören, denn alle Bilder sind so aufgestellt, daß ihre Gesichter, welche eine böse oder verachtende Miene zeigen, nach dem Meere zugewandt sind. Das Land scheint also ziemlich schnell gesunken zu sein. Bei der F"lucht haben die Bildhauer und die Bevölkerung überhaupt alle Gerätschaften mitgenommen, denn man hat auf der ganzen Insel, trotz sorgfältigen Absuchens, nur ein Ob- sidianmesser gefunden. Die Hypothese der „wahren ozeanischen Inseln" ist (oder scheint?) übrigens so logisch, daß da- gegen im allgemeinen wohl wenig Bedenken an- geführt werden können; doch haften ihr noch einige Fehler an; sie gibt nämlich von einer un- erwarteten Seite noch zu lästigen Fragen Ver- anlassung, welche vorher gehörig aufgelöst werden müssen, bevor die Hypothese Theorie genannt werden kann. Ist es nicht möglich, zu der Hacke einen Stiel zu finden? M ol engraaff sagt selber (1. c. S. 224), N. F. XVI. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 203 daß: „diese vulkanischen Inseln, welche sich als Kegel oder Gruppen von Kegeln von ansehnlicher Masse unmittelbar aus der plastischen Sima" (basaltischen Unterlage) „erheben, nicht bestehen bleiben können; sie werden vielmehr durch die Einwirkung der Gravitation allmählich, schneller oder langsamer, sinken müssen, alle, ohne Unter- schied, und so lange dieser Kraft nicht von anderen Kräften entgegengewirkt wird, unter dem Meeresspiegel verschwinden und schließlich mehr und mehr die Gestalt des Ozeanbodens an- nehmen müssen." — Weiter (I.e. S. 230): „Viel- leicht darf man in den merkwürdigen Mittel- Atlantischen Tiefseerücken das Ergebnis sehen einer vulkanischen Tätigkeit längs einer gewaltigen Spähe von der Ausdehnung des Tiefseerückens, wo aus zahlreichen Öffnungen vulkanisches Material gepreßt wurde, wodurch vulkanische Rücken und Kegel gebildet wurden, welche gegenwärtig fast alle, infolge der Isostasie, durch die Einwirkung der Gravitation, bis zum Durchschnittsniveau des unterseeischen Rückens zurückgesunken sind, während nur hier und dort einzelne Inseln, wo die vulkanische Tätigkeit länger fortdauerte oder noch fortdauert, sich jetzt noch über den Meeres- spiegel erheben und andere (wovon der Natur der Sache nach nur einzelne zufällig durch Lotung entdeckt sind) sich zwar noch zu verschiedener Höhe über dieses Niveau erheben, aber nicht bis an den Meeresspiegel reichen. Zu den letzteren gehören drei unterseeische Berge, welche sich in der Nähe des westlichen Teils der Azoren vom Ozeanboden, welcher hier ungefähr 3000 m tief ist, zu 146, resp. 128 und 88 m unter dem Meeresspiegel erheben. Die Veranlassung zum Hinausfließen von solchen gewaltigen Massen vulkanischen Materials möchte man vielleicht suchen im Abreißen des amerikanischen Kon- tinents vom europäisch-afrikanischen, womit er früher zusammenhing. . ." Wenn wir nun die Hypothese auch auf das Indische Festland „Lemuria" und das zentral- pazifische Fe.stland, das füglich „Tonga-Rapa" ge- nannt werden kann, anwenden, und dabei erwägen, daß die Möglichkeit gar nicht ausgeschlossen ist, daß die Spalten entstanden und deshalb die ge- waltigen Massen basaltischen Magmas aufwärts ge- preßt wurden, als die Kontinentalblöcke noch nicht so hoch und die Ozeanbecken noch nicht so tief waren (was meines Erachtens sehr be- greiflich ist), dann können wir uns vorstellen, wie es möglich war, daß eine ,, Atlantis", eine „Lemuria" und eine „Tonga-Rapa" über das Meer als basaltische Festländer hinausragten, welche später, da sie als plastische Massen ineinander sanken, wieder verschwanden — später, viel später, als sie schon von Landpflanzen und Landtieren bewohnt waren — die „Tonga-Rapa" seihst von einer viele Millionen zählenden Be- völkerung von Menschen. — Einzelberichte. Zoologie. Neue Untersuchungen über den Farbensinn der Insekten. ') Das Problem, wie sich das Insektenauge zur Farbe verhält, ist erst in jüngster Zeit aufgetaucht. Der Münchener Ophthal- molog C. von Heß kam bei seinen Untersuchungen des Farbensinns der höheren und niederen Tiere, die er unter Anwendung der Methoden der wissenschaftlichen Farbenlehre ausführte, zu dem überraschenden, mit allen früheren Annahmen in Widerspruch stehenden Ergebnis, daß die Insekten die Farben nicht als solche, sondern nur als Helligkeitsunterschiede wahrnehmen, daß sie total farbenblind sind. Damit schien die Dar win'sche Annahme einer Wechselwirkung zwischen der Farbenpracht der Blüten und den Insektenbesuchen widerlegt zu sein. Allerdings konnte es zunächst noch fraglich erscheinen, ob die Ergebnisse der Heß' sehen Untersuchungen hinreicliend sicher seien. Auch diesen Zweifel muß man jedoch nach der letzten Heß 'sehen Veröff'entlichung -') fallen lassen. Wir haben bei jenen Ergebnissen den ') C. Heß, Messende Untersuchungen des Lichtsinns der Biene. Arch. f. d. ges. Physiologie, 19 16. ^) Fr. Stellwaag, Die Blumenstetigkeit der Hummeln. Zeitschr. f. wiss. Insektenbiologie, 1916. Schluß, der von Heß zu seiner Auffassung führte, und die Prämissen dieses Schlusses zu unterscheiden. Der Schluß, daß die Insektenaugen total farben- blind sind, weil ihre Empfänglichkeit für die Lichtstärke des farbigen Lichtes vollständig mit der des total farbenblinden Menschen übereinstimmt, ist ein Analogieschluß, der nach den Regeln der Logik nur eine bedingte Gültigkeit besitzt, die Prämissen des Schlusses hat von Heß dagegen in seiner „Messenden Untersuchung des Licht- sinnes der Biene" mit voller Sicherheit festgestellt. Er beweist hier ein Dreifaches. Zunächst eine große Empfänglichkeit des Insektenauges für Unterschiede in der Lichtstärke. Sie ist bei dem Bienenauge mindestens so groß wie die des menschlichen Auges. Zweitens zeigt er, daß bei dem Menschen das normale, das rotblinde und das total farbenblinde Auge in ganz verschiedener Weise die Lichtstärken der gefärbten Lichter empfinden. Für das normale Auge wird die Lichtstärke durch Rot und Orange erhöht, durch Blau erniedrigt; für das rotblinde Auge durch Orange erhöht, durch Rot und Blau erniedrigt; für das total farbenblinde Auge durch Blau erhöht, dnrch Rot und Orange erniedrigt. Dabei sind die Unterschiede in der Stärke der Lichtempfindung 204 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 15 sehr groß. Sie verhält sich bei den Farben rot, orange und blau für das normale Auge wie die Zahlen (9-11) : (16,5-20,8) : (1,5-2,5)^) für das rotblinde Auge wie die Zahlen (1,5-2,2) : (11,8-13,2) : (2-3) für das totalfarbenblinde Auge wie die Zahlen 0,6 : 6 : (9,9—11,8) Man hat daher nur die Stärke der Licht- empfindung bei farbigen Lichtern zu ermitteln, wenn man wissen will, ob man es beim Menschen mit einem normalen, einem rotblinden oder einem total farbenblinden Auge zu tun hat. Die dritte wichtigste Feststellung, die von Heß machte, war die Tatsache, daß sich das Auge der Biene hinsichtlich der Empfindung der Lichtstärke genau so verhält wie das Auge des total farbenblinden Menschen. Die betreffenden Zahlen sind bei den Bienen für rot orange blau 0,6 : 6 : (8,3-11,1). Die Zahlen sind mit Hilfe eines messenden Ver- fahrens und unter Ausschluß des subjektiven Mo- mentes in exakter Weise ermittelt. Es war dies möglich, weil die Empfindung der Lichtstärke sowohl bei dem Menschen wie bei den Bienen bestimmte unwillkürliche Bewegungen auslöst. Die Bienen laufen in einem verdunkelten Räume nach dem Orte, der ihnen am stärksten beleuchtet erscheint, während bei dem Menschen sich die Puppille je nach der Stärke der Lichtempfindung vergrößert oder verkleinert. Das Verfahren von Heß be- stand nun im Prinzip darin, daß er in einem ver- dunkelten Kasten, in dem sich die Beobachtungs- objekte befanden, von zwei kleinen Fenstern, die sich an den beiden sich gegenüberliegenden Schmalseiten befanden, das eine mit stetigem farbigen, das andere mit farblosen Lichte, dessen Stärke verschieden reguliert werden konnte, be- leuchtete und nun genau bestimmte, wieviel Prozente der benutzten Lichtquelle auf das farb- lose Fenster fallen mußten, wenn dieses die gleiche Reaktion hervorrufen sollte — also die Bienen ebenso anlocken und beim Menschen die gleiche Zusammenziehung der Pupille bewirken sollte — wie das farbige Fenster. Die oben mitgeteilten Ziffern sind die in den verschiedensten Versuchen gewonnenen Prozentzahlen. Wie die ermittelten Tatsachen als vollkommen sicher angesehen werden müssen , so handelt es sich auch bei dem Schluß, daß die Bienenaugen, weil sie die gleiche Empfindlichkeit für die Licht- stärke farbiger Lichter zeigen wie die Augen total farbenblinder Menschen, total farbenblind sein müssen, um einen strengen Analogieschluß. Er wird noch dadurch verstärkt, daß die Augen der anderen Insekten (Schmetterlinge, Libellen) die gleiche Empfindlichkeit für die Lichtstärke farbiger Lichter zeigen wie die Bienen. Wenn nun auch der Analogieschluß wie gesagt, eine nur bedingte Gültigkeit besitzt, so ist er doch besonders in der Biologie , die ihn fortwährend anwenden muß, so lange als zu Recht bestehend anzuerkennen, als nicht sichere Tatsachen das Gegenteil beweisen. Die entscheidende Frage ist daher, ob solche Tatsachen vorhanden sind. Tatsachen, welche für die frühere Auffassung sprechen, nach welcher die Insekten die Farben in gleicher oder ähnlicher Weise wie der Mensch wahrnehmen sollten, sind bisher nicht geltend gemacht worden; diese Auffassung scheint definitiv aufgegeben zu sein. Dagegen hat K. von Frisch') durch eine große Anzahl von Versuchen den Nachweis zu erbringen gesucht, daß das Bienen- auge nicht total farbenblind, sondern nur rotblind ist. Nach ihnen sollen die Bienen Gelb und Blau an ihrem Farbenwert erkennen. Rot erscheint ihnen dagegen wie Schwarz. Sie verwechseln ferner Orange mit Gelb, Purpur und Violett mit Blau, weil sie in diesen Mischfarben die rote Farben- komponente nicht wahrnehmen. K. von Frisch hat seine Resultate mit Hilfe des Dressurverfahrens gewonnen. Er dressierte Bienen auf bestimmte Farben, die sie später wieder zu erkennen schienen. Auf dem Zoologenkongreß 1914 wurden die von ihm vorgeführten Versuche mit Beifall aufge- nommen. Doch haftet der von ihm angewandten Methode zweifellos ein Mangel an. Durch die Dressur wird ein neues Moment eingeführt, das die Erscheinung noch weiter kompliziert und, weil wir es in seinen inneren Zusammenhängen nicht übersehen können, zu einer Quelle von Fehlern werden kann. C. von Heß hat auf eine ganze Reihe von Irrtümern, welche bei diesen Versuchen unterlaufen können, hingewiesen. Jedenfalls ist es wünschenswert, daß das Problem noch in anderer Weise angefaßt wird. Das ist in der Stell waag' sehen Untersuchung der Blumen- stetigkeit der Hummeln geschehen. Stellwaag sieht bei ihr von allen Dressurversuchen ab und sucht durch die bloße Beobachtung des Ver- haltens der Hummeln in der freien Natur Auf- schluß über ihren Farbensinn zu gewinnen. Einen Anhaltepunkt bietet ihm ihre Konstanz. Er unter- scheidet dabei die Konstanz der Bienen und der Hummeln. Die Biene bleibt, wie bekannt, der Blütenart, die sie beim ersten Anflug beflogen hat, treu. Bei älteren Bienen ist diese Konstanz außer- ordentlich groß, es kommen aber auch bei ihnen einzelne Abweichungen vor und es scheint, daß sie sich in solchen Fällen durch die Farbe täuschen lassen.'') Man kann dann daraus den Schluß ziehen, daß sie Farbensinn besitzen. Doch ') Die in Klammern stehenden Zahlen geben die Grenzen an, zwischen denen die Resultate bei den verschiedenen Ver- suchen lagen. ') K. von Frisch, Zum Farbensinn und Formensinn der Biene. 1916. ") H. Kranichfeld, Zum Farbensinn der Bienen. Biol. Zentralblau 1915- N. F. XVI. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 205 ist dieser Schluß nur unter besonderen Bedingungen zulässig. Es muß die Flora des ßeobachtungs- feldes, wenn er gelten soll, nicht nur sehr reich sein, so daß Individuen jeder Art in genügender Anzahl vorhanden sind, sie muß auch Blüten in den verschiedensten Farben und unter ihnen die Lieblingsblüten der Bienen enthalten, es darf ferner die gleichgefärbte Blüte, auf welche die Biene ab- irrt, nicht zu diesen Lieblingsblüten gehören — nur wenn alle diese Bedingungen erfüllt sind, sind andere Deutungen der Abirrung von der Konstanz ausgeschlossen. Direkter führt zur Beantwortung unserer Frage die Konstanz, welche Stellwaag bei der Hummel (Rombus agrorum) auffand. Sie Tabelle i. Beobachtung vom 18. Mai 191 5. Pflanzenart Zustand der Blüte Zahl der Be- suche Art des Besuches Farbe der Blüte Lathyrusniontanus aufgeblüht saugend rosaviolett Vicia sepium „ „ rotviolett verblüht umflogen blauviolett aufgeblüht saugend rotviolett verblüht „ schmutzigblau aufgeblüht , rotviolett verblühend , blauviolett aufgeblüht , rotviolett Knospe , lila aufgeblüht , rotviolett verblüht , blauviolett aufgeblüht , rotviolett verblühend , blauviolelt aufgeblüht ' , rotviolett Knospe , lila aufgeblüht , rotviolett „ umflogen „ „ saugend „ umflogen „ „ saugend „ „ „ umflogen Lathyrus montanus " saugend umflogen saugend rosaviolett „ verblüht " blauviolett " aufgeblüht umflogen rosavioletl •' verblühend aufgeblüht verblühend saugend blauviolett rosaviolett blauviolett aufgeblüht .. rosaviolett 2 Pflanzenspezies 3 Wechsel 120 5 Nuancen von violett Tabelle 2. Beobachtung vom 27. 1915- Zustand der Blüte Zahl der Be- suche Lathyrus vernus aufgeblüht verblüht aufgeblüht verblüht 34 saugend hellpurpur schmutzig blau hellpurpur blauweiß „ aufgeblüht 19 hellpurpur Polygala umflogen blau Lathyrus vernus „ 12 saugend hellpurpur Lathyrus montanus „ röüich-violett Lathyrus vernus verblüht 7 " hellpurpur blau „ aufgeblüht „ hellpurpur Trifolium pratense " ^^- fleischfarben 5 Spezies 7 Wechsel ss 6 Nuancen Art des Besuches war hinsichtlich der Blüten art nur schwach, hin- sichtlich der Blüten färbe sehr stark ausgebildet. Während die Hummeln die Blütenarten bei den einzelnen Flügen ziemlich oft wechselten, blieben sie der Farbe der zuerst beflogenen Blüte treu. Dabei handelte es sich nicht um eine Vorliebe für eine bestimmte Farbe — denn es war diese zwar in den von Stellwaag beobachteten Fällen in der Regel blau, in zwei Fällen aber auch gelb und weiß — sondern nur um Konstanz — d. h. um Farbenstetigkeit. Diese letztere war über- raschend groß. Stellwaag teilt die Protokolle von 15 von ihm beobachteten Flügen mit im ganzen 1015 Blütenbesuchen mit. Nur zweimal irrten dabei die Hummeln auf anders gefärbte Blüten ab. Daß man bisher diese merkwürdige Eigenschaft der Hummeln nicht erkannt hat, ist nach Stellwaag darauf zurückzuführen, daß die F"arbenstetigkeit der Hummeln die des rotblinden Auges ist, die unserem normalen Auge nicht als solche erscheint. Es mag das noch an zwei St eil waag'schen Protokollen gezeigt werden. Die Hummeln besuchten in beiden Fällen nacheinander rosaviolette, rotviolette, blauviolette, lilafarbene, purpurfarbene und blaue Blüten, sie wechselten so für unser Auge die Farben, für das rotblinde Auge hatten die Blüten aber nur eine, die blaue Farbe. Man kann aus den Protokollen übrigens mit Stellwaag noch weitere Schlüsse ziehen. Nicht selten waren die Blüten, welche die Hummeln anzogen, schon verblüht oder noch nicht voll aufgeblüht, sie hatten also in beiden Fällen keinen Nektar. Dieser kann daher nicht das gewesen sein, was sie anlockte. Daß sie sich bei ihren Flügen nach der Farbe richteten, tritt besonders bei dem Besuch der Polygala in 206 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 15 Protokoll 2 hervor. Die Hummel suchte sie auf, obgleich sie abseits stand und der Weg zu ihr durch Grasbüschel vers[)errt war. Bei ihr angekommen, umflog sie dieselbe aber nur und verschmähte den gedeckten Tisch. Auch die etwaige Deutung, daß bei der Farbe für die Hummeln nicht der Farben- sondern nur der Helligkeitswert in Betracht gekommen sei, kann gegenüber der Tat- sache, daß bei den besuchten Blüten wohl der Farbenwert, nicht aber der Heiligkeilswert gleich blieb, nicht aufrecht erhalten werden. Es ist zu hoffen, daß der von Stellwaag eingeschlagene Weg auch von anderen durch Beobachtungen im Freien weiter verfolgt wird. Sollten sie die von ihm beobachtete Farben- stetigkeit der Hummeln bestätigen und als all- gemeine Regel erweisen, so würde in ihr eine starke Instanz gegen die sonst so einleuchtenden Schlußfolgerungen von Heß gegeben sein. Kranichfeld. Springende Insektenlarven sind auch dem Laien mehrfach bekannt. Es sei nur an die Larve des Wicklers Ocnophthira pilleriana erinnert^» die von ihren lebhaften Springbewegungen den Namen Springwurmwickler führt. Berührt man sie, so führt sie lebhaft schlängelnde Bewegungen aus, wobei sie sich rückwärts fortbewegt. Sie entrinnt dadurch der Gefahr ergriffen zu werden, denn bei der Berührung schnellt sie sich sofort aus ihrem Ge- spinnste heraus und läßt sich zu Boden fallen, wo sie sich verkriecht. Den Springvorgang hat schon Reaumur be- obachtet und er ist seitdem auch an verschiedenen Objekten beschrieben worden. 1893 hat Giard die Bewegungen der Gallmückenlarve Diplosis jakobaeae analysiert und eine genaue Beschreibung seiner Beobachtungen gegeben. In der Zeitschrift für wissenschaftliche Insektenbiologie 1916 hat nun H. Prell weitere Angaben über das Springen von Diplosislarven veröffentlicht. Er machte seine Studien an Diplosis quinquenotata Low. Die Larven wurden an Hemerocallis fulva ge- funden, wo sie in den Blutenknospen eine auf- fällige Verkrüppelung erzeugten. Um sie besser beobachten zu können, brachte sie Prell zwischen zwei Uhrschälchen unters Mikroskop. Sobald sie von unten beleuchtet wurden, sprangen sie an den Glasdeckel, um sich von dort aus aufs neue fort- zuschnelien. Dabei war es leicht, den Verlauf des Springaktes zu verfolgen. Schickt sich die Larve zum Sprung an, so hält sie in ihren gewöhnlichen Kriechbewegungen plötzlich still und macht nur noch mit dem Vorder- körper tastende Bewegungen. Dann streckt sie sich gerade und preßt ihr Vorderende fest gegen die Unterlage. Gleichzeitig lockert sie ruckweise ihr Hinterende von der Unterlage ab, reckt es in die Höhe und krümmt es nach der Ventralseite ein, so daß die Larve die Gestalt eines stehenden Hakens bekommt. Das Körperende gleitet nun an der Bauchseite entlang bis an die Grenze von Pro- und Mesothorax. Hier stellt sich ihm eine chilinartige Verdickung, der Stiel der Brustgräte entgegen. Da dieser nicht wie die übrige Haut sich ohne weiteres biegen läßt, wird hinter ihm die weiche Sternalhaut tief grubenförmig eingedrückt und in dieser Grube findet das Hinterende festen Halt. Der Körper hat nun etwa die Form eines nicht ganz geschlossenen Ringes, steht aber mit dem Kopfende fest auf der Unterlage. Hat das Hinterende festen Halt gefunden, so beginnt sich in der Mitte des Körpers die dorsale Längs- muskulatur zu kontrahieren und die anfangs hoch- gewölbte Kurve etwas abzuflachen. Damit wächst einerseits die Spannung des Bogens, andererseits verringert sich aber auch der Halt, welchen das Hinterende am Thorax findet. Schließlich muß dann das Hinterende ganz abgleiten und der Körper der Larve schnellt in eine leicht gebogene Normallage zurück. Durch den Rückstoß dieser Bewegung, die ganz dem Auseinanderschnellen eines gebogenen Drahtes entspricht, wird die Made fortgeschleudert. Der Springprozeß wäre nicht möglich, wenn außer der Chitinverdickung an der Brust nicht auch das Hinterleibsende stärker chitinisiert wäre. Da der übrige Körper weichhäutig ist, so besteht eine ganz ausgesprochene Anpassung an eine be- stimmte Art der Fortbewegung, und es ist zu vermuten, daß das Springvermögen für das Tier eine gewisse Bedeutung haben muß. Giard nimmt an, daß die Larve auf diese Art die Ver- breitung der Art begünstigt. Dagegen wendet Prell ein, daß die Sprungweite der Maden relativ gering ist und daß diese wegen der Gefahr des Eintrocknens sich nicht lange im Freien aufhalten können. Aus der Tatsache, daß sie sich nach dem Sprung stets einzugraben versuchen, zieht Prell den Schluß, daß das Springen eine Fähigkeit sei, welche gegenüber der kriechenden Fortbewegung vor allem ein rascheres Einbohren in die Erde zur Verpuppung ermöglicht. Diese Anschauung wird sicher durch die Beobachtungen gestützt, die eingangs von der Larve des Springwurm- wicklers mitgeteilt worden sind. Stellwaag. Plates Fauna ceylanica. Unter dem Titel Fauna ceylanica gibt L. Plate in der Jenaischen Zeitschrift für Naturwissenschaft Untersuchungen zur Tierwelt Ceylons nach Studien an dem von ihm im Winter 1913/14 gesammelten Material heraus. Bisher erschienen 3 Teile ^), von denen der zweite über biologische Beobachtungen im Forschungsgebiete berichtet. Als Korailenkenner interessierte sich Plate lebhaft für das Korallen- ') I. L. Plate, Über zwei ceylonische Temnoccphalen. Jenaische Zeilschr. LI, 1914, S. 707 — 722. — II. Dersi-lbe, Über- sicht über biob'gische Studien auf Ceylon. Ebenda. Bd. LIV, 1916, S. I— 41, 9 Taf. -- III. Derselbe: Die rudimentären Hinterflügel von Phyllium pulchnfolium Serv. 9. Ebenda, Bd. LIV, 1916, S. 43—66, I Taf. N. F. XVI. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 207 riff von Galle an der Südwestküste der Insel, und unter anderem beschreibt er an ihm eine Riff platte, wie er es nennt, eine dicht von grünen Algen und Kalkalgen überzogene poröse Deckschicht über toten, aufeinandergewachsenen Korallen. Sie kann das Körpergewicht eines Mannes tragen. Da sie samt den unter ihr be- findlichen, zwar abgestorbenen, aber an Ort und Stelle übereinandergewachsenen Korallen '/., — -i^o m Dicke hat, so kann die Darwin'sche Senkungslheone der Entstehung der Korallenriffe nicht wohl mit der Begründung bekämpft werden, die lebenden Korallen hätten nicht die Fähigkeit, auf den toten sich immer weiter in die Höhe zu bauen in dem Maße, wie der Boden sinkt und die versenkten Korallen absterben. Zu der reichen Tierwelt jener Riffs gehört die Schnecke Harpa conoidalis, die biologische Eigentümlichkeiten hat: starke plötzliche Reizung führt zur Auto- tomie des Vorder fußes, vielleicht eine An- passung, die ein rasches Zurückziehen in die Schale erleichtert. Ferner ist diese Art neben Cypraea tigris der einzige Prosobranchier, an dem nunmehr Farbenwechsel festgestellt wurde. Ausgesprochene Schutzfarbe ist zwei Epizoen der Seegurke Holothuria atra eigen ; der bisher unbeschriebene Ringehvurm Polynoe freudenbergi und die Krabbe Lissocarcinus orbicularis ahmen durch braune Färbung mit gelben Flecken genau die Farbe der schwarzbraunen , mit hellgelben Sandkörnern beklebten Holothurie nach. Sehr auffallenden Farbenwechsel zeigten auch Fische aus der Familie der Gobiiden, Salarias lineatus, die sich oft in der Gezeitenzone über Wasser aufhalten. Gegen lautes Schreien, Pfeifen, Hammerschläge an einen Blecheimer und sonstige starke Geräusche verhalten sie sich völlig reak- tionslos, ebenso ein Periophthalmus, also zwei Fischarten mit vielfach terrestrischer Lebensweise. Wenn somit diese Fische anscheinend nicht hören, wird man das bei rein Wasserlebigen noch weniger vermuten. Noch mit einem dritten an Land gehenden P'isch beschäftigt sich Plate, mit Anabas scandens, dem Kletterfisch. Die auf einen dänischen Leutnant Daldorf und das Jahr 1791 zurück- gehende Angabe, dieser Labyrinthfisch klettere auf Bäume, dürfte sich höchstens auf eine zu- fällige, eigenartige Beobachtung stützen. Die Bewegung an Land erfolgt nach Plate weniger oft in Bauch- als in Seitenlage, dann mit der Geschwindigkeit eines langsamen P'ußgängers und zwar dadurch, daß die Dornen am Hinterrand des Kiemendeckels gegen den Boden gestemmt werden und gleichzeitig der Schwanz hin und her schlägt. Außer Wasser sterben selbst in feuchten Glasschalen die Tiere in 20 bis 24 Stunden stets ab, sie können also auch die trockene Jahreszeit zwar im Erdreich, aber nicht nach Dipnoerart ganz ohne Wasser verbringen. Dagegen lebte ein Anabas, von dem nur ein Kiemendeckel und ein Teil der rechten Seite ins Wasser tauchte, der ganze übrige Körper aber auf feuchtem Sande der Luft ausgesetzt war, in dieser seitlichen Lage 4*/., Wochen ohne jede Nahrung und ließ nach Abbruch des Versuchs nicht die geringste Schädigung erkennen. Offenbar hat das Labyrinth, ein wichtigeres Atmungsorgan als die Kiemen, eine gewisse Anfeuchlung nötig, um die unent- behrliche gasförmige Luft verarbeiten zu können. Die Fische, die in der Küche ungewöhnlich zäh- lebig sein sollen, lebten auch in 45 "/,, igem Alkohol noch ca. 20 Minuten und in Alkohol-Sublimat- Eisessig etwa Vi Stunde. Von den Feststellungen an Land seien zu- nächst Plate's Ausführungen über den heiligen Bobaum in Anuradhapura, der alten Kultusstätte des ceylonischen Buddhismus, erwähnt. Staunend stehen Pilger und auch P"orscher vor dieser Ficus religiosa, deren hohes Alter von mehr als 2000 Jahren die Priester und Mönche bei der ge- ringen Stärke des Stammes glaubhaft zu machen suchen, indem sie erklären, er scheine im Wachstum nicht fortzuschreiten. Bestenfalls kann man, meint Plate, annehmen, daß der ursprüngliche, aus Indien eingeführte Ableger jenes Baumes, unter welchem einst die Erleuchtung über Buddha gekommen sein soll, längst bis auf einen basalen Strunk zu- grundegegangen ist und aus dem Wurzelstock die zwei schwachen, wohl höchstens 200jährigen Äste hervorgingen, die jetzt dort stehen. Von einem 2000jährigen Alter dieses Baumes dürfen wir, füge ich hinzu, also höchstens in dem Sinne sprechen, wie Kobelt^) von looojährigen Erlen im Frankfurter Stadtwald. VVeitere Notizen beziehen sich auf das Leuchten der schon viel bewunderten Leuchtkäferart Luciola sinensis, deren nächtliches Funkeln in den Baumkronen dem Glanz der Sterne vergleichbar ist. Die Rhythmik des Leuchtens ist in- sofern nur eine scheinbare, als sein stetes Aufhören und Wiederbeginnen bei frischen Tieren nur auf dem häufigen Abkehren der Unterseite des Hinterleibs vom Beschauer beruhen kann; denn in der Nähe beobachtete frische Käfer leuchten ununterbrochen ; jedoch ist das Licht nicht ruhig, sondern zitternd, mit ständigen Pausen von Bruch- teilen einer Sekunde, und nur bei Nacht wird es erzeugt. Da das Leuchten auch durch Dunkelheit tags nicht hervorgerufen werden kann, erinnert es an den P'arbenwechsel von Dixippus morosus, der gleichfalls dem Tiere „in Fleisch und Blut übergegangen" ist, und würde wohl gleich den Schlafbewegungen der Acacia lophanta auch ohne Fortbestehen der ursprünglichen Ursachen, des Tag- und Nachtwechsels, erblich auftreten. Papilio hector erwies sich in vier Einzel- versuchen als ein für Eidechsen unschmack- hafter Schmetterling, was für die Mimi- krylehre spricht, denn eme Weibchenform von Papilio polytes ahmt ihn nach. Andere Schmetter- ') Sitzungsberichte derSenckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1912. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 15 Hnge wurden von den Eidechsen gefressen. Als wenig findig erwiesen sich Eidechsen gegenüber Gespenst- und Blatt h eu seh recken, denn solange sich diese nicht bewegten, wurden sie von den Kriechtieren nie gefunden. Die Be- obachtungen wurden teils im Käfig, teils in Freiheit mit angebundenen Insekten angestellt. Alte „Wan- delnde Blatter", Phyllium pulchnfolium, sehen auf Kakaobäumen rostfleckig aus wie die Blätter dieser Bäume selbst und scheinen sogar einander zu täu- schen und daher manchmal von Artgenossen ange- fressen zu werden, selten sind sie ganz rotbraun wie tote Blätter, doch haben diese Farbe immer die neugeschlüpften Tiere, die durch ihren negativen Geotropismus an die braun beblätterten Zweig- spitzen klettern. Unbedingt geschützt gegen die Entdeckung durch Kriechtiere sind diese Heu- schrecken aber nicht, und noch mehr als ihre bloße Pflanzenähnlichkeit schützt sie ihre auf- fallende Neigung zur Kat al ep si e. Diese Starr- sucht, oft in den absonderlichsten Stellungen, aus der die Tiere auch durch Beträufelung mit Alkohol oder durch Hammerschläge auf den Tisch, bei denen sie höchstens umfallen, nicht erwachen, wohl aber durch energisches Schütteln, erhöht zweifellos ihre Astähnlichheit, da innerhalb vieler Stunden nur gerinfügige Veränderungen der Beinstellung wohl durch die Schwere eintreten; sie ließ sich auch künstlich hervorrufen, indem man die Tiere auf den Rücken legte, die beiden hinteren Beinpaare ausspreizte und einen sanften Druck auf das Bauch- mark und die Beine ausübte. Dies gelang sowohl bei Stabheuschrecken wie bei dem erwähnten wandelnden Blatt, aber nicht bei zwei Mantisarten. Als rudimentäre Organe interessierten Plate die Afterklauen der Riesenschlange Python molurus. Die bekanntlich nicht völlig geschwundenen Hinterbeine variieren in der Größe und liegen zu drei Vierteln in der Haut verborgen. und auch am lebenden Tier wurde ihre Hervor- streckung nicht beobachtet. Plate hält sie da- her gegenüber der Meinung, daß es nutzlose Organe nicht gebe, für völlig bedeutungslose Rudimente und betont dieselbe Auffassung auch für die rudimentären Hinterflügel von Phyllium pulchrifolium, denen er im dritten Teil eine aus- führlichere Studie widmet. Diese nur 4 mm langen, zusammengefalteten und auf embryonaler Stufe stehengebliebenen Gebilde sind unbeweglich und mit Sinnesborsten und Sinnesknöpfen ausgerüstet, die nicht innerviert sind. Die Epidermis ist stets syncytial bei verschiedenen Graden des Kern- schwundes unter Histolyse und wahrscheinlich Phagocytose. Die Phagocyten zerfallen dann selbst und geben damit die von ihnen gefressenen Stoffe als Nährmaterial frei. Die zur Blatt- ähnlichkeit führenden Eigenschaften von Phyllium, führte Plate aus, wie die Verbreiterungen der Vorderflugel, der Schenkel und des Hinterleibes, können nur durch Selektion entstanden sein, da- gegen ist die in sich harmonische Rudimentation der Hinterflügel durch Vererbung des Erworbenen zu erklären — weniger durch Nichtgebrauch als durch geschmälerte Stoffzufuhr zu den peripheren Determinanten, was auf die zentralen zurück- wirkte; während eine unmittelbare Schädigung der Keimplasmadeterminanten zur Disharmonie hätte führen müssen , und als unschädliche Organe diese Hinterflügel nicht durch Selektion ausgemerzt werden konnten. Weniger biologisches als systematisches Inter- esse hat die im ersten Teil, 1914, gegebene ana- tomische Behandlung zweier Temnocephaliden, winziger auf einer Garnelenart schmarotzender Würmchen, die in mancher Hinsicht zwischen Turbellarien und Trematoden vermitteln. Die eine der beiden Arten, Monodiscus parvus, ist neu. V. Franz. F. Bronsart v. Schellendorf. Afrikanische Tierwelt, III und IV. Leipzig, 1916. E. Haberlandt. — Geb. 4 M. Aus dem reichen Schatz seiner Erfahrung als Naturbeobachter und Jäger in Oatafrika schöpfend, setzt der Verf. mit den beiden obigen Bänden die Reihe seiner afrikanischen Tierschildeiungen fort, die wir bereits mehrfach charakterisierten. Be- sonderesinteresse wird der Band „Löwen" erregen; der Verf. teilt in ihm eine Menge wichtiger Be- obachtungen mit, so z. B. über die in Höhlen lebenden Löwen. Obwohl er mit seinen sechzig Bticherbesprechungen. auf freier Wildbahn erlegten Löwen den Welt- rekord hält, rückt er seine Jagderlebnisse — so aufregend sie sich auch lesen — , nicht in den Mittelpunkt, vielmehr ist stets die genaue Be- obachtung der Tiere sein wesentlichstes Ziel. Das gleiche gilt für den anderen Band, In welchem wieder mehr in tiernovellestischer Form das Leben und Treiben von Elefanten, Büffeln, Leoparden usw. dargestellt wird und aus dem wieder ein starkes sympathisches Naturgefühl spricht. Miehe. Inhalt! H. Menzel(f), Zur Entwicklung und Gliederung der Quartärbildungen des nördlichen Deutschlands. S. 193. A. C. Oudemans, Sind die Maskarenen und die zentralpazifischen Inseln ozeanisch? S. 201. — Einzelberichte: C. von Heß und Fr. SteUwaag, Neue Untersuchungen über den Farbensinn der Insekten. S. 203. H. Prell, Springende Insektenlarven. S. 206. L. Plate, Plates Fauna ceylanica. S. 206. — Bücherbesprechungen: F. Bronsart V. Schellendorf, Afrikanische Tierwelt, 111 u. IV. S. 20S. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstrafie 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 22. April 1917. Nummer 16. Stützgewebe und Integumente der Tiere. I. Niedere Tiere. Die Vielgestaltigkeit der Natur, die Unzahl der tierischen Formen bringt auch parallel damit eine große Variation der Stütz-, Gerüstsubsianzen und Integumente mit sich. Relativ einfach erscheinen diese Stoffe bei den Wirbeltieren, um so mannig- faltiger jedoch, wenn wir über die hochorganisierten Lebewesen hinausblicken und auch die Klasse der wirbellosen Tiere in unsere Betrachtungen mit hin- einziehen. Neben einer Art gewöhnlicher Eiweiß- stoffe, der Albuminoide, werden wir brom- und jodhaltigen Eiweißstoffen bei Schwämmen und Korallen begegnen und neben der Zellulose der Tunicaten einem außerordentlich weit verbreiteten Stoffe, dem Chitin. Wir wollen zuerst die Klasse der niederen Tiere auf Stützgewebe und Inte- gumente hin untersuchen, um dann zu den Wirbel- tieren emporzusteigen. Bei niederen Tieren sind es Kombinationen von organischen und anorganischen Stoffen, welche als Stützgewebe oder Integumente fungieren; aber da das organische Material der Masse nach in den Vordergrund tritt und auch sonst biologisch wichtiger erscheint als das anorganische Material, so waren es besonders die organischen Substanzen, welche die zahlreichen Forscher interessierten, die zum größten Teile diesen Problemen ihre Lebens- arbeit opferten. Es war vor allem Krukenberg, der die außerordentlich große Formenfülle der Tegumentgebilde niederer Tiere nach einem be- stimmten Prinzip ordnen wollte. Die 4 Klassen seines Systems umfassen; i. reine, stickstoffreie Zuckerarten, 2. stickstoffhaltige, schwefelfreie Sub- stanzen, welche einige Eiweißreaktionen zeigen, aber einen großen Gehalt an Zuckerarten besitzen (Skeletine); 3. gewisse Stoffe, welche die meisten Eiweißreaktionen geben (Albuminoide) und end- lich 4. echte Eivveißstoffe. Dabei ist die Tatsache ganz besonders interessant, daß wir bei den Pflanzen ausschließlich den Zuckerarten (Zellulose) als Stütz- substanzen begegnen, welche dann beim Aufstieg in der Tierreihe allmählich zugunsten der Eiweiß- stoffe in den Hintergrund treten, da ja das Knochengewebe der Wirbeltiere — was organische Substanz betrifft — völlig aus Eiweiß besteht. Ein tieferer Einblick lehrt uns jedoch, daß von der besprochenen idealen Regelmäßigkeit nicht die Rede sein kann. Die chemischen Studien dieser Stoffe sind noch so gering, eine genaue Kenntnis der chemischen Konstitution durch eine besonders schwierige Isolierung so erschwert, daß sogar die typischen Vertreter noch gar nicht oder nur sehr mangelhaft untersucht sind; nur das Von Dr. Emil Lenk (Darmstadt). Chitin hat bis nun das Interesse einer Anzahl von Autoren erweckt. Bei der niedersten Tierklasse, den einzelligen Protozoen scheinen es Eiweißsubstanzen zu sein, welche das Körperprotoplasma vom Außen- medium scheiden , die vielleicht einer Art von Gerinnungsprozeß ihre Entstehung verdanken. Bei den Rhizopoden z. B. finden wir die innere Schicht zumeist aus organischer Substanz be- stehend, während die äußere aus Sandkörnern oder aus verschiedenartigsten Plätichen, wie Diato- meenschalen, Glassplittern besteht, die mittels einer organischen Leimsubstanz aneinander haften. In fast allen diesen Gehäusen ist die anorganische Kieselsäure vorherrschend, die durch eine Eisen- oxydverbindung mehr oder weniger dunkel ge- färbt erscheint. Die außerorderulich mannigfaltige Gehäuseform der Radiolarien besieht zumeist aus Kieselerde, organischen Silicaten und dem vielfach untersuchten Akanthin, das sich als anor- ganisch, als Strontiumsulfat (Coelestin) erwies. Bei den Schwämmen (Spongien) bildet teils kohlensauerer Kalk das Skelett (Kalkschwämme, Calcispongien), teils Kieselsäure (Silicospongien), teils Spongin (Ceraospongien), und schließlich entbehren einige Vertreter überhaupt der Skeleit- bildung. Besonders interessant erscheinen uns die Ceraospongien, die als Gerüstsubstanz Spongin, ein typisches Albuminoid enthalten, das jod- haltig ist. Es bleibt vorläufig rätselhaft, wie diese marinen Schwämme, die ganz minimalen, im Meerwasser enthaltenen Jodmengen in sich zu konzentrieren vermögen, v. Fürth hat berechnet, daß I g eines solchen Schwammgerüstes den Jodgthalt von 130 1 Meerwasstr in sich aufnehmen kann. Dieses Auswahlvermögen der Tiere für bestimmte Substanzen, finden wir öfters in der Tierreihe; so bei den Purpurschnecken, welche das Brom des Meerwassers zum im Alter- tum viel gerühmten Purputfarbstoff(Dibromindigo) verwandeln, das von Paul Friedländer syn- thetisch hergestellt wurde. Es haben in den letzten Jahren besonders zwei amerikanische Forscher W h e e 1 e r und Mendel Badeschwämme auf Jodgehalt untersucht und das Jod an eine organische Substanz gekettet gefunden, die auch sonst als Eiweißbruchstück , als Aminosäure er- scheint (Tyrosin); dieses Dijodtyrosin, dem wir auch noch weiter unten begegnen werden, ist auch synthetisch zugänglich. Von den Hohltieren (Coelenteraten) ist nur die Klasse der Anthozoen (Korallentiere) auf Stütz- gewebe und Integumente hin untersucht worden, weil der Gehalt des organischen Baumaterials an 2IÖ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i6 Jod und Brom vor allem interessant war. Auch hier hat sich die jodhaltige Komponente als Dijod- tyrosin erwiesen. Neben dieser Gorgonin ge- nannten organischen Substanz findet sich in den Skeletten von anorganischen Bestandteilen kohlen- sauerer Kalk. Die Stachelhäuter (Echinodermen) ver- danken ihren Namen den Kalkgebilden, welche oft zu Stacheln ausgestaltet, ihren Körper panzern. Das Substrat, in welches diese Kalkplatten ein- gebettet sind, trägt den Charakter der Albumi- noide, jener Eiweißstoffe, von denen früher die Rede war. Die Tegumente der Echinodermen und namentlich die der Seewalzen, sind durch eine in der Tierreihe einzigartige Erscheinung aus- gezeichnet, derzufolge die verschiedensten Reize, wie Einwirkung der Luft genügt, um sie in einen formlosen Schleim zu verwandeln; dieser Ver- schleimungsprozeß kann sogar ganz spontan hervor- gerufen werden, wenn man ein abgeschnittenes Hautstück mit einer Nadel stichelt. Die Natur dieses Vorganges ist noch fast gar nicht aufgeklärt; jedenfalls dürfte dieser Prozeß nicht fermentaiiver Natur sondern kolloidchemisch derart zu erklären sein, daß eine Wasserverschiebung innerhalb der einzelnen Formelemente vor sich geht, möglicher- weise dem Vorgange der Ausbildung der normalen Totenstarre nach der Theorie von Otto v. Fürth und Emil Lenk. Diese eigenartig sich ver- haltenden Integumente werden unter dem Namen Trepang in Ostasien als Nahrungsmittel benutzt und sollen wie der Wirbeltierknorpel durch einen hohen Gehalt an gepaarter Schwefelsäure, der Chondroitinschwefelsäure, ausgezeichnet sein. Bei den Würmern sind die Integumente zum allergeringsten Teil untersucht worden. Vor allen ist CS das Verdienst Ostwald Schmiedeberg's, die Hüllen des Röhrenwurmes Onuphis tubicola einer chemischen Analyse unterworfen und im Onuphin eine Substanz gefunden zu haben, die aus einer Zuckerart und aus einer stickstofi"- haltigen, relativ einfach gebauten Komponente (Aminosäure) bestehen soll. Auch die Hüllen des schönen Röhrenwurmes Spirographis Spalanzanii, dessen Kiemen einer Palmkrone gleich, aus einem schlanken, am Meeresgrunde wurzelnden Rohre hervorragen, sollen aus einem onuphinartigen Stoffe bestehen. Wenden wir uns nun den Weichtieren (Mollusken) zu, so begegnen wir einem eiweißartigen Stoff, für den der Sammelname Conchiolin geprägt wurde, von dem wir allerdings so gut wie gar nichts wissen. Neben dieser organischen Substanz findet man in den Gehäusen zum größten Teil kohlen- und phosphorsaueren Kalk, der durch Farbstoffe oft ein farbenschönes Aussehen erhält. In der innersten 3., der irisierenden Perl- mutterschicht dieser Gehäuse, bilden sich bei vielen Muscheln (echte Perlmuschel Meleagrina margaritifera, Flußperlmuschel Margaritana marga- ritifera und bei Unio, Haliostis usw.) die Perlen als pathologische Gebilde. Die Veranlassung zur Perlbildung in der Natur geben vielfach kleine Organismen oder auch künstlich eingebrachte Fremdkörper. Chemische Analysen von Perlen sind besonders von Harley ausgeführt worden, wonach sie aus ca. 92 "/g kohlensauerem Kalk, 6 % Conchiolin und aus 2 " „ Wasser bestehen. — Neben diesen Integumenten begegnen wir bei den Mollusken auch Stützgebilden, die als organisches Material Chitin enthalten, das als Stüizgewebe der Arthropoden (Gliederfüßer) überaus cha- rakteristisch ist. In der Rückenschulpe der Sepia, sowie bei Loligo, in der Leber vom Mollucken- krcbs (Limulus) ist Chitin nachgewiesen worden. Das Chitin ist, wie erwähnt, die charakte- ristische organische Substanz der Siützgewebe der Arthropoden, denn es bildet hier nicht nur die äußere Bedeckung, die durch Kalk verstärkt ist, sondern auch die Tracheen und oft das Darm- rohr. Die Flügeldecken (das Epidermoidalgewebe) der Insekten und die Panzer der Krustaceen (Krebs, Hummer) bestehen was organische Substanz be- trifft ausschließlich aus Chitin, jener Substanz, die vielleicht von allen Stützgeweben der niederen Tiere, am genauesten, besonders in den letzten Jahren, untersucht wurde. Das Chitin zeichnet sich durch eine außerordentlich große Wider- standsfähigkeit aus, da es noch in Fossilen z. B. im Panzer von Pterogytus osiliensis aus dem Silur anzutreffen ist. Aber auch gegen chemische Rea- genzien ist es so resistent, daß es tagelang mit der konzentriertesten Alkalilauge gekocht werden kann, ohne sich zu verändern; natürlich ist es in allen möglichen Lösungsmitteln unlöslich. So günstig diese Schwerlöslichkeit des Chitins ist, so ungünstig wird dieselbe für seine chemische Er- forschung. So war es denn ein großer Fortschritt, als man gelernt hatte, das Chitin dem schmelzen'den Ätzalkali eine '/■, Stunde hindurch bei 180" aus- zusetzen; diese Prozedur genügt um das Chitin bei Erhaltung der äußeren Struktur in ein in ver- dünnten Säuren lösliches Produkt, das Chitosan umzuwandeln, das durch wiederholtes Umfallen gereinigt werden kann. Epochemachend war nun vor mehreren Jahren, als v. Fürth und Russo das Chitosan mit Säuren in eine kristallinische Veibindung überführen konnten, die von Emil Lenk einer genauen Analyse unterworfen wurde. Auf Grund dieser Arbeit hat dann Brach auch das Chitin selbst untersuchen können. Durch diese und ältere Forschungen wurde die Ver- wandtschaft des Chitins mit anderen komplizierten Zuckerarten, vor allern der Zellulose, dem Pflanzen- stützstoff erkannt, der ausnahmsweise auch in der Tierwelt aus den Hüllen der Tunicaten (Manteltiere) isoliert werden konnte. Diese vor einer Anzahl von Jahren erschienenen Arbeiten hatten auf die Naturforscher einen mächtigen Einfluß ausgeübt, da damit eine der festeststehenden Mauern zwischen der Pflanzen- und Tierwelt gestürmt zu sein >-chien. Spätere Arbeiten haben jedoch noch eine Unzahl von Untersuchungen gezeitigt, die die Kluft zwischen den beiden Reichen nicht nur schmälerten, N. F. XVI. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. sondern sogar vollständige Übergänge schufen. Speziell in der letzten Zeit hat der bekannte Physiologe Emil Abderhalden gemeinsam mit Zemplen dieser Tunicatenzellulose ein ein- gehenderes Studium gewidmet und daraus Abbau- produkte isolieren können, die sich mit denen aus der Pflanzenzellulose erhaltenen als identisch erwiesen. Nicht direkt zu den Tegumenten zu zählen, aber dennoch im Zusammenhange damit seien noch einige Gespinste der Wirbellosen zu er- wähnen, wie das erhärtete Sekret der Byssusdrüse, das Byssus, wclclies sich im Jugendstadium bei vielen Muscheln findet und zum Anheften von Fremdkörpern dient. Hierher gehört auch die Seide, das zur Herstellung des Kokons benutzte Sekret der Seidenraupe (Bombyx mori). Beim Kochen mit Wasser spaltet sich die Seide in zwei Bestandteile, in den wasserlöslichen Seiden- leim und das unlösliche Seidenfibroin , das auch das Material des Byssus bilden soll. Praktische Versuche haben gezeigt, daß die sezernierte Menge des Seidensekretes mit der Menge der gefütterten Blätter parallel läuft. Die anderen Gespinste, die Spinnen usw. sezernieren, sind so spärlich untersucht, daß man von ihnen — und dies auch nicht mit voller Bestimmtheit — nur sagen kann, daß sie auch aus Eiweiß bestehen. Den Grund zu diesen mangelhaften Untersuchungen bietet die außerordentlich geringe Menge, welche die Tiere produzieren und bei fertigen Gespinsten verhindern wieder die Verunreinigungen mit Staub usw., die Fäden rein zu isolieren. II. Wirbeltiere. Schreiten wir in der Tierreihe weiter, so finden wir bei den Wirbeltieren ein Skelett, das gleich- sam die Basis für den weiteren Aufbau des Körpers bildet. Das Knochengewebe besteht aus organischen (zumeist Ossein, Osseomukoid usw.) und aus anorganischen Substanzen (Knochenerde: Kalzium, Magnesium, Natrium, Kalium, Prisen, Chlor, Kohlensäure, Schwefel- und Phosphorsäure). Viel- leicht eines der interessantesten Probleme des Knochens ist die reichliche Ablagerungsfähigkeit von Kalk in diese Gewebe. Die auffallend kon- stante Aschenzusammensetzung hat Hoppe- Seyler dazu geführt, die Relation der Phosphor- säure zum Kalk in den Knochen und Zähnen dem Mineral Apatit gleichzusetzen, während andere Autoren diese einfache Annahme nicht be- stätigen konnten. Das Verhältnis der anorganischen Bestandteile im Knochen ist keineswegs konstant ; wir sehen vielmehr bei der später noch weiter zu erwähnenden Rachitis, daß mit dieser Krankheit eine pathologische Veränderung der Knochen einhergeht, indem die Aschenabnahme wahrscheinlich mehr auf Kosten des Kalkes als der Phosphorsäure vor sich geht und der relative Gehalt an Magnesium zunimmt. Vielleicht können wir auch somit die Talsache, daß die Zähne der Jetztzeit einen höheren Magnesiumgehalt besitzen als die prähistorischen, auf eine pathologische Er- scheinung zurückführen. Außerordentlich schwierig wird die Beantwortung der Frage, wie die Kalksalze abgelagert und resor- biert werden. Bei einer oberflächlichen Betrachtung der Blutzusammensetzung in bezug auf Kohlen- säure, Phosphorsäure und Kalzium muß es uns wundernehmen , weshalb es nicht im Blute zur Abscheidung des schwerlöslichen tertiären Kalzium- salzes der Phosphorsäure kommt und welche Ein- richtungen das Blut besitzt, um diese Abscheidung zu hindern. Es hat speziell in der letzten Zeit der große Straßburger Physiologie Franz Hofmeister zeigen können, daß die Gegenwart der Eiweißstoffe im Blute die Bildung des schwerlöslicheu Nieder- schlages hindert und so gleichsam zum Schutz- körper wird. Die Fragen, ob sich beim Ver- kalkungsprozeß erst Kalkseifen bilden , oder ob der Knorpel eine besondere Neigung hat, Kalk- salze in sich aufzunehmen, und ähnliche, sind alle noch lange nicht gelöst. Auch die Rachitis harrt noch ihrer Erklärung. Eine große Anzahl von Autoren hat die Ursache der Rachitis in einem primären Kalkmangel sehen wollen und denselben teils auf eine verminderte Kalkaufnahme, teils auf eine vermehrte Kalkabgabe bezogen. Außerordentlich genaue Versuche haben jedoch in dem Kalkstofifwechsel normaler und rachitischer Kinder keine eindeutigen Unterschiede gefunden; es nimmt zuvor zwar der Kalkgehalt der Knochen ab, dabei bleibt jedoch der Kalkgehalt der VV'eich- teile auf gleicher Höhe. Es nehmen somit die meisten Forscher an, daß das Knochengewebe nicht imstande ist, rechtzeitig Kalksalze aufzunehmen, obzwar ihm dieselben genügend zur Verfügung stehen, wie es Pfaundler mit der fehlenden Eigenschaft der Kalkadsorption ausgedrückt hat. Die Rachitishypothese des Kalkmangels hat aber dennoch noch Anhänger: so sind vor einigen Jahren aus dem Zuntz'schen Institute einige Arbeiten erschienen, die beweisen, daß der Säug- ling nur ein knappes .Auskommen mit dem er- haltenen Kalk hat, wenn man den normalen Kalk- gehalt der Milch und die normale Gewichtszunahme des Säuglings berücksichtigt. Jede Überernährung mit kalkfreier Nahrung, jedes raschere Wachstum hat einen Kalkmangel zur Folge, der nach diesen Untersuchungen mit der Rachitis einhergeht. Ja es soll auch die Milch der Mütter rachitischer Kinder besonders kalkarm sein und der Kalk der Kuhmilch bzw. der Kindermilchpräparate schlecht ausgenuizt werden. Man sollte deshalb annehmen daß man durch Kalkzugaben zur Säuglingsnahrung der Rachitis vorbeugen und damit viel Elend aus der Welt schaffen könnte. Es ist aber merkwürdig, daß man damit noch nicht zum erwünschten Ziele kam und wahrscheinlich deshalb, weil man mit der Kalkzufuhr viel zu spät und erst dann begonnen hat, als sich deutlich klinische Symptome zeigten. Es scheint auch aus einer Arbeit aus dem Zuntz'schen Institut hervorzugehen, daß das Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i6 Sterilisieren der Milch den Kalkansatz ungünstig beeinflußt. Man hat auch vielfach versucht eine Rachitis bei Tieren künstlich zu erzeugen, indem man den Tieren entweder eine kalkarme Nahrung gab oder durch Säure/ufuhr eine Entkalkung des Knochens herbeiführen wollte; hierzu gesellen sich noch Ver- suche über Ernährung mit Futtermitteln, welche eine Asche von sauerer Reaktion zeigen (Zerealien- körner, Rübenschnitzel usw.). Bei allen diesen Versuchen wurde aber keine echte Rachitis er- zeugt, sondern eine Osteoporose genannte Er- scheinung, wobei der Knochen dünn, wasserreich, kalkarm und brüchig wird. Man hat z. B. oft ge- sehen, daß ein so ernährtes, anscheinend ganz gesundes Tier bei einem Sprunge zusammenbrach, weil seine morsche Wirbelsäure entzwei geknickt war. Aber eine echte Rachitis kam nie zur Aus- bildung, welche in einer mangelhaften Kalkablage- rung zu bestehen scheint, während bei der Osteo- porose das verkalkte Knochengewebe zum Teil verschwindet. Eine andere Störung im Mineralstoffwechsel tritt bei der Osteom alacie ein, einer Krankheit, welche der Straßburger Pathologe E"riedrich von Reckling hausen nicht scharf von der Rachitis getrennt haben will. Es ist eigenartig, daß das eigentliche Wesen der Osteomalacie noch vollkommen unbekannt und nur das eine bekannt ist, daß diese Krankheit mit den Vorgängen im weiblichen Sexualapparat im Zusammenhange steht. Die von Fehling angegebene Entfernung der Keimdrüsen hat sich vielfach bewährt. Ferner hat man sich bemüht auch die Funktionen anderer Drüsen mit sog. ,, innerer Sekretion" mit den Knochenwachstumsvorgängen in Zusammenhang zu bringen, wie der Thymusdrüse, Schilddrüse, Hypophyse und Nebenniere. Eine der auf- fälligsten Folgen der mangelnden Schilddrüsen- funktion ist das Zurückbleiben im Wachstum, das mit einer erheblichen Verzögerung der Ver- knöcherungsvorgänge parallel geht, und man hat auch wiederholt bemerkt, daß auch andere Aus- fallerscheinungen nach Exstirpation der Schild- drüse (Kachexia strumiprioa und Myxödem) durch Schilddrüsenverfütterung zum Rückgang zu bringen sind. Eine systematische Behandlung des Kreti- nismus ist ja nicht nur ein humanitäres, sondern direkt ein nationalökonomisches Problem. Um nur ein Land hervorzuheben, hat die letzte Volks- zählung in Frankreich die erschreckende Zahl von I20 000 Kretins ergeben. Auch eine teilweise Entnahme des Hirnanhangs (Hypophyse) hat ein Zurückbleiben des Wachstums zur Folge; das Skelett behält seine kindlichen Proportionen, die Knochen bleiben zart und unterliegen leicht Ver- krümmungen, so daß die Versuchstiere nicht nur zwerghaft klein, sondern auch mißgestaltet er- scheinen. Die vollständige Entfernung der Hypophyse ist mit dem Leben unvereinbar. Neuere Arbeiten haben gelehrt, daß diese Wachstumstörung auf dem Wegfall des Vorderlappens beruht. Beim Menschen werden Hypophysenerkrankungen eben- falls beobachtet. So glaubt man die Erscheinung der Akromegalie und des Gigantismus mit einer Funktions>teigerung der Hypophyse im Zusammen- hang bringen zu können. Das Bild der Akromegalie ist durch auffällige Wachslumsstörungen gekenn- zeichnet, die insbesondere an den Extremitätf n und am Gesicht kenntlich sind. Das ganze Gesicht, Hände und Füße sind stark und plump vergrößert, Kiefer und Jochbogen ist vorspringend. Der schlagendste Beweis jedoch für den Zusammen- hang zwischen Hypophysenfunktion und Akro- megalie lieferte der Wiener Chirurg Julius Hochenegg, als er durch operative Behand- lungf der Hypophyse erreichen konnte, daß bereits loTage nach der Operation die Zähne aneinander- rückten und Hände und Füße bedeutend kleiner wurden. Die ungeheure Literatur die sich mit der Therapie dieser Krankheiten beschäftigt, hat allerdings noch sehr wenig Brauchbares zutage gefördert. Die besten Resultate dürfte noch die Phosphordarreichung zeitigen, welche seit Wegn er's Untersuchungen angewendet wird, um rachitische Prozesse günstig zu beeinflussen. Von der Veränderung der Knochen bei der Rachitis und der Osteomalacie ist die Knochen- brüchigkeit der Rinder, Lecksucht, Nage- oder Hinsiechkrankheit genannt, verschieden, die besonders Kälber betrifft und als erstes Symptom die Knochenbrüchigkeit aufweist. Es ließ sich zeigen, daß verschiedene Heusorten, die zur Fütterung der Tiere dienten, einen stark ver- minderten Natrium- und einen erhöhten Kalium- gehalt aufwiesen. Eine andere den Mineralstoffwechsel betreffende Krankheit sehen wir auch in einer der unheim- lichsten Tropenkrankheiten, dei Beriberi, welche durch eine dauernde Ernährung mit poliertem, weißem Reis verursacht sein soll. Durch den Vorgang des Polierens wird das phosphorreiche Perikarp des Reiskorns entfernt; eine phosphor- reiche Nahrung soll gute Heilerfolge haben. In der Praxis werden die Knochen neben anderen tierischen Abfallstoffen, wie Haut, Fisch- schuppen, Fischabfällen usw. zur Leimbereitung verwertet. Diese Stoffe enthalten die schon früher erwähnte organische Substanz Ossein oder Kollagen (leimgebendes Gewebe) genannt, die durch Behandlung mit Wasser in Glutin (Leim) übergeht. Glutin ist ein Eiweißstoff, der mit fremden Beimengungen als Leim und Gelatine in Handel kommt. Die auf den Aufbereitungs- maschinen sortierten Knochen gelangen auf ein breites Transportband und von da auf den Knochenbrecher, eine Maschine, die die Knochen in kleine Stücke bricht. Die zerbrochenen Knochen gelangen nun in einen Entfettungsapparat, der bis lOOOO kg „Knochenschrot" aufnehmen kann, wo- bei durch Benzin das Knochenfett entfernt wird. Das Knochenschrot wird nochmals gereinigt und poliert, indem man es über Putztrommeln passieren läßt, wobei man aus lookg Rohknochen ca. 50 — 60kg N. F. XVI. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 2IJ Knochenschrot, 8 — lo kg Knochenfett, 6—12 kg Putzmehl (Staub beim Vorgang auf der Putz- trommel, zu Düngezvvecken verwendet) und 5 kg Abfälle erhält. Aus dem Knochenschrot, der oft mazeriert (mit i "/'oiger schwefliger Säure behandelt) wird, wird dann die Leimbrühe nach dem Dampf- verfahren im Autoklaven hergestellt, wobei durch überhitzten Dampf das Kollagen in das Glutin umgewandelt wird. Die enileimten Knochen werden dann auf den Kugelmühlen zum „ent- leimten" Knochenmehl vermählen. Die Leim- brühe wird nach der Klärung und eventuellen Bleichung mit schwefliger Säure in Vakuum- apparaten nach Kestner konzentriert, in Zink- kästen gegossen und von Schneidemaschinen zu Tafeln zerschnitten oder auf andere Weise ver- arbeitet. Das Trocknen dieser Platten bildet den heikelsten Teil der Leimfabrikation, es wird ge- wöhnlich so ausgeführt, daß man die Tafeln auf Trockenhorden mit Baumwoll- oder Drahtnetz bespannte Rahmen in lange Trockenkanäle bringt, durch welche eine Luft von 20—25" gesaugt oder gepreßt wird. Die deutsche Jahreserzeugung an Leim betrug (1901) 30000 t, die an Gelatine für Speisezwecke und photographischen Gebrauch etwa 2000 t. Weit verbreiteter als das Knochengewebe ist das Knorpelgewebe bei den Wirbeltieren. Bei den niederen Wirbeltieren ist der Knorpel das einzige Stützgewebe (Knorpelfische), das all- mählich bei den höheren Vertretern der Tierreihe dem Knochengewebe Platz maclit. Je jünger der Knochen, desto knorpelreicher ist er; nur allmählich wandelt sich der Knorpel in Knochen um. Beim Kochen unter erhöhtem Druck (im Papinschen To|)f) zerfällt der Knorpel, wobei das Chondrigen in eine löbliche Modifikation, das Cho ndrin, über- geht. Das Chondrin ist jedoch keine einheitliche Substanz, sondern ist aus 4 verschiedenen Stoffen zusammengesetzt, von denen die Chondroitin- schwe feisäure den wichtigsten und charakte- ristischsten Bestandteil bildet, deren chemische Konstitution trotz zahlreicher Studien noch nicht klar ist. Am besten wird zur Darstellung der Chondroitinschwefelsäure die Nasenscheidewand des Schweines benutzt. Außer den genannten organischen Verbindungen enthält der Knorpel noch 40 — 70'7o Wasser und 2 — 10 "„ Mineral- bestandteile (Asche); bei der Aschenzusammen- setzung ist der völlige Mangel an Kalium auf- fallend; dagegen ist er das an Natrium reichste Gewebe. In der Asche sollen ca. 95 " g Nairium- chlorid sein (Petersen). Unter pathologischen Verhältnissen kann der Knorpel verändert werden, indem sich darin, vor allem bei der Gicht, Salze der Harnsäure anhäufen. In der Praxis wird auch der Knorpel zur Leimberehung mit verwendet, - obgleich der daraus entstehende Chondroitinleim viel geringwertiger ist als der Glutinleim. Eme andere Art von Siützsubstanz bildet das Bindegewebe und das elastische Gewebe. Unter dem Bindegewebe treten die Sehnen in den Vordergrund, welche ca. 60 "/^ Wasser, 40% organische und 0,5 % anorganische Stoffe ent- halten. Unter den organischen Stoffen stellt wieder das Kollagen, also die leimgebende, früher beschriebene Substanz die Hauptmenge dar, ihm folgen der schwt- felhaltige Eiweißstoff Elastin und andere Eiweißkörper, wie Reticulin usw. Unter den Mineralstoffen ist die Kieselsäure auffallend. Interessant sind die Untersuchungen des Binde- gewebes in der Arterienwand, besonders ihre chemischen Veränderungen, die bei der Arterio- sklerose (Arterienverkalkung) entstehen. Während die normale Arterienwand 0,2 — 4,2 anorganische Stoffe, darunter 0,43 % Kalk enthält, besitzt sie bei einer arteriosklerotischen Erkrankung bis zu 18,33 "1, Asche, darunter 8,79 "0 Kalk, also eine Vermehrung um das 20 fache. Mit den Knochen chemisch nahe verwandt sind die Zähne der Säugetiere, die aus 3 Be- standteilen bestehen : Aus dem Zement, welches den unsichtbaren Teil des Zahnes, die Wurzel, umhüllt und mit Knochen identisch ist, dem Zahnbein oder Dentin, welches die Hauptmasse des Zahnes ausmacht, und dem Schmelz, der den sichtbaren Teil des Zahnes, die Krone umgibt. Das Zahnbein unterscheidet sich chemisch sehr wenig vom Knochen, vielleicht nur durch seinen sehr niedrigen Gehalt an organischen Substanzen. Der Schmelz ist jedoch vor dem Knochen ganz besonders durch seinen außerordentlich hohen Gehalt an anor- ganischen und seinen sehr geringen an organischen Substanzen ausgezeichnet. Die letzteren betragen nur etwa 2 — 10 "^ und bilden kein Glutin. Was die anorganischen Substanzen anbelangt, so ent- hält der Schmelz weniger Magnesium und des- halb mehr Kalzium als die Knochenasche. Im Zusammenhang mit der P'rage, inwieweit die Zu- sammensetzung der Nahrung für den chemischen Bau des Knochens von Bedeutung ist, hat man sich ebenso bemüht, den Kalkgehait der Nahrung mit seiner Ablagerung in den Zähnen in Zu- sammenhang zu bringen, hat jedoch konstatieren können, daß die Zähne davon viel weniger be- einflußt werden als der Knochen. Es ist aber doch beachtenswert, daß in Gegenden mit kalk- reichem Wasser die Bewohner bessere Zähne haben als in solchen mit kalkarmen Wasser. Die Zahnkaries besteht ja aus einer Loslösung von mineralischen Bestandteilen aus dem Zahn und damit natürlich aus einer relativen Vermehrung der organischen Substanz. Schließlich seien noch die Haut und ihre Gebilde zu besprechen, welche die eigentlichen Integumente bilden und vielfach chemischen Unter- suchungen unterzogen wurden. So ist der geringe Schwefelgehalt der Epidermis beobachtet worden; die Haut der Neger enthält mehr Asche als die der Weißen. Unter den Hautgebilden sind vor allem die Haare, Hufe, Hörner, Federn, Wolle usw. zu nennen. Die Horngebilde, wie Nägel, Hufe Schildpatt usw. sind durch ihren relativ hohen Schwcfelgehalt ausgezeichnet, den sie dem Ei- 214 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i6 weißstofif Keratin verdanken, das sich vor dem anderen Gewebe noch durch seine UnlösJichkeit in allen Lösungsmineln unterscheidet, also durch seine besonders große Widerstandsfähigkeit hervortritt. Ferner sei noch erwähnt, daß täglich 5 mg Hornsubstanz an den Ungernägeln produziert wird. — Die Haare sind wohl die am intensivst untersuchten Hauptgebilde und be- sitzen ebenfalls als integrierenden Bestandteil Schwefel im Eiweiß; die roten Haare sind die schwefelreichsten. Charakteristisch ist auch bei den Analysen der Haare, daß die weißen Haare am kalkreichsten sind, also wieder ein Beweis, daß Altererscheinungen in den verschiedensten Geweben mit einer reichlichen Ablagerung von Kalksalzen parallel gehen. Besonders sei noch hervorgehoben, daß die Haare Kieselsäure ent- halten, wie der bekannte Physiologe Gorup- Besanez festgestellt hat. — Über die chemischen Arbeiten an Federn sei nur erwähnt, daß der Flaum und die Flügelfedern einen energischeren Mineralsti ffvvechsel haben als die mittleren P'edern und daß auch der Kalkgehalt der älteren Federn höher ist als der der jüngeren. — Schließlich seien noch Hautgebilde, wie Fischschuppen er- wähnt, die sich eigentlich nur durch ihren höheren Gehalt an organischen Substanzen von den Knochen unterscheiden, denen die Geweihe vollkommen gleichen. Auch sie können ebenso wie die Knochen Jahrhunderte überdauern und sich dabei in ihrer chemischen Zusammensetzung nur außeiordentlich wenig verändern. ~ Zur Bestinimiing fossiler Blattabdriicke. Von Dr. R. Krauset. [Nachdruck verboten.] Mit 9 ■■\bbi Hand in Hand mit dem Bestreben der Bo- taniker, das System der lebenden Pflanzen ,, natürlich" zu gestalten, d. h. es mehr und mehr zum Aus- druck der Entwicklung und des Stammbaums zu machen, geht das Bemühen, auch die vorweltlichen Pflanzen, soweit sie uns bekannt sind, in dieses System einzufügen. Und in der Tat müssen ja gerade sie für stammesgeschichiliche Fragen von höchstem Interesse sein. Je tiefer wir in die Vorzeit der Erde hinuntersteigen, um so fremd- artiger ist auch die F'lora, man denke nur an die Pflanzenwelt der Steinkohlenzeit. War es lange schwierig, ihre Beziehungen zur Flora der Jetzt- zeit richtig zu deuten, so haben eingehende Untersuchungen, an denen neben andeien auch deutsche Gelehrte wie Solms-Laubach und Potonie rühmlichen Anteil hatten, doch zahl- reiche, wenn auch noch lange nicht alle Fragen gelöst, so daß wir in großen Zügen immerhin ein Bild von dem Werdegange der Pflanzenwelt be- sitzen. Allgemein gilt das ja eigentlich selbst- verständliche Gesetz, daß, je jünger eine fossile F'lora ist, sie auch um so mehr der heutigen ähnelt. Erst in der Kreide treten die echten Blütenpflanzen, die heute das Bild beherrschen, in den Vorder- grund, und in noch höherem Maße ist dies im Tertiär der Fall. Bei der Beschreibung solcher Reste jüngeren Alters gewinnt die Vergleichung mit lebenden Formen besondere Bedeutung. Ein Beispiel möge dies erläutern. Wenn wir etwa in nördlichen Gegenden fossile, palmenähnliche Blatt- reste finden, oder im Tertiär Norddeutschlands häufig Koniferenzweigen begegnen, die völlig der heute nur noch in Nordamerika lebenden Sumpf- zypresse (Ta.xodiiiiii disfic/itim (L.) Rieh.) oder ihrem merkwürdigen auf Ostasien beschränkten Verwandten Glyp/as/rob//s JictcropliyUiis E n d 1. gleichen, so weist dies zwingend im einen Falle Idungen. auf entscheidende klimatische Umwälzungen, im anderen auf pflanzengeographische Fragen von hohem Interesse hin. Vorausssetzung derartiger paläoklimatischerund pflanzengeographischcr Folgerungen ist natürlich die richtige Bestimmung der vorliegenden Fossilien. Ihr stellten und stellen sich aber mancherlei Schwierigkeiten entgegen, die teils in der Natur des fossilen Materials, teils aber auch in der Art und Weise der Bearbeitung begründet sind. Wo immer fossile Pflanzenreste gefunden werden, wo- bei es sich stets in erster Linie um Blätter handelte, während Blüten und Früchte viel seltener sind, wird eine solche „Lokalflora" meist von einem Autor bearbeitet, während es an einer mono- graphischen Durcharbeitung einzelner Pflanzen- gruppen auf Grund von Material verschiedener Herkunft mit ganz wenigen Ausnahmen bis in die jüngste Zeit gefehlt hat. Wenn dann, wie es häufig der Fall ist, der Autor von Hause aus kein Botaniker ist, so ist klar, daß zahlreiche Irr- tümer die P'olge sind. In der Tat kann nicht ge- leugnet werden, daß gerade die Paläobotanik ein Gebiet ist, auf dem viele Unberufene ihr Rößlein tummeln, was Potonie einmal zu seinem drasti- schen, aber die Zustände treffend charak- terisierenden „paläobotanischen Stoßseufzer" ver- anlaßt hat (vgl. diese Zeitschrift N. F. VIIL 1909). Beachtung hat er allerdings bei denen, die es anging, nicht gefunden, und noch heute besteht sein Wort von den „mihijägern" zu vollem Rechte. Ein besonderes Kapitel bildet in dieser Hinsicht die Bestimmung fossiler Holzreste, doch soll davon hier nicht weiter die Rede sein. So kommt es auch, daß zahlreiche Reste, deren un- genügende Erhaltung eine sichere Bestimmung ausschließen, mehr oder weniger phantasievoll „ergänzt" und dann unter einem schönen Namen N. F. XVI. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. be?!chrieben werden. Der Wert der so erhaltenen „Arten" ist gleich Null. Sie sind ein unnützer, be- schwerlicher Ballast für jeden, der gezwungen ist, sich mit ihnen auseinander zu setzen. Dies ist auch überall dort der Fall, wo den Beschreibungen keine oder nur oberflächliche Abbildungen bei- gegeben werden. Hierdurch wird ein Vergleich mit neuen Funden oder deren Zurückführung auf schon beschriebene sehr oft erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Ein junger, viel zu früh im Felde gefallener Breslauer Botaniker, Reimann, hat demijegenüber die Forderung aufgestellt, daß in paläobotanischen Arbeiten nur die photo- graphische Wiedergabe als allein naturgetreu an- gewandt werden dürfe. *) Das ist nur zum Teil richtig. Sehr oft handelt es sich um Darstellung gewisser Einzelheiten, die auch die beste Photo- graphie nicht erkennen läßt. Hier kann man die Zeichnung nicht entbehren. Gegen ihre An- wendung wird sich zumal dann nichts einwenden lassen, wenn man sich ihrer neben dem Lichtdruck bedient. Aber man kann doch auch nicht jedes behandelte Blatt photographisch abbilden! Reimann's allzu skeptischer Standpunkt ist ja angesichts mancher Arbeiten verständlich, er geht aber dabei wie auch in seinen übrigen Ausführungen über den Wert oder besser „Unwert" palä- ontologischer Schlußfolgerungen entschieden weit über das Ziel hinaus. Daß auch Zeichnungen von Wert sein können, beweisen die klassischen Werke eines Heer oder Goeppert. Sie ent- halten — neben manchen allerdings ungenauen und ungenügenden — doch auch zahlreiche gute Abbildungen, die ein Erkennen und Vergleiche sehr wohl möglich machen. Wie leicht die unvollkommene Erhaltung der Fossilien und ihre Ergänzung zu Trugschlüssen führen können, soll ein Beispiel lehren (Abb. i. u. 2.). Es handelt sich um zwei Blätter aus dem tertiären Ton von Schoßnitz in Schlesien, die aus der Sammlung der Geologischen Landesanstalt, bzw. dem geologischen Institut in Breslau stammen. Beides sind unzweifelhaft Weidenblätter und als solche stets richtig bestimmt worden. Ihre Blattform erscheint ganz verschieden. Abb. i zeigt ein von der Mitte ab sich ziemlich schnell zuspitzendes Blatt (man achte be- sonders auf den scharfen Blattrand links oben!), eine Form, die Goeppert als Salix iiitcgni beschrieben hat, während das andere (Fig. 2) viel länger und allmählicher zulaufend zu sein scheint und eher an Salix loiis^a A. Br. erinnert. Die beiden Abdrücke sind auch stets, so noch in aller- jüngster Zeit bei erneuter Durchsicht der Goeppert'schen Sammlungen zu zwei ver- schiedenen Arten gezogen worden. Bei zu- fälligem Nebeneinanderlegen der beiden Stücke fand ich aber, daß wir hier Druck und Gegendruck ein und desselben Blattes vor uns haben! Ein genauer Vergleich der beiden Bilder zeigte dies deutlich; noch stärker tritt es an den etwa hand- großen Originalen selbst hervor. Die Zuspitzung und der so scharfe Blattrand der vermeintlichen Salix i)itcora sind nur eine Folge schlechter Er- haltung, während Abb. 2 die wahre Blattform erkennen läßt. Läge aber das Stück i allein vor, so müßte man unbedingt zu einer ganz falschen Auffassung über den Bau des Blattes gelangen. Wie viel größer kann der Fehler nun gar sein, wenn Bruchbtücke, denen Blattgrund wie Spitze ganz fehlen, vom Autor „ergänzt" werden. Zum mindesten muß man dann verlangen, daß das Un- gewisse derartiger Bestimmungen deutlich hervor- gehoben wird. Noch besser ist es aber, sie bleiben von der Bearbeitung ganz ausgeschlossen. Dann würde zwar manche Arbeit an Volumen beträcht- 1 ,^ 1 S^' - J 1^ ^ "r-v s<-' _ nn, Die Betulaceen und Uln Breslau 1913. Salix longa K. Br. (Druck und Gegendruck). lieh verlieren, dafür aber an innerem Wert eben- soviel gewinnen. Auch die schon genannten „Klassiker" der Paläobotanik genügen dieser Forderung nicht immer. Was uns an ihren Arbeiten aber am meisten auffällt, ist die große Anzahl von Arten, die sie innerhalb einer Gattung aufstellen. So unterscheidet Goeppert in seiner „Flora von Schoßnitz" allein elf Ulmenarten und ähnlich ist es bei Bctiila, Carpiiins, Qucrciis usw. Dennoch trifft für ihn der Vorwurf der leichtfertigen Schaffung neuer Arten nicht ohne weiteres zu, wie berechtigt er auch leider vielen anderen Autoren gegenüber ist. Die reichhaltige Sammlung Schoßnitzer Fossilien, die Goeppert anlegte — , noch jetzt sind an lOOO Stück vorhanden — , be- ii6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i6 steht zum weitaus überwiegenden Teil aus Blatt- abdrücken. Darin liegen große Schwierigkeiten für die Bestimmung. Die Systematik der lebenden höheren Pflanzen ist in erster Linie auf den Bau der Fruktifikationsorgane gegründet, die, wie die Erfahrung lehrt, sehr konstant sind, während alle vegetativen Teile, in erster Linie also die Blätter, in Bau und Form sehr oft weitgehenden Schwan- ^if A i- Abb. 3. Ulraus loDgifolia Uag vir Abb. 5. •f;-'- Ulmus carpinoides Goepp. kungen ausgesetzt sind. Unkenntnis dieser Variationsmöglichkeiten ist es, die in vielen Arbeiten bei der Aufstellung neuer Arten zu Tage tritt. Anders bei Goeppert, der sich ihrer, wie man es bei einem so sorgfältigen Beobachter gar nicht anders erwarten kann, wohl bewußt war. Wenn er dennoch aufGrund geringer Abweichungen der Blattform so zahlreiche Arten unterschied, Arten, die einer kritischen Prüfung häufig nicht standhalten, so tat er dies nur, um erst einmal Ordnung in den damals neuen und überraschenden Formenreichtum der Fossilien zu bringen und einen Vergleich späterer Funde mit denen von Schoßnitz zu ermöglichen. Bei der Durchsicht seiner Originale konnte ich aber feststellen, daß in den dazugehörigen Bemerkungen von seiner Hand zahlreiche der späteren „Arten" als Varia- tionen ein und derselben Art bezeichnet sind. Danach gehören z. B. die vier Pla/aiiits-Yormcn der Schoßnitzer Flora zu einer einzigen Spezies, wie es auch den heutigen Anschauungen entspricht. Die Gründe, die Goeppert dann später be- wogen, dem allgemein üblichen Brauche zu folgen und diese Formen als getrennte „Arbeiten" zu be- schreiben, werden von vielen Autoren noch heute in gleichem Sinne gewertet. Aber mögen sie auch zu Goeppert's Zeiten, wo die Faläo- botanik noch in den Anfängen war, in gewissem Grade berechtigt gewesen sein; heute gilt dies nicht mehr in gleichem IVlaße. Der Bausteine sind schon genug zusammengetragen, nun heißt es, Ordnung hineinzubringen und zwar eine Ordnung, die mit dem System der lebenden Pflanzen in weitestgehender Übereinstimmung steht. Hierbei müssen überall, wo es sich um Blätter handelt, die Variationsgrenzen der rezenten Pflanzen mehr als bisher berücksichtigt werden. Abweichungen, die innerhalb einer lebenden Art auftreten, be- rechtigen auch nicht zur Aufstellung neuer fossiler Arten. Nicht selten sind auch Übergangsformen, auch treten sehr ähnliche Blätter mitunter an verschiedenen Arten auf Derartige Zwischen- typen von etwas unsicherer Stellung sind deutlich als solche zu bezeichnen. Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze gelangen wir zu einer weit- gehenden Einschränkung der Zahl fossiler Arten, die dann natürlich eine etwas andere Bedeutung gewinnen und mitunter auch mehreren lebenden Arten entsprechen werden. Der Name „F"ormen- kreis" würde diese Verhältnisse sehr gut zum Ausdruck bringen. So lassen sich Goeppert's Ulmenarten, wenn wir von zwei unbestimmbaren Stücken absehen, zwei Formenkreisen zuweisen, die den lebenden ( limis cainpcstris L. und C aincricana Willd. entsprechen. Unsere Ab- bildungen (Abb. 3 — 6) zeigen eine Anzahl solcher Formen von Uhiiiis loiigifolia Ung. und U. carpi- iioides Goepp., die früher als eigene Arten an- gesehen worden sind, in ihren L'nterschieden aber die innerhalb jener lebenden Formen auftretenden Schwankungen nicht überschreiten. Das gleiche gilt von den fossilen Carpinusarten Goeppert's (F'g- 7 — 9)> die alle mit Carp. Jicfuliis L. ver- glichen werden können. Zu ähnlichen Ergebnissen führt eine Revision bei den meisten, auf Blätter gegründeten fossilen Arten. Es fragt sich nun angesichts der in manchen Fällen nicht wegzuleugnenden Unsicher- heit, welcher Wert der Bestimmung fossiler Blätter überhaupt beizulegen ist. Eine gewisse Vorsicht ist nach allem geboten , wenn die Grundlage N. F. XVI. Nr. 16 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 217 nicht fragwürdig und damit die daran geknüpften Folgerungen werllos werden sollen. Dennoch wird man R ei mann 's Bedenken, der allen der- artigen „Schlußfolgerungen" eigentlich jeden Wert abspricht, nicht beipflichten können, denn dann wäre im Grunde alle paläobotanische Arbeit nutzlos und überflüssig. So liegen die Verhält- nisse nun doch nicht. Gewiß kann vor über- eilten Schlüssen nicht genug gewarnt werden. Wenn aber wie bei der Betrachtung der deutschen und Entwicklung werden und auch für andere Gebiete Bedeutung erlangen , wenn sie unter steter Berücksichtigung der lebenden Pflanzen in weiser Beschränkung und bei gehöriger Selbst- kritik erfolgt. Beides lassen allerdings zahlreiche Abb. m Tertiärfloren immer wieder innerhalb der ver- 1 schiedensten Pflanzengruppen die gleichen Be- 1 Ziehungen etwa zur lebenden Flora Nordamerikas auftauchen und die Untersuchung gleichaltriger '^^^' ^' Früchte und Hölzer in dieselbe Richtung weisen, ■''^^- '' ^ "• 9- Carpinus grandis Ung. dann hieße es nicht sehen wollen, würde man diesen Verhältnissen gegenüber auf Folgerungen Arbeiten heute noch vermissen, und so lange dies verzichten. der Fall ist, wird es sich die Paläobotanik ge- Sicher kann auch die Untersuchung fossiler fallen lassen müssen, daß sie mitunter mit mehr Blattreste zu einer Quelle zahlreicher Kenntnisse Geringschätzung behandelt wird, als sie eigentlich über die vorweltliche Flora, ihre Geschichte verdiente. Einzelberichte. Zoologie. Chromosomengarnituren in der Gattung Drosophila. (Mit I Textfigur.) Durch die seit einer Reihe von Jahren im Gange befindlichen ausgedehnten Vererbungsexperimente Morgan 's und seiner Schule an Drosophila ampelophila, der Apfel- oder Bananenfliege, ist dieses Dipter zu einem der wichtigsten Objekte der neueren Ver- erbungsforschung geworden. Die Deutung der interessanten Befunde Morgan's, eines überzeugten Anhängers der Chromosomentheorie der Vererbung, setzt eine genaue Kenntnis der Vererbungsträger, ihrer Konstitution und ihres Verhaltens, voraus. Metz, einer der Mitarbeiter Morgan's, machte sich die möglichst genaue zytologisrhe Durch- forschung der Gattung Drosophila zur Aufgabe. ') ') Metz, C. VV., Chromosome studies in the Diptera. I. A preliminary survey of five different types of ch: Fr untersuchte bisher die Chromosomenverhältnisse von 29 verschiedenen Drosophiliden, und zwar von 26 Arten der sehr formenreichen Gattung Droso- phila, von I Art der nahe verwandten Gattung Cladochaeta und von 2 Arten der Gattung Scaptomyza. Bei diesen 29 Arten konnte er 12 verschiedene Typen von Chromosomengarnituren (außer einigen Untertypen) feststellen, von denen 1 1 in der Gattung Drosophila vorkommen. Reichen auch die bisherigen Beobachtungen noch nicht aus, um Schlüsse zu ziehen über die phylo- genetischen Beziehungen der einzelnen Typen zu- einander, so verdient doch immerhin schon die groups in the genus Drosophila. Journ. of exper. Zool., Vol. 17, 1914. — , Chromosome studies on the Diptera. III. Additional types of chromosome groups in the Drosophilidae. Amer. Natur., Vol. 50, 1916. 2l8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i6 Tatsache besonderes Interesse, daß in einer Gattung eine so große Zahl von verschiedenen Typen vorkommen kann; bisher fehlten derartige Beobachtungen. Durch die geringe Zahl von Chromosomen und die Größe der einzelnen Elemente sind Dipteren für derartige Untersuchungen ver- hältnismäßig geeignete Objekte. ;) • « ;) c^ ;) ^ )) % M A Mb II c II d ♦ <^ ?J -Ol II M • Ä Der erste Typ, Typ A in der nebenstehenden Figur, ist die am häufigsten vorkommende Chromo- somengarnitur. Er findet sich bei zwölf Arten der Gattung Drosophila (darunter auch Dios. ampelo- phila) sowie bei einer Scaptomyza-Art. Es sind vier Paar Chromosomen vorhanden. Zwei Paar (in der Figur rechts und links) sind in Größe und Form ungefähr gleich; sie sind größer als die beiden anderen Paare und haben hantel- oder U-förmige Gestalt. Das dritte Paar besteht aus zwei kürzeren geraden Elementen, während das vierte Paar sich aus zwei kleinen kugelförmigen Chromosomen zusammensetzt. Ein Vergleich der Chromosomensortimente in den beiden Ge- schlechtern sowie die Untersuchung der Spermato- genese führt zu dem Resultat, daß die beiden kurzen geraden Elemente die Geschlechtschromo- somen oder Heterochromosomen sind. Beim Weibchen sind beide Geschlerhtschromosomen gleich groß (es sind zwei X-Chromosomen vor- handen), beim Männchen hingegen ist das eine Chromosom etwas kleiner als das andere (es ist ein X- und ein Y-Chromosom vorhanden). Daraus folgt, daß bei der Reifung der männlichen Ge- schlechtszellen zwei Sorten von Gameten gebildet werden, solche mit einem X- und solche mit einem Y-Chromosom, d. h. weibchen- und männchenbesümmende Spermatozoen. Die Eier sind alle gleich hin-^ichtlich ihres Chromosomen- bestandes, alle erhalten je ein X-Chromosom. Typ B fand Metz bisher nur bei einer Droso|^>hila-Art. Er weist nur drei Chromosomen- paare auf die geringste bisher bei höheren Fliegen beobachtete Zahl. Jedes Paar unterscheidet sich hier deutlich von den beiden anderen. Zwar sind auch zwei Paar hanteiförmige Chromosomen vor- handen, aber an Größe sind diese sehr verschieden. Das dritte Paar ist ähnlich gestaltet wie die Ge- schlechtschromosomen des Typus A und entspricht diesen wohl auch; ob Verschiedenheiten im männ- lichen und weiblichen Geschlecht vorhanden sind, wurde bisher nicht festgestellt. Die Chromosomengarnitur des dritten Typus, Typ C, setzt sich aus fünf Paaren zusammen. Außer den beiden geraden Geschlechtschromo- somen, die im männlichen Geschlecht deutlich verschieden sind, finden wir zwei ähnlich gestaltete aber etwas kürzere Paare, ein Paar hanteiförmiger sowie ein Paar kleiner kugeliger Chromosomen. Der Typ kommt bei einer Drosophila- und einer ScaptomyzaSpezies vor. Typ D unterscheidet sich von C durch das Fehlen der kleinen runden Chromosomen, auch fehlt ein morphologischer Unterschied zwischen den beiden Geschlechts- chromosomen im männlichen Geschlecht. Der Typ ist nur für eine der bisher untersuchten Drosophila-Arten charakteristisch. Ebenso auch der nächste Typus, Typ E, der wieder fünf Chromosomenpaare aufweist und Typ C ähnelt; statt des einen geraden Paares ist aber hier ein Paar kleiner hanteiförmiger Chromosomen vor- handen. Die beiden Geschlechtschromosomen sind wahrscheinlich in beiden Geschlechtern gleich. Typ F ist nächst dem Typus A die häufigste Garnitur (bei sechs Drosophila-Arten). Von den sechs Paar Chromosomen sind fünf gleich ge- staltet, es sind kleine gerade Elemente. Das sechste Paar besteht aus kleinen kugelförmigen Chromosomen. Der nächste Typus, Typ G, ist dem vorhergehenden sehr ähnlich, jedoch sind außer den Geschlechtschromosomen alle Paare be- trächtlich kleiner, besonders die runden Chromo- somen sind so minutiös, daß sie anfangs ganz übersehen wurden. Eine Drosophila-Art gehört zu diesem Typus. Typ H scheint in der Gattung Drosophila zu fehlen. Er wurde nur bei Cladochaeta nebulosa, der einzigen Art dieser Gattung, gefunden, die aber mit Drosophila nahe verwandt ist. Von den drei hanteiförmigen Paaren dürfte eines das Ge- schlechtschromosomen-Paar sein; Männchen von Cladochaeta wurden nicht untersucht. Den vier letzten Typen, I — M, sind stark differente Geschlechtschromosomen im männ- lichen Geschlecht gemeinsam. In der Figur sind deshalb von diesen Typen die Garnituren beider Geschlechter wiedergegeben. Während beim Weibchen die beiden X- Elemente hufeisen- oder hanteiförmige Gestalt haben, ist beim Männchen nur das X Element hufeisenförmig, das YElement ist viel kürzer und gerade. Wie sich die vier Typen unterscheiden, zeigt die Figur. Besonderes N. F. XVI. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 219 Interesse verdient Typ I, der auf eine Varietät von Drosophila repleta beschränkt ist. Die meisten Formen dieser Art gehören dem Typus F an. Äußerhch unterscheiden sicli die beiden Varie- täten fast gar nicht, daß aber sogar sehr weit- gehende physiologische Differenzen vorhanden sind, geht zur Genüge aus der Tatsache hervor, daß eine Kreuzung der beiden Varietäten nicht möglich ist! Zu den Vererbungsstudien wurde bisher fast aus- schließlich die zum Typus A gehörige Drosophila ampelophila benutzt. Entsprechend den vier Paaren von Chromosomen bei dieser Art landen Morgan und seine Schüler vier Gruppen von unabhängig voneinander sich vererbenden Merkmalen, und zwar — wieder entsprechend der Größe der einzelnen Paare — drei große und eine kleine Gruppe von Merkmalen; die Gene für die kleine Gruppe dürften in dem kleinen runden Chromo- somenpaar lokalisiert sein. Eine Gruppe von Meikmalen ist geschlechtsgebunden; ihre Gene befinden sich in den Geschlechtschromosomen. In neuester Zeit haben Morgan und seine Schüler ihre Studien auch auf Drosophila repleta (Typ F und I) ausgedehnt. Ist die oben skizzierte Theorie richtig — und das scheint in der Tat der Fall zu sein — , so muß es bei repleta sechs Gruppen von selbständig mendelnden Merkmalen geben, während eine dem Typus B angehörige Drosophila nur drei Gruppen besitzen kann. Bei dem großen Eifer, mit dem die Morgan 'sehe Schule diese Untersuchungen betreibt, dürfen wir bald eine Aufklärung dieser Verhältnisse erwarten. Nachtsheim. Zur Farbenwirkung auf Schmetterlingspuppen. Bernhard Dürken'j ließ Raupen des Koiil- weißlings, Pieris brassicae, auf verschieden gefärbtem Untergrunde sich verpuppen und prüfte die Einwirkung der Umgebungsfarbe auf die Puppenfärbung und -Zeichnung. Die er- zielten 219 Schmetterling-puppen ordnet er in fünf Färbungsklassen, Färbungsklasse u bis c, deren erste weiß mit viel schwärzlicher Zeichnung ist, während b bei weniger Schwarz meist schwach rötliche Grundfarbe hat, c noch weniger Schwarz bei grünlicher Grundfarbe; Klasse d und c sind ungefähr Steigerungen von c. Hierzu Abb. i und 2. Das schwarze Pigment liegt in der obersten Chitinschicht. Weißes liegt in der Hypo- dermis und macht sie um so undurchsichtiger, je reichlicher es entwickelt ist, während bei seiner schwächeren Entwicklung, besonders in den Färbungsklassen J und c, das stets grüne Körper- gewebe der Puppe s'ark durchscheint. Dieses ist übrigens in der F'ärbungsklasse c besonders lebhaft grün. Die Einwirkung der Umgebungsfarben, von •) B. Dürken, Über die Wirkung verschiedenfarbiger Umgebung auf die Variation von SchmeUerlingspuppen. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. CXVI, Heft 4, 1916. denen auch die spektrale Zusammensetzung be- rücksichtigt wurde, ist nun einmal derart, daß in Übereinstimmung mit den Heiligkeilswerten die Farben Braun, Rot, Blau und Violett im ganzen die Faibe der Puppen durch zunehmendes Schwarz verdunkeln, während Weiß, Gtlb und Grün sie aufhellen. Aber auch der Farbwert der Umgebung hat Wirkung, da Weiß, Schwarz, Grau, Rot und Violett besonders häufig die Färbungsklasse b er- zeugen, Braun, Gelb und Blau die Färbung der Puppen nach Grün hin, zur Klasse c, verschieben, was noch mehr von grüner und am meisten von orangenfarbener Umgebung gilt ; jene erzeugt vor- nehmlich die Färbungsklasse d, diese die extrem grüne e. Eine Einwirkung der Temperatur auf die Färbung der Puppen war nicht zu erkennen. In Abb. I. Kohlweifilingspuppe, Färbungsklasse a. Abb. 2. Kohlweißlingspuppe, Färbungsklasse b. Beide Abbildungen nach Dürken, Zeitschr. f. wiss. Zool. 1916. Übereinstimmung mit Pou 1 ton's Ergebnissen an der gleichen Art wurde als entscheidender Zeit- punkt der Einwirkung die Zeit vor der Verpuppung erkannt. Doch geht der Prozeß nicht durch die Augen der Raupe, sondern es handelt sich offen- bar um eine unmittelbare Einwirkung auf das Integument. Es geht aus den gewonnenen Ergebnissen, so aus dem Auftreten des rötlichen Einschlages der Farbklasse b in roter, weißer und schwarzer Umgebung, aus der gleichsinnigen Wirkung von Gelb und Blau und vor allem aus der vorwiegend grünen Färbung in der Orangezucht, ganz ein- wandfrei hervor, daß die Reaktionen, obschon spezifische, durchaus n'cht ,, gleichsinnige" sind, es liegt meist keine Farbenangleichung an die Umgebung vor. Trotzdem könnte es nicht völlig zwingend erscheinen, wenn Dürken damit zugleich Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i6 den Anpassungs-, also Zweckmäßigkeitswert der Reaktionen bestreiten möchte; eine zweckmäßige schützende Farbenwirkung unter natürlichen Ver- hältnissen wäre wohl doch nicht ausgeschlossen, denn Anpassung braucht nicht unbedingt An- gleichung zu sein. Die Aufgabe der Pigmente, meint Dürken zum Schluß, scheint nicht mit der Bildung von Färbungen erschöpft zu sein, sondern es mag wohl den Pigmenten noch eine weitergehende physiologische Bedeutung zu- kommen. V. Franz. Geologie. Die Grundwasserverhältnisse im Namalande, Deutsch-büdwestafrika. Von 1900 bis kurz vor Ausbruch des Krieges war der Kaiser- liche Regierungsgeologe Dr. Paul Range in Deutsch-Südwest mit dem Aufsuchen des für die Kolonie so wichtigen Grundwassers beschäftigt. Etwa 40000 m Bohrarbeit wurden in dieser Zeit von den beiden staatlichen Bohrkolonnen im Wasserdienste geleistet. Die Buhrkolonne Nord unterstand dem Bohrinspektor K i r c h h c f f , während Dr. Range die Bohrkolonne Süd führte. Außer den staatlichen Bohrungen wurden auch noch etwa 23000 m Bohrarbeit von Privaten geleistet. Dr. Range stellt jetzt die Ergebnisse von 352 Bohrungen der ihm unterstellten Kolonne zusammen,^) zu diesen kommen noch 148 im gleichen Gebiet von anderen geleistete Bohrungen. Auf Grund dieser 500 Bohrergebnisse und semer geologischen Aufnahmen kommt P. Range zu folgenden Anschauungen über die Hydrologie des Landes: Im wesentlichen ist das Grundwasser von der Menge der Niederschläge, zumeist des Regens, abhängig. Nur wo im Küstengebiet Dünensand über Ton lagert und die Dünen häufig vonschweren Nebeln umlagert werden, entstehtetwas Grundwasser aus der Kondensation des Nebels im Sande. Einzelne warme Quellen mögen auch Wasserdämpfen entstammen, welche Magmen ent- strömen. — Das Namaland hat Regenmengen, welche von 10—20 mm an einztlnen Siellen der Küstenwüste bis etwa 300 mm im Kalahanbezirk Gibeon schwanken. Im Durchschnitt sind etwa 150 mm anzunehmen. Bei dieser geringen Menge ist obei irdisch abfl eßendes Wasser nur im Oranje vorhanden, und auch dieses entstammt wesentlich dessen weiter östlich gelegenem Ouellgebiete. Das übrige Grundwasser verbleibt im Lande und kann durch geeignete Maßnahmen wiedergewonnen werden. Das Verhältnis von Niederschlag, Ver- dunstung und Grundwasser ist noch nicht fest- gelegt. Bei schwachen Regen dürfte alles ver- dunsten, bei starken kommt ein Teil in den Bachbetten zum Abfluß, um bald zu versickern und ') Beiträge zur geologischen Erforschung der deutsche Schutzgebiete. Heft 1 1 : P. R a n g e , Ergebnisse von Bohrunge in Deutsch-Siidwestatrilja. Berlin 1915. langsam als Grundwasser weiterzufließen. Von dem im Niederschlagsbereich des Konkip ge- fallenen Wassers gelangten in einem bei Betha- nien festgelegten Profil i '"„ zum Abfluß. — In- folge der geringen Regenmenge kann nicht überall ein Grundwasserspiegel vorhanden sein. Solches ist in erster Linie in den Fluß- und Bachbetten (Rivieren) und in flachen mit Aufschüttungs- material erfüllten Mulden zu erwarten. In den Gebieten der oft tief verwitterten Urgesteine ist stellenweise Wasser vorhanden. Zumeist führen diese nur Spaltenwasser. Die jüngeren geschich- teten Formationen liegen meist flach. Von diesen ist der Schwarzkalk ein guter Wasserträger. In den Fischflußschichten und in der Karrooformation finden sich ausgedehntere Grundwasserhorizonte, wo Sandstein mit Letten wechsellagert. In den durchlässigen Deckgebilden der Kalahari sinkt das Grundwasser bis auf die nächste undurchlässige Schicht und ist fast überall durch tiefe Bohrungen zu erschließen. — Die Durchschnittstiefe des Grundwassers wechselt. Stellenweise ist eine starke Abhängigkeit von dem Khma festgestellt worden. So ging es an der Schakalskuppe nach- langer Dürre um 15 m zurück. — Die Durch- schnittsergiebigkeit, die ähnlich wechselt, ist ge- ring. — Oft ist das Grundwasser brackig. Der Salzgehalt stammt aus den Wasserträgern und ist besonders unangenehm, wo es sich um die ge- sundheitsschädlichen Magnesiumsalze handelt. Da- gegen ist das Flußwasser naturgemäß salzarm. Auch nur langsamfließendes Grundwasser verbrackt, während schnellerfließendes gut ist. — In der Kalahari wurde ergiebiges artesisches Wasser er- schlossen, ebenso bei Keetmannshoop, wo sich das Grundwasser der oft klüftigen, dickbankigen Karrooschiefer an Diabas staut. Dort trat es mit 20 cbm in der Stunde frei aus. Auch an anderen Stellen sind schwächere artesische Brunnen erschlossen. — Von den einzelnen Bezirken des Namalandes ist am ungünstigsten der Bezirk Lüderitzbucht daran. Dieser erhält die geringsten Niederschläge und besteht in der Hauptsache aus Urgestein. In flachen Senken der Küsten wüste dagegen, so 40 km n. von Lüderitzbucht, ist eine recht ergiebige Wassermenge erschrotet worden. Auch die Hochflächen des Distriktes Bethanien sind wasserarm, nur in den Senken des Konkip und des Ositeiles von Bethanien ist Wasser ge- funden worden. Ebenso ist Warmbad infolge des dort vorhandenen Urgesteins ungünstig. Erheblich besser ist der Bezirk Keetmannshoop daran, in dessen Nama- und Karrooschichten häufig, wenn auch meist brackiges Wasser gefunden wurde. Ähnliches gilt für Maltahöhe. Am besten ist der Bezirk Gibeon gestellt, in welchem das ausgedehnte Druckwassergebiet vorhanden ist. Aber auch sonst ist hier Grundwasser in nicht zu großer Tiefe in der weitverbreiteten Fischflußformation anzutrefi'en. Stremme. N. F. XVI. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Das Holz, seine Bearbeitung und seine Wendung. Von Josef G roßmann , Inspektor der Lehrwerkstätten und Leiter der technolog. Kurse für Holzbearbeitung in München. Mit 39 Originalabbildungen im Text. 473. Bd. der Sammlung: ,,Aus Natur und Geistesweli". B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1916. Das vorliegende kleine Werk ist im wesent- lichen eine Zu.-^ammenfassung der Darstellungen, wie sie der Verf in seiner großen „Gewerbe- kunde der Holzbearbeitung" (Teubner, Leipzig) gibt, bearbeitet für Laien und solche Fachleute, die im Nebenberuf mit Holz und seiner Verar- beitung zu tun haben. In allen Dingen, die das Technische betreffen, scheint der Verf. mit Glück das Richtige getniffen zu haben. Die Darstellung ist klar und verständlich für Jedermann und mit Hilfe der einfachen und instruktiven Abbildungen wird sich auch der Laie ein Bild von der Be- arbeitung und Verwendung des Holzes machen können. Der botanische, dem Zweck des Buches ent- sprechende kürzere Teil der Arbeit enthält manche Schiefheiten und Fehler, die leicht hätten vermieden werden können. Das Kambium eine schleimige, schlüpfrige durchsichtige Masse zu nennen, die bei starker Vergrößerung kleine Bläschen darstellt, welche „meist" von einer zarten Haut, der Zell- haut umschlossen sind, dürfte wohl keine ganz richtige Vorstellung vom Kambium beim Leser erwecken. Falsch ist z. B., was der Verfa'^ser von den Markstrahlen sagt: „Durch die Markstrahlen werden die von dem Kambium aus dem Erdboden gelösten Nährstoffe und das Wasser in das Innere des Holzkörpers mit großer Schnelligkeit fort- geleitet; sie bilden also gleichsam ein vielver- zweigtes Wasserleitungssystem." — Hin sehr lehr- reiches Kapitel ist das 12., das sich mit den wichtigsten in- und ausländischen Holzarten, ihren Eigenschaften, ihrer technischen Verwendbarkeit usw. befaßt. Den deutschen Baumnamen hätten die botanischen Namen hinzugesetzt werden können, und wenn auch die Herkunft mancher ausländischer Holzarten strittig ist, so sollten doch die wahr- scheinlichrichtigen Abstammungspflanzen angeführt sein. Dadurch würde diese an sich sehr nützliche Zusammenstellung sehr gewonnen haben. Wächter. Das Pflanzenreich. 66. Heft: Cucurbitaceae — Fevilleae et Melothrieae. 14 M. — 67. Heft: Saxifragaceae-Saxifraga I. Leipzig 1916. W. Engelmann. 22,80 M. Das erste Heft bringt auf l"]"] Seiten von den fünf Unterabteilungen der Cucurbitaceen die Fevilleae und Melothrieae in der Bearbeitung des kürzlich verstorbenen ausgezeichneten belgischen Systematikers A. C o g n i a u x. Hier wird z. B. auch die hochkletternde Liane Macrozanonia macrocarpa Bücherbesprechungen. und seine Ver- behandelt, deren breitgeflügelte Samen aus den dreiklappig- geöffneten , rundlich - glockenartigen großen Früchten herausfallen und zu Boden flattern. Die Gattung ist von Cogniaux von Zanonia abgetrennt worden. Das zweite Heft, noch stärker an Umfang (451 S.) behandelt ausschließlich die Gattung Saxilraga und stellt noch dazu erst den ersten Teil dar, dem ein zweiter noch folgen wird. Engler, der Heraus- geber des Riesenwerkes, beschreibt hier gemeinsam mit seinem Schüler Irmscher 232 Arten des Steinbrechs. Jedes neuerscheinende Heft des stetig und sicher voranschreitenden Werkes, das ohnegleichen in der Well ist, erweckt von neuem ein berech- tigtes Gefühl des Stolzes auf die deutsche Wissen- schaft und gleichzeitig der Anerkennung der hohen Verdienste der Preußischen Akademie der Wissen- schaften, der Förderin des großen Unternehmens, und nicht zum wenigsten der Leistungsfähigkeit des hervorragenden Verlages. Miehe. Rabenhorsts Kryptogamen-Flora. 6. Band. Die Lebermoose. Mit vielen Textabbildungen von Dr. K. Muller. 28. Lieferung (Schlußheft). Leipzig, 1916. E. Kummer — 4M. Mit dem vorliegenden Hefte erreicht der VI. Band der Rabenhorst' sehen Kryptogamenflora, der die Lebermoose Europas behandelt, seinen Abschluß. Die Literatur der Lebermooskunde ist damit um ein sehr wertvolles und unent- behrliches Buch bereichert worden, auf das wir hier besonders hinweisen möchten. Der Verf, K. Müller, unternimmt am Ende seiner mühevollen .Arbeit den interessanten und zum ersten Male gewagten Versuch, die geo- graphische Verbreitung der Lebermoose nach den Richtpunkten darzustellen, welche die heutige Pflanzengeographie aufgestellt hat. Ein solcher Versuch ist sehr dankenswert, da bisher die Pflanzrngeographie niederer und niederster Ge- wächse ein noch sehr vernachlässigtes Gebiet war. Bei ihnen spielt die Art der Verbreitungs- möglichkeit eine wichtige Rolle. Überraschender- weise kommt Verf zu dem Schlüsse, daß bei Moosen und auch bei Farnen dem Transport der Sporen und Gemmen durch Wind und Wasser auf weitere Entfernungen keine Bedeutung zu- gemessen werden könne, auch die Verbreitung durch Vögel ist nur vereinzelt sichergestellt, so z. B. bei Machantia polymorpha, die auf Spitz- bergen nur an den Stellen sich finden, wo sich Seevögel aufhalten. Der Mensch greift auch nur gelegentlich ein; ihm ist z. B. die allgemeine Verbreitung der Lunularia cruciata in Gewächs- häusern zu danken. Die eigentlichen pflanzen- geographischen Faktoren treten also reiner hervor, als man erwarten konnte. Verf unterscheidet nun zwischen gewissen, in Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i6 viele kleinere Arten auflösbaren Sammelarten und formenstarren Arten, die gleichzeitig dadurch aus- gezeichnet sind, daß sie fast alle zweihäusig, sehr oft aber steril, ja sogar ohne Gemmen sind und dicke Zellwände besitzen. Die letzeren, die eine eigentümliche Verbreitung besitzen, hält er für sehr alte Formen, Überbleibsel tertiärer Floren. Über die ganze Welt verbreitet sind nur sehr wenige Leber- moose, alles thallose Formen (Rebouha hemi- sphaerica, Ricciocarpus natans,Targionia hypophylla usw.); dagegen ist die Zahl der auf der ganzen nörd- lichen Halbkugel vorkommenden Arten beträcht- licher, doch sind davon häufig nur Marchantia polymorpha, Fegatella conica, Scapania undulata, Radula cauplanata. Die übrigen sind an bestimmte Landstriche gebunden, wo sie meist zusammen- hängende Gebiete besiedeln, seltener eingesprengt sind. Zu den letzteren gehören gerade die Formen, die als tertiär anzusehen sind und seither in ihrer weiteren Entwicklung stillstanden. Sie bilden auch gelegentlich Endemismen in Gebirgen. Dagegen ist es merkwürdig, daß das holoarktische Element unter den Lebermoosen im Unterschiede von den Phanerogamen und auch den Laubmoosen viel weniger reich in Untergruppen geschieden werden kann, z. B. sich die für letztere so charakteristischen Gebirgsendemismen hier nicht nachweisen lassen. Verf. meint infolgedessen, daß seit den großen Vereisungen eine Weiterentwicklung der Leber- moose überhaupt nicht stattgefunden habe. Es wird nun nacheinander das holoarktische, das mediterrane und das tropische Element im einzelnen geschildert, woran sich eine tabellarische Übersicht der europäischen Lebermoose in anderen Erdteilen sowie in einigen europäische Ländern schließt. In einem Kapitel über die Höhenstufen wird die vertikale Verbreitung in den Gebirgen geschildert. Am höchsten steigen die Gymno- miirien empor, die an nackten, aus den Schnee- feldern herausragenden Felsspitzen noch gedeihen. In dem ökologischen Teil macht sich, wie übrigens so häufig bei pflanzengeographischen Er- örterungen, der Mangel ausreichender experimentell- physiologischer Daten und genauer biologischer Beobachtungen bemerkbar, wenn auch der Verf. seiher manche Beiträge dazu geliefert hat. Wie anregend und für unsere allgemein-botanischen Vorstellungen fruchtbar würde es sein, wenn die die Sammler sich nicht begnügten, die Moose zu trocknen, einzupacken und zu etikettieren, sondern wenn sie dieselben besser beobachten, kultivieren und mit ihnen planmäßige Versuche anstellen würden 1 Schon das Anlegen kleiner Moosgärtchen überall da, wo es der Wohnort gestattet, wäre gewiß sehr verdienstlich. Es wird im einzelnen der Einfluß von warmer Luft, Feuchtigkeit, Boden auf die Lebensweise der Lebermoose dargestellt, wobei sich Bemerkungen auch physiologisch- anatomischer Art finden. Ob die Kammerung des Thallus der Riccien, Marchantien, Exormotheken allein einen Lichtschutz darstellt, scheint mir nicht überall eine zwingende Annahme zu sein, eine Bedeutung für den Gasaustausch unter durch Trockenheit erschwerten Bedingungen wäre da- neben auch zu erörtern. Unter dem Absatz über die Beziehungen der Lebermoose zu anderen Lebe- wesen, in dem auch die Symbiosen behandelt werden, interessiert die große Widerstandskraft der Lebermoose gegen pflanzliche und tierische Parasiten sowie Tierfraß. Viele haben ätherische Öle, andere schmecken außerdem noch bitter oder scharf Der Einfluß des Bodens auf das Vor- kommen der Lebermoose wird zum Schluß in einer allerdings vorläufig nur topographisch- statistischen Form erörtert. Miehe. Die Asseln oder Isopoden Deutschlands von Prof Dr. F r i e d r. D a h 1. Mit 107 Abbildungen im Text. Jena IQ16, Verlag von Gustav Fischer. — Broschiert 2,80 M. Wie der Leitfaden zum Bestimmen der Vögel Mitteleuropas nimmt auch dieses Buch eine Sonderstellung unter den gebräuchlichen syste- matischen Werken ein. Es ist aus dem gleichen Bedürfnis entstanden wie jenes, ein leichtes und zugleich sicheres Bestimmen der Tiere zu er- möglichen. Jeder, der im Begriff' ist, sich in eine neue Tiergruppe einzuarbeiten, hat die Schwierigkeiten in der Beurteilung der Grad- unterschiede, wie klein und groß usw. kennen gelernt. Schon in seinem Vogelbuch hat Da hl daher die Unterscheidungsmerkmale in absoluten Zahlen gegeben , oder den Gegensatz durch schematische Zeichnungen veranschaulicht. Um die Sicherheit der Be>timmung zu erhöhen, wurden auch gleichzeitig mehrere Merkmale an- gegeben. Dieselben Gesichtspunkte hat Da hl im neuen Buche angewandt. Entsprechend der Kleinheit der Asseln benutzte er besonders solche Merkmale, die am ganzen unterlegten Tier mit einem Mikroskop, meist auch schon mit einer guten Lupe leicht erkennbar sind, ferner Eigen- schaften , die auch bei jüngeren Tieren fest- gestellt werden können. Damit verzichtet er darauf, so weit es geht, die Geschlechtscharaktere zu benutzen. Eine weitere Eigentümlichkeit, die die Dahl- schen Bücher von ähnlichen unterscheidet, ist die Tatsache, daß er die .Autornamen hinter den Speziesnamen wegläßt. Dieses Verfahren ist um so auffallender, als gerade in der gegenwärtigen Zeit der Nomenklaturregeln der Autor für die Beurteilung des Speziesbegnfi'es eine ausschlag- gebende Rolle spielt. Dahl motiviert dies schon im Vogelbuch damit, daß die Nomenklatur etwas historisch Gewordenes sei, und daß an der klaren Benennung einer Art zahlreiche Autoren, nicht einer oder zwei mitgearbeitet haben. Meist sind außerdem die Arbeiten der späteren Autoren viel wichtiger als die des ursprünglichen Autors. Diese Auffassung ist unbestreitbar richtig, Dahl wäre aber entschieden anzugreifen, wenn er nicht, was sehr zu begrüßen ist, statt des Autornamens N. F. XVI. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 223 eine wichtige Literaturstelle, bisweilen auch zwei oder drei dem Artnamen beigeben würde. Mit Recht hält er dies für wichtiger und wissenschaft- licher als die Anfügung der bloßen Autornamen, da man oft nicht weiß, ob der Autor des Namens die Art, die wir jetzt mit dem Namen benennen, wirklich vor sich hatte. Außerdem ist derjenige, der tiefer in den Stoff eindringen will, sotort in den Stand gesetzt, sich an die richtige Quelle zu wenden. Wie schon der Titel sagt, werden im vor- liegenden Buch nur die deutschen Arten berück- sichtigt. Dabei sind allerdings auch die Tiere, die sich in der Nähe der deutschen Küsten im Meere finden , mit inbegriffen. Entsprechend dem Zweck des Buches nimmt die Übersicht der Gattungen und Arten den größten Raum ein. Daran .schließt sich ein Kapitel über die geo- graphische Verbreitung der Asseln in Deutschland und die Art ihres Vorkommens. Hier werden die Asseln zuerst nach ihrem Aufenthaltsort, d. h. nach ihren Lebensbedingungen in einem Be- stimmungsschlüssel übersichtlich geordnet. Die Ausführungen über die chorologischen Faktoren sind durch eine Verbreitungskarte der Landisopoden erläutert. Kin Anhang behandelt die wichtigste Literatur. Das Buch wird ebenso wie das Vogel- buch ganz vorzügliche Dienste tun. Außer seinem Wert als klares Besiimmungsbuch eröffnet es neue Gebiete der Forschung durch den Hinweis auf die ökologischen Verhältnisse. Stellwaag. Anregungen und Antworten. über die Flora der Wekien leilt B. Galli-Valerio in Nr. I dieses Jahrganges interessante Einzelheiten mit. Das klassische Gebiet der Überpflanzen auf Stumpfweiden ist die flandrische Niederung in Belgien, besonders die „Veurne- Ambacht" bei dem Polderstädichen Furnes, das ja häufig in den Kriegsberichten genannt wurde. Vor acht Jahren hat V. Gallemaerts in den Annalen der medizinisch -natur- wissenschaftlichen Gesellschaft zu Brüssel eine eingehende Untersuchung der Kopfweiden und ihrer Bewohner ver- öffentlicht, in welcher er besonders das genannte Gebiet be- rücksichtigt; daraus seien einige .Angaben mitgeteilt. Die Gegend ist absolut flach und von unzähligen Kanälen und Gräben durchflössen. An den Rändern dieser Wasser- streifen werden seit ältester Zeit Weiden gezogen, die man in wechselnden Zeitab^tändcn köpft, und welche der Land- schalt einen ungemein charakteristischen Zug verleihen. Kreu« und quer ziehen sich die Linien der Kopfbäumc und ver- laufen am Horizonte; in der windgepeilschten Ebene kommt anderer Baumwuchs nicht oder kaum auf, und auch die Weiden würden unfehlbar fortgefegt, wenn man sie frei in die Länge wachsen ließe. Manche Individuen sind mehr als 100 Jahre alt und über und über mit Flechten und Moosen bedeckt. Die Köpfe der Weiden vermodern allmählich, und der Wind setzt Siaub und Erde auf ihnen ab, so daß nach gewisser Zeit Samen, die dort hineingeraten, auflaufen und keimen wie im Blumentopf; das gibt dann die typische Überflora der Stümpfe, deren Beobachlung in der eintönigen Ebene viel Anregung bietet. Gallemaerts hat in der Veurne-Ambacht 92 Arten von epiphytischen Gefäßpflanzen gezählt, deren keine habituelle Überpflanze ist, d. h. gewohn- heitsmäßig auf anderen Gewächsen horstet ; 9 Arten kommen im Gebiete -nur auf Kopfweiden und nicht am Boden vor, und das sind meist Baumarten, wie Eiche, Birke, Buche, Ahorn, Eberesche, nebst zwei Farnkräutern. Es finden sich außer den Weiden auch wohl einige ge- köpfte Pappeln (P. monilifera), und ihre Überflanzen sind ge- nau die gleichen wie für die Weiden, es besteht kein spezi- fisches Verhältnis zwischen der Unterlage und dem«Epiphylen. Desgleichen hat durch das Zusammenleben der beiden Ge- wächse eine adaptative Umgestaltung weder am Epiphyten noch an der besiedelten Pflanze siallgefunden, der Fall stellt nach Schimper die erste Stufe dieses pflanzengeographischen Vorkommens dar. Gallemaerts macht auch auf die häufig sehr starke Verlängerung von Achsen und Blättern bei Über- pflanzen aufmerksam. Im Gewirr der jungen Weidenblätter herrscht im ersten Jahre des neuen Aus^chlagens großer Licht- mangel, den die vorhandenen Überpflanzen durch Streckung ihrer Organe entgegenarbeiten können. Die Blätter von Gramineen wachsen oberhalb und unterhalb der Ligula über die gewohnten Maße hinaus, bei Dactylis wurde sogar eine Verlängerung um bo Prozent gemessen. Ein Stengel von Dactylis brachte es auf anderthalb Meter, ebenso eine Köpfchenröhre des Löwenzahnes. Edm. J. Klein-Luxemburg. Hörbarkeit des Kanonendonners. In der Nummer I der Naiurw. Wochenschr. S. 16 wurde erwähnt, daß man in Unter- ständen ferne Kanonaden besser hört als im Freien. Dies wurde dort auf Leitung der Erde zurückgeführt. Dagegen scheint mir folgendes zu sprechen: I. Einen Flieger hört man im Unterstande weit eher als im Freien. 2. Schlägt eine Granate ein, so hört oder fühlt man (besonders im Liegen) im Unterstande einen dumpfen schwachen Schlag, dann erst die Detonation. Die Zeitdauer ist abhängig von der Ent- fernung des Einschlagis. Ich gebe deshalb nur der Resonanz die Schuld ander besseren Höibarbeit ferner Kanonaden. Heine, Lt. d. Res. Ein Leser fragt: „Wie kommen die Pfeiftöne zustande, die man mit dem Munde erzeugt? Handelt es sich um bloße Drosselung eines Luftstromrs, oder ist die Zunge daran be- teiligt? Da auch zweistimmiges Pfeifen möglich ist — vor etwa drei Jahren oder mehr stand in Pflüger's Archiv ein Beitrag hierzu — ist auch die psychologische Seite der Frage interessant. Mir selbst, so kann ich hinzufügen, sind einige Personen bekannt, die zugleich Pfeiftöne mit den Lippen und Summtöne mit dem Kehlkopfe hervorbringen können und etwa zwei>timmige Musikstücke , auch zweistimmige Inven- tioncn oder auch zwei völlig voneinander unabhäntige Musik- stücke gleichzeitig vorführen." Vielleicht ist jemand aus dem Leserkreise imstande, Auskunft zu erteilen. Kant und Herder als Vorläufer Weismann' s. Bei meinen btudicn über die Geschichte des Veretbungs- problems traf ich in den Werken Kant 's und Herd er 's auf An!.ichten, die Weismann's Lehre von der Nichtver- erbbarkeit erworbener Eigenschalten vorausnehmen. Kant versucht in seinen anthropologischen Schriften die Entstehung der Abartungen, speziell der Rassen, nach teleologischen Grundsätzen zu erklären. Er nimmt an, daß die Natur eine Vorsorge zeigt, indem sie ihr Geschöpf durch versteckte innere Vorkehrungen für allerlei künitige Umstände ausrüstet, damit es sich erhalten könne und der Verschiedenheit des Klimas oder des Bodens angemessen sei. Er führt zahlreiche Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i6 Beispiele für die Veränderungen an, die bei den Tieren unter dem Einfluß des Klimas, der Nahrung und der Bodenbe- schaffenheit hervorgerufen werden. Aber diese Faktoren sind nach ihm nur Gelegenheitsursachen, die gewisse von .Anfang an in den Organismen liegende Keime zur Entfaltung bringen und andere Keime an der Ausbildung verhindern. Luft, Sonne und Nahrung können einen tierischen Körper in seinem Wachstum wohl modifizieren, aber diese Veränderung nicht zugleich mit einer zeugenden Kraft versehen, die vermögend wäre, sich selbst auch ohne diese Ursache wieder hervor- zubringen, sondern was sich fortpflanzen soll, muß nach Kant in der Zeugungskraft schon vorher gelegen haben, als vor- herbestimmt zu einer gelegentlichen Auswickeluiig, den Um- ständen gemäß, darein das Geschöpf geraten kann. Aus diesem Grunde leugnet unser Philosoph die Ver- erbbarkeit erworbener Eigenschaften. Er erinnert daran, daß das Ausrupfen des Bartes ganzer Völkerschaften, das Stutzen der Schwänze an englischen Pferden und die künstliche Ab- plattung der Nasen bei neugeborenen Kindern keine erblichen Veränderungen hervorrufen und alle gegenteiligen Behauptungen nur durch Aufhaschung zufälliger Wahrnehmungen bewiesen werden können und gar kein Experiment verstatten. ,,Ich nehme es mir zum Grundsatz'', schreibt er, ,,gar kein Ver- mögen des Menschen, durch äußere Künstelei Abänderungen in dem alten Original der Gattungen und Arten zu bewirken, solche in die Zeagungskraft zu bringen und erblich zu machen, gelten zu lassen." Nur was als Keim oder Anlage von Anfang an vor- handen ist, kann sich somit nach Kant vererben, und die erblichen Veränderungen der Organismen unter dem Einfluß neuer E.\istenzbedingungen werden nur durch die Auswickelung dieser vorhandenen Anlagen möglich. So liegen in den Vögeln derselben Art, die in verschiedenen Klimaien leben sollen, Keime zur Auswickelung einer neuen Schicht federn, wenn sie in kalten Klimaten leben, die aber zurückgehallen werden, wenn sie sich im gemäßigten Klima aufhalten sollen. Im Weizenkorn liegt eine voiher bestimmte natürliche Anlage, nach und nach eine dickere Haut hervorzubringen, weil es in einem kalten Land mehr gegen feuchte Hitze geschützt werden muß als in einem trockenen und warmen. Der Mensch war für alle Klimate bestimmt und für jede Beschaffenheit des Bodens, daher lagen in seiner Slammgattung mancherlei Keime und natürliche Anlagen bereit, um gelegentlich ausgewickelt oder zurückgehalten zu werden. Was bei Kant die inneren verborgenen Anlagen sind, ist bei Herder die genetische Kraft, der das Klima feindlich oder freundlich nur zuwitkt. Nur solche Veränderungen, die durch die innere genetische Lebenskraft bedingt sind, können vererbt werden. Herder leugnet daher die Vererbung künst- licher Verletzungen und Verslümmelungen des Körpers. „Jahrhundertelang", schreibt er, ,, haben Nationen ihre Köpfe geformt, ihre Nasen durchbohrt, ihre Füße gezwungen, ihre Ohren verlängert ; die Naiur blieb auf ihrem Wege, und wenn sie eine Zeitlang folgen, wenn sie den verzerrten Gliedern Säfte zuführen mußte, wohin sie nicht wollte: sobald sie konnte, ging sie ins Freie wieder und vollendete ihrm voll- kommenen Typus. Ganz anders, sobald die Mißbildung gene- tisch war und auf Wegen der Natur wirkte; hier vcrfrbten sich Mißbildungen, selbst an einzelnen Gliedern." Herder unterscheidet also hier scharf zwischen erworbenen und an- geborenen Eigenschaften bezüglich ihrer Vererbbarkeit, zwischen dem, was wir jetzt somatogene und blastogene Veränderungen nennen. Das hindert ihn jedoch nicht, an einer anderen Stelle seiner „Ideen zur Philosophie der Geschichte" Gedanken zu entwickeln , die wir heute als lamarckistische bezeichnen würden. Er wirft die Frage nach den Ursachen der Kalmücken- und Mongülenbildung auf und denkt an die Möglichkeit einer Beeinflussung durch die Lebensweise, wenn er schreibt: „Die gebogenen Kniee und Beine finden am ersten ihren Grund in der Lebensweise des Volkes. Von Kindheit auf rutschen sie auf ihren Beinen oder hangen auf dem Pferde; in Sitzen oder Reiten teilt sich ihr Leben. . . . Sollte nun nicht auch mehreres von ihrer Lebensart in ihre Bildung übergegangen sein? Das absiehende, tierische Ohr, das gleichsam immer lauscht und horchet, das kleine, scharfe Auge, das in der weitesten Ferne den kleinsten R.iuch oder Staub gewahr wird, der weiße, hcrvorbläckende, knochenbenagende Zahn, der dicke Hals und die zurückgebogene Stellung ihres Kopfes auf demselben ; sind diese Züge nicht gleichsam zur Bestandheit gediehene Gebärden und Charaktere ihrer Lebensweise? . . . Sollte es nicht wahrscheinlich sein, daß vor Jahrtausenden schon, da vielleicht einige dieser Ursachen noch viel stärker wirkten, eben hieraus ihre Bildung entstanden und zur erblichen Natur übergegangen wäre?" Hier ist die Möglichkeit einer Vererbung von Gebrauchs- wirkungen klar ausgesprochen. Doch behauptet Herder diese Vererbung nicht dogmatisch, sondern wirft nur eine Frage auf. Wie sein Lehrer Kant, war er sich bereits der Schwierigkeiten bewußt, die ihrer entschiedenen Beantwortung gegenüberstehen. Walther May. Druckfehlerberichtigung. Im Artikel Farbenvariationen von Helix nemoralis muß uf S. 121, Spalte b, Zeile 37 von oben heißen Sehn irk ei- necke statt Zirkelschnecke. Literatur. Programme für geobotanische Arbeiten, im Auftrage der Schweizerischen Pflanzengeographischen Kommission verfaßt von E. Rubel, C. Schröter, H. Broc kraann- Jerosch. Zürich '16, Rascher & Co. — I Fr. Marbe, A. , Die Siedelungen des Kaiserstuhlgebirges. 5. Heft der Abhandlungen zur badischen Landeskunde. Karls- ruhe i. B. '16, G. Braun. — 2.40 M. Junk, W., Bibliographia Botanicae Supplementum. Berlin ■16, W. Junk. Killermann, Prof. Dr. S., Die Blumen des heiligen Landes. Mit einer Bestimmungstabelle sowie 5 Tafeln und 60 Abbildungen im Text. Leipzig '16, J. C. Heinrichs. — 6 M. Eng. Warming's Lehrbuch der ökologischen Pflanzen- geographie. 3. umgearbeitete Auflage von E. Warming und P. Graebner, 2.— 4. Lieferung (Bogen 6— 40). Berlin '15/16, Gebr. Bornträger. — 30,80 M. Heim, A., Geologie der Schweiz. Lieferung 2. Leipzig '16, Chr. H. Tauchniiz. — 6 M. Beiträge zur Kenntnis der Land- und Süßwasserfauna Deutsch-Südwcstafrikas, herausgegeben von W. Michaelsen. Lieferung 4. (Nematodes, Hymenoptera V.) Hamburg '16, L. Kriedrichsen »S: Co. — 5 M. Inhalt; Emil Lenk, Stützgewebe und Integumente der Tiere. S. 209. R. Kräusel, Zur Bestimmung fossiler Blatt- abdrücke. (9 Abb.) S. 214. — Einzelbeiichte Metz, Chromosi.mengarnituren in der Gattung Drosophila. (I Abb.) S. 217. Bernhard Dürken, Zur Karbenwirkung auf Schmetlerlmgspuppen. (2 Abb.) S. 219. Paul Range, Die Grund Wasser Verhältnisse im Namalande, Deutsch-Südwestafnka. S. 2 20. — Bücherbesprechungen: Josef Großmann, Das Holz. S. 221. Das Pflanz, nreich. S. 221. Rabenhorsts Kryptogamenflora, Die Lebermoose. S. 221. Friedr. Dahl, Die Asseln oder I^opoden Deutschlands. S. 222. — Anregungen und Antworten: Über die Flora der Weiden. S. 223. Hörbarkeit des Kanonendonners. S. 223. Wie kommen die Pfriftöne zustande, die man mit dem Munde erzeugt? S. 223. Kant und Herder als Vorläufer Weismann's. S. 223. Druckfehlerberichtigung: Farbenvariationen von Helix nemoralis. S. 224. — Literatur: Liste S. 224. Ma jskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 29. April 1917. Nummer 17. Zur mathematischen Behandlung des Inzuchtgrades. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Fr. Bretschneider, Stuttgart. In der Naturw. Wochenschrift 191 7, Nr. 6, S- 73 — 78 führt uns J. Kfizenecky eine von Pearl aufgestellte Formel zur mathematischen Be- stimmung des Inzuchtgrades vor und bringt zu- gleich eine offensichtliche Verbesserung an jener Formel an, indem er nicht nur die einzelne Generation, sondern den ganzen Stammbaum be- rücksichtigt. Beide Formeln haben deri Vorzug großer Einfachheit. Doch wird wohl manchem Leser aufgefallen sein, daß sie auch noch ziem- liche Mängel aufweisen und für manche Fälle das Verhältnis nicht richtig ausdrücken. Dies zu zeigen und eine genauere, allerdings auch kompliziertere Methode anzugeben, sei im folgenden versucht. Wir nehmen Inzucht nicht für gegeben an bei bloßer Verwandtschaft durch gleiche Abstammung, sondern erst bei Kopulation verwandter Individuen, d. h. erst wenn die beiden kopulierenden Indi- viduen in ihrem Stammbaum einen oder mehrere gleiche Ahnen haben; wir können auch sagen, wenn bei der Zeugung ein gewisser Teil der zu- sammentreffenden Erbwerte gleichen Ursprungs ist. In Stammbaum 4 beginnt also die Inzucht erst mit der Kopulation von a und b und der Zeugung des Individuums x. Es ist daher nicht wörtlich zu nehmen, wenn Krizenecky S. 73 in Hinsicht auf die notwendige Inzucht innerhalb der Menschheit sagt, daß zur Vermeidung von Inzucht aus jeder Ehe nur ein Kind entpringen dürfte, vielmehr können beliebig viele Kinder erzeugt werden; freilich wird es diesen dann bald unmöglich werden, Ehegatten zu finden, die nicht Inzucht bedingen. Wäre z. B. ursprünglich nur ein Eltern- paar mit 10 Kinder vorhanden, so müßten diese unter sich kopulieren und bereits die 2. Deszen- dentgeneration wäre Inzuchlsprodukt. Bei 2 Eltern- paaren mit je 10 Kindern könnten diese 20 Nach- kommen gegenseitig kopulieren und so 100 inzuchts- freie Kinderzeugen, dann aber wäre in der 3. Gene- ration Inzucht nötig. Bei 4, 8, 16 . . . Elternpaaren wären looo, loooo, looooo . . . inzuchtsfreie Des- zendenten möglich und das notwendige Eintreten der Inzucht würde sich in die 4., 5., 6., ... Genera- tion verschieben. Mit der Entfernung von den ge- meinsamen Voreltern nimmt aber wie der Grad der Verwandtschaft, so auch der Inzuchtsgrad rasch ab. So zeigen diese Zahlen, daß wir die not- wendige Inzucht innerhalb der Menschheit in ihrer Wirkung nicht hoch veranschlagen dürfen. Praktisch kommen für die Bestimmung des Inzuchtgrades in Betracht die 5—10 ersten Ahnen- generaiionen des Individuums, dessen Inzucht- grad festzustellen ist. Die Zahl der benützten Generationen stellt den Genauigkeitsgrad der Be- stimmung dar; man muß daher jedem Inzuchts- koeffizienten die Zahl der Ahnengenerationen bei- setzen, für die er bestimmt wurde. Zum Ver- gleich zweier Individuen muß der Koeffizient in bezug auf die gleiche Ahnengeneration fest- gestellt werden. Wir können somit die von Krizenecky S. 76 für das Pferd Postumus und die Kuh Beß Weaver festgestellten Koeffizienten nicht unmittelbar vergleichen, da beim Pferd 5, bei der Kuh nur 4 Generationen in Betracht ge- zogen sind. Ziehen wir auch beim Pferd nur 4 Generationen herbei, so ermäßigt sich der schon vorher kleine Wert noch mehr. UmnundieBrauchbarkeitdergenanntenFormeln zu erproben, betrachten wir zuerst einen einfachen Stammbaum mit geringer Inzucht: Stammbaum i. Pearl Krizenecky j Bretschneider ab cd cf ab ^3 25' 21,43 6,25 g h i g j 2 25 1 16,66 6,25 Stammbaum I. Ist nur die i. .Ahnengeneration bekannt, so ist der Inzuchtskoeffizient natürlich = o. Bei Be- trachtung der 2. Generation ergibt sich nach Pearl I oder 25 ",'0, nach Krizenecky^ oder 16,66 "/g. Durch Hinzufügen der dritten Generation tritt nun offensichtlich keine weitere Inzucht ein, nach Pearl ergibt sich wirklich auch wieder 25, nach Krizenecky jedoch f\ oder 21,43. Für jede weitere Generation gibt — bei sonst inzuchtfreiem Stammbaum — Pearl konstant 25 "j,, Krize- necky für die 4. y^ oder 23,33, für die 5. ^| oder 24,2, für die 6. j\'^ oder 24,5. Die Werte Krizenecky 's folgen aus der Formel —^-^ , wo n die Generationszahl ist. Dieser Wert strebt mit steigendem n dem Grenzwert \ oder 25 "/„ zu, also dem Wert, den Pearl schon immer er- gab. Wo liegt der F'ehler bei Krizenecky? Er liegt darin, daß k und I je den Erbwert - in sich enthalten, so daß es logischerweise bei Berech- nung des Koeffizienten der 2. Generation st^tt ^ vielmehr '-^^ heißen müßte, was den richtigen Wert 25 "/o ergeben würde. Dies müßte daher bei der Benutzung der Kr i z e n ecky 'sehen Formel für solche Fälle berücksichtigt werden. Zugleich zeigt dieser Fall, daß bei der Bestimmung des Inzuchtkoeffizienten die Voraussetzung gemacht wird, daß in den früheren, nicht zur Berechnung 236 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 17 benützten Generationen keine weitere Inzucht vorliegt. Diese an und für sich, wie oben ge- zeigt wurde, falsche Annahme darf aber ruhig gemacht werden, da wir diese unbekannten Inzuchtsfakioren aus zwei Gründen praktisch ver- nachlässigen dürfen: i. weil wir sie für alle ver- glichenen Fälle als gleich annehmen dürfen, 2. weil die weit zurückliegenden Faktoren nur eine geringe Wirkung auf den Koeffizienten aus- üben. Wie dies geschieht, zeigt uns Stammbaum 2, der von Krizenecky S. 74 als erstes Beispiel angegeben wird: gh gh Pearl 4 87,5 3 75 2 50 ' ° Krizenecky 73,33 57.14 33.33 Bretschne 37,5 25 12,5 Stammbaum 2. Die Werte der Inzuchtkoeffizienten sind für die einzelnen Generationen je nach den ver- schiedenen IVlethoden bestimmt beigefügt. Auch hier sind die Krizenecky'schen Werte mit dem gleichen Fehler behaftet wie in Stammbaum i. Bei Stammbaum 2 zeigt sich bei Hinzunahme jeder weiteren Generation, daß die Inzucht konse- quent forlgesetzt wurde, daher vergrößert sich der Koeffizient jedesmal, aber um immer kleinere Beträge, um mit wachsendem n einem Grenzwert zuzustreben. Dieser Wert ist bei Pearl, wie er- sichtlich, loo^/n. Bei Berechnung des Pearl 'sehen Wertes für eine frühere Generation, z. B. die 4., ist es gleichgültig, ob innerhalb späterer Genera- tionen, in dem genannten Beispiel der 3. u. 2., auch wieder Inzucht auftritt oder nicht. Wenn also in Stammbaum 2 in der 2. u. 3. Generation keine Wiederholung von e, f. u. c, d eintreten würde, welchen F'all ich in Stammbaum 3 vor- führe, so würde trotzdem die Fear l'sche Methode hinsichtlich der 4. Generation den Wert 87,5 bei- behalten, obgleich die Inzucht augenscheinlich in Fall 3 sehr viel geringer ist wie in Fall 2. Es ergibt sich, daß Pearl den Fehler macht, daß er nur eine Generation berücksichtigt, statt den ganzen Stammbaum, welchen Fehler Krizenecky sehr richtig erkannt hat. So kommt es, daß hier die Krizenecky 'sehe Methode ein besseres Re- sultat gibt, denn bei Stammbaum 3 ermäßigt sich f gh gh \/ \ ^ i k d gh gh \/ \/ 1 m P gh n Y Pearl 87,5 0 c b 0 a 0 Stammbaum 1. der Inzuchtskoeffizient nach Krizenecky auf ^^ oder 46,66 "/„ gegenüber 73,3 für Stammbaum 2. Dieser Wert ist aber seinerseits mit dem früher erwähnten Fehler behaftet, denn durch Herbei- ziehen der 5. Generation unter Vermeidung weiterer Inzucht (Eltern von g z. B. o u. p, von h m u. n) erhöht sich der Wert 46,66 auf 67,7 usw. Trotzdem beweist dieser Fall klar, daß im all- gemeinen die Krizenecky 'sehe Methode besser ist als die Pearl'sche. Dies zeigt am besten die extreme Annahme, daß wir alle von 2 Stamm- eltern abstammen. Dann würde nach Pearl, da die Zahl der Generationen sehr groß ist, unser aller Inzuchtskoeffizient nahezu 100% betragen, wobei es gleichgültig wäre, ob wir unsere Ge- schwister oder fremde Personen heiraten würden.^) Nach der Krizenecky'schen Methode würde der- selbe selbst für den günstigsten , praktisch un- möglichen Fall, daß in späteren Generationen keine weitere Inzucht mehr eintreten würde, sich auf etwa 50 ermäßigen, denn die Individuensumme von n Generationen ist nur um 2 kleiner wie die der (n-|- I)- Generation. Unsere seitherigen Betrachtungen haben zum Ergebnis: i. ist bei der Bestimmung des Inzucht- koeffizierten der ganze vorliegende Stammbaum zu berücksichtigen (für die nicht zugänglichen früheren Generationen wird die Annahme gemacht, daß sie keine weitere Inzucht enthalten); 2. dürfen die Formeln nicht zu so extremen Beispielen wie das eben angeführte verwendet werden; diese sind ja auch mehr Spielereien, während für die Praxis die Bestimmung des Wertes für die Generationen der jüngsten Vergangenheit genügt; die weit zurückliegenden Inzuchlfaktoren können vernach- lässigt werden; 3. zeigt uns doch der übermäßig hohe Wert, den der Koeffizient für den extremen Fall, sowie für den Fall des Stammbaums 3 im Vergleich zu Stammbaum 2 annimmt, daß hier noch ein Faktor unberücksichtigt ist, der stark ins Gewicht fällt. Es ist dies die Tatsaehe, daß die Inzucht desto geringere Wirksamkeit zeigt, je größer der Generationsabstand ist, der die Inzucht bedingenden Aszendenten von dem Individuum trennt, bei dem die Inzucht erstmals wirksam wird. Das letztere Individuum ist jedoch nicht immer mit demjenigen identisch, für das der Koeffizient bestimmt werden soll. Dies zeigt deutlich der ') Es ist leicht einzusehen, daß dieser hohe Wert nur für konsequente Geschwisterehe stimmen würde. N. F. XVI. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 227 Vergleich von Stammbaum 4 und 5. Man könnte diesen Faktor, der offenbar von der Zeit und der Zahl der Zeugungen abhängt, den Tilgungsfaktor der Inzucht nennen. Wie groß sollen wir diesen veranschlagen? Die exakte Antwort hierauf könnte nur die Vererbiingsforschung geben, doch ist diese heute noch weit davon entfernt, quantitative Größen dieser Art festzulegen '). Man muß dabei vorerst mit den dem Stammbaum entnommenen Größen arbeiten. Ich habe im folgenden als Tilgungs- faktor für die i., 2., 3. . . . n. Generation ^, |, ^ . . . ^ benutzt, also den reziproken Wert der Aszendentenitahl der betreffenden Generation. Das Hypothetische dieser Annahme ist mir wohl be- wußt, doch habe ich mich an einer großen Zahl von Stammbaumvariationen überzeugt, daß da- durch der Inzuchtgrad in viel deutlicherer Weise sich ausdrücken läßt als durch obige Methoden. Ein Vergleich von Stammbaum 4 und 5 zeigt gh Stammbaum 4. i k i k g h Im cd e f a 12,5 b o Stammbaum 5. auffällig, daß nicht nur der Generationsabstand der sich wiederholenden Ahnen (i k) von dem Individuum x in Betracht zu ziehen ist, sondern auch die Zeit der Vereinigung der Erbwerte dieser Ahnen. Nach den Methoden von Pearl und Krize- iiecky kommt der Unterschied von Stammbaum 4 und 5 im Inzuchtskoeffizienten nicht zum Aus- druck. Und doch zeigt die Praxis, daß die In- zucht bei Geschwisterehe (Fall 5) ganz anders hervortritt wie bei Geschwisterkinderehe (Fall 4). Die Vereinigung der die Inzucht bedingenden Erb- einheiten tritt im P^all 5 eine Generation früher ein als im Fall 4. Daher haben a und b im Fall 4 noch beide den Koeffizienten o, im Fall 5 hat nur b O, für a ergibt sich nach unserer Methode ■j-i = i oder 12,5 (Berechnung: ^ bedeutet die Wiederholung der Großeltern i k von a analog den beiden anderen Methoden, | ist der Tilgungs- faktor für die 2. Generation). Da b inzuchtfrei ist, so ermäßigt sich der Wert der Koeffizienten für X im Fall 5 auf 6,25. Im Fall 4 tritt die In- zucht erst bei x auf, es ergibt sich als Koeffizient |-i = -sV oder 3,12. Für den Stammbaum i ergibt sich nach unserer Methode hinsichtlich der 2. Generation'), wo g 2 mal auftritt, ^-1^^,^ oder 6,25. Die nach dieser Methode bestimmten Koeffizienten ver- halten sich beim Vergleich von Geschwisterkinderehe (Fall 4 mit 3,12) mit Stiefgeschwisterehe (Fall i mit 6,25) und Geschwisterehe (Fall 5 a mit 12,5) wie 1:2:4, während derselbe Vergleich bei Pearl 1:1:2 (25:25:50), bei Krizenecky 14,3 : 16,66: 33,33 ergibt. Für diese einfachen Fälle dürfte somit die Überlegenheit unserer Methode klarliegen. VVir wollen jetzt den Inzuchtgrad von Fall 4 und 5 allmählich steigern und sehen, wie sich das im Koeffizienten von x äußert. Setzen wir in 5 an Stelle von g h auch i k, so kommt für x ein neuer Koeffizient hinzu, der analog Fall 4 sich auf 3,12 berechnet; dann wird der Gesamtkoef- fizient für X 6,25 "4- 3,12 ^ 9,37. Setzen wir je- doch in 5 an Stelle von g h nun 1 m, so tritt die Wirkung bereits eine Generation früher auf, b erhält den Koeffizienten 12,5 wie a und damit auch X. Noch größer wird offenbar die Inzucht, wenn wir in 4 u. 5 g h u. 1 m gleichzeitig durch i k er- setzen: auch dann haben a u. b je 12,5, somit auch X 12,5; es tritt aber bei der Vereinigung von a b noch der neue Faktor hinzu, daß i k in der 3. Generation nun 4 mal auftritt, was sich zu -^ -If = j'jj oder 6,25 berechnet; damit ergibt sich für X 12,5 + 6,15 = 18,75. 3,12 0,25 ■2,5 Stammbaum 6. Kommt zum letzteren Fall noch die Wieder- holung eines Individuums, z. B. c, in der 2. Gene- ration, wie es Stammbaum 6 darstellt, so erhöht sich die Inzucht aufs neue durch Stiefgeschwister- ehe und es ergibt sich für c analog Fall 1 der Wert 6,25. Nun ist aber mit diesem Wert für c auch schon dessen Elternpaar i k erledigt, wir dürfen daher für die 3. Generation nicht mehr wie im letzten Fall 6,25 in Anschlag bringen, sondern nur noch für i k als Eltern von e 3,12. So ergibt sich im F"all 6 für X 12,5+6,25-1-3.12 = 21,87. Wird nun endlich in 6 statt e noch d gesetzt (oder umgekehrt), so ist der höchste Grad erreicht. für die 2. Generation ergibt sich oder ') Man könnte an eine Beziehung zur Chromosomenzahl denken. Soweit mir die Literatur zugänglich war — infolge Kriegsdienstes im 3. Jahr leider nicht viel — konnte ich keine Anhaltspunkte finden. ') Man muß sich hier hüten , den Koeffizienten für die -^. Generation zu bestimmen, da diese keine weitere Inzucht mit sich bringt. Noch weniger darf man etwa einen so be- stimmten Wert dem der 2. Generation additiv hinzufügen. Bei Bestimmung des Koeffizienten für die 3. Generation -|-^=-j'j oder 3,12 macht man die .'\nnahme, daß in der 2. Generation statt dem einen der g ein anderer nicht im Stammbaum vorkommender Buchstabe, etwa m, stünde. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 17 b iS,75 0,78 i,S6 6,25 '8,75 12,5; die 3. Generation bringt dann nichts Neues mehr, somit für x 12,5 + 12,5 = 25. Dieser letzte Fall ist auch in Stammbaum 2 enthalten, wo die Inzucht noch um eine Generation weitergeführt ist, so daß sich dann für x 37,5 ergibt. Wir betrachten noch rascii den zusammen- gesetzten Fall 7. Bereits in der 2. Generation sind c, d u. e durch Geschwisterehe (analog Fall 5) mit 12,5 belastet. Für a u. b in der i. Generation kommt zu diesen 12,5 je noch die Wirkung ge- meinsamer Urgroßeltern mit 6,25 hinzu, somit haben a u. b je 18,75, was auch x übernimmt. Für X kommen noch 3 weitere Faktoren hinzu ; I. die Wirkung von c in der 2. Generation (ana- log Fall i) mit 6,25, 2. die Wirkung von i in der 3. Generation mit ^--^ oder 1,56, 3. die Wir- kung von mn als Eltern von k u. h mit yV-^V oder 0,78 (die übrigen m n sind schon in den vor- herigen Faktoren entlialten). So ergibt sich als Summe für x der Koeffizient 27,34. Vergleichen kann man dies Resultat, da für die 4. Generation berechnet, nur mit Fall 2, wo bei ähnlichem Stamm- baum durch weitere Steigerung der Inzucht sich 37,5 ergab. Wir haben uns bisher auf Fälle mit Wieder- holung eines Individuums nur in derselben Gene- ration beschränkt. Die Berechnung von Fällen mit Wiederholung eines Aszendenten in mehreren Generationen zeigt der einfachste Fall, Stamm- baum 8. Nach den IVIethoden von Pearl und Stammbaum 8. Krizenecky würde sich für Fall 8 derselbe Koeffizient ergeben wie für Fall i, nämlich 25, bzw. 16,66, während doch bei Fall 8 die Inzucht viel größer ist wie bei Fall i '). Wäre a beide- mal in der 2. Generation, so erhielten wir nach unserer Methode analog Fall i 6,25, wäre a in der I. Generation doppelt (Selbstbefruchtung), so wäre der Koeffizient ^-^ oder 25. Wir vermuten daher für Fall 8 den Mittelwert "^-"^---^ = 15,62. Dies ist auch richtig, denn von a als Großvater kommt auf x unter Berücksichtigung des Tilgungs- faktors ^-^ = 3*^, von a als Vater j-^ = j\ an ') Das Strafgesetzbuch stellt die Kopulation zwischen Vater und Tochter, bzw. Mutter und Sohn als schwere Blut- schande, der Kopulation zwischen Stiefgeschwistern und Ge- schwistern als gewöhnlicher Blutschande gegenüber, Erbwerten. Folglich wird der Koeffizient für x j^g:2 oder i|^ = 15,6. Unsere Methode bewertet also wohl mit Recht die Copulation zwischen Vater und Tochter, bzw. Mutter und Sohn noch etwas höher als die Geschwisterehe^). Ich ver- zichte auf Anführung weiterer Fälle dieser Art, die sich in ähnlicher Weise komplizieren lassen wie oben. Für den von Krizenecky auf S. 74 unten gegebenen Stammbaum mit theoretisch ge- steigerter sehr intensiver Inzucht berechnet sich der Koeffizient auf den hohen Wert 45,9. Er- wähnt sei noch, daß unsere Methode auch für Selbstbefruchtung brauchbare, natürlich ent- sprechend höhere Werte ergibt, während hier die beiden anderen Methoden noch mehr ver- sagen. Auf S. yj gibt Krizenecky den Stamm- baum der Kuh Beß Weaver bis in die 4. Gene- ration. Ihr Koeffizient hinsichtlich dieser Gene- ration berechnet sich folgendermaßen : Kate Weaver in der 2. Generation ist durch Balm analog Fall 8 mit 15,62 belastet, davon kommt ^ 3,9. Davy Stoke Pogis ist noch auf Beß inzuchtfrei. Für Beß kommen noch zwei weitere Irizuchtfaktoren hinzu: i. durch Siseras Stoke Pogis in der 2. Generation analog Fall i 6,25. 2. durch Patrick Fawkes in der 3. u. 4. Genera- tion 0,98. So ergibt sich für Beß der Koeffizient 3,9 -f 6,25 +0,98 = 11,13. Das Pferd Postumus hat einen viel reineren Stammbaum (S. 76). Berechnung für die 5. Gene- ration : Thormanby und Voltaire kommen in der 2. Generation zur Geltung, d. h. Orvieto und Galopin haben je den Koeffizienten 1,56. Davon kommt auf Postumus zusammen nur 0,78. Stock- well belastet Ponton mit 0,39, gibt für Postumus 0,39+1.56 Vedette endlich gibt 0,98. Somit der Endwert für Postumus 0,78-f 0,2-j-0,98 = 1,96, also ein der Reinheit des Stamm- baums entsprechend geringer Wert. Wir sehen, daß die Berechnung solcher Stammbäume gar nicht so umständlich ist, wie es anfangs scheint, da dieselben Werte immer wiederkehren und, einmal berechnet, künftig nur eingesetzt werden dürfen. Man kann sich eine kleine Tabelle an- legen und daraus die Werte nach Bedarf ent- nehmen. Ich bin mir wohl bewußt, daß auch diese Methode noch ihre Mängel hat'), doch dürfte sich ') In der additiven Zusamnienfügung der Koeffizienten egt ein Mangel , der bei künstlichem Aufbau von Stamm- X. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 229 der Leser überzeugt haben, daß sie theoretisch und praktisch den beiden anderen überlegen ist. Zum Schluß gebe ich in Stammbaum 9 den- jenigen einer mir bekannten Person wieder, um zu zeigen, wie auch in der menschhchen Familien- forschung die Inzucht gemessen werden kann. Es sind nur die Inzucht bedingenden Ahnen auf- geführt. Der Koeffizient beträgt für c 3,12, für a 1,56, bleibt für x 0,78, wozu von m n her nochmals 0,78 kommt. Somit ist der Inzuchtkoeffizient von X hinsichtlich der 5. Generation 1,56, also noch etwas niedriger als der des Pferdes Postumus. Da der Krieg die Fragen der menschlichen Rassenhygiene in den Vordergrund des Interesses bäumen mit höchstmöglicher Inzucht durch viele Generationen hindurch zutage tritt. Wird die konsequente Geschwisterehe wie bei Fall 2 noch durch weitere Generationen fortgesetzt, so ergibt sich hinsichtlich der 10. Generation der Koellizient 100. Theoretisch ist dies zu viel, praktisch aber wird dagegen nichts einzuwenden sein, da ein solch e-Ntremer Fall nie vor- kommen wird. Wollte man auch diese F'älle mit lange Zeit hindurch extrem gesteigerter Inzucht mit Zahlen unter 100 bezeichnen, so würde dadurch der Wert für die praktisch vorkommenden Fälle mit mäßiger Inzucht so herabgedrückt, daß seine Hrauchbarkeit in Frage käme. So, denke ich, hält unsere Methode einen gangbaren Mittelweg inne. gerückt hat, wird man vielleicht auch der Inzucht neue Aufmerksamkeit widmen. Jedenfalls wird der Wert der Familienforschung aufs Neue betont werden. Schallmayer hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir in dieser Hinsicht von den Chinesen lernen können, die in ihrem Ahnenkultus Stammbaum 9. einen Faktor von hohem rassehygienischem Wert besitzen. .\uch bei uns sollte es populär werden, seinem Stammbaum und seiner Familie seine be- sondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, an ihre Er- haltung und Verbesserung nach rassehygienischen Grundsätzen sein persönliches Interesse zu knüpfen. A'it,aiiiiiie. Von Dr. F. Schill [Nachdruck verboten.) Die Bewertung der Nahrungsmittel hat im Laufe der letzten Jahrzehnte mannigfaltig ge- wechselt, je nachdem sich die wissenschafi liehen Ansichten änderten und man den zeitgemäßen Fortschritten Rechnung tragen mußte. Seit V. Lieb ig unterschied man zunächst respira- torische, Wärme produzierende und plastische Nutrimcnte, die entweder die Aufgabe erfüllten, dem Organismus des Warmblüters die erforder- liche Wärme zu liefern oder zur Neubildung der lebenswichtigen Organe, als Ersatz des Verbrauches, und zum Wachstum zu dienen. Während der Kaltblüter weniger lebhaften Oxydations- oder Umsatzprozessen unterworfen ist und der Winter- schläfer seine Temperatur erniedrigt, um sparsam von seinem wärmespendenden Vorrat an Glykogen und Fett zu zehren, und bei Beginn des Frühlings mit der Wiederkehr der Luft- und Bodenwärme und zunehmenden Feuchtigkeit aus dem Ruhe- zustande in das bewegte Leben zurückzukehren, bedarf der Warmblüter dauernd, Sommer wie Winter, eines Vorrates von Subsistenzmitteln, welcher die biologischen Prozesse im Gange er- hält und die Tätigkeit der Oxydations- und Des- oxydationsvorgänge, den Auf- und Abbau der einzelnen Organe bis zur Einzelzelle garantiert. Mit dem Hervortreten der Kalorientheorie, nach welcher der Körper des Menschen und Tieres einer gewissen Anzahl von Kalorien oder Wärmeeinheiten in Höhe von 2000 — 4000, ver- g, Leipzig. schieden nach dem Zustande der Ruhe oder Arbeit, des Geschlechtes und Alters, der Rasse und des Klimas, bedurfte, um Energien zu ent- falten und Bewegungen in der Muskulatur, in dem Herzen und der Lunge und Funktionen in den Drüsen auszulösen, verloren die Eiweißstoffe (Eier, Muskel, Milch und Blut als animalische, Kleber und Legumin als vegetabilische) ihres ihnen von Lieb ig vindizierten Charakters, da auch die Fette und Kohlenhydrate als Gewebsbildner an Bedeutung gewonnen. Auch sie füllten im Stoff- austausch verlorengehende Stoffe neu aus und schützten den Bestand vor schweren, die Existenz bedrohenden Verlusten, die den Betrieb störten; sie waren nicht bloß Beiriebsmaterial , während das Eiweiß das Baumaterial repräsentieren sollte. Ja, noch mehr erweiterte sich der Rahmen mit der Zeit, als auch die Salze, insbesondere Koch- salz, Eisen-, Kalium-, Natrium-, Kalzium- und Phosphorverbindungen an Wert gewannen, mochten sie frei oder gebunden zirkulieren, da ohne sie die physiologischen Vorgänge der Resorption und Exkretion, der Diffusion und Osmose, der Säfte- austausch innerhalb der Gewebe und Einzelzelle, die Tätigkeit der Drüsen und Fermente unmöglich sind. Als lone und Salze regulieren sie die Strömung in den Blutbahnen und Lymphwegen und fördern die Ausscheidungen in den Nieren, Schleimhäuten und der Haut. Daß ihre Menge nicht unerheblich ist , ersieht man aus der Tat- 230 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i; Sache, daß die Urne des im Krematorium ver- brannten Erwachsenen nicht weniger als 3 — 4 kg Asche birgt. Keineswegs darf aber mit diesen Salzen die fundamentale Bewertung des Eiweißes, wie es die Diskussion letzthin vielfach hinsichtlich des er- forderlichen Proteinquantums pro Tag auf Grund von Veröffentlichungen Chittendens und Hindhedes glauben machen will, herabgesetzt werden, da sich das Wachstum , die Leistungs- fähigkeit in schwerer Arbeit und die Anregung zur Milchproduktion in erster Linie an ihr Vor- handensein knüpft und neuerdings herausgestellt hat, daß Gänse bei bloßem Gras- und Kartoffel- futter ihre Befruchtungsfähigkeit einbüßen und nur 10 "/o der bebrüteten Eier junge, lebensfähige Tiere ausschlüpfen la>sen, während bei Zufuhr von Getreide, Kleie und Kartoffeln aus 20 Eiern 18 — 19 Junge hervorgingen (Gramm es). Auch mit der physiologischen Brennwerltheorie war die Ernährungsfiage keineswegs erschöpft. In den letzten Jahren reihten sich die organischen „Nebennährstoffe" oder „akzessorischen Nährsioffe", wie sie Hofmeister nennt, als Nova an, deren Charakter und chemische Zusammensetzung nur zum Teil bisher genauer bekannt wurde. Das sind die lebenswichtigen Vitamine nach Casimir Funk, zyklische Aminosäuren wie die längst be- kannten Tyrosin und Tryptophan, deren Mangel in der Kost oder im Futter der Tiere die Vita gefährden und Avitaminosen, bestimmte Krank- heiten oder Krankheitszeichen, hervorrufen. Das Fehlen beruht nach Funk's Forschungen in falscher Zubereitung der Speisen oder kulinarischen Mißbräuchen bei der Herrichtung der Gemüse, dem üblichen Trocknen des Obstes, dem zu lange aus- gedehnten Sterilisieren der Milch, dem Entschälen des Reis und Mais und dem Entziehen der Kleie bei der Brotfabrikation, weil derartige Methoden und Gepflogenheiten die Vitamine ausschalten oder vernichten. Zu diesen Erkrankungen gehört in erster Reihe Beriberi, jene bei den Reisessern in Perconte längst bekannte Nervenstörung, die mit Lähmung der Glieder und Abzehrung beginnt und mit dem Tode endigt, sobald geschälter Reis längere Zeit hindurch als ausschließliche Nahrung dient; ähn- liche Beobachtungen waren bereits bei uns an Kindern gemacht, die mit Mehlsuppen aufgefüttert waren und abmagerten, dabei an Nervenleiden mit Wassersucht und Herzerweiterung erkrankten. Nicht bloß Völkerschaften litten an Beriberi, auch die Bewohner von Segelschiffen, einzelne Inselbewohner der Südsee und in antarktische Gegenden ver- schlagene Expeditionsteilnehmer. Auch Tiere blieben davon nicht verschont. Ähnlich verhält es sich mit der Pellagra, einer nicht bloß die Haut, sondern auch die Verdauungsorgane und das zentrale Nervensystem befallenden Krankheit. Das Verfahren, den Mais, der den Italienern die bekannte und gern genossene Polenta liefert, in Dampfmühlen abzuschleifen und nur das nackte Korn zu genießen, führte zu einer Mortalität von 20 — 25 "/o in Nordamerika und zu 4."!^ in Italien und Ägypten. In Rhodesien wurden sogar Epi- demien und im Kaplande Pellagra mit Skorbut bei Mais- und Kartoffclkost beobachtet. Auch die Barlow'sche Kinderkrankheit oder der kindliche Skorbut, welcher mit Blutungen unter die Knochenhaut und Schwellung der Gelenke ver- läuft und früher nicht so ganz selten bei der da- mals geübten künstlichen Ernährung mit lange gekochter Kuhmilch konstatiert wurde, beruht auf der Sterilisation oder Mehlnahrung. Nicht anders steht es mit dem Skorbut, der jetzt immer noch vereinzelt bei uns vorkommt und früher die Segelschififer und Forscher auf Expe- ditionen in entlegene Regionen aus Mangel an frischen Gemüsen, frischem Fleisch und P'rüchten arg heimsuchte. Nur die österreichischen geo- graphischen Forschungsreisenden im P>anz-Josephs- land blieben verschont, weil es ihnen gelang, frisches Gemüse im Schiffsraum fortzuzüchten. Wahrscheinlich, aber nicht erwiesen, also noch Hypoihe-e ist, daß Rachitis oder die englisehe Kindeikrankheit und Knochenerweichung im späteren Alter, Sprue, Stizziekte und Lampiekte der Rinder auf die gleiche Ursache zurückgeführt werden müssen. Die Vitamine sind nicht bloß in frischen Ge- müsen und Obst, in der Reis- und Maiskleie oder Roggenschale, sondern auch im frischen Fleisch, in der frischen Kartoffel, im Zitronensaft, in der Bierhefe und im Lebertran vorzufinden, so daß es sich jetzt leicht erklärt, daß sie längst als Heil- mittel im Volke und in der Heikunde Anwendung fanden. Wenn man sie als „akzessorische Nähr- stoffe" bezeichnet, so soll damit nichts anderes gesagt sein, als daß sie neben dem unentbehr- lichen Eiweiß, Fett, Kohlenhydraten und Salzen lebenswichtige Substanzen repräsentieren und daß nicht bloß Körperersatz und Energiespenden, sondern auch Vitaminegehalt die Prinzipien unser Ernährung zu leiten haben. Bisher haben wir die P'olgen kennen gelernt, welche das längere Fehlen der Vitamine zu unserm Nachteile hervorzurufen imstande ist. Was wissen wir über ihre Natur und Konstitution? Sind es Fermente oder Katalasen, die Prozesse im Körper anregen und deren Wirkungen wir verfolgen können, ohne daß wir sie den Eiweiß- stoffen oder ihnen ähnlichen Stoffen zurechnen können? Rufen sie gar Vergiftungen hervor, die sich wie Nikotin oder Alkohol oder bakterielle Toxine bald schnell, bald nach und nach Geltung verschaffen? Die Vitaminelehre bedarf noch mancher Klärung in der Zukunft, aber der experi- mentelle Beweis für ihre Existenz ist längst er- bracht, wie wir bald sehen werden. Vitamine sind, obgleich von drei Arten bei der Beriberi, sonst nur von Skorbut oder Pellagra- vitaminen die Rede ist, kompliziert gebaut, kristalhne Körper, schwer darstellbar und nur in geringer Menge vertreten. Man hat mit N. F. XVI. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 231 AlIetzung von zahlreichem Rot- und Damwild die F"üiterung aller Arten von Nutzwild in wiitgehendem Maße eingeführt worden. So wurden allein zum Heumachen für die VVisentfütterung rings um den Wald loo Familien angesiedelt. Durch diese überaus sorgsame Hegung des Nutzwildes wurde zwar einerseits ein hoher Nutzwildstand erreicht, andererseits aber auch eine Degencrierung des gesamten Wildbestandes verschuldet-, ,,die Wisente waren fettgefütterte, träge und zahme Tiere geworden, die ihren Hegern wie Hunde nachliefen". Die Degenerierung des Wildes zeigte sich vornehmlich durch das Auftreten verheerender VVildseuchen (Sephikämie) in den Jahren 1911 und 1912. Schließlich hatte die Überproduktion an Rot- und Damwild die Abwanderung des Elches zur Folge, der sich be- kanntlich mit diesen Wildarten zusammen nicht auf ein und demselben Standorte hält. Wie hoch trotz dieser üblen Nachwirkungen der russischen Jagdschutzmaßnahmen der Wildstand im Bialo- wieser F"orst noch kurz vor Kriegsbeginn war, erhellt aus den fLrgebnissen einer im Jahre 1914 von russischer Seite veranstalteten Zahlung, die etwa 700 Wisente, 59 Flehe, 6778 Stück Rotwild, 1488 Stück Damwild, 2225 Stück Schwarzwild und 4966 Stück Rehwild ergab. Der Krieg hat diese Zahlenverhältnisse natür- lich von Grund aus verändert; nicht nur daß von den durchziehenden Truppenmassen viel Wild ab- geschossen wurde, war der Wald nach dem Rück- zug der russischen Heereskörper, denen die deutschen Kolonnen auf dem Fuße folgten, auch voll von Wilderern, desertierten oder von ihren Truppenteilen abgekommenen russischen Soldaten, die sich in ihren Schlupfwinkeln lange verborgen halten konnten und durch das Niederknallen jeg- lichen Wildes ihren Unterhalt fanden. Als des- halb von der deutschen militärischen Forstver- waltung unter der Leitung des bayr. Forstrats Dr. G. F sc h e r i c h im vergangenen Jahre eine Schätzung des Wildstandes vorgenommen wurde, ergaben sich nur mehr etwa 180 Wisente, 5 — 10 Flehe, 2—3000 Stück Rotwild, 4—500 Stück Damwild, 5 — 800 Stück Schwarzwild und 2 — 3000 Stück Rehwild. Durch eine Reihe energischer Maß- nahmen wurde von den deutschen Behörden vor allem dem Wildererunwesen gesteuert und durch die Einführung sti enger Jagdvorschriften der Wildabschuß genau geregelt. Die kais. deutsche Forstverwaliung ging von dem Grundsatz aus, daß es „gänzlich verfehlt ist, das Raubwild aus- zurotten. Gerade der Kampf in der Natur erhält das Nutzwild auf seiner gesundheitlichen Höhe. Das Raubwild hat eine ungemein feine Witterung für krankes Wild, dem es nachstellt und es aus- nahmslos beseitigt. Dadurch wird die Ausbreitung von Epidemien am einfachsten und durchgreifend- sten bekämpft". Auch die Fütterung des Wildes wurde auf das unbedingt notwendige Maß be- schränkt, das Wild, besonders das schwerfällige Wisent, muß darauf angewiesen sein, sich seine Nahrung selbst zu suchen, nur dann wird ein ge- sunder Wildbestand erhalten werden können. Durch diese im Gegensatz zu den russischen Ge- pflogenheiten von Grund aus veränderte Praxis der Wildhegung ist die Hoffnung berechtigt, daß es unserer deutschen horstverwaltung während ihres Wirkens in Bialowies gelingen wird, den Wildbestand nicht nur auf seiner heutigen, durch die Kriegsverhältnisse beschränkten Höhe zu er- halten, sondern ihn auch noch zu vermehren. H. W. Frickhinger. Die Tollwut des Wildes. Die Tollwut ist eine der ältesten dem Menschen bekannten Infektions- krankheiten. Schon Aristoteles hat ihren infektiösen Charakter richtig erkannt, wenn er in seiner „Tierkunde" schreibt: „Die Hunde leiden an der Wut. Diese versetzt sie in einen Zustand der Raserei, und alle Tiere, welche dann von toll- wütigen Hunden gebissen werden, werden gleich- falls von der Wut betroft'en." Die Tollwut ist, wenn sie in ihren Äußerungen auch bei anderen Tiergattungen, so z. B. beim Geflügel auftreten kann, doch eine spezifische Erkrankung des Hunde- geschlechtes, insbesondere seiner wildlebenden Ver- treter, wie des Fuchses, des Wolfes und des Schakals. Unter diesen wilden Kaniden ist die Tollwut, vulgär ja auch Hundswut genannt, wie schon eingangs er- wähnt, seit alters bekannt und bis heute nie aus- gestorben, so daß die Seuche, wie Bezirkstier- arzt a. D. M. Reuter in einem längeren Aufsatz in der „Zeitschrift für Forst- und Jagd- wesen" (48. Jahrg. 1916 Heft 11) begründet, „primär als eine Krankheit des Wildes ange- sprochen werden muß". Da nun in der Nähe von Gebieten, in denen die obengenannten wilden Kaniden häufig vorkommen, in Europa vornehm- lich in Südrußland und in den Karpathen, Haus- tiere immer wieder einmal von der Krankheit be- fallen werden, ohne daß es möglich ist, eine Infektion durch Hundebiß nachzuweisen, zieht Reuter den Schluß, daß in diesen Ländern, vor allem aber im Innern Asiens, aus dem ja eine Zuwanderung wilder Kaniden nach Europa herüber ständig er- folgt, vielleicht eine spontane Entstehung der Toll- wut in Frage kommt. Man müßte dann annehmen, daß die Tollwut bei den wilden Kaniden „ähnlich dem Milzbrand, durch einen möglicherweise im Boden haftenden (miasmatischen) Infektionsstoff entstehen kann"; ist das Gift von außen her in den tierischen Körper eingedrungen, so würde der Tollwuterreger erst durch sein Eindringen in den Blutkreislauf des tierischen Organismus seine ansteckende Kraft erlangen und es wäre dann dadurch die Möglichkeit der infektiösen Weiterver- breitung durch den Biß gegeben. Diese Theorie des auiochthonen Entstehens der Toll- wut bei wilden Kaniden ist von den ver- schiedensten Seiten angezweifelt worden, ohne daß aber, wie der Verfasser meint, wirklich stichhaltige Gegengründe bis heute beigebracht worden wären. 236 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 17 Primär erkrankte Kaniden, so müßte weiterhin angenommen werden, würden dann dadurch, daß sie gesunde Artgenossen bzw. natürlich auch Haushunde anfallen, die VVeiterbreitung der Seuche in Kultur- gebiete verschulden. Damit wäre eine Erklärung für die Tatsache gefunden, daß die Tollwut ge- rade in den deutschen Grenzgebieten, welche in ständigem Verkehr mit Rußland stehen, trotz aller polizeilichen Maßnahmen niemals ganz ausgerottet werden konnte. Der Ansteckungsstoff der Tollwut ist nicht flüchtig, d. h. er kann durch keinen Zwischen- träger, wie wir solche bei den meisten der Infektions- krankheiten kennen, übertragen werden. Das ist wohl auch der Grund dafür, daß die Tollwut eigentlich nie die Dimensionen einer großen Seuche annimmt, sondern nur mehr sporadisch auftritt. Bald nach dem Verenden der erkrankten Tiere erlischt auch die Wirksamkeit des Infektions- stofifes. Die Anxiahme, als seien bestimmte Hunde- rassen empfänglicher für die Aufnahme der An- steckungskeime, hat sich ebenso als irrig erwiesen, wie die Hypothese, daß hohe Wärmegrade die Entwicklung der Ansteckungskeime günstig be- einflusse: diese Annahme wird am besten durch den Hinweis auf die Tatsache widerlegt, daß die Tollwut in der Türkei und in Ägypten, beides Länder, welche sich doch eines sehr warmen Klimas erfreuen, nur selten und nur durch Ein- schleppung vorkommt. Auch in Deutschland ist ja, dank der ein- greifenden polizeilichen Vorschriften, die Tollwut- erkrankung längst nur mehr eine sporadisch auf- tretende, durch Einschleppung bedingte Krankheit. Eine Weiterverbreitung der Seuche wird auch da- durch noch eingedämmt, daß tollwütige Hunde durch den hochgradigen Erregungszustand, in dem sie sich befinden, meist nur sehr oberflächlich beißen und dadurch nicht alle Bisse unbedingt eine Infektion nach sich ziehen müssen ; nach statistischen Feststellungen kommen beim Tiere nur 5— 3o"(| und beim Menschen nur 8—47"',, Erkrankungsfälle bei durch tollwütige Hunde Ge- bissenen vor, welch letzteren Prozentsatz es heutigentags überdies noch durch die Pasteur- sche Schutzimpfung bekanntlich bedeutend her- unterzuschrauben gelang. H. W. Frickhinger. Die parasitäre Schlupfwespe der Kohlraupe als indirekter Schädling des Weizens. Die gclbbeinige Schluptwespe [Microgaster glome- rafiis L.) befällt bekanntlich die Raupen des großen Kohlweißlings (Pii'ris lirnssiciw L.), indem sie ihre Eier in dieselben legt. Dermaßen an- gesteckte Raupen suchen dann, wie um dem Unheil zu entrinnen, Zuflucht auf hohen Objekten, wie auf Zäunen oder Mauern. Dort oben gehen die Tiere in kurzer Zeit ein, und späterhin ist die Ursache ihres Todes deutlich erkennbar, indem allüberall aus den Raupenleibern die Kokons der Schlupfwespe hervortreten. ') An die Station für Pflanzenkrankheiten bei der Kgl. böhmischen Landwirtschaftl. Akademie in Tabor wurden nun im vergangenen Sommer von der Gemeinde Prennet bei Taus Weizenähren eingesandt, welche an verschiedenen Stellen von den Kokons des Microgaslcr glomcratiis um- sponnen waren. Wie Adolf Kutin in der Zeitschrift für Pflanzenkrankheiten aus- führt (26. Bd. 1916 Heft 8), ist es wohl das erste Mal, daß die Kohlraupen in ihrer Krankheit sich auf Weizenähren geflüchtet haben. Durch diese Wahl ihrer Zufluchtsstätte haben sie an den Weizenbeständen einen ziemlichen Schaden ver- ursacht; denn das dichte Kokongespinst, mit dem die in ihnen ihre Entwicklung durchmachenden Schlupfwespen die Ähren umgaben, hinderte in nicht unbedenklicher Weise den Zutritt von Licht und Luft zu den in der Entfaltung begriffenen Blütenorganen und späterhin auch zu den PVucht- körnern, so daß eine Fruchtreife in vielen Phallen überhaupt ausblieb und „die Ähren in dem Teile, wo die Kokons anhafteten, vollständig leer waren". Es ist dieses Auftreten der Schlupfwespe an den Ähren des Sommerweizens ein lehrreiches Beispiel dafür, wie ein sonst nützliches Tier durch eine geringe Veränderung seiner Lebensweise bzw. der- jenigen seines Wirtstieres sich in einen Schädling verwandeln kann. H. W. Frickhinger. Über die Zucht des Edelseidenspinners im Freien. Prof. J. Dewitz hat in der Preußischen Station für Schädlingsforschungen in Metz seit 2 Jahren Versuche darüber angtstellt, ob es nicht möglich sei, die Raupen des Edel- seidenspinners Boiiibyx iiion L. auch in unserem Klima im Freien zu züchten. Im großen und ganzen hatte Dewitz nach seinem Bericht in der Entomologischen Rundschau (34. Jahrg. 1917 Nr. I) dabei in biologischer Hinsicht günstige Resultate zu verzeichnen : die überwiegende Mehrzahl der Raupen machten ihre Entwicklung im PVeien trotz der häufig starken Unbilden der Witterung gut durch. Die biologischen Daten waren dabei etwa folgende; „Das Leben der Raupe dauerte von Anfang Juni bis .Anfang August. Das Verspinnen geschah in der i. Hälfte des August, die ersten Schmetterlinge zeigten sich zwischen dem 22. und 26. .August." In beiden Versuchsjahren waren die einzelnen Daten der Entwicklungszeiten ungefähr die gleichen, im 2. Jahr war jedoch der Entwicklungsgang merklich präziser. Im 2. Jahr konnte Dewitz sogar den Versuch wagen, die an den Maulbeerästen ge- sponnenen Kokons nicht abzunehmen, sondern die Schmetterlinge im Freien schlüpfen zu lassen. „Sie kamen denn auch hier in der i. Hälfte des ') Diese parasitäre Lebensweise des JMiaogaster glomerattis maclit ihn zu einem sehr nützlichen Insekt, da die Schlupf- wespe durch ihren Befall die schädlichen Kohlraupen in grofier Zahl vernichtet. N. F. XVI. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 237 September noch aus und legten ihre Eier an Blätter, an den Stamm oder an leere Kokons ab." Auch die Eier wurden nicht entfernt, Dewitz hofft aus ihnen im heurigen Frühjahr neue Raupen zu erzielen, mit denen er seine dritte Zucht unternehmen kann. Dieses gute biologische Über- dauern auch der Unbilden unserer Witterung würde uns vielleicht zu einer günstigen Beurteilung der Freilandzuchten berechtigen dürfen, wenn die Seidenraupen in den Dewitz'schen Versuchs- zuchten nicht eine unangenehme Eigenschaft ge- zeigt hätten, die sie für die Zucht im Freien recht ungeeignet erscheinen läßt : die Raupen waren, besonders im erwachsenen Zustand, dermaßen trag, daß sie nur selten dazu zu bewegen waren, einmal vor Regen oder Kälte aus eigenem Instinkte irgendwo Zuflucht zu suchen und dann auch, wenn sie einen Zweig abgefressen hatten, aktiv auf die Futtersuche 7,u gehen. „Sitzen sie an einem ent- blätterten Zweig, so nagen sie an den stehen- gebliebenen Blattstielen oder Blattresten, während an der Spitze des Zweiges oder sonst nicht weit noch reichlich Laub vorhanden wäre." Auch vor den Angriffen der Vögel, die sich gerade den Seidenraupen gegenüber aus leicht erklärlichen Gründen sehr zudringlich erwiesen, versuchten die Raupen niemals zu enteilen oder irgendwo eine geschützte Stelle zu erreichen. Die Maulbeer- büsche oder die Äste von Maulbeerstämmen, welche bei den Zuchten Verwendung fanden, mußten daher mit Gazesäcken umhüllt werden, um dadurch die Raupen wenigstens einigermaßen vor der Dezimierung durch die Vögel zu schützen. Gerade diese immer wieder bekundete Trägheit der Seidenraupen steht ihrer Freilandzucht natürlich äußerst hemmend im Wege. Es ist dabei aller- dings die Hoffnung noch nicht ganz aufzugeben, daß es im Verlaufe längerer Untersuchungen ge- lingen wird, oder sagen wir besser, gelingen kann, unter den zahlreichen Seidenraupenrassen eine Spezies zu finden, deren Vertreter sich in dieser Beziehung vorteilhaft von ihren Artgenossen unter- scheiden. Ob freilich die Freilandzuchten, auch wenn das glücken sollte, in Deutschland jemals eine wirtschaftliche Bedeutung werden erlangen können, das erscheint heute, wo die ganze Seiden- baubewegung noch keinerlei greifbare Resultate gezeitigt hat, zumindest fraglich. Prof. Dewitz jedenfalls hat seine Versuche nur aus biologischem Interesse und, wie er selbst sagt, nicht mit Rück- sicht auf die praktische Seite unternommen. H. W. Frickhinger. Chemie. Über die Aktivierung von Chlorat- lösongen^ durch Ösmiumtetroxyd und die Ver- wendbarkeit dieser Reaktion in der analytischen" Chemie hat K. A. TTo f m a n n ~in de~n letzten Jahren, z. T. in Gemeinschaft mit einigen seiner Schüler, eine Reihe interessanter Mitteilungen gemacht, über die im folgenden kurz berichtet werden möge. Daß das Ösmiumtetroxyd OSO4 ein Oxydations- mittel ist und, indem es oxydierend wirkt, selbst zu tiefschwarzem Osmiumdioxyd OsOj reduziert wird, ist bereits seit langem bekannt. Da nun andererseits das Osmiumdioxyd von Oxydations- mitteln mehr oder minder leicht wieder zu Ösmiumtetroxyd oxydiert wird, so muß es, sofern die verschiedenen Reaktionsgeschwindigkeiten in einem geeigneten Verhältnis zueinander stehen, d. h. sofern die Summe der Geschwindigkeiten der beiden Reaktionen: Osmiumdioxyd + Oxydationsmittel = Ösmiumtetroxyd Ösmiumtetroxyd + Oxydand= Oxydat + Osmiumdioxyd größer ist als die Geschwindigkeit der direkten Reaktion Oxydationsmittel + Oxydand = Oxydat, das Osmiumdi- oder -tetroxyd als Katalysator wirken. In der Tat vermag so, wie schon seit längerer Zeit bekannt ist, Ösmiumtetroxyd Oxy- dationsreaktionen mit elementarem Sauerstoff als Oxydationsmittel zu katalysieren, und zwar — darauf macht K. A. Hofmann') aufmerksam — in be- sonders starkem Maße, wenn der Sauerstoff unter erhöhtem Druck steht und die Reaktionsgeschwindig- keit gleichzeitig durch Temperaturerhöhung ver- größert wird. Wesentlich bequemer und leichter aber sind Oxydationsreaktionen auszuführen, wenn man als Oxydans an Stelle elementaren Sauerstoffs eine neutrale oder schwach saure Lösung von Natrium- oder Kaliumchlorat verwendet, denn überraschenderweise wird Osmiumdioxyd selbst von neutralen Chloratlösungen, die ja bekanntlich sonst nur ein außerordentlich träges Oxydations- mittel sind, sehr leicht und rasch zu Ösmium- tetroxyd oxydiert. So wird durch Chlorat — bei Anwesenheit von ganz geringen Mengen von Ösmiumtetroxyd — Arsenik zu Arsensäure, Hydra- zinsulfat zu Stickstoff, Hydrochinon zu Chinhydron, F'umarsäure zu Traubensäure, Maleinsäure zu Mesoweinsäure, Anthracen zu Anthrachinon oxy- diert, Reaktionen, die bei Abwesenheit von Ösmiumtetroxyd praktisch vollkommen ausbleiben. Auch die verschiedenen Arten von Kohle, wie Ruß, Rohrzuckerkohle, Graphit usw., die gegen Chlorat allein im allgemeinen recht widerstands- fähig sind, werden von ihm bei Anwesenheit von Ösmiumtetroxyd mehr oder weniger rasch oxy- diert. Erscheint so das durch Ösmiumtetroxyd aktivierte Chlorat in vielen Fällen als ein aus- gezeichnetes Oxydationsmittel — Chlorierungen traten hierbei nicht ein — , so wirkt es doch keineswegs auf alle oxydierbaren Substanzen. So erweisen sich nicht nur die gesättigten Kohlen- wasserstoffe, wie Pentan und Hexan, sondern auch — sofern sie nur vollkommen rein sind — das ') K. A. Hofmann, „Sauerstoff-Übertragung durch Ösmiumtetroxyd und Aktivierung von Chloratlösungen", Ber. d. D. Chera. Gesellsch., 45 (1912), S. 3329 — 3336. 238 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 17 Benzol und das Naphtalin und die gesättigten Ketone, ja sogar die sonst doch gegenüber Oxy- dationsmitteln ziemlich unbeständigen Aldehyde als sehr widerstandsfähig. Von medizinischem Interesse dürfte es sein, daß auch die bakterizide Wirkung des Chlorats durch Spuren von Osmiumtetroxyd gesteigert wird. Um eine Erklärung für die Katalyse der Chlorat- oxydationen durch das Osmiumtetroxyd zu finden, untersuchte K. A. Hofmann in Gemeinschaft mit O. Ehr hart und Otto Schneider') die Einwirkung von Chlorat auf die Oxyde des Osmiums und kam dabei zu den folgenden inter- essanten Ergebnissen: Erstens nehmen die niederen Oxyde des Osmiums aus dem Chlorat gerade so viel Sauerstoff auf als zu ihrer Oxydation zu Osmiumtetroxyd erforderlich ist; die bisweilen gemachte Annahme der Existenz eines höheren Oxyds ist also nicht berechtigt. Zweitens wird der Zerfall der endothermen Chlorate durch Osmiumtetroxyd nicht, wie etwa durch Braun- stein, Eisenoxyd oder Vanadinoxyd, katalysiert; die Wirkung der Oxydationskatalyse ist also nicht darauf zurückzuführen, daß etwa der Sauerstoff, der bei dem durch Osmiumtetroxyd beschleunigten spontanen Zerfall des Chlorats frei wird, in statu nascendi die Oxydationen bewirkt. Dagegen sprechen gewichtige Gründe für die An- nahme, daß ein Additionsprodukt „Chlorat + Os- miumtetroxyd" existiert, denn drittens wird die Löslichkeit des Kaliumchlorats in Wasser durch Osmiumtetroxyd erhöht und zeigt viertens das Potential einer osmiumtetroxydhaltigen Chlorat- lösung ein höheres Oxydationsp.otential als eine wässerige Lösung von Osmiumtetroxyd oder von Chlorat allein. Aus dem Verhalten des Oxydators „Natriumchlorat -j- Osmiumtetroxyd" gegen wässe- rige Jodkaliumlösung — es wird aus ihr Jod mit einer, je nach den Konzentrationsverhältnissen wechselnden, leicht meßbaren Geschwindigkeit frei gemacht — schließen Hof mann und seine Mit- arbeiter, daß das Additionsprodukt die Formel NaClOg-OsO, hat. Von besonderem Interesse sind nun die eigen- tümlichen Erscheinungen, die bei der Einwirkung der mit Osmiumtetroxyd aktivierten Chloratlösungen auf gewisse Gase auftreten. Zunächst ergaben die Versuche, daß, während von dem genannten Oxy- dationsmittel das Kohlenoxyd ziemlich rasch zu Kohlensäure und noch rascher das Äthylen CH, : CH.3 zu Äthylenglykol CH.,(OH). CH,(OH) oxydiert wird, der ja auch sonst ziemlich reaktionsträge Wasserstoff unangegriffen bleibt. Es gelang aber K. A. H o f m a n n und Otto Schneider^) durch ') K.A.Hofmann, O. Ehrhart u. O tto Schneid er, „Aktivierung von Chloratlösung durch Osmium. II. Mitteilung", ebenda 46 (1913), S. 1657— 1668. =) K. A. Hofmann und Otto Schneider, „Aktivie- rung von Chloratlösungen durch Osmium. 111. Mitteilung: Trennung von Wasserstoff und Methan, Katalyse von Knall- gasgemischen", ebenda 48 (1915J1 S. 1585 — 1593. planmäßige Versuche leicht, indem sie die Oxyda- tionswirkung des Osmiumtetroxyd- Chloratge- misches durch Hinzufügung von metallischem Palladium und Platin steigerten, diese Reaktions- trägheit des Wasserstoffs so weit zu überwinden, daß sie ihn in einer mit dem verbesserten Oxy- dationsgemisch beschickten Hempelschen Pipette mit einer für gasanalytische Untersuchungen aus- reichenden Geschwindigkeit zu verbrennen ') und auf diese Weise — das ist praktisch wichtig — insbeson- dere von Methan zu trennen vermochten. Schwefel- haltige Gase, Ammoniak, Phosphordämpfe und Phosphorwasserstoff hemmen die 0.xydation, doch kommen diese Gase bei der normalen Gasanalyse nicht in Betracht, Stickstoff stört nicht, wohl aber wirken sowohl Sauerstoff als auch Kohlenoxyd störend: der Sauerstoff beteiligt sich an der Oxydation des Wasserstoffs, das Kohlenoxyd hemmt sie. Die Wirkung der beiden Gase wurde nun von H o f m a n n und seinen Schülern einer sehr genauen Sonderuntersuchung unterworfen. Diese Untersuchung führte hinsichtlich des Sauerstoffs zu dem Ergebnis, ") daß die Oxydation von Sauerstoff- Wasserstoff- Gemischen an den mit wässerigen Lösungen bedeckten Kontakten, wie sie Hofmann bei der Absorption des Wasserstoffs in Hempelschen Pipetten verwendet, ein elektro- chemischer Vorgang ist. „Die geeigneten Stellen der Kontaktfläche werden durch die Gasbeladungen in Sauerstoff- bzw. Wasserstoff- Elektroden um- gewandelt, und zwischen diesen spielt sich der Umsatz wie bei einer Grove'schen Gaskette ab." So interessant und — als Aufklärung eines kata- lytischen Vorganges — allgemein wichtig dieses Ergebnis aber auch ist, so kommt es doch für die Praxis der absorptiometrischen Bestimmung des Wasserstoffs darum nicht in Betracht, weil der Sauerstoff im Gange der Gasanalyse stets vor der Bestimmung des Wasserstoffs entfernt wird und diese Entfernung auch leicht restlos gelingt. Ganz anders als beim Sauerstoff liegt nun aber der Fall beim Kohlenoxyd. '■') Allerdings ') Weitere Verfahren zur absorptiometrischen Bestimmung sind erstens das von Paal und Hart mann (ebenda 4:i, S. 243, igio) vorgeschlagene und von O. Brunck (Chem.- Zeit. 34, S. 1313, 1910) eingehend untersuchte Palladium- verfahren , bei dem eine kolloidales Palladium enthaltende wässerige Natriumpikratlösung als Absorptionsmittel dient, und zweitens das Verfahren vonBosshard und Fischli (Zeitschr. f. angew. Chem. 28, S. 365, 1915), bei dem der Wasserstoff unter dem katalytischen Einfluß von Nickel von einer Natrium- oleatlösung aufgenommen wird. '') K. A. Hofmann und Ralf Eber t, „Katalyse von Wasscrstofl-Sauerstoft'-Gemischen bei gewöhnlicher Temperatur an wasserbenetzten Kontakten", Ber. d. D. chem. Gesellsnh. 49 (1916), S. 2369-2389. ■*) K. A. Hofmann, „Volumetrische Bestimmung von Wasserstoff durch 0.\ydation mittels aktivierter Chloratlösung; Beseitigung von Kohlenoxyd durch Quecksilberchromat", ebenda 40 {1916), S. 1650— 1662. -- K. A. Hofmann und Helge Schibsted, „Die Hemmung der Wasserstoff- O.xydation in der Chlorat-Pipette durch Kohlenoxyd, ein Beitrag zur Kenntnis der Kontaktgifte", ebenda 49 (1915), S. 1663—1669. N. F. XVI. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 239 wird auch das Kohlenoxyd im Gange der Gas- analyse vor der Bestimmung des Wasserstoffs absorbiert, aber diese Absorption '■ — ausgeführt mit Hilfe einer ammoniakalischen oder salzsauren Kupferchlorürlösung — ist bekanntermaßen un- vollständig, und da nach Hof man n 's Versuchen bereits äußerst geringe Mengen von Kohlenoxyd, nämlich schon 0,2 Vol.-^/o , genügen, um die katalytische Verbrennung des Wasserstoffs in der Hempel 'sehen Pipette zu hemmen, so mußten neue Wege zur vollständigen Entfernung des Kohlenoxyds gesucht werden. Sie wurden auch gefunden; in einer mit Merkurichromat und einer wässerigen Chromsäurelösung beschickten Pipette werden die der Absorption mittels Kupfer- chlorür entgangenen Reste des Kohlenoxyds entfernt — der Wasserstoff erleidet hierbei auch eine geringe Oxydation, der durch eine kleine Korrektur Rechnung getragen werden muß — , und dann wird der Wasserstoff durch das verbesserte Chloratgemisch ^) absorbiert. Wegen der sehr interessanten Einzelheiten, die bei der Untersuchung des störenden Einflusses von Sauerstoff und Kohlenoxyd auf die kataly- tische Verbrennung des Wasserstoffs nach dem H ofmann'schen Verfahren festgestellt worden sind, sei auf die angeführte Originallitteratur ver- wiesen. Mg. ') Die genaue Vorschrift für die Beschickung einer Hempel' sehen Pipette mittels der aktivierten Chloratlösung be- findet sich indenBer. d. D. ehem. Gesellsch. 49 (1916), S. 1653, die der Beschickung einer H em p el'schen Pipette mit wässe- riger Chromsäure und Mcrkurichromatpaste ebenda S. 1661 und die Vorschriften zur praktischen Ausführung der Wasser- stoffbestimmungen ebenda S. 1662. Bücherbesprechungen. Fortschritte der Mineralogie, Kristallographie und Petrographie. Bd. 5. Jena, 1916. G. Fischer. 4", 324 S., 43 Abb. — Brosch. 1 1,50 M. Die von der Deutschen Mineralogischen Ge- sellschaft herausgegebenen „Fortschritte" gestalten sich von Jahr zu Jahr zu einem wichtigeren Nach- schlagewerke. Der vorliegende, wiederum unter G. Linck's Redaktion herausgegebene 5. Band des Jahres 19 16 enthält abermals wichtige Zu- sammenfassungen und Übersichten über im Vorder- grunde des Interesses stehende P>agen und die sich damit befassende neuere Literatur. Einem Bericht von R. Brauns über die Tätigkeit des Damnu (Deutsch. Ausschusses f. math.nalurw. Unierr.) in den Jahren 191 3 und 1914 folgen Arbeiten von A. Johnsen über „Kristallstruktur", ein Gegenstand, welcher seit Einfuhrung der Laue 'sehen Röntgenometrie in die Kristallo- graphie gewiß doppeltes Interesse erweckt, von P. Niggli über „Neuere Mineralsynthesen", von O. H. Erdmannsdörfer „Über Einschlüsse und Resorptionsvorgänge in Eruptivgesteinen", von F. Becke über „Fortschritte auf dem Gebiete der Metamorphose", von Fr. Berwerth über „Fortschritte in der Meteoritenkunde seit 1900" und von Karl Schulz über „Die Koeffizienten der thermischen Ausdehnung der Mineralien und Gesteine und der künstlich hergestellten Stoffe von entsprechender Zusammensetzung". Vor allem die Arbeiten von Erdmannsdörfer, Becke und Berwerth werden auch den Geologen in- teressieren. Wenn letzterer die von Fr. Ed. Suess für kosmische Erzeugnisse gehaltenen „Tektite" für Kunstprodukte zu halten geneigt ist, so dürfte Suess hierzu doch noch mancherlei zu bemerken haben. Andree. Hermann Lohns, Aus P'orst und Flur. 40 Tiernovellen. Mit einer Einleitung von K. So f fei, einem Bildnis des Verfassers und 15 Tierphotographien nach dem Leben. 5. Aufl. R. Voigtländers Verlag in Leipzig. — 5 M. Diese Sammlung von Schilderungen ein- heimischer Tiere gehört gleich anderen ähnlichen Arbeiten des in diesem Kriege gefallenen Ver- fassers zu dem Besten, was wir auf dem Gebiete der Naturschilderungen haben. Ihren hohen Wert verdanken sie der seltenen Vereinigung einer scharfen und kritischen Beobachtungsgabe, eines stark, ja leidenschaftlich mitschwingenden Natur- gefühls und einer Gestaltungskraft, wie sie nur dem echten Dichter zu Gebote steht. Es ist vor allem die Heide, in ihrer einsamen und düsteren Schönheit die Zuflucht selbständiger und in ihrem Freiheitsdrang zur Einsamkeit neigender Naturen, die nie versagende Heilerin und Trösterin, die Lohns nicht müde wird, in ihrem tausendfältigen Leben zu belauschen und zu besingen. Oft blättert man beim Lesen zurück, um einen Blick auf das Bild des Mannes zu werfen, auf das männliche Antlitz mit dem klaren nach oben gewandten Blick, aus dem so viel Menschliches hervorleuchtet. Wir möchten jedem, den Beruf oder Liebe zur Natur ins Freie führt, das Buch des Dichters, Jägers und Helden empfehlen, der keiner jener mit Bleistift und Lichtkammer durchs Dickicht schlüpfende Naturspione war, sondern ein Natur- kündiger wie selten einer. Miehe. Novellen aus dem Tierleben. R. Voigtländers Verlag in Leipzig. Aus dem bekannten Werke von Meerwarth und Soffel, das nach der mächtigen von Schillings ausgehenden Anregung eine gewisse 240 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 17 Art von naturwissenschaftlicher Literatur einleitete, sind hier sieben Stücke verschiedener Autoren, die alle Schiderungen aus dem Vogelleben darstellen, samt 116 Naturaufnahmen zu einem hübschen Bande vereinigt. Wiederum ragt Hermann Lohns mit zwei ausgezeichneten Beiträgen hervor, aber auch die übrigen fügen sich in den Rahmen geschmackvoll ein. Über die Bezeichnung „1 ier- novellen", die neuerdings sich einer gewissen Be- liebtheit erfreut, wäre zu bemerken, daß sie, wenn man sie überhaupt aus rein sachlichen und nicht aus geschäftlichen Gründen anwenden will, nur da einen Sinn hat, wenn die Tiere als handelnde Personen in den Mittelpunkt von Erzählungen treten. Das trifft bei den obigen „Novellen" nicht überall zu. Miehe. Riebesell, Dr P., Die mathematischen Grundlagen der Variatio ns- u n d Ver- erbungslehre. Leipzig und Berlin, 19 16, B. G. Teubner. — 80 Pf Die bekannte Sammlung „Mathematische Biblo- thek" ist mit diesem Heftchen um ein sehr zweck- mäßiges Glied bereichert worden. Bei der steigenden Bedeutung und dem zunehmenden Umfange ver- erbungswisssenchaftlicher Untersuchungen kommt eine knappe, für den Biologen zugeschnittene Dar- stellung ihrer mathematischen Grundlagen einem Bedürfnis entgegen. Wir möchten deshalb hier ganz kurz auf das nützliche Büchlein aufmerksam machen. Miehe. Anregungen und Antworten, Zum Studium der Höhlenfauna. Und neue Schönheitswelten springen Aus der Natur .... hervor. Schiller. In dieser Zeitschrift, schreibt Dr. Brehm: „Gewiß wird die erst in den letzten Jahren beachtete Fauna kleiner Erd- löcher, der Maulwurfsgänge und Nagelierhöhlen, de? in feinen Erdklüften zirkulierenden Grundwassers usw. manchen wichtigen Beitrag zur Besiedelung großer Höhlen gestellt haben". ') Diese Worte haben mich auf den Gedanken gebracht, daß es sehr interessant für die Zoologen wäre, auf einige Gewässeransammlungen aufmerksam zu machen, die für ein vergleichendes Studium der Höhlenfauna von größerer Wichtigkeit sind. Schon seit dem Jahre 1912 habe ich in Gemeinschaft mit Rochaz de Jongh und allein 5) viele Unter- suchungen gemacht über kleinere Höhlungen, die sich sehr oft in Baumstämmen von Roßkastanien, Tannen, Eichen und vor allem von Buchen finden. Diese Höhlungen, die oft sehr tief sind, stehen nur durch kleine Löcher von einigen Zentimeter Durchmesser mit der Luft in Verbindung. Zwei Culicidenarten: Culicada ornata und Ano- pheles nigripes, im Ct. Waadt, setzen ihre Eier hier ab und vollziehen idre Entwicklung nur in solchen Baumhöhlungen. In der Tat habe ich Eier, Larven und Puppen dieser Arten nie in anderen Gewässern gefunden. Die Larven und Puppen von C. ornata und A. nigripes sind an die Dunkelheit so gewöhnt, daß wenn man sie in dunkelgelbe und in weißen Gefäßen setzt, sie sich besser in den ersteren entwickeln. ') Nalurw. Wochenschr. 191 7, S. 50. 2) Centralbl. f. Bakt. 1. Abt. Orig. Bd. 63, 1912, S. 222; Bd. 67, 1913, S. 472; Bd. 78, 1916, S. 90 und Bd. 79, 1917, S. 139. Stellt man die weißen Gefäße an das Tageslicht, so ver- stecken sich diese Larven und Puppen im Bodensatz. Es ist sehr interessant zu bemerken, daß nach Christo- phers '■') auch in Indien und in Amerika A. nigripes in Baum- liöhlungen lebt. Bei diesen Untersuchungen habe ich Gelegenheit gehabt zu bemerken, daß die Gewässer der Baumhöhlungen eine sehr reiche und interessante Fauna enthalten, eine Fauna, deren Vergleich mit derjenigen der Umgebungen und der großen Höhlen sehr wichtig ist. Einige Formen, wie z. B. die Larven von Chironomus, sind ganz weiß. Um die verschiedenen Tiere, die in dem Gewässer solcher Baumhöhlungen leben, zu fischen, ist das kleine Sieb, das ich konstruieren ließ, sehr zu empfehlen. •*) Im Zusammenhang mit dem Studium der Höhlenfauna scheint es mir auch interessant, die Aufmerksam- keit der Zoologen auf die seit vielen Jahren verlassenen Bergwerke zu lenken, wo sich oft in tiefen Höhlungen Wasser ansammelt. So z. B. habe ich in Salanfe (Walliser Alpen) einige solcher Bergwerke besucht, wo sehr wahrscheinlich eine ganze Menge von Tieren in tiefen Brunnen sich an das Höhlenleben angepaßt hat. Auch hier könnte der Vergleich mit der Fauna der großen Höhlen und mit derjenigen der umliegenden Gegenden vielleicht dem Studium der Höhlen- fauna neue Anregungen geben. B. Galli-Valerio (Lausanne). ^) Indian Journal of med. Res., Bd. 3, 1916, S. 489. *) Centralbl. f. Bakt. Orig., Bd. 78, 1916, S. 90. Literatur. Beiträge zur Kenntnis der Meeresfauna Westafrikas, heraus- gegeben von W. Michaelsen. Bd. II, Lieferung 1. (Cope- poda, Dekapoda, Stomatopoda, Cumacea , Schizopoda.) Hamburg '16, L. Friedrichsen. — 5. M. Inhalte Fr. Bret schneid er. Zur mathematischen Behandlung des Inzuchtgrades. S. 225. F. Schilling, Vitamine. S. 229. — Kleinere Mitteilungen: L. Reisinger, Eine prähistorische Operation, (i Abb.) S. 231. H. Epstein, Zur Frage der Genese von Spirula und anderer Tintenfische. S. 232. — Einzelberichte: L. Vegard und O. Krogness, Höhe des Nordlichts. S. 234. Walther Günther, Der VVildstand im Bialowieser Urwald. S. 234. M. Reuter, Die Tollwut des Wildes. S. 23=;. Adolf Kutin, Die parasitäre Schlupfwespe der Kohlraupe als indirekter Schädling des Weizens. S. 236. J. Dewitz, Über die Zucht des Edelseidenspinners im Freien. S. 236. K. A. Hofmann, Über die Aktivierung von Chloratlösungen durch Osmiumtetroxyd und die Verwendbarkeit dieser Reaktion in der analytischen Chemie. S. 237. — Bücherbesprechungen: G. Linck, Fortschritte der Mineralogie, Kristallographie und Petrographie. S. 239. Hermann Lohns, .^us Forst und Flur. S. 239. Novellen aus dem Tierleben. S. 239. P. Riebesell, Die mathematischen Grundlagen der Variations- und Vererbungslehre. S. 240. — Anregungen und Antworten: Zum Studium der Höhlenfauna. S. 240. — Literatur: Liste S. 240. Manuskripte und Zuschriften Jen an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg validenstraße 42, erbeten. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge i6. Band; der ganzen Reihe 32. Band. Sonntag, den 6. Mai 1917. Nummer 18. Über das Altern. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Rößle, Vorstand des Patho Das Altern des menschlichen Organismus ist einer der unerforschtesten Lebensvorgänge. So alltäglich uns die äußeren Erscheinungen des Ältervverdens sind, so wenig wissen wir von dem Wesen dieses Prozesses, wenn wir nicht an der Oberfläche haften wollen. Wenn uns in der Natur etwas besonders rätselhaft erscheint, so tun wir gut, zu versuchen, uns zunächst darüber Rechenschaft zu geben, warum die fragliche Naturerscheinung uns so dunkel vorkommt. Die Schwierigkeit des Alters- problems scheint eine Reihe von Gründen zu haben. Zunächst ist die Schwierigkeit wohl dadurch bedingt, daß der Ablauf des zu erforschenden Vorganges ein so langsamer ist. Hierin gleicht unser Problem vielen anderen biologischen Phäno- menen , die durch ihr Tempo der Erforschung widerstreben. Bewegungen mittlerer Geschwindig- keit und Zustände ohne Bewegungen, dies sind im allgemeinen diejenigen Gegenstände in der belebten und unbelebten Natur, denen wir mit unseren unbewaftneten, aber auch mit geschärften Sinnen am ehesten beikommen. Sehr schneller Ablauf physikalischer und chemischer Vorgänge erschwert Beobachtung und Aufklärung bedeutend, man denke nur an Muskelzusammenziehung, Herz- bewegung, Nervenleitung, Explosionen u. dgl. ; auf der anderen Seite bieten sehr langsame Ent- wicklungen wieder ihre besonderen Hindernisse; hier sei an gewisse Bewegungen der Gestirne, an geologische und mineralogische Schichtungen, an darwinistische und Erblichkeitsfragen erinnert; der banale Hauptgrund für die schwere Lösung dieser P>agen ist die Kürze des menschlichen Daseins. Während wir aber bei sehr schnellen Vorgängen uns durch gewisse Hilfsmittel die einzelnen Phasen, etwa durch kinematographische Auflösung, verlangsamen und dadurch dem Ver- ständnis näher bringen können, besitzen wir meist keine Möglichkeit, Vorgänge von sehr langsamem Ablauf so zu beschleunigen, daß ein und der- selbe menschliche Beobachter die Aufeinander- folge der Einzelheiten erforschen konnte. Aus diesem Grunde wird derjenige, welcher sich mit der Untersuchung des Alterns beschäftigt, gut tun, sich nicht bloß an den alternden Menschen zu hallen, sondern sein Augenmerk auch auf solche lebende Objekte zu lenken, welche rascher altern. Nun ist zunächst auch für den Laien kein Zweifel, daß das Altern eine im Tier- und im Pflanzenreich weit verbreitete Erscheinung ') Nach einem Vortrag im Januar 191 7. logischen Institutes der Universität Jena. ist; jeder weiß, daß es alte Löwen, alte Pferde, alte Karpfen, alte Eichen gibt. Es wäre logisch, das Altern bei der Eintagsfliege zu untersuchen, wenn es darauf ankommt, den Prozeß auf eine möglichst kurze Zeitspanne beschränkt zu sehen. Vorläufig wissen wir aber nicht, ob der physio- logische Tod bei diesen Insekten durch einen dem Altern entsprechenden Prozeß eingeleitet wird. An länger lebigen Insekten und an Würmern sind diese Verhähnisse besser studiert; es wird davon später noch die Rede sein. Wenn man bei noch niedrigeren Lebewesen, etwa bei Ein- zelligen, von Altern spricht, so kann es sich zunächst nur um Analogien handeln ; denn wie wir sehen werden, ist der Altersprozeß der viel- zelligen im wesentlichen dadurch begründet, daß die Zellteilungen in den geweblichen Verbänden ihre Beschränkung erfahren und damit die Möglich- keit der Verjüngung den Gewebezellen — in verschiedenem Maße - genommen ist. In verschiedenem Maße, so sagten wir eben, unterliegen die verschiedenen Gewebezellen dem Altersprozeß. Darin liegt nun die zweite Haupt- schwierigkeit des Studiums des Alterns beim Menschen. Das Altern des Gesamtorganismus setzt sich zusammen aus den lokalen Altersvor- gängen in den verschiedenen Organen. Diese haben ihr sehr verschiedenes Zeitmaß und z. T. auch verschiedene Erscheinungsformen. Ein ob- jektives Verfahren für die Bestimmung des Alterns haben wir ebensowenig für den ganzen Menschen wie für seine Teile. Wir vermögen zwar ungefähr das Alter eines Menschen zu schätzen und zwar im allgemeinen um so genauer, je jünger das beurteilte Individuum ist. Pur die Erkennung des Alters eines Menschen haben wir nur gewisse Merkmale, die in den Gesichtszügen, in der Haltung, in den Muskelbewegungen, vor allem des Mienenspiels und des Ganges liegen. Be- kanntlich verfügen wir bei anderen Lebewesen über objektive Altersbestin)mungen; ich erinnere an die Jahresringe der Bäume, an die Jahresringe der Hörsteine (Otolithen) und die Schuppen vieler Fische. Zwar gibt es auch beim Menschen ge- wisse jahreszeitliche Schwankungen im Wachstum, sie hinterlassen aber an keinem Gewebe, so viel wir wissen, ihre Spuren. Eine wirkliche Diagnose des Alters gibt es also beim Menschen nicht; sie ■ wäre ganz außerordentlich wichtig in wissenschaft- licher und praktischer Hinsicht, für den Arzt wie für den Richter, dabei haben wir erst jenes Alter im Auge, das mit unserem Kalender gemessen wird und das man das juristische oder standes- amtliche Alter nennen könnte. Eine andere Frage 242 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. ist aber die, ob es nicht noch ein anderes Aher, das wahre oder biologische Alter gibt; den Maß- stab würde der Grad der Abnutzung angeben, den ein Individuum in seinen wichtigsten Organen darbietet und könnte somit nicht nach der Zeit, sondern nur nach der mehr oder minder jugend- Hchen Beschaffenheit seiner Gewebe bestimmt werden. Es ist klar, daß auch diese Betrachtungs- weise bei einer wissenschaftlichen Ausbeutung des Altersproblems herangezogen werden muß, aber nur dann, wenn nachgewiesen werden kann, daß das Altern einer Abnutzung der Organe gleich- kommt. Ob ein Individuum im Vergleich zu seinem standesamtlichen Alter verhältnismäßig jung oder gealtert ist, dies zu bestimmen würde für den Staat in Fragen des Beamtendienstes, der Wehrpflicht usw. und für Lebensversicherungs- gesellschaften von großer Wichtigkeit sein. Wir haben aber für die Bestimmung des wahren oder biologischen Alters keine Mittel. Was das juristische Alter anlangt, so vermögen wir da- durch, daß die Menschen im allgemeinen sich gleichmäßig entwickeln und altern, aus den ge- nannten äußeren Formveränderungen das Alter einer Person zu erraten. Wir irren uns aber sofort, wenn jemand wesentlich jünger oder älter aus- sieht, als seinem juristischen Alter entspricht. Ich glaube nicht, daß dabei immer wirklich ein Irrtum in naturwissenschaftlichem Sinne vorliegt; viel- mehr haben wir allen Grund anzunehmen, daß unser Blick uns nicht täuschte, wenn wir jemand für 45 schätzen, der vielleicht 35 Jahre alt ist. Denn bis zu einem gewissen Grade ist der Alters- prozeß ein individueller, die Menschen altern ver- schieden rasch und zwar sind die individuellen Abweichungen in der Jugend meist gering, in späteren Lebensjahrzehnten aber merklicher. Der äußere Anblick kann für die Abschätzung des wahren Alters aber nur maßgebend sein, wenn bei einem und demselben Menschen Haut, Muskeln, Fett und Skelet mit den anderen Organen im Altern gleichen Schritt halten. Ist dies der h^all ? Bevor wir diese Frage zu beantworten suchen, müssen wir eine Vorfrage erledigen. Sie lautet : Sind wir denn in der Lage, an den inneren Organen wenn auch nicht die genaue, so doch die ungefähre Diagnose des Alters ihres Besitzers zu stellen und sind wir also mithin auch imstande, die Organe in ihrem Alter zu vergleichen? Diese Frage kann nicht bejaht werden. Während wir dem Gesicht durch jahre- lange Übung seine ungefähre Jahreszahl ablesen können , verfügt auch der erfahrenste Anatom nicht über die Fähigkeit, aus der Beschaffenheit der Eingeweide ihre Bejahrung zu erraten, ^) da vielmehr fast jedes Organ in gewissen Zügen seine eigenen Altersmerkmale hat, so kann man weder Äußeres mit Innerem, noch eine Leber mit ') Es würde dies vielleicht dann noch eher möglich sein, wenn alle Organe im selben Sinne Veränderungen durch das Altern erlitten ; solche allen Geweben gemeinsamen, insbe- sondere quantitativ vergleichbaren Altersschicksale kennen wir aber vorläufig nicht. dem Herzen genau vergleichen, leider ist deshalb auch die wichtige Frage meist schwer zu lösen, ob in einem bestimmten Fall ein Organ ungleich stärkere Fortschritte im Alter gemacht hat als ein anderes. Sieht man zunächst von individuellen Fällen ab, so erhält man doch bei längerer Beschäftigung mit diesen Altersfragen den Eindruck, daß der Körper nicht nur auf dem aufsteigenden Ast seiner Entwicklung einen gewissen Weg mit be- stimmter Aufeinanderfolge von Organreifungen einschlägt, sondern daß dies auch auf dem ab- steigenden Ast der Fall ist , wenn freilich auch die Schwankungen und Störungen dieser letzteren Entwicklung wesentlich größere zu sein scheinen. Das Ergebnis wäre eine Lebensabwicklung, die man „harmonisches Altern" nennen könnte. Die Harmonie des Alterns kann schon sehr früh gestört sein. Es wäre verkehrt , wenn wir den Beginn des Altersprozesses etwa dann an- setzten, wenn der Körper den Wachstumsabschluß hinter sich hat. Vielmehr müssen wir Wachstum und Altern begrifflich und dürfen beide nicht zeitlich streng trennen. Das Wachstum ist nur eine Nebenerscheinung des Alterns, zwar in mancher Beziehung eine sehr wesentliche, aber immerhin sind es keine gegensätzlichen Fhänome, so wie sie sich andererseits auch nicht decken. Es ist irrig , das Längenwachstum des Körpers als Maßstab der Gesamtentwicklung oder des Ablaufes des Lebens anzusehen und etwa zu be- haupten, wir alterten erst von dem Momente an, wo nach dem äußeren Anschein die jugendliche Periode abgeschlossen ist und wo nach der ana- tomischen Prüfung die körperliche „Entwicklung" in Form von Ansatz und Reifung „aufgehört" hat. Vielmehr müssen wir in naturwissenschaftlichem Sinne den Altersprozeß mit der ersten Organ- ausbildung, also mit den ersten embryonalen Stufen beginnen lassen. Leider steht dem der Sprachgebrauch im Wege, indem man unter Altern gemeinhin das Auftreten greisenhafter Eigentümlichkeiten oder zum mindesten die Annäherung an höheres Alter versteht. Es fehlt uns leider ein Ausdruck für den Vorgang, daß wir von der ersten Minute unseres Lebens in einer Verwandlung begriffen sind, die zuerst schnell, dann immer langsamer erfolgt, aber nie ganz aufhört. In diese Verwandlung inbegriffen ist das Wachstum, welches jedes Organ für sich vollendet; dieses Wachstum verdeckt sozusagen den Altersprozeß bis zu einem gewissen Grade; erst nachdem jedes Organ seine „definitive" Größe erreicht hat, kommt der weitere Ablauf des Altersprozesses klar zum Vorschein. Daß Wachs- tum und Altern sich nicht decken, ergibt sich aus anatomischen Beobachtungen pathologischer Art: so aus der Tatsache, daß das Wachstum wie beim Zwergwuchs stille stehen kann, ohne daß die Zwerge deshalb aufhörten zu allern. Nur in einem Punkte sind Wachstum und Altern als gegensätzlich anzusehen : sie wirken N. F. XVI. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 243 einander entgegengesetzt. Um dies zu verstehen, ist es notwendig, auf das Wesen beider Er- scheinungen einzugehen. Das Wesen des Wachstums besteht in der Vermehrung der leben- den Substanz; sie geschieht durcli Größenzunahme und durch Vermehrung der Zellen. Da das Wachs- tum der Einzelzelle durch Größenzunahme bei den meisten Lebewesen eng begrenzt ist, so spielt die Zellteilung als Mechanismus des Organwachstums die Hauptrolle. Das Wesen des Alterns hingegen besteht in der spezifischen Ausreifung der Zellen, in Ausbildung gewisser chemischer und struktu- reller Eigentümlichkeiten, in der Zytomorphose, wie Minot sagt. Diese beiden Grundfähigkeiten der Zelle, zur Vermehrung und zur Differenzierung, wirken nun insofern einander entgegengesetzt, als die Fähigkeit zur Zellteilung entschieden mit der Höhe des spezifischen Ausbaues der Zelle abnimmt und umgekehrt Zellen, welche in starker Vermeh- rung begriffen sind, keine Ausreifung zeigen, wie wir es in stärkstem Maße bei den Zellen der bös- artigen Geschwülste wahrnehmen, die schließlich zu einer jeder besonderen ßaueigentümlichkeit ent- behrenden Zellbrut entarten (Anaplasie). Wir hätten damit einen Anhaltspunkt dafür, die Zeit zu bestimmen, wann das Altern des Organismus oder richtiger gesagt, der einzelnen Gewebe be- ginnt. Es beginnt dann, wenn sich in und zwischen den Zellen proto- und paraplasmatische Strukturen bilden, wahrscheinlich sind damit auch definitiv durch kolloidchemische Festigung Teile aus der lebendigen Substanz abgegeben. Mit der Erreichung einer gewissen Differen- zierungshöhe scheint dann die Fähigkeit der Zellen zur Teilung ganz aufzuhören. Wir haben allen Grund anzunehmen, daß die Zellen des mensch- lichen Herzens und die Ganglienzellen des Nerven- systems sehr bald definitiv angelegt werden und sich durch die Lebensjahrzehnte hindurch nicht erneuern. Da sie mithin zu den längstlebigen Zellen des Körpers gehören, müßten sie, zumal sie auch zu den tätigsten zählen, die Zeichen des Alterns am ausgeprägtesten tragen, wenn ihnen nicht besondere Möglichkeilen der Verjüngung oder sonstiger Altersvermeidung zu Gebote stehen. Damit kommen wir zur Frage der Verjüngung. Es liegt auf der Hand, daß die Möglichkeit der Verjüngung einem Organismus Schutz vor dem natürlichen Tod durch Alter und daher Unsterblich- keit verleiht. Die Unsterblichkeit ist im Reiche der lebenden Welt weit verbreitet. Bei den nieder- sten Tierkreisen ist sie noch mit der Fortdauer der Individualform verknüpft: das Individuum selbst ist unsterblich und nur Teile von ihm gehen zu- grunde; wir wissen das aus den schönen Unter- suchungen von Woodruff und Erdmann; sie haben gezeigt, daß einzellige Lebewesen (Paramäcien) imstande sind, nach einer Reihe von Vermehrungs- teilungen eine periodisch wiederkehrende Reor- ganisation ihres Kernapparates durchzuführen. Vor dieser inneren Umwälzung zeigen sie ein Ver- halten, welches in einigen Grundzügen an das Altern höher stehender Tiere erinnert. Sie ver- mögen also, sich aus sich heraus immer wieder zu verjüngen. Woodruff und E r d m an n nennen diesen Vorgang „Endomixis" zum Unterschied von der Amphimixis; diese ist bereits eine höhere Form der Lebensauffrischung, sie geschieht durch eine Vereinigung zweier Individuen und einen Austausch von Kernstoffen zwischen diesen. Die vorübergehende Zellverschmelzung in der Konju- gation ist die älteste Form der Sexualität und sichert den sich wieder trennenden Partnern neue Lebensdauer. Der ursprünglichste Sinn der Sexu- alität ist mithin die Neubildung jugendlicher leben- diger Substanz. Die Sexualität ist das Mittel gegen Alter und Tod oder genauer gesagt, gegen den Tod durch das Alter. Mit der höheren Or- ganisation der Tierklassen ändert sich dies nicht, sondern es ändert sich bloß der Wert, den die Natur auf das Individuum liegt. Bei den Einzelligen hing die Erhaltung der Art von der Erhaltung des Individuums ab, bei den Vielzelligen wird das Individuum mehr und mehr zum vorübergehenden Träger der unsterblichen Substanz der Keim- stoffe. Aus theoretischen Gründen müssen wir also annehmen, daß das Altern eine Grundnotwendig- keit der lebendigen, zellig organisierten Substanz ist, sowie es eine Grundfähigkeit derselben ist, zu wachsen. Aber auch die Erscheinungen, die wir an der lange nicht erneuerten, nicht aufge- frischten, nicht verjüngten Zelle des Infusors wahr- nehmen, entsprechen in wesentlichen Punkten den Alterserscheinungen bei den Geweben der höch- sten Lebewesen, wie beim Menschen. Die eine Erscheinung ist die fortschreitende Unfähigkeit zur Zellteilung, zum Wachstum, zur Vermehrung; vor der Endomixis wie vor der Amphimixis (Kon- jugation) sinkt bei Paramäcium die Zahl der Teilungen auf ein Minimum; das Nachlassen der Zellvermehrung in den menschlichen Geweben mit dem Alter haben wir oben als eines der wichtig- sten Altersmerkmale verzeichnet. Jedoch müssen wir hier eine Bemerkung einschalten: ein Organ erreicht seine endliche Größe im wesentlichen durch Vermehrung seiner spezifischen Zellen; die Gründe für das Aufhören dieser Vermehrung, also für den Wachstumsabschluß sind ganz dunkel; in der Differenzierung der Zellen mag für manche Gewebe die wichtigste Bedingung hierfür gegeben sein; jedoch kann dies nicht für alle gelten; denn wir wissen, daß auch hoch differenzierte Zellen die Teilfähigkeit keineswegs immer einbüßen; so schließen sich kleine Lücken in den Reihen der Nieren- und Leberzellen, die durch physiologischen Verschleiß oder Untergang durch Krankheit ent- standen sind, sofort durch Teilungen der den ■Lücken benachbarten Epithelien; es ist uns Patho- logen nichts darüber bekannt, daß etwa die re- generatorische Zellneubildung im höheren Alter versagte. Jedenfalls ergibt sich aus ihr, daß bei vielen Organzellen auch des alten Menschen eine gewisse, nicht näher bekannte chemische 244 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i8 oder physikalische Situation sofort den Teilungs- apparat in Gang setzt. Die zweite wichtige Erscheinung, durch welche „alternde" Infusorien und alternde menschliche Gewebezellen sich gleichen, sind die Anhäufungen von abgenutztem protoplasmalischem Material. Sowohl bei der Endo- als bei der Amphimixis beseitigen die Paramäcien altes Kernmaterial durch Ausstoßung und Auflösung. Eine große Anzahl Individuen, bei denen offenbar die Beseitigung dieser Altersschlacken nicht gelingt, geht zugrunde. Wir kennen, wie gesagt, an den Gewebezellen keinen Vorgang, der der Kernerneuerung der In- fusurien gleichzusetzen wäre; und daher müssen wir vorläufig die Verjüngung menschlicher Gewebe auf diesem Wege als ausgeschlossen erachten; aber wir werden nicht fehlgehen, wenn wir gewisse Kern- produckte im Protoplasma der Gewebezellen in Parallele zu den Zerfallsprodukten desMakronukleus beim Infusor setzen. Der wesentliche Unterschied ist der, daß offenbar gewisse Gewebezellen sich dieser Altersschlacken nicht oder nicht ganz ent- ledigen können; das sog. Abnutzungspigment (Lipofuscin) ist als der sichtbare Ausdruck dieses Altersprozesses anzusehen; dieses Pigment ist in zahlreichen Geweben, mit dem Alter in steigender Menge, anzutreffen; bemerkenswerterweise findet es sich gerade in jenen Organen am frühesten und später am massenhaftesten, die einer Selbst- erneuerung durch Zellmauserung am wenigsten fähig sind, nämlich Ganglienzellen (besonders ver- schiedener bevorzugter Hirngebiete, Sympathikus, Spinalganglien) Herzmuskelzellen, Muskelzellen der quergestreiften Skelettmuskulatur (besonders wieder des Atmungsapparates) und der glatten Muskula- tur (besonders der Blutgefäße und des Darmes). Der Beginn der Ablagerung reicht für das Herz- pigment und für das Darmmuskelpigment in das Kindesalter, auch für das Ganglienzellpigment in das erste Lebensjahrzehnt zurück. Ich glaube, die Beziehung dieses Pigments zu Kernstoffen nach- gewiesen zu haben. Dadurch erhält die Hensen- sche Hypothese von der Alterschlackenbildung der Kerne eine wesentliche Stütze. Hensen führte aus, daß das Altern auf einer allmählichen An- lagerung von Stofifwechselschlacken an die chroma- tischen Kernsubstanzen beruhen könne; bei der Vorbereitung zur Befruchtung befreie sie sich durch Ausstoßung der Richtungskörperchen davon. Wir wollen hier nicht erörtern, weshalb die Hensen 'sehe Hypothese nicht dieselbe Gültig- keit für Geschlechtszellen wie für Gewebezellen haben dürfte, sondern nur ihren Kern anerkennen. Es hat wohl eine Bedeutung, daß gerade die frühzeitig so hochdifferenzierten Zellen, wie die des Herzens und der Ganglien die Produkte ihres Altersprozesses sichtbar werden lassen, während andere Gewebe davon frei zu bleiben scheinen, insbesondere die Wechselgewebe, vor allem die Epithelien der Haut und der Schleimhäute, sowie die Blutzellen; in ihnen herrscht, z. T. über den Tod des Individuums hinaus, Zellneubildung. Vielleicht kann man das Liegenbleiben von — natürlich toten — am Lebensprozeß nicht mehr teilnehmenden Einschlüssen in hochdifferenzierten Zellen bis zu einem gewissen Grade mit dem Vor- gang dtr Differenzierung selbst vergleichen, indem auch diese in der Ein- und Anlagerung nicht mehr völlig lebender Plasmastrukturen besteht. Denn die paraplastischen Differenzierungsprodukte wie Fibrillen, Fasern, Stütz-Grundsubstanzen aller Art sind keine voll lebendigen Gewebsteile mehr. Es scheint nun, als ob Anwesenheit solcher halbtoten und toten Zellteile die Zellvermehrungen hinderte und wir hätten hierdurch eine Möglichkeit für die Er- klärung, daß Differenzierung wie Alter, zwei an sich so verschiedene Vorgänge, die Wachtums- vorgänge hemmen. Daß auch Gewebe sich gegenseitig im Wachs- tum beeinflussen können, ist uns nicht nur aus vielen Erfahrungen der normalen und patholo- gischen Entwicklungsgeschichte bekannt, sondern auch durch Experimente über das Wachstum von Geweben in vitro deutlicher geworden. Züchtet man z. B. Nervengewebe in Plasma, so kann man sein Wachstum durch Zusatz von Bindegewebe hemmen. Hierbei dürften weniger physikalische als chemische Wirkungen im Spiele sein. Denn umgekehrt vermögen Preßsäfte von lebhaft wuchern- den Geweben, wie Embryonen, Geschwülste u. dgl., das Wachstum von anderen Geweben in vitro an- zuregen. Daß gewisse Säfte imstande sind, Wachstum anzuregen und gleichzeitig eine Art Verjüngung zu erzeugen, geht aus den berühmten Versuchen Claude Bernards über die Injektion von Hoden- saft und die späteren Experimente Harm's her- vor und zeigt auch so wieder das Verhältnis von Wachstum und Altern. Es liegt auf der Hand, welche Bedeutung es hätte, wenn sich die Bedingungen über die ver- minderte Wachstumsfähigkeit der Gewebezellen im Alter mehr aufklären ließen. Ferner wäre es wichtig, genau zu erfahren, ob und inwieweit auch die physiologische Regeneration im hohen Alter nachläßt und schließlich, ob etwa neben dem Größenschwund der Zellen auch eine nume- rische Verminderung der senilen Parenchymzellen eintritt. Wenn wir uns an die sichtbaren Ver- änderungen der Gewebe im Alter halten, so wäre eine weitere Aufgabe, zu untersuchen, ob sie untereinander irgendwie ursächlich zusammen- hängen ; als die wichtigsten Veränderungen sind aufzuzählen die eben genannte Atrophie, die schon vorhin erwähnte häufige Pigmentablagerung, die Vermehrung des Bindegewebes und der elastischen Fasern, die Verfettungen. Sind diese Erscheinungen einander gleichwertig, etwa als Wirkungen derselben einheitlichen Ur- sachen und sind sie gleichzeitig, oder ist eine darunter, welche wir als zeitlich und ursächlich primär ansehen könnten? Es kann uns hier nicht mehr genügen, den Altersprozeß mit Schlagworten N. F. XVI. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 245 oder mit Umschreibungen charakterisieren zu wollen, etwa indem wir sagen, er sei ein Ab- nulzungsvorgang schlechthin oder indem wir, wie es zuweilen geschehen, behaupten, die lebendige Substanz jeder Art vermöge nur eine beschränkte Zahl von Zellteilungen durchzumachen und nach diesen trete das Greisenalter und der Tod durch Erschöpfung ein. Vielmehr sehen wir, daß nicht etwa das Gewebe langsamer altert oder das- jenige Individuum länger lebe, welches sich schont, sondern daß der Altersprozeß auch in hohem Maße unabhängig erscheint von dem Zellver- schleiß. 1) Aber wir bedürfen der unbestimmten Kenn- zeichnungen des Altersprozesses gar nicht. Wenn wir vorhin auf Grund vergleichender Beobach- tungen über des Altern der Gewebe theoretisch zu der Anschauung gekommen sind, daß die wesentlichste Erscheinung des Alters die mangelnde Verjüngung durch Nachlassen der Zellerneuerung ist und daß diese wiederum durch Zunahme der Differenzierungsprodukte bedingt ist, so kommen wir auch bei einer Abwägung der sichtbaren Ver- änderungen in den senilen Geweben zu der Über- zeugung, daß es die Vermehrung der paraplas- tischen Substanzen, vor allem des Bindegewebes, die Alterssklerose ist, von der die I'igmen- tierung, der Schwund und die anderen Eigen- tümlichkeiten der gealterten Gewebe abhängig sind. Von der Allerssklerose bleibt kein Organ ver- schont. In allen Drüsen, in allen Parenchymen überhaupt vermehrt sich das unspezifische Siütz- gerüst; die Organe werden zäher, ob außer der Quantität die Qualität des Bindegewebes sich ändert, ist nicht genügend untersucht. Durch den zunehmenden F"aserreichtum verliert das Binde- gewebe selbst an Jugendlichkeit, aber auch die Beziehungen zum Epithel werden andere, indem allerorten die Hüllschichtcn dichter, die Basal- membranen derber werden. Es mag sein, daß die senile Atrophie der Zellen z. B. auch von den hierdurch verschlechterten Ernährungsbedingungen abhängig ist und dazu werden außerdem die Alters- veränderungen der feinsten Gefäße selbst mit Verdichtung der Gefäßwand beitragen. Die sich zwischen funktionierende Zellen einerseits, Blut- und Lymphbahn andererseits schiebenden Mem- branen schlechterei- osmotischer Qualität erschweren nun natürlich ebenso Stoffzu- als Stoffausfuhr; die schlechtere Ernährung bedingt Atrophie, die schlechtere Reinigung der lebendigen Zellmassen bedingt Liegenbleiben von Stoffwechselprodukten. So verstehen wir wohl die Verkleinerung, die Alterspigmentierung und die Verfettungen seniler Zellen. Die Pigmentatrophie finden wir in der Niere nur in den Teilen, wo die senilen Ver- ') Die krankhafte Wucherung von Krebszellen aus Ge- weben alter Leute als Beweis für die nicht erloschene Teil- fähigkeit seniler Zellen anzusehen, geht nicht an, weil wir über die Natur der ursprünglichen MutterzcUen der Ge- schwülste nichts wissen. änderungen des Zwischengewebes ausgeprägt zu sein pflegen, nämlich im „Mark", an Leber und Nebenniere an denjenigen Enden der Zellsäulen, die schon physiologisch nur über eine Ernährung zweiten Ranges verfügen und wir sehen besonders starke Grade der Pigmentatrophie daselbst, wenn sie durch Stauungszustände dritten Ranges wird. Übrigens ist die Verbreitung bzw. die örtliche Menge des im Alter abgelagerten Pigments starken individuellen Schwankungen unterworfen. Die Pigmentierung geht nach meinen Erfahrungen der Sklerose parallel und andererseits zeigen im all- gemeinen „gut konservierte" alte Leute wenig von beiden Erscheinungen ; es spricht dies sehr dafür, daß diese wichtigsten Alterprozesse ursächlich zu- sammenhängen. Das Auftreten von Verfettungen deutet auf Störungen der Verbrennungsprozesse und damit auf eine Beeinflussung des Stoffwechsels der Zellen, wenn auch im Gesammstoffwechsel keine deutlichen Unterschiede gegenüber mittleren Altersstufen sich durch physiologisch-chemische Untersuchungen ergeben haben. Solche Lipoid- ablagerungen zeigen im Alter viele Epithelien (Niere, Prostata, Schilddrüse, Hypophysis usw.), Grundsubstanzen (Knorpel, Nierenmark, Linse, Hornhaut; Greisenbogen I) ganz abgesehen davon, daß das Alterspigment selbst — wenn auch wech- selnd stark — lipoidhaltig ist. Geht man der Neigung der alternden Gewebe, ihr Bindegewebe anzureichern auf den Grund, so kann man die Vermutung äußern, daß es sich um einen kompensatorischen Vorgang handelt. Nicht etwa in dem Sinne, daß wegen der Atrophie der spezifischen Elemente der Organe, etwa der Epithelien, eine Lückendeckung durch unspezi- fisches P'üllgewebe, sozusagen ex vacuo auftritt, — dies besorgt eher das Fettgewebe (Thymus, Nieren- becken, Darmsubmukosa usw.) — vielmehr dürfte es sich um eine sog. vikariierende Hypertrophie handeln. Das alte Bindegewebe läßt nach, rück- und neugebildet wird es nicht, es kann aber neues Bindegewebe angesetzt werden. Betrachten wir das Altern einen Augenblick vom funktionellen Standpunkt, so ist es in dieser Hinsicht vor allem durch den Nachlaß der Kräfte gekennzeichnet und dies läßt sich für eine Reihe von Organen durchführen; die Unfähigkeit älterer Menschen zu einem körperlichen oder geistigen Rekord ist der allgemein bekannte Ausdruck hier- für. Die Zeit der möglichen Höchstleistungen ist aber für jedes Organ verschieden; Gewebe, welche jedenfalls sehr frühzeitig „nachlassen", sind Binde- gewebe und glatte Muskulatur. Wir schließen die Verschlechterung der Leistung am Bindegewebe aus den physiologischen und pathologischen Ver- schiebungen der Organe, die durch Nachgiebigkeit des Bindegewebes gegenüber Druck und Zug be- dingt sind, am Muskelgewebe z. B. besonders früh- zeitig aus dem allmählichen Umbau der Arterien- wände. Dem Nachlassen der Haltefähigkeit des Bindegewebes kann nun durch Anhäufung weiteren 246 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 18 Bindegewebes abgeholfen werden. Wir werden also nicht fehlgehen, wenn wir wenigstens zum Teil die Reichlichkeit des Bindegewebes in allen Organen auf eine kompensatorische Verstärkung zurückführen.') Man wird in einer solchen Annahme bestärkt durch eine weitere Eigentümlichkeit alternder Ge- webe, welche zu ähnlicher Auffassung drängt, nämlich die Vermehrung elastischer Fasern an vielen Stellen des Körpers. Die Stellen, wo wir solche finden, haben das Gemeinsame, daß die Gewebe daselbst starken Volumenschwankungen ausgesetzt sind, wie die Blutgefäße, die Lungen, der Magen, die Gebärmutter, die Milchdrüse, die Leber, die Samenblasen, das Herz, die Prostata, die Haut. Wenn bei Organen mit wechselnden Füllungs- und Spannungszuständen elastische Faser- netze gefunden werden, so nimmt uns dies ja nicht \Vunder, wohl aber erfahren wir vielleicht mit Überraschung, daß die Ausbildung des „defi- nitiven" Gehalts an elastischen Fasern nicht etwa sich an das Entwicklungsalter des Organs hält, sondern da und dort sich erst am ausgewachsenen und bereits länger Vollreifen Organe einstellt; wir haben dafür vorläufig keine bessere Erklärung, als daß auch das elastische Gewebe funktionell für die Einbuße an Leistung an ähnlichen Ge- weben, nämlich Bindegewebe und Muskulatur ein- springt und so Schädigungen hintanhält, die durch frühzeitiges Altern dieser eintreten könnten. Wenn wir im vorhergehenden auf Veränderungen und Zustände hingewiesen haben, die für das Verständ- nis des Alterns deshalb von grundsätzlicher Be- deutung sind, weil sie an allen oder fast allen Organen anzutreffen sind, so muß doch nochmals hervorgehoben werden, daß die einzelnen Verände- rungen, wie die Altersatrophie, die Alterspigmen- tierung, die Alterssklerose, die Anreicherung des elastischen Gerüsts, die lipoiden Ablagerungen, in den verschiedenen Geweben zu sehr verschiedenen Zeilen erfolgen. Jedes Organ hat seine eigene Entwicklungs- und Altersgeschichte und wir sprechen von einem harmonischen Altern, wenn die Organe in einer gewissen erfahrungsgemäßen Reihenfolge und mit einer abgestuften Stärke jene Veränderungen erleben. Der Begriff der Norm ist auch hier wieder ein rein empirischer und wir haben deshalb leider, wie schon hervorgehoben, keinen absoluten Maßstab für das Alter; dies um so weniger, je mehr die individuellen Befunde schwanken. Wir schätzen diejenigen glücklich, welche bis in hohe Lebensjahrzehnte im Besitz ihrer körperlichen und geistigen Kräfte bleiben. Aber wie wenigen ist dies vergönnt; nicht nur, daß bei den meisten Menschen Krankheiten das Bild des gesunden Alterns trüben, sondern auch das Altern selbst kann aus seiner Bahn entgleisen durch Disharmonien. ') In dieser Ansicht liegt die weitere inljegriffen, da6 die physikalischen, bzw. physikalisch-chemischen Eigenschaften der gebildeten Fibrillen mit der Zeit sich ändern und man käme auch von da auf kolloidchemische Probleme des Alters. Von „disharmonischem Altern" möchte ich sprechen, wenn ein Organ aus jener normalen Reihen- folge ausbricht; es kann dies in einem zweifachen Sinne geschehen: entweder indem es seine Ent- wicklung verlangsamt und dadurch zwischen anderen ausgereiften Organen ein jugendlicheres Stadium der Entwicklung darstellt; die Vollreife würde also dann entweder verspätet erfolgen, oder über- haupt ausbleiben, wenn die Entwicklungshemmung eine dauernde wäre; man pflegt in solchen Fällen von Infantilismus zu sprechen und wenn wir den Begriff sehr weit fassen, und beachten, daß diese Fehlentwicklung bald den ganzen Körper (gewisse Formen von Zwergwuchs), bald gewisse zusammen- gehörige Teile (Genital- und Zirkulationssystem), bald nur einzelne Organe oder gar partielle P'unk- tionen (Muskeln, Gehirn) umfdßt, so ist diese Be- zeichnung ganz gut. Wenn ein erwachsener Mensch zeitlebens „ein Kindskopf" bleibt oder eine Frau ihre Backfisch-Neigungen beibehält, so sind dies partielle Infantilismen, die auch dem Laien als solche verständlich sind. Im Gegensatz zu diesen verspäteten Jugend- erscheinungen gibt es eine andere Art von „dis- harmonischem Altern", das sind die Fälle von vorzeitigem Altern bestimmter Organe. Wir meinen damit z. B. die Erscheinungen der überstürzten Geschlechtsreife (Pubertas praecox), ferner geistige Frühreife, gewisse Formen des Zwergwuchses mit zu frühem Verschluß der Epiphysenfugen, sodann das isolierte Greisenalter einzelner Organe. Die präsenile Relaxation des Bindegewebes ist eine häufige Erscheinung; sie gibt an niannigfachen Stellen des Körpers zu Störungen Veranlassung; was sonst erst bei hoher Bejahriheit (wenn auch nicht bei allen im gleichen Maße), auf/.utreten pflegt, stellt sich dann schon in mittleren Lebens- jahren ein; die vorzeitigen Senkungen der Hais- und Baucheingeweide, des Brustkorbes, die soge- nannten Ptosen, hierher gehört auch das vorzeitige Ergrauen der Haare, die Verfrühung der Alters- erweiterung und Alterssklerose der Blutgefäße, die präsenile Involution der Milchdrüse (Hedinger), die gelegentlich gefundene frühzeitige braune Atrophie des Herzens. Nicht zu vergessen ist schließlich die senile Verblödung. Dieses Beispiel ist von besonderer Wichtigkeit; denn es zeigt uns erstens, daß ein zusammengesetztes Organ von topographisch unterschiedlichen Funktionen, wie das Gehirn, örtlich verschieden stark altern kann und zweitens, daß das krankhafte beim disharmo- nischen Altern nicht nur in den zeitlichen Ver- hältnissen, im Altern zur Unzeit, gegeben zu sein braucht, sondern in der Übertreibung normaler seniler Prozesse zur gehörigen Zeit bestehen kann. Die senile Demenz ist keineswegs eine Krankheit, die uns durch ihr zeitliches Auftreten, sondern durch ihre anatomische und klinische Intensität auffällt. Es ist eine sehr wichtige Feststellung Alzheimer's, daß es sich bei der senilen Demenz um dieselben Abbauvorgänge am Gehirn handelt, wie sie beim normalen Altersschwund N. F. XVI. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 247 der Hirnsubstanz gegeben sind und daß das Pathologische nur in der krankhaften Verstärkung dieser Vorgänge bestehe. Unsere Betrachtungen über das disharmonische Altern bestärken uns in der Anschauung, daß die Altersprozesse, sobald die Erneuerung der lebenden Substanz durch Aulhören des Wachs- tums ausgeschlossen ist, zu einer endgültigen Abnutzung, zu einem vollkommenen Aufbrauch führen müssen. Findet dieser an einem lebens- wichtigen Gewebe statt, so muß der Tod erfolgen. Da es zahlreiche Organe im menschlichen Körper gibt, welche lebenswichtig sind, so liegt es auf der Hand, daß der physiologische Tod auf ver- schiedene Weise wird eintreten können. Ob er es tut, ist eine andere Frage. Bei dem disharmo- nischen Altern wird der Tod eben von dem Organ aus einsetzen, welches übermäßig — im Vergleich zu den anderen — abgenutzt ist und sofern es nur in irgendeinem Sinne lebenswichtig ist, wird es die jugendlicher gebliebenen Organe in seinen Untergang mit hineinziehen. Beim harmonischen Altern aber liegt die Wahrschein- lichkeit vor, daß der Tod, den wir alsdann einen wahrhaft natürlichen Tod nennen können, doch von einem bestimmten Organ ausgeht. Beim Menschen ist diese Frage nicht zu entscheiden; denn man bekommt so gut wie niemals Fälle dieses natürlichen Alterstodes. Gewiß sterben eine ganze Anzahl Menschen an „Altersschwäche", aber gewöhnlich so, daß bei herannahendem Tod sich noch irgendeine „interkurrente" Krankheit einstellt, welche das Bild des reinen Alterstodes zu trüben pflegt. Aus diesem Grunde muß auch hier die vergleichende Forschung einsetzen; sie befindet sich noch in den ersten Anfängen ; jedoch liegen zwei bedeutsame Arbeiten in der ge- wünschten Richtung bereits vor; so hat Harms das natürliche Absterben bei einem Röhrenwurm, V. Hansemann bei Stabheuschrecken verfolgt; die Äußerungen des Alters sind bei den niederen Tieren im Wesen die gleichen wie beim Menschen, nämlich Nachlassen der Beweglichkeit und Er- regbarkeit. Als anatomische Grundlage fanden sich Entartungserscheinungen und Schwund der Nervenzellen. Harms insbesondere konnte — was auch für den Vergleich mit dem Menschen nach dem oben Gesagten richtig erscheint — zeigen, daß die verschiedenen Teile des Zentral- nervensystems der spontanen Auflösung verschieden rasch anheimfallen ; er stellte ferner fest, daß bei seinem Objekt diejenigen Teile den anderen dabei vorausgehen, welche die Blutversorgung und Nervenleitung der Bauchhölilenorgane und der Kiemen regieren. Der Tod greift dann in eigen- tümlicher Weise vom Bauchteil auf den Brustteil des Wurmes über. Es gibt nicht nur Ästheten, welche das Sterben für einen Unfug, sondern auch ernsthafte Natur- forscher, welche eine körperliche Unsterblichkeit für ein mögliches Ziel des Menschengeschlechts halten. Müssen wir es aber schon für eine Utopie hallen, den Tod durch Krankheit, Krieg und Unfall auszumerzen, so erst recht, den natürlichen Tod durch Alter beseitigen zu wollen. Denn das Altern ist eine Naturnotwendigkeit, alle lebendige Substanz strebt, wie sie auch gestaltet sein mag, einem natürlichen Ende zu; der Mensch altert schon vor der Geburt; Verjüngungen kommen nur in Märchen vor. Gesund sein ist Alles; der Tod durch Alter ist der schönste Tod; er ist der einzig natürliche. Einzelberichte. Zoologie. Gesetzmäßigkeit beim Fortschreiten der P'eldmäusepiagen in Süddeutschland. Seit dem Jahre 1905 wurden in der kgl. Agrikulturbotanischen Anstalt in München alle Bestellungen von Be- kämpfungsmitteln gegen die Feldmäuseplagc genau tabellarisch eingetragen. Je zahlreicher die Be- stellungen aus ein und demselben Regierungsbezirk einliefen, desto sicherer war daraus der Schluß zu ziehen, daß dieser Kreis gerade zu der Zeit der Hochflut der Bestellungen besonders unter den Schädlingen zu leiden hatte. Um Irrungen aus- zuschalten, wurden überdies immer noch die gut- achtlichen Äußerungen der Vertrauensmänner der Anstalt in den einzelnen Kreisen eingeholt. Prof Dr. L. Hiltner hatte schon früher (Praktische Blätter für Pflanzenbau und Pflanzen- schutz, 13. Jahrg. 1915 Heft 9) nach seinen tabellarischen Aufzeichnungen die Tatsache hervor- gehoben, daß jede Feldmäuseplage in der bayer. Rheinpfalz wesentlich früher bemerkbar wurde als im rechtsrheinischen Bayern und „daß sich hier wiederum die Feldmäuse stets zuerst in den west- lichen Teilen des Landes und im Süden Ober- bayerns geltend machten, um dann zu einer Zeit, wo die Plage im Westen schon wieder im Ver- schwinden war, erst in den östlichen Gebieten aufzutreten." Aus dieser mehrmals erkannten Verlaufsrichtung ging deutlich hervor, daß die Feldmäuseplagen über Bayern im allgemeinen von Westen nach Osten fortschreiten. Aber nicht nur die Verlaufsrichtung, derzufolge sich die Schädlinge über Bayern verbreiten, scheint einer bestimmten Gesetzmäßigkeit zu unterliegen, auch die Intervalle, welche zwischen dem Auftreten in der Pfalz und im rechtsrheinischen Bayern zu er- kennen waren, scheinen, darauf macht Prof. Hiltner neuerdings in derselben Zeitschrift (14. Jahrg. igiöHeft 12) aufmerksam, nach bestimmten Gesetzen geregelt zu sein: Im 2. Halbjahr 1905 248 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. i8 war die Pfalz besonders stark von Feldmäusen heimgesucht, während vom rechtsrheinischen Bayern zu derselben Zeit — abgesehen von einem nie verlöschenden Herd im südlichen Oberbayern — nur wenig Klagen über die Schädlinge einliefen. Erst im Frühjahr 1907 traten in Unter- und IVIittel- franken die Mäuse häufiger auf und im 2. Halb- jahr 1907 war im Gegensatz zu der Pfalz fast das ganze rechtsrheinische Bayern stark befallen. „Zwischen dem Auftreten der Plage in der Pfalz und im rechtsrheinischen Bayern ist also damals ein Zeitraum von i V2 Jahren Verstrichen." In der Pfalz rührten sich dann die Mäuse erst wieder im I. Halbjahr 1909, im rechtsrheinischen Bayern dagegen — wiederum zuerst in den fränkischen Provinzen, dann aber auch in Schwaben und Ober- bayern — erst im i. Halbjahr 19 10. „Die Zeit zwischen dem stärkeren Auftreten in der Pfalz und im rechtsrheinischen Bayern betrug demnach bei dieser Mäuseplage nicht mehr 1^/3 Jahre, sondern nur mehr i Jahr." Die nächste Mäuse- plage begann in der Pfalz im Frühjahr 191 2. „Diesmal verlief aber nur '/.^ Jahr, bis sie auch in Unter- und Mittelfranken hervortrat." Diese regel- mäßige Verkürzung der Zwischenzeiten zwischen dem Auftreten der Feldmäuse in der Pfalz und in den westlichen Provinzen des rechtsrheinischen Bayerns um ^2 J^'hr mußte notwendigerweise bei der nächsten Plage zu einem Zusammenfallen der Auftritiszeiten in den beiden Gebieten führen. Tatsächlich ergab denn auch die in der 2. Hälfte des Jahres 191 5 einsetzende P"eldmäusekalamität ein gleichzeitiges Auftreten der Schädlinge in den Gebieten der Rheinpfalz und der ostbayerischen Regierungsbezirke. Wie sich diese Verhältnisse nun in Zukunft gestalten werden, darüber läßt sich natürlich heute ebensowenig noch etwas Be- stimmtes aussagen, wie über die vermutliche Ursache dieser zeitlichen Verschiebungen. H. W. Frickhinger. Geologie. Die Kohlenvorräte des Deutschen Reiches bis zu einer Tiefe von 2000 m betragen nach H. E. Böker (Archiv für Lagerstätten- forschung 15. Heft 1915) und F. Frech (Neues Jahrbuch f. Mineralogie, Geologie und Paläonto- logie 19 16, II. Bd. Min. t Stei nk. Mill. t Braunk. || Saardistrikt 16548 1 Westfalen 56 344 ( 57222) 1 Niederschlesien 71S (2 226) 1 Oberschlesien i0325( 55662) f Sachsen 225 3000 Linksrhein. Gebiet 10458 — Andere Distrikte 247 Norddeutschland 6069 (3876) Bayern 75 (293) Hessen 169 (99) Deutsches Reich 94865(315110) 9313 (4268) Summe der Kohlenvorräte Deutschlands : 432 556 Millionen t Die deutsche Steinkohlenförderung (ohne die Braunkohlen) mit 177 Mill. t betrug im Jahre 1912 im Ruhrrevier 103,1, in Oberschlesien 41,5, in Gesamtsaarbezirk 16,8 (davon Preußen 12,5, Lothringen 3,6, Bayr. Pfalz 0,8), in Niederschlesien 5,9, in Sachsen 5,5, im Linksrhein. Gebiet (Aachen, Düren) 3,0, im Wäldertonkohlenbezirk 0,7 Mill. t. Auffallend ist, daß das nur etwa i "q der deut- schen Steinkohlenvorräte enthaltende Niederschle- siscbe Kohlenrevier dagegen an der Gesamtstein- kohlenförderung des deutschen Reiches mit 3,51 "/o beteiligt ist. V. Hohenstein. ') Die eingeklammerten Zahlen geben di< vorhandenen Kohlenvorräte an. Anregungen und Antworten. Erwiderung. In Nr. 5 der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift" veröffentlicht Herr v. Brücke eine Besprechung meiner Schrift „Physiologie und Entwicklungsgeschichte". Dem Herrn Referenten erscheinen meine Beispiele „nicht gerade glücklich gewählt", „die Bedeutung der Homoiothermie für die Ent- wicklung der Groflhirnfunktionen darf nach den Erfahrungen an Winterschläfern und Vögeln sowie nach der fortschreitenden Entwicklung der Großhirnfunktionen in der Reihe der poikilo- thermen Vertebraten wohl nicht zu sehr in den Vordergrund gestellt werden". Die Behauptung, die Erfahrungen an Winterschläfern sprächen gegen die Bedeutung der Homoiothermie für die Entwicklung der Großhirnfunktionen , halte ich nicht für ge- rechtfertigt. Gerade die Erfahrungen an Winterschläfern zeigen mit aller nur erwünschten Deutlichkeit, wie hoch die Be- deutung der Homoiothermie für die Entwicklung der Groflhirn- funktionen anzuschlagen ist. In der poikilothermen Phase des Winterschläfers steht es um seine Großhirnfunktionen doch ganz anders als in der homoiotheimen Phase. Ich halte es auch nicht für zutreffend, daß die Erfahrungen an Vögeln und die unvergleichlich geringere Ausbildung der Großhirnfunk- tionen bei den poikilothermen Wirbeltieren gegen die Be- deutung der Homoiothermie für die Entwicklung der Groß- hirnfunktionen sprechen. Alexander Lipschütz, Bern. Die oben stehende Erwiderung (deren Kenntnis ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Herausgebers verdanke) konnte mein Urteil ebensowenig ändern wie die erneute Lektüre des betreffenden Abschnittes von Herrn Lipschülz's Vortrag. V. Brücke (Innsbruck). Inhalt! Rößle, Über das Altern. S. 241. — Einzelberichte: L. Hiltner, Gesetzmäßigkeit bei Fortschreiten der Feld- mäuseplagen in Süddeutschland. S. 247. H. E. Köker und F. Frech, Die Kohlenvorräte des Deutschen Reiches. S. 248. — Anregungen und Antworten: Erwiderung. S. 24S. Manuskripte und Zuschriften leu an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbete Verlag von Gustav Fischer in Jena. Pätz'schen Buchdr. Lippe & Co. G.m.b.H., Naumburg Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 13. Mai 1917. Nummer 19. [Nachdruck verböte Hanf. Von Hermann Zillig, Würzburg. Mit 3 Abbildungen. Infolge des Krieges ist die vordem außerordent- lich starke Einfuhr von Pflanzenfasern nach Deutsch- land fast vollständig unterbunden und so eine empfindliche Knappheit dieses wichtigen Roh- stoffs der Textil- und verwandter Industrien her- vorgerufen worden. Man sah sich genötigt zu Ersatzstoffen zu greifen und, da diese in aus- reichender Menge und befriedigender Beschaffen- heit nicht aufzufinden waren, mußte man schließ- lich der PVage, erprobte P^aserpflanzen des Aus- Hanf als Faserpflanze gebaut. Von hier aus ver- breitete sich diese Pflanze dann verhältnismäßig spät über das übrige Europa. Das erste Hanfland ist heute Rußland, das vor dem Kriege von den etwa 500 Millionen Kilogramm jährlich erzeugter Weltproduktion 150 Millionen hervorbrachte, während Österreich-Ungarn mit S- Millionen, Deutschland, Frankreich und die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit je 70 Millionen, Italien mit 50 Millionen Jahres- .Abb. landes oder ehedem bei uns gebaute, wenn mög- lich, im eigenen Vaterlande zu kultivieren, näher- treten. Neben dem Flachs oder Lein (Linum usita- tissimum) kommt hier vor allem der Hanf (Can- nabis sativa) in Betracht. Diese zweihäusige, ein- jährige, zur Familie der Moraceen gehörige Pflanze ist wahrscheinlich im westlichen Asien und in Indien heimisch. Hier wurde sie bereits Soo— 900 vor Christus hauptsächlich ihrer ölreichen Samen, dann auch der ihr entstammenden narkotischen Genußmittel und endlich der Faser wegen kulti- viert. Auch die alten Ägypter kannten den Hanf bereits als wertvolle Kulturpflanze, während er bei den Griechen fehlt und bei den Römern erst etwa 100 vor Christus erwähnt wird. Frühzeitig wurde in Gallien und in den slavischen Ländern Produktion folgten. In Deutschland wurde haupt- sächlich in Baden und im Rheinland Hanf gebaut, je- jedoch war der Anbau seit der Einführung der Baumwolle und Jute in die Weltwirtschaft in ständigem Rückgange begriffen. Der italienische Hanf, der vornehmlich in den Provinzen Emilia und r'errara in Oberitalien sowie Neapel mit Um- gebung in Süditalien hervorgebracht wird, über- trifft alle übrigen Sorten des Handels durch seine Länge, Kraft und schöne P'arbe. Dies hängt mit dem warmen Klima und den beim Röstprozeß notwendigen Faktoren, reichlichem Wasser und genügender Besonnung, die in diesem Lande günstig vorhanden sind, zusammen. Deutschland führte im Jahre 1913 rund 65000 Tonnen Hanf und Hanfwerg im Werte von 45 Millionen Mark vom Auslande, hauptsächlich Rußland und Italien, 250 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 19 ein, während demgegenüber eine Ausfuhr dieser Produkte von rund 9000 Tonnen im Werte von 7 Millionen Mark zu verzeichnen war. Die bis zu 2 Meter lange Faser stellt den Abb. 2. Die Ilanfgarbcn am Röstc-Teic Bast des etwa 3 Meter hoch werdenden Stengels der Pflanze dar. Die Faser wird durch die soge- nannte Röste gewonnen. Es ist dies eine Art Fäulnisprozeß, bei dem unter Einwirkung von Bakterien der Bast von den übrigen Geweben des Stengels, dem Mark, dem Holz und der Rinde getrennt, von dem die einzelnen Fasern verklebenden Pflanzenschleim befreit und so einer leichten mechanischen Bearbeitung zugänglich ge- macht wird. Der in 90 — 105 Tagen vom Samen aus herangewachsene Hanf wird im Herbste un- mittelbar über dem Boden ab- geschnitten (Abb. i) und bleibt dann etwa drei Tage auf dem Felde ausgebreitet liegen um zu trocknen. Nachdem die Blätter von den Stengeln ab- gestreift sind , werden diese auf Garben gebunden und zum Röstplatz gefahren (Abb. 2). Hierzu sucht man sich stehende oder langsam fließende klare Gewässer von etwa i Meter Tiefe aus, in welche die Garben eingelegt und mit Steinen beschwert werden. Hier verbleiben sie je nach der Wärme des Wassers zwei bis vier Wochen, bis sich die Faser leicht vom Stengel löst. Die gerösteten Garben werden alsdann herausgenommen und in der Sonne zum Trocknen aufgestellt. Zwecks Isolierung des Bastes werden die getrockneten Stengel hierauf durch eine Maschine gezogen, welche mit gerillten Eisenwalzen ein Brechen des j Holzes und der Rinde bewirkt. Diese Abfallprodukte können nun leicht in einer anderen Maschine ausgekämmt und so die Faser selbst gewonnen werden. Meist jedoch be- werkstelligt der Erzeuger diese Arbeiten in vollkommenerer Weise mit der Hand durch Dreschen der Stengel und Ab- schlagen von Holz und Rinde an einem mit Holzmessern versehenen rasch bewegten Rad, das sogenannte Schwingen. Die auf diese Art erzielte schwach verholzte Faser ge- langt, zu Ballen vereinigt, als Rohmaterial in die Fabriken. Das minderwertige Fuß- und Kopfstück wird entweder be- reits vom Erzeuger oder erst in der Fabrik abgeschnitten und kommt als sogenanntes Werg, Hede oderStrappatura in den Handel. In der Fabrik wird die Faser zunächst unter schweren Eisenwalzen in der sog. Reibe in die Einzelfasern weiter aufgespalten und geschmeidig gemacht, dann ausgekämmt und gehechelt, um sie Abb. 3. Zur Samengewinnung stehengebliebener weiblicher Hanf. von den noch anhaftenden Holzteilchen und kürzeren Fasern, dem Hechelwerg, zu befreien. So ist sie zum Verspinnen fertig. Die reine Faser wird fast ausschließlich zu Bindfaden und anderen Seiler- N. F. XVI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 251 waren verarbeitet. Als mittleren Ertrag rechnet man in Baden lOOO kg getrocknete, entblätterte Stengel auf ein Hektar Anbaufläche. Der männ- liche Hanf liefert eine feinere und bessere Faser als der weibliche. Fr wird daher vornehmlich zur Fasergewinnung gebaut, während man die weibliche Pflanze zur Samenerzeugung stehen läßt (Abb. 3), um die alsdann stark verholzte Faser für untergeordnete Zwecke zu verwenden. Die eben beschriebene Kaltwasserröste kann auch durch eine langwierige sog. Tauröste, wobei die auf dem P'elde ausgebreiteten Stengel den Fitiflüssen der Witterung ausgesetzt sind, oder eine beschleunigte Warm wasserröste in künstlich erwärmten Bottichen ersetzt werden. Es ist auch möglich die Faser auf mechanischem Wege ohne Röste durch Brechen und Schwingen des ge- trockneten Stengels zu gewinnen. Die so erzeugten Fasern sind jedoch durch den nicht entfernten Pflanzenschleim noch mehr oder minder verklebt, mit verunreinigenden Gewebselementen behaftet und von schmutziger Färbung. Auch ist der Abgang bei mechanischer Bearbeitung größer als bei Röste. Wegen ihrer Ähnlichkeit und gleichartigen Verwendung werden verschiedene andere, tropi- schen Pflanzen entstammende Fasern mit dem Beiwort „Hanf bezeichnet, so der Sisal-Hanf aus den Blättern der Agave rigida, der Mauritius- Hanf aus denen verschiedener ]<"ourcrnya .■\rten , der IVIanilaHanf aus den Blattscheiden von Musa tex- tilis und der Gambo-Hanf aus den Stengeln ostin- discher Hibiscus-Arten. Sie wurden vor dem Kriege in steigendem Maße für gewisse Zwecke z. B. zur Herstellung von Schiffstauen verwendet, wozu man vordem den echten Hanf benutzte. Der Hanfbau wurde in Deutschland hauptsäch- lich infolge der bereits erwähnten Konkurrenz durch Baumwolle und Jute mehr und mehr auf- gegeben, dann aber auch weil die raschwüchsige Pflanze den Boden stark aussaugt und andere Kulturpflanzen daher eine rentablere Bewirtschaf- tunggestatteten, während in den Hauptproduktions- ländern neben günstigen klimatischen und Boden- verhältnissen insbesondere wohlfeile .Arbeitskraft eine billigere Erzeugung ermöglichten. Nun hätte man aber, nachdem in unserem Vaterlande mancherorts geeignete Lebensbedingungen für den wichtigen Rohstofflieferanten vorhanden sind, bei den emporschnellenden Preisen den Anbau im großen in die Wege leiten können. Dazu fehlte jedoch das erforderliche Saatgut. Auch waren unsere Fabriken daran gewöhnt, die fertige Faser vom Auslande zu erhalten und daher nicht auf ein Rösten etwa zur Verfügung stehender Stengel eingerichtet. Der deutsche Landwirt konnte aber ebenfalls diese .Arbeit aus Mangel an Er- fahrung und den dazu erforderlichen Einrichtungen nicht vornehmen. So erwiesen sich denn eigene Röstanstalten mit künstlich beschleunigtem Röste- verfahren als unbedingt nötig. Nachdem bereits mehrere solcher Anstalten ihrer Fertigstellung entgegengehen und auch eine ziemliche Menge von Samen im vorigen Jahre herangezogen wurde, ist zu hoffen, daß mit Hilfe der deutschen Land- wirtschaft und durch die rührige Arbeit der „Deut- schen Hanfbaugesellschaft m. b. H. in Berlin" der empfindliche ^Iangel an Hanf durch Anbau im eigenen Lande und im besetzten Gebiete im Jahre 1917 einigermaßen behoben werden wird. Zum Trobleiii der Wünschelrute. Schelenz hat in Nr. 3 des laufenden Jahr- gangs dieser Zeitschrift in einer kenntnisreichen und interessanten Zusammenstellung von Daten die Rolle der Wünschelrute in Dichtung, Sage, Aberglauben beleuchtet. Damit scheint ihm zu- gleich jede reale Bedeutung des schon so viel und eifrig diskutierten Talismans abgetan zu sein. Nur ein Fortbestehen im Volksglauben wird auch für die Zukunft zugestanden. Es wurde auch Bezug genommen auf grobe, durch die Wünschel- rute hervorgerufene Mißgriffe und Irrtümer, die im vergangenen Jahre, z. T. nach Erfahrungen an der Westfront, in dieser Zeitschrift bekannt ge- macht worden waren. Die heftigste Gegnerschaft ist der Wünschel- rute ja von Seiten der Geologen erwachsen. Und so klägliche Gesinnung setzt wohl niemand vor- aus, daß er diese Tatsache etwa auf einen ge- wissen Konkurrenzneid zurückführen wollte. Viel- mehr ist gerade die sehr intensive und häufige Edw. Hennig. Beschäftigung mit Wasserfragen ein Umstand, der dem Urteil des Geologen über die Wünschel- rute, ihre Erfolge und ihren Wert einiges Gewicht zu verleihen geeignet ist. Möge nun aus dem gleichen Lager auch ein Vorbehalt zu ihren Gunsten Raum finden. Seien wir vorsichtig: so einfach läßt sich Volksweisheit nicht durch einen Richterspruch beiseite schieben. Wenn meteorologische Wissen- schaft den Einfluß des Mondes auf die Gestal- tung der Witterung nicht nur nicht festzu- stellen vermag, sondern sogar immer wieder ein- dringlichst leugnet, wenn andererseits Seeleute, 'Landbevölkerung und Naturvölker der ganzen Erde ebenso fest auf diesen Einfluß vertrauen und bauen, so ist das noch immer ein unentschiedener Kampf zwischen Theorie und Praxis. Und Natur- wissenschaft ist ein Kind der experimentellen Erfahrung. Sie hat sich zur Möglichkeit des Falls von Meteoriten bekehren lassen müssen. Aus 25: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 19 dem Okkultismus hat sich ein ihm ursprünglich angehöriger Teil, die Hypnose, als auf tatsäch- licher Grundlage beruhend, abgelöst und in hohem Maße praktisch verwertbar erwiesen. Für die Wünschelrute ist soviel ins Feld geführt worden, daß es den Gegner unterschätzen heißt, wenn man glaubt, ihn leichthin abtun zu dürfen. Be- weise und Gegenbeweise stehen einander in un- übersehbarer Zahl entgegen. Mit ihnen ist der Streit nicht zu schlichten gewesen. Da heißt es prüfen, ob die Frage richtig und ob sie klar ge- nug gestellt gewesen ist. Tatsache ist, solche Erfahrung steht auch mir aus der Praxis zu Gebote, daß die Wünschelruten- gänger nicht selten an ganz hoffnungsloser Stelle Bohrungen auf Wasser angesetzt haben. An anderen Stellen sind voll zufriedenstellende Er- gebnisse verzeichnet worden. Natürlich liegen auch auf geologischer Seite Versager vor und in gewissen Gebieten wird eine Prognose erst auf Grund einer Anzahl von Erkundungsbohrungen möglich sein, die dem Wünschelrutenverfahren gegenüber natürlich umständlich, zeitraubend und kostspielig sind, ja für die es im Kriege oft ein- fach an Zeit fehlen wird. Daß ich persönlich das geologische Gutachten dennoch unter allen Umständen für das sicherere und gegebene halte, bedarf kaum der Erwähnung. Aber, so frage ich mich, könnte der Wünschel- rute nicht doch ein heuristischer Wert innewohnen, der sie als Gehilfin des Geologen zuzulassen ge- statten würde ? Nicht aut — aut, sondern et — et ! Die bisherigen Gegner könnten vielleicht mit vereinten Kräften Ersprießlicheres leisten. Auf beiden Seiten kommt natürlich viel darauf an, wer die Untersuchungen anstellt, Pfuscher können hier wie dort das Gesamtergebnis beeinträchtigen. Daß es aber kritische, besonnene und völlig über- zeugte Rutengänger gibt, ist gleichfalls unzweifel- haft. Man kann sie nicht einfach durch billige Hinweise auf die Fehlschläge der Methode samt und sonders als (3pfer von Selbsttäuschung oder gar direktem Betrug hinstellen wollen. Vielmehr sind sie als geeignete „Medien" — der Ausdruck ist von der Hypnose ohne weiteres zu über- nehmen — zur Mitwirkung an der Lösung des nach wie vor bestehenden Problems unbedingt in größtem Umfange heranzuziehen. Durch das große Entgegenkommen eines solchen Herren durfte ich kürzlich Zeuge folgenden Vor- ganges werden: Der Betreffende hatte mittels der Wünschelrute in einem sandigen Plateaustück die Stelle für eine Brunnenbohrung ausfindig gemacht und war in der erwarteten Tiefe fündig geworden. Der Wasserbedarf war gedeckt. Er führte mich nun an den Ort, ließ sich ein paar beliebige Gabel- zweige von Weiden abschneiden und schritt nun- mehr mit diesen die Brunnenstelle in verschie- densten Richtungen ab. Die Rutenenden wurden so in der geballten Hand gehalten, daß der Hand- rücken abwärts gerichtet war und der Bewegung der Rute nicht, wie etwa beim „Tischrücken", nachgegeben wurde. Es kommt nun keine Täu- schung irgendwelcher Art darüber in P'rage, daß das freie Ende des Zweiges jedesmal bei Annähe- rung an den Brunnen in einem mir gänzlich un- erwarteten Maße ausschlug und sich bei Entfernung ehenso wieder beruhigte. Das Interessante und Ungewöhnliche war dabei, daß der Ausschlag nach oben stattfand. Der betreffende Herr hat diese Beobachtung an sich fast regelmäßig, aber wohl- gemerkt doch mit vereinzelten Ausnahmen, in denen ein Ausschlag nach unten eintritt, zu machen. Das Maß des Ausschlags war mehrfach — die Ruten zeigen untereinander kleine Abweichungen der Empfindlichkeit — 180" und darüber 1 Da ein Ende unbeweglich festgehalten wurde, kam es dabei vor, daß das Holz die Drehung nicht aus- hielt und neben derHand im Stadium des höchsten Ausschlages einfach durch- brach. Ermüdung der Muskeln oder dergleichen Erklärungsversuche sind unter diesen Umständen völlig auszuschließen. Es hilft kein Drehen und Deuteln: da ist ein physikalischer Vorgang am Werke, vielleicht verstärkt durch physische, den es zu erforschen, zu erkennen und — nutzbar zu machen gilt. Denn daß in diesem Falle und tausend ähn- lichen ein ErfolgderWünschelrute vorliege, bin ich durchaus noch nicht bereit zuzu- geben. Wie wenn dort, wo sie nicht ausschlug, ebenso reichlich Wasser zu finden wäre ? Das ist nämlich hier wie anderwärts meine feste Über- zeugung auf Grund der geologischen Verhältnisse. In lockcrem Diluvialboden und unter vielen anderen verwandten Bedingungen ist es ja ein Hauptirrtum des Laienpublikums und insbesondere der meisten Rutengänger, nach „Wasseradern" zu fahnden. Dem liegt eine völlig falsche Vorstellung von den Grundwasserverhältnissen zugrunde, als ob nämlich ein unterirdisches Fluß- und Bachnetz bestände entsprechend oder ähnlich dem der Ober- fläche. Wo nicht besondere Zufälle (z. B. tiefer hinabreichende Risse im Erdreich) Abweichungen, lokale Ansammlungen des Grundwassers bedingen, besteht vielmehr ein Wasserspiegel, den man natürlicher einem unterirdischen See bzw. deren mehrerer übereinander vergliche. Erbohre ich dann Wasser, so ist dazu an sich wahrlich ein besonderes Aussuchen der Stelle nicht erforderlich. Schlägt aber die Rute an bestimmten Stellen aus, so ist damit für mich nur bewiesen, daß das Vorkommen von Wasser allein nicht die Ursache dazu sein kann! Dem gilt es, wie mir scheint, zunächst einmal in erster Linie nachzugehen, wollen wir nicht mit irreführenden Vorurteilen an die Untersuchung herangehen. Daß es bisher nicht geschehen ist, erklärt sich in einfachster Weise daraus, daß mit dem Antreffen von Wasser die praktische Auf- gabe in der Regel gelöst ist und weitere Mühe, Zeit und Kosten an Fragen theoretischer Bedeu- tung zu wenden selbstverständlich nicht Sache des Privatunternehmers sein kann. Jedenfalls ist das N. F. XVI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 253 Erbohren von „Wasseradern" in derartig gekenn- zeichneten Gebieten zunächst zu den JVI iß er- folgen der Wünschelrute insofern hinzuzu- rechnen, als sie die gleichermaßen wasserführende Nachbarschaft als wasserfrei zu bezeichnen Veran- lassung war. Der Irrtum entspringt aber offenbar lediglich der Deutung, nicht der Beobachtung, ist ein Fehler des Trägers, nicht der Rute oder der sie tatsächlich bewegenden und beein- flussenden Kraft. Der Kern des Problems würde damit lediglich verschoben, zu beseitigen ist das Problem nicht mehr, es sei denn durch die Lösung der Fragen: Unter welchen Bedingungen schlägt die Ruie aus? Welcher Art ist die Kraft, die da- durch in Erscheinung tritt ? Für beide fehlt es tat- sächlich noch immer an einer Antwort. Daß das Wasser die Ursache, Elektrizität die wirkende Kraft sei, ist möglich, vielleicht wahrscheinlich, aber meines Erachtens durchaus noch Hypothese 1 Nun spielt ja eben ein anderes hinein: der psychische-physischeFaktor, die Empfindlichkeit der Rutenträgers. In meiner Hand war eine Bewegung der Rute m dem genannten Falle so gut wie nicht zu beobachten; als ich mit dem Herrn Hand in Hand jeder ein Gabelende ergriff, war sie nur schwach, aber immerhin vorhanden. Es gilt tat- sächlich, so uralt das Problem ist und so lange der Mensch nun schon beobachtet, erst einmal mit aller wissenschaftlichen Gründlichkeit und mit den unbedingt nötigen Mitteln genauestes und reich- lichstes Beobachtungsmaterial ganz methodisch zu sammeln. Mit Einzelfällen kommen wir nicht weiter. Sehr wichtig schien mir z. B. zur Er- kundung der Vorgänge die Methode beim Ab- schätzen der Tiefe des erwarteten Wassers: Der Beginn des Ausschlages war vom eigentlichen Zentrum des Wirkungskreises, d. h. vom Brunnen um etwa die gleiche Zahl von Metern entfernt, die nötig war, um das Wasser zu ergraben. Doch herrschen da je nach dem Rutengänger wieder be- trächtliche Verschiedenheiten. Ebenso heißt es, daß gewisse Personen in den Tropen sich empfänglich zeigten, die es zu Hause nicht sind, und umge- kehrt. Von allen solchen doch zweifellos störenden Zufälligkeiten und Abhängigkeiten müssen wir uns meines Erachtens frei zu machen suchen. Der menschliche Nervenapparat ist Schwankungen aller Art unterworfen und deshalb nicht zuver- lässig genug. Soll die Wünschelrute wirklich ver- wendbar werden, so wäre sie durch einen ent- sprechend konstruierten, noch viel feinfühligeren und mathematisch genau arbeitenden und messenden Apparat zu ersetzen. W'enn erst einmal in den Grundzügen vorhanden, wird er sich bald an Hand der Praxis zu einem äußerst brauchbaren Instrument weiter entwickeln lassen. Natürlich ist die erste Vorbedingung, daß wir endlich er- fahren, welche Kraft denn eigentlich einwirkt. Das sollte doch durch Experimentieren und Beob- achten auszumachen sein, ganz gleich ob es sich um Elektrizität oder gar eine noch unbekannte Kraft handelt. Niemand aber würde größeren Nutzen aus einem solchermaßen hergestellten Hilfsmittel ziehen, als — der Geologe. Könnte er doch alsdann ohne Bohrungen etwa Ausdehnung, Verlauf, Tiefe von Grundwässern aller Art und der sie tragenden Schichten ermitteln und so nicht nur flächenhaft kartieren, sondern in ganz anderer Weise als bisher von außen her Einblicke in den Bau des Boden- körpers gewinnen. Die Wünschelrute in so veränderter, wissenschaftlich vorbedingter Gestalt erhielte für ihn den Wert des Spektrums oder der Röntgenstrahlen: sie würde neue bislang unzu- gängliche Räume erschließen helfen und sich so erst in vollstem Maße als ein Zauberstab er- weisen I Nachtrag: Weitere Beobachtungen haben inzwischen den Verdacht voll bestätigt, daß neben einer ermittelten sog. Wasserader im Diluvium genügend Wasser vorhanden war. Über die Er- gebnisse der weiteren Versuche kann hoffentlich in nicht zu ferner Zeit einmal Näheres mitgeteilt werden. Kleinere Mitteilungen. über die Hörbarkeit des Geschützdonners. Eine Entscheidung für die eine oder die andere der verschiedenen Erklärungen, die man für die Fortleitung des Geschützdonners bis in große Ent- fernungen von der Schallquelle aufgestellt hat, ist nur möglich, wenn man sich die während der langen Kriegsdauer von zahlreichen Beobachtern bestätigte Tatsache vor Augen führt, daß die Hörbarkeit des Geschützdonners von der Jahres- zeit abhängt. Es hat sich herausgestellt, daß die kühle Jahreszeit der Erscheinung am günstigsten ist. Im Winter ist heftiger Geschützdonner fast Tag für Tag in Entfernungen von 100 bis 200 km von der Schallquelle, gelegentlich sogar noch weiter, deutlich zu hören. Im Sommer dagegen wird entweder nichts wahrgenommen, oder der -Geschützdonner ist doch nur von Zeit zu Zeit und im allgemeinen mit geringerer Kraft hörbar. Steht dies fest, so folgt von selbst, daß die Fort- leitung des Schalles im wesentlichen von Um- ständen abhängen muß, in denen sich der Sommer vom Winter unterscheidet. Die Erklärungen fran- zösischer Gelehrter (vgl. das Referat in Nr. 4 der 254 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 19 Nat. Wochenschr. 191 7j, welche besondere Wind- verhältnisse in den unteren und höheren Atmo- sphärenschichten voraussetzen, sind daher von vornherein zurückzuweisen; denn in allen Jahres- zeiten können in verschiedenen Atmosphärenhöhen Winde in allen Richtungen und in jeder Stärke auftreten. Eine genauere Untersuchung der unteren und oberen Luftströmungen durch van E ver- dingen') ergibt außerdem, daß in vielen Fällen, wo der Geschützdonner in großen Entfernungen hörbar war, die wirklich beobachteten Windrich- tungen der Erklärung nicht günstig sind. Übrigens erfüllt die Erklärung von A. Perot, welche die bessere Wahrnehmbarkeit des Geschütz- donners bei Gegenwind zum Gegenstande hat, ihre Aufgabe nur unvollkommen; denn sie würde auch in dem Falle anwendbar sein, wo ein von der Schallquelle her wehender Wind von einer in derselben Richtung sich bewegenden schnelleren Luftströmung überlagert wird. Die andere Erklärung, daß der Schall bis auf große Entfernungen durch den Erdboden fort- geleitet werde, ist ebenfalls aufzugeben; denn Sommer und Winter bieten für die Fortpflanzung des Schalles im Boden keine wesentlich ver- schiedenen Verhältnisse dar. Eis im Boden und die Schneedecke spielen keine Rolle, da auch ohne Frost und Schnee der Geschützdonner hörbar ist. Die bessere Leitfähigkeit des Bodens für den Schall macht sich nur in der Nähe der Schall- quelle bemerkbar. Sie erklärt ohne weiteres die Tatsache, daß man in den Unterständen den Geschützdonner besser wahrnimmt als im Schützen- graben, und manche andere, die sich ihr an die Seite stellen lassen (Indianer lauschen am Boden auf Pferdegetrappel; das Rollen eines Eisenbahn- zuges macht sich in den Schienen deutlicher be- merkbar als in der Luft). Aber sie kann nicht zur Erklärung der Hörbarkeit des Geschützdonners in großer Entfernung von der Schallquelle herangezogen werden. Denn in mehr als 100 km Entfernung wird der Geschützdonner nicht unter, sondern über der Erdoberfläche wahrgenommen, also nicht durch den Erdboden, sondern durch die Luft fortgeleitet. Kommen wir nunmehr wieder auf die Kern- frage : „Wodurch unterscheiden sich die atmo- sphärischen Verhältnisse des Sommers und des Winters?' zurück, so gibt die Meteorologie die Antwort : In den Temperaturverhältnissen der übereinander lagernden Luftschichten. Im Sommer nimmt die Temperatur im allgemeinen mit der Höhe ab; im Winter aber bilden Tempe- raturinversionen die Regel. Bei Temperatur- abnahme mit der Höhe werden die Schallstrahlen nach oben gebrochen; an und in Inversionsschichten können sie aber zur Erdoberfläche zurückgebogen werden. 2) Daher ist der Winter die für die ') The propagation of sound in the atmosphere, Kon. Acad. V. Wet. te Amsterdam; Proceedings, Vol. 6, XVIII. 2) Vgl.: Zur Erklärung der beim Geschützdonner, bei heftigen Explosionen usw. beobachteten Fortpflanzungseigen- Hörbarkeit des Geschützdonners günstigste Jahres- zeit. Da aber gelegentlich auch im Sommer Inversionen auftreten, so besteht auch in der warmen Jahreszeit die Möglichkeit weiter Aus- breitung des Geschützdonners. Doch sind die sommerlichen Inversionen meistens nur schwach ausgeprägt und daher bleibt die Intensität des Schalles gering. Daß der Wind unter Umständen der Ausbreitung des Schalles sehr förderlich sein kann, versteht sich von selbst. Fr. Nölke. Weiteres zur Ethologie und Psychologie der Anatiden, insbesondere des Schwarzschwanes, in Nummer 42, Jahrgang 1914 dieser Zeitschrift,') habe ich neue und z. T. wohl ganz außergewöhn- lich interessante Beobachtungen an Männchen- paaren aus der Anatiden-Familie in ethologischer und psychologischer Hinsicht veröffentlicht. Die folgenden Mitteilungen bilden den Abschluß meiner Beobachtungen. Nachdem im Frühsommer 1914 das in der oben genannten Nummer dieser Zeitschrift näher gekennzeichnete Männchenpaar Schwarzer Schwäne getrennt und dem stärksten, zur Fortpflanzung am meisten geneigten Männchen endlich ein weiblicher Vogel zur Verfügung gestellt war, er- losch merkwürdigerweise die noch kurz vorher vorhandene Paarungslust augenblicklich. Die Vögel vertrugen sich zwar sehr gut miteinander, lockten sich auch durch Zurufe gegenseitig an, blieben aber trotzdem nie so innig zusammen, wie die beiden vortrefflich aneinander gewohnten Männchen es zu tun pflegten, sondern trennten sich häufig stundenlang, und jedes der beiden Tiere schwamm auf dem ausgedehnten Gewässer oft seine eigenen Wege. Auch als der Herbst kam, war, entgegen meinen Erwartungen, bei den beiden Australiern in keiner Beziehung etwas von Fortpflanzungstrieb erwacht, wie es doch im Jahre vorher der Fall war, als noch die beiden Männchen zusammen waren. Auch im Frühjahr 191 5 war von Brütelust bei diesem Paare nichts zu merken, und Ende April desselben Jahres starb das Männchen aus unbekannter Ursache. Es wurde nun dem weiblichen, nicht amputierten, wohl aber im Spätherbst auf einem Flügel seiner größten Schwungfedern beraubten Vogel ein amputiertes, ungefähr 7 Jahre altes Männchen beigegeben, das als Gatte eines Geschwisterpaares schon wiederholt einige Junge mit seiner Schwester gezeugt und groß gebracht hatte. Dieses Männchen, welches seit seiner Geburt ständig sich nur in Gesellschaft seiner schwesterlichen Gattin befand, machte sich auch augenblicklich an seine neue Gattin heran, aber zur F'ortpflanzung schritt das Paar nicht. Und daß die Anhänglichkeit an das Männchen nicht groß gewesen sein kann, geht tümlichkeilen des Schalles; Phys. Zeitschr. 17, 31, 1916. Ergänzung zu diesem Aufsatze, Phys. Zeitschr. 17, 283, 1916. ') „Neues zur Psychologie und Ethologie der Männchen- paare der Anatiden, insbesondere von Schwänen und Gänsen." N. F. XVI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 255 daraus hervor, daß das flugfähige Weibchen im Herbst 191 5, als ihm die zurückgeschnittenen Schwungfedern nach der Mauser wieder gewachsen waren, davon flog, ohne wieder zuiückzukehren. Es trieb sich zwar noch einige Wochen auf ver- schiedenen Gewässern der näheren und weiteren Umgebung von Hildburghausen herum, wurde aber dann nicht wieder beobachtet. Interessant ist überdies eine bezüglich des oben genannten Geschwisterpaares gemachte Be- obachtung. Im März 191 5 hatte dieses Paar ein anscheinend noch nicht vollzähliges Gelege von 4 Eiern zustande gebracht, war aber von seinem Nistplatz durch ein wütendes Höckerschwanen- männchen vertrieben worden, das vor allem den männlichen Schwarzschwan verdrängte, um seiner- Iseits das schwarze Weibchen gewaltsam zu treten, wie einmal einwandfrei beobachtet wurde. Als das Weibchen dieses Schwarzschwan-Paares dann im Sommer 191 5 nach seiner Trennung von dem Bruder- Männchen ein 1914 geborenes, fremd- blütiges Männchen erhalten hatte, schritt dieses Paar auch im P^rühling 1916 nicht zur Brut. Da ein inniges Zusammenhalten dieses Paares über- haupt nicht recht eintreten wollte, so erhielt das Weibchen im Sommer 1916 ein außergewöhnlich starkes und schönes Männchen , mit dem es be- reits nach wenigen Tagen innig harmonierte, und gegen Ende des Sonmiers schritt das Paar zum Nestbau, aber ohne daß ein Gelege zustande kam. Jedenfalls zeigen diese Beobach- tungen, daß nicht alle beliebigen Tiere, die man zu Paaren zusammenstellt, auch wirkliche Paare werden, daß vielmehr auch bei den Vögeln, namentlich bei so hochentwickelten, in strengerMonogamie zusammenlebenden, wie es die Schwäne sind, Abneigung und Zuneigung der einzelnenlndividuen sich deutlich fest- stellen lassen, um so mehr als das ehedem mit dem älteren Schwarzschwanweibchen zu- sammengebrachte, aber von diesem als Gatten nicht angenommene jüngere Männchen von 1914 sich fast augenblicklich vortrefflich an ein anderes, etwa ebenso altes Weibchen gewöhnte. Auch noch in der 4. Auflage von „Brehms Tierleben" heißt es im ersten Band der Vögel S. 283 vom schwarzen Schwan: „Das Weibchen brütet mit Hingebung, das Männchen hält treue Wacht." Nun ist es aber eine bereits seit Jahrzehnten bekannte Tatsache, daß beim Schwarzen Schwan das Männchen sich durchaus regelmäßig am Brut- geschäft beteiligt, insofern, als es während der ganzen fünfwöchigen Brutzeit das Weibchen in der Regel am frühen Nachmittag oft bis auf mehrere Stunden täglich regelmäßig abzulösen pflegt, indem es an das Nest herantritt und durch Schreien das Weibchen gewissermaßen zum Auf- stehen auffordert. Hat dieses das Nest verlassen, so werden die Eier sofort vom Männchen be- deckt, bis nach einiger Zeit das Weibchen wiederum herankommt und seinerseits zur Ablösung auf- fordert. Nur sehr selten kommt es beim Schwarzen Schwan vor, daß die Eier einmal von einem der beiden Gatten kurze Zeit nicht bedeckt werden, indem sich beide zusammen auf dem Wasser be- finden. Die regelmäßige Beteiligung des Männchens vom Schwarzschwan am Brutgeschäft in fast völligem Gegensatze zu den anderen Schwanen- arten ist aber beim ersten Blick um so auffallender, weil doch gerade diese Schwanenart das wärmste Gebiet bewohnt, in dem Schwäne überhaupt be- heimatet sind. Vielleicht ist jene Gewohnheit darauf zurückzuführen, daß bei der ungleichmäßigen Regen- und Feuchtigkeitsverteilung in Australien überhaupt angesichts der Gewohnheit der Tiere, in Kolonien zu brüten, auch die brütenden Weib- chen gezwungen werden, zur Nahrungsaufnahme größere Strecken zu durchmessen und daher längere Zeit vom Neste fernzubleiben. ') Erwähnt sei noch zum Schuß die von mir bei Schwänen gemachte Beobachtung, daß wirkliche Paare, selbst wenn sie Junge führen, nie so wütend und angriffslustig sind wie die Tiere eines Männchen- paares, bei dem der Fortpflanzungstrieb erweckt ist. W. R. Eckardt. ') Vgl. hierüber: W. R. Kckardt, Die geographische Verbreitung der Schwäne unter besonderer Berücksichtigung ihrer biologischen Verhältnisse. ,, Prometheus", Jahrgang 191 5, Heft 1320/21. Einzelberichte. Botanik. Über alte Nutz- und Kulturpflanzen. Die jüngsten F"orschungen zur Kulturgeschichte, und ganz besonders die Untersuchungen von Ed. Hahn, haben gezeigt, daß die Menschen auf den untersten Kuhurstufen nicht (wie lange Zeit angenommen wurde) ausschließlich oder haupt- sächlich vom Ertrage der Jagd und Fischerei leben, sondern vom Sammeln pflanzlicher und tierischer Nahrungsmittel."') Schon die primitivsten ') Vgl. Fehlinge r, Anfänge der wirtschaftlichen Kultur. Urania, 1917, Heft 4. Entwicklungsstufen haben ihre Nutzpflanzen, die zwar zunächst nur gesammelt, nicht angebaut, werden. Aber um die gesammelten Pflanzenstofi'e genußfähig zu machen, ist oft die Arbeit des Zubereitens, Entbitterns, Entgiftens und Haltbar- machens erforderlich, die ausschließlich den Frauen zufällt. Dazu kommt noch auf der Sammlerstufe das Schonen und Schützen der Nutzpflanzen. Es ist eine allgemeine Erscheinung, daß in vorchrist- licher Zeit nützliche Pflanzen und Tiere heilig erklärt wurden. Dadurch waren diese dem Volke unentbehrlichen Nahrungsquellen vor Schädigung 256 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 19 durch Eig^ennutz, Mutwillen oder Unachtsamkeit geschützt. Es ist also nur ein kleiner Schritt, der aus einer bloßen Nutzpflanze eine geschützte Pflanze macht. Da der Mensch im mitteleuro- päischen Waldgebiet einen fortwährenden Kampf gegen die Bäume führen mußte, schon um ge- nügend Weide für seine Tiere zu erhalten, kann man sich leicht vorstellen, wie ein solcher Schutz, durch Sitte und Religion vorgeschrieben, eine Baumart vermehren konnte, so daß schließlich selbst das Vegetationsbild dadurch beeinflußt er- schien. Ein weiterer, aber eigentlich nicht sehr großer Schritt ist es dann, wenn geschonte Nutz- pflanzungen an günstigere Standorte versetzt werden. Viel später folgt der Übergang zum Bodenbau, der zu hoher Vollendung und inten- sivem Wirtschaftsbetrieb führen kann. Nach dem wichtigsten Arbeitsgerät wird die Anfangsstufe der Bodenkultur als Hackbau bezeichnet. Wenn später sozusagen die Hacke von Tieren gezogen wird, so entsteht der Pflugbau. Diese Entwicklungs- stufen lösen sich bei den einzelnen Volksstämmen nicht der Reihe nach ab, sondern sie laufen teil- weise nebeneinander her. In vielen Gebieten der Erde ist jedoch bis heute der Pflugbau noch nicht eingeführt, es herrscht dort noch ausschließlich der Hackbau, wie z. B. in entlegenen Alpentälern. Hier läßt sich auch den Anfängen der Pflanzen- nutzung, dem Sammeln, sowie den Übergängen zum Hackbau nachgehen. Einen derartigen Ver- such hat Dr. H. Brockmann-Jerosch gemacht und seine Ergebnisse in einem Vortrag vor der geographisch -ethnographischen Gesellschaft in Zürich dargelegt. Als Beispiele einer noch bis in unsere Tage üblichen sammlermäßigen Nutzung pflarizlicher Nahrungsmittel erwähnte Dr. Brock- mann-Jerosch vor allem die Gewinnung ge- wisser Beerenfrüchte. So werden in Amden am Wallensee die getrockneten Beeren von Sorbus Aria (Mehlbeere) in ärmeren Familien im Winter häufig als Nahrung benutzt. Noch vor etwa 30 Jahren kochte man am Buchberg (Schaffhausen) aus diesen Beeren Brei. Auch anderwärts in der Schweiz war die Mehlbeere bis in die verhältnis- mäßig jüngste Zeit ein wichtiges Volksnahrungs- und Futtermittel und noch heute erinnern sich alte Leute gerne an das süße, wohlschmeckende Brot, das man in ihrer Kinderzeit aus Mehl und Mehlbeeren buk. In den Alpen tritt die Alpen- mehlbeere, Sorbus Chamaemespilus, stellenweise an ihre Stelle, deren Nutzung aus dem Unter- engadin und aus Fusio im Tessin bekannt ist; an letzterem Ort dient sie, wie es scheint, zur Mehl- bereitung. In anderen Gebieten war es wieder der Vogelbeerbaum, Sorbus aucuparia, der eine Rolle als Sammelpflanze spielte. Ein Nährbaum war in Mitteleuropa in alten Zeiten auch die Eiche, in den kultivierteren Ge- genden bis etwa 1000 v. Chr., bei den Gebirgs- bewohnern noch viel länger. Und selbst heute bereiten manche Balkanvölker noch Eichelmehl, das als menschliche Speise zu dienen hat. Im nordafrikanischen Atlas bedecken Fruchthaine aus alten Steineichen in ihrer süßfrüchtigen Abart die Berghänge und liefern den Kabylen Mehlfrucht. Auch in ärmeren Gegenden Italiens und Sardiniens muß der Bauer noch heute mit Eichelmehl sein Brot strecken. Man hat sich, wenn man diese Beobachtungen auf unsere vorchristlichen und mittelalterlichen Eichenwälder in Mitteleuropa an- wenden wollte, meist daran gestoßen, daß unsere Eicheln wegen ihres großen Gehaltes an Gerbstoff zu bitter zur menschlichen Nahrung seien. Es ist jedoch bekannt, daß schon ganz primitive Völker, wie die Australier oder brasilianischen Indianer, übelschmeckende, ja selbst stark giftige Substanzen auf oft komplizierte Weise so zu bearbeiten ver- stehen, daß sie sogar einen Hauptbestandteil ihrer Nahrung bilden können. In mittelalterlichen Quellen finden wir bezeichnenderweise die Eiche öfters nicht nur den Obstbäumen gleichgestellt, sondern sogar direkt als fruchttragender Baum be- zeichnet. Als ein Beispiel des Überganges von wild- wachsenden zu angebauten Nutzpflanzen erwähnt Brockmann-Jerosch die Ruderalpflanzen. Unter diesen gibt es eine Zahl von Sammelpflanzen, deren Nutzung sich noch heute feststellen läßt. Da ist z. B. der Gute Heinrich, Chenopodium bonus Henricus, der ebenso wie seine ganze Verwandt- schaft als fremdes Einsprengsel in unsere boden- ständige Flora erscheint, so sehr er sich auch bei uns wohlzufühlen scheint. Trotz den überdüngten, daher wenig appetitlichen Orten, an denen er aus- schließlich vorkommt, wird er noch heute in ver- schiedenen Gegenden als geschätztes Spinatgemüse zubereitet. Rumex alpinus, der Alpenampfer, ein groß- blättriges Kraut, das allenthalben die wenig saubere Umgebung der Alphütten und Ställe in großen, oft ganz reinen Beständen umgibt, gehört in die gleiche Gruppe. Während man in den meisten Gegenden nichts mit ihm anzufangen weiß, ge- nießt man im Lötschertal die erfrischend säuer- lich schmeckenden Blattstiele als Leckerbissen. Gleiches gilt für einzelne Walliser Täler, wo die Blätter spinatartig zubereitet werden. Die Stelle unserer Rhabarberstiele auf Kuchen vertraten sie noch vor nicht langer Zeit im Kanton Bern und noch heute im Wallis und im Engadin. Ihre be- merkenswerteste Verwendung aber findet dieBlagge allerdings nicht als Menschen-, sondern als Vieh- nahrung, in Graubünden und auch in Savoyen. Dann führt diese Nutzung des Alpenampfers dazu, daß man anfängt, ihn zu schonen und zu schützen, mit einem Zaun zu umgeben und schließlich, allerdings nur in seltenen Fällen, sogar anzubauen. Hier kann man einmal Schritt für Schritt den Übergang von Sammelpflanze zu Kulturgewächs beobachten. Falls so die Ruderalpflanzen bei der Entstehung der Kulturpflanzen eine größere Rolle gespielt haben, darf man annehmen, daß auch andere Arten ähnlich wie diese an überdüngten Stellen absichtlich gepflanzt worden sind, war N. F. XVI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 257 doch diese an Düngstofifen überreiche Umgebung menschlicher und tierischer Wohnstätten unter primitiven Verhältnissen vielleicht der einzige Ort, wo man nicht fortwährend sich des in unserem Klima iibermächtigen Waldes erwehren mußte. In der Tat finden wir solche Misthaufenkulturen unter primitiven Verhältnissen in unseren Alpen- tälern. Im Maderanertal (Uri) wird, wenn man im Frühling mit dem Vieh den tiefgelegenen Stall verläßt, um auf die höhere Staffel zu ziehen, der Misthaufen neben der Flutte vorher noch dicht mit Setzlingen der Runkelrübe bespickt, die dort natürlich ein fröhliches Wachstum entwickelt. Die so gewonnenen Runkelrüben dienen hier nicht nur als Viehfutter, sondern noch, allerdings ver- einzelt, als menschliche Speise wie im Mittelalter. Aber es ist noch eine andere Entsteluingsart neuer Kulturgewächse zu erwähnen. Nicht immer und unter allen Umständen waren die Unkräuter verachtete Beimischungen. Unter primitiven Ver- hältnissen werden sie sogar gerne gesehen, wie z. B. Wickensamen unter schlechteren Getreide- arten. In den Zeiten der Hungersnot ist oft das Unkraut der Retter russischer Bauern gewesen, intjpm sie sich mit seinem Samen ernährten. Der echte Buchweizen (Fagopyrum esculentum) ist regelmäßig von einem Unkraut, dem tatarischen Buchweizen, begleitet. In ungünstigen höheren Lagen, wo der echte Buchweizen nicht mehr gut gedeiht, kommt nun das Unkraut, der tatarische Buchweizen, zum Anbau. .'\ls Unkraut hat er sich verbreitet und in ungünstigen Verhältnissen wird aus dem „Unkraut" das „Kraut". Im unteren Fuschlav, um Brusio, baut man den echten, in den zwei Stunden höher oben gelegenen Bergdörfern Viano und Cavajone den tatarischen Buchweizen. So hat sich in der Schweiz neben fortge- schrittensten Wirtschaftsformen noch eine ganze Musterkarte primitiver Nutzungs- und Kulturvveisen erhalten, und eine zielbewußte Erforschung würde das Bild sicher noch bereichern. An Bedeutung sind alle weit zurückgegangen , viele sind von Stufe zu Stufe gesunken, indem manche Pflanze, die einst eine wesentliche Volksnahrung lieferte, jetzt zur Viehnahrung geworden ist oder höchstens noch armen Leuten als Notnahrung, den Kindern als Spielerei dient. H. Fehlinger. Physiologie. Serobiologische Studien über Blattläuse und deren Wirtspflanzen. Dewitz,'] der als erster auf zoologischem Gebiete chemo- taktische Reize beobachtet hat und für sich das große Verdienst in Anspruch nehmen darf, damit direkt den später so erfolgreichen Physio- logen J. Loeb angeregt zu haben, entdeckte »)J. Dewitz: Über die Einwirkung der Pflanzenschmarotzer au f d ie Wirtsp flanze. (Aus der Königl. Preuß. Station für Schädlingsforschungen in Metz- Geisenheim). Naturwissenschaftl. Zeitschr. für Forst- und Landwirtschaft. Jg. 1915, Heft 6/7, S. 388, die blutkörperchenlösende (hämolysierende) Wir- kung der aus Blattläusen (Aphiden) hergestellten Ex- trakte. Er hofft mittels dieser Beobachtung der „Art und Weise, wie die tierischen Pflanzen- parasiten, Pflanzenläuse u. a., auf den Organismus der Wirtspflanzen einwirken", näher zu kommen. Sind doch über derartige Wechselbeziehungen sehr wenig positive Ergebnisse bekannt. Zur Verwendung gelangten auf Pelargoniumblätter ge- züchtete ungeflügelte Blattläuse, die Verf wegen derin seiner Nähe sich abspielenden Kriegsereignisse nicht näher bestimmen konnte. Born er glaubt, daß es sich um Macrosiphum pelargonii Kalt, handelt. Die eingesammelten und gereinigten Läuse wurden in einem Porzellantiegel teils mit physiol. Koch- salzlösung, teils auch unter Zusatz von Glyzerin (zu gleichen Teilen) verrieben und nach einer 24 stündigen Digestion im Eisschrank filtriert. Dieser so bereitete Körperbreiextrakt macht, nun aus mit ihm gemischten, von Serum und Fibrin sorgfältig befreiten roten Blutkörperchen das Hämoglobin frei, so daß die gesamte Lösung lackfarben wird, d. h. er hämolysiert. Die das Hämoglobin in Freiheit setzende Substanz be- zeichnet man als Hämolysin. Dewitz benutzte eine 5 "Jq Aufschwemmung von Rinderblut- körperchen und fand, daß der Extrakt in einer Verdünnung von i : lOO die in gleicher Maßein- heit enthaltenen Blutkörperchen vollständig, in einer Verdünnung von i : 200 teilweise nach einer 2 stündigen Erwärmung auf 37 ", bei Verwendung von konzentrierten Läusesaftlösungen aber schon bei Zimmertemperatur und in sehr kurzer Zeit aufgelöst werden. Dewitz glaubt, noch emp- findlichere Blutkörperchen mit höheren Löslich- keitswerten des Extraktes nachweisen zu können. Den Hämolyse erzeugenden Körper bezeichnet er als Aphidolysin und hält ihn für ein Gift, wie solches bereits von Schlangen, Eidechsen, Kreuzspinnen, Skorpionen, Fliegen, Fischen, Pflanzen bekannt und untersucht worden ist. Der Beweis der Identität mit irgendeinem der- selben fehlt jedoch noch. Die Erkennung der Lokalisat ion des Giftes im Organismus der Blatt- laus stößt wegen ihrer Kleinheit auf Schwierig- keiten. In ähnlicher Weise und mit demselben Resul- tat hat Dewitz auch Reblausextrakte studiert. Die Entdeckung von Dewitz griff Börner,^) der bekannte Spezialist auf dem Gebiete der Reb- und Blattlausforschung, für weitere experimentelle Untersuchungen auf. Er gegen prüfte Blutkörperchen vom Schwein, Rind, Hammel, Ziege, Meerschwein- chen, Maus, Huhn Aphis atriplicis, A. pomi, A. rumicis, A. viciae, Brevicoryne (Aphis) brassicae, Drepanosiphum aceris, Macrosiphum picridis, M. pisi, M. rosae, Megoura viciae, Peritymbia f. per- vastatrix, Rhopalosiphum lactucae, Schizoneura 2) Karl Börner: Über blutlösende Säfte im Blattlauskörper und ihr Verhalten gegenüber Pflanzensäften. Mitteilungen aus der Kaiserlichen Biolo- gischen Anstalt für Land- und Forstwirtschaft, Heft l6, 1916. 258 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 19 lanigera, Siphocoryne saliceti. Es stellte sich unter den von Dewitz für Extraktgewinnung gege- benen Bedingungen eine durchschnittliche hämo- lytische Wirkung der Saft bis an einer Ver- dünnung I : 200 heraus. Vereinzelt jedoch wurden besonders gegenüber Schweineblutkörperchen viel günstigere Resultate erzielt. Saft von Aphis viciae vermag Blutkörperchen vom Schwein nach 2 stündigem Aufenthalt im Brutofen von 37" bis zu 1600, Saft von Macrosiphum pisi bis zu 3200, ersteren nach 4 Stunden bis zu 6400, nach 13 Stunden bis zu 12S00 restlos zu hämoly- sieren. Damit wird die von Dewitz ver- mutete erhöhte Wirksamkeit der Lysine gegen andersartige Blutkörperchen bestätigt, damit aber auch sein Vergleich zwischen der hämolytischen Stärke des Aphidolysins zum Arachnolysin erheb- lich zugunsten der ersteren korrigiert. Nach seinen Angaben lösen 0,0005 g Blattlaussaft und 0,000028 g Kreuzspinnensubstanz die nämliche Menge Blutkörperchen, während bei Zugrunde- legung der Versuche von Börner von Macro- siphum pisi die Verhältnisse ungefähr dieselben sind (0,000031 und 0,000028). Ein einheitliches Blutlausgift (Aphidolysin) kommt nach der Auffassung Börners den Blatt- läusen nicht zu, da die blutlösende Fähigkeit der Extrakte verschiedener Blattlausarten sich der- selben Blutart gegenüber verschieden verhalten. Während Macrosiphum pisi und Aphis viciae die roten Blutkörper chen des Schweines glatt hämo- lysieren, verhalten sich ihnen gegenüber die Säfte von Aphis atriplicis und Schizoneura lanigera völlig negativ. Die Hämolysine wurden erst bei Anwendung ziemlich hoher Wärmegrade empfindlich beeinflußt. Diejenigen von Siphocoryne saliceti waren nach 2 Stunden bei 60", die von Brevicoryne brassicae nach 30 Minuten bei 100" zerstört und die Fähig- keit des Wickenlaussaftes Schweineblutkörperchen zu lösen, war bei So" nach 45 — 60 Minuten um die Hälfte geschädigt. Die Lokalisation der Hämolyse im Tierkörper der Blattläuse suchte Börner, da direkte Unter- suchungen wegen Kleinheit der Objekte unmög- lich erscheinen, auf indirektem Wege zu ermitteln. Er stellte sich zunächst die Frage nach der Zeit der Entstehung der Hämolysine im Tierkörper und ob dieselben etwa mit der Pflanzennahrung aufgenommen werden würden. Er fand : die Hämolysine bilden sich während der Embryonal- zeit und vor Aufnahme von pflanzlicher Kost. Frisch abgelegte Eier der Reblaus hämolysieren noch nicht, aber kurz vor dem Ausschlüpfen stehende Reblauseier und mit Rebblättern noch nicht in Berührung gekommene Jungläuse zeigen dieselbe blutkörperchenlösende P'unktion wie die ausgewachsenen Gallen- und Wurzelläuse. Falls nun das Lysin, so wird weiter geschlossen, im Speichelsaft der Blattlaus lokali'-iert ist, müßte es durch den Saugakt auf die Wirtspflanze über- tragen werden und eventuell nachweisbar sein. Das ist tatsächlich der Fall. Die Extrakte der von der Wickenblattlaus (Aphis viciae) stark be- setzten und besogenen Triebspitzen der schmal- blätterigen Wicke (Ervum tenuifolium) hatten im Gegensatz zu den Säften von unbesogenen Pflanzen- teilen hämolytische Eigenschaften. „Falls hierbei nicht noch andere unbekannte Faktoren wirksam gewesen sind", werden die Hämolysine also beim Saugakt der Läuse in die Pflanze eingespritzt und müssen mithin in den Speicheldrüsen lokalisiert sein und gebildet werden. Die Hämolysine der Blattläuse werden im pflanzlichen Gewebe wahrscheinlich sehr schnell verändert. Es folgt das daraus, daß nach ein- tägigem Aufenthalt der Extrakte aus von Blatt- läusen besogenen Pflanzenteilen oder der künst- lichen Mischungen von gewöhnlichen, unbeein- flußten Pflanzenorgansäften und solchen der be- treff'enden Parasiten im Eisschrank die Lysine vollständig neutralisiert oder doch sehr abge- schwächt, d. h. ganz oder teilweise gebunden worden waren, so daß zugesetzte Blutkörperchen unverändert blieben oder nur zum Teil gelöst wurden. Beim näheren Studium von Mischungs- versuchen in vitro, die durch Kontrollen gesichert wurden, ging Börner von einem hochwertigen Läusesaft (von Aphis viciae) aus. Bringt man denselben in verschiedenen Verdünnungen (von V40 — '/12 sno) niit gleichen Volumteilen frischen Pflanzensaftes von Ervum tenuifolium zusammen und fügt sofort eine 5 "/o Aufschwemmung von Schweineblutkörperchen hinzu, so tritt nach den gewöhnlichen Bedingungen die Hämolyse mit nahezu denselben Werten ein, wie sie ohne Beisein von Pflanzenextrakt beobachtet wird. Bei gleich- zeitigem Zusammenbringen der drei Komponenten tritt demnach eine merkliche Hemmung oder Ab- lenkung der Hämolyse, wie sie infolge Neutralisation von Pflanzensaft und Pflanzenlaushämolysin ange- nommen werden konnte, nicht ein. Die Affinitäten zwischen Blutkörperchen- und Pflanzenlaussubstanz überwiegen. Dasselbe wird bei alleinigem Vor- wärmen des Pflanzensafies, das Börner bis auf 14 Stunden bei 37" ausgedehnt hat, und nach- folgendem gleichzeitigen Zusatz der hämolytischen Komponenten beobachtet. Anders liegen die Ver- hältnisse, wenn dem Läuse- und Pflanzenextrakt zur gegenseitigen Beeinflussung Zeit gelassen wird. (Sie wurden 2—14 Stunden bei 37" gehalten.) Wickenlaussaft V3200 und Wickensaft V20 2 Stunden auf 37" erwärmt, zeigt bei Zusatz von Schweine- blutkörperchen totale Hemmung, d. h. es trat keine Hämolyse ein. In Verfolgung dieser Tat- sache stellte sich die weitere sehr interessante Be- obachtung heraus, daß eine derartige Verminderung (Ablenkung) der Hämolyse nur zwischen einander angepaßten Organismen, also zwischen Wirtstier und Wirtspflanze oder einer nahe verwandten Pflanze erfolgt, nicht aber zwischen einer fremd- artigen. Beispiel : Die Hämolysine des Extraktes der Wickenlaus neutralisieren sich mit gewissen Bestandteilen des Pflanzensaftes von Ervum tenui- N. F. XVI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 2S9 folium und Vicia sepium, nicht aber mit dem Auszug von den Blättern der Melde Atriplex hastatum. Während in erstem Falle die zu- gesetzten Blutkörperchen ungelöst blieben, war bei letztgenannter Pflanzenart noch eine deutlich positive Hämolyse zu beobachten gewesen. Hiermit wären besondere Wechselbeziehungen zwischen Wirtstier und Pflanze nachgewiesen worden. Börne r glaubt diese Beziehungen durch eine weitere Beobachtung stützen zu können. Indem er die Säfte von Wirtstieren und Wirtspflanze im Reagicrglas mischte, konstatierte er bei zu- sammengehörigen Organismen einen Niederschlag, der sich gegenüber von Kontrollversuchen als Trübung zeigte. Mit dem Saft gesunder, frischer Wirtspflanzen (Spießmelde: Atriplex hastatum, Gänsefuß: Chenopodium glaucum) versetzter Extrakt der betreffenden Wirtslaus (Meldelaus: Aphis atriplicis) — die übrigens keine hämoly- sierende Substanz für die untersuchten Blutarten enthalten soll — wies einen stärkeren Trübungs- grad auf als eine Mischung von fremdartigen Tiersäften (Blut- und Wickenlaus) mit denselben frischen Pflanzenauszügen. Ersterer zeigte ferner große Ähnlichkeit mit dem Saftauszug von Meldenblattgallen der Meldenlaus, der ebenfalls ein schwachtrübes Aussehen hatte. Born er zieht hieraus, also auf Grund des ähnlichen Trübungs- grades, die Folgerung, daß „demnach anscheinend der Preßsaft der gesunden Blätter durch Saft der Meldenlaus in einem ähnlichen Sinn beeinflußt worden war, wie im Leben der Zellsaft der von der Meldcnlaus besogenen Meldenblätter" (S. 49). Sollte diese Erscheinung im Sinne Börners spezifisch sein und bestätigt werden, dann müßte, da sie sich auf Blattlausextrakte bezieht, deren hämolytische P'ähigkeit noch nicht festgestellt werden konnte, die ev. Beziehung zur Hämolyse- reaktion untersucht werden, wobei sich die erstere dann wohl als die allgemeinere ergeben dürfte. Stellt sich ihre Identität heraus, dann wären in diesen Reaktionen, die als allgemeine Anpassungs- erscheinungen für irgendwelche, vorläufig noch unbekannte biologische Prozesse zu deuten sind, Beziehungen von größerem biologischem Interesse aufgefunden worden. Den Einfluß der Hämolysine der Blattläuse glaubt Born er an der lebenden Pflanze im Auf- treten von Verfärbungen im Bereich der Stich- wunden und in den Wachstumsstörungen (Gallen- bildungen) zu erkennen. Im übrigen vermeidet er aus seinen Untersuchungen vorläufig weitere Schlußfolgerungen über die biologischen Aufgaben derselben. Gegenüber der Toxinauffassung von Dewitz hebt er jedoch hervor, daß das Auftreten der Hämolysine im Speichelsaft der Blattlaus und ihre Neutralisierung durch Pflanzensäfte vielleicht auf Enzyme hinweist, wodurch Verdauung und ev. auch Gallenbildung irgendwie beeinflußt werden könnten. Gegen die enzymatische Natur der Hämolysine spricht m. E. jedoch die relativ große Wärme- unempfindlichkeit und ihr scheinbares Fehlen bei einigen Blattlausarten. Enzyme werden im allge- meinen durch Temperaturen zwischen 50" und 60" nach kürzerer Einwirkungszeit zerstört. Und da Aphis atriplicis ebenfalls Gallen bildet, wird, falls eben die Hämolysine die angedeutete biologische Rolle spielen, dieser scheinbare Ausfall Aufklärung erheischen, da man sonst eine Art „Enzymersatz" postulieren müßte. Es läßt sich aber vermuten, daß die betrefi'enden Substanzen bei Aphis atriplicis ebenfalls vorhanden und nur nicht so auf- fällig ausgebildet sind. Wahrscheinlich findet sich noch irgendeine geeignete Blutart oder aber es tritt nur eine Bindung mit den untersuchten roten Blutkörperchen auf, so daß der Austritt des Hämo- globins nicht bewerkstelligt werden kann. Viel- leicht erklärt sich auf diese Weise auch das negative Verhalten der Extrakte von Schizoneura lanigera, der nur die Blutkörperchen vom Huhn bis zur Verdünnung i : 100 hämolysieren soll, und das der frisch gelegten Galleneier von Peritymbia f. pervastatrix. Aber auch die Gift (Toxin)- Natur der Hämolysine im Sinn des Diphtherietoxins oder das Arachnolysins erscheint wegen ihrer weitgehenden Thermoresistenz und anderer Momente, die hier nicht erörtert werden können, zweifelhaft. Hierüber sind noch eingehende Untersuchungen anzustellen. Es dürfte ferner be- achtenswert erscheinen, experimentell zu beob- achten, ob die Hämolysine nicht eine rein kutikula- lösende F"unktion zur Einführung des Rüssels durch die harte Oberfläche hindurch in das weichere und nährstoffreiche pflanzliche Gewebe • — eine im Verhältnis zur Tiergröße immerhin schwierige mechanische Leistung! — besitzt, was allerdings mehr eine generelle Eigenschaft wäre und in einem gewissen (nicht unbedingten) Wider- spruch stände mit den von B ö r n e r aufgefundenen korrespondierenden Erscheinungen. Fraglich erscheint mir dann die ausreichende Beweiskraft des Arguments Börners für die Verschiedenartigkeit der blutlösenden Säfte der diversen untersuchten Blattläuse. Er meint, ihre nicht einheitliche Natur gehe aus dem ver- schiedenen Verhalten der verschiedenen Hämo- lysine der Läuse gegenüber einer Blutart hervor. Dieser Schluß übersieht, daß verschiedene quanti- tative Verhältnisse in der Ausbildung der Lysine an sich schon differentes Verhalten, das sich in Titerschwankungen oder als scheinbar negative Reaktion (Bindung 1) zeigt, ergeben. Recht schwach ausgebildete Lysine lösen z. B. Rinderblutkörperchen nicht, schwache lassen nur einen niedrigen, starke einen höheren Titer erkennen. Dasselbe ist bei gleicher Annahme denkbar gegen untereinander in ihrer Resistenz und ihren chemischen Verhält- nissen verschiedenen Arten von Blutkörperchen. Ob die Säfte der Läuse verschiedenartig, d. h. in chemischem Sinn different sind, bleibt folglich noch problematisch bis noch andere Beweise er- bracht werden können und dieser Einwurf auf seine 26o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 19 Berechtigung hin geprüft wurde. Zur Klarlegung dieses Problems können z. R. eine größere Anzahl Versuche über die Wärmeempfindlichkeit verschie- dener Hämolysine herangezogen werden. Immer- hin muß zugegeben werden, daß aus Börners Untersuchungen bereits eine strenge Einheitlich- keit derselben nicht hervorgeht. Die Bezeichnung Aphidolysin (Dewitz) für die Hämolysine der Blattläuse halte ich für gerechtfertigt, wenigs.tens als generellen Oberbegriff. Nach Übersicht III (S. 47) erscheint es auffällig, daß eine 2 stündige Digestion gegenüber einer 14 stündigen bessere Resukate ergibt. Wicken- laussaft und Wickensaft war in ersterem Falle glatt, im letzteren Falle nur fast negativ. Man hätte bei einfachem Reaktionsablauf das gegenteilige Er- gebnis erwartet. Die verschiedenen Verdünnungen sind gegenüber der Zeitdauer wohl fastbelanglos. Die fremdartigen Pflanzensäfte und Tierextrakte scheinen endlich nicht ganz ohne Wirkung auf- einander zu sein. Die Hämolyse in Versuch II 2c der Übersicht III wurde teilweise abgelenkt, so daß nur ein „fast +" konstatiert werden konnte. Auf Grund dieser Beobachtung glaubt Born er selbst nicht an eine streng spezifische Wechselwirkung zwischen der von der betreffenden Laus besiedelten oder dieser verwandten Pflanze und dem Parasiten. Mit dieser Einschränkung hat die Beobachtung vorläufig nur relativen Wert und erfordert vor allem eingehende systematische Untersuchungen zur Feststellung und Abgrenzung der eigentlichen Tatsache. Das Verdienst Börners besteht darin, das Problem von neuem angeregt, erstmalig wahr- scheinlich gemacht und zugleich geeignete Me- thoden zur Lösung desselben (Hämolysehemmung und Niederschlags-, bzw. Trübungsreaktion) an- gegeben zu haben. Thiem. Zoologie. Laichwanderung der Forelle. Wie LouisRoule (vgl. Naturw. Wochenschr. XV. Bd. 1916 S. 251) gefunden hatte, dient dem Lachs bei seinen Laichwanderungen, welche er aus dem Meer in das Süßwasser unternimmt, der Sauer- stoffgehalt des Wassers als Führer. Er dringt in jene Ästuarien ein, wo diejenigen Zuflüsse ein- münden, deren Wasser am reichsten an darin ge- löstem Sauerstoff ist. Von der Mündung steigt der Lachs im Strom aufwärts, dringt in die ein- mündenden Flüsse und aus diesen in die Gebirgs- bäche vor, um dort zu laichen; die jungen Fische schlagen dann seinerzeit den umgekehrten Weg ein, um bis zu laichfähiger Größe im Meer heranzuwachsen. Es ist schon längst bekannt, daß die Seeforelle des Süßwassers (Salmo fario lacustris L.) eine ganz entsprechende Erscheinung zeigt, indem sie gewöhnlich ihre Eier nicht in dem See absetzt, in welchem sie lebt, sondern ebenfalls zur Laich- zeit in die einmündenden Flüsse und Bäche aufsteigt, um in letzteren zu laichen, und daß erst die jungen Fische nach einigen Monaten wieder in das Seebecken wandern. Nach Unter- suchungen, über welche R. in der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 6. Nov. 191 6 berichtete, ist auch für die Forelle des Genferseees der zunehmende Sauerstoffgehalt der Wasserläufe bestimmend für den einzuschlagenden Weg; die Seeforelle unterscheidet sich vom Lachs bezüglich ihrer Laichwanderungen nur dadurch, daß sie weniger weit und durchweg in demselben Milieu, im Süßwasser wandert. Eine praktische Schlußfolgerung aus diesen Tatsachen wäre nach R. die, daß man beim Ein- fangen von Laichfischen für die Fischbrutanstalten die sauerstoffreichsten Wasserläufe wählt; dort würde man nicht nur die meisten Laichfische an- treffen, sondern auch die lebenskräftigsten Stücke. Kathariner. Die Bedeutung Italiens für den Vogelzug. Der beträchtliche Artenreichtum der Vogelwelt Italiens hat seinen Grund darin , daß die lang- gestreckte Appeninnenhalbinsel und als ihre Fort- setzung Sizilien eine natürliche Verbindung dar- stellt zwischen Europa und Afrika und deshalb naturgemäß von den Zugvögelmassen beider Kontinente als Wanderstraße benutzt wird. Nach Forstmeister S c h w a a b - Vilsbiburg (Naturw. Zeitschr. f Forst- u. Landwirtschaft, 15. Jahrg., 1917, Heft 2, S. 68 — ■]■]) unterscheidet der Ita- liener „3 Phasen dieser alljährlichen mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks sich vollziehenden Völkerwanderung; i. den passo primaverile, den Frühjahrszug von Januar bis Mitte Juni, 2. die sosta, die Ruhepause von Mitte Juni bis Mitte Juli, und 3. den passo autumnale, den Herbstzug von Mitte Juli bis zum Jahresende". Den Reigen im Januar eröffnen zumeist 2 hoch- nordische Gäste, der Tordalk und der Lund, der sibirische Fichtenammer und von der deutschen Vogelwelt wenige Gimpel stellen sich nächst ihnen ein. „Damit ist die gewaltige Mobilmachung des passo primaverile eingeleitet, welche die ganze Vogelwelt nach Norden ver- schiebt." Zunächst rücken wohl nur vereinzelte Schwärme über die winterlichen Alpen vor, aber „hinter der Gebirgsmauer vollzieht sich doch der strategische Aufmarsch zu dem Massenzug in den folgenden Monaten". „Von Februar bis Mai bildet Italien den Truppensammelplatz für die nordischen Zugvögel (specie invernale), welche aus Afrika zurückwandern und auf der Reise nach den alten Niststätten eine Zeitlang noch in dem ungastlichen Lande verweilen. Gleichzeitig mit ihnen trifft auch die Vogelwelt der tropischen und subtro- pischen Zone ein (specie estive), welche, der Sonnenglut am Äquator aus dem Wege gehend, Frühjahr und Sommer in Italien verbringen und daselbst nisten". Die Ankunfts- und Abwanderungs- zeiten der einzelnen Vogelarten läßt sich nach den Aufzeichnungen früherer Beobachtungen im Calendario delle migrazioni genau vorhersagen Aus ihnen geht hervor, daß „der Zustrom aus dem Süden von Januar bis April ständig an- schwillt, in diesem Monat seinen Höhepunkt er- N. F. XVI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 261 reicht und in der i. Hälfte des Juni mit dem Erscheinen des Rosenstars endet. Ebenso verdichten sich die anfangs sehr schwachen nach Norden aufbrechenden Flanklerketten von Januar bis April immer mehr, flauen dann langsam ab und mit der Abreise des S trän d lau fers ist der letzte der invernali aus italienischem Gebiete ver- schwunden". Nur I Monat dauert die Sosta, die Ruhepause, dann beginnt schon wieder der Herbst- zug: die Vogelmassen streben zurück in ihre Winterquartiere. Nicht alle Vögel aber halten sich auf ihrem Wanderzuge längere Zeit in Italien auf, viele Vogelarten, wie die Störche, ver- schiedene Falkenarten, der Löffelreiher u. a. m. passieren die Halbinsel nur in eiligem Durchflug. Unberechenbar und von dem Zuge aller anderen Vögel abweichend sind stets die Wanderungen der Wachteln. Vollkommen systemlos offenbar von momentan einsetzenden klimatischen Ereig- nissen beeinflußt, scheinen ihre Wanderungen zu sein, so daß man Wachteln eigentlich das ganze Jahr über in Italien antreffen kann. Neben diesen ständigen Besuchern der Appenninenhalb- insel finden sich noch einige mehr „periodische Einwanderer". Zu diesen gehört das in den osttatarischen und mongolischen Steppen heimische Steppenhuhn, dann der Seidenschwanz, der bei besonders strengen Wintern, wie z. B. im Dezember 1904, aus seiner hochnordischcu Heimat bis nach Norditalien vordringt, endlich einige Hochalpenbewohner, wie der Schnee- fink, der Alpenflüevogel, die Ringdrossel, der Zitronenfink u. a. m. Eine Sonderstellung unter allen Italien auf- suchenden Vogelarten nimmt der Flamingo ein: während sonst die tropischen Vögel alle ohne Ausnahme Frühjahr und Sommer in Italien ver- bringen und dann wieder in die Äquatorial- gegenden zurückkehren, erscheinen die Flamingos gleichzeitig mit unseren deutschen Sängern im Herbst aus der entgegengesetzten Richtung aus Zentralafrika und tummeln sich den Winter über in den brackigen Strandseen Sardiniens. „Alken, Lummen und Lunde sind in strengen Wintern mit ihnen hier vergesellschaftet." Im Frühjahr pilgern die Flamingos dann wieder in ihre tro- pische Heimat zurück. Als Ursache dieses sonder- baren biologischen Verhaltens, dem augenschein- lich die stärksten klimatischen Gegensätze be- hagen, konnte bisher nichts Beweiskräftiges an- geführt werden. Die Ungunst der klimatischen und Nahrungsverhältnisse, wie sie bei allen anderen Vögeln die Wanderungen bestimmend beeinflußt, ist sicher bei den Flamingos nicht der Anlaß, der sie verleitet, gerade zu der klimatisch günstigsten Zeit ihre tropischen Quartiere zu verlassen. Die wirtschaftliche Ausnutzung der Bedeutung Italiens als Durchgangsland für die Mehrzahl der europäischen und afrikanischen Zugvögel durch die italienische Bevölkerung ist hinlänglich be- kannt. Alle Vogelschutzgesetze in den italienischen Nachbarländern, vor allem in Deutschland, werden die Lücken nicht auffüllen können, welche die italienischen Vogelsteller alljährlich unter den durchziehenden Vogelgästen rücksichtslos reißen, sie dienen lediglich dazu, die italienischen Fang- ergebnisse Jahr für Jahr günstiger zu gestalten. H. W. Frickhinger. Geologie. „Zur Entstehung schmaler Störungs- zonen" gibt H. Cloos einen wertvollen Beitrag (Geolog. Rundschau Bd. VII 1916). In Schollen- gebirgen beobachten wir nicht selten zwischen ein- förmigen Schichtentafeln schmale Streifen fremd- artiger Gesteine, die bei der Gebirgsbildung als Nebenprodukte sich abgesplittert haben. Sind die Gesteine des Streifens älter als die Umgebung, so stammen sie aus der Tiefe (Horst), umgekehrt aus einer inzwischen zerstörten Höhe, wenn sie jünger sind (Graben). Im letzteren Falle ist die Erklärung einfach. In einen sich öftnenden Spalt sind Randteile hinabgesunken. Schwieriger ist der umgekehrte Fall zu deuten, wo schmale Horst- streifen aus großen Tiefen emporgepreßt sind. Noch schwieriger wird es, wenn schmale Horst- streifen sich mit schmalen Gräben verzwillingen. Eine altbekannte Tatsache, die man nicht selten in geeigneten Gebieten nachprüfen kann, ist nun die, daß wenn Schollen sich aneinander bewegen, jeweils die Bewegungsfläche zur tieferen Scholle einfällt (meist unter 50"- 80"). Indessen gibt es auch Fälle, wo die bewegte Scholle wieder in ihre L'rsprungslage zurückkehrt oder die ruhende der bewegten Scholle nacheilt. In diesem Falle wird entweder die alte Gleitfläche benutzt oder was häufiger der Fall ist, es bildet sich eine neue, für die neue Bewegung normale Gleitfläche. Beispiele liefert das an alternierenden Bewegungen reiche Schollenfeld der niederrheinischen Bucht. Dort läßt sich beobachten, daß eine jüngere Störung über die ältere weggreift. .Senken bezw. heben sich anstoßende Schollen abwechselnd, so entsteht eine Sprung kreuzung. Durch die alternierenden Auf- und Abwärts- bewegungen von Schollen aneinander werden wechselweise schmale Gesteinsstreifen abgegeben. Diese werden zu Horsten, wenn sie an Hochbe- wegungen teilnehmen oder zu Gräben, wenn Sen- kungen stattfinden. Die Streifen werden immer zahlreicher und schmäler, je länger der Vorgang dauert. Im Falle derSprungkreuzung kommen tiefste Gräben und höchste Horste nebeneinander zu liegen. Beispiele .tektonischer Zwillinge sind auf beiden Seiten des Thüringer Waldes, im Egge- und Teuto- burgerwaldgebiet usw. Geradezu klassisch ist Stille's Hoppenbergprofil auf Blatt Peckels- heim, wo links und rechts Buntsandstein und .Muschelkalk liegt, während der Horst Zechstein, der Graben Lias ist. Alle diese Erscheinungen können durch Hebungen und Senkungen großer Tafeln ent- stehen; seitlichen Druckes oder Zuges und einer Faltung oder .Aufpressung bedarf es nicht not- wendig. V. Hohenstein. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 19 Bücherbesprechungen. Aus dem Leben und Wirken von Arnold Lang, dem Andenken des Freundes und Lehrers ge- widmet. Jena 19 16, G. Fischer. — 7 M. Freunde und Lehrer des am 30. Nov. 1914 verstorbenen Züricher Zoologen Arnold Lang haben sich vereinigt, um auf Grund von per- sönlichen Erinnerungen, Briefen, Tagebuchnotizen und amtlichen Materialien und Schriftstücken ein Bild des Lebens und Wirkens dieses als Forscher wie als Menschen gleich ausgezeichneten Mannes zu entwerfen, und haben damit einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der neueren Zoologie ge- liefert, der um so größeres Interesse verdient, als sich in dem Entwicklungsgänge der wissen- schaftlichen Forschertätigkeit Arnold Lang's der Übergang von der älteren teils spekulativ teils entwicklungsgeschichtlich-morphologisch und -ana- tomisch orientierten Richtung zur experimentellen Vererbungsforschung wiederspiegelt, den Lang, obwohl schon in vorgerückteren Jahren, mit be- merkenswerter Spannkraft mitmachte. Ernst Haeckel leitet das Buch ein durch einen Abschnitt, in welchem er die Jenaer Zeit Lan g's schildert. Sie zerfällt in zwei Teile, die zweijährige Studienzeit und die nach achtjähriger Zwischen- zeit aufgenommene Lehrtätigkeit an der kleinen thüringischen Universität. Er entwirft ein liebe- volles Bild des Studenten und Kollegen Lang und des gemeinsamen Strebens und Wirkens, wobei er, begreiflichen Empfindungen nachgebend, auch eine gute Strecke seiner eigenen Forschertätigkeit noch einmal an sich vorüberziehen läßt. Karl Hescheler, der Schüler und Nach- folger Lang's, übernimmt die Aufgabe, das übrige Leben mit Ausnahme des Neapler Abschnittes darzustellen. Er entledigt sich ihrer in einer schlichten, dennoch überall die innere Telnahme verratenden Weise, indem er aus den verschieden- sten Quellen schöpfend, die Daten selber zu sach- licher und möglichst umfassender Darstellung zusammenzufügen sich bemüht. Er berichtet zunächst, wie der junge in solidem Schweizerboden kräftig wurzelnde Lang nach Überwindung väter- lichen Widerstandes die Universität Genf bezieht, um Naturwissenschaften zu studieren. Hier wurde er durch Karl Vogt mit Haeckel's Genereller Morphologie bekannt, welches Werk nach seinem Urteil einen großen Eindruck auf den Jüngling machte und ihn bestimmte, gleich so manchem anderen nach Jena zu wallfahrten. Hier taucht schon, sicher durch Haeckel mit starker sugge- stiver Kraft hervorgezaubert, eine neue wissen- schaftliche Sehnsucht, so charakteristisch für den Biologen, auf, das Meer. Er verlebt die Ferien eines Sommers in Wangerooge, reist später nach den Scilly-Inseln, und nachdem er eben in Bern sich als Privatdozent niedergelassen hat, zieht es ihn nach Neapel. Hier ist er rasch gefesselt und eng an die Zoologische Station Anton Dohrn's gebunden. Und so blickt jetzt in das Buch die blaue südliche See hinein, es steigt empor das heitere, vornehme Haus in dem Steineichenhain der Villa nazionale, in dessen Zellen so mancher, glücklich wie der heilige Hieronymus im Gehäus, unvergeßliche Zeiten stillen Schauens und Schaffens verlebte, es klingt und funkelt hinein das in tausend Farben schillernde und in tausend Stimmen jauchzende Napoli. Hugo Eisig entwirft mit offenkundigem Anteil und glücklichster Gestaltungskraft ein an persönlichen Zügen reiches Bild jenes einzigen Kreises, in den sich der Schweizer einfügte und dem er acht Jahre lang und in der Erinnerung sein ganzes Leben treu blieb. Er erweitert das Bild beträchtlich, indem er das Werden und Wesen der Zoologischen Station dem Leser nahebringt, jenes Stückes deutschen Bodens in fremdem Lande, auf dem sich die verschiedensten Nationalitäten, beseelt von dem gleichen ernsten Ziel, einträchtig zusammenfanden. Wie mancher von den Männern, ohne die man sich das Acquario gar nicht denken kann, wirkt nicht mehr dort oder weilt nicht mehr am Lichte! Allen voran Anton Dohrn, den wir in seiner ganzen urwüchsigen Kraft, wenn auch zwischen den Zeilen, in diesem Buche v.'ieder auferstehen sehen. Wohl ihm, daß der heißblütige Mann diese letzten Jahre nicht mehr hat erleben müssen ! Auferstehen sehen wir auch die riesige Gestalt des sizilianischen P^ischersohnes mit den mau- resken Gesichtszügen, Dr.Salvatore Lo Bianco, der in mancher Hinsicht ein Schüler Lang's ge- wesen ist, den wehklugen stets hilfsbereiten Lin- de n , den feinen, zarten Giesbrecht und manchen anderen. Wir müssen Eisig ganz besonders dankbar für diesen Abschnitt sein. Weiter spinnt nun wieder Hescheler den Faden, indem er Lang in seinem akademischen Wirkungskreise in Zürich vor Augen führt, als Lehrer und Leiter des Zoologischen Institutes. Hier werden auch goldene Worte akademischer Weisheit über akademischen Unterricht und andere allgemeine akademische Fragen wiedergegeben, die Lang in seiner ganzen Tüchtigkeit zeigen. Ganz besonders tritt diese dann hervor in der bedeutsamen Rolle, die er als unermüdlicher För- derer und Organisator des großen Unternehmens des Züricher Universitätsneubaues gespielt hat. Vor allem wird dann schließlich ein gedrängter Abriß von Lang's Forschertätigkeit entworfen, in der neben sorgfältiger Einzelarbeit immer wieder das starke theoretische Interesse an den großen Entwicklungsproblemen hervortritt, die er auch häufig in Reden und Vorträgen erörterte. Aus dem Bilde, wie es allmählich sich im Leser von der Persönlichkeit dieses Zoologen ge- staltet, scheint mir hervorzugehen, daß Lang, nicht zu jenen Akademikern gehörte, deren Tätig- keit in der kühlen Anfertigung von Untersuchungen und der Lieferung akademischer Belehrung an das Auditorium oder das Laboratorium erschöpft N. F. XVI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 263 ist. Neben scharfem, kritischem Verstände und emsigstem Fleiße wohnte in ihm die Flamme der Leidenschaft, die allen Äußerungen erst jene Leuchtkraft gibt und jene Wärme verbreitet, die hier wie überall die Ursache nachhaltiger Wirkung und echten Erfolges sind. Miehe. Thorbecke, F., Im Hochland von Mittel- kamerun. 2. Teil. Mit 37 Abbildungen und 2 Kartenskizzen. Hamburg 1916, L. Friedrichsen & Co. — 0 M. Dem ersten Teil der Landeskunde des Ost- Mbamlandes, welcher (vgl. unsere Besprechung Naturw. Wochenschr. Bd. XIV, S. 670) den Verlauf der Reise und allgemeine Beobachtungen zur Dar- stellung brachte, läßt der Verf hier einen zweiten Teil folgen, der aber noch nicht die ursprünglich in Aus- sicht genommene ph\'sische Geographie bringt, sondern die Anthropogeographie, der lediglich des besseren Verständnisses wegen ein kurzer orien- tierender Abschnitt über die Natur des Ost-Mbam- landes vorausgeschickt wird. Dann werden die Rassen und Völker des Gebietes, ihre Geschichte, ihre Sicdelungen und Befestigungsanlagen darge- stellt, sowie ungefähre Daten über die Bevölkerungs- zahl mitgeteilt. Die Lebensweise der Eingeborenen wird in einem folgenden Abschnitt im engen An- schluß an die besonderen Bedingungen des KHmas behandelt, ferner die Nahrung, wobei wir auch von dem immer noch gelegentlich angetroffenen Kanni- balismus erfahren, die Kleidung und Bewaffnung, die gesundheitlichen und VV^ohnungsverhältnisse. Dann entwirft der Verf ein ausführliches Bild der gesamten Wirtschaft des Gebietes, der Kultur- pflanzen und ihres Anbaus, der Ausnutzung der Bodenfläche, der Viehhaltung, der Jagd, des I'isch- fanges und der Sammeltätigkeit, des Handwerks und der Gewerbe sowie des Handels. Im Mittel- punkt des Landbaus stehen nicht die Hack- sondern die Körnerfrüchte; die Viehhaltung, die sich in erster Linie auf Kleinvieh erstreckt, ist wenig sorgfältig. Das Handwerk, unter dem der Mangel der Holzbearbeitung auffällt, leidet unter dem zerstörenden Einfluß der importierten europäischen Waren. Träger des Handels sind nie die Ein- heimischen gewesen, sondern stets Fremde. Da der Handel mit Elfenbein bereits erloschen ist und der mit Kautschuk alimählich zurückgeht, sieht Verf die einzige Hoffnung in dem durch die Natur des Landes begünstigten und hier bereits ein- heimischen Baumwollbau. Bei der Erörterung der Verkehrswege, wird erwähnt, daß die beiden großen Ströme Mbam und Sanaga nicht schift'bar und alle Straßen, selbst die best ausgebauten nur für Träger benutzbar sind; der Fortsetzung der Nordbahn durch das Ostmbamland nach Adamaua wird das Wort geredet. Im Schlußkapitel be- handelt der Verf. die deutsche Kolonisation und gibt dabei selber mannigfache Anregungen zur Hebung des Landes. Zahlreiche sehr gute Ab- bildungen, sowie zwei Karten, und zwar eine der Völker und eine der Verkehrs- und Handelsstraßen sind auch diesem 2. Teil des wertvollen Werkes beigegeben. Miehe. Brehm's Tierleben, Säugetiere. 4. Band. Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut. Der vorliegende Band, der sich, was Sorgfalt der Bearbeitung und Vorzüglichkeit der Ausstattung anbetrifft, würdig seinen Vorgängernanreiht, schließt die Säugetiere ab. Er wird besonderes Interesse erregen, einmal weil er die wichtigsten Vertreter der Haustiere und des heimischen Wildbestandes enthält, die unter den Paarhufern abgehandelt werden, und dann, weil als Abschluß des Tierreichs seine interessanteste Gruppe, die Affen, eine ein- gehende Darstellung finden. Überall ist der Inhalt stark bereichert worden, so daß oft nur wenig von der letzten Auflage unverändert geblieben ist; sind doch z. B. 201 Arten von Affen und Halbaffen be- schrieben gegen 85 der vorigen Aullage. Das Abbildungsmaterial ist wieder sehr reich und be- sonders die farbigen Tafeln vorzüglich. Dabei begegnet man aber auch immer wieder gerne den schönen alten Holzschnitten. Unter den Bildern treffen wir eine große Zahl seltener Tiere, wie das Okapi, das Zwergflußpferd, den wilden Yak und andere. Bei den Haustieren ist auch ihre Geschichte sowie die F>age ihrer Abstammung ausführlich erörtert. Am Schluß des Bandes sind 1 2 Kärtchen angefügt, aufweichen die geographische Verbreitung wichtiger Säugetiergruppen oder einzelner Tiere dargestellt sind. Miehe. Greulich, O., Dr., Peru. Studien und Er- lebnisse. Zürich. Orell Füßli. — 5 M. Der Verfasser hat längere Zeit als Lehrer in Peru und zwar inHuaraz und in Puno amTiticacasee gewirkt und schildert in diesem ansprechend aus- gestatteten, mit einer farbigen Umschlagszeichnung geschmückten Bändchen Land und Leute, wie er sie in seinem alltäglichen Leben und auf seinen Reisen kennen lernte, auf eine frische und an- schauliche Art. Seine in der Eigenschaft als peruanischer Beamter erworbene Kenntnis der inneren Verhältnisse des Landes benutzt der Verfasser überdies zu dem praktischen Zwecke, die Aussichten für Auswanderungslustige ver- schiedener Berufe zu erörtern und das Verständnis für ein Land anzubahnen, von dem er annimmt, daß es nach dem Kriege rasch wieder in regere Beziehungen zu europäischen Ländern treten wird und muß. Interessant sind die Schilderungen der Denkmäler der peruanischen Vergangenheit, wie sie namentlich in Cuzso reichlich zu finden sind, an die auch ein kurzer historischer Abriß ange- schlossen ist. Über die Aussichten, den Indianer von heute auf eine höhere Kulturstufe zu heben, urteilt der Verfasser pessimistisch. In einem Schluß- kapitel behandelt er noch die politischen Ver- hältnisse Perus sowie die letzten Revolutionen. Miehe. 264 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 19 Anregungen und Antworten. Aufnahmen von Gemälden und anderen mehrfarbigen Bildern^ Unter den mehrfarbigen Bildern bieten die Ölgemälde die meisten Schwierigkeiten bei der Aufnahme, wegen ihrer glänzenden, aber doch unebenen Oberfläche. Man mufi die Reflexe durch eine richtige Aufstellung zu vermeiden suchen, so etwa, indem man das Bild nach vorne herüberneigt, wobei natürlich auch die Kamera entsprechend aufgestellt werden muß. .ältere Originale wäscht man mit lauwarmem Wasser ab und überzieht sie nach dem Trocknen (nach Stolze) mit einer Lösung von 100 ccm Wasser 5 ccm zu Schaum geschlagenem und abgestandenem Eiweiß und 20 ccm Glyzerin, wodurch die Tiefen des Bildes besser kommen und auch die Oberflächenfehler nicht so deutlich mit reproduziert werden. Nach der Aufnahme wäscht man den Überzug mit Wasser wieder ab. Sehr dunkle Ölgemälde nimmt man im Freien in der Sonne auf. Die Belichtung muß bei Ölgemälden bedeutend länger, etwa 10 mal so lang als bei Aquarell- geraälden sein , da das Bindemittel der Ölfarben diese viel unaktinischer gestaltet. Es schadet im allgemeinen nichts, wenn die den Ölgemälden charakteristische Oberfläche auch auf der Reproduktion zu erkennen ist. Nötigenfalls kann man dies durch eine Zweiseitenbeleuchlung verhindern, indem man durch aufgestellte Lichtquellen das Bild gleichzeitig oder nacheinander gleich lange von rechts und von links be- leuchtet. Bei Aquarellgemälden, farbigen Drucken usw. wird man im allgemeinen keine Spiegelungen zu befürchten haben, soweit sie nicht gerade mit Lack überzogen sind. Noch weit wichtiger wie bei einfarbigen Bildern ist bei mehrfarbigen die richtige Wahl der Platten. Denn ein Ge- mälde oder ein Mehrfarbendruck wirkt im Original zum Teil durch die Farbenpracht, die aber bei der einfarbigen Repro- duktion wegfällt. Hierbei kommen nur die Tonwerte in Be- tracht. Nur wenn diese mit der optischen Helligkeit überein- stimmen, erhalten wir im allgemeinen eine einigermaßen richtige Vorstellung von dem Bilde. Mit der gewöhnlichen blauempfindlichen Bromsilberschicht werden die Farben ganz falsch in ihren Tonwerten wiedergegeben. Bei Aufnahmen von Gemälden in noch stärkerem Maße als bei solchen nach der Natur, weil die Malerfarben meist reiner als die in der Natur vorkommenden Farben sind. Die gewöhnliche Platte ist fast in allen Fällen für derartige Reproduktionen untaug- lich. Wir müssen orthochromatische Platten mit Gelbfilter verwenden; in Fällen, in denen rote Farben zur Geltung kommen müssen, sind panchromatische bzw. rotempfindliche Platten zu benutzen. Aber selbst Aufnahmen mit solchen Platten befriedigen nicht immer, wenn auch die Tonwiedergabe richtig ist, und zwar gerade dadurch. Denken wir uns den Fall, daß Dunkel- gelb und Mittelgrün nebeneinander im Original wirken und daß die Farben, was Helligkeit anbelangt, gleich sind. Bei einer tonrichtigen Wiedergabe würden wir daher keinen Unterschied wahrnehmen. Die beiden Farben, die sich im Original trotz ihrer gleichen Helligkeit deutlich unterscheiden, bilden eins. Die Reproduktion ist dadurch, also durch eine tonrichtige Wiedergabe unvollkommen. Um nun doch einen Unterschied zwischen Gelb und Grün zu erhalten, müssen wir die Tonwerte gewissermaßen fälschen, etwa das Gelb oder Grün dunkle repr Dies erreiche ■ durch ein passenües Filter. Um irgendeine Farbe dunkler zu er- halten, nehmen wir einen Filter in der Komplementärfarbe, um sie heller zu erhalten, in der gleichen Farbe. Wünschen wir also, daß das Grün dunkler kommt, so wählen wir ein rotes Filter, welches die grünen Strahlen absorbiert, dabei die gelben, orange und roten Strahlen durchläßt (also nicht etwa eine rote Dunkelkammerscheibe, die ja nur rot durch- läßt oder vielmehr durchlassen soll) oder wir wählen eine dunkelgclbe Scheibe, die sämtliche von der grünen Farbe reflektierten blauen Strahlen absorbiert. Wollen wir jedoch das Grün heller haben, so machen wir die Aufnahme durch ein Grünfilter, das die von dem Gelb reflektierten roten Strahlen unwirksam macht, so daß das Gelb dadurch weniger zur Geltung kommt. Wir können aber auch dadurch das Grün dunkler kommen lassen, indem wir eine orthochromatische Platte benutzen, die geringe oder gar keine Grünempfindlich- keit aufweist. Schließlich kann man statt eines Filters eine entsprechend farbige Beleuchtung wählen. Petroleumlicht strahlt hauptsächlich gelbe Strahlen aus, so daß wir hierbei oft ein besonderes Gelbfilter entbehren können. Wenn wir stets die W'irkung der Farben und die Wirkung der Filter bedenken, so wird man sich in den einzelnen Fällen schon zu helfen wissen. Farbige Decken, Stoffe und andere farbige Gegenstände sind im allgemeinen von dem gleichen Gesichtspunkte aus zu photographieren. Max Frank. Aufnahmen von Strichzeichnungen. Zu Aufnahmen von Strichzeichnungen werden am besten statt der gewöhnlichen Trockenplatten die sogenannten photomechanischen benutzt, die ein weit feineres Korn aufweisen, jedoch bedeutend länger (etwas— 10 mal so lange als gewöhnlich, je nach der Empfindlichkeit der benutzten Sorte) belichtet werden müssen. Doch hat dies ja bei Reproduktionen nichts zu sagen, im Gegenteil, es ist dies sogar vorteilhaft, weil wir dadurch einen größeren Spielraum in der Belichtung haben. Die photomechanischen Platten geben feine, brillante glasklare Zeichnungen auf schwarzem Grunde. Allerdings muß zuweilen das Negativ verstärkt werden. Als Entwickler ist u. a. der nachfolgende sehr zu empfehlen. Man stellt sich zwei Lösungen her; A) 250 ccm abgekochtes oder destilliertes Wasser, 25 g Natriumsulfit, 5 g Hydrochinon. B) 250 ccm abgekochtes oder destilliertes Wasser, 20 g Kaliumkarbonat (Pottasche). Zum Gebrauch nimmt man von beiden Lösungen gleiche Teile und setzt noch zu je 100 ccm 5 — 10 Tropfen einer zehnprozentigen Bromkaliumlösung zu. Fixiert wird am besten sauer. Bemerkt sei, daß, wie ja eigentlich immer, die Platten unbedingt gänzlich ausfixiert und gründlich gewässert werden müssen, weil sonst bei dem oft noch nötigen Verstärken (Bleichen in Quecksilberchlorid und Schwärzen in Ammoniak) unweigerlich Flecken entstehen. Max Frank. Inhalt: Hermann Zillig, Hanf. (3 Abb.) S. 249. E d w. Hennig, Zum Problem der Wünschelrute. S. 251. — Kleinere Mitteilungen: Fr. Nölke, Über die Hörbarkeit des Geschützdonners. S. 253. W. R. Eckardt, Weiteres zur Etho- logie und Psychologie der Anatiden, insbesondere des Schwarzschwanes. S. 254. — Einzelberichte: Ed. Huhn, Über alte Nutz- und Kulturpflanzen. S. 255. J. Dewitz und K. Börner, Serobiologischc Studien über Blattläuse und deren Wirtspflanzen. S. 257. Louis Roule, Laichwanderung der Forelle. S. 260. Schwaab, Die Bedeutung Italiens für den Vogelschutz. S^ 260. H. Gl 00s, Zur Entstehung schmaler Storungszonen. S. 261. — Bücherbesprechungen: Aus dem Leben und Wirken von Arnold Lang. S. 262. F. Th orbecke. Im Hochland von .Mittelkamerun. S. 263. Brehm's Ticrleben, Säugetiere. 4. Band. S. 263. O. Greulich, Peru, Studien und Erlebnisse. S. 263. — Anregungen und Antworten: Aufnahmen von Gemälden und anderen mehrfarbigen Bildern. S. 264. Aufnahmen von Strich- zeichnungen. S. 264. Manuskripte und Zuschriften Verden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 20. Mai 1917. Nummer 30. [Nachdruck verboten.* Grundwasser und Quellen. Von Dr. Kurt Krause, Leipzig. Mit 18 Abbildungen. Dreifach ist die Teilung des gesamten Wasser- vorrats der Erde. Von den fühlbar für den Menschen fallenden Niederschlägen verdunstet ein Drittel und trägt so zur Durchfeuchtung der alles umgebenden Luft bei; ein zweites Drittel sickert in den Boden ein und verbleibt dort, um gegebenenfalls wieder an die Oberfläche zu treten, ein letztes Drittel erst fließt oberflächlich in Wasserrinnen ab, dabei in Bächen und Flüssen die das Landschaftsbild belebenden Talformen schaffend. I. Das Grundwasser. Gräbt man im ebenen Boden des Flachlandes ein tiefes Loch in die Erde, so findet man, daß der an der Erdoberfläche meist trockene Boden mit zunehmender Tiefe feucht wird; und beim Weitergraben erreicht man eine Bodenschicht, in der das Wasser dauernd bleibt. Dieses Wasser, das unter gleichen Verhältnissen in einer be- stimmten Tiefenlage (meist 2—6 m Tiefe) und Menge angetroffen wird, ist das sogenannte Grundwasser: Dieses innerhalb der festen Erdrinde überall vorhandene Wasser, das gleichsam wie mit einer Schale den inneren Kern der Erde umgibt, verdient wegen seiner ungeheuren Menge und Wichtigkeit eine besondere Beachtung. Ver- suche, die Quantität des Wassers festzu- stellen, gehen von der Erwägung aus, daß sich unterirdisches Wasser in der ganzen Schicht der Erdrinde finden muß, deren Temperatur unter ICK)" C (Siedetemperatur) ist. Nimmt man nun als die Stufe, in der eine jedesmalige Temperatur- erhöhung von i" eintreten muß, 33 m an, so müßte sich Wasser unterirdisch bis zu 3300 m Tiefe erstrecken. Da aber mit der Tiefe der Druck wächst, und dadurch die Dampf bildung beschleunigt wird, so folgt, daß bei 18500 m das Vorhandensein von Wasser in flüssiger Form erscheinen muß. Es kann also angenommen werden, daß die Erdrinde bis zu einer Dicke von 18,5 km von Wasser durchsetzt ist. Ein franzö- sischer Forscher (Delesse 1861/62) rechnet sonach das Volumen des unterirdischen Wassers auf I 278900000 cbkm = "j,,, des RauminhaUs der Erde aus. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte der deutsche Meereskundler Krümmel- Kiel, der das oberflächliche Wasser der Erdkugel auf 1284765000 cbkm oder Vsiä der Erdkugel be- rechnete. Die Lagerung der Bodenschichten und die Beschaffenheit der Gesteine gestatten diesem Grundwasser in einer bestimmten, meist geringen Tiefe in Form eines Stromes sich anzusammeln, der immer nur die zwischen den einzelnen Ge- steinsteilchen befindlichen Hohlräume ausfüllen oder mit seiner Feuchtigkeit alles durchdringen kann, nie aber als trennende Schicht sich zwischen zwei Bodenschichten einfügt. Leicht einzusehen ist, daß das von der Erdoberfläche aus in den Boden einsickernde Wasser sich den verschie- denen Gesteinen gegenüber verschie- den verhält. Lose sandige Schichten oder Schutthalden werden das Wasser eher durchlassen als feste Gesteine, die nur von mikroskopischen Poren und Haarspalten durchzogen werden. Keine, auch die festeste Gesteinsschicht bleibt allerdings ohne Wasser, man spricht hier von sog. Berg- feuchtigkeit, bei der die Gesteine zu schwitzen scheinen. Andere Schichten wiederum sind un- durchlässig, wenn sie einmal genug Wasser in sich aufgenommen haben; hierher gehören Ton, Mergel und Lehm. Die stehenden Tümpel und Teiche in Lehmgruben besonders nach stärkeren Regenfällen bezeugen das. Nach der Lage solcher wasserundurchlässigen Schichten und der Menge des Niederschlags richtet sich nun auch die Lage des Grundwasserspiegels, jener in Abb. I. Grundwasserspiegel und Oberflächenform. Q. = Quelle. Gr. = Grundwasser. gewisser Tiefe immer vorhandenen Wasseran- sammlung. Sind solche tonige, lehmige oder mergelige Schichten unmittelbar eben an der Oberfläche gelegen, so fließt auf ihnen das Wasser kaum ab, der Boden nimmt genügend Wasser auf und wird über den Grad seiner Sättigung hinaus wieder sumpfig, schlüpfrig; ist der Boden leicht geneigt, so fließt das VVasser oberflächlich ab. In zweiter Linie hängt die Lage des Grund- wasserspiegels von der Menge der Niederschläge ab. Ein Grundwasserspiegel fehlt hier. Der Grundwasserstrom paßt sich in seiner Aus- dehnung und Lage mehr oder weniger den Ober- fläclienformen der Erde an, unter denen er in gewisser Tiefe sich hält (Abb. i). Liegen solche wasserundurchlässige Schichten in geringerer oder größerer Tiefe und sind sie überlagert von wasserdurchlässigen Schichten, so findet das durchsickernde Wasser auf ihnen den ersten Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 20 Widerstand und sammelt sich im Grund wasser- niveau. Ist der Untergrund durch eine Wechsel- lagerung von durchlässigen Gesteinen mit un- durchlässigen Ton- und Mergelschichten charakte- risiert, so sind oft mehrere Grundwasser- niveaus übereinander zu unterscheiden. Hierbei wird in der Regel nur die wasserreichste Zone, die für Brunnenanlagen besonders geeignet ist, als Grundwasser bezeichnet. Immer wird leicht durchlässiger Boden einem Schwämme gleich das Regenwasser aufsaugen und es in seinen feinen und feinsten Spalten und Röhren in die Tiefe befördern, bis eine wasserundurchlässige Schicht halt gebietet; so ist eine flächenhafte Aus- dehnung dieses Bodenwassers charakte- ristisch (Abb. 2). Angenommen ist hierbei immer, Abb. 2. Lage des Grundwasserspiegels. daß für dieses Grundwasser keine Gelegenheit zum seitlichen Entweichen gegeben ist, sei es an willkürlichen Einschnitten in die Erdoberfläche oder an besonders gelagerten Gesteinsschichten. Treten nun wasserundurchlässige Schichten, die vorher in größerer Tiefe das Grundwasser Abb. 3 a München. Auf der undurchlässigen Tonschicht des Flinz sammelt sich das durch die weithin verbreiteten Schotteranhäufungen durchgesickerte Oberflächenwasser und wird entsprechend der Lagerung und Neigung der Schichten nach N geleitet. Das Hervorquellen von Grundwasser in natürlichen Bodensenkungen kann auch die Bildung von Seen hervorrufen, wie es bei den masurischen Seen Ostpreußens besonders der Fall ist. Auf das Hervortreten des Grundwassers, das nun schwer wieder abfließen kann, gründet sich auch die Ausbreitung der großen Moore in Preußen. Es sind dies ebenso wie die auf der bayrischen Hochebene sog. Grund wassermoore oder Hochmoore. Sie treten in den Gegensatz zu den Tiefmooren, die ehemalige Seebecken erfüllen. Geologisch war für das Auftreten und die Lage des Grundwasserspiegels die Art und Be- schaffenheit der Gesteinsschichten, ihre Lagerung und ihr Verhalten zum Wasser überhaupt von Bedeutung. Fragen wir uns nach der He rku nft des Grundwassers, so kommen in erster Linie die Niederschläge in den verschiedenen Formen von Schnee und Regen in Betracht. Neben dieser direkten Zufuhr — die geleitet wird durch die der Schwerkraft folgende Bewegung in den kleinen von oben nach unten gerichteten Spalten — ist nicht außer acht zu lassen eine indirekte Zufuhr durch Zusickern aus Wasser- ansammlungen der Oberfläche, wie Bächen, Flüssen, Teichen. Beide stehen miteinander in Verbindung, und der eine Faktor ist der Versorger des anderen. .angeschwemmt Polder ~ '" Salzwasser Abb. 4. Grundwasserspiegel am Meere. Abb. 3 b. auffingen, in leichter (nach unten gerichteter) Neigung an die Erdoberfläche, so bewirken sie ein Steigen und Heraustreten des Grundwassers (sog. Grundwasserquellen) infolge der Eigenschaft, nicht nur die abwärts gerichtete Bewegung ein- zuhalten, sondern auch den Niveauveränderungen der undurchlässigen Schicht zu folgen. So ent- stehen sumpfige Stellen, Moore, die bei sinkendem oder steigendem Wasserstande ihren Grad der Durchfeuchtung ändern. Beispiele hierfür sind die Sumpflandschaften auf der bayrischen Hochebene, das Donau-Ried und Donau-Moos bei Donauwörth und Ingolstadt, oder das Erdinger und Dachauer Moos an der Amper, Wurm und Isar nördlich Einerseits strömt das Grundwasser den Flüssen zu und speist sie; es ist hierbei stets ein Steigen des Grundwasserspiegels nach den Flüssen zu zu beobachten (Abb. 3 a u. 3 b); andererseits sickert Flußwasser, wenn das Flußbett in durchlässigen Schichten gegraben ist, in großer Menge in den Boden ein und verbreitet sich in ihm gemeinsam mit dem Grundwasser. — Am Meere fehlt die Beobachtung nicht, daß die täglich zweimal wechselnde Höhe des Meeresspiegels bei Ebbe und Flut eine Veränderung des Grundwasser- spiegels bedingen (Abb. 4). Die wie überall so auch am Meeresstrande vorhandene Grundwasser- schicht verdankt ihre Entstehung dem Regen- N. F. XVI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 267 Wasser, ist also süßes Wasser; an der Küste kommt dieses Wasser unmittelbar in Berührung mit dem Salzwasser des Meeres. Dieses dringt in die dem Strande am nächsten gelegenen losen Geröll- und Sandschichten ein. Die steigende Flut drückt mehr salziges Wasser in die Dünen ein und hebt damit den auf ihm ruhenden Spiegel des süßen also leichteren Grundwassers. Beim Zurückgehen der Flut wird demnach auch dieser Grundwasserspiegel eine Abwärtsbewegung mitmachen. Unmittelbar am Meeresrande wird der Grundwasserspiegel eine konkave, d. h. nach unten gewölbte Fläche bilden, da hier der Gegen- druck des Grundwassers am geringsten sein wird. Auf den Nordseeinseln Sylt und Föhr geben die Brunnen gutes Süßwasser ; bei Muten, oder was dasselbe heißt, bei SW-Stürmen zeigen die 25 — 30 m tiefen Brunnen von den an der Nord- seite gelegenen Arten Braderup und Kampen ein Anschwellen des Wassers, ein Brausen der Luft nach oben, so daß zuweilen die Brunnendeckel abgehoben werden. Gegenteilig macht sich Ost- und Nordwind im Phallen des Wassers und einem Ziehen der Luft nach unten bemerkbar. Grund- wasserspiegel und Meer machen also die gleichen Bewegungen des Hebens und Senkens. Die Herkunft des Grundwassers aus den atmo- sphärischen Niederschlägen hat auch zur Folge, daß mit den Schwankungen in diesen solche beim Grundwasser zusammenfallen. Nach langandauerndem Regen wird sich der Grund- wasserspiegel heben, Zeiten der Regenlosigkeit werden ein Sinken desselben veranlassen. Bohrungen im Sande der Wüste ließen ihn erst in 50 m und größerer Tiefe finden. Gegenden mit starker Verdunstung (Mittelmeer, Nordafrika) werden ein Absinken des Grundwassers ebenso zu verzeichnen haben, wie Gebiete mit geringem Niederschlag. Ja, die Untersuchungen von Soyka') haben er- geben, daß die Verdunstung von so großer Be- deutung sein kann, daß sie den Gang der Grund- wasserschwankungen beeinflußt. Niederschläge und Verdunstung sind die beiden maßgebenden Faktoren für die Grundwasserverhältnisse; ihre jährliche Periode richtet sich nach demjenigen der beiden Faktoren, der die größeren jahres- zeitlichen Schwankungen aufweist. So stellt Soyka zwei Typen in München und Berlin ein- ander gegenüber. In München steigt und fällt das Grundwasser mit dem Regen, in Berlin ist es dagegen von der Verdunstung abhängig. Bei beiden steigt es im Frühling zur Zeit der Schnee- schmelze. Die beifolgende Tabelle wird das durch Zahlen erläutern. München 1856-85 Berlin 1870-85 Niederschlag Verdunstung Grundwasserhöhe Niederschlag Verdunstung Grundwasserhöhe MonatsmiUel 66,1 mm 1,60 mm 515,46 m 47.6 mm 2,71 mm 32,64 m Winter — 29,5 : — 1.33 — 0,07 — 7.2 - 1,97 + 0,03 Frühling -5.5 + o.'i + 0,04 -8,1 + 0,03 + 0,27 Sommer + 42,4 + ..69 + 0,12 + 15.3 + 2,49 1 - 0,08 Herbst — 7.3 1 —0,46 -0,0s — 0,0 - 0,54 1 - 0,22 nach Supan, Physikal. Erdkunde Das gegen teilige Verhalten de r Stationen im W nter und Sommer fällt auf. Die Bewegungen des Grundwassers sind zwiefach. Es folgt einmal der allgemeinen Schwerkraft in vertikaler Richtung und dringt so in die Tiefe ein, das andere Mal hat es eine eigene Bewegung in horizontaler Ausdehnung. Hierfür sind die impermeablen (= undurchlässigen) Schichten in ihrer Lagerung maßgebend. Das Bestreben wird stets sein, dem großen Widerstände im Boden entsprechend dem tiefsten Punkte langsam zuzustreben. Da diese tiefsten Punkte zumeist die Flüsse, überhaupt die Wasserläufe sind, macht sich ein Fließen des Grundwassers parallel dem Flusse bemerkbar; dazu kommt gleichsam als Anziehung durch das Flußwasser eine seitliche Ablenkung, die im Ansteigen des Grundwassers vom Fluß aufwärts ihren Ausdruck findet. Jedes Fließen geht mit einer bestimmten Geschwindigkeit vor sich. Beim Grundwasser steht diese in ge- radem Verhältnisse zur Höhe des Wassers und im umgekehrten zur Höhe der Bodenschicht, d. h. einmal: ist viel Grundwasser vorhanden, so findet das Fließen rascher statt oder umgekehrt, und ein andermal: in größeren Tiefen ist das Fließen langsamer als in größerer Nähe der Erdoberfläche. Man beobachtet Geschwindigkeiten von 2,51 bis 7,82 m für die Zeit eines Tages. -) Uralt ist die Kunst, Quellen zu finden. Dem Reich des Sagenhaften gehören die meisten Versuche der Art an. So, wenn Marcus Pollio V i t r u V i u s , ein Zeitgenosse des Kaisers Auguslus ') Die Schwankungen des Grundwassers, Pencks Geogr. Abb., Bd. II, Heft 3, Wien 18SS. Dr. Isid. Soyka. '-) So findet man weit sich erstreckende, unterirdische .Wasserzirkulationen bei Leipzig, in der Nähe von Naunhof, wo in einem mit Geröll verschütteten unterirdisch von der Mulde zur Elster geleiteten eiszeitlichen Wasserarme das Wasser von SO nach NW ein Grundwasserbett durchströmt; auch in der Poebcne am Fuße der Alpen und in der römischen Campagna tritt uns ähnliches entgegen; im allgemeinen da, wo mächtige Geröllmassen angehäuft sind, zumeist als Folge der Eiszeit. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 20 (i. Jahrh. n. Chr. Geb.") in seinem Buche „De architectura (über die Baukunst)" vorschlägt, sich etwas vor Sonnenaufgancr auf den Bauch zu legen und das Kinn auf den Boden stützend dort, wo man Wasser vermutet, auf das Aufsteigen von Dunstwellen zu achten, da diese sich nur da bilden können , wo tatsächlich Wasser vorhanden sei. Greifbarer ist der Gedanke, auf besondere Pflanzen zu achten, von denen man weiß, daß sie nur an feuchten Orten stehen oder fortkommen wie kleine Binsen, Weiden, Schilfe, Epheu. — Noch bis in unsere Tage hat sich ja die Wirksamkeit der sog. Wünschelrute erhalten. Als Ouellensucherin trat sie hier und da auch in unserer aufgeklärten Zeit noch in Tätigkeit. „Ein ellenlanger finger- dicker Apfelzweig sei zum Wasserspüren erforder- lich, der auf dem Rücken der flachen Hand im Gleichgewicht getragen wird, wobei man langsam sich dem Orte nähert, an dem man Wasser ver- mutet. Der Stab neigt sich alsdann zutrefi"enden Falles auf der einen Seite tief zur Erde", so lesen wir bei Roger Baco^). Wohl mag es Naturvölkern in trockenen, regenarmen Gegenden gegeben sein, Wasser zu „wittern"; für eine ergebnisversprechende Ver- wendung dieser Wünschelrute ist unser Klima zu feucht; Versuche in Schlesien, auf diese ein- fache Weise die Schätze des Bodens zu erschließen, schlugen immer fehl. Entsprechend der Tatsache, daß das Grund- wasser als zusammenhängende unterirdische Wasseransammlung den Untergrund der obersten Erdschicht mehr oder weniger durchfeuchtet, ist auch die Bedeutung des Grundwassers für die gesamte Pflanzenwelt groß. Die meisten Wurzeln von Bäumen und Sträuchern reichen bis zum Grundwasserspiegel hinab, und in der regenlosen Wüste gründen die schatten- gewährenden Palmen der Oasen ihr Dasein nur auf das Vorhandensein des Grundwassers an den Wurzeln. Für die Wasserversorgung der Großstädte kann das vorhandene Grundwasser von Nutzen sein. Quellen allein genügen, besonders im Flach- lande, nicht immer zur Deckung des Wasser- bedarfs. Nach Filtrierung des zumeist nie ganz reinen Wassers liefert es gutes Trinkwasser (Leipzig, Dresden, Berlin). Nach Pettenkofer soll der Grundwasserstand eine Rolle bei Epidemien spielen, insofern, als bei sinkendem Grundwasser- spiegel in den noch feuchten, aber gut gelüfteten Erdschichten Cholera- und Typhusbakterien be- sonders gut gedeihen sollen. Doch ist diese Theorie jetzt verlassen. Das Grundwasser ist meist vollkommen steril. Auch manche Anlage von Bergwerken und Tunnelbohrungen hat in den Grundwasserströmen nicht zu unterschätzende Schwierigkeiten zu über- winden. ') Vgl. Carus Sterne (Dr. E. Krause): Die Wahr- sagungen aus den Bewegungen lebloser Körper unter dem Einfluß der menschlichen Hand. Weimar, B. F. Vogel 1S62. 2. Die Quellen. Von Quellen spricht man überall da, wo Wasser aus der Erde an die Oberfläche tritt. Das ist z. B. der Fall schon bei den sog. Grund- wasserquellen. Es liegt auf der Hand, daß in allen von Grundwasser durchzogenen Gebieten Quellen entstehen müssen, sobald infolge größerer Unebenheiten im Bodenrelief oder auch künst- licher Einschnitte in dieses Niveau des Grund- wassers erreicht oder angeschnitten wird. Indessen, dieses aus dem Grundwasserspiegel stammende Wasser bezeichnet man im allgemeinen nicht als „Quellwasser". Vielmehr sammelt sich unter der obersten Bodenschicht, die das eigent- liche Grundwasser enthält, besonders da, wo eine Neigung der Schichten ein Tieferdringen des Sickerwassers ermöglicht, erneut Wasser, sog. Schichtwasser • — • wie es zum Unterschied vom Grundwasser genannt wird. — Da nun, wo diese Schichten zutage treten, kommt auch das Schichtwasser an die Oberfläche und bildet hier die Quellen. So steht das Vorkommen der Quellen mit dem Auftreten und der Lagerungsform der geologischen Erdschichten in Zusammenhang. Kann das Wasser z. B. in einem Berge der natürlichen Neigung der Schichten entsprechend von seinen höheren Ur- sprungsgebieten in niedrige Tallandschaften unter- irdisch zufließen, um dann beim Ausstreichen der Schicht an die Oberfläche mit dieser zutage zu treten, so haben wir eine absteigende Quelle vor uns. Anders, wenn durch innere Umlagerung der Schichten dem fließenden Wasser sich Hindernisse in den Weg stellen, die einen Druck des Wassers nach oben verursachen; dann werden wir von aufsteigenden Quellen sprechen dürfen. Wird bei wenig geneigten Schichten, die aus einer oberen Lage wasserdurchlässiger und einer unteren wasserundurchlässiger Gesteine bestehen, das Wasser gesammelt, so tritt beim Einschneiden von Tälern oder Schluchten in dieses Schicht- system diese mit Wasser gefüllte Fläche zutage, sie wird infolge ihrer gleichmäßigen Neigung das heraustretende Wasser in einem Quell- horizont haben, der eine oder mehrere Quellen = Schichtquellen aufweist. Geographisch verbreitet sind solche Quellhorizonte überall da, wo z. B. Tone oder Sandstein auf festem Untergrunde wie Granit, Gneis lagern, oder da, wo eine Wechsel- lagerung von durchlässigen und undurchlässigen Gesteinen auftritt. Der deutsche Jura, die schwä- bische Alb, die Nordvogesen, der Schwarzwald, die sächsische Schweiz sind bekannte Beispiele hierfür (Abb. 5). Lagern unter dem durchlässigen Gestein die das Wasser haltenden Schichten in Muldenform, so bilden sich beim Zutagetreten sog. Üb er fa 11s- oder Überschußquellen (Abb. 6). Es sammelt sich das Wasser an der unteren Grenze der durch- lässigen Schicht, bis die Höhe bei den Tagschichten N. F. XVI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. erreicht ist; dann erst tritt es an die Oberfläche als Quelle. Nur eine veränderte Form dieser Überfalls- quelle ist die Spalt quelle. Sie entsteht, so- bald diese muldenförmige Wasseransammlung von einer die Oberfläche durchsetzenden Spalte oder Kluft getroffen wird, an der das Wasser hervor- treten kann. Steigt eine wasserführende Schicht, bevor sie selbst zutage tritt, an, so folgt das Wasser auch dieser Gegensteigung und quillt dann vielleicht auf der Scheitelfläche einer Anhöhe empor. Es geschieht dies nach dem bekannten Gesetz der kommunizierenden Röhren, d. h. das Wasser im einen Schenkel einer gebogenen Röhre steigt ebenso hoch wie im anderen; bzw. in einem aufsteigenden Strahle, falls der eine Schenkel ge- kürzt ist (Abb. 7). Dasselbe Gesetz der beiderseitig mit gleichem Druck auf- und absteigenden Wassers ist in An- an dem das Wasser in die wasserführende Schicht einströmt. Sie führt den Namen „hydrostatische Steighöhe". Der Name dieser künstlich erbohrten Brunnen rührt her von der nordfranzösischen Landschaft Abb. .;. (Juellhoriz Schichtquelle/--^—;- 5 P a 1 1 q u e 1 1 e^^^^^l^i** >v.^^^^ Überfallsquelle fei^^^^^^' " — ° ' " -^rrn— ^^^^??äzc2?^;,^^ Abb. 6. Quellen. (Nach W. Ule.) a wasserführend. Abb. 5. Schichtquelle (Uttewalder Grund, Sachs. Schweiz) phot. K. K. Abb. S. Artesischer Brunnen. AB ^ wasserabschließende Schichten. C = wasserführende Schichten. D E ^ Brunnenanlage. EF ^ Hydrostatische Steighöhe. Wendung auch bei den sog. artesischen Brunnen (Abb. 8 u. 9). Sie finden sich da, wo eine muldenförmige Lagerung der undurchlässigen Gesteinsschichten das darunter angesammelte Wasser nicht zutage treten läßt. Die bei den Spaltquellen natürlich vorhandene Ausquellstelle muß hier künstlich geschaff'en werden. Auch in Küstenebenen, wo das Wasser in höheren sandigen Teilen der Ebene fällt, dort einsickert und als langsam sich bewegender Grundwasserstrom dieser Sandschicht folgt, die oft von wasserundurchlässigen Tonschichten begleitet ist, entstehen gleiche Ver- hältnisse, die eine Anlage solcher Quellen ermög- lichen. Der Bohrer durchfährt die obere dieser Tonschichten; dann steigt das Wasser mit starkem Druck hoch, da die Ursprungsstelle höher liegt als der Bohrort. Die Steighöhe des Wassers, das unter großem Druck lastet, entspricht ungefähr der Höhe, auf der sich derjenige Punkt befindet, Abb. 9. Artes. Brunnen im Küstengebiet. Artois (Somme-Gebiet). Hier wie in der ganzen Nordfranzösischen (Pariser) Beckenlandschaft zwingt die Lagerung der Gesteine zu solchen Bohrungen. Sie lieferten zuerst im Anfang des 12. Jahr- hunderts (11 26) den hier wassersuchenden Karthäuser-Mönchen aus Lille auf ihrem Kloster- gebiet im Artois das notwendige flüssige Element. Heute ermöglichen sie in den verschiedensten Ländern der Erde, besonders in sonst trockenen Gebieten mit Erfolg durchgeführt, Anbau und Be- 270 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 20 Siedlung durch den Menschen und machen so weite Strecken zu fruchtbaren Gefilden. Im Westen Amerikas, den sog. „Arid lands"= Trockengebieten, in Nordafrika, Abessinien, Ägypten, Australien, und auch in Wüstengebieten sind sie besonders ver- breitet. Erfahrungsgemäß fließen die meisten Quellen das ganze Jahr über, sie sind also dauernde (perennierende) Quellen; kleinere Schwan- kungen, die ohne besonderen Einfluß auf die ge- samte Wasserführung sind, finden ihre Erklärung in größeren Unterschieden von feuchten und trockenen Jahreszeiten. Im Gegensatz zu diesen immer wasserspendenden Ouelladern stehen die nur zeitweise fließenden , periodischen Quellen. Ihr Hauptverbreitungsgebiet sind einmal die Landstriche mit jahreszeitlichen Regen, so die Länder um das gesamte Mittelmeer. Mit dem Einsetzen des (zumeist starken) Regens be- ginnen auch Quellen zu fließen, sie halten nur wenig nach über das Aufhören der Niederschläge. Das Volk nennt sie zumeist Hungerquellen, weil sie in nassen Jahren besonders fließend, als Anzeichen einer schlechten Ernte betrachtet werden. Auch ist ihr Vorkommen vielfach an das Auftreten des durch zahllose Klüfte und Spalten durchsetzte Kalkgestein (Karst) gebunden. Eine dritte Unterscheidung sind die inter- mittierenden Quellen. Zwischen Zeiten des Emporquellens fallen Stunden oder auch Tage der Ruhe, des Versiegens. Nicht die Druckkraft treibt diese Quellen ans Tageslicht, oder läßt mit ihrem Aufhören auch sie nicht mehr nach oben gelangen; hier sind vielmehr innere, geologische Kräfte maßgebend. Am genauesten untersucht sind die Verhältnisse bei den heißen Spring- quellen, den Geysirs des Yellowston Parks in Nordamerika, oder auf den Inseln Island oder Neu- seeland. In diesen Quellröhren, die als Erdspalten tief ins Innere der Erde hineinragen, sammelt sich Wasserdampf an. Die nahe der Oberfläche der Erde lagernde kalte oder wenigstens kühlere Wassersäule des oberflächlich zusammengeflossenen Wassers ist in Dampf verwandelt und Reste dieser Wassersäule werden unter Brausen und Tosen bis 70 m hoch emporgeschleudert. Diese heißen Springquellen sind Begleiterscheinungen vulka- nischer Ausbrüche früherer Zeiten. Die heißen Gewässer lösen infolge ihrer chemischen Bei- mischung von Säuren die Gesteine, die sich dann als kalkhaltige Tufte oder Sinter in Kegeln oder Terrassen um die Ausbruchsstelle herum absetzen. Auf ihrem Wege aus dem Erdinneren zur Oberfläche durchflössen die zu Quellen sich ver- einenden Wasser oft eine ganze Aufeinanderfolge von Gesteinen, die, selbst nicht immer feindlich sich dem Wasser gegenüber verhaltend, dieses zu- meist stark beeinflussen in seiner Zusammensetzung. Tales sunt aquae, quales terrae, per quas fluunt, ist ein alter Satz des Plinius, d. h. die Wasser nehmen die Eigenschaft der Erdschichten an, durch die sie fließen. Daß Quellen in Salzgebieten (Steinsalz, wie Staß- furt, Leopoldshall) salzig sind, und solche, die durch eisenreiche Gesteine iliren Weg nehmen, eisenhaltig sind, ist bekannt. So kennen wir kohlensäure- haltige Quellen (Gießhübel, Bilin, Salzbrunn, Fachingen, Neuenahr, Karlsbad, Selters, Ems, Wies- baden, Nauheim, Bad Elster, Franzensbad), schwefelhaltige Quellen (Aix in Savoyen, Aachen-Burtscheid, Baden im Aargau, Baden bei Wien), Stahlqellen, deren Wasser eisenhaltig (Alexandersbad im Fichtelgebirge, Schwalbach, Spaa, Kudowa in Schlesien, St. Moritz in der Schweiz, Wildungen, die berühmten Tiroler Bäder Mitterbad im Olthentale und Ratzes am Schiern, Levico im Suganertale, Reinerz, Soden (Taunus) und Salzquellen (Aibling in Oberbayern, Hall und Zaptfeld in Württemberg, Kreuznach, Rheinfelden , Salzschlirf, Warmbrunn im Riesen- gebirge, Münster am Stein) als besonders der menschlichen Gesundheit zusagende Mineral- quellen. Sie alle verdanken ihre Heilkraft den Gesteinen, durch sie ihren langen Lauf nehmen. Damit in Zusammenhang steht auch die Temperatur der Quellen; sie kann natur- gemäß zwischen o und 100" schwanken. Die Ursprungswässer unserer Bäche und Flüsse sind alle kühl; ihr Gesamtlauf ist nur oberflächlich. Die mittlere Temperatur des Ortes ist in den meisten Fällen auch maßgebend für die mittlere Temperatur der Quellen, des Trinkwassers. Ist die Temperatur der Quelle höher als die mittlere Orts- Schnee-Berge Abb. 10. Warme Quelle im Schneegebirge. (.Mach Walt her, Vorschule der Geologie.) temperatur, so spricht man von einer Thermal- quelle oder Therme; nähert sie sich dem Siede- punkte (100" C), so nennt man sie heiße Quellen. Tunnelbohrungen, Schächte und Bohrlöcher haben nun die Tatsache erwiesen, daß beim Vor- dringen ins Erdreich die Temperatur zunimmt. Im Durchschnitt muß man nur 35 m ins Erdinnere eindringen, um ein Steigen des Thermometers um I " C zu beobachten (= geothermische Tiefen- stufe). Kommt nun das Wasser aus tieferen Ge- N. F. XVI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Steinsschichten, so muß es ungefähr die dieser Schicht entsprechende Temperatur haben. Und ganz allgemein kann man aus den tatsächlich ge- messenen Temperatur der Quelle, der mittleren Jahrestemperatur des Vorkommens und der geothermischen Tiefenstufe die Tiefe der Spalten berechnen, aus denen die Quelle stammt. Sprudel 66" mittl. Jahrestenip. = 8" geoth. Tiefenst. 35 (ö6-S)-35 = 56-35 Leicht verständlich ist sonach, wenn in Hoch- gebirgen, in denen Schneewasser ins Erdinnere eindringt und den Wasseransammlungen neuen Stoff zuführt infolge wagerechter Gesteinslagerung das Wasser am Berghang als warme Quelle zutage tritt (Abb. 10). Die Arbeit des unterirdischen Wassers. Nicht alle die Erde zusammensetzenden Gesteins- schichten gestatten in gleicher Weise dem unter- irdisch fließenden Wasser seine zerstörende Arbeit. Ostküste des adriatischen Meeres von Istrien bis nach Südbosnien und Herzegowina, Montenegro und Griechenland sich erstreckende Kalkgebiet, ist der typische Vertreter dieser Wasserarbeit unter der Erde. Oberirdisches Wassers ist im Karst nur selten anzutreffen; das im Regen fallende Wasser sinkt in dem stark zerklüfteten Boden in die Tiefe, bis es von einer undurchlässigen Schicht aufgefangen wird. In diesen Kanälen wirkt das Kluft- wasser, das wie alles Wasser Kohlensäure ent- hält, zusammen mit der chemischen Verwitterung an der Ausgestaltung der Spalten und Schichten- fugen derart, daß mehr oder weniger große Gänge und Hohlräume sich bilden. Von dieser unter- irdischen Arbeit wird die Oberfläche nicht un- beeinflußt bleiben können. Es entstehen zunächst an den Klüften und Spalten, durch die das Wasser verschwindet, kleine, rundliche Löcher im Erd- boden mit steilen Wänden. Diese zunächst kleinen rundlichen trichterförmigen Einsenkungen tragen in der Fachwissenschaft den landesüblichen Namen Doline') (Abb. 12). Die Tiefe dieser Trichter oder Sauglöcher schwankt zwischen 2 und lOO m und darüber, der Durchmesser bleibt innerhalb der Grenzen von 10 — lOOO m. Das von solchen Keprod.-Re Karstlandschaft bei St. Kanzian. Blick ins Rekatal. „Amon Re"-Verlag, Breslau, phol. 1914. Abb. 12. Große Duline mi Karst bei St. Ka Keprod. -Recht „.Amon Ke"-Verlag, Breslau, pho Festgefügte Massengesteine setzen ihm den stärk- sten Widerstand entgegen, während Sediment- gesteine, d. h. in deutlich wahrnehmbaren Schichten abgesetzte Gesteine naturgemäß eher der dauernd wirkenden Kraft des Wassers aus- gesetzt sind. Am meisten gilt das vom Kalke. Die Arbeit des Wassers ist hier eine chemische, den Kalkstein in seine einzelnen Bestandteile auf- lösende, zersetzende Tätigkeit. So werden wir in den durch das Auftreten von löslichen Gesteinen ausgezeichneten Gebieten der Erdoberfläche am besten die .Arbeitdes unterirdisch fließenden Wassers ausgebildet finden. Der Karst (Abb. 1 1 ), das an der Dohnen durchsetzte Gebiet gewährt einen selt- samen Anblick; man vergleicht es wohl zuweilen mit einem blatternarbigen Gesicht und weist da- mit zugleich auf das gesellige Auftreten dieser Karsttrichter hin; 40 — 50 solcher Dohnen sind auf I qkm gezählt worden. In ihrer Form wechseln sie zwischen der einer Schüssel — das sind die kleineren mit nur geringer Tiefe — , oder eines Trichters — hier nimmt die Tiefe ') Doline ist ein südslavisches Wort und bedeutet Tal, besonders Flußtal; das deutsche hat für Dolinen nur einen Volksnamen „Hühle", wie er im fränkischen Jura gebrauch- 272 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 20 im Verhältnis zum Durchmesser zu — , oder eines Brunnens mit steilen, senkrechten Wan- dungen. In einem gewissen Gegensatz zu diesen kleineren trichterförmigen Einsenkungen der Dohnen stehen große, flache, breitsohlige Wannen, deren Gehänge scharf sich gegenüber der Sohle absetzen. Diese lang sich hinziehenden, breiten Wannen tragen den Namen der Poljen ^). Sie zeigen eine ausgeprägte Längserstreckung, die bisweilen mit dem Streichen der geologischen Schichten verläuft. Von den Dohnen unter- scheiden sie sich besonders durch ihre größeren Ausmaße und durch das Vorhandensein einer scharf hervortretenden Bodenfläche. Es sind Hohl- formen, die man mit Längstälern vergleichen kann, nur enden sie „blind". Der Gründe für ihre Entstehung gibt es mehrere. In der Hauptsache fällt wohl die Herausarbeitung dieser flachen Wannen aus der Oberfläche zusammen mit Bewegungen der Erdrinde. So sind besonders für das Gebiet des Karstes und überhaupt der Balkanhalbinsel Einbrüche der Oberfläche vielfach bekannt. Sie haben ganze große Beckenland- schaften entstehen lassen, wie das Becken von Uesküb und das heute von der Sitniza (Neben- fluß des Ibar) durchflossene Amselfeld = Kossowo- Polje. Andere Poljen, vornehmlich kleinere, wie die sog. Rekamulde, westlich von Zirknitz in Krain, mögen wohl durch Deckeneinbrüche unter- irdischer Hohlräume entstanden sein. Einige dieser Hohlformen sind das ganze Jahr hindurch trocken, andere werden zeitweise überschwemmt, wieder andere sind beständig mit Wasser gefüllt. Die verschiedene Lage der Poljen zum Grund- wasserspiegel des Karstes ist dabei maßgebend. Die trockenen Poljen liegen so hoch, daß sie an der Zirkulation des Grundwassers keinen Anteil haben; so gehört hierher die Polje vonCetinje (Montenegro), die eine absolute Höhe von 640 m besitzt und von 100 — 150 m höheren Bergen umschlossen ist. Die zeitweise über- schwemmten Poljen sind im Vergleich zu den trocknen tiefer gelegen und werden zu be- stimmten Jahreszeiten unter Wasser gesetzt. Die AnfüUung mit Wasser fällt in die Regenzeit (Herbst) oder Schneeschmelze (Frühjahr). Der Karst von Westbosnien und die Herzegowina weisen hier- für besonders typische Beispiele auf. Die Schwan- kungen des Karstwasserspiegels, die wie überall ihre Begründung in den verschieden starken Nieder- schlägen haben, bedingen diese vorübergehend sich füllenden und wieder leerenden Poljen. Die Ent- wässerung dieser „periodisch bewässerten" Poljen erfolgt nach der Überschwemmung durch zahl- reiche Sauglöcher, sog. Ponore, die auf dem Boden des Polje ähnlich den Trichtern das Wasser in die Tiefe filtrieren, wo es in unter- irdischen Kanälen seinen Weg weiter nimmt. Das ') Eine kroatische Bezeichnung = Feld ; [z. B. Polje bekannt als „Amselfeld"], bekannteste Beispiel für eine solche zeitweise über- schwemmte Polje ist der Zirknitzer See in der Grafschaft Krain. Die Herbstregen verwandeln durch das Steigen des Grundwassers die Polje in eine weite Wasserfläche von 2100 — 5600 ha; in 2 — 3 Tagen, ja bei besonderer Heftigkeit in 24 Stunden, ist das ganze Seebecken gefüllt. Die Füllung besorgen einige zu dieser Zeit wasser- führende Flüsse, in der Hauptsache aber sog. Speilöcher (= Estavellen) im Talboden und auf den Seiten, die das Wasser zuerst ausfließen lassen, das hier im Grundwasserspiegel das Niveau der Polje erreicht. Zahlreiche Sauglöcher (nach V. Hauer') u. a. sollen es 28 sein) entwässern den See wieder, nur seine tiefsten Stellen halten in Tümpeln das Wasser das ganze Jahr über. Die Fachkritik nennt heute diese beiden Arten von Karstwannen besser „blindes Tal" oder „blindes Talbecken", da die Bezeichnung Polje nicht un- mittelbar an das Auftreten im Karstgebiet gebunden sein muß. -) Im Gegensatze zu den trocknen und zeitweise überschwemmten Poljen stehen noch die das ganze Jahr über mit Wasser gefüllten sog. S e e p o 1 j e n. Ihre Lage ist so tief, daß sie un- mittelbar mit dem Grundwasser in Verbindung stehen und hierauf ihren dauernden Wasserstand zurückführen. Der Ochridasee in Albanien und der Skutarisee an der Südgrenze Montenegros sind Beispiele solcher im Grundwasserspiegel stehenden Poljen. Trockenheit auf der Oberfläche, Reichtum an Wasser im Inneren charakterisieren den Karst. Dohnen und Poljen verdanken der Einwirkung dieses unter der Erde arbeitenden Wassers in erster Linie ihre Entstehung. Durch Sauglöcher (= Ponore), trichter- und schlotförmige Einsenkungen stehen Oberfläche und unterirdische Wassersysteme in Verbindung. In Adern und Flüssen vereinigt sich dieses unterirdische Wasser und sucht den Weg zum Meer. Den Karst- flüssen seien deshalb einige Betrachtungen ge- widmet. Gleichmäßig ausgebildete, fortlaufende Täler von der Quelle bis zur Mündung finden sich im Karste selten, die lückenhafte Ausbildung der Tallandschaften ist dem Karst eigentümlich (Abb. 1 3). Hat ein Tal vielleicht oberirdisch seinen Anfang genommen, so hört infolge des Ver- schwindens des Wassers im Gestein das Tal plötzlich auf, setzt sich aber unterirdisch als Hohl- raum (= Flußhöhle) fort. Talweitungen wechseln mit Talengen, langsam fließende Stellen mit Wasser- fällen, Seitentäler münden unterirdisch ins Haupt- tal; kurz das sonst über der Erde ausgebildete Talsystem findet sich unter der Erde wieder, nur in etwas veränderter Form. — Die zumeist ge- neigte Lagerung der Gesteinsschichten begünstigt die Arbeit des unterirdisch fließenden Wassers. Es ^) J o V. Cvijic: Karstphänomen S. 85 (301). -) In Bulgarien heißt das große Senkungsgebiet zwischen dem Balkan und der Sarnena Gora (bulgarisches MiUclgebirge) Tulovsko Polje, ohne im Karstgebiet zu liegen. N. F. XVI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 273 führt zur Bildung von Höhlen, in denen das durch die Decke eindringende Sickerwasser die märchen- haften Gebilde der Stalaktiten (von der Decke herabhängend) und Stalagmiten (vom Boden nach oben gerichtet) entstehen läßt.') Ist die schützende Decke nicht fest und stark genug, die Spannung zu- halten, so kommt es zu größeren, weitausgedehnten Einstürzen, die für die Oberflächengestaltung eines stockwerkartig übereinanderliegenden Höhlen; die unterste wird dann heute noch von einem Bache durchflössen. Über das verwickelte Flußsystem in einer Karstlandschaft mag die beifolgende Skizze (Abb. 14) eine .Anschauung geben: Der Poikbach tritt bei Adelsberg in eine Höhle ein (Abb. 1 5); er scheint manchmal im Gebirge ganz Abb. 13. Karstquelle des Dobracina bei (Tkwenizze. Reprod. -Recht „Amon Re"-Verlag, Breslau, phot. 1914. m ■^■^^^^1 H^^->m8^9 ':t .l^n^B^B .Abb. 15. l'.Kk.s.'l;«ind. v,,n Arr Adelsberger Grotte. Reprod.-Keclit ,,.\moü Ke"-Vcrlag, Breslau, phot. 1914. Dd. -Recht „.\mon Rc"-Verlag Landes Bedeutung gewinnen können. Das Bei- spiel der Rekamulde bei Zirknitz war oben schon erwähnt. Von den durch unterirdisch arbeitendes Wasser entstandenen Hohlräumen ist die Grotte von Adelsberg in Krain wohl die bekannteste. Aber das ganze Karstgebiet weist zahlreiche solche Hohlräume auf. Oft bestehen sie aus mehreren ') Das durch Kalk fließende Sickerwasser ist stark kalk- haltig; beim Herabtropfen tritt eine Verdunstung ein, so daß nur der Kalk übrig bleibt, der sich absetzt in jenen bekannten Formen, zu verschwinden; wenigstens neigt sich das die Höhlendecke bildende Gestein bis zum Wasser- spiegel herab. Der so entstehende unpassierbare Eintritt des Wassers wird S y p h o n genannt. Der unterirdische Lauf der Poik von Adelsberg bis Planina beträgt 8900 m, davon ist bis jetzt nur ein Teil genauer aufgenommen. Bei Planina tritt der sonst Poik genannte Bach wieder in der Karstwanne an die Oberfläche und fließt unter dem Namen Unz oberirdisch weiter (Abb. 16), um auf weitem flußähnlichen, unerforschten Laufe wieder 274 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 20 dem Auge zu verschwinden. Erst bei Laibach kommt der Bach wieder zu Tage und nimmt hier einen neuen dritten Namen „Laibach" an. So kann es den Anschein erwecken für den uneingeweihten Beobachter, als habe derselbe Fluß mehrere Quellen. Einige davon werden sich durch ihren Reichtum an Wasser auszeichnen ; sie finden ihre Begründung im Wiederauftauchen eines ver- schwundenen Flusses. An der Küste des Karstes, da wo die Karstflüsse sich ins Meer ergießen, treten in weiter Ausdehnung solche stark fließende Quellen auf; sie liegen entweder nur wenige Zentimeter über dem Meeresspiegel und sind so mächtig, daß sie Strömen gleich dem Schoß der Erde entquellen, oder sie mengen sich unter dem Meeres- spiegel mit dem salzigen Wasser des Meeres, sind also sog. „submarine Quellen". Solche Stellen an der Karstküste, an denen teilweise das Meerwasser oberirdisch in die Schlote und Klüfte einströmt, nennt das Volk wohl auch Meer- niühlen; die von Argostoli auf der gleich- namigen Landzunge der Insel Kephallenia sind die berühmtesten. So offenbart sich uns die Arbeit des unter- irdisch fließenden Wassers in den Kalkgebieten, für die als typischstes Beispiel der Karst gilt, als zwiefach. Sie wirkt einmal auf die Oberfläche, durch die in vertikaler Richtung vor sich gehende Bahn des Wassers in Gestalt von trichterförmigen Einsenkungen der Dohnen und Sauglöcher, der Ponore, während es an der Ausgestaltung der großen Karstwannen, der Poljen, nur geringen Anteil nimmt; das andere Mal arbeitet das Wasser durch seine chemisch lösende Kraft in Verbindung mit der horizontalen oder leicht geneigten Fließ- richtung an der Bildung von Höhlen. Sie werden sonach von Wasserläufen durchflössen, die teils oberirdische, teils unterirdische Teilwasserläufe haben. Das unzusammenhängende in der Tal- entwicklung des Karstes , das plötzliche Ver- schwinden (Schlundflüsse) und plötzliche Wieder- auftreten desselben Flusses mit vermehrter Wasser- menge ist charakteristisch. Die in den Kalkgebieten des Karstes auf- tretenden Erscheinungen als Folgen des unter- irdisch arbeitenden Wassers müssen wir füglich unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen auch in anderen Kalkgebieten der Erde finden. Es seien hier nur einige Beispiele aus euro- päischen Kalkgebieten genannt. Die dem Altertum der Erde angehörenden Kalkschichten, wie sie der flachgelagerten russischen Tafellandschaft in den baltischen Provinzen , Livland und Esthland, angehören, weisen in gleicher Weise Dohnen und Schlundflüsse und unterirdisch wasserführende Höhlen auf. Dasselbe gilt von den nur wenig jüngeren Kalksteinab- lagerungen (Devon) des Harzes, wo die Hermanns- höhle bei Rübeland, die Biels- und Baumaniishöhle zu nennen sind. Die besonders den Alpenforma- tionen angehörenden Vorkommen des Kalkes der Triasperiode (frühes Mittelalter der Erdgeschichte), wie sie im Toten-Gebirge, Dachstein und Steinernen Meere auftreten, weisen ebenfalls eine Entwicklung des Karstphänomens auf In dem Muschelkalk von Württemberg sind zahlreiche Dohnen und Höhlen eingesenkt. Und gar in der weit über Süddeutsch- land ausgebreiteten Juraformation des schwäbischen und besonders des fränkischen Jura sind die Höhlen und Grotten ein vielbesuchtes Forscher- und Wanderziel. Sie sind erst vor einiger Zeit zum Gegenstand einer genauen Untersuchung gemacht worden , die uns lehrreiche Aufschlüsse über diese Kalkhöhlen brachte. ') Typische Karst- erscheinungen finden sich auch in den Kalkland- schaften des französischen Zentralplateaus in den Gausses, jenem südlichen Jurakalkgebiet des Steil- randes der Cevennen. Zahllose Dohnen durch- löchern auch die Oberfläche des Kreidekalkes in den südlichen und nördlichen Kalkalpen und den Karpathen, besonders des Banater Gebirges und seiner südlichen Weiterbildungen in Serbien und Bulgarien. Und weiter konnte man diese Karst- erscheinungen als Wirkung des unter der Erde arbeitenden Wassers verfolgen bis zu den jüngsten Vorkommen des Kalkes, dem Korallenkalk re- zenter Koralleninseln. Bisher beschränkten wir unsere Betrachtung auf die Arbeit des unterirdischen Wassers in den Kalkgebieten und prüften hier die so entstehenden Wirkungen. Aber auch geologisch anders- geartete Gebiete bleiben nicht ver- schont von der zerstörenden Wirkung des in der Tiefe fließenden und arbeitenden Wassers. Die Tatsache, daß erdgeschichtlich bedeutsame Bergstürze und Erdrutsche nur auf die Wirkung des Schicht- und Kluftwassers zurück- zuführen sind, rechtfertigt eine kurze Betrachtung auch dieser Erscheinung. Nicht seien hier erwähnt Felsstürze und Berg- rutsche, die der Unterspülung der Talgehänge in Tälern mit starker Erosion oder zu starker Ver- witterung gewisser Gesteinspartien ihre Entstehung verdanken. Die unterirdische Wasserarbeit \'er- ursacht meist nur dann derartige Katastrophen, wenn die oben lagernden Gesteine, das sogenannte „Hangende", so stark geneigt sind, daß das Wasser an der Sohle den Zusammenhang mit den unter- lagernden Schichten, dem sogenannten „Liegenden", lösen kann. Dort, wo leicht klüftbarr- Gesteine, wie Sandsteine, Kalksteine und Dolomite mit tonigen Gesteinen wechsellagernd Taliiänge bilden, besteht bei geeigneter Neigung der Schichten nur zu oft die Gefahr des Abrutschen»; der Talhänge (vgl. Diagramm Abb. 17). Das oberirdisch fallende Wasser dringt in den Klüften ein , erweicht die Unterlage und spült sie fort; das „Hangende" kommt ins Rutschen und die stürzenden Fels- massen werden ganzen Taliandschaften zum Ver- hängnis. Aus älterer Zeit gehören hierher die Bergstürze des Vorderglärnisch (i6. Jahrhundert), ') Dr. Neischl, Die Höhlen des Frankenjuras. Doktor- arbeit. Erlangen 1903. N. F. XVI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 27s bei Chiavenna (161 8), bei Glarus (1881), in der Bocca di Brenta (1S82). Am bekanntesten und genauesten untersucht sind die Bergstürze des Roßberg bei Goldau am Lowerzer See, die von Elm bei Glarus und der alte nacheiszeitliche Bergsturz von Ulms. Der erstere soll i 5 Millionen, der zweite 10 Millionen cbm Gesteinsmasse und Schutt herabgebracht haben, und für den letzteren berechnete Heim eine Leistung von 15 cbkm = 15 Milliarden cbm transportiertes Material. Auch die in den letzten Jahren mehrfach beobachteten Bergrutsche am Hopfenberge bei Boden- bach-Tetschen sind ähnlicher Entstehung. Die Einwirkungen auf die Erdober- fläche waren zwar nur geringerer Art; immerhin war eine Straße um 50 m horizontal verschoben worden, Teiche waren gestaut, Häuser in ihren Grund- lagen erschüttert. Das ganze von den zu Tal gegangenen Wassern erfüllte Gelände machte den Eindruck eines ihm hervorquellendes, sich einen Weg bahnenden Wassers leicht ins Rutschen und breitet sich dann dem Gelände anpassend, flächenhaft aus. Das beigegebene Bild (.Abb. 1 8), aus der schwäbischen Alb stammend, vermag im kleinen das zu er- läutern. Dieser Bergsturz, der die P'orm einer Rutschungsterrasse hat, liegt in seiner Ent- stehung schon weit zurück; die Bäume weisen schon auf höheres .Alter hin. Das gleichsinnige Gefälle des Talhanges ist gestört und neue Rutschungen bereiten sich vor in kleineren , zu- nächst noch zusammenhanglosen Schuttkegeln, von denen einer ebenfalls auf dem Bilde deutlich Bergsturz bei tonigem Untergrund. Abb. 18. Rutschungsterrass. gewaltigen Schlammstromes, dessen Ober- fläche mit ihren Längs-, Quer- und Randspalten einem Gletscher sehr ähnelte. Der nieder- gegangene Berg hatte aus Tonen und Mergeln bestanden, die mit starkem Gefälle übereinander lagerten. In kleineren Ausmaßen kann man diese Rutschungen an Talhängen öfters beobachten. Der das anstehende Gestein verhüllende Schutt, der in wechselnder Mächtigkeit lagernd mit ge- ringer Vegetation bestanden ist, gerät durch unter erkennbar ist. Das Zusammenwirken mehrerer solcher rutschenden Schuttkegel kann dann zu Bergstürzen führen, die je nach der Beschaffenheit des Untergrundes reine Bergstürze mit nieder- gehenden Felsmassen sein können oder in Form von Schlammströmen sich abwärts bewegen. Von diesen Kleinformen in der Veränderung der Erdoberfläche, wie sie alUäglich sind, könnte man ungezählte Beispiele nennen. Möchte nur mehr gutes Anschauungsmaterial hierfür gesammelt werden. Einzelberichte. Chemie. Eine Reihe interessanter Mitteilungen S. 55—63 und S. 1868 — 1879, und Jahrg. 50 (1917), über die kataly tische Hydrogenisation organischer S. 305 — 307) veröffentlicht worden. Vejrbindungen mit unedlen Metallen bei Zimmer- ^yie Möglichkeit von Reduktionsreaktionen mit temperatur sind vor kurzem von C. Kelber in Hilfe von kolloidalem Platin oder Palladium nach den Ber. d. D. ehem. Gesellsch. (Jahrg. 49 (1916), den Verfahren von Paal, von Paal und Skita 276 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 20 und von Willstätter ist allgemein bekannt, und ebenso dürfte allgemein bekannt sein, daß man mit Nickel als Katalysator nach Sabatier') ähnliche Wirkungen wie mit Platin oder Palladium unter gewöhnlichem Druck und bei Zimmer- temperatur erst unter höherem Druck und bei höherer Temperatur erzielt. Kelber zeigt nun in seiner ersten Arbeit, daß man mit reduziertem Nickel gleich gute Resultate wie mit Platin oder Palladium erhält, wenn man das Nickel in ge- eigneter Weise auf einen oberflächenreichen Träger wie Infusorienerde, Florida-Bleicherde, künstliche Aluminium -Magnesium -Silikate, gewisse Kohle- sorten usw. bringt. -) Als Beispiel sei die Katalyse von Knallgas einerseits durch 0,0344 g kolloidales Palladium, neue Nickelkatalysator am besten in wässeriger oder wässerig-alkoholischer, weniger gut in rein alkoholischer oder in benzolischer oder ätherischer Lösung wirkt. Auch Eisessig ist als Lösungsmittel für Hydrogenisationen geeignet, Chloroform hin- gegen ganz ungeeignet. Wirkt nun auch das Nickel besonders gut, wenn es sich auf einem Träger befindet , so ist doch, wie schon Abbildung A zur Genüge er- kennen läßt , auch nicht auf einem Träger be- findliches Nickel keineswegs wirkungslos. So eignet sich z. B. ein durch Reduktion von basi- schem Nickelkarbonat im Wasserstoffstrom bei 310 — 320" hergestelltes Nickel in schwach alka- lisierter wässeriger oder wässerig -alkoholischer Lösung ausgezeichnet zur Hydrogenisation orga- ^■fw /. / j /, ' / / / / / / y / / / / / /V // / / / / l^'^ z^ tt inf/ wüte j Abb. A. Katalyse von Knallgas. Kurve 1 : 0,5 g Nickel, auf 4,5 g Träger bei 450° reduziert. Kurve II : 0,2 g Palladiumkolloid (= 0,0344 g Palladium). andererseits durch 0,5 g Nickel angeführt, das durch Reduktion eines auf einem Träger befind- lichen Nickelkarbonats bei 450" gewonnen ist (vgl. Abb. A). Der außerordentliche Einfluß, den der Träger auf das Reduktionsvermögen des Nickels hat, geht aus der sehr lehrreichen Abb. B hervor, nach der z. B. 0,5 g bei 450" auf einem Träger reduziertes Nickel bei der Reduktion von Zimtsäure in wässerig-alkalischer Lösung etwa die gleiche Wirkung ausüben, wie 3,0 g bei 310" reduzierten Nickels; auch der Einfluß der Tempe- ratur, bei der der Katalysator hergestellt ist, auf seine katalytische Wirksamkeit geht aus der Abbildung deutlich hervor. Aus den zahlreichen von Kelber ausgeführten Reduktionsversuchen ergibt sich ferner, daß der / 'O' / 1y y // 1 / 'ii 1 f 1 V X / // !/ ./' 1 '/ 4/ y 7/ / / 1 ' / / / / y y / Ze/t/nM/ 't/t&n iO ZO 30 fo Sä 60 70 1) Vgl. Naturw. Wochcnschr., ^ '^) Kobalt wirkt ähnlich, wenn wie Nickel. Bd. 8(1909), S. 8— 9. nicht ganz so günstig , Anlagerungen von Wasserstoff an 0,7? g in Äthylalkohol gelöster Zimtsäure. : 0,5 g Nickel auf 4,5 g Träger bei 450° reduziert. Kurve II: 3,0 g Nickel bei 310'' reduziert. Kurve 111: 3,0 g Nickel bei 450» reduziert. Kurve IV; 0,5 g Nickel bei 310" reduziert. Kurve V: 0,5 g Nickel bei 450'* reduziert. nischer Halogenverbindungen: Das Halogen wird aus der Verbindung herausgenommen und ver- einigt sich mit dem Wasserstoff zu Halogen- wasserstoff, der von der Lauge neutralisiert wird. Da das so entstandene Halogenion leicht der Menge nach bestimmt werden kann, so ist dies Verfahren als einfach und bequem auch für die Analyse organischer Halogenverbindungen zu empfehlen; seine Brauchbarkeit wird von Kelber N. F. XVI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 277 in der dritten der oben angeführten Arbeiten durch eine größere Reihe von Beleganalysen erwiesen.*) Die zweite Arbeit beschäftigt sich mit dem Einfluß von Kontaktgiften auf die katalytische Hydrogenisation mit Hilfe von Nickel. Die Ver- suche, die mit Cyankalium KCN, Blausäure HCN, Schwefelwasserstoff H.^S und Schwefelkohlenstoff CS2 als Kontaktgiften und mit Nickel, das durch Reduktion von basischem Nickelkarbonat mittels Wasserstoff I bei 450" C, II bei 310« C, III auf anorganischem Träger bei 450" C gewonnen war, durchgeführt worden sind, lieferten das überraschende Ergebnis, daß sich die drei verschiedenen Katalysatoren gegen die Kontakt- gifte insofern verschieden verhalten, als der Kata- lysator I bereits durch Spuren der Kontaktgifte vergiftet wird, Katalysator II zur Vergiftung er- heblich größerer Mengen des Giftes gebraucht und Katalysator III endlich eine erhebliche Wider- standskraft gegen die Vergiftung aufweist. Abb. C zeigt die Erscheinung am Beispiele der Ver- giftung der Katalysatoren durch Schwefelkohlen- stoff; bei den anderen Giften ist die Wirkung ganz ähnlich. Zur Erklärung dieser merkwürdigen Erscheinung bemerkt Kelber folgendes: „Die intensive Lähmung des Katalysators I durch geringe Mengen Kontaktgifte läßt sich ') Ein ähnliches Verfahren zur Bestimmung des Halogen- gehaltes organischer Verbindungen, das auf der Hydrogenisation der Verbindungen mittels palladinierten Calciumkarbonats als Katalysator beruht, ist schon vor einiger Zeit von M. Busch (Zeitschr. f. angew. Chem. Bd. 27 (1914), S. 432 und Ber. d. D. Chem. Gesellsch. 49 (1916), S. 1063) angegeben worden. dadurch erklären, daß durch das Erhitzen auf höhere Temperaturen eine Änderung der Ober- fläche der einzelnen Teilchen des Überträgers er- zielt wird und nur wenige Stellen an diesen Teilchen befähigt sind, Wasserstoff aufzunehmen und zu übertragen. Diese wenigen Punkte werden, da sie reaktionsfähiger wie das übrige Nickel sind. :iU i / ~^ ^ ^' / 'f 7 ..'-*-■ — ' ,>'•" L J / ^ .^' ■ '•-':•-' 'fa" ^U^ .>-- -K- f/asscrsfoff ",0") Abb. C. Vergiftung des Nickelkatalysators durch Schwefelkohlenstoff. (Die römischen Zahlen bezeichnen den Katalysator, der Buch- stabe a die Versuche ohne, der Buchstabe b die Versuche mit Kontaktgift. zuerst auf das Kontaktgift einwirken, und dadurch wird der gesamte Katalysator durch verhältnis- mäßig geringe Mengen Antikatalysator vergiftet werden. Katalysator II hingegen, der bei niederer Temperatur reduziert wurde, besitzt noch viele Wasserstoff übertragende Stellen an den Über- trägerteilchen und benötigt dementsprechend auch eine größere Menge Kontaktgift. Bei Katalysator III, der bei höherer Temperatur mit Wasserstoff be- handelt wurde, kann man annehrnen, daß die Gegenwart des Trägergerüstes die Änderung der Oberfläche des Katalysators verhindert." Mg. (GTC) Bttcherbesprechungen. Hartwig, Richard, Prof Dr., Lehrbuch der Zoologie. II. vermehrte und verbesserte Auflage. Mit 588 Abbildungen im Text. Jena 1916, G. Fischer. — 13,50 M. Der neue „Hertwig" hat wiederum, ohne daß dies im Umfange des Buches hervortritt, eine sorgsame Neubearbeitung, vielfach sogar erhebliche Umgestaltung erfahren. PIntsprechend dem Cha- rakter aller zoologischer Lehrbücher, der wiederum ein Ausdruck der historisch verständlichen Eigenart der zoologischen Wissenschaft ist, bilden die rein beschreibenden Teile, Morphologie, Anatomie, Entwicklungsgeschichte und vor allem die Syste- matik ganz und gar das Massiv, in das physio- logische Daten, wenn auch in den letzten Auflagen in steigendem Maße, nur eingesprengt erscheinen. Ein besonderer Abschnitt, der die allgemeinen Grundlagen der tierischen Physiologie behandelte (und der in entsprechender Form in jedem bo- tanischen Lehrbuch als selbstverständlich gilt), fehlt. Doch liegt dies, wie gesagt, in der üblichen Ab- grenzung dessen begründet, was man her- kömmlicherweise unter Zoologie und zoologischem Unterricht versteht, fällt also, solange nicht ein allgemeiner Anlaß gefühlt wird, mit diesem Her- kommen zu brechen, nicht einem einzelnen Lehr- buch zur Last. Als klar und sehr übersichtlich abgefaßtes und mit vortrefflichen, zweckmäßigen Abbildungen versehenes Lehrbuch wird sich der „Hertwig" auf unseren Universitäten noch ebenso bewähren, wie damals, als Referent mit einem früheren Ent- wicklungsstadium dieses Buches versehen zu den Füßen des Verfassers saß. Besonders ist der mäßige Preis des über 42 Bogen starken Bandes hervorzuheben. Miehe. Killermann, S., Prof D., Die Blumen des heiligen Landes. Mit einer Bestimmungs- tabelle sowie 5 Tafeln und 60 Abbildungen im Text. Leipzig 19 16, J. C. Hinrichs. — 6 M. Die wundervolle Blütenpracht des lenzlichen Palästina sowie sein übriger charakteristischer Pflanzenwuchs hat in Kill er mann einen be- 278 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 20 geisterten und geschmackvollen Schilderer gefunden. Im ersten Teile des vorliegenden Büchleins ent- wirft er, den Staffeln seiner Frühlingsfahrt folgend, floristische Bilder, die dadurch besonders anziehend sind, als der Verf. andächtig auf den Spuren der heiligen Schrift wandelnd, vielfältige Beziehungen zu ihr aufweist, die, wenn sie auch naturgemäß oft nur Vermutungen darstellen, doch seinen Schilderungen zusammen mit manchen anderen kulturhistorischen Remineszenzen besonderen Reiz verleihen. Dadurch werden diese Kapitel außer den Pilgern und gebildeten Christen, namentlich Theologen, die botanische Interessen haben, sehr willkommen sein. Der zweite Teil enthält eine Bestimmungstabelle, die zwar nicht alle, aber doch die auffälligsten sowie die kulturgeschichtlich und wirtschaftlich wichtigsten Blütenpflanzen berücksichtigt. Die Bestimmung wird durch 60 Abbildungen unterstützt und, insbesondere für Unerfahrene, durch einen zweckmäßigen Anhang erleichtert, in dem die wichtigsten Pflanzen nach auffälligen Eigenheiten ihrer Tracht angeordnet sind. Das Büchlein verdient es, für die Zeit nach dem Kriege angemerkt zu werden, wenn der Strom der Miltelmeerfahrer sich vermutlich lieber in die östlichen Länder richten wird, als wie bisher fast ausschließlich in das mittlere Gebiet. Miehe. Victor Michels. Goethe und Jena. 30 S. Jena G. Fischer. — 60 Pfg. Wenn dem heutigen Jena die aufblühende, durch Abbe ins Leben gerufene Industrie den Stempel aufgedrückt hat — führt IVI icheis in seiner Rede aus — so ist das alte Jena doch mit in erster Linie das Jena Goethes. Auch der Naturforscher wird diese Schrift mit Vergnügen lesen und aus ihr entnehmen, wie viel Goethe in Jena von den Naturwissenschaften empfangen und wie viel er ihnen gegeben hat durch Anregungen im Gespräch sowie durch Rat und Tat bei der Förderung der Institute. Für ihn haben sich in Jena „Steine und Pflanzen mit den Menschen zusammengefügt". Alexander von Humboldt hat in den Wäldern des Amazonenstromes und auf dem Rücken der Anden sich stets gehoben, gleichsam mit neuen Organen ausgerüstet gefühlt durch Goethes Naturansichten, die er in Jena kennen gelernt. Goethe war die leitende Persönlich- keit bei der Einweihung des anatomischen Kabi- netts, bei der Einrichtung des chemischen Instituts, der Sternwarte, der Veterinäranstalt, beim Ankauf des Walchschen Naturalienkabinetts, bei der Be- gründung von Professuren und in anderen Fällen mehr. Die Rede beginnt mit Goethes Jena ver- herrlichenden Versen. Sie verfehlt nicht, auch dem Dichter Goethe voll gerecht zu werden. V. Franz. Danneel, Heinrich. Elektrochemie. I. Theo- retische Elektrochemie und ihre physikalisch- chemischen Grundlagen. 186 Seiten in kl. 8" mit 16 Abbildungen im Text. III. Auflage. Sammlung Göschen Band 252. Berlin und Leipzig 1916, G.J.Göschensche Verlagshandlung, G. m. b. H. — Preis geb. i M. Das kleine Danneel'sche Lehrbuch der Elektro- chemie, dessen erste Hälfte nunmehr bereits in der dritten Auflage vorliegt, ist ein durch die Klarheit und die Exaktheit der Darstellung gleich ausgezeichnetes Werkchen, das allen denen, die Interesse für die moderne Elektrochemie haben, auf das wärmste empfohlen werden kann. — Über den Inhalt des Bändchens gibt der Untertitel genügende Auskunft. Werner Mecklenburg. Vetter, Rudolf. Beiträge zur Kenntnis der analytischen Eigenschaften der Koh- lenstoffmodifikationen und orien- tierende Versuche über ihre Ent- stehungsbedingungen. TechnischeStudien, herausgegeben von H.Simon, Heft 18. VIII und 79 Seiten. Berlin-Oldenburg 1916. Verlag von Gerhard Stalling. — Preis geh. 3,50 M. Das vorliegende Werkchen, über dessen Inhalt der Titel hinreichende Auskunft gibt, ist eine unter der Leitung von K. A. Hof mann an der Technischen Hochschule Berlin ausgeführte Disser- tationsschrift und trägt als solche einen sehr speziellen Charakter. Das wesentliche Ergebnis der Arbeit läßt sich dahin zusammenfassen, daß sich Diamant und Karborundum SiC, das bei den Versuchen zur künstlichen Herstellung von Diamant stets als — allerdings unerwünschtes — Nebenprodukt ent- steht, durch ihr Verhalten gegen ein geschmolzenes Gemisch von Natriumthiosulfat und Natriumfluorid unterscheiden : Der Diamant verhält sich gegen dieses Gemisch vollkommen passiv, während Kar- borundum von ihm glatt aufgeschlossen wird. Werner Mecklenburg. Warburg, Prof. Dr. O., Die Pflanzenwelt. 2. Band. Mit 12 farbigen, 22 schwarzen Tafeln und 292 Textabbildungen. Leipzig und Wien 1916. Bibliographisches Institut. 17 M. Die VVarburg'sche Pflanzenwelt ist eine Ergän- zung des bekannten kürzlich von Hansen neu herausgegebenen Pflanzenlebens. Während in diesem letzteren Werke das Leben der Pflanzen im Zu- sammenhange mit den natürlichen Bedingungen geschildert wurde, setzt sich das vorliegende das Ziel, die gesamte Pflanzenwelt in systematischer Anordnung darzustellen. In diesem zweiten Bande wird die erste Unterklasse der Dikotylen, die der Archichlamydeen, behandelt, die u. a. die Reihen der Polykarpicae.Rhoeadales, Rosales, Geranial es, Sa- pindales, Rhamnales, Malvales, Parietales undOpun- tiales behandelt. Es werden also hier z. B. die wich- tigen Familien der Kreuzblütler, Rosengewächse, der Hülsenfrüchtler, Wolfsmilchgewächse usw. vorge- führt. Dabei werden nicht nur die einheimischen Gewächse sondern auch die ausländischen und N. F. XVI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 279 zwar ausführUch berücksichtigt. Überall wird auf die Nutzpflanzen besonders Bedacht genommen, an deren Schilderung sich anregende Skizzen über Gewinnung und Aufbereitung der Naturprodukte sowie historische Exkurse anschließen. Dabei schöpft der Verf. vielfach aus eigener reicher Er- fahrung. Das Werk ist mit vorzüglichen Abbil- dungen ausgestattet, neben vielen Habitus- und Vegetationsbildern, die teils nach Photographien, teils nach hervorragenden Aquarellen reproduziert sind, wird eine sehr große Zahl genauer und sehr lehr- reicher Einzelbilder geboten, die auch die Blüten, Samen und Früchte veranschaulichen und eben- falls vielfach in naturgetreuen Farben wiederge- geben sind. Das Werk, das dem Verf. sowohl wie dem Verlage alle Ehre macht, ist ein schönes volkstümliches Nachschlagewerk, dessen Anschaffung sehr emp- fohlen werden kann. Miehe. E. Grimsehl, Lehrbuch der Physik. Zum Gebrauche beim Unterricht, bei akademischen Vorlesungen und zum Selbststudium. I. Band : Mechanik, Akustik und Optik. Dritte, vermehrte und verbesserte Auflage. 966 Seiten mit 1063 Figuren im Text und 2 farbigen Tafeln. Leipzig und Berlin 1914, B. G. Teub- ner. — Preis geb. 12 M. II. Band: IVIagnetismus und Elektrizität. Dritte Auflage, durchgesehen und ergänzt von J. Classen, H. Geitel, W. Hillers und W. Koch. 542 Seiten mit 517 Figuren im Text und einem Bildnis des Verf. Leipzig und Berlin 1916, B. G. Teubner. — Preis geb 8 M. Die Tatsache, daß das vorliegende Lehrbuch in der beispiellos kurzen Zeit von nur 5 Jahren bereits in dritter Auflage erscheint, macht jede besondere Empfehlung entbehrlich. Sie zeigt, daß die Darstellung des auf dem Lehrgebiet der Physik besonders verdienstvollen Verf. Vorzüge besitzt, die ihr einen ausgedehnten Interessenten- kreis erbrachten, trotzdem an Lehrbüchern der Physik kaum ein Mangel besteht. Durch die vor- treffliche Verbindung von Klarheit und höchster Anschaulichkeit mit weitgehender, auch in die quantitativen Beziehungen der Erscheinungen ein- dringenden Gründlichkeit der Behandlung unserer physikalischen Kenntnis hat Verf. ein Werk ge- schaffen, das in gleicher Weise sowohl für den Schüler als den Studierenden eine geeignete Grund- lage für das physikalische Studium darstellt. Der durch zahlreiche instruktive Abbildungen unter- stützte Hinweis auf die durch das zweckbewußte Experiment gewonnene Erfahrung bildet überall den Ausgang der Betrachtungen. An ihn schließt sich die Ableitung der quantitativen Zusammen- hänge, die selbst dem Schüler auch dort kaum Schwierigkeiten bereiten dürfte, wo die Elemente der Infinitesimalrechnung zu Hilfe genommen werden, deren innerer Sinn in jedem Einzelfall unmittelbar erkenntlich wird. Das anerkennenswerte Streben nach Vertiefung des Inhalts hat es notwendig gemacht, daß das Lehrbuch diesmal in zwei Bände geteilt wurde. Der erste, umfangreichere Band konnte vom Verf. noch kurz vor Kriegsausbruch herausgegeben werden. Gegenüber der vorhergehenden Auflage ist sein Inhalt wesentlich erweitert worden. Hin- zugekommen ist in der Mechanik ein neuer Ab- schnitt über die „Kraftübertragung". In der Lehre von den Flüssigkeiten ist das Ebbe- und Flutproblem neu und die Wirkungsweise der Turbinen ein- gehender behandelt worden. Bei den luftförmigen Körpern hat die Behandlung des Flugproblems eine wesentliche Erweiterung erfahren. Neu be- arbeitet wurde die Oberflächenspannung und Ka- pillarität und ein Teil der Wärmelehre. Wesent- liche Ergänzungen hat in der Optik die Photometrie, die geometrische Optik durch Betrachtung der Abbildung durch zentrierte, sphärische Flächen und die physikalische Optik durch eingehende Darstellung der Interferenzerscheinungen erhalten. Im Ganzen ist hierdurch und durch eine Reihe kleinerer Änderungen die Zahl der Paragraphen um 28, die Zahl der Seiten um 176, die Zahl der Figuren um 238 gegen den entsprechenden Teil der vorhergehenden Auflage vermehrt worden. Die Herausgabe des zweiten Bandes war dem Verf. leider nicht mehr vergönnt. Wenige Monate nach Ausbruch des Krieges fiel der rastlose Förderer des physikalischen Unterrichts für sein Vaterland. Die Vollendung der Neuherausgabe seines Werkes haben in dankenswerter Weise einige Fachgenossen übernommen. Veränderungen gegenüber der früheren Auflage wurden nur so- weit vorgenommen, als der P'ortschritt der Wissen- schaft es geboten erscheinen ließ. Durch die Neubearbeitung der Abschnitte über die Luft- elekirizität, die Herr Geitel übernommen hat, und über Röntgenstrahlen, Radioaktivität und die F'unkenielegraphie, die Herr H i Hers durchführte, ist die Elektrizitätslehre im wesentlichen auf den neuesten Stand der Forschung gebracht worden. Möge das Lehrbuch in weitem Umfange im Sinne seines Verf. ein P'örderer der physikalischen Kenntnis sein. A. Becker. A. Legahn, Psychologische Chemie. I. Assi- milation. Sammlung Göschen 1916. Das vorliegende Mndchen der Sammlung kann dem Mediziner und Nahrungsmittel-Chemiker als kurzes Repetitorium der physiologischen Chemie beim Studium behilflich sein. Dem Laien ist diese Darstellung wegen der Zusammendrängung der Tatsachen auf einen sehr engen Raum weniger zu empfehlen. v. Brücke. 28o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 20 Anregungen und Antworten. Zu der russischen VerviclfaUigungsmetbode. In Nr. 52 des vorigen Jahrgangs wurde unter der Überschrift: „Wie unsere Feinde rechnen" Mitteilung gemacht über Verviel- fältigungsmethoden primitiver Völker, die das Einmaleins nicht im Kopfe haben. Für die serbische Methode wurde der Beweis der Richtigkeit gefunden und mitgeteilt, für die russische aber noch keine ausreichende Erklärung. .Als Bei- spiel wurde benutzt das Produkt von 12 X "■ Die eine Zahl wird fortdauernd halbiert und (unter der Vernachlässigung der Bruchteile einer ganzen) die Quotienten nebeneinander geschrieben. Die andere Zahl aber wird immer verdoppelt und die Produkte, zu deren Erzeugung der arithmetische Verstand jener Völkerschaften ausreicht, darunter geschrieben. Also im vorliegenden Falle : 12 6 3 I II Reihe die Dann werden ausschließlich aus der unteren Zahlen, die unter einer ungeraden der oberen Reihe stehen, zusammengezählt 44 + 88=132 ist das gesuchte Produkt. Zur Erklärung nun das Folgende: Vervielfältigt wird ja auch, nämlich die Zahl 11, diesmal hintereinander mit 2, also auch mit 4 und 8. Diese beiden letzten P'aktoren aber sind zusammen 12 mit der vervielfältigt werden sollte. Dies ge- schieht also bei der primitiven Methode nacheinander anstatt auf einmal. Die beiden Produkte sind dann einfach zusammen- zuzählen. Was bei der Methode so verblüffend wirkt, ist immer die Vernachlässigung der Halben bei der fortgesetzten Teilung. Man meint, aadurch müsse eine Ungenauigkeit ein- gelührt werden, und es könne sich im Resultate nur um eine Annäherung handeln. Aber die obere Zahlenreihe dient ja nicht zur Rechnung, sondern nur als Index für diese, die lediglich in der unteren Reihe geschieht, und immer, wenn oben eine Halbe unter den Tisch fällt, dann ist auch eine Ungerade vorhanden, die die darunter stehende Zahl fi.xiert. Die Anzahl der Stellen wird vermindert, aber es findet gewisser- maßen eine Abschlagszahlung statt. Nach Besprechung mit einem Fachmann ') scheint mir aber die folgende Erklärung den Vorzug zu verdienen. Wenn es Einer in Vervielfältigung und Teilung nicht weiter gebracht hat, als mit dem Faktor 2 zu operieren, so ist für ihn schon 7 X ^ s'" Zahlenrätsel. Also kommt er, wenn er mit seiner Unwissenheit einige Genialität verbindet, auf den Gedanken, die eine Zahl mit 2 zu teilen, die andere zu vervielfältigen. Daß Produkt muß ja doch dasselbe bleiben. Der algebraische Ausdruck für diese einfache Wahrheit ist y X y = 2 X ^ ■ Tut er das einmal, so hat er 14X4. womit dem Russen aber noch nicht gedient ist. Tut er es zweimal, so hat er 28 X 2. Das geht schon eher. Aber .am leichtesten ist es, wenn er diese einseitige Vervielfältigung und Teilung so lange fortsetzt, bis durch letztere die I erreicht ist. Dann ist die vervielfältigte Zahl zugleich das gesuchte Produkt. Auf diese Weise erhält man eine ganze Reihe von Zahlen, die wir, wie die Russen zu tun pflegen, untereinander schreiben wollen , und von denen immer die obere mit der unteren vervielfältigt, dasselbe Produkt liefert: 14 2S 5() Natürlich sucht mau sich unter diesen Zahlengruppen die aus, deren einer Faktor eine i ist. Da gibt es nichts mehr zu rechnen, da die andere das gesuchte Produkt selber ist. Aber so einfach ist die Sache nur, wenn es sich um gerade Zahlen handelt. Ungerade kann man nicht ohne Bruch durch 2 teilen und auf Bruchrechnungen kann sich der nicht einlassen, der im Einmaleins noch nicht zu Hause ist. Nehmen wir den Fall 9X7- 9, durch 2 geteilt, gibt 472. Die Russen schreiben in diesem Falle einfach 4 in folgender Reihe : 9421 7 14 28 56 Nun stimmt die Sache nicht. Denn die Endzahl der unteren Reihe ist wieder 56. Welcher Fehler ist gemacht, wie kann man denselben korrigieren? 9 ist durch 2 geteilt, eine I ist übrig geblieben. Diese wurde vernachlässigt. Sie hätte mit der darunterstehenden Zahl vervielfältigt werden müssen, i X 7 = 7- Und dieser Fehler schleppt sich durch die ganze Reihe und mit diesem Betrag muß die Endzahl also vermehrt werden, wenn das richtige Ergebnis erhalten werden soll. Hier haben wir also die Erklärung für das Zusammenzählen der unteren Ziffern, die unter den ungeraden Zahlen stehen. Nur daß die Erklärung noch einer Erweiterung bedarf. Der analoge Fall mit der 9, die nicht ohne Bruch durch 2 teilbar ist, wiederholt sich auch bei der Teilung von geraden Zahlen, wie z. B. bei der 12 in unserem ersten Beispiel, nur nicht am Anfang, sondern in der Mitte der Reihe, ja bei allen geraden Zahlen, die nicht wie die 4, die 8, die 16: Potenzen von 2 sind, und damit wird das ganze Verfahren verständlich. Adolf Mayer. ') Herrn J. Dam, Direktor a. D. zu De Literatur. Kobert, Prof. Dr. R., Neue Beiträge zur Kenntnis der Saponinsubstanzen, für Naturforscher, Ärzte, Apotheker, Medi- zinalbeamte usw. I. Stuttgart '16, F. Enke. — 7,60 M. S a c h s , Dr. A., Die Bodenschätze der Erde : Salze, Kohlen, Erze, Edelsteine. Zur Einführung lür Laien und Studierende. Mit 6 Abbildungen. Leipzig und Wien '16, Fr. Deuticke. Sondermann-Dieringhausen, Dr. R., Die Woh- nungsfrage im neuen Reiche. München, E. Reinhardt. — 50 Pf. — , Die Bodentrage im neuen Reiche. Ebenda. — I M. Voss, A., Der Botanikerspiegel von 1905 und 1910, unwissenschaftlich und zweckwidrig, weil weder denk- noch folgerichtig. Eine Erinuerungsschrift zur 10. Jährung des Todestages (27. Jan. 1907) Dr. O. Kuntzes usw. Berlin '17, Vossianthus Verlag. — 2 M. Palmaer, Prof. Dr. M., Elektrolyse von Kochsalz- lösungen in Verbindung mit der Zelluloseindustrie. Stuttgart '16, F. Enke. — 3 M. Heller, Dr. G,, Über die Konstitution des Anthranils. Stuttgart '16, F. Enke. — 3 M. Inhalte Kurt Krause, Grundwasser und Quellen. (18 Abb.) S. 265. — Einzelberichte: C. Kelber, Die katalytische Hydrogenisation organischer Verbindungen mit unedlen Metallen bei Zimmertemperatur. {3 Abb.) S. 275. — Bücherbesprechungen: Richard Hertwig, Lehrbuch der Zoologie. S. 277. S. Killermann, Die Blumen des heiligen Landes. S. 277. Victor Michels, Goethe und Jena. S. 27S. Heinrich Danneel, Elektrochemie. S. 278. Rud^olf Vetter, Beiträge zur Kenntnis der analytischen Eigenschaften der Kohlenstoffmodifikationen und orientierende Versuche über ihre Entstehungsbedingungen. S. 278. O. Warburg, Die Pflanzenwelt. S. 27S. E. Grimsehl, Lehrbuch der Physik. S. 279. A. Legahn, Psychologische Chemie. S. 279. — Anreguungen und Antworten: Zu der russischen Verviellältigungsmethode. S. 280. — Literatur: Liste S. 280. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstra.ße 42, Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. erbeten Naturwissenschaftliche Wochenschrift Sonntag, den 27. Mai 1917. Nummer 21. Tanzende Fliegen. [Nachdruck verboten. | Von Dr. F. Es vergeht kein Jahr, in dem nicht von massenhaft auftretenden Insekten berichtet wird. Bald sind es Heuschrecken oder Libellen, bald Eintagsfliegen, bald Schmetterlinge wie Schwamm- spinner, Nonne und Weißlinge, oder Stechmücken, Ameisen, Maikäfer, Läuse, die in ungewohnter Zahl erscheinen und in der Tagespresse Erwähnung finden. Dazu kommt aber noch eine große Zahl anderer, die in wissenschaftlichen Abhand- lungen eine wichtige Rolle spielen. Schildläuse, Wanzen, Wicklerarten, Motten und allerlei Käfer vermehren sich zu manchen Zeiten außerordent- lich rasch und zahlreich und richten trotz ihrer geringen Größe empfindlichen Schaden an den Kulturgewächsen an. Einen oberflächlichen Be- griff von der Menge solcher Bestandsverderber gibt die Abschätzung des von ihnen verursachten Schadens. Die Nonne hat von 1845—67 in Rußland 183 Millionen Raummeter vernichtet. Der Maikäfer entzieht in Frankreich dem Staate jährlich etwa 250 Millionen Fr., in den Haupt- flugjahren sogar eine Milliarde. Im Jahre 1906 verursachte der Heu- und Sauerwurm , eine Wicklerart , in den Weinbergen der Pfalz einen Verlust von mindestens 8 Millionen M. Die Reb- laus kostete dem Staat vom Jahre 1874, wo sie vereinzelt zum ersten Male in Deutschland auf- trat, bis 1890 schon 2850000 M., bis 191O sogar 22,5 Mill. M. In manchen Fällen bleiben die Schädlinge nicht seßhaft; Nahrungsmangel oder Instinkt treibt sie weiter, sie vereinigen sich mit neuen Scharen anderer Gebiete und so entstehen Wanderzüge, die oft weite Strecken durchmessen. Die Heuschrecken sind hierfür ein Schulbeispiel. Auch der Heer- wurm, die Prozession zahlreicher Larven der Mücke Sciara Thomae L. hat eine gewisse Be- rühmtheit erlangt. Andere Insekten treten regelmäßig zu ge- wissen Zeiten in großer Zahl in Schwärmen auf, wie die Bienen und Ameisen, wenn sie zur Stockerneuerung schreiten. Verläßt der Vor- schwarm den Bienenstock, um sich eine neue Behausung zu suchen, so ist dies nichts anderes als die Gründung eines neuen Staates, denn es bleibt die junge, noch unbefruchtete Königin mit der anderen Hälfte der Arbeiterinnen und Drohnen im alten Bau zurück. Ei^ne andere, diesem Vorgang ähnliche Art von Schwärmen können wir wahrnehmen, wenn die junge Bienenkönigin ihren Begattungsausflug macht. Wie die brünstigen Hummelmännchen an besonderen Stellen sich vereinigen, um im Spiele auf begattungslustige Weibchen zu warten. Stellwaag. so wurden schon mehrmals über hohen Bäumen oder Anhöhen gewisse Sammelstellen der Drohnen beobachtet, die von der Königin im Hochzeitsfluge aufgesucht werden. Nach H. von Büttel- Reepen stellte der Amerikaner Doolittle tausende von Männchen an einem solchen Be- fruchtungsplatze fest, andere Beobachter wieder fanden zahlreiche Drohnen, die enggedrängt in dichtesten Schwärmen durch die Luft Schossen. Alle Fälle werden ganz allgemein als Schwärme bezeichnet, sie sind aber eine Summe verschieden- artigster Erscheinungen. Die außergewöhnliche Häufung der Einzelwesen ist es allein, was ihnen allen gemeisam ist, die Ursachen aber sind von Fall zu Fall verschieden. Der Grund für Massenauftreten von Insekten liegt oftmals in einer Störung jener unüberseh- baren und bis in alle Einzelheiten wohl unergründ- lichen Zahl natürlicher Faktoren, die miteinander in engster Beziehung stehen, wie die Knoten eines Netzes. Günstige Vermehrungsbedingungen für die eine Tierart, ungünstige für ihre Feinde, Nahrungs- überfluß, vermehrte Brutgelegenheit, sind auffälligere Ursachen aus der großen Summe. Wie schon er- wähnt, kann auch Nahrungsmangel die Tiere eines Gebietes vertreiben und zu anderen der gleichen Art führen, Licht kann sie anlocken und zur Ei- ablage in der Nähe veranlassen oder andere physi- kalische oder klimatische Schwankungen können ihren Einfluß geltend machen. Jedenfalls ist hier das Massenauftreten auf anormalen Bedingungen begründet. Daneben gibt es aber auch Ansammlungen, ohne daß der Komplex der biologischen Be- ziehungen gestört ist. Hier liegt die Ursache in der Fortpflanzung, wie dies oben von der Biene gestreift wurde. Es sind echte Schwärme, deren Auftreten eng mit der biologischen Eigen- art der betrefi^enden Spezies verknüpft ist. Ihnen gegenüber wird die Anhäufung zahlreicher Indi- viduen der gleichen oder verwandter Arten zum Zwecke der Begattungsvorspiele besser als Tanz bezeichnet. Während bei den meisten Insektenordnungen massenhafte Anhäufungen, Wanderzüge und Schwärme bekannt sind und Tänze nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen, sind gerade bei den Dipteren Tänze in ganz großartigem Maßstabe verbreitet. Mückentänze hat wohl jeder schon an warmen Sommerabenden im Freien in der Nachbarschaft von Weihern oder Sümpfen beobachtet. Die Zahl der Individuen, die dabei beteiligt sind, kann außer- 282 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 21 ordenthch schwanken und von wenigen bis in die Tausende und Millionen gehen. Es ist nicht ver- wunderlich, daß über besonders auffällige Vor- kommnisse schon eine ganze Literatur zusammen- gekommen ist. Die Angaben aus dem Jahre 1767 bis 1871 hat seinerzeit Weyerberg in seiner kleinen nicht allgemein bekannten Abhandlung über Fliegenschwärme gesammelt. Er führt Tänze von geradezu unglaublichem Umfang an. Ein solcher wurde unter anderem 1807 am Turm der Mariakirche in Neubrandenburg beobachtet. An- fangs glaubte man, es sei im Turm ein Brand ausgebrochen und da viel Schießpulver in der Kirche aufbewahrt wurde, verließen viele Ein- wohner sogleich die Stadt. Auch der Turm der Nicolaikirche in Hamburg schien im Juni 1858 in Rauchwolken gehüllt zu sein. Solche Tänze führen besonders die Gattungen Culex und Chironomus aus. Es sind bald dichte, bald lockere Verbände, die sich gern über her- vorragenden Punkten der Landschaft bewegen. Weyerberg führt eine Reihe anderer Fliegen an, die nicht nur im Freien, sondern auch in ge- schlossenen Räumen, mit Vorliebe unter Kuppeln tanzen. Es beteiligen sich daran Vertreter der Gattungen Musca, Chlorops und Pollenia. Während er die Mückenschwärme als gemeinschaftliche Hochzeitsreisen nach den höheren Regionen der Luft betrachtet, fehlt ihm jede Erklärung für das Auftreten dieser Fliegenschwärme, die sich fast zu jeder Jahreszeit zeigten. „Weder die veran- lassende, noch die vorbestimmende Ursache dieser Erscheinungen ist bekannt und ihre biologische Deutung daher viel schwieriger als bei den Mücken- schwärmen." Das Problem der Fliegentänze hat neuerdings Gruhl (Zeitschr. für wissensch. Insektenbiologie 1916) untersucht. Er hat die verschiedenen Tänze studiert und ihr genetisches Zustandekommen aufzuklären versucht. Nach ihm ist ein be- stimmter Zusammenhang mit dem Fortpflanzungs- geschäft unverkennbar, denn nur die Männchen führen im allgemeinen Tänze aus. Ähnliche Massentänze, wie sie Culex und Chironomus darbieten, stellte Gruhl auch bei gewissen Phoriden und Homalomyia fest. Auf- falligerweise haben die Einzeltiere stets die gleiche Richtung, sie nehmen gewissermaßen eine be- stimmte Front ein. Da diese Orientierung auch bei Windstille besteht, wird die Front nicht von Luftströmungen verursacht, obwohl natürlich starker Wind, dem die leichtbeschwingten Wesen preisgegeben sind, die Individuen veranlaßt, sich gegen ihn einzustellen und also sich ebenfalls gleichsinnig zu orientieren. Bald zeigen die Schwärme eine gewisse Ruhe, bald sind die Teilnehmer lebhafter, manchmal geht durch die Masse eine stürmische Bewegung. Auf und ab, vor und zurück geht es in unberechenbarem Flug, aber stets so, daß die allgemeine Front sich nicht verändert. Nicht immer bleibt die eigen- artige Wolke an bestimmter Stelle stehen, sie kann sich heben und senken, ja größere Strecken zurücklegen. So verfolgen sie den Menschen, der unter sie geraten ist, ein gutes Stück Weges. Für die Beurteilung der Tänze ist das Be- nehmen der Hydrotaea-Arten von Bedeutung. Die Tiere drängen sich hier nicht so dicht zu- sammen, wie eben geschildert wurde, dafür aber haben die Schwärme große Ausdehnung. Natur- gemäß geht dadurch auch die Fähigkeit, sich als Ganzes zu bewegen, verloren. Trotzdem bleibt die gleiche Front erhalten. Die Einzeltiere schweben oft längere Zeit an bestimmter Stelle, plötzlich aber beginnt ein merkwürdiger Zickzackflug, ein hastiges Jagen und die Fliege erscheint an benachbarter Stelle im Schwebeflug. Im Gegensatz zu Chironomus wird der Flug von Zeit zu Zeit unterbrochen und das Tier macht eine Ruhepause, indem es sich auf ein Blatt oder einem anderen Stützpunkt niederläßt. Ein solcher Tanz kann sich also aus drei Phasen zusammensetzen : einem Schwebeflug, einem jagenden Zickzackflug und einer Ruhe- pause. Aus ihm lassen sich die verschiedenen Arten von Fliegentänzen ableiten. Größere Museiden jagen stürmisch ohne Front, geradezu richtungslos, andere wieder führen mit kleineren Unterbrechungen nur kurze Sprünge aus wie Chloropsarten, während unsere Stuben- fliege und Homalomyia einen eigenartigen lang- samen Schwimmflug bevorzugen, der plötzlich durch rasche VVinkelflüge unterbrochen wird. Die Front braucht dabei nicht allen Tieren gemeinsam zu sein, doch ist ein Wechsel offenbar von Luft- strömungen abhängig, wobei die Stirne gegen den Wind gerichtet wird. Schwankt schon bei den Massentänzen die Individuenzahl, so werden die Schwebetänze nur von wenigen oder einzelnen Individuen ausgeführt. Wie unbeweglich stehen sie in der Luft, so rasch mit den Hügeln schlagend, daß deren Bewegungen gar nicht wahrgenommen werden können. Mit plötzlichem Ruck scheinen sie verschwunden zu sein, kehren aber mit Sicherheit wieder an ihre alte Balzstelle zurück, um neuerdings unermüdlich weiter zu tanzen. Nicht alle Dipterenmännchen führen echte Tänze aus, manche werben um das Weibchen ohne besondere Flugleistungen. Diese Balzspiele werden bei Beteiligung des Weibchens und in dessen unmittelbarer Nähe ausgeführt. Alle anderen Liebesspiele sind als Tänze oder Reigen zu bezeichnen. Gruhl teilt sie folgendermaßen ein. A. Einzeltänze oder Tänze schlechthin. Jedes Männchen tanzt für sich. 1. Schwebetanz. Die Männchen schweben allein oder in sehr geringer Anzahl in der Luft. — Voluzella, Melanostoma. B. Massentänze, Reigentänze oder Reigen. Die Männchen tanzen im Verbände. 2. Richtungsreigen, Frontreigen. Alle Männchen haben die gleiche Richtung oder Front; die Be- wegung ist teils sehr lebhaft, teils ruhig schwebend. N. F. XVI. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 283 Der Schwärm bewegt sich als zusammen- gehöriges Ganze. — Chironomiden , Phoriden, Homalomyia. 3. Schwebereigen. Wie beim Richtungsreigen besteht eine Front, jedoch sind die Schwärme ungemein ausgedehnt und bewegen sich nicht als Ganzes. Ruhiges Schweben tritt mehr in den Vordergrund. — Hydrotaea, Tabanus. 4. Schwimmflugreigen. Die Hauplbewegung ist der schwimmende Fhig in gebrochener Linie. — Homalomyia. 5. Sturmreigen. Nur stürmisches Jagen, ohne Front; hält nicht lange an. 6. Bewegungsreigen, Gegenreigen. Ein fort- währendes Jagen in zwei entgegengesetzten Rich- tungen, für welche bestimmte Bahnen innegehalten werden. Bewegung in horizontaler Ebene. — Empiden. 7. Eintagsfliegenreigen. Wie die Eintagsfliegen steigt jedes Tier für sich auf und nieder. 8. Sprungreigen. Einzelne kurze Sprünge vom Stande oder Laufen aus. Chlorops. Die Entwicklung der verschiedenen Tänze aus primitiven Anfängen und aus den einfachen Balz- spielen stellt der spekulativen Untersuchung eine schwierige Aufgabe. Leichter ist es, die einzelnen Arten von Balzspielen, die in Gegen- wart der Weibchen aufgeführt werden, auf die kurzen Vorbereitungen zur Begattung zurückzu- führen. Ich will darauf nicht näher eingehen und lieber die Entwicklung der Tänze und Reigen schildern, wie sie G r u h 1 sich vorstellt. Er geht davon aus, daß das Männchen das von ihm erwählte Weibchen, das der Begattung noch nicht geneigt ist, im Fluge verfolgt. Ahn- liche Verfolgungsflüge werden auch von Männchen ausgeführt, die vorüberfliegenden Weibchen nach- stellen. Dies ist eine nicht nur bei Fliegen wie Calliphora bekannte Erscheinung. Ich habe schon mehrmals Männchen verschiedener i lymenopteren- arten besonders von Hummeln beobachtet, wie sie einzeln oder in Gesellschaft um einen hervor- ragenden Punkt im Sonnenschein spielten und vorüberfliegende Weibchen oder auch andere Insekten eine Zeitlang verfolgten , um dann an ihren ursprünglichen Platz wieder zurückzukehren. Sicherlich ist ein solches Gebahren eine Äußerung des Geschlechtstriebes (wenn es auch manchmal stark an willkürliche Spielereien erinnert), da auch die Begattung im P"luge stattfindet. Wie bei meinen Beobachtungen werden die Verfolgungs- flüge bei Calliphora und Anthomyia von mehreren Männchen unternommen und auch von Ruhepausen unterbrochen. Verschwinden die Pausen, so ent- steht ein typischer Sturmreigen. Eine ruhigere gesellige Verfolgung wäre als Schvvimmflugreigen aufzufassen. Die Tatsache, daß bei Homalomyia Schwimmflüge und Frontreigen nebeneinander vorkommen, legt die Vermutung nahe, daß sich der Frontreigen aus den ersteren entwickelt hat. Von hier aus ist zum Schwebetanz kein großer Schritt mehr. Mag nun der Schwebereigen auf diesem Wege aus dem Verfolgungsflug entstanden sein, oder von dem Schwebetanz einzelner Individuen oder dem Eintagsfliegentanz seinen LTrsprung genommen haben, so dürften doch diejenigen Reigentänze als die höchststehenden aufzufassen sein , die wie Schwebe- und Richtungsreigen eine gemeinsame P'ront aufweisen und von zahlreichen Teilnehmern ausgeführt werden. Die hier geschilderten vielgestaltigen Reigen und Tänze bieten dem aufmerksamen Beobachter genug Anziehendes und Beachtenswertes. Und doch kommen im einzelnen noch eigenartigere Züge vor. So schildern Aldrich und Turley, daß gewisse Tanzfliegen oder Empiden, von denen oben bei dem Hinweis auf den Gegenreigen die Rede war, die Gewohnheit haben, während des Reigens Fäden zu spinnen. Bei der Art Hilara sartor Bec. ergreifen die Männchen die aus der Mundöffnung austretenden Gespinstfäden mit den Mittel- und Hinterbeinen und verweben sie zu kleinen Schleierchen. Es muß einen merk- würdigen Anblick darbieten, wenn zahllose solcher Webekünsiler in der Luft auf und nieder tanzen und ihr opalglänzendes Schleierchen ausbreiten. Eine amerikanische Art Empis hoplitea Loew spinnt sogar ganze Ballen, die wie große Ballons beim Tanze mitgeführt werden. Welchen Zweck die Männchen damit verfolgen, ist noch nicht auf- geklärt. Begattungsspiele und Tänze sind nicht nur von Fliegen, sondern auch von vielen anderen Tieren, Spinnen, Säugetieren, Vögeln und sogar von Amphibien bekannt. Stets werden sie von Männchen ausgeführt, während das umworbene Weibchen ruhig, ja manchmal wie stumpfsinnig zusieht. Merkwürdigerweise wurde nun gerade wieder bei Empiden beobachtet, daß das Weib- chen vor der Begattung eigenartige Tänze auf- führt. Die auch bei uns vorkommende Empis borealis L. tanzt im Juni in lockeren Verbänden im Sonnenschein, um auf die begattungslustigen Männchen zu warten. Diese erscheinen auch bald und jedes trägt zwischen den Mittelbeinen irgend- ein Insekt als Beutestück. Die Begattung wird nicht im Fluge, sondern auf einem Ruheplatz aus- geführt, wobei das Weibchen das ihm dargebrachte Hochzeitsgeschenk verzehrt. Dieser Vorgang ist um so auffallender, als die Empiden sonst niemals Blut saugen noch sich von Insekten ernähren. 284 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 21 [Nachdruck verboten.] England hat einen schweren Preis für diesen Krieg zu zahlen: zu allem übrigen gehen ihm nun auch noch die letzten Reste seines Waldes verloren. Nicht wie in Frankreich fallen die Wälder den unmittelbaren kriegerischen Ereig- nissen zum Opfer, wohl aber gehen sie zugrunde, weil England bedenklichsten Mangel an Holz leidet. Daß der Krieg so lange dauern und so maßlose Anstrengungen erfordern würde, hatte kein britischer Staatsmann gedacht. Schon seit die deutsche Regierung im November 19 14 Holz für Bannware erklärte, wurde die Ver- sorgung Englands mit Holz bedenklich. Einer ganzen Anzahl von Gewerbezweigen begann der Rohstoff zu fehlen, die Papierfabriken erhielten nicht mehr genug Holzpapiermasse, für die Kriegsindustrien fehlte es an Holz, so daß bei- spielsweise die Flintenschäfte bereits nach kurzer Zeit nicht mehr aus amerikanischem Nußbaum, sondern aus Mahagoni angefertigt werden mußten, das für verschiedene Luxusindustrien in England lagerte. Selbst im englischen Haushalt machte sich der Holzmangel so fühlbar, daß für das An- zünden der Kamine Brennholz bereits im Januar 191 5 nicht nur zu wesentlich höheren Preisen, sondern vielfach überhaupt nicht mehr zu haben war. Die kleinen Läden , in denen es verkauft wird, konnten regelmäßige Lieferungen von den Großhandlungen nicht mehr erhalten ; das rohe und verhältnismäßig schlechte Holz, das man dafür verwendet, kommt meist aus dem Ausland. Eine Reihe von Schulen, namentlich auf dem Lande, mußte wegen gänzlichen Mangels an Heizstoffen geschlossen werden. Selbst wenn in England noch Vorräte bestimmter Hölzer vor- handen waren , so konnten sie vielfach infolge der Frachtenstauung ihren Bestimmungsort nicht oder erst nach vielen Monaten erreichen. Auch die härtesten und feinsten Holzarten, die ur- sprünglich auf den Lagern reichlich vorhanden waren , gingen schnell auf die Neige, zumal da sie — wie in dem erwähnten Falle — für andere Zwecke verwendet werden mußten. Für Kriegszwecke fehlte es binnen kurzem bedenklich an den wichtigsten Hölzern. Bei Ausbruch des Krieges hatten z. B. die staatlichen Werften in Dover und Portsmouth nur sehr un- bedeutende Vorräte an Kiefern-, Eichen-, Eschen- und Fichtenholz. Ferner mangelte es bald an dem für die Kohlenbergwerke nötigen Grubenholz, das größtenteils eingeführt zu werden pflegt. Der Erklärung der deutschen Re- gierung vom 17. November 1914, fortan Gruben- und Papierhölzer als Feuerungsstoffe und daher als Kriegsbannware anzusehen, folgte die Tat; über die Ostsee wurde kein Schiff mehr gelassen, das Holz als Kriegsbannware führte. Verschiffungen nach neutralen Ländern wurden nicht gestört, beispielsweise nicht die er- Die Yeruichtiing des englischen Waldes. Von Dr. Ernst Schultze. hebliche schwedische Holzausfuhr nach Holland, — sobald die staatliche Versicherung abgegeben wurde, daß es sich um Lieferungen für neutrale Empfänger handelte. Die Holzausfuhr Norwegens wurde anfangs noch weniger gestört als die Schwedens. Dennoch litten die englischen Kohlen- bergwerke unter der Ostseesperre empfindlich. Großbritannien suchte seinen Holzbedarf nun namentlich in Amerika zu decken. Im P'rühling 1915 nahmen im Hafen von Brooklyn gleichzeitig 45 -Segelschiffe Holzladungen ein, von denen die meisten für England bestimmt waren. Aus Angst vor deutschen Unterseeboten griff man zu ver- schiedenen Mitteln : so glaubten die Holzausfuhr- händler von Louisiana nach einer Mitteilung des Direktors der „Great Southern Lumber Company" die Lösung dadurch gefunden zu haben, daß man mehr als ein Dutzend alter norwegischer Segel- schiffe pachtete, für die ihrer Ansicht nach die Deutschen ihre Torpedos nicht verschwenden würden. Einige Holzfirmen in Louisiana und Mississippi hatten Auftrag, 50 Millionen Raumfuß Yellow-pine zu liefern. Auch Frankreich ist an den Holzbestellungen in Nordamerika beteiligt, jedoch in weit geringerem Grade als England. Letzteres sucht sich sogar aus dem holzarmen Spanien Buchenholz zu verschaffen, da die Zufuhr aus den Ostseeländern durch den Krieg abgeschnürt war, während die Nachfrage besonders stark wurde; nun sollte ein etwa 80 Geviertkilometer großer Wald in Spanien mit bedeutenden Buchenbeständen gepachtet werden, wodurch England eine Linderung seiner Holznot erhoffte. Aber alle diese Mittel reichen nicht — England muß auch aus der eigenen National- wirtschaft hergeben, was gebraucht wird — ohne Rücksicht auf die vernichtenden WirkungendiesesRaubbaus. So zermalmt die Faust des Krieges den letzten Rest dessen, was man in England an Wäldern stehen gelassen hatte. Viel war dies an sich schon vor dem Kriege nicht. England hat wenig Holz mehr — ja es besitzt nicht einmal geschulte Holzfäller genug. Deshalb tun kanadische Soldaten diesen Dienst, indem sie in England wie in Schottland die britischen Waldungen sachgemäß niederlegen. Übt doch ein großer Teil dieser Kanadier von Hause aus den Beruf des Holzfällers oder des Forstarbeiters. Lieber wäre es England ja, könnte es das nötige Holz aus Kanada einführen — nur ist das infolge der stets wachsenden Frachtraumnot ganz unmöglich. So wird denn ein Wald nach dem anderen in England niedergelegt. Vor kurzem mußte der Park von Windsor daran glauben, der allen Londonern teuer war. Er bedeckte 730 Hektar, der Holzgehalt des zum Niederschlagen verur- teilten Teiles wurde von dem Unternehmer auf N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 285 mehr als i Million Raummeter Bauholz veran- schlagt. Um den Wald schnell und sachgemäß niederzuschlagen, fehlten indessen sogar die nötigen Werkzeuge und Maschinen. Man bezog sie aus Kanada. Und nun kreischten die Sägen, um die prächtigen Bäume zu zerkleinern und die Holznot, unter der England leidet, ein wenig zu lindern. Statt daß die Bäume von Windsor weiter ihre Äste in den Himmel strecken dürfen, werden sie nun zu Brettern und Pfählen aller Art für militärische Anlagen verarbeitet, zu Schwellen für Hisenbahnen, vor allem auch zu Grubenholz, an dem es bitterlich fehlt. England beraubt sich damit einer unersetzlichen Naturschönheit. Früher besaßen die Waldungen dort bedeutende Ausdehnung. Carlyle hat oft darüber geklagt, daß die dunklen VVälder, von denen das Land ehemals bedeckt war, beinahe völlig verschwunden sind. Einstmals rauschte Schottland „zottig und laubreich wie ein feuchter, schwarzer amerikanischer Urwald". Jetzt dagegen bedecken nur noch dessen dichte Überreste in der Gestalt von Torf den Boden. Manchmal finden sich darin ungeheure Eichenklötze. Mit der zunehmenden Ausbreitung der Land- wirtschaft wuchs auch der Viehstand, und im Frühling fraß das Vieh die neuen Schößlinge ab. Die alten Bäume, die nur eine gewisse Lebens- dauer besitzen, starben allmählich ab, und ohne daß man darauf achtete, hörte der Wald zu be- stehen auf. Vor dem Kriege betrug die von Wald be- standene Fläche in den einzelnen Teilen des Inselreichs nur noch: 5,3 7o '" England, 4,6"/,, in Schottland, 3,9"/,, in Wales, 1,5% in Irland. Größere Strecken alten Waldes findet man nur noch im schottischen Hochlande. Was in England und Irland an Waldungen besteht, ist meistens Anpflanzung aus neuerer Zeit. Das Holz, das in dem feuchten und nicht kalten Klima Groß- britanniens wächst, ist zum Teil von vorzüglicher Art. Werden doch besonders englische Eichen im Schiffbau sehr geschätzt. Dabei ist es für England noch ein besonderes Glück, daß es großen Reichtum an Steinkohlen besitzt, so daß man Holz als Feuerungsstoff nicht zu verwenden braucht. Im Mittelalter wurden die Schmelzöfen hier wie in Deutschland mit Holz gefeuert. Allmählich trat infolgedessen , verstärkt durch das angedeutete Vordringen der Landwirtschaft, in gewissen Teilen Englands Not an Brennstoffen ein, so daß schon 1354 alle Eisenausfuhr ver- boten wurde, um dadurch auch den Holzverbrauch einzuschränken. Ja es wurde 1581 die Errichtung von Eisenwerken jeder Art in der Nähe von . „London und der Themse" verboten, um die Wälder zu erhalten. Steinkohle mochte man nicht verwenden; wenigstens war sie in London höchst unbeliebt. Da sie von Newcastle aus zur See dorthin geführt wurde, bezeichnete man sie mit dem Namen „sea coal". 1620 nahm Lord Dudley in Pensnct Chase ein Patent auf Ge- winnung von Eisen und Erzgestein mittels Stein- kohle statt Holzkohle. Aber sein Erfolg rief so viele Feindseligkeiten seiner Konkurrenten hervor, daß der Steinkohlenprozeß für einige Zeit wieder aufgegeben werden mußte. Interessant ist die Tatsache, daß verschiedene englische Historiker angeben, es sei 1688 die besondere Aufgabe der spanischen Armada gewesen, die Waldungen in lingland niederzubrennen, um die Eisenproduktion dort möglichst zu vernichten. ^) Einstweilen wollte sich die Steinkohle nicht einbürgern, auch nachdem der Deutsche Blen- s t o n e (Blenstein f) in Wednesbury den Versuch gemacht halte, das Dudley 'sehe Verfahren zu verbessern. EnglischesEisen blieb teuer und schlecht, so daß man Eisen mannigfach aus dem Auslande einführte. Weil aber Holz für das in England selbst ver- hüttete Erz als Feuerungsstoff noch immer fast ausschließlich verwendet wurde, klagte ein Parla- mentsbericht des Jahres 17 19: „Die Verwüstung der Wälder durch das Plisengewerke in den Graf- schaften Warwick, Stafford, Hereford, Monumuth, Gloucester und Salop ist gar nicht zu beschreiben. Wenn nicht rechtzeitig Vorsorge getroffen wird, unser Holz vor diesen verschlingenden Öfen zu schützen, so wird kein Splitter mehr übrig bleiben für die königliche Marine oder für die Handels- schiffe." Die Ausfuhr von Eisen wurde verboten, seine Einfuhr erlaubt. Das Vorurteil gegen Stein- kohle blieb, denn „sie entwickle giftige Dämpfe, welche nicht nur der Gesundheit schädlich seien, sondern auch den Gesichtsteint verderben". Hof- staat und Parlament wünschten sich davor zu schützen, so daß mindestens 10 Meilen rund um Westminster und den Tower keine Steinkohlen- gase entwickelt werden sollten. In der Provinz aber blieb schließlich nichts anderes übrig, da der Holzverbrauch sonst allzu groß geworden wäre. Verbrauchte doch eine einzige Eisenhütte in Lamberhurst, obwohl sie wöchentlich nur 5 Tonnen Eisen erzeugte, jährlich 200 000 Klafter Holz, dar- unter herrliche Eichen. Inzwischen ist die Waldverwüstung weiter fort- geschritten, obwohl seit dem 18. Jahrhundert die Kohle als Feuerungsmaterial das Holz stark ver- drängt hat. Immerhin wird mfolge des überaus konservativen Sinnes der Engländer vielfach noch in Öfen (namentlich Kaminen) Holz gefeuert, wo man auf dem Festlande nur Kohle in die Öfen schüttet. Auch hat die Verwendung des Holzes zu zahlreichen Gebrauchsgegenständen, die man früher nicht kannte oder von denen man doch nur sehr geringe Mengen nötig hatte, zu weiterem starken Holzverbrauch geführt. Und wenn auch die Tatsache, daß der Grundbesitz zum nicht un- erheblichen Teil in den Händen jener überreichen ') Ich enti Scherzt ), S. 14 ff. e diese Angaben dem Buche Dr. K Weltindustrien. (Stuttgart, Julius Ma 286 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. Adeligen ist, die sich die Erhaltung landschaft- licher Schönheiten etwas kosten lassen können, nicht selten dazu beitrug, einzelne Wälder am Leben zu lassen, so sind doch andererseits häufig rücksichtsloser Waldverkauf und Holzschlag zu beobachten gewesen. Irland nun gar ist schon im 17. und mehr noch im i8. Jahrhundert in einer Raubbaupolitik unver- antwortlichster Art der prächtigen Waldungen be- raubt worden, die es bis dahin schmückten. Nach den blutigen Kriegszügen Cromwells wurden sie von den englischen Gewaltherren niedergehauen, entweder um verhältnismäßig geringen Erlös aus dem Holzverkauf zu ziehen, oder um Feuerungs- stoff für die britischen Gewerbe zu liefern. Der Wert der alljährlich nach England ein- geführten Holzmenge beläuft sich auf 36 Millionen Pfund Sterling. Ein Bericht des Landwirtschafts- ministeriums sagte vor einigen Jahren darüber: Die durchschnittliche jährliche Holzeinfuhr Eng- lands stellt mehr als den Gesamtwert des in England und Wales wachsenden Holzes dar, ein- schließlich des Wertes der Landflächen, auf denen es steht. Bezahlte England schon vor dem Kriege für die Einfuhr von Holz und Holzpapier- masse aus dem Ausland die gewaltige Summe von etwa 700 Millionen Mark, so hat es im Kriege dafür noch erheblich mehr opfern müssen. Was es militärisch an Hölzern aller Art braucht, kommt ihm außerordentlich teuer zu stehen — und der geringe Wald, der überhaupt noch vorhanden ist, scheint dafür zum großen Teil geopfert zu werden. Die Wie dera ufforstu ngspläne, die in England vor dem Kriege wiederholt gehegt wurden, werden nach dem Friedensschluß noch schwerer durchzuführen sein. Als Eng- land in den Krieg ging, war etwa der 20. Teil seines Bodens mit Wald bedeckt. Davon zerstört es nun durch Raubbau noch einen weiteren be- trächtlichen Teil. Kleinere Mitteilungen. über Infusorienerde (Bergmehl). In der Jetzt- zeit, in welcher die Nahrungsmittelfrage und die Frage der Ersatznährstoffe eine so große Rolle spielen, dürfte es von Interesse sein eines wohl nicht sehr bekannten Mehlstreckungsmittels Erwähnung zu tun, des sogenannten Bergmehls, das in Jahren der Not zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Gegenden als Nahrungs- be- ziehungsweise Sättigungsmittel für Menschen und Tiere verwendet wurde. ^) Das Bergmehl ist wesentlich ein Produkt von Protozoen und besteht zu einem großen Teil aus Protozoenleibern. Es ist eine mehr oder minder weiße mine- ralische Substanz, welche als lockeres, ziemlich feines Pulver gewöhnlich in den oberen Berg- schichten der verschiedenen Weltteile vorkommt. Es ward z. B. im nördlichen Sibirien, in Lappland, in der Nähe von Santa Flora in Italien und auf Isle de France gefunden. In Schweden, wo es ganz besonders massenhaft auftritt, mischten die Einwohner dasselbe schon seit langer Zeit mit Mehl und buken Brot daraus. Bei vollkommenen Mißernten wurde das Bergmehl auch ohne alle Zutat genossen oder man vermischte es mit zer- stossener Baumrinde. Von den nomadisierenden sibirischen Jagdvölkern erzählen Reisende, daß sie ebenfalls sich dieses Mehlersatzes bedienten. Weiter wird berichtet, daß im Jahre 1S32 die Einwohner der Gemeinde Degernae an der lapp- ländischen Grenze sich während der Zeit einer Nahrungsmittelnot dieses Bergmehls zum Brot- backen bedienten. Berzelius (Joh. Jak. Freiherr von, geb. 1779 zu Vävfersunda Sorgard, Schweden) untersuchte ein von der lappländischen Grenze gesammeltes Bergmehl bezüglich der darin enthaltenen Infu- sorien und stellte fest, daß von 22 der darin ent- haltenen Infusorienarten noch 3 den jetzt lebenden glichen; diese gehörten den Bacillarien an und waren von der Gattung „Navicula" (Schiffchen) und „Gomphonema" (Keilbäumchen). Teilweise kommen diese Arten in allen Kieselsintern vor, zum Teil in diesem und jenem Bergmehl, aber auch noch in allen stehenden Gewässern Europas. Die noch lebend nachweisbare „Navicula gracilis" bildet neben den übrigen Arten derselben Gattung die Hauptmasse des „Mehles", welches demnach in süßen Gewässern entsteht. ') So z. B. im dreifiigjährigen Kriege. Auch wird es z. B. in den Annalen von WiUenberg in den Jahren 1719 — 1733 erwähnt. Retzius (geb. 1796 zu Lund in Schweden) untersuchte dieses „Bergmehl" chemisch und fand darin einen geringen Teil organischen Stoffes und neben anderen Mineralsubstanzen einen großen Teil Kieselerde. Er sandte auch Bergmehl an Ehrenberg, und es ergab sich bei der Unter- suchung, daß dasselbe fast ausschließlich aus Kiesel- panzern von Bacillarien, aus einem geringen Quan- tum kieseliger Nadeln oder Mußschwämme und aus einem noch kleineren Anteil Blütenstaub von Nadelbäumen der Pinus-Gattung bestand. Auch wurde zu seiner Zeit am südlichen Rand der Lüneburger Heide ein ausgedehntes Infusorien- lager entdeckt und hat man zufolge der Mitteilung des Präsidenten des Landwirtschaftlichen Provin- zialvereins für das Fürstentum Lüneburg, des Obersten von Hammerstein, Grabungen vorge- nommen, bei denen man auf große Lager von „Erdmehl" stieß. N. F. XVI. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 287 Eine genaue Analyse des Bergmehls steht mir leider nicht zur Verfügung, da mir noch kein solches behufs Vornahme von Analysen zugegangen ist. Nach Berzelius ist aber, wie oben schon erwähnt, der Gehalt des Bergmehls an orga- nischen Substanzen ein recht geringer. Kann also das Bergmehl wegen dieses geringen Gehaltes an organischen Nährstoffen auch nicht als ein Nahrungsmittel angesehen werden, so ist es doch ein annehmbarer und wegen seines Gehaltes an Mineralsalzen nicht ganz wertloser und wie die Erfahrungen in früheren Zeiten und in gewissen Gegenden dargetan haben, ein unschädlicher bzw. nützlicher Füllstoff für den Verdauungskanal, der in Zeiten großer Not allenfalls als Mehlstreckungs- mittel in l""rage kommen kann. Wir befinden uns jedoch glücklicherweise nicht in solcher Not. Anna Hopfife. Reflexionen über zwei neue Schizophyceen- symbiosen. In dem 19 14 erschienenen Biologen- kalender von Thesing hat Dr. Vouk das Problem der Symbiosen behandelt. Abgesehen von der Erscheinung des Lichenismus sind nach dieser Darstellung die Schizophyceen nur noch in jenen Fällen als Symbionten bekannt, die als Anabaenasymbiosen der grünen Pflanzen be- zeichnet werden. Der am genauesten untersuchte Fall dieser Kategorie, die Symbiose von Anabaena in Azolla hat auf Grund experimenteller Beobach- tungen zu dem Ergebnis geführt, daß die Anabaena der Azolla Stickstofifverbindungen liefert und da- für andere Stoffe, z. B. Kohlehydrate empfängt. Seit kurzem sind nun zwei weitere Pralle von Schizophyceensymbiosen bekannt geworden, die insofern einen ganz neuen, von Vouk noch nicht behandelten Typus darstellen, als es sich um das intrazelluläre Vorkommen von Blaualgen in nicht grünen Organismen handelt, ein Vor- kommen, das Veranlassung gibt, übei die von Vouk behandelte Hypothese der Synthese von Organismen als theoretische Folgerung des Symbioseproblems weitere Überlegungen anzu- stellen. Bevor ich auf die beiden neuen Fälle von Symbiose eingehe, sei die eben angedeutete Hypothese kurz berührt. Schon Schimper kam auf die Idee, die Zelle selbst mit ihren organi- sierten Inhaltskörpern als einen symbiontischen Komplex aufzufassen. Für die Chromatophoren hat Mereschowsky diesen Gedanken näher ausgeführt und als Stützen seiner Hypothese folgende Gesichtspunkte ins Treffen geführt: 1. Die Kontinuität der Chromatophoren. 2. Die hochgradige Unabhängigkeit der Chroma- tophoren vom Zellkern. 3. Die Analogie zwischen Chr. und Zoochlorellen. 4. Das Vorkommen solcher Organismen, die man als freilebende Chromatophoren deuten könnte. 5. Cyanophyceen leben tatsächlich als Sym- bionten im Plasma. Auf den weiteren Ausbau dieser Hypothese durch Famintzin braucht hier nicht weiter ein- gegangen zu werden, da unsere beiden Fälle der- art sind, daß die Symbionten als Ersatüchromato- phoren aufgefaßt werden könnten. Das erste Beispiel betrifft die bereits im Jahre 1900 von Lauterborn entdeckte Paulinella chromatophora, einen beschälten „Rhizopoden mit blaugrünen chromatophorenartigen Ein- schlüssen", wie der Entdecker in der Überschrift der ersten über diesen Organismus veröffent- lichten Abhandlung die Paulinella bezeichnete. Lauterborn selbst hat, nachdem er aus der Regelmäßigkeit des Auftretens dieser Inhalts- körper in den 200 untersuchten Individuen und aus dem Mangel derartiger Blaualgen im Wohn- gewässer der Paulinella die Möglichkeit, es handle sich um aufgenommene Nahrungskörper au.sge- schaltet hatte, sich mit der Annahme, es handle sich um zu Chromatophoren gewordene sym- biontische Blaualgen auseinandergesetzt. Er sagt diesbezüglich: „Vielleicht aber ist übrigens der Unterschied zwischen einer symbiotisch im Plasma vegetierenden Alge und einem Chromatophor gar nicht so bedeutend." Sicher ist nach seinen Unter- suchungen, daß die blaugrünen Körper die Rolle von Chromatophoren spielen, indem sie die Pauli- nella durch ihre Assiniilationsprodukte ernähren. Dies ergibt sich schon daraus, daß kein einziges Exemplar im Protoplasma geformte, von außen aufgenommene Nahrungskörper finden ließ. Im Grunde genommen meint Lauterborn wäre bei der ganz abnorm engen Gehäusemündung die Aufnahme von geformter Nahrung von vornherein unwahrscheinlich. Die Beobachtungen Lauterborn 's haben in den letzten Jahren mehrfach Bestätigung erfahren, so daß die Annahme, Lauterborn 's Mitteilungen beträfen etwa nur eine lokale Erscheinung, aus- geschlossen ist. H immer hat im Schwarzsee bei Kitzbühel in Tirol Paulinella wiedergefunden und beobachtete im Plasma derselben viele kleine lichtbrechende Körperchen, die die Ölreaktion auf Osmiumsäure gaben. Da auch an diesem Material die Möglichkeit der Aufnahme von ge- geformter Nahrung ausgeschlossen wurde, kann dieses Öl wohl nur als Produkt der Chromato- phorentätigkeit angesehen werden. Der zweite Fall, der uns hier beschäftigen soll, wurde kürzlich von Fritz von Wettstein in der österr. botan. Zeitschr. Jahrg. 191 5 unter dem Titel: „Geosiphon, eine neue, interessante Siphonee", veröffentlicht. Auf einem mit Antho- ceros und Riccia bewachsenen Krautfeld nächst Kremsmünster in Oberösterreich entdeckte VVettstein eine Botrydiumähnliche Alge, die sich von Botrydium sogleich durch den Mangel der Chromatophoren unterschied. Der Chroma- tophorenmangel hatte bereits jene Begleiter- scheinungen gezeitigt, welche Pilze von Algen physiologisch trennen, Geosiphon besitzt keine Cellulosenmembran, sondern eine Chitinhaut. Der 288 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 21 Verlust der Chromatophoren scheint ausgeglichen durch das regelmäßige Auftreten einer Blaualge in Geosiphon, die von Wettstein als Nostoc symbioticum beschrieben wird und die gleich den blauen Inhaltskörpern von Paulinella bisher frei- lebend noch nicht angetroffen wurde. Daß dieser Nostoc assimiliert und daß Geosiphon dadurch erhalten wird, ergab die Möglichkeit, den neuen Organismus auf Knop'scher Nährlösung zu kulti- vieren. So verschieden die beiden Fälle Paulinella und Geosiphon auch sind, sie zeigen doch einen ge- meinsamen Zug, der zu Reflexionen veranlaßt. In beiden Fällen handelt es sich augenscheinlich um sekundär chlorophyllfrei gewordene Lebewesen, die den Verlust ihrer ursprünglichen assimila- torischen Inhaltskörper durch Symbiose mit Schizophyceen kompensiert haben. Bei Geosiphon ist da^ wohl im vorhinein außer Zweifel, bei Paulinella bedarf diese Behaupttmg vielleicht noch einer Begründung. Durch Paschers Unter- suchungen hat sich immer mehr die Überzeugung Bahn gebrochen, daß die rhizopodiale Organisation nicht der Ausdruck einer phylogenetisch einheit- lichen Gruppe ist, sondern eine morphologische Anpassung an eine bestimmte Lebensweise, be- sonders Ernährungsweise. Die verschiedensten Algen, zumal aber Flagellatenreihen können vor- übergehend oder dauernd in ein rhizopodiales Stadium übergehen, oft noch in ihrer anderen Organisation oder in ihren Stoffwechselverhält- nissen ihre Abstammung verratend. Selbst ge- häusebildende Rhizopoden sind von dieser Er- scheinung nicht ausgeschlossen , wie die von Chrysomonaden ableitbare Gattung Chrysothy- lakion zeigt. So dürfte die Annahme, Paulinella hätte ehe- mals ebensogut Chromatophoren besessen, auf keine allzugroßen Schwierigkeiten stoßen. Daß nun heute beide Organismen Blaualgen als Chromatophoren verwenden, könnte vielleicht durch Übertragung des Dollo'schen Gesetzes auf physiologische Vorgänge in der Stammes- geschichte unserem Verständnis näher gebracht werden. Wenn wir die Annahme machen dürften, daß die im Verlauf der Stammes- geschichte verloren gegangenen Chromatophoren ebensowenig reaktiviert werden können, wie irgendein Organ, so müßte auch bei unseren Rhizopoden bzw. unserer Siphonee nach Verlust der uisprünglichen Chromatophoren ein ganz neuer Symbiont die Assimilation übernehmen, wenn die betreffende Form ihre tierische Lebens- weise wieder aufgibt. Dieser Ausweg wäre ge- geben, wenn eine Symbiose mit einer Blaualge einträte, wodurch allerdings auch der ganze Stoff- wechsel in neue Bahnen gelenkt würde, wie die Bildung von Olkügelchen im Protoplasma von Paulinella und Geosiphon, bei letzterem von Wettstein mittels Osmiumsäure und Alkanna- tinktur nachgewiesen, zeigt. Wohl bin ich mir dessen bewußt, daß die Zusammenstellung der beiden genannten Orga- nismen als Beispiele eines gleichartigen phylo- genetischen Entwicklungsganges und die Heran- ziehung des Dollo'schen Gesetzes zur Erklärung desselben bereits in das Gebiet der gewagten Hypothesen gehört. Immerhin v'erdienen Pauli- nella und Geosiphon als Vertreter eines besonderen von Vouk noch nicht berücksichtigten Typus einer Symbiose sowie als weitere Stützen der von Schimper, Meresch o wsky und Lauter- born aufgestellen Lehre von der Chromato- phorensymbiose besondere Beachtung. Dr. V. Brehm. Einzelberichte. Physiologie Leber und Eiweißstoffwechsel. Manche Befunde ließen es schon seit langem als wahr- scheinlich erscheinen, daß die Leber Beziehungen zum Eiweißstoffwechsel besitzt. Es ist nun Berg gelungen, mit aller Sicherheit nachzuweisen, daß diese Beziehung der Leber zum Eiweißstoffwechsel wirklich vorhanden ist, und Berg ist es gleich- zeitig auch geglückt, den Mechanismus dieser Be- ziehungen aufzuklären und auf diese Weise unsere Kenntnis von der Physiologie der Leber in ganz außerordentlichem Maße zu vertiefen. Die erste Mitteilung von Berg über diese Frage datiert aus dem Jahre 191 2 '). Berg fand in den Leber- zellen vom Salamander homogene Tröpfchen, die '■) W. Berg, Über spezifische, in den Leberzellen nach lüweißfütlerung auftretende Gebilde. Anatom. Anzeiger, 42. Bd., 1912. sich mit Alkohol fixieren lassen und sich mit Pyronin leuchtend rot färben. Dieser Befund war um so auffälliger, als er nicht bei allen unter- suchten Exemplaren festzustellen war. Bei Tieren, die längere Zeit in der Gefangenschaft gehalten wurden und gehungert hatten, waren die Leber- zellen von diesen Tröpfchen völlig frei (Abb. i u. 2). Hin und wieder fanden sich in den Leberzellen von Tieren, die seit einiger Zeit in der Gefangen- schaft waren und hungerten, ähnliche Tröpfchen, die aber vollständig vakuolisiert waren. Es war nun die Frage zu entscheiden, was diese Tröpfchen zu bedeuten haben. Die Tatsache, daß sie sich in Alkohol fixieren lassen, deutet von vornherein darauf hin, daß sie nicht aus Fett bestehen können. Sie ließen sich nach der Fixation auch nicht mit Wasser auswaschen, und daraus war wiederum der Schluß zu ziehen, daß sie keine Anhäufungen N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 289 von Glykogen darstellen. Schließlich hat Berg schaft gehalten wurden, weist darauf hin, daß den Nachweis erbracht, daß diese Tröpfchen sich diese Tröpfchen in bestimmten Beziehungen zur mit Millon'schem Reagens bräunlichrot bis rot Ernährung stehen müssen. Berg fütterte nun färben, daß sie also aus Eiweiß bestehen. Salamander, die lange Zeit gehungert hatten, mit 3b. I. Lcbcrzellen von einem frisch gefangenen Feuersalamander. Fixation mit 10 "/o Formalin. Färbung mit Methylgrün- Pyronin. Nach Berg. Abb. 3. Leberzellen von einem Salamander, der gehungert hatte und dann mit Casein-|-Glykogen (resp. Traubenzucker) gefüttert wurde. Die Zellen sind von den Tröpfchen erfüllt. Nach Berg. m m i<^' ^i^ m .m ^ « ^ ^ - •^- ■ 0 Abb. 2. gehaltenen Salamander. gefangen Hehandlu ing wie in Abb. I. Man sieht hier kein. i homogenen Tröpfche n in den Zellen. Die Zellen sind dei als in .\bb. I. Nach Berg, atlich kleiner. Nach Berg. Die schon erwähnte Tatsache, daß man die Casein oder mit Froschfleisch und fand dann Tröpfchen in den Leberzellen nur dann findet, diese Tröpfchen regelmäßig in den Leberzellen wenn die Tiere frisch gefangen sind, nicht aber vor (.\bb. 3). Wurden die Tiere dagegen mit bei Tieren, die schon lange Zeit in der Gefangen- Kohlehydraten, z. B. mit Zucker oder mit Glykogen, 290 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 21 und mit Fetten, z. B. mit OUvenöl, gefüttert, so kam es niemals zur Entstehung der Tröpfchen in den Leberzellen von Tieren, die bisher ge- hungert hatten (Abb. 4). Genau denselben Be- fund konnte Berg an Fröschen, Kaninchen und Mäusen erheben. Die Befunde sagen uns, daß bei Fütterung mit Eiweiß Eiweißtröpfchen in den Leberzellen entstehen. Das Vorkommen dieser Ei weißt! öpfchen in den Leberzelien hat Berg auch für den Menschen wahrscheinlich gemacht. Welch eine Rolle im Eiweißstoffwechsel soll man nun diesen Eiweißtröpfchen in den Leber- zellen zusprechen? Bei der Beantwortung dieser Frage geht Berg von einer Reihe von Beobach- tungen chemischer Natur aus. Berg und andere haben gefunden, daß das Verhalten von genuinen Eiweißstoffen, wie Albumin, Globulin und Casein, und das der Eiweißabbauprodukte, wie Pepton und Albumose, gegenüber den üblichen Fixations- mitleln ganz verschieden ist. Die genuinen Eiweiß- stofife fallen bei der Behandlung mit den üblichen Fixationsmitteln in Form eines Niederschlages aus, der aus Teilchen zusammengesetzt ist, die an der mikroskopischen Grenze der Sichtbarkeit stehen. Das Bild eines solchen Niederschlages bietet uns das fixierte Protoplasma dar. In ganz anderer Form fallen bei der Behandlung mit Fixationsmitteln die Eiweißspaltprodukte, wie Pepton und Albumosen, aus. Sie bilden kleine Granula, die mikroskopisch sichtbar sind und die zudem in I'orm von kleinen Tröpfchen zusammen- fließen können. Diese chemischen Beobachtungen lassen sich nach Berg für die Deutung der in den Leberzellen von gut gefütterten Tieren vor- handenen Tröpfchen verwerten. Berg ist der Meinung, daß man in Analogie mit diesen Be- obachtungen die Tröpfchen in den Leberzellen als vom Protoplasma der Zelle verschieden auf- fassen muß. Sie haben Eiweißnatur, sie sind aber nicht Protoplasma - Eiweiß. Und Berg will in ihnen Speichern ngsprodukte von Eiweiß in den Leberzellen sehen.') Wir haben also nach den Befunden von Berg alle Veranlassung, uns die Beziehungen der Leber zum Eiweißstoffwechsel in ähnlicher Weise vor- zustellen wie die Beziehungen der Leber zum Kohlehydrat- und Fettstoffwechsel. In den Leber- zellen entstehen bei Eiweißfütterung Reservedepots von Eiweiß, aus denen dann das gespeicherte Material von den anderen Zellen des Körpers geholt werden kann, wenn Bedarf nach Eiweiß vorhanden ist. Auf Grund der mitgeteilten Befunde hat Berg in Gemeinschaft mit seinem Schüler Cahn-Bronnerein anderes bedeutsames Problem des Eiweißstoffwechsels angegriffen. ^) Wir wissen ') Vgl. Berg, Über den mikroskopischen Nachweis der Eiweifispeicherung in der Leber. Biochem. Zeitschr., Bd. 61, 1914. 2) W. Berg und C. Cahn -Br onn er , Über den mikroskopischen Nachweis der Eiweifispeicherung in der I,eber nach VerfüUerung von Aminosäuren. Biochem. Zeitschr., Bd. 61, 1914. heute aus den Untersuchungen von Otto Loewi, Abderhalden und seinen Mitarbeitern, daß der tierische Organismus imstande ist, eine Synthese von Eiweiß aus den Spaltungsprodukten der Eiweiß- stoffe vorzunehmen. Wir sind iinstande, Tiere in Stickstoffgleichgewicht und sogar zu Eiweiß- ansatz zu bringen, wenn wir ihnen auch keine Spur von Eiweiß zuführen, sondern sie aus- schließlich mit Aminosäuren füttern. Wenn nun bei der Fütterung von Eiweiß Eiweißtröpfchen sich in den Leber- zellen anhäufen, so muß dasselbe auch bei der Fütterung mit Aminosäuren entstehen. Der positive Ausfall des Versuches, durch Verfütterung von Aminosäuren dasselbe mikro- skopische Bild zu erzielen wie bei der Verfütterung von Eiweißstoffen, wäre uns ein erneuter und absolut sicherer Beweis für die Richtigkeit der von Abderhalden entwickelten Vorstellungen über den Eiweißstoffwechsel. Berg und Cahn- Bronner fütterten Salamander und Kaninchen, Abb. 5. Leberzellen von einem Salamander, d 17 Monate gellungert hatte und dann mit Ereptc -fGlykogen gefüttert wurde. Nach Berg und Cahn-Bronner. .\bb. 6. Leberzellen von einem Kaninchen, das 60 Stunden gehungert hatte und dann mitErepton -j- Kohlehydraten gefüttert wurde. Nach Berg und Cahn-Bronner. die längere Zeit gehungert hatten, mit Erepton, d. h. mit Rindfleisch, das durch Verdauung mit Pepsinsalzsäure, Trypsin und Erepsin bis zu den Aminosäuren aufgespalten ist und das man von den Höchster P"arbwerken beziehen kann. Schon nach einer Dauer von zwei Fütterungstagen ge- lingt es, bei Salamandern die erwähnten mit Millon'schem Reagens sich braunrot bis tot färbenden Tröpfchen nachzuweisen (Abb. 5 u. 6). Die Tröpfchen unterscheiden sich in keiner Be- ziehung von jenen, die man bei gut genährten Tieren oder bei Tieren, die mit Eiweiß gefüttert wurden, in den Leberzellen nachweisen kann. So waren durch die Versuche von Berg und Cahn-Bronner mit aller Sicherheit die Vor- stellungen bestätigt, die A b d e r h a 1 d e n auf Grund N. F. XVI. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 291 seiner zahlreichen Versuche über den Eiweiß- stoffwechsel entwickelt hat. Wir dürfen nach alledem die Leber als ein Speicher ungsorgan für Eiweiß auf- fassen. Es ist nun von großem Interesse, diese Befunde von Berg und Cahn-Bronner manchen neuen Befunden über die Resorption der bei der Verdauung von Eiweiß im Darme entstehenden Aminosäuren gegenüberzustellen. Wir wissen heute, daß die Aminosäuren als solche ins Blut gelangen können. Abderhalden und Abel in Amerika haben den sicheren Nachweis erbracht, daß das Blut Aminosäuren enthält. Trotzdem findet eine Anreicherung des Blutes mit Aminosäuren während der Verdauung und Resorp- tion nicht statt. Es wäre aber kaum wahrscheinlich, daß alle resorbierten Aminosäuren sofort an die Stellen ihres Verbrauches in den Zellen des Körpers hingelangen. Darum war von vornherein die An- nahme gegeben, daß irgendwo im Organismus Aminosäuren aus dem Blute abgefangen werden, um zum Teil zur Synthese von Vorratseiweiß Verwendung zu finden. Abderhalden hatte, zunächst noch in hypothetischer Weise, darauf hingewiesen , daß man diese Funktion des Ab- fangens von Aminosäuren und der Synthese von Vorratseiweiß vielleicht der Leber zusprechen dürfe. Zu dieser Annahme passen nun ganz aus- gezeichnet die Befunde von Berg und Cahn- Bronner, die uns ja, wie wir gesehen haben, mit Sicherheit sagen, daß die Leberzcllen im- stande sind, Aminosäuren, die aus dem Darm ins Blut gelangen, zu einer Synthese von Eiweiß zu verwenden, um dieses in Form einer Vorstufe, wenn man will, von zellspezifischem Protoplasma- eiweiß zu speichern. So sind uns die ausgezeichneten Untersuchungen von Berg und Cahn-Bronner ein neues Glied in der großen Kette der Beweise, die uns die Physiologie dafür erbracht hat, daß unser Organis- mus einer weitgehenden Synthese von hochmole- kularen Eiweißstoffen aus den Spaltungsprodukten des Eiweißes fähig ist. Und ebenso dafür, daß im Organismus indifferente Vorstufen von Eiweiß- natur, deren Vorhandensein Abderhalden auf Grund seiner eigenen Untersuchungen schon früher postuliert hatte, gespeichert werden, in- differente Eiweißstoffe, die für die einzelnen Zellen des Organismus je nach Bedarf als Bau- material verwendet werden können, indem sie zu spezifischem Organeiweiß oder spezifischem Zell- eiweiß umgebaut werden. Alex. Lipschütz. Zoologie. Neue Untersuchungen über die Nahrung des Ohrwurmes. Da der Ohrwurm (Forficula auricularia L.) ein weitverbreitetes Insekt ist, das dem Gärtner, Landwirt, Winzer, Imker auf Schritt und Tritt unter die Augen kommt und zwar häufig genug unter Verhältnissen wie in Blumen, Obst, Ähren usw., die es schwer verdächtigen, erscheint es von ganz besonderem Interesse zu erfahren , ob der braune Bursche Nutzen oder Schaden stiftet. Diese Frage zu be- antworten ist aber ganz besonders schwierig, be- sonders deshalb, weil der Ohrwurm ein aus- gesprochenes Nachttier ist, dessen unmittelbare Beobachtung sehr schwer ist. Solche Beobach- tungen haben nämlich nur dann Wert, wenn die Tiere wirklich bei der Nahrungsaufnahme ange- troffen werden. Ohne Beweiskraft sind unbedingt solche Fälle, wo man das Tier nur in der Nähe von Fraßstellen findet, wohin es sich vielleicht nur zur Tagesruhe begeben hat. Überhaupt darf man beim Ohrwurm Versteck und Nahrung nicht so ohne weiteres in Beziehung zueinander bringen. Solche unzulässigen Schlüsse sind aber oft gemacht, und die Folge ist auch, daß die Urteile der Forscher und Praktiker hier, wie selten bei einem anderen Tiere, weit auseinandergehen. Die vielen sich widersprechenden Urteile machten es bisher unmöglich klar und vorurteilsfrei zu sehen und zu einer endgültigen Entscheidung zu kommen. Um so verdienstvoller sind daher neue Be- mühungen von Prof. Dr. G. Lüstn er- Gei=enheim (Zentralblatt für Bakteriologie. IL Abt. Bd. 40, S. 4S2 — 514) in dieser weite Kreise angehende Angelegenheit endlich Klarheit zu schaffen. Wie notwendig das war, mögen einige der vielen An- gabe über das Tier beweisen, die sich in der weit- zerstreuten Literatur finden. Da soll der Ohrwurm Zwetschen, Aprikosen, Birnen, Apfel angehen, Möhrenwurzeln und Steck- rüben anfressen , Mais- und Roggenkörner aus- höhlen, halbreife Möhrensamen fressen, Nelken, Georginen u. a. Zierblumen zerfressen, Honig naschen. Raupen und Puppen fressen („da er sich zwischen Blättern mit zugrunde gegangenen Raupen und Puppen findet"). Auch andere In- sekten, tote und lebende, soll er nicht verschmähen, wie Blattläuse, Ameisenpuppen, Puppen von Schlupfwespen, tote Ohrwürmer, seine eigene Brut, Kohlweißlingpuppen, Erdflöhe, Goldafter, Ringelspinner, Schwammspinner usw. Er soll ferner zarte Bohnen- und Petersilien- blätter annagen und Kartoffelbüsche völlig kahl fressen. Er soll zwar meist pflanzliche Stoffe ge- nießen, aber gelegentlich auch tierische Kost nicht verachten. Einer hält ihn für „einen unter nor- malen Verhältnissen fast ausschließlichen Tierstoff- fresser". Einer vermutet in ihm einen „reinen Pflanzenfresser". Wieder einer (Reh) urteilt: „In der Nahrung ist der Ohrwurm äußerst polyphag: lebende und tote, pflanzliche und tierische Stoffe, daher das Urteil je nach dem Beobachter so sehr verschieden ist." Die Ansichten über seinen Nutzen und Schaden gehen bei dieser Mannigfaltigkeit der Angaben über seine Nahrung naturgemäß auch weit aus- einander. So kommt von Schilling zu folgen- dem Ergebnis: „Der Schaden, den dieses Insekt . . . hervorruft, wiegt auch nicht im entferntesten seinen ungeheuren Nutzen für die Allgemein- heit auf . . ." Andere wieder halten ihn, besonders 292 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 21 infolge seiner aiigebliclien Vorliebe für Obst, Ge- müse, Blumen „für einen großen Schädling", der möglichst auszurotten sei. Andere wieder sehen in ihm einen „harmlosen Burschen", der höchstens mal lästig werden könne. Der Weg nun, den Lüstner einschlägt, um in dieses VVirrwarr der Meinungen System zu bringen, ist die Methode der Magen Unter- suchungen, oder in diesem Falle besser der Kropfuntersuchungen. Es ist dies eine Forschungs- methode, die sich mehr und mehr auch im Insektenstudium bewährt, nachdem sie längst mit gutem Erfolg z. B. bei Untersuchungen über die Nahrung der Vögel oder auch anderer Tiere an- gewendet worden ist. Diese Art, die natürliche Gesamtnahrung sicher festzustellen, ist ge- legentlichen Beobachtungen oder gar Fütterungs- versuchen weit überlegen, denen übrigens eine ganze Reihe der oben zitierten, sicher falschen Urteile entstammen, und die mehr oder weniger nur unter Zwangsverhältnissen vorgenommen werden können. Untersuchungen des Verdauungs- apparates müssen aber unbedingt, wenn nur eine genügend große Anzahl gemacht werden, zu richtigen Ergebnissen führen, an „denen nicht mehr gedreht und gedeutelt werden kann". Im einzelnen verfuhr Lüstner nun wie folgt: Es wurden Ohrwürmer in ausgelegten Obst- madenfallen an möglichst verschiedenen Örtlich- lichkeiten gefangen und die Tiere möglichst früh- morgens, ehe noch eine zu weitgehende Ver- dauung eingesetzt hatte, in Äther getötet. Dann wurde der Kropf — hier ist die Nahrung besser als im Magen zu erkennen — durch Zerreißen des Tieres freigelegt, in einem Tropfen Wasser sauber ausgedrückt und mikroskopiscli untersucht. Auf diese Weise konnten folgende Untersuchungs- ergebnisse gewonnen werden. Zunächst wurden 30 Tiere, die Mitte August an einem zwischen Kartoffeln stehenden Birnbaum erbeutet waren, untersucht. Von diesen enthielten 6 nur Pflanzenstoffe, i nur Tierstoffe, 19 vorwiegend Pflanzenstoffe und 3 endlich vorwiegend Tier- stoffe. Die Pflanzennahrung stand also durchaus an erster Stelle. Unter den lebenden Pflanzenstoffen, die fest- gestellt werden konnten, fanden sich hauptsächlich Schwärzepilzsporen und -mycelien (Pleospora und Cladosporium), Rußtau (Capnodium salicinum) und die auf Bäumen häufige Alge (Cystococcus humicola). Letztere häufig allein. Ferner fanden sich Palissadengewebe und Haare nicht bestimm- barer Blätter, Kartoffelblätter, Moosblättchen, Pollenkörner, wahrscheinlich von Ampelopsis hederacea und Veitschii, andere Pilzsporen, Pflanzenhaare. An toten Stoffen waren vertreten: Steinzellen aus Birnen, Fruchtfleisch (?), Teile von Rinde, Borke und Hoiz, Pflanzenhaare. An Tierstoffen schließlich fanden sich : Insektenreste, Beine, Fühler, Flügelteile, Facettenaugen, Milben, Schildläuse (Diaspis ostreaeformis). Überblickt man diese P'unde und berücksichtigt auch ihre Verteilung auf die verschiedenen Tiere, lassen sie allerhand wichtige Schlüsse zu: Die Ohrwürmer nehmen trotz der großen Anzahl ihnen zur Verfügung stehender Stoffe doch nur be- stimmte auf; sie treffen also eine Nahrungswahl. Da der Kropfinhalt der zu einer Gesellschaft ge- hörigen Tiere derselbe ist, darf man schließen, daß die tagsüber beisammensitzenden Individuen auch nachts gemeinsam auf Nahrungssuche gehen. Die große Menge abgestorbener Pflanzenstoffe deuten an, daß sie insonderheit ihre Nahrung bilden. Sehr bemerkenswert war, daß sich nur bei einigen Kartoffelblätter fanden, obgleich der Baum mitten im Kartofielfeld stand. Man darf daraus auf eine individuelle Bevorzugung gewisser Stoffe schließen. Dasselbe geht auch aus der Tatsache hervor, daß in einigen nur Tierstoffe an- zutreffen sind. Ferner wurden 30 Tiere untersucht, die Mitte bis Ende Oktober an einem zwischen Weiß- und Rotkohl stehenden Birnbäume gefangen wurden. In 16 fanden sich nur Pflanzenstoffe, in i nur Tierstoffe. In 12 überwiegen die Pflanzenstoffe, in I die Tierstoffe. Bemerkenswert war, daß in keinem Tiere Kohireste gefunden wurden. Neu kamen hinzu Funde von Blütenteilen, Pollen- körnern und scheinbar auch Biatteilen von Dahlien. Da sich Dahlien nur in 60 — 70 m Abstand vom Fangorte fanden, darf man daraus schließen, daß die Tiere bei der Nahrungssuche längere Wande- rungen unternehmen. Im übrigen zeigen auch diese Untersuchungen, daß der Ohrwurm abge- storbene Pflanzenteile mit daransitzenden Pilzen und Algen — wieder Cystococcus — besonders bevorzugt. Von den Tierstoffen muß ange- nommen werden, daß sie zum großen Teil unbe- absichtigt aufgenommen wurden. Dann liegen von einer Partie von 33 Tieren Untersuchungen vor, die Ende August teils an einem zwischen Erdkohlrabi und Schwarzwurzeln stehenden Birnbaum gefangen wurden. In 3 fanden sich nur Pflanzenstoffe, in 4 vorwiegend Tierstoffe, und in 26 bildeten Pflanzenstoffe wiederum die Hauptmasse. Im allgemeinen boten die Kropf- inhalte dasselbe Bild. Neu war ein Fund von Aptiden, die auch bei Fütterungsversuchen, die häufig zur Kontrolle nebenher gingen, als Nahrung angenommen wurden. Als Ausnahme fanden sich zum zweiten Male Fruchtfleisch und Steinzellen von Birnen. Der Rußtau scheint nur des süßen Honigtaues wegen gefressen zu werden. Von Mitte bis Ende September wurden sodann 26 Tiere an einem Pfirsichmauerspalier erbeutet. Von diesen enthielten 5 ausschließlich Pflanzen- stoffe, I ausschließlich Tierstoffe, bei 19 überwogen, die Pflanzen-, und bei nur i fanden sich Tierstoffe, etwa in gleichen Mengen. Hier tritt also die Tiernahrung ganz erheblich zurück; der Ohrwurm erscheint fast als reiner Pflanzenfresser. Sehr be- merkenswert war, daß in 24 von 26 Tieren sich aus- schließlich oder doch fast ausschließlich Pfirsich- N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 293 blätter fanden. Die Blätter der Spaliere wiesen auch tatsächlich Fraßspuren auf, so daß man schließen darf, daß nur fortwährendes Abfangen der Ohrwürmer in solchen Fällen starke Schäden verhindern kann, denn sie sind durch diesen Be- fund mit Sicherheit als große Pfirsichblattliebhaber erkannt. Von besonderem Interesse für den Blumen- züchter sind weitere Untersuchungen von 20 Tieren, die Ende September und Anfang Oktober in Fallen gefunden wurden, die an Dahlien angebracht waren. Von diesen 20 enthielten iS nur Pflanzenstoffe, bei einer überwogen die pflanzlichen, bei i die tierischen Stoffe. Wieder ist der Ohrwurm als fast reiner Pflanzenfresser erkannt. Daß er aber, wie schon lange vermutet, zu den gefährlichsten Dahlienschädlingen zu rechnen ist, zeigen die näheren Feststellungen an den vorgefundenen Pflanzennahrungsstoffen, denn von den 20 Tieren enthielten 19 vorwiegend oder ausschließlich Pollen, Blütenteile oder Blatteile von Dahlien. Die Pflanzen selbst zeigten zahlreiche Fraßstellen an Blättern und Blüten. Ein wesentlich neues Bild schließlich boten 23 Tiere, die an einer von Ampelopsis Veitschii bewachsenen Hauswand gefangen wurden, denn in nicht weniger als 1 1 Kröpfen fanden sich nur Tierstoffe, in 5 nur Pflanzenstoffe, in i überwogen die Tier-, in 5 die Pflanzenstoffe und in 2 war ein ungefähres Gleichgewicht vorhanden. Bemerkenswert ist hier einmal die häufig an- getroffene große Leere des Kropfes und dann vor allem das auffallende Überwiegen der tierischen Nahrung. IVIan darf daraus schließen, daß die Ohrwürmer an der Hauswand unter wenig günstigen Bedingungen lebten und in solchen Fällen zu Tierstoften gegriften haben, um ihren Hunger zu stillen. Da die Tierreste nicht mehr zu identifizieren waren, kann nicht sicher ange- geben werden, ob der Ohrwurm durch die Auf- nahme dieser Tierstoffe nützlich oder schädlich wurde. Ersteres scheint aber kaum der Fall zu sein, denn da nur harte Chitinstoffe gefunden wurden, nie aber weiche, innere Teile, will es fast so scheinen, als wenn nur tote Gliedertiere ge- fressen wurden, die vielleicht den zahlreich vor- handenen Spinngeweben entnommen wurden. In 5 Fällen fanden sich Pollen von Ampelopsis Veitschii, was wieder die große Vorliebe des Ohrwurms für Staubbeutel dartut. Das beweisen auch zwei Frühjahrsränge (Be- richt der Kgl. Lehranstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau in Geisenheim für 1914/15 S. 204 ff.). Es wurden 4 an blühenden Äpfelbäumen und 29 an blühenden Weinreben erbeutete Tiere unter- sucht. In ihren Kröpfen und Mägen fanden sich vorwiegend Äpfel- bzw. Rebpollen. Nach diesen eingehenden Untersuchungen kommt Lüstner zu sehr bemerkenswerten Er- gebnissen, die er folgendermaßen zusammenfaßt: „Auf Grund des Ergebnisses unserer Kropfunter- suchungen sind wir der Ansicht, daß die Nahrung des Ohrwurmes je nach seinem Aufenthaltsorte eine verschiedene ist. Er ist im allgemeinen als ein Allesfresser in des Wortes weitester Be- deutung zu betrachten, dessen F'utter unter nor- malen Verhältnissen vorwiegend aus abgestorbenen Pflanzenteilen, Rußtau und der auf Bäumen häufigen Alge Cystococcus humicola besteht. Damit hängt das häufige Vorkommen von Pilzen und Pilzsporen in seinem Kröpfe und Magen zusammen. Bei sich ihm bietender Gelegenheit geht er jedoch auch lebende Pflanzenteile — Blätter und besonders Blüten — an und wird dadurch zum Schädling. Auffallend dabei ist seine besondere Vorliebe für die Antheren der Staubgefäße. Tierische Stoffe scheint er meist nur in totem Zustande zu fressen. Er kann infolgedessen nicht als Nutzung betrachtet werden. Die .Aufnahme von Pflanzenstoffen ist eine sehr viel größere als die von Tierstoffen. Letztere werden vermutlich nur gelegentlich, zufällig oder bei Nahrungsmangel verzehrt. Alles in allem genommen ist der Ohrwurm ein harmloses Tier, das nur in den Fällen, in denen er zum Ge- legenheitsschädling wird, zu bekämpfen ist." Dr. Olufsen. Mineralogie. Es ist neuerdings von ver- schiedenen Seiten festgestellt worden, daß die so- genannten Hartsalz Kalilager nicht, wie van'tHoff annahm, primär entstanden, sondern durch Er- wärmung aus kainilischen Salzgemischen umge- schmolzen sind. R. Lach mann hat nun gezeigt, daß umgekehrt die Carnallitbildung der Südharz- Kalilager sekundär ist (Neues Jahrb. f Mineral, usw. 1916, II, S. 165). Das Staßfurter Hartsalz enthält bis zur Hälfte Kieserit und fast keinen Anhydrit; das des Südharzes ist wesentlich ärmer an Kieserit und reicher an Anhydrit, so daß es richtiger nicht als Hartsalz, sondern als Sylvinit zu bezeichnen ist. Für diese Lager besteht kein Grund zur Annahme thermometamorpher Umbildung, da sich Sylvin, Steinsalz und Anhydrit auch bei niederer Temperatur in Paragenese bilden können. — Die Untersuchung bezieht sich besonders auf eine große Carnallillinse im Hartsalzlager bei Volken- roda. Das sonst sehr gleichmäßig etwa 8 m mächtige Lager ist an dieser Stelle auf ca. 13 m angeschwollen,, so daß i m Carnallit immer eine Aufwölbung von Vj m entspricht. Diese ist also offenbar nicht tektonisch , sondern durch Umsetzung im Kalilager verursacht. Aus der Schichtung muß geschlossen werden, daß primär ein einheitliches Sylvinitlager vorgelegen hat, aus dem sich dann an einzelnen Stellen durch thermale Metamorphose der Karnallit bei Zufuhr von Magnesiumchlorid gebildet hat. Letzteres stammt wohl aus einer übergelagert gewesenen Bischoffit- region, die nach Jäneke bei 117" schmilzt. Diese Temperatur entspricht einer Versenkung von 3,5 km. F'alls eine solche Versenkung — wie bei den 294 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 21 thüringischen Lagern — nicht in Frage kommt, könnte die Lösung des Bischoffits durch vadose Wässer erfolgt sein. Scholich. Botanik. Das Zittern der Laubblätter ist Gegenstand einer Untersuchung, über die Alfred Hertel in den „Beiheften zum Bota- nischen Zentralblatt" (3. L 17) berichtet. Er ging dabei von der auffallenden Erscheinung aus, daß Blätter, beispielsweise bei der Espe, Populus tremula, bei gleichmäßigem Winde periodische Bewegungen ausführen. Es gelang ihm, diese Bewegung auch im Laboratorium an abgetrennten Blättern hervorzurufen und sie dann optisch auf- zuzeichnen. Die weitere Untersuchung ergab, daß die Stiellänge ohne Einfluß auf die Bewegung ist; der Stielbau, vor allem der Querschnitt des Blattstieles, ist vielmehr maßgebend. Es besteht eine Abstimmung der Schwingungszahlen von Torsion und Biegung in dem einfachen Verhältnis 1:1, und die Blattstiele verhalten sich in mecha- nischer Hinsicht, wie Versuche zeigten, wie Stäbe. Es muß mithin eine Beziehung zwischen Torsion und Biegung bestehen. Das Blatt wendet, mit dem Winde gehend, diesem die Breitseite zu, gegen den Wind dagegen geht es, indem es seine Blatifläche möglichst parallel der Windrichtung stellt, damit der Widerstand so klein wie möglich wird. Diese günstige Einstellung wird zwangs- weise im richtigen Augenblicke durch die mecha- nischen Eigenschaften des Stieles bewirkt. Durch Modelle konnte diese Bewegung nachgeahmt werden. Es gelang Hertel, künstliche Blätter, deren Blattspreite aus Glimmerblättchen und deren Stiel aus Kupferdraht bestand, zum richtigen Zittern zu bringen. Dabei brauchte er sich hin- sichtlich der Blattform durchaus nicht an die natürlichen Vorbilder zu halten, vielmehr gelang der Versuch mit quadratischen Flächen von 30 mm Seitenlänge, mit kreisförmigen von 15 mm Halb- messer, mit rechteckigen, wenn der Stiel parallel der kürzeren Seite lag, mit elliptischen, wenn der Stiel die Verlängerung der kürzeren Achse bildete. Der Stiel war dabei ein Kupferdraht von '/.-. n^m Halbmesser und 50 mm Länge. Die Modelle mit quadratischer oder kreisförmiger Fläche zitterten aber nur, wenn der Stiel auf ein Viertel der Länge so abgeflacht war, daß die Abflachungsebene senkrecht zur Blattfläche stand. Schließlich stellte Hertel auch ein sehr großes Modell her, zu dem eine Papierfläche von 60 cm Seitenlänge auf einen Holzrahmen gespannt wurde, während als „Blatt- stiel" ein 120 cm langer Holzstab von 8 und 16 mm Seitenlänge des Querschnittes diente. Bedingung für das richtige Zittern im Winde war dann nur, daß der Stab mit der schmaleren Seitenfläche am Holzrahmen befestigt war. H. P. Bakteriologie. Die P"ärbung der Geißeln von Knöllchenbakterien (Bacterium radicicola) : Von den bekannten, in Wurzelanhängen der Leguminosen vegetierenden Bact. radic. war schon bekannt, daß sie beweglich sind — die Stäbchen schießen unter dem Mikroskope wie Mücken- schwärme durcheinander — daß sie also mit Geißeln ausgestattet sein müssen. Wie aber diese Begeißelung beschaffen ist, darüber bestanden bisher die verschiedensten und sich wider- sprechenden Ansichten, weil sich der Sichtbar- machung der Geißeln Schwierigkeiten entgegen- setzten. Jetzt ist Prof. Chr. Bart hei (Zeitschrift f. Gährungsphysiologie 1917, S. I3ff.j die Färbung gelungen und zwar mit Hilfe einer vorzüglichen, aber bisher wenig bekannten Geißelfärbemeihode eines spanischen Militärarztes, Dr. Caseres-Gil. Mit Hilfe dieser Methode, die in der Arbeit genau beschrieben wird, gelingt es verhältnismäßig leicht, die überaus delikaten und feinen, und wie jetzt erwiesen ist, lophotrichen Geißeln sichtbar zu machen. Es zeigte sich da, daß die Lupinen- bakterien I — 6 lange, wellig geformte, an einem Pole, und zwar mehr an den „Ecken" befestigte Geißeln besitzen, während die der Luzernenbakterien kürzer sind, und in einer Anzahl von 1 — 2, seltener von 3—4 auftreten. Daß hier Verschiedenheiten in der Begeißelung wahrgenommen sind, erscheint deshalb auch be- merkenswert, weil M. Kl immer und R. Krüger (Centralblatt f. Bakteriologie IL Abt., Bd. 40; S. 256fif.) auf Grund von sereologischen Untersuchungen haben nachweisen können, daß die unter dem Sammelnamen „Knöllchenbakterien" zu verschie- denen, scharf getrennten Arten gehören, eine Feststellung von größtem praktischem Interesse. Ist man doch bekanntlich in der Praxis dazu übergegangen, das Saatgut mit diesen Bakterien künstlich zu infizieren, mit Hilfe von Impferde und Bakterienpräparaten das Acker- und Gartenland zu „düngen". Bei der Untersuchung von 18 ver- schiedenen Leguminosen gelang es, 9 Bakterien- arten zu unterscheiden. Art i fand sich in Lupinus perennis, luteus, angustifolius, sowie in Ornithopus sativus; Art 2 in Melilotus albus, Medicago lupulina, M. sativa und Trigonella foenum graecum; Art 3 in Lotus uliginosus, Anthyllus vulneraria und Tetragonolobus purpurea; Art 4 in Vicia sativa und Pisum arvense; Art 5 in Vicia faba; Art 6 — 9 je in Trifolium pratense, Phasaeolus vulgaris, Soja hispida und Onobrychis sativa. Wie man bemerken wird, sind nach diesem Ergebnisse die Bakterien der Lupine und die der Luzerne (Medicago sativa) artverschieden, ein Be- fund, der durch die nunmehr festgestellt^ Ver- schiedenheit in der Begeißelung bestätigt zu werden scheint. Dr. Olufsen. N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 295 Bücherbesprechungen. H. A. Lorentz, The theory of electrons and its applications to the phenomena of light and radiant heat. Second edition. 343 S. Leipzig 191 6, B. G. Teubner. — Preis geh. 9 M. Es hegt hier in englischer Sprache die zweite Auflage einer Vorlesungsreihe vor, die Verf im Jahre 1906 an der Columbia Universität in New York gehalten und anläßlich ihrer erstmaligen Herausgabe durch Zusätze soweit ergänzt hat, daß die Hauptdarstellung etwa dem Stande der Forschung von Ende 1908 entspricht. Die Be- rücksichtigung der neuesten Literatur in der ge- genwärtigen Neuauflage beschränkt sich auf die Einfügung kleinerer Anmerkungen, während der Haupttext gegen früher im wesentlichen unver- ändert geblieben ist. Der Begründer der Elektronentheorie gibt hier einen vortrefflichen Überblick über die Grundlagen und den bedeutungsvollen Entwicklungsgang dieses wichtigen neuen Gebietes der physikalischen For- schung. An die Aufstellung der allgemeinen Grund- gleichungen der Elektronentheorie schließt sich im ersten der 5 Kapitel des Buches die Behandlung der Theorie des freien Elektrons, insbesondere seines Feldes und der elektromagnetischen Masse, an. Das zweite Kapitel ist der Strahlungstheorie gewidmet. Nach kurzem Hinweis auf die thermo- dynamische Begründung der Gesetze von Kirch- hoff, Boltzmann und Wien und kurzer Skizzierung der zum vollständigen Strahlungsgesetz führenden Plankschen Untersuchungen geht Verf näher auf seine eigene, auf langwellige Strahlung beschränkte Ableitung und auf die zu ähnlichem Ergebnis führende Jeans'sche Theorie ein. Das dritte Kapitel enthält die Theorie des Zeeman- Phänomens, während im vierten im Anschluß an die Elektronentheorie der Dispersion und Absorp- tion der inverse Zeeman- Effekt behandelt wird. Im letzten Kapitel schließlich findet sich eine eingehende durch die verknüpfende Betrachtung der verschiedenen theoretischen Deutungsmöglich- keiten besonders interessante Darstellung der opti- tischen Erscheinungen in bewegten Körpern. Für denjenigen Leser, der einen tieferen Einblick in die quantitativen Zusammenhänge sucht, ist ein Anhang von mehr als lOO Seiten höchst wertvoll, worin der Verf die im Hauptteil meist nur ange- deuteten Berechnungen in klarer Weise vollständig durchgeführt hat. Die durch die jetzt allgemein übliche Verwendung der Vektorenschreibweise erreichte Eleganz der Form tritt hier besonders erfreulich hervor. A. Becker. P. Eversheim, Angewandte Elektrizitäts- lehre. Ein Leitfaden für das elektrische und elektrotechnische Praktikum. 214 Seiten mit 215 Textfiguren. Berlin 1916, J.Springer. — Preis geh. 8 M. Das vorliegende Buch enthält eine anschauliche und durchweg elementare Anleitung zum Ver- ständnis und Gebrauch der Methoden und Hilfs- mittel der angewandten Elektrizitätslehre. Vom Verf. ist es in erster Linie für Studierende der Naturwissenschaften und solche, die am Anfang ihrer technischen Studien stehen, bestimmt, denen es ein Ratgeber sein soll bei Ausführung der Ver- suche im elektrischen und elektrotechnischen Praktikum. Für sie darf freilich nur die praktische, nicht aber die rein physikalische Seite des Gebietes als genügend erschöpfend dargestellt betrachtet werden. Von Nutzen vermag das Buch jedenfalls auch allen denen zu sein, die aus Neigung oder Beruf sich ohne größere Schwierigkeit mit der Praxis der Elektrotechnik vertraut zu machen wünschen. An die Betrachtung der für die Arbeitsmethoden und den Bau der Apparate und Maschinen maß- gebenden physikalischen Grundlagen schließt sich jeweils deren eingehende, durch zahlreiche Zeich- nungen und Abbildungen aller technisch wichtigeren Ausführungsformen veranschaulichte Beschreibung. Dazu treten Schaltungsskizzen für den Stromlauf und Anleitungen zur Ausführung spezieller Messungen und zu tabellarischer und graphischer Darstellung der Ergebnisse. Gleichstrom und Wechselstrom sind in getrennten Abschnitten be- handelt; ein dritter Abschnitt handelt ganz kurz von „Magnetismus, Akkumulatoren, Photometrie". A. Becker. Kultur der Gegenwart. Physiologie und Ökologie. I.: Botanischer Teil, unter Redaktion von G. Haberlandt, bearbeitet von Fr. Czapek, H. V. Guttenberg und E. Baur. Leipzig und Berlin 1917, B. G. Teubner. — 13 M. Der vorliegende Band des großen Sammel- werkes verfolgt das Ziel, die Lebenserseheinungen der Pflanzen in großen Zügen darzustellen, wie es dem Zweck des riesigen Unternehmens entspricht, nicht in lehrbuchartiger und vollkommen er- schöpfender Form, sondern so, daß der gebildete Laie eine Vorstellung von den Ergebnissen und Problemen, mit einem Wort von dem Gedanken- inhalt der modernen Pflanzenphysiologie bekommt, soweit er als Teilstück für ein naturwissenschaftliches Weltbild erforderlich ist. Die drei Verfasser Czapek, v. Guttenberg und Baur, alle als Forscher bekannt, haben den Stoff in der Weise unter sich geteilt, daß Czapek die allgemeinen Grundlagen der Pflanzenphysiologie und der Er- näherung, v. Guttenberg das Wachstum, die Entwicklung und die Bewegungserscheinungen der Pflanzen und B a u r die Fortpflanzung behandelt. Wenn auch naturgemäß vieles nur angedeutet, manches weggelassen, etliches nach Neigung des Verfassers stärker oder schwächer betont ist, so geben die Abschnitte dafür, dank der strafferen 296 Naturwissengchaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 21 Darstellung und der Beschränkung auf die großen durchlaufenden Gedanken eine sehr gute Übersicht, die auch der Fachmann gerne auf sich wirken läßt, die aber besonders wertvoll für das gebildete Publikum ist, das einen Begriff davon bekommt, wie außerordentlich die „Wissenschaft Linnes" an Tiefe, Vielseitigkeit der Beziehungen und Be- deutung für große, allgemeine Lebensprobleme gewonnen hat. Das zeigt sich im Abschnitt über Ernährung nicht minder wie in dem über die Reizerscheinungen, die vielfach in einem Grade eindringlich aufgelöst werden können, wie wenige Probleme der tierischen Physiologie, und schließ- lich nicht zum wenigsten im letzten Abschnitt, in den die moderne Vererbungslehre, wenn auch nur kurz, so doch zielbewußt eingeflochten ist. Besondere Erwähnung verdient die sorgfältige Illu- strierung, die viele Originale aufweist, aber auch die bekannten Bilder in einer besonders klar und schön umgezeichneten Form bringt. Ein Frage- zeichen könnte man höchstens hinter den Titel des Bandes setzen. Denn der ökologische Ge- sichtspunkt tritt, wenn auch nicht vollständig zu- rück, so doch nicht in dem Maße leitend und vor allem allgemein durchgreifend hervor, wie man es nach dem Titel erwarten sollte. Miehe. Anregungen und Antworten. Der interessante Artikel von Dr. Carl Schoy: Eine merkwürdige Naturerscheinung im Jordantal (Naturw. Wochen- schrift, 14. Jan. 191 7, S. 17 — 20) veranlaßt mich zu folgender kleinen Notiz. Wirft man einen Blick auf eine Isogonenkarte der Erde (s. z. B. diejenige, entworfen von der Deutschen Seewarte f. 1910) so sieht man, daß die Deklination in Palästina zur Zeit der Forschungsreisen Blanckenhorn's (ich vermute in den Jahren 1908 — 1910) 1 — 2" westlich betrug. Aus der Be- hauptung Blanckenhorn's, daß die Deklination „in Palästina augenblicklich meist zu 11 — 13" nach W. ange- nommen wird" folgt daher entweder, daß diese Annahme falsch ist, oder, daß wir es in Palästina mit einer Anomalie westlicher Deklination zu tun haben. Der von Schoy an- geführte Deklinationswert für Jerusalem würde hier eine Störung in der Deklination von 9—10" vermuten lassen. Nun ist diese Beobachtung im „Hotel Fast auf dem Dache" ge- wonnen worden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß hier ganz lokale Störungen (Eisenbalken im Gebäude, Ziegel, Bau usw.) für diesen abnormen Wert verantwortlich sind. Bei erd- magnetischen Messungen müssen ja solche störende Einflüsse auf's genaueste vermieden werden. Wäre dem aber nicht so, und sind alle vier angeführten Deklinationsangaben von solchen ganz lokalen und der erdmagnetischen Kraft fremden Störungsursachen frei, so sind auch die von der Jordansenke westlich gelegenen Teile in der Deklination gestört, und zwischen Jericho und Jerusalem wäre ein Slörungsherd zu vermuten , welcher auf den Nordpol der Magnetnadel ab- stoßend wirkt. — Näheres kann nur auf Grund zahlreicher Messungen gefolgert werden. Was nun die Rolle der Hohlräume mit Bezug auf magne- tische Störungen betrifft, so wird sie — ebenso wie induzierter Magnetismus beim Gebirgsmagnetismus im allgemeinen — nur dort zur Erklärung magnetischer .Anomalien mit Erfolg heran- gezogen werden können, wo Schichten mit erheblicherer magnetischer Permeabilität vorhanden sind. Im vorliegenden Fall scheint es, daß diese Annahme nicht gerechtfertigt ist. Was nun den Einfluß der Temperatur auf die Stellung der Deklinations- Nadel betrifft, so ist dies ein übereilter Ausspruch. Die ungleiche Erwärmung scheint zwar bei der Verteilung 'der erdmagnetischen Elemente auf der Erde eine gewisse Rolle zu spielen (man vergleiche bei L. A. Bauer: The Physical Decomposition of the earlh's permanent magnetic field. Terr. Magn. Vol. IV, S. 33 — 52 besonders S. 50 — 52 das nach Abzug des ,, normalen" Magnetismus übrigbleibende Kraftfeld), dieser Einfluß ist aber klein und hat mit dem vorliegenden Fall nichts zu tun. Das zur Erhärtung dieses Ausspruchs angeführte Beispiel bei Lamont bezieht sich ja auf eine Temperaturkoeffizienten-Bestimmung und es ändert sich ja nicht die Stellung des erwärmten und abgekühlten Magnets, sondern jene des von ihm abgelenkten Magnets. L. Steiner. Maska Folgende Ergänzungen zu dem Aufsatz: „Sind die jnd die zentralpazifischen Inseln ozeanisch?" (Naturw. Wochenschr., 32. Bd , S. 193) seien hier noch an- gefügt. Prof. Dr. Fr. Kossmat's Paläogeographie (Sammlung Göschen, 1916), lehrt aus pelrografischen und paläontologischen Gründen, daß mindestens vom Silur ab bis über die Trias hinaus Brasilien und Afrika zusammenhingen; daß ferner Vorindien und Madagaskar eine Landmasse bildeten, mindestens vom Silur ab bis jedenfalls zum -Alt-Tertiär, so daß alle die obengenannten Inseln des Indischen Ozeans zu diesem Festlande Lemuria gehörten. — Auch finde ich in der Revue Scientifique von 11. — 18. Nov. 1916, S. 6qi noch mehr Beweise für die große Ausdehnung des Zentralpazifischen Festlandes Tonga-Rapa und die Entwicklungshöhe der nach Millionen zählenden Bevölkerung. Dort schreibt ein ge- wisser P. L. : „II convient de rappeler egalement l'interet des recherches archeologiques dans Ics archipels, dissemines ä travers le Pacifique. II existe des monuments megaliliques, bicn connus a I'Ile de Paques et en outre a Tahiti (grand temple de So mrtres de long), aux Marquises, dans les Tonga, les Carolines, l'ilot Pilcairen (enormes colonnes sculptees) dont la connaissance est encore Ires supcrficicUe et l'origine tres obscure." Oudemans. Inhalt: F. Stellwaag, Tanzende Fliegen. S. 281. Ernst Schnitze, Die Vernichtung des englischen Waldes. S. 284. — Kleinere Mitteilungen: Anna Hopffe, Über Infusorienerde (Bergmehl). S. 2S6. V. Brehm, Reflexionen über zwei neue Schizophyceensymbiosen. S. 2S7. — Einzelberichte: Berg, Leber und Eiweißstoffweclisel. (6 Abb.) S. 2S8. G. Lüstner, Neue Untersuchungen über die Nahrung des Ohrwurmes. S. 291. R. Lachmann, Die Carnallitbildung der Südharz-Kalilager. S. 293. Alfred Hertel, Das Zittern der Laubblätter. S. 294. Chr. Barthel, Die Färbung der Geißeln von Knöllchenbakterien (Bacterium radicicola). S. 294. — Bücherbesprechungen: H. A. Loren tz, The theory of electrons and its applications to the phenomena of light and radiant heat. S. 295. P. Eversheim, Ange- wandte Elektrizilätslehre. S. 295. Kultur der Gegenwart. S. 295. — Anregungen und Antworten: Eine merkwürdige Naturerscheinung im Jordantal. S. 296. Ergänzungen zu dem Aufsatz: „Sind die Maskarenen und die zentralpazifischen Inseln ozeanisch?" S. 296. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippen & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge i6. Band; er ganzen Reihe 32. Band. Sonntag, den 3. Juni 1917. Nummer 33. achdruck verböte Die Pilzvergiftungen der letzten Jahre. Von Prof. Dr. G. Dittrich. Für die Jahre 191 5 und 1916 ist erstmalig eine Statistik der Pilzvergiftungen im Deutschen Reiche aufgestellt worden, die erstaunlich hohe Ziffern ergeben hat. Es starben 1915 nicht weniger als 92, im folgenden Jahre (unter Hin- zurechnung einiger nachträglich bekannt ge- wordener Fälle) 93 Personen, und zwar, soweit aus den Nachrichten ersichtlich war oder durch genauere Nachforschungen festgestellt werden konnte, am Genuß im eigentlichen Sinne gif- tiger Pilze. Erkrankungen an verdorbenen Pilzen, denen in den Büchern und Zeitungen wohl eine übertriebene Bedeutung beigelegt wird und die auch kaum tödlich verlaufen dürften, sind in diesen Summen also nicht inbegrififen. Die weit- aus überwiegende Mehrzahl der Todesfälle ist dem Knollenblätterpilz zur Last zu legen; ihm folgt in weitem Abstände, nämlich mit 4 örtlich getrennten Fällen des Jahres 1916, die Morchel, d. h. die „Lorchel" in der unvolkstümlichen Be- zeichnung der Bücher; in einer Familie in der Provinz Posen starben ferner 3 Knaben an Gift- reizkern, und einem Lehrer in Aschersleben, der noch dazu als Pilzkenner galt, wurde im Juni 1916 eine allerdings sehr seltene Art, Inocybe frumentacea, zum Verhängnis. Am überraschendsten wirkt die ansehnliche Zahl der tödlichen Morchelvergiftungen, da es sich hier um einen in der östlichen Reichs- hälfte verbreiteten Marktpilz (Helvella oder Gyro- mitraesculenta)handelt. Seit 35 Jahren ist durch sorg- fältige Untersuchungen zweier Mediziner bekannt, daß frische (nicht getrocknete) unverdorbene Morcheln dieser Art ein Blutgift enthalten und infolgedessen in verhältnismäßig geringen Gaben ( 1 '/'., bis 2 v. H. des Körpergewichtes) auf Hunde tödlich wirken ; durch kochendes Wasser wird dieser Giftstoff ausgezogen , er geht also auch in eine aus den Morcheln bereitete Brühsuppe über. Wohl bei allen letztjährigen leichteren und schwereren Vergiftungen von Menschen durch Morcheln ist in der Tat diese Suppe verwendet worden und zwar, was besonders ungünstig zu wirken scheint, einige Zeit nach dem Ge- nuß der Pilze selbst, meist am folgenden Tage. Immerhin bleibt es unaufgeklärt, weshalb Gesundheitsschädigungen durch diesen verbreiteten Speisepilz nicht noch weit häufiger vorkommen ;- auch erkranken oft nur einzelne Teilnehmer der Morchelmahlzeit, was an eine individuelle Empfind- lichkeit gegen den Giftstoff oder (wahrscheinlich) die Giftstoffe dieses Pilzes denken läßt. Die schwere Schädigung durch Giftreizker (Lactarius torminosus) ist insofern auffallend, als diesem Pilz meist nur geringe Störungen der Darmtätigkeiten zugemutet werden; nach Ab- kochen und Wässern gilt er geradezu als eßbar. Bei dem gedachten in der Provinz Posen vor- gekommenen Falle handelte es sich nun allerdings um Exemplare, die durch einige feinere Merkmale, namentlich in der mikroskopisch festzustellenden Sporengröße, von dem gewöhnlichen Lactarius torminosus, dem sie aufs Haar ähnelten, abwichen. Indessen sollte man daraus eine Warnung vor der Verwendung des Gift- oder zottigen Reizkers ent- nehmen. Wie schon erwähnt, überwiegen die Vergif- tungen durch Knollenblätterschwämme so sehr, daß man diese .'^rt geradezu als den Gift- pilz ansehen darf. Auch über ihn haben freilich die statistischen Ermittelungen und toxikologischen Untersuchungen der letzten Jahre zu wesentlich neuen Aufschlüssen geführt. Schon früher wurde in einzelnen sorgfältiger gearbeiteten Werken auf die Vielgestaltig- keit dieses wichtigsten Pilzes hingewiesen, die seine Erkennung durchaus nicht so leicht ge- staltet, wie das Zeitungsschreiber gern behaupten. Es ist vor allem auseinanderzuhalten eine weiß- liche bis gelbliche, auch nach Hellgrün hin spielende P''orm, die meist zahlreiche Warzen auf der Oberseite trägt und besonders in Kiefernwäldern häufig anzutreffen ist, und eine erheblich dunklere, olivgrüne oder grünbrau ne Form, die Laub- gehölze bevorzugt und sich, wenn sie in Nadel- waldungen auftritt, mit Vorliebe in der Nähe ein- gesprengter Eichen zeigt. Die erste Art, die namentlich der Warzen wegen wohl von jedem Sammler gemieden wird, findet man in der großen Mehrzahl der Bücher und Büchlein als den Typus des Knollenblätterpilzes abgebildet und dem Champignon, namentlich dem sogenannten Schaf- champignon (Psalliota aryensis) gegenübergestellt, der auch an denselben Ürtlichkeiten wächst. Sie wird neuerdings als eigene Art (Amanita Mappa) aufgefaßt und ist von dem grünen oder auch anders gefärbten Giftpilz (Amanita phalloides) wesentlich verschieden durch die spätere Ausgestaltung der den ganzen Pilz im Jugendzustand umgebenden Hülle. Bei Am. Mappa ist diese lockerfilzig und zerreißt daher bei der Ausspannung des Schirmes in die zahlreichen Warzen der etwas klebrigen Oberhaut, während an der Knolle des Stielgrundes keine nennenswerten Hautreste dauernd zurückbleiben; Am. phalloides hingegen besitzt eine derbe Hülle, die in der Regel nur am Stielgrund als auffällige, einheitliche, kelch- 298 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 22 artige Scheide erhalten bleibt, während den Hut höchstens ein einzelner, größerer Hautlappen be- deckt. Die Warzen der Am. JVlappa werden übrigens durch anhaltenden Regen leicht abge- waschen, so daß dann auch bei ihr der Hut nackt erscheint. Sie besitzt aber im frischen Zustande stets einen ausgeprägten, an zerschnittene rohe Kartoffeln erinnernden Geruch, während dieser bei Am. phalloides zunächst geringfügig und nach einiger Aufbewahrung mehr allgemein pilzartig- dumpfig ist. In dem bekannten Pilzbuch von Michael findet man Amanita Mappa und phalloides in je zwei schönen Abbildungen auf einer Tafel vereinigt, jedoch nicht durch die Be- nennung unterschieden. Alle Fälle nun, die durch persönliche Nach- forschungen am Orte der Erkrankung — das sicherste Verfahren — oder durch Emsendung der Pilzart aufgeklärt werden konnten, gingen auf die grüne Am. phalloides zurück. Einige Male wurde diese Art aus allgemeiner Un- kenntnis mit anderen Pilzen gleichzeitig gesammelt und zubereitet; die allermeisten hielten sie aber, dem rein äußerlichen Merkmal der Hutfarbe folgend, für Grünreizker! Dieser Pilz, Tricho- loma equestre, anderwärts Grünling genannt, er- freut sich gerade in den östlichen Provinzen in mannigfacher Zubereitungsweise großer Beliebt- heit. Daß es vielfach Kinder waren, die sich das tödliche Gericht selbst sammelten, macht das Unbegreifliche der Verwechselung etwas erklär- licher. Wenngleich über die Wirkung der Am. Mappa auf den Menschen letzten Endes nur durch eigene Eßversuche volle Klarheit zu ge- winnen wäre, so steht doch fest, daß entgegen den Angaben aller Pilzbücher erst sehr viel größere Mengen von ihr einen gesundheits- schädigenden Einfluß auszuüben vermögen, als von Am. phalloides, die in einem oder wenigen Exemplaren den Tod eines Erwachsenen zur Folge haben kann. Man ist nämlich auch ohne Fütterungsversuche, die übrigens bei Am. Mappa zu negativen Ergebnissen führten, bei denen sich aber die betreffenden Tiere ja immer noch anders verhalten haben könnten als der Mensch im gleichen Falle, imstande, die giftigen Bestandteile eines Knollenblätterpilzes zu erkennen, zunächst mit Hilfe einer frischen Blutaufschwemmung. Setzt man einer solchen im Reagenzglase eine selbst sehr geringe Menge des mit physiologischer Kochsalzlösung hergestellten Auszuges von Am. phalloides zu, so tritt alsbald die Erscheinung der Hämolyse ein: Die Blutkörperchen setzen sich nicht nach einiger Zeit zu Boden, wobei über ihnen eine farblose Flüssigkeit zurückbleibt, son- dern es entsteht eine gleichmäßige, lackfarben- rote, nicht mehr sedimentierende Lösung. Dieser Knollenblätterpilz enthält also einen blutlösenden Stoff, von Kobert Phallin, von Ford Amanita- Hämolysin genannt, und ein Teil der Krankheits- erscheinungen, nämlich die (übrigens ungefähr- licheren) Reizungszustände des Magens und Darmes, sind auf dieses Gift zurückzuführen. Daß es erst nach dem Übergange in die Blut- masse zur Geltung kommen kann, erklärt die merkwürdig lange Zeitspanne (zuweilen selbst mehrere Tage), die bis zum Auftreten der ersten Anzeichen der Vergiftung vergeht, gleichzeitig aber auch die Schwierigkeit, ihm wirksam (durch Kochsalz- oder Traubenzuckerinfusionen) entgegen- zutreten. Dieses Phallin oder Hämolysin wird schon bei 65 " zerstört, ein auf diese Temperatur erwärmter Auszug löst also die roten Blutkörper- chen nicht mehr auf; gleichwohl wirkt auch der erhitzte Auszug, wenn er einem Versuchstier ein- gespritzt wird, tödlich, und zwar ohne daß Störungen in den Verdauungswerkzeugen auf- treten. Er enthält nämlich noch einen zweiten, alkaloidartigen Körper (wohl identisch mit Ford 's Amanita-Toxin), der seinerseits an einer eigen- artigen Wirkung auf das Froschherz zu erkennen ist. Wird nämlich einem Frosche etwas von dem Auszug unter die Haut gespritzt, so zeigt sich an dem freigelegten Herz des Tieres ein starkes Sinken der Zahl der Zusammenziehungen; zugleich erscheinen die Erweiterungen auflällig verlängert, und schließlich kann völliger Stillstand des prall mit Blut gefüllten Herzens eintreten. Wird jetzt etwas Atropinlösung aufgeträufelt, so beginnt das Herz wieder zu arbeiten und erholt sich allmählich vollständig. Das sind Wirkungen, wie sie in ähnlicher, wenn auch nicht ganz gleicher Weise beim Muskarin des Fliegenpilzes beobachtet werden. Am Menschen greift dieser Giftstoff des Knollenblätterschwammes Herz und Nerven an und verursacht meist Mundsperre und schwere Krampferscheinuiigen, die bei etwa zwei Dritteln der Erkrankten zum Tode führen. Spezifische Gegenmittel sind nicht bekannt, insbesondere hat sich Atropin nicht bewährt; dagegen ist Immuni- sierung von Tieren gelungen. Besonders wichtig ist die Tatsache der Koch bestand igke it des Toxins bzw. Alkaloids; hierdurch erledigt sich die Meinung vieler Leute, auch angeblich sach- verständiger, man brauche seine Pilze nur ge- nügend lange auszukochen, um alle Sorten unter- schiedslos ohne Schaden genießen zu können. Diese beiden Wirkungen nun, die hämolytische und die muskarinartige, zeigen Auszüge von Am. Mappa nur in sehr viel geringerem Grade, während sie sich in Am. phalloides auch beim Trocknen — in Exemplaren aus einem Breslauer Park mindestens 2V.2 Jahre lang — un- verändert stark erhalten. Übereinstimmend mit diesen Versuchsresultaten hat sich auch für eine Verwechslung von Knollenblätterpilzen mit Cham- pignons, von der so unendlich viel und oft ge- schrieben wird und bei der in erster Linie die so häufige weißliche Mappa in Betracht käme, in den beiden letzten Jahren kein sicherer Anhaltspunkt ergeben. Wenn gleichwohl ein solcher Irrtum mit Champignons im engeren Sinne (Psalliota- Arten) vorgekommen ist, so würde daraus allein noch N. F. XVI. Nr. 2: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 299 nicht auf Giftigkeit der Am. Mappa zu schließen sein, vielmehr käme dafür weit eher die unzweifel- haft schwer giftige weiße Form der Am. phalioides, Am. verna (nicht vernalis-junquillea, die für harmlos gilt) in Betracht, welche früh im Jahre erscheint, aber auch zur eigentlichen Pilzzeit, freilich allem Anschein nach in Deutschland selten, zu finden ist. Wie man sieht, sind noch nicht alle Fragen, die den Knollenblätterpilz betreffen, einwandfrei entschieden, und ein weiter Weg wird schon zu- rückzulegen sein, bis auch nur die hier mit- geteilten Tatsachen über die verschiedene Be- wertung der beiden häufigeren Formen von KnollenbJätterschwämmen, vor allem über die besondere Gefahr, die gerade von selten der grünen Art droht, Eingang in die Schriften gefunden haben werden, aus denen weitere Kreise ihre Belehrung über Pilze schöpfen. Mehr als auffallend ist auch, daß nichts Durch- greifendes für die Verbreitung der Kenntnis der Knollenblätterpilze geschieht, womit dann doch fast alle Pilzvergiftungen aufhören müßten ; mit der Empfehlung von Merkblättern und der An- regung von Pilzwanderungen ist dieses Ziel offen- sichtlich nicht zu erreichen. Dabei steht aus naheliegenden Gründen zu erwarten, daß die Zahl der Pilzvergiftungen in diesem Jahre eher noch steigen wird; auch wird, wenn im Glauben an trügerische allgemeine Erkennungszeichen, zu denen selbst heutzutage noch manche Schriften beispielsweise den angenehmen Geruch zählen, eine größere Zahl von Sorten als bisher erprobt werden sollte, wahrscheinlich auch der Kreis der als schädlich erkannten Arten sich erweitern. Vielleicht ließe es sich wenigstens erzielen, die Kenntnis der einzelnen Vergiftungsfälle auf eine noch umfassendere Grundlage zu stellen, wenn Persönlichkeiten aus dem Leserkreise, die sich auf diesem Gebiete fördernd zu betätigen ge- neigt wären, möglichst genaue Angaben über die Vorkommnisse des neuen Jahres dem Verfasser unter der Adresse Breslau 16, Uferzeile 14, mit- teilen und vor allem auch einige Stücke der be- treffenden Art als „Muster" in einem Papp- kästchen , zwischen Papier gelegt , einsenden wollten. Die Yerbreitung des wilden Kaninchens in Russisch-Polen. [Nachdruck verboten.) Von Prof. Dr. Das wilde Kaninchen (Oryctolagus cuniculus) war ursprünglich nur im Südwesten unseres Erdteils hei misch'); sein Bild erscheint auf antiken Münzen als Symbol der Hispania-). Erst seit dem Mittel- alter hat es unter dem Einflüsse des Menschen sein Areal stark ausgedehnt, so daß es gegenwärtig über den größten Teil von Süd- und Mitteleuropa ver- breitet ist. Doch soll es nach den Angaben deutscherZoologen auch heutzutage in Rußland noch fehlen. So kennt Schaff'') keine Standorte dieses Nagers im russischen Reiche, und Gcrhardf*) und Heck'') berichten übereinstimmend, daß man bisher vergeblich versucht habe, das Kaninchen in Rußland als Wild einzubürgern. Ähnlich lauten die Schilderungen polnischer Faunisten. Zwar be- merkt bereits Martin Crom er"), daß an einigen Orten Kaninchen vorkämen, aber diese unbestimmte Angabe läßt nicht erkennen, ob sie sich wirklich auf das Gebiet Kongreßpolens bezieht. Alle späteren Autoren erwähnen Oryctolagus cuniculus nur als Haustier'). Besondere Beachtung verdient der ') E. Hahn, Die Haustiere und ihre Beziehungen zur Wirtschaft des Menschen. (S. 250.) Leipzig 1896. ") O. Keller, Die antike Tierwelt. Bd. 1, (S. 218) Leipzig 1909. 3) E. Schaff, Jagdtierkunde. (S. 189.) Berlin 1907. " *) U. Gerhardt, Das Kaninchen. Monogr. einheim. Tiere, Bd. 2 (S. 13). Leipzig 1909. S) L. Heck, Nagetiere. Brehm's Tierleben, Bd. II, IV. Aufl., (S. 30). Leipzig und Wien 1914. "} A. Schott, Martin Cromer's Beschreibung des König- reichs Polen. (S. 47.) Leipzig 1741. '') Das sogenannte „polnische Kaninchen" ist ein rein F. Pax (Breslau). Umstand, daß die Art in dem 1877 erschienenen Verzeichnisse der polnischen Wirbeltiere von W. Taczanowski') fehlt. Wir dürfen mit Sicherheit annehmen, daß, wenn das Kaninchen schon damals in Polen heimisch gewesen wäre, seine Anwesenheit diesem Meister in der Be- obachtung der Tierwelt nicht entgangen wäre. Auch Hoyer-) führt in seinein Bestimmungs- schlüssel der polnischen Wirbeltiere nur die Provinz Posen als Fundort auf: „Pochodzi z Europy polud- niowej i znajduje sie zdziczaly w wielu okolicach Polski jak n. p. w W. Ks. PoznaiUkiem (Milos- law)." Die in der „Encyklopedya Polska"^) ent- haltene Bemerkung, daß das Kaninchen aus dem südwestlichen Europa in die polnischen Länder eingeführt worden sei, bezieht sich, wie mir Herr Professor v. Niezabitowski (Nowy Targ) mit- teilte, gleichfalls auf das Vorkommen bei Miloslaw in Posen. Die zahlreichen Aufsätze Stolcmann's, die sich hauptsächlich an die polnische Jägerwelt wenden, enthalten keine Hinweise auf das Vor- kommen von Orygctolagus cuniculus. Während meines Aufenthalts in Russisch Polen habe ich besonders auf die Verbreitung des wilden veißer , Ha Dtäugiger Albino , der in Galizien und Po chtc vird. >) W. Taczanowski, Liste des vertebres de Pologne. Bull. Soc. zool. France, Tom. 2. 1877. ■-) H. Hoyer, Klucz do oznaczania zwierzat kregowych ziem polskich. (S. 298.) Krakow 19I0. 3) L. V. Niezabitowski, Öwiat zwierzecy na zicniiach polskich. Encykl. Polska, Vol. I (S. 360). " Krakow 1912. 300 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 22 Kaninchens geachtet und die eigenen Erfahrungen durch Anfragen bei zuverlässigen Beobachtern zu ergänzen versucht. Als Resultat ergab sich, daß das wilde Kaninchen in Russisch-Polen keineswegs fehlt, wenn es auch nicht so häufig auftritt wie in vielen Gegenden Deutschlands. In der mittel- polnischen Ebene ist es z. B. bei Kaiisch, Zdunska, Wola, Lodz, Skiernewice und an der Bzura anzu- treffen; im Hügellande Südpolens hat es Herr Hauptmann Schumann (Breslau) bei Czenstochau und Nowo Radomsk beobachtet. Allemir bekannt ge- wordenen Fundorte, auf deren Aufzählung ich wohl verzichten darf, liegen auf dem linken Weichsel- ufer. Die gleiche Beobachtung hat für das Gebiet des Generalgouvernements Warschau Herr Ober- forstmeister Dr. Laspeyres gemacht. Seinen Mitteilungen entnehme ich, daß wilde Kaninchen in allen Forstinspektionen links der Weichsel er- legt worden sind und daß die östlichsten Vorposten innerhalb des Generalgouvernements Warschau sich gegenwärtig wohl im Kreise Warschau-Land befinden. Das Fehlen des wilden Kaninchens auf dem rechten Weichseluler wird übrigens auch durch andere Beobachter bezeugt. So betont Herr Ed. J. R. Scholz (Königshütte) besonders, daß bei Komarow, im Kreise Oströw, wo Sand und Kiefernheide vorherrschen, wilde Kaninchen nicht vorkommen. Zwischen den Angaben in der Literatur und den tatsächlichen Befunden besteht also ein er- heblicher Widerspruch. Da Beobachtungsfehler wohl kaum vorliegen dürften, bleibt nur die An- nahme übrig, daß das wilde Kaninchen erst in den letzten zwei bis drei -Jahrzehnten in Russisch-Polen eingewandert ist. Diese Vermutung gewinnt da- durch an Wahrscheinlichkeit, daß Oryctolagus cuniculus auch in manchen Teilen der Provinz Posen noch in Ausbreitung begriffen ist. Wenigstens ist die Art in Janowitz nach Szulczewski') erst seit etwa zwanzig Jahren heimisch. In Schlesien -) war das Kaninchen noch am Ende des sechzehnten Jahrhunderts im wilden Zustande unbekannt, hat sich aber hentzutage, vor allem in den Oderkreisen von Grünberg bis Steinau zu einer wahren Land- plage entwickelt. In Oberschlesien reicht sein Ver- breitungsgebiet bis an die polnische Grenze. Bei Stahlhammer, Idaweiche, Laurahütte und Tarnowitz sind Kaninchenbaue nicht selten. Die Einwanderung des Kaninchens nach Russisch-Polen scheint im wesentlichen von Schlesien und dem südlichen Posen ausgegangen zu sein. Daß von dem rechts der Weichsel gelegenen Teile Westpreußens keine Invasion erfolgt ist, ist wohl auf die große Aus- dehnung feuchter Niederungen im nördlichen Polen zurückzuführen. Gerade die nördlich der Weichsel und des Narew gelegene Landschaft bietet dem Kaninchen viel weniger günstige Ansiedlungsbe- dingungen als das linke Weichselufer Polens. ') A. Szulczewski, Zur Säugetier- und Vogelfaun der Umgegend von Janowitz (Kr. Znin). Zeitschr. natur« Ver. Posen, 17. Jahrg., 1910. ■^) F. Pax, Wandlungen der schlesischen Tierwelt i geschichtlicher Zeit. Beitr. Naturdenkmalpfl., Bd. 5, 1916. Einzelberichte. Astronomie. Die in der Geschichte der Neuen Sterne bekannteste und wichtigste ist die Nova Persei von 1901, die ganz plötzlich an einer Stelle als Stern heller denn die erste Größe erschien, wo nachweislich auf photographischen Platten 24 Stunden vorher kein Stern heller als 12 Größe gewesen war. Die Nova hatte also sich um wenigstens das 60000 fache an Helligkeit vergrößert. Der ungeheure Wert jenes Erscheinens lag darin, das die große Helligkeit alle modernen Mittel des Spektroskopes anzuwenden erlaubte, so daß eindeutig die Streitfrage entschieden werden konnte, worin das plötzliche Aufleuchten seinen Grund hat. Man schwankte zwischen der Zu- sammenstoß-Hypothese, die theoretisch wenig wahrscheinlich ist, und der Annahme, daß das Eindringen eines Sternes in eine kosmische Wolke dessen Vorderseite einem solchen Meteor- hagel aussetze, daß sie dadurch zu leuchten be- ginne. Hier wurde unzweideutig für die zweite Annahme entschieden. Man stellte nach kurzer Zeit fest, daß sich um den Stern ein bis dahin unbekannter Nebel zeigte, daß in diesem unregel- mäßige Struktur zu sehen sei, und daß der Nebel an Ausdehnung mit Lichtgeschwindigkeit zunehme. Außerdem nahm die Helligkeit des Sternes bald ab, und die Abnahme geschah in 5 tägigen Schwankungen. Es war also der Stern, dessen Umdrehungszeit 5 Tage beträgt, in die kostnische Wolke eingedrungen, hatte sich auf der vorderen Seite sehr schnell sehr stark erhitzt, und war uns so erschienen. Die von dieser Seite ausgehende Lichtfülle erfüllte die dunkle Wolke und machte sie auf diese Weise auch leuchtend. Indem das ausgesandte Licht immer neue Teile des Nebels ergriff, schien dieser zu wachsen, was mit Licht- geschwindigkeit geschah. Nun ist im Laufe der Zeit der Stern immer schwächer geworden, steht aber unter dauernder Kontrolle. Noch immer dauert seine Veränderlichkeit an, die Schwankung war 1915 noch 1,7 Größen, jetzt 0,6 Gr. Der umgebende Nebel war 1915 unsichtbar geworden, ist aber seit 4. Sept. 1916 wieder auf den Auf- nahmen sichtbar, sehr klein, etwa 15" Durch- messer. Merkwürdigerweise zeigt die Nova einen Begleiter, der sich auffallend verhält. Er war vor 1901, also vor dem Aufleuchten der Nova, 11,9 Gr., N. F. XVI. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 301 ein halbes Jahr später 14,7 Gr. Im Dezember 1901 schwächer als 14 Gr., 3. August 191 3 wird er als 15,7 Gr. angegeben, ist also an der Grenze der Sichtbarkeit. Welches nun auch der innere Zusammenhang beider Sterne und des Nebels sein mag, soviel ist klar, daß sich der Begleiter umgekehrt wie die Nova verhält. Vor deren Auftauchen war er der hellere, seitdem aber die Nova erschien, nimmt er langsam ab, ohne daß ein Grund dafür anzugeben ist, und ebenso rätsel- haft ist das Verhalten des zugehörigen Nebels. Hier gilt es noch viel astronomische Kleinarbeit zu leisten, die freilich durch die gegenwärtige ungemeine Lichtschwäche aller drei Objekte sehr schwierig ist. Riem. Das eingehende Studium der Veränderlichen mit den neuen Hilfsmitteln, die Schwankungen von weniger als ^j|,u Größenklassen messen lassen (diese Zcitschr. 191 5 S. 188), führt zu immer interessanteren .Aufschlüssen über die physische Natur dieser doppelten oder mehrfachen Systeme. So haben soeben Guthnick und Prager an der Sternwarte BerlinBabelsberg eine Messungs- reihe an beta Lyrae veröffentlicht, Ber. der Berl. Akad. d. Wiss. 191 7, XII, S. 222, dessen Licht- kurve zwar schon lange einigermaßen bekannt war, nun aber noch charakteristische Eigentüm- lichkeiten gezeigt hat, die mit den bisherigen Hilfsmitteln nicht aufzufinden waren. Der Licht- wechsel beträgt in 12,92 Tagen 0,877 Größen, er weist außer dem Maximum ein Haupt- und ein Nebenminimum auf. Das System gehört zu den Bedeckungssternen, bei denen der Licht- wechsel durch das Dazwischentreten des einen der beiden Sterne in die Gesicht.slinic bewirkt wird. Der Hauptstern ist etwas heller als der Begleiter, der aber die größere Flächenhelligkeit hat, und beim Hauptminimum ganz bedeckt wird. Der Hauptstern muß eine sehr hohe und sehr stark Licht absorbierende Atmosphäre haben, während außerdem noch das ganze System eine gemeinsame Gashülle zu haben scheint. Beide Sterne sind jedenfalls Gassterne, sie sind einander sehr nahe, so daß sie sich gegenseitig durch ihre Gezeiten bildende Kraft stark aus der Kugel- gestalt umformen und Rotationsfiguren bilden, die aufeinander zu gerichtete Achsen haben. Die große Halbachse der Bahn bestimmt sich zu 34,4 Millionen km, die große und kleine Halbachse des Hauptsternes zu 15,75 und 12,69 ^^I'H- km, die des Begleiters zu 8,34 und 6,72 Mill. km, so daß also die Oberflächen beider Sterne nur etwa 10,3 Mill. km voneinander entfernt sind, das ist Vr, des Abstandes des Merkur von der Sonne. Trotz dieser großen Ausdehnung ist die Masse beider Sterne zusammen nur höchstens 9,7 mal so groß wie die der Sonne, weil die Dichte der Sterne bei dem ersten nur etwas mehr beträgt wie die der Luft bei 760 mm Druck, bei dem Begleiter ist der Wert nur V3 davon. Man muß sich wundern , daß so dünne Gasmassen in so hoher Temperatur sich nicht völlig in den Raum verflüchtigen können, sondern durch ihre Gravita- tionswirkung zusammengehalten werden. Riem. Botanik. Seit Delpino die Behauptung aufgestellt, daß manche Pflanzen durch Schnecken bestäubt werden, ist in der einschlägigen Literatur eine ganze Reihe von Angaben über „malakophile" Blüten, die z. T. dem Besuche dieser Tiere be- sonders angepaßt seien, zusammengekommen. In einem fesselnden Aufsatz (im Nachrichtenblatt der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft 1917, S. 49 fif.) unterzieht E h r m a n n die Frage einer Bestäubung von Blüten durch Schnecken einer dankenswerten kritischen Untersuchung. Bisher waren es fast ausschließlich Blütenbio- logen, die sich über den Gegenstand eingehend geäußert hatten. Die Pflanze und etwa vor- handene Einrichtungen, die eine Deutung im Sinne einer Anpassung oder wenigstens Eignung für den Schneckenbesuch zuließen, standen immer im Mittelpunkt der Erörterung; — um das Tier kümmerte man sich weniger und nahm seine Tauglichkeit zur Pollenübertragung gewissermaßen als selbstverständlich an. Bei der schleimigen Beschaffenheit der Haut „mußten" ja Pollenkörner am Körper des Tieres haften bleiben und so von Blüte zu Blüte transportiert werden. Für E h r m a n n als erfahrenen Schneckenspezialisten verstand sich die Befähigung zum Pollentransport nun nicht so ohne weiteres. Im Gegenteil ließ eine Überlegung, die die Eigentümlichkeiten der Bewegung und Schleimabsonderung der Schnecken berücksichtigte, eine Pollenübertragung von vornherein als sehr zweifelhaft erscheinen. „Während das Tier vorwärts gleitet, . . . ergießt sich von vorn her ein Sekret- strom unter die Kriechsohle, breitet sich da, einem Teppich vergleichbar, aus" und „glättet alle feineren Unebenheiten des Bodens." „Da die Schnecke ihr Schleimband der Unterlage andrückt und es hinter sich liegen läßt, nachdem sie darüber hingeglitten, so können auch leichte Körperchen, die unter die Schleimspur zu liegen kamen, wohl um geringe Beträge aus ihrer Lage verschoben, keinesfalls aber durch das Tier weiterbefördert werden." Daher ist nicht nur ein Transport von Pollen an der Sohlen- fläche ausgeschlossen, sondern es folgt daraus so- gar, daß eine Menge Pollenkörner verklebt, An- therenfächer und Narbenflächen mit der zusammen- trocknenden Schleimschicht bedeckt und so ihrer Bestimmung entzogen werden. Es wäre aber noch an die Möglichkeit zu denken, daß an den Seiten- flächen des Schneckenkörpers gelegentlich Pollenkörner haften bleiben. Bei der Zähigkeit und Klebkraft des Schneckenschleimes wäre die Übertragung auf eine Narbe jedoch selbst in diesem Falle nur dann möglich, wenn die Narbenflüssigkeit den Schneckenschleim an Klebkraft noch über- träfe. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 22 Unter diesen Umständen war eine Nachunter- suchung der älteren Angaben dringend geboten, zumal sich bei näherem Zusehen zeigte, daß der behauptete Bestäubungsvorgang selbst tatsächlich niemals wirklich beobachtet sondern nur per analo- giam erschlossen wurde ! E h r m a n n wählte als Versuchsobjekt die Schlangenwurz (Calla palustris), die unter allen einheimischen Pflanzen noch am ehesten eine Bestäubung durch Schnecken erwarten ließ. Er setzte die gewöhnliche Ackerschnecke (Agriolimas agrestis) und eine kleine Rernstein- schnecke (Succinea putris) auf den Stengel kurz unterhalb eines Blütenstandes, dessen Hüllblatt zur besseren Übersicht entfernt worden war, und ver- folgte mit Hilfe eines Stereo Mikroskopes die sich abspielenden Vorgänge. Bei der angewandten 15- und 35-fachen Vergrößerung war es möglich, das Schicksal jedes bewegten Pollenkornes bis zu seiner Festlegung zu verfolgen. Genau wie erwartet, wurde der Pollen aus den Antheren, die unter die Sohle zu liegen kamen, nicht nur nicht verschleppt, sondern festgelegt. Die Körnchen aber, die an der Seite des Schneckenkörpers haften blieben, wurden mehr oder weniger schnell zusammen mit den sie tragenden Schleimteilchen in das Sohlenschleim- band einbezogen und zwar um so rascher, je näher sie dem Sohlenrande waren. „Diese Beobachtungen machen es klar, daß die Schnecke beim Kriechen nicht einfach eine Sohlenschlelmspur hinterläßt, sondern daß sie gemäß der andauernden Sekretion aller Hautdrüsen gewissermaßen dauernd aus einer Schleimhülle, einem Schleimhemd, herausschlüpft, das als zusammenfallender Schlauch — freilich von ungleicher Wandstärke — hinter ihr liegen bleibt." Das einzelne Pollenkorn, das irgendwie mit dieser Schleimhülle in Berührung kommt, ist ihr unentrinn- bar verfallen. Immerhin wäre es, wenn ausnahms- weise ganze Pollen h äu fc h e n und zwar in ge- eigneter Höhe aufgeladen werden, die Schnecke bald neben eine empfängnisbereite Narbe kommt und ferner das Pollenhäufchen inzwischen am Schneckenkörper eine entsprechende Lage einge- nommen hat, nicht ausgeschlossen, daß die äußeren Körner des Pollenhäufchen auf der Narbe haften bleiben und so eine Bestäubung eintritt. Schon die Häufung der dazu nötigen Bedingungen zeigt zur genüge, daß dieser Fall, wenn überhaupt, doch nur sehr selten eintreten wird. Zur Beobachtung kam er jedenfalls nicht. Der geringe Vorteil, der in einer solchen ganz gelegentlichen Bestäubung liegt, steht aber in gar keinem Verhältnis, zu dem Schaden, der der Blüte aus dem Schneckenbesuch erwächst — selbst wenn man von den Verheerungen, die die Freßgier dieser Tiere anrichtet, ganz absieht: Antheren und Narben, die in der Kriech- bahn hegen, werden völlig verklebt und damit auch einer Bestäubung durch berufene Gäste entzogen. Auf Grund der an der Calla gemachten Er- fahrungen unterzieht Ehr mann auch die über andere einheimische angeblich malakophile Pflanzen (Arum, Lemna, Chrysosplenium und Kompositen) vorliegenden Angaben einer kritischen Musterung und stellt weitere experimentelle Untersuchungen in Aussicht. Die Ausführungen Eh rman n 's sind so überzeugend, daß über deren Ausfall kaum Zweifel bestehen können. Wie es mit Pflanzen anderer Klimate bestellt ist, entzieht sich freilich einstweilen einem sicheren Urleil. Solange aber kein Fall einer regelmäßigen Bestäubung durch Schnecken wirklich nachgewiesen ist, hat die „Malakophilie" aus den einschlägigen Lehr- büchern zu verschwinden. B. Meteorologie. Da in diesem Kriege besonders häufig Gelegenheit geboten war, für den Geschütz- donner Zonen des Schweigens und Zonen abnormer Hörbarkeit zu beobachten, so hat die Erscheinung von neuem eine Reihe von wissenschaftlichen Erklärungsversuchen verursacht. W. Schmidt hat gezeigt, daß die Reflexion der Schallstrahlen an der Wasserstoftatmosphäre nicht in Frage kommen kann, da die Intensität der Schallwellen dazu nicht ausreicht. R. Emden (Sitzgsber. der kgl. bayr. Akad., math.phys. München 1916, S. 113) teih jetzt einen sehr beachtenswerten Erklärungsversuch mit, der den Vorteil besitzt, eine genaue mathe- matische Behandlung zuzulassen und durch meteo- rologische Beobachtungen nachzuprüfen sein dürfte. Emden leitet die Bahn eines Schallstrahles in der Atmosphäre ab unter der Bedingung, daß ein konstanter Temperaturgradient in ihr vorhanden ist. Es ergibt sich eine Zykloide oder angenähert eine Kettenlinie, die nach oben konkav ist. Die unterste Grenzkurve ist diejenige, die von der Erdoberfläche am Ort der Schallquelle tangiert wird, vorausgesetzt, daß die letztere sich unmittel- bar am Erdboden befindet. Dann ergibt sich, daß der Schall für ein Ohr in 1,5 m Höhe bis zu i km Entfernung zu hören ist ; von Beugungserschei- nungen und dgl. ist hierbei natürlich abgesehen. Unterhalb der Grenzkurve liegt die Zone des Schweigens. Ein Wind von konstanter Stärke drückt nun die Grenzkurve in der Windrichtung nieder, in der entgegengesetzten Richtung aber aufwärts, .so daß für die gleiche Höhe die Hörbarkeit in Lee wachsen, in Luv aber abnehmen wird. Die Kurve würde aber stets weiter noch oben gerichtet sein und könnte nur durch abnorm starke Temperatur- zunahme wieder abwärts gelenkt werden. Die Sachlage ändert sich aber, sobald, wie es ja in der Regel der Fall ist, die Windstärke mit der Höhe zunimmt. Dadurch wird die Temperatur- abnahme überkompensiert. So genügt bei dem sehr starken Temperaturgradienten von 0,85° pro 100 m Höhe schon eine Windzunahme von 5 m pro Sek. auf looo m Höhe um in Lee einen ge- radlinigen Strahl zu erzeugen. In Luv findet eine entsprechend starke Verbiegung nach oben statt. Grenzen zwei gleichtemperierte Schichten mit verschiedener Windstärke aneinander, so genügen schon kleine Windsprünge, um bei flach einfallenden N F. XVI. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 303 Wellen Totalreflexion zu erzeugen. Solche akus- tischen Schlieren können auch stark zum Rollen des Donners beitragen. Zur Erläuterung wird ein Beispiel angeführt. Es wird in der Atmosphäre eine Temperatur- abnahme von 0,62" auf 100 m angenommen. In der Bodenschicht soll bis 3SO m Windstille herr- schen, und darüber soll auf je lOOO m die Wind- geschwindigkeit um 4 m pro Sekunde zunehmen. Dann erreicht der Grenzstrahl seinen höchsten Punkt in 3350 m Höhe und steigt von da in der symmetrischen Kurve wieder abwärts, so daß er in 161 km Entfernung von der Schallquelle wieder den Erdboden erreicht. Dort beginnt also eine neue Zone der Hörbarkeit. Dies würde mit den Beobachtungen hinreichend übereinstimmen. In der Zone des Schweigens können Gebirge bis zur Höhe der Grenzkurve aufsteigen, ohne die Hör- barkeit zu beeinflussen, vorausgesetzt natürlich, daß die Windverhähnisse dadurch keine wesentliche Änderung erfahren. Befindet sich die Schallquelle in einer ge- wissen Höhe über dem Erdboden, so wird die analytische Behandlung des Problems schwieriger. Die Grenze zwischen den Zonen des Schweigens und der Hörbarkeit wird dann nicht durch einen äußersten Schallstrahl, sondern durch ein mehr oder weniger schmales Übergangsgebiet gebildet. Scholich. Zoologie. Insektenfährten im Ladenstaub natur- wissenschaftlicher Sammlungen. Auf dem Boden verstaubter Schubladen fand Toldt (Zoolog. An- zeiger 1916) ein eigenartiges Gewirr von Fährten, die im einzelnen ganz charakteristische Aubbildung zeigten. Es handelte sich um Gehspuren von verschiedenen Insekten, die allerdings lebend nicht mehr aufgefunden werden konnten. Um sie zu identifizieren, stellte Toldt zum Vergleiche Ver- suche mit lebenden Insekten an, die gelegentlich in Sammlungen vorkommen, und ließ sie einzeln auf staubigen Ladenböden gehen. Er fand zunächst, daß die Spuren sowohl von Larven als von ausgebildeten Tieren erzeugt wurden. Von Käferlarven oder Mottenraupen stammten F"ährten her, welche ihrer ganzen Breite nach weiß, also voll sind und oft einen stark gewundenen Verlauf nehmen. Die Tiere gehen langsam und haben keine bestimmte Richtung. Die Spuren von Käfern dagegen bestehen der Hauptsache nach aus zwei parallelen, mehr oder weniger eng nebeneinander verlaufenden Reihen von unregelmäßigen Sternchen oder Strichelfiguren, die auch zu einer Zickzack- oder Wellenlinie zu- sammenfließen können. Da die ausgebildeten Käfer gewöhnlich beweglicher sind als ihre Larven, nehmen die Spuren mehr einen geraden, ziel- sicheren Verlauf Volle Fährten sind oft nicht ganz rein, sondern durch Staubteilchen verunreinigt, weil die be- haarten Larven Staubballen mitschleppen, die da und dort wieder abgeladen werden. Bei jungen Larven der Nekrobia rufupes Degeer, die gerne osteologische Sammlungen befällt, sind die Rand- konturen ziemlich scharf und die Spur ist in frischem Zustand fast ganz rein gefegt. Die Tiere legen knäuelartig verschlungene Wege zurück und beschränken sich meist auf einen ziemlich engen Raum. Die alten Larven, welche bis zu 10 mm groß werden können, kriechen ziemlich rasch und geradeaus und hinterlassen eine 2 mm breite, ziemlich scharf konturierte reine Spur. Ebenfalls zart, aber in großen Bogen und Schlingen verläuft der Weg der Anthrenuslarve (Kabinettkäfer), eines bekannten Sammlungs- schädlings. Sie hat längere Beine und einen ziemlich kurzen Rumpf und erzeugt daher eine w-eniger ruhige und unreine Spur. Das Bild unterscheidet sich bei jungen und allen Larven nur durch die Breite. Dermesteslarven (Speckkäfer) hinterlassen eine Spur, die außer einem vollen 2 mm breiten Streifen beiderseits an diesen anschließend je eine nahezu ebenso breite dicht fein und longitudinal punktierte Zone zeigt, so daß die Gesamtbreite der Fährte ungefähr 5 mm beträgt. Mottenraupen erzeugen ähnliche Spuren wie Käferlarven. Aus zwei parallelen Reihen von zumeist alter- nierenden dicht hintereinander liegenden kleinen unregelmäßigen Stern- , Strich- oder Häckchen- figuren besteht die Spur des ausgebildeten Kabinett- käfers (Anthrenus). Nekrobia rufupes marschiert so, daß zwischen den zwei Reihen von Stern- punkten oder Strichelchen meistens eine mehr oder weniger kontinuierliche Reihe kurzer Strichelchen verläuft , welche so nahe hinter- einander folgen, daß sie oft zusammenfließen und streckenweise eine einheitliche ziemlich gerade Linie bilden. Bei Dermestes lardarius setzen sich die beiden seitlichen Reihen aus unregelmäßig longitudinal gerichteten Zickzackfiguren zusammen, die vielfach wellenförmig ineinander fließen. Viel zarter als die Spuren der ausgebildeten Käfer sind diejenigen der Mottenimagines. Sie sind oft bis zu 6 mm breit und bestehen aus zwei parallelen Reihen feiner ziemlich langer Strichelchen, die längs gerichtet sind und knapp hintereinander folgen. Oft geht nach der Seite ein kurzes Strichelchen ab, das ofi"enbar von dem Sporn herrührt, der an den Beinen der Motten kräftig ausgebildet ist. F. St. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 22 Bücherbesprechuugen. Beiträge zur Kenntnis der Land- und Süßwasser- fauna Deutsch-Südwestafrikas, herausg. von W. Michaelsen. Lief. 3. 63 S. 8». i Taf. und I Textabb. Hamburg 191 5. — Preis 4M. In dieser Lieferung behandelt M.Bern hau er die Staphyliniden und Fr. Werner die Rep- tilien und Amphibien. Unter den 26 Staphyli- niden werden 6 neue Arten und für eine siebente eine neue, in ihrer Stellung etwas zweifelhafte Gattung {Pcricrpoi/) aufgestellt. Die Zahl der Reptilienarten stellt sich auf 67 (4 Testudiniden, 38 Lacertilier und 26 Ophidier), die der Am- phibien (nur Batrachier) auf 9. Neu ist eine zu den Colubriden gehörende, Prosynina nahe- stehende Gattung, die den Namen Micaela erhält (mit pcninsiifa n. sp.). Von Interesse sind die Angaben über den im Dünensande lebenden und nur nachts auf Nahrungssuche ausgehenden Pabuato- gcckt/ raiigri', der aufgeschreckt eine Kampfstellung annimmt, den Körper auf den schlanken Beinen wiegend nach vorn und rückwärts bewegt, dabei den Schwanz hoch und nach oben gekrümmt hält und zischende Laute von sich gibt; die Zehen der 4 Beine sind, um das Einsinken in den losen Sand zu verhüten, durch eine breite Membran untereinander verbunden. Der mit ihm verwandte Sfcnodacfyli/s pctrici Aud., der in den Sandwüsten Ägyptens, Tripolitaniens und Algeriens lebt, aber der „Sandschwimmhäute" entbehrt, nimmt ge- legentlich ähnliche Stellung ein. M. Braun. Anregungen und Antworten. Bestecke, Herrn Dr. W. W. — Ein neueres Praktikum der makro- skopiscben Anatomie der Wirbeltiere, in dem Vertreter aller Wirbeltierklassen eingehend behandelt und genaue Weisungen über die Verwendung der anatomische der Injektionsspritzen usw. sowie zur Herstellung von makro- skopischen Dauerpräparaten gegeben werden, existiert nicht. Zur Einführung in das praktische Studium der Wirbelticr- anatomie können indessen zunächst die zoologischen Praktika dienen, in denen die Wirbeltiere teils mehr teils weniger ausführlich behandelt werden. In Betracht kommen folgende Praktika : Braun, M., Das zootomische Praktikum. Eine Anleitung zur Ausführung zoologischer Untersuchungen für Studierende der Naturwissenschaften, Mediziner, Ärzte und Lehrer. Stutt- gart 1886. Hatschek, B. und Cori, C. J., Elementarkurs der Zootomie in 15 Vorlesungen. Jena 1896. Kükenthal, W., Leitfaden für das zoologische Praktikum. 6. Aufl. Jena 1912. Mojsisovics,A., Leitfaden bei zoologisch-zootomischen Präparierübungen für Studierende. Leipzig 1879. Vogt, C. und Yung, E., Lehrbuch der praktischen vergleichenden Anatomie. 2 Bde. Brauuschweig 1888— 1894. Am meisten im Gebrauch ist heute das Praktikum von Kükenthal, in dem 7 Vertreter der Wirbeltiere besprochen werden: Amphioxus, Scyllium , Leuciscus, Rana, Lacerta, Columba und Lepus. Am ausführlichsten ist das Lehrbuch von Vogt und Yung, das, obwohl bereits vor 25 Jahren erschienen, auch heute noch empfohlen werden kann. Die anderen Praktika werden zweckmäßig in Verbindung mit einem der folgenden Lehrbücher benutzt: Gegenbaur, C, Vergleichende Anatomie der Wirbel- tiere mit Berücksichtigung der Wirbellosen. 2 Bde. Leipzig 1S98 und 1901. Schimke witsch, \V., Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere. Stuttgart 1910. Wiedersh eim , R., Vergleichende Anatomie der Wirbel- tiere. 7. Aufl. Jena 1909. Schließlich sei noch auf den ersten Band der „Mono- graphien einheimischer Tiere" hingewiesen, in dem die Anatomie des Erosches, der zur Einführung in das praktische Studium der Wirbeltiere wohl das geeignetste Objekt ist, eine eingehende Darstellung findet: Hempelmann, F., Der Erosch. Zugleich eine Ein- führung in das praktische Studium des Wirbeltier -Körpers. Leipzig 190S. Die vorstehend genannten Praktika geben zumeist schon genügende Auskunft über die anzuwendende Technik, ent- halten teilweise auch Angaben über die Anfertigung makro- skopischer Dauerpräparate, jedoch können zur Ergänzung noch zu Rate gezogen v/erden : Dahl, K., Kurze Anleitung zum wissenschaftlichen Sammeln und zum Konservieren von Tieren. 3. Aufl. Jena 1914. Schuberg, A., Zoologisches Praktikum. 1. Bd ; Ein- führung in die Technik des zoologischen Laboratoriums. Leipzig 1910. In dem Schuber g' sehen Praktikum — der II. Bd., der den speziellen Teil enthalten soll, ist bisher nicht er- schienen — werden genaue Anweisungen gegeben über die Einrichtung des Laboratoriums, über das zum Präparieren er- forderliche Instrumentarium, das Töten der zur Präparation bestimmten Tiere, die Ausführung der Präparation, das Konservieren, die Anfertigung von Durchschnitten, die Iso- lation von Hart- und SkeleUeilen, über die Injektionsmethoden, die Aufstellung und Aufbewahrung anatomischer Präpa- rate usw. Nachtsheim. Wie Herr Oberstudienrat Prof. Dr. K. Lampert in Stuttgart mitteilt, ist als Bestimmungsbuch für die bei uns kultivierten, nicht einheimischen Slräuclier und Bäume auch empfehlenswert: Otto Feucht, Parkbäume und Ziersträucher. Stuttgart. Strecker & Schröder. 1,40 M. Für den gleichen Zweck empfiehlt Herr Prof. H. Kunze in Cassel das Buch von A. Lehmann, Unsere Gartenzierpflanzen. Zwickau, Förster und Borries. 8 M. Inhalt: G. Dittrich, Die Pilzvergiftungen der letzten Jahre. S. 297. F. Pax, Die Verbreitung des wilden Kaninchens in Russisch -Polen. S. 299. — Einzelbetichte : Riem, Neue Sterne. S. 300. Guthnick und Prager, Die Veränderlichen. S. 301. Ehrmann, Bestäubung von Blüten durch Schnecken. S. 301. W. Schmidt, Zonen abnormer Hörbarkeit. S. 302. Toldt, Insektenfährten im Ladenstaub naturwissenschaftlicher Sammlungen. S. 303. — Bücherbesprechungen: Beiträge zur Kenntnis der Land- und Süßwasserfauna Deutsch-Südwestafrikas. Lief. 3. S. 304. — Anregungen und Antworten: Praktikum der makroskopischen Anatomie der Wirbeltiere. S. 304. Bestimmungsbuch für die bei uns kultivierten nicht einheimischen Sträucher und Bäume. S. 304. Manuskripte und Zuschrifte Druck der G Invalidenstraße 42, erbeten. eu an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin Verlag von Gustav Fischer in Jena. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. O. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den lo. Juni 1917. Nummer 33. Die Bedeutung der Anatomie lebender und fossiler Hölzer für die Phylogenie der Koniferen. Von Dr. R. Kräusel. Mit 9 Originalzeichnungen und Photographien vom Verfasser. [Nachdruck verboten.] Hins der Hauptprobleme der modernen Syste- matik ist die Erkenntnis der natürlichen Ent- wicklung des Pflanzenreichs, die Aufstellung von Entwicklungsreihen. In dem jeweils angenommenen System finden diese Anschauungen ihren Ausdruck. Die benutzten Merkmale sind in erster Linie Bau und Entwicklung der Fruktifikationsorgane, aber auch der vegetativen Pflanzenteile. Selbstverständ- lich kann eine solche Betrachtung an den fossilen Pflanzenresten nicht achtlos vorübergehen, sie wird im Gegenteil gerade aus ihrem Studium ceen und Araucarien." Neuerdings ist auch ver- sucht worden, auf vergleichend anatomischer Grundlage zu einem Stammbaum der Koniferen zu gelangen. Wenn derartige Betrachtungen, sofern die Morphologie besonders der P"rukti- fikationsorgane unberücksichtigt bleibt, im allge- meinen auch als einseitiges und daher oft irre- führendes Verfahren angesehen werden müssen, so ist es um so beachtenswerter, wenn, wie in unserem Falle, Penhallow') auf diesem Wege fast zu gleichen Schlüssen wie E i c h 1 e r gelangt. Die Bemühungen, den Bau des Holzes für eine systematische Bestimmung der Gruppe und besonders der überaus zahlreichen fossilen Stamm - Querschnitt eines Holzes aus der Br (Taxodio.tylon). II Harzparenchym. M Mirkbtrihl wichtige Schlüsse ziehen. Für die Koniferen möge als Beispiel das von E i c h 1 e r ') auf Grund morpho- logischer Betrachtungen aufgestellte System dienen, das sich im ganzen weitester Anerkennung erfreut. Es entspricht der schon von Schenk-) ausge- sprochenen Ansicht, daß „die jetzt noch vor- handenen Nadelhölzer sich als eine Gruppe er- weisen, welche zum Teil aus Formen besteht, welche wir nur als Reste einer früher reichlicher entwickelten Formenreihe betrachten können, andererseits aus solchen, deren Auftreten in eine spätere Zeit fallend, jetzt noch in voller Blüte stehen. Zu den letzteren wird man die Ahictincen rechnen müssen, wohl auch einen Teil der Ciipressi- nccii und Taxodiiiccn, zu den ersteren die Taxa- ') In Engler - Prantl, Natürl. Pflanzenfam. II. I. Leipzig 1889. 2) Schenk, A., Handbuch der Botanik. IV. Breslau 1 890. reste zu verwerten, reichen nun bald ein Jahr- hundert zurück. Es ist hier nicht möglich, den Weg im einzelnen zu verfolgen, den die F'orschung auf diesem Gebiete gegangen ist. Näheres findet der Leser an anderem Orte, "j Die größten Ver- dienste erwarb sich hier Goeppert, was be- sonders betont werden muß, da in neuerer Zeit der Wert seiner Arbeiten, die natürlich zum Teil nicht mehr dem heutigen Standpunkte entsprechen, zu Unrecht verkannt worden ist. Auf seinen wie den Untersuchungen von Kraus fußten lange Zeit alle Arbeiten über fossile Koniferenhölzer. ') ') Penhall ow, D. P. , Manual of North American Gymnosperms. Boston 1907. 2) Es ist nicht möglich, hier die in Frage stehenden Arbeiten einzeln zu nennen. Ausführliche Literaturnachweise habe ich in meiner „Tertiärflora Schlesiens" (Jahrbuch Preuß. Geol. Landesanstalt f. 1916) und der Arbeit „Die fossilen Koniferenhölzer" gegeben, die in der Palaeontographica erscheint. 3o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 23 Ihr Ergebnis war nicht ermutigend, gipfelte es doch in der Erkenntnis, daß die verschiedenen Gattungen, um von den Arten ganz zu schweigen, im Bau des Holzes so sehr übereinstimmen, daß eine Trennung nicht möglich ist. Nur fünf große Sammelgruppen glaubte man nach ebensoviel Bau- typen unterscheiden zu können. Zahlreichere spätere Versuche, hier Abhilfe zu schaffen, hatten keinen Erfolg, weil die Merkmale, die man be- nutzte, wie Breite der Jahresringe, Dicke der Zell- wände, die Anzahl und Weite der Zellen usw. systematisch wertlos waren. Man ließ außer acht, daß eben diese Verhältnisse innerhalb einer Art, ja sogar innerhalb eines Individuums großen Schwankungen ausgesetzt sind. Erst Gothan war es vorbehalten, der Untersuchung neue Wege zu weisen, indem er den hohen Wert des Mark- strahlenbaues für die Bestimmung erkannte. Das nach außen laufen (Abb. 6 u. 7). Diese selbst bestehen aus Parenchymzellen, bei den Abictincen auch aus Quertracheiden (Abb. 6) und sind, wie Gothan unwiderleglich dargetan hat ') für die Diagnostik von höchstem Werte. Der Bau ihrer Zellen, namentlich die verschiedene Ausbildung der Markstrahltüpfelung auf der radialen Wand, von der Abb. 8 u. 9 die wichtigsten Typen darstellen, eine ermöglicht weitgehende Gliederung der alten großen Sammelgruppen, so daß wir in zahlreichen Fällen die Gattung nach dem Bau des Holzes be- stimmen können. Wir können folgende Bautypen unterscheiden, wobei auch die wichtigsten Merk- male genannt sein mögen. ^) I. jb-aiicarioxylon. Umfaßt Araucaria und Dannnara. Ohne Harzgäiige und Harzparenchym. Tracheidentüpfel alternierend , Markstrahltüpfel klein, spaltenförmig. Abb. 3. Desgleicheu. Tangentialschnitt. H Harzparenchym. Holz aller Koniferen besteht in der Hauptsache aus Tracheiden, die, wie unsere Bilder erkennen lassen, auf der radialen, in manchen Fällen auch der tangentialen Wand „Hoftüpfel" besitzen (Abb. 2 u. 3). Sie sind bei den Araiicarien alternierend, bei allen übrigen Koniferen aber opponiert angeordnet (Abb. 5). Im letzteren Falle sind sie oft durch zarte Membranleisten, die „Sanioschen Streifen" voneinander getrennt. Bekanntlich ist das Holz aller Nadelbäume äußerst harzreich. Das Harz findet sich teils in den Tracheiden (.\bb. 7), teils in besonderen Paren- chymzellen und hat sich gerade im fossilen Holze prachtvoll erhalten (Abb. i — 3). Querwände und einfache Tüpfel unterscheiden die Parenchymzellen deutlich von den Tracheiden (Abb. 5 b). Einige Gattungen der Abictincen sind auch zur Aus- bildung besonderer Harzgänge geschritten, die das Holz von oben nach unten durchziehen. Mit ihnen kreuzen sich andere, die in horizontaler Richtung im Innern der Markstrahlen von innen Abb. 4. Desgleichen. Querschnitt mit Harzgängen (Piceoxylon). H Harzgänge. 2. Taxoxylon. Umfaßt Taxus, CcpJialofaxits und Torrcya. Wie bei allen folgenden Tracheiden- tüpfel opponiert. In den Tracheiden Spiralver- dickungen. 3. Piceoxylon. Umfaßt Picea, Larix und Pseudotsuga. Dickwandige Harzgänge, glatt- wandige Quertracheiden und getüpfelte Mark- strahlzell wände (yi(^/f//«cY//-Tüpfelung). 4. Piuuxyloii. Umfaßt Piiius. Wie oben, Harzgänge aber in der Regel dünnwandiger, die Markstrahltüpfel eiporig, oft sehr groß, die Wände der Quertracheiden meist mit Zacken. 5. Ccdroxylo)!. Umfaßt Cednis, Abies und die übrigen Abietiuecit. Abietiiiccn-lL\iLph\\ing. Harz- gänge nur im Wundholz. 6. Juniperoxylon. Umfaßt Juniperus, Libo- cedrus z. T., Fitzroya, Saxcgothaea. Markstrahl- ') Ausführliches hierüber in meinen genannten Arbeiten, sowie bei Gothan, Zur Anatomie lebender und fossiler Gymnospermenhölzer. Abhandl. Pieuß. Geol. Landesanstalt. N. F. 44. Berlin 1905. N. F. XVI. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 307 tüpfel cupressoid, die IMarkstrahlwände getüpfelt (juniperoide Tüpfelung). 7. Citprcssiiio.xylon. Umfaßt das Gros der C/ipressii/ccii , Scqiioia giganfca. Glattwandiges Harzparenchym. Markstrahltüpfel mit schrägem Porus (cupressoide Tüpfelung). 8. Glyptosfruboxylon. Umfaßt Glyptostrobtis (und Ciowiiighamia? ?). Markstrahltüpfel typisch eiporig, zahlreich (glyptostroboide Tüpfelung). Abb, 5. Traclieidenliipfcl a) bei Araucaria. b) bei den übrigen Koniferen. II eine Ilarzzelle mit getüpfelten Querwänden. S Saniosche Streifen. Abb. 6. Piceoxylontyp rzgang. H Harzepithel M Mark-Strahl (Abie r. getüpfelt, p feiung). 9. laxodioxyloii. Umfaßt TaxoJimit und Scquoia soiipcrvirciis. Markstrahltüpfel ein Mittel- ding der beiden vorigen, im Frühholze mit breitem, horizontalem Porus (taxodioide Tüpfelung). 10. Poducarpoxylon. Umfaßt Podvcarpns z. T. (und einen Teil der spiralenlosen Taxacccii) Mark- strahltüpel mit vertikal spaltenförmigem Porus oder kleine vertikale Eiporen (podocarpoide Tüpfe- lung). 11. Phyllocladoxyloii. Umfaßt Phyllocladus und den Rest der Taxacccii. Markstrahltüpfel groß, eiporig. Innerhalb all dieser Gruppen ist noch eine weitere Teilung möglich, doch sind alle Fragen noch nicht gelöst. Dennoch steht die Holz- bestimmung nunmehr endlich auf brauchbarer Grundlage. Viele wertvolle Einzelheiten hierzu hatte schon Penhallow beigetragen. Gleichzeitig mit ihm beschäftigte sich ein anderer amerikanischer Forscher mit der Anatomie und Phylogenie der Koniferen, Jeffrey, der aber zu genau entgegen- gesetzten Resultaten kommt. Seine und seiner Schüler (Bailey, Gerry, Holden, Sinnot u. a.) zahlreiche Arbeiten verfolgen als Hauptziel den Nachweis, daß die allgemein anerkannten An- sichten über die Stammesgeschichte der Koniferen ganz falsch sind und in Wirklichkeit ins schärfste Abb. 7. Piceoxylontyp. Horizontaler Harzgang. Gegenteil umgekehrt werden müssen. Danach sind die ältesten Koniferen, von denen alle übrigen abstammen, die Abictiiiccii mit Quertracheiden, senkrechten und horizontalen Harzgängen, an die sich die Taxodiceii und Cnprcssinceii und als jüngste Gruppe die Araucaricoi anschließen. Es genügt, wenn wir diese großen Gruppen be- trachten. Wie begründet nun Jeffrey seine Lehre? In Anlehnung an das bekannte „bio- genetische Grundgesetz" der Zoologie stellt er an ihre Spitze den Satz, daß sich die Eigenschaften der Vorfahren besonders lange in ontogenetisch jungen Stadien erhalten. Hierzu tritt die aus der Er- fahrung abgeleitete Tatsache, daß das gleiche von den Fortpflanzungsorganen gilt und auch das nor- male, infolge von Wundreiz entstandene Gewebe 3o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 23 wichtige Rückschlüsse auf den Bau der Ahnen- form zuläßt. Auf die Struktur der ersten Jahres- ringe fruchtender Sprosse, der Zapfenachse und des Wundholzes lenkte daher Jeffrey sein Haupt- augenmerk. Dabei fand er, daß bei Scqiioia gigaHtca Torr., dem Mammutbaum Nordamerikas, in der Zapfenachse wie im ersten Jahresring kleinerer Zweige in der Regel Harzgänge auf- treten, die er hier als normale Bildungen erklärt (ich habe in mehreren Fällen allerdings keine gesehen 1), während sie im übrigen Holze wie bei Sequoia scmpcrvirois Endl., dem kalifornischen redwood, nur auf Wundreiz hin angelegt werden. Die gleichen Verhältnisse treten bei den normal harzganglosen ..//^/('////(r;/ auf (^ihics, Tsi/ga usw.: Cedroxylon). Daraus zieht Jeffrey den Schluß, daß diese Harzgänge den letzten Überrest einer Die Reduktion hat (nach Jeffrey) also den höchsten Grad erreicht. Dagegen findet er, daß in dieser Gruppe die genannten phylogenetisch ausschlaggebenden Regionen eine von der nor- malen Ausbildung abweichende Tüpfelung der radialen Tracheidenwandungen besitzen. Die Tüpfel stehen nicht mehrreihig alternierend, son- dern in einer Reihe (bei der Schmalheit der ersten Zellen eben kein Wunder I) und berühren sich oft kaum. Auch treten in den eben ange- legten Markstrahlen der ersten Jahresringe wie auch im Wundholze dickwandige, stark getüpfelte Zellen auf, die Jeffrey mit dem getüpfelten Strahlenparenchym der Abiefineen in Verbindung bringt. So ist „bewiesen" (von den fossilen Hölzern ist noch die Rede), daß auch die Anui- cariecn von Arten mit nicht alternierenden (oppo- ^^^ IX ji^ iiö^ f^ Piasaip ai K ¥ TD I ^^-==^^^^ Abb. 8. Radialschnitt durch Abietineenholz. a) Piceoxylontyp. Quertracheiden und Abietineentüpfelung. b) Pinuxylontyp. Zackenzellen und Eiporen, rechts Spiral- streifung. Abb. 9. Markstrahltüpfelung. a) araucarioid. b) cupressoid. c) ta.\odioid. d) glyptostroboid. e) podocarpoid. f) phyllocladoid. Reduktion darstellen, von denen die harzgang- führenden Abidineen betrofifen worden sind, und demgemäß harzganglose ^Ihictiiiccii wie Taxodiecii und im Anschluß hieran auch die Cuprcssiiiccn von jenen abzuleiten sind. Bei den letztgenannten ist die Reduktion bis zum völligen Schwinden der Harzkanäle fortgeschritten. Im gleichen Sinne deutet er das Auftreten von Quertracheiden- ähnlichen Zellen (ich sage absichtlich nicht Quer- tracheiden, weil diese Zellen von den normalen Bildungen doch erheblich abweichen) bei Arten, denen sie im normalen Holze fehlen {Sequoia, CH)i)ii)ighai)ii(i). Bei den lebenden Araucarioi (einschheßhch Daiiniiara) treten zwar, soweit bis- her bekannt, in keinem Falle Quertracheiden oder Harzgänge auf, selbst die einfachen Harzzellen der Cuprcssü/cen und Tnxodiccn fehlen hier ganz. nierten) Tüpfeln und verdickten Markstrahlzell- wänden abstammen, und damit die Reihe Abictiiicoi -Taxodiecii- Ciipressiiiccn und Abic- tiiiceii-Araiicariecii geschlossen. G e r r y , eine Schülerin Jeffreys, gibt dann einen weiteren Beitrag für die Begründung seiner Lehre. Sie macht die nicht gerade überraschende Entdeckung, daß die zuerst von Sanio beschriebenen und nach ihm ,,San lösche Streifen" genannten Membranbildungen zwischen den Tracheiden den Araiicarieii fehlen, i) Nach Jeffrey ist dies aber nur dort der Fall, wo die Tüpfel typisch araucarioid angeordnet sind, nicht aber an den genannten Stellen mit entfernter stehenden ') Gerry, E., The distribution of the Bars of Sani( the Coniferales. Ann. of Bot. XXIV. London 19 10. N. F. XVI. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 309 Tüpfeln, wo ähnliche Bildungen beobachtet werden können „priiiiitif bars 0/ Santo". Die Deutung, die Jeffrey dem gibt, liegt auf der Hand. Es ist für ihn ein weiterer Beweis, daß die abietioide Tüpfelung den älteren, die araucarioide aber den modernen Typus darstellt. Selbstverständlich zieht er auch die fossilen Holzreste in den Kreis seiner Betrachtungen, sie spielen sogar eine sehr wichtige Rolle und sollen seine Lehre, die, wie sich Holden einmal aus- drückt, schon durch die Untersuchung der lebenden Koniferen „über jeden logischen Zweifel" bewiesen ist, erneut befestigen. Zuerst von Gothan, später auch anderen Forschern wurden zahlreiche Hölzer aus Jura und unterer Kreide beschrieben, die im Bau in vielen Zügen modernen Typen gleichen, deren Tracheidentüpfelung aber eine Mittelstellung zwischen abietioider und araucarioider einnimmt {Protüccdroxylo)i, Protopiccoxyloii Gothan u. a.). Andere fossile „Gattungen" unterscheiden sich von lebenden nur durch das angebliche Fehlen der San loschen Streifen. Indem dieser Mangel zum alleinigen Merkmal araucarioider Verwandt- schaft gemacht, alle übrigen Merkmale aber, wie Harzgänge, Tüpfelung der Markslrahlen, Eiporen als irreführend erklärt werden, werden eine große Anzahl solcher Fossile, die in allen diesen Struktur- einzelheiten an Abictiiicoi erinnern, als primitive Araiicariceii mit noch abietioiden altertümlichen Anklängen gedeutet. So ergibt sich der merk- würdige Begriff von „verkappten Araiican'ecn" (Araucarians in disguise), die zwar modernen Gruppen wie Piceoxyloii, Cfdroxyloii, Ciipressin- üxyloit, Phyüocladuxylou täuschend gleichen, deren wahre Stellung aber erst der Mangel der San lo- schen Streifen erkennen läßt. Manche dieser „^■Iraiicaricit" haben die getüpfelten Markstrahl- zellen der Ahnen htha\\.tn{ProfüccdroxyloiiGo\.hdin), andere ebenso die Harzgänge und das Harzparen- chym {Profopiceoxyloii Gothan, l'aracuprcssin- oxylo)! Sinnot). Eine weitere Entwicklungsstufe bilden dann Hölzer mit teils araucarioider Tüpfel- stellung und araucarioiden Markstrahlen, die aber in der Ausbildung von Wundharzgäng'en und durch die Anlage primitiver Sa nioscher Streifen noch an die .■i/'/r//>/('(7/-Vorfahren erinnern [Brachy- oxyluii Jeffrey, Protobradixoxyloit Holden). Hier- an schließt sich dann unmittelbar die modernste, in den ^[raitcancii verkörperte Bauform. Bei der kritischen Würdigung dieser Anschauung kann ohne weiteres zugegeben werden, daß rein gedanklich eine solche Entwicklungsreihe wohl möglich wäre. Wenn sie trotz häufiger Wieder- holung außerhalb des Jeffrey sehen Kreises überall schroffer Ablehnung begegnet ist, müssen sich schwerwiegende Gründe dagegen anführen lassen. Schon die allgemeinen Sätze, von denen Jeffrey ausgeht, sind keineswegs über jeden Einwand erhaben. Pis braucht dabei gar nicht behauptet zu werden, daß sie unbedingt falsch seien, wohl aber muß man ihre von Jeffrey ohne weiteres angenommene Allgemeingültigkeit in Zweifel ziehen. Das Schicksal des „biogenetischen Grund- gesetzes" beweist das Gesagte zu deutlich. Noch ist es der Zoologie nicht gelungen, sich völlig von den schweren Irrtümern frei zu machen, die da- durch geschaffen wurden, daß man kritiklos jedes tierische Jugendstadium als Ahnenform deutete. Und nun begeht Jeffrey auf unserem Gebiete den gleichen Fehlerl Das leitende Prinzip der Entwicklung ist für ihn in jedem Falle die Re- duktion des komplizierteren zum einfachen Bau- typ. Nun ist ja dieser Weg an den verschieden- sten Stellen sicher von der Natur eingeschlagen worden, ebenso oft, wenn nicht häufiger, aber auch der umgekehrte. So könnte die Regel, daß die Entwicklung nach dem Prinzip der Arbeits- teilung vom Einfachen zum Zusammengesetzten fortschreitet, weit eher Anspruch auf Allgemein- gültigkeit erheben. Wo immer von diesem Wege abgewichen wurde, lassen sich besondere Gründe hierfür erkennen (Parasiten). Jedenfalls ist von vornherein ganz unwahrscheinlich, daß für einen so umfassenden Teil des Pflanzenreiches wie die Koniferen Reduktion das alleinige, alle Ent- wicklung beherrschende Gesetz gewesen sein soll. Auch daß Wunderscheinungen wie hier das Auf- treten von Ouertracheiden, gehäuftem Parenchym und Harzgängen nun in jedem Falle als Atavis- mus gedeutet werden, fordert zu Widerspruch heraus. Betrachtet man von diesen Gesichtspunkten aus den anatomischen Bau der Koniferen, so kann kein Zweifel über die Reihenfolge der einzelnen Gruppen herrschen. Am Anfange stehen als am wenigsten differenzierte die Araucaricoi, es folgen Cuprrssiiu'rcji und Taxodiccii (neben ihnen die Taxacct)/], schließlich die Abictiiiccii. Diese Reihe soll aber nur ein Schema der Entwicklung des Bautyps darstellen. Im einzelnen ist der Zu- sammenhang viel komplizierter, und es ist wahr- scheinlich, daß die genannten Gruppen sich als nebeneinander stehende Reihen aus einem oder mehreren P'ormenkreisen entwickelt haben, so daß sie heute ohne direkte Beziehung nebeneinander stehen. Der Nachweis von Fossilien, die unzweifel- haft Merkmale verschiedener Gruppen miteinander vereinigen, deutet darauf hin. Gerade das Wund- holz scheint mir der geeignete Ort zu sein, wo zuerst Neubildungen auftreten konnten. Hier spielt die Leitung der Säfte, des Wassers, vor allem aber die Harzausscheidung eine wichtige Rolle. Nun dürfte es aber in den Wäldern der Vorzeit kaum einen Baum gegeben haben, der nicht in hohem Maße Verwundungen ausgesetzt war. Conwentz hat uns dies in unübertreff- licher Anschaulichkeit von den baltischen Bernstein- wäldern des Oligozäns geschildert.') „Das Patho- logische war die Regel, das Normale die Aus- nahme." Im Wundholze mögen zuerst Ouertrache- iden, vor allem aber Harzzellen und schließlich ') Conwentz, H., Monographie der baltischen Bernstein- bäume. Danzig 1890. 3IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 23 auch Harzkanäle gebildet worden sein. Kann es wundernehmen, wenn sie bei gewissen Arten auch zu Bestandteilen des normalen Holzes wurden ? Lassen sich so schon vom allgemeinen Stand- punkte berechtigte Einwendungen gegen Jeffreys Folgerungen machen, so häufen sich die Schwierig- keiten, wenn man einzelne aus diesen herausgreift. Die Abstammung der ^[raiican'eu wird durch die Anordnung der Tracheidentüpfel, sowie das Auf- treten stark getüpfelter Markstrahlzellen und primitiver Sani o scher Streifen in gewissen Pflanzenteilen begründet. Jene Zellen sehen aber echter . W/r/Zy/rcw-Tüpfelung so unähnlich, daß von einem Vergleich gar keine Rede sein kann. Über ihre wahre Natur kann kaum Zweifel herrschen, gleichen sie doch völlig den ebenfalls dickwandigen und getüpfelten Zellen, die man im Mark häufig antrifft. Es ist nicht erstaunlich, daß innerhalb der zuerst angelegten Zellschichten solche Zellen auch noch in den Markstrahlen vorkommen und auch ihr gelegentliches Auftreten im Wundholz berechtigt noch lange nicht, sie mit dem abietioid getüpfelten Strahlenparenchym gleichzusetzen. Auch dem Auftreten Sanio scher Streifen sowie der abweichenden Tüpfelung kann diagnostischer Wert im Sinne Jeffreys nicht beigelegt werden. Wie S i f t o n ^) nachgewiesen hat, herrschen ganz die gleichen Verhältnisse auch bei den Cycadccii. Im Verfolg der Jeffrey- schen Methode wäre dadurch aber „bewiesen", daß auch diese von den Abicfiiieeii abstammen. Dieses unmögliche Ergebnis beleuchtet die Irrig- keit der Jeffrey sehen Schlußfolgerungen deutlich. Noch klarer tritt dies bei Betrachtung der fossilen Hölzer zutage. Angeblich sollen diese ja seine Lehre erneut unterstützen. Der Weg aber, auf dem dies erreicht wird, ist recht eigen- artig. Nachdem die San loschen Streifen zum alleinigen Erkennungsmerkmal araucarioider Ver- wandtschaft gestempelt und auf Grund dessen, sowie der Jeffreys Lehre begründenden allge- meinen Sätze eine Anzahl mehr oder weniger abietioid gebauter Hölzer als „7'r/-/i7?/>/'//i-^-'i/-rt'//t7?/'7i!7/" erklärt worden sind , werden eben die gleichen Hölzer als „unwiderlegliche Stützen und paläonto- logische Beweise" seiner Schlüsse hingestellt. Zweifellos bewegen wir uns hier im Kreise. Demgegenüber wird man Holdens Meinung von der „Erhabenheit über jeden logischen Zweifel" doch wohl nicht als maßgebend ansehen können. Schon die Verbreitung der lebenden wieder fossilen Koniferen beweist, daß Jeffreys Ansichten der wirklichen Sachlage nicht ent- sprechen. Wo immer wir heute in der Natur Relikten alter Zeiten begegnen, sind diese auf verhältnismäßig kleine Gebiete beschränkt. Bei den Koniferen wäre aber das Umgekehrte der Fall; die angeblich „uralten" Abiefiiiccn sind in ') Sifton, H. B., On the occurrence and significance of Bars of Sanio in the Cycads. Bot. Gaz. LX. Ctiicago 1915. zahlreichen Formen über die ganze nördliche Halbkugel verbreitet, und ihnen stehen nur sehr wenige araucarioide Sippen in räumlich be- schränkten Gebieten gegenüber, die auch sonst reich an altertümlichen Arten sind. Das gleiche Bild bietet unzweifelhaft auch die tertiäre Flora, in der echte Araucaricii verhältnismäßig selten sind. Bei der großen Zahl bisher bekannt ge- wordener Tertiärkoniferen ist dies kein Zufall. Die übrigen Gruppen zeigen dagegen den gleichen F"ormenreichtum, den sie noch heute besitzen, wenn auch die Verteilung eine andere war. Typen , die heute auf Nordamerika beschränkt sind, wie manche Kiefernarten, die Sumpfzypresse, Sequoien und auch der ostasiatische Glyptostrobus waren in ganz Europa und Nordasien verbreitet; ihr Holz setzt die zahlreichen Braunkohlenflöze zusammen. Erst in der Kreide werden sie seltener, während das Umgekehrte für die modern ge- bauten Hölzer gilt. Steigen wir noch tiefer hinab, so wird der Gegensatz immer größer, und in der Trias treffen wir, wenn wir von einigen mehr oder weniger unsicheren Formen absehen, kaum noch ein Holz, das mit einem der lebenden Typen wirklich übereinstimmt. Allerdings gilt das für Blatt- und Zapfenreste nicht in gleichem Maße. Anatomische Untersuchung würde aber auch hier wahrscheinlich Unterschiede gegen rezente Formen ergeben, wie in einigen Fällen bereits nach- gewiesen werden konnte. Es scheinen in der unteren Kreide wie schon im Jura neben ganz fremdartigen zahlreiche Hölzer verbreitet gewesen zu sein , die Züge der Araitcarioxyla mit denen jüngerer Typen vereinigen. Ich habe für sie den Namen Profof'iiiacccii vorgeschlagen. Leider wissen wir über ihren sonstigen Bau nichts; wahrscheinlich gehörten sie aber Pflanzen an, die in Belaubung und Zapfenbau große Ähnlichkeit mit Taxodiccn und anderen lebenden F"ormen aufge- wiesen haben. Der Beweis des Zusammenhanges ist bisher allerdings nur vereinzelt erbracht worden. Schließlich finden wir nur noch typische ^iraiica- rivxyla. Nun wissen wir zwar, daß ein großer Teil hiervon gar nicht von Koniferen stammt, sondern zu Cordaitoi und anderen ausgestorbenen Gruppen zu stellen ist. Andere gehören aber doch wohl echten Araiicaricu-'ih\\X\c\\^n Koniferen an. Hier- bei mag die Frage unberührt bleiben, wieweit zwischen beiden Kreisen ein genetischer Zu- sammenhang besteht, wie ihn viele Forscher an- nehmen, während andere wieder den Anschluß bei den Lycopodiaks oder noch anderen Gruppen suchen. Sicher können wir in jedem Falle sagen, daß die alternierende Tüpfelstellung ein uraltes Merkmal ist, das den paläozoischen \'orläufern der Gymnospermen schon zukam und sich heute nur noch bei Cycadccii und ^iraucariccii findet. Beide Gruppen mögen verschiedene Entwicklungs- reihen darstellen, denen als dritte die Hauptmasse der übrigen Koniferen an die Seite zu setzen ist. Hätte Jeffrey Recht, so müßte, je tiefer wir in die Vorzeit hinabsteigen, das Bild sich gerade im N. F. XVI. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 311 entgegengesetzten Sinne wandeln; wir müßten im unteren Mesozoikum und oberen Paläozoikum eine reiche ^lbicfiiiccii-¥\ora. erwarten. Dieser Schwierigkeit war sich Jeffrey wohl bewußt und so suchte er eifrig nach paläontologischen Zeugen für das hohe Alter der ^ihicfiiiccii, als welche er schließlich Piiiitcs Comveiitzianiis Goeppert und Pifyoxylou clinsciisc Penhallow in Anspruch nimmt. Leider stehen beide „Stützen" seiner Lehre auf allzu schwachen Füßen. Im ersten Falle handelt es sich um ein von Goeppert beschriebenes, übrigens sehr schlecht erhaltenes Holz mit Harzgängen, das auf einer offenen Halde bei Waidenburg in Schlesien gesammelt und von ihm daher als aus dem Karbon stammend angesehen wurde. Die Angabe ist aber, wie schon Gothan betont hat, ganz zweifelhaft und durch nichts bewiesen. Vielmehr dürfte es sich um ein jüngeres Geschiebeholz handeln, ja, es ist nicht ausgeschlossen, daß ein stark vermodertes rezentes Holzstück vorliegt. Pityoxyluii cliasciisc stammt aus dem Perm von Kansas und erwies sich bei erneuter Untersuchung durch Thomson und All in als ein ^{raucario.xyluii ! Die vermeint- lichen horizontalen Harzgänge (vertikale fehlen ganz) sind im Innern der Markstrahlen verlaufende Blattspurstränge. Seit letzteres feststeht, hat sich übrigens Jeffrey meines Wissens zu dieser Frage nicht mehr geäußert. Auf die ersten ^{raucarioxyla folgen im Jura (vielleicht sogar schon früher) und unterer Kreide die Hölzer der Übergangsgruppe (Profopinacccn). Sie sind in der Tracheidentüpfelung noch mehr oder minder araucarioid, Bracliyuxyloii vor allem auch in dem Bau der Markstrahlen, zeigen aber im übrigen schon Anklänge an moderne Typen. Bei einigen, wie den von Gothan beschriebenen Ccdroxyloii traiisicns und Cedroxylmi ccdrvidcs erinnert nur noch die Stellung der Tracheidentüpfel an die Ahnenform. Wichtig ist, daß manche dieser Formen Züge in sich vereinigen, die heute nur noch getrennt vorkommen. Auch in der Ausbildung der Quertracheiden läßt sich eine all- mähliche Entwicklung während der Kreide nicht verkennen, besitzen wir doch mehrere Hölzer aus dieser Periode {Pityoxyhui foliosnin Holden, Piitns Naf h orsf i Conv^cnXz), die sich von lebenden Picca- oder Piiii/s-^ri&n nur durch das Fehlen von Quer- tracheiden unterscheiden. Das gleiche gilt viel- leicht von der Ausbildung der San loschen Streifen, doch läßt sich dies infolge noch unzu- reichenden Materials vorläufig nur vermuten. Neben den Protopiiiacccii treten in Jura und unterer Kreide Hölzer auf, die so völlig fremdartig gebaut sind, daß sie mit lebenden nicht verglichen werden können. So besitzen die früher von Gramer 3.\s Pia lies lafiporasiis und Piiiitcs paiiciporosus be- schriebenen Hölzer neben großen eiporigen Mark- strahltüpfeln breitelliptische, die ganze Tracheiden- breite einnehmende, oben und unten abgeplattete Hoftüpfel {Xcnoxyloii Gothan). Später wurden weitere hierher gehörende Formen bekannt, die in der Regel durch den Besitz von Eiporen ausgezeichnet sind. Über ihre systematische Stellung können wir, solange sie nicht im Zusammenhange mit Blatt- oder Zapfenresten gefunden worden sind, leider nichts sagen. Im Tertiär wird dieser Bautyp durch einen Teil der spiralenlosen Taxaceen ver- treten, woraus aber nicht ohne weiteres ein gene- tischer Zusammenhang zwischen diesen und jener alten Koniferengruppe gefolgert werden kann, der immerhin möglich wäre. Jedenfalls kann man bei einem Teil der mit Glyptosfrobiis, Podocarpus und Phyllodadits verglichenen Kreidehölzer im Zweifel sein, ob sie nicht jenem fremdartigen aus- gestorbenen Kreis zuzurechnen sind. Zur Tertiärzeit haben die Koniferen offenbar die heutige Ausbildungshöhe erreicht und waren damals schon ebenso reich gegliedert wie heute. Die wenigen bekannt gewordenen fremdartigen Tertiärhölzer dürften als anormale Wundholz- bildungen anzusehen sein, wenngleich die Möglich- keit des Auftretens heute ausgestorbener Bautypen vielleicht noch im Miozän nicht unbedingt verneint werden soll. Nach allem können wir sagen, daß weder all- gemeine und vergleichend-anatomische Erwägungen noch die Ergebnisse der Paläontologie Jeffreys Ansichten stützen. Die paläobofanischen Tatsachen bereiten seiner Lehre unüberwindliche Schwierig- keiten, stimmen dagegen völlig mit der Annahme überein, daß die ^iraiicaricni die älteste, die Abie- iiiiccii dagegen die jüngste Gruppe sind. Gerade das Studium der fossilen Koniferen begründet diese Anschauung aufs neue. Einzelberichte. Anthropologie. Schlaginhaufen') erörtert in zusammenfassender Weise das ganze Pygmäen- problem. Als „Pygmäenrassen oder Rassen, die hochgradig mit Pygmäenelementen durchsetzt sind", ■) Otto Schlaginhaufen, Pygmä Pygtnäenfrage. Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Ge- sellschaft in Zürich, 61. Jahrg., H. 1/2, 1916. faßt er die folgenden auf: In Europadie Lappen in dem zusammenhängenden Gebiet der Halbinsel Kola, des nördlichen F"innland und des schwedisch- norwegischen Grenzgebiets im Innern der skan- dinavischen Halbinsel bis zum 64" nördl. Breite. In Afrika die zentralafrikanischen Pyg- mäen, die Negrillos, die in mehrere Typen aufgeteilt werden können, und die Südafrika- 312 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 23 nischen Pygmäen oder die Buschmannrasse. Kleinere Gebiete als in Afrika stellen die einzelnen Pygmäenzentren in Asien dar, wo sie mit Sicher- heit nur auf Malakka und auf den südasiatischen Inseln nachgewiesen sind. Die Pygmäenrassen Asiens können in zwei große Hauptgruppen ge- schieden werden, in die Kraushaarigen und Wellig- haarigen. Die erste Gruppe bilden die Be- wohner der Andamanen, ferner die S e m a - ny, die zu den Inlandstämmen der Malayischen Halbinsel gehören, und die Negritos auf den Philip- pinen. Zu den Wellighaarigen gehören die Wedda von Ceylon, die Senoi von Malakka, die Toala von Celebes. Schließlich kommen die Pygmäenrassen der melanesischen Inselwelt in Betracht, vor allem auf Neu-Guinea, die auch Schlagin - häufen zum Teil eingehend studiert hat. Man muß allerdings in Betracht ziehen, daß es rein konventionell ist, „in welchen Fällen wir eine Menschengruppe zu den Pygmäen zu rechnen haben. Ihr gemeinsames Merkmal ist die extrem kleine Rassenstatur. Von durchschnittlich sehr kleinem Wuchs muß sie sein, wenn sie als Pygmäengruppe gewertet werden soll. Wo die obere Grenze für den rassenmäßigen P\'gmäenwuchs anzusetzen ist, bleibt unserer Willkür überlassen. . ." Die Pygmäengrenze darf nicht zu doch gesetzt werden : man soll als Pygmäenstämme jene Rassen bezeichnen, deren durchschnittlicher Wuchs tiefer als 150 cm liegt. Schlaginhaufen erörtert nun die Auf- fassungen, die sich auf die anthropologische Stellung der Pygmäenrassen innerhalb der Menschheit be- ziehen. Man kann diese Auffassungen in zwei Gruppen teilen: zu der ersten gehören die Auf- fassungen, nach denen die Pygmäen eine phylo- genetisch alte, vielleicht die älteste Form der Menschheit sind, zu der zweiten jene, nach denen die Pygmäen eine sekundär entstandene Form darstellen, die ihre Kleinheit der Einwirkung be- sonderer Einflüsse von selten der Außenwelt ver- danken. Eine eingehende Betrachtung ergibt, daß die erste Auffassung, die namentlich von K o 1 1 m a n n ver- treten worden ist, den möglichen Einwänden nicht standhalten kann. Die Knochenreste aus dem Paläo- lithikum deuten auf Rassen von mittlerer Statur hin. Die Körperlänge der Neandertalrasse dürfte 162 cm betragen haben. Andere P"unde deuten auf 163 cm (Kent), 173,2 cm (Paviland Höhle in Wales), 180 cm (Cronagnon), über 160 cm (Combe- Capelle), 160 cm (Oberkassel bei Bonn). „Selbst . die niederste Form der Hominiden, Pithecanthropus erectus, besaß eine Körpergröße von mindestens 160 cm." Skelette von kleinerer Statur treten erst im Neolithikum auf wobei „diese Einzelfunde nicht die Vertreter einer Pygmäenrasse zu sein brauchen, sondern Varianten höher gewachsener Rassen sein können". Ein zweiter Einwand gegen die Auffassung, daß die Pygmäenrassen eine ältere Form der Menschheit darstellen, ergibt sich aus der Tatsache, daß „allen Pygmäen, sowohl den rezenten, als auch den prähistorischen eine Formgestaltung der Schädelkapsel eigen ist, die den bestentwickel- ten Schädeln der großwüchsigen Rassen an die Seite gestellt werden kann". Dagegen steht es ja heute fest, daß die ältesten Hominidenformen, wie Pithecanthropus und Neandertaler ein niedri- ges Schädeldach mit fliehender Stirn besessen haben. Diese Merkmale sind bei den ältesten Hominidenformen sehr scharf ausgesprochen. Schlaginhaufen weist hier auch die Beweise zurück, die aus der OntogenesedesSchädels zugunsten der erörterten Auffassung herangezogen werden. Wenn auch der Affenschädel im kind- lichen Stadium dem menschlichen Schädel näher ist als der Affenschädel im ausgewachsenen Sta- dium, so ist damit noch nicht gesagt, daß — in schematischer Anwendung des biogenetischen Grundgesetzes — die menschliche Schädelform die ursprünglichere sein muß. Es kommen zweifellos Momente in Betracht, welche die Verhältnisse komplizieren und eine so schematische Anwendung des biogenetischen Grundgesetzes als unzulässig er- scheinen lassen. Ebenso unzulässig ist es, die Pygmäenrassen als „Kindheitsvölker der Menschheit" (P. W.Schmidt) aufzufassen. Ein Vergleich zwischen dem Kinde und den zentralafrikanischen Negrillos, den Poutrin durchgeführt hat, ergibt, daß eine Übereinstimmung in den Proportionen nicht vorhanden ist. HinfäUig ist auch die Auffassung, daß alle Pygmäenrassen eine einheitliche Gruppe bilden. Es läßt sich unmöglich eine Einheitlichkeit in den Rassenmerk- malen bei den Pygmäen feststellen: der Längen- Breiten-Index des Schädels, die Haarform und die Hautfarbe sind bei den einzelnen Pygmäen außerordentlich verschieden. So kommt Schlaginhaufen zum Schluß, „daß die Theorien des phylognetisch primitiven Charakters und dermorpho- logischen Zusammengehörigkeit aller Pygmäen auf recht schwankendem Bo- den stehen und wen ig Wahrsc hei nlich - keit für sich haben". Eine zweite Gruppe bilden die Auffassungen, die dahin gehen, daß äußere Einflüsse an der Ent- stehung von Pygmäenrassen schuld sind. Es ist nun denkbar, daß die Einflüsse die Individuen und das Keimplasma direkt treffen und damit neue Formen Schäften, oder daß die äußeren Ein- flüsse sich durch daßMittelderSelektion geltend machen und schon vorhandene Varianten züchten. Wir besitzen Beweise dafür, daß äußere Ein- flüsse die Körpergröße bestimmen. Schlagin- haufen nennt hier namentlich die Beobachtungen des französischen Militärarztes Collignon an der Bevölkerung der Grafschaft Limousin. Die Männer dieser Gegend gehören zu den kleinsten in Frankreich, und man erklärte diese Gegend als die „Citadelle der keltischen Rasse in Frankreich". Nun konnte aber Collignon den Nachweis erbringen, N. F. XVI. Nr. 23 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. 313 daß Personen, die in der Gegend von Limousin geboren wurden, aber in anderen Gegenden ihre Kinder- und Entwicklungsjahre verbracht hatten, größer waren als die Leute von Limousin. Auf der anderen Seite erwies es sich, daß Personen, die in einer anderen Gegend geboren wurden, aber in Limousin aufgewachsen waren, nur die für Limousin charakteristische Körpergröße er- reichten. Aus diesen Beobachtungen folgt, daß äußere Einflüsse die geringere Körpergröße der Männer von Limousin bedingen. Collignon weist hin auf das rauhe Klima, die Unfruchtbarkeit des Bodens, die einförmige Nahrung, das schlechte Trink- und Kochwasser, auf die ungesunden, in ungünstiger, lichtarmer Lage befindlichen Woh- nungen. Nach Schlagin häufen ergibt sich aus den Befunden von Collignon: „i. daß anschei- nend rassenmäßiger Kleinwuchs sich unter Um- ständen als vorübergehendes, nicht auf Erbanlagen beruhendes Merkmal herausstellen kann, das seine Existenz nur der direkten Einwirkung der Umwelt- faktoren verdankt, 2. daß durch die unmittelbare Beeinflussung von außen rassenmäßige Klein- wüchsigkeit, die auf endogenen Varianten beruht, nicht herbeigeführt werden kann."') Es wäre nun die Aufgabe der Pygmäenforschung, zu unter- suchen, ob eine direkte Wirkung der Außenwelt für die Entstehung der einzelnen Pygmäenstämme verantwortlich gemacht werden kann. Zuverlässige Beweise nach dieser Richtung besitzen wir jedoch nicht. Dagegen scheint es sehr wohl möglich, daß ä u - ßere Einflüsse durch das Mittel der Selektion die Pygmäenrassen gestaltet haben. ') Es sei hier auch auf die Untersuchungen von Bolk hingewiesen, die auch in dieser Zeitschrift (Bd. XIV, S. 444) besprochen worden sind. Bolk hat festgestellt, daß die Körperlänge der Holländer im Laufe der letzten 50 Jahre um II cm zugenommen hat, wobei diese mittlere Zunahme der Körperlänge allein auf einer Hebung derjenigen Werte beruht, die unterhalb der Ma.Nimalgröße liegen. Die Maximal- große ist unverändert geblieben. Es folgt aus diesen Befunden von Bolk, daß früher (im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Holland) Momente vorhanden waren, die einenTeil desVolkesdarangehindert haben, diejenige Körpergröße zu erreichen, die der Rasse eigentümlich ist. Es sind also zwei ver- schiedene Gruppen von Faktoren , welche die Körpergröße bestimmen; die Kaktoren der Vererbung auf der einen, die äußeren E.\istenzbedingungen auf der anderen Seite. Erst aus dem Zusammenwirken dieser beiden Faktoren resultiert die jeweils vorhandene mittlere Körperlänge, die mehr oder weniger dem rassenmäßigen Maximum angenähert sein wird. Darauf deutete die Tatsache hin, daß die mittlere Körperlänge nicht nur in Holland, sondern auch in allen anderen Ländern von West-Europa im Laufe der letzten Jahr- zehnte zugenommen hat. In meinem Buch ,,Zur allgemeinen Physiologie des Hungers" (Braunschweig 191 5) habe ich die Tatsache besonders betont, daß auch die mittlere Körper- größe der einzelnen sozialen Klassen verschieden ist, und ich habe die Frage diskutiert, ob Unterernährung als be-' dingender Faktor hier in Betracht kommt. Meine in dieser Richtung eingeleiteten Experimente an Mäusen habe ich aus Mangel an Mitteln leider nicht fortführen können. Es unter- liegt keinem Zweifel, daß solche experimentellen Untersuchungen unseren Einblick auch in das Pygmäenproblem sehr erweitern würden und daß sie auch für das Vererbungsproblem schlecht- weg von Bedeutung werden könnten, Wenn einer Gruppe von Menschen eine geringere Nahrungsmenge als bisher zur Verfügung steht, dann sind die kleineren Individuen innerhalb dieser Gruppe im Vorteil, da das Nahrungsbedürfnis der Kleineren geringer ist als dasjenige der Größeren. Die Kleinen werden mehr Aussicht auf ein per- sönliches Eortkommen haben. Die Kleinen werden in den sich folgenden Generationen relativ zu den Großen an Zahl mehr und mehr zunehmen : „es verschiebt sich die mittlere Körpergröße nach abwärts; es ist ein kleinwüchsiger, den neuen Verhältnissen gut angepaßter Typus gezüchtet worden." Welche Faktoren der Außenwelt im einzelnen Fall wirksam gewesen sein mögen, das ist eine Frage für sich. „Im einen P'all kann. . . das Nahrungsquantum, in einem anderen das geo- graphische Milieu im weiteren Sinne, in einem dritten der Krieg, in einem vierten schließlich ein sozialer oder kultureller Gebrauch den Grund für das Einsetzen des selektorischen Prozesses abgeben." Für Neuguinea glaubt Seh lagin - häufen auf Grund eigener Beobachtungen eine Parallelität zwischen der Änderung gewisser geographischer Faktoren und derjenigen bestimmter Körpermerkmale festgestellt zu haben. Die Küsten- stämme sind von größerem Wuchs als die Stämme des Inlands. Der Längenbreiten Index dagegen nimmt von der Küste nach dem Inland zu. Nach Schlaginhaufen kann angenommen werden, „daß den in F"rage kommenden Körpermerkmalen der Charakter von Funktionen geographischer Momente zukommt." Man könnte allerdings ein- wenden, daß die Küstenvölker spätere Ankömm- linge sein könnten, durch die die Inlandvölker verdrängt worden seien. Aber dann müßten zwischen den Küstenstämmen und Inlandstämmcn größere somalische Difterenzen vorhanden sein, als in Wirk- lichkeit der Fall. Für einen Abschnitt des nörd- lichen Nenguinea hat Schlaginhaufen den Nackweis erbracht, „daß die kleinwüchsige Be- völkerung des Toricelligebirges einem einzelnen Küstenstamm näher steht, als die Küstenstämme unter sich es tun. Dies spricht nicht für die rassenmäßige Selbständigkeit dieses Gebirgsvolkes. In ähnlicher Weise konnte Poutrin von seinen Batwa zeigen, daß sie gewissermaßen verkleinerte Neger sind, d. h. zu den Negern deutliche mor- phologische und wohl auch genetische Beziehungen aufweisen . . ." Mit der Behauptung, daß die Einflüsse der äußeren Welt durch das Mittel der Selektion die Pygmäenrassen gestalten, soll nicht gesagt sein, daß die Verkleinerung der Rasse eine Degeneration darstelle. Im Einklang mit fast allen Forschern, welche Pygmäenrassen untersucht haben, hat auch Schlaginhaufen von den Eingeborenen des Toricelligebirges den Eindruck gewonnen, daß sie nichts weniger als verkümmert sind. „Diese Wahrnehmungen entsprechen den Eigenschaften eines Typus, den die Umweltfaktoren durch das Mittel der Selektion und nicht durch unmittelbare Einwirkung geformt haben. Unter den letzt- 314 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 23 genannten Umständen hätten sich doch, wie in dem Fall von Limousin, da und dort Anzeichen von somatischer Verkümmerung bemerkbar ge- macht." Nach alledem kommt Schlaginhaufen zum Schluß, die Auffassung, daß die Pygmäen eine ursprüngliche Form des Menschengeschlechts dar- stelle, müsse endgültig zurückgewiesen werden. An ihre Stelle müsse die selektionistische Auf- fassung treten. A. I.ipschütz, Bern. Botanik. Silene dichotoma Ehrhart, erst Unkraut, dann Kulturpflanze. Das Gabelige Lein- kraut, in Südosteuropa einheimisch, hat in Deutsch- land ein sehr zerstreutes und unregelmäßiges Vorkommen. Die vorwiegend mit ausländischer Kleesaat eingeführte Pflanze hat sich nur hier und da einbürgern können; gewöhnlich wird sie, bevor ihre Samen reif sind, mit dem Klee abgemäht und verschwindet so wieder vom Standort. Aber auch wenn die Pflanze zur Samenreife gelangt ist, kann es doch sich ereignen , daß sie den ge- wonnenen Platz wieder räumt, wenn nämlich die aufgehenden Pflänzchen mit dem Klee nicht Schritt halten und überwuchert werden. Nach neueren Beobachtungen, die H i 1 1 n e r in „Praktische Blätter für Pflanzenbau und Pflanzenschutz", Jahrg. 1916, S. 80 ff. mitteilt , scheint es gelegentlich vorzu- kommen, daß Stöcke der sonst einjährigen Pflanze mit dem Klee überwintern und im nächsten Frühjahr frisch wieder austreiben. Es ist dabei noch fraglich, ob hier ein typisches Ausdauern, das Entstehen einer perennierenden aus einer ein- jährigen Pflanze durch ,, Mutation" vorliegt, oder ob die P"älle nur so zu erklären sind, daß die Pflanzen, durch wiederholtes Abmähen am Blühen und Fruchten verhindert, eben noch nicht dem Tode durch Erschöpfung verfallen waren , wie sonst einjährige Pflanzen, die regelrecht abgeblüht und Samen getragen haben; letztere Erklärung ist nicht unwahrscheinlich. Aus derselben Mitteilung von Hiltner geht aber weiter hervor, daß die Meinung, unsere Pflanze sei ein besonders schädliches Unkraut, neuerdings begonnen hat sich ins Gegenteil zu verkehren. Die hochwüchsige Pflanze, die wie ein zweiter lichterer Wald über dem Dickicht des Kleefeldes sich erhebt, dient den Kleepflanzen zur Stütze und verhindert das Lagern derselben, man bezeichnet sie deshalb geradezu als „Klee- halter". Überdies hat man aber die Erfahrung gemacht, daß die bisher für nutzlos oder schädlich gehaltene Pflanze vom Vieh gern angenommen wird ; ja im bayrischen Bezirk Gerolzhofen, Unter- franken, ist das Gabelige Leinkraut schon seit einigen Jahren feldmäßig als F"utterpflanze ange- baut worden, und zwar mit gutem Erfolg. Wenn es freilich in jener Mitteilung heißt: „Die be- treffenden Landwirte hielten sie für eine Kleeart" — so kann man nur sagen: Botanik schwach ! — Die eben durch die Art ihres Vorkommens interessante Pflanze hatte ich selbst seit rund 20 Jahren nicht mehr in Freiheit zu sehen be- kommen, bis ich ihr im Sommer 1916 an vier z.T. weit getrennten Standorten begegnete: i. in je mehreren Kleeäckern am Wege von Ostritz nach Nikrisch, südlich Görlitz; 2. ebenso zwischen Liebau und dem Rabengebirge, am Südostfuß des Riesengebirges; 3. Böschung am neuen Kanal nordöstlich von Bromberg, wo leider der ganze Pflanzenwuchs vor der Samenreife abgemäht wurde; 4. ein großer Stock mit fast meterlangen Ästen über dem Rande eines Schützengrabens hängend, der im August 191 4 nördlich von Bromberg zum Russenempfang ausgehoben worden war; hier dürfte Aussicht sein, die Pflanze für etliche Zeit zu erhalten , die in jedem Falle in Norddeutschland bedeutend seltener auftritt als im Süden unseres Vaterlandes. Hugo Fischer. W. Bobilioff-PreißerM hat sich zur Aufgabe gestellt, zu entscheiden, ob die Wanderung des Zellkerns, die man in pflanzlichen Zellen be- obachten kann, aktiv oder passiv vor sich geht. Die meisten Forscher, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, sind der Meinung, daß der Kern nur passiv, infolge von Plasmaströmung, wandert. Frühere Beobachtungen des Verfassers an isolierten Palisaden- und Schwammparenchymzellen von Viola lutea var. grandiflora haben ergeben, daß die Kerne dieser Zellen kurz nach der Isolation eine intensive Ortsveränderung zeigen. Bei dieser Ortsveränderung erleiden die Kerne auch eine Gestaltsveränderung. In den Zellen findet auch eine Plasmabewegung statt. Aber diese Plasmabewegung setzte erst ein, nachdem der Kern sich schon in Wanderung befand. Darin liegt der Beweis dafür, daß diese Kernwanderung nich t bedingt ist durch die Plasmast röm u n g, sondern eine aktive Orts verän derun g darstellt. Verf. hat nun weitere Untersuchungen über die Kernwanderung angestellt, an einem Objekt, bei welchem während der Kernwanderung überhaupt keine Plasmabewegung stattfindet, um auf diese Weise sicheren Aufschluß darüber zu gewinnen, wie die Kernwanderung vor sich geht und zustande- kommt. Ein solches Objekt fand Verf. in den Zellen ganz junger Cucurbitaceenhaare. Eine aktive Kernwanderung ist schon vor Jahren von H a n s t e i n in den Zellen von größeren Cucurbitaceenhaaren vermutet worden. Dieses Ob- jekt hat jedoch den Nachteil, daß hier die Umrisse des Kernes nicht immer scharf zu sehen sind, was die Beobachtungen natürlich stört. Dagegen sind in den Zellen von ganz jungen Cucurbitaceen- haaren die Umrisse des Kernes noch sehr scharf zu sehen. „In diesen Zellen ist keine Plasma- bewegung wahrnehmbar. Einige Minuten nach ') Die Zellkernwanderung in den Haarzellen von Cucur- bitaceen. Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich. 61. Jahrg., 3./4. Heft, 1916. N. F. XVI. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 31S dem Übertragen der Haare in die Flüssigkeit (es sind Wasser oder schwache mineralische Lösungen verwendet worden) beobachtet man, daß die Kerne zu wandern beginnen, dabei verändern sie in ganz charakteristischer Weise ihre Gestalt. In einem Augenblick entstehen in der Richtung, in welcher der Kern sich bewegt, Fortsätze, welche im näch- sten Augenblick zurückgezogen werden. Bei ge- nauer Beobachtung kann man hier nachweisen, daß die Ortsveränderung des Kernes durch diese charakteristische Gestaltsveränderung des Kernes vor sich geht." Nach Bobilioff-Preißer lassen sich drei Phasen der Kernwanderung unterscheiden: In der ersten Phase findet eine ganz schwache Ortsveränderung statt, wobei die Gestaltsverände- rung ganz schwach oder kaum wahrnehmbar ist, Inder z we ite n Phase, die nach einigen Minuten beginnt, findet eine intensive Kernwanderung statt, die verbunden ist mit einer Fortsatzbildung in der Richtung der Bewegung des Kernes. „Die damit verbundene Ortsveränderung ist besonders stark in dem Moment, wenn der F"ortsatz gebildet wird, oder wenn der Kern sich wieder abrundet. Diese intensive Kernwanderung dauert einige Stunden (in den meisten Fällen 2 bis 4 Stunden)." In der dritten Phase kommt der Kern in relative Ruhe, (^rtsveränderungen kommen jedoch so lange vor, als die Zelle noch am Leben bleibt. Aber die Gestaltsveränderungen sind jetzt nicht mehr so charakteristisch und es ist viel schwieriger, sie wahrzunehmen als in der Phase der intensiven Kernwanderung. Bobilioff-Preißer ist auch der Frage nach- gegangen, ob die Kernwanderung in den Haarzellen der Cucurbitaceen eine traumatotaktische ist, d. h. ob die Bewegung nach der Kernverwundungsstelle zu gerichtet ist, wie man auf Grund anderer Untersuchungen annehmen könnte. Verf unter- suchte die traumatotaktische Empfindlichkeit der Haarzellen , indem er die Spitze des Haares abschnitt oder das Haar an der Basis von der Epidermis abtrennte. Wenn die Kerne der Haar- zellen traumatotaktisch empfindlich wären, so müßten sie im ersten Falle nach den der Spitze zugekehrten Wänden wandern, im zweiten Falle aber zu den Wänden, welche der Basis zugekehrt sind. ,,Dies ist aber in keinem Falle eingetreten und auch die Intensität der Bewegung war die- selbe, ganz gleich, ob eine starke Verwundung stattgefunden hatte, oder ob die Wanderung ohne Verwundungsreiz vor sich gegangen war." Verf ist der Meinung, daß durch das Übertragen des zu untersuchenden Objekts in die P'lüssigkeit die zwischen dem Kern und den Protoplasma be- stehenden Stoft'wechselbeziehungen eine Verände- rung erfahren, und daß diese Veränderungen wohl die amöboiden Gestaltsveränderungen der Kerne veranlassen, die zur Kernwanderung in der Zelle führen. Eine wichtige Frage ist es nun noch, ob die in isolierten Zellen zu beobachtendeKernwanderung auch in dem intakten Haar stattfindet. Verf. ist der Meinung, „daß in den intakten Haarzellen höchstwahrscheinlich eine regelmäßige schwache Kernwanderung vor sich geht. Dafür spricht die Tatsache, daß die Kerne der Haarzellen nicht selten auch iii der ersten Zeit, bevor die intensive Kernwanderung eingetreten ist, eine unregelmäßige Gestalt zeigen. Danach wäre die schwache Wan- derung des Kernes, welche der intensiven Wanderung vorausgeht, als eine Fortsetzung der Wanderung, wie sie normalerweise in der intakten Pflanze stattfindet, aufzufassen." A. Lipschütz. Forstwirtschaft. Der Krammetsvogelfang im Dohnenstiege. In der Jetztzeit, wo es gilt, alle Nahrungsquellen unserem Volke zu erschließen, mehren sich die Stimmen, welche die Aufhebung des Verbotes des Krammetsvogelfanges im Dohnen- stieg, welche durch das Vogelschutzgesetz vom 30. Mai 1908 (§ 2 b) erfolgte, fordern. Mit Rück- sicht auf diese Bestrebungen mag es von Interesse sein, aus einem Aufsatz des Geheimen Regierungs- und Forstrates Ebe r ts- Cassel in der „Allge- meinen F"orst- und Jagdzeitung" (93. Jahrg. 1917, Heft I S. 7—13) zu erfahren, welche Gründe seinerzeit dazu geführt haben, daß der Krammets- vogelfang im Dohnenstieg als „nicht weidgerecht" erklärt wurde. Der Dohnenstieg ist nach F. von Raesfeld\) „ein von Reisern befreiter niemals gerade auslaufender, vielmehr fortwährend gekrümmter Steig im Stangen- oder Unterholz des Waldes oder der Vorhölzer, in dem die Dohnen angebracht sind". Als Dohnen (Schlingen) unterscheidet man je nach der Art der Anord- nung Hänge- oder Steckdohnen. Man muß die Dohnen in dem Dohnenstieg natürlich so ein- reihen, daß der Vogel von einer Dohne immer nur die beiden benachbarten sehen kann, damit er nicht schon von weitem etwa frisch gefangene Vögel sichtet und dann natürlich sofort abstreicht. Von größter Wichtigkeit für die Fangergebnisse im Dohnenstieg ist die Wahl des Ortes, an dem man ihn anlegt. „Schonungen und Dickungen an den P'eldrändern", sagt Raesfeld, „an größeren Blößen und Wiesen, auch Stangenhölzer, an denen die als Köder dienenden roten Ebereschen- beeren weit gesehen werden, liefern gute Beute." • Unter dem Krammetsvogel im eigent- lichen Sinn versteht man meist die Wach- holderdrossel {Turdus pilaris L), die, ur- sprünglich im europäischen und asiatischen Norden heimisch, allmählich ihr Verbreitungsgebiet mehr nach Süden verlegt hat und nun auch dauernd in einigen deutschen Provinzen, wie in Ostpreußen Schlesien und Thüringen anzutreffen ist. Im weiteren Sinne faßt man aber unter dem Sammel- begriff „Krammetsvögel" mehr oder weniger alle bei uns vorkommenden Drosselarten zusammen, also neben der Wachholderdrossel noch die Misteldrossel {Turdus viscivorus L.), die 1) „Das deutsche Weidwerk", Berlin, Paul Parey, 1914. 3i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 23 Schwarzdrossel oder Amsel (T. mcriila L), die Wein- oder Rotdrossel {T. iliaais L.), die Ringdrossel oder Wasseramsel [T. torqiiatus L.) und die Singdrossel {T. iiiusicus L). Die Gründe, welche vor nunmehr fast 9 Jahren das Verbot des Dohnenstiegs ausgelöst haben, waren vor allem sentimentaler Natur. Man be- hauptete, der Fang der Drosseln in Schlingen sei eine Tierquälerei, die nicht geduldet werden dürfte. Daneben wurde auch noch die Tatsache wirksam ins Feld geführt, daß im Dohnenstiege außer den jagdbaren Drosseln noch eine Menge nützlicher Kleinvögel gefangen und dadurch eine merkliche Abnahme dieser sowohl als auch der hauptsäch- lich gefangenen Drosselarten , also der Wein-, Wachholder-, Schwarz- und Misteldrosseln, ver- schuldet würde. Nun ist zwar nicht zu leugnen, so führt Geheimrat Eberts aus, daß sich unter dem Krammetsvogelfang stets auch einige nützliche Singvögel, wie Rotkehlchen, Meisen, Singdrosseln und vornehmlich Gimpel befänden, aber da diese nach seiner Vogelfangstatistik höchstens 3,9 % des Gesamikrammetsvogelfanges ausmachten, so falle dieser Prozentsatz sicher nicht allzu schwer ins Gewicht. Auch eine Abnahme der Drossel- arten war nach des Verfassers Erfahrungen, die er in der Oberförsterei Gemünd in der Eifel, einem an der Hauptvogelzugstraße gelegenen Forstreviere , sammeln konnte, auch bei einer fleißigen Übung des Dohnenstieges nicht zu be- merken. Eine Abnahme der Drosseln in Deutsch- land vom Nützlichkeitsstandpunkt aus, meint Ge- heimrat Eberts, wäre zu verschmerzen, da die Nützlichkeit der Drosseln keine allzu große ist: abgesehen davon nämlich, daß die Misteldrossel durch die Verbreitung der schädlichen Mistel im Walde und die Amsel durch ihre Vorliebe für Obst in vielen Obstgärten manchen Schaden an- richten, sind auch die anderen Drosselarten bei weitem nicht die unentwegten Insektenvertilger, als die sie oftmals geschildert werden. Die Drosseln nähren sich bekanntlich nur während ihrer Brutzeit von Insekten, während sonst Wald- beeren, wie Heidelbeeren, Wacholder- oder Eber- eschenbeeren, ihre Hauptnahrung bilden. Was nun die besondere Grausamkeit anlangt, welche der Schlingenfang im Dohnenstieg mit sich bringen soll, so weist der Verfasser darauf hin, daß gutaufgestellte Dohnen in überaus kurzer Zeit die sich darin fangenden Drosseln erwürgen. Dem Übelstande, daß einige Tiere sich mit den Flügeln oder den Ständern in den Dohnen verfangen, könnte durch das Verbot des Aufstellens von Boden- schlingen leicht abgeholfen werden. Im übrigen betont Eberts ausdrücklich, daß der h'ang im Dohnenstieg allein von allen Jagdarten Tier- quälereien insofern gänzlich ausschließt, als jeder gefangene Vogel hier auch tatsächlich , auch wenn er sich so in den Schlingen verfangen haben sollte, daß sein Tod nicht sogleich eintritt, nach relativ kurzer Zeit in die Hände des Jägers gelangt und nicht, wie z. B. oftmals bei der Jagd mit Schußwaffen verwundet entkommen kann, um dann nach langem Siechtum irgendwo elend zu verludern. Der wirtschaftliche Gewinn, welchen vor dem Verbote viele und gerade minderbemittelte Be- völkerungsteile aus dem Drosselfange gezogen haben, war gewiß nicht unerheblich; geht doch aus der amtlichen Statistik über den Wildabschuß in Preußen vom i. April 1885 — 31. März 1886 hervor, daß während dieser Zeit i 295 702 Drosseln gefangen wurden, welche, Eberts berechnet pro Drossel nur 25 Pfennig, einen Wert von über 300000 Mark darstellen. Es ist gewiß für jeden Naturfreund ein höchst betrüblicher Gedanke, zu wissen, daß eine solch große Zahl von Drosseln innerhalb weniger Wochen dem Hange des Menschen nach einer Delikatesse zum Opfer ge- bracht werden sollen. Auch die Behauptung darf sicherlich nicht als Milderungsgrund gelten, daß die Mehrzahl der Drosseln, die hier gefangen werden, der deutschen Vogelwelt nicht entzogen würden, sondern daß die Vögel, die bei uns dem Fange zum Opfer fielen, größtenteils aus Wein- drosseln bestünden, die in Deutschland bekannt- lich nur als Durchzugsvögel in Betracht kommen. Aber wie steht es nun mit der gehofften stärkeren Vermehrung der Drosseln seit der Aufhebung des deutschen Dohnenstieges? Ist unter unseren deutschen Drosselarten tatsächlich eine größere Vermehrung zu beobachten gewesen ? Außer bei der Amsel, die ja allmählich immer mehr vom Walde ab in die Nähe menschlicher Behausungen zieht und da nicht gerade die Freude der Obst- gartenbesitzer weckt, wird diese Frage von allen Sachverständigen verneint. Vornehmlich die Sing- drosseln, welche ihres reizvollen Gesanges wegen doch durch das Verbot des Krammetsvogelfanges in erster Linie geschützt werden sollten, sind in den letzten 9 Jahren in unseren Wäldern nicht zahlreicher geworden, ebenso wie sie früher, also zur Zeit des Dohnenstieges nicht merklich an Zahl abgenommen hatten. Diese Tatsachen haben ihren Grund darin, daß der Krammetsvogelfang heute außer in Oberitalien ') mit allen nur er- denklichen Mitteln, darüber ist ja kein weiteres Wort zu verlieren, auch noch in Frankreich, in Belgien und in Holland recht kräftig geübt wird. Die deutsche Vogelschutzgesetzgebung schützt demnach die heimische Vogelwelt hauptsächlich zu dem Zweck, daß sie in den Nachbarländern — vor allem wieder in Italien — um so reich- licher abgefangen werden kann. Geheimrat Eberts macht nun besonders darauf aufmerksam, daß es wohl niemals gelingen wird, in diesen Ländern ein wirksames Verbot des Schiingenfanges durch- zusetzen. Solange aber dieses Ziel nicht erreicht werden kann, so lange werden auch die von dem deutschen Vogelschutzgesetz erhofften Folgen ») Vgl. meinen Bericht „Die Bedeutung Italiens für den Vogelzug" in dieser Zeitschrift. N. F. XVI. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 317 einer gesteigerten Vermehrung der heimischen Vogelwelt nicht verwirklicht werden können. H. W. Frickhinger. Einfluß ausgeübt; einzelne Arten verharren nun den Winter über in der Nähe der Ortschaften, andere aber sind zu Wander- oder Strichvögeln geworden. E. P. Zoologie. In Heft i und 2 des Ornithologischen Jahrbuches 1916 bespricht in einer interessanten Arbeit W. Knopfli: Die mutmaßliche Ausbildung und Geschichte der Vogelgesellschaften des schweizerischen IVIittellandes , den Einfluß der menschlichen Kultur und der Pflanzenformationen, die in den verschiedenen Zeitabschnitten vor- herrschend waren, auf die Herausgestaltung der Vogelfauna. — Im Paläolithikum war die Vogel- fauna eine arktisch alpine. In der Nacheiszeit bedeckte das Schweiz. Mittelland ein dichter Wald, der sich hauptsächlich aus Buchen zusammen- setzte und nur längs den Flußalluvionen größere IVlannigfaltigkeit aufwies. Hier herrschte das reichste Vogelleben, während dasjenige des eigent- lichen Hochwaldes als arm zu bezeichnen ist. — Ähnliche Verhältnisse fand der Referent im „Pontischen Urwald" zwischen den Südhängen des westlichen Kaukasus und dem Schwarzen Meer. Hier herrscht die orientalische Buche vor (Fagus Orientalis Lipsky); das dichte Unterholz wird gebildet von Rhododendron ponticum L., Rh. flavum Don., Prunus Lauracerasus L., Buxus sempervirens L., Hex aquifolium L. usw. Das Vogelleben ist ebenfalls sehr spärlich, nur selten war ein Bienenfresser, eine Blaurache oder ein Mäusebussard zu beobachten. Hingegen sind die Auenwälder und die stark gelichteten Waldpar- zellen in der Nähe der menschlichen Nieder- lassungen von einer reichen Vogehvelt belebt. — • Im Mittelalter war die der Vogelfauna günstige Waldweide allgemein verbreitet und verursachte deren reiche Entfaltung. Erst beim Übergang zur Jetztzeit wurde sie aus wirtschaftlichen Gründen verdrängt. Sie wurde z. T. in reine Hochwälder, in denen die Fichte eine wichtige Rolle spielte, übergeführt. Dadurch wurden einerseits vielen Arten die Nistgelegenheiten geraubt, andererseits traten in diesen Beständen nun auch Vögel der montanen Region auf. Meist aber wurde die Waldweide zugunsten des Wies- und P'eldbaues zurückgedrängt, wodurch die Einwanderung der Steppenvögel (Feldlerche, Wachtel) ermöglicht wurde. — Mit zunehmender Besiedlung des Landes bildete sich eine typische Fauna der Ortschaften aus. Sie setzt sich zusammen aus Vertretern der Alpenfauna (Schwalben, Seglern, Hausrotschwanz), der Waldfauna (Star, Dohle, Fliegenfänger, Garten- rotschwanz, weiße Bachstelze) und der Steppen- fauna des Ostens (Sperling und die Haubenlerche, dem Charaktervogel der Lagerplätze). Für die Gärten und Parkanlagen hat sich ebenfalls eine besondere Vogelgesellschaft ausgebildet; sie setzt sich aus Arten zusammen, die meist aus den Wäldern zu- gewandert sind. Schließlich hat die Kultur auch auf die Zusammensetzung der Winterfauna großen Chemie. Aus der Chemie der chinesischen Dauereier. Während bei den westlichen Kultur- völkern Eier hauptsächlich frisch verwendet werden und erst sehr wenige Eierkonserven bekannt sind, haben die Chinesen seit langem eine ganze An- zahl von Verfahren , Dauereier herzustellen. Fälschlich sagt man ihnen nach, sie äßen verfaulte Eier, während man der Wahrheit viel näher käme, wenn man ihre Dauereier auf eine Stufe mit dem Käse stellte, der doch auch mit Hilfe der Fäulnis aus Milch gewonnen wird. Chemisch sind solche chinesische Dauereier bisher verhältnismäßig wenig untersucht worden. Die Dauereier, die in China als Pidan in den Handel kommen, haben un- längst eine Chinese namens Chi Che Wang und eine Amerikanerin, Katherine Blunt, im Laboratorium für Nahrungsmittelchemie der Uni- versität Chikago einer genauen Analyse unter- zogen. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie im „Journal of Biological Chemistry" (Dezember 1916). Pidan ist eine Handelsware, die fabrikmäßig aus Enteneiern hergestellt wird. Ausgelesene Enten- eier werden mit einer teigigen Masse überzogen, die aus einem Aufgusse von schwarzem Tee unter Zusatz von Kalk, Kochsalz und Holzasche her- gestellt wird ; so bleiben sie fünf Monate lang liegen, dann werden sie mit einer dicken Schicht von Reisschalen überzogen und sind nun handels- fertig. Sie werden roh gegessen; durch längeres Lagern soll sich der Geschmack erheblich ver- bessern; namentlich verschwindet der Kalk- geschmack , der dem Pidan , der frisch von der F"abrik kommt, anhaftet. Öffnet man ein Pidan, so sieht man sogleich die Unterschiede zwischen dem zur Dauerware gemachten Ei und dem frischen Entenei: die Schale ist viel dunkler; die unter ihr liegende Haut weist viele dunkelgrüne Hecke auf, das Eiweiß ist bräunlich verfärbt und das Dotter ist graugrün geworden ; beim Zer- schneiden findet man abgestufte graue konzen- trische Ringe. An der Luft verliert das Dotter die graue Färbung. An der Grenze zwischen Eiweiß und Dotter zeigen sich, augenscheinlich an der Dotterhaut sitzend, Kristalle, die wie Tyrosinkristalle aussehen. Ferner zeichnet sich Pidan durch einen eigentümlichen Geschmack aus, es riecht nach Ammoniak, aber nicht nach Schwefelwasserstoff, und auch mit Bleipapier läßt sich kein Schwefelwasserstoff nachweisen. Die Analyse wurde in der Weise vorgenommen, daß einzelne Pidans zuerst bei 45" fast völlig und dann in Wasserstoff bei 100" vollkommen ge- trocknet wurden. Das zahlenmäßige Er- gebnis der Untersuchung zeigen teilweise die Tabellen. 3i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 23 Tabelle i. Zusammensetzung frischer Enteneier. Wasser Protein Fett Asche Eiweiß 87,0 II,I 0,03 0,8 o/o Dotter 45,8 16,8 36,2 I>2°/o Dotter Eiweiß Tabelle 2. Zusammensetzung fris eher Enteneier. Ganzes Ei Schale Eiweiß Dotter Schale Eiweiß Dotter Ei Nr. I 67,7 7.7 3Ö,o 24,0 g 11,4 53,2 35,4 7o Ei Nr. 2 68,1 7-2 36,5 24,4 g 10,6 53,6 35,S°/o Tabelle 3. Zusani mensetzung des Pidan. Ganzes Ei Schale Eiweiß Dotter Verlus t Pidan Nr. 1 58,24 8,18 17,79 31,87 0,39 g 14,1 30,0 54,7 0,6 7o Pidan Nr. 2 64,76 9,29 15,13 39,70 0,64 g 15,0 23,2 60,9 0,9 7o Tabelle 4. Zusammensetzung des Pidan. Gesamtstickstoff Wasser In Äther löslich Säuregehalt dieses Auszugs Asche De ren Alkaligehalt 2,33 53,55 21,06 7-0 4,08 1,79 7o 3,21 69,56 3,"3 1,21% Die Veränderungen, die an den Enteneiern erfolgt sind , lauten , zusammengefaßt folgender- maßen: das Ei als ganzes verliert viel Wasser. Aus dem Eiweiß geht reichlich Wasser ins Dotter über. Der Gehalt an Asche und deren Alkalinität nimmt zu , die mit Äther ausziehbaren Stoffe nehmen ab; sie zeichnen sich durch Säurereiclitum aus. Der absolute Phosphorgehalt nimmt ab, ebenso die Menge des Lezithin-Phosphors. Der Stickstofifgehalt wächst erheblich. Nach der Ansicht von Chi Che Wang und Katherine Blunt entsteht aus dem Entenei Pidan durch Zersetzung des Proteins und der Phospholipoide, die wahrscheinlich durch Zusammenwirken von Bakterien, Alkali und Enzymen bedingt ist. H. P. Die Chemie im Kriege von Dr. E. A sei mann. Verlag von Ferdinand Hirt in Breslau. 1916. — 8S. Das Heftchen ist in erster Linie als Ergänzung des Lehrbuches der Physik und Chemie von Siemon- Wunsch mann- A sei mann gedacht. Es bietet in gedrängter Darstellung eine Übersicht über die verschiedensten Zweige der Chemie, die im Kriege Bedeutung erlangt haben, für die Waffen- technik, die Arzneimittelfabrikation, die Ernährungs- frage usw. Zur raschen Orientierung über das Gebiet, insbesondere für Unterrichtszwecke, kann die Schrift empfohlen werden. Scholich. F. Pax, Schlesiens Pflanzenwelt. Eine pflanzengeographische Schilderung der Provinz. Mit 63 Abbildungen im Text und i litho- graphischen Tafel. Jena 191 5, Gustav Fischer. — Preis brosch. 10 M. Eine zusammenfassende pflanzengeographische Schilderung Schlesiens gewinnt besonders dadurch Bücherbesprechuugen. an Interesse, daß diese Provinz in mancher Hin- sicht eine Sonderstellung unter den übrigen Teilen des Deutschen Reiches einnimmt. Als Grenzmark zwischen dem östlichen und westlichen Teil des großen mitteleuropäischen Florengebietes vereinigt sie in sich zahlreiche Vertreter sowohl des sibirischen und pontischen, als auch in ihren nordwestlichen Teilen des atlantischen Florenelements. Die Lage des Gebietes gestattete nach der Eiszeit eine Neu besiedelung gleichzeitig von Westen und Osten während der Wall der Sudeten die Wanderung in nord-südlicher Richtung hemmte. Diese Ver hältnisse sowie die Beziehungen, die zwischen dem Riesengebirge und den nächsten hohen Ge birgen (Karpaten und Alpen) bestehen, sind es die vor allem den Fachmann interessierten. Doch ist das Buch in seiner ganzen Anlage und Aus führung keineswegs nur für diesen, sondern viel mehr für einen breiteren Kreis botanisch oder geographisch interessierter Leser geschrieben: vor allem aber für den Schlesier, der Sinn für die N. F. XVI. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 319 Pflanzenwelt seiner Heimat hat. Damit steht es im Zusammenhange, daß ausführliche Pflanzenlisten, die nur den Fachmann angehen, möglichst ver- mieden sind und auf die genaue Zitierung der Literatur gänzlich verzichtet ist. Statt dessen sind manche Angaben von allgemein-biologischem Interesse mit in die Darstellung verwoben, die man in einer pflanzen-geographischen Studie zu- nächst nicht erwarten würde. Bei diesem be- sonderen Charakter des Buches dürfte eine kurze Übersicht über den Inhalt zur sicheren Orientierung am Platze sein. Die Darstellung beginnt mit einem Kapitel über die Geschichte der Erforschung von Schlesiens Flora, als deren erstes Dokument ein mit guten Abbildungen geschmückter Bericht des Andreas Mattioli über eine Exkursion in das Riesengebirge im Jahre 1563 ge- nannt wird. Mit großer Wärme wird der Ver- dienste gedacht, die sich Männer wieGöppert, VV immer, Milde, Limpricht und zahlreiche andere um die Kenntnis der schlesischen Flora erworben haben. Das zweite Kapitel behandelt die Flora der Vorwelt, die dank des uner- müdlichen Fleißes eines Göppert zu den best- erforschten Deutschlands gehört. Das dritte Kapitel, das Alter und Herkunft der gegen- wärtigen Pflanzenwelt zum Gegenstande hat, enthält statistische Angaben über die Zahl der vertretenen Arten usw., unterrichtet über die hauptsächlichsten Florenelemente, die für das Ge- biet in I'Vage kommen, zählt die endemischen Arten und Bastarde auf und erörtert die Stellung Schlesiens im eurasiatischen P'loreiigebiet. Werden hier also Fragen der Pflanzengeographie im engeren Sinne erörtert, so gilt dies weniger für das folgende (4.) Kapitel, das unter dem Titel Tier und Pflanze Abschnitte über Epizoen und Endozoen, Pflanzen und Ameisen, koprophile, insekten- fressende, tierbewohnende Pflanzen und über Symbiose vereinigt. Ein weiteres Kapitel mit der Überschrift: Mensch und Pflanzenwelt be- ginnt mit einem Abschnitt über prähistorische Kulturpflanzen, schildert das Verdrängen der ur- sprünglichen Pflanzendecke durch den Menschen und die an ihre Stelle getretenen Formationen, die Nutzpflanzen und ihre Feinde (hauptsächlich die parasitischen Pilze), die Zierpflanzen und die neuen Ansiedler. Auch dieses Kapitel enthält manche Dinge, die mit der speziellen Pflanzen- geographie Schlesiens nur in lockerem Zusammen- hange stehen, aber vielen Lesern gleichwohl will- kommen sein werden. Die vier übrigen Kapitel, die die zweite Hälfte des Buches ausmachen, sind hingegen wieder spezifisch pflanzengeographischen Fragen gewidmet und haben die Gliederung der Flora in einzelne Regionen zum Gegenstande, enthalten auch die klimatischen Daten usw. Von den drei unterschiedenen Regionen: Schlesische Ebene, niederes Bergland und höheres Bergland, haben die beiden letzten ein besonderes Interesse, da das Iser- und besonders das Riesengebirge in vielen Gauen Deutschlands zum Reiseziel gewählt werden. Es dürfte manchem Besucher der Schnee- koppe, der Schneegruben mit ihrer so üppigen Kräuterpracht, des Teufelsgärtchens usw. sehr erwünscht sein, sich in den einschlägigen Kapiteln genauer über ihre Flora unterrichten zu können. Zahlreiche meist recht schöne nach Original- photographien hergestellte Vegetationsbilder be- leben die Darstellung. Eine Übersichtskarte zeigt die Verteilung des Waldes und den Verlauf der Grenzlinien der Ver- breitung einiger pflanzengeographisch bemerkens- werter Bürger der Provinz. Ein ausführliches In- haltsverzeichnis erleichtert die Benutzung des Buches. Das Druckfehlerverzeichnis hätte freilich noch eine beträchtliche Erweiterung erfahren können. Die Liebe zur heimischen Scholle war stets ein hervorstechender Zug der schlesischen Botaniker. Sie hat auch dem Verfasser die Feder geführt, der seit mehr als einem Menschenalter unsere Kenntnis der schlesischen Flora durch eigene oder unter seinen Auspizien entstandene Arbeiten ge- fördert hat. So wird das Buch besonders in Schlesien dankbare Leser finden. Buder. Dittrich, O., Prof. D. M i tt el u n d Wege zu r Pilzkenntnis. Breslau 1917, G. P. Aderholz' Buchhandlung. — 50 Pfg. Der Verfasser erörtert in diesem Vortrage in eingehender und die wissenschaftlichen sowohl als die praktischen Bedürfnisse berücksichtigender Weise die Literatur über die eßbaren Pilze und macht auf besondere Schwierigkeiten aufmerksam. Des weiteren bespricht er die Mittel, wie die Kenntnis der eßbaren Pilze in weitere Kreise zu tragen ist, stellt den Mißerfolg von Pilzwanderungen fest, erörtert die Pilzauskunftstellen und Pilzaus- stellungen und kritisiert (und zwar mit Recht) die künstlichen deutschen Bezeichnungen, die sich in den Büchern finden, und die durch die wirklich im Volke und am Markt gangbaren Namen zu er- setzen seien. Das Heftchen stellt zwar keine An- leitung zum Erkennen der Pilze dar, gibt aber eine erwünschte Diskussion der Mittel, die zu diesem Ziele führen können. Miehe. Meteorologie von Professor Dr. Wilhelm Trabe rt in Wien. 4, zum Teil umgearbeitete Auflage von Privatdozent Dr. Albert De fant in Wien. Mit 46 Abbildungen und Tafeln. (Sammlung Göschen Nr. 54). G. J. Göschen'sche Verlags- handlung G. m. b. H. in Berlin W 10 und Leipzig. — Preis in Leinwand gebunden i Mark. Auch die Neubearbeitnng, die Dr. Defant an Stelle des erkrankten Prof.Trabert vorgenommen hat, brachte dem Bändchen wieder eine Anzahl Verbesserungen. So wurden die neueren Er- gebnisse der aerologischen Forschung über die Hoch- und Tiefdruckgebiete, über den Einfluß der 320 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 23 Reibung auf die Luftströmungen, sowie die der Poladichtforschung u. a. mit berücksichtigt. Ins- besondere hat der Abschnitt über die Wetter- prognose und ihre Hilfsmittel eine Neugestaltung erfahren. Hierbei wäre es wohl angebracht ge- wesen, die wichtigsten Regeln über die Verlagerung der barometrischen Maxima und Minima nicht nur dem Namen nach zu erwähnen, sondern auch dem Inhalt nach kurz zu skizzieren. Nötigenfalls könnte dafür der im Rahmen des Buches wohl etwas breit gehaltene Abschnitt über die Bedeutung des Staubes in der Atmosphäre gekürzt werden. Nebenbei mag noch auf einen wohl übersehenen falschen Ausdruck auf S. 112 hingewiesen werden, wo „ein Volt" definiert wird als der 0,89 Teil jener ,, Kraft", die in einem Daniellelement wirksam ist. In der Literaturzusammenstellung vermißt man die „Dynamische Meteorologie" von Bjerknes. — Dies alles vermag jedoch den Wert des kleinen Buches nicht zu verringern. Es kann noch wie vor auf das beste empfohlen werden, wenn es darauf ankommt, einen schnellen Überblick über das Gesamtgebiet der meteorologischen Forschung zu erhalten, die ja bei dem raschen Aufblühen des Luftfahrwesens und der gerade jetzt jedermann berührenden Abhängigkeit der Landwirtschaft und damit der Ernährung vom Wetter mehr und mehr ein Gegenstand allgemeinen Interesses wird. Scholich. Anregungen und Antworten. Ornithologische Beobachtungen im August und September 1916 in Galizien, Wolhynien und Russisch-Polen. Ciconia alba. In Russisch-Polen, Galizien und Wolhynien ist der Weißstorch noch scharenweise anzutreffen. Bei Domatschew, Wlodawa, Ruda (Polen) wurden in der Zeit vom 4. bis 7. 8. 16 auf Wiesen 16, 23, 26 Stück beobachtet, am 8. 8. 16 standen am Djnestre bei Halicz (Galizien) auf einer Stelle II, auf einer anderen 14 Stück. Am 27. 8. 16 konnten wir, bei Nowy-Zahorow(VVolhynien) eine Storch Versammlung belauschen. Es war abends gegen 6 Uhr an einer sumpfigen Wiese, wo wir 38 Exemplare zählten. Bei den Kämpfen an der Bystrzica tauchten am Abend des 3. 9. mitten im Schrapnellregen zwei Störche auf, die ziemlich ruhig hin- und herfiogen und dann plötzlich mit schnellem Flug das Schlachtfeld verließen. Am 4. 9. (logen abends gegen '/a 7 Uhr über dieselbe Stellung 46 Störche nach Süden. Bei Cholm (Russ.-Polen) war von einem abgebrannten Hause der Schornstein stehen geblieben. Auf diesem rissigen Hausüberrest hatte ein Storchenpaar sein Nest errichtet. Coracias garrula. Die Blauracke oder Mandelkrähe war sehr häufig bei Krasnostaw in Russisch-Polen und bei Swiniuchy und Nowy-Zahorow in Wolhynien anzutreffen. Numenius arquatus, der große Brachvogel wurde zahlreich in der Zeit vom 5. bis 10. September 1916 bei Korytniza und Swiniuchy (Wolhynien) beobachtet. Bei Rykowicze (Wolhynien) befand sich auf hohen Pappeln eine riesige Krähenkolonie (Corvus frugilegus). Die Saatkrähen waren dort des Morgens und Abends zu Tausenden ver- sammelt. Am 14. 9. 16 konnten wir ebenda auf einer Sumpfwiese 12 Purpurreiher (Ardea purpurea) belauschen. In Südostgalizien war im Winter 1916 — 17 der Dom- pfaff (Pyrrhula rubicilla) massenhaft anzutreffen. Karl Waase. Literatur. Berg er. Fr., Von Biene, Honig und Wachs und ihrer kulturhistorischen und medizinischen Bedeutung. Zürich, Orell Füßli. — I M. Jakobsthal, Prof. Dr. W., Mondphasen, Osterrechnung und Ewiger Kalender. Berlin '17, J. Springer. — 2 M. Brückmann, W., Beiträge zur Kenntnis der westfälischen Pilze. 1. Die Telephoreen Westfalens. Sonderabdruck aus dem 44. Jahresber. d. Westfäl. Provinzial-Vereins usw. Münster '16. — 2,50 M. Mehmke, Prof. Dr. O., Leitfaden zum graphischen Rechnen. Leipzig und Berlin '17, B. G. Teubner. — 4,80 M. Kobert, Prof. Dr. R., Über die Benutzung von Blut als Zusatz zu Nahrungsmitteln. Ein Mahnwort zur Kriegszeit. 4. Aufl. StuUgart '17, F. Enke. — 3 M. Heß- Beck, Der Forstschutz. 2. Bd.: Schutz gegen Menschen, Gewächse und atmosphärische Einwirkungen. Leipzig und Berlin '16, B. G. Teubner. — 14 M. Kraepelin's Leitfaden für den zoologischen Unterricht in den unteren und mittleren Klassen der höheren Schulen. I. Teil: Wirbeltiere. 7. Aufl. Bearbeitet von Prof. Dr. C. Schäffer. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. — 2,60 M. Meyer, Prof. Dr. St. und Schweidler, Prof. Dr. E. v., Radioaktivität. Leipzig und Berlin '16, B. G. Teubner. — 22,40 M. Ruehlmann, E., Goethe's Farbenlehre. Sonderdruck aus dem Jahrbuch der Goethe- Gesellschaft, Bd. 3, 1916. Insel-Verlag Leipzig. Naef, Dr. A., Die individuelle Entwicklung organischer Formen als Urkunde ihrer Stammesgeschichte. (Kritische Be- trachtungen über das sogenannte „biogenetische Grundgesetz"). Jena '17, G. Fischer. — 2,40 M. Inhalt: R. Kräusel, Die Bedeutung der Anatomie lebender und fossiler Hölzer für die Phylogenie der Koniferen. (9 Abb.) S. 305. — Einzelberichte: Seh laginhauf e n , Pygraäenproblera. S. 311. Hiltner, Silene dichotoma Ehrhart, erst Unkraut, dann Kulturpflanze. S. 314. W. B o b i 1 i o f f- P r ei ß e r , WaniJerung des Zellkerns. S. 314. Eberts, Der Krammetsvogelfang im Dohnenstiege. S. 315. W. Knopfli, Die mutmaßliche Ausbildung und Geschichte der Vogelgesellschaften des schweizerischen Mittellandes. S. 317. Chi Che Wang und Katharine Blunt, Aus der Chemie der chinesischen Dauereier. S. 317. — Bücherbesprechungen: E. Aselmann, Die Chemie im Kriege. S. 318. F. Pax, Schlesiens Pflanzenwelt. S. 318. O. Dittrich, Mittel und Wege zur Pilzkenntnis. S. 319. W. Trab er t, Meteorologie. S. 319. — Anregungen und Antworten: (Jrnithologische Beobachtungen im August und September 1916 in Galizien, Wolhynien und Russisch-Polen. S. 320. — Literatur: Liste S. 320. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 17. Juni 1917. Nummer 34. Die Schwefelbakterien und ihre Tätigkeit in der Natur. [Nachdruck vcrb Von Prof. Dr. M. Düggeli, Zürich. Mit 6 Abbildungen im Text. Ein Großteil der bekannt gewordenen und näher studierten Spaltpilz- oder Bakterien-Arten gehört zu den Saprophyten oder Fäulnisbewohnern. Sie bauen die in den abgestorbenen Körpern der Pflanzen und Tiere enthaltenen, meist recht kom- plizierten Verbindungen ab und führen sie in einfacher zusammengesetzte Stoffe über. Dabei gewinnen die Saprophyten einerseits Nährstoft'e, andererseits Energie zur Auslösung ihrer Lebens- vorgänge. Die Tätigkeit der Fäulnisbewohner ist für uns Menschen zweifellos sehr willkommen, indem dadurch die in den Organismen-Körpern enthaltenen Stoffe anderweitig verwendbar werden und eine Anhäufung von Pflanzen- und Tierleichen an der Erdoberfläche unterbleibt. Diese saprophytisch lebenden Spaltpilze ver- wenden als Baustoffe für ihre Körper sowie als Atmungs- und Gärmaterial die organischen Ver- bindungen des Pflanzen- und Tierkörpers und da- mit die von den Sonnenstrahlen unserem Planeten zugeführten Energiemengen, die seinerzeit von den grünen Pflanzen bei der Photosynthese fest- gelegt wurden. Beim Abbau der kompliziert zusammengesetzten Eiweißkörper, die bis i'/a^/o Schwefel enthalten, spalten gewisse, vorwiegend bei Luftabschluß ar- beitende Saprophyten Schwefelwasserstoff (H^S) ab, ein Gas, das sich bekanntlich durch seinen penetranten Geruch noch in starker Verdünnung bemerkbar macht. Der Schwefelwasserstoff-Geruch wird allgemein bezeichnet als Geruch nach faulen Eiern, obwohl faulende Eier keineswegs immer nach Schwefelwasserstoff riechen. Die Entstehung von H.,S ist in der Natur aber nicht gebunden an die Fäulnis von Eiweiß und eiweißähnlichen Substanzen; es gibt noch zahlreiche andere IVlöglich- keiten der HjS Entstehung in der Natur. Aus ihrer Fülle sei nur der Fall herausgegriffen, wo faulende organische Substanz mit Sulfaten in Be- rührung tritt. Dabei kann durch rein chemische Vorgänge Sulfat zu Sulfid und dieses zu HaS zersetzt werden, zufolge der stark reduzierenden oder sauerstoffentziehenden Wirkung der faulenden organischen Substanz. Bei der Fäulnis entsteht unter anderem Wasserstoff, der, zufolge seiner großen Affinität zu Sauerstoff, auf die Umgebung sauerstoffentziehend wirkt. Wir können durch zwei Gleichungen den geschilderten Vorgang un- serem Verständnis näher bringen: CaSO, — 2O2 = CaS Diese Wirkung wird ausgelöst durch die redu- zierende Tätigkeit der faulenden organischen Sub- stanz. Kommt Kalziumsulfid (CaS) mit einer Säure zusammen, z. B. mit der schwachen Kohlensäure, so verwandelt es sich in kohlensaures Kalzium unter Freiwerden von Schwefelwasserstoff: CaS + H2CO3 = CaCOs + H.,S Aber nicht bloß durch rein chemische Prozesse, sondern auch durch die Tätigkeit bestimmter, reduzierend wirkender Spaltpilze wird Sulfat zer- setzt unter Produktion von fLS. So vermag das Spirilluni dcsitlfurüaiis Bey., aus Grabenwasser isoliert, im Liter geeigneter Nährflüssigkeit aus Sulfat 238 mg H.>S abzuspalten. Noch kräftiger wirkt die aus Meerwasser gezüchtete Alicrospira aestuarii van Delden, die im Liter Nährflüssigkeit bis 952 mg H„S aus Sulfat bildet. Die Örtlichkeiten, wo solche aus Eiweißstoffen, oder dann aus Sulfat H„S abspaltende Bakterien tätig sind, erkennen wir leicht, außer mit dem Geruchssinn, durch die Schwärzung hingehängten Bleipapiers. Lassen sich schwefelwasserstofifpro- duzierende Mikroorganismen auf festen Nährsub- straten züchten, so umgeben sich ihre Kolonien bei Zusatz von 3% Eisentartrat oder Eisensaccharat mit einem schwarzen Hof von Schwefeleisen. Nicht selten häuft sich der auf irgendeine Weise, sei es durch chemische, oder durch bio- logische Vorgänge produzierte H.jS an; nament- lich kann dies in Wasserbecken stattfinden, da der H,S in Wasser leicht löslich ist. Ein paar Angaben mögen dies belegen. Nadson fand im Wasser des Weissowo- Salzsees (Gouv. Charkow, Rußland) pro Liter folgende Mengen H^S: In der Tiefe von 16 m 5,91 ccm= 9,00 mg H2S „ 18,1 „ 88,31 „ =134-51 -. M „ „ „ „ 18,7,, 184,96 „ =281,73 „ „ Im Schwarzen Meer konnte die russische Tief- see-Expedition vom Jahre 1891, von einer Tiefe von 200 — 400 m angefangen, überall bis zum Meeresboden H.,S im Wasser nachweisen. Nach dem Bericht von Lebedinzeff enthielt ein Liter Wasser aus dem Schwarzen Meer: H,S In einer Tiefe von 213 m 0,3V ccn 1=0,50 427 ,. 2,22 „ = .3„3« 2026 „ ^.■;s = «,4S „ „ 2528 „ 6,55 =9,98 Die dem Grunde des Schwarzen Meeres auf- liegende Wasserschicht enthält zwanzigmal mehr H.jS als das Wasser in 213 m Tiefe. Die Ursache der Entwicklung von HjS in der Tiefe des Schwär- 322 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 24 zen Meeres ist die Fäulnis der dort abgelagerten organischen Substanzen, sowie die HjS-Abspaltung aus Sulfaten zufolge reduzierender Wirkung fau- lender organischer Substanz und die Tätigkeit sulfatreduzierender Spaltpilze. Der Grund, weshalb diese Vorgänge gerade im Schwarzen Meer und nicht auch in anderen Meeren in so hohem Grade bemerkbar sind, ist nach Andrussow darin zu suchen, daß im Schwarzen Meer das spezifische Gewicht des Wassers nach der Tiefe rasch an- steigt. Der vertikale Kreislauf der Wasserschichten reicht deshalb nur bis zu einer Tiefe von ca 170 m; weiter unten liegt die ganze Wassermasse still und ermöglicht so die Anhäufung von H.>S. Nach den Untersuchungen von Melle t und Schwyzer enthält das Wasser des Ritomsees im Val Piora, Kanton Tessin, Schweiz, von 12,5 m an abwärts, bis zum Grunde, H^S und zwar im Maximum pro Liter 30 mg = 19,7 ccm HjS. Be- kanntlich enthält auch das Wasser der sog. Schwefel- quellen größere oder kleinere Mengen von HjS. Sobald im Wasser sich nennenswerte Mengen von H2S vorfinden, ruft dies automatisch eine Verminderung des Sauerstoffgehaltes, eventuell ein gänzliches Verschwinden dieses für die Lebewesen so wichtigen Gases hervor. Der Sauer- stoffmangel im Wasser bedingt eine bedeutende Rückwirkung auf die im Wasser lebenden Organis- men höherer Natur, wie auch auf die Spaltpilze. Im schwefelwasserstoffhaltigen Wasser verschwindet die gewöhnHche Flora und Fauna der oberen Wasserschichten fast ganz. Fs stellen sich nur solche Lebewesen ein, die an die vorhandenen Lebens- bedingungen speziell angepaßt sind, so von den Algen manche Chroococcaceen, Diatomeen und grüne Oscillarien, daneben Anguilluli- den, Infusorien und Rädertierchen. Auch manche Spaltpilzarten gedeihen im schwefel- wasserstoffhaltigen Wasser noch ganz gut; so viele obligat An aerobe, also nur bei Sauerstoff- abschluß wachsende Spaltpilze, sowie insbesondere die sog. Schwefelbakterien oder Thio- bakterien. Durch die bisherigen Ausführungen haben wir die Überzeugung gewonnen, daß teils durch chemische, teils durch biologische Prozesse aus organischem oder anorganischem Material HjS abgeschieden wird. Wäre nicht für die Beseitigung des HjS, eines für Pflanzen und Tiere giftigen Gases, gesorgt, so müßte seine Anhäufung im Wasser, im Frdboden, ev. sogar in der Luft statt- finden und es könnte vielleicht auch zufolge Entzug von Schwefel im H.jS allmählich Mangel an Schwefel in der Organismenwelt auftreten. Die Rückgabe des Schwefels im H.,S an den Kreislauf erfolgt in der Natur durch Oxydation des H.^S zu Schwefel und dieses letzteren zu Schwefelsäure, so daß den Pflanzen Sulfate, bekanntlich eine er- wünschte Schwefelquelle,' gfliefert werden. Dieser 0.xydationsprozeß kann rein chemisch durch Luft- sauerstoff bewirkt werden. Der in Wasser gelöste HgS bildet beim Schütteln mit Luft zuerst feines Schwefelpulver, das bei Anwesenheit poröser Körper rasch zu Schwefelsäure oxydiert wird. In der Natur geht aber dieser Oxydationsvorgang viel kräftiger und umfassender unter Mitwirkung be- stimmter Spaltpilze vor sich ; es handelt sich dabei nicht mehr um einen rein chemischen, sondern um einen biologischen Vorgang. Alle Spaltpilze, die Schwefelverbindungen in größerer Menge verarbeiten als sie zum Aufbau ihres Körpers brauchen, bezeichnen wir als zur Gruppe der Schwefelbakterien oderThio- bakterien gehörend. Diese biologische Bak- teriengruppe hat gegenüber den meisten anderen Spaltpilzen, speziell den eingangs erwähnten Sapro- phyten, die bemerkenswerte Fähigkeit, gewisse anorganische Schwefelverbindungen zu oxydieren. Von manchen Thiobakterien wissen wir, daß diese rein anorganischen Oxydationsprozesse die Energie- quelle sind, auf deren Kosten sie ihre Lebens- prozesse auslösen, während andere Organismen unbedingt organischer Substanzen zur Oxydation bedürfen. Die Großzahl der Schwefelbakterienarten er- freut sich weiter Verbreitung in der Natur, wenn auch die Anhäufung der Individuen nur unter be- stimmten Bedingungen so wesentlich ist, daß makro- skopisch, oder bei schwacher Vergrößerung mit Hilfe des Mikroskopes, ihr Vorhandensein beobachtet werden kann. Grundbedingung für eine wesent- liche Vermehrung der Thiobakterien ist das Vor- handensein von HoS, oder einer anderen geeigneten Schwefelverbindung am Grunde seichter Gewässer. Dann bilden farblose Schwefelbakterien weiße, zierliche, netzartige Belege am Boden der Wasser- ansammlung, die lebhaft an Spinngewebe erinnern, oder aber rote Überzüge, wenn es sich um ge- färbte Arten handelt. Die günstigsten Jahreszeiten zum reichlichen Auftreten von Thiobakterien sind der Spätherbst und das zeitige Frühjahr, weil dann größere Mengen von Pflanzenresten im Wasser zersetzt werden; wobei HjS frei wird. In stillen Meeres- buchten mit bedeutenden Quantitäten von faulendem Seegras macht sich der HjS-Geruch in der Um- gebung sehr lästig bemerkbar und das Wasser ist dann auf weite Strecken rötlich verfärbt, zu- folge reichlichen Vorkommens roter Schwefel- bakterien. Solche Beobachtungen machte beispiels- weise Warming an der dänischen Küste. Die Schwefelbakterien leben z. T. sicher, z. T. wahrscheinlich kohlenstoffautotroph. Unter kohlen- stoffautotrophen Spaltpilzen verstehen wir solche, die die Fähigkeit besitzen, den Kohlenstoff aus anorganischen Kohlenstoffverbindungen zu assi- milieren. An den bisher reinzüchtbaren Schwefel- bakterien konnte die Kohlenstoff-Autotrophie ein- wandfrei festgestellt werden, wähjend wir bei den bisher nicht reinzüchtbaren Arten, und leider gehört die Großzahl der Thiobakterien hierher, nur auf berechtigte Vermutungen angewiesen sind. Die reinzüchtbaren Schwefelbakterien benutzen das Kohlendioxyd der Luft als Kohlenstoffquelle. Die N. F. XVI. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 323 zur Reduktion des Kohlendioxyds notwendige Energie gewinnen die Schwefelbakterien durch die Oxydation von nicht mit Sauerstoff gesättigten anorganischen Schwefelverbindungen, wie Schwefel- wasserstoff, schwefligsauren und unterschweflig- sauren Salzen. Bei der Oxydation von H^S zu Schwefelsäure tritt als Zwischenstufe Schwefel auf. Die Schwefel Wasserstoff- Oxydation zu Schwefel- säure sei durch zwei Gleichungen unserem Ver- ständnis nähergebracht. 2H2S -f O2 = 2H2O + S2 -f 122 Cal Sa + 3O2 + 2H2O = 2H2SO, + 282 Cal Die Schwefelsäure wird durch vorhandene Karbonate, namentlich durch den im Wasser re- lativ leicht löslichen und oft vorhandenen doppelt- kohlensauren Kalk [CaH., (€03)2] neutralisiert und in Form von Sulfaten ausgeschieden. Wieder soll eine chemische Gleichung diesen Vorgang ver- deutlichen : H.,SO, + CaH.,(C03)2 = CaSO, -f 2CO2 + 2H2O Durch die Tätigkeit der Schwefelbakterien wird also Karbonat in Sulfat verwandelt. Die oben an erster Stelle angeführten beiden Gleichungen zeigen, daß es sich um energieliefernde Vorgänge handelt, welche Energie zur Assimilation des Kohlendioxyds verwendet wird. Unter günstigsten Bedingungen wird Schwefelwasserstoff in 5 Minuten zu Schwefel- säure oxydiert. Für unsere weiteren Besprechungen wollen wir bei den Schwefelbakterien zwei Gruppen aus- einanderhalten. Die Angehörigen der ersten Gruppe sind da- durch charakterisiert, daß die Zellen in ihrem Innern nie Schwefel einlagern, während die An- gehörigen der zweiten Gruppe dies regelmäßig tun. Betrachten wir zuerst einen Vertreter der er- sten Gruppe, das Thiobadcrm»! fhiopanim. Die Rohkultur dieser Bakterienart kann auf folgende Weise gewonnen werden. Eine rein mineralische Nährlösung, die unterschwefligsaures, sowie kohlen- saures Natron enthält, -wird in einem Glaszylinder mit Grabenschlamm geimpft. Wenn die Kultur angehen soll, so dürfen keine organischen Kohlen- stoffverbindungen da sein. Nach einiger Zeit über- zieht sich die Flüssigkeit bei Zimmertemperatur mit einer Haut, die aus Stäbchen mit dazwischen liegenden Schwefeltröpfchen besteht. Dieses be- wegliche, stäbchenförmige Thiobactcriitnt tlnopanini oxydiert das unterschwefligsaure Natron unter Schwefelabscheidung zu schwefelsaurem Natron. Bieten wir statt unterschwefligsaurem Natron Schwefelwasserstoff, so wird dieses Gas zu Schwefel oxydiert. Auf Agarplatten mit entsprechendem Zusatz von Nähr- und Energiestoffen kann die Mikrobe reinkultiviert werden. An diesen Rein- kulturen ist die Kohlenstoff-Autotrophie des Thio- bacterinm tliiofanim leicht nachweisbar. Ob bei den beobachteten Oxydationsvorgängen Enzyme der Mikroorganismen tätig sind, ist noch nicht entschieden. Die zweite Gruppe von Thiobakterien, deren Angehörige in ihrem Zellinnern Schwefel aufzu- speichern vermögen, war zuerst bekannt. Nach der Ansicht des bekannten Breslauer Botanikers Ferdinand Cohn sollten diese Schwefelbakterien Sulfate zu HjS reduzieren und dann den H^S zu Schwefel oxydieren, wobei der Schwefel in den Zellen abgelagert würde. Der russische Forscher Winogradsky zeigte aber durch einwandfreie Versuche, daß diese Schwefel- bakterien nie reduzierend, sondern stets oxydierend wirken, mithin nie HjS erzeugen, sondern stets verbrauchen. In sulfathaltigem Wasser gedeihen diese Organismen so wenig wie in einer schwefel- wasserstofffreien Flüssigkeit; es muß ihnen unbe- dingt H.,S zur Verfügung stehen, sonst gehen sie an der Unmöglichkeit die notwendige Energie zur Auslösung der Lebensprozesse gewinnen zu können, zugrunde. Der Schwefelgehalt des Zellinnern ist abhängig von äußeren Bedingungen, vorab von der Menge des zur Verfügung stehenden HjS. Bald sind die Zellen von Schwefeltröpfchen ganz erfüllt, bald fehlen sie gänzlich. Der Schwefelgehalt der Zellen darf deshalb, weil er ein veränderliches Merkmal ist, nicht für die Artbestimmung herangezogen werden, wie dies schon von verschiedenen For- schern geschehen ist. Der Schwefel kommt in den Schwefelbakterien- zellen in Form von kugeligen, das Licht stark brechenden Inhaltskörpern vor. Es ist das Ver- dienst eines schweizerischen Botanikers, C. Gramer in Zürich, das wahre Wesen dieser Inhaltskörper erkannt zu haben. In der chemisch physikalischen Beschreibung der Thermen von Baden im Aargau, die im Jahre 1870 von Ch. Müller erschien, bezeichnete Gramer die Inhaltskörper derBeg- giatoen als aus Schwefel bestehend. Die in der Literatur häufig gebräuchliche Bezeichnung Schwe- felkörnchen ist nicht zutreffend, da sie, wie Wino- gradsky zeigte, nicht körnig fest, sondern ölig weich sind. Diese Tröpfchen bestehen aus amor- phem Schwefel. Taucht man schwefelreiche Zellen in konzentrierte Pikrinsäure und legt sie dann in Wasser ein, so sieht man nach 24 Stunden schön ausgebildete monoklinprismatische Täfelchen und rhombische Oktaeder in den Zellen. Die wach- senden Kristalle durchreißen nicht selten die be- nachbarten Zellwände. Da die Schwefeltröpfchen nur eine Zwischen- stufe in der O.xydation des HoS zu Schwefelsäure sind, so werden sie nicht dauernd im Zellinnern gespeichert. Wenn H.jS den Schwefelbakterien einige Zeit mangelt, so verbrennen sie ihren auf- gespeicherten Vorrat an Schwefel in i —2 mal 24 Stunden und sterben dann Hungers, sofern ihnen nicht im Wasser neuer H^S geboten wird. Den HjS können die Schwefelbakterien nicht auf die Dauer entbehren, da er die eigentliche, wenn nicht ausschließliche Quelle von Spannkraft ist. Nach den Untersuchungen von Winogradsky ver- brauchen die Bakterienzellen täglich das 2— 4 fache 324 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVL Nr. 24 ihres eigenen Gewichtes an HjS oder an Schwefel. Für unsere weiteren Besprechungen unter- scheiden wir bei den im Zellinnern Schwefel- tröpfchen ablagernden Thiobakterien nach morpho- logischen Gesichtspunkten drei Gruppen: 1. Farblose, in Zellfäden angeordnete Schwefel- bakterien. 2. Farblose, nicht in Zellfäden angeordnete Schwefelbakterien. 3. Rot gefärbte Schwefelbakterien, die Thio- bakterien unter den Purpurbakterien. Nach Winogradsky können Rohkulturen der genannten drei Gruppen auf folgende Weise erhalten werden. Im zylindrischen Glasgefäß werden die Rhizome von Wasserpflanzen in zer- schnittenem Zustande samt anhaftendem Schlamm mit Wasser Übergossen und ein paar Gramm Kalziumsulfat oder Gips zugesetzt. Wir lassen sie bei Zimmertemperatur einige Tage unbedeckt stehen. Wünschen wir rot gefärbte Schwefel- bakterien anzureichern, so muß das Licht zum Glaszylinder reichlich Zutritt haben; bei Lichtab- schluß entwickeln sich farblose Thiobakterien. Nach 5 — 7 Tagen findet aus dem zugefügten Gips die Entwicklung von HjS statt. Dadurch ist die Nährflüssigkeit, in der sich die Schwefelbakterien entwickeln können, geschaffen. Nach 3 — 6 Wochen sind die Thiobakterien mikroskopisch feststellbar, vermehren sich aber nach und nach so stark, daß sie auch für das unbewaffnete Auge sichtbar sind. Wir wollen nun die einzelnen Gruppen von schwefelspeichernden Thiobakterien, unterstützt durch einige Zeichnungen, kurz besprechen. Dabei sei die Bemerkung vorausgesandt, daß die syste- matische Bearbeitung der einzelnen Gruppen noch eine unbefriedigende ist. Zunächst; I. Farblose, in Zellfäden angeordnete Schwefel- bakterien. Bis jetzt sind zwei Gattungen näher studiert, nämlich: Beggiatoa und Thiothrix. Die erste Gattung umfaßt bewegliche, TJnothrix aber festsitzende Zellfäden. Beide Gattungen sind von Winogradsky eingehender studiert. Die Gattungs-Bezeichnung Beggiatoa stammt von Trevisan aus dem Jahre 1872 zu Ehren des italienischen Arztes Beggiato zu Vicenza. Beggiato hatte im Jahre 1838 die Flora der Schwefelquellen bei Padua bearbeitet. Die Beggiatoa- Arten bestehen aus lebhaft be- weglichen, zylindrischen Zellfäden, die bis i cm lang werden. Die Bewegung ist eine seltsame und resultiert aus drei Einzelbewegungen , d.ie bestehen in einem Drehen um die eigene Achse, einem Hin- und Herpendeln und gleichzeitigem Vor- und Rückwärtsgleiten. Bewegungsorgane sind aber bei den Beggiatoen nicht bekannt, wie auch ein Zellkern und das Vermögen, Sporen zu bilden, vergeblich gesucht wurden. Wenn das den Beggiatoen zur Verfügung stehende Wasser reich ist an HjS, so ist das Innere der Zellen so reich an rundlichen, stark lichibrechenden Schwefel- tröpfchen, daß die vorhandenen Querwände gar nicht oder nur schwer zu sehen sind (Abb. 1) Man ist dann versucht zu glauben, der Beggiatoa Faden bestehe nur aus einer einzigen schlauch förmigen Zelle und nicht aus zahlreichen kurz zylindrischen Zellen, die fadenartig hintereinande angeordnet sind, wie das der Wirklichkeit ent Abb. 1. Beggi.itoa alba Win. Die in der Zeichnung schwarz gehaltenen Schwefeltröpfchcn sind zufolge reichlicher Anwesenheit von HjS massenhaft vorhanden, so daß die Querwandungen im ZcUfaden nicht sichtbar sind. Nach der Natur gezeichnet. Vergrößerung 600. Spricht. In schwefelwasserstoffarmem, oder gar in schwefelwasserstofffreiem Wasser geht die Zahl der Schwefeltröpfchen rasch zurück, wodurch die Querwände deutlich sichtbar werden. Bei Schwefel- wasserstoffmangel runden sich die einzelnen den Zellfaden zusammensetzenden Glieder gegensehig Abb. 2. Beggiatoa alba Win. Infolge Mangel an HjS sind in den Zellen keine oder nur wenige Schwefeltröpfchen vorhanden, die Querwandungen sind deutlich zu sehen und der Zellfaden zerfällt stellenweise in seine kurzen , sich abrundenden Glieder. Nach der Natur gezeichnet. Vergrößerung 600. ab, lösen sich voneinander los, so daß der Zell- faden in seine Glieder zerfällt. Dadurch ist die Möglichkeit gegeben, daß die ovalen Zellen durch Strömungen im Wasser leicht verfrachtet und so neue schwefelwasserstoffreichere Standorte besiedelt werden können (Abb. 2). N. F. XVI. Nr. 2.|. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 325 Winogradsky züchtete sieunter Deckglasinder feuchten Kammer. Zwischen Deckglas und Objekt- träger wurden, außer schwefelwasserstoffhaltigem Wasser, Glassplitterchen gebracht, um den Druck des Deckglases auf die Zellen aufzuheben und die Erneuerung der .Flüssigkeit mittels Durchsaugens zu erleichtern. Soblieben die eingesetzten Beggia- toen Wochen- bis monatelang lebend. Dabei ließ sich auch die Beobachtung machen, daß die Beggiatoen ohne gebundenen Kohlenstoff in anderer F"orm als Kohlendioxyd zu erhalten, ihren Körper normal aufbauten, so daß die Vermutung, sie benützen das Kohlendioxyd stets als Kohlen- stoffquelle mit Hilfe der bei der Oxydation von HjS erhaltenen Energie, der Wirklichkeit entsprechen dürfte. Diese Vermutung ist sowohl für Beggiatoa wie für die gleich zu erwähnende Thiothrix in vollem Umfange neuerdings durch F. Keil be- stätigt worden (Beitr. z. Biologie der Pflanzen, Bd. XI, S. 335 ff., 1912), dem es auch zum ersten Male gelang, einwandfreie Reinkulturen der bei- den Schwefelbakterien herzustellen. Er züchtete sie in einer mineralischen Nährlösung, der als Stickstoffquelle Ammonsalze zugesetzt waren, und in einen abgeschlossenen Gasraum, der Kohlen- dioxyd, eine beschränkte Menge Sauerstoff und wenig Schwefelwasserstoff enthielt und durch Zu- fügen des indifferenten Wasserstoft'es auf Atmo- sphärendruck gebracht wurde. Die üppige Ent- wicklung der Bakterien zeigte an, daß sie in der Tat das Kohlendioxyd assimilieren. Sie sind sogar auf diese C-Quelle angewiesen, da organische Verbindungen zwar nicht schädigten, aber sich als unausnutzbar erwiesen. Zugleich geht aus diesen Zuchtversuchen hervor, daß der Schwefel- wasserstoff eine notwendige Existenzbedingung für diese Bakterien darstellt. Sie sind somit in ähnlicher Weise autotroph, wie die grünen Pflan- zen und etliche eisen- und wasserstoffoxydierende Bakterien. Da die Breitendimensionen der Beggiatoa- F"aden ziemlich konstant sind, wurden sie für die Spaltung der Gattung in Arten zum Prinzipe ge- wählt. Die drei bei uns öfters vorkommenden Arten sind: Beggiatoa alba Win. mit 2,8 — 2,9 n breiten Zellfäden Beggiatoa media Win. mit 1,6 — 1,7 ;< breiten Zellfäden Beggiatoa minima Win. mit 0,8 ii breiten Zellfäden Ein Riese unter den Beggiatoen ist Beggiatoa mirabilis Cohn, die vom Grunde der Kieler Bucht heraufgeholt wurde. .Die Faden werden 45 — 50 Mikra, also bis V20 "i"! breit und sind schon bei be- scheidener Vergrößerung sichtbar. Dank diesen, für Spaltpilze riesigen Körperdimensionen ist es möglich mit Hilfe des Mikrotomes Längs- und Querschnitte durch den Bakterienleib zu machen und so einen Einblick in seinen Aufbau zu ge- winnen. Die Untersuchung ergab, daß die Zellen von Beggiatoa mirabilis eine doppelte Membran besitzen, und reich vakuolisierten Inhalt aufweisen, so daß zahlreiche oft recht dünne Plasmastränge das Zellinnere durchsetzen. Spuren eines Zellkernes wurden auch da nicht getroffen. Die Beggiatoen bevorzugen zufolge der freien Beweglichkeit der Zellfäden stagnierendes, schwefel- wasserstoffhaltiges Wasser, wo sie sich, je nach der Wassertiefe, entweder am Grunde, oder in den oberflächlichen Schichten aufhalten. Die festsitzenden Zellfaden der Gattung Thiothrix oder Schwefelhaar bilden büschel- förmige, weiße Fadenkolonien. Die Faden sind mittels schleimigem bis gallertigem Haftkissen an irgendeiner Unterlage festsitzend, so an Steinen, Holz usw. Die F"aden der Th io thr ix-Arten unterscheiden sich von denjenigen der Beggiatoen außer durch ihr Festgewachsensein noch durch Ver- jüngung der Zellfaden nach der Spitze zu. Die Zellen nahe dem Haftkissen sind mithin von größerem Durchmesser, als die in der Nähe der Spitze (Abb. 3). Auch bei den Thiothrixfaden .Abb. 3. Thiolhrix nivea Win. Die Zellfaden sind festgewachsen und verjüngen sich gegen das freie Spitzenende zu. Die in den Zellen reichlich vor- handenen schwarz gehaltenen Schwefellröpfchen lassen keine Querwandungen im Thiothrix-Faden erkennen. Nach der Natur gezeichnet. Vergrößerung 600. ist die Gliederung in einzelne Zellen oft nur schwer zu sehen zufolge der reichlich vorkommenden Schwefeltröpfchen. Interessant ist das Vermögen der Thiothrix -Arten das oberste Fadenglied als bewegliche Konidie abzugeben. Winogradsky beobachtete, wie das terminale Fadenstück von 8 — 9 Mikra Länge sich abgliederte, auf der festen Unterlage vorwärtskroch, den Mutterfaden streckte und schließlich sich losriß. Der Mutterfaden schnellte dabei ähnlich wie eine gespannte Feder zurück. Die noch eine kurze Strecke sich vorwärts be- wegende Konidie kam zur Ruhe, erzeugte ein Haftkissen und wuchs zum Faden aus. Dadurch entstehen büschelförmige weißliche Fadenkolonien und gleichzeitig ist die Möglichkeit zur Ausbreitung der Art gegeben. 326 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 24 Bei der Gattung Thiothrix wird ebenfalls die Breite der Zellfaden zum Einteilungsprinzip gewählt und danach unterschieden: Tliiotlirix >nvea Win. mit am Grunde 2 f^i messenden Zellfaden. Thiothrix temäs Win. mit am Grunde i /< messenden Zellfaden. Thiofhrix temiissima Win. mit am Grunde 0,4 — 0,5 /t messenden Zellfaden. Die Thiothrix temdssima wurde in derSchwefeK quelle von Adelbodenim Kanton Bern (Schweiz gefunden bei einer Wassertemperatur von bloß 5-8«C. Die Thiothrix-Arten sind in mehr oder weniger stark fließendem schwefelwasserstoff- haltigem Wasser anzutreffen, speziell in Quellen, wo sie zufolge ihrer gallertigen Haftkissen nicht fortgespült werden. In tieferen, stagnierenden, Schwefel vvasserstofführenden Wasserschichten finden sich die Thiothrix-Arten nur gemeinsam mit Oscillarien und Chroococcaceen, die ihnen den notwendigen Sauerstoff liefern. Die zweite im Zellinnern Schwefeltröpfchen ablagernde Gruppe von Thiobakterien umfast farb- Abb. 4. Thiophysa voliilans Hinze. Die beweglichen, mit schwarz gezeichneten Schwefeltröpfchen beladenen Zellen zeigen Kugelgestalt, bei der Vermehrung aber oft Semmelform. Nach Hinze. Vergrößerung 600. lose, nicht in Zellfaden angeordnete Schwefel- bakterien. Bei der Besprechung dieser zweifellos sehr großen Gruppe von Schwefelbakterien können wir uns ganz kurz fassen, indem sowohl ihre Morphologie wie die Biologie und Systematik noch ganz ungenügend studiert sind. Als Vertreter dieser Gruppe seien genannt: Thiophysa volutaus Hinze (Abb. 4), Bacillus tliiugeiiiis Molisch und Spirillum bipiDictatum Molisch. Wir müssen an dieser Stelle auf eine Bildung aufmerksam machen, die bei allen beweglichen Thiobakterien in Schwefelwasserstoff haltigen Flüssig- keiten beobachtet werden kann, nämlich die sog. Bakterienplatten von Jegunow, oder die Bakterienniveaus, wie Beiyerinck die Er- scheinung nennt. Schon Winogradsky machte an den Objektträgerkulturen der Beggiatoen die Beobachtung, daß die Zellfäden sich zwischen der Mitte und dem Rande des Wassertropfens, in dem sie sich finden, hin- und herbewegen. Die Faden gehen von der Mitte des Flüssigkeitstropfens, wo sie sich mit H^S beladen haben, an den Rand des Präparats, um den HjS zu Schwefel und zu Schwefelsäure zu oxydieren und kehren dann wieder zum Zentrum zurück, um ihre Tätigkeit von neuem zu beginnen. Halten wir Rohkulturen in Standzylindern, so sammeln sich die beweglichen Schwefelbakterien in jener Hüssigkeitsschicht an, wo der Luftsauerstoff von oben und der Schwefelwasserstoff des Wassers von unten zusammentreffen. Nicht selten ist diese Bakterienanhäufung von bloßem Auge sichtbar; wir nennen sie, wie schon erwähnt, die Bakterien- platte. Dieses Niveau ist verschiebbar je nach dem Schwefelwasserstoffgehalt der Flüssigkeit. Der Bau der Bakterienplatte ist sehr interessant. Sie besitzt mehrere 3 — 4 mm lange quastenartige Fortsätze, die tiefer in die Schwefel- wasserstoff haltige Flüssigkeit hineinreichen. Je- gunow, der mit farblosen, beweglichen, nicht fädigen Schwefelbakterien experimentierte, be- obachtete in diesen Quaste hen oder Fontänen eine merkwürdige Bewegung der Spaltpilze. Diese Bewegung kann verglichen werden mit derjenigen des Wassers eines umgekehrten Springbrunnens, indem die Bakterien in der Achse des Quästchens nach unten steigen und dann im Bogen wieder zur Platte zurückkehren. Der Weg, der hierbei pro Sekunde zurückgelegt wird, beträgt durch- schnittlich 20 jx. Am Scheitel des Quästchens wird der HoS, von unten zutretend, von den Zellen zu Schwefel oxydiert mit Hilfe des von den Zellen mitgeführten Sauerstoffes. Nachdem die Bakterien- zellen in den oberen Teil der Platte zurückgekehrt sind, wird der Schwefel zu Schwefelsäure verbrannt. Der Beweis für diese Vorgänge wird folgender- maßen erbracht. Wir behandeln einen Wollfaden mit stark verdünntem Eisenchlorid und Ammoniak, so daß der Faden hellgelb gefärbt erscheint. Wir befestigen am Faden ein Glasgewichtchen und versenken ihn in die Fontäne. Unten in der Fon- täne färbt sich der Faden alsbald schwarz, zufolge Bildung von Schwefeleisen; oben dagegen wird er weiß, infolge Schwefelsäureproduktion. Die Zeit- dauer des Umlaufes einer Zelle in der F"ontäne beträgt nach den Beobachtungen von Jegunow ca. 5 Minuten. In dieser Zeitspanne wird also der H^S von der Zelle aufgenommen und zu Schwefel oxydiert, sowie der Schwefel weiter verbrannt zu Schwefelsäure und dieselbe ausgestoßen, so daß Sulfat entstehen kann. Es ist uns nun auch so- fort klar, daß die Flüssigkeit unter der Bakterien- platte mehr oder weniger reich an H2S ist, während über der Platte allmählich der Sulfatgehalt ansteigt. Nun noch die dritte, die letzte Gruppe von Thiobakterien, die im Zellinnern Schwefeltröpfchen ablagert. Sie zeigt ebenfalls nicht die Anordnung der einzelnen Zellen zu Zellfaden ; die hierher ge- hörenden Arten besitzen aber in ihrem Innern einen purpurroten Farbstoff, so daß wir kurz von Purpurbakterien unter den Thiobakterien N. F. XVI. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 327 sprechen; auch rote Schwefelbakterien nennen wir sie. Ich will ausdrücklich darauf hin- weisen, daß nicht alle mit einem purpurroten Farb- stoff versehenen Bakterienarten zu den Schwefel- bakterien gehören, sondern die meisten Arien von Purpurbakierien und dabei gerade die in ihren physio- logischen Eigentümlichkeiten am besten studierten Spezies führen keinen Schwefel im Zellinnern. Ich will auch nicht versäumen darauf hinzuweisen, daß zwischen den Purpurbakterien und den soge- nannten Chromogenen oder Farbstoff- bildnern unter den Spaltpilzen ein prinzipieller Unterschied besteht. Bei den in der Natur weit verbreitet vorkommenden Chromogenen, die gelben, grünen, braunen, roten, blauen und schwarzen Farb- stoff erzeugen können, sind die Zellen selbst farb- los und nur ihre nach außen abgegebenen Stoff- wechselprodukte sind gefärbt. Nicht so bei den Purpurbakterien. Hei ihnen ist das gesamte Plas- ma mit einem purpurroten Farbstoff durchtränkt, während die Stoffwechselprodukte, soweit bekannt, farblos sind. Zwischen den roten und den farblosen Schwefel- bakterien sind drei physiologische Unterschiede zu konstatieren. Die roten Schwefelbakterien suchen das Licht auf und entwickeln sich dort besser als im Dunkeln, ein ganz eigenartiger und einzig da- stehender F"all in der Spaltpilzwelt ; alle Spaltpilze sind lichtscheu mit Ausnahme der Purpurbakterien. Von den roten Thiobakterien wird ein viel höherer Gehalt an H.,S ertragen als von farblosen P"ormen; während die Purpurbakterien noch in gesättigten Lösungen von H^S in Wasser gedeihen, sterben farblose Formen darin rasch ab. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß die roten Thio- bakterien mit kleinen Schwefelwasserstoffmengen auskommen können, während farblose Schwt-fel- bakterien dabei nur ein kümmerliches Dasein fristen. Die roten Schwefelbakterien wurden von Ehrenberg im Jahre 1826 entdeckt. Bei einem Spaziergange in der Umgebung von Jena bemerkte der genannte P'orscher in einem Bachtümpel hand- große rote Flecken. Sie bestanden aus ungeheuren Schwärmen eines einzelligen, roten Organismus. Dieser besaß Zylinderform und hatte eine einzige Geißel. Die festgestellten Körperdimensionen be- trugen lo — 15 fi in der Länge und 5 // in der Breite. Ehrenberg nannte den Organismus Monas Okcnü und später Oironiatium Okciiii (Abb. 5.). Die Purpurbakterien und damit inbe- griffen die roten Schwefelbakterien, umfassen viele Arten, die morphologisch teils zum Kugel-, teils zum Stäbchen-, teils zum Schraubeniypus gehören. Die Ansicht von Zopf, daß die Purpurbakterien nur eine einzige Spezies umfassen, ist entschieden nicht richtig. Außer Cliromatiiim Okcnii Petri seien von den roten Schwefelbakterien noch erwähnt : Ophidomouas sangiiiiica Ehrenberg und Spi- rillum volutans Cohn (Abb. 6). Die rote Farbe der Purpurbakterien wird hervor- gerufen durch einen im Plasma gleichmäßig ver- teilten roten Farbstoff. Der rote Farbstoff ist eine Mischung von grünem Farbstoff, dem Bakterio- chlorin, und einem roten, dem Bakterio- purpurin. Wenn reinkultivierte Purpurbakierien, z. B. der Rlwdobacilliis palustris Moliscli mit Alkohol behandelt werden, so wird zunächst der grüne Farbstoff, das Bakteriochlnrin ausgezogen. Am Grunde des Extraktionsgefäßes bleibt eine schmutzig-braunrote Massezurück. Wirddieses Depot mit Chloroform behandelt, so wird der rote Farb- stoff, das Bakteriopurpurin extrahiert. Um Irr- Abb. 5. Chiomatium okenn Petri. Die purpurroten beweglichen Zellen zeigen Stäbchenform und enthalten mehr oder weniger zahlreiche Schwefeltröpfchen, die in der Zeichnung schwarz eingetragen sind. Nach Cohn. Vergrößerung 600. Abb. 6. Spirlllum volutans Cohn. Die beweglichen purpurroten Zellen beschreiben einen bis mehrere Schraubengänge. Die im Plasma sich findenden Schwefeltröpfchen variieren in der Zahl sehr. Nach Cohn. Vergröflerung 600. tümern vorzubeugen sei ausdrücklich darauf hin- gewiesen, daß Bakteriochlorin und das Chlorophyll der höhern Pflanzen nicht identisch, ja nicht ein- mal verwandt sind. Das Bakteriopurpurin hat -mindestens zwei verschiedene Modifikationen. Die Färbung der Purpurbakterien ist in der Natur recht verschieden, von leuchtend rot bis violett-bräunlich. Als Ursache dieser Erscheinung ist darauf hinzu- weisen, daß je nach Bakterienart und verschiedenen Standortsbedingungen, die beiden Farbstoffe Rot und Grün nicht in gleicher Menge gemischt sind ■328 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 24 und bald die eine, bald die andere Modifikation des Bakteriopurpuriiis vorhanden ist. Auch die Schwefelwasserstoffzufuhr modifiziert den Farben- ton der Bakterienansammlung. So ruft reichliches Vorhandensein von H.^S eine rot-violette Färbung hervor. Auf die Entstehung des roten Farb- stoffes wirken Eisen- und Mangan-Verbindungen fördernd ein. Die Bedeutung von Bakteriochlorin und Bakterio- purpurin für die Biologie der roten Schwefelbakterien ist noch nicht studiert, indem es bis heute nicht gelang Reinkulturen dieser Thiobakterien zu ge- winnen. Erst mit Reinkulturen könnte die Frage beantwortet werden, ob die roten Schwefelbakterien, ähnlich wie Thiobacten'nni finopanini Beggiafoa und Thiofhrix das Kohlendioxyd der Luft assimilieren können und ob dabei eventuell dem roten Farbstoff Bedeutung zukommt. Es ist der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, daß der rote Farbstoff vielleicht für die .'\bsorption der Wärmestrahlen eine Bedeutung besitzt. Die roten Schwefelbakterien leben in Teichen, Tümpeln, Sümpfen, Brackwassergräben und im Meervvasser in Küstennähe. Sie bilden an solchen Stellen oft rote Ansammlungen, die schon von weitem auffallen; nicht selten ist das Wasser rötlich gefärbt zufolge ihres massenhaften Vorkommens. So war ich nicht wenig erstaunt im Ritomsee aus 12,5 m Tiefe ein durch eine C hromatiu m-Art rötlich gefärbtes Wasser an die Oberfläche be- fördern zu können. In jener Tiefe bildet das Chromatium eine ca. 50 cm mächtige Bakterien- platte an der Grenzzone von sauerstoffhaltigem und schwefelwasserstoüTührendem Wasser. Bei einigen Purpurbakterien fand Mo lisch eigentümliche Einschlüsse, sog. Airosomen oder Schwebekörperchen, so bei der Rhodocapsa suspensa im Wasser des adriatischen Meeres. Die Airosomen sind stark lichtbrechend. Sie be- sitzen ein sehr geringes spezifisches Gewicht und bedingen die Fähigkeit des Schwebens, also auch die Möglichkeit eine Wasserblüte zu bilden. Ent- fernt man die Airosomen durch Druck, so verlieren die Zellen ihre Schwebefähigkeit. Bei den Purpurbakterien ist Phototaxis schön zu sehen. Sie lieben hohe Lichtintensität, sammeln sich im Deckglaspräparat an hellerleuch- leten Stellen an und schwärmen lebhaft in der Flüssigkeit hin und her. Dabei vermeiden es die Zellen in weniger beleuchtete oder gar in ver- dunkelte Partien des Präparates überzutreten. An der Grenze von Licht und Schalten angelangt, machen die Zellen plötzlich Halt und schwimmen in die beleuchtete Zone zurück. Wir nennen diese Eigentümlichkeit eine Schreckbewegung. Sie wird nicht bloß gegenüber Dunkelheit, sondern auch gegenüber sehr intensivem Licht, z. B. di- rektem Sonnenlicht im mikroskopischen Gesichts- felde betätigt. Resümierend sei am Schlüsse erwähnt, daß die Bildung von H,S in der Natur eine sehr häufige Erscheinung ist. Die Beseitigung dieses giftigen Gases wird außer durch rein chemische Vorgänge rasch und sicher auch durch die Schwefel- bakterien durchgeführt, indem sie Schwefelwasser- stoff zu Schwefel und den Schwefel zu Schwefel- säure weiteroxydieren, die sich an vorhandene basische Körper bindet, wobei Sulfat entsteht. Die Thiobakterien spielen mithin im Kreislauf des Schwefels in der Natur eine wichtige Rolle. I Nachdruck verboten] Von h. Seit langer Zeit hat man — schon Viktor Hehn, der große Kulturforscher, war dazu ge- neigt — auf Grund sprachvergleichender Studien, die Nessel für einen der ältesten Faserstoffe angesehen. Die keltische Bezeichnung „1 i n" für die Nessel deutete darauf, daß die Leine als Strick und die Linie (von der Schnur) ursprünglich mit der Nessel als Faserstoff zusammengehängt haben, ebenso wie Netz und Nessel nach den nordischen Sprachkennern zusammenhängt. Flüchtige An- deutungen, so z. B. die von Albertus Magnus über den Pannus urticae — das Nesseltuch ■ — wiesen auch darauf hin, daß die heute noch ganz geläufige Bezeichnung für das minder- wertigste Baumwollengewebe sich, wie das ja bei Textilstoffen so leicht geschieht, ursprünglich ein anderes Gewebe bezeichnete und sich von diesem auf die aus fremdem Gebiet bezogene Pflanze herübergeschoben hat. Breuiiesseln in neuer und alter Verwendung. Von Ed. Hahn. Besonders durch die Reisen von Pallas und seinen Zeitgenossen, die über die Verwendung unserer großen Do n nernessel und verwandter Arten als F"aserstoff zumal auch für Netze u. dgl. von Rußland bis nach Kamtschatka berichteten, setzten schon im 18. Jahrhundert infolge jener Bewegung, die hauptsächlich einheimische Erzeug- nisse zu verwenden suchte, im Gegensatz zu der Einführung fremder Stoffe durch den Welthandel, Versuche ein, die Nesselfaser in Deutschland wieder einzuführen, wie sie auch als Viehfutter stark empfohlen wurde. Wie damals so oft, blieb aber auch hier die Bewegung im ganzen erfolglos. Man wußte eben die wirtschaftliche und rechnerische Seite des Problems zu wenig zu fassen und führte oft zu schnell Dinge und Verfahren in die gewerbliche Verwendung ein, die einer längeren, wirtschaft- lichen Probe noch stark bedurft hätten. Jedenfalls N. F. XVI. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 329 sind die verschiedenen F'abriken für Nesselzeug, von denen damals die Rede ist, später alle ohne Nachfolge verschwunden und einzelne begeisterte Vertreter und Vertreterinnen haben trotz allen Eifers der Nessel doch keine dauernde Verwen- dung schaffen können. Neues Leben gewann die Verwendung der Nesselfaser, als mit dem immer größeren Bedarf und mit der sinkenden Flachsproduktion in Deutschland die Textilfabriken nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts sich gerne eine billige, reichliche und gute Faser im Inlande besorgt hätten, wenn die Einfuhr mehr oder weniger ver- sagte. Und da drängte nun die Kunde von der chinesischen Nesselfaser, der R a m i e , das Interesse auch wieder auf unsere einheimische Nessel. Nun erkannte die moderne Technik wohl, daß die Nesselfaser an sich hervorragende Vorzüge hätte. Sie gibt die „zugkräftigste" Faser. Aber trotz der Energie, die besonders in Deutschland der Gärtner Bouche an die Zucht der Nessel und G r o t h e an die technische Seite des Problems verwendeten, ist es damals bekanntlich nicht ge- löst worden. Das beruhte, wie wir jetzt wohl ohne Un- gerechtigkeit sagen können, auf einer merk- würdigen Kurzsichtigkeit gegenüber der Ver- wendung des Materials. Dieselbe Ramie, deren „Dekortikation", um diesen schönen Ausdruck einmal zu übernehmen — trotz hoher Preise, die auf dies Problem gesetzt wurden, der europäischen Industrie weder auf maschinellem, noch auf chemischem Wege gelingen wölke, hat doch dem Chinesen für einen verhältnismäßig sehr billigen Preis ein geradezu bestechend schönes Fasergewebe mit Seidenglanz und von großer Dauerhaftigkeit geliefert. Und ebenso hat nach allem, was wir feststellen können, in der alten Zeit die Nessel- faser ein sehr dauerhaftes und festes Gewebe ge- geben, dem der jüngere Lein wahrscheinlich nur deshalb die Stellung nahm, weil, wie es nun ein- mal im Menschen liegt, gelegentlich das Neue der Feind des Alten ist. Die alte Zeit und die Chinesen von heute werden eben gar nicht so viel Schwierigkeiten mit dem Gummigehalt der Nesselfaser gehabt haben, über den sich die Fabrikation so bitter beklagte; sie werden nur mehr Zeit, Geduld und Sorgfalt an die Zube- reitung verwendet haben. Nach den Untersuchungen, über die bei der Wichtigkeit des Gegenstandes allerdings bisher nur kürzere Mitteilungen vorliegen, enthält unsere Nessel im grünen (und wohl auch im trockenen Zustande) verhältnismäßig viel Zucker in der Rinden faser. Und auf diesen Zuckergehalt hin bilden sich bei dem Gärungsverfahren, durch das wir wie beim Lein und Hanf auch die Faser der Nessel isolieren wollen, sogenannte wilde Gärungen, die dann nicht nur, wie sie sollen, die anderen Pflanzenstoffe zersetzen, sondern auch die Faser selbst stark angreifen und so das an und für sich vortreffliche Material minderwertig machen. Nach den spärlichen Nachrichten, die ich aus China datüber habe, wird dort drüben die Ramie ebenso wie in Sibirien die Nessel mehrfach aus dem Wasser genommen und erst nach einer Bearbeitung wieder hineingetan, wenn sie dann nicht überhaupt in neues Wasser kommt, und das dürfen wir auch für unsere eigene Vorzeit annehmen. So wie man sich hier nun aber an die Behandlung des Leins, so wie wir sie heute noch kennen, gewöhnt hatte, war eine erfolgreiche Behandlung der Nesselfaser nach diesem sonst weit bequemeren Verfahren ausgeschlossen; diese verlangte eben noch mehr Sorgfalt und Arbeit. Übrigens zeigen Lein und Nessel, wenn man sie zusammennimmt, daß das Problem des Anbaus unserer Kulturpflanzen keineswegs so leicht zu lösen ist und so einfach liegt, wie man gewöhn- lich annimmt. Die Brennessel wird von manchen Pflanzenkennern als eine Pflanze angesehen, die wahrscheinlich sowohl als Gemüsepflanze wie als Faserpflanze wie endlich ihres Samens wegen in der Ernährung der älteren Menschheit auf unserem Boden eine beträchtliche Rolle gespielt haben könnte. Um mit dem letzten Punkt, mit dem Samen zu beginnen, spielen Brennesselsamen in der Tierarzneikunde unseres Volkes noch eine sehr große Rolle. Es wird immer empfohlen, Hühnern in den ersten Frühlingstagen Brennesselsamen zu geben, um sie so zum früheren Eierlegen zu ver- anlassen. Und Brennesselsamen wurde auch den Pferden gegeben, um sie recht glatt und glänzend im Fell zu machen. Nun ist es aber für den Volkskundigen ausgemacht, daß in die Volks- medizin und schließlich auch in die Tiermedizin sich gelegentlich alte Nahrungsmittel des Menschen geflüchtet haben, wie z. B. Hafer- aufguß, Leinsamenabkochung u. a. m., die bei uns jetzt ganz verschwunden oder doch fast bedeutungslos sind. Nebenbei ist es dann ja auch immer noch eine Frage, ob nicht der Hanf, der der Nessel als Vetter nahe steht, in der Ver- wendung des Samens — Hanfmus und Hanföl spielen bei unseren östlichen Nachbarn noch eine große Rolle — und weiterhin der Lein der Nessel auch in dieser Verwendung gefolgt ist, d. h. erst Nahrungs- und Ölfrucht und erst zuletzt Faser- pflanze wurde, wobei der Lein dann freilich lange in eine ganz ausschlaggebende Rolle geriet. Denn wenn jetzt der Flachs bei uns in seiner Bedeutung im Ackerbau außerordentlich zurückgegangen ist, dagegen eingeführter Leinsamen für unsere Technik — man denke nur an die Linoleumindustrie — eine große Bedeutung gewonnen hat — so ist das ja eine nicht ganz notwendige und eigentlich auch nicht gerade glänzende Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Schlesische und westfälische Leine- wand haben doch immer noch ihren alten Ruf, auch wenn der Anbau in Deutschland so gering geworden ist, daß unsere Faser gar nicht mehr 330 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 24 in Betracht kam, ja mancher Naturfreund noch nie ein blühendes Leinfeld sah. Es ist das um so trauriger, weil bei einigem guten Willen auf der einen Seite — bei der Industrie, und etwas weniger Ergebung und Schwerfälligkeit auf der anderen Seite — bei der Landwirtschaft, dies im ganzen doch recht klägliche Ergebnis sich wohl hätte vermeiden lassen. Aber jedenfalls ist der Lein auch insofern eine richtige Ergänzung zur Nessel und zum Hanf, weil der Same gerade so, wie jetzt noch der Hanf in Rußland als Volksnahrung, als Leinmus und daneben das Speiseöl aus Leinsamen einst eine große Rolle bei uns gespielt haben. Während aber die alten Ägypter schon den Lein als Web- stoff ausgiebig benutzten, wird auf den weitent- legenen afrikanischen Hochflächen Abyssiniens mit seiner im ganzen und großen aus Asien entlehn- ten Wirtschaft (und Bevölkerung) 'der Lein zwar viel angebaut, aber nur sein Same als Speise benutzt, dagegen weder seine Faser noch ebenso das Öl aus den Samen jemals benutzt. Die Nessel ist nun aber auch für den deutschen Landwirt und seinen älteren Bruder, den Gärtner, wichtig und interessant, weil sie unbedingt mit dem alten Ackerbaugott, dem deutschen t)onar zusammenhängt. Das geht nicht nur aus dem Namen der „Donner"nessel hervor, sondern auch aus dem eigentlich für ganz Deutschland fest- stehenden Gebrauch, an dem großen Festtage des Gottes, dem Gründonnerstag, entweder Nessel- gemüse zu essen — für das sich dann später, z. B. in Berlin, der Spinat häufig eingeschoben hat — oder gar den Gründonnerstagkohl aus neun grünen Pflanzen zusammenzusetzen, unter denen aber die Nessel sicher nicht fehlen darf, denn Donar, dem Donnergott, gehört ebenso wie die Nessel auch die 9, die Zahl der Kegel, mit denen er im Gewitter spielt, als heilige Zahl. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang noch hervorheben, daß durch die neue Auffassung der Gärungsvorgänge bei der Nessel, sich die stärkere Verwendung als Gemüse der deutschen Hausfrau aufdrängen sollte. Denn, wenn in letzter Zeit der Spinat von ärztlicher Seite wegen des Chlorophyllgehaltes kräftig empfohlen wird, auch für kleine Kinder, so legt sich die Nessel mit ihrem starken Zuckergehalt für den Haushalt mit Kindern der sorgenden Mutter noch mehr ans Herz, besonders in unserer Kriegszeit. Und der kräftige Geschmack empfiehlt sie auch für andere Mitglieder des Haushaltes, deren Blutbildung nicht so sehr im Vordergrunde zu stehen braucht, denn der Zuckergehalt äußert sich, beiläufig bemerkt, im Geschmack keineswegs. Was die Zubereitung in der Küche angeht, können wir aber aus einer reichen Erfahrung ur- teilen, weil wir am eigenen Tisch die Nessel seit über 20 Jahren eingeführt haben und sie ständig nach alter Sitte zum Gründonnerstag zahlreichen Gästen vorgesetzt haben und meist Nachfolger im Genuß fanden. Die Zubereitung ist ganz die- selbe wie bei Spinat, der wahrscheinlich seinerzeit als „vornehmeres" Gemüse die alte Nessel beiseite schob. Das Pflücken geschieht besser mit Hand- schuhen, da unsere Zeit wohl schwer sich an die „Heilkraft" des Brennens noch hält. Doch nimmt schon das Waschwasser der Pflanze die Kraft des Brennens in starkem Maße, nach dem Abkochen ist nichts mehr davon bemerkbar. Für den Tisch sind alle Zubereitungsarten des Spinats anwendbar. Wenn man Fleischbrühe hat, geben ihr einige Löffel Nessel eine außerordentlich schöne dunkelgrüne Farbe. Dies ist die in Schweden am meisten beliebte Form. Uns erscheint wohl die Verwendung als Gemüsebrei die nächstliegende; volkskundlich aber ist es die Zubereitung als Kraut- wehen oder Krautmaullaschen, ein recht bedeut- sames Gericht, das bei uns freilich sich der Be- achtung ganz entzog und nur als „echt slavisches" Feingericht, Piroggen usw. eine Rolle spielte, da es ja bis 1914 als vornehm galt, alles eigenartigere als nicht deutsch, z. B. auf slavischen Ursprung zurückzuführen. Während nun Krautwehen mehr allemannisch sind, kennt Bayern auch heute noch zum Gründonnerstag Nesselknödel. Dagegen ist in Norddeulschland, namentlich in Westfalen, aber auch z. B. im Weichseldelta die schon erwähnte Zusammenstellung mit anderen heiligen Kräutern, die von Ort zu Ort wechseln, zur altheiligen Neun- zahl alte Sitte, die freilich mehr und mehr zurück- tritt. Schweden aber ist noch so sehr an die Nessel zum hohen Frühlingsfeiertage des großen Ackerbaugottes gewöhnt, daß es, um auch in späten Jahren des Genusses sicher zu sein, die Nessel in Konserven auf den Markt bringt. Wenn mein Aufsatz für dies Jahr vielleicht auch etwas spät für die Donnernessel (Urtica dioica), die ich gerne den Gärtnern als frühestes Gemüse empfohlen hätte, kommt, so wirkt er vielleicht doch fürs nächste Jahr. Und die kleine Gartennessel (urens) ist ja fast immer frisch da. Vielleicht teilt mir aber einer der Gärtner bald oder später Erfahrungen oder Vorschläge zur Verwendung der Nesseln mit. Einzelberichte. Zoologie. Die Zukunft der deutschen Bienen- zucht. Der bekannte Bienenforscher und Leiter der Kgl. Anstalt für Bienenzucht in Erlangen, Prof Dr. Zander, stellt sich in der vorliegenden Flugschrift (Verlag Paul Parey. 1916) der „Deutschen Gesellschaft für angewandte Entomologie" die Auf- gabe, weitere Kreise auf den Niedergang der N. F. XVI. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 33« deutschen Bienenzucht und seine Ursachen auf- merksam zu machen und Wege zu weisen, wie ein völHger Verfall des einst so hochgeschätzten Zeidelwesens zu verhindern und wie die Bienen- zucht allgemein zu heben ist. Als Hauptursache des Verfalles ist die mehr und mehr fortschreitende Verarmung der Bienen- weide anzusehen, veranlaßt durch die im Laufe der letzten Jahrhunderte vor sich gegangene Ver- änderung der Bodenwirtschaft. Geordnete F"orst- wirtschaft, die keine hohlen Bäume, kein Unter- holz duldet und keine nennenswerte Bodenflora aufkommen läßt, intensive Landwirtschaft, die keine Unkräuter leidet, die an die Stelle unserer reichen heimischen Flora Gräser und Futterkräuter setzt, sind die größten Feinde der Bienen. Noch trüber sieht die Zukunft aus, weil sie mit Riesenschritten die letzten naiürlicheii Florengebiete, die Heide-, Moor- und Ödländer, hinwegräumen wird , von denen Deutschland immer noch reichlich 5 Mill. ha besitzt, und die bisher als Honigquelle eine un- geheure Bedeutung besaßen. Verschlechtert sich die Bienenweide in demselben Maße weiter, so ist ein völliger Verfall der Bienenzucht unver- meidlich. Man könnte sich hier auf den Standpunkt stellen, die Bienenzucht müßte dann eben den doch natürlich berechtigten Bestrebungen, eine immer intensivere Forst- und Landwirtschaft zu betreiben, geopfert werden. Diese Auffassung wäre auch gewiß berechtigt, wenn die Bienenzucht nicht ein Faktor im Wirtschaftsleben wäre, der ein- fach nicht auszuschalten ist. Wie sehr das der Fall ist, davon haben allerdings nur wenige eine richtige Vorstellung. Die dürren Zahlen der Statistik besagen, daß wir am 2. Dez. 191 2 in Deutschland 2636 337 Stöcke hatten, die an Honig und Wachs Werte von etwa 20 — 30 Mill. M. abwarfen. Solche Angaben liefern aber nur ein sehr einseitiges und höchst unvoll- kommenes Bild von der Bedeutung der Honig- biene, denn auf diesen unmittelbaren Gewinn könnten wir sicher gut verzichten. Viel größer, ja unberechenbar groß ist aber der unmittel- bare Nutzen der Biene als Bestäuber unserer Blüten; er ist viel größer, als man früher auch nur ge- ahnt hat. Von unseren heimischen Blüten sind ig^/o Windblütler, fast der ganze Rest besteht aus Insekienblütlern. Welche Rolle bei deren Be- stäubung der Honigbiene zufällt, dafür einige Beispiele. Nach Beobachtungen sind von den blütenbesuchenden Insekten 21% Hummeln und einzeln lebende Hautflügler, 6"/^ andere Insekten, aber 73 "j^ Honigbienen. An den Blüten eines Obstbaumes zählte man 6^2 °/o Fliegen, Wespen, Ameisen, Käfer und andere Insekten, 5 ' ., ",'„ wilde Bienen und Hummeln, aber 88"/^ Honigbienen. Dazu kommt, daß die Honigbienen unülDertreff- liche Bestäuber sind. Vermöge ihres mittellangen Rüssels — er mißt 5,5 bis 6,5 mm — haben sie unter den Blüten einen weiten Spielraum. Die Biene ist, weil sie in volkreichen Kolonien überwintert und nicht einzeln wie Hummel, Wespe u. a. gleich im Frühjahr, besonders zur Baumblüte im Mai, Juni in ungezählten Scharen vorhanden; auf jeden Obst- baum kommen nach Berechungen etwa 5000 Tiere. Sie ist stetig in ihrem Besuche, d. h. sie hat die Eigentümlichkeit, sich bei ihrem Besuche möglichst lange bei einer Art aufzuhalten, eine für das Zu- standekommen einer erfolgreichen Bestäubung naturgemäß äußerst wichtige Tatsache. Wie weit diese Stetigkeit geht, zeigen folgende Beobach- tungen: Herrn. Müller sah gezeichnete Bienen 10, II Tage lang an einer Pflanzenart. Nach Chris tey besuchte eine Biene 117 mal nach- einander Blüten derselben Art. Nach Betts stammten von 1500 Pollenhöschen 91 % derselben Art; nur in sehr trachtarmen Monaten findet man auch gemischte Pollenklumpen. Referent kam bei seinen Studien zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Will man die gewaltig wichtige Aufgabe einiger- maßen übersehen, die die im Sommer unermüd- lich von Blüte zu Blüte fliegenden Bienen vollführten — ihre Zahl hat man für Deutschland auf 1000 000 000 000 Einzeltiere im Mai, Juni ver- anschlagt — wirft man am besten einen Blick auf ihre Tätigkeit in unseren Obstgärten. Cook wies nach, daß Zweige von mit Gaze bedeckt unbedeckt Äpfeln 2"!a 20 "/o Birnen o^ S^ lo Kirschen . . . . 3 "/„ 40 "/(, Stachelbeeren • . g'/o 27 */„ Früchte brachten. Zander hat im vorigen Herbst ähnliche Beobachtungen gemacht. Es brachten von den Blüten Früchte mit Gaze bedeckt unbedeckt Stachelbeeren . . 24,6 */o 6o,0 "/o Süßkirschen . . 1,3 "/(, i4,6"/o Sauerkirschen . o "/„ lO,6*/o Birnen .... o «/j 8,1 »/o Äpfel .... 0,5 «/o 6.9 »/o Von 65 Äpfelsorten waren nur 19, von 30 Birnen- sorten nur 4, von 41 Pflaumensorten nur 21 und von 21 Kirschsorten nur 5 überhaupt der Selbst- bestäubung zugänglich. Von 308 1 mit eigenen Pollen bestäubten Birnenblüten entstanden nur 5 winzige Früchte, während man bei Fremdbestäubung auf 3 Blüten eine Frucht erwarten kann. Die aus Fremdbestäubung hervorgegangenen Äpfel sind den anderen an Größe und Aussehen weit über- legen. In Pfirsichtreibhäusern, wo man früher die Bestäubung mühsam auf künstlichem Wege herbei- führte, stellt man heute 1—2 Tage ein Bienenvolk hinein. Die Folge ist oft ein übermäßig starker Fruchtansatz. In den Vanilleplantagen Ceylons ist die Bestäubung sicherer, der Preis der Schote erheblich billiger geworden, seitdem man die Biene eingeführt hat. 50 Völker sollen täglich 15 Mill. Vanilleblüten bestäuben können. Auf Guadeloupe hat sich seit Einführung der Biene 332 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 24 der Ertrag der Kaffee- und Kalage kam. Die Kolonien waren jetzt farblos, wurden aber alsbald tiefblau, wenn sie abstarben, wenn also das reduzierte Indigweiß wieder sich oxydierte. Ähnlich konnte auch Lackmus ausgenutzt werden. Wahrsclieinlich decken die Selenbakterien ihren Sauerstoffbedarf dadurch, daß sie ihn leicht sauer- stoffabgebenden Verbindungen entnehmen. Sie sind also auch nicht auf Selenverbindungen schlechtweg angewiesen, sondern werden wohl viele andere, auch organische Stoffe, in ähnlicher Weise benutzen, können mithin zu der großen Gruppe der reduzierenden Bakterien gerechnet werden. Sie nehmen aber innerhalb derselben insofern eine interessante Sonderstellung ein, als sie merkwürdigerweise nicht anaerob sind, also den freien Sauerstoff nicht meiden. Sie vermögen ihn jedoch offenbar nicht zu benutzen, bedürfen viel- mehr des Sauerstoffes in statu nascendi, wie sie ihn sich aus der Reduktion verschiedener leicht reduzierbarer Stoffe beschaffen. Durch die Ent- deckung der Selenkokken ist das Bild primitiver Bakterien um einen neuen Zug bereichert worden. Miehe. Zoologie. Schon oftmals ist die Frage geprüft worden, welchen Zweck die sog. Srhwingköibchen der zweiflügeligen Insekten (Dipteren I haben. Aber weder die anatomische Untersucfiung, noch die verschiedenen Experimente haben bisher be- friedigenden Aufschluß gegeben. Eine eingehende histologischeUntersuchungstammt von Wein land, der feststellte, daß besonders an ihrer Basis eigen- artige Sinnesorgane ausgebildet sind. Von den Experimenten sollte besonders das Festkleben oder die gänzliche Entfernung Klarheit schaffen, denn in beiden Fällen ist das Insekt nicht mehr fähig zu fliegf-n. Nach dem einen Autor sind die Halteren Gleichgewichtsorgane, die durch ihr Gewicht einen gewissen Einfluß auf den Flug ausüben, nach dem anderen besteht ihre Funktion darin, auf das Afterläppchen der Flügel zu drücken und so die Flugbewegungen zu beeinflussen. Wein land betraciitete sie als dynamische Gleich- gewichtsorgane, die durch ihre rapide Bewegung und die dadurch erzeugte Zentrifugalkraft die Richtung des Fluges bestimmen. Auch als Hör- organe oder als Organe zur Tonerzeugung wurden sie gedeutet. Stellwaag andererseits stellte fest, daß sie für die Steuerung gar keine Bedeutung haben. Aus dem allen geht hervor , daß ihre wahre Bedeutung noch ganz im Dunkeln liegt. In seiner Untersuchung: Einige Bemerkungen über den Schwirrflug der Insekten mit besonderer Berücksichtigung der Halteren der Zweiflügler sucht W. von Buddenbrook (Verh. d. naturh.- mediz. Vereins zu Heidelberg 1916) auf dem Wege des Analogieschlusses das Dunkel zu lichten. Er geht davon aus, daß zu ihrer Funktion eine rasch fibrierende Bewegung nötig ist, wie die bisherigen Experimente ergeben haben. ,, Suchen wir nach ähnlichen fibrierenden Bewegungen bei anderen Insekten, so zeigt sich zunächst, daß man diese ganze Tiergruppe nach ihrer Art zu fliegen ein- teilen kann in Schwirrer und Flatterer, die freilich durch zahlreiche Übergänge miteinander verbunden sind." Zu den Schwirrern rechnet er außer den Dipteren die größeren Käfer, unter den Schmetterlingen die dickleibigen Nachtfalter und schließlich noch zahlreiche Hymenopteren. Die Flatterer werden durch die Tagfalter verkörpert. Schwirrer haben verhältnismäßig kleine Flügel, Flatterer aber große. Bei gleicher Größe und Geschwindigkeit muß der Schwirrer eine be- stimmte Anzahl mehr Flügelschläge machen als der Flatterer. Wie Schwirrer und Flatterer sich in der Art des Huges unterscheiden, so verhalten sie sich auch verschieden beim Obergang von der Ruhe zur Bewegung. Während die Flatterer ohne weiteres den Flug beginnen können , gehen bei den Schwirrern Vorbereitungen voraus, ohne die der Flug nicht gelingt. Viele dickleibige Schmetter- linge fliegen, wenn sie aus der Ruhe gestört sind, nicht sofort auf, sondern zittern mit den Flügeln in eigentümlicher Weise, sie „schwirren vor dem Flug auf der Stelle". Dieses Fibrieren findet man auch hei größeren Käfern, wenn sie die Elytren heben und mit Kopf und Hinterleib „pumpende" Bewegungen machen, v. Budden- brock teilt nicht die landläufige Anschauung, daß diese Vorkehrungen dazu dienen, Luft in den Körper aufzunehmen, sondern faßt sie als eine direkte Vorstufe des Fluges auf, als einen Über- gang von Ruhe zum Schwirrflug. Er bezeichnet die das Schwirren ausführenden Organe als Schwirr- organe. Obwohl die Dipteren die besten Schwirrflieger sind, fehlen ihnen allem Anschein doch solche Organe, wenn man nicht die Halteren als solche auffaßt. Hinsichtlich ihrer Bewegungsart und ihrer Wirkungsweise sind sie den Schwirrorganen analog. Daraus ist zu schließen, daß das Schwirren der Halteren bei den p-liegen, das Zittern der Elytren, des Kopfes und Abdomens bei den Käfern, der Flügel bei den Nachtfaltern in irgendeiner Weise die Energieleistung des Flügelschlages befördert, wie sie zur Durchführung des Schwirrfluges nötig ist. Demnach sind die Halteren nicht als Steuer- oder als Gleichgewichtsorgane zu betrachten. Man kann die Tätigkeit der Halteren bis ins Einzelne mit derjenigen der Hörkölbchen der Medusen vergleichen und beide Organe sind dem- nach als wesensgleich zu betrachten. Hier wie dort ein klöppeiförmiges Gebilde, das Reizorgan, das eine pendelnde Bewegung ausführt, in seiner Nähe ein Sinnesorgan, der Rezeptor des Reizes, und schließlich in Abhängigkeit von der Be- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 25 wegung des Köibchens ein Erfolgsorgan. Der Verlust des Reizorganes hat bei den Medusen völligen Stillstand der Schwimmuskulaiur, bei den Fliegen eine bedeutende Beeinträchtigung der Flugbewegung zur Folge. Wie aber bei den Medusen der Reiz des schwingenden Hörkölbchens die Schwimmuskulaiur zu lebhafterer Bewegung befähigt, so wirkt bei den Fliegen der Reiz auf die Flugmuskeln und erzeugt eine schnellere rhythmische Bewegung. Demnach wären nicht nur die Halteren, sondern auch die Schwirrorgane der übrigen Insekten so zu deuten, daß auch sie zur Erzeugung einer fibrierenden Bewegung dienen, die sich dem Flügel überträgt und ihn erst flug- fähig macht. Die biologische Bedeutung des Schwirrens vor dem Flug würde also hauptsächlich darin zu suchen sein, daß die Schwirrflieger nicht ohne weiteres aus der Ruhelage in die Flugbewegung übergehen können, sondern erst eines rhythmischen Reizes bedürfen , der allmählich eine immer größere Schnelligkeit der Flügelschläge hervorbringt, bis diejenige Frequenz erreicht ist, welche einen sicheren Abflug gestattet. Die Halteren wären ganz besonders zweckmäßige Schwirrorgane, weil sie klein sind, und durch ihre Form der Luft nur einen ganz geringen Widerstand darbieten. Stell waag. Schlupfwespen als Pflanzenparasiten. Die Vertreter der großen Gruppe der Ichneumoniden oder Schlupfwespen sind allgemein als Parasiten von Insekten bekannt. Es gibt kaum eine Insekten- ordnung, die nicht von ihnen heimgesucht wird, ja sogar Spinnen und Tausendfüßler werden als Wirtstiere benutzt. Bei einer so ausgeprägten biologischen Anpassung sind Arten, die eine Aus- nahme davon machen, besonders bemerkenswert. Sie gehören durchweg den Chaicididen an, und zwar der Gattung Isosoma, einer Gruppe aus der Unterfamilie der Eurytomineen. Schon im Jahre 1833 berichtet Bohemann von der Art Syntomaspis: E seminibus baccae Sorbi scandiacae etiam exclusus. Später hat Schlechtendal die Larve wiederholt aus den Samen des Weißdorns gezogen. Er beobachtete auch, auf welche Weise das Weibchen die Früchte anbohrt, um das Ei durch die harte Samenschale in den Samen abzulegen. Es tastet nämlich mit seinem Legebohrer die Samenschale ab, bis es die Mycropyle gefunden hat. Sonst leben die Isosominenlarven fast ausschließlich in Gramineen- samen. In neuerer Zeit wurden aber auch andere Samen als Wohnorte gefunden. Urbahn's Th. D. (The Chalcis-fly in Alfal- faseed, U. S. Agr. Farmers Bull. 1914) stellte Bruchophagusfenebris How. im Samen der Luzerne fest. Er kam sogar so massenhaft vor, daß Be- kämpfungsmaßnahmen eingeleitet werden mußten, die im wesentlichen darin bestanden, daß die Luzerne vor der Samenreife geschnitten wurde. In der Zeitschrift für wissenschaftliche Insekten- biologie 1916 teilt Taschenberg mit, daß Syntomaspis in größerer Zahl in reifen Äpfeln angetrofi"en wurde. Der naheliegende Gedanke, als könnte die Art den Apfelwickler Carpocapsa pomonella L. parasitieren, wurde durch den Befund widerlegt, daß keine Fraßspuren von Raupen vorhanden waren. Außerdem verläßt ja die Wicklerlarve die Frucht, ehe sie sich verpuppt und die Äpfel waren schon einen Winter lang gelagert. Die bisher beobachteten F"älle lassen den Schluß zu, daß die Eier in die Samen der jungen Früchte gelegt worden waren. Die ganze Ent- wicklung hätte demnach mehr als ein Jahr in Anspruch genommen. Dies stimmt mit der An- gabe von Schlechtendal überein, daß die Wespe selten nach einmaliger, meist nach zwei- bis dreimaliger Überwinterung im Juni erscheint. Stellwaag. Zur Eiablage und Paarung der Tagfalter in der Gefangenschaft teilt Emil Hüb n er (Obersedlitz, Böhmen), angeregt durch die auch an dieser Stelle besprochene Arbeit Dr. E. Fischer's (Zürich)^), einige interessante Beobachtungen von seinen Zuchtversuchen mit (Societas entomologica 32. Jahrg. 1917 Nr 3). Hübner gibt, um die frisch- gefangenen Schmetterlinge langsam an die Ge- fangenschaft zu gewöhnen, die Tiere einzeln oder doch nur in kleinerer Zahl in größere Zuchtbehälter, die anfänglich an einem dunklen Platze Aufstellung finden sollen. Sind die Falter nach einiger Zeit dann schon ruhiger geworden, so werden die Kästen, um die Eiablage und die Paarung zu erreichen, mit der Futterpflanze der Raupen ver- sehen und an die Sonne gestellt; dabei ist aller- dings zu pralle Sonnenhitze durch Gaze oder Seidenpapier zu mildern. Auf diese Weise kam Hübner außer beim Segelfalter {Papilio podalirius L.) und beim großen Eisvogel (Liuuiiifis popiili L.) bei allen in Böhmen vor- kommenden Tagfaltern zum gewünschten Ziel. Hübner nährte die Falter damit, daß er sie 2 — 3 mal am Tage mit Honig oder Zuckerwasser fütterte; er brachte dabei, um die Tiere zum Saugen zu bewegen, ihren Rüssel mittels einer Nadel an die F"lüssigkeit heran. Sobald die Tiere den Süßstoff verspürten, blieben sie in den meisten F"ällen ganz ruhig sitzen und saugten. H. W. Frickhinger. Über die Bekämpfung des Mohnwurzelrüssel- käfers. Anläßlich eines \'ersuches über die zweck- mäßigste Reihen- und Standweite bei Mohnanlagen ander niederösterreichischen Landes-Acker- bauschule Edelhofbei Zwettl konnte Rudolf Ranninger interessante Beobachtungen über die Biologie des Mohnwurzelrüßlers [Codiodes ') Vgl. Na VVochenschr. 1917, Nr. 2, S. 28. N. F. XVI. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 343 fiiliginosHS Marsh.) und die beste Art der Be- kämpfungsmaßnahmen anstellen (Zeitschrift f angewandte Entomologie III. Bd. Heft 3 S. 383 — 387). In den letzten Maitagen fielen dem Verfasser zahlreiche, meist in engem Verbände stehende und daher nicht besonders gut genährte, schwächlichere Pflanzen dadurch auf, daß sie auffallend gelb wurden und bald darauf eingingen. „Beim Herausziehen dieser Pflanzen aus dem Boden bemerkte man an der Wurzel eine weiße, braun- köpfige, fußlose Larve, in der Giöße von 3—4 mm; — sie frißt an der Wurzel etwa i mm tiefe längere Gänge oder auch rundliche Löcher. In den weitaus meisten F"ällen sitzt sie am unteren Ende des Wurzelhalses, mitunter auch bis 3 cm und sehr selten bis 8 cm Bodentiefe. An einer Pflanze sitzt meist nur i Larve, mitunter 2 und seltener auch 3". Die Fraßbeschädigungen der Larven bewirken ein Schwarzwerden der Wurzel und ein Gelb- oder Braunwerden der Blätter, Ver- färbungen, die beidesmal von unten ausgehen und nach oben fortschreiten. Diese Erscheinungen, die zum Absterben der Pflanzen führten, traten aber nur bei schwächlichen Mohnpflanzen auf, gut ge- diehene, kräftige Mohnpflanzen blieben, obwohl sie sich auch befallen zeigten, vollkommen unbe- schadet. Etwa anfangs Juli verpuppt sich die Larve; „nach 4wöchiger Puppenruhe erscheint Ende August-September der Käfer, der sich auf verschiedenen Pflanzen aufhält, in der Erde über- wintert und im April aus seinem Winterversteck wieder hervorkommt". Auch der Käfer ist ein Schädling der Mohnpflanzen, indem er von den jungen Exemplaren die Blätter derart abfrißt, daß „nur die Hauptrippen der Blätter übrig bleiben". Wenn die Wirkungen des Käferfraßes unter dem Bestände der Mohnkulturen weniger verheerend waren als die des Larvenfraßes, so war das darauf zurückzuführen, daß der Käfer nicht sehr lange auf den Mohnpflanzen verweilte, sondern bald wieder verschwand. Auch hier konnte Ranninger die Beobachtung machen, daß besonders zartere (saftigere) Pflanzen von den Käfern heimgesucht wurden. Diese Tatsache weist von selbst auf die offensichtlich wirksamste Art der Schädlings- bekämpfung hin: durch eine Reihe bewährter kultu- reller Methoden in der Bearbeitung des Bodens, in der Düngung und in der Verbandsanordnung der Pflanzung mit allen Mitteln danach zu streben, kräftige Mohnpflanzen heranzuzüchten. In bezug auf die vorteilhafteste Methode der Düngung, die ja in ihren Zusammenhängen mit dem Schädlings- befall erst in der allerjüngsten Zeit aufgedeckt wurde'), macht der Verfasser folgende Angaben: „Durch eine Chilisalpeter- oder Kalksalpeterdüngung wird durch Förderung des Wachstums die Pflanze kräftig und die Larve kann sie nicht mehr zu- grunde richten. Ist von vornherein schon eine ') Vgl. hierzu meinen Bericht „Düngung und Insekten- befall" in Nr. 3 S. 4" des heurigen Jahrgangs dieser Zeit- schrift. Stickstofifdüngung angezeigt, also auf ärmeren Böden oder nach länger andauernden Regengüssen vor Anbau, so kommt, je nach Boden, Kalkstick- stoff und schwefelsaures Ammoniak in Betracht. Für Kalidüngung (Holzasche) erweist sich Mohn ebenfalls sehr dankbar . . . Zum Mohn vermeide man Stallmist." Gelingt es dem Züchter kräftige Mohnpflanzen zu erzielen, so ist der Schaden, den der Mohnwurzelrüßler in den Kulturen anzurichten vermag, ein kaum nennens- werter. H. W. Frickhinger. Heilkunde. Über Hautschädigungen durch Kalkstickstoff", der nun in viel weiterem Umfange als in Friedenszeiten als Düngermittel verwendet wird, enthält das „Zentralblatt für Gewerbehygiene" einen sehr instruktiven Artikel von Medizinalrat Dr. Koelsch. Das Kalkstickstoffpulver, das in den Handel kommt, besteht hauptsächlich aus Kalziumzyanamid (55— öo"/,,), Ätzkalk (20%) und Kohlenstoff, ferner geringen Mengen von Chlor, Eisen, Kiesel- und Phosphorsäure, Azetylen, Schwefel- und Phosphorwasserstoff. Der Kalzium- gehalt ist etwa 4070. was ohne weiteres die Vermutung nahe legt, daß die Verwendung des Kalkstickstoffpulver die Gefahr von Verätzungen mit sich bringt. Überdies leiden die mit diesem Pulver gedüngten Pflanzen, wenn beim Düngen nicht gewisse Vorsichtsmaßregeln befolgt werden. So darf man z. B. Kalkstickstoff niemals auf wachsende Pflanzen streuen und ebensowenig in frisch mit Kalkstickstoff gedüngten Boden säen. In beiden Fällen würden schwere Wachstums- schädigungen die Folge sein. Seine Nutzwirkung als Düngemittel entfaltet der Kalkstickstoff erst, wenn er einige Zeit im Boden gelegen hat. Er muß erst durch die Kohlensäure des Bodens und andere Bodensäuren in kohlensauren Kalk und Zyanamid gespalten werden. Der Kalk wird zum Teil von den Zeolithen absorbiert, während das freie Zyanamid durch Aufnahme von Wasserstoff zu Harnstoff wird, der sich seinerseits in Ammoniak bzw. kohlensaures Ammoniak und Salpetersäure verwandelt. Erst diese Stoffe können von den Pflanzen aufgenommen werden. Wenn Menschen mit dem Kalkstickstoff in Berührung kommen, so ist ihre Schädigung nur unter Anwendung strenger Vorsichtsmaßregeln zu vermeiden. Die Gefährdung besteht vor allem in den Stickstofffabriken, wo die Ätzwirkung schon vor geraumer Zeit festgestellt wurde. Überall, wo der feine Staub an der Körper- oberfläche haften bleibt (Hautfalten, durch Schweiß- absonderung, feucht gehaltene Körperstellen, ober- flächliche Schleimhäute, Nasenlöcher und Mund- winkel) tritt infolge der Ätzwirkung des Kalkes eine Lockerung und Abstoßung der Außenhaut ein. Ist sie einmal entfernt, so schreitet die Kalkeinwirkung auf der freigelegten Unterhaut weiter fort und ruft hier zahlreiche zunächst ein- zeln stehende Geschwüre hervor, die später in- 344 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 25 einander übergehen und dann schmierig belegte, nässende Wundflächen bilden. An den Schleim- häuten gehen mit der Bildung der Geschwüre vielfach Entzündungserscheinungen, chronische Bindehautkatarrhe, hartnäckige Nasen-, Rachen- und Bronchialkatarrhe Hand in Hand. Bei den landwirtschaftlichen Verbrauchern treten vorzugs- weise Verätzungen der Füße und Hände ein. Koelsch führt einige derartige Fälle an. Einem 45 Jahre alten Landwirt kam beim Streuen Kalkstickstoff in die Stoffmaschen der dünnen Arbeitshose. Kurze Zeit darauf spürte der Betreffende ein „eigentümliches Gefühl" in den schwitzenden Beinen. Die Haut beider Unter- schenkel hatte sich grünlich verfärbt und hing stellenweise in Fetzen herab. Der Arzt stellte an beiden Unterschenkeln hochgradige Entzündung fest, an einzelnen Stellen teils sehr schwere Ver- brennungen. Die Heilung nahm fast 4 Monate in Anspruch; es blieben mehrere, anfangs empfind- liche, bis handtellergroße Narben zurück. Ein 46 Jahre alter Landwirt streute mit bloßen Händen Kalkstickstoff, obwohl er an der einen Hand eine kleine Verletzung hatte. Gegen Abend traten in Hand und Arm starke Schmerzen auf, und es entwickelte sich an der Hand eine fort- schreitende Eiterung mit brandigem Gewebezerfall, die die Amputation des rechten Vorderarmes nötig machte. Im letzten Fall schreibt Koelsch einer Infektion der Wunde durch Bakterien die Hauptrolle zu, hält es aber für sehr wahrscheinlich, daß sich die Wunde durch das Hineingeraten von Kalkstickstoff verschlimmert habe. Von anderen Schädigungen abgesehen, wurden in allen Fällen Unterschenkel und VüQe befallen , die Ver- ätzung war immer sehr umfangreich und ihre Folgen waren langwierig. Begünstigt wurde die Einwirkung des ätzenden Staubes dadurch, daß die betreffenden Teile feucht waren, sowie durch die Unachtsamkeit oder Gleichgültigkeit der Be- troffenen, die fast alle noch stundenlang weiter- gearbeitet haben, als sie die Ätzwirkung des Staubes schon längst spüren mußten. Zu be- achten ist, daß der Kalkstickstoff auch Augen- verätzungen hervorrufen kann, eine Gefahr, die allerdings auch bei allen anderen Kunstdüngern besteht. Das Reiben der Augen mit bestaubten Fingern ist deshalb unbedingt zu unterlassen. Weitere Vorschriften für die Verbraucher hat die deutsche Verkaufsvereinigung für Stickstoffdünger aufgestellt. Die großen Kalkst ickstoffabriken wurden unter dem Druck der Kriegsverhältnisse in Deutschland gegründet. In den Kreisen der deutschen Landwirtschaft mehren sich ständig die Stimmen, die sich gegen die Weiterverwendung des Kalkstickstoffes nach Rückkehr normaler Wirtschaftsverhältnisse kräftig verwahren. (g. c.) Fehlinger. Über Vergiftung durch Muskatnuß berichtet Dr. Beck in der Münch. med. Wochenschr, (Bd. 61, H. 16). Zwei Fälle, die er im Städtischen Krankenhause zu Stuttgart-Cannstatt zu beobachten Gelegenheit hatte, betrafen kräftig gebaute Dienst- mädchen im Alter von 20 und 21 Jahren. Beide hatten sich aus einem halben Liter heißen Weins, zwei zerriebenen Muskatnüssen und einer Messer- spitze Zimmt ein Getränk bereitet und, die erstere zur größeren Hälfte, ausgetrunken. Bei ihrer Ein- lieferung waren beide bewußtlos. Das Gesicht war stark gerötet, auf Anrufen reagierten sie nicht. Die Atmung war regelmäßig, der Puls sehr schwach, 95 bzw. 85 Schläge in der Minute. Die Pupillen waren mittelweit und reagierten auf Lichtreiz. Am Abend stieg der Puls bei der ersten Patientin, die die größere Menge zu sich genommen hatte, auf 120 Schläge, die Temperatur, die bei der Einlieferung 37,8 betrug, auf 38". Am folgenden Tage sank der Puls auf 90 Schläge und wurde voller. Am dritten Tage reagierte sie gelegentlich auf Anruf, und erst am fünften Tage war das Bewußtsein völlig klar, nur leichte Kopf- schmerzen waren zurückgeblieben. Bei der zweiten Patientin kehrte das Bewußtsein schon am zweiten Tage teilweise zurück. Am dritten war es wieder klar. Beschwerden waren hier nicht zurückge- blieben. Nach ihrer Herstellung gaben beide Patientinnen an, daß sich kurz nach dem Trinken Atemnot, Gedächtnisschwäche, Schwindel und Schläfrigkeit eingestellt hätten. Bei der ersten ging der Schlaf in Bewußtlosigkeit über, während die zweite am Morgen mit schwerem Kopfe erwachte, nach dem Aufstehen aber plötzlich taumelte und das Be- wußtsein verlor. Vergiftungsfälle durch Muskatnuß sind bisher wenige gemeldet, tödlicher Ausgang derselben beim Menschen wohl noch nicht beobachtet worden, obwohl in einem der bekanntgegebenen Pralle fünf Nüsse eingenommen wurden. Ihre Giftigkeit wird zurückgeführt auf ätherische Öle, die sie enthalten, und die, ebenso wie z. B. bei Thuja (Lebensbaum), Taxus (Eibe) und Juniperus sabina (Sadebaum), in größeren Mengen genossen, giftig wirken. (GTc.) Heycke. Über den Wert und die Wirkungsdauer der Choleraschutzimpfung berichtet Prof. Dr. Kaup- München in der Münch. med. Wochenschr. (Bd. 63, Nr. 30). Die Ansichten über den Wert der Schutz- impfungen sind, selbst in Ärztekreisen, geteilt, doch läßt sich ihre Bedeutung für die Cholera nach den statistischen Angaben, die bisher vor- liegen, kaum anzweifeln. Der gegenwärtige Krieg, der durch die schlechten Wohnungs- usw. Ver- hältnisse, die gewaltigen körperlichen Anstrengungen bei gleichzeitiger Unterernährung den Seuchen den Boden bereitet, hat in dieser Beziehung reiche Gelegenheit zu Beobachtungen gegeben. Als nach der großen Offensive des Jahres 191 5 die ver- bündeten Armeen in die choleraverseuchten Ge- biete Galiziens und Rußlands eindrangen, konnte N. F. XVI. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 345 eine Berührung mit der verseuchten Bevölkerung natürlich nicht vermieden werden. Auch in den Gefangenenlagern fanden sich oft Seuchenherde. Nach amtlichen Angaben sind im Sommer und Herbst 191 5 viele Tausende von Zivilpersonen in Gaiizien an Cholera erkrankt. Trotzdem blieb die Zahl der Erkrankungen in der Armee verhältnis- mäßig gering. Bei einem Truppenteil in einer stark verseuchten Gegend, bei dem die Schutz- impfung 3 — 4 Wochen zurücklag, traten einige Krankheitsfälle auf. Die Neuerkrankungen hörten aber bald auf, ohne daß Nachimpfung erfolgt wäre, und trotz der unverminderten Ansteckungs- gefahr seitens der Bevölkerung. Von einer Brigade auf demselben Kriegsschauplatze wird berichtet, daß täglich etwa 15—20 Erkrankungs- und 3—4 Todesfälle vorkamen. Nachforschungen ergaben, daß es sich dabei um Mannschaften handelte, die zum Teil noch nicht geimpft waren. Zweimalige Schutzimpfung hatte ein sofortiges Aufhören der Krankheit zur Folge. Im Herbst 1914 traten in einem Gefangenenlager in Ungarn zahlreiche Choleraerkrankungen auf mit einer Sterblichkeit von etwa 50%. Schleunigste Impfung der 30000 Gefangenen ergab nach 5 — 6 Tagen .'\bnehmen und nach 8 Tagen vollständiges Aufhören der Neuerkrankungen. Ähnliche Beobachtungen wurden noch an vielen anderen Truppenteilen in den verseuchten Gebieten, sowie in vielen Gefangenen- lagern gemacht. Wird so durch die Schutzimpfung die Zahl der Erkrankungen wesentlich verringert, so ergibt sich weiter auch bei den trotz der Impfung von der Krankheit befallenen ein viel milderer Ver- lauf derselben. Dagegen trat die Krankheit bei den schon vor langer Zeit geimpften, bei denen die Immunität schon erloschen war, besonders schwer auf. Merkwürdig war auch die Beobach- tung, daß unter den Geimpften eine große Zahl von Vibrionenträgern war, d. h. von solchen, die den Ansteckungsstoff in sich tragen, ohne selbst krank zu sein. In einem Falle wurden fast 2 "/„ der Mannschaften als Vibrionenträger erkannt. Bei einer Arbeiterabteilung auf dem serbischen Kriegsschauplatze ergab die Untersuchung neben 13 Cholerakranken 20 gesunde Vibrionenträger. Auch über die Sterblichkeit liegen Zahlen vor, die allerdings sehr schwankend sind, aber doch den günstigen Einfluß der Impfung deutlich er- kennen lassen. So betrug bei einer Armee auf dem russischen Kriegsschauplatze die Sterblichkeit der geimpften Erkrankten etwa 8 "/g , während gleichzeitig von der nicht geimpften Zivilbe- völkerung etwa 60 % der Krankheit erlagen. Bei einer anderen Armee betrug das Verhältnis etwa 20 : 30, noch andere geben das Verhältnis an mit 27:49 und 19:29. Das sind Zahlen aus dem Felde; noch günstiger lauten die Berichte aus festen Plätzen. In einer Festung Galiziens ver- hielt sich die Sterblichkeit der Geimpften zu der der Nichtgeimpften wie 6 : 22. Die lange Dauer des Krieges hat auch die Frage nach der Wirkungsdauer der Schutzimpfung näher untersuchen lassen. Früher war in der Regel eine Immunitätsdauer von 9—12 Monaten angenommen worden. Die Erfahrung des Jahres 1915 hat aber gezeigt, daß diese Zeit noch zu hoch gegriffen war. Im Frühjahr dieses Jahres, mit Beginn der wärmeren Jahreszeit, häuften sich unter den im Herbst vorher geimpften die Er- krankungen bedeutend, so daß man jetzt die Dauer der Immunität nur auf 3 — 5 Monate schätzt. Von einer Armee wird berichtet, daß die Wirkung bei einzelnen sehr geschwächten Personen schon nach 3 — 4 Wochen erloschen war, während sonst bei diesem Heeresteile erst 9 Monate nach der Impfung Neuerkrankungen in größerer Zahl auf- zutreten pflegten. Im allgemeinen wurde die Er- fahrung gemacht, daß Schwächung des Körpers durch Strapazen, ungenügende Ernährung, Krank- heiten (besonders des Darmes) die Schutzdauer stark herabsetzt , dagegen verlängert normale Lebensweise(mäßige Anstrengung bei ausreichender Ernährung) die Schutzfrist bis zu 6 Monaten. Die Wirkung der Impfung besteht in der Bildung von Schutzstoffen im Blut, die kurze Zeit nach der Impfung einen hohen Grad von Immu- nität hervorrufen, dann aber nach und nach in ihrer Wirkung nachlassen. (g7c) Heycke. Scheintod und Wiederbelebbarkeit behandelt Dr. Kuhn in der Münch. med. Wochenschr. (Bd. 61, Nr. 8). Über die Häufigkeit des Schein- todes sind im Volke wie auch in der ärztlichen Literatur übertriebene Angaben verbreitet. So soll nach Köper (1799) etwa ein Drittel der ganzen Menschheit lebendig begraben werden, nach Hartmann (1896) sich das Verhältnis auf 1:200, nach Le Guern auf 1:500, nach Lenormand auf 1:1000 stellen. Daß der Scheintod schon im Altertum bekannt war, geht daraus hervor, daß viele Völker die Leichen vor der Bestattung erst längere Zeit aufbewahrten. So begruben die Juden ihre Toten erst nach 3 Tagen, die Egypter nach 4, die Spartaner nicht vor dem 10. Tage, die Römer warteten sogar 1 1 Tage, bis sie ihre Leichen verbrannten. Um auf die Frage nach der Wiederbelebbarkeit näher einzugehen, so kommt zunächst das Zentral- nervensystem in Betracht. Von diesem ist das Großhirn, da es den feinsten Bau hat, auch am leichtesten zerstörbar. Über seine Wiederbelebung herrschen daher — selbst in Ärztekreisen — sehr pessimistische Ansichten. Meist wird die Grenze der Wiederbelebbarkeit mit 10 — 15, höchstens 20 Minuten nach Stillstand des Herzens ange- nommen, doch ist zu beachten, daß es sich hierbei meist um Tod durch Unglücksfälle oder unter der Hand des Chirurgen handelt; in letzterem Falle spielt auch die Wirkung der Betäubungs- mittel auf das Hirn eine Rolle. Daß auch das Großhirn ziemlich widerstandsfähig sein kann, hat ein Versuch von BrownSequard gezeigt, der 346 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 25 einen abgeschlagenen Hundekopf durch künst- liche Blutzirkulation wieder ins Leben rief. Daß Wiederbelebung auch nach längerer Zeit möglich ist, zeigen vielfache Beobachtungen. So sind F'älle bekannt, in denen Ertrunkene selbst Stunden unter Wasser waren und doch wieder ins Leben gerufen wurden. Dasselbe gilt von Erhängten. Aus der Natur sind Beispiele dieses latenten Lebens ja allgemein bekannt. So kann z. B. eine ganze Reihe von Wassertieren (selbst Fische und Frösche) ruhig einfrieren und lange Zeit in diesem Zustande, in dem also keine Spur von Leben mehr zu entdecken ist, verbleiben. Nach dem Auftauen sind diese Tiere doch wieder munter wie vorher. Eine Erklärung für diese Wiederbelebung des Großhirns längere Zeit nach Stillstand des Herzens können wir in dem Umstände finden, daß die lebende Zelle vermöge ihrer Anpassungsfähigkeit imstande ist, sich auch an den geringsten Stoff- wechsel zu gewöhnen (wie wir es ja auch bei den Tieren während des Winterschlafes beob- achten). In dieser Beziehung wird eine gesunde Zelle einer geschwächten natürlich überlegen sein, das Kind also dem älteren Erwachsenen, ein gut genährter Körper dem erschöpften usw. Das zweite Hauptorgan , das bei der Frage nach der Wiederbelebbarkeit in Betracht kommt, ist das Herz. Seine Tätigkeit können wir nicht willkürlich beeinflussen. Es ist also vom Groß- hirn unabhängig und hat sein eigenes Nerven- system. Es ist das Organ , das den höchsten Grad von Wiederbelebbarkeit besitzt, wie sogar an solchen Säugetierherzen nachgewiesen ist, die aus dem Körper herausgeschnitten waren. Ein Durchströmen des Herzens, sei es mit Blut, sei es auch nur mit einer anderen Flüssigkeit, genügt oft, es zu neuer Tätigkeit anzuregen. Schon ein mechanischer Reiz ist oft imstande, diese Wirkung hervorzurufen, daher gilt schon seit Jahrzehnten bei den Ärzten Beklopfen des Herzens als eins der Hauptmittel zu seiner Belebung. Günstiger noch wirkt eine methodische Massage des Herzens. Es wurden hierdurch noch Erfolge bis zu 1V2 Stunden nach dem Tode erzielt, doch ist nicht zu vergessen, daß es sich hierbei nur um eine Belebung des Herzens, nicht des ganzen Körpers handelte. Als drittes Organ kommt die Lunge in Be- tracht. Sie dient zur Versorgung des Blutes mit Sauerstoff und zur Ausscheidung der gasförmigen Stoffwechselprodukte. Durch Ventilation der Lunge, also künstliche Atmung, kann man die Zellen also am sichersten und schnellsten von den im Blute aufgespeicherten Giftstoffen, be- sonders der Kohlensäure befreien. Alles in allem genommen ist die Wieder- belebung Verstorbener, da zuviel Punkte dabei ins Auge gefaßt werden müssen, eine sehr schwierige Kunst, die oft auf viele Stunden ausgedehnt werden muß. Auszuschließen sind vorläufig wohl alle Fälle natürlichen Todes. Mehr Aussicht auf Er- folg haben Erstickungsfälle und der Tod durch elektrische Ströme. Bei der Wahl der Mittel kommt es weniger darauf an, welches Mittel an- gewandt wird , sondern wie es angewandt wird, da Ausdauer hierbei die Hauptsache ist. (G.C.) Heycke. Astronomie. Die periodischen Veränderungen auf dem Mars teils auf Grund eigener langjähriger Arbeiten, teils mit Heranziehung der Arbeiten früherer Forscher, wie Terby, Jarry-Desloges, behandelt Lau in den Astr. Nachr. Nr. 4878/79, 191 7. Er macht die bedeutungsvolle Neuerung, alle Angaben nach Marsjahreszeiten zu machen, und das Marsjahr in 12 Monate einzuteilen, von denen im folgenden die Rede ist, wobei zu be- denken ist, daß so ein Marsmonat 58 Tage lang ist, und die 4 Jahreszeiten der Reihe nach 199, 183, 146, i59Tage. Der Zusammenhang zwischen den Veränderungen und den Jahreszeiten tritt dann um so besser hervor. In dem vorliegenden ersten Artikel werden zunächst nur die Polar- flecke und die mit ihnen zusammenhängenden Sümpfe oder Moraste besprochen. Der nördliche Polfleck ist im Frühjahr meist nur ein mattweißer, sich ständig verändernder Schimmer, auch im Winter ist er oft von einem zum anderen Tage ganz verschwunden und bildet sich ebenso schnell wieder, so daß wir bei diesen weißen Massen nicht an unseren Polarschnee denken dürfen, es sind entweder nur dünne Schichten , oder ein Material wie Kohlensäure, das direkt vom festen in den gasigen Zustand übergehen kann, oder ein uns unbekanntes Material. Im Frühjahr scheint der Fleck mehr eine Wolkenbank als eine Schnee- masse zu sein, die im Juni verschwindet, um von September an wieder sichtbar zu werden. Im Frühjahr wird die nördliche Halbkugel von einer Nebelwelle überflutet, über den ganzen Sommer entstehen neue Nebelmassen, die nach dem Äquator geführt werden, so daß der Fleck sich verbraucht. Der südliche P~leck zeigt ein ähnliches Verhalten, natürlich in um ein halbes Jahr verschobenen Zeiten. Nur scheint er beständiger und massiver zu sein, und scheint mehr eine Eismasse, was vielleicht seinen Grund darin hat, daß der Nordpol mitten in einer weiten Hochebene liegt, der südliche aber am Boden eines Meeres. Im An- schluß an diese Veränderungen treten nun in den angrenzenden Gebieten viele Veränderungen auf, sumpfige Stellen, deren Aussehen sich mit der Jahreszeit stark ändert. Lau zeigt dies eingehend an einer ganzen Anzahl von Fällen, die in dem Original nachzulesen sind. In den Kanälen sieht Lau Täler, Einbruchst eilen, die sehr breit sind, sich bisweilen mit Nebel füllen, und dann ver- schwinden, oder doppelt erscheinen, wenn der Nebel sie nur in der Tiefe ausfüllt. Daß es sich auf dem Mars überall um klimatologische Ver- änderungen handelt, wird sofort klar, wenn man das ganz gleichmäßige Verhalten der drei aus- N. F. XVI. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 347 gedehnten polaren Moraste betrachtet. Sie sind im Dezember und Januar unsichtbar, erscheinen im Februar, werden im März deutlicher, und im April am dunkelsten. Im Mai hellen sie auf, im Juni und Juli zerfallen sie in Seen und Kanäle und im August und September verbleichen sie zusehends, um im November zu verschwinden. Sie sind offenbar im Winter unter einer dichten Nebeldecke verschwunden, deren Bewegung die Sichtbarkeit der Moraste bewirkt. Nun kommt noch eins hinzu. Green hat 187S die bekannte Teiraederhypothese aufgestellt, die nach ihm von anderen angenommen und ausgebaut worden ist. Danach muß eine erstarrte Kugel bei der weiteren Abkühlung genähert die Tetraederform annehmen, weil sich auf diese Weise die größte Verkleinerung des Rauminhaltes am besten mit der geringsten Verkleinerung der ja schon er- starrten Kruste vereinigen läßt. Sieht man nun die drei großen Moraste als Einsenkungen der Marsoberfläche an, so findet sich in der Tat eine recht gute Übereinstimmung mit der Tetraeder- hypothese. Die drei Gebilde entsprechen den drei Seiten der Figur, während die Grundfläche dem großen Südpolarmeer entsprechen würde. Das stimmt auch hinreichend, wie die Karte lehrt. Es ergeben sich dann noch folgende Erwägungen. Wie bei der Erde, so sind die Einsenkungen natürlich gering im Vergleich mit der Abplattung, aber doch sehr wichtig. Der nördliche Polfleck kommt auf eine Hochebene zu liegen, deren ab- fließendes Schmelzwasser sich in den drei Ein- senkungen sammeln muß, weil es von der süd- lichen Einsenkung durch die erhöhten Ränder getrennt ist. Aus demselben Grunde aber muß das Schmelzwasser auf der antarktischen Senke dort verbleiben. Durch starke Einbrüche sind freilich die erhöhten Ränder durchbrochen, wie die großen Kanäle zeigen, und daher ist es kaum möglich, die angenommenen Hochebenen an den Spitzen des Tetraeders nachzuweisen, während die 4 Senken sich deutlich kundgeben. Leider kennen wir am Monde nur die eine Seite, aber Lau meint, daß sich doch auch hier gewisse Analogien nachweisen ließen, die für die Wahr- scheinlichkeit der Tetraederhypothese sprechen. Riem. Bücherbesprechuiigen. ^A^arming-Gräb^er , Lehrbuch der öko- logischen Pflanzengeographie. Lie- ferung 2-4. Berlin 1916, Gebr. Bornträger. Im Gegensalz zur floristischen Pflanzen- geographie, die sich damit begnügt, mit Hilfe von Pflanzenlisten und Floren eine möglichst um- fassende Beschreibung der Verteilung der Gewächse über die Erdoberfläche auszuarbeiten, also einen rein deskriptiven und inventarisierenden Charakter hat, setzt die ökologische Pflanzengeographie das ätiologische Prinzip an die Spitze, indem sie die Beziehungen der Pflanzen zu ihrer Umgebung be- tont und ihr Aussehen und ihre Lebensweise, ihre Verbreitung und ihren Zusammenschluß zu kleineren und größeren pflanzengeographischen Einheiten sowie die sich aus alledem ergebende Physiognomie der Vegetationen als Ausdruck, Korrelat der Umgebung zu verstehen sucht. Sie bedient sich mithin in weitgehendem Maße physio- logischer Hilfsmittel, stellt geradezu in gewisser Hinseht eine Art angewandter Physiologie dar. Die Grundlagen dieser vertieften Auffassung der Pflanzengeographie wurden zu einem guten Teile durch Warming seinerzeit in der ersten Auflage seiner Pflanzengeographie gelegt. Die vorliegende dritte Auflage, deren erste Lieferung wir früher (vergl. Naturw. Wochenschr. Bd. XIV, S. 480) kurz anzeigten, ist inzwischen bis zur 4. Lieferung ge- diehen und gibt nunmehr einen ausreichenden Eindruck von der neuen Gestalt des allgemein bekannten und geschätzten Werkes. Es ist in vieler Beziehung eine neue Gestalt, die uns ent- gegentritt, dank der namentlich auch durch den neuen Mitarbeiter Gräbner bewirkten Erweiterung sowie der Vermehrung des Abbildungsmaterials. Über die Anlage des Buches möge folgende ganz kurze Übersicht unterrichten. Nach allgemeinen Erörterungen und Begriffs- bestimmungen wird zunächst festgelegt, was man unter den „äußeren Bedingungen" des Pflanzen- wuchses zu verstehen hat. Sie lassen sich unter dem Schlagwort „Standort" zusammenfassen und im einzelnen gliedern in die breitflächig wirkenden klimatischen und in die mehr örtlich differenzierten edaphischen Bedingungen, d. h. die des Bodens. Erstere werden dann im einzelnen in ihrer Be- deutung für das Leben der Pflanzen auf der Erd- oberfläche gekennzeichnet : das ziemlich allgemein und relativ auskömmlich zur Verfügung stehende Licht, die mehr örtlich verteilte Wärme, die für die Pflanzen ganz hervorragend bedeutungs- vollen Faktoren der Luftfeuchtigkeit und der Niederschläge, die ebenfalls sehr mannigfaltig sind, und die Luftbewegung. In dem Abschnitt über die edaphischen P'aktoren wird ein gedrängter Abriß der Bodenkunde gegeben, der Boden also geschildert in seiner chemischen und physikalischen Beschaffenheit, dazu die Bodenluft, das Grund- wasser, die Wasserbewegung, die Austrocknung, Absorptionskraft, die Bodenwärme, die Mächtig- keit der verschiedenen Bodenarten usw. Bei der wichtigen Erörterung, ob die chemische oder die physikalische Beschaffenheit von größerer ursäch- licher Bedeutung in pflanzengeographischer Hin- 348 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 25 sieht sei, neigt VVarming (weniger Gräbner) bei aller Betonung der Unmöglichkeit einer bündigen Entscheidung dazu, den physikalischen Bedingungen eine besonders einschneidende Wichtigkeit zuzu- schreiben. Nachdem dann die ökologischen Wir- kungen von Schnee- und Laubdecken, sowie die- jenigen des lebenden Pflanzenteppichs selber sowie ganz kurz die Tätigkeit von Tieren und Pflanzen im Boden (Regenwürmern, Pilzen, Bak- terien usw.) und ihre Rolle bei seiner Veränderung und Aufbereitung dargestellt sind, wird das Wasser als ein in vieler Hinsicht eigenartiger , Boden" einer gesonderten Betrachtung unterzogen, die wiederum nach den Momenten Licht, Wärme, stoffliche Zusammensetzung, GasgehaU, Bewegung gegliedert ist. Hieran reiht sich ein wichtiger Abschnitt über die „Lebensformen", d. h. die Pflanzentypen, die sich durch die Eigenart der Lebensweise, den Kreislauf ihrer Entwicklung, die Tracht usw. unterscheiden lassen und die als die Elemente das bestimmen, was man die Physiognomie einer Vegetation nennt. Solcher pflanzengeographischer Elemente werden in einer systematischen Tabelle 22 aufgestellt, die hier mitgeteilt seien ; Schmarotzer und Ganzsapro- phyten, Flechten, Wasserpflanzen, Muskoide Typen, Lianen, einjährige, einjährig überwinternde, zwei- jährige und nach mehreren Jahren nur einmal blühende Pflanzen, ausdauernde Kräuter mit senk- rechter Grundachse und aufrechten Langsprossen und solche mit aufrechten Blattstauden, Rosetten- stauden, grasartige Pflanzen, Halbsträucher, Polster- pflanzen, Weichstämme, Stammsukkulenten, diko- tyle Sträucher, monokotyle Sträucher, Wipfelbäume, Schopfbäume und kriechende Pflanzen mit ober- irdischer wagerechter Grundachse. Diese Typen werden dann ganz kurz an Beispielen näher er- läutert. Inwiefern sie nun weiter in Bau und Lebensweise mit den Bedingungen der Umgebung harmonieren, wird in einer gesonderten Betrachtung auseinandergesetzt, die in allgemein- physiolo- gischer Hinsicht die Wasserökonomie, die Durch- lüftung etc. in ihren mannigfaltigen Formen eingehend schildert, also einen Abriß einer physiologischen oder ökologischen Anatomie und Morphologie vorstellt. Der folgende Abschnitt führt nun einen Schritt weiter, indem er die Vereinigung von Pflanzen untersucht, zunächst ganz allgemein die Wechsel- beziehungen der Organismen überhaupt, dann die Beziehungen zwischen Pflanzen und Tieren, weiter den Parasitismus, den Epiphytismus, die Sapro- phyten und die Lianen, um dann zu dem pflanzen- geographisch besonders wichtigen Thema der „Pflanzenvereine" überzuleiten. Auf der Basis des Standortbegriffes werden in grundsätzlichen und kritischen Erörterungen die verschiedenen Formen der Gesellschaften, ihre Gliederung in Untergruppen und letzte Einheiten präzisiert und abgegrenzt. Schließlich werden dann in dem Abschnitt, inner- halb dessen das 4. Heft abbricht, ausgeführte Bilder einzelner Formationsserien entrollt, die Formationen, die an salziges Wasser und salzigen Boden und die an süßes Wasser gebunden sind, die meso- und hygrophilen Formationen und die Formationen der Torfböden. In allen Abschnitten sind gute und zweckmäßig ausgewählte Ab- bildungen eingestreut. Der „ W arming-Gräbner" kann jedem, der sich ernsthaft der in überaus reizvoller Weise das Gesamtgebiet der Botanik umfassenden und be- lebenden Wissenschaft der Pflanzengeographie widmen will, durchaus empfohlen werden. Es ist freilich keine leichte Lektüre und erfordert, wie jedes gute Buch volle Hingabe. Wenn ich im folgenden einige Notizen wiedergebe, die ich bei der Lektüre niederschrieb, so sollen diese dem unbestreitbaren Werte des Buches keinen Ab- bruch tun. Der allgemeine Teil und damit auch die mehr speziellen Abschnitte würden an Straffheit, Ein- heitlichkeit und auch vielfach an Tiefe gewonnen haben, wenn die großen allgemeinen biologischen Probleme noch mehr in den Vordergrund träten und oft noch erschöpfender, namentlich auch von ihren physiologischen Grundlagen aus analysiert und pflanzengeographisch nutzbar gemacht worden wären. Die große Kardinalfrage: wandelt die Umwelt die Pflanzen direkt um, sind also die so und so viel tausend Pflanzenformen das Züchtungs- produkt ebensovieler in der Natur in diesem Be- trachte möglicher Bedingungskonstellaiionen, oder besiedelt die aus dunklem Grunde hervorquellende Formenmannigfaltigkeit die Stellen der Erde, die ihren Gliedern konform ist? hätte vielleicht irgend- wo erörtert werden können. Das führt ohne weiteres in ganz große theoretische Probleme hinein. Aber auch bei speziellen Fragen würde eine tiefere Analyse, die immer an physiologischen Punkten anzuknüpfen hätte, fruchtbar sein. Ge- rade hier ist manches nur angedeutet. Sehr er- wünscht, ja an vielen Stellen des Buches geradezu unerläßlich wäre eine ganz allgemeine Erörterung über den Kreislauf der Stoffe, der Frage, woher sie kommen , wohin sie gehen , namentlich des wichtigen Stickstoffes; es ließe sich so z. B. die Erörterung der allgemeinen Produktionsbedingungen im Boden, besonders aber auch im Wasser noch wesentlich vertiefen. — Der Abschnitt über Boden- bakteriologie ist zweifellos zu dürftig, selbst wenn man ihre Bedeutung nicht überschätzt. Die Ab- nahme der Bakterien nach der Tiefe beruht nicht allein auf der Filtrationswirkung des Bodens, sondern vielmehr auf dem seinerseits wieder kom- plexen Phänomen der Abnahme organischer Stoffe nach der Tiefe zu. — Die Übertragung der pflanzengeographischen Erörterungen auf die mikroskopische Lebewelt, z. B. auf die Bakterien, würde sehr reizvoll sein und ist auch wenigstens in einigen Punkten möglich, da bereits theoretische Ansätze dazu vorliegen. — Die Literatur ist etwas einseitig herangezogen worden, die deutsche kommt zweifellos etwas zu kurz dabei. Auch ist bei der Zitierung der physiologischen Literatur N. F. XVI. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 349 eine gewisse Willkür nicht abzuleugnen. — Daß die übliche Myrmekophilie - Theorie (wenn auch ganz nebenbei) unbesehen hingenommen wird, ist nicht zeitgemäß. — Auch der Epiphytismus ist etwas herkömmlich behandelt, vor allem ohne tiefergehende Analyse der Ernährungsbedingungen der Epiphyten. — Die Windepflanzen legen sich gewiß nicht in losen Windungen um die Stütze, auch wäre die Bezeichnung „unselbständige Pflanzen" für Lianen wohl irreführend, zum mindesten mißverständlich. Clusia umschlingt den Stützbaum nicht „durch Winden", wie es in der Erklärung zu Abb. 51 heißt. — Unter den Wurzelsymbiosen hätte wohl auch Alnus zum wenigsten erwähnt werden sollen. Ob nicht über- haupt, ähnlich wie ja die Flechten zu einem der 22 Typen erhoben sind, auch die übrigen regel- mäßig symbiontischen Pflanzen zu einer Lebens- form sich hätten vereinigen lassen ? Manche Daten sprechen dafür, daß die symbiontischen Systeme auch ganz bestimmte, höchst interessante pflanzengeographische Beziehungen erkennen lassen. Das gleiche gilt von derw Insektivoren, die bisher noch gar nicht erwähnt sind. — Daß die Azollaalgen frei leben können, ist bisher nicht bewiesen, wahrscheinlich ist das Gegenteil der Fall. — Ob das Sitzenbleiben der alten Blätter wirklich ein Anpassungsmerkmal ist? — Mir scheint, daß auch die auf stark oder ausschließlich humosem Boden vorkommenden Pflanzen zu einem besonderen pflanzengeographischen Typus zusammengefaßt zu werden verdienten , einerlei ob sie Chlorophyll haben, oder nicht. Man könnte sie ganz gut als „Humikolen" bezeichnen. Miehe. Englands Kampf um den naturwissenschaft- lichen Unterricht. Aus dem Englischen über- tragen und eingeleitet vonProfDr.H. Groß mann. Stuttgart 191 7, F. Enkc. — 3 M. Im Bewußtsein der durch diesen ungeheuren Krieg vorbereiteten Verschiebung der Ideale und Ziele auf den verschiedensten Gebieten hat man bei uns neuerdings auch wieder die Frage der Erziehungsideale in den Vordergrund gerückt. So sind von verschiedenen Universitäten Kund- gebungen hinausgegangen, die für die humanistische Bildung als die beste Grundlage der modernen Erziehung eingetreten sind. Auch das hochkonser- vative England hat, aufgerüttelt durch die Er- fahrungen des Krieges, Erziehungsfragen mit höchst bemerkenswerter Energie einer erneuten Prüfung unterzogen, nachdem ähnliche frühere Versuche nur schwächliche oder überhaupt keine Ergebnisse gezeitigt hatten. Vor etwa einem Jahre fanden unter dem Vorsitz von Lord Raileigh in der Versammlung der Linnegesellschaft Verhandlungen über Unterrichtsfragen statt, nachdem die Öffent- lichkeit durch die Presse und die Gelehrten, Pädagogen und Industriellen noch besonders durch ein Rundschreiben über die Ziele der neuen Be- wegung aufgeklärt worden waren. Charakte- ristischerweise ist es aber nicht das klassische Bildungsideal, das sich bedroht fühlt von selten des naturwissenschaftlichen, sondern umgekehrt: man macht mit höchstem Nachdruck auf die schweren Gefahren aufmerksam, die der Nation aus der Vernachlässigung der Naturwissenschaften erwachsen, und fordert, daß die geistigen Führer, die Beamten, die Offiziere, die Fabrik- und Kauf- herren, ja auch z. T. die Minister eine bessere naturwissenschaftliche Ausbildung erhalten und überhaupt die Naturwissenschaften aus der Asche, in der sie ein aschenbrödelariiges unbeachtetes, ja verachtetes Dasein gefristet hatten, zu Ehren und Ansehen emporgeführt werden müßten. Die kurzen Ausführungen der zahlreichen Redner, zu denen auch Vertreter der Geisteswissenschaften, ja auch etliche leitende Männer der klassischen Hochburgen Oxford und Cambridge gehörten, sind auch für uns aus verschiedenen Gründen außerordentlich interessant. Sie geben uns einmal ein Bild von den Zuständen, wie sie auf englischen Universitäten und anderen Schulen herrschen, ent- halten aber andererseits auch manche zu eigenem Nachdenken auffordernde Bemerkung, die uns in unseren Zielen bestärken oder aber auch An- regungen geben können. Die Verhältnisse liegen ja bei uns sehr viel günstiger; das meiste, was dem Engländer als Ideal vorschwebt und auf das er, wenn auch oft nur widerwillig oder zwischen den Worten in deutlichem Hinblick auf Deutsch- land hinweist, ist in unserem Lande schon seit geraumer Zeit erreicht. Aber auch bei uns wird, wenn auch die Gefahr einer unerwünschten Ver- schiebung von der anderen Seite droht, stets der Gedanke der harmonischen Bildung, den auch die englischen Redner vielfach zum Ausdruck bringen, vor krassen Nützlichkeitserwägungen nicht ver- dunkelt werden dürfen. Kommt doch gar dieser Gegensatz schon innerhalb der Naturwissenschaften selber zum Vorschein 1 Der hohe formale und moralische Wert der klassischen, literarischen und historischen (und nicht zum wenigsten, möchten wir noch hinzufügen, der „reinen" naturwissen- schaftlichen) Bildung darf nicht leichtsinnig aufs Spiel gesetzt werden. „Wenn auch das gegen- wärtige System", so haben englische Schriftsteller gesagt, „keinen anderen Vorteil gezeitigt hat, als daß es zum mindesten unserere Jugend gelehrt hat, wie sie sterben muß, so ist das doch ein Vorteil." Aber Sir Edward Schaeffer, der diese Stimmen registriert, fügt noch hinzu, daß es von gleicher oder vielleicht noch von höherer Bedeutung sei, zu wissen, wie man in der Welt, die einen umgibt, am besten leben solle. Dazu sei, das ist der stets wiederkehrende Grundgedanke aller Redner, eine gründliche naturwissenschaftliche Bildung eine unumgängliche Notwendigkeit. Es ist ein Verdienst des Verlages wie des Übersetzers, diese interessanten Dokumente zur Erziehungsfrage dem deutschen Publikum zugänglich gemacht zu haben. Miehe. 3SO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 25 Becher, Erich, Prof. Dr., Die fremddien- liche Zweckmäßigkeit der Pflanzen- gallen und die Hypothese eines iiber- individuellen Seelischen. Leipzig 1917, Veit & Co. Der an der Münchener Universität wirkende Philosoph, der auch in naturwissenschaftlichen Kreisen durch seine „Naturphilosophie" bekannt ist, greift in diesem Bändchen wiederum das Zweckmäßigkeitsproblem an, das wichtigste, aber auch schwierigste Problem der theoretischen Biologie. Er nähert sich ihm diesmal von einer besonderen Seite, indem er nämlich solche zweck- mäßigen Strukturen und Einrichtungen einer biologischen und philosophisch-kritischen Analyse unterzieht, die nicht dem betreffenden Individuum nützlich sind, sondern ausschließlich einem einer anderen Art frommen. Er führt für solche Zweckmäßigkeiten den glücklichen Terminus „fremddienliche" ein und bezeichnet im Gegensatz dazu als artdienliche die, welche zwar nicht dem Individuum selbst, aber doch der Art dienen, und als selbstdienliche schließlich solche, die dem Träger der zweckmäßigen Anpassungen selbst zu- gute kommen. Als Beispiel für fremddienliche Zweckmäßigkeit wählt er nun die Gallen und berührt damit ein biologisches Fragstück von höchstem Interesse, das gewiß jedem, der ihm nachdenklich entgegengetreten ist, schon viel Kopfzerbrechen gemacht hat, das aber, wie Verf. ganz recht betont, bisher von der spekulativen Biologie noch nicht seiner grundlegenden Be- deutung entsprechend gewürdigt und ausgebeutet worden ist. An der Hand der botanischen F'ach- literatur, die er mit einer anerkennenswerten Kritik und Umsicht benutzt, schildert er zunächst an Beispielen die verschiedenen Typen von Gallen, indem er überall die Frage der Fremddienlichkeit herausarbeitet. Er kommt dabei zu dem Schlüsse, daß zwar bei manchen der einfacheren Gallen- typen Struktur und Form der Galle aus gewissen allgemeinen Reaktionsfähigkeiten der Pflanze heraus erklärt und somit als Zwangsbildungen aufgefaßt werden könnten, die auf den Reiz des Parasiten ausgelöst werden, daß aber die höchst- entwickelten Gallen so viel spezifische, äußerst sinnreiche und ausschließlich dem Parasiten nütz- liche Einrichtungen anatomischer und morpho- logischer Art zeigen, daß hier eine auf besonderer Anpassung beruhende, aktive Bildungstätigkeit der Pflanze zum Ausdruck komme, die man nur als fremddienlich bezeichnen könne. Wie kann man sich nun aber das Zustandekommen solcher Zweck- mäßigkeiten vorstellen r fragt Verf. weiter, der als Philosoph nicht an der Schranke halt macht, die der Naturforscher mit traditioneller Resignation schlechtweg konstatiert, sondern kühn darüber hinaus in sein eigenstes Element dringt. Als Vertreter eines Psycholamarckismus von der Be- deutung seelischer Faktoren bei organischen Vor- gängen durchdrungen, kommt Becher, nachdem er kurz die vitalistischen Systeme Schopen- hauer's, v. Hartm ann's, Driesch's, Berg- son's, Reinke's an dem Gallenproblem mißt, auch selber zu der Annahme eines über das Individuum hinausgreifenden , allverbindenden seelischen Bindemittels. In einem supraindivi- duellen, gemeinsamen Wesensgrunde wurzelt Wirtspflanze wie Parasit, der Altruismus jener erschiene damit verständlich. Allerdings muß dann der Verf weiterhin diesen höchst intelligenten VVeltgrund gegen die Einwände und Anklagen verteidigen, die ihm aus den in der Natur vor- kommenden Disharmonien, Unzweckmäßigkeiten erwachsen. Er sucht diesen uralten Widerspruch dadurch zu überwinden, daß er annimmt, das überindividuelle Seelenwesen ragt mit kleinen Teilen in die Individuen hinein, gibt gewisser- maßen sehr kleine Mengen psychischer Fermente ab, die als individuelle Seelenfaktoren die Indi- viduen zweckmäßig beeinflussen. Diese gestatteten sich aber allerlei kleine Eigensinnigkeiten, Sonder- bestrebungen und Dummheiten, doch käme bei allen höheren biologischen Zweckzusammen- hängen das intelligente überindividuelle Seelen- wesen zu reiner Wirkung. Das läßt sich hier nicht mit wenigen Worten wiedergeben und möge im Original nachgelesen werden. Hier wollen wir nur zum Schluß die Frage aufwerfen, ob der Verf wirklich genötigt ist, in der zweckmäßigen Einrichtung der hochentwickelten Gallen eine reine Fremddienlichkeit zu erblicken. Schon an verschiedenen Stellen des Buches drängt sich dem Leser eine Auffassung auf, die er dann auch von dem Verfasser erörtert, aber abgewiesen findet. Seinem Scharfsinn ist die folgende Erklärungsmöglichkeit nicht verborgen geblieben. Wäre es denn nicht denkbar, daß die Gallenzweckmäßigkeit rein auf das Konto des Parasiten zu setzen sei, der die Organisationen im Wirtskörper hervorruft, die den Zwecken seiner Art dienlich sind? Wäre nicht die Phylo- genese der Gallen der Ausdruck, das Korrelat eines in Wahrheit beim Parasiten verlaufenen Selektionsprozesses, der zur Ausbildung eines äußerst feinen Verwundungs-, Sekretionsmecha- nismus oder wie man sonst den ganzen Komplex von Einwirkungen des Insekts auf den Wirt nennen will, führte? Wir wissen nun allerdings gerade über die Art der Einwirkung des Parasiten gar nichts genaues, können uns aber recht gut, namentlich chemische Beeinflussungen von der gedachten Art vorstellen. Nun dürfen dies aller- dings nicht Entwicklungsreize schlechtweg sein, die im Gewebe des Wirtes örtlich vorhandene Bildungsmöglichkeiten (Überwallungen, Wuche- rungen usw.) anregen oder den Anstoß geben zu strukturellen Leistungen komplizierterer Art, die zwar in den allgemeinen Fähigkeiten des Wirtes schlummern, aber erst auf diesen Anreiz hin, wenn auch in verschobener, ungeordneter Form zum Vorschein kommen. Denn damit lassen sich, wie Verf. ganz recht sagt, die höchsten Gallentypen nicht erklären. Für sie fordert er N. F. XVI. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 351 eine besondere Potenz, oder, wie wir in der Sprache der Vererbungslehre besser sagen würden, Anlagen im Erbplasma der Pflanzen, und dieser latente Anlageiikomplex wäre dann ein fremd- dienlicher, unterläge also nicht der Einwirkung des Parasiten, wenn er auch natürlich erst auf seinen Anreiz in der Ausbildung der Galle zur Wirksamkeit käme. Es würde sich also fragen, ob wir gezwungen sind, für die Ausbildung, sagen wir, einer Deckelgalle schon im Erbplasma der Wirtspflanze die entsprechenden Anlagen, Gene, anzunehmen, oder ob wir uns durch eine andere Annahme helfen können. Da scheint mir nun die folgende möglich zu sein. Das Insekt bringt durch die Wunde einen Stoff ganz besonderer Art in das Gewebe des Wirtes, resp. die sich entwickelnde Larve scheidet einen solchen ab. Er verteilt sich in einer Anzahl von Protoplasten, wirkt hier aber nicht einfach als Enlwicklungs- katalysator, sondern baut sich in das Plasma ein und wirkt mit ihm organisch fort, die weiteren Entwicklungsvorgänge milbestimmend und leitend. Dabei müßten wir dann sogleich die weitere Annahme machen, daß entweder dieser Stoff selber die P'ähigkeit besäße, sich nach der Weise lebendiger Assimiiationsvorgänge aus den ihm zur Verfügung stehenden plasmatischen Baustoffen zu vermehren, also zu wachsen , oder daß ein sich etwa aus ihm und Plasmabestandteilen der Wirts- zelle herausbildendes Produkt die Fähigkeit des Wachstums besitzt. So würde der Ausgang für die Galle ein Zellenkomplex sein, dessen einzelne Zellen nicht mehr das reine Erbplasma der übrigen Körperzellen besitzen, sondern ein solches, das durch den Eintritt einer fremden, vermehrungs- fähigen Substanz verändert ist; die Zellen der Galle enthalten nicht mehr reines Wirtsplasma, sondern eben Gallenplasma. Freilich kennen wir ähnliche Einwirkungen bisher noch nicht, das Problem selber aber, durch experimentelle Appli- zierung bestimmter Stoffe mutativ auf das Plasma zu wirken, gehört durchaus in den Ideenbereich der experimentellen Vererbungslehre. Sie arbeitete allerdings bisher mit wesentlich gröberen Mitteln als der sechsbeinige Experimentator, der wohl Eiweißstoffe ganz besonderer Art anwendet. Un- geheuer feine Stoffe gewiß, mit deren Mischung wir aber ganz gut die äonenlange Apotheker- tätigkeit der Selektion belasten können, deren hohe Zusammengesetztheit jedenfalls nicht wunder- barer wäre, als die vieler anderer, anatomisch oder morphologisch besser faßbarer, d. h. genauer be- schreibbarer Anpassungen der Organismen. Ob sich die Sache wirklich so verhält, wie wir es andeuteten, oder nicht, denkunmöglich ist obige Annahme nicht und damit würde auch ein zwingender Anlaß wegfallen, die Gallen als fremd- dienliche Einrichtungen auffassen zu müssen. Die Becher 'sehe Schrift, deren Studium sehr anregend ist, scheint uns insofern ein erfreuliches Ereignis, als in ihr der Versuch zum Ausdruck kommt, die Philosophie wieder in engere Beziehung nicht nur zu einzelnen Wissenschaften, sondern auch zu Teilproblemen innerhalb derselben zu bringen. Dadurch, daß sie wieder gewissermaßen in die Arena tritt, wird sie sich einen guten Teil des Einflusses und der allgemeineren Beachtung zurückerobern, den sie in ihrer erhabenen Selbst- genügsamkeit einbüßte. Es gibt überall in den Naturwissenschaften Probleme, die der Forscher in bewußter Resignation, oft aber auch nur unter dem suggestiven Druck einer aligemein verbreiteten Geringschätzung philosophischer Ausgestaltungs- versuche nur bis zu einem gewissen Punkte durch- denkt. Und über solche Punkte sich von dem weiterdenkenden Philosophen eine Wegstrecke lang hinausführen zu lassen, ist manchem ein Bedürfnis und immer eine reizvolle Anregung. Miehe. Steinmann, G., Prof. Dr., Die Eiszeit und der vorgeschichtliche Mensch. 2. ver- mehrte und verbesserte Auflage. Mit 24 Text- abbildungen. Leipzig und Berlin 1917, B. G. Teubner. — 1,25 M. Das kleine Bändchen schildert in sehr klarer Form und in jener straften, energisch fortschrei- tenden Diktion , wie sie nur dem Meister des Stoffes zu Gebote steht, jene höchst merkwürdigen Epochen der Erdgeschichte, die in besonderem Maße das jetzige Antlitz der Landschaft beeinflußt haben. ' Einen besonderen Reiz erhält die Dar- stellung durch die Art und Weise, wie der Verf. den Menschen aus diesem geologischen Milieu hervorwachsen läßt, als neuen unerhörten Faktor in der Natur, der in immer steigendem Maße bis auf den heutigen Tag in den Kreis eingreift, aus dem er doch selber hervorging. Dies besonders gelungene Bändchen der Teubnersammlung ver- dient eine nachdrückliche Empfehlung. Miehe. Anregungen und Antworten. Zu dem Aufsatze von Prof. Dr. Killermann über Alraun (Mandragora), in Nr. II, S. I377^^^Der gelehrte und kenntnisreiche Verf. des genannten Aufsatzes , dessen Arbeiten jeder, der sich für die Geschichte der Kulturpflanzen und die Beziehungen zwischen Pflanzenwelt und Vorstellungs- welt des Menschen interessiert, so mannigfache Belehrung und Anregung verdankt, möge mir den Hinweis gestalten, dafi er .in seiner MiUeilung die Aufsätze des Altmeisters der Floristik, P. Ascherson's, nicht erwähnt hat, die sich mit demselben Thema befassen ; sie waren ihm wohl nicht bekannt. Ascherson, der sich, wie bekannt, gern und wiederholt mit folkloristischen Fragen beschäftigte, hat die Mandragora wohl zuerst in seiner .Arbeit über das Vorkommen der Scopolia carniolica Jacq. in Ostpreußen (Sitzungsber. d. Gesellsch. Naturf. Freunde Berlin, 1890, Nr. 1, S. 59 fT.) 352 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 25 berührt; ausführlicher hat er über Alraune und jene Solanaceen- Gattung in den Verhandl. Beilin. anthropol. Gesellsch. 1891, S. 729 (Zeitschr. f. Ethnologie XXUI) gehandelt; schließlich dann noch in einem in den Bericht. Pharmaceut. Gesellsch. 1892, S. 45 — 48, abgedruckten Vortrage über Mandragora. In diesen Aufsätzen Ascherson's sind teilweise bereits viele der älteren Literaturstellen ausführlich besprochen, von denen uns auch Killermann berichtet; so z. B. die Deutung der Bilder des Codex Neapolitanus des Dioscorides, die seltsame Stelle aus Josephus Bellum Judaicum u. a. ; anderes dagegen erfahren wir erst durch Killermann genauer, wie besonders eine Anzahl von Angaben aus der Literatur des Mittelalters (z. B. die der Hildegard und des Albertus Magnus). Ascherson äußert die Meinung, daß der Name Mandra- goras des Theophrast wohl unsere Belladonna bedeutet habe; der Name selbst stammt nach ihm nicht aus dem Griechischen, sondern vermutlich aus der Sprache eines alten arischen Kulturvolkes in Kleinasien, wo noch heute der aber- gläubische Geljrauch der Wurzel seinen Hauptsitz hat. Das Mittelalter bei uns in Mitteleuropa hat nach Ascherson schwerlich jemals wirkliche Mandragorawurzeln gekannt, wie sie im Orient in grotesker Menschenähnlichkeit von eigenen Künstlern durch geschickt angebrachte Einschnitte, Um- schnüren mit Bindfaden usw. und nachheriges Wiedereingraben, um die Spuren dieser Eingriffe verharschen zu lassen, noch heute zugerichtet werden. Der bekannte Anthropologe von Luschan hat solche Alraune auf seinen Reisen in Kleinasien und Syrien mehrfach erworben und über sie berichtet (Zeitschr. f. Ethnologie XXIII, 1S91, S. 726). Die europäischen Alraune zeigen (nach Ascherson) mit den orientalischen nicht die geringste Ähnlichkeit; nach den Angaben der Patres der Botanik wurden sie meist aus Rhizomen von Phragmites und Wurzeln von Bryonia, der Zaunrübe, geschnitzt, welchen letzteren man an den geeigneten Stellen durch eingestopfte Gersten- oder Hirsekörner, die man in der feuchten Erde, in die man die Artefakte wieder eingrub, keimen ließ, sogar einen ziemlich natürlich aussehenden Haarwuchs verschaffte. Unter den seltenen in einigen Museen aufbewahrten Exemplaren abendländischer Alraune sind mehrere, wie z. B. die berühmten, aus den Sammlungen des Kaisers Rudolf II. stammenden der Wiener Hofbibliothek , aus den Rhizomen von AUium V i c t o r i a 1 i s (AUermannsharnisch) hergestellt, denen das Volk noch heute vielfach geheime Kräfte zuschreibt und die des- halb in den Apotheken stets guten Absatz finden sollen. Killermann erwähnt 1. c. S. 144 auch die Alraune Rudolf 's II., setzt sie aber in Beziehung zur Mandragora, während sie nach A. v. Perger von Allium Victorialis stammen; darüber vgl. R. Beyer in Zeitschr. f. Ethnologie XXUI., 1891, S. 738, wo alle wichtigeren Angaben über abendländische Alraune übersichtlich zusammengestellt sind. Cbrigens hat schon H. Marzell in seinem auch von K. genannten Aufsatze über Zauberpflanzen (Naturw. Wochenschr. 1909, .'^. 163) auf dieses und andere mitteleuropäische Ersatz- mittel für die echte Mandragora hingewiesen. Aus Beyer's Mitteilungen ersieht man, daß noch jetzt das genannte Allium in der Volksmedizin, zum Verrufen des Viehs oder als Aphro- disiacum, eine Rolle spielt, z. B. in Hinterpommern. Es sei auch daran erinnert, daß Johannes Trojan, der bekannte Dichter und Botaniker, einmal in dem Berliner Warenhaus A. Wertheim einen Glücks-Alraun für 2,25 Mark eistand, in einem kleinen Medaillon bestehend , in dem sich unter Glas drei Stückchen eines bräunlichen Pflanzengewebes befanden, die nach Ascherson von Allium Victorialis und der ebenfalls Inder Volksmedizin eine Rolle spielenden S i e g w u r z , Gladiolus communis, stammten (Trojan: „Aus dem Reich der Flora", S. 158). KiUermann's Angabe, daß Dürer einen Alraunapfel von Mandragora deutlich abbildet, steht in einem gewissen Gegensatz zu der von Ascherson vertretenen Meinung, man habe damals die echten Alraune, aus den Wurzeln jener Pflanze gefertigt, bei uns kaum je gehabt; in- dessen erwähnt K. doch auch, daß nach Lobelius die Pflanze in verschiedenen Gärten des südlichen Europa, ja in England kultiviert worden sei. Zum Schlüsse schreibt K. : „Die östlichen Länder Europas (Walachei, Südrufiland) sollen noch Gegenden sein, wo der Mandragorakult in Blüte steht." Dazu sei bemerkt, daß es sich in diesen Gebieten nach Ascherson offenbar um die verwandte Solanacee Scopolia c a r n i o 1 i c a Jacq. handelt; H. Marzell (a. a. O. 163) gibt dies auch an. Diese im Karpathcn- und östlichsten .Mpengebict, von Wolhynien und Kiew bis Krain, nördlich bis Krakau verbreitete Pflanze findet sich nicht nur in Siebenbürgen und Galizien, sondern auch in Oberschlesien, und wie Abr omei t festgestellt hat, im litauischen Teile Ostpreußens und selbst in Kurland in Bauerngärten, wo ihre arzneilichen und toxischen Kräfte wohl bekannt sind. In Siebenbürgen gilt sie auch als Liebeszauber. Der rumä- nische Name „matragun", den sie in letzterem Lande und der Moldau, wie auch die nahe verwandte Belladonna führt, deutet darauf hin, daß sich diese Verwendung der wirklichen und vermeintlichen Kräfte der Scopolia an die gleiche der Mandragora anlehnt, und vielleicht schon in vorchristlicher, spätestens aber in byzantinischer Zeit in den östlichen Karpathenländern stattgefunden hat, von wo aus sie sich, jedenfalls ohne die Vermittelung deutscher Kultur, bis an die Gestade der Ostsee verbreitet hat (.ascherson in Bericht, pharmac. Gesellsch. 1892, S. 47). — Bei Shakespeare finden sich außer der von K. S. 144 erwähnten Stelle noch mehrere andere Hinweise auf Mandragora; so z. B. Antonius und Cleopatra (Akt 1, Scene 5), wo Cleopatra sagt: Gib mir Mandragora zu trinken. Daß ich die große Kluft der Zeit durchschlafe. Wo mein Antonius fort ist 1 Auch die Sage, wonach die Alraunwurzel schreit, wenn man sie aus der Erde reißt, war Shakespeare bekannt (Ascherson in Sitzungsber. Anthropol. Ges. 1S91, S. 733; vgl. H. Marzell a. a. O. 162). — K. übersetzt den Beginn der betrefi'enden Stelle bei Dioscorides so: ,,Die Mandragora ... ist zweige- schlechtlich." Im latein. Text heißt es: „duo eius genera". Das Wort ,, zweigeschlechtlich" im heutigen Sinne bedeutet aber etwas ganz anderes, als das, was der lateinische Über- setzer des Dioscorides meinte, der an getrennte Geschlechter einer und derselben Art wohl nicht dachte, wie auch aus anderen Stellen hervorgeht, wo das Wort „genus" vorkommt ; ,,genus" bedeutet dort nichts anderes als im heuligen Sinne Galtung oder Art. Man müßte also etwa sagen: ,,Von der Mandragora gibt es zwei Arten". In der damaligen Zeit waren die Begriffe Gattung und Art noch nicht deutlich geschieden. H. Harms. Inhalt: Hermann Kadestock, Fernwetterprophezeiung. S. 337. — Einzelbelichte: Widar Brenner, Selenbakterien. S. 340. W. von Buddenbrock, Welchen Zweck die sog. Schwingkölbchen der zweiflügeligen Insekten (Dipteren) habei* S. 341. Taschenberg, Schlupfwespen als Pflanzenparasiten. S. 342. Emil Hübner, Zur Eiablage und Paarung der Tagfalter in der Gefangenschaft. S. 342. Rudolf Ranninger, Über die Bekämpfung des Mohnwurzelrüssel- käfers. S. 342. Koelsch, Über Hautschädiguogen durch Kalkslicksloft. S. 343. Beck, Vergiftung durch Muskatnuß. S. 344. Kaup, Über den Wert und die Wirkungsdauer der Choleraschutzimpfung. S. 344. Kuhn, Scheintod und Wiederbelebbarkeit. S. 345. Lau, Veränderungen auf dem Mars. S. 346. — Bücherbesprechungen: Warming- Gräbner, Lehrbuch der ökologischen Pflanzengeographie. Lief. 2 — 4. S. 347. H. Groß mann, Englands Kampf um den naturwissenschaftlichen Unterricht. S. 349. Erich Becher, Die fremddienliche Zweckmäßigkeit der Pflanzen- gallen und die Hypothese eines überindividuellen Seelischen. S. 350. G. Steinmann, Die Eiszeit und der vorgeschicht- liche Mensch. S. 351. — Anregungen und Antworten: Zu dem Aufsatze von Prof. Dr. Kill er mann über Alraun (Mandragora). S. 351. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonnabend, den 30. Juni 1917. Nummer 36. Etwas über den Begriff „Brutparasitismus". TNachdruck verboten.] Von Prof. Dr. C In meinem Aufsatz „Einige Betraclitungen über die Begriffe Parasit, Raubtier und Pflanzen- räuber" (diese Zeitschrift Nr. 12 u. 13, 191 7) ist (S. 172) nur ganz kurz auf die als Brutparasitis- mus bezeichnete Lebensgemeinschaft gewisser Tiere hingewiesen und darüber ein eventuell eigener Artikel in Aussicht genommen worden. Da er zur Abrundung dieses interessanten biologischen Themas gehört, mag er hier folgen. Wenn man den Begriff „Brutparasitis- mus" ') lediglich durch diese Bezeichnung erklären wollte und dabei letztere ganz im Sinne und in der ursprünglichen Bedeutung des griechischen TTUQciaiTog auffassen würde, so wäre darunter zu verstehen, daß die Brut mancher Tiere ohne eigenes Zutun durch fremde Hand gespeist wird. Denn das war der F'all bei jenen im Tempel- dienste der alten Griechen tätigen Individuen, die den Namen Parasiten führten. Dabei muß auf ') Wollte man aus dem Worte „Brutparasit", ohne von dem damit verbundenen Begriffe etwas zu wissen, auf den letzteren schließen, so könnte man wohl im Zweifel sein, ob damit ein Parasit bei der Brut eines Tieres gemeint sei oder aber ein im Jugendzuslande parasitisch lebender Organismus. Nach .Analogie mit, .Darmparasit", worunter man einen im Darme seines Wirtes lebenden Schmarotzer versteht, könnte man „Brutparasit" nur in erslerem Sinne verstehen, und damit ist man auch im Rechte; daß aber tatsächlich auch die andere Auffassung nicht nur möglich, sondern auch vertreten ist, be- weist die in Ziegler 's „Zoologischen Wörterbuch" gegebene Erklärung (unter „Parasiten", S. 481): „Solche Tiere, bei welchen nur die Brut parasitisch lebt, werden zuweilen Brut- parasiten genannt." Dann wären Brutparasiten dasselbe wie die in dem gleichen Artikel als „Xenositen" bezeichneten Schmarotzer, die nur im Jugendzustande parasitisch leben und denen die als geschlechtsreife Tiere schmarotzenden „Nosto- siten" gegenüberstehen. Wo diese Ausdrücke übrigens zum ersten Male gebraucht sind, ist mir zu ermitteln leider nicht gelungen; ebensowenig aber die Etymologie derselben zu verstehen, bzw. sie sprachlich und begrifflich für richtig zu halten. Wenn man für die nur im jugendlichen Alter para- sitisch lebenden Tiere einen Terminus technicus schaffen will, der einigermaßen das ausdrückt, was er besagen soll, so wähle man Pädoparasit und stelle ihm den T ele oparasi ten gegenüber. Der Fachmann wenigstens wird wissen, daß in beiden Fällen die zweite Hälfte des Wortes als Subjekt, die erste als dessen Prädikat anzusehen ist. Doflein (,, Das Tier als Glied des Naturganzen", Leipzig u. Berlin, B. G. Teubner, 1914, S. 671) definiert Brutparasilismus dahin, daß eine Arbeit im Interesse der Versorgung der Nachkommenschaft, die von anderen geleistet worden ist, von gewissen Bienen unrecht- mäßigerweise für ihre eigenen Nachkommen zunutze gemacht wird. Und in ähnlicher Weise heißt es in dem von M. Luhe verfaßten Artikel ,, Parasitismus" (im „Handwörterbuch der Naturwissenschaften" Bd. VII, S. 517): ,,Von Brutparasitismus sprechen wir, wenn ein Tier die Brutpflege, welche ein anderes übt, zuungunsten von dessen Nachkommenschaft für seine eigenen Zwecke ausnützt. Die Brutparasiten schlagen im Gegensatz zu den echten Parasiten ihre Wohnung nicht auf oder gar in den Körpern ihrer Opfer auf, sondern in deren Nestern." . Taschenberg. den Ausdruck „fremde Hand" besonderer Nach- druck gelegt werden, um einen Unterschied zu dem in der Zoologie üblichen Begriff der Brut- pflege hervorzuheben, bei der es sich um die Aufzucht der Brut durch gewisse, im einzelnen sehr verschiedene Maßnahmen der Eltern, zum mindesten des Muttertieres handelt. In diesem ursprünglichen Sinne gebraucht man nun aber, wie wir wissen, den Ausdruck Para- sitismus ^) in unseren biologischen Wissenschaften nicht, sondern in jenem übertragenen Sinne, daß die unter diesen Begriff fallenden Individuen sich von integrierenden Körperbestandteilen anderer lebender Organismen ernähren. Und von solchen Gesichtspunkten aus würde die Bezeichnung „Brut- parasitismus" auf die eigenartigen Lebens- und Ernährungsverhältnisse der darunter zusammen- gefaßten Tiere nicht passen, wenigstens in den meisten Fällen nicht. Das bekannteste Beispiel, welches man als Brutparasilismus anzuführen pflegt, ist der Kuckuck, unser heimischer Cuculus canorus, '') dessen Eier in die Nester kleinerer ') Dem ursprünglichen Sinne des Parasitismus entspricht vielmehr das, was wir seit P. van Beneden Kommen- salismus nennen. ') Es ist bekannt, daß nicht nur unser heimischer Cuculus canorus die Gewohnheit angenommen hat, seine Eier von anderen Vogelarten ausbrüten zu lassen, daß er aber darin nicht nur nicht der einzige Vertreter der an 200 Arten um- fassenden Familie der Cuculidae ist — die Mehrzahl der Unterfamilien der Cuculinae (Baumkuckucke) und Coccyslinae (Häherkuckucke), erstcre in ca. 60, letztere in 50 Arten be- kannt , machen es ebenso — , sondern daß auch unter den Singvögeln einige Arten sich ihnen anschließen, nämlich die zu den Stärlingen (Icteridae) gehörigen amerikanischen Kuh- stare (Molothrus) und die ebendahin gehörige Cassidia oryzivova, sowie die, in ihrer Fortpflanzungsweise aber noch nicht sicher beobachteten Honiganzeiger (Indicatoridac), Klcttervögel, die in etwa 20 Arten im tropischen Asien, haupt- sächlich jedoch in Afrika heimisch sind. Man ist geneigt, die Ursache dieser „Irrung" in der Brutpflege den polyandrischen Gepflogenheiten jener Vögel zuschreiben zu müssen. — Mit welchem Rechte Escherich (in seiner trefi'lichen Schrift über die Termiten, Leipzig, Klinkhardt, 1909, S. 151) die beiden südamerikanischen Eidechsen (Gonatodes humeralis und Tupinambis nigropunctatus), die ihre Eier in Termitenbauten ablegen, darum ebenso zu den Brutparasiten rechnen und „an die Seite des Schmarotzertums des Kuckucks stellen" kann, ist mir nicht recht verständlich; denn diese Reptilien wählen wohl statt eines beliebigen Erdloches oder sonstigen Versteckes den Schutz von Termitennestern und treiben in dieser Hinsicht eine unendlich häufig zu beobachtende Form der Brutpflege; aber die rechtmäßigen Bewohner dieser Nester haben doch nicht den geringsten Einfluß auf die Entwicklung der fremden Eier, während die des Kuckucks ohne die Bebrütung der Pflegevögel zugrunde gehen würden. Die Eidechsen würden, wenn man die für das Verhältnis von anderen Tieren zu den in Staaten lebenden Insekten gebräuchlichen Bezeichnungen wählen wollte, zu den geduldeten Mitbewohnern (Paröken) gehören, der Kuckuck dagegen zu den Symphilen. 354 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 26 Vögel gelegt und dessen Junge von den recht- mäßigen Eigentümern jener Nester großgefüttert werden. Diese befremdende Ernährungsweise kann wohl als Kommensalismus, als Tischgenossenschaft, allerdings in stark erweiterter Form dieses Be- griffes, niemals aber als Parasitismus in Anspruch genommen werden; denn daß die rechtmäßige Nachkommenschaft der Pflegeeltern bei diesem Hilfsdienste zugrunde geht, involviert an sich allein nicht das Wesen des Parasitismus. Dazu gehörte, daß der junge Kuckuck sich vom Fleisch und Blute fremder junger Vögel ernährte. Und ganz ebenso verhält es sich mit den Fällen, die in Analogie mit dem vorigen zum Namen -„Kuckucksbienen" Veranlassung gegeben haben für gewisse, verhältnismäßig zahlreiche Bienen, deren Eier ebenfalls den Nestern anderer Bienenarten anvertraut werden und normalerweise zu Imagines werden unter gleichzeitiger Ver- nichtung der berechtigten Nestbrut. Hier kommt noch der besondere Umstand hinzu, daß das Ei oder auch erst die daraus ausgeschlüpfte Larve der nestbauenden Biene von dem Sprößling des „Kuckuckseies" einfach aufgefressen wird, wobei sich letzteres also auch nicht als Parasit, sondern als Raubtier entpuppt. Wenn man aber sich gewöhnt hat, solche Entwicklungs- und Ernährungsverhältnisse sub specie eines Parasitismus und unter dem Sonder- namen des „Brutparasitismus" zu kennzeichnen, so beweist das nur, wie fest sich in den Ideenkreis selbst des Fachmanns eine Verflachung des Be- griffes „Parasitismus" eingeschlichen und festgesetzt hat; wie man sich gleichsam damit vertraut ge- macht hat, überall da ein Schmarotzertum zu suchen und zu finden, wo — um eine bekannte Ausdrucksweise aus dem menschlichen Leben an- zuwenden — jemand „vor fremden Türen kehrt", d. h. in diesem Falle sich um andere Tiere be- kümmert, die ihn eigentlich gar nichts angehen, während er in Wirklichkeit sich soweit mit ihnen einläßt, daß man nicht mehr weiß, was Mein und Dein ist. Freilich liegen in Wirklichkeit, wie das bereits in unseren früheren Auseinandersetzungen hervor- gehoben wurde, bei den tausendfältigen Beziehun- gen der Lebewesen untereinander die Verhältnisse oft so verworren und verschlungen vor unseren leiblichen Augen und geistigen Einblicken, daß es vielfach nicht möglich ist, nahverwandte Vor- gänge scharf gegenemander abzugrenzen. Wenn es infolgedessen auch vielmehr darauf ankommt, das Tatsächliche des Sichabspielens der Lebens- erscheinungen festzustellen, als unserem Bedürf- nisse, in die Vielheit durch Aufstellung von Kate- gorien eine gewisse Ordnung zu bringen, Rech- nung zu tragen, so darf man doch andererseits nicht außer acht lassen, daß bei den Versuchen, eben jenem Bedürfnisse nach Einteilungen ent- gegenzukommen, mit bloßen Worten nichts ge- wonnen ist, wenn ihnen nicht gleichzeitig der richtige Inhalt verliehen wird. Von diesen Gesichtspunkten aus dürfte es nicht uninteressant sein, das Thema des sog. „Brutparasitismus" etwas eingehender zu behandeln. Da soll denn zuerst darauf hingewiesen werden, daß keineswegs alle Fachleute einstimmig in der Auffassung sind, man habe es hier in der Tat mit einer besonderen Form von Parasitismus zu tun. K. Kraepelin in seinem inhaltsreichen Büchelchen über „die Beziehungen der Tiere und Pflanzen zueinander" ^) betrachtet die Lebensweise des jungen Kuckucks als Beispiel für die Synökie bei einzeln lebenden Landtieren, das zugleich zum Kommensalismus gehört, und fügt ihm die in Nestern der Schwalben und anderer Vögel hausenden Milben, Bücherskorpione, Käfer, Mottenraupen usw. an, „die hier im Detritus ihre Nahrung finden". Alsdann behandelt er die häufige Ausnutzung von Kolonialbauten, namentlich der Insektenstaaten (besonders der Ameisen- und Termitenwohnungen) durch zahlreiche Synöken aus den Formenkreisen der Spinnentiere und Insekten (hauptsächlich der Käfer), die teils als indifferent geduldet, teils als Räuber („Synechtren") verfolgt werden, während noch andere als wirkliche Mutualibten anzusehen sind („Symphilen") und darum nicht mehr zu den Synöken zählen. Wohl aber wird an dieser Stelle, also unter der Überschrift der Synöken vorläufig erwähnt „die große Zahl derjenigen Insekten, die ihre Eier an die zum Zwecke der Brutpflege von anderen Kerbtieren zusammengebrachten Vorräte legen (Schmarotzerhummeln , Kuckuckbbienen, Bienenameisen, Goldwespen, Trauerschweber, Man- tispaarten); doch handelt es sich in allen diesen Fällen, im Hinblick auf die mit dieser Synökie einhergehenden Vernichtung der jungen Brut der Wirte, um Verhältnisse, die auch noch unter einem anderen, später zu erörternden Gesichtspunkte betrachtet werden müssen. Ein- facher liegt die Sache bei den sog. Einmietern (Inquilinen) unter den Gallwespen, welche die be- reits von anderen Arten hervorgerufene Galle zur Eiablage benutzen und dabei trotz kräftigen „Mit- essens" doch wohl nur in seltenen Fällen die Ent- wickhmg des rechtmäßigen Besitzers beeinträch- tigen; sie sind echte Synöken." Die hier wörtlich herangezogenen Sätze Kraepelin's umfassen im wesentlichen jene eigenartigen Lebenserscheinungen, die man viel- fach unter dem Namen des „Brutparasitis- mus" zusammengefaßt hat. Unser F"orscher ge- braucht diesen Namen selbst nicht dafür; er kommt aber auf diese Fälle noch einmal zurück in dem Kapitel, das die Überschrift „Parasitis- m u s" trägt. Ehe wir selbst auf die weiteren Darstellungen Kraepelin's eingehen, dürfte es angemessen sein, noch ein wenig bei dem vorher Zitierten zu verweilen und auf das besonders hin- zuweisen, worin die Eigenartigkeit der im Zu- ') Zweite, verbesserte Auflage in 2 Bändchen. Leipzig u. Berlin 1913, B. G. Teubner. („Aus Natur und Geisteswelt" 426. u. 427. Bändchen) I, S. 84. N. F. XVI. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 355 sammenhange mit der Synökie erwähnten, „aber auch noch unter einem anderen Gesichtspunkte" betrachtbaren F"älle erkannt wird, nämlich „die Vernichtung derjungen Brut der Wirt e". Ich muß da an meine Erörterungen in dem früheren Aufsatze anknüpfen und in Erinnerung bringen, daß wir das eigentlich Ausschlaggebende beim Begriffe des Parasitismus nicht sowohl in dem Zugrundegehen des Wirtes, als vielmehr in seiner allmählichen Ausnutzung seitens des Parasiten er- kannt haben, der damit in eine Art von Gegen- satz zum typischen Raubtiere tritt. Wir haben auch betonen müssen, daß in gewissen Fällen die Abtötung eines Organismus durch einen anderen nicht unter den Begriff des Parasitismus gehört,, nämlich dann nicht, wenn die Vernichtung nicht auf die Nahrungsentziehung, sondern auf mecha- nische Ursachen zurückzuführen ist; daß ferner der Grad der Schädigung infolge von Para- sitismus nicht bestimmend sein kann für die mit diesem Namen belegte Ernährungsweise, die unter Umständen so wenig eingreifend auf das Wohl- befinden des Wirtes ist, daß dieser „gesund wie ein Fisch im Wasser" erscheint. Von einem solchen Standpunkte aus müssen wir uns tragen : ist es berechtigt, in den in Be- tracht kommenden Phallen überhaupt eine P'orm von Parasitismus zu erkeimen ? Ich meine, diese Frage in verneinendem Sinne beantworten zu müssen : einmal weil die Vernichtung des be- rechtigten Nestbewohners keine conditio sine qua non für den Begriff des Parasitismus ist und zweitens, weil in unseren Phallen diese Vernichtung die P'olge eines ganz unzweifelhaften Raubanfalls ist: die Eier, bzw. die ihnen bereits entschlüpften Larven der Brutpflege übenden Bienen werden von der eingeschmuggelten Nachkommenschaft der sog. „Brutparasiten" einfach aufgefressen! Der damit herrenlos gewordene Nahrungsvorrat teilt alsdann das gleiche Geschick, so daß man in Wirklichkeit eine „Tischgenossenschafi" ohne Wirt und einen räuberischen Gast vor sich hat. Und hier knüpfen wir wieder an die Aus- führungen Krae peli n 's an, die im wesentlichen zu dem gleichen Schlüsse gelangen. „Eine ganze Reihe schwer unterzubringender P'älle liefert end- lich das bei der Brut pfl ege auftretende Schma- rotzertum, dessen bereits . . . Erwähnung getan wurde." Und nun führt er „als klassisches Bei- spiel für die hier zutage tretenden Schwierigkeiten" den Lebenslauf der Meloelarven an, die im Fiüh- ling den in ein Erdgrübchen gelegten Eiern ent- schlüpfen, die ersten Blüten des jungen Jahres mit ihren drei schnellaufenden Beinpaaren erklettern („Triangulinus" wurden sie genannt, als man sie noch für selbständige Arten hielt), sich, sobald die Gelegenheit es gestattet, mit ihnen an den haarigen Körper der ebendahin zur Nahrungssuche kommenden Honigbienen anklammern und so in deren Nester gelangen. Hier erfolgt das, was vorhin für die Kuckucksbienen gesagt wurde: sie verzehren das Bienenei, machen eine Häutung durch und damit die Verwandlung in eine zum Honigaufzehren organisierten Larvenform, die unter Einschaltung noch weiterer Metamorphosen schließ- lich zum Imagostadium gelangt. „Man pflegt — so fährt Krae peli n fort — diese eigentümlichen Gewohnheiten der Maiwürmer einfach als Para- sitismus zu bezeichnen, obgleich es sich, streng- genommen, bei der Benutzung der Arbeitsbiene als Transportmittel um Synökie (Epokie), bei dem Aufzehren des Bieneneis um die völlige Vernich- tung, um ein Auffressen des schwächeren Tieres seitens der Maiwurmlarve handelt, die demgemäß nunmehr als Raubtier anzusprechen wäre, während sie in der späteren Phase des Honigfressens zum einfachen Kommensalen wird." Da sich die meisten anderen Beispiele, die von manchen Zoologen unter dem Begriffe des „Brutparasitismus" zusammengefaßt werden, im wesentlichen ebenso verhalten, wie die Meloidae, so würde der von Kraepelin in obiger Darlegung vertretene Standpunkt mit der Verneinung der oben aufgeworfenen Frage zusammentreffen. Er sucht indessen diesen verwickelten Verhältnissen gegenüber noch einen anderen Ausweg zu finden, indem er neben dem gewöhnlichen Individual- parasitismus, der nur das einzelne Wirtstier be- trifft, noch einen Kommunalparasitismus zu unterscheiden vorschlägt, der dadurch charak- terisiert wäre, daß der Schmarotzer in irgend- einem als Ganzes gedachten sozialen Gemein- wesen durch Vernichtung von Teilmdividuen ge- rade so schädigend wirkt, ohne das Ganze zu zerstören, wie dies beim gewöhnlichen Parasitis- mus durch Inanspruchnahme von Teilen des Wirtstieres der Fall ist." Wir finden auch hier wieder, wie bereits vorher hervorgehoben ist, den schädigenden Einfluß in den Vordergrund gestellt, der als Be- gleiterscheinung des Parasitismus gewiß nicht zu leugnen ist, aber doch nicht ausschlaggebend sein kann, wenn das Typische dieser Ernährungsweise nicht zur Geltung kommt. Daß es aber tatsäch- lich auch solche Fälle von „Brutparasitismus" gibt, wo nicht bloß der Raubtiercharakter, sondern wirklich die für den Parasitismus maßgebende Nahrungsaufnahme anerkannt werden muß, wird Gegenstand späterer Betrachtungen sein. Vor- läufig möchte ich die Meinung aussprechen, daß der „Brutparasitismus" nicht sowohl unter dem Gesichtspunkte des Parasitismus, als vielmehr unter dem der Brutpflege aufgefaßt werden muß, um ihm die richtige Stellung in unserem biologi- schen Systeme anzuweisen. Wenn Parasitismus und Brutpflege auf den ersten Blick, und namentlich bezüglich ihrer Wir- kung bzw. ihrer Ziele ziemlich heterogene, bei- nahe gegensätzliche Vorgänge der tierischen Lebensbetätigung zu sein scheinen, so wird man doch bei näherer Erwägung gewisse gemeinsame Grundzüge beider nicht verkennen können. Denn um Fragen der Ernährung handelt es sich hier, wie dort: beim Parasitismus um die Existenz jedes 356 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 26 Individuums, das sich im Kampfe ums Dasein seinen Platz erringen muß, sei es eine Jugendform oder ein erwachsenes, fortpflanzungsfähiges Wesen; bei der Brutpflege um die Fürsorge für die Nach- kommenschaft, d. h. für das Fortbestehen der Art, die gefährdet sein würde, wenn der jungen Brut nicht von vornherein die Wege zur Ernährung möglichst geebnet wären. In beiden Fällen sind es besondere, aber keineswegs voneinander unab- hängige Organe, die im Dienste des Gesamt- organismus in Funktion treten müssen, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Der „Hunger" ist der Ausdruck für die Notwendigkeit der Nahrungs- aufnahme; der Besitz von Geschlechtsorganen der Trieb zur Fortpflanzung. Wir müssen uns gegenwärtig halten, daß jedes Organ, sofern es normal ausgebildet ist, in sich gleichzeitig die Notwendigkeit des Funktionierens trägt, daß beide Faktoren in derselben Weise untrennbar mitein- ander verbunden sind, wie die Energie mit der lebenden Substanz, daß sie nur der Ausdruck für das sind, was man gewöhnlich als Kraft und Stoff bezeichnet, die Grundlage als Seienden. Der innere Zwang, d. h. die von der chemischen Be- schaffenheit der Grundlage als Ursache ausgehende gesetzmäßige Wirkung der Kraftäußerung ist in jedem Organe so gewaltig rege, daß die Funktion sich nicht zurückdrängen läßt, daß sie nicht selten in einer bis zur Brutalität gesteigerten Form zum Ausdruck gelangt. Was von dem höchst organisierten Wesen gesagt ist, gilt bis zu einem gewissen Grade für alle Lebewesen: „Solange bis den Lauf der Welt Philosophie zusammenhält, erhält sich ihr Getriebe durch Hunger und durch Liebe". Hunger und Liebe, die nichts anderes bedeuten als die Verkörperung der F'unktionen von Ver- dauungs- und Geschlechtsorganen, sind die allge- waltigen Faktoren, durch die das Leben in der Natur aufrecht erhalten wird und durch die gleich- zeitig der ewige Wechsel zwischen Entstehen und Vergehen, zwischen Leben und Tod bedingt wird. Der Kampf ums Dasein ist die notwendige Folge der allen Lebewesen innewohnenden Bedürfnisse, in erster Linie sich zu ernähren und in zweiter dafür Sorge zu tragen, daß die durch die unver- meidliche Vernichtung ihrer Individualität ent- stehende Lücke im harmonischen Getriebe des Alls wieder ausgefüllt werde. Das gleiche Be- dürfnis aller bei einer gewissen Beschränkung in der Möglichkeit der Befriedigung muß notwendig zu einem Kampfe um die Existenzbedingungen führen, und dieser Kampf ist wiederum die Trieb- feder für die unendliche Mannigfaltigkeit in der Ausgestaltung der Lebensweise, d. h. der Lebens- betätigung jedes Einzelwesens. Wie der Ernäh- rungstrieb zur Erschließung aller nur denkbaren Nahrungsquellen, aller nur durchführbaren An- passungen an die inneren und äußeren Lebens- bedingungen geführt hat, so sind durch den Fort- pflanzungstrieb u. a. auch die nicht minder mannigfaltigen Einrichtungen und Vorgänge der Brutpflege ins Dasein gerufen, wenn sie auch als der Ausdruck einer gewissen Organisationshöhe erscheinen und darum nicht in solcher Allgemein- heit auftreten, wie das jeder Zelle inhärente Be- dürfnis der Nahrungsaufnahme. Von solchen Ge- sichtspunkten aus kann man behaupten, daß Para- sitismus, der dem Bedürfnis der Selbsterhaltung entsprungen ist, und Brutpflege, die auf Fort- bestehen der Art abzielt, bis zu einem gewissen Grade etwas Gemeinsames aufweisen, und eben darum auch in den einzelnen Stufen ihrer Aus- bildung nicht ohne mancherlei Berührungspunkte bleiben konnten. Wie der Ernährungstrieb er- finderisch macht und Erscheinungen zeitigt, die in der menschlichen Sprache als ehrlicher Erwerb, saurer Verdienst, unlauterer Wettbewerb, Eigen- tumsverletzung, Entwendung, Diebstahl, Raub, Vergewaltigung, Verdrängung, Usurpation und wie sonst noch bezeichnet werden, Dinge, in denen es die „Krone der Schöpfung" selbstverständlich noch viel weiter gebracht hat als alle anderen Bestien, so muß auch der Trieb, für die Nach- kommenschaft zu sorgen, vielfach einer Konkur- renz begegnen, da bei gleichen oder ähnlichen Bestrebungen nach Schutz eine freie Wahl ge- waltig eingeschränkt wird, und der Stärkere den Schwächeren zu verdrängen sucht. Es wird auch auf diesem Gebiete ein Kampf angefacht, der in seinem Gefolge alle möglichen, vom Rechtsstand- punkte des Menschen aus oft sehr fragwürdigen Mittel zur Erreichung des Zieles hat und auch zu mannigfachen Vergleichungen zwischen dem Menschen und anderen Tieren herausfordert. Oder wäre es bei ersterem etwa unerhört, daß den rechtmäßigen Eltern ihr Kind geraubt und ein anderes dafür untergeschoben, daß ihnen wider Willen zu den eigenen Nachkommen noch ein fremdes Kind heimlich ins Haus gebracht wird oder andererseits, daß eine junge Mutter genötigt oder dazu geneigt ist, unter Vernach- lässigung ihres Säuglings die Brutpflege bei anderen Kindern zu übernehmen? Wird es nicht als Fortschritt der Kultur gepriesen, daß man einzelnen Hausvögeln ihre Eier wegnimmt, ge- wissen Haustieren ihre Jungen entzieht, um die zu deren Ernährung produzierte Milch in seinem Interesse zu benutzen? Wie können wir uns wundern, wenn wir schon bei verhältnismäßig niedrig organisierten Tieren ein Verfahren der Brutpflege finden, das wir von unserem Stand- punkte aus für äußerst erfinderisch, für raffiniert, für bewundernswert erklären müssen und daß andererseits bei Geschöpfen, von denen die sog. „moralischen" Grundsätze nicht erwartet werden können, doch im hohen Grade von dem Zeugnis ablegt, was wir bei unserer eigenen Art unter dem Gesichtspunkte der höchsten weiblichen Tugend zu schätzen und zu rühmen wissen. Und in der Tat: nur der in seiner „Gottähnlichkeil" zum Hochmut Herangebildete kann in Abrede stellen, daß auch auf diesem Gebiete der Mensch nur eine höhere Stufe von Beanlagungen N. F. XVI. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 357 zu erreichen vermag, deren Anfänge bis weit hinab in die Reihen der unter ihm stehenden Tiere verfolgt werden können; daß auch beim Menschen die höchste Form der aufopferndsten Mutterliebe als nichts anderes aufgefaßt werden kann, als die durch hohe psychische Beanlagung unterstützte, geregelte und veredelte Funktion der Organe, ohne welche die Menschheit nicht über Adam und Eva hinaus zur Entwicklung gelangt wäre I Es kann nicht unsere Absicht sein, hier den unendlich zahlreichen und mannigfaltigen F"ormen der im Tierreiche verbreiteten Brutpflege näher- zutreten. Es sollte nur darauf hingewiesen werden, daß die mit der sexuellen Sphäre zusammen- hängenden Instinkte der Tiere eine in ähnlicher Weise sich geltend machende Macht repräsentieren wie das Ernährungsbedürfnis und daß infolge- dessen auf beiden Gebieten auch analoge Mittel zur Anwendung kommen, um das instinktive Be- dürfnis zu befriedigen. Wir lernten in einem früheren Artikel kennen, wie Raubtier und Parasit keine Gegensätze, sondern nur der Ausdruck einander eng berührender Ernährungsweisen sind; daß das Zu.sammenleben verschiedener Tierarten von mehr oder weniger zufälligen und für beide Teile indifferenten Anfängen sich zu sehr eigen- artigen Verhältnissen herausbilden kann, die so- wohl freundschafdichcn wie feindlichen und damit schädlichen Charakter annehmen, wodurch auch hier die Grenzen zwischen Tischgenossenschaft, Mutualismus und Parasitismus verwischt werden. Und zu ganz ähnlichen Resultaten kann auch die Brutpflege führen, bei deren ursprünglicher und einfachster Form die in ihrem Dienste stehenden Individuen — sit venia verbo — nur an den Schutz ihrer Eier und Jungen „dachten", ohne die Absicht zu haben, dabei andere benachteiligen zu wollen. Der instinktive Trieb auf der einen, die Schwie- rigkeiten, ihm gerecht werden zu können, auf der anderen Seite schufen Rücksichtslosigkeiten und Gewalttätigkeiten, wie sie nicht ausbleiben, wo „Macht vor Recht geht" und man von beati pos- sidentes spricht. Wenn der Kommensalismus ebenso zum Parasitismus sich steigern wie das Räuberhandwerk sich dazu abschwächen kann, so vermag auch bei der Brutpflege die harmlose Synökie nach der einen und der anderen Rich- tung auszuarten und das, was im Bedürfnisse der Fürsorge für die Nachkommenschaft der einen Art unternommen wird, die Vernichtung einer anderen nachsichzuziehen. Die Form, unter welcher eine solche Schädigung zustande kommt, bleibt maßgebend für unsere Klassifizierung und deren Benennung, die ihren Zweck verfehlt, wenn sie sich nicht deckt mit einem bestimmten Be- griffe. Und damit sind wir wieder an dem Punkte unserer negativen Stellung dem Ausdrucke „Brut- parasitismus" gegenüber angelangt, soweit es sich um die bisher berücksichtigten Fälle der so bezeichneten Brutpflege handelt. Viel älter als der Ausdruck „Brutparasitis- mus" ist der entsprechende für die betreffenden Formenkreise von Hymenopteren, die von diesem Gesichtspunkte aus beurteilt werden, nämlich Schmarotzerbienen, Schmarotzer bum- meln. Sie sind meines Wissens bisher unbean- standet beibehalten aus einer Zeit, wo man den Begriff des Schmarotzertums viel allgemeiner faßte als heutzutage, wo man weder von Kommensalis- mus noch von Synökie sprach, sondern eben überall, wo man zwei verschiedene Arten in engerer Lebensbeziehung antraf, nur „Parasiten" erblickte. . Mit dem Begriffe des Parasitismus hat es in unserer Wissenschaft eine eigenartige Bewandtnis. Er ist, wie in unserem ersten Artikel darüber hervorgehoben wurde, so alt wie das klassische Altertum und bezog sich ursprünglich, ohne jede Nebenbedeutung, auf eine Priesterkaste bzw. auf gewisse im Dienst der Tempel stehende Indivi- duen, die auf öffentliche Kosten gespeist wurden; und wenn schon aus jener Zeit das Wort als Attribut zu Fisch gebraucht ist (Ix&ig naocioiTog), so geschieht es lediglich in dem Sinne von etwas Gesottenem als Zukost zum Brote (gleich oipov). Als es dann später mit dem Beigeschmack der Geringschätzung, ja der Verspottung auf gewisse Menschen Anwendung fand, die sich jene Vor- rechte der Tempeldiener zu verschaffen suchten, ohne dafür eine entsprechende Leistung im Inter- esse der Gölterverehrung zu tun, da erstreckte sich die Bezeichnung ebenfalls nur auf den Men- schen im Sinne von Possenreißern, Schmeichlern, Gaunern, für die man außerdem die Ausdrücke ßioiio'Kö%oq und TA6ßu'Ko^raus mit seiner verliältnismäflig einfachen Protoplasmadifferenzierung ebenso „Leben" beimißt wie uns selbst. Und wer könnte sich anheischig machen zu sagen, was bei der ,, Krone der Schöpfung" „Liebe" sei, sofern man über die sehr prosaische, aber unbestreitbar richtige Auffassung hinausgehen will, daß diese „Seclenempfindung" in das Gebiet der sexuellen Funktionen gehört. Im übrigen sind die individuellen Ansichten darüber genau so geteilt, wie über den Begriff „Gott"; „Ge- fühl ist alles; Name ist Schall und R.iuch." Und „Mutter- liebe" äußert sich auch beim menschlichen Weibe in recht verschiedener Weise, was ebenso für alle anderen ,, Tugenden" des Homo sapiens gilt, dem man seine Abstammung von niederen Tieren auf tausend Schritte ansehen kann. Kein Wunder, wenn es ,, lachende Philosophen" gibt! schiedenen Arten von Vergesellschaftungen, die sich sowohl auf Mitglieder einer Art als auch auf solche verschiedener Arten erstrecken können. Danach kann man Gemeinschaften unterscheiden, deren einigendes Band in dem ersten Falle Fragen der Ernährung (Tr oph ozönose n), im anderen Falle die der Fortpflanzung („Genozönosen") bilden. Im Zusammenhange der Ernährung haben wir es im Tierreiche einerseits mit Pflanzenfressern (Phytophagen), andererseits mit Tierfressern (Zoo- phagen) zu tun; die verschiedene Art, wie die betreffende Nahrung gewonnen wird, läßt Tier- und Pflanzenräuberei („Harpagie") vom Para- sitismus unterscheiden. Zwischenstufen zeigen sich im Kommensalismus und Mutualismus, wobei einseitige und gegenseitige Vorteile eine Rolle spielen, während mehr oder weniger indifferente Vereinigungen in der Ökie (Epi-, Syn- und Par- ökie) zutage treten. In der Kategorie der Genozö nosen kommt es stufenweise zur Bildung von Ehe, Familie, Herde und Staat, wobei neben der Zusammenfindung der Geschlechter die Sorge um die dadurch er- zielte Nachkommenschaft eine hervorragende Rolle spielt. Die dabei zur Beobachtung gelangenden Betätigungen werden unter dem Begriffe der Brutpflege (Neomelie) zusammengefaßt, die in gewissen Fällen zur Paraxenie ausarten kann. Beide Formenkreise von Vergesellschaftungen ge- hören zusammen unter den Begriff der Bio- zönosen, die in ihrer Ausdehnung örtlich be- schränkt und über die gesamte Erdoberfläche ver- breitet in die Erscheinung treten und somit eine gewaltige Vereinigung, eine alles umfassende Ge- meinschaft der gesamten Lebewelt zum Ausdruck bringen im Einklang mit den bekannten Worten Goethe's: Müsset im Naturbetrachten Immer eins wie alles .achten ; Nichts ist drinnen, nichts ist draußen ; Denn was innen, das ist außen. Freuet euch des wahren Scheins, Euch des ernsten Spieles: Kein Lebend'ges ist ein Eins, Immer ist's ein Vieles. Einzelberichte. Physiologie. Schon wiederholt (XIII. Bd. 1914, S. 188 u. ,S. 412, XIV. Bd. 191 5, S, 335) wurde darüber berichtet, welche Folgen die Überpflanzung der Keimdrüse eines jugendlichen Wirbeltieers auf" ein anderes Individuum derselben Art, aber des anderen Geschlechts auf die Ausbildung der sog. sekundären Geschlechtsmerkmale hat. Es ergab sich daraus, daß die Entwicklung der letzteren nicht von den Keimzellen bestimmt wird, sondern vom „interstitiellen" Gewebe der Keimdrüse, den Leydig'schen Zellen. Die sie enthaltende Puber- tätsdrüse bestimmt es, ob das betreffende Tier männliche oder weibliche Eigenschaften zeigt. Die früher übliche Bezeichnung „sekundäre" Ge- schlechtsmerkmale muß fallen gelassen werden, da man jetzt weiß, daß sie durch das Gewebe der Pubertätsdrüse im Organismus zeitlich ebenso fest fixiert sind, wie die „primären." Man unterscheidet das männliche und weibliche Geschlecht, je nach- dem ein Hoden vorhanden ist, welcher Samen- 374 Naturwissenschaftliche Wochenschriit. N. F. XVI. Nr. 27 Zellen hervorbringt, oder ein Eierstock, welcher Eizellen erzeugt. Durch Transplantationsversuche konnte bei zahlreichen Wirbeltieren (Ratten, Meer- schweinchen, Hühnern usw.) nachgewiesen werden, daß die „sekundären" Geschlechtsmerkmale des jeweiligen Geschlechts zur vollen Ausbildung ge- langen, sobald die Pubertätsdrüse zur Anheilung gekommen ist und ihr entsprechendes Hormon den Körpersäften zuführt, während die Geschlechts- zellen selbst verkümmern und nicht zur Ausreifung gelangen, wie es stets bei der Überpflanzung von Keimdrüsen der Fall ist. Geschieht die Trans- plantation in ein früher kastriertes Tier vom gleichen Geschlecht, ist also das Hormon dem ursprünglichen gleich, homolog, so wirkt es im gleichen Sinne wie dieses, also verstärkend; andernfalls, bei der heterologen Transplantation, wirkt es entgegengesetzt, abschwächend. Ist das Hormon des früheren Geschlechts durch die Kastration nicht völlig ausgeschaltet, so hängt es davon ab, welche der beiden Pubertätsdrüsen im Konkurrenzkampf die Oberhand behält und so das Geschlecht des betreffenden Organismus äußerlich bestimmt. Aber nicht allein physisch, d. h. morphologisch kommt der Geschlechts- charakter zum Ausdruck, sondern auch psychisch, indem das Benehmen ein dem betreffenden Ge- schlecht entsprechendes ist. Im Archiv für Ent- wickelungsmechanik der Organismen von Prof Dr. W. Roux (42. Bd. 3. Heft 1917) teilt E. Steinach die Ergebnisse der bei Meer- schweinchen vorgenommenen Transplantation der Keimdrüsen mit. Wenn die ursprüngliche Keimdrüse zurückbleibt, so geht nach der Transplantation eine heterologe Drüse völlig zugrunde; denn ihre An- heilung setzt vorherige Kastration voraus. Das Transplantat wirkt dann morphologisch und psycho- logisch auf das Individuum durch Maskulierung bzw. F"eminierung eines weiblichen bzw. männlichen Tieres. Bei feminierten Meer- schweinchen erhielten sich die transplantierten Ovarien bereits über 3^2 Jahre. Die Schwierig- keit bei Überpflanzung einer heterologen Gonade kann nicht auf einer biochemischen Differenz des Blutes beruhen, sondern auf einer antagonistischen Wirkung der Hormone der Pubertätsdrüsen. Bei Ovarimplantation hört nach einiger Zeit die starke männliche Wachstumstendenz auf und die weibliche Körperform kommt zur Ausbildung. Wenn die Überpflanzung vor Eintritt der Pubertät geschah, blieben die Versuchstiere Kastraten. Bei infantilen Kastraten kann man durch Implantation der Pubertätsdrüse des anderen Geschlechts allein die sekundären Sexualcharaktere allein zur Entwicklung bringen. Bei heterologer Transplantation erfolgt eine stärkere Ausbildung der sekundären Ge- schlechtsmerkmale als bei bloßer Kastration. Künstliche Zwitterbildung erreicht Steinach dadurch, daß die Tiere durch vollständige Kastration gewissermaßen neutralisiert wurden bevor eine gleichzeitige Transplantation der homologen und der heterologen Keimdrüse vorgenommen wurde. Die Gonaden heilten an und bestanden längere Zeit nebeneinander. Bei der Feminierung ging die Umstimmung über den jungfräulichen Zustand hinaus, so daß die sekundären Sexualcharaktere bereits im Zu- stand der Mutterschaft auftraten. Es galt dies vor allem bezüglich der Milchsekretion und bildet einen Beweis dafür, daß für ihr Auftreten keiner- lei Umstimmung der Körpersäfte, plazentaren oder fötalen Ursprungs in Frage kommt, sondern lediglich das von den Pubertät>diüsen gebildete Hormon. Normalerweise tritt die Pubertätsdrüse erst nach der Entstehung eines Corpus luteurn nach dieser Richtung hin in F"unktion. Zwei- geschlechtige Transplantation gelang nur in höchstens 20°/q, Feminierung und Maskulierung allein dagegen in So^/o- Besonders interessant war es, wenn männliche und weibliche Gonaden auf demselben Muskel nebeneinander anheihen; Elemente der weiblichen und der männlichen Pubertätsdrüse fanden sich dann durcheinander auf einem und demselben mikroskopischen Schnitt. Bei den neuen Implantationsversuchen wurden die homologen Sexusmerkmale gefördert, die heterologen aber nicht an ihrer Ausbildung ver- hindert. Dieser Abschwächung des Antagonismus ist die Entstehung von Zwittern zuzuschreiben. Bei der Sektion eines solchen war das interstitielle Gewebe sowohl im Hoden als im Ovarium ge- wuchert. Männliche und weibliche Pubertätsdrüsen waren hypertrophisch. Das Zentralnervensystem reagierte je nachdem auf den Zufluß des männ- lichen oder weiblichen Hormons in periodischen Schwankungen. Es ergäben sich nach St. Schlüsse daraus für das Sexualleben von großer Bedeutung in medi- zinischer, soziologischer und juristischer Beziehung. Homosexuelle Neigungen bei Männern und Frauen treten periodisch auf nach Angaben von Albert Moll, Krafft-Ebing und Tarnowsky; auch Magnus Hirschfeld und Iwan Bloch machen darauf aufmerksam, daß somatische Ver- änderungen mit den psychischen zusammenfallen. Die Pubertätsdrüse ist normalerweise streng spe- zifisch homolog. Der Hermaphroditismus beruht darauf, daß Teile der heterologen Pubertätsdrüse in das Gewebe der Keimdrüse eingesprengt sind und gelegentlich zur Herrschaft gelangen. Bei Zwittern, die scheinbar eingeschlechtig sind, gilt die Eingeschlechtigkeit nur für die Gonade, während die Pubertätsdrüse zwitterig ist. Eine scharfe Scheidung zwischen Hermaphroditismus verus und Pseudohermaphroditismus gibt es sonach nicht. Aus der Einsprengung von Zellen der heterologen Pubertätsdrüse, wie solche gelegentlich beobachtet wurde, erklärt sich nach St ei nach das Auftreten von Hermaphroditismus. In einer zweiten Arbeit behandelt St. die Er- scheinungen, welche eine erhöhte Wirksamkeit der Pubertätsdrüse nach stattgehabter Transplantation N. F. XVI. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 375 anzeigen. Sie erklären sich daraus, daß homologe gefördert, heterologe dagegen gehemmt werden. Es geht dies sehr klar aus dem Verhalten her- vor, welches zwei Serien des Meerschweinchens von je 4 Stück desselben Wurfs zeigten. Am auffallendsten war der Gegensatz zwischen beiden Geschlechtern in Skelettentwicklung, vor allem im Bau des Schädels, in der mächtig ent- wickelten Muskulatur und in der rauheren Be- haarung bei dem maskulierten Weibchen , aus- gesprochen. Daß es darin den normalen Bruder übertraf, war nicht auf eine zufällig zartere Kon- stitution des letzteren zurückzuführen ; kein anderes männliches Tier nämlich aus den übrigen Zuchten kam darin dem maskulierten Weibchen gleich. Wenn die Pubertätsdrüse aber nur teilweise an- heilte oder von Bindegewebe reichlich durch- wachsen wird, ihre Drüsenzellen also sich weniger reich entwickelten, erreichen die Sexualcharaktere jene Entwicklungshöhe nicht, sondern sie kommen höchstens wie beim normalen Bruder zur Aus- bildung. Dasselbe gilt mutatis mutandis für die Feminierungsserie, indem sich hier das feminierte Männchen durch seinen grazileren Körperbau auszeichnet. Die psychische Umstimmung fand ihren Ausdruck in der Erotisierung des masku- lierten Weibchens und in dem Bestreben des feminierten Männchens Junge zu säugen. In beiden F'ällen beruhte die Erhöhung der entsprechenden Triebe auf einer Vergrößerung der mächtig ge- wucherten Fubertätsdrüse über das normale Maß hinaus. Sie konnte auch deshalb eine erhöhte Wirksamkeit entfalten, weil die heterologe anta- gonistische Pubertätsdrüse in Wegfall gekommen war. Ganz entsprechende Resultate hatten Ver- suche, bei welchen durch Röntgenbestrahlung der Geschlechtsdrüsen die generativen Elemente vernichtet worden waren, während die Fubertäts- drüse, wenigstens im Anfang sich vergrößerte und eine entsprechend gesteigerte Wirksamkeit zeigte. Die Hypermaskulierung des maskulierten Weibchens erreichte in der Ausbildung des Ske- letts und der Muskulatur eine Höhe, welche selbst weder der kastrierte noch der normale Bruder zeigten. Das feminierte Männchen blieb in der Körpergröße hinter der kastrierten jungfräulichen und der normalen Schwester zurück; die Hypcr- feminierung fand auch darin ihren Ausdruck, daß unter Überspringen des jungfräulichen Stadiums sofort die Mutterschaftscharaktere, starke Ent- wicklung der Milchdrüsen und Wucherung des Uterusepithels, auftraten. Es wurde dies dadurch bewirkt, daß die von der vergrößerten weiblichen Pubertätsdrüse gelieferten Hormone noch vermehrt wurden durch jene, welche vom Zerfall der Follikel des Eierstocks herrührten und welche normalerweise der Bildung des Corpus luteum nach stattgehabter Ovulation ihre Entstehung verdanken. Kathariner. Das Mundhöhlendach der Amphibien ist von einem Flimmerepithel bedeckt. Die Richtung der Flimmerbewegung ist kaudalwärts, also nach dem Schlund hin gerichtet. Es war nun interessant zu erfahren, wie sie sich verhalten würde an einem Hautlappen, welcher losgetrennt und nach einer Drehung von 180" wieder zum Anheilen gebracht worden war. In Versuchen, die Th. v. Brücke (Pflüger's Archiv Bd. 166, I. u. 2. Heft 19 16) am Wasser- frosch anstellte, ging meist das Flimmerepithel des wieder zur Anheilung gebrachten Lappens zugrunde und wurde von solchem ersetzt, welches von den Wundrändern her vorwucherte. Eine Umstimmung der Flimmerrichtung hatte also nicht stattgefunden, ebensowenig trat sie in den Ausnahmefällen ein, wo das reimplantierte Flimmer- epithel erhalten blieb. Es flimmerte also jetzt oralwärts und behielt diese Richtung während der ganzen Beobachtungs- zeit (bis zu 49 Tagen) unverändert bei. In zwei Fällen schien ein Konkurrenzkampf aufgetreten zu sein, in welchem das ursprünglich kaudalwärts, jetzt aber oralwärts flimmernde Hautstück die Oberhand gewann. Aus den Versuchen von Th. v. Brücke scheint hervorzugehen, daß die polarisierte Richtung des Flimmerstroms auf einer morphologischen Ver- schiedenheit der F'limmern beruht. Kathariner. „Hypnose" bei Fischen. Die Fische sind besonders leicht in hypnotischen Zustand zu ver- setzen. Über derartige Versuche von A. Kreidl, Professor der Physiologie in Wien, wurde schon früher (Nr. 47, 1916 d. Bl. S. 675) berichtet. In einer neuen Mitteilung bestätigt Eduard Babak (Pflüger's Archiv Bd. i6o 3. u. 4. Heft 19 16) die Beobachtungen von Kreidl vollauf. Von den freilebenden Süßwasserfischen findet auch er die Bachforelle für hypnotische Versuche besonders geeignet. Von ausländischen Arten nennt B. besonders die südamerikanischen Panzerwelse (Callychthys callychthys) und Docardion. Auch der indische Kletterfisch (Anabas scandens) gerät außerordentlich leicht, häufig ohne sichtbaren Anlaß, in hypnotische Starre. Die Flossen des bewegungslosen Tieres sind gespreizt und der Kiemendeckel gehoben, so daß man die Hilfsorgane fürdie Luftatmung sieht; das Rollender großen Augen und nur leichte Bewegungen des Kiemendeckels zeigen an, daß der Fisch noch lebt. Auf Belichtung und Beschattung zeigt er keinerlei Reaktion und läßt sich nur durch derbe Erschütterung erwecken. Viele Arten der jetzt in den Aquarien gehaltenen tropischen Süßwasserfische (Zahnkärpflinge, Eleotris- Arten usw.) verfallen außerordentlich leicht in hypnotischem Schlaf, in dem sie oft lange Zeit — bis über eine Viertelstunde — in der unnatürlichsten Stellung, z. B. senkrecht mit dem Kopf nach oben oder nach unten, auf der Seite liegend usw., ausharren. So kann z. B. schon das Wechseln des Aquariumwassers den Eintritt des 3/6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 27 hypnoiden Schlafs veranlassen. Bei den zum Farbenwechsel befähigten Fischen geht mit dem Eintritt der Hypnose eine auffallende Umfärbung Hand in Hand. So wird der schwarzgebänderte westafrikanische Fisch Polycentrus schomburgkii fast momentan weißlich gelb. Den biologischen Wert der leichten Hypno- tisierbarkeit und ihre Folgen erblickt B. darin, daß die bewegungslosen tot erscheinenden Fische einem Feind entgehen, welcher nur lebende Beute erjagt. B. weist darauf hin, daß es irrig wäre, wollte man annehmen, die Hypnotisierbarkeit setze lange Reflexbahnen voraus; das Verhallen der Fische bewiese ja das Gegenteil. Zum Schluß zieht B. eine Parallele zwischen dem normalen Schlaf der Fische und ihrer Hypnose; auch in ersterem nimmt Polycentrus schomburgkii eine ganz auf- fallende abnorme Körperhaltung ein, indem er flach mit der Körperseite auf dem Grund auf- Uegt. Kathariner. Zoologie. Beiträge zur Instinktpsychologie der Ameisen. Bethe hatte alle Vorgänge im Leben der staatenbildenden Insekten als rein re- flektorisch angesehen und brachte dadurch eine gewisse schemaiisierende Art in die Deutung der zahllosen problematischen Vorgänge, die sich dort abspielen. So war auch nach ihm tler dem ein- zelnen Individuum anhaftende Geruch ausschlag- gebend für das Benehmen der verwandten oder fremden Individuen. Ebenso wie alle anderen Erfahrungen spricht aber auch dieses National- gefühl gegen Bethe's Erklärungsversuche. Hier- über berichtet G. von Natzmer in der Zeit- schrift für wissenschaftliche Insekienbiologie unter dem oben genannten Titel Folgendes: Das Nationalgefühl, d. h. das Eintreten einer freundschaftlichen Reaktion gegenüber Nestge- nossen , einer feindlichen gegenüber Individuen aus anderen Kolonien, auch wenn dieselben der gleichen Art angehören, ist bei den meisten sozialen Insekten ausgebildet. Im einzelnen aber ist es verschieden stark ausgeprägt. Besonders gut entwickelt fand es Natzmer bei Formica rufa und bei den Lasiusarten, es fehlt dagegen nach den Mitteilungen von C. Emery Plagiolepis pygmaea, Leptothorax unifasciatus, sowie nach N er eil der argentinischen Art Iridomyrmex humilis. Die einzelnen Arten weisen ganz be- stimmte Abstufungen auf, aber auch innerhalb der Art vollziehen sich die Reaktionen nicht immer in gleicher Weise. Daraus folgt, daß der Geruch durchaus nicht immer einen äquivalenten Reflex auslösen muß. Dies geht besonders aus den Versuchen hervor, wenn verschiedene Nester unter wechselnden Bedingungen vereinigt werden. Ja es scheint , als ob die Gewöhnung rein indi- viduell vor sich gehen würde. Oft wird sie auch durch die Kraft eines bestimmten Reflexes er- leichtert. So fand Natzmer, daß unbedeckte Brut sogleich abtransportiert wurde. Besonders bemerkenswert sind die Befunde bei Myrmica ruginodis, die ein stark entwickeltes Nalionalgefühl besitzt. Es wurde versucht, weibchenlosen Kolonien mit wenigen Individuen fremde Weibchen der gleichen Art zuzusetzen. In allen Fällen findet die Aufnahme nur ganz langsam und allmählich statt, und es kommt sehr darauf an, ob im Neste Brut vorhanden ist oder nicht. Im ersten Fall wurde das Weibchen zu- erst stark angegriften, dann geduldet, aber erst nach einigen Tagen angenommen. Im letzten Fall wurde das Weibchen lange Zeit als Feind behandelt. Offenbar löst das Vorhandensein von Brut in den Ameisen ein gewisses Sicherheits- gefühl aus, das darin begründet ist, daß die Arbeiter in noi maier Weise ihrer Tätigkeit der Brutpflege obliegen. Fehlt die Brut, so ist das psychische Gleichgewicht gewissermaßen gestört und die normale Reaktionsfähigkeit ins Schwanken geraten. Stellwaag. Anregungen und Antworten. Zur Verwertung von Kolbenschilf. Wie W. Schütze in der Allgemeinen Fischereizeitung 19 17, Nr. 6, mitteilt, hat sich in Berlin-Charlottenburg mit Unterstützung des Keichs- amtes des Innern eine „Deutsche Typhaverweitungs-Gesell- schaft m. b. H." gebildet, der an der Gewinnung von Kolben- schilf aus dem ganzen Deutschen Reiche im bevorstehenden Sommer, Juli bis Oktober, viel gelegen ist. Die Blätter von Typha latifolia und Typha anguslifolia liefern Fasern, aus denen Filze aller Art , die besten Bindfäden und Schnüre, unzerreißbare Gurte und Riemen, Jute für Säcke, haltbare Unterkleidung aller Art, auch Strümpfe, schliefilich Stoffe für Mäntel und sonslige Kleidung hergestellt werden können. Sie tun also teilweise den Dienst von Hanf und sind zugleich nicht im üblen Sinne ein Ersatz für Baumwolle. Ihre Ab- erntung dient somit dem Lande und steigert den Ertrag des deutschen Fischers, dem sie zusteht. Durch eine Umfrage hat das Preußische Landwirtschaftsministerium die vorhandenen Bestände an Kolbenschilf feststellen lassen, und viele Behörden wollen deren Ausbeutung unterstützen. Versuche der genannten Gesellschalt sind im Gange, auch die Spinnfähigkeit der Fasern der Teichbinse genauer zu prüfen, während andere Schilfarten, zum Beispiel Kalmus, wertlos sind. Auch in Frankreich, vor welchem wir durch unsere hochentwickelte Textilindustrie einen gewaltigen Vorsprung haben, wurde in einem Leitartikel des „Matin" vom 22. Oktober 1916 unter der Überschrift „Um unser Gold zu sparen, laßt uns die Typha kultivieren" auf das Beispiel Deutschlands hingewiesen. Die nicht spinn- fähigen weichen Fasern der Kolben, der sogenannten Bums- keulen, fanden übrigens während des Krieges Verwendung zum Stopfen von Kopfkissen für Lazarette. (GTc.) V. Franz. Inhalt! 0. Taschenberg, Etw as über den Begriff „Brutparasitismus". (Schluß.) S. 369. — Einzelberichte: E.Stein ach, Die Ergebnisse der bei Meei rschweinchen vorgenommenen Transplantation der Keimdrüsen. S. 373. T h. v. Brücke, Richtung der Flimmerbewegui ag- S. 375. Eduard Babak, „Hypnose" bei Fischen. S. 375. G. vonNatzmer, Beitrage zur Instinktpsychologie der Ai neisen. S. 376. — Anregungen und Antworten: Zur Verwertung von Kolbenschilf. S. 376. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbetc Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippen & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. >lge i6. Band; Reihe 32. Ba Sonntag, den 15. Juli 1917. Nummer 38. Zur Bewertung der geistigen Leistungen von Hund und Pferd. Von J. J. Taudin Chabot. Die menschlichen Haustiere Hund und Pferd werden neuerdings von verschiedenen Seiten, in ausgewählten Stücken, auf gewisse Fähigkeiten geprüft, die, nach den Prüfungsberichten, eine An- wendung menschlich gedachter Verständigungs- mittel durch die Prüflinge zulassen und damit deren geistige Fähigkeiten beweisen, ohne daß aber die betreffenden Mitteilungen vorab erläutern, was denn solche P'ähigkeiten besagen und wie sie sich betätigen. Diesen fehlenden Teil der Berichte zu bringen, soll hier versuchsweise unternommen werden durch eine analytische Betrachtung des Vor- gangs der geistigen Tätigkeit, sowie der Verständi- gung zwischen Menschen und Menschen und Tieren. Als geistige Tätigkeit betrachten wir, alige- mein gefaßt, die Offenbarung gewisser Vorgänge am Zentralnervensystem, die, selber bislang nicht zu beobachten, durch Veränderung am Leibe des Trägers des Nervensystems in die Erscheinung treten. Der Leib eines Lebewesens kann sich verändern hinsichtlich der äußeren Anordnung und hinsichtlich der inneren Zusammensetzung seiner Teile (Konfigurations- und Konstitutionsänderung). Alle Veränderungen der Konfiguration entspringen aus Kontraktionen oder Dilatationen, namentlich als Muskelleistungen, und zwar unbe- wußt, unterbewußt oder bewußt, wie wir, nach wachsendem Umfang der Vergegenwärtigung des Endziels der Leistung durch den Lebensträger selbst, abstufen können. Die unbewußten Muskel- leistungen, wie die zur Betätigung des Herzens, der Lungen, und die reinen oder mechanischen Re- flexe auf entsprechende Reizungen hin, vergegen- wärtigt sich das Lebewesen überhaupt nicht oder nur in beschränktestem Maße; Allgemeingut alles Lebenden, bekunden diese Leistungen keine geistigen Fähigkeiten. Als unterbewußte Muskelleistungen erscheinen die halben oder in- stinktiven Reflexe, die zwar im Augenblick ohne vorsätzliches Wollen ablaufen, die aber doch erst ermöglicht werden durch Erfahrungen, welche vom Lebensträger selbst oder von seinen erb- lassenden Vorfahren unterbewußt oder bewußt vorab gesammelt sein müssen, die also erst statt- finden können nach der erfolgten Festlegung (Fixierung) dieser Erfahrungen oder auf Grund von vorbereitender geistiger Tätigkeit. Denn Muskelleistungen, die, an sich oder im Endziel, bewußt eine vollwertige geistige Tätigkeit zum Ausdruck bringen, vermögen solches nur nach Maßgabe der Fixationen (Erfahrungen, Wissen) an gewissen Stellen des Zentralnervensystems, wie solche durch dort erzielte Einzelheiten des inneren Baues oder der Konstitution dieser Leibesteile des Lebensträgers gegeben sind. So beruht die geistige Fähigkeit auf Kon- stitutionseinzelheiten und offenbart sich die geistige Tätigkeit durch Konfigurationsreihen. Die Kon- stitutionseinzelheiten oder die stoffliche Gestaltung der Fixationen, wodurch die geistigen Fähigkeiten getragen werden, vermochten wir noch nicht zu ergründen; sie sind uns daher unbekannt und scheiden aus den weiteren Betrachtungen aus. Es bleiben die Konfigurationsreihen, die wir als Äußerungen geistiger Tätigkeit verfolgen können. Konfigurationsreihen oder Folgen von Ände- rungen der Zusammenlegung von Körperteilen durchläuft das Lebewesen ohne jemals vollständige Unterbrechung während seines ganzen Daseins; auch im Schlafe ist es nicht bewegungslos. Von allen Bewegungen beschäftigen uns hier aber nur die Äußerungen geistiger Tätigkeit, die auch Handlungen genannt werden können und beim Menschen des Näheren sich unterscheiden lassen als Äußerungen von Empfindungen und Äußerungen von Überlegungen, je nach- dem sie aus unterbewußter oder aus bewußter geistiger Tätigkeit entspringen. Sind Empfin- dungen gegeben mit den ererbten, älteren oder sonst schwerer beweglichen Fixationen, so ge- gestatten erworbene, jüngere oder sonst leichter bewegliche Fixationen uns die Überlegung. Beispiel: eine Person empfindet Abneigung oder Zuneigung für eine andere und überlegt daraufhin, wie sie dieselbe vermeiden oder auf- suchen kann: das Empfinden deutet hier auf tiefer verankerte, weniger bewegliche Fixationen, als Quelle von Ab- oder Zuneigung, wogegen das Überlegen ein Arbeiten darstellt mit den erkannten Möglichkeiten sich zu vermeiden oder zu treffen, als oberflächlichere, mehr bewegliche Fixationen. Stellen wir demgemäß eine Lehre derEmp- findungen oderÄsthologie ') und eine Lehre der Überlegungen oder Noologie -) neben- einander, so bilden diese zwei Disziplinen zu- sammen die Psychologie oder Lehre der geistigen Tätigkeit im allgemeinen. Der Gegenstand einer Handlung, ob sie nun aus Empfindung oder aus Überlegung geschieht, ist leblos oder lebendig, letztes in Sonderheit, wo die Handlung in einer Verständigung besteht; denn Verständigungen sind möglich nur zwischen Verstandbegabten, also Lebensträgern. Jede Verständigung setzt zu ihrer Ermög- lichung voraus kleinere oder größere gemeinsame Begriffsteile zwischen Verständiger und Verstän- digtem. Diese festgelegten Teile (Fixationen) ') Ästhologie, in .Anlehnung an a'iodouiu, oder alaßdm/ini, empfinden. *) Noologie, von löo:; oder rov^, zu mioi, überlegen. 378 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 28 können von Natur gegeben sein mit jenen, allen oder zahlreichen Lebewesen gemeinsamen Eigen- heiten, deren um so mehrere zu beobachten sind, je näher sich die Arten oder Einzelwesen stehen, oder sie können, nicht von Natur gegeben, auf vorheriger Abmachung beruhen. Während derart die Verständigung zwischen Menschen und nicht menschlichen Lebewesen sich vollzieht auf Grund- lage von natürlich gegebenen gemeinsamen Be- griffsteilen (Durst, Hunger, Furcht, Freude usw.), beruht heute die Verständigung zwischen Menschen und Menschen, abgesehen von vereinzelten Natur- lauten und Gebärden, ganz vorwiegend auf Ab- machung, und zwar ausdrücklich deswegen, weil die Entwicklung der entsprechenden Teile des Zentralnervensystems beim Menschen die Fest- haltung von Begriffen und die Bildung von Vor- stellungen in einer Feinheit bedingt hat, die eine Verständigung hierüber durch den genannten Aus- druck bloß natürlicher Empfindungen nicht gestattet. Die Abmachung besteht in der Vereinbarung von Zeichen oder Symbolen, deren Aufstellung bei ihrem Wahrnehmer bestimmte der an seiner Gehirnrinde lagernden Fixationen dazu veranlaßt, von den wahrgenommenen bekannten Zeichen oder Symbolen aus die enisprechenden Vor- stellungen herbeizuführen. Ohne deren vorherige Einprägung oder Fixierung würden die Zeichen oder Symbole dem Wahrnehmer nichts sagen. Die Fixierung aber gewinnnt derselbe, sei es durch die Erfahrung, sei es durch sog. Erlernen, das ein überliefertes Erfahren in gedrängter Form be- deutet, zumeist aber durch beides. Folgendes möge dieses erläutern: Am Schreibtisch wünsche ich ein entfernt liegendes Buch. Ich kann nun das Buch selbst holen, oder jemanden, der mir gerade zusieht, darauf hindeuten, daß er mir das Buch bringe. Im ersten Falle handle ich und ist der Gegen- stand meiner Handlung, das Buch, leblos. Im zweiten Falle handle ich auch, aber der Gegen- stand meiner Handlung, die mir zusehende Person, ist lebendig und meine Handlung ist eine Ver- ständigung, die mir das Gewünschte, das Buch, erst durch eine zweite Handlung, das Bringen durch die mir zusehende Person, verschafft. Die Verständigung aber ist möglich, weil die das Buch bringende Person Fixationen an der Gehirn- rinde trägt, die ihr auf das Wahrnehmen meiner Deutungsgebärde hin annähernd sagen, daß ich im Augenblick wohl das Buch, nicht jedoch ein etwa ebenfalls dort befindliches Mikroskop, Prä- parat oder sonstiges verlangen werde. Diese Fixationen, die nun hier in Wirkung treten, er- warb die betreffende Person aus allgemeiner Er- fahrung, daß ich am Schreibtisch eher ein Buch, als ein Mikroskop oder dergleichen brauchen könnte, welche Erfahrung — und auch solches ist genau zu beachten — von derselben Person sowohl unterbewußt gesammelt (perzipiert) wie unterbewußt angewendet (produziert) sein kann. Die Möglichkeit dazu, schließlich, entspringt aus den im vorher gegebenen gemeinsamen Begriffsteilen über den Gebrauch von Büchern, Mikroskopen usw. auf meiner und des anderen Seite. - Die Erörterung dieses einen Beispiels zeigt wie verwickelt bereits in den einfachsten Fällen der Vorgang einer Verständigung ist. Weit belang- reicher, als das einfache Hindeuten mit irgend einem Körperteil, und zugleich weit verwickelter noch, gestaltet sich die Verständigung durch pneu- matisch hervorgebrachte (produzierte) und aku- stisch aufgenommene (perzipierte) Symbole, zu der uns zwei besondere Organe, Kehlkopf und Ohr, befähigen. Wohl die Mehrzahl aller Träger dieser Organe benutzen sie zur gegenseitigen Verständigung eben durch Symbole, d. h. indem sie die Erinnerung an gewisse Töne und Laute festhalten (fixieren) in Zuordnung zu jeweils bestimmten (konkreten oder abstrakten) Gegenständen und Zustandsänderungen ihrer Umwelt, so daß ein Vernehmen (perzi- pieren) jener Töne oder Laute die gleichen Vor- stellungen, als Grundlagen von Handlungen oder weiteren Überlegungen, veranlaßt (produziert), wie es die unmittelbare Wahrnehmung der Gegenstände oder Zustandsänderungen, denen die Symbole zu- geordnet sind, täte: Gemsen sehen eine Gefahr nahen ; sie springen davon. Sie sehen die Gefahr nicht, aber hören (perzipieren) einen ihnen als verdächtig bekannten (fixierten) Laut, etwa den Ruf eines Genossen; und sie springen ebenso fort, wie wenn sie die vermutete Gefahr selbst erblickt hätten. Weitgehend differenziert hat sich nun diese pneumatisch-akustische Verständigung beim Men- schen, in immer feinerer Abstufung und Unter- scheidung der Symbole, d. h. der Töne und Laute, bis zur Entstehung von dem, was wir Sprache nennen und, vielgestaltig, sich auch heute noch unaufhörlich weiter entwickeln sehen. Hier müssen wiederum die Symbole — jetzt nicht sichtbare Gebärden, sondern hörbare Worte, oder, in bezug auf die Gegenstände, Namen — von beiden sich Verständigenden vorab fixiert sein, d. h. es müssen die Erinnerungsbilder (Fixationen) ihrer Zuord- nung zu Sachen und Vorgängen festgelegt sein. Abgesehen von einigen Naturlautnachahmungen halten diese Symbole keinerlei inneren Verband mit dem, was sie bezeichnen sollen: Daß wir das Fohlen, das Kalb gerade so nennen, beruht auf bloßer willkürlicher Abmachung und könnte gerade so gut anders sein, wenn es nur — und hierauf allein käme es an — allen denen gegenwärtig wäre, denen bisher auf das Vernehmen (Perzi- pieren) der Laute „foh-len" die Vorstellung des jungen Pferdes und auf das Vernehmen des Lautes „kalb" die Vorstellung der jungen Kuh entsteht. Seit vielen hunderten von Generationen seines Geschlechts hatte der Mensch die Verständigung durch pneumatisch akustische Symbole gepflegt und entwickelt, als ihm die Erkenntnis kam, daß nicht nur hörbare, sondern auch sichtbare Sym- bole der Verständigung würden dienen können: er schritt zur bildlichen Darstellung und gewann damit den sehr großen Vorteil, nicht mehr aus- schließlich angewiesen zu sein auf den flüchtigen Schall, der nur immer die gleichzeitige Be- N. F. XVI. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 379 tätigung beider sich Verständigenden zuließ, sondern seine Vorstellungen anderen zugänglich machen zu können, ohne daß diese nötig hätten, die Mitteilung unmittelbar, nachdem sie gegeben (produziert) wurde, auch aufzunehmen (zu perzi- pieren). Aus diesen Bildern, die zumeist dem ursprünglich Dargestellten mehr und mehr un- ähnlich wurden, ging schließlich hervor, was wir Schrift nennen, in Sonderheit der Gebrauch einer beschränkten Anzahl von Zeichen, die nun ihrerseits — einzeln oder in beliebigen Verbin- dungen — in Zuordnung (Koordination) zu den Lauten, die sie bedeuten, an bestimmten Gehirn- stellen festzulegen (zu fixieren) waren. Diese letzte Fixierung rein menschlicher Erfindung ist das, was wir „lesen lernen" nennen, während die erste, die Koordination von Lauten zu den In- haltselementen des Milieus und ihren Verände- rungen, die im allgemeinen allen Trägern pneu- matischer Produktions- und akustischer Perzeptions- organe für diese Laute zukommt, in Sonderheit beim Menschen „sprechen lernen" und „ver- stehen lernen" heißt. So gelangte der Mensch, und nur er allein von allen Lebewesen, die wir kennen, erstmals zu einer Symbolik zweiter Ordnung als Ver- ständigungsmittel: irgend welche übereingekom- mene graphischen Zeichen erinnern ihn bei optischer VVahrnehmung an die in seiner Fixations- sphäre diesen Zeichen zugeordneten Laute, worauf ihrerseits die Laute Vorstellungen der ihnen koor- dinierten konkreten oder abstrakten Sachen oder Vorgänge erwecken. Als sich dann herausstellte, daß diese letzten Vorstellungen nach hinreichender Übung, d. h. Zurichtung der Fixationssphäre, auch schon in erster Ordnung, unmittelbar durch den Anblick der koordinierten Zeichen, ohne das Zwischenglied der Lautkoordination, entstehen konnten, sah sich also die Menschheit im Besitz der zwei voneinander unabhängigen Verständi- gungsmittel zu Diensten ihrer Mitglieder unter- einander, die in der Folge vor allem ihre einzig- artige sog. geistige Entwicklung ermöglichen sollten : Der Mensch verfügte nun über das pneu- matisch-akustische System der Verstän- digung, im Grunde wie zahllose andere Lebe- wesen, nur weit differenzierter, als irgend eins von diesen, und außerdem über ein neues, aus- schließlich ihm bekanntes graphisch optisches System, dessen Erfindung, erst vor einigen hundert Generationen des Menschengeschlechts, die sog. geschichtliche Zeit einleitet, d.h. in graphi- schen Zeichen optisch wahrnehmbare Reihen von Berichten über menschliche Taten an die Stelle von bloßen Schlußfolgerungen auf mensch liehe Tätigkeiten aus Veränderungen bis Bearbeitungen setzt, die an gefundenen Gegen- ständen aus vorgeschichtlicher Zeit nach- weisbar sind. Die charakteristisch verschiedenen Hauptmerk- male beider Systeme bestehen ersichtlicherweise darin, daß zur pneumatisch - akustischen Ver- ständigung die sich Verständigenden selbst ab- wechselnd die zu übertragende Energie liefern müssen (Schwingen des übertragenden Mittels), während die Verständigung auf graphisch-optischem Wege nur ein Filtrieren (mittels der Zeichen an der Lesefläche) eines gegebenen Ernergieflusses (im Felde der elektromagnetischen Strahlung) be- deutet. Im ersten Falle kommt folglich zur Ver- ständigung in Frage bloß die Anwesenheit eines übertragenden Mittels (Luft, Wasser usw.), im zweiten außerdem dessen Energieinhalt (Ver- ständigung „im Dunkeln" unmöglich). Dementsprechend ist die Produktion zur Ver- ständigung nach dem graphisch-optischen System oder das Schreiben etwas wesentlich anderes als die Produktion zur Verständigung nach dem pneumatisch-akustischen System oder das Spre- chen. Denn während das Sprechen ein Hervor- bringen von Schwingungen oder Beeinflussen eines Bewegungszustandes, nämlich des den Schall übertragenden Mittels, darstellt, bedeutet das Schreiben die Bearbeitung eines Stoffes, d. h. seine dauernde Gestaltung derart, daß er da- durch zum Lichtfilter, oder dann Schriftträger, der gewünschten Anordnung werde. Dagegen erscheint die Perzeption beider Verständigungssysteme, das Hören beim pneumatisch akustischen und das Lesen beim graphisch-optischen System, wesens- gleich: ein Aufnehmen wechselnder Schwin- gungen des jeweils übertragenden Mittels. Der mühseligste Teil beider Wege der mensch- lichen Verständigung, das Herstellen der Schrift, bildet daher den wiederholt aufgenommenen Gegen- stand des Versuchs, diese außerhalb des Menschen- hirns verlaufende Handlung möglichst gleichtätig zu gestalten dem durch die Sinne unmittelbar daraus entspringenden Sprechen oder unmittelbar darin einlaufenden Hören (Verstehen) und Sehen (Lesen). So versuchte man durch Zusammen- ziehen mehrerer Zeichen in ein einziges die Gesamt- schrift enger zu fassen (Stenographie) und ihre Ausführung zu beschleunigen (Tachygraphie), bis auf beliebige Sprechgeschwindigkeit. Doch unter- ließ man es bisher, von den willkürlich gewählten (vgl. oben) Zeichen abgehend, eine graphische Darstellung der Sprachschwingungen als einzig natürliche Schrift lesen zu lernen und damit jene Vorrichtungen ihrem vollen inneren Wert ent- sprechend auszunutzen, die Gesprochenes registrieren (pneumatisch- graphisch: Phonograph) und Re- gistriertes wieder zu Gehör bringen (graphisch- akustisch : Grammophon), die zwar schon ge- schaffen wurden, jedoch ohne daß man sich bisher bemüht hätte, die zwischenJiegende Fixation der Maschine (das Engramm) graphisch-optisch zu er- fassen oder sofort zu lesen, wozu die ungewohnte Ausdehnung dieser Art Niederschriften ein Hindernis bildete. Gelingt es nach deren V^erringerung dem angezeigten Weg zu folgen, so ist damit das jüngere graphisch-optische System auf die gleiche Ent- wicklungstufe wie das ältere pneumatisch-akustische gebracht. (Daß dieses letzte in der Tat das ältere oder ,. tiefer eingeschliffene" der beiden Verständi- gungsmittel ist, beweist, nebenbei, seine Wirksamkeit 38o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 28 auch im halbbevvußten Zustande, d. h. im natür- lichen oder künstlichen Halbschlaf oder Dämmer- zustande, wo durch das Ohr empfangene Eindrücke richtig verstanden werden können, während Ein- drücke durch das Auge gleichzeitig nicht durch- dringen.) Diese ursprünglich bloßen Verständigungsmittel sollten nun wieder selbst zu Kulturmitteln werden, und in der Beziehung war es gerade das graphisch- optische System, das etwas sehr Bedeutsames brachte: Es stellte, zweifellos von seiner ersten Entwicklung an, eine Mehrzahl gleicher Gegen- stände bildlich vereinfacht durch kurze Striche und Strichverbindungen oder Linien dar. Hieraus ergab sich neben der Wortbezeichnung einer Mehr- zahl noch eine graphisch-optische Sondersymbolik dafür durch eigene Zahlzeichen oder Ziffern und, des weiteren die Erkenntnis reiner Quantitäten ohne jede Qualität, sowie von deren Verbindungs- möglichkeiten, die in einer solchen Mannigfaltig- keit erschienen, daß sie zu ihrer förmlichen Er- forschung einladen mußte. Derart entstand eine eigene Lehre von den Zahlen (Arithmetik), die zusammen mit einer solchen von der Land- oder Flächenvermessung (Geometrie) — diese unter Verwendung von durch den Gegenstand selbst gegebenen bildlichen Darstellungen — die spätere Wissenschaft der Mathematik inaugurierte. Diese Wissenschaft zu entwickeln auf bloß pneumatisch - akustischem Wege — wie durch frühere Jahrtausende hindurch die Ausschmückung unserer ältest überlieferten Gesänge und Erzäh- lungen sich vollzogen hatte — wäre wohl un- möglich gewesen. Hier also handelt es sich um Er- kenntnis, die überhaupt erst zu gewinnen war, nach Einführung des graphisch-optischen Verfahrens, also in „geschichtlicher Zeil", wo nun die Ent- wicklung der Kultur mit wachsender Ge- schwindigkeit abzulaufen beginnt. Denn das ist der tiefste Sinn der Einführung (und steten Ver- vollkommnung) dieses Verfahrens, daß so der „Fortschritt" unabhängig gemacht wird von dem vorher ausschließlich maßgebenden Faktor des Ge- dächtnisses, dessen Können, wie das aller anderen rein physiologischen Leistungen, an dem heute Erreichten gemessen, recht eng begrenzt erscheint. Gemeinsames Merkmal aller bisher betrachteten graphisch optischen Symbole ist ihre Wirkung durch Einschneiden in das Strahlungsfeld ohne Rücksicht auf dessen Zusammensetzung, d. h. wirk- sam sind bloße Verschiedenheiten der Form, in vielfach sehr feinen Abstufungen. Außerdem be- steht nun aber die Möglichkeit einer Zerlegung der .Strahlen, und in der Tat sehen wir, daß gleichfalls Farben als Symbole wirken. Damit gelangen wir aus dem Bereiche der Noologie oder Lehre der Überlegungen, die wohl ausschließ- lich Formensymbole kennt, in den der Äsihologie oder Lehre der Empfindungen. Denn Emp- findungen zunächst sind es, die als Farbensymbole in die Erscheinung treten. Und nur deren Vor- handensein, von allen graphisch-optischen Sym- bolen, entwickelte sich, in größter Verschiedenheit, unter vielen Arten nicht menschlicher Lebewesen. Diese graphisch-optischen Symbole zweiter Art verdanken ihre Wirksamkeit als Vertsändigungs- mittel gelegentlich zwar ebenfalls der vorherigen Vereinbarung (z. B. im Falle farbiger Signal- lichter, beständiger oder wechselnder, wie an Leuchttürmen), wurzeln aber zumeist, und beim Tiere stets, in angeborenen Erbmassen oder ent- sprechend tief eingeschliffenen Einzelerfahrungen. Unbewußte Assoziationen sind hier maßgebend für die entsprechenden Fixationen. Die nicht selten er- regende Wirkung von Rot, beispielsweise, dürfte auf Assoziation mit der Farbe des Wirbeltierblutes beruhen, gleich wie die Wirkung anderer Farben auf anderen dunklen oder vererbten Erinnerungen. Doch sind diese Symbole zweiter Art infolge der im allgemeinen recht beschränkten Farbenunter- scheidung durch das Lebewesen so wenig diffe- renziert, daß ihr Wert als Ausdrucks- oder Ver- ständigungsmittel gegen den durch Symbole der ersten Art sehr weit zurücksteht. Vergegenwärtigen wir uns nunmehr, was unsere analytische Betrachtung uns gelehrt hat, so dürfen wir ohne Zögern behaupten, daß die Tiere, über deren in wenigen Monaten oder Jahren eingeübte Leistungen berichtet wird, einen Entwicklungs- oder Bildungsweg mit einer Geschwindigkeit zurück- gelegt haben, wogegen der Weg und die Entwick- lungsgeschwindigkeit der allergrößten Geister menschlicher Rasse seit ihrer Geburt kaum mehr als mittelmäßig erscheinen. Angesichts dieser außerordentlichen Tatsache können wir den Ausdruck des Bedauerns nicht zurückhalten, daß die Nachprüfung der Leistungen, so weit wir aus der uns bekannten Literatur er- sehen konnten, offenbar ziemlich planlos vor sich geht. So findet sich beispielsweise beim Rechnen die allererste Frage : In welchem Ziffernsystem rechnet der Hund oder das Pferd ? weder beant- wortet, noch, scheint es, überhaupt gestellt. Es wird stillschweigend angenommen, daß der Prüfling dezimal rechnet, wie sein Lehrer, ohne Rücksicht darauf, daß in Sonderheit einem Pferde, das sich seiner vier Hufe bewußt sein mag, gewiß aber nichts weiß von seinen vier rudimentären Zehen außer- dem an jedem Bein, die Operationen mit einem Zehnersystem ähnlich fernliegen könnten, wie uns, Dezimalrechnern, diejenigen mit einem Fünfund- zwanzigersystem. Gerade die geheimnisvollsten Phasen einer tierischen Rechenoperation, wie etwa beim Radizieren, sollten es dem ernsten Forscher nahelegen, zu allernächst diese Frage gewissenhaft zu prüfen, ja er muß solches tun, weil er, ohne zu wissen in welchem Ziffernsystem die Antwort gegeben wird, überhaupt nicht wissen kann, ob sie richtig ist.') Denn die aus Ziffern ') Meine eigenen Erfahrungen mit den seinerzeit berühmten Pferden von Elberfeld beschränken sich auf eine kurze Korre- spondenz mit deren Besitzer. Gelegenilich einer Reise, die mich unweit vorüberführen mußte, hatte ich um Audienz angefragt, erhielt aber von Herrn Krall zur Antwort, daß die Pferde N. F. XVI. Nr. 2l Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 381 aufgebauten Zahlen sind wiederum Symbole, deren Verbindungsgesetze man kennen muß, um ihren Sinn zu verstehen. Zusammenfassend dürfen wir sagen, daß die Symbole, beider Arten, welche wir unterschieden, erscheinen wie die Tasten einer Klaviatur, worauf die Außenwelt spielt, um durch ihren Anschlag das Instrument der Innenwelt des Lebewesens zu erregen. Es kann daher jeweils nur das gespielt werden, wozu die Tasten gegeben und bis in die letzten Teile des anschließenden Mechanismus wirkbereit sind. wegen Überarbeitung momentan nicht sichtbar seien, dal3 er aber holTe, daß ich nach meinem Interesse für die Sache der Gesellschaft (für Tierpsychologie) beitreten werde. Ich ant- wortete, mich darüber erst entscheiden zu können angesichts der Leistungen, die ich zunächst persönlich kennen lernen müßte; daß ich dazu den Mitgliedsbeitrag (von dem mir Herr K. mitgeteilt hatte, daß ich ihn in Basel einzahlen könne) als Eintritt erlegen wolle. Eine unerwartete Verschiebung meiner Reise gab mir Gelegenheit, nach einigen Wochen, in der An- nahme die Pferde würden sich inzwischen erholt haben, noch- mals wegen eines Besuches anzufragen. Jetzt kam aber der drahtliche Bescheid „Pferde werden nur Mitgliedern gezeigt", — woraufhin ich von weiteren Bemühungen leider .abstand nehmen mußte. Ob solches der Fall, dieses entscheidet unfehlbar und endgültig über die Fähigkeit zu bestimmten Leistungen, die ansonsten unmöglich sind, ebenso unmöglich wie etwa das Klavierspielen auf einer Schreibmaschine oder umgekehrt. Und genau das Gleiche wie für die Verständigung zwischen Mensch und Mensch gilt für diejenige zwischen Mensch und Tier: sie kann nicht weiter gehen als Umfang und Einrichtung der Klaviatur, d. h. das jeweilige System der Symbole, reichen. Die Möglichkeit aber ein solches System in dem zu den behaupteten Leistungen erforderlichen Um- fang an der Hirnrinde eines nicht menschlichen Lebewesens zu errichten, vermag zu bestehen nur auf Grund einer Fähigkeit der Erinnerung oder Fixierung, d. h. von Konstitutionseinzelheiten, dort- selbst, welche die, deren Äußerungen wir von allen diesen, wofern uns bekannten, Wesen bisher jemals beobachteten, ganz wesentlich an Differenzierung übertrifft, demnach die Behauptung des Geleisteten der Wirklichkeit nicht entsprechen kann und die eingangs genannten Prüfungsberichte selber der Nachprüfung bedürfen. 23. Mai 1917. D.1S Coroniiini, ein uueiitdecktes Edelgas. INachdruck verboten.] Von Karl Kuhn. Das Coronium ist ein Element, das noch nie- mals ein Chemiker unter den Händen gehabt hat und doch besitzen wir schon eine Reihe von Kenntnissen über diesen Stoff. Zum ersten Male sind im Jahre 1869 die Forscher \' o u n g und Harkness auf Anzeichen gestoßen, welche ihnen das Vorhandensein eines auf der t^rde unbekannten Gases nahe legten. Bei der totalen Sonnen- finsternis des Jahres 1869 richteten Young und Harkness das Spektroskop auf die Corona, jenen die Sonne umgebenden Strahlenkranz, der bei Finsternissen mit bloßen Augen gesehen wird, und beobachteten nun auf einem schwachen kon- tinuierlichen Spektrum die hellen Linien des Wasserstoffs und des Heliums, der leichtesten irdischen Elemente, die wir kennen, und außer- dem noch eine helle Linie im Grün, für welche die neueren Messungen eine Wellenlänge von 5303,2 Angströmeinheiten ^) ergeben haben. Diese grüne Linie, welche man als die Coronalinie be- zeichnet, ist mit keiner Linie eines irdischen Stoffes identisch und man hat sie einem nur in der Sonnenatmosphäre vorkommenden, derSonnen- corona eigentümlichen Gase, dem Coronium, zu- geschrieben. Daß wir es beim Coronium mit einem neuen Elemente zu tun haben und nicht mit einem irdischen Stoff, der vielleicht unter den von unseren Laboratoriumsverhältnissen weit verschie- denen Bedingungen des Leuchtens auf der Sonne ') I Angström (in der Spektroskopie gebräuchliche Längen- einheit) = Vio Millimikron {u/i) == 0,0000001 mm. jene hellgrüne Linie aussendet, ist dadurch sehr wahrscheinlich, daß das Coronium in höheren Schichten der Sonnenatmosphäre vorkommt als die leichtesten irdischen Gase wie Helium und Wasserstoff. Das läßt vermuten, daß wir es beim Coronium mit einem Element von noch geringerem Atomgewicht wie Wasserstoff zu tun haben. Im Jahre 1868 halte der französische Astronom Jannsen in Ostindien eine gelbe Linie in der Chromosphäre der Sonne gesehen, welche von keinem damals bekannten irdischen Element her- rührte. Frankland und Norman Lockyer schlugen für jenes hypothetische Sonnengas den Namen Helium vor und die Astrophysiker haben bald darauf die gelbe Heliumlinie auf zahlreichen anderen Sonnen oder Fixsternen entdeckt. Da kam gegen Ende des vorigen Jahrhunderts die großartige Entdeckung der Edelgase durch Wil- liam Ramsay und im Jahre 1895 fand dieser den Sonnenstoff Helium auch in der Lufthülle der Erde und in allen radioaktiven Mineralien. Damit wurde dann das bis dahin für den Chemiker in unerreichbarer Ferne befindliche Edelgas Helium zum ersten Male der chemischen und physikali- schen Untersuchung zugänglich. Helium ist in der atmosphärischen Luft zu 0,0005 Volumprozent enthalten. Daß in der Luft -so wenig Helium vorkommt, rührt nach einer geistreichen Hypothese Stoney's daher, daß das durch die Mineralquellen und radioaktiven Substanzen der Luft zugeführte Helium aus den obersten Schichten der Erdatmosphäre in den Weltenraum entflieht, weil die Anziehungskraft 382 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 28 der Erde gegenüber der großen Molekular- geschwindigkeit des Heliums zu gering ist. Dann ist natürlich der Gehalt der Luft an Coronium, wenn es überhaupt in der Erdatmosphäre vor- kommt, noch geringer, da das Coronium wahr- scheinlich noch leichter ist wie Helium. In William R am say's Laboratorium wurden bereits 2 Versuche zur Auffindung des Coroniums in der Luft gemacht. Beim letzten Versuch im Jahre 1908 hat H. E. Watson^) schließlich nicht weniger wie 73000 1 Luft mit den empfindlichsten Spektroskopen auf Coronium ohne Erfolg ana- lysiert. Möglicherweise haben aber doch schon einige Forscher Coronium unter den Händen gehabt; als im Jahre 1898 Nasini, Anderlini undSal- vatori'-) die Gase der Solfataren und Fumarolen des Vesuvs untersuchten, fanden sie wiederholt eine grüne Spektrallinie bei 5315 oder 5317. Sie sprechen die Vermutung aus, daß damit Coronium möglicherweise auf der Erde nachgewiesen sei. Es ist aber zu beachten, daß die Wellenlänge der Coroniumlinie der Sonne sich von Nasin i's Linie um etwa 14 Angströmeinheiten unterscheidet und das macht die Beobachtung zweifelhaft. Im Jahre 1900 untersuchten Liveing und Dewar^) die Gase der Luft, welche durch flüssigen Wasserstoff nicht kondensiert werden konnten und sahen neben vielen unbekannten Linien auch eine schwache Linie bei 5304, welche dem Coronium gehören könnte. Es ist jedoch sicher, daß diese Beobachtung De war's durch die neueren erwähnten Untersuchungen inRam- say 's Laboratorium recht zweifelhaft geworden ist. Der berühmte russische Chemiker Mende- lejeff,'') der eine Reihe von früher unbekannten Elementen mit Erfolg genau vorhergesagt hatte, beschäftigte sich im Jahre 1903 auch mit dem Coronium. Mit Hilfe des periodischen Systems der chemischen Elemente kam er zu der Ver- mutung, daß das Coronium, welches er als Ele- ment y bezeichnete, ein sehr leichtes Edelgas etwa vom Atomgewicht 0,4 sei. „Da das Coro- nium in solchen Entfernungen von der Sonne sich nachweisen läßt, in denen keine Wasserstoff- linien mehr zu sehen sind, so muß dem Gase in der Tat ein viel geringeres Atomgewicht und eine viel geringere Dichte wie dem Wasserstoff zugeschrieben werden." Die leichten Gase Wasserstoff und Helium kommen an der Erdoberfläche in der Luft nur in sehr geringer Menge vor; in größeren Höhen da- gegen finden sich beträchtlichere Mengen in der Atmosphäre, da sich die leichten Gase mit zu- nehmenden Höhen immer mehr anreichern. So ») Proc. Roy. Soc. A., Vol. Sl, S. 181— 194 (1908). «) Chemiker -Zeitung XXII, Nr. 58 (20. VII. 1898) und Kayser: Handbuch der Spektroskopie, Bd. V, S. 336 (Leipzig 1910, Hirzel). ^) Proc. Roy. Soc. A., Vol. 67, S. 467—474 (1900). ^) C. Schmidt: Das periodische System der chemischen Elemente S. 53—57 (Leipzig 1917, J. A. Barth). könnte vielleicht auch das Coronium nur in einigen hundert Kilometer Höhe in der Luft vorkommen und wir könnten es mit Wahrscheinlichkeit dort finden; aber der höchste Registrierballonaufstieg erreichte nur 35 km Höhe. Da hat nun die Natur selbst ein großartiges Experiment angestellt, das uns Aufschluß über die Natur der Gase in 100 bis 400 km Höhe liefern kann. In solchen Höhen spielt sich nämlich das Polarlicht ab und mit Hilfe von Spektroskopen können wir Aufschluß über die Natur der dort in magischem Licht er- glühenden Gase erhalten. Schon im Jahre 1S69 fand Angström, daß die Hauptintensität des Nordlichts durch eine grüne Linie im Spektrum hervorgerufen wird und nach den neuesten Mes- sungen Vegard 's M im Jahre 1913 hat die Nord- lichtlinie die Wellenlänge 5572,5. Alfred Wegener'^) hat es durch Zusammen- stellung der verschiedenartigsten physikalischen Erscheinungen in den höchsten Atmosphären- schichten (wie Dämmerungsbögen, Aufleuchten der Sternschnuppen usw.) sehr wahrscheinlich ge- macht, daß sich etwa zwischen 100 — 500 km Höhe unsere .Atmosphäre aus einem Gase zusammen- setzt, das leichter ist wie Wasserstoff. Denn die grüne Nordlichtlinie ist noch in Höhen sichtbar, wo keine Wasserstofflinien mehr vorhanden sind. Das Gas, welches im Spektrum die grüne Nord- lichtlinie bei 5572 zeigt, nennt Wegener Geo- coronium, da das Sonnencoronium seine Spektral- linie bei 5303 hat. Wegener glaubt aber, daß das Geocoronium identisch sei mit dem Coronium der Sonne und die verschiedenen Wellenlängen der beiden grünen Linien sollen durch die ver- schiedene Art der Leuchterregung bedingt sein: beim Sonnencoronium handelt es sich um ein Leuchten bei sehr hohen Temperaturen, beim Nordlicht dagegen um eine elektrische Licht- erregung des Coroniums. Es ist aber doch vom physikalischen Standpunkt aus eme solche Wellen- längenverschiebung von 269 Angström ganz un- wahrscheinlich. Überdies stimmt die Wellenlänge der grünen Nordlichtlinie, welche noch gar nicht auf eine Angströmeinheit genau bestimmt ist, gut mit der Wellenlänge von 2 Edelgasen überein. Schuster undHuggins machten 1898 darauf aufmerksam, daß das Krypton eine grüne Linie bei 5570 be- sitzt und 1913 wies Vegard auf die grüne Linie 5572 des Argons hin. Es ist aber ausgeschlossen, daß das sehr schwere Krypton (Atomgewicht 82,9) noch in Nordlichthöhen vorkommt; eher wäre dies beim Argon vom Atomgewicht 39,8 möglich. Für zahlreiche physikalische Probleme der höchsten Atmosphärenschichten wäre es von größtem Interesse, zu wissen, ob das Geocoronium ein neues Element von geringerem Atomgewicht wie Wasserstoff {^= i) ist oder ob es vielleicht ') Physikalische Zeitschrift XIV, Nr. 15, S. 677- (Leipzig 1913, Hirzel). 2) Physikalische Zeitschrift XII, Nr. 5 u. 6 (191 1). N. F. XVI. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. nur das bekannte Argon (39.8) oder Krypton (82,9) darstellt. Da ist nun in jüngster Zeit eine geist- reiche physikalische Methode von Bourget, Fabry und Buisson'j ausgearbeitet worden, welche erlaubt aus einer einzigen Spektrallinie das Atomgewicht des Elementes zu bestimmen, welches diese Linie aussendet. Diese wunderbare Leistung der modernen S[)ektroskopie , sei hier zum Schlüsse noch beschrieben. Bekanntlich be- wegen sich die Atome oder Moleküle eines Gases schon bei gewöhnlicher Temperatur mit ziemlich erheblichen Geschwindigkeiten, das Wasserstoff- molekül z. B. bei o" Celsius mit rund 1800 m in der Sekunde. Bringt man den Wasserstoff in einer Geißlerröhre elektrisch zum Leuchten, so kann man in guten Spektroskopen keine vollkommen scharfen Linie bekommen, denn das eine leuchtende Wassersloffmolekül nähert sich vielleicht gerade dem Spektroskop mit 1800 m Geschwindigkeit, während ein anderes sich mit ähnlicher Geschwin- digkeit von ihm entfernt und die Linien müssen desiialb nach Doppler's Prinzip eine gewisse Verbreiterung erfahren. Unter Doppler's Prinzip versteht man z.B. die bekannte Erscheinung, daß eine Schallquelle für einen Beobachter, welcher sich ihr rasch nähert, einen höheren Ton aussendet wie für einen ruhenden Beobachter. Das rührt daher, daß der bewegte Beobachter in einer Sekunde dieselbe Anzahl von Schallwellen empfängt wie der ruhende Beobachter; aber dazu kommen noch die sämt- lichen Schallwellen, welche auf der Strecke ver- teilt sind, die der bewegte Beobachter in einer Sekunde durchschneidet, das heißt dieser empfängt mehr Schallwellen, er hört einen höheren Ton. So ist es auch beim Licht. Ein leuchtendes ') Compt. rend. 158 (1914), S. 241—258 (1914)- ad Astrophys. Je Gasatom, das sich dem Spektroskop rasch nähert, sendet Licht von einer scheinbar kürzeren Wellen- länge aus und ein Gasatom, das sich rasch ent- fernt, sendet Licht von größerer Wellenlänge aus. Eine Spektral„linie'' kann also keine mathemati- sche Linie sein, sondern sie muß eine gewisse Breite haben und sie wird um so breiter sein, je rascher sich die leuchtenden Gasatome bewegen. Mit den modernen Interferenzspektroskopen läßt sich die Breite der Spektrallinien genau messen und daraus läßt sich sofort die Geschwindigkeit der leuchtenden Gasatome berechnen. Die Ge- schwindigkeit der Atome eines Gases hängt neben der Temperatur nur von seinem Atomgewicht ab. Das Atom eines schweren Elementes bewegt sich bei gleicher Temperatur viel langsamer wie das Atom eines leichten Gases. Kennt man die Ge- schwindigkeit und die Temperatur, so läßt sich das Atomgewicht sofort angeben. Die Geschwindigkeit der Gasatome des Geocoroniums ließe sich aber durch die Messung der Breite der grünen Nord- lichtlinie feststellen. Die hier geschilderte Methode wurde zuerst von Bourget, FabryundBuisson zur Bestim- mung des Atomgewichts des nicht irdischen Ele- ments Nebulium im Orionnebel angewandt. Es ist sicher eine große Leistung, auf optischem Wege die Atomgewichte unbekannter Elemente eines in unermeßlicher Ferne schimmernden kosmischen Nebels zu ermitteln. Zur Untersuchung des Nord- lichts ist diese Methode noch nicht benützt worden und sie wird bei dessen Lichtschwäche sicher ihre Schwierigkeit haben. Aber es ist hier wenigstens die Möglichkeit vorhanden, das Atomgewicht des Gases mit der rätselhaften grünen Nordlichtlinie festzustellen und es wäre gewiß von größtem Interesse, die kühnen Spekulationen A. Wegen er's über die Gase der höchsten Atmosphärenschichten zu bestätigen oder zu widerlegen. Einzelberichte. Geologie. Ober „die erdgeschichtliche Ent- wicklung des Zechsteins im Vorlande des Riesen- gebirges" berichtet H. Scupin in den Sitzungber. der K. Preuß. Akad. der Wissenschaften 19 16. Der Zechstein Niederschlesiens schmiegt sich den Mulden im Norden des Riesengebirges in Form eines schmalen Bandes an. Er verdient unser ganz besonderes Interesse, da er einerseits das östlichste Zechsteinvorkommen in Deutschland ist, andererseits weil er noch in engere Beziehungen zum Rande der böhmischen Masse tritt als der thüringische und sächsische Zechstein. Das Liegende des Zechsteins bildet das Rot- liegende, das eine von sehr verschieden mächtigen Schuttmassen des alten Variskischen Gebirges bedeckte Landschaft war. Unterrot- liegendes fehlt. Das Mittelrotliegende besteht unten aus grauen bis gelben groben Konglomeraten und Sandsteinen mit gelegentlich zwischengelagerten Kalkbänkchen und grauen bis bituminösen Schiefern mit der Lebacher Fauna, oben aus roten Gesteinen mit mächtigen Eruptiv- decken von Melaphyr und Porphyr. Die beiden Stufen lassen einen Klimawechsel von einer kühleren feuchten zu einer wärmeren Periode er- kennen. Das Oberrotliegende setzt sich aus mächtigen roten sandigen Porphyrkonglomeraten und roten Sandsteinen zusammen, die im Norden des Riesengebirges zwischen Lausitzer Neisse und der ostsudetischen Randlinie von einem Kalk- konglomerat überlagert werden, das in über- greifender Lagerung nach Südwesten die älteren Glieder des Mittel- und Oberrotliegenden überdeckt 384 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 28 und bereits die stärkere Senkung des Landes im Nordosten der böhmischen Landmasse anzeigt. Ohne scharfe Scheidung wird im Südwesten der ganze Untere, dann auch der Mittlere Zechstein von diesem durchschnittlich 25 m, stellenweise 40—50 m mächtigen Kalkkonglomerat ersetzt, das sehr wahrscheinlich kontinentaler Entstehung ist (VVindkanter usw.). Dieses Kalkkonglomerat, auch Grenzkonglomerat genannt, läßt sehr deutlich die Geländeverhältnisse der alten Landoberfläche zur Zechsteinzeit verfolgen. Im N. und O. ist der Untere und Mittlere Zechstein in Form mariner Kalke ausgebildet, die im Katzbachgebiet etwa 20 m mächtig sind und in den liegenden (unteren Zechstein) und den hangenden (mittleren Zechstein) Hauptkalk einge- teilt werden. Der Hauptkalk führt die bekannte deutsche Zechsteinfauna mit auffallend vielen Individuen von Schizodus und anderen Zweischalern, dagegen nur ganz vereinzelten Individuen von Productus horridus. Der Untere Zechstein besteht zu unterst aus dem etwa i m mächtigen Zechsteinkonglomerat mit Pseudomonotis spelun- caria, das dem Thüringer Zechstein äquivalent ist. Darüber folgt der liegende Hauptkalk (ca 14 m) mit Mergelschiefern, die in der Mitte Kupfer führen. Dieser sogenannte schlesische Kupferschiefer — etwa 3 m mächtig und weithin verfolgbar — ist weder petrographisch noch stratigraphisch mit dem mitteldeutschen Kupferschiefer identisch, da er dem mittleren und nicht wie in Mitteldeutsch- land dem tiefen Teil des Unteren Zechsteins angehört. Mit dem Abschluß des Unteren Zechsteins beginnt der Rückzug des Meeres. Das ganze flache Meer wird noch flacher. Im Mittleren Zech stein entstehen nun statt Kalken und Mergelschiefern, Dolomite und dolomitische Kalke, die den hangenden Hauptkalk (ca 6—8 m) bilden. Mit Beginn des Oberen Zechsteins erreicht der weitere Rückzug des Meeres seinen Höhepunkt in den Roten Zwischenschichten, auch Unterer Zechsteinsandstein genannt (= Untere Letten Thüringens), die im Katzbachtal etwa 6— 8 m mächtig sind. Es sind bunte Letten und Sandsteine mit Gipslagern und Steinsalzpseudomorphosen. In dem darüber liegenden Plattendolomit oder Oberkalk (10 m) kehrt das Meer nochmals kurze Zeit zurück, um sich dann dauernd zurückzuziehen. Nun kommt eine 60 m mächtige Schichtfolge von klastischen Wüstensedimenten (Letten, Kalk- und Dolomitbänkchen) zur Ablagerung, die als Oberer Zechsteinsandstein bezeichnet wurde und den Oberen Letten Thüringens entspricht. Die ge- waltige Mächtigkeit dieser Bildungen ist nirgends- wo in anderen Zechsteingegenden Deutschlands zu finden. Ohne wesentliche klimatischeÄnderungen geht der Obere Zechsteinsandstein in den Bunt- sandstein über. Die interessanten Untersuchungen haben ge- zeigt, daß der niederschlesische Zechstein eine typische Randbildung ist, die in sehr enge Be- ziehungen zur böhmischen Masse tritt. Charakte- ristisch ist der auffallende Fazieswechsel in der Richtung gegen SW. Nur im N. und O. herrschten normalere Verhältnisse. Hier zeigt der nieder- schlesische Zechstein in allen seinen Gliedern weitgehende Ähnlichkeit mit dem mitteldeutschen, insbesondere dem sächsischen und thüringischen Zechstein. V. Hohenstein. Botanik. Die Ernährung von Blaualgen durch organische Stoffe. Während m.an früher der An- sichtTwar, daß die chlorophyllhaltige, assimilierende Pflanze organische Körper zu ihrer Ernährung nicht verwenden könne, ist für eine Reihe von Algen in neuerer Zeit nachgewiesen worden, daß sie neben den unorganischen Verbindungen (die schon allein zu ihrer Ernährung genügen) auch organische Stoffe zu verarbeiten vermögen. Hierhin gehören nach Küster (Kultur der Mikro- organismen 1913, S. 109) viele einzellige Grün- algen sowie die Desmidiaceen und Diatomaceen. Bei den Blaualgen (Cyanophyceen) ist diese Fähig- keit der ,,heterotrophen" Ernährung (neben der „autotrophen" durch unorganische Stoffe) noch nicht mit Sicherheit nachgewiesen. Das liegt daran, daß in den meisten Versuchen, die darüber angestellt worden sind, keine bakterienfreien Rein- kulturen erzielt wurden. Erst P r i n g s h e i m konnte 191 3 zwei Oscillarien und ein Nostoc bakterienfrei züchten. Seine Versuche fielen im wesentlichen negativ aus: die untersuchten Algen erwiesen sich zu heterotropher Ernährung nur in sehr ge- ringem Maße oder gar nicht befähigt. Und doch weisen verschiedene Umstände darauf hin, daß manche Blaualgen ohne rein autotrophe Ernäh- rung fortkommen müssen; ganz besonders legt ihr Vorkommen im Innern anderer Pflanzen diesen Schluß fast mit Notwendigkeit nahe. Bekanntlich findet sich Nostoc nicht nur freilebend, sondern auch innerhalb gewisser Lebermoose und in den Blatthöhlungen von Azolla, ja sogar in den tief in die Erde eindringenden Luftwurzeln von Cy- cadeen und in den Rhizomen von Gunnera, also in absoluter Dunkelheit. Hariot hat 1892 die Algen aus diesen Pflanzen isoliert und festgestellt, daß sie alle zur gleichen Art, nämlich Nostoc punctiforme (Kütz.) P. Hariot gehören, aber es sind von ihm keine physiologischen Ergebnisse mitgeteilt worden. Andere kulturversuche sind mißlungen. Jetzt hat Richard Härder über umfassende und sorgfältige Versuche berichtet, in denen Nostoc aus Gunnera isoliert und in Rein- kultur gezüchtet wurde, so daß die oben be- berührten ernährungsphysiologischen Fragen ge- prüft werden konnten. Er gibt eine ausführliche Darstellung des Kulturverfahrens und der Ent- wicklungsgeschichte und Morphologie des kulti- vierten Nostoc punctiforme sowie des Verhaltens der Algen in den verschiedenen Nährmedien. An Mineralstoffen enthielten diese zumeist je 0,01 % K.,HPO, undMgSO^ und 0,05 % Ca(NO,,),,. Hierzu N. F. XVI. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 38s kamen dann in den einzelnen Versuchen ver- schiedene organische Verbindungen. Es zeigte sich, daß schon in belichteten Kul- turen das Wachstum der Algen bei Anwesenheit geeigneter organischer Stoffe meistens besser war. Selbst zur Zeit der günstigsten Beleuchtungs- bedingungen, im Sommer, war die erzeugte Algen- masse auf solchen Nährböden größer als auf den rein anorganischen, weil das Wachstum auf diesen nur oberflächlich war, während auf jenen auch die tieferen, weniger gut beleuchteten Algenfäden noch wachsen konnten. Noch viel deutlicher war die günstige Beeinflussung durch organische Stoffe im Herbst- und Winterlicht. Je geringer die Licht- menge war, mit der die Kulturen beleuchtet wurden, desto stärker trat die Förderung durch die heterotrophe Ernährung hervor. Wenn eine solche Nostoc- Kultur mit organischem Nährstoff (Petrischale) zur Hälfte mit Papier bedeckt wurde, so ließ sich diese Wirkung an derselben Schale schön verfolgen. Am stärksten war der Gegen- satz zwischen organischer und anorganischer fc;r- nährung bei Kultur in völliger Dunkelheit; hier unterblieb auf reinen Mineralsalzböden jedes Wachs- tum, und nur bei Zusatz organischer Verbindungen erfolgte Entwicklung. Das Dunkelwachstum war ini allgemeinen sehr viel langsamer als das im Lichte, woraus sich die große Bedeutung der autotrophen Ernährung ergibt. Das dürfte für die Chlorophyllhalligen Algen allgemein zutreffen, in- dessen wird in einem F"alle (Cystococcus) ange- geben, daß die Photosynthese bei Gegenwart von Traubenzucker fast oder ganz ausgeschaltet war. Als gute Nährquellen erwiesen sich die Kohlen- hydrate, namentlich Trauben- und Rohrzucker, auch andere Hexosen und Disaccharide, ferner Polysaccharide (Stärke, Dextrin). Viel weniger günstig und z. T. unbrauchbar waren Alkohole und organische Säuren. Bei Steigerung der Kon- zentration von 0,1 "/„ bis 5";',, Rohrzucker wurde eine Zunahme der Entwicklung beobachtet; Kon- zentrationen von 10% und darüber erwiesen sich als schädlich. Aus diesen Ergebnissen darf nicht der Schluß gezogen werden, daß alle Blaualgen zu hetero- tropher Ernährung fähig sind; Verf. betont auch, daß kein Grund vorliegt, an der Richtigkeit der oben erwähnten negativen Ergebnisse P rings - heim's zu zweifeln, schon deshalb, weil das Gunnera Nostoc eine seinem natürlichen Standort angepaßte physiologische Rasse darstellen könnte. Bemerkenswert ist, daß die Algen in den Dunkelkulturen des Verfassers dunkler gefärbt und bedeutend intensiver blaugrün waren als die der Lichtkulturen, die mehr rein grün aussahen. Die Erhaltung des Chlorophylls im Dunkeln hatte schon Bouilhac (1898) für Nostoc punctiforme, Brunnthaler (1909) für Gloeothece rupestris beobachtet, während bei einigen anderen niederen grünen Organismen festgestellt worden ist, daß sie bei Kultur im Dunkeln auf organischen Stoffen unter gewissen Bedingungen ihr Chlorophyll ver- lieren. Reinke, der 1871 die Nostoc-Kolonien in Gunnera -Rhizomen entdeckte, erklärte sie für Parasiten, die darauf angewiesen seien, ihr Dasein von dem gerbstoffreichen Saft der Gunnera zu fristen. Ob ihnen dieser Gerbstoff in der Tat als Nährquelle dienen kann, ist erst noch festzu- stellen. Die Kulturversuche, die Härder mit chemisch reinem Acidum tannicum ausführte, er- gaben eigentümlicherweise, daß gerade der Gerb- stoff zur Ernährung von Nostoc punctiforme völlig untauglich ist, ja sogar schädlich wirken kann. Daß Gunnera die Alge nicht nötig hat, zeigte schon Reinke, indem er sie ohne Nostoc züch- tete; und daß auch der ,, Einmieter" zum selb- ständigen Leben außerhalb der Wirtspflanze be- fähigt ist, wird durch Härder 's Kulturen er- wiesen. Auch ist Nostoc punctiforme sonst in der Natur weit verbreitet. „Offenbar lebt die Alge im Freien autotroph und ernährt sich viel- leicht auch noch an der Oberfläche des Rhizoms, solange sie sich noch in schwachem Lichte be- findet, selbständig, bei dem weiteren Eindringen in das Innere wird der Nostoc dann zum Para- siten, der, ohne große Ansprüche zu machen und ohne die Wirtspflanze wesentlich zu schädigen, auf deren Kosten lebt." Aus welchen Gründen die Alge aber überhaupt in das Gunnera-Rhizom eindringt, ist um so rätselhafter, als ihre beweg- lichen Fäden (Hormogonien), die die Infektion herbeiführen, positiv phototaktisch sind. Da sie durch die Kanäle der schleimabsondernden Außen- drüsen des Rhizoms in das Innere eindringen, so ist die Vermutung gerechtfertigt, daß der Schleim auf sie anlockend wirkt. (Zeitschrift für Botanik Jahrg. 9, 1917, Heft 3, S. 145—242.) F. Moewes. Der Geotropismus der Mistel. Viscum album wird vielfach noch jetzt als Beispiel einer Pflanze genannt, die kein geotropisches, durch den Schwer- kraftreiz bestimmtes Wachstum zeigt. Wie Hein- richer darlegt, ist diese Auffassung irrig und beruht hauptsächlich darauf, daß die geotropischen Reaktionen der Mistel zeitlich beschränkt sind und zumeist nicht dauernd erhalten bleiben. Jeder junge Trieb eines Mistelbusches zeigt aber, wie Heinricher an seinen kultivierten Misteln fest- gestellt hat, im Frühjahr eine Periode geotropischer Empfindlichkeit und antwortet auf den Schwer- kraftreiz mit einer Aufwärtskrümmung (negativem Geotropismus). Der Wahrnehmung dieses Ver- haltens mag auch der Umstand im Wege ge- standen haben, daß an natürlichen Standorten die Misteln sich in Höhen und Lagen finden, die solche Beobachtungen sehr erschweren oder un- möglich machen. Die geotropische Aufwärts- krümmung des ganzen Triebes erlischt bald, und an ihre Stelle treten autonome Wachstumskrüm- mungen (Nutationskrümmungen), die oft bis in Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 28 den Herbst hinein dauern. Ebenso allgemein wie die jungen Jahrestriebe der älteren Mistelpflanze zeigen auch die Hypokotyle der Mistelkeimlinge negativen Geotropismus. Das war schon von Wiesner erkannt worden, dessen Klinostaten- versuche indessen keinen genügenden Beweis dafür lieferten. Heinricher hat diese Krüm- mungsbewegungen des Hypokotyls der Mistel in einer eigenen Untersuchung behandelt. Auch er kam mit Versuchen am Klinostaten nicht zum Ziel; der Grund lag darin, daß es bei den ge- wählten Versuchsbedingungen nicht gelang, den Mistelsamen die zu ihrer Keimung nötige hohe Lichtmenge zuzuführen. In dieser Hinsicht ist die Mistel nämlich sehr anspruchsvoll; ihre Emp- findlichkeit gegen Lichtverminderung ist außer- ordentlich groß, und bei noch verhältnismäßig hoher, aber für sie nicht ausreichender Helligkeit tritt Verzögerung oder Einstellung der Keimung, ja sogar Erlöschen des Keimvermögens ein. Den Beweis für den Geotropismus des Hypokotyls erbrachten ganz einfache Versuche, am klarsten Kulturen von Mistelsamen auf horizontal liegenden glatten Glasplatten. Das aus dem Samen aus- tretende Hypokotyl krümmt sich zuerst vom Lichte weg. (Dieser negative Phototropismus des Mistel- hypokotyls ist seit lange bekannt.) Die Glätte der Platte verhindert aber mei.stens eine Befesti- gung des Hypokotyls mit der Haftscheibe, und da die phototrope Empfindlichkeit bald ausklingt, an ihre Stelle nun aber eine solche für den Schwerereiz tritt, so stellen sich die Hypokotyle mehr oder minder vollkommen in die Lotrichtung ein. Die geotropische Reizbarkeit hält auch bei den Hypokotylen nur kurze Zeit an. Weiter zeigt Heinricher an der Hand von photographischen Aufnahmen aus seinen langjährigen Kulturen, daß an Hauptstämmen von Mistelpflanzen nicht selten starke und dauernde negativ geotropische Krümmungen zu beobachten sind. Da seine Misteln besonders an den senkrechten Stämmen der Wirtspflanzen herangezogen waren, trat ihre geotrope Aufrichtung besonders auffällig hervor, was in der freien Natur, wo die Drosseln die Aussaat besorgen, weniger der Fall ist. An den Mistelsprossen zweiter und dritter Ordnung wird diese dauernde geotropische Reaktion nicht wahr- genommen. Die Adventivsprosse aber, die sich nach dem Zugrundegehen des primären Sprosses aus der Haftscheibe entwickeln, scheinen sich wie die Hauptachsen verhalten zu können. Im übrigen ist die geotropische Empfindlichkeit bei den Misteln individuell sehr verschieden; bei vielen äußert sie sich nur in geringem Grade oder fehlt ganz. (Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik 1916, Bd. 57, S. 221—262. Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft, Bd. 34, S. 818 — 829.) F. Moewes. Paläontologie. Paläobiologische Studien. In den bisher besprochenen „Paläontologischen Be- trachtungen" legte W. De ecke den Hauptwert auf das biologische Moment, welches uns Gesteins- beschaffenheit, Vergesellschaftung und dgl. liefert. In seinen „Paläobiologischen Studien" (Sitzungsber. der Heidelberger Akad. d. Wissensch. Jahrg. 1916) führt Deecke eine andere biologische Gruppierung der fossilen Invertebraten durch und hebt vor allem die Ähnlichkeit in der äußeren Form und inneren Struktur der Schale hervor, soweit sie durch die Lebensweise bedingt ist. Es handelt sich um Konvergenzerscheinungen bei ganz heterogenen Gruppen, z. T. um Betonung einer in der Natur liegenden Entwicklung oder latenter resp. untergeordneter Eigenschaften bei verwandten Gruppen. Ein charakteristisches Beispiel ist das Fest- wachsen, das am vollkommensten durch Inkrustieren erfolgt, wie das bei den Coelenteraten (Stromatoporen, Hydrozoen, Porites, Thamnastraea, sowie vielen Bryozocn) und den Lithothamnien der Fall ist. Kleinheit der Einzelindividuen bei reicher Kalkabsonderung, Krustenbildung mit F'lächenwachstum sind das Charakteristische. Crinoiden, Brachiopoden, Zweischaler, Schnecken und Krebse zeigen dies nicht, da ihre Individuen hoch bei kleiner Anheftungsfläche sind oder sie überhaupt nur beschränkt festgewachsen sind. Bei den Crinoiden kann die Wurzel zu einem dem vergrößeiten Stocke entsprechenden Anker weiter- wachsen (Apiocrinus, Millericrinus). Es ist eine Art Alterserscheinung, bei welcher auf diese Weise die Kalksalze unschädlich gemacht werden. Im allgemeinen hört nach der Jugend die Befestigung auf oder sie erfolgt im mittleren Lebensalter durch Wurzeläste (Omphyma) oder Fortsätze der Schale (Productus, Spondylus, Chama). Das Bestreben der Einzeltiere geht dahin, den gemeinsamen Stock zu verbreitern und hinauszuwachsen in den Raum, um vollkommene Atmung und reichlichere Nahrung zu erhalten (kegelförmige und becherartige Spongien, säulenförmige Korallen, Hippuriten, langröhrige Vermetiden, Serpuliden und Teredinen). Die kegel- förmigen Gestalten lassen sich in 2 Gruppen gliedern, einerseits solche, welche eine zeitlebens mitwachsende Wurzel besitzen wie die Spongien oder solche bei denen diese fehlt wie bei den meisten Einzelkorallen (Cystiphyllum, Montlivaultia) den Deckelkorallen (Goniophyllum, Calceola) und den Hippuriten. Alle diese nicht genügend be- festigten Tiere lieben weichen mergeligen Boden, nicht aber sandige lockere Sedimente, die wenig Halt bieten. Bei Diceras, Requienia und manchen Exogyren schützt spirales Wachsen um den Anwachspunkt vor Abbrechen und verkehrter Lagerung. Spondylus und Chama erzeugen auf der Unterklappe Dornen, mit denen sie die Auflagerungsfläche berühren. Flache Ostrea- und Anomia-Arten sind vielfach auf Aminonitenschalen festgewachsen; besonders merkwürdig sind jene auf den Steinkernen von Ceratites nodosus, die wohl das dünne Ammonitengehäuse beim Wachsen resorbiert haben müssen. N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 387 Die Art der Unterlage beeinflußt die Form der angehefteten Tiergehäuse ziemlich stark, wodurch die oft wechselnde Gestalt der Austern entsteht, die beim Bestimmen vielfach große Schwierigkeiten bereitet. Auch die auf Spongien der oberen Kreide aufsitzenden Spondylusindividuen können sehr vielgestaltig sein. Bei allen aufgewachsenen Tieren ist rasches Wachstum notwendig, um nicht im Schlamme des Sedimentes zu ersticken oder um sich ge- nügend Spielraum freizuhalten. Dies ermöglichen die lockere innere Struktur und mit dieser die Endothekalbildung. Zu einer massiven Kalk- bildung würde die Zeit nicht ausreichen. DieLockerung des Gesamtgewebes zeigen am deutlichsten die Poritiden und Madreporiden unter den Korallen. Septen, Mauer- und Endothekal- lamellen sind durchbrochen. Beides sind junge Formen, die erst in der Neuzeit zur Blüte gelangten. Nach ganz kurzer Zeit waren die Hafenanlagen von Port Sudan am Roten Meere mit langen Madreporen dicht bedeckt. Innere Kammerung bzw. lockeren Bau zeigen die Hippuriten, die Wirbel von üiceras und Caprina, die Unterklappe derSpondyliden,dieVermetidenundMagilusformen. Schwammig und locker, um mit der geringsten Menge von Kalksalzen auszukommen, sind die Basisplatte von Baianus, die Alcyonarien, die Echinodermen und Knochen der Vertebraten (Plesiosauriden, Elephanten) ausgestattet. Nicht selten werden zur Erhöhung raschen Wachstums organische Substanzen, ja bei manchen Röhren- würmern Fremdkörper eingeschlossen. Freien Spielraum gewährt das Aufwachsen auf beweglichen, teils kriechenden oder schwimmenden, teils flottierenden Körpern, so von Seerosen auf Paguriden, von Lepadiden aufF'ischen, Bimssteinen, Holz, Schiffen, bei Pentacrinus durch Umfassen von Treibholz. Muscheln befestigen sich mittels des Byssus, Brachiopoden mit dem Stiel. Eine andere Gruppe von F"ormen hat sehr geringen Ortswechsel, ist daher sessil zu neuen, ohne angewachsen zu sein. Es sind vorwiegend Tiere, deren Oberschale Mützengestalt hat. Haupt- vertreter sind die Patellen und Fissurellen, aber auch Capulus, Ancylus, Siphonaria gehören hier- her, also ganz verschiedene Gruppen ; analog sind ebenso die Haliotiden unter den Pleurotomarien. Von den Brachiopoden sind Crania, Discina und die Oboliden zu erwähnen. Das dichte Anziehen der Schale an den Untergrund ist das beste Schutzmittel, das am vollkommensten durch die runde bis ovale Napfform eines Deckels bewirkt wird (Rudisten, Richthofcnien). Weitere Fragen beziehen sich auf die An- passungserscheiiiungen, von denen die starke Chitinbildung bei Süßwassermollusken erwähnt sei." Unioniden, Pisidien, Paludina-Planorbis-Limnaeus- Arten zeigen sie. Der Chitinschutz dürfte wohl mit dem CO.j-reicheren Wasser zusammenhängen, das den Kalk der .Schalen zu sehr angreifen würde. Diese Hornausscheidung zeigen alle Mollusken, zeitweilig tritt sie gegenüber der Kalkabsonderung zurück (z. B. bei Meeresschnecken und -Muscheln, dafür dann die entsprechende Buntfärbung). Den Mollusken ist gemeinsam, den bilateralen Bau einseitig durch Schraube nbildung umzugestalten; Schnecken, dann Diceras und Requienia unter den Muscheln, Turrilites und Heteroceras unter den Kreidecephalopoden. Der Schraubenbildung entgegengesetzt ist die Auf- lösung des in sich geschlossenen Gehäuses. Die paläozoischen Capuliden zeigen alle Übergänge vom normalen naticaartigen Gehäuse bis zur losen Schrauben -und spitzen Mützenform. Auch Magilus und Vermetus geben infolge anderweitigen Haltes die Konsolidierung des Gehäuses in sich selbst auf. Konvergenzen zeigen sich bei den Mollusken in der Skulptur und äußeren Gestalt. Silurische Pleurotomarien von Gotland nehmen an der Basis denselben verbreiterten flachen Kiel und eingetiefte Untersehe an wie die tertiären und rezenten Xenophoriden. Die paläozoischen Murchisonien gleichen auffallend den Turritellen, die Nerineen den Terebra- Arten, Actaeonellen den Coniden. Auch der Gang in der Entwicklung der Verzierung ist bei den Gastropodengehäusen sehr gleichartig; Terebra nimmt die gleiche Knotung an wie Nerinea. Bei der Ammonitenskulptur er- scheinen dickere Rippen, Knoten und Dornen erst an der Innenseite, dann in der Mitte und schließlich auf der Externseite. ( Trachyceraten, Cosmoceraten, Stephanoceraten). Bei sehr vielen Muscheln ist die Skulptur am Hinterende kräftiger als an der Vorderseite; aber auch hier erfolgt die Zunahme der Skulpturierung wie bei den Gastropoden und Cephalopoden in durchaus gleichartiger Weise bei bestimmten Familien und Ordnungen. Im Gegensatz dazu stehen Gruppen, die dauernd glatt sind (.Actaeon, Actaeonella, Bulla, Pulmonaten, Naticiden; Luciniden, Donax, Mactra; Ptychites, Arcestes, Phylloceras, Lytoceras. Eine weitere Eigentümlichkeit ist die Loch- b i 1 d u n g bei Seeigeln, den jurassisch-cretacischen Pygope-Arten und den jungtertiären und rezenten Scutelliden (Encope), die sich schrittweise ver- folgen läßt. Von Interesse ist auch der Schalenverschluß, der bei kleinen Formen einfach ist, bei stattlichen kalkschaligen Brachiopoden zum Ausschweifen der Ränder, also zum Ineinandergreifen von Sinus und Rippen führt; Spirifer und Rhynchonella, letztere Gattung vom Silur bis zur Gegenwart. Pentame- riden, Athyriden, Terebrateln nehmen den Rhyn- chonellaHabitus an. Ganz gleich verhält es sich mit den Zweischalern, die im Paläozoicum glatt sind, im Mesozoicum aber Leisten, Kerben und Vor- sprünge bilden. Ostrea Marshi ist die Parallelform zu Rhynchonella; dasselbe bei tertiären und rezenten Cardien. Kerbung am Schalenrand besitzen Astarten, Carditen, Veneriden, Donaeiden, mit denen die Tiere bei kräftigem Schließen der Schale ungebetene Gäste (Würmer, Nacktschnecken, kleine Krebse) abbeißen können. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 28 Analogien zeigen sich auch in der Größen- entwicklung bei zahlreichen Gattungen; Gryphaea arcuata im unteren Lias ist mäßig groß, Gryphaea cymbium im mittleren Lias stattlich. Ähnliche Reihen ergeben sich bei Myophoria, Trigonia, Inoceramus, Pholadomya; Nerinea, Murex, Strombus, Fusus, Cypraea usw.; Spirifer, Zeilleria, Pentacrinus, Nummulites usw. Andere Formen werden in den verschiedenen Gegenden zu Kü mm er formen; z. B. Aucella im russisch-sibirischen Jura groß, im zentralund westeuropäischen Jura klein, ebenso Cardioceras. Ganze Faunen verkümmern nach Art der rezenten Ostseefauna infolge Absperrung von der offenen See. Alte Formen, die irgendwo persistieren, kehren vielfach bei Verschiebung von Meer und Land wieder; z. B. Actinostromaria im Cenocaen, die kaum von dem paläozoischen seit dem Carbon verschwundenen Actinostroma zu trennen ist; dasselbe gilt für Chaetetiden und Megalodon. Im Gegensatz dazu treten in allen Tiergruppen Dauertypen auf, die in einer Gegend lange ausharren können; Discina, Lingula, Atrypa reticu- laris; Pecten textorius geht bald größer, bald kleiner durch alle Jurastufen hindurch. Eigentümlich ist das bank weise Vor- walten einer oder ganz weniger Arten auf weiten Flächen. Heutige Beispiele sind die Austernbänke oder in Binnenmeeren vom Ostsee- charakter die Cardien- und Mytilussaiide. Fossil entsprechen ihnen die Austernschichten, Cardien- sande, Paludinen- undCongerienzonen des jüngeren Tertiärs, die Limabänke des VVellenkalkes; ebenso den muschel- und schneckenreichen Küstenabsätzen der Nordsee, der Atlantischen Küste und des Mittel- meeres entsprechende Lagen des Pariser Grob- kalks, mancher Kreidevorkommen, des Malms N.- und S.-Deutschlands, des rheinischen Unter- und Mitteldevons. Dagegen gibt es Bänke wie die Fusulinenkalke oder die Bänke mit Terebratula lagenalis und Rhynchonella varians, denen wir heute nichts an die Seite setzen können. V. Hohenstein. Zoologie. Es ist bekannt, daß die Kopffüßler (Cephalopoda) unter allen wirbellosen Tieren allein die Fähigkeit der Akkommodation besitzen, d. h. sie vermögen je nach der Entfernung des ge- sehenen Objekts die Refraktion ihres Auges so zu verändern, daß jedem Objektpunkt ein Bildpunkt entspricht, welcher auf die Netzhaut fällt; sie können also Bedingungen schaffen , wie sie für das deutliche Wahrnehmen eines zu sehenden Gegenstands erforderlich sind. Bei den Wirbel- tieren wird die Akkommodation dadurch erreicht, daß die Brechkraft der Linse gesteigert bzw. herabgesetzt wird durch eine Verkleinerung bzw. Vergrößerung ihres Krümmungsradius. Im ersteren Fall wird die Linse stärker ge- krümmt und vermag nun auch die divergenten Strahlen, welche ein naher Objektpunkt auf die Linse fallen läßt, auf der Netzhaut zu einem Schnitt- punkt zu vereinigen, während im zweiten Fall die schwächer gekrümmte Linse die praktisch parallelen Straiilen eines entfernten Objektpunkts zu einem Bildpunkt auf der Netzhaut vereinigt. Bei den Kopffüßlern aber, deren Linse wie bei allen Wassertieren nahezu kugelig ist, weil sie gewöhn- lich nur in der Nähe deutlich sehen müssen, er- leidet die Linse keine Formveränderung beim Sehen in noch größerer Nähe; der Schnittpunkt der noch stärker divergierenden Strahlen eines noch näheren Objektpunkts wird dadurch auf die Netz- haut gebracht, daß die Linse in toto durch einen Akkommodationsmuskel derselben genährt wird. Dasselbe wird dann auch mit dem Bild geschehen und dasselbe auf die Netzhaut fallen. Ist also der Mechanismus der Akkommodation des Cephalo- podenauges ein anderer wie bei den Wirbeltieren, so besitzen doch die Kopffüßler allein von allen Wirbellosen die P'ähigkeit der Akkommodation überhaupt; ihre Organisationshöhe spricht sich ja auch im Bau der Netzhaut der zwei großen paarigen Augen zu beiden Seiten des Kopfes aus, welche die einzigen Sehorgane bilden und je einen Seh- nerven von den Hirnganglien erhalten; freilich sind die Schichten der ts'etzhaut gerade umgekehrt angeordnet wie bei den Wirbeltieren. Es verdient nun unser besonderes Interesse, das Verhalten der Kopffüßler in bezug auf das Sehen am lebenden Tier zu studieren. In der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 12. März 1917 berichtete Maria Goldsmith über ihre Versuche bezüglich der Sinneswahr- nehmungen des häufigsten achtarmigen Kopffüßlers, des gemeinen Seepolypen (Octopus vulgaris Lam.) (C. R. Ac. sc. Paris, Nr. 11, 1917). Das Tastgefühl ist sehr hoch entwickelt, und es genügte schon, das Wasser des Aquariums zu bewegen, um die Tiere nach einer bestimmten Stelle hin zu locken, i — 2 Stunden später re- agierten sie nicht mehr auf die Bewegung des VVassers, wenn sie dort nichts fanden, sei es, weil sie es müde wurden dorthin zu schwimmen oder . weil sie die Erfahrung gemacht hatten, daß dort nichts zu finden war. Wurden die Tiere auf eine bestimmte Farbe dressiert, etwa indem ihnen gleichzeitig etwas Freßbares und ein buntgefärbter Gegenstand dargeboten wurde, so bevorzugten sie bei späteren Versuchen jene Körper, welche mit dem ersten gleichgefärbt waren, den sie früher beim Futter kennen gelernt hatten. Sie ließen sich also auf eine bestimmte Farbe dressieren, indem sie den dadurch ausgelösten Sinneseindruck im Gedächtnis eine Zeitlang behielten; sie ließen sich nur höchstens zweimal vergeblich anlocken, öfter nicht. Noch besser haftete in demselben eine Tastempfindung. Mit den Armen Erfaßtes brachten sie zur Mundöffnung, ließen es aber als- bald wieder fallen, wenn es nichts Freßbares war. Wenn die Tiere die Erfahrung 6 oder 7 mal ge- macht hatten, geschah dies sofort. Die Erinnerung N. F. XVI. Nr. 2l Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 389 für den Tastsinn büeb 8 Stunden bestehen, die für den Gesichtssinn aber nur 2 Stunden. Ein Polyp, welcher eine Erfahrung schon gemacht hatte, benahm sich ganz anders als ein Neuling. Vier Tiere zeigten insofern Abweichungen voneinander, als die einen rascher eine Farbe wieder erkannten als die andern; ebenso schwankte die Zeit der Erinnerung zwischen 2 — 3 Stunden. Schwarz und Rot wirkten in demselben Grad. Bei Versuchen mit blauen und roten, roten und grünen Streifen zeigte sich, daß die Erinnerung an Rot sich rascher festsetzte als die an Rlau. Wurde eine schwarze und eine rote Scheibe zu- gleich dargeboten, stürzte sich der Polyp auf Rot. Zusammenfassend sagt G. : Es wird Schwarz mit Rot nicht verwechselt. Es können sich Asso- ziationen zwischen einer Farbe und dem Futter bilden , auch wenn die Farbe normalerweise in der Umgebung des Tieres nicht vorkommt; diese bleiben aber nur kurze Zeit bestehen. Kathariner. Die bombenwerfenden Flieger der Natur. Es ist eine besonders den deutsche n Ornithologen angehende Frage, die H. Krohn im IVIaiheft der Ornithologischen Monatsschrift anschneidet, denn fast alle Vogelarten, um die es sich handelt, ge- hören zu denen der deutschen Fauna und alle neueren Beobachtungen stammen aus Deutsch- land oder dem jetzt von uns besetzten Gebiet. „Vögel , die ihre Beute zerschellen lassen", die hartschalige Beutestücke auf Steine fallen lassen, um sie zu zertrümmern und um zu dem nahrhaften Inhalt zu gelangen. Es verlohnt sich , die in unseren Naturgescliichtswerken nur unvollständig behandelten und noch auf Zweifel stoßenden Tat- sachen sich einmal zu vergegenwärtigen und einige gewiß zeitgemäße Betrachtungen daran zu knüpfen. Nach Plinius, berichtet zunächst Krohn, sei Äschylos durch eine Schildkröte erschlagen worden, die ein Adler auf den kahlen Scheitel des Greises herabgeworfen habe. Albertus Magnus be- richtet von einer kleinen und bunten Adlerart, die „Beinbrecher" genannt werde und die Knochen verzehrter Tiere auf Felsen fallen lasse, um das Mark zu gewinnen; wahrscheinlich sei der Schell- adler gemeint. Eine arabische Sage wolle sogar von einem riesenhaften Vogel wissen, der es ebenso mit ganzen Elefanten mache. 1909 sah man Krähen in Hamburg öfter Knochen in die Luft emporführen und auf die Glasdächer der Kunsthalle fallen lassen. Größere Knochen schlugen glatt durch. Auch ein abge- brochener Schirmgriff aus Hörn wurde einmal in dieser Weise abgeworfen. An der Nordseeküste sieht man zu anderer Zeit Krähen, und zwar Nebelkrähen, Muscheln so oft bis 30 m hoch tragen und dann auf Steine fallen lassen, bis sie zerschellen und der Inhalt vom Vogel gefressen wird. Ebenso verfuhr, nach v. Tschusi zu Sc h m id h of f e n, eine Rabenkrähe mit einer Weinbergschnecke, überhaupt Krähen auch mit Fluß- oder Teichmuscheln und Walnüssen, ge- legentlich mit einer Feldmaus. Auch vom Kolk- raben liegen entsprechende Beobachtungen vor, sodann von Möwen. Aber Fitzinger stellt derartige Berichte, die sich auf den Stelzengeier beziehen, als Fabeln hin, und unser Gewährsmann, Krohn, bezweifelt bei den vorher erwähnten Vögeln die Absicht, die Beute zu zerschellen, meint vielmehr, sie entfalle dem Vogel nur versehentlich und werde mitunter vor dem Niederfallen noch wieder ergriffen. Die zum absichtlichen Zerschellenlassen nötige Treff- sicherheit könne bei keinem Tier vorausgesetzt werden, „da man doch weiß, daß der Herr der Schöpfung in seiner Eigenschaft als bomben- werfender Flieger bei der ganzen Größe seiner Vernunft oft nur verhältnismäßig geringe Resul- tate erzielt." Soweit nach Krohn. Obwohl es nun gewiß vorkommt, daß Krähen oder Raubvögeln ihre Beute versehentlich entfällt, fügt doch C. R. Hennicke als Herausgeber der Ornithologischen Monatsschrift den kritischen Aus- führungen K r o h n ' s sicher mit vollem Rechte seinen eigenen und Leege's Beobachtungen an Möven an, die Muscheln, Krebse oder Wellhorn- gehäuse mit Einsiedlerkrebsen erbeutet hatten, sowie Reiser 's Angabe in der „Ornis balcanica", daß ein Bartgeier eitien Knochen oftmals hinter- einander aus ungefähr 80 m Höhe immer wieder auf einen Felsen fallen ließ und schließlich herab- kam und den Knochen, den er im Schnabel hielt, durch Anschlagen gegen einen Stein zu zerhauen suchte. Die Absicht ist unverkennbar. Der Bart- oder Lämmergeier führt bei den spanischen Hirten den Namen Ossifraga nach dieser seiner Gewohnheit, die auch den Tod des Äschylos herbeigeführt haben mag, die aber von Naturforschern noch wenig beobachtet worden ist. Daher ist sehr beachtenswert, was neuer- dings Major V. V. an diesem Vogel in Serbien feststellte und vor etwa Jahresfrist in der Deutschen Jägerzeitung mitteilte. Oftmals nacheinander habe er einen solchen Vogel von hohem Gebirge aus sich etwa 300 m hoch erheben und einen Gegen- stand, vermutlich eine griechische Landschildkröte, fallen lassen, die, soweit erkennbar, mit erstaun- licher Treffsicherheit immer auf dieselbe Stelle, ein Felsplateau, fiel. Der Vogel folgte dem fallenden Körper in großen Kreisen und erneute sein Spiel, vielmehr seine Arbeit, und zwar machte er stets vor Abwurf in der Luft einen Augenblick halt, hob die Flügel ein wenig, so daß er sich etwas senkte, und gab dem Wurf- körper noch einen Stoß durch Abstrecken der Fänge. Hier wurde also eine erstaunliche Treff- sicherheit und, was dem entspricht, eine be- sondere Kunst des Abwerfe ns unmittelbar beobachtet. Der Vergleich mit dem bombenabwerfenden menschlichen Flieger mag naheliegend erscheinen; wer aber in heutigen Tagen oft Flugzeuge und 390 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 28 Luftkämpfe sieht, wird finden, daß dieser Ver- gleich hinist im Verhältnis zu anderweitiger Tierähnlichkeit der jetzigen Flugzeuge. Auch das geht den Naturforschern an. Denn ach! wie leicht ist es, ein Loblied auf die fast naturgleiche Vollkommenheit unserer Flugapparate zu singen. Von nahe gesehen, hat solch eine Maschine, auf der Erde ruhend, in ihrer Erscheinung, sagen wir in ihrem Körperbau, ungemein viel von der Heu- schrecke, dabei aber lotrechte und wagrechte Schwanzflossen wie Fisch und Wal zusammen, nebst den steifen Tragflächen des fliegenden Käfers. Die Farbe ist wie bei Tieren unterseits hell, manchmal himmelblau, oberseits gelände- farben, meist grün und braun gewölkt, also aus- gesprochene Schutzfarbe. Nur Jagdflieger wählen statt dessen öfter auffallende Trutzfatbe, und zwar um so auffallendere, je erfolgreicher und kühner sie sind. Das bleibende Element in der Farbe ist nur das „Artabzeichen", bei den Deutschen das Eiserne Kreuz. Luftkämpfe erinnern fabel- haft an Bilder aus dem Vogelleben, bald an die Zweikämpfe zwischen Falke oder Krähe und Bus- sard, bald an die Jagd des Habichts auf flüchtende Tauben. Jedem unbefangenen Betrachter drängen sich diese Eindrücke ungewollt auf, den Zoologen fordern sie zu biologischen Betrachtungen und Vergleichen über Anpassungen heraus, und dem Naturbeobachter bereitet der Anblick von Luft- kämpfen denselben Naturgenuß wie entsprechende Vorgänge im Tierleben. Gern wird man daran die auch sonst fest- stehende, wenn selbstverständig immer nur rela- tive Vollkommenheit dieser vom Menschen ge- schaffenen Maschinen ermessen — obwohl der Mensch nicht eigentlich die Natur nachahmen darf, sondern ihr nur bis zu gewissem Grade selbständig nacherfinden kann und zum Beispiel recht daran tut, die Gelenkigkeit von Flügeln und Beinen durch die um ihre Achse rotierenden Propeller und Räder zu ersetzen, Einrichtungen, über die die Natur ein für allemal nicht verfügt. Wie vollkommen, und wie ganz anders als das Geschütz, das mit riesigem Kraftaufwand hundert- oder tausendmal fehlschießt, mit dem jetzt das blühende Frankreich von den eigenen Soldaten und ihren Verbündeten zu Bruch ge- geschossen wird, während kaum die geringsten gewollten Erfolge erzielt werden, steht ferner das Flugzeug als Waffe dal Es führt ein einziges Ge- wehr und einige 100 Patronen mit sich, die mit- unter kaum angerissen werden, und damit wird der Gegner verjagt, zur Landung gezwungen oder zum Absturz gebracht. Gleichwohl wird man von vornherein an- nehmen, daß der naturgeschafifene Vogel in allen seinen Verrichtungen immer noch den vom Men- schen geschaffenen erheblich übertrifft — soweit solche Abschätzungen überhaupt zulässig sind — und was nun den Flieger als Bomben werfer betrifft, so lehrt das oben nach v. V. Erwähnte, daß hierin der Vogel vor dem Flugzeug weit voransteht. Der Hinweis auf den Menschen als Herrn der Schöpfung hat also wieder einmal zu einem P'ehlschluß in der Beurteilung des Tierlebens geführt, wie es ja nicht anders sein kann. V. Franz. Bücherbesprechuugen. H. Henning, Der Geruch. VIII u. 533 gr 8», Leipzig 1916. Johann Ambrosius 13arth. — Geh. 15 M., geb. 17 M. Das Werk enthält Forschungen, die in der Zeitschrift für Psychologie Bd. 73 ft". durch vier Nummern schon veröffentlicht wurden, bereichert durch neu hinzukommende Abschnitte besonders über die Reaktion der Tiere auf Riechstoffe. Was dieser Arbeit unter den neueren psychologischen Publikationen unstreitbar einen besonderen Wert verleiht, ist die Vollständigkeit in der Bewertung des bisher über den Gegenstand Gearbeiteten, die strenge Durchführung der methodischen Gesichts- punkte, die reiche Ernte neuer psychologischer Erkenntnisse, schließlich der gründlich durch- dachte Versuch, das elementare Sinnesbild neu zu konstruieren. So ist ein Buch entstanden, das man zurzeit gerade als das Werk über diesen Teil des Sinneslebens bezeichnen kann. M. E. ist unsere Kenntnis des psychologischen Themas durch diese Studien einen entschiedenen Schritt weiter geführt. Die chemische Unterlage der Henning 'sehen Theorie zu würdigen, muß ich anderen überlassen. Die methodischen Gesichtspunkte, die es anwendet und die ihn auf ganz neue Bahnen bringen, muß man anerkennen. In der Frage der Einteilung war man bisher so ziemlich bei Linn6 stehen geblieben und eine experimental-psychologische Prüfung der Geruchsqualitäten ist unterblieben. Sehr treffend ist die scharfe Kritik der Klassi- fikationsmethode von Zwaardemaker, der che- mische, psychologische und andere Gesichtspunkte vermengt und sich nicht an Selbstwahrnehmurgen hält. Bei den von ihm selbst vorgenommenen Versuchen hielt sich Henning fest an die Art der Aufgabe, die ja eine psychologische ist und die das Augenmerk zuallererst auf die Samm- lung eines Erfahrungsmaterials von qualitativen Geruchserlebnissen richten mußte. Sehr wertvoll sind in dieser Schrift die Selbstbeobachtungen, die in den Aussagen der Vpn. enthalten sind. Ein Hauptgewicht wurde gelegt auf das bisher N. F. XVI. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 391 etwas vernachlässigte unwissentliche Verfahren. Zur Frage der Geruchsmessung wird wichtiges vorgebracht. Verf. kritisiert die bisherigen Me- thoden. Seinen eignen Versuchen lag eine Messung nach der Gewichtsmethode (Wolffsche Flaschen) und nach der Volummethode (vgl. d. ehem. Gaso- metrie) zugrunde. Die große Leistung Hs. ist vor allem die neue Einteilung der Geruchsarten. Eine bestimmte Gliederung der psychologischen Inhalte wird nach dem Princip der Qualiiätsbeschaffenheit durch- geführt und damit eine Parallele zu dem syste- matischem Aufbau der Farben- und Toneindrücke hergestellt. In dem damit bezeichneten Sinne spricht H. von Grundgerüchen und führt als solche die folgenden 6 auf: Würzig, blumig, fruchtig, harzig, brenzlich und faulig. Indem er den ver- gleichenden Gesichtspunkt festhält, wird er zur bildlichen Aufstellung eines sogenannten Geruchs- prismas veranlaßt. Jede einzelne Grundempfindung wird durch dieses Modell als kontinuierlich in jede andere übergehend dargestellt, während die sechs Ecken die Umkehrpunkte der Ähnlichkeits- richtung darstellen. Die sonstige chemische Be- schaffenheit der riechenden Substanzen hat bei dieser Klassenordnung nichts zu sagen, aber in der innermolekularen Bindung besteht für alle Chemikalien derselben psychologischen Geruchs- klasse die gleiche Eigenart. Das Entscheidende bei der qualitativen Reizwirkung wird demnach in dem Bauplan des Moleküls gesucht. Im übrigen werden sehr aufklärende Untersuchungen angestellt über die natürlichen Reizbedingungen für die Sinnes- erregung (Klima, Tageszeit, Vegetationsprozeß, Wasserdruck) sowie über die Vorgänge, die an- genommenermaßen in dem Riechorgan stattfinden und die Empfindungen erregen. Nur mit zu gutem Grunde wird der Übelstand der Geruchsbezeichnung hervorgehoben. Gerade beim Geruch, der unser empfindlichster Sinn ist, werden dadurch eine große Unsicherheit und allerlei Irrungen verursacht. Sehr leicht kommt es dazu, das man einem er- lebten und eigentlich richtig erkannten Eindruck einen falschen Namen beilegt. Beim Riechen wirkt der vom Bewußtsein festgehaltene Gegenstands- eindruck sehr wesentlich mit zur Ausprägung des inhaltlichen Sinneserlebnisses. Das Rauchen mit geschlossenen Augen schmeckt auf die Dauer nicht. Hierbei spielt bekanntlich die innige Verschmelzung mit Reizwirkungen anderer Sinne eine wichtige Rolle; Verf. untersucht sorgfältig, wie sich Druck- empfindungen, Stich-, Temperatur- und Ge- schmacksempfindungen am Geruchserlebnis be- teiligen können. Besonders die Prüfung des letzt- genannten Punktes führte zu einer erheblichen neuen Erkenntnis, die H. dahin zusammenfaßt, daß der enge Zusammenhang des Geschmacks- und des Geruchssinnes nicht das Schmecken mit der Zunge, sonden nur das nasale Schmecken betrifft. Einen eigenen Abschnitt bei jeder Geruchs- psychologie stellen die Verhältnisse bei den Mischungen dar. Auch hier bietet H. wesentlich neues. Zunächst ist als verdienstvoll hervor- zuheben, daß er die Z waardemaker'sche Methode, die Riechstoffe monorhin darzubieten, durch die dirhine Exposition ersetzt, die den sinnlichen Eindruck entschieden in größerem Reichtum hervortreten läßt. Im allgemeinen konstatierte H., daß Mischungen der Gerüche sich psychologisch ziemlich in Analogie mit den Tat- sachen auf dem Tongebiet (bei Zusammentreffen verschiedener Tonhöhen) verhalten, daß aber die Gerüche den Farbenempfindungen in der Rich- tungsveränderung ähneln, die in der Qualitätsreihe einsetzt. Wenn man gleichzeitig disparate Riech- stoffe mit den beiden Nasenlöchern riecht (bei sogenannten dichorhinem Riechen), tritt Wettstreit ein oder Unterdrückung kann stattfinden — nur die intensivere Komponente wird beachtet; nie aber fand H. bei seinen Versuchen eine Kompen- sation, und er bestreitet die Kompensation in dem Sinne, daß man beim Zusammenrücken verschie- dener Riechstofte erreichen kann, daß überhaupt gar nichts gerochen wird. Mehr als zuvor wird darauf hingewiesen, daß der Empfindungsinhalt beim Riechen im ersten Stadium, bei fehlender Übung oder unter be- sonderen psychologischen Umständen, diffus und unbestimmt sein kann. Es werden feine Beobach- tungen darüber gemacht, wie bedeutungsvoll es für die Wiedererkennung sein kann, daß der be- treffende Riechstoff mit dem ihm zugehörigen Namen reproduziert wird. Vieles hat dabei die „Einstellung" zu sagen. Bei Mischungen treten gut bekannte Gcruchskomponenten viel eindring- licher hervor als wenn der hervorgerufene Teil- geruch wenig bekannt oder fremd erscheint. Minimum perceptibile muß überhaupt größer an- gesetzt werden, wenn einem die Gerüche un- bekannt sind. Es begegnet hier eine sonderbare Spaltung in der Stellung des Bewustseins zur VVahrnehmung des Geruches, indem gelegentlich eine Seite der Empfindung als bekannt erscheinen kann, andere Seiten hingegen nicht. H. erörtert in diesem Zusammenhang etwas, das er F"remd- heitsqualität bezeichnet. Ob das nicht auf ein fehlendes Vermögen hinauskommt, die tatsächlich erlebte Geruchsempfindung mit einem anschau- lichen Bilde des gegenständlichen Trägers zu verknüpfen? Bei der Untersuchung über die F'älle einer angeblichen Ermüdung der Geruchsempfindung wird außer der tatsächlichen Ermüdung des End- organs das Verhalten der Aufmerksamkeit er- klärend herangezogen. Ein eindringlicher Geruch nimmt in störender Weise unsere Aufmerksamkeit mit Beschlag. Dieser Umstand bewirkt, daß wir vorziehen, uns der Nähe zu stark parfümierter Personen zu entziehen. Die natürliche Kapazität des menschlichen Sensoriums ist nicht als gering zu bemessen. Es ist nicht erweislich, daß dem Geruchssinn des Menschen Fähigkeiten abgehen, die dem Tiere zu Gebole stehen. Die beim 392 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 28 Menschen (und Affen) vorhandene Rückbildung des Zentralapparats (im Paläokefalon) für diesen — sowie für andere sogenannte niedere Sinne beweisen noch keine Unterlegenheit elementarer Art. — Manche Eigentümlichkeit in der subjektiven Gefühlswirkung des Geruches, seine vielfach variierende Lust- oder Unlustbetonung, steht in merkbarer Abhängigkeit von Rassenverhältnissen, was der Verfasser durch viele Belege veranschau- licht. Vielleicht wäre die Vermutung berechtigt, daß bei der Sache auch die Adaptation mitspricht, die ja gerade auf diesem Sinnesgebiete eine große Rolle spielt. Wie aus dem Obigen schon hervorgehen wird, bietet das Werk eine Fülle neuer Beobachtungen; in der Tat wird fast das ganze Feld der Psycho- logie von H. bearbeitet, soweit sich Anknüpfungen mit dem Geruchserlebnis ergeben. P^in Punkt, der noch weiterer Erforschung harrt, betriff: die intern psychologische PVage von der Beziehung dieser Sinnesempfindung zum Gefüiilsleben. Die Erre- gungen, um die es sich hier handelt, sind quali- tativ reichlich differenziert. Gerade beim Geruch ist die qualitative Mannigfaltigkeit fast unbegrenzt groß. Zu gleicher Zeit ist eben auf diesem Gebiet die Beziehung zur Lust-Unlustempfindung eine besonders innige. Bei Gerüchen wird es oft problematisch sein, ob das elementare an dem Erlebnis nicht gerade die sinnliche Gefühlserregung, zumal eine Gemein- oder Organempfindung ist. Der psychologische Inhalt kommt hierdurch unter dem Gesichtspunkt der von Stumpf angeregten Diskussion über die Gefühlsempfindungen — ein Problem, das, soviel ich sehe, vom Autor völlig unberührt gelassen ist. Um so erschöpfender ist seine Erörterung der übrigen psychologischen Streitpunkte. Sein Werk, das auf naturwissenschaftlicher Grundlage baut, ist vor allem die Leistung eines Psychologen und enthält gerade für die psychologische P"or- schung wertvolle Lehren. Gestützt auf eigenen Experimenten räumt H. mit vielen falschen oder unsicheren Urteilen auf, die bisher für gut und sicher galten. So widerlegt er z. B. die Behaup- tung, daß mit vergrößertem Reiz die Empfindungs- stärke zunächst steigt, um dann wieder zu fallen. Das Geschlecht fand er in keinem Punkte maß- gebend für die Feinheit des Sinnes; das entschei- dende liegt an den Erfahrungen des Lebens. Bei den Erscheinungen der sogenannten Parosmie bestreitet er das Recht, etwas der P'arbenblindheit analoges aufzustellen. Viele angebliche Anomalien sind einfach auf mangelnde Übung zurückzuführen. Kein Sinn wird dermaßen vernachlässigt wie der Geruchssinn. — Schließlich verdient eine Beobach- tung noch erwähnt zu werden, durch die H. m. E. die allgemeine Psychologie um einen wesentlich neuen Gesichtspunkt bereichert hat und zwar auf einem Sinnesgebiete, daß besonders der Auf- klärung bedarf, nämlich das Gebiet für die sinnliche Auffassung der Mannigfaltig- keit und d erReihen folge. H's. Experimente drängen ihn zu der Ansicht, daß es ein allgemeines geruchliches Nebeneinander und Hintereinander ohne diejenigen räumlichen Charaktere gibt, die wir bisher aus der Raumpsychologie kennen gelernt haben. Ein derartiges allgemeines Neben- einander wird empfunden auch wo die Geruchs- eindrücke uns über die Lokalisation nichts melden. Anathon Aall aus Kristiania. Hirt, W., Dr. PI in neuer Weg zur Er- forschung der Seele. München 1917, E. Reinhardt. Das Buch ist einesjener phantastischen Gedanken- gebäude, die, fern von jeder gesunden Skepsis und kritischen Philosophie errichtet, den Anspruch machen, wenn nicht alle, so doch die meisten Probleme Himmels und der Erde durch einige Zauberformeln zu lösen. Ein merkwürdiges Durcheinander physikalischer, psychologischer und soziologischer Begriffe bildet das Baumaterial. Dabei sind diese Begrifie jedoch nicht etwa hand- feste Ziegelsteine, die ihre Gestalt an den ver- schiedenen Ecken des Gebäudes bewahren, sondern schattenhafte Nebelschleier von beliebiger Dehn- barkeit und Gestalt. Die so zutage geförderten Sätze sind zum Teil reine Wortassoziationen, höchstens bildhafte Apho- rismen. Wenn wir noch hinzugefügt haben, daß sehr viel zitiert wird, können wir die Be- sprechung dieser Publikation schließen. Petersen. Literatur. Müller, Prof. P. Joh., Kepler's und Newlon's Gesetze über die Bewegungen im Sonnenrauni im Lichte der Strahlen und Ätherdrucktheorie. Wien, Teschen, Leipzig '16, K. Prochaska. Meißner, C, Das schöne Kurland. Ein deutsches Land. München '17, R. Piper & Co. — 2,80 M. Hermann v. tielmholtz, Zwei Vorträge über Goethe. Braunschweig '17, K. Vieweg & Sohn. Feldausgabe. — So Pf. Karl Kräpelin's Leitfaden für den zoolo- gischen Unterricht in den unteren und mittleren Klassen der höheren Schulen. I. Teil; Wirbeltiere. 7. Aufl. Be- arbeitet von Prof. Dr. C. Schäffer. Mit 226 Textabbildungen und drei farbigen Tafeln. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. — 2,60 M. Inhalt I J. J. Taudin Chabot, Zur Bewertung der geistigen Leistungen von Hund und Pferd. S. 377. Karl Kuhn, Das Coronium, ein unentdecktcs Edelgas. S. 381. — Einzelberichte: H. Scupin: „Die erdgeschichtliche Entwicklung des Zechsteins im Vorlande des Riesengebirges". S. 383. Richard Härder, Die Ernährung von Blaualgen durch organische Stoffe. S. 384. Heinricher, Der Geotropismus der Mistel. S. 385. De ecke, Paläobiologische Studien. S. 386. Maria Goldsraith, Das Verhalten der KopffülSler in bczug auf das Sehen. S. 3S8. Krohn, Die bombenwerfenden Flieger der Natur. S. 38g. — Bücherbesprechungen: H. Henning, Der Geruch. S. 390. W. Hirt, Ein neuer Weg zur Erforschung der Seele. S. 392. — Literatur: Liste S. 392. Manuskripte und Zuschriften iße en an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invali. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 22. Juli 1917. Nummer ä9. [Nachdruck verboten.] Die Seevögel waren es, an die in der ersten bedeutungsvollem Durchführung die Vogelzug- kunde ihre sog. Zugstraßentheorie knüpfte. Pal- men, der schwedische Forscher, hatte 1876 in seinem grundlegenden Werke „Die Zugstraßen der Vögel" die Lehre gebracht, den bekannten Satz, daß jede Vogelart, die für den Sommer- und Winteraufenthalt zwischen zwei Gebieten regel- recht wechselt, hierbei eine bestimmte Straße habe, von der sie ohne Not nicht abweicht. Bei den 19 hochnordischen Wasser- und Schwimm- vögeln, deren Wege den Gegenstand der Pal men- schen Untersuchung gebildet hatten, kamen haupt- sächlich die großzügigen Küstenlinien als Richt- male in Betracht. Ein leicht übersichtliches Bild also, das man nun aber, besonders in der Laien- welt, nur zu sehr ins Allgemeine zu übertragen sich gewöhnte, indem ein so einfacher, gleich- mäßiger Verlauf (bei den Landvögeln an Müssen und ähnlichen Leitlinien entlang) nach und nach für die Fernfahrten von so ziemlich allen Zug- vögeln als von vornherein selbstverständlich an- genommen wurde. Aber nicht nur, daß für ge- wisse Überlandflieger von fachkundiger Seite — wie es heute mehr und mehr scheinen will, mit Recht — „ein Ziehen in breiter Front", also ohne die gedachte Weggebundenheit geltend ge- macht wird, so stellen sich nach den Ergebnissen der neuern F"orschungsmethoden, der Vogelwarten- beobachtung und des mit ihr Hand in Hand gehenden, vom Leiter der Vogelwarte Rossitten, Prof. Thienemann, begründeten Ringexperi- mentes, *) auch die Zugverhältnisse unserer See- vögel teilweise doch etwas verwickelter dar. Aber gerade in dieser Mannigfaltigkeit offenbart sich uns auch hier die Gestaltungskraft der Natur in ihrem ganzen Reiz und ihrer Fülle. Am buntesten mutet das Wandergetriebe der Möwen an, dieser Charaktervögel unserer, wie überhaupt der Meeresküsten. Von der Silber- möwe (Larus argentatus) weiß man jetzt, daß sie gar kein eigentlicher Zugvogel ist, keiner wenigstens, der „nach dem Süden", gar bis Afrika pilgert. Über die Nord- und Ostsee scheinen die hier beheimateten nicht hinauszugehen, kaum daß ein vereinzeltes Hinüberwechseln von der einen Die Wanderungen unserer Seevögel. Von A. WesemüUer. ') Von der Vogelwarte Rossillen und Helgoland werden bekanntlich mit der Herkunftsbezeichnung und einer Nummer versehene Aluminiumringe ausgegeben und eingefangenen Vögeln um den Kuß gelegt. Über On und Zeit des Auf- lasses wird genau Buch gefuhrt. Es kommt nun darauf an, daß, wenn irgendwo ein solches Tier erbeutet wird, die Warte dann den King mit Angaben über Ort und Zeit der Erbeutung zurückerhält. Seit Jahren sind auf diese Weise wertvolle Aufschlüsse über den Vogelzug zustande gekommen. in die andere vorkommt, wobei dann die Grenz- scheide nicht weit überschritten wird. Die größte Strecke, auf die sich eine gleichwohl noch inner- halb des Meeresbeckens verbleibende Ostseemöwe entfernte, betrug 530 km. Gelegentlich der großen Herbstzüge, die in bunter Folge der Arten von den russischen Ostseeprovinzen über die Kurische Nehrung heranfluten, war sie hier gefangen, um von der Vogelwarte Rossitten den Nummernring zu erhalten. Nach zwei Monaten hatte sie dann an der Ostküste Seelands (Dänemark) das Auge eines Jagdschützen erspäht, durch den der Er- kennungsring an die Warte zurückkam. Immerhin bei einer V\'egstrecke fast zweimal so lang wie von Hamburg bis Berlin eine ganz ansehnliche, schon wie „Zug" aussehende Reise, zumal diese schon, wer weiß wie weit, jenseits Rossittens be- gonnen hatte. Doch ist es ein außergewöhn- licher Fall. In der Nordsee sind auf dem Memmert, einer winzigen Insel, aber viel genannten Vogelkolonie bei Juist, als Nestlinge gezeichnete Silbermöwen im zweitfolgenden Winter bei Rotterdam erbeutet worden, vier weitere fand man, zwei davon vor Frost oder Hunger verendet, in einem Watt der Niederlande hinter Ulrum, Provinz Groningen, wieder. Die Entfernung bis Rotterdam beträgt 260, die bis Ulrum nur etwa 55 km. Ein Lieb- lingsziel zur Sommerzeit ist scheinbar die Insel Texel, Provinz Nord-Holland. Memmert-Möwen wurden hier, etwa i 50 km von der Geburtsheimat, wiederholt festgestellt. Eine in Dänemark am Rinkjoebing Fjord erbeutete Silbermöwe wies mit dem Ring am Fuß ihre Herkunft von den Färöern, ihre dänische Staatszugehörigkeit also über 260 km hin nach. Für „Zugvögel" sind das alles keine großen Entfernungen. Deshalb spricht man nun- mehr auch lieber von Streifzügen der Silbermöwe. Die Tiere brüten sogar, wie man heute ebenfalls mit ziemlicher Sicherheit annehmen kann, in der engern Heimat, wenn nicht in derselben Nist- kolonie wieder, in der sie das Licht der Welt erblickten. In starkem Gegensatz zu diesem Pfahlbürger- tum steht die Reiselust der Lachmöwen. Sie machen sozusagen ganze Weltfahrten und be- schränken sich dabei nicht auf die bisher immer angenommene Leitlinie der Wasserkante. Schon Palmen zeigt, daß viele von der See zur Rhein- Rhonestraße abbiegen. Das Beringungsverfahren hat ihm recht gegeben: Von Ro>sittener Lach- möwen, die also das gesamte deutsche Meeres- gebiet durchmaßen, liegen Ringfunde vor aus dem Oberelsaß vom Rhein-Rhönekanal, von Bregenz 394 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 29 am Bodeiisee, von der Reede von Genf und mehrere von der Rhönemündung (1700 km von Rossitten I). Schon am Genfer See ist ein be- liebtes Winterquartier, was die Anwohnerschaft leider zu recht argen Nachstellungen, sogar mit Gift, veranlassen soll. Viele bleiben am Golf von Lion, andere aber folgen der italienischen Küste oder der durch die Baiearen gewiesenen Richtung und gelangen so nach Tunis und Algier. Die an der Rheinmündung ihren westlichen Weg fortsetzenden Scharen landen teils in Eng- land, teils an den Allantischen Gestaden Frank- reichs, von wo manche noch weiter wandern nach Portugal, Spanien, bis Afrika. Lauter Ge- biete, aus denen unsern Vogelwarten Ringe von Lachmöwen zugingen, die in den verschiedensten Gegenden der Nord- und Ostsee damit gekenn- zeichnet waren. Zum Mittelmeer führen nun aber auch, allen bisherigen Anschauungen entgegen, mancherlei Wanderwege von der Ostsee unmittelbar südwärts über das F'estland, indem offenbar Ströme wie Elbe, Oder und Weichsel die Anfangsrichtung be- stimmen. Wir haben z. B. Ringfunde in einer Reihe von Königsberg (Rossitten) über die untere Weichsel, Breslau hin bis Wien, daneben aus der Gegend von Berlin (bei Grünau und von einer am Möwenkäfig des zoologischen Gartens ange- flogenen Lachmöwe), von Dresden, aus Böhmen und Mähren. Weiter südlich dann von der Donau und Save, die eine beliebte Zugstraße bilden, darauf aus der Umgebung von Görz und Triest, von der dalmatischen Küste (Spalato) einerseits, andrer- seits von der Pomündung, aus den Lagunen von Venedig, der Provinz Ravenna, wo viele Möwen überwintern, u. s. f. Eine Lachmöwe durchquerte, wahrscheinlich das Eisacktal benutzend, sogar die Alpen. Sie wurde im Trentino erlegt. Auf dem- selben Wege werden sich die bei München und im Inntal erbeuteten Lachmöwen befunden haben, die ebenfalls von Beringungslaiionen der Ostsee aufgelassen waren. Daß sie auch sonst auf ihrem Fluge Gebirgsland nicht scheuen, beweisen ring- geschichtliche Stellen in den Westalpen am Ufer der oberen Durance und in den Vorbergen der Pyrennäen, genau in der Mitte des Festlands- bandes zwischen dem Golf von Biskaya und dem Mittelmeer. Die Lachmöwe unserer Meere ist also ein Seevogel, der seinen Zug wohl am Meere entlang nimmt, aber sich nicht daran bindet, der auch den Flußläufen folgt, aber sonst in bezug auf die Geländeart nicht immer wählerisch ist. Nimmt man hinzu, daß eine auf dem Wörthsee bei München erbeutete und markierte Lachmöwe auf dem Herbstzuge nach Norden flog, nämlich den Rhein abwärts und dann an der Küste entlang bis Holland, so möchte man sagen : Es ist weder ein angeborener Richtungssinn, noch von vorn- herein eine bestimmte Landschaftsform, welche hier die Wanderungen leiten. Vielmehr scheinen dies die am besten sich bietenden Nahrungs- quellen, wenn nur in irgendwie gangbarem Gebiet, zu tun. Wie wenig eine andere Gesetzmäßigkeit in Frage kommt, beweist der Fall, wo fünf auf dem Möwenbruch bei Rossitten als Nestlinge ge- zeichnete Lachmöwen nach wenigstens zwei ver- schiedenen Richtungen mit fünf verschiedenen Zielen, die erreicht wurden, zu gleicher Zeit aus- einander gepilgert sind: je ein Stück nach Ungarn und Kroatien und je eins bis Wesipreußen, Eng- land und sogar über den Atlantischen Ozean nach Westindien. Die angedeutete Rolle der Nahrungs- quellen bestätigt folgender außerordentliche P'all: Bei Ciwitz m Böhmen auf dem hier 80— 90 m breiten Flusse Mieß sind Möwen selten; Wasser- vögel überhaupt kommen nur auf dem Durchzuge an und rasten hier dann nur kurze Zeit. Infolge andauernder Trockenheit war der Wasserstand ein recht niedriger geworden, so daß unzählige tote Fische den Spiegel bedeckten. Infolgedessen kamen ein paar IVlöwen zugeflogen, am dritten, vierten Tage einige Haufen, schließlich Massen von 200 Stück, die über dem Flußbett auf- und abschwebten und in ungefähr einer Woche das ganze Mahl vertilgten. Eine aus den Schwärmen herausgeschossene Lachmöwe trug einen Er- kennungsring vom Wörthsee bei München. Also waren es Möwen aus einer Richtung, in der sonst die vom Wörthsee nie zu ziehen pflegen. Nur die am Ort plötzlich auftauchenden Futtermengen bestimmten ihn zum Ziel. — Ein weniger ausgeprägter Zugvogeltyp als die Lachmöwe, aber in dieser Eigenschaft doch ent- wickelter als die Silbermöwe ist die Sturm- möwe (Larus canus). Sie streift weiter als diese und wandert doch nicht so ausschließlich und regelrecht wie jene. In heißen Sommern siedeln manche recht zeitig von der Ost- zur Nordsee hinüber. So erlebte Helgoland in der Gluthitze des Jahres 191 1 eine geradezu „abnorme Sturm- möwenüberschwemmung" (Angabe von Dr. Wei- gold, dem Leiter der Vogelwarte Helgoland). Sonst findet eine stärkere Verbreitung nach Westen erst im Herbst oder Spätherbst statt, auch bei den in der Nordsee beheimateten. Die F"ahrt geht dann wohl bis Holland, England und Frank- reich. In West-Lynn in der Grafschaft Norfolk werden zu der Zeit wöchentlich viele Hunderte gefangen. Obwohl Rückmeldungen von Rossittener Beringten von der Atlantischen Küste Frankreichs (Bucht von Morbihan) und eine sogar aus dem Binnenlande, von Paris, vorliegen, scheinen die Sturmmöwen die Nordsee oder doch den Ärmel- kanal im allgemeinen nicht zu überschreiten. Auch in der Ostsee bleiben manche den Winter über zurück, wie beringte Beutestücke von der Flens- burger Förde, aus Süd-Schweden und West- Dänemark bezeugen. Im Vogelleben Helgolands spiegelt sich das periodische Hin- und Zurück- fluten der Massen in der Weise wider, daß An- fang April z. B. ein halbes Tausend gesichtet werden, das im Mai, offenbar weiter ostwärts sich verteilend, wieder verschwindet. Im August N. F. XVI. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 395 mehrt sich der Zuzug aufs neue, um abermals abzuflauen, bis November die Rückwanderung be- ginnt mit der Höchststeigerung gegen Ende des Monats. — Als richtige Weltenbummler zeigt uns die Be- ringungsmethode die Heringsmöwen (Larus fuscus). Rossittener Ringe gelangten durch sie nach Ungarn (Saromberke an der Marosch), sowie bis Belgrad, ins deutsche Voigtland (die Umgebung von Plauen), nach Süditalien (Kalabrien) und je ein Färöerring nach Mindelo im nördlichen Por- tugal und nach Casablanka in Marokko. Also ein Auseinanderschweifen fast nach allen vier Winden. Dabei ist aber doch eine Vorliebe für die mehr westliche Zugstraße zu erkennen. Wenig- stens liegen eine ganze Reihe Fundorte anf dieser Strecke, von Liebau an über die pommersche Küste, auf der andern Seite über Dänemark und Schweden, weiter über Holland bis zur Atlanti- schen Küste, an der entlang jedenfalls die Färöerln von England aus über Frankreich und Spanien nach Marokko gelangt ist. Von der Mantel- und der Dreizehenmöwe (Larus marinus und Rissa tridactyla), die auch in unseren Meeren vorkommen, ist nach den bis- herigen Untersuchungen noch nicht viel zu sagen. Es sind die Tiere des hohen Nordens, die meist nur den Winter bei uns verbringen. Besonders die zweite Art ist von Oktober ab bei Helgoland ziemlich häufig, fliegt von Fischdampfer zu Fisch dampfer, von Kutter zu Kutter, um auf Nahrungs- abfälle zu warten. Die große, schwarzflügelige Mantelmöwe kommt in der Ostsee aus hohen Breiten hauptsächlich bei starken West- und Süd- westwinden an, also halb gegen den Wind. Sie wandert von hier auch wohl noch westwärts und sogar bis Südeuropa und darüber hinaus. Raub- möwen, die unsere Nordseegestade besuchen und unter denen die auffälligste die Riesenraub- möwe (Stercorarius catarrhactes) mit ihren i '/^ m Flügelbreite ist, stammen gewöhnlich von Nor- wegen, Grönland und Spitzbergen. — Von den Aufenthaltsbewegungen der See- schwalben in der Nordsee gibt uns der Leiter der Helgoländer Warte, Dr. W e i g o 1 d , aus einem der letzten Jahre ein interessantes Bild. Die Fluß- und Küstenseeschwalben, die in den Zugverhältnissen ziemlich übereinstimmen, faßt er dabei zusammen. Im Juli sind sie alle noch an den Brutplätzen. Im August beginnt das Umherstreifen, das in der zweiten Hälfte des Monats stark zunimmt: Ringmeldungen von der Unterelbe, aus Holstein, von den nordfriesischen Inseln. Um den 24. und 25. treten große Mengen bei Helgoland auf, wo sie zahllose junge Heringe finden, wo sie aber auch zu Hunderten zu Putz- und Sportzwecken geschossen werden. Zugleich ziehen schon zahlreiche Scharen südwestwärts über See, so daß unter den üblichen Eingängen bei der Vogelwarte die aus der Nähe Dünkirchens, von Klippen der französischen Küste am Pas de Calais, von Yarmouth in England nicht überraschen. Massen sind aber noch geblieben, die in böse Weststürme geraten, so daß bald Ringe von weit nach Ost Verschlagenen eintreffen, aus dem Mecklenburgischen und von Rügen. Die nach Rügen gelangte und eine von den Mecklen- burgischen werden, ein Opfer des Wetters, ver- endet aufgefunden. Mitte September setzt der Abzug des Restes ein bis auf einzelne umher- .streifende, von denen eine Gezeichnete im Olden- burgischen am Zwischenahner Meer und eine an der Unterelbe betroffen wird. Von den Fern- züglern geht aber inzwischen schon eine Ring- botschaft aus der holländischen Provinz Groningen ein, sowie je zwei von der Somme und der Seine- mündung, eine von Cherbourg und am 28. Sep- tember eine sogar von Lissabon. In Andalusien sollen einige Seeichwalben schon überwintern. Bei den Brandseeschwalben (Sterna can- tiaca) liegen die Verhältnisse ähnlich. Nur haben sich ihre Scharen gegen frühere Zeiten bei Helgo- land sehr verringert, da ihre Futterzufuhren, die Züge der Sprotten und Heringe, hier merklich im Abnehmen sind. Auf dem Memmert dagegen konnte vor kurzem eine Zunahme um das Sieben- fache festgestellt werden. Eine in Holland be- ringte war bis zur Goldküste Afrikas geflogen. Da ferner eine russische von der Insel Ösel (Ost- seeprovinzen) auf der Unterelbe geschossen wurde, so liegen über Seeschwalben überhaupt jetzt be- stimmte Daten vor von Kurland über die Ost- und Nordsee, am Atlantischen Ozean hin bis zum Golf von Guinea. Die Fortführung des Beringungs- verfahrens verspricht jedenfalls noch wertvolle Aufschlüsse. — Über das Verhalten der meisten anderen See- vögel zur Zeit der großen Umsiedlungen weiß man noch nicht viel. Die Stockente (Anas boschas) kehrt im Jahr nach der Geburt in Heimatnähe zurück. Herbstzügler aus Kurland und Ostpreußen strebten westwärts, bis in die Gegend von .Antwerpen und weiter, ins Innere von Nordfrankreich (Departement Aube), ebenso eine Krikente (Anas crecca) von Föhr zur französischen Kanalküste. Andrerseits aber endete eine Ostpreußin der ersten Art, die an der Weichsel entlang gewandert sein wird, bei Olmütz in Mähren und eine Krikente aus dem Gouverne- ment St. Petersburg in Südungarn, wo sie mit über hundert Stammesgenossinnnen gelandet war. Auch die Wege der Löffelente (Spatula clypeata) scheinen von Küsten- und Stromverlauf abzuhängen : Ein Ring gelangte mit einer solchen Ente von der schwedischen Insel Öland in ein Teichgelände der Somme, 100 km von der Mün- dung aufwärts. Noch weniger haben uns bis heute die Brand- und Spießenten von ihren 'Wanderungen verraten. Wissenschaftlich merk- würdig wurde eine Pfeifente (Anas penelope), die, mit einem Ringzeichen von Ulrum versehen, auf dem See Suolijärvi in Finnland der Kugel zum Opfer fiel und zwar zur Herbstzeit. Sie hatte sich also auffallenderweise nordwärts ge- 39Ö Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 29 wandt, bis über den 66. Breitengrad hinaus, 30 Grad östHcher Länge von Greenwich. Andere ihresgleichen dagegen bevorzugten von derselben Markierungsstelle aus die Westrichtung am Ge- stade entlang, wobei eine die 625 km entfernte Seinemündung erreichte. Derselben Heerstraße gehören die IVIassenflüge der Trauer- und Sammetente (Oidemia nigra und fusca) an, die, über Helgoland kommend, Mitte Dezember an der holländischen Küste zu ganzen Myriaden anwachsen, so daß Weigold durch ein solches Gewimmel einmal dreiviertel Stunden lang fuhr. Im allgemeinen kann man also von unseren Seevögeln sagen, daß meistens zwar die lang- gedehnte „Wasserkante" unseres Erdteils ihre Zugstraßen bestimmt, daß aber die Wanderflüge ins Binnenland und auf früher weniger beachteten Straßen über das Festland hinweg durchaus nicht verschwindende Ausnahmen bilden. Die große Zugbahn Ost-West, bzw. Ost-Südwest erfährt zu- dem noch manche Verbreiterung seewärts wie landwärts. Daß die Wege der nördlicher brütenden Vögel geradezu senkrecht zu dieser Linie stehen, ist selbstverstär.dlich und schon früher beachtet worden. Die Randlinien Schwedens, Norwegens und F"innlands lenken ihren auf Süden, im Früh- jahr umgekehrt eingestellten Umzugsflug. Vor- nehmlich sind es Alken, Lummen, Eider- enten, der Papageitaucher, Nordsee- taucher, die Ringelgans u. ä., die auf diesen Straßen ziehen und von Herbst bis Frühjahr in 'der Nord- und Ostsee in großen Scharen (im Ok- tober bei Helgoland z. B. bis zu 1500 Stück) er- scheinen, manche wie die Ringelgans nur auf dem Durchzuge. Auch der wilde Schwan (Cygnus musicus) ist in Deutschland vielfach nur Durch- zügler, überwintert aber auch zahlreich an unseren Küsten. Zu den Seevögeln, die beim Quartierwerhsel für die Hin- und Rückreise verschiedene Wege einschlagen, zählt unter anderen der Große Brachvogel (Numenius arcuatus). Er kommt im März und April durch Deutschland, zieht aber abwandernd längs der Meeresküste. Heere von Tausenden erfüllen dann bei Norderney, Helgo- land und Sylt mit ihrem lauten Geschrei die Luft, in der Gewalt des Eindruckes nur noch über- boten vom Vorübersausen der Goldregen- pfeifer (Charadrius apricarius), die gleichfalls beide Strecken ziehen, in der größern Zahl jedoch, sowohl März wie Oktober, den Seeweg wählen. Von den sibirischen Tundren kommen sie in Legionen herangewallt, schreiend und in raketen- artig sausendem Flug, so daß wohl der Jäger auf der Lauer vor Schrecken das Anlegen des Ge- wehres ganz vergißt. Leider erliegt dieser schöne Vogel aber doch massenweise den Nachstellungen, und, trotzdem er noch immer in riesenhaften Mengen bei Helgoland erscheint, kann Weigold gegen die früheren Zeiten, wo Gätke noch Vogelwart auf der Insel war, eine merkliche Ab- nahme der „delikaten Goldhühner" feststellen. Wie bei so mancher Vogelart hält eben die Mord- waffe des Menschen gegen die schöpferische Fülle des Lebens in der Natur nicht nur gleichen Schritt, sondern weiß sie in brutaler Weise an Macht auch noch zu übertreffen. Kleinere Mitteilungen. Das Deutsche Tierleben in der verflossenen Kälteperiode'). Infolge der ungewöhnlich strengen Kälie im vergangenen Januar, Februar und März hat der Wolf öfter als in sonstigen Wintern aus Rußland nach Ostpreußen, namentlich nach Masureri, herüber gewechselt. — Vom nutzbaren Wild ist erfreulicherweise trotz der Fütterungsschwierigkeiten nur wenig ein- gegangen, selbst in Gebirgen, wie im Odenwald, im Harz und in der Rhön, wo es anscheinend besonders wetterfest ist. Erfreulich ist das, weil infolge der Fleischknappheit die Wildbestände fast überall stark vermindert sind und jetzt ständig für Jagd- pachten utiglaublich hohe Preise geboten und ge- zahlt werden, die wieder herauskommen sollen. Nur vereinzelte gefallene und schalenwunde Stücke Rot- und Rehwild wurden gefunden, vielleicht in Westpreußen zahlreichere; Schwarzwild war bloß abgemagert. Mehrfach sind die Junghasen ') Nach Berichten der „Deutschen Jägerzeitu Mai und nach anderen Quellen. erfroren. In Wolhynien wurde am 25. Februar ein dreitägiger Junghase lebend gefunden. Also selbst im dortigen rauhen Klima gibt es zeitige Hasensätze. Auch F"asanen haben, zumal bei fehlender Fütte- rung, natürlich stark Hunger gelitten, Rebhühner traf man gelegentlich mit erfrorenen Ständern, so daß sie unfähig waren, zu laufen oder aufzufliegen; ebenso einmal ein Teichhuhn. In Bayern gab es erfrorene Stare, „Drosseln" und „Feldlerchen" — vermutlich Amseln und Haubenlerchen, anderwärts Buch- und Bergfinken, Goldammern, Rotkehlchen, Eisvogel, Taucher, Teichhühner und Steinkauz. Selbst Krähen lagen verendet unter den Schlafbäumen. Die Jagd auf Wassergeflügel fiel meist gut aus, da Enten, Gänse, Säger, Taucher, Teich- hühner ') und in Norddeutschland Schwäne zahl- reicher als sonst aus Norden herankamen und die ganzen Scharen der Zug- und Standvögel sich ') Keine Art gil( heute mehr für ungenießbar. N. F. XVI. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 397 nach Zufrieren der Seen zur Äsung; an den wenigen eisfreien Stellen und an den Ufern sammelten. Höchstens an der Küste, wie in Ostfriesland, fanden sie auf dem offenen Meere eine vor Nachstellungen etwas geschütztere Zufluchtsstätte. Durch Hunger ermattet, konnten viele von den Schwimmvögeln mit der Hand gegriffen werden. Solches etwa wird berichtet aus Kurland, Holstein, Mecklenburg, Schlesien, dem bergischen Lande, vom Rhein, aus Belgien, aus Bayern. Viel Äsung fand die Vogelwelt, Enten und Säger, Möwen und Krähen, auf den Flüssen, z. B. auf dem Rhein, als er mit Eisschollen bedeckt war, die erfrorenes Kleingetier vom Grunde nebst Küchenabfällen führten. Zu Tausenden fuhren die Vögel auf den Schollen einige Kilometer stromab, strichen dann wieder der Strömung entgegen, und so fort. Aber immer mehr engt sich der offene Strom ein, immer kleiner wird damit die Äsungsfläche, schließlich steht die Eismasse fest und wächst stromaufwärts. Mit ihr wandern stromauf die Vögel. Anderwärts sah man Raubvögel infolge des verschärften Daseinskampfes sich herbei- lassen, in der Nähe des Menschen, namentlich am frischen Stallmist, gemeinsam mit Krähen zu kröpfen. Krähen setzten Junghasen hart zu, nahmen auch zu mehreren einen erwachsenen Hasen an. Auf der Maas erschnappten Krähen Stare, mit denen sie gemeinsam auf Eisschollen trieben. Da keine Mäuse hervorkamen, hielten sich Falken viel mehr als sonst an die Kleinvogelwelt. In Hadmersleben wurde ein Mäusebussard mehrmals von einem Stalldache verjagt, wo er sich anscheinend den Hühnern zu nähern versuchte. Bei Mors wurde beobachtet, wie ein Mauser eine Elster schlug. Sonst ist bekanntlich der Bussard ein träger Vogel, der sich eher von Krähen verjagen läßt. Ich sah vor etwa i V-i Jahren einen, der, offenbar infolge ausgiebigen Kröpfens, so faul war, daß er sich von zwei nacheinander herankletternden Krähen und sogar einer Elster in den Ständer beißen ließ, worauf er endlich langsam abstrich. Ein einziges Dompfaffen[)ärchen hat einen Kirschbaum von Knospen leer gefressen. Vor den Toren einer rheinischen Stadt er- schienen Großirappen, und in den Straßen Bacharachs schlug man eine Wildkatze tot. Der Fuchs vergriff sich an Schwänen, wenigstens an geflügelten, und hat mehrfach auch seinesgleichen gerissen und gefressen. Alles vierläufige Raubzeug hatte ein besonderes dichtes Winterkleid angelegt. Bei der Schnepfe, die kaum vor Mitte März irgendwo in Deutschland erschien, hat sich der Frühjahrszug an den meisten Orten von Ungarn bis Belgien sicher um etwa 8 bis 14 Tage verspätet. Auch Schwalben sah man verspätet eintreffen. Während der vorangegangenen kalten Monate waren zwar einzelne Schnepfen da: das sind die wenigen Standschnepfen, die wir all- winterlich haben. Viele Schwimmvögel rüsteten ungewöhnlich spät zum Aufbruch nach Norden, und ein'ge werden sich wohl, da sie bereits legereife Eier trugen, ihrer Gewohnheit entgegen zum Bleiben ent- schlossen haben. Sonst ist mir, außer vielleicht vom Osten, aus Kurland, nicht sicher bekannt geworden, daß sich bei größeren oder bei kleineren Vögeln die Zug- zeit in diesem kalten Spätwinter merklich ver- schoben hätte, vielmehr fiel in mehreren Gegenden auf, daß die Kiebitze zur gewohnten Zeit in den ersten Märztagen auf den noch völlig vereisten Wiesen eintrafen. Ungezählte Mengen sah man in Belgisch- Limburg. Hinwiederum wurden Standschnepfen In Belgien und Kleiber, Stare und Rotkehlchen in Deutsch- land in Gegenden, wo sonst fast all winterlich einige ausharren, diesmal nicht mehr gesehen. Sie kehrten vielleicht im März wieder zurück. Anders im besetzten Frankreich mit seinem bekanntlich im Durchschnitt milderen Klima. Ich traf am 27. Januar in der Gegend von Valen- ciennes ein, also im nördlichen Nordostfrankreich, wo der Schnee ebenso wie am Rhein und etwa halb so hoch lag wie im Osten Deutschlands. Ohne viel auf die Natur achten zu können, sah ich doch, daß Stare und Rotkehlchen auch in den strengsten Wintertagen trotz der für diesen Landstrich ganz ungewohnten Rauhheit der Witterung hier blieben. Die Rotkehlchen hielten sich viel in Höfen am Erdboden und zeigten kaum mehr Scheu vor dem Menschen. .'\n 22. März durchritt ich bei heftigem Schneeweiter einen Laubwald und befand mich plötzlich inmitten von fünf laut um die Wette balzenden Rotkehlchenhähnen, die samt den das Gebüsch durchschlüpfenden Weibchen mein Erscheinen und das Wiehern meines Pferdes nicht beachteten. Zur gleichen Zeit war in Nord- deutschland — Lüneburg, Leipzig — „noch alles tot und still". Das ganze Liebesleben der Vögel, auch soweit diese schon da waren, setzte offenbar im größten Teile Deutschlands ziemlich spät ein. Bestimmt wird dies von der Birkhahnbalz mehr- fach berichtet. Auch sie fand gelegentlich bei heftigem Schneegestöber statt. In der vom Brocken herabströmenden Ilse, die bis auf den Grund gefror, ist der Forellenbestand schwer geschädigt, vielleicht vollständig vernichtet worden. Ebenso sind verschiedentlich in Fisch- teichen viele Karpfen und Aale zugrunde ge- gangen, sowie sonstiges Wassergetier in bis zum Grund gefrorenen Kleingewässern. Begreiflicher- weise erwachte auch das lenzliche Leben der Lurche und Kriechtiere allgemein spät. V. Franz. Bemerkungen zur Tonerzeugung der Schweb- fliegen. In Nr. II der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift, Jahrgang 1917, erschien eine Ab- handlung von Prof Dr. W. v. Reichenau über den „Gesang der Unsichtbaren im Föhrenwalde". 398 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 29 Prof V. Reichenau schreibt, daf3 bei den Schweb- fliegen (Syrphus) eine richtige Singstimme vor- handen sei, ein willkürlich ausgestoßener Ton, kein Flügelgeräusch. Im folgenden soll erörtert werden, was bisher vom Tönen der Dipteren bekannt ist, unter Hin- zufügen eigener Beobachtung. Wie Landois in seinen „Tierstimmen" 1874 ausführt, haben wir bei den Dipteren 3 Stimmen oder Töne zu unterscheiden. 1. Ein relativ hoher Ton entsteht durch die vibrierenden Flügelschwingungen, die ja bei den Dipteren besonders hoch an Zahl sind, z. B. bei Mücken 200— 300 mal in der Sekunde. Außer diesen durch Vibration äußerer Körperteile hervor- gebrachten Tönen unterscheidet Landois 2. eine Stimme, die von den Fliegen und Mücken durch die Stigmen der Brust hervorgebracht werden soll. Er hat diese Stimme dann bei einzelnen Fliegen untersucht, z.B. bei der Schlammfliege, Stubenfliege, Dungfliege. Nachdem er den Rumpf vom Abdomen, dem Kopf und allen Anhängen befreit hatte, tönte der Rumpf doch noch und gab einen Laut von sich. Landois meinte, daß diese Stimme nur ein Respirationston sein könne, der durch die aus den Stigmen ausströmende Luft hervorgerufen werde, die hier Stimmbänder in Schwingungen versetzen sollten. Er führt dies noch weiter aus und gibt Zeichnungen und Beschreibungen der kunstvoll eingerichteten Atmungsorgane, die diese Töne ermöglichen sollten. Als 3. Ton fand er dann noch bei einigen Fliegen einen Vibrationston, hervorgerufen durch eine Vibration des Kopfes; hierdurch wurde ein Brummen verursacht. Wir hätten also bei den Dipteren eine drei- fache Stimmbildung, erstens Flügelschwingungen, zweitens Respirationstöne, drittens Vibrieren des Kopfes. Der Respirationstheorie ist dann von verschiedener Seite entgegengetreten worden. Eine Zusammenfassung der ganzen F"rage in kritischer Erörterung findet man bei Prochnow, Die Laut- apparate der Insekten, Guben 1907. Prochnow beweist, daß ein Respirationston bei den Dipteren nicht vorkommt, daß also nicht ein ausströmender Luflstrom ausgespannte Häute in den Stigmen in Bewegung setze, sondern daß der Ton, der neben dem Schwirren der Flügel er- klingt, durch lebhafte Kontraktionen der Flügel- muskeln hervorgerufen werde, die auch nach dem Abschneiden der Flügel noch wirksam bleiben und den gesamten Thorax in Schwingungen ver- setzen, „Schwingungen, die wegen der Elastizität des Chitins schneller erfolgen als die normalen Muskelkontraktionen und eine größere Höhe des sekundären Flugtones bedingen, als sie der Haupt- flügelton aufweist". Hierzu möchte ich nun hinzufügen, daß ich Ende Juli 1916 im Eulengebirge auch Beobach- tungen über den Gesang der Dipteren im Walde anstellen konnte, und zwar bei Syrphiden. Ich hörte damals neben dem gewöhnlichen Ton, der durch das schnelle Schwingen der Flügel hervorgerufen wird, einige Male einen anderen Ton, der einen ganz anderen Klang hatte, vielleicht am besten mit einem feinen Klingen einer Saite verglichen werden konnte. Er blieb mir unerklär- lich, bis ich dann bald darauf ihn aus einem Strauche in nächster Nähe hörte und hier auch die Ursache entdeckte. Eine Schwebfliege saß auf einem Blatte, hatte die Flügel angelegt und saß scheinbar ganz stille. Bei genauerem Hin- sehen sah ich, wie die Halteren in rasender Ge- schwindigkeit schwangen. Durch dieses Schwingen wurde der feine Sington hervorgerufen. Ob nun der feine Ton auch während des Fluges hervor- gerufen werden kann, kann ich nicht entscheiden, aber es scheint mir nach meinen Beobachtungen so. Jedenfalls steht hierdurch fest, daß auch dieser merkwürdige Gesang der Syrphiden, den wohl auch Prof v. Reichenau beobachtet hat, nicht ein Respirationston ist, sondern ein Vibrationston. Echte Respirationstöne sind in der Insektenwelt bisher wohl nur vom Totenkopfschwärmer, Acherontia atropos, festgestellt worden, was aller- dings auch noch bestritten wird. Wieweit dieser sekundäre Ton der Syrphiden im Leben der Tiere von Bedeutung ist, steht nicht fest. Mir will es nach meinen Beobach- tungen scheinen, als ob er ein Anlockungs- oder Verständigungsmittel ist. Dr. Hans Lüttschwager. Einzelberichte. Chemie. Außerordentlich interessante Unter- suchungen über die Beziehungen zwischen der Wasserstoffionenkonzentration von Flüssigkeiten und ihrem sauren Geschmack sind neuerdings von Theodor Paul in Ergänzung seiner in dieser Zeitschrift bereits früher erörterten Arbeiten über den Säuregrad des Weines von physikalisch- chemischem Standpunkte aus ausgeführt worden und sollen im folgenden kurz besprochen werden. *) Versuche, die Beziehungen zwischen dem sauren Geschmack und der sauren Reaktion von Lösungen klar zu stellen, sind zwar schon von verschiedenen ') Theodor Paul, Beziehungen zwischen saurem Ge- schmack und Wasserstoffionenkonzentration, Ber. d. deutsch. Chem. Gesellsch., Jahrg. 49 (1916), S. 2124—2137. N. F. XVI. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 399 Seiten angestellt worden, haben aber zu keinem schlüssigen Ergebnis geführt, weil die physio- logischen Empfindungen, die hier in Betracht kommen, außerordentlich subtiler Natur sind und der Mensch saure Geschmacksempfindungen nur innerhalb sehr enger Grenzen zu differenzieren vermag; auch ist es nicht möglich, zu sagen, daß die eine Flüssigkeit doppelt oder dreimal so sauer schmeckt als die andere, die Angabe muß sich vielmehr auf die qualitative Aussage beschränken, daß diese F^lüssigkeit saurer als jene schmecke. Hierzu kommt noch eins: Die Versuche sind meist mit wässerigen Lösungen reiner Säuren angestellt worden, also Flüssigkeiten, auf die unsere Ge- schmacksorgane überhaupt nicht eingestellt sind, denn auch der Geschmack der einzigen Säure, mit der die Zunge des Menschen häufiger in Be- rührung kommt, der der Essigsäure, wird wesent- lich durch die im Essig vorhandenen, von seiner Herstellung herrührenden aromatischen Stoffe be- einflußt. Paul wählte für seine Versuche daher ein zwar recht kompliziert zusammengesetztes Material, den Wein, das aber den Vorteil bot, daß es der Zunge des Menschen bereits gut bekannt ist. Was die Säure des Weines anbelangt, so sind, wie Paul in Gemeinschaft mit Ad. Günther bereits früher eingehend nachgewiesen hat, zwei Dinge zu unterscheiden, nämlich einerseits der nur durch physikalisch-chemische Methoden, wie die Methylazetatkatalyse oder die Zuckerinversion bestimmbare Säuregrad, d. h. die aktuelle Wasser- stoffionenkonzentration, und der Säuregehalt, d. h. die Menge Wasserstoffionen, die man bei der Titration aus dem Wein herausholen kann '). Für die Geschmacksprüfung kommt, da die Wasser- stoffionen beim Schmecken ja wohl nicht ver- braucht oder doch rasch wieder ersetzt werden, nur der Säuregrad in Frage, und dieser schwankt nach den umfassenden Untersuchungen von Paul beim Wein im allgemeinen zwischen den verhältnismäßig engen Grenzen von 0,17 bis 1,61 mg Ion Wasserstoff im Liter. Die Weine, deren Säure- grad an der unteren Grenze liegt, schmecken über- haupt kaum sauer, diejenigen, deren Säuregrad an der oberen Grenze liegt, sind so sauer, daß sie kaum mehr genießbar erscheinen. Das Gebiet von 0,17 bis 1,61 mg-Ion Wasserstoff bezeichnet also ungefähr das Säuregebiet, das die Zunge des Menschen zu beherrschen vermag. Paul entsäuerte nun, um bei den geplanten Geschmacksversuchen von jedem neben dem Säuregeschmack vorhandenen sonstigen Geschmack des Weines unabhängig zu sein, einen und den selben Wein durch Zusatz verschieden großer Mengen von Dikaliumtartrat K.X^H^Og- VaHjO -) und erhielt so eine Reihe von Proben, die sich in geschmacklicher Hinsicht im wesentlichen nur durch die Menge ihres Säuregrades unterschieden. - ') Vgl. Naturw. VVochenschr., N. F. Bd. 14 (1915), S. 6u — 634. 2) Die entsäuernde Wirkung des Dikaliumtartrats beruht darauf, daß das Weinsäureion QH^O^ sich zum Teil mit dem VVassersloffion H+ zu dem Ion CiHjOoH— verbindet. Diese Proben setzte er einigen Fachleuten, einem Kellermeister, einem Küfer, einem Weingroßhändler, sowie einigen besonders weinverständigen Privat- personen vor, die die Proben mit ihrer geübten Zunge prüfen und in der Reihenfolge abnehmenden Säure- geschmacks anordnen sollten. Das Ergebnis dieser Versuche, die mit drei verschiedenen Weinsorten mit je 7 im Durchschnitt um 0,1 bis 0,2 mglon Wasserstoff im Liter verschiedenen Säuregradstufen durchgeführt worden ist, war durchaus das erwartete: Im allgemeinen wurden die Proben in der richtigen Reihenfolge angeordnet. Bestätigt wurden diese Ergebnisse durch einen auf der letzten Hauptversammlung der Deutschen BunsenGesellschaft für angewandte physikalische Chemie im großen durchgeführten Versuch '): Den — im Weinprobieren natürlich weniger ge- übten — Teilnehmern der Versammlung wurde ein sehr saurer Wein mit dem enormen Eigen- säuregrad von 1,80 mglon H+ im Liter in ursprünglicher F'orm und nach der mit steigenden Mengen von Dikaliumtartrat vorgenommenen Ent- säurung auf 0,95, 0,55 und 0,25 mg-Ion H+ zur Prüfung vorgesetzt. Bei der Prüfung ordneten von 62 Teilnehmern 37 (=6o''/o) die verschiedenen Proben ganz richtig, [8 Teilnehmer (=29"/,,) be- gingen einen und nur 7 Teilnehmer (=11"/^) be- gingen zwei Fehler — ein überraschend gutes Ergebnis. Mg. Über die Herstellung homogener Wolfram- kristallfäden für Glühlampen referierte auf der letzten Hauptversammlung der Deutschen Bunsen- Gesellschaft für angewandte physikalische Chemie Prof. Dr. W. Böttger- Leipzig. Seinem, soeben in der Zeitschrift für Elektrochemie (Bd. 23, S. 121 — 126; 1917) veröffentlichten, höchst interessanten Vortrage sowie auch einem kurzen Bericht mehr technischen Charakters, der jüngst in der Elektrotechnischen Zeitschrift (Bd. 38, S. 234 — 235; 1917) erschienen ist, sind die folgenden Mitteilungen entnommen. Bisher wurden die Wolframfaden entweder dadurch, daß das Wolframpulver, das bei der Gewinnung des metallischen Wolframs zunächst immer erhalten wird, bei hoher Temperatur durch Hänmiern zu kleinen Klumpen verschweißt und dann durch Walze- und Ziehprozesse in Drahtform gebracht, oder durch „Spritzen," d. h. in der Weise hergestellt, daß das feinverteilte Metall mit einem geeigneten Bindemittel zu einer plastischen Masse verarbeitet und dann unter hohem Druck durch Diamantdrüsen hindurch gepreßt wurde. Die so erhaltenen Fäden wurden nach geeigneter Vor- behandlung durch einen allmählich gesteigerten elektrischen Strom bis zur Sinterung erhitzt. Hierbei erhalten sie ein glänzendes metallisches Aussehen, ') Theodor Paul, Wissenschaftliche Weinprobe zur Feststellung der Beziehungen zwischen der Stärke des sauren Geschmackes und der Wasserstoffionenkonzentralion, Zcilschr. f. Elektroch., 23 (1917), S. 87—93. 400 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 29 bleiben aber hart und spröde und zerbrechen bei dem Versuche, sie zu biegen. Günstiger als Fäden aus reinem Wolfram ver- halten sich Fäden, die unter Zusatz von etwa 2''/o Thoriumoxyd, aber sonst in der gleichen Weise hergestellt sind, denn sie lassen sich über eine ziemlich scharfe Kante knicken, ohne zu zerbrechen. Nun aber zeigte sich bald, daß die mit Thorium- oxyd hergestellten Wolframfäden diese größere Festigkeit nicht gleichmäßig über ihre ganze Länge hin besitzen, es ergab sich vielmehr, daß sich in ganz unregelmäßiger Verteilung neben Stellen von größter Knickfestigkeit Stellen fanden, an denen der Faden bei jedem Knickversuch in zwei Stücke zerbrach. Diese Tatsache bildete den Ausgangs- punkt für die neuen von Direktor Otto Schaller, Dr. H. Orbig und Ingenieur Elstner von der bekannten Firma Julius Pint«ch in Berlin aus- geführten, in ihrem Zielbewußtsein mustergültigen Untersuchungen, über deren ganz eigenartige und überraschende Ergebnisse im folgenden kurz be- richtet werden soll. Zunächst schrieb man — das ist ja selbst- verständlich — das unregelmäßige Auftreten der Stellen geringer Knickfestigkeit dem Walten des Zufalles zu und suchte sie durch ganz besonders peinliches Arbeiten zu vermeiden. Indessen ohne jeden Erfolg: die schwachen Stellen treten vor wie nach in gleicher Unregelmäßigkeit auf. Dieser unbefriedigende Zustand änderte sich, als die Metallographie zu Rate gezogen wurde. Als die Fäden nämlich in geeigneter Weise geätzt und dann im Mikroskop betrachtet wurden, stellte sich heraus, daß sie aus einzelnen unregelmäßig aneinanderstoßenden, säulenförmigen Kristallen bestanden. Und die weitere Untersuchung ergab nun sehr rasch die Ursache für die Unregelmäßig- keiten in der Festigkeit der Fäden: Die Kristalle selbst besaßen eine hohe Knickfestigkeit; sie konnten geknickt werden, ohne dabei zu zerbrechen, äußerst empfindlich gegen das Knicken aber waren — das ist ja begreiflich — die Stellen, an denen zwei Kristalle aneinander stießen: an diesen Stellen trat bei jedem Knickversuch sofort Bruch ein, In den Abbildungen i bis 3 werden die be- schriebenen Frscheinungen im Bilde dargestellt. Abbildung i läßt die Stelle deutlich erkennen, an der zwei Kristalle aneinander stoßen. Abbildung 2 zeigt den achteckigen Querschnitt der Kristalle. Zu diesem Bilde ist aber folgendes zu bemerken : Die Fäden haben nach der Herstellung einen runden Querschnitt; den achteckigen Querschnitt erhalten sieerstdurchdenÄtzprozeß. Die der Böttger'schen Abhandlung beigegebenen Abbildungen sowie die Beschreibungen zeigen, daß dem runden Krystall- faden ein Bestreben innewohnt, auch die ihm als Kristall zukommende äußere F"orm, die Begrenzung durch ebene Flächen, anzunehmen, und diesem ja verständliche Bestreben durch die Ätzung gewisser- maßen eine Möglichkeit zur Betätigung gegeben wird. So entsteht ja auch, wenn man eine Kalkspathkugel in verdünnte Säure oder eine Kochsalzkugel in Wasser legt, als „Lösungskörper" ein Rhomboeder bzw. ein Oktaeder oder Würfel. Hierdurch erklärt sich die Abbildung 3, die einen zunächst zur Hälfte weggeschliffenen und dann zum Teil angeätzten Kristall darstellt; sie läßt deutlich den halb weggeschliffenen, nunmehr einen halbkreis- förmigen Querschnitt besitzenden Teil und daran anstoßend den „Ätzkörper" mit seinem charakte- ristischen achteckigen Querschnitt erkennen. Mit der Erkenntnis der Ursache für das Auf- treten der knickempfindlichen Stellen war das zunächst praktisch wohl unlösbar erscheinende Problem gegeben, die Entstehung verschiedener Kristalle in demselben Faden zu verhindern, d. h. Fäden herzustellen, die in ihrer ganzen Länge aus einem einzigen einheitlichen Kristall bestehen. Dies Problem ist von Schaller, Orbig und Elstner in folgender Weise gelöst worden : Der gespritzte Faden wird nicht mittels des elektrischen Stromes gleichzeitig in seiner ganzen Länge zur Sinterung ge- brannt, denn in diesem Falle entstehen ja gerade N. F. XVI. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 401 viele einzelne Kristallisationskeime und wachsen, ein jeder für sich, bis die groß gewordenen Kristalle zusammenstoßen, sondern er wird durch äußere Erhitzung zunächst nur an einer einzigen Stelle erhitzt, so daß sich auch nur ein Kristallkeim bildet und nun schreitet die Erhitzung langsam in der Länge des Fadens fort, so daß diesem einen Kristall- keim Gelegenheit zum Weiterwachsen gegeben ist. Praktisch wird dies, wie Abbildung 4 zeigt, in der Weise ausgeführt, daß man den gespritzten geschwindigkeit gerade Schritt hält. So wird es tatsächlich erreicht, daß der zu Anfang gebildete Kristallkeim, langsam und ohne daß sich neue Kristallkeime bilden, in den gespritzten, aus amorphem oder mikrokristallinem Material be- stehenden Faden hineinwächst und als Endergebnis schließlich ein einziger homogener Wolfram- kristall D von theoretisch beliebiger Länge er- halten und auf der Rolle R aufgewickelt wird. Das Wachstum selbst geht, wie Abbildung 5 zeigt, Abb. 3. Faden F durch eine mit einem indifferenten Gase (Wasserstoff) gefüllte Heizkammer K laufen läßt, in der er zunächst in einer Heizspirale S vorgewärmt und dann in der eigentlichen Kristallisierzone s, einer auf 2400 bis 2600" erhitzten Wolframspirale zur Kristallisation gebracht wird. Die Weiterbe- wegung des Fadens geschieht mit einer Ge- schwindigkeit von etwa 2V2 m in der Stunde und ist so geregelt, daß sie mit der Kristallisations- in der Richtung von innen nach außen vor sich; die — im Bilde dunkel erscheinende — Spitze des wachsenden Kristalls schiebt sich wie ein Keil in die — im Bilde hell erscheinende — Masse des noch nicht kristallisierten Fadens m. Die Wolframkristalle werden in der Technik in der Länge von 25 m hergestellt; ihre Dicke beträgt 0,02 bis 1,00 mm. Ihre Zugfestigkeit hat den hohen Wert von 164 kg pro qmm, und sie sind so biegsam, daß man sie, ohne daß sie zer- reißen, zu festen Knoten schürzen kann. Über die Bedeutung, die die technische Dar- stellung des Kristallfadens für die Glühlampen- Industrie hat, brauchen nach dem Vorstehenden nur wenige Worte gesagt zu werden. Bei einem gewöhnlichen, nach dem aUen Verfahren her- gestellten Wolframfaden wachsen im Laufe der zahlreichen Erhitzungen während des praktischen Gebrauches die einzelnen Kristallkeime, und der Faden wird dadurch als Ganzes immer empfindlicher gegen zufällige Stöße. Bei dem Kristallfaden aber, der zur Herstellung der Sirius-Metallfadenlampe dient, kommt gerade dieser unweigerlich schließlich zu Bruch des Fadens führende Faktor nicht in Betracht, denn der Faden besteht ja schon aus einem einzigen langen Kristall. Also wird die Lebensdauer des Fadens und damit die Lebensdauer der Glühlampe; durch diesen, die Lebensdauer 402 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 29 der gewöhnlichen Glühlampen am meisten ab- kürzenden Umstand nicht beeinflußt. Dazu kommt, daß die in gewöhnlicher Weise hergestellten Wolframfäden, die bei niedriger Temperatur erheblicli starrer als die verhältnismäßig weichen und duktilen Kristallfäden sind, bei der hohen Temperatur der Glühlampe weich werden, so daß sie sich leicht durchbiegen, während die Kristall- fäden bei der hohen Temperatur der brennenden Lampe merkwürdigerweise eine größere Starrheit als bei Zimmertemperatur besitzen. Es ist sehr dankenswert, daß die Firma Julius Pintsch die Veröffentlichung ihres Verfahrens zu- gelassen hat; es ist dadurch eine reiche Quelle wertvollster Anregungen für die Wissenschaft wie für die Praxis erschlossen. Mg. Eine Reihe von sehr interessanten Verbindungen ist in letzter Zeit von W. Seh lenk und seinen Schülern dargestellt worden, über die im folgen- den kurz berichtet werden möge. Das Triphenylmethylnatrium ') (CeH,)3C.Na entsteht durch Einwirkung von Natrium in Form von2''/jigemNatriumamalgamaufTriphenylmethyl- chlorid {CgU^).^CC\, das in vollkommen trockenem Äther gelöst ist. Die Reaktion, die in einer At- mosphäre von reinem Stickstoff vorgenommen werden muß, verläuft nach der Gleichung (QHJ3CCI + 2Na = (CgH5)3C- Na + NaCl. Das Triphenylmethylnatrium, ein Stofif von dunkel- orangeroter Farbe, der vermutlich der chinoiden Strukturformel , — [ C = ^Na entspricht und in ätherischer Lösung Leitfahigkeits- messungen zufolge überraschenderweise deutlich ionisiert ist, ähnelt den bekannten Grignard'schen Magnesiumverbindungen, ist ihnen aber in bezug auf Reaktionsfähigkeit weit überlegen. So liefert es mit Benzoesäuremethylester CgH^-CO-OCHj in rascher Reaktion neben Natriummethylalkoholat /9-Benzpinakolin : (CgH JaCNa + CH3O . CO . C„H, = (QHJsC . COQH, + CH3 0Na. Mit wenig Sauerstoff oder Luft geschüttelt liefert seine ätherische Lösung zunächst Triphenylmethyl und Natriumsuperoxyd (CeHJ^CNa + O^ = (CeH.OgC + NaO.„ ') W. Schlenk und E. Marcus, „Über Metalladdi- tionen an freie organische Radiljale", Ber. d. deutsch, ehem. Gesellsch., Bd. 47 (1914), S. 1665 - 166S. — W.Schlenk und RudolfOchs, „Zur Kenntnis des Ttiphenylmethylnatriums", ebenda, Bd. 49 (1916). S. 608—614. während ein Überschuß des Sauerstoffs das Tri- phenylmethyl selbst natürlich weiter in das Super- oxyd (CgH5)3C-02 verwandelt. Kohlendioxyd absorbiert es unter Bildung von triphenylessig- saurem Natrium (QHg^CNa -f CO2 = (C,H5)3C • CO.,Na, mit Wasser setzt es sich sofort unter Bildung von Triphenylmethan um (CaHjlgCNa + H^O = (QHJaCH + NaOH. Bemerkenswert ist sein Verhalten gegen Verbin- dungen mit labilem Wasserstoffatom, da es mit ihnen unter Austausch des Natriums gegen Wasser- stoff Triphenylmethan bildet, z. B. (CeH,)3C.Na-fCH«.C0.C,H, = (CgHgigCH + CH3:C(ONa).OC2H6. Mit Ammoniak liefert es Triphenylmethan und Natriumamid (QHj^CNa + NH3 = (QH^^gCH + NaNH,,. Von besonderem Interesse ist sein Verhalten gegen Tetramethylammoniumchlorjd N(CH3)4CI, mit dem es in glatter Reaktion das Triphenylmethyltetra- methylammonium (CuHg)3C-N(CH.5\ (CeH5)3CNa + ClXCCHg), = NaCl-f (C6H5)3C-N(CH3)j, die erste Substanz, in der — was bislang meist für „unmöglich" gehalten worden ist — alle fünf Wertigkeiten des Stickstoffatoms unmittelbar an Kohlenstoff gebunden sind. ') Das Triphenylmethyltetramethylammonium ist ein schön kristallisierter Stoff von leuchtend roter Farbe, der sich ähnlich wie das Triphenyl- methylnatrium (siehe oben) durch seine große Emp- findlichkeit gegen Wasser, Kohlendioxyd und Sauerstoff auszeichnet. Mit Wasser liefert es Triphe- nylmethan und Tetramethylammoniumhydroxyd = (QH5)3CH-f (CHg^N-OH, mit Kohlendioxyd das Tetramethylammoniumsalz der Triphenylessigsäure (QH^lg • C • N(CH3 ), + CO., = (C„H, ) . CO • ON(CH3), und mit Sauerstoff oder Luft aller Wahrscheinlich- keit nach Triphenylmethyl (bzw. Triphenylmethyl- superoxyd) und Tetramelhylammoniumsuperoxyd (CH3)4N-0.,. Seine Lösung in wasserfreiem Pyridin leitet den elektrischen Strom, also ist der Triphe- nylmethylrest, eine Erinnerung an die Ammonium- valenz, an das Stickstoffatom ionogen gebunden. Die Versuche, in ähnlicher Weise wie das Triphenyltetramethylammonium einfachere Pen- taalkylverbindungen des Stickstoffs darzustellen, setzte den Besitz der bisher nicht mit Sicherheit bekannten einfachen Metallalkyle, insbesondere ') W. Schlenk und Johanna Holtz, „Über eine Verbindung des Stickstoffs mit fünf Kohlenwasserstoffresten", ebenda, Bd. 49 (1916), S. 603— 60S. N. F. XVI. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 403 der Alkalimetallalkyle voraus. Ihre Darstellung gelang *) durch Einwirkung von Natrium- oder Litliiummetall auf die schon lange bekannten Quecksilberalkyle, z. B. Hg(CH3)2 + 2Na = 2Hg + 2NaCH3. Diese Reaktionen erwiesen sich, wie ja auch zu erwarten war, trotz ihrer einfachen Formulierung als recht diffizil; sie mußten, da die metall- organischen Alkaliverbindungen ebenso wie das Triphenylmethjdnatrium und das Triphenylmethyl- tetramethylammonium gegen Luft, Feuchtigkeit und Kohlendioxyd äußerst empfindlich sind, bei vollkommenem Ausschluß atmosphärischer Luft in einer Atmosphäre von ganz reinem, trockenen Stickstoff ausgeführt werden. Dargestellt und in reiner Form isoliert wurden die Alkalialkyle NaCHa, NaC,H„ NaQH,, n — NaCsH^,, LiCHg und LiCjHg, die Alkaliphenyle NaCgHj, und LiQH, und das Natriumbenzyl NaCH.,.CoH5. Die Natriumalkyle sind farblose, amorphe, in indifferenten Lösungsmitteln vollkommen un- lösliche Pulver, die sich beim Erhitzen, ohne zu schmelzen, zersetzen. An der Luft sind sie un- gemein entzündlich, so daß sich selbst vom Natrium- oktyl, obwohl die Entflammbarkeit mit steigender Größe des Alkylrestes abnimmt, größere Partikel an der Luft sofort entzünden. Das Lithiummethyl steht den Natriumalkylen nahe, das Lithiumäthyl hingegen ist in Benzol und Benzin löslich und kann aus diesen Lösungsmitteln in Form von Kristallen mit scharfem Schmelzpunkte erhalten werden. Natrium- und Lithiumphenyl gleichen den Natrium- alkylen. Von besonderem Interesse ist das Natriumbenzyl, denn es ist ähnlich wie das Triphcnylmethylna- trium und das Triphenylmeihyltetramethylam- monium ein intensiv roter, kristallisierter Stoff, der das Natrium mit ionogener Valenz an den Kohlen- stoff gebunden enthält, denn seine ätherische Lösung leitet den elektrischen Strom. Mit Kohlen- dioxyd liefert er phenylessigsaures Natrium QH5 . CH., . Na + CO2 = QH, . CH.^ • CO., Na, und er ist auch das einzige von den einfachen Metallalkylen, das bisher ähnlich wie das Triphe- nylmethylnatrium mit Tetramethylammonium- chlorid eine Stickstoffverbindung ergab, an deren Stickstoffatom fünfKohlensloffatome gebunden sind: QH^ . CHa ■ Na + C1N(CH.,\ = CeHg . CHs, . N(CH3), + NaCl. Auch das Benzyltetramethylammonium ist ein gegen Sauerstoff äußerst empfindlicher, leuchtend rot gefärbter Stoff. Vermutlich enthält auch er den Benzylrest in ionogener Bindung an den Stickstoff gebunden.') Mg. Physik. Mit der Höhe des Nordlichts be- schäftigt sich eine Arbeit von L. Vegard und O. Krogness in den Annal. d. Phys. 51, S. 416, 1916. Die Messungen wurden in dem auf An- regung von Prof Birkeland 1911 — 13 auf der Haiddespitze im nördlichen Norwegen erbauten Observatorium (904 m üb. d. Meere) ausgeführt. Es wurde gleichzeitig auf 2 verschiedenen, tele- phonisch miteinander verbundenen Stationen ein und dasselbe Nordlicht photographiert. Aus der Lage irgendeines identifizierbaren Punktes in beiden Aufnahmen relativ zum Sternenhimmel und dem bekannten Abstand der Stationen (er betrug zwischen 17 und 40 km) läßt sich dann die Höhe dieses Punktes berechnen. In den Jahren 191 3 und 14 wurden über 400 gute paral- laktische Aufnahmen gewonnen, deren Auswertung natürlich viel Zeit und Mühe kostete; bis jetzt ist die Lage von ca. 2500 Nordlichtpunkten be- stimmt. Die obere Grenze der Nordlichter ist gewöhnlich unscharf und läßt sich daher nicht sehr genau messen; sie schwankt zwischen lOO und 300 km. Anders die untere Grenze, sie ist meistens außerordentlich scharf und läßt sich genau feststellen. Die meisten der beobachteten Nordlichter dringen bis zu iio bis 100 km her- unter; als tiefste untere Grenze wurde 85 km festgestellt. Und zwar gilt das gleichmäßig für die 3 Hauptformen : Bogen, Draperien und dra- perieförmige Bogen. Ordnet man die Nordlichter nach der Höhenlage ihrer unteren Grenze, dann ergibt sich, wie schon erwähnt, daß die meisten zwischen 100 und 110 km liegen; weiter zeigt sich, daß die Höhe lOO km und 106 km besonders häufig ist, daß also zwei Maxima in der Ver- teilungskurve vorhanden sind. Diese Tatsache führt zu folgender Annahme: ein großer Teil der kosmischen Strahlen, die die Nordlichter hervor- rufen, besteht aus 2 Gruppen, wovon jede eine ganz bestimmte Durchdringungsfähigkeit besitzt. Da alle 3 häufigsten Nordlichtformen diese Maxima zeigen, müssen diese Formen« durch dieselbe Strahlenart verursacht werden. Seh. Über Lichtenberg'sche Figuren veröffent- licht S. Mikola in ^rThTsikal.Zeitschr. (XVIII, S. 158, 1917) Untersuchungen. Auf einer Metall- platte, die mit der äußeren Belegung einer Leidener Flasche verbunden ist, legt man eine photogra- phische Platte, auf die Schichtseite derselben eine zweite Platte, die über einer Funkenstrecke mit der inneren Belegung der Flasche in Verbindung steht. Lädt man jetzt (in der Dunkelkammer bei rotem Licht) mittels einer Elektrisiermaschine die ') W. Schlenk uad Johanna Holtz, „Über die ein- fachsten melallorganischen Alkylverbindungen", ebenda, Bd. 50 (1917), S. 262-274. ■) W. Schlenk und Johanna Holtz, „Über Benzyl- tetramethylammonium", ebenda, Bd. 50 (1917), S. 274—275. 404 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 29 Flasche und den ihr parallel geschalteten Platten- kondensator auf, bis ein Funke die Funkenstrecke durchschlägt, und entwickelt die Platte, so sieht man auf ihr schöne Lieh t en berg' sehe Figuren. War die obere, der Schichtseite aufliegende Elektrode negativer Pol, so gehen vom Rande desselben geradlinige feine Strahlenbüschel wie ein feiner Haarkranz aus; war sie dagegen positiv, so sind die Büschel länger, breiter und verästelt. Steigert man die Spannung, bei der die Entladung erfolgt, so nimmt die Länge (Reichweite) der Streifen zu. Übersteigt sie einen bestimmten Wert, so treten dort, wo die Streifen aufhören, „Explosionszentren" auf, d. h. von bestimmten Punkten gehen radial neue Büschel von Strahlen aus, als wenn hier eine zweite punktförmige Elektrode angebracht wäre. Bei weiter erhöiiter Spannung nimmt die Zahl dieser Zentren zu, das entstehende Bild wird dadurch natürlich verwickelter. Das Aussehen der Figuren wird durch Gestalt und Material der Elektroden und durch den Charakter der Ent- ladung — oszillatorisch oder nicht — keineswegs beeinflußt. Wesentlich für das Zustandekommen ist, daß die Entladung einen disruptiven Charakter hat, daß also die Spannung plötzlich von einem hohen Wert auf Null sinkt oder umgekehrt von Null auf einen hohen Wert steigt. Bei der dis- ruptiven Entladung erleiden die Kraftlinien eine plötzliche Richtungs- und Geschwindigkeitsände- rung, diese gibt Veranlassung zu elektromagneti- schen Impulsen, die nun die am Rande der Platte befindlichen Luftmoleküle in Atomionen und Elek- tronen von hoher Geschwindigkeit spalten. Die Bahnen dieser korpuskularen Strahlen bringen auf der photographischen Platte die Figuren hervor; diese sind nach dieser Theorie nichts anderes als Ionen- und Elektronenbahnen, wie sie Wilson in seinen schönen Versuchen mit Hilfe von Wasser- dampfkondensation sichtbar gemacht hat. Daß die Reichweite mit der Spannung zunimmt, stimmt gut zu dieser Erklärung, ebenso daß die Reich- weiten in verdünnter Luft größer werden und daß elektrische Felder eine Ablenkung der Strahlen hervorrufen. Daß eine solche durch magnetische Kräfte nicht nachgewiesen wurde, hat namentlich darin seinen Grund, daß die zur Verfügung stehende Feldstärke zu schwach war. Es gelang auf empiri- schem Wege eine Formel aufzustellen über die Beziehung zwischen Reichweite und Spannung. Daß sich dabei, je nachdem ob es sich um posi- tive oder negative .Strahlen handelt, eine ver- schiedene Gesetzmäßigkeit ergibt, deutet darauf hin, daß die positiven und negativen Ionen ver- schiedene Struktur zeigen. — Wenn die Sekundär- spule eines Teslatransformators sprüht, entstehen ganz ähnliche Bilder wie die Lichtenberg'schen Figuren. Seh. Botanik. Eins der ältesten und bekanntesten Beispiele für Jungfernzeugung im Pflanzenreich ist das Armleuchtergewäclis, Chara crinita, eine Süßwasseralge. Wie A. Braun schon im Jahre 1856 nachwies, sind in verschiedenen Ländern, von Algier und Arabien hinauf bis nach Schweden und Finnland, an zahlreichen Standorten immer nur weibliche Pflanzen gefunden worden. Er konnte dann aber selber zeigen, daß das männ- liche Geschlecht nicht ganz verloren gegangen ist, denn bestimmte, von sehr weit zerstreuten Orten stammende Herbarproben enthielten auch männliche Pflanzen. Seither gilt Chara crinita als eine zweihäusige Pflanze, die fast überall durch die Ungunst der Verhältnisse, d. h. infolge des Fehlens der Männchen, „verwitwet" ist und nur an wenigen Stellen der Erde noch in normaler ehelicher Gemeinschaft leben kann. A. Ernst gelang nun der interessante Nachweis, daß die Verhältnisse etwas anders liegen. ') Er beschaffte sich aus verschiedenen Ländern einmal die „Witwen" und dann, und zwar aus Ungarn und Sizilien, Pflanzenmaterial, das sowohl weibliche als männliche Individuen umfaßte. Bei dem Ver- such nun, die weiblichen Pflanzen zu befruchten, machte er die überraschende Entdeckung, daß man unter den Weibchen zweierlei Formen unter- scheiden muß, nämlich solche, die nicht befruchtet zu werden brauchen, ja sich gar nicht befruchten lassen, und solche, die nur nach Befruchtung reife Oosporen entwickeln. Erstere sind die bekannten Formen, die von den verbreiteten Witwenstand- orten stammten, letztere dagegen Weibchen, die an dem seltenen ungarischen und sizilischen Standort mit Männchen vergesellschaftet sind. Beide Arten von Weibchen unterschieden sich auch durch gewisse morphologische Merkmale und besonders dadurch, daß bei jenen der Ei- behälter nicht die eigentümliche, die Empfängnis- fähigkeit befördernde Lockerung seiner Hüllzellen erkennen ließ, wie sie bei diesen stets eintrat, wenn die Eizelle reif war. Überdies ergab die zytologische Untersuchung noch den weiteren Unterschied, daß jene doppelt so viel Chromo- somen besaßen als diese. Die Art Chara crinita besteht also aus dreierlei Formen, geschlechtslosen Individuen vom Typus der Weibchen, echten Weibchen und Männchen. Die gewöhnliche Chara crinita wird demnach zu Unrecht als verwitwet bezeichnet, da sie überhaupt nicht heiratsfähig ist. Sie kann auch nicht im strengsten Sinne parthenogenetisch genannt werden, ebensowenig wie alle übrigen Fälle unter den Blüten- pflanzen diese Bezeichnung verdienen. Denn überall handelt es sich nicht um die Weiterent- wicklung einer sonst befruchtungsfähigen Eizelle, sondern eigentlich um vegetative Vermehrung, die mit Hilfe einer von den normalen Eizellen in ihrem Chromosomenbestande abweichenden Ei- zelle bewirkt wird. Es liegt nach der Bezeich- nungsweise H. Winkle r's somatische, nicht aber ') Experimentelle Erzeugung erblicher Parthenogenesis. Zeilschr. f. induktive Abstammungs- und Vererbungslehre, Bd. XVII, 1917, S. 203. N. F. XVI. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 40s generative Parthenogenese vor. Während aber bei den partiienogeneti.-chen Blütenpflanzen die Eizellen ebensoviele Chromosomen haben, als die Körperzellen der Pflanzen, hat Chara crinita in seiner entsprechenden geschlechtslosen Form zwar auch in Ei- und Körperzellen gleichviel Chromo- somen, es sind aber doppelt so viel als die in den Ei- und Körperzellen der Geschlechtspflanzen, die aber wieder unter sich gleich viel haben. Die Reduktion der Chromosomen muß also bei nor- maler geschlechtlicher Fortpflanzung erst beim Keimen der befruchteten Eizelle, der Zygote, ein- treten, am Anfang der Entwicklung, nicht wie ge- wöhnlich am Ende bei der Bildung der Geschlechts- zellen. Bei der ehemaligen Entstehung der ge- schlechtslosen Form ist nun wahrscheinlich diese Reduktion ausgefallen, so daß sie diploid (d. h. doppehchromosomig) geblieben ist. Ob dieser Ausfall der Reduktion die Ursache der Entstehung der parthenogenetischen Form war, ist nicht ohne weiteres zu entscheiden, jedenfalls gelang es dem Verfasser nicht, durch experimentelle Eingriffe bei der Keimung befruchteter Eizellen die Reduktion zu verhindern und so etwa Pflanzen von der Art der „Witwen" zu erzielen. Dagegen gibt er in dieser vorläufigen Mitteilung an, daß sich unbe- fruchtete Eizellen der echten Weibchen künstlich zur Forlentwicklung bringen ließen und wieder haploide (einfachchromosomige) Weibchen lieferten, die aber befruchtungsfähige Eizellen hervorbringen. Inwieweit dies nun eine experimentell erzeugte „erbliche" Parthenogenese sein soll, darüber sowie über manche andere PVagen müssen wir die Belehrung des Autors in seiner ausführlichen Ab- handlung abwarten. Miehe. Die Ursache der Blütenstielkrümmungen, wie sie beispielsweise an den nickenden Blüten des Mohns, des Maiglöckchens usw. auftreten, ist Jahr- zehnte hindurch der Gegenstand von Unter- suchungen und Erörterungen gewesen. Auf der einen Seite betrachtete man die Krümmung als aktive Reaktion auf den Schwerkraftreiz, also als eine geotropische Reizerscheinuiig; auf der anderen glaubt man, daß eine passive Lastkrümmung vor- liege, die nur durch das Gewicht der Blütenknospe vorliegt. Diese zweite Anschauung, die später besonders für den Mohn vertreten wurde, vermochte sich der ersten gegenüber zwar nicht zu behaupten, wurde aber von Wiesner dahin abgeändert, daß er eine vitale Lastkrümmung annahm. Hierbei sollte zwar die Biegung auch mechanisch durch das Gewicht der Knospe veranlaßt werden, aber das gekrümmte Organ sollte sich nicht wie eine tote Masse verhalten, sondern durch beschleunigtes Wachstum auf der Oberseite und vermindertes. Wachstum an der Unterseite des Blütenstiels ant- worten und die anfänglich passive Krümmung fixieren. Neue experimentelle Untersuchungen, die Otto Bannert im Berliner pflanzenphysiologischen In- stitut ausgeführt hat, ergaben, daß die Annahme Wiesner's unbegiündet ist. Um sie zu stützen, hatte Port heim darauf hingewiesen, daß die Stiele von Maiglöckchenblüten, aus denen er zur Verminderung des Gewichts Fruchtknoten und Staubblätter entfernt hatte, sich bei Inversstellung der Blütenstände nicht oder nur unbedeutend krümmten. Bannert machte nun denselben Ver- such, ersetzte aber die ausgeschnittenen Geschlechts- organe durch Paraffinstückchen von gleichem Ge- wicht und fand, daß die so behandelten Blüten- knospen 24 Stunden nach Inversstellung der Pflanze ihre Lage ebensowenig verändert hatten wie an der gleichen Pflanze befindliche kastrierte Blüten ohne Paraffingewicht, während die unverletzten Knospen sämtlich abwärts gerichtet waren. Nach 48 Stunden hatten die verletzten Knospen eine geringe Abwärtskrümmung ausgeführt, doch war ein Unterschied zwischen den paraffinführenden und den paraffinfreien Blüten nicht zu bemerken. Das Ausbleiben der normalen Krümmung war also keine Folge der Gewichtsverminderung, sondern entweder eine Wirkung des Wundschocks oder der Ausschaltung der geotropischen Reizwirkung unter den neuen Verhältnissen. Daß nicht ein von der Schwerkraft unabhängiges Wachstum der Oberseite des Blütenstiels (Epinastie) die Krüm- mung verursacht, bewiesen Rotationsversuche am Klimostaten, wobei die Blütenstiele der (um die horizontale Achse rotierenden) Maiblume vollständig gerade blieben. Auch Kontrebalancierungsversuche wurden angestellt, derart daß das Gewicht einiger Blütenknospen durch Anbringung von Gegen- gewichten aufgehoben wurde: die Stiele krümmten sich trotzdem. Aus allem folgt, daß nur der Geo- tropismus der Stiele die Krümmung bewirkt. Zu dem gleichen Ergebnis führten Versuche mit den Blütenstielen einiger anderer Pflanzen, wie Fuchsia, Ipomoea usw., auch mit Blütenstandsachsen von Wimosa und Pelargonium. In allen Blüten- stielen und Blütenstandsachsen wurde übrigens stets reichlich Statolithenstärke gefunden. Sie war meist in ein- bis mehrschichtigen Scheiden, welche die Gefäßbündel umgeben, enthalten. (Bei- träge zur allgemeinen Botanik, Bd. i, S. i — 43.) F. Moewes. Paläontologie. Über die Variation der Blatt- form von Ginkgo biloba L. und ihre Bedeutung für die Paläobotanik gibt R. Krause l im Central- blatt für Mmeralogie, Geologie und Paläontologie 19 17 Nr. 3 mancherlei beachtenswerte Anregungen. Ginkgo biloba L., der ostasiatische Tempel- baum, welcher in unseren botanischen Gärten und Parkanlagen mancherorts gehalten wird, ist in Japan als einziger Vertreter der Gattung Ginkgo, sowie der Ordnung der Ginkgoinae und der Fa- milie der Ginkgoaceae zu Hause. Die durch ihren charakteristischen Blattnervenverlauf ausgezeich- neten Ginkgoinae sind seit dem oberen Rot- liegenden in zahlreichen fossilen Arten von Ginkgo 4o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 29 und verwandten Gattungen wie Baiera, Saportaea, Ginkgophyllum, Ginkgodium usw. vertreten. Be- reits Seward und neuerdings Krau sei haben sich mit der Frage beschäftigt, ob diese zahl- reichen Arten zu Recht aufgestellt sind, da auch der lebende Baum sehr stark in seiner Blattform variiert. Seward hat den spezifischen Wert vieler fossiler Arten angezweifelt, die ein Analogen in manchen bei Ginkgo biloba beobachteten Formen finden. Er zieht Ginkgo digitata Heer und Ginkgo Huttoni Sternb. zusammen und zeigt, daß auch die Abgrenzung von Ginkgo und Baiera nach der Blattform willkürlich und im Bau der Frukti- fikationsorgane nur wenig verschieden sei. Ginkgo biloba weist nicht selten Abweichungen des Blattes von der Normalform auf Alle Über- gänge von völlig ganzrandigen Blättern über die Normalform zu mehr oder weniger ganz zer- schlitzten Blättern kommen vor. Man beobachtet dies in Ostasien aber ebenso auch an den außer- halb der Heimat wachsenden Bäumen wie an gärtnerisch gezüchteten Exemplaren. Kommer- zienrat Hesse, der Inhaber der bekannten Baum- schulen in Weener (Hannover) beobachtete an jungen Sämlingen und einjährigen Pflanzen sehr häufig tiefgeschlitzte Blätter, während bei Blättern mehrjähriger Zweige oft auch der mittlere Ein- schnitt ganz vernarbt. Verschiedene abweichende Blätter könnten so, wenn sie fossil vorliegen würden, zu Ginkgo antarctica Sap. oder G. Hut- toni, ja einige sogar zu Baiera gestellt werden. Da der Artbegriff von den meisten Faläo- botanikern äußerst streng gefaßt wird und die Variationsmöglichkeiten schon des IVIaterials wegen vielfach nicht berücksichtigt werden können, so kommt Krau sei zu dem Resultate, daß mehrere der auf Blattreste hin aufgestellten Arten ginkgo- ähnlicher Pflanzen ihr Analogon innerhalb der rezenten G. biloba finden. Zum Schlüsse wird die verwirrende Fülle fossiler Arten kritisiert, die oft das Zusammenarbeiten von Botanik und Paläo- botanik erschwert. V. Hohenstein. Die Fossilführung des Zechsteins von Nieder- schlesien behandelt im Anschluß an die Unter- suchungen von H. Scupin (vgl. die vorige Nr. der Naturw. Wochenschrift) dessen Schülerin Hertha Riedel in einer Hallenser Dissertation 1917. Das Gebiet des Unteren Zechsteins zer- fällt in eine Z w e i sc h al e r faz i es, für welche ein fossilführender Sandstein charakteristisch ist .(SO., Katzbachgebiet) und eine Brachiopoden- fazies (N., Gröditzbergj. Eine Vermischung beider Faunen mit einem Vorherrschen der Brachiopoden- fazies zeigt sich im Queiß-Neiße Gebiet. Veran- schaulicht wird dies vor allem durch das Leit- fossil Productus horridus, das im Katzbachgebiet fast ganz fehlt, in den nördlicher gelegenen küsten- fernen Gebieten von Gröditzberg und dem Queiß- Neiße-Gebiet aber vorherrschend wird. Auffallend ist, daß diese Charakterform des Zechsteins in Schlesien nur auf den Unteren Zechstein beschränkt bleibt, während sie in Thüringen auch im Mitt- leren Zechstein vorkommt. Arm an Versteine- rungen ist das östliche und westliche Bobergebiet. Scharfe Leitfossilienhorizonte durch ganz Schlesien kommen nicht vor, dagegen konnten örtlich durch das Vorherrschen einer Art die den Unteren Zech- stein abschließenden Gervillien-Sch. in der Zweischalerfazies und dieProductusbank in der nördlicher gelegenen Brachiopodenfazies aus- geschieden werden. Der Mittlere Zechstein mit seinen dolo- mitischen Kalken und Letten ist fossilärmer; häufiger kommt Schizodus Schlotheimi var. trun- cata und Liebea Hausmanni vor. Ein Faziesunter- schied {."^t nicht mehr vorhanden. Im Oberen Zechstein tritt Schizodus ro- tundatus sowohl im Plattendolomit wie in den roten Zwischenschichten durchweg leitend auf Da der schlesische Zechstein das östlichste Vorkommen in Deutschland ist, so lag der Ge- danke nahe, seine Fauna gegen die russische ab- zuwägen. Die Untersuchungen von H. Riedel konnten indessen keine Beziehungen zur russischen Fauna feststellen, da auch sämtliche in Schlesien nachgewiesenen Versteinerungen ebenso in Thü- ringen vorkommen. V. Hohenstein. Medizin. Es war den Militärärzten der fran- zösischen Feldarmee schon 1914/1915 aufgefallen, daß in gewissen fern voneinander gelegenen und gar nicht miteinander zusammenhängenden Schützengräben eine typische Erkrankung der Füße vorkam , auch bei Personen , welche nur kurze Zeit dortselbst verweilt hatten. Alles sprach dafür, daß man im Schützengrabenfuß (Pied de tranchee), wie die Affektion von den Militärärzten genannt wurde, eine Infektionskrank- heit vor sich habe. Die Krankheit äußerte sich zuerst in einer Entzündung der Zehen, namentlich der großen Zehe, hatte aber im schlimmsten Fall nur einen Verlust derselben durch Amputation zur Folge. Als ursächliches Moment hatte man im Anfang das Erfrieren der Füße, das tagelange Stehen im kalten Wasser, sowie die mangelhafte Blutzirkulation in den vom Schuhwerk einge- schnürten Füßen in Verdacht; daß man aber damit fehl ging, ergab sich mit aller Sicherheit daraus, daß bei den in dieser Beziehung doch gleich gestellten Besatzungen der Schützengräben anderer Gegenden die typische Erkrankung fehlte; sie war offenbar eine lokalisierte Infektions- krankheit. Im Winter 1916/17 trat sie in einer besonders schweren Form bei den Arabern und namentlich den Sudannegern in der französischen Feldarmee auf In zwei Fällen galt sie sogar als die direkte Todesursache. Wie mikroskopische Befunde und Kuliuruntersuchungen zeigten, wird der ,, Schützen- grabenfuß" durch einen dem Erdboden entstammen- den Pilz, Sterigmatocystis versicolor, verursacht. N. F. XVI. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 407 Derselbe dringt durch die Talgdrüsen und Haut- abschürfungen des Fußes ein und wird durch den Blutkreislauf im ganzen Körper verbreitet, so daß nicht nur lokale Schädigungen, sondern schwere AUgemeincrkrankungen (hochgradige Albuminurie, typhöse Erscheinungen seitens des Darmkanals, Temperatursteigerung, Leber- und Nierenerkran- kungen und endlich Kachexie) sich als Folge- erscheinungen seines Eindringens geltend machen können. Neben dieser, wie es scheint, für den Schützengrabenfuß spezifischen Form werden noch andere Pilzarten in den Läsionen gefunden, so die auch bei den Europäern anzutreffende Art Scopu- lariopsis Königii Oudemans, das Fenicillium glaucum und verschiedene Schimmelpilze, namentlich der Gattung Mucor. Die für ihr Gedeihen nötigen Existenzbedingungen finden diese Pilze nur beim langen Stehen in den feuchten Schützengräben; nur dann vermögen sie in das lebende Gewebe einzudringen und aus Ektoparasiten und Sapro- phyten zu pathogenen Endoparasiten zu werden. Bei einem diesbezüglichen Tierversuch, wobei beide Pfoten des Versuchstieres tagelang im kalten Wasser festgehalten wurden, stellte sich an der mit Penicillium geimpften Pfote ein schleimiges Ödem ein, während die andere nicht geimpfte Pfote gesund blieb. (cTc) Kathariner. Bttcherbesprechungen. Deutsches Wörterbuch für die gesamte Optik, herausgegeben vom „Fremdwortausschuß für die Optik". 85 S. Berlin, A. Ehrlich. Auf Veranlassung der Schriftleitung der „Deutschen Optischen Wochenschrift" hat ein aus Vertretern der Wissenschaft und insbesondere der Industrie, Technik und Ladenoptik zusammen- gesetzter Ausschuß die Aufgabe übernommen, für das Gebiet der Optik eine sachgemäße Ver- deutschung der entbehrlichen PVemdwörter durchzu- führen. Das vorliegende kleine Wörterbuch enthält das Ergebnis dieser Arbeit auf den 44 ersten Seiten. Es will nicht etwa die endgültige und vollständige Lösung der PVemdwortfrage in der Optik für sich in Anspruch nehmen, sondern es stellt nur einen ersten, auf voller Sachkenntnis beruhenden Ver- such dar, die Fremdwörter soviel als möglich durch den deutschen Ausdruck zu ersetzen. Die Bearbeiter vertreten dabei den zweifellos allein richtigen Standpunkt, daß vornehmlieh diejenigen Fremdwörter auszumerzen sind, für die die deutsche Sprache ohne weiteres einen äquivalenten, sinn- gemäßen Ausdruck besitzt und deren Benutzung dann vielfach nur aus Unkenntnis, Gedanken- losigkeit oder auch aus falscher Eitelkeit oder törichter Berechnung erfolgt. Natürlich bean- spruchen die in diesen Fällen gemachten Vor- schläge vielfach keine Originalität. Anders liegen die Verhältnisse bei den wissenschaftlichen und technischen Ausdrücken, die häufig als P^ach- ausdrücke für ganz bestimmte Begriffe eigens ge- prägt sind und daher weder in der deutschen noch in einer anderen lebenden Sprache passende Deckwörter besitzen. Ein notwendiges Bedürfnis nach solchen Deckwörtern tritt hier meist zurück, und das Wörterbuch führt derartige Ausdrücke auch meist unverändert an. Immerhin muß jeder gelungene Ersatz durch das deutsche Wort auch in diesen Fällen als wertvolle Bereicherung unseres sprachlichen Ausdrucksvermögens und desdeutschen allgemeinen Wissens angesehen und daher soviel als möglich erstrebt werden. Die starke Neigung nach Bildung komplizierter zusammengesetzter Wörter dürfte hier nach Ansicht des Ref. dem durchgreifenden Erfolg oft im Wege stehen. Der Ersatzausdruck läßt sich dabei zwar oft leicht ver- ständlich und sinngemäß, selten aber einfach und leicht anwendbar gestalten. Hier sollte man wohl vor originellen Neubildungen weniger zurück- schrecken, die der allgemeinen Benutzung wohl ebenso leicht zugänglich werden könnten als jede durch Übersetzung des griechischen bzw. latei- nischen Wortes erhaltene komplizierte Zusammen- setzung. Daß es jedenfalls bei der Verdeutschung nicht lediglich anf eine Übersetzung sondern auf die Wiedergabe des Sinnes ankommt, betont das vorliegende Wörterbuch mit Recht. Gut gewählte Deckwörter dürften beispielsweise: Feinuhr für Chronometer, außerachsig iür dezen- triert oder exzentrisch, Schleifkante für Facette, gegengleich für holosymmetrisch, Tauchlinse für Immersion, Merker für Markiervorrichtung, nach- bessern für retuschieren, Druckhülse für Tube sein, während die Angaben: Kaltlichtstrahlung für Lumineszenz, Warmlichtstrahlung für Temperatur- strahlung kaum glücklich gewählt und die Aus- drücke: Gegengleichheitsmangel für Asymmetrie oder Bewegtbild- Gerät für Kinematograph Bei- spiele zu komplizierter und daher kaum brauch- barer Zusammensetzungen sind. Die zweite Hälfte des Buches enthält Empfehlungsanzeigen einer größeren Zahl für optische Bedarfsartikel in Betracht kommender Firmen, auf die Interessenten hingewiesen seinen. A. Becker. Arthur Sachs, Die Bodenschätze der Erde (Salze, Kohlen, Erze, Edelsteine). Deu- ticke, Wien u. Leipzig 1916. „Zur Einführung für Laien und Studierende das Wichtigste über die Bodenschätze der Erde in kürzester Form darzustellen" ist die Absicht des 4o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 29 Heftchens. Ob Studenten und Laien unbedenklich gleiche geistige Kost gewährt werden kann, wird man ebenso in Frage stellen können wie die Möglichkeit, auf 37 Seiten bei wenig kompendiösem Druck auch nur das Allerwichtigste über Theorie und Praxis eines so umfassenden Gebiets zusammen- zubringen. Wird so mancher Leser diesen oder jenen Wunsch unberücksichtigt finden können, ist das Gebotene doch durchaus einwandfrei und durch Übersichtlichkeit brauchbar. Selbst eine zu- sammenfassende Darstellung von Stellung und Auf- gabe der Geologie, von den Formationen und tek- tonischen Vorbedingungen für Vorkommen und Gestalt der Lagerstätten fehlt nicht. Die einzelnen Bodenschätze werden nach Alter und geographischer Verbreitung, Entstehungsmöglichkeit und chemi- schem Aufbau, wirtschaftlicher Bedeutung und Produktionswerten behandelt. Edw. Hennig. Anregungen und Antworten. Der Aufsatz „Die Bedeutung der Anatomie lebender und fossiler Hölzer für die Phyloeenie der Koniferen" in Nr. 23 der Naturw. VVochenschr. findet ausführliche Begründung in einer Arbeit, die in der Palaeontographica erscheint und neben eingehenden Literaturnachweisen eine kritische Auf- zählung sämtlicher bisher beschriebenen fossilen Koniferenhölzer (außer A raucarioxylon) bietet. Die Arbeit ist druckfertig, konnte aber bisher infolge der durch die Zeitumstände bedingten technischen Schwierigkeiten noch nicht erscheinen. Gleichzeitig bitte ich , folgende Druckfehler zu be- richtigen : S. 306 rechts, Zeile 3 von oben lies Abb. 8 statt 6. „ ,, „ 9 „ ,, ,, ermöglicht eine statt eine ermöglicht. S. 307 rechts, Zeile 2 von unten lies anormal statt normal. ,, links, Zeile 4 von unten lies tüpfel statt tüpel. S. 309 rechts, ,, 35 von oben lies Cupressineen statt Cupressinieen. S. 3 10 rechts, Zeile 19 von oben lies araucarioid statt modern. S. 311 links, „ 19 von unten lies echten statt ersten. „ rechts, Zeile 2 von unten lies Koniferenhölzer statt Koniferen. R. Kräusel. Was versteht man unter Isostasie in der Geologie? Die Lehre von der Isostasie besagt nach K. Kays er,') daß die auf einer flüssigen Magmazone schwimmend gedachte feste Erdrinde infolge der Achsendrehung der Erde in allen ihren Teilen in einem hydrostatischen Gleichgewichtszusland sich befindet. Dementsprechend werden infolge der Zentrifugalkraft des rotierenden Erdkörpers die leicliteren Schollen in die Höhe getrieben, die schwereren Schollen in die Tiefe sinken und die Erde sich so verhalten, wie wenn sie flüssig wäre. ') Lehrbuch der allgi S. 810. Geologie, 4. Au Der Gleichgewichtszustand der festen Erdrinde erleidet durch die Abtragung und Wiederaufschüttung des abgetragenen Materials an anderen Stellen fortwährende Störungen im Sinne einer Entlastung und Belastung. Einer stärkeren Belastung auf der einen Seite entspricht ein Aufpressen auf der anderen Seite. Dadurch erklären sich die reichlich nachgewiesenen Vertikalbewegungen wie auch das Aufdringen scbmelzfiüssiger Lavamassen. Eine Hauptstütze erfährt die isostatische Theorie durch die Schweremessungen, welche gezeigt haben, daß die ozea- nischen Schollen durchweg aus dichteren Massen bestehen als die Kontinente. Viele Geologen und Geodäten sind Anhänger der Theorie von der Isostasie. Eine vorzügliche Erörterung der isostatischen Theorie gab Eberhard Walter in einem Aufsatz in der Naturw. Wochenschr., N. F. XII. Bd., Nr. 35, 1913. V. Hohenstein. Literatur. Keibel, Prof. Dr. Fr., Über experimentelle Entwicklungs- geschichte. Akademische Rede. Straßburg '17, J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel). — i M. Kryptogamenflora für Anfänger. Band IV, 3. Die Algen. 3. Abteilung. Die Meeresalgen von Prof. Dr. R.Pilger. Mit 183 Textfiguren. Berlin '17, J. Springer. — 5,60 M. Synopsis der Mitteleuropäischen Flora. 92. Lieferung. Bd. VII. Euphorbiaceae (Fortsetzung). Leipzig '17, M. Engelmann. - 3 M. Spranger, E., Begabung und Erziehung. Leipzig und Berlin '17. — B. G. Teubner. — 2 M. Abel, Prof. Dr. O., Allgemeine Paläontologie. Mit 54 Abbildungen. Sammlung Göschen 1917. — I M. Werth, Dr. E., Das Eiszeitalter. Mit 18 Abbildungen und einer Karte. Ebenda. — I M. Machatschek, Prof. Dr. Fr., Gletscherkunde. Mit 5 Abbildungen und 16 Tafeln. Ebenda. — i M. Inhalt: A. Weseraüller, Die Wanderungen unserer Seevögel. S. 393. — Kleinere Mitteilungen: V. Franz, Das deutsche Tierleben in der verflossenen Kälteperiode. S. 396. H. Lüttschwager, Bemerkungen zur Tonerzeugung der Schweb- fliegen. S. 397. — Einzelberichte: Theodor Paul, Die Beziehungen zwischen der Wasserstoffionenkonzentration von Flüssigkeiten und ihrem sauren Geschmack. S. 398. W. Böttger, Über die Herstellung homogener Wolframkristall- fäden für Glühlampen. (5 Abb.) S. 399. W. Schlenk, Eine Reihe von sehr interessanten Verbindungen. S. 402. L. Vegard und O. Krogness, Höhe des Nordlichts. S. 403. S. Mikola, Lichtenbrrg'sche Figuren. S. 403. A. Ernst, Jungfernzeugung im Pflanzenreich. S. 404. Bannert, Die Ursache der Blütenstielkrümmungen. S. 405. R. Kräusel, Über die Variation der Blattform von Ginkgo biloba L. und ihre Bedeutung für die Paläobotanik. S. 405. H. Riedel, Die Fossilführung des Zechsteins von Niederschlesicn. S. 406. Kathariner, Schützengrabenfaß. S. 406. — Bücherbesprechungen: Deutsches Wörterbuch für die gesamte Optik. S. 407. Arthur Sachs, Die Bodenschätze der Erde (Salze, Kohlen, Erze, Edelsteine). S. 407. — Anregungen und Antworten: Die Bedeutung der Anatomie lebender und fossiler Hölzer für die Phylogenie der Koniferen. S. 408. Was versteht man unter Isostasie in der Geologie? S. 408. — Literatur: Liste S. 408. Manuskr : und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S denstraße 42, erbete Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 29. Juli 1917. Nummer 30. [Nachdruck verboten.) Zu den schönsten gehören ohne Zweifel Die Entdeckung der Paradiesvögel. Von Prof. Dr. -S. Killermann, Regensburg. Mit 3 Abbildungen. Gestalten der Tierwelt die Paradiesvögel; ihre Zusammenstellung in den Schaukästen unserer Sammlungen bildet immer ein Glanzstück und einen großen Anziehungspunkt für das Publikum. Die Vögel, die mit unseren Raben in Verwandt- schaft stehen, sind hinsichtlich ihrer Verbreitung sehr beschränkt und kommen hauptsächlich auf Neu-Guinea und einigen umliegenden Inseln vor. Sie waren zum Teil bis vor kurzem noch Mit- bürger unserer Kolonialfauna. A. Reichenow zählt in seinem Handbuch der systematischen Ornithologie ') eine große Anzahl von Paradiesvögeln auf und ordnet sie in drei Gruppen. Es kommt uns hier besonders auf die drei Arten an: Göttervogel (Paradisea apoda L.) ausgezeichnet durch lange , orangegelbe Schleier- federn; roter Paradiesvogel (Paradisea rubra Daud.) mehr rotbraun gefärbt mit zwei langen bandartigen Schwanzfedern; Königsparadiesvogel (Cicinnurus regius L.) glänzend kirschrot und mit zwei draht- förmigen, am Ende plättchenartig verbreiterten Schwanzfedern. Abb. s. bei Brehm, Vögel, 4. Bd., 4. Aufl., S. 275 u. f. Bezüglich ihres Vorkommens sagt Brehm, daß der Königsparadiesvogel der verbreitctste von allen sei; er finde sich auf dem ganzen nördlichen Teil von Neu-Guinea, sowie auf Misul, Salawati und den Aru-Inseln. Der Göttervogel dagegen kommt nur auf den letztgenannten Inseln vor und der rote Paradiesvogel auf Waigiu, Batanta und Gemien (nach Reichenow). Einer der ersten Naturforscher, der das Leben und Treiben der schönen , aber meist verborgen in den Urwäldern oder hohen Baumkronen lebenden Vögel an Ort und Stelle beobachtete, war be- kanntlich A. R. VVallace; er hielt sich längere Zeit 1S57 u. 58 auf den Molukken und in Neu- Guinea auf und hat uns über seine Erlebnisse eine sehr ansprechende Schilderung -) hinterlassen. Von den Paradiesvögeln handelt besonders das 38. Kapitel des IL Bd.; dort auch Karten der malayischen Inselwelt. Wenn VVallace jedoch (S. 360) meint, daß diese Tiere bis zum Jahre 1760, als Linne die größte Art Paradisea apoda (fußloser Paradiesvogel) benannte, nie im voll- kommenen Zustande in Europa gesehen wurden, ') A. Reichenow, Handbuch der systematischen Orni- thologie, 2. Bd. (Stuttgart 1914), S. 335— 33S. '-) A. R. Wallace, Der malayische Archipel, die Heimat des Orang-Utan und des Paradiesvogels. Deutsche Ausgabe, 2 Bde. Braunschweig 1S69. so können wir ihm auf Grund des folgenden nicht beistimmen. Von den Paradiesvögeln (aves paradisi) ist zum erstenmal bereits im Mittelalter die Rede. Albertus Magnus') sagt (nach Avicenna), daß es (im Orient) braune dohlenartige Vögel gäbe von großer Schönheit; sie wandern und man weiß nicht, woher sie kommen. Ahnlich spricht sich P i er ca ndido -) in seinem 1460 ge- schriebenen, in der Vatikanischen Bibliothek be- findlichen, schöngemalten Tierbuche aus. „Die Farbe dieser Vögel sei braun und etwas rot; sie seien kleiner als Dohlen. Leider habe er von den Autoren über die Natur derselben nichts weiter erfahren können." '') Illustriert ist das Kapitel mit mehreren Bildern, welche den Immen- fresser und den wirklichen Paradiesvogel (Paradisea apoda) zur Veranschaulichung bringen. Die Zeich- nung des letzteren ist aus Gesner (s. u.) ent- <\ twci-i "if . ''. it/nfii^w« inj(n.-/ii6riiriÄ«^ ^ . m..rni/<(fcfuri(..\»iin.>ri' ',1,1t iLTiit nrfcit 1 | K "lu c\ ifl.ifhnbiiS tKirpHfc jf. ./. hif .\tic cAtum \^\ ■ >-,..n .-.V(V.-.n ,y. m i h ^ Abb. 1. Die Paradiesvögel bei Picrcandido (Vatik. Bibl. geschrieben 1460, ausgemalt im 16. Jahrh.). Links Balg vom Göttervogel (Paradisea apoda); rechts der Immenfresser. Gr. ca. '/.,. (Ausschnitt; phot. Killermann.)" nommen — ein Beweis, daß der Kodex erst im 16. Jahrh. ausgemalt wurde (vgl. Abb. i). Es scheinen bereits im Mittelalter Bälge von Paradiesvögeln durch den Handel über Indien und Arabien nach Europa gelangt zu sein ; doch haben wir für diese Ansicht keinen urkundlichen Beleg. ') Alberti Magni liber animalium XXIII, N. 25 (Pariser Ausgabe 1891 Tom. XII). Vgl. meine Arbeit: Die Vogel- kunde des Albertus M. Regensburg 1910, S. 92 u. f. -) Vgl. meine Arbeit: Das Tierbuch des Petrus Candidus geschrieben 1460, gemalt im 16. Jahrh. (Code.'i Vaticanus Urb. lat. 276). Zoolog. Annalen, Bd. VI (Würzburg 1914), S. 120 u. 171. ') Color illis fuscus atque subrutilus, monedulae forma minores sunt. Ceterum nihil a me e.\ illustribus auctoribus de his aut earum natura perspectum est. (L. c. fol. 74 V.) 416 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 30 Die Bälge waren der Beine beraubt; daher die Meinung, daß diese Vögel stets in der Luft schweben und nie auf den trdboden herabkommen. Der erste Europäer, der in das Land der Paradiesvögel gedrungen ist und von ihnen einen Bericht hinterlassen hat, war der Italiener A nt o n Pigafetta, der Reisegenosse Magalhaes'. Unter dem 17. Dezember 1521 heißt es in seinem Tagebuche 'j: „Er (der König von Bachian) gab uns auch zwei sehr schöne tote Vögel für den König von Spanien. Dieser Vogel hat die Größe einer Drossel , einen kleinen Kopf, einen langen Schnabel, und Beine von der Dicke einer Schreib- feder und einen Paimo lang. Sein Schwanz gleicht dem Schwänze der Drossel ; er hat aber keine Flügel, sondern an ihrer Stelle lange Federn von verschiedenen Farben, beinahe wie die Reiher- federn. Alle übrigen Federn sind von dunkler Farbe. Dieser Vogel fliegt nur, wenn der Wind geht. Man sagt, daß er aus dem Paradiese käme, und nennt ihn Bolondinata, d. h. Gottesvogel." Das ereignete sich auf der Insel Tadore in der Molukkenstraße (jetzt Tidor zwischen Celebes und Neu-Guinea). Die Seefahrer müssen dann noch einige Exemplare erhalten haben. Pigafetta's Eigenbericht'-) lautet genauer : Zwei tote sehr schöne Vögel, stark wie Drosseln, haben einen kleinen Kopf mit langem Schnabel; ihre Beine sind etwa handlang und fein wie ein Rohr. Sie haben keine Flügel, sondern an ihrer Stelle lange Federn von verschiedener Färbung wie große Hutfedern; ihr Schweif gleicht dem einer Drossel; alle anderen Federn, ausgenommen die Flügel, sind lohfarben und sie können nur mit dem Winde fliegen. Man behauptet, daß diese Vögel aus dem irdischen Paradies kommen, und heißt sie bolon dinata d. h. Gottesvögel. Pigafetta war einer der wenigen, die die ganze Weltreise überstanden (MagelhSes selbst war schon am l-]. April 1521 auf den Philippinen in einem Gefecht mit Eingeborenen gefallen; die meisten wurden durch Skorbut aufgerieben). Die Landung in Spanien, welche am 6. Sept. 1522 stattfand, und der Einzug in Valladolid vor dem Kaiser Karl V. waren Ereignisse, bei denen auch die mitgebrachten Paradiesvögel eine Rolle spielten. Ein Deutscher, der Geheimsekretär des Kaisers, Maximilianus Transsilvanus, hat uns in einem Briefe an den Erzbischof Lang von Salz- burg, datiert Valladolid 24. Okt. 1522, einen 1) An ton Pi ga f etta' s Beschreibung der von Mag eil an unternommenen ersten Reise um die Welt (Gotha 1801)1 S. 203. Das Original befindet sich in Mailand Bibl. Ambrosiana. 2) Veröffentlicht in Pigafetta Raccolta V, 3, 99 (seit 1894 aus Anlaß des Kolumbus-Jubiläums erschienen); „due uccelli morti bcUissimi. questi uccelli sono grossi come tordi, hanno lo capo piccolo con lo becco longo, le sue gambe sono longhe un palmo et sottili come un calamo. non hanno ale ma in loco di quelle penne longhe de diversi colori come gran penachi; la sua coda e come quella del tordo ; tutte le altre sue penne eccetto le ale sono del colore di taneto e mai non volano se non quando e vento. costoro ne dicono questi uccelli venire del paradiso terrestre e le chiamano „bolon dinata cioe uccelli de Dio". Bericht ^) über das, was er dort gesehen, hinter- lassen: Der Vogel „Manucco Diata", der Götter- vogel, stellte das vornehmste Geschenk dar. Er wird so genannt, weil die Leute sich damit im Gefechte gesichert und unsiegbar wähnen. Davon waren es fünf; einen habe ich vom Schiffskapitän mir erbeten, den ich nun meinem verehrtesten Herrn (dem Bischof) schicke, nicht damit er sich auch, wie jene meinen, durch ihn vor Nach- stellungen und dem Schwerte gesichert glaube, sondern damit er sich an der Seltenheit und .Schönheit desselben erfreue. -) Vorher hatte Maximilianus Transsil- vanus nämlich geschrieben: „Reges illarum (in- sularum Moluccarum) paucis ante annis immortales animas esse credere coepere, haud alio argu- mento ducti, quam quod aviculam quandam pulcherrimam nunquam terrae aut cuiquam alii rei, quae in terra esset, insidere animadverterent, sed aliquando ex summo aethere exanimem in humum decidere. Et cum Machometani, qui ad eos commercii causa commearent, hanc aviculam in Paradyso ortam, Paradysum vero locum ani- marum (eorum), qui vita functi essent, attestaren- tur, induerunt hi Reguli Machometi sectam, quod haec de hoc animarum loco mira polliceretur. Aviculam vero Manucco Diata appelarunt, hoc est Dei Avem, quamadeo sancte religioseque habent, ut se ea Reges in hello tutos existiment, etiamsi suo more in prima acie collocati fuerint." Dieser Bericht über die Herkunft des Vogel- namens, der wohl aus dem Munde Pigafetta's und seiner Genossen stammt, ist später über- gegangen in die Gesn er 'sehen Vogelbücher, aus denen er auch von Brehm (Vögel i. Bd. 3. Aufl. S. 415) wiedergegeben wird. C. Gesn er selbst hat in den ersten Auflagen seines Werkes den Paradiesvogel noch nicht ab- gebildet. Meines Wissens erscheint ein Bild von dem Vogel zum erstenmal in der Ausgabe von Heußlin (Vogelbuch 1600 p. 393). Das Bild stammt von C. Peutinger^), der auch nach ihm bezeugt, daß er einen solchen Vogel tot ge- sehen habe. „Vnd ist onlangst (um 1600) eine Figur dieses Vogels zu Nürnberg gedruckt vnd mir (Heußlein) mit diesen Worten zugeschickt worden", was sich auf die Beschreibung bezieht (s. diese übrigens bei Brehm). In der P""rank- furter Ausgabe vom Jahre 1669 ist die Zahl der verschiedenen Paradiesvögel bereits auf ^/j Dutzend angewachsen. M Editio princeps, Cöln 1523, Januar. Das Original- manusltript hat sich hier in Regensburg St. Katharinen- Spital, wo Transsilvanus gestorben ist, aufgefunden. '-) ,,Sed praecipuum donura Manucco Diata, hoc est avicula illa Dei, qua se in proelio tutos invictosque putant. Harum quinque missae fuere, unam impetravi a Praefecto navis, (juam Kev. D. V. mitto, non quod se ea ab insidiis et ferro tutum putet, ut illi perhibent, sed quod eins raritate et pulchriludine delectetur." ') Über die Beziehungen dieses Humanisten zu den Welsern und anderen schiffahrenden Kreisen s. Fr. Wieser, Magalläes-Straße und Austral-Continent auf den Globen des Joh. Schöner (Innsbruck 1881) S. 97. N. F. XVI. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 411 Während früher die Zoologen sich über die Beinlosigkeit des Vogels stritten und sogar an derselben festhielten (auch Aldrovandi, de avibus Tom. I p. 807), obwohl schon Pigafetta diesen Irrtum richtiggestellt hatte, dämmerte es jetzt erst (1669) dem Herausgeber des Gesn er- sehen Vogelbuches auf, warum die Vögel immer ohne Beine nach Europa gebracht wurden. Nach Thuanus, heißt es, schneiden die Eingebornen den Vögeln die Beine ab, um sie auf diese Weise als größere Wunder in den Augen der Europäer hinzustellen und mehr Geld aus dem Verkaufe zu gewinnen. Unterdessen hatte aber die Kunst schon den Paradiesvogel wie lebend mit zwei Beinen laufend zur Darstellung gebracht. Der Paradiesvogel bildet auf den im 16. und 17. Jahrhundert beliebten Paradiesesbildern ein oft wiederkehrendes Zubehör. Freilich Raffael muß sich in dem ihm zugeschriebenen P^resko „Schöpfung der Tierwelt" ') (Loggien im Vatikan) noch mit dem Fasan als einem der schönsten Vertreter der Vogel- welt im Paradiese behelfen. Dagegen lassen die berühmten J. B r u e gh el'schen Bilder fast immer den Paradiesvogel sehen. Als das beste Bild dieses Meisters, der haupt- sächlich von 1600 ab in Antwerpen arbeitete und an Paradiesvögeln besondere Freude hatte, ist F. Francken (t 1642); sein „Paradies" (Dresden, K. Gemäldegalerie Nr. 946) führt uns zwei Exem- plare dieser Gattung vor (P. apoda und rubra?). Auf R. Savery's Gemälden, die manchmal die Dronte (Dido ineptus L) bergen,') spielen die Paradiesvögel keine besondere Rolle. Eine andere Art fand ich in der Handzeich- nungensammlung des Herzogl. Museums in Braun- schweig dargestellt. Das Blatt ist in feiner .A.quarell- Abh. 2. Der Göttervogel (Paradisca apoda). n Külien Adams schreitend, auf dem Paradiesesbild von J. Brueghel d. Ä. (um IÖOO-1625). (Haag, Reichsmuseum \r. 253. Ausschnitt.) 1625 starb, gilt das Bild im Reichsmuseum im Haag Nr. 253. Hier erscheint mitten unter .AfTen, Kaninchen, Putten und anderem Getier links ein laufender Paradiesvogel mit goldgelbem Schweif und grünem Kopf — ohne Zweifel der Götter- vogel (Paradisea apoda L.). Mit festen derben vierzehigen Beinen trippelt er als der schönste im ganzen Vogelreigen vor den Füßen des sitzenden Adam herum (s. Abb. 2). Auch in der Luft schwirrt ein Vogel dieser Gattung (P. rubra nach meinen Aufzeichnungen). Auf einem anderen Bild dieses Meisters, genannt Herbstflora (Madrid Prado Nr. 1248) tummelt sich der Göttervogel mit unserem. Pirol und mit Meerschweinchen in einem früchte- reichen Garten. Ein zweiter Maler jener Zeit, der Abb. 3. Eine .^rt Königsparadiesvogel (Cicinnurus spec.) Aquarell von H. H engst enburgh , um 1700. (BrauDSchweig, Herzogl. Museum.) maierei ausgeführt und stellt uns eine Art Königs- paradiesvogel (Cincinnurus) mit den charakteristi- schen Schwanzfedern vor (vgl. Abb. 3). Es stammt nach der Signatur von Hermann Hengstenburgh, der von 1667 — 1726 lebte. Auf seinen Studienblättern erscheinen noch ver- schiedene andere exotische Tiergestalten, so der Seidenweber, das Chamäleon, die Gespenstheu- schrecken, der Nashornkäfer u. a. m. Auch der merkwürdige Maler T. v. Kessel ( 1626—1679», der sich bemühte, seinen Zeitgenossen tropische Landschaften im Bilde vorzuführen, kennt den Paradiesvogel und läßt ihn auf seinen asiati- schen Landschaften (allerdings schon in Ägypten) durch die Luft schwirren (Schleißheim, Galerie Nr. 1117). F"ür die in Rede stehenden Tiere interessierte sich im 18. Jahrhundert besonders der überhaupt etwas schöngeistige französische Naturforscher Buffon. Die eigentliche Erforschung dieser Vogelfamilie hebt an mitWallace. Er war der erste, dem es 1862 gelang, zwei Stück lebend nach Europa zu bringen. Er ernährte sie mit Reis und Schaben. Später kamen auch einige nach Hamburg und in die deutschen zoologischen >) Als sonstige schöne Vögel finde ich darauf noch dar- gestellt; Pfau, StrauiJ (sehr gut), Storch, Kranich im Fluge. 1) Vgl. meinen Artikel: Die ausgestorbenen Maskare Vögel in dieser Zeitschrift, N. F. XIV (1915). Nr. 23 u. 412 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 30 Gärten. Nach einer Notiz in der Zeitschrift „Zoologischer Garten" (1891, S. 1571 gelang es zum erstenmal in Kalkutta Paradiesvögel „durch- zubringen" (wahrscheinlich bis zur Fortpflanzung, was sehr wünschenswert wäre). Seit den Forschungen von Wallace, der 18 Arten von Paradiesvögeln kannte, ist die Zahl derselben infolge der Erforschung des Inneren von Neu-Guinea viel größer geworden; unterdessen sind noch einige ganz wunderbare Arten hinzu- gekommen, so der Kaiser-VVilhelin-Paradiesvogel, der in Deutsch-Neu-Guinea gefunden wurde, und der blaue oder Kronprinz-Rudolf-Paradiesvogel, der in den Owen Stanley-Bergen von Britisch- Neu-Guinea heimisch ist. Wie H. Johnston ^) ') Paradiesvögel in „Die Wunder der Natur", 2. Bd., S. 162 — 168. Dort auch eine gute Zusammenstellung von Abbildungen. darlegt, sind viele Arten im Aussterben begriffen. „Die Sucht der Damen, ihre Hüte mit solchen Federn zu schmücken, der Wunsch der malayischen Häuptlinge, Paradiesvogelbälge als Zier des Turbans zu verwenden, und die sinnlose Sammelwut über- spannter Amerikaner haben einen solchen Ver- nichtungskrieg gegen die Paradiesvögel hervor- gerufen, daß viele Arten bereits im Aussterben, wenn nicht gar schon ausgestorben sind." Auch aus dem vormals deutschen Teil von Neu-Guinea wurden mehr als genug von Paradiesvogelbälgen ausgeführt: 1909 um 65000 Mark, 1910 um 152000 Mark. Wenn die deutsche Flagge, was Gott geben möge, wieder über jener Inselwelt gehißt wird, möge sie auch den schönsten Ge- schöpfen der Tierwelt ein Zeichen des F"riedens und Schutzes seini Einzelberichte. Anthropologie. Über die Eigenart der Mu- sikerschädel veröffentlichte AdolfKoelsch eine Artikelserie in der Neuen Zur. Ztg. (Dezember 1916). Die schon vor mehr als einem Jahrhundert von Gall aufgenommenen Forschungen über die Be- ziehungen zwischen Gehirnentwicklung und Schädel- gestalt wurden in neuerer Zeit und auf neuen Grund- lagen fortgesetzt, namentlich von Schwalbe, Tandler, Auerbach und anderen. An der Außenseite menschlicher (wie auch tierischer) Schädel treten Hervorwölbungen auf, welche be- stimmten Gehirnteilen, ja sogar einzelnen genau angebbaren Windungen des Großhirns entsprechen. Diese äußerlichen Anzeichen des Gehirnbaues sind freilich nicht am ganzen Gehirnschädel vorhanden (wie Gall gemeint hatte); sie beschränkten sich beim Menschen vielmehr auf zwei scharf umschriebene Bezirke, nämlich auf die Umgebung des Hinter- hauptsloches, durch welches das Eückenmark aus dem Schädel tritt, und auf die Schläfengegend. Die Ursache hiervon ist, daß nur an jenen Stellen, wo die Schädelkapsel stark mit Muskulatur be- deckt ist, die knöcherne Hülle so dünn und nach- giebig bleibt, daß es auf ihr zu einer Abbildung des Windungsreliefs der darunterliegenden Hirn- teile kommen kann. Am menschlichen Schädel sind nun gerade Hinterhaupt und Schläfengegend die Partien mit starker Muskelbepackung; in der Umgebung des Hinterhauptloches heften sich die Nackenmuskeln an, in der Schläfengegend die Ohr-, Schläfen- und Kiefermuskeln. Sie bilden für die darunter verborgenen Teile einen so reich- lichen Schutz, daß eine viel leichtere Knochen- verschalung als an den übrigen Schädelperipherien für die Befestigung des kranialen Gewölbes genügt. Besonders eigenartig sind die Verhältnisse in der Schläfenregion, weil hier das Schädeldach so dünn und unstarr ist, daß sich die darunterliegenden Hirnwülste, nach Maßgabe ihres Umfangs, auf der knöchernen Hülle abklatschen und schon am Lebenden zu Verrätern seiner geistigen Anlagen werden können. Bis jetzt ist zwar noch keines- wegs für jede buckeltreibende Windung des Schläfen- und Hinterhirnlappen auch die geistige Funktion genau festgestellt, die in ihr ihren Sitz hat. Doch ist mindestens für eine Art ein- seitiger Begabung die bestimmte Beziehung zwischen Gehirnbeschaffenheit und Schädelform nachgewiesen, nämlich für besondere musikalische Fähigkeit. Die bisher an einem relativ umfang- reichen Material vorgenommenen Untersuchungen') ergaben bei den Trägern musikalischer Fähigkeiten Gehirne mit starker bis enormer Breitenentfaltung der vorderen und mittleren Schläfenwindung, reicher Gliederung dieser Partien und nicht minder auffallender, das gewöhnliche Maß weit über- schreitender Ausbildung des benachbarten, zum Scheitellappen führenden Ran d hö ckers (Gyrus supramarginalis). Bei Personen ohne musikalische I*"ähigkeiten war dagegen an der Bildung der Schläfenlappen des Gehirns nichts Besonderes zu bemerken. In Verbindung mit den bezeichneten Eigen- heiten der Musikerschädel ist zu beachten, daß schon seit langem der vorderste Teil des Schläfen- gehirns als Sitz des Gehörsinns erkannt ist, und es ist gar nicht verwunderlich, wenn Tonbegabung mit hervorragender Ausbildung des Gehörsinnes verbunden ist. Zur musikalischen Begabung ge- hört jedoch außer einem guten Gehör noch der eigentliche Ton- und Musiksinn, der zweifellos 1) Sieg m und Auerbach's Untersuchungen an Ton- künstlergehirnen im Archiv für Anatomie und Entwicklungs- geschichte (1906, 1908, 1911, 1913, 1915) „Über den Schädel Haydns" Mitteilungen der Anlhrop. Gesellschaft Wien, Bd. 39, ,,Über die Innenform und Auflenform des Schädels" (Deutsches Archiv für klinische Medizin 1903) und „Über alte und neue Phrenologie" (Korrespondenzblatt für Anthropologie, Ethno- logie und Urgeschichte, Bd. 37), N. F. XVI. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 413 seinen Sitz in jenen Feldern des Schläfenlappens hat, die sich an allen untersuchten Musiker- gehirnen, und nur bei diesen, durch außerordent- liche Größe und außerordentlichen Bau aus- zeichneten. Auch äußerlich macht sich bei den meisten musikalisch hervorragend begabten Personen die starke Füllung der Schädelkapsel im Schläfen- bezirk in ganz scharf umschriebenen Buckelbil- dungen des Schläfenbeins bemerkbar. Wie Schwalbe gezeigt hat, pausen sich schon am Schädel des Durchschnittsmenschen die vordere, mittlere und untere Schläfenwindung bald mehr, bald weniger deutlich in drei knöcherne Wulst- streifen ab, von vorn und unten nach hinten und oben über das Schläfen- und Schuppenbein ziehen, und die man an schwach verschwarteten Schädeln durch Betasten des Kopfes nicht immer, aber doch häufig schon am Lebenden feststellen kann. Der unterste dieser knöchernen Buckel liegt dicht über dem äußeren Eingang zum Ohr. An Musiker- schädeln pflegen von diesen knöchernen Vortrei- bungen ausgerechnet die beiden vorderen, welche die Lokalisationszentren des Gehör- und Musik- sinns überdecken, viel stärker ausgebildet zu sein als an gewöhnlichen Schädeln und sich deswegen im Leben schon sehr merkbar vorzudrängen. Von Von berühmten Musikern machen Schubert und Mottl eine Ausnaiime von dieser Regel, die man auf die besondere Schädelform beider (Lang- köpfigkeit) zurückführt. H. Fehlinger. Chemie. Die Zerstörungen, die die Metalle und Legierungen unter dem Einflüsse von Wasser und wässerigen Lösungen im praktischen Gebrauche erleiden, spielen in der Praxis bekanntlich eine außerordentlich wichtige Rolle. Sie sind im wesentlichen auf die Entstehung elektrischer Ströme zurückzuführen, die entweder zwischen verschiedenen, in demselben Metallbauwerk neben- einander verwendeten Metallen oder zwischen ver- schiedenen Stellen desselben Metalles infolge von Temperaturunterschieden oder infolge von Unter- schieden in der Bearbeitung oder noch aus anderen Gründen entstehen können. So entsteht, wenn ver- schiedene Metalle in demselben Metallbauwerk ver- wendet werden, ein galvanisches Element, in dem sich das mehr positive Metall auflöst. An Dampf- kesseln sind Zerstörungen nachgewiesen worden, deren Ursache in thermoelektrischen Strömen zu suchen ist. Werden Metallteile umgebördelt, ge- nietet, gehämmert, kurz irgendwie bearbeitet, so verhalten sich die beanspruchten Teile den un- veränderten Teilen gegenüber elektrisch positiv und werden daher zerfressen. Die durch diese Zerfressungen hervorgerufenen Schwierigkeiten zu beheben, ist oft versucht worden. So hatte schon Davy im Jahre 1824 den Vorschlag gemacht, die elektrischen Ströme so zu leiten, daß sie keine Zerstörungen an den in Frage kommenden Metallteilen hervorrufen können, er hatte nämlich vorgeschlagen, an dem Metallbauwerk, also z. B. an der Maschine, an dem Kondensatorrohr usw. an geeigneten Stellen und in leitender Berührung mit ihm ein sehr stark positives Metall, nämlich Zink anzubringen. Hierbei sollte das Zink Anode werden und, indem es allein zerfressen wird, das andere Metall vor dem Zerfressen schützen. Dies Verfahren hat sich jedoch in der Praxis nicht durchführen lassen. Einerseits schützt nämlich I qm Zink in seiner günstigsten Form — als reines gewalztes Zink — nur etwa 50 qm der anderen Metalle, es wären also, um eine durch- greifende Schutzwirkung zu erzielen, große Mengen von Zink erforderlich, haben doch z. B. die Dampf- anlagen auf den großen Ozeandampfern wasser- berührte Kessel- und Kondensatorflächen von vielen Hunderten von Quadratmetern. Andererseits über- zieht sich erfahrungsgemäß das Zink sehr bald infolge von Oxydation mit Oxydationsschichten, ändert dadurch sein Potential und kann unter Um- ständen, indem es edler wird als das schützende Metall, dessen Zerstörung, anstatt sie aufzuhalten, beschleunigen. Das Davy 'sehe Verfahren hat sich also, so richtig der ihm zugrunde liegende Gedanke auch ist, doch in der Praxis nicht be- währt. Hier greift nun ein neues Verfahren ein, das vor einigen Jahren von einem Ingenieur namens Cumberland vorgeschlagen worden ist. Cum- berland leitet mit Hilfe einer Niederspannungs- maschine einen Strom von 6 — 10 Volt Spannung durch das zu schützende System und die es um- spülende Flüssigkeit, in die er in geeigneter Weise Eisenelektroden einsenkt, so daß diese Elektroden als Anoden dienend zerfressen und die schützenden Metallteile als Kathoden fun- gierend vor dem Zerfressen geschützt werden. Die Stromdichte, die zu wirksamem Schutz er- forderlich ist, ist nur gering; so genügt bei Ober- flächenkondensatoren I Ampere zum Schutz von 46,5 qm Oberfläche vollkommen. Außer dieser Schutzwirkung übt das C u m b e r - 1 a n d - Verfahren auch einen außerordentlich gün- stigen Einfluß auf die oft sehr lästige Bildung von Kesselstein aus. Da bei dem Cumberland- Verfahren fortwährend ein elektrischer Strom durch das Kesselwasser fließt, tritt Elektrolyse ein, die positiven Metallionen wandern zur negativen Elek- trode, d. h. zur Kesselwand, werden hier infolge der verhältnismäßig hohen Spannung entladen und setzten sich nun in sekundärer Reaktion mit dem Kesselwasser zu Wasserstoff und freier Base um. Es findet also an der Kesselwand ständig eine schwache Wasserstoftentwicklung statt, und diese . hindert die Ablagerung von festem Kesselstein an der Kesselwand. Der Kesselstein kann sich nur als loser Schlamm absetzen und in dieser Form bei der Reinigung des Kessels leicht abgeblasen werden. Ja es hat sich sogar gezeigt, daß alte fest an der Kesselwandung haftende Kesselstein- schichten bei Einführung des Cumberlan d'schen 4i4 Maturwissenschaftliche Wochenschrilt. N. F. XVI. Nr. 30 Verfahrens erweichen und sich so von selbst von der Kesselwand loslösen. In der Praxis hat sich das Cumberland' sehe Verfahren nach den bisher vorliegenden Berichten ausgezeichnet bewährt. Eine Anzahl Dampfschiff- fahrtsgesellschaften, wie die White Star-Linie, die Union Steamship Company of New Zealand und andere, haben es für iiire Schiffe eingeführt. So waren bei einem der White Star-Linie gehörigen Schiff, das 14 Monate lang Dienst als Hilfskreuzer getan hatte, bei seiner Rückkehr in den Hafen die Kessel in vorzüglichem Zustande, frei von Rost und Kesselstein, und die Kondensatoren, die früher durch das Zerfressen von Rohren viel gelitten hatten, ganz unversehrt — gewiß ein ganz hervorragendes Ergebnis. Das vorliegende Referat beruht auf einem Be- richt, den der Oberingenieur Janzen in Berlin- Siemensstadt unter dem Titel „Das elektrolytische Verfahren zur Verhütung der Zerfressungen von Metallen" über das Cumberland' sehe Verfahren in der „Zeitschrift d. Vereins Deutscher Ingenieure" (Jahrgang 191 7, Heft 7, S. 140 — 143) erstattet hat. Mg. Zoologie. Die Zahl der Generationen beim ungleichen Borkenkäfer (Anisandrus dispar F.) hat, dem Ergebnis seiner früheren Beobachtungen ent- sprechend, O. Schneider-Orelli für die Schweiz erneut mit Sicherheit mit einer fest- gestellt. ■') Für diese Käferart werden in der Literatur beinahe ausnahmslos zwei Generationen angegeben. Der ungleiche Borkenkäfer verläßt seine Bohr- löcher im Frühjahr. Ende Juni und Anfang Juli 191 6 wurden dem Verfasser an den befallenen Apfelbäumen neue Bohrlöcher gemeldet. Die genaue Untersuchung ergab, daß dieselben aber vom großen Obstbaumsplintkäfer herrührten. Mitte Juli stellte sich noch die dritte Art ein, nämlich der kleine Obstbaumsplintkäfer. Dieser Umstand ist nicht nur deshalb von besonderem Interesse, weil er die anlockende Wirkung des geeigneten Brutholzes auf die verschiedenen Borkenkäferarten veranschaulicht, sondern auch weil er zeigt, wie die irrtümlichen Angaben über die Zahl der Ge- nerationen aufkommen können. Der ungleiche Borkenkäfer überwintert als fertiges Insekt, wäh- rend die beiden Obstbaumsplintkäfer dies im Larvenzustand tun. Diese Tatsache führt zu ver- schiedenen Flugzeiten. Alle haben aber nur eine einzige jährliche Generation. A. Heß. Weitere Beobachtungen über die Partheno- genese der Infusorien. (Mit 2 Abbildungen.) Die kürz- lich an dieser Stelle besprochenen Untersuchungen von Woodruff und Er d mann über den pe- ') Über den ungleichen Borkenkäfer an Obstbäumen im Sommer 1916. Schweiz. ,,Zeitschr. für Obst- und Weinbau" 1917- riodischen Reorganisationsprozeß bei Infusorien ') haben durch neue Experimente von Jollos^) eine wichtige Erweiterung erfahren. Jollos suchte eine Antwort zu finden auf die Frage: Ist die Parthenogenese durch die innere, er- erbte Konstitution der Infusorien oder durch äußere Faktoren bedingt? Woodruff und Erdmann sind geneigt, innere Faktoren für die Reorganisation des Kernapparates verantwort- lich zu machen. Die äußeren Bedingungen, Tem- peratur, Ernährung, Beleuchtungsverhältnisse usw., waren ja in ihren jahrelangen Zuchten dauernd nach Möglichkeit gleichmäßig, und der Prozeß wiedft-holte sich ganz regelmäßig nach einer „bestimmten" Anzahl vegetativer Teilungen, ausschalten ließen sich die „Rhythmen" nicht. Auch Jollos stellte diese periodische Wiederkehr der Parthenogenese in gleichförmigen Kulturen von Paramaecium caudatum fest. So zeigt Abb. I Teilungsfrequenz innerhalb 24 Stunden 3 g- I 3 . _^^ + <:^ 1 > ~? ^^ ^-<- ^x 20-22 23-25 26—28 die Teilungsfrequenz einer Paramäcienrasse, die mit Bacterium proteus gefüttert wurde, eine Nah- rung, die besonders geeignet ist, um eine gleich- mäßige Fortpflanzung zu erzielen. Mit ziemlicher Regelmäßigkeit erfolgen in der Rasse innerhalb 24 Stunden 2^3 Teilungen. Nach einiger Zeit beobachten wir plötzlich ein rasches Absinken ') Naturw. Wochenschr., N. F. Bd. 14, 1915 (H. Nachts- heim, Parthenogenese bei Infusorien) und N. F. Bd. 16, 19 17 (Woodruff und Erdmann, Der periodische Reorganisa- tionsprozeß bei Infusorien). ''■) Jollos, V., Die Fortpflanzung der Infusorien und die potentielle Unsterblichkeit der Einzelligen. Biol. Zentralbl., Bd. 36, 1916. N. F. XVI. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 41 5 der Teilungsgeschwindigkeit, der dann ein ebenso lasches Ansteigen bis zur ursprünglichen Höhe folgt. Während dieser Veränderungen der Fort- pflanzungsgeschwindigkeit findet regelmäßig die Erneuerung des Kernapparates (-f-) statt. In einem sehr wichtigen Punkte unterscheidet sich aber diese Darstellung der Teilungsfrequenz von der Woodruffs und Erdmann's. Diese geben eine wellenförmig verlaufende Teilungsfrequenz- kurve wieder, d. h. nach ihren Angaben sollen die Teilungen zwischen zwei Reorganisations- prozessen nicht in regelmäßigen Intervallen er- folgen, sondern die Fortpflanzungsgeschwindigkeit soll nach der Reorganisation des Kernapparates langsam zunehmen bis zu einem gewissen Höhe- punkte, um dann ebenso langsam bis zu einer neuen Reorganisation wieder abzusinken. Da Woodruff und Erdmann im Gegensatz zu Jollos keine näheren statistischen Angaben über die Zu- und Abnahme der Teilungsfrequenz machen, muß man wohl die Darstellung des letz- teren für die richtige halten. Das relativ regelmäßige Auftreten der Partheno- genese unter gleichförmigen Außenbedingungen ist nun aber noch kein Beweis für ihren kon- stitutionellen Ursprung. Die gleichförmigen Be- dingungen können auch gleichmäßig sich sum- mierende oder periodisch einwirkende Schädi- gungen im Gefolge haben. Daß dem tatsächlich so ist, geht denn auch aus den weiteren Experi- menten von Jollos hervor. Abb. 2 gibt die Teilungsfrequenz einer unter normalen Bedingungen bei 21'' in der Zeit vom März April Mai l ^ ^ ii l ^ ^lll ^ l i ^ l i i X W : ■ ■ : ■ ■ ■ 4: ■ : i i ■ i : ^ i J,-^-\ t = •• =/ \t -\ ^ 4^ * \ = ^^ »^ Abb. 2. Weitere Erklärung im Text. (Aus Jollos.) _ normale Abzweigungen von der nor- ■~ Kultur ' ■ ■ ' malen Kultur zur Auslosung von Parthenogenese = Parthenogenese. 13. März bis 5. Mai 1916 geführten Hauptkultur von Paramaecium aurelia wieder, von der zu ge- wissen Zeiten Zweigkulturen angelegt wurden. Diese Nebenzuchten wurden in besondere, die Parthenogenesis begünstigende Bedingungen ver- setzt. Solche Bedingungen können erzielt werden, indem man die tägliche Isolierung und Über- tragung der Paramäcien unterläßt, indem man die Temperatur um einige Grad erhöht, sodann durch Hinzufügung von stark verdünntem Am- moniakwasser zu dem Kulturmedium oder durch Einführung verschiedener Bakleriensorten. Die Ab- zweigung der Zuchten geschah am 14., 23. und 28. März, am 4., 9., 15. und 23. April. In der Hauptkultur fand vom 13. März bis zum 5. Mai zweimal Parthenogenese statt (■ = Parthenogenese), in sämtlichen Zweigkulturen wurde sie fast un- mittelbar nach Versetzung unter die auslösenden Bedingungen, mindestens aber in den nächsten Tagen festgestellt. In weiteren Experimenten wurden bei etwas anderer Versuchsanordnung ganz ähnliche Resultate erzielt. Die Auslösung der Parthenogenese kann also in jedem Zeitpunkte des Lebens der Paramäcien durch äußere Fak- toren erfolgen. Versetzt man die Zweigkulturen wieder in die „normalen" Verhältnisse, so verhalten sie sich wieder wie die Hauptkultur. Indem andererseits Jollos einen Stamm mehrere Wochen lang unter den „besonderen" Bedingungen beließ, konnte er es erreichen, daß jeden dritten Tag, d. h. durchschnittlich nach 5—6 Teilungen, die Erneuerung des Kernapparates erfolgte. Wenn aber die Parthenogenese in jedem Lebensabschnitt durch Faktoren der Außenwelt hervorgerufen werden kann, so erhebt sich die weitere Frage, ob sich nicht andererseits Be- dingungen schaffen lassen, unter denen die Par- thenogenese ganz vermieden werden kann. Ver- langt die erbliche Konstitution des Organismus unter allen Umständen eine zeitweise Erneuerung des Kernapparates, oder vermag er unter gewissen Bedingungen dauernd zu funktionieren? Unter den von Woodruff und Erdmann angewandten Bedingungen schreitet ein Paramaecium aurelia nach 40—50, längstens aber 60 Generationen zur Parthenogenese. Indem Jollos statt der hohl- geschliffenen Objektträger größere Gefäße, die je- doch die tägliche genaue Durchmusterung noch zuließen, zur Aufzucht benutzte und Salatwasser statt Bouillon als Nährmedium verwandte, ver- mochte er die Lebensbedingungen für die Para- mäcien noch bedeutend zu verbessern, und so gelang es ihm, den Eintritt der Parthenogenese bis nach 130 — 140, in einem Falle sogar bis nach 168 Teilungsschritten hinauszuschieben. Dauernd die parthenogenetischen Prozesse auszuschalten, war jedoch nicht möglich. Nun ist damit aller- dings noch nicht der Beweis erbracht, daß das überhaupt unmöglich ist, aber mit Recht erklärt Jollos, daß die Wahrscheinlichkeit, daß der Makronukleus der Infusorien unter bestimmten Bedingungen dauernd funktionsfähig bleiben kann, außerordentlich gering ist. „Der Makronukleus besitzt", sagt Jollos, „nur eine beschränkte Lebensdauer; nicht so beschränkt, wie es nach den in dieser Hinsicht ungünstigen Kulturbedin- gungen von Woodruff erschien, wie ja auch die Lebenszeit des Menschen nicht nach dem von einer, besonderer Schädigung ausgesetzten Berufs- klasse im Durchschnitt erreichten Alter allgemein bemessen werden kann — aber Altern und natür- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 30 liebem Tode ist er offenbar doch unterworfen." Durch besondere Pflege vermögen wir die Lebens- dauer eines Infusors ebenso wie die eines viel- zelligen Organismus zu verlängern, Unsterb- lichkeit können wir indessen keinem verleihen. Am Schlüsse seiner Abhandlung nimmt J o 1 1 o s noch Stellung zu Weismann's Lehre von der potentiellen Unsterblichkeit der Protisten. Bei Besprechung der Untersuchungen Woodruffs und Erdm ann's hatten wir — ebenso wie diese — den Standpunkt \ertreten, daß die Weismann- sehe Theorie dadurch unhaltbar geworden ist. Jollos ist anderer Ansicht. Gewiß könne man heute die Infusorien nicht mehr als potentiell unsterblich bezeichnen, aber die Weisman n'sche Lehre bestehe auch weiterhin zu Recht. Bei den Infusorien sei ■ — im Gegensatz zu den übrigen Protisten — bereits eine Trennung in Soma und Keimplasma (Makronukleus und Mikronukleus) eingetreten, sie gehörten also in dieser Hinsicht schon zu den Vielzelligen; diese Weismann bei Aufstellung seiner Theorie noch unbekannte Tat- sache mache es verständlich, daß es auch bei den Infusorien einen Tod gebe, ja es wäre geradezu ein Beweis gegen die Richtigkeit der Weis- man n ' sehen Theorie, wenn der Makronukleus zu dauernder Erhaltung befähigt wäre, da dieses eine potentielle Unsterblichkeit des Somas dartun würde. Doch, so fragen wir, wo ist denn der Beweis, daß bei den übrigen Protisten, bei denen sich mor- phologisch eine Trennung in Soma und Keim- plasma noch nicht nachweisen läßt, diese auch physiologisch noch nicht erfolgt ist ? Es liegen bereits Beobachtungen vor, die es wahr- scheinlich machen, daß auch in anderen Gruppen von Protisten Reorganisationsprozesse stattfinden, die mit der Parthenogenese der Infusorien im Prinzip übereinstimmen. Weitere Untersuchungen müssen hier weitere Klarheit schaffen. Jedenfalls ist die Kluft, die Weis mann zwischen Protisten und vielzelligen Organismen konstruiert hat, nicht vorhanden. Jollos will diese Kluft an eine andere Stelle setzen, sie existiert indessen wohl überhaupt nicht. „Auch die Protozoen verhalten sich", um mit R. Hertwig') zu sprechen, „wie Maschinen, welche bei ihrer Tätigkeit nicht nur das ihnen zugeführte Material zu Arbeitsleistung verbrauchen, sondern zugleich auch eine ihren Fortbestand gefährdende Abnutzung erfahren." Übrigens scheint auch Jollos, obwohl er als Verteidiger der Weis mann'schen Theorie auf- tritt, auf einem ganz ähnlichen Standpunkte zu stehen. Aber es heißt doch den Inhalt von Weismann's Theorie auf ein Minimum be- schränken, wenn er sie in die These faßt: „Der Lebensprozeß braucht den Keim des Todes nicht in sich zu enthalten." Mögen wir auch das Altern nicht als eine Grund eigenschaft der ') Hertwig, R., Über Parthenogenesis der Infusorien und die Depressionszustände der Protozoen. Biol. Zentralbl., Bd. 34, 1914. lebendigen Substanz betrachten, der Tod ist sicher schon sehr frühzeitig aufgetreten in der Entwick- lung des Organischen. Auch er zeigt eine all- mähliche Entwicklung. Die „Monere" mag so langsam altern, daß sie für uns unsterblich ist, die Mehrzahl der heute lebenden Protisten ist aber ebensowenig unsterblich wie die Metazoen und Metaphyten, wenn auch jene nur einem „Partialtode" verfallen, während „bei Vielzellern der Tod mehr und mehr seine Domäne erweitert" (R. Hertwig)'). „Nicht erst mit der Vielzellig- keit setzte der Tod ein," — diesen Schlußworten von Jollos stimmen wir vollkommen zu — „wir finden ihn vielmehr als Teilerscheinung („Partial- tod" R. Hertwig) auch im Reiche der Ein- zelligen fortschreitend ausgebildet, sehr sinnfällig, wie wir sahen, bei den Infusorien, aber bald in dieser, bald in jener Form, bald geringe, bald große Teile der lebendigen Substanz erfassend auch bei den meisten, wenn nicht allen anderen heutigen Protistenformen. Sind doch die Protisten für uns nicht mehr die „einfachsten Organismen", wie sie es noch für Weis mann waren und bei dem damaligen Stande der Wissenschaft sein mußten, sondern „höchst entwickelte Zellen"." Nachtsheim. Über die Dauer der Puppenruhe beim Frost- spanner hat O. Schneider-Orelli bemerkens- werte Versuche angestellt und deren Ergebnisse veröffentlicht. ^) Die Flugzeit des Frostspanners (Operophthera [Cheimatobia] brumata L.) fällt in den Spätherbst. Als Erscheinungszeit des Falters wird zumeist der Zeitpunkt des Auftretens der ersten Nachtfröste angegeben. Dieselbe fällt je nach der Lage des Beobachtungsortes auf eine verschieden vorge- rückte Jahreszeit. Bei Petersburg und in den baltischen Provinzen erscheinen die Frostspanner Ende September und in der ersten Oktoberhälfte, in Zentralrußland Mitte bis Ende Oktober und in der Krim sogar erst Ende November. Im schwei- zerischen Hochgebirge erscheint er Ende Sep- tember. In Wädenswil am Zürichsee (480 m ü. IVI.) erscheinen die ersten Exemplare Mitte Oktober. Ende des Monats oder in der ersten Hälfte des November erreicht die Flugzeit ihren Höhepunkt und Anfang Dezember gelangt sie zum Abschluß. Aus diesen wenigen Angaben schon geht her- vor, daß der Frostspannerflug im Gebirge und in nördlich gelegenen Gebieten früher einsetzt als in tiefen und südlichen Lagen. Dieser Umstand ist verständlich, weil ein Ausschlüpfen der Falter aus dem Boden in rauheren Gegenden der Schnee- decke oder des starken Frostes wegen später ') H e r t w i g , R., Über den Ursprung des Todes. Vortrag zum Besten des Petlenkoferhauses. Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Jahrg. 1906. ^) Temperaturversuche mit Frostspannerpuppen, Operoph- thera brumata L., in „Mitteilungen der Entomologia Zürich und Umgebung", Heft 3, 1916, N. F. XVI. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 417 nicht mehr möglich wäre. Die Puppenruhe muß demnach in kälteren Lagen weniger lang dauern, als in milderen, da auch der spätere Frühlings- eintritt in den ersteren einen späteren Ausfall der überwinterten Eier und eine spätere Verpuppung der Raupen zur Folge haben muß. Der Verfasser wollte feststellen, ob die ersten Fröste oder richtiger ausgedrückt die spätherbst- liche Abkühlung den Anstoß zum Ausschlüpfen der Falter aus den Puppen gibt. Zur Erforschung dieser physiologischen Erscheinung nahm er im Jahre 19 16 verschiedene Versuche vor. In Wädenswil gesammelte Puppen wurden zum Teil nach dem Großen St. Bernhard (2473 m ü. M.) geschickt. Diese 2000 m höher gelegene Ver- suchsstation hat eine um ungefähr 10" C tiefere mittlere Jahrestemperatur als Wädenswil. Die Versuche ergaben, daß die Psalter auf dem Großen St. Bernhard später schlüpften als bei den in Wädenswil zurückbehaltenen Kontroll- puppen. Sie wären auf der Höhenstation wohl gar nicht mehr pro 1916 geschlüpft, wenn die Behälter nicht in ein, allerdings ungeheiztes, Zimmer genommen worden wären, als die Außen- temperatur zu tief sank. In Wädenswil verblieben die Zuchtkasten immer im Freien. Die tiefere Temperatur hatte also eine Ver- zögerung im Schlüpfen des Falters zur Folge. Zum gleichen Ergebnis führte ein anderer Ver- such. Die Puppen wurden bei demselben in Wädenswil behalten, aber vom 8. Juni bis 12. Juli im Eisraum und dann im Freien gehalten. „Das Erscheinen der brumata-Falter ist demnach nicht einfach die Folge der starken herbstlichen Abkühlung, sondern der Abschluß außerordent- lich komplizierter physiologischer Reifungspro- zesse." Versuche über den Einfluß einer starken Tem- peraturerhöhung auf das Schlüpfen der PVost- spannerfalter, die an Puppen vorgenommen wurden, führten noch zu keinem bestimmten Ergebnis. Dagegen gelang bei anderen, wie dies zu er- warten war, Eier in der erhöhten Temperatur des Laboratoriums zu einem früheren Ausschlüpfen als im P"reien zu bringen. Auch die Raupen ent- wickelten sich rascher bei einer erhöhten Tem- peratur und kamen früher zur Verpuppung. Als Ergebnis der bisherigen Versuche wurde festge- stellt, daß beim PVostspanner die Dauer des Ei- zustandes, die in tieferen Lagen der Schweiz gegen 5V.2 Monate, im Gebirge sicher noch mehr be- trägt, durch Aufbewahren der Eier in hoher Tem- peratur auf beinahe den fünften Teil verkürzt werden kann. Das Raupenstadium der schweize- rischen Talfrostspanner, welches durchschnittlich etwa 6 Wochen dauert, läßt sich durch die Auf- zucht in erhöhter Temperatur bedeutend ver- kürzen. So z. B. bei einer beständigen Tempe- ratur von 25 " C auf den dritten Teil der nor- malen Dauer. Nicht gelungen ist aber die bei den schweizerischen Talfrostspannern ungefähr 5 Monate dauernde Puppenruhe in entsprechendem Maße abzukürzen. „Das Verbringen von Talpuppen an einen 2000 m höher liegenden Standort im Gebirge oder vorübergehend auch in künstlich abgekühlte Räume rief wiederholt eine deutliche, wenn auch an und für sich nicht sehr bedeutende Verzögerung des Ausschlüpfens der Falter hervor. Wahrscheinlich aber dauert die Puppenruhe des Frostspanners in unseren (schweizerischen) Ge- birgslagen nur etwa 3V2 Monate. Es wird sich in künftigen Versuchen vor allem darum handeln, mit solchen Gebirgsfrostspannern im Tale Zucht- versuche durchzuführen, um festzustellen, ob sie hier ihre kürzere alpine Puppendauer beibehalten, oder aber unter dem Einfluß der veränderten äußeren Bedingungen sie verlängern, d. h. den Talfrostspannern ähnlicher werden. Jedenfalls läßt sich aus den vorliegenden Versuchen ersehen, daß das Ausschlüpfen der brumata-Falter in erster Linie vom inneren Reifungsgrad der Puppen abhängt und durch P'rostwirkung nicht beschleunigt werden kann." A. Heß. Biologie. Über einen neuen Fall von Sym- biose zwischen einem Kieselschwamm mit einer Actinie und einem Ringelwurm in der Tiefsee des Atlantischen Ozeans berichtet Ch. J. Gravier in der Sitzung der Pariser Akademie der Wissen- schaften vom 19. Februar 191 7 (Sur l'association d'une Eponge siliceuse, d'une Anemone de mer et d'un Anelide polychete des profondeurs de L'At'lantique. Presentee par Ed. Perrier. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 8, 191 7). Auf den Forschungs- fahrten der „Princesse Alice" des Fürsten von Monaco wurden in der Nähe von Cap Vert in einer Tiefe von 800— 121 1 m zahlreiche noch lebende Bruchstücke einer Hexactinellide gefunden, welche als Sarostegia oculata beschrieben wurde. Der Schwamm ist koloniebildend; auf einer schmalen Platte erheben sich zahlreiche unregelmäßig dicho- tomisch geteilte, alle ziemlich gleich lange Äste. Das Ganze hat bisweilen die Form eines großen Fächers; der Stock ist zu zerbrechlich um im Schleppnetz ganz zu bleiben, so daß nur Stücke davon nach oben kommen; er stellt ein Röhren- werk dar, dessen bald gerade, bald gebogene Äste, wie bei einem Fächer am einen Ende ovale 5 bis 6 mm große, einander gegenüberliegende Öffnungen haben. Das Skelett besteht aus drei- achsigen Kieselnadeln, zwischen denen am freien Ende zackige zerteiUe Spiculae liegen. Der Schwamm wird von sehr zahlreichen Actinien be- deckt, deren größte 4 mm breit war. Jetzt, nach langem Aufenthalt in Alkohol, sehen sie aus wie gräuliche Flecken auf dem braunen Schwamm; ihre Form ist die einer wenig dicken Scheibe; das . Peristom ist tief eingezogen, so daß kein einziger Tentakel zu sehen ist. Das ganze Tier wird von einer dicken Schicht von Fremdkörpern, größten- teils Foraminiferen, bedeckt. Die Tentakeln, etwa 30, sind in zwei ringförmigen Reihen an- geordnet. 4i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 30 Der Sphinkter ist mächtig entwickelt, die Fuß- scheibe dagegen sehr reduziert. Aus dem Fehlen von Nesselfäden und Muskeln in den Tentakeln kann man schließen, daß die Actinie nur sehr wenig und vor allem keine großen lebenden Tiere fängt. Infolge ihres dicken Belags mit Foramini- feren ist die Actinie schwer und rigid. Oberhalb des Sphinkters kann sie offenbar nur in ganz be- schränktem Maße Bewegungen ausführen. Höchst- wahrscheinlich dienen ihr zur Nahrung verschiedene Organismen, welche im Wasser in der Umgebung des Schwammes suspendiert sind. Wie man weiß, sind die Schwämme nur insofern aktiv, als sie das umgebende Wasser in das Innere ihres Körpers hineinstrudeln. Das Schmarotzertum der Actinie beschränkt sich also auf einen Kominensalismus'). Die Actinie aber wird dem Schwamm dadurch nützlich, daß sie ihn davor bewahrt von anderen Lebewesen, wie z. B. von Moostierchen überkrustet zu werden, denn dieselben könnten nämlich den Schwamm allmählich so einschließen, daß seine Gewebe nekrotisch würden, wogegen die kleinen Actinien einen hinreichend großen Teil seiner Oberfläche freilassen. Aus allem geht hervor, daß der Schwamm nicht lediglich als Unterlage in Be- tracht kommt, wie ja auch auf den abgestorbenen Ästen sich keine Actinien mehr finden; ganz allgemein beginnen sie sich dann zu lösen um sich auf anderen lebenden Tieren, wie Mollusken oder Crustaceen anzusiedeln. Der Schwamm seiner- seits bietet der Actinie die gleichen Vorteile, welche ein ortsveränderliches Tier hat, indem er ihr stets frisches Wasser zuführt. In den Verästelungen des Schwammes fand sich eine neue Polychäte der Gattung Hermadion Kinberg aus der Familie der Polynoidei; der Wurm hält den Zugang zu den Gallerien des Schwammes offen, deren Verstopfung für diesen verderblich sein würde. Der festsitzende Wurm seinerseits genießt den Vorteil eines ständig von zirkulierendem Wasser durchströmten Verstecks. Zusammenfassend kann man sagen, daß die Hexactinellide zwei ganz verschiedenen Tieren ein Obdach gewährt; das eine davon ist festsitzend wie der Schwamm selbst und spielt die Rolle eines äußeren Halbparasiten, dessen Schicksal eng mit dem des Wirtstieres verknüpft ist; es wäre dies die Actinie, während der andere, der Wurm, immer nur zwischen den Asten des Schwammes sitzt und unabhängiger vom Wirtstier ist als der vorige. Die Vorteile, welche Actinie und Ringel- wurm aus dieser heterogenen Vergesellschaftung ') Vom Parasitismus unterscheidet sich derselbe dadurch, daß beide Tiere, Wirt und Parasit, ihre Nahrung von außen beziehen; das eine benachteiligt das andere nur als Mit- bewerber, aber nicht dadurch, daß es seine Nahrung aus dem Körper des anderen zieht, wie sich bei dem Parasitismus der Schmarotzer dem Wirtstiere gegenüber verhält. ziehen, ist für beide von verschiedenem Wert. Bei dem einen beruht er auf Gegenseitigkeit, bei dem anderen ist er zwar nicht gleich groß, aber der Ringelwurm hat doch seinen Nutzen von der Symbiose. Jedenfalls ist aber der Nutzen für den Ringelwurm und noch mehr für die Actinie größer als der für den Schwamm. Kathariner. Geologie. Beiträge zur Kenntnis des Rhät- sandsteins im Schönbuch zwischen Stuttgart und Tübingen gibt M. Brä u häuser in den Jahresber. u. Mitteilungen des Oberrheinischen geologischen Vereins, N. F. B. VI, 1916/17, H. 2. Die oberste Stufe des Keupers, das Rhät, ist mit einer weit ausholenden Transgression sowohl in den Gebieten der alpinen wie auch der ger- manischen Trias mit einer ähnlichen Fauna (Avi- cula contorta usw.) zur Ablagerung gekommen. In der germanischen Trias folgen auf die bis- herigen Kontinentalablagerungen nunmehr marine Schichten, die in den Jura überleiten. Bräu- häuser's Untersuchungen haben ergeben, daß die Umgrenzung der Rhätsandsteingebiete eine ganz unregelmäßige ist und daß im mittleren Schwaben ebenso wie im badisch-schweizerischen Grenzgebiet die rhätischen Schichten durch oft rasches Einsetzen oder unvermutetes Auskeilen charakterisiert sind. Marine Fauna liegt im Schön- buch in der Umgebung der Berge um Waiden- buch, Steinenbronn und Echterdingen, die z. T. dem weltberühmten Vorkommen von Nürtingen am Fuße der Alb an die Seite treten können. Im Verbände der feinkörnigen Rhätsandsteine und nicht in der Grenzebene von Rhät und Lias kommen eine oder mehrere Knochentrümmer führende Lagen („Bonebed") vielfach zusammen mit großen Gerollen vor. Der Rhätsandstein ist eine fremdartige Bildung über den bisher germanisch entwickelten Trias- schichten. Er ist die Ablagerung des nun auch in Deutschland eingebrochenen offenen Welt- meeres, das in den Alpen und fernen außeralpinen Gebieten mit einer ähnlichen Lebewelt auftritt. Die Rhätfauna weist mancherlei Beziehungen zu der darüber folgenden Liasfauna auf (Präkursor- fauna). Auf der anderen Seite lassen vor allem die Ammoniten des Rhäts noch engere Zusammen- hänge mit der marinen Fauna der vorangegangenen Triaszeit erkennen. Auf die Auswertung der Fauna darf man mit Recht gespannt sein. Die Annahme gelegentlicher Wiederaufarbei- tung und Umlagerung schon zu rhätischer Zeit ab- gesetzt gewesener Sedimente zu Beginn der Lias- bildung hilft über mancherlei Schwierigkeiten der Abgrenzung und der Deutung von Einzelheiten in den schwäbischen Profilen hinweg. V. Hohenstein. N. F. XVI. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Bücherbesprechungen. Die Chemie im täglichen Leben. Gemeinver- ständliche Vorträge von Prof. Dr. Lassar- Cohn, Königsberg i. Pr. Achte verbesserte Auflage, mit 23 Abbild, im Text. Leipzig 1916, Leopold Voß. — Preis 4,80 M. Wie der Verfasser im Vorwort bemerkt, liegen nunmehr von diesem bekannten Buch Über- setzungen vor ins Englische, Finnische, Französische, Hebräische, Italienische, Polnische, Portugiesische, Russische, Schwedische, Serbische, Spanische und Tschechische. Außerdem ist das Werk in deutsche Blindenschrift übertragen und in Newyork erschien ein Nachdruck mit englischen Anmerkungen, um als deutsches Lesebuch in englichen Schulen zu dienen. Dieser gewaltige Erfolg ist im höchsten Maße erfreulich, zeigt er doch, daß ganz allgemein der Wunsch im Publikum besteht, sich mit den Dingen des täglichen Lebens etwas ernsthafter zu beschäftigen, als es lange Zeit der Fall war. — An populärer naturwissenschaftlicher Literatur herrscht ja kein Mangel, aber meistens beschäftigen sich derartige Bücher mit biologischteleologischen P'ragen, die in der Mehrzahl nicht von Gelehrten, sondern von Schriftstellern vorgetragen werden, denen es im Grunde genommen mehr um die F^orm als um den Inhalt zu tun ist. Die Folge davon ist — abgesehen von der Wiedergabe von Unrichtigkeiten — Hervorkehren „aktueller" Hy- pothesen, was für besonders reizvoll gehalten wird, und eine Darstellungsweise, die sich möglichst eng an feuilletonistische Darbietungen anlehnt. In den Kreisen der Gelehrten betrachtet man darum vielfach die sogenannte populäre natur- wissenschaftliche Literatur recht skeptisch, ohne zu bedenken, daß dem Mangel abzuhelfen wäre, wenn die Gelehrten selbst das Popularisieren in die Hand nehmen würden. Ref führt den Erfolg des vorliegenden Buches — abgesehen von der klaren und fließenden Darstellungsweise — nicht zum wenigsten darauf zurück, daß das Laien- publikum instinktiv die Überlegenheit des Autors merkt, der den Leser auf jeder Seile fühlen läßt, daß er den Stoft' durchaus beherrscht. — Von der Reichhaltigkeit des verarbeiteten Stoftes zeugt ein Blick in das Sachregister; wir werden über das „Abschäumen der Suppe", über „Anästhetika", „Baumwollfärberei", „Beefsteakfieisch", die „Camera obscura", „Chilisalpeter" ebenso belehrt wie über „Eisenbahnschienen", „Explosivstoffe", „flüssige Luft" und „Fußbekleidung". Die „Gärung", das „Glas", „Hämmern des Eisens", „Holz" und „Jodo- form" werden dem Leser vorgeführt wie die „Kartoffeln", das „Kokain", die „Lichtputzschere" und der „Madeira". Der „Nährwert des Alkohols", das „Opium" und „Porzellan", das „Rosten des- Eisens", die „Seidenfärberei", der „Speck" und der „Stallmist" geben dem Verfasser Veranlassung, chemische Kenntnisse zu verbreiten wie der „Torf", das „Viehfutter", der „Weizen" und die „Zucker- krankheit". — In der neuen Auflage ist der, Zucker- krankheit und ihrer Behandlung eine ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Verf , der selbst zucker- krank ist, hat mit seiner Methode sehr günstige Erfolge an sich erzielt und darum glaubt er seinen Leidensgenossen seine Erfahrungen nicht vor- enthalten zu sollen. Verf neigt der Ansicht zu, „daß es sich bei Zuckerkranken um einen in ihrer Blutbahn kreisenden Stoff handelt, der die Nieren veranlaßt, Zucker mit dem Harn zusammen durchtreten zu lassen". Im Auftreten von Durst sieht er „eine Selbsthilfe der Natur" und abgesehen von einer gewissen Einschränkung von Kohle- hydrat armer Kost wird eine Wirkung erzielt durch „eine Art von Dauertrinkkur". Jede wässerige Flüssigkeit, die nichts enthält, was dem Pflanzen- reich entstammt, ist für diese Trinkkur geeignet. Verf empfiehlt seine Kur, die eine Ergänzung der Roiloschen Diät darstellt, allen Zuckerkranken, denen es ihr Arzt erlaubt. Wächter. Fr. Frech, Geologie Kleinasiens im Be- reich der Bagdadbahn (Ergebnisse eigener Reisen, vergleichender Studien und paläonto- logischer Untersuchungen). Aus: Zeitschr. d. deutsch, geol. Ges. Bd. 68, Berlin 1916, als Sonderdruck bei F. Enke-Stuttgart m. 20 palä- ontol. Tafeln, 3 geolog. Karten, i Profil, 5 Text- bildern. — 20,20 M. Die Aufmerksamkeit des ganzen deutschen Volkes ist in erhöhtem Maße auf die Entwicklung all der starken natürlichen Kräfte unseres wackeren türkischen Bundesgenossen gelenkt worden. Die vielen ungehobenen Bodenschätze und ihre Zu- kunft stehen dabei mit in erster Linie. Mehr als eine Zusammenfassung ist darüber erschienen. In dem hier angezeigten Werke aber handelt es sich um weniger und um mehr: Die praktisch bergbau- lichen Fragen treten bewußt ein wenig zurück hinter der Erfassung des ganzen geologischen Gebäudes der kleinasiatischen Halbinsel. Es ist das Ergebnis mehrerer Reisen und ihrer Auswertung unter rein wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Eine geologische Übersichtskarte zieht das Fazit aus den Untersuchungen des Verfassers. Die letzte der Expeditionen wurde im Auftrage der Bagdad- bahn unternommen, die auch mit dieser Förde- rung der Forschung ihrem Wesen als Kulturpionier treu geblieben ist. Vielleicht, daß die plötzlich gesteigerte Be- deutung des Themas für die Allgemeinheit die Arbeit zu etwas beschleunigtem Abschluß gebracht hat? Gewisse Unausgeglichenheiten scheinen dar- auf hinzuweisen : Die Ausführungen auf S. 82/83 über „die Frage des Erdbebenschutzes von Ge- bäuden und Eisenbahnbauten" wiederholen sich wörtlich auf S. 1 89/191. Eine Zahl schwerwiegen- der Einwände in geographisch-geologischem Sinne ist von einem solchen Kenner des Landes wie Philippson in einem späteren Heft der gleichen 420 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 30 Zeitschrift erschienen, gegen die sich freilich der Verfasser großenteils erfolgreich (wenn auch in bedauerlicher Gereiztheit) zu wehren vermochte; gleichzeitig geht Oppenheim gegen gewisse Ergebnisse paläontologisch-stratigraphischer Art an, auf die der Verf. gerade besonderen Wert ge- legt zu haben scheint, und in diesem Falle dürfte die Verteidigung recht schwierig sein. Selbst in der Disposition des Ganzen herrscht aber nicht immer wünschenswerte Klarheit. Ab- schnitt I behandelt den Gebirgsbau von Anatolien und zwar in Schilderungen einzelner Beobachtungs- abschnitte. Demgegenüber ist Abschnitt II eine zusammenfassende Übersicht über „den Gebirgsbau Kleinasiens" nach geographischen Bezirken nebst Hinblicken auf Nachbarländer, insbesondere Hellas. Hier wie dort sind dem Tauros bestimmte Kapitel gewidmet, der nunmehr aber nicht alsTeil von Anato- lien sondern als ihm gleichgeordnet erscheint, so daß das begriffliche Verhältnis von Anatolien und Klein- asien in dauernd wechselnder Beleuchtung auftritt, ohne dabei an Klarheit zu gewinnen. Wiederholun- gen waren so nicht ganz zu vermeiden. Abschnitt III und IV sind sodann historisch angelegt, und zwar wird das Fossilmaierial aus dem Tauros und seine paläogeographische Bedeutung für Silur-Devon, Karbon und Kreide gesondert beschrieben, sowie zum Schluß eine Erdgeschichte der Halbinsel (die nun aber wieder Anatolien heißt) nach geologischen Zeiten getrennt geliefert, womit sich aber wieder die Einführung zu Abschnitt III mindestens dem Thema nach deckt. Der Leser verliert so ein wenig die Übersicht, wo er Einzelheiten noch einmal nachzuschlagen hat. Kulturgeschichtliche Beobachtungen und Meinungsäußerungen von großem Interesse sind hier und da eingestreut, schweifen aber zuweilen vom geraden Pfade des Themas ab. Es bedarf des Hinweises kaum, daß das Frech 'sehe Werk als Materialsammlung und durch zahlreiche wichtige Anregungen bedeutenden Wert besitzt und bei der ferneren Durchforschung Kleinasiens als nicht zu umgehender Ratgeber dienen wird. Eine auch theoretisch höchst wichtige Neu-Erfahrung wäre das ungestörte Übergehen stark gefalteter Schichten in horizontal gelagerte nach oben hin innerhalb der Oberkreideschichten am Berge Kessek oberhalb der Tschakii-Schlucht. Es würden also nach der Frech 'sehen Darstellung unter Umständen gebirgsbildende Kräfte die unteren Lagen zusammenpressen, die oberen aber lediglich zu heben vermögen. Zweifellos ist das ein zu- nächst schwer vorstellbarer Vorgang. Aber die Faltengebirgs-Tektonik hat unserer Vorstellungs- kraft ja schon ganz andere Aufgaben gestellt 1 Immerhin sind eingehendere Beobachtungen natür- lich abzuwarten. Das Problem könnte mit dem anderen, paläontologischen im Zusammenhange zu erfassen sein, wonach die Seeigelgattung Clypeaster, die für tertiäre Schichten überaus charakteristisch ist, an jenem Berge bereits in der Oberkreide auftreten solle. Nach den erwähnten Oppenheim- schen Einwänden muß doch damit gerechnet werden, daß wir es auch hier mit echtem Tertiär zu tun haben; dann aber könnte auch jene auf- fallende Lagerung auf andere Weise eine Auf- klärung finden. In der Legende zur geologischen Karte ist bei „Serpentin" zu ergänzen: „Granit im Norden und Zentrum" (S. 309, Fußnote i). Freilich bleibt auch dann eine einheitliche Farbengebung für genetisch und zeitlich so grundsätzlich verschiedene Massengesteine nichts weniger als glücklich. Edw. Hennig. CG. Calwer's Käferbuch, Naturgeschichte der Käfer Europas. Sechste, völlig um- gearbeitete Auflage, herausgegeben von Camillo Schaufuß. 2 Bände mit 1390 Seiten, 48 Tafeln und 254 Textfiguren. Stuttgart, E. Schweizer- bart'sche Verlagsbuchhandlung, Nägele und Dr. Sproesser. 1916, Kostenpreis — 38 M. Das stattliche Buch liegt nun fertig vor. Die Literatur für die Coleopterologen und Käferfreunde ist wieder um ein gutes Werk bereichert. Ein solches Käferbuch fehlte uns in unseren Jugend- jahren und später. Es zeichnet sich neben der gewaltigen Beherrschung des systematischen Haupt- teils besonders durch die reichlichen Mitteilungen über die Lebensverhältnisse der Käferarten aus, die aligemein willkommen sein werden. Zum ersten Male ist das bionomische Material über Käfer in diesem Umfange gesammelt und der Öffentlichkeit mitgeteilt. Wer da weiß, wie zer- streut in der Literatur die immerhin zahlreichen Angaben über die Bionomie der vielen Käferarten sind, der wird die große Sachkenntnis und die Emsigkeit des Verfassers im Zusammentragen dieser in langer Zeit von Hunderten von Beobachtern gewonnenen Kenntnisse bewundern. Die außerordentlich fleißige Bearbeitung der Bionomie der Käfer, die durch alle Gattungen, soweit sie in dieser Beziehung erforscht sind, durch- geführt ist, erscheint als der Eckstein, an dem wir dieses Käferbuch ganz besonders schätzen. Wir erkennen dabei, wie viel schon bekannt, wie außer- ordentlich viel aber noch unbekannt ist, und daß für neue Jünger stiller Beobachtung intimster Vorgänge in der Kleintierwelt noch ein weites P"eld unbekannter Lebensgeheimnisse vorliegt und noch viel zu erforschen ist. Der allgemeine Teil des Werkes umfaßt von S. 7~'5'4 die Kapitel „über den Körperbau", „über die Entwicklung", „über die Lebensweise" (Fort- pflanzung, Ernährung, Klima, Bodenbeschaffenheit und sonstige örtliche Verhältnisse, Selbsterhaltungs- trieb, Schutzsuchen vor Feinden, geographische Verbreitung), „Fang und Zucht", „Bestimmen und Ordnen", „Kauf, Tausch und Versand". Den größten Raum beansprucht selbst- verständlich der systematische Teil. Am Kopfe der einzelnen P'amilien befindet sich je eine tabellarische Übersicht zum Bestimmen der Gruppen. N. F. XVI. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 421 Darauf folgen die Übersichten der Gattungen mit einem Bestimmungsschlüssel. Bei der Einteilung der Käfer in die großen Familiengruppen hätte der Herr Verfasser sich an mein System der Käfer anlehnen können, wie das in vorbildlicher Weise Reitter in seiner eben abgeschlossenen „Fauna Germanica. Die Käfer des Deutschen Reiches" getan hat. Dem Werte des Schaufuß'schen Werkes an sich schadet diese Unterlassung allerdings nicht. Die meisten Arten Nord- und Mitteleuropas und manche südeuropäische sind beschrieben. Alle europäischen und noch andere Arten des paläarktischen Gebietes sind aufgezählt. Nicht alle Arten, besonders nicht die zahlreichen kleinsten Staphyliniden und noch verschiedene andere, konnten aufgeführt und beschrieben werden, wegen des mangelnden Raumes. Die geographische Ver- breitung und Angaben über die Verwandlungs- stadien sind eingehend berücksichtigt. Ebenso ist das Vorkommen nebst der Erscheinungszeit angemerkt. Wichtige und wissenschaftlich wert- volle Lebensverhältnisse sind in dem beschrei- benden Teile z. T. eingehend behandelt. Das gilt besonders von den myrmekophilen Käfern. Die angeblich parthenogenetisch sich fortpflanzenden Käfer sind angeführt, dann die heliotropen und heliofugen Gattungen, auch die im Wasser lebenden Rüsselkäfer {Hydroiiumiis, Lifodaciyiis, Phylohiits, E/iiiryc/ii/is 7'rlafiis), von denen der letztere tauchen und schwimmen kann. Die Tomiciden (Borkenkäfer), für die der Verf den verwirrenden Namen „Jpiden", nach dem Vor- schlage hypermoderner Entomologen, einführt, sind recht vielseitig bearbeitet, besonders inbionomischer Beziehung. Die neuzeitlichen Forschungen über die noch ungenau und unklar bekannte Pilz- nahrung der „Holzbrüter" sind hinsichtlich der verschiedenen Standpunkte der Forscher einer allseitigen Betrachtung gewürdigt. Die Bru tpflege im weiteren Sinne ist vom Verf. nach dem Vorgange des Rezensenten be- handelt. Die providente Brutpflege bei den Tomi- ciden (.Anlage von Ei-Nischen) und die besonders ausgebildete Brutpflege der Rhynchitiden usw. sind auf S. 1032 — 1033 behandelt. Auf die parentelle Brutpflege ist S. 887 hingewiesen. Die Gattung //iv?'/'('/>//////5 (Brutpflege S. 15) ist mit dem weniger guten Namen /fvdra/is bezeichnet. Seit alter Zeit in der Schul- und Lehrliteratur, auch in der Gelehrten- und populären Literatur gebräuchliche und von alters her eingebürgerte Tier- und Pflanzen- namen sollten aus pädagogischen und aus Gründen der Pietät und Nützlichkeit beibehalten werden. Die neueste wissenschaftliche Literatur ist vollständig verwertet, so daß das Werk den wissenschaftlichen Standpunkt der gegenwärtigen Käferkunde vertritt. Dagegen fehlen bei den Gattungen und Arten die Literaturangaben, die das Buch sonst zu umfangreich werden ließen. Ein weises Bestreben zeigt deutlich, daß der von dem reichen Stoffe ausgehende Trieb nach Aus- dehnung möglichst oft zurückgedrängt wurde. Dennoch ist es recht dickleibig geworden; denn es umfaßt 1390 Seiten. Die vielen bionomischen Angaben sind es vor- nehmlich, die das Buch als Nachschlagewerk sehr nützlich machen. Es ist ein sehr gutes Lehrbuch der Käferkunde in des Wortes bester Bedeutung geworden. Sein gründlicher und vielseitiger Inhalt, in Verbindung mit der reichen Illustrierung macht es zu einem Werke, welches jeder Käferkundige, nicht nur der Anfänger, gebrauchen sollte. Es ist nicht nur für Laien, sondern auch für Entomologen und auch für jene geschrieben, welche es zu gelegentlicher Belehrung benutzen wollen. Gegenüber den früheren Ausgaben des Calwer ist dieses neueste Werk reichhaltiger und wissenschaftlicher aus- gearbeitet. Der neueste „Calwer" ist in Wahr- heit eine Naturgeschichte der Käfer, wie auch auf dem Titelblatt angegeben ist; ein Lehrbuch und zugleich ein Buch zum Bestimmen der Käfer der näheren und entfernteren Heimat, mit Hinweisen auf alle europäischen Gattungen und Arten. Wer es benutzt, kann aus einem Sammler ein Beobachter und Forscher werden. Professor H. Kolbe. Kobert, R., Prof. Dr., Über die Benutzung von Blut als Zusatz zu Nahrungs- mitteln. Ein Mahnwort zur Kriegszeit. 4. wiederum vermehrte und zeitgemäß umge- arbeitete Auflage. Stuttgart 191 7, F. Enke. — 3 M. Das Büchlein des Rostocker Pharmakologen ist in der gegenwärtigen Zeit der Revision unserer Ernährungsbegriffe sehr verdienstlich, enthält aber über diese ephemeren Ziele hinausgreifend, auch so viel allgemein interessantes und ist zudem so lebhaft und fesselnd geschrieben , daß es eine nachdrückliche Pimpfehlung verdient. Der Verf. macht höchst energische Propaganda für möglichst umfängliche Verwertung des Blutes zur mensch- lichen Ernährung, sammelt dazu ein großes Material, widerlegt Einwände, klärt über Nährwert, Zusammensetzung des Blutes auf und gibt vor allem Anleitungen und Anregungen zu einer möglichst vernünftigen Verwendung dieses wert- vollen Nahrungsmittels an. Man muß ihm grund- sätzlich beipflichten. Der Standpunkt, Nahrungs- mittel nicht in erster Linie nach dem Nährwert und selbstverständlich auch nach Geschmack und Geruch zu beurteilen und zu wählen, sondern allerhand andere unklare, ja abergläubische Ein- flüsse mitwirken zu lassen, ist eines gebildeten Menschen nicht würdig. Nun, der Krieg hat manchen erzogen, dem die eigentlich zu jeder richtigen Erziehung gehörige Essensdisziplin ge- fehlt hat; wir essen jetzt endlich auch mehr mit dem Verstände und — müssen es. Daß das Buch während des Krieges schon vier Auflagen erlebt hat, zeigt, auf ein wie großes allgemeines Interesse 422 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 30 die Erörterung solcher F"ragen stößt. Zu wünschen scheint es noch sehr zu hapern, so daß wohl die wäre allerdings, daß man auch etwas mehr von meisten trotz guten Willens gar keine Gelegenheit den Anwendungen des Blutes und von den Blut- haben, ihn auch in die Tat umzusetzen. (G.C.) Präparaten in der Praxis zu sehen bekäme, da Miehe. Anregungen und Antworten. Literatur. dem .587- -424 Die folgende Liter aturli der „Naturw. Wochenschr." erschienenen Aufsatz von Dr. Lenk „Slützeewebe und Integumente der Tiere" konnte leider wegen verspäteten Eingangs dem genannten .Aufsatz nicht angefügt werden. Da sie aber gewiß für viele Leser Interesse besitzt, sei sie hier nachträglich mitgeteilt. Die Redaktion. 1. O. V. Fürth, Vergleichende chemische Physiologie der niederen Tiere. Jena 1903, 44X — 490. 2. C. Fr. \V. Kruk enb erg, Grundzüge einer vergleichenden Physiologie der tierischen Gerüstsubstanzen. Vgl. physiol. Vorträge, Heft IV, 184— 269 (1886). E. D r e c h s c 1 , Hermann's Handb. d. Physiologie, Vll Leipzig 1883. 3. L. Rhumbler, Zeitschr. wiss. Zool. 61 (1896). 4. Bütschli, Zool. Anz. 30, 7S4 — 789 (1906). 5. E. Harnack, Zeitschr. physiol. Chemie, 24, 412- (1898). 6. P. Friedländer, Ber. d. deutsch, ehem. Ges. 42, 765 {1909); Monatsh. f. Chemie 30, 247 (1909). 7. H. L. Wheeler u. L. B. Mendel, Journ. of biol. Chem. 7, I (1909). 8. M. Henze, Zeitschr. f. physiol. Chemie 51, 64(1907). C. T. Mörner, Zeitschr. f. physiol. Chemie 51, 33 (1907). H. L. W h e e 1 e r u. G. S. J a m e s o n , Amer. Chem. Journ. 34, 365 (1905); Biochem. Zentralbl. 4, 251 (1905/06). 9. C. Th. Mörner, Zeitschr. f. physiol. Chemie 51, 33— 62 (1907); 55. 77-83 (1908); 55, 223-235 (1908). 10. W. Lindemann, Zeitschr. Biol. 39, 18 — 36 (1900). 11. O. V. Fürth u. E. Lenk, Biochem. Zeitschr. 33, 341 (191 1); Wiener klin. Wochenschr. Nr. 30 (1911). 12. O. Schmiedeberg, Mitteil, aus d. zool. Station zu Neapel 111 373—392 (18S2). 13. G. u. H. Harley, Proz. Roy. Soc. 43, 461 (1888). 14. Literatur über Chitin: O. v. Fürth, Vergleich, chem. Physiol. d. niederen Tiere 471 — 486. Jena I903. G. Zemplen, Biochem. Handlexikon 2, 527 — 536 (1911). 15. Araki, Zeitschr. f. physiol. Chemie 20, 498 (1S95). 16. O. V. Fürth u. M. Russo, HofmeistersBeitr.8, 163 (1906). 17. Emil Lenk, Biochem. Zeitschr. 23, 47 (1909). 18. H. Brach, Biochem. Zeitschr. 3S, 468 (1912). 19. S. Fränkel u. A. Kelly, Sitzungsber. d. Wiener Akad. Mathem.-naturw. Kl. HO Abt. IIb Dez. (1901). Th. R. Off er, Biochem. Zeitschr. 7, 117 (1907). O. V. Fürth u. E. Scholl, Hofmeister's Beitr. 10, 188 (1907). 20. E. Winterstein, Ber. d. deutsch, chem. Ges. 26, 362 (1893); Zeitschr. physiol. Chemie 18, 43 (1893). 21. E. Abderhalden u. G. Zeraplen, Zeitschr. f. physiol. Chemie 72, 58 (191 1). 22. E. Abderhalden, Zeitschr. f. physiol. Chemie 55, 236 (190S). 23. C. Oppenheimer, Handb. d. Biochemie des Menschen u. der Tiere, Bd. I, 340. Jena (1909). 24. Vgl. Th. Gaßmann: Zeitschr. f. physiol. Chemie 70, 16I (1910). 25. Gabriel, Zeitschr. f. physiol. Chemie 18, 257 (1893). M. Tanaka, Biochem. Zeitschr. 35, 113 (1911). 26. Literatur über Zusammensetzung der Knochen und Zähne: II. Aron, Handb. d. Biochemie 2 11, 178—212 (19091. 27. J. A, Schabad, Arch. f. Kinderheilkunde 52, 47 (1909). , La Pediatria 7, 497 (1909). n , Zeitschr. f. physiol. Chemie 63, 397 (1909). er, Ergebn. d. Physiol. 10, 429 — 453 (1910). M. Samec, Biochem. Zeitschr. 17, 235 28. C. Catta 29. Th. Gafii 30. F. Hofm( W. Pauli (1909). W. Pauli, Wiener med. Wochenschr. 1910 Nr. 39. 31. O. Klotz, Journ. of e.xperira. Med. 7, 633 (1905). F. J. Fisch 1er u. W. Groß, Ziegler's Beitr. z.' pathoL An. Festschrift für Arnold 326 (1905). H. G. Wells, Journ. of Med. Research 14, 491 (1906); 17, IS (1907); -2. ';oi (l9'o)- R. V. Zeynek, F. Ameseder u. A. Selig, Zeitschr. f. physiol. Chem. 70, 415 (19111. 32. Literatur über Rachitis: Kassowitz: Rachitis. Wien, Braumüller (1882,, Pommer, Osteomalacie und Rachitis, Leipzig 1S83, Bd. 19. Stoeltzner, Jahrb. f. Kinderheilk. 50 (18991 (Stellung des Kalkes in der Pathologie der Rachitis). Stoeltzner u. Salge, Beitr. z. Pathologie d. Knochen- wachstums. Berlin 1901, S. Karger. Stoeltzner, Pathol. u. Therapie d. Rachitis, Berlin 1904, S. Karger (Literatur!). Pfaundler-Schloßraann, Rachitis 1910, 2. Aufl. Fischl, Neueres zur Pathogenese d. Rachitis (Literatur!). Arch. f. Kinderh. 1901, Bd. 31. Zappert, Rachitis. Die deutsche Klinik, 1904, Bd. 7. 33. Literatur über den Mineralstoffwechsel bei Rachitis und Osteomalacie: J. Mohr: Xoorden's Handb. d. Pathol. d. Stoffwechsels, 2. Aufl. 2, S53 — 871 (19071. P. Morawitz, Handb. d. Biochemie 2, II, 312—333(19101. 34. Meinhard Pfaundler, Jahrb. f. Kinderheilk. 60, 123 ( 1 904) ; Vgl. dagegen H. G. W e 1 1 s a n d J. H. M i t c h e 1 1 , Journ. of Med. Res. 22, 501 (1910). 35. H. Aron u. Seebauer: ß'iochem. Zeitschr. 8, I (1907); Aron ebenda 12, 28 (1908). ■:!b. Vgl. auch Dibbelt, Ziegler's Beitr. z. path. An. 48, 147 (1910). J. A. Schabad, Arch. f. Kinderheilk. 54, 83 (1910); Fortschr. d. Med. 28, 1057 (1910). W. Birk u. A.Ogler, Monatsh. f. Kinderheilk. 9, 544(1910). H. Bahrdt u. Edelstein, Jahrb. f. Kinderheilk. 72, lö, Ergänzungsheft (1910). Arbeiten aus dem pathol. Inst. Tübingen ( Baumgarten I 1908 u. 1909. Crohnheim u. F. Müller, Jahrb. f. Kinderheilk. 57, 45 11903 (■ 37. C. Voit, Forster u. Erwin Voit, Lehmann, König, Baginsky, Rohloff, Aron u. Seebauer, Stöltzner, Pfiüger's Arch. 122, 509 (1908) usw. 38. Heitzmann, Baginsky, Weiske, Caspari, Götting, Virchow's Arch. 197, I (1909) usw. 39. Literatur über kalkarme und säurereiche Ernährung: H. Aron, Handb. d. Biochemie 2, II 195—202 (1909). Stöltzner, Pathol. u. Therapie der Rachitis. Berlin ( 1 904). 40. Vgl. Lehnerdt: Ergebnisse d. inn. Med. 6, 120 (19101. 41. F. V. Reckling hausen, Untersuchungen über Rachitis und Osteomalacie. Verlag Gustav Fischer, Jena 1910. 42. Literatur über den Einfluß der Kastration auf den Stoffwechsel: A. Magnus Levy, Noorden's Handb. d. Pathol, d. Stoffwechsels I, 415 — 423 (1906). 43. E. Bircher, Arch. f. klin. Chir. 91, 554 (1910). 44. Literatur über Exstirpation der Hypophyse: A. Biedl; Innere Sekretion 290—295 (1910). I. Mor.iwski, Zeitschr. f. Neurol. u. Psychiatrie 7, 207 ,19..). N. F. XVI. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 45. M. Sternberg, Die Akromegalie. Nothnagel's Hand- buch 1897. L. Borchhardl, Funktion und funktionelle Erkrankungen der Hypophyse. Ergebn. d. inner. Med. 3, 2SS ( 1909)- R. Hirsch, Handb. d. Biochemie 3,1, 340—343(1910). E. Münzer (Sammelreferat), Berl. klin. Wochenschr. 47, 342, 392 (1912). A. Biedl, Innere Sekretion 303—315 (1910). 46. J. Hochenegg, 37. Kongr. d. Ges. f. Chir. 80 (1908); Wiener klin. Wochenschr. 1909, 323. Stumme, Arch. f. klin. Chirurgie 87, 437 (1908). A. E.xner, Zentralbl. f. Physiol. 24, 3S7 (1910). 47. Arthur Schiff, Zeitschr. f. klin. Med. 32, Suppl. (18971 ; vgl. auch V. H. Thompson and H. M. Johnston, Journ. of Physiol. 33, 189 (1905). 48. Vgl. J. A. Schabad, Zeitschr. f. klin. Med. 68, 94 (19091. Birk, Monatschr. f. Kinderheilk. 7, 450 ligoSj. 49. Sc hau mann, 4. Tagung d. deutsch, tropenmed. Ges. Dresden, 18. — 20. Sept. 191 1. Y. Ternuechi (Tokio), Zentralbl. f d. ges. Biol. 12, 719 (19111. 50. Literatur über Leim- und Gelatinefabrikation: F. Dawidowsky, Die Leim- und Gelatinefabrikation. Verlag A. Hartlcben, Wien u. Leipzig 1906, 4. Aull. Dr. L. Thiele, Die Fabrikation von Leim und Gelatine. Verlag Dr. Max Jänickc. Hannover 1907. Victor Cambon, Fabrication des Collcs animales. H. Dunod .>i E. Pinaut. Paris 1907. R. Kißling, ,,Leim" in Posts chem.-techn. Analyse. Verlag Fr. Vieweg & Sohn. Braunschweig 1906/7. 51. Literatur über die Chemie des Knorpelgewebes: H. Aron, Handb. d. Biochemie 2, II, 212—219 (1909). 52. C. Th. Morner, Skandin. Arch. f. Physiol. I, 210 (1889), Zeitschr. f. physiol. Chemie 12, 396(18881 ; 20,356(1894); Jahresb. f. Tierchemie 24, 402 (18941. O. Schmiedeberg, Arch. f. exper. Pathol. 28,355 (1891). 53. K. Kondo, Biochem. Zeitschr. 26, 116 (1910). Pons, Arch. Internat, de Physiol. S, 393 (1909). i;4. Literatur über die Chemie des Bindegewebes: Hans Aron, Handbuch der Biochemie 11,2, 2 1 7 ff. 55. Literatur über die Chemie der Zähne : ebenda S. 2f>7fT. 56. Literatur über die Chemie der Haut und ihrer Gebilde : ebenda S. 219 ff. 57. Literatur über die Chemie der Haare: ebenda S, 222 f. Zur Bestimmung freilebend beobachteter deutscher Vögel ist Floericke's „Taschcnbucn zum Vogelbestimraen", Stuttgart, Franck'scher Veilag, das Gegebene. Es behandelt die Stimmen der Vögel zwar weniger vollständig als das von Ihnen bereits erwähnte Voigt'sche Buch berücksichtigt, aber um so vielseitiger auch die Kennzeichen im Aussehen, Gebahren, Flugbild, sowie die der Eier und der Spuren. Für Haartiere ist vielleicht am besten das Büchlein von Henning „Die Säuge- tiere Deutschlands", Leipzig, Ouelle und Mayer, zu verwenden; für Kriechtiere und Lurche das Buch von D übrigen, für Fische B. Hofer 's Werke, für Wassertiere ferner Lampe rt, „Das Leben der Binnengewässer"; Kerbtiere werden am ehesten in „Brehms Tierleben" in dem gewünschten Sinne behandelt, welches Werk, 4. Aufl., natürlich auch für die anderen Tier- klassen verwendet werden kann. Über Fährten gibt Riesen- thal's Jagdlexikon Auskunft. Trepanation alter Schädel. Vielleicht interessiert die folgende Mitteilung, die sich auf den Aufsatz: Eine prähistorische Operation, in Nr. 17 der Naturw. Wochenschr. bezieht. Vor einer Reihe von Jahren habe ich für die Eichstätter Lyzeal- sammlung aus dem germanischen Reihengräberfeld bei Kipfenberg an der Altmühl eine Serie von 33 Schädeln, auch einige Skelette, erworben. Das Gräberfeld liegt am Fuße des romantischen Michelsberges mit seiner prähistorischen, teilweise auch historischen Befestigung; die Gräber stammen, wie die Beigaben beweisen, aus der Merowingerzeit, also aus dem 6. bis 7. Jahrhundert n. Chr. Zwei von den Schädeln nun sind ebenfalls trepaniert und zwar entweder nach dem Tode der Besitzer oder unter Todesfolge, denn Reaktionsspuren sind am Knochen absolut nicht sichtbar. Die beiden Löcher sitzen an fast i d e n t i s c h e n S t e 1 1 e n der Schädel, an jedem Schädel eines, nämlich in der Ecke des rechten Scheitelbeins zwischen der Krön- und Pfeilnaht, und sind auffallend klein. Das eine, am Schädel Nr. i der Sammlung, 43 der Gräberreihenfolge, hat einen Durchmesser von 7 : 6 mm, das zweite am Schädel Nr. 2, Grabnummer 51, gar nur von 4 mm. Die Knochenränder sind beim zweiten glatt, beim ersten etwas rauh und nach innen leicht konisch verjüngt, jedesmal ohne Sprünge. Die betr. Personen waren bejahrt, wenigstens sind die am zweiten Kopf vorhandenen Zähne des Oberkiefers stark abgekaut. Die beiden Köpfe sind typische Langschädel mit 71,42 und 73,40 Längenbreitenindex. An der ganzen Schädelserie zeigt sich derselbe Vorgang, den v. Ranke an Lindauer Schädeln konstatierte. Während die jetzige Be- völkerung der Gegend sehr überwiegend kurzköpfig ist, hatten die Germanen des Kipfenberger Reihengräberfeldes fast nur Langschädel. 21 unter den 33 waren dolichocephal , also Ö3.63°'o' 9 mesocephal und bloß 3 brachycephal, darunter I eigentlicher Rundkopf mit 91,43 Index. Zwei Langschädel maß ich mit dem Indices 66,5 (197 ; 131 mm) und 66,66 (180:120 mm). Schaltknochen in den Nähten sind häufig. Prof. Dr. Schwertschlager, Eichstätt. Wie Herr Oberlehrer Dr. Quehl in Berlin-Karlshorst mitteilt, ist ein empfehlenswertes Buch über die makrosko- pische Anatomie der Wirbeltiere auch P. Rö seier und H. Laraprecht. Handbuch für Biologische Übungen. Berlin 1914, J. Springer. Nochmals der Sang der Unsichtbaren im Föhrenwalde. Herr Professor v. Reichenau beschreibt in Nr. II S. 144 der Naturw. Wochenschr. von 1917 sehr richtig das in Kiefern- wäldern hörbare und jedem aufmerksamen Naturforscher und Naturfreunde bekannte , eigentümliche Geräusch (Waldes- rauschen) und nennt es „den Sang der Unsichtbaren". Die Tatsache ist unbestritten, doch irrt Herr Professor V. Reichenau in der Deutung. Er schreibt dieses leise Tönen und Summen der Tätigkeit der Syrphiden zu; doch mit Unrecht. Diese Dipteren sind sicher daran unschuldig. Es handelt sich nämlich in diesem Fall um das ganz spezifische Geräusch, das der Wind in den Nadeln der Kiefer, Pinus silvestris L. und zwar nur und ausschließlich in dieser hervorruft. Dieses eigentümliche und höchst charakte- ristische Rauschen ist weder im Laubwalde noch in anderen Nadelwäldern, also auch nicht im Fichten-, Tannen- oder Lärchenwäldern warnehmbar. Diese Tatsache ist jedem Be- obachter bekannt, der aufmerksam und liebevoll auf die Stimmen des Waldes achtet 1 Zum Zustandekommen dieses Geräusches ist auch gar nicht eine Mehrzahl von Bäumen, also ein Wald, notwendig; selbst eine einzelne ,,auf stolzer Höhe" stehende Kiefer macht diese eigentümliche Musik, die mit zu- und abnehmender Windstärke lauter oder leiser ertönt. So beschreibt auch Herr v. Reichenau vollkommen zutreft'end die Gehörsempfindung, die mau im Kiefern walde bei einem herannahenden Windzug wahrnimmt; gerade daran kann man aber erkennen , daß der Wind das Rauschen hervorruft und nicht die Syrphiden , deren Summen sicher nicht so weit hörbar sein dürfte. Auf welche Weise der Luftzug dieses Tönen in den Kiefernadeln bewirkt, ist mir unbekannt. Es könnte sich entweder um Reibung der langen Nadeln (deren Länge war- scheinlich maßgebend ist) aneinander handeln, die dann bei ihrer harzigen Oberfläche in der Art eines Violinbogens wirken würden, und das scheint mir das Wahrscheinlichere, oder es würde sich um die Reibung der Luft bei ihrem Durchgang zwischen den scharfen, kantigen Nadeln der Kiefer handeln. Für die erstere Annahme spricht auch die Tatsache, daß diese zarte und liebliche Naturmusik bei keinem anderen Nadelholz hörbar ist. 424 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 30 Syrphiden aber gibt es genug in jedem Walde. Weiterhin ist zu bemerken, dafi dieses Phänomen im Sommer wie im Winter, am Tage sowie in der Nacht zu beobachten ist, mithin auch zu Zeiten, in denen es weder Syrphiden noch andere musizierende Insekten gibt, und zwar genau in der- selben Weise, wie es von Herrn Prof. v. Reichenau durch- aus richtig beschrieben worden ist. Richard Hilbert-Sensburg, z. Z. im Felde. Ein Wünschelruten- Jubiläum. Die Ausführungen von Prof.lidw. Hennig übe/ die Wünschelrute in Nr. 19 der „Naturw. Wochenschr." rechtfertigen vielleicht eine Er- innerung daran, daß vor gerade 100 Jahren der wunderlichen Erscheinung des Rutengehens eine ähnliche Fürsprache zuteil geworden ist. Damals erschien (als „neue wohlfeile Ausgabe") eine Übersetzung des Werkes der Frau von Genlis „Botanique hislorique et liiteraire" von Dr. K. J. Stang (Bamberg und Würzburg 1S17), in der es Teil I, S. 320 hcil3t; „Man spottet über die Wünschelruthe und über die Thorheit und Lächerlichkeit des Glaubens daran, und hat auch vollkommen recht. Unterdessen hat sie dennoch zu allen Zeiten, zur Schande der Wissenschaft, Beschützer und Vertheidiger, selbst unter den Gelehrten, gefunden; denn alles wird mißbraucht, die Wissenschaft so gut, wie alles übrige." Hierzu nun macht der Übersetzer folgende Fußnote: „Die Verf. theilt es mit so Vielen, diesem Gegenstande nur eine Ansicht von dieser Seite abgewinnen zu können, und in demselben nur Betrug und Charlatanerie, Aberglauben und Selbsttäuschung, lächerliche Sonderbarkeit und Träumerey zu erblicken. Schon darum, daß alle diese Dinge so häufig bey ihm im Spiele sind und waren, und ihn hauptsächlich verrufen machten; so wie auch um der Furcht und Besorgnis willen, sich durch ein Wort dafür als kurzsichtig und schwach bloß zu geben, wird dieser Gegenstand noch lange verkannt und anstößig bleiben, und noch lange eine unbefangene Be- achtung desselben unmöglich seyn. Und doch wäre diese nicht so schwer. Denn, auch abgesehen von so vielen sprechenden Thatsachen hierinne, bedarf es zum glücklichen Anfange nicht mehr, als des lebendigen Gedankens an das organische Band, das die ganze Natur umschlingt, und alles Besondere in ihr zur durchgängigen Wechselwirkung und W'ahlverwandtschaft verknüpft. Dieser Gedanke muß den Menschen gleichfalls nur unter diesem Gesetze, im innigsten Wechselverbande mit allem ihn nahe oder fern Umgebenden, im freundlichen oder feindlichen Verhältnisse, in höherem oder minderem Grade der Wirkung und Gegenwirkung er- blicken, und der geheime, unsichtbare Einfluß der Außendinge auf den Menschen, und seine Empfänglichkeit dafür hat ihm so wenig Befremdendes, als die gröberen und sinnefälligeren Erscheinungen der magnetischen, der elektrischen und galva- nischen Kraft. Von diesem Standpunkte aus ist es aber nicht mehr wohl möglich, die Wünschelruthe mit ihren Erschei- nungen so geradezu als eine bloße Betrügerey, und als einen bloljen Aberglauben der Verlachung zu überweisen, und von einer ernstlichen Untersuchung auszuschließen. Zur näheren wissenschaftlichen Betrachtung dieses Gegenstandes sey hier schließlich die gehaltvolle, in Nürnberg bey Campe er- schienene, von dem Herrn Prof. Spindler verfaßte Schrift über den Menschen-Magnetismus anempfohlen." F. Moewes. Literatur. Che Bavink, Dr. B., Einführung in die all^, ,,Aus Natur- und Geisteswelt". — 1,25 M. St ad 1 mann, Prof. Dr. Jos., Der Weltkrieg und die Naturwissenschaften. Wien '17, A. Holder. Lietzmann, Dr. W., Riesen und Zwerge im Zahlenreich. „Mathematische Bibliothek". Leipzig und Berlin '16, B. G. Teubner. — So Pf. Hartmann. Prof. Dr. M. u. Schilling, Prof. Dr. Cl., Die pathogenen Protozoen und die durch sie verursachten Krankheiten. Zugleich eine Einführung in die allgemeine l'rotozoenkunde. Ein Lehrbuch für Mediziner und Zoologen. Mit 337 Textabbildungen. Berlin '17, J. Springer. — 22 M. Löffl, Dr. V. K., Die chemische Industrie Frankreichs. Eine industriewirtschaftliche Studie über den Stand der chemischen Wissenschaft und Industrie in Frankreich. Mit 15 Kurven. Stuttgart '17, F. Enke. — 10 M. Soergel, Privatdozent Dr. W., Das Problem der Perma- nenz der Ozeane und Kontinente. Habilitationsvortrag. Stutt- gart '17, E. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung, Nägele u. Dr. Sproesser. Fit fing, Prof. Dr. H., Die Pflanze als lebender Orga- nismus. Akademische Rede. Jena '17, G. Fischer. — 1,50 M. Thedering, Dr. med. F., Sonne als Heilmittel. Gemeinverständliche Abhandlung. Oldenburg i. Gr. '17, G. Stalling. — I M. Günther, H., Das Mikroskop und seine Nebenapparate. Mit 107 Abbildungen. Stuttgart '17, Geschäftsstelle des „Mikrokosmos" Frankh'sche Verlagshandlung. — 2,25 M. Strasburger's Lehrbuch der Botanik. 13., um- gearbeitete Auflage, bearbeitet von H. Fitting, L. J o s t , H. Schenck, G. Karsten. Mit S45 z. T. farbigen Ab- bildungen. Jena '17, G. Fischer. — 1 1 M. Foerster, K., Vom Blütengarten der Zukunft, Er- fahrungen und Bilder aus der neuzeitlichen Garlenentwicklung. Mit 36 Schwarz-Weiß-Bildbeilagen und 10 Vierfarbendrucken. Berlin '17, Furche-Verlag. — 4M. Einstein, A., Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie. Gemeinverständlich. Braunschweig, F. Vie- weg & Sohn. — 2,So M. Wolff, Dr. H., Karte und Kroki. Leipzig und Berlin '17, B. G. Teubner. — 80 Pf. Schroeder, Prof. Dr. H., Die Hypothesen über die chemischen Vorgänge bei der Kohlensäure-Assimilation und ihre Grundlagen. Jena '17, G. Fischer. — 4,50 M. Exner, Prof. Dr. F., Dynamische Meteorologie. Mit 68 Textfiguren. Leipzig und Berlin '17, B. G. Teubner. — 1^ M. Inhalt) S. Killermann, Die Entdeckung der Paradiesvögel. (3 Abb.) S. 409. — Einzelberichte: Adolf Koelsch, Über die Eigenart der Musikerschädel. S. 412. Janzen, Die Zerstörungen, die die Metalle und Legierungen unter dem Einflüsse von Wasser und wässerigen Lösungen im praktischen Gebrauche erleiden. S. 413. O. Seh neide r- Orelli, Die Zahl der Generationen beim ungleichen Borkenkäfer. S. 414. Jollos, Weitere Beobachtungen über die Parthenogenese der Infusorien. (2 Abb.) S. 414. O. S c h n e i d e r- O r elli , Über die Dauer der Puppenruhe beim Frostspanner. S. 416. Ch. J. Gravier, Über einen neuen Fall von Symbiose zwischen einem Kieselschwamm mit einer Actinie und einem Ringelwurm in der Tiefsee des Atlantischen Ozeans. S. 417. M. Bräuhäuser, Beiträge zur Kenntnis des Rhätsandsteins im Schönbuch zwischen Stuttgart und Tübingen. S. 418. — Bücherbesprechungen: Lassar-Cohn, Die Chemie im täglichen Leben. S. 419 Fr. Frech, Geologie Kleinasiens im Bereich der Bagdadbahn. S. 419. C. G. Calwer's Käferbuch. S. 420. R. Robert, Über die Benutzung von Blut als Zusatz zu Nahrungsmitteln. S. 421. — Anregungen und Antworten: Literaturliste zu Dr. Lenk ,,Slützgewebe und Integumentc der Tiere". S. 422. Zur Bestimmung freilebend beobachteter Tiere. S. 423. Trepanation alter Schädel. S. 423. Buch über die makroskopische Anatomie der Wirbeltiere. S. 423. Nochmals der Sang der Unsichtbaren im Föhrenwalde. S. 423. Ein Wünschelruten- Jubiläum. S. 424. — Literatur: Liste. S. 424. Ma kripte und Zuschrifte Druck der G. ien an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Verlag von Gustav Fischer in Jena, hen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Na validenstraße 42, erbeten, nburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 5. August 1917. Nummer 31. Über den Druck der Lichtstrahlen. [Nachdruck verboten.] Wir sind gewohnt, uns unter Lichtstrahlen etwas außerordentlich F"eines und Zartes vorzu- stellen, so daß es uns Schwierigkeiten macht zu glauben, daß das Licht auf die Oberfläche, auf die es fällt, einen Druck ausübt. Sehen wir zu- nächst zu, welche Vorstellung sich die Wissen- schaft im Laufe der Zeit vom Wesen des Lichtes gemacht hat, um hieraus über die Möglichkeit eines Lichtdrucks Aufschluß zu erhalten. Das Altertum war sich über den Vorgang des Sehens durchaus nicht klar; man war sich nicht einig darüber, ob die Strahlen vom leuchtenden Körper zum Auge oder umgekehrt von diesem zum Ob- jekt gingen, wenn auch schon Aristoteles gegen die letztere Ansicht den schwerwiegenden Ein- wand erhob, daß dann die Körper auch im Dunkeln sichtbar sein müßten. Eine durchgearbeitete Theorie über das Wesen des Lichtes wurde zuerst von Gassendi in der ersten Hälfte des 17. Jahr- hunderts und um 1700 von Newton in seiner Optik aufgestellt, die sog. Emissionstheorie. Nach ihr gehen vom leuchtenden Objekt kleine Kügelchen aus, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen, ins beobachtende Augen dringen und ihm Kunde von dem Gegenstand geben. Licht ist danach, um einen heute gebräuchlichen Aus- druck zu gebrauchen, eine korpuskulare Strahlung, wie wir sie in den Kathoden- und den a- und /^Strahlen der radioaktiven Körper kennen. Daß diese mit hoher Geschwindigkeit sich be- wegenden Teile eine mechanische Wirkung, also einen Druck, ausüben können, kann man sich sehr wohl vorstellen. Doch schon vor Newton's Optik war eine Abhandlung von Huyghens (1678) erschienen, in der eine wesentlich andere Lichthypothese aufgestellt wurde, die Wellen- theorie. Nach ihr ist Licht ein Bewegungs- vorgang und zwar eine sehr feine Wellenbewegung des Äthers, wie wir sie in viel gröberer Weise auf einer Wasseroberfläche beobachten können. Die Arbeiten zahlreicher Forscher, unter ihnen namentlich Fresnel, führten dann den Nachweis, daß die Wellentheorie der Newton'schen vorzu- ziehen wäre, und so fand die erstere zu Anfang des 19. Jahrhunderts allgemeine Anerkennung. Nun ist es ja alltägliche Erfahrung, daß Wasserwellen, die gegen eine Ufermauer anlaufen, auf diese einen Druck ausüben; es macht demnach auch die Wellentheorie der Vorstellung eines Lichtdruckes anscheinend keine Schwierigkeit. Doch ist zu bedenken, daß der Träger der Lichtwellen, der Äther, masselos und ohne Trägheit ist, daß er ferner alle Körper durchdringt und erfüllt, so daß Dr. K. Schutt, Hamburg. die Möglichkeit eines Strahlungsdruckes doch zweifelhaft erscheint. Doch auch die Huyghens'sche Theorie, daß längs einem Lichtstrahl eine mechanische, wellen- förmige Bewegung der Äiherteilchen stattfindet, hatte keinen langen Bestand. Schon in den 50 er und 60 er Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte Maxwell, fußend auf den experimentellen Unter- suchungen Faraday's, seine elektromagne- tische Lichttheorie, die in den 70er und 80 er Jahren allmählich Anerkennung fand. Nach ihr bestehen die Lichtwellen in den Schwingungen elektrischer und magnetischer Kräfte im Äther. Die glänzende experimentelle Bestätigung der Maxwell'schen Gedanken brachten in den 80er Jahren die Versuche von Hertz. Maxwell') kam auf Grund der von ihm auf- gestellten Gleichungen zu dem Resultat, daß die Oberfläche eines Körpers, auf den Licht fallt, einen Druck erfährt, und zwar ist er bei senk- rechtem Einfall auf die Flächeneinheit (i qcm) be- rechnet numerisch gleich der in der Volumeinheit 1 1 ccm) enthaltenen strahlenden Energie, falls der Körper absolut schwarz ist , also sämtliche auf ihn fallende elektromagtietische Strahlung ver- schluckt. Wird dagegen die Strahlung voll- kommen reflektiert, ist also die Oberfläche ein idealer Spiegel, dann ist er doppelt so groß. Dieses Resultat ist aus mathematischen Gleichun- gen errechnet. Durch einen abstrakten Rechen- beweis ist der richtige Physiker jedoch nicht recht befriedigt, er muß sich vielmehr die Tatsachen auch anschaulich machen können; das nennt er erst „Verstehen". Wie steht es nun damit in diesem Fall? Wie schon gesagt, finden längs einem Lichtstrahl Schwingungen elektrischer und magnetischer Kräfte senkrectl zur Fortpflanzungs- ricluung des Strahles statt und zwar schwingt die magnetische Kraft senkrecht zur elektrischen. Unter magnetischen und elektrischen Kräften stellen wir uns Spannungszustände im Räume vor, von deren Richtung und Größe wir uns an- schaulich ein Bild machen durch Kraftlinien, wie wir sie im Felde eines Hufeisenmagneten leicht durch Eisenfeile sichtbar machen können. Jede magnetische Kraftlinie, die sich vom Nordpol zum Südpol herumschwingt, hat das Bestreben sich zu verkürzen; sie verhält sich demnach genau wie ein gespannter Gummischlauch. Auch die-^er übt in seiner Richtung einen Zug und senkrecht i873.' ') Maxwel r. and magnet. Art. 792, 4i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 31 dazu einen Druck aus. Ganz ähnlich ist es bei den elektrischen Kraftlinien, die man ebenfalls sichtbar machen kann; auch hier wirken in Rich- tung der Kraftlinien Zug-,_ senkrecht zu ihnen Druckkräfte. Um also ein Bild von den Vor- gängen auf einem Lichtstrahl zu gewinnen, müssen wir uns vorstellen, daß der Raum von elektrischen und senkrecht zu ihnen von magnetischen Kraft- linien durchzogen ist, die nun beide wieder senk- recht zur Fortpflanzungsrichtung des Strahles stehen. Die Kraftlinien sind in außerordentlich schneller Bewegung, sie wechseln in jeder Sekunde rund 10" mal ihre Richtung. Vermöge des Druckes, den die Kraftlinien senkrecht zu ihrer Richtung ausüben, drücken sie sich in Richtung des Lichtstrahls voneinander fort, so daß wir also zu einem Druck in Rich- tung des Strahles kommen. Doch mit dieser anschaulichen Vorstellung vom Lichtdruck ist natürlich noch nicht bewiesen, daß er wirklich vorhanden ist; das ist vielmehr Sache des Versuches. Ein solcher experimenteller Nach- weis schien schon 1873 geliefert zu sein durch einen von Crookes angegebenen Apparat, das Radiometer (Lichtmühle). Dieses kleine In- strument, das man vielfach im Schaufenster des Optikers sich drehen sieht, besteht aus vier äußerst leichten Kreisblättchen aus Glimmer oder Alu- minium, die vertikal stehen und an einem vier- armigen Kreuz befestigt sind. Dieses ist mittels eines Glashütchens drehbar um eine vertikale Achse aufgehängt. Das ganze hat also Ähnlich- keit mit einem Anemometer, mit dem die Wind- geschwindigkeit gemessen wird. Das Flügelrad ist in einem hinreichend luftleeren Glasballon an- gebracht. Die Blättchen sind auf der einen Seite geschwärzt. Fällt Licht auf das Radiometer, so dreht es sich, wobei die nicht geschwärzten Seiten vorangehen, und zwar um so schneller, je größer die Intensität der Strahlen ist. Es sieht also aus, als wenn das Licht auf die geschwärzten Flächen einen größeren Druck ausübten als auf die ungeschwärzten, was im Widerspruch zu Maxwell's Theorie steht. Die weitere Unter- suchung hat gezeigt, daß bei zunehmender Ver- dünnung der Luft im Glasballon die Drehge- schwindigkeit zunimmt, bei einem bestimmten Druck einen höchsten Wert erreicht, um dann bei weiterem Leerpumpen wieder abzunehmen. Wird die Luft sehr stark verdünnt, dann bleibt das Rädchen stehen. Wäre es tatsächlich der Lichtdruck, der die Bewegung verursacht, dann müßte bei der höchsten Verdünnung die Dreh- geschwindigkeit am größten sein, da dann die Luftreibung, die die Bewegung hemmt, am kleinsten ist. Der Druck der Lichtstrahlen kann also nicht die Mühle in Bewegung setzen. Die Erscheinung erklärt sich auf ganz andere Weise: Die geschwärzte Seite der Flügel- chen absorbiert die Strahlen, sie wird daher wärmer als die ungeschwärzte. Die Luftmoleküle, die auf die geschwärzten Flächen aufprallen, er- wärmen sich an ihr, d. h. ihre Bewegungsenergie wird gesteigert; sie verlassen also die geschwärzte Seite mit größerer Geschwindigkeit als die, welche der ungeschwärzten, kälteren Fläche abprallen. Mithin ist auch der Rückstoß auf die geschwärzte Fläche (die Moleküle stoßen sich gleichsam von ihr ab) größer, die Drehung erfolgt im oben an- gegebenen Sinn. Das Radiometer hat also mit dem Lichtdruck nichts zu tun; es kann vielmehr als experimenteller Beweis für die Richtigkeit der Anschauungen der kinetischen Gastheorie gelten. Erst im Jahre 1900 ist es F. Lebedew^) ge- lungen, den Lichtdruck durch den Versuch nach- zuweisen und zu messen. Um eine Vorstellung von den experimentellen Schwierigkeiten, die es dabei zu überwinden galt, zu geben, sei eine Be- rechnung der Größe des zu messenden Druckes für Sonnenlicht angeführt. Denken wir uns an der Grenze der Atmosphäre ein Quadratzentimeter eines schwarzen Körpers, auf das die Sonnen- strahlen senkrecht auffallen, so empfängt dieses pro Minute einen Energiebetrag von rund 2 Gramm- kalorien oder 80-10" Erg., das sind j- 10" Erg. in der Sekunde. Diese Energiemenge können wir uns in einem über dem Quadratzentimeter er- richteten Zylinder enthalten denken, dessen Höhe gleich der P'ortpflanzungsgeschwindigkeit des Lich- tes, also 300000 km ist. Das ergibt für einen Kubikzentimeter einen Energiebetrag (Energie- dichte) von 4- 10": 3- 10'" = ^ • lO"' Erg. Nun ist ja wie oben angeführt nach Maxwell dieser Energiebetrag numerisch gleich dem Druck auf das Quadratzentimeter. Dieser ist demnach rund ^- iO~* Dynen auf i qcm oder ^ Dyn pro Quadrat- meter bestrahlter Fläche. Da 1 Dyn etwa gleich dem Gewicht von 1 mg ist, so handelt es sich also darum, den Druck von ^ mg auf i Quadrat- meter Fläche nachzuweisen, eine Aufgabe, die kaum lösbar erscheint. Und doch wurde sie be- wältigt. Der Lebedew'sche Apparat, der mit dem Radiometer eine gewisse Ähnlichkeit hat, ist eine um eine vertikale Achse drehbare Dreh- wage; an einem kurzen seitlichen Arm ist an jeder Seite ein rundes Blättchen (5 mm Durch- messer), dessen Fläche vertikal steht, angebracht. Auf eins derselben fällt durch ein Linsensystem konzentriert das Licht einer Bogenlampe. Aus Schwingungen wird die Ruhelage des drehbaren Systems bestimmt. Dann lenkt man durch ge- eignet angebrachte Spiegel das Licht auf die Rückseite des Blättchens und bestimmt von neuem die Ruhelage; sie ist in Richtung der Strahlen verschoben, aus der Differenz der beiden Ruhe- lagen läßt sich der Lichtdruck berechnen. Ein Gefäß mit Wasser nimmt aus dem Licht der Bogenlampe die infraroten, die Glaslinsen, die ultravioletten Strahlen fort. Die Blättchen be- stehen aus Platin (blank und platiniert), aus Alu- minium, Nickel und Glimmer. Ihre IDicke liegt ') Drudes Ann. der Phys. 6, 433 (1901). N. F. XVI. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 427 zwischen yV ""^ t^^ ^^- ^'^ Schwankungen in dem Energiestrom, durch ungleichmäßiges Brennen der Bogenlampe hervorgerufen, werden durch ein Thermoelement kontrolliert. Die ab- solute IVIenge der Strahlenenergie, die das Blätt- chen trifft, wird mit einem Kalorimeter zu 1,2 bis 1,8 Grammkalorien pro Minute gemessen. Der ganze Apparat befindet sich in einem Glas- ballon, in dem der Druck bis auf 0,0001 mm Quecksilbersäule erniedrigt ist. Der aus den Versuchen errechnete Lichtdruck stimmt gut mit dem sich aus der Theorie ergebenden überein. Bei seinen Versuchen war L e b e d e w sicher, daß die beobachteten Ab- lenkungen der Scheibchen nicht durch radiome- trische Wirkungen hervorgerufen waren. Die Ver- suche wurden 1901 von Nichols und Hüll wiederholt und ergaben wieder mit der Theorie übereinstimmende Resultate. Der Lebedew'sche Apparat stellt eine Vorrichtung dar, wie ihn die Technik seit langer Zeit sucht, nämlich eine Vor- richtung, durch welche die elektromagnetische Energie der Sonnenstrahlung direkt in mechanische Bewegungsenergie umgewandelt wird. Leider ist die erzeugte Leistung so gering, daß von einer praktischen Ausnutzung keine Rede sein kann. Um über die Bedeutung des Strahlungsdruckes weitere .Aufschlüsse zu erhalten, wollen wir ihn mit der Gravitation vergleichen, einer Energieform, die ja ebenso wie die strahlende überall im Weltenraum gegenwärtig und wirksam ist. Da ist ohne weiteres klar, daß der Lichtdruck, der z. B. die Erde \) von der Sonne forttreibt, zu ver- nachlässigen ist gegenüber der Kraft, mit der die Erde von der Sonne angezogen wird. Anders wird aber die Sachlage, wenn wir die Kugel, auf die beide Kräfte wirken, kleiner und kleiner werden lassen. Ihre Masse, die für die Gravi- tation in Betracht kommt, nimmt dabei mit der dritten Potenz des Radius ab, während die (halbe) Oberfläche, auf welche der Lichtdruck wirkt, mit der zweiten Potenz kleiner wird. Die Masse wird demnach schneller kleiner als die Oberfläche, und für eine genügend kleine Kugel wird der Strah- lungsdruck gleich, ja größer als ihre Schwere werden. Um die Zunahme der Oberfläche bei wachsender Zerteilung eines Körpers zu erläutern, dazu diene folgende Zusammenstellung, die das Oberflächenwachstum für einen Würfel bei zu- nehmender dezimaler Zerteilung angibt: Zahl der Gesamte Würfel Oberfläche I 6 qcm I mm IO-* 60 „ 0,001 „ ^ I /( 10''^ 6qm 0,000001 „ = 1 jufi 10-^ 6000 „ 0,001 /■ CuSO, . H^O + 2H,0 entspricht, und bleibt hier wieder konstant, bis das gesamte Trihydrat in Monohydrat verwandelt ist. Abbildung 3 zeigt das Gesagte. Mit der 50 -.7.. in 30 Tim ''0 1 t 'f,.mm S0„. ^ MolHjOauf IMolCu 1 2 ^1 h 5 Abb. 3. Verwitterung des Kupfervitriols bei 50" C als Bei- spiel für die normale Verwitterung von Salzhydraten. Phasenregel '■) steht dies Verhalten in bester Über- einstimmung, denn in dem aus 2 Komponenten K, dem wasserfreien Salz und dem Wasser aufgebauten Systeme liegen 3 Phasen P, das höhere und das niedrigere Hydrat und die Dampfphase, vor, also ist die Zahl der Freiheiten F = K+2— P=2-f 2 — 3=1 d. h. zu der gegebenen Temperatur gehört ein eindeutig definierter, nur von der Natur der beiden Hydrate bestimmter, von ihrem Mengenverhältnis aber unabhängiger Dampfdruck. Ganz anders verhalten sich nun aber die Zeo- lithe und die ohne Trübungserscheinungen ver- witternden Salzhydrate wie das Magnesiumplatin- cyanür. Wie schon das Ausbleiben der Trübungs- erscheinungen bei der Verwitterung beweist, wird durch die Wasserabgabe keine neue Phase gebildet, das in der Verwitterung befindliche System besteht vielmehr nur aus zwei Phasen, nämlich außer der dampfförmigen aus nur einer festen Phase, also jst die Zahl der Freiheiten F = K-l-2— P = 2 + 2 — 2 = 2, d. h. bei gegebener Temperatur ist der Wasser- dampfdruck des verwitternden Systems nicht kon- stant, sondern hängt von dem Wassergehalt der festen Phase ab. Abbildung 4 zeigt das Gesagte am Beispiele des Strychninsulfats. 20 — J 15 10 E .= 6 ) } t / X 0 ^ ^MolHjOinlMol 3 f 5 1 7 •) Vgl. Dr. A. V. Vegesack, Die Lehre von den heterogenen Gleichgewichten, Naturw. Wochenschr., N. F., Bd. 9, S. 214 — 221 ; 1910. Verwitterung des Strychninsulfats nach E. Li stein als Beispiel für die anomale, die ,,zeolithische" Verwitterung. Ganz ähnlich wie das Wasser kann man nun — das geht besonders aus den schönen, in che- mischen Kreisen leider wenig bekannten Unter- suchungen von F. Rinne hervor — kristallisierten Stoffen auch andere Bestandteile als das Wasser ent- ziehen, ohne daß das Kristallsystem zusammenbricht. Als besonders markantes Beispiel sei der Koenenit, ein trigonales, positiv doppelbrechendes Aluminium- magnesiumoxychlorid von der Formel A1,0., ■ 3MgO • 2MgClj-6H80 angeführt. Ohne daß das Kristall- gebäude einstürzt, kann man dem Koenenit durch Kochen mit Wasser zunächst seinen Gehalt an Magnesiumchlorid MgClj, dann durch konzentrierte N. F. XVI. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 445 Chlorammoniumlösung das Magnesiumoxyd MgO und endlich durch vorsichtiges Erhitzen sein Wasser entziehen, so daß schließlich reines Aluminiumoxyd AlgOg in Form des Koenenits übrig bleibt. Bei diesem ganzen Abbau ist, schreibt Rinne, „gleichwie der allgemeine optische Typus auch die kennzeichnende basische Spaltbarkeit und die ganz außerordentlich große Biegsamkeit und Weichheit des Materials eriialten geblieben". In ähnlicher Weise kann man auch die Zeolithe ohne Zu- sammenbruch der Kristallstruktur bis zur Kiesel- säure abbauen, und zwar erweist sich — das ist ja leicht verständlich — das Kristallsystem als um so widerstaiid>fähiger, je kieselsäurereicher der Zeolith ist; so hat Rinne aus dem verhältnis- mäßig kie-ielsäurereichen Desmin wasserfreies Sili- ciumdioxyd SiO.3 in der Kristallform des Desmins erhalten können. Auch in der Natur treten Vor- gänge dieser Art auf; sowohl die heute nach Rinne's Vorgang meist als „B a u e r i t i s i e r u n g" bezeichnete, altbekannte Bleichung sowie die Chloritisierung der Glimmer werden von Rinne als Beispiele kristallographisch-chemischen Abbaues gedeutet. In die Lücken, die durch die beschriebene Wegführung von Stoffen im ursprünglichen Kri- stall entstehen, können nun, das ist wieder eine sehr bemerkenswerte Tatsache, unter Umständen andere Stoffe eingeführt werden. Daß die Zeolithe sowie die ihnen in ihrem Verhalten bei der Ent- wässerung entsprechenden Salzhydrate das ihnen entzogene Wasser in vollkommen reversibler Reaktion wieder aufnehmen können, geht ins- besondere aus den sorgfaltigen Untersuchungen von E. Löwenstein hervor. Überraschend aber ist es, daß, wie G. Friedel festgestellt hat, auch Ammoniak, Schwefelkohlenstoff, Alkohol, Chloro- form und andere Stoffe in die Lücken eintreten können, ohne daß die Kristalle ihren Kristall- charakter verlieren. Eine physikalisch chemische Untersuchung dieser Vorgänge steht leider noch aus, wie ja überhaupt die hier in kurzer Skizze behandelten Erscheinungen eine Fülle wichtigster physikalisch-chemischer Fragen an den Forscher stellen, wohl aber liegt eine sehr interesante Ab- handlung über die kristallographisch optischen Begleiterscheinungen dieser eigentümlichen Reak- tion von F. Grandjean vor. Als Versuchs- material diente Grandjean ein natürlicher Zeolith, ein Chabasit von Aussig. Dieser Chabasit wurde zunächst mit seinem natürlichen Wassergehalt untersucht, dann wurde er entwässert, und schließ- lich wurden in den entwässerten Chabasit bei Zimmertemperatur Luft und Ammoniak und bei höheren Temperaturen die Dämpfe von Jod, von Quecksilberchlorür HgCI, von Quecksilber, von Schwefel und von Zinnober bis zur Sättigung mit dem betreffenden Stoffe eingeführt. Die Mengen, die der Zeolith unter den von Grandjean an- gewandten Versuchsbedingungen aufnahm, war bei den verschiedenen Stoften sehr verschieden. Gering beim Jod (0,9 "/ß) sind sie beim Kalomel und beim Quecksilber ganz enorm: Der bei 500" entwässerte Chabasit nahm z. B. bei 300" 35 "L Quecksilber und bei Behandlung mit Wasser in der Kälte außerdem noch 25 "/„ Wasser auf. „A chaud, l'eau s'en va, puis le mercure, et l'on re- trouve la chabasie initiale prete ä une nouvelle adsorption." Bei allen diesen Vorgängen aber bleibt, wenn auch die Kristalle selbst in einzelnen Fällen durch die Fülle aufgenommenen Stoffes zertrümmert werden, doch die Kristallstruktur als solche erhalten ; nur ändern die optischen Kon- stanten, wie z. B. der Grad und der Charakter der Doppelbrechung, ihre Werte. Genauere Versuche über die Abhängigkeit der optischen Eigenschaften von der Menge der Stoffe, die in die leerstehenden Wohnungen des Kristall- gebäudes eingezogen sind, sind, soweit dem Be- richterstatter bekannt ist, nur von Rinne, und zwar für Zeolithe mit kontinuierlich abnehmendem Wassergehalt ausgeführt worden. Die Ergebnisse dieser Versuche, deren Diskussion im einzelnen an dieser Stelle zu weit fuhren würde, lassen sich kurz dahin zusammenfassen, daß die Änderung der optischen Verhältnisse der allmählichen Ent- wässerung vollkommen parallel geht und daß insbesondere einfache Molekularverhältnisse zwi- schen dem Zeolith und dem in ihm enthaltenen Wasser auch physikalisch durch besonders einfache optische Verhältnisse gekennzeichnet sind: „Die chemischen Zustände multipler Molekularpropor- tionen heben sich aus der fortlaufenden Reihe physikalisch heraus." Die Theorie des Basenaustausches. In kristallographischer Hinsicht ist der Basen- austausch der Silikate eine dem kristallographisch- chemischen Ab- und Umbau vollkommen analoge Erscheinung. Aus zahlreichen Versuchen, vor allem auch den jahrelang fortgesetzten mineral- synthetischen Untersuchungen von J. Lemberg über den Basenaustausch bei natürlichen Silikaten sowie der bereits weiter oben besprochenen Arbeit von Ilse Zoch geht hervor, daß der Basenaus- tausch der Silikate in grundsätzlich gleicher Weise mit kristallisiertem wie mit amorphem (oder kryptokristallinischem) Material vor sich geht und daß der Basenaustausch selbst eine Zerstörung der Kristallstruktur nicht zur Folge hat. Das folgende Zitat aus der Arbeit von Ilse Zoch möge als Beleg für das Gesagte dienen. Das Versuchsmaterial, bis zu einer Korngröße von 0,25 mm zerkleinerter Desmin vom Berufjord, „bestand aus eckigen, unregelmäßig begrenzten Spaltstücken, die unter dem Mikroskop bei ge- kreuzten Nikols init Ausnahme der feinsten, das Gesichtsfeld nur schwach aufhellenden Teilchen leb- hafte Interferenzfarben aufwiesen." Als das Material dann auf dem Dampfbade mit starker, mehrfach erneuerter Chlorammoniumlösung behandelt wurde, ließ sich bereits nach einigen Tagen „deutliche Ab- nahme der Doppelbrechung erkennen : Zahlreiche 446 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 32 kleine Splitter zeigten jetzt das Grau erster Ordnung, einige der größeren nur noch stellenweise, be- sonders in der Mitte, höhere Doppelbrechung. Je länger die Einwirkung dauerte und je geringere Mengen Calcium noch in Lösung gingen, desto sichtbarer trat der Unterschied zwischen dem ursprünglichen und dem umgewandelten Zustande hervor. Als sich Calcium in der Lösung mittels Ammonoxalat nicht mehr nachweisen ließ, war auch das gesamte Pulver fast einfachbrechend ge- worden." Würde nun das Ammonium durch Be- handlung des Ammoniumdesmins mit Natronlauge durch Natrium ersetzt, so wurde die Doppel- brechung wieder stärker, bei darauf folgendem Wiederersatz durch Ammonium wieder schwächer usw. Die Kristallstruktur des Desmins bleibt also — das ist das Wesentliche — beim Basen- austausch erhalten. Die Theorie des Basenaustausches hat vor allen Dingen im Anschluß an die Permutitfrage zu lebhafter Diskussion Veranlassung gegeben. Nun ist der Permutit des Handels allerdings ein amorphes Material, d. h. ein Material, dessen Kristallstruktur nicht nachweisbar ist, es liegt aber kein Grund vor, dem Permutit und den — eben- falls amorphen — austauschfahigen Silikaten der Ackererde eine Ausnahmestellung unter den ande- ren basenaustaiischenden Silikaten mit zweifellosem Kristallcharakter zu geben, man wird also un- bedenklich die Erscheinung des Basenaustausches als grundsätzlich gleichartig mit den Erscheinungen des kristallographisch-chemischen Ab- und Um- baues ansehen dürfen. Die Erscheinungen des kristallographischen Ab- und Umbaues aber ge- hören wohl sicher zu den Erscheinungen der Ad- sorption und den Erscheinungen, die bei der Auf- nahme von Flü'^sigkeiten durch nichtquellbare Gele wie das Gel der Kieselsäure auftreten *), denn soweit bisher genauere Untersuchungen vor- liegen, sind die in Frage kommenden Gesetzmäßig- keiten, mögen sie sich auch in Einzelheiten unter- scheiden, doch im wesentlichen die gleichen. Darnach würde also der Basenaustausch der Sili- kate unter die Adsorptionsvorgänge einzureihen sein. Dieser Einreihung scheint nun aber der be- reits im ersten Abschnitt des vorliegenden Be- richtes betonte Unterschied zwischen Basenaus- tausch und Adsorption, nämlich der Umstand zu widersprechen, daß der Basenaustausch, wie schon der Name sagt, eine A ustausch reaktion, und zwar eine Austauschreaktion im Äquivalentver- hältnis ist, während die eigentliche Adsorption mit einem Austausch an sich nicht verbunden ist. Dieser Unterschied, der insbesondere R. Gans dazu geführt hat, den Basenaustausch als eine ein- fache chemische L'msetzung etwa nach der Art der Umsetzung zwischen dem im Wasser schwer löslichen Baryumkarbonat und löslichem Natrium- ') Vgl. Werner Mecklenburg, L'ber das Gel der Kieselsäure, Nalurw. Wochenschr., N. F., Bd. 14, S. 545—553; 1915- Sulfat zu dem sehr schwer löslichen Baryumsulfat und löslichem Natriumkarbonat BaCOg + Na., SO, = BaSO, -f Na.XO^ anzusehen, ist indessen — darauf hat vor allem Georg Wiegner aufmerksam gemacht — mit dem Begriff der Adsorption nicht unvereinbar, sofern man die elektrischen Umstände des Vor- ganges zur Beurteilung der Sachlage mit heranzieht. Würde nämlich, um auch hier sogleich wieder an ein konkretes Beispiel anzuknüpfen, das Am- moniumion einer Chlorammoniumlösung von dem Caiciumzeolith adsorbiert, ohne daß gleichzeitig die äquivalente Menge eines anderen Kations in der Lösung erscheint, so würde sich der Zeolith außerordentlich stark positiv aufladen und die Lösung außerordentlich stark negativ geladen zu- rückbleiben. Da sich ein derartiger elektrostatischer Gegensatz nicht ausbilden kann, muß notwendiger- weise für jedes in den Zeolith eintretende Kation ein Kation in äquivalenter Menge aus den Zeolith in die Lösung übergehen, d. h. es muß ein lonen- austausch im Äquivalentverhältnis stattfinden. Der Basenaustausch der Silikate wäre demnach als ein durch elektrostatische Einflüsse in das Äquivalenzschema gezwängter Adsorptionsvorgang anzusehen. Hiermit stimmt es überein, daß der Basenaustausch nur bei der Adsorption von Ionen stattfindet; bei der Aufnahme von Nicht-Ionen verhalten sich die kristalli>ierten Stoffe, soweit bisher Beobachtungen vorliegen, im wesentlichen gerade so wie die gewöhnlichen Adsorbentien. DieVer Wendung des Basenaustausches in der Praxis. In der Technik scheint der Basenaustausch mit Bewußtsein zuerst von Harms und unab- hängig von ihm von Rümpler angewendet worden zu sein, um aus Zuckersäften die die Kristallisation behindernden und dadurch die Zuckerausbeute herabsetzenden Stoffe, wie das Kali, herauszuziehen und durch den weniger schädlichen Kalk zu ersetzen. Eine größere praktische Bedeutung gewann die PIrscheinung aber erst, als R. Gans in zielbewußter Arbeit besonders rasch und reichlich austauschende Zeolithe, die sogenannten ,,Permu tit e", künstlich herzustellen lehrte und für die VVasserreinigung und andere technische Zwecke nutzbar machte. Die Herstellung der Permutite ist je nach dem Verwendungszweck verschieden. Im wesentlichen beruht sie auf dem Zusammenschmelzen eines in bestimmtem Mengenverhältnis, insbesondere unter Vermeidung eines Überschusses von Alkalikarbonat, gegebenenfalls unter Zuschlag von Quarz her- gestellten Gemisches von Tonerdesilikaten oder -mineralien mit Alkalikarbonat, Körnung des dabei entstehenden grünlichen Glases und Behandlung mit Wasser. Durch die Behandlung mit Wasser wird der Schmelze das als Nebenprodukt entstandene Alkalisilikat entzogen und gleichzeitig geht das durch den Schmelzprozeß gebildete Aluminatsilikat N. F. XVI. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 447 unter Aufnahme von Wasser in eine zeolithartige Substanz von körniger Struktur über. Die so ge- wonnenen Produkte enthalten neben 20 bis 30 "/g Wasser auf i Molekül AljOj i Molekül Na.,0 (oder KjO) und 2 bis 4 Moleküle SiO,,. Ein „ideales" Präparat, d. h. ein Präparat von maximaler Austauschfähigkeit entspräche nach Gans der Zu- sammensetzung 2Si0.3-Al.,03 Na.O + öHgO. Aus dem so primär erhaltenen Permutit können durch Behandlung mit Salzlösungen andere Permutite, so durch Behandlung mit Calciumchloridlösung Calciumpermutit oder durch Behandlung mit Mangansulfatlösung Manganpermutit hergestellt werden. Die entsprechenden Gleichungen sind, wenn man mit Pe den Permutitkomplex bezeichnet, soweit er an dem Austausch nicht beteiligt ist: Pe.Na.,0 + CaCIj = PeCaO -f 2NaCl Pe-Na^Ö + MnSO, = Pe-MnO -f Na^SO,. Selbstverständlich ist, da sich im allgemeinen zwischen den Kationen in der Lösung und den Kationen im Permutit ein Gleichgewicht einstellt, ein praktisch quantitativer Austausch nur dadurch zu erreichen, daß man den umzusetzenden Permutit mit einer immer erneuten Lösung des einzuführenden Kations behandelt. In der wissenschaftlichen und technischen Praxis verfährt man daher, entsprechend einem Vorschlage von Gans stets so, daß man den Permutit als Filter benutzt, durch das man die betreffende Salzlösung langsam hindurchlaufen läßt. Von den zahlreichen Verwendungsmöglichkeiten des Permutits ist zurzeit bei weitem die wichtigste seine Verwendung zur Reinigung des Kessel- speisewassers. Das natürliche Wasser enthält be- kanntlich stets eine mehr oder minder große Menge von Kalk- (oder Magnesia)salzen, die teils in Form von Bikarbonat CaH(CO.,).,, teils in Form von Sulfat CaS04 gelöst sind. Beim Kochen des Wassers im Dampfkessel scheiden sich nun, so- wohl weil die die Karbonate in Lösung haltende Kohlensäure aus der Lösung entweicht als auch weil die Lösung sich infolge der ständigen Ver- dampfung des Wassers im Kessel stark konzentriert, die Kalksalze als häufig sich fest an den Boden und die Wandungen des Kessels ansetzender „Kesselstein" aus, der den Dampfkesselbetrieb arg zu stören, zu verteuern, ja unter Umständen sogar sehr gefährlich zu machen geeignet ist. Es ist daher eine für den Dampfkesselbesitzer sehr wichtige Aufgabe, das Kesselspeisewasser vor der Verwendung von seinen Kalk- und Magnesiasalzen zu befreien, und hierzu eignet sich gerade das Permutitverfahren ausgezeichnet: Man braucht ein als Kesselspeisewasser ungeeignetes Wasser bloß durch ein Filter von Natriumpermutit laufen zu lassen, so werden die Kalk- und Magnesiasalze mehr oder minder vollständig durch die un- schädlichen Alkalien ersetzt, z. B. Pe ■ Na^O + CaSO, = Pe • CaO + NaaSO,, und das vorher infolge seines zu hohen Gehaltes an Kalk- (und Magnesia) -Salzen ungeeignete Wasser kann nun unbedenklich für den Kessel- betrieb verwendet werden. Im Permutitfilter reichern sich hierbei im I^aufe der Zeit natürlich die Kalksalzean, und die entkalkende Wirkung läßt daher allmählich nach. Dies spielt indessen in der Praxis keine große Rolle. Man braucht das Filter näm- lich, sobald seine Wirkung nachläßt, nur mit einer konzentrierten Kochsalzlösung durchzuspülen, um den im regelmäßigen Betnebe aufgenommenen Kalk wieder durch Natrium zu verdrängen Pe ■ CaO + 2NaCl = Pe ■ NaoO -f CaCl.,, und damit das Filter zu regenerieren. Außer der Reinigung von Kesselspeisewasser werden von Gans bzw. der Permutitgesellschaft, wie bereits angedeutet wurde, noch andere Ver- wendungsmöglichkeiten des Permutits, so die Ver- wendung zur Enteisenung und Entmanganung von Leitungswasser angegeben, indessen muß, soweit dem Berichterstatter bekannt geworden ist, noch dahingestellt bleiben, wie weit sich diese Ver- wendungsmöglichkeiten in der Praxis wirklich be- währt haben ; von ihrer Besprechung kann daher an dieser Stelle Abstand genommen werden. Wichtigere Literaturnachweise. I. Über den Basenaustausch der Silikate: 1. R. Gans, Zeolithe und ähnliche Verbindungen, ihre Konstitution und Bedeutung für Technik und Landwirtschaft. Jahrb. d. Königl. Preu8. Geol. Landesamt, 26 (1905), S. 179 — 211. 2. — , Konstitution der Zeolithe , ihre Herstellung und technische Verwendung. Ebenda, 27 (1906), S. 63—94. 3. — , Zur Frage der chemischen oder physikalischen Natur der kolloidalen wasserhaltigen Tonerdesilikate. Ebenda, 34 11 (l9'3), S. 242—282. 4. Georg Wiegner, Zum Basenaustausch in der Acker- erde. Journ. f. Landwirtscb., Jahrg. 1912, S. III — 150 und S. 197 — 222. 5. Felix Singer, Über künstliche Zeolithe und ihren konstitutionellen Zusammenhang mit anderen Silikaten. Disser- tation der Königl. Technischen Hochschule Berlin, 1910. 6. Ilse Zoch, Über den Basenauslausch kristallisierter Zeolithe gegen neutrale Sahlösungen. Inaugural-Dissertation der Universität Berlin, 1915. II. Kr istallograph isch - chemischer Ab- und Umbau: 1. F. Rinne, Kristallographisch- chemischer Ab- und Umbau insbesondere von Zeolithen. Fortschr. d. Mineral., Kristallogr. u. Pelrograph., 3 (1913), S. 159 — 183. 2. G. T a m m a n n , Über die Dampfspannung von Hydraten, welche beim Verwittern durchsichtig bleiben. Wiedem. Ann. d. Phys., 63 (1897), S. 16—22. 3. E. Löwenstein, Über Hydrate, deren Dampf- spannung sich kontinuierlich mit der Zusammensetzung ändert. Zeitschr. f. anorg. Chem., 63 (1909), S. 69 — 139. 4. F. Grandjean, Etüde optique de l'adsorption des vapeurs lourdes par certaines zeolilhes. Compt. Rend., 149 (1909), S. 866—868. III. Die praktische Verwendung des Basen- austausches: 1. A. Rümpler, Über die Reinigung von Rübensäften durch Silikate. V. Internal. Kongreß f. angew. Chemie, Bd. III, S. 59-69. 2. R.Gans, Über die technische Bedeutung der Permutite (der künstlichen zeolithartigen Verbindungen). Chem. Industrie, 32 (1909), S. 197 — 200. 3. A. Kolb, Über Permutit, dessen Anwendungen und die mit ihm gemachten Erfahrungen. Sozial-Technik, 14(1915), Heft 7. (GX:) Naturwissenschafthche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 32 Einzelberichte. Physik. Mit der sogenannten Verbesserung der Blitzableiter beschäftigt sich L. WebTr TKiel) in der Elektrotechn. Zeitschr. 1916, Heft 14. Er gibt zunächst einen kurzen geschichtlichen Überblick über die Anleitungen für den Bau des Blitzableiters, dessen Grundgedanke ja einfach der ist, vom Dachfirst bis ins Erdreich eine metallische Bahn anzubringen, die den Blitz von anderen ge- fährlichen Wegen durch das Haus abzieht und ihn unschädlich abfließen läßt. Eine Erklärung der Berliner Akademie von 1880, daß auch ein mangelhaft angelegter Blitzableiter die Gerährlich- keit des Blitzschlages vermindere, scheint in manchen Kreisen in Vergessenheit zu geraten. Ja man scheint vielerorts zu glauben, daß ein nicht ganz vollkommener Abieiter eher schädlich als nützlich sei. Die Hinweise des Württembergers Find eisen verdienen Beachtung; dieser drang mit Recht darauf, daß an den Gebäuden vor- handene Metallgegenstände, wie Dachrinnen, Ab- fallrohre, eiserne Träger u. dgl. beim Bau des Blitzableiters mitverwendet würden, um die Kosten desselben zu vermindern und damit seine Ver- breitung zu fördern. Man hat diese aus ökono- mischen Gesichtspunkten geforderten Verein- fachungen wohl als „Findeisen'sches System" bezeichnet und damit in manchen Volkskreisen die Meinung erweckt, als handele es sich um die Anwendung neuer physikalischer oder elektro- technischer Grundlagen, durch welche die her- kömmlichen und bewährten Blitzableiterkonstruk- tionen über den Haufen geworfen würden. Noch bedenklicher ist es, wenn in Tageszeitungen statt von vereinfachten gelegentlich von „verbesserten" Blitzableitern gesprochen wird. Es liegt im Inter- esse der Allgemeinheit und der ruhigen Ent- wicklung des Blitzableiterwesens vor solchen Miß- verständnissen zu warnen. Die^ angebliche Zunahme der Blitzgefahr untersucht G. Hell mann in den^Sitzungs^ ber. d. kgl. preuß. Akademie der Wissenschaften 191 7, S. 198 auf Grund statistischer Angaben über die Todesfälle, die seit 1869 im Königreich Preußen durch Blitzschlag eingetreten sind. Die absolute Zahl der jährlich vom Blitz getöteten Personen hat zugenommen, berechnet man jedoch die auf eine Million Einwohner entfallende Zahl von Blitztötungen, so findet man im ersten und letzten Jahrzehnt des betrachteten Zeitraums (1871 — 1913) 4,2 bzw. 4,3. Die Schwankungen in der jährlichen Zahl hängen hauptsächlich von der wechselnden Gewittertätigkeit ab. Beide Kurven zeigen im allgemeinen denselben Verlauf. Plötzliche An- und Abstiege treten in beiden zur selben Zeit auf Hieraus geht unzweifelhaft her- vor, daß die Blitzge fahr für den Menschen in Preußen nicht zugenommen hat, ferner zeigt sich, daß auch die Zahl der Gewitter- meldungen seit 1891 keinerlei systematische Zu- nahme erkennen läßt. K. Seh. Ähnlich wie für die Materie nimmt man auch für .die Elektrizität einen atomistischen Auf- bau an; man nennt bekanntlich die (negativen) Elektrizitätsatome Elektronen. Die Gründe, die zu diesen Anschauungen führen, sind im vorigen Jahre in der Naturw. Wochenschr. (S. 217 — 220) auseinandergesetzt worden; sie beruhen der Hauptsache nach auf Versuchen, die von dem amerikanischen Gelehrten Millikan und seinen Mitarbeitern ausgeführt worden sind. Vor einer Reihe von Jahren hat der Wiener Forscher Ehrenhaft (1909) Zweifel an der Richtigkeit dieser scheinbar so sicher begründeten und unserer Vorstellung außerordentlich zusagenden Ansicht erhoben; er habe elektrische Ladungen nach- gewiesen, die wesentlich kleiner sind als die Ladung des Elektrons (4,7 10 1»}. Damit wäre natürlich ein atomistischer Aufbau der Elektrizität nicht ausgeschlossen ; man wäre lediglich genötigt, das was man bisher für ein Elektrizitätsatom ge- hahen hat, das Elektron, als aus noch kleineren Atomen zusammengesetzt anzunehmen. In den Naturwissenschaften V, 373 (1917) gibt W. König einen Überblick dieser für unsere Grundanschauungen so außerordentlich wichtigen Streitfrage. Beide Forscher, Millikan wie Ehrenhaft, arbeiten im Prinzip nach demselben Verfahren, indem sie ein elektrisch geladenes Partikelchen in das Feld eines kleinen Konden- sators mit horizontalen Platten bringen, seine Bewegung unter dem Einfluß der Schwere und der elektrischen Kräfte beobachten und aus der beobachteten Geschwindigkeit Schlüsse auf die Größe seiner Ladung und seine eigene Größe ziehen, Millikan erhält die Partikel durch mechanisches Zerstäuben von Flüssigkeiten (Wasser, Öl, Quecksilber); sie haben einen Radius von 60 bis 5-10-^ cm (in der letzten Arbeit 1916 2,5- 10^ cm) und werden mit einem Fernrohr in einem Kondensator von 20 cm Plattendurch- messer beobachtet. Bei den Versuchen von Ehrenhaft sind alle Dimensionen kleiner. Seine durch Zerstäubung von Edelmetallen im elek- trischen Lichtbogen erhaltenen Partikel sind fast alle kleiner als die kleinsten von Millikan be- obachteten, ihre Radien liegen zwischen 2,5 und 0,6 • 10 ^ cm. Seine Kondensatorplatten haben nur 14 mm Durchmesser, und die Beobachtung geschieht durch ein Mikroskop von 220- bis 1 000 facher Vergrößerung. Für die größeren seiner Teilchen findet er Ladungen, die sich nicht auf- fallend von den M i 1 1 i ka n 'sehen Werten unter- scheiden; erst bei noch kleineren wird das Elementarquantum unterschritten, das nach seiner Meinung wesentlich kleiner (0,1 • 10 ^°) ange- nommen werden muß. Da an der Richtigkeit und Exaktheit der Beobachtungen der beiden Forscher nicht zu zweifeln ist, dreht sich der Streit um eine Deutung der Messungen. Eine wesentliche Stütze erhält die Millikan 'sehe N. F. XVI. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 449 Ansicht dadurch, daß die Ladung des Elektrons auf verschiedenen, ganz anderen Wegen (Elek- trolyse, Planck'sche Strahlungsformel, Zählung der a-Teilchen radioaktiver Stoffe) auch rund gleich 4,7 •10'" gemessen wird. Demnach kann wohl kein Zweifel sein, daß dieser Wert der richtige ist — darüber ist sich die Mehrzahl der Forscher einig. Es fragt sich nun- mehr, wo wir dem M ill ikan 'sehen Standpunkte beigetreten sind, wie die Eh re n h a ft 'sehen Messungen zu deuten sind. Da ist es nun zweifel- haft, ob die Beweglichkeit der Teilchen richtig gemessen ist, ob das Stokes'sche Gesetz, das bei dieser Messung benutzt wird, noch gültig ist, wenn die Teilchen so klein werden wie bei den Ehrenhaft 'sehen Versuchen. Man hat daher die Beweglichkeit auch nach einer anderen Methode gemessen, nämlich unter Benutzung der Theorie, die von Einstein für die Bro wn'sche Bewegung aufgestellt ist. Es ergibt sich, daß eine Übereinstimmung für die beiden B e r e c h n u n g s a r t e n nicht besteht, während sie für die größeren Partikel Millihan's vorhanden ist. Es bedarf dem- nach einer neuen theoretischen und experimen- tellen Nachprüfung der Gesetze, die für die Be- wegung so kleiner Teilchen in einem Gas be- stehen; erst dann dürfte man in der Lage sein, die Ergebnisse Ehrenhaft's, deren Wert für die Wissenschaft nicht zu verkennen ist, richtig zu deuten und die heute noch bestehenden Wider- sprüche zu beseitigen. K. Seh. Anthropologie. Die Maori. Die Plingebornen Neu-Seelands und der umliegenden kleinen Inseln werden Maori genannt. Sie gehören zur polyne- sischen Rasse, deren Verbreitungsgebiet von Hawaii im Norden über Samoa nach Neu-Seeland im Süden und bis zur Osterinsel im Osten reicht; es umfaßt also die Inseln des östlichen Stillen Ozeans. Die Maori sind mittelgroß; nach Deniker be- trägt die durchschnittliche Körperlänge der Männer 168 cm. Der Körperbau ist ebenmäßig und muskulös; man sieht weder zu schlanke noch zu dicke Leute. Die Gesichtsbildung ähnelt sehr jener der Europäer, so daß sogar ein in bezug auf Hypothesen so vorsichtiger Anthropologe wie C. H. St ratz') der Meinung zuneigt, man habe es hier mit einem versprengten Stamm von rein mittelländischer Rasse zu tun. Wahrscheinlich ist dies allerdings nicht, sondern es ist vielmehr Konvergenzähnlichkeit anzunehmen. Die Nase ist mittellang und mäßig hoch, schmal bis mittelbreit und meist etwas gebogen. Die Lippen sind mittelbreit, aber gewöhnlich doch etwas dicker als bei Europäern. Die Stirne ist meist hoch und breit. Die Gesichtszüge werden häufig durch kunstvolle blaue Tätauierungen etwas verdeckt, aber auch unter dieser Maske erkennt man den kühnen regelmäßigen Gesichtsschnitt. Die Haut- ') Rassenschönheit, S. 238. färbe ist gewöhnlich hellbraun, wie die eines reifen Weizenkornes, doch kommen auch ziemlich dunkelhäutige Personen vor. Th. MoUison^) faßt diese dunkelhäutigen Individuen — die jedoch in bezug auf die Schädelbildung von den hell- häutigen nicht zu trennen sind — als einen au- stralisch - melanesischen Einschlag auf Andere polynesische Gruppen , wie die Chatam- und Sandwich Insulaner (Hawaiier) zeigen dasselbe Bild. So nimmt Mollison wohl mit Recht an, daß auf allen diesen Inselgruppen eine dunkle Urschicht der Bevölkerung vorhanden war, als die Polynesier kamen, die sie dann zum Teil ausrotteten, zum Teil in sich aufnahmen. Der Wuchs des Kopf- haares ist straff oder mehr oder weniger wellig, niemals kraus. Die Haarfarbe ist bei der Mehrzahl der Maori dunkelbraun, bei manchen Personen aber rot oder rotblond — ein Umstand, der mit dazu verleitet, an ihre europäische Herkunft zu denken. Dem Charakter nach sind die Maori stolz, selbstbewußt, aber auch rachsüchtig und leicht verletzbar. Diese Charaktereigenschaften waren gewiß viel Schuld an den bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts andauernden fortwährenden Kämpfen der einzelnen Stämme untereinander, durch welche die Volkszahl stets gering gehalten wurde. Kinder und alte Leute werden gut be- handelt. In geistiger Beziehung zeichnen sich die Maori durch Regsamkeit und gute Auffassungs- gabe aus. Das Temperament ist, wie bei den Polynesiern überhaupt, ziemlich lebhaft, wenn auch ein Einschlag von Schwermut nicht fehlt, der vielleicht als l^'olge einer melanesischen Blutbei- mischung aufzufassen ist. Der mündlich überlieferte Schatz erzählender Dichtungen ist ziemlich reich. ^) Bei den Maori hat sich die Überlieferung der Einwanderung aus einem fernen Lande erhalten, das Hawaiki genannt wird; doch war es bisher noch nicht möglich, mit Sicherheit festzustellen, welches Land dies ist. P. Smith nimmt auf Grund der Traditionen der Maori und ihrer augenscheinlichen körperlichen Verwandtschafts- beziehungen an, daß sie aus Vorderindien kamen. Die Auswanderung von dort müßte allerdings in der vor-buddhistischen Zeit erfolgt sein, da weder die Religion der Maori, noch die anderer Polynesier, eine Spur buddhistischen Einflusses erkennen läßt. Schon sehr frühzeitig, etwa im 5. oder 6. Jahr- hundert unserer Zeitrechnung, waren Polynesier auf den Fidschiinseln ansäßig und von dort scheinen sie sich sowohl nach Osten und Nord- osten, wie nach Süden, ausgebreitet zu haben. Diese Wanderungen wurden durch die Meeres- strömungen und die herrschenden Windrichtungen begünstigt. Als kaum zweifelhaft gelten können noch spätere Wanderungen von den mittelpoly- nesischen Inseln nach Neu-Seeland. Gewöhnlich wird angenommen, daß die Zahl der Maori zur Zeit der Entdeckung Neu-Seelands ') Mollison, Beitrag zur Kraniologie und Osteologie der Miiori. Zeitschr. f. Morphol. und Anthropol., Bd. 1 1, S. 529—595. 2) Vgl. „Südseemärchen". Jena 1916, Eugen Diederichs. 450 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 32 durch T asm an (1642) viel größer gewesen sei als jetzt, und daß infolge der Kämpfe mit den europäischen Kolonisten und infolge verderblicher Einflüsse der europäischen Kultur die Einge- borenenbevölkerung dieser Inselgruppe stark zu- rückging. 1) In jüngster Zeit hat sich die Zahl der Maori vermehrt. Sie betrug: 1891 42COO; 1896 40000; 1901 43 100; 1906 477CO und 1911 49800; davon waren 26500 männlichen und 23 300 weiblichen Geschlechts — es besteht also, wie bei fast allen „Farbigen", ein erheblicher IVIännerüberschuß. Die Zahl der Maori-Mischlinge nahm von 4865 1S91 auf 7060 I911 zu; von diesen lebten 2873 auf europäische Art und unter Europäern. Die Masse der Maori hält zähe an der überlieferten Lebensweise und der Stammes- organisation fest. Nach und nach aber werden sie doch europäisiert, und zwar vornehmlich durch den Einfluß der Geistlichkeit. Die Kleidung be- stand früher aus lose um den Körper geschlungenen Flachsmatten; jetzt werden schon vorwiegend europäische Kleider getragen. Besondere Ge- schicklichkeit und Kunstfertigkeit zeigen die Maori im Bau und in der Ausschmückung ihrer Wohn- häuser und Boote, die reich mit Schnitzerei ver- ziert sind. Heute ist diese Kunst ebenfalls schon im Verfall begriffen. Vom Haus- und Bootbau abgesehen, hatten die Gewerbe bei den Maori niemals große Bedeutung. Hackbau und Fischerei bildeten in der Vergangenheit die wichtigsten Erwerbsquellen und sie sind es heute noch, ob- zwar man sich auf selten der britischen Ansiedler bemüht, die Maori zum Übergang zu europäischer Wirtschaftsweise zu veranlassen. An ein Aussterben der Maori, das von manchen Autoren befürchtet wird, ist unter den jetzigen Verhältnissen kaum zu denken, da der Geburten- überschuß, trotz hoher Sterblichkeit, relativ groß ist und eine Zunahme der Eingebornen verbürgt. Die Rassenkreuzung mit englischen Kolonisten ist nicht umfangreich. Mehr gefährdet werden könnte die Existenz der reinen Maoribevölkerung durch zunehmende Einwanderung von Ostasiaten und Kreuzung mit denselben. H. Fehlinger. Meteorologie. Fließt eine Flüssigkeit durch eine Röhre, so laufen die Stromfäden nur parallel der Achse, solange die sogenannte Reynoldsche Zahl R= - --^ kleiner als rund 2000 ist. Hierin ist Q die Dichte, v die mittlere Geschwindigkeit, /< der Reibungskoeffizient der P'lüssigkeit, 1 der Röhren- durchmesser. Bei Überschreitung des Grenzwertes geht die Strömung in eine turbulente über, die einzelnen Flüssigkeitsteilchen bewegen sich in Wirbelfäden. In der freien Atmosphäre sind nun die Verhältnisse derart, daß immer Turbulenz auftritt, d. h. die Luftströmung findet stets in mehr oder minder heftigen Windstößen statt. A. Wegener (Meteorol. Zeitschr. 191 2, S. 49) ') Vgl. z. B. Buschan, „Völkerkunde", Seite 213. — K. und L. J. Stout, New Zealand, Seite 83 ; Cambridge 1911. hat zuerst auf die Bedeutung dieser Erscheinung für die atmosphärische Zirkulation hingewiesen. E. Barkow hat gezeigt (Meteorol. Zeitschr. 1915, S. 97), daß die Größe der einzelnen Windstöße, der Turbulenzelemente, etwa proportional der Windstärke ist. Um nun die Beziehungen zwischen Turbulenz und Windänderung mit der Höhe in übersichtlicherer Form darstellen zu können, führt Barkow (Ann. d. Hydrograph. 45, 1917, S. i) den neuen Begriff des „Turbulenzkörpers" ein. Er stellt einen Mittelwert der Ausschläge der einzelnen Lufiteilchen von der Mittellage dar. Er hat mithin eine ähnliche Bedeutung wie die mittere freie Weg- länge der Moleküle in der kinetischen Gastheorie. Der Turbulenzkörper wird eine Kugel, wenn die Größe der Bewegungen in horizontaler und vertikaler Richtung gleich ist. Dies ist der Fall, wenn die Temperaturverteilung in der Atmosphäre adiabatisch ist. Beträgt aber die Temperatur- abnahme weniger als i" pro 100 m, so bleibt die horizontale Bewegung ungeändert, dagegen ist ein Luftteilchen am unteren Ende seiner Bahn im Mittel zu warm, am oberen zu kalt. Die vertikale Bewegung ist also gehemmt. Der Turbulenzkörper wird demnach ein abgeplatteter Rotationskörper sein. Die Abplattung wird um so stärker, je kleiner der Temperaturgradient ist; besonders stark, wenn er negativ ist, d. h. in den Inversionsschichten. Die Turbulenzkörper benachbarter Raumteile werden einander durchdringen, so daß benachbarte Luftschichten, zwischen denen in der Regel eine gewisse Geschwindigkeitsdifferenz besteht, einander beeinflussen werden. Dies wird um so mehr der Fall sein, je ausgedehnter die Turbulenzkörper in vertikaler Richtung sind. Die Reibung wird dem- nach um so größer, je größer der vertikale Temperaturgradient in der Atmosphäre ist. Sind die Turbulenzkörper flach, so ist eine größere Anzahl zur Ausfüllung des Raumes zwischen den Schichten nötig, es kann ein größerer Windsprung auftreten. Setzt in einem aufsteigenden Luftstrom Kondensation des Wasserdampfes ein, so vermindert sich damit plötzlich der Temperaturgradient um etwa die Hälfte; die Turbulenzkörper werden ent- sprechend flacher. Daher wird auch häufig an Wolkengrenzen eine sprungweise Windzunahme beobachtet. In der freien Atmosphäre können die Turbulenz- bewegungen ungestört verlaufen. Bei Annäherung an den Erdboden muß sich jedoch der Turbulenz- körper in immer kleinere Wirbel auflösen. Die Reibung wird hier also immer kleiner. Die Be- einflussung beginnt erst merklich zu werden in einer Höhe über dem Erdboden, die der Größen- ordnung des Turbulenzkörpers entspricht. In den winterlichen Hochdruckgebieten mit den stark ausgebildeten nächtlichen Bodeninversionen muß deshalb schon in geringer Höhe die Wind- geschwindigkeit ziemlich groß sein. Bei zu- nehmendem Temperaturgradienten tritt dann ein Ausgleich ein ; die Geschwindigkeit wird am Boden größer und in der Höhe geringer. Scholich. N. F. XVI. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 4SI Bücherbesprechungen. Schwarzschild, K., Dr., Über das System der Fixsterne. Mit 13 Fig. im Text. Berlin I und Leipzig 1916, Teubner. — i M. I Das Heft ist das erste der von der Urania in Berlin herausgegebenen Sammlung naturwiss. Vorträge und Schriften und unveränderter, nur mit einigen besseren Bildern versehener Abdruck der Ausgabe von 1909. Wir, die wir um den vor kurzem an den Folgen des Krieges vorzeitig verstorbenen großen Gelehrten trauern, freuen uns, daß dies sein gedankenreiches Weik eine neue Ausgabe verlangt. Die 4 Vorträge, vom Fernrohr, über Lambert's kosmologische Briefe, über das System der Fixsterne und vom Universum, geben weit mehr, als der anspruchslose Titel an- deutet. Jedes Thema, auch das historische zweite steht auf der Höhe modernsten Wissens, und ist reich an wichtigen Ideen und Tatsachen, die in der glänzendsten Weise übermittelt werden. Riem. Jacobsthal, Walther, Prof. Dr., Mondphasen, Osterrechnung und ewiger Kalender. 116 S. Berlin 191 7, Springer. — 2 M. Auch ein Werk, das nur bei den Hunnen ge- schrieben werden konnte, dessen Verfasser als Hauptmann und Kompagnieführer im Felde steht, und das den feldgrauen Freunden zugeeignet ist, von denen der Verfasser weiß, wie sie oft nach geistiger Nahrung hungern und auch bisweilen mit Nutzen angeben möchten, wanp eine be- stimmte Mondphase eintritt. Anknüpfend an die Gaußische Osterformel zeigt der Verfasser den Weg, wie man zu deren und ähnlicher F"ormeln Ableitung gelangen kann , um zum Schluß eine eigene bequeme zu bringen. Auf diesem Wege aber gewinnt er eine Anzahl interessanter Er- gebnisse nebenher, die das Buch auch für den angehenden Mathematiker, ja für die Schüler der höheren Lehranstalten wertvoll machen, indem sie Leben in die Mathematik bringen, besonders in einige wenig gelehrte Zweige der einfachen Zahlentheorie. Den Schluß bildet eine Oster- tabelle von 1582— 1999. Riem. Müller, P. I., Sludienrat Prof., Kepler's und Newton 's Gesetze über die Bewe- gungen im Sonnenrauine im Lichte der Strahlendruck- und Ätherdruck- theorie. Wien, Teschen, Leipzig 1916, K. Prochaska. Ein höchst unerfreulicher Genuß des auf diesem Gebiete schon bekannten Verfassers. Wenn er behauptet, daß die Kepler'schen und Newton- schen Gesetze, weil nicht auf dem Gebiete der Physik und Chemie fußend, als Irrlehren zu ver- werfen seien, und daß der Pythagoras diejenige mathematische Idee sei, die die Bedingungen er- möglicht, unter denen sich organisches Leben bis zur höchsten Stufe entwickeln und bestehen könne, so fragt man sich entsetzt, wo denn da der Fehler liegt. Man findet ihn darin, daß die Gravitation nicht erklären kann, woher die tangen- tiale Bewegung der Planeten um die Sonne kommt! Gerade als wenn das nicht ein kosmologisches Problem wäre. Wir verlangen doch auch nicht von der Physik, anzugeben, woher Kraft und Materie kommen. Verfasser berechnet die Erd- atmosphäre zu 42162,59 km- Höhe I! und erhält damit das spezifische Gewicht der Erde zu 0,0125017!! und ähnliche Unbegreiflichkeiten mehr. Und das bei der jetzigen Papierknappheit. Riem. Lietzmann, W., Dr., Riesen und Zwerge im Zahlenreich. Mit 18 Fig. im Text. Mathematische Bibliothek, Heft 25. Leipzig und Berlin 1916, Teubner. — 0,80 M. Das Büchlein erfüllt den ihm zugeschriebenen Zweck, durch seine Plaudereien kleinen und großen Freunden der Rechenkunst in diesen trüben Zeiten einige fröhliche Stunden zu bereiten, im höchsten Maße. Nicht nur die vergnügliche Art der Dar- stellung, sondern auch die oft verblüffenden und unerwarteten Ergebnisse der scheinbar ganz ein- fachen Aufgaben ziehen immer wieder an, und reizen dazu, auch andere mit den eben gewonnenen Kenntnissen ins Erstaunen zu versetzen, oder hineinzulegen. Wer hätte je daran gedacht, die Moleküle eines Kubikzentimeters als Perien anzu- ordnen oder auf einem Tisch auszubrehen und zu überlegen, wie lang die Schnur wird oder wie groß der Tisch sein muß! Solche Scherze, zum Teil auch bekannte, wie die Sandrechnung des Archimedes, sind hier so hübsch vereinigt, daß jeder Lehrer froh sein wird, die Mathematikstunde mit den hier gegebenen Gewürzen schmackhafter zu machen. Riem. Kunkel, K., Zur Biologie der Lungen- schnecken. Heidelberg 1916. Will man dem Buch Künkel's, seinem Lebenswerk, voll und ganz gerecht werden, so muß man die ungewöhnlichen Umstände würdigen, unter denen dieses Werk entstanden ist. In dem Vorwort erfahren wir von Kunkel, daß ihn das Schneckenfutter allein während seiner Unter- suchung mehrere Tausend Mark gekostet hat. Daß er aber, ganz unbemittelt, hierbei auf seinen Gehalt als Seminarlehrer angewiesen war, und daß er daher seinen letzten Sparpfennig für die Schnecken hingab, wußten nur die Einge- weihten. Diese finanziellen Opfer sind ja nicht das Wichtigste. Dennoch spreche ich von ihnen zuerst, denn sie bleiben immer ein guter Prüfstein des Idealismus. Als sein Lebenswerk darf Kunkel diese Publikation bezeichnen, obwohl sie nur die Früchte seiner freien, neben seinem anstrengenden Beruf 452 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 32 erübrigten Zeit darstellt. Über 15 Jahre hat er daran mit nimmermüder Begeisterung gearbeitet. Wer ihn kennt und damals schon kannte ist bei- nahe versucht zu sagen, daß er der Sklave seiner Schnecken wurde. Aber damit würde man das Wesentliche nicht treffen : er war der Sklave seines Forschungstriebes. Die Ergebnisse seiner Arbeit sind gleich be- deutungsvoll für den Morphologen, den Systema- tiker, den Biologen und den Physiologen, und auch dem experimentellen Zoologen bieten sie viel Anregung. Es wäre zu wünschen, daß dieses Werk über den Kreis der Fachzoologen hinaus recht weite Verbreitung fände. Möge es anderen Lehrern ein Beispiel sein, wie ein jeder neben seinem Beruf der Wissenschaft Wertvolles leisten kann, wenn sich nur mit klarem Denken Forscher- drang und Selbstkritik in glücklicher Weise ver- binden. Künkel's Werk mag ihnen zeigen, wie weit sich auch eine groß angelegte Untersuchung vertiefen und fruchtbringend durchführen läßt, auch wenn die modernen Hilfsmittel nicht in vollem Umfange zu Gebote stehen. Der erste Teil des Buches behandelt die Wasser- Aufnahme und Abgabe und die Bedeutung des Wassers im Organismus. Der Schleim, den die Schnecken ausscheiden, ist in hohem Maße quellungsfähig. Wasserarmer Schleim klebt nicht nur an der Unterlage, sondern auch an dem Körper der Schnecke und erschwert so die Kriechbewegungen oder hebt sie ganz auf. Wasserarme Schnecken vermögen aus der mit Wasserdampf gesättigten Luft kein Wasser auf- zunehmen. Bei Beträufelung mit Wasser können Nacktschnecken durch die Haut bis zu 74 "/o ihres Körpergewichts Wasser aufnehmen. Das auf diesem Wege gewonnene Wasser genügt jedoch nicht um die Schnecke dauernd am [.eben zu erhalten. Dies spricht dafür, daß das durch die Haut aufgenommene Wasser nicht beliebig im Körper verwendet werden kann, sondern an die peripheren Bezirke gebunden bleibt, d. h. also, daß es nicht ins Blut übergeht. Dies wird durch Versuche mit Salz- lösungen erhärtet. Durch den Mund vermögen wasserarme Nacktschnecken bis zu dem 4,3 fachen des Körpergewichts Wasser aufzunehmen. Die Gehäuseschnecken stehen in dieser Hinsicht be- deutend zurück. Sie sind andererseits auch gegen Wasserabgabe besser geschützt als die Nackt- schnecken. Nur sehr wasserreiche Schnecken sind fähig, Wasser durch die Haut auszupressen. Der weit- aus größte Teil des von den Schnecken getrunkenen Wassers wird durch Verdunstung abgegeben. Bei hohem Wassergehalt ertragen Nacktschnecken einen Wasserverlust bis zu 80 "/^ des Körper- gewichts. Die Austrocknungsfähigkeit der Ge- häuseschnecken ist viel geringer. Das verschlossene Gehäuse ist ein sehr wirksamer Schutz gegen die Wasserverdunstung. Bei einer Nemoralis betrug der Gewichtsverlust der kriechenden Schnecke in derselben Zeit (16 Minuten) 44 mal so viel als bei der in geschlossenem Gehäuse ruhenden. Helix arbustorum vermag bis zu 58"/,, ihres Gewichts an Wasser zu verlieren ohne Schaden zu nehmen. Die in Winterruhe liegenden Schnecken enthalten eine relativ geringe Menge Wasser. Dadurch wird der Stoffwechsel stark herabgesetzt. Der Gewichts- verlust der Schnecken in der Winterruhe wird beinahe ausschließlich durch Wasserabgabe be- dingt. Die Kohlensäureabgabe liefert nur mini- male Beträge. Nur wenn die Tiere durch reichliche Wasser- aufnahme über die nötige Blutmenge verfügen, sind sie imstande die Kopulationsorgane auszu- stülpen. Bei genügendem Wasservorrat bleibt das Sperma, das ein Tier bei der Kopulation emp- fangen hat , mindestens ein volles Jahr lebens- und befruchtungsfähig. Die Eier wasserreicher Tiere haben eine straffe Eihülle, die wasserarmer Tiere weisen eine schlaffe Hülle auf Wasserreiche Limax legen ihre Eier einzeln ab, bei wasser- armen hängen sie perlschnurartig zusammen. Zu geringer Wassergehalt macht die Eiablage un- möglich. Das durch die Haut aufgenommene Wasser wird durch die Drüsenöffnungen von dem Drüsen- schleim aufgesaugt. Fori aquiferi konnten nicht nachgewiesen werden. In das Blut gelangt das durch die Haut aufgenommene Wasser nicht, sondern nur in die Schleimdrüsen und in die Gewebe der Körperwand. Der zweite Teil des Buches berichtet über Zuchtversuche, die interessante Ergebnisse der verschiedensten Art lieferten. Wie Lang so er- hielt auch Kunkel von linksgewundenen Stamm- eltern ausschließhch rechtsgewundene Nachkommen. Nach eingetretener Geschlechtsreife sind die männlichen, nicht aber auch die weiblichen Ge- schlechtszellen entwickelt. Bei der Kopula wird das Sperma stets gleichzeitig übertragen. Aktive Bewegungen der Spermatozoen von Arionen wurden nie beobachtet. Sie wandern passiv von der Zwitterdrüse zum Zwittergang und von da zum Epiphallus, wo sie zu einer Sparmatophore vereinigt werden. Nachdem das Sperma über- tragen ist, wird im Receptaculum der Schwanz- faden samt dem Achsenfaden aufgelöst, und man findet bald nur noch Spermienköpfe, die ebenfalls unbeweglich sind. Erst in diesem Zustande scheinen sie begattungsfähig zu sein. Sonst müßte stets eine Selbstbefruchtung eintreten, da zur Zeit der Eiablage Zwittergang und Divertikel noch reichlich eigene geschwänzte Spermatozoen ent- halten. Schließt man eine Limax von der Kopulation mit einem anderen Tier aus, so findet man trotz- dem bei geschlechtsreifen Tieren das Receptaculum mit Sperma erfüllt, das bald wie fremdes Sperma den Schwanzfaden verliert. Dieses eigene Sperma ist in normaler Weise befähigt, die Eier zu be- fruchten. Die F"urchung und die Embryonal- entwicklung der selbstbefruchteten Eier verläuft normal (96 % der Eier entwickelten sich). Daß N. F. XVI. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 453 die Eier wirlthch befruchtet waren , ist aus der Ausstoßung beider Richtungskörperchen zu schließen. Es findet also bei diesen Tieren Selbstbe- fruchtung und zwar ohne Selbstbegaltung statt. Damit sind die wesentlichsten Ergebnisse wiedergegeben. Eine reiche Fülle von Beobach- tungen konnten hier nicht ausführlich behandelt werden. So Ermittelungen des Lebensalters, der Widerstandsfähigkeit gegen Hunger, Kälte, Er- trinken, ferner Beobachtungen über den Winter- schlaf, über die Blutzusammeiisetzung, über die Embryonalentwicklung. Bei den Zuchtversuchen wird die Pflege dieser Tiere näher erläutert, wir erfahren mancherlei über die Nahrung, über die Unterbringung. Es folgen Angaben über die Kopulation, Eiablage, über Wachstumsperiode, Gehäusewachstum, Vererbung von Pigment und Pigmentlosigkeit. Hierbei hat sich ergeben, daß Arion rufus und ater nur eine Art sind. Es schließen sich Versuche über die Beeinflussung der Farbe durch das Futter an. Die Humussäure scheint hierbei eine bedeutsame Rolle zu spielen. R. Demoll. Bolle, J., Direktor i. R. der k. k. landw. ehem. Versuchsstation in Görz, Österreich: Die Be- dingungen für das Gedeihen der Seidenzucht und deren volkswirt- schaftliche Bedeutung. 4. Flugschrift der deutschen Gesellschaft für angewandte Ento- mologie. Mit 33 Textabbildungen. Verlag von Paul Parey in Berlin SW, Hedemannstr. 10. — Preis 1,60 M. Nach statistischen Angaben verbrauchte Deutschland vom Jahre 1908 — 1910 im Durch- schnitt jährlich 3502000 kg Rohseide, die sämt- lich aus dem Ausland bezogen wurden. Nicht immer lagen die Verhältnisse so, daß in Deutsch- land überhaupt keine Seide erzeugt wurde. In vielen Gegenden, besonders in Süddeutschland finden sich noch Maulbeerbäume, die in einer Zeit angebaut worden waren, als die Zucht der Seidenraupe eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung besaß. Es ist nicht anzunehmen, daß die Seiden- raupenzucht bei uns lediglich aus äußerlichen Gründen wieder aufgegeben wurde. Einer gedeih- lichen Entwicklung standen vielmehr gewichtige sachliche Hindernisse im Weg, die zum Teil im Fortkommen der Seidenraupen in unserem Klima, zum Teil in der wirtschaftlichen Rentabilität der Zuchten lagen. Schon der Gegensatz zwischen Erzeugung und Verbrauch, dann der Umstand, daß das Ausland keine Seide mehr liefern kann, noch mehr aber das Bestreben, unseren Kriegsinvaliden einen lohnenden Erwerb zu sichern, hat den Gedanken reifen lassen, neuerdings zu versuchen, den Seiden- bau in Deutschland heimisch zu machen. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß das Zusammenarbeiten wissenschaftlicher und praktischer Sachverständiger unter den heutigen Bedingungen es ermöglicht. daß die Fehlschläge einer vergangenen Zeit ver- mieden werden. Auf der einen Seite wird mit Eifer für die Idee Stimmung gemacht, auf der anderen Seite warnend abgeraten. Bei der Un- klarheit der Meinungen ist die vorliegende un- parteiische Schrift Bolle's von besonderem Wert, der als einer der besten Kenner der Seidenzucht- probleme gilt und durch langjährige Erfahrung sowie durch persönliche Anschauung der Ver- hältnisse ausländischer Seidenbaubezirke in der Lage ist, ein maßgebendes Urteil zu fällen. Bolle gibt kein Gutachten ab, ob sich der Seidenbau in Deutschland rentieren wird oder nicht. Er legt ganz allgemein die Bedingungen klar, unter denen ein erfolgreicher Betrieb möglich ist. „Die Seidenzucht kann nur dort gedeihen, wo jene Bedingungen vorhanden sind, welche ihren Betrieb in großem Maßstabe, sowie ihre weitere Ausbreitung ermöglichen. Vor allem ist es nötig, daß ausgedehnte und gut kultivierte Anlagen von Maulbeerbäumen das erforderliche Laub in genügender Menge und guter Qualität liefern. Dann muß durch eine rationelle Aufzucht der Seidenraupe eine quantitativ und qualitativ entsprechende Kokonsernte gesichert werden und schließlich muß diese eine solche Verwendung finden, daß der Seidenzüchter einen sicheren und gewinnbringenden Verdienst in Geld für seine Mühe erziele." Diese verschiedenen Bedingungen werden in einzelnen Kapiteln nacheinander durch- gesprochen. Jedes Land, das die Seidenzucht neu einführen will, wird die Nutzanwendung aus den allgemein gehaltenen Darlegungen ziehen können. Welche Bedeutung die Nahrung für die Raupen spielt, geht am besten aus der folgenden Über- legung hervor: Etwa 30 g Seidenraupeneier (Samen) liefern etwa 42000 Räupchen. Für ihre Aufzucht benötigt man 10 — 12 Meterzentner Laub oder 25 bis 30 Maulbeerbäume in vollster Ent- wicklung. Wie die Obstbäume müssen daher die. Maulbeerbäume gut gepflegt und gedüngt werden, wenn sie guten Ertrag liefern sollen. In Süd- europa werden sie in eigenen Kulturen oder längs der Straßen und Feldwege gepflanzt. Die Blätter werden entweder abgestreift oder samt den Zweigen abgeschnitten. Da die Bäume in kälteren Gegenden zu spät ausschlagen und überhaupt etwa erst nach 6 — 7 Jahren ertragsfähig werden, wird von vielen Seiten als Ersatz die Schwarzwurzel empfohlen. Bolle rät auf Grund seiner Aufzuchtversuche, die geradezu kläglich verliefen, und seiner Be- obachtungen in anderen Gebieten ganz davon ab. Die Raupen fressen wenig, bleiben in der Ent- wicklung zurück, werden leicht krank und liefern keine marktfähigen Kokons. Die Aufzucht kann überall dort betrieben werden, wo bei genügender Nahrung für die Tiere Zuchträume mit Heizvorrichtung vorhanden sind, da die Raupen eine Wärme von 21 " C bean- spruchen. Ein besonders wichtiger Faktor ist die Auswahl der Rasse. Sie muß vor allem gegen 454 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 32 die Schlaft'sucht widerstandsfähig sein. Mehr als eine Unze Samen, d. h. 30 g kann eine Familie nicht aufziehen; denn zur Zeit, wo sich die Raupen verpuppen wollen, haben Mann und Frau, ein erwachsener Jüngling oder zwei Knaben oder Mädchen eine unausgesetzte fleißige Arbeit zu versehen, die nur kurz von den notwendigsten Hausarbeiten, vom Essen und Schlafen, unter- brochen werden darf. Zuerst alle zwei, später alle drei oder vier Stunden muß Futter gereicht werden , täglich erfolgt eine Umbettung der Raupen vom alten zum neuen Futter, für Rein- lichkeit, Lufterneuerung und Heizung ist zu sorgen. Dazu kommt neben manchem anderen die Vor- bereitung der Hürden, wenn sich die Raupen einspinnen wollen, und nach etwa acht Tagen die Auslese der Kokons, von denen nur ein Teil tadellos und preiswert ist. Bei rationeller Züchtung werden von 30 g Samen etwa 60 kg solcher Kokons erzielt. Abzüglich aller Auslagen liefern sie einen Gewinn von etwa 100 M., ein geringer Lohn für die Mühe, die die ganze Aufzucht ver- ursacht. Daraus folgt, daß die Seidenzucht nur dort einträglich ist, wo nicht für andere Arbeiten hohe Löhne bezahlt werden oder wo, wie auf dem Lande, billige, zum Teil kostenlose Arbeits- kräfte zur Verfügung stehen. Die Verarbeitung der Kokons zu Seidenstoffen kann bei uns als Hausindustrie nicht betrieben werden. Sie wird am besten von größeren Firmen oder Anstalten übernommen, die das Abtöten der Schmetterlinge, das Abhaspeln der Fäden, die Gewinnung gesunden Samens und die Auslese besonders leistungsfähiger Rassen betreiben. Biologische und wirtschaftliche Umstände sind es also, die wohl erwogen werden müssen, wenn die Seidenzucht in einem Lande auch wirtschaft- liche Bedeutung erlangen soll. Grundbedingung ist Futter in genügender Menge und gesunder Seidenraupensamen. Dazu kommt noch, daß die Bevölkerung willig sein muß, sich einer nicht mühelosen Arbeit mit Eifer und Liebe zu widmen. Welche Erfolge die Seidenzucht erreichen kann, wenn diese Bedingungen erfüllt sind, lehrt deutlich das Beispiel der Wiedereinführung der Seidenzucht in Ungarn, wo das Unternehmen staatlich orga- nisiert und finanziert ist. Stellwaag. Anregungen und Antworten. Zunahme von Tierarten im Kriege. Benecke in Bad Schmiedeberg erwähnt, daß dort die Wachtel und bei Wittenberg die Nachtigall neuerdings wieder zahlreicher ge- worden sei, und möchte es auf verminderte Nachstellungen während des Krieges zurückführen. Unsere Wachteln wandern, wie Röhrig nachgewiesen hat, im Winter nach Ruflland; auch dort könnten sie jetzt weniger gefangen werden als in Friedenszeit (Ornithologische Monatsschrift, 1917, S. 148 — 150). Es wären also Parallclfälle zu dem neulich von der Elster hier erwähnten. Es wird auch über Zunahme der Fuchsplage in manchen Gegenden geklagt sowie über die immer zahl- reicher auftretenden ,, Fixköter" und verwilderten Katzen. _Auch das sind Folgen des Kriegs, insbesondere des fehlenden Abschusses, wie bei der Elster. Schon einige Stellvertretende Generalkommandos sahen sich veranlaßt, dem durch wildernde Hunde veranlaßten Schaden durch besondere Verordnungen entgegenzuwirken. Gleich der Elster sind Wachtel, Nachtigall, verwilderte Katzen, Fuchs und ,, Fixköter" im besetzten Westen und wenigstens die beiden letzteren auch im Osten viel zahl- reicher als in Deutschland vorhanden. V. Franz. Ein weiterer Nachtrag zu den Katastrophen von Krakatau und Santiago. '| Die Krakalau-Explosion soll am 26. August 1SS3 eine Neben- oder genauer Vorläufererscheinung an der Unterelbe gehabt haben. Nach dem Altonaer Schriftsteller Th. Overbeck soll am Vormittage dieses Sonntags gegen 10 '/j Uhr der große Kronleuchter der Hauptkirche Altonas in Schwingungen geraten sein. Der Vorfall hätte solchen Eindruck gemacht, daß der amtierende Prediger, Herr Pastor Köster, den Gottesdienst unterbrochen habe. Dieser Bericht fesselte mich in hohem Grade. Im Falle seiner Bestätigung war ein neues Beispiel seismischer Korre- spondenz im Meridianäquator der Pendulation gesichert bei starker Ausbruchstäligkeit nahe dem einen Pole der Pendu- lation, im Sundagebiet, und bei vulkanischen Nebenerschei- nungen (Erddonner in Westindien) nahe dem anderen Pole. ') Vgl. die Mitteilung „Ein Nachtrag zur Katastrophe von Krakatau" auf S. 183 des „Weltall" 1916, 21/22, sowie Nr. 30 der „Naturw. Wochenschr.", N. F. XV. Um so mehr bedauerte ich das nachfolgende Anfangs-Ergebnis meiner schon sogleich nach der Veröffentlichung eingeleiteten Nachforschungen in Altona. Die Altonaer und Hamburger Tageszeitungen 1883 der letzten August- und der ersten Septemberwochen enthielten keine Mitteilung des Ereignisses. In den Kirchenbüchern der Hauptkirche war, nach Aus- kunft des Herrn Hauptpastor Esmarch, in den hinterlassenen geschichtlichen Aufzeichnungen und sonstigen chronologisch genau geordneten Papieren des früheren Hauptpastor W a 1 1 r o t , nach Aussage seines Sohnes Herrn Pastor Wallrot, eben- falls keine Andeutung zu finden. Nach dem für den 26. August 1S83 in Hamburger und Altonaer Tageszeitungen mitgeteilten Kirchenzettel amtierte an diesem Sonntage Herr Propst Lilie und nicht Herr Pastor Köster. Die seit einigen Jahren verwitwete Frau Pastor Köster, die ebenfalls bei meinem Besuche schriftliche Aufzeichnungen zu Rate ziehen konnte, hatte weder bei ihren regelmäßigen, höchstens durch Krankheit unterbrochenen Kirchenbesuclien einen solchen Vorfall erlebt, noch gesprächsweise von ihrem Manne dergleichen erfahren. Als einziger Zeuge blieb der Kirchenälteste Herr Drogen- händler Meßtor ff in Altona. Er verwickelte sich aber in- sofern in Widersprüche, als er die Schwankungen des Leuchters erst vom Kirchenältestenstuhle aus beobachtet haben wollte, während er in 18S3 nur Gemeindevertreter und deshalb zu einem anderen, weiter abgelegenen Kirchenstuhle zusiändig war. Auch wußte er auf den Hinweis, daß Herr Propst Lilie und nicht Herr Pastor Köster amtierte, nur zu ent- gegnen, daß vielleicht ein anderer Sonntag in Frage kam. Damit stürzt aber der ganze behauptete Zusammenhang mit der Krakatau-Katastrophe zusammen. Vom Küster Herrn Rcschke hörte ich noch, daß der Kronleuchter bestimmt vor etwa 10 Jahren (vor 1916, also 1906) geschwankt habe. Das würde, der Jahreszahl nach, in Über- einstimmung stehen mit einer sicheren Beobachtung solcher Korrespondenz des meridianäquatorialen Bodens gerade an der Unterelbe mit einer schweren Erdkataslrophe nicht allzu- weit von einem der Pole der Pendulation. Freilich habe ich über diese Beobachtung sehr bald danach in Hamburger N. F. XVI. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 455 Tageszeitungen veröffentlicht, so daß es sich bei der angeb- lichen Altonaer Beobachtung von 1906 auch sehr wohl um einen der im modernen Zeitungsleben nicht seltenen Revenants handeln konnte. Jedenfalls sei an dieser Stelle die an mich gerichtete briefliche Mitteilung des Beobachters, des in Schiff- bauerkreisen hochgeschätzten Ingenieurs Herrn L. Benjamin, hier als geophysikalische Urkunde im Wortlaut mitgeteilt. Hamburg, den 27. August 1906. Rentzelstrafie 16. Meinem Versprechen gemäß teile ich Ihnen hierdurch er- gebenst mit, daß an dem Tage, an welchem abends das Erd- beben in Santiago gemeldet wurde, nachmittags um 5'/s L'hr in meiner Wohnung deutliche Anzeichen davon durch das Schwingen der Hängelampen, wie ich solches früher häufig in Japan bei Erdbeben zu beobachten Gelegenheit gehabt habe, zu spüren waren . . . (gez.) Ludwig Benjamin." Daß sich zu dieser sicheren Hamburger Beobachtung eine entsprechende Altonaer Beobachtung an dem lang herab pendelnden Kronleuchter der Hauptkirche gesellte, ist durch- aus nicht unwahrscheinlich. Der volle Nachweis ist für diesen Erdbebentag, den 16./17. August 1906, allerdings nicht er- bracht. Für den zö.jzj. August 1883 mußte aus diesen ersten Ergebnissen meiner Erhebungen leider ein strenger Gegen- beweis gegen die O verbec k'sche Darstellung gefolgert werden. Zu den dargelegten Gegengründen der Altonaer Erhebung über das Ereignis in der dortigen Hauptkirche vor 34 Jahren trat noch als erschwerender Umstand, daß nach den Geburts- und Taufregistern des Jahres 1883 am 26. August dieses Jahres eine Vertretung des Propstes Lilie durch den jungen Pastor K Osler ausgeschlossen erschien. Denn nach Aussage beider Register waren an diesem Sonntag 6 Taufen vom Propst (Pr.) und nur I Taufe von seinem Kompastor (Comp.) vollzogen. Doch setzte gerade an dieser Stelle die Gegenwirkung ein gegen die scheinbar erdrückende Last der Widerstände. Sie beruhte auf der bestimmten und amtserfahrenen Aussage eines noch lebenden Freundes des Pastor K Osler, des Herrn Propstes Pauls en an der Altonaer Johanniskirche. Nach ihr war Pastor Kost er damals gar nicht Kompastor der Hauptkirche, sondern persönlicher .\djunkt des Propstes Lilie, während Kompastor ein älterer Geistlicher Biernatzki war. Als Adjunkt hatte Pastor Köster auch die Taufen in Ver- tretung des Propstes zu vollziehen, ohne selbst genannt zu werden. So war der Gegengrund aus jenen Registern hin- fällig. Außerdem erklärte Herr Paulsen, sich bestimmt der Erzählung seines Freundes zu erinnern, daß jenes Erlebnis sich ereignete, als er den Propst Lilie einmal zu vertreten hatte. Im Jahre 1906 gehörte dieser längst nicht mehr den Lebenden an. Das chilenische Erdbeben vom lö. .August dieses Jahres kam danach für jenes Erlebnis nicht in Krage. Daß Frau Pastor Köster sich dessen nicht entsinnt, kann an einer langwierigen sehr schweren Erkrankung liegen, unter der sie in der ersten Zeit ihrer Ehe litt. Die Widersprüche in der Aussage des Kirchenältesten Meßtorff finden eine besser befriedigende Lösung auch wohl darin, daß er nach dem Gottesdienste am 26. August 1883 von dem Stuhle der Gemeindevertreter nach dem der Kirchenältesten hingegangen war und sich, wie er sich auch erinnerte, an der Besprechung des Zwischenfalles beteiligt hatte. So darf, wenn man die Ergebnisse der Altonaer Erhebung abwägt, doch am "Ende auf die Bewahrheitung dieses Vor- ganges und auf seinen Zusammenhang mit einem der der Ex- plo!.ion de Krakatau ngegan iignisse katastrophaler Art geschlossen werden. Aus den Schwierig- keiten dieser nachträglichen Erhebung geht hervor, wie wichtig und für wissenschaftliche Zwecke geradezu notwendig es ist, daß solche Vorfälle sofortige Veröffentlichung erfahren. Denn jene Erhebung schien zuerst ein völlig negatives Ergebnis zu lielern. Späte VeröffentlichuDg wurde auch einer anderen Neben- erscheinung der Krakatau-Katastrophe zuteil, die wegen ihrer noch weiteren Entfernung von deren Herde ein besonderes Interesse bietet. Es war eine Schallerscheinung, die im Kolonial-Patois der Bewohner Haitis als Gouffre bezeichnet wird. ,,Die Oktobernummer 1 907 des Meteorologischen Bulletin, verölTentlicht von Professor S c h e r e r vom College St. Martial, Port au Prince, Haiti, enthält eine Mitteilung über den Goufifre, der erklärt wird als ein Geräusch ähnlich dem Donnerrollen eines Gewitters oder fernem Kanonendonner, und der häufig in Haiti beobachtet sein soll. Besonders geschah das zur Zeit des Krakatau-Ausbruches." Dieses in getreuer ÜberseUung gebrachte Zitat aus dem Dezemberhefte 1907 des amerikanischen Monthly Wealher Review (S. 575) ist tatsächlich das Erste, was die wissenschaft- liche Welt von dieser Beteiligung der Großen Antillen an der Krakatau-Katastrophe erfährt. An dieser Beteiligung ist von vornherein ein Zweifel deshalb ausgeschlossen, weil von einer anderen Inselgruppe Westindiens ein ganz ähnlicher Bericht bereits vorlag. Er war, auf Grund eines Briefes des Schiffskapitäns Rob. Woodville, schon im März 1885 von F. A. Forel der Pariser Akademie im März 1885 erstattet worden. Er betraf donnernde Geräusche, die am 26. August 1883 auf der Insel Caiman-Brac, westlich von Jamaika, gehört worden waren und dort eine Panik erzeugt hatten. Ich lasse die wörtliche Übersetzung auch dieser überaus wichtigen wissenschaftlichen Urkunde folgen: ,,.'\m Sonntag dem 26. August 1883 wurden die Be- wohner von Caiman-Brac überrascht von der Wahrnehmung von Geräuschen wie fernem Donnerrollen. Der Himmel war jedoch klar. Ihr erster Gedanke war, daß ein spanischer Kreuzer einen kubanischen Flibustier abgefaßt hätte. Da sie im Süden nichts sahen, liefen sie über die Insel nach Norden. .Xber, nach welcher Richtung sie auch die Blicke schweifen ließen, sie sahen weder Rauch noch Schiff. In- dessen hielt die Kanonade an. Zurücklaufend kamen sie dahinter, daß dieses Getöse unterirdisch war. Im ersten Augenblick erwarteten sie, ihr Eiland vom Meere ver- schlungen oder in einen Vulkan verwandelt zu sehen. Aber allmählich hörten die Donnerschläge auf, und die Besorgnisse wichen mit ihnen. Diese ungewöhnliche Erscheinung bildete noch lange ein Gesprächsthema. Man hatte weder die Tatsache noch ihr Datum vergessen, als die Zeitungen die ersten Nachrichten von der Krakatau-Katastrophe brachten. Die Nachdenklichen stellten fest, daß die Caimans und Java ungefähr zueinander antipodal gelegen sind." — Das Ereignis von Caiman geschah , wie zweifellos aus dem Berichte hervorgehl, am hellen Tage. Für die eigentliche Explosionskatastrophe des Krakatau war es deshalb zu früh. Wenn man die Zeit ihrer frühesten Angabe, von Buitenzorg, zugrunde legt, ereignete sich diese Explosion erst gegen 6 h 45 am Morgen des 27. August 1883 der Sundazeit, deshalb frühestens gegen 7 am Abende des 26. August der westindischen Zeit. Die gleichen Zeilverhältnisse kommen für die Altonaer Begleiterscheinung in Betracht, wie Th. Overbeck, der sich das unleugbare Verdienst ihrer ersten Kettung für die Wissen- schaft erwarb, auch schon ganz richtig andeutete. Jene Sunda- zeit entfiel in die Mitlernachtstunde zum 27. August 1883 für Altona, auf (oh 37a mitteleuropäischer), oh 17a Altonaer Zeit. Die Vormitlagszeit des vorhergehenden Sonntags zwischen 10 und 11 entsprach der Sundazeit zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags am 26. August 1883. In dieser Hinsicht erscheint eine Stelle des Buches „Krakatau" von Bedeutung, das der Chefingenieur des niederländisch - indischen Bergwesens R. D. M. Verbeek im Auftrage des Generalgouverneurs verfaßt hat. Verbeek berichtet da als Ohrenzeuge in Buitenzorg selbst: „Bald wurden die Donnerschläge stärker, besonders gegen 5 Uhr nachmittags. Die später erhaltenen Meldungen haben uns berichtet, daß diese Detonationen auf der ganzen Insel Java gehört worden waren." — Das war auf die beträchtliche Entfernung bis nahezu 1200 Kilometer. Es liegt nahe, die Steigerung der unterirdischen Vorgänge, die von jenen Detonationen angezeigt wurden, als eigentliche Ursachen der Nebenerscheinungen im holsteinischen Altona und auf den grnannten westindischen Inseln zu beanspruchen. Eigentliche Erdbeben waren es aber nicht. Auch nicht Erd- beben der schwächsten Art wurden bei der Katastrophe des August 1S83, wie schon bei ihrer Vorläuferin im Mai 1883, beobachtet. Verbeek hat das auf S. 33 seines Buches aus- 4S6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 32 drücklich festgestellt. Auch kamen für Westindien nicht Schallschwingungen der Luft in Betracht. Denn, wie aus den Zeilangaben der im Schallgebiete der Krakatau-Katastrophe am weitesten nach Osten gelegenen australischen Stationen Alice Springs und Daly Waters übereinstimmend hervorgeht, wurde auf diese Höchstentfernungen tatsächlich der Donner der eigentlichen Krakatau-E.xplosion vom Morgen des 27. August 1883 gehört. Der Telegraphenbeamte Skinner gab für Alice Springs loh 10, der Telegraphenbeamte Kemp für Daly Waters 9h 20 bis loh am Vormittage des 27. August an. Diese Angaben entsprachen hinreichend der Sundazeit zwischen 6 und 7 am Morgen dieses Tages. Für den Donner von Caiman-Brac kam dieses Maximum des von der Luft ver- breiteten Krakatau-Donners also ebenso zu spät, wie das Maxiraum der Ausbruchs-Explosionen. So können für die Erscheinungen in Westindien und in Holstein nur Ereignisse des Erdinnern in Betracht kommen. Und zwar nur solche, die der Explosions-Katastrophe des Krakatau vorbereitend vorausgingen. Das zwingt zu der An- nahme einer Wellbeben-Erscheinung, die im Sundagebiete ihre Auslösung und gewissermaßen Entlastung durch den vulkanischen Ausbruch erfahren hat. Mit ihrer so mächtig betonten geographischen Beziehung zum Sundagebiet steht sie auch keineswegs vereinzelt da. Holsteinische Wetter- und Sonnen-Warte Schneisen bei Hamburg-Altona. Wilhelm Krebs. Zu der oben mitgeteilten Beobachtung kann ich aus eigener Erfahiung noch folgendes hinzufügen. Bei einem gefechts- mäßigen Infanterieschiefien konnte ich, neben den Schulzen kniend, mit einem Zeißglase die Geschoßbahn als eigentüm- lichen flimmernden oder schlierigen Streifen wahrnehmen, so- daß sich auch dann, wenn der Geschoßeinschlag nicht oder nicht scharf sichtbar war, ziemlich gut das Ergebnis des Schusses angeben ließ. Die Sonne stand im Rücken. (G.c:) M. Ein seltenes Echo-Phänomen habe ich auf einem Spazier- gang im Kampfgelände an der Aisne beobachtet: Bei völliger Windstille und klarem Sonnen-Nachmittag tackte in 400 m Entfernung von meinem Standpunkte ein Maschinengewehr 4, 5 Schüsse hintereinander; 2, 3 Sekunden nachher begann das Echo diese Schüsse zu wiederholen. Ich veränderte, verdutzt, wiederholt meinen Standpunkt, indem ich einen Kreis von '/ä l^n> Halbmesser schlug: Das Echo schwieg nicht; es äffte sogar, um meine Verblüffung zu steigern, Abschüsse schwerer Geschütze nach und zwar sowohl solche eigner als auch feindlicher Stellungen. Endlich stellte ich als widerwerfende Schallwand fest: einen Fesselballon in ungefähr 800 m Höhe über mir. (GX.) Oberstabsarzt Dr. Fuhrmann. Daß Luftwellen als Schlieren sichtbar werden können, und zwar auf, wenn nicht richtiger gesagt vor vielleicht 1000 m hohen weißen Schrapnellwolken, die von einer Fliegerbeschießung herrühren, sah ich zum ersten Male am 6. April 1917. Man sah mit einer Geschwindigkeit, die auf rund 300 m in der Sekunde, also auch auf Schallgeschwindig- keit, geschätzt werden könnte, parallele helle Linien in Ab- ständen von rund 300 m voneinander sich über die Wolke hinwegschieben. Einige Sekunden dauerte die merkwürdige Kriegshimmelserscheinung, um dann zu schwinden und bald wieder in genau derselben Weise einzutreten; doch wurden diese stets aus einer und derselben Richtung heranfließenden Lichtstreifen mitunter auch gekreuzt von solchen , die aus einer anderen Richtung kamen, und für Augenblicke war die Wolke voller Lichtreflexe wie eine gekräuselte Wasserfläche. Das Zerfließen der Wolke setzte der Erscheinung ein Ende, doch wurde sie am folgenden Tage — nicht von mir — wieder beobachtet. Ich vermute, daß die fortschreitenden scheinbar geradlinigen, parallelen Lichtstreifen Teile sehr großer konzentrisch sich vergrößernder Kreise sind und diese nichts anderes als das optische Bild von Kugelwellen, die von den Mündungen feuernder Geschütze ausgehen und den Luftraum durcheilen. Daß sie auf der Sprengwolke sichtbar werden, mag an deren verhältnismäßig geringer Höhe, an der etwa tangentialen Blickrichtung des Beobachters und vielleicht noch an weiteren Gründen liegen, wahrscheinlich auch wesentlich an ihrer Größe — Wellenlänge — und Stärke und dem geeigneten Abstand des Beobachters. Auf anderem, höherem Gewölk sowie am blauen Himmel sah man nichts davon. In der Annahme, daß der Anblick noch nicht be- schrieben ist und sich vielleicht auch jemand anders zu seiner Erklärung äußern könnte, möchte ich mit diesen Zeilen darauf hinweisen. V. Franz. Literatur. Escherich, Prof. Dr. K., Die Ameise, Schilderung ihrer Lebensweise. 2. verbesserte und vermehrte Auflage. Mit gS Abbildungen. Braunschweig '17, F. Vieweg & Sohn. — 10 M. Dessoir, M., Vom Jenseits der Seele. Die Geheim- wissenschaften in kritischer Betrachtung. Stuttgart '17, F. Enke. — II M. C. K. Schneider's illustriertes Handwörterbuch der Botanik. Unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter, heraus- gegeben von Prof. Dr. K. Linsbauer (Graz). 2. völlig um- gearbeitete Auflage. Mit 396 Textabbildungen. Leipzig '17, M. Engelmann. — 25 M. Silbermann, Dr. Th., Der Weltanfang und die Bildung von Energien und Stoffen. Halle a. d. S. '17, Kommissions- verlag, Louis Neberts Verlag. — 3 M. Offermann, Dr. H., Das nordwestdeutsche Erdöl- vorkommen, chemisch-physikalisch-geologisch. Braunschweig '17, V. Vieweg & Sohn. — 4 M. Schlick, M., Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik. Zur Einführung in das Verständnis der allgemeinen Relativitätstheorie. Berlin '17, J. Springer. — 2,40 M. Graetz, Prof. Dr. L., Die Physik. Mit 385 teils farbigen Abbildungen im Text und 15 farbigen und schwarzen Tafeln. Leipzig '17, Verlag „Naturwissenschaften". — 16 M. Auerbach, Prof. Dr. F., Die Grundbegriflfe der modernen Naturlehre. Einführung in die Physik, 4. Aufl. Mit 71 Text- figuren. Leipzig u. Berlin '17, B. G. Teubner. — 1,50 M. I Werner Mecklenburg, Der Basenaustausch der Silikate. (4 Abb.) S. 441. — Einzelberichte: L. Weber, Sogenannte Verbesserung der Blitzableiter. S. 44S. Hellmann, Die aägebliche Zunahme der Blitzgefahr. W. König, Alomistischer Bau der Elektrizität. S. 44S. Mollison, Die Maori. S. 449. E. Barkow, Turbulenz und Windänderung mit der Höhe. S. 450. — Bücherbesprechungen: K. Schwarzschild, Über das System der Fixsterne. S. 451. Walther Jacobsthal, Mondphasen, Osterrechnung und ewiger Kalender. S.451. P. I.Müller, Kepler'sund Newton's Gesetze über die Bewegungen im Sonnenraume im Lichte der Strahlendruck- und Ätherdrucktheorie. S. 451. W. Lietz- mann, Riesen und Zwerge im Zahlenreich. S.451. K. K ü n k e 1 , Zur Biologie der Lungenschnecken. S.451. J. Bolle, Die Bedingungen für das Gedeihen der Seidenzucht und deren volkswirtschaftliche Bedeutung. S. 453. — Anregungen und Antworten : Zunahme von Tierarten im Kriege. S. 454. Ein weiterer Nachtrag zu den Katastrophen von Krakatau und Santiago. S. 454. Luftwellen als Schlieren sichtbar. S. 456. Ein seltenes Echo-Phänomen. S. 456. — Literatur: Liste. S. 456. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippcrt & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den ig. August 1917. Nummer 33. Zur Lösung der Frage des Organismenlichtes. [Nachdrurk verboten Von Privatdozent Dr. E. Trojan (Prag). Das Kapitel vom Licht der Lebewesen ist wohl eines der buntesten in der Wissenschafts- geschichte; es reicht so weit zurück, als die Lite- ratur der Naturgeschichte überhaupt. Schon Ari- stoteles waren die Leuchtkäfer gut bekannt. Welche Vorstellungen bei den Römern das herr- liche Phänomen des Meerleuchtens auslöste, wenn sie von ihren berühmten Bädern zu Bajä aus die See in warmen Nächten weit hinüber bis nach Capri in weißem Silberglanz erstrahlen sahen, erfahren wir aus keiner Schrift. Nur des Dichters Wort sagt uns, daß die Erscheinung wert war, unter den Schönheiten der Natur besungen zu werden. Daß er selbst oder andere dabei an Licht der der Tiere gedacht hätten, zumal Plinius von leuchtenden Medusen und Pholaden lehrte, soll nicht für ausgeschlossen gelten. Und wenn- gleich schon von den Griechen und Römern ab alle Völker um die Gestade der Meere das Leuchten der See gewiß gekannt, kühne Seefahrer auch später jahraus jahrein von dem seltsamen Wunder zu erzählen wußten, dauerte es jahrhundertelang, bevor die Versuche begannen, natürliche Gründe für jenes bezaubernde Spiel der Natur zu finden. Je vertrauter die Menschen seit der Entdeckung Amerikas mit den ( Izeanen wurden, desto zahl- reicher mehrten sich die Angaben, denen zufolge bald hier, bald dort Polypen, Medusen, Rippen- quallen, Würmer und Kruster leuchtend gesehen wurden. Häufiger denn eliedem fand sich nach dem hergestellten Kontakt mit der neuen Welt und namentlich den Tropen Gelegenheit, auch leuchtende Tiere des Festlandes, neue Arten von Käfern und Tausendfüßlern, zu entdecken. Daß aber die Ursache des auffälligsten Exempels tierischen Lichtes, des Meerleuchtens, beinahe am längsten verborgen bleiben mußte, war nicht anders mög- lich, da es sich hier in erster Reihe in den Er- zeugern des Lichtes um Urtiere handelte, deren Wesen dem Forscherauge insolange verschlossen blieb, als es ihm an der richtigen optischen Aus- rüstung gebrach. Inzwischen war der freien Phantasie Raum gelassen und bald an Vulkane des Meeres, bald an die Reibung von Salzteilchen des Seewassers untereinander oder gegen die an- grenzenden Luftschichten, kurz an die Begleit- erscheinung der Reibungselektrizität gedacht; eine Zeitlang behauptete sich auch die Meinung, daß der Phosphorgehalt des Meeres Grund des Leuch- tens sei. Andere glaubten das Licht im Gefolge der F"äulnisprozesse von Seetierexkrementen oder Schleimabsonderungen bzw. verendeten Seetieren, wieder andere als die Wiedergabe jener Fülle von Licht und Wärme der Sonne, die der Wasser- spiegel tagsüber in sich aufgenommen hatte, deuten zu können. Wenn ferner zur Erklärung des Phänomens die Analogie der Irrlichter, Eis- bildung oder endlich einfache Reflexion heran- gezogen wurde, so sind damit wohl alle die irrigen Anschauungen der Vergangenheit erschöpft. Sie waren mit einem Schlage aus der Welt ge- schafft, als das überzeugende Experiment, das Filtrieren des leuchtenden Seewassers zeigte, daß nur der Rückstand im Filter zu leuchten vermag, nicht aber das Wasser. Die optischen Behelfe gestatteten auch bereits insoweit eine Analyse des Filterinhaltes, daß man mit unzweifelhafter Sicherheit Tiere als die Träger des Lichtes er- kannte. Am längsten dauerte es, bevor das Bak- terienlicht unserem Wissen erschlossen wurde. Mit der Feststellung des lebenden Objektes, der Lichterzeuger, ist der Wissenschaft ein neues Problem erstanden : Wie kommt das Organismen- licht zustande? Die einschlägige Literatur gibt das beste Zeugnis dafür, daß das Interesse der Forscher für diese Materie von Jahr zu Jahr immer reger wurde. Daß die bedeutendste I'^örde- rung der Sache durch die stets intensiver sich gestaltende Tiefseeforschung zuteil ward, hängt mit dem natürlichen Reiz des tierischen Lichtes zusammen; die Neugierde, zu erfahren ob an der märchenhaften Lichtpracht der Tiefen des Welt- meeres, wo es von selbstleuchtenden Uuallen, Würmern, Krebsen, Weichtieren, See- und Schlangensternen und Fischen nur wimmle und ganze Rasenflächen von Korallentieren und Bryo- zoen im Licht erstrahlen, etwas Wahres sei, war nur berechtigt. Heutzutage ist für jeden , der sich ernst mit der P^rage des Organismenlichtes beschäftigt und persönlich Erfahrungen mit leuch- tenden Tieren gesammelt hat, jene Ansicht so gut wie abgetan. Groß ist ja die Zahl der bisher beobachteten leuchtenden Formen und dazu dürfen wir uns noch nicht rühmen, von allen bereits Kennt- nis erlangt zu haben; jede Tiefseeexpedition hat bisher Ungeahntes auch auf diesem Spezialgebiete beschert und so ist aller Grund vorhanden, daß auch bei nächster Gelegenheit neue Bereicherung bevorsteht. Das eine aber läßt sich schon heute mit Sicherheit sagen: nur bei den Plschen ist eine kontinuierliche, auf längere Zeit sich er- streckende Lichtausstrahlung beobachtet worden; mag man aber von all dem anderen leuchtenden Getier reichlich genug beisammen haben und in der glücklichen Lage sein, es unter günstigen Be- dingungen lebend zu halten und Tag und Nacht darüber zu wachen: das bald da, bald dort auf- blitzende Licht oder der intermittierende Schein, 458 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 33 der noch dazu nicht freiwillig, sondern erst in- folge eines äußeren Anstoßes auftritt, gebietet jedweder phantastischen Vorstellung Halt. Über- dies gilt es heute auch als erwiesen, daß die sich immerzu wiederholenden Angaben über das Leuchten von Spongien irrtümlich sind ; das Licht hat sich bisher in allen Fällen auf andere Indi- viduen, die in dem reichen Kanalsystem des Schwammes Aufenthalt genommen haben, zurück- führen lassen. Es ist klar, daß die Forschung nicht dabei stehen bleiben konnte, bloß festzustellen, welche Tiere leuchten oder nicht; der nächste Schritt galt der Suche nach dem eigentlichen Sitz der Luminiszenz. Eine Durchsicht des kompilatori- schen Teiles der verdienstvollen Arbeit iVIan- gold's*) über die Produktion von Licht, die mit dem Jahre 1910 abschließt oder der auch die späteren Leistungen aufnehmenden, derzeit erscheinenden Kapitel zur Lichtproduktion bei Tieren von D a h 1 g r e n -) eröffnet dem Leser, wie produktiv dieser Zweig biologischer Forschung bisher gewesen ist. Im Frotistenleib, dessen Plasma an sich schon mit einer ganzen Reihe von Funktionen bedacht ist, gesellt sich bei manchen Organismen noch die der Lichtentwicklung hinzu. Gleichberechtigt mit den anderen nimmt auch sie mit dem Ein- tritte der Arbeitsteilung im Metazoenkörper eine Zellart für sich in Anspruch. Als einer einfachen Drüsenzelle im Hauptepithel niederer Tiere be- gegnen wir da dem Leuchtorgan in seiner primi- tivsten P^orm. Seine Leistungsfähigkeit steigert sich im Zusammenschluß von 2, 4 und mehr solcher Drüsenzellen, die in Form einer echten Drüse mehr oder weniger tief in die Körperdecke sich versenken, ja schließlich bloß durch einen feinen Kanal ihre Verbindung mit der Außenwelt bewahren. So lassen sie dem Drüsenhals ein Sekret entströmen, das nach seinem Austritt im Kontakt mit dem Seewasser zu feurigen Kugeln sich ballt oder in feinster Verteilung das Wasser milchig glänzend macht. Bisweilen ist aber von einer Abgabe leuchtender Substanz nichts zu merken und es leuchten die Drüsenzellen mit ihrem Inhalte an sich; so etwas mag den Drüsenkanal überflüssig erscheinen lassen, so daß es wohl verständlich ist, wenn man ihn bei einem Typus von Leucht- organen zum Teil, anderswo auch ganz rückgebildet sieht. Die Drüsen sind nicht mehr offen, sondern geschlossen. Ausschließlich an solch letzteren setzt auch der Hebel zur Erreichung des mög- lichst großen Lichteffektes an : so kommen Hilfs- apparate zustande, wie der Reflektor im Hinter- grunde der Drüse, ein Refraktor in ihrem Zen- trum und nicht selten vor ihr suspendiert eine Sammellinse. Ja selbst an Lidfalten fehlt es nicht, ') Mangold, E., Die Produktion von Licht. Handbuch der vergl. Physiologie, herausg. von Winterslein. 3, 2. Hälfte, S. 225 (1910 — 1914). 2) Dahlgren, U., The production of liglit by .-inimals. Journal of Ihe Franklin Institute. 1916. wo es gilt, das Licht abzublenden. Damit ist aber auch der Höhepunkt der Organisation eines Leuchtorgans erreicht. Es braucht wohl nicht erst besonders betont zu werden, welcher Fülle von Ob jekten es bedurft hat, bevor die hier mit wenigen Worten wiedergegebene Erkenntnis der phylogene- tischen Entwicklung des tierisclien Leuchtapparates gereift ist; sie hat die größte Förderung durch die reichhaltige Sammlung leuchtender Cephalopoden und P'ische anläßlich der „Valdivia"-Tiefseeexpe- dition erfahren. So steht es seit etwa 5 Jahren um die morphologische Seite der Frage und nachdem von Neuerscheinungen seit jener Zeit nichts zu verbuchen ist, was sich in das obige Schema nicht einreihen ließe, könnte leicht die Meinung entstehen, daß sich dem Problem von selten der Zoologen kaum etwas Wesentliches mehr abgewinnen lassen wird. Daß dem nicht so ist, soll das Nachfolgende lehren. Die Frage des Organismenlichtes ist noch lange nicht damit erschöpft, wenn wir den Bau der Leuchtorgane bis ins Genaueste kennen, sie birgt ein biologisches Rätsel, dessen Lösung der Biochemie wird vorbehalten bleiben müssen, nach- dem heutzutage kein Zweifel darüber besteht, daß es sich bei jener Art des Lichtes um eine Che- moluminiszenz handelt. Aber wie in vielen anderen Fällen dürfte man auch hier rascher zum Ziele kommen, wenn die einzelnen P"achwissenschaften Hand in Hand zusammen, statt wie bisher ge- sondert gehen. Gerade dem letzten Umstände ist es nicht zum geringen Teil zuzuschreiben, daß die Bemühungen um die vorliegende Materie seitens der Chemie bei weitem noch keine greif- baren Resultate zeitigten. An Versuchen hat es nicht gefehlt. Daß es sich bei dem sog. Nocti- lucin, dessen Namen leicht die Vorstellung einer chemischen Substanz erwecken kann, niemals um eine solche gehandelt hat, sondern um Massen von Leuchtbakterien, hat Molisch') bereits vor Jahren festgestellt. Zwei andere Substanzen hin- gegen mit vollem Ansprüche, als spezifische I .eucht- stoffe anerkannt zu werden, fanden durch D u - bois") seinerzeit zum erstenmal in der Literatur Eingang, das Lu eiferin und die Luciferase. Beide entstammten ein und derselben Ouelle, nämlich der Bohrmuschel (Pholas dactylus), einem ziemlich weit in den Meeren verbreiteten Mollusk. Jenes Tier antwortet auf Angriffe von außen mit einem Strahl klarer Flüssigkeit, die im F"instern leuchet. Das Drüsengewebe, das jenen leuch- tenden Schleim erzeugt, liefert mit Sand in 90 % Alkohol verrieben, 12 Stunden lang mazeriert und nachher filtriert, eine Plüssigkeit, die Licht ent- wickelt, wenn sie mit einer zweiten gemischt wird, die aus dem mit Chloroformwasser behan- delten Rückstand nach mehreren Stunden Stehens abfiltriert wird. Für sich allein leuchtet ') Molisch, H., Leuchtende Pflanzen. Jena 1904. ') Dubois, R., Nouvelles recherches sur la production de la lumiere par les animaux et les vegetaux. C. R. 111 (1890). — Lecon de physiologie etc. Paris 189S. N. F. XVI. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 459 weder die eine noch die andere. Der Leucht- versuch gehngt aber nicht mehr, wenn die letztere Flüssigkeit zum Sieden erhitzt oder mit viel Al- kohof gemischt wird; sie gibt dann einen flockigen Niederschlag. Nach seinen mit der Bohrmuschel gemachten Erfahrungen sah der französische Phy- siologe im Organismenlicht einen fermentativen Vorgang. Luciferase nennt er die eiweißartige Substanz mit den Eigenschaften eines Ferments und bezeichnet ausschließlich die Leuchtdrüsen als ihren Sitz; Lu eiferin nennt er einen unbe- kannten, kristallisierbaren Körper, der überall im Körper des Tieres verteilt sei. Dieser entwickle mit jener unter Beisein von Sauerstoff und Wasser Licht. Es ist leicht verständlich, wenn D u b o i s der Vorwurf nicht erspart bleiben konnte, daß sein Ferment, die Luciferase auf eine etwas un- exakte Weise beurteilt worden und daher frag- licher Xatur sei. Denn der flockige Niederschlag nach der Behandlung des mazerierten, mit Chloro- formwasser ausgewaschenen Rückstandes könnte leicht anderen Ursprungs sein, nachdem laut eigenen Angaben des Autors das zu untersuchende LcLichtdrüsengewebe durch einfaches Abschaben mit dem Messer gewonnen wurde. Dubois') ist auf diesen Einwand eingegangen und hat bei seinen nächsten Versuchen bloß mit dem ent- leerten Sekret des Pholaden gearbeitet; seine Ex- perimente modifizierte er derart, daß er fürs erste eine Portion des ausgespritzten Saftes bis zum Erlöschen des Lichtes aufbewahrte, fürs zweite eine andere frisch leuchtende auf 70 Grad er- hitzte. Abermals waren so beide Flüssigkeiten wie seinerzeit ihres Eigenlichtes bar, mit dem Momente ihres Zusammentreffens jedoch trat die Luminiszenz ein. Dubois geht von der Voraus- setzung aus, daß Luciferin und Luciferase anfangs in beiden Flüssigkeiten enthalten sind; nachdem durch das Erhitzen diese in der letzteren Flüssigkeit unwirksam gemacht werde, bleibe hier nur jenes übrig. Um mit diesem Licht zu ge- winnen, bedürfe es, wie er in seinen weiteren Versuchen zeigte, nicht einmal des obigen abge- standenen Sekretes desselben Pholaden, es genügt, in das Reagenzglas mit Luciferin Leibeshöhlen- flüssigkeit anderer Weichtiere oder auch Krebse, ja selbst Blut, Wasserstoffsuperoxyd oder Kalium- permanganat zu bringen und der Lichteftekt ist da. Auf solche Tatsachen gestützt, glaubt D u - bois letzthin in der Luciferase eine Peroxydase mit weiter Verbreitung im Tierreich zu erkennen; das Luciferin, das er für ein Nukleoalbumin hält, komme, wie er meint, nur Tieren mit Leucht- vermögen zu: bei der Oxydation dieses Eiweiß- körpers durch jene Peroxydase entstehe das Organismenlicht. Molisch,-) der über die Lichtentwicklung bei Bakterien eingehende und umfassende Studien ') Dubois, R., Nouvellcs rechcrches sur la lumiei physiologique chez Pholas dactylus. C. R. 153, S. 690 (1911 ■') Molisch, IL, 1. c. durchgeführt hatte, sprach sich anfangs für eine zuwartende Haltung gegenüber der Ferment- theorie von Dubois aus und kam zu dem Schlüsse, es handle sich bei leuchtenden Tieren wahrscheinlich um die Erzeugung einer spezifi- schen Substanz, des Photogens, wie er den Stoff nannte, das bei Gegenwart von Wasser und freiem Sauerstoff Licht zu entwickeln vermag. Aber sein Hinweis von damals auf die einst zu erhoffende Darstellung jenes Photogens im Reagenzglase losgetrennt von der lebenden Zelle ähnlich der Gewinnung der Zymase aus der Hefe, scheint mir darauf hinzudeuten, daß er mit den Ansichten Dubois sympathisiere. In neuester Zeit ist allerdings den Versuchen jenes französischen Gelehrten ein böses Schicksal beschieden gewesen. Harvey''') wandte nämlich die obigen .Arbeitsmethoden bei einer Anzahl leuch- tender Tiere und zwar bei 2 Leuchtkäferarten, Luciola parva und vitticoUis, dem Krebschen Cypridina Hilgendorfii, dem Plsche Wata- senia scintillans, dem Korallentier Caver- nularia Haberi und dem Urtierchen Nocti- luca miliaris an. Überall, bis auf die Leucht- käfer und den Leuchtkrebs schlugen die Versuche fehl und dazu sah sich Harvey auf Grund der gewonnenen Resultate genötigt, dort, wo nach Dubois die Diagnose auf Luciferase ausfiel, für das Luciferin einzustehen und umgekehrt statt des Luciferin für Luciferase. Der sonst unvermeidlichen Verwirrung konnte nur durch Schaffung neuer Benennungen abgeholfen werden: Photogenin statt Luc iferase, Pho- to p h e 1 e i n statt Luciferin; das erstere soll im Gegensatz zu Dubois' Anschauung als der wahre Lichterzeuger gelten und kein Ferment sein, das letztere helfe bei den chemischen Prozessen gleich- sam als „Koenzym" mit. Wenn schließlich Harvey darauf deutet, daß bei der Photogenin -Photo- phelein - Lichtreaktion Ähnlichkeiten mit der Zy- mase der Hefe bestehen, so beweist das nur, daß auch er der Fermenttheorie huldigt. Ob nun Luciferin und Luciferase oder Photogen oder Photogenin und Photophelein — wir haben bisher noch keinen Anhaltspunkt, um eine dieser hypothetischen Substanzen chemisch zu fassen und bei den widersprechenden Erfahrungen seitens Dubois und Harvey tauchen unwill- kürlich Zweifel an der Exaktheit der Methoden auf, zumal es sich bei dem amerikanischen Forscher wieder um Leuchttiere handelt, bei denen die Möglicheit einer Isolierung der Leuchtsubstanzen aus dem Körper in Frage gestellt werden muß. Ein gemeinsamer Zug wohnt aber allen jenen Bestrebungen der biochemischen F"orschung inne, die Suche nach einem spezifischen, chemisch de- finierten Substrat, dem Leuchtstoff. Und doch müßte es vielleicht gar keinen solchen überhaupt ') Harvey, E. N., Tlie light- producing substances photogenin and photophelein of luminous animals. Science, N. S. XLIV, Nr. II 40. 460 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 33 in der Natur geben; hat doch Rad zisze wski ') schon gezeigt, daß Alkohole, die mehr als vier Kohlenstoffatome im Molekül enthalten, ferner ätherische Öle, Fettsubstanzen, namentlich fette Öle und deren einzelne Bestandteile, gewisse Kohlenwasserstoffe, organische Säuren und Lipoide im Laboratorium zur Luminiszenz gebracht werden können, und wir wissen, daß mehrere von diesen Stoffen und Verbindungen in lebenden Organismen vorkommen; so haben weiter Trautz und Scho- rigin-) dargetan, daß die Mehrzahl organischer Stoffe, sofern sie unter 400 Grad oxydierbar sind, beim Oxydationsprozeß leuchten. Der Schwer- punkt der Frage der Bioluminiszenz würde in solchem Falle nicht so sehr nach dem Leucht- stoff, als vielmehr nach dem Leuchtprozeß neigen. Es mag auf den ersten Blick unwahrscheinlich aussehen, daß in solchen Dingen ein Zoologe mit seinem Fachwissen etwas von Nutzen mitsprechen könnte; um so mehr gereichte es mir zur Freude und war gewissermaßen eine Genugtuung für mich, daß sich die aus meinen vielfachen Er- fahrungen mit lebenden leuchtenden Tieren und Studien über ihre l>euchtorgane gezogenen Schlüsse auf den Leuchtvorgang mit den Ansichten eines Biochemikers deckten, der ohne leuchtende Tiere auf dem Wege der Laboratoriumsversuche mit gleichen Gedanken um die Lösung desselben Problems bemüht war. Der Konsens der Mei- nungen bei unserem zufälligen persönlichen Zu- sammentreffen im verflossenen Winter bot uns Bürgschaft genug, daß der eingeschlagene Weg der richtige sei und wir beschlossen daher, gleich- zeitig zu publizieren. ^) Mein Ideengang gründet sich auf biologische Momente, die, durch morpho- logische Tatsachen gestützt, den Leuchtprozeß unter den Gesichtswinkel des allgemeinen Stoff- wechselgetriebes im Organismus stellen. So oft in den letzten Jahren über das Leuchtvermögen eines Tieres berichtet wurde, fehlte es nie an der guten Absicht, einen besonderen Nutzen des Lichtes für dessen Träger ausfindig zu machen. So lebte man sich allmählich in die Vorstellungen ein, daß in dem Dunkel der Tiefsee die Nahrungs- suche erleichtert, Beute geködert. Feinde ge- schreckt, Artangehörige erkannt werden u.a.m. Wenn auch die eine oder andere Erklärung recht plausibel klingt, so läßt sich nicht leugnen, daß bei einer großen Anzahl von Tieren gar keine paßt; man denke nur an die Heere winziger, leuchtender Protisten, an leuchtende Würmer und Schlangensterne, die in Sand und Schlamm oder eigenen Wohnröhren zeitlebens ihr Dasein fristen, ') Radziszewski, B., tjber die Phosphoreszenz der organischen und organisierten Körper. Liebig's Ann. d. Chemie, 203, S. 305 (1S80). -) Trautz und Schorigin, Über Chemilurainiszenz. Zeitschr. f. wiss. Photographie, 3 (1905). ') Trojan, E., Die Lichtentwicklung bei Tieren. Inter- nat. Zeitschr. f. physik.-chem. Biologie, 3, S. 94 (1917). — Heller, R., Bioluminiszenz und Stoffwechsel. Ebenda, S. 106 (1917)- an die kleinsten Krebschen des Planktons mit ihrem aufblitzenden Licht u. a. Nur in einem Falle ist ein höherer biologischer Wert für tieri- sches Licht durch das Experiment erwiesen, d. i. bei Leuchtkäfern die Anziehung der Geschlechter zur Paarungszeit. Es leuchtet das Weibchen von Luciola italica nur solange, bis es ein Männ- chen seiner Spezies auf sich aufmerksam gemacht und herbeigelockt hat, ja es richtet zu diesem Zwecke das Weibchen von Lampyris nocti- luca die bei normaler Körperhaltung dem Boden zugekehrten Leuchtorgane gerade dem fliegenden Männchen zu ; es legt sich im Gras auf den Rücken und streckt den Hinterleib empor. Nahezu mit der Beweiskraft eines Experiments zwingen gewisse Umstände auch bei manchen P'ischen die gleiche Erklärung gelten zu lassen. Die bei Angehörigen ein und derselben Art erstaunlicher- weise genau eingehaltene gleiche Zahl und Lage der Leuchtorgane am Körper der Tiere, das Er- scheinen gewisser Leuchtorgaiie und Leuchtplatten erst zur Zeit der Geschlechtsreife, insbesondere die Beobachtung, daß eine Uschart (Porich thys) trotz reichlichen Besitzes an Leuchtorganen gar kein Licht, oder bei Anwendung künstlicher Reize nur wenig davon merken ließ, während Exemplare derselben Spezies bei der Brutpflege herrlich leuchtend gesehen worden sind, sprechen für die Analogie zum Hochzeitskleid im besonderen, wie für den Ersatz an Farben anderer Tiere im all- gemeinen. Das von mir seit Jahren an marinen Stationen beobachtete Tiermaterial war zur Aufstellung von Hypothesen bezeichneter Art größtenteils nicht geeignet und ich begnügte mich daher des öfteren mit der Annahme, daß das Leuchten eine zu- fällige Begleiterscheinung im Stoffwechsel des be- treffenden Tieres sei; weil ich aber bei niederen Tieren das Lichtphänomen zumeist an eine Ab- scheidung gekettet sah, kam mir der Gedanke, ob sich nicht etwa der Organismus bei dieser Gelegenheit eines Baiastes an Abbauprodukten entledigt. Die Bildung der Farbstoffe im Tier- körper beruht auf einer Ablagerung gewisser Abbau- stoffe des Dissimilationsprozesses; sie kann, muß aber nicht zu sekundären Geschlechtsmerkmalen führen; vielleicht ließe sich Ähnliches vom Or- ganismenlicht denken. Die seinerzeit von mir an leuchtenden Pyrocysteen gemachte Beobach- tung, daß das Licht an der Peripherie ihrer Chro- matojihoren erscheint, die Verlagerung der Leucht- drüsen am Hinterleib des Chaetopterus in den Nephridialkanal, das aus alter Zeit schon ge- meldete Leuchten des menschlichen Harnes, eine Erscheinung, die auch heute durch Verabreichung gewisser Stoffe herbeigeführt werden kann, sowie die Erscheinung leuchtenden menschlichen Schweißes konnten der besagten Idee nur förderlich sein; der Umstand, daß in der Nähe der Leuchtdrüsen mitunter harnsaures Ammoniak, harnsaures Kali, harnsaurer Kalk oder Guanin vorhanden ist, kam ihr nur zustatten. Bei den Purinsubstanzen so N. F. XVI. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 461 angelangt, verfolgte ich den Gedanken weiter und meine, daß, da ja auch unter den tierischen Farb- stoffen Purinsubstanzen bereits bekannt sind, Licht- kleid und Farbenkleid nicht nur biologisch, son- dern auch biochemisch zusammengehören. Es ist erwiesen, daß die Pigmente der menschlichen Haut, des Auges u. a., kurz die Melanine ihre Entstehung als sekundäre Umwandlungsprodukte von Amino- säuren den Eiweißkörpern verdanken; daß es sich aber auch beim Organismenlicht um den Zerfall gerade der letzteren handelt, machen die Versuche Weitlaner's 'j mit leuchtendem Humus wahrscheinlich. Von Eiweißkörpern verlangen die Nukleoproteide hier volles Interesse, weil die Iso- lierung der Purinbasen Guanin, Adenin, Xanthin und Hypoxanthin aus ihnen bereits gelungen ist. Schwebte mir so als nächste Aufgabe der Bio- chemie die Beobachtung von Umsetzungen bei der Bildung von Purinsubstanzen vor, so ist gleich- zeitig, wie ich jetzt ausführlich meiner Schwester- publikation entnehme, der Beginn der Arbeit in- auguriert. Heller ist zu der Überzeugung ge- langt, daß sich bestimmtere Vorstellungen über den Reaktionstypus der biochemischen Prozesse des Organismenlichtes am ehesten von den \'er- suchen Radziszewski's'-) gewinnen lassen werden, zumal jene heutzutage einer experimen- tellen Prüfung nicht unzugänglich sind. Den .»Aus- gangspunkt bildet für ihn die Luminiszenz des Lophins. CuH-,-C— NHv >C— C,H-,. C,J-Ir,-C— N/ Zwei Möglichkeiten bestehen, um von dem Leuchten des Lophins aus die Frage des Orga- nismenlichtes anzugehen , entweder auf Wegen der Canizzaro' sehen Reaktion oder von Ein- griffen auf den Imidazolring. Nachdem der Autor die Gründe für und gegen die Annahme der ersten Möglichkeit diskutiert hat, holt er die Tatsache hervor, daß in den verbreitetsten End- produkten des Stoffwechsels, den Purinkörpern, ein Imidazolring im Molekül vorkommt. Das weist ihn auf die Eventualität eines Zusammen- hanges zwischen Bioluminiszenz und den Abbau- prozessen stickstoffhaltiger Stoffwechselprodukte. Wie die große Verbreitung des Organismenlichtes bei Tieren verschiedenster Stämme und seine geringe biologische Bedeutung bei der Überzahl derselben und der Umstand, daß es schon an die frühesten Stadien des Lebens geknüpft ist u. a. m. gegen die Annahme spezifischer Leuchtstoffe spricht, so drängen dieselben Tatsachen um so mehr zu der Überzeugung, daß das Licht an ') Weitlaner, Weiteres vom Johanniskäferlicht und vom Organismenleuchten überhaupt. Verh. zool. bot. Ges. Wien. 61 (191 1). ^) Radziszewski, B., Über das Leuchten des Lophins. Ber. deutsch, ehem. Ges. 10. allgemeine Stoffwechselprodukte geknüpft ist. „Da Imidazolverbindungen als allgemeine End- produkte des Abbaues stickstoffhaltiger Ver- bindungen in Organismen auftreten , ist die ein- fachste und exakten Versuchen zugänglichste Annahme jene, daß die Bioluminiszenz an die letzten Phasen des Abbaues im Stickstoffwechsel geknüpft ist, die zur Ausscheidung von Purin- körpern führt." Unter den Purinkörpern ist für Harnsäure Chemiluminiszenz bei Einwirkung von Chlorkalk, Natriumhypochlorit, Kalium- und Natriumhypobromit erwiesen. Heller hat es nun aber auch für eine ganze Reihe von Purin- derivaten, die bei seinen Versuchen eine intensive und länger andauernde Photophosphoreszenz zeigten, höchst wahrscheinlich gemacht, daß sie unter geeigneten Bedingungen vielfach auch bei chemischen Reaktionen Luminiszenz entwickeln werden. Es sind dies: Monoxypurine: Hypoxanthin (6- Oxypurin). Aminooxypurine: Guanin (2-Amino, 6- Oxypurin), Guanosin (Guanin-d-Ribose). Dioxypurine: Xanthin (2, 6-Dioxypurin), 8-Methylxanthin. Theobromin (3, 7-Dimethylxanthin), Theobro- minum natro-aceticum und salicylicum, Theobro- minsäure. Coffein (i, 3, 7-Trimethylxanthin). Coffeinum citricum, natro - salicylicum und hydrochloricum. 8-Methylcoffein, Hydroxycoffein. Von anderen Substanzen, die mit dem Stickstoff- stoffwechsel in inniger Beziehung stehen, phos- phoreszierten besonders stark: Uracil, Allantoin, Phenylhydantoinprolin, Gaunidin, Guanidinchlorhydrat, Kreatin, Krea- tinin, Amidobarbitursäure , Alloxan, Alloxanthin, Parabansäure. Die chemische Zusammensetzung speziell dieser Stoffe lasse schließen, daß möglicherweise auch der weitere Abbau der Purinkörper von Luminis- zenz begleitet ist (Pyrimidinring, Imidazolring) oder so mancher von jenen Stoffwechselprozessen, die zu anderen Stickstoffringen beziehungsweise nicht ringförmigen Stickstoffverbindungen, ins- besondere also zu aliphatischen Harnstoffderivaten führen. Die nächste Aufgabe wird es nach Hell er 's Dafürhalten sein, die Phase des Abbaues, in der das Licht auftritt, zu finden. Ob es sich bereits auf der Stufe der Nukleinsäuren zeigt (vgl. meinen Hinweis oben) oder später, ob und inwiefern Fermente eine Rolle dabei spielen, läßt sich heute nicht sagen. Sollten sich aber die hier entwickelten Direktiven für die biochemische Lösung der Frage als frucht- bar erweisen, dann haben Zoologen gewiß einen guten Teil dazu beigetragen. 462 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 33 Einzelberichte. Astronomie. Über die chemische Zusammen- setzung der Meteore berichtet Merril in den Mem. of the national Akad. of Sciences, Washington 1916. F"est stand schon lange die Anwesenheit folgender nicht gasförmigen Elemente : Silizium, Aluminium, Eisen, Chrom, Mangan, Nickel, Kobalt, Magnesium, Calzium, Natrium, Kalium, Schwefel, Phosphor, Kohlenstoff. Mehr oder weniger zweifel- haft erschien das Vorkommen von Antimon, Arsenik, Kupfer, Gold, Blei, Palladium, Platin, Zinn, Titan, Wolfram, Uran, Vanadium und Zink. Es handelte sich darum, durch genaueste Analyse und mikroskopische Untersuchung das Vorkommen dieser und gegebenenfalles anderen Elementen festzustellen. Vor allem bei Meteoren des Feld- spathtypus wurden sorgfältig nach Barium, Stron- tium und Zirkon gesucht. In zweifelhaften Phallen suchte man ein Stück desselben Meteores zu er- halten, von dem eine frühere Analyse das ange- deutete Element ergeben hatte. Ein Stück von etwa 50 g Gewicht war immer ausreichend, und nur in seltenen Fällen mußte man sich mit Proben von nur 10 g begnügen. Die Arbeit gibt nun die genauen Analysen einer größeren Anzahl von Meteoren an, in denen sich bis zu 21 verschiedene Mineralien finden. Die Verarbeitung aller dieser Einzelergebnisse zeitigt folgende Schlüsse. Gold hat sich weder in den Eisen- noch in den Stein- meteoren gefunden, wohl aber Spuren von Platin, Palladium, Iridium und Ruthenium. Demgegen- über hat aber Mingay e im Pallasit von Mt Dyrring, Neusüdwales bestimmt Spuren von Gold in Verbindung mit Platin, Iridium und Palladium gefunden, ebenso in dem Eisenmeteor von Barraba Platin, Iridium und Spuren von Zinn. Hinsichtlich des Phosphor scheint die PYage noch immer oft'en zu sein, möglicherweise hat sich des Material im Laufe der Zeit so verändert, daß es seinen Phosphor- gehalt durch Verwitterung abgegeben hat. Silizium ist sicher nachgewiesen, doch ist noch problema- tisch, in welchen Verbindungen es auftritt. Schwefel kommt vor an Eisen gebunden oder als Oldhamit an Kalzium gebunden. Zinn kommt vor teils an Eisen gebunden, teils als Schwefel Verbindung. Vanadium ist in zwei Fällen nachgewiesen, Titan nicht, aber es ist anzunehmen, daß in anderen Meteoren dies Metall noch vorkommen wird, nach Analogie seines Vorkommens auf der Erde. Ebenso ist das Nichtauftreten von Barium und Strontium in den Analysen der Tatsache zuzuschreiben, daß die Mineralproben nicht dem Feldspathtypus an- gehörten, solche waren nicht zu beschaffen. Zum Schluß gibt eine tabellarische Zusammenstellung von 61 Analysen einen Überblick über das Ver- hältnis des Vorkommens der einzelnen Elemente und Verbindungen in den Meteoren. So kommt Kohlenstoff immer nur geringfügig vor, ebenso Kupfer. Minerale, die auf der Erde nicht vorkämen, erwähnt die Arbeit nicht. Riem. Eine abschließende Bearbeitung des gesamten, in den Museen der Vereinigten Staaten und Mexikos vorhandenen Materials an Meteorsteinen gibt uns der 13. Band der Veröff. der National Academy of Sciences, Washington 191 5. Alle bis zum 1. Jan. 1909 bekannt gewordenen Fälle sind da eingehend besprochen, eine Mitteilung über Beob- achtungen beim Niederfallen, Suchen und Finden des Steines, dessen genaue Beschreibung nach Gewicht, mineralogischer und chemischer Zu- sammensetzung, und äußerem Ansehen. Die Ver- öffentlichung bringt sogar auf Karten der einzelnen Staaten die I*"undstelle und deren geographische Koordinaten, offenbar, damit in dem dünnbe- völkerten Lande das Suchen nach etwaigen Bruch- stücken ermöglicht wird. Das Gewicht der in den Museen gesammelten Steine geht von wenigen Gramm bis zu 27000 Kilo, und umfaßt 201 ein- zelne Funde, von denen mehrere eine Anzahl zu- sammengehöriger Teile umfassen. Wenn auch keinerlei Abbildungen der Meteore selber, oder ihrer Schleifflächen oder des mikroskopischen Be- fundes gegeben sind, so ist das sehr umfangreiche Werk doch für die iMeteoritenliteratur eine be- deutende und wichtige Erscheinung, wie sie in gleicher Vollständigkeit sonst noch nicht vor- handen ist. Riem. Vererbungslehre. Einen Beitrag zur Ver- erbungslehre bringt der Berner Pathologe W egelin in einer Arbeit „Über eine erbliche Mißbildung des kleinen Fingers".^) Wegelin teilt den .Stammbaum einer Familie mit, in welcher in drei Generationen eine vererbbare Mißbildung des kleinen Fingers vorgekommen ist. Die Mißbildung besteht in einer Abbiegung der Endphalanx nach der radialen Seite hin, wie es das Röntgenbild (Abb. i) zeigt. Die Endphalanx selbst ist völlig normal, aber die distale Gelenkfläche der Mittel- phalanx ist nach der radialen Seite geneigt, woraus sich eine abnorme Stellung der End- phalanx ergibt. Auch ist die Mittelphalanx zu kurz. Im übrigen ist der kleine Finger, wie auch die anderen P"inger, völlig normal. Die Miß- bildung ist stets an beiden Händen vorhanden. An den Füßen fehlt die Verbiegung der Zehen. Die Angehörigen dieser in Trawelan (Berner Jura) lebenden Familie wurden von Wegelin größtenteils persönlich untersucht , zum Teil stützte er sich auf die genauen Angaben von P'amilienmitgliedern. Die Verbreitung dieser Miß- bildung in der Familie illustriert der beifolgende Stammbaum (Abb. 2), in welchem die positiven Fälle durch Schwarz gekennzeichnet sind. Die Mißbildung ist durch die Großmutter (P) in die F"amilie gekommen. In der nächsten Generation (Fj ) waren von 10 Kindern 6 mit der Mißbildung be- haftet. Eine Bevorzugung des Geschlechts war nicht 'j Berliner klinische Wochenschrift igiy, Nr. 12. N. F. XVI. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 463 vorhanden. Von den 10 Kindern heirateten 9 normale Individuen. Die Kinder (F.,) waren nor- mal, soweit sie von normalen Eltern abstammten. Dagegen waren in allen übrigen Familien, wo einer der Eltern die Mißbildung aufwies, miß- bildete Kinder vorhanden. In 4 Familien waren sämtliche Kinder mißbildet, was besonders pflegt und somit dominanten Charakter besitzt". Nimmt man an, daß die Fingerverkrümmung ein dominantes Merkmal darstellt, die normale Gestalt des kleinen Fingers dagegen ein rezessives , so kann die Generation P, die das dominante Merk- mal besitzt, homozygot sein, d. h. von zwei miß- bildeten Eltern abstammen, oder heterozygot. Abb. I. Nach W ) langjährigen Versuchen von 1785 — 1789 für Elektrizität und Magnetismus der Gravitations- formel ähnliche Beziehungen fand, war das darum denjenigen, welche diese Kräfte von Newton's Standpunkt aus ansahen, eine große Stütze. Die Kräfte wurden aber dadurch auf letzten Endes unerklärbare Fernkräfte zurückgeführt und diese wiederum an Materien gebunden, die nichts mit- einander zu tun hatten. Da gab es keine Brücke mehr, welche die Kräfte verband. Soweit war die Zeit, als die experimentelle Seite der Physik von neuem erstarkte und in zahlreichen Entdeckungen den Zusammenhang der Kräfte nachwies. Aber noch war man in den gewohnten Anschauungen zu sehr befangen, um die schlechte Übereinstimmung zwischen Experiment und Theorie voll zu erfassen. • — Erst eine neue, bisher noch ganz unbekannte Tatsache vermochte die Geister aufzurütteln. Im Jahre 1820 beobachtete Oersted'-) die Ablenkung einer Magnetnadel durch den elektrischen Strom. Der dadurch nachgewiesene Zusammenhang zwischen Elektrizität undMagnetismusveranlaßte Ampere"'), das magnetische Fluidum zu eliminieren und den Magnetismus auf elektrische Ströme zurückzu- führen, welche die Moleküle umkreisten. Nach- dem auf diese Weise wenigstens eine Scheidewand zwischen den Kräften gefallen war, vermochte der Gedanke immer mehr Boden zu gewinnen, daß auch alle anderen Kräfte letzten Endes ein und dasselbe seien. Dieses Prinzip konnte in voller Klarheit aber nur von einem Mann ausgesprochen werden, welcher sich von der Fessel hergebrachter Tradi- tionen frei genug fühlte, um auch das Neueste und Kühnste mutig zu denken. Dieser Mann war F"araday. — Faraday's große Unabhängigkeit von der Überlieferung wurde durch seinen Charakter und sein persönliches Schicksal bedingt. Er kam *) am 22. September 1791 in Newington Butts bei London, als der Sohn eines Hufschmieds, zur Welt. In den einfachsten Verhältnissen aufgewachsen, ging er im Alter von 13 Jahren zu einem Buch- binder in die Lehre. Während seiner Lehrzeit >) Mem. de l'acad. Par. 178c;— Sg. 2) Deutsch in Gilb. Ann. LXVl, 1S20, S. 295. *) Mem. de l'acad. Par. 1S23. *) S. P. Thompson, Michael Faraday's Leben und Wirken, übersetzt von Schütte und Daneel, Knapp, Halle 1900, S. I u. f. 466 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 34 fand Faraday Gelegenheit zur Selbstbildung in den Büchern, die man ihm zum Einbinden gab und in populären Vorträgen, die er durch die Gunst seiner Kunden hörte. Sir Humphry Davy, welcher auf Faraday als einen fleißigen Zuhörer aufmerksam geworden war, stellte ihn 1813 als Laborant in der Royal Institution an. Hier hat er es durch eisernen Fleiß immer weiter bis zu den höchsten Ehren gebracht. 1824 wurde er IWitglied der Royal Society, 1825 Direktor des Laboratoriums und 183 1, nach der Entdeckung der Induktion, wuchs sein Ruhm weit über die Grenzen des Vaterlandes hinaus. Faraday war also Autodidakt von unge- wöhnlichem Geiste. Eine so eigenartige Laufbahn konnte nicht ohne Einfluß auf die Art der Forschung bleiben. Er hatte nur die Gemeinde- schule besucht und keine anderen mathematischen Kenntnisse erworben, als die einfachste Algebra. Zwar bedauerte er oft sein „unvollkommenes mathematisches Wissen", war stets bereit die mathematischen Leistungen anderer aufrichtig zu bewundern, und doch mußte er gefühlt haben, daß diese Einseitigkeit des Geistes für ihn von Vorteil wäre. Wir könnten sonst nicht verstehen, warum er neben den physikalischen und che- mischen, nicht auch die mathematischen Kennt- nisse seiner Zeit nachgeholt hätte. Seine mathe- matische Unbildung machte ihn freier von der Tradition, als alle anderen Fachgenossen, denn sie machte es ihm unmöglich, die abstrakten Fern- kräfte der Newtonianer zu erfassen. Da er aus Unkenntnis der Mathematik seine Gedanken nicht in abstrakte Formen zu kleiden vermochte, war er gezwungen, sich von diesen Gedanken eine anschauliche Vorstellung zu bilden. Fernkräfte waren nicht vorstellbar, die An- schauung konnte sich nur eine Wirkung von Teilchen zu Teilchen denken. — Durch diese Ab- lehnung der Newton'schen Fernwirkung war es Faraday natürlich leichter als allen anderen Physikern seiner Zeit, auch die Vorstellung un- abhängiger Huida über Bord zu werfen und den in der Zeit schlummernden Gedanken der Kräfte- verwandlung klar zu erfassen. Abgesehen von seinen ersten chemischen Arbeiten, stand seine ganze Forschung unter dem Einfluß dieses Grund- gedankens der Kräfteverwandlung, welcher sich aufs beste mit der Vorstellung der Nahkräfte verband. Sein intuitiver Geist hatte ihn zu diesen Gedanken geführt, und sie stellten ihm nun die Probleme. Es ist wunderbar zu sehen, wie trotz aller Phantasie Faraday in der experimentellen Ausführung strenger war, als jeder Physiker der Zeit. — Ein intuitiver Forscher wird gerade durch diese Veranlagung seines Geistes verleitet, über seine Wissenschaft hinaus ins Metaphysische zu geraten. Faraday hatte eine solche Grenz- überschreitung nicht nötig. Sein metaphysisches Bedürfnis wurde in der Religion vollkommen be- friedigt. Der hochberühmte Forscher war bis zu seinem Ende ein treuer und überzeugter Anhänger einer fast armseligen Sekte. In ihm trennte sich Wissenschaft und Religion in ganz seltener Weise, aber auch nur so ist es einigermaßen verständlich, daß sein phantasievoller Geist sich so streng an die Tatsachen hielt. Anderersehs haben die rehgiösen Ansichten seiner Gemeinde, verbunden mit einer idealen Auffassung der Wissenschaft, Faraday dahin gebracht, daß er aus eigenem Antrieb auf gewinn- bringende Gutachten, gut bezahlte Analysen ver- zichtete und freiwillig ein armer Forscher blieb. Ein derartiger, fast mönchischer Verzicht auf die Annehmlichkeiten des Lebens, wie ihn Faraday der Wissenschaft zu Liebe leistete, mußte seinen Lohn in einem ohne gleichen dastehenden Lebens- werk finden. Die Fülle der in diesem Lebenswerk nieder- gelegten Forschungsergebnisse zwingt uns Ein- schränkungen zu machen, nur das zu behandeln, was für die Nachwelt von großer Wichtigkeit wurde. Von einem solchen Gesichtspunkt aus genügt es, die Arbeiten herauszugreiien, welche in den „Experimentaluntersuchungen über Elektri- zität" niedergelegt sind. ^) II. Faraday's Forschungen. a) Der Gedanke der Kräfteverwandlung. Das Lebenswerk Faraday's, die Ex-peri- mentaluntersuchungen über Elektrizität können wir, allerdings nicht immer ganz ohne Zwang, in zwei Hauptteile zerlegen, je nachdem der eine oder der andere seiner Grundgedanken, die Kräfteverwandlung oder der Begriff der Nah- wirkung, besonders hervortritt. Mit der ersten Gruppe wollen wir anfangen — uns aber dabei immer vor Augen halten , daß die Trennung einerseits keine chronologische ist, und anderer- seits in ein und derselben Arbeit oft beide Grund- gedanken stark vertreten sind. Faraday's Forschung beginnt mit einem großartigen Auftakt, mit der Entdeckung der Induktion. Selten ist wohl eine Entdeckung so wenig zufällig gewesen wie diese. Das Problem lag in der Luft, es war in dem Gedanken der Kräfte- verwandlung mit enthalten. Oersted's Experi- mente hatten Magnetismus durch Elektrizität er- zeugt. Da war es naheliegend, nach der umge- kehrten Erscheinung zu suchen, Elektrizität durch Magnetismus hervorzubringen. Der Gedanke mußte sich den Forschern der Zeit um so mehr aufdrängen, als durch Amperes Vorstellungen der Magnetismus durch einen elektrischen Strom ersetzt worden war — , von einem Strom also analoge Wirkungen auf einen anderen Leiter erwartet werden konnten, wie von einem Magnet auf ein Stück Eisen. Gleichzeitig erwiesen sich diese ') Ab 1831 in den Phil. Trans, übers, in Pogg. Ann., neu herausgegeb. in Oslwald's Klassikern der exakten Wissen- schaften. Engelmann, Leipzig. N. F. XVI. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 467 Vorstellungen aber auch als ein Hemmschuh, denn sie betonten allzusehr die magnetische Influenz, die Wirkung ruhender Magnete. So wurde bei dem Suchen nach Induktionserschei- nungen nur mit ruhenden Strömen und Magneten gearbeitet, ein Weg, auf dem man, wie man jetzt weiß, erfolglos bleiben mußte. Die Physiker gaben die Sache schließlich auf und kamen zu dem Schluß, daß es eine Induktion nicht gäbe. Da mußte erst ein Mann kommen, bei dem der in der Zeit liegende Gedanke einer Kräfte- verwandlung, oder, wie wir heute besser sagen, Energieverwandlung, so fest saß, daß kein Miß- erfolg ihn am Weiterforschen hindern konnte. Der Mann war Faraday. Schon im Jahre 1822 sah er das Ziel klar vor Augen und schrieb ins Notizbuch:*) „Verwandle Magnetismus in Elektri- zität!" Da ihm die Aufgabe von der Zeit gestellt worden war, konnte er sich aber auch von den falschen Vorstellungen der Fachgenossen nicht völlig befreien und suchte wie sie mit ruhenden Strömen und Magneten Induktionswirkungen zu finden. Acht bis neun Jahre hat Faraday so experimentiert und immer wieder in sein Notiz- buch das traurige „erfolglos" geschrieben. Jeden anderen hätte das entmutigt, er jedoch war von dem schließlichen Gelingen so überzeugt, daß er sich ein Modell für die Westentasche anfertigte, eine Drahtspirale mit einem Eisenkern, um stets an sein Vorhaben erinnert zu werden. 1831 be- gann er eine neue Versuchsreihe und sah sein Ziel wiederum so klar vor Augen, daß er schon vorher als Überschrift den Titel wählte: „Experi- mente über die Erzeugung von Elektrizität durch Magnetismus." Nach jahrelangem Bemühen wurde ihm nun der Lohn in der großartigen, erfolgreichen Arbeit von 10 Tagen. Er hatte auf einen Eisenring zwei Kupferspiralen A und B ge- wickelt. In dem Augenblick, wo er die Spirale A mit einer Batterie verband, floß durch B ein kurzer, kräftiger Strom. Solange der Strom durch A andauerte, war dagegen keine Wirkung be- merkbar, und erst als derselbe unterbrochen wurde, trat in B ein neuer Strom auf, jedoch diesmal von der entgegengesetzten Richtung wie früher. Die Induktion war entdeckt. Sie machte sich nur im Augenblick des Üffnens und Schließens bemerkbar, und darum waren alle bisherigen Versuche vergeblich gewesen. Rasch und be- geistert ging die F"orschung nun weiter. Während der wenigen Arbeitstage des Winters 1831 hat er alle Induktionserscheinungen in so muster- gültiger Weise durchforscht, daß sein systematisch geordneter Bericht, in der i. Reihe der Experi- mentaluntersuchungen '■') noch heute als ein Lehr- buch der Grundlagen dieses Gebiets benutzt werden könnte. Seinem scharfen Auge entging die ungeheure Tragweite der Entdeckung in theoretischer und praktischer Hinsicht keineswegs. Er sah die Möglichkeit voraus, durch Magnetismus einen dauernden Strom zu erzeugen und gab selbst die erste „Magnetische Elektrisiermaschine" an. Wenn man eine Kupferscheibe zwischen den Polen eines starken Magneten drehte, wurden in der- selben Ströme hervorgerufen, welche man mit einer geeigneten Schleifvorrichtung abnehmen konnte. So wird der unbeholfene Apparat zum Urbild all der großartigen Dynamomaschinen, welche heute spielend Ströme von ungeheurer Stärke durch unsere Leitungen jagen. Faraday's Geist war jedoch der reinen, idealen Wissenschaft zu sehr ergeben, um technisch praktische Fragen weiter zu verfolgen. In der zweiten Reihe der Experimentaluntersuchungen heißt es im 159. Abschnitt :*) „Ich habe indessen immer mehr gewünscht, neue Tatsachen und Be- ziehungen zu entdecken, die von der magnetisch- elektrischen Induktion abhängen, als die Kraft der schon gefundenen zu erhöhen ; denn ich bin fest überzeugt, daß deren volle Entwicklung sich später finden würde." — Dann wendete er sich in der zweiten Reihe -) der elektrischen Arbeiten den Induktionswirkungen zu, welche die Erde als ein großer Magnet hervorbringen mußte und kehrte 1834 von neuem zu dem alten Induktions- problem zurück.^) Jenkin^) hatte gezeigt, daß der Funke beim Öffnen eines Stromkreises stärker wurde, wenn der Draht spiralig um einen Eisenkern gewickelt war. Faraday vermutete hier einen Zusammen- hang mit einer Erscheinung, die er schon in der ersten Abhandlung als notwendige Folge seiner Entdeckung angedeutet hatte. Wenn ein Draht auf einen daneben liegenden Induktionswirkungen ausübte, so mußten doch auch die einzelnen Teile einer Spirale auf die benachbarten Teile derselben von Einfluß sein, mußten in ihnen auch Ströme induzieren. Diese Ströme konnten das Auftreten eines stärkeren „ÖfTnungsfunken" er- klären und wurden von Faraday in der Tat gefunden, als er durch Jenkin's Experimente angeregt, die Untersuchungen in dieser Richtung wieder aufnahm. Er nannte den Vorgang „Extra- strom", fand neben dem Öffnungsstrom, welcher den Funken hervorrief, auch einen entgegengesetzt gerichteten Schließungsstrom, und gab die Mög- lichkeit einer induktionsfreien Spule mit bifilarer Wicklung an. Damit hatte Faraday die Induktionserschei- nungen nach allen Seiten so giündlich behandelt, daß anderen nicht viel zu tun übrig geblieben wäre, wenn er seinen Nachfolgern nicht vollbewußt die praktische Ausnutzung überlassen hätte. Welche ungeheure Entwicklung dieselbe ge- nommen hat, namentlich durch die Verdienste ') Thompson, «) E. U. I. 1832 a. O. S. 82 u. f. 1) Thompson, a. a. O. S. 98. -) E. U. II. 1832 Ostw. Kl. Nr. 81. ^) E. U. IX. 1835 Ostw. Kl. Nr. 126. *) a. a. O. S. 3. 468 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 34 von Gramme, Hefner- Alteneck und Siemens um die Konstruktion der Dynamomaschine, ist allbekannt und gehört der Ruhmesgeschichte der Elektrotechnik an. Durch die Entdeckung der Induktion hatte bei den Zeitgenossen und namentlich bei Faraday selbst der Begriff der „Kräfteverwandlung", der Energieverwandlung eine große Stütze gefunden. Unter dem Eindruck dieses Gedankens wandte er sich nun den Beziehungen zwischen chemischen und elektrischen Kräften zu, einem Gebiet, mit dem sein Name auf immer verbunden sein wird, und für das er sich nach Art seines Geistes ganz besonders eignete. Die Geschichte der Elektro- chemie beginnt mit dem Jahre 1800, in welchem es Carl i sie') gelang, Wasser durch den elek- trischen Strom zu zersetzen. Dieser wunderbaren Tatsache folgte eine wahre Hochflut von Ver- suchen, unter welchen namentlich Ritt er 's und Davy's Experimente bedeutungsvoll sind. Die verwirrende Fülle neuer Erscheinungen löste natürlich auch eine große Zahl oft sehr wilder Spekulationen aus, von denen die des Physikers G r o t h u ß -) am wichtigsten waren, da ihr Einfluß die Forschung der folgenden Jahrzehnte beherrschte und selbst in den heutigen Vorstellungen über Elektrolyse nachzuweisen ist. Allerdings stand Grothuß noch unter dem Bann New ton 'scher Fernkräfte und dachte sich eine Anziehungswirkung von den Elektroden ausgehend, welche die Wasser- moleküle so richtete, daß der Sauerstoff zum positiven und der Wasserstoff zum negativen Fol hinzeigte. An der positiven Elektrode wurde das Sauerstoffatom vom Wasserstoff losgerissen, das freie Wasserstoffatom holte sich den nächsten Sauerstoff, das auf diese Weise frei gewordene Wasserstoffatom wiederum das nächste Sauerstoff- atom usw., bis endlich an der negativen Seite ein Wasserstoffteilchen übrig blieb und frei wurde. Daß elektrische Kräfte fähig waren, den Molekular- verband in der Nähe der Elektroden zu zerreißen, konnte am ungezwungensten dadurch erklärt werden, daß man elektrische und chemische Kräfte identisch setzte. Ein derartiger Kräftezusammenhang war ein Problem, welches Faraday interessieren mußte, und auf das er auch als Schüler des großen Elektrochemikers Davy ganz besonders hinge- wiesen wurde. Darum widmete er ihm im folgenden eine große Anzahl seiner Versuche. — Wenn er sich zunächst in den vorhandenen Theorien über Elektrolyse umsah, so mußte es, nach dem was wir in der Einleitung ausführten, seinem Geiste sehr unangenehm sein, auch hier, durch Grothuß eingeführt, Fernkräfte zu finden. Daran konnte Faraday nicht glauben, aber er war keiner von denen, die nur verneinen; wenn er ablehnte, brachte er auch etwas Neues. Für ihn war der elektrische Strom, der von Pol zu Pol floß, „die Achse einer Kraft, die nach entgegengesetzten Richtungen genau gleich starke, aber entgegen- gesetzte Wirkungen ausübt." ') Diese Kraftachse war nichts Unwirkliches, sondern wurde von den Teilchen getragen, welche einen gewissen Zustand annahmen und an die nächsten weiter gaben. Die Fernwirkung schien also in der Tat durch eine Nahwirkung ersetzt, durch eine Erscheinung, welche später in F"araday's Kraftlinienbegriff so reiche Flüchte tragen sollte. Darum gehört sie eigentlich in den 2. Teil unserer Betrachtungen, muß aber doch wegen ihrer innigen Verknüpfung mit der weiteren, elektrolytischen P^orschung schon hier behandelt werden. — Die in der „Achse" der Stromkraft liegenden Teilchen wurden in gewisser Weise modifiziert, so daß ihre chemische Ver- wandtschaftskraft nach der einen Seite hin stärker war, als nach der anderen. Dadurch vertauschten die benachbarten Moleküle ihre Atome, wie bei Grothuß' Hypothese, wenn auch die Fern- wirkung dieses Forschers durch eine Nahwirkung ersetzt war. Nach einigen vorbereitenden Arbeiten -) nahm P'araday im Jahre 1834 in der 7. Reihe der Experimentaluntersuchungen ■') die Versuche über elektrolytische Vorgänge nach der quantitativen Seite hin auf und begann die Gesetze der Elektro- lyse, die er schon früher vermutet hatte, genau zu beweisen. Dem ersten Gesetz, welches besagt, daß die ausgeschiedenen Substanzmengen propor- tional der durchgegangen Elektrizitätsmenge sind, begegnen wir schon in der 3. Experimentalunter- suchung, wo es Abschnitt 329 heißt :^) „Es liegt sehr nahe zu glauben, daß die Menge des bei elektrochemischer Zersetzung zerlegten Stoffes proportional sei, nicht der Intensität, sondern der Quantität der durchgegangenen Elektrizität." Diese Vermutung wurde noch am Ende derselben Unter- suchung für Jodkali als richtig bewiesen. — Das andere Gesetz, welches die vom selben Strom aus- geschiedenen Mengen verschiedener Substanzen vergleicht, schwebte ihm bereits in der 5. Serie vor Augen, wo er sagt:*) „Ich habe Grund zu glauben, daß dieser Satz sich noch mehr verall- gemeinern und folgender Gestalt ausdrücken lasse: Bei konstanter Quantität von Elektrizität ist für jeden zersetzt werdenden Leiter . . . auch der Betrag der elektrochemischen Aktion eine kon- stante Größe, d. h. äquivalent einem normalen, auf der gewöhnlichen Affinität beruhenden chemi- schen Effekt." — Um diese beiden, intuitiv geahnten Sätze zu beweisen, mußte Faraday erst ein Mittel finden, die „Quantität der Elektrizität", die Elektrizitätsmenge zu messen. Er zeigte darum in außerordentlich peinlichen Versuchen, daß das zersetzte Wasservolumen jener Elektrizitätsmenge ') Gilb. Ann. VI. S. 346. ') Ann. de Chim. et de phys. l.VIII. iSob. ') E. U. V. 1833 Ostw. Kl. Nr. 86 S. Sl. =) E. U. III. IV. V. 1833 Ostw. Kl. Nr. 86. ») E. U. Vll. 1834 Ostw. Kl. Nr, 87. *) a. a. O. S. 22. ») a. a. O. S. 77. N. F. XVI. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 469 immer proportional war, wie auch die Verhältnisse gewählt wurden. Der Wasserzersetzungsapparat er- wies sich also als ein einfaches Hilfsmittel, um die durchgegangene Elektrizitätsmenge zu bestimmen und wurde demgemäß von F a r a d a y zu einem Meß- apparat, zum Voltameter (Abb. i u. 2)*) umgebaut, welches wir noch heute in ähnlicher Form be- nutzen. — Nun schaltete er das Voltameter mit anderen Zersetzungszellen hintereinander und konnte nachweisen, daß beliebige Körper dasselbe gesetzmäßige Ver- halten wie Wasser zeigten. Weiter ergab sich, daß die vom selben Strom, in gleicher Zeit, zersetzten Mengen verschiedener Substanzen sich wie ihre chemischen Äquivalente ver- hielten. Diese beiden wichtigen Ge- setze, welche wir noch heute die Faraday 'sehen nennen, deuteten einen schon lange vermuteten, innigen Zusammenhang zwischen elektrischer und chemischer Kraft an, einen Zu- sammenhang, welcher auf die folgen- Abb. 2. ^^" Vorstellungen von großem Ein- fluß werden sollte. Durch seine elektrochemischen Untersuchungen mußte Faraday notwendigerweise auch in den damals brennenden Streit über die Theorie der Volta- säule hineingezogen werden. In vier Reihen seiner Untersuchungen ^) bekämpfte er die sogenannte „Kontakttheorie". Diese wollte die elektromoto- rische Kraft nur durch die einfache Berührung verschiedener Metalle zustande kommen lassen, während die von Faraday verteidigte chemische Theorie im chemischen Prozeß die Ursache des Vorgangs sah. Der interessanteste Punkt der Untersuchung ist Faraday's Meinung, daß die Kontakttheorie fortwährend elektrische Kraft aus dem Nichts entstehen lasse. Hierin spricht sich eine Ahnung vom Gesetz der Energieerhaltung aus, welcher wir noch öfter begegnen werden. Alles in allem waren aber Faraday's elektro- chemische Arbeiten sowohl in praktischer, als auch in theoretischer Hinsicht nicht so die Grundvvurzel der folgenden Entwicklung, wie seine Entdeckung der Induktion. Er war hier weniger der Schöpfer eines neuen Wissenszweiges, als der mächtige Förderer eines schon vorhandenen. Darum knüpften auch seine theoretischen Vorstellungen, wie wir ') a. a. O. S. 50 Abb. 7 u. 9. Dem Verlag von Ostw. Kl., W. Engelmann in Leipzig sei für die freundl. Überlassung der Bilder hier bestens gedankt. ■') E. U. Vlll. 1834 O. K. 87, X. 1835 O. K. 126, XVI, XVll. 1840 O. K. 134. gesehen haben, an die älteren von Grothuß an. Das Falsche derselben ließ Faraday fallen, die Wechselwirkung der Moleküle behielt er bei und betonte ganz besonders den innigen Zusammen- hang zwischen Zersetzung und Leitung. — Mit den von ihm gefundenen Tatsachen und nament- lich mit seinen quantitativen Gesetzen mußte jeder folgende Theoretiker, wie Hittorf, Clausius, Helm hol tz und Svante Arrhenius, rechnen. Sie gingen in ihren theoretischen Vorstellungen alle mehr oder weniger auf G ro t h u ß zurück, nur daß seit Clausius*) die Moleküle schon von vorn- herein als in Ionen zerspalten angenommen wurden, so daß die elektrische Spannung nur mehr noch für die Bewegung derselben zu sorgen hatte. — Das zweite Fa raday 'sehe Gesetz mußte in Ver- bindung mit der „Dissoziationstheorie" von Svante Arrhenius''^) zu der Vorstellung führen, daß jedes Ion mit einer bestimmten unteilbaren Elek- trizitätsmenge geladen sei, eine Annahme, die schon Faraday 1834 mit folgenden Worten ver- mutete: „. . . so haben die Atome von Körpern, welche einander äquivalent in bezug auf ihre ge- wöhnliche chemische Wirkung sind, gleicheMengen von Elektrizität, die von Natur mit ihnen verbunden sind." ^) In diesen Worten des alten Physikers liegt schon eine Ahnung unserer heutigen Elek- tronentheorie, welche durch die Lehre von den Gasentladungen unterstützt, unsere Vorstellung vom Wesen der Elektrizität so machtvoll fördern sollte. Die von uns immer wieder betonte und nach Faraday's Worten in der nun zu betrachtenden 19. Reihe ,an Überzeugung streifende Meinung", „daß die verschiedenen Formen, unter denen die Kräfte der Materie auftreten, einen gemeinschaft- lichen Ursprung haben", ^) führte F'araday schon in früheren Jahren dazu, auch andere Energien, namentlich das Licht in den Kreis seiner Betrach- tungen zu ziehen. Schon 1835 finden wir die inhahschwere Notiz „Untersuche Induktion eines festen kristallinischen Körpers auf die daraus her- vorgehende Wirkung auf das Licht". '') Bald nahm er auch die Experiinente auf und setzte unter anderm einen Glaswürfel hohen elektrischen Span- nungen aus, ohne aber eine Wirkung auf hindurch- gehendes Licht bemerken zu können. Nach längerer Pause führten ihn die bereits angeführten elektro- chemischen Experimente auf ein Problem, dessen er schon 1834 erwähnte.^) Seine Vorstellung über die Achse der Kraft im Elektrolyten, die einem gewissen Spannungszustand entsprach, brachte F"a raday auf den Gedanken, diesen Spannungs- zustand mit Hilfe des polarisierten Lichtes nach- zuweisen. Die Versuche blieben erfolglos, bis er nach 14 Tagen, am 13. September 1845, statt ') Pogg- Ann- Bd. loi S. 33S, 1857. 2) Z. f. phys. Chemie I S. 631, 1887. ^) Thompson, a. a. O. S. 115. ■") E. U. XIX. 1846. Ostw. Kl. Nr. 136 S. 25. ^) Thomson, a. a. O. S. 121. 8) E. U. Vlll. Ostw. Kl. Nr. S; S. 135 u. f. 470 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 34 elektrischer Kräfte, magnetische anwandte. Er hatte ein Stück Kristallglas auf die Pole eines kräftigen Elektromagneten gelegt und ließ polarisiertes Licht hindurchfallen. Im Augenblick, in welchem er den Elektromag- neten erregte, wurde die Polarisationsrichtung, die Schwingungsrichtung des Lichtes deutlich ge- dreht. — Die Folgen der Entdeckung waren von größter Bedeutung, denn sie zeigten zum ersten Mal den Zusammenhang zwischen magnetischen Kräften und Licht, einen Zusammenhang, welcher eine der wesentlichsten Stützen für die elektro- magnetische Lichttheorie werden sollte. Die bisher betrachteten Arbeiten, zusammen mit einer erfolglosen Untersuchung über die Be- ziehung der Schwerkraft zur Elektrizität, ^) stehen, wie eingangs erwähnt, vor allem unter dem Ge- sichtspunkt der Kräfteverwandlung. Dieser Gedanke hatte zu seinen Experimenten geführt, deren Er- gebnis wiederum seine Gedanken stärkte und modifizierte, so daß Faraday schließlich an dem Zusammenhang aller Kräfte nicht mehr zweifelte und im Jahre 183S eine Vorlesung über die „Ver- wandelbarkeit der Kräfte" hielt. Faraday's intuitiver Geist ahnte aber noch mehr. Wir hatten schon in seiner Polemik gegen die Kontaktlheorie als wichtigstes Argument den Einwand kennen gelernt, daß eine solche Vorstellung auf Erschaffung von großen Wirkungen aus dem Nichts führen würde. „Allein in keinem F"all . . . findet eine Erschaffung oder Erzeugung von Kraft statt ohne einen entsprechenden Verbrauch von etwas anderem." ^) Mit diesem Ausspruch bereitete sich in Faraday's Denken das Gesetz von der Er- haltung der Energie vor, dem er 1839 in der 14. Reihe seiner Untersuchungen durch die Über- zeugung noch näher gekommen war, „daß wir in Zukunft mögen imstande sein, Korpuskularkräfte, wie die der Schwere, Kohäsion, Elektrizität und chemischen Verwandtschaften, miteinander zu ver- gleichen und auf diese oder andere Weise ihre relativen Äquivalente und ihre Effekte abzuleiten; für jetzt vermögen wir es nicht." ^) — In dieser Ahnung liegt eigentlich das Energiegesetz schon vollkommen enthalten. Aber Faraday hat seine mehr gefühlsmäßig erfaßte Meinung nicht weiter verfolgt, er hat sie der Nachwelt als Anregung hinterlassen. Er hat es einem Robert Mayer, Joule und Helmholtz überlassen, das so überaus wichtige Gesetz in exakter Weise zu begründen. b) Die Nahkräfte. Im folgenden wollen wir als eine zweite Gruppe jene Arbeiten herausgreifen, die nach dem Wesen ') E. U. XXIV. Phil. Trans. 1851, Pogg. Ann. Ergzb. III. 2) E. U. XVII. 1S40, a. a. O. S. 97. Rosenberger, Geschichte d. Phys. III S. 28S. ') E. U. XIV. 1839, a. a. O. S, 8. der ewig sich wandelnden Kraft fragen, ohne daß wir dabei die schon erwähnte Willkürlichkeit ver- gessen, die einer solchen schematischen Einteilung zugrunde liegt. Die Faraday 'sehe Kraft- auffassung ging, wie wir oben andeuteten, von seiner Ablehnung der Fernkräfte aus. An ihre Stelle traten Nahkräfle und Kraftlinien, welchen wir schon in der Abhandlung über Induktion be- gegnen, wo es unter Nr. 1 14 heißt: ') „Magnetische Kurven nenne ich die Linien von magnetischen Kräften, welche mit Hilfe von Eisenfeilspänen dar- gestellt werden können." Bald werden diese ma- gnetischen Kurven auch Kraftlinien genannt, was allerdings vorläufig nur ein bequemer Ausdruck war, um die beobachteten Erscheinungen klar zu beschreiben. Die Induktionsvorgänge selbst führte Faraday auf einen noch nicht klar erkannten, „elektrotonischen Zustand" ■) zurück, von dem nur so viel gewiß ist, daß er eine Art Spannung in den Körpern darstellt. In den elektrolytischen Vorstellungen, welche wir kennen gelernt haben, wurde der Begriff der Kraftlinien unter dem Namen einer Kraftachse dem Geiste Faraday's schließ- lich schon so deutlich , daß er die folgenden Experimente ganz unter die Herrschaft dieser An- schauung stellen konnte. 80 Jahre vorherhatte Ca n ton die Erscheinung der Influenz entdeckt, d. h. die Eigenschaft elek- trisch geladener Körper, in benachbarten Gegen- ständen ebenfalls Ladungen hervorzurufen. Als Faraday beim elektrischen Strom nach einer Analogie zu dieser Tatsache suchte, hatte er die Induktion gefunden. Nun wandte er sich zu jener älteren Erscheinung zurück, welche ihm durchaus zuwider sein mußte, da sie nur mit Hilfe von Fernwirkungen erklärbar schien. Er glaubte an Fernwirkungen nicht. Da sie sich nach dem Newton' sehen Gesetz geradlinig ausbreiten mußten, bemühte er sich 1835, in der 11. Reihe, ^) mit Erfolg eine krummlinige Ausbreitung der Influenzwirkung um eine Metallplatte herum nach- zuweisen. Die mit diesen Versuchen sichergestellte Nahwirkung konnte nur durch die Vermittlung des zwischenliegenden Mediums erklärt werden, mußte also einen Einfluß auf dieses haben. Faraday baute deswegen einen Kugelkonden- sator, dessen Hohlraum mit verschiedenen Körpern gefüllt werden konnte, und war in der Tat im- stande zu zeigen, daß die angenommene Span- nung, bei gegebener Elektrizitätsmenge, d. h. die Kapazität von dem Füllmittel abhing. Außerdem nahm der eingelegte Körper eine gewisse Ladung an, welche nur langsam wieder abgegeben wurde. Faraday erklärte die Ergebnisse durch einen „Polarisationszustand" im Isolator unter dem Ein- fluß elektrischer Kräfte, durch einen Zustand, in welchem geladene Teilchen alle nach einer Rich- tung gedreht wurden, wie die Elementarmagnete ') E. U. I. 1832, a. a. O. S. 38. =) a. a. O. S. 19. 3) E. U. XI. 1S35, Ostw. Kl. Nr. 126. N. F. XVI. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 471 im Stahl. Die verschiedenen Körper setzten der Ausbildung dieses Zustandes einen verschiedenen Widerstand entgegen, wodurch die Kapazitäts- unterschiede, das „spezifische Verteilungsvermögen" erklärt wurde. Andererseits behielten aber die Körper diesen Polarisationszi'stand nicht ewig bei, sondern verloren ihn langsamer oder schneller, wie das allmähliche Herauskommen der Ladung aus dem Isolator bewies. Damit war jedoch zwischen Leiter und Isolator nur mehr noch ein gradueller Unterscliied übrig geblieben. Leiter waren einfach solche Körper, in denen der I'olari- sationszustand sofort wieder zusammenbrach, die Spannung ausgeglichen wurde, und Isolatoren solche, bei denen der Zustand längere Zeit anhielt. Diese Erkenntnis veranlaßte Faraday nach einem Übergang zwischen Leitern und Isolatoren zu suchen, einen Übergang, welchen er in den elek- trischen Entladungserscheinungen zu finden glaubte. Für statische Elektrizität war der eigentliche Vorgang somit in den Isolator verlegt, was Faraday bevvog, auch bei den magnetischen und elektro- magnetischen Erscheinungen demselben die wich- tigste Rolle zu geben. Die Experimente, welche er in der 14. Reihe*) nach dieser Richtung hin machte, blieben aber ohne Erfolg. In einer längeren Ruhezeit bis 1845 verließ ihn trotzdem der Ge- danke nicht, daß auch die magnetische Kraft auf Nahvvirkungen zurückzuführen und demgemäß ihr Einfluß auf den Träger der Nahwirkung, auf das umgebende Medium, nachzuweisen sei. Und in der Tat gelang es ihm 1845, in der schon be- handelten Drehung der Polarisationsebene in ma- gnetischen Kräften ausgesetzten Körpern, einen solchen Einfluß zu zeigen. Gleich nachher ge- wannen seine Anschauungen eine weitere Stütze, durch die in der 20. und 21.-) Reihe niedergelegte wichtige Entdeckung des Diamagnetismus. Er hatte gefunden, daß nicht nur magnetische Körper, wie Eisen und Nickel, von einem Magneten ange- zogen wurden, sondern, daß eine große Anzahl anderer Körper, wenn keine Anziehung, so doch eine Abstoßung erlitt. Die Tatsache schien erst unerklärlich, wurde aber durch Faraday's Auf- fassung, daß alle Körper, auch der leere Raum mehr oder minder magnetisch seien, dem Ver- ständnis näher gerückt. Befand sich dann ein stark magnetischer Körper in einem schwach magneti- schen, wie Eisen in Luft, dann wurde er angezogen; befand sich aber ein schwach magnetischer in einem stärker magnetischen, wie Wismut in Luft, dann wurde er abgestoßen, war diamagnetisch. Die Auffassung konnte Faraday als richtig nach- weisen, ^) in dem er ein Röhrchen mit schwächerer, bezüglich stärkerer Eisenvitriollösung in ein mittel- starkes Bad desselben Salzes brachte und im ersten Falle Abstoßung, in zweiten Anziehung erhielt. Aus allen diesen Arbeiten schälte sich seine ursprünglich nur dunkel geahnte Vorstellung vom Wesen der Kraft immer deutlicher heraus und fand ihren stärksten Ausdruck in der 28. —30. Reihe *) der Experimentaluntersuchungen und anderen Arbeiten : Eine Kraftwirkung in die Ferne gibt es nicht, die Kräfte sind überall da, wo sie wirken, auch schon immer vorhanden, als eine Kraftlinie, als ein gewisser Spannungszustand oder noch all- gemeiner als eine Modifikation des Raumes. Der ganze durch die Kräfte modifizierte Raum stellt das Kraftfeld vor, ein Ausdruck, welcher in der 20. Reihe zum erstenmal auftrat. -) Das F"eld läßt sich mit Hilfe der Kraftlinien am besten beschreiben, doch sind diese Kraftlinien jetzt nicht mehr nur eine bequeme Ausdrucksweise, sondern haben reale Existenz. Durch diese Vorstellung wird bei elek- trischen Vorgängen alle Kraft Wirkung in den Isolator verlegt, und die Erscheinungen an den Leitern sind nichts anderes als Grenzwirkungen des Isolators. Diese Kraftlinientheorie mußte Faraday in Verbindung mit seinen Gedanken von der Kräfte- verwandlung veranlassen, auch die optischen Er- scheinungen von einem ähnlichen Standpunkt aus zu betrachten. Er sagte es selbst, daß seine dahin- gehenden Vermutungen nichts anderes seien als ein „Schatten", als eine kühne Vision, und doch konnte er es nicht unterlassen, die Ansicht zu vertreten, Ausstrahlung sei „eine hohe Art von Schwingung in den Kraftlinien, die, wie man weiß, Atome und ebenfallsMassen miteinander verbinden".^) So ist Faraday am Ende seines Lebens, das mit einem großartigen, experimentellen Auftakt begann, zu einer fast schwindelnden spekulativen Höhe gelangt. Und doch fanden die Gedanken, welche aller herkömmlichen Überlieferung so durch- aus entgegengesetzt waren, langsam beiden Physikern Aufnahme. Zunächst freilich erschien Faraday's bildhaftes Denken als Hindernis und es war erst ein Clerk Maxwell*) nötig, um Faraday's Vorstellungen in die, allen Fachgenossen verständ- liche, Sprache der Mathematik zu kleiden. Ja selbst das, was Faraday den „Schatten einer Ver- mutung" genannt hatte, die Annahme der elektro- magnetischen Natur des Lichts, war der Analyse zugänglich. Maxwell berechnete, daß die Ge- schwindigkeit, mit der sich eine elektromagnetische Störung durch den leeren Raum fortpflanzen mußte, gleich dem Verhältnis der magnetischen Einheit zur elektrischen Einheit der Eiektrizitätsmenge wäre. Da sich dieses Verhältnis nach sorgfältigen Messungen als nahezu gleich der Lichtgeschwindig- keit erwiesen hatte, lag die Vermutung nahe, das Licht selbst als eine solche elektromagnetische Störung des Raumes aufzufassen. Durch Heinrich Hertz' direkte Darstellung solcher elektromagne- tischer Wellen wurde 1888 die Faraday- Maxwell'sche Lichthypothese fast zur Gewiß- ') E. U. XIV. 1S38, Ostw. Kl. Nr. 131. «) E. U. XX. 1846, XXI. 1847 O. Kl. Nr. 140. ') E. U. XXI. a. a. O. S. 35 u. f. ') E. U. XXVIII., XXIX. 1852, XXX. 1S55. Phil. Trans. 2) E. U. XX. a. a. O. S. 6. ») Thompson, a. a. O. S. 150. ') Maxwell, Dynamische Theorie des elektromagne- tischen Feldes 1864. 472 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. F. N. XVI. Nr. 34 heit erhoben, und wenn heute in der drahtlosen Telegraphie elektrische Wellen eine so bedeutende Rolle spielen, so führt auch dieser modernste Zweig der Elektroteciinik in seinen Grundwurzeln auf P'araday zurück. Das Ideal der Physik ist ein allgemeines Welt- gesetz, welches alle speziellen Erscheinungen so in sich enthält, daß sie auf analytischem Wege daraus entwickelt werden können. Ein solches Gesetz kann natürlich nur eine Utopie sein, dem sich die Wissenschaft asymptotisch zu nähern sucht. Die Faraday- Max well 'sehen Grund- gleichungen stellen eine der weitgehendsten An- näherungen an das Ideal dar, denn sie enthalten auf zwei kurzen Zeilen Elektrizitätslehre, Magnetis- mus und Optik. Das Gesetz von der Erhaltung der Energie ist aber ebenfalls eine solche weitgehende Annäherung, denn aus ihm können, in Verbindung mit dem so- genannten Entropiesatz, große Gebiete der Wärme- lehre abgeleitet werden. Die Faraday- Maxwell- schen Gleichungen einerseits und der Energiesatz andererseits sind also zwei Gipfelpunkte der moder- nen Physik, zwei Gipfelpunkte, die in ihren aller- ersten Anfängen auf den beiden F"araday 'sehen Vorstellungen über Nahkräfte und die Kräfte- verwandlung ruhen. Überblicken wir noch einmal den zurück- gelegten Weg, so sehen wir ein Idealbild wissen- schaftlicher Forschung vor uns. Faraday empfing seine ersten Gedanken von der Zeit vor ihm, er modifizierte sie nach den Ergebnissen seiner Forschung und gab sie der Nachwelt als ein reiches Erbe wieder. Er war trotz seiner Größe abhängig von seiner Zeit, aber er gab mehr, als er empfing, und das machte ihn zum Förderer der Wissen- schaft, machte ihn zum Genie. Einzelberichte. Geologie. Über „das Landschaftsbild de trockenen Champagne" schreibt Otto Jessen in den Mitteilungen der Geogr. Gesellschaft in München (ii. Band, Heft 2). Das Pariser Tertiär- becken wird von einer Kreidezone eingefaßt, die durch alttertiäre Ablagerungen in die westlichen Kreideablagerungen der Picardie, Normandie und Loire und den Abschnitt zwischen Yonne und Oise zerfällt. Den letztgenannten Abschnitt stellt die „Champagne" dar. Untere Kreide baut den östlichen, obere Kreide den westlichen Teil auf. Untere Kreide wird von Tonen und Sanden ge- bildet. Zwischen Aire und Oberlauf der Aisne heißt der Teil Argonnenwald. Von ihm bis zum Tertiär des Beckeninnern reicht die sogenannte „trockene Champagne". Westlich begrenzt sie der Inselrand des Pariser Beckens, östlich bildet die Erhebung der oberen Kreide den Abschluß. Süd- und Nordgrenze sind nicht so deutlich ausgeprägt. Der Franzose nennt dieses Gebiet „Champagne pouilleue", unsere Feldgrauen „Schlammpansch". Alle Landschaften, die sie umgibt, zeichnen sich durch landschaftliche Reize vor der „trockenen Champagne" aus. Wie eine Wüstenei liegt diese „Lausechampagne" in dem verhältnismäßig frucht- baren, an Naturschönheiten reichen Nordfrankreich. Gegen Westen fallen die oberen Kreideschichten unter älterem Tertiär ein. Mancherorts ist der Kreide eine erhöhte Beimischung von Ton eigen. Die Schreibkreide ist wasserdurchlässig, homogen, arm an makroskopischen Versteinerungen, an Feuersteinknollen, reich an Strahlkieskonkretionen. Das Regenwasser bleibt zunächst über der Deckton- schicht stehen. Darum ist der Boden zuerst sehr stark durchweicht. Nach Durchsickerung dieser oberen Tonschicht, durchsinkt es sehr schnell die Kreideschichten. Durch diese Eigenschaften der Kreide wurde die Oberfläche des Landes, wie sie jetzt ist, gestaltet, weniger durch tektonische Einflüsse. Oberflächenerosion kommt bei der Gestaltung der „trockenen Champagne" nicht in Frage, da Gefälle sonst gar nicht vorhanden ist, die Kreide läßt das Wasser sehr schnell versickern und der oberflächliche Ton ist nicht mächtig genug, das Niederschlagswasser zu sammeln und in Flüssen als Erosionsmittel zu gebrauchen. Wenn trotzdem das Gelände hügelig ist, dann hat man der chemischen Abtragung des Gesteines daran die meiste Schuld zu geben. Stellenweis ist der Boden von keinerlei Vegetation bedeckt und hier sorgen Sonne und Wmd für ein beschleunigtes Ver- schwinden der Niederschläge. Mit dem Karst hat die Landschaft manches gemein, nur geschah das Tieferlegen von Landschaftsflächen nicht durch Dolinenbildung. Was an fließenden Gewässern die „trockene Champagne" durcheilt, sind Flüsse, die aus dem Osten kommen oder Bäche, die aus Quellen ent- stehen. Kleinere versiegen bald, größere (Py, Suippes) kommen bis nach dem Westen. Im Osten ragt der Höhenrand der oberen Kreide 60 m über das Aisnetal bei St. Menehould bis Attigny. Manche der Täler bilden darin wenige hundert Meter lange mulden- oder trog- förmige Täler. Der Talboden reicht zur Aisne- niederung herab. Der unbedeutende, gar nicht zur Breite des Tales im Verhältnis stehende Bach beginnt meist erst da, wo von der Talsohle der Grundwasserspiegel erreicht wird. Darum hat das zutage tretende Grundwasser den Haupt- anteil an der Ausbildung der Täler. Der Steilrand im Westen steigt gegen 100 m N. F. XVI. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 473 an und ist zurückgedrängt, daß stellenweise nur Hügel die Tertiärdecke verraten. So ist nun infolge der schlechten Bewässerung das Land arm an Vegetation. Nur im Tale, an Quellen, an Tälern zur Aisne hinab gibts spär- liche Vegetation. Das Klima ist milde. Hundt, z. Zt. im Felde. Die Geologie des mazedonischen Kriegs- schauplatzes behandelt Dr. Kurt L e u c h s im 1 1. Band der Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in München. Von der Heeresleitung war dem Verfasser die Aufgabe geworden, Mazedonien wissenschaftlich zu bereisen. In einer Arbeit gibt er zuerst Grund- züge des geologischen Baues von Mazedonien. Der Hauptfiuß Mazedoniens ist der VVardar. Breite Becken und enge Durchbruchsstrecken fügen das Tal zusammen. Das große Becken von Üsküb füllen jungtertiäre und eiszeitliche Schichten aus. Die Ränder bilden paläozoische und kristalline Gesteine. Den südöstlichen Abschluß dieses Beckens muß der Fluß durchbrechen im enggewundenen Tal. Es kommen paläozoische Gesteine und Ser- pentinstöcke dadurch zutage. Dann tritt er in ein zweites Tertiärbecken ein (das von Veles). Eine Talenge im Phyllit mit Serpentingängen leitet von diesem Becken in das von Tikves. Das Eiserne Tor (Demir Kapu) schließt es nach Südosten hin ab. Hier durchnagte er eine Scholle lichtgrauen Kreidekalkes, der auf kristallinen Schie- fern transgressiv lagert. So eng ist das Durch- bruchstal, daß kein Platz für Eisenbahn und Straße bleibt, die durch Felssprengungen und Aufmauerungen am Flusse erst Platz gewinnen. Bei der Station Strumiza beginnt das Becken von Gewgeli, umgeben von nicht allzu großen Höhen, die im Südosten vom Flusse durchbrochen werden {('ingane derbend), der dann durch eine Ebene von Salonik zum Meere sich hinwendet. Die Durchbruchstalstrecken sind zum Teil durch Verwerfungen vorgezeichnet, zum Teil reine Erosionstäler. Im großen aber ist das Wardartal an tektonische Störungszonen gebunden, die im west- lichen Balkan in NordwestSüdost-Richtung strei- chen (Küstenverlauf der Adria, die drei finger- förmigen Landzungen der Chalkidike). Der größte Teil Mazedoniens wird von der alten Gebirgsmasse des Rhodope-Gebirges ein- genommen. Im Osten ist eine geschlossene Masse alter kristalliner Schiefer, von Graniten und jungen vulkanischen Gesteinen (Trachytcn) durchsetzt. Nach Westen hin löst sich dieses Gebirge in ein- zelne Wellen auf. Zwischen den kristallinen Ketten breiten sich Becken mit tertiären Süßwasser- ablagerungen aus. Paläozoische und mesozoische Sedimente nehmen nur in untergeordnetem Maße am, Gebirgsaufbau teil. Südlich einer Linie von Prizren am Ostufer des Prespasees, von da in Südsüdostrichtung über Kastoria beginnt das „Albanisch-Griechische meso- zoische Faltengebirge", das durch Störungslinie vom kristallinen Gebirge getrennt wird. Die alte Masse ist ebenfalls von Störungslinien ohne bestimmte Richtung durchzogen. So ist das ursprüngliche Gebirge zertrümmert worden. An den Brüchen kamen Quarzporphyre, Trachyte hoch, die mit den tertiären und quartären Ab- lagerungen den früheren Bau etwas verdunkeln. Die östliche Begrenzung des Beckens von Gewgeli, ein Hügelland, baut sich aus meist kri- stallinen Gesteinen auf, mit Eruptivgesteinen (Gra- nulit, aplitischer Granit, Serpentin, Diabas, Trachyt). Nach Osten zu treffen wir weiter grobe Konglo- merate, mit Glimmer durchsetzte weiße Marmore, im Nordosten über Gneißen transgressiv zunächst grobe Grandkonglomerate, rote, grüne, graue Sand- steine mit eingelagerten grauen und roten Kalk- bänken. Durch starke Insolation, große Temperatur- unterschiede sind die Gesteine tiefgründig gelockert, es haben sich bedeutende Schutt- und Sandbil- dungen ausgeprägt, die Wassermassen leicht an andere Stellen verfrachten. Erdige und tonige Bestandteile können diese Schuttmassen verfestigen. In engen 4 — 6 m tiefen Rissen und Schluchten durchnagt das fließende Wasser diese Bildungen, erzeugt es Erdpyramiden, Pfeiler und Säulen. Die Profile solcher Aufschlüsse zeigen schön die lagenweise Auflagerung des Schuttes, wie er jeweilig vom Wasser niedergeschlagen wurde. {gTc.) Rudolf Hundt, z. Zt. im Felde. Heilkunde. Über die Ergebnisse der experimen- tellen Kropfforschung 'j hat W e g e 1 i n , zum Teil auf eigenen Untersuchungen fußend, soeben einen ausführlichen Bericht erstattet. „Das Kropfproblem, sagt Wegelin, hat der medizinischen Forschung bisher mehr Enttäuschungen als erfreuliche Er- rungenschaften gebracht. Denn jedesmal, wenn ein Fortschritt sich zu verwirklichen schien, stellten sich neue Schwierigkeiten ein." Bis vor kurzem schien es ganz sicher zu stehen, daß der Kropf durch das Trinkwasser erzeugt wird. Namentlich die Beobachtungen von H. und E. Bircher in Aarau an der Bevölkerung von Rupperswil sprachen in dieser Richtung. Als der Kropfort Rupperswil eine Jurawasserversorgung bekam — der Jura ist kropfarm — , verschwand dort der Kropf nach den Angaben von H. Bircher fast vollständig. Für die Annahme, daß das Wasser am Kropf schuld sei, sprachen auch Be- obachtungen, die eine Reihe von Autoren an P'orellen gemacht haben, und aus denen sich er- gab, daß Fische ausgesprochene Schilddrüsen- geschwülste aufweisen können. Wegelin hat daraufhin mit seiner Schülerin Reicher Forellen aus einer Gegend untersucht, in welcher der ') Wegelin, Die experimentelle Kropfforschung. Mit- teilungen der Naturforschenden üesellschaft in Bern aus dem Jahre 191 7. 474 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 34 menschliche Kropf sehr verbreitet ist. Aus- gesprochener Kropf konnte bei diesen Forellen jedoch nicht nachgewiesen werden, wenn auch eine leichte Schilddrüsenvergrößerung vorhanden war. Man mußte sich nun fragen, wodurch das Wasser zu einem Kropfwasser werde. Eine Reihe Schweizer Kropfforscher haben sich mit dieser Frage in Tränkungsversuchen mit der weißen Ratte beschäftigt. Wilms glaubt gefunden zu haben, daß im Kropfwasser giftige organische Stoffe enthalten seien, die beim Erhitzen des Wassers auf 80" zerstört werden. E. B i r c h e r bezeichnet die wirksame Substanz als einen kolloidalen Stoft', der bei der Dialyse zurück- gehalten wird. Er wird nach E. Bircher durch Kochen, längeresStehenlassen, starkes Schütteln usw. zerstört. E. Bircher glaubt durch Tränkungs- versuche mit Ratten nachgewiesen zu haben, daß das Kropfwasser bei längerem Kontakt mit Jura- kalk seine giftigen Eigenschaften einbüße. Messerli wieder, der Tränkungsversuche mit Wasser aus verschiedenen Quellen im Waadtland ausgeführt hat, glaubt nachgewiesen zu haben, daß das Kropfwasser durch seinen großen Gehalt an Darmbakterien gekennzeichnet ist. Auch andere Forscher, wie Sasaki und MacCarrison, fanden, daß Ratten Kropf bekommen, wenn man sie mit Fäkalien von Ratten oder kropfigen Menschen füttert. Diese Forscher versuchten auch, den Kropf beim Menschen durch eine Desinfektion des Darmes zu bekämpfen. Sie geben an, daß bei ihren Patienten eine erhebliche Besserung oder sogar Heilung des Kropfes erzielt wurde. Im Gegensatz zu diesen Befunden, die das Wasser in den Mittelpunkt stellen, stehen die neueren Untersuchungen von Hirsch feld und Klinger vom Hygienischen Institut in Zürich. Hirschfeld und Klinger tränkten Ratten in einer Kropfgegend (Ringwil im Zürcher Oberland) ausschließlich mit destilliertem oder gekochtem Wasser, das eigens aus dem kropffreien Zürich herge- holt wurde. Diese Tiere erkrankten trotzdem an Kropf. Tränkten sie dagegen Tiere in einer kropffreien Gegend (Bozen im Fricktal) mit Wasser aus einer Kropfgegend (aus Ringwil), so blieben die Tiere gesund. Aus den Versuchen von Hirschfeld und Klinger kann geschlossen werden, daß das kropferzeugende Moment nicht allein im Wasser, vielleicht überhaupt nicht im Wasser enthalten sei. Es ist möglich, daß die allgemeinen hygienischen Verhältnisse, eventuell sogar ohne Dazwischentreten von Bak- terien, am Kropf schuld sind. Ähnliche Versuche wie Hirschfeld und Klinger sind noch von anderen Forschern, auch in Österreich, ausgeführt worden. Das Ergebnis dieser Versuche war denjenigen von Hirschfeld und Klinger gleich. So sprechen heute zahlreiche Versuche dafür, daß der Kropf ganz unabhängig vom Trinkwasser ent- stehen kann. Zurzeit haben wir keinen Beweis dafür, daß es „Kropfwasser" gibt. Umfangreiche Untersuchungen über die Ent- stehung des Kropfes wurden in den Jahren 191 1 bis 191 3 von der Schweizerischen Kropf kommission ausgeführt, an denen sich auch Wegelin be- teiligt hat. Weiße Ratten wurden im Verlaufe von Monaten in verschiedenen Ortschaften der Schweiz gehalten und dort mit bestimmten Wässern getränkt. Auf Grund einer pathologisch-anato- mischen und mikroskopischen Untersuchung der Schilddrüsen von 150 Ratten ist Wegelin dahin gelangt, daß die örtlichen Verhältnisse von größerer Bedeutung zu sein scheinen als die Art des Trink- wassers. Der Rattenkropf stimmt histologisch mit dem endemischen Kropf des Menschen über- ein. Dabei ist von großem Interesse, daß die pathologischen Schilddrüsenveränderungen in den einzelnen Gegenden der Schweiz verschieden sind und charakteristische Eigentümlichkeiten zeigen. Auch das spricht nicht für die Trinkwassertheorie. Auch das Ergebnis einer anderen Reihe von Ursachen spricht in derselben Richtung: „Die Versuche mit Kochen, Dialysieren und Stehen- lassen des Trinkwassers ergaben bei den be- treffenden Tieren keine Vergrößerungen der Schilddrüse und scheinen also auf den ersten Blick mit der Trinkwassertheorie in Einklang zu stehen. Bei Berücksichtigung der histologischen Struktur ergibt sich jedoch, daß einige dieser Drüsen auch eine deutliche Epithelwucherung oder degenerative Veränderungen zeigen. Hier ist also bei einzelnen Drüsen unzweifelhaft ein Anfang der Kropfbildung vorhanden." Auf Grund aller dieser Versuche kommt Wegelin zum Schluß, „daß sich die Kropfbildung nicht allein aus der Be- schaffenheit des Trinkwassers erklären läßt... Immerhin wäre es möglich, daß das Trinkwasser wenigstens zum Teil als Träger der kropferzeugenden Schädlichkeit in Betracht käme und daß sich durch Kochen, Dialysieren usw. des Trinkwassers wenigstens eine unter mehreren Bedingungen für die Kropfentstehung ausschalten oder wenigstens abschwächen ließe" . . . Wegelin bemerkt mit Recht, daß jedoch auch mit den neuesten großen Kropfuntersuchungen noch nicht das letzte Wort über die Trinkwasser- theorie des menschlichen Kropfes gesprochen ist. „Genaue ärztliche Beobachtungen über die Mög- lichkeit einer Verhütung des Kropfes durch Kochen des Trinkwassers wären jedenfalls dringend erwünscht." Vor allem aber wird es nach Wegelin jetzt nötig sein, zu erforschen, „ob der Kropf mit einer bestimmten Darmbakterienflora zusammenhängt, welche ihrerseits wieder durch Eigenschaften der Nahrung oder eventuell des Trinkwassers bedingt sein könnte". Dabei müßte man annehmen, daß der vermeintliche Erreger des Kropfes stets erneut von außen in den Körper eingeführt wird. Denn bei kropfigen Ratten und Menschen, die aus einer Kropfgegend in eine kropffreie Gegend kommen, tritt nach einiger Zeit eine Verkleinerung der Schilddrüse ein. Manche Erfahrungen sprechen dafür, daß auch N. F. XVI. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 475 eine sehr eiweißreiche Nahrung eine Vergrößerung der Schilddrüse hervorrufen kann. Als prophylaktisches Mittel gegen den Kropf sollte nach W egelin eine geeignete Jodzufuhr in sehr kleinen, nicht gesundheitsschädlichen Dosen im Kindesalter in Erwägung gezogen werden. Lipschütz. Zoologie. Die Nack^chneckenplage im Sommer 1916. Der nasse^ommer des vergangenen Jahres begünstigte die Entwicklung der Nacktschnecken sehr und so war es nicht verwunderlich, daß sich aus allen Teilen des Reiches die Klagen mehrten über den Schaden, den die Nacktschnecken m den Gemüsegärten anrichteten. Nach Prof. Dr. L. Reh (Hamburg) (Zeitschr. f. Pflanzenkrankheiten, 27. Bd., Jahrg. 1917, Heft 2/3) litten in seinem Garten be- sonders die Bohnenpflanzungen, welche trotz mehr- facher Bestellung nicht mehr hochzubekommen waren. Ihre Blätter fielen immer wieder den Nackt- schnecken zum Opfer. Auch den Kartoffeln stelUen die Schnecken sehr nach, sie fraßen das Kartoffel- kraut ständig ab und verhinderten so die Knollen- bildung. Von den Kohlarten war es besonders der Kopfkohl, den die Schnecken heimsuchten, während der Blattkohl von ihnen viel weniger an- gegangen wurde; auch die Salatpflanzen wurden merkwürdigerweise von den Schnecken nicht er- heblich beschädigt. Dagegen wurden von ihnen im Herbst faule bzw. moniliakranke Fallapfel sehr gerne aufgesucht, allerdings weniger, um sich von ihrem Fruchtfleisch zu nähren, als um von ihnen die Moniliapilze abzuweiden. Mit Ausnahme der Bohnenblätter, von denen die Schnecken nur die Skeletteile übrigließen, wurden die anderen von ihnen befallenen Blätter nur vom Rande oder durch Löcher in der Spreite angefressen; auch Stiele und Stengel wurden von ihnen benagt. Bisher war man immer der Ansicht gewesen, daß die Schnecken unterirdische Pflanzenteile nicht angriffen, die Er- fahrungen des letzten Jahres aber haben gelehrt, daß diese Ansicht eine irrige war. Ob freilich die Schnecken dabei selbst neue Wunden schlagen oder vielleicht nur die Fraßbeschädigungen anderer Tiere (Drahtwürmer, Erdraupen usw.) fortsetzen darüber kann man sich heute noch kein Endurtcil bilden. Jedenfalls konnte im letzten Jahre beob- achtet werden, daß die Nacktschnecken „an den dicht unter der Erdoberfläche befindlichen, durch die Bewegung der Pflanze von der beiseite ge- drückten Erde befreiten Stengelteilen fressen". Auch über die Artenzahl der als Gartenschädlinge erkannten Nacktschnecken waren die bisherigen Kenntnisse einer Revision zu unterwerfen : während man früher nur die Ackerschnecke [Agnoluiiax ao-restis L.) und die große Wegschnecke (Arion empiricorum Fer.) als für Gemüsebeete schädlich bezeichnete, erwiesen sich im Sommer 1916 den Feststellungen Prof. Reh's und zahl- reicher anderer Gartenbesitzer zufolge auch noch 2 andere Arten als zumindest ebenso schädlich: vor- nehmlich die Gartenwegschnecke {Arton Jiorfcnsis F e r.) und dann auch An'ou circinuscriphis Johnst. Mit den eingeleiteten Bekämpfungs- maßnahmen (Streuen von Eisenvitriol, Kalk und Asche) hatte der Verfasser wenig Erfolg. Vor- züglich ist zweifelsohne das Fangen in Biertellern, aber bei dem ständigen Regen war im vorigen Jahr auch damit wenig auszurichten. Ebenso ent- täuschten Igel, Kröte und Amsel die in sie als Schneckenfeinde gesetzten Hoffnungen. So blieb als iiUiiniim rcfugium nur das allabendliche Ein- sammeln mit der Hand und die Hoffnung auf die dezimierende Wirkung des Winters". H. W. Frickhinger. Die Bekämpfung der_Reblaus^ d^rch_Um- änder^ii^g~der^^be7ikdtur. Beobachtungen an iibll^iifes^^ Weinstöcken in Bulgarien veranlassen Popoff und Joakimoffi), Vorschläge zu einer Umänderung der Rebenkultur zu machen, durch die den Reben allgemein eine starke Widerstands- fähigkeit gegen Reblausinfektionen veriiehen werden soll In Anbetracht des großen Schadens, den der Weinbau jähriich durch die Reblaus erleidet, ver- dienen diese Vorschläge alle Beachtung. Die Reblaus, Phylloxera vastatrix, wurde zu Anfang der sechziger Jahre des vergangenen Jahr- hunderts von Amerika nach Europa verschleppt. Während die amerikanischen Reben nahezu un- empfindlich gegen die Reblaus sind, erwies sie sich für die europäischen Weinstöcke als ein außerordentlich gefährlicher Parasit. Mit einer geradezu unheimlichen Geschwindigkeit verbreitete sie sich in allen rebenzüchtenden Ländern Europas, überall furchtbare Verwüstungen in ehedem blühenden Weinbergen anrichtend. So betragt der Schaden, den die Reblaus in Frankreich verursacht hat, nach annähernden Schätzungen ca. 9 Milliarden Franks, in Osterreich - Ungarn ca ■; Milliarden, in Bulgarien seit dem Jahre ib«4 bis heute weit über 1 Milliarde. Daß man unter diesen Umständen eifrig nach Mitteln sucht um die Reblaus zu bekämpfen, ist selbstverständlich. So «roß indessen auch die Zahl der bisher empfohlenen Mittel ist, so vermag doch keines vollständig zu befriedigen. Entweder ist ihre Wirksamkeit überhaupt sehr gering, oder es stehen ihrer praktischen Anwendung große Scliwierig- keiten entgegen. Das gilt z. B für das vor- nehmlich in Deutschland angewandte Mittel: die Behandlung der infizierten Weinberge mit Schwefe - kohlenstoff. Durch die Einführung von Schwetel- kohlenstoffgasen in den Boden der verseuchten Weinberge werden die auf den Wurzeln der Reben lebenden Läuse abgetötet. Wird das Verfahren planmäßig durchgeführt, so vermag man ganze Gegenden reblausfrei zu machen, aber bei der ungeheuren Vermehrungsfähigkeit und der großen iTTc^ff M. und Joakimoff, D., Die Bekämpfung der Reblaurdu;ch Umänderung der Rebenkultur. Ze.tschr, f. angew. Entomologie, Bd. 3, 1916. 476 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 34 Ausbreitungsmöglichkeit der Reblaus hat das Verfahren, das überdies sehr kostspielig ist, dauernd nur Erfolg, wenn der Staat seine all- gemeine Anwendung durchsetzt. Deutschland hat auf diese Weise fast 97 % seiner Weinberge reblausfrei erhalten können. In allen anderen Ländern fehlt indessen eine ähnlich wirksame staatliche Reblausbekämpfung. Das in manchen Gegenden Frankreichs beliebte „Inundationsver- fahren" — zeitweises Unter- Wasser-Setzen der in den Flußniederungen angelegten Weinberge — , durch das die Wurzelläuse ertränkt werden, bietet natürlich nur beschränkte Anwendungsmöglichkeit. Auch Kreuzungen reblausfester amerikanischer Rebensorten mit europäischen Reben hatten nicht den gewünschten Erfolg. Der direkten Über- tragung reblausfester Weinstöcke nach Europa steht die Minderwertigkeit der amerikanischen Reben im Wege. Man hat schließlich versucht, die amerikanischen Reben durch gute europäische Sorten zu veredeln. Nach langem Hin- und Her- experimentieren ist man auch zu einigermaßen befriedigenden Resultaten gekommen, und heute sind bereits große Ländereien in Europa — speziell in Frankreich — mit amerikanischen Reben bepflanzt. Trotzdem bleibt die Veredelung der amerikanischen Reben immer, nur ein Not- behelf im Kampfe gegen die Reblaus. Die ver- edelten Reben sind sehr empfindlich gegen die klimatischen Bedingungen und die Bodenbe- schaffenheit, gegen verschiedene Pilz- und kon- stitutionelle Krankheiten. Daß man unter diesen Umständen auch weiterhin nach Mitteln sucht, um die Reblaus wirksam zu bekämpfen und da- durch eine Neuanpflanzung der alten europäischen Rebensorten zu ermöglichen, ist verständlich. Popoff und Joakimoff glauben nun ge- funden zu haben, daß die europäischen Reben durch eine Umänderung ihrer Kultur widerstands- fähig gegen die Reblaus gemacht werden können. In den Weingegenden Bulgariens, in denen vor 10 — 20 Jahren die Weinberge durch die Reblaus vollständig vernichtet worden sind, machten sie die Beobachtung, daß die wildwachsenden Reben noch üppig weitergedeihen. Die gleiche Widerstandsfähigkeit gegen die Reblaus besitzen alle baumartig hochgezogenen Wein- stöcke, eine in Bulgarien sehr verbreitete Art der Rebenzucht. Diese Weinlauben sind dort unter dem Namen „Asma" bekannt. Man läßt die Reben an andere Bäume angelehnt wachsen oder auf besonderen Gestellen sich reich ver- zweigen. Die einzelnen Stöcke werden in Ab- ständen von 4—5 m voneinander gepflanzt, der Boden wird niemals bearbeitet. Häufig werden die Asmas entlang der Straßenfront der Häuser gezogen, die Weinstöcke werden dann zu großen, kletternden, lianenartigen Bäumen mit einem Durchmesser von oft 15 — 20 cm, die ein Alter von über 100 Jahren erreichen können; ihre Wurzeln breiten sich unter dem Straßenpflaster aus. In allen Ortschaften und Städten Bulgariens und Mazedoniens, die früher durch ihre vorzüg- lichen Weinberge berühmt waren, diese Berühmt- heit aber durch die Reblaus eingebüßt haben, sind die Asmas erhalten geblieben und gedeihen vortrefflich. Auf Grund ihrer Beobachtungen sowie eigens angestellter Experimente kommen Popoff und Joakimoff zu dem Resultat, daß die Widerstandsfähigkeit der baumartig gezogenen Reben gegen die Reblaus nur auf die Art der Kultivierung zurückgeführt werden kann. Durch die Zucht der Reben als Stöcke werden der Reblaus die günstigsten Bedingungen für ihre Entwicklung geboten. Die ständige Auflockerung des Bodens ermöglicht es dem Insekt, ohne große Mühe bis zu den feinsten Wurzelverzweigungen zu gelangen. Kommt die Zeit der geschlechtlichen Fortpflanzung, so vermögen die Wurzelläuse leicht an die Oberfläche zu steigen, eine Wanderung, die zur Weiterführung des Entwicklungszyklus der Reblaus notwendig erfolgen muß. Läßt man die Reben sich aber ganz normal entfalten, so entwickeln sie nicht nur eine reiche Krone, sondern auch ein kräftiges Wurzelwerk, das tief in den Boden geht und dadurch die Bearbeitung des Bodens überflüssig macht, der Boden bleibt fest und bereitet den Wurzelläusen große Schwierigkeiten, ihre Wanderungen auszuführen. Daß die laubenartig gezogenen Weinberge in Tirol und Italien nicht reblausfest sind, hat seine Ursache darin, daß dort die einzelnen Stöcke zu dicht beisammen gepflanzt werden; die Wurzeln können sich infolgedessen nicht ihrer Natur ent- sprechend entwickeln, sie bleiben klein und schwächlich , und dadurch wird eine zeitweise Bearbeitung des Bodens notwendig, die den Läusen das Eindringen und Wandern gestattet. Die Asmas stehen nach Popoff und Joaki- moff den in der P~orm von Stöcken gezogenen Reben hinsichtlich ihrer Güte und Fruchtbarkeit nicht nach , ja es sollen gerade die köstlichsten und delikatesten Sorten von Tafeltrauben in Bulgarien auf diese Weise gewonnen werden. Da, wie die Erfahrung lehrt, alle Rebensorten laubenartig kultiviert werden können, läßt sich das in Bulgarien übliche Kultivierungsverfahren auch in anderen Ländern erproben. Ob auch in anderen Klimaten die laubenartig gezogenen Reben die gleiche Widerstandsfähigkeit gegen die Reblaus erreichen, ^) ob vor allem die Trauben der normal gewachsenen Reben das gleiche Aroma — und auf dieses legt der Weinbauer ja be- sonderen Wert — entwickeln wie die dauernd beschnittenen Weinstöcke, müssen die Versuche lehren. Bei der großen volkswirtschaftlichen Be- deutung des Weinbaues erscheint jedenfalls eine sorgfältige Prüfung der Vorschläge von Popoff und Joakimoff wünschenswert. (G.C.) Nachtsheim. ') Auch in Deutschland sieht man in manchen Gegenden — z. B. im Rheinland — hier und da baumartig gezogene Reben. Ob Beobachtungen über die Widerstandsfähigkeit solcher Reben gegen die Reblaus vorliegen, ist mir nicht bekannt. N. F. XVI. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 477 Zur Biologie der Bärenspinner. Während in Südeuropa, so z. B. in Südfrankreich, der bekann- teste Vertreter der Bärenspinner {^irctüdae), der sogenannte Braune Bär {Arctia caja\^}j, dessen dichtbehaarte schwarze Raupen bei uns vom August an häufig anzutreffen sind, zu einem argen Schäd- ling der Rebenkulturen werden kann, sind die Bärenspinner bei uns vollkommen harmlose Tiere, die nur eine Reihe von wildwachsenden Kräutern und Sträuchern befallen, dagegen keine der Kultur- pflanzen beschädigen. Von einem einheimischen Bärenspinner, von. Ircfia hebe berichtet O. H o 1 i k in der „Internationalen Entomologischen Zeitschrift" (ll. Jahrg. 1917/18 Nr. i), daß er in der Prager Gegend am liebsten Möhre und Löwenzahn an- geht, aber im großen und ganzen in Bezug auf seine Fultergewächse gar nicht wählerisch ist und in der Gefangenschaft auch mit allerlei anderen Pflanzen vorlieb nimmt. So hat der Verfasser in seinen Zuchten die^i. //«i^c-Raupen stets mit bestem Erfolg mit ßlumenkohlblättern gefüttert. Die Raupen verspinnen sich am Boden und nehmen auch dabei ganz wahllos alle möglichen Objekte als Deckung: an Steinen, zwischen Erdschollen, unter abgefallenem Laub, ja selbst an Eisenbahn- schienen fand der Verfasser ihre Gespinste. Auch bei der Häutung spinnen sich die Raupen in ein „seidiges Schutzdach" ein, doch scheint dieses für die Häutung nicht unerläßlich nötig zu sein; denn gefangenen Raupen schadete die Zerstörung dieses Gespinstes nichts. Die Raupen, wie die Puppen sind äußerst sonnenliebend, gegen Kälte und starke Feuchtigkeit sind sie überaus empfindlich. Die jungen A. //f/;c- Raupen erweisen sich häufig als von Schmarotzerinsekten befallen. Die Larven dieser Raupenfliegen [Tacliiiien) verlassen aber ihre Wirte noch, bevor diese ausgewachsen sind. Deshalb sind ältere Raupen nur selten mit Parasiten besetzt. Auch eine Wanzenart scheint nach den Beobachtungen Holik's den .i. //(V^t-Raupen nachzustellen : H o 1 i k traf die Wanzen mehrmals dabei an, wie sie die Raupen aussaugten. H. W. Frickhinger. Zeitgemäße Bienenzucht. Die deutsche Gesell- schaft für angewandte Entomologie hat sich zur Aufgabe gestellt, die deutsche Bienenzucht dadurch zu fördern, daß sie aus der Feder einer so anerkannten Autorität auf dem Gebiete wie Prof. Dr. Zander- Erlangen eine Anzahl Flugschriften herausgibt. Der ersten Schrift aus dem Jahre 1916, „Die Zukunft der deutschen Bienenzucht" (be- sprochen in Nr. 24 dieser Zeitschrift) sind nun- mehr zwei weitere Hefte gefolgt: Prof. Dr. Zander, Zeitgemäße Bienenzucht. HeftI: Bienen- wohnung und Bienenpflege. 28 Text- abbildungen und Heft II: Zucht und Pflege der Königin. 29. Textabbildungen. Berlin 1917. Verlag Paul Parey. (Preis 1,80 M.) Die Schriften verfolgen den Zweck ein ge- treues Bild der ungeheuer großen, aber bisher in weiteren Kreisen wenig verstandenen volkswirt- schaftlichen Bedeutung der deutschen Bienenzucht zu geben und die Bedingungen festzulegen, von denen ihr zukünftiges Gedeihen abhängt. Durch zahlreiche Beobachtungen und zeitraubende Ver- suche war Zander jahrelang bemüht, die bisher übliche Betriebsweise gründlich zu prüfen, ver- altete Methoden und Einrichtungen rücksichtslos auszumerzen und die ganze Zucht auf eine mo- derne, wissenschaftlich begründete Grundlage zu stellen. Da diese Arbeiten nunmehr nach seiner eigenen Angabe zu einem gewissen Abschlüsse gekommen sind, so haben wir in den genannten Schriften eine kurz umrissene Darstellung ihrer Ergebnisse zu sehen. Diese Tatsache gibt dem Studium dieser Arbeiten einen besonderen Reiz, besonders für den, der das oft sehr niedrige wissenschaftliche Niveau eines großen Teiles der überaus reichen bienenwirtschaftlichen Literatur und Zeitschriften kennt. Vor allem wichtig er- schien Zander zunächst die Beschaffung einer wirklich praktischen Bienenwohnung, nachdem sich herausgestellt hatte, daß die bisher üblichen, in zahlreichen F"ormen vorliegenden Beuten nicht oder nur unvollkommen den zu stellenden An- forderungen genügen. Dabei leitete ihn der Gesichtspunkt, daß wirklich lohnende Bienenzucht nach neuen und verbesserten Methoden nur be- trieben werden könne, wenn der Imker ohne große Störung des Volkes, ohne viel Zeitverlust und ohne der Natur zu viel Gewalt anzutun, jederzeit in der Lage sei die Vorgänge im Stocke selbst genau zu überblicken und zu regeln. In Heft I beschreibt nun Zander die von ihm ge- baute und durch langjährigen Gebrauch und weile Verbreitung gut erprobte sog. „Zanderbeute". Mit in die Beschreibung von Bau und Handhabung wird noch manches eingeflochten, was für den Imker von heute zum eisernen Bestände seiner Kenntnisse zu gehören hat. Behandelt wird unter anderem die Frühjahrsnachschau , die Förderung der Volksentwicklung, die Seh warmpflege, die Honigerntc, das für die Ausnutzung der mehr und mehr verarmenden Honigweide so wichtig ge- wordene Wandern, die Einwinterung u. a. Ein besonderes Kapitel moderner Imkerei bildet die zielbewußte Zucht und Auslese der Bienenkönigin. Sie ist geradezu die Grundlage jeder einträglichen Bienenzucht, so daß ohne sie alle anderen Maßregeln ohne bleibenden Wert sind. Ist es doch Zander, der seit 1910 plan- mäßig züchtet, gelungen durch sorgfältige und rücksichtslose Auslese nach Leistungen die Ertrag- fähigkeit der Imkerei bedeutend zu steigern, die Durchschnittsleistung der Völker zu verdoppeln. Mit der Königinnenzucht befaßt sich daher das II. Heft. Sein Studium kann ganz besonders auch deshalb jedem Nichtimker empfohlen werden, weil die Biene dank ihrer eigentüm- lichen Fortpflanzungsverhältnisse mehr und mehr zu einem Versuchstier für vererbungstheoretische 478 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 34 Beobachtungen geworden ist. Schon Gregor Mendel ahnte ihren Wert. Um zu verstehen wie wertvoll die Biene in dieser Beziehung für die Wissenschaft werden kann, braucht nur darauf hin- gewiesen zu werden, daß die Königin nur einmal im Leben befruchtet wird, daß also ihre gesamte Nachkommenschaft, die sich auf zwei, drei oder mehr Jahre verteilen kann, einen Wurf dar»tellt, bestehend aus vielen Tausenden von Arbeitsbienen mit väterlichem und mütterlichem Einschlag, dazu Hunderte von Drohnen, die bekanntlich nur aus unbefruchteten Eiern hervorgehen, mit nur mütter- lichem Vererbungsgut. Die Kreuzung verschiedener Rassen gibt also die beste und schönste Gelegen- heit zu Studien der Merkmalsverhältnisse. Eine Schwierigkeit besteht allerdings noch. Die geradezu unsinnige Einfuhr buntfarbiger norischer, italieni- scher, cyprischer u. a. Rassen, von denen man sich in Deutschland — wie sich gezeigt hat mit Unrecht — Großes versprach, hat bewirkt, daß die heimische Biene derart verbastadiert wurde, daß sie zurzeit für Vererbungsstudien zunächst garnicht brauchbar ist. Ehe das möglich ist, wird es nötig sein, das fremde Blut wieder zu beseitigen, um sich rein vererbende Linien zu schaffen. An die Lösung dieser dankbaren, aber höchst schwierigen Aufgabe ist Zander seit einiger Zeit herangegangen und zwar mit dem Erfolge, daß ihm die Züchtung eines rein sich vererbenden dunklen Stammes allem Anscheine nach bereits gelungen ist. Voraussicht- lich wird daher die Biene in Zukunft mehr als bisher noch ein dankbares Studienobjekt für Zwecke der experimentellen Biologie werden. Wer sich daher mit dem Rüstzeug und vielfachen Gerät und den aus einer außerordentlich sorgfältigen Beobach- tung des Bienenlebens hervorgewachsenen Metho- den der Königinnenzucht vertraut machen will, diesem neuen Zweige der angewandten Entomo- logie, der lese die kleine Schrift von Zander. Olufsen. Anthropologie. Über die Bewohner von Neu- kaledonien und der Loyaltyinseln hat F. Sarasin neue und wichtige Mitteilungen gemacht („Etüde anthropologique sur les Neo-Caledoniens et les Loyaltiens". Archives suisses d'Anthrop. gener. Tome II 1916 — 17, S. 83; ferner: „Streiflichter aus der Ergologie der Neukaledonier und Loyalty- insulaner auf die europäische Prähistorie". Ver- handl. d. Naturf Ges. in Basel Bd. XXVIII 2. Teil 1916) Das große Werk des Verfassers, das sämt- liche Ergebnisse seiner in den Jahren 191 1 und 191 2 unternommenen Forschungsreise bringen wird, hat infolge der kriegerischen Ereignisse noch nicht fertiggestellt werden können. Die anthropologischen Verhältnisse beider Insel- gruppen waren bis dahin wenig bekannt. Sarasin ist es gelungen, mehr als 350 Individuen zu unter- suchen und ungefähr 200 Schädel und viele Ske- lette zu sammein. Die eingeborene Bevölkerung von Neukaledonien zählte im Jahre 191 1 nur noch 16902 Individuen, darunter 9554 männliche und 734S weibliche, gegenüber 25975 Seelen im Jahre 1885; sie ist also innerhalb der letzten 26 Jahre um ^3 zurückgegangen. Sie besteht aus mehreren Stämmen, die eigene Sprachen sprechen und ver- teilt sich auf 283 Dörfer, von denen die meisten aber nicht mehr als 50 Individuen umfassen. Die Dichtigkeit beträgt nur i Eingeborener auf den Quadratkilometer. Günstiger liegen die Verhält- nisse auf den Loyaltyinseln, wo seit der Besitz- ergreifung durch die Franzosen im Jahre 1864 die europäische Ansiedlung verboten ist. Was die somatischen Eigenschaften der Ein- geborenen anlangt, so fand Sarasin in fast allen wichtigen Körpermerkmalen regionale Differenzen. So beträgt die mittlere Körpergröße von ganz Neukaledonien für die Männer 166,4 cm, für die Frauen i 56,6 cm, aber die Leute des Innenlandes sind kleiner als diejenigen der Küste, und geht man die letztere entlang gegen Süden, so kon- statiert man eine beständige Zunahme der Statur. So stehen sich inännliche Gruppenmittel von 162 cm (Stamm der Bonde) und von 171,4cm (Dorf Bako bei Konej gegenüber. Die ganze Körperentwicklung der Neukaledonier ist eine robuste, die Muskulatur stark entwickelt; obere und untere Extremität sind im Verhältnis zur Statur lang, und der Fuß überragt durch seinen kräftigen breiten Bau. Ähnliche Unterschiede, wie bei der Körper- größe, bestehen auch hinsichtlich der allgemeinen Kopfform. Der mittere Längenbreitenindex des Kopfes beträgt für Männer 76,5, für hVauen 76,7, derjenige des Schädels allerdings nur 71,8 und 71,2, wieder ein Beweis dafür, daß die beiden Indizes nie vermengt werden dürfen, weil die Durchmesser am Kopfe durch die Auflagerung der Weichteile bedeutend und in verschiedenem Maße modifiziert werden. Die homogenste do- lichokephale Gruppe (Index = 72,1 und 73,1) sitzt in dem westlichen Teil der Insel, während an der Südküste der mittlere Kopfindex bis auf 80,1 resp. 79,4 steigt, also bereits an Brachykephalie streift, die sich auch ausgesprochen bei einzelnen Individuen findet. Auf künstliche Eingriffe können diese Unterschiede nicht zurückgeführt werden. Der Neukaledonier hat zwar die Gewohnheit, den Kopf des Neugeborenen leicht zu massieren, aber dauernde Veränderungen der Kopfform können durch so einfache und kurzdauernde Manipula- tionen nicht hervorgerufen werden. Die Kopf- form der Loyaltyinsulaner ist homogener und deutlicher dolichokephal (L.-B. Index = 72,5 und tu):, kein einziger Kurzkopf fand sich unter ihnen. Charakteristisch für beide Gruppen ist die starke Entwicklung der Glabella und der Augen- brauenregion, unter der die Nasenwurzel und die Augen wie von einem Schutzdach überschattet liegen. Von den verschiedenen Bildungen des Gesichtes sei nur auf die sehr breite und niedere Entwick- lung der Nase hingewiesen. Die absolute Breite an den Nasenflügeln beläuft sich im Mittel auf N. F. XVI. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 479 47 mm, steigt individuell aber auf 6omm, so daß der mittlere Nasenindex 99,3 für die Männer und 98,1 für die Frauen, in einem Fall sogar 133,3, beträgt. Das besagt, daß als Regel die Nase ebenso breit wie hoch ist. Allerdings im Osten der Insel nimmt vom Norden nach dem Süden der Nasenindex ab, während, wie schon erwähnt, Körpergröße und Längenbreitenindex des Kopfes steigen. Stark vorstehende Kiefer in Verbindung mit einer langen Mundspalte gehören mit zur neukaledonischen Physiognomie. Die Hautfarbe zeigt im allgemeinen mäßig dunkelbraune und rötlich braune Töne, nur an der vorderen Bauchwand kommen schwarzbraune Nuancen vor. Die Hautfarbe der Frauen und Kinder ist wesentlich heller; diejenige der letz- teren erreicht erst gegen das 5. — 7. Lebensjahr die Tönung der Erwachsenen, während bei den Negern Afrikas dieser Prozeß viel rascher verläuft. In merkwürdigem Kontrast zur Hautfarbe steht die Irisfarbe, die im Kindesalter dunkler ist, als bei den Erwachsenen; während die Hautpigmcn- tation also zunimmt, muß diese während des Wachstums abnehmen. Besonderes Interesse verdienen die Unter- suchungen Sarasin's über das Haar. Die schwarze Haarfarbe, die von Natur nur einen leichten bräunlichen Schimmer zeigt, ist durch die Behandlung mit Kalk vielfach alteriert. Ebenso wird der ursprünglich krause oder spiralgerollte Charakter des Haares durch das künstliche Auf- lösen und Verfilzen der Spiralen stark verändert. Der Durchmesser der letzteren ist übrigens von Natur sehr verschieden, er schwankt zwischen 2,5 mm und 20 mm. Im höheren Alter nimmt die Spiralität des Haares bei beiden Geschlechtern ab. Der Querschnitt des einzelnen Haares ist groß und abgeplattet (täniomorph), wie es bei spiralgerollten Haaren die Regel ist. Diese Eigen- schaften scheinen sich aber erst während des Wachstums herauszubilden. Bei Kindern im Alter von I — 1^2 Jahren sind die Haare noch fast schlicht oder leicht wellig und lockig, von ge- ringem Querschnitt und von einer hellbraunen bis blonden Färbung. Bis zum 8. Lebensjahr findet dann die Umwandlung in die spiralgerollte Form statt, während die Steigerung der Farb- intensität bis zur definitiven Haarfarbe noch länger dauert. Sarasin vermutet auf Grund dieses sich ontogenetisch vollziehenden Prozesses, daß die Neukaledonier von einer wellighaarigen (kymato- trichen) Rasse abstammen. Man mag diese Hypo- these für genügend begründet halten oder nicht, jedenfalls verliert der bisher geltende Satz, daß der definitive Rassecharakter der Haarform schon bei der Geburt besteht, seine Allgemeingültigkeit. Zur Entscheidung dieser sehr wichtigen F"rage muß allerdings noch festgestellt werden, wie sich bei dieser Änderung des Haarcharakters der Haar- follikel verhält, ob es sich um einen vollständigen Haarersatz handelt usw. Wichtig ist, daß auch Körper und Gesicht an einigen Stellen im frühen Kindesalter von ganz feinen Haaren bedeckt sind, die an ein primäres Haarkleid erinnern. Für die Erwachsenen ist eine starke sekundäre Körper- behaarung mit deutlich spiralgerolltem Charakter, die besonders Brust, Rücken, Schenkel und Vorder- arme bedeckt, die Regel. Unter den ergologischen Momenten, die Sa- rasin auf Neukaledonien feststellen konnte, finden sich solche, die interessante Analogien zur euro- päischen Urgeschichte ergeben. Dazu gehört die Verwendung roher, in ßachbetten aufgelesener schwerer Rollsteine als Hämmer, einfacher Korallen- zweige oder Rollsteine als Bohrer, die Benutzung von Quarzsplittern ohne jede weitere Zubereitung zu Aderlaßzwecken oder zum Glätten hölzerner Keulen. F"rüher war, wie die Untersuchungen älterer Ansiedlungen ergaben, das Steingeräteinventar viel reicher z. T. von paläolithischem Typus neben ausgesprochen neolithischen Formen. Dieses Per- sistieren paläolithischer Tradition in der neolithi- schen Periode ist auch für Europa nachgewiesen. Die perforierten oder z.T. abgenutzten Muschel- und Schneckenschalen aus europäischen prähistori- schen Stationen wurden meist als Schmucksachen angesprochen. Das ist wohl nicht immer richtig. Für den primitiven Menschen ist die Muschel- schale ein wahres Universalinstrument, wie die Ergologie der Neukaledonier beweist. Die Durch- bohrung dient in vielen Phallen zur Befestigung, während der scharfe Rand als Hobel zum Glätten von Holz oder zum Abschaben von Wurzelfrüchten benutzt wird. Auf Neukaledonien finden sich ferner auch Steinreihen von einer Länge von 220 m, die, wie aus übereinstimmenden Angaben hervorgeht, Sieges- denkmäler darstellen, bei denen jeder Stein einen gefallenen oder verspeisten Feind bedeutet. Als Analogie kann hier an die besonders in der Bre- tagne auftretenden „Alignements" erinnert werden, und es ist nicht ausgeschlossen, daß auch diese Monumente einen ähnlichen Ursprung haben. Die Steine, die so manchen Begräbnistumulus im Kreise umgeben, sind vielleicht ebenfalls als Menschen- opfer, die den Toten dargebracht wurden, zu deuten, oder sollen wenigstens Menschen symbo- lisieren. Auch die fremdartig geformten und ge- färbten Steine, die man bei uns vornehmlich in den Stationen des Magdalenien trifft, finden durch Analogie mit Neukaledonien ihre Erklärung, denn hier gelten alle solche Steine, die annähernd die Form irgendeines Gegenstandes besitzen , als Zaubersteine, denen man bestimmte Kräfte zu- schreibt und die man dementsprechend behandelt. Daß für die Bestattung der Leichen in Hocker- stellung unumwunden die Furcht vor der Wieder- kehr des Toten angegeben wird, ist eine neue Bestätigung der schon von R. Andree einge- führten und wohl auch für Europa gültigen Theorie. Das Aufstellen von Schädeln in geschützten Fels- spalten und Grotten wirft Licht auf ähnliche Schädelanhäufungen, wie sie z. B. R. R. Schmidt in der großen Ofnethöhle gefunden. Der Rück- 48o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 34 Schluß ist jedenfalls gestattet, daß es sich auch in dem letzteren Fall um eine Art von Schädel- altar, d. h. um eine Stätte handelt, die dem Ahnenkultus geweiht war. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese und andere bei rezenten Naturvölkern gemachten Beobachtungen geeignet sind, viel zur Aufhellung der europäischen Prä- historie beizutragen und die Deutung der Funde aufden richtigen, dem europäischen Denken vielleicht ganz fremden Weg zu leiten. R. Martin. Bücherbesprechuugen. P. Adloff, Die Entwicklung des Zahn- systems der Säugetiere und des Menschen. Eine Kritik der Dimertheorie von Bolk. HO S. mit 83 Abb. Berlin 1916, H. Meusser. — Brosch. s M. Wie der Untertitel sagt, eine Streitschrift, die die Einwände zusammenfaßt, welche Verf. schon in mehreren Arbeiten gegen die Gültigkeit der Bolk' sehen Theorie von der Entwicklung des Säugetiergebisses erhoben hat. Bei dieser Gelegen- heit wird natürlich das ganze Problem der phylo- genetisch-ontogenetischen Zahnentwicklung mehr oder weniger ausführlich behandelt, so daß die kleine Schrift einen guten Überblick über den derzeitigen Stand aller einschlägigen Fragen gibt. Verf. tritt für die ältere Konkreszenztheorie ein, hauptsächlich gestützt auf das Auftreten labialer Fortsätze der Schmelzleiste, die er mit Leche, als „prälakteale Dentition" bezeichnet, während Bolk sie als „laterale Schmelzleiste" auffaßt. Es handelt sich um die verschiedene Deutung der- selben Bildung, die, wie Bolk einwandfrei nach- gewiesen, ein normaler Bestandteil jeder Zahnanlage zu sein scheint. Die von Bolk „Schmelzseptum" und „Schmelznabel" genannten Bildungen werden als bedeutungslos abgelehnt, wodurch auch seine Auffassung, daß jedes Schmelzorgan aus zwei eng aneinander geschlossenen Einzelorganen besteht, negiert wird. Hinsichtlich der Morphogenie der Primaten- zähne wird auf die Schwierigkeit hingewiesen, durch funktionelle Anpassung oder Selektion die allmähliche Herausbildung der komplizierten Zahn- formen restlos zu erklären. Die Cope-Osborn- sche Theorie scheint Verf immer noch der beste Erklärungsversuch. Im einzelnen wendet er sich dann gegen die Auffassung Bolk's, daß nicht nur die Molaren, sondern alle Zähne aus einer Konzentration zweier trikonodonter Reptilienzähne hervorgegangen seien ; an der Tatsache aber, daß der trituberkuläre Zahn die Grundform für die meisten Säugetierzähne darstellt, wird nicht gezweifelt. Besonders eingehend behandelt Verf die Be- deutung der einzelnen Höcker der Molaren und macht die zunehmende Komplikation und den all- mählichen Übergang einer Zahnart in eine andere durch gutausgewählle Beispiele und Abbildungen deutlich. Die beiden letzten Abschnitte sind der Homologie der Prämolaren und der ersten Molaren, ferner der Dentitionszugehörigkeit der Molaren und den überzähligen Höckern und Zähnchen in der Mahbahngegend des Menschen gewidmet. Verf. hat recht, wenn er energisch die Gefahren einer falschen Deutung, die Möglichkeit einer Verwechs- lung von Konvergenzen mit Homologien besonders beim menschlichen Gebiß betont, weil hier zu den normalen Differenzierungsprozessen noch eine Menge von Anomalien und Mißbildungen kommen, die mit der Rückbildung des Gebisses besonders bei allen Kulturvölkern im Zusammenhang stehen. R. Martin. Literatur. Tobler, Prof. Dr. Fr., Textilersatzstoffe. Dresden und Leipzig '17, „Globus". 1,50 M. Häuser, Dr. O., Der Mensch vor looooo Jahren. Mit 96 Abbildungen und 3 Karten. Leipzig '17, F. A. Brock- haus. — 3 M. Sachsze, Prof. Dr. R., Chemische Technologie usw. Kurzgefaßtes Lehrbuch für Handels-, Gewerbe- und andere Schulen und zum Selbstunterricht. 2. Aufl. Mit 96 Text- abbildungen. Leipzig u. Berlin '17, B. G. Teubner. Wegner, Prof. Dr. P., Lesebuch der Geologie und Mineralogie für höhere Schulen. Große Ausgabe. Mit 322 Abbildungen und 4 Tafeln. 6. verbesserte Aufl. Ebenda. — 3 M. Abderhalden, Prof. Dr. E., Die Grundlagen unserer Ernährung unter besonderer Berücksichtigung der Jetztzeit. Berlin '17, J. Springer. — 2, So M. Zu I Schrift N sehen so Druckfehlerberichtigung. ikel ; Grundwasser und Quellen, Naturw. Woche iiider unterlaufene Ve Es muß heißen: 265—275; sollen hier berichtigt v S. 265, 1. Sp. Z. 37: „in Form von Wasserdampf" S. 267, 1. Sp. Z. 19: „Orten" S. 268, r. Sp. Z. 8/9: „das Grundwasser" S. 272, r. Sp. Z. 3; „Herzogtum Krain" Abb. 15; „Poik-Schwinde vor der Adelsberger Grotte" K. Kr. Inhalt: Engelhardt, Faraday's Stellung in der Geschichte der Physik. (2 Abb.) S. 465. — Einzelberichte : Otto Jessen, Das Landschaflsbild der trocknen Champagne. S. 472. Kurt Leuchs, Die Geologie des mazedonischen Kriegsschau- platzes. S. 473. Wegelin, Die Ergebnisse der experimentellen Kropfforschung. S. 474. L. Reh, Die Nacktschnecken- plage im Sommer 1 91 6. S. 475. Pop off und Joakimoff, Die Bekämpfung der Reblaus durch Umänderung der Reben- kultur. S. 475. O. Holik, Zur Biologie der Bärenspinner. S. 477. Zander, Zeitgemäße Bienenzucht. S. 477. Sarasin, Bewohner von Neukaledonien und der Loyaltyinseln. S. 478. Bücherbesprechungen: P. Adloff, Die Entwicklung des Zahnsystems der Säugetiere und des Menschen. S. 480. — Literatur: Liste. S. 480. — Druckfehlerberichtigung. S. 480. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, luvalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 2. September 1917. Nummer 35. Über die Bedeutung der Größe für Organismen. (Nachdruck verboten Die Begriffe der Physik , soweit Charakter von Größen haben , werden zurück- geführt auf die drei F"undamentalgrößen, Länge L, iVIasse M und Zeit T. Die Zurückführung ge- schieht mit Hilfe irgendeiner auf Begriffsverbindung oder Erfahrung beruhenden „geometrischen, kine- matischen oder physikahschen Beziehung". ^) Alle meßbaren Größen werden dadurch zu einem „absoluten Maßsystem" vereinigt. Die Abhängigkeit irgendeines physikalischen Begriffes von den F"undamentalgrößen tritt am deutlichsten hervor, wenn man nur ausdrückt, welche Potenzen von L, M und T in seiner Definition vorkommen. Die Kraft z. B. wird ge- messen durch das Produkt aus Masse und Be- schleunigung. Wenn man die Beschleunigung mit Hilfe ihrer Definition auf L und T zurück- führt, so ergibt sich für die Kraft das Produkt LMT -. Durch diesen Ausdruck ist die „Dimen- sion" der Kraft bestimmt. Wenn man nur untersuchen will, wie irgend- eine physikalische Erscheinung von der Größe der beteiligten Körper abhängt, so genügt es an- zugeben, welchen Potenzen von L allein die Ursachen und Wirkungen, die man betrachtet, proportional sind. Dabei wird also die Zeit ganz außer acht gelassen. Die Masse dagegen ist proportional L'' zu setzen, denn die Masse eines Körpers oder seiner Teile ist gleich dem Produkt aus dem Volumen und der spezifischen Dichte; diese aber ist nur von der Beschaffenheit der Stoffe, nicht von ihrer Ausdehnung abhängig. Bevor ich die biologischen Anwendungen dieses Gedankens gebe, möge ein Beispiel aus der Physik betrachtet werden. Man denke sich eine Dampfmaschine, die eine Pumpe treibt, und daneben ein vollkommen ge- treues Modell, das im Maßstabe i : 10 ausgeführt ist; beide Maschinen sollen in gleichem Takt laufen. Das Modell bietet dann dem Beschauer das Bild einer geometrischen Verkleinerung, die in jeder Bezieliung dem Original ähnlich ist. Dennoch ist die Arbeit des Modells von der des Originals wesentlich verschieden. Diese Betrachtung wird einleuchtend, wenn man sich einige Grundbegriffe der Mechanik in die Erinnerung zurückruft. Um einen ruhenden Körper (z. B. ein Geschoß) durch einen Stoß in geradlinige Bewegung zu ver- setzen, muß eine Kraft angewendet werden, welche proportional ist dem Produkt aus der )n Prof. Johannes Theel. Mit I Abbildung. sie den Masse des Körpers und der Beschleunigung, die er bekommt. Beschleunigung bedeutet den Zuwachs an Geschwindigkeit für die Zeiteinheit und Geschwindigkeit (v) , bedeutet den Weg in der Zeiteinheit.') Wenn dagegen ein ruhendes Schwungrad durch einmaligen Anstoß in Rotation versetzt werden soll, so muß eine Kraft aufgewendet werden, welche proportional ist dem Produkt aus dem Trägheitsmoment des Rades und der Winkelbeschleunigung, die es bekommt. Winkelbeschleunigung bedeutet die Zunahme der Winkelgeschwindigkeit für die Zeiteinheit und Winkelgeschwindigkeit (w) bedeutet den Winkel, den irgendein Punkt in der Zeiteinheit überstreichen würde. Hieraus ergibt sich: das Trägheitsmoment spielt bei der Rotation dieselbe Rolle wie die Masse bei der geradlinigen Bewegung (Translation). Masse und Trägheitsmoment sind Bezeichnungen für das, was der Beschleunigung widerstrebt. Nun ist das Trägheitsmoment von der Form 9 = rmr- (m bedeutet die einzelnen Massenteile und r ihren Abstand von der Rotationsachse). Das Trägheitsmoment hängt also nicht nur von der Masse, sondern erst recht von ihrer Verteilung ab und wird um so größer, je weiter die Massen- teile von der Rotationsachse entfernt sind. Die Gleichung (-) = Emr'- zeigt außerdem, daß & der fünften Potenz von L proportional ist, denn m ist proportional L'"*. Andererseits ist die kinetische Energie eines geradlinig bewegten Körpers gleich ^mv'^ und die eines rotierenden gleich \6io-. Auch im Ausdruck der Energie erscheint das Trägheitsmoment bei der Rotation anstelle der Masse bei der Trans- lation. Für das Beispiel von der Dampfmaschine und ihrem Modell ergibt sich nun folgendes: Da bei der Maschine alle Längen das lofache der entsprechenden Längen des Modells betragen, so kann die Maschine in einer bestimmten Zeit lO'' = 1000 mal so viel Wasser heben wie das Modell und kann dadurch eine potentielle Energie anhäufen, welche 10 • 10^ = 10 000 mal die Leistung des Modells übertrifft. Dagegen steckt im Schwungrad der Maschine eine kinetische Energie, welche 10* = looooo mal so groß ist wie bei dem Modell. In der Maschine herrscht also eine andere Verteilung der Energien. Solange beide in gleichem Takt arbeiten, be- ') Kc iscb, Prakt. Phys. VUI. Aufl. S. 435. ') Abkürzungen sin gebraucht werden sollen hinzugefügt, wenn sie später 482 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 35 merkt man nichts von dieser inneren Verschieden- heit. Wenn aber irgendeine Störung eintritt, so wird die Maschine diese leichter überwinden, weil in ihrem Schwungrad relativ mehr Energie auf- gespeichert ist. Auch wenn man den Dampf ab- stellt, wird das Modell viel schneller zur Ruhe kommen als die Maschine; dementsprechend läuft natürlich die Maschine langsamer an. Zusammenfassend kann man sagen: Die Maschine und das Modell können in der Ruhe geometrisch ähnlich sein und sich auch sonst in jeder Beziehung gleichen; sobald sie in Bewegung gesetzt werden, hört die Ähnlichkeit auf, denn sie funktionieren verschieden. Der Unterschied, auf den hier hingewiesen wurde (es ist nicht der einzige), läßt sich so formulieren: die wesentliche Leistung des Schwungrades, nämlich der Maschine durch seinen Energievorrat über kleine Störungen hinwegzuhelfen, fehlt dem Modell um so mehr, je kleiner es ist. Das Beispiel sollte nur beweisen, daß die Funktionen eines Mechanismus von seiner Größe in verschiedenem Maße abhängen können. Die Anwendung ähnlicher Betrachtungen auf lebende Körper wird nun zeigen, wie weitgehend und fühlbar der Einfluß ist, den die Größe allein auf manche Lebenstätigkeiten der Organismen ausübt. Kleine Wesen, obwohl denselben physi- kalischen Gesetzen Untertan, leben doch sozusagen in einer anderen Welt als wir und haben ihre eigene Physik. Einige Leistungen der Lebewesen sind von der Art, daß sie von der Masse des Oiganismus be- günstigt, von der Oberfläche dagegen beeinträchtigt werden. Für solche Leistungen ist also das Ver- hältnis F : M der Oberfläche zur Masse von Be- deutung. Für eine Kugel vom Radius r und der spezifischen Dichte a ist F : M = -. 5 — ^ — • '^ f7iT^-a r ff für einen Würfel mit der Kante a ergibt sich -•-, für einen Tetraeder , für ein Okta- eder 3r6 Bei der Kugel hat das Verhältnis F : M seinen kleinsten Wert und die Kugelform ist daher das Optimum, wenn es darauf ankommt, viel Masse und wenig Fläche zu haben. Für andere Körper ist F : M größer und zwar um so mehr, je mehr einzelne Teile vorspringen. Bei allen möglichen Gestalten aber ist F : M propor- allein schon durch ihre Größe günstiger gestellt, wenn es darauf ankommt viel Masse mit wenig Oberfläche zu vereinen; im umgekehrten Falle sind natürlich kleinere Körper begünstigt. Ich wende mich nun zu den konkreten Fällen. Der Wärme vor rat eines Organismus, d. h. die Anzahl von Kalorien, die er abgeben kann, ist seiner Masse proportional; auch die Möglich- keit, durch physiologische Vorgänge Wärme zu erzeugen, hängt von der Masse ab. Dagegen der Wärme Verlust, den ein Körper (durch Leitung^ Strahlung oder Konvektion) erleidet, wenn er in eine kältere Umgebung versetzt wird, ist eine Funktion seiner Oberfläche und nimmt mit dieser zu und ab. Daraus folgt, daß ein kleiner Körper sich rascher abkühlen muß als ein großer, oder, genauer gesprochen, wenn 2 geometrisch ähnliche Körper von gleichem Material und gleicher Temperatur gleichzeitig in eine kältere Umgebung versetzt werden, so nimmt die Tempe- ratur des kleineren rascher ab. Da nun die Masse durch L^ und die Oberfläche durch L'^ gemessen wird, so ist die Möglichkeit, eine höhere Tempe- ratur zu bewahren, proportional L. Für die Lebewelt folgt daraus, daß warm- blütige Tiere nur von einer gewissen Körpergröße an aufwärts lebensfähig sind. Die Warmblüter oder besser Idiothermen bedürfen natürlich immer eines besonderen Aufwandes, um ihre höhere Temperatur in einer kälteren Umgebung zu be- wahren. In den meisten Fällen genügt offenbar das Haar- oder Federkleid. Diese schützende Hülle wirkt nicht nur durch ihre eigene ge- ringe Leitfähigkeit, sondern wohl vor allem durch ihre Struktur, indem die geringe Leitfähig- keit der Luft zuhilfe genommen wird. Andere Einrichtungen zum Schutze der Eigenwärme seien nur durch die folgenden Stichworte in die Erinne- rung zurückgerufen: Fettschicht, Schlupfwinkel, Winterschlaf Alle diese Mittel würden aber bei einem zu kleinen Tier nicht mehr ausreichen und die Vor- stellung eines Warmblüters von der Größe eines kleinen Käfers ist absurd, weil die geringe Körper- masse nicht so viel Wärme erzeugen könnte, wie durch die große Oberfläche auch bei gutem Wärme- schutz verloren gehen müßte. Nur in nahezu gleich temperierter Umgebung könnte ein solches Geschöpf lebensfähig sein, aber dann verdiene es nicht mehr die Bezeichnung Idio therm. In der gegenwärtigen Tierwelt sind die klein- sten Warmblüter zu finden unter den Vögeln, In- sektenfressern und Nagetieren. Bei den Vögeln wird die Wärmeabgabe durch das Federkleid sehr vermindert und die Leistung dieses Wärmeschutzes erscheint noch bedeutender, wenn man bedenkt, wie schwer es gerade für einen kleinen Körper ist, seine Wärme zusammenzuhalten. Unsere AUer- kleinsten, Goldhähnchen, Tannenmeise und andere, die im Winter bei uns aushalten, werden wohl auch durch reichliche Nahrung in ihrem Kampfe gegen die Kälte unterstützt: Ihren Kletterkünsten und ihren spitzen Schnäbeln sind ja alle Schlupf- winkel der Insekten und ihrer Brut zugänglich. Wollen die Vögel schlafen, so stecken sie be- kanntlich den Kopf unter einen Flügel und hocken nieder, so daß auch die F"üße mit in das Feder- kleid eingeschlossen werden. Die ganze Gestalt nähert sich dann der Kugelform und erreicht damit das Optimum für den Wärmeschutz, weil N. F. XVI. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 483 jetzt die Oberfläche im Vergleich zur gegebenen Masse so klein wie möglich ist. Diese Steigerung des Wärmeschutzes ist nötig, weil im Schlaf die Wärmeproduktion vermindert wird. Das Bestreben, sich während des Schlafes noch besonders gegen Wärmeverluste zu schützen, zeigen alle Warm- blüter, und gerade das Zusammenkauern des Kör- pers, wodurch die Oberfläche vermindert wird, ist ein gewöhnliches Mittel, das ja auch der Mensch instinktiv anwendet, wenn ihn friert. Ebenso ist das Aneinanderschmiegen mehrerer zu verstehen. Die Tiere wollen sich nicht gegen- seitig wärmen, wie man wohl sagt, denn sie sind ja gleich warm, sondern sie wollen an Oberfläche sparen. Die Vögel haben, so viel ich weiß, den klein- sten Warmblüter in ihren Reihen, nämlich den Zwergkolibri (Trochilus minimus), dieser lebt auf Haiti und Jamaika und wird nur 2 g schwer. Die andere Gruppe der ganz Kleinen, die Mäuse und Spitzmäuse, wahren sich vor Ab- kühlung dadurch, daß sie in Gängen, Höhlen oder Nestern Unterschlupf suchen, d. h. physikalisch, sie begeben sich in eine schlecht leitende Um- gebung von verhältnismäßig günstiger Temperatur. Damit soll nicht gesagt sein, daß nicht zuerst und in höherem Grade andere Gründe diese Tiere bestimmt haben, etwa unterirdische Gänge zu graben, aber jedenfalls ist der Wärmeschutz, den nun ein solcher Gang gewährt, von Bedeutung für ihre Ökonomie und ermöglicht ihnen den Aufenthalt in den sog. gemäßigten Zonen mit ihren starken Temperaturextremen. Die bekannten Nager im arktischen Gebiet und im Hochgebirge, Lemming und Murmeltier, sind übrigens recht große Vertreter ihres Ge- schlechtes; trotzdem müssen diese Tiere erheb- lichen Aufwand machen, um im Winter nicht zu erfrieren; auch in den Hochregionen der Anden sind die Nager durch große Typen, Viscacha und Chinchilla vertreten. Überhaupt, wenn man die Warmblüter aus der Umgebung der Pole und den höchsten Gebirgsgegenden mustert, so trifft man lauter große Tiere, und ich bin geneigt, hierin die Wirkung einer Auslese durch die Kälte zu erblicken. Allerdings weiß ich nicht sicher, ob da nicht auch kleinere Warmblüter leben, denn auf negative Fragen ist nicht leicht eine sichere Antwort zu bekommen. Von einigen Spitzmäusen wird angegeben „bis zu 2000 m";^) aber da diese Tiere keinen Winterschlaf halten, so handelt es sich wohl nur um sommerliche Ex- kursionen. Bei den peukilotropen Tieren, d. h. denjenigen, deren Temperatur sich nach der Umgebung richtet, gibt es weder eine obere noch eine untere Grenze fiir die Größe. Aber je kleiner diese Tiere sind, desto rascher müssen sie die Temperatur ihrer Umgebung annehmen und desto vollständiger müssen sie daher alle Schwankungen mitmachen. ') Martin, Naturgesch. 1, 161 Ihr Leben wird um so intensiver, je näher die Temperatur der Umgebung ihrem eigenen Opti- mum kommt. Jeder hat wohl schon beobachtet, wie sehr das Leben in einem Ameisenhaufen von der Sonne abhängt, so sehr, daß man den ganzen Staat als eine kalorische Maschine bezeichnet hat. Träge und steifbeinig kriechen die Tiere unter den ersten Strahlen der Morgensonne einher und in rasender Geschäftigkeit wirbeln sie unter der Mittagsglut durcheinander. Dazwischen gibt es alle Übergänge und jede Wolke, die vor die Sonne zieht, bewirkt eine Dämpfung. Diese strenge Abhängigkeit ist ein Ausdruck dafür, daß so kleine Körper wegen der Größe des Verhältnisses F:M alle Schwankungen der Außentemperatur mitmachen müssen. Dagegen werden große Peukilothermen die Temperatur ihrer Umgebung entsprechend langsamer an- nehmen. Die größten F'ormen, Krokodile, Riesen- schlangen und die großen Schildkröten, leben übrigens in Gegenden, deren Temperatur sich von einem verhältnismäßig hohen Stande weder rasch noch weit entfernt. Der Umstand, daß F : M proportional L ' ist, hat also zur Folge, daß Tiere sich um so weniger vor Abkühlung schützen können, je kleiner sie sind ; gerade ebenso steht es mit dem Austrocknen. Die folgende Betrachtung gilt aber auch für Pflanzen. Der Wasser Vorrat eines Organismus ist näm- lich seinem Volum en proportional, der Wasser- verlust durch Verdunstung dagegen seiner O b e r - fläche. Nun brauchen alle Lebewesen zu mani- festem Leben viel Wasser, und wenn es ihnen daran fehlt, gehen sie entweder zugrunde oder treten in den Zustand des latenten Lebens über, aus dem sie durch Wasserzufuhr wieder erweckt werden können. Kleine Wesen sind also auf dauernde Versorgung mit Wasser um so mehr angewiesen, je kleiner sie sind, weil in demselben Maße F : M zunimmt. Daraus erklärt sich die biologische Tatsache, daß die kleinsten Vertreter des Tier- und Pflanzen- reiches zumeist im Wasser leben, viele auch auf feuchten Substraten und manche in einer fast immer gesättigten Atmosphäre. Als Beispiele seien genannt die Bakterien, Diatomeen und Pro- tozoen oder die Tiergesellschaft in feuchten Moospolstern und die mancherlei Epiphyllen tro- pischer Laubblätter. Alle diese unzähligen Wesen können nur leben, solange die Feuchtigkeit der Umgebung dazu ausreicht. Für den Fall der Aus- trocknung bieten sich ihnen zwei Möglichkeiten zur Erhaltung. Entweder sie haben die Fähig- keit, in ausgetrocknetem Zustande ein latente- Leben zu führen oder sie gehen zwar selbst zu, gründe, sorgen aber vorher lür Erhaltung der Art indem sie z. B. Sporen oder Eier ausbilden, welche die Austrocknung vertragen können. Als Beispiele für den ersten Modus können die Protozoen dienen, welche sich zwar encystieren, aber wegen ihrer Kleinheit schließlich doch austrocknen müssen. 484 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 35 Für den zweiten Weg seien als Beispiele genannt die merkwürdigen Phyllopoden, welche zuweilen in Tümpeln massenhaft erscheinen, wieder ver- schwinden und manchmal nach Jahren aus Dauer- eiern zu neuem Leben erwachen. Während bisher die Abhängigkeit des Verhält- nisses F:M von L für die Kleinen ungünstig war, ist es in den folgenden beiden Fällen umgekehrt. Das Verhältnis F : M ist nämlich auch von ent- scheidender Bedeutung beim Fliegen oder, genauer gesagt, beim Schweben. Alle Körper fallen zwar gleich schnell, aber nur im leeren Raum. In der Luft und im Wasser wird die Geschwindigkeit des Falls durch den Widerstand dieser Medien gehemmt, und zwar um so mehr, je größer die Oberfläche des fallenden Körpers im Vergleich zu seiner Masse ist. Die Beschleunigung durch die Erdanziehung wirkt eben auf die Masse, die Hemmung durch das Medium dagegen wirkt auf die Oberfläche. Wenn F : M sehr groß ist, so kann infolgedessen die Fallgeschwindigkeit unmerklich klein werden. Ein solches Fallen mit sehr verminderter Geschwindig- keit soll hier als Schweben bezeichnet werden. Zum Schweben sind alle Körper befähigt, auch die von hohem spezifischen Gewicht, wenn nur bei ihnen F : M groß genug ist. Beispiele sind allgegenwärtig. Die Sonnenstäubchen in der Luft sind ganz verschiedener Herkunft, auch kleine Gesteinssplitter sind unter ihnen. Deren spezi- fisches Gewicht ist ungefähr 2000 mal so groß wie das der Luft. Alle schweben, nicht weil sie leicht, sondern weil sie klein genug sind. Oder, wenn man Ton in Wasser durch Umschütteln suspendiert und dann das Wasser ruhig stehen läßt, so sinken bekanntlich die größten Partikel zuerst zu Boden und die kleineren folgen um so langsamer, je kleiner sie sind. Man erhält ein Sediment, in dem die Teilchen der Größe nach geordnet sind. Etwas anderes ist das Schweben eines Frei- ballons in der Luft oder eines Fisches im Wasser. Diese Körper sinken nicht, solange ihr spezifisches Gewicht gleich dem ihrer Umgebung ist; sie schweben auf Grund des A rchimedes'schen Prinzips. Hier ist nur die Rede vom Schweben auf Grund der Oberflächenwirkung. Natürlich wird dieses Schweben im eigentlichen Sinne begünstigt, wenn das spezifische Gewicht über das des Me- diums nicht weit hinausgeht. Für die Lebewelt folgt daraus, daß ein Organismus um so leichter schwebt, je kleiner er ist. Bei den kleinsten Körpern ist das spezifische Gewicht nicht mehr entscheidend. Durchmustern wir nun von diesem Gesichts- punkt aus die Flieger des Tier- und Pflanzen- reiches. Für die vollkommensten P^lieger gelten die Vögel, weil bei ihnen die Anpassung an das Fliegen den höchsten Grad erreicht hat. Die be- sonderen Einrichtungen, wie die Verringerung des spezifischen Gewichtes, die spindelförmige Ge- stalt u. a. sind hier nicht zu besprechen, sondern nur die Frage, wie das Flugvermögen mit der Größe zusammenhängt. Auf den ersten Blick möchte man sagen , es gibt geschickte Flieger unter den großen und den kleinen. Das ist richtig. Unter Fliegen versteht man nämlich die Gesamtheit der Leistungen, welche zur Fort- bewegung in der Luft dienen, und natürlich hängen Schnelligkeit und Manövrierfähigkeit allein von der Ausbildung des Flugapparates ab. Da- gegen die Leichtigkeit des Fluges, — d. h. das Verhältnis der Arbeit, welche auf das Schweben verwandt werden muß, zu der Arbeit, welche der Fortbewegung dient — hängt ab von F : M und vom spezifischen Gewicht. Die Verminderung des spezifischen Gewichtes, welche durch besondere Einrichtungen des Organismus erzielt wird, ist großen und kleinen Vögeln in gleichem Maße möglich; dagegen die Begünstigung durch den Umstand, daß F" : M mit abnehmender Größe zu- nimmt, haben die kleinen vor den großen voraus. Bei genauerem Hinsehen ergeben sich nun auch schon bei den Vögeln Tatsachen, die be- stätigen, daß die Größe des Quotienten F : M für das Flugvermögen von Bedeutung ist. Hier nur ein Beispiel. Es sind bekanntlich gerade die größten Vögel, welche das Fliegen aufgegeben haben. Bei ihnen war der größte Kraftaufwand nötig und daher auch die Versuchung zu ver- zichten am größten. Solche Riesengestalten wie .^epyornis, Strauß, Kasuar, Emu, Nandu u. a. haben wohl nie fliegen können, sondern Vorfahren von ihnen, die kleiner waren, haben unter günstigen Verhältnissen das Fliegen aufgegeben und die Nachkommen konnten dann zu solchen Riesen heranwachsen. Was für günstige Verhältnisse das waren, läßt der Zustand der Neuseeländischen Tierwelt erraten, bevor der Mensch eingegriffen hat. Dort gab oder gibt es auch kleinere Vögel, die offenbar schon lange nicht mehr geflogen sind, denn ihr Flugapparat ist aufs äußerste redu- ziert (Stringops, Kiwi). Sie konnten auf das Fliegen verzichten, weil keine Raubtiere da waren, die ihnen nachstellten. Das große Heer der Flieger gehört dem Stamme der Insekten an. Je kleiner die sind, desto leichter haben sie das P'liegen. Die zier- lichen Reigen der Mücken und die unermüdlichen Tänze der Homalomyien werden off'enbar mit ganz geringem Kraftaufwand ausgeführt. Aber wie wenig Masse hat auch eine Mücke und wie- viel Fläche im Vergleich dazu ; auch die kamm- artigen Fühler und die 6 langen Beine helfen die Fläche vermehren. Noch kleinere Wesen brauchen dann gar keine Flügel mehr. Die Spinnen, die den Altweibersommer machen, fliegen sozusagen allein mit Hilfe der Oberfläche. Dabei muß ihnen freilich der Wind helfen, aber nur zum Fort- kommen, nicht zum Schweben. Vergleicht man nun die Extreme unter den guten Fliegern, etwa eine Möwe und eine Libelle, so wird man wohl zugeben können, daß der Flugapparat der Möwe N. F. XVI. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 485 auf einer höheren Stufe steht. Ja, man könnte sich darüber wundern, daß eine Libelle über- haupt fliegen kann, wo ihr doch nur 4 elastische Platten zur Verfügung stehen ohne alle die be- wundernswerten technischen Einrichtungen des Vogelflügels. Auch die Flügel der Schmetter- linge und Käfer erscheinen unvollkommen im Vergleich zum Vogelflügel und sie sind es auch gewiß, denn ein kleines Tier braucht eben weniger Aufwand zum Fliegen als ein großes, weil ihm seine größere Oberfläche hilft, und deswegen wird es auch weniger Aufwand machen. Das Schweben im engeren Sinne ist eine Eigentümlichkeit der zahlreichen Lebewesen, welche zusammen das Plankton des Wassers bilden. Zum Plankton gehören Tiere und Pflanzen verschiedener systematischer Stellung, aber nur kleine Organismen. Als Beispiel seien die Radio- larien genannt. Man weiß, daß sie in abgestor- benem Zustande auf den Meeresboden hinab- sinken und da durch ihre Menge gesteinsbildend wirken können. Sie sind also spezifisch schwerer als Wasser. Man weiß andererseits, daß sie bei gutem Wetter an der Oberfläche des Meeres schwimmen und bei stürmischem Wetter wieder in größere Tiefen hinabgehen. Sie müssen also die Fähigkeit zum Steigen besitzen. Die Mittel, mit deren Hilfe sie aufsteigen, sind nicht bekannt, dagegen finden sich häufig und in mannigfacher Ausbildung Einrichtungen, durch welche die Ober- fläche des Körpers vergrößert wird. Die schönen, mit langen Strahlen versehenen Skelette mancher Radiolarien sind ja oft abgebildet worden, auch die Pseudopodien helfen die Oberfläche vergrößern. Die zierlichen Strahlen der Skelette sind meist als Schwebevorrichtung gedeutet worden. Mit dem Schweben der Radiolarien steht es demnach so: das spezifisch schwere Tier sinkt sehr langsam, erstens, weil es klein ist, und deshalb F : M einen großen Wert hat, zweitens weil die Skelett- strahlen und Pseudopodien den Widerstand des Wassers noch vermehren. Aufsteigen dagegen können sie nur aktiv mit Hilfe noch unbekannter Mittel. Beim Aufsteigen sind die Einrichtungen, welche das Sinken verlangsamen, zwar hinderlich, aber in geringem Grade, da es sich nur um ganz langsame Bewegung handelt. Den höchsten Grad der Ausbildung erreicht die Oberflächenvergrößerung bei pelagischen Krebsen. Eine Vorstellung davon kann nur durch Anschauung gewonnen werden; ich nenne des- halb die Farbentafel „Pelagische Ruderkrebse" bei C. Keller: Das Leben des Meeres. Es ist kein Zweifel, daß die federähnlichen Anhängsel, welche bei extremen F"ormen die eigentliche Körper- oberfläche an Ausdehnung weit übertreffen, zum Schweben dienen. Auch im Pflanzenreich ist das Fliegen von Bedeutung, und zwar zur Verbreitung des Pollens bei Windblütlern und zur Samenverbreitung. Der Blütenstaub, der von unberechenbar kleiner Masse ist, braucht keine komplizierte Organisation zum Fliegen und es ist schon ein extremer Fall, daß z. B. die Kiefer Luftsäcke am Pollenkorn hat, welche die Oberfläche vergrößern und das Schweben begünstigen. Ebenso sind die Sporen vieler Kryptogamen staubfein und bedürfen keiner besonderen Schwebeeinrichtung. In vielen Fällen sind sie kugelförmig oder eiförmig und können sogar bei dieser ungünstigsten Form noch auf genügende Verbreitung rechnen. Ebenso ist es mit dem Samen der Orchideen, deren Gewicht z. B. für Stanhopea oculata von Kerner zu 0,000003 g angegeben wird. Schwerere Samen, wie z. B. die des Löwen- zahns und anderer Kompositen haben schon be- sondere Schwebevorrichtungen, die nach Art eines Fallschirmes wirken. Sie sind so konstruiert, daß F : M möglichst groß ist. Größere Samen sind nicht mit Schwebeeinrichtungen versehen oder doch nur mit solchen, die bewirken, daß sie nicht senkrecht herabfallen, denn da es sich bei Samen nur um ein Schweben mit passiver Fort- bewegung handelt, so müßte ein großer Same eine sehr bedeutende Oberflächenvergrößerung vornehmen, um schwebfähig zu sein, und würde damit die Grenze einer technisch brauchbaren Konstruktion überschreiten. Die Natur hat andere Mittel, für die Verbreitung größerer Samen zu sorgen. Hierher gehört auch eine Bemerkung über die Wirkung des Windes auf die Organismen. Die Kraft, welche der Wind ausüben kann, ist pro- portional der Oberfläche, die sich ihm darbietet; die Beschleunigung, die er irgendeinem Körper erteilen kann, ist aber um so kleiner, je mehr Masse der Körper hat. Die Wirkung des Windes ist also dem Verhältnis zu F : M proportional. Die Organismen sind demnach gegen den Wind um so hilfloser, je größer bei ihnen F : M ist. Diese Abhängigkeit vom Winde ist einerseits eine Gefahr, andererseit gibt sie die Möglichkeit der Verbreitung. Für beides sind zahlreiche Beispiele leicht aufzufinden. Hier soll die Wirkung des Windes nicht weiter besprochen werden, weil dabei ein Faktor ent- scheidend ist, der nicht in der Organisation der Lebewesen begründet und auch nicht rein physi- kalisch ist, nämlich die durchschnittliche Wind- stärke der einzelnen Gegenden und die Intensität der Maxima. Diese tatsächliche Windstärke ist entscheidend dafür, bis zu welcher Größenstufe die Organismen dem Winde unterworfen sind. Schließlich ist hier noch eine ganz spezielle Leistung mancher Tiere zu besprechen, die auch vom Verhältnis F : M abhängt, nämlich das Klettern mit Hilfe des Lufdrucks. Als normalen Luftdruck in Meereshöhe be- zeichnet man den Druck einer 760 mm hohen Quecksilbersäule. Das bedeutet, auf absolutes Maß umgerechnet, für jeden qcm einen Druck von etwa i kg. Infolge der atmosphärischen Vor- gänge schwankt dieser Druck fortwährend. Mit steigender Erhebung über dem Meere nimmt er 486 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 35 jedenfalls ab. Denkt man sich nun an eine horizontale Fläche von unten eine hohle Halbkugel angelegt, und nimmt an, daß ihr Inneres luftleer gemacht wird, so wirkt der Luftdruck nur von außen und die einzelnen Druckkomponenten, die überall senk- recht zur Fläche gerichtet sind, setzen sich zu einer Resultante zusammen vom Betrage F-p, wenn F die vom Rande der Halbkugel um- schlossene Fläche und p den herrschenden Luft- druck bedeutet. Die Halbkugel wird haften, selbst wenn sie mit Gewichten beschwert ist, solange ihr Gewicht insgesamt kleiner als F-p ist und solange die Ränder luftdicht anschließen. In dem Maße wie etwas Luft in das Innere dringt, wird die Tragfähigkeit vermindert und zwar um den Druck der eingedrungenen Luft. Tiere können diese physikalische Tatsache zum Klettern benutzen, wenn sie die Fähigkeit haben , unter ihren Füßen einen luftverdünnten Raum herzustellen und eine Weile zu erhalten. Es ist bekannt, daß Fliegen, Egel und Eidechsen so klettern und sogar imstande sind, an horizon- talen Flächen unten hinzulaufen. Diese Fähigkeit hat zwei praktische Grenzen. I. Die Tragfähigkeit wächst mit der Größe der Berührungsfläche und diese kann in erster Annäherung der Oberfläche des Körpers propor- tional gesetzt werden. Die vom Luftdrucksunter- schied zu tragende Last dagegen wächst mit dem Gewicht, d. h. proportional L'\ das Klettern mit Hilfe des Luftdruckes ist also nur für kleine \\'esen praktisch und in Wirklichkeit ja auch auf diese beschränkt. Die größten „Luftdruckkletterer" sind die Geckonen; die in Südeuropa vorkommende Art (Platydactylus facetanus Aldrov.) erreicht l6 cm Länge. 2. Die Abdichtung eines luftverdünnten Raumes ist immer schwierig und hält jedenfalls nicht lange vor. Die Möglichkeit, daß Luft eindringt, wächst nun mit der Länge der Randlinie, also propor- tional L, während der äußere Druck gleich F-p, d. h. proportional L'- war. Die Sicherheit des Haltens wird also begünstigt durch L'- und be- einträchtigt durch L, d. h. sie ist proportional L. Je kleiner also die Haftscheibe, desto geringer wird ihre Zuverlässigkeit, und so ergibt sich für diese Form des Kletterns aus der oberen auch eine untere Grenze. Es ist mir allerdings nicht bekannt, welches von den Tieren, die mit Hilfe des Luftdrucks klettern, am kleinsten ist. (Schluß folgt.) Abschätzeu vou größeren Eutferiiuugeu unter Berücksichtigung der Luftperspektive. [Nachdruck verboten.) Von Max Frank. Das richtige Abschätzen von Entfernungen spielt jetzt im Kriege eine besonders wichtige Rolle, aber auch im Frieden hat der Soldat, der Jäger, der Wanderer und manch anderer große Vorteile, wenn er es versteht, sich über Ent- fernungen ein durch Abschätzen genügend sicheres Urteil zu bilden. Die Natur bietet uns nun dazu verschiedene Hilfsmittel, die man nur richtig anwenden muß. Zunächst erscheint ein Gegenstand in unserem Gesichtsfelde um so kleiner, je entfernter er ist. Kennen wir also die Größe, so haben wir damit auch einen genauen Anhaltspunkt für die Ent- fernung. Auf dieser allbekannten Erscheinung beruhen auch die einfacheren Entfernungsmesser, bei denen die scheinbare Größe eines Menschen als Maßstab benutzt wird. Ist jedoch die Größe des geschauten Gegen- standes nicht bekannt, so können wir die Perspektive, so nennen wir das scheinbare Kleinerwerden mit zunehmender Entfernung, nicht zum Abschätzen des Abstandes benutzen. Bei kleineren Entfernungen dient uns nun dabei eine andere Erscheinung, nämlich das stereoskopische, körperliche Sehen. Jedes unserer Augen erhält ein anderes Bild, indem die vorderen Gegenstände gegenüber den hinteren eine etwas andere Lage im Gesichtsfelde einnehmen, weil die beiden Augen etwa ö'/o cm (im Durchschnitt) von- einander entfernt sind. Das Maß der Ver- schiedenheit der beiden von unseren Augen empfangenen Bilder gibt uns, ohne daß man sich im allgemeinen dessen bewußt ist, die Möglich- keit, die Entfernung der verschiedenen Gegen- stände abzuschätzen. Auch diese Erscheinung wird zu mechanischen Entfernungsmessern ausgenützt, die im Kriege von großer Bedeutung sind. Bei diesen optischen Instrumenten werden die beiden verschiedenen Bilder durch eine geeignete Einrichtung einander angepaßt, wobei sich dann ohne weiteres die jeweilige Entfernung ablesen läßt. — Da der Ab- stand der Augen nur gering ist, so hört auch in einer gewissen Entfernung die Verschiedenheit der beiden erhaltenen Bilder auf, so daß das stereoskopische Sehen, die „Tiefenwahrnehmung im freien Sehen", wie der fachmännische Aus- druck lautet, über eine Entfernung von 400 — 500 m hinaus praktisch aufhört. Bei den erwähnten optischen Entfernungsmessern ist jedoch der Abstand der beiden Bilder, die stereoskopische Basis, künstlich erweitert, so daß sie auch für größere Entfernungen Anwendung finden können. Für das freie Sehen kommt aber bei noch größerer Entfernung als 400 — 500 m die sogenannte Luftperspektive als Hilfsmittel zum Abschätzen von Entfernungen in Betracht. Es ist dies eine sehr interessante Erscheinung, die zwar schon jeder oftmals gesehen hat, deren Ursachen jedoch den meisten unbekannt sind und deren bewußte Nutzanwendung nur selten stattfindet. Durchsichtige Körper lassen von durch- N. F. XVI. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 487 scheinendem weißem Licht, das aus einer Reihe farbiger Lichtstrahlen zusammengesetzt ist, nicht immer alle seine Bestandteile gleichzeitig durch, sondern verschlucken (absorbieren) sie teilweise. Die Summe (optische Addition) der restlichen Lichtstrahlen bestimmt dann die P'arbe, in der uns die durchsichtige Substanz in der Durchsicht erscheint. Vielfach lassen solche durchsichtige oder durchscheinende Stoffe einen Teil des sie treffenden Lichtes gar nicht erst herein, sondern werfen ihn bereits an der Oberfläche zurück, reflektieren ihn. Wird von allen Bestandteilen des auffallenden Lichtes ein verhältnismäßig gleicher Anteil reflektiert, so hat das reflektierte Licht die gleiche I-'arbe wie das auffallende, die Substanz erscheint in der Aufsicht in der Farbe des auffallenden Lichtes. Reflektiert jedoch der betreffende Stoff von den einzelnen Teilen des auffallenden Lichtes verschieden viel, so weicht die Aufsichtsfarbe von der P^arbe des auffallenden Lichtes ab. Auf diesen beiden Grundzügen in Verbindung mit der Einrichtung unseres Auges bauen sich die gesamten Farbenerscheinungen in der Natur auf. Da nun aber vielfach ein und derselbe Stoff von dem durchscheinenden Licht einen anderen Teil hindurch läßt als von dem auffallenden re- flektiert, so braucht Durchsichtsfarbe und Auf- sichtsfarbe eines Stoffes nicht die gleiche zu sein. Das ist unter anderem auch bei der mehr oder weniger stark mit Wasser- und Staubteilchen angefüllten Atmosphäre der Fall. Diese läßt hauptsächlich gelbes und rotes Licht durch, re- flektiert dagegen vor allem blaues Licht. Darauf beruhen in der Natur zwei Erscheinungen. Von dem weißen Sonnenlicht gelangen in den Morgen- und Abendstunden, bei Sonnenaufgang und -Untergang hauptsächlich nur die gelben und roten Strahlen zu uns, weil das Licht bei dem niedrigen Sonnenstande eine sehr lange Strecke durch die die Erde umgebende Atmosphäre gehen muß. Auch bei höherem Stande leuchtet die Sonne in gelblicher Farbe, wenn sie durch eine Nebel- schicht scheint. Ähnliche Beobachtungen können wir bei künstlichen Lichtquellen machen. Sehen wir uns dagegen eine Dunst- oder Nebelschicht an, auf welche die Sonne scheint, so werden wir deutlich die bläuliche Färbung der Atmosphäre wahrnehmen. Ist die Dunst- oder Nebelschicht nicht völlig undurchlässig, sondern läßt sie auch die dahinterbefindliche Natur erkennen, so werden deren Farben durch den bläulichen Dunstschleier gesehen und erleiden dadurch in ihrer Wirkung eine wesentliche Ver- änderung, eine um so stärkere, je dunstiger die Luft und je ausgedehnter die zwischen uns und der geschauten Natur befindliche Luftschicht ist. Diese Wirkung der Farben setzt sich also aus den Eigenfarben der Natur und der Farbe der Luft zusammen. Sehen wir uns nun die Einzel- heiten genau an, so werden wir sehr interessante Feststellungen machen. Am besten wählen wir uns dazu an einem sonnigen, nicht allzu klaren Tage einen Platz aus, von dem wir, die Sonne im Rücken, vor uns eine schöne Fernsicht auf eine Reihe hintereinanderliegender Bergketten haben. Den erwähnten Luftschleier, den bläulichen Dunst, werden wir zuerst bei den Schatten sehen, bei denen schon in verhältnismäßig geringer Ent- fernung nach und nach alle Farben immer mehr einer gemeinsamen dunkelblaugrauen Färbung hinneigen. An den besonnten Teilen zeigt sich die Wirkung erst in größerer Entfernung. Während die Schatten schon keine Einzelheiten mehr in den Farben erkennen lassen, geben die besonnten Stellen der Natur die Unterschiede der Farben noch deutlich wieder. Aber auch hier findet in einer gewissen Entfernung eine Farbenveränderung statt, indem alles immer mehr einen gemeinsamen hellgraublauen Ton annimmt, so daß wir schließ- lich nur mehr dunkelgraublaue Schatten und hellgraublaue besonnte Stellen ohne Farben- einzelheiten sehen. Aber auch diese Unterschiede hören allmählich immer mehr auf. Licht und Schatten nähern sich einem mittleren Tone, der bläulichen Ferne, die zuletzt allmählich heller werdend auch mit der Färbung des Himmels zu eins verschmilzt. Die reflektierende Wirkung der Atmosphäre zeigt sich also in ihrer Wirkung in den ver- schiedenen Entfernungen verschieden stark. Durch diese Verschiedenheit können wir ganz deutlich zwei hintereinander liegende, durch ein Tal ge- trennte Berge unterscheiden, können auch Schlüsse auf die ungefähre Entfernung der einzelnen Berge und auf die Breite der dazwischenliegenden Täler ziehen, können ferner, weil wir eben die unge- fähre Entfernung kennen, uns ein Urteil über die Höhe und Größe der Berge usw. bilden. Diese Luftperspektive oder Farbenperspektive ist daher dem geübten Beobachter ein richtiges Hilfsmittel zum Abschätzen von Entfernungen, auch bei ebenem Gelände. Da der Feuchtigkeits- und Staubgehalt der Luft je nach der Whterung stark schwankt, so zeigt sich zu den verschiedenen Zeiten oft die Wirkung der Luftperspektive ver- schieden. Dadurch wird manch einer, der die Natur nur oberflächlich kennt, hinsichtlich der Entfernungen und der Höhe von Bergen usw. irregeführt, nicht aber der, welcher mit Bewußt- sein die Luftperspektive sich dienstbar macht, denn dieser erkennt schon an der Wirkung ihm bekannter geringer Entfernungen, wie stark sich gerade zurzeit die Luftperspektive äußert und paßt danach sein Urteil an. So hat denn auch hier der aufmerksame Naturbeobachter manchen Nutzen voraus, der oft zur Geltung kommt. (GX^) 488 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 35 Einzelberichte. Zoologie. Der Spieg^elfleck am Vog^elköpfchen. Dr. Hans Stübler in Bautzen gelang eine zu- fällige Beobachtung, die er wahrscheinlich richtig auswertet, ') und der eine ziemlich weitreichende Bedeutung für die Erklärung gewisser Eigentüm- lichkeiten in der Gefiederfärbung der Vögel, ins- besondere auch unserer einheimischen, zukommen dürfte. An einem glatten VVäschepfahl kletterte eine Kohlmeise, die Zehen in einen Längsriß ein- klemmend, in dessen tiefer, dunkler Spalte sie offenbar nach Nahrung äugte. Dabei war jede Bewegung des kleinen Meisenkopfes von der eines etwa pfenniggroßen, gleich dem Vogel auf- und niederhuschenden Lichtfleckes an dem Holz be- gleitet, der namentlich dadurch, daß sich der ganze Vorgang an der beschatteten Seite des Pfahles abspielte, gut sichtbar wurde: es war der Wider- schein des weißgefiederten Fleckes am Auge der Kohlmeise. Damit wurde auf einmal klar, was dieser weiße Fleck am Vogelköpfchen für eine Bedeutung habe: er leistet bei der Nahrungssuche den Dienst eines lichlwerfenden Spiegels. Auch bei der Blaumeise und anderen Meisenarten, bemerkt Stübler, kehrt dieser „Spiegelfleck", wie man ihn füglich nennen kann, wieder, weiß ist auch die Umgebung des Auges bei unseren Bunt- spechten und bei der weißen Bachstelze. F"erner erinnert Stübler daran, daß das Köpfchen des Stieglitzes zur Hälfte mit spiegelndem Weiß, zur Hälfte mit dämpfendemRot gefärbt ist. Dämpfende, dunkle Befiederung rings ums Auge mag nament- lich solchen Vögeln zu gute kommen, die ihre Nahrung im grellen Sonnenlichte suchen müssen, so das Schwarz am Köpfchen unserer Schwalben, des Wiesenschmätzers, am Auge des rotrückigen und rotköpfigen Würgers, das Rot am Buchfinken- kopf. An einer ausgestopften Kohlmeise gelang zwar nicht der Versuch, jenen Lichtreflex hervor- zurufen, weil das blendende Weiß ihres Spiegel- flecks nicht erhalten bleibt. Dagegen machte sich Stübler am eigenen Auge einen „Spiegelfleck" aus Papier, der bei Leseversuchen in einem gegen das helle Fenster gehaltenen Buche forthalf, und das sonderbare eigene Aussehen des Beobachters in solcher Ausrüstung brachte ihn auf die Ver- mutung, daß auch die Federkränze um das Eulen- auge einen ähnlichen Dienst leisten mögen. Man wird gewiß nicht fehl gehen, wenn man auch in anderen Tierklassen nach derartigen Einrichtungen suchen wird. Jedenfalls macht man sich klar, daß auch nicht der kleinste Zug in der Gefiederfärbung eines Vogels eines bestimmten Zweckes entbehrt. V. Franz. Über das Gewicht lebender Vogeleier stellte der als Ornithologe bekarmte Pfarrer^WTS ch u s t e r (Heilbronn) die ersten Untersuchungen an. -) Seine ') Ornilhol. Monatschrift, Junihcft 1917. ■') Zoologischer Anzeiger, Bd. XLVIII, Nr. 4/5, S. 138/139. Angaben des Durchschnitts-, Mittel- und Höchst- gewichts beziehen sich auf 21 Vogelarten; aus der Literatur kommen 6 Angaben hinzu, während die allermeisten Eierkundigen nur das Gewicht der Eischale festgestellt haben, wie an ihr, dem ausgeblasenen Ei, überhaupt fast allein die für die Systematik wichtigen wissenschaftlichen Unter- suchungen gemacht werden. Das kleinste und bisher leichteste Ei, von 0,4 g Gewicht, ist das des Goldhähnchens — die Spezies wird nicht genauer bezeichnet; auffallend leicht im Verhältnis zum Gesamtgewicht des Vogels ist ferner das Ei beim Kuckuck, beim Adler, auffallend schwer dagegen bei den Wasservögeln. Frisch gelegte Eier schwim- men auf Wasser, bebrütete sinken unter; dieser Gewichtsunterschied ist von Schuster ent- schieden nicht genügend damit erklärt, daß das Ei „infolge Verdunstens von Wasserstoff (sie) durch die Eischalenporen einen kleinen Gewichtsverlust erlitten hat". Beachtenswert ist der Hinweis, daß dieselbe Art im Norden ein fast genau gleich schweres Ei legt wie im Süden, während doch die Vögel selber ebenso wie Haartiere in käheren Regionen etwas größer zu werden pflegen als in wärmeren. Letzteres hat man als Anpassung, als Mittel zur Verminderung der Wärmeausstrahlung, erklärt, und jenes Verhalten der Eier scheint diese Erklärung zu stützen; denn sie sind der Wärme- ausstrahlung viel weniger ausgesetzt als die Tiere. V. Franz. Abnehmen der Waldschnepfen. Seit Jahren wird in der jagdlichen und forstlichen Literatur darüber Klage geführt, daß die Zahl der Wald- schnepfen in ständigem Abnehmen begriffen ist. Da nicht alle Beobachter diese Anschauung teilten, wurden vor einigen Jahren auf Veranlassung des Frei herrn von Berg- Straßburg an die ein- zelnen deutschen bundesstaatlichen Regierungen Fragebogen hinausgegeben, auf denen erfahrene F"orst- und Jagdbeamte sich über das Vorkommen der Waldschnepfen in ihren Amtsbezirken zu äußern gebeten • wurden. Wie nun Freiherr V. Berg, der die Bearbeitung der ausgefüllten Fragebogen übernommen hatte, im „Deutschen Jäger" (39. Jahrg. 191 7, Nr. 12 u. 13) mitteilt, ergab sich dabei, daß von 1432 Forst- und Jagd- verwaltungsbezirken in 533 Bezirken eine Ab- nahme, in 177 ein Zuwachs und in 713 keine Veränderung beobachtet wurde. In 129 Revieren beziehen sich diese Angaben zurücklaufend nur auf einen Zeitraum von 1—5 Jahren; werden nur die Angaben berücksichtigt, welche die VerhäU- nisse des Schnepfenstandes mindestens 5— 21 Jahre zurückverfolgen, so ändert sich das günstige Bild dieser ersten Statistik wesentlich; dann stehen den 53 Bezirken, in denen eine Zunahme der Langschnäbel beobachtet wurde, 377 Bezirke gegenüber, in denen die Zahl der vorkommenden Schnepfen sich verringert hat. Datieren die Auf- N. F. XVI. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 489 Zeichnungen aus noch weiter zurückliegenden Jahren, so ist nur in einem einzigen Falle eine Zunahme der Schnepfen zu bemerken gewesen, während ihre Abnahme in 84 Fällen festgestellt werden konnte. Die Abnahme der Waldschnepfen in einer großen Zahl deutscher Reviere muß deshalb wohl als eine feststehende Tatsache be- trachtet werden und es bliebe nur die Frage nach ihren Ursachen zu erörtern. Bedeutend schuld daran sind, wie an allen Zugvögelabgängen selbstverständlich auch hier die einschneidenden Nachstellungen, welche die nordische Zugvogel- welt während ihres Winteraufenthaltes im Süden, im „gastlichen" Lande Italien, zu ertragen hat.*) Aber bei der Abnahme der Waldschnepfen ist ihnen allein nicht alle Schuld aufzubürden: auch unsere deutsche Jägerwelt ist nach der Anklage Freiherr von Berg's nicht frei von Fehle. Die Schnepfe wird bei uns bekanntlich hauptsächlich im Frühjahr gejagt und es gibt vermögliche Jagdherren, die es sich leisten können, dabei große Strecken zu erzielen. Dieser Frühjahrs- abschuß der Schnepfen wird nun häufig so weit in den Frühling hinein fortgesetzt, daß von ihm nicht nur die durchziehenden, sondern vor allem auch die heimischen, bei uns brütenden Vögel betroffen werden. „Dieser langandauernde, die Vermehrung hindernde Frühjahrs- abschuß, sagt Freiherr von Berg, muß des- halb als eine Hauptursache angesehen werden, daß es mit den Schnepfen immer mehr bergab geht". Daneben werden natürlich auch in manchen Gegenden die Urbarmachung ausgedehnter Wald- gebiete und die ständige Erweiterung des Kultur- landes, wohl auch in manchen F"ällen ungünstige Witterungsverhältnisse auf den Zug und die Ver- mehrung der Schnepfen hemmend eingewirkt haben, den Hauptgrund werden wir aber neben der Verbesserung der Schießwaffen, die sich natürlich gerade bei der Jagd auf ein solch' flüchtiges Wild bemerkbar machen wird, immer und immer wieder in der langen Ausdehnung des Frühjahrsabschusses zu erblicken haben. Des- halb fordert der Verfasser — und darin schließt sich ihm seit Jahren der bekannte österreichische Ornithologe Viktor Ritter von Tschusi zu Schmidhofen (Tännenhof bei Hallein) voll- inhaltlich an (vgl. Deutscher Jäger 191 7, Nr. 17) — vor allem strenge Schon Vorschriften und die Festsetzung einer genügend langen Schonzeit für diesen für jeden Jagdliebhaber wie Naturfreund gleich reizvollen Vogel : erst wenn der Frühjahrs- abschuß der Schnepfen durch gesetzliche Regelung mit Ende März schließen muß und der Herbst- abschuß (zum Schutze der 2. (Sommer- )Brut) erst mit Anfang September beginnen darf, dann wird es allmählich möglich sein, einer weiteren Ab- nahme der Waldschnepfen wirksam zu steuern und damit einen Vogel dem deutschen Walde ') Vgl. dazu meinen Bericht „Die Bedeutung Italiens für den Vogelzug" in Heft ig dieses Jahrgangs. zu erhalten, dessen vollkommene Ausrottung ein unersetzlicher Verlust für unsere Forsten wäre. H. W. Frickhinger. Astronomie. Bei der großen Bedeutung der Spiralnebel für die Kosmogonie ist die Frage nach der inneren Bewegung oder Umdrehung dieser Nebel von der größten Wichtigkeit. In den letzten Jahren ist in mehreren Fällen davon die Rede gewesen, daß man solche nachgewiesen habe. Vor allem der große Spiralnebel Messier lOl, der senkrecht zur Gesichtslinie liegt, muß sich dazu besonders gut eignen, eine Umdrehung nach- zuweisen, wenn eine solche vorhanden ist. Van Maanen hat (Astroph Journ 44, Nr. 4) vier Aufnahmen von der Licksternwarte und dem Mt. Wilson aus den Jahren 1899 bis 191 5 im Stereokomparator miteinander verglichen und gibt hier seine Resultate wieder. 32 Sterne auf den Aufnahmen , die wohl zum Teil dem Nebel an- gehören mögen, dienten als Anhaltsterne der Messung. 87 Punkte im Nebel, die sich deutlich genug abhoben, wurden zum Messen ausgesucht, und an die Sterne angeschlossen. Aus den Messungen ergibt sich zuerst eine sehr kleine Eigenbewegung des Nebels, nach deren Berück- sichtigung die Drehbewegung erscheint. Diese scheint sich entlang den Armen von innen nach außen zu betätigen, ist jedoch überaus klein, etwa 0,02" im Jahre, was einer Umdrehung des ganzen Systems in etwa 59 000 000 Jahren ent- spricht. Der Verfasser erinnert an die Chamberlin- Moultonsche Hypothese der Entstehung solcher Nebel durch das aneinander Vorbeilaufen zweier Sonnen, die wechselseitig einen Flutberg erzeugen, der zur Ausströmung von Materie in Spiralarmen führen soll. Es ist aber die Frage, ob in diesem Falle nicht sehr viel größere Geschwindigkeiten erzeugt werden müssen, als die hier durch die Messungen sich scheinbar ergebende. Und es ist überhaupt fraglich, ob eine so langsame Um- drehung irgendwelche kosmogonischen Wirkungen haben kann, und ob sie nicht viel eher das Ende eines solchen Prozesses bedeutet, der an irgend- einem widerstehenden Mittel zum Stillstand ge- kommen ist. Riem. Die photometrische Bestimmungjler Helligkeit so sehr heller Körper, wie Sonne und Mond ist auch trotz unserer gegenwärtigen feinen Hilfs- inittel noch immer recht schwierig, und nicht völlig befriedigend, so daß immer neue Be- obachtungsreihen unternommen werden. Die erste Schwierigkeit liegt darin, daß das Licht des hellen Körpers so lange abgeschwächt werden muß, bis es im Meßapparate dem des schwächeren gleich ist. Aber den Grad der Abschwächung genau zu messen ist eben die Schwierigkeit. Dann kommen Farbenunterschiede hinzu, die sehr störend wirken, und zuletzt ist die sehr erhebliche VVirkung der Extinktion zu berücksichtigen, das ist der Betrag an Helligkeit, den das Sternenlicht in einer 490 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 35 bestimmten Höhe über dem Horizont hat im Vergleich zu seiner Stellung im Zenit. Diese beträgt im Horizont etwa drei Größenklassen weniger als im Zenit. Als Normalstern kann der Polarstern angesehen werden, der immer gleich- mäßig hoch steht, und als der zweiten Größe angegeben wird. Jede Größe ist 2^3 mal heller als die nächste, oder nach bequemerer Angabe, der Logarithmus des Helligkeitsunterschiedes ist = 0,400. Damit läßt sich sehr leicht anzugeben, um wieviel ein Stern heller ist, als der andere. Ein Stern 9. Gr. ist um 7 Größen schwächer als Polaris , 7 mal 0,400 ist = 2,800. Dazu gehört der Numerus 630, um soviel mal ist der erste Stern heller als der andere. Nun hat D u g a n sich im Märzheft 1916 des Astroph Journal mit den Gliedern unseres Systems befaßt, und ist zu folgenden Ergebnissen gekommen. Für Sterne, die heller sind als i. Gr. muß man folgerichtig negative Größen einführen, es folgt also auf Gr. i die Gr. o, dann — i, — 2 usw. So findet sich aus gut zusammenstimmenden Messungen von der Sonne im Anschluß an Capeila, Arkturus, Wega und Sirius die Helligkeit — 26,72 Größen. Das ist also um 27,72 Größen heller als ein Stern i. Gr. und wir berechnen: 27,72 mal 0,400 ist = 11,088. Diese Zahl ist der Logarithmus zu 122000000000, welche Zahl angibt, wieviel mal heller die Sonne ist als ein Stern erster Größe. Der an sich sehr geringe Fehler von 0,04 Größen, der dem Er- gebnis anhaftet, macht bei diesen riesigen Zahlen schon soviel aus, daß wir anstatt 122 zu setzen haben 127 oder 117, als Grenzen. P"ür die Planeten findet sich Merkur — 0,97, Venus — 4,71, sie ist der bei weitem hellste Stern des Himmels, 192 mal so hell, wie ein Stern i. Gr., und kann ja auch bei Tage gesehen werden, wenn man ihren Ort kennt, vor allem auf höheren Bergen. Sie wirft auchSchatten. Mars ist dann — 1,79, Jupiter — 2,29, Saturn -(-0189. Uranus -f-S.74. Neptun +7,65. Interessant sind die Messungen am Mond, setzt man seine Helligkeit bei Vollmond = looo, wo also Sonne, Erde, Mond eine Gerade bilden, so ist bei einer Abweichung davon, dem Phasen- winkel, von 10" die Helligkeit noch 816, bei 60" = 283, bei 120" =31, und bei 150" nur noch = 4. Verglichen mit den Sternen hat der Mond die Helligkeit —12,55 Größen, er ist also um 14,17 Größen schwächer als die Sonne, die ihn um das 466 000 fache an Helligkeit übertrifft, eine Zahl, die um etwa ein Zehntel unsicher sein wird. Riem. Physik. P'ür feste Stoffe ist die Löslichkeit von der Kerngröße abhängig, wenn diese geringer ist a.\s2 ju{i fi= Vi 000 mrn). und zwar sind kleinere Körner leichter löslich als größere. W. Herr untersucht die Frage, ob bei Flüssigkeiten, bei denen von einer Kerngröße natürlich keine Rede sein kann, ein Einfluß der Größe der Moleküle auf die Löslichkeit besteht. (Zeitschr. f. Elektro- chemie XXIII, S. 23 (1917)). Im allgemeinen ist die Löslichkeit von Flüssigkeiten (in Wasser) um so größer, je kleiner ihr Molekulardurchmesser 2 r ist, z. B. : 2 r Methylacetat 0,49-10-8 25 g | lösen sich in Methylpropionat 1,04-10-8 jg j 100 g Wasser Methylbutyrat i,i6-iO~^ i>7g) von 22". Da die Größe der Molekeln von der Bindung abhängt, haben die Molekeln isomerer Verbin- dungen verschiedenen Durchmesser; bei nahe ver- wandten Isomeren ist er nahezu gleich, diese haben auch angenähert die gleiche Löslichkeit, z. B. vom Butylalkohol (2 r = 0,74- lO"') lösen sich 12 g, vom Isobut)'lalkohol (2 r = 0,75 • lO"*) 10,5 g in 100 g Wasser. Dagegen zeigen Isomeren von verschiedenem Molekeldurchmesser auch ver- schiedene Löslichkeit. Seh. Die gebräuchlichen Röntgenröhren leiden unter dem Mangel, daß Härte und Intensität der Strahlen voneinander abhängig sind. Die Lil ien feld'sche Röhre, die von diesem Mangel frei ist, ist vor einiger Zeit in derNaturw. Wochenschr. beschrieben worden. Jetzt hat auch die Firma Siemens u. Halske eine Glühkathoden-Röntgenröhre kon- struiert, die durch einfache Handgriffe gestattet, Härte und Intensität der Strahlung unabhängig voneinander zu regulieren. Sie wurde im Febr. 1916 der Berliner medizinischen Gesellschaft vor- geführt. Die Röhre ist bis zum äußersten er- reichbaren Vakuum leergepumpt, so daß sie über- haupt keine Entladung durchläßt. Die Kathode besteht aus einem Wolframdraht, wie er sich in jeder Glühbirne findet. Durch einen besonderen Stromkreis wird die Glühkathode zum Leuchten gebracht; dabei entweichen aus ihr Elektronen, die die Röhre leitend machen. Durch das elek- trische Hochspannungsfeld beschleunigt, treffen sie die Wolframantikathode, werden hier gebrennt, und dabei entstehen die Röntgenstrahlen. Die Härte derselben ist von der Höhe der angelegten Betriebsspannung, ihre Intensität von der Menge der dem Glühdraht entweichenden Elektronen, also von der Heizstromstärke abhängig. Der von der Firma konstruierte, in seiner Handhabung außerordentlich bequeme Apparat gestattet, beide Faktoren in einfacher Weise zu regulieren. Zum Betrieb wird Wechselstrom genommen; eine Gleichrichteranlage ist nicht nötig, da die Röhre selber als Ventil wirkt und nur dann Strom hin- durchläßt, wenn die Glühkathode negativer Pol ist, während sie in entgegengesetzter Richtung undurchlässig ist. Der Wechselstrom speist 2 Transformatoren, den Heiz- und den Hoch- spannungstransformator. Die Stromstärke des ersteren wird durch einen vor seiner Primärspule liegenden Kurbelwiderstand reguliert, und dadurch wird Temperatur der Glühkathode und ihre Elektronabgabe bestimmt. Die Regulierung im Hochspannungstransformator erfolgt dagegen auf andere Weise, indem man nämlich das Über- N. F. XVI. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 491 Setzungsverhältnis, d. i. das Verhältnis der Anzahl Primärwindungen zu den sekundären, ändert, und zwar indem man mittels Kurbel einen 1 Teil der Primärwindungen abschaltet. Dadurch wird erreicht, daß stets die gesamte Netzspannung an der Primärspule liegt, während bei Regu- lierung durch Verschaltwiderstand ein Teil der Spannung in diesem unnütz verloren geht. An der Sekundärspule liegt die Röhre; ein Milli- amperemeter mißt den sie durchfließenden Strom. Da die beiden Transformatorkreise voneinander unabhängig sind, kann durch Betätigung des ersten die Intensität, durch den zweiten die Härte der Strahlung vollkommen unabhängig voneinander reguliert werden. Ja man kann eine Aufnahme oder Bestrahlung unter genau den gleichen Ver- hältnissen wiederholen, was bei den bisher ge- bräuchlichen Röhren wegen der Inkonstanz ihres Vakuums nicht möglich war. Durch geeignete Verbesserung der Apparate ist es gelungen, ein Therapierohr zu erhalten, das außerordentlich harte Strahlen (15" nach Wehnelt, mit älteren Anordnungen 10 — ll") liefert. Wie schon erwähnt, hängt die Härte der Strahlen von der Geschwindigkeit der auf die Antikathode aufschlagenden Elektronen und mithin von der Höhe und Form der angelegten Spannung ab. Bei dem gebräuchlichen Wechsel- strom ändert sich bekanntlich während einer Periode die Spannung wie ein Sinus, d. h. sie steigt allmählich von o bis zum Maximalwert an, lallt wieder bis o, um nun unterhalb der x-Achse denselben Verlauf zu nehmen. Durch einen rotierenden Umschalter wird in dem vielbenulzten Hochspannungsgleichrichter der unter der Achse liegende Teil der Spannungskurve nach oben ge- klappt, so daß wir einen pulsierenden Gleichstrom zum Betrieb der Röhre benutzen. Das ist aber eine Spannungsform, die für die Homogenität und Härte der Strahlung nicht günstig ist. Beim An- wachsen der Spannung wird nämlich schon ein Teil der Elektronen mit verhältnismäßig geringer Geschwindigkeit gegen die Antikathode getrieben und erzeugt hier weiche Strahlen; je mehr die Spannung sich dem Maximalwert nähert, um so härter wird die Strahlung, um nach Überschreiten des Höchstwertes wieder weicher und weicher zu werden, so daß also eine mit dem üblichen Hochspannungsgleichrichter betriebene Röhre ein Gemisch von Strahlen verschiedener Härte liefert, indem die härtesten und für die Therapie wert- vollsten nicht sehr zahlreich sind. Günstiger liegen die Verhältnisse bei Benutzung eines In- duktors, da hier die Spannungskurve schneller ansteigt und abfällt. Das günstigste wäre nach dem Gesagten ein Gleichstrom mit gleichbleibender hoher Spannung. Influenzmaschinen sind zu delikat in der Handhabung und nicht leistungsfähig genug. Das Ziel wird von der Firma Siemens & Halske mit ziemlicher Annäherung dadurch erreicht, daß die negativen Teile der Spannungskurven eines Dreiphasen(Dreh)stromes nach oben geklappt werden und zwar werden dazu sechs Ventilröhren benutzt, die nach Art der neuen Röntgenröhre mit Glühkathode ausgerüstet sind. Der Drehsirom wird entweder dem Kraftnetz direkt oder einem Gleichstrom- bzw. Wechselstrom-Drehstromum- former entnommen. Zur Erzeugung der Hoch- spannung wird nicht ein Drehstromtransformator, sondern aus rein praktischen Gründen zwei Wechselstromtransformatoren in der sogenannten V-Schaltung benutzt. Die Vorrichtung liefert schwach pulsierenden hochgespannten Gleichstrom, der Strahlen von beträchtlicher Härte in reich- licher Menge erzeugt. Durch iMltration mittels geeigneter Metallplatten läßt sich ihre Homogenität weiter steigern. Bei der hohen Energiezufuhr gerät der Wolframklotz der Antikathode trotz seiner durch die große Oberfläche bedingten starken Ausstrahlung bald ins Glühen , so daß auch von der Antikathode Elektronen ausgehen und die Röhre ihre Wirksamkeit als Ventil ver- liert. Das ist aber belanglos, da ihr ja eine durch die 6 Ventilröhren erzeugte Gleichspannung zu- geführt wird. Ein guter Schritt ist durch den Bau der Lilienfeld- und der Glühkathodenröhre — welche von den beiden die leistungsfähigere ist, wird die Praxis erweisen — vorwärts getan ; durch Ablesung eines Voltmeters (Messung der Betriebs- spannung) wird die Härte, aus der Anzeige des Milliamperemeter die Intensität der Strahlung be- stimmt. Eine weitere Forderung ist die, eine wirklich homogene Strahlung zu haben, d. h. Strahlen von einer ganz bestimmten Wellen- länge und nicht wie bisher ein Gemisch einer mehr oder weniger großen Anzahl verschiedener Wellenlängen. Diese Aufgabe wird auch durch die neue Röhre nicht vollständig gelöst. Einer der Gründe ist folgender: Da die Röhre nicht ganz luftleer, trefTen die Elektronen auf ihrem Weg zur Antikathode auf Gasmoleküle. Ein Teil fährt durch dieselben hindurch, ein anderer macht bei dem Zusammenprall Elektronen aus dem Ver- bände des Moleküls frei. Diese werden durch das Feld getrieben nach der Antikathode hin beschleunigt und prallen mit verschiedener Ge- schwindigkeit auf, je nachdem sie nahe vor der Antikathode oder dicht hinter der Kathode durch lonenstoß erzeugt sind. Sie lösen demnach Strahlen von verschiedener Härte aus. Ferner geht von dem Wolfram der Antikathode eine Eigenstrahlung aus, deren Wellenlänge von der Betriebsspannung ganz unabhängig ist. K. Seh. Heilkunde. Schilddrüsenstörungen und Meeres- höhe. ') Bei der Untersuchung einer größeren Anzahl von Schuldkindern in Tirol hat der Ober- bezirksarzt Dr. Karl Pfeiffenb erger in Imst ') Karl Pfeiffenb erger, Scliilddrüsenerkrankungen und Kropf bei Schulkindern im Bezirke Imst. Zeitschr. f. öffentl, Gesundheitspflege II. 1914. 492 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 35 einen sehr interessanten Befund über die Abhängig- keit der Schilddrüsenerkrankung von der Meeres- höhe erhoben. Pfeiffenberger hat insgesamt 3346 Kinder untersucht, von denen 1632 Knaben und 1714 Mädchen waren. Die untersuchten Ge- meinden waren in einer Höhe von 600 — 1900 m gelegen. Es verteilen sich die untersuchten Kinder auf folgende Gemeinden: Höhe Gerat aber den Mee 600 — Soo 800 — 1000 1000 — 1200 1200 — 1900 776 1594 512 464 Kinder mit Scliilddrüser Störungen I Zahl der Kinder mit Schilddrüsen- ■0.95 10,85 13.47 4.74 Als Schilddrüsenstörung wurden nicht nur aus- gesprochener Kropf, sondern auch alle nachweis- baren Veränderungen in der Schilddrüse berück- sichtigt. In der Mehrzahl der Fälle handelte es sich um kleine cystische Veränderungen einzelner Schild- drüsenpartien, in selteneren Fällen um allge- meine Vergrößerungen des Organs. Wie die Tabelle zeigt, weisen die Ortschaften mit einer Höhenlage bis zu 1200 m einen ziemlich gleich- bleibenden Prozentsatz von Schilddrüsenerkran- kungen auf In Höhen über 1200 m nimmt die Häufigkeit der Schilddrüsenstö- rungen plötzlich ganz auffallend ab. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß zwischen 1200 und 1400 m sich einige Schulen befanden, deren Kinder teilweise aus erheblich tiefer ge- legenen Ortschaften stammen. „Am auffälligsten zeigten sich diese Gegensätze zwischen Häufigkeit der Störungen und Höhenlage der Ortschaften im Oetztale, wo die Talortschaften reichlich Schild- drüsenveränderungen , Kretinismus u. a. boten, während die bezüglichen höher gelegenen Bergorte nahezu ausnahmslos frei davon sind, bzw. die vorgefundenen Fälle aus Talorten stammen. So stammt beispielsweise der einzige Kropffall bei Schulkindern in Niederthei, einer 1535 m hoch gelegenen Ortschaft, aus einer 726 m tiefer ge- legenen Talgemeinde (Sautens)". Von großem Interesse ist auch der Befund von Pfeiffenberger, daß die in die Schule neu eingetretenen Kinder verhältnismäßig selten Schild- drüsenstörungen aufweisen. Je höher die Klasse, desto größer der Prozentsatz der Kinder mit Schilddrüsenstörungen. So fehlten z. B. im Orte Imst bei den 1 16 Schülern der ersten zwei Jahrgänge Schilddrüsenverände- rungen gänzlich. Im dritten Jahrgang waren bereits 10,9 •'/o Kinder mit Schilddrüsenstörungen behaftet, in den folgenden Jahrgängen sogar 13,6 — iSiS'/o der Kinder. Dieselben Verhältnisse lagen in anderen Orten vor. Bemerkenswert ist auch die Beobachtung von Pfeiffenberger, daß mehr als ein Drittel aller Kinder mit Schilddrüsenstörungen auch andere Krankheiten aufwiesen : von den untersuchten 3346 Kindern waren 349 mit Schilddrüsenveränderungen behaftet, und von diesen 349 Kindern hatten 136 noch andere Störungen, wie körperliche Minder- wertigkeit, Kretinismus, Schwerhörigkeit, Rachitis, auffallend unregelmäßiges Gebiß usw. Mit diesen Störungen waren insgesamt 220 Kinder behaftet, von denen, wie gesagt, 136 auch Schilddrüsen- störungen hatten und nur 84 Kinder diese Störungen allein. Aus den Befunden von Pfeiffenberger geht hervor, daß Höhenlagen für die Entwicklung der Schilddrüsenerkrankungen ungünstig sind, vielleicht, wie Pfeiffenberger annimmt, weil ein infek- tiöses Agens „oberhalb bestimmter Höhenlagen in der Entwicklung gehemmt ist, bzw. dort die nötigen Entwicklungsbedingungen nicht mehr finden kann". Pfeiffenberger erörtert die Möglich- keit, daß die von Klasse zu Klasse zunehmende Häufigkeit der Schilddrüsenerkrankungen bei den Schulkindern dadurch erklärt werden könnte, daß der dauernde Kontakt der Kinder miteinander die Wirkung des in Betracht kommenden infektiösen Agens begünstige. Vielleicht machen auch andere Erkrankungen den Organismus für dieses infek- tiöse Agens aufnahmefähiger, so daß die Schild- drüsencrkrankung in einer großen Anzahl von Fällen mit anderen Krankheiten vergesellschaftet ist. Lipschütz. Bücherbesprechuugen. E. Werth, Das Eiszeitalter. Zweite, ver- besserte Auflage. Slg. Göschen, Nr. 431. Berlin- Leipzig 191 7. Das bewährte kleine Werk, auf vielseitiger eigener Beobachtung und fleißiger Verarbeitung fußend, konnte zum zweitenmal aufgelegt werden und hat dabei durch Anfügung eines Registers und wesentliche Überarbeitung der beigehefteten Karte gegenüber der ersten noch dankenswerte Verbesserungen erfahren. Die bei so knappem Raum bemerkenswerte Vollständigkeit der Über- sicht über regionale Verbreitung der Erscheinungen, P'ormenschatz, Tier- und Pflanzenwelt (auch die menschliche Entwicklung in Körperbau und Kultur findet noch kurz Aufnahme) hat sich also offenbar ihren F"reundeskreis bereits erworben und wird ihn zweifellos erfolgreich erweitern können. Edw. Hennig. Fr. Machatschek, Gletscherkunde. Zweite Auflage. Slg. Göschen, Nr. 154. Berlin-Leipzig 1917. Auch dies Büchlein, mit dem vorgenannten ein- ander trefflich ergänzend, erlebt schon die zweite N. F. XVI. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 493 Auflage. Hier werden alle jene Beobachtungen über Wesen und Wirken des Gletschereises und seiner Beziehungen zum Klima (mit bewußter Be- vorzugung der bestgekannten, nämlich alpinen Vergletscherungen) in übersichtlicher und leicht- verständlicher Form zusammengestellt, die uns erst ermöglicht haben aus den Ablagerungen und Oberflächenformen rückschließend die so viel ge- waltigeren Inlandeismassen des Diluviums unge- zwungen zu erschauen und zu begreifen. Die geographischen Grundlagen aus der heutigen Er- scheinungswelt haben jederzeit der Ausgangspunkt und Ankerplatz aller Forschungen in der Vorzeit zu bleiben, wie sie ihrerseits gerade auch in Fragen der Vergletscherungen nur aus der Vergangenheit heraus recht verstanden werden können. Diese wohltätig fördernde Wechselwirkung kann aus dem Studium der beiden Göschen Bändchen von W e r t h und Machatschek entnommen werden, die der rührige Verlag mit Recht zu gemeinsamer Arbeit in die stets, auch mitten im heißesten Ringen ums Leben aufnahmefreudigen deutschen Leserkreise hinausgehen läßt. Edw. Hennig. A. Hesse und H. Gro^mann, Englands Han.- delskrieg und die chemische Industrie. Neue Folge: England, Frankreich, Amerika. 344 S. gr. 8". Stuttgart 1917. Verlag von Ferdinand Enke. — Preis: geh. 11 M. V. Karl Löfll, Die chemische Industrie Frankreichs, eine industriewirtschaftliche Studie über den Stand der chemischen Wissen- schaft und Industrie in Frankreich. Sonder- abdruck aus Bd. XXIV der, Ahrens-Herz- schen „Sammlung chemischer und chemisch- technischer Vorträge". Stuttgart 191 7. Verlag von Ferdinand Enke. Preis: geh. 10 IM. Daß der von England gegen die IVlittelmächte, insbesondere Deutschland inszenierte Handelskrieg kein Bluff ist, sondern vor allem infolge der über Erwarten langen Dauer des Krieges eine sehr große Bedeutung hat, dürfte allgemein bekannt sein, und ebenso dürfte allgemein bekannt sein, daß der Industriezweig, gegen den sich der Handelskrieg in erster Linie richtet, die chemische Industrie ist. Das Wort „ohne Deutschlands chemische Industrie kein Weltkrieg", ist, so zugespitzt es im ersten Augenblick vielleicht erscheinen mag, sicherlich nicht ganz unberechtigt. Die beiden Berliner Professoren A. Hesse, der Herausgeber des „Chemischen Zentralbalttes" und H. Groß mann, aus dessen Feder schon manche wertvolle Arbeit über die chemische Industrie hervorgegangen ist, haben sich daher ein sehr großes Verdienst er- worben, indem sie die wichtigsten Veröffent- lichungen, die in den Ententeländern über den Kampf gegen die chemische Industrie Deutschlands erschienen sind, in deutscher Übersetzung zunächst als Sonderbeilage zu der bekannten Zeitschrift „Die chemische Industrie" und dann in Auswahl auch in vorläufig zwei Bänden (Bd. I i. J. 1915, Bd. II soeben) in Buchform herausgegeben haben. Das in diesen Veröffentlichungen enthaltene Material ist ganz außerordentlich interessant. Mitschonungs- loser Offenheit werden besonders in England die Gründe für die Rückständigkeit ihrer eigenen gegenüber der deutschen chemischen Industrie und die Wege erörtert, die neben der Schädigung der deutschen die Hebung ihrer eigenen Industrie zum Ziele haben, und es hieße besonders England ver- kennen, wenn man meinen wollte, es bliebe alles nur bei Worten stehen. Sicherlich wird die deut- sche chemische Industrie nach dem Kriege einen schweren Stand haben, wenn sie die alten, zum großen Teil zunächst verlorenen Absatzgebiete wieder gewinnen will, aber auch die deutsche chemische Industrie ist ja für die Zeit nach dem Kriege gut gerüstet, und es ist zu hoffen und zu erwarten, daß sie aus den schweren Kämpfen, die ihr bevorstehen, siegreich hervorgehen wird. Vor- aussichtlich wird England sein Ziel auch hier nicht erreichen. Alle die, die für Englands Handelskrieg Inter- esse haben, seien jedenfalls mit besonderem Nach- druck auf die H e s s e- Großmann 'sehen Publikationen hingewiesen. Das Werk von Löffl über die chemische Industrie Frankreichs ist von mehr speziellem Charakter, und es genügt daher, an dieser Stelle auf seine Existenz hinzuweisen. Werner Mecklenburg. Naef, Adolf, Die individuelle Entwick- lung organischerFormen alsUrkunde ihrer Stammesgeschichte. (Kritische Betrachtungen über das sogenannte „biogene- tische Grundgesetz"). ']'] S. Mit 4 Figuren im Text. Jena 191 7, Verlag von G. Fischer. — Preis: geh. 2,40 M. „Die Keimesentwicklung (Ontogenesis) ist eine gedrängte und abgekürzte Wiederholung der Stammesentwicklung (Phylogenesis); und zwar ist die Wiederholung um so vollständiger, je mehr durch beständige Vererbung die ursprüngliche Auszugsentwickiung (Palingenesis) beibehahen wird, um so unvollständiger hingegen, je mehr durch verschiedene Anpassung die spätere Störungs- entwicklung (Cenogenesis) eingeführt wird." So definierte Haeckel sein „biogenetisches Grund- gesetz'". Seither ist dieses Gesetz von verschiedenen Seiten und wiederholt einer kritischen Prüfung unterzogen worden. Zwar bestreitet wohl kaum ein Naturforscher die Richtigkeit seines Leitgedankens, daß nämlich eine engere Beziehung zwischen Ontogenie und Phylogenie überhaupt besteht, aber die fortschreitende Kenntnis vom Wesen des Entwicklungsprozesses und der Zelle hat zu einer anderen Bewertung des „Gesetzes" geführt, das von seinem Begründer in seiner Be- deutung zweifellos weit überschätzt worden ist. Es handelt sich um kein biologisches „Gesetz", geschweige denn ein „G rund gesetz", sondern lediglich um eine „Regel", ein „Prinzip", von einem „heuristischen Prinzip" spricht Keibel. Wenn 494 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 35 Naef in der vorliegenden Studie die Haeckel- sche Rekapitulationstheorie ebenfalls einer kritischen Betrachtung unterwirft, so erscheint er dazu be- sonders berufen, da sein Standpunkt das Ergebnis langjähriger Untersuchungen vergleichend-entwick- lungsgeschichtlicher Natur darstellt. Gerade das ist der Fehler zahlreicherder bisherigen phylogenetisch- ontogenetischen Untersuchungen, daß das durch- gearbeitete Material umgekehrt proportional war zu den phylogenetischen Spekulationen, die darauf gegründet wurden; je lückenhafter das Material war, desto lückenloser waren häufig die „Stamm- bäume", die man aufstellte. Naef hat zu seinen Untersuchungen die Mollusken, speziell die Cepha- lopoden, gewählt, die infolge ihres großen Formen- reichtums — sowohl in der Gegenwart wie auch in früheren Erdperioden — sich als besonders geeignet erweisen. Zahlreiche Gattungen wurden z. T. in mehreren Arten eingehend und in ihrem ganzen Entwicklungsverlaufe studiert, die übrigen Familien und Gattungen wurden wenigstens teil- weise untersucht und auch die nächst verwandten Mollusken zum Vergleich herangezogen. Von den allgemeinen Anschauungen, die sich der Verfasser auf Grund seiner in einer Reihe von Spezialarbeiten niedergelegten Resultate gebildet hat, seien folgende hervorgehoben. Nach Fritz Müller gibt es zwei Wege, auf denen die Nachkommen zu einem neuen Ziele gelangen können : Entweder sie irren früher oder später von dem Wege der elterlichen Form ab, oder sie durchlaufen denselben Weg, bleiben aber nicht an dem Punkte stehen, wo die elterliche Form geendet hat, sondern schreiten weiter. Während die Annahme einer fortschreitenden Entwicklung zur Basis des „biogenetischen Grund- gesetzes" geworden ist, hat man den anderen Weg der Entstehung neuer Formen bisher vernach- lässigt. Jene Annahme ist aber nach Naef irrig, nur die zweite der beiden Möglichkeiten ist ver- wirklicht. Die zyklisch-rhythmische, un- unterbrochene Umbildung ist die Urform aller Entwicklung. Die Kontinuität des Lebens- prozesses wird dadurch gewährleistet, daß sich in ununterbrochener und endloser Folge die Keim- bahnzyklen wiederholen. Von jedem Keimbahn- zyklus ausgehend spielen sich blind endigende, d. h. der Zerstörung verfallende Entwicklungs- vorgänge ab, die insgesamt die „Ontogenese" des Einzelindividuums ausmachen. Naef bezeichnet diese terminalen Entwicklungsprozesse als „Mor- phogenesen". „Die (Ontogenese der Vierzelligen ist in der Hauptsache ein komplexer Spezialfall terminaler Entwicklung und aus einer großen Zahl einzelner Morphogenesen zusammengesetzt". Jede Ontogenese rekapituliert im allgemeinen mit großer Treue die vorhergehenden. Die Möglichkeit einer Abänderung der einzelnen Morphogenesen muß schon deshalb äußerst eingeschränkt sein, weil in den meisten derartigen Fällen eine Störung des Gesamtorganismus zu erwarten ist ; denn die Ab- änderungen der Morphogenesen sind die Folge von Abänderungen der Erbmasse, und diese sind in ihrem ersten Auftreten rein zufällig, absolut richtungslos, die Existenz einer Zielstrebigkeit im Sinne direkter Anpassung lehnt Naef ab. Phylo- genetisch müssen die einzelnen Erscheinungen der Formbildung „um so konservativer sein, je mehr das physiologische und ökologische Gleichgewicht auf ihnen ruht". Das ist aber der Fall, je weiter die Erscheinung von dem Ende der terminalen Morphogenese entfernt ist. Die phylogenetische Abänderung geht in so bestimmten Bahnen vor sich, daß Naef glaubt, sie in einem Gesetz for- mulieren zu können, dem „Gesetz der termi- nalen Abänderung": „Die Stadien einer Morphogenese sind um so konservativer in der Rekapitulation der ursprünglichen Entwicklung, je näher sie dem Beginn, um so progressiver, je näher sie dem Ende derselben stehen." Dieser Satz führt dann weiterhin zu dem Grundsatz, daß ein ontogenetisch primäres Stadium innerhalb einer Morphogenese auch als phylogenetisch primär auf- zufassen und morphologisch höher zu werten ist („Prinzip des morphologischen Primats voraufgehender Entwicklungszust ä nde"). Im allgemeinen wird die Erzeugung neuer, ange- paßter Formen sehr langsam erfolgen. Die Mög- lichkeit sprungweiser Veränderung ist nur dadurch gegeben, daß die Ausbildung der Endzustände der typischen Ontogenese unterbleiben kann (Pädo- genesis und Neotenie), das Umgekehrte, ein Hin- zufügen neuer Zustände zur typischen Onto- genese, erfolgt niemals. Eine Wiederholung der Endstadien von Ahnen, eine Palingenesis im Sinne von F. Müller, E. Haeckel und O. H e r t w i g, gibt es also nach Naef nicht, eben- sowenig infolgedessen eine Cenogenesis. Diese wenigen Sätze mögen genügen, um auf die gedankenreiche Schrift, an die sich jedenfalls noch manche Diskussion anschließen wird, hin- zuweisen. Nachtsheim. Felix M.Exner, Dynamische Meteorologie. Leipzig und Berlin 1917. B. G. Teubner. 310 S. Geh. 15 M. Seit dem Erscheinen von S p r u n g ' s Lehrbuch wird hier zum erstenmal wieder der Versuch unternommen, den augenblicklichen Stand der zur- zeit in der raschesten Entwicklung begriffenen Erkenntnis von der Dynamik der Atmosphäre in einer umfassenden Darstellung festzuhalten, die nicht nur für den meteorologischen Forscher be- stimmt ist, sondern für den weiteren Kreis der für die Physik unserer Lufthülle Interessierten. Der Versuch muß als in vorbildlicher Weise ge- lungen bezeichnet werden. Der Verf. dachte bei der Herausgabe des Werkes in erster Linie an seinen Gebrauch durch Studierende. Es werden deshalb die Grundlagen der mathematischen Physik vorausgesetzt. Die elementaren Gesetze derselben werden zunächst in die für die Behandlung meteoro- logischer Probleme geeignete F'orm gebracht und die für die Atmosphäre geltenden Grundgesetze dar- N. F. XVI. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 495 aus entwickeh. Der Gipfelpunkt derselben ist die von Margules aufgestellte Energiegleichung der abgeschlossenen Luftmasse. Mit deren Hilfe lassen sich die vertikalen Umlagerungen von Luftmassen quantitativ berechnen. Im Anschluß daran werden die Fälle behandelt, in denen die dabei zugrunde gelegten Verhältnsse, d. h. nebeneinanderliegende Luftmassen von ungleicher Temperatur auftreten. So werden insbesondere die großen atmosphärischen Zirkulationsbewegungen, sowie auch die Strömun- gen in den wandernden Hoch- und Tiefdruck- gebieten unserer Breiten dem Verständnis näher gebracht. Es wirdüberall versucht, dieErscheinungen für den stationären Zustand festzustellen, sowie die in der Regel auftretenden Abweichungen von diesen. Auch hierbei schließt sich die Darstellung eng an die Arbeiten von Margules an. Die Darstellung ist im ganzen Buch von großer Anschaulichkeit. Diese wird noch erhöht durch eine Reihe von Zahlenbeispielen, die die Anwen- dungsmöglichkeit der abgeleiteten Gleichungen zeigen, zugleich aber auch Gelegenheit bieten, gegebenenfalls auf die Schwächen der Theorie hinzuweisen, was mit großer Unparteilichkeit ge- schieht. Schwierigere und umständliche mathema- tische Ableitungen sind vermieden oder doch nur kurz angedeutet. Das Buch wird jedem studieren- den und lehrenden Physiker, der sich über die wichtigsten Fragen der jungen Wissenschaft einen genaueren Überblick verschaffen will, F"reude machen. Aber auch der Fachmeteorologe wird es mit Gewinn lesen, zumal ihm die zahlreichen eingestreuten Literaturnachweise — bis Mitte 191 5 reichend — beim weiteren Forschen gute Dienste leisten können. Scholich. Anregungen und Antworten. In der Naturw. Wochenschr. N. F. XV Nr. 52 vom vorigen Jahre findet sich auf Seite 747 unter „Wie unsere Feinde rechnen" eine Mitteilung über ein bei den Russen gebräuch- Uches Verfahren zur schriftl. Auflösung größerer Multiplikationen. „Es handle sich um die Vervielfältigung l2X'li so wird die eine Zahl fortdauernd halbiert und (unter Vernachlässigung der Bruchteile einer ganzen) die Quotienten nebeneinander ge- schrieben. Die andere Zahl aber wird immer verdoppelt und die Produkte, zu deren Erzeugung der arithmetische Verstand jener Völkerschaften ausreicht, darunter geschrieben. Also im vorliegenden Falle : 12 6 3 I II 22 44 8S Dann werden ausschließlich aus der unteren Reihe die Zahlen, die unter einer ungeraden der oberen Reihe stehen, zusammen- gezählt. 444-88^132 ist das gesuchte Produkt." Oder: 11 S 2 1 12 24 48 96 12 + 24 + 96 = 132. Die allgemeine Richtigkeit des Verfahrens ergibt sich aus folgen- der Betrachtung : Jede ganze Zahl Z läßt sich als Summe einer Potenzreihe von 2 mit ganzen fallenden Exponenten darstellen : ') ') Der Beweis für beliebige ganze Z^2n+ 20 ' + 2n-- + . . . + 2' + 2- + 2' + 2" unter den angegebenen Bedingungen wird sich so gestallten: Jede ganze Zahl ist entweder = dem Produkt einer anderen ganzen Zahl mit der Zahl 2 oder := einem solchen Produkt + I. So ist die Zahl 7„ = 2.Zi +(| ± |), wo d.is obere Zeichen für ein ungerades, das untere für ein gerades Z„ zu nehmen wäre. Z[ läßt sich ebenso zerlegen ; Z,=2.Z, + (1±^) Z, = 2.Z3 + (.±1) und so fort, bei der nten Zerlegung Zn— , = 2Zn+ Li + ' ), wo- bei das positive Zeichen bei ungeraden, das negative bei ge- raden Zi.Zj . . . Zn— , zu verwenden wäre. Ist die nie Zerlegung die letzte, die eine ganze Zahl er- gibt, so ist Zn^ I ; daraus folgt: 7.n-. = 2.I + (.±.) Z_ = 2.Z„-, + (.±.) = 2.[2.:+(.±.)] + (.±.) = 2^ + 2.(.±.) + 20(.±l) Z„^,=2Z„_,+(.±.) = 2.[2^ + 2'(.±.) + 2^(.±.)] + a±i)=2»+2^(^±^) + 2'(^±.)+20(.±.) schließlich Z„ = 2n + 2n->(^±|) + 2n-' (^±^)+ . . . + 2'-(^±^) + 2«(.±^) Je nachdem in den einzelnen Summanden (l + • ) oder Z = 2n+2n-i+2n-2 + ... + 22+2' + 2<', in der jedoch eine oder mehrere Potenzen von 2 ausfallen können. Für unseren Zweck möge folgender Hinweis genügen : 1=2", 2 = 2', 3 = 2' + 2'',. .. 7 = 2' + 2' + 20..., 22 = 2* + 2^ + 2' . . ., 76 = 2'' + 2^+2'- USW. Ob die Zahlen ungerade oder gerade sind, ersieht man aus dem letzten Glied der Summe, das bei ungerader Zahl 2"=! ist. Seien nun 2a, 2b, 2c, 2d, 2" die nicht ausfallenden Potenzen, so wäre Z = 2a + 2b +2c + 2d +2", also ungerade. Die erste Reihe der russ. Rechnungsart wird durch auf- einanderfolgende Divisionen durch 2 unter Vernachlässigung von Restbruchteilen gewonnen. Das Ergebnis ist nur dann eine ungerade Zahl, wenn der letzte Summand der neuen, nach der Division durch 2 erhaltenen Summe 2° ist. Das tritt in unserem Falle nach der dten, ci<"n, bten und aten Division ein. Wir bilden die I. Reihe unter Berücksichtigung nur der ungeraden Ergebnisse: Z Z 2d 2a+2b+2c+2d+2»... 2a-d + 2b-d + 2C-d + 2« . . . ungerade ungerade Z Z Z 2C 2b 2a 2a— c + 2b-c 4- 2" . . . 2a-b + 2" ... 2» ungerade ungerade ungerade. Soll das Produkt Z.N. gebildet werden, so wird die 2. Reihe nach Art der Russen dadurch gewonnen, daß die Zahl N oder N.2<' fortgesetzt verdoppelt wird, und lautet demnach unter Berücksichtigung nur der Glieder die unter ungerade Zahlen der I. Reihe zu stehen kommen. N^" . . . N.2d . . . N-2C . . . N.2b . . . N.2a. Die Addition dieser Glieder liefert das gesuchte Produkt : N 2<' + N-2d + N.2C+N-2b+N.2a = N.(2« + 2d.f 2C+2b + 2a) = N-Z. Ist Z gerade, fehlt also in der Summe das Glied 2*, so lauten die Reihen: 2 +2b + 2c+2d . . . 2»- d+ 2b-d + 2C— d+ 2« . . . gerade ungerade N-2'> N.2d 2a— c_j_2b-c + 2'' . . . 2a— b+2'' ... 2" ungerade ungerade ungerade N-2C N-2b N.2a Jen di( fX — t) zu nehmen ist, bleiben oder verschv Summanden. Zb ist demnach = der Summe einer Potenzreihe von 2 mit ganzen, fallenden Exponenten, in der aber einzelne oder auch alle Summanden mit Ausnahme des ersten verschwinden können. Dr. Schumann. 496 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. F. N. XVI. Nr. 35 Die Addition der unter ungeraden Zahlen der I. Reilie stehen- den Zahlen der 2. Reihe liefert; N.2d4-N.2C-|-N.2b-|-N-2a=N-(2d-)-2c4-2b-|-2a) = N.Z. Ein Zahlenbeispiel 105-23 möge zur Erläuterung dienen: 105 = 2« -[-2'' + 2» + 2». 1. Reihe: 2" ^- 2'^ -\- 2^ -\- 2" 2'^ -\- 2* -{- 2^ 2*4-2'' + 2' ungerade 2. Reihe: 23-2<' 23-2' 23-2- 23 46 92 2^ + 2-^ + 2» 2^ + 2' 2' + 2" 2" ungerade ungerade ungeradf 23.2» 23 2* 23-2'> 23-2" 1S4 368 736 1472 23 ■ 2'»+ 23-2ä+23 • 2-'+ 23 • 2'>^23 • (2»-^ 2'+2*4-2'')=23 -105. Die Addition der Werte ergibt 23+184 + 736+1472 = 2415 = 23 105. Prof. Heinzerling. Über „Mehlerde" im Anhaltischen 1617. Anna Hopffe brachte in NrT^l (vom 27. Mai 1917, S. 286 f.) dieser „Wochenschrift" einige Notizen über die Infusorienerde, das sog. Bergmehl, als Sätligungsmittel für Menschen und Tiere. Es ist vielleicht angebracht, den Blick auf eine histo- rische Miszelle zu lenken, die sich in Karl von Weber's Werk ,,Aus vier Jahrhunderten" (Neue Folge, I. Bd., Leipzig 1861, S, 391 f.) findet. Im Jahre 16 17, als der Kurfürst Johann Georg I. sich zu Zabeltitz aufhielt, d rang Kunde nderbar Naturereignis zu seinen Ohren. „Es quelle", so hieß es, „zu Klicken unter denen von Lattorf, im Fürstenthum Anhalt, Mehl aus der Erde und daß man dasselbe zum Backen gebrauchen solle". Sofort schickte der sächsische Fürst einen Boten an den Hauptmann zu Wittenberg mit dem Befehl an jenen ab ; „er solle eine beglaubte Person dahin abordnen, von dem Mehl ein Mühlmaaß voll übersenden und da man auch Brot und Kuchen davon backen solle, einen Kuchen und Brot mit überschicken". Der Bote kam zwar ohne Kuchen, aber mit einem Stück Brot, einer gewissen Menge des Bergmehles und folgendem Bericht des Hauptmanns Daniel von Koseritz vom 23. Mai 1617 aus Wittenberg zurück: „Ew. Churf. Gn. gnädigstem Befehlich zu unterthänigster gehorsamer P'olge, habe ich alsobald eine beglaubte Person, so man sonsten allhier im Amte zu allerhand Verschickungen gebraucht, an den Ort, da das vermeinte Mehl zu befinden, ab- gefertigt und dessen etwan ein Mühlmaaß abholen lassen, welches Ew. Churf. Gn. Zeiger überantworten wird. Verhalte Ew. Churf. Gn. daneben unlerthänigst nicht, daß anfänglich zwar ein groß Geschrei davon gewesen, das Volk auch Haufenweise von vielen Orten dahingelaufen, und weil der Ort, da es vorhanden, an einem hohen Sandberge, so an einem stillen Wasser liegt und nur etzliche Adern dieses Mehls hineingehn, haben sie denselben immer tiefer nachgefolgt, daß endlich die vergangene Woche drei Mägde und ein I-Cnecht in einem Loch durch die einschießende Erde erdrückt und todt herausgebracht worden. Jetzo aber befinden diejenigen, so etwas geholt, daß das Brot so davon gebacken wird, zu essen gar untauglich, wenn sie es schon mlich mit anderm guten Mehl vermengen, daß es also fast hts mehr geachtet wird, inmaaßen ich dann kein ganz Brot, von diesem Mehle gebacken, sondern nur etzliche Stücke, dem Boten gleichfalls zugestellt, bekommen können". Dresden. Rudolph Zaunick. Goethes Zikade Heuschrecken. Aus Goethes „Italienischer Reise" ist zu ersehen, daß Goethe Zikaden wenigstens der Stimme nach gekannt hat. Denn nichts anderes als Singzikaden können die ,, Heuschrecken , die gleich bei Sonnenuntergang zu schrillen anfangen", gewesen sein, deren Töne Goethe am 10. September 1786 in Trieut mit folgenden Worten beschreibt: ,,Das Glocken- und Schellengeläute der Heuschrecken ist allerliebst, durchdringend und nicht unan- genehm. Lustig klingt es, wenn mutwillige Buben mit einem Feld solcher Sängerinnen um die Wette pfeifen, man bildet sich ein, daß sie einander wirklich steigern." Goethe schreibt hier also statt Zikade Heuschrecke, während er statt Heu- schrecke Zikade setzt in den Worten, die Mephistopheles spricht, um den Menschen zu charakterisieren: ,,Er scheint mir, mit Verlaub von Ew. Gnaden, Wie eine der langbeinigen Zikaden, Die immer fliegt und fliegend springt Und gleich im Gras ihr altes Liedlein singt. Und lag' er nur noch immer in dem Grase! In jeden Quark vergräbt er seine Nase." Mir scheint diese Namensverwecbselung eine Ungenauig- keit, nicht gerade schlimmer, als wenn der Volksmund jeden Nachtfalter Motte, jede Kerbtierlarve Wurm und jedes See- schneckengehäuse Muschel nennt, und es fragt sich, ob man das in einem dichterischen Werke einen Fehler nennen dürfte. Bewundern muß man dagegen den Sinn für echte Wirk- lichkeit und die Treffsicherheit, mit der Goethe in wenigen Versen das vielseitige Gebahren der Heuschrecken einwandfrei und genau zu schildern vermocht hat. Hierin übertrifft Goethe weit Lafontaine und alle anderen mir bekannten Dichter, die je das Heuschreckenleben besungen haben. Diese Be- obachtungsgabe ist's, was Goethe zum Naturforscher unter den Dichtern machte , und dies ist's offenbar auch, was ihn alle menschlichen Verhältnisse so echt, so wahr sehen ließ, daß darum seine Werke ewigen Wert haben. V. Franz. Literatur. Kraepelin, Prof. Dr. K., E.xkursionsflora für Nord- und Mitteleuropa. 8. verbesserte Aufl Mit 625 Holzschnitten und einem Bildnis des Verfassers. Leipzig und Berlin '17, B. G. Teubner. — 4,80 M. Neeff, Dr. Fr., Gesetz und Geschichte. Eine philo- sophische Gabe aus dem Felde. Tübingen '17, C. J.B.Mohr. — I M. Hettner, Prof. Dr. A., Englands Weltherrschaft und ihre Krisis. 3. umgearbeitete Aufl. des Werkes ,, Englands Weltherrschaft und der Krieg". Leipzig und Berlin '17, B. G. Teubner. — 4,80 M. D ann enbe rg, P., Zimmer- und Balkonpflanzen. 3. Aufl. Mit einem Titelbild und 38 Abbildungen. Leipzig '17, Quelle & Meyer. — 1,80 M. Inhalt! Johannes Theel, Über die Bedeutung der Größe für Organismen. (l Abb.) S. 4S1. Max Frank, Abschätzen von größeren Entfernungen unter Berücksichtigung der Luftperspektive. S. 486. — Einzelberichte : Hans Stübler, Der Spiegelfleck am Vogelköpfchen. S. 4S8. W. Schuster, Über das Gewicht lebender Vogeleier. S. 488. Freiherr V. Berg, Abnehmen der Waldschnepfen. S. 488. Van Maanen, Spiralnebel. S. 489. — Photometrische Bestimmung der Helligkeit. S. 489. W. Herr, Einfluß der Größe der Moleküle auf die Löslichkeit. S. 490. Glühkathoden- Röntgenröhre. S. 490. Karl Pieiffenberge r, Schilddrüsenstörungen und Meereshöhe. S. 491. — Bücherbespre- chungen: E. Werth, Das Eiszeitalter. S. 492. Fr. Machatschek, Gletscherkunde. S. 492. A. Hesse und H. Großmann, Englands Handelskrieg und die chemische Industrie. V. Karl Löffl, Die chemische Industrie Frankreichs. S. 493. Adolf Naef, Die individuelle Entwicklung organischer Formen als Urkunde ihrer Slammes- geschichte. S. 493. Felix M. Exner, Dynamische Meteorologie. S. 494. — Anregungen und Antworten : Wie unsere Feinde rechnen. S. 495. Über ,, Mehlerde" im Anhaltischen 1617. S. 496. Goethes Zikaden und Heuschrecken. S. 496. — Literatur: Liste S. 496. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, 1 Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Na validenstraße 42, erbe nburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge i6. Band ; der ganzen Reihe 32. Band. Sonntag, den 9. September 1917. Nummer 36. Über Vitamine, Ergänzungsstoffe, Amidosäuren, Eiweißkörper und einige Stoffwechselkrankheiten. [Nachdruck verboten," Dr. E. P. Häußler. In einer früheren Abhandlung in der „Naturw. Wochenschr." habe ich gezeigt, ') daß es zwischen chemisch ziemlich verschiedenartigen Stoffen, wie Aminen einerseits und Proteinen oder Eiweiß- körpern andererseits,Beziehungen gibt und Zwischen- glieder, deren wichtige Rolle in der Natur man erst in den letzten Jahren erkannt hat, und die sehr wahrscheinlich mit verschiedenen anderen Gruppen chemischer Verbindungen verwandt sind, die man in der physiologischen und toxikologischen Chemie nachgewiesen und über deren chemische Gattung noch ziemliche Unklarheit herrscht. Es sind dies die Ptomaine, die Hormone und die Toxine. Dasselbe gilt für die Vitamine, über die ich nachfolgend berichten möchte. Ihnen aber bereits ihren mutmaßlichen Plaz in der Reihe Amine- Amidosäuren-Proteine anzuweisen, wäre einerseits verfrüht, andererseits aus historischen Rücksichten nicht zweckmäßig, weshalb zuerst die Umstände und Beobachtungen mitgeteilt werden mögen, die auf ihr Dasein hinwiesen. Daß ich hierbei eine größere Anzahl von Tatsachen und Theorien der reinen Chemie, der Medizin und der dazwischen- liegenden Grenzgebiete heranziehen muß, ist nicht zu vermeiden. Justus V. Liebig und seine Schüler haben bekanntlich festgesellt, daß neben Wasser und Mineralstoffen Kohlehydrate, Fette und Eiweiß- stoffe die notwendigen Bestandteile aller Nahrungs- mittel sein müssen. Bisch off und Voit, Mole- schott,Pettenkofer undRubner haben das Gebiet der Ernährungsphysiologie und -chemie, namentlich in bezug auf die Mindestmengen dieser Stoffe, um weitere fundamentale Gesetze bereichert. Der Münchner Physiologe C. v. Voit hat das Eiweißminimum''*) zu lOO g pro Tag festgesetzt, während ferner nachgewiesen wurde, daß in weit- gehendem Maße Fette durch Kohlehydrate und umgekehrt ersetzt werden können. Nun enthalten die Mehle unserer Getreidekörner neben Stärke und Mineralstoffen noch größere oder kleinere Mengen von Proteinen, so daß sie, als Mehl oder Brot, womöglich noch mit Zusatz von Fett, verfüttert, zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit genügen sollten. Eine Reihe von diesbezüglichen Versuchen ergab aber, daß das ') „Über Amine, Amidosäuren und Eiweißkörper, Alkaloide, Hormone, proteinogene Amine und Toxine" (Naturw. Wochen- schr. 31 (N. F. 15) 1916, S. 560). •') Von Chittenden, Professor inNewhaven (Amerika), und Anderen ist bekanntlich das Minimum noch tiefer gesetzt worden. nicht immer der Fall war. Von Holst und Fröhlich ausschließlich mit Hafer-, Roggen-, Gerste- oder Weizenkörnern gefütterte Meer- schweinchen starben nach 25 — 30 Tagen. Ein von Magendie nur mit Schwarzbrot ernährter Hund blieb gesund, während sein, ausschließlich mit Weizenbrot gefütterter Leidensgenosse stark abmagerte und nach 40 Tagen an Schwäche zu Grunde ging. Ähnliche Beobachtungen an Mäusen wurden in Hof meist er's Laboratorium gemacht. Ernährung mit Weizen- oder Gerstenmehl hielt die Tiere 2 — 4Wochen, mit Hafermehl 5—7 Wochen am Leben, hingegen blieb bei Fütterung mit Roggenmehl das Körpergewicht gegen 70 Tage auf gleicher Höhe und nahm sogar zu bei Zusatz von Kleie auf den Speisezettel. Ebenso ertrugen Tauben Weizenbrot nicht, wohl aber Weizenbrot -f Kleie. Ähnliche Versuche ließen sich noch mehr anführen. Nun war aber in allen Fällen genügend Eiweiß in der Nahrung, worauszu schließen ist, daß wohl chemisch- analytisch Eiweiß gleich Eiweiß ist, ') nicht aber bezüglich der Ernährung. Aber nicht nur auf einen, nach den üblichen Methoden der Lebensmittel- chemie nicht mehr feststellbaren Unterschied der Eiweißkörper in den verschiedenen Nahrungsmitteln mußte geschlossen werden, es schien auch, daß in der Kleie der Cerealien sich Substanzen befinden, die bei einseitiger Mehl- oder Brotnahrung zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit not- wendig sind. Und die dritte Beobachtung war die, daß verschiedene der klinischen Erscheinungen, die die erkrankten Tiere zeigten, Ähnlichkeit hatten mit Krankheitssymptomen, wie sie beim Skorbut der Menschen beobachtet wurden. Der Skorbut (Scharbock) ist eine Allgemein- krankheit, die sich hauptsächlich, teils durch Anämie und fortschreitende Abmagerung, teils durch große Neigung zu örtlichen Blutungen und hämorrhagi- schen Entzündungen, besonders des Zahnfleisches, auszeichnet und meist epidemisch oder endemisch auftritt. Skorbutepidemien, zum Teil mit großen Sterblichkeitsziffern, traten früher sowohl auf dem Lande (unter kriegführenden Truppen, den Be- satzungen belagerter Städte, den Insassen von Gefängnissen,Gefangenenlagern,Findelhäusernusw.) ') Die Bestimmung des Eiweißgehaltes in Nahrungs- und Futtermitteln wird fast immer durch Bestimmung des „Gesamt- stickstoffes" oder, genauer, durch Bestimmung des Stickstoffes in dem mit Kupferhydroxyd fällbaren Anteile = Proteinstick- stoff" ausgeführt. Durch Multiplikation der so gefundenen Prozente Stickstoff mit einem bestimmten Faktor, wie 6,05 ; 6,25; 6,37, je nachdem es sich um Gemüse, Fleisch oder Milch handelt, erhält man den Eiweißgehalt in Prozenten. 498 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 36 als auch namentlich unter Schifisbesatzungen auf. ') Daß er in erster Linie durch mangelhafte und hauptsächlich einseitige Ernährung erworben wird, geht daraus hervor, daß durch Änderung derselben, Zufuhr von fehlenden und frischen Nahrungsmitteln, namentlich Gemüse, Fleisch und Milch (Landung des Schiffes, Aufhebung der Belagerung u. a. m.) die Erkrankungen auffallend schnell abnahmen. Er war namentlich noch lange eine gefürchtete Schiffskrankheit, die aber mit dem Aufkommen der Dampfschiffahrt und der damit verbundenen Abkürzung der Reisedauer, wie auch durch rationelle Ausrüstung und Verproviantierung der Schiffe immer mehr verschwand. Anschließend an den Skorbut und in Hinsicht auf die nachfolgenden Ausführungen seien hier noch zwei Krankheiten genannt, die ähnlichen Ur- sachen ihre Entstehung verdanken. Die Pellagra (Scorbutus alpinus, Raphania maisitica), die zum ersten Male um die Mitte des 18. Jahrhunderts beschrieben wird, tritt hauptsächlich in Gegenden auf, wo die Bevölkerung nur auf Maisgenuß an- gewiesen ist, wie im nördlichen Italien, einigen Teilen Österreichs, Rußlands und der asiatischen Türkei. Es ist eine chronische Krankheit, die im Laufe des Sommers, wenn die Bauern nicht nur auf Mais angewiesen sind, sondern auch Obst und Gemüse genießen, wieder nachläßt. Neben Magen- und Darmerscheinungen, sowie nervösen Störungen sind ihre Hauptmerkmale besondere Rötung und schmerzhafte Empfindsamkeit der von der Sonne bestrahlten Hautstellen, Muskelschwäche und all- mähliche Abmagerung, zum Teil mit tödlichem Ausgang. Bis vor wenigen Jahren hielt man sie für eine Intoxikation, nach einigen Forschern ver- ursacht durch Pilze, die sich am Maiskorn entwickeln, nach anderen (so nach Lombroso) durch Produkte des Maiskornes, die an sich unschädlich sein sollen. Als Therapie wurde und wird hauptsächlich aus- reichende und wechselreiche nahrhafte Kost emp- fohlen und Verwendung von gesundem Mais. So wie der Mais eine wichtige Rolle spielt bei der Pellagra steht der Reis in enger Beziehung zu einer anderen Krankheit, dem Beri-Beri. ") Dieser, die Kak ke der Japaner (Polyneuritis endemica perniciosa) ist bedeutend weiter ver- breitet, so an den Küsten von Vorder- und Hinter- indien, auf den Inseln des indischen Archipels, den Molukken, der Ostküste von China und im japa- nischen Inselreich, aber auch auf den Antillen und in Gebieten von Brasilien. Die auffallendsten und gefährlichsten Erscheinungen zeigen sich am Nerven- system und an den Zirkulationsorganen. Die Verhee- rungen, welche die Krankheit unter den betroffenen Völkern anrichtet, sollen bedeutend größer sein als ') Schwere Skorbutepidemien waren die im Kreuzzugs- heere Ludwigs IX. vor Kairo, die unter der Schiffsmannschaft Vasco de Gamas auf seiner Fahrt nach Ostindien und die in Ruflland im Jahre 18-19. Dann wurden auch noch in neuerer Zeit Polare-xpeditionen schwer von Skorbut befallen. '') Das Wort erscheint in der Literatur bald mit männ- lichem, bald mit weiblichem .Artikel. bei der Pellagra. Auch hier sind zahlreiche Hypothesen über ihre Ursachen mit viel Eifer und großem Beobachtungsmaterial gegeneinander ver- fochten worden. Man gab dem Klima die Haupt- schuld, den hohen Graden von Luftfeuchtigkeit und dem starken Temperaturwechsel, hauptsäch- lich aber der mangelhaften Ernährung. Daß die Ernährung mit Reis in engem Zusammenhang mit dem Beri-Beri stehe, wurde ebenfalls festgestellt. „Die dem endemischen Beri-Beri unterworfenen Völker sind hauptsächlich solche, deren Haupt- nahrung lediglich aus Reis in großen Portionen besteht. — Ai-nos (die Ureinwohner von Yezo) sollen überhaupt nur ausnahmsweise von Kak-ke befallen werden, die Immunität von Amerikanern und Pluropäern ist dort ebenso ausgesprochen wie auf den übrigen japanischen Inseln." ') Durch Änderung der Kost und besonders auch durch Zusatz von Gerstenbrot ging sodann in HoUändisch- Indien und auf den japanischen Inseln die Zahl der Erkrankungen stark zurück; ohne daß man sich eine sichere Erklärung für diese schädliche Wirkung des Reises geben konnte. Es war Eijkman, der 1889 auf Java eine Reihe von äußerst wichtigen Beobachtungen machte, die bestimmt waren, das Studium dieser Krankheiten in neue Bahnen zu leiten und von anderen Gesichtspunkten aus die Gesetze der Er- nährungsphysiologie zu betrachten. Erfand: Hühner, die ausschließlich mit Kochreis (dem weißglänzen- den polierten Reis) gefüttert werden , er- kranken unter PIrscheinungen, die auffallende Ähnlichkeit mit Beri-Beri haben; — er nannte die Krankheit Polyneuritis gallinarum, erfand ferner, daß die Hühner gesund blieben, wenn die ganzen Reiskörner verfüttert wurden, und schließlich, daß Zusatz von Reis k 1 e i e zum polierten Reis die Krankheit, so sie schon aufgetreten war, zur Heilung brachte, bzw. vorher gesunde Tiere auch ferner gesund erhielt. Also nicht Bakterien, oder Schimmelpilze am Reise, oder gewisse Substanzen in demselben, deren Genuß in großer Menge giftig wirkte, waren schuld an der Beri-Beri-Krankheit, sondern die Vervollkommnung der Maschinen, die zum Polieren des Reises dienten, die ihn seiner äußeren, wie man meinte, wertlosen Hülle nahezu restlos be- freiten. Damit erklärte es sich auch, weshalb die Krankheit in früheren Zeiten, wo man eben über diese maschinellen Einrichtungen noch nicht ver- fügte, noch nicht auftrat und weshalb Völker, die ihren Reis noch nach alter Väterweise mit Hand- mühleji mahlten, gesund blieben. Es mußten also in der Reiskleie Stoffe sein, die — bei einseitiger Ernährung mit Reis — zur Erhaltung der Gesundheit unbedingt erforderlich waren und C. Funk versuchte diese Stoffe, die er Vitamine^) nannte, zu isolieren. Er ging ') Zitiert nach Wernich in „Eulenburgs Realenzyklo- pädie der gesamten Heilkunde". Wien und Leipzig 1894. Bd. III, S. 230 u. ff. ^) = zum Leben erforderliche Amine. N. F. XVI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 499 dabei von riesigen Mengen von Reiskleie aus — gegen 4 Doppelzentner — , befreite sie mit Äther von Fetten und Lipoiden (Lecithinen usw.) und extrahierte sodann mit Alkohol und erhielt aus dem Extrakt durch eine Anzahl weiterer chemischer Prozesse zurAbscheidung von Eiweißspaltprodukten aus 380 kg Reiskleie 2,5 g einer kristallinischen Substanz, die er weiter in 3 verschiedene chemische Körper zerlegte, von denen einer als Nikotinsäure ') anzusprechen war. Zu dieser Verbindung waren u. a. auch japanische Forscher gelangt, die indessen die Reiskleie auf andere Weise verarbeitet hatten und ihr Endprodukt „Oryzanin" nannten, das schon in Mengen von 0,005 — 0.0 1 g innerlich oder unter die Haut gespritzt imstande war, eine Taube zu heilen, die an den geschilderten Krankheitserschei- nungen infolge einseitiger Fütterung mit poliertem Reise litt. Bei Wiederholung seiner Versuche zeigte dann Funk, daß der Nikotinsäure nur ge- ringe heilende Wirkung zukommt, hingegen den beiden anderen, mit ihr abgeschiedenen Stoffen. Aus Hefe, die bei Beri-Beri verfüttert, gute thera- peutische Wirkung zeigte, gewannen andere Forscher einen ähnlich wirkenden Körper, eine „antineuritische Base", das „Torulin". Nun wiesen aber die Ergebnisse aller dieser Untersuchungen viele unerklärliche Widersprüche auf Einmal war die Menge der gewonnenen Vitamine gegenüber dem Untersuchungsmaterial verschwindend klein, sodann war der Gang ihrer Abscheidung recht verschieden, bald wurde mit Säuren gekocht (hydrolysiert), bald nicht, und schließlich sollen nach Röhmann die so erhal- tenen wirksamen Stoffe keine dauernde Heilung hervorbringen, sondern lediglich gewisse Krank- heitssymptome, wie namentlich die Lähmungs- erscheinungen vorübergehend beheben, eine Eigen- schaft, die auch verschiedenen anderen, chemisch wohlbekannten Stoffen, wie Purinen, Pyrimidincn u. a. -) zukommen. Es würde sich also nicht um Spezi- fika handeln.wie man sich pharmakologisch ausdrückt. Der ebengenannte Physiologe hat nun eine neue Theorie zur Erklärung dieser Erscheinungen aufgestellt, ^j die, da sie recht gut mit den neueren und neuesten Tatsachen der Eiweißchemie über- einstimmt, viel plausibler ist. Wohl veranlaßt durch die vorher mitgeteilten Fütterungsversuche von Tieren mit Mehlen mit und ohne Kleiezusatz, hat Röhmann von der Chemie der Eiweißkörper in unseren Getreidekörnern aus seine Betrachtungen angesetzt. Das vom Keimling und der Kleie (Schale + Aleuronschicht) befreite Getreidekorn, der Mehlkern enthält neben Stärke (70 — 90 •'/,,) und Spuren von Asche, Rohfaser und fettähnlichen Substanzen ein Gemisch von Eiweißstoffen, den Kleber, ca. 8— is",,.'] Dieser läßt sich durch Behandeln mit 70^/0 'gern Alkohol wieder in 2 Eiweißarten trennen, in die im Trennungsmittel unlöslichen Glutenine und in die darin löslichen Gliadine. Beide'-) sind nun sogenannte „unvoll- ständige" Eiweißstoffe, das heißt sie ent- halten von den bis jetzt bekannten 17 Amido- säuren, die bei der Spaltung (Hydrolyse mit Säuren oder Enzymen) der bis jetzt untersuchten Eiweiß- körper verschiedenster Herkunft gefunden wurden, einige nicht und andere nur in sehr geringem Be- trage gegenüber „vollständigen" Eiweißstoffen, wie z. B. dem Myosin (aus Muskelfleisch), dem Ov- albumin und Vitellin des Hühnereies und anderen mehr. Das geht aus folgender Tabelle ') hervor. Des ferneren sollen manche Gliadine arm sein an Tryptophan, während sie, auf Kosten der andern Amidosäuren, große Mengen von Glutaminsäure enthalten. (Weizengliadin fast 50 "z^,.) Also schon rein chemisch betrachtet, erweisen sich die Eiweißstoffe der Getreidemehle als nicht gleichwertig mit denen des F'leisches, der Eier und anderer Nahrungsmittel. Aber auch die biolo- gischen Versuche führten zu diesem Resultate, und zwar nach der Richtung, daß die Cerealien- mehlproteine gegenüber den anderen minderwertig sind. Osborne und Mendel konnten junge Ratten mit Milcheiweiß aufziehen, nicht aber mit Gliadinen, gemischt mit Stärke, Zucker, Fett und Salzen. Entweder magerten die Tiere allmählich ab oder der Tod erfolgte nach plötzlichem Ge- wichtssturz. Aber nicht nur bei Zusatz von Milch zu der Gliadinnahrung, auch bei Zusatz von Lysin 100 Teile des betreffenden Eiweißes liefern bc Gliadin die Amidosäuren aus Weizen aus Roggen j aus Gerste aus Mais Hisüdin 1,71 1,90 1,76 0,61 0,39 1,28 0,43 Arginin 4.91 7,45 4.72 3.16 2,22 2,16 1,16 Lysin 3.76 4,81 1,92 + 0,00 0,00 0,00 und Ammoniak 1.34 1,25 4,02 5,11 5-'> ' 4,87 3,ö3 N'. \ •) = Spallprodukt des Nikotins, "^COGH 2) = Spaltprodukte von Nukleinen (ZellkerneiweiBstoffen). *) „Die Chemie der Cerealien in Beziehung zur Physiologie und Pathologie" von Prof. Dr. F. Röhmann. Stuttgart, Verlag von Ferdinand Enko, 19 16. ') Die Zahlen beziehen sich auf Weizen- und Roggen- mehl, wasserfrei, und variieren nach dem Grade der Aus- mahlung. ^) Nach Röhmann nur die Gliadine, nach den Analysen aber auch bis zu einem gewissen Grade die Glutenine. ä) Röhmann, loc. cit. S. 471. 500 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 36 erholten sich die Tiere rasch wieder und nahmen an Gewicht zu, und diese Amidosäure ist, wie aus obiger Tabelle hervorgeht, in Gliadin nicht, und in Glutenin nur in geringem Maße vorhanden. Ähnliche Beobachtungen machten Osborne und Mendel bei Verfütterung von Zein, der Eiweiß- substanz des Maiskornes. Hier konnte durch Zu- satz der Amidosäure Tryptophan die Gewichts- abnahme aufgehalten, oder doch zum mindesten stark verzögert und durch Zusatz von Lysin, sowie von Lysin, Arginin und Histidin eine Ge- wichtszunahme bewirkt werden. Abderhalden und seine Mitarbeiter haben in einer großen Zahl von Fütterungsversuchen mit vollständig hydrolysierten Eiweißarten, — die also nur noch aus den Bausteinen des Eiweißes, den Amidosäuren — bestanden, Tiere — sogar unter Gewichtszunahme — ernähren können. Sie verabreichten, hauptsächlich Hunden, zum Teil neben Fetten und Kohlehydraten, vollkommen hydrolysiertes Pferdefleisch, ferner vollkommen hydrolysiertes Kasein und erzielten Gewichts- zunahme. ') Nun schieden sie aus dem zu ver- fütternden Amidosäurengemisch eine Komponente, das Tryptophan, vorherabund prompt trat negative Stickstoffbilanz ^) ein, die durch Zusatz des fehlen- den Tryptophans wieder positiv wurde. Eine Anzahl solcher Versuche ergab immer die gleichen Resultate und sie stehen vollkommen in Überein- stimmung mit denen von Mendel und Osborne. Erinnern wir uns kurz, daß die artfremden Ei- weißstoffe der Nahrung im Magendarmkanal bis in die einfachsten Teilstücke, die Amidosäuren gespalten werden, diese in die Darmwand eintreten und dort wieder zu, nun arteigenen, Eiweißstoffen zusammengesetzt werden, so folgt aus obigen Ver- suchen, daß der Körper zur Bildung seiner Eiweiß- körper notwendig auch der Amidosäure Tryptophan bedarf, und diese, wenn sie nicht in der ver- fütterten Eiweißart vorkommt, nicht selbst zu bilden vermag. Anders verhält es sich z. B. mit der — chemisch — einfachsten Amidosäure, dem Glykokoll, das der tierische Organismus wohl für seine Eiweißsynthesen braucht, das er sich aber, wie aus Versuchen von Abderhalden hervorgeht, selbst herstellen kann. Werfen wir noch einmal einen kurzen Blick auf die beiden anderen wichtigen Bestandteile der Nahrungsmittel, die Fette und die Kohlehydrate, um die Wichtigkeit der soeben erörterten Be- obachtungen richtig würdigen zu können. Die Spaltprodukte der Kohlehydrate (Stärke, Glykogen, Inulin, Gummiarten, Milchzucker, Malzzucker, Rohr- zucker, Fruchtzucker usw.) sind Hexosen und Pen- tosen, aus denen der Organismus wieder alle die obengenannten Di- und Polysaccharide aufzubauen vermag, oder die vollkommen verbrannt werden. Die chemische Struktur dieser einfachen Zucker- arten zeigt aber nur ganz geringe Unterschiede. CH,,OH • CHOH • CHOH • CHOH • CHOH ■ CO • H Traubenzucker, ebenfalls Galaktose CH2OH . CHOH • CHOH • CHOH • CO ■ CH2OH Fruchtzucker. Das gleiche gilt für die Fette; sie enthalten alle Glyzerin, verbunden (verestert) mit Fettsäuren, die sich im allgemeinen nur durch verschiedene Länge ihrer — CHj — ketten, und zum Teil einige Doppelverbindungen unterscheiden CH^OH-CHOH-CRjOH Glyzerin. CH3(CH2l6CH„— CH2- (CHjJe— COOH = Palmitinsäure CH3(CH2)j^CH2— CH.,-(CH.j),-COOH = Stearinsäure CH3(CH2),-CH = CH-(CH2),-COOH = Ölsäure. Durch sukzessive Abspaltung und Oxydation der langen — CHj — CHj reihen der Fettsäuren entstehen niedere Oxysäuren mit wenig Kohlen- stoffatomen, die sich auch bilden durch Spaltung und Oxydation der Zucker. Ferner zeigt schon ein Blick auf die Formeln des Glyzerins und des Traubenzuckers, daß diese ihrer Struktur nach viel Ähnlichkeit miteinander haben. Daß bei der Ernährung Kohlehydrate durch Fette, und um- gekehrt Fette und Öle durch Stärke und Zucker ersetzt werden können, dürfte bekannt sein und wurde eingangs schon erwähnt. Betrachten wir uns hingegen die verschiedenen Formeln der Eiweiß- bausteine, der Amidosäuren, so werden wir leicht große Unterschiede unter den einzelnen Spalt- stücken feststellen können. 1. Monoamidosäuren mit offener Kette (von C- Atomen) (einbasisch) z. B. Glykokoll CHjNH^-COOH Alanin CHg— CH^NH,— COOH Leucin CH3-CH— CH^— CH.^NH^-COOH CH3 2. Monoamidosären mit offener Kette (zweibasisch) z.B. Asparaginsäure COOH— CH.j— CH-NH^— COOH Glutaminsäure COOH— CH^-CHj-CHNHj— COOH. 1) „Synthese der Zellbausteine in Pflanze und Tier" von Prof. Dr. E. A b d erhal d en. 1912. Berlin, Verlag von J. Springer. '') Negative Stickstoftbilanz ist vorhanden, wenn mehr Stickstoff (in Form von Harnstoff usw.) im Harn ansgeschieden wird, als er in Form von Eiweiß in der Nahrung zugeführt wurde, die Mehrausgabe erfolgt durch Zersetzung, „Einschmel- zung" von Körpereiweiß und verursacht Abmagerung, positive N-bilanz = Gewichtszunahme. N. F. XVI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 3. Diamidosäuren mit offener Kette. wie Lysin CH^NHä-CH,— CH,— CH^-CH^NHa— COOH und Arginin HN=C— NH-CHj-CH.,— CH^— CH^NH^— COOH NU, Eine offene Kette haben ferner Valin, Serin, das den Zuckern sehr nahestehende Glukosamin und das schwefelhaltige Cystin. = CH2NH3-CH2— S— S-CH2-CH2NH2 I I COOH COOH 4. Vom Benzolkern leiten sich ab yCH-CHx. Phenylalanin CHCH— CH^-CH.NH^— COOH \CH=CH/ und Tyrosin HOcT ^-CH.j-CHij— NH^-COOH 5. vom Indolkern das Tryptophan CH HC/^C CH— CH.-CHjjNHa-COOH HC\ Jc\ JCH C N I H 6. vom Pyrrolidinkern das Prolin CH.2 — CHj I I CH, CH-COOH NH und das Oxyprolin und 7. vom Imidazolkern das Histidin CH = C— CH.-CHgNHa— COOH I I NH N CH Es erscheint somit sehr wahrscheinlich, daß nicht nur das Tryptophan, sondern noch ver- schiedene andere dieser Verbindungen vom Orga- nismus nicht selbst hergestellt werden können. Da er sie aber zur Bildung verschiedenster Arten seiner eigenen, arteigenen, Eiweißmoleküle not- wendig braucht, so wird er sich wohl auf folgende Weise helfen. Er wird zum Teil seine eigenen Eiweißmoleküle wieder abbauen, und zwar zuerst das Muskeleiweiß, dann wird er aber auch zahl- reichen wichtigen Organen nicht mehr die nötigen Beträge neuer Eiweißmoleküle zuführen können. Die dadurch verursachten Störungen treten als Krankheitssymptome zutage, verursacht letzten Endes durch ungenügende Zufuhr der notwendigen, volhveriigen Eiweißstoffe durch die Nahrung. Nicht vollwertige oder „unvollständige" Ei- weißstoffe sind nun u. a. eben die Gliadine, wie aus den mitgeteilten physiologischen Versuchen und chemischen Betrachtungen hervorgeht. „Wenn unsere Vorstellungen vom Eiweißabbau im Magen- darmkanal und anschließendem Aufbau in der Darm- wand richtig sind, dann muß man a priori an- nehmen, daß nicht jede Eiweißart für den tieri- schen Organismus gleichwertig ist. Wir müßten vielmehr erwarten, daß von solchen Proteinen, die bei der vollständigen Spaltung ein Gemisch von Aminosäuren liefern, das in seinen Mengenverhält- nissen an einzelnen Bausteinen am besten dem Aminosäuregemisch entspricht, das man bei der Hydrolyse der Plasmaeiweißkörper erhält, die ge- ringsten Mengen gebraucht werden. Es müßte z. B. das Gliadm, daß außerordentlich viel Glutamin- säure enthält, gegenüber einem Protein, das die eben erwähnten Eigenschaften besitzt, entschieden minderwertig sein." ') Wie die Versuche von Osborne und Mendel gezeigt haben, müssen bei Gliadinfütterung die fehlenden Amidosäuren zugesetzt — „ergänzt" — werden. „Damit also eine Nahrung eine aus- reichende ist, muß sie „vollständige" Eiweißstoffe enthalten, enthält sie unvollständige Eiweißstoffe, so kann dieser Mangel ausgeglichen werden durch Zufuhr der entsprechenden „Ergänzungs- stoffe", ^j ') Abderhalden, p. Si. ^j Röhmann, p. 474. loc. S02 Naturwissenschaftliche Wochenschri: N. F. XVI. Nr. 36 Und diese Ergänzungsstoffe finden sich nun eben nach R ö h m a n n , wenn es sich um Cerealien- mehle handelt, in der Kleie, die die Waben- oder Aleuronschicht der Getreidekörner ') mit ver- hältnismäßig viel Eiweißstoffen enthält. Nicht Vitamine oder Katalysatoren (Hopkins) sind es, die die wertvollen Bestandteile der Reiskleie, der Mais- und Weizenkleie bilden, sondern die er- gänzenden Amidosäuren. Fehlen diese, so entsteht bei einseitiger Ernährung mit Reis Beri-Beri, mit Mais Pellagra (Zeismus), und Skorbut bei aus- schließlichem Genuß von, von Kleie befreitem, Schiffszwieback; wir haben es also weder mit Intoxikations- noch Infektionskrankheiten zu tun, sondern mit Stoffwechselstörungen. -) R ö h m a n n gibt selbst zu , daß noch ver- schiedene Beobachtungen bei Fütterungsversuchen mit seiner Theorie nicht im Einklang stehen. So z. B. daß manche Nahrungsmittel und Stoffe, die mit Erfolg zur Verhütung bzw. Heilung von Beri- Beri und Polyneuritis gallinarum gegeben werden (wie Hefe, Leguminosen usw.), ihre günstige Wir- kung bei längerem Erhitzen auf 120" und höher verlieren sollen. Ferner konnte G. Hopkins junge Ratten mit einem Gemisch aus Kasein (also doch ein vollständiger Eiweißstoff), Fett, Stärke und Salzen nicht dauernd ernähren, und erwähnt hierbei auch den „Kinderskorbut", wie er von Möller und Barlow zuerst beschrieben wurde, der dann eintritt, wenn Säuglinge längere Zeit nur mit stark sterilisierter Kuhmilch oder Nestle's Kindermehl ernährt werden. Röhmann ver- mutet, daß das feuchte Kasein (das außerdem die Mol isch 'sehe Eiweißreaktion nicht gebe) beim Isolieren und Trocknen derart verändert worden sei, daß es nicht mehr als vollwertiger Eiweißstoff gelten könne. Inwieweit diese Beobachtungen und Vermutungen mit den Versuchen von Abder- halden, der auch bei Fütterung mit vollstän- dig abgebautem Kasein mitunter schwach negative Stickstoffbilanzen erhielt, übereinstimmen, ist noch durch weitere Experimente zu entscheiden.^) Weiter gibt Röhmann zu, daß bis jetzt noch nicht nachgewiesen sei, daß die Eiweißstoffe des Reisendosperms unvollständig seien und die der Reiskleie die Ergänzungsstoffe enthalten, wenn- gleich infolge der botanischen Verwandtschaft des Reises zum Mais und unseren Getreidearten dies sehr wahrscheinlich sei. Die Ursachen des günstigen Einflusses des Vollkornbrotes, sowie des Zusatzes von Kleie zu ') Bedingung ist natürlich, daß die Kleie auch derartig fein gemahlen wird, daß die von einer dichten Zellhaut um- gebenen Aleuronzellen den Verdauungssäften zugänglich werden. '') So wird z. B. Beri-Beri noch in neueren Werken als Infektionskrankheit angegeben. Vgl. ,,Die experimentelle Bakteriologie und die Infektionskrankheiten" von W. Kolle und H. Hetsch. Bd. II., 8.915 (1911). Urban u. Schwarzen- berg, Berlin u. Wien. "} Auch die wiederholt aufgeworfene Frage, ob und in welchem Maße bereits in den Nahrungsmitteln vorhandene Fermente zur Ernährung notwendig sind, würde sich vielleicht durch obige Befunde entscheiden. den Futtermischungen hat man schon früher ver- schiedentlich in ihrem hohen Asche- und nament- lich Calciumgehalt sehen wollen. Um aber darauf- hin eine Theorie aufzubauen, müßte man die chemische Kontrolle bei Stoffwechselversuchen anders gestalten, statt Bestimmung von Stickstoff und Amidosäuren im Harn quantitative Ermitt- lungen der Mineralsubstanzen und müßten wir ferner bereits über eine ausreichende Zahl von genauen Aschenanalysen (sowohl in qualitativer, wie auch quantitativer Beziehung) unserer Nahrungs- mittel verfügen. Dies ist nun leider nicht der Fall, denn früher — und aus dieser Zeit stammen unsere diesbezüglichen Untersuchungen, die immer wieder zitiert werden — wurden die zu unter- suchenden Lebensmittel zu diesem Zwecke ver- brannt und in der Asche die anorganischen Be- standteile bestimmt. Daß diese Methode sehr oft unzuverlässige Werte liefert, durch Reduktion und Verflüchtigung mancher Metalle und Metalloide, hat Ragnar B er g i) nachgewiesen. Es ist hierzu unbedingt notwendig, „naß" zu veraschen, d. h. die organischen Bestandteile mit konzentrierten Mineralsäuren zu zerstören und dann in dem so erhal- tenen Gemisch organischer Salze die Anionen und Kationen qualitativ und quantitativ zu ermitteln : Brauchen wir einerseits noch sehr viele und zuverlässige Aschenanalysen von Lebensmitteln, um ganz sicher festzustellen, ob und wie weit der Gehalt an anorganischen Bestandteilen für die ge- schilderten Stoffwechselkrankheiten in PVage kommt, so benötigen wir auch noch andererseits noch sehr viele Ergebnisse von Hydrolysen der verschiedenen Eiweißarten unserer zahlreichen Nahrungsmittel. Sodann sind die Methoden zur quantitativen Tren- nung und Isolierung der erhaltenen Amidosäuren noch sehr verbesserungsbedüftig, erhält man doch günstigenfalls nur 60 — 70 "/o an sicher charakteri- sierten Spaltstücken (Amidosäuren) und bessere Ausbeuten wurden nur erhalten auf Kosten der Reinheit der isolierten Substanzen. -) So, wie eine genaue und in ökonomischer Hinsicht vorteilhafte Betriebskontrolle einer chemi- schen Fabrik nur auf Grund einwandfreier Analysen- methoden möglich ist, so ist auch die klare und eindeutige wissenschaftliche Beantwortung dieser Fragen, die die ganze Ernährung.'sphysiologie um- fassen, und tief in die medizinischen Gebiete ein- greifen, nur möglich mit Hilfe genauer chemisch- analytischer Bestimmungsverfahren und einergroßen Anzahl zu verlässigerdiesbezüglicher Gehaltstabellen, und es gelten auch hier die Worte aus Faust: „Nicht Kunst und Wissenschaft allein, Geduld will bei dem Werke sein." ') Chemiker-Zeitung XXXV, 191 1. •-') ,, Allgemeine Chemie der Eiweißstoffe" von Dr. F, N. Schulz. Stuttgart 191 7. S. 56, und schließlich sei noch daraufhingewiesen, daß auch die Abderhalden' sehe Theorie vom vollständigen Abbau der Eiweißsioffe vor der Resorption von Siegfried in Frage gestellt wird; vgl. darüber „Über partielle Einweißhydrolyse", von M. Siegfried, Berlin 1916 bei Gebrüder Bornträger. N. F. XVI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 503 Über die Bedeutung der Größe für Organismen. Von Prof. Johannes Theel. [Nachdruck verboten.] Mit I Abbildung. Die folgenden Erscheinungen haben ihren Grund Herabfallen in dem Teil der Physik, welcher als Mechanik fester Körper bezeichnet wird. Wenn eine Masse m um eine Höhe h gehoben werden soll, so ist dazu eine Arbeit A = mgh nötig; g bedeutet die Gravitationskonstante und ist von der Beschaffenheit des Körpers ganz un- abhängig; nrig = p ist das Gewicht des Körpers. Nehmen wir an, ein Tier vom spezifischen Gewicht c ') wollte sich — kletternd, springend oder fliegend — zu einer Höhe erheben, die gleich dem n fachen seiner eigenen Körperlänge 1 ist. Die dazu nötige Arbeit wäre A=cP-nl = cnl*. Diese Arbeit ist also der vierten Potenz der Länge proportional. Ein größeres Tier, welches dieselbe Leistung vollbringen und auch zum n- fachen seiner eigenen Länge emporgelangen will, muß also eine Arbeit leisten, die mit zunehmender Größe sehr rasch wächst. Aber wachsen nicht auch die Körper- kräfte in demselben Maße.? Nein. Wenn man annimmt, das größere Tier wäre dem kleinen geometrisch ähnlich und von gleichem inneren Bau, so wären seine Kräfte nur im Verhältnis der 3. Potenz der Länge überlegen; denn die Muskel- menge ■-) wächst mit dem Volumen also mit 1 ^ Das bedeutet nun: die Leistung wird durch L* gemessen, die Leistungsfähigkeit durch L^. Daher haben kleine Tiere den Kampf mit der Schwere viel leichter als große und je kleiner sie sind, desto leichter können sie Höhen erreichen, die mit ihrer eigenen Größe verglichen bedeutend sind. Diese Folgerung wird durch die Beobachtung der kleinen Lebewelt auf Schritt und Tritt be- stätigt. Mit welcher beneidenswerten Leichtigkeit klettern z. B. die Ameisen an den Bäumen empor; man sieht gar nicht, daß sie langsamer liefen als die von oben herabkommenden , und was für Lasten schleppen sie manchmal mit sich! Was für riesige Sätze macht ein Heuhüpfer und noch kleinere Springer; die Sprünge eines Löwen oder eines Riesenkänguruhs erscheinen dagegen ge- ringfügig, wenn man jedesmal den eigenen Maß- stab des Tieres anlegt. Für die physikalische Be- wertung kommt es übrigens nur auf die Höhe des Sprunges an. Auch beim Auffliegen sind die Kleinen im Vorteil. Man achte nur darauf, wie steil und rasch manche Fliegen aufsteigen, wenn sie verscheucht werden. Ebenso wie beim Emporsteigen ist auch beim ') Unter dem spezifischen Gewicht einer nicht homogenen Masse wird das Verhältnis von Gewicht p zu Volumen V verstanden. V ist proportional 1^; der Proportionalitätsfaktor wird hier zur Vereinfachung gleich I gesetzt. ^) Der Muslielmenge wird hier der physikalische Charakter einer potentiellen Energie beigelegt. Das ist natürlich nur in erster Annäherung richtig. (Schluß.) der Vorteil auf selten der Kleinen. Die kinetische Energie \ mv", mit der ein Körper unten anlangt, nachdem er eine Strecke h durch- fallen hat, ist nämlich gleich der Arbeit mgh, die erforderlich war, ihn hinaufzuschaft'en. Also auch die kinetische Energie ist proportional L*. Die Wucht des Falles ist nun wohl in erster Linie der kinetischen Energie des fallenden Körpers entsprechend und somit steigt die Wucht des An- pralls mit der 4. Potenz der Größe. Hier kommt hinzu, daß die Fallgeschwindig- keit bei einem kleinen Körper durch den Luft- widerstand stärker vermindert wird als bei einem großen. P'erner kann die Wirkung des Anpralls in erster Annäherung der Oberfläche umgekehrt proportional gesetzt werden; denn je größer die auffallende Fläche ist, desto geringer wird der Druck auf die F'lächeneinheit. Das heißt bei einem kleinem Körper wird der Anprall mehr verteilt. Schließlich ist hier das elastische Außen- skelett, mit dem die große Schar der Insekten bekleidet ist, von Nutzen. Wieso diese Panzerung überhaupt eine für kleine Körper vorteilhafte Konstruktion bedeutet, wird noch ausgeführt werden. Man kann also sagen, beim Fallen sind die Kleinen ganz besonders bevorzugt und daraus er- klärt sich auch, daß sie von der Ungefährlichkeit des Falles so ausgiebig Gebrauch machen. Wer Käfer fangen will, die an Zweigen sitzen, muß einen Schirm unterhalten ; denn sobald die Tiere Gefahr merken, lassen sie sich fallen und am Boden sind sie dann verschwunden. Viele Käfer kombinieren hierbei zwei verschiedene Tricks. Sie ziehen die Beine ein und lassen sich dadurch fallen ; in dieser Stellung, mit eingezogenen Beinen, verharren sie dann, „sie stellen sich tot". Mecha- nisch läßt sich beides ausgezeichnet vereinigen. Die Möglichkeit, sich ohne Gefahr fallen zu lassen, verschafft den Kleinen einen nicht unerheblichen Vorteil. Geringe Größenunterschiede können beim Fall viel ausmachen. Man sagt, daß das Eichhörnchen, vom Marder verfolgt, zunächst in die Höhe strebt und wenn es auf einen Ast getrieben wird, von, dem es nicht zu einem anderen hinüberspringen kann, in die Tiefe hinabspringt und sich dadurch rettet. Der Marder kann ihm diesen Sprung nicht nachtun; denn da er ungefähr doppelt so lang ist wie das Eichhörnchen und von ähnlicher Ge- stalt, so ist er etwa 8 mal so schwer und würde mit mindestens 8 facher Wucht aufschlaget!, denn auch der Vorteil der Dämpfung ist für ihn ge- ringer. Ein augenfälliger Unterschied zwischen großen und kleinen Tieren tritt in der Art des Laufens hervor. Man vergegenwärtige sich z. B. die schönen Kurven, die ein Pferd beschreibt, wenn es zu seiner S04 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 36 Lust über die Weide läuft, oder das unruhige Hin- und Herfahren eines Hundes, das Huschen einer Maus und das unvermittelte, ruckweise Vorstoßen der Laufspinnen. Wenn man recht viele Beispiele von laufenden Tieren verschiedener Größe zu- zusammenhält, so ergeben sich folgende Funda- mentalunterschiede: I. Je kleiner die Tiere sind, desto größer ist die Geschwindigkeit, die sie er- reichen können, natürlich gemessen an ihrer eigenen Körpergröße. Die Geschwindigkeit eines Renn- pferdes z. B. kann bis zu 25 m in I Sek. betragen, seine Länge ist ungefähr gleich 2,5 m, also hat seine Geschwindigkeit, gemessen durch die Körper- länge, den Wert 10. Beim Beobachten von Wolfs- spinnen und anderen kleinen Insekten kann man leicht viel größere Geschwindigkeit zu sehen be- kommen. 2. Je kleiner die Tiere sind, desto schneller erfolgt der Übergang aus der Ruhe in die Bewegung (und desto schneller kann die Be- wegung gestoppt werden). Der Grund für diese Verschiedenartigkeit des Laufens ist rein physikalisch. Die Leistung wird hier gemessen durch die Bewegungsgröße oder das Produkt mv. Nun ist die Masse m propor- tional der 3. Potenz der Körperlänge 1 und die Geschwindigkeit v ist proportional 1 selber; denn da die Körperlänge als Einheit des Weges benutzt werden soll, so ist v = — = 1 -. Die Bewegungs- größe ist also proportional 1*, die verfügbare Energie dagegen ist wieder proportional P. D. h. die Körperkräfte der Tiere sind im Vergleich zur Leistung des Anlaufens um so größer, je kleiner die Tiere sind; daher können kleine Tiere sich schneller in Bewegung setzen (und größere Ge- schwindigkeit erreichen). Das Drehungsmoment R einer Last p ist gleich pd, wenn d den Abstand des Schwerpunkses vom Drehpunkt bedeutet. Durch diesen Ausdruck wird der Aufwand gemessen, der gemacht werden muß, um die Last in ihrer Lage festzuhalten. Man sieht, daß R proportional L'^ ist. Alle Körperteile, die mehr oder weniger hori- zontal vorstehen, haben ein Drehungsmoment und müssen durch Stützen oder durch Muskelanspan- nung in ihrer Lage gehalten werden. Als Bei- spiel kann die Antenne irgendeines Arthropoden dienen. Denkt man sich das Tier geometrisch ähnlich vergrößert, so wächst das Drehungs- moment proportional L^ die Muskulatur aber nur proportional L". Die Antennenkonstruktion wird also mit wachsender Größe immer unvorteilhafter. Diese Folgerung soll später noch erweitert werden. Das Drehungsmoment spielt auch beim Klettern eine Rolle. Wenn ein Tier an einer senkrechten Wand emporsteigt, so muß es nicht nur sein Ge- wicht, sondern auch dessen Drehungsmoment durch die Befestigung kompensieren. Daraus folgt, daß es für alle Tiere vorteilhaft ist, sich beim Klettern möglichst dicht anzuschmiegen, damit d so klein wie möglich wird. Kleine Tiere haben aber vor größeren jedenfalls den Vorteil, daß ihr Drehungsmoment stärker reduziert ist als ihre Größe, weil eben das Drehungsmoment pro- portional L* ist. Zum Teil hieraus erklärt sich, daß die Kunst, an Wänden emporzulaufen, auf kleine Tiere beschränkt ist. Als technisch am wenigsten vorteilhaftes Klettern erscheint das Ver- fahren der Schnecke. Dem entspricht es, daß diese Methode zuerst ihre praktische Grenze er- reicht. — Mit diesen Andeutungen ist nur auf einzelne Punkte aus der Theorie des Kletterns hingewiesen. Das Trägheitsmoment ist, wie schon in der Einleitung festgestellt wurde, proportional L* und daher gegen Größenunterschiede besonders emp- findlich. Es spielt bei Rotationen und Pendel- schwingungen dieselbe Rolle wie die Masse bei geradliniger Bewegung. Masse und Trägheits- moment sind beide das Maß dessen, was der Be- schleunigung widerstrebt. Ein Schwungrad zur Energiespeicherung, wie es in der Einleitung als Beispiel benutzt wurde, gibt es nun freilich im Tierreich nicht. Über- haupt kommt das Rad als Maschinenelement im Tierreich nicht vor, weil es mit seiner Maschine nicht in ernährungsphysiologischen Zusammen- hang gebracht werden kann. Das Rad ist eine frühe Erfindung des menschlichen Geistes, für welche die Natur kein Vorbild geliefert hat. Auch Rotationen ganzer Organismen, sog. Kreisel- bewegungen, sind selten. Aber auch für pendel- artige Bewegungen irgendwelcher stabähnlichen Gebilde gilt der Satz, daß sie einer Beschleunigung um so mehr widerstreben je größer ihr Trägheits- moment ist. Aus pendelartigen Bewegungen sind nun alle die mannigfaltigen Bewegungen tierischer Gliedmaßen zusammengesetzt. Ins Organische übertragen: große Tiere können keine langen Gliedmaßen haben. Solche Gestalten wie der Weberknecht (Phalangium) und die Kohl- schnake (Tipula) lassen sich nicht vergrößern. Macht man in Gedanken den Versuch, so würde dabei das Trägheitsmoment irgend eines Gliedes mit L^ und die zu seiner Bewegung dienende Muskulatur mit L'' wachsen. Die Kräfte würden also mit wachsender Größe zur Bewegung der Gliedmaßen immer weniger ausreichen. Die Art, wie Trägheits- und Drehungsmoment von L abhängen, hat also zur Folge, daß die Natur bei größeren Gebilden weniger Spielraum hat für ihre konstruktive Phantasie als bei kleinen. In demselben Sinne beschränkend wirken auch die beiden Tatsachen, die jetzt besprochen werden sollen, und deren physikalische Begründung in der Elastizitätslehre gegeben wird. Es ist bekannt, wie mannigfachen Gebrauch die Spinnen von ihren Fäden machen können. Auch viele Raupen spinnen Fäden und benutzen sie für ihre Puppenhülle oder um sich daran herunterzulassen oder gelegentlich an einer Fenster- scheibe emporzukriechen, indem sie mit den Fäden, die von ihrem Munde ausgehen, eine Art Leiter bauen, aul der sie emporklimmen. N. F. XVI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 505 Die Fähigkeit, selbsterzeugte Fäden zu mecha- nischen Zwecken zu benutzen, ist auf kleine Wesen beschränkt. Der Grund dafür ist rein physikalisch. Nehmen wir den einfachen Fall, daß eine Spinne einen Faden spinnt, um sich an ihm herabzulassen und später mit seiner Hilfe zu ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren. In dem Augenblick, wo das Tier am Faden hängt, denke man sich das ganze System ähnlich vergrößert, — dann muß bei einer gewissen Größe der Faden reißen. Denn die Beanspruchung des Fadens durch das Gewicht des Tieres wächst proportional L^, seine Tragfähigkeit aber propor- tional seinem Querschnitt also proportional L'^, das Verhältnis Tragfähigkeit zu Beanspruchung, die „relative Hahbarkeit", ist also proportional L°:L'' = L^\ d. h. die relative Haltbarkeit wird mit wachsender Größe geringer. Um es ganz konkret zu sagen: Wenn das Tier eine 10 fache Linearvergrößerung erfährt, so wird sein Gewicht 1000 mal so groß, der Faden aber wird 100 mal so dick und kann also durch lOO der ursprüng- lichen Fäden ersetzt werden. Jeder von den Fäden hat dann 10 mal so viel zu tragen wie der eine P'aden zu Anfang. Ein größeres Tier kann die relative Haltbar- barkeit seines Fadens auch nicht dadurch steigern, daß es ihn verhältnismäßig dicker spinnt. Denn dazu müßte der Vorrat an Spinnstoff und damit wieder das Gewicht vergrößert werden. Bleibt also noch der Ausweg, den Faden kürzer zu machen, so daß er nicht mehr die Größe des Tieres um ein Vielfaches übertrifft, dann kann er aber nicht mehr den mannigfaltigen Zwecken dienen, zu denen ihn Spinnen und Raupen be- nutzen, und das technische Problem ist überhaupt ein anderes. In der Tat ist der Gebrauch von selbst- erzeugten Fäden auf kleine Tiere beschränkt, weil die relative Haltbarkeit eines Fladens eine Funktion der Größe ist. Von viel allgemeinerer Bedeutung als die Kunst des Spinnens sind die Einrichtungen, welche dem Organismus F"esligkeit verleihen. Sie sind der Art und dem Grade nach überaus ver- schieden, aber immer im Einklang mit den Lebensbedingungen. Unter Festigkeit versteht man im gewöhn- lichen Sprachgebrauch den Widerstand, den ein „fester Körper" einer Deformation entgegensetzt. Man kann Zug-, Druck-, Schub-, Torsions- und Biegungsfestigkeit unterscheiden. Hier soll nur die Biegungsfestigkeit besprochen werden. PIs genügt dabei, als Beispiel einen Balken zu be- nutzen, denn die anderen Fälle verhalten sich analog. Ein Balken sei horizontal gelagert, so daß er für die Strecke 1 freiliegt (s. Abb.). Sein recht- eckiger Querschnitt habe die Höhe h und die Breite b. In seiner Mitte werde er durch ein Gewicht V belastet. Die Durchbiegung, der „Pfeil 1 PP der Biegung", ist dann ^^^ 17-^3^; E bedeutet den Elastizitätskoeffizienten des Materials. Denkt man sich nun die beschriebene Anordnung ähn- lich vergrößert, so wachsen alle linearen Ab- messungen in gleichem Maße und man könnte meinen, die Abbildung müßte immer ein richtiges Bild geben. Das ist aber nicht der P'all, sondern die Durchbiegung wird verhältnismäßig immer größer, sie eilt den anderen Abmessungen voran. Da nämlich P proportional der 3. Potenz der Länge ist, so muß d proportional L" sein. Das Verhältnis d : 1 soll hier als relative Durchbiegung bezeichnet werden; dann kann man sagen, die relative Durchbiegung eines Balkens nimmt zu proportional seiner Länge, oder anschaulich: ein Streichholz ist fester als ein Balken von gleicher Gestalt und aus demselben Holze. ') Die Vorteile, welche den Kleinen daraus er- wachsen, daß alle ihre Skelettstücke allein wegen ihrer Kleinheit große Biegungsfestigkeit haben, sind recht bedeutend und mannigfaltig. Man denke z. B. daran, welchen Widerstand manche Insekten dem Zerdrücktwerden entgegensetzen, oder wie hart manchmal ein Käfer, wenn er sich fallen läßt, aufschlägt, ohne den geringsten Schaden zu nehmen. Will man das Ergebnis der physi- kalischen Betrachtung allgemein ausdrücken, so kann man entweder den Aufwand oder die Leistung in den Vordergrund rücken, und gelangt so zu einem von den beiden Ausdrücken: je kleiner ein Organismus, desto geringer ist der Material- aufwand, der für die Festigkeit gemacht werden "muß; oder je kleiner ein Organismus, desto größer ist eo ipso seine Festigkeit, und desto leichter also für ihn alle auf P'estigkeit beruhenden Leistungen. Durch diese Tatsache ist der Größe des Tierkörpers überhaupt eine Grenze gezogen. Sie ist dann erreicht, wenn die zur Festigung nötige Masse im Vergleich zu der anderen Lebens- zwecken dienenden einen unwirtschaftlichen Be- trag erreicht. Tiere, die in Wasser leben, brauchen weniger Stützen und können daher bedeutendere Größe erreichen als Landtiere. Die Einrichtungen, welche im Tierreich der P'estigung dienen, sind entweder im Innern des Körpers geborgen, oder oberflächlich aufgelagert. Man vergleiche z. B. einen Vierfüßler und einen ') Natürlich muiS d, da es eine Strecke bezeichnet, die Dimension L haben. Das sagt auch die Formel aus, wenn man berücksichtigt, daß die Konstante E nach ihrer Definition von der Dimension M L ' T - ist. Da aber E nur vom Material, und nicht von der Größe des Körpers abhängt, so bleibt CS dabei, daß d der zweiten Potenz irgendeiner von den linea Abn rgen propor tional So6 Naturwissenschafliche Wochenschrift. F. N. XVI. Nr. 36 Käfer. Die Muskeln, welche die Glieder bewegen, greifen beim Vierfüßler an den Knochen, beim Käfer an der Innenfläche des Hautskeletts an. Genügende Beweglichkeit der Teile kann so oder so erreicht werden. Nun ist aber das Hautskelett der Käfer gleichzeitig ihr Panzer; es erfüUt also zwei Aufgaben zugleich und erscheint darum als die vorteilhaftere Konstruktion. Trotzdem findet man aber im Tierreich das äußere Skelett auf kleinere Wesen beschränkt wie Gliederfüßler, Stachelhäuter oder Weichtiere, während die Wirbel- tiere, zu denen alle großen Tiere gehören, ein inneres Skelett haben. Es bleibt also noch die Frage zu beantworten : hat die Beschränkung des so vorteilhaft erschei- nenden Hautskeletts auf kleine Tiere einen physi- kalischen Grund oder nicht? Die Antwort liegt in folgender Betrachtung. Konstruiert man in Gedanken zwei Tiere von gleicher Größe und ähnlichem Körperbau jedoch das eine mit innerem, das andere mit Hautskelett, so wird bei dem letzteren die auf das Skelett zu verwendende Masse einen größeren Bruchteil der Gesamtmasse ausmachen als bei dem mit innerem Skelett. Denkt man weiter beide Tiere in gleichem Maße vergrößert, so daß jedes dem ursprünglichen Entwurf ähnlich bleibt,- so wächst bei beiden der zur Festigung dienende Massenaufwand zunächst proportional L''. Nach der Vergrößerung haben aber beide Skelette an relativer Haltbarkeit ver- loren, sie müssen also verstärkt werden. Nimmt man an, daß dazu für beide Konstruktionen der- selbe Bruchteil der ursprünglich zur Festigung bestimmten Masse nötig ist, so muß die Grenze für die Wirtschaftlichkeit des Bauplanes von dem Tier mit Hautskelett früher erreicht werden, weil schon seine ursprüngliche Aufwendung größer war. Wenn die Beanspruchung durch äußere Kräfte sehr gering ist, so können auch Tiere mit Haut- skelett abnorme Größe erreichen. Solche günstigen Verhältnisse liegen vor auf den tiefsten Gründen des Meeres, wo die eigentümlich gestaltete Tief- seefauna lebt. Wellenschlag, Strömung, Strudel dringen nicht bis da hinab. Und sehr schnelle Bewegungen, bei denen große kinetische Energie erzeugt wird, kann man sich aus verschiedenen Gründen auch nicht recht vorstellen. Die Bean- spruchung des Skeletts durch kinetische Energie fällt also in diesen Tiefen weg. In der Tat er- reichen nun hier die Arthropoden, die sonst nicht vorkommen. „Von Gliedertieren ist die Kämpfer 'sehe Seespinne die kolossalste Krabbe, Bathynomoseine ganz riesenhafte .^ssel undColoss- endeis die größte Gattung aller Pycnogoniden". ') Daß nicht etwa Mangel an Baumaterial der Grund zur Schwächung des Skeletts ist, geht aus der Darstellung bei Keller hervor, der die ange- führten Tatsachen entnommen sind. Was wir als Ton empfinden, erscheint der ') Das Leben des Meeres von Cc 1895, S. 233. physikalischen Betrachtung als periodische Schwin- gung. Das Schwingende ist meist ein elastischer fester Körper, z. B. eine Saite, eine Glocke, eine Stimmgabel. Auch eine Luftsäule kann schwingen und verhält sich dann wie ein elastischer fester Körper; die Lippenpfeifen sind analog den Stäben, welche in longitudinale Schwingungen versetzt werden. Die Schwingungen werden gewöhnlich auf die Luft übertragen und durch diese unserem Ohr zugeleitet. Es ist aber auch möglich, die Luft unmittelbar, d. h. ohne Hilfe eines elastischen Körpers in Schwingungen zu versetzen und da- durch Töne zu erzeugen; das geschieht bei der sog. Sirene. Was wir als Tonhöhe empfinden, erweist sich physikalisch als Anzahl der Schwin- gungen in der Zeiteinheit. Unsere Musikinstrumente benutzen die Schwin- gungen von elastischen festen Körpern oder von Luftsäulen. Die Tonhöhe dieser Instrumente hängt in erster Linie ab von der Dimension des Schwin- genden, und zwar kann ganz allgemein gesagt werden : die Töne sind um so höher, je kleiner das Schwingende ist. Daraus folgt, daß kleine Lebewesen überhaupt nur hohe Töne hervorbringen können, wenn sie auf gewöhnliche Art, nämlich mit Hilfe elastischer Schwingungen, zu musizieren versuchen. In der Tat bewegt sich das vielstimmige Konzert der Grillen und Cicaden und ihrer Verwandten in den höchsten Tönen und man darf wohl annehmen, daß es in vielen Fällen darüber hinausgeht. Es ist ja bekannt, daß unsere Tonwahrnehmung über eine gewisse Schwingungszahl (etwa 24000) nicht hinausreicht und daß diese obere Grenze indivi- duell verschieden ist. Das Insektenkonzert auf einer Wiese wird also nicht allen Leuten dieselbe Tonfülle bieten, sondern für manche müßten die feinsten Stimmchen fehlen, andererseits darf man doch wohl annehmen, daß auch viele von den ganz kleinen Insekten, die für uns stumm sind, auf ihre Art Töne hervorbringen, die von ihres- gleichen gehört werden und nur für unser Ohr nicht existieren, weil das Schwingende zu klein und der Ton infolgedessen für uns zu hoch ist. Anders ist es mit den Schwingungen, die nicht durch elastische Kräfte, sondern durch rhythmisches Bewegen irgendwelcher Körperteile hervorgebracht werden, z. B. durch den Flügel- schlag. Die so erzeugten Töne werden im allge- meinen tief sein, denn es gehören schon etwa 16 Schwingungen in einer Sekunde dazu, um überhaupt die Empfindung eines Tones zu er- zeugen. Das tiefe Brummen, das manche In- sekten beim Fliegen hören lassen, kommt offen- bar durch den Rhythmus des Flügelschlages zu- stande und ist nur ein Nebenprodukt des Fluges. Die Sache steht also so, daß den Insekten doch der ganze Tonbereich zugänglich ist. Die hohen Töne bringen sie durch elastische Schwin- gungen hervor, ebenso wie der Mensch mit seinen mannigfachen natürlichen und künstlichen Musikinstrumenten. ¥ür die tiefen Töne haben N. F. XVI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 507 sie die Möglichkeit, durch rhythmische Bewegung, etwa der Flügel, die Luft periodisch zu erschüttern, und dieser \Veg ist wieder größeren Wesen nicht zugänglich, denn größere Massen lassen sich wegen ihres viel größeren Trägheitsmomentes nicht so schnell hin- und herbewegen, wie hierzu nötig wäre. Von hoher Bedeutung für das Leben kleiner Tiere, im besondern der Insekten, ist ihr Ver- hältnis zur Kohäsion des Wassers und anderer Flüssigkeiten, die im Leben größerer Tiere gar keine Wichtigkeit hat. Die Kohäsion einer Flüssig- keit äußert sich als Oberflächenspannung und als Viskosität. Beide Kräfte spielen im Leben kleiner Wesen eine sehr bedeutende und meist verhängnis- volle Rolle. Die freie Oberfläche einer Flüssigkeit, etwa die Mitte eines Wasserspiegels, verhält sich gegen einen unbenetzbaren Körper wie eine dünne elastische Haut, die vor dem eindringenden Körper ausweicht und durch die aus der Deformation ent- springende Spannung dem weiteren Eindringen widerstrebt. Ist der äußere Druck gering, so kann sich ein Gleichgewicht einstellen und der Körper ruht dann auf der Oberfläche, wohlver- standen keineswegs wie ein Schwimmer auf Grund des Archimedes'schen Prinzips, sondern wie etwa ein Mensch auf einer Sprungfedermatratze. Eine Nähnadel z. B., die etwas eingefettet ist, da- mit sie nicht benetzt wird, ruht auf einer Wasser- fläche und geht nicht unter, solange starke Be- wegung ferngehalten wird. Mit einer Stopfnadel, die ihr doch in jeder Beziehung ähnlich sein kann, gelingt das Experiment nicht mehr. Das liegt natürlich daran, daß der äußere Druck dem Ge- wicht, also L^ proportional ist, während der elastische Widerstand proportional ist der Fläche, längs welcher die Berührung stattfindet, also L'-. Der Druck wächst demnach stärker als der Wider- stand und daher durchdringt ein größerer Körper die Oberfläche und sinkt zu Boden, — falls er nicht etwa schwimmen kann, d. h. sein Gewicht durch Wasserverdrängung ganz zu kompensieren vermag. Auf dem Wasser zu wandeln ist also nur kleinen Wesen möglich; ob sie auch spezifisch leicht sind, ist dabei von untergeordneter Be- deutung. Soviel ich weiß, ist die Fähigkeit des Wasserlaufens beschränkt auf eine kleine Gruppe der Rhynchoten, deren größte einheimische Art noch nicht 2 cm erreicht. Die langen Beine dieser Wasserläufer bewirken, daß die Eindrücke der Füße auf dem Wasserspiegel in gehöriger Entfernung bleiben. Sobald die Vertiefungen ein- ander nahe kommen, fließen sie nämlich zu- sammen und nehmen die Lasten mit, so daß es aussieht, als ob eine Anziehung stattfände. Die gestreckte Körperform ist der Ausdruck geringen absoluten Gewichtes. Langbeinigkeit und Körper- form erscheinen also von physikalischem Stand- punkt als wertvolle Hilfen bei der eigentümlichen Lebensweise, Anders steht es, wenn ein Körper mit einer Flüssigkeit in Berührung kommt, die ihn benetzt. An dem Berührungspunkte bleibt die Flüssigkeits- oberfläche nicht eben, wie unter dem Einfluß der Schwere und Kohäsion allein, sondern sie bildet eine geneigte Fläche und steigt an dem Körper empor. Die Steighöhe hängt ab von der Natur der Substanzen und von den Dimensionen der Kapillaren und Winkelräume. Wenn nun ein kleiner Körper von beliebiger Form mit einer Flüssigkeit in Berührung gebracht wird, die ihn benetzt, so wird sie an ihm empor- steigen und seine Vertiefungen mehr oder weniger ausfüllen. Falls etwa die Abmessungen des Körpers mit der Steighöhe der Flüssigkeit kommensurabel sind, so kann die Flüssigkeit den Körper ganz ein- hüllen. Dabei bildet die Flüssigkeit immer eine Minimalfläche und man kann den Zustand be- schreiben, indem man sagt: Der Körper befindet sich unter einer elastischen Decke, welche durch ihre Spannung bestrebt ist, ihn unter die ur- sprüngliche Oberfläche zu drücken. Ist der Körper spezifisch schwerer als die Flüssigkeit, so sinkt er zu Boden, sobald er ganz benetzt ist. Wenn der Körper dagegen spezifisch leichter ist, so wird er zwar schwimmen, aber dabei tiefer ein- sinken als seinem spezifischen Gewicht entspricht. Ein kleiner Körper schwimmt also nicht auf Grund des Archimedes'schen Prinzips, oder, genauer gesagt, beim Schwimmen kleiner Körper (be- netzbarer und auch unbenetzbarer) darf die Ober- flächenspannung nicht vernachlässigt werden. Wenn die Tiefe der Flüssigkeit zum Schwimmen nicht ausreicht, so wird der Körper in eine elastische Oberflächenhaut eingeschlossen. Daraus erklärt sich, daß benetzbare Insekten, die ins Wasser gefallen sind, tiefer einsinken müssen, als ihrem spezifischen Gewicht entspricht. Gelingt es ihnen, durch Kriechen dem Bade zu entrinnen, so nehmen sie eine Flüssigkeitsmenge mit, welche sich über die Unebenheiten ihres Körpers so verteilt, daß eine Minimalfläche ent- steht. Diese wirkt durch ihre Oberflächenspannung wie eine elastische Hülle, die jede ihrer Be- wegungen hindert. Man weiß ja, eine wie un- glückliche Figur die behende Fliege macht, wenn sie aus der Milchsatte kriecht. Die mitgeschleppte Flüssigkeit können kleine Tiere nicht abschütteln wie größere, weil ihre Körperkräfte kleiner sind als die Spannung der Membran; sie müssen warten, bis sie durch Verdunstung oder kapillare Hilfe befreit werden. Wenn nun die Flüssigkeit außerdem von höherer Viskosität ist oder beim Verdunsten zähe wird, so erschwert sie die Bewegungen der Tiere innerhalb der Hülle und die Befreiung gelingt dann nicht mehr. Dies ist der Hergang, wenn kleine Tiere mit einer zähen Flüssigkeit auch nur in Berührung kommen. Sie werden benetzt, angeklebt, in eine Minimalfläche gehüllt (wozu sie durch Zappeln noch mithelfen), erschöpfen ihre Kraft im Kampf mit der inneren Reibung Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 36 und ersticken schließlich unter der Hülle. Dieser Vorgang ist im Leben der Insekten sehr häufig. Die Viskosität ist ja auch ein Schutzmittel der Pflanzen gegen kleine tierische Feinde. Ein be- kanntes Beispiel ist die Pechnelke. Auch Pflanzen, die bei Verletzung ihrer Oberhaut reichlich Milch- saft abscheiden, der an der Luft bald eintrocknet, haben dadurch einen recht wirksamen Schutz gegen die Zerstörung durch Ameisen. Flüssigkeiten von sehr großer Viskosität können auch größeren Tieren gefährlich werden. Jedoch wird hier bald eine Grenze erreicht. Die Gefahr wächst nämlich mit der Größe der benetzten Oberfläche also proportional L-, die Möglichkeit zu entrinnen dagegen wächst mit den Körper- kräften, also in erster Annäherung proportional L''. viskosen Flüssigkeiten zugrunde zu gehen, mit wachsender Größe eo ipso geringer. Größere Tiere kann man nicht an Leimruten fangen. Diese Betrachtung ist nicht erschöpfend. Es gibt noch mehr physikalische Erscheinungen, welche für große und kleine Lebewesen von ver- schiedener Bedeutung sind, und auch die Zahl der Beispiele hätte sich erheblich vermehren lassen. Das vorangehende wird aber genügen, um glaub- haft zu machen, daß es rein physikalische Ab- hängigkeiten sind, welche die organischen Formen auf bestimmte Größen beschränken, und daß die Mannigfaltigkeit der Gestalten auf die verschie- denen Größenstufen nicht zufällig verteilt ist, wie der Zoologe zunächst annehmen muß. Das Ver- hältnis F : M, die mechanischen Begriffe, die Festig- keit, die Oberflächenkräfte hängen derart von der Größe ab, daß sie kleinen Wesen Vorteile bieten, die größeren eben wegen ihrer Größe nicht zu- gänglich sind. Das Modell irgendeines kleinen Tieres läßt sich nicht vergrößern. Daher kommt es auch, daß beim Durchmustern aller organischen Formen, wenn man von kleinen zu größeren fortschreitet, die Reichhaltigkeit ab- nimmt und immer weniger Typen übrig bleiben. Die größten Tiere sind entweder Vierfüßler oder Vögel oder sie haben die Fisch- oder Schlangen- form. Welche Fülle grundverschiedener Baupläne dagegen bei den Kleinen und Kleinsten! Die Überlegenheit ist noch viel größer als es auf den ersten Blick erscheint, denn die Ausprägung der Typen bei den großen Tieren ist uns vertraut und die Gestalten der Vierfüßler erscheinen uns eben deswegen recht verschieden. Die Formen der Kleinen und Kleinsten unter den Tieren sind aber vielen Leuten unbekannt und den anderen doch nicht so gegenwärtig, daß sie die ganze Fülle in der Vorstellung zusammenfassen könnten. Einzelberichte. Physiologie. Bei der großen Seltenheit des Vorkommens von echtem Zwittertum (Herma- phroditismus verus) bei Wirbeltieren, verdient jeder einzelne derartige Fall eine besondere Er- wähnung. Über echten Hermaphroditismns beim Kammmolch berichtet Jaroslaw Krizenecky (Ein Fall von Hermaphroditismus bei Triton cri- status und einige Bemerkungen zur Frage der sexuellen Differenzierung. Archiv für Entwickelungs- mechanik der Organismen. 42. Bd. 4. Heft 1917). Es handelte sich um die gleichzeitige Produktion der Keimzellen beider Geschlechter also von Makro- gameten (Eizellen) und von Mikrogameten (Samen- zellen) in ein und demselben Individuum. Dieser echte Hermaphroditismus, der wohl zu unter- scheiden ist von dem Pseudohermaphroditismus, bei welchem die somatischen Eigenschaften des anderen Geschlechts an einem bezüglich der Keim- drüsen nur eingeschlechtlichen Individuum auf- treten, kann in verschiedenen Formen vorkommen. 1. Beiderlei Keimdrüsen können in ihrer ty- pischen Ausbildung zugleich vorkommen, auf einer Seite die weibliche, auf der anderen Seite die männliche (Hermaphroditismus lateralis). 2. An jeder Seite ist je eine männliche und eine weibliche Keimdrüse ausgebildet (Hermaphro- ditismus bilateralis). r In einer äußerlich vollkommen weiblich aus- gebildeten Gonade finden sich Samenzellen und andererseits in einem Hoden Eizellen. Quantitativ kommen natürlich die verschiedensten Übergänge vor. Während nun von Fröschen bereits zahl- reiche Hermaphroditen beschrieben wurden, ist bisher von den geschwänzten Amphibien (Tri- tonen) nur ein einziger Fall bekannt geworden; derselbe betrifft den im Jahre 1895 von George de laValette beschriebenen seitlichen Zwitter; es war ein äußerlich männlicher Wassermolch, in dessen Hoden neben normaler Spermatogenese eine ganz normale Ovogenese stattfand. Im Herbst 1914 wurden nun von K. unter den im Aquarium gezüchteten Tritonen (Triton cristatus Laur.) einige Männchen angetroffen, welche bereits das Brunstkleid trugen. Während äußerlich an einem der untersuchten Tiere nichts besonderes wahrzunehmen war, fand K. in Schnittprä- paraten beider Hoden über 200 Eier. Die- selben befanden sich, wie ihre geringe Größe an- zeigte, auf einer sehr niedrigen Entwicklungsstufe. Aus dem mikroskopischen Befund schließt K., daß beiderlei Keimzellen aus dem Keimepithel des Hodens entstanden waren, daß es sich also nicht um eine Durcheinandermengung des Ovarial- und des Hodenkeimepithels handelt. Auch vom Menschen wäre ein solcher Fall durch Babor (1898) bekannt geworden, der bei einem normalen, (13 jährigen kräftigen Manne, der N. F. XVI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 509 an beginnender Prostatahypertrophie litt, in beiden Hoden, außer hier und da normaler Spermato- genesis mit reifen Spermien und verschiedenartiger Degeneration des Samenkanälchenepithels, wie solche bei sehr alten Männern regelmäßig vorkommt, eine Wucherung und Neubildung des indifferenten Keimepithels gefunden hat, die an geeigneten Stellen Bilder lieferte, welche nicht an die Histogenesis der Tubuli seminiferi, sondern vielmehr an die Pflüger- Valenti'schen Schläuche erinnerten, Zellstränge wie im fötalen Ovarium aufwies und in der Tat auch hier und da mitunter gruppenweise Primordialeier mit Primitivfollikeln enthielt." In allen diesen Fällen handelt es sich um die gleiche Erscheinung wie beim Tritonhermaphro- diten, nämlich um die Entstehung von Eizellen aus dem Keimepithel des Hodens; bei den Lungen- schnecken bildet es ja die Regel, daß beide Arten von Keimzellen aus der zwitterigen Keimdrüse hervorgehen. Was nun die Ursache der Eiproduk- tion anbelangt, so könnte dieselbe auf einem Zurückbleiben embryonalen Gonadengewebes im Hoden beruhen. Eine derartige Ursache des Hermaphroditismus lag beim Frosch vor (Kuscha- kowitsch 1910). Jedoch nicht immer braucht es sich um eine Erhaltung des primären Zustandes der Keimzellen zu handeln. Die Eiproduktion im Hoden kann vielmehr auch sekundär durch nach- trägliche Metamorphose veranlaßt werden, wie dies zweifellose Versuche von Meyus (1910 u. 191 2) ergaben. Derselbe fand nämlich in den Transplantaten der männlichen Keimdrüse von Rana fusca und Rana esculenta Eier, die in den Tubuli der transplantierten Hodenstückchen entstanden waren. Die Hodentransplantate pro- duzierten also nicht mehr Spermatozoen, sondern Eier, auch das Umgekehrte, nämlich, daß die Transplantate von Ovarien Spermatozoen produ- zieren, kann eintreten. So fand Braun (1904) bei einem Weibchen des Wurmes Ophryotrocha puerilis in den Keimdrüsen des regenerierten Hinterendes statt der Eier, Spermatozoen. Eine sexuelle Metamorphose treffen wir regelmäßig bei vielen Nematoden, namentlich bei dem Genus Rhabditis, bei welchem die Keimdrüsen zuerst als Hoden funktionieren und Spermatozoen hervor- bringen, um sich dann in eierproduzierende Go- naden zu verwandeln. Es lägen drei Möglichkeiten für ein Auftreten von Zwittern vor: 1. Die Entstehung andersgeschlechtlicher Gameten aus indifferent gebliebenen Zellen, die sich zwischen den in bestimmter Richtung ge- schlechtlich differenzierten Keimzellen finden. 2. Das Keimepithel bleibt indifferent wie bei den Lungenschnecken und 3. endlich das Keimepithel differenziert sich zwar in einer bestimmten Richtung, behält aber die Potenz, sich auch in der anderen Richtung zu differenzieren. Während nun die erste Erklärung abzuweisen ist, müssen die beiden letzten Er- klärungsmöglichkeiten zugegeben werden, da das Keimepithel jedenfalls auf einem embryonalen Zustand stehen bleibt und sich nach beiden Rich- tungen hin differenzieren kann. Der vorliegende Fall bietet die auffallende Erscheinung, daß die sekundären Geschlechtsmerkmale rein männlich waren. Es dürfte dies darauf zurückzuführen sein, daß die Zahl der Eier zu gering war, als daß sie einen Einfluß in somalischer Beziehung äußern konnten. Marshall fand dagegen die Hoden eines Froschhermaphroditen auf der Oberfläche schwarz pigmentiert entsprechend der dunkleren Färbung der Eier; etwas ähnliches beobachteten Goldschmidt und Poppelbaum (1914) an den Eier enthaltenden Hoden ihrer experimentell erzeugten „Weibchenmännchen" von Lymantria dispar japonica = Bastarden ; in vielen Fällen waren die Hoden nicht glatt wie normalerweise, sondern „traubenartig" ausgestaltet, was man gut als einen Anlauf zur Ovariengeslalt betrachten kann. Es erscheint vielmehr der morphologische Cha- rakter der Gonaden eine sekundäre Anpassung an die Gameten selbst zu sein, wie ja auch die Art der Ausführungsgänge sekundärer Natur war und eine Anpassung an die Gonaden darstellte. Auch das interstitielle Gewebe ist es nicht, welches in letzter Linie die sekundären Geschlechtscharak- tere bestimmt, da es ja selbst je nach der Art der Gameten verschieden gestaltet ist. Wolle man also zwischen sekundären und primären Ge- schlechtsmerkmalen unterscheiden, so sind lediglich die Gonaden selbst primär verschieden. Auch die Gonadenhormone scheinen nicht geschlechtlich differenziert zu sein, da nach Ver- suchen von Meisenheimer (1911) beim männ- lichen Kastraten des P'rosches die Daumenschwielen nach Injektion von Ovarialsekret wieder zur Anschwellung gebracht wurden. Es scheine sich dabei eben um eine neutrale Anregung des Meta- bolismus zu handeln. Nach Brown-Sequard und M. Nußbaum (1909) bleibt ja auch beim Hungernlassen normaler Männchen das Anschwellen der Daumenschwielen aus. Daß aber bei den Weibchen selbst, deren Ovarialhormone doch die Daumenschwielen der Männchen anschwellen läßt, die Daumenanschwellung fehlt, scheine auf einer Verschiedenheit im Bau des Daumens beider Geschlechter zu beruhen. Nur in dem Vermögen der Daumenschwielen anzuschwellen, ist das se- kundäre Geschlechtsmerkmal zu finden, aber nicht in der Anschwellung selbst; es könne nämlich auch ganz unabhängig von den Gonaden durch erhöhten Stoffwechsel, etwa durch reichlichere Fütterung bei einem Kastraten ausgelöst werden. Einmal stellte sich auch aus unbekannter Ursache eine Anschwellung der Daumenschwielen bei einem Kastraten zur Brunstzeit ein. Es folge daraus, daß das Auftreten sekundärer Geschlechts- merkmale von den Gonaden selbst unabhängig wäre, weil es auch durch heterologe Hormone veranlaßt würde. Es hätte dann auch das wieder- holt beobachtete Auftreten von Daumenschwielen bei hermaphroditen Fröschen für die Erklärung 5IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 36 keine Schwierigkeit, ebensowenig wie das Vor- kommen sekundärer heterologer Sexusmerkmale bei Gliederfüßlern (nach Krohn bei der Spinne Phalangium und nach Ishikawa bei der Krabbe Gebia). So könne auch bei Tritonen eine völlige Unabhängigkeit der sekundären Geschlechtsmerk- male von den Gonaden nicht weiter auffallen. Die Brunstmerkmale wären Folgen des gesteigerten Stoffwechsels. Ähnlich dürfte es sich beim Men- schen verhalten; so in dem oben angeführten FallBabor's, wo sich im Hoden eines somatisch männlichen Individuums Eier fanden. Fraenkel (1914) beschrieb einen Fall von Pseudohermaphro- ditismus femininus externus. Trotz eines Ovariums auf der linken Seite lagen äußerlich vollständig männliche Charaktere vor. Der Kehlkopf, die Behaarung des Gesichts, die Entwicklung des Skeletts u. a. neigte nach der männlichen Seite hin. In Verbindung mit eingeschlechtlichen Keim- zellen fanden sich also heterologe somatische Ge- schlechtsmerkmale. Bei der mikroskopischen Untersuchung des Ovariums ergab sich das gänzliche Fehlen des interstitiellen Gewebes. Da dieses die Entwick- lung der heterologen Geschlechtsmerkmale hemmt, konnte man auf sein Fehlen ihre Entfaltung im vorliegenden Fall zurückführen. Dem widerspricht aber der Befund bei Kastraten, bei welchen eine Annäherung an das andere Geschlecht nur inso- weit eintritt, als es das Zurückbleiben in der Aus- bildung heterologer Geschlechtsmerkmale anbetrifft. Nach K. ist der primäre Sexualdimorphismus auf die Gonaden beschränkt; denn was den Ma- krogameten als Eizelle erscheinen läßt, Größe, Dotterreichtum usw. und andererseits den Mikro- gameten als Samenzelle (Kleinheit, Fortbewegungs- organe usw.) sei nur sekundärer Natur. Kathariner. Paläontologie. Über die ältesten Versteiner- ungen Europas und Nordamerikas bietet August Rothpletz in den Abhandlungen der Königlich bayerischen Akademie der Wissenschaften (XXVIII. Band, Abhdl. i und 2) seine Forschungen dar. Rothpletz hat in den oberen Schichten der Beltformation eine Fauna gesammelt, die man als präkambrisch ansah. Im Staate Montane, bei der Stadt Helena stehen die Schichten an. Zwischen Helenakalkstein und Gipfeldolomit fanden sich in dunklen Schiefern Versteinerungen an mehreren Orten. Diese Schichten sind kambrischen Alters. Darunter liegen erst die Beltschichten, von diesen durch undeutliche Diskordanz getrennt. Peale, dem der Name Beltformation zu danken ist, glaubt an eine Senkung des archäischen Kontinents. Darauf lagerten sich die Absätze der Beltformatien. Das Senken wurde unterbrochen, die Ablagerung kam ins Stocken und erst als sie von neuem ein- setzte, begann der Absatz des Kambriums. Über- all ist diese Diskordanz nicht nachweisbar. Aus den Kapitolcreekschichten, das sind ungeschichtete Schiefer, die den Eindruck gleichförmig gewesener Tonmassen machen, stammen weiter unten an- gefühlte Versteinerungen. Im Hangenden liegen die Gipfeldolomite, im Liegenden der Helenakalk- stein. Der .Schiefer ist kalkfrei. Die erhaltenen Brachiopoden und Crustaceen finden sich immer nur vereinzelt. Trilobiten und Spongien zeigen sich fast nur in Bruchstücken. Sehr wahrscheinlich war das Meer der Kapitolcreekschiefer-Periode ein totes Meer, in das Strömungen abgestorbenes Leben aus Meeren mit authigenen Faunen hinein- führten. So kann man als Äquivalente diesen Schiefer mit der eingewanderten oder verschleppten I-'auna Kalke ansehen, die im Meere nieder- geschlagen wurden. Die früher ungeschichteten Tone sind jetzt eng geschiefert und zerklüftet, gepreßt und ver- zerrt. Darum sind auch die Versteinerungen von anderer Form wie ursprünglich vor der Einlagerung. Mit dem einschließenden Gestein zusammen wurden die Versteinerungen durch in der Nähe hochge- gangene Eruptivgesteine metamorph verändert. An Spongien wies Rothpletz nach : Protospongia cf fenestrata Salter; Lithistiden, an Brachiopoden : Rustella Edsoni Walcott, var. pentagonalis; Lingu- lella Helena Walcott, Obolella Billings, Obolella crassa Hall, Obolella ailantica Walcott, Acrotreta cf sagittalis Salt.; Kurtogina cf perrugata Walcott, an Hyolithen: Hyolithes cf BiUingsi Walcott, an Crustazeen: Fordilla (?) Walcotti n. sp., Trilo- biten, Phyllocariden. Das sind alles Vertreter des oberen Horizonts des unteren Kambriums, nicht des Präkambriums, in das man die Reste bis jetzt eingegliedert hat. Die einzigen Versteinerungen des Präkambriums wären die Cryptozoon. Von Saratoga Springs im Staate New Yorks führt er an : Cryptozoon proli- ferum Hall, aus dem Greenfielder Eisenbahnein- schnitt: Cryptozoon Ruedemanni n. sp. Die aus früheren Veröffentlichungen als sicher präkambrisch beschriebenen Cryptozoon occidentale Dawson, Cryptozoon frequenz Walcott sind auch fraglichen Alters. Eingehend hat sich Rothpletz mit Eozoon canadense befaßt, diesem Problematikum, daß so lange Zeit als das älteste versteinerte Lebewesen angesehen wurde. Er besuchte die klassischen Fundorte bei Pepineauville. An diesem dort ge- sammelten Material konnte er feststellen, daß alle die Strukturen, die das Gebilde als Petrefakt be- schreiben ließen, einer zweifachen Metamorphose ihrer Entstehung danken. Eine Frage bleibt noch zu beantworten offen. Weil die Anordnung der Kontaktmineralien nur auf eine Schicht in der Strukturmanier zu finden ist und weil diese Mine- ralien auch außerhalb der Eozoon-Schicht vor- kommen und dort keine Strukturanordnung zeigen, glaubt Rothpletz an eine Mitwirkung irgend- welcher Organismen beim Aufbau der Eozoon- schicht. Das Eozoon hat eine kegelförmige Gestalt, in der Foraminiferen-, Spongien-, Hydrozoenaufbau vereinigt ist. 2,5 — 15cm sind die Stücke groß; N. F. XVI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 511 wenn sie untereinander verwachsen waren, sogar 30 cm breit. Beim Verwittern des Kalkes kann man solche kegelförmige Bruchstücke finden. Da- gegen ist eine bestimmte, Eozoon führende Schicht nicht nachweisbar und darum sind auch räumlich getrennt vorkommende EozoonSchichten nicht immer die gleichen. Der Kalk liegt in den Gren- villeschichten, die sicher vorsilurisch sind, aber überall zu Marmor metamorphlsiertes Cambrium, ja wohl auch Präkambrium vorsteilen. IVletamor- phosen hat auch Eozoon zweimal mitgemacht, so daß nach Rothpletz das Eozoon nur ein anorganisches Gebilde ist. Aus den Steeprockschichten, die auf alten laurentinischen Granit abgelagert sind am Steeprock- See in Canada, führt er Atikokamia Lawsoni Wale, Cryptozoon Walcotti u. sp. an. Die lithistide Spongie Aiikokania erreicht eine Größe bis 7i ni Durchmesser, bildete auf dem Meeresboden Rasen. Die Stromatoporide Cryptozoon wuchs in senk- rechten Kegeln, so dicht zusammen, daß man annimmt, es seien Verwachsungen. Die Ver- steinerungen haben ausgesprochenes kambrisches Gepräge, während die herrschenden stratigraphi- schen Anschauungen den Steeprockschichten eine tiefpräkambrische (Huron) Stellung einräumen. So sind nach diesen Untersuchungen Eozoon canadense keine Versteinerung und die anderen prä- und altkambrische Reste. Rudolf Hundt, im Felde. Chemie. Eine sehr interessante Studie über die Abscheidung von Kohlenstoff in Form von Diamant ist kürzlich von Otto Ruff veröffentlicht worden (Zeitschrift f. anorgan. u. allgem. Chem. Bd. 99, S. 73 — IC4, 1917) und möge im folgenden, obwohl die Ergebnisse der Ruff'schen Arbeit im wesentlichen negativer Natur sind, doch ihrer grundsätzlichen Bedeutung wegen ganz kurz be- sprochen werden. Der leitende Gesichtspunkt für die Ruff'schen Versuche war weniger die sonst in der Regel gestellte Frage nach der Möglichkeit der Bildung von Diamant überhaupt als vielmehr die Frage nach der Möglichkeit seiner technischen Ge- winnung, und dementsprechend wurde meist so vorgegangen, daß versucht wurde, kleine Dia- manten durch Ankristallisation von Kohlenstoff" zu vergrößern, und nur wenn dies Verfahren nicht anwendbar war, war die Abscheidung von Kohlen- stoff als Diamant in Abwesenheit von Diamant- keimen Ziel der Arbeit. So wurden kleine Dia- manten bei verschiedenen Temperaturen und Drucken mehr oder minder lange Zeit in kohlen- stoffabscheidenden Gasen, Dämpfen oder Flüssig- keiten gehalten und ihr Gewicht mittels einer besonders empfindlichen Wage, die die Tausendstel Milligramme noch zu schätzen gestattete, vor und nach dem Versuch bestimmt. In keinem Falle aber wurde auf diese Weise eine die Fehlergrenzen der Versuche überschreitende Vergrößerung des Diamantgewichtes beobachtet. Der Kohlenstoff schied sich immer nur in Form von amorpher Kohle oder von Graphit ab. Positive Ergebnisse*), wurden von R u ff nur bei der Nachprüfung der bekannten Verfahren von Marsden und Moissan (Kristallisation von Kohlenstoff aus geschmolzenen Metallen) erhalten, indem auch Ruff bei diesen Versuchen winzige Kristallchen erhielt, die er als Diamanten ansprechen zu müssen glaubt, eine technische Bedeutung haben diese Versuche indessen nicht. Das wichtigste Ergebnis seiner Versuche sieht Ruff in der Feststellung, „daß sich Diamant bei allen bisher versuchten Wegen bis zu etwa 2000 Atmosphären, wenn überhaupt, so doch nur dann gebildet haben dürfte, wenn flüssiger bzw. gelöster oder dampfförmiger Kohlen- stoff durch außerordentlich rasche Abkühlung in feste Form übergeführt wurde. Aber selbst dies Ergebnis, so wahrscheinlich es auch sein mag, ist nicht ohne Vorbehalt als Erfolg zu buchen; denn wir erhielten das als Diamant angesprochene Material neben amorphem oder graphitischem Kohlenstoff unter diesen Bedingungen stets nur in so kleiner Menge und so fein zerteilt, daß eine quantitative Analj-se in einwandfreier Form nicht möglich war und wir uns meist mit nicht einmal ganz einwandfreien qualitativen Belegen für das Vorhandensein von Diamant begnügen mußten." Die tiefste Temperatur, bei der Ruff noch Diamant erhalten zu haben glaubt, ist 1600" C; bei niedrigeren Temperaturen entstand immer nur amorphe Kohle oder Graphit. Mg. ') Die von Kuff ausdrücklich als „aussichtsreich" be- zeichneten V'ersuche von A. Ludwig (Schmelzen von Kohle in einer Wasserstoflalmosphäre unter einem Druck von mehr als 1 500 Atmosphären) sind bisher noch nicht nachgeprüft worden. Franz X. Schaffer, Grund zu ge der Allge- meinen Geologie. Deuticke, Leipzig und Wien 1916. — Geb. 17 M. Neben den bereits bestehenden ein neues Lehr- buch leichtfaßlicher Art herauszubringen, noch dazu mitten im Weltbrande, zeugt von ungebrochenem Unternehmungsgeiste des Verfassers wie des Ver- legers. Ein dringendes Bedürfnis danach wäre kaum zu erkennen. Indes gibt es ja auch Verkehrsmittel, Bücherbesprechungen. die sich den Verkehr erst schaffen müssen, dem sie zu dienen bestimmt sind. Auch Bücher können und dürfen ihres Glückes eigener Schmied sein. Das vorliegende scheint durchaus dazu geeignet. Hervorgegangen aus einem Sammlungsführer, beschränkt das Werk sich ganz auf die allgemeine Geologie, d. h. auf die Darstellung der in und auf der Erde bestehenden Kräfte und ihrer Wirkungen. Gerade Vulkanismus und PIrdbeben unter ihnen 512 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. . N. F. XVI. Nr. 36 pflegen auch sonst in unseren Lehrbüchern durch- aus nicht zu kurz zu kommen, was wenigstens die Erscheinungen anlangt. Durch die Darlegungen über Gebirgsbildung werden sie aber hier ver- dientermaßen und wirksam getrennt, und alle drei finden in dem vorangegangenen Abschnitt über „die Erde und ihre Kraftquellen" den natürlichsten gemeinsamen Wurzelboden. Die Dichte, Wärme, Zusammensetzung des Erdganzen, Magnetismus und Radioaktivität nebst den astronomischen Ein- wirkungen sind die Faktoren, aus denen jene großartigen Phänomene der Oberfläche erklärt werden müssen; sie sind dem Leser zuvor kurz, vielleicht allzukurz vorgeführt und erläutert. Schwerer verständlich ist die weite Trennung der Kapitel II und IV, da in letzterem wiederum Ge- birgsbildung, Erdbeben und Vulkanismus (in dieser Reihenfolge jetzt), freilich mehr von der theoreti- schen Seit-e aus behandelt werden. Völlig scharf lassen sich Erscheinung und Erklärung doch nicht scheiden. Die Kärtchen von der Verteilung der Erdbeben und Vulkane und ihrer Abhängigkeit von den allgemeinen großen zirkumterrestrischen physikalischen Störungszonen gehören durchaus zu den Erfahrungstatsachen. Dagegen ist die Disposition wieder sehr klar und gleichsam historisch begründet im Abschnitt III, der von Verwitterung, Abtragung, Bildung der Gesteine und dem Einschluß der Fossilien darin als geeignetster Mhtel zur späteren Deutung handelt. Vielleicht wird auf letzterem, mehr paläontologischen Gebiete die engste Begrenzung des Themas ein wenig überschritten, aber es wäre pedantisch, nicht dafür dankbar zu sein. Es kann nicht Aufgabe öffentlicher Besprechung sein, kleinliche Ausstellungen zu machen oder winzige Fehler (Fig. 434 steht auf dem Kopf; die „tiefgründige Zersetzung des Tropenbodens" ist ein Dogma, sofern sie auf das Klima statt auf das Alter der betr. Landoberflächen zurückgeführt wird, ist daher in den Dinosaurierschichten Ostafrikas so wenig wie eine minderwertige Erhaltung der dortigen Knochen [S. 453] festzustellen usw.) über Gebühr hervorzuheben. Vielmehr kann und muß betont werden, daß das Material gründlich ge- sammelt, klar dargeboten und durch vielfach ausgezeichnet wiedergegebene Abbildungen aus- gezeichnet erläutert ist. Den weitesten Freundes- kreisen der Geologie kann das gut ausgestattete Buch zu Einführung und Übersicht angelegentlich empfohlen werden. Edw. Hennig. B. Bavink, Einführung in die allgemeine Chemie. Aus Natur und Geisteswelt (Samm- lung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Dar- stellungen) Bd. 582. 108 S. kl. 8» mit 24 Ab- bildungen im Text. Leipzig und Berlin 191 7. Druck und Verlag von B. G. Teubner. — Preis: geh. I M., geb. 1,25 M. In kurzer und knapper, aber recht leicht ver- ständlicher und ganz elementarer Darstellung be- handelt der Verf des kleinen Büchleins, das als Ergänzung zu den von demselben Autor in der- selben Sammlung veröffentlichten Einführungen in die organische und in die anorganische Chemie gedacht ist, die wichtigsten Tatsachen und Theorien der allgemeinen Chemie, wobei er auch die neueren Erkenntnisse, wie z. B. die Untersuchungen über den Aufbau der Kristalle und über die Struktur der Atome erörtert. Das Büchlein kann empfohlen werden. Werner Mecklenburg. Anregungen und Antworten. Herrn F. B. in M. I. Von K. Fajans ist ein z u- afassendes Werk über Radioelemente und periodisclics System meines Wissens bisher nicht veröffentlicht worden- Vielleicht gibt das — einer Rezension ') von Fajans zufolge allerdings nicht immer ganz einwandfreie — Werk von C. S c h m i d t ,,Das periodische System der chemischen Elemente" (Leipzig 1917, Verlag von Joh. Ambr. Barth, Preis geh. 6, geb. 7,50 M.) die verlangte Auskunft. 2. Ein recht gutes Referat über neuerdings erschienene Arbeiten über Radioaktivität hat Prof. Dr. F. Henrich unter dem Titel „Forschungen auf dem Gebiete der Radio- aktivität in den Jahren 1915 und 1916" in der Zeitschr. f. angew. Chemie Jahrg. 1917, Heft 19 (S. 57— 64I, Heft 21 (S. 65—70) und Heft 23 (S. 78 — 80) erscheinen lassen. Vielleicht über- ') Zeitschr. f. Elektroch. 1917, Heft 9/10 (S. 159)- läßt Ihnen Herr Prof. Henrich (Erlangen, Bismarckstr. 9) einen Sonderabdruck. 3. \ orschriften über die Herstellung kolloidaler Lösungen sind außer in der ziemlich zerstreuten Originalliteratur zu linden in dem Buche von The Svedberg „Die Methode zur Her- stellung kolloider Lösungen anorganischer Stoffe" (Dresden 1909, Verlag von Theodor Steinkopff, Preis geh. 16, geb. 18 M.). 4. Die „Naturw. Wochenschr." hat die neuere Entwick- lung der Lehre von der Radioaktivität mehrfach behandelt. Vgl. z. B. K. Schutt „Das periodische System und die Radio- elemente" (Jahrg. 1916, S. 17 — 23), ferner die von den Unter- zeichneten verfaßten Berichte über „Die Anschauungen über den Zusammenhang zwischen den Atomgewichten und den chemischen Eigenschaften der Elemente" (Jahrg. 1915, S. 107 bis III), „Über das Verhalten der Radioelemente bei Fällungs- reaktionen" (Jahrg. 1915, S. 471 — 472), „Über den Element- und Atombegriff in Chemie und Radiologie" (Jahrg. ig 16, S. 505 — 506), „Zur Kenntnis der isotropon Elemente" (Jahrg. 1917, S. 68—69). Mg. Inhalt I Häufller, Über Vitamine, Ergänzungsstofle, Amidosäuren, Eiweißkörper und einige Stoffwechselkrankheiten. S. 497. Johannes Theel, Über die Bedeutung der Größe für Organismen, (i Abb.) (Schluß.) S. 503. — Einzelberichte: Jaroslaw Krizenecky, Über echten Hermaphroditismus beim Kammmolch. S. 508. August Rothpletz, Über die ältesten Versteinerungen Europas und Nordamerikas. S. 510. Otto Ru ff, Über die Abscheidung von Kohlenstoff in Form von Diamant. S. 51 1. — Bücherbesprechungen: Franz X. Schaff er, Grundzüge der Allgemeinen Geologie. S. 511. B. Bavink, Einführung in die allgemeine Chemie. S. 512. — Anregungen und Antworten: Radioelemente und periodisches System. S. 512. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a lidenstraße 42, erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den i6. September 1917. Nummer WS Über den Kathodenstrahldurchgang durch Materie. Von A. Becker. [Nachdruck verboten.] Mit 3 Abbildungei Seitdem wir in den Kathodenstrahlen die Ele- mentarquanten der negativen Elektrizität erkannt und diese zusammen mit noch nicht näher be- kannten elementaren positiven Kraftzentren als die Bausteine der Atome der Materie aufzufassen ge- lernt haben, ist die quantitative Erforschung der Gesetze des Kathodenstrahldurchgangs durch die Materie für die Kenntnis der Atomkonstitution und des im elektromagnetischen Felde des Atoms vor sich gehenden Energieumsatzes von höchster Bedeutung geworden. Grundlegend in dieser Hinsicht sind die ersten Untersuchungen Lenard's,^) welche insbesondere die Erscheinungen der Absorption, der Diffusion, der Sekundärstrahlbildung und der Auslösung chemischer Prozesse im durchstrahlten Medium auf- gedeckt und auch teilweise weitgehend quantitativ festgelegt haben, während speziell die Probleme des Energieumsatzes durch die Entdeckung Röntgen 's -j über die Erregung unperiodischer Ätherstrahlung und durch die von Lenard^) an sehr langsamen, von Leithäuser*) an schnelleren Kathoden- strahlen zuerst gemachte Beobachtung der Ge- schwindigkeitsverringerung der Strahlung in Materie eine wichtige Erweiterung erfuhren. Den späteren Untersuchungen blieb hiernach als Hauptaufgabe die weitere Vertiefung der quantitativen Erkenntnis des Erscheinungs- komplexes. Bedeutungsvoll war für sie insbesondere noch die Entscheidung der Frage nach der Ab- hängigkeit der Erscheinungen von der Strahlge- schwindigkeit und der Natur der durchstrahlten Sub- stanz. Wegen der genannten großen Mannigfaltig- keit der Vorgänge beschränkte sich die Mehrzahl der bisherigen Untersuchungen naturgemäß auf die Ergründung der Einzelerscheinungen. Für die Bewertung der Ergebnisse und die Orientierung der weiteren Forschung ist aber die zusammen- fassende Betrachtung unerläßlich auch dann, wenn das durch sie gegebene Bild noch verbesse- rungsbedürftig sein würde. Bei der Schwierigkeit, welcher gegenwärtig noch der Versuch der rein theoretischen Beschreibung der Vorgänge begegnet, werden hierbei auch rein empirisch gewonnene quantitative Beziehungen solange für den Überblick von Bedeutung sein, als sie die direkte Erfahrung mit der ihr selbst zukommenden Genauigkeit ein- ') P. Lenard, Wied. Ann. 51, 52, 1894; 56, 1895; 63, 1897; 64, 65, 1898; Ann. d. Phys. 12, 1903; 15, 1904. 2) W. C. Röntgen, Wied. Ann. 64, 1895. •') P. Lenard, Ann. d. Phys. 12, p. 727, 1903. *) G. E. Leithäuser, Sitzgsber. d. Akad. d. Wiss. Berlin 1902; Diss. Berlin 1903; Ann. d. Phys. 15, 1904. I und 3 Kurven. wandfrei darstellen und noch nicht durch eine voll- begründete theoretische Gleichung ersetzbar sind. Es sollen in dieser Richtung im folgenden die drei Erscheinungsgebiete der Geschwindigkeits- verringerung, der Absorption und der Sekundär- strahlerzeugung, soweit es die gegenwärtige Kennt- nis ermöglicht, zusammenfassender Betrachtung unterworfen werden. I. Geschwindigkeitsverlust. Von allenKathodenstrahluntersuchungen dürften die direkten Geschwindigkeitsmessungen am wenigsten durch schwer oder nicht eliminierbare Begleiterscheinungen beeinflußt sein und daher am ehesten ein ungetrübtes Bild des reinen Einzel- vorgangs geben. Wir stützen uns im folgenden deshalb vornehmlich auf die Ergebnisse derjenigen Untersuchungen, welche den Geschwindigkeits- verlust der Strahlen beim Durchgang durch Materie direkten Geschwindigkeitsmessungen entnehmen. Die Versuchsweise, die bisher überwiegend auf den Strahldurchgang durch Metalle angewandt worden ist, besteht darin, daß man den Geschwin- digkeitsverlust aus der Änderung der magnetischen Ablenkbarkeit des durch scharfe Blenden abge- grenzten Strahls bestimmt. Es ist hierzu entweder gleichzeitig oder nacheinander die Ablenkung eines direkten und eines eine Metallfolie bekannter Dicke durchsetzenden Strahlenbündels in einem konstant bleibenden Magnetfeld zu fixieren. Ist z, die Seitenablenkung auf einer Wegstrecke x = 1 im Magnetfeld ^, v^ die ursprüngliche Strahlenge- schwindigkeit und - - das Verhältnis von Ladung und Masse der Strahlteilchen bei dieser Geschwin- digkeit , gemessen im elektromagnetischen Maß, so findet sich 1- /dx /|)d> Zq m J t) und die Änderung dieser Geschwindigkeit nach Durchsetzen einer bestimmten Metalldicke wird, sofern sie bei den Messungen sehr klein bleibt, durch JVf, = ^-Vj gegeben, wenn Jz^ die beobach- te tete Änderung der Seitenablenkung ist. Der Veranschaulichung mögen einige Repro- duktionen photographischer Aufnahmen des Verfs. dienen. Die Fig. i zeigt einen sich im kräftefreien Raum geradlinig fortpflanzenden Kathodenstrahl, dessen Geschwindigkeit etwa 1,2X10" cm/sec war. Die Fig. 2 zeigt einen unbeeinflußten und je einen in einem Magnetfeld verschiedener Rieh- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 37 tung abgelenkten Strahl. Die Fig. 3 schließlich enthält zwei getrfnnte Darstellungen eines vertikal zur Strahlrichtung aufgenommenen Bildes. In beiden Fällen erfolgte die Ablenkung nach zwei Seiten in zwei verschieden starken Magnetfeldern, und gleichzeitig wurde auch die Projektion des unabgelenkten Strahls festgehalten.^ Während aber das obere Bild mit einem ursprünglichen Strahlen- bündel erhalten wurde, bezieht sich das untere auf denselben Strahl nach Durch- setzen einer Aluminiumfolie von 0,00089 cm Dicke. Aus der gegenseitigen Verschie- bungder Seitenstreifen beider Bilder ist der Geschwindig- keitsverlust ohne weiteres ersichtlich. Außer durch optische Fixierung kann die Ablenk- Abb. 3. barkeit der Strahlen auf elek- trischem Wege ermittelt wer- den. Letzteres ist insbesondere dann erforder- ' lieh, wenn die Intensität der verfügbaren Strahlung oder ihre photographische Wirksamkeit aus anderen Gründen gering ist. Von besonderem Interesse ist der Gang des Geschwindigkeitsverlustes mit der Dicke der durch- strahlten Schicht und der Anfangsgeschwindig- keit der eintretenden Strahlen. Direkte Messungen hierüber liegen vor für das Geschwindigkeitsbereich von etwa 0,4 bis 2,94X10'" cm'sec. Dieselben ergeben übereinstimmend, daß der bei den größten Strahlgeschwindigkeiten äußerst geringe Geschwin- digkeitsverlust mit abnehmender Geschwindigkeit wächst und bei kleineren Geschwindigkeiten sehr hohe Wert annimmt. Es ist dies vornehmlich für Aluminium als durchstrahlte Substanz untersucht worden. Da die Beobachtungen an anderenMetallen andeuten, daß die für den gleichen Geschwindig- keitsveriust maßgebenden Schichtdicken bei ihnen etwa im umgekehrten Verhältnis der Dichte stehen, daß also Schichten gleicher Masse pro Flächen- einheit nahe gleichen Geschwindigkeitsverlust ver- ursachen, so kann der bei Aluminium beobachtete Gang mit der Geschwindigkeit in erster Annäherung als maßgebend für alle Stoffe angesehen werden. Versucht man nun diesen Gang quantitativ zu überblicken, so findet sich, wie ich kürzlich näher gezeigt habe, ^) daß derselbe im ganzen beobach- teten Geschwindigkeitsbereich durch die einfache Beziehung dv c — v dx=-^^^ mit derselben Genauigkeit darstellbar ist, die der Gesamterfahrung bisher zukommt. Danach ist also der Geschwindigkeitsverlust pro Längeneinheit direkt proportional dem Unterschied des Absolut- werts der jeweiligen Geschwindigkeit gegen die- jenige des Lichts (c=3Xio" cm/sec) und um- gekehrt proportional dem Quadrat der jeweiligen Geschwindigkeit. Die Größe a ist hierbei eine Konstante, die für Aluminium etwa den Zahlen- wert 7,5X10^" hat. Nimmt man an, daß diese Beziehung, die ich als „quadratische Formel" bezeichnet habe, für das ganze Geschwindigkeitsbereich der Kathoden- strahlung — von 3 X 10^" cm/sec bis zu kleinen Werten — zutreffe, so würde nach ihr der Gang des auf 0,01 mm Aluminium bezogenen Ge- schwindigkeitsverlusts mit der Geschwindigkeit der folgende sein: Tabelle i. cm sec dv cm / 0,01 dx sec/ mm V 5^" dv cm /o,oi dx sec / mm 2,94X10'» 0,00052X10'° 1,50X10'° 0,0500X10'» 2,85 0,00138 1.35 0,0680 2,70 0,00308 1,20 0,0937 2,55 0,0051g 1,05 0,1326 2,40 0,00781 0,90 0,1944 2,10 0,0153 0,60 0,500 1,80 0,027s 0,45 0,94 1 1,65 0,0372 0,30 2,25 Tritt ein Kathodenstrahl bestimmter Anfangs- geschwindigkeit in eine dickere Schicht ein, so erfährt danach seine Geschwindigkeit eine be- schleunigt zunehmende Verringerung. Ihr Gang mit der Dicke würde für Aluminium der in bei- stehender Fig. 4 wiedergegebene sein, wenn wir als Anfangsgeschwindigkeit v„ das eine Mal 2X10*" cm/sec, das andere Mal 1,5X10'" cm/sec wählten. ') A. Becker, Heidelb. Akad. d. Wiss. 7. Abh. 1917. N. F. XVI. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 515 Man erkennt, daß die am Anfang der Bahn nur allmähliche Geschwindigkeitsabnahme mit zu- nehmender Schichtdicke rasch anwächst, und daß die Geschwindigkeit bei einer bestimmten, für jede Anfangsgeschwindigkeit charakteristischen Dicke auf Null herabsinkt. Diese stellt im be- treffenden Medium die Grenze dar, bis zu welcher ein Kathodenstrahl bestimmter Anfangsgeschwin- digkeit höchstenfalls eindringen könnte, sie kann daher als „Grenzdicke" bezeichnet werden. Ihr 020 mm. 025 Wert berechnet sich nach der quadratischen Formel zu wenn ß^ = " gesetzt ist. Ihr Gang mit der Aus- gangsgeschwindigkeit Vq ist danach für Aluminium der folgende: Tabelle 2. ^0 cm sec .\„, mm 3X lo'o 00 i.SXio'o 0,082 2,95 3,153 1,2 0,037 2,9 2,361 1,0 0,020 2.7 1,197 0,8 0,0095 2,5 0,733 0,6 0,0038 2,3 0,474 0,5 0,002 1 2,0 0,252 0,3 0,0004 1,8 0,1 Ö4 0,2 0,0001 Während die schnellsten Strahlen relativ große Dicken zu durchlaufen vermögen, ist die Ge- schwindigkeitsabnahme der langsameren Strahlen so groß, daß ihre Grenzdicke außerordentlich kleine Werte annimmt. Eine direkte experimen- telle Ermittlung dieser Grenzdicke ist allerdings ausgeschlossen, da die Kathodenstrahlung bei ihrem Eindringen in Materie in viel höherem Maße der Absorption als der Geschwindigkeitsverringe- rung unterliegt, und da infolgedessen die Anzahl derjenigen Elektronen, die ohne vorhergehende Absorption die Grenzdicke zu durchlaufen ver- möchten, praktisch verschwindend ist. Es ist noch zu bemerken, daß die den vor- stehenden Berechnungen zugrunde gelegten Ge- schwindigkeitsverluste dem Fall entsprechen, daß die .Strahlen in die betreffende Schicht normal eintreten und aus ihr in gleicher Richtung aus- treten und daß diese Schicht relativ dünn ist. Es wird hierbei anzunehmen sein, daß die durch- laufene \\'egstrecke in erster Annäherung trotz der auftretenden Strahldiffusion der Dicke der Schicht entspricht. Nimmt diese aber erheblichere Werte an, so wird insbesondere bei langsameren Strahlen mit dem überwiegenden Auftreten längerer Wege und infolgendessen mit rascherer Geschwin- digkeitsabnahme gerechnet werden müssen. Es ist darnach anzunehmen, daß das Ergebnis der Integration der quadratischen P~ormel über merk- liche Schichtdicken namentlich bei den kleinen Strahlgeschwindigkeiten wohl zu geringe Ge- schwindigkeitsabnahme liefern wird. Es bleibt jetzt noch die Frage, wie weit auch der Differentialansatz etwa in seiner Gültigkeit be- schränkt sein könnte. Hierzu kann nur vom theoretischen Gesichtspunkt aus folgendes bemerkt werden: Soweit der Geschwindigkeitsverlust der Kathodenstrahlen und damit auch die Abnahme ihrer Energie durch eine einheitliche Gesetzmäßig- keit darstellbar ist, soweit werden auch die für die Erscheinung maßgebenden Atomvorgänge qualitativ gleicher Art sein müssen. Daß dies tatsächlich für das ganze Gebiet von den schhnell- sten bis zu den langsamen Geschwindigkeiten von etwa 0,05 X 10'" cm sec zutreffe, ist nach bisheriger Kenntnis anzunehmen. Unterhalb dieser Geschwin- digkeit verliert das Elektron allmählich seine Fähig- keit, das Atominnere zu durchdringen, und der Vorgang des Energieaustauschs wird eine quali- tative Änderung erfahren müssen, so daß die Aus- sagen der quadratischen Formel für die kleinsten Strahlgeschwindigkeiten nicht mehr bindend sein werden. Wir kommen hierauf im letzten Ab- schnitt nochmals zurück. Die Angaben über die Grenzdicken werden hierdurch jedenfalls praktisch nicht beeinflußt. 2. Absorption. Durch die Untersuchungen Lenard's ist fest- gestellt, daß die Absorption der Kathodenstrahlen in Materie, die in einer Bindung eines Teils der ein Atom durchsetzenden Elektronenzahl durch das elektromagnetische Kraftfeld des Atoms be- steht, einem Exponentialgesetz folgt, welches besagt, daß in jeder elementaren Schicht immer der gleiche Bruchteil der eintretenden Quantenmenge festge- halten wird. Bezeichnen wir diese, die Strahlen- 516 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 37 intensität, mit i, die durchsetzte Schichtdicke mit x, so ist also di -,--= — «.1, dx woraus durch Integration sofort das Exponential- gesetz i = i(,e-«^ folgt, welches diejenige Intensität angibt, die eine X cm dicke Schicht des Mediums zu durchsetzen vermag, wenn i^ die Anfangsintensität und a den für die Substanz und die betreffende Strahl- geschwindigkeit charakteristischen „Absorptions- koeffizienten" bezeichnet. Was die Abhängigkeit des Wertes a von der Natur der Substanz betrifft, so fand Lenard das wichtige Gesetz der Massenproportiona- lität, nach dem der Absorptionskoeffizient aller Stoffe in erster Annäherung — bei nicht zu ge- ringen Strahlgeschwindigkeiten — der Masse der- selben proportional ist. Sieht man von denjenigen Stoffen ab, welche wesentliche Abweichungen von diesem Gesetz zeigen und auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, so ist es für die Betrach- tung der wichtigen Fragen nach der Abhängigkeit der Absorption von der Strahlgeschwindigkeit von Vorteil, die auf die Masseneinheit bezogenen Ab- sorptionskoeffizienten der Untersuchung zu unter- werfen. Es kommen hierfür in der Literatur vor- zugsweise Beobachtungen an Luft und Aluminium in Betracht. Da in der erwähnten Formel a als Konstante betrachtet wird, da ihre Anwendung also eine Strahlung konstanter Geschwindigkeit voraussetzt, so sind, wenn der im vorhergehenden Abschnitt betrachteten Geschwindigkeitsabnahme nicht besonders Rechnung getragen wird, nur die- jenigen Messungen unmittelbar verwertbar, welche sich auf sehr geringe Schichtdicken beziehen. Daß daneben eine Reihe weiterer Vorsichtsmaßregeln zu beachten sind, möge nur erwähnt werden. Nachdem schon im Jahre 1903 durch die Lenard 'sehen Arbeiten ein erster Überblick über den Gang der Kathodenstrahlabsorption mit der Geschwindigkeit gegeben war, sind später zahl- reiche weitere Versuche bekannt geworden, die eine nähere quantitative Festlegung dieses Ganges ermöglichten. Wie ich vor mehreren Jahren ge- zeigt habe, ') findet sich, daß die Absorption innerhalb des großen Gebietes von etwa I X 10" cm/sec bis zu den größten ge- messenen Geschwindigkeiten, die der- jenigen des Lichts sehr nahe kommen, innerhalb dessen die Absolutwerte der Absorption um nahe das Tausendfache voneinander unterschieden sein können, mit befriedigender Annäherung propor- tional ist der 6. Potenz der reziproken Geschwindigkeit. Beim Übergang zu kleineren Strahlgeschwindigkeiten nimmt aber der Exponent kontinuierlich ab derart, daß der Absorptionskoef- fizient bis herab zu Geschwindigkeiten von etwa 0,05 X 10" cm/sec angenähert durch den Ausdruck a^a„ — -1 für zß^- 1 dargestellt werden kann, wo /?=- und a ein Zahlenwert ist, der im Geschwindigkeitsbereich von 0,05 bis etwa 0,5 X 10^" cm/sec die konstante Größe 0,30 besitzt, die dann im Bereich von 0,5 bis I X 10" cm/sec allmählich auf Null herabsinkt. Setzt man für den auf die Masseneinheit be- zogenen Absorptionskoeffizienten der Strahlen v= 1,5X10^" cm/sec den von mir früher ge- messenen Wert =r = 250 gr-'cm', so ergibt sich nach obigem der folgende Gang mit der Ge- schwindigkeit: Tabelle 3. cm sec ßgr-'cnr V _ l gt-'cm' 2,7X'°'° 7,35 1,2X10'° 9,5 X«o^ 2,4 14.9 0,9 48 X^o' 2,1 33 0,6 4,2X10' 1,8 84 0.3 9,0 X'o" 1.5 250 0,15 3,3 X'o" Da mit zunehmender Schichtdicke die Kathoden- strahlung, wie gezeigt, einen Geschwindigkeits- verlust erfährt, so muß der Absorptionskoeffizient mit wachsender Dicke ansteigen, und der Verlauf der Gesamtabsorption wird nicht mehr dem exponentiellen Gesetz folgen. Dies ist in der Literatur vielfach unberücksichtigt geblieben, so daß das Ergebnis mancher Beobachtungen fälschlicher- weise in dem Sinne gedeutet wurde, daß das Exponentialgesetz prinzipiell nicht zuträfe. In der beistehenden Fig. 5 sind diese Verhältnisse für die Anfangsgeschwindigkeit 1,5X10*" cm/sec dargestellt. Die Kurve i zeigt den Gang des Absorptions- koeffizienten mit der durchlaufenen Schichtdicke für eine Substanz mit der Dichte i. Derselbe nimmt zunächst langsam, dann rascher zu und erreicht in tieferen Schichten sehr beträchtliche Werte. Die Strahlintensität *) nimmt infolgedessen wesentlich stärker ab (Kurve 3) als im Falle konstant angenommener Absorption, den die Kurve 2 dar- stellt. Man erkennt auch, daß im gleichen Dicken- bereich (0,05 mm), in dem die Geschwindigkeit nur auf etwa 77 "/„ des Anfangswertes abnimmt, die Strahlintensität bereits auf 6 % reduziert wird. Es bleibt zu bemerken, daß auch bei der Ab- sorption wegen der gleichzeitigen Strahldiffusion ») A. Becker, Heidclb. Akad, d. Wiss. 19. Abh, 19JO. >) Der für die Strablintensität sich für diesen Fall aus unseren Formeln ergebende theoretische Ausdruck ist nicht ganz einfacher Art. Für die angenäherte Berechnung bei kleineren und mittleren Geschwindigkeiten genügt der Ausdruck i = j e , wo io die Anfangsintensität, «, der der Anfangsgeschwindigkeit zukommende Absorptionskoeftizient, N. F. XVI. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S17 im Durchschnitt mit einer vergrößerten Wege- länge zn rechnen ist. Es geschieht dies im allge- meinen durch Einführung eines „Wegfaktors", dessen Größe durch die Höhe der Diffusion be- stimmt wird und meist nicht allzu erheblich von i sich unterscheidet. .1200 1100 / / 90 \ / i eo 70 60 .600| \-,^ / / 500 1 \ ^- / 1« |30 .oof J< \ -->2 S3 J- r .200 \v 1 10 -100 Schlchldlcke x mm. \ ( 001 0-02 003 004 00 Energieverlust der letzteren auf der Einheit des Weges der Anzahl erzeugter Sekundärelektronen auf dem gleichen Wege einfach proportional sein müssen. Vergleichen wir in dieser Hinsicht die Aussagen der quadratischen Formel mit den Er- gebnissen der direkten Untersuchung des Gangs der Leitfähigkeit der Luft mit der Strahlgeschwin- digkeit, wie sie von Bloch') zusammengestellt worden sind — wobei wir voraussetzen müssen, daß der Geschwindigkeitsverlust in Luft und Aluminium dieselbe Geschwindigkeitsfunktion ist — so ergibt sich folgendes: Ist E die Energie eines Primärelektrons, so läßt sich diese darstellen durch die bekannte Gleichung E = m„c2{(i— /J'^)-'/'— I}. Hieraus ergibt sich für die Energieänderung auf der unendlich kleinen Längeneinheit in Luft dE dE d/? T_« ■''■ 'ß ' Abb. 5. 3. Sekundärstrahlerzeugung. Nach den Untersuchungen Lenard's aus dem Jahre 1903 löst ein Kathodenstrahl aus den von ihm durchquerten Atomen sekundäre Elektronen aus, die sich von ihm vornehm- lich durch eine wesentlich kleinere Geschwin- digkeit unterscheiden. Dieselbe beträgt etwa 0,0065 X 10'" cm/sec (entsprechend einer Erzeu- gungspannung von etwa 1 1 Volt) und scheint in weitem Bereich von der Geschwindigkeit des Primärstrahls unabhängig zu sein. Ihre Menge dagegen zeigt einen sehr erheblichen Gang mit der letzteren. Während unter II Volt Primär- geschwindigkeit (für die meisten Stoffe) die Sekun- därstrahlemission Null ist, steigt sie mit wachsender Primärgeschwindigkeit rasch an, erreicht in der Nähe von 200 Volt ein Maximum, um bei weiterer Steigerung der Primärgeschwindigkeit allmählich wieder abzunehmen und offenbar einem Grenzwert zuzustreben. Die Untersuchung dieses Gangs er- folgte hauptsächlich in Gasen, vornehmlich in Luft, deren Leitfähigkeit als unmittelbare Folge der Sekundärstrahlerregung ein direktes Maß der letzteren darstellt. Die Quelle der Sekundärstrahlenenergie wird man in erster Linie im Geschwindigkeitsverlust der Primärstrahlen zu suchen haben. Würde die Annahme der Konstanz der Geschwindigkeit bzw. der Geschwindigkeitsverteilung der Sekundär- strahlung für das ganze Geschwindigkeitsgebiet der Primärstrahlen zutreffen, so würde dann der Xm die ihr entsprechende Grenzdicke und x die laufende Dicke ist. Bei den größten Geschwindigkeiten gibt er die Intensitälsabnahme etwas zu grofi an. dß dx wenn die Längen in cm gemessen werden. Wir bezeichnen diesen Wert als „differen- tiale Energieänderung" und untersuchen, wie weit diese gleichzeitig als Maß für die „diffe- rentiale Sekundärstrahlung" betrachtet werden kann. Sehen wir zunächst vom Absolutwert ab und wählen den Zahlenfaktor derart, daß der Wert von dE dx für die mittlere Strahlgeschwindigkeit von 1,5 X lo'" cm/sec der gebildeten Sekundärquanten- zahl gleich wird, so ergibt sich das durch die Fig. 6 dargestellte Bild. Die ausgezogenen Kur- \ \ 25 \ \ \ A . 20 \ \ 15 \ \ » 10 " \ ^ . 0 \ \^^^^ 55; oX oAu s ^ berechnet. ^^^ N Primärstrahlgeschwindi' keit V. cm.^sec. 3-10 ven geben, in zwei verschiedenen Maßstäben, den Gang der Sekundärquantenzahl, die pro Elementar- ■) S. Bloch, Diss. Heidelberg 19I1; Ann. d. Phys. 38, 5if Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 37 quant des Primärstrahls in Luft von Atmosphären- druck auf I mm Weg nach den direkten Be- obachtungen ausgelöst wird, während die Ringe den durch den Geschwindigkeitsverlust nach der quadra- tischen Formel angegebenen Gang bezeichnen. Man sieht, daß im Bereich kleiner und mitt- lerer Geschwindigkeiten ein nahe gleicher Gang beider Wertgruppen vorhanden ist, während bei dE großen Geschwindigkeiten die Werte von .— an Stelle weiteren Abfalls einen erheblichen Anstieg zeigen. Derselbe würde vermieden, wenn wir annehmen wollten, daß der Geschwindigkeits- verlust in diesem Gebiet geringere Werte besäße als die quadratische Formel sie angibt. Doch entbehrt eine solche Annahme jeder anderweitig gestützten Begründung, und sie verbietet sich daher um so mehr, als die quadratische Formel sich in diesem Gebiet den sorgfältigen Meßdaten mit besonderer Exaktheit anschließt. Zur Be- seitigung des Widerspruchs bliebe noch die wahr- scheinlichere Annahme, das die Energie der Se- kundärelektronen nicht im ganzen Bereich der Primärstrahlgeschwindigkeiten unveränderlich son- dern in geringem Maße noch Funktion dieser Geschwindigkeit — und zwar mit dieser an- wachsend — ist. Die bisherige Erfahrung ver- mag hierüber noch nicht zu entscheiden. Eine systematische Abweichung besteht auch im Gebiet der allerlangsamsten Primärstrahlen (etwa 0,04 cm/sec abwärts), in dem die Sekundär- strahlung ein Maximum zeigt mit nachfolgendem dE raschem Abfall, während die Werte von -;— dau- dx ernd ansteigen. Daß in diesem Gebiet die Vor- gänge des Energieaustauschs zwischen Primär- elektron und Atom anderer Art sind, haben wir bereits hervorgehoben. Das trifft insbesondere bei Primärgeschwindigkeiten unterhalb 1 1 Volt zu, bei denen Sekundärstrahlung überhaupt nicht mehr auftritt. Dies schließt zweifellos auch die Gültigkeit der quadratischen Formel für dieses relativ kleine Gebiet aus. Von Interesse ist nun noch die Betrachtung des Absolutbetrags der Sekundärstrahlung. Nimmt man an, daß die Anzahl der auf der Längeneinheit des Strahlwegs von jedem einzelnen Primärelektron erzeugten Sekundärquanten durch den Quotienten aus der auf dem betreffenden Weg verlorenen Energie des ersteren und der Gesamtenergie des letzteren (11 Volt entsprechend 0,1745X10 — '" Erg) gegeben wird, so findet sich, auf I mm Luftweg berechnet, der in Tabelle 4 angegebene Gang mit der Primärgeschwindigkeit. Man erkennt, daß die Übereinstimmung zwischen der aus dem Energieverlust des Primärquants be- rechneten und der direkt beobachteten Sekundär- strahlerzeugung in Luft im allgemeinen eine ziem- lich befriedigende ist; bei den großen Primärge- schwindigkeiten macht sich naturgemäß auch in den Absolutwerten die bereits zuvor erkannte Abweichung geltend. Es ist daraus zu entnehmen. daß die Vorstellung von der Identität zwischen verlorener Energie des Primärquants und der Ge- samtenergie der durch dasselbe ausgelösten Se- kundärquanten, d. h. die Vorstellung eines voll- kommenen, verlustlosen Austauschs zwischen Primär- und Sekundärenergie mit derjenigen An- Tabelle 4. Absolutwerte der differentialen Sekundärstrahlung. ß dE d^ Sekundärquantenzahl pro : mm Luft pro I mm Luft aus Energieverlust beobachtet 0,2 i2,78Xio--Erg 73 90 0.3 8,10 46 40 0,4 5,8s 34 25 0,5 4.62 27 18 0,6 3,91 22 13 0,7 3,53 20 9 0,8 3,47 20 7 0,9 4,02 23 5 0,95 5,19 30 4,5 näherung zuzutreffen scheint, mit der wir zur Zeit überhaupt das Gesamtphänomen quantitativ zu beschreiben vermögen. Wenn in dieser Hin- sicht neue Erkenntnis insbesondere von der künf- tigen eingehenderen Untersuchung der Ge- schwindigkeitsverteilung der Sekundärstrahlung zu erwarten sein wird, so kann doch jetzt schon geschlossen werden, daß kaum ein erheblicher Teil der Energie der nicht absorbierten Primär- elektronen auf andere Vorgänge verwandt wird.') Eine andere Verwendung findet zweifellos die- jenige kinetische Energie des Primärstrahls, die bei dessen Absorption durch die betreffenden Atome der Substanz als solche verloren geht. Sie wird sich zum Teil in Wärme, zum Teil in Energie neu auftretender Ätherstrahlung umsetzen, die sowohl Licht- als Röntgenstrahlung sein kann. Die eingehendere quantitative Ergründung dieser Energietransformationen ist eine wichtige Aufgabe der künftigen Kathodcnstrahlforschung. Für die hier näher betrachtete P>age der Se- kundärstrahlerzeugung hat die Ermittlung der „totalen Sekundärstrahl u ng", d. h. der- jenigen Sekundärquantenmenge oder auch der- jenigen Anzahl von Trägerpaaren in Gasen, die von einem Primärelektron im Durchschnitt auf seinem ganzen Weg vor seiner Absorption aus- gelöst wird, unmittelbar praktisches Interesse. Sie gibt in Gasen ein Maß für die totale Leit- fähigkeitserregung, d. h. für die Größe des durch das Gas vermittelbaren Elektrizitätstransports 1) Daß ein gewisser kleiner Teil der Energie für Erregung von Licht, charakteristischer Röntgenstrahlung oder chemischer Prozesse verwandt werden könnte, ist nicht ausgeschlossen. Es könnte dies namentlich bei sehr schnellen Primärstrahlen in Betracht kommen, wodurch die hervorgehobene Abweichung vun der beobachteten Sekundärstrahlung verständlich würde. N. F. XVI. Nr. 3; Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S19 beim Durchgang eines Primärelektrons. Nach unserer Vorstellung wird sie im wesentlichen be- stimmt durch diejenige Energieänderung, die ein Elektron durchschnittlich erfährt, bevor es von der Substanz, absorbiert wird. Sie ist also einer- seits durch die Größe der differentialen Sekundär- strahlung (die mit ff bezeichnet sei), andrerseits durch den Absorptionskoeffizierten « der be- treffenden Primärstrahlung festgelegt. Wäre « auf dem ganzen Strahlweg konstant und gleich «„, so ergäbe sich die totale Sekundär- quantenzahl S einfach zu dE ~ «0 ~ «0 Da aber a, wie früher gezeigt, infolge des Ge- schwindigkeitsverlusts zunimmt, bleibt S tatsäch- lich hinter dem so berechenbaren Wert zurück. Der Unterschied ist allerdings im allgemeinen nicht sehr erheblich, da die Intensitätsabnahme des Primärstrahls auf seinem Wege infolge Ab- sorption die (jeschwindigkeitsverringerung der noch nicht absorbierten Primärquanten so stark überwiegt, daß praktisch immer nur relativ geringe Energieverluste für die Sekundärstrahlerregung verfügbar sind, während der weit überwiegende Teil der Primärenergie der Absorption und damit der Transformation in die anderen oben genannten Energieformen unterliegt. Es möge dies durch die folgende Tabelle veranschaulicht werden. Die- selbe enthält zunächst den Gang des Absorptions- koeffizienten der Luft, auf i mm Strahlweg be- zogen, mit der Primärstrahlgeschwindigkeit /^^ ; die dritte Kolonne verzeichnet die jeweiligen Geschwindigkeitsverluste, die überhaupt nur für die Sekundärstrahlerregung praktisch in Betracht kommen: die vierte Kolonne gibt die nach S = - berechneten, die 5. Kolonne schließlich die tat- sächlich zu erwartenden Werte der pro Primär- elektron in Luft erregbaren totalen Sekundär- quantenzahl. Tabelle 5. Absolutwerte der totalen Sekundärstrahlung. ^ «0 für Luft mm—'. ./■Bereich i Totale Sekundär- quantenzahl 0 2 4,632 0,2 — 0,19 ,s '5 0 3 0,498 0,3-0,275 92 90 0 4 0,114 0,4 — 0,35 300 270 0 5 0,03 0,5 — 0,42 900 700 0 6 0,01 2200 0 66 0,66-0,50 2900 0 7 0,004 5000 0 8 0,00 iS II 100 0 9 0,000 64 0,9—0,6 26 IOC 17300 Man erkennt, daß die Anzahl der Sekundärelek- tronen, die ein primäres Elektron vor seiner Ab- sorption aus der durchstrahlten Materie auslösen kann, mit zunehmender Primärgeschwindigkeit sehr stark wächst. Ein direkter Vergleich der Werte mit der unmittelbaren Beobachtung ist zurzeit noch nicht möglich. Es wird in Übereinstimmung mit den früheren Bemerkungen bezüglich der differentialen Sekundärstrahlung anzunehmen sein, daß die vorstehend aus der Energiebetrachtung hergeleiteten Werte auch der totalen Sekundär- quantenzahl bei den großen Geschwindigkeiten etwa 2 bis 3 mal zu groß sein dürften, wie dies aus Fig. 6 ersichtlich wird. Es möge noch bemerkt werden, daß die totale Sekundärstrahlung offenbar von der Natur der Substanz in erster Annäherung unabhängig ist, da sowohl Geschwindigkeitsverlust als Absorption in Annäherung dem Gesetz der Massenpropor- tionalität folgen. (Eingegangen am 29. Juni 191 7.) Einzelberichte. Blausäure im Kampf gegen die Mehlmotte. In der Mehlmotte {Ephfsfia Kuc/iiiiclla Zell.), einem Kleinschmetterling aus der Familie der Zünsler {Pyralidoi) haben wir den ärgsten Schädling der Mühlenindustrie zu er- blicken. Abgesehen davon, daß die Larven der Motte viel des in den Mühlen lagernden Mehles wegfressen, vernichten sie auch dadurch noch große Mengen, daß sie in alle Mehlvorräte eindringen, sie mit ihren Gespinsten durchsetzen und mit ihrem Kot verunreinigen. Dadurch gehen alljährlich ganz beträchtliche Mengen an gemahlenem Brotgetreide der menschlichen Ernährung verloren. Weiteren Schaden richten die Larven noch dadurch an, daß sie außer die Mehlvorräte auch alle technischen der Mehlbeförderung dienenden Einrichtungen der Mühlen besiedeln und so mit ihren Gespinsten alle Mehltransportgänge verstopfen. Dank ihrer Tätigkeit muß denn auch der Betrieb in derMühle mehrmals im Jahre für ein paar Tage vollständig ruhen, um eine gründliche Reinigung des ganzen Mühlengebäudes vornehmen zu können. Aber die mechanische Reinigung, die zumeist mit einer Ausräuche- rung durch Schwefeldämpfe verbunden wird, kann aus verschiedenen Gründen niemals eine vollkommene Ausrottung der Schädlinge er- wirken, schon allein deshalb nicht, weil es unmög- lich ist, mit der Schwefelräucherung auch die Mehl- vorräte zu behandeln: durch die Einwirkung der schwefligen Säure tritt eine Zersetzung des Mehles ein. Die deutsche Mühlenindustrie ist daher der Mehlmottenplage bis heute rettungslos ausgeliefert gewesen. Ein Mittel freilich hätte es gegeben, womit der Schädling restlos hätte beseitigt werden 520 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 37 können, aber dieses Mittel, die Ausräucherung mit Blausäuredämpfen, die in Amerika seit langen Jahren allgemein in Anwendung steht, wurde in Deutschland bisher aus verschiedenen Bedenken, die mehr oder minder zu Unrecht er- hoben wurden und im Grunde lediglich einer über- großen Ängstlichkeit entsprangen, verschmäht. Erst die harte Kriegszeit hat hierin Wandel geschaffen und der Blausäure als wirksamem Insektizid auch in Deutschland zur Geltung verholfen. Nachdem sich die Blausäure zuerst im Kampf gegen die Kleiderlaus ausgezeichnet bewährt hatte, ging die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt, die durch ihre Beteiligung an den amerikanischen Räuche- rungen eine große Erfahrung in der Anwendungs- möglichkeit der Methode besitzt, daran, sie auch in den Dienst der Mühlenindustrie zu stellen. Prof. Dr. Richard Heymons, derdie Vorversu che inderKgl. Versuchsanstalt für Getreide- verarbeitung in Berlin vornahm,') erprobte vor allem die Einwirkung der Blausäure- dämpfe auf die gesamten Entwicklungs- stadien der Motten (Eier, Larven, Puppen, Imagines) und dann auch auf das Mehl und die Gegenstände aus Metall oder Leder, wie sie in den Mühlenbetrieben in Gebrauch stehen. Das Ergebnis war überall ein sehr gün- stiges: die Eier wie die Larven und die Puppen und die Falter wurden vom Blaugas von i Volumen- Prozent innerhalb wenigen Stunden prompt ab- getötet; die chemische Untersuchung der ausge- räucherten Mehlproben, die im Tierphysiolo- gischen Institut der Kgl. Landwirt- schaftlichen Hochschule in Berlin vor- genommen wurde, ergab, daß das Mehl in keiner Weise eine Veränderung erfahren hatte; die damit angestellten Backversuche lieferten ein Gebäck, das dem gewöhnlichen aus ungeräuchertem Mehl Gefertigten in keiner Weise nachstand. Endlich litten auch weder die Leder noch die Metall- gegenstände irgendwie durch das Blaugas. Nachdem diese Versuche so befriedigend ver- laufen waren, ging die Deutsche Gold- und Silber- Scheideanstalt daran, den ersten großen Versuch, die Ausräucherung eines ganzen Mühlen- gebäudes, zu wagen. Die Auswahl eines geeigneten Mühlenobjektes für diesen ersten Versuch mußte natürlich mit allem Vorbedacht getroffen werden. Von meinem Chef Herrn Professor K. Escherich damit beauftragt, eine geeignete Mühle zu erkunden, riet ich, nachdem ich zu diesem Zwecke einige Mühlen besichtigt hatte, der Fabrik, bei der Schulz'schen Kunst- mühle in Heidingsfeld (Unterfranken) den Versuch zu machen. Mein Vorschlag wurde als- bald von der Scheideanstalt angenommen, da die Mühle so ziemlich in allen Punkten den Bedingungen entsprach, welche wir uns gesetzt hatten. Vor allem muß jede Mühle, die mit Blausäure geräuchert werden soll, ein solides Gebäude sein, das gut abzudichten ist. Das Blaugas ist so flüchtig, daß es selbst durch die geringfügigsten Ritzen zu ent- weichen vermag. Daher würde bei einem undichten Gebäude ein übermäßiger Gasverlust eintreten. Weiterhin soll die Mühle aus demselben Grunde auch mit keinerlei bewohnten Räumen in irgend- einer baulichen Verbindung stehen. Es steht sonst zu befürchten, daß die auch für den Menschen höchst giftigen Blaugase in diese Wohnräume ein- dringen und die dort weilenden Personen ge- fährden. Endlich soll die Mühle in ihrem Innern möglichst geräumige Verbindungswege zwischen den einzelnen Stockwerken (Treppenhaus, .Schächte usw.) besitzen : je rascher und ungehinderter sich die Gase über den ganzen Bau verbreiten können, desto gesicherter ist ihre Wirkung. Diese 3 Be- dingungen waren bei der Heidingsfelder Mühle im großen und ganzen gegeben. Ihre Ausräucherung, die erste in Deutschland, deren wissenschaftliche Nachprüfung mich die Scheideanstalt zu über- nehmen ersuchte,') fand Ende April dermaßen statt, daß in den späten Nachmittagsstunden die Gas- entwicklung erfolgte, die Mühle über Nacht unter Gas gesetzt blieb und nach einer etwa 12 stündigen Gaseinwirkung am anderen Morgen die Öffnung erfolgte. Die Räucherung war ein ausge- sprochener Erfolg: nicht nur daß die Larven und Motten, die ich tags zuvor in der Mühle ge- sammelt und in einem oberen Stockwerk der Mühle der Gaseinwirkung ausgesetzt hatte, alle tot waren, auch aus allen Mehltransportgängen, aus denen ich Gespinstklumpen der Motten entnahm, fanden sich nur tote Larven und Falter. Unter den sog. „Sackstutzen", den runden Enden der Mehlrohre, an welche die Säcke zum Zwecke der Einfüllung des Mehles angeschlossen werden, fielen uns Motten und Larven in Mengen tot entgegen. Dieses glänzende Ergebnis der ersten deutschen Mühlenräucherung mit Blausäure berechtigt uns zu der Hoffnung, daß ihre Anwendung, die natür- lich nur durch ein gut geschultes Personal ge- schehen darf, nun auch bei uns durch nichts mehr gehemmt wird, so daß ihre Segnungen in der Jetztzeit, wo wir ihrer so dringend bedürfen, der deutschen Volksernährung möglichst ausgiebig zugute kommen können. (G.C) H. W. Frickhinger. ') „Der Müller", Zeitschr. f. d. ges. Mühlenindustrie. ') „Zeitschr. für angewandte Entomologie". 39. Jahrg. 1917, Nr. 21. 1917, Heft I. l: A. Becker, Über den Kathodenstrahldurchgang durch Materie. (3 Abb. u. 3 Kurven.) S. 513. — Einzelberichte: Richard Heymons, Blausäure im Kampf gegen die Meblmotte. S. 519. ; und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. M i e h e , Berlin N 4, Invalidenstrafle 42 Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 23. September 1917. Nummer 38. Kristallstruktur und Röntgenstrahlen. [Nachdruck verboten. Von Dr. K. Schutt, Hamburg. Mit 13 Abbildungen im Text. Nachdem Röntgen im Jahre 1895 die nach ihm benannten Strahlen entdeckt und zugleich alle wesentlichen Eigenschaften derselben gefunden hatte, war es von großem Interesse festzustellen, welches die Natur der Strahlen wäre. Die Tat- sache, daß sich unter geeigneten Umständen eine Polarisation und Spuren einer Beugung nach- weisen ließen, machten es wahrscheinlich, daß die Strahlen dem Licht wesensverwandt, also elektro- magnetische Wellen wären ; doch wurde ein sicherer Nachweis hierfür erst erbracht durch die 191 2 auf Anregung Laue 's angestellten Beugurigsversuche an Kristallen. Der Erfolg, den der Gedanke Laue 's, das regelmäßige feine Gefüge eines Kristalls als Gitter zu benutzen, nach den ver- schiedensten Seiten gehabt hat, ist ganz außer- ordentlich. Wir sind jetzt nicht nur über den transversalen Wellencharakter der Röntgenstrahlen genau orientiert; wir sind auch imstande, ihre Wellenlänge (etwa 8 Oktaven mögen bekannt sein) zu messen, ja die Röntgenstrahl- (Hochfrequenz- j Spektren einer ganzen Reihe von Elementen, die wir als Antikathode in einer Röntgenröhre an- bringen, genau festzulegen ; mit anderen Worten, es hat sich für die Röntgenstrahlen eine Spektro- graphie und Spektrometrie, wie sie seit langer Zeit schon für das sichtbare Licht besteht, entwickelt. Ferner hat uns Laue in den Röntgenstrahlen ein hin- reichend feines Mittel kennen gelehrt, um den Bau der Kristalle zu erforschen, den Abstand der Atome in ihnen genau auszumessen und ihre gegenseitige Lage zu ermitteln. Im folgenden soll auf die Erforschung des Feinbaues der Kristalle *) und, soweit es erforderlich ist, auf die Spektro- metrie der Strahlen näher eingegangen werden. I. Läßt man auf ein Beugungsgitter Licht fallen, dann sieht man auf einem dahinter stehen- den Schirm zunächst das gerade hindurchgehende Licht und zu beiden Seiten die Beugungsspektren I., 2., 3. usw. Ordnung. Zur Erklärung der Er- scheinung nimmt man mit Huyghens an, daß von jedem Punkt der Gitteröffnungen Elementar- wellen ausgehen und miteinander interferieren. In ganz bestimmten Richtungen, in denen nämlich der Gangunterschied eine Wellenlänge l oder ein ganzes Vielfaches davon beträgt, verstärken sich die Strahlen, während sie in allen übrigen sich gegenseitig vernichten. Die Gitterkonstante a (Abstand zweier benachbarter Gitteröffnungen) muß in einem bestimmten Verhältnis mit /. stehen; ist a groß gegen l, dann liegen die Beugungs- *) S. auch N;aurw. Wochenschr. XlII (I9I4) S. 70. Spektren so dicht neben dem gerade hindurch- gehenden Licht, daß man überhaupt nichts von der Beugung bemerkt; ist a gleich /., dann wird schon das erste Beugungsspektrum um 90" ab- gelenkt und man nimmt wieder nur das direkt hindurchgehende Licht wahr. Nimmt man statt eines Strichgitters ein Kreuzgitter z.B. feinen Seidenstoff oder Müllergaze, dann treten die Beu- gungsspektren nicht nur rechts und links, sondern auch oben und unten und in den beiden diagonalen Richtungen auf. Stellt man eine Reihe von Kreuz- gittern in gleichen Zwischenräumen „ausgerichtet" hintereinander und zieht noch ein drittes System von Fäden senkrecht in den beiden ersten, dann er- hält man ein Raumgitter. Auch hier tritt in ganz bestimmten Richtungen eine Verstärkung des Lichtes durch Interferenz ein. Da indessen eine weitere einschränkende Bedingung durch die räumliche Anordnung des Gitters hinzukommt, so gibt es nicht mehr für jede Wellenlänge, son- dern nur für einige ausgewählten solche Richtungen, in denen Verstärkungen stattfinden. Das Raum- gitter wählt sich aus der Gesamtheit der auffallenden Wellenlängen einzelne seinen Abmessungen entsprechende aus und wirft sie in b estimmten Richtungen in den Raum hinaus. Schon Bravais hat 1850 die Vermutung aus- gesprochen, daß die Atome eines Kristalls in einem Raumgitter angeordnet wären; sie bilden die Gitter- eckpunkte des eben geschilderten Gitters. Abb. lA zeigt außerordentlich vergrößtert den Aufbau eines Steinsalzkristalls, wie er unter Benutzung der Röntgenstrahlen erforscht ist (siehe unter 4) und als sichergestellt angesehen werden kann. Die schwarzen und weißen Kreise geben die Lage der Na- und Cl-Atome in den Ecken der kleinen Elementarwürfel an, deren Kante von der Größen- ordnung 3 • io~* cm ist. Fällt ein Bündel Röntgen- strahlen (Wellenlänge io~'* bis lo~9 cm) senkrecht zur Vorderfläche auf, so werden die von den Strahlen getroffenen Atome des Raumgitters zu Schwingungszentren und die von ihnen ausgehenden Wellen interferieren miteinander und liefern auf einer senkreckt zum Primärstrahl aufgestellten photographischen Platte das Röntgenogramm (s. Abb. 10 u. 11). Die von Laue') stammende mathematische Behandlung dieser Beugungsvor- gänge ist nicht ganz einfach. Anschaulicher und leichter verständlich ist die Bragg'sche Auf- ') Jahrb. d. Radioaktivität u. Klektronilt XI, 30S (1914): . Laue, Die Interferenzerscheinungen an Röntgenstrahlen. 522 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. fassung.-) Diese soll daher in den folgenden Aus- führungen zugrunde gelegt werden. Doch sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Laue der erste war, der das Problem erfolgreich behandelte, und daß seine Auffassung diejenige ist, die am tiefsten in das Wesen des Vorganges eindringt. 2. Nach den Braggs (Vater und Sohn) kommt man zu ganz denselben Ergebnissen wie Laue, wenn man annimmt, daß die Strahlen an ganz bestimmten, im Innern des Kristalls liegenden Ebenen, den Netzebenen, reflektiert werden. Eine solche Netzebene ist z. B. in unserer Abbildung i AEFB, hfbd, oder EHDA und die dieser parallelen Ebenen, od. ABCD und die dazu gehörigen. Die Lage der kristallo- 9 enthalten; ihre Netzdichte ist also geringer. Dasselbe gilt für eine Ebene Eda vom Symbol (112) im Vergleich mit (m). Es ist klar, daß eine Unzahl von Netzebenen in dem Kristall vorhanden sind, die die verschiedenste Netzdichte aufweisen. Die dichtesten unter ihnen sind (lOO), (lio) und (iii), also diejenigen, die auch als äußere Be- grenzungsflächen bevorzugt sind. Zum Verständnis der Vorgänge, die bei der Reflexion der Strahlen an den Netzebenen statt- finden, diene Abb. 2. Die horizontalen Geraden stellen eine Schar von Netzebenen mit dem Ab- stände d dar. Ein paralleles Bündel Röntgen- strahlen von der Wellenlänge A falle unter dem Glanzwinkel a auf. Jede Ebene reflektiert einen ".^—S, 4-V TN — r :^ — M= (100) B Oj II II dm) = a NaCl NjCI NäQ NiCl Abb. lA u. B. graphischen Achsen in unserem Kristall stimmt mit AB, AD und AE überein; eine der genannten Ebenen hat also das Symbol (100); d. h. sie schneidet die eine Achse in der Entfernung i, die beiden anderen überhaupt nicht, da sie ihnen parallel ist. Eine weitere Reihe von Netzebenen sind die, welche einer Kante unseres Würfels parallel sind z. B. EDCF, nhfm und andere mehr; ihr Symbol ist (iio), in sofern als sie zwei Achsen in gleichem Abstand von A schneiden und der dritten parallel sind. Als dritte Reihe sind solche mit dem Symbol (in) also Oktaeder- flächen zu nennen ; zu ihnen gehört z. B. EDB, Ida u. a. m. Die drei angeführten Netzebenen sind insofern wichtig, als sie sich als äußere Begrenzungsflächen der Kristalle des regulären Systems häufig finden. Betrachten wir die Netz- ebene EdbF" (1,2,0), so sieht man ohne weiteres, daß sie weniger dicht mit Atomen belegt ist , sie enthält nur 4, während die Ebene (lOO) und (iio) ^) W. H. u. VV. L. Bragg, X-rays a. crystal slructure. 2. Aufl. London 1916; ferner Jahrb. d. Radioaktivität und Elektronik XI, 346 (1914). W. L. Bragg, Die Reflexion der Röntgcnstralilen. Teil nach dem Spiegelgesetz : Einfallswinkel gleich Reflexionswinkel. Wir betrachten die Strahlen, die in Richtung S.j zurückgeworfen werden; sie haben einen Gangunterschied, da die Weg- längen von a bis Sj verschieden sind. Er ist für die Strahlen i und 2, da nw senkrecht auf vr steht und vn = vr ist, gleich wr = 2d sin «; der- selbe Gangunterschied besteht zwischen 2 und 3, 3 und 4 usw. Ist nun wr gleich der Wellenlänge und einem ganzen Vielfachen derselben, dann sind alle von der Netzebenenschar reflektierten Wellen in gleicher Phase, ihre Amplituden addieren sich. Unterscheidet sich wr ein wenig von der Wellen- länge X, etwa um ein Tausendstel, dann haben die vielen tausend in Richtung S.^ reflektierten Strahlen alle möglichen Phasen, und die resultierende Amplitude ist praktisch O. Wenn also monochroma- tisches Röntgenlicht unter verschiedenem Winkel auf einen Kristall fällt, dann findet nur für ganz be- stimmte Glanzwinkel eine Reflexion statt ; nämlich wenn ist 1= 2d sin «j 2I = 2d sin ß.2 3A = 2d sin «3 nl = 2d sin a, wo n eine ganze Zahl ist. Sie werden die Reflexionen ister, 2ter, 3ter Ordnung genannt. Fällt weißes Licht, also solches, das eine große Anzahl von Wellenlängen enthält, unter einem bestimmten Winkel « auf, dann werden in Richtung S.^ nur Strahlen von der Wellenlänge l reflektiert, alle übrigen Wellen- längen werden ausgelöscht. Der Kristall „erzeugt" also unter diesen Umständen Röntgenlicht ganz bestimmter Wellenlänge (Farbe). Zu betonen ist, daß die Reflexion keine solche an der natürlichen N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 523 Oberfläche, sondern eine Volumreflexion^jan den inneren Netzebenen des Kristalls ist. Eine einem Kristall künstlich angeschliffene Fläche, die nicht Netzebene ist, spiegelt ebensowenig wie die eben geschliffenen Begrenzungen amorpher Körper. Auch hat es auf die Reflexion keinen Einfluß, wenn die natürliche Grenzfläche des Kristalls glatt oder aufgerauht ist. Lediglich das innere Gefüge der Netzebenen ist für die Reflexion maßgebend. Die Röntgeiispektrometrie der Braggs. 3. Wie die Laue 'sehen Röntgenogramme mit Hilfe der Reflexionstheorie zu deuten sind, darüber weiter unten (8).> Zunächst soll ein Verfahren geschildert werden, das zur Erforschung des Fein- baues der Kristalle von den beiden Braggs'-) angewendet wurde; es kann als Röntgenspek- trometrie bezeichnet werden. Der Bragg'sche Apparat ähnelt einem Spektrometer. Aus den von der Antikathode ausgehenden Strahlen wird durch mehrere Bleiblenden ein schmales Büschel ausge- sondert, dieses fällt unter kleinem Glanzwinkel auf den Kristall, der auf dem Tischchen des Spektro- meters steht, so daß seine jeweilige Lage und damit der Glanzwinkel gemessen werden kann. An die Stelle des Fernrohrs ist zur Messung der Intensität der gespiegelten Strahlen eine lonisie- rungskammer angebracht, ein Messingzylinder von 15 cm Länge zu 5 cm Durchmesser. Die Strahlen dringen durch ein dünnes Aluminiumfenster in Richtung der Achse in die mit Schwefeldioxyd oder Methylbromid (diese Gase absorbieren besser als Luft und werden daher stärker ionisiert) ge- füllte Kammer. Eine außerhalb des Strahlenganges in der Kammer angebrachte Elektrode ist mit einem Elektroskop verbunden. Die Messung er- folgt in der Weise, daß man für einige Sekunden die Röntgenröhre einschaltet und nun den Aus- schlag des Elektroskops mißt, während die (von der Elektrode isolierte) Kammer auf 200 Volt geladen ist. Der Ausschlag ist ein Maß für die Stärke des reflektierten Büschels. Nun ändert man durch Drehen des Tischchens den Glanzwinkel, stellt die Ionisationskammer richtig ein und mißt von neuem. Auf diese Weise kann man die Intensität des reflektierten Strahles für allmählich wachsende Glanzwinkel messen. Das Ergebnis der Messung zeigt Abb. 3.*) Die Antikathode der Röntgenröhre bestand aus Rhodium, die Reflexion fand an einer Würfelebene (100) des Steinsalzes statt; die Glanzwinkel sind als Abszissen, die Intensitäten als Ordinaten eingetragen. Bei ') Ein ähnlicher Vorgang für sichtbares Licht findet .lich in einer Lip pmann 'sehen farbigen Photographie. Bei der Be- lichtung entstehen in der photographischen Platte durch stehende Lichtwellen parallele Silberschichten. Bei der Be- trachtung im reflektierten Licht findet eine „auswählende Reflexion" statt, so dal3 die Platte verschiedene Farben zeigt nach Maßgabe des Winkels, unter dem man sie betrachtet. ') Vgl. auch Naturw. Wochenschr. XIII (1914I S. 439: Das Spektrum einer Platinanlikathode. etwa 3" beginnt die Kurve; nach der Gleichung 1= 2d sin « haben die unter diesem Winkel reflek- tierten Strahlen sehr kurze Wellenlänge. Die Intensität steigt mit zunehmender Wellenlänge, erreicht bei rj ein niedriges, bei Rj ein hohes Maximum, fällt wieder ab und hinter 10 dieselben beiden Spitzen (niedriger) noch einmal zu zeigen. Die Kurve sagt uns, daß die auffallenden Strahlen sich aus Licht der verschiedensten Wellenlängen zusammensetzen; die Röntgenröhre liefert neben „weißem" Licht (kontinuierliches Spektrum) zwei Farben (r^ Rj, Linienspektrum) in besonderer Inten- ff. Lintn/'/'/SH'inh e/ Abb. 3. sität. Das erstere ist die sogenannte „Brems- strahlung", sie entsteht, wenn die auf die Anti- kathode aufprallenden Elektronen gebremst werden. Durch den Stoß der Elektronen entstehen ferner Schwingungen innerhalb der Atome des Anti- kathodenmetalls, diese geben Veranlassung zur Entstehung der Eigenstrahlung, ^) die für das betreffende Metall charakteristisch ist, wie optisch das Linienspektrum für ein leuchtendes Gas. Akustisch entspricht dem ersten ein Knall, dem zweiten ein (oder mehrere) Töne. Rhodium- und Palladiumstrahlen zeichnen sich dadurch aus, daß die weiße Strahlung verhältnismäßig schwach ist. Antikathoden aus diesem Metall strahlen im wesent- lichen monochromatisches Licht (R,) aus, und des- halb werden sie von B r a g g zu Kristall- untersuchungen verwendet. Die Wellenlänge der intensiven Linie beträgt für Rhodium 0,607- lO~*cm, für Palladium 0,576- lO"^* cm. 4. Die Bragg'sche spektrometrische Unter- suchung verläuft folgendermaßen: Annähernd monochromatisches Licht fällt auf kristallographisch wichtige Flächen des Kristalls, es wird an den Netzebenen reflektiert. Mittels der Ionisations- kammer wird der Reflexionswinkel « in der isten,2ten und 3ten Ordnung und die Intensität gemessen. Mittels der Gleichung nA=2d sin « läßt sich aus « undÄ der Abstand d messen; dadurch ist die Lage der Netzebenen bestimmt. Wie dieselben mit Atomen besetzt sind, ergibt sich aus der Verteilung der ") Daß die Eigenstrahlung für das Metall der Antikathode charakteristisch ist, wird dadurch gezeigt, daß man das Licht einer Rhodium-Antikathode durch Reflexion an den Flächen verschiedener Kristalle untersucht; man findet dann stets die beiden Maxima. Der Abstand derselben (Winkel «) ist ver- schieden, da er ja durch den Abstand d der Netzebene des jeweilig verwendeten Kristalls bestimmt wird. 524 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 38 Intensität auf die verschiedenen Ord- nungen der reflektierten Farbe. An einem Beispiel möge das erläutert werden. Abb. 4 zeigt die Ergebnisse der Untersuchung an Stein- salz. Auf der horizontalen Achse ist der Winkel, den die Ionisationskammer mit den einfallenden Strahlen bildet, also 2a abgetragen, senkrecht dazu die an den Flächen (lOO), (lio) und (iii) reflek- tierte Rhodiumlinie der isten, 2ten und 3ten Ord- nung; die weiße Strahlung ist fortgelassen. Die Abstände der reflektierenden Netzebenen seien '^loo' '^Jio ^^'^ "^iii- dann gelten die Gleichungen :2d, A = 2d. „•sm Daraus folgt : sin 5,850:sin8,50:sin5,i»=-^:--!-:-i-. Aus Abb. I, die das Raumgitter des Koch- salzes zeigt, ergibt sich, daß d,„(, = Ad, d,„o als von Cl- zu Q-Ebene; beide sind gleich djo(,-3-| 3 im d. Der zugehörige Reflexionswinkel ist durch die Gleichung A = 2d,j,-sin« gegeben. Aber auf der Mitte zwischen den Ebenen mit Na-Belegung findet sich immer eine mit Cl-Belegung. Diese reflektieren Wellen, die für die erste Ordnung in entgegen- gesetzter Phase mit den von den Na- Ebenen reflek- tierten sind. Die beiden Wellenzüge schwächen sich daher und zwar gilt das nicht nur für die erste, sondern für jede Reflexion ungerader Ordnung. Die Reflexionen gerader Ordnung werden da- gegen verstärkt. Nunistdie reflektierende Kraft eines Atoms proportional seinem Atomgewicht. Da dieses für Natrium 23 und für Chlor 35,4 ist, haben die beiden interferierenden Wellenzüge keine gleiche Amplitude. Die Folge ist, daß die Reflexionen ungerader Ordnung (i 1 1) nicht vollständig fehlen, sondern mit stark ge- schwächter Intensität vorhanden sind, wie Abb. 4 zeigt. Die Reflexion 2ter Ordnung ist dagegen verglichen mit der gleichen Ordnung an (110) und (100) besonders intensiv. 5. Es fragt sich nun, wie man die wahre Größe der verschiedenen Netzebenen-Abstände d bestim- . IWOJ K fl A imi K -^ m V V ' ■>' 1 0' 1 i' z c S° j 0' 5' i d" i 5° SO Höhe im gleichschenkligen rechtwinkligen Drei- eck Adl gleich d,oo-i]2 und dj,i als Höhe der Pyramide ALPQ mit der Spitze A gleich dmof-yS ist. Setzen wir diese Werte auf der rechten Seite der Gleichung ein, dann ergibt sich — 1/7 • sin S,85":sin 8,5'':sin5,i*'=i :y2 : ^. I : 1,44 : 0,88 = 1:1,41:0,87. Es läßt sich nun zeigen, daß für kein anderes Raumgitter die obige Bedingung erfüllt, mithin stellt Abb. 1 A dasjenige des Steinsalzes dar. Fig. B in Abb. i zeigt wie die Ebenen mit Atomen be- legt sind. Besonders einfach ist die Belegung der Ebenen (100) und (i 10), in ihnen liegen abwechselnd Na- und ClAtome (dargestellt durch schwarze bzw. weiße Kreise) nebeneinander. Verwickelter ist die Struktur des Kristalls parallel zur Fläche ( 1 1 1 ) ; hier enthalten die Ebenen abwechselnd nur Na- Atome (EDB) und Cl- Atome (hec). Wenn die Strahlen von (11 i)-Ebenen reflektiert werden, dann ist der wahre Abstand d derjenige zweier gleich- wertiger Ebenen, also von Na- zu Na-Ebene oder men kann. Unsere Gleichung liefert den Wert Wir kennen also lediglich das Verhältnis . und müssen eine der beiden Größen bestimmen, um zu einem absoluten Wert der anderen zu kom- men. Folgende Überlegung führt zum Ziel. Be- trachtet man in Abb. i den Würfel EeRhePcL, also den achten Teil des großen Würfels, so stellt er den kleinsten Teil des Steinsalzkristalls dar, an dem das Raumgitter zu erkennen ist. Aus zahl- losen solcher kleinen Würfel baut sich ein Stein- salzkristall auf; er wird daher Elementarkörper genannt. Jedes Atom des Elementarwürfels, der 4 Na- und 4 Cl-Atome also 4 NaCl Moleküle ent- hält, ist, wenn es im Innern des Kristalls sitzt, an dem Aufbau von acht Nachbarwürfeln be- teiligt; mithin enthält der Elementarwürfel im Mittel ein halbes Molekül NaCl vom Molekular- gewicht M. Dieses wiegt i-(23-f35,5)-m, wo m = i,64-io~^t g das Gewicht eines Wasser- N. F. XVI. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 52s Stoffatoms ist. Andererseits ist der Inhalt des Elementarwürfels djof," und die Dichte des Stein- salzes (1 = 2,17, also ein Gewicht dip„^-p. Wir erhalten mithin die Gleichung ^M.m = e.di„o^ .Aus dieser ergibt sich d, g„ = ]/' ~ — = 2,80 • i O^' cm, und daraus mit Hilfe der Gleichung A= 0,576- lO'^'cm. Führt man dieselbe Rechnung an einem anderen Kristall derselben Bauart (KCl, KBr) durch, dann findet man für l denselben Wert. Untersucht man Sylvin (KCl), so sind die Spektren dem des Steinsalzes ganz ähnlich. Die Reflexionswinkel der Maxima sind rund um 10% (JKCl kleiner. Daraus folgt -; =1,10. Für das Ver- dNaCI hältnis der Molekularvolumina ergibt sich Mol. Vol. KC^_ 74,5. 58,5^ Mol. VoLNaCl^ 1,99 ' 2,17"' ''^^' Die Kante des Elementarwürfels muß danach für KCl y 1,39=1,11 mal so groß sein als für NaCl, was gut mit der obigen aus der Lage der Re- flexionsnjaxima berechneten Zahl übereinstimmt. Das erste von der Fläche (m) kommende Spek- trum, das beim NaCl schwach vorhanden ist, fehlt beim KCl vollständig. Das erklärt sich daraus, daß das Reflexionsvermögen der in der Mitte zwischen den K-Ebenen liegenden Cl-Ebenen wegen des fast übereinstimmenden Atomgewichts von K und Cl gleich ist und daß sich daher die Reflexionen ungerader Ordnung auslöschen. 6. Durch ähnliche Betrachtungen, bei denen sowohl die Lage als auch die Intensität der Reflexionsmaxima in Betracht zu ziehen ist, hat man für eine Reihe von Kristallen den architektonischen Charakter zu bestim- menvermocht. Abb. 5 zeigt das Schema des Zinkblendekristalls. Die durchKreise ange- deuteten Zinkatome bilden einen flächen- zentrierten Würfel. Von den acht Ele- mentarwürfeln sind nur vier abwechselnd in ihrer Mitte mit einem Schwefelatom besetzt. Man kann sich dieses Schema aus dem von NaCI (Abb. i) dadurch entstanden denken, daß man das Gitter der Na-Atome als Ganzes derart ver- schiebt, daß dieselben die Raumdiagonale des großen Würfels vierteln und nun an die Stelle von Cl und Na Zn- bzw. S-Atome bringt. Das Gitter von NaCl und ZnS besteht aus zwei auf ver- schiedene Weise ineinandergestellten flächenzentrierten Würfeln. Durchlaufen wir die Raumdiagonale von links oben hinten nach rechts unten vorn, dann treffen wir eine ^^ ^^ .\bb. verschiedene Anordnung der Zn- und S-Atome auf ihr an, je nachdem wir in der einen Richtung oder in der anderen gehen. Das eine Mal folgt S auf Zn in kurzen, das andere Mal in weiten Abständen. Die beiden Seiten dieser Achse sind also physikalisch nicht gleichwertig, die Achse ist polar. Dieses macht sich am Kristall dadurch bemerkbar, daß unter dem Einfluß von Druck oder Erwärmung ungleichnamige Elektrizitäten an den Enden dieser Achse auftreten. Zinkblende zeigt also die Erscheinungen der P\to- und Piezoelektrizität. Ersetzt man sämtliche Zn- und S-Atome durch C, dann erhalten wir das Schema als Diamanten. Interessant und beachtenswert ist es, daß jedes C-Atom im Mittelpunkt eines Tetraeders sitzt, das aus den 4 Atomen in den Ecken eines Ele- mentarwürfels gebildet wird. Unser Raumgitter führt uns also auf dieselben Anschauungen, die sich die Chemie von der Verteilung der chemischen Kräfte (Valenzen) auf der Oberfläche eines Kohlen- stoftatoms macht. Die Erscheinung der Piezo- und P_\roelektrizität muß beim Diamanten fehlen, was die Erfahrung bestätigt. Sind die Mitten aller 8 Elementarwürfel in Abb. 5 mit Fluoratomen besetzt und bedeuten die Kreise Ca-Atome, dann haben wir einen Fluorkalzium-Kristall vor uns; fehlen dagegen die Atome im Innern der Ele mentarwürfeln, einen Kupferkristall. Auch die Bauart der Kalkspats CaCO^j läßt sich aus Abb. I ableiten, wie Abb. 6 zeigt. Hier bedeuten die Kreise Ca-, die Punkte C-Atome. Die Gruppierung O .\bb. 6a. .Abb. 6b. der O3, die in Fig. a fortgelassen sind, um ein C- Atom zeigt Abb. 6 b. Wenn es auch noch nicht gelungen ist, den Feinbau sämtlicher Kristalle zu ermitteln, so steht es doch für eine Reihe ganz fest (Bragg führt in seinem oben erwähnten Buche 18 an); von einer weiteren Gruppe (9) kennt man ziemlich gut die Gruppierung der Atome. Doch ist auf jeden Fall die Möglichkeit vorhanden, die innere Architektur zu erforschen, wenn auch die Überlegungen, die zum Ziel führen, für viele Kri- stalle recht komplizierter Natur sind. 7. Einige Fragen, die vielleicht Bedenken er- regen könnten, mögen noch erledigt werden. 526 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 38 Wenn man durch einen Kristall irgendeine beliebige Ebene legt, dann wird sie sicher eine Anzahl von Atomen enthalten. Finden an ihr Reflexionen statt oder nicht? Das Reflexions- vermögen einer Netzebene hängt von ihrer Netz- dichte ab und zwar ist es, wie Laue^) gezeigt hat, proportional dem Quadrat ihrer Belegungs- dichte. Nun wird die Dichte auf einer beliebig orientierten Ebene im allgemeinen gering sein, so daß eine merkliche Reflexion an ihr nicht stattfinden wird. Denkt man sich z. B. in Abb. i die Ebenen (iio), (120), (140) usw. hineingelegt, so sieht man, daß ihre Belegungsdichte (d. i. An- zahl der Atome auf der Flächeneinheit) schnell abnimmt. Eine weitere wichtige Frage ist die nach der Raumeinheit der Stoffe.*) Bei den Gasen sind als solche die Molekeln anzusehen, die durch große Zwischenräume voneinander getrennt „no- madisierend" sich bewegen. Bei den Flüssigkeiten schlingen sie sich von einer Molekel zu den benach- barten Kraftlinien, ohne daß dadurch die freie Beweglichkeit stark beeinträchtigt wird. Bei der kristallinen Materie hat es, wie unsere Raumgitter- bilder zeigen, keinen Sinn von Molekeln zu sprechen, da es ja vollkommen willkürlich wäre, z. B. im Raumgitter des Steinsalzes zwei benachbarte Atome zu einem Molekül zusammenzufassen. Man hat gesagt, der ganze Kristall wäre ein einziges rie- siges Molekül. Doch trift't man damit nicht in allen Fällen den wirklichen Sachverhalt. Wie z. B. das Gebäude des Kalkspats (Abb. 6) zeigt, heben sich gelegentlich elementare Baugruppen (CO^) charakteristisch heraus. Rinne kommt zu folgen- dem geometrischen Bild: „Ein Kristall kann aus gleichförmig periodisch geordneten Atomgruppen bestehen; in anderen Fällen heben sich aus ihnen periodisch Knäuel heraus; schließlich kann es zu einer Aufteilung der ganzen Kristallmasse in solche chemisch molekelartige kristallographische Atom- komplexe kommen" (z. B. bei Al,,Og). Stellt man sich den oben geschilderten Fluß- spatwürfel (seine Kantenlänge ist 5,44- io~8 cm) vor, so findet man leicht, daß er 14 Ca- und nur 8 F-Atome enthält, während die chemische Formel CaFj auf 14 Ca 28 F, also das Ver- hältnis 1 : 2 fordert. In einem Würfel von der Kante 5,44- iO-7cm ist dieses Verhältnis 36,51 : 63,49; bei weiterer Vergrößerung des Kristalls nähert es sich mehr und mehr dem idealen Verhältnis 1:2. Diese Abhängigkeit der Zusammensetzung von Größe erklärt sich nach Rinne durch die Annahme, daß die Grenzfläche des Kristalls in atomistischen Dimensionen den Raum- gitterforderungen nicht genügt. Von außen nach innen fortschreitend gelangt man in kontinuierlichem Übergang von ungeordneten zu mehr und mehr geordneten Schichten. Diese ') Neues Jahrb. f. Mineralogie II, S. 47 {1916): F. Rinne, Beiträge zur Kenntnis des Feinbaues der Kristalle. ") Naturwissenschaften V, S. 49 (1917): F. Rinne, Zur Leptonenkunde als Feinbaulehre des Stoffes. Eigenart der Oberfläche ist zugleich die Trieb- feder für das Wachstum der Kristalle. An ihr ragt ein Teil der Valenzen frei in den Raum hinein, und durch Ablagerung neuer Sub- stanz auf der alten erneuert sich die Oberflächen- schicht in ihrer Besonderheit stets wieder. — Das Raumgitterprinzip wird erst dann wirksam, wenn die Molekelabstände die Größenordnungen der Atomdistanzen erreichen, so daß sich Kraft- linien von Molekel zu Molekel herüberschlingen können, dadurch verliert die Molekel als solche mehr oder weniger ihre Bedeutung als Raumein- heit. Das findet statt im festen kristallinen Zu- stande der Materie; doch ist in den flüssigen Kristallen ein stetiger Übergang vom flüssigen zum kristallinen Zustand gegeben. Die Laue'sche Röiitgeuogrammetrie. 8. Läßt man ein durch Blenden ausgesondertes Büschel S,Sj weißen Röntgenlichts (Abb. 7) senk- recht auf den Kristall K fallen, dann bildet sich auf der photographischen Platte PP das Laue- Diagramm ab (siehe Abb. 9). Eine geeignete Apparatur für solche Aufnahmen ist von Rinne') angegeben. Als Strahlenquelle wird eine Lilien- feld-Röhre benutzt, die den Vorzug hat, daß Härte und Intensität der Strahlung durch wenige Handgriffe unabhängig voneinander reguliert werden können. Ihre Antikathode steht oben, die Lichtkegelachse ist vertikal nach unten gerichtet. Durch Bleiblenden wird ein schräg nach unten verlaufendes Strahlenbündel isoliert, dieses durch- setzt den Kristall und trifft dann die photogra- phische Platte. Da auf derselben ein Gehler- Verstärkungsschirm liegt, genügt eine Belichtung von 25 — 30 Minuten. Um die Röhre herum sind im ganzen drei Aufnahmestellen angebracht. Ein amorpher Körper liefert auf der Platte um den Einstich des primären Strahles herum diffuse Lichtverteilung, ein Kristall zeigt außerdem die Einstiche bestimmter Sekundärstrahlen. Zur Erklärung der Entstehung der Diagramme verwendet man zweckmäßig nicht die oben (unter i ) angedeutete Laue'sche Aufi'assung (Beugung), ') Berichte der sächsisch. Ges. d. Wissenschaften LXVII, S. 303(1915). F. Rinne: Beiträge zur Kenntnis der Kristall- Röntgcnogramme, N. F. XVI. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 527 sondern einfacher die Bragg'sche der Reflexion. In Abb. 8 stellt S^Sj den Primärstrahl dar, der den Kristall K durchsetzt. Kz stellt eine zur Zeichenebene senkrechte Netzebene dar, sie reflek- tiert den Primärstrahl unter dem Winkel u in Rich- tung S.,, so daß er die Platte PP in Sj trifft. Gibt man nun der betrachteten Netzebene dadurch andere Lagen, daß man sie um Zz als Zonen- achse dreht, dann beschreibt der reflektierte Strahl den Mantel eines Kegels vom halben Öffnungswinkel a. PP schneidet ihn in der durch SjS., gehenden Ellipse (Zonenlinie). Läßt man « größer werden, betrachtet man also eine Netzebene, die gegen den einfallenden Strahl stärker geneigt ist, dann liegt s., weiter nach rechts und auf PP entsteht eine größere, aber ebenfalls durch s, ist das natürlich so zu verstehen, daß diese Reflexion nicht an einer Ebene, sondern an einer Schar paralleler Ebenen erfolgt und daß die reflektierten Strahlen, wie es unter 2 auseinander- gesetzt ist, miteinander interferieren. In den meisten Fällen vernichten sich die verschiedenen Wellenzüge, sie verstärken sich, wenn n • Z = 2d • sin « ist. Wenn also dieReflexionsebene bei ihrer Drehung um die Zonenachse Kz eine bestimmte Lage hat, dann findet die Reflexion an der zu ihr parallelen Schar von Netzebenen statt. Die Folge ist, daß aus der Fülle der Wellenlängen des weißen Röntgen- Abb. 8. gehende Ellipse; bei kleinerem u liegt die Ellipse innerhalb der in der Abbildung gezeichneten. Wird a = 45", dann steht S., senkrecht zum Primärstrahl SjSj und verläuft (als Seitenlinie des Kegels) parallel zu PP. Die Ellipse öffnet sich mithin zur Parabel. Ist u größer als 45", dann sind die Schnittfiguren Hyperbeln und werden für «=90" zur Geraden. Je weiter von Sj entfernt also eine Zonenachse auf PP einsticht, um so weiter greift die entsprechende Zonenlinie aus, doch gehen sie alle durch Sj. Die Zonenlinie ist der geometrische Ort der Einstiche aller Strahlen, die bei der Drehung der Netzebenen um die Zonenachse reflektiert werden. Dabei ist zu beachten, daß bei der Drehung der Ebene um Kz die Netzdichte nicht immer so groß ist, daß eine Reflexion von merklicher Stärke stattfindet; vielmehr wird das nur für besondere Lagen der Fall sein. Es wird demnach auf der Zonenlinie nicht Einstich un- mittelbar neben Einstich liegen, sondern es werden sich den dichtbelegten Ebenen entsprechende, diskrete, ihrer Intensität nach verschiedene Ein- stichpunkte auf ihr finden, wie das Diagramm des Anhydrits in Abb. 9 zeigt. (Die verschiedene Intensität der Einstiche ist hier allerdings nicht gekennzeichnet.) Sämtliche Zonenlinien, die als Ellipsen, Parabel, Hyperbeln und gerade Linien deutlich in dem Röntgenogramm zu erkennen sind, gehen durch den Einstichpunkt des Primär- strahles in der Mitte. Wenn oben gesagt ist, daß eine Reflexion an den Netzebenen stattfindet, dann Abb. 9. lichtes eine einzige, nämlich die, deren X der Glei- chung A = 2d-sina (d^ Abstand der Netzebenen) genügt, reflektiert („erzeugt") wird, während alle anderen sich durch Interferenz auslöschen. Denkt man die Reflexionsebene weiter um Kz gedreht, dann ändert sich der Abstand d, mithin wird in der neuen Lage eine andere Wellenlänge aus dem weißen Licht ausgesondert, reflektiert und erzeugt den benachbarten Einstich, dessen Intensität von der Belegungsdichte der ihn erzeugenden Struktur- fläche abhängt. Jeder Einstich entsteht demnach als Wirkung von Wellen von verschiedenerWellenlänge; d und /. ändert sich von Fleck zu Fleck. Daraus wird man entnehmen, daß es schwieriger sein wird, aus dem Laue- Diagramm den Feinbau des Kristalls zu ergründen, als aus dem Spektrum Bragg's, der mit monochromatischem Licht jede Ebene für sich untersucht. Einige Gesetzmäßig- keiten lassen sich indessen ohne weiteres aus dem Diagramme ablesen. So drückt sich der kristallo- graphische Rhythmus in einfacher Weise in den Symmetrieverhältnissen des Röntgenogramms aus. Abb. 10 zeigt das Beugungsbild eines Zink- blendekristalls'^ (reguläres System). Es ist eines der ersten, die auf Veranlassung Laue's von Friedrich und Knipping hergestellt wurden (Expositionszeit 12 Stunden). In Abb. 10 528 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 38 tritt der Primärstrahl seiikreckt zur einen VVürfel- fläche (100), also in Richtung einer vierzähligen Achse ein. Man findet in dem Diagramm ohne weiteres die Symmetrieverhältnisse wieder. Eine sehr große Anzahl von Flächen sind an der Entstehung eines Diagramms beteiligt, im Diagramm des Anhydrits (Abb. 9) sind es nicht weniger als 424. Aber ihre Zahl ist immerhin beschränkt, nicht jede durch den Kristall gelegte wirkt reflektierend, da nur bei einer beschränkten Anzahl die Netzdichte hin- reichend groß ist. Außerdem liegen punktarme Ebenen dicht zusammen; nach unserer Grund- gleichung darf aber d unter ein gewisses Maß nicht heruntergehen. 9. Wie man aus der Lage der Einstiche die Indices der reflektierenden Strukturebenen und damit den Aufbau des Kristalls ermittelt, soll nur angedeutet werden. In Abb. 1 1 stellt K den dar. Es zeigt sich nun, daß bei Anwendung dieser Projektion die Projektionspunkte eines Zonenver- bandes auf einer Geraden liegen, so daß jeder Zoneiikurve der Reflexprojektion eine Gerade der Normalprojektion entspricht. Die den Kurven zu- geordneten Geraden lassen sich konstruieren, ebenso die konjugierten Projektionspunkte. Nun kann man nach Annahme einer (11 1) Fläche die Indices aller durch den Laue- Effekt symbolisierten Flächen direkt ablesen. — Auf diese Weise ge- lingt es, die Struktur der einfachsten Kristalle abzuleiten. 10. Eine Frage von Interesse ist, welchen Ein- fluß die Temperatur auf die Diagramme haben. Die Theorie ist von P. Debye^) ent- wickelt worden. Er kommt unter anderem zu dem Ergebnis, daß die Wärmebewegung nicht die Lage und Schärfe, wohl aber die Intensität der Inter- ferenzpunkte beeinflußt. Dieses Resultat, das durch den Versuch bestätigt wird, ist ohne weiteres plausibel, wenn man bedenkt, daß durch die Schwingungen, die die Atome im heißen Kristall ausführen, die (momentane) Belegungsdichte der Strukturebenen vermindert wird. Die Röntgeiispektrogramiiietrie von Debje und Scherrer. II. Die zu untersuchende Substanz wird in Pulverform zu einem kleinen Stäbchen KP (Abb. 12) von 10 mm Länge und 2 mm Durch- messer geformt. Dieses wird in die Mitte einer zylin- drischen Metallkamera gebracht, in welche senkrecht zur Achse das monochromatische Röntgen- strahlenbündel SjSj eindringt. Alle Teilchen und ihre Netzebenen liegen in dem Pulver wirr durch- einander. Eine Netzebene wird nur reflektieren, wenn sie so orientiert ist, daß der Winkel zwischen ihr und S,Si den Wert « (A = 2d-sinß) hat. Da es auf die absolute Orientierung im Räume nicht Kristall, SjS, den Primärstrahl und PP die Pro- jektionsebene (photographische Platte) dar. Das Laue-Diagramm stellt eine neue Projektionsart dar, die Reflexprojektion: jede Fläche Kz wird durch den Einstich s., ihres Reflexstrahls S., auf PP dargestellt ; eine Drehung der reflektierenden Ebene um die Zonenachse Zz liefert einen Kegel- schnitt auf PP. Die in der Kristallographie übliche gnomonische Normalprojektion stellt die Fläche Kz durch den Einstich g ihrer Normalen n auf PP ankommt, liegt die Gesamtheit dieser Ebene auf einem Kreiskegel vom Offnungswinkel 2« und dem Primärstrahl als Achse. Die von ihnen reflektierten Strahlen liegen auf Kreiskegeln, deren Spitze im Stäbchen liegt, mit den Öffnungswinkeln 4«, siehe Abb. 12. Auf einer senkrecht zu S^s., gestellten Platte würden sich konzentrische Kreise abbilden. ") Verhandl. (1913)- d. Deutsch. Physika!. Ges. 15, 67S u. 738 N. F. XVI. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 529 Debye und Sc herrer") legen statt dessen in die Kamera einen zylindrisch gebogenen Film, auf diesem bilden sich als Durchschnitts- linien der Kegel mit dem Zylinder die in Abb. 13a u. h wiedergegebenen Diagramme ab, die mittels fein gepulvertem Lithiumfluorid und einer Kupferantikathode erhalten wurden. Bei Verwendung einer Platinantikathodc sieht ent- sprechend der anderen Wellenlängen der Platin- strahlung das Diagramm wesentlich anders aus. Durch Ausmessung der Einzellinien lassen sich die Öffnungswinkel der verschiedenen Kegel bestim- men; hieraus und aus dem Fehlen gewisser Linien kann man in einer der Bragg 'sehen analogen Schlußweise auf die Lage der Strukturfläche und ') Physikal. Zeitschr. XVII S. 277 (1916): P. Debyc und P. Scherrer, Interferenzen an regellos orientierten Teilchen im Röntgenliclit. damit auf das dem Kristall zugrunde liegende Gitter schließen. Wegen der Einzelheiten sei auf die Originalarbeit verwiesen. Es wurde auf diese Weise festgestellt, daß LiF dasselbe Gitter wie NaCl und KCl, sogenanntes amorphes Silicium dasselbe wie der Diamant hat. Die Länge der Kante des Elementarwürfels für Si ist 5,46-10-8 cm, der kürzeste Abstand zweier Si- Atome 2,33-10-'* cm. Graphit kristallisiert trigonal, 12 Kohlenstoffatome liegen in seinem rhomboedrischen Elementarbereich, dessen Kante 4,69- IQ-* cm lang ist. Das Verfahren liefert ein einfaches Mittel, das mit absoluter Sicherheit zu entscheiden gestattet, ob der Zustand einer Substanz mikrokristallinisch oder amorph ist, da nur im ersteren Fall die Kegel maximaler Intensität auftreten. Mit einer einzigen Photograpiiie gelingt es, die gegenseitige Lage und die Abstände der Atome im Kristall zu be- stimmen. Man hat zu dem Zweck nicht einmal einen ganzen Kristall nötig; es gelingt vielmehr besser mit seinem Pulver. Hat man die Atom- anordnung für irgendeine Substanz ermitteh, dann kann man diese umgekehrt als Gitter zur Anal)'se der auffallenden Strahlung und zur Messung der Wellenlängen, die sie enthält, benutzen. Wir haben ein Röntgenspektroskop denkbar ein- fachster Art. Weiterer Literaturhinweis : Naturwissenschaften IV S. 13 u. 25 (1916) A. Sommer- feld: Neues zur Physik der Röntgenstrahlen. Mineralogische Beobachtungen während einer FerienTeise ins Wallis im Juli 1917. Nicht ganz neun Tage war mein Aufenthalt in diesem herr- lichen, von hohen Bergen, tiefen Tälern und wild daher brausenden Gebirgswassern durchzogenen Kanton der Schweiz bemessen. In einer solch kurzen Spanne Zeit kann man natürlich die natur- historischen Verhältnisse eines Gebietes nicht völlig ergründen, das haben schon andere von berufenerer Feder vor mir besorgt und mag daher von neuem überflüssig erscheinen. Aber immer- hin werden die Beobachtungen des einzelnen, der wenn auch nur im Fluge sich über die minera- logischen Verhältnisse zu orientieren vermochte, für denjenigen, welcher später dieselben Gegenden bereisen sollte, von Interesse sein und sie mögen daher an dieser Stelle aufgezeichnet werden. Der Mineralreichtum des Wallis, welcher vielleicht nur von demjenigen des St. Gotthard- Gebietes übertroffen wird, ist schon seit altersher bekannt, sogar der alte Scheuchzer gedenkt des- selben. In engster Beziehung stehen damit die mineralhaltigen und daher heilkräftigen Quellen, ich erinnere nur an diejenige des Bades Leuk. Die Bahn nach diesem weltberühmten Orte führt Kleinere Mitteilungen. von dem östlichen Ende des Genfer Sees, Ville- neuve aus, an dem salzreichen Bex vorbei über Martigny, dem alten römischen Octodorum, an der Dranse gelegen und von der Ruine „la Bathia" gekrönt. Unfern von Martigny befindet sich das Val de Bagnes. Wie in alten Zeiten wird noch heutigen Tages hier der Topfstein, ein dem Speckstein ver- wandtes Magnesium-Silikat gebrochen. Es ist dies der „Giltstein" der Deutschen, der „pierre ollaire" der PVanzosen, ein dunkelgrünes, von gelben Adern durchzogenes Gestein, welches fettig anzufühlen ist, ferner seiner großen Weichheit halber sich leicht schneiden und schleifen läßt. Namentlich wird es zu Ofenplatten verarbeitet und es mutet einen heimlich an, in den Bauern- häusern des WalHs teils jahrhundertalte, aus diesem schönen Materiale verfertigte Öfen, welche von vergangenen Geschlechtern und Zeiten erzählen, vielfach anzutreffen ! Von Martigny gelangt man über Sitten nach Visp. Von letzteren Orte führt eine Zweigbahn durch das Saas-Tal nach dem 1620 Meter über Meer gelegenen Zermatt. Das größte Dorf, welches man auf dieser Bahnstrecke berührt, ist St. Nicolas, 530 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 38 bemerkenswert durch die dort vorkommenden Bergkristalle. Einige derselben zeichnen sich durch beträchtliche Größe aus, andere kleinere wiederum bilden unregelmäßig gestellte Gruppen, welche in ihrem Aussehen an die französischen Vorkommnisse von Bourg d'Oisans in der Dauphine erinnern. Die Gebirgsformationen der näheren und weiteren Umgebung von Zermatt bestehen im wesentlichen aus altkristallinen Gesteinen, nament- lich Gneißen und Glimmerschiefern begegnet man auf Schritt und Tritt. Für den Paläontologen ist daher hier auch nichts zu suchen, der Minera- loge wird aber sicherlich auf seine Rechnung kommen. Es finden sich bei Zermatt Mineralien vor, welche geradezu für die Gegend charakteristisch sind. Wenn man nicht Gelegenheit findet, die- selben auf teils gefährlichen Gebirgsstellen selbst aufzusuchen, so kann man solche bei den so- genannten „Strahlern", welche nebenbei meist dem Berufe als Bergführer obliegen, zu sehr billigem Preise kaufen. Von den gewöhnlicheren Arten will ich nur anführen: 1. Serpentin, am Gorner-Grate anstehend. 2. Diopsid, vom Theodulpaß, in stenglichen Aggregaten. 3. Asbest, vom Rympfischwängi, teils in zartfaseriger Ausbildung, teils in die dichtere Va- rietät, das sogenannte „Bergleder" übergehend. 4. Schweizerit, vom Rympfischwängi, nur als eine helle, sehr splitterige Serpentin-Varietät anzusehen. 5. L a z u 1 i t h oder B 1 a u s p a t , vom Stockhorn, dort meist als tJberzug auf Quarz anzutreffen. Im allgemeinen ein ziemlich seltenes Mineral. 6. Pennin, vom Rympfischgrat, eine dunkel- grüne Chlorit-Varietät, rhomboedrisch kristalli- sierend und in schönen Säulen auftretend. 7. Grossular, vom Rympfischhorn, ein grüner Kalkton-Granat, als kleine Rhombendodekaeder in Bergleder eingewachsen. 8. RoterGranat, sogenannter „Kaneelstein", vom Breithorn, mit Diopsid zusammen, identisch mit dem Vorkommen der Mussa-Alp, Piemont. 9. Vesuvian, vom Findelengletscher, selten in größeren, gut ausgebildeten Kristallen, welche an diejenigen des Vesuv erinnern, vorkommend. 10. Pyrit, vom Theodulpaß. 11. Fuchsit, vom Matterhorn, ein durch Chrom-Oxyd gefärbter grüner Kali-Glimmer, schöne Überzüge auf Ouarz bildend. Von dem altertümlichen Brieg aus führt die Furka-Bahn nach Lax. Dort steigt man aus und nimmt den Weg über Aernes teils auf beträcht- licher Steigung nach Binn. liier sind wir zu einem wahren Eldorado der Mineraliensammler angelangt, denn das freundliche, meist aus Holz- hütten bestehende Pfarrdorf wird alljährlich von solchen aufgesucht. In unmittelbarer Nähe des- selben, besonders bei dem benachbarten Imfeid findet sich am Lengenbach der von dem be- rühmten Schweizer Geologen Bernhard Studer beschriebene „zuckerartige Dolomit" vor. In der Tat verdient er diese Bezeichnung, er tritt nämlich als weiße, kristallinisch -körnige Gesteins- art auf, welcher zahlreiche, zum Teil sehr seltene und oft nur mittels der Analyse bestimmbare Mineralarten birgt. In gleicher Beschaffenheit tritt er zu Campo-Longo im Tessin auf. Von den gewöhnlichen Dolomit-Mineralien des Binn- Tales seien hier nur Korund, Turmalin, Pyrit, Arsenkies, Realgar, Auripigment und Zinkblende als die vorzüglichsten genannt, welche meist in ausgezeichneten Kristallen vorkommen und von den zahlreichen Strahlern in Binn für weniges Geld zu erwerben sind. Wer sich für die weiteren Mineralvorkommnisse im Binner Dolomit inter- essiert, vergleiche die Dissertation von Theodor Engelmann „Über den Dolomit des Binnentales", welche 1877 zu Bern erschien. Aber auch andere Mineralien kommen in ty- pischer Ausbildung bei Binn, meist in kristal- linischen Schiefern vor. Da sind vor allem zu er- wähnen die herrlichen Magnetit- Oktaeder des Ritter- passes; der dunkelgrüne, monokline Diopsid von Cherbadung; ausnehmend große tetragonale Kristalle von Anatas und Rutil, letztere Modifikation des Titan-Oxydes besonders schön von Schmidtsbach bei Binn, woselbst auch prachtvolle gelbe Calcite in hexagonalen Säulen mit rhomboedrischen End- flächen auftreten. Besondere Erwähnung verdienen aber die grünen monoklinen Titanit-Kristalle der Kriegsalp bei Binn, in einer derartigen Größe und prächtigen Erhaltung dürften dieselben kaum nirgends sonst in der Welt anzutreften sein. Berg- kristalle und Rauchquarze treten mannigfach aus- gebildet und teils von bedeutender Größe eben- falls im Binntal auf. — Noch sei des schönen oktaedrischen Fluorites des Gieblisbaches bei Viesch gedacht und mit der Erwerbung dieses Minerales War mein interessanter, wenn auch nur kurzer mineralogischer Streifzug durch das Wallis beendet. Leopold H. Epstein. Nesselfasergewinnung. Im „Tropenpflanzer", Zeitschrift für tropische Landwirtschaft 1917, Heft 1—3 finden sich einige Mitteilungen über unsere neuzeitliche Nesselfasergewinnung. Die Nesselernte in Deutschland war 1916 schon ver- hältnismäßig befriedigend. Der erst im Juli gegrün- deten Nesselfaserverwertungsgesellschaft m. b. H., Berlin, wurden nämlich 1650 Tonnen trockener Nesselstengel angeliefert, außerdem befanden sich noch größere Mengen in Händen von Vertrauens- männern. Die Gemeinde Zehlendorf bei Berlin hatte eine 9V2 Morgen große Nesselpflanzung angelegt; die Ernte betrug zwei Waggonladungen trockener Stengel, die 800 Mark brachten. Der gute Erfolg ist auf den dortigen stickstoffreichen Bagger- schlamm zurückzuführen, wie überhaupt die allein in Frage kommende Nessel, Urtica urens, außer N. F. XVI. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 531 Feuchtigkeit und Schatten hohen Nitratgehalt des Bodens verlangt. Der Wiener Pflanzenphysiologe Richter hat vielversprechende Ergebnisse seiner Kulturversuche an zahlreichen Uferstrecken der Donau gewonnen. Das Gelände ist sehr geeignet, künstliche Düngung nicht erforderlich; es stehen nach Marchet 4 Millionen Hektar solchen, nur alle 30 Jahre zum Schlagen von Brennholz verwendeten Bodens zur Verfügung, eine Fläche, von der die Hälfte bereits genügen würde, um Ersatz für die gesamte Baumwolleinfuhr Deutschlands und Österreich- Ungarns zu liefern. Die Technik der Faserver- arbeitung ist in vielfacher Hinsicht verbessert worden. Mancherlei Verwendung können auch die verschiedenen Nebenprodukte finden. Nach diesen Anzeichen scheint es, als ob, wenn der Krieg noch lange dauert, die Nesselfaser für uns eine hohe Bedeutung erlangen kann und, im Grunde genommen, sehr leicht die nur irgend erforderlichen Mengen zu beschaffen sein werden. Es ist ja bekannt, daß zu diesem Zwecke auch wildwachsende Nesseln im vorigen Herbst schon vielfach von Dorfbewohnern sowie im Felde von Soldaten geerntet wurden. Ob auch nach dem Kriege das Nesselsammeln der ärmeren Land- bevölkerung einen Nebenverdienst abwerfen wird, hängt ganz von der Preisgestaltung ab, die man noch nicht übersehen kann. Jedenfalls werden wir auch für den Fall eines schweren Wirtschafts- krieges in dieser Hinsicht, wie in jeder anderen, gerüstet sein. V. Franz. Samenverschleppung durch die Feuerwanze (Pyrrhocoris apterus L.). Obwohl die F"euerwanze in unseren Gegenden ein so überaus häufiges Tier vorstellt, ist die Biologie desselben noch keineswegs erschöpfend behandelt worden. Auf die Tatsache, daß Pyrrhocoris Samen verschleppt, ist bisher nicht geachtet worden, wenigstens finden sich über diese Tätigkeit in der Literatur kaum Angaben. Sehr häufig kann man auf Wegen Exemplare beobachten, welche sich an den Früch- ten der Linden, die in hiesiger Gegend Judennüsse genannt werden, zu schaffen machen. Bei ge- nauerem Zusehen erkennt man, daß die Tiere die Stechborsten ihres Saugrüssels tief in die Früchte eingebohrt haben, so daß es ihnen oftmals nur schwer gelingt, sie wieder herauszuziehen, um sich in Sicherheit zu bringen. Häufig sind mehrere Stücke mit einer Nuß beschäftigt. Reiber- Puton bemerken (Cat. Hem. Alsace-Lorraine 1876), daß sie einmal 5 Exemplare an einer solchen P'rucht haben saugen sehen. Diese Be- obachtung kann man überall machen. Die Tiere zerren die Früchte hin und her und verschleppen sie oft auf große Entfernungen. In Höhlungen der Lindenbäume kann man gelegentlich diese Samen zu hunderten angesammelt finden. In ähnlicher Weise verschleppt Pyrr/iocoris auch' die Samen von Robiiiia pscitdacacia. Beachtung ver- dient die Tatsache, daß es ihnen gelingt, ihre Stechborsten selbst in steinharte Samen dieses Baumes einzuführen. Da die Wanzen nur flüssige Nahrung aufnehmen können, so bleibt nur die Möglichkeit, daß die Nahrungsaufnahme durch ein lösendes Enzym im Speichel vermittelt wird. In Wildpark bei Potsdam bemerkte ich kürzlich 12 Larven von Pyrrhocoris an einem Rohinia- Samen. Wiederholt habe ich auch das Transpor- tieren und Verschleppen von Samen bei Malva iicgkc/a bemerkt und in Rüdersdorf das gleiche bei den Früchten von Poteriinii saiigiiisorba (S. minor'). Der Samentransport durch Ameisen ist ja eine bekannte Erscheinung(Myrmecochorie Ser- n a n d e rs). Daß aber auch die Feuerwanze Samen verschleppt, dürfte immerhin beachtenswert sein. Ohne F"rage spielt Pyrrhocoris bei der Pflanzen- verbreitung eine gewisse Rolle, doch wird bei längerem Saugen die Keimfähigkeit der Samen herabgesetzt oder ganz unterdrückt, im Gegensatz zu den Ameisen, die an den Früchten von Viola oder Üuiidoiiimii einen fleischigen Anhang vor- finden, den sie abfressen, ohne daß dadurch die Keimfähigkeit beeinträchtigt wird. F. Schumacher, Charlottenburg. Wandernde Libellen. Das Wandern von Libeilen ingroßenSchwärmen,sowieauchin kleinen Gruppen ist eine schon lange bekannte Erscheinung. Beide Arten des Wanderns konnten vom 30. Juni bis 3. Juli im Saaletale vielfach beobachtet werden. Als nach ^^ wöchiger Trockenheit am 30. Juni nach 4 Uhr nachmittags Gewitter aufzogen, traten große Schwärme von O. nach W. ziehend im Saaletale bei Halle auf und wurden vielfach bemerkt. Meist dachten die Leute beim Anblick der Insektenmengen an Wanderheuschrecken. Auch an anderen Orten des Saaletales wurden zur selben Zeit Libellen- schwärme beobachtet, so war z. B. die Stadt Merseburg vor dem Aufkommen des Gewitters erfüllt von Libellen, die sich vielfach auf die Drähte der elektrischen Leitungen setzten. Ob die Libellen durch den Gewittersturm an den geschützten Stellen (Tal der Saale, Stadt Merseburg) erst zusammen- getrieben wurden oder schon in großen Schwärmen ankamen, läßt sich nicht mehr einwandfrei fest- stellen. Ich vermute das letztere ; denn noch während der nächsten Tage war ein fast ununterbrochener, auf breiter Front verlaufender Zug von Libellen in der Richtung von O. nach W. zu beobachten. So stellte ich am Dienstag, den 2. Juli, nach- mittags gegen 5 Uhr vom Dachgarten aus fest, daß auf einem etwa 10 m breiten Beobachtungs- stücke in 25 Minuten etwas mehr als 250 Libellen vorüberflogen. Wie auf der Schnur gezogen kamen die Tiere alle aus genau derselben Richtung und flogen kaum haushoch und niedriger. Nach einer Stunde war der Zug noch ebenso lebhaft wie vor- her. Die Tiere kamen einzeln hintereinander und in kleinen Gruppen bis 5 Stück auf einmal. Wie weit verbreitet und langandauernd der Zug gewesen 532 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 38 sein muß, geht aus Zeitungsnachrichten hervor, nach denen kleinere Libellenschwärme noch am 3. Juli zwischen Weißenfels und Zeitz beobachtet worden sind. Nach alledem muß es sich dieses Mal um ganz außerordentlich große Mengen von Libellen gehandelt haben, die an der Wanderung beteiligt waren. Die Frage nach den die Wanderungen verur- sachenden Gründen ist noch ungelöst. Nahrungs- mangel — wie bei den pflanzenfressenden Heu- schrecken — kann wohl kaum in Betracht kommen. Für unseren eben geschilderten Zug liegt die Ur- sache vielleicht in den anormalen Witterungs- verhältnissen dieses Jahres. Seit Mai lag ein Hochdruckgebiet im Osten, das mit seinen Aus- läufern bis über die Saale nach Westen sich erstreckt. Infolge der langen Trockenheit mögen im Osten viele Wassertümpel, in denen in erster Linie die Larvenentwicklung der Libellen erfolgt, ausgetrock- net sein. Möglich und wahrscheinlich wäre nun, daß die Libellen den trockenen Osten massenhaft verließen und nach dem in diesem Jahre so auf- fällig durch Niederschläge im Juni bevorzugten Westen zogen. Dafür spricht die auf der ganzen Front im Saaletal beobachtete Zugrichtung. Prof. Dr. Rabes. Einzelberichte. Geographie. Der Landzuwachs an den Küsten Schleswig-Holsteins. Unserdeutsches Vaterland ver- ändert seine Grenzen auch mitten im tiefsten Frieden. Ohne Schwertstreich und ohne diplomatische Künste verlieren wir und gewinnen wir Land nicht im Kampf gegen Menschen, sondern gegen die Natur. Sehen wir gänzlich von den Ver- änderungen unserer Küsten in der Zeitperiode des Diluviums ab, die der gegenwärtigen Ge- schichtsepoche vorausging und halten wir uns lediglich an die letztere allein, so ist doch ihr Umfang weit größer als man im allgemeinen denkt. Soweit sie sich auf die ehemaligen Eibherzogtümer Schleswig und Holstein beziehen, sind sie jüngst in einer ausgezeichneten Doktordissertation von John Breckwoldt^), einem in Göttingen durch H. Wagner trefflich geschulten Sohne seiner meerumschlungenen Heimat zusammengestellt worden, deren Ergebnis wir in dieser Zusammen- stellung vorwiegend folgen. Was zunächst die Veränderungen der Nord- seeküste in Holstein angeht, so kann man im allgemeinen annehmen, daß die Bewohner der Marschlande im Laufe des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung durch Anlage von Deichen das schon vorhandene Schwemmland, das anfangs ausschließlich als Weideland benutzt werden mußte, gegen die Übergriffe des Meeres notdürftig sichern und damit auch als Ackerland benutzen konnten. Etwa um das Jahr 1200 mögen die vorhandenen Deiche in Dithmarschen ein Marschgebiet einschließlich der Wasserflächen von etwa 290 qkm umschlossen haben, wovon auf Süderdithmarschen 175, auf Norderdithmarschen 115 qkm entfallen. In den nächsten Jahrhunderten erlitt der Nord- teil dieser Küste fortwährend Verluste, deren Größe auf mindestens 13 qkm geschätzt werden, dafür heimste aber die Küste südlich der Insel Büsum bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts nach und nach mindestens 16 qkm ein. ') Breckwoldt. Die hydrographischen Veränderungen in Schleswig-Holstein. .Abgedruckt in den Schriften des Natur- wissenschaftlichen Vereins für Schleswig-Holstein. Bd. XVI. Heft I. Kiel 1914. Über die Größe des Vorlandes in Süderdith- marschen und die dort allmählich fortschreitende Neulandsbildung sind wir besonders genau unter- richtet, weil der Staat Besitzer des Vorlandes ist und durch das Kgl. Rentamt in Marne über die Landgewinnungsarbeiten genau buchführt, die in ihrer Großzügigkeit und Zielbewußtheit ein Kuhur- teil ersten Ranges darstellen. Im ganzen sind von 1847 bis 1901 in Süderdithmarschen 12,3 qkm, in Norderdithmarschen 6 qkm neu gewonnen worden. Allein von 187S — 191 1 sind in Süderdith- marschen 1127 ha Neuland gewonnen, im Durch- schnitt also jährlich 37 ha, in den letzten 5 Jahren allein gerechnet jährlich 53 ha. In derselben Zeit betrug der Landzuwachs in Norderdithmarschen nur 176 ha, weil es in den einzelnen Gemeinden, die die Besitzer des Vorlandes sind, zumeist an Mitteln und an sachkundiger Leitung fehlt. Im 15. Jahrh. wurde in Süderdithmarschen 2 Köge mit 379 ha, im 16. Jahrh. wieder 2 Köge mit 2839 ha, im 17. Jahrh. wieder 2 Köge mit 894 ha, im 18. Jahrh. 3 Köge mit 3715 ha, im 19. Jahrh. 4 Köge mit 4556 ha, im ganzen seit etwa 400 Jahren 13 Köge mit rund 124 qkm. In Süderdithmarschen in der gleichen Zeit 15 Köge mit nur 83 qkm gewonnen. Der Gesamtgewinn an der Holsteinschen Nord- seeküste beträgt mithin 207 qkm, dem ein nachweisbarer Verlust von nur 24 qkm gegen- übersteht. Der faktische Landgewinn beträgt demnach 183 qkm, demnach 24 qkm mehr als das Fürstentum Lichtenstein einnimmt. Die Veränderungen der Schleswigschen Nordsee- küste sind im allgemeinen größer gewesen ; der Gang der Entwicklung läßt sich weniger gut verfolgen, weil bei den großen Landverlusten, welche noch in historischer Zeit dies Gebiet betroffen haben, de ahen Deiche, die sonst gute Anhaltspunkte ge- währen könnten, zerstört worden sind. Die Haupt- verluste scheinen um die Mitte des 14. Jahr- hunderts gefallen zu sein und einen Umfang von etwa 660 qkm umfaßt zu haben. Diesem Verluste standen bis Anfang der 70er Jahre in der Halb- insel Eiderstedt und auf dem Festland zwischen N. F. XVI. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 533 Husum und Hoyer 85 Neubedeichungen mit einem Areal von 544 i|km gegenüber, wozu noch auf den ehemaligen Inseln Wiedingharde, Dage- büll, Fahreloft und Ockholm ein Landgewinn von 20 qkm kam, so daß seit dem 13. Jahrhundert 564 qkm gewonnen wurden. Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts sind aber noch 108 qkm hinzugekommen, so daß der nachweisbare Ge- winn den wahrscheinlichen Verlust noch um 12 ([km übersteigt. Seit Beginn des 20. Jahr- hunderts hat man damit begonnen, die Inseln Föhr und Sylt zu Halbinseln zu machen, ein Plan, welcher für Sylt bereits zur Vollendung gediehen ist, wodurch wieder große Landstrecken eingedeicht werden können bzw. sollen, die nach dem Urteil von Kennern an Güte den besten Kogsländereien an die Seite gestellt werden können. Lassen wir diese noch in der Entstehung begriffenen Land- massen einstweilen beiseite, so verteilt sich der Gewinn in Schleswig auf die einzelnen Kreise Eiderstedt, Husum und Tondern mit je 128, 223 und 321 Quadratkilometern. In den einzelnen Jahrhunderten, in denen diese Landvermehrung erfolgte, gebührt der Löwenanteil dem 16. mit 203 qkm, dem sich das 15. mit 180 (jkm Land- gewimn anschließt, während im 14. Jahrhundert nachweisbar nur 12 qkm neu gewonnen wurden. Für die ganze schleswig-holsteinsche Nordsee- küste ergibt sich in geschichtlicher Zeit ein nach- weisbarer Landverlust von 684 qkm, das ist etwas mehr als das Gebiet der freien Städte Bremen und Hamburg zusammengenommen; 24 (]km ent- fallen dann auf Holstein, 660 auf Schleswig. Diesem Verlust steht aber ein Landgewinn von rund 880 qkm, das ist mehr als das Fürstentum Schwarzburg- Sondershausen (862), weniger als das Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt (940), gegen- über '). Sehr viel geringer sind die Veränderungen an der schleswig-holsteinschen Ostseeküste,; ein- schließlich des Fürstentums Lübeck waren bis 1879 etwa 162 qkm im ganzen durch Verlandung entstanden. In der Gegenwart und in den letzten Jahrhunderten haben sich natürliche Anlandung und Abbruch so ziemlich die Wage gehalten, während in früheren Zeiten wahrscheinlich der Landverlust überwogen hat. Im ganzen schließt Breckwoldt, daß seit der Litorinazeit die Ostseeküste, was das Areal anlangt, weder eine Verringerung noch eine Bereicherung erfahren hat, nur sei zu beachten, daß das verlorene Land meist sehr fruchtbar war, während das neu entstandene Un- land oder Weiden niedrigster Güte sei. Wirkliche Gewinne können an der Ostseeküste ') Bei Breckwoldt befindet sich ein Rechenfehler, in- sofern für Schleswig nur 564 qkm gerechnet werden. Die Zusammeniechnung aber in der chronologischen Übersicht S. 92 ft" ergibt für Schleswig 672 qkm. Übrigens hatte sich nach Wege mann „Die Veränderung der Größe Schleßwig- Holsteins seit 1230" (Zeilschr. Ges. Schlesw.-Holst. Gesch. 1915) die Fläche der Eibherzogtümer seit diesen Zeitpunkt bis 1905 um 604 qkm vergrößert. Das wäre erheblich mehr als Breck- woldt errechnet hat I nach der Meinung des Verfassers nur dann erzielt werden, wenn, wie an der Schleswigschen Nordsee- küste und in Norderdithmarschen der Staat hilf- reich eingreift und seine weitaus größeren Mittel zur Verfügung stellt, da die Gemeinden bei der Kostspieligkeit der Schutzbauten, wenn sie wirk- lich von Erfolg sein sollen, kein Interesse daran hätten, Neuland zu erhalten, sondern sich damit begnügten, das jetzige Ufer nach Möglichkeit zu halten. Bei dem heutigen Stand der Dinge ist aber nicht daran zu denken, daß der Staat auf absehbare Zeit die Mittel zur Vergrößerung der schleswig- holsteinischen Ostseeküste hergeben kann und man darf vollkommen mit der friedlichen Ver- größerung des deutschen Vaterlandes an der Nord- seeküste zufrieden sein. Prof. W. Halbfaß-Jena. Botanik. Über das Treiben von Wurzeln. Die vielen erfolgreichen Versuche, die man in neuerer Zeit ausgeführt hat, um Pflanzen zu vorzeitigem Austreiben zu veranlassen, haben sich ausschließ- lich auf das Treiben der Blatt- und Blütenknospen bezogen, während die Wurzeln dabei noch nicht in Betracht gezogen wurden. H. Molisch weist darauf hin, daß die Periodizität der Wurzelbildung noch wenig erforscht sei; namentlich wissen wir nicht, obdie Wurzeln wie die ruhenden Knospen der Bäume eine durch innere Ursachen bedingte (frei- willige) Ruhe durchmachen, oder ob sie im Winter nur deshalb nicht wachsen, weil sie dann ungün- stigen Wachstumsbedingungen ausgesetzt sind. Würde sich z. B. herausstellen, daß Zweige, die leicht Adventivwurzeln bilden, im Herbst oder Winter diese Neigung trotz günstiger Wachstums- bedingungen nicht bekunden, wohl aber, wenn sie dem Warmbad oder dem Rauch (vgl. Naturw. Wochenschr. 191 6, S. 507) ausgesetzt worden sind, so würde dies entschieden für eine freiwillige Ruhe sprechen. Solche Versuche hat nun Molisch im Herbst und Winter 1916/17 mit verschiedenen Pflanzen (Weiden und Pappeln, Philadelphus coro- narius, Viburnum opulus, P'orsythia suspensa) durchgeführt. Zum Treiben wurde teils warmes Wasser, teils Rauch von Papier oder Tabak ver- wendet. Die Behandlung mit Rauch dauerte meist 24 Stunden, das Warmbad 12 Stunden. Nachher wurden die Zweige in Wasser gestellt und im Warmhause weiter kultiviert. An so be- handelten Zweigen entstanden in der Tat die Adventivwurzeln bedeutend früher als an unbe- handelten Kontrollzweigen. Vielfach konnte etwa 14 Tage nach dem Beginn des Versuchs reichliche Wurzelbildung beobachtet werden; während die Kontrollzweige damit noch weit im Rückstande waren. Bei manchen Holzgewächsen, wie bei den Weiden, sind die Wurzelanlagen vor dem Aus- treiben in der Rinde deutlich ausgebildet, in anderen (Viburnum) konnte Moli seh sie nicht auffinden; wahrscheinlich bestehen sie nur aus einigen wenigen 534 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. Zellen. Jedenfalls ist anzunehmen, daß die Treib- stoffe auf die Wurzelanlagen, ob deutlich oder un- deutlich ausgebildet, in ähnlicher Weise wirken wie auf ruhenden Knospen. Wie bei diesen ist nach dem Ergebnis der besprochenen Versuche die Ruhe wenigstens in vielen Fällen eine freiwillige. (Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissen- schaften in Wien. Math.naturw. Kl. Abt. I, Bd. 126, 1917, S. 12.) F. Moewes. Die Pilzsymbiose der Bärlapp-Vorkeime. „Das saprophytische Prothallium von LycopodiumSelago nimmt nach den bekannten Untersuchungen Bruchmann's zuerst eine birnförmige Gestalt an und ist radiär gebaut, ringsum mit Rhizoiden versehen. Bei seinem weiteren Wachstum wird es dorsiventral, indem auf der einen Seite die Geschlechtsorgane, auf der anderen die Rhizoiden auftreten. Wie bei den übrigen Lycopodium-Arten hängt die Entwicklung des Prothalliums von einem Fadenpilze ab, der schon frühzeitig in dieses ein- wandert und in einer Anzahl von Zellen filzige Mycelmassen bildet, während er in anderen zahl- reicheren Zellen jene bläschenförmigen Anschwel- lungen hervorbringt, die als „Sporangiolen" oder „Vesikel" bezeichnet werden. Eine Verdauung des Pilzes, wie bei den Orchideen, findet nicht statt, so daß die ernährungsphysiologische Be- deutung des Pilzes für das Prothallium noch un- gewiß ist. Da aber zahlreiche Hyphen wieder auswandern und die Rhizoiden umspinnen, so dürfte er wohl die Absorptionsfunktion dieser wesentlich unterstützen. Jedenfalls ist der Pilz für das Wachs- tum und das Gedeihen des Prothalliums unent- behrlich, da dieses, wie Bruch mann gezeigt hat, ohne den Pilzsymbionten über das Fünfzellen- stadium nicht hinauskommt." Mit dieser orientierenden Darstellung leitet G. Haberlandt einen Bericht über bemerkens- werte Beobachtungen ein, die er an Bruch man n- schen Präparaten ausgeführt hat. (Beiträge zur Allgemeinen Botanik I, 1917, S. 293— 300.) Dieser Forscher hatte bereits gezeigt, daß die Auswande- rung des Pilzes nur an bestimmten Zellen, nämlich den Fußzellen der Rhizoiden vor sich geht. Die Fußzelle ist die Schwesterzelle der zum Rhizoid aus- wachsenden Zelle; die Mutterzelle beider teilt sich durch eine schräge Wand derartig, daß die dem Scheuel des Prothalliums zugekehrte Tochterzelle zum Rhizoid, die der Prothalliumbasis zugekehrte zur Fußzelle oder (wie Haberlandt sie der erwähnten Aufgabe wegen nennt) zur „Pilzdurchlaßzelle" wird. Die Außenwand der Pilzdurchlaßzelle verdickt sich um so stärker, je mehr sie sich dem Rhizoid nähert, und bildet in dessen unmittelbarer Nähe ein un- gefähr halbkugelig vorspringendes Membranpolster, durch das später die Pilzhyphen austreten. Eine eigentliche Kutikula ist nicht vorhanden; nur die oberste Lamelle der Außenwand zeigt durch schwach gelbliche Färbung mit Chlorzinkjod eine geringe Kutinisierung an, am schwächsten über dem halb- kugeligen Membranpolster. Sehr merkwürdig ist ferner, daß auch der protoplasmatische Wandbelag der Zelle an dem Punkte, wo später die Pilzhyphen in die Membran eintreten, eine ihrer Natur und Aufgabe nach noch rätselhafte linsenförmige, stark lichtbrechende Verdickung aufweist. Die Pilzhyphen durchbohren von einer subepidermalen Zelle aus die Innenwand der Durchlaßzelle und dringen in die den Zellenraum durchsetzenden Plasmafäden ein; sie sind stets von einer Plasmascheide um- geben, wie dies auch bei verschiedenen Schmarotzer- pilzen beobachtet worden ist. Die Pilyhyphen ver- zweigen sich und bilden ein den Zellkern umspin- nendes oder in seiner Nähe gelegenes Flechtwerk, von dem aus sich einzelne Hyphen gegen die verdickte Außenwand der Zelle erstrecken. Sie durchbohren sie nicht unmittelbar unter der dicksten Stelle, dem halbkugeligen Membranpolster, sondern seitwärts davon und dringen in schrägem Verlauf innerhalb der Wandung gegen das Membranpolster vor. In diesem geht nun, offenbar durch den Pilz angeregt, ein Erweichungs- oder Verschleimungs- prozeß vor sich, die zarte kutikulare Grenzlamelle wird aufgelöst, und es entsteht ein trichterförmiger Hohlraum, in den die Pilzhyphen hineinwachsen und von dem aus sie ins Freie gelangen. Nach Bruchmann verzweigen sich die ausgetretenen Pilzhyphen vielfach filzig und umspinnen das junge Rhizoid. Es ist möglich, daß der Pilz dann ähn- lich wie bei den ektotrophen Mykorrhizen für die Nahrungsaufnahme der Rhizoiden von Bedeutung ist. Vielleicht aber „wandert der Pilz nur zu Ver- breitungs- und Fortpflanzungszwecken aus, oder weil er sonst ein bestimmtes Entwicklungsstadium im Erdreich durchmachen muß. Daß das Prothallium, ohne selbst einen ernährungsphysiologischen Vor- teil davon zu haben, eigene Durchlaßzellen mit prä- formierten Austrittsstellen bildet, würde nicht ohne Analogon dastehen." Haberlandt verweist hierfür auf die birnförmig angeschwollenen Epidermiszellen von Erodium cicutarium, die die Dauersporangien des Schmarotzerpiizes Synchytrium papillatum führen und mit dünnwandigen Papillen besetzt sind, aus denen vermutlich die Zoosporen ausschwärmen; diese Epidermiszellen haben außerdem am Grunde eine dünnwandige Zone, so daß sie leicht abbrechen und zu Boden fallen, was für die Verbreitung des Pilzes von Bedeutung ist, da Erodium cicutarium die Blätter nicht abwirft. Unter den symbiontischen Anpassungserschei- nungen ist jedenfalls der Bau der Pilzdurchlaß- zellen des Prothalliums von Lycopodium Selago eine der merkwürdigsten. F. Moewes. Zoologie. Spermatozoendimorphismus. (Mit I Textfigur.) Seit H e n k i n g bei der Feuerwanze die Bildung zweier Sorten von Spermatiden entdeckte (i 891), die sich durch die Zahl ihrer Chromosomen unterscheiden — die eine Sorte besitzt ein Chromo- som weniger als die andere — , haben sich unsere Kenntnisse über die sogenannten Geschlechts- N. F. XVI. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 535 Chromosomen beträchtlich erweitert. Nicht nur bei zahlreichen Insekten, sondern auch bei Würmern, Schnecken, Krebsen, Tausendfüßlern, Spinnen, Vögeln, Säugetieren und anderen hat man Chro- mosomen gefunden, die sich von den übrigen, den Autosomen, abweichend verhalten und zu der Geschlechtsbestimmung in irgendeiner Be- ziehung stehen. Im Laufe der Untersuchungen hat man eine Reihe von Typen von Geschlechts- chromosomen — sie werden auch als Hetero- oder X-Chromosomen bezeichnet — festgestellt, und zwar ist den meisten Typen gemeinsam, daß das männliche Geschlecht ein Minus an Chromatinsubstanz gegenüber dem weiblichen aufweist. Während beim Weibchen in der Regel zwei Geschlechtschromosomen vorhanden sind, die keine morphologischen Unterschiede erkennen lassen, finden wir beim Männchen häufig nur ein Geschlechtschromosom, es fehlt diesem der Partner, oder aber es sind zwar zwei vorhanden, das eine ist indessen kleiner als das andere. Dieser ungleiche Chromosomenbestand hat zur Folge, daß bei der Samenreifung, wenn die homo- logen Chromosomen getrennt werden, zwei Sorten von Geschlechtszellen entstehen, Sperma- tozoen mit dem - Geschlechtschromosom und solche ohne dieses, oder, falls das Männchen ein ungleiches Paar besitzt, Spermatozoen mit einem großen und solche mit einem kleinen Ge- schlechtschromosom. Die Weibchen bilden nur eine Sorte von Geschlechtszellen, alle Eier er- halten ein Geschlechtschromosom. Wird ein Ei von einem Spermium mit Geschlechtschromosom befruchtet, so erhalten wir wieder die für das weibliche Geschlecht charakteristische Chromo- somengarnitur, es entsteht ein Weibchen ; dringt ein Samenfaden ohne Geschlechtschromosom oder mit einem kleinen in das Ei ein, so re- sultiert die männliche Garnitur, es entsteht ein Männchen, und da beide Sorten von Spermatozoen in gleicher Zahl vorhanden sind, so werden im allgemeinen Weibchen und Männchen in gleicher Zahl aus den Eiern hervorgehen. Die Existenz zweier Sorten von Spermatozoen stellt man in der Regel durch Untersuchung der Samenreifung fest. Sobald die beiden Reifungs- teilungen abgelaufen sind, ballen sich die Chro- mosomen zusammen, und als stark verdichtete Masse geht das gesamte Chromatin in den Kopf des funktionsfähigen Samenfadens über. Nur in ganz wenigen Fällen läßt sich auch im reifen Samenfaden die Chromosomenzahl noch fest- stellen, so bei dem in der Forelle lebenden Ne- matoden Ancyracanthus cystidicola, der wohl das schönste Objekt der Heterochromosomenforschung darstellt, da man bei ihm die ganze Chromosomen- geschichte vollständig einwandfrei und ohne allzu große Schwierigkeiten verfolgen kann. Zeleny, Faust und Senay^) haben nun geprüft, ob sich nicht auch bei den Formen mit normalen, d. h. fadenförmigen Spermien ein Dimorphismus nachweisen läßt. Bei den Samen- fäden, die ein Minus an Chromatinsubstanz ent- halten, ist, so durfte man von vornherein an- nehmen, der Kopf wahrscheinlich kleiner als bei den anderen. Da aber der Ouantitätsunterschied häufig minimal ist, so stehen, wie ebenfalls vor- auszusehen war, dem mikroskopischen Nachweis des Dimorphismus große Schwierigkeiten ent- gegen, zumal da bei derartigen mikroskopischen Messungen noch zahlreiche Fehlerquellen zu be- rücksichtigen sind. Bei möglichster Vermeidung dieser Fehlerquellen gelang es indessen den Ge- nannten doch, zu positiven Resultaten zu kommen. Sie untersuchten die Spermien von 22 Spezies, hauptsächlich Insekten, außerdem aber auch von mehreren Wirbeltieren, insgesamt wurden nahezu 22000 Samenfäden gemessen. Zur Untersuchung wurden fast ausschließlich Formen gewählt, deren Samenreifung bereits bekannt ist. Formen, bei denen man aus der Samenreifung die Existenz Weibchen- und männchenbestimmender Sperma- tozoen erschlossen hat. Gemessen wurde die Länge des Kopfes der Samenfäden. Bei fast allen untersuchten Spezies ließen sich auf diese Weise zwei Gruppen von Spermien feststellen. Zwar wird offenbar die Länge des Kopfes nicht aus- schließlich durch das in ihm lokalisierte Chromatin- quantum bestimmt — irgendwelche äußere Fak- toren beeinflussen die Länge ebenfalls in geringem Maße — , aber daß tatsächlich zwei Sorten von Spermatozoen vorhanden sind, von denen jede eine gewisse Variationsbreite zeigt, dafür ist das Bild der Variationskurve ein genügender Beweis: in der Mehrzahl der Fälle ist die Variationskurve deutlich zweigipfelig, gibt also eine Population wieder, die sich aus zwei Genotypen zusammen- setzt. Eine Variationskurve, die sich durch be- sondere Regelmäßigkeit auszeichnet, ist neben- ') Zeleny, Ch. and Faust, E. C, Size dimorphism in the spermatozoa from Single lestes. Journ. of exper. Zoöl., Vol. 18, 1915. Zeleny, Ch. and Senay, C. T., Variation in head Icngth of spermatozoa in seven additional species of insects. Journ. of exper. Zoöl, Vol. 19, 1915. Stehend abgebildet. Sie wurde gewonnen durch Messung von 500 Spermatozoenköpfen von Corizus lateralus, einer Wanze, die nach den Untersuchungen Montgomery's Spermatiden mit 7 und Sperma- tiden mit 6 Chromosomen bildet. Die Länge der Spermatozoenköpfe variiert bei dieser Art zwischen 23,0 und 32,6 ((, jedoch sind zwei Maxima nach- weisbar, eines bei 27,1 ,(/, das zweite bei 29,5 /(. Beide Maxima sind ungefähr gleich stark; dem 536 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr; 38 einen gehören 54, dem anderen 45 Samenfäden an. Die dem ersten Maximum zugehörigen Spermien besitzen aller Wahrscheinlichkeit nach 6, die dem zweiten zugehörigen 7 Chromosomen. Da die Variationskurven der beiden Sorten sich schneiden, so läßt sich für die Spermatozoen mittlerer Größe nicht entscheiden, welcher Gruppe sie angehören; die kleinsten Samenfäden der chromatinreicheren Sorte können ebenso groß sein wie die größten Samenfäden der chromatin- ärmeren Sorte. Immerhin eröffnet die Feststellung des Spermatozoendimorphismus die Möglichkeit, bei besonders günstigen Objekten eine Selektion der extremsten Varianten vorzunehmen, vielleicht auch, eine der beiden Sorten in bestimmter Weise zu beeinflussen, um das Geschlecht der Nach- kommen nach Belieben zu bestimmen. Das Experimentum crucis zu diesen Unter- suchungen ließe sich leicht dadurch machen, daß man die Spermatozoen bei einer .Spezies unter- sucht, von der wir wissen, daß sie nicht zwei Sorten von Samenfäden, sondern zwei Sorten von tiern bildet. Dieser Modus der Geschlcchtsbc- stimmung scheint zwar relativ selten vorzukommen, jedoch sind uns bereits mehrere Beispiele dafür bekannt (z. B. die Schmetterlinge). Ist die aus den oben besprochenen Ergebnissen gezogene h'olgerung richtig, so muß bei einer Art mit zwei Sorten von Eiern die Variationskurve der Sperma- tozoenköpfe eingipfelig sein. Nachtsheim. Variationskurve der Kopflängen von 500 Spermatozoen von Corizus lateralus. (Nacli Zeleny und Senay.) Längein/» 23,0 23,3 23,7 24,0 24,4 24,7 25,0 Häufigkeit 4 6 7 7 5 7 II Länge in /( 25,4 25,7 26,1 26,4 2f),7 27,1 27,4 Häufigkeit II 11 13 20 27 54 32 Längein// 27,8 28,1 28,4 28,8 29,1 29,5 29,8 Häufigkeit 20 21 17 19 28 45 30 Längein».. ..30,1 30, ■; 30,9 31,2 31,6 31,9 32,3 Häufigkeit .... 15 12 10 7 S 4 5 Länge in " .... 32,0 Häufigkeit 5 Anregungen und Antworten. Herrn Dr. R. : Gibt es ein Werk — wenn möglich mit Abbildungen — um die Blattminierer .in der Hand der Figuren der Fraßgänge zu bestimmen? Es gibt 2 brauchbare Bestimmungsbüchcr über Blatt- minierer, soweit diese bisher aus den Minen gezüchtet worden sind : 1. C. G. A. Brischke, Die Blattminierer in Danzigs Umgebung. In: Schriften der Naturforschenden Gesellschaft in Danzig. Neue Folge. V. Bd. 1./2. H. l88l. (ohne Abb.). 2. Linnaniemi, Zur Kenntnis der Blattminierer Finn- lands. In; Acta Societatis Fauna et Flora Fennica. Bd. 37 Nr. 4. Helsingfors 1913. Außerdem finden sich noch einige gute .\bbildungen über Blattminierer in: Arnold Spuler, Die Schmetterlinge Europas. I. Bd. Stuttgart 1908. H. W. Frickhinger. Herrn J. K. in Lemberg. Zwergwuchs bei Pflanzen kann zweierlei grundsätzlich verschiedene Ursachen haben. Man kann nämlich einmal erblichen Zwergwuchs unterscheiden, der auf inneren, durch äußere Einwirkungen nicht weiter zu ver- ändernden Ursachen beruht. Solche Zwergsippen, wie sie bei vielen Ptlanzenarten beobachtet werden, entstehen nicht infolge ungünstiger Wachstumsbedingungen, können demgemäß auch nicht durch eine bestimmte Zuchtmethode hervorgerufen werden, ebensowenig wie es gelingt, sie etwa durch besonders günstige Kultur zu höherem Wüchse zu veranlassen. Sie bleiben klein, ebenso wie auch ein menschlicher Zwerg klein bleibt trotz bester Pflege. Auf ganz andere Art entstehen die Kümmerformen, wie man diese Art von Zwergen nennen könnte. Sie bleiben klein und kümmerlich infolge ungünstiger Wachstumsbedingungen, also infolge mangelnder Feuchtigkeit, unzureichender Nahrung, sclilcchter Behandlung wie meinet- wegen dauernd wiederholten Wildverbisses oder Erfrierens, würden aber in gute W^achstumsverhältnisse zurückversetzt, bald zu normalem Gedeihen zurückkehren. Auch würden ihre Samen, wenn sie bei sorgsamer Pflege zur Entwicklung gebracht werden, wieder Pflanzen ganz normaler (iröße geben. Zu dieser letzteren Art von Zwergen gehören nun auch nach den Nachrichten, die wir darüber besitzen, die merk- würdigen Zwergkoniferen, die die Japaner züchten. In kleinen Blumentöpfen ziehen sie Kirsch-, .\horn-, Pflaumenbäume und namentlich Koniferen, die trotz geringer, meist kaum einen Meter erreichender Höhe uralt sind. Ganze Generationen von Gärtnern sind tälig gewesen, etwa um die 100 — 300 Jahre alten Koniferenbäumchen heranzuziehen, die wir hier und da auch bei uns bewundern können. Sie wählen möglichst kleine Samen aus, pflanzen diese in möglichst kleine Töpfe mit ma- gerer* festgestampfter Erde, begießen sie so selten wie möglich, kurz halten die Pflanzen gerade auf der Grenze zwischen Leben und Sterben. Außerdem werden die Zweige häufig zurückgeschnitlen, auch wohl gewaltsam gebogen, gedreht, geringelt, die Hauptachse wird entfernt, so daß sich nur Seitenzweige entwiclseln können : auch die Hauptwurzel wird abgeschnitten, oder es wird das Wurzelsystem von Erde ent- blößt und so gewissermaßen zu einem Teil des Stammes ge- macht. Ganz grotesk werden vollends solche Zwerge, wenn sie noch durch künstliches Verbiegen der Zweige in ganz be- stimmte Formen gepreßt werden. So sah Molisch, in dessen Buche ,,Pflanztnphysiologie als Theorie der Gärtnerei" (Jena, G. Fischer, Preis 10 M.) Sie manche weitere Belehrung finden, in Yokohama Pflanzen, die die Gestalt eines Storches, einer Ente, eines Hasen, einer Schildkröte, ja eines Radfahrers hatten. Falls Sie selber sich auf die Zucht von Zwergkoniferen legen wollen, müssen Sie mit der entsagungsvollen Aussicht rechnen, die Früchte ihrer Züchtertätigkeit selber nicht mehr zu erleben. Miehe. Inhaltl K. Schutt, Kiistallstruktur und Röntgenstrahlen. (13 Abb.) S. 521. — Kleinere Mitteilungen: II. Epstein, Mineralogische Beobachtungen während einer Ferienreise ins Wallis im Juli 1917- S. 529. Franz, Nesselfasergewin- nung. S. 530. Schumacher, Samenverschleppung durch die Feuerwanze (Pyrrhocoris apterus L.). S. 531. Rabes, Wandernde Libellen. S. 531. — Einzelberichte: W. Halbfaß, Der Landzuwachs an den Küsten-Schleswig-Holsteins. S. 532. Molisch, Über'das Treiben von Wurzeln. S. 533. Haberland t. Die Pilzsymbiose der Bärlapp-Vorkeime. S. 534. Zeleny, Faust und Senay, Spermatozoendimorphismus. (1 Abb.) S. 534. — Anregungen und Antworten: Blattminierer. S. 53Ö. Zwergwuchs bei Pflanzen. S. 536. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 30. September 1917. Nummer 39. Untersuchungen mit der Wünschelrute. [Nachdruck verboten.] Prof. Dr. E. Hennig. Mit I Abbildung. Die segensreiche Wirkung dieses Volkskrieges, alle Bevölkerungsschichichten und Berufsklassen miteinander in Berührung gebracht zu haben, wird vielleicht erst in der Zukunft voll zu- tage treten. Auch das Wünschelrutenproblem darf eine Förderung dadurch erwarten. Es ist ja erstaunlich; Seit Jahrhunderten ist das geheimnis- volle Werkzeug in Gebrauch ; seit Jahrzehnten schwillt — zeitweise fast bedrohlich — die Flut der Literatur über diese Frage; Zeitschriften und Vereine sind ihr allein gewidmet. Wer aber jetzt Gelegenheit hatte, zu beobachten, hat feststellen können, daß ein ganz verschwindend kleiner TeiJ der Bevölkerung aus eigener Anschauung seine Vorstellungen von der Wünschelrute bisher ge- bildet hatte. Daß aber, wenn wir das wundersame Geheim- nis lüften wollen, einzig Beobachtungstatsachen vorerst uns nottun, legte ich in Nr. 19 laufenden Jahrgangs dieser Zeitschrift ') bereits dar und kündigte dort auch meinen bescheidenen Beitrag zu dieser Materialsammlung an. Ich darf sagen, daß ich mit genügender Skepsis nicht nur an das Problem herangegangen bin, sondern ihm noch jetzt gegenüberstehe. Manches aber, was ich für Skepsis hielt, habe ich ehrlicherweise als Vor- urteil erkennen und fallen lassen müssen. Mir scheint, als sei neuerdings auch anderwärts manch trennende Schranke gefallen, die der Wissenschaft den Zutritt zu einer Erkenntnis verwehrte. Das Problem ist da! Es heißt sich mit ihm auseinander- setzen. Meine hier zur Kenntnis des weitesten Interessenkreises gestellten Untersuchungen habe ich zum allergrößten Teile angestellt mit dem be- rufsmäßigen Rutengänger und „Quellensucher" Herrn Matthias Leisen aus Dasburg, Kreis Prüm. Vorweg zur Ausschaltung einiger noch bestehender irreführender Mißverständnisse: I. „Die Wünschelrute", worunter meist ein Gabelzweig der Weide, Erle oder Haselnuß ver- standen wird, zeigt nicht Wasser, Kohle, Petroleum, Erze usw. an, also lauter Stoffe, deren einzige gemeinsame Eigenschaft in ihrem zufälligem Werte für den Menschen besteht. Das wäre physikalisch von vornherein in allerhöchstem Maße verdächtig und würde ihr selbst, wie Salomon'') wirklich meinte, jeden Wert nehmen, da man ja nie mit Sicherheit wüßte, welcher Stoff im Einzelfalle nun die Ursache des Ausschlags wäre. Vielmehr kennt ') E. Hennig, „Zum Problem der Wünschelrute" S. 251. '^) VV. S a 1 o m o n , „Über einige im Kriege wichtige Wasser- verhällnisse des Bodens und der Gesteine". Oldenbourg, München-Berlin 1916, S. ^8. der berufsmäßige Rutengänger seit längerer Zeit sehr verschiedenartige „Ruten" oder „Gabeln" aus allerhand Metallen und mit mancherlei unterein- ander deutlichst abweichenden Reaktionen. Die verschiedenen Stoffe und Vorkomm- nisse ergaben also auch wirklich ver- schiedene Wirkungen. 2. Der menschliche Körper ist bei dem üblichem Vorgang lediglich das Medium, das die Übertragung dieser Wirkungen auf das Werkzeug vermit- telt; will sagen: er erzeugt nicht bewußt oder unbewußt, willkürlich oder unwillkürlich mittels der Muskeln') eine Eigenwirkung, er übersetzt nicht eine fremde Einwirkung in eine neue eigene, sondern leitet nur. 3. Der Ausschlag der Wünschelrute ist nicht ein einfaches Sich-Senken, sondern besteht in einer Drehung, die abwärts oder aufwärts in äußerst verschiedenem Maße, bis zu mehreren Kreisbewegungen, vor sich gehen und von bedeutender Heftigkeit sein kann. 4. Es ist nicht einfach das Grund- wasser als solches, das einen Ausschlag bedingt, sondern offenbar Strömungen innerhalb desselben. Solche — mehr vom geologischen Gesichtspunkte interessanten als brunnenbautechnisch wichtigen — Strömungs- linien sind unter den „Wasseradern" der Wünschelrutengänger zu verstehen in Gebieten, wo ausgedehnte Grundwasserspiegel nach Maß- gabe der geologischen Verhältnisse allein in Frage kommen. Mit letzterer Feststellung hatte ich in einem „Nachtrag" in meinem oben erwähnten ersten Hin- weise in dieser Zeitschrift geschlossen. Ich knüpfe dort wieder an. Schon V. Linstow hatte an dieser Stelle-) in einem früheren Jahrgange einen darauf hin- deutenden Beitrag geliefert: In diluvialem Boden waren von verschiedenen Rutengängern unabhängig voneinander gleiche Linien angegeben worden, an die allein das Grundwasser selbstverständlich nicht geknüpft sein konnte, die aber doch irgend- eine physikalische Bedeutung haben mußten. Ich 'jSalomon I.e. S. 36/37 und Generalarzt Dr. Meisner: „Zur Krage der Wünschelrute" in „Der Tag" vom 11. Mai 1907. ■^) V. Linstow; Ergebnisse von Grundwasserfestslellungen mittels der Wünschelrute. Diese Zeitschr. 1916, S. 161 — 164. Dieser Beitrag ist in wenig schöner Weise von einem Ver- fechter der Wünschelrute durch einseitig entstellende Wieder- gabe, Beiblatt „Die Wünschelrute" der Zeitschr. „Das Wasser" 1916, ausgenutzt worden. Es ist kein Wunder, wenn solche „Freunde" der Sache nur schaden, der sie zu dienen meinen. §38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 39 stellte nun an weitentfernten Orten im nord- europäischen Diluvium folgendes fest : In oberem Geschiebemergel hatte man innerhalb eines Ge- bäudes, um Wasser zu erschließen, einen Schacht etwa 17 m tief getrieben. Das war unzweckmäßig, einmal weil der Lehmboden natürlich kein Wasser hergab, sondern weil unter ihm artesisch gespanntes Wasser lag, das beim Anschneiden die in der 1 iefe Arbeitenden hätte gefährden können. Ein Wünschel- rutengänger bezeichnete die Stelle als nahezu aus- sichtslos, weil die Gabel dort keinen Ausschlag gab. Wohl aber zog eine jener im Diluvium durch- aus häufigen sog. „Adern" in etwa 6 m Entfernung durch das gleiche Gebäude. Unter normalen Verhältnissen hätte man dort einen Brunnen nieder- stoßen lassen können. Die Überzeugung, es mit einem ganzen Grundwasserhorizont zutun zuhaben, der auch an anderer Stelle anzutreffen sein mußte, hätte natürlich keinen stichhaltigen Gegengrund abgegeben. Hier aber war Zeit und Arbeit zu sparen, wenn am Grunde des schon fertigen Schachts weiter gebohrt würde. Tatsächlich wurde dann hier auch der Wasserbedarf nach wenigen Metern völlig gedeckt. Nunmehr setzte ich den Ruten- gänger ein zweites IVIal an. Wie sich durch deut- lichste Ausschläge einwandfrei herausstellte, hatte die vorher einigermaßen gradlinige „Ader" jetzt eine scharfwinklige Ablenkung zu dem Brunnen hin erfahren und ging von dort weiter unterhalb wieder in ihren alten Lauf zurück. Durch die Wasserentnahme und Spiegelsenkung war eine durch and ere Verhält nisse be- dingte Strömungslinie innerhalb des Grundwassers abgelenkt worden. So stehen alle Brunnen, wenn man sie daraufhin untersucht, auf „Wasseradern"; fast regelmäßig aber haben sie sie selbst nicht geschaffen oder wenigstens an sich gezogen. Für den praktischen Wert der Wünschelrute ist daraus also gewiß zu- nächst noch wenig zu entnehmen. Die vermeint- lichen „.'\dern" bestehen in lockeren Erdarten nicht, wenigstens nicht so, wie man sie sich in geologisch nicht geschulten Kreisen vorzustellen pflegt. Andererseits besteht natürlich kein Be- denken, einen Brunnen gerade innerhalb der mittels Rute aufgesuchten Strömungslinie zu errichten; unter Umständen wird dort das Wasser sogar etwas reichlicher und von besserer Qualität sein. Ich stelle dieses Beispiel voran, um zu zeigen, in welcher Weise Geologie und Wünschelrute einander in friedlichem Zusammenarbeiten ergänzen können, statt einander in fruchtloser Fehde gegen- überzustehen. Ausführungen, wie sie O. Edler von Graeve noch in allerjüngster Zeit ') wieder beliebt, können durch ihren unerquicklichem Ton die Sache nicht fördern. Die törichten IMethoden und das widerlich feuchte Niveau innerpolitischer Partei-Diskussionen oder Zeitungsartikel mögen ») ü. Edler von Graev e -Gernrode (Ostharz): „Wün schelrute und Geologie". Beiblatt „Die Wünschelrute-' vor 5. Mai 1917, Nr. 13 in „Das Wasser" Leipzig. einem Phänomen erspart bleiben, das uns tief in die Wunder der Natur hineinzuführen geeignet ist und streng wissenschaftlichen Eifer in höchstem Maße verdient. Gefehlt worden ist gewiß auf beiden Seiten. Mir liegt in Ergänzung des vorigen Bei- trags daher auch zunächst der Nachweis ob, daß das Phänomen überhaupt außerhalb der Einbildung oder des Aberglaubens besteht, daß es nicht mehr einfach abzuleugnen oder leichthin als unbedeutend zu bezeichnen ist. Beobachten wir den genannten Leisen bei einer Untersuchung: Wird in einem angegebenen Stück Erde Wasser gewünscht, so überschreitet er es in verschiedenen Richtungen mehrmals bedächtig, die Naturgabel, wie im vorigen Bericht beschrieben, wagerecht vor sich in Händen haltend. Hier und dort ergeben sich mehr oder minder heftige Aus- schläge nach unten. Es sind die Stellen, an denen jene Linien überschritten werden. Welch Punkte zu ein und derselben Linie gehören, läßt sich bald durch Abschreiten feststellen. Denn jedes Ab- weichen von der Linie macht sich durch Be- ruhigung der Gabel schnell kenntlich. Zugleich ist dabei die Strömungsrichtung zu erkennen: gegen den Strom ist die Wirkung ein gut Teil stärker als abwärts. Schon das kann für den Geologen gelegentlich neu und von Bedeutung sein. Leisen, der die geologischen Gesichts- punkte nach Möglichkeit nicht außer Acht läßt, verfolgt die Strömung nach ihrer Herkunft, um auf diese Weise sicher zu gehen, daß das Wasser nicht oberhalb durch Aborte, Jauchengruben u. dgl. verunreinigt ist, ehe er einen Brunnen empfiehlt. Nunmehr greift er — es kann auch unmittel- bar damit begonnen werden — zu einer magne- tisierten Stahlgabel (diese künstlichen „Gabeln" haben etwa Lyra-Form). Je nachdem er die beiden Enden auf die linke und rechte Hand verteilt, zeigt diese auf Wasser nach unten, auf Metalle nach oben bzw. umgekehrt. Bei anderen Medien, die ich sah, hatte dasselbe Instrument nicht das gleiche Unterscheidungsvermögen. Eine Messing- gabel reagiert bei Leisen meist auf Metall, nicht auf Wasser und zwar durch Ausschlag nach oben. Sie kann vermöge ihrer dieser Eigenschaften dazu benutzt werden, um stärkere Eisenhaltigkeit des Wassers anzugeben. Bei den Metallgabeln ist übrigens die Wirkung wesentlich gesteigert und äußert sich durch mehrmalige Kreisbewegungen, falls kein Widerstand seitens des Trägers erfolgt. Da aber für den Körper des Trägers offenbar unangenehme Empfindungen damit verbunden sind, die mit dauernder Übung sich vermutlich wie auch die canze Leitfähigkeit steigern, ist Leisen unter lebhaft er Erregungdes ganzen Körpers') fortwährend bestrebt, die Gabel in die ursprüngliche Bewegung zurück zu zwingen. Längere Versuche erschöpfen ') Anfangs glaubt der Zuschauer wohl an absichtlich übertriebenes Spiel, doch kann ich nach Vergleich verschiedener Medien und Aussagen auch der kritischsten und selbst noch zweifelnden nur bestätigen, daß diese sichtbare Wirkung durch- aus ungewollt ist. N. F. XVI. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S39 dann auch den Betreffenden ganz zweifellos und erregen die Nerven in hohem Maße. Zur Ermittelung der Tiefe bedient er sich einer Kupfergabel. Sie hat das seltsame Vermögen, schon wesentlich früher zwei deutliche Ausschläge zugeben. Diese entsprechen der unteren und oberen Grenze der Wasserschicht, deren Mächtigkeit damit zugleich ermittelt wird. Das Verfahren ist nicht neu: b — c sei die Breite der Wasserströmung, a ihr Mittelpunkt. So schlägt die Gabel in dieser ganzen Strecke aus, über a aber im Maximum. Nähert sich nun der ganze Träger der Kupfergabel von ferne, so zeigt sie im Gegensatz zu anderen be- reits eine starke Einwirkung bei d bzw. d' und e bzw. e'. Nach allgemeiner Angabe wäre nun da = ^ga und ea = J-fa, wobei f die obere, g die untere Grenze des Wasserhorizontes darstellt, also zugleich auch de gleich der halben Mächtigkeit des Grundwassers. Man sieht, daß hier bereits wieder neue Kräfte die Hand im Spiel hahen. Ich enthalte mich aber auch dabei zunächst aller unbewiesenen Annahmen über Oberflächenspan- nung und was dergleichen mehr sein mag. Um so wichtiger scheint mir die Tatsache, daß die Ausschläge bei d und e bzw. d' und e' ausschließ- lich erfolgen, wenn der Rutengänger senkrecht auf die Stromrichtung zugeht! Dreht er sich auf diesen Stellen im Kreise, so verschwindet die Einwirkung augenblicklich. Damit ist ihnen auch die Zugehörigkeit der jeweiligen „Ader" ge- geben, die bei dichterem Lager derselben fraglich bliebe. Ich will nicht verschweigen, daß ich be- züglich der Tiefenangaben noch keine hinreichen- den Nachprüfungen habe anstellen können und zunächst höchstens an Annäherungswerte glauben möchte, die ja unter Umständen aber schon ge- nügen dürften und wichtig sein könnten. In einem Falle, wo nach geologischer Beurteilung Wasser in 2— 4 m Tiefe zu erwarten war, wurden 8 — 14 m durch die Rute ermittelt. Eine Grenze der Tiefen- ermittlung mittels Wünschelrute ist mir bisher nicht bekannt geworden. Das alles sind dem Wünschelrutengängern längst geläufige Tatsachen und Methoden (s. d. Abweichung in der Tiefenermittelung in meinem vorigen Bericht). Durch Ableugnen schafft sie niemand aus der Welt. Ich bin oft genug Zeuge gewesen, um mit einem vorhandenen, im höchsten Maße fesselnden Phänomen zu rechnen, daß seiner Erklärung noch vollständig harrt. Das die Mus- kulatur nicht im Spiele ist, haben Arzte dabei festgestellt; es ergibt sich aber mit aller Sicherheit vor allem daraus, daß die Holzgabel sich zwischen den Händen vollständig durchdrehen und dabei neben der festhaltenden Hand brechen kann. Eine bloße Senkung der Spitze nach unten oder ein leichtes Aufrichten kann natürlich durch einen leichten Druck oder durch bloßes Ermüden der Hand ebenfalls bewirkt werden. Es ist klar, daß auf Ausschaltung solcher Fehlerquellen volle Auf- merksamkeit gerichtet wurde. Seltsam bleibt, daß die Einwirkung auf die Gabel im allgemeinen nur in senkrechter Richtung über dem Gegenstand erfolgt. Wenn sie bis zu 20, 30 und mehr m möglich ist, sollte man sie allgemein auf der Oberfläche über einem derartigen Strom auch in etwas größerer Entfernung erwarten. Tatsächlich kann die Reaktion auch allmählich während der Annäherung erfolgen. Dennoch wird der Ruten- gänger über die eigentliche Breite des Haupt- wirkungsfeldes und damit der Strömung kaum in Zweifel geraten. Individuell sind die Erscheinungen und demgemäß das Ermittlungsverfahren recht verschieden. Das trifft nun vor allem beim Aufsuchen anderer Körper als Wasser zu. Mit aller wünschenswerten und bei den ersten Versuchen geradezu verblüffen- den Sicherheit fand Leisen unter Holz, in Koffern und Taschen, in der Gartenerde versteckte und vergrabene schwerere Metallteile, z. B. auch Blindgänger. Bekanntlich ist nämlich gerade die letztere Fähigkeit von Rutengängern seitens des Militärs praktisch verwendet worden. Leisen erhielt indessen einen entsprechenden Ausschlag auch bei Findlingsblöcken, die nur Spuren oder überhaupt keine metallischen Beimischungen enthielten. Der Verdacht, daß sich schon Dichtig- keitsunterschiede bemerkbar machen könnten, scheint in den auch von Salomon zitierten B e h re nd 'sehen Versuchen seine Bestätigung zu finden. Demgemäß wäre auch hierbei eine prak- tische Anwendung beim Muten auf Erze vorder- hand wohl nur im Beisein des Geologen möglich, der seinerseits wieder eine wirksame Unterstützung erführe. Nur bezüglich eines Edelmetalls habe ich Experimenten bislang beiwohnen können : zunächst scheinen sie wieder ans Fabelhafte zu grenzen. Es wohnt ihnen aber, will mir scheinen, eine nicht unbeträchtliche praktische Bedeutung bei. Die Wünschelrute vermag nämlich den größeren oder geringeren Goldgehalt von Schmuck- stücken,Ringen usw.durch entsprechend starken oder geringen Ausschlag festzustellen ! Ich habe mehrfach dem Vorgange beigewohnt: Leisen dreht sich vorsichtig, das Ende seiner Kupfergabel dicht aber ohne Berührung über dem zu unter- suchenden Gegenstande haltend, um demselben 540 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 39 herum, nachdem vorher festgestellt ist, daß nicht irgendwelche andere Einwirkungen an dem Orte haften. Sobald die Gabel dabei in die N-S-Rich- tung kommt, erfolgt je nach der Menge des Gold- gehalts der Ausschlag nach unten, und zwar von N her merklich stärker als von Sl Auch hier also wie bei Ermittlung der Wassertiefe (und an- geblich auch beim Aufsuchen von Petroleum) Gebundensein der Wirkung an eine bestimmte Richtung, die in diesem Falle aber konstant ist und ofienbar mit der magnetischen Polarität des Erdkörpers in Verbindung zu stehen scheint. Wieder aber enthalte ich mich alier Zusätze. Die wundersame Erscheinung sei anderwärts erst nach- geprüft und wird hoffentlich ihre Deutung im Zu- sammenhang des Ganzen dereinst erfahren können. Bezüglich Kohlen, Petroleum, Kali usw. enthalte ich mich jeder Meinungsäußerung, solange mir nicht eigene Beobachtungen zur Verfügung stehen. Daß aber nach den Berichten weiteren Möglichkeiten Tür und Tor geöffnet sind, wird nicht von der Hand zu weisen sein. Dagegen habe ich ncch eins zu erwähnen. Die Wünschelrute gibt uns da vielleicht die härteste Nuß zu knacken. Ich würde verstehen, wenn Leser, die den Vorgang noch nicht gesehen haben, sich ungläubig von meinem Bericht abwenden würden. Die Wünschelrute gibt in Leise n's Hand und vermutlich auch bei anderen Medien mit staunenswertem Maße von Genauigkeit selbst am menschlichen Körper Stellen von anormaler Beschaffenheit an. Rheumatische oder gichtische Schmerzherde, Brüche, Gewebe- störungen, Herz- Lungenfehler u. dgl., Verwun- dungen usw. (auch dann, wenn kein Geschoßteil im Körper steckt) errät sie durch die volle Kleidung, Gipsverband, Decken u. dgl. hindurch. Sie vermag so genau zu lokalisieren, daß ich mir von diesem Zweige ihrer noch geheimnisvollen Fähigkeiten vielleicht den meisten Nutzen ver- sprechen möchte und die Ärztewelt bereits auf- merksam gemacht habe. In gewissen engen Grenzen könnte sie die Röntgenphotographie zu ersetzen imstande sein. Die Diagnose hat selbst- verständlich die Aufgabe des Arztes zu bleiben, damit sich hier nicht ein Kurpfuschertum ent- wickelt und Nutzbringendes zum Verderben ge- staltet. Ich habe so zahlreiche Fälle gesehen, daß auch hier für mich nur die Erklärung, nicht das Bestehen des Phänomens noch eine offene Frage ist, freilich eine solche von allerhöchstem Inter- esse. Indem das Gabelende in geringer Entfernung über den menschlichen Körper hingeführt wird, erfolgt senkrecht über der schadhaften Stelle ein Ausschlag von zuweilen außerordentlicher Stärke. Der Rutengänger wird davon nicht weniger an- gegriffen als vom Aufsuchen des Wassers oder Erzes. Mir will sogar scheinen, als ob das Instru- ment hierfür allzu feinfühlig wäre. Jahrelang zurückliegende Störungen und sehr unwesentliche Dinge geben zuweilen starke Ausschläge. Die Rute ist in allen P'ällen nicht unbedingt erforderlich, sondern übersetzt lediglich. die Einwirkung ins Sichtbare (wie gesagt, nicht etwa auf dem Umwege über die IVIuskulaturI). Soweit das Wasser in Frage kommt, ist eine Empfindung dafür empfänglicher Personen be- sonders an P'üßen und Händen bereits oft erwähnt. ') Mir erzählte ein Hauptmann, er habe sich ein Häuschen gebaut, konnte keinen Schlaf finden, stellte mittels der Rute eine Wasserader unter dem Hause fest, verlegte es danach seitlich und schlief seitdem wieder normal! Am menschlichen Körper habe ich den Erfolg wieder selbst be- obachtenkönnen: Leisen fährt mit ausgestrecktem Arm und Fingern ebenfalls in geringer Entfernung an seinem Gegenüber hin und gibt nach einem gewissen Gefühl in den Fingerspitzen richtig die Stellen, an, in denen sich Schädigungen finden. Aber auch der , .Patient" selber kann unter Um- Umständen im gleichen Augenblick eine ihn über- raschende Empfindung verspüren. Autosuggestion kann das nicht allein erklären, wie ich an folgendem Fall ersah; Leisen stand hinter einem Herrn und fuhr in angegebener Weise längs dessen Rücken hin. Der Betreffende, der nichts von den Bewegungen sehen konnte, zuckte zusammen, als Leisen immer in der Entfernung einiger Zenti- meter an die rechte Schulter kam, in der der Herr eine Verwundung hatte. Wieder enthalte ich mich jeder Erklärung. Die Frage ist dafür noch nicht reif. Mit Phrasen wie Nervenfluidum, Strahlung, tierischer Magnetis- mus, und dergleichen ist das Rätsel höchstens mehr oder minder zweckmäßig getauft, ohne seiner Auflösung ein Deut näher gerückt zu sein. Ob Elektrizität oder Magnetismus in der uns be- kannten Form eine Rolle spielen, lasse ich dahin- gestellt, obwohl ich von zwei Medien an je einer Hand gefaßt und die Gabel haltend einen feinen elektrischen Strom durch die Hand zu verspüren glaubte. Die Kreisbewegung der Rute fällt m. E. völlig aus dem Rahmen dessen heraus, was wir unter den Wirkungen jener beiden Kräfte kennen. Ob eine oder mehrere noch unbekannte Kräfte mit jenem verwandt oder nicht im Spiele sind, das sind Fragen an künftige Forschungen. Eine gewisse magnetische Veranlagung der Medien scheint bereits durch verschiedenes Verhalten rechts und links festgestellt zu sein. Was ich von Leisen's magnetischer Gabel berichtete, gehört wohl auch dahin. Doch ermangle ich in dieser Frage wieder ausreichenden Beobachtungsmaterials. Nur erinnert sei in diesem Zusammenhange nochmal an die eigenartige Rolle der N-S Richtung bei den Untersuchungen auf Goldgehalt. ') Vgl. hierzu die mir zurzeit noch Dicht bekannte Studie von Joh. Schreiber: „Altes und neues von der Wünschelrute". Körner'sche Buchhandlung, Erfurt. 30 Pf. Gänzlich' verkehrt ist die Bezeichnung dieser Fähigkeit als „Hellsehen", so z. B. in „Die Wünschelrute" Nr. 10, 5. IV. 17 und anscheinend in dem dort besprochenen mir nicht zugäng- lichen Buche „Das Empfindungsvermögen der Materie" von K. Huter (Arminius-Verlag, Leipzig 1909J. N. F. XVI. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 541 Die mediumistische Leitfähigkeit für alle die ottensichtlich wirkenden, wenn auch selbst vorerst noch verborgen bleibenden Kräfte ist nach meinen Beobachtungen recht selten. Die übliche Angabe von io"/(| der Menschen will mir reichlich hoch erscheinen. Der Grad ist natürlich schwankend. Höchst selten dürfte die Veranlagung derartig ausgeprägt sein wie bei Leisen. Zu rechnen ist wohl damit, daß die Empfindlichkeit sich mit der Zeit steigert. Nicht nur bei mir selbst, auch bei zahlreichen andern Personen war völliger Mangel eigener Leitfähigkeit festzustellen. Um so verblüffender wirkte dann jedesmal der kräftige, mit Muskelgewalt nicht zu bändigende Ausschlag, wenn unsereiner die eine Hand lockerte und Leisen nur lose mit zwei Fingern das frei- werdende Gabelende berührte. Auch da war jede unwillkürliche oder gar geheim-bewußte Drehung mittels der Muskeln völlig ausgeschlossen. Das Abbrechen der Holzgabel oder das Verbiegen einer metallenen neben der Hand des Rutengängers, wovon schon die Rede war, beweist das ja am schlagendsten. Es sind noch zuviel Unbekannte in der Glei- chung, um jetzt durch planloses Überlegen schon die Lösung herbeiführen zu wollen. Am sichersten dürften wir dem Ziele näherkommen durch Ver- gleich der oft außerordentlich verschiedengearteten Erscheinungen und Methoden mehrerer guter Medien. Nur so, glaube ich, werden sich die Unbekannten ausschalten lassen, nur so der Kreis der Erklärungsmöglichkeiten sich so weit ver- ringern, daß der Kern des Problems zu erfassen wäre. Die Phänomene sind von fesselndstem In- teresse für Jeden, der unvoreingenommen den Wundern der Natur nachspürt, und ihre Deutung erscheint des Schweißes der Edelsten wert. Zu intensiver Materialsammlung und methodischer Beobachtung sei hiermit ein Scherflein beigetragen. Es gilt dem Problem in seinem ganzen Umfange zugleich zu Leibe zu rücken. Eine Diskussion mit „prinzipiellen" Gegnern ohne eigene anschau- liche Erfahrung müßte ich ablehnen, wogegen jeder Nachweis von Fehlerquellen selbstverständlich dankbarst begrüßt würde. Die deutschen Seideiibaubestrebiiugeii und (Nachdruck T.rboten] Von Dr. Hans Walter Die mancherlei Schwierigkeiten, welche der Zucht des Maulbeerbaumes in unserem deutschen Klima entgegenstehen, sollten bekanntlich dadurch ein für allemal behoben werden, daß die im Sommer 1915 unter dem Ehrenvorsitz von Prof. Udo Dammer gegründete ,, Deutsche Seiden- baugesell schaff empfahl, an Stelle des Maul- beerlaubes bei den deutschen Seidenzuchten eine Ersatz futterpflanze, die Schwarzwurzel [Scorconrra Iiispauica L.) zu verwenden. Die Schwarzwurzel gilt schon lange als brauch- bare Seidenraupenfutterpflanze. Prof Dr. C. O. Harz, Professor an der kgl. Tierarzneischule inMünchen, hatte in den Jahren 1884 85 mit einer Reihe von Pflanzen Versuche darüber angestellt, ob sie an die Seidenraupen verfüttert werden könnten. Die meisten dieser Pflanzen, wie der Huflattich {T/issilagu Far/ara], die Ulme {L'luiiis cavipcstris), die Brennessel ( Urtica dioicd), der Hopfen [Humiilus Liipnlits), der Sauerampfer [Rii»iex\ die Wegwarte {Cichorium infybiis), der Rotklee [Tri/olinin pra- tense) u. v. a. wurden von den Seidenraupen durch- aus verschmäht, nur wenige Versuchspflanzen, wie der Löwenzahn (Taraxacum officinalc), sowie einige Arten der (ji'kn?.^^\s,Xz\{Sonchusoleraceus, S. asper und S. arvciisis) von ihnen angenommen. Die besten Erfolge hatte Prof. Harz mit der Schwarzwurzel erzielt. In den ersten Gene- rationen zwar war es nicht möglich, die Seiden- raupen bis zu ihrer Einspinnung mit Schwarzwurzel- blättern zu ernähren, es mußte in der letzten Zeit noch mit Maulbeerlaub nachgeholfen werden, um das Eingehen der Raupen zu vermeiden. Aber schon die zweite Generation im Jahre 1885 zeigte das rroblem der Schwarzwurzelfutterung. Frickhinger, München. nach den Aussagen des Forschers eine bestimmte Anpassung an das Schwarzwurzelfutter, so daß dieses während der ganzen Zeit ausschließlich ver- füttert werden konnte. Die Ausbeute an Kokons war anfänglich eine äußerst geringe, sie betrug im Jahre 1886 nur i,i "/o. erhob sich aber schon in dem darauffolgenden Jahre auf 7,5 */o ; für das Jahr 1888 gibt sie Prof Harz in seinen Tabellen bereits mit 29,6% und im Jahre 1889 mit 34,38 "/o an. Die Qualität der Seide dieser letzten Kokons- ausbeuten war keine schlechte, der Seidenfaden erreichte eine Länge von fast 300 m, der Quer- durchmesser stimmte mit dem des Mailänder Originalfadens vollkommen überein, dem auch der Glanz der Seidenfaser und ihre Bruchfestigkeit in nichts nachgab. Die biologischen F"ähigkeiten der Raupen dagegen schienen merklich herabgesetzt, die Raupen waren vornehmlich viel kleiner von Gestalt, das Raupenstadium war mit seiner Dauer von 50 — 64 Tagen fast um das doppelte ver- längert gegenüber den 29 — 33 Tagen, welche die mit Maulbeerlaub aufgezogenen Raupen für ihre Nah- rungsaufnahme bis zu ihrer Einspinnung gewöhn- lich gebrauchen. Bei der im Jahre 1890 geführten 5. Schwarzwurzelzucht waren diese Nachteile etwas geringer geworden: das Raupenstadium hatte sich auf 57 — 58 Tage verkürzt, die Größe und das Gewicht der Raupen hatte sich erhöht. Die Ergebnisse seiner Zuchten wurden von Prof Harz sehr hoffnungsfreudig beurteilt: an das Ansteigen der Kokonsernte knüpfte er die Erwar- tung, „daß schon in den nächstfolgenden Zucht- jahren 80 - 90 "/o Kokons und darüber als Ernte resultieren werden". Und auch die schlechten 542 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 39 biologischen Fähigkeiten der Raupen, ihre lange Entwicklungsdauer, ihr körperliches Zurückbleiben hinter ihren mit Maulbeerlaub aufgezogenen Art- genossen, hofifte er in absehbarer Zeit verbessern zu können ; denn auch der Maulbeerspinner habe in Zentraleuropa, wie aus zahlreichen alten Ur- kunden und Akten hervorgeht, noch im 1 8. Jahr- hundert 40 — 50 Tage lang im Raupenstadium zu- gebracht und sich erst allmählich eine schnellere Entwicklung gleichsam „erworben". „In derselben Weise wird auch die Raupendauer des Schwarz- wurzelspinners mit der Zeit sich bedeutend ab- kürzen und schließlich sich auf 30—33 Tage reduzieren." Prof Harz trug sich also mit dem Gedanken, im Laufe der Jahre eine Seidenraupenrasse heranzuziehen, die sich ganz an das neue Futter gewöhnt habe. Aber schon bald wurden die Befunde des Forschers bezweifelt und bei genauerer Nachprüfung, bzw. bei Erprobung in der Praxis, erwiesen sie sich auch als stark optimistisch gefärbt. So berichtet Hofrat Joh. Bolle, der langjährige Direktor der k. k. Seidenbauversuchsstation in Görz, von Versuchen eines seiner Schüler, A. Mullon, auf den Gütern eines Herrn Ladigenski in Zavivalovka (Gouvernement Pensa in Westrußland) Schwarz- wurzelzuchten durchzuführen. Trotzdem die Schwarzwurzelanlagen prächtig gediehen, wollte die Aufzucht der Seidenraupen nicht recht vor- wärts und die Gelbsucht oder Polyederkrankheit stellte sich bald ein und wütete im Verlaufe der Aufzucht derartig, daß keine Ernte erzielt werden konnte. Ein zweiter Versuch im darauffolgenden Jahre endete mit einem ebenso kläglichen Resultat, worauf Herr Ladigenski von weiteren Versuchen Abstand nahm. Günstiger beurteilte die Aussichtsmöglichkeiten der Schwarzwurzelzuchten Prof. Dr. Udo Damm er, Kustos am kgl. Botanischen Garten zu Berlin- Dahlem, der schon in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts bei Werderewski in St. Petersburg die Aufzucht der Seidenraupen mit Schwarzwurzel- blättern studiert und sich dann selbst „durch im großen durchgeführte Versuche in der Weber- schule in Nowawes überzeugte, daß auf dieser Grundlage der Seidenbau bei uns sehr gut durch- führbar ist". Prof. Dammer gibt in seiner Ab- handlung, aus der ich die obigen Worte entnahm, dann eine Reihe von Anweisungen und praktischen Winken, durch welche er es für möglich hält, daß die Schwarzwurzelzuchten erfolgreich bei uns durch- geführt werden können. Daß sich die Schwarz- wurzelfütterung bis heute bei uns nicht einbürgern konnte, führt Prof. Dammer darauf zurück, daß man die Seidenraupenzuchten immer in zu kühlen Räumen vorgenommen hat. Gerade die Schwarz- wurzelzuchten erfordern aber eine höhere Tem- peratur; darüber gibt Prof Damm er folgende Vorschriften: „vom I.— 5. Tage aller Aufzuchten ist die Temperatur auf 20 " R zu halten, nach der I, bis zur 2. Häutung, also vom 6. bis zum 10. Tage sollte der Zuchtraum auf 19" R erwärmt werden, vom II. bis einschließlich zum 30. Tage genügen 18" R, vom 31. Tage bis zur Verpuppung der letzten Raupe muß die Zimmertemperatur wieder auf 20" R erhöht werden. Auch die F"utterzu- bereitung ist mit aller Peinlichkeit vorzunehmen. Die Schwarzwurzelblätter werden regelmäßig des Abends geschnitten und erst am nächsten Tage verfüttert. Dies geschieht deshalb, weil sie wäh- rend der Nacht im Zuchtraum die Temperatur desselben annehmen müssen und weil die Raupen leicht krank werden, wenn das P^utter kälter ist als der Zuchtraum. Tritt Regenwetter ein, so deckt man über so viele Pflanzen, wie man zum Füttern braucht, leichte mit geöltem Papier be- spannte Rahmen, damit die Blätter dieser Pflanzen trocken bleiben; denn nasse Blätter führen stets zu schweren Erkrankungen der Raupen. Man schneidet die Blätter 6 — 7 cm über dem Boden ab, damit die Herzblätter womöglich unversehrt bleiben. . . . Die abgeschnittenen Blätter werden gleich auf ein Stück Zeug, nicht auf die Erde, gelegt, damit sie nicht schmutzig werden. Hat man die nötigen Blätter abgeschnitten, so bringt man sie in die Wohnung, wo sie sofort mit einem reinen Lappen einzeln, Blatt für Blatt, auf beiden Seiten vorsichtig abgewischt werden. Es darf durchaus keine Erde, kein Staub, aber auch kein Wasser an denselben sitzen bleiben. Sind alle Blätter gesäubert, so schlägt man sie lose in ein leinenes Tuch ein und bringt das Bündel in den Zuchtraum, wo man sie bis zum nächsten Morgen liegen läßt. Ist die Witterung im Freien kühl und naß, so mache man mehrere "kleine Bündel, damit dieselben während der Nacht besser durchwärmen". Werden diese genauen Vorschriften bei der Futter- bereitung und bei der Temperaturhaltung befolgt, so ist nach der Ansicht Prof Da mm er 's der Erfolg der Schwarzwurzelzuchten gewährleistet. Der letzte Forscher, der sich mit dem Problem der Schwarzwurzelfütterung beschäftigte, war der Münchener Zoologe Prof Dr. Otto Maas. Als Prof. Maas im Jahre 1910 die Harz'schen Ver- suche wieder aufnahm, gelang es ihm nirgends, noch aus den alten Harz'schen Zuchten stam- mende Seidenraupen, die an Scur::onera gewöhnt waren, aufzutreiben. Er sah sich also vor die Not- wendigkeit gestellt, die Fütterungsversuche von Grund aus neu zu beginnen. Er wählte als Ver- suchsmaterial dreierlei Rassen der Seidenraupe: Er züchtete einmal Japaner, dann Japaner mit Einschlag der wilden Form (Thcopliila maiidariiia Johns.) und schließlich Kreuzungen zwischen italienischen und tessinischen Rassen. Prof Maas kam es vor allem darauf an, eigene Erfahrungen darüber zu erlangen, ob es überhaupt möglich sei, Seidenraupen bis zu ihrer Einspinnung mit Schwarz- wurzelblättern durchzufüttern. War dies möglich, so hatte sich der Forscher das weitere Ziel ge- steckt, in mehreren in aufeinanderfolgenden Jahren durchzuführenden Zuchten darüber Klarheit zu erstreben, ob auf diese Weise eine Seidenraupen- N. F. XVI. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 543 rasse herangezüchtet werden könnte, weiche sich volllrM//i7-trh\3.tt nicht und dieser Auslauf ist be- sonders vor Häutungen und vor dem Einspinnen wichtig". Auch rein praktisch ergeben sich Hinder- nisse, die oft von Anfang an nicht nach Würdig- keit eingeschätzt werden. So ist der Blätterertrag bei Scurzoiicra nur in der Fläche ausnützbar, während der Blätterertrag des Maulbeerstrauches oder -Baumes im Räume vor sich geht. Deshalb bedarf es, um sich eine genügende Schwarzwurzel- menge zu sichern, einer größeren Anbaufläche, als der Züchter oft anfänglich glauben möchte. End- lich ist die Frage nach der vorteilhaftesten Art der Düngung der Schwarzwurzelanlage für das Gedeihen der Seidenraupe durchaus nicht gleich- gültig. Aus allen diesen Angaben, die sich aus den Erfahrungen von Prof Maas noch beliebig ergänzen ließen, erhellt deutlich, daß das Problem der „neuen" Fütterung mit Schwarzwurzel- blättern heute noch nicht so einfach zustimmend oder ablehnend beant- wortet werden kann. Bevor sich Klarheit über die Tauglichkeit der Schwarzwurzelfütterung wird gewinnen lassen, wird es nötig sein, daß die Maas 'sehen Versuche in ihrer ganzen wissen- schaftlichen Gründlichkeit fortgeführt werden. Der Forscher selbst wird diese Aufgabe, der heute so große praktische Bedeutung zukäme, leider nicht mehr erfüllen können; denn ihn entriß der Tod im Frühjahr 19 16 jäh aus seinem Schaffen. Aber seine Arbeit wird nicht umsonst geschehen sein; denn seine Untersuchungen werden, wie ich höre, unter Leitungvon Prof. Dr. Ad. Seitz im Insekten- hause des Frankfurter Zoologischen Gartens, fort- geführt werden. Man wird mit Spannung ihren Ergebnissen entgegensehen dürfen, ob es ihnen gelingen wird, was Prof Maas vergebens anstrebte, eine Seidenraupenrasse heranzuzuchten, welche sich an die Schwarzwurzelkost vollkommen gewöhnt hat, so daß ihre biologischen F"ähigkeiten sowohl wie die Güte ihrer Kokons in nichts dem Maulbeer- spinner nachgeben. Heute sind wir freilich von diesem Ziele noch weit entfernt 1 Literatur- Verzeichnis. 1. Johann Bolle, k k. Hofrat, Wien, Die Bedingungen für das Gedeihen der Seidenzucht und deren volkswirtschaft- liche Bedeutung. Mit 33 Textabbildungen. Paul Parey, Berlin. 4 Flugschrift der „Deutschen Gesellschaft für angewandte Entomologie". igi6. 2. Udo Dammer, Prof. Dr., Berlin-Dahlem, Über die Aufzucht der Raupe des Seidenspinners mit den Blättern der Schwarzwurzel. Ein Beitrag zur Lösung der Seidenbaufrage in Mittel- und Nordeuropa. 2. Aufl. 1915. Trowitzsch u. Sohn, Frankfurt a. O. 3. C. O. Harz, Prof. Dr., Eine neue Züchtungsmethode des Maulbeerspinners Bombyx mori L. mit einer krautartigen Pflanze. Ferdinand Enke, Stuttgart. 1890. 4. Derselbe, Über die Zucht des Schwarzwurzel-Seiden- spinners im Jahre 1890. In: Zeitschrift des Landwirtschaft- lichen Vereins in Bayern. Aprilheft 1891. 5. H. W. Frickhinger, Dr., München, Zum Kapitel Seidenbau in Deutschland {Über die Organisation der Seiden- baubewegung). In: Zeitschrift für angewandte Entomologie. 3. Bd. 1916, Heft 2, p. 300 — 302. 6. Derselbe, Über den gegenwärtigen Stand der Seidenbau- bewegung in Deutschland. Sammelreferat. In: Die Natur- wissenschaften. 4. Jahrg. 1916, Heft 51 S. 832—35 und Heft 52 S. 841—44. 7". Derselbe, Die Seidenraupe und ihre Zucht. Mit 18 Abb. In : Monatshefte für den naturwissenschaftlichen Unterricht aller Schulgattungen. 191 7. 10. Bd. Heft 2 S. 49— 59 und Heft 3/4 8. Otto Maas, Prof. Dr., München, Versuche über Um- gewöhnung und Vererbung beim Seidenspinner. In: Archivfür Entwicklungsmechanik. 41. Bd. 191 5. 4. Heft S. 672—727. 9. Derselbe, Bemerkungen zur Einführung der Seidenzucht in Deutschland nach eigenen Erfahrungen über die Biologie des Seidenspinners. In: Zeitschrift für angewandte Entomologie. 3. Bd. Heft I S. 180—194- 10. Adalbert Seitz, Prof. Dr., Darmstadt, DerSeiden- bau und die Maas'scben Versuche. In; Entomologische Rund- schau. 33. Jahrg. Nr. 8 S. 39—40. Einzelberichte. Geologie. Über die geologischen Ursachen der Zerstörung von Talsperren berichtet H. Stremme in der Zeitschrift f. praktische Geologie 191 7, H. 2. Zerstörungen von Talsperren sind nicht selten, allerdings hat auch der Bau derselben in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. \'on großer Bedeutung für die Verhütung der Unfälle ist die Beschaffenheit des Untergrundes, da dieser die Last der Mauer oder des Dammes ohne nennens- werte Veränderungen oder Verschiebungen seiner Teile dauernd tragen muß. Nur so wird der un- veränderte Bestand der Talsperre gewährleistet. Bei der Auswahl des Baugrundes lautet das erste Prinzip: Der Baugrund muß Ruhe haben. Bei allen Talsperreneinstürzen war der wagrechte Schub und die mangelhafte Widerstandsfähigkeit der Gründungsfläche oft erst nach Jahren und Jahrzehnten die einleitende Ursache der Zer- störungen, welche sich in einem schwachen Punkte der Sperrmauer fortsetzten. Die Vorprüfungen des Baugrundes haben auch den späteren hohen Mauer- 546 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 39 und Wasserdruck zu berücksichtigen. Nach Leppia sind die meisten Gesteine auch im nassen Zu- stande diesem gewachsen, soweit es sich nicht um lockere unverkittete Sande, Kiese, Tone und Mergel handelt. Nasse Schiefertone und Mergel- schiefer können unter Umständen eine gewisse Nachgiebigkeit zeigen. Man wird sie deshalb von der Belastung durch eine starke Mauer ausschließen, indessen als Unterlage eines Erddammes hinreichend fest finden dürfen. Es ist selbst für den begut- achtenden Geologen schwer, immer die nötigen Garantien für die Stabilität des Untergrundes zu übernehmen. Das dauernd unter hohem Druck aufgestaute Wasser kann selbst einen guten Bau- grund veränderlich machen, indem manche Be- standteile der Gesteine zermürbt, aufgeweicht oder sogar aufgelöst werden. Ja es können gewisse Substanzen zum Schmiermittel bei einem Einsturz werden. Eine Zusammenstellung der Einstürze gab P. Ziegler in der Zeitschrift für Bauwesen 1916, wobei er die Zerstörungen in 3 nicht scharf ge- trennte Gruppen sondert: 1. Der Staudruck drückt den allmählich auf- geweichten Untergrund unter der Mauer hindurch. 2. Der Staudruck schiebt die ganze infolge wagrechter und senkrechter Durchbiegung in Stücke zerbrochene Mauer vor sich her. 3. Der Staudruck veranlaßt nur eine geringe wagrechte Bewegung oder Ausbuchtung, die zur Zerstörung führt. (OC.) V. Hohenstein. Beiträge zur Geologie der Kolonie Neupommern liefert Johanna Offermann in einer Disser- tation. Die Insel Neupommern erstreckt sich von Westen nach Osten in einem nach Nordwesten geöffneten Bogen. Erforscht ist nur die im Norden liegende Gazella-Halbinsel. Eine Landenge ver- bindet sie mit der Insel. Im Südosten liegen die Bainingberge mit 1500 m Höhe. Die Vorberge bestehen aus Kalk, während die steilen Höhen aus Eruptiven sich zusammensetzen. Im Norden der Gazella-Halbinsel liegen die Inseln Uwewa und Watom, ein 300 m hoher Vulkan, von denen 150 m Korallenkalk, die Spitze Andesitlava sind. Im Nordosten der Halbinsel liegt die kleine Krater- halbinsel mit nördlichstem Vulkan „Nordtochter" (545 m und erloschen), die „Mutter" (erloschen 630 m), dann folgt ein eingestürzter Doppelkrater und die „Südtochter" (536 m und erloschen). Westlich davon ragt der einzige noch tätige Vulkan hoch, dessen letzter Ausbruch 1878 erfolgte, bei dem die Baluanlnsel entstand, der ,,Ghaia". Süd- lich davon liegt ein weiterer eingestürzter Doppel- krater. Andesite und BimsteingeröU sind die Ge- steine der Mutter und der Ghaia. An der Ost- küste liegt die Blanche-Bucht, deren Wände zur Bucht hin steil, zur Halbinsel hin sanft abfallen, so daß geschlossen worden ist. daß in der Bucht ein alter Krater enthalten ist. Die Schwefelquellen bei Schwefelhuk und die heißen Quellen am Ghaia weisen ebenfalls darauf hin. Im Innern der Gazella- Halbinsel treffen wir ein großes Bimsteinplateau an, an dessen Rande der Varzin aus l.ava erbaut ist. Aus dem Vulkangebiet der Mutter im Süd- osten des Baininggebirges stammen Diorit und Gabbro, wahrscheinlich auch ein Dioritporphyrit und neue diabasische Porphyrite, ein Augitandesit. An Ergußgesteinen wurden an der Mutter und am Ghaia und der Vulkaninsel in der Blanchebucht nachgewiesen: Ouarzporphyr, Liparit, Andesit, Trachyandesit, Bimstein und Obsidian, Diabas- mandelstein von der Mutter und andesitische Tuffe aus dem Baining Gebirge sind ebenfalls erwiesen. R. Hundt, im Felde. Anthropologie. Die Kreolen. Die Bevölkerung der mittel- und südamerikanischen Staaten und Kolonien ist aus Angehörigen verschiedener Rassen und deren Mischlingen zusammengesetzt. Die ab- gelegenen und von der europäischen Kultur wenig berührten Gebiete sind fast ausschließlich von reinrassigen Indianern bewohnt, die küstennahen und die an den Verkehrswegen liegenden Gebiete dagegen von Mischlingsbevölkerungen, die aus der Kreuzung von eingeborenen Indianern mit Europäern und Negern hervorgingen. Negermischlinge sind namentlich in Nord- und Mittelbrasilien sowie in Guyana stark vertreten, in den Staaten an der Küste des Stillen Ozeans aber selten. Sozial gehören sie überall zu den untersten Klassen. Die europäisch - indianische Mischlingsbevölkerung ist überall, mit Ausnahme gewisser Teile Brasiliens, zahlreicher als die Neger- mischlinge, doch ist ihr Anteil an der Gesamt- bevölkerung regional sehr ungleich. Reinrassige Europäer bilden lediglich in Südbrasilien, Uruguay und Argentinien einen erheblichen Teil aller Einwohner. Wie sich das Verhältnis der ver- schiedenen Bevölkerungselemente in den einzelnen Staaten zahlenmäßig gestaltet, ist nicht be- kannt, da diesbezügliche Statistiken nicht existieren und die Schätzungen meist auf unsicheren Grund- lagen beruhen. Die Zahl der Weißen einwandfrei festzustellen ist deshalb besonders schwer, weil alle in Amerika geborenen Nachkommen spanischer und portugiesischer Ansiedler, bei denen nicht In- dianer- oder Negerblut überwiegt, gerne als Weiße gelten wollen und nur ungern farbige Ahnenschaft zugeben. Sie bilden die soziale Oberschicht der Bevölkerung und sind als Kreolen bekannt. Doch wäre es falsch, diese Kreolen, wie es oft geschieht, in ihrer Gesamtheit als „Weiße" auf- zufassen. In Wirklichkeit ist nur eine Minderheit von ihnen reinrassig. Die Körperbeschaffenheit der Kreolen läßt ohne weiteres erkennen, daß sie nicht „Weiße" sind; denn ihre Hautfarbe spielt mehr oder weniger ins Gelbhche, die Lippen sind dicker als beim Europäer und häufig aufgeworfen, die Gestalt ist klein, der Gesichtsschnitt stumpfer als beim Euro- päer; das Haar ist zwar (mindestens bei vielen N. F. XVI. Nr. 39 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. 547 Personen) lockig, aber es fühlt sich rauher an als beim Europäer. Der Bartwuchs ist gewöhnlich spärlich. Überdies sprechen auch geschichtliche Gründe gegen die Annahme einer rein europäischen Abkunft der Kreolen. Diesbezüglich sagt ein guter Kenner Süd- amerikas, Dr. O. Greulich 1), es steht fest, daß die spanischen und portugiesischen Eroberer, wie die meisten Neusiedler, zunächst ohne Familien übers Meer gelangten. Die IVIitnahme von Weib und Kind verboten die gefährdete Lage der Ko- lonisten und ihre unstete Lebensweise, die ja hauptsächlich in Streifzügen nach Gold und Sklaven bestand. Inzwischen behalfen sie sich mit Indianermädchen, am häufigsten in wilder Ehe; doch gab es auch von Anfang an legitime Heiraten. Den Nachkommen vornehmer Eltern konnte man trotz ihrem Halbblut gesellschaftlichen Rang nicht versagen, und sobald hiermit die Schranke gebrochen war, ließ sich eine strenge Grenzlinie gegen die „Mestizos" (Kinder von Weissen und Indianerinnen) im allgemeinen kaum noch aufrechterhalten. Sobald Ruhe und Ord- nung im neuen Kolonialreich hinreichend ent- wickelt waren, folgte wohl manche Spanierin einem Gatten oder Bruder in seinen fernen Wir- kungskreis; aber groß kann ihre Zahl auch in der Folge nicht gewesen sein, denn die Geschichts- schreiber verfehlen nie, den Wagemut dieser Damen gebührend hervorzuheben; ferner ist zu beachten, daß auch heute noch die europäische PVau unter der Ungunst des Klimas und der abweichenden Ernährung in weit höherem Maße leidet als der Mann, was eine weibliche Zuwanderung großen Stils abschrecken mußte. Die anthropologische Abgrenzung der Kreolen gegen die Indianer wird dadurch erschwert, daß auch die in den kultivierten Landstrichen hausenden „Indianer" in Wirklichkeit keine solchen, sondern ebenfalls Mischlinge sind, wenn auch mit stärkerem Zusatz indianischen Blutes. Nur eine genaue Unter- suchung möglichst vieler Einzelstammbäume könnte völlige Klarheit in das Problem der Herkunft der Kreolen bringen. Man hat sich auch in dieser Hinsicht bemüht, und es wurden amtliche Er- fahrungen über die Rassenzugehörigkeit vorge- nommen. Aber nach welchen Grundsätzen wird dabei vorgegangen, z. B. bei den Schülerlisten? Der Sohn eines Advokaten, Arztes oder Groß- grundbesitzers bekommt ohne weiteres das Prä- dikat „Blanco"; der Sprößling eines kleinen Be- amten, Krämers oder Kleinbauern figuriert als „Mestizo", und der arme Taglöhnersbub wird er- barmungslos zum „Indio" gestempelt. Hieraus ergibt sich, daß der Rassenunterschied zwischen den Kreolen und ihren „roten" Unter- tanen nicht wesentlich, sondern nur relativ ist, indem sich jene bloß einer näheren Verwandt- schaft zur weißen Rasse rühmen dürfen, und daß ') Greulich, Dr, Kreole. Eine ethnographische Studie. Neue Zur. Zeitung 1917, Nr. 709. die kreolische „Aristokratie" vor allem sozialen Charakter trägt. Daß gleichwohl eine so auf- fallende Kluft zwischen der obern und der untern Schicht der südamerikanischen Bevölkerung be- steht, ist wohl hauptsächlich der Selbstsucht und der Eitelkeit der Emporkömmlinge zuzuschreiben. Denn wenn auch eine stete Auffrischung des Herrenstandes durch empordringende tüchtige In- dividuen der unteren Klasse stattfindet, so fühlen sich die also Begünstigten keineswegs als Binde- glied, sondern scheinen vielmehr bestrebt, ihre niedere Herkunft in Vergessenheit zu bringen. Im Kreolen tritt uns ein durchaus eigenartiger Typus entgegen, an dessen Entstehung jahrhundert- lang die verschiedensten Faktoren gearbeitet haben : außer der fortgesetzten Kreuzung beider Rassen in allen erdenklichen Schattierungen auch klima- tologische, geographische und geschichtliche Ein- flüsse — ein eigenartiger Typus, der sich nicht bloß vom Europäer, sondern namentlich auch vom Nordamerikaner aufs schärfste unterscheidet. H. Fehlinger. Medizin. In der Münch. med. Wochenschrift (64. Jahrg. Nr. 17, 19 17) machten Regimentsarzt Franz Bardach zi und Oberarzt Dr. Zoltan Barabas Mitteilungen über das auffallend häufige Vorkommen der Fadenwürmer (Nematoden) als Darmschmarotzer des Menschen im Osten, besonders in Woihynien. i5ie Zahl der sie beherbergenden Leute war größer als die der wurmfreien. Wie man bei Sektionen erkannte, waren die Krank- heitserscheinungen vielfach durch die Würmer verursacht worden. Die Verff. hielten es für an- gezeigt, Kotproben von jedem Patienten auf ihren Reichtum an Wurmeiern zu untersuchen. Die Soldaten gehörten den verschiedensten Nationali- täten an und befanden sich teilweise nur zur Quarantäne im Lager; außerdem wurden 123 Zivil- personen untersucht, und zwar beruhen die An- gaben auf einer nur einmaligen Stuhluntersuchung, welche nach dem Verfahren' von Tele man vor- genommen wurde. Dabei wurde eine erbsengroße Stuhlprobe mit Salzsäure und Äther zu gleichen Teilen bis zum Verfall geschüttelt und durch ein Organtinsieb passiert. Das durch Zentrifugieren gewonnene Sediment wurde mikroskopisch unter- sucht. Die Zahlen für die Spulwurmeier waren nicht nur bei den Feldsoldaten, sondern auch bei der Zivilbevölkerung außerordentlich hoch. Be- sonders häufig waren der gewöhnliche Spulwurm (Ascaris lumbricoides) und der Peitschenwurm (Trichocephalus dispar), welche in über 60% der Patienten gefunden wurden. Die Verff. erblicken den Grund für das häufige Vorkommen in dem hygienischen und kulturellen Tiefstand der Bevöl- kerung im Südosten Europas. Wiederholt traten auch schwere Darmstenosen auf, offenbar verur- sacht durch ein bis hühnereigroßes Knäuel von Spulwürmern. Die dadurch hervorgerufenen Er- scheinungen, welche in erster Linie auf eine Ver- 548 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 39 stopfung des Darmkimens zurückzuführen waren, verschwanden sofort, wenn durch Abführungs- und Wurmmittel (Santonin) die Ascaridenkonvolute beseitigt worden waren. Sehr verbreitet war eine durch den ständigen Blutverlust verursachte Anämie. Kathariner. Physik. Um das Hochfrequenzspektrum eines Metalls zu ermitteln, untersucht man mittels eines Röntgenstrahlenspektrographen die Strahlung, die von einer Röhre ausgeht, in der das betreffende Metall die Antikathode bildet. Beim Aufprall der von der Kathode ausgehenden Elektronen geht von der Antikathode eine doppelte Strahlung aus, die „Bremsstrahlung", die bei Verzögerung der Elektronen entsteht und die aus allen möglichen Wellenlängen besteht, und die „Eigenstrahlung", die dadurch zustandekommt, daß die Elektronen, die im Atom des Antikathodenmaterials enthalten sind, mit der ihnen charakteristischen Frequenz zu schwingen anfangen. Die auf diese Weise ent- stehende Eigenstrahlung nennt man das Hoch- frequenzspektrum im Gegensatz zu dem sichtbaren Spektrum, das der Dampf des Metalls unter ge- eigneten Bedingungen aussendet und dessen Schwingungen erheblich langsamer erfolgen. Eine Röntgenröhre, die auf verhältnismäßig ein- fache Weise gestattet nacheinander die Röntgen- spektren verschiedener Metalle zu untersuchen, beschreibt H.Rausch v. Traubenbergin der Physikal. Zeitschr. XVIII S. 24 (1917). Sie setzt sich zusammen aus einem kugelförmigen Glas- gefäß, das die Kathode enthält. Dasselbe hat oben eine Öffnung, auf diese wird mittels Siegel- lack ein Messingrohr aufgekittet. Mittels Schliff wird in dieses die Antikathode eingesetzt und mit Pizein verkittet. Damit die Kittungen bei der Er- wärmung, die bei der Entladung namentlich an der Antikathode auftreten, nicht schmelzen und undicht werden, werden sie und die Antikathode selber durch strömendes Wasser gekühlt. Von der im Mittelpunkt des kugelförmigen Glasgefäßes angebrachten Kathode dringen die Elektronen radial in das aufgekittete Rohr. Die Antikathode, an deren Oberfläche verschiedene Metalle an- gebracht und ausgewechselt werden können, liegt schräg zur Richtung der Achse, so daß die Elek- tronen sie unter einem Winkel von 45" treffen. Die entstehenden Röntgenstrahlen verlassen die Röhre aus einem seitlich angebrachten Fenster, das mit dünner Aluminiumfolie verschlossen ist. Das Evakuieren geschieht mittels Gaede-Pumpe. Seh. Astronomie. Den sehr seltenen Vorübergang des Saturnringes vor einem Stern hat Ainslie beobachtet und (Monthly Not. März 191 7) be- schrieben. Der Stern, 7 Gr. und von goldgelber F'arbe, erschien durch den Ring gesehen stark ge- schwächt, auf etwa '1^ seiner Helligkeit und von etwas verwaschenem Aussehen. Durch die Cassini- sche Teilung gesehen erschien er wesentlich heller, um dann hinter den äußeren Ring zu wandern. Dieser Ring ist durchsichtiger als der zweite, auch gleichmäßiger im Gefüge, da die Helligkeit des Sternes hier nicht schwankte. Erst kurz vor dem äußeren Rande trat eine Verände- rung der Helligkeit für ein paar Sekunden ein, beim Austritt selber ließ sich durch etwa 10 — 15 Sekunden eine langsame Zunahme der Helligkeit bis zum früheren Glänze des Sternes beobachten. Aus diesen Beobachtungen läßt sich entnehmen, daß die allgemein gültige Annahme, die Ringe seien nichts anderes als geschlossen um den Saturn kreisende kosmische Wolken, Meteormassen, richtig ist. Zwischen den einzelnen Körperchen kann immer noch etwas Licht hindurch, ferner müssen die Körperchen nicht sehr nahe aneinander sein, da diese Durchlässigkeit trotz der Dicke des Ringes von ein paar lOO km möglich ist. Der äußere Ring ist weniger dicht wie der zweite, und die dazwischen liegende Trennung, die Cassini'sche Teilung, ist nicht ganz leer, sondern nur sehr dünn mit Meteoren belegt. Es paßt dies auch gut zu- sammen mit der aus den Messungen sich ergeben- den Tatsache, daß die Teilungen nicht immer an derselben Stelle stehen, sondern ihren Ort ändern, wohl infolge der störenden Einflüsse der großen Monde auf die Meteorschwärme, ähnlich wie sich im System der kleinen Planeten Lücken zeigen, die der Wirkung des Jupiter entsprechen. Riem. Ein neues Ergebnis über den Bau des Universums hat S. Oppenheim (in den astronom. Nach- richten Nr. 4896) abgeleitet, das in mancher Hin- sicht bemerkenswert ist. Nachdem er schon früher die Eigenbewegungen der Sterne mit den auf einen bestimmten Moment bezogenen Eigenbewegungen der kleinen Planeten verglichen hatte, und gezeigt hatte, daß man rein rechnerisch aus diesen die Lage der Ekliptik erhalten kann, und ebenso die Rich- tung Erde— Sonne für denselben Zeitpunkt, ermit- telte er aus den Eigenbewegungen der Sterne eines bestimmten Typus in Länge und Radius die Rich- tung des idealen Zentralpunktes des Sternsystems und den Apex der Sonnenbewegung. Die weiteren Arbeiten ergeben nun, daß es unter den Sternen mehrere Schwärme gibt, deren Ebenen alle parallel der Milchstraße verlaufen, und deren zentrale Hauptebene mit der Milchstraße ungefähr zusam- menfällt und den Sonnenort enthält. Es gibt da- her nicht, wie bei den Planeten, ein einziges Zentrum, der Sonne vergleichbar, sondern nur eine Zentral- achse, die die Zentra der einzelnen Schwärme enthält, und die auf der Ebene der Milchstraße senkrecht steht. Offenbar ist damit die Annahme sehr nahegelegt, daß wir hier eine allgemeine Rotation des gesamten Himmels um diese Achse angedeutet sehen. Damit wäre also ein neuer Beweis für die Einheitlichkeit des Universums er- bracht. Ob freilich dies in der Tat sich so ver- hält oder ob nicht vielleicht das Universum ein N. F. XVI. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 549 mechanisches System von Körpern ist, das durch gewisse innere Kräfte zusammengehalten wird, das ist nach Oppenheim eine zurzeit nicht ent- schiedene Frage, zu deren Beantwortung auch andere Methoden herangezogen werden müssen. Riem. Hygiene. Professor Dr. K. Escherich Professor der angewandten Zoologie in München hatte auf seiner Studienreise durch die Vereinigten Staaten (191 1) erfahren, daß man dort mit bestem Erfolg zur Vertilgung der schädlichen Insekten Blausäuredämpfe als wirksames Bekämpfungsmittel anwendet. Es war naheliegend, aus den guten Er- fahrungen, die man bei der Vertilgung der Schäd- linge in Amerika macht, auch bei der Bekämpfung der Läuseplage im gegenwärtigen Weltkrieg Nutzen zugehen. Der Obengenannte widmet der F"rage eine Abhandlung: „Blausäure als Ent- lausungsmittel" in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift für angewandte PLntomologie (Bd. III, Heft 3, 1916) und empfiehlt das Verfahren für die Reinigung geschlossener Räumlichkeiten, etwa von Lazarettzügen; das Verfahren sei äußerst einfach auszuführen, billig und sehr wirksam. Ein besonderer Vorzug liege darin, daß keine nicht gewollten Nebenwirkungen, wie etwa die Oxyda- tion von Metallteilen an Instrumenten, Waffen etc. zu befürchten seien. In Deutschland befasse sich mit dem Verfahren erfolgreich die Gold- und Silberscheideanstalt in Frankfurt a. Main. Man verfahre folgendermaßen : Zunächst wird der Wagen gründlich abgedichtet, eventuell indem man die Türspalten mit Papierstreifen überklebt. „In eine auf den Boden des Wagens gestellte, nicht zu flache Porzellanschale oder in einen Ton- krug wird zuerst das Wasser eingegossen und hierauf Schwefelsäure langsam zugegeben. Ein zu schnelles Einschütten hätte zu starke Erwärmung zur Folge und könnte das Zerspringen des Gefäßes verursachen. Ist auf diese Weise eine verdünnte Säure hergestellt, so wird möglichst rasch, solange die Lösung noch heiß ist, Cyannatrium eingetragen, worauf die Blausäureentwicklung beginnt. Es ist deswegen nach Zugabe des Salzes der Wagen sofort zu verlassen. Die Reihenfolge, in welcher die Chemikalien unbedingt gemischt werden müssen, ist also; Wasser, Schwefelsäure, Cyan- natrium. Nach einer Räucherungsdauer von " ^ bis I Stunde werden die Türen der Wagen wieder geöffnet. Das darin befindliche Gas verflüchtigt sich so schnell, daß schon nach einer halben Stunde der Wagen betreten und wieder in Ge- brauch genommen werden kann. Die Rückstände in den Schalen und Tonkrügen sind ebenfalls giftig und werden am besten in einer Grube mit Erde bedeckt." Wenn man die Anwendung der Me- thode wegen der großen Giftigkeit der Blausäure scheue, so weise er darauf hin, daß in Nordamerika trotz des großen Umfanges der Anwendung von Blausäureräucherungen im Laufe von mehreren Dezennien kein einziges Menschenleben an dadurch verursachter Blausäure Vergiftung verloren ging; allerdings würde das Verfahren dort von völlig damit vertrauten Leuten ausgeführt. Die Kosten sind verhältnismäßig gering. Der Preis für 100 kg Cyannatrium stellt sich auf 220 M. (bei größerer Menge noch billiger); und für einen Kubikmeter Rauminhalt werden nur 10 g benötigt (außer 15 ccm Schwefelsäure und 20 ccm Wasser). Kathariner. Paläontologie. Die Lichadiden des Eifler Devons. Unter den 4 Lichasarten'j, die aus dem Eüler Devon durch die schönen Untersuchungen von Rud. und E. Richter bekannt geworden sind (Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie 1917, i. Bd. 2. Heft), verdient LichasarmatusGoldf, jener seltsame Trilobit mit seiner abenteuerlichen Gestalt, unser ganz besonderes Inteiesse. Die Art wurde von Goldfuß auf Grund von spärlichen Bruchstücken rekon- struiert und später durch Beyrich und Barrande etwas berichtigt. Die erste gute Abbildung gab Broili in Zittel, Grundzüge der Paläontologie 1915 F. 1359 S. 622, indessen sind die charakteristischen Leuchtturmaugen, welche nach Ansicht der Ver- fasser in dieser Figur den Eindruck von ge- bogenen Panzerhörnern machen und darum auf Augenlosigkeit schließen lassen, auf Grund der neueren Untersuchungen von Richter nicht richtig wiedergegeben. Heute liegen durch die meisterhaften und sehr geschickten Präparations- und Gewinnungsmethoden der Herren Dohm und Drehling in Gerolstein wahre Prachtpanzer, ja die vollkommensten Trllobitenpräparate der Welt vor. Sie entstammen den GeeserTrilobiten- feldern , wo ungemein günstige Ablagerungsbe- dingungen selbst die empfindlichsten Zierate unver- sehrt erhalten haben. Das Sediment ist von außerordentlicher I'^einheit und ruhig abgesetzt worden, so daß die Trilobitenpanzer häufig in ungestörtem Zusammenhange sich finden. Ein ganzer Lichas armatus mit all seinen sperrigen Hörnern ist anderswo überhaupt noch nicht be- kannt geworden. Was die Deutung der überreichen Hörner- bildung auf dem Kopf- und .Schwanzschild an- belangt, so kann die biologische Wirkung dieser langen von der Panzeroberseite nach allen Rich- tungen des Raumes ausstrahlenden Stacheln ent- weder in einer Verteidigungsbewaffnung oder in einer Bewegungserleichterung oder in beidem zu- sammen gesucht werden. Im Verteidigungszustande konnten die Schwebestachehi durch Vermehrung des Sinkwiderstandes die Ruderarbeit der Beine beim Schwimmen entlasten. Lichas armatus kommt im Eifler Mitteldevon >) Die Galtung Lichas enlhält nach B ro ili-Zittel, Grund- züge der Paläontologie S. 622 in Lichas Kibeiroi Delg. aus dem unteren Silur von Portugal und Frankreich den größten bekannten Trilobiten. S50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 39 von der Cultrijugatusstufe bis in das Hangende der Calceolastufe, außerdem noch in Belgien vor. V. Hohenstein. Forstwirtschaft. Wildschaden durch Fasanen. Nicht nur das jagdbare Haarwild verursacht in WaldundFeldmancherleiSchaden,')auchdasVVirken des jagdbaren Federwildes ist häufig be- sonders auf den dem Walde benachbarten Feldern zum Nachteil des Landwirtes zu verspüren. Hier sind es vor allem die Fasanen, welche durch das Abpicken der Blattspitzen vom jungen Getreide, vom Klee oder Kohl oder durch das Aufscharren des eben besäten Ackerbodens Grund zu Klagen bieten. Kein einsichtsvoller Jagdbesitzer wird be- streiten, daß dadurch von den Fasanen manches Unheil gestiftet wird. Aber in vieler Beziehung sind die Fasanen doch besser als ihr Ruf. Wenn näm- lich behauptet wird, daß sie sich im Sommer größtenteils durch das Abäsen von Körnerfrüchten nähren, so schießt diese Anklage weit über das Ziel hinaus. Um einen einwandfreien Nachweis über die Nahrung der F"asanen zu erbringen, wurden auf Veranlassung eines höheren Forstbeamten in einem bayrischen Revier, in dem einer Gemeinde- verwaltung auf ihre Beschwerde wegen schwerer Schädigungen durch Fasanen der Abschuß von lOO Vögeln genehmigt worden war, von dem k. Förster Ennerst in .A. in der Zeit vom i. August bis 12. September des vergangenen Jahres 93 Fasanen auf ihren Kropfinhalt untersucht (Deutscher Jäger, 39. Jahrg. 1917, Nr. 18). Die Unter- suchungen ergaben, daß von den 93 Fasanen, die alle in der unmittelbaren Umgebung der angeblich so schwer beschädigten Feldfluren erlegt worden waren, nur 43 Stück — das sind 46 "/o — über- haupt Getreidekörner im Kropf hatten; bei der Mehrzahl davon waren nur einige wenige Körner zu entdecken, im höchsten Falle betrug die Ge- treidekörnermenge 73 des gesamten Kropfinhaltes. Dabei ist weiterhin zu bedenken, daß es sich bei dieser geringen Körnermenge voraussichtlich nur um Getreidekörner handelt, die bei der Nahrungssuche mit vom Boden aufgepickt wurden, also um ausgefallenes Getreide, das für den Landwirt sowieso verloren gewesen wäre. Diese Annahme gewinnt dadurch an Wahrschein- lichkeit, daß die im Kropf der Fasanen festgestellten Getreidekörner hauptsächlich solchen Getreidearten angehörten, welche an der Fundstelle schon abgemäht waren. Auf den Stoppelfeldern hatten dann die Fasanen Nachlese gehalten. Neben diesen geringen Körnermengen fanden sich als überwiegender Kropf- inhalt viel Unkrautsamen — die Carexarten, Hirse- gräser, Knöterich und Wachtelweizenarten gelten als beliebte Nahrungspflanzen der Fasanen — ver- schiedene Insekten (besonders viele Heu- schrecken), Schnecken, denen die Fasanen ja ') Vgl. hierzu meinen Bericlit „Verhinderung von Wild- schäden im Walde" in Naturw. Wochenschr. N. F. 15. Bd. S. 704. bekanntlich eifrig nachstellen, und verschiedene Wild- vor allem Himbeeren. Die Vertilgung vieler Schadinsekten und Schnecken mildert gewiß in mancher Hinsicht den Schaden, den die Fasanen zugestandenermaßen verschulden. Immerhin wäre es wünschenswert, wenn derartige Kropfunter- suchungen künftig immer und immer wieder angestellt würden, damit es allmählich gelänge, die Legende von der übermäßigen Schädlichkeit der Fasanen der Übertreibung zu überführen. H. W. Frickhinger. Die Schädlichkeit der Amsel. Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Amsel ein reiner Waldvogel, der sich nur ungern in die Nähe menschlicher Behausungen wagte. \) Erst durch die allmählich immer gründlicher werdende Durchforstung unserer Wälder, die das den Amseln vornehmlich als Brutgelegenheit dienende Gesträuch nicht mehr dulden wölke, wurde die Amsel stetig mehr in die Nähe städtischer Parks und Anlagen gedrängt. Gerade dort fand sie ja, was ihr im Walde immer mehr zu fehlen begann, dichte Hecken und Sträuchergruppen, in denen sie nisten konnte. Daß vielleicht auch für manche Gegenden, wie es Liebe (Ornithologische Schriften S. 314/15) für Thüringen angibt, die immer weitere Ver- breitung der Anpflanzung von wildem Wein und Schneebeerensträuchern, deren Früchte die Amsel sehr bevorzugt, mitgewirkt haben mag, die Amsel in der Nähe der Menschen festzuhalten, mag wohl zutreffen, verallgemeinern werden sich diese Be- obachtungen aber sicher nicht lassen. So weist sie W. Hennemann (Ornithologische Monats- schrift 42. Jahrg. 1917 Nr. 6) für das Sauerland ausdrücklich zurück. Wie dem aber auch sei, die Tatsache jedenfalls steht fest, daß die Amsel stetig mehr aus dem Walde ab und in die Nähe der menschlichen Wohnorte zieht. Je mehr nun diese Wandlung sich vollzog, desto lauter ertönten die Klagen über den Schaden, den die Vögel in den Obstgärten einmal durch die Vertilgung von Beeren- und feinerem, saftigem Baumobst und von Gemüse und dann auch durch die Vernichtung kleinerer nützlicher Singvögel, wie Rotkehlchen, Rotschwänzchen und Grasmücken verursachen. Diese Klagen zahlreicher Obstgartenbesitzer sind von anderen, allerdings zumeist unbeteiligten Be- obachtern nicht unwidersprochen geblieben, so daß es sich lohnt von einem Überblick Kenntnis zu nehmen, den Prof Dr. L. Reh im „Praktischen Ratgeber für Obst- und Gartenbau" (32. Jahrg. 1917 Nr. 8) über die „Amselfrage" gibt: im Walde ist die Amsel ohne Frage ein nützlicher Vogel; nährt sie sich doch zumeist von Insekten, von Schnecken und Würmern. Die Wildbeeren, die sie daneben noch verzehrt, fallen ihrer animalischen Nahrung gegenüber kaum ins Gewicht. Auch die Amsel, die sich öffentliche Anlagen und Ziergärten ') Vgl. dazu meinen Bericht „Krammelsvogelfang im Dohnenstieg" im heurigen Jahrg. dieser Zeitschrift (S. 318). N. F. XVI. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 551 zu ihrem ständigen Aufenthalt erkoren hat, stiftet primär, d. h. so lange an ihrer ursprünglichen Nahrung kein Mangel besteht, keinen merkbaren Schaden. Erst wenn die Zahl der Vögel sich stark erhöht und ihre Nahrungsquellen dadurch knapper werden, können die Amseln zu ausge- sprochenen Schädlingen werden; sie spüren dann' den Nestern kleinerer Singvögel nach, aus denen sie die Eier sowohl wie die Jungen rauben. Die Amsel endlich, die in den Nuizgärtnn mit Edel- obst oder gar in Weinbergen sich einnistet, wird in den allermeisten Fällen ziemlich bald durch ihre verheerende Tätigkeit in den Obstkulturen (Erdbeeren, Johannis- und Stachelbeeren, Kirschen, Pflaumen, Birnen usw.) und an den Rebenpflanzen auffallen und sich immer mehr zu einer lästigen Plage entwickeln. Dabei ist allerdings darauf hin- zuweisen, daß dieser Schaden durch den Nutzen, den die Amseln durch die Vernichtung zahlreicher Schadinsekten (Schnaken- und HaarmückenJarven, Drahtwürmer usw.) stiftet, wieder einigermaßen verringert wird. Immerhin, die Tatsache ist nicht zu leugnen: in Nutzgärten undWeinbergen kann dieAmsel zu einem großenSchäd- ling werden, deren Beseitigung — im Winter durch Abschuß, im Sommer durch Vernichtung der Brut — für den Obstgartenbesitzer geradezu zu einer Notwendigkeit werden kann, wenn er seine Kulturen vor der Vernichtung bewahren will. Mir haben Münchener Nutzgartenbesitzer geklagt, daß sie in ihren Gärten bestimmte Kulturen, vor allem Erdbeerpflanzungen, einfach aufgeben mußten, weil es ihnen nicht gelang, der Amsel Herr zu werden. Da es nun eben ein wirksames Mittel, die Amsel an der Vernichtung gewisser Edelobslkulturen zu verhindern, nicht gibt, wird man es den von ihr heimgesuchten Gartenbesitzern nicht verübeln dürfen, wenn sie diesen vom Standpunkt des Naturfreundes aus ja sehr reizvollen Vogel im Bereich ihres Besitzes unter keinen Umständen zu dulden gewillt sind. H. W. Frickhinger. Anregungen und Antworten. „Kant und Herder als Vorläufer Weismann s." Zu den unter obigem Titel in Nr. 16 der Naturw. Wochenschr. abgedruckten Ausführungen W. May 's gestatte ich mir darauf hinzuweisen, daß lange vor den Tagen Kan t 's und H er d er 's schon ein Naturforscher, und zwar kein geringerer als Aristoteles, die Weism an n 'sehen Forschungsergebnisse intuitiv vorausgeahnt hat. Auf der im Juli 1916 zu Christiania abgehaltenen Naturforschcrversammlung zeigte einer der be- deutendsten nordischen Gelehrten, Prof. W. Johannsen aus Kopenhagen , zum ersten Male diese Tatsache der Über- einstimmung zwischen den Ideen Aristoteles' und Weis- mann's in bezug auf die Vererbungslehre auf, indem er darauf aufmerksam machte, daß bereits Aristoteles die Anschauung vertreten habe, der menschliche Körper baue sich aus Samenzellen auf, lasse aber bei dieser Arbeit stets einen Teil unverbraucht (ind somit zur Vererbung für die nächste Generation frei. Bei Aristoteles, dem ebenso scharfen Naturbeobachter wie Denker, stehen zu Anfang noch mehrere Auffassungen der Vererbung nebeneinander. Auf drei Punkte stützte er sich bei Aufstellung seiner Vererbungstheorie: einerseits wies er auf den unüberwindlichen Unterschied zwischen den ein- zelnen Menschen hin, andererseits hatte er beobachtet, daß „dennoch die Erziehung es vermag, die Natur zu ändern", und drittens, daß man vermittels Kreuzung die verschiedenen Eigenschaften modifizieren kann. Die ältere griechische Auffassung ging dahin, daß der Vater der einzige Erblasser im biologischen Sinne sei; Hippokratcs v/ar es , der die Theorie aufgestellt hatte., die Vererbung beruhe darauf, daß von allen Teilen des männ- lichen Körpers der Same sich die Eigenschaften sozusagen zusammenhole, so daß kleine Abbilder der Körperteile in ihm vertreten seien. Der Anteil der Mutter bestehe lediglich darin, die Frucht in sich aufzunehmen und ihr zum Wachstum zu verhelfen. Aristoteles hingegen verfocht die Ansicht, die in unseren Tagen Weismann mit Hilfe des modernen wissenschaftlichen Rüstzeugs ausgebaut hat, und die in dem geflügelten Wort von der Unsterblichkeit der Einzeller und dem ewigen Leben der Keimzellen — sowohl der Samen- körperchen wie der Eier — ihren Ausdruck gefunden hat. Die Keimzellen sterben, nach Weis mann, nicht, sondern vermehren sich durch Spaltung, und aus ihrer ewig sich er- neuernden Kette schießen die Menschen auf wie rasch ver- welkende Schößlinge aus einem immer lebenden Wurzelstock. Die Anschauung, daß nicht nur der Vater, sondern auch die Mutler Anteil habe an der Zusammensetzung des werdenden Wesens, vertritt auch schon Aristoteles. Wenn er auch nach wie vor den Anteil des Mannes für den eigentlich schöpferischen, lebengebenden hielt, während er das Weib mehr als diejenige ansah, die in ziemlich passiver Weise Material für das Wachsen der Frucht abzugeben hat, so finden wir hier doch den ersten, lange vor Entdeckung der Samenkörper im Mikroskop gemachten Anlauf zu der modernen Auffassung. Von dieser Vorstellung ausgehend, kommt Aristoteles zu einer Kritik der Hippokratischen Auffassung und erörtert mit großem Scharfsinn die Frage, inwieweit die Erblichkeits- einheiten, wie wir sie nennen würden, aus den verschiedenen Teilen des Körpers in den Samen zusammenströmen, und in einer späteren Schrilt nimmt er ausgesprochen Stellung für eine vollständige Kontinuität der Keimzellen. Hier treffen seine Anschauungen wiederum mit denen Weismann' s zu- sammen, der ja bekanntlich in dieser Kontinuität einen der wichtigsten Faktoren der modernen Vererbungslehre aufgestellt hat. Nach Weismann 's Theorie bilden nur die in den Geschlechtsdrüsen zurückgebliebenen .Anlagen den Ausgangs- punkt und Bestand für die Eigenschaften des nächsten Ab- kömmlings. Diejenigen Anlagen hingegen, die sich von den Keimzellen abspalten und in den (Jrganismus übergehen, verschwinden mit dem Individuum; die Eigenschaften, die das Individuum während seiner Entwicklung erwirbt, können ebensowenig vererbt werden. — Prof. Johannsen hat, wie erwähnt, die Übereinstimmung zwischen den Lehren des Aristoteles und Weismann's zum ersten Male aufge- deckt. Wohl waren im Verlauf des vorigen Jahrhunderts die gleichen Ideen noch einmal aufgetaucht — bei Golds on — , von einer Beeinflussung beider Forscher durch Aristoteles' Hypothesen ist jedoch nichts bekannt geworden. M. K. Zwei Erdbebenursachen von anscheinend noch unbeach- teter Möglichkeit. Gelegentlich einer Mitteilung über elek- trische Erscheinungen bei Erdbeben (S. 736 d. vor. Jahrg. d. Ztschr.) wies ich auf die Möglichkeit hin, daß in der Erd- kruste eingeschlossene umfangreichere Luftmengen, in sogenann- ten Hohlräumen, Gewitterbildung zulassen so oft sich hin- reichende elektrische Potentiale angesammelt haben, wozu dort keine ungünstigeren Bedingungen, als in Luflmeere außerhalb der Erdkruste, gegeben sein mögen, — im Gegenteil, manch- mal sogar günstigere, die entsprechend heftigere Gewitter auslösen, verbunden mitErschütterungen der umliegenden festeren Erdkrustenteile, bis zur äußeren Erdoberfläche, wo sie sodann als Erdbeben empfunden werden. Das Vorkommen von Massendefekten in der Erdkruste 552 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 39 gestattet nun aber noch eine weitere Möglichkeit, auf die hier meines Wissens ebenfalls zum ersten Male, als versuchs- weise denkbare Ursache von Krdbeben, hinge- wiesen sei : Wir kennen Gegenden der Erdober- fläche , wo vulkanische Ausbrüche, einst nichts Seltenes, seit vielen Jahr- tausenden nicht mehr zu- tage traten, die aber heute Erdbebenzentren sind. Gemeldete Beobachtun- gen aus solchen Gegen- den scheinen mir nun die Frage zu gestatten , ob dort immerhin auch heute noch vulkanische Wir- kungen fortdauern, deren Ausbrüche nur nicht nach außen, sondern nach innen, in die Massen- defekte der Erde hinein, gerichtet sind, so, bei- spielsweise, in lufi- oder wassergefüllte Kavernen, unter, neben oder über dem Vulkanherd, ein- dringend. Namentlich die reichliche Wasserüber- deckung der Ausbruchs- stelle in der Kaverne könnte, will mir scheinen, sehr wohl in Betracht kommen als wirksame Vorbedingung für eine merkliche Erschütterung der Erdkruste, bis zur äußeren Erdoberfläche, wo sodann auch der endovulkanische Aus- bruch sich als Erdbeben bemerkbar macht. Ganz besonders könnte dabei gefragt werden, ob nicht in sol- chen Kavernen die sehr bedeutende Masse der überlagernden Schichten den Abfall des Gravita- tionspotentials weniger steil macht, als er bloß unter Atmosphärendecke ist, so daß in den Ka- vernen größere Massen durch geringere Kräfte bewegt werden, als an unserer Erdoberfläche, — wo demgemäß bei- spielsweise die Gezeiten- erscheinung sich auf- fassen ließe, als ermög- licht durch vorüber- gehende partielle Paraly- sirung der irdischen Schwerkraft seitens der Lunargravitation und da- raufhin verursacht durch eine intermittirend frei werdende Kompo- nente der ,, Schleuder- kraft" in den plastischen Schichten des rotirenden Erdkörpers. J. J. Taudin Chabot. Sie mm is^etftnttiiditt itw^ dmudunXanM Literatur. Dem oll, Prof. Dr. R., Die Sinnesorgane der Arthropoden, ihr Bau und ihre P'unktion. Braun- schweig '17, Fr. Vieweg & Sohn. — 10 M. Schuster, PastorW., Die Tierwelt im Welt- kriege. Heilbronn, A.O. Müller. — 1,25 M. Inhalt: E. Hennig, Untersuchungen mit der Wünschelrute.! I Abb.) S.537. — H.W.Frick- hinger. Die deut- schen Seidenbaubestre- bungen und das Pro- blem der Schwarzwur- zelfütterung. S. 541. — Einzelberichte : Stremmc, Über die geologischen Ursachen der Zerstörung von Tal- sperren. S. 545. J. O f fe r mann, Beiträge zur Geologie der Ko- lonie Neupommern. S.546. O.Greulich, Die Kreolen. S. 546. Bardachzi u. Zol- ta n , Mitteilungen über das auffallend häufige V'orkommen der Faden- würmer (Nematoden) als Darmschmarotzer des Menschen im Osten, besonders in Wol- hynicn. S. 547. H. Rausch V. Trau- be nberg, Röntgen- röhre, die auf ver- hältnismäßig einfache Weise gestattet nach- einander die Röntgen- spektren verschiedener Metalle zu untersuchen. S.548. A ins He, Vor- übergang des Saturn- ringes. S. 548. S. Oppenheim, Bau des Universums. S. 548. K. Escherich, Be- kämpfung der Läuse- plage. S. 549. R. u. E. Richter, Die Lichadiden des Eifler Devons. S. 549. En- nerst, Wildschaden durch Fasanen. S. 550. L.Reh, Die Schädlich- keit der Amseln. S. 550. — Anregungen und Antworten: Kant und Herder als Vorläufer Weismann's. S. 55 1. ZweiErdbebenursachen von anscheinend noch unbeachteter Möglich- keit. S. 551. IWAni.sk-, pie und Zu- schriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. ra. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 16. B :r ganzen Reihe 32 Sonntag, den 7. Oktober 1917. Nummer 40. Gehört die Psychologie zu den Naturwissenschaften Von Dr. Aloys Müller. Die Frage, ob die Psychologie zu den Natur- wissenschaften gehört, hat man vielfach von einem prinzipiellen Standpunkte aus zu beantworten gesucht. Im allgemeinen sind dabei zwei gegen- sätzliche Auffassungen hervorgetreten. Die eine betrachtet die Psychologie von vorneherein als philosophische Disziplin. Anstatt den Tatbestand der Erfahrung unbefangen hinzunehmen und zu durchforschen, läßt sie sich von populären Ge- danken oder von erkenntnistheoretischen Sonder- interessen zu einer Konstruktion der Psychologie verleiten, die mit Metaphysik anfängt und endigt. Sie legt natürlich Sternenweite Unterschiede zwi- schen Psychologie und Naturwissenschaft. Die zweite Auffassung erklärt alles Psychische physio- logisch. Psychisch ist ihr nur ein Wort, ein Name, den man im populären Sprachgebrauch dulden kann. Sie ; muß ebenso selbstverständlich die Psychologie zur Naturwissenschaft schlagen. Beide Standpunkte sind heute in der wissen- schaftlichen Psychologie durchschnittlich über- wunden. Heute will man wissen, wie das psychische Leben in Wirklichkeit aussieht, und hat jedenfalls soviel erkannt, daß es, rein phänomenologisch be- trachtet, ein Geschehen sui generis und mit dem physischen Geschehen unvergleichbar ist. Die heutige psychologische Wissenschaft hat den prin- zipiellen, konstruierenden Standpunkt verlassen. Es fragt sich nun, ob in ihren Augen die Psycho- liogie zur Naturwissenschaft zu rechnen ist oder nicht. Die folgenden Ausführungen wollen die Antwort geben. I. Die Geschichte zeigt einen bestimmenden Einfluß der Naturwissenschaft auf die heutige Psychologie. Es ist vielleicht ein Irrtum, die Entstehung der Psychologie ganz auf die Einwirkung der Natur- wissenschaft zurückzuführen. Bei der Geburt einer Wissenschaft wirken so viele Motive, oft dem äußeren Blick verborgen, zusammen, daß man selten eines allein verantwortlich machen kann. So mag die Voraussetzung für die Möglichkeit einer wissenschafdichen psychologischen Arbeit in dem langsamen Wandel und der Konzentration des Denkens gelegen sein, die sich, u. a. von Kant und dem deutschen Idealismus genährt, im Anfange des 19. Jahrhunderts vollzogen. Ein eigenartiges Spiel von Motiven begann damals. Indem die genannten Einflüsse, vor allem durch die gründliche (wenn auch einseitige) Überwindung der Lehre vom inneren und äußeren Sinn und durch die Heraushebung des Subjektiven in der Erfahrung, den Sinn vom Äußeren aufs Innerliche, Geistige wandten, riefen sie das Interesse an der P.sychologie wach und schufen auch die Voraus- setzung für ein besseres Verständnis des Charakters des Psychischen. Dieselbe Philosophie aber, aus der ein Teil dieser Wirkungen hervorging, weckte als Gegensatz zu ihrer willkürlichen Phantasie- konstruktion der Wirklichkeit den naturwissen- schaftlichen Tatsacheninstinkt, der die Natur- wissenschaft gegen Ende der ersten Hälftes des genannten Jahrhunderts zu einer gewaltigen Höhe zu erheben begann. Sobald aber dieser Tatsachen- sinn wieder zum Bewußtsein erwacht und erstarkt war und sich auszuwachsen begann, wirkte er seinerseits bestimmend auf das gerade aus dem Schlummer sich erhebende Interesse für psycho- logische Dinge ein, das teilweise von denselben Motiven positiv ausgelöst worden war, die ihn selber negativ ausgelöst hatten. In dreifacher Hinsicht ist der Einfluß der Naturwissenschaft erwähnenswert. Einmal wurde der Geist jetzt entschieden auf die Tatsachen, auf Erfassung der Wirklichkeit, auf Empirie gerichtet. Die Wirklichkeil ist da und muß erforscht werden ; sie wird nicht a priori konstruiert. F'ürs zweite wurden die Forschungsmethoden und ihre Hilfs- mittel aufs Feinste ausgebildet. Fürs dritte end- lich hat einer der größten naturwissenschaftlichen Gedanken, der damals bewußt formuliert wurde, tief eingewirkt: ich meine das Energieprinzip. Und zwar mittelbar und unmittelbar: mittelbar, indem es die biologischen und physiologischen F"orschungen förderte, unmittelbar, indem es eine umfassende gesetzmäßige Natureinheit zu verbürgen schien. Man wird heute das letztere vielleicht nicht ganz verstehen, wie es ja überhaupt schwer ist, bei veränderten Lagen die Wirksamkeit histo- rischer Motive zu würdigen. Aber man braucht nur den V.Abschnitt in F"echn er's „Elementen der Psychophysik", einem der ersten wissenschaft- lichen Werke der I^sychologie, einzusehen, um den gewaltigen Einfluß zu fühlen, den das Energie- prinzip auf die Konzeption der Psychophysik aus- geübt hat. Gewiß spielen auch hier wieder Ge- danken allgemeinerer, philosophischer Art hinein. Aber es ist bei der Entwicklung der Naturwissen- schaft nicht anders gegangen. Von ganz besonderem Einfluß war unter den Naturwissenschaften die Physiologie, und deshalb muß ihr ein eigenes Wort gewidmet sein. Sie machte auf die umfassende Bedingtheit des Psy- chischen durch das Physiologische aufmerksam. Durch sie wurde eine Menge von neuen Tatsachen und Zusammenhängen entdeckt und von bekannten S54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 40 verständUch. Ihre Methoden wurden direkte Vor- bilder für die psychologische Forschung. Der Name von Helmholtz allein mag an die Be- deutsamkeit der Berührung von Physiologie und Psychologie erinnern. Helmholtz war dabei außerordentlich behutsam. Er sagte sogar einmal, er wolle die Erscheinungen des Sehens lieber auf die tatsächlich vorhandenen, wenn auch noch un- erklärten einfachen psychischen Tätigkeiten auf- bauen als auf Hypothesen über die Einrichtung des Nervensystems und die Eigenschaften der Nervensubstanz. So dachte man nicht immer. Der Einfluß der Physiologie war so mächtig, daß das berechtigte Suchen nach der Gebundenheit der Seele an das Gehirn, wie in den einleitenden Worten schon angedeutet, in den prinzipiellen Standpunkt einer dogmatischen physiologischen Metaphysik umschlug, die zwar heute im wesentlichen überwunden ist, deren Nachwir- kung aber auf einzelnen Gebieten immer noch verspürt werden kann. Erst die letzten Jahre haben die Einführung psychologischer Gesichts- punkte in Forschungsbezirke gebracht, wo bis dahin unbestritten die Physiologie die Herrschaft hatte; so haben wir noch nicht lange erst eine Psychologie der Raumwahrnehmung des Auges, den Versuch einer psychologischen Gedächtnis- hypothese u. a. Schließlich ist noch ein naturwissenschaftlicher Gedanke von großer Bedeutung für das Wachs- tum der Psychologie geworden, nämlich der erst von Darwin im vollsten Umfang in die Wissen- schaft eingeführte Entwicklungsgedanke. Unter seinem Einfluß entstanden Kinder- und Tierpsy- chologie, und zur Entwicklung der Völkerpsychologie hat er Großes beigetragen. II. Unter diesem Einfluß mußte die Psychologie werden, was sie geworden ist, eine Tatsachen - wissenschaft. Damit nahm sie auch dieselbe Stellung zur Erkenntnistheorie ein, die die Natur- wissenschaft sich errungen hatte: sie wurde er- kenntnistheoretisch neutral. Es ist richtig, daß die Philosophie an der Ent- stehung und Entwicklung von Naturwissenschaft und Psychologie beteiligt gewesen ist. Es ist richtig, daß gewisse philosophische Anschauungen für ein naives Denken in Naturwissenschaft und Psychologie naheliegen und auch oft als nahezu selbstverständlich betrachtet wurden. Es ist richtig, daß wohl schwerlich ein Naturwissenschaftler und Psycholog ohne eine bestimmte philosophische Auffassung der Dinge der Welt gelebt hat. Aber ebenso richtig ist es, daß die Wissenschaft der Natur und des Psychischen von allen philo- sophischen Weltanschauungen unabhängig ist. Phänomenologisch ist uns Psychisches und Physi- sches, jedes in seiner Eigenart, gegeben. Die Erlebniswirklichkeit zeigt uns physische Dinge und Vorgänge und psychisches Geschehen. Aller- dings faßt sie der naive, nicht kritische Mensch gewöhnlich realistisch. Aber von solchen Deutungen des Gegebenen müssen wir hier absehen. Der Erlebniswirklichkeit unterliegt jeder Erkenntnis- theoretiker seine Auffassung. Sie ist also mit keinem dieser hunderterlei Standpunkte in der Weise notwendig verbunden, daß von ihr ein Weg zu einem von ihnen hinführte. Sie ist Aus- gangspunkt und Endpunkt für alle Formen des kritischen Denkens. Ein Beispiel mag meine Meinung über diese Dinge ganz deutlich machen. Als einst Galilei den Kampf um das kopernikanische System kämpfte, wurde von seinen Gegnern immer wieder der Auf- und Untergang der Sonne als ein Moment für Ptolemäus ins Feld geführt. Galilei erwiderte darauf im Saggiatore mit der folgenden klugen, aber von seinen Gegnern nie verstandenen Über- legung: Wenn Kop er n i ku s Recht hat, wie muß dann der scheinbare Sonnenlauf aussehen? — Ge- nau so, wie er in Wirklichkeit aussieht. Wenn Ptolemäus Recht hat, wie muß er sich dann darstellen? — Gleichfalls genau so, wie er sich in Wirklichkeit uns darstellt. Also muß zwar jedes Weltsystem die Wirklichkeit, die wir sehen, ableiten können, aber diese Wirklichkeit spricht weder für noch gegen Kopernikus oder Ptolomäus. Genau so ist es in unserem Falle. Die Er- lebniswirklichkeit beweist nichts für irgendeine Erkenntnistheorie. Sie ist das Rohmaterial, bei dem alles Forschen einsetzt. Sie genügt auch der Naturwissenschaft und der Psychologie. Die erkenntnistheoretische Neutralität dieser Wissen- schaften ist ein strenger und scharfer Ausdruck für ihren Erfahrungscharakter oder, wenn man will, seine notwendige Grundlage. Diese Wissen- schaften fragen sich nicht, was das „Wesen" des Physischen und Psychischen sei, ob es „im tiefsten Grunde" wirklich Verschiedenes oder doch Eines sei und in welchem Sinne Eines; das metaphysische „Wesen" eines Dinges ist nichts, das zur Kenntnis seiner Wirksamkeit innerhalb des Gegebenen auch nur ein Jota beitragen könnte. Diese Auffassung hat in der Naturwissenschaft weit mehr ihre Heimat gefunden als in der Psychologie. Wenn ein Lehr- buch der Physik es versuchen würde, den Idealis- mus zu verteidigen, oder zu zeigen, daß der Stoff aus materia prima und forma substantialis bestehe oder im Grunde etwas Psychisches sei, so würde der gesunde Instinkt der Physiker sich dagegen auflehnen, auch wenn sie die wissenschaftstheore- tische Unterlagen für ihre richtige Empfindung nicht geben konnten. Seltsamerweise läßt man so etwas in der Psychologie noch immer durch- gehen; es gibt wenige Lehrbücher, die sich davon frei halten. Aber für uns kommt es ja auch nicht darauf an, wie die einzelnen Gelehrten darüber denken, die sich meistens nicht einmal Rechen- schaft über solche Dinge geben. Sondern wir suchen das Ideal einer Wissenschaft zu zeichnen, wie es sich dem heutigen kritischen Denken dar- N. F. XVI. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 555 stellt. Und die Wissenschaft ist ja mehr als die Summe der Gedanken ihrer Vertreter. Eine Grundlage der Naturwissenschaft und Psychologie, die der vorstehenden auf den ersten Blick ähnelt, ist von Mach und neuerdings von Ziehen (Die Grundlagen der Psychologie. 2 Bde. 191 5) zu geben versucht worden. In Wahrheit ist sie wesentlich von der unseren verschieden. Ziehen geht vom Gegebenen aus und versteht darunter alles, was wir erleben, und so, wie wir es erleben. Das ist scheinbar unser Ausgangs- punkt. Dadurch, daß Ziehen aber das Gegebene in die zwei Klassen der Empfindungen und Vor- stellungen einteilt, zeigt er, wie wesentlich anders er es auffaßt. IVIir scheint seine Auffassung schon eine Deutung des Gegebenen einzuschließen. Denn niemand erlebt in seiner Wirklichkeit nur Kom- plexe von Empfindungen und Vorstellungen; das sagt ihm erst die kritische wissenschaftliche Analyse. Von dieser Deutung schreitet nun aber Ziehen, ähnlich wie IVlach, sofort zur Metaphysik. Denn er behauptet (I, 7), es folge aus dem Begriffe des Gegebenen, daß die Bildung einer Vorstellung von etwas, das von dem Gegebenen absolut wesens- verschieden wäre, unmöglich sei. Das heißt mit anderen Worten, daß das Gegebene — Empfin- dungen und Vorstellungen — die Wesensbestand- teile der Welt darstellt, — und das ist, man mag es drehen und wenden wie man will, Metaphysik. Als Beispiel, wie man es nicht machen soll, mag dieser Ansatz Ziehen 's hier stehen bleiben. Man darf nun zweierlei an unserer Auffassung nicht mißverstehen. Erstens ist durch sie die Theorie der in Betracht stehenden Gebiete gar nicht ausgeschlossen. Der Physiker entwirft Weltbildermit Molekeln, Atomen, Ionen, Elektronen, Magnetonen usw., ohne aufzuhören, erkenntnistheoretisch neu- tral zu sein. Es war ein Irrtum Mach 's und ein Zeugnis für seine heimliche Metaphysik, wenn er zufolge seines „nichtmetaphysischen" Stand- punktes die Atome usw. verwerfen zu müssen glaubte; man darf sie natürlich ablehnen, aber die Ablehnung kann niemals in dem nichtmetaphysisciien Charakter der Stellungnahme ihren Grund finden. Der Psycholog kann sich beliebige Bilder von den psychischen Elementen, ihrem Charakter, ihrer Zahl, ihren Verbindungen und ihrer Entwicklung machen, ohne die erkenntnistheoretische Neutralität seiner Wissenschaft zu verletzen. Ja er braucht sie sogar nicht zu verletzen, wenn er sich des psychologischen Parallelismus und der Wechsel- wirkungstheorie als psychologischer Deutungs- prinzipien bedient. Sobald ein Forscher einen metaphysischen Standpunkt einnehmen will, formen sich seine phänomenologischen Theorien nach diesem Standpunkte um. Zweitens leugnet unsere Auffassung nicht, daß Naturwissenschaft und Psychologie zu philosophi- schen Problemen führen können und sogar führen müssen. Man hat in leicht verständlichem Miß- trauen auf der naturwissenschaftlichen Seite die Philosophie lange Zeit schief angesehen ; der Nach- geschmack der S c h e 1 1 i n g ' sehen Naturphilosophie war noch zu stark. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich die Anschauung gewandelt. Heute haben, ohne daß es irgendwie auffällt, Werke, wie die „Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften", die „Kultur der Gegenwart" in dem Teil, der die Mathematik, Naturwissenschaften und Medizin um- faßt, die Behandlung philosophischer Fragen vor- gesehen und zum Teil schon durchgeführt. Ähn- lich sehen auch zahlreiche Psychologen die Philo- sophie als ein Gebiet an, wo die docta ignorantia Herrscherin ist. Auch das ist nach Lage der Dinge unschwer verständlich, geht aber theoretisch ent- schieden zu weit, wie man auch heute einzusehen beginnt. Payot, ein Ribot -Schüler, bemerkt einmal treffend: die heutige Auffassung schließt nicht die Psychologie von der Metaphysik, sondern die Metaphysik von der Psychologie aus. III. Eine Folge des empirischen Charakters der Psychologie ist das Eindringen psycholo- gischer Betrachtungen in dieTier- und Pflanzenkunde. Tierpsychologie ist zwar seit dem Altertum betrieben worden, bestand aber größtenteils in oberflächlicher Anlehnung an die menschliche Psychologie oder in metaphysischen Konstruk- tionen. Die Tierkunde hatte Recht, wenn sie sich gegen solche unwissenschaftlichen Versuche wehrte. Sie hatte allerdings Unrecht, wenn sie in den ent- gegengesetzten Fehler verfiel und kein Psychisches anerkennen wollte. Das alles ist in neuerer Zeit anders geworden. Die Tierpsychologie hat sich, wie die Psychologie des Menschen, zu einer Er- fahrungswissenschaft entwickelt, und nun verschließt sich die Naturwissenschaft ihr auch nicht länger. In naturwissenschaftlichen Jahrbüchern pflegen Be- richte über tierpsychologische Arbeiten wieder- zukehren, naturwissenschaftliche Sammelwerke scheuen sich nicht, solche aufzunehmen, und in Lehrbüchfern der Biologie der Tiere findet man häufig genug psychologische Ausführungen. Man hat das richtige Bewußtsein, daß zu den Lebens- äußerungen der Tiere auch die psychischen gehören. Nicht so günstig steht die Sache in der Pflanzenkunde. Seit Lamarck hat man immer wieder psychische Faktoren hinter Äußerungen des pflanzlichen Lebens finden wollen; nicht immer mit der nötigen Vorsicht. Erst in der neuesten Zeit haben diese Versuche einen wirklich wissen- schaftlichen Charakter angenommen. Trotzdem die Entwicklungslehre, wie es scheint, zur Aner- kennung wenigstens des Daseins solcher Faktoren zwingt, haben sie bei den Botanikern noch lange nicht dieselbe Liebe gefunden wie bei den Zoologen. Jedenfalls stellen die besprochenen Verhältnisse den Anfang eines Ineinanderdringens zweier Wissen- schaften dar, die bisher weit geschieden waren. Sie beruhen auf dem Gefühl eines gewissen Zu- sammengehörens, einer Art von Verwandtschaft, 556 Maturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 40 sind aber noch nicht der Ausdruck einer klaren methodischen Einsicht. IV. Hat die tatsächliche Entwicklung der Psycho- logie ihren Charakter als Erfahrungswissenschaft ganz außer Zweifel gestellt, so ist dieser Charakter wissenschaftstheoretisch aber erst dadurch begründet worden, daß man die Struktur der Psychologie hauptsächlich im Gegensatz zur Logik — im allgemeinen zu jeder Wissenschaft, die sich mit Werten beschäftigt — erfassen gelernt hat. Weil dieser Punkt grundlegend, aber auch schwierig ist, müssen wir bei ihm etwas länger verweilen. Eingesetzt hat diese Aufklärung nicht bei der Psychologie, sondern bei der Logik. Befaßt die Logik sich mit dem „Denken", so gehört sie eigent- lich zur Psychologie; denn das Denken geht doch in unserer Seele vor sich. Andererseits sind die Verschiedenheiten der beiden Gebiete so augen- fällig, daß man das eine nicht als einen Teil des anderen ansehen kann ; um sie zu scheiden, waren deshalb gezwungene Konstruktionen nötig. Wenn man Heidegger (Die Kategorien- und Bedeu- tungslehre des Duns Scotus. 1916) glauben darf, dann hat Scotus — und vielleicht auch ein großer Teil der Scholastik — den Sinn der Logik schon klar erfaßt. Jedenfalls ist aber diese Er- rungenschaft, wenn sie bestand, vollständig ver- loren gegangen ; die Überreste der Scholastik, die sich in die heutige Zeit hinübergerettet haben, weisen keine Spur eines solchen Verständnisses mehr auf. Die wissenschaftstheoretische Grundlage der Logik hat erst das vorige Jahrhundert geschaffen. Mit Bolzano (Wissenschaftslehre 1834 ff.) und mit Lotze (Logik 1874) traten die Ansätze zur richtigen Bestimmung des Gegenstandes der Logik auf, der dann von Husserl, besonders aber von Rickert in seiner ganzen Klarheit erfaßt wurde. Auf der psychologischer^Seite ging die Scheidung der psychologischen und der logischen Frage- stellung erst im Beginn dieses Jahrhunderts haupt- sächlich von K ü 1 p e und seinen Schülern aus. Heute ist durch dieses Ineinanderarbeilen von zwei Seiten die allgemeine Frage nach dem Charakter des „Denkens" völlig geklärt, wenn auch die nähere Erforschung beiderseits erst in den Anfängen steckt. Das „Denken" kann etwas Psychisches und etwas Logisches bedeuten. Um das aufzuzeigen, gehen wir von dem Element alles Denkens, dem Urteil, aus. Wenn ich bei Betrachtung von Natur- schauspielen oder Kunstwerken oder beim Lesen von Büchern in einer Auseinandersetzung über ästhetische Dinge oder in der plötzlichen Erregung des Erlebnisses das Urteil spreche : „Das ist schön", so ist in all diesen Fällen das, was psychisch in mir verläuft, denkbar verschieden. Aber „in" dieser Verschiedenheit, „in" dem ständigen Wechsel und Ablauf finden wir etwas Identisches, Beharrendes: den „Sinn" des Urteils. Er ist in allen Fällen derselbe; er ist also nichts Psychisches. Er besitzt eine eigene Wirklichkeitsform, für die Lotze den treffenden Ausdruck eingeführt hat: er „ist" nicht zeitlich wie das Physische und Psychische, sondern er „gilt". Dieses Gelten ist zeitlos; was einmal gilt, gilt ewig, und wäre es auch nur der Sinn eines so gleichgültigen Urteils wie dieses: Augenblicklich regnet es. Mit diesem Sinn der Urteile befaßt sich die Logik; er ist ihr eigent- licher Gegenstand, und da wir alles, was gilt, einen Wert nennen, so ist die Logik eine Wert- wissenschaft. Für uns ist nun aber wichtiger, daß wir jetzt imstande sind, den Begriff des Psychischen zwar nicht zu definieren — denn solche elemen- taren Erlebnisgegenstände lassensichnicht definieren — , aber eindeutig zu umschreiben: Psychisch nennen wir alles, was neben dem Phy- sischen und Physiologischen in lebenden Wesen zeitlich abläuft. Als Charakteristikum des Psychischen gibt man oft auch die Bewußtseinswirklichkeit an. Das paßt vielfach, aber nicht immer, vielleicht nicht einmal meistens. Will man Physisches und Psychisches im Gegensatz zum Logischen, überhaupt zu jedem Geltungsbehafteten charakterisieren, so muß man als die Wirklichkeitsform beider Gegenstände das zeitliche Sein hinstellen. Da für jeden, der sie zum erstenmal kennen lernt, diese Aufklärung nicht leicht verständlich ist, so sei sie noch an zwei Analogien verdeutlicht. Das erste Bild werden nur physikalisch gut Gebil- dete ganz verstehen. Logischer Sinn und psychi- scher Vorgang verhalten sich in manchen Punkten ähnlich wie Entropie und Energie. Energie und Entropie sind zwei völlig verschiedene Gegen- stände: Energie ist eine physikalische Größe, Entropie eine mathematische Funktion. Das Psychische ist ein zeitliches Geschehen, das Logi- sche ein zeitloses Gelten. Die Entropie ist eine Funktion eines Teiles der Energie eines Systems; das Logische ist eine Funktion eines Teiles der psychischen Vorgänge eines Individuums. Entropie ist Energie, aber gemessen in einem besonderen Maße, dem Wertmaße; Logisches ist Psychisches, aber gemessen mit dem Wertmaßstab. In einem geschlossenen System ist die Energie konstant, ändert sich aber die Entropie; nach dem von Planck modifizierten N ernst 'sehen Theorem hat die Entropie, falls das System ein chemisch- homogener Körper ist, beim absoluten Nullpunkt den Wert Null. Ahnlich kann beim kleinen Kinde (und beim Tiere) das Psychische in nuce identisch sein mit dem Psychischen des Erwachsenen, das Logische ist nicht vorhanden; wandeln sich dann im Laufe der (ontogenetischen oder phylogene- tischen) Entwicklung psychische Elemente um in andere oder treten neue Beziehungen zwischen ihnen auf, so beginnt bei einer gewissen Stufe des Werdens das Logische zu wachsen. Man sieht : Logisches und Psychisches sind aufs engste mit- einander verbunden. Sie sind nicht zwei Arten des Geschehens, die einander parallel laufen, auch nicht zwei Teile eines Geschehens; das ist beides schon durch den Charakter des Logischen ausge- N. F. XVI. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 557 schlössen. Man kann sie nicht einmal als zwei Seiten eines Geschehensansehen. Sie sind viel- mehr derselbe Gegenstand, von zwei verschiedenen Standpunkten aus betrachtet, die aber toto coelo auseinanderliegen und die man etwa als den Ouantitäts- und den Wertstandpunkt bezeichnen könnte. — Das zweite Bild ist dem praktischen Leben entnommen: Der Hundertmarkschein. Das Papier des Scheins mit seinen physikalisch-chemi- schen Eigenschaften entspricht dem Psychischen, sein Wert innerhalb des sozialen Lebens dem Logischen. Auch hier zeigt sich, wie das eine (das Papier) identisch dasselbe bleiben kann, während sein Wert (z. B. durch Ungültigkeits- erklärung) gleich Null wird. Ich möchte noch bemerken, daß hauptsächlich nur der Unterschied der Gegenstände der Logik und der Psychologie durch diese beiden Bilder veranschaulicht, nicht aber die Frage nach dem Ver- hältnis des Logischen und Psychischen gelöst werden soll. Dieses letztere Pro.blemgehörtzudenschvvierig- sten der Forschung, vor allem insofern wir wissen, daß das Logische auf das Psychische wirken muß, ohne daß wir uns bis heute wegen der Verschieden- heit dieser Gegenstände auch nur durch ein Bild verständlich machen können, wie das möglich ist. — Von hier aus nun wird der Vergleich der Psychologie mit den Naturwissenschaften ganz klar. Früher zählte man die Psychologie zu den Geistes- wissenschaften, die sich mit allem beschäftigen sollen, das irgendwie psychische Eigenschaften und Vorgänge voraussetzt, während alles, was ohne Rücksicht auf solche Vorgänge untersucht werden kann, den Naturwissenschaften zufiel. Wir haben aber gesehen, daß der Schnitt anders gemacht werden muß. Die Gegenstände der Naturwissen- schaften und der Psychologie sind durch die gleiche Wirklichkeitsform des zeitlichen Seins charakteri- siert. Ferner läßt sich, was wir hier nicht näher ausführen können, die Beziehung zum Wert, den wir auf einem bestimmten Gebiet als Gegen- stand der Logik festsetzten, bei allen Geistes- wissenschaften mit Ausnahme der Psychologie in irgendeiner Form wiederzufinden. Die Psy- chologie teilt also mit den Naturwissenschaften dieselbe Stellung zum Werte und ist dadurch von allen anderen Wissenschaften aufs schärfste ge- schieden. Die wissenschaftslheoretische Grundlage der Naturwissenschaften und der Psychologie ist die nämliche. Gegen diese Zusammenfassung von Psychologie und Naturwissenschaft sind manche Einwen- dungen erhoben worden. Ich lasse die älteren (z. B. von Münsterberg, Natorp) unberück- sichtigt, weil sie sich nicht auf die Erfassung der logischen Struktur aus dem Eigenleben der Wissen- schaften gründen, sondern aus allgemeinen philo- sophischen Ansichten fließen. Nur die zwei neuesten bespreche ich, von denen die eine manche kritiklose Zustimmung erfahren hat, während die andere die Notwendigkeit des Eingehens auf einen gewissen Punkt vor Augen stellen kann, der uns später beschäftigen wird. I. F. Krüger (Über Entwicklungspsychologie 1915) meint, die heutige Psychologie sei von dem Gedanken einer atomistischen Mechanik ergriffen, sie wolle allgemeine Gesetze finden, woraus das psychische Leben ableitbar sei, wie in der Physik die tatsächlichen Bewegungserscheinungen aus den allgemeinen Prinzipien der Mechanik. Das sei unmöglich. Die Psychologie verkenne, daß es sich um psychisches Leben handele, das sich ent- wickele, und zwar nicht nur im einzelnen Individuum, sondern vor allem auch in großen kulturellen, überhaupt sozialen Verbänden. Die Psychologie gehöre deshalb nicht zu den Natur- wissenschaften, sondern den speziellen Geistes- wissenschaften. In diesen Gedanken Krüger 's treffen wir zum erstenmal auf eine irrige Verallgemeinerung die uns noch mehrmals begegnen wird: Weil die Psychologie nicht ist wie die Physik, gehört sie nicht zu den Naturwissenschaften. Die Physik wird also als Repräsentant, als Typus der Natur- wissenschaft angesehen. Nun wird aber kein ver- nünftiger Psycholog seine Wissenschaft nach Ana- logie der Physik oder sogar der Mechanik auf- fassen, soweit die Ableitbarkeit des tatsächlichen Geschehens in Frage steht. Aber wenn sie selbst in betreff dieser Dinge vom Typus der anorgani- schen Naturwissenschaften wäre, so würden Ent- wicklungsfragen zu ihr in demselben Verhältnis stehen, wie sie zu diesen stehen: so wenig Chemie, Physik, Geophysik, Astronomie usw. dadurch, daß es eine Entwicklungsgeschichte der Elemente, der Erde, des Weltalls gibt, aus der Reihe der Natur- wissenschaften gestrichen werden müssen, so wenig gehört die Psychologie infolge der Tatsache, daß das Individuum und die Gattung ihre Entwicklung haben, zu den Geisteswissenschaften. Wir werden aber noch sehen, daß die Psychologie im allge- meinen dem Typus der biologischen Wissenschaften näher kommt, in denen der Entwicklungsgedanke noch viel mehr bedeutet, ohne daß sie dadurch aufhörten, Naturwissenschaften zu sein. Das einzige, was an den mitgeteilten Gedanken Krüge r's richtig erscheint, ist dieses, daß die Entwicklungs- geschichte unter Umständen eine Wertbeziehung einschließen kann und daß sie, insofern sie das tut, wissenschaftstheoretisch ein Zwischengebiet zwischen den beiden von uns unterschiedenen großen Wissenschaftsgruppen einnimmt. Aber Krüger will die Verbindung zwischen Psychologie und Entwicklungsgedanken weit inniger machen, als wir sie bei dieser Kritik vorausgesetzt haben und als die Naturwissenschaft sie auf ihrem Gebiete kennt; er behauptet, das psychische Leben sei ohne Entwicklungstheorie schlechterdings un- verständlich. Darin steckt indes eine große Über- 558 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 40 treibung, die allein schon durch die Tatsachen der psychologischen Forschung als solche gekenn- zeichnet ist. Die Analogie mit den Naturwissen- schaften läßt sich nicht wegleugnen. Je kom- plexer oder je vereinzelter eine Erscheinung ist, desto mehr nimmt im allgemeinen ihre kausale Erklärung den Charakter einer entwicklungs- geschichtlichen an; je elementarer und verbreiteter eine Erscheinung ist, desto mehr ist ihre Erklärung einfach kausal. Diese Regel ist in ihrem Grunde unschwer begreiflich. Zwischen kausaler und ent- wicklungsgeschicklicher Erklärung besteht kein scharfer Schnitt; die letztere ist ebenfalls kausal, nur daß sie sich auf ein Geschehen bezieht, das einen längeren Zeitraum umfaßt und in dem ge- wöhnlich eine Reihe von Ursachen zusammen- wirkt. Infolgedessen gibt es Erklärungen, bei denen man im Zweifel ist, wie man sie bezeichnen soll; würde man zum Beispiel die Erklärung, der Ton entstehe dadurch, daß die Feldspäte ihre alkalischen Bestandteile bei der Verwitterung ver- lieren,entwicklungsgeschichtlich oder kausal nennen? Es bestehen notwendig Übergänge zwischen den beiden im Wesen gleichen Erklärungsarten. Nie- mals kann deshalb eine von ihnen ein Kriterium für die prinzipielle Scheidung von Wissen- schaften darstellen. Im übrigen verteilen sich die beiden Erklärungsarten auf die Psychologie nicht wesentlich anders als auf die Naturwissenschaften. Genau so wie in der Chemie die Verbindungs- gesetze der Elemente, in der Biologie das Leben der Zelle ohne entwicklungsgeschichtliche Betrach- tung erforschbar und verständlich sind, so in der Psychologie der Verlauf der psychischen Vorgänge, der bei allen Menschen wesentlich derselbe ist. Sobald es sich aber um die Bildung von Gebirgen, um Anpassungserscheinungen, um Sprache, Kunst, Mythus handelt, muß die Erklärung entwicklungs- theoretisch werden. Nicht als ob die Entwick- lungsgeschichte nicht auch schon elementare Vor- gänge beleuchten könnte; es kommt hier darauf an, daß der tatsächliche und gesetzmäßige Bestand erst festgestellt sein muß, ehe er als Unter- lage für entwicklungstheoretische Überlegungen dienen kann, tihe man erforschen kann, wie etwas geworden ist, muß man wissen, wie es ist. Eine Wissenschaft wird also um so mehr Anknüpfungs- punkte für solche Darlegungen bieten, je weiter sie fortschreitet. Man muß aber beachten, daß das im allgemeinen nur dann gilt, wenn man den Werdegang nicht unmittelbar sich vollziehen sieht, ihn also nicht direkt erforschen kann; es paßt z. B. nicht mehr ganz auf die ontogenetische Entwick- lung des Menschen. — Das Beigebrachte wird genügen, um zu zeigen, wie wenig Krüger be- rechtigt ist, einen prinzipiellen Unterschied der Psychologie von den Naturwissenschaften auf den Entwicklungsgedanken zu bauen. 2. Für W. Strich (Prinzipien der psycholo- gischen Erkenntnis 1914) ist die Zusammen- gehörigkeit von Psychologie und Geisteswissen sogar „selbstverständlich" (S. V). Die Psychologie sei von der Naturwissenschaft grundsätzlich verschieden. Denn die Zeit habe für die Naturwissenschaft keine Bedeutung. Die Naturwissenschaft beschäftige sich mit den historischen Tatsachen als zeitlosen, der Sinn ihrer Gesetze sei die Zeitlosigkeit, d. h. die (endgültigen, absoluten) Gesetze gelten zeitlos. Dagegen habe die Zeit für die Psychologie grund- legende Bedeutung. Die Psychologie beschreibe historisches Geschehen. Sie kenne keine Gesetze und keine Erklärungen (als Fallen eines einzelnen unter ein Gesetz), sie sei eine Sammlung von Wahrnehmungsurteilen. Sie sei Geschichte, und Geschichte sei psychologische Erkenntnis. In dieser Auffassung stecken seltsame Mißver- ständnisse. Wir wollen nicht annehmen, daß das zeitlose Gelten des Sinnes der Gesetze als Urteile mit dem ewigen Bestehen der Gesetze verwechselt ist, trotzdem die Verkennung des Wertbegriffes darauf hinzuweisen scheint. Die Naturwissenschaft ist nun durchaus nicht gezwungen, alle Gesetze als ewig bestehend anzusehen. So ist es beispiels- weise möglich, daß das Gesetz des Wachstums der Entropie im geschlossenen System nur für die heutige Weltperiode gilt. Das ist lediglich eine Tatsachenfrage, die sich aus dem Begriff des Gesetzes heraus nicht entscheiden läßt. Selbst wenn aber Strich das Ideal des naturwissen- schaftlichen Gesetzes richtig zeichnet, dann folgt daraus nicht, daß die Zeit für die Naturwissenschaft keine Bedeutung habe. Die Naturwissenschaft hat nicht nur Gesetze aufzustellen, sondern diese Ge- setze sind ihr ein Mittel zum Zweck, nämlich zum Bestimmen der Veränderungen in der Zeit. Man muß eine hundertfache Binde vor Augen haben, um nicht zusehen, wie sich die Relativitätsüber- legungen der heutigen Physik um die Bestimmung des Zeitbegriffes drehen. Von den vielen unbe- greiflichen Charakterisierungen der Naturwissen- schaft, denen man begegnet, ist dies sicherlich eine der unbegreiflichsten, daß ihr die Zeit gleich- gültig sei. Nehmen wir aber selbst diese Charak- terisierung als richtig an, so würde sie die Psycho- logie nur dann in eine andere Wissenschaftsgruppe verweisen, wenn die Psychologie keine Gesetze kennte; denn kennte sie welche, dann wären sie notwendig „zeitlos" wie die naturwissenschaftlichen. Diese Voraussetzung hat Strich aber durchaus nicht bewiesen, ja nicht einmal zu beweisen ver- sucht, sondern immer nur behauptet. Wir werden uns mit ihr noch genauer in dem übernächsten Abschnitt zu beschäftigen haben. Hier sei nur dies betont. Das Geschehen, mit dem sich die Naturwissenschaft befaßt, verläuft genau so zeit- lich, wie das Geschehen, das Gegenstand der Psychologie ist. Beschreibt also die Psychologie historisches Geschehen, dann die Naturwissenschaft gleichfalls. Kennt die Naturwissenschaft Gesetze, dann kann die Psychologie an und für sich auch welche kennen. Ist die Psychologie in demselben Sinne eine Tatsachenwissenschaft, wie die Natur- wissenschaft — und wir hörten, daß das der Fall ist — , dann muß sie sogar welche haben. N. F. XVI. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 559 VI. Wo wir jetzt stehen, bedarf es nur noch einer passenden Bestimmung des Begriffes „Natur", um die Psychologie auch formell unter die Natur- wissenschaften aufzunehmen. Man pflegt „Natur" und „Geist" als Gegensätze hinzustellen und darauf, wie schon erwähnt, den einen Hauptunterschied der Wissenschaften zu gründen. Aber in dem Worte „Geist" liegt wieder die Zweideutigkeit, die wir im vorletzten Abschnitt klar zu machen versucht haben. Gemeint sind da- mit die Bereiche der logischen, ästhetischen, reli- giösen usw. Werte. Nicht hinein fallen aber die psychischen Vorgänge. Hier haben wir also eine Handhabe für die rechte Scheidung. Die Gegen- stände der Naturwissenschaften und der Psychologie besitzen dieselbe Wirklichkeitsform des zeitlichen Seins. Es gibt keine Gegenstände einer anderen Wissenschaft, die ausschließlich diese Wirklichkeits- formhaben. Verstehen wiralsounter Natur alles zeitliche Geschehen, soweit es wert- fremd ist, so gehört die Psychologie zu den Naturwissenschaften. Innerhalb der Naturwissenschaften, zu denen die Psychologie wegen der allgemeinsten Charak- terisierung ihres Gegenstandes zählt, kann sie natürlich alle gebührende Rücksicht auf die spezi- fische Natur dieses Gegenstandes verlangen. Hier muß und kann die Scheidung zwischen den physischen und psychischen Vorgängen in ihrer vollen Schärfe beibehalten werden. Vor allem werden die psychischen Vorgänge dabei das Merk- mal der Bewußtseinswirklichkeit zur Geltung bringen. Nimmt man überhaupt einmal unbe- wußte psychische Prozesse an, dann ist es zwar durchaus nicht ausgeschlossen, daß der größere Teil unbewußt verläuft. Aber man könnte (viel- leicht) immerhin jenes Charakteristikum dahin er- weitern, daß es keinen, von den bekannten psy- chischen Vorgängen der Art nach verschiedenen unbewußten gebe. Die sonstigen Unterscheidungs- merkmale des Psychischen vom Physischen auf- zustellen, ist eine Angelegenheit, die die Psycho- logie besorgen muß und in der Hauptsache besorgt hat, die uns also hier nicht weiter zu beschäftigen braucht. VII. Es bleibt uns noch übrig, zwei Begriffe der Psychologie mit den entsprechenden der Natur- wissenscliaft zu vergleichen, weil beide in dem Streit um die Stellung der Psychologie die ver- schiedensten Rollen gespielt haben. Es handelt sich um die Begriffe „E x p e r i m e n t" und „G e s e t z". Sie sind bald für, bald gegen den naturwissen- schaftlichen Charakter der Psychologie ins Feld geführt worden. Unsere Aufgabe ist also, zu zeigen, daß die psychologischen Experimente und Gesetze die Psychologie nicht außerhalb der Naturwissensschaften stellen. I. Die Experimente der Psychologie zer- fallen in 2 Klassen, in solche ohne quantitative Bestimmungen und in Messungen. Die ersteren hat man wohl überhaupt nicht als Experimente einer Erfahrungswissenschaft gelten lassen wollen; bei den zweiten bezweifelte man die prinzipielle Möglichkeit. a) Vielfach ist die Meinung verbreitet, zum Experiment gehöre notwendig die quantitative Bestimmung. Darin liegt aber eine unberechtigte Verallgemeinerung des Begriffes des physikalischen Experimentes. Daß andere als qualitative Experimente auch in einer Naturwissenschaft mitunter ohne Sinn sind, kann die Biologie zeigen. Ich erinnere an die Transplantationsversuche, an die Experimente über Anpassungserscheinungen, an ökologische Versuche. Die einzige quantitative Angabe bei derartigen Versuchen bezieht sich oft nur auf die Zeit. Die Zeit ist aber im allgemeinen auch bei allen psychologischen Versuchen meßbar; ihre Messung allein macht übrigens auch eine Be- obachtung nicht zum Experiment. Das Wesen des Experimentes besteht in dem vom Zwecke der Analyse bestimmten willkürlichen Eingreifen in das Geschehen. Dieser Definition genügen die qualitati\'en psj'chologischen Experimente. Der Umstand, daß bei ihnen kein Apparat gebraucht wird oder gebraucht werden muß (Chronometer können immer benutzt werden, machen aber allein dasExperiment nicht zu einem quantitativen), nimmt ihnen den Charakter als Experiment nicht. Denn während das willkürliche Eingreifen in das physi- sche Geschehen im allgemeinen nur durch Instru- mente möglich ist, kann die Psychologie willkür- liche Änderungen im psychischen Verlauf durch Worte erreichen; die VVorte ersetzen hier das Instrument. b) Messen setzt Größen voraus. Größe im gewöhnlichen Sinne schreiben wir allem zu, das wir uns aus gleichartigen Teilen zusammengesetzt oder in solche zerlegt denken können. Psychische Größen dieser Art gibt es nicht. Man denke z. B. an die Knallempfindung beim Abschuß eines Gewehres. Man kann von dieser Empfindung nicht einen Teil wegnehmen oder weggenommen denken, der eine kleinere Knall- empfindung für sich wäre. Die psychischen Größen sind unteilbare Qualitäten. .Aber die obige Definition paßt auch nicht auf alle pysikalischen Größen, z. B. nicht auf die Temperatur, die Dichte. Auch diese Größen haben insofern keinen Quantitätscharakter, als sie nicht aus gleichartigen Teilen zusammengesetzt oder zusammensetzbar sind. Sie haben Qualitätscharakter. Da sie aber ohne jeden Zweifel auch Größen sind, muß unsere Definition erweitert werden. Wir be- zeichnen deshalb als Größe das, was auf irgend- eine Weise Grade oder Abstufungen zeigt. Jetzt lassen sich psychische Größen finden, die darunter fallen, z. B. die Intensität, der Qualitätsgrad. In der Naturwissenschaft unterscheidet man zunächst zwei Arten des Messens, das direkte und das indirekte. Direkt können nur Raum- und 560 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. F. N. XVI. Nr. 40 Zeitgrößen gemessen werden. Beim indirekten Messen werden für die zu messende Größe Raum- größen vermöge ihres funktionalen Zusammen- hanges substituiert, z. B. der Winkelausschlag des Zeigers beim Voltmeter für die Spannung. Man hat nun vielfach das Messen psychischer Größen als ein solches indirektes Messen angesehen. Darin liegt ein großer Irrtum. Das direkte und indirekte Messen der Naturwissenschaft setzt Größen im Sinne unserer ersten Definition voraus, die es aber im Bereiche des Psychischen nicht gibt. Nun kennen wir aber in der Naturwissenschaft noch einen Typus des Messens, der sich gerade auf die Größen bezieht, die uns zur Erweiterung der Definition gezwungen haben, also auf die Qualitätsgrößen, wenn man sie so nennen darf. Die Messung geht hier so vor sich, daß man will- kürlich gewisse fixe Fundamentalpunkte festlegt und mit ihrer Hilfe Unterschiede einer solchen Größe mißt. Diese Differenzen, die durch Zahlen charak- terisiert werden, find dann physikalische Größen im ersteren Sinne, die also durch gleichartige Differenzen vermehrt oder vermindert und vermöge ihres funktionalen Zusammenhanges mit Raum- größen indirekt gemessen werden können. Dieser dritte Typus des Messens kann nun auch bei den psychischen Größen Anwendung finden. Von zwei psychischen Größen, z. B. den Intensitäten zweier Lichtempfindungen, läßt sich zwar sagen, daß die eine größer oder kleiner ist als die andere (das kann man auch z. B. bei der Temperatur sagen). Aber weil eine Intensität eine unteilbare Größe darstellt, kann man nicht eine Intensität als Maßstab für eine andere brauchen, kann auch nicht das Ver- hältnis zweier Intensitäten durch eine Zahl aus- drücken. Nur Intervalle psj-chischer Größen sind als Maßeinheiten brauchbar. Die vorhin ausge- sprochene Folgerung für die physikalischen Größen vom dritten Messungstypus, daß ihre Intervalle indirekt durch Raumgrößen gemessen werden können, trifft aber für die psychischen Größen im allgemeinen nicht zu; denn die Reize, die die psychischen Vorgänge hervorrufen und mit ihnen funktional zusammenhängen, sind wegen der großen Verschiedenheit physichischer und psyscher Größen als substituierte Maßstäbe unbrauchbar. Daß übrigens den physikalischen Größen vom dritten Typus und den psychischen Größen streng- genommen keine Maßzahlen, sondern nur Ordnungs- zahlen zukommen, folgt aus ihrer Charakterisierung. Die kleineren Unterschiede, die die psychischen Messungen noch von den physikalischen zeigen und die auf der Eigenart des Psychischen beruhen, brauchen hier nicht weiter erwähnt zu werden. Es genügt uns, gezeigt zu haben, daß die psychi- sche Messung in der Grundlage mit dem dritten Typus der physikalischen Messung übereinstimmt. 2. Man hat der Psychologie vorgeworfen, sie kenne keine eigentlichen Gesetze; denn sie könne nichts Zukünftiges voraussagen. Das i.st sogar zu der Charakteristik erweitert worden, sie sei überhaupt keine Gesetzeswissenschaft. Diese Auffassung will ihr nicht den Charakter einer Tatsachenwissenschaft rauben, sondern behauptet bloß, sie käme über das Beschreiben nicht hinaus. Wir setzen also voraus und glauben es auch genügend begründet zu haben, daß die Psychologie als Tatsachenwissenschaft gefaßt wird. Dann wäre aber zunächst zu fragen, was denn die Erforschung von tatsächlichem Geschehen für einen Sinn hat, wenn sie nur beschreiben will. Sie könnte nur darin bestehen, festzusetzen: Zur Zeit tj geschah dieses, zur Zeit t^ jenes usw. Daneben dürfte sie noch klassifizieren. Sobald sie aber sagen würde : So oft dieses geschieht, tritt auch jenes ein, — ginge sie über das Beschreiben hinaus. Solche Zusammenhänge zu finden, ist aber gerade der Sinn einer Tatsachenforschung. Will also die Psychologie überhaupt Wissenschaft sein, dann muß sie gesetzmäßige Zusammenhänge im psy- chischen Geschehen voraussetzen. Daß man nun derertige Befunde der Psycho- logie nicht als Gesetze ansieht, liegt wiederum an der einseitigen Beurteilung vom physikalischen Standpunkte aus. Wir wollen, um ganz klar zu sehen, von dem Vergleich der psychologischen Resultate mit den physikalischen Gesetzen ausgehen. Bezeichnen wir mit f eine bekannte, mit ip eine unbekannte Funktion, so lassen sich die Ge- setze der Physik in zwei Klassen scheiden, die wir durch die Formeln a^f(b) und a = f/' (b) symbolisieren können. Die erstere kann man quantitative, die letztere qualitative Gesetze nennen. Qualitative Gesetze der Physik haben stets das Bestreben, in quantitative überzugehen. In der Psychologie gibt es nun sehr wenige quantitative Gesetze. Das Web er 'sehe Gesetz ist das be- kannteste dieser Klasse. Innerhalb der ersten Klasse kann man in der Physik verschiedene Typen von Gesetzen auseinander halten : a) endgültige Gesetze, b) ideale Gesetze, die nur für ideale Körper gelten, c) Gesetze, die nur innerhalb eines bestimmten Bereiches Geltung haben, oberhalb und unterhalb dieses Bereiches nicht mehr. Die quantitativen Gesetze der Psychologie nähern sich wohl alle dem dritten Typus. Ob allerdings ihr logischer Charakter derselbe ist, wie beim physikalischen Typus, ist fraglich. In der Physik handelt es sich nämlich dabei nur um vorläufige Ausdrücke für Zusammenhänge; in der Psychologie können die formell gleichen Verhältnisse zu noch zu besprechen- den Umständen in Beziehung stehen. Die weitaus meisten Gesetze der Psychologie sind qualitativ. Auch ihr logischer Charakter ist verschieden von dem der qualitativen Gesetze der Physik. Alle Gesetze quantitativ zu fassen, ist der Physik letzthin möglich, weil sich sämt- liche physikalische Parameter quantitativ ausdrücken lassen. Dagegen sind die qualitativen Gesetze der Psychologie im Durchschnitt endgültige Gesetze, die niemals cjuantitativ werden können. Der Grund liegt fürs erste darin, daß die Größenmessung der Psychologie nur einige Seiten der Bewußtseins- inhalte fassen kann, eben die, die einer Abstufung N. F. XVI. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S6i zugänglich sind, während Gegenstände der Physik nur meßbare Größen sind. Den zweiten Grund muß man in der Eigenart der ungeheuer kom- plizierten Struktur des Psychischen sehen. Die Bedingungen eines psychischen Vorganges sämt- lich zu finden, sie willkürlich zu variieren und zu isolieren, um jede in ihrer Wirksamkeit kennen zu lernen, unter Umständen von ihnen zu abstrahieren — alles Dinge, die wir in der Physik regelmäßig ausführen können — , ist in der psychologischen Forschung einfach unmöglich. Wir kennen die Bedingungen meist nur zum kleinsten Teil und auch diese nicht bestimmt genug. Daher kommt es auch, daß die qualitativen Gesetze der Psycho- logie oft an großer Unbestimmtheit leiden. Beachten wir endlich noch, daß die Psychologie erst am Anfang der Forschung steht. Wir können das ganze Gebiet des zu Erforschenden nicht übersehen; wir können sicher sagen, daß wir noch nicht einmal alle Erscheinungen kennen. Zweifel- los werden sich deshalb im Laufe der Zeit noch viele qualitative und quantitative Gesetze der Psychologie ergeben, andere werden bestimmter werden. Aber über die Schranken, die in den vorstehenden Ausführungen kurz gezeichnet sind, werden wir wohl im wesentlichen nicht hinaus- kommen; denn sie liegen in der Eigennatur des Psychischen begründet. Man sieht, daß selbst am Maßstab der Physik gemessen, die Psychologie als Gesetzeswissenschaft bestehen kann. Sicherlich aber erträgt sie den Vergleich mit den biologischen Wissenschaften, wo die Verhältnisse ganz ähnlich Hegen. Auch hier muß man sich vielfach, wie z. B. die Ökologie zeigt, mit der Festsetzung qualitativer Gesetzmäßig- keit begnügen, und zwar aus entsprechend den- selben Gründen, die vorhin bei der Psychologie angeführt wurden. Gewiß ergeben sich in den biologischen Wissenschaften mehr quantitative Gesetze als in der Psychologie; das liegt zum Teil an ihrer engen Beziehung zu Physik und Chemie. Aber sie können doch zeigen, daß ein weiter Be- reich qualitativer Gesetzmäßigkeit einer Wissen- schaft nicht den Charakter einer Naturwissenschaft zu nehmen imstande ist. VIII. So, wie sie im Vorstehenden entwickelt wurde, hat die Wissenschaftstheorie der Psychologie noch nicht aligemein Anerkennung gewonnen. Wohl liegen die Motive und Mittel, die zu ihr führen, im heutigen wissenschaftlichen Denken bereit. Ich habe versucht, sie zu einem Bilde zusammen- zufassen. Wir können deshalb jetzt so formulieren : Die Psychologie ist augenblicklich in dem Prozeß derLoslösungvon der Philo- sophie begriffen, den die Naturwissen- schaften mit Galilei begonnen und in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts beendet haben. Daß ihr Prozeß schneller ver- laufen wird, verbürgt der ausgebildete erkenntnis- kritische Sinn der Gegenwart. Faßt man „Natur" als zeitliches Geschehen, so- weit es wertfremd ist, dann kann die Psychologie einen Platz innerhalb der Naturwissenschaften beanspruchen, ohne daß sie das Geringste von dem Sondercharakter ihres Gegenstandes preiszugeben braucht. Einzelberichte. Physiologie. Über Immunisierungsversuche gegen das Bienengift berichtet H. Dold.') Die Wirkung des Bienengiftes auf Imker ist eine sehr verschiedene. Nach Langer (in Faust, Die tier- ischen Gifte, Braunschweig 1906) waren von 153 anfänglich giftempfiiidlichen Imkern nach mehr- jähriger Praxis 126 weniger empfindlich geworden, 14 sogar giftfest; unter 164 Imkern gaben 11 an, über eine naturgegebene Immunität zu verfügen, und 27, keine Verminderung ihrer Giftempfindlich- keit konstatieren zu können. P'erner lauten die Angaben der Bienenzüchter vielfach dahin, daß die Reaktion im Frühjahr jeden Jahres auf die ersten Stiche eine größere sei und daß diese im Laufe des Jahres abnehme. Von einer möglichen „ab- soluten" Immunität gegen Bienengift kann dem- nach keine Rede sein.- Die frisch entleerten, infolge Anwesenheit von Ameisensäure deutlich sauer reagierenden und charakteristisch aromatisch riechenden Gifttröpf- ') Zeitschr. f. Immunitätsforsch, u. cxper. Therapie Bd. 26, Heft 3, 1917. chen der Honigbiene wiegen 0,2—0,3 mg ""d haben ein spezifisches Gewicht von 1,1313. Beim Eintrocknen bei Zimmertemperatur verbleibt ein Rückstand von nahezu 30''/o, der sich leicht in Wasser, nicht aber in 96 "/o Alkohol löst. Die wirksame Substanz ist nicht eiweißartiger Natur, sondern, da .'\lkaloidreagentien Fällungen geben, eine organische Base (Langer), die sehr hitze- beständig ist. Sie verträgt ein 2 stündiges Erhitzen von 100". Dold drückte frisch entnommene Giftdrüsen auf Filterpapier aus, das er sich in Quadrate ein- geteilt hatte. Eingetrocknet und im Dunkeln auf- bewahrt, ließ sich die Substanz monatelang un- versehrt erhalten und zur gegebenen Zeit mittels physiologischer Kochsalzlösung einfach extrahieren. Als Versuchsobjekte dienten Kaninchen, da Langer bei ihnen eine starke und charakteri- stische Empfindlichkeit der Schleimhäute von Nase und Augen festgestellt hatte; 0,04 mg nativen Giftes auf die Konjunktiva übertragen, erzeugten Hyperämie, Chemosis und eitrige bis kupröse Konjunktivitis. In Zwischenräumen von je 5—6 562 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 40 Tagen injizierte Dold je 2 Tropfen 9 mal nach- einander in das linke Auge. Das Ergebnis war: Es zeigte sich keine Änderung der Giftwirkung im Laufe der Behandlung, und nach Abbrechung der Versuche reagierten die Konjunktiven beider Augen auf die Giftmengen gleichstark. Dold konstatierte nur eine im allgemeinen geringere Gif- tigkeit der „chinesischen Biene" — er hatte mit 0,2 — 0,3 mg einen geringeren Effekt als Langer mit 0,04 mg — weshalb er dieselbe für giftärmer und „gutmütiger" hält. Das Blutserum der vorbehandelten Kaninchen bildet auch kein Antitoxin auf das Bienengift. Native Giftlösung mit normalem Serum oder mit Serum behandelter Tiere gemischt, reizt die Kon- junktiva in gleicher Art und Weise. Von Interesse ist die Beobachtung von Dold inbezug auf das schwächere reaktive Verhalten von schwarzen (pigmentreichen) und weißen (pig- mentarmen, albinotischen) Kaninchen. Weitere Untersuchungen stützten diese Merkwürdigkeit. Da die Giftwirkung am Kaninchenauge eine Gefäß- reaktion darstellt, erklärt Dold die Erscheinung mit der größeren Resorptionsfähigkeit der für Al- binos charakteristischen zarten Haut oder Schleim- haut für das Bienengift oder einer damit verbun- denen größeren vasomotorischen Empfindlichkeit. Dold regt auf Grund seiner Beobachtung eine erneute Umfrage unter den Imkern an in der Hoffnung, daß sich für pigmentärmere Personen eine größere Empfindlichkeit feststellen und über- haupt die eingangs erwähnten verschiedenartigen Wirkungsweisen unter diesem einheitlichen neuen Gesichtspunkt vereinigen und erklären läßt. In theoretisch serologischer Hinsicht sind die Ergebnisse von Dold auch deshalb von Interesse, als durch sie ein weiterer Beweis für die Ansicht erbracht wurde, daß auf gewöhnliche chemische Gifte im Tierkörper keine Gegenkörper gebildet werden können, daß also die Immunisierung und insbesondere die Antikörper- oder -toxinbildung nur an Eiweiße oder eiweißartige Substanzen ge- bunden erscheint. Thiem. Botanik. Neue teratologische Beobachtungen. Auf dem Gebiete der Pflanzenpathologie und Tera- tologie sind wir noch weit von abgeschlossenen Kenntnissen entfernt, und immer wieder gelingt es sorgfältiger Betrachtung, bisher nicht bekannte Anomalien nachzuweisen. Zahlreiche neue Beobach- tungen auf diesem Gebiete verdanken wir L i n g e 1 s - heim. In den Berichten der Deutschen Botanischen Gesellschaft (Band 34, Heft 6, 1916) beschreibt er einige höchst merkwürdige Ascidienbildun- gen der Blätter von Magnolia. Wenn auch vorher bereits solche Tutenbildungen an einigen Arten vereinzelt beobachtet werden konnten, traten sie doch nie in so reicher Entwicklung auf, wie es Lingelsheim bei Magnolia acuminata L. an einem etwa 3 m hohen Baumstrauch des Botanischen Gartens in Breslau beobachten konnte. Er ist geneigt, in diesem Falle geradezu von „Ascidicnsucht" zu sprechen, deren innere Ur- sachen allerdings noch völlig dunkel sind, wie sie aber schon vor ihm Lenecek für eine ähnhch deformierte Linde und Ulme vermutet. Zwei an völlig ausgewachsenen normalen Blättern aus dem Mittelnerv dorsal entspringende Ascidien werden genauer beschrieben. Es handelt sich um trichter- förmige, mehrere Zentimeter große Schlauchblätter, die im Bau den normalen Blättern entsprechen und als sekundäre Anhang>gebilde des sie tragen- den Mutterblattes, morphologisch als Doppel- spreiten zu deuten sind. Da auch andere Arten der Gattung ähnliche Bildungen zeigten, schließt Lingelsheim auf eine relative Häufigkeit der Fälle bei Magnolia, wofür er die eingerollte Knospenlage und späte Entfaltung der Laubblätter verantwortlich macht. Zum Schluß weist er auf den ganz besonders merkwürdigen Fall einer Doppelascidie bei Magnolia conspicua Salisb. hin, wo an dem Hauptnerven der Rückenseite einer Ascidie wiederum eine kleinere entspringt. Zum ersten Male beobachtete Lingelsheim Verwachsungserscheinungen der Blatt- ränder bei Arten der Gattu n g Sy r inga (Beihefte zum botanischen Zentralblatt, 33, Abt. I. 1916). Sie traten im vorigen Frühjahr massen- haft fast an allen Sträuchern von Syringa vul- garis L. des Breslauer botanischen Gartens auf, bei anderen Arten waren sie seltener, einer An- zahl fehlten sie auch ganz. Meist in der Mitte des Randes zweier benachbarter Blätter desselben, seltener übereinanderstehender Quirle befindet sich die wenige Millimeter große Verwachsungsstelle, an der die Blätter oft förmlich ineinander einge- falzt erscheinen. Die beiden Spreiten sind in der Weise aneinander befestigt, daß die Unterseite des einen Blattes mit der Oberseite des anderen in gleicher Ebene liegt. Das Mesophyll beider Blätter bildet ohne jede Spur einer trennenden Epidermis ein einheitliches Gewebe, wobei die verschmolzenen Blattpartien ihre Elemente in um- gekehrter Lagerung darbieten. Die Ursache dieser noch niemals beobachteten Erscheinung, die ge- rade 1916 massenhaft, auch außerhalb Breslaus, an zahlreichen Fliederbüschen auftrat, sieht Lingelsheim in Witterungseinflüssen. Nach einer sehr warmen Periode einsetzende, lang herrschende kalte Nordwestwinde wirkten aus- trocknend auch auf die Fliederknospen, wobei die jungen Triebe durch die Reste abgestorbener älterer Blätter an der Entfaltung gehindert wurden. Der Druck dieser Umhüllung steigerte die Be- rührung der Blattränder bis zur Verwachsung. Daher kommt er zu dem Schluß, daß es auch durch künstliche Hemmung der Knospenentfaltung gelingen dürfte, ähnliche Verwachsungen experi- mentell hervorzurufen. Nach mündlicher Mit- teilung hat Lingelsheim die auffallende Bil- dung auch in diesem Sommer beobachten können, wenn auch bei weitem seltener als im Vorjahre. Es ist daher die Vermutung gerechtfertigt, daß N. F. XVI. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S63 neben den genannten Witterungseinflüssen auch andere Faktoren als Ursache der eigenartigen Ver- wachsung angesehen werden müssen. Eine sehr schöne, typische Doppelspreiten- anlage fand Lingelsheim an einer Staude von Aruncus Silvester L. (Zentralblatt für Bakteriologie usw. 45, 2. Abt. Nr. 6/12. 1916). Die jungen, anormal gekrausten Blätter der Pflanze trugen fadenförmige, bis 2 mm lange Emergenzen von keulen- oder hornförmiger Ge- stalt, die aus einem vielzelligen Gewebe bestanden. Ähnliche, nur größere Gewebewucherungen fanden sich auf der Unterseite älterer Spreiten. Zwischen den Seitennerven ziehen diese Mißbildungen von der Mittelrippe bis zum Blattrande, von einer ab- norm starken Behaarung namentlich der Nerven begleitet. Schon mit freiem Auge bemerkt man an diesen Wucherungen Zähnelung und feine Nervatur. Dies sowie die deutliche Scheidung in eine dunklere Oberseite und eine bleichgrüne Unterseite charakterisiert sie als Spreitenbildungen. Noch klarer trat dies bei mikroskopischer Be- trachtung zutage. Gleich dem Mutterblatte sind sie bifazial gebaut und stimmen im anatomischen Bau ganz mit ihm überein, so daß hier die Be- zeichnung „Doppelspreitenbildung" wohl am Platze ist. Das Auftreten dieser nach Küster ziemlich seltenen Krankheitsform bei Aruncus Sil- vester ist in diesem Falle von besonderem In- teresse, weil zum ersten Male auch ihre Ursache erkennbar ist. Wahrscheinlich han- delt es sich um eine Milbengalle, wie denn auch Lingelsheim auf zahlreichen Proben lebende winzige Milben in großer Zahl nachweisen konnte. Schließlich sei noch auf eine eigenartige Pilz- form hingewiesen, die er in den Beiheften zum botanischen Zentralblatt beschreibt (Band 34 Abt. II 1916). In einem Keller entwickelten sich gänzlich abnorme Fruchtkörper von Len- tinus squamosus (Schaeff.) Schrot. (Aga- ricus lepideus I*"r.), eines Hutpilzes. Schon früher beobachtete Lingelsheim eigenartige Formen dieses Pilzes. Sie waren in einem Wein- keller gewachsen und bei normalem morpholo- gischem Aufbau von ganz abnormer Längenent- wicklung. Der Stiel war über 75 cm lang, der Hut, dem die charakteristische Zeichnung des normalen wilden Pilzes gänzlich fehlte, etwa 10 cm breit und von gelblich weißer, glatter Ober- fläche. Noch eigenartiger waren die Wachstums- verhältnisse im zweiten Falle. Auch hier stammen die Pilze aus einem Keller. Aus einer Gruppe von elf auffallend kleinen, im Höchstfalle 10 cm hohen Fruchtkörpern, die oben bräunlich gefärbte bis zu I cm Durchmesser besitzende Hüte von sehr fester Beschaffenheit tragen, entspringen zwei Riesenexemplare von über 30cm Höhe, deren weiße, faserige, mehrere Zentimeter im Umfang messende Stiele an zwei Stellen miteinander ver- wachsen sind und apophysenartig in den über 15 cm breiten Hut übergehen. Dieser ist weiß- lich gefärbt. Die Unterseite trägt die übHchen Lamellen, während oben an Stelle der für den Pilz normalerweise typischen zentralen Vertiefung ein etwa 2 cm hoher, 5 cm breiter Buckel erscheint. Er ist mit einer großen Anzahl warzenähnlicher Körper bedeckt, in die fast stets eine Öffnung zu einer inneren Höhlung hineinführt. Da sich in ihnen deutliche Faltenanlagen vorfinden, müssen sie als winzige unentwickelte Hüte angesehen werden. Die Anordnung dieser kleinen Bildungen wurde offenbar durch äußere Einflüsse wie Licht oder Schwerkraftreize bedingt, deren Richtung allerdings nicht mehr erkennbar ist. Am Grunde wird diese Protuberanz von einem Ringe kleiner, nicht über i cm breiter Hüte umgeben. Sie sind teils isoliert, teils miteinander verschmolzen, nach außen offen und sitzen dem Mutterindividuum breit auf, im Bau entsprechen sie ganz den ge- nannten zwerghaften Exemplaren. Man war bis- her der Ansicht, daß derartige teralologische Bil- dungen nur bei einem Zusammenhang mit dem alten Hymenium möglich seien, wovon in diesem Falle aber sicher nicht die Rede sein kann. Lingelsheim hält daher eine Revision dieser Meinung für geboten. Kr. Geologie. R. A. Daly's Theorie der Korallen- inseln. ') Felsige Korallenbauten begleiten viele Küsten und krönen viele Inseln der tropischen Meere. Als Saumriffe sind sie unmittelbar den Küsten ange- schmiegt; als Wall- oder Barriereriffe folgen sie den Küstenlinien in Abständen bis zu lookm; und als Lagunenriffe oder Atolls ragen sie in Ge- stalt ringförmiger Inseln oder Inselgruppen über die Meeresoberfläche. Die Erklärung dieser sonder- baren Ringgestalten ist innig verknüpft mit geolo- gischen Fragen von allgemeiner Bedeutung. Vielen Forschern gelten sie als sichere Anzeichen einer andauernden gleichmäßigen Senkung großer Flächen des Meeresgrundes im Ausmaße von hun- dertcn oder tauscnden Metern, als Belege für dessen „säkulare Senkungen" nach dem älteren Ausdrucke ; für „e p e i r o g e n e t i s c h e Bewegung" ausgedehnter Krustenteile der Erde nach neuerer Auffassung. Mit diesem zuerst von Gilbert ver- wendeten Ausdrucke werden heute breite Auf- wölbungen oder Absenkungen großer Gebiete unterschieden von den auf schmälere Zonen be- schränkten orogenetischen Bewegungen, durch welche die Faltengebirge emporgestaut werden. Die rififbildenden Korallen gedeihen nur im bewegten Wasser von hoher Temperatur (über 20 "C) und sind deshalb nur in geringen Meeres- tiefen, bis 50 Meter lebensfähig. Auf diese Eigenheit gründet sich die noch heute ziemlich allgemein anerkannte Erklärung der Atolle von Darwin und Dana. Eine Korallenansiedlung ') R. A. Daly, Pleistocene Glaciation and the Coral Reef Problem. Amer. Journ. of Science. New Haven. 4. ser. Vol. 30. 1910. p. 297—308. — Problems of the pacific Islands. Das. Vol. 41. 1916. p. 153—168 564 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 40 wird über einer sinkenden Unterlage durch stetes Wachstum nach oben die Nähe der Meeresober- fläche festzuhalten suchen. Indem sie dem Nah- rung spendenden bewegten Wasser zustrebt, wandert sie nach außen, gegen das offene Meer und rückt immer mehr ab von der Küste. So wird bei steigendem Meeresspiegel das Saumriff zum Wallriff; über einer einzeln stehenden .'\uf- ragung im Meere aber wachsen kronenförmige Kappen von Korallenkalk empor, ihr äußerer lebender Saum wird zum ringförmigen Atoll. Die Ergebnisse zweier Bohrungen (187879 und 1904) auf Funafuti, einem Korallenatoll, der Ellice- gruppe, welches 5400 m hoch und steil vom Grunde des Stillen Ozeans emporsteigt, gelten heute als die wichtigste Stütze der Theorie von Darwin und Dana. Dort war noch in einer Tiefe von mehr als 400 m Korallenkalk mit denselben Arten angetroffen worden, welche gegenwärtig an der Oberfläche leben. Die wesentlichste Voraus- setzung der Theorie von Darwin und Dana, daß der Unterbau der Koralleninseln bis in Tiefen weit unter der Lebenszone der Korallentiere aus Korallenkalk aufgebaut sind, schien durch diese Bohrergebnisse erwiesen. Die Senkung muß lang- sam und gleichmäßig, nicht sprungweise erfolgt sein; denn eine Loslösung des langsam nach- wachsenden Korallenstockes von der Meeresober- fläche hätte ihn zum Absterben gebracht. Der Amerikaner R. Daly, dem wir schon so manche geistreiche und anregende Hypothese aus dem Gebiete des Vulkanismus der Tiefen und der Oberfläche, über die Sedimentbildung u. a. verdanken, hat auch diese Frage in ein neues Licht gerückt. So wie nach der Theorie von Darwin, wird auch von Daly die Gestalt der Bar- riereriffe und Atolle durch eine Verschiebung des Wasserspiegels erklärt. Nach seiner Auffassung wurde aber nicht der Meeresboden gesenkt, sondern der Wasserspiegel gehoben. Ein allgemeines und gleichmäßiges Ansteigen der Meere in junger Zeit bedingt ihre heutige Gestalt. Die Verschiebung erreichte aber nicht die von den Anhängern der Darwin'schen Theorie angenommenen Ausmaße. Sie steht mit dem Schwinden der Eiszeit in Zu- sammenhang und wird als die Rückkehr der durch das Aufschmelzen der kontinentalen Eis- decken frei gewordenen Wassermassen zum Ozean gedeutet. Folgende Gedankengänge enthalten die wesent- lichste Begründung der Hypothese: Die Bildung der Atollringe von größerem Durchmesser setzt nach Darwin's Theorie Sen- kungen bis zu mehreren lausenden Fuß voraus. Zur Auffüllung der seichten Lagunen wären enorme Schuttmengen erforderlich, und es wäre zu erwarten, daß die Auffüllung nicht überall gleich weit vorgeschritten sei, daß die inneren Lagunen verschiedenen Atolls in ungleiche Tiefe hinab- reichen. Man gewahrt aber, daß die Lagunen nur ausnahmsweise tiefer sind als 300'. Fast immer bleibt ihre Tiefe innerhalb 150—250'. In ihrer Ge- samtgestalt erweisen sich die Barriereriffe und Atolls als recht schmale, mauerartige Bauten von 200—300' Höhe, aufgesetzt auf seichten unter- meerischen Ebenen, deren Breite von einigen wenigen bis zu mehreren hundert Meilen wechseln kann. In der vielbesprochenen Bohrung auf Funafuti endigte das autochthone Riff in 150' Tiefe; dar- unter wurde Trümmerwerk und Riffschutt mit Conchylienschalen durchfahren, nicht mehr an- anstehendes Riff. Daly erklärt die Lagerungs- verhältnisse durch folgende Überlegung: In dem Maße als die lebende Riffkrone emporwuchs und im Übergange vom Saumriff zum Atoll nach außen geschoben wurde, hat sich auch in der Tiefe der Schuttkegel über den geneigten Abhängen immer weiter nach außen vorgebaut. Der Fuß des Schuttkegels rückte dabei auf dem steilen untermeerischen Gehänge immer mehr in die Tiefe, weit hinab unter die Zone des bewegten Wassers und des lebensfähigen Riffes. In der Nähe der Oberfläche aber hat sich das lebende Riff über den Schuttmantel gesimseartig vorge- schoben. Die Bohrung von Funafuti stand am äußeren Atollrande und hat den tief hinabreichen- den Schuttmantel unter dem übergreifenden Rande der lebenden Riffkrone angetroffen. Sie kann nicht als Beleg gelten für ein Emporrücken des gesamten Riffbaues aus Tiefen von mehr als 300'. Nur Bohrungen im Inneren des Atollringes, näher seiner Mitte, wären im Stande Beweisgründe für oder wider die Theorie Darwin's zu liefern. Die Korallenzonen der Sandwichinseln Oahu und Hawaii sind, wie Daly wahrnahm, auffallend schmal. Hier kann die Besiedelung erst vor kurzer Zeit stattgefunden haben. Einen Hinweis auf die Ursache dieser Jugend findet Daly in der Entdeckung von Gletscherspuren an den Gehängen des Mauna Kea, die bis 1200' hinabreichen und an Frische und Deutlichkeit nicht hinter euro- päischen und amerikanischen Eiszeitmarken zurück- stehen. Es ist zu schließen, daß hier, noch vor weni- gen Jahrlausenden, die Wassertemperatur zu gering war für das Korallenwachstum. Erst in postgla- zialer Zeit konnten die Korallenansiedelungen in genügender Kraft gedeihen, um den Kampf mit der Brandung zu bestehen; denn die heutige Mini- mumtemperatur dieser Küstenwässer beträgt 23" C und übersteigt nur um 3" die für das Fortkommen der Korallen erforderliche Minimum- temperatur. Nur wenige Forscher bezweifeln heute noch, daß sich die eiszeitliche Abkühlung über die ganze Erde erstreckt hat. Der Charakter der Floren und andere Anhaltspunkte wurden verschiedenen Schälzungen der eiszeitlichen Temperatur zu- grunde gelegt. Die einstige Verminderung der Temperatur gegenüber dem heutigen Klima be- trug nach solchen Schätzungen 5 — 10" C, oder noch mehr. Eine Abkühlung der Ozeane um einen solchen Betrag bedingt, wenn auch nicht eine gänzliche Vernichtung, so doch eine Ein- N. F. XVI. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 56s schränkung der lebenden Korallenwelt auf spärliche Reste in den allerheißesten Zonen. Ein weitere Reihe von Schlußfolgerungen führt zu der Annahme, daß zur Eiszeit der Spiegel der tropischen Meere tiefer gelegen war als heute, und zwar wurde eine allgemein^ Senkung des Meeres bewirkt durch den Entzug der Wassermassen, die in den polaren Eiskalotten angesammelt waren. In den tropischen Meeren wurde der Retrag der Senkung noch dadurch vermehrt, daß ein Teil des Meerwassers durch die Attraktion der mächtigen Eiskappen nach den polaren Meeren abgezogen wurde. Verschiedene Autoren schätzen den Be- trag der Spiegelsenkung in den Tropen auf ca. 180' (nach Penck 70 m). Gewiß zählt die Dauer der gesamten Glazial- epoche mit ihren Interglazialzeiten nach Hundert- tausenden von Jahren. Eine wohl begründete Schätzung von Chamberlin und Salisbury gibt ihr eine Million Jahre. Während dieses langen Zeit- raumes waren die tropischen Küsten des Schutzes durch die Korallenrift'e beraubt. Die nagende Brandungswelle vermag in weichen Gesteinen alljährlich 3 — 30 Fuß landeinwärts vor- zudringen. Die Gesamtdauer der wiederholten Eiszeiten hat gewiß hingereicht zur Schaffung mariner Abrasionsebenen bis zu 20 Meilen Breite. Manche kleinere Inseln wurden vollkommen ab- gestumpft und ausgeglättet. An härteren Ge- steinen, wie an vielen jungvulkanischen Inseln konnte im gleichen Zeitraum entsprechend ge- ringere Wirkung erzielt werden. Die Wirkung der Brandungswellen reicht nach allgemeiner Erfahrung bis 30—90 Fuß Tiefe unter den mittleren Wasserstand. So tief unter dem glazialen Meeresspiegel dürfte die neugebildcte Abrasionsfläche gelegen sein. Wenn der er- wähnten Annahme gemäß derWasserspiegel mit dem Schwinden des Eises um 180' gestiegen ist, so entspricht der heutige Schelf, welcher in 200 — 300' Tiefe unter dem Spiegel der tropischen Meere als gleichmäßige Abstufung die Kontinente um- gibt, der glazialen Abrasionsfläche. Auf dieser jüngstgeschafTenen Plattform haben sich die Korallen bei Wiederkehr der höheren Temperatur riffbauend angesiedelt; sie sind jünger als der Schelf und in Form und Anlage von ihm abhängig. In dem Zeitraum von 20000 bis 25 000 Jahren, der seit der Eiszeit vergangen sein mag, konnten die Korallenbauten eine gewisse Aus- dehnung erreichen; sie ist aber gering im Ver- gleich zur Breite der Lagunen. Die Plattform des Schelfes ist die unabhängig vorgebildete Unterlage der Korallenbauten. Ihre allgemeine Tiefe entspricht der Tiefe der Atoll- lagunen. Unverändert setzt sie sich weithin fort außerhalb des Gebietes der Korallenriffe. Dies zeigt ein Blick auf die Admiralitätskarte. So hat das große australische Wallriff, wenn auch 2000 Meilen lang, nur den wärmeren Teil des austra- lischen Kontinentalschelfes, nördlich vom 24.", als schmalen Überzug besiedelt (Andrews). Auch die Ringformen der Keyinseln bei Horida sind deut- lich einer ebenen und seichten Plattform aufgesetzt.' Es sind keine Inselkronen. Auf der Annahme, daß der Kontinentalschelf durch die Wellen des gesenkten Ouatärmeeres ausgenagt worden sei, beruht vor allem Daly's sinnreich erdachte Hypothese. Wenn es gelingt, diese Annahme beweiskräftig zu belegen, so kann die Gestaltung der dem Schelf aufgesetzten Ko- rallenbauten durch den Einfluß der postglazialen Hebung des Meeresspiegels sehr gut verstanden werden. Die Entstehung des Schelfes durch marine Abrasion ist bereits früher wiederholt angenommen worden. Hier mag nur auf eine Studie von Ziemendorf) hingewiesen werden, welche zeigte, daß die Schelffläche des Nordatlantischen Ozeans den verschiedenartigen Gebirgsstrukturen an den europäischen und amerikanischen Küsten als ein- heitliches Gebilde vorgelagert ist. Ihr felsiger Aufbau ist an mehreren Stellen erwiesen. Nicht durch Anhäufung von Sedimenten, sondern nur durch marine Abrasion könnt sie entstanden sein. Da die heutigen Meereswogen nicht bis in Tiefen von 200—300 m wirken können, folgerte schon Ziemendorf eine allgemeine Senkung des Meeresspiegels bei gleichbleibendem Stand der Kontinente. Auf ungleiches Ansteigen des Meeres deuten Abstufungen des Schelfes, die besonders deutlich sind an den Küsten Schottlands und Nordamerikas. Die wechselnde Breite des Schelfes an verschiedenen Küslenstrecken wird durch ver- schiedene Gesteinbeschaffenheit, verschiedeneVVind- wirkung und sonstige meteorologische Verhält- nisse erklärt. Auch Anzeichen jungen Meeresanstieges sind auf der Erde sehr verbreitet. Genaue zeitliche Feststellung solcher Bewegungen wird für die vor- liegenden Fragen von höchster Wichtigkeit sein. Um ein Beispiel anzuführen, mag hier daran erinnert sein, daß A. Grund eine quartäre Sen- kung des Spiegels der Adria um ca. 90 m aus der Gestaltung der Narentamündung und anderer Fluß- täler Dalmatiens, und ferner aus vielen Bohr- ergebnissen an der istrischen und der venetia- nischen Küste erwiesen hat. Die Knochenreste auf dalmatinischen Riftcn, Zeugen einer quartären Landverbindung, sind nicht durch jungen Ein- bruch, sondern durch quartäre Trockenlegung des Meeresbodens zu erklären. '•^j Grund erwog wohl die Möglichkeit einer Oszillation des Meeresspiegels durch wechselnde polare Eisanhäufung, hielt sie aber nicht für wahrscheinlich, da der Tiefstand anscheinend mit einer Interglazialzeit, dem Gschnitz- Dauninterstadiale zusammenfiel. Er betrachtete die versenkten Täler der adriatischen Ostküste als „ein Glied in einem Kreise versenkter Flußtäler, 1) G. Ziemen dorf, Das Kontinentalschelf des Nord- atlantischen Ozeans. Beiträge z. Geophysik. Leipzig. Bd. X. 1910. S. 268. '') A.Grund, Entstehung und Geschichte des adriatischen Meeres. Geograph. Jahresber. aus Österreich VI. 566 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 40 der von der Riasküste Galiziens, über die Fluß- täler der Gascogne und der Riviera zu den Limanen Südrußlands, das Gebiet der postglazialen Hebung im Zentrum der Vereisung umgibt. Ähn- lich entspricht an der Ostküste Nordamerikas den postglazialen Hebungen am St. Lorenzo im Süden das Gebiet der ertrunkenen Flußtäler. Die eigentliche Ausbildung der Täler des dinarischen Gebirges fällt jedoch, wie Grund ausdrücklich be- tont, ins Pliozän. (Dies war nach vielen An- zeichen eine Zeit des Tiefstandes großer Teile, vielleicht der gesamten Wasserbedeckung der Erde.) Mit der Bestätigung von Daly's Theorie ent- fallen alle aus den Korallenbauten abgeleiteten Schlüsse auf ausgedehnte epeirogenetische Sen- kungen des Ozeanuntergrundes. Schon jetzt kann man sagen: daß, nachdem die Deutung der Boh- rung auf Funafuti unsicher bleibt, ein leichtes Anschwellen der Meere in postglazialer Zeit viel wahrscheinlicher ist, als so weitgehende gleich- mäßige Senkung ausgedehnter Ozeangebiete, wie sie von den Anliängern der Darwinschen Theorie im älteren Sinne angenommen wird, die aber in der Tektonik der betroffenen Gebiete in keiner Weise begründet ist. Unabhängig von dem Aufbau unter dem Ein- flüsse der allgemeinen positiven Bewegungen des Postglazial, können natürlich auch Korallenbauten durch junge orogenetische Bewegungen gehoben oder gesenkt worden sein. Der Meeresanstieg beeinflußt das Bild im großen; örtliche Senkungen werden durch ihn verschleiert sein. Örtliche Zonen mit gehobenen Riffen treten dafür um so auffallender hervor. Nur in wenigen Fällen sind sie genauer studiert. Manche von ihnen sind sicher, andere, wahrscheinlich tertiären Alters. Andere, namentlich solche denen der Schelf fehlt, wurden erst postglazial gehoben; oft haben sie dabei ein leichte Neigung erfahren. Christmas Island und Rodriguez im Indischen Ozean, Vavau in der Tongagruppe, Uvea in der Loyaltygruppe werden als Beispiele geneigter Riffe angeführt und die Lagerungsverhältnisse der Korallenbänke auf Timor sind nach Wanner und Welter derselben Art. In solchen flachen Aufwölbungen und Schollen- verschiebungen äußern sich in der Nähe der Ober- fläche dieselben orogenetischen Vorgänge, welche in der Tiefe zur P'altung führen. Auch sie bieten keinen Hinweis auf epeirogenetische Bewegungen von kontinentaler Ausdehnung. F. E. Suess. ') Nach seiner bekannteu deduktiven Methode behandelte neuerdings auch W. M. Davis das Problem der Korallen- riffe (Home Study of Coral Reefs. Bull. Americ. Geograph. See. New York. 1914- Nr. 9 und .\meric. Journ. of Sc. 4. ter. Vol. 40. 1915. p. 223^271). Biologische Beziehungen zwischen benachbarten Koralleninseln und die Gestaltung der Küstenlinien scheinen ihm nur durch Hinabtauchen größerer Inselgruppen im Sinne der Dar wiu ' sehen Theorie erklärbar. Daly's Theorie anerkennt er als mögliche, aber unwesent- liche Ergänzung der D arwin' sehen Theorie. Auf seine Ein- wendungen, die dem Referenten nicht stichhaltig erscheinen, kann hier nicht näher eingegangen werden. Bücherbesprechungen. O. Abel, Allgemeine Paläontologie. SIg. Göschen (Nr. 95). Berlin-Leipzig 1917. Vom Verf schon mehrfach an anderen Stellen (so z. B. „Aus Natur und Geisteswelt" 1914) be- handelte allgemeinere Themata der paläontolo- gischen Forschung, ihres Materials und ihrer Methoden werden unter obigem Titel zusammen- hängend zur Darstellung gebracht. Das Gebiet einer Allgemeinen Paläontologie ist damit aber wohl noch nicht erschöpft. Dem Verf ist es darum zu tun, die fossilen Dokumente der Erdgeschichte in ihrem rein paläozoologischen Werte für ent- wicklungsgeschichtliche, vergleichend anatomische und biologische Probleme zu beleuchten und streng methodisch- wissenschaftliche Behandlung dieser Schätze in Bergung, Rekonstruktion, Beurteilung und Auswertung zu fordern gegenüber manchen allzu oberflächlichen Popularisierungsversuchen. ^) In dem Bestreben die Grenze gegen die Geologie streng zu ziehen, der Paläozoologie ihre Selb- ständigkeit zu wahren, neigt m. E. Verf zu etwas ') Eine fast unglaublich leichtfertige Irreführung solcher Art aus jüngster Zeit wird auf S. 89 auch bildlich vorgeführt. Sie betrifft Rhamphorhynchus. Das dem Verf. nicht bekannte Modell dürfte meiner Erinnerung nach eine sehr schlechte zeichnerische Darstellung von Kritsch sein, was mir im Augenblick (im Felde) nachzuprüfen leider versagt ist. allzu radikaler Scheidung beider Disziplinen und Unterschätzung der vermittelnden Stratigraphie. Auch gebietet die Gerechtigkeit, ihm gegenüber immer wieder zu betonen, daß auch vor Darwin und Kowalewsky schon durchaus zoologisch-osteo- logisch orientierte eifrige Gelehrtenarbeit an fossilen Wirbeltierresten geleistet worden ist. Der in der Paläobotanik übliche Fehler der stratigraphisch arbeitenden Geologen, einen Wissenszweig völlig an eine Nachbardisziplin abzutreten, braucht in der Paläozoologie nicht wiederholt zu werden. Deshalb kann die nämliche Grenzführung ruhig bestehen bleiben und weiter ausgebaut werden. Mit einer kurzgefaßten Darlegung wichtigerer Aufgaben und Ziele der Paläontologie schließt das Bändchen ab. Edw. Hennig. H. Wolf. Karte und Kroki. Math.Phys. Bi- bliothek Bd. 27. Leipzig und Berlin 1917. B. G. Teubner. In kurzen knappen Sätzen führt das vorliegende Bändchen in die Grundlagen und die Entstehung unserer wichtigsten Kartenwerke ein. Der Begriff Karte und Maßstab wird zunächst an einfachen Bei.spielen erläutert. Es folgt dann eine etwas eingehendere Darstellung der Triangulation, wobei N. F. XVI. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S67 mannigfache historische Hinweise und Beschrei- bungen der Instrumente die Darstellung wertvoll ergänzen. Die der Triangulation folgende topo- graphische Arbeit wird auch ziemlich eingehend, aber für diese vielseitige Tätigkeit immer noch zu kurz, erläutert, so daß wesentliche Arbeit an manchen Stellen kaum gestreift wird. Eine Dar- stellung der kartographischen Arbeit und des Krokierens schließt das Bändchen. Vom Standpunkt des wissenschaftlich interessier- ten Laien, für den die Bändchen doch in erster Linie bestimmt sind, gibt es vor allen Dingen wohl ein Bedenken. Die Darstellung ist an manchen Stellen wirklich zu knapp. Was wird wohl der genannte Leser, um nur ein Beispiel anzuführen, mit einem Satz anfangen, wie folgt: (S. 9) „wird der Kreis um 180"/ Anzahl der Sätze verstellt". Auch im topographischen Teil findet sich manches derartige Beispiel. Trotzdem ist dem Bändchen weiteste Verbreitung zu wünschen, denn es wird mit dazu beitragen, das Verständnis für Vermes- sungsarbeit und Karte zu wecken und zu fördern. Und das ist notwendig; denn, wie man nament- lich als Vermessungsbeamter im Felde immer wieder erfahren muß, ist dieses Verständnis meist recht gering. Maisch. W. Soergel, Das Problem der Permanenz, derOzeane undKontinente (Habilitations- vortrag, durch Zusätze und Anmerkungen er- erweitert). SchweizerbartStuttgart 1917. Die bekannte alte Atlantis-Sage, in so geist- voller Weise später zu einer ernsthaften wissen- schaftlichen Hypothese erhoben, ist nur der Vor- läufer der Konstruktionen von Brückenkontinenten, zu denen Paläontologie, Geologie, Tier- und Pflan- zengeographie des öfteren gegriffen haben, um auffällige und schwer verständliche Beobachtungs- tatsachen auf verhältnismäßig einfache Weise zu erklären. Kein Ozean ist schließlich davon frei geblieben. Überall glaubte man für vergangene Zeiten versunkene Kontinente an Stelle der Meeres- becken im heutigen Erdoberflächenbilde einsetzen zu müssen. Soergel behandelt nun diese wich- tige Frage als Gesamtheit. Indem er alle Indizien für und gegen eine derartige einstige Besiedelung der heutigen Ozeane durch große verbindende Festländer (bzw. auch eine Verschiebung der Kontinentalblöcke an andere Stellen nach Maßgabe der äußerst kühnenWegener- sehen Hypothese) sorgfältig zusammenstellt, ent- scheidet er sich, wohl im Gegensatz zur augen- blicklich vorherrschenden Lehrmeinung gegen jene Voraussetzungen und für eine Permanenz der Kontinente. Ref möchte ihm darin voll beistimmen. ') Die Unterscheidung der Begriffe Kontinent (einschl. der untermeerischen Kontinental- sockel) und Festland (also der bei flachen Teil- überflutungen des Kontinentes trocken bleibenden Teile in jeder noch so veränderlichen Form) ist dabei wohl im Auge zu behalten. Nicht überzeugt erklären kann ich mich dagegen von den Behauptungen, einmal: im Verlaufe der Erdentwicklung hätte trotz der Permanenz im großen das Meer dauernd auf Kosten der P"est- länder an räumlicher Ausdehnung gewonnen; so- dann: zwischen der randlichen Kontinentalüber- flutung und dem eigentlichen Tiefmeer müßten in früherer Zeit in weit größerem Umfange all- mählich überleitende Meeresteile bestanden und einen regeren Faunenaustausch als heutzutage ermöglicht haben. Doch sei die Diskussionsfähig- keit und der ernsthafte Begründungsversuch dieser Thesen voll und ganz anerkannt. Einzelne der erläuternden Schlußbemerkungen gehen noch ein- gehender auf die hiermit zusammenhängenden Fragen, wie z. B. den Grad der Lückenhaftigkeit des fossilen Inverlebratenmaterials ein. Auch die Tetraedertheorie wird hier mehrfach gestreift. Der Verf. steht ihr sichtlich sympathisch gegenüber. Edw. Hennig. Literatur. Siemens, H. Vf., Die biologischen Grundlagen der Rassenhygiene und der Bevölkerungspolitik. Für Gebildete aller Berufe. Mit S Abbildungen. München '17, J. F. Leh- mann. — 2 M. Siebert. Dr. Fr., Der völkische Gehalt der Rassen- hygienc. Ebenda. — 3 M. Schmidt, Dr. E. W., Bau und Funktion der Siebröhre der Angiospermen. Mit I färb. Tafel und 42 Texlabbildungen. Jena '17, G. Fischer. — 5,60 M. Büsgen, Prof. Dr. M., Bau und Leben unserer Wald- bäume. Mit 129 Textabbildungen. Jena '17. G. Fischer. — 9 M. Pirquet, Prof. Dr. Freiherr v., System der Ernährung. I. Teil. Mit 3 Tafeln und 17 Abbildungen. Berlin '17 J. Springer. — 8 M. Lange, Dr. W., Über funktionelle Anpassung, ihre Grenzen, ihre Geseue in ihrer Bedeutung für die Heilkunde. Berlin '17, J. Springer. Roth, Prof. Dr. M., Bodenschätze als biologische und politische Fakioren. Berlin '17, J. Springer. — I M. Junge, Prof. Dr. G., Unsere Ernährung. Nahrungsmittel- lehre für die Kriegszeit. Berlin '17, O. Salle. — 1,50 M. Bauer, H., Physik der Röntgenologie. Berlin '17, H. Meußer. — 3 M. R e V e s z , Dr. B e 1 a , Geschichte des Seelenbegriffes und der Seelenlokalisation. Stuttgart '17, F. Enke. — 8 M. ') Fürdas afrikanische Festland habeich in Petermann's Mitteilungen 1917 (März-April)eine recht weitgehende Beständig- keit erneut nachzuweisen versucht. Inhaltl Aloys Müller, Gehört die Psychologie zu den Naturwissenschaften? S. 553. — Einzelberichte: H. Dold, Über Immunisierungsversuche gegen das Bienengift. S. 561. Lingelsheim, Neue teratologische Beobachtungen. S. 562. R.A.Daly, Theorie der Koralleninseln. S. 563. — Bücherbesprechungen: O.Abel, Allgemeine Paläontologie. S. 566. H. Wolf, Karte und Kroki. S. 566. W. Soergel, Das Problem der Permanenz derOzeane und Kontinente. S. 567. — Literatur: Liste. S. 567. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, InvalidenstraSe 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. ra. b. H., Naumburg a. d. S. 568 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 14. Oktober 1917. Nummer 41. Keimdrüsen und Kastration der männlichen Vögel. [Nachdruck verboten.! Von Privatdozent Dr. Ludwig Freund (Prag). Mit I Abbildung. Die Testikel der Vögel finden sich in der Hauchhöhle beiderseits der Aorta bauchwärts den vorderen Nierenlappen angelagert, aufgehängt an einem kurzen Gekröse, Alesorchium, das sich zwischen Aorta und Niere an der Körperwand an- setzt. Sie überragen kopfwärts den vorderen Nierenpol, seitlich unter Umständen den Seitenrand des Ileums, dort wo dieses von dem letzten oder den beiden letzten Rippenpaaren gedeckt wird. Die Form ist bohnenförmig bis rundlich, ihre Farbe gelblich bis weiß. Die beiden Hoden sind untereinander nicht gleichgroß. Häufig ist der linke größer als der rechte, entsprechend den Verhältnissen im weib- lichen Geschlecht, wo der linke Eierstock allein zur Entwicklung gelangt. Gelegentlich ist nur ein Hoden entwickelt, Monorchie, wie dies bei dem indischen Spornkuckuck, Centropus, konstant vorkommt, freilich merkwürdigerweise auf der rechten Seite (Marshall). Einmal (191 2) be- obachtete ich bei einem jungen Haushahn eine Teilung des rechten Hodens in zwei kleinere bohnenförmige Körper, so daß drei Hoden vor- handen waren. Nach Marshall steht auch die Hodengröße in keinem direkten Verhältnis zur Körpergröße, eher zur Menge der Nachkommenschaft. Am bedeutendsten sind aber die Schwankungen nach der Jahreszeit, die Größenzunahme zur Zeit der Geschlechtstätigkeit. Es ist dies seit langem bekannt und wir wissen, daß im Winter die Vogel- hoden am kleinsten sind, um dann gegen das I'Vühjahr kolossal an Umfang zuzunehmen. Diese allgemeine Angabe findet sich seit Aristoteles in allen Lehrbüchern, genauere Daten aber sind auf- fallend spärlich. Am bekanntesten ist das Beispiel, das Owen bringt. Es betrifft den Haussperlings- hoden, von dem er eine Reihe abbildet, Steck- nadelkopf- bis kirschkerngroß vom Januar bis April. Leuckart wies für dieselbe Zeit und denselben Hoden eine Vervielfachung des Gewichtes auf das I92fache nach. Sonst finden wir noch bei Martin die besondere Angabe, daß der Vogel- hoden auf das öfache , bei F" r a n c k - M a r t i n , daß er auf das Doppelte und darüber anwachsen könne. Während Gadow in Bronn bloß Owens Spezialangabe zitieren kann, hat um dieselbe Zeit Etzold die Hodenentwicklung von Fringilla domestica eingehend untersucht mit dem Ergebnis, daß das Gewicht des funktionierenden Hodens das des ruhenden zirka 300 mal übertrifft. Was die Größe anlangt, konstatierte er als Durchmesser des ruhenden Hodenso,/— 0,8 mm, die Dimensionen des funktionierenden sind: 10:8:7 mm. Dissel- horst verdanken wir dann eine ganz genaue Fest- stellung für den Enterichhoden, dessen Dimensionen betragen : 8 cm Länge, 4,5 cm Breite, 4 cm Dicke, damit die erste Angabe für unser Hausgeflügel liefernd. Freilich hätte man schon aus einer aus- gezeichneten Abbildung bei Tannenberg (die von M a r s h a 1 1 dankenswert wiedergebracht wurde) die wahre Größe eines funktionierenden Haushahn- hodens ersehen können. Außerdem sagt Hoff- mann, daß er je nach Größe und Alter des Hähnchens bohnen- bis taubeneigroß sein kann. Immerhin ist es leider Mencl passiert, daß er beim Enterich einen funktionierenden Hoden für einen Fall von hochgradiger Hyperplasie gedeutet hat, da er rechts 87:58:39 mm, links 86:55:47 mm aufwies. Disselhorst hat ihn dann unter Be- rufung auf seinen eigenen normalen, fast identischen Befund aufgeklärt. Kroutil lieferte uns Maße von der Schnepfe. Am 26. März betrug die Länge 16 mm. Breite 4 mm, am 7. April 26 mm Länge, 4 mm Breite, von da an über 24 mm Länge. Ich habe dann die Maße von einem geschlechts- reifen, ziemlich jungen Haushahn bringen können. Es betrug rechts die Länge 47 mm. Breite 27, Dicke 25 mm; links: 48:25:22 mm, bei einer Rumpflänge von 25,5 cm zur Breite von 8,5 cm. Neuestens konnte ich Maße von der Lachmöwe, Larus ridibundus, aus dem Monat Juni 1917 (ver- spätete Brutzeit I) gewinnen. Sie sind folgend zu- sammengestellt: I. Körpergewicht: 265 g, links: (Länge: Breite: Dicke) 11:5:3 mm; rechts: 6:3:2; 2. 245 g; links: 13,5:10:8; rechts: 15:10:6; 3. 230g; links: 14:6:4; rechts: 11:5:5; 4. 300g; links: 10:5:4; rechts etwas kleiner. Weiter prä- parierte ich am 6. Juni einen Perlhahn von 40 cm (Kopf — Steiß) Gesamtlänge. Hoden links : 25 : 1 5 : 14; rechts; 22:12:11. Am 11. Juni fand ich bei einem Kanarienvogel: Hoden links: 7,5:6,5:3,5 mm, rechts: 6:5,5:3 mm. Am selben Tag bei einem Gimpel: Hoden links: 6:5:3, rechts: 5:5:3mm. Wie man sieht, ist das Zahlenmaterial, das uns auf diesem Gebiete zur Verfügung steht, noch sehr bescheiden und bedarf der Vervollständigung, da- mit wir wenigstens von unseren Haus- und ein- heimischen Vögeln wissen, wie groß ihre Hoden werden können. Auch beim Vogel (in Betracht kommen fast nur Haushähne, sehr selten Enteriche oder Gänse- riche) führt die Entfernung der Keimdrüsen, die Kastration, hier das Kapaunen genannt (da der kastrierte Hahn Kapaun oder Kapphahn heißt), eine Verbesserung der Fleischqualitäten zu Genuß- zwecken herbei und wird daher schon seit jeher 570 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 41 an jungen Hähnen ausgefülirt. Nach der Beschrei- bung Hoffmann's erfolgt die Operation derart, daß die Rauchwand etwas links der Mittellinie zwischen Brustbein und After auf 2 cm Länge eröffnet, der Bauchinhalt beiseite geschoben wird, worauf mit dem eingeführten Finger die beiden Hoden abgedrückt werden. Man kann sie heraus- nehmen oder in der Bauchhöhle lassen, wo sie resorbiert werden. Die Bauchwand wird dann les Haushah a. Nach einem in situ mit Formol gehärteten Präparat. '/•, nat. Gr. Gez. L. Freund. geschlossen. Merkwürdigerweise ist man erst in neuester Zeit darauf gekommen, diese Methode durch eine bessere zu ersetzen, wenngleich dies, wie unsere Figur erkennen läßt, durch die Lage der Hoden von vornherein nahe liegen mußte. Pilling empfiehlt die Entfernung von der Hanke her unter Verwendung eines feinen Ekraseurs zur Abschnürung der Hoden. Wisinger und Schantyr heben die Vorzüge dieser Art gegen- über der trüberen besonders hervor, weil die Sterb- lichkeit viel geringer ist und daher für größere Vögel, wie Truthühner, Enten, Gänse aus peku- niären Gründen zu empfehlen sei. Freilich hat G i 1 1 e t bald feststellen können, daß diese angeb- lich neue Methode schon lange von den Chinesen ausgeübt wird, er selbst konnte sie auf dem Ge- flügelmarkte einer chinesischen Stadt mit dem pri- mitiven chinesischen Instrumentar von den äußerst geschickten Händen eines Geflügelhändlers aus- geführt sehen. Von Bedeutung ist die Frage, in welchem Alter die Hähne zu kastrieren sind. Deffke verweist darauf, daß man gewöhnlich das Alter von 4 Monaten wähle, es ist aber die Spät- oder F"rühreife der betreffenden Rasse in Betracht zu ziehen, da der Hoden eine gewisse Größe erreicht haben muß. Ein wertvolles Kennzeichen hierfür bietet jedoch die Größe und die Höhe des Kammes, die mit der des Hodens übereinstimmen. Man nimmt nämlich zum Kapaunen nur Hähne mit einfachen Kämmen, da sich Hähne mit „Rosen- kämmen" angeblich überhaupt nicht zum Kapaunen eignen. Ist nun der Kamm 3 — 4 cm hoch, so sind die Hoden 2 — 2,5 cm lang. Noch besser ist es, wenn der Kamm 4 — 5 cm hoch ist. Bei einem Alter von '/o — i Jahr ist er noch höher, doch ist dann die Kastration weniger ratsam, da die Tiere den Eingriff schlechter vertragen und die Blutung auch stärker ist. Er hat da wohl die alte rohe Kastrationstechnik im Auge. Ebenso ist auch seine Warnung zu verstehen, sicher den ganzen Hoden zu entfernen, da sonst vom übrig gebliebenen Rest bei der hohen Regeneralionsfähigkeit des Hahnhodens bald Ersatzwucherung erfolgt und der Hahn seine Geschlechtsfunktion und sein normales Gebaren behält. So waren nach Deffke kaum erbsengroße Reste nach -'/^ — i Jahr zu gut hasel- nußgroßen Testikeln regeneriert. Kehllappen und Kämme, welche handelsüblich bei der Kastration abgeschnitten werden und einen besonderen Handelsartikel bilden (manchmal werden sie be- trügerisch ohne Hodenentfernung abgeschnitten I) wuchern ebenfalls und werden dicke hochrote Wülste. Der falsche Kapaun heißt dann im Volks- munde „Spießhahn". Bemerkenswert ist auch die bei der Kastration übliche Transplantation des oder der am Unter- ende des Tarsus sitzenden Sporen an die Stelle des abgeschnittenen Kammes. Deffke schildert ge- nau die Methoden, welche die Einheilung sicher gewährleisten, sei es daß man sie flach oder keil- förmig zugeschärft auf oder zwischen die Kamm- reste chirurgisch befestigt. Wenn man beide Sporen einsetzt, so richtet man den einen nach vorn, den andern nach rückwärts, damit die „gleich- sam aus einem Stamm hervorsprießenden Hörner" (I) symmetrisch auseinandergehen. Über die körperlichen Veränderungen des Kapauners machte dann Seilheim besondere Angaben auf Grund experimenteller Studien an Haushähnen. Während Kämme, Bartlappen und Ohrenscheiben schrumpfen („Blaßgesichter"), wird das Federkleid lebhaft, die Sporen, wenn erhalten, bleiben gleich, so daß also die sekundären Ge- schlechtscharaktere regressiv aber auch progressiv N. F. XVI. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 571 beeinflußt werden. Auch in den übrigen Organ- systemen zeigen sich Veränderungen, so im Skelett, dem Kehlkopf und Larynx inferior. Besonders auffallend ist die Fettentwicklung (Kapaunerfett), welches subkutan, subserös, im Mesenterium, Netz, Ilerz einen großen Umfang annimmt. Herz und Gehirn sind kleiner. Herz vom Hahn: 3,45 g, Kastrat 3, 3g; GehirnHahn: 18,7 g, Kastrat 16,65 g. In neuerer Zeit hat aber das Kapaunen sehr nachgelassen. Man nimmt lieber später geschlechts- reif werdende, schwere Fleischrassen, mästet sie in kurzer Zeit und erreicht so vor der Geschlechts- reife das gewünschte Schlachtgewicht, was sich besser lohnt als das wirkliche Kapaunen, wenn auch die gemästeten Hähne oft unter diesen Namen in den Handel kommen. Anhangsweise sei erwähnt, daß auch beim Strauß, wie diesElley beschreibt, die Kastration üblich ist. Sie erfolgt von der rechten Flanke, in Chloroformnarkose, unter aseptischen Kautelen, nach Niederlegung des Tieres auf die linke Seite. Die Operation hat den Zweck, das Federgewicht zu vermehren und diese sauber zu erhalten, was bei nichtkastrierten wegen der Geschlechtsfunk- tionen nicht möglich ist. Außerdem sollen sich die Tiere in Jahren knapper Fütterung besser halten und auch das Fleisch schmackhafter sein. Literatur. Keimdrüsen: Disselhorst, R., Über Asymmetrieen und Gewichtsunterschiede der Geschlechtsorgane. Arch. wiss. Tierhkde. 24. 1S98. — Ders., Gewichts- und Volumszunahme der männlichen Keimdrüsen bei Vögeln und Säugetieren in der Paarungszeit; Unabhängigkeit des Wachstums. Anat. Anz. 32 1908, p. 113— 117. — Etzold, Die Entwicklung der Testikei von Fringilla domestica von der Winterruhe bis zum Eintritt der Brunst. Zeitschr. wiss. Zool. 52. 1891. — Franck, L., Handbuch der Anatomie der Haustiere. 3. Aufl. von Martin. 1894 P- 473- — Freund, L., Demonstration der Hoden eines Hahnes. Lotos-Prag, 57. 1909. — Ga do w- Selenka , Bronn's Kl. u. Ordn. d. Tierr. VI. 4. Aves, 1891 p. S35. — Kroutil.O., Zur Schcepfenfrage. Vereinsschr. Forst-Jagdkde. Prag, 1908/09, p. 467—482. 573—582. — IMarshall, W., Der Bau der Vögel. Leipzig, Weber. 1895. — Martin , P. L., lUustr. Naturgeschichte der Tiere. Vögel. 1S84, p. 26. — Mencl, E., Über einen Fall von hochgradiger Hyperplasie der Hoden bei einer Ente. Anat. Anz. 31. 1907, p. 423 — 427, I Fig. — Owen, R., On the Anatomy of Vertebrates, 2, 1S66, p. 242. — Tannenberg, G. W., Abhandlung über die männlichen Zeugungsteile der Vögel, übers, v. J. J. Schön - berg und G. Spangenberg. Göttingen 18 10. Gr. 4". Kastration: Deffke, Beiträge zur Kastration der Hähne. Monalsh. prakt. Tierhkde. 2. 1890, p. 65 — 72. — Elley , St., The Castration of Ostriches. Vet. Journ. 59. 1912, p. 352; Vet. Rec. 19. 1906, p. 196; Agric. Journ. Cap Good Hope. — Gillet, L., Note sur la chaponnage et la castra- tion des truites au Tonkin. Rev. gen. med. vet. 18. 191 1, p. 271 — 273. — Günther, R., Das Kapaunen der Hähne. Berl. Tierärztl. Wchschr. ö. 1890, Nr. i3/l4(Sep. Monogr.). — Holterbach, Das Kapaunen. D. landw. Tierz. 16. 1912, p. 197. — Hoffmann, L., Über die Kastration der Haus- tiere. Tiermed. Vortr. Schneidemühl, 2. 1892, H. I2, p. 38 bis 39. — Schantyr, J., Zur Frage der Kastration der Hähne. Vet. Arzt, 1911, Nr. 2, p. 19 — 22 (russ.). — Seeney, H., Caponing. Vet. Journ. 59. 1912, p. 559. — Wisinger, R., Über die Castration der Hähne. AUatorvosi Lapok, 1909, Kleinere Mitteilungen. Druckstöcke ans Hefe Auf dem Gebiet der Hefeverwertung ist wiederum ein bedeutender Fortschritt zu verzeichnen, der auf der vor etwa Jahresfrist von H. Blücher und R. Krause gemachten Entdeckung beruht, daß sich aus Hefe als Hörn- und Hartgummiersatz benutzbare plas- tische .Massen herstellen lassen. Eine der kenn- zeichnendsten Eigenschaften dieser als Ernolith bezeichneten Massen besteht darin, daß sie, in be- liebige Formen eingepreßt, deren feinste Einzel- heiten nach dem Erkalten und Erhärten haarscharf wiedergeben. Diese Beobachtung ist von den Erfindern weiter ausgebaut worden und hat dabei u. a. zu einem Verfahren zur Herstellung von Druckstöcken aus Ernolith geführt, dem in der gegenwärtigen Zeit mit ihrer großen Knappheit an den von den graphischen Gewerben benötigten Metallen (Kupfer, Zink und Blei) besondere VVich- tigkeit zukommt. Im Rohzustand stellt das Ernolith ein staub- feines, trockenes Pulver dar, das durch Heißver- pressung weiter verarbeitet wird. I'^ührt man diese Heißverpressung über einer metallischen Matrize aus, wie sie zur Herstellung von Klischees oder Druckstöcken dient, so erhält man ein stein- hartes Ernolithklischee, das die betreftende Fläche mit höchster Schärfe und in feinster Relifierung wiedergibt. Man kann aber, wie H. Blücher in der „Chemiker-Ztg." ') mitteilt, auch die Matrize selbst aus Ernolith herstellen und dann darin Ernolithpositive pressen. Dieses Verfahren, das ebenso wie das erste unter Patentschutz steht, ist das für die Praxis aussichtsreichste, weil es sich nicht auf graphische Zwecke beschränkt, sondern allgemeiner Anwendung fähig ist. Die Vorteile des Verfahrens bestehen einesteils in der Metallersparnis, die nicht nur für die Gegen- wart, sondern auch für die Zukunft wichtig ist, — im Hinblick auf den steigenden Metallbedarf der Industrie und die steigenden Metallpreise ist es eine volkswirtschaftliche Pflicht , Metalle nur da zu verwenden, wo sie ganz unentbehrlich sind, im übrigen aber die Ersatzstoft'wirtschaft beizubehalten und auszubauen — , andernteils darin, daß die Herstellung der Druckstöcke sehr vereinfacht wird, so daß sie weniger Zeit erfordert und weit ge- ringere Kosten verursacht. Zur Erläuterung dieses Punktes ein paar Worte über die Anfertigung der heute gebräuchlichen Metalldruckstöcke. Wir wählen dazu aus der Viel- heit der Illustrationsverfahren die Autotypie oder Rasterätzung, mit der die Mehrzahl der unsere Zeit- ') 1917, H. 71/72, S. 489. 572 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 41 Schriften und Bücher schmückenden Bilder wieder- gegeben werden. Ausgangspunkt ist entweder eine getönte Zeichnung oder eine Photographie. DieAuf- gabe ist, die Vorlage so auf eine Metallschicht zu über- tragen, daß man von der Reproduktion drucken kann. Dazu muß die glatte ( )berfläche des Bildes in Erhöhungen und Vertiefungen zerlegt werden, so daß man ein ähnliches Gebilde erhält, wie es der aus Typen zusammengesetzte Drucksatz selbst darstellt. Diese Aufgabe wird auf photomecha- nischem Wege gelöst. Man photographiert das betr. Bild durch einen sog. Raster, zwei mit ein- gravierten schwarzen parallelen Linien versehene Spiegelscheiben, die so zusammengekittet sind, daß die Linien der einen Platte die der anderen recht- winklig kreuzen. Dadurch entstehen lauter kleine durchsichtige Quadrate, deren Größe von der Feinheit des Rasters abhängt, d. h. davon, wie dicht die schwarzen Linien beieinanderstehen. ') Dieses Rasternetz haben die Lichtstrahlen bei der Aufnahme zuerst zu durchdringen, ehe sie die Platte belichten können. Infolgedessen zeigt das Negativ nach dem Entwickeln keine geschlossene Fläche, sondern ein in unzählige schwarze Punkte mit weißen Zwischenräumen zerlegtes Bild. Das Rasternegativ wird weiter auf eine blank polierte, mit einer lichtempfindlichen Schicht versehene Metallplatte kopiert, die die Stelle des sonst ver- wendeten Kopierpapiers vertritt. Entwickelt man die belichtete Platte in geeigneter Weise, so lösen sich alle Stellen der lichtempfindlichen Schicht, die unter den schwarzen Punkten gelegen haben und daher nicht belichtet worden sind, auf, und nur die belichteten Teile bleiben stehen. Um das so erhaltene Positiv druckfähig zu machen, müssen die nicht belichteten Stellen vertieft werden. Dazu wird die Platte mit einer säurefesten Schutzschicht bedeckt, die aber nur die belichteten Stellen über- zieht. Bringt man die Platte dann in ein geeignetes Säurebad, so werden an den nichtbelichteten und ungeschützten Stellen die Metallteilchen weg- gefressen, so daß die belichteten Stellen in Form kleiner Stäbchen und größerer oder kleinerer zu- sammenhängender F"lächen reliefartig aus dem ver- tieften Untergrund herausstehen. Damit ist der Druckstock fertig. Wird er zum Druck eingefärbt, so bedecken sich nur die erhabenen Stellen mit Farbe, während die vertieften farblos bleiben. Dem- entsprechend können auch nur die erhabenen Stellen drucken, und es entsteht ein schwarzweißes Bild, das in seiner Zusammensetzung die Tonwerte des Originals getreu wiedergibt. Diese Beschreibung zeigt, daß sich der Werde- gang der Halbtonätzung zum größten Teil mecha- nisch vollzieht; die Handarbeit ist fast vollkom- ') Für Autotypien, die mit Rotationsmascliinen auf Zeitungs- papier gedruckt werden sollen, benutzt man Raster mit 20 — 30 Linien auf i cm Breite, während für auf satiniertem oder Kunst- druckpapier wiederzugebende Autotypien Raster mit 45 — 60 Linien auf I cm Breite zur Verwendung kommen. Für Sonder- zwecke werden noch feinere Raster benutzt, bis 80 Linien auf den Zentimeter und mehr. men ausgeschaltet. In der Praxis kompliziert sich die Sache indessen dadurch, daß nur in seltenen Fällen unmittelbar von den so entstandenen Druck- stöcken gedruckt werden kann. Um eine große Auflage rasch herzustellen, ist es vielfach nötig, die betr. Druckschrift in mehreren Maschinen gleichzeitig zu drucken. Das bedingt das Vorhanden- sein mehrerer Exemplare jedes Druckstocks. Weiter nutzen sich die Druckstöcke beim Drucken sehr schnell ab und wenn man das Original benutzen würde, so wäre es nach der Abnutzung oder auch bei einer Verletzung nicht möglich, dasselbe Bild weiterzudrucken. Deshalb wird heute der Original- druckstock fast durchweg zunächst vervielfältigt; es werden Abklasche oder Klischees davon her- gestellt, Dazu bedient man sich allgemein der Galvanoplastik und zwar verfährt man entweder so, daß man von dem Original ein Negativ in Guttapercha oder Wachs erzeugt oder das Original in Weichblei abpreßt. Die Wachs- oder Gutta- perchanegative werden mit Graphit leitend gemacht, in ein galvanisches Kupferbad eingehängt und hier so lange hängen gelassen, bis sie sich mit einer genügend starken Kupferhaut bedeckt haben (dauert 6 — 24 Stunden). Diese Kupferhaut, das „Galvano", wird dann von dem Negativ getrennt, gerade ge- richtet, zur Verstärkung mit Blei hintergossen, nochmals gerichtet und auf einer Holzunterlage befestigt (aufgeklotzt). Alle diese Arbeiten voll- ziehen sich von Hand und erfordern geübte Kräfte. Das Arbeiten mit Weichbleinegativen hat den Vor- teil, daß man das Graphitieren sparen kann, da die Bleimatritze selbst leitend ist. Im übrigen voll- zieht sich die Herstellung der Galvanos in gleicher Weise, doch erfordert die Trennung der nieder- geschlagenen Kupferhaut von der Bleiform noch größere Sorgfalt als die Ablösung von einer Wachs- oder Guttaperchamatrize. Beschädigungen des Galvanos sind in beiden Fällen leicht möglich und kommen ziemlich oft vor. Der so entstandene „Ausschuß" ist natürlich unbrauchbar und muß wieder eingeschmolzen werden. Das Ernolithverfahren ist bedeutend ein- facher und schaltet jede Fehlerquelle aus. Zunächst kann man von Bleimatrizen ausgehen, die man mit Ernolithpulver überschichtet, um dann das Pulver durch Heißverpressung zu einem zusam- menhängenden Druckstock zu verdichten. Zweck- mäßiger aber benutzt man das zweite Verfahren der Pressung in Ernolithformen, da dadurch nicht nur weiteres Metall erspart, sondern auch die Schärfe der Klischees erhöht wird. So weich nämlich die Bleimatrizen auch sind und so vorzügliche Er- gebnisse besonders spezielle Verfahren wie die von Dr. Albert und Fischer liefern, so ent- steht doch beim Abpressen immer eine gewisse, wenn auch vielfach sehr geringfügige Abschwächung im Schärfegrad gegenüber dem Original, die ihre Ursache darin hat, daß die Bleiplatte einen zu- sammenhängenden Körper darstellt, der sich nur widerstrebend in das Relief der Form zwingen läßt. Es liegt auf der Hand, daß diese Schwierigkeit in N. F. XVI. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 573 Wegfall kommt, wenn wie beim Ernolithverfahren staubfeines Pulver unter langsam zunehmendem Druck in das Original hineingepreßt wird, wobei die Tiefen vollständig ausgefüllt und dann durch das ausfüllende, zu einer festen Masse verdichtete Pulver in allen Einzelheiten erhalten werden. In dieser P^orm sintert beim Eintreten der P'ertig- rcaktion die verdichtete Masse zu einer einheitlichen Platte, dem Negativ, zusammen, von dem in genau derselben Weise hernach das eigentliche Klischee aus Ernolithpulver gepreßt wird. ^) Die unvergleichlich scharfe Wiedergabe aller Feinheiten, durch die sich nach Blücher's An- gabe die Ernolithdruckstöcke auszeichnen, ist von besonderer Bedeutung tür die Wiedergabe von Halbtonbildern (Autotypien). Die Punktsysteme kommen selbst bei den feinsten Rasternummern in voller Schärfe zum Ausdruck, so daß Unter- schiede zwischen dem Originaldruckstock und dem zum Druck benutzten Klischee auch bei kritischster Betrachtung nicht aufgefunden werden können. Wie schon gesagt, bedarf man zur Herstellung von Kupfergalvanos geübter Arbeitskräfte, da einerseits das Ablösen der Kupferschicht, anderer- seits das Ausrichten, das Hintergießen mit Blei und das Aufklotzen Arbeiten sind, die sehr sorg- sam ausgeführt werden müssen, wenn man brauch- bare Druckstöcke erzielen will. Im Gegensatz dazu vollzieht sich die Erzeugung von Ernolith- klischees fast ganz mechanisch, so daß es geübter Arbeitskräfte nicht bedarf. Gleichzeitig ist damit eine bedeutende Verkürzung der Herstellungsdauer verbunden, die sich, wenn es sich darum handelt, eine größere Anzahl von Ernolithklischees gleich- ') DaU sich Ernolithobjekte in Ernolithformen verpressen lassen, ist eine vom teciinischen Standpunkt aus äußerst inter- essante Tatsache. Blücher teilt mit, dafl die Erreichung dieses Zieles große Mühe gemacht habe. Das Zusammen- backen von Matrize und Positiv, bzw. von Form und Inhalt, und überhaupt das Wiedererweichen der Form wird dadurch verhindert, daß die Temperatur- oder Druckverhältnisse bei der 2. Pressung gegenüber der 1. etwas verringert werden, oder daß man für die 2. Pressung ein etwas anders zusammen- gesetztes Pulver benutzt. zeitig herzustellen, durch geeignete hydraulische Pressen noch weiter herabmindern läßt. Bezüglich der Härte der gesinterten Ernolithmasse gibt unsere Quelle an, daß sie außerordentlich groß ist, so groß, daß die mechanische Nachbearbeitung der Klischeeränder und das Aufklotzen eigentlich die einzigen Schwierigkeiten bieten, weil die Werkzeuge schnell abstumpfen, wenn andere als die durch Versuche als zweckmäßig gefundenen L'mdrehungszahlen zur Anwendung gelangen. Das bei solcher Härte der Druckflächen beim Druck nur eine sehr geringe Abnutzung auftritt, ist selbstversändlich; auch darin liegt ein wesent- licher Vorzug dieser Klischees. Zur Zeit sind die Erfinder damit beschäftigt, die Ernolithklischees einerseits für den Rotations- druck, andererseits für den Tiefdruck verwendbar zu machen. In bezug auf den Rotationsdruck soll ein voller Erfolg in naher Aussicht stehen. Erwähnt sei zum Schluß, daß die Blücher'sche Arbeit, auf die sich unsere Angaben stützen, zu- gleich die Mitteilung bringt, daß es gelungen ist, außer der Hefe noch einen anderen Abfallstoff der Brauindustrie, den sogenannten Kühlschiffirub, zur Ernolitherzeugung nutzbar zu machen. Als Trüb oder Kühlgeläger bezeichnet man die in der Würze schwimmenden Hefe- und Eiweißteil- chen, die sich im Kühlschiff abscheiden und sich zusammen mit den beim Abkühlen der Würze ausfallenden Eiweißstofifen in einer dicken Schicht am Boden des Kühlschiffs ablagern. Verwendet wurde der Trüb b sher nur in geringfügigem Maße und zwar entweder als P"uttermittel oder zur Spiritusfabrikation. Zu einem großen Teile mußte er weggeworfen werden. Pls ist mehrfach versucht worden, eine bessere Verwertung zu erreichen, doch haben diese Bestrebungen bisher keinen Erfolg gehabt. Durch die Verwendung zur Herstellung von Ernolith eröffnet sich jetzt ein neues aussichtsreiches Absatzgebiet, ein Um- stand, der um so wervoller ist, als die Hefe selbst in steigendem Maße auf Nähr- und Futtermittel verarbeitet wird. (G.C.) H. G. Einzelberichte. Zoologie. Über Krieg und Vogelzug berichtet Prof Dr. J. T h i e n e m a n n ^) in Rossitten und erwähnt, daß beim Frühjahrs- und Herbstzug 191 5 folgende Abweichungen festgestellt wurden: 1. Im Herbst 1915 sind bedeutend weniger Krähen von Norden nach Süden gewandert wie sonst. 2. Bei den Kleinvögeln (Finken, Schwalben u. a.) bot sich im Herbst 191 5 oft die auffallende Er- scheinung, daß sie nach Norden zurückzogen, anstatt nach Süden abzuwandern. ') Schriften der Physik. -Ökonom. Gesellschaft zu Königs- berg i. Pr. LVII. Jahrg. 1916. 3. Im Oktober 191 5 waren fast gar keine Drosseln in der Luft ziehend zu beobachten. 4. Das Fehlen von nordischen Wintergästen (z. B. Seidenschwänzen) im Oktober 1915. 5. Unter den Raubvögelzügen im Herbst 191 5 auffallend viel Hühnerhabichte. Als durch den Krieg veranlaßt betrachtet der Verfasser nur die unter Ziffer i erwähnte Er- scheinung, indem die Krähen im östlichen Kampf- gebiet reichlich Nahrung fanden und sich daher nicht auf den Zug begaben. Der Verfasser glaubt nicht, daß die Kämpfe auf die ziehenden Vögel von Einwirkung sein können. Die Schlachtfronten haben höchstens 574 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 41 20 km Tiefe, eine Entfernung, welche durch die Vögel in kürzester Zeit überflogen werden kann. Eine gemachte Umfrage hatte zum Ergebnis, daß beim weißen Storch keine auffällige Ab- weichung von seinen Zugszeiten usw. wahrzunehmen gewesen sei. Dagegen wurden zwei Feststellungen gemacht : 1. Daß diese Vogelart eine bemerkenswerte große Anhänglichkeit an die gewohnten Nistorte zeigt. Sie siedelte sich in den zerstörten Gebieten Ostpreußens auf stellengebliebenen Schornsteinen, Giebelmauern oder benachbarten Bäumen an, wenn die Gebäude nicht mehr bestanden. 2. Daß in den neu gebauten Nestern, die die Störche gezwungenermaßen anlegen mußten, es sehr oft nicht zur vollständigen Zeitigung der Brut gekommen ist. Der Verfasser folgert aus dieser Erscheinung, daß es den Anschein habe, als ob viele alten Störche, die in jedem Jahre ihren alten Horst wieder vorfanden , sich den Neubaus entwöhnt haben und durch die ungewohnte Arbeit der Neuanlage des Nestes abgehalten wurden, das Brutgeschäft bis zu Ende durchzuführen. Infolge- dessen war die Vermehrung der Störche eine geringere und im Herbst 191 5 sind aus Ostpreußen ihrer wenigere nach dem Süden abgewandert. Alb. Heß. Die Höhe des Vogelzuges.') Trotz der Arbeit der Vogelwarten gibt uns der Vogelzug noch manche Rätsel auf, die der Lösung harren. Wie finden die Vögel ihren Weg? Bei denen, die in Scharen wandern, könnte man annehmen, daß die Alten, die den Weg schon zurückgelegt haben, die Führer- rolle übernehmen, trotzdem es hierauch vorkommt, daß die Jungen vorausgeschickt werden. Wie steht es aber mit denen, die einzeln ziehen, wie Kuckuck, Wiedehopf, Nachtigall und vielen Raubvögeln? Wer sagt ihnen ferner, daß und wann sie ziehen sollen? Sie haben doch vielfach noch keinen Winter erlebt, kennen also auch seine Gefahren noch nicht, wissen auch nicht, daß im Süden der Tisch für sie gedeckt ist. Daß die Ursache des Wanderzuges nicht in der Erfahrung zu suchen ist, zeigt das Verhalten der Stubenvögel, die zu Beginn der Wanderung unruhig werden, gegen die Käfigwände flattern usw. Sie müßten doch wissen, daß sie es im Käfig besser haben als auf der beschwerlichen Reise. Oft fällt der Anfang der Reise in die Zeit der Nahrungsfülle und des schönsten Wetters, so daß man also ihre Ursache in einem rein reflektorischen Triebe wird suchen müssen. Wie weit etwa äußere Einflüsse den Beginn oder die Richtung der Reise beeinflussen, hat sich bisher nicht mit Sicherheit feststellen lassen. Regen, Nebel und starker Wind haben Unterbrechung des Zuges zur Folge. Auch die Annahme, der Vogel fliege auf seiner Wanderung ') F- in den ,, Naturwissenschaften" der Wärme entgegen, läßt sich nicht rechtfertigen, da die Wärmeverhältnisse unterwegs sehr ver- schieden sind. Lucanus sieht in dem Wander- triebe wie im Finden derRichtung eine ,,angeborene, rein mechanische Seelenfunktion, die zwar durch äußere Reize vorübergehend beeinflußt werden kann, im wesentlichen sich aber gesetzmäßig vollzieht. Eine andere viel umstrittene Frage ist die nach der Höhe des Vogelzuges. Nach Gätke vollzieht er sich in solchen Höhen, daß die Vögel dem menschlichen Auge oft nicht mehr wahrnehmbar sind. Er spricht von 5000 — 12000 m. Zu diesen Zahlen gelangte er durch Schätzung der Höhen, in denen die Vögel eben noch als Punkte erkennbar sind. So nennt er für den Bussard 3000 — 4000 m, den Kranich 5— 6000 m, für Krähen 3 — 5000 m. Zur Nachprüfung dieser Zahlen wandte sich L u - canus an eine Reihe von Lufischiffern. Das Er- gebnis dieser Umfrage war ein für Gätke un- günstiges. Danach kann als äußerste Höhe etwa 400 m angenommen werden. Darüber hinaus sind nur selten Vögel angetroffen worden, die aber nicht auf dem Zuge waren. Dabei ist nicht etwa anzunehmen, daß die Vögel den F"ahrzeugen aus- weichen und deshalb nicht zu beobachten sind. Sie lassen sich vielmehr weder durch das Erscheinen des Flugzeuges, noch durch das Geräusch der Pro- peller auf ihrem Zuge stören. Nach diesen Beobach- tungen fliegen die Vögel immer so, daß sie die Erde in Sicht behalten. Über den Wolken sind selten welche angetrofi'en worden. Bei Nebel findet die Reise in geringer Höhe (gegen 100 m) statt oder wird, falls er zu dicht wird, ganz unterbrochen. Gegen die Zahlen von Gätke spricht auch die Temperatur in den von ihm genannten 1 löhen. Bei 5000 m herrschen etwa — 20" C, bei 7000 m — 33" C. Bei 12000 m I [öhe müßte also das Leben wohl sofort erstarren. Zudem beträgt der Luft- druck in 5000 m Höhe nur 298 mm. Gegen Schwan- kungen des Luftdrucks sind aber die Vögel be- sonders empfindlich. Als Beweis für die Richtigkeit der großen Flughöhe werden Beobachtungen von Astronomen angeführt, die im Fernrohr Vögel vorüberziehen sahen, deren Entfernung sie auf viele Tausende von Metern schätzten. Dem ist entgegenzuhalten, daß sich in den wenigen Augenblicken, die die Vögel im Fernrohr sichtbar sind, ihre scheinbare Größe sowie ihre Art (zur Bestimmung der wirk- lichen Größe) nur schwer feststellen lassen; beides ist aber zur Berechnung der Entfernungen not- wendig. Beobachtungen auf der Vogelwarte Rositten haben ergeben, daß der Zug der meisten Vögel in etwa 80—100 m Höhe stattfindet. Nur an sehr klaren windstillen Tagen erhebt er sich höher, doch bleiben größere Vögel dem unbewaffneten Auge immer noch zu erkennen. Unsere Singvögel, wie Rotkehlchen, Ammern, Finken und Meisen ziehen in 30 - 80 m Höhe, oft sogar noch niedriger. L u c a n u s selbst hat die Zahlen G ä t k e s prak- tisch nachgeprüft, indem er ausgestopfte Vögel in N. F. XVI. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 575 fliegender Stelking mit einem Fesselballon aufsteigen ließ und nun die Höhe feststellte, in der sie eben noch als Punkte zu erkennen waren bzw. dem Auge ent- schwanden. Es ergaben sich : für den Sperber eine Sichtbarkeitsgrenze von 850 m (nach Gätke 3000 m), die Saatkrähe 1000 m (n. G. 3 — 5000), den Bussard 1500 m (3000 m). Der Bartgeier würde nach der Berechnung von Lucanus in 2000m Höhe dem Auge entschwinden, während Gätke den etwa gleich großen Kranich noch bei 6000 m erkennen wollte. Zu diesen Zahlen bemerkt Lu- canus ausdrücklich, daß seine Sehschärfe eine doppelte ist; um die Vögel in der von Gätke angegebenen 1 lohe erkennen zu können, würde eine sechsfache Sehschärfe nötig sein. Als Ergebnis seiner Untersuchungen hebt Lu- canus hervor, daß der Vogel ebenso wie jedes andere Lebewesen an den Erdboden gebunden ist. Je nach der Windstärke, Windrichtung und Bewölkung ändert sich die Flughöhe, doch hält er sich immer so, daß ihm die Erde sichtbar bleibt. Heycke. Urdarmhöhle und Cölom. Der Wunsch, die verschiedenen Bildungsweisen des Mesoderms auf einen Typus zurückzuführen, hat zur Aufstellung von mancherlei vergleichend-anatomischen Theorien geführt, unter denen die Cölomtheorie der Ge- brüder Hertwig aus dem Jahre 1882 die älteste und heute noch diejenige ist, die die meiste An- erkennung in der F~orschung und Lehre findet. Ihr Schulbeispiel ist die Entwicklung der Pfeil- würmer oder Chätognathen ; an der Larve von Sagitta sieht man, wie derUrdarm, die Einstülpung, durch die das rein hohlkugelige Blastulastadium zum Gastrulastadium wurde, zwei sekundäre Einstülpungen bildet, und diese zwei „Ur- darmdivertikel" schnüren sich hernach vom Urdarm ab und werden dadurch zur Wandung der von ihnen umschlossenen paarigen sekundären Leibeshöhle, des Cöloms. Ähnliche Urdarmdiver- tikel treten bei vielen anderen Tieren in der Ent- wicklung auf, weshalb diese ßildungsweise des Mesoderms die allgemeinste und ursprüng- lichste erscheint und seine in anderen F'ällen zu beobachtende Entstehung als ursprünglich kompakte IVIasse am Entodcrm oder Urdarm, in der erst später die Cölomhöhle auftritt, als die weniger ursprüngliche Art und Weise betrachtet wird. H. E. Ziegler') hat im Laufe der Zeit eher die gegenteilige Auffassung über diesen Punkt gewonnen. Die Vergleichung der Urdarmdivertikel mit den Magentaschen von Cölenteraten — da diese Tiere dauernd kein eigentliches Mesoderm und keine Leibeshöhle besitzen, höchstens ein massives, zellenreiches „Mesenchym" — habe keinen stammesgeschichtiichen Wert. Bei den Ringel- würmern und Mollusken entstehe das Cölom nicht 1) H. E. Ziegler, Über die Enterocöllheorie. Zool. Anzeiger. Bd. XLIV, Nr. 3, 1914, S. 136 — 141. aus Darmdivertikeln. Bei den Chätognathen seien zwar die Urdarmdivertikel festgestellt, aber nur bei den noch durchsichtigen peiagischen Larven. Von diesen Stadien bis zum Bau des fertigen Tieres klaffe eine große Lücke in unseren Kenntnissen, und es ist, meint Ziegler, nicht erwiesen, daß aus den Urdarmdivertikeln ein Cölom hervorgeht, ja das Bestehen eines Cöloms am fertigen Tier könne überhaupt bezweifelt werden, wie ein solches ja vielen Würmern und allen Plattwürmern fehlt. Wolle man dennoch bei den Chätognathen die Mesodermbildung in der gewöhnlich für diese Würmer dargestellten Weise annehmen und da- mit die Pfeilwürmer als nächstverwandte der Ringel- würmer betrachten, so könne man als den ursprüng- licheren Zustand mit Korscheit und Heider nur den der Ringehvürmer betrachten. Es ist ferner bei Brachiopoden die Cölombildung aus Urdarm- diverkeln festgestellt. Die Brachiopoden aber seien ein einseitig ausgebildeter Zweig des Würmer- stammes, gerade bei ihnen könne man nicht einen ursprünglichen Entwicklungsgang erwarten. Bei Echinodermen und Enteropneusten ist sowohl Divertikelbildung am Urdarm als auch — bei anderen Arten — die Herauswucherung des Mesoderms aus solider Anlage am Urdarm beobachtet; also auch hier lasse sich nicht entscheiden, welche Bildungsweise die ursprünglichere wäre. Sucht man den Anschluß dieser Tiere bei den Ringel- würmern, so wirke die .'\uffassung von der Leibes- höhle der Ringelwürmer auch auf die von der jener übrigen ein. Die Wirbeltiere endlich lassen durch- gehends keine Urdarmdivertikel erkennen, außer bei Amphioxus und bei .Amphibien. Diesen Fällen sei keine so hohe phylogenetische Bedeutung bei- zumessen, denn was bei Amphioxus beobachtet, kehre schon bei Tunikaten und Selachiern nicht wieder, was bei .Amphibien, nicht bei den Fischen. Nun kann man allerdings vielleicht dazu sagen, gerade bei Amphioxus und bei Amphibien könne man die verhältnismäßig ursprünglichsten Entwick- lungsgänge unter allen VVirbeltieren erwarten. Aber selbst dann würde im Sinne Z i e g I e r ' s frag- lich bleiben, ob wir damit den ursprünglichen Modus für die Tiere überhaupt gefaßt hätten. Denn Ziegler macht geltend, das Cölom der Wirbeltiere sei dem der Anneliden (Ringelwürmer) wohl nicht homolog, sondern nur konvergent, wie auch die Segmentierung der Wirbeltiere von der bei Würmern anzutreffenden wesentlich ver- schieden sei: bei jenen entstehe sie aus der Musku- latur, bei diesen gehe sie von den Gonaden oder den Exkretionsorganen aus. Sonach möchte Ziegler auch bei den Wirbeltieren die Leibes- höhle nicht als Derivat der Urdarmhöhle auffassen, wenigstens wäre sie nicht ursprünglich ein solches gewesen. Man könne sich vielmehr vorstellen, daß die Bildung des Hohlraums durch Ausstülpung an der Urdarmhöhle eine sekundär eingetretene Vereinfachung oder Erleichterung sei, die den sich rasch entwickelnden Larvenformen zu gute kam. V. Franz. 576 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 41 Geologie. Die Bedeutung der Solifluktion für die Erklärung deutscher Landschafts- und Boden- formen. Die bedeutsamen Untersuchungen von B. Högbom über die geologische Bedeutung des Frostes (Bull. Geol. Inst. Upsala XII, 1914) veran- laßten W. Salomon zu einer kritischen Durch- arbeitung ähnlicher Erscheinungen in Deutschland (Geologische Rundschau, Band VII, H. 1/2, 1916). Schon lange war von einzelnen Forschern ver- mutet worden, daß bestimmte Bodenformen wie die Felsenmeere der deutschen Mittelgebirge nicht unter den heutigen klimatischen Verhältnissen ent- standen sein können. Im großen und ganzen war aber doch die Meinung vorherrschend geblieben, daß die Blockmeere durch Akkumulation kleiner Vorgänge der Gegenwart langsam entstanden seien und noch weiter sich bilden würden. Vielfach hat man angenommen,daß widerstandsfähige Schichten, aus denen die Blöcke der Felsenmeere z. B. des Odenwaldes, Pfälzerwaldes, Schwarzwaldes usw. bestehen, eine Zeitlang überhängende oder vor- springende Gesimse gebildet hätten und dann durch Frostwirkung oder bloßes Abbrechen zn den heu- tigen Felsenmeeren zusammengerollt seien. Nach Götzinger sind auch in unserem Klima die lockeren Schuttmassen in einer dauernden lang- samen Bewegung nach unten begriffen, die je nach der Steilheit der Gehänge und dem Grade der Durchfeuchtung manchmal 3 — 5 cm im Jahre be- tragen kann ; Götzinger hat diese Erscheinungen „Gekrieche" genannt. Eine sehr genaue Unter- suchung der starken Fließbewegungen des Bodens in den polaren und subpolaren Gebieten gab J. G. Andersson in einer Arbeit über Soli- fluktion(-Boden fließen) und Blockströme. Die Blockströme der Falklandsinseln, des Ural, von England, Gibraltar und Schweden werden auf fossile Solifluktionserscheinungen zurückgeführt. Ähnlich erklärt Passarge die Ströme von eckigen Felsblöcken im Riesengebirge, am Zobten und in anderen deutschen Mittelgebirgen. Ebenso betrachtet W. von Lozinski die h'elsenmeere der zentral- und osteuropäischen Mittelgebirge als eine fossile Bildung der Diluvialperiode und unter- scheidet eine „periglaziale Facies der mechanischen Verwitterun g". Im Gegen- satz zu Andersson's subglazialer Ver- witterungsfacies mit oft erheblichem Trans- port des zerfrorenen Materials nimmt \V. von Lozinski eine weitgehende mechanische Gesteins- zertrümmerung in situ durch Spaltenfrost an. Eine weitere Förderung erhielt das Problem durch die Spitzbergenreise des Stockholmer Internationalen Geologenkongresses und ganz besonders durch die mehrmaligen Reisen B. Högbom's nach Spitz- bergen. B. Högbom macht vor allem auf die „T j ä 1 e", den Eisboden oder gefrorenen Untergrund aufmerksam, welcher für alle Bodenbewegungen in den sehr kalten Regionen der Erde von außer- ordentlicher Bedeutung ist. Der häufige Wechsel von Auftauen und Gefrieren über der Tjäle führt zu einem leichteren Fließen des Bodens als in unserem Klima, da der Zusammenhang zwischen der beweglichen Oberhaut des Bodens und dem unbeweglich liegen bleibenden Untergrund in den Tjälegebieten viel geringer sein dürfte. Eine Reihe von eigentümlichen Bodenformen kommt so zu- stande, die bei uns fehlen oder doch nur als Seltenheiten in unseren Hochgebirgen vorkommen. Natürlich spielte der Spaltenfrost beim Zerfrieren freistehender Felsoberflächen sowohl in der Gegen- wart wie in der Vergangenheit eine wichtige Rolle. Högbom erklärt die heutigen Bodenformen als Folgen fossiler Frostwirkungen der Diluvialzeit; er schließt sich dabei nicht von Lozinski, sondern J. G. Andersson an, wobei er dessen Ansichten ganz erheblich erweitert. Rezente Solifluk- tionserscheinungen kommen vor in; Spitz- bergen, König KarlsLand, Bären-Insel, Island, Grön- land, Arktisches Nordamerika, Nordsibirien, Novaja Semlja, Kola-Halbinsel, nördliches Finland, Graham- land, Südgeorgien, Crozet-Inseln, Kerguelen, Skan- dinavien, Alpen, Zentralasien, F'elsengebirge Nord- amerikas, Patagonische Anden , P'alklands-Inseln, Neuseeland; fossile Wirkungen der Soli- fluktion dagegen aus P^ngland, von Gibraltar, aus dem Odenwald (Felsberg), Taunus, Harz, bayrischen Wald, Riesengebirge, dem Ural, aus Canada, den P'alklands-Inseln und Neuseeland. Im Odenwald wurden typische Blockströme auf den Hängen des Felsberges beobachtet, die sich weit von ihren vermutlichen Ursprungspunkten entfernen und sich über ganz flache Stellen der von ihnen eingenommenen Rinnen hinwegziehen. Nach Salomon sind sie in der geologischen Ver- gangenheit entstanden und zwar während des kälteren Klimas im Diluvium, das ein Bodenfließen über der Tjäle ermöglichte. Was für den Odenwald gezeigt wurde, gilt auch für viele der deutschen Mittelgebirge. Das Klima der diluvialen Vereisung hat einen starken Einfluß auf die F"ormen und die Lagerung der obersten Bodenmassen gehabt. Die heute nur noch aus den polaren und subpolaren Gebieten bekannten Erscheinungen des Bodenfließens über einer Tjäle waren auch bei uns wirksam. Die Felsen- und Blockmeere sind überwiegend auf das diluviale Bodenfließen zurückzuführen, während dem rezenten Gekrieche eine geringere Bedeutung zukommt. Eine dankbare Aufgabe zur Unter- scheidung von Gekrieche und Solifluktion dürfte es sein, wenn bei Vorhandensein von guten Auf- schlüssen z. B. bei Wegebauten möglichst viele gründliche Beobachtungen und Messungen über das Gekrieche angestellt werden würden. V. Hohenstein. Botanik. Über die Fluoreszenz wässriger Rindenauszüge von Eschen in ihrer Beziehung zur Verwandtschaft der Arten macht Lin g elsheim, der Monograph der Gattung Fraxinus, in Heft 9 der Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft, N. F. XVI. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 577 (Band 34, 1916) bemerkenswerte Mitteilungen. Schon Harms hatte sich mit der Frage beschäftigt, ob die Erscheinung der Fluoreszenz in wässrigen Aufgüssen der Rinde bei bestimmten Arten Rückschlüsse auf ihre systematische Stellung ermögliche. In einer früheren Nummer der Xaturw. Wochenschr. (X. F. XIV., 191 5, S. 361) berichtete M o e w e s über die Untersuchungen von Harms, die sich auf das Lignum nephriticum bezogen. Später teilte Harms die Ergebnisse weiterer über die Fluores- zenzerscheinung bei Pflanzen angestellter Unter- suchungen mit. Danach ist sie verhältnismäßig häufig. Übergießt man die Samen von Sper- gula arvensis L., einem gemeinen Ackerun- kraut, mit Alkohol, so steigen in der Flüssigkeit bald tiefblaue Wolken auf, die sie schließlich voll- ständig färben. Der die Färbung bedingende Stoff, das Spergulin, ist nach Harz eine schwache Säure. Rhamnus frangulaL., die Blätter der ßlutbuche und zahlreiche Bakterienarten (Pseu- domonas) werden erwähnt. Auch manche der als Gelb holz (Alter Fustik) im Handel befind- lichen Hölzer zeigten die Erscheinung, so die Moracee Chlorophora tinctoria (L.) Gaud. in mit Alaun versetztem Alkohol. Der gleiche gelbe Farbstoft", das Morin, der bei den Moraceen verbreitet sein dürfte, findet sich auch im Holze des indo-malayischen Jackbaumes (Artocarpus integrifolia L.) sowie des amerikanischen „Bow- wood" (Maclura aurantiaca Xutt.), die beide schöne Fluoreszenz aufweisen. Am interessantesten ist aber das Verhalten wässriger Rindenauszüge von P'raxinus und Aesculus. Daß manche .^rten der Roßkastanie blau fluo- reszieren, ist schon von iVIoeller angegeben worden (Ber. deutsche Pharmaz. Ges. 33. S. 54. 191 5). Harms kommt nun aber zu dem Ergebnis, daß sich die .Arten der Gattung, je nachdem sie keine, starke und himmelblaue, oder schwächliche und grünlichblaue P'luoreszenz zeigen, in drei Gruppen ordnen lassen, die mit den .Sektionen der Gattung im ganzen gut übereinstimmen. Es ist danach anzunehmen, daß wir in dem .•\uftreten des Pluoreszenzphänomens ein Mittel besitzen, die natürliche Verwandtschaft der .Arten zu erkennen. Auch unter den Eschenarten konnte Harms zwei Gruppen unterscheiden, deren wässriger Rindenauszug blau, bzw. grünblau fluoresziert, wiihrend eine Anzahl Arten negative Ergebnisse lieferte. Pir vermutet, daß sich auch bei F r a x i n u s die Fluoreszenz in zweifelhaften P'ällen zur Be- stimmung der Arten verwenden läßt, konnte jedoch nicht erkennen, in welcher Weise sich die Erscheinung auf die nach morphologischen Merk- malen unterschiedenen Gruppen verteilt (Verh. bot. Ver. Prov. Brandenburg 57. 191 5.). Wie nun Lingelsheim zeigen konnte, lag dies daran, daß Harms zum Teiffalsch bestimmte Pflanzen vorlagen. .An der Hand des ihm zur Verfügung stehenden reichen Materials kommt er zu dem wichtigen Ergebnis, daß ganz unzweifel- haft eine solche Beziehung besteht. Er untersuchte alle .Arten der Gattung mit einer Ausnahme. Für den Versuch, bei dem nur ganz geringe Mengen der abgeschabten Rinde — es genügt schon V,o mg! — oberflächlich in ein mit Wasser gefülltes Reagenzglas gebracht werden, ist es gleichgültig, ob frisches oder getrocknetes Material vorliegt. Selbst 100 Jahre alte Stücke reagieren ebenso kräftig wie frische. Ist fluoreszierende Substanz überhaupt vorhanden, so ergeben sich blau und blaugrün fluoreszierende Wolken, die beim Schütteln die gesamte Wassersäule färben. Auf Grund mor- phologischer Merkmale heben sich aus den Gattun- gen zwei Sektionen, Ornus und Fraxinaster, scharf heraus, von denen die erste als phylo- genetisch ältere sich durch mancherlei primitive Merkmale auszeichnet. Ihnen stehen bei Fraxi- naster durch .Arbeitsteilung bedingte Fortschritte deutlich erkennbar gegenüber, womit eine all- mähliche Reduktion der Blütenhülle verbunden ist. Diese ist es gerade, die eine weitere Teilung in scharf umrissene Untergruppen ermöglicht. Der Versuch ergab nun, daß die Glieder der Sektion Ornus bis auf wenige Arten Fluoreszenz zeigen, ebenso drei der zu Fraxinaster gehörenden Subsektionen. Den übrigen zweien fehlte sie mit einer .Ausnahme, der zur Subsektion M e 1 i o i d e s gestellten I^" r a X i n u s anomolaTorr. Mit dieser einen Ausnahme schien die .Annahme einer .Ab- hängigkeit zwischen .Stammesverwandtschaft und der Anwesenheit fluoreszierender Stoft'e gut be- gründet. Das Verhalten der letztgenannten Art war allerdings höchst auffallend, würde sie doch als einzige der zahlreichen Melioidessippen ein positives Resultat ergeben. Da gelang Lingels- heim aber durch Untersuchung eines Frucht- exemplars der überraschende Nachweis, daß die Art Blumenblätter besitzt und somit aus der kelch- blütigen (apetalen) Gruppe der Melioides aus- zuschalten ist. Auch andere morphologische und pflanzengeographische Gründe stellen sie zu den Dipetalae. So erweist sich in diesem P'alle in der Tat das Vorhandensein der Fluoreszenz als eine ganz einwandfreie Probe auf die Zugehörig- keit einer Art zu einem bestimmten Verwandt- schaftskreise. Weiterhin zeigt Lingelsheim, daß auch bei den Sippen der Sektion Ornus das Auftreten, bzw. P"ehlen der Fluoreszenz ein gesetzmäßiges Verhalten darstellt, das auf den Stammbaum der Gruppe ein ganz neues Licht wirft. Dagegen kann die Farbe der Fluoreszenz nur in geringem Grade als Verwandtschaftskri- terium dienen. Diese Versuche bestätigen voll- auf die von Harms geäußerte Erwartung, die Fluoreszenzerscheinungen würden für die Syste- matik der Gattung wertvoll sein, deren Arten ja, besonders, wenn Früchte nicht vorliegen, zum Teil recht schwierig zu unterscheiden sind. Das Auftreten der Fluoreszenz zeichnet ganz bestimmte Verwandtschaftskreise aus, ebenso ist ihr Fehlen ein eindeu- tiges Merkmal besonderer Gruppen. Zum 578 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. Schlüsse betont Lingelsheim die Möglichkeit ähnlicher Beziehungen bei anderen Gattungen, die er besonders bei Aesculus für wahrscheinlich hält. Kr. Botanik. Geschlechtlichkeit bei den Laminarien. Bei einer vergleichenden Betrachtung der Fort- pflanzungsverhältnisse im Pflanzenreich erschien es immer unverständlich, daß die größten Tange, die Laminariaceen, die an Größe und Organisation schon den Blütenpflanzen vergleichbar sind, sich nur einfach ungeschechtlich durch Schwärmsporen fortpflanzen sollten, während die ihnen ähnlichen, aber morphologisch nicht einmal so hoch organi- sierten l*\icaceen deutliche Eibefruchtung bei höchst verschieden gebildeten männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen zeigen. Zwar wollte vor kurzem ein Beobachter gesehen haben, daß die Schwärm- sporen kopulieren, daß also der Keimung der Sporen eine Befruchtung vorausgehe, doch es erwies sich, daß die als männliche Reproduktions- zellen gedeuteten Gebilde Monaden gewesen sind. Nun aber hat der bekannte französische Algologe Sauvageau eine Entdeckung gemacht, die eine höchst merkwürdige Entwicklung der Laminarien kennen lehrt und die wohl als das wichtigste Er- gebnis auf dem Gebiete der Algenkunde in letzter Zeit zu betrachten ist. Er fand nämlich bei einigen Arten dieser Gruppe einen Generationswechsel und zwar in der Form, daß aus den Schwärm- sporen eine winzige, bisher übersehene Geschlechts- generation, ein Prothallium, hervorgeht und daß sich erst das befruchtete Ei des weiblichen Pro- thalliums zur eigentlichen Pflanze entwickelt. Die Arten, bei denen er dieses Verhältnis konstatieren konnte, sind Saccorhiza bulbosa, Laminaria flexi- caulis u. L. saccharina. Die winzigen Schwärm- sporen bilden nachdem sie zur Ruhe gekommen sind, einen Keimschlauch, der sich zu kleinen verzweigten Fäden entwickelt, ähnlich einem Moos- protonema. Doch kann auch ein solches Ge- schlechtspflänzchen nur aus ein paar Zellen be- stehen. Die einen bilden Antheridien, sind also männliche Prothallien, die anderen, die weiblichen Prothallien , bilden ( )ogonien. Das aus der letzten oder vorletzten Fadenzelle entstehende Antheridium liefert ein Antherozoid, das dem der Fucaceen ähnlich ist, also eine schlanke, durch zwei seilliche Zilien bewegliche, nackte Schwärm- zelle. Der Inhalt des (logoniums tritt als nackte Eizelle aus, bleibt an der Mündung der Mutter- zelle sitzen und wird hier offenbar befruchtet, doch teilt Sauvageau über diesen Vorgang ^) C. Sauvageau, Sur la se.\ualite heterogamique d'une Laminaire (Saccorhiza bulbosa) (Comples rendus de l'Acad. des sc. de Paris. T. i6l. p. 796). Idem eodem T. 162. p. 601 : Sur les gamctophytcs de deux Laminaires (L. flexicaulis et L. saccharina). Da die genannten Bände während des Krieges erschienen sind, werden sie in vielen Bibliotheken nicht zu haben sein. Deshalb sind auch diese sowie die vorhergehenden, dort zitierten .Aufsätze Sauvageau's wohl rielen deutschen Botanikern unbekannt geblieben. noch nichts mit. Das Ei entwickelt sich ohne Ruhepause zum Embryo, der zunächst aus einem kurzen Zellenfaden besteht. Dessen unterste Zelle liefert das erste Rhizoid, sein oberer Teil verbreitert sich durch entsprechende Zellteilungen und wächst zur eigentlichen Pflanze heran, die wir dann als Sporophyten zu bezeichnen hätten. Die Reduktion der Chromosomen wird also jedenfalls erfolgen, wenn sich der Inhalt des Sporangiums in die Zoo- sporen teilt. Diese Sporangien stehen in großer Menge mit sterilen Haaren gemischt auf der Ober- fläche des Laubes und bilden Flecken von mehr oder minder scharf begrenzter F"orm, die man Sori nennt. Vermutlich werden die echten La- minariaceen alle einen Generationswechsel besitzen entsprechend den von Sauvageau zuerst ge- machten und von Kylin und Kuckuck bereits bestätigten Angaben. Wie sich andere Braun- algen, die bisher für ganz geschlechtslos angesehen wurden, in dieser Beziehung verhalten, muß die Zukunft lehren. Möbius. Physik. In seinem berühmten Vortrage über Licht und Elektrizität auf der Naturforscherver- sammlung in Heidelberg (1889) verglich Hein- rich Hertz die elektromagnetische Lichttheorie mit einem Gewölbe, das eine Kluft unbekannter Dinge überspannt. „Alles was man lange Zeit zur Kräftigung dieses Gewölbes tun' konnte, be- stand darin, daß man seine beiden Widerlager verstärkte. Wenn es dadurch auch in den Stand gesetzt wurde, sich selber dauernd zu tragen, so hatte es doch eine zu große Spannweite, als daß man es hätte wagen dürfen, auf ihm als sicherer Grundlage weiter in die Höhe zu bauen. Hierzu waren besondere Hauptpfeiler nötig, welche vom festen Boden aus aufgemauert, die Mitte des Ge- wölbes faßten. Einem solchen Pfeiler wäre der Nachweis zu vergleichen gewesen, daß wir aus dem Licht unmittelbar elektrische oder magnetische Wirkungen erhalten könnten, einem anderen Pfeiler der Nachweis, daß es Wellen elektrischer und mag- netischer Kraft gibt, die sich nach Art der Licht- wellen ausbreiten. Eine harmonische Vollendung des Gebäudes wird den Aufbau beider Pfeiler er- fordern". Während die Grundsteinlegung und ein guter Teil des Ausbaus des zweiten Pfeilers von Heinr. Hertz selbst vollbracht und von anderen Forschern so weit gefordert ist, daß er eine mäch- tige Stütze des ganzen Baues darstellt, ist der erste Pfeiler auch heute noch nicht vollständig errichtet worden. Wir kennen zwar eine ganze Reihe von Wechselwirkungen zwischen Licht einerseits und elektrischen und magnetischen Kräften andererseits (elektromagnetische Drehungder Polarisationsebene, lichtelektrische Erscheinungen, ZeemanefTekt und die unlängst von J. Stark entdeckte Aufspaltung von Spektrallinien unter dem Einfluß starker elektrischer Felder), aber dieses Tatsachenmaterial, so rückhaltig es auch zu sein scheint, ist dennoch zu geringfügig, um bei der großen Zahl der not- wendigen Hilfshypothesen die volle Sicherheit der N. F. XVI. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 579 Schlüsse zu gewährleisten. Es ist daher von Be- deutung, daß der Bau des von der optischen Seite errichteten Stützpfeilers auf einem ganz anderen Wege hat gefördert werden können, nämlich durch die Erforschung des ultraroten Spektrums. Über die Bedeutung des ultraroten Spektrums für die Bestätigung der elektromagnetischen Lichttheorie hat Rubens in der Sitzung der Preußischen Akademie der Wissenschaften, in der öffentlichen Sitzung am 25. Januar 1917 den Festvortrag gehalten.^) Die Schwierigkeiten, Messungen um Ultraroten (Wellenlänge größer als 0,8 a = o,ooo8 mm) aus- zuführen, sind einesteils darin begründet, daß das Auge auf diese langwelligen Strahlen nicht an- spricht, man muß also erst ein Mittel schaffen, sie nachzuweisen : (Thermosäule, Bolometer). Ferner werden die Strahlen von einem Glasprisma zum allergrößten Teil absorbiert. Durch Verwendung von Prismen aus Steinsalz und Sylvin ist es ge- lungen, Wellenlängenmessungen bis zu 23 /( d. i. das 40 fache der Wellenlänge des Natriumlichtes auszuzuführen. Eine weitere Ausdehnung der Messung ist wegen der Absorption der Prismen- substanz nicht möglich. Auf einem anderen von Rubens angegebenen Wege gelingt es weiterzu- kommen: Nach unseren Vorstellungen vom Aufbau der Materie ist es vorauszusehen, daß jeder Körper ganz bestimmte Ätherwellen absorbiert nämlich diejenigen, deren Schwingungszahl mit der Eigen- frequenz jener schwingungsfähigen Gebilde über- einstimmt, aus denen sich der Körper aufbaut. Bei den regulären Kristallen mit einatomigem Raumgitter hat man berechnen können, daß nur eine solche Resonanzstelle (Absorptionsbande) vorhanden ist, die im Gebiete der äußerst lang- welligen ultraroten Strahlen liegt. In unmittel- barer Nähe dieser Absorptionsstreifen nimmt das Reflexionsvermögen außerordentlich hohe Werte an, wie wir's bei der metallischen Reflexion etwa an einem Silberspiegel für Lichtstrahlen beobachten. Das kann man nun benutzen, um einzelne lang- wellige Strahlenkomplexe auszusondern. Läßt man z. B. Sirahlen aller Wellenlängen auf eine Stein- salzfläche fallen, so werden diejenigen, deren Wellenlänge um 52 /( herum liegt, besonders stark reflektiert, während alle übrigen in den Kristall eindringen. Läßt man das reflektierte Strahlen- bündel noch mehrere Mal an einem Spiegel aus dem gleichen Kristall reflektieren, so enthält er schließlich nur Strahlen von der angegebenen Wellenlänge ; sie werden Reststrahlen genannt. Sie sind in der folgenden Tabelle für verschiedene Substanzen zusammengestellt. Flußspat Steinsalz ttlere Wellenlänge 24,0 u. 31,6 /( 52,0 (( Reststrahlen von Mittlere Wellenlänge Sylvin 63.4 Chlorsilber 81,5 Bromkalium 82,6 Thalliumchlorür 91,6 Jodkalium 94,1 Bromsilber 112,7 Thalliumbromür 117,0 Tiialliumjodür 151,8 ') Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Ak. d. Wi IV S. 47- Man sieht, wie außerordentlich unsere Kennt- nis des ultraroten Spektrums durch die Methode der Reststrahlen erweitert ist. Sie umfassen einen Wellenlängenbereich vom 40 fachen bis zum 250 fachen des Natriumlichtes. Daß man mit dieser Methode noch größere Wellenlängen isoliert, ist nicht wahrscheinlich, da es nicht viele für optische Zwecke verwendbare Substanzen gibt, deren Raum- gitterschwingungen noch langsamer erfolgen als bei dem Thalliumjodür. Außerdem werden die Messungen durch die sehr geringen Strahlungs- intensitäten sehr erschwert; so beträgt bei den Reststrahlen des Thalliumjodürs ihre Intensität kaum mehr als ein Millionstel der Gesamtstrahlung des als Strahlungsquelle benutzten schwarzen Körpers von looo " C. Auf einem anderen Wege kann man noch weiter in das Gebiet des Ultraroten eindringen, es ist die Quarzlinsenmethode; auch sie ist von Rubens angegeben. Quarz ist für ultraviolettes und sichtbares Licht sehr durchlässig, für ultra- rote Strahlen bis zu 21 /( etwa nimmt seine Durchlässigkeit ab, um für größere Wellenlängen wieder zuzunehmen. Sein Brechungsexponent für diese langwelligen Strahlen ist sehr groß; ein Quarzprisma lenkt sie doppelt so stark ab wie die Licht- und Wärmestrahlen, so daß eine Trennung dieses langwelligen Teils von dem kurzwelligen leicht möglich ist. F"ür eine Linse aus Quarz liegt ihr Brennpunkt jenes langwelligen Strahlengebietes viel dichter an der Linse als für den kurzwelligen Teil. Sie entwirft mithin von einer Lichtquelle zwei Bilder hinter der Linse, von dem das eine die gewöhnlichen Licht- und Wärmestrahlen ent- hält, während das andere, viel näher an der Linse liegende die gesuchte langwellige Strahlung ver- einigt. Man stellt die Lichtquelle nun so zur Linse auf, daß das erste Bild virtuell wird, während das zweite reell bleibt. An die Stelle, wo das „lang- wellige" (natürlich unsichtbare) Bild entsteht, bringt man eine Blende, die gerade jenes Bild aufnimmt. Dann dringen die langwelligen Strahlen durch die Blendenöffnung hindurch, während von den divergenten Strahlen, die vom virtuellen sichtbaren Bild ausgehen, kein merkbarer Bruchteil hinter den Blendenschirm gelangt. Durch Wiederholung des Isolierverfahrens mittels einer zweiten Quarz- linse enthält man den langwelligen Strahlungsanteil in vollkommener Reinheit. Die LIntersuchung einer Reihe von Strahlungsquellen nach diesem Verfahren lieferte eine inhomogene Strahlung mit einem Maximum bei etwa lOO ,«. Die Quarzqueck- 58o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 41 silberlampe enthält Strahlen von noch größerer Wellenlänge; die nach dem geschilderten Verfahren isolierte Strahlung besteht aus zwei Teilen, von denen der eine von dem heißen Quarzrohr stammt und keine Besonderheiten zeigt. Der zweite Teil geht von dem leuchtenden Quecksilberdampf aus und seine Untersuchung zeigt, daß er aus zwei Emissionsbanden besteht, deren Maxima bei 218 und 34:"2 /< gelegen sind; die Wellenlänge ist dem- nach größer als '/s mm- Während sich das sichtbare Spektrum von Violett 0,4 /( bis Rot 0,8 ß erstreckt, also in der Ausdrucksweise der Akustik eine Oktave umfaßt, enthält das ultrarote Spektrum, soweit es durch rein optische Methoden untersucht ist, 8 — 9 Okta- ven; es übertrifft danach an Umfang der Schwin- gungszahlen die Tonskala eines modernen Konzert- flügels. Interessant ist ein Vergleich mit dem bisher erforschten ultravioletten Teil des Spek- trums; es umfaßt nicht ganz drei Oktaven, von 0,4 (.1 bis 0,06 ;(. Dann folgt ein Gebiet von nahezu sechs Oktaven, das uns noch vollständig unbekannt ist. Daran schließen sich die Röntgenstrahlen mit 6'/,, Oktaven. Mithin beträgt der Umfang des uns bekannten optischen Spektrums heute etwa 19 Oktaven, von denen aber nur eine einzige durch unser Auge wahrgenommen wird. Es fragt sich nun, wie die Erforschung des ultraroten Spektrums zur Prüfung der elektromagnetischen Lichttheorie dienen kann. Die Max well'schen Gleichungen gelten nur für ein kontinuierliches Medium d. h. für strukturlose Medien, in denen weder selektive Absorption noch Farbenzerstreuung vorkommen kann. Wir nehmen aber einen diskontinuierlichen Bau der Materie an, indem wir sie aus einzelnen Atomen aufgebaut denken. Nun ist allerdings eine Beeinflussung der elektromagnetischen Wellen durch die Eigenschwingungen der Atome so lange nicht zu erwarten, als die Schwingungszahl der Wellen sehr viel kleiner ist als die Eigenfrequenz der schwingungsfähigen Gebilde, aus denen der Körper besteht, weil dann Resonanzerscheinungen ausgeschlossen sind, d. h. langen Wellen gegen- über weicht das Verhalten der Körper nicht wesentlich von dem des in der Theorie voraus- gesetzten Kontinuums ab. In den kurzwelligen Teilen des Spektrums dagegen, in denen die Schwingungszahlen von derselben Größenordnung wie die molekularen Eigenfrequenzen sind, wird die Theorie versagen. Je weiter wir im Spek- trum nach den langen Wellen fortschreiten und uns damit von dem Gebiet der molekularen Eigenschwingungen entfernen, um so mehr müssen wir erwarten, daß die von Maxwell entwickelten Beziehungen zwischen optischen und elektrischen Eigenschaften der Körper sich als richtig erweisen. Hier tritt also die Bedeutung des langwelligen ultraroten Spektrums deutlich zutage. Als erste solcher Beziehung kommt eine Ab- hängigkeit zwischen dem elektrischen Leitver- mögen, der Extinktion für eine gegebene Strahlenart und der Wellenlänge dieser Strahlen in Betracht. Die Formel sagt aus, daß die besten elektrischen Leiter für eine gegebene Wellenlänge die höchsten Extinktionskoeffizienten besitzen, mithin die un- durchsichtigsten Substanzen sind. Qualitativ wird dieser Satz durch die Erfahrung ohne weiteres be- stätigt, indem die besten Leiter, die Metalle, die undurchsichtigsten Substanzen sind. Bei einer quantitativen Prüfung versagt indessen die Formel vollständig. Die aus dem Leitvermögen er- rechnete Durchlässigkeit ist bei den Metallen um ein Vielfaches geringer als die optisch beobachtete. Diese Unstimmigkeiten schwanden, als Rubens und seine Mitarbeiter nicht die Durchlässigkeit für sichtbares Licht, sondern für ultrarote Strahlen bestimmten. Je weiter man nach der langwelligen Seite fortschreitet, um so besser wird die Über- einstimmung. Für die Reststrahlen des Fluß- spates ist sie vollkommen zwischen der beobach- teten Absorption und den aus dem elektrischen Leitvermögen berechneten Werten. Es wurden 12 reine Metalle und 21 Legierungen untersucht und eine erhebliche Abweichung nur bei dem Wismut gefunden, das sich ja auch in anderer Hinsicht abnorm verhält. (Daß aus praktischen Gründen statt der Extinktion die Emission der Metalle bestimmt wurde, ist ohne Bedeutung, da es für diese eine entsprechende Beziehung gibt wie für jene.) Man ist also mh Hilfe der Maxwell- schen Formel imstande, das elektrische Leit- vermögen eines Metalls aus optischen Strahlungsmessungen zu bestimmen und umgekehrt. Der zweite aus der Max well' sehen Theorie abgeleitete Satz besagt, daß das Quadrat des Brechungsexponenten gleich der Dielektrizitäts- konstanten der betreffenden (nichtleitenden) Sub- stanz sein muß. Bei den Gasen und einigen wenigen festen und flüssigen Stoffen wird diese Beziehung durch die Erfahrung bestätigt, wenn man den Brechungsexponenten für sichtbares Licht einsetzt. Bei der Mehrzahl der Stoffe ergibt sich wegen der Störung durch die molekujaren Eigen- schwingungen keine befriedigende Übereinstim- mung, ja vielfach starke Abweichungen von der von der Theorie geforderten Gesetzmäßigkeit. Mit Hilfe der langwelligen Quecksilberdampf- strahlung sind von Rubens und seinen Mit- arbeitern 35 feste Körper (20 Kristalle und 15 amor- phe Substanzen) untersucht und ihre Brechungs- exponenten und Dielektrizitätskonstanten gemessen worden. In allen Fällen ist die Maxwell'sche Beziehung mit hinreichender Genauigkeit erfüllt. Bei den Flüssigkeiten lassen sich zwei Gruppen unterscheiden; in der ersten, zu der u. a. Benzol, Xylol und Schwefelkohlenstoff gehören, ist schon für relativ kleine Wellenlängen des ultraroten Spektrums die Gleichung gültig, bei der zweiten dagegen — ihr gehören Wasser, Glycerin und die Alkohole an — ist auch für die langwelligsten bekannten Strahlen die Annäherung der Brechungs- exponenten an die Wurzel aus der Dielektrizitäts- N. F. XVI. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S81 konstanten noch lange nicht vollendet. Bei diesen Substanzen muß daher bei noch viel längeren Wellen (etwa im Bereich der Hertz' sehen Wellen ) nochmals starke Absorption und anomale Dispersion auftreten, was in den meisten Fällen auch tat- sächlich beobachtet worden ist. Diese Absorption beruht indessen nicht auf molekularen Eigen- schwingungen, sondern nach Debye auf dem richtenden Einfluß, welche das elektrische Wechsel- feldder Schwingungen auf die elektrisch polarisierten Flüssigkeitsmoleküle ausübt. Die Kenntnis des ultraroten Spektrums hat also auf zwei wichtigen Gebieten zu einer quan- titativen Bestätigung der elektromagnetischen Licht- theorie geführt. Wir sind imstande, das elektrische Leitvermögen eines Metalls und die Dielektrizitäts- konstante eines festen Isolators aus rein optischen Messungen zu ermitteln. K. Seh. Bücherbesprechungen. Karl Sapper ; GeologscherBau und Land- schaftsbild. Die Wissenschaft. Band 61 mit 16 Abbildungen. Friedrich Vieweg und Sohn, Braunschweig 191 7. Ein Buch liegt uns hier vor, das aus dem reichen Schatz eigener Forschungen uns Anschau- ungen in überaus lebendiger Darstellung und der Erde verschiedene Landschaftstypen in ihrer Ab- hängigkeit vom geologischen Bau und als Produkt geomorphologischer Vorgänge darstellt. Wie man das Landschaftsbild subjektiv begreift, welche Ver- änderung es erleben kann durch Beleuchtung in den Jahreszeiten, Tageszeiten, welche Elemente die Landschaft bilden (biologische, anorganische) er- fährt man in den einleitenden Abschnitten. Rein geologische Studien zum Verständnis des Land- schaftsbildes bietet der Verf erst im 4. Abschnitt dar (Die Grundformen oder primären Struktur- formen), im 5. Abschnitt (Abtragung und Auf- schüttung). Den Schluß des allgemeinen Teiles bildet die Behandlung der hydrologischen Deck- gebilde und des Hüllgebildes der Erde (Atmo- sphäre) als geologische Faktoren, die Einfluß auf den geologischen Aufbau des Landschaftsbildes gewinnen. — Im besonderen Teil schildert der Verf. einzelne Typen der Erdenlandschaften. Und darin liegt der höhere Wert des Buches, weil er darin vieles gibt, was er mit eigenen Augen ge- sehen hat, was seine eigenen Forschungen sind. Er gibt uns den Typus der „regenfeuchten Tropen- landschaft, der offenen Tropenlandschaft, der tro- pischen und subtropischen Wüsten- und Halb- wüstenlandschaft, der feuchten Landschaft der ge- mäßigten Zone, der Steppen und Wüsten der ge- mäßigten Zone, der Hochgebirge der mittleren und niederen Breiten, der subpolaren und polaren Landschaft, der Meeres- und Küstenlandschaften." Hundt, im Felde. Anregungen und Antworten. über das Familienleben der Störche konnte ich in diesem Jahre eine eigenartige Beobachtung machen. In Hudemühlen a. d. Aller befindet sich auf einem Hause ein Storchnest, das wie alljährlich so auch in diesem Jahre von einem Storch- paare bezogen wurde. Als ich die Störche in diesem Jahre zum ersten Male sah, waren sie gerade beim Brüten. Einige Zeit später, als die Jungen eben ausgeschlüpft waren, sah ich bei ihnen nur einen alten Storch. Auf Befragen erfuhr ich, daß der andere alte Storch im Fluge gegen die Hochspannungs- drähte gestoßen und durch den elektrischen Strom getötet war. Die Kinder der Nachbarschaft hatten ihn bestattet, leider konnte ich nicht feststellen, ob das männliche oder das weibliche Tier verunglückt war. Ganz überrascht war ich, beim dritten Besuche des Ortes wieder zwei alte Störche auf dem Neste zu sehen. Wie ich erfuhr, hatte sich etwa acht Tage nach dem Tode des einen Storches ein neuer Storch eingestellt, der dem übriggebliebenen getreulich bei der Pflege und Aufzucht der Jungen half. Durch nichts war festzustellen, daß es sich hier um einen Stiefvater oder eine Stiefmutter handelte, das Ver- halten der beiden alten Störche entspricht durchaus dem üblichen Verhalten. In der mir zugänglichen Literatur finde ich keinen ähn- lichen Fall verzeichnet. In Brehm's Tierleben heißt es; „Aus allen Beobachtungen darf man folgern, daß die Ehe eines Storchpaares für die Lebenszeit geschlossen wurde und beide Gatten sich in Treue zugetan sind." Und im Anschluß daran erzählt B r e h m eine von E. v. Horaeyer verbürgte Geschichte von einem weiblichen Storch, der nach dem Tode des Gatten über 1 1 Jahre allein blieb, trotzdem er viel umworben wurde. In diesem Falle scheint der alte Storch sich schneller über den Verlust des Gatten getröstet zu haben. Vielleicht aber war es auch die Sorge um die Jungen, die ihn veranlaßte, von der sonstigen Regel abzuweichen. Jedenfalls gibt ein derartiger Fall dem Naturbeobachter und Tierpsychologen eine Reihe von Fragen auf, deren Beantwortung sehr erwünscht wäre, aber wohl kaum im Bereich der Möglichkeit liegt. Immerhin könnte durch Mitteilung ähnlicher verbürgter Fälle in gewissem Sinne Klarheit geschaffen werden. E. Zieprecht. Zum Artikel in der Naturw. Wochenschr. Bd. 32 S. 201. Sind die Maskarenen und die zentralpazifischen Inseln ozeanisch .' erlaube ich mir eine Mitteilung zu machen, die vielleicht von Interesse ist. Prähistorische Steinfiguren wie auf der Osterinsel sind auch auf Necker Island, nordwestlich von Hawaii unter dem Wendekreise gelegen, gefunden. Ende Mai 1SQ4 annektierte die damalige provisorische Regierung von Hawaii jene Insel um den Engländern zuvor- zukommen, die man in Verdacht hatte Necker Island als Station für ihr transpazifisches Kabel besetzen zu wollen. Die Flaggenhissungsexpedition fand dort Monolithe wie auf der Osterinsel. Der schwierigen Landung und der schweren See wegen konnte der .Aufenthalt nur von kurzer Dauer sein. Ich hielt mich in den Jahren 1S91 — 1S97 auf Hawaii auf und meine Nachricht stammt aus dem Bericht über genannte Expedition in der Hawaiian Gazette zu der Zeit veröffentlicht. Her Brons. Der Sonnentau als Insektenvertilger. In einem Moore der Hehlenteiche beim DorfeVVinkel (Kreis Gifhorn) ist in diesem Jahre, begünstigt durch die anormalen Witterungsverhältnisse, auf einer großen Fläche der Sonnentau (Drosera intermedia) S82 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. recht üppig gediehen. Das weithin leuchtende Rot der Wimper- härchen, mit denen die Blätter berandet und auf deren lebhaft grüner Oberseite besetzt sind und an deren Spitze ein Tau- tröpfchen im Sonnenschein glitzert, sind Anreiz genug, die Insekten herbeizulocken. Eine Unmenge hiervon, besonders Schmetterlinge, ließen sich nun auf dieser Sonnentaukolonie nieder. Von den Schmetterlingen waren es vorzugsweise Weiß- linge (Pieris brassicae, rapae und napi), die der verführerischen Einladung zu einem Besuclie der Sonnentaupflanzeu nicht widerstehen konnten. Zunächst waren es nur einige, die sich dort einfanden, an den klebrigen Tautröpfchen hängen blieben und sogleich von den Tentakeln am Kopfe umklammert wurden, wobei sich das betreffende Blatt bald über den Kopf des Insekts krümmte, um das Opfer desto sicherer festzuhalten und es mit Hilfe eines pepsinhaltigen Saftes aufzulösen und zu verdauen. Die Anwesenheit einiger Weißlinge reizte vielleicht andere Artgenossen an dem vermeintlich leckeren Mahle teilzunehmen. Auch sie ereilte das gleiche Schicksal. So war denn schließ- lich (zu Beginn des Juli) die ganze weite Sonnentaufläche von Weißlingen wie übersäet — ein eigenartiges Bild lür den Be- schauer! Was die Raupen den Feld- und Gartenfrüehten der dortigen Gegend an Schaden zugefügt hatten, rächten diese kleinen Pflanzen au den Schmetterlingen und deren Nach- kommenschaft. Julius Reißner-Braunschweig. Luftvvellen als Schlieren sichtbar. (Mit I Abb. im Te.xt.) Die MitleiluDgen der Herren Franz und Mi ehe in Nr. 32 der Xaturw. Wochenschr., über Beobachtung von Luftschlieren unmittelbar mit den Augen oder durch ein Fernglas, bringen Beobachtungsmöglichkeiten in Erinnerung, die in wissen- schaftlichen Kreisen seit mehr als einem Vierteljahrhundert bekannt, seitdem aber auch wieder in Vergessenheit geraten waren. Besonders darf ich in dieser Hinsicht eine Veröffentlichung des Geh. Reg.-Rats Herrn Dr. F. Neesen anführen über „die Photographie in ihrer Verwendung bei Untersuchung der Bewegung und Wirkung von Geschossen", die in einem Ab- schnitt das Verhalten der Luft beim Geschoßdurchgang aus- führlich behandelt. Sie ist im Aprilheft 1917 der Artilleristi- auf S. 1048—1049. Sie geht von der Entdeckung dieser Be- obachtungsweise durch den französischen Hauptmann Journee aus, dessen Darstellung Mach nur insofern berichtigt, als er die von Journee vertretene Ansicht des belgischen Physikers Melsens, eine Masse oder Hülle dichter Luft würde vom Geschosse mitgenommen, durch seine erwähnte Auffassung eines Schwingungsvorgangs ersetzt wissen will. Die Anmerkung hat im wesentlichen folgenden Wortlaut: ,,Herr Journee hat, hinter dem Gewehr stehend, mit einem Fernrohr in der Schußrichtung visierend, die fliegenden Projektile samt ihrer Lufthülle (Wellengrenze) beobachtet, was bei der perspektivisch stark verkleinerten Geschwindigkeit und der merklichen Lichtreflexion an der bedeutend verdichteten Luft ganz wohl verständlich ist. An Schärfe und Reinheit müssen natürlich die Bilder, welche sich Herrn Journee zeigten, hinter den unsrigen weit zurückstehn. da die ersteren keine Momentbilder sind, sondern aus der Überdeckung von Bildern entstehen, welche verschiedenen Zeiten angehören. Abgesehen davon, daß sie eine ungünstige perspektivische An- sicht bieten. Das von Herrn Journee angewandte Prinzip der perspektivischen Verkleinerung der Geschwindigkeit wird vielleicht noch mehrfach nützlich werden. Ich möchte hier bemerken, daß man nach diesem Prinzip große Geschosse auch ohne P'ernrohr verfolgen kann. Stellt sich der Beobachter B nahe an das Geschütz so, daß er etwa unter 45" gegen die Schußlinien auf die Geschützmündung M hinsieht, so beschreibt ein Geschoß von 500 Sem Geschwindigkeit den Gesichts- winkel MBS|, von etwas unter 45" in einer Sekunde. Seine scheinbare Größe sinkt aber, wenn es '/j m Durchmesser hat, nur auf etwa 4' (Gradminuten). Es bleibt also dann noch etwa 7 s (Zeitsekunden) sichtbar, bis es, bei der scheinbaren Größe von '/,,', verschwindet. Ein Geschoß von 2 Zentimeter Durchmesser erscheint unter denselben Umständen schon nach '/öS in der Größe von '/s't verschwindet also. Ich glaube, daß sich der Journee'sche Versuch, bei einigen zweck- mäßigen Anordnungen, mit großen Projektilen besonders schön ausführen ließe." Soweit Herr E. Mach. Den beschriebenen Versuch scheinen weder er noch seine Mitarbeiter wirklich ausgeführt zu haben. Jedenfalls findet sich in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, in denen er sonst über die neuen Versuche s^ Fernro hr be obach tung größerer Geschosse im Fluge nach dem J o urne e ' sehen Prinzip der perspektivischen Verkleinerung der Geschwindigkeit. Zeichnung von Wilhelm Krebs nach einem Entwurf E. Mach 's. sehen Monatshefte erschienen, jener Abschnitt auf S. 155 u. ff. Er bedarf notwendig einer Ergänzung. Sie soll deshalb be- sonders rasch geboten werden, weil ohne sie wertvolle Be- obachtungen für die, zumal in dieser Kriegszeit, alltäglich sich die Möglichkeit bietet, unterbleiben könnten. Herr Neesen warf auf S. 155 die Frage auf, wie die Luftverdichtung vor einem, schneller als der Schall dahin- fliegenden Geschosse zu erkennen sei. Er beantwortet sie damit, daß ,, unser Auge nicht empfindlich genug" sei, daß dagegen die von E. Mach nach Töpler auf die Luft ange- wandte Schlierenphotographie jenen Vorgang, den man nach Mach selbst übrigens nicht als Luftschicht, sondern als Wellenverdichtung aufzufassen hat, sichtbar mache. Demgegenüber ist zu bemerken, daß die Augen-, bzw. Fernrohrbeobachtung dieser sog. Mach 'sehen Kopf- oder Scheitelwelle durchaus möglich und von Mach selbst für die Verfolgung größerer, also besonders artilleristischer Geschosse empfohlen ist. Das ist in einer Anmerkung zu seinem Berichte über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des durch scharfe Schüsse erregten Schalles geschehen, den er der Wiener Akademie am II. Oktober 1888 erstattete. Sie findet sich zu berichten pflegte, nichts darüber. Übrigens hat auch Journee in dem Pariser Sitzungsberichte, der von MacTi alsjournee's Veröft'entlichung allein angegeben ist, über seine Entdeckung selbst Nichts verlauten lassen. Um so tat- kräftiger sollte nunmehr der Beobachtungsvorschlag E. Mach 's, besonders an großen Geschossen, ins Werk gesetzt werden. Daß solche Beobachtungen auch für die militärische Praxis nicht ohne Wert sind, wird durch die Bemerkung des Herrn Prof Dr. Miehe belegt, „daß sich auch dann, wenn der Gcschoßeinschlag nicht oder nicht scharf sichtbar war, ziem- lich gut das Ergebnis des Schusses angeben ließ". Bei Artilleriegeschossen von '/„ m Länge kann die Verfolgung, nach den oben wiedergegebenen Darlegungen, bis fast auf 2'/.., bei großen Granaten von I m Länge sogar über 4'/2 Kilometer Entfernung stattfinden. Dazu tritt die rein wissenschaftliche Bedeutung dieser Be- obachtungen, die sogar bis in die Arbeitsgebiete der Astronomie reicht. Das gilt für eine häufige Nebenbeobachtung bei Sonnenfinsternissen, besonders bei totalen. Es sind die soge- nannten „F'liegenden Schatten", Schattenstreifen, die sich un- mittelbar vor Beginn und unmittelbar nach Schluß der stärksten, N. F. XVI. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S83 bzw. totalen Verfinsterung einstellen und ungefähr senkrecht zu ihrer eigenen,- parallelen Erstreckung vorüberlaufen. Nach früheren Ansichten auf die Totalitätszone beschränkt, wurden sie zuerst am 30. August 1905, auf der von mir be- dienten nordatlantischen Station, dem Postdampfer ,, Patricia" der Hamburg- Amerika- Linie, auch im Parlialgebiete der da- maligen Sonnenfinsternis festgestellt. In Nr. 4074 der Astro- nomischen Nachrichten, in der darüber berichtet ist, ist auch meine Erklärung dieser Erscheinung -wiedergegeben. Sie kam auf den Schattenwurf eines besonders kräftigen Wellenzuges an einer der Grenzflächen der windgeschichteten Erdatmosphäre hinaus. In der Sache kommt diese Sichlbarwerdung überein mit, derjenigen atmosphärischer Schlieren. Nur handelt es sich um ein Projektionsbild, nicht um unmittelbares Sehn, wie in dem Miehe 'sehen Falle. Dieses Projektionsbild der Fliegenden Schatten wurde an jenem 30. August 1905 von Schififsoffizieren, Passagieren des Dampfers und von mir selbst auf der Oberfläche des Atlantik vorübereilend gesehn. Vielfältig beobachtet ist es auf dem festen Erdboden und sonst auf irdischen Gegenständen, bei der Sonnenfinsternis des 17. .\pril 1912 auch auf Schul- und Fensterbänken (A. N. 4597, S. 219— 220). In diesem, gleicherweise von mir untersuchten und ver- öffentlichten Falle, -wie in dem des 30. August 1905, konnte die beobachtete Richtung des Wellenzuges in Übereinstimmung gefunden werden mit einer aus meteorologischen Gründen erschlossenen Hochströmung der Atmosphäre, die solchen Wellenschlag auf ihrer Grenzfläche erzeugen mußten. Streifungserscheinungen beim Auf- und Untergang der Sonne, also bei ihrem horizontnahen Stande, die ich bereits in der ersten Veröffentlichung vom November 1905 (A. N. 4074, S. 283) zur Bekräftigung meiner Theorie heranzog, sind in- zwischen von anderen Beobachtern noch umfassender bestätigt. So steht nichts im Wege, die Franz 'sehe Beobachtung aus einem ähnlichen Wellenschlag in der Atmosphäre zu er- klären- Denn ebenso gut wie auf einer Wasserfläche und wie auf den Oberflächen fester irdischer Gegenstände, wird ein solcher Wellenschlag auch auf einer Wolkenfläche von hin- reichender Nähe sichtbar entworfen werden können. Für Schallschwingungen, auf die Franz selbst vermutet, erscheint der berichtete Wellenabstand zu groß : 300 Meter, denn die längsten Schallwellen können nur eine Länge von etwa •- , also von 22 Metern erreichen. Immerhin könnte auch auf Luftschwingungen vermutet werden, die als Schall noch nicht wahrzunehmen waren, die aber, wie dieser, durch die Laduugs- explosionen veranlaßt wurden. Bei der Miehe 'sehen Beobachtung dagegen handelte es sich um die Sichtbarkeit einer echten Schallwelle. Es ist die sogenannte Mach 'sehe Scheitel- oder Kopfwelle. Genauer ausgedrückt, handelt es sich dabei um die erste, mechanische Luftverdichtung, die ihren ursächlichen Anfang bildet. Diese Vefdichtung war schon vor nunmehr 50 Jaliren, um 1S67 von dem Brüsseler Physiker Melsens nachgewiesen worden. Doch war sie von ihm als mitgeschleppte „enveloppe" aufgefaßt worden. Mach, der sie zuerst 1SS5 durch Schlierenphotographie sicherstellte, legte besonderen Wert auf ihre Erklärung als Anfangsverdichtung einer Schallwelle. (G.C.) Die Nr. 30 der Naturw. Wochenschr. enthält einen Auf- sati Killermann's : Die Entdeckung der Paradiesvögel. Der Verf. bespricht unter anderem die lange Zeit für wahr gehaltene Beinlosigkeit der Paradiesvögel. Es dürfte vielleicht inter- essant sein zu hören, daß. Aldro vand i in seiner Ornithologia ein weiteres Beispiel eines fußlosen Vogels aufführt. Es handelt sich um die fußlose indianische Drossel. (Omithologiae über .\Vi cap. XVII. p. 2S3 u. 284) Das Bild dieses Vogels ist Aldrovandi von dem Vor- steher des pisan. Gartens Malocchius zugeschickt worden. Letzterer verbürgt sich für die Wahrheit des Vorkommens. Auf welche Tatsachen sich seine Mitteilungen an Aldrovandi stützen, gibt dieser nicht an. Aldrovandi steht der ge- nannten Zuschrift sehr skeptisch gegenüber. Er meint, ent- weder sind die Beine entfernt worden, oder der Vogel muß so abweichend gebaut sein, daß auch in der übrigen Organi- sation auffällige Unterschiede hervortreten. Das Bild aber zeigt, abgesehen von der Beinlosigkeit, einen vollkommen normalen Vogel (Ornith. Hb. XVI lab. 11, Nr. 16). Eigenartig ist, daß A 1 d r o va n d i an dieser Stelle der .'\nnahme der Beinlosigkeit widerstrebt, während ihm doch der Mangel der Füße bei den Paradiesvögeln durchaus einleuchtend erscheint. (Omnibus (sc. Manucodiatis) tamen illud peculiare est, ut pedibus Careant . . . Ornith. lib. XII. cap. .KXI. p. 399.) Dr. Kaspar. Literatur. Solch, Prof. Dr. Joh., Beiträge zur eiszeitlichen Tal- geschichte des Steirischen Randgebirges und seiner Nachbar- schaft. Stuttgart '17, J. Engelhorns Nachfolger. — 10,60 M. Handbuch det Regionalen Geologie. 20. Heft. Bd. 111 I. The British Isles und 21. Heft. Bd. IV, 2a. Grönland. Heidel- berg '17, K. Winter. Offe, Dr. H., Politische Weltkunde. Ein Beitrag zur Volksbildung. Mit einem Vorwort von Dr. Paul Rohr- bach. Leipzig '17, Chr. H. Tauchnitz. — 2,50 M. Haecker, Prof. Dr. Val., Die Erblichkeit im Mannes- stamm und der vaterrechtliche Familienbegriff. Jena '17, G. Fischer. — I M. Westrußland in seiner Bedeutung für die Entwicklung Mitteleuropas. Mit einer Einleitung von M. Sering. Leipzig und Berlin '17, B. G. Teubner. — 4,80 M. Arzneip flanzen- Merkblätter des Kaiserl. Gesund- heitsamts bearbeitet in Gemeinschaft mit dem Arzneipflanzen- Ausschuß der deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft Berlin- Dahlem. Berlin '17, S. Springer. — 1,80 M. Maurer, Prof. Dr. F'r., Die Beurteilung des biologischen Naturgeschehens und die Bedeutung der vergleichenden Mor- phologie. Rede, gebalten zur Feier der akademischen Preis- verteilung in Jena am 16. Juni 1917. Jena '17, G. Fischer. — 1,80 M. Verworn, M., Biologische Richtlinien der staatlichen Organisation. Naturwissenschaftliche Anregungen für die poli- tische Neuorientierung Deutschlands. Jena '17, G. Fischer. — I M. Berichtigung. In dem Artikel ,,Nesselfaserge - w Innung" (Nr. 38 der Naturw. Wochenschr. S. 530) ist ein Irrtum untergelaufen. Es muß selbstverständlich statt Urtica urens heißen Urtica dioica. Inhalt: Ludwig Freund, Keimdrüsen und Kastration der männlichen Vögel. (I Abb.) S. 569. — Kleinere Mitteilungen: H. Blücher und R. Krause, Druckstöcke aus Hefe. S. 571. — Einzelberichte: J. Thienemann, Krieg und Vogelzug. S. 573. Luc an US, Die Höhe des Vogelzuges. S. 574. H. E. Ziegler, Urdarmhöhle und Cölom. S. 575. W. Salomon, Die Bedeutung der Solifluktion für die Erklärung deutscher Landschafts- und Bodenformen. S. 576. L i n g e 1 s h e i m , Über die Fluoreszenz wässriger Rindenauszüge von Eschen in ihrer Beziehung zur Verwandtschaft der Arten. S. sytp. C. Sauvageau, Geschlechtlichkeit bei den Laminarien. S. 578. Rubens, Licht und Elektrizität. S. 57?. — Bücherbesprechungen: Karl Sapper, Geologischer Bau und Landschaftsbild. S. 5S1. — Anregungen und Antworten: Über das Familienleben der Störche. S. 581. Sind die Maskarenen und die zentralpazifischen Inseln ozeanisch? S. 581. Der Sonnentau als Insektenvertilger. S. 5S1. Luftwellen als Schlieren sichtbar. (l Abb.) S. 5S2. Die Ent- deckung der Paradiesvögel. S. 583. — Literatur: Liste. S. 5S3. — Berichtigung. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Bei Verlag von Gustav Fischer in Je Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. in N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. b. H., Naumburg a. d. S. 584 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. '»•^vVr^^rj^'^' '*>^«'i^<»'-»^'»V4>^ werden 5ie öesöaliigen ^rgi^bniffe der ^ieöd-^n(eif)en ebenfo in die Ißagfcftaie falten, i»ie unfere durd) da« 6d[}töprt errungenen troffen Erfolge --- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 21. Oktober 1917. Nummer 43. Das „Wiederholungsgefühl" als Quelle des Seelenwanderungs-Glaubens. [Nachdruck verboten.) Von Dr. R, In der psychologischen Literatur kennt man seit langem eine eigentümliche seelische Erscheinung, für die sich seit dem Erscheinen einer umfassenden Ikonographie von Bernard -Leroy^) auch im Deutschen in steigender Häufigkeit der Name „fausse reconnaissance" eingebürgert hat. Eine in der Literatur allgemein eingeführte deut- sche Bezeichnung dafür gibt es nicht. Der von R. Baerwald gemachte Vorschlag, „Pseudo- B e k a n n t h e i t s g e f ü h 1" zu sagen, trifft zwar das Wesen der Sache verhältnismäßig noch am besten, ist jedoch bisher noch nicht durchgedrungen, so daß der Ausdruck, um überhaupt verstanden zu werden, erst einer eigenen Erläuterung bedarf. Andere Vorschläge für eine deutsche Kennzeichnung des Wesens der Sache (Feuchtersleben's „Phan- tasma des Gedächtnisses", Huppert's, „Doppel- wahrnehmungen", K r a e p e 1 i n ' s „identifizierende Erinnerungsfälschungen") sind wenig glücklich ge- wählt, so daß der knappe französische Ausdruck, der auch zuweilen durch den noch kürzeren „dejä ou" ersetzt wird, bisher noch zumeist Bürgerrecht in der Literatur erlangt hat. Das Wesen der „fausse reconnaissance" besteht darin, daß ein Mensch in einer bestimmten Lebens- lage ganz unmittelbar, fast schreckhaft plötzlich die Empfindung verspürt, er habe genau das- selbe Erlebnis unter genau denselben äußeren Umständen bis in alle Einzel- heiten hinein schon einmal gehabt. Wenn auch Statistiken über die Häufigkeit dieser Empfindung nicht beizubringen sind, so unterliegt es dennoch keinem Zweifel, daß eine ungemein große Anzahl von Menschen mindestens vereinzelt, meist aber mehrfach in ihrem Leben diese Empfin- dung, für die ich der Kürze wegen den Ausdruck „ W iederholungsgefühl" anwenden möchte, ge- habt haben. Oft sind es ganz gleichgültige Vorgänge, durch die das sonderbare Gefühl ausgelöst wird, zuweilen aber auch höchst verwickelte und einzig- artige Erlebnisse, bei denen von vornherein jeg- liche Möglichkeit ausscheidet, daß sie sich im gleichen Menschenleben zweimal unter denselben äußeren Umständen abspielen können. Der älteste Fall eines Wiederholungsgefühls, der in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben ist, kann zurzeit genau auf ein Alter von 100 Jahren zurückblicken, wenn er auch erst um 27 Jahre später von sachkundiger Seite veröffentlicht und analysiert worden ist. In einem Werke des Eng- ') Ev ;ussance" ene Bcrnar Paris 1S98. Hennig.. länders Wigan'j findet sich nämlich folgender Bericht einer Person über ihre Teilnahme an den Trauerfeierlichkeiten für die i. J. 18 17 verstorbene Prinzessin Charlotte : „Ich war in einem Zustand dumpfer Träumerei verfallen, als ich durch den Ausbruch eines heftigen Schmerzes des hinterbliebenen Gatten, der in dem Augenblick erfolgte, da der Sarg in der Gruft ver- sank, zum Bewußtsein zurückkehrte ... In diesem Augenblick empfand ich nicht nur den Eindruck, sondern geradezu die Überzeugung, daß ich dieser ganzen Scene bei einer früheren Gelegen- heit schon einmal beigewohnt hatte, ja, ich glaubte sogar schon genau dieselben Worte ver- nommen zu haben, die jetzt Sir George Naylor an mich richtete." Man sollte von vornherein meinen, daß im Leben eines Individums, welches von Zeit zu Zeit das Wiederholungsgefühl verspürt, mit dem zunehmen- den Alter die Empfindung immer häufiger auftritt, da ja die größere Summe der gesammelten Er- fahrungen die irrige Vorstellung begünstigen muß. Doch trifft diese Voraussetzung nicht zu. Im Gegenteil, es hat durchaus den Anschein, als ob die Pubertätszeit im weiteren Sinne des Wortes den fruchtbarsten Boden für das Auftreten der Er- scheinung abgibt und als ob mit dem höheren Lebensalter ein Seltcnerwerden, bei vielen Personen sogar ein völliges Schwinden dieser Empfindung eintritt. Selbst das Kindesalter mit seinem erst bescheidenen Schatz an erlebten Eindrücken ist nicht frei von der eigenartigen Selbsttäuschung. Bis zum Alter von 6 Jahren hinunter scheint deren Vorkommen sichergestellt zu sein. In der gründ- lichen Umfrage, über deren Ergebnis Bernard- Leroy in seinem genannten Werk Bericht er- stattet, findet sich z. B. unter Nr. 63 die Aussage eines 17jährigen Gymnasiasten: „Das Phänomen seit dem Alter von 6 Jahren bis heute beobachtet." Wiederholt finden sich bei Bernard-Leroy An- gaben der befragten Personen, daß mit beendeter Pubertätstzeit die Disposition zu der fraglichen Empfindung abgenommen habe. Nr. 86 sagte z. B. aus: „Ihre Häufigkeit wuchs bis zu meinem 20. Lebensjahr; dann nahm sie ab." Verf. hat auch aus seiner eigenen Erfahrung an anderer Stelle '-) bestätigt , daß er als Gymnasiast die „fausse reconnaissance" in übrigens wenig charak- teristischer Weise einige Male, vielleicht insgesamt '} Wigan, „The duality of Ihe minH'-, Kapitel 9, S. 85 bis S7. London 1844. - 1 R. H e n n i g , ,,Zur Theorie der fausse reconnaissance" in der „Zeilschr. f. Psychotherapie und medizinischen Psychologie", Bd. V, Heft 5, S. 257. 5 86 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 42 viermal, an sich beobachtet hat, daß jedoch in der nachfolgenden Zeit, während eines Zeitraums von mehr als einem Vierteljahrhundert, ein Fall dieser Art nicht mehr zu verzeichnen war. In vielen Fällen ist die Empfindung, man habe eine Lebenslage, wie man sie gerade durchmacht, schon einmal erlebt, sehr unbesümmter Natur und dabei so rasch vorübergehend, daß man sich über die Einzelheiten und über die Gründe der Vor- stellung keine Rechenschaft zu geben vermag. Es ist ein etwas unbehagliches Gefühl, das blitzschnell auftaucht und ebenso blitzschnell wieder schwindet. In anderen, selteneren Fällen aber ist sie von einer peinlich genauen Bestimmtheit und erstreckt sich selbst auf unwesentliche Einzelheiten eines jeweilig durchlebten Vorgangs. Eine gewisse Berühmtheit innerhalb der Fachwissenschaft hat z. B. ein von Du gas mitgeteilter Fall erlangt*): ein Kandidat der ein Geschichtsexamen bestanden hat, behaup- tete hinterher, „er habe genau dieselben Fragen durch den selben Professor in demselben Saale und mit der- selben Stimme schon einmal vorgelegt erhalten Auch seine eigenen Antworten schienen ihm schon einmal gegeben worden zu sein; er hörte sich selbst zum zweiten Male". Die irrige Empfindung des Bekanntschaftsgefühls macht dabei auch vor den unwahrscheinlichsten Vermengungen gleichzeitiger Begebenheiten nicht Halt. Dromard-Albes bringt z. B. folgende Selbstschilderung ^) : „Ich lese in meinem Zimmer bei offenem Fenster; vor mir liegt der Roman „Quo vadis ?" Während ich lese, denke ich an Petronius und be- fasse mich mit der Analyse seines Charakters. Ich denke daran und lese weiter, und die Begeben- heiten der Erzählung ziehen an meinem Auge vorbei, während all mein Denken dem antiken arbiter elegantiarum gilt. Da sagt mein Nachbar, der die Zeitung liest, mit lauter Stimme dazwischen : „Sieh an, Barnum ist in Paris!" Im selben Augen- blick habe ich die ganz bestimmte Empfindung, denselben Komplex von Eindrücken schon einmal auf genau dieselbe Weise empfangen zu haben. In einer Vergangenheit, die ich nicht näher be- schreiben kann, war ich — so kommt es mir vor — bereits hier in demselben Zimmer, im selben Anzug, dasselbe Buch lesend, das in mir dieselben Betrachtungen hervorrief Derselbe Freund saß auf demselben Stuhl, las in derselben Zeitung und ließ mit lauter Stimme dieselbe Bemerkung fallen." Vereinzelt geht die Täuschung so weit, daß der Gewährsmann behauptet, er habe vorhergewußt, was sich nun ereignen werde, da eben das ganze Erlebnis nur die Wiederholung eines früheren gewesen sei. Einen F"all dieser Art schildert Zschokke in seiner Novelle : „Julius oder die Bibliothek des Oheims" : ^) ') D u g a s , „Observalions sur la fausse „Revue Philosophique", Bd. 37, S. 34. Paris 1894. '■*) „Journal psychologique''. 1905, Teil II, S. 217. ä) Zschokke, „Gesammelte Schriften", Bd. XIV, S. 226, 1851. „„Ach, Fräulein, wenn man immer fände, was man suchte 1" . . . seufzte ich, und während ich diese Worte sprach, ward mir, als wäre das schon ein- mal dagewesen wie jetzt, und ich dachte mir ihre Antwort im voraus: „Oft findet man auch Besseres, als man sucht". Doch dacht' ich dies nur flüchtig und unklar. Aber sie entgegnete, was ich gedacht hatte: „Oft findet man Besseres, als man sucht". Damit ging sie zur Tür . . ." " Die belletristische Literatur hat sich übrigens gar nicht selten mit der Erscheinung des Wieder- holungsgefühls abgegeben. Wie im vorstehenden Fall der Schweizer Zschokke eine durchauszu- treffende Schilderung des an sich ja ziemlich oft vorkommenden psychischen Vorgangs gibt, so ist dieser u. a. auch von dem Engländer Dickens (in „David Copperfield"), von dem Russen Tolstoi (in „Krieg und Frieden") von den Deutschen Spielhagen und Frenssen (in „Hammer und Amboß" und „Peter Moors Fahrt nach Südwest") beschrieben worden — ein deutliches Zeichen für die an keine Nationalität gebundene Verbreitung der sonderbaren Empfindung! Zwei der genannten Literaturstellen, eine mit düsterem, die andere mit gemütvollplauderhaftem Hintergrund, seien nach- stehend wiedergegeben. In „Peter Moors Fahrt" heißt es bei der Schil- derung des endlosen, Leib und Seele zermürbenden Trekkens der deutschen Truppen durch das süd- westafrikanische Wüstengebiet an einer Stelle : ') „Das langsame, schwerfällige Trekken durch das menschenleere, weite, eintönige Land, dies Liegen und Rauchen in den Ruhestunden, im Schatten der Wagen, und das gemütliche, gemäch- liche, langsame Reden, Necken und ein wenig Prahlen, dies dürftige Essen und spärliche Trinken, ein Schuß im Busch auf eine Schar Perlhühner, und wenn das Glück wollte, auf eine Antilope, vier Stunden Schlaf am verglimmenden Feuer, den Sattel unterm Kopf: das alles erlebte ich nun wieder. Und es war mir, da ich nun zum zweitenmal so unterwegs war, als wenn ich dies Land nun schon lange, lange kannte, als wenn ich schon vor langer, langer Zeit, die weit vor meiner Geburt lag, so neben einem Wagen durch solch wildes Land ge- zogen war, und im Wagenschutz geruht und ge- schlafen hatte. Das sind ja wohl die Erlebnisse der Vorväter, die in den Geschlechtern einen langen Schlaf tun und in dem Kinde, das wieder alte Wege und Stege geführt wird, aufträumend das graue Haupt erheben." Diesem ersten Gemälde sei eine ProbeD i ckens- scher Behaglichkeit zur Seite gestellt. Im schon genannten Roman „David Copperfield" findet sich folgende Stelle: „„Lieber Copperfield, wenn Sie uns nicht an jenem angenehmen Nachmittag, den wir bei Ihnen zuzubringen das Vergnügen hatten, versichert hätten, daß D Ihr Lieblingsbuchstabe sei", sagte Mr. Micawber, „so würde ich jedenfalls glauben, es müßte >) Kap. XII, S. 121/22. Berlin 1906. N. F. XVI. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 587 A sein"". — Wir alle kennen ein Gefiihl, das uns manchmal überkommt, als ob das, was wir sagen und tun, schon früher vor langer Zeit gesagt und getan worden wäre, als ob wir vor uralter Zeit dieselben Gesichter, Gegenstände und Verhältnisse um uns gesehen — als ob wir vollkommen voraus wüßten, was jetzt gesagt werden wird, als ob wir uns dessen plötzlich erinnerten 1 Diese geheimnis- volle Empfindung war in mir nie stärker als jetzt, da Mr. Micawber diese Worte sprach." Beachtenswert an dieser Dickens' sehen Äuße- rung ist vor allem der Ausdruck: „Wir alle kennen . . ." Er läßt einen Rückschluß darauf zu, wie sehr der Dichter die „fausse reconnaissance" glaubte als Allgemeingefühl bei seinen Lesern voraussetzen zu dürfen. Die wissenschaftliche Erklärung der merk- würdigen Empfindung kann wohl nur in dem Sinne gegeben werden, daß in einem Komplex von neuen Eindrücken ein einzelner oder auch mehrere bekannt anmuten und daß sich hieraus der irrige Schluß ergibt, das ganze Erlebnis habe sich schon einmal in genau gleicher Weise abgespielt. In interessanter Weise deuten gerade die zwei mitgeteiltenLiteraturstellen darauf hin, wiezutreffend diese Vermutung sein dürfte: im „Peter Moor" betont der Held der Erzählung, das Wiederholungs- gefühl habe sich bei ihm eingestellt, als er nach längerer Unterbrechung zum zweiten Mal das Trekkleben kennen lernte, und in den Worten des Mr. Micawber, die im Copperfield die fausse recon- naissance auslösen, ist ausdrücklich Bezug genom- men auf eine Unterhaltung an einem früheren Nachmittag, die den gleichen Gegenstand betraf. Bei scharfer Nachprüfung dürfte man ähnliche Tatsachenkerne, an die das irrende Wiederholungs- gefühl anknüpft, nicht selten auffinden können. Ein unbedeutendes Etwas, ein Nichts in dem ge- samten Tatsachenkomplex, kann genügen um der Fehlempfindung einen Kristallisationskern darzu- bieten. Schon die Versuchspersonen Bernard- Leroy's nahmen richtig wahr, daß eine neben- sächliche Einzelheit, die vertraut anmutet, genügt, um das Wiederholungsgefühl auszulösen. Die eine von ihnen gibt z. B. an *) : „Ich befinde mich z. B. in einem Salon mit mehreren anderen, teils stehenden, teils sitzenden Personen, die sich unterhalten. Plötzlich, in dem Augenblicke, wo jemand irgend ein Wort aus- spricht, fahre ich zusammen, und es kommt mir vor, als hätte ich genau dieselben äußeren Um- stände schon einmal erlebt." Eine andere Person erklärte^): „Im allgemeinen stellte sich die Empfindung ein beim Hören irgend einer Redensart oder beim Gedanken daran," und eine dritte meinte"): ') a. a. 0 S. 29. ■') Nr ÖS der Umfrage, a. a. U s 217. ^')Nr 74 der Umfrage, a. a. ü. ö. 229. „Das Phänomen, daß ich ziemlich oft beobachtet habe, hatte entweder ein Wort, oder einen einfachen Gesichtseindruck als Ausgangs- punkt. Die Begleitumstände waren stets banal." Von einem gewissen pikanten politischen Bei- geschmack ist ein weiterer Fall der Bernard- L e r o y ' sehen Umfrage, denn er zeigt, daß gewisse Phrasen, wie sie ein unentbehrliches Requisit des Diplomaten und Politikers, ganz besonders des französischen, bilden, ebenfalls unter gewissen Um- ständen nicht unbekannt anmuten und demgemäß Anlaß zu einem „Wiederholungsgefühl" geben können. Ein Gewährsmann, dessen Äußerungen Bernard-Leroy wiedergibt, berichtete nämlich folgendermaßen über die Empfindungen, die er bei der Lektüre der Zeitung „Echo de Paris" und einer darin wiedergegebenen, am 16. März 1898 ge- haltenen Rede des französischen Außenministers über die Kretafrage hatte ^) : „„Gewiß können die Dinge auch ohne Sie geregelt werden. Aber sie würden sich dann sicher gegen Ihren Willen regeln. Ich frage mich, ob hierfür eine Majorität vorhanden ist, angesichts einer Schwierigkeit von verhältnismäßig unter- geordneter Bedeutung, zumal da alle Groß- mächte einig sind und da wir unsere Haltung nach ihrer einmütigen Über- einstimmung richten..."" Beim Lesen dieser letzten Phrase hatte ich plötzlich den Eindruck, sie schon einmal vernommen zu haben, in einem unbestimmten Zeitpunkt, genau mit derselben Fassung (und mit demselben Tonfall), dieselbe Zeitung vor Augen . . . Die folgenden 10 Zeilen werden sehr rasch und ohne Störung gelesen, aber die fausse reconnaissance begann abermals bei der folgenden Stelle der Rede: „In einer sehr korrekten Sprache, ohne große rednerische Wirkungen er- zielen zu wollen, ist aber geschickt der Versuch gemacht worden, daß wir im europäischen Konzert verbleiben können" . . . Dann hörte die fausse reconnaissance plötzlich auf. Ich war der Täuschung nur wenige Sekunden lang verfallen." Sollte dieser Gewährsmann noch den großen Weltkrieg erlebt haben und die Reden französischer Minister noch immer mit Aufmerksamkeit verfolgen, so ist es leicht möglich, daß für ihn die „fausse reconnaissance" nunmehr ein alltägliches Erlebnis geworden ist. — Die vorstehenden Ausführungen machen es von vornherein wahrscheinlich, daß gewisse Ereig- nisse, diejederMensch in ungleichmäßigenZwischen- räumen von Zeit zu Zeit nicht gar zu häufig er- lebt, das Zustandekommen des Wiederholungs- gefühls begünstigen werden, so insbesondere z. B. Hochzeiten, Taufen, Trauerfeiern usw., zumal da die bei solchen Gelegenheiten üblichen Reden nicht selten die Eigentümlichkeit besitzen, daß einzelne Worte oder Sätze darin ganz von selbst ein „Be- kanntheitsgefühl" auslösen, eine „vraie reconnais- sance", die dann leicht eine „fausse reconnaissance, 1) a. a. O. S. 163/64. 588 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 42 nach sich zieht. In diesem Lichte betrachtet er- häk der oben wiedergegebene äkeste fachwissen- schafthche Bericht von VVigan über ein durch eine Trauerfeierlicbkeit i. J. 1817 ausgelöstes „VViederholungsgefühl" auf Kosten des darin er- wähnten Sir George Naylor einen ganz eigentüm- lichen ironischen Nebengeschmack, der zweifellos dem ursprünglich ganz harmlos gemeinten Bericht ganz fremd war. Was für eine Intensität von beinahe schon krankhafter Stärke die Empfindung das Wieder- holungsgefühl bei derartigen Festlichkeiten erreichen kann, zeigt eine Mitteilung von Arnaud über einen seiner Patienten: ') „Bei der Hochzeit seines Bruders erklärte er plötzlich, er sei ganz sicher, daß er derselben Feier unter denselben Umständen im vorigen Jahr schon einmal beigewohnt habe, daß er alle Einzel- heiten wiedererkenne und nicht wisse, warum man das alles noch einmal wiederhole." In diese Kategorie von Fällen gehört auch ein von Sander wiedergegebener Bericht eines 25 jährigen Mannes über seine Empfindung beim Empfang einer unerwarteten Trauerbotschaft:") „Ich war zu Bett gegangen, als man mir mel- dete: „K. Müller ist gestorben." „Müller ist ge- storben! Herr Gott! Aber er kann doch nicht zum zweitenmal gestorben sein." Es schien ihm in der Tat, daß er dieselbe Situation schon einmal durch- lebt habe, daß dieselbe Person ihm dieselbe Nach- richt unter denselben Umständen gemeldet habe." Verhältnismäßig oft scheinen ferner die wech- selnden Eindrücke, wie sie der Mensch auf Wan- derungen und Spaziergängen empfindet, das Zu- standekommen des Wiederholungsgefühls auszu- lösen. Es liegt hierüber eine Reihe von Zeugnissen vor, unter denen einige besonders bemerkenswerte hervorgehoben seien. Kraepelin, der das Ge- fühl aus eigner Erfahrung kannte, knüpft seine wissenschaftliche Erläuterung des Begriffs geradezu an die Empfindungen von Wanderern in freier Natur an, wenn er schreibt : •') „Unsere eigene Person steht mitten drin in der Täuschung, es überfällt uns gegen unser besseres Wissen plötzlich das unentrinnbare und gebiete- rische Gefühl, daß wir von dieser Person schon einmal gehört, mit denselben Personen (unter gleichen Umständen) auf dem gleichen Berggipfel gestanden haben." Bei Du gas findet sich in seinem schon er- wähnten Aufsatz eine ebenfalls hierher gehörige Bemerkung: „Eines Tages begegnete es mir, daß ich bei einem Spaziergang im Freien erschrocken innehielt, indem ich feststellte, daß ich den soeben ver- ') Arnaud, „Un cas d'illusion de „dejä ou" ou „fausse memoire"' in „Annales de la medecine psychologique", Mai- Juni-Heft 1896, S. 445. -) W. Sander, „Über Erinnerungstäuschungen" im ,, Archiv für l'sychiatrie und Nervenkrankheiten", 1874, S. 244. ■') „Archiv für Psychologie", 1S87, S. 425. flossenen Augenblick genau ebenso schon einmal erlebt hatte." Noch charakteristischer aber ist ein Ausspruch von Anjel, weil er erkennen läßt, daß bei manchen Menschen die fausse reconnaissance zu einer ganz gewohnten Erscheinung werden kann:') „Auf mehrstündigen Spaziergängen hatte ich beim Anblick eines Denkmals, eines Platzes, einer Schloßfassade oft das Gefühl, schon einmal gelebt und denselben Gegenstand unter gleichen Um- ständen gesehen zu haben." In der letzten Äußerung treffen wir unter den bisher mitgeteilten Fällen zum erstenmal auf einen Versuch des Gewährsmanns, sich eine Er- klärung für seine unbegreifliche Empfindung zurecht- zulegen. Angedeutet war ein solcher \'ersuch übrigens schon in dem oben angeführten Zitat aus „Peter Moors Fahrt". Hier wurden in etwas mystisch-unklarer Weise die „Erlebnisse der \^or- väter" zu Hilfe gerufen, an die sich der Sohn unserer Zeit gelegentlich unbestimmt zurück- erinnern sollte; im .^njel'schen Fall glaubt der Berichtende dagegen, selber schon einmal gelebt und bei dieser Gelegenheit denselben Eindruck schon einmal gehabt zu haben. Diese Schluß- folgerung ist, wie man zugeben wird, mehr als kühn ; aber sie steht dennoch keineswegs vereinzelt da, wie wir noch sehen werden. In der Mehrzahl der Pralle werden freilich die Personen, die sich von ihrem unbehaglichen und unverständlichen Gefühl Rechenschaft abzulegen bemüht sind, auf einfachere und wahrscheinlichere Deutungsversuche zurückgreifen. Besonders beliebt ist bei Vorkommnissen, wo jede Möglichkeit, daß sie wirklich schon einmal erlebt wurden, ausgeschlossen ist, die Annahme, daß das Ereignis, das ein Wiederholungsgefühl auslöst, früher schon einmal geträumt worden ist. Als Typus sei eine Schilderung des eng- lischen Dichters Shelley angeführt, die gleich- zeitig klar erkennen läßt, inwieweit ein sensitiver Mensch durch eine fausse reconnaisance überrascht, erschreckt und beunruhigt werden kann. Shelley machte an einem Spätherbst-Nachmittag bei be- ginnender Dämmerung einen Spaziergang in der Nähe von Oxford. Beim Anblick einer Mühle überkam ihm plötzlich das (befühl, genau dasselbe Erlebnis schon einmal gehabt zu haben: „Ich erinnerte mich, i m T r a u m vor sehr langer Zeit genau dieselbe Situation schon einmal erlebt zu haben. Ein Schauer faßte mich, eine Art von Schreck bemächtigte sich meiner . . . Ich mußte den Platz sofort verlassen." Hier gesellt sich also zu dem ersten Irrtum des Wiederholungsgefühls ein zweiter, nämlich die durch Überlegung hervorgerufene Autosuggestion, man habe dieselbe Szene bereits im Traume sich ab- spielen sehen. Daß es sich hierbei um eine Er- ') Anjel, „Beitrag zum Kapitel der Erinncrungsläuschun- gen" im „Archiv für Psychiatrie", Bd. VIII, S. qy. Berlin 1S78. I N. F. XVI. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 589 innerungstäuschung handelt, handeln muß, ergibt schon der einfache Hinweis darauf, daß die Er- innerung an Traumbilder, falls diese nicht von vornherein unsere Aufmerksamkeit aus irgends einem Grunde besonders fesseln, sehr kurzlebig zu sein pflegt und meist schon nach wenigen Stunden völlig verweht ist. Nach „sehr langer Zeit" noch bestimmte Einzelheiten von Träumen zu wissen, die ursprünglich gar nichts Bemerkens- wertes an sich tragen, darf schlechterdings als eine Unmöglichkeit bezeichnet werden. Die ganze Zurückführung des Wiederholungsgefühls auf die Eindrücke eines Traumes ist aber unzweifelhaft nur eine Verlegenheitsannahme, da der Mensch sich sein unbegreifliches Gefühl auf andere Weise überhaupt nicht zu erklären weiß. Ob der angeb- liche prophetische Traum dann in die jüngste Vergangenheit oder um mehrere Jahrzehnte zurück- datiert wird, ist alsdann kaum mehr als bloße Geschmackssache. Im einen wie im anderen Fall muß auf das bestimmteste bezweifelt werden, daß er überhaupt stattgefunden hat. Daß im einzelnen stark individuelle Abweichungen in der Zeitangabe für den vorgeblichen Traum zu verzeichnen sind, zeige eine Gegenüberstellung folgender zwei Fälle. Im Werke Bernard-Leroy's findet sich folgende Schilderung: „A. R. kommt eines Abends mit Freunden in einen Bäckerladen. „ „Kaum eingetreten", berichtet er, „habe ich den sehr lebhaften, ja geradezu un- widerstehlichen Eindruck, dieselbe Szene schon einmal erlebt zu haben, und zwar muß dies in der letzten Nacht oder in einer anderen im Traum geschehen sein."" Demgegenüber wird ein von Perty berichteter Fall eines Wiederholungsgefühls seitens eines nach Mehringen versetzten Pfarrers Happach auf einen vor 30 Jahren (!) gehabten Traum zurück- geführt. Die betreffende Schilderung Happach 's bezieht sich auf seine Ankunft im Mehringer Pfarr- haus und lautet : *) „Ich war vormals nie hier gewesen und be- suchte jetzt, ehe ich noch anzog, vorher die Witwe (des Vorgängers). Sie empfing mich in der Haus- türe, und ehe sie mich noch in ihre Wohnstube führte, machte sie mir die andere Stubentüre auf, und ich war schon darin gewesen; ich fand die drei übereinander gemauerten Sitze, wie ich sie im Traume gesehen, ich wunderte mich dar- über und hörte, daß es die Decke eines Keller- halses war." Happach und mit ihm der höchst unkritisch veranlagte und besinnungslos jedemWunderglauben huldigende Perty sind der Meinung, daß ein ge- heimnisvoller, die Zukunft enthüllender Wahrtraum dem Mehringer Pfarrer die Stätte seiner künftigen Tätigkeit 30 Jahre vorher gezeigt habe — rich- tiger wird man anzunehmen haben, daß der an- gebliche Traum eine willkürliche Voraussetzung ') Perty, „Die mystischen Erscheinungen de liehen Natur". ist, um eine annehmbare Erklärung für das sonst unbegreifliche Wiederholungsgefühl zu finden. Perty führt den Fall als besonders beweiskräftig für das Vorkommen weissagender Träume an. Man darf daraus folgern, daß Okkultismus und Wunderglauben in Fällen vorkommender „fausse reconnaissance", die der jeweilige Gewährsmann willkürlich durch einen früher gehabten Traum sich zu deuten versuchte, nichts weniger als ver- einzelt prophetische Wahrträume konstruiert haben, die den unkritischen Leser höchst geheimnisvoll und erstaunlich anmuten, die aber einer scharfen Prüfung in keiner Weise standhalten können. Bei dieser Gelegenheit darf darauf hingewiesen werden, daß das poetisch -ansprechende Motiv, irgendein uns lebhaft beschäftigendes und er- regendes Erlebnis hätten wir schon einmal in Gestalt eines Wahrtraumes vorausgeahnt, mehreren großen Dichtern dankbaren Stoff gegeben hat, insbesondere dann, wenn es sich um eine roman- tische Verherrlichung der „Liebe auf den ersten Blick" handelt. Wiel an d 's „Oberen" liefert hier- für ein Beispiel: In Kl ei st 's „Käthchen von Heilbronh" be- gegnen wir demselben Grundgedanken gleich an mehreren Stellen des Dramas. Die wichtigste unter ihnen ist die Szene, in der das im -Schlaf sprechende Käthchen dem Ritter Wetter vom Strahl sein Innenleben enthüllt:') „Als ich zu Bett ging, da das Blei gegossen. In der Silvesternacht, bat ich zu Gott, Wenn's wahr war', was mir die Marianne sagte, Möcht' er den Ritter mir im Traume zeigen. Und da erschienst du ja um Mitternacht Leibhaftig, wie ich jetzt dich vor mir sehe." Ganz besonders gern aber hat sich Richard Wagner des poetischen Motivs beschäftigt. In nicht weniger als 4 seiner Musikdramen begegnen wir, mit kleinen Abweichungen im einzelnen, dem- selben Grundgedanken, daß ein liebendes Weib vermeint, den Geliebten, als sie ihn zum ersten Male erblickt, schon früher einmal geschaut zu haben. Im „Fliegenden Holländer" handelt es sich noch um die ins Wunderbare gewandelte Variante, daß nicht ein Traum, sondern ein wirkliches Bild den Anlaß gibt zum Schauen der geliebten, nie zuvor leibhaftig gesehenen Person. Aber im „Lohengrin" ist das Wiederholungsgefühl selbst und seine Beziehung auf einen angeblich gehabten Traum zum deutlichen Ausdruck gebracht, wenn Elsa in der Liebesszene des 3. Aktes dem Gatten bekennt: „Doch ich zuvor schon hatte dich gesehen. In sel'gem Traume warst du mir genaht." In den „Meistersingern" begegnet uns derselbe Gedanke : Eva: Gut' Lene, laß mich den Ritter gewinnen! Magdalene: Sahst ihn doch gestern zum ersten Mal? ') Akt IV, Szene 2. 590 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. F. N. XVI. Nr. 42 Eva: Das eben schuf mir so schnelle Qual, Das ich schon längst ihn im Bilde sah. Schließlich klingt dasselbe Motiv auch in der „Walküre" an, freilich mit der neuen Variante, daß das geschwisterliche Liebespaar hier ein Recht hat zu behaupten: Sieglinde: Ein Wunder will mich gemahnen: Den heut zuerst ich erschau, mein Auge sah dich schon! Siegmund: Ein Minnetraum gemahnt auch mich: in heißem Sehnen sah ich dich schon! Man wende nicht ein, daß es sich in allen diesen Fällen um dichterische Freiheiten der Dar- stellung handle, für die in der Welt der Wirklich- keit kein Platz sei. Genau in derselben Weise, wie Wieland und Kleist und Wagner die „Liebe auf den ersten Blick" poetisch auszugestalten bestrebt waren, empfindet der liebende Mensch auch in der wirklichen Welt zuweilen. Folgende Äußerung, die wieder dem Werke Bernard- Leroy's entstammt, \) möge dies beweisen: „Ich habe an sie den ganzen Tag mit einem sehr schmerzlichen Gefühl gedacht, das sich während eines Monats mehrfach erneuerte. Wenn ich mich daran erinnere, so meine ich, daß ich sie im Traume gesehen habe, denn ich bin voll- kommen sicher, daß ich ihr an jenem Tage zum ersten Male begegnete." Die Zurückführung auf einen früheren Traum ist nun aber nur eine der Verlegenheitshypothesen, die einzelne Menschen sich selbst zurechtlegen, um sich das unheimliche Wiederholungsgefühl logisch begreiflich zu machen. Nicht ganz selten besteht eben auch, wie wir schon weiter oben hörten, die Neigung, Erinnerungen aus einer früheren, vergessenen Existenz als Erklärung für die rätsel- hafte Empfindung heranzuziehen. Ein 20-jähriger Student, dessen Aussage Bernard-Leroy wieder- gibt, weilte zum ersten Male in seinem Leben in Paris und sah den Boulevard Haußmann zwischen der Avenue Friedland und dem Place Shakespeare : '^) „es erschien mir, daß ich diesen Ort mehrere Jahrhunderte früher schon einmal besucht hatte". Derselbe Student hatte ein Jahr später an der- selben Stelle dasselbe Gefühl, wenn auch in ab- geschwächtem Maße. Lalande hat einen ähn- lichen Fall mitgeteilt : ''j eine Person hatte wieder- holt in ihrem Leben das Gefühl, bestimmte Er- eignisse ihres Lebens in einem früheren irdischen Dasein schon einmal erlebt zu haben, und zwar mit so großer Gewißheit, daß sie rundweg be- hauptete, die in den früheren Existenzen erworbenen Erfahrungen erleichterten ihr ihre zutreftenden Entscheidungen. Wo die Weltanschauung eines Menschen von vornherein dem Mystizismus und vielleicht gar der Lehre von der Seelenwanderung zuneigt, da wird ') a. a. O. «) a. a. O. S. 175, Fall 47. ') A. Lalande, „Sux les paramnesies" in „Revue philosophique", Bd. 36 (1893), S. 488. die Neigung, allerhand Eindrücke „wiederzuerken- nen", vielleicht gar schon von einem früheren irdischen Dasein her, infolge von Autosuggestionen ganz beträchtlich anwachsen. Das Wiederholungs- gefühl, das für die weitaus meisten Menschen etwas Erschreckendes und Beängstigendes an sich hat, ist solchen Personen angenehm, weil sie darin nur eine Bestätigung für die ihnen liebgewordene Weltanschauung oder ihre vorgeblichen eigenen übernatürlichen Fähigkeiten erblicken. Einen Fall dieser Art von ziemlich komischem Beigeschmack habe ich selbst einmal mitgeteilt:') „Eine stark phantasiebegabte Frau stellte sich mir eines Tages als Hellseherin vor und behauptete neben mancherlei anderen hellseherischen Fähig- keiten, die bei näherer Betrachtung übrigens in nichts zerflossen, auch die zu besitzen, daß sie nachts oder morgens alle die Personen halluzina- torisch im Bilde erblicke, mit denen sie im Laufe des Tages erstmalig in Berührung kommen solle. Wiederholt erklärte sie mir gegenüber, irgendeine Persönlichkeit, der ich sie zum erstenmal gegen- überstellte, sei ihr schon in der Nacht zuvor er- schienen. Verschiedene Versuche, diese Behaup- tung durch exakte Experimente zu rektifizieren, scheiterten dann freilich in geradezu kläglicher Weise. In die Enge getrieben, berief sich diese sonderbare Seherin schließlich auf das Zeugnis ihres Mannes und gab an, daß dieser wiederholt Personen, mit denen das Ehepaar tagsüber uner- wartet zu tun bekam, auf Grund der Beschreibung ihrer nächtlichen Gesichte wiedererkannt habe. Ich benutzte alsbald die erste sich bietende Ge- legenheit, um den Ehemann zu befragen, ob diese Aussage zutreffend sei, und er erwiderte mir ebenso verständig wie naiv: „Nein, ich erkenne die Personen nicht, aber meine Frau erkennt sie wieder." Ein anderes noch wesentlich wertvolleres und charakteristischeres Beispiel für eine durch Auto- suggestion gewissermaßen künstlich gezüchtete fausse reconnaissance lieferte das ausgezeichnete Trance-Medium F'lournoy's, über das dieser aus- gezeichnete Genfer Psychologe ein wahrhaft klassi- sches Werk veröftentlicht hat. -) H e 1 e n e S m i t h , wie das Pseudonym dieses Mediums lautete, neigte, wie es übrigens bei der Mehrzahl der Trance- Medien der Fall, stark zum Seelenwanderungs- glauben und behauptete, berehs eine ganze Reihe von irdischen Existenzen durchlebt zu haben, zu- letzt als Königin Marie-Antoinette. In einem wich- tigen Nachtrag zu seinem Hauptwerk ^) berichtet ') „Zeitschrift f. Psychotherapie und medizinische Psycho- logie", Bd. V, Heft 5, S. 213. '') Theodore Flournoy, „Des Indes u la planete Mars". Genf und Paris 1900. — Eingehender Bericht hier- über in der „Naturw. Wochenschr." vom 13., 20., 27. Oktober 1901. ') Theodore Flournoy, „Nouvelles observations sur un cas de somnambulisme avec glossolalie" im „Archive de Psychologie", Dezember 1901. — Vgl. „Naturw. Wochenschr." vom 20. Juli 1902. N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S9I nun F 1 o u r n e y , wie Helene Smith im Novbr. 1900 zum ersten Male in ihrem Leben von Genf nacii Paris kam, also nach der Stadt, wo sie vor rund 110 Jahren als Königin gelebt zu haben be- hauptete. Somit waren alle Vorbedingungen für ein gewissermaßen künstlich erzeugtes Wieder- holungsgefühl in seltener Vollkommenheit bei- sammen. In der Tat hören wir denn auch in F 1 o u r n o y ' s Nachtrag : *) „In den an ihre Mutter gerichteten Briefen sprach Helene davon, daß sie in Paris nichts über- rasche und daß sie die Empfindung habe, dort schon lange gelebt zu haben Ich überschritt einen großen Platz und empfand während der ganzen Zeit des Hinübergehens ein Zittern in den Armen, in den Händen und im Kopf; eine schreck- liche Angst schnürte mir das Herz zusammen, und ich beeilte mich, wieder fortzukommen . . . Ich wurde mir darüber klar, daß ich den Platz Lud- wigs XV. -) überschritten hatte." Berücksichtigt man, daß die Place de la Concorde von 1900 schwerlich noch die geringste Ähnlich- keit mit dem von 1793 hatte, so daß ein „Wieder- erkennen" auch rein äußerlich ein Ding der Un- möglichkeit hätte sein müssen, so wird man die interessante Autosuggestion einer voreingenomme- nen Denkweise erst in ganzem Umfange zu würdigen imstande sein. Natürlich wird Helene Smith in der von ihr empfundenen Angst den unwider- leglichen Beweis erblickt haben, daß sie wirklich dereinst auf Erden als Marie- Antoinette gewandelt sei. Im Hinblick auf die anscheinend ziemlich häufig vorkommenden Fälle, in denen ein Mensch zu der Vorstellung neigt, sein Wiederholungsgefühl sei durch Eindrücke während einer früheren irdischen Existenz zu erklären, hat bereits Rhys Davids die Vermutung ausgesprochen, daß die „fausse reconnaissance" eine Hauptwurzel für die buddhis- tische Lehre der Seelenwanderung gewesen sei. Neuerdings hat Ottokar Fischer sich dieser Auffassung in einer schönen, gedankenreichen Ab- handlung angeschlossen. ^) Auch ich selbst habe die hohe Wahrscheinlichkeit eines solchen Zu- sammenhanges bereits betont. *) Und nicht nur die Lehre von der Seelenwan- derung wird in dem Wiederholungsgefühl eine ihrer Hauptquellen zu erblicken haben, sondern auch verschiedene philosophische Spekulationen ältester wie neuester Zeit, die bald in dieser bald in jener Form lehren, daß in langen Zeiträumen alles auf Erden sich wiederhole, dürften darauf fußen. Das „große Weltjahr" und die „Phönix- periode" sind möglichenfalls Geisteskinder des Zu- 1) a. a. O. S. 216/17. 2) Auf diesem Platz, heut Place de la Concorde genannt, wurde Marie-Antoinette am 16. Oktober 1793 hingerichtet. ') Ottokar Fischer, „Eine psychologische Grundlage des Wiederkunftsgedankens" in der „Zeitschrift für angewandte Psychologie und Sammelforschung" Bd. V, Heft 5/6, S. 4S7. *) „Türmer", 1912, S. 8S1: „Eine Quelle des Seelen- wanderungs-Glaubens". Standes der fausse reconnaissance, und dasselbe kann man mit erhöhterZu versieht in dem modernsten Ausläufer dieser wunderlich resignierten Weltan- schauung behaupten, von Friedrich Nietzsche 's trübseliger Lehre von der „ewigen Wiederkunft" von der „Wiederkehr des Gleichen", die im „Zara- thustra" anklingt und im „Dionysos" zum System entwickelt wurde. Die enge Verwandtschaft dieser philosophischen Irrlehre mit den Wunderlichkeiten des Wiederholungsgeiühls wird uns durch den kompetentesten Zeugen bestätigt, durch Nietzsche selbst; an zwei Stellen seiner Schriften gewährt er uns einen Einblick in die Gedankenwerkstatt, der die Lehre von der ewigen Wiederkunft ent- sprang. Im „Zarathustra" findet sich eine geradezu klassische Schilderung einer ,. fausse reconnaissance", die durch einen einzelnen Zug eines schauerlichen Gesamteindrucks, durch ein Hundegeheul und da- durch hervorgerufene, stark erregende Kindheits- erinnerungen bedingt wird. Nietzsche schreibt nämlich, unzweifelhaft durch ein eigenes Erlebnis veranlaßt: ') „„Und diese langsame Spinne, die im Mond- scheine kriecht, und dieser Mondschein selber, und ich und du im Torwege, zusammen flüsternd, von ewigen Dingen flüsternd — müssen wir nicht schon alle dagewesen sein und wiederkom- men und in jener anderen Gasse laufen, hinaus, vor uns, in dieser langen, schaurigen Gasse — müssen wir nicht ewig wiederkommen?"" Also redete ich, und immer leiser: denn ich fürchtete mich vor meinen eigenen Gedanken und Hinter- gedanken. Da, plötzlich hörte ich einen Hund nahe heulen. Hörte ich jemals einen Hund so heulen? Mein Gedanke lief zurück. Ja! Als ich Kind war, in fernster Kindheit: — da hörte ich einen Hund so heulen. Und sah ihn auch, ge- sträubt, den Kopf nach oben, zitternd, in stillster Mitternacht, wo auch Hunde an Gespenster glauben: — also daß es mich erbarmte. Eben nämlich ging der volle Mond, totschweigsam, über das Haus, eben stand er still, eine runde Glut . . ." Sind in dieser Darstellung bereits die engen Verflechtungen zwischen Wiederholungsgefühl und der Lehre von der ewigen Wiederkunft unverkenn- bar, so hören wir an anderer Stelle, bei welcher Gelegenheit der Grundgedanke der Wiederkehr des Gleichen in Nietzsche lebendig wurde :^) „Die Grundkonzeption des Werkes, der Ewige- Wiederkunfts-Gedanke, die höchste Formel der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann — gehört in den August des Jahres 1881: er ist auf ein Blatt hingeworfen, mit der Unterschrift 6000 Fuß jenseits von Mensch und Zeit. Ich ging an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Wälder; bei einem mächtigen, pyramidal aufge- türmten Block unweit Surlei machte ich Halt. Da kam mir dieser Gedanke." In dieser Äußerung finden wir zwar nicht be- ') „Zarathustra", 6, S. 2) Brief an Peter Ga „Vom Gesicht und Rätsel" 1 3. September 1883. 592 Naturwissenschaftliche Wochenschriit. N. F. XVI. Nr. 42 tont, wie im „Zarathustra", daß sich ein Gefühl einstellte, alle diese Erlebnisse müßten schon ein- mal dagewesen sein, aber wenn der offenbar häufiger vom Wiederholungsgefühl befallene Philosoph auf einem Spaziergang, der, wie wir hörten, das Zu- standekommen der fausse reconnaissance, vielleicht infolge gesteigerter körperlicher Anregung, beson- ders zu begünstigen scheint, plötzlich den Ged^nken von der Wiederkehr des Gleichen inspiratorisch erfaßt, so muß ein unmittelbarer äußerer Anlaß dazu vorhanden gewesen sein, und ich weiß nicht recht, wie man um die Annahme herumkommen will, daß dies eben ein Wiederholungsgefühl von besonders großer Intensität gewesen sein muß, wie es in irgendeinem Zusammenhang der Anblick des genannten, mächtigen Blockes bei Suclei aus- gelöst haben mag. Ottokar P'isch er sträubtsich gegen eine solche Schlußfolgerung und meint : \) „Ich würde als läppisch jene Behauptung zurück- weisen, welche etwa formulieren würde; „Anfang August 1881 wurde Nietzsche am See von Silvaplana beim Anblick eines pyramidal aufge- türmten Blocks von dem Zustande der „fausse reconnaissance" befallen und erhielt dermaßen den Anstoß zu seiner Wiederkunftstheorie." Ich kann mir nicht helfen: ich vermag in einer solchen Annahme durchaus nichts „Läp- pisches" zu erblicken, sondern beinahe etwas Unvermeidliches und Selbstverständliches. Daß N i e t s c h e durch zweifellose Fälle des Wiederholungsgefühls sozusagen prädestiniert war für den Gedanken der ewigen Wiederkunft, zeigt die obige „Zarathustra"-Stelle einwandfrei. Eine besonders lebhafte, erneute „fausse reconnaissance" mußte dann aber einen scharfen Denker, wie er es war, eines Tages zwingen, sich philosophisch mit dem unbegreifhchen Gefühl abzufinden. Ob die bei ihm anscheinend besonders lebhafte Neigung zur fausse reconnaissance im Zusammenhang stand mit seiner psychopathischen Veranlagung, "bleibe dahingestellt. Im allgemeinen liegt kein Anhalte- punkt dafür vor, in einem häufiger auftretenden Wiederholungsgefühl Anzeichen einer geistigen Störung zu erblicken. Andererseits gibt es Be- richte über eine derartige Intensität des Wieder- holungsgefühls, daß ein stark pathologischer Zug darin unverkennbar ist. Die schon erwähnte Arbeit von Arnaud liefert hierfür den deutlichen Beweis. Eine seiner Patientinnen behauptete i.J. 1894, schon im nächsten Jahre 1895 zu leben, weil alle Ereignisse, alle Zeitungsnachrichten usw. ihn derart bekannt an- muteten, daß er bestimmt wisse, sie „ein Jahr zuvor" schon einmal erlebt zu haben. Sie war in eine Heilanstalt gebracht worden und erklärte nun dem Arzt gegenüber: „Tag für Tag habe ich meinen vorigen Aufent- halt in dieser Anstalt nochmals durchlebt . . . Sie haben mir dieselben falschen Nachrichten schon damals zugehen lassen, den Tod des Fräuleins X, die Hochzeit des Fräuleins Z. Ich kann daher an Frau X nicht schreiben, weil ich nicht weiß, ob die Mitteilung wahr oder falsch ist. Ich glaube aber, sie ist falsch, denn ich weiß genau, daß ich dieselbe Sache schon im vorigen Jahr gelesen habe ... Ich werde also an Frau X nicht schreiben, trotz der guten Gelegenheit, die mir der angeb- liche Tod ihrer Tochter gibt. Ich werde genau ebenso handeln wie beim ersten Mal, und ich bin sicher, daß ich ihr im vorigen Jahre auch nicht geschrieben habe ... In den 6 Monaten, während deren ich jetzt hier weile, gibt es nicht 2 Minuten, die sich von meinem ersten Aufenthalt unter- scheiden." Hier haben wir das Wiederholungsgefühl in seiner höchstmöglichen Entwicklung vor uns: statt der sonst üblichen akuten Form, die nur Augen- blicke oder Bruchteile eines Augenblicks währt, ein „chronisches Wiederholungsgefühl", das unverkennbare Anzeichen einer ernsten geistigen Erkrankung an sich trägt. Hätte die betreffende Person, die alle Ereignisse während 6 Monaten schon einmal erlebt haben wollte, den Zeitpunkt, zu dem ihr alles schon einmal begegnet war, nicht willkürlich nur um ein Jahr zurückdatiert, sondern unbestimmter von einer ferneren Vergangenheit gesprochen, vielleicht gar von einer früheren Existenz auf Erden, so wäre sie auch ohne alle Philosophie wohl zum überzeugten Anhänger der Idee von der „ewigen Wiederkunft" geworden, gleichviel ob sie von Friedrich Nietzsche jemals etwas gehört hätte oder nicht. In diesem Lichte gesehen, tritt der krankhafte Zug, den Nietzsche's Wiederkunftslehre unverkennbar an sich trägt, um so deutlicher in die Erscheinung. Im übrigen dürfte der Hinweis nicht unange- bracht sein, daß sowohl der Wiederkunftsgedanke wie die Seelenwanderungslehre in vielen Fällen gewissermaßen das Allerweltsrezept abzugeben scheinen für die „Erklärung" irgendwelcher un- begreiflichen, den Menschen lebhaft beschäftigenden und erregenden Erlebnisse. Daß selbst die höchst- intelligenten Menschen gelegentlich nach diesem Rettungsanker der Deutung greifen, wenn alles andere logische Verstehen versagt, bezeugt eine Äußerung Goethe's aus der Zeit seiner Schwär- merei für Frau von Stein: „Ich kann mir die Bedeutsamkeit, die Macht, die diese Frau über mich hat, anders nicht er- klären, als durch die Seelenwanderung. — Ja, wir waren einst Mann und Weib!" Die Hypothese von der Seelenwanderung konnte sicherlich auch ohne fausse reconnaissance sich entwickeln, aber ihre mächtigste Stütze dürfte sie in dem weitverbreiteten Wiederholungsgefühl ge- funden haben, das überdies stark dazu beigetragen haben dürfte, jener Lehre auch außerhalb des Buddhismus eine verhältnismäßig nicht geringe Beliebtheit und eine beachtenswerte Anhänger- schaft zu erwerben. N. F. XVI. Nr. 4: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 593 Kleinere Mitteilungen. Hufeisendünen aus Schnee. IVIit i Abbildung im Text. So viel ich weiß kennt man in Europa nur die zur Windrichtung quer verlaufenden Sand- dünen der Meeresküsten. Mitte Februar dieses Jahres (1917) war aber der gefrorene Untersee (unterster Teil des Bodensees) mit einer Un- menge von Schneewällen bedeckt, die genau dem entsprachen, was die Bücher über die Bogen-, Sichel- oderilufeisendünen („B a r c h a n e" ) der zentralasiatischen Wüsten berichten. Bei strenger Kälte war anfangs des Monats auf die feste Eisdecke trockener, staubförmiger Schnee gefallen. Zwei Tage darauf erhob sich ein heftiger Ostwind, der in die etwa zentimeter- dicke Schneedecke mehr oder weniger regelmäßig verteilte Gassen fegte und schließlich nur noch zahllose in der Windrichtung bis lO m lange, quer dazu bis 2 m breite und bis 30 cm hohe Schnee- seite ein Zuwachs statt. In einer halben Stunde maß ich 30 cm Verlängerung in der Windrichtung — unter Beibehaltung der alten Form. Die Wälle wurden also größer, d. h. länger und dement- sprechend auch etwas breiter. Das Material zum Zuwachs brauchte dabei nicht von weit her zu stammen. Es waren im Osten — selbst in meh- reren Kilometern Entfernung — nicht etwa weniger und kleinere, im Westen mehr und grö- ßere Wälle zu beobachten. Vielmehr hatte es den Anschein, als ob der Zuwachs von zertrümmerten, zu Beginn des Treibens in viel größerer Zahl vor- handenen kleinen und kleinsten Wällen entstammte. Diese zeigten nämlich zwar die gleiche hin und her schreitenden Bewegungen wie die größeren Wälle. Wurde aber ihre Spitze einmal zu weit abgenagt, so war es um sie geschehen; sie wurden ganz weggeblasen und kein ähnliches Gebilde Abb. Hufeisendüne aus Schnee auf dem gefrorenen Untersee. Der Apparat schaute nach Norden gegen das badische Dörflein Hemnienhofen. (Der schwarze Strich im Hintergrunde auf dem Eise ist eine Leiter, die man mit anderem Werkzeug zur Rettung Eingebrochener aufzustellen pflegt.) wälle liegen ließ. Wo diese nicht durch Sprünge im Eis, durch Schlittschuhläufer oder Vermar- kungen der Trüschenfischer und der deutschen Grenzwachen gestört waren, schlössen sie alle deutlich hufeisenförmig ab. Die dem Winde zugekehrte Seite dagegen lief spitz zu. Der vor- dere Teil der Längsseiten war oft von Ansätzen zu neuen kleinen Bogendünen begleitet. Die höchste Höhe erreichten die Wälle dicht vor der Konkavseite des Hufeisens. Sie fielen also nach hinten steil ab. Die größte Breite war ebenfalls nahe dem hinteren Ende. Ein eigentliches Wandern der Dünen konnte ich nicht beobachten. Ließ der Wind etwas nach, so wuchs im Handumdrehen von der bisherigen Spitze aus ein langer flacher Keil von angetriebenem Schnee dem Wind entgegen. Setzte dieser aber wieder stärker ein, so wurde die Neubildung vom anprallenden Schneepulver weggeschabt, und sogar gelegentlich die alte Spitze um einige Zentimeter rückwärts verlegt. Dagegen fand an der Hufeisen- entstand an ihrer Stelle. Die Gassen gestalteten sich daher immer wegsamer. Auch über die Ursache der Hufeisen- bildung ließ sich ein Urteil gewinnen. Wohin man schaute rutschte das vom Winde getriebene Schneepulver auf der Eisfläche dahin. Nicht ganz gleichmäßig ausgebreitet, sondern, gerade auch der Wälle wegen, zu Faden, Schlieren, Bächen und Strömen verdichtet. Anders am hintern Ende der Wälle. Dort rutschte der Schnee- staub nicht, sondern flog. Von dem Kamm des Hufeisens sausten die Kristalle geradlinig in die Luft hinaus. Ein Teil freilich wälzte sich auch die steile Halde hinunter. Was immer aber in den „Hof" des Hufeisens fiel, wurde sogleich wieder erfaßt, gegen den Wind ansteigend in die Luft gehoben und dann auf der Höhe des Walles, dem Windschatten entrückt, weit weg geschnellt. Also infolge einer Saugwirkung, die natürlich hinter dem höchsten Teile der Dünen am stärk- sten war, wurde der „Hof" des Hufeisens immer 594 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 42 rein gefegt. Im Gegensatz dazu fehlte an den beiden Seiten des fiofes die Saugwirkung. Es kam dort nur der Windschatten zur Geltung. Infolgedessen blieb an den Seiten des Hintereiides der von oben oder von außen angetriebene Schnee- staub in zwei langen Fortsätzen liegen. Aus diesem Ansetzen an der Seite und dem Reinfegen in der Mitte entstanden aus den einfachen Wällen zu Beginn des Sturmes die hufeisenförmigen der nächsten Tage. Am dritten Sturmtage waren die Erscheinungen schon viel verwickelter. Offenbar spielte jetzt das Wirken der Sonne hinein, das allerorts harte, schwer angreifbare und oft unterhöhlte Schnee- flächen schuf. Unser Bild stammt von diesem dritten Tage. Es zeigt eine noch fast unveränderte „Hufeisendüne". Über die Windstärke kann ich keine an- deren Angaben machen als die, daß man auf den Schlittschuhen bei ausgespannten Rockschössen ohne jede eigene Anstrengung (also bei bloßem Sichhinstellen) im Mittel in der Stunde um 15 — 20 km „versetzt" wurde. (Übrigens ein Hoch- genuß!) Max Oettli. Literaturhinweise zu Killermanns Aufsatz über „Die Entdeckung der Paradiesvögel". Es liegt im Interesse unserer jungen zoologiehistorischen Disziplin, daß ich auf den in Heft 30 (vom 29. Juli 191 7) dieser „Wochenschrift" abgedruckten Auf- satz S. Killermanns über „Die Entdeckung der Paradiesvögel" zurückkomme, denn sonst könnte die falsche Meinung entstehen, wir hätten uns noch gar nicht mit dieser P>age befaßt. Im Februar 1914 hat bereits Erwin Strese- mann in Band XXI (S. 13—24) der „Noviiates Zoologicae" einen Beitrag zur Geschichte der Or- nithologie unter dem Titel „Was wußten die Schriftsteller des XVI. Jahrhunderts von den Paradiesvögeln?" veröffentlicht, der diese ganze Frage in eleganter Methode beantwortet. Leider ist Killermann diese Studie unbekannt ge- blieben. Und ich halte es nun für meine Pflicht, ergänzend darauf hinzuweisen und einiges daraus hier mitzuteilen, da die „Novitates Zoologicae" wohl nicht allen Lesern gleich zur Hand sind. Viel- leicht würde ja auch Stresemann selbst die Feder ergreifen. Doch er sei dieser immerhin peinlichen Mühe überhoben. Mag ihm, der jetzt im Felde steht, das Folgende zeigen, daß die Zoologiehistorik seine Arbeit von 1914 wohl zu schätzen weiß. Eines freilich konnte Stresemann damals nicht wissen: daß nämlich um 1460 Pier- candido in seinem handschriftlichen Tierbuch von den „Aves paradisi" schrieb: „Color illis fuscus atque subrutilus; monedulae forma minores sunt. Ceterum nihil a me ex illustribus auctoribus de his aut earum natura perspectum est" (Zoologische Annalen VI 2/3, 1914, S. 171 Anm. i), da dieser Cod. Vatic. Urb. lat. 276 erst 1914 durch Killer- manns eigene Veröffentlichung in den „Zoolo- gischen Annalen" uns bekannt wurde. Dafür brachte aber Stresemann eine auf die Paradiesvögel be- zügliche ältere Stelle aus dem Reisebericht des venetianischen Kaufmanns Nicolo de Conti, den der päpstliche Sekretär Gian Francesco Poggio Bracciolini 1440 oder 1441 nieder- schrieb und der unter dem Titel „India recog- nita" zuerst 1492 in Mailand im Druck erstand. Das was Killermann aus dem Berichte des Maximilian US Transsylvan US mitteilt, findet man bei Stresemann in gründlicher Darstellung. Dieser hat aus dem römischen Druck von 1523 der „Epistola .... de . . novissima Hispanorum in Orientem navigatione, quae variae regiones in- ventae sunt, cum ipsis etiam Moluccis insulis bea- tissimis, optimo Aromatum genere refertis" zitiert, während Killermann nur von einer „Editio princeps, Co In 1523, Januar" — ohne Titel- angabe — schreibt und wahrscheinlich aus dem Regensburger Originalmanuskript schöpft, wobei ihm jedoch einige falsche Lesungen untergeschlüpft sein dürften. Auch die deutsche Übersetzung von Marco Antonio Pigafetta's „Beschreibung der von Magellan unternommenen ersten Reise um die Welt" in der Gothaer Ausgabe von 1801 durfte von Killermann nicht herangezogen werden, wo doch bereits zwischen 1524 und 1534 der von Pigafetta wahrscheinlich schon 1522 verfaßte Bericht in französischer Übersetzung („Le Voyage et navigation faict par les Espagnolz es Isles de Mollucques cfc") erschien und außerdem in der Ambrosiana das Original von Pigafetta's Hand liegt, nach dem sich S treseman n gerichtet hat. Die bei Killermann stehende Übersetzung ist jedenfalls sehr anfechtbar. Z. B. ist durchaus nicht zu übersetzen: „Dieser Vogel hat die Größe einer Drossel", da im Cod. Ambros. furtola — also „Turteltaube" — steht. Außerdem muß es statt „Bolon dinata" sprachlich richtig heißen : („man nennt ihn) Bolon dinata", da nach S t rese man n, der meines Wissens auch ein guter Kenner der Archipelsprachen ist, im Javanischen iiiaiiuk cicvata und im Malayischen biiniiig devafa „göttlicher Vogel" bedeutet. Dieses fatale // mag deswegen ruhig in dem in „Pigafetta Raccolta" (V. 3, 99) abgedruckten Eigenbericht des Reisenden stehen, der freilich S treseman n unbekannt blieb.') Weiterhin schreibt K i 1 1 e r m a n n , daß seines Wissens Conrad Gesner „in den ersten Auf- lagen seines Werkes den Paradiesvogel noch nicht abgebildet" habe, sondern daß zum ersten Male in der von Heußlin besorgten deutschen Aus- gabe, im „Vogelbuch" 1600, eine Abbildung auf- ') Stresemann, der den Cod. Ambros. benutzte, hat jedenfalls i^o/dH diiui/a. Ich kann nur die der Gothaer Aus- gabe als Übersetzungsvorlage dienende Schrift „Premier voyage autour du monde, par le Chevr. Pigafetta, sur l'escadre de Magellan, pendant les annees 1519, 20, 21 et 22; . . . ." (Paris, l'an IX) einsehen, wo allerdings auf S. 197 auch lioloiuiinata zu lesen ist. N. F. XVI. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 595 tauche. Doch ist bei Gesner in der lateinischen Erstausgabe seines „Historiae animalium liber III. qui est de Auium natura", die bekanntlich 1555 zu Zürich aus der Presse kam, auf .S. 612 eine Abbildung von Paradisaea apoda (?) zu finden, wie auch Stresemann die ausführlichen Mit- teilungen Gesners (1. c. p. 611 — 614) über die Paradiesvögel wörtlich abdruckte. Hat doch auch bereits Pierre Belon in seinen 1557 zu Paris erschienenen „l'ortraits d'oyseaux" den Gesn er- sehen Holzschnitt reproduziert, wenn er das Tier auch als Phönix bezeichnet und folgende senti- mentalischen Verse dazu geschmiedet hat (.S. 23 b): „Tant hault en l'air ie me pas de rosee Qu'impossible est me pouuoir vif auoir, Ny mesment qu'apres ma mort me voir. Voila comment ma vie est composee." Es würde zu weit führen, wollte ich nach Stresemann noch die wichtigen Betrachtungen über die Paradiesvögel wiedergeben, und zwar von: Girolamo Cardano (De subtilitate libri XXI, Paris 1551, p. 202),') Pierre Belon (Les observations de plusieurs singularitez et choses memorables, trouuces en Grece, Asie, ludee, Egypte, Arabie, et autres pays estranges, Paris 1553, p. 1891''; L'histoire de la nature des oyseaux, Paris 1555, p. 329—331), Francisco Lopez de Gomara (La istoria de las Indas, Saragossa 1552, p. 546), Julius Caesar Scaliger (Exo- tericarum exercitationum liber quintus decimus, de subtilitate , ad Hieronymum Cardanum , Paris 15S7. P- 3001^1 — 302f'l). Ulisse Aldrovandi (Ornithologiae libri XII, Bologna 1599, p. 806 — 816), Luca Contile (Ragionamento sopra la proprietä delle imprese, Pavia 157.4, p. JJ^""^ — 78''0> Simon Maiolus (Dies canicu- lares seu colloquia tres, et viginti, Rom 1597, p. 280) usw. usw. Nur auf eins darf vielleicht noch hingewiesen werden. Stresemann hat seiner Studie die Reproduktionen zweier italienischer Aquarelle aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beige- geben, die Paradiesvögel darstellen. Sie befinden sich jetzt mit 133 anderen Vogelaquarellen in der Bibliothek des Tring-Museums, haben aber einst, wie Stresemann evident nachzuweisen vermag, Aldrovandi als direkte Vorlage für die Holz- schnitte seiner Ornithologia vom Jahre 1599 ge- dient. Da wir nun einmal auf Stresemann s grund- legende Abhandlung zurückgekommen sind, mache ich zugleich auf eine neuere Bemerkung B e r t h o 1 d Lau fers aufmerksam, der vor zwei Jahren in seiner Arbeit „Vidai'iga and Cubebs" (in: T'oung PaoXVI, 1915,5.282—288 [Fußnote i auf S. 284]) über die erste Einführung der Paradies- vögel in China sich in bekannter Gelehrsam- keit kurz ausgelassen hat. Stresemann (a. a. O ') In dem von mir stets benutzten älteren Druck: Nürn- berg 1550, bei Job. Petrejus, auf S. 239. — Ich habe im folgenden Stresemanns Literaturangaben nachgeprüft und stillschweigend einige Verbesserungen angebracht. S. 18 Fußnote -f) vermutete, daß die im Jahre 813 vonjavanesen dem Kaiser von China als eine Art Tribut dargebrachten „Pinka-Vögel'' Paradisaea- Arten gewesen wären. Lauf er erscheint dies indessen zweifelhaft, da die Javaner selbst erst in der Miite des 14. Jahrhunderts die Molukken er- reichten, wo ein am westlichsten lebender Paradies- vogel vorkommt. Er macht außerdem Strese- mann auf eine von diesem übersehene Miszelle von F. W.K. Müller im „T'oung Pao" IV (1893), S. 82 — 83 und auf Henry Yule's und A. C. Burnell's „Hobson-Jobson" (1886, p. 95 [New ed. by W. Crooke, 1903]) aufmerksam. Ihm sind auch die von F. Hirt h (in: T'oung Pao V, 1894, S. 390 f) und W. E. Groeneveldt (ebendas. VII, 1896, S. 114) gegen Müllers Ansicht über die Einführung von Paradiesvögeln in China vor- gebrachten Gründe nicht zwingender Natur. Leider hat Stresemann noch nicht die Muße gefunden, auf einen Hinweis meinerseits (in: Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften XVI, 1917, S. 69) dem Problem weiter nachzuspüren. Man sieht jeden- falls, daß die Geschichte der Paradiesvögel durch- aus nicht so einfacher Natur ist, daß aber St rese- manns auf gründlichster Literaturkenntnis auf- gebaute Arbeit in den „Naturae Novitates" die Geschichte von der ersten Kenntnis dieser farben- prächtigen Vögel in Europa bereits geklärt hat. Höchstens, daß zufällige, glückliche Funde in Handschriften den Kreis der Belege noch schärfer schließen oder auch zeitlich erweitern können. Rudolph Zaunick (Dresden). Biologische Beobachtungen am Blindmoll {Spa- lax hiingaricus Nhrg.). Die genannte, etwa 20 cm lange Blindmaus, deren anliegendes, mausgraues Haar am Rücken und an den Seiten erdbraune Spitzen zeigt, kommt am unteren Sereth nicht gerade selten vor. Im Mündungsgebiete des Buzens in den Sereth gelang es mir innerhalb eines Monats, vier Stück zu erhalten, und fünf oder sechs weitere wurden in dem etwa 2 km breiten Streifen meines Abschnittes von der Mann- schaft erschlagen. Meinen magyarischen Kameraden ist der Blindmoll übrigens unter dem Namen „földi-kutya" (= Erdhund) bekannt, nicht unter der in Brehms Tierleben ') angegebenen Bezeichnung „Földi- kölök" (r. kölyök = junger Hund). An einem lebend und unverletzt in meine Hände gelangten Blindmoll konnte ich einige Lebensäußerungen genau beobachten, deren Mit- teilung vielleicht eine nicht unwillkommene Er- gänzung zu der in Brehms Tierleben von L. Heck gegebenen Lebensbeschreibung bieten dürfte. Der Blindmoll lebt unter der Erde, in selbst- gegrabenen, im Querschnitt kreisförmigen, ungefähr 7 cm weiten Gängen, die vollständig unregelmäßig verlaufen, jedoch nie eine stärkere Steigung auf- ') IV. Aufl., Säugetiere — 2. Band, S. 244. 596 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 42 weisen. Das Eingraben von der Erdoberfläche aus vollzieht sich folgendermaßen: Mit vorge- strecktem Kopfe wühlt der Blindmoll sich zu- nächst durch die obere, lockere Erdschicht, bis er auf den stärkeren Widerstand des gewachsenen Bodens trift't; hierauf scharrt er darin — gleich einem grabenden Hunde — eine kleine Vertiefung aus, die mittels des Kopfes vergrößert wird. Dabei spielen neben dem rüsselförmigen Fortsatz der Oberlippe auch die kräftigen Nagezähne (bes. die unteren, gegeneinander beweglichen) eine wichtige Rolle. In 3 Minuten ist eine 4 cm tiefe und ebenso breite Höhlung hergestellt, in der Kopf und Vorderfüße schon vollständig verschwinden. Die Arbeit wird mit solchem Eifer und so großer Kraftanwendung verrichtet , daß zeitweilig der Hinterkörper 1 V., cm und mehr über den Erd- boden gehoben wird: dies geschieht immer dann, wenn eine schwer erreichbare Stelle mit den Zähnen ausgenagt wird. Von Zeit zu Zeit wirft sich das Tier mit einem plötzlichen Ruck herum und schiebt — oder besser: stößt — die ausge- grabene Erde mit dem Kopfe zurück, so daß als- bald ein halbkreisförmiger Wall von 12—15 cm Halbmesser um die gegrabene Höhlung entsteht. Nach 10 Min. war die Höhlung schon so groß, daß das ganze Tier darin Platz hatte und nach 12 Min. konnte der Blindmoll sich darin um- drehen und die Erde mit dem Kopfe hinaus- schieben. Ehe das Tier aber die Höhle weiter vertiefen konnte, wobei aus dem anfänglichen Erdwall ein dem des Maulwurfs ähnlicher Haufen entstanden wäre, holte ich es mittels eines Hölz- chens wieder heraus; wütend biß es mit seinen furchtbaren Schneidezähnen hinein, wie stets, wenn man es bei der Arbeit störte. Sehr gereizt läßt es auch ein hohes, mausähnliches Quieken („i") hören oder ein Pfauchen (wie „ch''), wobei das Maul weit offen und die Spitzen der beiden unteren Nagezähne 4 mm voneinander entfernt stehen. Die eigentliche Grabarbeit verrichten stets, wie ich mich mehrmals überzeugte, ausschließlich die Nagezähne; die Vorderfüße dienen lediglich als Stütze und zum Zurückscharren der losgenagten Erde, während der Hinterkörper beim Ein- graben wie eine Wetterfahne hin- und her- schwankt. Beim Verlängern des Ganges da- gegen bildet der Hinterkörper einen guten Halt, indem er an die Wände gepreßt wird und die nötige Stütze für die hebelartige Wirkung des Kopfes mit seiner mächtigen Nackenmuskulatur abgibt. Sehr ergötzlich ist es, den Blindmoll beim Fressen zu beobachten. Ein vorsichtig in seine Nähe geschobener saftiger Wurzelstock wurde nach mehreren vergeblichen Versuchen angenom- men, mit den beiden Vorderfüßen festgehalten — ähnlich wie es die Eichhörnchen zu tun pflegen — und mit großer Geschwindigkeit verzehrt, wo- bei die Arbeit der Zähne deutlich zu hören war. Während der Mahlzeit legte das Tierchen sich zuweilen halb auf die eine Seite. — Auf Nahrungs- suche scheint der Blindmoll meist gegen Abend auszugehen, denn alle Stücke wurden abends in den Laufgräben gefunden; diese durchschneiden natürlich kreuz und quer die Gänge der Blind- mäuse und da ihre Sohle (180 cm unter der Erd- oberfläche) mindestens 80 cm tiefer liegt als jene, so fallen die Tiere auf ihren abendlichen, unter- irdischen Wanderungen in unsere Gräben. Regelmäßige Nester — wie der Maulwurf sie baut — scheint der Blindmoll nicht anzulegen; ich fand in den vielen der Länge nach durch- schnittenen Gängen, die ich untersuchen konnte, nur unregelmäßige Erweiterungen, mit Grashalmen und -wurzeln ausgepolstert, die ich für Schlaf- und Bruträume halte. Von den Sinnen ist beim Blindmoll das Gehör ausgezeichnet entwickelt. Beim geringsten Geräusch — nahende Schritte u. dgl. — drückt er sich unbeweglich in seine Höhlung und nimmt die Arbeit erst wieder auf, wenn einige Zeit nach der Störung verstrichen ist. Auch eine gewisse Licht empfin dl ichkeit muß der Blindmoll besitzen, obgleich die rudi- mentären Augen vollständig unter dem Fell ver- borgen sind; ich schließe dies aus folgenden beiden Beobachtungen: i. sucht der Blindmoll, an die Oberfläche gebracht, sich stets den dunkelsten Winkel, um sich daselbst einzugraben oder, wenn er — im Unterstand z. B. — das nicht kann, hin- zukauern; 2. wird er merklich unruhig, wenn man ihn dort mit einer elektrischen Taschenlampe oder mit durch einen Spiegel zurückgeworfenem Sonnen- licht grell beleuchtet. Bei längerer Belichtung verläßt er sogar seinen Platz. Bei dem Verhalten gegen reflektiertes Sonnenlicht könnte man allen- falls an einen sehr feinen Temperatursinn denken aber bei Verwendung einer elektrischen Taschen- lampe in einem Abstände von annähernd V2 m ist diese Erklärung wohl nicht zulässig. Von den übrigen Sinnen ist der Tastsinn sehr gut ausgebildet. Bei Berührungsversuchen reagierte der Blindmoll durch ruckweise Rückwärts- bewegungen, schon bevor ich an seinen Kopf bzw. an eines seiner Tasthaare mit einem Hölz- chen ankam. Leider war die Freude, einen lebenden Blind- moll zu besitzen, nicht von langer Dauer; schließ- lich ist der Schützengraben der ersten Linie gerade nicht der geeignete Ort zum Halten und Beobachten lebender Tiere. Obwohl ich dem Tierchen ver- schiedene Pflanzenwurzeln in seine mit Erde ge- füllte Kiste gab, war es nach einiger Zeit schon etwas matt und am Ende des zweiten Tages tot. Zum Schlüsse noch ein Beispiel von der ge- waltigen Kraft, die der Blindmoll in seinen Nage- zähnen besitzt. Am ersten Abend nach Ein- bringung des Tieres untersuchte ich um ^,2 9 Uhr die Kiste und fand sie unbeschädigt; um i Uhr nachts sah ich wieder nach und konnte den Blind- moll gerade noch einfangen : er hatte in höchstens 4' ., Stunden in ein '^|^ cm dickes Brett ein 5 cm breites Loch genagt, obgleich er schon bedeutend N. F. XVI. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 597 weniger Lebenskraft zeigte als zur Zeit seiner (.lefangennahme. Prof. Dr. Wilhelm Hoffer (z. Zt. im Felde). Brasilianische Säugetiere und Vögel im natur- historischen Museum zu Bern. Anfang Juli dieses Jahres starb zu Bern Professor Emil August Goeldi, ein Schweizer von Geburt, welcher durch seine biologischen Forschungen in weiteren zoologischen Kreisen bekannt wurde; seinem An- denken mögen die folgenden Zeilen gewidmet sein! Durch langjährigen Aufenthalt in Brasilien und namentlicli als Direktor des Museums in Para, welches er über ein Jahrzehnt leitete und zu hoher Blüte brachte, war es Goeldi vergönnt sich in ausgedehntem Maße mit der F"auna Brasiliens zu beschäftigen. Namenilich waren es die Staaten Rio de Janeiro, Minas Geraes, Sao Paulo, Kspirito Santo, Bahia und Para dieses an Naturmerkwürdig- keiten so reichen Landes, welche er eingehend auf ihre Tierwelt hin untersuchte. Keine fremdländische P'auna ist vielleicht ver- hältnismäßig so gut erforscht worden, wie die südamerikanische. Diejenige von Chile wurde zuerst von dem Jesuitenpater Molina in seinem „Saggio sulla storia naturale del Chili" schon im Jahre 1782 genauer beschrieben, diejenige Para- guay's von Azara und namentlich von Rengger durch meisterhafte Biographien, welche teilweise in Brehm's Tierleben übergegangen sind, in dem 1830 zu Basel erschienenen Werke „Die Säuge- tiere von Paraguay" in unübertroffener Weise ge- schildert. Brasilien und Paraguay, da beide aneinander grenzend, haben daher eine vielfach überein- stimmende Fauna. So finden sich z. B. der Jaguar, der Tapir, der große Ameisenfresser, bekannte Insassen unserer Tiergärten, verschiedene Vögel, Reptilien usw. in beiden Provinzen gemeinschaft- lich vor. Doch nirgends mag eine reichere und üppigere Tierwelt anzutreft'en sein als im Gebiete des Ama- zonen-Stromes, dieses größten Flusses Südamerikas. Dieselbe wurde von dem Engländer Bates in seinem Buche „Der Naturforscher am Amazonen- Strom", welches mehrere Auflagen erlebte und auch im Jahre 1S66 in deutscher Übersetzung zu Leipzig erschien, den weitesten Kreisen bekannt gemacht und Goeldi darf gewissermaßen als der Nachfolger dieses bedeutenden Mannes in der naturwissenschaftlichen Erforschung Brasiliens an- gesehen werden. Die Zahl der von Goeldi neu entdeckten, fast allen Klassen angehörenden Tierarten ist Le- gion, zählt er doch selbst in einem als Manu- skript gedruckten und zur Verteilung an seine l""reunde bestimmten Verzeichnis deren über 200 auf, zu einem großen Teile von ihm selbst be- schrieben ! Die wissenschaftliche Ausbeute Goeldi 's ist wohl zum größeren Teile im naturhistorischen Museum von Parä, zum kleineren in demjenigen von Bern, woselbst der P"orscher die letzten Jahre seines Lebens zubrachte, deponiert. In letzterem sind namentlich die Säugetiere und Vögel Brasi- liens in \'orzüglich ausgestopften Bälgen zu sehen, es ist mir unmöglich sie alle an dieser Stelle an- zuführen und es mag daher nur eine ikurze Über- sicht über die selteneren Arten folgen, um so mehr als dieselben in den übrigen Museen des euro- päischen Kontinents wohl nur zum geringsten Teile vertreten sein mögen. A. Säugetiere. 1. J//(/(7S grisc'orerh'x Goeldi. Dem M. rufi- nentcr Gray in der Färbung sehr nahekommend, aber sich durch den weißgrauen Scheitel davon unterscheidend. Von Rio Purüs im Amazonas- Gebiet. — Gehört zur Gruppe der Krallenaffen, welche wesentlich durch die Gattung Ilapnle re- präsentiert wird und von Midas durch die längeren Eckzähne des Unterkiefers, welche die Schneide- zähne um ein Beträchtliches überragen, unter- schieden. 2. Callifl/rix ciiprais Spix. Rio Pui üs. Nament- lich durch die kupferrote I;ärbung der Wangen, der Vorderarme und Schenkel ausgezeichnet und zu den Springaffen gehörig. 3. W a 1 d h u n d {Jcficyon venaiicus Lund). Amazonas-Gebiet. Ein von der typischen Hunde- familie ganz abweichendes Mitglied. Durch seine untersetzte Gestalt, w'elche namentlich durch die kurzen Beine hervorgerufen wird, besitzt er ein ausgesprochen mar derartiges Gepräge! 4. Diiioinys Branickii Peters — Rio Purüs — Dieses durch die Färbnng an das Para (Coclogenys Para Rengg.) erinnernde, aber in der Bildung des Schädels dem größten Nager Südamerikas, dem Wasserschwein (Hydrochoerus capibara Erxl.) nahe- stehende Nagetiere wurde 1873 zuerst von Pro- fessor Peters in Berlin beschrieben. Lange Jahre war nur ein einziges Exemplar bekannt, in der letzten Zeit fängt das Tier aber an in den Samm- lungen häufiger zu werden. So besitzt das Mu- seum in Frankfurt am Main ein, dasjenige in Bern sogar zwei ausgestopfte Tiere, außerdem zwei in Spiritus conservierte Foetus. Der mit dem Museum in Para verbundene zoologische Garten erhielt im Jahre 1905 zwei lebende Exemplare dieser Tierart, von welchen nach Goeldi das eine bald einging, das andere sich aber recht gut gehalten haben soll. In euro- päische Gefangenschaft dürfte das Tier seiner re- lativen Seltenheit halber wohl noch nicht gelangt sein. 5. Caiiis {Ccrdocyoii) inicrvtis ^clater. Para und Amazonas Gebiet. Wurde s. Z. im Tiergarten zu Londen gefangen gehalten und daselbst von Sclater als eigene i\rt entdeckt und beschrieben. Zeichnet sich namentlich durch schlanken Körper- bau und kurze Ohren aus. Nahe verwandt ist ihm 598 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 42 der ebenfalls im Berner Museum befindliche, im gleichen Gebiete vorkommende Canis vetulus Lund. 6. Von selteneren mäuseartigen Nagern ver- dienen Erwähnung; Kaiuiabatconiys avibonyx Wagn., Nectomys squaniipcs Brant., beide von Sao Paolo, ferner Oryzoiiiys longicaudatus (Lund.) vom Orgelgebirge und Mcsomys ecaudatiis Wagn. vom Amazonas-Gebiet. Von dem die Hufpfötler repräsentierenden Meerschweinchen (Cavia porcellus L.) ist die wilde, aber kleinere Stammform aus dem Orgelgebirge von Interesse. Das seltene Wiesel Piitoriiis paracnsis von Parä, 1877 von Goeldi in Spengel's „Zoologischen Jahrbüchern" beschrieben und dem Entdecker nur in drei Exemplaren bekannt, fehlt dem Berner Museum und wahrscheinlich auch sonstigen euro- päischen Sammlungen. B. Vögel. Auch die ornithologische Sammlung des Berner naturhistorischen Museums verdankt Goeldi manche wertvolle Exemplare, doch sind daselbst im allgemeinen nur die gewöhnlicheren Arten aus Brasilien vertreten. Erwähnung verdienen schon der geographischen Verbreitung halber die fol- genden : 1. Cymindis uncinatus Cuv. Falkenartiger Raubvogel vom Orgelgebirge. 2. Weißschwanz-Bussard [Biäco albicau- datiis Viell.) Ebendaher. 3. Schopfhuhn {OpistJwcoDius hoaztn Müll.) Parä. Eine ganze Gruppe ist von diesen inter- essanten Scharrvögeln ausgestellt, welche dadurch ausgezeichnet sind, daß die Jungen derselben an Daumen und Mittelfinger Krallen aufweisen, welche ihnen eine hohe Kletterfähigkeit ermöglichen. Die genannten Eigenschaften gehen den alten Vögeln ab. Von weiteren Scharrvögeln seien ferner Or- falis araciian Spix von Park und Odonfophorus capiicira Spix vom Orgelgebirge erwähnt. End- lich sind folgende seltenere Vogelarten bemerkens- wert. 4. von Schnepien: Gallma£-o/renafal\\. Orgel- gebirge. 5. von Rallen: Porp/iyrwla parva (Bodd.) Parä, ein Sultanshuhn im kleinen. 6. von Ibissen: Weißhals-Ibis [TJieristicus candatiis (Bodd.). Marajo, Amazonas. 7. von Singvögeln: Saltator siDiilis Lafr. ; Ca- luspiza thoracica Gab. ; Cissopis major Gab. ; Bra- chyspiza pilcafa (Bodd.); Troglodylcs musculus Licht.; sämtliche Arten vom Orgelgebirge. 8. von Schreivögeln : Grallaria inipcrator Lafr. zu den Formicariidae oder Ameisenvögeln im en- geren Sinne gehörig. Orgelgebirge. 9. von Kolibris; Lamponiis vioUcaiida (Bodd.) Bahia. Zum Schlüsse mag noch der Jabirn oder ameri- kanischer Riesenstorch {Mycteria avicricaiia L.), welcher jetzt sehr selten in europäische Gefangen- schaft gelangt, aber längere Jahre im Basler Tier- garten lebte, von der ungemein reichhaltigen Aus- beute Goeldi's angeführt sein. Epstein. Bücherbesprechungen. und Geschichte. J. C. orientierter Formbegriff. Fritz Neeff, Geset B. Mohr 191 7. 45 S. — I Mk. Eine von Rudolf Eucken mit einem emp- fehlenden Vorwort versehene philosophische Erst- lingsschrift. Sie ist im Felde konzipiert, daher noch mehr Bekenntnis- als Erkenntnisschrift, voll warmen F'ühlens und reinen Wollens, ohne der kühlen Sachlichkeit zu entbehren. Da, wie Neeff gegen den Schluß hin sagt, alle Wirklichkeit aus dem Zusammentreffen von ursächlichem Sein und ursprünglichem Geschehen sich forme, besteht also „alle Erkenntnis in wechselseitiger Gültigkeit des zeitlos Allgemeinen für das Besondere (Gesetz) und des zeitlich Besonderen für das Allgemeine (in der Geschichte). Beide Erkenntnisweisen aber vollenden die Erkenntnis der Wirklichkeit". Es sucht also die Naturwissenschaft überwiegend Gleichartiges unter allgemeine Gesetze zu bringen, die Geschichte Besonderes aus dem bedeutungs- losen Geschehen gestaltend herauszuheben. — Was wird dabei unter Geschichte verstanden, was unter dem von ihr bedeutsam Gestalteten? Als das Gestaltete in seiner einzigartigen Besonderheit gilt Neeff schlechtweg das „Neue", — ein aus- schließlich am Vorhandenen oder Vergangenen Wie man etwa in der Folge geologischer Schichtungen eine jüngere von der älteren durch bestimmte äußerliche Eigen- schaften unterscheidet. Dies soll auch für die Geschichte der kultivierten Menschheit gelten. Es wird daher nicht scharf genug getrennt zwischen ihr und der Geschichte der Naturformen. Ins- besondere wird der Gegensatz des Menschen als sittlichverantwortlich handelnden, vernunftbegabten Wesens im kausal gebundenen Geschehen des Naturganzen (soweit es ihm nicht als Naturprodukt selbst angehört) gänzlich übergangen. Daher bleibt auch Unklarheit in der Stellung Neeff's zum „werthaften Erkennen der Kulturwissenschaft", das er mit einer gewissen Verlegenheit nur streift. Menscheitsgeschichte in ihren jüngeren, kulturge- sättigten Formen geht ihm unter in allgemeiner, kosmischer Geschichtsvorstellung, wo die Wert- bestimmung keinen Platz haben kann. Diese liegt aber, gewollt oder nicht, jeder die menschlichen Kulturperioden behandelnden Geschichtsschreibung zugrunde. Es erscheint zwar das Ergebnis des Peloponnesischen Krieges, von der Seite der Lake- dämonier aus betrachtet, als Erfüllung eines Naturgesetzes: Die bessere Organisation überwin- N. F. XVI. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift- 599 det die schlechtere. Der Zusammenbruch Athens aber fordert als Werturteil: Untergang der selb- ständigen, von sittlichem Pflichtgefühl nicht mehr hinreichend getragenen kulturellen Schöpferkraft. Solche ethische Erkenntnis erscheint daher in der Geschichtsbetrachtung menschlicher Zustände und Personen als das ihr Eigentümliche, als das wert- vollere und wertbestimmende. Dem wird nicht gerecht, wer, mit Neff, geneigt ist, die spezifische Eigenart der Geschichte kultivierter Menschheit im Zusammenhange der Gesamtgeschichte irdi- schen Lebens zu unterschätzen. K. Steinacker. L. Graetz, Das Licht und die Farben (Ein- führung in die Optik). Sechs Vorlesungen ge- halten im Volkshochschulverein München. 17. Bändchen von „Aus Natur und Geisteswelt". 4. Aufl. 130 Seiten mit lOO Abbildungen im Text. Leipzig und Berlin 191 6, B. G. Teubner. — Preis geb. 1,25 M. Daß die Vorträge des Verfs. nach kurzer Zeit bereits in vierter Auflage erscheinen, zeugt von der hohen Wertschätzung, deren sich diese kurze, aber abgerundete, nach Form und Inhalt muster- gültige Darstellung der gesamten Optik in weite- sten Kreisen erfreut. Wer einen klaren, von jeder Schwierigkeit freien und doch weitgehenden Ein- blick in die Gesetze der geometrischen und phy- sikalischen Optik zu gewinnen sucht, wird das Bändchen jedenfalls mit Erfolg zu Rate ziehen. Aber auch dem Kundigen, insbesondere dem Lehrer, wird die vortreffliche Verknüpfung von theoretischer Folgerung und dem Ergebnis der direkten Erfahrung bzw. des Experiments nament- lich in didaktischer Hinsicht manche Anregung geben können. Gegenüber den früheren Auflagen weist die gegenwärtige nur kleinere Änderungen auf. A. Becker. Otto Hauser, Der Mensch vor looooo Jahren. Mit 96 Abbildungen und 3 Karten. Leipzig 191 7. F. A. Brockhaus. — 3 M. Otto Hauser, dessen Lebenswerk durch den Weltkrieg in geradezu tragischer Weise unter- brochen, wenn nicht gar abgebrochen wurde, schil- dert in diesem hübsch ausgestatteten Büchlein die Geschichte seiner Entdeckungen, die ihn weit über den Rahmen seiner Fachdisziplin hinaus bekannt gemacht haben, und rundet darüber hin- aus seine Darstellung zu einem Bilde des vor- geschichtlichen Menschen, seiner Lebensweise und seiner Umgebung ab. Der Hauptreiz des Hauser- schen Buches liegt aber in dem ersten Teil, in welchem er seine Forschungen und Erlebnisse im Tale der Vezere in der Dordogne erzählt, mit einer Anschaulichkeit und Lebhaftigkeit, die einen Abglanz des Forscherfiebers und der Entdecker- spannung und -freude auch im Leser hervorrufen. Fabelhaft ist auch, wie sich der Verfasser in die vorgeschichtliche Welt und die Seele der alten Menschen hineinfühlt; und wenn auch naturgemäß die rein konstruktive Phantasie daran einen großen Anteil hat, so überläßt man sich doch willig dem Reiz dieser urzeitlichen Erzählungen und der Suggestion eines Erzählers, dessen Spürsinn so viele greifbare Erfolge erzielte. Miehe. Alfred Hettner, EnglandsWeltherrschaft und ihreKrisis. Leipzig und Berlin 1917. B. G. Teubner. — 4,80 M. Daß dieses Buch, das in der ersten Auflage den Titel: „Englands Weltherrschaft und der Krieg" führte, nunmehr bereits in der dritten Auf- lage vorliegt, spricht für das große Interesse, das es gefunden hat. Das ist durchaus verständlich, ist doch der Stoff sowohl als die ausgezeichnete Darstellung geeignet, die größte Anteilnahme bei jedem zu erwecken, der diese ungeheure Zeit bewußt mitlebt. Dies Interesse wird womöglich gerade in der gegenwärtigen Phase des Krieges, von der wir hoffen, daß es die entscheidende ist, noch gesteigert, da es allmählich auch den po- litisch harmlosesten Menschen klar geworden ist, daß England unser erbittertster und unversöhnlich- ster Gegner ist — und sein muß. Denn der Verfasser zeigt uns, wie die englische Weltherrschaft all- mählich geworden ist und wieso sie sich jetzt vor einer Krise befindet, die mit Notwendigkeit zu einer gewaltsamen Lösung drängte. Die Darstellung des gelehrten Geographen ist trotz ihrer fes- selnden Form in ganz wissenschaftlichem Geiste gehalten und auf zuverlässiger breiter geogra- phischer, geologischer, geschichtlicher und welt- wirtschaftlicher Grundlage aufgebaut, bietet also im Gegensatz zu zahlreichen Tagesleistungen eine Quelle zuverlässiger Belehrung, von der möglichst viele in dieser wichtigsten Epoche unserer Ge- schichte zur Vertiefung ihres politischen Urteils schöpfen sollten. Miehe. I R. Hennig, Das „Wiederholungsgefühl" als Quelle des Seelenwanderungs-Glaubens. S. 585. — Kleinere Mit- teilungen: Max Oettli, Hufeisendünen aus Schnee. (1 Abb.) S. 593. Rudolph Zaunick, Literaturhinweise zu Killermanns Aufsalz über „Die Entdeckung der Paradiesvögel". S. 594. Wilhelm Hoffer, Biologische Beobach- tungen am Blindmoll (Spa/ax huiigarii-iis Nhrg.). S. 595. Epstein, Brasilianische Säugetiere und Vögel im natur- historischen Museum zu Bern. S. 597. — Bücherbesprechungen: Fritz Nee ff, Gesetz und Geschichte. S. 598. L. Graetz, Das Licht und die Farben. S. 599. Otto Hauser, Der Mensch vor 100 c»o Jahren. S. 599. Alfred Hettner, Englands Weltherrschaft und ihre Krisis. S. 599. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. 6oo N'aturwissenschafiliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 42 &0 fet^r€rfol0 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge i6. Band; der ganzen Reihe 32. Band. Sonntag, den 28. Oktober 1917. Nummer 43. Goethes Farbenlehre und die Naturwissenschatt. [Nachdruck verboten E. Raehlmann Seit einem vollen Jahrhundert, man kann wohl sagen, seit ihrer Entstehung ist die Goethische Farbenlehre ein Streitobjekt der Naturwissenschaft gewesen. Der Streit ist zu verschiedenen Zeiten besonders lebhaft geworden, wenn die führenden Geister auf dem Gebiete der Physik, der Physio- logie und der Philosophie sich für oder gegen dieselbe aussprachen. Mitte des vorigenJahrhunderts war Arthur Schopenhauer, trotz einiger ab- weichender eigener Anschauungen, warm für die- selbe eingetreten. Gegen Ende des Jahrhunderts war sie von Helmholtz, du Bois-Reymond, von Bezold und anderen grundsätzlich abgelehnt, später aber durch die Arbeiten von StiUing, Kalischer, König, Magnus und anderen wieder rehabilitiert worden. Neuerdings ist sie wieder von Sommerfeld*) abgewiesen worden. Wenn Sommerfeld Goethes Physik ablehnt, so hat er vollkommen recht, aber damit auch Goethes Farbenlehre ab- lehnen, hieße das Kind mit dem Bade ausschütten. Denn Goethes Farbenlehre enthält, abgesehen von der unglücklichen Polemik mit Newton, die auf rein physikalischem Gebiete liegt, eine solche Fülle von Wahrheit über die Entstehung von Farbe und P'ärbung in der Natur, daß keine Farben- untersuchung, die über den Bereich des Experi- mentes in der Dunkelkammer hinausgeht und allgemein naturwissenschaftliche Farbenerschei- nungen erklären will, an ihr vorbeigehen kann. Wenn das trotzdem in vielen modernen Ab- handlungen geschieht, so darf nicht übersehen werden, daß sich diese Abhandlungen auf physio- logische und philosophische Vorarbeiten stützen, deren Grundlagen der Goethe'schen Farbenlehre entnommen sind. Das ist auch nicht unrichtig, so lange es sich um P^orscherarbeilen handelt, die für orientierte Fachkreise bestimmt sind. Sommer feld's Auf- fassung aber wendet sich an Laien, an die Ge- bildeten aller Berufe und Stände. Darum möge es gestattet sein, dem Sommerfeld' sehen Artikel eine aufklärende Ergänzung hinzuzufügen. A. Subjektive Naturfarben. Wenn man von Farben und Farbenlehre spricht, meint man nicht allein das Resultat der rein ») A. Sommerfeld, Prof. der theoretischen Physik an der Universität München, „Goethes Farbenlehre im Urteile der Zeit." Deutsche Revue (Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart) Juliheft 191 7. „Und so lasset auch die Farben mich nach meiner Art verkünden." (Nachträge zur Farbenlehre. Vorwort.) physikalischen Untersuchung über die optische Beschaffenheit des weißen und farbigen Lichtes, sondern auch die Ergebnisse der Beobachtung, wie weißes und farbiges Licht auf unser Auge wirkt, wenn es in der freien Natur unter den verschie- densten Bedingungen der Beleuchtung auf uns einwirkt. Je nachdem farblose und farbige (Reflex-) Lichter nebeneinander in verschiedenen Intensitäts- verhältnissen auf unser Auge einwirken, kommen Farben zustande, die durchaus nicht immer den physikalischen Gesetzen der Lichtmischung folgen ; sondern es entstehen in den farbigen Schatten und bei unzähligen anderen Beleuchtungsbedin- gungen zahllose und teilweise ganz neue Farben, die mit den rein physikalischen Gesetzen der Licht- bewegung nicht übereinstimmen und mit ihnen auch gar nichts zu tun haben. Solche Farben erscheinen uns namentlich in den farbigen Kontrasten. Mit dem Namen Kontrast bezeichnen wir be- kanntlich die Gesetzmäßigkeit, mit welcher sich mehrere P'arben, die man auf der F'läche des Gesichtsfeldes gleichzeitig übersehen kann, gegen- seitig beeinflussen. Die moderne physiologische Optik verdankt den wesentlichenTeil ihrer fundamentalenKenntnisse über die Kontrastfarben den Vorarbeiten Goethes. Diese Farben sind es im wesentlichen, die Goethe mit soviel Eifer gegen den schulmäßigen Standpunkt der damaligen Physik, welche diese Farben nicht kannte und auch nicht für möglich hielt, verteidigte. Daß Goethe dabei, weil er bei seinen Gegnern kein Verständnis fand, die funda- mentalen Grundgesetze des Lichtes und der Farben ablehnte und bekämpfte, war ein Irrtum, welcher in dem damaligen Standpunkte der Wissenschaft seine Erklärung findet. Vor hundert Jahren konnte, bei dem Stande der damaligen Kenntnisse, weder Goethe den Newton'schen Standpunkt, noch der Physiker den Standpunkt Goethes begreifen und würdigen. Daher der Streit Goethes mit der Physik seiner Zeit. Beide verfolgten eigene Pfade der Forschung, die für unsere heutige Wissenschaft fundamentale Grundlagen geworden sind. — Aber gegenseitig konnten sie sich damals nicht verstehen. Sie arbeiteten (um einen trivialen Ausdruck zu ge- brauchen), aneinander vorbei. Heute wissen wir, daß beide Lehren, die von Goethe und die von Newton zusammengehören und vereint uns den 602 Naturwissenschaftliche Woohenschrift. N. F. XVI. Nr. 43 Begriff von der Harmonie der Naturfarben ver- ständlich machen. Unsere jetzigen Kenntnisse auf diesem Gebiete sind begründet in der wissenschaftlichen Erfahrung der Jahrzehnte nach Goethe. Die Fortschritte eines ganzen Jahrhunderts haben dazu gehört, um das eigentliche Wesen und die Bedeutung der Goethe'schen F"arben zu erkennen und von der Newton'schen Farbe zu trennen. Niemand, der die Naturwissenschaft kennt, kann heutzutage an der Richtigkeit der Newton'schen Lehre zweifeln. Sie ist die Grundlage der größten Entdeckungen auf dem Gebiete des Mikroskops, der Spektralanalyse und der Astronomie geworden. Wie verhält sich also zu ihr die Goethe'sche Farbenlehre? Sie ist nichts weniger als der physiologische Schlußstein zu Newton's Farbe. Sie ist die subjektive physiologische Ergänzung zu jeder physikalischen Farbe, die in freier Natur auf das menschliche Auge einwirkt. Es ist etwas anderes, wie der äußere Reiz desLichtes und derFarben optisch beschaffen ist (Newton), und etwas anderes, wie das Auge auf diesen Reiz antwortet und wie es ihn verändert (Goethe). B. Eigen färbe und Lokal färbe. Wenn wir von der Farbe schlechthin sprechen, wie sie unser Auge an den Gegenständen, die uns in der freien Natur umgeben, wahrnimmt, so müssen wir dabei einen objektiven und einen subjektiven Anteil unterscheiden. Die objektive oder physikalische Farbe (die Farbe Newtons) ist diejenige, welche dem Gegen- stande infolge seiner materiellen physikalischen Beschaffenheit zukommt, wenn er von farblosem Lichte einheitlich beleuchtet wird. Diese objektive ,, Eigenfarbe" eines Körpers kann also nur festgestellt werden, wenn jede zweite Lichtquelle ausgeschlossen ist. Zuverlässige Fest- stellungen sind demnach nur im Dunkelzimmer möglich , wenn in dasselbe nur farbloses Licht (Sonnenlicht) eintritt. Sobald aber ein Gegenstand nicht allein vom Weißen (Sonnen-), sondern auch von sogenanntem diffusen, meist farbigen (Reflex-)Lichte der um- gebenden Gegenstände beleuchtet wird, kommen Mischungen von farbigen und farblosen Lichtern zustande, welche die I'^arbe der so beleuchteten Gegenstände gänzlich verändern können. Wir nennen diese neue Farbe, die der Gegenstand seiner farbigen Umgebung verdankt, die „Lokal- farbe" desselben. Diese Lokalfarbe hängt nicht allein von dem physikalischen Lichte ab, welches den Gegenstand erhellt, sondern auch von einer besonderen Tätig- keit des Auges, welche der objektiven Farbe eine subjektive hinzufügt. Sie ist es, mit welcher sich Goethe auf allen Wegen in freier Natur beschäftigte. Er nannte sie die physiologische Farbe. Sie hat er zum Ausgangspunkt und zum Leitmotiv seiner ganzen P'arbenlehre gemacht. Sie bildet den wesentlichen Inhalt derselben. Heute nennon wir einen Teil solcher, unter verschiedenen Bedingungen der Beleuchtung auf- tretender, von Goethe besonders studierter Farben Kontrastfarben und wissen, daß sie, wie Goethe immer betont hat, vom Auge hervorgebracht werden. C. Verbreitung von Goethe's F'arben in der Natur. Überall, wo farbige Lichter in der Natur mit gedämpften farblosen weißen Lichtern in Kon- kurrenz treten, entstehen völlig neue Farben, die unser Auge selbsttätig hervorbringt. Wird eine farblose Fläche gleichzeitig von zwei Lichtquellen, einer farbigen und einer farblosen weißen , in einem bestimmten Verhältnis der Helligkeit beleuchtet, so erscheint dort, wo die farbige Beleuchtung nicht hingelangt, oder wo Schatten des farbigen Lichtes vorhanden sind, die weiße Beleuchtung farbig und zwar komplementär zu ihr gefärbt. Wer kennt nicht die subjektiven Kontrastfarben auf Schneelandschaften bei der gelben Beleuchtung der tief stehenden Sonne am Abend? Dann ist namentlich bei bewölktem Himmel eine Doppel- beleuchtung gegeben, welche zu den schönsten subjektiven Kontrastfarben Anlaß bietet. Wir sehen dann die von der Sonne beleuchtete Fläche stark gelb. Die Schattenstellen aber in Furchen, Gruben, auf Sturzäckern, hinter Hügeln, wo die Sonnenstrahlen nicht hinlangen, erscheinen deutlich blau. Kurz vor oder bei Sonnenuntergang und dunsti- gem Horizont ist die Beleuchtung der Landschaft tötlich und dann sind die Schatten in derselben Landschaft grün. In beiden Fällen ist die Schneefläche doppelt beleuchtet, erstens direkt durch die untergehende Sonne und im ersten Falle gelb, im anderen rot, zweitens direkt durch den Reflex der Wolken, die farbloses, weißes Licht reflektieren und dieses der direkten (gefärbten !) Sonnenbeleuchtung zumischen. Wo aber die direkte Sonnenbeleuchtung nicht hingelangen kann, d. h., dort, wo die erwähnten Unebenheiten des Bodens das Sonnenlicht abhalten, da werden diese Schattenstellen nur allein von weißem Reflexlicht der Wolken erhellt und dieses weiße Reflexlicht erscheint unserem Auge blau (bzw. bei rötlicher Abendbeleuchtung grün). Ebenso bekannt, aber in ihrem Ursprung viel- leicht noch weniger beachtet, sind die Kontrast- farben, die wir in Gebüschen und im Walde auf- treten sehen, wenn das durch Zweige und Blätter der Bäume auftretende Sonnenlicht mit dem grünen Reflexlicht der Vegetation eine Doppelbeleuchtung liefert, bei der in den Schattenstellen die schönsten subjektiven Farben, meist in rötlichen und violetten Tönen zur Wirkung gelangen. Man kann sich leicht davon überzeugen, daß N. F. XVI. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 603 an den Stellen, wo diese roten und violetten Farben erscheinen, in Wirklichkeit gar kein farbiges Licht vorhanden ist. Wir brauchen nur durch eine enge Röhre, etwa durch einen zusammengerollten Papier- bogen zu schauen, sie erscheinen dann, wenn die Farben der Umgebung ausgeschaltet werden, ein- fach grau. Unter ähnlichen Bedingungen der Beleuchtung entstehen die prachtvollen F"arben der Gebirgsseen, die von felsigen Gebirgen (die stark reflektieren) eingeschlossen sind, sowie die Farben der Gletscher- landschaftcn bei tiefstehender Sonne und die Farben der Meereswogen. (Goethe, zur Farbenl. didakt. Teil Kap. 57). Es entstehen in all diesen Fällen jene Ab- schwächungen der farblosen (weißen) Tagesbeleuch- tung, welche im Kontrast mit dem Reflexlicht der Umgebung die Kontrastfarben hervorrufen. Es könnten noch zahlreiche, jedermann be- kannte, farbige Erscheinungen in der Natur ange- führt werden, welche den Charakter der subjektiven physiologischen Farben tragen. Doch die ange- führten Beispiele mögen genügen. Es lag mir daran, darzulegen, wie verbreitet sie in der Natur sind. Wir müssen dabei die unbestreitbare Tat- sache festhalten, daß bei all diesen Erscheinungen weißes Licht farbig gesehen wird. Es handelt sich dabei nicht um Zufälligkeiten oder um gelegentliche Ausnahmen der I'^ärbung, sondern um Naturerscheinungen, welche eine wesentliche, unter Umständen die wesentlichste Ursache der P'arben sind, die überhaupt in der Landschaft auf- treten. Bei bestimmten Beleuchtungsverhältnissen (bedingt durch Sonnenstand, Wolkenbildung und Reflexion) ist die ganze Natur von ihnen angefüllt. Es muß ausdrücklich hervorgehoben werden, daß diese Farben, solange die Beleuchtungsver- hältnisse dauern, von objektiven Farben nicht zu unterscheiden sind. Die rein physikalischen Gesetze Newtons haben für sie keine Gültigkeit. Es sind alles Goethe'sche Farben. — Sie sind subjektiv, aber sie sind für den Naturforscher wesentlich und gehören darum als wesentlicher Bestandteil einer jeden Naturfarbe in die Farbenlehre, wenn sie auch mit der Physik nur indirekt zu tun haben. Zum Zustandekommen dieser Kon- trastfarben gehört also eine Doppel- beleuchtung, eine farbige und eine weiße, welche in einem bestimmtenVer- hältnis ihrer Stärke zusammen wirken. Man kann durch eine Menge von Experimenten diese Herkunft der Goethe'schen subjektiven Farben erläutern und ihre Abhängigkeit von der definierten Doppelbeleuchtung klar beweisen. (Wer sich dafür interessiert, vergleiche die Abhandlung des Ver- fassers „Goethe's Farbenlehre" im 3. Bde. des Jahr- buches der Goethe Gesellschaft 1916). Ein sehr belehrendes Experiment läßt sich in- deß ohne jede Vorbereitung ausführen, wenn eine Leineneinbanddecke von Engelkorns allgem. Roman- bibliothek (Stuttgart) zur Hand ist. Diese Einband- decke besteht aus feuerroter Leinwand, die mit rein schwarzer Schrift und einem ebenfalls schwarzen Rankenornament bedruckt ist. Die schwarzen Ornamente und die Schrift- zeichen stehen also tief schwarz auf rotem Grunde, sie reflektieren kein Licht, darum erscheinen sie schwarz; aber ihre Oberfläche ist glatt und daher zur Spiegelung geeignet. Hält man die Einbanddecke schief gegen das Licht, so daß die Oberfläche spiegelt, so wird durch den Reflex der ganzen Fläche (dem Rot des Grundes und dem Schwarz der Ornamente) weißes Licht hinzugefügt. Die rote Fläche der Einbanddecke reflektiert außer dem Licht ihrer Eigenfarbe rot jetzt auch noch von der spiegelnden Oberfläche reflektiertes weißes Licht, welches die Eigenfarbe ins Gelbrole steigert. — Aber auch die glänzende Obenfläche der Ornamente spiegeln dieses weiße Licht und dieses wird nun in dem gelbroten Felde als tief grün empfunden. Man kann die subjektive grüne Farbe der Ornamente selbstverständlich auch her- vorrufen, wenn man bei jeder beliebigen Lage und Stellung der Einbanddecke mit einem Spiegel diffuses Licht so auf die Decke wirft, daß das gespiegelte Licht in unser beobachtendes Auge fällt. Dieses Grün ist subjektiv, vom Auge hervor- gebracht. Es ist die Farbe Goethe's. Das weiße, von der glatten Oberfläche der Ornamente ge- spiegelte Licht wird grün, also farbig gesehen, was. mit der New ton' sehen Lehre nicht vereinbar ist Das Experiment beruht auf einem technischen Zufall in der Wahl der Materialien. Es ist aber darum nicht minder beweiskräftig. Goethe, der solche Farben überall in der Natur beobach- tete, F"arben, von denen die Physiker seiner Zeit nichts wissen wollten, glaubte damit einen un- widerleglichen Beweis für die Unrichtigkeit der Newton 'sehen Lehre gefunden zu haben. Das war vor hundert Jahren auch ein berech- tigter Standpunkt. Gegenwärtig aber kann man die daraus abgeleiteten Argumente nicht mehr gegen Newton's Lehre ins F"eld führen. Aber die Tatsache selbst, daß weißes Licht unter bestimmten Beleuchtungsverhähnissen farbig gesehen wird, ist unstreitig auch von großer Wichtigkeit für die Physik. Das physikalische Weiß ist zusammengesetzt, es enthält alle farbigen Lichtstrahlen. Das sub- jektive Weiß, das Weiß unserer Empfindung ist aber, wie Goethe immer behauptet hat, eine einheitliche, unteilbare, also nicht zusammengesetzte Empfindung.') — Aber trotzdem wird es, wie oben gezeigt wurde, in der Natur vielfach farbig empfunden. Goethe hat die dadurch entstehenden Farben überall beobachtet. Sie haben ihn überall gefesselt! Jede Stelle im Freien, im Weimarer Park, wie im Garten, wo er sie beobachtete, zog ihn an! Selbst ') Zu diesem Schluß kommt auch O. Wiener: Vortrag gehalten auf der Naturforscherversammlung zu Cöln a. Rhein 6o4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 43 im Waftenlärm der Campagne in Frankreich ') konnte ihn ein Wassertümpel mit seinen Farben vollständig vom Kriegsgetümmel abziehen. Solche Farbenstudien nach Goethes Vorbild sind auch im gegenwärtigen Kriege vielfach im Schützen- graben in Ost und West von Physikern und Phy- siologen mit viel Erfolg angestellt worden. Davon legen mehrere an mich gelangte Zuschriften ein erfreuliches Zeugnis ab. Die Farbe geht in der Natur weiter, als die theoretische Physik sie begrenzt. Die letztere lehrt auf Grund vollkommen exakter Versuche in (fbereinstimmung mit mathe- matischen Berechnungen, daß einer Licht- bewegung von bestimmter Wellenlänge eine bestimmte Farbe entspreche. Diese an sich vollkommen richtige Lehre, die im Dunkelzimmer gewonnen war, wurde unmittel- bar auf jedes F"arkensehen in der Natur über- tragen. Es wurde angenommen, daß der Lehrsatz auch umgekehrt Geltung habe, d. h. daß über- all da, wo eine bestimmte Farbe auf- trete, dazu auch das Licht bestimmter Wellenlängen gehöre. Das ist ein Irrtum, der noch gegenwärtig (auch bei Vertretern der Physik!) vorhanden ist, der aber vor hundert Jahren allgemein war. Goethe hat diesen Irrtum seinerzeit erkannt und diese Erkenntnis wurde die Ursache der be- klagenswerten Polemik gegen die Physiker, die Nachfolger Newton's. Diese hielten Goethe's Farben für Phantasmen, für krankhafte Erschei- nungen, für „optische Täuschungen" usw. — Auf Naturbeobachtungen ließen sie sich nicht ein. Und Goethe, der seinerzeit die mathematische Beweis- führung seiner Gegner nicht verstand, wollte von dem „Gespenst in der Dunkelkammer" nichts D. Ihre Stellung zur Physik. Die Ursache der ganzen Polemik war also im Grunde genommen ein Mißverständnis auf beiden Seiten. Auf der einen (Goethe's) Seite, die Erkennt- nis des gesetzmäßigen Ursprunges einer großen IVIenge von Naturfarben, die den physikalischen Gesetzen über Lichtbewegung nicht unterworfen waren, die aber von Goethe mit Hart- näckigkeit der Physik zugeordnet wur- den, und auf der anderen Seite die rein physi- kalische Definition von Lichtqualitäten, welche für alle Farben ohne Ausnahme, also auch für alle Naturfarben, gültig sein sollte. Gegenwärtig wissen wir, daß diese physikali- schen Definitionen für Naturfarben nur bedingte Gültigkeit haben Sie sind demnach auch nicht das einzig Bestimmende für Farbenstudien und Farbenlehre, sondern es kommt noch ein zweites, unter Umständen noch mehr Bestimmendes hinzu, d. h. die subjektive physiologische Re- ') Vergl.: Aufzeichnnng vom 30. .Angust. aktion auf jeden physikalischen Farben- reiz, d. h. die Farbe Goethe's. Im Grunde genommen läßt sich die reine phy- sikalische Optik gar nicht auf Naturfarben an- wenden, auch nicht unbedingt auf Pigmente 1 Ebenso wenig aber läßt sich die Goethe- sche physiologische Farbe auf die reine physika- lische Optik übertragen. Goethes Farbendefinition gehört also nicht in die Physik, sondern in die Naturwissenschaft und zwar in die der Farbenlehre schlechthin. Das Mißverständnis, welches ich in Vorstehen- dem, angeregt durch den erwähnten Aufsatz von Sommerfeld, welcher in dieser Frage auf rein physikalischem Boden steht, zu erklären versuchte, ist ein Jahrhundert alt. Es ist die Hauptursache gewesen, daß Goethe's Lehre in naturwissenschaftlichen Kreisen zuerst ganz abgelehnt und auch später nicht so aner- kannt wurde, als sie verdient. Goethe selbst hat aber dieses Mißverständnis bereits geahnt. Es ist ebenso interessant als für unsere Frage wichtig, was er im Rückblick auf sein Lebenswerk in den „Nachträgen zur Farben- lehre" 1820 im Kapitel 16 mit der Überschrift „Wohl zu erwägen" ahnungsvoll darüber schreibt. Goethe kommt dort zu der Überzeugung, daß der Widerwille gegen seine P'arbenlehre daher komme, daß er seine ersten kleinen Hefte „Beiträge zur Optik" genannt habe, und daß die Sache ein ganz anderes Ansehen gewonnen hätte, wenn er „Bei- träge zur Farbenlehre" angekündigt und in die allgemeine Naturwissenschaft gespielt hätte. Die Goethe'sche physiologische Farbe wird auch gegenwärtig noch vielfach unterschätzt. Selbst in Arbeiten namhafter Physiker begegnet man noch der Auffassung, als ob es sich nur um innere Farben des Auges, um sogenannte Phosphene, wie sie auch bei Druck, Stoß usw. auf das Auge bemerkt werden, oder um die Wirkung von Nach- bildern handle. Selbst die Kontrastfarben werden noch für Zufälligkeiten gehalten. Demgegenüber kann nicht genug betont werden, daß die Goethe'schen Farben überall in der Natur vorhanden sind und alle Farbeneindrücke, die wir überhaupt im Freien haben können, mehr oder weniger stark beeinflussen. Das Wichtigste dabei ist aber, daß P^arben entstehen, die physikalisch nicht erklärbar sind, indem, wie mehrfach erwähnt, weißes Licht farbig gesehen wird. Die Bedingungen der Beleuchtung, unter welchen das geschieht, sind aber physikalisch genau zu bestimmen. Es kann das Verhält- nis der Doppelbeleuchtung, d. h. der Anteil des farbigen und des weißen Lichtes, welcher zumAuftreten dersub- jektiven Farben die Veranlassung bietet, genau gemessen werden. Insofern ist die P^klärung dieser subjektiven Farben auch Auf- gabe der Physik. Man hat die Goethe'sche Farbenlehre vielfach N. F. XVI. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 605 als Phänomenologie aufgefaßt, nach Goethes Be- zeichnung einzelner Erscheinungen, der Urphäno- mene und nach dem Vorbilde Mach's, aber man darf darunter nicht, wie es leider meistens ge- schieht, Zufälligkeiten und Ausnahmen in der Naturfärbung verstehen wollen, sondern man muß dabei festhalten, daß es sich um gesetzmäßig auftretende Farben handelt, welche unter bestimmten physikalischen Be- dingungen regelmäßig entstehen und von objektiven Farben gar nicht zu unterscheiden sind. Also nicht die Polemik mit Newton und die mißverständliche Auffassung von dessen Physik der objektiven PVbe bildet den eigentlichen Inhalt von Goethes Farbenlehre, sondern die sub- jektive Farbe ist es, welche die ganze Farbenlehre trägt. „Sie ist des Pudels Kern." Diese F"arbe ist von enormer Wichtigkeit für unser Farbensehen überhaupt, da das Auge ihr in der Natur überall und immer begegnet. Sie ist auch die Ursache des farbigen Kontrastes und durch ihn der Regulator aller farbigen Gegensätze, die sich dem Auge im Gesichtsfelde gleichzeitig darbieten. Wir schließen mit der Behauptung, daß Goethe's P^arbenlehre, befreit von den physikalischen Irr- tümern, für die Beurteilung der Natur- und Pig- mentfarben, für Gewerbe, für Kunst und Industrie ungleich viel wichtiger ist, als die Lehre der reinen physikalischen Optik und jedermann, der in der Natur den Spuren Goethe's nachgeht, wird uns beipflichten. Einzelberichte. Vererbungslehre. Die Erblichkeit im Mannes- stamme. V. Haecker') untersucht die inter- essante Frage, ob das besonders enge Verhältnis zwischen Vater und Sohn, namentlich dem erst- geborenen (im Gegensatz zu dem Verhältnis Vater- Tochter), wie es sich in der Namensübertragung, der Primogeniturordnung und anderen patriarcha- lischen und vaterrechtlichen Einrichtungen aus- drückt, naturwissenschaftlich zu rechtfertigen ist. Die P>age hat insofern ein erhöhtes Interesse, als in diesem Kriege viele Familien den Veriust von Söhnen, ja von sämtlichen Söhnen zu beklagen haben und nicht wenige im Mannesstamme vor dem Eriöschen stehen oder bereits erloschen sind. Die Grundlage muß die moderne Vererbungslehre geben, deren Anwendungsfähigkeit auf den Menschen der Verf. zunächst einer kurzen vorläufigen Erörte- rung unterzieht. Die prinzipielle Gültigkeit der Mendel' sehen Regel ist unbestreitbar, wenn auch besonders schwierige Umstände es bewirken, daß die Erhebungen beim Menschen nicht so eindeutig und klar sind, wie bei vielen anderen einfacheren tierischen oder gar pflanzlichen Vererbungsver- suchen. Bei dem komplexverursachten Charakter der meisten menschlichen Merkmale, treten allerlei Unregelmäßigkeiten im Vererbungsveriauf auf, die sich entweder nur durch Zusatzhypothesen in das Mendel' sehe Schema einfügen lassen, oder aber durch eine vom Verf seinerzeit vorgeschlagene Modifikation der Mendel' sehen Regel, der soge- nannten „entwicklungsgeschichtlichen Vererbungs- regel" erklärt werden müssen. Da bei dieser Sachlage immerhin eine gewisse Unsicherheit be- steht, schlägt der Verf einen anderen vorläufigen Weg ein, um den Einfluß einer etwa vorhandenen Präponderanz des männlichen Keimgutes bei der sexuellen Verkoppelung der Anlagen festzustellen. ') Die Erblichkeit im Manncsstamm und der vaterrecht- liche Familienbegriff. Jena 1917. G. Fischer. I M. In bezug auf Einzelheiten sei ausdrücklich auf den inhaltsreichen und fesselnden Aufsatz aufmerksam gemacht. Er sucht in den Generationen einzelner Familien den Einfluß der Frauen auf die Umwandlung der geistigen und körperiichen Eigenschaften der männ- lichen Nachkommen zu ermitteln. Dazu eignen sich Fürstenfamilien wegen ihrer langen, durch mancherlei Dokumente, namentlich Bildnisse wohl belegten Tradition besonders gut, noch besser, wenn auch einen weniger langen Zeitraum um- fassend, würde sich aber auch eine möglichst ein- gehende, wissenschaftlich genaue Untersuchung bürgerlicher F"amilien eignen, besonders von Ärzten und Naturforschern, die die unerlässige Kritik und geschulte Beobachtungsgabe mitbringen. In fürstlichen Familien gibt es nun in der Tat zahlreiche deutliche Hinweise darauf, daß auch die Frauen einen starken, den P'amilientypus verändernden und zeitweilig bestimmenden Ein- fluß ausüben. Die hier wiedergegebenen, dem Buche Haecker's entnommenen Bilder der Sophie von Brandenburg, der Gemahhn Christians I. von Dänemark, und ihres Sohnes Christians IL, lassen z. B. eine ganz ausgeprägte Ähnlichkeit er- kennen. Dadurch ändert sich, wie man oft sehr gut verfolgen kann, der F'amilientypus periodisch, undzwaretwaalle 2-4 Generationen. Eine Ausnahme scheint nur z. B. die Familie Habsburg zu machen, deren starke Unterlippe verbunden mit starker Entwicklung des Kinns sich durch 5 Jahrhunderte verfolgen läßt. Wie geht das zu ' Die Erklärung liegt darin, daß gerade in dieser Familie Verbin- gungen mit verwandten oder seit längerer oder kürzerer Zeit verschwägerten Familien besonders häufig waren, so daß die Frauen immer wieder die nämlichen Anlagen in den Mannesstamm einführten. In ähnlicher Weise soll sich auch in der Familie der Weifen, in der ebenfalls Verwandtenehen häufig waren, die militärische Begabung traditionell er- halten haben. Friedrich der Große soll sogar sein Feldherrngenie seiner Mutter, Sophie Dorothee von Hannover, verdanken. Die Schopenhauer- sche Ansicht, daß der Intellekt von der Mutter, Wille und Charakter dagegen vom Vater über- 6o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 43 liefert werden, wird durch Tatsachen nicht gestützt. Oft genug ist das Gegenteil der Fall, wie z. B. bei der Vererbung des mathematischen Genies, das besonders häufig vom Vater auf den Sohn übergeht. Weshalb die Übertragung auf die Tochter selten ist, liegt daran, daß die mathematische Be- gabung nach der Art männlicher sekundärer Geschlechtscharaktere nur im männlichenGeschlecht entfaltet wird, im weiblichen dagegen latent bleibt. Die auffällige Weiterführung der musikalischen Begabung in manchen Familien und zwar in direkter männlicher Linie kann auf zunftmäßiger Inzucht, Gattenwahl auf Grund gemeinsamer musikalischer Neigungen, bei der h^amilie Bach vielleicht noch dazu auf der weiten Verbreitung der musikalischen Begabung im sächsischthürin- gischen Volksstamm beruhen, die bei schon vor- tische Abschwächung vielleicht auch mit der Zeit zu einer Reduktion und einem schließlichen Schwund der Anlage selber führen könne. Als allgemeines Ergebnis läßt sich feststellen, daß kein Merkmal im direkten Mannesstamme mit größerer Sicherheit und Zähigkeit fortschreitet als in irgendeiner anderen Linie eines menschlichen Stammbaums. Selbst ausgeprägt männliche Eigen- schaften werden ebenso gut in weiblichen Zweig- linien wie im direkten Mannesstamm fortgeerbt. Daraus folgt, daß der bei uns auf Grund des Vater- rechts übliche Famiiienbegriff, nach welchem nur die den Namen des Vaters fülirenden Personen zur Familie im eigentlichen Smne gerechnet werden, biologisch nicht zu rechtfertigen ist. Wenn also jemand heule Müller heißt wie seine männlichen Vorfahren väterlicherseits, so ist das eine reine II. von Dänemark. handener starker Tradition natürlich leicht zur beruflichen Betätigung führt. Daß auch patholo- gische Anlagen, wie geistige Störungen ebensogut vom Vater weitergegeben wie von der Mutter in die Familie neu hineingetragen werden können, ist vielfältig belegt. Eine scheinbare Ausnahme von dem Satze von der gleichen Vererbungskraft des väterlichen und des mütterlichen Keimplasmas machen die Bluterkrankheit und die Rot-Grün- Farbenblindheit, die im ganzen an das männliche Geschlecht gebunden sind. Die Anlagen zu diesen pathologischen Abweichungen können aber sowohl von der Mutter wie von dem Vater Übermacht werden, ihre Entfaltung zu dem sichtbaren Merk- mal ist aber wieder geschlechtsbegrenzt, indem sie nur im männlichen Körper erfolgt. Auch sei noch einmal an den Prognatismus inferior der Habs- burger erinnert, der ebenfalls in reiner Ausprägung vorwiegend nur den männlichen Gliedern zukommt, bei den Frauen dagegen gemildert ist. Verf. legt die Möglichkeit nahe, daß diese individuelle soma- juristische Konvention, naturwissenschaftlich ist er mit dem Namen Müller nicht enger verknüpft als mit irgendeinem der von seinem weiblichen Vor- fahren getragenen. Aus der gleichen Vererbungs- potenz beider Geschlechter folgt aber nicht die völlige Gleichwertigkeit der Geschlechter selber, wie vielleicht P'rauenrechtlerinnen geneigt wären anzunehmen. Zwischen Anlage und ihrem Sicht- barwerden im dazugehörigen Merkmal besteht ein Unterschied, es gibt zweifellos manche Anlagen, die nur im männlichen Substrat zur vollen Ent- faltung kommen. Stirbt also in einer Familie der letzte Träger des Namens, so stirbt genealogisch zwar die P'amilie im Mannesstamme aus, biologisch aber nicht, falls Töchter vorhanden sind, die gleich erbkräftig wie die Söhne ihre vom letzten Träger des Namens überkommenen Anlagen an etwa vor- handene Enkel und Enkelinnen weitergeben. Die Vorstellung von der gleichen Vererbungskraft beider Geschlechter, wie sie sich aus allen unseren N. F. XVI. Nr. 4: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 607 modernen Vorstellungen und Tatsachen über Ver- erbung als sehr wahrscheinlich, ja fast als selbst- verständlich ergibt, ist von dem übermächtigen Vaterrecht im mstinktiven Bewußtsein nie völlig unterdrückt worden. So gab es schon im alten Indien die Bestimmung, daß die Tochter die Familie ihres Vaters dann fortsetzen soll, wenn keine Söhne vorhanden sind, und um ein anderes Beispiel zu nennen, wurde bekanntlich durch die ]:>ragmatische Sanktion Karls VI. von 1724 fest- gelegt, daß die Erbfolge bei dem Mangel männ- licher Erben auf die weiblichen übergehen sollte. .So kam Maria Theresia auf den Thron. Der Verf schließt mit folgenden zeitgemäßen Worten in Hinblick auf die Verluste, die manche F"amilie mit alten Traditionen in diesem Kriege erlitten hat: „Ein kleiner Trost, aber doch immerhin ein Trost und ein Halt mag es manchen sein, daß die körperlichen und geistigen Tugenden, auf welche die Familie stolz ist und durch welche ihre Glieder nach innen und außen verbunden erscheinen, nicht jäh aufhören, sondern auch in den Kindern der Töchter weiterleben und nach uralten, schon von den Weisen des altes Testaments geahnten Regeln fortwirken können, bis ins dritte und vierte Glied." Miehe. Geologie. Die Goldlagerstätten Arabiens. Arabien gehört noch zu den unbekannten Ge- bieten der Erde, trotzdem es an einer Haupt- handelsstraße der Welt liegt. Große Flächen Arabiens sind Wüste, die schwer zu durchqueren ist und in denen der Reisende den Überfällen kriegerischer Beduinen nur durch Aufwand hoher Lösegelder entgehen kann. Vielleicht bringt der Krieg auch hier einen Umschwung, denn er hat bewiesen, daß wir im Automobil und dem Flug- zeug Verkehrsmittel besitzen, die auch in der Wüste selbst da zu gebrauchen sind, wo die seit altersher das einzige Verkehrsmittel darstellenden Kameelkarawane versagt. Arabien gilt zwar heute als ein armes Land, was die Mineralproduktion anbelangt; aber das ist nicht immer so gewesen. Wir besitzen aus alten Schriften Nachrichten über einen lebhaften Bergbau und namentlich die Gewinnung des Goldes wird häufig erwähnt; bei neuen F"or- schungsreisen wird man sich gewiß auch mit der Untersuchung von Erzlagerstätten und besonders den Goldvorkommen, die in einem kulturlosen Land am ehesten auszubeuten sind, beschäftigen. Die Golddistrikte, von denen wir sichere Kunde besitzen, finden sich nach Moritz^) nur im westlichen Teil des Landes, in dem großen Randgebirge, das die Scheidewand zwischen der schmalen Küstenebene und dem innerarabischen Tafelland bildet. Geologisch besteht dieses aus Granit, das von Porphyrstöcken durchbrochen und von Sandstein und ganz jungen Lavamassen, die ') Der Bergbau Arabien s. 36—39. Orient, Heft in ihrer großen Ausdehnung eine Eigentümlichkeit Arabiens bilden, bedeckt wird. In der Mitte des Landes scheint sich der Granit weiter nach Osten zu erstrecken und teilweise auch den Boden des Hochlandes zu bilden. Ihr südliches Ende erreicht die Graniiformation im Norden von Jemen, etwa bei 15" n. Br. Der Südwesten Arabiens gehört anderen Bildungen an. Die Landschaften, in denen in dem genannten Gebiet über Goldvorkommen berichtet wird, sind im Nordwesten das alte Land Midian, daran an- schließend nach Süden der Hedschas, östlich hier- von das Land Nedjd, weiter südöstlich der Jemen und schließlich im Süden das Land Asir. Die Lagerstätten des alten Landes Midian bringt man mit den Nachrichten der Bibel in Zusammenhang und glaubt, daß sich die Stelle des Buches Hiob (Kap. 28, i — 11) auf sie be- ziehen könnte; vielleicht ließen sich die Verse 5 und 1 1 als erste Kunde eines Seifenbergbaues deuten „Man findet Saphir an etlichen Orten und Erdenklöße, da Gold ist" und „Man wehret dem Strom und bringet , das verborgen darin ist, an das Licht". Das eigentliche Goldland der Phö- nizier und Hebräer soll allerdings nicht Midian, sondern das Land Asir gewesen sein ; hierhin ver- legt Moritz das im Buch der Könige genannte Ophir, während andere F"orscher wie Dr. Peters es in Portugiesisch-Samesia und dem Matabeleland gesucht haben, wo die Ruinenstadt Simbabewe dem einstigen Bergbau ihre Entstehung verdanken soll. Hier im Süden findet sich auch nach ara- bischen Quellen die reichste Goldlagcrstätte, wo es nach den Worten des Propheten Gold regnete; sie hieß „madin Suad" (madin bedeutet „Berg- werk" wie Almaden an die arabische Herrschaft in Spanien erinnert) und lag am Ostabhange des Randgebirges, 180 km nördlich von Nedjran im oberen Akik. In neuerer Zeit ist nur das Land Midian ein einziges Mal auf Erzlagerstätten untersucht wor- den ; es geschah auf Veratilassung des stets geld- bedürftigen Khedive von Ägypten in den Jahren 1877/78. Man fand Reste alten Bergbaues und auch Halden aus Quarz, der sich als goldhaltig erwies, ein Zeichen, daß in früherer Zeit nicht nur eine Gewinnung des Goldes aus Seifen, son- dern auch auf primärer Lagerstätte stattgefunden hat. Von weiteren Erfolgen der Expedition, die die Untersuchungen ausführte, hat man nichts gehört. Nach allen arabischen Quellen muß man an- nehmen, daß der Bergbau nirgends von langer Dauer gewesen und bereits im frühen Mittelalter erloschen ist. Moritz sucht die Gründe hierfür in Verschiebungen der Bevölkerung, die mit der Ausbreitung der Türkenherrschaft in Kleinasien zusammenhängen sollen, wohin die bergmännische Bevölkerung Arabiens den Fahnen des Propheten gefolgt sei. Es gibt aber noch andere Umstände, die für das Erliegen des Goldbergbaus herangezogen wer- 6o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 43 den können und die nicht von außen herange- kommen, sondern in der Natur der arabischen Goldlagerstätten selbst gelegen haben mögen. Wir finden nämlich nicht nur hier, sondern in der ganzen Weh, daß dem alten Goldbergbau meistens nur ein kurzes, wenn auch glanzvolles Dasein beschieden gewesen ist, während der Berg- bau auf andere Metalle oft von vorgeschichtlicher Zeit an bis heutigen Tages sich eines ununter- brochenen Betriebes auf der gleichen Lagerstätte erfreut. Beim Seifenbergbau ist dies ja leicht er- klärlich, denn Goldseifen gehen nicht in die Tiefe, sotidern haben nur eine beschränkte Ausdehnung in horizontaler Erstreckung. Aber auch dort, wo der Bergbau auf Gängen umging, die in große Tiefe niedersetzen, finden wir nach kurzer Blüte- zeit meistens einen schnellen Verfall. Die neue Lagerstättenforschung hat hierfür eine ausreichende Erklärung erbracht. Durch vergleichende Unter- suchungen an einer großen Zahl von Lagerstätten, die in neuerer Zeit betrieben wurden und daher der Forschung zugänglich waren, hat sich gezeigt, daß das Gold auf seinen primären Lagerstätten weder gleichmäßig noch willkürlich verteilt ist. sondern daß es hierin einem ganz bestimmten Gesetz folgt. Am Ausgehenden der Lagerstätte wird der Edelmetallgehalt ausgelaugt, sinkt nieder bis zum Grundwasserspiegel, wo die reichen Lö- sungen auf unzersetzte Erze stoßen, die aus ihnen den Goldgehalt wieder ausfällen. Hier reichert sich daher der Goldgehalt an; es entsteht eine „Zementationszone", deren Goldgehalt um vieles reicher ist, wie der übrige Teil der Lagerstätte und auf diese allein war der alte Bergbau ge- richtet, während der GoldgehaU der unzersetzten Erze in früher Zeit nur selten lohnend gewesen sein mag und es in vielen Fällen selbst bei den heutigen Mitteln der Technik noch nicht ist. Übergroße Hofi^nungen darf man daher auf die Wiederaufnahme eines alten Goldbergbaues wie den Arabiens nicht setzen , solange nicht gründ- liche Untersuchungen über das Verhalten der Lagerstätten unter der wahrscheinlich in früherer Zeit allein abgebauten Zementationszone vorliegen, so fabelhaft auch die Schätze gewesen sein mögen, von denen arabische Schriftsteller erzählen. (G.C) Zöller. Anregungen und Antworten. Herrn Dr. Luger. Das beste Mittel zur Bekämpfung des Hausschwammes ist, dem wachsenden Pilze die Wasserzufuhr abzuschneiden. Unter dem Namen ,, Hausschwamm*' werden eine ganze Reihe holzzerstörender Pilze zusammengefaßt; Merulius lacrymans, der echte Hausschwamm, Cnniophora cerebella, der Kellerschwamm, Polyporus vaporarius, der Poren- hausschwamm, Lenzites Blälterschwammfäule und andere (sel- tener vorkommende) mehr. Diese Pilze sind in bezug auf ihren Wasserbedarf und ihre Lebenszähigkeit verschieden zu bemessen. Während Coniophora c. die Wasserentziehung nur kurze Zeit aushallen kann, vermag Merulius 1. längere Zeit sich in lufttrockeem Holze lebend zu erhalten. Die Pilze der Lenzites- gruppe sind sogar imstande, eine jahrelang anhaltende Aus- trocbnung auszuhalten, um wieder ihr Wachstum von neuem fortzusetzen, wenn ihnen wieder Feuchtigkeit geboten wird. Eine große Anzahl Mittel sind empfohlen worden, um die Pilze selbst abzutöten und zur Vorbeugung und zur Verhütung von Pilzverfall zu dienen. Es findet sich in: Metz, Der Hausschwamm, Dresden 1908. Verlag: R. Linke. S. 238 ff. eine Zusammenstellung dieser Substanzen mit Angabe ihrer Wirkungsweise. In Heft 4 der „Hausschwammforschungen", im amtlichen Auftrage herausgegeben von Prof. Dr. A. Möller, Jena 191 1. Verlag: G. Fischer, sind die bisher bekannten Mittel zur Ver- hütung von Pilzschäden an Bauhölzern in ausführlicher Be- sprechung behandelt. In Heft 7 ebenda werden als Schutzanstriche empfohlen: Lösungen von Dinitrophenol-natrium und -kalium, sowie von Dinitrokresol-natrium und -kalium. Dort, wo ihre Färbung und Giftigkeit diese Substanzen ausschließt, ist eine 5 — 100/0 Lösung von Kieselfluormagnesium zu verwenden. Duysen. Eine Beobachtung über Variieren der Tonhö ulatus dürfte vielleicht einiges Interesse biegte bei Culex Es zeigte sich, das Tiere, deren Hinterleib durch bedeutende Eiermengen aufgetrieben war, einen tieferen Ton von sich geben , als solche mit nicht gefülltem Uterus. In gleicher Weise den Ton erniedrigend wirkte das Vollsaugen mit Blut, beide Ur- sachen aber selbständig nebeneinander, wie sich leicht an aus- gehungerten Exemplaren feststellen ließ. Diese Erscheinung würde die Respirationstheorie Landois's entschieden bekräftigen, denn ein abnormal gestalteter Hinterleib vermag doch nur dann eine Änderung der Tonhöhe hervorzurufen, wenn der Ton- erreger mit ihm in direktem Zusammenhang steht. Aus dem trägeren Flug der dickleibigen Exemplare auf geringere An- zahl von Flügelschwingen zu schließen und daraus den tieferen Ton zu erklären, scheint mir verfehlt, da doch die größere Körpermasse mindestens der gleichen Arbeit zur Fortbewegung bedarf wie vordem; auch daß sie freiwillig langsamer fliegen sollten, läßt sich als unbegründet nicht annehmen. Ferner kann die Ansicht, der Körper wirke nur als Resonanzboden unmöglich das Richtige treften, da ein Resonanzboden niemals die Tonhöhe des Schallerregers zu beeinflussen vermag. Fetscher, stud. med., Lt d. R. Notiz. In dem Artikel „Kristallstruktur und Röntgenstrahlen" von Dr. K. Schutt (Naturw. Wochenschr. 1917 Nr. 38) sind die Abbildungen 5 — 13 zwei Aufsätzen von Herrn Geheimrat Rinne entnommen, die in der Zeitschrift ,,Die Naturwissen- schaften" (Verlag J. Springer Berlin) Bd. IV (1916) S. 211 u. 233 und Bd. V (X917) S. 49 veröffentlicht sind. Leider ist durch ein Versehen ein Hinweis auf den ersten der angeführten Artikel unterblieben. K. Seh. Inhalt: E. Raehlma Erblichkeit im Ma Antworten ; Mitie — Notiz. S. 608. Goethes Farbenlehre und die Naturwissenschaft. S. 601. — Einzelberichte: V. Haccker, Die itamme. (2 Abb) S. 605. Moritz, Die Goldlagerstätten Arabiens. S. 607. — Anregungen und Bekämpfung des Hausschwammes. S. 608. Variieren der Tonhöhe bei Culex annulatus. S. 60S. Manuskript! und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraöe 42, Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. d.r''ganze'L°'Reiht f^^^sLä. \ SoHiitag, den 4. November 1917. j Nummer 44. Sulfit- und Karbidsprit. Neue Verfahren zur Erzeugung von Alkohol [Nachdruck verboten.] Von Hanns Günther. Bei der industriellen Erzeugung des Äthylalko hols oder Spiritus, der im wirtschaftlichen Leben unserer Zeit eine höchst bedeutsame Rolle spielt, ging man bis vor kurzem überall von stärke- oder zuckerhaltigen Rohstoffen aus, unter denen die Kartoffel an erster Stelle steht. Zur Erzeugung von 120 1 Alkohol sind lOOO kg Kartoffeln nötig. Die Deckung der 450 Millionen Liter betragenden Jahresproduktion der deutschen Spiritusindustrie er- fordert also ganz gewaltige Kartoffelmengen, während andererseits unsere Ernährungsverhältnisse geradezu nach Ausnutzung jedes Kilos Kartoffeln für die menschliche Ernährung schreien. Ähnliches gilt für die übrigen Rohstoffe der Spiritusindustrie (Zuckerrübe, Melasse und minderwertiges Getreide), die, soweit sie nicht unmittelbar der menschlichen Ernährung dienen können, heute als Viehfutter bessere Dienste leisten. Den Spiritus aber kann man auch nicht entbehren, denn einmal ist er bei der heute herrschenden Benzin- und Benzolknapp- heit eines der wichtigsten Treibmittel für Kraft- wagen-, Rad- und Bootsmotoren, weiter ersetzt er vielerorts das fehlende Leuchtöl (Spiritusglühlicht) und Heizgas (Spirituslampen), und drittens brauchen ihn viele Zweige der chemischen Industrie, um nur die wichtigsten Verwendungsgebiete zu nennen. Diese Sachlage ließ es von höchster Wichtigkeit erscheinen, neue Verfahren zur Erzeugung von Alkohol auszuarbeiten, die nicht auf als Nahrungs- und Futtermittel verwendbaren Rohstoffen fußen. Solche Versuche sind in den letzten 15 Jahren mehrfach unternommen worden, hauptsächlich mit Holzabfällen als Ausgangsmaterial. Die Kriegs- zeit mit ihrem heilsamen Zwang der unbedingten Notwendigkeit hat uns eine noch wesentlich wert- vollere Lösung des Problems gebracht, indem sie uns ein äußerst elegantes, vom Kalziumkarbid aus- gehendes Verfahren zur Alkoholerzeugung auf rein chemischem Wege schenkte; außerdem hat sie einem seit 1909 in Schweden ausgeübten Ver- fahren zur Erzeugung von Sprit aus Sulfitlauge Eingang in Deutschland verschafft, der ihm bisher durch steuergesetzliche Bestimmungen verschlossen war. Die Sulfitspritfabrikation beruht auf dem gleichen Prinzip wie die bisher gebräuchlichen Verfahren zur technischen Darstellung' von Alkohol: Auf der Vergärung zuckerhaltiger Stoffe mit nachfolgender Destillation. Ein Unterschied besteht nur darin, daß man als Ausgangsmaterial ein auf andere Weise nicht verwertbares Abfallprodukt benutzt, die bei der Papierfabrikation nach dem Sulfitverfahren übrigbleibende Sulfiilauge, die von den meisten Fabriken als wertlos in Flüsse und Seen ausge- schüttet wird und hier schwere Verunreinigungen bewirkt. Das neue Verfahren schlägt also zwei F'liegen mit einer Klappe: Es liefert uns einerseits den unentbehrlichen Sprit und macht andererseits aus einem überall als Plage empfundenen Abfall- produkt ein wertvolles Rohmaterial. Wie das ge- schieht, soll eine kurze Erläuterung der technischen Grundlagen zeigen. Bei der Papierfabrikatioa nach dem Sulfitver- fahren wird zerkleinertes Fichtenholz in einer Lösung von saurem schwefligsaurem Kalk (Kal- ziumsulfit) gekocht. Durch diesen Kochprozeß zer- setzt sich das Holz und zwar in der Art, daß die Zellstoffasern frei werden, während sich die übrigen Bestandteile der Holzmasse in der Sulfitlauge lösen. Die Papierindustrie benötigt lediglich den Zellstoff, der, nachdem er von der Kochlauge geschieden und gereinigt worden ist, auf Papier weiter ver- arbeitet wird. Die Lauge hat für die Papier- industrie keinen Wert ; sie bildet, wie schon gesagt, ein höchst lästiges Abfallprodukt, um dessen tech- nische Verwertung sich die beteiligten Kreise schon seit Jahrzehnten bemühen. Der Gedanke, die Sulfitlauge zur Gewinnung von Alkohol zu benutzen, geht bis auf das Jahr 1878 zurück, wo Mitscherlich, der Schöpfer der modernen Papierfabrikation, ihn zum erstenmal aussprach, und hat in der Folgezeit viele Forscher beschäftigt. Begründet ist die Möglichkeit, aus der Sulfitlauge Alkohol zu gewinnen, darin, daß die organi- schen Bestandteile, die die Lauge beim Kochen aus der Holzmasse löst (sie betragen etwa 100 kg pro Kubikmeter Lauge), 0,5 — 2 "/o gewisser Zuckerarten enthalten, die, zur Alkoholgärung gebracht, 1 — 1,5% Alkohol liefern. Zwei schwedische Chemiker, die Ingenieure Ekström und Valiin , waren die ersten, denen es gelang, das Problem der Erzeugung von Sulfiisprit in industriell verwertbarer Weise zu lösen. Auf Grund ihrer Ergebnisse wurde im Jahr 1909 von einer großen schwedischen Papier- fabrik, Eigentum der „Stora Kapparbergs Bergslogs Aktiebolag", die erste Sulfitspritfabrik gebaut, der bald zwei weitere folgten. Diese drei Fabriken erzeugen unter normalen Verhältnissen allein jährlich 2,5 Mill. Liter looprozentigen Sprit. Um sich ein richtiges Bild von der Sulfitsprit- fabrikation zu machen, muß man sich vergegen- wärtigen, daß die abfallenden Laugenmengen ge- radezu riesig sind, — eine Zellstoffabrik von 30000 t Jahresproduktion liefert täglich etwa 3000 hl Ab- lauge, — während der Gehalt an zu vergärendem Zucker, wie oben schon angedeutet, äußerst gering 6io Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 44 ist. Hinzu kommt, daß die Sulfiilauge erhebliche Mengen freier, zumeist organischer Säuren enthält, die eine unmittelbare Vergärung unmöglich machen. Die Lauge muß daher zunächst entsäuert werden, was im heißen Zustand durch Einleiten in große Betoniürme und Behandlung mit Atzkalk und kohlensaurem Kalk unter gleichzeitigen Einblasen von Dampf geschieht. Nach dieser Vorbehandlung wird die Lauge vom entstehendem Schlamm ge- reinigt, abgekühlt und in große Tonnen aus Holz oder Beton bildende, etwa lOOm^ fassende Gärbottiche gebracht, wo man sie mit Hefe und, da sie zu wenig Stickstoffnahrung für die Hefe enthält, mit siickstofi'haltigen Nährstoffen (Ammoniumsalzen und sauren phosphorsauren Alkalien] versetzt, um sie dann bei einer Tem- peratur von 29 — 30° C zur Gärung zu bringen. Der Gärprozeß dauert 3 — 4 Tage. Er verläuft unter starker Kohlensäure • Entwicklung und Schaumbildung. Die fertig gegorene Flüssigkeit enthält etwa 1 % Alkohol. Ist die Alkoholbildung beendet, so wird der Sprit in der üblichen Weise abgetrieben, wobei man die gewöhnlichen Destil- lattons- und Rektifikationsapparate benutzt. Der erzeugte Alkohol kann bequem in einer Gradstärke von 96 Volumprozenten erhalten werden; der bei der Fabrikation auftretende giftige Methylalkohol läßt sich leicht vollständig entfernen. Die Verwendungsgebiete des Sulfitsprits sind die gleichen wie die des gewöhnlichen Brennerei- spiritus. Vor allem kommt er dank seiner Billig- keit als Brennstoff für Kraftwagen-, Rad- und Boots- motoren in Betracht, auf welchem Gebiet der Er- satz des Benzins durch ein in Deutschland erzeug- bares Treibmittel auch für die Zukunft von höchster Wichtigkeit ist. In Schweden hat man sogar Versuche mit der Verwendung von Sulfitsprit zum Eisenbahnbetrieb (Triebwagen) gemacht, die durch- aus befriedigend ausgefallen sein sollen. Ähnlich günstige Ergebnisse haben Versuche zur Verwen- dung des Sulfitsprits für medizinische und chemisch- technische Zwecke (Parfüm- und Seifenfabrikation, hygienische und kosmetische Mittel usw.), sowie für den Laboratoriumsbedarf geliefert. Die Frage der Verwendbarkeit ist also in jeder Beziehung geklärt. *) Genau das gleiche gilt für den Karbidsprit, der ebenfalls hinsichtlich Verwendungsfähigkeit dem gewöhnlichen Brennereisprit in keiner Weise nach- steht, obwohl er nicht durch Gärung, sondern auf einem sich von allen Gärverfah ren grund- sätzlich untersche idenden Wege, durch rein chemische Reaktionen, gewonnen wird. Ver- suche, auf diese Weise Alkohol zu erzeugen, sind gleichfalls schon früh unternommen worden; prak- tisch verwertbare Ergebnisse wurden aber erst vor kurzem erzielt. Sehr aussichtsreich erschien eine Zeitlang ein Verfahren, das Äthylen, ein brenn- ') Angemerkt sei, dafl der Sulfitsprit nach schwedischen Angaljen auch als Trinkspirilus Verwendung finden kann, doch kann er in dieser Beziehung hinsichtlich Qualität nicht mit dem aus Kartoffeln oder Getreide hergestellten konkurrieren. bares Gas, als Ausgangspunkt zu benutzen. Äthylen (C2H4) steht als Beatandteil des Leucht-, Kokerei- und Ölgases billig zur Verfügung, kann aber auch durch Anlagerung von Wasserstoff an Azetylen (CjHa), das bekannte, durch Behandlung von Kalziumkarbid mit Wasser entstehende Gas, leicht gewonnen werden. Wie das Azetylen selbst, so besitzt auch das Äthylen chemisch den Charakter eines ungesättigten Stoffes, der es zu Additions- oder Anlagerungsreaktionen der verschiedensten Art befähigt. Unsinteressiert von diesen Reaktionen nur die, die sich vollzieht, wenn man Äihylen mit warmer konzentrierter Schwefelsäure zusammen- bringt, in der es sich in beträchtlichen Mengen (bis zu 14 kg auf 100 kg Säure) löst. Es entsteht dann Äthylschwefelsäure (CHgCHjOSOsH), die sich beim Kochen in Alkohol und Schwefelsäure spaltet (CHgCH^OH + H^SOJ. Der Überiührung dieses Prozesses in die Praxis haben sich verschiedene Hindernisse entgegenge- stellt. Die billigste Äihylenquelle würde dank seines Äthylengehalts unser Leuchtgas sein, und es sind auch mehrfach Versuche gemacht worden, ihm durch Behandlung mit Schwefelsäure das Äthylen zu entziehen. Ein praktisch brauchbares Verfahren aber wurde bisher nicht gefunden, so daß man auf den oben angedeuteten zweiten Weg, die Darstellung aus Azetylen, angewiesen bleibt. Die technische Durchführung dieses Verfahrens ist gleichlalls lange Zeit großen Schwierigkeiten begegnet; erst in der allerletzten Zeit ist es gelungen, den Prozeß in eine für den Großbetrieb geeignete, mit gutem Wirkungsgrad arbeitende Form zu bringen und so zu leiten, daß man nur das ge- wünschte Äthylen erhält. Eine dritte und letzte Schwierigkeit bildet aber noch der große Säure- bedarf — um I hl Alkohol zu erzeugen, benötigt man 450 kg Schwefelsäure, die allerdings, wie unsere Darstellung zeigt, im Kreisprozeß regeneriert und wieder verwendbar wird — und daran ist die praktische Ausführung des Verfahrens bisher ge- scheitert. Erfolgreicher war die chemische Technik" mit einem zweiten Verfahren, das gleichfalls vom Kalziumkarbid bzw. Azetylen ausgeht, aber nicht Äthylen sondern Azetaldehyd als Zwischenstufe benutzt. Azetaldehyd, eine äußerst reaktionsfähige, brennbare Flüssigkeit, die unter normalem Druck schon bei 20" C siedet, wird dadurch erhalten, daß man dem Azetylen ein Molekül Wasser chemisch anlagert. Die starke Reaktionsfähigkeit macht den Stoff genau wie das Äthylen zu weiteren Anlagerungsreaktionen fähig. Pügt man ihm ein Atom Sauerstoff zu, so entsteht Essigsäure (dieses Verfahren wird heute gleichfalls technisch verwertet), lagert man dagegen zwei Atome Wasser- stoff an, so erhält man Alkohol. Für diejenigen Leser, die chemische Formeln zu lesen verstehen, sind die ganzen bei der Darstellung von Karbid- sprit in Frage kommenden chemischen Prozesse nachstehend kurz zusammengestellt: N. F. XVI. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6ii 1. CaO + 3C Gebrannter Kalk Koks 2. CaQ + 2H2O Kalziumkarbid Wasser 3. QH2 + H^O Azetylen Wasser 4. CH3CHO + 2H Azetaldehyd Wasserstoff Die industrielle Nutzbarmachung dieser an sich schon länger bekannten Reaktionen ist gleichfalls großen Schwierigkeiten begegnet, die sich ins- besondere auf der ersten Stufe — der Darstellung des Azetaldehyds — geradezu häuften. Dieser Vorgang vollzieht sich nämlich in Wirklichkeit nicht so einfach, wie es die Formeln und die Dar- stellung darzutun scheinen, sondern unter Ent- stehung komplizierter Zwischenprodukte, deren Zerfall den gewünschten Azetaldehyd liefert. Diese Reaktion technisch brauchbar zu gestalten, ist erst in jüngster Zeit gelungen und zwar durch ein Verfahren, dessen Prinzip darin besteht, daß Azetylen unter ständigem Rühren in konzentrierte oder ver- dünnte heiße Schwefelsäure eingeleitet wird, in der Quecksilberoxyd suspendiert ist. Wie die Schwefelsäure wirkt, ist noch nicht ganz aufgeklärt, doch scheint sie bei dem Mechanismus der Wasser- anlagerung eine wichtige Rolle zu spielen. Das Quecksilberoxyd wird zu Quecksilber reduziert, das sich elektrolytisch zu Oxyd regenerieren läßt. Der gebildete Aldehyd wird abdestilliert oder auf andere Weise isoliert. Die Verarbeitung auf Alkohol vollzieht sich in der Praxis so, daß man mit Wasserstoff gemischte und erhitzte Aldehyd- dämpfe über erhitztes, als Katalysator wirkendes Nickeloxyd leitet, eine Operation , die auch im größten Maßstab technisch leicht durchführbar ist. Die Ausarbeitung des Karbidverfahrens ist zum größten Teile das Werk deutscher Forscher. Über die Anwendung des Verfahrens in Deutsch- land sind indessen z. Zt. aus naheliegenden Grün- den keine Daten erhältlich. In der Schweiz ist eine vorderhand auf 7000 t Jahresproduktion be- rechnete Karbidsprit- Fabrik im Bau, die das Land nach und nach vom Bezug ausländischen Alkohols unabhängig machen soll. Die Anlage wird in Anlehnung an die Karbidfabrik Visp der Lonza- werke geschaffen, die auch eine nach dem oben angedeuteten Prinzip arbeitende Essigsäurefabrik ins Leben gerufen haben. Die technische Be- deutung des Karbidverfahrens liegt nicht nur darin, daß es unseren Bedarf an Spiritus ohne Inan- spruchnahme von Nähr- und Futterstoffen zu decken gestattet, sondern auch darin, daß es das = CaCa + CO Kalziumkarbid Kohlenoxyd = C.,Hj + Ca(0H)2 Azetylen Gelöschter Kalk = CH3CHO Azetaldehyd = CHgCHjOH Äthylalkohol Anwendungsgebiet des Kalziumkarbids abermals in umfangreicher Weise erweitert. Vor rund 25 Jahren zum erstenmal dargestellt, galt das Kal- ziumkarbid zunächst nur als wissenschaftlich in- teressantes Präparat, bis man auf seine Verwendnng zu Beleuchtungszwecken (Azetylenlaternen usw.) kam. Diese Verwendungsart ist lange Zeit die einzige geblieben, hat aber heute, obwohl sich die Azetylenbeleuchtung stark ausgedehnt hat, für die Karbidindustrie an Bedeutung wesentlich einge- büßt, weil in den letzten Jahren mehrere neue Anwendungsbiete erschlossen wurden, die die Azetylenbeleuchtung an Wichtigkeit weit über- ragen. Ich erinnere an die Benutzung des Aze- tylens in der Metallindustrie beim autogenen Schneiden und Schweißen, an die Darstellung des Kalziumzyanamids oder Kalkstickstoffs (aus Kal- ziumkarbid und Luftstickstoff im elektrischen Ofen), der einesteils als Stickstoffdünger, anderen- teils als Ausgangspunkt für die Darstellung von Salpetersäure gerade jetzt eine äußerst wichtige Rolle spielt, weiter an die sogenannten Chlorsub- stitutionsprodukte des Azetylens, die in vielen Fällen das Benzin als Lösungs- und Reinigungs- mittel mit Vorteil ersetzen und schließlich an die mehrfach erwähnte Darstellung von Essigsäure, die mit dem Spritverfahren in die gleiche Gruppe gehört. Gerade auf diesem Gebiet der Additions- und Kondensationsreaktionen, die mit den stark ungesättigten Eigenschaften des Azetylens zu- sammenhängen — (2 Atome Kohlenstoff sind beim Azeiylen mit nur 2 Atomen Wasserstoff verknüpft, können also, da der Kohlenstoff vier- wertig ist, noch eine ganze Anzahl einwertiger Atome aufnehmen) — sind schon in nächster Zukunft weitere wertvolle Fortschritte zu erwarten. Möglicherweise wird (oder ist?) sogar auf diesem Wege das Problem des künstlichen Kautschuks (oder besser ge-agt; seiner industriellen Herstellung) gelöst. Verheißungsvolle Versuche zur Verwen- dung des Azetylens als Ausgangspunkt für die Kautschuksynthese sind nach schweizerischen Be- richten schon seit längerer Zeit an verschiedenen Stellen im Gange. (OC) [Nachdruck verboten.] Der Anthropomorphismus in der Zoologie. Von Univ. -Prof. Dr. phil. u. med. Ludwig Kathariner, Freiburg (Schweiz). Als Anthropomorphismus herrschte bis in die Gegenwart und herrscht vielfach noch heute der menschliche Egoismus in den Wissenschaften. Nach ihm soll der Mensch vielfach in physiologischen Fragen maßgebend sein; der Eindruck, welchen ein Reiz auf seine Sinnesorgane ausübt, soll in qualitativ und quanthativ gleicher Weise auch bei den anderen Lebewesen einwirken. Was auf ihn einen angenehmen Eindruck macht, soll auch dem Tier gefallen und umgekehrt. Einen Irrtum als 6l2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 44 solchen zu erkennen, ist in der Biologie einmal deshalb besonders schwierig, weil er sich meistens nicht rechnerisch erweisen läßt, dann aber auch, weil kein Normalorganismus bekannt ist, der den Maßstab liefern könnte, weil ferner die Tiere häufig zweilellos über Sinnesorgane verfügen, welche dem Menschen fehlen, und endlich, weil in vielen Fragen der Geschmack den Ausschlag gibt, welcher doch schon bei den verschiedenen menschlichen Individuen verschieden ist. Über alle diese Schwierigkeiten, ja Unmöglichkeiten sieht man nur allzu häufig leichten Herzens bei der Beurteilung biologischer Fragen hinweg, mitunter in geradezu unglaublicher Weise. Der Biologe begehl leichi einen entsprechen- den Fehler besonders dann, wenn er einen Be- weisfür seine Ansichten zu finden glaubt. Besonders fruchtbar an diesem biologischen Unkraut waren die letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts. Kritiklos wurden von der großen Menge die dar- winistischen Leitsätze aufgenommen. Unzählige Einzelfalle von Beobachtungen wurden nicht nur in der Fachliteratur, sondern noch mehr unter dem Strich in den Tageszeitungen veröffentlicht und gläubig hingenommen, von wem sie auch kamen, falls sie nur unter einer willkommenen wissenschaftlichen Marke liefen. Fälle von Mimikry, Schutz- und Trutzfärbung und Zeichnung bildeten meistens den Gegenstand derartiger populärer Forsch ungsergebn isse. Wenn ein Analogieschluß vom Menschen auf das Tier richtig sein soll, so müssen drei Bedin- gungen unweigerlich zutreffen. Ist eine einzige von ihnen nicht erfüllt, so beruhen die Voraus- setzungen des biologischen Schlusses auf Irrtum und er fällt in Nichts zusammen. Besonders ver- dient um die kritische moderne Biologie machte sich der Münchener Ophthalmologe Prof. Dr. C. v. Heß. Von den drei Bedingungen, welche eine biologische Tatsache unbedingt erfüllen muß, prüft er vor allem die physiologische Seite eines biologischen Falles. In psychologischer Hinsicht entscheidet der Versuch und daß die physikalische Möglichkeit eines Geschehens vorliegen muß, dürfte für niemand zweifelhaft sein. Ein besonders krasses Beispiel falscher Schluß- folgerung bildet die Zeichnung auf dem Rürken des Totenkopfschwärmers. Daß die menschliche Phantasie unschwer darin eine Ähnlichkeit mit dem menschlichen Totenkopf erkennt, ließ die Anhänger der Schreckzeichnungshypothese darüber hinweg- sehen, daß das Bild auf dem Rücken des Schwärmers nur klein ist und keinerlei Perspektive Körperlichkeit vortäuscht. Dazu kommt, daß der tierische Feind wohl kaum die Gelegenheit hatte, einen mensch- lichen Totenschädel zu sehen und daß ein solcher alles Furchterregende verliert, wenn er nicht die Gedanken an die Schmerzen des Todes und Furcht vor Strafe im Jenseits erregt. Es wäre aber eine willkürliche Annahme, derartige Voraussetzungen als für den tierischen Feind zutreffend zu halten. Daß man sich vielfach nicht gescheut hat, der Hypothese zulieb so weit zu gehen, ja noch weiter, ergibt sich aus der Speziesbezeichnung einer tro- pischen Acherontia als A. satanas; wahrscheinlich wird die Art so genannt, weil deren Zeichnung einer Teufelfratze ähnelt, wie man sie auf alten Bildern sieht. Wenn sich nun auch gewissenhafte Forscher gescheut haben, eine derartige unbegründete Über- treibung mitzumachen, so beruhen doch gewisse biologische Lehrgebäude auf einer zweifellos irrigen Voraussetzung. Diese besteht darin, daß man, auf einer Irrlehre der Zoologie fußend, die Blüten vielfach einteilt in Windblütler (anemophile) und Insektenblütler (entomophilej. Man geht dabei davon aus, erstere seien bei ihrer Bestäubung darauf angewiesen, daß ihnen die bewegte Luft den Blütenstaub zuführe, während andererseits die Insektenblütler durch ihren süßen Nektarsaft Kerb- tiere zum Besuche verlocken, gelegentlich dessen sie Blütenstaub von einer Blume auf die andere übertragen. Durch leuchtende Farben und Zeich- nungen sollen die Insekten angezogen und zur Honigquelle geführt werden. Wird doch die bunte Färbung der Blüten häufig als Aushänge- schild bezeichnet und von Saftmalen gesprochen. In den Lehrbüchern der Zoologie wird ganz unbedenklich von Hochzeitskleid, Prachtfärbungen, den lebhaften Farben der Tiefseetiere usw. geredet. Angenommen wird dabei, daß die Tiere die be- treffenden Farben geradeso wahrnehmen, wie sie dem menschlichen Beobachter erscheinen; nicht genug damit, wird auch angenommen, daß sie auch seinen Geschmack teilen. Diese Voraus- setzungen sind nun als hinfällig und damit auch die auf ihnen basierenden Schlüsse vielfach als falsch nachgewiesen worden. C. v. Heß fand nämlich bei zahlreichen Untersuchungen über das Farben- sehen der Tiere, daß viele von letzteren gar nicht das Vermögen haben, Farbenwahrnehmungen zu machen, und daß man bisher Helligkeits- und Färbungsunterschiede nicht scharf auseinander hielt. Alle Wirbellosen, einschließlich der Insekten haben nach ihm kein Farbensehen; Farbenwahrnehmungs- vermögen und, was uns darauf zu beruhen scheint, findet vielmehr in dem verschiedenen Helligkeits- grad des gesehenen Objekts seine ausreichende Erklärung; von den Wirbeltieren fehlt auch den im Wasser lebenden Arten das Farbensehen. Alles erscheine den genannten Wirbeltieren und sämt- lichen Wirbellosen, je nach der größeren oder geringeren Helligkeit in hellerem und dunklerem Grau. Auch die in der Luft lebenden Wirbeltiere können vielfach nicht dieselbe Farbenempfindung haben, wie der Mensch; die Netzhaut hat meistens Eigenschaften, aus welchen sich diese Folgerung mit Notwendigkeit ergibt. Auch ihnen erscheint nur heller oder dunkler Grau getönt, was unserem Auge durch leuchtende Farben imponiert. Sind die beiden erstgenannten Bedingungen für die Möglichkeit des Farbensehens ungünstig, so er- übrigt sich alles Weitere. Sind sie nicht gegeben, so bliebe ein dritter Weg offen, auf welchem das Vorhandensein oder Fehlen eines Farbenwahr- N. F. XVI. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 613 nehmungsvermögens geprüft werden kann. Es werde das Verhalten des lebenden Tieres unter möglichst normalen Verhältnissen beobachtet. Aus seinem Verhalten gegenüber einem Objekt, dessen Farbenqualitäten einen farbenblinden Menschen verborgen sind, darf man per analogiam schließen, daß auch ihm das Farbenwahrnehmungsvermögen fehlt. Aber auch ohne „Testsubjekt" kann man mit Berechtigung den betreftenden Schluß ziehen, wenn das biologische Verhalten des untersuchten Tieres zu ihm nötigt; ist doch auch sonst in der Biologie aus unbestrittenen Handlungen eines Tieres auf seine Empfindungen zu schließen. Was nun die physikalische Seite der Frage anbe- langt.so ist unbestreitbar,daß selbst im klarsten Wasser das Sonnenlicht nicht Hunderte oder gar Tausende von Metern tief vordringen kann. Ein Sehen in diesen Tiefen ist also wegen der völligen Finsternis ausgeschlossen und doch sind, wie wir durch die neueren Meeresforschungen wissen, die Organismen des Grundes der wärmeren Meere häufig durch eine überraschende Farbenpracht ausgezeichnet. Mutatis mutandis gilt das für die Farbenpracht Gesagte auch für die Formenschönheit der Tiefseeorganismen. Bei der Beurteilung der Formenschönheit, welche die Glasschwämme der Meerestiefen aufweisen, ist außerdem zu bedenken, daß die Abbildungen von ihnen in der Regel nur das gesäuberte Kiesel- skelett darstellen, welches beim lebenden und im Grund steckenden Tier größtenteils von den Zellen des Weichkörpers eingeschlossen ist. Außerdem ist zu bedenken, daß die Schätzung der Formen- schönheit dieser Gebilde zur Voraussetzung hat, daß man das Ganze überblickt; bei einem Tier trifft das meistens nicht zu. Wie leichtfertig vielfach bei der Deutung der Form und Färbung der Tiefseeorganismen ver- fahret! wurde, zeigen zahlreiche Beispiele, wo aus der Übereinstimmung einer Art mit dem von ihm bewohnten Tierstock — etwa Krabbe oder Schnecke und Schwamm — eine Schutzfärbung abgeleitet wurde. Und doch fehlt hier meistens unzweifelhaft jede physikalische Möglichkeit einer optischen Täuschung. Ein Beispiel dafür, daß die physiologische Voraussetzung nicht zutrifft, ist die Prachtfärbung und das stolze Kleid blau gefärbter Vogelarten, wie Eisvogel, Mandelkrähe usw. Die prächtige blaue Farbe könnte nur den Eindruck eines helleren oder dunkleren Grau machen, wenn die farbenempfindlichen Zellen oder Netzhaut, die Zapfen in ihrem Zellkörper Ölkugeln enthalten, wie dies beim Huhn der Fall ist. Durch die gelben Ölkugeln werden nämlich die blauen Strahlen absorbiert und können nicht zur Wahr- nehmung gelangen. Daß dies beim Huhn der Fall ist, hat V. Heß durch einen Versuch am lebenden Tier festgestellt. Als einem Huhn ein Streifen von Getreidekörnern vorgestreut und mit den Spektralfarben beleuchtet wurde, ließ das Huhn die vom blauen Licht getroffenen Körner unbe- achtet, während es die andersfarbigen aufpickte. Den Grund für diese Blaublindheit sieht v. Heß in den gelben Ölkugeln der Netzhautzellen. Ein weiteres Beispiel für Lichtwahrnehmungen von Strahlen, die unserem Auge entgehen, bildet das ultraviolette Licht. Ameisen fliehen das Licht und suchen dunkle Verstecke auf Wurde nun in einem Versuch ein für uns dunkler Ort von ultra- violettem Licht getroffen, so blieb es für das menschliche Auge nach wie vor dunkel, wäh- rend ihn die lichtscheuen Ameisen flohen. Sie hatten also offenbar durch ultraviolette Strahlen einen Eindruck von Helligkeit bekommen, der uns durchaus fehlt. Noch zahlreicher sind die Beispiele, in welchem die Mensch und Tier gemeinsamen Sinneswahrnehmungen bei letzteren eine Stufe erreichen, an die selbst die schärfsten menschlichen Sinne nicht heranreichen. Denken wir an den feinen Geruchssinn des Wildes, die Spürnase des Jagd- und Polizeihundes, das Auge des Adlers usw. In vielen Fällen sind wir auch nicht imstande, ohne weiteres zu entscheiden, ob die Tätigkeit eines bekannten Sinnes vorliegt, so beim Finden des Heimwegs durch einen verirrten Hund oder eine entfernte Hauskatze und bei der Rückkehr der Zugvögel zum alten Nistplatz. Einzelberichte. Meteorologie. Geschützfeuer und Wetterlage. Von großem Interesse ist die Frage, ob durch das an- dauernde Geschützfeuer und die Minensprengungen an der Westfront derartige Störungen in der Atmo- sphäre hervorgerufen werden, daß sich dies in der Wetterlageausspricht, namentlich ob dadurch Regen- fälle verursacht werden können. Für die weite Ver- breitung der Annahme, daß Explosionen auf der Erdoberfläche sich auch in den höheren Schichten der Atmosphäre gehend machen, spricht ja das Aufkommen dersogenannten Hagelkanonen nament- lich in den Weinbau betreibenden Bezirken in den letzten Jahren; meinte man doch damit die Bildung von Hagelwolken verhindern zu können. G. Le- moine spricht sich entschieden dahin aus, daß das Geschützfeuer nur einen Lokalregenfall von kurzer Dauer verursachen könnte, während aus- gedehnte und lang anhaltende Regenfälle, etwa solche, welche Überschwemmungen verursachten, große Luftströmungen in der Atmosphäre voraus- setzten. Vor dem Kriege habe man viel mit den Hagelkanonen (Artillerie de paragrele) gearbeitet. In Oberitalien sei die Frage eingehend geprüft worden; die italienische Regierung habe aber die Versuche eingestellt, weil sie kein positives Re- 6i4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 44 sultat ergaben. In den letzten Sitzungen der Pa- riser Akademie der Wissenschaften kam die An- gelegenheit wiederholt zur Erörterung. Sie wurde verschieden beantwortet, so daß die Frage offen geblieben ist. Für die Möglichkeit einer Beeinflussung durch das andauernde Geschützfeuer sprach in der Sitzung vom 23. April 1917 H. Deslandres (Influ- ence des cannonades intenses et prolongees sur la chute de la pluie. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 17, 191 7). Schon seit alters sei die Meinung ver- breitet, daß lang andauernde Kanonaden von Schlachten Niederschläge in Form von Regen- güssen verursachen. So folgte ein heftiger Regen der Schlacht von Ligny (16. Juni 1815) und am folgenden Tage wurde dadurch die Schlacht von Waaterloo so lange hinausgezogen, bis „die Preu- ßen kamen". In der Schlacht von Solverino brach' ein heftiges Gewitter aus, welches den Öster- reichern erlaubte, sich rechtzeitig zurückzuziehen. Ähnliches sei im gegenwärtigen Weltkrieg wieder- holt eingetreten. Auf bloßen Zufall könne man das Zusammenfallen nicht zurückführen. Jeden- falls aber sei es von Interesse, die Frage weiter zu verfolgen und eventuell klarzustellen. Durch das Artilleriefeuer werde eine derartige Menge von elektrischen Ionen in die Atmosphäre ge- schickt, daß sich der Wasserdampf darin leicht kondensieren, und es regnen könne. Beim Feuern mit Tausenden von Kanonen und Hunderltau- senden von Gewehren werde ferner die Luft durch Reibung der Geschosse an der Luft stark elektrisch geladen. Sie werde plötzlich verschoben, bei den Sprengungen werden die ionisierten, in dem Erd- reich eingeschlossenen Luftteilchen frei gemacht, die Explosionsgase und das heiße Gas aus den Röhren der Feuerwaffen steigen in die höheren Luftschichten auf usw. Es sei also ganz wahr- scheinlich, daß eine derartige Durchmischung der atmosphärischen Luft einen Einfluß auf die Kon- densation des Wasserdampfs habe. Jedenfalls aber komme das Geschützfeuer gegenüber den gewöhn- lichen Ursachen für die Gestaltung des Wetters kaum in Betracht. Die großen Luftströmungen, welche vom Ozean kommen, bringen Regen und Gewitter und werden in dieser Beziehung die erste Rolle behalten. Das Geschützfeuer dagegen setze eine mit Wasserdampf fast gesättigte At- mosphäre voraus und könne in diesem Fall Regen veranlassen; wenn die Luft aber trocken sei, habe es keinen Effekt. Ohne es würde der Regen viel später und in viel größerer Entfernung niedergegangen sein oder der Wasserdampf hätte sich in der Atmosphäre zerstreut. In der nächsten Sitzung behandelte den Gegen- stand der General Sebert (Les violentes canno- nades peuvent elles provoquer la pluie? C. R. Ac. sc. Paris Nr. 18, 19 17). Er meint, Deslan- dres habe zu ausschließlich die Beeinflussung des Wetters an Ort und Stelle im Auge gehabt. Man müsse aber auch die Umgestaltungen berück- sichtigen, welche dadurch bedingt seien, daß infolge der Windströmung die Kanonade ganz wo anders wirke, als am Ort der Kanonade. In demselben Sinn äußerte sich auch in der gleichen Sitzung G. Lemoine (Observations sur la communication de M. Deslandres. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 17, 1917). Jedenfalls scheine es, daß durch die Kanonade nur schwacher und kurzdauernder Lokalregen hervorgerufen werden könne. Man könne sich nun fragen, ob in- folge der furchtbaren Kanonade auf der West- front in ihrer ganzen Ausdehnung atmosphärische Störungen nicht auch in weiterer Entfernung manchmal heftige und langdauernde Regengüsse verursachen. Manche Nachrichten lassen erkennen, daß sich die atmosphärischen Störungen nach verschiedenen Richtungen hin ausgebreitet haben bis in sehr weite Entfernungen. Seit Beginn habe man ungewöhnliche Erscheinungen beobachtet, wenigstens in der letzten Zeit des Schützen- grabenkriegs, wo die Granaten- und Minenexplo- sionen intensiver geworden seien. In Frankreich glaube man allgemein, daß damit heftige Regen- güsse zusammenhingen. Oft habe sich auch eine ganz unerwartete Änderung des Wetters eingestellt, welche der Barometerstand nicht voraussehen ließ. So seien ganz unerwartete Regengüsse plötzlich ohne jeden Übergang auf schönes Wetter ge- folgt. Im Winter seien erhebliche Temperatur- änderungen eingetreten, namentlich in Südfrank- reich, in Spanien und selbst in Algerien Kälte und Schneefälle. Für diese ungewöhnlichen Er- scheinungen auch in weit entfernten Gegenden lasse sich kein anderer Grund finden als die un- gewöhnlichen Kriegsereignisse. Deslandres habe schon daran erinnert, daß mitunter infolge großer Schlachten ein so starker Regen eingetreten sei, daß er auch den zeitgenössischen Chronisten aufgefallen sei. Während des Krimkrieges, wo es also noch keinen Telegraphen gab, so daß eine Neuigkeit nur relativ langsam nach Frankreich kam, machte sich ein Apotheker von Saint Brieuc M. le Maout dadurch bekannt, daß er große Schlachten auf weite Entfernung hin aus plötz- lichen Regengüssen folgerte. Ein glücklicher Zufall wollte es, daß der Kriegsminister durch ihn zuerst von der Schlacht bei Inkermann und dem Treffen bei Sebastopol erfuhr. Dies ver- schaffte ihm eine gewisse Berühmtheit, und er setzte es durch, daß man offizielle Versuche da- rüber anstellte, ob es möglich wäre, durch Kanonen- schüsse Regen herbeizuführen. Es ist aber leicht zu verstehen, daß das Geschützfeuer und die Minenexplosionen nur dann Regen veranlassen, wenn die atmosphärische Luft mit Wasserdampf nahezu gesättigt ist. Ebenso wußte le Maout immer zuerst von großen Treffen im italienischen Feldzug. Die Erfolge, welche er hatte, sind nur unter der Voraussetzung zu verstehen, daß eine Kanonade sich in großer Entfernung äußerte; wahrscheinlich breiten sich Luft- und Gasströme in den höheren Schichten der Atmosphäre aus. Eine derartige plausible Annahme erinnert an die N. F. XVI. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 615 Erscheinungen, welche nach dem Ausbruch des Vulkans Kakatau selbst in Europa in den oberen Schichten der Atmosphäre zu sehen waren. Es macht dies die Annahme begreiflich, daß heftige, sonst unerklärliche und unerwartete Regengüsse durch das heftige Geschützfeuer an der Front verursacht wurden. Der offizielle Wetterbericht wolle freilich nichts davon wissen, da die An- nahme durch keine einzige einwandfreie Beobach- tung gestützt wurde. In der Tat sei die Menge des Regens nicht wesentlich verschieden vom Durchschnitt des Vorjahrs. Man sage, die Gesamt- masse der Gashülle des Erdballs wäre viel zu groß, als daß das Hinzukommen der genannten Gase eine merkliche Änderung herbeiführen könnte. Es handle sich aber gar nicht um eine Gleich- gewichtsstörung der Gesamtmasse oder auch nur eines größeren Teils derselben. Die zahlreichen Kanonen-, Gewehrschüsse und Minenexplosionen erzeugen doch eine Menge warmer Luft, welche in die Höhe steige, die kalten Luftschichten in der Atmosphäre verdränge. Es sei nun doch wahrscheinlich, daß diese Luft durch die gerade herrschenden Winde in einer bestimmten Richtung fortgeführt werde. In gewissen anderen Ortschaften könne sie Regenfälle veranlassen, wenn sie auf ihrem Weg mit Luftschichten zusammenstoße, die wärmer und mit Wasserdampf gesättigt seien. Es brauche sich nun durchaus nicht um eine all- gemeine Verschiebung in der Atmosphäre zu handeln. Analoges könne man ja auch an einem Fluidum in einer Glaskuvette oder in der Atmo- sphäre im kleinen an den Verschiebungen be- obachten, die durch den Dampf aus Fabriken und Werkstätten hervorgerufen werden. Um die so formulierte Hypothese auf ihre Richtigkeit zu prüfen, müsse man einerseits die Zeit des heftigen Geschützfeuers und andererseits ungewöhnliche regionale Regenfälle in der weiteren Umgebung und zugleich die Richtung des in den oberen Schichten herrschenden Windes feststellen. Nach Aufhören des Schießens müssen derartige Feststellungen gemacht werden, wobei man die an Ort und Stelle gemachten Beobachtungen zu berücksichtigen habe; die hauptsächlichsten Tage, an denen der Artilleriekampf eine bedeutende Rolle spiele, seien ja bekannt. Man müsse nun nachforschen, was zu gleicher Zeit anderwärts beobachtet werde; das meteorologische Bureau gebe nicht wie sonst tägliche Bulletins heraus, aus denen man den Barometerstand und die Windrichtung ersehen könne; solche Angaben könnten sonst vom Feind für seine Luftangriffe verwertet werden. Man sei also vorläufig für die Beweisführung auf die Angaben in früheren Jahr- gängen von meteorologischen Zeitschriften be- schränkt. Kalhariner. Botanik. Die Vegetation des Amazonasge- bietes. Unter den Forschern, die unsere Kenntnisse von der so reichen Pflanzenwelt Brasiliens ge- fördert haben, steht E r n s t U 1 e , der am 15. Juli 191 5 viel zu früh Verstorbene, an erster Stelle. Wie kein anderer kannte er das gewaltige Urwald- gebiet des Amazonenstromes, hat er es doch in langjährigen Reisen durchforscht und in fast 90 wissenschaftlichen Arbeiten darüber berichtet. Noch wenige Monate vor seinem Tode gab er in zwei Vorträgen ein treffliches Bild des weiten Gebietes und der eigenartigen, noch lange nicht vollständig bekannten biologischen Verhältnisse seiner Flora (Biologische Beobachtungen im Amazonasgebiet. Vortr. a. d. Ges.-geb. d. Bot. 3. Berlin 1915; Die Vegetation des Amazonasgebietes. Verh. Bot. Ver. Brandenburg LVII. 56—75. Berlin 1916). Mit einem Stromgebiet von über 7 Millionen D- Kilometern ist der Amazonenstrom der größte und zugleich wasserreichste Fluß der Erde. Die hier herrschende hohe, nur geringen Schwankungen unterworfene Wärme, große Feuchtigkeit mit häu- figen Niederschlägen und große Windstille haben zur Entwicklung mächtiger Urwälder geführt, der Hylaea Humboldts, die nur stellenweise durch offene, mit Gebüsch bewachsene C a m p i n a s oder die Gras und Kräuter tragenden Campos (Sa- vannen) unterbrochen wird. Fauna wie Flora weisen darauf hin, daß das Amazonasgebiet früher ein Meeresbecken gewesen ist. Nach seiner Hebung entwickelte sich eine reiche Vegetation, die zum großen Teil auch darauf beschränkt geblieben ist, da die es begrenzenden trockeneren Savannen viele Pflanzen an weiterer Verbreitung hinderten. Der Wechsel einer regenreichen und regenarmen Pe- riode bedingt alljährlich ein gewaltiges Steigen der Flüsse (bis 20 Meter!), die dann oft mehrere Monate lang die Wälder weithin überschwemmen. Dies Gebiet wird Varzea oder Igapö genannt, das überschwemmungsfreie Land dagegen Terra firme oder Ca et 6. In beiden ist der Wald ver- schieden zusammengesetzt, namentlich an den „weißen Flüssen", die alluviale Niederungen durch- strömen und daher durch Schlammteile hell ge- färbt sind. Die „schwarzen Flüsse" dagegen sind kalkarmen Gebieten eigen, wo die Humusteile nicht gelöst werden können und das Wasser daher tief dunkel färben. Charakterbäume der Uferwälder sind überall die Fächerpalme Maiin'fia flexuosa L. f. und die Fiederpalme Eidcrpe oleracea Mart. Am Ufer der weißen Flüsse finden wir auch oft windenartige Sträucher, Salix Martiana Seyb. oder Aklwriiea castanci/oUa A. Juss., in deren Hintergrund die hohen, hellen Stämme von Ce- cropia lockere Bestände bilden. Manche Pflanzen wachsen ausschließlich in dem Überschwemmungs- gebiet wie Hevea brasiliensis Müll. Arg., die den besten und meisten Kautschuk liefert, während andere sich der fast amphibischen Lebensweise nicht angepaßt haben. So ist der Wald der Terra firme, dessen Bestände geschlossener sind und aus kräftigeren Bäumen bestehen, viel mannigfaltiger und üppiger. Im Unterholz herrscht oft ein dor- niges Rohr, Gtmdua Weberbaueri Pilg., vor, 6i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 44 daneben sind kleine Palmen, Musaceen, IVIaran- thaceen und Zingiberaceen häufige, und am Rande treffen wir Bestände von Hclicornia. An den schwarzen Flüssen ist der Gegensatz von Igapö und Terra firme weniger groß. Andere Arten, auch Palmen setzen den weniger hohen, doch mehr durchwachsenen Wald zusammen. Der hier ältere und festere Boden ist stellenweise so trocken und unfruchtbar, daß an Stelle des Waldes Ge- büschgruppen treten, zwischen denen sich die eigentlichen Campinas, d. h. freie, mit binsenartigen Farnen und Flechten bewachsene Flächen, aus- dehnen. Während sie in erster Linie durch die Unfruchtbarkeit des Bodens bedingt sind, ver- danken die Campos der Trockenheit des Klimas ihre Entstehung. Sie bilden oft weite, mit zer- streuten krüppelhaften Bäumen und büscheligem Gras bedeckte Flächen. An sumpfigen Stellen bildet jManrUia flcxitosa Bestände, während aus dem Wasser der hindurchziehenden, an Strom- schnellen reichen Flüssen das Laub der eigen- artigen Podostemonaceen über den Wasserspiegel hervorragt. Die biologischen Erscheinungen der Hylaea, der die dichtlaubigen Bäume mit hohen, hellen Stämmen, zahlreiche Palmen und üppiges Unter- holz ein besonderes Aussehen geben, sind noch wenig bekannt. Auch hier gibt es eine Perio- dizität im Wachstum. Manche Bäume im Igapö wie Bombax JMiiiigiiba K. Schum. stehen bei Hochwasser kahl da, andere werfen bei Trocken- zeit ihr Laub ab und blühen dann auch wohl vor Bildung der neuen Blätter. Da die Wurzeln vieler Bäume nicht tief in den Boden eindringen, geben ihnen mächtige Brettwurzeln Halt. So ist es bei der riesenhaften Bombacee Ceiba pcnfaiidraGatrin., die wie alle Bäume des Urwalds bei äußerst schnellem Wachstum nur ein geringes Alter er- reicht. Manche Ficiis-kritn besitzen aus Stamm und Krone hervorwachsende Stützwurzeln, die Palme Iriartea exorhiza Mart., Cecropia- Arten und andere entwickeln eigenartige Stelzwurzeln, die den Stamm stützen. Häufig wachsen Bäume und Sträucher nicht durch Gipfel-, sondern Seitentriebe, andere Sprosse werden wie Blätter abgeworfen. Manche „Schopfbäume" wie SoJnireyia exelsa Kr., die an die Palmengattung Corypha erinnert, sind vielleicht wie diese hapaxanthisch. Zahlreich sind die Arten der Lianen, von denen manche Big- noniaceen, Menispermaceen und Leguminosen bis in die äußerste Baumkrone gelangen. Mit ihren windenden Stengeln, Ranken und Haken dienen sie wiederum anderen Kletterpflanzen als Stütze und bilden ein dichtes Geflecht, das zuweilen selbst gefällte Bäume aufrecht erhält. Araceen wicA/oiisfcra und Pliilodeiidroii kriechen mit Kletterwurzeln an den kahlen Urwaldstämmen hinauf. Da- neben finden wir hier Kletterpflanzen aus Gruppen, die im übrigen Amerika diese Wuchsform nirgends zeigen, so die Gymnospermengattung Giiefiim und von den Cactaceen Cfrc/is Wif/ii K. Schum. So- lanuni hederadkitluin Biit. und S. Ulcaiiion Bitt. des südöstlichen Amazoniens sind die einzigen bekannten Arten der Gattung, die epheuartig die Stämme hinaufklettern. Epiphyten sind nicht, wie man es in den feuchtheißen Wäldern viel- leicht erwartet, besonders üppig und zahlreich entwickelt. Die höchst entwickelten Epiphyten wie Tillandsia, deren Samen meist für die Ver- breitung durch den Wind geeignete Flugapparate besitzen, meiden die Hylaea. Für ihr Gedeihen scheinen in erster Linie Bewegung der Luft und klimatischer Wechsel Bedingung zu sein, die hier aber fehlen. So finden wir denn nur weniger entwickelte Formen oder Hemiepiphyten. Orchi- daceen, Piperaceen, Cactaceen {R/iipsalis), Bromeli- aceen u. a. bedecken die Äste der alten Bäume. Manche von ihnen sammeln in den Blattrosetten Wasser und Abfalle, in denen sich wieder andere, namentlich Farne ansiedeln. In dem mehr xero- philen Grenzgebiet gegen Peru umgeben die mäch- tigen Nischenblätter von Platyccriuiii aiidiiuim Bak. oft den ganzen Stamm der Wirtspflanze wie ein großer Schirm, der alle Feuchtigkeit auffängt. Andere Farne siedeln in den Blattnischen der Palmen, neben ihnen das riesige Pliilodciidron juaxiiuiiiH Krause, Fic/is und Coiissapoa-hritn, deren Samen durch Fledermäuse dorthin verschleppt werden. Ihre Stütz- und Klammerwurzeln er- würgen den stützenden Baum sehr oft. Eigentümlich sind der Hylaea die von Ule zuerst entdeckten Ameisenepiphyten. Ameisen der Gattungen Canipuiiotiis und Azteca legen auf Bäumen und Sträuchern Erdnester an, in die sie die Samen ganz bestimmter beerenfrüchtiger Pflanzen schleppen, die auskeimen und dann oft riesige Pflanzenknäuel bilden, oft 20 bis 30 Meter hoch auf den Bäumen. Aus diesen Erdnestern sind bisher 14 Pflanzenarten bekannt geworden (2 Araceen, 3 Bromeliaceen, i Piperacee, I Moracee, I Cactacee, 2 Solanaceen und 4 Gesneriaceen), die mit vielleicht zwei Ausnahmen außerhalb der Ameisengärten nicht vorkommen. Einige gehören sogar zu den Gattungen, die in Brasilien sehr selten oder überhaupt noch nicht gefunden worden sind. So ist es wahrscheinlich, daß in Analogie zu vielen Kulturpflanzen des Menschen, die Pflanzen der Ameisengärten außerhalb dieses Kulturkreises der Ameisen nicht mehr wachsen. Da sie durch die Ameisen reichlich mit Erde und Nährstoffen versehen werden, besitzen sie meist ein reicheres Laubwerk als andere Epiphyten. Im Über- schwemmungsgebiet wie auf der Terra firme finden wir sodann zahlreiche Ameisenpflanzen, die in Hohlräumen von Stamm und Zweigen oder in Schläuchen von Blattstielen und Blättern den Ameisen Wohnung, manche auch in besonderen Ausscheidungen Nahrung gewähren. Unter ihnen sind die Arten der Gattung Cecropia am be- kanntesten, die am Ufer wie auf Inseln mitunter dichtere Bestände bilden. Ihre Zweige bestehen aus durch Querwände getrennten Hohlräumen. An bestimmten Stellen besitzen die Internodien ein Grübchen mit dünner Wandung, das die N. F. XVI. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 617 Ameisen stets zuerst anbohren und so in das Innere gelangen. Hier leben sie in Mengen und nähren sich u. a. von den IMüllerschen Körperchen, eiweißhaltigen Gebilden der Blattkissen. In ähn- licher Weise leben die Ameisen in Gängen im Stamm von Tn'plan's Bäumen, bei der Leguminose Tacliigalia im hohlen Blattstiel, bei vielen Melastomaceen in Schläuchen am Grunde der Blätter. Die von Seh im per begründete Theorie einer Symbiose zwischen Pflanzen und Ameisen will Ule nicht gelten lassen, da viele Tatsachen dagegen sprechen. Die Blütezeit währt das ganze Jahr hindurch. Die Gehölze des Igapö blühen zur Zeit des Hoch- wassers, die der Terra firme zur Zeit der Trocken- heit. Viele Arten blühen auch in regelmäßigen Pulsen. Zweckdienliche Raumverteilung bestimmt die Anlage der Blüten. Daher sind Stammbürtigkeit und Bodenbürtigkeit häufig zu beobachten. In einigen Fällen wie bei Aiiona rliizaiifha Eichl. entwickelt die Stammbasis dünne Zweige, die unter der Erde hinkriechen und allein Blüten tragen. In anderer Weise ist das Streben nach freier Blütenentfaltung außerhalb der Laubregion bei Parkeria auriculata Spr. verwirklicht, wo die kopfartigen Blütenstände an der Spitze meterlanger Stiele stehen. Im Gegensatz dazu hängen sie bei Parkeria pendula Bth. an langen, fadenförmigen Stengeln herab. Ule glaubt nicht, daß diese Ver- hältnisse als Anpassungen an die befruchtenden oder Früchte suchenden Tiere zu erklären sind, möchte vielmehr die Erklärung derStammblütigkeit usw. auf eine Raumverteilung in der Lebenstätig- keit der Pflanzen gestützt wissen. Kr. Die Anschauungen Goebels über den physio- logischen Wert der Erstlingsblätter werden durch die Untersuchungen von Esenbeck und Wilh. Vischer bestätigt. Jener untersuchte eine Anzahl Wasserpflanzen(Beiträge zur Biologie der Gattungen Potamogeton und Scirpus. Flora. N. F. VII. igrs. 152—212). Zahlreiche Pü/a>iii)gc/oii-h.rXtn besitzen die Fähigkeit, unter gewissen Bedingungen auch auf dem Trocknen zu leben, wobei sich an Stelle der löfi'elartigen Schwimmblätter von Potamogeton schmale, pfriemenartige Spreiten entwickeln. Es ist Esenbeck nicht gelungen, diese „Landformen" zu kultivieren. Soweit sie nicht überhaupt bald eingingen, schlugen sie nach kurzer Zeit in die „Wasserform" zurück, woraus er schließt, daß wir es bei den Wasserblättern mit einem Beharren oder besser Zurücksinken auf die Jugendform zu tun haben. Dies kann ganz unabhängig vom Medium durch Störungen verschiedenster Art hervorgerufen werden. Wirkliche Landpflanzen sind auch jene „Landformen" nicht, die sich nur unter günstigen Bedingungen entwickeln, d. h. wo sie gegen starke Verdunstung geschützt sind. Wenn sie sich auch durch sehr gedrungenen Wuchs auszeichnen, besitzen sie doch kein anatomisches Merkmal, das den Wasserformen fehlt, besonders kommt es nie zur Bildung von echtem Schwammparenchym. Nur P. perfoliatus L. bildet scheinbar eine Ausnahme, wenigstens beschreibt Uspenskij (ZurPhylogenie und Ökologie der Gattung Potamogeton. Bull. Nat. Mose. 19 13) eine anscheinend unzweifelhafte Landform dieser Art mit 5 — /schichtigen Blättern, die typische Spaltöffnungen und eine Art von Pallisaden- und Schwammgewebe besitzen. Die Untersuchung der gewöhnlich völlig blatt- losen Scirpus-hx\.cn lehrte, daß sie ebenfalls unter ungünstigen Bedingungen, bei schlechter Ernährung oder in abgeschwächtem Licht, Laubblätter ent- wickeln. Daß auch hierin ein Rückschlag in die Abb. I. Hakea äff. cycloptera. R. Br. Vergr. 1 : 2. a. Normaler Steckling aus dem Kalthaus. b. Steckling aus dem Feuchlkasten. c. Wie a, nach Abschneiden der Blätter. Jugendform zu sehen ist. wird durch beblätterteKeim- pflanzen von Seirpns prolifer L. und S. lactisiris L. erwiesen. Bei dieser Art und bei S. flidtans L. kann ebenfalls wie bei Potajno^eton die Wasserform auf dem Lande experimentell hervorgerufen werden. Zahlreiche xerophile Pflanzen zeigen einen ähnlichen Gegensatz von Erstlings- und Folge- blättern {Fest II ea glaiiea Sehr., Eucalyptus glo- buliis Lab., Hakea, j\liilile?ibeckia u. a.) Wie Vischers Versuche lehren (Experimentelle Beiträge zur Kenntnis der Jugend- und Folge- formen xerophiler Pflanzen. Flora N. R. VIII. 1915), können auch bei ihnen durch das Experiment beide Formen willkürlich hervorgerufen werden. Starkes Zurückschneiden, gute Bewurze- lung, schwaches Licht, feuchte Luft, Kultur in Nährlösung führen zur Bildung der Rückschlags- form, schwache Bewurzelung dagegen, gutes Licht, 6i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVL Nr. 44 Zurückschneiden der Wurzeln oder Kultur in reinem Wasser bedingen die Entwicklung der fnlgeform (Abb. I u. 2). Diese, durch starke Wandverdickungen charakterisiert, stellt nach Vischer aber keine zweckmäßige Reaktion auf ein Lebensbedürfnis dar, denn die Wandverdickungen sind nur durch Abb. 2. Hakea suavolens. R. Br. Im Freien gewachsen mit RückschlagssproS. Vergr. I : 2. Sämtliche Abbildungen nach Vischer. Mangel an Nährsalzen und Häufung der Assimi- lationsprodukte bedingt, weisen aber keinerlei Be- ziehung zur Luftfeuchtigkeit und dem Gehalt des Substrats an Wasser auf Dieses Ergebnis wirkt überraschend, und es ist wohl Aufgabe weiterer Versuche, seine Allgemeingültigkeit zu erhärten. Kr. Physik. Die Einordnung der Radioelemente in das periodische System, wie sie von Soddy und von Fajans ausgeführt wurde, hat zu der Annahme geführt, daß es Elemente gibt, die bei gleichen chemischen und spektralen Eigenschaften ver- schiedenes Atomgewicht haben, man hat sieisotope Elemente ') genannt. In zwei Fällen ist es mit völliger Sicherheit gelungen, experimentell Isotope nachzuweisen : Blei und Ra G, das stabile End- produkt der Uran-Radiumfamilie sind isotop. Das Atomgewicht des Bleis ist 207,2; auf Grund der ') Naturwiss. Wochenschr. XV, 1 7 : Das periodische System die Radioelemente. Verschiebungssätze berechnet sich das Atomgewicht von Ra G zu 206,0, indem nämlich das Uranatom (238J zunächst durch Abgabe von 3 Heliumatome (He Atomgew. 4, also 3 He = 12) in das Radium (226) und dieses durch Abgabe von 5 weiteren Heliumatomen (20) sich in Ra G (206) verwandelt. Man hat nun nachgewiesen, daß das Blei, das sich in Uranerzen findet, nicht ein Atomgewicht von 207,2, sondern stets ein niedrigeres (bis zu 206,05) hat. Dieses Uranblei ist also kein gewöhnliches Blei, sondern ein Gemisch von diesem und einer Isotope desselben, eben des Ra G. Für die Isotopen Thorium (232,4) und lonium (230), das direkte Vaterelement des Radiums, ist der Nachweis ebenfalls gelungen. Stellt man Thorium aus Monazit (frei von Uran) her, so findet man ein Atomgewicht von 232,15. Isoliert man es dagegen aus Uranmineralien, so enthält das Endprodukt neben Thorium die Isotope lonium, da ja Isotopen die gleichen chemischen Eigenschaften zeigen, also nicht zu trennen sind. In diesem Fall findet man für das Atomgewicht 231,5, also einen kleineren Wert. Noch ein dritter Fall ist der experimentellen Prüfung zugänglich, in allen übrigen sind die Mengen, in denen die Isotopen vorhanden sind, zu klein. Über diesen berichtet O. Hönigschmid (Prag) in der Zeitschr. f. Elektrochemie XXIII, 161 (1917); es handelt sich um das Thorblei. Das Thorium zerfällt durch Abgabe von 6 Helium- atome (die /5-Strahlumwandlungen können, weil mit ihnen ein merklicher Massenverlust nicht ver- bunden ist, unberücksichtigt bleiben) in Th E, dessen Atomgewicht sich also zu 208,12 (232,12 — 6-4) berechnet. Dieses Produkt ist dem Blei isotop und scheint stabil zu sein. Da nun jedes Thor- mineral auch Uran enthält, so erhält man, wenn man Th E aus ihm isoliert, gleichzeitig die Isotope Ra G. Das Atomgewicht muß demnach zwischen dem von Ra G (206,0) und Th E (208,12) liegen, je nachdem in welchen relativen Mengen die Komponenten in dem Isotopengemisch enthalten sind. Soddy hat nach einer indirekten Methode für das Thorblei 207,74 gefunden. Hönigschmid führt eine direkte Bestimmung aus an dem von Soddy zur Verfügung gestellten Stückchen Thor- blei (Gewicht 12 g). Das Metall wird in Salpeter- säure gelöst und dann mit Salzsäure gefallt. Durch Fällung . als Chlorsilber wird das .Atomgewicht ermittelt; es ergibt sich als Mittel aus acht Messungen zu 207,77 in guter Übereinstimmung mit dem Soddy'schen Wert. Daß der Wert wesentlich niedriger als der aus den Verschiebungs- sätzen theoretisch berechnete Wert 208,1 ist, er- klärt sich aus der Gegenwart der Isotope Ra G. — Damit ist die Zahl der Isotopiefälle, die der experimentellen Beobachtung zugänglich sind, er- schöpft. K. Seh. Geologie. Gewinnung von Platin aus Ge- steinen. Vor dem Kriege wurde die Entdeckung plaiinlührender Gesteine im Sauerlande viel be- N. F. XVI. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 619 sprechen; sie sollten, so hieß es, überaus reich sein und uns von fremder Zufuhr ganz unabhängig machen. Tatsächlich ist das Vorkommen von Platin in Grauwacken, die den tiefsten Schichten des rheinischen Unterdevons angehören, einwand- frei erwiesen worden. Da außerdem in diesen Gesteinen noch etwas Chrom und Nickel vorkam und diese Mineralien die Begleiter des Platins in den olivinreichen Gesteinen des Urals sind, die das Muttergestein der dortigen Seifen bilden, so nimmt man an, daß auch das Platin der Sauer- länder Grauwacke aus derartigen Gesteinen stammt. Man hat sie zwar nirgends gefunden, aber das spricht nicht gegen diese Auffassung, denn sie können in früheren Epochen der Erdgeschichte zerstört worden sein; ihre widerstandsfähigsten Bestandteile, eben die aus Platin, Chrom und Nickel bestehenden Mineralien blieben erhalten und lagerten sich mit den Zerstörungsprodukten anderer Gesteine, in der Hauptsache Quarzkörn- chen und Ton in einer Schicht ab, die wir jetzt als Grauwacke vor uns sehen und demnach als fossile Platinseifen bezeichnen können. Über den Gehalt der Grauwacke an Platin sind keine sicheren Angaben veröffentlicht wor- den. Nur so viel steht fest, daß er sehr ungleich im Gestein verteilt und daß sich leider auch äußer- lich nicht feststellen läßt, ob er überhaupt vor- handen ist. Das bedeutet einen sehr mißlichen Umstand für den Abbau der Lagerstätte, weil man dadurch genötigt ist, neben dem platinhaltigen auch viel taubes Gestein zu gewinnen und zu ver- arbeiten. Eine andere noch größere Schwierig- keit bildet aber die freie Verteilung des Platins für seine Gewinnung aus dem Gestein. Ob die Gesellschaften, die sich mit der Ausbeutung der Platinlagerstätten befassen wollten, dieser Schwie- rigkeiten Herr geworden sind, ist nicht bekannt geworden. In welcher Weise man sich aber mit der Lösung des Problems, das fein verteilte Platin aus dem Gestein zu gewinnen, beschäftigt hat, zeigt ein jetzt veröffentlichtes Patent (D.R.P. 297 2 1 1 ), das, wenn man auch noch im Ungewissen ist, ob die ihm zugrunde liegende Erfindung sich in der Praxis bewährt, doch einen interessanten und in der Erzaufbereitung ganz neuartigen Ge- danken zum Ausdruck bringt. Das Verfahren geht in der Weise vor sich, daß das fein pulvri- sierte Gestein auf eine elektrische leitende Fläche in dünner Schicht verteilt aufgetragen wird; diese Fläche wird mit dem einen Pol einer Elektrizitäts- quelle in Verbindung gebracht. Der zweite Pol besteht aus einer kleinen Platte, welche auf das Gesteinspulver gelegt und hin- und hergeschoben wird. Der elektrische Strom kann seinen Weg von der unteren Fläche zur bewegten Platte nur durch die Platinteilchen nehmen, da das Gesteins- pulver eine isolierende Schicht bildet. Hierbei tritt nun die Scheidung ein, indem die Platin- teilchen an den Berührungsstellen mit den Pol- platten Funken bilden und hierbei ;n diese ein- schmelzen. Die Polplatten können nach genügender Anreicherung eingeschmolzen werden. Man kann sie sowohl aus Wachs, Asphalt wie auch aus irgendeinem leicht schmelzenden Metall anfertigen. Es sei noch erwähnt, daß der Preis des Platins eine Höhe erreicht hat wie nie zuvor und daß daher auch Verfahren, die zur normalen Zeit un- unwirtschaftlich wären, zur Anwendung kommen könnten. In Rußland wird Platin jetzt mit rund 10 000 Mark für das Kilogramm bezahlt, etwa viermal so hoch wie Gold, während sein Preis vor dem Krieg die Hälfte betrug, (oc) Z. Zoologie. Die Schlangen wurden in der älteren Systematik (Dumeril und Bibron, 1852) ein- geteilt in Giftschlangen und ungiftige Schlangen. Die ersteren besitzen einen Giftzahn, d. h. einen spitzen Zahn, welcher vor der Pulpahöhle einen Kanal besitzt; dieser beginnt am Grunde des Zahnes mit einer Eingangsöffnung und mündet kurz vor der Spitze. Durch den Kanal wird ein giftiges Speichelsekret, das Schlangengift in die Bißwunde gebracht. Erzeugt wird das Gift in einer mehr oder minder großen Drüse, welche beiderseits vor dem Ohr liegt und deren Ausführungsgang gegen- über der Eingangsöffnung in den Giftkanal des Zahnes mündet. Durch die Anordnung der Zahn- keime wird bewirkt, daß nach Ausfallen des Gift- zahnes die Giftdrüsenflüssigkeit nicht nutzlos verloren geht, indem eine Schleimhautfalte den leer gewordenen Teil der Giftzahntasche verschließt.*) Die Giftdrüse selbst steht unter der Einwirkung des Kaumuskels und unterliegt infolge der An- ordnung und Form der Kieferknochen bei jedem Beißakt einem Druck, durch welchen das Gift in den Zahn und in die Wunde ausgepreßt wird.**) Der Giftzahn ist nun entweder von einem ringsum geschlossenen Kanal für das Gift durchsetzt, oder letzteres wird in die Wunde geleitet durch eine mehr oder minder tiefe Furche, welche auf der vorderen Fläche des Zahnes von der Wurzel bis zur Spitze verläuft. Die Giftschlangen der ersten Gruppeheißen Röhrenzähner(Solenoglyphen), die anderen P'urchenzähner. Zur ersten Gruppe, den Viperiden, gehören die europäischen Gift- schlangen: Kreuzotter und Viper, sowie die amerikanische Klapperschlange und zahlreiche tropische Arten. Furchenzähner sind die Brillen- schlange, die Seeschlangen und eine große Zahl tropischer Formen. Der den funktionierenden Giftzahn tragende Oberkieferknochen ist bei den Röhrenzähnern ganz kurz, pyramidenförmig und beweglich am Schädel befestigt. Der Oberkiefer der Furchenzähner dagegen ist langgestreckt und trägt die Giftzähne entweder vorn (Proteroglyphen) wie bei den Brillen.schlangen oder im hinteren Abschnitt (Opisthoglyphen); zu den Opistoglyphen gehören eine Reihe südamerikanischer Arten. Ausser den Gifizähnen trägt der Oberkiefer bei ') Kathariner L., Bildung und Ersatz der Giftzähne bei Giftschlangen. Zoolog. Jahrbücher lo. Bd., 1897. ^) Kathariner L., Mechanismus des Bisses der soleno- ghyphen Giftschlangen. Biolog. Zentralblatt 20. Bd. 1900. 620 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 44 den giftigen Colubriden noch eine verschieden große Anzahl solider Hakenzähne. Im Gegensatz zu den beiden Gruppen typischer Giftschlangen, Röhren- und Furchenzähnern, wurden alle anderen Schlangenarten als Glattzähner (Aglyphen) zusammengefaßt. Dadurch wird die Meinung erweckt, ihr Speichelsekret übe keine giftige Wirkung aus. Daß diese Annahme aber durchaus irrig ist, geht aus Versuchen hervor, über welche Marie Phisalix in der Pariser Akademie der Wissenschaften berichtet. Die Giftdrüse der Schlangen ist nach Leydig der Ohrspeicheldrüse (Parotis) der anderen höheren Tiere homolog. Daß sie nicht bloß bei den typischen Giftschlangen, den Röhren und Furchen- zähnern, vorhanden ist, wurde durch M. Physalix festgestellt (sur la glande parotide venimeuse des Colubrides aglyphes, et sur l'existence de cette glande chez des especes appartenant aux Bo'ides et aux autres familles de Serpents qui s'y rattachent. Sitzung vom II. Juni 1917. C. R. t. 164 Nr. 26). Sie untersuchte i. ob die Parotis auch bei den aglyphen Colubriden vorhanden sei, 2. ob man sie auch bei anderen Schlangenfamilien antreffe und 3. ob ihr Vorhandensein und ihre Entwicklung in Beziehung ständen zur Zahnbildung. 1. Die aglyphen Colubriden besitzen, wie schon Leydig vermutete, gleichfalls eine Parotis. Diese ist eine kompakte Masse von rötlichweißer Farbe, in zahlreiche Läppchen geteilt und besitzt keinen einheitlichen Sammelraum. Sie liegt ohne besondere Muskulatur zwischen der Oberlippe und dem Auge. Ihr kurzer Ausführungsgang mündet am inneren Rand einer SchleimhautfaUe; das weiße, schleimige Sekret vermischt sich also mit der Speichelflüssig- keit, bevor es in die Wunde eingespritzt wird. Die Parotis wurde bei 72 von 95 untersuchten Arten festgestellt ; sie findet sich also häufig, wenn auch nicht ausnahmslos auch bei den aglyphen Colubriden. 2. Auch die Boi'den und andere verwandte Familien haben eine Parotis. In der herpetologischen Sammlung des Pariser Museums wurden daraufhin alle dort vorhandenen Schlangenarten untersucht. Die Parotis fehlte lediglich bei den Typhlopiden und den Glauconiden ; sie fand sich dagegen bei den Boiden (Eryx), liysiden (Ilysia, Cylindrophis), Uropehiden (Rhinophis, Silybura, Pleciurus, Platy- plecturus), Xenopeltiden (Xenopeltis) und Ambly- cephaliden (Leptognathus). 3. Was nun die Beziehung des Vorhandenseins oder Fehlens der Parotis zum Vorhandensein oder Fehlen von Giftzähnen anbelangt, so trifft man die größte Mannigfaltigkeit. Es können z. B. zahl- reiche kleine und gleich große Zähne, wie bei den Aglyphen, vorhanden sein; bei gewissen Arten sind die Oberkieferzähne ungleich groß, und zwar sind bald die vorderen und bald die hinteren länger. Im letzteren Fall unterscheiden sie sich von den Giftzähnen der Opisthoglyphen nur durch das Fehlen der Furche (Macropisthodon, Heteroden usw.). Die mehr als 130 untersuchten Arten aus den verschiedensten Familien verhielten sich folgender- maßen: a) Die Parotis fehlt; aber Giftzähne sind vor- handen (Prosymna, Pseudaspis) ; b) Die Parotis ist vorhanden; aber Giftzähne fehlen (Coronella, Contia, Xenopeltis); c) Bei Schlangen, welche zu derselben Gattung einer und derselben Familie gehören, die also dieselbe Bezahnung haben, besitzen die einen eine Parotis, die anderen nicht (Coluber, Polyodontophis, Rhadinea, Leptognathus). Es kann also eine Parotis vorhanden sein un- abhängig von der Art der Bezahnung. Wenn nun das Vorhandenseins einer Parotis mit dem von Gift- zähnen zusammenfällt (Macropisthodon, Xenodon, Heterodon), so hat man „Fraeopisthoglyphen" (Phisalix) mit einem Ciftapparat. Dem Beutetier gegenüber ist dieser Typus gleichwertig dem der Opisthoglyphen; denn wie bei allen anderen Schlangen ist die Parotisflüssigkeit von giftiger Wirkung. Mit Speichel gemischt dringt sie leichter in die Wunde ein; außerdem stehen dafür mehr Wundöffnungen und längere Zeit zur Verfügung, da das Beuteiier sich zu befreien sucht. Die Giftigkeit des Parotissekrets wurde nun für 2 Gruppen von Glattzähnern untersucht; nämlich für die Familien der Boiden und der Uropeltiden und zwar für die Arten Eryx Johni D. B., Silybura pulneyensis Bedd., Platynlecturus madurensis Bedd. und P. trilineatus Günther (M. Phisalix, Sur les proprietes venimeuses de la secretion parotidienne chez des especes de Serpents appartenant aux Boides et aux Uropeltides. Sitzung vom 2. Juli 1917. C. R. t. 165 Nr. i). Die zum Versuche dienenden Schlangen waren frisch gefangene Exemplare; die Giftigkeit wurde erprobt an Vögeln, welche bekanntlich für die Giftwirkung sehr empfindlich sind, indem man einen Extrakt in die Brustmuskeln injizierte. Trotz- dem die Drüsen oft sehr klein und die Menge ihres Sekretes dementsprechend minimal war, er- lagen die Vögel meist, z. T. unter schwersten Erscheinungen (Atemnot, Herzkrämpfe, klonische und tonische Krämpfe usw.); mitunter trat der Tod blitzartig schnell ein. So war z. B. die Parotis von Platyplecturus trilineatus nur 0,25 mg schwer; I ccm eines Auszugs ihres Sekrets tötete aber die 7 g Culicicapa ceylonensis augenblicklich. G. A. Boulenger (Sur l'evolution de l'appareil ä venin des Serpents. Sitzung vom 9. Juli 191 7. C. R. t. 165 Nr. 3) betont, er stimme mit M. P h i s a 1 i X darin überein, daß die Unterscheidung der Aglyphen und der Opisthoglyphen, soweit sie die Beschaffenheit des Parotissekrets anbelange, nicht stichhaltig sei. Ausschlaggebend können überhaupt nur die morphologischen Merkmale sein. Auch gebe die Größe der hinteren Oberkieferzähne, welche durch eine Lücke von der vorderen ge- schieden sein sollen, für manche Opisthoglyphen kein sicheres.Merkmal ab. Man dürfe die Bezeichnung Opisthoglyphen nicht auf die Formen mit mehr N. F. XVI. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 621 oder minder langen Zähnen beschränken. Vom praktischen Gesichtspunkt aus könne man eine Aufstellung der Gruppe der Opisthoglyphen wohl rechtfertigen und dieselbe in 2 parallelen Reihen anordnen, welche sich an entsprechende Reihen von Aglyphen anschlössen. Er brauche wohj nicht besonders zu betonen, daß die Einteilungen von Schlegel, Günther und Jan von durchaus verfehlten Vorraussetzungen ausgingen. Es stehe außer Zweifel, daß die Furche ein primitives Merk- mal bilde; sie habe sich nämlich allmählich ent- wickelt, wie eine ganze Anzahl von Gattungen beweise. Es ließen sich die Froteroglyphen in einer Reihe anordnen, wobei die Furche immer immer tiefer wird, bis sie zuletzt zwischen der Ein- und Ausmündung zu einem Kanal geschlossen ist (Elaps, Dendaspis und Solenoglyphen). Zwischen der Größe der Zähne und ihrer Umbildung zu Giftzähnen bestehe keine Beziehung. Beweis dafür seien die oben genannten Opisthoglyphen und manche Wasserschlatigen; bei letztereu seien die vorderen Haken sehr klein im Vergleich zu den Giftzähnen der anderen Froteroglyphen und den Solenoglyphen. Bezüglich der Ableitung der Froteroglyphen und der Solenoglyphen halte er an seiner schon vor 25 Jahren ausgesprochenen Ansicht fest. Die Gattungen Ogmodon und Toxicocalamus gäben einen Begriff davon, wie die Umbildung der Aglyphen zu den Froteroglyphen stattgefunden habe, und die Zurücklühruug der Solenoglyphen auf die Aglyphen werde durch eine ganz neue Entdeckung bestätigt. Sein Sohn E. G. Boul enger habe nämlich gefunden, daß bei Xenodon Merremi der sehr kurze, senkreciit gestellte Oberkiefer um die Querachse des Schädels beweglich sei. Man brauche sich nur den Ober- kiefer noch mehr verkürzt, die kleinen Vorderzähne fehlend und den Gifikanal vorhanden zu denken, um die einzelnen Entwicklungsstufen des Ober- kieferapparates der Viperiden vor sich zu haben. Darauf erwiderte M. Phisalix (Sur la valeur subjective de l'evolution de l'appareil venimeux des serpents et de l'action physiologique des venins dans la systematique. Sitzung vom 9. Juli 191 7. C. R. t. 165 Nr. 3), daß sie dem Giftapparat nicht, wie sie das früher getan habe, eine Bedeutung in systemati.'-cher Beziehung zumesse. In ihren letzten Arbeiten habe sie den Beweis geliefert, daß das Farotissekret der Aglyphen ebenso giftig wäre, wie das der Frotero- und der Solenoglyphen. Kathariner. August Weidmann starb am 6. November 1914 und schon hat man seine Bedeutung als Natur- philosoph in einer Schrift untersucht, aut die ich aufmerksam machen möchte, um zugleich einige Worte der Kritik anzuschließen. Heinrich Spix hat sich in einer dickleibigen, über 16 Bogen starken Bonner Dissertation (vom Jahre 1915) über „A ugust Weisman n als Er- kentnistheoretiker und Psychologe" die Aufgabe gestellt, Weismanns philosophische Voraussetzungen auf erkenntnistheoretischem und psychologischem Gebiete aus dessen zahlreichen größeren und kleineren Schriften herauszuarbeiten. — Einleitend wird im I. Teil (S. 7 — 12), vielleicht nur allzu kurz, der Lebens- und Werdegang Weismann 's im Hinblick auf seine philo- sophische Ausbildung dargestellt. Der II. Teil (S. 13—235) nimmt den Hauptraum der Disser- tation ein und behandelt Weismann als Er- kenntnistheoretiker und Psychologen. Zunächst seine Stellung zu drei Fragen der Erkenntnistheorie: I. zum Empirismus, 2. zur Kausalität und 3. zur Einheit, zur Einfachheit und zum Individuum. Dann seine Stellung zu Fragen der Psychologie: I. Instinkt und Intelligenz, 2. Anthropologie und 3. Leib und Seele. Im III. Teil (S. 235 — 245) erhalten wir eine gedrängte Zusammenfassung des Gesamtergebnisses der Arbeit (unter wesentlicher Berücksichtigung der noch ungedruckten Teile der Dissertation 1), und die den Beschluß bildende Inhaltsangabe der gesamten eingereichten Studie (auf S. 246) endlich zeigt, welch vielfache Punkte von Weismann in seinen Schriften diskutiert worden sind. Einzelnes läßt sich aus der Arbeit nicht heraus- heben. Weismann ist stets ein Anhänger des materialistischen (oder hylistischen) Monismus ge- wesen. Daß Spix persönlich dem Materialismus wohl nahezu diametral gegenübersteht, daß er diese Weltanschauungsfragen leider oft nur allzu subjektiv ausklingen läßt, wird jeder Leser selbst bemerken können. Darunter leidet natürlich eine rein historische Darstellung, und Spix' Schrift ist infolgedessen stellenweise eine modern- kri tisch anmutende Auseinandersetzung mit dem Materialismus im allgemeinen. Wie weit Spix da geht, zeigt z. B. ein Satz auf S. 222, wo er gegen das wohl gelegentlich angefochtene, aber doch von der Mehrzahl der Biologen ver- tretene biogenetische Grundgesetz sich ereifert; er schreibt: „Diesem sogenannten [!] Gesetze fehlen sowohl die logischen als auch die natur- wissenschaftlichen Unterlagen, weshalb dasselbe heute in Forscherkreisen verpönt ist." Haeckels und Wiedersheims Stammbaum- Versuch nennt er einige Zeilen später sogar „ein phantastisches, tendenziöses Machwerk", und auf S. 1 1 sprach er vorher schon von den „ausgetretenen" Bahnen des Materialismus. So fruchtbringend Spix' Untersuchung auch für die moderne Erkenntnislehre sein mag, so wenig scheint sie mir unsere Historik zu fördern. Wie ist es aber auch möglich, das am schwierig- sten zupackende natur philosophisch eLebens- werk eines Biologen, der eben noch unter uns weilte, dessen Stimme seinen Schülern noch in den Ohren klingt, dessen Schriften von gestern Probleme von heute bewegen und erörtern, ganz akademisch und neutral ein Jahr nach dessen Tode zu sezieren? Weismann steht ja noch mitten drin in naturphilosophischen Tagesfragen, 622 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 44 im Kampf moderner Geister um Probleme der Weltanschauung. Die histoiische Distanz fehlt uns doch, um die Konturen seines Geistesbaues scharf umreißen zu können. Daher möchte ich für meine Person das Schlußergebnis von Spix nicht in allen Punkten mit unterschreiben, wo es heißt: „Weis mann ist einer der Naturforscher, der vor der Behandlung philosophischer, selbst metaphysischer Fragen nicht zurück- schreckt und ihre Bedeutung anerkennt. Freilich nimmt er sie vielfach zu leicht und läßt dann die nötige Klarheit, auch die volle Umsicht in diesen Dingen vermissen. Ihm gegenüber sind heutige Naturforscher meist vorsichtiger. Immerhin ehrt es den vielseitigen und feinstgebildeten Denker, daß er den Problemen fest ins Auge blickte und, wie seine privaten Studien zu Kant beweisen, innerlich mit ihnen rang. Eine größere Ori- ginalitätfehlt ihm, und Helm holt z, Hertz, E. Mach und andere stehen in dieser Hinsicht wesentlich höher als er." Rudolph Zaunick. Bücherbesprechungen. St. Meyer und E. von Schweidler, Radio- aktivität. 541 Seiten mit 87 Abbildungen im Text. Lerpzig und Berlin 1916. B. G. Teubner. — Preis geh. 22,50 M. Daß neben den bekannten Werken von Curie und Rutherlord das Gesamtgebiet der Radioaktivi- tät auch von deutscher bzw. österreichischer Seite eine umfassende Bearbeitung erfährt, ist vollauf gerechtfertigt nicht nur dadurch, daß, wie die Verf betonen, diese beiden Länder von Anfang an durch eifrige Mitarbeit an der experimentellen und theoretischen Klarstellung des neuen For- schungsgebiets mitbeteiligt waren, sondern auch dadurch, daß namentlich die Grundlagen für das Verständnis und die Ausarbeitung des Gebiets im wesentlichen in Deutschland geschaffen worden sind. Wenn dieser letztere Umstand in der neuen Bearbeitung auch nicht mit der wünschenswerten Deutlichkeit zum Ausdruck kommt, so verdient diese doch durch die ausgezeichnete Art der Dar- stellung, namentlich die kaum zu übertreffende Übersichtlichkeit, die erstrebte weilgehende Voll- ständigkeit in der Angabe des vorliegenden Tat- sachenmaterials und die scharfe Hervorhebung der gesamten umfangreichen Literatur größte Beach- tung. Sie gewährt sowohl dem Fernerstehenden, der sich erschöpfend über die einzelnen Probleme der Radioaktivität zu orientieren wünscht, als namentlich auch dem auf verwandten Gebieten täligen F"orscher einen vollen Einblick in den gegenwärtigen Stand der Kenntnis und die vor- liegende Literatur. Die letztere findet sich jeweils am Schlüsse jedes Kapitels oder Abschnitts zu- sammengestellt — zur Vermeidung einer Über- lastung der einzelnen Seiten durch zu zahlreiche Fußnoten und zur Erhöhung der Übersichtlichkeit — , während am Fuße jeder Seite auf den Ort der speziellen Literaturnachweise noch besonders hingewiesen wird. Um die Aktualität des Werkes bis in die neueste Zeit zu sichern, haben die Verf. in kurzen im Anhang sich findenden Nachträgen noch den während der Drucklegung erschienenen Untersuchungen Rechnung getragen. Der Gegenstand selbst wird in 7 Kapiteln systematisch behandelt. Das erste enthält eine kurze historische Einleitung. Das 2. Kapitel be- trachtet „die Prozesse der radioaktiven Umwand- lung" auf Grund der Zerfallstheorie, die nicht mehr induktiv entwickelt sondern als bereits gesicherter Besitz als Tatsache genommen wird. Das 3. Ka- pitel behandelt „die Prozesse der radioaktiven Strahlung" unter getrennter Darstellung der Ge- setze der drei verschiedenen vorliegenden Strahlen- arten. Den „Wirkungen der radioaktiven Strah- lung" ist das 4. Kapitel gewidmet, während das fünfte der ziemlich ausführlichen Besprechung der „Maße und Meßmethoden" dient. Im 6. Kapitel findet sich eine umfassende Charakteristik der einzelnen radioaktiven Substanzen. Das 7. Kapitel schließlich enthält eine kurze Zusammenstellung der Kenntnis der „Radioaktivität in Geophysik und kosmischer Physik". Daß der erste Entwurf eines Werkes dieses gewaltigen stofflichen Umfangs noch gewisse Ein- wände zuläßt, ist verständlich. Was zunächst die erstrebte Vollständigkeit in der Berücksichtigung der Literatur betrifft, so vermißt Ref. mehrere seiner hierhergehörigen Arbeiten; ebenso erscheinen die wichtigen Untersuchungen Lenard's viel zu wenig berücksichtigt. Bei Besprechung der Schmelz- verfahren zur Radiumbestimmung wird die hierher- gehörige Untersuchung Holthusen's kaum er- sichtlich. Unter den Angaben über die Ge- schwindigkeitsabnahme der /S-Strahlen fehlt die eingehende Untersuchung Baxmann's. Historisch nicht zutreffend ist die auf S. 166 sich findende Angabe, daß „die in festen Dielektriken durch Becquerelstrahlen hervorgerufenen lonisierungs- erscheinungen" zuerst von Becquerel konstatiert und dann erst vom Ref untersucht worden seien. Sachlich teilweise unzutreffend, teilweise unklar sind die Bemerkungen über die von /5-Strahlen erzeugten Sekundärstrahlen. Hier wie namentlich auch bei den Betrachtungen der Absorption der (^-Strahlen vermißt Ref. überdies eine genügende Kritik der Literatur seitens der Verf Wenig glück- lich gewählt dürfte auf S. 146 die Einteilung der „Ionen in Gasen" sein. Bei der Betrachtung der 3 radioaktiven Strahlenarten wäre wohl ein Hin- weis auf die Kenntnis der Kanal-, Kathoden- und Röntgenstrahlen zu wünschen, von denen ja die beiden letzteren nicht nur den radioaktiven Strahlen analog sondern völlig wesensgleich sind. Dadurch N. F. XVI. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 623 würden die Gesetze dieser Strahlungen mit grö- ßerer Vollständigkeit hervortreten, als wie sie die Beschränkung auf eine spezielle Strahlenquelle ge- winnen lät5t. Es möge schließlich noch auf einen Druckfehler in der Angabe von R,5 für AcA der schäl zenswerten Tabelle 2 aufS. 490 hingewiesen werden. Ref. zweifelt nicht, das die daneben vorhandenen großen Vorzüge dem Werke zahlreiche Freunde zuführen und daher den Verf in kurzer Zeit Ge- legenheit geben werden, die noch vorliegenden, hier teilweise angedeuteten Unebenheiten in einer Neuauflage zu beseitigen. A. Becker. A. Föppl, Vorlesungen über Technische Mechanik. I. Band: Einführung in die Mechanik. 5. Aufl. 431 Seiten mit 104 Fig. im Text. Leipzig und Berhn 191 7, B. G. Teubner. Geh. 9,20 M. Die ständige Nachfrage hat in kurzer Zeit eine Neuauflage des ersten Bandes dieses lange be- nutzten, bewährten Führers auf dem Gebiet der technischen Mechanik notwendig gemacht. Es ist sehr zu begrüßen, daß die Verlagsbuchhandlung trotz der Ungunst der Zeiten mit der Herausgabe nicht gezögert und damit dem angehenden Tech- niker auch für die Folgezeit ein wertvolles Hilfs- mittel für seine Studien erhalten hat. Der Inhalt des Bandes ist gegen früher im wesentlichen unverändert. „Er ersi reckt sich auf die wichtigsten grundlegenden Begriffe, auf die sich an diese unmittelbar anschließenden Sätze und auf eine Reihe der einfacheren Anwendungen, darunter auch auf solche, die in den späteren Bänden ausführlicher behandelt werden." Hervor- zuheben ist die vorbildliche Klarheit in der Dar- stellung und in der elementaren, durch die Be- tonung des Vektorbegriffs besonders anschaulichen mathematischen Beschreibung des Stoffs. Dem Bedürfnis des Praktikers kommt die Anfügung praktischer Zahlenbeispiele besonders entgegen. A. Becker. Anregungen und Antworten. Um das Kriechen der Schnecken es eine eigene Be- wandtnis. Die Sohle oder der Fuß, mit der das Tier der Unter- lage aufliegt, gleitet an dieser hin ohne Änderung seiner Umrisse und wäre es selbst an einer senkrechten oder an der Unterseite einer wagrecht gehaltenen Glastafel. Andere Tiere, die entsprechend m kriechen vermögen, bedürfen zu- nächst besonderer Kleb- oder Saugvorrichtungen, die der Schneckenschlcim wohl leisten kann, das Vorwärtskommen hängt ab von irgendwelchen UmriSverschiebungen, abwechseln- des Gewinnen und wieder Lösen von Siüizpunkten, etwa Schuppen und Rippenenden bei Schlangen, wechselndes Ein- engen und Anschwellen des Körperquerschnitts wie beim Regenwurm u. dgl. m. Die einzige Möglichkeit, den Körper ohne Konturänderung vorwärts zu bringen, durch Flimmern oder Cilien nämlich, ist hier ausgeschlossen wegen der Größe des Schneckenkörpers. Es läuft also auf Musktlwirkung hinaus. Im Haulmuskelschlauch der Mollusken schließen sich an das einschichtige Epithel Muskelfasern und -biindcl an, die sich in den verschiedensten Richtungen kreuzen, hauptsächlich Längsmuskeln, Quermuskeln, dorso-ventrale und schließlich diagonale. Es läßt sich mit Sicherheit zeigen, daß die ürts- bewegung lediglich von Längsmuskeln, die unmittelbar über der Sohle verlaufen, bewirkt wird, und zwar am deutlichsten bei den Landlungenschnecken. Eine Schlammschnecke, die in umgekehrter Lage am Wasserspiegel dahingleitet, zeigt nur auf der Sohle ein unregelmäßiges Wellenspiel wie ein vom Winde bewegtes Ährenfeld ; und wenn die Sohle der Glaswand anliegt, kommt von den einzelnen Wellen nichts zur Ansicht, sondern die ganze Sohle verschiebt sich, scheinbar ohne jede innere Änderung. Wesentlich verschieden verhält sich der Fuß einer Landschnecke, einer Helix etwa oder noch besser einer ,aulacopoden Form', bei der die Sohle durch zwei feine Längsfurchen in drei Felder geteilt ist, von denen nur das mittlere, ungefärbte, zur Lokomotion dient. Hier sehen wir deutlich Querwellen in regelmäßigen Abständen und gleich- mäßigem Rhythmus von hinten nach vorn das lokomotorische Mittelfeld durchziehen, und zwar sowohl an der freigehaltenen Sohle wie an der, die der Glaswand anliegt. Strickleiterartig treten die Wellen an der kriechenden Schnecke hervor, um bei Ruhe spurlos zu verschwinden. Ausgelöst und reguliert werden die Bewegungen durch ein feines Nervennetz von ähnlicher Strickleitcrform, das die von den unteren Teilen des Schlund- rings, den Fußnervenknoten, ausstrahlenden F'ußnerven im lokomotorischenFeld bilden unter Einlagerung zahlreicher kleiner Ganglien. Wie empfindlich der Apparat ist, zeigte Kunkel an Limax tenellus, der Egelschnecke, die sich im Sommer und Herbst häufig an Pilzfrüchten findet. Läßt man von ihr ein herausgeschnittenes Stückchen der Sohle unter dem Mikroskop allmählich zur Ruhe kommen, so genügt ein Strahl airikien Sonnenlichtes, um das lokomotorische Wellcnspiel wieder in Gang zu setzen. Soweit die wesentlichsten Tatsachen. Nun noch die Deutung 1 Die regelmäßige Anordnung der Wellen bei den Land- schnecken hängt mit dem Medium insofern zusammen, als im Wasser beinahe das ganze Gewicht des Schneckenkörpers ge- tragen wird, während in der Luft die ganze Körprrlast zu bewegen ist. Gleitende Reibung hängt aber in erster Linie von dem Druck ab, den die bewegten Körper gegeneinander ausüben. Die Druckpunkte, bei den Wasserschnecken über die ganze Sohle verbreitet, werden bei den Landschnecken in bestimmte Querlinien verlegt, wodurch sich die gleitende Reibung der bequemeren rollenden Reibung nähert. Die auffallende Tatsache, daß Schnecken auf jeder Unter- lage mit annähernd gleicher Geschwindigkeit kriechen, da doch die glritende Reibung sonst wesentlich mit der Beschaffenheit der Berührungsflächen wechselt, erklärt sich einfach aus dem Schleimband, welches beim Kriechen unausgesetzt am Vorder- rande gebildet wird, so daß nur die Reibung zwischen ihm und der Sohlenfläche in Betracht kommt. Noch fehlt aber die Erklärung der Lokomotion selbst. Wir sehen Wellen an Längsmuskeln verlaufen, die sie regel- mäßig vorn um so viel verlängern, als sie sich nach deren Ablauf hinten verkürzen. Das kann, wie es scheint, auf doppeltem Wege geschehen. Entweder der Muskel verlängert sich, allen sonstigen Erfahrungen entgegen, in der Tätigkeit und verkürzt sich in der Ruhe, so wie ich's vor fast 40 Jahren geschlossen habe, — oder es wird die große Schwellbarkeit des Molluskenleibes durch die Hämolymphe, die alle Gewebs- lücken ausfüllt, zu Hilfe genommen. Man hätte sich dann vorzustellen, daß durch eine lokomotorische Welle ein Haut- stückchen blutleer gemacht würde, in das dann nach Aufhören der Kontraktion die Flüssigkeit unter dem allgemeinen Tonus des Hautmuskelschlauches wieder schwellend einströmte. Ent- scheidende Versuche sind bis jetzt nicht gelungen, und wir wollen die Hypothesen hier nicht weiter verfolgen. Daß meine Annahme im Laufe der Jahrzehnte auf vielfachen Wider- spruch gestoßen ist, versteht sich wohl von selbst. Immer aber war es leicht, die Einwürfe zurückzuweisen. Schließlich noch eine Bemerkung. Je tiefer ein Geschöpf auf der tierischen Leiter steht, desto gleichmäßiger und auto- matischer vollziehen sich seine Lebensäußerungen, desto mehr rücken sie aus der Sphäre bewußter Handlungen in den Be- reich des unbewußten, sympathischen Nervensystems. Der 624 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 44 lokomotorische Apparat der Schnecken zeigt eine merkwürdig scharfe Mittelstufe. Das lokomotorische Wellenspiel vollzieht sich völlig automatisch gleichmäßig, ohne dafi eine weitere Beeinflussung oder Abänderung möglich wäre, wie etwa unser Puls oder Herzschlag als Muster von Sympathicus-Tätigkeit, — jeweiliger Anfang und Ende aber jeder lokomotorischen Be- wegung wird vom Willen bestimmt, als ob wir unseren Herz- schlag willkürlich unterbrechen oder iu Betrieb setzen könnten. H. Simroth f. Herrn Prof. Dr. Rosenthaler. Das eingesandte Haferblatt, das eine schmutzig braune Färbung aufweist, stammt von einer Pflanze, die von emer Milbe ; Tarsonemus spirife.x befallen ist. Die Milbe findet sich in den Scheiden der oberen Blätter oft in großer Anzahl. Durch den Befall wird die aulfallende Färbung hervorgerufen. Zugleich wird die Pflanze so geschädigt, daß die Rispe entweder gar nicht zur Entwicklung kommt, oder wenn sie sich entwickelt, die Körner nicht ausgebildet werden. Gegen die Milbe selbst »ind wegen ihres Sitzes keine Mittel anwendbar. Zur Bekämpfung wird Fruchtwechsel und starke Düngung empfohlen. Duysen. Zu dem heute öfter behandelten Thema „Genießbarkeit mancher bisher nicht beachteter Tiere" gestatte ich mir einige dürften, der dabei Mitteilungen, die auch den nicht an den eigenen Magen denkt. Wieder einmal wurde, nach der „Deutschen Jägerzeitung", in den belgischen Ardennen eine Wildkatze geschossen. Sie gelangte ins Berliner Zoologische Museum und wurde hier als eine zweifellos echte Wildkatze bestimmt. Das häufige Vorkommen der Wildkatze und des Fuchses im besetzten Frankreich und Belgien gehört zunächst wie das Vorkommen des Wolfes in diesen Ländern und zahlreiche andere Bei- spiele — solche aus dem Vogelleben erwähnte ich vor Jahres- frist in dieser Zeitschrift, Nr. 36, 1916 — zu den vielen An- zeichen für die erst während des Krieges recht bekannt ge- wordene Tatsache, daß Deutschland nicht nur von seinem östlichen, sondern auch von seinem westlichen .Nachbarlande sich durch Verarmung an allerlei Warmblütern, nur nicht an Hirschen und Kehen, abhebt. Ich habe in Frankreich noch keine Wildkatze gesehen, aber so viele völlig wild lebende und so viele wildkalzenähnlich gefärbte Hauskatzen, daß ich die gelegentliche Vermischung von Hauskatzen- mit Wildkatzen- blut nicht für ausgeschlossen erachte. Über den Wolf sei be- merkt, daß von ihm noch kein einziges Kriegserlebnis aus dem Westen berichtet, ganz anders als aus dem Osten, so daß die Frage nach seinem Vorkommen in den Ardennen wohl neuer Prüfung wert schiene. Doch das nur nebenbei. Zu jener Erlegung einer Wildkatze durch Major Bad icke wird mitgeteilt, daß die belgischen Landleute den Schützen um Überlassung der Beute baten, denn diese sei sehr gut zum Essen. Ganz gewiß ist dieses Urteil nicht in den Kriegs- ernährungsverhältnissen begründet, die für den Belgier nicht ungünstig sind, sondern rührt bereits aus friedlicher Zeit her. Zigeuner verzehren nicht nur — bekanntlich — sehr gern den Igel, den sie in Lehm backen und dann durch Abschlagen der harten Lehmkruste von den Stacheln befreien, sondern es ist, wenigstens aus früherer, um wenige Jahrzehnte zurückliegender Zeit, belegt, daß herumstreifende Zigeuner sich auch gern in den Dörfern erschlagene Marder und selbst Iltisse geben lassen, um sie zu verspeisen. In Jägerkreisen wurde neuerdings öfter Dachsbraten empfohlen, der bei geeigneter Zubereitung vortrefflich sein soll, und noch rückhaltloser ist in Fischereikreisen vom Küchen- standpunkte aus das Lob der sonst überaus schädlichen, in Sachsen und Bayern immer weiter vordringenden Bisamratte, deren Verbreitung hofi'entlich mit durch diese neue Beurtei- lung des Tieres m den fleischknappen Zeilen wieder einge- schränkt oder wenigstens gehemmt werden wird. Dagegen fand man am Fischotter keinen Geschmack. Vor unseren Soldaten ist schon lange kein Haushund sicher, wenn er ihnen nicht durch den Vorgesetzten feierlich als dessen Eigentum vorgestellt ist. Dabei sind diese Männer, die auch das Fleisch gelallener Pferde sehr schätzen, immer noch wählerisch in ihrem Geschmack. Von gefaßten vor- treftlich zubereiteten Gemüsen, von „Drahtverhau" — das sind gedörrte Kohlrübenschnitzel — und von „Schrapnellkugeln" — das sind, seitdem es Erbsen kaum mehr gibt, die überaus nahrhaften Bohnen — wird immer noch ein guter Teil ,, weg- gehauen", was besonders bedauerlich ist, wenn sie mit zer- kleinertem Fleisch zusammen gekocht wurden. Weniger, aber auch noch genug, geht verloren, wenn die Fleiscbportion gesondert verabreicht wird. Auf den Ernährungszustand des Heeres — ich spreche nach Erfahrungen bei den Sachsen, die ja, durch ihre Vorliebe für Zucker und für dünnen Kaffee bekannt, auch in Gemüsen einen eigenen Geschmack haben mögen — werfen diese Tatsachen sicher kein ungünstiges Licht. In Schaufenstern deutscher Wildhandlungen sieht man jetzt bekanntlich Vögel aller Art bis zum Bussard. Wir sind damit nahezu in solchen Zeilen wie in denen des alten Naumann, der in seinem berühmten Vogelwerk bei jeder Art unter „Nutzen" ein Urteil über ihr Fleisch fällt, selbst beim Zaunkönig. Ich selber kann außer Krähen und Seevögeln auch Falken, die ich auf Helgoland probierte, nur das Wort sprechen. Daß man aus anderen Gründen die meisten Falken- arten in Deutschland nicht schießen soll, bleibt natürlich trotzdem bestehen. Schließlich erwähne ich, was dem Franzosen der Kiebitz bedeutet. In den Departements Aisne und Pas du Nord habe ich nirgends Kiebitze zur Brutzeit bemerkt, Kiebitzeier kennt man nicht, dagegen erscheinen Kiebitze zahlreich als Durch- zügler. Ebenso wird es in der Champagne sein, und hier wird im Frühjahr ein regelrechter gewerbsmäßiger Fang auf Kiebitze getrieben, ein einträgliches, obschon im Anfang mit hohen Unkosten verbundenes Handwerk. Die Vögel gelangen nebst einigen anderen in die Netze geratenden Sumpfvögeln in Friedenszeit in großer Zahl nach Paris, wo sie namentlich als Fastenspeise hoch begehrt sind. In einem französischen Schloß sah ich auf einem großen Jagdgemälde in der Strecke des Jägers auch eine Drossel — wahrscheinlich Wach- holderdrossel, wenigstens brütet die Singdrossel dort sowie an der Aisne nicht — und einen Kiebitz dargestellt. Also selbst einen Schrotschuß werden diese Vögel in Frankreich wert gehalten. (G.G.) V. Franz. Literatur. Gaupp, Prof. Dr. E. f, August Weismann, sein Leben und sein Werk. Jena '17, G. Fischer. — 9 M. Stratz, Prof. Dr. C. H., Volkszunabme und Wehrmacht im Deutschen Reich. Eine naturwissenschaftliche Betrachtung. Mit 7 Abbildungen. Stuttgart '17, F. Enke. — 2 M. Boas, J. E. V., Zur Auffassung der Verwandtschaftsver- hältnisse der Tiere I. Kopenhagen '17, A. Bang. • — 3 Kr. Bauer, Dr. H., Chemie der Kohlenstoftverbindungen III, Karbozyklische Verbindungen. Berlin u. Leipzig '17, G. J. Göschen'sche Verlagshandlung. — i M. Inhalt I Hans Günther, Sulfit- und Karbidsprit. S. 609. Lud wig Kat hari ner , Der Anthropomorphismusin derZoologie. S. 611. — Einzelberichte: H. Deslandres, Sebert, G. Lemoine, GeschUtzfeuer und Wellerlage. S. 613. Ernst Ule, Die Vegetation des Amazonasgebieles. S. 615. Esenbeck und W ilh. Visch er. Physiologischer Wert der Erst- lingsblälter. (2 Abb.) S. 617. O. Hönigschmid, Isotope Elemente. S. 618. — Gewinnnung von Platin aus Gesteinen. S. 618. M. Physalix und G. A. Boulenger, Giftschlangen und ungiftige Schlangen. S. 619 H. Spix, August Weismann als Naturphilosoph. S. 621. — Bücherbesprechungen: St. Meyer u. E. v. Seh weidler, Radioaktivität. S. 622. A. Föppl, Vorlesungen über Technische Mechanik. S. 623. — Anregfungen und Antworten: Kriechen der Schnecken. S. 623. Haferblalt. S 624. Genießbarkeit mancher bisher nicht beachteten Tiere. S. 624. — Literatur : Liste. S. 624. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den ii. November 1917. Nummer 45. [Nachdruck verbot« Studien zur Nervenregeneration. (Untersuchungen von Prof. Dr. J. Boeke, Leiden). Von Alexander Lipschütz, Bern. Mit 8 Abbildungen. In zwei großen Arbeiten, die in den Verhand- lungen der Akademie der Wissenschaften in Amsterdam erschienen und mit einem reichen Tafelwcrk versehen sind, faßt Boeke das Ergebnis mehrjähriger, groß angelegter Untersuchungen über die Nervenregeneration zusammen. ') Die Ergeb- nisse, zu denen Boeke gelangt ist, gehen über den engen Rahmen der speziellen Frage der Nervenregeneration weit hinaus und machen die Arbeiten von Boeke zu einem bedeutungsvollen Beitrag zur Entwicklungsmechanik. I. Es ist bekannt, daß bei Durchschneidung eines Nerven der peripher von der Durchtrennungs- stelle gelegene Anteil desselben degeneriert. Nach- dem die Degeneration vollzogen ist, kommt es in der Regel zu einer Neubildung des degenerierten Anteils, zu einer Regeneration. Der regenerierte Teil steht mit dem zentral gelegenen Anteil des Nerven in kontinuierlicher Verbindung, die sensible und motorische Funktion der gelähmten Organe, etwa eines Armes, wird wiederhergestellt. Die iVieinungen der Forscher gingen bis vor einigen Jahren darüber auseinander, aus welch einem zellulären Material der regenerierte Teil des Nerven entsteht: ob er aus den an Ort und Stelle vor- handenen Zellen bindegewebiger Natur gebildet wird, die am Aufbau des normalen Nervenstranges beteiligt sind, oder ob er aus dem zentralen Anteil des durchschnittenen Nerven , der mit der Gan- glienzelle in Verbindung ist, herauswächst. Es ist dieselbe Frage, die in der Embryologie so lebhaft diskutiert wurde, die Frage über die Entstehung der Nerven während der embryonalen Entwicklung. Nach den Untersuchungen, die Harrison vor etwa zehn Jahren veröffentlicht hat, brauchen wir nicht mehr daran zu zweifeln, welche von den beiden Auffassungen die richtige ist. Harrison schnitt aus der Rückenmarksanlage von Frosch- embryonen kleine Stückchen heraus und brachte sie in Froschlymphe. Er konnte dann unter dem Mikroskop das Herauswachsen eines Nervenfortsatzes aus der isolierten Ganglienzelle direkt beobachten und sogar die Geschwindigkeit dieses Wachstums messen. Dieser Versuch zeigt uns, daß die Gan- glienzelle die Fähigkeit besitzt, Fortsätze in die ') J. Boeke, Studien zur Nervengeneration I. Verhande- lingen der Koningklijke Akademie van Wetenschappen te Amsterdam (Tweede Sectie). Deel XVII, Nr. 6 und Stud. z. Nervenregener. II. Ebenda. Deel XIX, Nr. 5. Amsterdam 1916 und 1917. Umgebung auszusenden, daß also die Nervenfasern unabhängig von irgendwelchen anderen, peripheren, an Ort und Stelle vorhandenen Zellen entstehen können. Es fragt sich nun, ob eine Regeneration eines peripheren Nervenastes auch von dem zentralen Anteil eines andern Nerven aus stattfinden kann. Diese Frage, die praktische Bedeutung hat, ist mehrfach experimentell bearbeitet worden. Es steht fest, daß der zentrale Anteil eines motorischen Nerven auch in die Bahn eines anderen motorischen Nerven hineinwachsen kann. Ebenso, daß man den zentralen Teil des die Herztätigkeit hemmen- den Vagus in die Bahn des Nervus sympathicus hineinleiten kann, der die Erweiterung der Pupille und die Zusammenziehung der Blutgefäße der Kopfregion vermittelt. Bei Reizung des Vagus kommt es dann, wie Langley und Anderson gezeigt haben, zu einer Erweiterung der Pupille und zu einer Kontraktion der Blutgefäße des Kopfes. Kann aber auch eine Vereinigung eines Bewegungsnerven mit einem Empfindungs- nerven Zustandekommen? Das war vor allem die Fragestellung von Boeke. Boeke durchschnitt bei einer größeren Anzahl von Igeln, die für diese Operation sehr geeignet und in den Niederlanden sehr leicht zu haben sind, den motorischen Nervus hypoglossus und den sensiblen Nervus lingualis, d. h. den Bewegungs- nerv und den Empfindungsnerv der Zunge, auf der einen Seite des Tieres. In einer Reihe von Ver- suchen wurde das zentrale Ende des Hypo- glossus mit dem peripheren Ende des Lingualis vereinigt, in einer anderen Reihe von Versuchen wurde das zentrale Ende des Lingualis mit dem peripheren Ende des Hypoglossus vereinigt. Die anderen beiden Nervenenden, die nicht in den Regenerationsprozeß hineingezogen werden sollen, wurden exstirpiert. Wie schon aus älteren Ver- suchen, die von manchen Forschern ausgeführt wurden, bekannt ist, kann es unter Umständen zu einer festen Verbindung zwischen den beiden heterogenen Nerven kommen. Boeke hat nun eine sehr eingehende histologische Analyse bei seinen Versuchstieren ausgeführt, um die Inner- vationsverhältnisse der Zunge genau verfolgen zu können. Boeke zerlegte sein Material jeweils in lückenlose Serienschnitte und er konnte dabei die Fasern der betreffenden Nerven ununterbrochen bis zu ihren peripheren Endigungen verfolgen. Die Art des Befundes wird am besten durch die beiden folgenden Abbildungen illustriert (Abb. I u. 2). Ein 626 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 45 Querschnitt aus der normalen Hälfte der Igelzunge (Abb. i) zeigt uns zu beiden Seiten eines iVIuskel- bündels, das längs getroffen ist, Lingualisäste (L) und Hypoglossusäste (Hg). Wir sehen die Felder quergetroffener Nervenfasern. Abb. 2 ist ein Quer- schnitt aus einer Igelzunge 5 Monate nach Durch- schneidung des Hypoglossus und Lingualis und Verbindung des zentralen Endes des Hypoglossus mit dem peripheren Ende des Lingualis. Wir sehen, daß die peripheren Bündel des Hypoglossus sich nicht regeneriert haben, die alte periphere Bahn des Hypoglossus ist fast leer. Dagegen sind die alten Bahnen des Lingualis dicht gefüllt mit quergetroffenen und einigen längsgetroffenen Nervenfasern. DerHypoglossus oder der Bewegungs- nerv ist in die peripheren Bahnen des Lingualis oder des Empfindungsnerven hineingewachsen. Es findet also, wie Boeke sich ausdrückt, eine „heterogene Regeneration" statt, der Nerv gelangt in einer atypischen, in einer heterogenen ;w Abb. I. Schnitt aus der normalen Zungenhälfte des Igels. Äste des Lingualis (L), des Empfindungsnerven der Zunge, und Äste des Hypoglossus [Wf.), des Bewegungsnerven der Zunge im Querschnitt. M. Muskrlfasern der Zunge im Längsschnitt Vergr. 6oo. Nach Boeke. Bahn zur Regeneration. Boeke konnte auch nach- weisen, daß die einzelnen Nervenfasern innerhalb der alten röhrenförmigen Nervenfaserscheiden ver- liefen: „die neurotropische Anziehungskraft, welche die auswachsenden regenerierenden Neurofibrillen- bündel zur peripheren Nervenbahn geleitet, ist völlig indifferent, und jede auswachsende regenerierende Nervenfaser, welche auch ihre Herkunft, kommt unter ihren Einfluß." Die Lingualisbahn ist so weit von dem Hypoglossus durchdrungen, daß nicht nur die Bahnen der größeren Lingualisäste, sondern auch die Bahnen der feinsten Verzwei- gungen derselben, auch diejenigen der Xerven- fasernetze im Bindegewebe der Zungenschleim- haut, die nach der einfachen Durschschnei- dung des Lingualis natürlich alle degenerieren, jetzt dicht mit regenerierenden Nervenfasern gefüllt waren. Trotzdem es sich nun um Hypoglossus- fasern handelt, die in der Bahn des Lingualis ver- laufen, verläßt keine dieser motorischen Fasern die Bahn des Empfindungsnerven, es sproßt kein einziger Seitenzweig zu den Muskeln hin. Schon dieser eine Befund ist von großem Interesse. Wir sehen, daß regenerierende Nervenfasern, wenn sie einmal in eine bestimmte periphere Nervenbahn ein- gedrungen sind, diese Bahn nicht mehr verlassen können, sie wachsen zwangs- weise in dieser Bahn weiter, ohne hin- aus zu können. Das an Ort und Stelle vor- handene Zellenmaterial bindegewebiger Natur ist das „Gel ei tge webe", wie Boeke sagt, für die Nervenfasern. Als Boeke das eigentliche Endgebiet der regenerierenden Hypoglossusfasern untersuchte, konnte er feststellen, daß diese Fasern sowohl im Bindegewebe als im Epithel Endverästelungen gebildet hatten, die zwar in vieler Beziehung den Endverästelungen von einfach regenerierenden motorischen Fasern glichen, jedoch eine sehr innige Verbindung zwischen den motori-chen Nervenfasern und dem Bindegewebe bzw. dem Abb. 2. Schnitt aus der op er ierten Zu n ge nhäl ft e , 5 Monate nach der Durchschneidung des Hypoglossus und Lingualis und Verbindung des zentralen Hypoglossus mit dem peripheren Lingualis. bl ^ Blutgefäß. Rechts oben sieht man zwei Querschnitte durch die Lingualisbahn, die bei der Verfolgung einer lückenlosen Serie von Schnitten sich erweist als gefüllt mit Hypoglossusfasern. Die Hypoglossusbahn dagegen ist fast leer. Nach Boeke. Epithel herstellten. Eine Verbindung, wie sie normalerweise nur zwischen den Empfindungs- nerven und diesen Endstationen vorhanden ist. Diese Ergebnisse müssen wir als einen Hin- weis darauf betrachten, daß, wenn die Nerven- fasern während der embryonalen Entwicklung auch nicht peripher entstehen, doch ein peripheres „Geleitgewebe" anzunehmen ist, das den aus den Ganglienzellen auswachsenden Nervenfasern den Weg weist, sie führt. Wir dürfen jetzt wohl sagen : die Nervenfaser ist zentralen Ursprungs aber der Weg, den sie im Organismus nimmt, ist durch periphere Momente festgelegt. In diesem Sinne sprechen übrigens auch ältere Versuche von Harri so n. Er trans- plantierte eine noch nervenfreie Extremitätenanlage auf eine normale Amphibienlarve und konnte fest- stellen, daß aus der normalen Larve Nervenfasern in die transplantierte Extremität hineinwuchsen, gleichgültig an welcher Stelle des Körpers die N. F. XVI. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 627 Transplantation der nervenfreien Extremitäten vor- genommen worden war. M II. Xoch bedeutungsvoller war das Ergebnis der zweiten Reihe von Versuchen mit heterogener Regeneration, wo das zentrale Ende des Lingualis mit dem peripheren Ende des Hypoglossus ver- einigt wurde. Auch hier zeigte es sich, daß die regenerierenden Nervenfasern, welche in die fremde Nervenbahn eingedrungen waren, die einmal eingeschlagene Bahn nicht mehr verlassen konnten. Die alte Bahn des Lingualis war hier vcllkommen leer, das Bindegewebe und das Epithel der Zungen- denen normalerweise nur sensible Fasern enden. Ebenso treten Lingualisfasern, die in der Bahn des Hypoglossus regenerieren, an die Muskelfasern heran und bilden Endverästelungen, die auf diese Weise eine Verbindung herstellen zwischen sen- siblen Fasern und einer Endstation, in der nor- malerweise motorische Fasern enden. Während nun aber die Endigungen des Hypoglossus im Lingualisendgebiet im allgemeinen ungefähr das gleiche Aussehen haben wie regenerierende Endi- gungen von Hypoglossusfasern , weisen d i e Endigungen des Lingualis imHypoglossus- endgebiet, d. h. auf den Muskelfasern, einen Bau auf, der motorischen Nervenendigungen sehr ähnlich ist. Die Abb. 3 — 6 mögen als Beispiel dienen. Das Milieu, die Umgebung bestimmt hier somit den Bau der Nervenendigungen: die Endigungen des sensiblen Lingualis, der im Experi- Eine Muskelfaser aus den Rippenmuskeln des Igels, etwa 2 Monate nach der Durchschneidung des zu- führenden Nerven. Man sieht die regenerierte Nervenfaser mit der charakteristischen Endigung (motorische Endplatte). Nach Boeke. ..\bl,. 4. Eine Muskelfaser aus derZunge des Igels, 45 Tage nach der Durchschneiduog des motorischen Nerven (Hypoglossus). Man sieht die regenerierte Nervenfaser mit der charakteristischen Endigung. Vergr. 1800. Nach Boeke. Zwei Muskelfasern aus der Zunge des Igels, etwa 3 Monate nach der Durchschneidung des Lingualis und des Hypoglossus und der Vereinigung des zentralen Teiles des Lingualis mit dem peripheren Ende des Hypoglossus. Man sieht die regenerierten Nervenfasern, die Lingualisfasern darstellen, at>er Endausbreitungen gebildet haben, wie sie für motorische Nervenfasern charakteristisch sind. Vgl. hierzu Abb. 3 und 4. Nach Boeke. Schleimhaut waren von Nervenfasern vollkommen frei, während die Bahnen des Hypoglossus dicht gefüllt waren mit regenerierenden Fasern des Lingualis. Insofern bringen diese Versuche eine Bestätigung der Befunde, die sich aus der ersten Reihe ergeben hatten. In einer Beziehung erweitern sie aber diese Befunde. Wir haben erwähnt, daß die Hypoglossusfasern, die in der Bahn des Lin- gualis verlaufen, Endverästelungen im Bmdegewebe und im Epithel der Schleimhaut bilden, so daß eine innige Verbindung zwischen den motorischen Fasern und jener Endstation hergestellt wird, in ') Harrison, II. of e.xp. Zool. 1917. B. 4. Zitiert nach Verworn, Bemerkungen zum heutigen Stand der Neuron- lehre. Medizin. Klinik, Jahrg. 1908, Nr. 4. ment gezwungen wird, die Bahn des motorischen Hypoglossus einzuschlagen, bildet in der für ihn atypischen Umgebung, d. h. auf den Muskelfasern, motorische Endigungen. Boeke formuliert dieses Ergebnis in Form eines Gesetzes: „Bei der Nervenregeneration wird dieForm und Gestalt der ausgebildeten Endorgane im allgemeinen bestimmt durch die Umgebung, dasMilieu,in welchem sich die Endorgane bilden"... Das weniger differenzierte Gewebe der Schleimhaut, in der normalerweise der Lingualis seine Endigungen ausbildet, übt augenscheinlich einen viel weniger bestimmenden Einfluß auf die hier regenerierenden Fasern des Hypoglossus aus, als das hochdifferen- zierte Muskelgewebe auf die regenerierenden Fasern 628 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 45 des Lingualis. Das dürfte die Erklärung dafür sein, daß die Endigungen der Hypoglossusfasern, die in die Lingualisbahnen geleitet werden, ihre Eigenart in stärkerem Maße beibehalten, als die Endigungen der Lingualisfasern im Hypoglossus- gebiet. Auch diesen Befund möchte ich ins allgemein- embryologische übersetzen: Die bestimmte Differenzierung, welche eine Zelle im Verlaufe der Entwicklung eingeht, ent- springt nicht nur aus der mit der Zelle von vornherein gegebenen Anlage, son- dern sie wird mitbestimmt durch die Umgebung, in der die sich differen- zierende Zelle lebt, durch die anderen Zellen, mit denen die Zelle zusammen- lebt. Das weitere Schicksal jeder ein- zelnen Zelle im Zellen verband wird in gleicher Weise bestimmt durch die an deren Zellen wie durch die eigenenAn- lagen. ') Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß dieses Moment der gegenseitigen Abhängigkeit der Zellen in der indivieuellen Entwicklungsgeschichte eine viel größere Rolle spielt, als im allgemeinen angenommen wird. Man geht viel zu weit mit der Verwendung des Begriffs der „Anlage". Dieser starre Begriff der Morphologie oder der biologischen Statik muß mehr und mehr durch die Mittel der Entwicklungsphysiologie, durch die biologische Dynamik aufgelöst werden. Diemorphogenetischen Funktionen bestimmter Organe, z. B. der Puber- tätsdrüsen (oder des innersekretorischen Anteils der Keimdrüsen), der Hypophyse u. a. sprechen in gleicher Weise wie die interessanten Versuche von Boeke in dieser Richtung. III. Kehren wir zu den Versuchen von Boeke zurück. Nachdem wir gesehen haben, daß bei der heterogenen Regeneration der regenerierende Nerv die ganze atypische Bahn durchläuft, um schließlich im Endgebiete Endorgane zu bilden, die sogar der Natur des Endgebietes angepaßt sein können, müssen wir uns fragen, ob die zu- standegekommene nervöse Verbindung auch funktionell wirksam ist. Boeke hat auch in dieser Richtung eine Reihe bedeutungs- voller Beobachtungen gemacht. Wenn man den motorischen Nerv der Zunge auf der einen Seite durchschneidet, so geraten die Muskelfasern der gelähmten Zungenhälfte in einen eigentümlichen hbrillären Bewegungszustand, was man mit bloßem Auge oder mit der Lupe be- obachten kann. Mit der Regeneration des durch- schnittenen Nerven hören diese Bewegungen all- mählich auf. Boeke konnte sich nun überzeugen, daß diese abnormen fibrillären Bewegungen auch dann allmählich abnahmen und schließlich fast unmerklich werden, wenn der Lingualis an Stelle des Hypoglossus in die Bahn desselben hinein- wuchs und die Muskelfasern erreichte. ,,Es schienen auch die in die motorische Bahn eingewachsenen Lingualisfasern . . . einen derartigen trophischen Einfluß auf die Muskelfasern auszuüben, und es scheint mir angesichts dieser Beobachtungen gar nicht unwahrscheinlich, daß nach künstlicher Reizung des Lingualis bei diesen Versuchen ein sichtbarer motorischer Erfolg, eine Kontraktion der Zungenmuskelfasern, erreicht werden könnte." Boeke hat auch einen Befund erhoben, der darauf hinweist, daß ebenso der bis in die Schleim- haut hineingewachsene Hypoglossus funktionell wirksam ist. Nach der Durchschneidung des Lin- gualis verschwinden beim Versuchstier alle „Schmeckbecher", welche sich in der Schleimhaut der Zunge finden. Die Schmeckbecher stehen mit den Endverästelungen des Lingualis in Verbindung und sind als Geschmacksorgane aufzufassen. So- bald die Nervenfasern wieder regeneriert sind, kommen die Schmeckbecher wieder zur Ausbildung. ') Vgl. A. LipschÜtz, Zur allgemeinen Physiologie des Wachstums. Zeiischr. f. allgem. Physiologie, Bd. XVII. (Er- scheint demnächst.) \ Abb 8 Abb. 7. Normal er Geschmacksbecher mit den charakteristischen langgestreckten Zellen und eintretenden Nervenfasern aus dem Lingualis. Normale linke Zungenhälfte (Igel). Vergr. 750. Nach Boeke. Abb. 8. In Regeneration begriffener Geschmacksbecher mit eintretenden Nervenfasern aus dem Hypoglossus, 156 Tage nach der heterogenen Nervenverbindung (zentraler Teil des Hypoglossus mit den peripheren Teil des Lingujlis). Vergr. 750. Nach Boeke. Auch die in die Zungenschleimhaut hineinwachsen- den Hypoglossusfasern scheinen nun eine solche stimulierende Wirkung auf die degenerierten Schmeckbecher auszuüben. Abb. 7 zeigt uns einen normalen Schmeckbecher aus der Zungen- schleimhaut mit den Endausbreitungen des Lin- gualis, des sensiblen Zungennerven. Abb. 8 führt uns einen Schmeckbecher aus der Zunge desselben Tieres vor, aber aus der anderen Zungenhälfte, deren Lingualis vor 5 Monaten durchschnitten und mit dem zentralen Ende des Hypoglossus vereinigt wurde. Man sieht die Nervenfasern, die nichts anderes sind als Endausbreitungen des Hypo- glossus in einem Gebilde, das deutlich als Schmeckbecher zu erkennen ist. Es unterliegt N. F. XVI. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 629 keinen Zweifel, daß hier ein Schmeckbecher, also ein sensibles Organ, unter dem Einfluß eines motorischt-n Nerven zur Regeneration gelangt ist. So sind jedenfalls, Hinweise darauf vorhanden, daß die im atypischen Ge- biet zur Regeneration gelangten Ner- venfasern auch funktionell wirksam sind. Die weitere Untersuchung dieser Frage erscheint sowohl aus theoretischen als aus prak- tischen Gründen geboten. Es ist vor allem eine PVage, die auf der Grundlage der von Boeke ge- wonnenen histologischen Erkenntnisse experimen- tell bearbeitet werden könnte: ob durch die Im- pulse, die dem Lingualis- Hypoglossus an der Peripherie durch Geschmacksreize zugeführt werden, eine Beeinflussung der nervösen Zen- tren erzielt werden kann. Diese Frage greift tief in die Physiologie des zentralen Nervensystems ein und ist schon mehrfach mit verschiedenen Versuchsanordnungen in der Physiologie bearbeitet worden.^) Die Befunde von Boeke geben neue methodische Handhaben für die Bearbeitung dieses großen Problems. ') ^g'- J- Vesri, Zur Frage der Irreziprozität der Er- regungsleitung in den Nervenzentren. Zeitschrift f. allgem. Physiologie Bd. X, 1910. Zur Psychologie uud [Nachdruck verboten.] Von Dr. Richard Von allen Teilen der Psychologie ist es um die Erforschung des Gefühlslebens weitaus am schlechtesten bestellt. Die meisten Lehrbücher behandeln die Gefühle im Vergleich zu den Emp- findungen oder den Vorstellungen äußerst stief- mütterlich, mehr um eine Lücke zu fü len, als weil sie wirklich viel zu sagen hätten. Und manche, sonst vortreffliche Handbücher, wie das von VV. James, wei.'^en ganz unverhüllt im Punkt der ein- fachen Gefühle eine klaffende Lücke auf. Der Grund für diese Vernachlässigung ist einer- seits darin zu suchen, daß die Gefühle der experi- mentellen Erforschung weit schwerer zugänglich sind; andererseits aber begeht die traditionelle Psychologie gleich an der Schwelle des Problems einen prinzipiellen Fehler, der jeden weiteren Weg versperrt. Dieser prinzipielle Fehler ist der, daß man alle Gefühle auf Lust — Unlust reduziert und sich nicht klarmacht, daß diese beiden Be- griffe nur Abstraktionen von einer überaus großen Zahl von höchst mannigfaltigen, ebenfalls durch Selbstbeobachtung nachweisbaren Gefühlen sind. Die Psychologie begeht damit den gleichen Fehler, den vor ihr die Philosophie so oft gemacht hat: den nämlich, daß sie eine sehr weitgetriebene und daher naturgemäß sehr inhalileere Abstrak- tion mit einer sehr einfachen, sehr fundamentalen Realität verwechselte. Genau so, wie die Metaphysik von der tausendfältigen Wirklichkeit etwa das reine „Sein" oder die „Substanz" erst durch Weglassung aller IVlannigfaltigkeit abstrahierte und dann diese inhaltsleere, scheinbar einfache Abstraktion für den Realgrund der Welt ansah, genau so verfährt die Psychologie, wenn sie die beiden leeren Abstraktionen Lust— Unlust für reale Grundformen des äußerst mannigfaltigen Gefühls- lebens ansieht. Kein Wunder, daß aus solchen Schemen keine lebendige Wissenschaft erwachsen kann! Man braucht freilich diese Abstraktionen nur genau zu besehen, um ihrer gespensterhaften Leere gewahr zu werden. Hören wir, was ein kon- sequenter Vertreter dieser Theorie darüber zu Biologie der Gefühle. MüUer-Freienfels. sagen hat: „Ist es wirklich wahr, daß die Freude an einem guten Diner identisch ist mit der Freude an einer guten Handlung? Der Verfasser ant- wortet darauf mit Ja, wobei er aber ernstlich daran erinnert, daß die Psychologie noch am An- fang steht und niemand diese Frage mit Sicher- heit beantworten kann. Ein gutes Diner und eine gute Handlung unterscheiden sich für ihn — nicht in ihrer Lust: gerade darin sind sie gleich, sondern in beinahe allem anderen." ') — Uns scheint diese Lehre, die ihr Verfasser ja selber nur zögernd ausspricht, völlig unhaltbar und ein Irrweg in die graueste Theorie. Es ist so, als wollte jemand behaupten, daß ein gesättigtes Rot, ein gesättigtes Blau, ein gesättigtes Gelb, was ihre „Gesättigtheit" anlangte, einander gleich wären, und als wollte man nun die so abstrahierte „Gesättigtheit an sich" als einen realen, isolierbaren Faktor zur Erklärung heranziehen. Der logische Fehler liegt auf der Hand! So wenig es eine „Gesättigtheit an sich" als reale Komponente gibt, so wenig gibt es „Lust an sich" oder „Unlust an sich'. Auch diese Begrifi"e sind, das muß mit aller Entschieden- heit betont werden, nur Abstraktionen, die von grö ßeren Komplexen losgelöst sind und nicht selber als Realitäten behan- delt werden dürfen. Nicht die grauen Ab- straktionen „Lust— Unlust" müssen der Forschungs- gegenstand der Psychologie sein, sondern jene allein wirklichen Gesamterscheinungen, innerhalb deren jene beiden Nuancen nur unselbständige Eigenschaften darstellen. Im Gegensatz also zu der oben skizzierten Ge- fühlstheorie müssen wir, um die psychologische Tatsächlichkeit zu erfassen, zwei, mit einander in Beziehung stehende F"eststellungen machen: erstens daß es eine Mannigfaltigkeit von Gefühls- •) Titchener, Lehrbuch der Psychologie 1. S. 257. Vgl. dazu die ausführliche Kritik in meinem Buche: Das Denken und die Phantasie. Leipzig 1916. Joh. Ambr. Barth, und meinen Aufsatz in Zeitschr. f. Psychologie 68, „Zur Analyse und Begriffsbestimmung der Gefühle". 630 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 4S erscheinungen gibt, die mit dem Gegensatz Lust — Unlust nicht zu erschöpfen ist, und zweitens daß Lust und Unlust selten ganz allein oder auch nur allein in Verbindung mit Empfindungen oder Vorstellungen auftreten, sondern daß sie stets als Seiten oder Färbungen (beides natürlich nur vergleichsweise zu verstehen) eines größeren emo- tionalen Komplexes erscheinen, die ich hier kurz als „Stellungnahme" bezeichnen will. Die Pluralität der Gefühle ist bereits seit längerer Zeit von bedeutenden Forschern vertreten worden. Leider hat sie Wundt, der im Prinzip eine unendliche Mannigfaltigkeit von Gefühlen an- erkennt, in seine Dreidimensionentheorie eingeengt, die ihrerseits der Kritik große Angriffsflächen bot und daher der pluralistischen Gefüiilstheorie in der Gesamtheit geschadet hat, obwohl sie nur eine Möglichkeit derselben ist, die durch andere ersetz- bar wäre. ') Ohne hier im einzelnen darauf ein- zugehen, stellen wir jedenfalls in Übereinstimmung mit Wundt eine unbegrenzte Mannigfaltigkeit der Gefühle, d. h. der subjektiven Reaktionen oder Stellungnahmen fest, die mindestens so groß ist wie die der Empfindungen oder Vorstellungen. Das ist durch eine einfache Überlegung einzu- sehen; denn da uns sowohl die Selbstbeobachtung wie der Vergleich mit anderen zeigt, daß man auf jede Empfindung oder Vorstellung zu verschiedenen Zeiten auch ganz verschieden zu reagieren pflegt, so muß notwendig die Mehrheit der Gefühle, d. h. der subjektiven Reaktionen, noch größer sein als die der Empfindungen oder Vorstellungen. Aber auch abgesehen von solchen Erwägungen belehrt uns die Selbstbeobachtung, daß sobald wir einmal die Beschränkung der subjektiven Stellungnahmen auf die Abstraktionen Lust — Unlust fallen lassen, nicht nur das Gefühl gegenüber einem guten Diner eine ganz andere Stellungnahme ist als das Ge- fühl gegenüber einer guten Handlung oder einer Beethoven'schen Symphonie, nein wir finden sogar, daß dieselbe Symphonie uns heute lebhaft er- regen, morgen beruhigen, übermorgen uns indifferent lassen kann. Oder welch unendliche Fülle von Stellungnahmen, subjektiven Zuständen erleben wir täglich gegenüber demselben Menschen! Welche psychologische Blindheit gehört dazu, um die tausend Schwankungen des Gefühls, deren die Liebe oder die Freundschaft fähig sind, in die dürftigen Kategorien Lust und Unlust einzuteilen ! Man bedenke nur, wieviel Ausdrücke selbst die Sprache, deren Armut in dieser Hinsicht von Dichtern doch so oft beklagt worden ist, für Lust- und Unlustzustände hat! „Freude", „Jubel", „Selig- keit", „Gefallen", „Annehmlichkeit", „Behagen", „Entzücken" sind nur ein paar Ausdrücke einer langen Reihe, die ebenso für die Unlustscite be- steht. Und doch ist auch jeder dieser Begriffe noch ein viel zu plumpes Gefäß, um die unzähligen ') Vgl. Vi^undt, Grundriß der Psychologie 9. Aufl. S. 98. Als weitere Anhänger der pluralistischen Gefühlstheorie nenne ich u. a: Th. Lipps,Ribot, Maier, Orth, Österreich, Alechsief. Näheresbei Müller-Freienfels a.a.O. S. 23. Schattierungen und Schwankungen der Gefühle zu fassen 1 Alle diese komplexen Gefühlszustände, besonders die sogenannten Affekte als Verbindungen von Vorstellungen mit Lust — Unlust erklären zu wollen, ist ein völlig verfehltes Unternehmen. Dazu gibt es noch eine große Anzahl subjek- tiver Zustände, also Gefühle, die überhaupt nicht in jenen Gegensatz Lust — Unlust unterzubringen sind. Man denke an die Gefühle ') der ,, Neuheit", der „Fremdheit", der „Größe", der „Bekannlheit", der „Vertrautheit", der„Dasselbigkeit", der „Indifferenz" (die keineswegs ein bloßes Fehlen von Gefühlen, sondern selbst ein sehr positives Gefühl ist). Auch hier vermöchte eine Aufzählung nicht zu er- schöpfen. Selbst an einen Klassifikationsversuch können wir aus Raumgründen nicht herantreten. Alle diese Zustande, die an sich weder Lust noch Unlust sind, können doch entschieden Lust — Unlust-färbung tragen. Und zwar kann jeder von ihnen, sagen wir das Gefühl der Fremdheit oder das der Größe, sowohl lustbetont wie unlustbetont sein. In allen diesen Fällen ist die Lust wie die Unlust nichts Selbständiges neben jenen Gefühlen, sondern — wie gesagt — nur eine Färbung, eine Betonung, eine Seite eines größeren Gefühls- komplexes, der gesamten subjektivenStellungnahme. * * * Damit sind wir bereits zu der zweiten der obenangeführten Tatsachen gelangt : daß sehr selten Lust oder Unlust die einzigen Stellungnahmen des Ich zu einem Eindruck oder einer Vorstellung sind. Gewiß tritt die Lust- oder Unlustfärbung oft so stark hervor, daß es scheinen mag, sie seien allein da. Indessen ergibt genaueres Nachforschen meistens sehr bald, daß hinter der Lust oder der Unlust noch andere seelische Tatsachen stecken. Beginnen wir mit einem aus Schopenhauer bekannten Beispiele, mit der Lust an der Schön- heit des weiblichen Körpers. Bekanntlich zeigt Schopenhauer sehr überzeugend, daß alle Lustbewertung in dieser Hinsicht zurückgeht auf Geschlechtsregungen. Kurz formuliert ließe sich das aussprechen: Eine wohlgebildete weibliche Gestalt erregt unseren Geschlechtstrieb nicht lust- voll, weil sie „schön" ist ; nein, wir nennen sie schön, weil sie unseren Geschlechtstrieb erregt, was an sich lustvoll empfunden wird. Darüber, daß jede Erregung unserer Organe, falls sie nicht überstark oder sonstwie unadäquat ist, als lustvoll empfunden wird, soll später gesprochen werden. Wir stellen zunächst nur fest, daß in sehr vielen „Schönheits- gefühlen" eine latente Erregung des Geschlechts- triebs mitschwingt, die sich auch im Bewußtsein geltend macht und von einer unvoreingenom- menen Selbstanalyse mit Sicherheit zu erkennen ist. Es ist zuzugeben, daß in der rein ästhetischen ') Avenarius führt für diese psychologischen Tatbestände den Begriff des „Charakters" ein. Wir sagen „Stellung- nahme", erweitern aber auch den Begrifl' des Gefühls durch- aus im Sinne der Umgangssprache so, daß er jene Zustände umfaßt. Ebenso Th. Lipps, Vom Fühlen, Denken, Wollen S. 1 ff. N. F. XVI. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 631 Betrachtung dieser triebhafte Bestandteil oft ganz zurücktritt, was jedoch nichts gegen sein ursprüng- liches Vorhandensein beweist. Dieser Fall nun ist typisch. Die Lust ist nur eine Nebenerscheinung einer komplexeren seelischen Stellungnahme, die sich als trieb- oder willens haft erkennen läßt. Das ist aber bei fast allen Gefühlen der Fall. Wie dort ein latenter Geschlechtswille der Kern des Lustgefühls ist, so steckt in allen Lustgefühlen ein Streben,') irgendein Trieb oder ein Begehren, die nur oft sich in ihrem Wesen nicht enthüllen. Analysiert man jedoch die Lust, die z. B. ein Erfolg mit sich bringt, so wird man als eigentliche Triebfeder eines solchen Erlebnisses den Willen zur Selbst- behauptung und Selbsterhöhung des Ich erkennen. — Umgekehrt steckt in aller Unlust ein negatives Streben. Die Unlust, die wir beim plötzlichen Anblick einer Schlange empfinden, ist eine Neben- erscheinung der Furcht, d. h. eines negativen Strebens zur Selbsterhaltung. Die Unlust, die eine Beleidigung in uns hervorruft, hat ihren Grund in einer negativen Erregung des Willens zur Selbst- erhöhung des Ich. Kurz, es läßt sich sagen, Lust und Ulilust treten nicht allein in der Seele auf, sie sind nur Nebenerscheinungen komplexerer Stellungnahmen unseres Ich, vor allem der Trieb- und Willensregungen. Und zwar ist Lust das Zeichen einer adäquaten Erregung, Unlust das Anzeichen einer konträren, hemmenden, inadäquaten Erregung. -j Über die Art der Bewertung jenes Triebes, ob er als lustvoll oder unlustvoll ins Bewußtsein tritt, läßt sich kurz sagen, daß im allgemeinen jede Bejahung des Triebes, d. h. jede ungehemmte Tätigkeitsauslösung als lustvoll empfunden wird, während jede Verneinung des Strebens, jede Hem- mung als unlustvoll bewertet wird. Man bezeichnet diejenige Lust, die durch die adäquate Erregung eines Triebs ausgelöst wird, auch als „F u n k t i o n s - lust", womit man ausdrücken will, daß sie durch das bloße Ausüben einer Funktion ausgelöst wird. Denn jedes Nervenzentrum hat in sich das vitale Bedürfnis, geübt zu werden, wenn es regelrecht ernährt ist. Die Lust ist eine psychische Begleit- erscheinung der erwünschten Betätigung. Die Unlust hinwiederum ist das Anzeichen dafür, daß entweder ein Trieb gestört wird oder daß seine Inanspruchnahme in keinem adäquaten Verhältnis zu der verfügbaren Energie steht. Daher löst jede allzustarke Erregung Unlust aus. Manche Triebe und Willensregungen sind an sich negativ, wie die Furcht, der Neid usw.: bei diesen bringt jede Er- regung, wenn sie nicht durch Begleiterscheinungen paralysiert wird, Unlust hervor, da die physiologische Komponente solcher Gefühle aus Störungen und Hemmungen besteht.*) ') Diese Ansicht findet man ebenfalls vertreten bei Th. Lipps, a. a. O. S. 16 ff. *) Experimentell ist das festgestellt durch Münsterberg, Beiträge zur experim. Psychologie IV. 3] Näheres darüber in den Schriften zur Affektlebre von Nach alledem können wir, das Bisherige zu- sammenfassend, sagen, das es ganz falsch ist, Lust und Unlust als gesonderte seelische Erscheinungen aufzufassen. Vielmehr muß man sie als Begleit- erscheinungen komplexerer emotionalerTatbestände ansehen, deren innerster Kern trieb- oder willens- haft ist. Gewiß tritt oft im Bewußtsein die Be- gleiterscheinung fast allein heraus, indessen ihre Wurzel, ihre treibende Kraft steckt doch in einem Triebe, der sich der eindringenden Analyse stets erschließt und der der Lust oder Unlust auch jene spezifische Färbung verleiht, von der wir im Anfang sprachen. * * Indessen scheint, selbst wenn man diese Anschau- ung für die Affekte wie Liebe, Haß, Hochmut und ähnliches zugibt, dennoch als Einwand nahezuliegen, daß gerade die „einfachsten" Gefühle, diejenigen, die in der P.sychologie vor allem untersucht werden, sich nicht als triebhaft erweisen ließen. Also vor allem jene „Empfindungsgefühle", die sich an den Eindruck eines schönen Akkordes, einer leuchten- den Farbe, an den Geschmack des Zuckers an- schließen, diese seien doch — so wird man be- haupten — „reine" Lustgefühle, ohne Begeh- rungsrharakter. Man wird vielleicht sogar darauf hinweisen, daß allen ästhetischen Gefühlen insbe- sondere, der landläufigen Definition gemäß, jedes Begehrungsmoment fehle. Dem werden wir entgegnen, daß zunächst die „Einfachheit" der ästhetischen Gefühle keineswegs natürlich ist, sondern eine anerzogene Abstraktion ist. Das Kind kennt keine begehrensiose Lust. Nach allem, was ihm gefällt, streckt es sofort die Hände aus, sucht es an sich zu ziehen und wo- möglich in den Mund zu führen. Erst allmähliche Erziehung bringt den Menschen dazu, bei wohl- gefälligenEindrücken dasBegehren zurückzudrängen, und in der Tat gelingt das denn auch mit den Jahren besonders bei Tönen und Farben, die nicht unmittelbar auf Triebe wirken. Wieweit auch bei erwachsenen Menschen die Fähigkeit geht, sich rein ästhetisch, begehrenslos an der Schönheit einer verlockenden Frucht zu erfreuen, das hängt sehr von der Individualität und — dem Hunger ab. Aber bleiben wir zunächst bei jenen Fällen, in denen wir über eine schöne Farbe Lust empfinden, ohne daß ein Begehren uns bewußt wäre. Liegt nicht vielleicht doch ein unbekanntes Begehren zu- grunde? Vielleicht zeigt der negative Fall den Sachverhalt noch deutlicher. Nehmen wir an, wir hörten neben uns den schneidenden grellen Pfiff einer Lokomotive, der uns lebhafteste Unlust aus- löste. Beobachten wir uns dabei genau, so be- merken wir in uns ein lebhaftes Widerstreben gegen den Eindruck, ein Begehren ihm zu entfliehen. Und diese triebhaften Erregungen, die sich in allerlei Bewegungen und Handlungen entladen, sind nicht etwa von der Unlust abhängig, nein James, Lange, Ribot, bes. dessen „Psychologie des Sentiments". 632 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 45 sie sind sogar oft zeitlich'voraufgehend. Besonders bei plötzlichem Schreck können wir beobachten, daß wir erst zusammenfahren und uns nur all- mählich der Unlust bewußt werden. In allen diesen Fällen ist der Trieb, dem Eindruck zu ent- fliehen, nicht etwas Nebensächliches, sondern er hängt innerlich mit der Unlust zusammen. Selbst wenn man die bekannte „periphere" Theorie der Gefühle, daß diese nur Begleiterscheinungen der Ausdrucksbewegungen seien, nicht in Bausch und Bogen annimmt, wenn man sich bloß auf den psychologischen Sachverhalt beschränkt, wird man zugeben müssen, daß in jedem Unlustgefühl, nicht als Abhängige davon, das Bestreben steckt, sich dem Eindruck zu entziehen. Ebenso steckt in jedem Lustgefühl der Trieb, dabei zu verweilen, ja das Lustgefühl auf sein Maximum zu steigern. Das genießende Auskosten der Lust enthält dies Streben ganz unverkennbar. Und es dürfte kaum ein Lustgefühl geben, in dem wenigstens der Trieb, dabei zu verweilen, ja es noch besonders, intensiv zu erleben, mit Sicherheit sich der Analyse erschließt. Und zwar ist dieser Trieb nichts Sekun- däres; er ist der innerste Kern des Gefühlserleb- nisses. Scharf formuliert würde das bedeuten: Wir begehren einen Eindruck nicht, weil er lustvoll ist, sondern weil wir ihn begehren, ist er lustvoll. Das Sprich- wort, daß Hunger der beste Koch sei, sagt im Grunde dasselbe aus. Auch die bestzubereitete Speise erregt uns keine Lustgefühle, wenn wir übersättigt sind. Der Hunger ist also die innerste Triebkraft des Wohlgeschmacks. Daß in der ge- wöhnlichen Meinung dieser Tatbestand auf den Kopf gestellt ist, hat seinen Grund darin, daß der Hunger vielfach nicht vorher im Bewußtsein war, daß er, wie ein anderes Sprichwort sagt, oft erst während des Essens kommt. Aber latent muß er vorhanden gewesen sein, und es sind ja die raffiniertesten unserer Küchen- und Kellergenüsse, die — indem sie scheinbar unseren Hunger oder Durst stillen — zugleich ihn aufs neue reizen. Indem wir aber nun weiter fragen, welcher Art denn die Triebe seien, die die gewöhnlichen Empfindungsgefühle, das Wohlgefallen an einer leuchtenden Farbe, einem feineren Ton auslösen sollen, kommen wir wieder auf den Begriff der Funktionslust zurück, den wir oben streiften, und zugleich damit nähern wir uns der biologischen Erklärung des Gefühlsphänomens. Wir sagten oben, das jedes wohlgenährte Organ unseres Körpers das Bedürfnis hat, sich zu betätigen, wenn es nicht verkümmern soll. Das gilt auch von allen Sinnesorganen. Sie bedürfen, damit die nötigen Wechsel von Dissimilation und ') Die periphere Theorie ist begründet von K. Lange und W. James und ist seitdem in zahllosen Schriften für und wider erörtert. Eine gute Übersicht in dem „Literatur- bericht" von M. Kelchner, Archiv für System. Psych. .Will. ^)Über die im Lust — Unlustphänomen steckendenBewegungs- erscheinungen vgl. besonders die Experimente H. Münster- bergs, Assimilation im Organ stattfinden, der Reizung, „trophischer" Reize, wie Verworn sie nennt.') Es besteht demnach in jedem Organ ein Bedürf- nis, ein Trieb, gereizt zu werden. Wir können ihn den Reizhunger oder den Reiz trieb nennen. Infolgedessen wirken alle kräftigen, nicht überstarken Lichteindrücke oder Schalieindrücke auf den naiven Menschen so unmittelbar lustvoll, eben weil sie diesem latenten Reizhunger ent- gegenkommen. Beim Kulturmenschen durchkreuzen freilich mancherlei Vorstellungen und besondere, anerzogene seelische Konstellationen die naive Reiz- lust, dergestalt, daß er allerlei qualitative Kom- plikationen braucht, um starke Lust zu empfinden. Aber auch diese kann sich letzten Endes doch auf den primitiven Reizhunger zurückführen. -) Das Streben zum „Verweilen" bei dem Reiz, zum möglichst intensiven Auskosten, das wir oben er- örterten, ist nur eine Sonderform dieses Reiz- hungers. Nur nebenbei wollen wir hier die Tatsache erwähnen, daß in den Assimilationsvorgängen und vielen Weiterleitungen auch die physiologische Basis der Lust = Unlustgefühle mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gesucht worden ist. Bei einem, dem Gesamtsystem gut angepaßten Reizvorgang tritt, wie Lehmann'') sagt „Bahnung" ein, d. h. eine Verteilung der Erregung auf andere Zentra, die dann ebenfalls lustvoll erregt werden. Wir enthalten uns an dieser Stelle einer Kritik dieser Anschauungen, die natürlich noch lange nicht rest- los geklärt sind und vor allem für die Affektlust und Unlust noch wichtiger, in dem peripheren Nervensystem zu suchender Ergänzungen bedürfen. -•=•■ * Wir erörtern nur noch kurz die Frage nach der biologischen Stellung von Lust — Unlust. Seit Aristoteles, auf den ja fast alle Teleologie in der Naturwissenschaft letzten Endes zurückführt, hat man vielfach gerade in dem Umstand, daß die Lustgefühle solche Erregungen begleiten, die dem betreffenden Organ oder System nützlich sind und daß deshalb die Lust unser Begehren erwecke, die Gefühle teleologisch zu erklären gesucht. Diese Teleologie aber ent- spricht weder der kausalen Naturdeutung noch den Tatsachen. Die von mir vertretene An- schauung ermöglicht nicht nur eine durchaus kausale Erklärung und Ausschaltung aller Teleologie, sie trägt auch den Tatsachen besser Rechnung. Wir sagten, daß wir unser in diesem Fall oft trügerisches Bewußtsein ausschalten müssen, daß wir nicht darum nach etwas streben, weil es Lust verspricht, sondern daß wir Lust empfinden, weil der betreffende Reiz ein Streben befriedigt, also eine psychophysiche Spannung löst. Diese Er- klärung ist durchaus kausal, ohne jede Teleologie. ') Vgl. Verworn: .Mlgemeine Physiologie ^ 520 ff, ••=) Vgl. meine „Psychologie der Kunst" Bd. II S. 2off. '^) vgl. AI fr. Lehmann: Die körperlichen .Äußerungen der psychischen Zustände. I 301 ff. N. F. XVI. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 633 In unserem Nervensystem bilden sich physiko- chemische Konstellationen, die als Trieb wirksam werden und als Streben ins Bewußtsein treten: stellt sich nun ein Reiz ein, der diese Spannungen aufhebt, so wird er lustvoll bewertet, weil er erstrebt war und weil er die latente Spannung aufhob. In all diesen Fällen wäre auch nach der alten Anschauung die Teleologie „unbewußt" gewesen. Aber auch wo der Vorgang „bewußt" ist, d. h. wo eine Vorstellung des erstrebten Reizes dem Reiz selber vorausging, ist die Sachlage im Grunde dieselbe. Auch die den Willen auslösende Vor- stellung wird nicht deshalb zu verwirklichen ge- sucht, weil sie lustvoll ist, sondern nur darum ist sie lustvoll, weil sie einem Trieb, einem Bedürfnis entgegenkommt. Sind wir völlig gesättigt, so vermag die Aussicht auf die sonst willkommenste Mahlzeit uns kein Lustgefühl zu erwecken, weil kein Streben, kein Bedürfnis danach vorhanden war. Haben wir aber Hunger, so kann die Vor- stellung der einfachsten Speise uns Lust erwecken, weil jene Vorstellung eben einem Trieb, einem Bedürfnis entgegenkommt. Wir sehen also, die Teleologie ist durchaus bloß scheinbar, in Wirk- lichkeit läßt sich der Vorgang rein kausal erklären. Kein Reiz erweckt im teleologischen Sinne darum Lust, um biologisch nützliche Begehrungen zu er- regen; nein, wenn ein Reiz biologisch nützlichen Begehrungen entgegenkommt, ist er von Lust begleitet. Der biologische Nutzen ist dann nicht das Ziel, sondern die Ursache des Lustgefühls. Nur so läßt sich die Gefühlstheorie in durchaus natürlicher Weise mit dem kausalen Denken ver- einen. Die F"rage, warum überhaupt das Lust- bewußtsein auftritt, ist dann nur ein Spezialfall der anderen Frage, nach der Bedeutung des Be- wußtseins im allgemeinen. Eine restlose Antwort ist da heute nicht möglich. Die Lösung Mach's, der zwischen dem Psychischen und Physischen einen fu n kt io n al e n Zusammenhang annimmt, ist heute wohl die dem Stande der Wissenschaft genehmste. Jedenfalls bietet unsere Fassung der Gefühlstheorie den Vorzug, auch nach dieser Seite hin einen geschlossenen Kausalnexus der physio- logischen Zusammenhänge zu ermöglichen, ohne die Einführung teleologischer Momente nötig zu machen. * Nur in kurzer Skizze konnte hier eine Richtung der Gefühlspsychologie gekennzeichnet werden, in der sich viele neuere Forscher bewegen und die unter den verschiedensten Gesichtspunkten hin reiche Aufschlüsse verspricht. Die damit ver- worfene Einschränkung der Gefühle auf Lust — Unlust hat geradezu versperrend gewirkt. Wird damit gründlich aufgeräumt, so wird der Weg frei zu Erkenntnissen, die auch fürs Leben fruchtbar werden können. Nur angedeutet sei, daß besonders auf ethischem Gebiete der Ausschluß des Quali- tativen in der Bewertung die groben Verallge- meinerungen des landläufigen Hedonismus auf dem Gewissen hat. Indem man nur von einem Streben nach Lust im allgemeinen redete, gar nicht erkannte, welche Bedeutsamkeit der Frage nach der Art der erstrebten Lust zukommt, ver- fehlte man die Möglichkeiten sehr ergiebiger Lösungen. Und auf ästhetischen, religions- psychologischen, ja jedem wertpsychologischen Gebiete ist die Sachlage ähnlich. Wir können es aussprechen : niemals wird das Wertproblem rein quantitativ zu lösen sein. Erst durch Einführung von Qualitätsunterschieden kann eine ersprießliche Lösung möglich werden. Dafür aber ist Voraussetzung, daß man den Bann der einseitigen Lust — Unlusttheorie bricht und der viel bunteren psychologischen Tatsächlichkeit volle Rechnung trägt. Einzelberichte. Physik. Mit der Elektrochemie der Taschen- lampenbatterien beschäftigt sich eine Arbeit von K. Arnd (Charlottenburg) in der Zeitschrift für Elektrochemie XXIII, 161 (191 7). Die während des Krieges in vielen Millionen Exemplaren ge- brauchten Batterien bestehen aus drei hinterein- ander geschalteten Zink-Kohle-Trockenelemcnten. Als positiver Pol wird Bogenlichtkohle verwendet, die nach Art der Leclanche-Elemente mit einem Gemisch mit gepulvertem Graphit und Braunstein umgeben ist. Das Ganze wird mit Gazestoff und Fäden umwickelt und bildet die „Puppe". Diese wird in den becherförmigen negativen Zinkpol hineingeschoben und füllt ihn fast ganz aus. Der schmale Zwischenraum wird mit einem an- gefeuchteten Gemisch aus Ammoniumchlorid, Zinkchlorid und Mehl ausgefüllt, das als Elektrolyt dient. Gummiringe und Pappscheiben verhindern eine unmittelbare Berührung der beiden Pole. Die drei Elemente werden von Pappe umhüllt, der Zwischenraum zwischen den Bechern mit Sägespänen ausgefüllt und das Ganze oben mit Pech verschlossen. Der Kohlepol des letzten Elements ist mit einer Metallkappe versehen; an diesem ist ebenso wie an dem Zinkpol des letzten Bechers auf der anderen Seite ein Metallstreifen befestigt, der die Verbindung mit der Lampe her- stellt. Die auf der Umhüllung angebrachten Zahlen geben über das Jahr und die Woche der Her- stellung Aufschluß; so bedeutet z. B. 6—17, daß die Batterie in der sechsten Woche des Jahres 191 7 hergestellt worden ist. Die mit einem Voltmeter von sehr großem Widerstand gemessene Klemmspannung der Batterie beträgt 4,5 Volt; sie soll, wenn die Batterie nicht benutzt wird, nach vier Wochen nicht unter 4,2 634 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 45 sinken. Ihr innerer Widerstand, mit Wheatstone'scher Brücke, Induktor und Telephon gemessen, ist 0,7 — I .0; er steigt durch Entladung auf 2 S und mehr. Seine Größe hängt von der Art des ver- wendeten Graphits ab, dessen Widerstand durch den Zusatz von Braunstein sehr erhöht wird. Zur Prüfung der Leistung der Batterie eignet sich be- sonders folgendes Verfahren: iVIan entlädt die Batterie mit der konstanten Stromstärke von 0.2 A, die sie auch beim Betrieb der Taschenlampe angenähert zu liefern hat, und mißt nun zu ver- schiedenen Zeiten die Spannung. Die Leistungen sind sehr ungleich. Bfi einer guten Batterie fiel die Spannung nach 167 IVIinuten auf 2 Volt ab, bei einer mittelguten nach 120 und bei einer schlechten schon nach 74 Minuten. Der ersteren konnte man 230 Minuten einen Strom von 0,2 A entnehmen, dann sank die Spannung auf 1,5 Volt. Die gelieferte Strommenge beträgt in diesem Fall 0,2 X 230= 46 Ampere-Minute = rund | Ampere- stunden. Mittels der Entladungskurve ließ sich die Leistung zu rund 2 Wattstunden ermitteln, was einer mittleren Entladungsspannung von 2,6 Volt entspricht. Doch ist die Batterie durch diese Entladung bis zu 1,5 Volt nicht erschöpft, am nächsten Tage hat sie sich erholt und zeigt eine Spannung von 3,2 Volt, die allerdings sofort beim Einsetzen der Entladung auf 2 Volt abfäUt. Man kann ihr im ganzen 294 Minuten lang 0,2 Amp. entnehmen, was einer Elektrizitätsmenge von 0,98 Amperestunden entspricht. Der Widerstand einer neuen Glühbirne beträgt etwa 17 ß. Die der Batterie bei ihrer Verwendung in der Taschen- lampe entnommene Stromstärke ist also anfangs größer als 0,2 A, später wird sie kleiner. Die Folge ist, daß die I3atterie mehr leistet, da die Belastung geringer ist. Die Leistung der besten läßt sich auf 3 Wattstunden schätzen, d. i. für I kg Gewicht 24 Wattstunden, so daß sie den besten Akkumulatoren in dieser Beziehung eben- bürtig sind. Nach Erschöpfung der Batterie sind noch I vom Sauerstoff vorhanden. Längeres Lagern schadet den Batterien sehr: Sauerstoff geht verloren und das Zink wird aufgefressen. Nach einem halben Jahre beträgt die Leistung nur noch 75 "/q einer frischen. K. Seh. Die Frage nach dem Raumgefüge der ver- schiedenen Kohlenstoffmodifikationen wird in emer Arbeit von P. Debye und P. Scherrer: In- terferenzen an regellos orientierten Teilchen im Röntgenlicht III in der Physik. Zeitschr. XVIII (1917) 291 beantwortet. Die Röntgenstrahlen haben sich ja, wie vor kurzem in dieser Zeitschrift ausführlich dargelegt wurde, als ein vorzügliches Mitlei erwiesen, den Feinbau von Kristallen zu ermitteln. Während die Laue'sche und die Bragg'sche Methode zur Untersuchung wohl- ausgebildeter Kristalle von bekannter Kristallform zur Untersuchung bedürfen und während nament- lich bei der ersteren die zahlenmäßige Auswertung der Röntgenogramme wegen ihrer zahlreichen Einstiche, die durch die Reflexion von Strahlen verschiedenster Wellenlänge an zahlreichen ver- schieden orientierten Neizebenen hervorgerufen werden, beträchtliche Schwierigkeiten macht, ja in vielen Fällen nicht möglich ist, ist die von Debye und Scherrer angegebene Methode wesentlich einfacher. Rufen wir uns das Prinzip der Methode ins Gedächtnis zurück: Aus der pulverisierten zu untersuchenden Substanz wird ein kleines Stäbchen geformt und in das Innere einer zylindrischen Kamera gebracht. In diese dringt senkrecht zur Achse ein schmales Büschel monochromatisches Röntgenlicht (Wellenlänge /.). Alle diejenigen Netzebenen (ihr gegenseitiger Abstand ist d), die so orientiert sind, daß die Strahlen unter dem Glanzwinkel a auffallen, reflektieren in maximaler Intensität; es besteht die Gleichung n-A = 26 sin «, n= I, 2, 3 . . . Die reflektierten Strahlen liegen auf Kegeln, deren Achse das auffallende Büschel und deren Spitze das Stäbchen ist. Auf einem der Zylinderwandung anliegenden Film werden die Helligkeitsmaxima als Schnittlinien der Kegel mit dem Zylinder abgebildet. Aus der ein en Aufnahme kann man nicht nurdas Kristallsystem, sondern auch das Raum- gitter erschließen. Durch Verbesserung der Methode gelang es bei der Untersuchung des Graphits, von dem vier Sorten bestrahlt wurden, die Genauigkeit der Winkelmessung auf zwei pro Mille zu steigern. Als Strahlungsqurlle wurde Kupferröntgenlicht be- nutzt,dasvornehmlichdie Wellenlänge 1,549- io~'*cm und daneben in schwächererintensität 1,402- io~*cm enthält. Das Ergebnis ist, daß Graphit, über dessen Kristallform bisher keine Einstimmigkeit unter den Forschern zu erzielen war, trigonal kristallisiert. Der Elementarkörper ist ein R h o m - boeder, dessen Ecken und Seitenflächenmitten mit Kohlenstoffatomen besetzt sind. Durch Photometrierung der Linien des Röntgenogrammes ergeben sich die Intensitäten derselben ; aus diesen ist zu schließen, daß zwei dieser flächenbesetzten Gitter ineinandergestellt sind und zwar liegen dieselben so, daß in gleichen Abständen von 3,41 -lo^* cm Ebenen (in) (ihr Index ist bezogen auf die Kanten des Rhomboeders), aufeinanderfolgen, die die Kohlenstoffatome enthalten. In jeder dieser Ebenen liegen die Atome in den Ecken eines regulären Sechsecks, dessen Mitte nicht besetzt ist; die Seite des Sechsecks, also der kürzeste Abstand zweier Atome ist 1,45- lO'* cm. Die Ebenen sind lückenlos mit Sechserringen besetzt In benach- barten Ebenen liegen die Atome nicht senkrecht übereinander. Verläßt man eine Ebene vom Eck- punkt eines Sechsecks aus in Richtung der Nor- male, dann trifft man zunächst zweimal auf die unbesetzte Mitte eines Sechsecks, um erst in der dritten Ebene auf eine mit einem Atom besetzte Ecke zu stoßen, usf Sehr interessant ist die Folgerung für die Valenzen, die sich aus dieser Gruppierung ergibt. Von den vier Wertigkeiten N. F. XVI. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 635 des Kohlenstoffatoms sind drei gleichwertig, sie liegen, Winkel von 120" miteinander bildend, in einer Ebene (ili) und stellen den Zusammenhang mit den 3 benachbarten Atomen her. Die vierte ist völlig von diesen verschieden, sie stellt ab- wechselnd nach unten und nach oben die Ver- bindung mit den benachbarten Ebenen her. Da der Abstand von einer Ebene zur andern größer als die Seite des Sechsecks ist, liegt die Ver- mutung nahe, daß jene Bindung lockerer ist. Das wird durch Erfahrung bestätigt, indem der Graphit parallel zu den (iii) Ebenen besonders leicht spaltbar ist. Ferner zeigt sich, daß die von diesen Netzebenen erzeugten Linien des Röntgenogramms nur dann gut ausgebildet sind, wenn das Graphit- pulver aus dem das Stäbchen hergestellt ist, ganz locker ist. Durch Pressung bei seiner Formung wird der Abstand der Ebenen und damit die Lage der Linien verschoben. Der Elementarkörper des Diamanten ist nach den Untersuchungen der Braggs im Jahre 1913 ein Würfel von der Kante 3,53- lO""* cm, dessen Flächenmitten wie bei den Rhomboedern des Graphits mit Atomen besetzt sind. Zwei in- einandergestellte Gitter von diesem Bau bilden sein Raumgitter und zwar ist der zweite Würfel um ein Viertel der Würfeldiagonale relativ zum ersten verschoben. Eine interessante und auf- fallende Gesetzmäßigkeit zeigt sich zwischen den Elementargebilden der beiden Kohlenstofifmodi- fikationen : Projiziert man den Würfel des Dia- manten und das Rhomboeder des Graphits auf eine Ebene, die senkrecht zur Raumdiagonale liegt, dann erhält man in beiden Fällen Sechsecke, die nicht nur der Form, sondern auch der wirk- lichen Größe nach gleich sind. Daraus folgt, daß die Diagonalen von Diamant und Graphit sich umgekehrt wie die Dichten der beiden Stoffe ver- halten ; durch Einsetzen der Werte erhält man für das erste Verhältnis 0,598, für das zweite 0,62. Ein großer Unterschied besteht für beide Sub- stanzen in den Wertigkeiten ; während das Graphit- atom drei Haupt- und eine Nebenvalenz zeigt, sind beim Atom des Diamanten die Valenzen absolut gleichwertig. Die Analyse mittels Röntgen- strahlen bestätigt durchaus die Anschauung der Chemie, die dahin geht, daß die Valenzen nach den Ecken eines Tetraeders gerichtet sind, in deren Mitte das Atom des Diamanten sich befindet. Eine Frage von großer Wichtigkeit und außer- ordentlichem Interesse ist nun die nach dem P'ein - bau der amorphen Kohle: liegen ihre Atome regellos durcheinander oder gibt es ein Kohlen- stoffmolekül mit charakteristischer Verkettung der Atome? Gleich die erste Aufnahme Debye's und Scherrer's zeigte, daß eine regelmäßige An- ordnung der Atome vorhanden sein muß; es fanden sich nämlich Linien auf ihr, die allerdings ziemlich breit und verwaschen waren, so daß sie besser als Helligkeits-Maxima und Minima be- zeichnet werden. Die genauere Ausmessung der Photogramme ergab, das die Maxima an derselben Stelle liegen wie beim Graphit. Daraus geht her- vor, daß der Feinbau der amorphen Kohle und des Graphits nicht wesentlich ver- schieden ist. Durch die Untersuchung von sieben aut verschiedene Weise hergestellten Kohlen- stoffarten wurde dieses Resultat bestätigt. Die theoretische Betrachtung zeigt , daß die Breite der Linien von der Korngröße des Pulvers ab- hängt; je kleiner diese ist, desto breiter und ver- waschener werden die Linien, ohne indessen dabei ihre Lage zu ändern. Der Unterschied zwischen Graphit und amorpher Kohle ist also physikalischer Natur: es liegt eine verschieden feine Pulverisierung ein und desselben Kristallgefüges vor. Amorphe Kohle ist Graphit in einer so feinen Verteilung, wie sie durch mechanische Mittel niemals erreicht werden kann; nur etwa 30 Atome finden sich in einem Kristall. Je nach Art der Herstellung wird die Breite, nicht aber die Lage der Linien in gewissen Grenzen variiert. Der Molekelaufbau als Ganzes ist derselben geblieben; die Unterschiede beruhen auf gröberer oder feinerer Pulverisierung. Wenn man lediglich den Feinbau berücksichtigt, gibt es demnach nur zwei Modifikationen des Kohlenstoffs: den Diamanten und den Graphit. Die Verschiedenartigkeit der Valenzen der beiden Atome kommt auch in den chemischen Eigen- schaften zum Ausdruck, insofern als der Diamant durch Salpetersäure nicht angegriffen wird, während Graphit und Kohle Melliihsäure liefern, die als Benzolhexacarbonsäure (Cg(C02H)8) noch das reguläre Sechseck der Muttersubstanz im Benzol- kern bewahrt hat. Der Kohlenstoff in der Form des Diamanten erscheint als Prototyp der alipha- tischen Chemie mit dem an der Spitze der Über- legungen stehenden Kohlenstoff- Tetraeder. Graphit und amorphe Kohle dagegen bilden die durch das Auftreten der Sechsecksstruktur augenfällig ge- kennzeicheten einfachsten Stufen der aromatischen Chemie, welche den Benzolring als Hauptmerkmal führt. Seh. Zoologie. Beobachtungen und Versuche über Spermatogenese in Gewebekulturen. Während in Pathologie, Physiologie und Entwicklungsmechanik' die Methode der Kultur von Gewebestücken außerhalb des Organismus in den letzten Jahren mit steigendem Erfolge Anwendung gefunden hat, ist in der Zellforschung bisher kaum von ihr Gebrauch gemacht worden. Über einen Versuch, die Methoden der Explantation auf die Geschlechtszellen von Wirbellosen anzu- wenden und die Spermatogenese in vitro zu studieren, berichtet Goldschmidt'). Seine Ergebnisse berechtigen ihn zu der Hoffnung, daß sich hier der experimentellen Erforschung der Geschlechtszellen ein Gebiet erschließt, das noch reiche Resultate liefern wird. ') Goldschmidt, R. Versuche zur Spermatogenese in vitro. Arch. f. Zellforsch., Bd. 14, 191 7. 636 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 45 Zu seinen Untersuchungen benutzte Gold- schmidt einen Schmeiterlinp;, Samia cecropia L. Die Anfertigung der Kulturen bot keine besonderen Schwierigkeiten. Die wichtigste Vorbedingung für das Gelingen der Experimente ist die Sterilität. Nach Sterilisierung aller zu benutzenden Instrumente und Apparate wird die Schmeiterlingspuppe dem Kokon entnommen und auf einige IVlinuten in QÖ^/oigen Alkohol gebracht, was ihr nicht weiter schadet, zur Sterilisierung aber genügt. Hierauf wird die Puppe in der dorsalen Mittellinie an- geschnhten, mit einer Pipette möglichst viel Blut entnommen und dieses in einen hohlgeschliffenen Objektträger gebracht. Sodann werden die Hoden herausgepreßt und in der Blutflüssigkeit zerzupft. Die in Menge herausfallenden Hodenfollikel werden in einem Tropfen Hämolymphe auf ein Deckglas gebracht, auf einem hohlgeschliffenen Objektträger im hängenden Tropfen montiert und mit Vaseline verschlossen. Ist die Kultur völlig steril, so leben die Geschlechtszellen in ihnen bis zu drei Wochen und können die ganze Spermatogenese durchlaufen. Weit lebensfähiger sind in den Kulturen die Follikel- und Blutzellen, die nach dem Abstetben der Samenzellen mit einem außerordentlich regen, gewebebildenden Wachstum beginnen, eine eigen- artige Erscheinung, die Goldschmidt in einer besonderen kleinen Abhandlung') beschreibt. In einer Kultur lebten diese Zellen noch nach einem Jahrl Auffällig ist, daß sich die weibliche Hämolymphe besser als Kulturmedium eignet als die männliche. Daß die Hämolymphe vieler Insekten in den beiden Geschlechtern chemisch verschieden ist, wissen wir ja bereits aus den Untersuchungen von Steche. Die Spermatogenese der Schmetterlinge wurde bisher von Meves am genauesten studiert. Die Beobachtungen Goldschmidt 's am lebenden Objekt stehen in sehr erfreulicher Übereinstimmung mit denen von Meves am gefärbten Präparat. So ziemlich alles, was dieser beschrieb, konnte Goldschmidt auch in der Gewebekultur ver- folgen, das Verhalten der Mitochondrien, die Reifungsteilungen, die Bildung der Achsenfäden und die Umwandlung der Spermatiden in die funktionsfähigen Samenfäden. Dazu kommen noch manche Beobachtungen, die sich nur im Leben machen lassen. Leider läßt sich nicht die ganze Spermatogenese an einer einzigen Zelle verfolgen, da die frühesten Stadien zu langer Zeit bedürfen. Immerhin konnten die Reifungsteilungen und die Bildung der Samenfäden am gleichen Follikel studiert werden. Die Dauer der Prozesse hängt natürlich sehr von der Temperatur ab. Bei Zimmer- temperatur entwickelte sich z. B. die Spermatozyte in 3—4 Tagen zur Spermie, im Brutschrank bei 26" benötigte sie nur einen Tag dazu. Besonderes Interesse verdienen Goldschmidt 's ') Goldschmidt, K. Notii über einige bemerkenswerte Erscheinungen in Gewebekulturen von Insekten. Biol. Centralbl., Bd. 36, 1916. Beobachtungen über die erste Bildung des Achsen- fadens und über die Vorgänge, deren Resultat die Bildung eines Spermienbütidels ist, zumal da er im Anschluß an seine Beobachtungen eine Reihe von Experimenten ausführte, die einiges Licht auf die physikalischen Faktoren werfen, die den Ablauf der normalen S[)ermatogenese bedingen. Es ist eine Besonderheit der Spermatogenese der Schmetterlinge, daß die Achsenfäden bereits vor den Reifungsteilungen gebildet werden. In der Gewebekultur sieht man, wie sich die dem Follikelinnern zugekehrte Zelloberfläche der jungen Spermatozyten mit zahlreichen zottenartigen Pseudo- podien bedeckt. Eines von diesen Pseudopodien wächst schließlich zu einem völlig starren und geraden Gebilde aus, dem typischen Achsenfaden, an dessen Basis sich das Zentrosom befindet, und dessen Spitze mit einem Plasmakügelchen endet, das offenbar bei dem weiteren Wachstum des Achsenfadens Verwendung findet. Kurz vor den Reifungsteilungen teilt sich das Zentrosom jeder Spermatozyte in zwei, die Achsenfäden teilen sich in vier, von denen jede Spermatide einen erhält. Nach Ablauf der Reifungsteilungen verändert der Hodenfollikel alsbald seine Form. Bis dahin war er kugelig, umgeben von einer dünnen, zelligen Follikelmembran und ausgekleidet von einer Lage Samenzellen, deren Achsenfäden alle nach dem Zentrum der Follikelhöhle zu konvergieren. Nun- mehr wird er plötzlich länglich oval, seine Zellen rücken an den einen Pol des Ovals, drängen sich hier dicht zusammen und nehmen eine hohe, zylindrische Gestalt an, die Achsenfäden ordnen sich bündelweise parallel an. Indem dann nach Art einer Pseudopodienbildung das Protoplasma der Spermatide dem Achsenfaden entlang zum Schwanzfaden des Spermatozoons auswächst, strecken sich die Follikel mehr und. mehr in die Länge, und so entsteht schließlich das charak- teristische Spermienbündel. Um den Einfluß veränderter Konzentration des Mediums auf den Ablauf der Spermatogenese festzustellen, versetzte Goldsch midt die Hämo- lymphe mit Ringer'scher Lösung von verschiedener Konzentration. Wurde die Gewebekultur in reiner Ringer-Lösung angelegt, so zeigten die Hoden- follikel ein sehr merkwürdiges Verhalten. Alle Follikel waren am Tage nach der Anfertigung der Präparate geplatzt und die Zellen in morulaartigen Haufen aus der Follikelmembran ausgetreten. An allen Zellen, mochten es Spermatogonien oder Spermatozyten irgendwelchen Alters sein, traten dann Zotten, Pseudopodien und Achsenfäden auf, und zwar unterschieden sich die Prozesse kaum von den normalen Vorgängen. „Es scheint somit," sagt Goldschmidt, „daß durch chemischen bzw. osmotischen Reiz Zellen vor der normalen Zeit der Achsenfadenbildung zu einer solchen an- geregt werden können; woraus sich vielleicht schließen läßt, dsß auch der normale Vorgang durch eine entsprechende Veränderung in der Be- schaffenheit der P'ollikelhöhlenflüssigkeit bedingt N. F. XVI. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 637 wird. Das frühzeitige Auftreten der Achsenfäden in den Spermatozyten der Lepidopteren wäre also gewissermaßen nur eine Zufallserscht-inung, die aber mit der Notwendigkeit einer Reaktion eintreten muß, weil die betreffenden physikalischen Ver- änderungen innerhalb des Follikels, die sie be- dingen, hier schon in jungen Follikeln eintreten." Außer den Achsenfäden entstanden in den Ringer- Kulturen aber auch Gebilde, die in der normalen Spermatogenese fehlen: Vornehmlich in der Wärme bildeten die Zellen jeden Alters und jeder Art eine oder mehrere Geißeln. Die Geißelbildung geht ebenfalls von einem Pseudopodium aus. Das Pseudopod fließt aus der Zelle vor, erreicht rasch eine beträchtliche Länge, seine Achse geht dann offenbar in den Gelzustand über, während eine flüssige Protoplasmahülle die feste Achse zunächst noch in Tropfenform, dann gleichmäßig verteilt überzieht. Sinkt die Temperatur, so können die Geißeln wieder eingezogen werden; sie werden tropfig, verwandeln sich wieder in Pseudopodien und fließen in die Zelle zurück. In reiner Ringer- Lösung lebten die Zellen bis zu fünf Tagen, in der Wärme nur zwei Tage. Zum Verständnis des Auswachsens der kugeligen Samenzelle in das fadenförmige Spermatozoon kön- nen Versuche mit hypertonischen und hypotonischen Medien beitragen. Im hypertonischen Medium, das durch systematisches Emdicken der Häniolymphe gewonnen wird, wachsen sämtliche Zellen in die Länge. Je stärker das Medium eingedickt ist, desto länger wachsen die jungen Spermatiden und älteren Spermatozyten aus, es entstehen lange Fäden, „PseudoSpermien". Daß der Vorgang eine direkte physikalische Reaktion ist, geht daraus hervor, daß sich das Auswachsen der Samenzellen durch den Grad der Eindickung regulieren läßt. Bis zu einem gewissen Stadium ist der Prozeß reversibel. Kann die FoUikelmembran — diese muß unversehrt sein, wenn das Auswachsen er- folgen soll — den normalen Turgor des Follikels durch Wasseraufnahme wiederherstellen, so kehren die Zellen zu ihrer ursprünglichen Gestalt zurück. Es sei noch erwähnt, daß bei diesen Experimenten die Zellen nicht wie bei der normalen Sperma- togenese in die Follikelhöhle hinein, sondern nach außen wachsen. Beim normalen Auswachsen der Spermatide muß also der hypertonische Zu- stand innerhalb der Follikelhöhle eintreten. Sind auch die bisherigen Versuche Gold- schmidt's erst kleine Anlange in der Richtung einer experimentellen Analyse der zytologischen Vorgänge bei der Entwicklung der Samenzellen, so erscheint doch der Weg, den er eingeschlagen hat, recht vielversprechend. Bei weiterem Ausbau der Technik der Gewebekuhur und der experi- mentellen Seite dürfte sich noch manches wichtige Resuhat erzielen lassen. Vielleicht läßt sich auf diese Weise auch das Problem der oligo- und apyrenen Spermien einer Lösung zuführen. Über die Funktion dieser abnormen Samenfäden wissen wir bisher nichts. Goldschmidt hält es für sehr wohl möglich, daß „eine kleine physikalische oder chemische Besonderheit des Follikels zu- fälliger Natur genügen könnte, um zwangsläufig eine solche abnorme Entwicklung herbeizuführen, die entsprechend der Spezifität des Samenzell- plasmas auch spezifisch wäre." Die atypischen Spermien hätten nach dieser Anschauung also gar keine Funktion, sondern wären lediglich ein „lusus naturae". Zum Schluß sei noch auf die Ähnlichkeit hin- gewiesen, die die von Goldschmidt festgestellten Vorgänge bei der Bildung des Achsenfadens in der Spermatogenese mit den kürzlich mitgeteilten Beobachtungen Doflein's'j über die Entstehung der Achsenfäden in den Pseudopodien der Rhizo- poden haben. Doflein hat mit großem Erfolg bei seinen Untersuchungen die Dunkelfeld- beleuchtung angewandt. Es dürfte sehr von Vorteil sein, wenn auch die Gewebekulturen von Geschlechts- zellen Wirbelloser in Zukunft vermittels dieser Methode studiert würden. Nachtsheim. Botanik. Tropische und subtropische Moore auf Ceylon und ihre Flura. Das erste tropische Moor wurde 1891 auf Sumatra entdeckt und von Koorders eingehend beschrieben, nachdem Potonie auf die große Bedeutung dieses Vorkom- mens namentlich für die Frage nach der Entstehung der Kohlenlager hingewiesen hatte. Später be- richtete Janeusch über Torfmoore in Ostafrika. Erst 19 13 entdeckte dann Keilhack auf Ceylon ein tropisches sowie zwei im subtropi- schen Klima gelegene Moore, von denen eins nach Keil hack das erste im subtropischen Gebiet nachgewiesene Hochmoor darstellt. Im Mittelpunkt des im südlichen Teile der Insel gelgenen hohen Gebirges liegt das 6 km lange, 400 bis 600 m breite Hochtal von Nurelia, dessen südlichster Teil ein See, der Lake Gregory, ausfüllt. Rings um den See schließt sich nun ein typisches Flachmoor an, dessen tiefschwarze Torf- decke 30—40 cm dick ist. Wie man deutlich erkennt, ist es durch Verlandung des ehedem größeren Sees entstanden. Unmittelbar an ihn schließt ein Gürtel von Jiincus- und Scirpus- Büscheln , zwischen denen sich Gruppen von Eriocaidon- , Hydrocoiylc- und Polygonittn- hritn finden; dann lolgt ein Gürtel, in dem mächtige Eriocaulon-^ühen vorherrschen, gemischt mit kleineren Gewächsen, Gräsern und Blütenpflanzen. Sie treten in der weiteren Umgebung immer mehr an die erste Stelle. Die größte Breite des ganzen Moores erreicht kaum 200 m. K e i 1 h a c k sammelte 51 höhere Gefäßpflanzen. Farne und Bärlappe vertreten die Archegoniaten. Die Gramineen mit 9 Arten, 6 Arten von Cyperaceen und die an Eriophorum erinnernden Enocaulon-^\x%c\\^ sind ') Doflein, F. Zell- und Protoplasmastudien, Unter- suchungen über das Protoplasma und die Pseudopodien der Rhizopoden. Jena 1916. (Siehe den Bericht im vorigen Jahr- gange dieser Zeitschrift. Seite 661.) 638 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 45 die Haupttorfbildner. Die Arten von Pulygoiiiini, JuHCHS, Drosera, der Doldenblütler [Hydrocotyle), Kompositen {GnapItaliiDii) und anderer Gruppen erinnern sehr an heimische Torfmoorformen , so daß das Flachmoor von Nurelia im ganzen keine übermäßigen Abweichungen von unseren Mooren aufweist. Nun wird es von einem 5 —30 m ansteigen- den, '/a — ^/t m mächtigen Gehängemoor umgeben, das wie in geologischem Bau auch in der Flora von jenem auffällig verschieden ist, stimmen doch von 39 hier gesammelten Arten nur 7 mit Arten des Hachmoors überein. Während dort Bäume und Sträucher völlig fehlen, trägt das Gehänge- moor verkrüppelte, höchstens 3 — 4 m hohe ver- kümmerte Exemplare von Rhododendron arboreum Sm., das sonst im Urwald bis 15 m hohe Bäume bildet. Sie erinnern sehr an unsere Moorkiefern. Hier muß auch an das schöne gelbblühende Rhododendron flaviim unserer Gärten erinnert werden, das, im Kaukasus heimisch, nach Fax auch auf den Torfmooren Wolhyniens gedeiht. Sträucher und Moose fehlen fast völlig, dagegen finden sich wiederum einige Farne und Bärlappe und viele Gräser; neben letzteren treten noch zahlreiche andere Familien auf, kommen aber als Torfbildner nicht in Frage. Dieses Gehängemoor ist das Er- gebnis des im Vergleich zu dem Flachmoor sehr erheblichen Mangels an mineralischen Nährstoffen, wird es doch nur vom Regen befeuchtet. Da dies die für Hochmoore typischen Bedingungen sind, glaubt Keilhack das Gehängemoor nicht als Zwischenmoor, sondern trotz völligen Fehlens von Moosen als Hi)chmoor bezeichnen zu können. Ist diese Auffassung richtig, so wäre damit der Beweis für die Existenz von Hochmooren wenigstens im subtropischen Klima erbracht. Denn obwohl das Gebiet unter 7" n. Br. liegt, bedingt die Höhen- lage (1850 m) rein subtropische Verhältnisse in Temperatur, Niederschlag und Flora. Bemerkens- werte Anklänge an die Hochmoore unserer Breiten bieten die häufige Ausbildung stark behaarter Stengel und Blätter, also xerophiler Merkmale, die typische Wuchsform der meisten Moorpflanzen in einzelnen Büschen oder Bülten, sowie die Tatsache, daß die Ufer der das Moor durchfließenden Bäche wie unsere Moorrüllen eine völlig abweichende Vegetation aufweisen. Infolgedessen bieten die Moore von Nurelia den gleichen Anblick wie die unsrigen. Auch die Flora zeigt auffallende Über- einstimmung, sind doch von 32 Familien nur 3 in unseren Mooren nicht vertreten und selbst unter den Gattungen sind mehr als die Hälfte die gleichen, wenn natürlich auch die Arten fast alle völlig ver- schieden sind. Ein zweites Moor traf Keil hack am Talagalla, dem höchsten Berge der Insel, in 2250 m Höhe, dessen aus meist endemischen Arten bestehende h'lora von der vorher geschilderten sehr abweicht. Danach finden sich im subtropischen Khma Ceylons also Torfmoore, die dem euro- päischen Typus der Flach- und Hochmoore ent- sprechen und als reines Grasmoor oder als Erio- caulo}i-Moor entwickelt sind. Nach langem Suchen fand Keilhack auch echte tropische Moore, die sich an der Südspitze der Insel über eine große Strecke des flachen Küstenlandes erstrecken. Das ganze Gebiet liegt im tropischen Regenwald und weist zahlreicheRinnen und Becken auf Sie sind überall dort, wo die zur Schwarzwasserbildung führenden regelmäßigen Überschwemmungen durch Hußwasser fehlen, mit echtem Torf erfüllt. Den Untergrund bilden subfossile Madreporenriffe.- Kleine Inseln von niedrigen Bäumen und Büschen durchsetzen das flache Grasmoor, die ihrerseits von einem dichten Geflechte üppiger Schlingpflanzen überzogen sind. Das Moor bietet daher einen ganz anderen Anblick als unsere Moore. Auffallend ist, daß Farne, Gräser und Leguminosen zwei Fünftel der Flora ausmachen. Xyridaceen und Eriocaulaceen, die im Nureliamoor so häufig sind, treten hier stark zurück und sind nur mit je einer Art vertreten. Unter den F"arnen finden wir auch zwei kletternde Formen, Lygodiuni scandens (L.) Sw. und Gleichenia linearis L. Zu den höheren Holzgewächsen gehört die schon von dem afrikanischen Tropenmoor bekannte Barring- tvnia raeei/iosa Bl. ; die Rhizophoracee Bnigitiera gyiiuiorrhi::a Lam. ist eine echte Mangrove. Da- neben sind andere Baumgewächse vorhanden, die zu Euphorbiaceen, Melastomaceen , Myrtaceen, Apocynaceen und Ochnaceen gehören. Sie alle sind mit einem dich en Netz von Kletterpflanzen überzogen, neben den genannten zwei Farnen einem Gras, Leersia hexandra, Gloriosa sitperba L., einer Kletterlilie mit prächtigen roten Blüten, Passiflora foefida L. und anderen. Brett- oder Stützwurzeln und Pneumaiophoren wie in Sumatra fehlen vollständig. Wie in den subtropischen Mooren sind auch hier Moose kaum vorhanden; im Gegensatz zu jenen fehlt jegliches xerophiles Merkmal. Da auch die Flora eine ganz andere ist, haben wir trotz geringer räumlicher Entfernung zwei ganz verschiedene Moorvegetationen vor uns. Von einer Ähnlichkeit mit unseren Mooren, wie sie bei den Nureliamooren so stark ausgeprägt ist, kann hier keine Rede sein, da uns ganz neue, von den unsrigen stark abweichende Pflanzenformen entgegentreten. Während sich 90"/,, der sub- tropischen Familien (der Gattungen noch 55"/,,) auch bei uns finden, gilt dies für die tropischen nur von 58 "/u (Gattungen: 18%). (Vorträge a. d. Gesamtgebiet d. Botanik. H. 2. 191 5; Tropische und subtropische Moore. Jahrbuch preuß. Geol. Landesanstalt 36. H. 2. 1916. Letztere Arbeit ent- hält auch zahlreiche Einzelphotogramme der cey- lonischen Moorpflanzen und Vegetationsbilder). Kr. Interessante Beobachtungen über das Leben einiger niederer Pflanzen enthält der 65. Band der Österreichischen botanischen Zeitschrift (1915). So beschreibt Fritz von Wettstein eine von ihm als Alge aus der Gruppe der Siphoiieae be- trachtete Pflanze, die in ihrer Lebensweise an einen Nostoc gebunden ist [Geosiphon [Bofrydiiim) N. F. XVI. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 639 /^)77/(?/-w^ (Ktz.) Fr. Wettst.). Sie fand sich zahl- reich aul Krautfeldern in der Nähe von Krems- münster (Oberösterreich) in Form kleiner schwarzer Pünktchen. Bei näherer Untersuchung erwies sich aber, daß jedes Individuum mehrere (bis 30) birnenförmige Blasen bildet, die durch ein weit verzweigtes, in Hauptachse und zahlreiche Seiten- zweige gegliedertes Rhizoidengeflecht verbunden sind. Diese Rhizoiden enden teils in jenen Blasen, teils dienen sie der Verankerung und Nahrungs- aufnahme im Boden. Nirgends finden sich im Innern des Pflanzenkörpers Zellwände, während das Protopla>tiia zahlreiche kleine Kerne enthält, wie es für die Sip/io)iccn charakiensiisch ist. Daneben entriahen dieBiasen zahlreiche Öltröpfchen, nirgends dagegen auch nur eine Andeutung von Chroma- tophoren. Das ganze Gebilde wird von einer gleichmäßig dicken Haut aus Chitin umschlossen. Außer duich Sprossung erfolgt eine Vermehrung auch durch Dauerorgane, die am Ende der Vege- tationsperiode als kleine Kügelcheii gebildet werden. Sie enthalten ein dünnes Netzwerk von Protoplasma, in dem fettes Öl sowie pyrenoid-ähnliche Gebilde aufgespeichert sind. Zu all diesen höchst merk- würdigen Zügen kommt nun noch, daß in den Blasen regelmäßig zu Knäueln vereinte Zelliäden einer iVoj/oc- Art leben. Da Wettstein sie frei- lebend nirgends auf den Feldern fand und sie sich auch sonst von den bekannten Arien unterscheidet, betrachtet er sie als neue Form (iV. syiiibioii/ic/nii Fr. Wettst.j. Während der untere Teil der Gcos!pkoiiYi\astn von Plasma mit einer großen Zahl von Kernen erfüllt ist, tritt dieses im oberen Teil zurück, bis schließlich der ganze Raum von den Zellen des Nostoc erfüllt ist. W e 1 1 s t e i n ist der Ansicht, daß der A^os/oc assimiliert ; für GeosipJwn ist nach ihm dagegen rein saprophytische Lebens- weise durch das Fehlen der Chromatophoren be- dingt und durch Versuche erwiesen. Kr glaubt, daß beide an der wechselseitigen Ernährung teil- haben. Ist diese Auffassung richtig, dann hätten wir also eine Symbiose einer CyanopJiycec und einer saprophytischen Cldorophycee vor uns. Das hierbei sich ergebende einheitliche Gebilde könnte dann in gewissem Sinne mit den Flechten verglichen werden. Auffallend ist jedenfalls neben dem völligen Fehlen von Chromatophoren vor allem die aus Chitin bestehende Membran. Eine solche ist bisher von keiner Oilorophycee bekannt, tritt aber bei den Pilzen ganz allgemein auf. Aber selbst wenn sich die von Wettstein ge- gebene Deutung des Gebildes nicht in allen Punkten halten lassen sollte, bleibt das Neue und Eigenartige seiner Organisation bestehen. (Geosiphon Fr. Wettst., eine neue, interessante Siphonee, Österr. Bot. Ztschr. 65. 1915. 145—155). Im gleichen Bande betonte A. Lampa, daß mehrere eingehend untersuchte Moose {Haploiii- itriiim Hookcri, Sphagnitni quiiiqiicfariKvi, Ricard ia pingiäs) in ihren Jugendstadien "manche Überein- stimmungen zeigen, die, nicht auf äußere gleiche Verhältnisse zurückführbar, auf phylogenetische Beziehungen hinweisen. Doch sind die Beobach- tungen wohl noch zu wenig allgemein, als daß man darin, wie [,ampa will, einen Beweis für einen gemeinsamen Ausgangspunkt der Laubmoose, Lebermoose und der Farne sehen kann. Interessant ist, ddß Ricardia piiiguis, ein nicht gerade häufiges Lebermoos, Verpilzung aufwies. Die Zellen der völlig weißen und scheinbar auch chlorophyllosen, wenig differenzierten Pflänzchen waren dicht mit Pilzhyphen angefüllt. Sie vegetierten unterirdisch. Der verbreiteten Ansicht, daß eine solche „Mycor- rhiza" bei den Moosen diesen kaum irgendwelche Vorteile biete (Peklo), tritt Lampa für diesen Fall nicht bei, da es sich nicht um normale grüne Pflanzen handelt. Alle gefundenen Individuen besaßen kein Chorophyll und waren in allen Teilen von den Pilzhyphen durchzogen. Da das Moos normalerweise als assimilierende Pflanze lebt, kann nach Lampa nicht daran gezweifelt werden, daß es hier, unterirdisch lebend, auf die Zuführung von organischer Nahrung durch den Pilz ange- wiesen ist. Verf. meint also, daß eine Symbiose vorliegt, die sonst ohne Notwendigkeit besteht, in diesem bestimmten Falle aber dem Lebermoos jene F"orm des Daseins ermöglicht, in der es unter den gegebenen Verhältnissen überhaupt noch existieren konnte. Demgegenüber scheint die Frage berechtigt, ob es sich nicht vielleicht doch um eine parasitäre Wirkung handelt. (A. Lampa, Untersuchungen über die ersten Entwicklungs- stadien einiger Moose. Österr. Bot. Ztschr. 65. 1915. 195 — 204.) Kr. Physiologie. Verfahren der objektiven Prüfung und Messung der Hörlähigkeit oder Hörschnelle. Die bisher im Gebrauche befindlicnen Instrumente zur Bestimmung der Hörfähigkeit als solcher im Gegensatz zur Prüfung der Hörschärfe für reine Töne verschiedener Höhe haben nur unzureichend ihrem Zwecke entsprochen. Am besten hat sich noch der zu diesem Zwecke von Hughes kon- struierte Apparat bewährt, mittels welchem eine Tonquelle geschaffen wird, die die menschliche Stimme ersetzt. Bezold und Edelmann ver- wenden zu ihrem, von den Ohrenärzten fast aus- schließlich benutzten Verfahren Stimmgabeln und die Galtonpfeifen. Allein die Handhabung des Apparates, bei dem für jeden Ton eine besondere Stimmgabel oder Pfeife zu verwenden ist, ferner der Umstand, daß mit demselben die Konstanz der Töne nur kurze Zeit erhalten werden kann, überdies das Maß ihre Stärke nur indirekt er- mittelt wird, hat für die Praxis eine Abänderung notwendig gemacht, die Pldelmann insofern gelungen ist in bezug auf die erwähnten Mängel, daß der Apparat zwar für rein wissenschaftliche Zwecke seinen Zweck erfüllt, aber für den Ohren- arzt doch zu schwierig in seiner Handhabung sich gestaltet. Für das akustische System beiderlei Richtungen ist zu fordern, daß es genügend emp- findlich, daß sein Ton rein und schwach ge- 640 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 45 dämpft ist und daß sich die Reaktionen in den IVlonotelephonen, den mit ausgesprochenem Eigen- ton versehenen, leicht und unzweifelhaft in posi- tivem, wie negativem Sinne bei der Prüfung fest- stellen lassen. Es muß also gehngen, den tat- sächlichen Stand oder die organische Verfassung des Gehörs in bezug auf Tonaufnahme und Ton- auffassung bzw. Tonverarbeitung zu ermitteln und andererseits allenfallsigen Simulationen von selten des zu Prüfenden auf die Spur zu kommen. Fritz Lux, bekannt durch seine, wohl all- gemein anerkannte Theorie über die Fernwirkung des Kanonendonners und das Einsetzen der Schweig- zone — vgl. dieselbe in Nr. 22 S. 321 der „Na- turw. VVochenschr." 1916 — , hat es nun unter- nommen, eine neue Methode der objektiven IVIes- sung der Hörfähigkeit zu schaffen, die einerseits den wissenschaftlichen .■Ansprüchen gerecht wird und andererseits auch leicht von jedem Ohrenarzt gehandhabt werden kann. Im „Archiv für die ges. Physiologie" Bd. 168 vom Jahr 19 17 entwirft Lux ein Bild über den gegenwärtigen Stand der Frage, aufweiche Weise es gelingt, die Hörfähigkeit objektiv zu prüfen. Zunächst erörtert derselbe unter Hinweis auf die einschlägige Literatur die Licht- und Schattenseiten des bisherigen Verfahrens und, darauf bauend, die von ihm aufgefundene Methode. Als dann be- weist derselbe die Vorteile seiner Erfindung gegen- über der bisherigen Methode und zieht daraus den Schluß, daß dieselbe die einzig sichere Handhabe zur objektiven Prüfung der Hörfähigkeit bietet. Als Tonquelle wird von Lux der Telephonhörer benutzt. Reuter. Anregungen und Antworten. Den interessanten Beiträgen von V. Franz über die Veränderung der Tierwelt durch Kriegseinflüsse lassen sich noch einige »eitere Belege anreihen. Zunächst bestätigt Martin Braeß die Zunahme der Nachtigall bei Wiuen- berg (verminderte Nachstellung durch Vogelsteller, weil sich diesen zurzeit lohnendere Berufe bieten) und die Zunahme der Wachtel in der fränkischen Schweiz, in Sachsen zwischen Müglitz- und Weißeritzial bis hinauf in die Alienberger Gegend {Schonungin Südrußland). Doch sei bemerkt, daß auchdasschon vor dem Kriege (1909) erschienene Buch; W. Schuster, „Unsere einheimischen Vögel" (Heimatverlag Gera) S. 69 mit Fettdruck als ersten Satz unter ,, Wachtel" schreibt: „Nimmt in den letzten Jahren wieder etwas zu". Hochinteressant ist ein Bericht über Zunahme der Schwarzamseln in Schleswig- Holstein als Folge der „Kriegsschonung" (W. Schuster, „Die Tierwelt im Weltkrieg", Verlag Müller-Heilbronn). Aus gleichem Grunde und namentlich wegen Abwesenheit des Forstpersonals verzeichnet Braeß ferner eine Zunahme der Elster für Frankfurt a. M., Lüneburg, Pirna an der Elbe („Gefl. -Börse" Nr. 66) ; nur der Vernichlungsfanatiker, den wir in diesem Falle mit der Löns 'sehen Prägung „Gemüls- krüppel" belegen dürfen, weil sein Gemüt derartig moralisch defekt ist, daß er die Schönheiten der Natur nicht mehr schauen und werten kann, nur ein solcher kann der Elster, dem stolzen und schönen Vogel, die knappe Zunahme nicht gönnen, denn beispielsweise hier in der Provinz Posen ist ihr Bestand ganz außerordentlich vermindert gegen früher und in meiner Heimal Hessen ist sie fast ausgerottet. Schelladler sollen, wie ich in meinem Buche : „Die Tierwelt im Weltkrieg" mitteile, durch Kriegslärm aus Polen verdrängt worden sein. In dieser Beziehung muß man jedoch immerhin vorsichtig sein ; die Frage, wieweit der Krieg die Zugstraßen der Vögel abge- ändert hat, wird sehr verschieden beantwortet; manche be- streiten diese angebliche Tatsache (so Thienemannl. Die „Frankf. Ztg." meldet neuerdings in Pommern auftretende, aus dem Balkan verschlagene Geier (Mönchs- und Gänse- geier). Interessant ist auch der folgende Bericht : „Man kann sich nicht mehr der Einsicht verschließen", so führt der „Gaulois" aus, „daß der Krieg die Vermehrung des Schlangen- geschlechts in unerwartetem, stellenweise fast unglaublichem Umfange erweitert hat. Ganz besonders die durch ihren giftigen Biß gefährlichen Vipern haben sich in allen französischen Provinzen in großer Menge entwickelt. Auch hier ist das eigentliche Schuldige der Menschenmangel; denn seit mehr als zwei Jahren wurden die Vernichtungsteldzüge gegen die Schlangennester so gut wie gänzlich vernachlässigt." Wilhelm Schuster. Mit Hinblick auf die Notizen von Anna Hopffe und Rudolph Zaunick über Infusorienerde, dem sog. Bergmehl, und Mehlerde sei hervorgehoben, daß auch an einer Reihe anderer Orte Schichten angetroffen wurden, die in Zeiten der Not zur Streckung des Mehles dienten. Als Fundstellen werden erwähnt: Weichselmünde bei Danzig, Thorn, Kamin, Klicken in Anhalt, Degernfors in Schweden u. a. Auslührlicher habe ich darüber in dieser Zeitschrift (Bd. 12, Nr. 33, 15. Aug. 1897, S. 385 — 388) in einem kleinen Aufsatz „Über Bergmebl und diatomeenfübrende Schichten in Westpreußen" berichtet. Bei der Teilnahme, welche diesem Thema in der jetzigen Zeit ent- gegengebracht wird, sei auf ihn hingewiesen. P. Dahms. Literatur. G., Die höheren Pilze. 2., ( 607 Textabbildungen. Berlii Lindau, Prof. Dr gesehene Auflage. Mit J. Springer. — 8,60 M. Trendelenburg, Prof. Dr. W., Stereoskopische Raum- messung an Rönlgenaufnahmen. Mit 39 Texiabbildungen. Berlin '17. J. Springer. — 6,80 M. Kohlschütter, Prof. Dr. W., Die Erscheinungsformen der Materie. Vorlesungen über Kolloidchemie. Leipzig und Berlin '17. B. G. Teubner. — 7 M. llt; Alexander Lipschütz, Studien zur Nervenregeneration. (8 .'\bb.) S. 625. R i chard M ül 1er- Frei enfels , Zur Psychologie und Biologie der Gefühle. S. 629. — Einzclberichte : Arnd, Elektrochemieder Taschenlampenbatterien. S. 633. P. Debye und P. Scherrer, Raumgefüge der verschiedenen KohlenstofTmodifikationen. S. 634. Gold- schmidt, Bi-obaehlungen und Versuche über Spermatogenese in Gewebekulturen. S. 636. Keilhack, Tropische und subtropische Moore auf Ceylon und ihre Flora. S. 637. Fr. v. Wettstein, L. Lampa, Beobachtungen über das Leben einiger niederer Pflanzen. S. 638. Fr. Lux, Verfahren der okjektiven Prüfung und Me.>.sung der Hörfähigkeit oder Hörschnelle. S. 639 —Anregungen und Antworten : Veränderung der Tierwelt durch Kriegseinflüsse. S. 640. Infusorien- erde. S 640. — Literatur: Liste. S. 640. N 4. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berl: Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S, alidenstrafle 42, erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den i8. November 1917. Nummer 46. [Nachdruck D'Alemberts Bedeutung für die Naturwissenschaften. Zu seinem 200. Geburtstag am 16. November 1917. rboten.l Von Victor Engelhardt, Assistcut am Physikalischen Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule, Berlin. An Faraday konnte ich zeigen,') wie durch das günstige Zusammenwirken von Veranlagung, Charakter, Umgebung und Zeitgeist ein großes Lebenswerk zustande kam. — Heute dagegen lenkt der Zufall von D'Alemberts 200. Geburts- tag unser historisches Interesse einem Forscher zu, bei dem die Entwicklung einer großen Be- gabung durch einen schwachen Charakter und eine ungünstige Umgebung nicht zu ihrer vollen Blüte gelangen konnte. Faradays ernster Forscherwille verbot jedes Abirren vom Weg, während D'Alembert den Lockungen einer glänzenden Gesellschaft nicht widerstand, ihren Wünschen Rechnung trug und so einer tausend- fältigen Zersplitterung verfiel. — Faradays Leben wurde durch seine Arbeit bestimmt, D'Alemberts Arbeit von seinem Leben. Es ist uns deswegen nicht möglich seine Werke, wie die des englischen Physikers, nach gewissen Grundprinzipien, das heißt systematisch zu behandeln. Wir müssen vielmehr D'Alemberts Arbeiten gleich Perlen auf den roten Faden seines Lebens reihen, das heißt biographisch vorgehen. Aber gerade diese durchaus anders geartete Betrachtungsweise dürfte nicht ohne Reiz sein, denn in ihr offenbart sich eine Verschiedenheit, die uns einen Blick in den Charakter der beiden uns feindlichen Nationen tun läßt. Bei einem allgemeinen Überblick über D'Alemberts Leben scheinen sich, wenn auch nicht immer ganz scharf, drei Hauptepochen von einander zu trennen: Mit mathematischen Unter- suchungen begann seine Entwicklung. Aber auch in den späteren Jahren, in den Zeiten vorwiegend philosophischer Arbeit, und auch dann, als diese sich gegen Ende seines Lebens in eine haupt- sächlich literarische Tätigkeit verlief, kehrte er immer wieder zu mathematisch-physikalischen Problemen zurück. Doch wurde die Zeit, welche er später für sie erübrigen konnte, immer knapper, und seine mathematischen Abhandlungen sind deswegen, nach Cantors Ausspruch,-) ganz im Gegensatz zu seinem sonst glänzenden Stil, unklar, unmethodisch und schwer zu verstehen. — Die Zeitgenossen fanden allerdings reichen Ersatz in seinen, bis in den Himmel gehobenen, schrift- stellerischen Werken. Für sie stieg er zu immer größeren Höhen empor. — Wir sind von den Tagesereignissen der damaligen Zeit nicht mehr berührt, von ihren Modelaunen nicht mehr ge- blendet. Für uns verläuft D'Alemberts Ent- wicklung, auch dann, wenn wir nicht nur mathe- matisch physikalische Interessen haben, decrescendo. Wollen wir aber, wie in vorliegender Arbeit, seine Verdienste um die Naturwissenschaften ganz be- sonders betonen, dann wird der Schwerpunkt seines Schaffens sehr weit an den Anfang gerückt. Die ersten Tage seines Lebens sind mit dem ein wenig morschen Zeitalter Ludwig XV. innig verknüpft.^). Er wurde am 16. Nov. 1717 von der schöngeistigen Salondame, Mme. de Tencin, als der uneheliche Sohn des Generals Destouches geboren.*) Um dem Skandal und den anzüglichen Reden ihrer Gesellschaftskreise zu entgehen, ließ ihn die gewissenlose Mutter an den Stufen der Taufkapelle Saint-Jean-Lerond aussetzen, wo ihn ein Polizeikommissar fand. In der Taufe erhielt er nach dem F"undort den Namen Jean-Baptiste Lerond, während der Ursprung des Namens D'Alembert rätselhaft ist. General Destou- ches nahm sich, als er von einer Reise zurück- gekehrt war, des Kindes an, setzte ihm eine be- scheidene Rente aus und brachte es in das Haus der Mme. Rousseau, die ihm eine großartige Pflegemutter wurde. Seine Schulbildung empfing der Knabe in einem College, das ganz im Sinne der Jansenisten arbeitete. D'Alemberts Lehrer wurden bald auf seine glänzende Begabung aufmerksam und versuchten dieselbe der Polemik ihrer Sekte dienst- bar zu machen, einer Polemik, welche damals ganz Frankreich bewegte. Es schwebte ihnen das Beispiel Pascals vor, des großen Mathematikers, der einst unter ihrem Einfluß seine ganze Arbeits- kraft in den Dienst religiöser Streitigkeiten gestellt hatte. Um die Ähnlichkeit noch größer zu machen, wiesen sie auch D'Alembert auf mathematische Studien und hatten so großen Erfolg, daß sie ihren Versuch bald verwünschten. Der „Geo- metrie" war ein eifriger Jünger gewonnen, den Jansenisten aber ein Streiter verloren gegangen.**) Es ist ein artiger Zufall, daß D'Alembert am Beginn seiner Laufbahn gerade durch den Einfluß, den Tagesstreitigkeiten auf ihn gewinnen sollten, für lange Jahre, für die ganze erste Epoche seines Lebens, sich selbst und seiner mathematischen Veranlagung gewonnen war. Er knüpfte, über- einstimmend mit dem wissenschaftlichen Streben seiner Zeit, in zweierlei Weise an Newton an. Einerseits bemühte er sich die höhere Analysis, welche von Newton und Leibniz in ihren Grundzügen vorgezeichnet war, weiter auszu- bauen, und andererseits zog er zahlreiche, von Newton nur angedeutete Konsequenzen 642 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. F. N. XVI. Nr. 46 des allgemeinen Gravitationsgesetzes. Dem zuerst genannten Streben verdanken wir viele neue Methoden, die entweder in seinen rein mathematischen Abhandlungen niedergelegt sind, oder sich in den physikahschen Schriften ver- stecken. Das rein mathematische Interesse der- selben überragt das physikalische manchmal sehr weit. Oft finden sich in ihnen ganz unhaltbare Theorien, zu deren Ausführung er sich vollständig neuer und genialer Rechenmethoden bedient. Eine Abhandlung über die Ursache der Winde,') welche durch ein Preisausschreiben der Berliner Akademie zustande kam, bringt die falsche Vor- stellung einer Luftflut als Ursache der Passate, entwickelt aber zur Durchführung dieser Theorie durchaus neue, analytische Verfahren. — In seinen, allerdings auch physikali'-ch wichtigen Unter- suchungen über schwindende Saiten,'] macht er die Fachwell zum erstenmal mit der Lösung einer partiellen Differentialgleichung bekannt, — und auf fast allen Gebieten der reinen Mathematik ist, wie ein Blick in Cantors Geschichte dieser Wissenschaft zeigt,-) sein Name zu finden. In der Algebra, in der Differential- und Integralrechnung, in der Lehre von den bestimmten Integralen und den Differentialgleichungen, — und nur auf einem Gebiet hat sein Geist völlig versagt — auf dem der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Er gehörte zu ihren hefiigsten Gegnern und hat ihre Bedeutung für die Wissenschaft arg verkannt. Sonst aber hat er durch seine mathematischen Forschungen, deren Höhepunkt in seiner Jugend liegt, die sich aber, wie man aus den Anmerkungen sieht, bis ins hohe Alter hineinziehen, der Naturwissenschaft indirekt unschätzbare Dienste geleistet, indem er dazu beitrug das Handwerkszeug zu schärfen und zu verfeinern. Trotz dieses Verdienstes ist es schwer zu ent- scheiden, ob der direkte Fortschritt, den ihm die Naturwissenschaft verdankt, nicht noch stärker ins Gewicht fällt. Die zahlreichen physikalischen Ab- handlungen seines späteren Alters ragen zwar, obwohl sie manchen fruchtbaren Gedanken bringen, nicht allzusehr über die Arbeit anderer Physiker hinaus. Er disputierte mit Euler und Ber- noulli eifrig über die Gestalt einer schwingenden Saite,") ein Problem, das 171 5 von Taylor*) aufgegriffen worden war, aber seine exakte theore- tische Lösung erst jetzt fand, als die Obertöne mit in den Kreis der Betrachtung gezogen wurden. Diese Beschäftigung mit akustischen Aufgaben vereinte sich mit seiner Liebe zur Musik zu einem musiktheoietischen Werk,") dessen Bedeutung selbst noch Helmhol tz in seiner Lehre von den Tonempfindungen '") anerkannte. — In der Optik bemühte er sich um die Durchrechnung achromatischer Objektive, ") deren Konstruktion allerdings schon gelungen war. Der Erfinder, Dollond, '■'') hatte aber, um sich das Privileg der Erzeugung zu wahren, keine Maße angegeben, und so viele Gelehrte veranlaßt auf theoretischem Wege zu suchen, was er auf empirischem entdeckt. Weit wichtiger als all die Untersuchungen ist jedoch D'Alemberts Ausbau des Newtonschen Gravitationsgesetzes. Dieses erlaubt in einfacher Weise die Kiäfte, welche zwei gegebene Massen mj und mj aufeinander ausüben, durch die Gleichung: . mj • m,, p r"* zu berechnen, wobei r die Entfernung und G eine Konstante ist. Die Bewegung, welche Himmelskörper unter dem Einfluß solcher Kräfte ausführen müssen, werden, wie schon Newton gezeigt, durch die Kepplerschen Gesetze beschrieben. '^J — Sind jedoch an Stelle von zwei, drei Massen vorhanden, so sehen wir uns dem berühmten Dreikörper- problem gegenüber. Die Kräfte lassen sich wohl leicht berechnen, — welche Bewegungen aber unter dem Einfluß dieser Kräfte ausgeführt werden, ist auch noch heute nur unter gewissen Vernach- lässigungen zu bestimmen. Das ist traurig, denn die Astronomie hat es oft mit der Einwirkung preier Körper anfeinander zu tun. Man denke nur an die Bewegung des Systems Sonne, Erde und Mond, zu dem außerdem noch die kleinen Störungen durch andere Planeten kommen. Hier griff D'Alem bert mit großem Erfolg ein, wenn es ihm natürlich auch nicht beschieden sein konnte, die schwere Aufgabe restlos zu losen. — Ihm ge- lang es die Prazession, das Vorrücken der Tag- und Nachtgleichen, durch die Anziehung der Sonne auf die abgeplattete Erde und die Nutation, das geringe Schwanken der Erdachse, durch die gleiche Einwirkung des Mondes zu erklären und damit beide Erscheinungen als Polge der allge- meinen Massenanziehung hinzustellen.^*) Seine hervorragenden Arbeiten auf astrono- mischem Gebiet wären jedoch niemals möglich gewesen, wenn er nicht zu dem Erbe, das er von Newton empfing, etwas aus ureigenem Geist hinzugefügt hatte — sein dynamisches Prinzip. Dieses ist, obwohl es bereits im Jahre 1743, in einer seiner ersten Arbeilen veröffentlicht wurde, ^^) der Höhepunkt seines Schaffens. Es entsprang dem tief philosophischen und echt physikalischem Bemühen, die verwirrende Fülle dynamischer Einzelgesetze und Tatsachen auf einige wenige Prinzipien zurückzuführen, „zu gleicher Zeit die Überflüssigkeit mehrerer Prinzipien, die man bisher in der Mechanik angewandt hatie (zu zeigen), und den Vorteil zu zeigen, den man aus der Ver- einigung der übrigen für den Fortschritt der Wissenschaft ziehen kann".'®) Sein neues um- fassendes Prinzip gibt den Weg, im allgemeinen Falle die Bewegurig eines Systems irgendwie mit- einander verbundener Körper, die dem Einfluß gegebener Kräfte unterliegen, zu ermitteln. „Man zerlege die jedem Körper eingeprägten Bewegungen (Kräfte) a, b, c usw. in je zwei andere a, a; b, /?; c, y; derart, daß die Körper, wenn man denselben nur die Bewegungen a, b, c usw. eingeprägt hätte, N. F. XVI. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 643 diese Bewegungen, ohne sich gegenseitig zu hindern, hätten bewahren können; und daß, wenn man denselben nur die Bewegungen a, ß, y usw. ein- geprägt hätte, das System in Ruhe geblieben wäre; dann ist klar, daß a, b, c usw. die Be- wegungen sein werden, welche diese Körper in- folge ihrer Wechselwirkung annehmen werden. Das ist die Lösung der Aufgabe."^') Die dynamische Aufgabe war damit auf eine wesentlich einfachere, statische zurückgeführt. Außer bei den schon behandelten astrono- mischen Problemen,") wandte D'Alembert sein Prinzip mit großem Erfolge in zahlreichen dynamischen und hydrodynamischen Unter- suchungen an.'**) Die Gleichungen waren aller- dings oft recht schwer aufzustellen, und es be- durfte noch der Arbeit des eigentlichen Begründers der analytischen Mechanik, der Arbeit Lagranges, um hier die beste Lösung zu finden. Lagrange gibt aber selbst zu, daß er D'Alembert außer- ordentlich viel zu verdanken hat. Die grundlegenden mathematischen Arbeiten entstanden fern von dem Getriebe der Welt in der stillen Stube bei Mutter Rousseau. Aber man wird nicht ungestraft berühmt, man kann nicht ungestört bleiben und gleichzeitig der Freund des großen Preußenkönigs sein, dessen Aufmerk- samkeit D'Alembert durch seine Behandlung der Berliner Preisaufgabe ") erregt hatte. Die Welt machte ihn zum Akademiker und trat mit ihren Forderungen an ihn heran. Diderot bat um mathematische Artikel und um ein Vorwort für die große Enzyklopädie.'*) D'Alembert willigte ein, wurde Mitherausgeber dieses un- vergleichlichen Denksteins der philosophischen Aufklärungszeit und schrieb den „Discours preli- minaire." ^'') Es kann uns nicht wundern, D'Alembert plötzlich philosophisch beschäftigt zn finden. Schon in der Dynamik zeigte sich, wie wir sahen, sein philosophischer Geist in dem Streben nach einheitlichen Prinzipien und in der vorangestellten erkenntnistheoretischen Untersuchung über die Grundlagen der Mechanik. Im „Discours" findet sich auf das Universum übertragen, was dort für die Mechanik galt : „Für den, der das Weltall von einem einheitlichen Gesichtspunkt aus erfassen könnte, würde es — wenn der Ausdruck gestattet ist — nur eine einzige große Wahrheit bedeuten".'') Kürzer und schärfer kann das Ziel aller Philosophie und aller Wissenschaft kaum gekennzeichnet werden. Von abstrakter Höhe versucht er nun in spekulativ-philosophischer Weise die Entstehung, die Reihenfolge und die Verknüpfung der mensch- lichen Kenntnisse zu schildern, und in einem zweiten Abschnitt einen kurzen Abriß der Ge- schichte der Wissenschaften seit ihrer Renaissance zu geben. Dieser Schrift war ein lauter überraschender Erfolg beschieden, der den seiner tiefen mathe- matischen Arbeiten weit übertraf. Er hatte eben ohne besonders originell zu sein, die in der Zeit liegenden Gedanken in leicht faßlicher, glatter Weise dargestellt und hatte, was wohl am meisten den Beifall des Publikums hervorrief, die Voll- endung der kulturellen Entwicklung in seiner französischen Heimat gefunden. — D'Alemberts Charakter war von gallischer Eitelkeit nicht völlig frei, der Erfolg berauschte ihn und veranlaßte ihn, trotz seiner spezifisch mathematischen Begabung, weiter zu philosophieren. Aber gerade die mathe- matische Begabung, dieser Sinn für saubere Exaktheit hat ihn davor bewahrt in der Philosophie nur die Gedanken seiner Zeit zu wiederholen, hat seinem Denken eine persönliche Note gegeben. Er übertrug Newtons Auffassung von der Physik, Newtons Forderung keine Hypothesen zu bilden, sondern nur das zu behandeln, was sich in klare Gleichungen kleiden läßt, auf das Denken überhaupt — und kam so notgedrungen zum Skeptizismus. Genau so wie er es in der Physik, bei der Abhandlung über die Winde*) ablehnt, deren wahre Ursache, die Sonnenwärme, weiter zu verfolgen, weil sie sich nicht in strenge Formeln kleiden läßt und er dadurch zu falschen Resultaten kommt, so lehnt er in der Philosophie von vornherein jede Metaphysik ab. „Man könnte das Weltall mit gewissen Schriftwerken von er- habener Dunkelheit vergleichen, deren Verfasser sich bisweilen zu der Geistessphäre des Lesers herablassen um ihm einzureden, daß er ja alles nahezu verstände". Aber er versteht es nicht „und die größten Genies gelangen mit dem an- gestrengtesten Nachdenken . . . nur zu oft dahin, daß sie schließlich noch etwas weniger davon wissen, als die gewöhnlichen Sterblichen."--) D'Alembert ist Positivist, eigentlich der erste Positivist, das heißt für ihn ist die Philosophie, wie es im „Discours" deutlich zum Ausdruck kommt, nur die Wissenschaft von den Tatsachen und von der Zusammenfassung der Tatsachen, die ihre Berechtigung in der oben angeführten Einheit alles Tatsächlichen hat. Das Wesen der Dinge, und ob sie überhaupt sind, ist uns unbe- kannt, nur Erscheinungen sind gegeben. Mit den Erscheinungen aber müssen wir praktisch rechnen und tun es am besten, indem wir uns eine Außen- welt vorstellen. Die Außenwelt hat einen prak- tischen Sinn. Wie man sieht paßte die ganze Art seines Denkens vorzüglich zu den Bestrebungen der Aufklärungszeit, zu den Bestrebungen der Enzy- klopädisten. Er hat seinen Anteil am Kampf gegen kirchlichen und politischen Zwang, — und das macht auch die philosophische Periode seines Lebens für die Naturwissenschaften, wenigstens indirekt wertvoll. Wir, die es für selbstverständ- lich halten, daß man wissenschaftliche und reli- giöse Meinungen frei aussprechen kann, haben gar keine Ahnung, welcher Zwang in F"rankreich, und wohl nicht nur in Frankreich im 18. Jahr- hundert auf die Geister ausgeübt wurde. Wir müssen jedem Dank wissen, der diesen Zwang zerbrechen half, denn er hat beigetragen zur 644 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 46 Freiheit unserer heutigen Wissenschaft. Einen Vorwurf können wir D'Alembert allerdings nicht er.'^paren: er war ein schwacher, ein ängst- licher Verfechter seiner Meinung. Nachdem er in der oben zitierten Stelle des „Discours" seiner skeptischen Überzeugung Ausdruck verliehen hat, fährt er fort: „Darum ist uns nichts unentbehr- licher als eine geoffenbarte Religion", durch welche „dank der Erleuchtung, die sie über die Welt verbreitet hat, das \^olk sogar in einer großen Zahl wichtiger Fragen fester und schlüssiger (ist) als es alle philosophischen Sekten gewesen sind." -■^) In den „Elements de philosophie",^*) welche neben dem „Discours" sein philosophisches Hauptwerk sind, macht er der Kirche noch viel mehr Kon- zessionen, in der Hoffnung die Nachwelt werde zu unterscheiden wissen, „zwischen dem, was wir dachten und dem, was wir schrieben". Und als die Mitarbeit an der Enzyklopädie gar zu ge- fahrlich wurde, trat er zurück. Der laute verwirrende Ruhm, der D'Alembert aus seinen philosophischen Werken erwuchs, wurde sein Schicksal. Die Salons wollten ihn, den glänzenden Stilisten, in ihren Kreisen sehen. Sie lockten ihn und er gab nach. Der stille Gelehrte wurde ein glänzender Spötter, ein Festredner der Akademie -^) und — fast sojährig — der Lieb- haber einer geistvollen, leidenschaftlichen, gewissen- losen Frau, MUe. de Lespinasse. Ihr zu Liebe ließ er sich von den literarischen Steitigkeiten seines Zeitalters fangen, -") ihr zu Liebe schrieb er Bücher, die ihm lauten Beifall brachten — und heute vergessen sind. — Er stand auf der Höhe seines Ruhms. Die ursprünglich anonym er- schienene Abhandlung „De la destruction des Jesuites", -') eine Polemik gegen Jesuiten und Jansenisten, war das Tagesgespräch. Seine Ge- denkreden in der Akademie mußte man gehört haben, und seiner Freundschaft mußte man sich rühmen können. Er stand auf der Höhe seines Ruhms — und war tief verzweifelt, — denn seine Freundin war nicht treu. Die Verzweillung raubte ihm die Kraft zu ernster Arbeit — und ließ ihn sehn- süchtig an die stillen Stunden denken, in denen er seine großen mathematischen Werke schuf. — Sie sind, neben seiner Philosophie, was ihn heute noch unvergessen, was ihn heute noch wertvoll macht. Was damals aber laut gepriesen wurde, daran denkt man jetzt nicht mehr. ij Naturw. Wochenschr. 1917 Nr, 2) Cantor, Vorlesungen über Gei 4 S. 465. ichte der Mathematik. Siehe z. B. 3. Bd. 2. Aufl. 1901 S. 585. 3) Biographische Arbeiten über D'Alembert nenneich folgende: a) Condorcet, Eloge de M. D'Alembert. Oeuvres de Condorcet Bd. 3. Paris 1847. b) Bertrand, D'Alembert, Revue des deux Mondes 15. Okt. 1865. c) Bertrand, D'Alembert Paris 18S9, die beste und aus- führlichste Biographie. 4) Über das genaue Datum herrscht Uneinigkeit. Der 16. Nov. scheint das richtigste zu sein. Siehe Förster Beiträge zur Kenntnis des Charakters und der Philosophie D'Alemberts. Diss. Jena 1892 S. 7. 5) Condorcet, 1. c. S. 53. 6) Reflexion sur la cause generale des vents. Paris 1747. 4°. 7) 1747 in der Berliner Akademie. S. auch Opuscules mathematiques 1761 — 1781. 8) Taylor, Methodes incrementorum directa et inversa. London 1715. 9) Elements de Musique theoretique et practique suivant les principes de M. Rameau 1752. Ins Deutsche übers, von Marpurg, Leipzig 1757. 10) Helmholtz, Lehre von den Tonempfindungen. S. 380. 11) Opuscules mathematiques, namentlich III. Bd. 12) 1706 — 61. 13) Newton, Philosophia naturalis principia mathematica 16S7. 14) Recherches sur la precession des Equinoxes et sur Taxe de la terre dans le Systeme Newtonien. Paris 1749. 4°. Ins Deutsche übers, von G. K. Seuffert. Nürnberg 1857. S. auch verschiedene Art. in den Opusc. math. Rech, sur diff. points importans du Systeme du Monde I — 111. 1754 u. f. 15) Traite de Dynamique. Paris 1743. In deutscher Übers, neu herausg. in Oslwalds Klassikern der exakten Wissen- schaften Nr. 106. 16) Ostwalds Klass. 106 S. 7. 17) .Ebenda S. 58. iS) Traite de l'Equilibre et du mouvement des Fluides pour servir de Suite au Traite de Dynamique. Paris 1744. 4°. Essai d'une nouvelle theorie de la Resistance des tluides. Paris 1752. 4°. S. auch versch. Abb. in den Opuscules math. 19) Encyclopedie ou Dictionnaire raisonne des Sciences, des Arts et des Metiers, i. Bd. 1751. 20) In deutscher Übers, von Hirschberg, mit Anm. Phil. Bibl. 140. Leipzig 1912. 21) Ebenda S. 27. 22) Ebenda S. 22. 23) Ebenda S. 23. 24) Essai sur les Elements de philosophie ou sur les principes des connaissances huraaines 1759 — 1770. Über die philosophische Bedeutung D'Alemberts siehe außer dem zitierten Werk von Förster noch Kunz, Die Erkenntnis- theorie D'Alemberts, Archiv für Geschichte der Phil. Uct. 1906. 25) Eloges. Paris 17 79. 8". 26) Melanges de Litterature, d'histoire et de Philosophie. Paris 1752, 1759, 1763 u. a. 27) De la destruction des Jesuites en France, par un auteur desinteresse 1765. Einzelberichte. Botanik. Eigenartiger Bau des Plasmakörpers. An den Stengeln und Blattstielen der aus China stammenden Orchidee Haemaria (Goodyera) dis- color lassen sich schon mit bloßem Auge neben länglichen, grauen Flecken (Spaltöffnungen) kleine, runde, weiße Pünktchen erkennen. Sie zeigen die Stellen an, wo sich in dem Rindenparenchym unter der Oberhaut längliche, polygonale Raphiden- zellen befinden, d. h. Zellen, in denen Kalkoxalat in Gestalt von bündeiförmig auftretenden Kristall- nadeln ausgeschieden ist. Diese Zellen zeigen, wie H. Molisch mitteilt, die Eigentümlichkeit, daß der die Zellwand innen auskleidende Proto- plasmaschlauch keine einförmige Haut darstellt, sondern aus polygonalen Maschen zusammengesetzt ist und als ein zierliches Mosaik erscheint. Jeder N. F. XVI. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 645 Baustein dieses Mosaiks wird von einer Kammer mit dünner Plasmawand und wasserhellem Inhalt, einer Vakuole, gebildet. An irgendeiner Stelle des Plasmamosaiks liegt der Zellkern. Der Hohlraum, den das Netz umschießt, ist von homogen er- scheinendem Schleim ausgefüllt, und in diesen eingebettet liegt das Raphidenbündel. Wenn man die Zelle mit Hilfe von 10 "/^ Kalisalpeterlösung plasmolysiert, so rundet sich das Plasma bei der Ablösung von der Zellwand nicht ab, sondern behält so ziemlich den Umriß der polygonalen Zelle bei, was für das verhältnismäßig feste Ge- füge des Plasmamosaiks zeugt. Bei Druck auf das Deckglas oder nicht selten von selbst trennen sich in plasmolysierten Zellen die Bausteine des Mosaiks voneinander und bilden einzelne scharf umschriebene Stücke, die genau den Kammern des Plasmas entsprechen: „Es handelt sich also in diesen Raphidenzellen nicht um ein vergäng- liches Schaum- oder Wabennetz . . ., sondern um eine stabil organisierte, ziemlich festgefügte Kam- merung des Plasmas." Sie findet sich ausnahmslos in allen Raphidenzellen von Haemaria discolor, und da diese die Aufgabe haben, Schleim und Oxalsäuren Kalk abzuscheiden, so ist es nicht un- wahrscheinlich, daß das Plasmamosaik einen sekre- torischen Apparat darstellt. Es wurde auch bei mehreren Arten der (^rchideengattung Anoecto- chilus, besonders A. Veitchianus, angetroffen. In den als Salep verwendeten Knollen von Orchis purpurea, O. latifolia und Ophrys-Arten war das Plasmanetz, wie Molisch nachträglich feststeUte, schon von Arthur Meyer gesehen und be- schrieben worden; man hat es auch als diagno- stisches Merkmal für Salep-Schleimzellen verwendet. Moliscli fand es bei Knollen von Ophris aranifera nur in den ganz jungen Raphidenzellen deutlich ausgebildet, während es in den ausgewachsenen Zellen nicht vorhanden oder nur schwach ausge- bildet war. Bei Haemaria und Anoectochilus scheint es dagegen einen dauernden Bestandteil der Raphidenzellen zu bilden. Verf. weist auf gewisse Analogien mit dem Plasmabau bei anderen Organismen (Cladophora-Arten, Kutikula gewisser Amphibienlarven) hin, hebt aber als Besonderheit des von ihm beschriebenen Plasmamosaiks den hohen Grad von Selbständigkeit der einzelnen Kammern, die sich durch bestimmte Mittel von- einander isolieren lassen, hervor. (Sitzungsberichte der kais. Akad. d. Wiss. in Wien. Math.-Naturw. Kl. Abt. I, Bd. 126, 1917, S. 231—241.) F. Moewes. Wertvolle Aufschlüsse über die Entwicklung der Nepenthaceen, jener eigentümlichen, zu den „fleischtressenden" Pflanzen gehörenden Kannen- pflanzen, enthält eine neuere Arbeit von Kurt Stern (Beiträge zur Kenntnis der Nepenthaceen. Flora, N F. 9. 213— 282. 191 7). Die kleinen, nach Beccari nur 0.000035 g wiegenden Samen be- sitzen eine einschichtige, mit Vorsprüngen und Ver- dickungsleisten versehene Schale, die bei der Keimung der Länge nach aufplatzt. Die läng- lichen Keimblätter sitzen an einem zylmdrischen Teile, dessen zentrales radiales Gefäßbündel es als Wurzel charakterisiert. Andrerseits enthält es Chlorophyll und zeigt keinen deutlichen Geotro- pismus, so daß es Stern als ein Mittelding von Wurzel und Hypocotyl auffaßt. Dieses Gebilde dient also schon zeitig der Assimilation, die Be- festigung im Boden wird dagegen anfänglich von den Zacken der Schale übernommen, die auch für die Wasseraufnahme Bedeutung besitzt. Auffallend ist, daß schon die ersten Laubblätter, die in horizontalen Rosetten angeordnet sind, Kannen tragen, die aber von den später entstehenden deutlich verschieden sind. Die älteren Blätter zerfallen in ausgebildetem Zustande in Spreite, Ranke und Kanne, auf deren Entwicklung im ein- zelnen sowie morphologische Stellung hier nicht näher eingegangen werden soll. Nach einer Untersuchung der Blüte behandelt Stern die anatomischen Verhältnisse, von denen der Bau der Blattdrüsen am meisten interessieren dürfte. Sie spielen eine hervorragende Rolle für unsere Vorstellung von der Entstehung der In- sektivorie. Haberlandt hatte für Pingiticula (das Fettkraut) nachgewisen, daß die Verdauungs- drüsen wahrscheinlich aus wasserabscheidenden Hydathoden abzuleiten seien. Die Vorfahren der Pflanze besaßen also wohl ursprünglich solche, die ein schleimiges Sekret absonderten. Hier konnten zunächst zufällig kleine Insekten haften- bleiben; sie verwesten, und die gelösten Stoffe wurden von der Pflanze aufgenommen, woraus dann allmählich die „habituelle Insektivorie" her- vorging. Da auch die Nepenthaceen solche Hydathoden besitzen, lag nahe, hier an eine ähn- liche Ableitung zu denken. Es gelang Stern indessen der Nachweis, daß im Gegensatz zu den Droseraceen, die Drüsen nicht einheitlich gebaut sind, sich vielmehr zwei Typen unterscheiden lassen, die sowohl im fertigen Bau wie im ganzen Ent- wicklungsgange deutlich voneinander getrennt sind. Auf allen Blättern, auch den Teilen der Blüte sind kleine flache, köpfchenförmig vorgewölbte Drüsen nicht selten. Das sind die Hydathoden. Ihnen stehen die schildförmigen, meist eingesenkten, echten Verdauungsdrüsen gegenüber, die sich von jenen in keiner Weise ableiten lassen. Dagegen fand Stern, daß sie vollständig den an den Blumenblättern sitzenden Nektardrüsen gleichen, von denen er sie auch ableitet. Er nimmt dem- gemäß an, daß bei den noch nicht gewohnheits- gemäß insektivoren Vorfahren von Ncpeiifl/cs auch auf den Blättern derartige Honigdrüsen gesessen haben. Diese Annahme erfährt eine starke Stütze in der Tatsache, daß die gleiche Übereinstimmung bei Sarraceiiia herrscht und hier wie dort ganz gleichgebaute Nektardrüsen noch zerstreut auch auf den Blättern, sogar dem Stamm auftreten. Diese anatomischen und entwicklungsgeschicht- lichen Befunde bringen die Familie in enge Be- ziehung zu Droseraccen und Sarraccniacceii. An 646 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 46 jene erinnert vor allem die Keimungsgeschichte, an diese der geschilderte Drüsenbau und andere Merkmale. Die Familienreihe der Sarra- ceniales muß daher entgegen der Ansicht Wettsteins als eine natürliche angesehen werden. Die vielumstrittene Frage, ob die Bedeutung der eigenartigen Anpassung in der Zufuhr von stickstoffhaltigen Substanzen oder von Nährsalzen (Stahl) zu suchen ist, läßt Stern offen, betont aber, daß die gelegentlich noch immer bezweifelte Tatsache der Insektivorie entschieden feststeht. Der von ihm beobachtete Fang war stets reichlich; ältere Kannen enthielten eine bis i cm hohe Schicht ven Chitinresten kleiner Kerbtiere, Spinnen und Fliegen, denen die Drüsen wohl stickstoffhaltige wie stickstofffreie Nahrung entnehmen. Inter- essant ist, daß es ihm gelungen ist, durch schlechte Ernährungsverhältnisse (Stecklingsbildung u. a.) die sekundäre Erzeugung von Erstlingsblättern zu erreichen, worin er eine erneute Bestätigung der Goeb eischen Lehre sieht, die die Primär- blätter als Hemmungsbildungen deutet. Zahlreiche Versuche betreffen die Bewegungen von Kannen und Ranken. Diese liegen zunächst in einer Linie, später biegt sich die positiv geotropische Ranke nach unten, um sich oft stark zu krümmen, die negativ geotropische Kanne dagegen nach oben. Kr. Fischereiwesen. Über die unheilvolle Ein- wirkung der Verschilfung der stehenden Gewässer auf die Nutzfischzucht verbreitet sich Friedrich Wilhelm Schlesinger (Karlsruhe) in der All- gemeinen Fischereizeitung (42. Jahrg. 191 7 Nr. 13). Die Hauptlaichplätze der Nutzfische sind die krautigen d. h. mit Unterwasserpflanzen be- standenen seichten Uferstellen. Durch die immer weiter fortschreitende Ausdehnung des Schilfes werden gerade diese Uferpartien vom Schilf überwuchert und den Fischen als Laichplätze ent- zogen. Aber auch für die junge Brut, für die Jungfische, die sich gerne in dem seichten von der Sonne durchwärmten Wasser umhertummeln, wo sie überdies an den Unterwasserpflanzen reich- liche Nahrung finden, bildet das Schilf ein starkes Hemmnis, ihre Tummelplätze werden ständig ver- ringert, ihre Hauptnahrungsquellen abgeschnitten. Die Grundbedingung jeglicher gedeihlicher Fisch- zucht, die Fortpflanzung der Fische und die ge- sicherte Aufzucht des Nachwuchses, wird durch die Ausdehnung der Schilfbestände demnach immer mehr beeinträchtigt. Die mit .Schilf bestandene Uferzone wird aber auch als Produktionsort der Fischnahrung für die älteren P'ische unergiebiger, da der Schilf einerseits das Gedeihen der Llnter- wasserpflanzen mehr und mehr hemmt, andererseits aber selbst nicht als Fischnahrung in Betracht kommt. Ebenso können auch die Schilfbewohner, die von ihm aus ins Wasser geraten, nicht j; als Nahrungsquellen für die Fische gelten. In den Altwässern des Rheins hat Schlesinger seine Untersuchungen angestellt und an den schilffreien Stellen an angeschwemmten Landpflanzenteilen ungeahnte Mengen von allerlei Gliederfüßlern fest- stellen können (Flohkrebse, Wasserasseln, Libellen- larven, Wasserkäfer und ihre Larven u. v. a.). Im Schilfwald dagegen war die Fauna nach Zahl und Art eine sehr geringe. Ein 2. Übelstand der Verschilfung für den Fischzüchter ist die Möglichkeit, welche die Schilf- dickungen für die verschiedenen Fischräuber bieten, sich zu verbergen. Wasserratten, Spitzmäuse, Wildenten und Wasserhühner, große Hechte und Barsche, in manchen Gegenden, wie in den böh- misch-sächsisch-bayrischen Grenzgebieten auch noch der geiahrlichste Fischräuber, die aus Amerika eingeschleppte Bisamratte, sie alle finden im Schilfwalde die besten Schlupfwinkel und der Schaden, den sie durch diese Begünstigung ihrer Lebensbedingungen, unter dem Fischbestande zu stiften vermögen, ist durchaus nicht unbeträchtlich. Die Verschilfung wirkt also stark auf die Ertrags- fähigkeit der Gewässer ein, sie beschränkt auch die Fischmengen, welche daraus als Nahrung für den Menschen bezogen werden können und es wird sich deshalb wohl lohnen, sich der Arbeit zu unterziehen, die Schlesinger zur Ent- schilfung der Fischgewässer vorschlägt. „Es muß alljährlich 2 mal, sagt der Verfasser, im Frühjahr, wenn der Schilf stark in der Entwicklung ist und im Herbst, kurz vor dem Absterben, der ganze Schilfwald direkt über dem Boden, also am Wurzelhals, mit der Sense oder einer Schilfmäh- maschine abgemäht werden." Ich habe an kleineren, ruhigfließenden Flüssen, wie an der Wörnitz, einem Nebenfluß der Donau in Bayrisch-Schwaben, öfters ein derartiges Abmähen der Schilfbestände vom Kahn aus mit der Sense beobachtet. Es ist natürlich ein sehr mühseliges Verfahren, das durch Benützung einer Schilfmähmaschine bedeutend erleichtert werden könnte. Derartige Schilfmähmaschinen, die entweder von 2 Kähnen aus oder bei günstigen Verhältnissen auch von einem Kahn und vom Ufer aus betrieben werden können, wären am besten nach dem Rat des Verfassers von Staats wegen anzuschaffen und den einzelnen Fisch wasserbesitzern gegen eine entsprechende Miete zu überlassen. Die Entschilfung der Fischgewässer ist jedenfalls eine dringliche Frage, die bald in Angriff genommen werden muß, um so mehr als in der jetzigen Zeit kein Mittel unversucht bleiben darf, durch das es möglich ist, unsere gesamten heimischen Wirt- schaftsquellen voll in den Dienst des Vaterlandes zu stellen. H. W. Frickhinger. Forstwirtschaft. Zum Vorkommen der Wachtel. Während die Mehrzahl unserer einheimischen Vögel Jahr für Jahr an Zahl abnehmen, ist er- freulicherweise bei der Wachtel [Cofiirnix coiiniinnis Bonn) in den letzten Jahren allmäh- lich eine Zunahme zu konstatieren gewesen und gerade heuer erscheint die Wachtel wieder N. F. XVI. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 647 häufiger denn je auf unseren Fluren. Wie Rektor Benecke (Bad Schmiedeberg) in der OrnithologischenMonatsschrifi (42. Jahrg. 191 7 Nr. 5) mitteilt, traf er die Wachtel in diesem Jahre nicht nur auf Wiesen und in Kornfeldern, sondern auch öfters in Kiefernschonungen. Auch in Süddeutschland ist die Zunahme der Wachtel in diesem Jahre unverkennbar. Während ich lange Jahre nur mehr äußerst selten den Wachtelruf vernahm, tönte er mir heuer auf meinen zahlreichen Wanderungen auf der oberbayerischen Hochebene und im Ries (Bayrisch-Schwaben) überall auf Wiesen und Feldern, jedoch nie im Walde oder auch nur am Waldrande, entgegen. Womit ist nun diese plötzliche starke Zunahme der Wachtel zu erklären? Sowohl Rektor Benecke wie Freiherr von Besserer (Deutscher Jäger 39. Jahrg. 1917 Nr. 28) machen dafür vor allem die Tatsache verantwortlich, daß während der jetzigen Kriegs- zeit die Verfolgungen der Wachtel in den süd- lichen Ländern, vornehmlich in Italien und Griechenland, schon deshalb nicht so vernichtend ausgeübt werden können, weil einmal die Zahl der Fallensteller sich gegen die Friedensjahre stark verringert hat und dann die füher in so hohem IVIaße geübte Ausfuhr erbeuteter lebender Vögel nach Frankreich und England kaum mehr betätigt werden kann (allein von Ägypten aus wurden früher alljähr- lich zumindest I Million Wachteln allein nach London ausgeführt). Deshalb war die IVIöglichkeit gegeben, daß in den letzten 3 Jahren immer mehr Vögel zu ihren nordischen Nistplätzen zurückgelangen konnten. Und gerade heuer vermehrte sich die Zahl der Wachteln in den deutschen Gauen wohl aus dem Grunde so stark, weil viele Vögel, durch den strengen Winter in der Rückwanderung auf- gehalten, sich auf ihrem Rückzuge nach ihren nordischen Quartieren verspäteten und dann im IVIai in Deutschland ihren Zug unterbrachen, weil der Bruttrieb erwachte oder Legenot sich bei ihnen plötzlich einstellte. Sei dem aber, wie ihm wolle, jedenfalls ist es eine hocherfreulirhe Tat- sache, daß wir wieder einmal von einem Vertreter der deutschen Vogelwelt eine Zunahme seines Vorkommens festzustellen vermögen. H. W. Frickhinger. Nützlichkeit und Schädlichkeit der Spechte. Die Echten Spechte oder Siemmschwanz- spechte {Picinae) sind im deutschen Forst durch mehrere Gattungen und Arten vertreten : der ge- wöhnliche Schwarzspecht {Picus martiiis L.) kommt vornehmlich in den Alpen und den IVIittel- gebirgsländern vor, während die 3 Repräsentanten der Buntspechte, der große, mittlere und kleine Buntspecht (Deiidrocopus major L. ; D. nicdius Koch und D. minor Koch) die Wälder des Flachlands bevorzugen; und zwar trifft. man hier den großen Buntspecht vornehmlich in Nadelwäldern, den kleinen Buntspecht mehr in Laub- und den mittleren Buntspecht fast aus- schließlich in Eichenwäldern. Im allgemeinen läßt sich aber wohl sagen, daß die Grenzen der ein- zelnen Verbreitungsgebiete der 3 Spechte nicht scharf getrennt sind, sondern mehr oder weniger ineinander übergehen. Weiterhin kommen in deutschen Wäldern noch der Grauspecht (Gc- cinus canus Gmel) und der Grünspecht {Ge- cimis viridis L.) vor, deren Bedeutung aber im Vergleich zu den 4 erstgenannten Arten gering ist. Der weißrückige Specht (Dendrocopjis leuconofus Bechst.) und der dreizeh ige Specht {Picoidcs tridactylus L.) sind seltene Arten, die für die Praxis kaum jemals in Betracht kommen. Die Stellung der Spechte im Haushalt der Natur ist viel umstritten worden. Während man früher die Vögel der Beschädigungen wegen, die sie an den Bäumen des Waldes vollführen, geradezu als Schädlinge bezeichnete und Prämien für ihren Abschuß aussetzte, hat sich heute die Auffassung der Forstzoologen allmählich gewandelt: die neueren Erfahrungen haben gelehrt, daß die Spechte zwar nicht unerheblichen Waldschaden verursachen können, daß aber der Schaden, den sie zugestandenermaßen anrichten, bei weitem übertroffen wird von dem Nutzen, den sie als Vertilger von allerhand Sch^dmsekten stiften. Die Spechte stellen vor allem zahlreichen frei im Holze lebenden Insekten und deren Larven nach. Der bekannte F'orstzoologe Prof. Alt um hat allerdings behauptet, die Spechte verzehrten lediglich forst- lich indifferente Rinden- und Holzinsekten, ließen dagegen die hauptsächlichsten Forstschädlinge (Rüssel- und Bockkäferlarven) unbehelligt. Dem ist aber nicht so: gerade die forstlich so schäd- lichen Larven der Bockkäfer, Rüsselkäfer und Borkenkäfer, daneben natürlich auch die feisten Raupen des Cossks Schwärmers oder die Larven der Holzwespen (ÄmrArten) (letzteres beides forstlich minder wichtige, aber immerhin beach- tenswerte Schädlinge) werden von den Spechten mit Vorlit-be aufgesucht und vertilgt. Natürlich kann diese Nihrungssuche der Spechte, die sich immer auf Tiere erstreckt, die zumindest unter der Rinde, aber auch recht häufig tief im Holze leben, nicht ohne erkennbare Beschädigungen der Waldbäume abgehen. Dabei ist aber zu bedenken, daß es ja immer nur kranke Bäume sind, welche die Spechte angehen; denn die Vögel erkennen das Vorhandensein ihrer Nahrungstiere ja geradezu am Gesundheitszustand der Bäume. Die durch die Spechte bei der Untersuchung der Stämme auf Insektennahrung verursachten Baumbeschädi- gungen sind verschiedener Art. Am charakteri- stischsten erscheinen die rechteckigen Schälstellen, wie sie Dr. S t r ö s e in der „Deutschen Forst- zeitung" (Bd. 32 1917 Nr. 25) von Stücken aus dem Jagdmuseum der „Deutschen Jägerzeitung" in Berlin-Zehlendorf beschreibt. Auf den ersten Blick hat man den Eindruck, als seien die Wund- stellen von menschlicher Hand mit einem Meißel künstlich angebracht worden. Der Schnabel des Spechtes ist eben ein ideales Werkzeug für seine Zimmermannstätigkeit. „Ober- und Unterschnabel Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 46 bilden, namentlich bei den größeren Arten, sagt Ströse, eine sich nach der Spitze zu allmählich verjüngende Pyramide, der Schnabel ist außer- ordentlich hart und am Ende senkrecht wie ein Meißel abgestutzt." In entsprechender Weise sind auch die Kopfknochen organisiert, sie sind von beträchtlicher Stärke und fest miteinander ver- bunden. Die Höhlungen, welche die Spechte in die Bäume meißeln, haben aber außer ihrer eigent- lichen Bestimmung, daß sie den Vögeln zu ihrer Beute verhelfen und so den Wald von zahlreichen Schadinsekten befreien, auch noch eine weitere begrüßenswerte Nebenwirkung; sie dienen zahl- reichen kleineren Höhlenbrütern aus der Vogel- welt, deren Nützlichkeit außer Frage steht, als Wohnung. Der Schaden, den die Spechte verur- sachen, ist deshalb weit geringer als der Nutzen, den der Forstmann aus ihrer Tätigkeit zieht, und die Bestrebungen, diese interessanten Vögel vor unnützen Verfolgungen zu schützen, verdienen die Unterstützung aller beteiligten Kreise. H. W. Frickhinger. Paläontologie. Zur stratigraphischen Beurtei- lung von Calceola (Calceola sandalina Lam. n. mut. lata und aha), mit 2 Figuren im Text, gibt R. Richter im Neuen Jahrbuch für Minera- logie, Geologie und Paläontologie 1916 II. Bd. I.Heft interessante Mitteilungen. Die Lebens- zeit der Pantoffelkoralle Calceola san- dalina fällt in der Eifel nicht mit der Calceolastufe des unteren Mitteldevons zusammen, wie manche Lehrbücher noch den Eindruck erwecken, sondern sie reicht hoch in die Stringocephalenstufe hinauf Damit hat auch Calceola sandalina, ursprünglich das Muster eines Leitfossils, ihren stratigraphischen Wert verloren. Indessen wird durch ihr Aus- sterben in der Stringocephalenstufe diese Stufe in 2 Unterstufen getrennt. Sehr verbreitet ist die Pantoffelkoralle in der Brachiopodenfacies der unteren Stufe des Mitteldevons. In der Eifel (Hilles- heimer Eifelkalkmulde) fällt ihre Blütezeit erst in das Hangende der Calceolastufe. Hier zeigt sich eine auffallende und beständige Verschiedenheit zwischen den Formen der unteren und denen der oberen Abteilung des Mitteldevons. In der Stringocephalenstufe kommt in Beglei- tung von Stringocephalus Burtini, Spirifer gerol- steiniensis, Turbo armatus und Dechenella Ver- neuili stets eine Calceola von eigenartig schmalem Bau vor, die sich von der älteren Form der Cal- ceolastufe gut auseinanderhalten läßt. Das Vor- handensein dieser verschiedenartigen, stratigraphisch selbständigen Calceolaformen stützt sich auf zahl- reiche Fundpunkte der Eifel. Überall ist eine breite Form für die Calceolastufe und eine schmaleFormfürdie jüngereStrin- gocephalenstufe charakteristisch. Bereits Gold fuß war das Auftreten einer durch zahlreiche Übergänge verbundenen „hohen" und einer „breiten" Spielart bekannt; auch F. Roemer und namentlich Quenstedt waren diese Unterschiede aufgefallen. Bezeichnend ist, wie sich Quenstedt darüber ausspricht: „Aus den vielen Varietäten des Eifler Kalkes hat man nur eine Spezies Calceola sandalina zu machen gewagt." Warum man früher die zeitliche Selb- ständigkeit der beiden Mutationen nicht scharf erkannt hat, liegt an dem Mangel horizontmäßigen Sammeins in der Eifel. Man hat die Faunen der verschiedenen Mulden und Mitteldevonstufen bunt durcheinandergewürfelt. Stratigraphisch gut gesammeltes Material, das der vorliegenden Untersuchung zugrunde lag, be- findet sich im Senckenbergischen Museum zu Frank- furt am Main. Messungen der Rückenfläche des Kelches an der Spitze ergaben einen Winkel von 60° — 70" ja So" bei der breiten Form der Cal- ceolastufe und von 40—50" bei der schmalen Form der Stringocephalenstufe. Dazwischen lie- gende Werte von 50" — 60", namentlich von 55" treten zurück. In der Calceolastufe sinkt der Winkel selten unter 60", niemals unter 50° hinab, während bei ausgesprochenen Stringocephalen- formen der Winkel ganz selten auf 55" ansteigt, dagegen bis 2)^" sinken kann. Aus diesem Befund ergeben sich folgende für die stratigraphische Erkennung der beiden Mittel- devonstufen wichtige Anhaltspunkte: 1. Das Vorwiegen von Calceolakelchen mit einem Winkel von 60", die Abwesenheit von solchen unter 50", ja das Auffinden einzelner Kelche mit Winkeln über 60° beweist das höhere Alter einer Ablagerung und spricht für Zurechnung zur Calceolastufe. 2. Das Überwiegen von Calceolakelchen mit Winkeln von 50" und darunter, die Abwesenheit von Winkeln über 60", ja das bloße Auffinden einzelner Kelche mit Winkeln unter 50" beweist das jüngere Alter einer Ablagerung und genügt für Zurechnung zur Stringocephalenstufe. Beide Formen stehen nach alledem nicht im Verhältnis von Spielarten zueinander, denn dann müßten sie gleichzeitig miteinander auftreten, sondern es sind Mutationen. Die Schmalform ist aus der Breitform (Stammform) hervorgegangen und hat deren ausgesprochene Merkmale so stark verdrängt, daß nur unsichere Anklänge noch vor- handen sind oder auf sie zurückschlagen. Obwohl man an eine artliche Trennung der beiden Formen denken könnte, unterscheidet R. Richter nur Mutationen im Sinne der erläuterten Beschreibung und zwar nennt er die Form i Calceola sandalina Lam. n. mut. lata Richter und Form 2 Calceola sandalina Lam. n. mut. alta Richter. Damit wären die selbständigen Muta- tionen von jenen Grenzformen eines als einheitlich und gleichzeitig pendelnd gedachten Abänderungs- spieles gut unterschieden. Infolge der Gleichwertigkeit von Stammform und Mutation ist es richtig, auch die Stanimform N. F. XVI. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 649 mit einem 3. Namen„typus" zu bezeichnen und sie einander als Mutationen gleichzusetzen. Mit der älteren Form (mut. lata) erreicht Cal- ceola ihre bedeutendste Größe, hinter der die jüngere alta-Form weit zurückbleibt. Dafür aber erlaligt die jüngere Form den größten Reichtum an Einzeltieren. Mitunter tritt sie dann in solchen Massen auf, daß Kelch an Kelch liegt (Weinweg bei Gerolstein) und zu regelrechten Calceolabänken werden, in denen daneben nur noch einige Ko- rallen, Crinoiden und Brachiopoden auftreten (Dreimühlen bei Ahütte). In diesem Falle bleiben die einzelnen Tiere meist noch kleiner als sonst. Die stratigraphische Grenzlinie der beiden Mutationen ist noch unbestimmt, jedoch dürfte der Übergang der breiten in die schmale Form in oder über der Crinoidenschicht oder in die unteren Glieder der Stringocephalenstufe fallen. Die breite Form steigt in die hängendsten Lagen der oberen Calceolastufe hinauf und erreicht hier gerade ihre bedeutendste Größe und Breite. Rückblickend läßt sich sagen, daß die beiden Mutationen lata und alta 2 zoologisch und zeit- lich getrennte Calceolaformen sind, deren jede eine der beiden Hauptabteilungen des Mitteldevons Fig. I. Calceola sandalina Lam. mut. lata Richter Vereinfachte Kopie von '1 af. IV Fig- 7- lg. 2. Calceola sandalina Lam. mut. aha Richter Vereinfachte Kopie von Taf. IV Fig. 13- bezeichnet. Sie lassen sich im Felde stets ohne weiteres unterscheiden, was von um so größerem stratigraphischen Werte ist, da einem Calceola beim Sammeln eher in die Hände fällt, als die angegebenen Leitfossilien. Alles Gesagte bezieht sich nur auf die Eifel. Ob unter der jüngeren Calceola auch in entfernteren Gebieten (z. B. den Stringocephalen- formen von Haina, in Mähren und östlich davon usw.) Beziehungen zur Mutation alta auftreten, muß späteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. In Belgien erscheint Calceola in der Cultrijugatus- stufe, ist ziemlich vereinzelt in der unteren Cal- ceolastufe, erreicht ihre größte Häufigkeit in der oberen Calceolastufe, ist aber mit Beginn der Stringocephalenstufe (Givetien) plötzlich ver- schwunden, während sie gerade in der benach- barten Eifel ihre größte Häufigkeit erlangt. Da- mit ist Calceola in Belgien ein ausschließliches Leitfossil der Calceolastufe und daher die frühere, jedoch in neueren Eifelarbeiten verschiedentlich abgelehnte Bezeichnung Calceolastufe für das äl- tere Mitteldevon gerechtfertigt. Die verdienstvolle Arbeit von R. Richter hat ergeben, das auch den beiden Mutationen lata und alta von Calce- ola der Wert eines Leitfossils zukommt. V. Hohenstein. Heilkunde. Über die Verbreitung des Krebses in der Schweiz hat M. B. JosseP) auf Grund des Materials des Eidgenössischen Statistischen Amtes in Bern eine Zusammenfassung veröffent- licht, die für das Krebsproblem überhaupt von großem Interesse ist. Die Schweiz ist vor den anderen europäischen Ländern durch eine außer- ordentlich große Sterblichkeit an Krebs ausge- zeichnet. Im Durchschnitt der Jahre 1901 — 1905 starben von loooo Lebenden 12,2 Personen an ärztlich festgestelltem Krebs, im Durchschnitt der Jahre 1906— 1910 — 11,9 Personen. An bös- artigen Geschwülsten überhaupt starben 12,9 bzw. 12,6 Personen auf je lOOOO Lebende. Die ent- sprechenden Zahlen für Deutschland, England, Frankreich, Österreich und Italien sind viel ge- ringer und liegen zwischen 5,5 und 10 Todes- fällen an bösartigen Geschwülsten. Nijr die Stadtbevökerung von Dänemark weist mit 13,6 Todesfällen eine größere Sterblichkeit an bös- artigen Geschwülsten auf als die Schweiz. Allerdings darf niemals vergessen werden, daß die Zahlen für die Sterblichkeit an Krebs oder bösartigen Geschwülsten überhaupt sehr da- von abhängig sind, wie groß der Anteil der Todesfälle, die ärztlich nicht beglaubigt wurden, an der Gesamtzahl der Todesfälle ist. Je größer die Zahl der Fälle, bei denen die Todesursache ärztlich nicht beglaubigt wurde, desto größer muß die Zahl der „unbekannten" Todesursachen und desto geringer die Zahl der Sterbefälle an Krebs und anderen Alterskrankheiten sein. J o s s e 1 bringt auch in dieser Richtung einige überaus wertvolle Zahlen. Vergleicht man nämlich die Sterblichkeit an Krebs in den einzelnen Kantonen der Schweiz, so findet man, daß in manchen Kantonen die Krebssterblichkeit ganz außerordentlich gering ist: sie beträgt z. B. im Kanton Wallis bloß 4,6 auf lOOOO Lebende, im Kanton Uri — ii,7 (d'e letztere Zahl ist auffallend klein im Vergleich zu den anderen benachbarten Kantonen der Ur- schweiz — Schwyz, Unterwaiden, auch Luzern — , die eine Krebssterblichkeit von 15,4 bis 17,8 haben). Berücksichtigt man nun die Zahlen für den prozeniischen Anteil der ärztlich nicht oder nur ungenügend bescheinigten Todesfälle, so findet man, daß in diesen Kantonen dieser Anteil am größten ist: im Wallis gab es in den Jahren 1901 bis 1910 — 43,1 "/o ärztlich nicht oder ungenügend bescheinigter Todesfälle, in Uri - 19,7 7o- Ab- solut sicher ist jedoch dieser Zusammenhang noch nicht festgestellt. Denn in manchen Kantonen, wie z. B. im Tessin mit nur 8,8 oder in Bern mit 1) M. B. Jossei, Der Krebs in der Schweiz in den Jahren 1901— 1910. (Med. Dissertation der Universität Bern.) Bern 1916, Akadeniische Buchhandlung. 650 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 46 10,3 Krebsstcrbcfällcn auf lOOOO Lebende, ist die Zahl der Todesfälle, die ungenügend ärztlich be- scheinigt wurden, sehr gering (bloß 2,3 bzw. 2,4 V- Sicher festgestellt ist die Abnahme der Krebs- häufigkeit in der Schweiz, wie wir oben gesehen haben. In dieser Beziehung weicht die Schweiz von den anderen Ländern ab, in denen ausnahms- los eine Zunahme der Sterblichkeit an bösartigen Geschwülsten und speziell an Krebs festgestellt worden ist. Ob auch hier wieder der oben er- wähnte statistische Mangel eine Rolle spielt, kann einstweilen nicht gesagt werden. Lipschütz, Bern. Zoologie. Die Verbreitung der Coregonen, ein hydrobiologisches Problem. Thienemann^j scheidet die Binnenseen im Hinblick auf die Ver- hältnisse Deutschlands und der Schweiz in zwei Gruppen: Gruppe I bilden die Seen mit bis auf den Grund reichem Sauerstoffgehalt und mit einer Tiefenfauna, die der Tierwelt von klaren Wiesen- gräben ähnlich ist, Gruppe II hat infolge Fäulnis am Grunde hochgradigen Sauerstoffmangel, ihre Tiefen werden daher von einer Abwasserfauna besiedelt. Zu dieser Einteilung der Seen kam Thienemann zuerst bei seinen Untersuchungen an den Kraterseen der Eifel, den sogenannten Maaren. Weiterhin schließt er der Gruppe I die Seen am Nordfuß der Alpen an, der Gruppe II aber im allgemeinen die Seen der norddeutschen Tiefebene. Diese hydrobiologischen und hydrochemischen Feststellungen geben einen Hinweis zur Erklärung der eigenartigen Verbreitung der Coregonen. Diese Fische, die Maränen, Renken und Felchen der Gattung Coregonus, bewohnen vornehmlich die nordalpinen Seen in reicher Artentwicklung. Viel spärlicher treten sie in der norddeutschen Tief- ebene auf: hier ist nur eine Art, die Kleine Maräne, weit verbreitet, und eine zweite, die Große Maräne, kommt nur in drei Seen vor: im Selenter See in Holstein, im Schalsee in Mecklenburg und im Madüsee in Pommern. Die Kleine Maräne bleibt vorläufig außer Be- tracht, weil ihre Lebensverhältnisse noch nicht völlig geklärt sind. Die Große Maräne ist, außer zu ihrer Laichzeit, ein Tiefenfisch und nahe verwandt mit manchen alpinen Felchen. Die nach Vorstehendem naheVermutung, fehlender Sauerstoff- gehalt in den meisten norddeutschen Seen werde die Ursache der beschränkten Verbreitung dieses Fisches sein, erwies sich durch die im Sommer 1916 ausgeführten Untersuchungen als richtig. „Die drei Heimatseen der Großen Maräne haben ein sauerstoffhaltiges Tiefenwasser, die übrigen zum i)A. Thienemann: Die wissenschaftlichen Aufgaben und die wirtschaftliche Bedeutung der Hydrobiologischen Anstalt der Kaiser-Wilhelm-GeselUchaft zu Plön. in „Der Fischer- bote", herausgegeben von E. Ehrenbaum und H. Lubbert, IX. Jahrg., 1917, Nr. 5/6. Vergleich untersuchten ein sauerstofifarmes , ja teilweise sauerstofffreies." Damit ist ein Problem gelöst, über das man bis- her zum Schaden wirtschaftlicher Unternehmungen völhg im Unklaren war: „Man hat, vor allem in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, Millionen von Coregonenbrut in alle möglichen Seen eingesetzt und so Tausende und aber Tausende von Mark buchstäblich ins Wasser geworfen." Man hatte eben keinen Einblick in die Aussichtslosigkeit aller dieser Versuche und war auf dem falschen Wege, wenn man zeitweilig an- nahm, die Temperatur der norddeutschen Gewässer sei für diesen Fisch zu hoch. Nicht an der Tem- peratur, sondern am Sauerstofifgehalt liegt es, und um ihn ungefähr zu beurteilen, genügt heute ein Schleppnetzzug, der etwas Tiefenfauna heraufbringt. Thienemann stellt diese Untersuchungen, die der reinen Wissenschaft angehören, gleich- wohl aber auch für die angewandte Wissen- schaft hohe Bedeutung haben, als ein Beispiel hin für die zukünftigen Ziele der Hydrobiologischen Anstalt in Plön. Bekanntlich ist der Gründer der Anstalt, die bisher „Biologische Station" hieß, Prof Dr. O. Zacharias, am 2. Oktober 1916, einen Tag nach dem 25jährigen Jubiläum des Instituts, verstorben. Ein Leben, reich an Erfolgen und Verdiensten, liegt hinter dem Manne, der es vom Handwerksburschen zum Professor gebracht hat. Ihm verdankt die Wissenschaft den Hinweis auf die Bedeutung der früher ganz vernachlässigten Süß Wasserbiologie, namentlich der Süßwasser- planktonkunde, und den später so vielfältig zur Aus- führung gekommenen Gedanken der Gründung hydrobiologischer Warten. Der angewandten Wissenschaft war Zacharias ziemlich abgeneigt. Dagegen wirkte er für den biologischen Unterricht viel. Wofür er in seinem besten Mannesjahren unermüdlich warb, das ist Wirklichkeit geworden. Diese Verdienste bleiben unvergessen, gleichviel ob in späteren Jahren die Persönlichkeit Zacharias' stark hinter der von ihm in die Wege geleiteten Sache zurücktrat, da er nur noch wenig der wissen- schaftlichen Arbeit lebte und sein Institut, zu dem er eigene Mittel hergegeben hatte, für viele vielleicht nicht das leistete, was man sich von ihm versprochen. Nun ist diese Forschungsstätte in den Besitz der Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft über- gegangen ; zu seinem Leiter ist Professor Thiene- mann berufen. Er stellt als Hauptaufgabe hin, die Wechselwirkungen zwischen den Seen und ihrer Organismenwelt zu erkunden. Das ist ein rein wissenschaftliches Problem, vielmehr eine Vielzahl von solchen, doch wird ihre Bearbeitung auch dem Gewerbe und zwar der Seenfischerei zu gute kommen. Wie es im Titel des Vortrags heißt: die Hydrobiologische Anstalt hat „wissen- schaftliche Aufgaben" und „wirtschafi liehe Bedeu- tung". Gewiß kann die Süßwasserbiologie auf diesem Wege neue reiche Erfolge erhoffen. V. Franz. N. F. XVI. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 651 Über auffallende Gespinstbildungen Hifo[ge Massenauftretens einerGespinstmotJ^. Die Abteilung fiF Pflanzenkrankheiten des Kaiser Wilhelm Instituts für Landwirtschaft in Bromberg erhielt, wie Dr. F. Burkhardtin der„Naturwissensch.Zeitschr. f. Forst- u. Landwirtschaft" berichtet (i 5- Jahrg. 19 17 Heft 4/6), anfangs Juli 1916 ein Stück eines „seidenpapierartigen Gewebes", mit dem nach den Angaben des Einsenders einzelne Bäume eines Wäldchens bei Gramtschen unweit von Thorn dicht überzogen waren. Das Gespinst war von „weißer, auffallend zarter, wenn auch ziemlich fester Be- schafifenheit". Eine Besichtigung an Ort und Stelle ergab dann, daß die befallenen Bäume durch- gängig Traubenkirschbäume waren {Primus Pa- dus L.) und es sich bei den Gespinsten um Ge- spinstbildungen der Raupe einer Gespinstmotte {Hypoiwmeiita padi Zell, evonymelhis L.) handelte. Anfangs Juni waren die Bäume von den Raupen vollständig kahlgefressen worden, ohne daß die Bäume aber dadurch sichtlich Schaden gelitten hätten: sie hatten sich nach der Verpuppung der Larven wieder neu belaubt. Die großen Massen der Raupen hatten die Bäume mit ihren Gespinsten bis in die feinsten Zweige hinein überzogen, so daß man ohne sonderliche Schwierigkeiten zu- sammenhängende Gespinststreifen von 10—12 m Länge ablösen konnte. Die Fäden des Gewebes dieser Flypüiiomcuta-^irt zeichnen sich durch ihre Feinheit aus. Sie haben einen Durchmesser von höchstens 2 [i und, was besonders auffallend ist, auf lange Strecken hin eine stets gleichbleibende Stärke. Diesen seinen Eigenschaften verdankt das Gespinst von H. padi den Versuch, es technisch zu verwerten. Schon im Jahre 1836 wurden in München derartige Versuche unternommen: man ließ verschiedene aus feinem Draht hergestellte Formen von Hüten oder Bändern mit dem Gewebe überziehen. Einbürgern konnten sich aber diese Versuche nicht, dazu war das Vorkommen der Motte nicht häufig genug und blieb auf Zufälle beschränkt. Im heurigen Jahre tritt die Motte sehr stark auf, deshalb sollen auch die Ver- suche, wie ich höre, wieder hier in München, erneut aufgenommen werden. Die Zahl der ausschlüpfenden Falter war auch in dem von Burkhardt beobachteten Falle im Vergleich zu der enormen Anhäufung der Kokons eine sehr niedrige. Zwei Ursachen gibt der Verf. daran die Schuld: einmal war der Befall der Mottenkokons durch Schlupfwespen ein sehr hoher und dann scheinen gerade die dicht gehäuften Kokons- klumpen einen beträchtlichen Prozentsatz der Puppen zu ersticken oder die frischgeschlüpften Motten, welche nicht die Kraft haben, sich durch den Kokonknäuel nach außen hindurchzuarbeiten, bald wieder zum Eingehen zu bringen. Wenigstens enthielt ein großer Teil der inneren Kokons ab- gestorbene Puppen und abgestorbene junge Falter. H. W. Frickhinger. Der Einfluß der Temperatur auf die Entfaltung eines erblichen' Merkmals. (Mit 4 Abbildungen im Text.) Im Verlaufe von Selektionsexperimenten, die Miss Hoge mit der Tau- oder Fruchlfliege, Drosophila ampelophila, ausführte, traten in den Abb. I. Abb. 2. Rechtes erstes Bein eines Linkes erstes Bein eines Männchens. (Nach Hoge.) Männchens. (Nach Hoge.) Kulturen einige Männchen mit einem neuen Merk- mal auf, das sich bei näherer Prüfung als erblich erwies ; ^) es handelt sich also um eine Mutation. Das Merkmal besteht in Ver- doppelungen an den Beinen, ^^ die im einzelnen sehr mannig- JR|k L4 faltig sein können. Bald sind §g^^ t^ Uli'' die Tarsalglieder verdoppelt ■■HkaB (Abb. 1), bald sind nahezu voll- ^^H^l ständige überzählige Extremi- ■^^^V täten vorhanden (Abb. 4), an W^L ^ jedem Glied des Beines können Jf J» überzählige Teile abzweigen. fJ^ Im allgemeinen ist die Verzwei- §/ l gung dichotom, doch kommt i ^ gelegentlich auch eine Drei- teilung vor (Abb. 2). In der Regel entwickeln sich an den überzähligen Ästen alle distal von der Abzweigungsstelle lie- genden Glieder. So sind bei Abb. 3. Rechtes erstes Beii eines Männchens. (Nach Hoge.) Abb. 4. Linkes drittes Bein eines Weibchens. (Nach Hoge.) ») Hoge, Mild red A., The influence of temperature on the development of a Mendelian character. Journ. of exper. Zoöl., Vol. 18, 1915- 652 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 46 der in Abb. 4 wiedergegebenen Extremität auf den beiden einheitlichen ersten Gliedern, Hüftglied und Schenkelring, zwei Schenkel, zwei Schien- beine und zwei Reihen Fußglieder entstanden. An einer Extremität kann auch wiederholt eine Gabe- lung erfolgen. In Abb. 3 z. B. sitzen auf dem einheitlichen Schenkel zwei Schienbeine und zwei Reihen F'ußglieder, von denen sich aber der innere Ast beim zweiten Tarsalglied wiederum gabelt, so daß die letzten vier Tarsalglieder und die Klauen dreifach vorhanden sind. An einer Extremität konnten bis zu vier Gabelungen fest- gestellt werden. Bei einfacher Gabelung sind die beiden Äste spiegelbildlich gleich, d. h. sie ent- sprechen einer rechten und einer linken Extremität. Gabelt sich der eine Ast nochmals, so steht die Symmetrie der tertiären Teile in bestimmter Be- ziehung zu dem ungeteilten sekundären Ast, indem zwei Äste mit der gleichen Symmetrie einander niemals benachbart sind. Der ungeteilte sekun- däre Ast weist immer die normale Symmetrie des Beines auf. Extremitäten, die sich gegabelt haben, können im Laufe der Entwicklung wieder mehr oder weniger verschmelzen, so daß ihre Doppel- natur häufig nur an der Zahl der Klauen oder beim Männchen an der Zahl der „Geschlechts- kämme" auf dem ersten Tarsalglied des ersten Extremitätenpaares erkannt werden kann (Abb. i). Auch Verwachsungen der Extremitäten der rechten und der linken Seite kommen bei der Mutation vor, so daß bisweilen sehr bizarre, kaum funktions- fähige Formen entstehen. Von den zuerst aufgetretenen Männchen aus suchte Miss Hoge eine reine Rasse von der Mutation zu züchten. Dieses Bestreben war in- dessen lange Zeit erfolglos. Obwohl in jeder Generation die Mutanten ausgesondert und immer wieder nur diese zur Fortpflanzung gebracht wurden, variierte der Prozentsatz der anormalen Individuen von Generation zu Generation in hohem Maße, näherte sich aber niemals loo"/,,. Das neue Merkmal verhielt sich dem normalen Zustande gegenüber offenbar bald dominant, bald rezessiv, und selbst Fliegen, die den Verdoppelungsfaktor — wie wir den Erbfaktor, der das neue Merkmal hervorruft, nennen wollen — in homozygotem Zustande enthalten mußten, waren oft vollständig normal. Zweimal verschwanden die Mutanten in den ,, Reinkulturen" fast vollständig. Im Sommer 1912, kurz nach dem Auftreten der Mutation, fand ein „Rückschlag" zur normalen Form statt, nur wenige Mutanten, überdies nur schwach anormale Individuen, entstanden. Erst nach sorgfältiger Selektion und längerer Inzucht erschienen die Mutanten in größerer Zahl. Ein ähnlicher „Rück- schlag" wurde zu Beginn des Sommers 191 3 be- obachtet. In beiden P'ällen erfolgte der „Rück- schlag" mit dem Eintreten wärmeren Wetters. Das veranlaßte Miss Hoge, den Einfluß der Temperatur auf die Produktion der abnormen Fliegen experimentell zu prüfen, und dabei stellte sich heraus, daß die Entfaltung des die Mutation charakterisierenden Merkmales in der Tat weit- gehend von der Temperatur abhängig ist. Brachte Miss Hoge die Kulturen in einen Eisschrank von un- gefähr 10" C, so entstanden 3 — 6 mal so viele anormale Fliegen wie in den Kontrollkulturen, die bei Zimmertemperatur gehalten wurden. Wurden die Flaschen mit den Fliegen gleich nach der Kopulation derselben in den Eisschrank gebracht, so blieben viele Fliegen unfruchtbar, aber die ge- samte Nachkommenschaft war anormal, und zwar erreichten viele Fliegen einen weit höheren Grad von Anormalität als irgendeines der bei Zimmer- temperatur gezüchteten Individuen. Je später die niedere Temperatur auf die sich entwickelnden Fliegen einwirkte, desto geringer war die Zahl der anormalen Individuen, desto geringer zu- gleich auch der Grad der Anormalität. Blieben die Fliegen die ersten sechs Tage ihrer Entwick- lung in Zimmertemperatur und kamen dann in die Kälte, so schlüpften nicht mehr anormale Individuen aus als in Kulturen, die dauernd in Zimmertemperatur gehalten wurden. Die niedrige Temperatur ist also nur von Einfluß, wenn sie auf frühen Entwicklungsstadien angewandt wird. Der Prozentsatz der anormalen Individuen steht in be- stimmtem Verhältnis zur Dauer der Kälte- exposition. Daß nicht etwa die Kälte über- haupt das für die Mutation charakteristische Merk- mal, die Verdoppelungen an den Extremitäten, hervorbringt, ergab sich, wenn normale wilde Fliegen in niederer Temperatur zur Entwicklung gebracht wurden: auf diese blieb die Kälte ohne Einfluß. Nur Fliegen, die den Verdoppelungs- faktor besitzen — sei es in homozygotem oder heterozygotem Zustande — , erzeugen in der Kälte Nachkommen mit den beschriebenen Verdoppe- lungen an den Beinen. In hoher Temperatur andererseits sieht die Nachkommenschaft solcher Fliegen, selbst wenn sie den Verdoppelungsfaktor in homozygotem Zustande enthält, vollkommen normal aus, d. h. das für die Mutation charakteri- stische Merkmal kommt überhaupt nicht zur Ent- faltung. Eine andere Mutation von Drosophila ampe- lophila, die Morgan 1910 in seinen Zuchten entdeckte und kürzlich beschrieben hat '), ist eben- falls durch ein Merkmal gekennzeichnet, das nur unter bestimmten äußeren Bedingungen in Er- scheinung tritt. Bei der Mutation fehlen die schwarzen Pigmentbänder am Hinterleib, die Metameren sind teilweise nicht voneinander ge- trennt, die äußeren Genitalien sind verlagert. Diese besonderen Merkmale des Mutanten entfalten sich jedoch nur, wenn die Nahrung (Bananen), vermittels der die Fliegen aufgezogen werden, eine gewisse Feuchtigkeit besitzt. Werden die Fhegen von Anfang an in möglichst trockenen Flaschen gezüchtet, so unterscheiden sich die jungen Indi- ') Morgan, T. H., The röle of the environment in the rcalization of a sex-linked Mendelian character in Drosophila. Amer. Natur., Vol. 49, 1915. N. F. XVI. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 653 viduen in ihrem Aussehen nicht von normalen wilden Fliegen, in dauernd möglichst feuchtem Medium hingegen sind alle äußerst anormal. So läßt sich auch hier ein erbliches Merkmal, obwohl der es bedingende Erbfaktor in reinem Zustande vorhanden ist, Generationen hindurch latent er- halten, kommt aber sofort zum Vorschein, wenn die erforderlichen äußeren Bedingungen geschaffen werden. Nachtsheim. Bücherbesprechimgen. Tobler, Prof Dr. Fr., Textilersatzstoffe. Dresden und Leipzig 1917. „Globus" Wissen- schaftliche Verlagsanstalt. 1,50 M. Die kleine Schrift, die als 38. Heft in der von Fr. V. Mammen herausgegebenen „Bibliothek für Volks- und Weltwirtschaft" erscheint, unterrichtet in knapper Form über einen der wichtigsten Zweige der Kriegswirtschaft, nämlich den Ersatz für die durch den Krieg ganz besonders empfind- lich beschränkten Textilrohstoffe. Der Verfasser geht nach einer kurzen Schilderung der Gestalt der Fasern, ihrer technischen Eigenschaften, sowie der Rohstoffverhältnisse vor dem Kriege dazu über, die Lage der Textilindustrie im Kriege zu beleuchten. Er geht die einzelnen neu herange- zogenen bzw. wiederaufgegriffenen tirsatzfaserstoffe durch, erörtert ihre Behandlung, präzisiert den gegenwärtigen Stand dieser Ersaizindustrie, sowie ihrer Aussichten auf Grund technischer und wirt- schaftlicher Überlegungen. Mitgeteilt sei hier die am Schlüsse angeführte Zusammenstellung der Stoffe, die teils sicher teils wahrscheinlich als Textilersatz von Bedeutung sind; es sind dies erstens solche, die nur zur Verspinnung mit anderen Fasern geeignet sind: Weidenröschen, Ginster, Hopfen, Schilf, Strohfaser, und zweitens solche, bei denen die Möglichkeit besteht, sie rein zu ver- spinnen : Brennessel, Torffaser, Papier und Stroh. Das Heftchen wird für den, der rasch den allge- meinen Stand dieser wichtigen Dinge überblicken möchte, von Nutzen sein. (GTc) Miehe. Schenk, Prof. Dr. Adolf, Die Kornkammern der Erde. Halle a. d. S. 116. W. Knapp. 60 Pf DerVerf dieser kleinen instruktiven Zusammen- stellung, die als Heft 10 der von Abderhalden herausgegebenen „Flugschriften des Bundes zur Erhaltung und Mehrung der deutschen Volkskraft" erscheint, erörtert die Rolle, die das Getreide im Welthandel spielt, indem er die einzelnen Länder in bezug auf Getreideeinfuhr und -ausfuhr durch- geht und, die geographischen und klimatischen Bedingungen für die einzelnen Getreidearten be- leuchtet. Unterstützt wird diese Übersicht durch einige Tabellen, die die Ernteerträge der einzelnen Länder vor dem Kriege, die Ausfuhr- und Einfuhr- mengen und die Beziehungen zwischen beiden veranschaulichen, sowie durch zwei lehrreiche Karten, auf denen die Getreidezonen und der Getreidehandel der Erde dargestellt sind. Miehe. Roth, Prof Dr. W., Bodenschätze als bio- logische und politische Faktoren. Berlin 19 17. J. Springer. I M. Der munter und anregend geschriebene Auf- satz, der aus einem Vortrage hervorgegangen ist, sucht dem größeren Publikum die Augen darüber zu öffnen, welche Bedeutung die heimischen Bodenschätze einmal für unsere eigene Existenz und für die unserer Feinde haben. Als Ausgangspunkt wählt er die auf der Pflanzenphysiologie aufgebaute Pflanzenproduktionslehre, erörtert Bedeutung und Herkunft von Kali, Phosphor, Stickstoft" und zieht schließlich seine Kreise noch weiter, indem er auch auf Kohle und Eisen zu sprechen kommt. Überall werden, oft in höchst amüsanter F"orm, die politi- schen Folgerungen gezogen. Nebenbei möchte ich bemerken, daß die Behauptung, manche Bakterien siedeln sich „kolonienweise als Knöllchen auf den Wurzeln gewisser Schmetterlingsblütler" an, nicht ganz stimmt. (gTc) Miehe. F. Kohlrausch und L. Holborn, Das Leit- vermögen der Elektrolyte insbeson- dere der wässrigen Lösungen. Zweite vermehrte Auflage. 237 Seiten mit 68 in den Text gedruckten Figuren und einer Tafel. Leipzig und Berlin 1916, B. G. Teubner. — Preis geh. 7,50 M. Die erstmalig im Jahre 1898 erschienene und für den seitherigen Fortschritt auf dem Gebiet bedeutungsvolle umfassende Monographie über das Leitvermögen der Elektrolyte wird durch die vorliegende Neuauflage dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnis entsprechend ergänzt. Während die Verfahren und Mittel für die Bestimmung des Leitvermögens von Lösungen gegen früher keine wesentlichen Änderungen erlitten haben, erfuhren namentlich die Ergebnisse der Beobachtung eine erhebliche Erweiterung. Sie findet in den neuen Tabellen des Buches, die den Grundstock unseres gegenwärtigen Wissens über das Verhalten der Elektrolyte bilden, ausgedehnte Berücksichtigung. Dem selbständig arbeitenden werden diese kriti- schen tabellarischen Zusammenstellungen zusam- men mit den bis ins Jahr 191 5 reichenden Literatur- nachweisen von hohem Werte sein. Im übrigen ist das Buch für jeden, der sich mit dem elektro- lytischen Leitvermögen beschäftigt, in theoretischer wie praktischer Hinsicht ein kaum entbehrlicher, zuverlässiger Führer. A. Becker. 6s4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 46 Leo Graetz, Prof. Dr., Die Physik. Mit 385 Textabbildungen und 15 Tafeln. Leipzig 1917. Verlag Naturwissenschaften. — 16 M. Mit dem vorliegenden stattlichen Bande wird vonC. Thesing ein weitausgreifendes literarisches Uniernehmen eröffnet, daß es sich zum Ziel setzt, das Gesamtgebiet der Naturwissenschaften und ihrer praktischen Anwendungen dem gebildeten Laienpublikum nahezubringen. Um es gleich vor- weg zu sagen: das große Sammelwerk wird durch diesen Physikband auf das vorteilhafteste eingeführt. Der Verfasser verfügt über die seltene Gabe, an- schaulich zu schreiben. Indem er überall von einfachen Erfahrungen oder leicht zu verstehenden Erscheinungen ausgeht und an klar beschriebene und oft elegante Versuche anknüpft, gelingt es ihm, dem Leser auch die abstrakten physikalischen Gesetze klar zu machen, ohne daß diesem die Schwierigkeiten recht bewußt werden und ohne bei ihm mehr als ganz elementare mathematische Kenntnisse vorauszusetzen. Dabei wird die große Fülle des Stoffes in einem solchen zusammen- hängenden Flusse dargestellt, daß die trockene, lehrbuch- und kompendiumartige Form aufs glück- lichste vermieden wird und der Leser mit Genuß Seite um Seite fortschreitet. Dabei hat sich der Verfasser nicht etwa auf die elementare Physik beschränkt, sondern er bietet auch die neuesten Tatsachen und Theorien seines Faches. Ein be- sonderer Vorzug ist auch die in der Anlage des Gesamtwerkes in Aussicht genommene stete Be- rücksichtigung der praktischen Anwendungen, die jedem an der Technik interessierten Leser be- sonders erwünscht sein wird. Die vom Verfasser selber gezeichneten Bilder sind klar und lehrreich, der historische Sinn, der leider auf dem natur- wissenschaftlichen und technischen Gebiete oft recht mangelhaft entwickelt ist, wird geweckt und wach gehalten durch die Bildnisse der Meister der physikalischen Wissenschaft. Wir können das Buch, das man wohl als die beste populäre Darstellung der Physik bezeichnen darf, wärmstens empfehlen, zumal der Preis für den gut ausge- statteten starken Band sehr mäßig zu nennen ist. Miehe. C. K. Schneider's Illustriertes Handwörterbuch der Botanik, unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter herausgegeben von Prof. Dr. K. Linsbauer. Mit 396 Textabbildungen. 2. völlig umgearbeitete Auflage. Leipzig 19 17. W. Engelmann. — 25 M. Die zweite Auflage dieses sehr nützlichen Nachschlagewerkes ist gegenüber der ersten in- sofern verändert, als die einzelnen Fachausdrücke nicht wieder durch Auszüge aus den betreffenden Spezialarbeiten erläutert werden, sondern durch knappe, aber doch erschöpfende und damit ohne weiteres gut verständliche Erklärungen ersetzt worden sind. Glücklich ist auch der Gedanke, an Si eile der einzelnen ethymologischen Ableitungen im Text ein besonderes Vocabularium der latei- nischen und griechischen Stammworte zu geben, aus dem jeder Leser, sofern er nur über ein Mini- mum von sprachlichen Kenntnissen verfügt, selber die wissenschaftlichen Termini ableiten kann. .So wird viel kostbarer Raum gespart. Die Zahl der Stichworte ist erheblich vermehrt, sie beläuft sich jetzt auf etwa 7000. Berücksichtigt sind in erster Linie solche aus der eigentlichen wissenschaftlichen Botanik, wogegen die vielen Fachausdrücke aus der rein beschreibenden und angewandten Botanik in den Hintergrund gerückt wurden. Immerhin sind aber auch diese Gebiete im wesentlichen be- rücksichtigt. Die einzelnen Artikel, die von Fach- gelehrten verfaßt wurden, geben ohne Breit- schweifigkeit gerade soviel, als zum Verständnis der Stichworte erforderlich ist. Sehr angenehm ist auch die Anführung wichtiger Literatur, die zwar nicht nach historischen und Prioritätsprin- zipien angeführt ist, aber doch die Möglichkeit gibt, im einzelnen Falle ausführlichere Belehrung aufzusuchen. So ersetzt der handliche, mit zweck- mäßig ausgewählten Abbildungen ausgestattete Band eine kleine botanische Bibliothek, die nicht nur dem Laien beim Nachschlagen und bei der Lektüre schwierigerer botanischer Werke gute Dienste leistet, sondern auch dem Fachmann eine erwünschte Hilfe bietet, wenn er sich rasch und ohne Weitläufigkeit unterrichten will. Miehe. Kraepelin, Prof. Dr. K., Exkursionsflora für Nord- und Mitteldeutschland. 8. verb. Aufl. Mit einem Bildnis K. Kraepelins und 625 Holzschnitten. Leipzig und Berlin 191 7. B. G. Teubner. 4,80 M. Das Bestimmungsbuch des ausgezeichneten, vor kurzem verstorbenen Pädagogen und populären Schriftstellers soll denen dienen, die sich ohne wissenschaftlich botanische Grundlage dem Sam- meln und Bestimmen der Pflanzen zuwenden, also Schülern und Laien. Die ganze Anlage des Buches ist mithin darauf zugeschnitten, daß der Benutzer möglichst sicher und leicht den Namen einer Pflanze auch ohne Anleitung ermitteln kann. Miehe. Anregungen und Antworten. Kritik der „Neuen Namenlisle der Vögel Deutschlands" von Hesse und Reichenow. Ornitliologische Nomenklaturen wechselten in di-n letzten Jahrzehnten wie Kleidermoden und sind billig wie Brombeeren. .\uf die englische „Handlist" (1912) folgte jetzt die obige „Neue Namenliste" (1916), womit wiederum Reichenow's „Kennzeichen d. V. D." (vom Jahre 1902) überholt sind; vordem galt die Nomenklatur der ornithologischen Autoritäten. ^) ') Festgehalten sei bei alledem, daß die Systematik nicht am Ende der Wissenschaft steht, sondern am Anfang. Der Biologe befindet sich ein ganz Stück weiter als der aystematiker. Die Namen der Vögel sind als solche nebensächlich, nur N. F. XVI. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 655 Die Durchführung des leidigen Prioritätsprinzips hat eine Unsicherheit und ein Hin- und Herschwanken in die Vogel- systematik gebracht, dafl man nicht mehr aus noch ein weiß. Denn stets werden neue, noch ältere Namen ausgegraben, durch die bisher gebrauchte zu ersetzen sind. Dabei ist das Prioriläisprinzip nicht einmal richtig durchgeführt, denn es ist durchbrochen von dem Gt-seiz der Nomina conservanda („Alt- eingeführte, in den bedeutendsten Lehrbüchern gebräuchliche Gattungsnamen der bekanntesten Tierlormen dürfen nicht mehr geändert werden") und dem Grundsatz der Unantastbarkeit gewisser Gattungs- und Artnamen (,, Begriffsveränderungen bisher allgemein gebräuchlicher Gattungs- und Artoamen und deren Übertragung auf andere Formen sind unzulässig"). Das letztere ist besonders wichtig, denn die Handlist und auch _die Nomenklatur im neuesten Brehm (Tierleben IV. Auflage) 'hat Zustände geschalten, die direkt unhaltbar sind: Turdus musicus ist nicht mehr die Singdrossel, sondern die Weindrossel ; Sylvia hoitensis heifit nicht mehr wie bisher die Gartengras- mücke, sondern der Orpheussänger. Zu solchen Widersinnig- keiten ist die logische Befolgung des Priorilätsprinzips letzten Endes gekommen, und im Grunde genommen könnte der An- hänger einer ,, sinngemäßen'' und Gegner dieser doch schliefl- lich nur auf der hilelkeit des Menschen aufgebauten Nomen- klatur seine helle f reude daran haben, daß sie durch sich selbst so nachhaltig ad absurdum geführt worden ist. Ganz richtig bemerkt Reichenow, daß man bei Gebrauch dieser Doppelnamen nun immer dazu setzen müßte, was eigentlich gemeint ist, ob die Namen im alten oder neuen Sinne gebraucht sind; mit anderen Worten: man müßte den lateinischen „wissenschaftlichen" und internaiional verständlich sein wollen- den Namen durch einen deutschen Namen — verächtlich „Trivialnamen" genannt ! — näher erklären. Dem kommt der oben autgestellte Grundsatz (Verbot von Begriffsveränderungen) zuvor. Wir wollen aber dabei nicht verkennen, daß damit sowohl die Einheitlichkeit wie die Folgerichtigkeit des Prio- ritätsprinzips total aufgehoben ist I So schwere Bedenken nun auch Referent gegen eine abermalige Veränderung der Vogelnamen haben muß, so kann und muß er doch für diese neue Namen- liste der Vögel eintreten. Denn sie scheint deutsche Einheitslisle werden zu können und zu sollen und macht uns von dem bisherigen englischen Einfluß los — hoffentlich für immer I Deutsche Wissenschaft war ja auch früher führend, namentlich in der Vogelkunde (Naumann I). Der Krieg hat uns von fremder Bevormundung frei gemacht, wie er auch mit dem Begriff des Internationalen gründlich aufgeräumt hat. Lassen wir doch die Engländer die Vögel nennen wie sie wollen — Unsinnigkeitrn wollen wir jedenfalls nicht miimachen ! Deshalb, so sicher auch anzunehmen ist, daß Harten und Genossen dieser neuen Namenliste bestimmt den Krieg erklären werden, wollen wir ihr unsere volle Unterstützung leihen. Der geschilderte ruhelose Zustand der Nomenklatur wird, wie die Verfasser richtig angeben, noch lange andauern, wenn nicht gewaltsame Hemmungen eingreifen. Viele alten Werke werden noch zu durchslöbern sein, um die darin enthaltenen Namen ans Licht zu ziehen und diesen zu dem nach dem Prioritäisgesetze ihnen zustehenden Rechte zu verhelfen, an die Stelle bestehender Bezeichnungen gesetzt zu werden. Und diesem Bestreben ruft die neue endgültig festgestellte „Neue Namenliste" ein energisches Veto zu. Mittel zum Zweck, auch wenn sie jetzt in diesem oder jenem systematischen oder faunistischen Werk zur Hauptsache ge- stempelt werden. Das ist eine Verirrungl Leider kommt es zurzeit , .manchem Verfasser mehr auf den ältesten Namen für die einzelne Art an, als auf lückenlose Gesamtdarstellung und scharfe Kennzeichnung der Formen" (H esse und Reichenow) Der Einsichtige dagegen weiß, daß wir Naturforscher heutzu- tage den Schwerpunkt auf die Bionomie (gesetzmäßige Lebens- weise der Individuen) und die Biologie (Lehre vom Leben der Organismen) legen und die Systematik nicht mehr als Endziel, sondern als Ausgangspunkt der Naturbeobachtung setzen; erst so verstehen wir recht das glänzend akkomodierte Gewebe in der Natur. — Das Beste wäre die Einführung einer nur sinnge- mäßen Nomenklatur ohne Autorenangabe, wobei die lateinischen Namen ein charakteristisches Erscheinungsmerkmal der be- nannten .Art angeben müßten. Zu ihrem Inhalte wäre sehr viel zu bemerken. Hier nur Einiges. Mit der Auffassung der ternären Benennung der Vögel im alten Sinne wird das Verfasserpaar bzw. Reichenow nicht durchkommen. Denn es entspricht nicht der Logik der Tatsachen. Es ist ja schon ganz lobenswert, jenes Bestreben: „P'esthalten an der Spezies als kleinsten Einheit des Systems". Aber talsächlich zerfallt diese Spezies in Subspezies (Unter- arten) oder Lokalrassen. Also ist doch in Wirklichkeit die Subspezies die kleinste Einheit des Systems 1 Wir müssen hiernach die Vögel ternär benennen. Die Spezies existiert dann nur dem Begriffe nach, nicht in Wirklichkeit, der Begriff Spezies faßt alle faktisch existierenden Subspezies in sich zu- sammen. ') R. u. H. helfen sich ja auch (und eigentlich ist es nur ein Spiel mit Worten), wenn sie die geographischen Formen oder Lokalrassen als Konspezies (Nebenarten) neben- einander stellen. Aber diese Konspezies haben doch nicht den Wert der übrigen Spezies, denn sie unterscheiden sich von ihrer Originalspezies (Stammform) doch nur durch relative Merkmale, nicht wi,e die übrigen Spezies durch direkte bzw. talsächliche. Das Verhältnis in der Natur wird durch das nomenklalorische Spiegelbild auch auf den Kopf gestellt, wenn man die „Konspezies" (in Wirklichkeit Subspezies) gleich wertet wie alle anderen Spezies einer Gattung, und sie unier- schiedlos neben diese stellt so gut wie die deutlich unter- schiedenen fremden bzw. andersgearteten „guten" Spezies. Dagegen ist es aufrichtig zu begrüßen, wenn R. und H. mit den unsinnigen gleichlautenden Benennungen wie „Galli- nago gallinago gallinago" aufräumen. Das ist in der Tat un- nützer Ballast, von dem man die Nomenklatur freimachen kann. Eigentlichen Zweck hat die Wiederholung desselben Wortes gar nicht. Bei dem einfachen Corvus cornix ist iür jedeimann klar, daß die typische Form der Nebelkrähe gemeint ist, „Bezeichnungen wie Bubo bubo bubo sind nicht nur ohne den geringsten wissenschaftlichen Nutzen, sondern geradezu geeignet, den Spott der Witzblätter herauszufordern". In der Tat I Im übrigen finde ich in der „Neuen Namen liste" mancherlei persönlich-willkürlich. Einiges kann man direkt nicht mitmachen. Was H. u. R. selbst mit Recht rügen, tritt doch fast genau so auch bei ihnen wieder auf, wenn sie die bisherige Eulenart accipitrinus mit flammea benennen, während letzteres bisher die Schleiereule bezeichnete. Daß dabei ein gewisser Unterschied zwar noch vorhanden ist mit Bezug auf den Gattungsnamen (Strix ersetzt durch Asio). tut nicht viel zur Sache, denn das Tonbild Strix (oder Asio) flammea (oder flammeusl ist dem Ornithologen als Name der Schleiereule in Gehör und Gedächtnis. Wie fernliegend da- gegen der Name Strix alba guttata I Wie kommt R. dazu, Fichten- und Kiefernkreuzschnabe!'') als Sub- oder Konspezies zu fassen? (ich meine, das ist doch recht willkürlich!). Die unterschiedliche Fassung der Kormoranformen hätte erfolgen sollen, denn die Uonauform ist doch sicher anders als die Lokalrasse aus Holland. Die Unterscheidung bzw. Benennung der Sumpfmeisenformen ist willkürbch (Parus palustris L., Parus palustris communis Baldenst., Parus palustris longirostris Kleinschm., Parus salicarius Brehm, Parus salicarius rhenanus Kleinschm. — wer kennt sich denn da noch aus?). Welcher Mangel an Einheitlichkeit, wenn neben einer Stammform Certhia familiaris L. zwei Subspezies erscheinen, von denen die eine binär Certhia brachydactyla Brehm, die andere gleichwertige ternär Certhia familiaris macrodactyla Brehm genannt wird (es ist eben eine heillose Verwirrung in der ornithologischen Nomenklatur nun einmal da und läßt sich auch nicht mehr bannen). Daß die bereits gut eingebürgerte Spechtmeisenform Sitta europaea homeyeri verschwunden ist, muß bedauert werden ; gewissermaßen hat sich an ihre Stelle Sitta caesia sordida Rchw. geschoben; „gewissermaßen" nur, denn sie ersetzt jene ja nicht. Wilhelm Schuster. Eine merkwürdige Schallerscheinung im Felde. Seitdem ich einer schweren Mörserbatteiie angehöre, erlebe ich öfter den Fall, daß beim Abfeuern eines Geschützes ein Stück Führungsring von der abfliegenden Granate loseckt, das heißt. ') Spezies ist nur systematische Gruppe der Subspezies. ^) „Loxia curvirostra" und „Loxia curvirostra pytyo- 6s6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 46 daß der kupferne Führungsring bei der Hineinpressung in die Züge des Rohrs an einer Stelle durchreißt und das eine oder beide dadurch entstehenden freien Enden sich rückwärts um- biegen. Selbstredend sieht man davon nicht das geringste, man geht aber kaum fehl in der Vermutung, daß dieser Fall eingetreten ist, so oft das Geschoß statt wie gewöhnlich zischend, laut heulend durch die Luft fährt. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, kommt auch bei der Feld- artillerie dasselbe vor, nur seltener, und es ist dort weniger auffällig. Das Merkwürdige nun an dem dabei erzeugten Ton, der in Tonlage und Klangfarbe etwa an zweistimmiges Katzen- geheul erinnert, ist, daß man allgemein den Eindruck hat, als komme er näher, ganz anders als das gewöhnliche zischende Geräusch einer abfliegenden Granate, welches unser Ohr dauernd dorthin verlegt, von woher es gerade kommt, also in die Richtung der Flugbahn. Prüft man jene merkwürdige Schall- erscheinung bei Gelegenheit genauer, so findet man, daß der Schall in seiner Stärke langsame, starke Schwebungen hat; in den ersten Augenblicken nimmt er ab, bald aber wieder zu, und von dem Augenblick des Zunehmens an meint man, die Schallquelle komme näher, ja man kann sich wohl ein paar Sekunden lang einbilden, ein feindliches Geschoß komme heran, und möchte schon dagegen Stellung nehmen. Denselben Ein- druck, nur bereits bei geringerer Schallsiärke, hat man nach erneutem Nachlassen der Tonstärke bei ihrem zweiten An- schwellen, ebenso beim dritten und wohl noch vierten, bei welchem der Schall schließlich hoch über unserm Scheitel zu verklingen scheint. Vergeblich habe ich darüber nachgedacht, wie das Zustandekommen dieser Empfindung zu erklären sei. (GX^) Franz. Die neulich hier auf Seite 454 gemachten weiteren An- gaben über Zunahme von Tierarten im Kriege sind wohl schon wieder durch einige zu ergänzen. Zunächst möchte ich er- wähnen, daß ich im Sommer 1915 auch in der Gegend von Nerchau östlich Leipzig Wachtelschlag vernahm, was mir sehr auffiel, da ich ihn sonst dort, wie überhaupt im Königreich Sachsen, stets vermißt hatte. Nachdem nun ein dort Ansässiger mitteilt, er habe in jenem Bereiche noch nie so viele Wachtel- gelege gefunden wie jetzt, scheint mir wirklich auch dort eine Zunahme dieses Vogels vorzuliegen, vermutlich aus denselben Gründen wie an anderen Stellen. Soeben berichtet ferner M. Braeß noch von mehreren anderen Stellen im Königreich Sachsen über eine erfreuliche Zunahme der Wachteln, die man früher in diesem Lande nur noch ausnahmsweise bemerkte. Braeß wagt aber nicht zu entscheiden, ob Kriegsvethältnisse die Ursache sind. Bei der Korrektur kann ich hinzufügen, daß nach Ornithol. Monatsschr. 1917, 10, die Wachteinsich auch bei Hannover entschieden vermehrt haben. — Sodann wird an vielen Stellen in Deutschland eine Abnahme der Sperlinge, meist der Haus-, gelegentlich auch, beiOsnabrück nach derÖrnithol. Monats- schrift, der Fcldsperlinge gemeldet. Dies kann mit der vergangenen Winterkälte zusammenhängen, die nach Fritz Brauer's An- gabe in Reichenow's Orniihologischen Monatsberichten, H. 7/8, 19 17, auch die Buchfinken stellenweise vertrieben haben mag. Aber im allgemeinen ist das Singvogelleben Deutschlands in diesem Jahre wohl kaum gemindert. Daher verdient die ge- legentlieh ausgesprochene Vermutung Aufmerksamkeit, die Spatzen könnten im Winter infolge starker Verminderung der Haferrationen und der daher üblich gewordenen starken Schrotung des Hafers, die die Verdauung fördert, keine unver- dauten Haferkörner mehr im Pferdedung finden und hierunter Winters leiden und abgewandert sein. Dann wäre auch dies eine Kriegsfolge. Im Felde schrotet man den Hafer nicht, und in Flandern treffe ich Haussperlinge überall, Feldsperlinge stellenweise ganz auffallend zahlreich an. V. Franz. Barometer Modell Thöne 1917. Folgendermaßen läßt sich das Barometer vereinfachen: Man nimmt eine gewöhnliche Barometerglasröhre, am einen Ende oben geschlossen und am andern Ende offen und nach oben umgebogen, aber überall ' gleich weit. Angenommen, das Quecksilber stehe im längeren Rohr genau 76 cm höher als im kürzeren. Sinkt nun der Luftdruck und fällt infolgedessen das Quecksilber im längeren Rohr um etwa 3 cm, dann steigt es gleichzeitig genau so viel auch im kürzeren. Folglich verkürzt sich der Gesamtabstand der beiden Quecksilberniveaus nicht um 3, sondern um 2X3 = 6 cm. Demnach schreiben wir 3 cm unter 76 auf der Skala nicht 73, sondern 70. In genau dieser Weise teilen wir auch sonst die Skala ab, d. h. anders ausgedrückt: wir machen von 76 ab nach oben und unten ihre Teil- striche doppelt so eng, wie sie eigentlich sein müßten. Dann genügt die eine Ablesung von der Skala, um den Baro- meterstand zu erkennen und wir brauchen dann unten keine zweite Skala mehr und brauchen auch unten nichts zu schrauben. Wenn das Quecksilber mit der Zeit etwas verdampft und da- durch das Barometer ungenau wird, dann kann man es leicht wieder stimmend machen, indem man die ganze Skala etwas herunterzieht oder herunterschraubt. Dir. Thöne, überelvenich b. Euskirchen. Der Aufsatz von Edw. Hennig „Untersuchungen mit der Wünschelrute" {Naturw. Wochenschr. Bd. 16, Nr. 39) mußte aus Gründen, die mit den Zeitumständen zusammenhängen, erscheinen, bevor die Korrektur des Autor eingegangen war. Infolgedessen sind, wie mich Herr Prof. Edw. Hennig bittet mitzuteilen, einige Druckfehler stehen geblieben. Auch sei ihm dadurch die Möglichkeit genommen, seinen Standpunkt noch etwas schärfer zu formulieren, insbesondere zum Ausdruck zu bringen, daß er der praktischen Verwertung des Phänomens zweifelnd gegenüberstehe, solange dies selbst noch ganz in Dunkel gehüllt sei. Seine Hauptabsicht sei, auf zweifellos vorhandene, selbst beobachtete interessante Phänomene hin- zuweisen. M. Berichtigung. In dem Bericht V. Haeckers Schrift „Die Erblichheit im Mannesslamm usw." (Naturw. Wochenschr. Bd. 16, Nr. 43) ist ein Irrtum zu berichtigen. Es muß S. 605, Spalte 2, Zeile 22 V. u. heißen; Christian I. von Sachsen und auf S. 606 im Text zu der Abb. 2: Christian IL von Sachsen. M. Inhalt; Victor Engelhard t, D'Alemberts Bedeutung für die Naturwissensehaften. S 641. — Einzelberichte: H. Molisch, Eigenartiger Bau des Plasmakörpers. S. 644. Kurt Stern, Die Entwicklung der Nepenthaceen. S. 6 .5. Friedrich Wilh. Schlesinger, Unheilvolle Einwirkung der Verschilfung der stehenden Gewässer auf die Nutzfischzucht. S. Ö46. Benecke, Zum Vorkommen der Wachtel. S. 646. Ströse, Nützlichkeit und Schädlichkeit der Spechte. S. 647. R. Richter, Zur stratigraphischen Beurteilung von Calceola. (2 Abb.) S. 648. M.B. Jossei, Verbreitung des Krebses in der Schweiz. S. 549. Thienemann, Die Verbreitung der Corcgonen, ein hydrobiologisches Problem. S. 650. F. Burkhardt, Über auffallende Gespinstbildungen infolge Massenauftretens einer Gespinstmotte. S. 651. Hoge, Der Einfluß der Temperatur auf die Entfaltung eines erblichen Merkmals. (4 Abb.) S. bc,i. — Bücherbesprechungen: Tobler, Te.ttilersatzstofle. S. 653. Adolf Schenk, Die Kornkammern der Erde. S. 653. W. Roth, Bodenschätze als biologische und politische Faktoren. S. 653. F. Kohlrausch und L. Holborn, Das Leitvermögen der Elektro- lyte insbesondere der wässrigen Lösungen. S. 653. Leo Graetz, Die Physik. 8.654. C. K. Schneider's Illustriertes Handwörterbuch der Botanik. S. 654. K. Kraepelin, Exkursionsflora für Nord- und Mitteldeutschland. S. 654. — Anregungen und Antworten: Kritik der ,, Neuen Namenliste der Vögel Deutschlands" von Hesse und Reichenow. S. 654. Eine merkwürdige Schallerscheinung im Felde. S. ö^^. Zunahme von Tierarten im Kriege. S. 656. Abnahme der Sperlinge. S. 65Ö. Barometer Modell Thöne 191 7. S. 656." Untersuchungen mit der Wünschelrute. S.656. Berichtigung. S. 656. Manuskripte un Zuschriften werden an Prof. Dr. H. M i e h e , Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 25. November 1917. Nummer 47. Ursprung, Verbreitung und Nutzbarmachung der chemisch-industriellen mineralischen Rohstoffe. von Prof. Dr. O. Herrmann. zirken von Peru und Bolivien für den Natron- oder Chilesalpeter (Caliche), die Provinz Sachsen in der Gegend von Halle-Weißenfels-Zeitz für die pyropissithaltige Braunkohle, die sog. Schwel- kohle, die Provinz Rheinland in der Gegend des Laacher Sees, besonders im Nette- und Brohl- tal, für den Traß-Tuffstein, einen Trachyttuff, das südwestliche Grönland bei Evigtok (Ivigtut) am Arksutfjord (Arsukfjord) für den Kryolith, das ostpreußische Samland für Bernstein, Klein- asien in der Gegend von Eski-Schehir für Meer- schaum, New Jersey für Rotzinkerz. Durch neue P'unde können Monopolstellungen verloren gehen. Beispielsweise sind heute Sizilien nicht mehr der fast ausschließliche Lieferant für technischen Schwefel, die Maremmen Toskanas für Borsäure (Sassolin), das südöstliche Nor- wegen für die Mineralien des Auerschen Gasglühlichtes, das böhmisch-sächsische Erz- gebirge, namentlich Joachimstal i. B. nicht mehr für das Material (Uranpecherz usw.) zur Her- stellung der Radiumpräparate, wie diese es früher längere oder kürzere Zeit waren. Schwefel liefern heute dem Handelsmarkt in großer Menge Louisiana, Japan und Neuseeland, Borsäure- mineralien Kalifornien und Nevada (Colemanit), die kleinasiatische Türkei (Pandermit), die mittel- deutschen Kalisalzlagerstätten (Borazit), Chile, Argentinien und Peru (Boronatrokalzit), t h o r i u m - und ceriumhaltige Mineralien als Grund- lage der Gasglühlichtindustrie die Monazitsande Brasiliens, Nord- und Süd Karolinas, Kolumbiens, radioaktive Mineralien Cornwall (Uran- pecherz), Portugal (Uranpecherz, Autunit), Kolorado (Carnotit), Utah (Carnoiit), Pennsylvanien (Carnotit), Südaustralien (Autunit, Carnotit), Ostafrika (Uran- pecherz), das Material für Mesothorium die Mona- zitsand produzierenden eben genannten Länder. Die Platinausbeute Kolumbiens ist im Begriff, dem Ural mit seinen Platinmineralienseifen das Monopol streitig zu machen. Vergegenwärtigen wir uns nun einmal den Bildungsvorgang einiger Mineralien und Gesteine nebst den wichtigsten Nebenumständen. Die Abscheidung gelöster Stoffe fiel im Meer- und Seewasser unter dem Einfluß mannig- facher Faktoren, wie Löslichkeit, Temperatur, Lösungsgenossen, Zeit, Druck usw. verschieden aus, wodurch beispielsweise in Verbindung mit späteren Weglösungen (deszendente und posthume Bildungen) die zahlreichen Kombinationen der sog. Kalisalze, wie Sylvin, Carnallit, Kieserit, Kainit usw. usw. und die Salzgesleine Sylvinhalit [Nachdruck verboten.] Technisch-geologische Skizze Die Quellen aller Rohstoffe der chemischen Technik entspringen naturgemäß in der festen Kruste unseres Planeten oder dessen Wasser- und Gashülle. Bei vielen mineralischen Rohmaterialien, wie dem Steinsalz, den sog. Kalisalzen, dem Schwerspat, Wiiherit, Flußspat, den meisten Erzen, dem Kryolith, dem Feldspat, Quarz und Glimmer sowie den vielen anderen, z. T. seltenen und chemisch-technisch wertvollen Mineralien der Pegmatite, wie Uranpecherz, Monazit, Thorit usw. ist der anorganische Ursprung ohne weiteres ein- leuchtend. Sie sind direkte Ausscheidungen aus Wasser oder Gesteinsschmelzfluß. Bei manchen, die auch im Berg- oder Stein- bruchbau gewonnen und als mineralische Bodenschätze bezeichnet werden, haben organische Wesen, Pflanzen wie Tiere, das Zustandekommen vermittelt. Kohlengesteine, Erdöl, der Asphalt- gehalt mancher Kalk- und Sandsteine, Ozokerit, Bernstein, die meisten Kalk- und Dolomitsteine, der größte Teil der Mineralphosphate, Guano, Guanophosphate gehören in diese Klasse organo- gener Bildungen. Bei noch anderen Stoffen, wie den pflanzlichen und tierischen Rohmaterialien der Stärke-, Zucker-, Gärungs-, Kettindustrie denken wir kaum noch an die letzte mineralische Ableitung, und doch waren es auch bei ihnen mineralische Nährstoffe des Bodens und die Kohlensäure und der Stickstoff der Luft, welche in den Pflanzen und indirekt auch in den Tieren angesammelt und zu den Ausgangsstoffen jener In- dustrien umgebildet worden sind. Die mineralischen chemischindustriellen Rohstoffe kommen zwar über die ganze Erde verstreut vor, doch sind viele derselben in gewissen örtlich begrenzten Bezirken angereichert. Die Kenntnis des geologischen Werdeganges bildet den Schlüssel zur Erklärung dieser ungleichen topographischen Verteilung. Es gibt gold-, kupfererz-, nickelerz-, manganerz-, wolframerz-, chromeisenstein-, zinn- stein-, monazitsand-, magnesitstein-, bauxit-, laterit-, m in eral ph osphat-, kohlen-, erdöl-, kaolinreiche Landstriche. Einzelne technische Rohmaterialien sind sogar auf Örtlichkeiten beschränkt oder wenigstens an diesen allein praktisch von Bedeutung, wodurch geographische oder sog. Naturmonopole entstehen. So haben das mittlere Deutschland, insbesondere die Gegend von Staßfurt, H« Imstedt, Bernburg, Aschersleben, Eisleben, Nordhausen, Eisenach, Hildesheim, Hannover, Celle, Verden das natürliche Monopol für die sog. Kalisalze (Edel- salze, Abraumsalze), Chile mit den Grenzbe- 658 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 47 oder Sylvinit, kieseritischer Sylvinhalit oder „Hart- salz" usw. entstanden und sich auch die Wechsel- lagerung von Steinsalz mit mehr oder weniger dünnen Anhydritschichten, den sog. Anhydrit- schiiüren oder Jahresringen der Lagerstätten, er- klären. — Die Ablagerung von Kalkschalen und -gehäusen abgestorbener Tiere, die Anhäufung von pflanzlichem Material an den Torf-, Braun- kohlen- und Steinkohlenbildungsstätten, der Absatz von mechanisch transportierten Gesteinstrümmern vollzog sich zeitweilig unter Zuführung von anders- artigem Material, so daß fremde Zwischenlagen, Nester, Knollen, Konkretionen, Beimischungen, „Einsprengungen" usw. in Schichtgesteinen, wie Kalkstein und Kohlengesteinen, entstehen konnten. ^ Innerhalb der Eruptivgesteine waren die mag- matischen Erzausscheidungen von vielen Faktoren abhängig, infolge deren dieselben in Größe, Bestand und Veneilung außerordentlich schwanken können; bei der Entstehung von Erz- lagerstätten als SpahenausfüUungen bildeten sich neben Erzmineralien auch Nichterze, die nun in den Erzgängen in vielseitiger Weise mitein- ander verzahnt und verwachsen sein können; bei Erzlagerstätten, die an Stelle älterer Gesteine metasomatisch traten, blieben von letzteren noch mehr oder minder beträchtliche Reste in der Lagerstätte erhalten. — Alle Gesteine können infolge Fortführung durch lösendes Wasser (z. 13. die deszendenten Kalisalzgesteine) oder durch Infiltration mit chemischen Lösungen (Verkieselung usw.), auch durch Temperatur- erhöhung infolge des Druckes mächtiger über- lagernder Gtbirgsschichlen oder des gebirgs- bildenden Schubes (Umbildungen in den Kalisalz- und Kohlengesteinslagerstätten usw.), endlich unter dem Einflüsse der Verwitterung durch Oxy- dation, Wasseraufnahme usw. teilweise umge- wandelt sein. Aus diesen Betrachtungen erhellt ohne weiteres, daß in ein und derselben Minerallagerstätte an verschiedenen Stellen nicht nur ungleiche mine- ralogische und chemische, sondern als Folge davon auch ebensolche technische und wirtschaftliche Eigenschaften zu erwarten sind. Die Konsequenz hiervon ist, daß sich beim Abbau in verschiedener Zeit Material von ungleicher Beschaffen- heit ergeben kann. Die in Lehrbüchern, Katalogen, Firmen- prospekten usw. wiedergegebenen Resultate che- mischer Analysen können danach nur An- haltspunkte für die Beurteilung der Zusammensetzung eines MineralsoderGesteins sein, da sichdie Resultate zunächst nur auf das gerade der Analyse unter- worfene Material, welches einer eben im Abbau be- findlichen Stelle eines Steinbruches oder einer Grube entstammte, beziehen. Als Nutzanwendung für den technischen Chemiker ergibt sich daraus, wenn es sich um mehr oder weniger quantitative Arbeiten der Industrie handelt, die Forderung, von ange- liefertem Rohgesteinsmaterial vor der Verarbeitung immer von neuem Durchschnittsproben der che- mischen Analyse zu unterziehen oder solche an ihm in einem öffentlichen Laboratorium ausführen zu lassen. Wenige natürliche mineralische Rohstoffe können von der Industrie nahezu unmittelbar, so wie sie dem Erdreich entnommen wurden, ver- wendungsfertig dem Handel übergeben werden, beispielsweise manche Kalisalzdüngemittel, das natürliche Glaubersalz (Mirabilit), die natür- lichen Sodamineralien Trona (Urao), Natron (Soda) und Thermonatrit, ein Teil des Guanos als Phosphorsäure- und Stickstoffdünger, ein Teil des Ozokerites und Asphalt es, die an vielen Stellen des Bodens entquellenden oder erbohrten Mineralwasser, die an einigen Punkten, z.B. im Brohltal, entströmende Kohlen- säure, das Erdöl gas (Erdgas) als Begleiter des Erdöls, Roteisenerz als Polier- oder „Pariser"- oder „Englischrot", gewisse Mineralien und Gesteine als Mineralfarben, wie Schwerspat als „Mineral'- oder „Neuweiß", Malachit als „Berggrün", Kupferlasur als „Bergblau", Zinkblende als „Zinkgrau", Roteisenstein als Rötel, „Venetianer, Preußisch Rot", roter Ocker, Braun- und Gelb- eisenerz als Ocker, cyprische, türkische oder sizi- lianische Umbra, Terra di Siena, eisenhaltiger T o n - stein als Bolus, Braunkohle als „Kölnische Umbra" oder „Kasseler Braun", früher Lasurstein als natürliches Ultramarin. Aus anderen Mineralrohstoffen gewinnt man die Fabrikate mittels einfacher mechanischer oder chemischer Behandlung, so aus Kalkstein und Dolomitstein den Ätzkalk bzw. Magnesia- Ätzkalk (gebrannten „Kalk") und Kohlensäure; aus Magnesitstein den Sintermagnesit und Kohlensäure; aus Strontianit das Strontium- oxyd; aus Gipsstein den Stuck- und Estrich- gips; aus dem Wasser Wasserstoff; aus der Luft Sauerstoff und Stickstoff und aus letzterem im Verein mit Kalziumkarbid den Kalkstickstoff, oder Salpetersäure und hieraus mit Kalkstein den Luftsalpeter (Norgesalpeter); aus Bernstein (Succinit) die Bernsteinsäure, das -öl, das -kolo- phonium; aus den verschiedenartigen Ton en die mannigfachen Erzeugnisse der Keramik, speziell aus Kaolinerde, Feldspat, bisweilen noch Quarz, Gips usw. das Porzellan; aus Quarz, zumeist in Form von Glassand, Kalkstein, Alkalikarbonat usw. das Glas; aus Kali- salpeter, Holzkohle und Schwefel das Schwarzpulver; aus Quarzsand oder Quarz- gestein und Koks das Karborundum; aus ge- branntem Kalk und Koks das Kalziumkarbid; aus Caliche den Natronsalpeter und Jod; aus Glauberit das Glaubersalz; aus Salzsole und Meerwasser das Kochsalz; aus den Soffioni, borsäurehaltigen Wasserdämpfen Tos- kanas, die Borsäure; aus Alunit (Alaunstein) den Kalialaun und Aluminiumsulfat; aus asphalt- haltigem Kalk- oder Sandstein den Stampf- und Gußasphalt, die Asphaltlacke, -firnisse usw.; aus Magnetkies von Bodenmais i. Bayern das N. F. XVI. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 659 Poliermittel Potee; aus kalk- und tonhaltigen Materialien, z. B. Muschelkalk oder Schreib- kreide und Septarienton (Rupelton), den Portland- zement; aus dem Trachyttuff den rheinischen Traß; aus Ton oder Kaolinerde, Soda oder Glaubersalz, Seh wefel und Ko h le mit und ohne Quarzsand die künstlichen Ultramarine; aus den Mineral- und Guanophosphaten das Phosphorsäuredüngemittel Superphosphat; aus dem Erdöl Benzin, Leucht- und Brennöle (Petroleum), Schmieröle, Paraffin, Vaselin, Abfall- stoffe; aus Ozokerit (Erdwachs) Ceresin und Paraffin; aus der Steinkohle Teer und aus diesem das Leichtöl mit Benzol, Benzin, Toluol, Xylol, ferner Mittelöl mit Naphthalin und Phenol (Karbol- säure), sodann das Schweröl mit Kreosotöl, das Anthracenöl mit Anthracen, als Rückstand das Pech, dann Koks, Leuchtgas, Cyanverbindungen, Ammoniumsulfat als Stickstoffdüngemittel, Seh wefel; aus Seh welkohle Teer und aus diesem weiter Paraffin, Gasöl, Karburieröl, Benzin, Solaröl, Putzöl, Motoröl, Vaselin, Kreosotöl, Goudron oder aber Montanwachs, sodann Grudekoks (Grude), Schwel- gas und -Wasser; aus der Messeier Braun- kohle Rohöl (Teer) und daraus Paraffin, Naphtha (Leichtöl), Gas-, Motor-, Putz-, Fett- und Schmier- öle, ferner Koks, Schwelgas und -wasser; aus den schottischen Ölschiefern (oil shales) das Rohöl (Crude oil; Teer) und daraus Leuchtöle, Paraffin, Gas- und Motoröl, Schmier- und Putzöl, Kreosotnatron usw., ferner Koks, Schwelgas und -wasser; aus Torf den Torfteer und aus diesem Torföl, Paraffin, Alkohol, Ammoniumsulfat als Düngemittel, dann Torfkoks; aus Erzmine- ralien und Erzgesteinen die Erzeugnisse der Metallurgie. In den meisten Fällen aber müssen die mine- ralischen Rohstoffe eine mehr oder weniger um- ständliche Verarbeitung in Verbindung mit kom- plizierten chemischen Prozessen durchmachen, bevor sie sich zu den gewünschten Erzeugnissen umgestaltet haben. Es sind dies die Mineralien und Gesteine — hauptsächlich Steinsalz, Kali- salze (einschließlich Brom-, Natrium-, Magnesium- und Kalziumverbindungen), Chilesalpeter, Pyrit (Eisen-, Schwefelkies), Pyrolusit (Braun- stein), Kalkstein, Schwefel, Borsäuremine- ralien, wie Borsäure (Sassolin), Boronatro- kalzit (Borkalk), Tinkal (Borax), Pandermit (Colemanit, Priceit), Borazit (Staßfurlit), Magnesitstein, Gipsstein, Schwerspat (Baryt), Witherit,Strontianit, Coelestin, Flußspat (Fluorit), Bauxit, Rutil, Mineral- phosphat, Arsenkies, Antimon-, Wis- mut-, Molybdänglanz, Chromeisenstein, die Mineralien der seltenen Erden, wie Monazit, Thorit (Orangit), Thorianit usw., die radio- aktiven Mineralien, wie Uranpecherz (Pech- blende, Uraninit), Carnoit,Autunit, Monazit, Thorit, die Vanadinmineralien, wie Van ad in it, Patronit, Roscoelith, Descloizit, die Wolframmineralien, wie Wolframit (Wolfram) und Scheelit (Tungstein), die Erze — , aus denen schließlich die Fabrikate der eigent- lichen chemischen Großindustrien : Säuren, Alkalien, Salze, darunter viele Mineralfarben, die aus den Fraktionen des Steinkohlenteers gewonnenen künst- lichen organischen Farbstoffe oder Teer- auch Anilinfarbstoffe genannt, künstlicher Indigo, Arznei- mittel, wie Salizylsäure, Salol, Aspirin, Aniifebrin, Antipyrin, Sprengstoffe, wie Pikrinsäure, Riechstoffe, wie Mirbanöl, Antiseptika, wie Lysol, Kreolin, photo- graphische Entwickler, wie Hydrochinon, Rodinal, Süßstoffe, wie Saccharin, Dulcin, Denaturierungs- mittel, wie Pyridinbasen u. v. a. m. hervorgehen. (GXJ Die Seefelder bei Reinerz in Schlesien, ein des Schutzes bedürftiges Hochmoor. [N«chdruck verboten.] Von Dr. R. Kräusel, Breslau. Mit 3 Abbildu In den letzten Jahren hat die Naturschutzbe- wegung so großen Einfluß in Deutschland erlangt, daß es, obwohl die Heimat von Hunnen und Bar- baren, nach dem Urteil berufener Beobachter in dieser Hinsicht den ersten Platz einnimmt. Aus kleinen Anfangen hervorgegangen, können diese Bestrebungen voller Genugtuung auf das Erreichte zurücksehen, ist es ihnen doch gelungen, nicht nur weite private Kreise für ihre Ziele zu begeistern; auch alle örtlichen und staatlichen Behörden haben nunmehr dieBedeutung des Naturschutzes gerade in unserer raschlebigen Zeit erkannt. Viel Erfreuliches konnte schon geschaffen werden, be- sonders seit in der preußischen „Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege" ein amt- licher Mittelpunkt für alle diese Bestrebungen ge- geben ist, dem sich ähnliche in den mei.-ten anderen deutschen Bundesstaaten anreihen. Daß sie noch nicht alle Pläne verwirklichen und besonders die einzelnenProvinzial- und landschaftlichen Komitees bei weitem nicht alle innerhalb ihres engeren Arbeitsgebietes an sie herantretenden Wünsche und Anregungen nun auch in die Tat umsetzen konnten, wird keinen Einsichtsvollen veranlassen, ihre Tätigkeit abfällig zu beurteilen. Abgesehen von Schwierigkeiten mancherlei Art, die es zu überwinden gilt, besteht hier wie überall zwischen Erwünschtem und wirklich Erreichbarem ein gewisser Unterschied, der uns aber nicht hindern darf, uns des schon Gewonnenen zu freuen. Hierbei sei bemerkt, daß es weniger auf die Schaffung sogenaimter „Naturschutzparke" an- kommt, wie sie manche Kreise mit gewiß löb- lichem Eifer als Zufluchtstätten der durch die Kultur bedrohten Tier- und Pflanzenwelt anstreben und dabei so weit gehen, bereits verschwundene 66o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 47 oder gar fremde Lebewesen anzusiedehi. Viel- mehr ist es die vornehmste und auch dringendste Aufgabe der Naturdenkmalpflege, die zahlreichen, überall im Gebiet zerstreuten und oft nur kleinen Bezirke, wo sich die Natur noch ungestört durch die Einflüsse der Kultur erhalten hat, in ihrer Ursprünglichkeit zu bewahren und gesetzlich zu schützen, ehe es zu spät ist. Daß es dabei nicht lediglich auf den Schutz von bemerkens- werten Bäumen, eratischen Blöcken usw. ankommt, liegt auf der Hand. Wie bedeutend umfassender und vielseitiger die Aufgaben der Naturdenkmal- pflege sind, kann ein jeder aus den von der Staatlichen Stelle und den einzelnen Komitees herausgegebenen Berichten ersehen, die Rechen- schaft über die bisher geleistete Arbeit geben. Unter den Gebieten, die des Schutzes besonders dringend bedürfen, stehen die Moore mit ihrer eigenartigen Flora und Fauna an erster Stelle, sind sie doch durch die gerade seit Ausbruch des Krieges bedeutend ausgedehnte Moorkultur aufs höchste gefährdet. Da ist es ein Verdienst des „Schlesischen Provinzialkomitees für Naturdenkmalpflege" nicht minder wie der „Schlesischen Gesellschaft für vater- ländische Kultur", die schon so viel für die Erforschung der Provinz getan, in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit auf ein Gebiet gelenkt zu haben, das ganz unverdienterweise in Vergessen- heit geraten war. Ich meine die Seefelder bei Reinerz, neben den weitgedehnten Mooren des Isergebirges das größte und höchstgelegene Hoch- moor der Sudeten. Im äußersten Osten der Westsudeten südlich des bekannten Bades der Grafschaft Glatz gelegen, erstreckt es sich dicht an der Landesgrenze, aber noch völlig auf preußischem Gebiete. Es ruht auf der tonigen Plänerkalkplatte, welche die Mulde zwischen den von Nordwest nach Südost streichen- den Kämmen des Adler- und Habelschwerdter Gebirges bedeckt, und zeichnet sich dadurch aus, daß es sein Wasser an zwei verschiedenen Meeren zuströmende Flußsysteme abgibt. Nahe dem Ost- rand des Moores entspringt die zur Elbe ziehende Erlitz, während im Westen ein Teil seines Wassers durch den Rehdanzgraben der Reinerzer Weistritz und damit der Oder zufließt. Es ist eine allge- mein verbreitete Ansicht, daß dieser zweite Abfluß erst um die Mitte des i8. Jahrhunderts künstlich geschaffen wurde, als der Forstmeister R e h d a n z den nach ihm genannten Entwässerungsgraben anlegte, der das ganze Moor in etwa 1600 m Länge durchzieht und in das schluchtartige Weistritztal mündet. Die tiefe, ganz dicht an den Westrand heranreichendeTalschlucht legt indes die Vermutung nahe, daß Rehdanz einen schon vorhandenen Abfluß benutzt habe, wo zumindest in nieder- schlagsreichen Jahren ein Ab- oder besser Über- fließen des Moorwassers stattfinden konnte. Ist diese Auffassung, die auch durch andere Gründe gestützt wird, richtig, so können wir also auch in den eigenartigen Abflußverhältnissen eine ursprüng- liche Eigenschaft des Gebietes sehen. Die Angaben über seine Größe gehen auseinander. So gibt Partsch (Landeskunde von Schlesien i. 1896) 90 ha an, Zacharias nennt, einer älteren Quelle folgend, 353 Morgen (Zeitschr. wiss. Zool. 43. 1886), Otto dagegen 177 ha (D. Grafschaft Glatz. 1914). Diese einander widersprechenden Ansichten erklären sich wohl aus dem verschiedenen Umfange, in dem die Autoren die südlich des eigentlichen Moores gelegenen, mit lichtem Wald bestandenen „Schwarzen Sümpfe" dazu gerechnet haben. Für das Hochmoor im engeren Sinne gilt wohl die erste Zahl. Es wird von zwei Wegen durch- quert, an seinem Südende vom Fouqueweg, weiter nördlich, etwa in der Mitte, am Austritt des Rehdanzgrabens beginnend, vom Rehdanzwege. An ihm befinden sich auch die wenigen ver- fallenen Hütten, die der Torfstecherei dienen. Diese wird seit langen Jahren, aber in sehr beschränktem Umfange (nur wenige Tage jährlich) für rein ört- lichen Bedarf betrieben und hat entgegen der landläufigen Ansicht bis jetzt dem Moor nur wenig geschadet. Das Gleiche gilt von der in ähn- lichem Zustande befindlichen Entwässerungsanlage. Partsch meint allerdings, daß seh ihrer Anlage die Wasserabgabe merklich beschleunigt und jeden- falls das weitere Vordringen des Moores gegen den Wald unmöglich gewesen sei. Die Mächtigkeit der Torfbildung beträgt am Rande stellenweise etwa 6 m, ist aber in der Mitte, nach der das Moor sanft ansteigt, bedeutend größer. Hier finden sich in einer Seehöhe von 751 m eine ganze Anzahl kleiner kreisförmiger Teiche, deren klares Wasser bis 10 m tief ist. Sie sind gelegentlich als Reste einer größeren zusammenhängenden Wasserfläche ange- sehen worden, doch ist dies höchst unwahrschein- lich. Seit alters her sind die einzelnen „See- pfützen" als solche bekannt und haben dem Moore den Namen gegeben, ein Beweis, daß sich die Verhältnisse nicht wesentlich verändert haben. Wohl erklärlich ist, daß ein so ausgezeichnetes Gebiet schon früh die Aufmerksamkeit auf sich zog. Zum ersten Male wird es im Jahre 1790 näher beschrieben (Schles. Provblt.). Es kann nicht Aufgabe einer kurzen Schilderung sein, eine Auf- zählung der zahlreichen späteren Arbeiten zu geben, in denen Milde, Goeppert, Zeller, Stand- fuß, Zacharias u. a. wertvolle Beiträge zur Erforschung von Flora und Fauna lieferten, zumal eine von anderer Seite begonnene floristische Monographie des Moores wohl in Bälde vorliegen dürfte. Eine solche eingehende, zusammenfassende Arbeit fehlt bisher aber vollständig. Dies hat seine Ursache einmal darin, daß die Untersucher stets nur ganz bestimmte, eng umgrenzte Ziele im Auge hatten, erklärt sich zum Teil aber auch aus dem Umstand, daß seit der durch Rehdanz ge- schaffenen Entwässerungsanlage und der Tatsache der Torfgewinnung mehr und mehr die Ansicht Raum gewann, die Ursprünglichkeit des Moores sei zerstört und dieses dem Untergang geweiht. Selbst in weitverbreitete Reisehandbücher hat diese N. F. XVI. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 66 1 ganz falsche Meinung Eingang gefunden, und sie erwähnen die Seefelder nur flüchtig, fast möchte man sagen, in historischem Sinne. So kommt es, daß die große Menge der Gebirgswanderer — sollen wir sagen glücklicherweise? — achtlos an ihnen vorübergeht. Erstaunen erregte es daher vielleicht mancherorts, als die „Schlesische Gesellschaft für vaterländische Kultur" und die „Provinzialstelle für Naturdenk- malpflege" gerade die Seefelder als einziges großes, typisches Gebirgshochmoor der Provinz (dasisermoor ist größtenteils österreichisch) für wert hielten, als Naturdenkmal geschützt und erhalten zu werden. In Verfolg dieser Bestrebungen wurde das Gebiet eingehend untersucht (E i n g e 1 s li e i m , Bericht über einen Besuch des Hoclimoores „die Seefelder" bei Reinerz, Jahresber. Schles. Ges. 1916; Ders., Über eine interessante Wuchsform der Fichte, Mitt. deutsch, dendrol. Ges. 25, 1916), wobei sich ergab, daß von einer auch nur allmählichen Ver- nichtung — vorläufig wenigstens — • nicht die Rede sein kann und die unvollkommenen Entwässerungs- und Torfgewinnungsanlagen den ursprünglichen Charakter kaum gestört haben. So erklärt es sich, daß die philosophische Fakultät der Breslauer Friedrich- Wilhelmsüniversität eine Preisarbeit aus- geschrieben hat, die die Flora des Moores, ihre pflanzengeographische und ökologische Stellung behandeln soll. Daher ist zu hoffen, daß recht bald eine wenigstens in botanischer Hinsicht ein- gehende Monographie vorliegen wird. Für das Gebiet der höheren Pflanzen mehr zusammen- fassender Natur, dürfte sie für die schlesische Thallophytenflora zahlreiche neue Ergebnisse zeitigen. Aus diesen Gründen soll hier nur eine flüchtige Schilderung des so interessanten Gebietes folgen. Von dem am Ostabhange der „Hohen Mense" gelegenen Dörfchen Grunwald bieten sich die Seefelder dem Blick als scheinbar kahle braun- grüne Flächen dar, vom Dunkel des Fichtenwaldes umgeben, dessen innerster Rahmen sich als schmaler, hellerer Streifen abhebt. Zahlreiche dunkle Flecken lassen erkennen, daß die Felder von zerstreuten Busch- und Baumgruppen bedeckt sind. Deut- lich sieht man die einzelnen „Seepfützen" sowie die über das Moor führenden Dämme mit den Torfliülten. Wollen wir es selbst begehen und steigen den schmalen, aus dem Tal der Weistritz emporführenden Pfad hinauf, so umgibt uns dunkler, hochstämmiger F'ichtenwald. Noch besser ist es, wir wählen den allerdings beschwerlichen .Aufstieg durch das schluchtartige, von steilen Wänden be- grenzte und mit Geröll und h'elstrümmern bedeckte Abflußtal des Rehdanzgrabens, in dem uns schon mancherlei durch das Wasser herabgeführte Moorpflanzen begegnen. Bald erreichen wir die Höhe und befinden uns mitten im Moor, das bei einiger Vorsicht ohne weiteres begangen werden kann. Der Wechsel des Landschaftsbildes ist überraschend und die Grenze äußerst scharf aus- geprägt. Jene hellgrüne Randzone wird von teils hochstämmigen, teils mehr straucliartigen Moor- birken {Bcfiila piibcscciis Ehrb.) gebildet, die in deutlichen Gegensatz zur Umgebung treten. Nach innen zu werden sie lichter, um schließlich ebenso wie die nur hie und da noch eingestreuten Fichten {Picea cxccha (L.) Link) ganz zurückzutreten. Nur äußerst selten treffen wir im Innern des Moores kleine, kümmerliche Fichtenstämmchen, die aber schon nach wenigen Jahren als Opfer des unwirt- lichen Bodens dahinsterben. Die Bodenvegetation bietet nicht überall das gleiche Bild. Auf weite Strecken hin sind die üppigen Moospolster, die an trockeneren Stellen neben zahlreichen, darunter recht seltenen Torf- moosarten {SpJiaguiuii) auch manche andere Spezies sowie Plechtcn und Pilze enthalten, durch kuppeiförmige Büschel des Wollgrases {EriopJio- niDi vagiiiiüiiin L.) u. a. vollständig verdeckt, an anderen Stellen herrschen Vaccinien, darunter die typischen Moorbewohner /'. ().x\coccus\^., die Moosbeere, und \ 1 nligiih>^inii L., die R a u s c h - beere, in Gemeinschaft mit ChÜujki -ntlgai-is L. und den zierlichen Gestalten von . ludroincdn Polifolin L. dem wilden Rosmarin. Dagegen scheint Lcdiiiii pnliisirr L., der Sumpfporst, ganz zu fehlen, der schon in dem ältesten Bericht (a. a. O.) als äußerst selten bezeichnet wird. Nach Zacharias käme er allerdings geradezu „massenhaft" vor (a. a. O.). Ob dieser unzweifelhafte Irrtum, wie Lingelsheim meint, auf einer Verwechslung mit Aiidroiiu'da beruht, mag dahingestellt bleiben. Dagegen spräche, daß Zacharias an anderer Stelle (Zacharias, Ein Spaziergang nach den Seefeldern bei Reinerz, 1886) beide Pflanzen ganz richtig abbildet, doch ist diesem Umstände bei seinen scheinbar recht flüchtigen botanischen An- gaben nur wenig Wert beizulegen. Jedenfalls ist es bisher weder Lingelsheim und mir noch anderen Untersuchern gelungen, auch nur ein Exemplar des Sumpfporstes zu finden. Während in manchen Bezirken das Woll- gras allein herrscht, tritt es in anderen gegen- über jenen kleinen Halbsträuchern vollständig zu- rück, so daß das Bild ganz verschieden ist. In noch höherem Grade aber gilt dies von der nächsten Umgebung der Seepfützen. Üppig wuchernde .sy'////o^;///wpolster verdrängen alles andere, von zahlreichen QvLXzritn durchsetzt, unter denen C. fxuiciflora Lghtf. und C. liinosn L. Beispiele seltener Arten sind. Die zierlichen Rosetten des Sonnentaus {Drosera rofnndifolia L., I>. aiiglira Hds.), Seheiic/izeria pal/is/ris L., Rliyiiehnsp'ira alba Vahl und andere typische Moor- und Sumpfpflanzen finden hier die Bedingungen für üppiges Wachstum. Llnmöglich ist es an den meisten Stellen, bis an den Rand des Wassers zu treten. Da die Polster an der Oberfläche von außen nach innen zu immer weiter wachsen, bilden sie schon in einiger Entfernung vom Rande eine nur trügerische, unter dem Fuß hin- und her- schwankende, schwammige Masse. Mehrere Gebirgs- bewohner sollen hier ihren Tod gefunden haben; 662 Naturwissenschafliichc Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. Vorsicht ist also am l'latze. Einige der Teiche sind schon ganz verlandet (Abb. ij. Die im süd- lichen, trockneren Teil des Moores gelegenen da- gegen besitzen festere Ufer, wo die Vaccinien lusw. dicht an das Wasser hei antreten. So lassen sich auf dem doch verhäUnisniäßig kleinen Gebiete des Moores ganz deullicli schon jetzt drei Hauptformationen unterscheide^ , die scharf voneinander getrennt sind, der S])h;ig- numsumpf in der nächsten Umgebung derTcichc, :das Gebiet der Vaccinien und der Bezirk des Woll- grases. Eingehende Untersuchung der Siandoi is- verhältnisse der einzelnen Aiten erniögliclit eine weitere . Gliederung. Hierzu tieicn als weitere E'ormationen die schon erwähnte Randzonc des Moores sowie die Seepfützen selbst. Sie enthalten vorhanden sein müßten. Gebüsch- und parkartiger Wuchs war daher allem Anschein nach auch ehe- dem die Regel. Gebildet wird diese Gebüsch- f o r m a l i o n fast ausschließlich von der auf Moore beschränkte Moor- oder Hakenkiefer (Piiii/s iiihiiialn Ram.). In einzelnen bruppen wachsend, b)ldci sie hier hohe, dort niedrigere mehr oder weniger \x:kiüppelte Stämme, bald kriecht sie am Hodcu dahin wie echtes Knieholz, von dem sie dann ohne Zaijfen kaum zu unterscheiden ist (.Abb. 1). Auf diesen Umstand ist wahrscheinlich, icderhohe Angabe über das ;Vor- rchten Knieholzes zurückzuführen. 1 iliiila L. erzeugte Harzgalle. .Abb. 1. „Seepfülze" ; im Vordergriindc Kräüscl ph( Gruppen der Moorkiefer. eine Algenflora, deren Reichhaltigkeit auch noch nicht annähernd bekannt ist, erwähnt doch die große schlesische Kryptogamenflora C o h n s nur i 5 .Arten. Schon jetzt läßt sich sagen, daß es in Wirklich- keit viel mehr sind. Darunter finden sich auch Formen, die für Schlesien gänzlich neu sind. Üppige Rasen bilden in allen Teichen die schönen Rhodo- phyceen Iln/rdc /i^xpiriiiinii iinnillitcniic Roth, luid JLvat:, Ag., welch letztere zu den seltensten Arten der formenreichen Gattung zu rechnen ist. Geschlossener Baumbestand fehlt dem Moore ivoUständig, was wohl ebenfalls als ursprünglicher Zustand anzusehen ist, Zwar soll es nicht immer so gewesen, der ehemalige Wald nach alten ]5e- ■richten vielmehr erst 1797 durch einen Waldbrand vernichtet worden sein. Es scheint aber, daß die -Tragweite dieses lüeignisses sehr übertrieben ■worden ist; denn nirgends fanden sich bisher in dem Moor größere Baumstümpfe; die dann doch Die mannigfachen Kieferngruppen bieten ein eigenartiges, bei jedem Schritt wechselndes Bild, zumal sie oft dicht mit Flechten behangen sind. Im südlichen Teil des Moores, dessen Untergrund trockner ist, mischen sich mit ihnen zahlreiche selt- same Knüppelgestalten der Moorbirke (Abb. 2). Der Baumwuchs ist reicher und macht den Eindruck eines in toller Laune geschaffenen Parks. Hierzu tragen noch zahlreiche Strauchformen: der Fichte von ganz absonderlicher Gestaltung bei. Bald sind es einzelne kleine, aber auch höhere Bäume, bald eng verflochtene Gruppen solcher. .Alle aber erscheinen sie wie mit der Schere zugestutzt als Kugel-, Kegel- oder Pyramidenformen, deren dichtes unentwirrbares Gezweig bis auf die Erde herab- reicht. Auch sie werden von Flechten überwuchert, die so manche Kiefer und Fichte erstickt haben. Wo mehrere solcher abgestorbener Bäume zu- sammenstehen, erhöhen sie in scharfem Kontrast N. F. XVI. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 663 die Eigenart des Bildes. Indem an manchen bei 1 Stellen der Gebüsche sich all diese Raumtypen zu der eng verschlungeneti Gruppen Vereinigen, ergeben der Kniippelfo sich Bilder von höchstem Reiz, die die Worte voi Partsch über das „trübselige l.andschafisbild als unberechtigt erscheinen lassen (Abb. 3). Weder Schncedruck noch Wildver- biß können als Ursacheder auffallenden auf das Moor be- schränkten Wuchsform der Fichte in Frage kommen, wie Lingelshei m nach- weist, weshalb er sie mit Recht als eine durch Ein- wirkung des Untergrundes bedingte Abart ansieht [Picea i.xcclsii (L.) Link, i./iir/osd Lingelsh.). Gegen die Annahme, daß es sich um eine Frosterscheinung handelt , spricht der Um- stand, daß die Wuchsform streng an das Moor ge- bundenist. Sollte Li ngels- heims Ansicht, wie ich an- nehme, berechtigt sein, so dürfte die eigenartige Va- rietät sich auch auf andern Mooren nachweisen lassen. Zu diesen merkwürdigen Holzgewächsen tritt neben Parkartige Laadi einigen kleinblättrigen Wei- den als kostbarste Seltenheit schließlich die Zwerg- birke {l'uiiila nana L.) 'Lingelsh e i m gibt für dieses ins durchaus auf einige Moore beschränkte Relikt Eiszeit zwei Standorte auf dem nördlichen Teil Seefelder an. Ich fand sie auch südlich des Rehdanzweges in reichen und stattlichen Beständen. In allen Fällen wachsen die bis meterhohen Sträucher in der Umgebung dfcr offenen Teiche, gehen aber zerstreut auch in die mit Kiefern bedeckte Zone über. Auch ein Bastard der beiden Birkenarten ist in vereinzel- ten Stücken nachgewiesen worden. Die Zwergbirke besitzt hier neben dem Isermoor ihren einzigen schlesischen Standort. Aber wenn sie auch ziemlich zahl- reich ist und gut gedeiht, dürften ihre Tage doch ge- zählt sein, wenn nicht bald durchgreifende Schutzmaß- regeln ergriffen werden. Was nun die Fauna der See fei der angeht, möge ein ganz kurzer Hin- weis genügen. Typische Vertreter der höheren Tiere fehlen. Nur einige lenten und Taucher nisten schon seit mehreren cn in einem Teiche. Beachtenswert ist da- .^bb. ,3. :haft mit Moorbirken und Moorformen Lingelsheim plio Fichte. gegen, daß die weite Fläche ein ( )rl ist, wo sich im Frühjahr Auer- und Birkwild in größerer Zahl 664 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 47 zur Balz vereinigen und das Hochwild der um- gebenden Wälder mit Vorliebe seine Liebeskämpfe austrägt. Reich ist das Gebiet an Insekten, na- mentlich Schmetterlingen, von denen Stand fuß eine lange Reihe nennt (Standfuß, G., Lepi- dopterologische Beiträge zur Kenntnis der See- felder. Ztsch. Entom. Breslau 1850). Unter ihnen befinden sich als Naturdenkmäler die seltenen Arten Colias (^alacno L., Lyraciia uMihte Knoch, DipldJura alpiiim Osbeck, l'cHlaiiipa oriiicsn 1 hv., ^b/diia iorii/ii;cnt Thnbrg., Lurnilin iiinirsahi (Pax, über die Gefährdung entomologischer Natur- denkmäler in Schlesien. 8. Jahresh. Ver. scliles. Insektenkunde, 191 5), während Zacharias, der die Fauna der Teiche erforschte, zwei äußerst seltene Rotatorienformen nachweisen konnte, von denen die eine, Liiiiiiins spluigiiicohi Zach., von allen Autoritäten als besondere Varietät anerkannt, bis heute noch von keinem anderen I-'undort be- kannt geworden ist. Schon diese groben Striche, in denen ich ver- sucht habe, ein Bild der Seefelder zu entwerfen, lassen unzweifelhaft erkennen, daß wir ein äußerst charakteristisches Hochmoor vor uns haben, dem in seiner ganzen Ausbildung an Eigenart nur wenige gleichkommen. Eine Fülle seltener Moor- pflanzen ist auf ihm vereint, dazu gesellen sich höchst bemerkenswerte Tierarten. Daß dieses Gebiet des Schutzes wert ist, bedarf danach keiner weiteren Beweise. Allein das Vorkommen der Zwergbirke, dieses nordischen Relikts, und von Colias palacno rechtfertigt das Verlangen danach vollkommen. Auch der Einwand, daß bisher ja das Moor keinen beträchtlichen Schaden erlitten habe, ist nicht stichhaltig. Einmal ist die Gefahr der intensiven Torfgewinnung zwar glücklich ab- gewendet worden, die einer völligen Vernichtung für Fauna und Flora gleichkommen würde; sie kann aber jederzeit wiederkehren, zumal gewisse Kreise noch immer mit dem Gedanken einer Aus- beutung der Torflager spielen, die sich wegen der Entlegenheit des Gebirgsmoores indessen kaum lohnen dürfte. Und ebenso gilt dies, nachdem dieAuf- merksamkeit erneut auf das Gebiet gerichtet worden ist, von einem stärkeren Besuch durch die Gäste der umliegenden Bäder und Sommerfrischen. Dann ade Seefelder!! Wie lange noch, und die letzte Zwergbirke wäre vernichtet, die letzte Colins ge- flogen. ') Wer denkt da nicJit an das Schicksal des schlesischen Apollofalters, Paiiiassi/is apollo silc- siaii/is, der heute in den Sudeten völlig ausgerottet ist, oder der in den Strehlener Bergen vorkom- menden Pericallia iiin/ro/i/ila, „an deren Standort zur Flugzeit die Zahl der sammelnden ,,,, Entomo- logen"" diejenige der vorhandenen Tiere bei weitem übertrifft!" (Fax, Wandlungen der schlesischen Tierwelt in geschichtlicher Zeit, Beitr. Natur- denkmalspfl. V, 1916). Daß die Seefelder vor einem ähnlichen Schicksal auch in Zukunft be- wahrt bleiben möchten, muß der Wunsch eines jeden Heimat- und Naturfreundes sein. Heimatliche wie wissenschaftliche Interessen verlangen ihren Schutz aufs dringendste. Ich schließe daher mit dem Wunsche, daß die Bemühungen der .Staat- lichen und provinziellen Stelle für Naturdenkmal- pflege, das ganze Moor nebst dem es um- schließenden Waldgürtel zum Naturschutz- gebiet zu machen, bei dem Besitzer des Ge- bietes, dem Königlich Preußischen Fiskus, ver- ständnisvolles Entgegenkommen finden und ihnen voller Erfolg beschieden sein möchte. •) Wie berechtigt diese Befürchtung ist, erhellt aus der Tatsache, daß sich schon in diesem Sommer die unheilvollen Folgen stärkeren Besuchs bemerkbar gemacht und namentlich die Zwergbirken durch sinnloses .Abreißen von Zweigen sehr gelitten haben. Nach den Berichten der Korstieute zeichneten sich hierbei namentlich zahlreiche Schülergruppen aus, die das Moor in Begleitung ihrer Lehrer (!) besuchten. Einzelberichte. Forstwirtschaft. Kaninchenjagd mit dem I'Vettchen. Seit alters wurde die Kaninchenjagd vornehmlich unter Zuhilfenahme eines Frettchens betrieben. Das Frettchen {Foc/oriiis Fnni) gehört der Gruppe der eigentlichen Marder an (AliistcUdcii], innerhalb der es mit dem Iltis [Foiinri/is p/i/nriits) die größten Verwandtschafts- züge aufweist. H i 1 z h e i m e r geht so weit, das Frettchen überhaupt nur den „albinotischen Ab- kömmling des Iltis" zu nennen, „der sich von der Stammform durch nichts als blaßgelbe Farbe und die roten Augen unterscheidet". Diese Ansicht ist freilich nicht von jeher geteilt worden. So weist Klaus Bode (Kosmos 1917 Xr. 6) darauf hin, daß schon Johann von Fischer, der im Jahre 1888 in einer Denkschrift über seine Unter- suchungen über die Abstammung des Frettchens berichtet hat, betonte, daß „das P'rettchen vom Iltis ganz streng spezifisch verschieden ist und die durch künstliche Zuchtwahl festgelegte Albinoform von einem ausgestorbenen oder im wilden Zustand noch nicht aufgefundenen iltisähnlichen Tier her- rührt". Jedenfalls sind heute zweierlei Arten des Frettchens zu unterscheiden: die am meisten genannte Albinoform, deren Pigmentmangel erblich festgelegt ist und die häufig gezüchtet wird, und eine Form, die ihre Entstehung einer Kreuzung zwischen Iltis und Frettchen verdankt. Die Jagd mit dem Frettchen auf die Kaninchen verläuft nach der Scliilderung Robert Kofferath's in der „Deutschen Jägerzeitung" (Bd. 69 1917 Nr. 29) sehr einfach: Es werden, bevor das Frettchen in den Kaninchenbau eingelassen wird, die verschie- denen Ausgänge dieses Baues, die man natürlich vorher erkunden muß, mit Netzen oder Hauben überdeckt. Macht dann das Frettchen im Bau Jagd auf das Kaninchen, so treibt es die Tiere ohne weiteres, wenn sie auf der Flucht aus ihrem N. F. XVI. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 665 Bau hinauseilen, in diese Netze hinein. Die Jäger harren an den einzelnen Ausgängendes Kaninchen- baues und erbeuten dort ohne viel Mühe die Nager, die sich in den Netzen verfangen haben. Um zu verhindern, daß das Frettchen gleich im Bau sich über eines der Kaninchen hermacht, legt man ihm gewöhnlich einen Maulkorb an. Früher übte man zu diesem Zweck die rohe Methode, dem Frettchen die Lippen zuzunähen. Allerdings vergreift sich das Frettchen auch trotz des Maulkorbs manchmal an einem Kaninchen im Bau. Kehrt es gar zu lange nicht zurück, so braucht der Jäger nur das Holzkistchen, in dem das Frettchen zum Bau ge- bracht wurde, vor den einzig offenen Ausgang des Baues zu stellen. Dort wird er es nach einigen Stunden ruhig schlafend darinnen liegen finden. Die Kaninchenwolle an seinem I'ang zeugt dann von seinen Taten. Diese Jagdart auf Kaninchen ist besonders im Herbste lohnend, wenn bei Eintritt naßkalter Witterung die Tiere sich wieder regelmäßiger in ihrem Bau versammeln. Das Frettieren zu früher Morgenstunde schafft da oft recht ergiebige Beute. H. W. F"rickhinger. Geologie. Wasserversorgung durch offene Gräben, Sickerung, Drainage bespricht Major W. Kranz in der Zeitschr. für praktische Geo- logie 19 17, H. I. Hygienisch wenig einwandfrei, aber bisweilen notwendig, ist die Fassung von Trink- und Ge- brauchswasser durch offene Gräben. Allerdings ist hierbei mit böswilligen und zufälligen Verun- reinigungen, dem Zuwachsen durch die Vegetation, dem Einfrieren, Schneeverwehungen sowie schwan- kenden Temperaturen zu rechnen. Zur Trink- wasserversorgung sollte man offene Gräben tun- lichst nicht verwenden. Hygienisch besser ist die Fassung von Grund- und (Juellwasser durch begeh- oder schlupfbare Sammelstollen, die sich leicht beaufsichtigen lassen, durch Sammelrohre aus gebranntem Ton, Beton oder Eisen, gelochte Steinzeugrohre oder durch Sickerungen und Drainagen da, wo der Grund- wasserträger wenig mächtig oder schwach durch- lässig ist. Trinkwasser-Sickerungen und -Drainagen müssen sorgfältig gegen ungenügend filtrierte Tagewässer abgedichtet werden. Die Abdich- tungen, welche aus gestampftem Ton, fettem Mergel, tonigem Lehm, Beton oder Mauerwerk mit wasserdichtem Verputz bestehen können, sollen seitlich in die Grubenwände eingreifen und möglichst an undurchlässige Bodenschichten an- schließen. Oberflächenwasser muß möglichst durch gute Abwässerung abgeführt werden. Trink- wasser-Drainagen und -Sickeruiigen dürfen nicht, wie es auf dem Lande aus Sparsamkeitsrücksichten oft geschieht, zu nahe der Geländeoberfläche liegen, da dann Versiegen bei trockener Witterung, Trüblaufen bei anhaltendem Regenwetter, und Verseuchung mit Bakterien gar zu leicht eintreten können. Abwässerdrainagen werden gegen Eindringen von ( )berflächenwasser absichtlich nicht geschützt, so daß ihnen im Stellungskrieg leicht Leichenstoffe, Urin, Kot und Abfälle zugeführt werden können. Wo diese Drainagen Schützen- und Annäherungs- gräben schneiden, entnimmt vielfach die Stellungs- besatzung Wasser, das bisweilen zum Kochen freigegeben wird. Kranz hält dies besonders in der heißen Jahreszeit für bedenklich und schlägt vor, diese Drainageleitungen zu verstopfen, da die Truppen im allgemeinen kein Interesse an der Trockenlegung des Zwischengeländes haben, viel- mehr ihnen daran liegt, daß dieses die Tagewässer möglichst aufsaugt. Ebenso wie Brunnen- und Ouellfassungen müssen auch .Sicker- und Drainageleitungen durch ent- sprechende Abstände von verunreinigenden An- lagen (Düngung, Abort- und Düngergruben, Be- gräbnisplätze und dgl.) geschützt werden. Gräben, in denen Sickerungen und Drainagen eingebaut werden sollen, sind möglichst rechtwinklig zum (jrundwasserstrom anzuordnen. Hat man nicht gleich die günstigste Richtung getroffen, so tut man nach v. .Scheu rlen gut, einen 2. Graben senkrecht zum ersten anzulegen. Die Gräben führt man am besten zu einem Sammelschacht, von dem aus das Wasser durch Abessinier oder andere Pumpen geschöpft werden kann. Die Grabensohle legt man möglichst nahe unter den wasserführenden 1 lorizont. Die Fortleitung des Wassers erfolgt durch die handelsüblichen gebraunten Drainageröhren (30 cm lang und 5 — 22 cm weit), welche man stumpf aneinander stößt und dadurch sich \on selbst geringe Fugenzwischenräume ergeben, oder durch gelochte, glasierte Ton-, Zement-, .Steinzeugröhren oder aber durch Kanäle aus Backstein. Ein starkes Durchströmen durch die Röhre ist tunlichst zu \ermeiden, doch darf das Gefälle auch nicht zu träge werden. Zum .Schutze gegen Eindringen von -Sand, Ton oder Lehm umgibt man die Röhre mit gewaschenem Material, zuerst mit groben Steinen, dann Kies von abnehmender Korngröße und zuletzt bis über den Sammelwasserspiegel Sand („Sandsperren"). Nach Fraenkel genügt eine 4 — 6 m mächtige Sandschicht zum Aufhalten von Wasserkeimen. Die Ergiebigkeit von .Sickerungen und Drai- nagen läßt sich nur auf geologisch-hydrologischer Grundlage unter Berücksichtigung des Schwankens besonders bei wenig tiefen Fassungen ermitteln. Je geringer die Ergiebigkeit ist, um so größer muß der Vorratsraum im .Sammelschachte sein, den man entsprechend unter die wassertragende Grenzfläche hinab vertieft. Da mit dieser Methode überall Wasser erschlossen werden kann, so kommt dieser Art von Trinkwasserbeschaffung besondere Bedeutung zu und ist oft das einzige Mittel zur Bereitstellung der erforderlichen Trinkwasser- mengen für Mannschaften, Pferde und Vieh. Die Reinhaltung der Umgebung und bestmögliche Filtration ist allererste Pflicht. Für die Wasser- 666 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 47 Versorgung größerer Garnisonen, von Truppen- übungsplätzen und dgl. kommen Sickerungen und Drainagen nicht in Betracht, indessen können manchmal die Verhältnisse dazu zwingen, wie es bei der Wasserversorgung englischer und franzö- sischer Städte der Fall ist. (G.c.) V. Hohenstein. Die nutzbaren Mineralien des Pamir unterzieht Arved Schultz in seinen „Landeskundlichen Forschungen im Pamir" (Abhandlungen des Hamburgischen Kolonialinstituts) kritische Unter- suchungen. Gold findet sich in folgenden Flüssen: Tanimes, Bartang. Der Abbau lohnt nicht, da ein sehr geübter Goldsucher nicht mehr als etwa für 70 Pf. Gold täglich sammelt. In Badekschen fand man Eisenerze, die solange abgebaut wurden, so lange noch keine fertigen Eisenwaren von Europa eingeführt wurden. Auch die Rubine am Pändsch und die Silbererze am oberen Gunt baut man nicht mehr ab. Reich an Steinsalz ist das Innere des Pamir, so daß von hier aus die Kirgisen den ganzen Pamir damit versorgen können. Grau und Rot sind die Farben, in denen es aufiritt. Asbest zeigt sich im westlichen Pamir. Der (Ostabhang des Pamir schließt in seinen paläozoischen und mesozoischen Ablagerungen Kupfererze, Eisenerze, Steinkohlen, Steinsalz ein. Beim Flusse Baldis gräbt man Alaun aus der Erde. Die chinesische Regierung betreibt die Eisen- gewinnung und soll damit eine Jährliche Ausbeute von 7000 Zentnern erreichen. Hundt, im Felde. Zoologie. Überden Verschluß von Präparatenglä- sern. Nachdem sich in Museen und Sammlungen zur Aufbewahrung der in Alkohol und anderen Flüssig- keiten konservierten Naturgegenstände mehr und mehr Gläser von parallelepipedischer Form ein- gebürgert haben, sind brauchbare Methoden, die ein wirklich zuverlässiges Aufkitten der ge- schliffenen Deckscheibe gestatten, von immer größerem Interesse geworden. Besonders macht das dichte und haltbare Verkitten von Präparaten- gläsern in Lehrsammlungen, die von Hand zu Hand herumgereicht werden sollen, viel Mühe und oft viel Ärger. Max Seh m id t- Hamburg (Monats- hefte für d. naturwiss. Unterricht. 1917. S. 187 ff.j faßt die Bedingungen, die man in solchen Fällen an die Kittmasse stellen muß, kurz in folgenden 6 Punkten zusammen: „I. Der Kitt soll stets gebrauchsfertig sein. Er soll in nicht zu langer Zeit erhärten. Er soll einen sauberen Verschluß vermitteln, darf also nicht klebrig oder schmierig bleiben. 2. Der Verschluß darf auch bei tagelangem Kippen des Glases nicht undicht werden. Die Konservierungsflüssigkeit darf also den Kitt nicht 3. Auch bei vorübergehender, nicht allzu starker Erwärmung (im Projektionsapparat) muß der Verschluß dicht bleiben. 4. Die Gläser müssen sich bequem öft'nen lassen. 5. Wünschenswert ist, daß der Kitt kalt an^ gewendet werden kann. Eine nur in der Wärme flüssige Masse bietet Schwierigkeiten bei brenn- baren Konservierungsflüssigkeiten. 6. Wenn möglich, soll bei allen Kon'iervierungs- flüssigkeiten (Alkohol, Formahn, Wintergrünöl) die gleiche Mas^e verwendet werden." Diesen Anforderungen entspricht nun, soweit sich übersehen läßt, keine einzige der vielen im Handel vorhandenen Kittmassen, besonders nicht, soweit es sich um Punkt 6 handelt. Schmidt glaubt aber nun einen Klebstoff gefunden zu haben, der in geradezu idealer Weise zunächst für Alkohol als Konservierungsflüssigkeit den obigen Forderungen i —5 genügt, und der noch den Vorzug großer Billigkeit, Sauberkeit, leichter Handhabung und ständi^^er Gebrauchs- fähigkeit für sich hat. Es handelt sich um den in Tuben überall — auch jetzt im Kriege — käuflichen P'ischleim „Syndetikon". Seine Verwendung ist höchst einfach: Man durchsticht den Tubenhals mit einer Nadel oder einem Nagel, trägt die Masse kalt und ohne Verwendung eines Pinsels auf und zwar so sparsam, daß außen und, innen nichts hervorquillt und herabläuft, legt den Deckel auf, und beschwert ihn nach einiger Zeit etwas. Nach spätestens einem Tage kann man die Alkoholgläser kippen und umgekehrt stellen; die Glasplatte bricht eher, als daß die Verkittung sich löst, sogar bei nur schmaler Berührung von Gefäß und Deckel (2 mm genügen!) und nicht ganz exaktem Schliff. Verdunstung und Aus- fließen ist absolut verhindert. Nur in ganz feuchter, Luft, wie sie in Sammlungen ausgeschlossen ist, kann sich die Masse erweichen. Doch läßt sich das durch Überziehen mit schwarzem Lack, ebenfalls verhindern. Auch eine vorübergehende Erwärmung im Projektionsapparat macht den Verschluß nicht undicht. Trotz des enorm festen Hafiens ist ein Öffnen des Deckels doch möglich, wenn man um den Rand — nach eventueller Entfernung des Lackringes — für einige Stunden ein nasses Luch wickelt. Was nun Forderung 6 angeht, so ist zu er- wähnen, daß Syndetikon auch Gläser mit Winter-, grünöl klebt. Bei wässrigen Lösungen wie Formalin- lösung ist er aber zunächst unbrauchbar, weil Wasser Fischleim löst. Durch einen kleinen Hand- griff macht Schmidt aber das Klebemittel auch hier verwendbar, indem er den Leim mit etwas löslichem Bichromat versetzt. Bekanntlich werden Gelatinen, Gummiarten, Leime durch solchen Zu- satz bei Belichtung wasserunlöslich. Man löst in dem Leim, wenig Kaliumbichromat, so daß er eine, schwach gelbliche Farbe annimmt und verwendet ihn dann wie oben. Man kann auch die Tube an dem breiten Ende öffnen, durch Umrühren N. F. XVI. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 667 etwas gepulvertes Kaliurnbichromat darin lösen, die Tube wieder 'zudrehen und nun wie bei Al- kohol verwenden. Einige Punkte sind jedoch zu beachten: Man streicht den chromierten Leim besser nicht auf den Rand sondern nur auf den Deckel, damit die Klebemasse ja nicht mit der Flüssigkeit in Berührung kommt, ehe sie völlig trocken ist. Aus demselben Grunde stellt man das zu verschließende Glas vorher dorthin, wo es zum Trocknen stehen bleiben soll, bevor man den ■Deckel auflegt. Nach Auflegen des Deckels ver- bleibt das mit Formaiin gefüllte Glas im Dunkeln, bis der Deckel festsitzt, was etwa am nächsten Tage der h'all ist. Dann kommt das Gefäß ans Licht, das nunmehr die Kittma^se u:au die Zeit vom 11. bis 15. Tag nach Menstruationsbeginn anzunehmen, so besteht eine auffallende Übereinstimmung mit den Froschver- suchen. Denn die ,jungen' Eier sind dann vor- wiegend mädchenbestimmend, die , alten', über- reifen dagegen knabenbestimmend.') Krieg. ') In einem weiteren Aufsatz (Zentralblatt für Gynäkologie vom 21. Oktober 1916) macht Siegel den Versuch, den Knabenüberschuß im Kriege zu erklären. Bticherbesprechungen. Verworn, Max, Biologische Richtlinien der staatlichen Organisation. Natur- wissenschaftliche Anregungen für die politische Neuorientierung Deutsch- lands. Jena 1917. i M. Der Verfasser knüpft in diesem Vortrage an den oft benutzten Vergleich zwischen dem Zellen- staat des lebenden Organismus und der im Staat verkörperten Gemeinschaft von Menschen an, um aktuelle politische Folgerungen zu ziehen. Die Harmonie der Teile im Organismus läßt er warnend gegen den Imperalismus auftreten (wo- bei es sich allerdings gar nicht mehr um ein staatliches Problem, sondern um ein zwischen- staatliches handelt), die feine Entwicklung der Individualität der Zellen mit Rücksicht auf das Ganze soll das vorbildliche Beispiel für die wahre in- dividuelle Freiheit im Staate abgeben usw. Dabei wird freilich hie und da die Berührung mit bio- logischen Problemen ganz gelockert, und der Verf. spricht sich auch manches vom Herzen herunter, was mit Biologie nichts mehr zu tun hat. Soweit nun solche Auseinandersetzungen nur biologisch illustrierte Politik wären, den Versuch darstellten, politische Probleme gewissermaßen in biologischer Denk- und Sprechweise zu behandeln, würde man sie gerne auf sich wirken lassen, zumal Verworn immer Anregendes zu sagen weiß. Aber der Autor ist anspruchsvoller als Menenius Agrippa: die Biologie soll die Lehrmeisterin der Politik sein, biologische Gesetze sollen auch für das staatliche Leben Gültigkeit haben und dürfen nicht ungestraft 672 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 4; verletzt werden. Das kann aber, wie ich meine, im Ernst nicht behauptet werden. Staaten sind immer Abstracta, Lebewesen dagegen Concreta; die staatliche Gemeinschaft wird aus vielen Individuen gebildet, die physiologisch vollkommen unabhängig voneinander sind, das Lebewesen ist dagegen ein unteilbares, einheitliches Ganzes, das zwar, ana- tomisch betrachtet, eine merkwürdige innere Gliederung zeigt, aber physiologisch ein Individuum ist und bleibt. Eine physiologisch selbständige Existenz gibt es für die Zellen nicht. Deshalb ist auch die Vorstellung von dem Organismus als einer staatenartigen Aggregation von Elementar- wesen niederer Ordnung höchstens ein Bild, das die anatomische Beschaffenheit des Körpers ver- anschaulichen kann, das aber sofort versagt, sobald es sich um die Deutung irgendeines physiologischen Prozesses handelt. De Bary hatie ganz recht, als er seinerzeit sagte, nicht die Zellen bauen den Organismus, sondern der^jOrganismus baue sich die Zellen. Ganz abgesehen von diesen Ein- wänden, würde ich es auch überhaupt für frucht- los halten, wenn wir biologische Betrachtungen und Ergebnisse auf Dinge übergreifen ließen, mit denen sie, wenigstens grundsätzlich, nichts ver- bindet. Biologie ist gut und Politik ist gut, aber die Kombination von beiden muß deswegen nicht auch gut sein. Miehe. Fitting-Jost-Schenck-Karsten, Lehrbuch der Botanik für Hochschulen. 13. umge- arbeitete Auflage. Mit 845 z. T. farbigen Ab- bildungen. Jena 1917. G. Fischer, n M. Wie ein Regenbogen auf der veränderlichen Wolke hat der „St ras bürg er" den Wechsel der Zeiten und der Autoren, von denen nur noch Schenck zu den Begründern des Buches gehört, überdauert und seine alte Anziehungskraft bewahrt. Von Auflage zu Auflage haben die Herausgeber an dem Buche weiter gefeilt, es bereichert, umge- staltet, vieles Neue an Tatsachen und Anschauungen mit der Zeil hineingetragen, manches Alte, ehemals liebevoll gehegte erbarmungslos hinausgetan. Auch die vorliegende Auflage, bereits die 13., weist überall die Spuren der Tätigkeit der Herausgeber auf, insbesondere ist auch wieder die Zahl der Abbildungen vermehrt worden. Die Reichhaltig- keit des Buches ist geradezu erstaunlich und, wenn sie auch für den Anfänger ein etwas verwirrendes Moment in sich birgt, so ist sie doch andererseits für den, der sich tiefer in die Botanik versenkt, immer wieder ein Reiz, indem er sich unmittel- barer, als das vielleicht in anderen Lehrbüchern der Fall ist, mit dem Fortschreiten der Wissen- schaft verknüpft fühlt. Dazu tragen auch die Literaturzitate am Schlüsse bei. In bezug auf diese letzteren möchte ich übrigens (ohne die großen Schwierigkeiten zu verkennen), bemerken, daß sie mir hier und da etwas gar zu willkürlich aus- gewählt erscheinen. Es kann z. B. vorkommen, daß im Text vorn eine gewisse Materie in engem Anschluß an die Untersuchungen eines Autors dar- gestellt, im Literaturverzeichnis aber nicht dieser, sondern ein anderer genannt wird. — Eine Emp- fehlung dieses Buches, das zu den erfolgreichsten Lehrbüchern für Hochschulen gehört, erübrigt sich, es genüge, darauf aufmerksam zu machen, daß wieder eine neue Auflage erschienen ist. Miehe. Arzneipflanzen Merkblätter desKaiserlichenGe- sundheitsamts. Berlin 1917. J.Springer. i,8oM. Das früher ganz allgemein in Deutschland übliche Sammeln von Kräutern war vor dem Kriege stark zurückgegangen, so daß ein erheblicher Teil aus dem Auslande bezogen wurde. Die veränderten Verhältnisse machen es aber wünschenswert, zu der alten Gewohnheit zurückzukehren. Zur P'örde- rung dieser Bestrebungen hat das Reichsgesund- heitsamt in Gemeinschaft mit dem Arzneipflanzen- aus«chuß der Deutschen Pharmazeutischen Gesell- schaft Berlin-Dahlem eine Reihe von 30 Merk- blättern herausgegeben, auf denen die in erster Linie von dem Drogenhandel verlangten Pflanzen dargestellt und beschrieben sind. Außerdem ent- halten die Blätter Angaben über das Vorkommen, die verwendbaien Teile, ihre Einsammlung und Trocknung. Auf einem besonderen Merkblatte sind die Winke über Zeit und Art des Sammeins, Trocknung und Aufbewahrung zusammengestellt. Diese Blätter sind in dem vorliegenden Bändchen vereinigt und mit einer Einleitung versehen, in welcher auch Hinweise auf die zweckmäßigste Organisation desSanimelns und die Absatzmöglich- keiten gegeben werden. Die farbigen Abbildungen sind die bekannten vorzüglichen des Strasburger- schen Lehrbuchs der Botanik. Miehe. Druckfehlerberichtigung. In dem Aufsatz von Dr. Häußler, in Nr. 36 der Naturw. Wochenschr. soll es auf S. 502, Sp. 2 etwa in der Mitte heißen: „anorganischer Salze" statt; „organischer". ; O. Herrmann, Ursprung, Verbreitung und Nutzbarmachung der chemisch-industriellen mineralischen Rohstoffe. S. 657. R. Krause], Die Seefelder bei Reinerz in Schlesien, ein des Schutzes bedürftiges Hochmoor. (3 Abb.) S. Ö59. — Einzclberichte: Rob ert K offer ath , Kaninchenjagd mit dem Frettclien. S. 664. W.Kranz, Wasserversorgung durch oflene Gräben, Sickerung, Drainage. S. 665. Arved Schultz, Die nutzbaren Mineralien des Pamir. S. 666. Max Schmidt, Über den Verschluß von Präparatengläsern. S. 666. Gerlach, Über die Einwirkung von gasförmigem Ammoniak auf Superphosphate und die Verwendung der gewonnenen Ammoniakphosphate. S. 667. H. Schroeder, Eocäne Säugetierreste aus Nord- und Mitteldeutschland. S. 668. Max Schlosser, Die zeitliche und räumliche Ver- breitung und Stammesgeschichte der fossilen Fische. S. 668. Siegel, Konzeptionsfähigkeit und Geschlechtsbestimmung beim Menschen. S. 670. — Blicherbesprechungen : MaxVerworn, Biologische Richtlinien der staatlichen Organisation. S. 671. Fitting-Jost-Schenck-Karsten, Lehrbuch der Botanik für Hochschulen. S. 672. Arzneipflanzen-Merk- blätter des Kaiserlichen Gesundheitsamts. S. 672. Druckfehlerberichtigung. S. 672. Manuskripte und Zuschriften rden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a, d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 2. Dezember 1917. Nummer 48. Die Veränderungen der Landoberfläche durch das Wasser. [Nachdruck verboten. Mit 9 Abbildi nüvTa qeI, „Alles ist in Fluß", dieser Grund- satz griechischer Naturphilosophie hat ein für allemal den Gedanken vom Stillstehen im Leben der gesamten Natur zu nichte gemacht. Auch in der Betrachtung der leblos, unbewegt, unverändert scheinenden Erdoberfläche spielt dieser Grundsatz eine große Rolle. Hier ist das alles bewegende, neue Veränderung wirkende Moment das Wasser. Nicht nur, daß es — vorausgesetzt, daß nicht ganz be- sondere Ereignisse eintreten — ewig rinnt und den WegzumMeere nimmt, ist das Wasser auch der Faktor, der die hauptsächlichsten Veränderungen der Land- oberfläche vor unseren Augen entstehen läßt. Im großen wie im kleinen verändert und umgestaltet es den Grund und Boden, auf dem der Mensch für seine kurze Erdenfrist sein Dasein aufgeschlagen hat. Das Bild vom „Strome des Lebens" in seiner ngen im Text. wechseln, werden diese deutlich oder undeutlich sein (Linien AB, CD, Abb. i). Die tieferen Teile als Sammelbecken der von den Hängen herab- rinnenden Wasser nennen wir Mulden (GH, IK, LM der Abb. i). Nähern sich zwei Mulden, so werden die in ihnen gesammelten Wasser einander zustreben und als gemeinsame größere Wasserader, als Fluß, werden sie weiter fließen, bis sie ihr Ziel, die Küste der aufgetauchten Insel erreicht haben. Durch solche Vereinigungen mehrerer Mulden und damit Stromlinien entstehen die Flußsysteme. Hat die Oberfläche dieser Ur- insei, wie man sie nennen könnte, insonderheit auffallende Formen wie Stufen oder rundliche, kesseiförmig allseitig abgeschlossene Vertiefungen, so wird entweder das Wasser in dem einem Fall über diese Stufen abstürzen, also einen VVasser- Abb. I. Diagramm einer Urobertiäche. (nach Davis: Erklär. Beschreibung der Landformen. S. 33). Übertragenen Bedeutung konnte nur ein guter Be- obachter des ewig fließenden Wassers wählen. Denken wir uns einmal den Fall, daß aus dem weiten Ozean eine Insel auftauche, deren Ober- fläche nicht ganz eben ist, sondern schon den Unterschied von hoch und niedrig erkennen läßt. Die Lage über dem Meere wird dieses Stück Erde sofort den Einflüssen der Witterung aussetzen. Ohne die Wirkungen der Luft, des Windes, des wechselnden Klimas zu beachten, sei nur dem Wasser das Augenmerk geschenkt. Der fallende Regen wird die Oberfläche der Insel treffen und ent- sprechend den großen Verschiedenheiten der Ober- flächenform von den höheren Stellen zu den tiefer gelegenen rinnen, d. h. die Höhenzüge werden also die Wasser trennen. Wasserscheiden haben sich gebildet. Je nach der besonderen Ausgestaltung der Erhebung, die in ihren Umrissen Abb. 2. Die Entwicklung der Talgebänf (nach Davis: Erkl. Beschreibung der Landformen. S. 62). fall (Q) bilden, oder es wird im zweiten Falle sich als See in jener Vertiefung sammeln. An allen diesen Urformen, wie sie von Natur aus gegeben sein sollen, wird nun die Arbeit des Wassers einsetzen; so wird als not- wendige Folge die Arbeit diese einstmals vor- handenen Urformen verändern, sie zu Folge- formen machen. Hier beginnt nun unsere eigentliche Betrachtung, die der Arbeit der Flüsse und der Entstehung der Folgeformen gelten soll: Das [aus den Wolken im Regen fallende] Wasser muß notwendigerweise den Untergrund beein- flussen. Je nachdem dieser entsprechend seiner geologischen Beschaffenheit hart oder weich ist, wird diese Arbeit schwerer oder leichter auszuüben sein (vgl. hierzu Abb. 2). Es werden jedenfalls Vertiefungen im Erdboden entstehen. Jeder Regenguß läßt an aufgeschütteten Halden, Schutt- 674 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 48 häufen, Straßenrändern solche „Regenrinnen" entstehen und beobachten. Sie sind aufs Große übertragen der Anfang jedes Tales. Das prüfende Auge erkennt hier schon Unterschiede der Wasserführung, der Richtung und der Größe von Haupt- und Nebental (vgl. Abb. 2). Der Fluß „erodiert", von lat. erodere = abnagen, weg- fressen; der Vorgang selbst ist die Erosion, d. h. die linienhaft wirkende Tiefenarbeit des Wassers. Die hier geleistete Arbeit ist vergleichbar der einer „Säge"; ebenso wie diese wirkt sie von oben nach unten, also in vertikaler Richtung. Der in der Landoberfläche zunächst geschaffene Einschnitt muß also eigentlich senkrechte Wände zeigen und durch die fortschreitende Arbeit des Flusses immer tiefer werden. Nun kann aber die Durchfeuchtung der Talwände durch das Grund- wasser einerseits, durch das nun auch auf die neuen bloßgelegten Flächen wirkende Regenwasser und den Fluß selbst andererseits, nicht ohne Einfluß auf diese bleiben. Es tritt somit ein langsamer Ausgleich der Formen ein. Die Hänge werden abgespült und dadurch flacher. Das Profil des Flusses wird die bekannte Form eines V an- nehmen. Da die gesamte Arbeit noch nicht lange von dem Flusse ausgeübt wird, können wir die hier geschaffenen Formen als „jugendliche" bezeichnen. Die Tiefenarbeit herrscht vor, die Bearbeitung der seitlichen Wände ist noch Neben- sache (A in Abb. 2). Der Fluß wird weiter sein Bett vertiefen, zugleich aber wird die Arbeit an den Talwänden Schritt zu halten versuchen. Diese Talwände werden flacher, ohne eine regelmäßige Form anzunehmen; Unebenheiten, Felsvorsprünge, werden noch das Landschaftsbild beherrschen. Die Talformen sind in ihrem Alter schon etwas vorwärts gekommen (2). Die Verwitterung durch Luft, Wind und Wasser beeinflußt auch diese Felsnasen; der sich bildende Verwiite- rungsschutt wird den Abhang abwärts rut- schen und Schutthalden an den Hängen bilden, die den Fels wieder verhüllen und das Profil des Tales ausgleichen (B und C in Abb. 2). Der Fluß hat inzwischen Zeit gehabt, Unebenheiten in seinem Bett, die zu Wasserfällen, Strudeln und Richtungsveränderungen Anlaß geben, durch kräftige Arbeit zu beseitigen. Sein Lauf, der vor- her, in der Zeit der „Jugend", unruhig, ungestüm, stolpernd war, wird allmählich ruhiger, ausge- glichener. Die Arbeit in die Tiefe läßt immer mehr nach, dafür wird die Veränderung der Gehänge, also die Wirkung nach der Seile, größer. An ihnen bewirkt die Abspülung des Regens und die Verwitterung im aligemeinen eine Erniedrigung und damit eine noch flachere Form. Der Abstand der Talwände wird immer größer, das Tal immer breiter (C und D in Abb. 2). Der Fluß kommt in ein Stadium, in dem er träger dahinfließt und aus Mangel an Gefälle seinen Lauf verändert, in dem er von einer Seite des Tales zur anderen fließt, ja wohl auch schon dabei wieder das Ufer selbst bearbeitet (D in Abb. 2). Die Talformen nehmen mit ihren flachen, von Schutt überzogenen, weit sich voneinander entfernenden Hängen, dem breiteren Talboden und dem die Aue querenden P'luß die Zeichen des vorgerückten Alters, der Reife, an. In diesem Reifestadium der Tales sind müde Windungen ^Mäander (benannt nach dem diese Laufform typisch aufweisenden Fluß in Kleinasien) dem alternden Flusse eigentümlich (E in Abb. 2). Die Kraft zum Einschneiden erlahmt immer mehr, die Hänge bearbeitet aber noch immer der abspülende Regen. Zugleich aber schafft der bald an diesem, bald an jenem Ufer anprallende, durch die Aue pendelnde Fluß hier wieder steile F'ormen durch die Benagung der bis dahin flacher gewor- denen Gehänge; es entstehen Prallstellen, deren senkrechte Wände den an ihrem Fuße nagenden Fluß überragen (D in Abb. 2). Der Querschnitt ähnelt dann mehr dem eines Kastens. In seinen verschiedenen Stadien der Kindheit, der Jugend, des Alters und der Reife wechselt also der Querschnitt des Flusses derart, daß zu- nächst ein schluchtartiges Profil entsteht (I Abb. 3): wir sprechen dann wohl von einer Klamm oder einem Kanon. Die Talwände sind steil, der Talboden äußerst schmal; die Tiefen- arbeit überwiegt. Allmählich entsteht das steil- V-förmige Profil (II): die Seitenwände flachen Abb. 3. Que sich durch Abspülung der oberen Erddecke ab, noch stehengebliebene Felsen verwittern, die Tiefenarbeit läßt nach. Die seitliche Bearbeitung der Talwände ermöglicht das flach -V-förmige Profil (111). Bei weiterer Abschrägung der Ge- hänge und Verlangsamung der Tiefenerosion ent- stehen breite Talböden (IV) mit teilweise wieder steilen Wänden (Kastenprofil). Noch aber hört die Entwicklung nicht auf. Die Steil- wände werden durch den flächenhaft spülen- den Regen wieder abgeflacht (V); die Hänge ver- schwinden allmählich ganz, das ganze Land wird flacher und immer flacher in der Umgebung des Flusses, es wird am Ende fast eingeebnet sein (VI). Damit endet die Entwicklung des Ouerprofils. Dem Querschnitt in seinen verschiedenen Stadien und Formen entspricht die Veränderung des Längsprofils. Es ist dies die Verbindung des Quellpunktes mit der Mündung. An allen Stellen arbeitet der Fluß an der Tieferlegung seiner Sohle. Es muß durch diese Arbeit das ur- sprüngliche Gefälle immer geringer werden, der Vorgang der Tiefenarbeit selbst also durch diese sich allmählich abschwächen; ein Minimalge- fälle wird erreicht werden, bei dem die Tiefen- arbeit aufliört, wo die Wasserkraft gerade noch N. F. XVI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 675 ausreicht, das Wasser selbst vorwärts zu bewegen. Der Fluß hat dann sein Gefälle ausgeglichen und ein Endgefälle erreicht. Dieses kann nie gleich Null sein, denn horizontal kann kein Fluß fließen; die Quelle muß stets höher liegen. Entprechend der geringeren Wassermenge im Oberlauf wird das Gefälle dort steil sein; die Zunahme der Wassermenge und die Art dieser Zunahme wird das Längsprofil derart beeinflussen, daß es in dem Mittel- und Unterlauf flacher gestaltet ist. Im ganzen also wird die Verbindung von Quelle zur Mündung die Gestalt einer Kurve haben, die in ihren Einzel- heiten wechselt (Abb. 4). Diese Endkurve wird nun nur dadurch erreicht, daß die nagende, sägende Tätigkeit des Flusses rückwärts wirkt. Setzt man ein gleichmäßiges Anfangsgefälle des Flusses voraus, so wird entsprechend der nach unten hin zu- nehmenden Wassermenge hier die Erosion am stärksten einsetzen und sich nach oben hin fort- setzen. Es ist dies das Grundgesetz der rückwärtsschreitenden Erosion. Niemals aber kann dabei eine Flußstelle — von Strudel- Abb. 4. Längsprofile des Tales. löchern abgesehen — tiefer eingeschnitten werden als die nächst abwärts gelegene. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß das Ouerprofil des Flusses bedingt ist durch die Tiefenarbeit, durch die Seitenarbeit und durch die Abspülung der Gehänge; die Tiefen- erosion will die Gehänge steil erhalten, die Seiten- erosion will sie zurückdrängen, die Abspülung an den Tal wänden will sie abflachen. Anders das Längs- profil: Das Wasser arbeitet dauernd an seiner Vertiefung, es gleicht das Gefälle aus, es bearbeitet das Längsprofil im Rückwärtsschreiten. Für die Veränderung beider, des Längs- und des Quer- profils, bedarf der Fluß einer gewissen lebendigen Kraft (k); diese wiederum ist bedingt durch die Wassermenge (m) und die Wasserge- schwindigkeit (v). Es ist in eine Formel gefaßt : k = m ■ v. Die Größe der Wasser- geschwindigkeit wiederum hängt ab von der Menge des zu Tal fließenden Wassers und vom Neigungswinkel der Talsohle. An einem Beispiel erörtert berechnet sich das Gefälle (G) eines Flusses leicht aus dem Höhenunterschied zweier Punkte der Laufstrecke und dem linearen Abstand (E) beider Funkte; somit ist G = -j^ oder in Zahlen ' E berechnet : Hl = So m E(ntfernung) Aj — A2 = 4° km Ho = 60 m „ 20 , , , , f 1 -^ G = — = V" d. h. I m auf 2 km. H„ = 20 m 40 Aber auch die Wasser menge ist Schwan- kungen unterworfen. In erster Linie sind das Klima des Landes und die Niederschläge ihre Regulatoren. Immer aber wird die überall vor- handene und zu beobachtende lebendige Kraft desWassers indreifach verschiedenerWeise der Arbeit sich äußern. Sie wird einmal erodieren, d. h. das Flußbett abnützen, ausnagen; das geschieht sowohl in die Tiefe bei starker Erosion, nach der Seite bei schwächerer Erosion. Auf jeden Fall wird aus dem schmalen Flußbett das Tal. Dieselbe lebendige Kraft des Wassers wird sich aber auch äußern im Transportiere n. Die vom Wasser am Talboden und an den Tal- wänden gelösten Geröll- und Sandmassen werden fortgetragen, bis die Kraft des Flusses erlahmt. Dann wird eine dritte Arbeit geleistet, d. i. das x\b lagern. Da, wo die Wasserkraft zu schwach wird, um das bis dahin mitgeschleppte Material weiterzutragen, bleibt es liegen. Alle drei Arbeiten stehen natürlich in inneren Zusammenhängen mit- einander. Zumeist wirken sie alle drei gleich, nur überwiegt immer die eine an der betreffenden Stelle. Es wird die Arbeit der Erosion und des Transports vorwiegend im Ober- und Mittellauf vom Fluß geleistet werden, während im Unter- laufe die Ablagerung vorwiegt. Die einfachen Erwägungen über den Lauf eines Flusses und seine Talformen, den bedingten Wechsel des Quer- und Längsschnittes und der vom Wasser geleisteten Arbeit ergeben den Schluß, daß hier dauernde Veränderungen vor sich gehen. Sie mögen dem Auge des Menschen — wenigstens in ihren Endmaßen — verborgen bleiben, aber sie beeinflussen im ewigen Fortbestehen die Oberfläche und geben ihr stündlich ein wechselndes Aussehen. Da nun diese Veränderungen jedes Tal betreff'en, also auch 2 benachbarte, nur durch einen Höhen- rücken getrennte Täler, so muß dadurch unmittel- bar eine Veränderung der gesamten Um- gebung der Tallandschaften eintreten. Haben zwei Flüsse in ihren Anfangsstadien in einiger Entfernung von einander sich in eine Hoch- fläche eingeschnitten (vgl. Abb. 5, 6 und 7), so bleiben zunächst ausgedehnte Stücke unbeeinflußt durch die in den Tälern sich abspielende Arbeit stehen. DieRänderdieser „Riedel", d.h. der stehen- gebliebenen ebenen Teile der Hochfläche, werden scharfkantig sich absetzen gegen die Klammwände (Abb. 5). Ganz allmählich werden diese Riedel- flächen abgeböscht zu den Tälern hin. Es ent- stehen allmählich „Rücken", die, mit den Tal- wänden verwachsen, sich trennend zwischen die beiden Täler einfügen. Nur da, wo zwei Täler nahe beieinander sind, oder wo dem Gestein ent- sprechend die Flüsse rasch einschneiden können, entstehen steilere Formen zwischen den Tälern; ein Grat als Kammlinie wird gebildet werden, von dem steil die Talwände nach beiden Seiten zum Fluß führen (Abb. 5a u. 5b). Schutthalden ohne Vegetationsdecke zeigen oft dieses infolge rasch wirkenden Regens geschaffene Bild. Die Trocken- gebiete des westlichen Nordamerika weisen in weiter 676 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. Ausdehnung solche, von Schluchten und tiefen Taleinschniiten durchzogene Landschaften auf, deren Queren unmöglich ist. „Schlechtes Land" = Bad land nennt sie der Amerikaner. Unser gleich- mäßig zwischen Feuchtigkeit und Trockenheit wechselndes Klima gestattet fast überall das Ent- stehen einer die Erdoberfläche schützenden Vege- tationsdecke und verhindert damit das Entstehen solcher Gratlandschaften. Aber auch die Gratformen bleiben nicht ewig bestehen, sie werden zu Rückenlandschaften mit flachgewellter Ober- fläche. Die Veränderung geht weiter; sie ebnet Der vorher in diesem Tale fließende Fluß verliert sein Haupt, denn dieses muß nun dem neuen Flusse folgen und das alte Tal wird entweder ohne Wasser sein oder nur an Spuren von Wasser- resten und dem Geröll den ehemaligen Wasser- lauf erkennen lassen können. An den Quellflüssen der Donau bei Tuttlingen ist diese Anzapfung durch die zum Rhein fließende Wutach heule noch deutlich erkennbar. Donau und Aitrach fließen hier in 700 m Höhe in breiten Tälern nach Osten; im Süden liegt, nicht weit entfernt und nur 300 m hoch, der kräftig (Zwischenstufe) llllllllllll llflllllWiiWM n:rT.^^^^^TT7rrmmwffTTTnT>^ genindete Rücken (Alter) ^T^tT iMliiiiiiiillIiHllliiiilifW Abb. 5. Veränderung der LandoberflUche (nach Pen a) bei geringer Taltiefe. b) bei großer Taltiefe ck). Abb. 6. Regenrinnen auf ge- neigtem Boden (Riedelformen). das Land zwischen den beiden Tälern ein. Es entsteht die fast ebene Landschaft, die „Fast- ebene" oder „Peneplain", auch Rumpfland- schaft genannt; denn das Land erscheint nun- mehr als ein Rumpf, dem seine hauptsächlichsten Glieder genommen sind. Fließen die Flüsse einander parallel und haben sie gleiche Wasserführung und gleiche Gesteins- ^verhältnisse auf ihrem Laufe, so werden im all- gemeinen von beiden Seiten her die Wirkungen dieselben sei. Sie werden wechseln mit veränderten Verhältnissen des einen der Flüsse. Stärkere Wasserführung auf der einen Seite wird eine raschere Arbeit dieses Flusses und damit eine stärkere Beeinflussung der Talwände und der Hoch- fläche überhaupt nach sich ziehen; dasselbe gilt von einem Wechsel im Gestein. So werden die Folgeformen, die sich allmählich zwischen den Tälern aus der ursprünglich angenommenen ebenen Hochfläche herausbilden, wechseln in Lage, Höhe, Form. Fließen zwei Flüsse aufeinander zu, so wird an ihrer Mündung die beiderseitige Wirkung sich verdoppeln, also an der Beseitigung der Höhen mit verschärfter Kraft arbeiten, im Gegensatz zu den Quellgebieten, wo die wirkenden Kräfte noch weit voneinander getrennt sind (vgl. Abb. 6 und 7). Nähert sich einem Flusse, der langsam zu Tal strömt, ein anderer Fluß mit seinem Ouellgebiet, so wird dieser den trennenden Rücken zu beseitigen suchen. Seine Arbeit wird infolge des größeren Gefälls rückwärts wirkend den Rücken zersägen und in den Lauf des anderen I^'lusses eingreifen. Es findet eine Anzapfung statt (Abb. 8 und 9). ^r^TTT 1^ arbeitende Rhein. Ein Nebenfluß des Rheins, die Wutach hat bei Achdorf und Blumberg in den Lauf der Aitrach eingegrifi'en und den Fluß ge- köpft, dessen Oberlauf schon auf 550 m ein- schnitten ist. Hoch darüber öffnet sich bei Blum- berg das verlassene Tal, in dessen Boden nur ein kleiner Bach, der Schleifebach, sich hineinarbeitet, ein Zwerg im Riesen- bett. In der ur- sprünglichen Rich- tung der Wutach greift ein anderer Bach, der Krotten- bach weiter zurück und wird wohl der- einst einmal die Donau selbst an- zapfen. Die Folge dieser veränderten Laufge- staltung der Flüsse ist eine notwendige VeränderungderGe- ländeformen. Immer wird die Endform die Ebene oder besser gesagt die „Fastebene" sein. Die Entwicklungsreihe der durch die Arbeit des fließenden Wassers geschaffenen und zu schaffenden Formen wird sein : anfangs eine leichte Durchfurchung durch steile Schluchten zwischen breiter Riedellandschaft, dann tiefere Zer- talung mit flacheren Talhängen und Restflächen dazwischen, dann Ausbildung der Riedel- und \,^ ->^*a^^W/. Abb. 7. Zertalte Landschaft mit stehengebliebenen Restflächen (Riedel). N. F. XVI. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 677 und Restflächen zu einem GebirgsreUef, endlich die Abtragung des letzteren zu einer sanftwelligen Landschaft. Der amerikanische Geograph William iVIorris Davis,') dem wir über diese Gebiete der Mor- phologie die wichtigsten Arbeiten verdanken, spricht nach der Entwicklung der Urformen zu Folge- und Endformen von einem Zyklus, das wir mit Abi auf wiedergeben wollen. Normal ist dieser Zyklus, wenn die Veränderungen durch das Wasser erfolgt; seine volle Ausgestaltung aber ist nur möglich, wenn vollständige Ruhe im Erdinneren rufen. Herrschte auf der Erdoberfläche eine ausge- sprochene, undenklich lange Zeiten währende Ruhe, so müßten die vollständig entwickelten Fastebenen häufig auftreten; diese aber gehören zu den Seltenheiten. Die Bodenbewegungen, von den kleinsten Ausmaßen kaum merklicher Verände- rungen bis zu den großen der Brüche und Fal- tungen sind aber nun in der Natur so häufig, daß es in den allerseltensten Fällen der Bearbeitung der Erdoberfläche durch das Wasser zu einer in einem einzigen Ablauf geschaffenen Fastebene kommt. Veränderungen der Landoberfläche durch Abb. 8. Bevorstehende Anzapfung eines Tales Abb. 9. Vollzogene Anzapfung. die Erdoberfläche der Wirkung des fließenden Wassers, also dem Regen und derGehängeabspülung ausgesetzt sein läßt. Tektonische Bewegungen an irgendeiner Stelle der Tallandschaft würde natur- gemäß die einmal begonnene Arbeit unterbrechen; sie muß dann von neuem aufgenommen werden. Die Formen werden demgemäß nicht die gewöhn- liche Entwicklung, wie wir sie oben ableiteten, nehmen können. Hebung eines Landteils, Ver- biegung, Aufwölbung oder Bruch im Verlauf der Arbeit des Wassers an einer Erdstelle werden das Ende eines „Ablaufs" und seiner Formenreihen inner- halb der früheren bedeuten. Nur ist dieser „Ablauf" unvollständig geblieben, er hat nicht als Endform die völlige Einebnung der Landschaft hervorge- ') W. M. Davis, Die erklärende Beschreibung der Land- formen. Leipzig, Teubner 19 12. — Davis-Rühl, Grund- züge der Physiogeographie. Leipzig, Teubner 1911. ■ — Davis, Practical exercises in physical geography, mit Atlas. Chicago 1908. tektonische Bewegungen können ein Tiefland zum Hochland werden lassen oder umgekehrt, die Lage zum Meere kann sich ändern und damit erleidet die Basis, an die jeder Fluß mit seiner Tiefenarbeit sich anlehnt, eineVerschiebung undVeränderung, die sich dem weiteren Flußlaufe mitteilen und seine Formen- bildung beeinflussen muß. Immer werden Ver- änderungen des Klimas damit verbunden sein. Knüpften sich unsere Betrachtungen über den „normalen Zyklus" an ein feuchtes Klima unserer geographischen Breiten, so werden klimatische Änderungen einen anderen Verlauf in den Ver- änderungen der Erdoberfläche bedingen. W. M. Davis stellt seinem normalen Zyklus der Wasser- arbeit einen Zyklus der Trockengebiete {= arider Zyklus), einen Zyklus der vereisten Gebiete (= glazialer Zyklus) und einen Zyklus der Küsten- gebiete (= mariner Zyklus) zur Seite. In noch folgenden kurzen Abrissen sollen auch diese skizziert werden. Kleinere Mitteilungen. über eine merkwürdige Oszillation des Rhein- spiegels. (Mit 2 Kurven im Text.) Bald nahen wieder die Tage, wo dichter Nebel den Schiffs- verkehr auf unseren Strömen und Flüssen behindert und die Fluten zeitweise ungestört von den peitschenden Schlägen der Schiffsschrauben und Räder sich ergießen können. Mit dichtem Nebel ist meist auch Windstille verknüpft, es entfällt also gleichfalls die Störung, welche der Winddruck der ungebändigten Entfaltung der Stromtätigkeit entgegensetzt. — An solchen Tagen kann ein nachdenklicher Spaziergänger auf den Leinpfaden an unserem Strome eine Wellenbewegung des Wasserspiegels studieren, die es verdient, näher untersucht zu werden. Da, wo eine der zur Korrektion des Strom- laufes eingebauten Buhnen mit ihrem Rücken unter dem Stromspiegel versinkt, bemerkt man ein Steigen und Fallen des Wasserstandes, das sich in einer verstärkten oder verminderten Wellen- bildung äußert. Am verständlichsten werde ich 678 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 48 sein, wenn ich den konkreten Fall beschreibe, an dem ich das Phänomen zuerst erkannte. Meine Beobachtungen begannen im Räume, der durch die Kilometersteine 140,5 bis 143 auf dem linken Ufer des Rheins bei Mehlem, dem Siebengebirge gegen- über, bezeichnet ist. Dort sind eine ganze Reihe von Buhnen (Kribben, wie man am Rheine sagt) ein- gebaut, deren Rücken sich mit ganz flachem Ab- falle ins Strombett senken. Bei einem Kölner Pegelstande von 2,75 bis 3,00 m tauchen diese Rücken mehr oder weniger weit aus dem Wasser hervor und stauen dieses an, so daß sich ein Unterschied des Wasserstandes ober- und unter- halb erkennen läßt. Der dadurch bedingte kleine Wasserfall — oder die Stromschnelle — erzeugt eine Reihe von stehenden Wellenkämmen, die gewöhnlich in 4 — 6 Reihen, parallel zum Buhnen- rücken, unterhalb desselben sich zeigen. Von Zeit zu Zeit verschwinden diese Wellen- kämme vollkommen, und eine ganz glatte Oberfläche nimmt ihren Platz ein; es herrscht Stauwasser, der Strom hört nicht allein auf — ja er kehrt sogar meist seine Richtung um! Diese Ruhe dauert lO — 20 Sekunden, das Wasser hat seinen Höchststand erreicht. Nun tritt natürlich ein Fallen ein, erst langsam — dann schneller und schneller. Es bildet sich ein kleiner Wellenzug unterhalb der Buhne, einige Sekunden später ein zweiter, dann ein dritter usw., man erkennt, das Wasser fällt schnell. Mit dem Fallen wächst der Druck des Wassers, und bringen die Wellen im Fallen ein ziemlich großes Geräusch hervor. Nach einer bis anderthalb weiteren Minuten flauen die Wellen- berge ab, das Geräusch läßt nach und verschwindet bald, der Wasserstand steigt wieder und nach kurzer Zeit ist sein Höchststand, und damit die ruhige Oberfläche, wieder eingetreten. Dieses Wechselspiel kann man in seiner Ungestörtheit so lange verfolgen, bis der Schiffsverkehr wieder einsetzt. Der große und heftige Wellenschlag der Rheinschlepper überlagert und stört die ge- schilderte langsame Wellenbewegung derartig, daß sie nur sehr schwer erkennbar wird, wobei auch ihre Periode gänzlich verzerrt erscheinen kann. Ein aufmerksamer Beobachter, der das Phänomen einmal erfaßt hat, kann aber auch durch die Störungen hindurch es verfolgen und sich von seiner Großartigkeit überzeugen. Die Dauer einer ganzen Oszillation beträgt etwa 2 bis 2^ Minute, je nach dem Wasserstande des Rheines, und damit je nach der Größe der Wassermasse, die jeweils an der Schwingung be- teiligt ist. Am 13. Oktober 1916 beispielsweise fand ich. mit II Uhr 2 Minuten 10 Sekunden beginnend- 2' 00" — 2' 00" — 2' 05" — 2' 05" — 2' 05" — 2' 05" — 2' 05" als Periode. Am II. Oktober, bei böigem Winde, maß ich, um 4 Uhr 59 Min. 30 Sek. beginnend: 2' 10" — 2' 20" — 2' 30" — 2' 10" — 2' 40" (Störung durch einen vorüberfahrenden Dampfer 1) — 2' OO" — 2' 15" ^ 2' 05" — 2' 20" — 2' 20". Im Mittel 2' 17". Am 15. Okt. zählte ich für 21 Oszillationen 45 Minuten 30 Sekunden, dies gibt im Mittel 2730 130 Sekunden = 2 Min. 10 Sek. für eine Periode. Im Januar 191 7 fand ich 2' 21" als Mittel von 2 Zählungen von 16 und 8 Oszillationen (am 18. und 23.). Im Februar, bei großer Kälte und niedrigem Wasserstande, 2 Min. und 30 Sekunden als Mittel von 14 Wellen. Bemerkt sei, daß das vorhin erwähnte Ge- räusch ein sehr guter Indikator bei diesen Ver- suchen bildet , wenn man das jeweilige Ein- treten des Geräusches mit der Uhr verfolgt und nur die Perioden bis zum x*'^" Geräusche zählt. Diese Zahl, in die Anzahl der durch die Uhr festgestellten Sekunden geteilt, gibt die Periode. Bei großer Kälte ist dieser Modus der einzig praktikable, weil man während des Zählens am Ufer hin und hergehen kann, um sich zu er- wärmen. Bei höherem und niederem Wasserstande als obiger Pegelangabe entspricht, also bei Überflutung oder gänzlichem Trockenliegen der Kribben war diese .'\rt der Beobachtung nicht mehr durch- führbar. Ich suchte längere Zeit nach einem Hilfs- mittel, auch jetzt den Oszillationen des Strom- spiegels nachzuforschen, bis ich es in einem, auf den Grund geratenen, mit Wasser fast gefüllten Kahne fand. Ich nahm, ähnlich wie es Dr. Forel bei seinen klassischen Untersuchungen der Schwankungen des Genfer Sees tat, ein an beiden Enden etwas verengtes Glasrohr von 5 mm lichter Weite und 40 cm Länge, dem an jedem Ende ein etwa 60 cm langer Gummischlauch übergestülpt war. Dieses Rohr wurde durch Untertauchen im Strome mit Wasser gefüllt, das eine Ende mit den Fingern zugekniffen, und über den Bord in das Wasser des Kahnes gesteckt und dann freigegeben, während das andere Ende im Rheine lag. Bald waren die Wasserspiegel im Kahne und im Flusse ins Gleichgewicht gekommen. Mittels meines Spazierstockes wurde die horizontale Lage des Glasrohres auf dem Borde des Kahnes gesichtert und es konnte beobachtet werden. — Steigt das Wasser im Rhein, so drängen die Trübungen, die ja im Wasser des Stromes nie fehlen, in dem Rohre nach der Kahnseite, fällt das Wasser, so drängen sie nach außen. Ein untergelegtes Blatt Papier erleichtert das Erkennen des Trübes. Die Umkehr der Bewegung wird stets durch einen kurzen Stillstand charakterisiert, der ein scharfes Kennzeichen für das Zählen abgibt. So fand ich die Periode für eine Oszillation einmal 2 Min. 19 Sek., ein ander Mal 2 Min. 12 Sek. und auch 2 Min. 17 Sek. Ein ganz einfaches Hilfsmittel zur Beobachtung der Oszillation bei Hochwasser fand N. F. XVI. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 679 ich jüngst in einem einfachen Schwimmer, einem Kork beispielsweise, der an einem längeren Faden etwa 8 — 10 m vom Ufer entfernt und wenigstens 20 m oberhalb einer überfluteten Buhne vor Anker liegend an der Oberfläche des Stromes frei sich bewegen konnte. Während er bei fallendem Oszillationsstrome sich in dessen Richtung, unter deutlich erkenn- baren Zuge, einstellte, kehrte er mit dem ein- tretenden Stauwasser seine Schwimmrichtung um — er trieb ohne jeden Zug. Diese Umkehre geben ein recht scharfes Merk- mal zur Beobachtung der Zeit. iVlit diesen Feststellungen war der erste Wissens- durst gestillt und wandte ich mich zur ver- gleichenden Betrachtung des Verhaltens des Wasser- spiegels an den weiter oberhalb und unterhalb gelegenen Buhnen. Dies war ein schwierigeres Unternehmen, denn wenn ich auch von einem er- höhten Punkte bei klarem Wetter mit meinpm Feldglase leicht 2 — 3 Buhnen jeweils ober- und unterhalb übersehen konnte, so versagte doch dies Hilfsmittel bei nebeligem Wetter gänzlich. — Ufer sich stets in der entgegengesetzten Oszillationsphase befinden. Wir hätten damit ein Oszillieren des Wassers um eine in der Längsrichtung des Stromes liegende Achse, wobei infolge der talwärts gerichteten Bewegung des Gesamtstromes eine scheinbar schlangenförmige Bewegung resultiert. Zur Messung des Voranschreitens der Oszillation wäre die Verteilung einer Reihe von Beobachtern auf beiden Ufern nötig, die mit genau verglichenen Uhren das zeitliche Auftreten der Maxima verfolgten. Auf diese Weise wäre die qualitative Seite der Erscheinnng behandelt, es erübrigt sich dann noch, die quantitative zu untersuchen und zu erforschen, welches Wasserquantum bei jeder Oszillation hin- und hergeworfen wird. Mit Leichtigkeit wäre dies mittels einer Reihe von selbst schreibenden Mikropegeln festzustellen, deren Aufzeichnungen die Amplitude jeder Welle herzuleiten gestatten. Aus diesen Daten und der Kenntnis der Orographie des Flußbettes wäre die Berechnung des Phänomens anzustellen und seine Erklärung gegeben. — Pfeile geben die Richtung des Oszillationsstromes Beobachtungsbuhne B im Hochst.ind O ist. Ich muß mich darauf beschränken, mitzuteilen, daß dies Fallen und Steigen nicht einheitlich auf einer Flußseite statthat : Während die Beobachtungsbuhne Hochstand hat, ist die talwärts gelegene bereits im Abschwellen und die bergwärts liegende im zunehmenden Wasserstande. Es hat somit den Anschein, als wenn die Oszillationswelle gegen die Stromrichtung liefe. Auch habe ich versucht, inittels des Feld- stechers festzustellen, wie zur selben Zeit auf dem rechten Rheinufer die Periode sich äußerte. Das Auftreten und das Verschwinden der Wellenkämme unterhalb der Buhnen bot ja ein — trotz der Breite des Stromes (hierselbet bis zu 500 Meter) — er- kennbares Signal. Leider sind die Umstände nicht günstig; während auf dem linken Ufer die Buhnen bis zu 40 m in den Strom ragen; reichen sie auf der rechten Seite bis zu 125 m weit hinein. Hierdurch und durch die größeren Sandbänke, die sich zwischen den langen rechtsseitigen Buhnen ab- gelagert haben, werden die Beobachtungen mit dem Fernrohre erschwert, weil die zu übersehenden Flächen zu große sind. Wenn aber nicht alles trügt, glaube ich heute schon aussprechen zu können, daß die einander gegenüberliegenden Ob diese beschriebene Oszillation eine allge- mein verbreitete Erscheinung, der alle Flüsse unter- worfen, oder ob sie nur lokaler Natur, kann alleinig durch Beobachten an recht vielen Stellen am Rhein sowohl als allen anderen Flüssen entschieden werden. -^ = Strompfei Abb. 2. Denkt man sich die schlangenförmige Figur in Richtung des >• fortbewegt, so erhält man ein Bild der Zu- stände der Phasen auf den beiden Ufern. Der Zweck dieser Zeilen ist, zur Mitarbeit aufzufordern. Der Verfasser ist gern bereit, bei ihm eingehendes Material zu sammeln, zu sichten und es zu verarbeiten. Die Beobachtungsmethode ist in vorstehendem gegeben. Natürlich müßte genau die Stelle jeden Flusses durch die Beobachter benannt werden, unter Beifügung einer Skizze, aus der die Umstände, insbesondere der Lauf nach der Himmelsrichtung, die Breite und Tiefe und die Wassergeschwindigkeit ersichtlich sind, auch störende Momente wie Inseln, Sandbänke, Brückenpfeiler usw. Albert Hofmann (Mehlem). 68o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. Bticherbesprechungen. Schroeder, Prof. Dr. H., Die Hypothesen über die chemischen Vorgänge bei der Kohlensäure-Assimilation. Jena 191 7. G. Fischer. — 4,50 M. Bekanntlich ist der Weg, auf dem die Pflanze das aus der Luft aufgenommene Kohlendioxyd in Kohlehydrat überführt, bis heute noch ein Geheim- nis, da entscheidende Beobachtungen über die im Chemismus der assimilierenden Zellen verlaufenden Vorgänge nicht vorliegen. Gleichwohl sind von Pflanzenphysiologen, wie namentlich auch von Chemikern eine ganze Reihe von mehr oder minder ausgebauten Hypothesen aufgestellt worden, die eine Vorstellung von dem mutmaßlichen Verlauf der aus Reduktion und nachfolgender Synthese bestehenden chemischen Vorgänge anbahnen sollten. Die Literatur über diesen allgemein wichtigen Gegenstand ist außerordentlich umfangreich und zerstreut. Es ist infolgedessen sehr dankenswert, daß der Pflanzenphysiologe Schroeder es unter- nommen hat, die Literatur zu sammeln, sie kritisch zu sichten und zu einer zusammenfassenden Dar- stellung zu verarbeiten. Diese ist ganz objektiv gehalten; angesichts der fehlenden experimentellen Unterlagen hat der Autor darauf verzichtet, selber die große Zahl der Hypothesen um eine eigene zu vermehren. Wohl aber legt er überall den Maßstab seines Urteils an und gibt, indem er auf Grund der gewonnenen kritischenUbersicht versucht, die Fragestellungen schärfer zu fassen, wertvolle Ausblicke und Anregungen für zukünftige Forscher- arbeit. Ein Fortschritt ist nach der Überzeugung des Verfassers nur möglich durch eine viel engere Fühlung zwischen der rein chemischen Unter- suchung und dem physiologischen Experiment, das in vollem Umfange der Gesamtheit aller der verwickelten Bedingungen Rechnung trägt, die in der lebenden assimilierenden Zelle gegeben sind. Bei der zentralen Bedeutung des Assimilations- problems darf die mühsame Arbeit Schroeder's der Beachtung sicher sein, sie klärt den Chemiker über das äußerst unübersichtliche Gelände auf, in das er sich meist allzu unbekümmert vorwagt, und unterrichtet in bequemer Weise den Pflanzen- physiologen über die zerstreute und wertvolle Vorarbeit, die bisher von den Chemikern geleistet ist. Miehe. Einstein, A., Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie. Mit 3 Figuren. Braunschweig 191 7. Fr. Vieweg. 2,80 M. Wir sind dem Verfasser zu besonderem Danke verpflichtet, daß er sich selber der Mühe unter- zogen hat, die von ihm aufgestellte fruchtbare und in ihren Wirkungen weitreichende Theorie gemein- verständlich darzustellen. Wenn vielfach behauptet wird, daß der Forscher, namentlich, wenn er sein eigenes Gebiet vornimmt, am wenigsten geeignet sei, die Wissenschaft für einen großen Kreis dar- zustellen, so trifft dies in diesem Falle nicht zu. Wer das vorliegende Heft aufmerksam studiert, wird zum mindesten eine deutliche Vorstellung von den leitenden Ideen bekommen, die der Rela- tivitätstheorie zugrunde liegen, wenn er auch vielleicht, trotz einfacher Fassung des mathema- tischen Rüstzeuges, die Gedankenkette nicht ganz lückenlos zu reproduzieren vermag. Miehe. Sachsze, Prof. Dr. R., Chemische Techno- logie. Grundlagen, Arbeitsverfahren und Er- zeugnisse der chemischen Technik. 2. Aufl. Mit 96 Abbildungen. Berlin und Leipzig 191 7. B. G. Teubner. Das kurzgefaßte Buch ist zwar in erster Linie für Schulen, namentlich für Handels- und Gewerbe- schulen bestimmt, ist aber auch, wie mir scheint, ein treff"liches Hilfsmittel für jedermann, sich über mancherlei Dinge des täglichen Lebens zu unter- richten sowie einen Einblick in unsere so hoch- entwickelte chemische Industrie zu gewinnen. Die außerordentliche Reichhaltigkeit möge aus den folgenden Kapitelüberschriften ersehen werden: Leuchtgas-, Erdölindustrie; chemische Industrie anorganischer Stofte ; Kälteindustrie; Eisen-, Metall- und Glashüttenwesen; Ton-, Zucker-, Stärke-, Zellstoff- und Papierindustrie; Holzdestillation; Fett-, Seifen-, Farbenindustrie; Veredlung der Webstoffe; Industrie der Explosivstofi'e; Kautschuk- industrie; Gerberei; Bildervervielfältigung und Druckverfahren. Über die einfachen Grundlagen hinausgehende chemische Kenntnisse werden nicht vorausgesetzt, doch werden vielfach die prak- tischen Beispiele zur Vertiefung der chemischen Bildung benutzt. Bei dem bedeutenden Umfange des Stoffes wird naturgemäß auf technisches Detail zugunsten der klaren Herausarbeitung der Grund- lagen verzichtet, das scheint mir aber gerade ein Vorzug zu sein, der es den Fernerstehenden er- leichtert, sich rasch über technische und industrielle Fragen zu belehren. Miehe. Inhalt I K. Krause, Die Veränderungen der Landoberfläche durch das Wasser. (9 Abb.) S. 673. — Kleinere Mitteilungen: Albert Hofmann, Über eine merkwürdige Oszillation des Rheinspiegels. (2 Abb.). S. 677. — Bücherbesprechungen: H. Schroeder, Die Hypothesen über die chemischen Vorgänge bei der Kohlensäure- Assimilation. S. 680. A. Einstein, Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie. S. 6S0. R. Sachsze, Chemische Technologie. S. 680. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstrafle 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lipperl & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 9. Dezember 1917. Nummer 49. Ein Alkoholrezept aus [Nachdruck verboten.] Eine Nachprüfung von Am 19. Juli d. J. legte Hermann Diels in der Gesamtsitzung der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin eine Ab- handlung des Bibliothekars an der Kgl. Bibliothek in Berlin, Prof. Dr. Hermann Degering vor, die als XXXVI. in den Sitzungsberichten dieser Akademie (S. 503 — 515) erschienen ist und bald auch an die Tagespresse weitergegeben wurde, in der am 18. August zu lesen war: „Es wird durch Vergleichung zweier mittel- alterlicher Alkoholrezepte, des längst bekannten aus einer I landschrift des Hospitals in S. Gimignano und eines bisher unbekannten aus einer für die Königliche Bibliothek erworbenen Handschrift aus dem 12. Jahrhundert aus Weißenau (Augia minor), die auf einem Schutzblatt unter anderen Ein- tragungen des 13. Jahrhunderts auch jenes Rezept enthält, der gemeinsame Ursprung dieser Rezepte nachgewiesen. Die stark verderbten Worte beider Fassungen lassen sich paläographisch durch einige Mittelglieder mit Sicherheit auf einen Archetypus des 8. Jahrhunderts zurückführen, was mit der übrigen Tradition dieser Rezepte (Mappae clavi- cula u. a.) stimmt. Dadurch ist die Herkunft dieses Alkoholrezeptes aus der Tradition des Altertums erwiesen." Nicht ich allein war auf die Einzelheiten des Nachweises gespannt, doch kam mir persönlich die Veröffentlichung erst Anfang Oktober zu Händen. Sie enthält, leicht vergrößert, die Schriftzüge der Berliner Eintragung in das Manuskript aus dem Württemberger Prämonstratenserkloster (gegründet 1 145) in Faksimile. Man kann sich also überzeugen, daß sie tatsächlich aus dem Anfang des 13. Jahr- hunderts stammen. Leider ist die Niederschrift aus dem Ospedale di Santa Fina in San Gimignano im Original noch nicht wieder aufgetaucht. ') Man muß sich also immer noch mit dem Abdruck bei Puccinotti vom Jahre 1855 begnügen, wenn man weitere Quellen nicht kennt, wie das für die Herren Diels und De gering zutrifft. Anknüpfend an frühere Versuche des Herrn Diels, die Kenntnis der Alkoholgewinnung dem Altertum zuzuweisen, wird also auf Grund einer Handschrift und eines zufälligen Abdruckes einer anderen vor 60 Jahren das Wagnis unternommen, mit fHlfe paläographischer Erwägungen für beide einen Archetypus des 8. Jahrhunderts glaubhaft zu machen. ') Ich selbst habe es 1913 versäumt, mich danach bei meinem Besuch des hochinteressanten etruskischen Felsennestes mit seinen zahllosen viereckigen Türmen umzuschauen, zweifle aber nicht daran, daß die Handschrift sich heute noch dort befindet. dem 8. Jahrhundert? Karl Sudhoff, Leipzig. Dem Herrn Verfasser scheinen selbst Bedenken über die Ratsamkeit eines solchen Vorgehens auf- gestiegen zu sein. Ein früher von selten eines der besten lebenden Kenner der Geschichte der (^hemie ausgesprochener Zweifel, ob das Sangimi- gnaneser Rezept wirklich im 12. Jahrhundert ge- schrieben sei, wird mit auffallender Schärfe zurück- gewiesen: zu Bedenken gebe „die genaue Be- schreibung Puccinotti's nicht die geringste Veranlassung". Und doch wäre es wohl ratsam gewesen, sich dessen Veröffentlichung etwas genauer anzusehen. Zunächst nagelt sich Puccinotti auf das 12. Jahrhundert keineswegs derart fest, wie es Degering erscheinen läßt. Er .sagt über die Zeit nur „risalgono alle scritture tra il duodecimo e decimoterzo secolo", läßt also die Möglichkeit völlig frei, dife Niederschrift in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts zu verlegen. Man fühlt sich dazu sogar gedrängt, wenn man die völlig zu- treffende Aufstellung Degering's: „meist ist die Schrift des .12. Jahrhunderts so klar und deutlich in ihren Formen und so sparsam einerseits und regelmäßig andererseits in der Verwendung von Kompendien und Abbreviaturen, daß sie selten besondere Schwierigkeiten für die Entzifferung bieten", prüfend neben die Worte hält, mit denen Puccinotti die von ihm benutzte toskanische Handschrift kennzeichnet: „per le moltissime abbreviature, ela loro tinta illanguidita rendonsi spesso assai difficili a 1 egge rsi". Jedenfalls dürften aber uiJter diesen Umständen Lesefehler nicht mit Bestimmtheit auszuschließen sein trotz der dem medizinischen Fachkollegen ausnahms- weise von philologischer Seite so freigebig zuge- standenen „reichen Erfahrung und Übung auf diesem Gebiete". Es kommt hinzu, daß Pucci- notti doch durch Bekanntgabe von ein paar Proben nur vorläufig Mitteilung geben wollte, eine Art Vorgeschmack von dem reichen Inhalt der von ihm eingesehenen Handschrift, der zur Vervollständigung bruchstückweise, nach mangelhafteren Handschriften, von de Renzi schon veröffentlicliter salernitanischer Texte dienen könne. Denn worum handelt es sich denn bei der Handschrift aus San Gipiignano? In dem wich-^ tigsten Teile, der im -12./13. Jahrhundert nieder- geschrieben ist, ') um das Compendium des Magister Salernus (ca. 1150/60 verfaßt). ■) Der Rest stammt gar aus dem 14. Jahrhundertl 682 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 49 die Practica des Magister Barthol omaeus (ca. II 20 verfaßt), dasViaticum des Konstantin von Afrika (ca. 1070 hergestellt). Von der ersten Schrift hatte de Renzi im 3. Bande seiner „Collectio Salernitana" 1854 nur einen recht unvollständigen Abdruck liefern können (nach einer verstümmelten Handschrift der Bibl. Laurenziana zu Florenz), und Puccinotti zeigt nun an einer kleinen Auswahl von 8 Kapiteln aus dem 78 Abschnitte zählenden Werkchen, wie viel interessantes Neues der vollständige Sangimig- naneser Kodex hinzubringe, darunter auch das in Frage stehende 31. Kapitel „De aqua ardente", vom brennenden Wasser. Ist dieser Sachverhalt denn so völlig neben- sächlich, daß der Leser der Untersuchung Dege- ring's davon gar nichts erfahren mußte? — — Es kommt noch etwas Weiteres hinzu. Jedem, mit dem Überlieferungszustand der Salernitaner medizinischen Literatur auch nur obenhin Bekannten, ist die Tatsache geläufig, daß der von deutscher Seite (He nschel) und französischer (Charles Daremberg) zur Veröffentlichung der ersten vier Bände seiner Collectio Salernitana erst in den Stand gesetzte italienische Gelehrte de Renzi nach Puccinotti's Kritik und ergänzenden Hin- weisen (erschienen 1S55) später (1859) noch einen 5. Band seiner Collectio hat erscheinen lassen. Dieser Nachtragsband, der im Buchhandel stets mit den vier anderen zusammen geliefert wird, bringt reiche Ergänzung zu den vier vorhergehen- den Bänden. De Renzi hat sich auch bemüht, die Handschrift aus San Gimignano zu erhalten, freilich ohne Erfolg, wobei politische Momente mitgespielt haben mögen. Für das „Compendium Magistri Salerni" vermochte er sich aber aus dem Nachlasse Baudry's de Balzac (Paris) Ersatz zu verschaffen, der ihm unterdessen zur Verfügung gestellt war. Baudry de Balzac hatte aus vier zum Teil interpolierten Pariser Handschriften einen umfänglichen Text von 127 Kapiteln des „Compendium Magistri Salerni" zusammenstellen können, den de Renzi Band 5 S. 201 — 232 zum Abdruck bringt. • ■ Natürlich fehlt darin auch nicht der Abschnitt über das brennbare Wasser; er ist der 47. in Baudry's Zählung, steht auf S. 214 und zeigt einen wesentlich besseren Text als den der Berliner Handschrift und des Abdruckes bei Puccinotti. Das gleiche gilt auch von einer Leipziger Hand- schrift des „Compendium Magistri Salerni", die allerdings erst aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammt. Der Papierkodex Ms. ij6i der Leipziger Universitätsbibliothek bringt das Compendium auf Blatt 162"^ — 173' und das Aquaardens-Kapitel auf Bl. 166"^ Sp. 2 bis Bl. iö6^' Sp. I in folgendem Wortlaut : *T Aqua ardens ad modum aque ros^acee fit hoc modo. Vini rubel perobtimi libra i. et salis rubel puluerizati uel etiam salis cocti in olla rudi calida [Bl. 166^] et 4. uncie ^) sulphuris viui et 4. tartari, omnia puluerizata in Cucurbita ponantur cum prefatis et ventosa superponatur et aquositas per nasum ventose exiens colligatur. Quo iniinctus pannus aliquis a flamma saluabitur sine substancie lesione et perdicione. Ut autem talis aqua diu seruari possit cum huius effectu, repponatur in vase vitreo non poroso, habens os strictum, et in eo V. uel vj. gutte olei ponantur et cera coopertum bene reseruetur. Hanc aquam si postea experiri volueris confidenter, sulphur viuum ignitum ter uel quater in eadem extinguas. Man sieht, gar manche der von Degering mit großem Scharfsinn gebesserten Textschäden der toskanischen und der süddeutschen Überliefe- rung sind in den Pariser Handschriften und dem Leipziger Kodex gar nicht vorhanden. Auch in der Pariser Überlieferung lautet die in Weißenau und San Gimignano so schwer korrumpierte wich- tigste Stelle sinngemäß vollkommen korrekt: „. . . a qua aquositate pannus intinctus servabit ^) flammam illesus. Item facit bonbax absque per- ditione substanciae . . ." Gelegentliches Fehlgreifen der Textemenda- tionen Degering's ist freilich gleichfalls ersicht- lich, z.B. im letzten Satze, kommt aber hier nicht in Betracht. Auf alle weiteren Einzelheilen kann diesmal nicht eingegangen werden, erübrigt sich auch unter der veränderten Sachlage, die sich folgender- maßen kennzeichnet. Wir haben nicht mehr zwei isoliert überlieferte Rezepte, sondern kennen bereits sieben Hand- schriften der Weingeistdarstellungsvorschrift, und alle diese, einschließlich des Berliner Textes, gehen auf die Aufzeichnung eines Autors aus der Mitte des 12. Jahrhunderts zurück.^) Das muß zunächst festgehalten werden. Magister Salernus lebte um das Jahr I150; er stellte sein „Compendium" und seine „Tabulae" wohl noch vor 1160 zusammen. Gilles de Corbeil, der ihn unter seinen Lehrern in Salerno preist, war bestimmt schon 1180 wieder in Paris, wahrscheinlich schon einige Jahre früher. Dem ') Das von Degering (und P ucci not ti) fälschlich als ,, Drachme" gelesene \ bedeutet im 12. — 14. Jahrhundert stets Unze! 2) Freilich das von Degering „wiedergewonnene" servibit aus dem „Vulgärlatein von Plautus' Zeiten bis auf Venanlius Fortunatus" findet sich nicht. Die karolingischen Klosterschüler hatten es ja auch ausgemerzt. — Es ist jedoch heute entbehrlich geworden wie andere Subtilitäten, einschliefi- lieh der „insularen Schrift", hinter der bekanntlich auch schon die Fragezeichen auftauchen. ^j Das Verhältnis aller Berliner Rezepte zum Compendium Magistri Salerni bedarf wohl noch genauer Prüfung, ebenso die 4 Pariser Handschriften und das Manuskript in San Gimi- gnano. All das kann aber nichts Wesentliches an dem oben gekennzeichneten Sachverhalt ändern. Da6 im 13. und wohl schon im 12. Jahrhundert andere Aqua-ardens-Aufzeicbnungen nebenherlaufen, ist mir aus Handschriften bekannt, hat aber mit dem in Frage stehenden Textmaterial vorerst nichts zu tun. N. F. XVI. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 683 „brennenden Wasser" (aqua ardens) gewährte er Aufnahme im Anschluß an eine Anweisung zur Darstellung des Rosen wassers (aqua rosacea)/) die direkt vorhergeht, und auf welche im Wort- laut des Textes auch noch ausdrücklich verwiesen wird. Der Weingeist taucht damit in einem Kulturzusammenhange Süditaliens auf, wo man schon seit Jahrhunderten, auch unter Langobarden- herrschaft, ärztliches und naturwissenschaftliches Erfahrungswissen aus den Tagen der Antike in täglicher praktischer Betätigung weiter gepflegt und auch im kleinen schon weiterauszubilden be- gonnen hatte, wo man aber auch seit fast einem Jahrhundert, den starken Anregungen Konstantins des Afrikaners (f 1087) folgend, neu aus dem Orient dahergeführtes früharabisches Schul- und Erfahrungswissen sich angeeignet hatte, und schon dazu übergegangen war, es in verwandte literari- sche Formen umzugießen. Altes und Neuerrungenes verschmelzend. Von Sizilien und Kleinafrika strömte dort ständig neues Sarazenwissen zu, und man hatte auch der bei den Arabern weitergepflegten Chemie einen gewissen Einfluß eingeräumt und ihr namentlich auch in Chirurgenkreisen eine be- scheidene Pflege angedeihen lassen, unter welchen das Banner des Fortschrittes, von Süditalien nach der Romagna und Emilia getragen, im 13. Jahr- hundert besonders mächtig im Voranstürmen wehen sollte. Aber auch schon am Golf von Salerno hatte, eben in den Tagen des Magister Salernus, der bedeutende wundärziliche Praktiker und Schrift- steller Roger Frugardi (offenbar langobardi- scher Abstammung wie so mancher frühe Saler- nitaner) der chemischen Arzneibereitung bereits das Tor geöffnet, wie sein chirurgisches Werk be- ') Sie ist textlich abermals ihrerseits in einem vorher- gehenden weiteren Rezepte durch ausdrücklichen Hinweis ver- ankert. Bemerkt sei nur, daß sich das von Degering für überflüssig erklärte ,,non poroso" als Zusatz zum „vas vitreum" in allen Texten findet; ich fasse es als erklärenden Zusatz auf, der noch besonders betonen soll, dafl es bei dem zur Aufbewahrung zu verwendenden Gefäße auf Wasser- undurchlässigkeit ankommt. weist, das sein Schüler Guido von Arezzo im Jahre 11 70 fertig aus seinem Munde aufge- zeichnet hat. Durchgesetzt hat sich in den Blütejahren saler- nitanischen Schrifttums, in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Alkoholkenntnis noch nicht. Salernus, in dessen Sammelkompendium sie zuerst auftaucht, gehört schon zum Abgesang ') des kurzen literarischen Konzerts am Golfe von Paestum, das sich direkt nach dem durchgreifenden Wirkung- werden der Konstantinischen Offenbarung in den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts abspielte. Irgendwelches weitere Verdienst, etwa um die Entdeckung des Alkohols, hat Magister Salernus sicher nicht. Er ist nur als chronologischer Fixierungspunkt von Wichtigkeit — durch ihn wird zwischen 1 140 und 1 160 die Weingeistdar- stellung in Süditalien bekannt. Ob sie auch in Süditalien gewonnen wurde, ist damit nicht mit Bestimmtheit ausgesagt, wenn auch immerhin wahrscheinlich geworden. Der Orient kannte sie vor dem 12. Jahrhundert nicht, weder aus der Überlieferung des Altertums, noch aus eigener scheide^ünstiger Arbeit. Mir scheint sie aber auch der Schule von Toledo im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts vertraut. Daß Degering und Diels mit ihrem Hin- weis auf die „Mappae clavicula" in die rechte Richtung deuten und daß sie in der Arbeit an dieser Überlieferungsmasse und ihrem Anwachsen in literarischer Weitersammlung und Neueinreihung technischer Versuchsergebnisse auf Erfolg ver- sprechendem Wege sind, dafür scheint mir manches zu sprechen. Die Einreihung einer Weingeist- bereitungsvorschrift dürfte aber kaum vor das Jahr iioo zu setzen sein, doch wohl auch nicht erheblich später. ') Er fehlt denlj^ auch in dem berühmten salernitanischen Sammelkodex der Rbedigerana zu Breslau aus dem 12. Jahr- hundert, aus dem Sil e mos Ruhm neu erblüht ist. [Nachdruck verboten. Über einige Fälle des Sclieinheriiiaphroditisnius bei Fischen. ] Von Dr. Rob. Mertens, Leipzig. Obwohl noch die Annahme vielfach bestritten wird, daß Hermaphrodit ism us (Zwittertum) der primäre Zustand des Geschlechtsapparates der Tiere sei, scheint sie doch heutzutage immer mehr an Wahrscheinlichkeit zu gewinnen. Denn unter niederen mehrzelligen Tieren begegnen wir dem Hermaphroditismus in der Regel bei weitem häufiger, als bei den höher Organisierten. Aller- dings ist das Zwittertum bei einer größeren An- zahl von Metazoen, so bei einigen Nematoden, einigen Krebstieren (viele Cirripedien, unter den Isopoden die Cymothoiden, welche als ausge- wachsene Tiere weiblich, in der Jugend männlich sind) und Mollusken (einige Lamellibranchier, alle Opisthobranchier und die aus ihnen hervorge- gangenen Pteropoden, ferner alle Pulmonaten) an- scheinend sekundärer Natur, indem sich der Hermaphroditismus in diesen Fällen aus gono- choristischen (getrenntgeschlechtlichen) Organismen sich auf die Weise herausgebildet hat, daß bei Individuen ursprünglich weiblichen Geschlechts sich auch männliche Gonaden entwickelt haben; männliche Individuen wurden dann ganz zurück- gebildet. Andererseits scheint der Hermaphroditis- mus bei Schwämmen, einigen Coelenteraten (z. B. Hydra, Ctenophoren) und Plattwürmern auf pri- märe Zustände hinzuweisen. Zwittertum kommt regelmäßig außer bei den schon erwähnten Tiergruppen noch bei vielen anderen vor: so bei einigen weiteren Würmern 6«4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 49 (OHgochäten, Hirudineen), bei den Chätognathen, Bryozoen, einigen Prosobranchiern (z. B. Valvatä), Tunicaten, einigen Echinodermen {Syiiapfa) und einigen Fischen vor. Es findet sich ferner noch als eine gelegentliche Erscheinung bei vielen Tierarten, die sonst normalerweise gonochoristisch sind; so z. B. unter den Stachelhäutern ht\ Asferias glacialis L., SpIiacrecJihuts grainilaris Lm., Para- centrotiis lividiis Lm. Den sogenannten Hcrina- phroditisiiiHS lateralis, bei dem aber häufig nur die sekundären Sexualcharaktere (und zwar weist die eine Hälfte des Tieres nur weibliche, die andere hingegen nur männliche auf), nicht aber die Ent- wicklung der Gonaden auf das Zwittertum hin- weisen, kennen wir z. B. von Insekten (Schwamm- spinner, Lymantria dispar L.) und Vögeln (Gimpel, Pyrrlnila ciiropaca Vieill.). Überhaupt sind bei den meisten der bekannt gewordenen zwittrigen Individuen der höheren Metazoen, so vor allem der Säugetiere und des Menschen, meist nur wirk- lich funktionsfähige Gonaden des einen Geschlechts gefunden worden. Solche Fälle von Zwittertum kann man im Gegensatz zum echten, als unechten oder Schein-Hermaphroditismus bezeichnen. Während also der echte Hermaphroditismus durch das Vorhandensein von funktionsfähigen männ- lichen und weiblichen Gonaden (oder von einer einzigen aus der Verschmelzung dieser hervor- gegangenen Zwitterdrüse) in einem Individuum gekennzeichnet wird, kommen bei pseudoherma- phroditischen Individuen stets nur zur Reife befähigte Gonaden des einen Geschlechts (die des entgegen- gesetzten in rudimentärem, funktionslosem Zustande können noch nachweisbar sein — es sei z. B. an das Biddersche Organ bei männlichen Kröten erinnert, das nichts weiter als ein neben dem Hoden liegendes Eierstockrudiment ohne Funktion ist) und deutlich ausgeprägte sowohl männliche als auch weibliche sekundäre Geschlechtscharaktere vor. Ja, es können sogar nur männliche Sexual- merkmale im Zusammenhange mit einer weiblichen Gonade und umgekehrt auftreten. Die Erklärung der Entstehung solcher pseudo- zwittrigen Formen bei normaliter getrenntge- schlechtlichen Arten, wird nun durch die eingangs hervorgehobene Annahme, daß der Gonochorismus sich ursprünglich aus dem Hermaphroditismus herausgebildet hat, sehr gut möglich gemacht. Nach dem biogenetischen Grundgesetz müßte dann die Keimesanlage zwittriger Natur sein; und wenn der Keim sich zum gonochoristischen In- dividuum entwickelt, bleiben in ihm doch noch kümmerliche, vielleicht äußerlich gar nicht nach- weisbare, Anlagen des anderen Geschlechts ver- borgen; im Laufe der ontogenetischen Entwicklung können sie dann später — aus bis jetzt nicht mit Sicherheit festgestellten Gründen — die Ausprägung der ihnen entsprechenden sekundären Sexual- charaktere fördern, die dann das betreffende In- dividuum zu einem scheinzwittrigen stempeln. Daß in einem getrenntgeschlechtlichen Organismus die Anlage des zweiten Geschlechts enthalten sein muß, ergibt sich ferner aus den noch im folgenden etwas näher zu erörternden Beobachtungen an Knochenfischen, sowie aus Bastardierungs- versuchen. So gelang es bei der Kreuzung ge- wisser Schmetterhngsarten nachzuweisen, daß die daraus hervorgegangenen Bastarde männliche Merkmale derjenigen Spezies bekommen, die bei der Paarung durch ein weibliches Individuum vertreten war. Weibliche Tiere können in diesem Falle ausgesprochen männliche Charaktere auf ihre Nachkommen übertragen. Ihre Keimzellen mußten bisexuelle Anlagen enthalten haben, sie mußten also hermaphroditischer Natur gewesen sein. Von allen Wirbeltieren kommen normaler- weise nur bei einigen Fischen hermaphroditische Fortpflanzungsorgane vor. Von den Cyclostomen ist das Zwittertum bei J\fyxinc bekannt; Fälle von zwittrigen Knochenfischen betreffen einige wenige meeresbewohnende Acanthopterygier: stets herma- phrodit sind mehrere Scrraii/is-kr\.en, ferner Oirysophrys aitrata L., dazu kommt noch der sehr häufig beobachtete Hermaphroditismus bei Sargus und PagdliiS hinzu. Es scheint aber festzustehen, daß alle diese Zwitterfische ■ — obgleich sie Keim- drüsen beiderlei Geschlechts besitzen — ihrer Funktion nach immer nur entweder Männchen oder Weibchen sind; bereits bei Alyxiiic gliitinosa L. sehen wir, daß hier stets nur eine Gonade die Reife erlangt. Als Scheinzwittertum können wir auch die- jenigen Erscheinungen auffassen, die unter dem Namen der „Hahnenfedrigkeit" resp. „Hennen- fedrigkeit" bekannt sind. Diese Bezeichnungen rühren von alten, fortpflanzungsunfähigen Hennen oder Hähnen her, die plötzlich „bahnen-" oder „hennenfedrig" werden, d. h. Merkmale des entgegengesetzten Geschlechts bekommen. Diese nicht ganz selten zu beobachtende Erscheinung ist auch von anderen Tieren, so z. B. von anderen Vögeln und Huftieren bekannt. Aber auch bei einigen Süßwasserfischen ist sie in jüngster Zeit vielfach beobachtet worden. So hat Mazatis festgestellt, daß alte Kärpflingsweibchen der Gattung Mollienisia im Laufe der Zeit den männlichen Tieren immer ähnlicher wurden, d. h. männliche Geschlechtsmerkmale erhalten. Am schönsten läßt sich dieser Vorgang bei anderen Cyprino- dontiden (Zahnkarpfen), so bei der Gattung Xipliophorus, verfolgen. Die männlichen Tiere des süßwasserbewohnenden Schwertkärpflings Xipliop/ioriis sind bei den meisten Arten durch die merkwürdige Form der Schwanzflosse, deren unterer Teil bei Männchen in einen langen schwertförmigen Fortsatz ausgezogen ist, und durch leuchtendere Farben von den weib- lichen ausgezeichnet. Es ist nun von vielen Aquarienliebhabern beobachtet worden, daß bei altenWeibchendieses prächtigen südamerikanischen Fischchens die Schwanzflosse allmählich ihre Form abänderte, indem an ihr ein langer Fort- satz auszuwachsen begann; solche Fische lassen äußerlich zunächst noch sowohl männliche als weib- N. F. XVI. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 685 liehe Geschlechtsmerkmale erkennen. Der Schwanz- fortsatz wird aber immer länger, die Farben des Körpers lebhafter und der weibliche Fisch gleicht nun so verblüffend einem IVIännchen, daß die Frage wiederholt aufgeworfen wurde, ob sich bei einem solchen Fisch auch gleichzeitig männliche Geschlechtsdrüsen neben oder unter Verdrängung der weiblichen herausgebildet haben; ja man hat in den Aquarianerkreisen diesen Vorgang als eine richtige „Geschlechtsumwandlung" aufzufassen ver- sucht. Alle diejenigen Fälle aber, mit denen ich mich etwas näher beschäftigte, haben mich be- lehrt, daß solche umgewandelte Tiere stets nur gynandrisch, oder wenn man so will „hahnen- fedrig" wurden. Die gynandrischen Weibchen können sich sogar unter Umständen ganz wie echte Männchen benehmen; das beweist ein Bericht des Aquarienvereins „Ludwigia" in Düsseldorf (siehe „Wochenschrift für Aquarien- und Terrarien- kunde" Jahrg. XIV, Seite 212): „Herr Tr. berichtet über ein Xipliophorus -Weibchen, das sich jetzt, nachdem es Herbst und Winter 1916 verschiedene Male Junge geworfen, zum Männchen umgebildet und sich ein stattliches Schwert mit Kopulations- stachel zugelegt hat. Es ist dies der dritte inner- halb von zwei Jahren in unserem Verein festgestellte Fall, der, obgleich er sicher angezweifelt wird, doch als Tatsache feststeht. Diese umgebildeten Mäimchen sind auch . . . fortpflanzungsfähig (? Ref), wenn auch in dem erwähnten letzteren Falle dies Männchen nicht so viel treibt, wie ein nor- males Männchen. ..." — Auf meine Bitte hin überließ mir Herr Treiber dieses Tier zwecks einer näheren Untersuchung; infolge unserer dies- jährigen Sommerhitze ging das Tier jedoch während seiner mehrtägigen Reise von Düsseldorf nach Leipzig ein und kam in einem derartig mazerierten Zustande an, daß selbst eine sorgfältig ausgeführte Sektion die Geschlechtsdrüsen als solche nicht mehr erkennen ließ. Für diesen Fall bleibt also die Frage nach dem Geschlecht noch offen ; nach den bisherigen Erfahrungen ist aber anzunehmen, daß auch hier nur die Ovarien — und zwar sicher in einem stark rückgebildeten Zustande, wie man schon nach dem Habitus des Fisches beurteilen konnte — vorhanden waren. Wie wollen wir nun diese eigentümlichen Er- scheinungen physiologisch erklären ? Wiederum von der Voraussetzung ausgehend, daß die Keim- zellen ursprünglich Anlagen beiderlei Ge- schlechts enthalten, können wir annehmen, daß, wenn bei einem gonochoristischen Fisch nur die Anlage des einen Geschlechts — in unserem Falle des weiblichen — zur Reife befähigt ist, die ent- gegengesetzte Geschlechtsanlage doch noch, äußer- lich unmerklich, dem Tiere erhalten bleibt. Die weiblichen Geschlechtsdrüsen lassen durch innere Sekretion nur die ihnen entsprechenden, also weib- lichen, Geschlechtsmerkmale zur Ausbildung ge- langen. Wird aber, als Zeichen der Altersschwäche oder aus anderen Gründen, die weibliche Gonade in ihrer Funktion gehemmt und beginnt sie all- mählich zu verkümmern, so kann sie auch die Geschlechtsmerkmale nicht im normalen Umfange beeinflussen; die Zufuhr der für ihre Erhaltung notwendigen Stoffe (der sog. Hormone) muß nun- mehr gänzlich aufhören. Jetzt kann die bis dahin verborgene männliche Anlage der Keimdrüsen zur lebhaften Bildung der Hormone gelangen und die ihnen zukommenden, also männlichen Sexualcharaktere zur Entfaltung bringen. Der Habitus des weiblichen Fisches ließ in unserem Falle zunächst beiderlei Geschlechtsmerkmale er- kennen; es gewannen aber bald die männlichen die Überhand, bis sie die weiblichen verdrängt hatten. Der Fisch ist äußerlich zu einem Männchen geworden; er ist aber nur ein Schein- zwitter, denn bei ihm ist nur eine — vielleicht stark zurückgebildete — weibliche Geschlechts- drüse mit jetzt männUchen Geschlechtsmerkmalen ausgebildet. Ein entschieden größeres Interesse verdienen aber andere Beobachtungen an Knochenfischen, die man wohl mit Recht ebenfalls in das Gebiet der scheinhermaphroditischen Erscheinungen rechnen kann. Sie betreffen nämlich nicht so sehr die Neigung der Tiere äußere, morphologische Merkmale des entgegengesetzten Geschlechts an- zulegen, als vielmehr das Benehmen und die Gewohnheiten des anderen Geschlechts in oft sehr verblüffender Weise nachzuahmen. In allen mir bis jetzt bekannt gewordenen Fällen waren es weibliche Fische, die verschiedene, im engsten Zusammenhange mit dem Geschlechts- leben stehende Gewohnheiten der Männchen annahmen. Das Benehmen von zwei schönen Exemplaren des in Afrika von Ägypten bis zur Kongomündung beheimateten Hcmicliromis bimacidatus Gill., die ich im Sommer 1916 im Zoologischen Institut der Leipziger Universität zwecks Studiums ihres Farbkleides hielt, war mir so auffällig, daß ich die Tiere einer näheren Beobachtung unterzog. Zuvor sei aber der Leser daran erinnert, daß diese wunderschön gefärbten Cichliden keine besonders intensiv ausgeprägten Geschlechtsmerkmale be- sitzen. Das Alltagskleid dieses Fisches ist nur recht unscheinbar bräunlich mit einem dunkel braunschwarzen Streifen längs der Rumpfseiten und zwei Flecken: einem am hinteren Rande des Kiemendeckels und einem an der Körperseite, mehr dem Schwänze als dem Kopfe genähert. Wie ganz anders wird aber die Färbung unseres Hcmicliromis, wenn er sein Hochzeitskleid anlegt! Die Tiere erstrahlen, namentlich an der Unterseite im leuchtenden Dunkelrot; der Rücken behält meist seine dunkel braungrünliche Färbung. Die Körperseiten und die Kiemendeckel erhalten einen Schmuck in Form von blauen, goldig glänzenden Tüpfeln, bunten Diamanten vergleichbar. Die Flossen sind helloliv; die Rückenflosse weist einen roten Rand auf, die Schwanzflosse ist oben rot, unten schwarz gesäumt. Das Weibchen läßt sich an der etwas kürzeren Rückenflosse, an weniger 686 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 49 intensiv blauen Flecken und an dem stärkeren Körperumfang nur für den Spezialisten gut er- kennen. Meine beiden Weibchen, die in den schönsten Farben prangten, versetzten mich vor allem da- durch in Erstaunen, daß das eine und zwar das kleinere, sich offenbar die Mühe gab, das Männ- chen zu spielen. Es benahm sich dem größeren, deutlich mit Laich erfüllten, gegenüber wie ein echtes Männchen, indem es stets hinter ihm her- schwamm, es zuerst mit sanften Püffen vor sich her trieb, dann zu den bei Cichliden so häufigen Beißereien überging, bis ich es eines Morgens tot mit stark lädierten Flossen im Aquarium vorfand. Es wurde sicher vom größeren Tier, das schließ- lich in ihm einen gleichgeschlechtlichen Art- genossen erkannte, über Nacht umgebracht. Die Untersuchung des toten Fisches ergab, daß das Tierchen ein wohlentwickeltes Ovarium besaß. Auch der andere Hemichroniis, der um Weih- nachten 1916 infolge Aussetzens der Heizung im Institut einging, war ein Weibchen. Als Parallele zu meinen Beobachtungen kann ich ein Zitat aus dem Bericht eines Aquarien- vereins und zwar wiederum der „Ludwigia" in Düsseldorf bringen (siehe „Wochenschrift für Aquarien- und Terrarienkunde" Jahrgang XIll, Seite 223): „Ein großes Weibchen von Haiiic/ironiis bimaculafus, welches mit einem zweiten Tiere, anscheinend einem Männchen, zusammen- gehalten wurde, laichte ab, wobei sich das Männ- chen gebärdete, als wenn es die Eier befruchten wollte; die Eier verpilzten jedoch und es scheint sich um kein Männchen zu handeln, trotzdem das Tier als solches gefärbt ist und sich als solches gebärdet. . . ." Am bemerkenswertesten ist aber der Bericht von Aubry') über das Verhalten seiner beiden Hcmtchroiiiis lu'imuNlatus-V^cihchtn; doch ehe wir darauf eingehen, seien zuvor die nicht minder interessanten Erfahrungen von Brüning,-') dem Redakteur der „Wochenschrift für Aquarien- und Terrarienkunde", mit einem südamerikanischen Cichliden Acara himacnlata J. u. S. hier mit- geteilt. Nach Landeck („Geschlechtsunterschiede der Zierfische" im Beilageheft zu „Blätter für Aquarien- und Terrarienkunde" 1914) ist das brut- pflegende Männchen dieses Fisches dunkler gefärbt als das Weibchen; bei ihm ist auch die Zeichnung (dunkler Längsstreifen und je ein Fleck in der Körpermitte und an der Schwanzwurzel) deutlicher ausgeprägt. Brüning brachte nun zwei Exemplare der Acara biniacitlata in ein Aquarium, die man unbedingt für ein Pärchen halten mußte, denn „sie paßten nach der Größe vorzüglich zusammen und waren auf den ersten Blick als Männchen und Weibchen zu unterscheiden, denn das Weib- ehen war sichtlich „in anderen Umständen", also ') Wochenschr. f. Aquarien- und Terrarienkunde XIV S. 189. ^) Wochenschr. f. Aquarien- und Terrarienkunde XIII S. 521. dicker als das Männchen und seine Rücken- und Afterflosse waren kürzer und stumpfer, während dieselben beim Männchen lang ausgezogene Spitzen hatten, die bis über die Außenkanten der Schwanz- flosse hinausragten." Nur kurze Zeit herrschte Friede im Aquarium; bald aber beobachtete Brüning, wie das vermutliche Männchen plötz- lich das Weibchen mit Püffen recht unsanft zu traktieren begann. Die beiden Tierchen erstrahlten in prachtvollsten Hochzeitsfarben: „Der gelbe Brillenstreifen leuchtet bei beiden Tieren förmlich. Die Kiemendeckel glänzen meergrün, der schwarze Punkt unter dem Auge ist verschwunden, statt des großen schwarzen Punktes auf der Mitte der Körperseiten findet sich nur ein fahler, mißfarbener P'Jeck. Die Bauchflossen sind pechschwarz mit hellen Spitzen. . . . Das Männchen geht wiederholt mit Püffen auf das Weibchen los." Die Fische wurden daraufhin voneinander ge- trennt; nach Verlauf von 14 Tagen schien das Laichgeschäft bald zu erfolgen. Brüning ließ die Fische wieder zusammen. „Die wunder- barsten Liebesspiele begannen. Dabei nimmt das Weibchen oft die halbliegende Schwimm- stellung ein und das Männchen umkreist es. Die Geschlechtspapille wird immer stärker und seine Ungeduld wächst ebenfalls. Jetzt ist es das Männchen, welches die Prügel bekommt, und seine Flossen sind bald jämmerlich zerschlissen. Dann löst zärtliches Liebeswerben wieder den Zank auf. Das Pärchen umkreist einen Stein und sucht augenscheinlich den Platz für die Eier aus. . . . So geht es fast jeden Tag. ..." Da es B r ü n i n g nicht gelingen wollte, die Fische zur Laichablage zu bringen, wurden die Tiere konserviert und präpariert. Es zeigte sich nun, daß das Weibchen sehr große Eierstöcke hatte; in einem Ovarium wurden nicht weniger als 397 Eier gezählt. Aber auch das vermeintliche Männchen entpuppte sich bei der Präparation als ein richtiges Weib- chen! Seine Ovarien waren nicht so groß und die Eier etwas kleiner als beim anderen Weibchen. Werfen wir jetzt einen Blick auf die Beob- achtungen von Aubry an HcDiicJirumis bima- ciilatiis. Zwei junge, kaum 4 cm große F"ischchen dieser Art wurden von Aubry großgezogen. Als sie geschlechtsreif wurden, schien es sich um ein Pärchen zu handeln: „In hellem, leuchtendem Rot pr.mgte das eine Tierchen, dunkler war das andere gefärbt und zeigte leuchtend goldige Punkte. Das erstere hatte unzweifelhaft Laichansatz, es war also das Weibchen." Vermutlich war das andere ein Männchen, obgleich der Körper von den leuchtenden Tüpfeln nicht so dicht besät war, wie es sonst für männliche Tiere dieser Plschart charakteristisch ist. Auch der Habitus war für ein Männchen nicht schlank genug. „Aber die Liebesspiele begannen, die Treibereien und Beißereien, also trennte ich die Fischchen." Nachdem die Fische nach kurzer Zeit zusammen- gebracht wurden, erfolgte die Laichablage; die Eier gingen aber bereits schon nach zwei Tagen N. F. XVI. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 687 zugrunde. Wiederum „begannen die Liebes - spiele von neuem, wieder prangte das Weibchen in leuchtendem Rot und der dunkle Ehemann grub eifrig Kinderwiegen. Der zweite Laichakt wurde vollführt. Im herrlichsten Hochzeitskleide strahlend, schwamm das Weibchen im Blumentopf hin und legte Eichen neben Eichen. Das Männ- chen kam hinterher und gab sich ersichtlich alle Mühe auch seine Pflichten getreulich zu erfüllen Aber das Männchen war ein Weibchen, denn sein Geschlechtsorgan war nicht die kleine, etwas zugespitzte Genitalröhre eines Männchens, sondern eine ausgesprochen wulstige, dicke weibliche Lege- röhre. . . . Das Weibchen wußte wie sich ein Männchen beim Laichakt benimmt, trotzdem es niemals mit einem Männchen zusammengelebt, oder einen Laichakt gesehen hatte." Bei diesen beiden Weibchen von Heiinchfornis bimaculatus war der Geschlechtsapparat in einem völlig funktionsfähigen Zustande, denn beide er- gaben, nachdem sie mit männlichen Tieren zu- sammengehalten wurden, eine reichliche Nachzucht. Dieses auffallende Benehmen von weiblichen Fischen dürfte sicher auch noch bei anderen Tiergruppen vorkommen. Die in unseren Fällen in Frage kommenden Tiere unterscheiden sich wesentlich von den zuerst erörterten gynan- drischen Weibchen. Während diese letzteren, wie wir sahen, stets an Fischen beobachtet wurden, deren Geschlechtsapparat zu verküm- mern begann, handelt es sich hier um noch völlig fortpflanzungsfäh ige Tiere. — Versteht man unter Homosexualität (Gleichgeschlechtlich- keit) eine Form des psychischen Scheinherma- phroditismus, so wird man hierher vielleicht auch diese Beobachtungen an Fischweibchen zu rechnen haben. Einzelberichte. Zoologie. Magenuntersuchungen an Wespen: Im Referate „Neue Untersuchungen über die Nahrung des Ohrwurmes" (S. 291 des laufenden Jahrganges) war auf das Verfahren der Magen- untersuchungen an Insekten als eine neue, zuver- lässige und oft sehr vorteilhafte Llntersuchungs- methode hingewiesen, um die Art der Nahrung von Insekten sicher festzustellen und damit oft die Frage nach Nutzen und Schaden leichter als bisher zu entscheiden. Im Bericht der König 1. Lehranstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau zu Geisenheim 1915 werden nun von Prof Dr. G. L ü s t n e r - Geisenheim weitere Beispiele solcher von ihm vorgenommener Magenuntersuchungen an Gartenschädlingen veröffentlicht, unter denen die an der gemeinen Wespe (Vespa vul- garis. L.) gewonnenen Untersuchungsergebnisse S. 207 ff allgemeineres Interesse beanspruchen Wie beim Ohrwurm haben wir in der Wespe ein Insekt, das trotz seines allgemeinen Vor- kommens doch, was seine eigene und die Er- nährung seiner Brut angeht, vielfach umstritten ist. Das zeigen deutlich die Angaben in der Literatur. Die Wespen werden hier als Fleisch- und Pflanzenfresser bezeichnet. Nach Reh (So- rauer: Handbuch der Pflanzenkrankheiten. III. Bd. S. 614) fressen sie in erster Linie tierische Stoffe: Insekten (Blattläuse?), Spinnen, tote Wirbeltiere. Sie sind also zu einem gewissen Grade nützlich. Aber andererseits gehören sie zu den gefährlichsten Feinden von süßem Obst, daß sie anfressen und ansaugen. Die Nahrung wird nicht eigentlich gefressen, sondern sie saugen die zerkauten Stoffe nur aus und lassen den Rest ungefressen liegen. Seh m eil (Lehrbuch der Zoologie. 6. Aufl. S. 329) hält sie auch in erster Linie für Fleisch- fresser: „Zwar na^chen sie gerne an reifen Früchten und am Honig der Blüten. . .; in erster Linie aber sind sie Fleischfresser. Im Fluge überfallen sie die Beute (Bienen, Fliegen), töten sie mit Hilfe ihres Stachels, verzehren sie oder legen sie fein zerkaut ihren Larven vor." Fleischer (Lehrbuch der Zoologie. 2. Aufl. S. 226) bezeichnet als ihre Nahrung Insekten, Fleisch, Honig und reife Früchte. Die Brut soll ebenfalls mit diesen Stoffen genährt werden, und zwar nachdem die fütternde Wespe sie wieder aus dem Magen hervorgewürgt habe. Um hier zu einem sicheren Ergebnisse zu kommen, nahm Lüstner an den Bewohnern von drei großen Nestern, an Wespen und Wespen- larven, über 100 Magenuntersuchungen vor. Das Ergebnis war immer dasselbe: Im Magen der Wespen fanden sich niemals feste Stoffe, sondern er war stets prall gefüllt mit einer wasserhellen Flüssigkeit, die mit F e h 1 i n g 'scher Lösung starke Zuckerreaktion zeigte. Sie nehmen also keine feste Nahrung auf, sondern saugen nur die darin enthaltene Flüssigkeit aus. Der große Zuckergehalt weist auf reife Früchte als wichtiges Nahrungsmittel hin. Pflanzliche Gewebe, auch Holzteile, aus denen sie bekanntlich ihre lösch- papierähnlichen Waben bauen, werden im Magen ebenfalls nicht angetroffen. Das an Holzgelände, Fensterläden usw. gewonnene Bauholz wird viel- mehr, wie die Beobachtung auch zeigt, mit einer aus dem Maule austretenden Flüssigkeit über- speichelt, dann abgenagt und im Maule zum Neste getragen, und hier weiter verarbeitet. Ganz anders waren die Befunde an den Wespenlarven. Ihr Mageninhalt bestand zur Haupt- sache aus großen Mengen von Iiisektenresten in feinster Zerkleinerung. Chitinstückchen, Chitin- haare, Fühlerteile, Beine, Fazettenaugen, F"lügel, Schmetterlingsschuppen u. a. wurden festgestellt. Daneben füllte den Magen prall eine stark auf Zucker reagierende Flüssigkeit. Referent konnte bei einer vor kurzem unternommenen Unter- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 49 suchung von etwa 30 Larven der Vespa media L. ganz ähnliches feststellen. Neben allerhand Chitinresten, unter denen Tracheenreste, Hautstücke mit Stigmen, Schmetterlingsschuppen (2 mal) auf- fallend häufig Teile aus den Fazettenaugen u. a. identifiziert wurde, fanden sich auch Reste von anscheinend ganz frischen Muskel- und Fettge- weben und Blutelementen, was jedenfalls darauf hinweist, daß die Stoffe von frischgetöteten Insekten stammten. Dies schließt natürlich nicht aus, daß auch tote Tiere verfüttert werden. Der ganze Brei war violett-rot, in der Farbe an Bickbeersaft erinnernd, so daß der Magen nach außen schwarz- rot durchschimmerte. Zuckerreaktion war eben- falls deutlich erkennbar. Bienenreste, auf die be- sonders geachtet wurden, konnten nicht festgestellt werden; doch mag das daran liegen, daß das Nest aus einen Garten mitten in Hamburg stammte. Es wurden ganz kleine, nur wenige Millimeter große und ganz ausgewachsene, schon einge- sponnene Larven untersucht. Ein Unterschied aber in der Art der Nahrung war in keiner Weise erkennbar. , Hält man die beiden Befunde, Wespen und Wespenlarven, nebeneinander, so ergibt sich jeden- falls, daß die Larven mit zuckerhaltiger Flüssig- keit, hauptsächlich aber mit Insekten, gefüttert werden, die aber nicht von den Imagines im Magen, sondern fein zerkaut im Maule den Larven zugetragen und verabreicht werden. Von einem Hervorwürgen dieser Art Nahrung aus dem Magen kann jedenfalls keine Rede sein, denn die Wespe nimmt keine feste Nahrung zu sich. Olufsen. Die Zucht des Seidenspinners im Freien. Prof. Dr. J. Dewitz {Metz), hatte, wie ich an dieser Stelle schon berichtete,^) in den Jahren 191 5 und 1916 mit dem Versuch begonnen, die Raupen des Seidenspinners {Büinhyx mori L.) im Freien zu züchten. Er hat, wie er schon damals ankündigte, seine Versuche heuer erneut aufgenommen und teilt nun seine diesjährigen Erfahrungen in der Entomologischen Rundschau (34. Jahrg. 191 7 Nr. 7) mit. Von einem der Maulbeerbäum- chen hatte Prof. Dewitz die von den Seiden- raupen im Sommer 1916 gesponnenen Kokons nicht abgesammelt. Im Spätsommer schlüpften die Falter aus, kopulierten alsbald und legten dann ihre Eier an den Blättern, am Stamm oder an den leeren Kokons ab. Die Eier überstanden trotz der grimmigen Kälte den Winter gut, am 17. Mai bemerkte Dewitz die ersten Räupchen, deren Zahl sich in den nächsten Tagen stark vermehrte. Nach etwa 14 Tagen waren die Räupchen etwa 1^/2 cm lang. Das Ausschlüpfen der Raupen be- gann erst, als die Maulbeerbäume und -Sträucher schon einigermaßen belaubt waren. Diese zeit- liche Übereinstimmung zwischen der Entwicklung des Parasiten und seiner Nährpflanze, für die Prof. Dewitz den Begriff „Synchronismus" prägt. ») Vgl.Nalurw.Wochenschr. N, K. 16. 13d. Nr. 17, S. 236/37. ist für die Freilandzuchten des Seidenspinners von größtem Vorteil, nicht minder als die Tatsache, daß die Eier selbst diese harten Wintermonate unbeschadet hatten überdauern können. „Wenn man daher die früher erwähnte Schwierigkeit, schließt Prof. Dewitz, die die Trägheit der er- wachsenen Raupen verursacht, überwinden oder wenn man bewegliche Varietäten finden würde, könnte man an umfangreiche Versuche, Bombyx mori im Freien zu ziehen, herangehen". H. W. Frickhinger. Massenhaftes Auftreten des Gartenlaubkäfers in einigen Bezirken Oberbayerns. Der kleine Rosenkäfer oder Gartenlaubkäfer {P/iyllo- pcrflia Iwrticola L.) tritt in Deutschland in manchen Jahren so massenhaft auf, daß er schwere Schäden an Eichen und anderen Laubbäumen des Waldes und in den Nutz- und Ziergärten an Rosen- pflanzungen und Obstbäumen, vor allem an Apfel- bäumen, verursacht. So scheint der Käfer heuer in Massenschwärmen vorzukommen: anläßlich einer Besteigung des Zwiesels in den bayerischen Vorbergen oberhalb Bad Heilbrunn am 19. Juni konnte ich auf dem 1335 m hohen Gipfel des Berges in den Mittagsstunden Massen des Käfers beobachten, die gleich Bienenschwärmen umher- summten. Da der Gipfel des Zwiesels nur mit einer kurzen Grasnarbe bestanden und nicht be- waldet ist und die Hänge des Berges fast aus- schließlich Nadelholz aufweisen, konnte ich keinerlei Beschädigungen durch den Käfer kon- statieren. Auch auf meiner weiteren Wanderung auf den Blomberg oberhalb Bad Tölz konnte ich nirgends Fraßschäden entdecken. In einem anderen oberbayerischen Bezirk, in der Nähe von Rosenheim, scheinen die Käfer aber infolge ihres massenhaften Auftretens zu argen Schädlingen geworden zu sein. In den ersten Tagen des Juni, so wird aus der dortigen Gegend berichtet, traten die Käfer zum erstenmal auf. In dichten Schwärmen suchten sie auf weite Strecken hin alle die Land- straßen flankierenden Bäume — zumeist Obst- bäume — heim und schädigten vor allem die Apfelbäume schwer : sie fraßen sie vollkommen kahl. Die Käfer vertilgten dabei nicht nur das Laub, sondern auch die Blüten und benagten selbst die jungen F'rüchte. Auch in den Waldungen, durch die eine der befallenen Straßen führt, machten sich die Käfer bald breit. Die Bekämpfung der Schädlinge stützt sich vor allem auf die technische Methode, wie ich sie im ver- gangenen Jahre an dieser Stelle vom Kampf gegen den Maikäfer schilderte: ') in den frühesten Morgenstunden, wenn die Käfer noch schlaftrunken in Massen auf den Bäumen hängen, müssen diese, nachdem zuerst Tücher unter ihrer Krone aus- gebreitet worden sind, abgeschüttelt werden. Die erbeuteten Käfer werden dann vernichtet, indem ') Vgl. meinen Bericht „Maikäferbekämpfung" in Naturw. Wochenschr., N. F. 15. Bd., S. 509/10. N. F. XVI. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 689 sie z. B. in vorher ausgehobene Löcher geworfen, mit Erde bedeckt und so erstickt werden. Dabei wäre zu erwägen, wie Prof. Eckstein im vorigen Jahre anläßhch der „Maikäferstrecke" vorschlug, ob die Käfer nicht als Hühnerfutter Verwendung finden könnten. In der jetzigen Zeit der akutesten Körnerknappheit wären die gesammelten Käfer- mengen sicher für viele Geflügelhalter ein will- kommenes Ersatzfutter. Das Abklopfen des Gartenlaubkäfers ist nicht so einfach, wie das des Maikäfers, da der Gartenlaubkäfer viel beweglicher ist als der relativ schwerfällige Maikäfer. Des- halb empfiehlt Prof. Dr. L. Reh (Sorauer's Hand- buch der Pflanzenkrankheiten, III. Bd. „Die tie- rischen F'einde" ') zu ihrer Bekämpfung vor allem das Bespritzen der befallenen Bäume mit Arsenmitteln. Die Käfer vergiften sich dann, wenn sie das bespritzte Laub fressen. Ob freilich jetzt im Kriege Arsenmittel genügend zur Hand sein werden, um auf dieser chemischen Methode eine eingehende Bekämpfung des Schäd- lings auf weitere Strecken hin aufbauen zu können, muß, abgesehen von dem hohen Kostenpunkt des Verfahrens, fraglich erscheinen. Eine ener- gische Bekämpfung des Käfers ist aber schon deshalb dringendst geboten, weil die Kalamität sonst auch im nächsten Jahre noch Nachwirkungen zeitigen könnte; die Käfer legen nämlich ihre Eier im Boden ab und ihre Larven würden dann im nächsten Jahre dort durch Benagen der Wurzeln von Getreide und Kohl, wie von Nadelhölzern, Rosen und mancherlei Zierpflanzen neuerdings sicherlich viel Unheil anrichten. H. W. Frickhinger. Die Bestäubertätigkeit der Insekten in Zahlen. Bei nur etwa iq'Vo unserer heimischen Blütenpflanzen besorgt der VVind die Polienübertragung, während die übrigen 81 " ,j fast völlig auf Insektenbestäubung angewiesen sind. Die wichtigste Rolle hierbei spielen die Hautflügler, besonders die langrüsseligen Bienenarten, aber allen weit voran die Honigbiene. Dazu kommen noch, aber viel weniger wichtig. Fliegen, Wespen, Ameisen, Käfer, Schmetterlinge usw. Andere Faktoren (Schnecken, Vögel, Wasser) kommen nur sehr wenig in Frage. Ja, man neigt heute dazu, die Tätigkeit der Schnecken als Befruchter, die 1869 zum ersten Male von Delpino als wahr- scheinlich angenommen wurde, eine Meinung, der sich später H. Müller, Knuth u.a. anschlössen, überhaupt als bedeutungslos hinzustellen. In Frage sollten die Gattungen Arum, Calla, Colchium,Chryso- splenium, Chrysanthemum und Lemna kommen. P. Ehrmann (Nachrichtsblatt d. deut. malakoz. Gesellschaft. 49. 1916) kommt nach seinen Ver- suchen zu dem Ergebnisse, daß die Schnecken im Gegenteil schädlich sind, weil sie der Pflanze den Pollen rauben und mit ihrem Schleime die Antheren derart verkleben, daß die Insektenbe- stäubung unmöglich wird. ') Berlin, Paul Parey, 1913. Seit dem Begründer der Blütenbiologie, Christian Konrad Sprengel (1793), und seit den Tagen von Charles Darwin und Hermann Müller hat sich eine Unmenge Material zu dem Probleme der Insektenbestäubung angehäuft. Es fehlen bei diesen Studien auch nicht Schätzungen oder Vermutungen über den wirtschaftlichen Nutzen, den die Insekten bei ihrer Bestäubertätigkeit stiften, ohne daß man scheinbar bisher ernstlich darangegangen wäre zu dieser besonderen Seite der P>age ein allgemeines exaktes Zahlenmaterial herbeizuschaffen. Ansätze hierzu sind, besonders was den mittelbaren Nutzen der Biene angeht, öfter gemacht. So schreibt Prof. Zander (Zukunft der deutschen Bienenzucht. S. 15 — 16): „Es ist durchaus nicht übertrieben, wenn man den durch die Blütenbestäubung dem deutschen Volksvermögen jährlich zugeführten Gewinn 5 mal höher als den Ertrag an Wachs und Honig ansetzt. Da der letztere 20 — 30 Mill. M. ausmacht, beziffert sich der mittelbare Nutzen aus der deutschen Imkerei in jedem Jahre auf 100—150 Mill. M. Davon entfallen auf jedes Bienenvolk 38,5 bis 58 M . . ." Auch von anderer Seite sind solche Versuche unternommen. Der amerikanische Bienenforscher Philipps schätzt (nach Bern er) den unmittelbaren Nutzen (Honig und Wachs) der Biene für die Vereinig. Staaten auf 22 Mill. Dollar und hebt dabei hervor, daß der mittelbare Nutzen noch bedeutend größer sei. Andere Überlegungen von anderer Seite schätzen auf Grund recht willkürlicher Berechnungen den Wert, den ein Bienenstock in Deutschland durch Befruchtung schafft, auf 40 M. Das ergibt bei 2600000 rund 100 Mill. M. Überall fehlt aber bei diesen Schätzungen mehr oder weniger die zuverlässige Zahlengrundlage. Eine solche zu geben unternimmt neuerdings Ulrich Berner (Monatshefte für d. naturw. Unterricht. 191 7. S. 184 ff.), indem er aus statischen Quellen den Wert der Früchte von allen den Kulturpflanzen in Deutsch- land feststellt, die hauptsächlich von Bienen beflogen werden. Nach sorgfältiger Herbeiziehung von viel Material und nach oft mühsamen Rechnungen und Erwägungen kommt er zu folgenden Gesamtsummen für Deutschland, die nebenher recht interessante Einblicke in viele Zweige unserer Land- und Gartenwirtschaft ge- statten : Gesamtobsternte 1 60 000 000 M Raps und Rübsen 1 2 737 000 M Buchweizen 7674000 M Luzernen zur Samengewinnung . 1653 000 M Klee zur Samengewinnung (mit Ausnahme des Rotklees). . . 1 6 020 000 M Wicken zur Körnergewinnung . 34076000 M Mischfutter (besonders Sandwicken im Gemisch mit Johannisroggen ) 32415 000 M Senf zur Körnergewinnung. . . 749 000 M Anis, Fenchel, Koriander, Kümmel . 2 575 000 M „alles andere" (Leindotter, Mohn, 690 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 49 Esparsette, Seradella, Gemüse- und Blumensamen, Waldbeeren 20 000 000 M Das ergibt für alle deutschen, besonders durch Bienenbestäubung erzeugten PYüchte eine Ge- samternte von 287889000 M, denn die er- wähnten Pflanzen sind überwiegend selbststeril, oder sie bringen doch bei Selbstbefruchtung nur wenige oder minderwertige Früchte hervor. Wie sehr das z. B. für unsere wichtigsten Obstbäume zutrifft hat Referent schon früher in dieser Zeitschrift (Heft Nr. 24, 1917. S. 331) genauer durch Zahlen belegt. Andere Kulturpflanzen, die in größerem Maße die Möglichkeit einer erfolg- reichen Selbstbefruchtung haben, wie Hülsenfriichte, Lein u. a. hat Berner absichtlich in seiner Über- schlagrechnung überhaupt unberücksichtigt ge- lassen. Wir haben also in der oben zitierten Gesamt- summe eine wertvolle feste Grundlage für weitere Überlegungen und Schlüsse. Um zunächst den mittelbaren Nutzen der Honigbiene (Apis mellifica) zu berechnen, eine Aufgabe, die aus vielen Gründen von erheblichem Interesse ist, muß entschieden werden, welchen Anteil dies Insekt an der Bestäubung obiger Pflanzen hat. Bern er schätzt, daß auf seinen Anteil -,'3 fallen, sodaß sich der Nutzen auf 192 Mill. M stellt. Daß diese Zahl keineswegs zu hoch gegriffen ist, geht unzweifelhaft aus früher gebrachten (Heft 24. S. 331), durch genauere Zählungen gewonnene Zahlen hervor. Nach diesen wurden (Blätter für Kleingartenbau) an den Blüten eines Obstbaumes gezählt : 88 "Ig Bienen, 5 ^/^ "/j, wilde Bienen und Hummeln, ö'/» "0 Fliegen, Wespen, Ameisen, Käfer u. a. Insekten, und nach der Internationalen agrartechnischen Rundschau sind von den blütenbesuchenden Insekten überhaupt: 73 "/q Bienen, 21 "/„ Hummeln und einzeln lebende Hautflügler und nur 6 "/g andere Insekten. Nach diesen Beobachtungen würde sich also der Anteil der Biene sogar auf %^Vn stellen. Jedenfalls ist die überragende Bedeutung der Hautflügler und unter diesen besonders der Biene als ßestäuber vor allen anderen Insekten klar erwiesen. Um nun den Gesamtnutzen aller Besfäuber zusammen weiter auf Grund des obigen Zahlen- materials feststellen zu können, muß noch dieses ergänzt werden, da es auf die Biene zugeschnitten ist. Vor allem kommt noch der von Bienen wenig, dagegen besonders aber von Hummeln beflogene Rotklee dazu, dessen Samenertrag auf 26 299000 M anzusetzen ist. Wie nützlich die in weiteren Kreisen vielfach verkannten Hummelarten sind, erläutert diese Zahl nebenher I Der Gesamtnutzen der Insekten als Bestäuber stellt sich also mithin für Deutschland auf rund 300 Mill. M. Bern er glaubt nun mit Hilfe dieses Zahlen- materials wie folgt weiter schließen zu dürfen. Setzt man für Rußland, Österreich-Ungarn, Frank- reich und die übrigen europäischen Staaten je ebensoviel an, ergibt sich für Europa eine Summe von 1800 Mill. M, und setzt man für die übrigen Erdteile nur das Doppelte, würde sich der Ge- samtnutzen der Insekten als Bestäuber fürdie ganzeErde auf rund 5 MilliardenM das Jahr stellen. Olufsen. Ein Beitrag zur Biologie der Schwebefliegen. Die Schwebefliegen oder Syrphideii, deren Larven als Blattlausfeinde oder als Vertilger der Larven zahlreicher Schadinsekten aus der Familie der Hautflügler {Hyiitcnoptercii) nützlich wirken, müssen wohl als die besten Flieger unter allen Zweiflüglern (Dipteren) bezeichnet werden. Sie an heißen Sommertagen in der Luft sekundenlang an ein und derselben Stelle nach Art eines Falken „rüttelnd" stehen zu sehen oder sie bei ihrem eifrigen Getümmel auf Blüten zu beobachten, bietet für jeden Naturfreund hohen Reiz, um so mehr als viele Vertreter der Schwebefliegen höchst farbenprächtig gefärbt sind und treffliche Beweise einer meisterlichen Mimikry darstellen. So ähnelt das sog. „Fleckfell" oder wie der alteBrehm sie nannte, die „Durchscheinende Flatter- fliege" {Voliicella pell/icciis L.) sehr der Erd- hummel [Buiiibiis terrestris L.) und unterscheidet sich von ihr eigentlich nur dadurch, daß sie weniger eilig umherfliegt, wie die eifrig ihrer Sammeltätigkeit obliegende Hummel. Das Fleck- fall nährt sich vom Blütenhonig, den sie mit ihrem langen Rüssel saugt. Diese SyrpJiide legt ihre Eier, wie neuerdings Wilhelm Schuster (Heilbronn) beobachten konnte (Entomolo- gische Zeitschrift Frankfurt a. M. 31. Jahrg. 1917 Nr. I, 2 und 4), in Wespennester, wo die mit Stacheln bewehrten gelblichweißen Larven die Wespenbrut vertilgen. Daneben sollen die Fleckfell Larven auch noch in den Nestern der Hornisse ( Vespa crabro L.), ja nach Schuster 's Annahme auch in denen ihrer Doppelgängerin der Erdhummel, schmarotzen. Das ausge- wachsene Insekt ist schön schwarz gefärbt mit einem milchweißen Band am Hinterleib und hält sich vornehmlich an sonnigen, geschützten Wald- rändern auf, wo es gern auf einer Blüte oder auf einem Blatte sitzt und nur von Zeit zu Zeit seinen Standort wechselt. Als Feinde der Flatterfliege kommen wohl nur Vögel in Betracht, die auch Hummeln und Wespen nicht verschmähen: das wären vornehmlich die Würgerarten, vor allem der rotrückige Würger! Lanius collurio) und derWespenbussardI Pcnih apivoriis Gray). Die Mimikry des Pleckfells schützt die Tiere demnach sehr vor Nachstellungen, da es ja unter der Vogelwelt zahl- reiche Fliegenfänger eibt. In den Weinbergen ist die Flatterfliege durch die Befruchtung der Weinblüte wie alle Fliegen ein ausgesprochen nützliches In- sekt. Noch eine 2. Schwebefliege hat Schuster in den Kreis seiner Untersuchungen einbezogen: die gebänderte Seh webe fliege [Syrphus pyras/n'h.). Diese Schwebefliege ist von weniger gedrungenem Bau wie das Fleckfell, ihre Grund- färbung ist schwarzblau glänzend „mit 6 weiß- N. F. XVI. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 691 liehen mondförmigen Flecken an den Hinterleibs- seiten". Ihr ist das sogenannte Rütteln besonders eigen; dabei ist ein ausgesprochener Anemo- tropismus (Wind wendigkeit) zu erkennen : „beim Schweben werden die Flügel überaus rasch auf und nieder bewegt, der wagerecht stehende Körper dabei aber so gerichtet, daß der Kopf gegen den Luftstrom gerichtet ist". Einen besonderen Zweck scheint das Insekt dabei aber nicht zu verfolgen, das Erspähen einer Beute scheidet bei der Lebens- weise der Schwebefliegen von vornherein aus. Die Larven dieser Syrp/iiJc zählen zu den Blatt- lausfeinden. Um deswillen übertrifft die Nützlich- keit von Syrphus pyrastri diejenige von Voliicella pellucens um ein Bedeutendes. H. W. Frickhinger. Physik. Wird reine mit Wasserdampf gesättigte Luft abgekühlt am besten dadurch, daß man plötz- lich ihr Volumen vergrößert, dann tritt in den meisten Fällen keine Kondensation des über- schüssigen Dampfes ein; das Wasser bleibt viel- mehr dampfförmig, die Luft ist dann mit Dampf übersättigt. Für den Übergang in den flüssigen Zustand ist das Vorhandensein von Konden- sationskernen nötig, die als Ansatzstellen für die sich bildende Flüssigkeit dienen. Sind diese vorhanden, dann wird der Grad der Übersättigung herabgesetzt und zwar um so mehr, je größer die Kerne sind. Lenard hat in einer Untersuchung über die Probleme komplexer Moleküle^) die Ansicht ausgesprochen, daß die Nebelkerne komplexe Moleküle seien, also Zusammen- lagerungen von Molekülen des Gases bzw. vor- handener Dämpfe, die sich bei den Zusammen- stößen bilden und die durch die Molekularkräfte so fest zusammengehalten werden, daß sie u n - verdampfbar sind. Eine in den Ann. d. Phys. 52 (191 7) S. I — 71 veröffentlichte Arbeit von L. Andren beschäftigt sich mit der Zählung und Messung der komplexen Moleküle einiger Dämpfe nach der neuen (Lenard'schen) Kondensations- theorie. In einer Glaskugel befindet sich die mit Wasserdampf gesättigte Luft, durch plötzliche Druckverminderung wird sie expandiert. Das durch eine Linse gesammelte Licht einer kräftigen Bogenlampe dringt von der Seite her in die Kugel und beleuchtet hell die Nebeltröpfchen; senkrecht in den Lichtstrahlen wird durch eine Lupe be- obachtet. Durch Anbringung je einer Blende an den beiden Linsen wird ein kleiner Beobachtungs- raum von meßbarer Größe ausgesondert. In diesem werden die Nebeltröpfchen gezählt und ihre Zahl auf den Kubikzentimeter umgerechnet. Ist die Nebelwolke so dicht, daß eine Zählung unmöglich ist, dann wird die Fallgeschwindigkeit des Nebels gemessen und aus ihr nach dem Stokes'schen Gesetz der Radius des Nebeltröpfchens bestimmt. Aus dem Volumen desselben und der Gesamt- menge des abgeschiedenen Nebels, die sich be- rechnen läßt, wird dann die Zahl der l'röpfchen bestimmt. Die folgende Tabelle gibt im Auszug eine Beobachtungsreihe wieder, die an Wasserdampf in Luft erhalten wurde. E ü Ro-io«cm N 1,253 4,12 I 8,09 < I 1.314 5,89 6,67 470 1.365 7,74 5,82 2050 1,397 9,12 5.43 29700 1,417 9,94 5,26 41200 1,436 11,20 5,01 102000 1,508 15,34 4,48 99200 ') Vgl. das Refc (1915) S. 716. der Naturw. Wochenschr. XIV Die erste Spalte enthält die Expansion E., d. i. das Verhältnis der Volumina nach und vor der Expansion, die zweite die Übersättigung, die nächste den nach einer von W. Thomson aufgestellten Formel (s. u.) berechneten Radius der Nebeltröpf- chen und die letzte die Zahl der Tröpfchen in I cm^. Aus der Tabelle geht hervor, daß wenn die Luft weniger als viermal mit Wasserdampf übersättigt ist, eine Nebelbildung nicht eintritt; mit wachsender Übersättigung steigt die Tröpfchen- zahl anfangs allmählich, dann von der Übersättigung 7 an schnell an, um schließlich bei Übersättigungen von 1 1 und darüber sich einem konstanten Wert zu nähern. Die Radien der Tröpfchen nehmen allmählich ab, der abgeschiedene Nebel wird also immer feiner. Daraus daß das N nicht über 1 00 000 steigt, geht hervor, daß dies die Höchstzahl der im Kubikzentimeter enthaltenen Anzahl von Kernen ist. Um über die Natur der Kerne Aufschluß zu gewin- nen, wird eine in dem oberen Teil des Kondensa- tionsgefäßes angebrachte Platinplatte mit dem posi- tiven Pol einer Akkumulatoren Batterie verbunden, während der negative mit dem in unterm Teil des Gefäßes vorhandenenWasser inVerbindunggebracht wird. Die Spannung variiert zwischen i u. 300 Volt. Die Versuche ergeben, daß jetzt erst bei Über- sättigungen von 5 die ersten Tröpfchen vom Radius R = 7,14- 10""" cm sich bilden und daß ihre Zahl erst langsam, dann schneller steigt. Das Feld hat mithin sämtliche größeren Kerne entfernt, diese müssen also elektrisch geladen sein, während der Rest, der nicht durch das F"eld eingefangen wird, unelektrisch ist. — Wiederholt man die Ver- suche, deren Ergebnis in der Tabelle oben dar- gestellt sind, nachdem der gebildete Nebel und mit ihm die Kerne sich gesenkt haben, dann findet man immer wieder nahezu dieselbe Anzahl von Kernen. Daraus geht hervor, daß sehr schnell eine Neubildung stattfinden muß. Diejenigen Kerne, die elektrische Ladung tragen, bilden sich unter dem Einfluß der durchdringenden, überall auf der Erde nachweisbaren radioaktiven Strahlung. Ihre Zahl ergibt sich aus den Versuchen zu 900 pro 692 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 49 Kubikzentimeter, sie haben positives und negatives Vorzeichen. Es müssen sich pro Sekunde und Kubikzentimeter etwa 0,4 bilden, was der Größen- ordnung nach mit dem in der freien Atmosphäre beobachteten Wert übereinstimmt. Erhöht man künstlich die Kernzahl dadurch, daß man die Luft von außen mit radioaktiven Präparaten (es wurden drei von verschiedener Stärke benutzt) bestrahlt, dann hat dies eine starke Vermehrung der Tröpfchen auch bei niedrigeren Übersättigungen zur Folge. Es ist anzunehmen, daß nebenden elek- trisch geladenen Strahlen wenigstens ein Teil der- selben aus unelektrischen chemischen Reaktions- produkten der Strahlung etwa O.. oder H.,0., be- steht; doch sind es nicht mehr als 0,1 "/,,. Daß die elektrisch geladenen Kerne, auch Träger ge- nannt, besonders groß sind, erklärt sich aus den elektrischen Anziehungskräften, die sie auf die be- nachbarten Moleküle ausüben. Eine Wiederholung der Versuche mit Wasser- dampf in Kohlensäure und in Wasserstoff ergibt das gleiche Resultat wie in Luft; das Gas hat also auf die Natur der Kerne keinen Einfluß. Expandiert man dagegen Alkohol- oder Benzoldampf in Luft, dann ergeben sich wesent- lich andere Werte. Zahl und Größe der Kerne ist eine Funktion des Dampfes; sie bestehen demnach aus aneinandergelagerten — komplexen — Molekülen des Dampfes. Legt man sich nun die Frage vor, warum es überhaupt der Kerne bedarf, damit eine Nebel- bildung stattfindet, ferner warum die Kondensation an größeren Kernen eher d. h. bei geringerer Übersättigung erfolgt als an kleineren, dann gibt darüber die I3etrachtung der Dampfspannung Aufschluß. Damit eine Flüssigkeit verdampft, ist es nötig, daß die Spannkraft ihres Dampfes gleich dem auf der Flüssigkeit lastenden Druck ist. Um- gekehrt findet Kondensation von Dampf an einer Flüssigkeitsoberfläche nur dann statt, wenn die Dampfspannung der Flüssigkeit nicht größer ist als die des Dampfes. Denn ist die erstere größer, dann findet ja Verdampfen der Flüssigkeit statt. Nun zeigt es sich, daß die Krümmung der Flüssigkeitsoberfläche von großem Einfluß auf die Spannkraft des Dampfes ist; an einer konkaven Oberfläche ist die Spannkraft kleiner, an einer konvexen größer als als einer ebenen Oberfläche. Durch folgenden Ge- dankenversuch läßt sich das nachweisen : Taucht ein Kapillarrohr in Wasser, dann steigt die Flüssig- keit in ihm in die Höhe und bildet einen nach oben konkaven Meniskus. Da der Luftdruck an der gehobenen Oberfläche kleiner ist als an der tiefer liegenden ebenen, müßte, wenn in beiden Oberflächen die Dampfspannungen gleich wären, ein stärkeres Verdampfen in der Kapillare statt- finden. Denkt man sich den Versuch in einem kleinen verschlossenen Raum ausgeführt, dann würde eine fortwährende Destillation stattfinden, indem Flüssigkeit oben verdunstet und sich an der ebenen Oberfläche wieder kondensiert. Das ist aber nach dem Energiegesetz nicht möglich. Es darf also an der konkaven Oberfläche kein stärkeres Verdunsten stattfinden, folglich muß hier die Spannkraft kleiner sein als an der ebenen. An einer kleinen Kugel erfolgt also wegen der ge- steigerten Spannkraft des Dampfes eine Konden- sation schwerer als an einer ebenen Wasserober- fläche und zwar um so schwerer, je kleiner die Kugel ist. Die von William Thomson schon vor längerer Zeit ausgeführte theoretische Berech- nung ergibt für die Dampfspannung an der Ober- fläche einer Kugel vom Radius R den Wert p' = p-e — ^, wo ß die Konstante der Ober- ' ^ p. R Oberflächenspannung, e die Basis der natürlichen Logarithmen, h eine Konstante und p die Dampf- spannung an ebener Oberfläche bedeutet. Man sieht, daß für R = 00 (ebene Oberfläche) p' = p, dagegen R = O p' = c» wird. Diese Formel stellt nun die Verhältnisse nicht richtig dar; sie bedarf an zwei Stellen der Ver- besserung. Nach den Lenard'schen Anschau- ungen, die durch die mitgeteilten Versuche eine wertvolle Stütze erhalten haben, sind Nebelkerne komplexe Moleküle des Dampfes, die unverdampf- bar sind. Schlagen sich an dem Kern Wasser- moleküle nieder, so erfahren dieselben durch die von dem kompakten Kern ausgeübten Kräfte eine besonders kräftige Anziehung, die sicher größer ist als in einer ebenen Oberfläche, in der die komplexen Moleküle sehr selten sind. Die Folge ist, daß nicht die Oberflächenspannung a, sondern ein größerer Wert n« (n > i) einzusetzen ist. Die Größe von n hängt u. a. von der Dicke der den Kern umgebenden Molekülschicht ab. Ist der Kern nicht vollkommen von Molekülen, die sich an ihm kondensiert haben, umgeben, dann ist ein Teil Oj seiner Gesamtoberfläche O unver- dampfbar, da sie ja von dem unverdampfbaren Kern gebildet wird. Das wirkt verkleinernd auf die Dampfspannung und zwar wird sie um den Faktor ^ verkleinert. Die verbesserte Formel lautet demnach p' ■ p-e Daß sie in sehr befriedigender Überstimmung mit der Erfah- rungist, wird in der And ren'schen Arbeit gezeigt. Als Ergebnis kann zusammenfassend hervor- gehoben werden: In jedem Dämpfe enthaltenden Gase sind Kerne vorhanden, die ganz vorwiegend aus Molekülen des Dampfes bestehen. Sie zeigen eine kontinuierliche Größenverteilung. Die größten sind elektrisch (-|- und — ) geladen, sie entstehen unter dem Einfluß der durchdringenden Strahlung; ihre Zahl beträgt im Gleichgewicht etwa 900 pro cm*. Es finden sich auch große unelektrische Kerne (etwa 90 im cm*), die als chemische Reaktions- produkte der durchdringenden Strahlung anzu- ') Mittels dieser Formel sind die in der oben angeführten l'abelle enthaltenen Radien der Tröpfchen berechnet. N. F. XVI. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 693 sprechen sind. Die überwiegende Zahl der Kerne ist unelektrisch und kleiner, sie bestehen meistens aus 2 oder 3 normalen Dampfmolekülen. Ihre Anzahl ist bei jeder Temperatur für jeden Dampf fest bestimmbar. Sie beträgt bei Wasser ca. 1,9- 10-" ",'(,, bei Alkohol ca. 2,5-10-"% und bei Benzol ca. 0,8 • lO"" % der überhaupt vorhandenen Dampfmolekülzahl, ist also prozentisch sehr gering, absolut jedoch ziemlich groß, nämlich noooo bzw. 340000, 190000 im Kubikzentimeter. Die unelektrischen komplexen Moleküle sind — auch beim Fehlen der durchdringenden Erdstrahlung — stets im Dampf vorhanden; sie sind demnach jeweils für den betreffenden Dampf charakte- ristisch. K. Seh. Geologie. Die Beschaffung von Rohstoffen des Bodens für militärische Erfordernisse bespricht Major z. D. W. Kranz in der Zeitschr. f. prakt. Geologie 1917, Heft 4. Infolge längerer Dauer des Krieges ist man zum Abbau mancher im Frieden brachliegender, nicht wettbewerbfähiger Erzlagerstätten genötigt worden. Alte Halden tut man bisweilen noch- mals umschmelzen. Eine der wichtigsten Aufgaben des Kriegs- geologen ist es, nach erfolgter Besetzung eines Landstriches denselben auf Nutzung und Auf- schließung seiner Bodenschätze zu untersuchen. Für den Ausbau der Kampffronten des Stellungs- krieges sind die zum Betonieren, Stellungs-, Straßen-, Wege- und Bahnbau erforderlichen Rohstoffe wie Kies, Sand, Steinschlag, Bruch- steine aus möglichster Nähe zu beschaffen, wobei Vollbahnen tunlichst gemieden werden sollen. Zement und gebrannter Kalk müssen in fertigem Zustande den Truppen geliefert werden. Eine Bevorzugung bestimmter Gesteine oder Kiessande, wie es im Frieden der Fall war, ist zu unter- lassen. Maßgebend sind die Eigenschaften, die im Festungs- und Stellungsbau von Beton verlangt werden. Beton hat im F'elde hauptsächlich den aufschlagenden Geschossen Widerstand zu leisten. Die Betonstärke auf Geschoßwiderstand ist aus der Erfahrung abzuleiten. Güte und Brauchbarkeit des Betons läßt sich nach seiner Druckfestigkeit beurteilen. Straßenschotter soll möglichst zäh und wetterbeständig sein. Allzu große Härte ist zu vermeiden, da Fahrzeuge und Zugtiere auf harten Straßen leiden. Basalt, Diabas, Melaphyr und Gabbro wird man nur im Notfalle verwenden, ebenso Kalk und Dolomit wegen Schlamm- und Staubentwick- lung, sowie geringer Härte. Pflasterungen wendet man auf Truppen- übungsplätzen und Kasernen an, nicht dagegen im Stellungskriege, wo Pflastersteine die Wirkung einschlagender Granaten erhöhen. Zur Herstellung von Kriegergrabmalen bedarf man Gesteinsarten, die neben gefalligem Aussehen auch wetterbeständig sein müssen. Zweckmäßig wendet man beim Fehlen entsprechen- der Gesteine Beton an. (G^C.) V. Hohenstein. Heilkunde. Der Spargel als Heilmittel.') Stabsarzt Dr. May halte als Chefarzt eines Re- servelazarettes Gelegenheit, zu Anfang des Jahres 1916 in vier Monaten etwa lOO Fälle von Nieren- entzündung zu beobachten. Etwa 80% wiesen Blut im Urin auf, die Eiweißausscheidung war zum Teil bedeutend. Die Krankheit zeigte sich ziem- lich hartnäckig, jedes Aufstehen nach anscheinender Besserung brachte neue Blutungen und erneute Eiweißausscheidung. Da gelang es, für das La- zarett größere Abschlüsse auf billigen Spargel zu machen. Jeder Kranke erhielt jetzt zweimal täg- lich je Y Pfund in verschiedener Zubereitung. Schon nach kurzer Zeit zeigte sich die wohltätige Wirkung. Die Eiweißausscheidung ging zurück, die Blutungen hörten auf, und beide Erscheinungen stellten sich auch nach dem Aufstehen nicht wieder ein. .Spargelkonserven wirkten in derselben Weise, wenn auch nicht so schnell. Wie der Spargel wirken an frischem Gemüse der Spinat und Salat, ferner Bohnen- und Erdbeerblättertee und Wacholdersirup. Heycke. ') Münch. mediz. Wochenschrift 1917. Nr. 26. Bticherbesprechungen. Sarasin, Fritz, Streiflichter ausderErgo- logie der Neu-Kaledonier und Loyalty- Insulaner auf die europäische Prä- historie. 26 S. mit 23 Abb. Basel 1916. Birkhäuser. Die Tatsache ist bereits allgemein anerkannt, daß der Schlüssel zum Verständnis sehr vieler in der europäischen Prähistorie uns entgegentreten- der Erscheinungen nur durch Vergleichung mit den Sitten und Geräten noch lebender primitiver Völker gefunden werden kann. Deshalb hat Sarasin während seines Aufenthaltes auf Neu- Kaledonien und den Loyalty-Inseln im Stillen Ozean mit besonderer Sorgfalt auf ergologische Analogien mit prähistorischen Erscheinungen geachtet und er macht in der vorliegenden Abhandlung auf einige solche aufmerksam, deren Kenntnis für den Urgeschichtsforscher lehrreich sein dürfte. Aus den von dem Autor behandelten Fällen seien hier zwei als Beispiele kurz erwähnt. Im Delta des Diahotflusses auf Neu-Kaledonien, auf grauem, halbhartem Boden, ist rechtsuferig eine St ein- reihe von etwa 220 Meter Länge zu sehen. Die Steine folgen sich in Abständen von etwa 4- 5 Metern. 694 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 49 Es sind formlose, aufgelesene Feldsteine, aus Quarz oder alten Schiefern bestehend, mit Ausnahme eines einzigen, des vierten, vom Südende der Reihe an gerechnet, der wie ein Meilenstein oder kleiner Menhir gestaltet ist, und auch mehr als die übrigen über den Schlammboden hervorragt. Die Ein- geborenen kennen die Bedeutung dieser Steinreihe: Nach ihrer übereinstimmenden Aussage ist es ein Siegesdenkmal und jeder Stein bedeutet einen ge- fallenen oder verspeisten Feind, der größte, menhier- artige, den Häuptling. Ein zweites, viel ausge- dehnteres Denkmal derselben Art befindet sich in der Gegend von Bonde, wo 142 in einer Reihe stehende Blöcke die Zahl der durch den Stamm der Bonde in einer Schlacht gegen die Leute von Gomen, Koumac und Arama darstellen. Das Alter dieser Steinreihen ist nicht mehr genau zu be- stimmen, dasjenige des Denkmals am Diahot kann, angesichts der geologischen Verhältnisse des Ortes, kein hohes sein. Diese Steinreihen scheinen Sarasin eine unverkennbare Analogie zu bilden zu den in weit größeren Dimensionen auftretenden „Alignements" der Bretagne. Die Übereinstim- mung ist in die Augen springend, wenn auch die Zahl der Blöcke in den französischen Monumenten eine viel größere ist und die Maße der Blöcke bedeutendere sind. Es ist nicht allzukühn den französischen Steinreihen, über deren Bedeutung so viel gestritten worden ist, denselben Sinn zu- zuschreiben wie den kaledonischen und sie gleich- falls als Siegesdenkmäler aufzufassen. Sarasin bemerkt weiter, daß die französischen Steinreihen häufig in Verbindung sind mit besonderen Stein- setzungen von runder, seltener rechteckiger Form, den Cromlechs. Es ist denkbar, daß diese aus verhältnismäßig wenigen Blöcken bestehenden Setzungen, auf welche die Steinreihen zuführen, ursprünglich das Andenken an gefallene Häupt- linge festhalten sollten und daß aus diesen erst später die runden Tempelbauten ohne begleitende Sieinreihen, wie der berühmte Stonehenge und viele andere, hervorgegangen sind. In Neu-Kaledonien spielen Zaubersteine eine außerordentlich große Rolle. Fast jeder auf- fallend geformte Stein erscheint dem Kaledonier als etwas mit besonderen Kräften begabtes, wobei gedacht wird, daß solche Gebilde von Dämonen oder Ahnengeistern hergestellt und von diesen dem glücklichen Finder übermittelt worden sind. Die mit diesen Steinen ausgeführten Zauberhand- lungen werden denn auch unter Anrufung der Ahnengeister und Darbietung von Opfergaben an den heiligen Stätten vorgenommen. In Verbindung damit weist Sarasin auf die in sehr vielen Stationen, vornehmlich in denen des Magdalenien anzutreffenden Versteinerungen, Ammoniten, Muscheln usw., als auch seltsam geformten oder durch Material und Farbe auffallenden Steine hin. Diese wurden bisher immer als Kuriositäten oder als Schmuckgegenstände aufgefaßt. Doch ist es nach Analogie mit den neukaledonischen Verhält- nissen mehr als wahrscheinlich, daß diese Fossilien und fremdartig geformten oder gefärbten Steine von Leuten gesammelt wurden, weil sie ihnen übernatürliche Kräfte zuschrieben und daß diese Annahme den Grund zu ihrer Aufbewahrung bildete. — Es wäre sehr zu wünschen, wenn reisende Völkerforscher mehr, als dies bisher ge- schehen ist, ihr Augenmerk auf ergologische Parallelen zwischen primitiven Völkern und unseren eigenen Paläo- und Neolithikern richten. Es ist von dieser Seite ohne jeden Zweifel noch sehr viel zur Erhellung unserer Urgeschichte zu er- warten. H. Fehlinger. Keibel, Franz, Über experimentelle Ent- wicklungsgeschichte. Rede, gehalten am 27. Januar 1917 zur Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Kaisers in der Aula der Kaiser Wilhelms-Universität Straßburg. 30 S. Straß- burg 1917, Verlag von J. H. Ed. Hehz. Preis: geh. 1 M. Keibel bespricht in seinem Vortrage an der Hand einiger entwicklungsgeschichtlicher Experi- mente — Aufzucht mehrerer Individuen aus künst- lich getrennten Blastomeren eines Eies, Transplan- tation der Retinaanlage, Regeneration der Linse — die allgemeineren und wichtigeren Folgerungen, die sich aus ihnen ergeben. Die Resultate der experimentellen Entwicklungsgeschichte harmo- nieren nicht mit Weismann's Präformations- und Derminantenlehre, sie sprechen gegen dieLehre von der erbungleichen Teilung der Erbmasse. Wenn nun aber alle Zellen des Organismus die gesamte Erbmasse erhalten, so erhebt sich die Frage, welche Faktoren die Differenzierung der Zellen in der Weise regulieren, daß als Produkt der Entwicklung ein in sich harmonischer höherer Organismus zustande kommt. Und weiterhin müssen wir uns fragen, warum nicht wieder aus jeder Zelle, wie aus den Keimzellen, ein ganzer Orga- nismus entstehen kann. Ist uns auch eine volle Antwort auf diese beiden Fragen heute noch nicht möglich, so glaubt Keibel doch, daß wir bereits einige Andeutungen geben können, in welcher Richtung beide Fragen zu lösen sind. Bei der Entwicklung der Tiere wirken äußere und innere Faktoren zusammen. Zu den äußeren Faktoren zählen unter anderen die Temperatur, der Sauerstoffgehalt der Luft, die Nahrung. Bei den inneren Faktoren können wir innerhalb des Kernes und außerhalb, im Zytoplasma gelegene Bedingungen unterscheiden. Im Kern ist die eigentliche Erbmasse lokalisiert. Von dieser hängt es in erster Linie ab, was aus einem Ei entsteht, jedoch spielen sicherlich auch die außerhalb des Kernes gelegenen Bildungen bei der Entwicklung eine große Rolle. Sie bilden zum Teil wenigstens die Grundlage für die funktionelle Differenzierung der Zellen. Diese funktionelle Differenzierung hinwiederum ist wohl der Haupt- grund, daß den Somazellen in der Regel die Möglichkeit zur Erzeugung neuer Organismen verloren geht. Die Somazellen nutzen sich ab, N. F. XVI. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 695 sie altern. Keibel beschließt seine Ausfüh- rungen mit einigen Reflexionen über die mecha- nistische und die vitalistische Betrachtungsweise in der Biologie. Gegenüber Roux's Mechanismus betont er den prinzipiellen Unterschied zwischen belebter und unbelebter Natur, ohne jedoch anderer- seits den Weg zu gehen, den Driesch mit seiner Entelechienlehre der Biologie zu weisen sucht. Nachtsheim. Dessoir, Max, Vom Jenseits derSeele. Die Geheimwissenschaften in kritischer Betrachtung. Stuttgart 191 7. II M. In einer Reihe von Aufsätzen rückt der Ver- fasser das merkwürdige und seltsam bunte Gebiet der sogenannten Geheimwissenschafien in die helle Beleuchtung seiner auf ausgedehnte Erfahrung gegründeten Kritik, jenes Gebiet menschlicher Geistestätigkeit (oder auch ganz und gar ungeistiger Betätigung), das je nach dem Standpunkte als Quelle tietster Offenbarungen oder als ärgste Ver- irrung, ungesunde Phantasterei oder glatter Schwin- del bezeichnet wird. Seine Bemühungen bleiben nicht bei der negativen Seite des Widerlegens und der kritischen Analyse der angeblichen okkulten Tatsachen stehen, sondern als Forscher sucht er in den psychologischen Untergrund hineinzudringen, aus dem ihre so merkwürdig verdeutete Form hervorwächst, soweit sie dazu überhaupt einen Anlaß bieten. So sucht er gleich in der Einleitung diese prinzipiellen Dinge an dem Beispiel der Amerikanerin Piper zu klären, indem er eine allgemeine Auseinandersetzung über die im Unter- bewußtsein verlaufenden psychischen Vorgänge gibt, die er seinerzeit als parapsychische bezeichnet hat. Sie liegen vielen Phänomen okkulter Natur als auch anderen, zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenem Milieu sich verschieden gebärdenden magischen, übersinnlichen Äußerungen, Inspira- tionen usw. zugrunde. Daneben sind es aber auch ganz allgemein und tief im Menschen, nament- lich im naiven, wurzelnde bewußte seelische Elemente, die immer wieder zur Magie hindrängen, wie z. B. der Wunsch, von der physikalischen Ge- setzlichkeit der Umwelt befreit zu sein. Die fol- genden Kapitel sind nun im einzelnen der Para- psychologie, d. h. der Lehre von den seelischen Erscheinungen, die hinter der Oberfläche des Be- wußtseins verlaufen, und der Aufzeigung der Ver- bindung parapsychischer Phänomene mit den ver- schiedenen okkulten Problemen gewidmet. Traum und Hypnose, seelischer Automatismus, seelisches Doppelleben, Fernwirkung und Fernsehen, diese Stichworte mögen auf den äußerst interessanten Inhalt hinweisen. In dem folgenden Abschnitt teilt dann der Verfasser seine Erfahrungen über den Spiri- tismus mit, wie er sie in Sitzungen mit Henry Slade, der Eusapia Palladino und ihrer deutschen Kollegin Anna Rothe gewonnen hat, und fügt eine besondere Auseinandersetzung über spiritistische Täuschungen bei. Hier ist auch ein Versuch über die Psychologie der Taschen- spielerkunst zu finden, sowie die Technik der Medien beschrieben. Im nächsten Abschnitt wird der Leser in das krause Gebiet der Kabbalistik geführt, das Reich der schnurrigen theologischen und philologischen Wortdeuter, woran sich dann eine Auseinandersetzung mit den Theosophen, Rassenmystikern, Gesundbetern, Neubuddhisten usw. schließt. Der Schlußteil des Buches ist dann wieder allgemein theoretischer Natur; der Verfasser führt hier den geschichtlichen Nachweis, daß der Ge- dankenkreis aller Geheimwissenschaften sich mit ursprünglichen Versuchen zu einer idealistischen Weltanschauung deckt, die als eine Art atavistischen Relikts neben der reineren fortgeschrittenen Form des Idealismus erhalten geblieben ist, und behandelt ferner die methodischen Grundlagen der primitiven Geheimwissenschaften. Die Untersuchungen des Verfassers führen, nach seinen eigenen Worten, zu der Überzeugung, daß „die Geheimwissenschaft eine Mischung aus falschen Deutungen gewisser seelischer Vorgänge und falsch gewerteten Überbleibseln einer ver- schwundenen Weltanschauung" ist. Fruchtbare Ansätze zu neuen Forschungsgebieten oder zur Erweiterung vorhandener bietet ihr materieller Inhalt nicht, wohl aber ist der Okkultismus ein belangreiches kulturhistorisches, psychologisches und, wie man wohl noch hervorheben könnte, auch psychiatrisches Untersuchungsobjekt. Die kritische Analyse, historische Einordnung, psycho- logische Fundamentierung, kurz die Erhellung des gesamten schwülen und dunstigen okkulten Hori- zontes, ist aber überdies von praktischer Bedeutung auf dem Gebiete der geistigen Hygiene. Zwar haben sich viele infolge ihrer eigenartigen seelischen und geistigen Verfassung so tief in die Welt des Mystik verstrickt, daß sie auch die Fackel der kritischen Forschung nicht wieder in die Wirk- lichkeit zurückzuführen vermag, bei vielen anderen ist es aber nur der Mangel eigenen Urteils, oder auch eine gewisse Halbbildung, oft aber auch eine redliche, wenn auch verschroben-übertriebene Ob- jektivität, die sie der starken suggestiven Kraft der Magie erliegen läßt. Solchen sei das Dessoir- sche Buch besonders empfohlen. Insbesondere ist es dankbar zu begrüßen und durchaus nicht über- flüssig, wenn das große Publikum immer wieder Gelegenheit bekommt, den Wert wahrer Wissen- schaftlichkeit und wissenschaftlich- kritische Denk- weise kennen zu lernen. Denn das große PubHkum ist oft sehr undankbar, es genießt die tausend- fältigen Segnungen, die die entsagungsvolle, müh- same Arbeit ganzer Generationen von Jüngern der echten Wissenschaften ihnen geschenkt hat, und erliegt doch gar zu leicht und leider auch zu gerne dem Einfluß falscher Propheten, ja be- teiligt sich dann oft und unbedenklich an ihren typischen Ausfällen gegen angebliche Rückständig- keit, Einbildung und brutale Herrschsucht der legitimen Wissenschaft. Miehe. 696 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 49 Emil Abderhalden, DieGrundlagen unserer Ernährung unter besonder er Berück- sichtigung der Jetztzeit. Mit 2 Text- figuren. Berlin 191 7. J. Springer. 2,80 M. Über die Grundlagen unserer PIrnährung und demgemäß über ihre zweckmäßige Regelung herrschen im allgemeinen nur sehr unklare An- schauungen. Äußerte doch, nebenbei bemerkt, neulich ein gebildeter Mann mir gegenüber, Zucker wäre doch gar kein Nährstoff, sondern ein Genuß- mittel 1 Desgleichen kann der, der einmal als Naturforscher die Geheimnisse der Küche zum Forschungsobjekt macht, mancher Sinnlosigkeit und manchem Aberglauben begegnen. In normalen Zeiten spielen diese freilich keine allzugroße Rolle, mit reichlichen Mitteln kann jeder schließlich etwas ausreichendes zusammenkochen, wohl aber fordern Zeiten der Knappheit und des genauesten Ein- teilens die Hilfe solider Kenntnisse und vernünf- tiger Grundbegriffe. Diese zu vermitteln, ist der Physiologe der berufene und wir müssen einem so her- vorragenden, wie es Abderhalden ist, dankbar sein, daß er einem weiteren Publikum in der vor- liegenden Schrift über die Prinzipien der Ernäh- rungsphysiologie Aufklärung gibt. Er kennzeichnet die verschiedenen Nahrungsstoffe, erörtert ihre Herkunft, ihr Schicksal, wenn sie unseren Ver- dauungskanal passieren, ihre notwendigen Mengen, ihre Bedeutung als Zellbaustoffe, ihre Ausnutzbar- keit und vieles andere mehr. Vielfach wird, be- sonders dann im .Schlußkapitel, an die Bedürfnisse der Zeit angeknüpft. Besonders interessant und für viele beruhigend ist das Kapitel über den Ei- weißbedarf, in welchem gezeigt wird, daß der Organismus sich mit verschiedenen Eiweißmengen ins Gleichgewicht setzen kann und dabei die Art und Menge der stickstofffreien Nahrungsmittel von großer Bedeutung ist. Mit Nachdruck weist der Verf auf die Notwendigkeit hin, in erster Linie die Produktion der pflanzlichen Nahrungsmittel zu steigern; die Ernährung mit pflanzlichen Stoffen sei wirtschaftlich meist der geradeste und spar- samste Weg, Steigerung des Fleischgenusses und der Fleischerzeugung im allgemeinen ein Umweg und eine Verschwendung. Miehe. Junge, Prof. Dr. G., Unsere Ernährung. Nahrungsmittellehre für die Kriegszeit. Berlin 1917. O. Salle. 1,50 M. Ging das vorige Buch von den Ergebnissen der wissenschaftlichen Ernährungsphysiologie aus und suchte es diese in erster Linie allgemeiner bekannt zu machen, so hält sich dieses, von Prof. Eltzbacher mit einem Vorwort versehene Heft nach kurzer Skizzierung der allgemeinen Grund\ lagen der Ernährung an die einzelnen Nahrungs- mittel, zeigt ihre Herkunft, ihre Zusammensetzung, ihren Nährwert, ihre beste Ausnutzung usw. Dabei knüpft Verf immer an die Praxis des alltäglichen Lebens an und streut auch manche allgemeinere naturwissenschaftliche Belehrung ein. In der Dar- stellungsweise tritt die auch in der Vorrede an- gedeutete Absicht hervor, möglichst verständlich zuschreiben. Das ist Junge sehr hübsch geglückt. Dabei ist der in angenehmer Form mitgeteilte Tatsachenbestand gewissenhaft und kundig ver- arbeitet. Wir können dem mit etlichen guten und klaren Bildern ausgestatteten Büchlein die beste Empfehlung mitgeben, möchten insbesondere die Hausfrauen und die Lehrer darauf aufmerksam machen. Es wird auch nach dem Kriege seinen Wert behalten, einmal weil unsere Kriegswirtschaft noch lange andauern wird, und dann, weil es eine treffliche Ergänzung zu den Kochbüchern darstellt, die in diesem Punkte meist nicht ihre stärkste Seite haben. Miehe. Anregungen und Antworten. Zu der Antwort über Zwergwuchs in Nr. 35 der Naturw. Wochenschr. möchte ich mir eine Bemerkung erlauben. Der Satz, daß die Samen von Kürp*nerformen, bei sorg- samer Pflege zur Entwicklung gebracht, wieder Pflanzen ganz normaler Größe geben würden, bedarf einer Einschränkung mit Rücksicht auf gewisse Erfahrungen der forstlichen Versuchs- anstalten, wie sie z.B. Professor Arnold Engler in Zürich kürzlich (10. Sept.) anläßlieb der Schweizerischen Naturforscher- Tersammlung in seinem Versuchsgarten auf dem .■\dlisberg bei Zürich den Teilnehmern in eindrucksvoller Weise vor Augen geführt hat. Werden nämlich Waldbäume, z. B. Fichten, aus von der Ebene stammenden Samen im Gebirge gezogen, so entstehen nicht nur kleinwüchsige Individuen, sondern die Samen derselben liefern, in der Ebene unter normalen Ver- hältnissen zum Keimen gebracht, Bäume, die im Wuchs hinter den aus Ebenen-Saatgut gezogenen Kontrollpflanzen erheblich zurückbleiben. Natürlich darf diese Tatsache nicht ohne weiteres zugunsten der Vererbung erworbener Eigenschaften gebucht werden; denn der Keimling der in der Ebene er- wachsenen Zwergform bildete sich ja im Samen an der Mutter- pflanze im Gebirge unter den dortigen (ungünstigen) Lebens- bedingungen aus und kann auf diese Weise sehr wohl eine Beeinflussung erfahren haben, deren Wirkung sich im ganzen Leben des Individuums fühlbar macht. Leider steht die Fort- setzung des Experimentes, die das vor allem wichtige Verhalten der Nachkommenschaft dieser Ebenen-Zwergformen aufzuklären hätte, zur Zeit noch aus. Dr. A. Thellung, Zürich. Inhalt: Karl Sudhoff, Ein Alkoholrezept aus dem 8. Jahrhundert? S. 681. Robert Hertens, Über einige Fälle des Scheinhermaphroditismus bei Fischen. S. 683. — Einzelberichte; G. Lüstn e r, Magenuntersuchungen an Wespen. S. 687. D e w i t z , Die Zucht des Seidenspinners im Freien. S. 688. H. W. F r i c k h i n g e r , Massenhaftes Auftreten des Gartenlaubkäfers in einigen Bezirken Oberbayerns. S. 688. Ulri c h Be rn er , Die Bestäubertätigkeit der Insekten in Zahlen. S. 688. Wilh. Schuster, Ein Beitrag zur Biologie der Schwebefliegen. S 690. L. Andren, Zählung und Messung der kom- plexen Moleküle einiger Dämpfe nach der neuen (Lenard'schen) Kondensationstheorie. S. 691. W. Kranz, Die Be- schaffung von Rohstofi'en des Bodens für militärische Erfordernisse. S. 693. May, Der Spargel als Heilmittel. S. 693. — Bücherbesprechungen: Fritz Sarasin, Streiflichter aus der Ergologie der Neu-Kaledonier und Loyalty-Insulaner auf die europäische Prähistorie. S. 693. Franz Keibcl, Über experimentelle Entwicklungsgeschichte. S. 694. Max Dessoir, Vom Jenseits der Seele. S. 695. Emil Abderhalden, Die Grundlagen unserer Ernährung unter besonderer Berücksichtigung der Jetztzeit. S. 696. G. J unge, UnsereErnährung. S. 696. — Anregungen und Antworten : Zwergwuchs. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, 1 Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a d. S. strafle 42, erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den i6. Dezember 1917. Nummer 50. Neuere Ergebnisse der Kanalstrahlenforschung. [Nachdruck verboten.] Von Karl Kuhn. Mit I Abbildung. Verbindet man die Elektroden eines genügend evakuierten Glasrohres von der Form Fig. I mit einer Hochspannungsquelle, z. B. einem Funken- induktor, Hochspannungsakkumulator oder einer Influenzmaschine, so gehen bekanntlich von der negativen Elektrode K (der Kathode) nach links Kathodenstrahlen ß aus, die sich geradlinig aus- breiten, völlig unabhängig von der Lage der posi- tiven Elektrode A (der Anode). Die Kathoden- strahlen sind äußerst rasch bewegte, sehr kleine freie negativ elektrische Ladungen (Elektronen), welche beim Aufireffen auf die Glaswand des Entladungsraumes ein grünes Leuchten hervor- rufen. Eine andere sehr wichtige Eigenschaft der rasch bewegten Kathodenstrahlteilchen ist die, daß sie ein Gas, das sie durchdringen, in hohem Grade leitend für die Elektrizität machen. Das Leitendwerden der Luft ist so zu denken, daß die Luftmoleküle, welche auch in einem Vakuum noch reichlich vorhanden sind, durch den heftigen Stoß < der Kathodenstrahlen in positiv und negativ ge- ladene Teilchen zerfallen. Die positiven Gas- moleküle (Ionen) werden nun von der negativen Elektrode K angezogen und erhalten dadurch eine solche Geschwindigkeit, daß sie durch den Kanal der Kathode K nach der anderen Seite hindurch- fliegen und dort als sogenannte Kanalstrahlen « zum Vorschein kommen. Die Kanalstrahlen wer- den nicht zur Kathode zurückgezogen, weil sich das elektrische Feld ausschließlich links von der Kathode befindet. Dies ist die moderne Theorie von der Entstehung der Kanalstrahlen, welche 1886 von E. Goldstein entdeckt wurden. Falls unser Entladungsrohr mit Luft gefüllt war, sind die Kanalstrahlen, wie Goldstein fand, ein gelb- lich leuchtendes Bündel, das die Glaswand zu schwachem grünen Leuchten (kontinuierliches Spektrum) erregt. Außerdem ist aber nachGold- stein auf der inneren Oberfläche der Glaswand noch ein gelbes Leuchten zu beobachten, das von einer äußerst dünnen Gasschicht von Natrium her- rührt, welches aus der natriumsalzhaltigen Glas- wand frei wird und im Spektroskop die gelben D-Linien zeigt. Die Erforschung der Kanalstrahlen hat nicht nur über den Elektrizitätsdurchgang in Gasen wichtige Aufschlüsse geliefert, sondern sie hat auch grundlegende Bedeutung für die Spektralanalyse gewonnen. Überdies wurden bei der Kanalstrahlen- analyse eine ganze Reihe für die Chemie neu- artiger Moleküle aufgefunden und dann liegt hier ein neues analytisches Hilfsmittel von einer Fein- heit vor, wie es die Spektralanalyse bei weitem nicht liefern kann. Die weitestgehende Aufklärung über das Wesen der Kanalstrahlen und die vollständige Ausbildung der Kanalstrahlentechnik verdanken wir Wilhelm Wien.') Im Jahre 1898 wies Wien die Ab- lenkung der Kanalstrahlen durch sehr starke ma- gnetische und elektrische Kräfte nach. Zur Be- obachtung der magnetischen Ablenkung ist es notwendig, den Entladungsraum E zwischen K und A durch einen eisernen Schutzmanlei vor den Kraftlinien der starken magnetischen Pole zu schützen, die nur auf die Kanalstrahlen wirken sollen. In einem Magnetfeld von 3250 Gauß Stärke wurden die Kanalstrahlen nur um 6 mm abgelenkt. Eine gleich große Ablenkung bewirkte auch ein elektrostatisches Feld von 2000 Volt. Die Kanalstrahlen werden von der negativen Elek- trode angezogen und verhalten sich auch im Magnetfeld ganz wie ein Strom positiv geladener Teilchen. Wien fand auch, daß die Kanalstrahlen einer Metallplatte, auf welche sie auftreffen, eine positive Ladung erteilen. Je größer die Geschwindigkeit der Kanalstrahlen- teilchen ist, desto kürzer werden sie der Wirkung eines magnetischen und elektrischen Feldes aus- gesetzt sein und um so geringer wird ihre Ab- lenkung sein. Die Wirkung der ablenkenden Felder wird auch mit der Schwere der Teilchen abnehmen. Je größer aber die elektrische Ladung eines Kanalstrahlenteilchens ist, desto stärker wird es von dem elektrischen und magnetischen Kraft- feld beeinflußt werden. So kann man aus der genauen Messung der Ablenkungsgröße im ma- gnetischen und elektrischen Feld die Geschwindig- keit der Kanalstrahlen bestimmen und Aufschluß über die Größe der Masse und elektrischen Ladung eines Kanalstrahlenteilchens bekommen. Bei Wien 's erstem Versuch war die elektrische La- dung und Masse der Kanalstrahlenteilchen etwa gleich der eines Wasserstoffions und so kam Wien zu dem Ergebnis, daß die untersuchten Kanalstrahlen aus positiv geladenen Wasserstoff- atomen bestanden. Die Geschwindigkeit der Kanalstrahlen läßt 698 Naturwissenschaftlich e Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 5o sich durch magnetische und elelitrische Ablenl-) welche nichts anderes wie Heliumatomionen mit 2 positiven Elementarladungen [He++] von einer allerdings sehr hohen Geschwindigkeit [13000 bis 20000 km in der Sek.] darstellen. IVlächiige positive Ionen- Strahlen*^") haben wir höchstwahrscheinlich auch in den seit langem bekannten Protuberanzen zu sehen, welche schnell bewegte leuchtende Gas- massen sind, die von der Sonne aufsteigen. Die Spektren derselben sind wie die der leuchtenden Kanalstrahlen durch besondere Einfachheit aus- gezeichnet und stimmen weitgehend mit den Spektrallinien der Wasserstoff-Helium- und Calcium- kanalstrahlen ^°) überein. Überdies ist die direkt beobachtete wie die aus dem Doppler- Effekt be- rechnete Geschwindigeit der Proiuberanzen von der gleichen Größenordnung wie diejenige der in Entladungsröhren hergestellten Kanalsirahlen. Neuere Untersuchungen von Vegard") haben es auch nahe gelegt, daß das Polarlicht nicht durch von der Sonne ausgehende Kathodenstrahlen in den höchsten Schichten der Atmosphäre hervor- gerufen wird, sondern daß Wasserstoff- oder Helium- ionenstrahlen der Sonne von gewaltiger Ausdehnung die Ursache sind. Zusammenfassende Literatur: I) Vgl. die vorzügliche ausführliche Darstellung der posi- tiven Strahlen durch W. Wien im IV. Bd. des Handbuches der Radiologie (Akademische Verlagsgesellschaft, Leipzig 1917). 3) H. V. Dechend und W. Hammer, Bericht über die Kanalatrahlen im elektrischen und magnetischen Feld. Jahr- buch der Radioaktivität und Elektronik S. 34 — 91 Bd. 8 (S. Hirzel, Leipzig 1911). 3) T. Relschinsky, Bericht über die elektromagnetische Analyse der Kanalstrahten. 1910 — 1915. Jahibuch der Radio- aktivität und tClektronik S. 66 — 125 Bd. 13 (1916). 4) J. Stark, Die Träger der Spektren der chemischen Elemente. Jahrbuch der Radioaktivität und Elektronik S. 139 bis 247 Bd. 14 (1917)- 5) J. J. Thomson, Rays of positive electricity and their applikalion to chemical analysis (Longmans Green and Co. London 1913). 6a) Gehrcke und Reichenheim, Die positiven Strahlen. Physik S. 458 — 466 der „Kultur der Gegenwart" (Teubner, Leipzig 19:51. 6b; Gehrcke, Die korpuskulare Strahlung in verdünnten Gasen. S. 277 — 350 des „Handbuchs der Elektrizität und des MagneiismusvonL. Graetz" Bd. III (J. A.Barth, Leipzig 1915). De) Gehrcke, Die Strahlen der positiven Elektrizität IS. Hirzel, Leipzig 1909). 7) J. Stark, Ionisierung der chemischen Elemente durch Elektronenstofl. Jahrbuch der Radioaktivität und Elektronik S. 395-452 Bd. 13 (1916). Ü) J. Stark, Die Atomionen chemischer Elemente und ihre KanaUtrahlenspektra (J. Springer, Berlin 1913). 9) Norman Lockyer Studien Spektralanalyse Brockhaus, Leipzig 1S79). 10) J. Stark, Elektrische Spektralanalyse chemischer Atome (S. Hirzel, Leipzig 1914). 11) E. Marsden, Phil. Mag. 27, S. 824 (1914)- 12) Meyer und v. Schweidler, Radioaktivität. S. 136 (^Teubner, Leipzig I9I7)- 13) J. J. Thomson, Phil. Mag. (6) 28, S. 620—625 (1914). 14) Vegard, Über die physikalische Natur der kosmischen Strahlen, die das Nordlicht hervorrufen. Annalen der Physik S. 853—900 Bd. 50 Nr. 16 (J. A. Barth, Leipzig 1916). Wegetiers Verscliiebuiigstheorie. Von Dr. Ernst Kelhofer, Schafthausen. [Nachdruck verboten! Mit 3 Abbildungen im Text. Über die Entstehung der Kontinente und öffentlichungen erfolgten bereits 1912. ^) Seilher Ozeane hat der junge deutsche Geophysiker Dr. erschien eine ausführlichere Darstellung der Theorie Alfred Wegener, z. Z. im Felde, eine neue ;r~z — ~„ , , ,„ c- ^-cr jn. ..-../ , , T., . c u^ 1- 11 . 1 xr . • 1 ) Geol. Rundsch. III, 4 S. 267 ff. und Peterm. Mi«. (1912 Theorie aufgestellt, die er selbst als Verschiebungs- y. ,s^ff.^ 253 ff. „„a 305 «f.. an beiden Orten »mer dem Titel : theorie bezeichnet. Die ersten skizzenhaften Ver- nie Entstehung der Kontinente. N. F. XVI. Nr. so Naturwissenschaftliche Wochenschrift 703 als Frucht eines dem Verfasser weg^en Verwundung gewährten Erholungsurlaubs. ^) Wegen er bringt darin neue Stützen für die Richtigkeit seiner Hypothesen. Daß zwischen weit voneinander entfernten, jetzt durch Ozeane getrennten Festlandsmassen ehedem direkte Verbindungen bestanden haben müssen, das ist eines der sichersten Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung, gegen welches die von amerikanischen Geologen neuerdings vertretene Lehre von der „Permanenz der Ozeane" niemals wird aufkommen können. Ein ständig wachsendes Beweismaterial in Form zahlreicher paläontologi- scher Funde spricht unzweideutig dafür, daß sich Tier- und Pflanzenwelt, jetzt völlig getrennte Kon- tinente, einst in einem durchaus ungehinderten, auf festem Boden sich vollziehenden Austausch befunden haben muß. Diese Talsachen haben zu der noch fast aligemein verbreiteten Lehre geführt, an Stelle der heutigen Tiefseen hätten früher Landverbindungen bestanden, die dann durch ge- waltige Einbrüche verschwunden seien. Solche breite Landbrücken dachte man sich z. B. zwischen Afrika und Südamerika, zwischen Europa und Nordamerika. Durch den Zusammenbruch uralter ausgedehnter Kontinente und das Absinken von grofäen Schollen derselben, sollen die Ozeane ent- standen sein, und zwar wurden diese Vorgänge alle auf den sogenannten Schrumpfungsprozeß der Erdrind^ und dieser wieder auf die fortschreitende .«Xbkühlung der Erdrinde zurückgeführt. Gerade diese Kontraktionstheorie ist nun aber schon lange nicht mehr von allen Fachleuten an- erkannt, und insbesondere sind aus den Kreisen der Geophysiker immer neue Bedenken und Ein- würfe gegen sie laut geworden. Wegen er faßt alle diese Einwände zusammen und beweist damit, daß die Kontraktionstheorie heute unhaltbar ge- worden ist. Es ist schon sehr fraglich, ob sich die Erde wirklich abkühlt, nachdem die wahr- scheinlich bedeutende Energiequelle bekannt ge- worden ist, die die Erde in den radioaktiven Stoffen besitzt, durch deren Zerfall fortgesetzt Wärme frei wird. Es ist sehr wohl denkbar, daß der Wärme- haushalt der Erde durch diese Energiequelle völlig ausbalanziert wird. Aber wenn wir auch starke Temperaturänderungen zugeben, so ist doch nicht zu verstehen, wie sich aus ihnen Faltungen und Überschiebungen von so riesigem Ausmaß erklären ließen, wie sie erst in letzter Zeit festgestellt worden sind. Dazu haben die Schweremessungen ergeben, daß unter den Ozeanen schwereres Gestein liegt als unter den Festländern, während das Gegenteil zu erwarten war. Also können die Tiefseeböden nicht abgesunkene Festländer sein. Anderseits hat Wallace zuerst erkannt, „daß auch die heutigen Kontinente früher keineswegs den Boden der Tiefsee gebildet haben können", daß sie viel- mehr immer nur verhältnismäßig wenig tief über- flutet gewesen sind; zahlreiche, bis jetzt als Tief- seeablagerungen betrachtete Bildungen sind neuer- dings als Flachseebildungen erkannt worden. Eine weitere, nicht zu übersehende Schwierigkeit, auf die neben anderen besonders Penck hingewiesen hat, besteht bei Annahme früherer riesiger Konti- nente in der Frage: Wo waren denn damals die ozeanischen Wassermassen? Allen diesen Schwierigkeiten will nun Wege n ers Verschiebungstheorie entgehen. Was sagt sie? Die Kontinentalschollen lagen nach Wegen er früher dicht nebeneinander und bildeten eine einzige Tafel. Diese Tafel wurde später durch Spalten in wenige große und zahlreiche kleinere Teile voneinander getrennt, und diese sind dann im Verlaufe der geologischen Zeiträume auf dem unter ihnen liegenden, schwereren Material foit- geschoben worden, so weit, als sie heute nunmehr voneinander getrennt sind. '-) Sammlung Viewe;; (1915) Heft 23: Die lintstelumg de Kontinente und Ozeane. Hypsometrische Kurve der Erdoberfläche. Nach Krümme! Die geophysikalische Begründung muß im einzelnen bei W e g e n e r selbst nachgelesen werden. Hier sei nur bemerkt, daß die Beobachtungen über die Isostasie (dns Druckgleichgewicht) der festen Erdrinde wichtige Unterlagen bilden. Während die bisherige Lehrmeinung die feste Lithosphäre in allerdings wechselnder IVlächtigkeit als ge- schlossene Hülle um die magmalische Barysphäre herumgehen läßt, sind nach der Verschiebungs- theorie „nur noch zusammengeschobene Reste" derselben in Gestalt der Kontinente da; dagegen bestehen die Tiefseeböden schon aus dem magma- tischen Material der Barysphäre. Einige Tatsachen, die für diese Annahme sprechen, seien kurz er- wähnt. Das mittlere Krustenniveau, das 2300 m unter dem Meeresspiegel liegt, weist keineswegs die größte Häufigkeit auf Das müßte aber der Fall sein, wenn Ozeane und Kontinente nur durch Senkung und Hebung entstanden wären. In Wirk- lichkeit besteht jedoch deutlich ein doppeltes Niveau, wie dies aus K r ü m m e 1 s hypsometrischer 704 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. SO Kurve der Erdoberfläche deutlich hervorgeht, (vgl. Abb. I). Eine befriedigende Erklärung ergibt sich, wenn man mit W e g e n e r annimmt, ,.daß die Kontinental- tafeln nur noch die zerstückelten und durch Zu- sammenschub stark verkleinerten Reste" der ehe- mals die ganze Erde umschließenden Lithosphäre sind. Die Böden der Ozeane bestehen also nicht aus dem Material der Lithosphäre, sondern werden direkt von der Barysphäre gebildet, und in dem schweren Material derselben schwimmen die leichten Kontinentalschollen ganz ähnlich wie Eisschollen im Wasser. Abb. getreuen Schnitt im größten Kreis durch Südamerika und Afrik Größenverhältnissen. Gebirge, Kontinente und ozeanische Vertiefungen bilden so geringfügige Un- ebenheiten, daß sie sich innerhalb der Kreislinie abspielen, welche in der Figur die Erdoberfläche bezeichnet. Zum Vergleiche sind auch die Haupt- schichten der Atmosphäre eingetragen. Dafür, daß das Material der Meeresböden ein anderes ist als das der Festländer, lassen sich wohl keine direkten Beweise erbringen; allein schon das Relief der Tiefseeböden scheint für die Richtigkeit einer solchen Annahme zu sprechen. Man weiß seit geraumer Zeit, daß der Tiefsee- boden auf große Strecken hin ganz auffällig ge- ringe Höhenunterschiede aufweist. Das war aus Gründen der Isosta«ie nicht zu erwarten. Die Tatsache, daß der Meeresboden unerwartet eben ist, machte es wahrscheinlich, daß er eine größere Plastizität besitzt als die Kontinentaltafeln. Auch das Fehlen von Faltengebirgen auf den Ozean- böden spricht dafür, daß hier die schwere, mag- matische Barysphäre entblößt ist. Die Lithosphäre ist somit auf die Kontinente beschränkt. Diese bestehen jedoch in der Haupt- sache aus Gneis und gneisähnlichem Material; die im Durchschnitt nur 2400 m mächtige Sediment- decke kann als eine Art oberflächlicher Verwitte- rungsschicht betrachtet werden. Nach dem Vorgang von Süeß bezeichnet nun Wegen er die Ge- samtheit der gneisartigen Urgesteine der Konti- nentalschollen als „Sal", nach den Anfangsbuch- staben der Hauptbestandteile Siliciimi imd Alumi- nium. Das Material der Tiefseeböden benennt er im Gegensatz zu Sal mit „Sima", welchen Aus- druck Süeß für die vulkanischen Erupti^/gesteine (nach den Bestandteilen Silicium und Magnesium) eingeführt hat. Die Kontinentaltafeln, die salischen Schollen, bestehen aus kristallisiertem Material, dem jedoch eine gewisse Plastizität zugesprochen werden muß, was sich aus der Tatsache des gebirgsbildenden Zusammenschubes und der Fältelung im einzelnen ergibt. Diese Plastizität nimmt nach unten unter der Wirkung der Druck- und Temperatursteigerung zu. Die Mächtigkeit wird zu 100 km angenom- men. Dieser Wert beruht nicht nur auf bloßen Schätzungen. Er hat sich aus Lotabweichungen in Nordamerika berechnen lassen und steht in be- friedigendem Einklang mit Pendelbe- obachtungen und Ergebnissen der Erdbebenforschung. Die Salschollen sind leichter als das Sima. Sie schwimmen auf diesem. Sie können sich auf ihm verschieben. Der Schmelz- punkt der salischen Gesteine liegt allgemein etwa 200 — 300" C höher als der dersimischen. An der Unter- seite der Kontinentalschollen darf dieses Verhältnis vollends angenom- men werden. Bei einer bestimmten Temperatur ist also das Sal Ijier fest, das Sima flüssig. Es sind auch ge- wisse Anzeichen dafür da, daß das Sal bisweilen an der Unterseite von KonlinentalschoUen geschmolzen wird. Das Sima haben wir uns zäh- flüssig, jedoch etwa im Sinne der hohen Plastizität des Gletschereises, vorzustellen. Auf resp. in ihm schwimmt das Sal nicht nur, die leichteren Salschollen können im schwereren Sima auch Verschiebungen erfahren. Die Entwicklung der Erdrinde denkt sich Wegener wie folgt: Das salische Material bildete ursprünglich wohl eine geschlossene Haut um das Sima herum, das seinerseits in etwa lOOO km Mäch- tigkeit den hauptsächlich aus Nickel und Eisen bestehenden Kern der Erde umschließt, der nach Süeß den Namen Nife trägt (Abb. 2). Diese ge- schlossene salische Haut, wies eine bedeutend geringere Mächtigkeit, von etwa 35 km, auf. Im Verlaufe der Zeit müßte sie sich dann allerdings bis auf ein Drittel ihrer früheren Ausdehnung zusammengeschoben haben, denn die Kontinental- scholen machen heute 35 "/,, der ganzen Erdober- fläche aus. Diese Annahme läßt sich jedoch sehr wohl stützen; denn ein Zusammenschub auf ein Drittel ist, wie es scheint, ein normaler Wert für die Gebirgsfaltung. Wir hätten somit nur anzu- nehmen, daß alle salischen Schollen schon einmal durchgefaltet wurden, wofür Anhaltspunkte vor- handen sind. — Die ozeanischen Wassermassen hätten im Anfang als eine „Panthalassa" von etwa N. F. XVI. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 7or 3 km Tiefe der ganzen Erde bedeckt. Damit stimmen die paläontologischen Tatsachen überein, daß es vor dem Devon noch keine Landpflanzen, vor dem Silur noch keine lungenatmenden Tiere gab. — Dann folgte das Aufreißen der salischen Rinde und Scheidung des Meeres in F"lach- und Tiefsee; weiterhin Zusammenschub der salischen Kruste und damit Auftauchen der Kontinental- massen, die zunächst eine große Tafel bilden. In dieser kommt es in der Folge zu riesigen Abspaltungen. So haben wir uns z. B. „den Atlantik als eine erst im Tertiär aufgerissene riesenhafte Spalte" vorzustel- len. Die dadurch voneinander getrennten Tafelstücke lagen zunächst noch nahe an- einander, wurden aber im Verlauf der geologischen Zeiträume durch einstweilen noch unbekannte Kräfte immer weiter von- einander geschoben. So wurde die neu- wehliche Kontinentalscholle immer mehr von der altweltlicheu abgetrieben, wobei „am Westrande der amerikanischen Schollen die langen Gebirgsketten der Anden aufgestaut wurden", während sich die gewaltige, nordsüdliche Spalte all- mählich zur heutigen Ausdehnung des Atlantiks erweiterte — alles Prozesse, die auch jetzt noch im Gang sind. Nehmen wir nunmehr den Atlas zur Hand, so wird uns die, übrigens schon früher beobachtete, unverkennbare Paralle- lität der atlantischen Küstenlinien sofort in die Augen fallen. Sie allein schon spricht dafür, daß diese Küsten die Ränder einer ungeheuer erweiterten Spalte darstellen. Verfolgt man die Linien, so zeigt sich, daß jeder Vorsprung auf der einen Seite in eine Ausbuchtung der anderen paßt. Durch Einbruch des Zwischenlandes, das ca. 50CO km Breite besessen haben müßte, kann keine derartige Kongruenz entstehen. Man darf darum auch die großzügige Parallelität der atlantischen Küsten als eine der Stützen (wenn auch nicht die bedeutsamste) der Verschiebungstheorie betrachten. Wichtiger ist, daß sich beim Zusam- menfügen der Schollen auch keine Un- stimmigkeiten der Struktur ergeben. Das müßte doch offenbar der Fall sein, wenn die Schollen stets in dem heutigen Ab- stand von 4— 5000 km voneinander ab- gelegen hätten. Nun erscheint aber in der i'at auf der ganzen Linie die Struk- tur der einen Seite als die genaue Verlängerung der entsprechenden der anderen Seite. Nur zwei markante Beispiele seien erwähnt. Das sogenannte armorikanische Gebirge der nord- westeuropäischen Kohlenlager bricht bekannt- lich gegen den atlantischen Ozean mit einer steilen Riasküste ab, die aber unmöglich das natürliche Ende dieses Gebirgsbaues sein kann. Nach der Verschiebungstheorie findet es seine un- mittelbare Fortsetzung in den Kohlenlagern Nord- amerikas, wo ebenfalls ein karbonisches Falten- gebirge vorliegt, das wie das europäische nach Norden gefaltet ist und wie dieses jäh in Gestalt einer typischen Riasküste am Meer ausstreicht. Und Hauptsache: Fauna und Flora nicht nur der karbonischen sondern auch der älteren Schichten zeigen eine unzweifelhafte Identität, die immer deutlicher wird, je mehr das Beobachtungsmaterial hüben und drüben anwächst. — Und ein zweites Beispiel : Das höchst eigenartige, gegen das übrige Afrika scharf abstechende Kapgebirge setzt sich, wie Keidel I9i4ganz unabhängig von Wegener nachwies, nach Südamerika in Gestalt der Sierren südlich von Buenos Aires fort, welche in Bau und Geschichte vollständig mit ihm übereinstiminen. 7o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. so „Hier müßte man bei unveränderlicher Entfernung der Kontinente annehmen, daß eine Verbindungs- strecke von 6700 km Länge versunken sei, um die beiden Stümpfe im Osten und Westen mit- einander zu verbinden! Bei dem rekonstruktiven Zusammenfügen der südamerikanischen und afrika- nischen Scholle werden dagegen die beiden Partien gerade zur Berührung gebracht" (vgl. Abb. 3). Eine Gruppe von Erscheinungen liefert eine besonders starke Stütze für die Richtigkeit der Verschiebungshypothese, nämlich die permisch - karbonische Eiszeit. Spuren derselben finden sich in Südamerika, Südafrika, Vorderindien und Australien, also in räumlich sehr weit von- einander abliegenden Gebieten. Sie zu erklären, hat man Pohvanderungen angenommen. Allein wenn man auch den Pol an die günstigste Stelle verlegte, nämlich mitten in den Indischen Ozean, so erhielten die fernsten Gebiete mit Inlandeis immer noch geographische Breiten von 30—35 Grad, so daß z. B. die Eisfelder Indiens so weit von ihm ablägen wie Algier und Tunis vom heutigen Nordpol. Man müßte sich also die ganze Süd- halbkugel mit Inlandeis überdeckt vorstellen, während die ganze entsprechende Nordhalbkugel, wie die Tatsachen es dartun, eisfrei war. Daß eine solche Vereisung nur der einen Erdhälfte in astronomischer wie in klimatologischer Hinsicht ein Unding ist, kann kaum zweifelhaft sein. Gerade hier liefert nun die Wegene rsche Verschiebungs- theorie den einzig völlig befriedigenden Erklärungs- versuch. Nach ihr rücken Südamerika (samt den Falklandsinseln), Vorderindien und Australien (samt Neuseeland) konzentrisch auf Südafrika zusammen. DerSüdpol lag inmitten seiner Glazialerscheinungen, in Südafrika. Die um ihn lagernde Eiskappe hatte eine Ausdehnung, die ungefähr derjenigen der diluvialen Nordpoleiskappe entpricht, so daß keine abenteuerliche Vereisung der ganzen Süd- halbkugtl mehr angenommen werden muß. Aber auch der permkarbonische Nordpol macht jetzt keine Schwierigkeiten mehr, denn er kommt nach der Verschiebungstheorie auf heute 20 Grad Nord- breite mitten in den Pazifik zu liegen, wo keine Glazialbiidungen erzeugt werden konnten. So ist die We gener 'sehe Hypothese sehr wohl und mannigfach begründet. Es darf ihr zum mindesten jetzt schon der Wert einer Arbeits- hypothese zugesprochen werden. Sie wird zweifel- los zu einer Reihe neuer Fragestellungen auf den verschiedensten Gebieten Veranlassung geben, vor allem natürlich in der Geologie und ihren Nach- bardisziplinen, aber auch in Tier- und Pflanzen- geographie. Einzelberichte. Meteorologie. Mit dem Einfluß des Geschütz- feuers und der Minensprengungen auf die Witterung beschäftigte sich abermals die Pariser Akademie der Wissenschaften in ihrer Sitzung vom 6. August 1917 (Hildebrandson H., Quelques motssur l'influence possible des grands canonnades sur la pluie. C. R. t. 165 Nr. 6). Wie man wisse, sei die älteste Theorie über die Ursache des Regens jene von JamesHutton(i 784). Danach sei das Zusammen- treffen von zwei Luftmassen, die entweder ganz oder fast ganz mit Wasserdampf gesättigt smd, stets von einer Kondensation oder von einem Niederschlag begleitet. Man wisse jetzt aber, daß eine solche Vermischung niemals einen heftigen Regenfall veranlassen könne, sondern höchstens Wolken- und Nebelbildung begünstigte. 1867 habe als erster Peslin die Formeln der Thermodynamik auf die atmosphärischen Erscheinungen in An- wendung gebracht in seinem Werk: Sur les mouvementsgcneraux de l'atmosphere (veröffentlicht im Atlas meteorologique des Pariser Observato- riums). Er untersuche darin die Temperaturver- änderung einer mit Wasser gesättigten und einer nicht gesättigten Lufimenge, welche in höhere oder tiefere Schichten der Atmosphäre gelangen, und weise nach, daß eine Hauptursache des Regens in der dynamischen Abkühlung einer aufsteigenden Lufimasse zu suchen sei. Durch das Sinken werde dagegen die Luft erwärmt und könne deshalb keine Verdichtung des Wasserdampfes hervorrufen. Bekanntlich bauten später Hann, vonBezold u. a. auf diesen Ergebnissen Peslin's weiter, und gegenwärtig seien folgende Sätze zu allgemeiner Gültigkeit gelangt: 1. Die Vermischung von zwei mit Wasserdampf gesättigten Luftmengen kann niemals heftigen Regen hervorbringen. 2. Eine herabsinkende Luftmasse kann nie Regen veranlassen, wohl aber die Temperatur steigern und die in den oberen Luftschichten herschende Trockenheit erhöhen. 3. Die Hauptursache des Regens ist in der Abkühlung eines aufsteigenden Luftstroms zu suchen. Längere Zeit glaubte man, daß die Verdünnung der mit Wasserdampf gesättigten Luft genüge, um die Bildung von Regen zu veranlassen. Neue Versuche hätten indessen gezeigt, daß dies nicht zutreffe. Schon 1875 habe C ou Her nachgewiesen, daß das Vorhandensein von in der Luft suspen- dierten Staubteilchen zur Kondensation notwendig sei. Coulier's Ergebnisse wurden durch die verschiedenartigsten Versuche bestätigt von Mascart, Vueßling, Helmholiz Aitken und Melander. Wie später Wigand zeigte, gäbe es gewisse Staubarten, welche keine Konden- sation veranlassen, so z. B. der reine Kohlenstaub. Hygroskopischer Staub dagegen veranlasse eine solche sehr leicht; so wäre der Rauch z. B. sehr wirksam wegen der hygroskopischen Teilchen, N. F. XVI. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 1^1 die mit dem reinen Kohlenstaub gemischt sind . Endlich hätten Thomson.Aitken.Langevin, Chauveau, Frau Curie u. a. bewiesen, daß Ionen oder ionisierte Teilchen, besonders negative, am wirksamsten den Wasserdampf kondensieren. Es stehe nun außer Zweifel, daß das häufige und lang andauernde Geschützfeuer einen Einfluß auf den Regenfall haben könne. Die erste Bedingung allerdings sei, daß die Luft Wasserdampf bis zur Sättigung erhalte. Das Geschützfeuer könne dann lediglich den Regenfall beschleunigen, der auch sonst eingetreten wäre. Ein diesbezüglicher Versuch sei in Amerika angestellt worden. Es war eine große Summe ausgesetzt, um Mittel ausfindig zu machen, durch v/elche Regenfall entstehen könne. Die Versuche wurden 1892 ausgeführt in der Gegend von San Antonio (Californien), da man dort sehr unter trockener Witterung zu leiden halte. Es wurden 2000 kg bzw. 2270 kg eines Sprengmiltels (Rosselit) zur Explosion gebracht; außerdem ließ man je 150 Bomben platzen und 8 bzw. 12 Ballone explodieren, welche nur Rauchgas enthielten und gegen die Wolken aufgestiegen waren. Im Norden herrschte tiefer, im Süden hoher Druck; die Tem- peratur war 22.2 ^ C, der Taupunkt l6,i " C. Die Versuche, welche zwei Tage dauerten, verliefen gänzlich erfolglos, was nach dem, was wir von der Bildung des Regens wissen, auch selbverständlich war. Es bestehe also die Ansicht von Deslandres zurecht, daß ein Einfluß des Artilleriefeuers auf den Regenfall nur unter gewissen Bedingungen stattfindet, besonders insoweit es sich um lokale Niederschläge handelt. Sehr reichliche und an- dauernde Regenfälle dagegen können nach Lemoine nur durch starke Lufiströme und durch Gewitter veranlaßt werden. Die von S e b e r t aufgeworfene Frage, ob das Geschützfeuer auch in weiter Entfernung vom Schlachtfelde Regen veranlassen könne, stoße auf größere Schwierigkeiten. Es müsse vorausgesetzt Werden, daß große Luftmassen am Oite der Ex- plosionen sich erheben und in der Höhe auf Luft- schichten stoßen, welche mit Wasserdampf gesättigt seien ; erst dann sei es möglich, daß sie Regen- fälle verursachen. Nur durch Versuche könne diese Frage gelöst werden; es sei auch wenig wahrscheinlich, daß eine solche Beeinflussung der Wetterlage auf große Entfernung hin stattfinde. Man könne nicht annehmen, daß die während des Krimkrieges in Frankreich beobachteten Regenfälle durch die Schlachten im Süden Rußlands ver- anlaßt worden wären. Es konnten ofifenbar keine großen Luftmassen der Erdoberfläche entlang über hohe Gebirge und durch tiefe Täler sich bewegen. Je höher man sich in der Atmosphäre erhebe, um so mehr stoße man auf eine von West nach Ost gerichtete Luftströmung, welche von den wärmeren Gegenden komme und immer beständiger werde. Die Ständigkeit dieses in der Höhe der Cirruswolken (7 — 10 km) herrschenden Windes sei i^gestellt durch Beobachtung von Wolken und Luftballonen. Die Verschiebung großer Luft- massen von Ost nach West sei wegen dieser regelmäßig herrschenden Windrichtung unmöglich. S e b e r t berichtet, daß vulkanischer Staub oft lange Zeit in den höchsten Schichten der Atmo'^phäre schweben bleibe und einen grauen, den Himmel bedeckenden Schleier, ja sogar trockenen Nebel und rote Dämmerungserscheinungen hervorrufe, beim Ausbruch des Aetna (1723), auf Island (1783), des Krakatau (1883) und des Viatmai (19 12); bei dem des Krakatau blieben ungeheure Massen feinsten Staubes während mehrerer Jahre in den höchsten Luftschichten schwebend; noch 1890 sah man sie in hellen Nächten als „Silberwolken", deren mittlere Höhe Jesse zu 82 km bestimmte. Dieser Staub habe also die Stratosphäre erreicht, wo senkrechte Bewegungen nicht mehr vorkommen und wo die Temperatur (— 60 "^j fast unveränderlich bleibe. Dieser Staub sei also sehr langsam und in sehr kleinen Mengen in die tieferen Luftregionen heruntergefallen und habe keinen Regen in den sehr trockenen Luftschichten verursachen können. Übrigens erreiche auch der stärkste von Minen herrührende Rauch eine solche Höhe nicht. Kathariner. Um die äußere Zone abnormer Hörbarkeit, die während des Krieges häufig beobachtet worden ist, zu erklären, hat v. d. Borne angenommen, daß die schräg nach oben dringenden Schall- strahlen an der Grenze der in 70 bis 100 km Höhe befindlichen Grenze der Stickstoff-, Sauer- stoff- und der Wasserstoft'- Atmosphäre wieder nach unten gebogen werden und so zur Erde zurück gelangen. E. Schrödinger (Wien) kommt in der Physik. Zeitschr. XVIII (191 7) S. 445 auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß die Dämpfung der Schallwellen durch Wärmeleitung und innere Reibung so be- trächtlich ist, daß V. d. Borne's Theorie höchst unwahrscheinlich ist. Die Dämp- fung der Schwingung der Luftmoleküle einer ebenen Schallwelle ist in Luft von Almosphären- druck gering, jedoch nimmt sie nach den Unter- suchungen von Stockes, Kirch ho ff und Rayleigh mit wachsender Verdünnung zu, um sich allmählich stark bemerkbar zu machen. Die Beobachtung, daß durch größere Entfernungen hin fortgepflanzten Tönen und Geräuschen auf hohen Bergen alles Harte fehlt, daß es bei Hoch- fahrten im Ballon schwierig ist, sich über weitere Strecken zu verständigen, bestätigen dieses Resultat. Daß eine stärkere Dämpfung mit abnehmendem Druck eintreten wird, kann man ohne alle mathe- matischen Hilfsmittel auf folgende Weise plausibel machen: Während bei Atmosphärendruck die freie Weglänge — d. i. die Strecke, die ein Molekül im Mittel zwischen zwei Zusammenstößen zurück- legt — außerordentlich klein ist, nimmt sie bei kleiner werdendem Druck (Dichte) zu. Nähert sie sich der Wellenlänge der Schallwellen, dann findet, da Schallgeschwindigkeit und Molekular- 7o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. so geschwindigkeit von derselben Größenordnung sind, ein Austausch zwischen den Stellen ver- schiedener Dichte und Temperatur und den Orten verschiedener Massengeschwindigkeit der Schall- welle statt; es wird ein Transport von Wärme und Bewegungsgröße zwischen den verschiedenen Teilen der Welle vermittelt, so daß eine Störung der regelmäßigen Wellenausbreitung, der mit steigender Verdünnung wächst, eintritt. Schließ- lich wird die Wellenbildung überhaupt unmöglich. Es liegt auf der Hand, daß die Dämpfung für kurze Wellen größer ist und schon bei höheren Drucken eintritt als für lange. Töne, deren Wellenlänge kleiner als lO m ist, werden schon in verhältnismäßig tiefen Schichten der Atmo- sphäre vollkommen ab^^orbiert. Es ist ausge- schlossen, daß längere Wellen (die tiefsten in der Musik verwendeten haben eine Wellenlänge von etwa 30 m) bis zu einer Höhe von 80 km in der Luft von o" senkrecht nach oben dringen. Da nun einerseits die Temperatur mit der Höhe abnimmt und andererseits die Wellen schräg nach oben verlaufen, wird die Sachlage noch ungünstiger. Es ist demnach sehr unwahr- scheinlich, daß Schallenergie von merklicher Inten- sität bis an die etwa in dieser Höhe anzunehmende Grenze der Wasserstoffatmosphäre hinaufdringt. K. Seh. Mikrotechnik. Färbung mikroskopischer Prä- parate mit Farbstiften. In seiner Eigenschaft als Korpshygieniker fand E. Friedberg er (Münch. med. Wochenschr. 1916. S. 1675 ff.), als er einmal im Felde Ausstrichpräparate schnell durchzusehen und gerade keine Farblösung zur Hand hatte, daß eine intensive und distinktive Färbung der Präparate mit Hilfe eines Tintenstiftes (Kopierstiftes) möglich ist. — Der eigentliche Farbbestandteil des Tinten- stiftes ist das Methylviolett, d. Ref. — Es ge- nügte etwas Wasser auf das vorher in der Flamme fixierte Präparat zu tupfen und in dieses etwas Farbmasse zu bringen, was sich durch sekunden- langes Hin- und Herschwenken des Stiftes im Wasser bewerkstelligen ließ. Dieser Verlegenheits versuch brachte nun P'ried - berger auf den Gedanken, der unterdessen in die Tat umgesetzt ist, die für mikroskopische Färbungen am häufigsten benutzten Farbstoffe und Mischungen in Form derartiger Stifte herstellen zu lassen. Die HerstellungübernahmdieFirma Paul Altmann, Berlin N.W. 6. Der Vorteil liegt auf der Hand. Die Stifte machen das lästige Mitführen der verderbenden und eintrocknenden I-'arblösungen überflüssig (Feld, Expeditionen, Tropen usw.). Dem prak- tischen Ärzie, der nur selten zu färben hat, sind sie schnell zur Hand. In bakteriologischen Kursen, namentlich für Anfänger, gestatten sie ein sauberes Arbeiten. Bei jedem Präparat lassen sich, mit ganz schwachen Konzentrationen beginnend, die jeweils erwünschten Lösungen erzielen, ohne daß vorher im Glase die brauchbaren Verdün- nungen hergestellt werden müssen. Durch Zusatz von entsprechenden Chemikalien zu der Stiftmasse kann man auch fertige zugleich beizende, difteren- zierende usw. Farblösungen erhalten. Der Material- verbrauch ist minimal und sehr sparsam; die Stifte selbst sehr billig. Zu den Stiften wird ein praktischer Halter geliefert. Zunächst sind folgende sechs „Farbstifte nach E. F r i e d b e r g e r" hergestellt worden : Universal- stift, Rotstift, Blaustift, Karbolfuchsinstift, Chrysoi- dinstift und Giemsastift, von denen allerdings der Kriegsverhältnisse wegen nur die ersten drei augen- blicklich geliefert werden. Auf diese Weise her- stellbar sind aber fast alle gebräuchlichen Farb- lösungen und Kombinationen. Der Universalstift (violett) z. B. eignet sich für fast alle notwendigen Färbungen von Mikroorga- nismen. Ein einmaliges, kurzes Eintauchen und Umrühren des Stiftes in dem auf dem fixierten Objektträger- oder Deckglaspräparate befind- lichen Wasser genügt, um sehr distinkte Färbungen von Bakterien (Eiter, Gonokokken usw.) zu er- halten. Er liefert auch vorzügliche Gramfärbungen. Die Narhfärbung geschieht mit dem Rotstift. Auf dem Deckglase aufgeklebte Organschnitte lassen sich so gut wie Ausstrichpräparate nach Gram färben. Die gefärbt^ Ausstriche und Schnitte halten sich mindestens 5 Monate. Neuerdings teilt Hans Lipp (Münch. med. Wochenschr. 1917. S. 702 ff.) seine unterdessen an etwa 1000 Farbstiftfärbungen gewonnenen Er- fahrungen mit. Er ist angenehm überrascht von den tadellosen Färbungen, die mit den Stiften erzielt werden und empfiehlt sie besonders den Feldlazeretten und Ärzten im Felde, denn „sie sind in jeder Westentasche wie Bleistifte mitzu- nehmen. Sie benötigen zur Auflösung lediglich Brunnen- oder Regenwasser. Der Verbrauch der F"arbstiftmasse ist sehr gering; der Preis sehr mäßig. Sie liefern tadellose Bilder, die den durch Farb- lösungen in nichts nachstehen." Besonders hebt er hervor, daß die Spirochäten mühelos nach einer halbstündigen Färbung mit etwas intensiverer Lösung des Universalstiftes zu erblicken sind. Eine Tatsache, die besonders im Felde von hoher prak- tischer Bedeutung ist. Olufsen. Paläontologie. „Die Fährten von Chirothe- rium" untersuchte Karl Willruth in einer Hallenser Dissertation 1917 (Geolog.-Paläont.Institut, Geheimrat Dr. J. Walt her). Die ersten Chirotherium Fährtenabdrücke wurden 1833 von Gymnasial-Direktor Sirkler in Hildburghausen entdeckt und 1835 von Kaup als Chirotherium Barthi beschrieben. Im J. 1841 fand der Pharmaziestudierende P'eldmann Chirothe- riumfährten am Saaleufer zwischen Jena und Kunitz und ebenso im September desselben Jahres der damalige Pfarrer Vorbeck zu Aura a. S. in den Steinbrüchen der Gegend \-on Kissingen. Be- N. F. XVI. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ;uy sonders reich ist die Umgebung von Kulmbach (Eggenreuth, Kauerndorf, Blaich, Purbach, Ködnitz), deren Fährten 1847 eingehend beschrieben wurden und noch heute von dem eifrigen Lokalforscher Drogist Hesse gesammelt werden (Sammlung im Stadtmuseum in Kulmbach). Im August 1851 wurden zahlreiche Chirotheriumfährten ver- schiedener Altersstufen im Reinstädter Grund bei Gumperda unweit Kahla a. S. gesammelt, denen sich 1860 charakteristische Funde in der Nähe Fuldas, 1875 bei Istergiesel und 1891 bei Weißenfels an- reihen. Alle diese F'ährten entstammen den oberen, zumeist „Chiroiheriumsandstein", genannten Lagen des Minieren Buntsandsteins, die durch weißliche Farbe, kalkiges Bindemittel, feines bis mittleres Korn, Dünnplattigkeit von den mehr dickbankigen Lagen des übrigen Mittleren Bunisandsteins gut zu unterscheiden sind. Weitere F'ährten beschreibt Sand berger aus dem etwas höher liegenden „Fränkischen Chiro- theriumsandstein" des Rots. Heute besitzt wohl jede deutsche Universitäts- sammlung, sowie manche große Sammlung des Auslandes Exemplare der charakteristischen F'ährten von Hildburghausen, ebenso die Lokalsammlungen zu Altenburg, Coburg, Kulmbach, F"ulda, Gotha, Hildburghausen und Meiningen Funde aus ihrer Nachbarschaft. Zum besseren Studium der Fährten, die als Ausfüllung der Fährteneindrücke mit Sandstein vorliegen und deshalb stets nur die Unterseite, also das Liegende der Platte bedecken, wurden diese nach einem schon länger bekannten 'Verfahren abgeklatscht. Man benetzt ungeleimtes Papier (Filtrierpapier, das im Notfalle auch durch unbe- drucktes Zeitungspapier gestreckt werden kann), legt es auf die vorher abgewaschene Fährte und drückt es mit einer weichen Bürste durch fort- währendes Klopfen fest an die Fährte an. Das- selbe macht man mit einer weiteren Lage nassen Filtrierpapiers und wiederholt je nach der Höhe des Reliefs den 'Vorgang 3—5 mal. Je sorgiältiger das feuchte Papier angepreßt wird, um so schärfer und naturgetreuer wird der Abdruck. Nach 3 — 4 Tagen, wenn das Papier vollständig trocken ist, läßt sich nun die wirkliche Fährte als steifes Gebilde abnehmen und daran die verschiedenen Studien anstellen. Durch Aneinanderkleben ent- sprechender Abklatsche derselben Fährte kann ein Spursystem beliebig vergrößert werden, was für übersichtliche Studien von 'Vorteil ist. Unter all den vielen Fährten, an denen der Buntsandstein infolge seiner terrestrischen Ent- stehung reich ist, fällt sofort die Chirotheriumfährte durch ihre wohlcharakterisierte unverkennbare Form auf Die wichtigsten Hauptmerkmale sind: Hinterfuß bandförmig, 'Vorderfuß nur halb so groß und stets unmittelbar vor den Hinterfuß gesetzt. Es werden in Deutschland 2 Arten unter- schieden: Chirotherium Barthi und das kleinere in manchem abweichende Chirotherium Borne m_anni, das vielleicht nur eine Jugend- form der erstgenannten Art ist. Dazu kommt Ch. gallicum aus dem französischen Buntsand- stein von Saint 'Valbert bei Luxeuil, HauteSaone und von Lodeve, sowie Ch. Herculis aus dem englischen Buntsandstein von Tarporley. Uns interessieren hier die deutschen "Vorkommen. Chirotherium Barthi Kaup: Der bandförmige Hinterfuß zeigt 4 plumpe, vorn spitz endigende und mit Nägeln besetzte, aus 3 Gliedern bestehende Zehen. Die bei Jugend- formen gewölbte Flußsohle wird im Alter platt- fußartig. Die Ferse des Hinterfußes ist bei mittleren Formen schlank, wird aber im Alter plump. Ganz besonders charakteristisch ist der seitlich gerichtete fleischige Anhang der Ferse, der ungegliedert ist, spitz endigt oder etwas umgebogen ist. In der bisherigen Literatur wurde er als „Daumen" in- folge der ähnlichen Lage bei der Hand bezeichnet. Die abgeklatschten Spursysteme, sowie vor allem ein nach den Maßen der Fährte gebautes Re- konstruktionsmodell desChirotheriumtieres, mit dem die P'ährte abgeschritten werden konnte, haben ergeben, daß der bisherige „Daumen" — jetzt „Ballen" genannt — ein externer fleischiger un- gegliederter nagelloser Anhang der Ferse ist. Möglicherweise ist der Ballen ein Organ, das hauptsächlich zum Aufhalten (Bremsen) auf der glitschigen feuchten Tonunterlage diente, wofür vor allem das meist umgebogene Ballen- ende spricht. Daß die Tiere tatsächlich auf einer feuchten Tonunterlage, wahrscheinlich in einer Oase der Buntsandsteinwüste gewandert sind, das beweist der stets die Fährten bedeckende grüne Tonbelag. Die Breite des Hinterfußes beträgt etwa die Hälfte der Länge. Unmittelbar vor den Hinterfuß, in derselben Linie liegend und etwas nach außen übergreifend, ist der dazugehörige Vorder fuß geseizt, der nur etwa halb so groß wie der Hinterfuß und '% bis ^j^ so breit als lang ist. Die Zehen sind plump und endigen spitz. Der Ballen ist selten ganz abgedrückt, endigt spitz und ist selten um- gebogen. Unvollständig abgedrückte Vorderfüße zeigen manchmal nur 3 Zehen. Beim Gehen erfolgte der Hauptdruck auf die Zehen und den Zehenballen. Die Haut ist vielfach runzlig, warzenförmig. Die Entfernung des Vorderfußes vom Hinter- fuß ist etwa halb so lang als der Hinterfuß. Die einseitige Schrittlänge ist bei mittleren Individuen etwa 4 mal, bei kleineren 6—7 mal so groß wie die Länge des Hinterfußes. Daraus kann man schließen, daß ältere Tiere dickleibiger und schwer- fälliger waren. Der Hinterfuß der größten be- kannten Fährte (Reinstädter Grund bei Gumperda) ist 31 cm lang und 17 cm breit, während das als Normalform betrachtete Stück der Sammlung des GeologischPaläontologischen Instituts der Universität Halle, dessen Maße für das Holzmodell verwendet wurden, folgende Größenverhältnisse zeigt : 71Ö Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 50 Hinterfuß: 23 cm lang, 10 cm breit Vorderfuß: nicht genau bestimmbar Schrittlänge: 59 cm Nach dem Holzmodell zu schließen, war Ch. Barthi etwa von Wolfsgröße und besaß eine un- gefähre Rumpf länge von 76 cm Schrittlänge von 60,5 cm '^°''^^' von ^3 cm 72 Es kommt in 3 Gebieten in Deutschland vor: 1. nördlich des Thüringer Waldes (Jena, Gum- perda, Bockedra, Waldeck, Weißenfels), 2. südlich des Thüringer Waldes (Hildburg- hausen, Wasungen, Kulmbach), 3. Gegend von Fulda bis Aura bei Kissingen. Chirotherium Bornemanni Willruth: Unter dem von Bornemann gesammehen Material befand sich auch eine kleinere Fährtc von Harras, welche durch andere Gangart, andere Größenverhältnisse, größere Entfernung des Vorder- fußes vom Hinterfuße, weit größere Schrittlänge (bei 4—5 cm Länge des Hinterfußes bis zu 19,7 cm) und schlankere Form der Zehen von Ch. Barthi unterschieden ist. Auch folgen die Schritte nicht genau parallel, sondern stehen in einem spitzen Winkel zur Mittellinie. Der Hinterfuß ist 4,8 cm lang, 2 cm breit. Vielleicht i.st es nur eine Jugendform von Ch. Barthi. Ch. Barthi und Bornemanni' kommen nur in den hangenden Lagen des Mittleren Buntsandsteins vor, die auch „Thüringer Chirotherium- sandstein" genannt werden. Sie sind ein gutes Leitfossil für diesen Horizont. Der Chirotherium- sandstein bedeckt einen großen Teil Norddeutsch- lands, erstreckt sich bis Südhannover und geht süd- wärts bis über die Mainlinie. In Franken wurden 50 m über dem Thüringer Chirotheriumhorizont in dem sogenannten „Frän- kischen Chiroiheriumsandstein" bei Thüngersheim und Gambach Fußabdrücke gefunden, die nicht dem Ty()us Chirotherium Barthi angehören. Eine genauere Diagnose war wegen schlechter Erhaltung nicht zu geben. Die interessanten Untersuchungen von Will- ruth haben viel Klarheit in das Fährtenproblem des Buntsandsteins gebracht und haben unzwei- deutig die richtige Gangart von Chirotherium er- wiesen. V. Hohenstein, Halle. Physik. Zerlegt man die von der Antikathode ausgehende Röntgenstrahlung mittels einer geeig- neten Kristallplatte, dann findet man, daß sie aus zwei Teilen besteht: einem kontinuierlichen Spek- trum, das alle Wellenlängen enthält, ist ein dio- kontinuierliches überlagert. Die Wellenlängen des Linienspektrums ändern sich, wenn man das Meiall der Antikathode durch ein anderes ersetzt. Man stellt sich vor, daß beim Aufprall der Elektronen auf die Antikathode Bausteine der Atome des Antikaihodenmctalls in äußerst schnelle Schwin- gungen geraten und dabei die „charakteristische" Strahlung aussenden (das kontinuierliche Spektrum entsieht bei der Bremsung der Elektronen). Von der Erforschung der Hochfrequenzspekiren der Elemente dürfen wir wichtige Aufschlüsse über den inneren Bau der Atome erwarten, eine Frage, die in der modernen Physik eine große Rolle spielt. Es ist darum von großer Bedeutung, daß anscheinend ein zweiter Weg gefunden ist, um die .Atome eines Elementes zur Aussendung ihres Hochfrequenzspektrums zu veranlassen. In der Physikal. Zeitschr. (XVIIl (1917) S. 479) veröffent- licht M. Wolfke eine Arbeit über eine neue Sekundärstrahlung der Kanahtrahlen. In dieser wird, um das Ergebnis vorweg zu nehmen, nach- gewiesen, daß Zinn und Blei unter Ein- wirkung von Kanalstrahlen eine ziem- lich intensive durchdringende Strah- lung aussenden, die vermutlich ihre charakteristischeRöntgenstrahlung ist. Schon J. J. Thomson hat Blei mit Kanalstrahlen idas sind mit positiver Elektrizität beladene Gas- atome (Atomionen), die sich in Entladungsröhren auf die Kathode zu bewegen und zuerst von Goldstein beobachtet wurden, der sie durch in die Kathode gebohrte Kanäle hindurchgehen ließ) bestrahlt und gefunden, daß von dem Blei eine äußerst reiche Strahlung ausgeht; das ist wahrscheinlich die Bremsstrahlung der Kanal- strahlen. Für die Emission der charakteristischen Röntgenstrahlung unter der Einwirkung von Elek- tronen gilt nämhch die von Einstein aufge- stellte Beziehung, daß die kinetische Energie der Elektronen größer sein muß als h-n, wo h das Planck'sche Elementarquantum und n die Frequenz der kürzesten Wellenlänge der charakteristischen Röntgenstrahlung des betreffenden Metalls ist. Diese Beziehung ist neuerdings durch Untersuchung an Coolidge Röhren weitgehend bestätigt worden. Es ist nun wahrscheinlich, daß die Einst ein'sche Gleichung auch für den in Rede stehenden Vor- gang gültig ist. Das heißt aber, daß die Ge- schwindigkeit der betreffenden Kanal^trahlen größer sein muß als ein ganz bestimmter Betrag, damit eben ihre Wucht den erforderlichen Wert, bei dem die charakteristische Strahlung einsetzt, übertrifft. Das scheint bei den Versuchen von Thomson nicht der Fall gewesen zu sein; die Wasserstoffkanalsirahlen waren wahrscheinlich zu langsam. W o 1 f k e benutzt zur Untersuchung die Methode von Chadwik. Eine kreisförmige Blende ist in ihrer oberen Hälfte mit Blei-, in der unteren mit Aluminiumfolie bedeckt. Hinter der Blei- liegt Aluminium-, hinter der Aluminium- dagegen Blei- folie. Falk auf die so hergerichtete dünne Platte Kanalstrahlung, so trifft sie oben Blei, es wird eine intensive und harte Röntgenstrahlung entstehen, die das dahinter liegende Aluminium fast unge- snh wacht durchdringt. In der unteren Hälfte prallen die Kanalstrahlen dagegen zunächst auf das leichte Aluminium; es wird eine schwache N. F. XVI. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. und weiche Strahlung entstehen, die durch die dahinterliegendc Bleifolie weitgehend verschluckt wird. Eine phoiographische Platte, die in ge- ringem Abstände hinter der Blende liegt, wird demnach oben eine kräftige und unten nur eine schwache Schwärzung zeigen. Zur Erzeugung der Kanalstrahlen wird ein kugelförmiges Rohr benutzt, in dessen längerem seitlichen Ansatz die durch- bohrte Kathode liegt. Mit peinlicher Sorgfalt wird sowohl sichibares wie ultraviolettes Licht von der Platte ferngehalten. Da ja auch Kanalstrahlen die Platte schwärzen würden, werden die Folien dicker als 0,02 mm gewählt; diese Dicke ver- mögen Kanalstrahlen nicht zu durchdringen. Ein krältiges Magnetfeld hält die von der Kathode ausgehenden Kaihodenstrahlen von der Platte fern, während dieselbe durch einen Schirm vor direkten Röntgenstrahlen geschützt ist. Untersucht wird, wie schon erwähnt, Blei und Zinn, ersteres hat eine Dicke von 0,028 mm, letzteres von 0,016 mm. Die Aluminiumfolie, die in beiden Fällen verwendet wird, ist 0,007 "^i" dick. Die Belichtungsreihen betragen 2,5 bis 22 Minuten, der Druck in der Röhre 0,004 bis 0.007 mm. Die Untersuchung der Sekundärstrahlung des Zinn ergibt einen starken Kontrast zwischen den beiden Hälften des be- lichteten Teils der Platte. Beim Blei ist bei nied- rigen Potentialen des die Röhre speisenden Induktoriums (bzw. Influenzmaschine) kein Unter- schied wahrzunehmen. Erst bei einem Potential, das einer Funkenstrecke von 45 mm entspricht, zeigt sich ein deutlicher Kontrast. Dieses Resultat dürfte so zu deuten sein, daß erst bei die^em Potential der von Einstein geforderte Schwellen- wert für die kinetische Energie der Kanalstrahlen überschritten wird. Erweisen weitere Versuche, daß die neue Methode zur Erregung der charak- teristischen Strahlung brauchbar ist, dann haben wir ein wertvolles Mittel, den Erregungsvorgang der Hochfrequenzstrahlung zu untersuchen, da wir durch Veränderung der Gasfüllung des Rohres sowohl die Natur als auch den Ladungszustand der Kanalstrahlen variieren könnten. K. Seh. Anregungen und Antworten. KronUiere und Etappenliere, so möchte ich diesmal kurz und bündig den Gegenstand bezeichnen, der öfter unter Über- schriften wie „Über das Verhalten der Tiere im Kanipfgebict" behandelt wurde. Schon in den ersten derartigen Berichten von 191+ oder Anfang 1915, die von den Abwanderungen von Wild aus den kaniplduichtobten Landsireifen sprachen, kam es zum Ausdruck, daß viele größere Tiere durch das Kampf- getöse verscheucht wcrdrn, während kleinere ihr Gcbirt be- haupten. Ua diese einfache Erkeuntnis uns einen bestimmten Einblick in die Tierserle gewährt, wie wir ihn früher in gleichem Maße nicht halten, habe ich ihr stets .Aufmerksamkeit gewidmet und gefunden, daß sie sich immer wieder bestäiigle bis auf solche Ausnahmen, die besonders zu erklären sind. Folgende Reihen kann man nämlich aufstellen : Die größeren Tiere, die von Anlang an das Kampfgebiet meiden, sind unter den Haartieren Woli, Edelhirsch, Damhirsch, Reh und Wild- schwein, unter den Vögeln Seeadler, Storch, Auer- und Birk- huhn, Wildgans, Wildenten und Kolkrabe. Aller Wahrschein- lichkeit nach gehörten auch Braunbär, Luchs und Elch in diese Reihe, ja die vorliegenden Beobachtungen sprechen da- für, doch wurde es mit Bestimmtheit noch nicht angegeben. Der Wisent dagegen, der sich nicht vertreiben lieB, ist als gehegtes und an den Menschen gewöhntes Großiier ganz anders zu beurteilen. Den „Etappentieren" kann man als „Front- tiere" diejenigen gegenüberstellen, welche auch in der be- schossenen Zone sich halten; es sind: Fuchs, Dachs, Hase, Karnickel, Wiesel, Wanderratte und Mäuse unter den Haar- tieren, unter den Vögeln Zwergtrappe, Kornweihe, Krähen, Elster, Turm- und Baumfalke, Rebhuhn, Kiebitz, Triel, Grün- füßiges Ttichhuhn, Ei-vogel, Wachtel, Sperlingsvögel von der Amsel ab. Nur um Warmblüter handelt es sich bei der ganzen Frage, denn von keinem kaltblütigen Tiere ist bekannt, daß es aus dem Kampfgebiet gewichen wäre. Man sieht, es geht in obigen Reihen ziemlich genau nach der Größe, nur bei den Vögeln überschneiden sich beide Reihen etwa im Größcn- gebiet von Zwergtrappe bis Rebhuhn. Die Ursache dieser Erscheinung, die man kurz die Größen- regel nennen kann, ist natürlich so wenig einheitlich wie die Erscheinung selbst. Vielmehr handelt es sich um eine Viel- zahl von starken Reizwirkungen auf die Tiere, besonders von optischen, akustischen und mechanischen, wie Knall-, Staub- und Kauchwirkungen, gelegentlichen Bränden, Durchfurchung des Geländes mit Gräben, seine Durchlöcherung mit Gianat- trichtrrn, lebhafter Verkehr in ihm. Davon werden eine solche Vielzahl von Sinnespforten getroffen, daß Tiere sehr ver- schiedener Lebensweise, wie Fuchs und Hase, der Höhlen- bewohner und die Feldschläfer, sich gleichartig ver- halten können. Das verschiedene Verhallen der größeren und kleineren Tiere ist dagegen etwas, was man nicht un- bedingt erwarten konnte, und es lehrt, wie ich wiederhole, deutlich, daß die kleineren Tiere in einer ganz anderen Sinnes- umwelt leben als die größeren und wir, oder daß es bti den warmblütigen Tieren, so verschieden sie sonst auch organisiert sind, wesentlich von der Größe eines Tieres abhängt, welcher Art seine Umwelt, und ob sie der des Menschen ähnlich ist oder nicht. Überaus scharf fällt die Größengrenze bei den Hühner- vögeln aus, denn Wachlei und Rebhuhn gehören zu den Kamplbarten, Auer- und Birkhuhn stehen in der Li-te der Kamplflüchter. -Ähnlich scheint die Grenze bei den Corviden zwischen dm Krähen und dem Kolkraben zu liegen. Den Storch nahm ich in die Liste der Kampf flüchtenden auf, da unlängst in dieser Zeitschrift seine besondere Empfindlichkeit gegenüber der Kriegseinwirkungen erwähnt wurde, nicht ver- wunderlich bei einem Vogel von dieser Größe. Nun kann sich jedoch das Verhalten von Tieren gegenüber neuen Reizeinwirkungen mit der Zeit ändern, und dieser Fall i^t beim Wild mehrfach eingetreten. Das scheue Rehwild, das anfangs, wo es nur konnte, aus dem Kampfgebiet schnell wich, kthrie stellenweise auch am ehesten wieder zurück und gewöhnte sich an den Lärm der Be- schießungen, die ihm zwar wohl einmal gefährlich werden können, aber doch jedenfalls ihm nicht gelten. Wenn ferner einmal ein Hirsch vorm Drahtverhau geschossen wurde — nicht in der Zeit nach eben beendeten Bewegungskämpfen, wo es auf andern Gründen beruhen würde — so mag das ein Anzeichen sein, daß diese Tierart gleichfalls zurückwandert. Bestimmter und zahlreicher ist das beim Schwarzwild der Fall, wie immer mehr sich häufende Berichte lehren, und unter den Vögeln beim Birkwild, welches sogar Halzplätze im Granat- feuer bezogen hat, sodann stellenweise bei Wildenten und vielleicht Schnepfen. Als ich in diesem Sinne die Tatsachen in der Deutschen Jägerzeitung zusammenstellte mit der Bitte um etwaige weitere Beiträge zur Frage, wurde mir im allge- meinen durchaus beigepflichtet. Ein Einsender wollte als seine abweichende Ansicht hinstellen, daß das Auerwild nicht zu den Kampfflüchtern gehört. Hier wird sicher nur wieder die nachträgliche Umgrwöhnung vorliegen, denn anfangs war es ganz sicher anders. Möglichenfalls aber halte derjenige Recht, der eine von der meinigen abweichende Auffassung vom Fasan gewonnen haUe. Ich habe den Fasan allerdings nur hinter der Front beobachtet und ihn in der Front vermißt, durfte ?1Z Nalurwissetischaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 50 das aber, da anderweitige Mitteilungen übei ihn mir nicht bekannt waren, vielleicht nicht verallgemeinern. Unter den „Frunttieren" haben sich viele die Fluchtrefle.xe bei näheren oder ferneren Abschüssen oder Einschlägen nicht abgewöhnt, Singvögel fliegen erschreckt auf, Krähen kreisen dann eine Weile krächzend umher, Teichhiihner tauchen, aber sie alle verlassen das Gebiet nicht. Ja man muß sagen, diese Reaktionen sind keine anderen, als wie man sie aucli in der Heimal auf viel geringere Ursachen hin beobachtet. Bekannt ist, daß das Amsellied nur bei heftiger Kanonade, das Lerchenlied nicht einmal in diesem Falle verstummt. Nachts um 1 Uhr — etwa 2 Uhr nach Ortszeit — weckte sogar eine Explosion das Lied der Lerchen. Das Rebhuhn reagiert dort, wo oft Infanteriekugeln pfeifen, auf das Vorbei- sausen von ihm geltenden Gewehr- oder Revolverkugeln oft- mals gar nicht mehr. Zu dieser seiner Gewöhnung mag es bei- tragen, daß dieses Tier nebit manchen anderen, Zwergtrappe und Triel, Hase und Fasan, in der von Pllug und Sense ver- schonten Zone besonders gute Deckung und Äsuog finden. Bei der Aufzählung der Einwirkungen, die das Tierleben imKampfgebiet stören können, wurde der chemischen Ein- wirkungen nicht gedacht. Die Gasentwicklung der Geschütze und gewöhnlichen Granaten, der Pulvergeruch, der dicht bei der Einschlagstelle merklich mit Schwefelwassergeruch vermengt sein kann, dürfte kaum jemals nennenswerte Einwirkungen bei der Tierwelt zurücklassen, da er nur an eng umschiiebenen Punkten für kürzeste Zeit hinreichende Stärke haben konnte. Denn daß über dem ganzen Blachfelt an bewegten Fronten ständig eine Rauchwolke lagert wie über Großstädten, beein- trächtigt natürlich das Tier so wenig wie den Menschen. Viel schwerer wiegen jedoch starke Gasangriffe; leider liegen mir darüber erst sehr wenige zoologische Erfahrungen vor, nämlich seit langer Zeit nur ein Bericht in der Frankfurter Zeitung, einer im , .Fränkischen Kurier'', Nürnberg, und einige Notizen in der Zeitschrift „Wild uud Hund". Es handelt sich dabei um so starke Gasangriffe, daß auch die Pflanzen- leben schwer geschädigt und das Kleintierleben fast völlig ver- nichtet wurde, während schwächere, bei denen der Mensch unbedingt die Gasmaske aufsetzen muß, die Tierwelt oft nicht merklich beeinträchtigen. Bei starken Gasangriffen wurde an natürlichen Reflexen oder Instinkten außer Unruhe, Heulen oder Kreischen beobachtet, daß Hunde die Augen schlössen und sich zu verkriechen suchten, eine Katze ihre Jungen tief in Holzwolle barg und dann über ihnen verreckte, auch ein Meerschweinchen steckte den Kopf in eine Ecke, nachdem es eine Zeillang unruhig umhergelaufen war, während Rallen und Mäuse aus ihren Löchern hervorkamen und dann gleichfalls elend zugrundegingen. Pferde suchten auf die nächsten Höhen davonzukommen, ebenso suchte eine Eule nach ihrer Befreiung aus dem Käfig schleunigst das Weite, indem sie mit dem Winde davonflog, der Gaswolke vorauseilend. In anderen Fällen gruben Pferde ihre Nüstern und Augen heftig in den Sand ein. Schwerer zu erklären ist es, daß das Gas auf die verschiedenen Tierarten sehr ungleich stark wirkte. Die meisten Haartiere verenden, ebenso das Kerbtierleben, auch eine Kreuzotter fand man erstickt. Schon geringer ist die Wirkung auf Haushühner, da meist nur alte Hennen starben, noch geringer die auf Spatzen, die nur mit gesträubtem Gefieder und unter- geslecktem Kopf da.saßen, bis das Gas vorüber war. Aller- dings werden die Sperlinge hoch gesessen haben; aber be- sonders merkwürdig ist, daß an Rebhühnern, nach ,,Wild und Hund", das Gas völlig wirkungslos vorübergegangen ist. Schließlich möchte ich erwähnen, daß die Wirkung auf Pferde geringer sein soll als die auf Menschen, weshalb man bei uns für Pferde keine Gasmaske verwendet, obschon auch mit- unter Pferde im Gaskampf verendeten. Nun werden ja aller- dings Pferde im SteUungskampf auch nie so weil nach vorn gebracht wie Soldaten, und so weit, wie es nötig ist, nur lüi möglichst kurze Zeil. Sie sind der Gaswirkung also von vorn- herein weniger ausgesetzt als der Mensch. Man sieht, die Beurteilung der Gaswirkungen auf Tiere ist noch sehr un- sicher, auch darin, daß meist nicht bekannt geworden ist, welche Art Gas verwendet wurde. Für einige Fälle wird Chlorgas erwähnt. Im ganzen spielen die Gaswirkungen wegen ihrer örtlichen Be- grenztheit nur eine geringe Rolle für das Tierleben, sie sind nicht wesentlich bestimmend für die Vorstellung, die man sich vom Tierleben im Feuerbereich bilden muß, und die in der Aufstellung der Größenrcgel und in der Feststellung nachträg- licher Gewöhnungen zum Ausdruck kommt. Wo ihnen aber etwa höhere Bedeutung zukäme, da würde die Größenregel nicht mehr Geltung haben, denn sie spricht nur von Wirkungen der gewöhnlichen Kampfweise, den Beschießungen und ihren Begleiterscheinungen und F'olgen. V. Kranz. Der Zug des Kohlweißlings (Pieris brassicaej 1917 war der Kohlweißling in der Schwei; Jahr wahre Plage, nicht nur in den Ebenen sondern auch auf den Bergen und in den hochgelegenen Tälern. In einigen Gegenden sind nur die Rippen der Blätter geblieben I Am Ufer des Neuenburgersees waren die Schwärme von Kohlweißlingen so zahlreich, daß die Schmetterlinge Schneeflocken glichen. In einigen Orten habe ich auf den Straßen ganze Prozessionen von Kaupen des Kohl- weißlings gesehen. Aber was die Leser interessieren kann, das ist, daß ich bei meinen Wanderungen in den Alpen be- merkt habe, daß die Kohlweißlinge sehr hoch flogen und einen wahren Zug über die Berge machten. Man hat gesagt, daß die Schmetterlinge, die man sehr oft auf den Hochalpen (Gletscher und Spitze) findet, dorthin von dem Winde getrieben wurden. Ich bin jetzt ganz sicher, daß in der Mehrheit der Fälle, die Schmetterlinge selber auf die Hochalpen fliegen. Im Gegenteil, die starken Winde spielen eine sehr schlechte Rolle: sie stören und töten die Schmelter- linge, die auf die Berge fliegen. Die Untersuchungen, die ich dieses Jahr über die Wande- rungen des Kohlweißlings angestellt habe, sprechen sehr für einen wahren Zug der Schmetterlinge, der etwas an den Vogel- zug erinnert. In der Tat ging der Kohlweißling in seinen Wanderungen nicht von Blume zu Blume, sondern er flog sehr hoch über Täler, Gletscher, Grate und Spitzen, immer in einer Richtung und ein Schmetterling nach dem andern. Die Kohlweißlinge flogen in einer Richtung von NW. nach SO. So ging z. B. am II. Sept. ein Zug von Trient über den Trientgletscher und Fenclre d'Arpctte (2683 m) nach Val d'Arpette. Am 16. Sept. in Val Ferret habe ich ähnliche Züge über Chasse (1973 m) und über Bec Rond (2564 m) bemerkt. Am 23. und 24. Sept. habe ich andere Züge in Val de Bagnes geschm: der eine ging über Fionnay (1497 m) und der andere über den Gletscher vom Grand Deseil (2970 m) und über die Rosa blanche (3348 m). Wegen starken Windes von NW. sind viele Kohlweißlinge auf dem Grand Desert gestorben, und ich habe sie auf dem Gletscher gefunden. Am 30. Oktober habe ich nochmals einen Zug von P. brassicae über den Rochers de Naye (2045 m) bemerkt. In jedem Fall flogen die Kohlweißlinge sehr hoch über solche Pässe, Grate, Gletscher und Spitzen. Warum flogen diese Schmetterlinge so hoch, da, wo kein Kohl mehr zu finden war? Suchten sie vielleicht andere Täler und Ebenen, um Eier abzulegen? Ich weiß es nicht, aber um die Kohlweißling- wie andere Schmetierlingsplagen zu bekämpfen, ist es wahr- scheinlich sehr nützlich, ihre Züge zu untersuchen und zu studieren. B. Galli-Valerio, Lausanne (Schweiz). Karl Kuhn, Neuere Ergebnisse der Kanalstrahlenforschung, (i Abb.) S. 697. Ernst Kelhofer, Wegeners Verschiebungstheorie. (3 Abb.) S. 702. — Einzelberichte: H. Hil d eb randson , Einfluß des Geschülzfcuers und der Minensprengungen auf die Witterung. S. 706. E. Schrödinger, Äußere Zone abnormer Hörbarkeit S. 707. E. Fried - berger, Färbung mikroskopischer Präparate mit Farbstiften. 5. 708. Karl Willruth, „Die Fährten von Chirothe- rium" S. 70S. M. Wolfke, Über eine neue Sekundärstrahlung der Kanalstrahlcn. S. 710. — Anregungen und Ant- worten: Fronttiere und Etappenticre. S. 711. Der Zug des Kohlweißlings (Pieris brassicae). S. 712. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, InvalidenstraSe 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lipperl & Co. G. m. b. H., Naumburg a d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 23. Dezember 1917. Nummer 51. [Nachdruck verbo Die Reduktionsteilung im Pflanzenreich. Von M. Möbius, Frankfurt a. M. Der Vorgang der Befruchtung besteht bei allen Organismen in der Vereinigung zweier Zellen. Die dadurch neu gebildete Zelle nennen wir Zygote, da es sich nicht immer um ein befruchtetes Ei handelt, sondern auch gleichwertige, nicht als Ei und männliche Zelle unterscheidbare Zellen sich bei der Befruchtung vereinigen können. Das Wesentliche bei dieser Vereinigung ist aber die Verschmelzung der Kerne, des männlichen und weiblichen Kerns, was wir schon daraus erkennen, daß wenigstens die männliche Zelle ganz auf den Kern reduziert sein kann. Jeder Kern aber be- sitzt eine bestimmte Anzahl sog. Chromosomen, d. h. der das eigentliche Kerngerüst bildende Faden zerfällt bei den vorbereitenden Schritten zur Kern- teilung in eine bestimmte Anzahl von Fadenstücken, und diese Zahl ist von der Xatur für jede Pflanzen- art festgesetzt. Wenn nun also z. B. der Kern 12 Chromosomen besitzt und sich bei der Be- fruchtung mit einem anderen Kern derselben Art vereinigt, so besitzt letzterer natürlich auch 12 Chromosomen, aber der bei der Befruchtung durch die Vereinigung neugebildete Kern erhält dann 24 Chromosomen. Alle aus dem befruchteten Ei hervorgehenden Zellen, also alle Zellen des neuen Organismus werden nun 24 Chromosomen in ihren Kern führen, so daß bei der nächsten Befruchtung eine Zygote mit 48 Chromosomen iin Kern ent- stehen und so weiter immer eine Verdoppelung der Chromosomenzahl eintreten müßte, wenn nicht an irgendeinem Punkt der Entwicklung eine Reduktion auf die Hälfte vollzogen würde. So ergibt sich die Reduktion der Chromosomen als ein durchaus notwendiger Prozeß, ohne den sich in den aufeinander folgenden Generationen die Zahl der Chromosomen ins Unendliche vermehren müßte. Es hat sich nun herausgestellt, daß die Reduktion durch eine besondere Art der Kernteilung erfolgt, bei der nicht wie bei der gewöhnlichen die beiden Tochterkerne ebensoviel Chromosomen erhalten, wie der sich teilende Kern besaß, und die des- wegen typische oder Äquationsteilung genannt wird, sondern jeder Tochterkern nur die Hälfte der ur- sprünglichen Zahl erhält. Der Vorgang der Kern- teilung selbst verläuft etwas anders als bei der Äquationsteilung, so daß die Reduktionsteilung der typischen als atypische gegenübergestellt werden kann. Was die Einzelheiten betrifft, so verweisen wir auf die Lehrbücher und auf die Darstellung, die früher F. Rawitscher*) in dieser Zeitschrift von dem Prozeß gegeben hat, wir wollen nur er- ') Die Reduktion der Chr irw. Wochenschr. N. F. B enzahl in den Pfla 1908, S. 577.1 wähnen, daß sich die Reduktionsteilung in zwei Schritten vollzieht, von denen der erste als hetero- typische, der zweite als homöotypische Teilung bezeichnet wird. Daraus geht schon hervor, daß bei der Reduktionsteilung aus einem Kern vier Kerne oder aus einer Zelle vier Zellen gebildet werden, und so wird uns diese Tetradenbildung häufig als eine charakteristische Begleiterscheinung bei der Reduktionsteilung entgegentreten. Während nun bei den Tieren der Regel nach die Reduktion bei der Bildung der Reproduktions- zellen, also fast unmittelbar vor der Befruchtung erfolgt, verhallen sich die Pflanzen merkwürdiger- weise hierin ganz verschieden: die Reduktion kann direkt vor oder direkt nach der Befruchtung oder aber auch in einer anderen Phase der Entwicklung eintreten. Ja sogar in derselben Pflanzengruppe können sich die Untergruppen hierin verschieden verhalten, so daß es noch nicht möglich ist, eine Gesetzmäßigkeit in dieser Hinsicht für die Pflanzen festzustellen. Vielleicht erscheint es auch noch verfrüht, eine solche Zusammenstellung zu geben, da für viele Gruppen überhaupt noch nicht bekannt ist, wo und wie die Reduktion eintritt. Dies gilt besonders für die niederen Pflanzen, denn bei den höheren steht sie in Beziehung zu dem hier vor- handenen Generationswechsel, der darin besteht, daß nus dem befruchteten Ei eine Generation ent- steht, die ungeschlechtliche Sporen erzeugt und deshalb Sporophyt genannt wird, während aus der Spore die Generation entsteht, welche die Ge- schlechtsorgane bildet und daher Gametophyt heißt. Die Reduktion tritt dann beider Bildung der Sporen ein, so daß der ganze Gametophyt die einfache (haploide) Anzahl der Chromosomen bei seinen Kernteilungen aufweist, während nach der Befruch- tung natürlich die doppelte (diploide) Zahl von Chromosomen gebildet wird, der Sporophyt also diese auch während seines ganzen Entwicklungs- ganges besitzt. Man kann auch die erstere Gene- ration die haploide oder x-, die letztere die diploide oder 2x-Generation nennen, muß aber dabei im Auge behalten, daß es sich nur um ein zeitliches Zusammenfallen von zwei Vorgängen handelt, die im Grunde nichts miteinander zu tun haben. ^) Der Entwicklungsgang der einen Generation kann sich nun außerordentlich verkürzen, und so kann sowohl die haploide als auch die diploide auf wenige Zellen, ja auf eine einzige Zelle beschränkt werden, und die eigentliche Pflanze kann entweder ') Vgl. hierzu J. Buder, Zur Frage des Generation! wechseis im Pflanzenreich. (Berichte der deutschen botanische Gesellschaft 1916, Bd. 34, S. 559—576.) 714 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 51 die eine oder die andere Generation repräsentieren. Wir werden die Sache vielleicht am besten so dar- stellen, daß wir von den Pflanzen ausgehen, bei denen ein deutlicher Generationswechsel vorhanden ist und die eine Generation dem haploiden Zustand, die andere dem diploiden entspricht. Geeignet er- scheinen deshalb die Pflanzen, die an dem unteren Ende der sog. Reihe der Archegoniaten stehen, zu der von den Moosen an aufwärts alle höheren Pflanzen gehören. Bei den Moosen also ist die Moospflanze der Gametophyt und zugleich die haploide Generation, sie erzeugt die Geschlechtsorgane. Bei der Be- fruchtung vereinigen sich naturgemäß die zwei Kerne, der des Antherozoids, der männlichen, hier beweglichen Befruchtungszelle, mit dem Kern des im Archegonium ruhenden Eies. Aus dem befruchteten Ei entsteht die ungeschlechtliche, Sporogonium genannte Generation, die als Mooskapsel bekannt ist und in ihrem Innern das sporenbildende Gewebe (Archesporium) differenziert. Die Archesporzellen teilen sich zweimal, die erste Teilung ist die hetero- typische, die zweite die homöotypische, beide zu- sammen machen also die Reduktionsteilung aus und geben vier .Sporenzellen, deren Kerne schon haploid sind. Die Sporen liefern bei der Keimung die Moospflanze, von der wir ausgegangen sind. Alle Kernteilungen also, die bei der Entwicklung der Moospflanze auftreten, zeigen die halbe Chro- mosomenzahl von derjenigen, die den Kernteilungen bei der Entwicklung des Sporogons zukommt : die Zahlen sind beispielsweise bei Atitlwceros und Blyttia 4 und 8, bei Polytrichum 6 und 12. Dasselbe, nur scheinbar umgekehrt, ist bei den Farnen, Schachtelhalmen und Bär läpp - gewachsen der Fall. Hier ist die beblätterte Pflanze, also z. B. das Farnkraut, die ungeschlecht- liche Generation, der Sporophyt. In den Sporangien findet bei der Bildung der Sporen die Reduktions- teilung statt, jede Archesporzelle liefert wie bei den Moosen vier Sporen mit haploider Anzahl der Chromosomen in ihren Kernen. Aus der Spore entsteht das sog. Prothallium, das die Geschlechts- organe produziert, also die geschlechtliche und zugleich haploide Generation ist. Durch die Be- fruchtung des Eies, die im wesentlichen durch ähnliche Zellen erfolgt wie bei den Moosen, ver- doppelt sich natürlich die Chromosomenzahl. Das befruchtete Ei aber liefert den Sporophyt oder die ungeschlechtliche Generation, von der wir ausge- gangen sind, z. B. also die Farnpflanze. So zeigen z. B. beim Königsfarn, Osmtmda regalis, die Kern- teilungen im Prothallium 12, solche im Sporophyten aber 24 Chromosomen. Vergleichen wir Moose und Farnpflanzen, so finden wir bei letzteren die geschlechliche, die haploide Generation bedeutend reduziert gegen- über den ersteren. Noch mehr ist dies der Fall bei den höheren Farnen und Bärlappgewächsen wie Salvinia und Selaghiella nebst ihren Verwandten, besonders bei letzterer. Hier ist die geschlecht- liche Generation diöcisch, d. h. die einen Prothallien sind nur männlich, die anderen nur weiblich, und die männlichen und weiblichen sind nicht nur recht verschieden voneinander, sondern entstehen auch schon aus verschiedenen Sporen, die männ- lichen aus kleineren, die weiblichen aus größeren, so daß man schon beim Sporophyt Mikro- und Makrosporangien mit Mikro- und Makrospot en unterscheiden kann. Ganz besonders das männ- liche Prothallium, also die haploide Generation im männlichen Geschlecht, ist so verkümmert, daß sie nur aus wenigen Zellen besteht und nicht einmal die Spore, aus der sie entstanden ist, ver- läßt. Wenn nun auch die Spore in Verbindung mit der sie erzeugenden Pflanze — das ist natür- lich die diploide, ungeschlechtliche Generation — bleibt, so ist scheinbar die geschlechtliche Genera- tion ganz ausgeschaltet. Zu einem solchen Zustand sind die Blütenpflanzen oderPhanerogamen gelangt. Eine Blütenpflanze, sei sie ein einjähriges Kraut oder ein viele Jahre alter Baum, ist die un- geschlechtliche Generation, ist also diploid wie die höheren Tiere. Die Reduktion der Chromosomen muß daher vor der Bildung der Geschlechtszellen erfolgen, aber diese werden bei den Blütenpflanzen nicht direkt gebildet, sondern es schaltet sich eine rudimentäre haploide Geschlechtsgeneration ein in Übereinstimmung mit den schon erwähnten Moosen und Farnpflanzen. Und wie bei diesen entsteht die genannte Generation aus Sporen und tritt bei der Bildung der Sporen die Reduktion ein. Die Sporen sind aber hier auch in Mikro- und Makro- sporen unterschieden. Ganz deutlich ist die Ana- logie zwischen den Mikrosporen der höheren Ge- fäßkryptogamen und den Pollenkörnern, die immer ebenfalls zu viert aus einer Mutterzelle entstehen, wobei die Reduktion der Chromosomen erfolgt. Weniger deutlich ist die Analogie zwischen der Makrospore und dem Embryosack, allein eine eingehende Erklärung würde uns zu weit führen. Es sei deshalb bloß erwähnt, daß in den meisten Fällen in der Samenanlage, dem sog. Eichen im Fruchtknoten, nur eine Archesporzelle entsteht, die unter Reduktionsteilung vier Zellen bildet, und daß nur eine dieser Sporenzellen zum Embryosack wird, während die drei anderen zugrunde gehen. Die Zellteilungen bei der Keimung der Pollen- körner bis zur Entstehung der männlichen Sexual- kerne und ebenso die Zellteilungen innerhalb des Embryosacks bis zur Entstehung des Eies bilden die geschlechtliche Generation und gehören so- mit der haploiden Phase an. Bei der Bildung der Pollenkörner oder Mikro- sporen und des rudimentären männlichen Prothal- liums, das aus ihnen entsteht (des PoUenschlauchs), bleibt die Sache auch in Ordnung, d. h. die Keduk- tionsteilung findet immer bei der Bildung der Pollentetraden statt. Bei der Entstehung der weiblichen Geschlechtsgeneration aber treten Ab- weichungen von dem oben als Typus geschilderten Verhalten auf Man möchte sagen, daß die Pflanze nur noch daran denkt, daß sie eine Redukiions- teilung vornehmen muß, daß sie aber vergessen N. F. XVI. Nr. 5 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 715 hat, an welchem Punkt der Entwicklung dies der Phylogenie nach zu erfolgen hat. Und so kommt es vor, daß die Reduktionsteilung in den Embryosack selbst verschoben wird, statt bei seiner Entstehung vor sich zu gehen, d. h. es entsteht hier gar keine Tetrade, sondern eine Zelle des Knospenkerns in der Samenknospe wächst direkt zum Embryosack aus, und die ersten Teilungen ihres Kerns sind eine heterotypisclie und eine homöotypische, be- sorgen also die Reduktion. Ja es kommt sogar eine Zwischenstufe vor, insofern als die Archespor- zelle sich nur einmal teilt (heterotypisch), eine der Tochterzellen zum Embryosack wird, und dessen erste Kernteilung dann die noch zur Reduktions- teilung gehörende homöotypische ist. Immer aber ist das unbefruchtete Ei haploid wie der männliche Kern, der es befruchtet, und so wird die Zygote diploid und liefert eine diploide Generation, den Sporophyten, der in der Gestalt einer Phanerogamenspezies auftritt. Nebenbei be- merkt kann bei der Befruchtung der Angiospermen auch ein triploides Gewebe entstehen, wenn ein zweiter männlicher Kern mit zwei freien Kernen des Embryosacks verschmilzt, denn aus dieser dreifachen Zygote geht durch weitere Zellteilungen das als Nährgewebe fungierende Endosperm her- vor. Da dieses aber nur bei der Keimung eine passive Rolle spielt, niemals seinerseits wieder Fortpflanzungszellen erzeugt, so kommt dieser triploide Zustand für die weitere Entwicklung nicht in Betracht und bietet keine Veranlassung zu einer Ausgleichung oder Reduktion. Nachdem wir so in der Archegoniatenreihe bis an das obere Ende, zu den Angiospermen gekom- men sind, wollen wir nun sehen, wie sich an ihr unteres Ende andererseits die Algen anschließen lassen. Die größte Analogie mit den Moosen zeigt eine braune Meeresalge, Dictyota, deren etwa hand- langer Thallus aus wiederholt gabelig geteilten, schmalen Bändern besteht. Sie zeigt einen Gene- rationswechsel, der mit dem Wechsel der haploiden und diploiden Entwicklungsphase zusammenfällt, und in dem die beiden Generationen äußerlich vollkommen gleich sind. Wir finden zu einer ge- wissen Periode äußerlich gleiche männliche und weibliche Exemplare, die haploid (mit 16 Chromo- somen) sind. Aus der befruchteten Eizelle entsteht eine neue Generation, die im Aussehen von der geschlechtlichen nicht verschieden, aber diploid (mit 32 Chromosomen) ist und ungeschlechtliche Sporen erzeugt, die unter Reduktionsteilung zu viert in oberflächlich und einzeln sitzenden Sporan- gien entstehen. Jede dieser nun haploiden Sporen liefert bei der Keimung wieder eine männliche oder weibliche haploide Pflanze. Das ist also das Verhalten, von dem man eigentlich ausgehen sollte, denn nach der einen Seite wird die haploide geschlechtliche, nach der anderen die diploide ungeschlechtliche Generation überwiegend, und zwar stellen sich die Moose auf jene, die F"arne und höheren Pflanzen auf die andere Seite. Die Algen aber schließen sich größtenteils den Moosen an unter immer stärkerer Verkürzung des diploiden Zustandes, während einige von ihnen sich gerade umgekehrt verhalten. Da sind zunächst die Cutleriaceen zu er- wähnen, die wie Dictyota zu den kleineren Braun- algen gehören und ihre Entwicklung normaler- weise in zwei auch äußerlich verschiedenen Gene- rationen vollziehen. Die ungeschlechtliche Gene- ration (die Aglaozonia-V oxm) bildet einen flachen, scheibenförmigen Thallus und ist diploid, ihre Fort- pflanzungsorgane sind Schwärmsporen, die in größerer Zahl in schlauchförmigen Sporangien entstehen und bei deren Bildung die Reduktion eintritt, indem die beiden ersten Teilungen im Sporangium die Zahl der Chromosomen von 48 auf 24 herabsetzen. Die haploiden Schwärmsporen lassen eine aufrecht wachsende, band- bis faden- förmige Pflanze (die Cutler iaVoxvcC) hervorgehen, die sowohl männliche als auch weibliche Gameten bildet. Diese sind natürlich auch noch haploid, und erst die Zygote wird wieder diploid und liefert die ungeschlechtliche Generation, von der wir ausgingen. Auf die abweichenden Verhältnisse, die durch Ausschaltung einer Generation eintreten können, wollen wir hier nicht eingehen. Ähnlich wie Dictyota verhalten sich gewisse F I o r i d e e n (Rotalgen), weil sie einen regelmäßigen Generationswechsel mit äußerlich gleichen Gene- rationen besitzen, und weil die ungeschlechtliche Generation die Sporen unter Reduktionsteilung zu viert, als sog. Tetrasporen ausbildet. Die haploiden Tetrasporen entwickeln sich teils zu männlichen, teils zu weiblichen, sonst aber einander gleichen Pflanzen. Nun aber entsteht aus der Zygote nicht gleich die Tetrasporenpflanze, sondern das Gebilde, das man als die Frucht der Florideen, den Sporen- haufen oder Glomerulus zu bezeichnen pflegt und, wenn es von einer besonderen Hülle umgeben ist, Cystocarp nennt. Aus der befruchteten Eizelle oder anderen Zellen, mit denen jene in eine enge Verbindung tritt (man nennt sie deshalb Auxiliar- zellen), sprossen nämlich erst Fäden aus, deren Glieder zu den als Carposporen bezeichneten, sich ablösenden Fortpflanzungszellen werden. Natürlich sind die Carposporen auch schon diploid und man könnte den Fruchtkörper der Florideen mit dem Sporogonium der Moose vergleichen, aber der Unterschied liegt nun darin, daß nicht an diesem Organ, sondern erst an der Pflanze, die aus den Carposporen entsteht, die Reduktion der Chromo- somen sich vollzieht, nämlich, wie oben gesagt, an der den Geschlechtspflanzen gleichenden Form bei der Bildung der Tetrasporen. Äußerlich be- trachtet haben wir hier also eigentlich drei Generationen: die geschlechtliche Pflanze, die Sporenfrucht und die Tetrasporenpflanze: die ersteren beiden sind morphologisch miteinander verbunden, die letzteren beiden sind zwar getrennt, bilden aber zusammen die diploide Entwicklungs- phase, während die haploide nur durch die erste dargestellt wird. Der geschilderte Entwicklungs- 7i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. 51 gang ist bekannt für Arten von Polysiphonia, Rhodoincla, Griffitksia und Delcsseria. Wie sich die Sache bei denjenigen Florideen verhält, bei denen die Tetrasporen auf den Ge- schlechtspflanzen entstehen , werden bald neue Untersuchungen lehren. Andere Arten wie Nito- phyllian piinctatum bilden neben den Geschlechts- organen auf derselben Pflanze statt der Tetra- sporen Monosporen, die ohne Reduktionsteilung entstehen, wo letztere aber stattfindet, ist noch fraglich. Solche Arten, die keine Tetrasporen bilden, sind in der geschlechtlichen Generation haploid, die befruchtete Eizelle ist natürlich diploid und erfährt eine Reduktionsteilung, bevor aus ihr der Fruchtkörper entsteht. S ve de li us, ^) dem wir diese Kenntnisse großenteils verdanken, nennt solche Formen haplobiontische im Gegensatz zu den zuerst erwähnten und als diplobionlische bezeichneten. Unter den braunen Algen kennen wir nun noch zwei Gruppen, die sich gewissermaßen in entgegengesetzter Richtung entwickelt haben, so nämlich, daß bei den einen die ungeschlechtliche Generation die eigentliche Pflanze vorstellt, bei den anderen die geschlechtliche, in beiden Fällen aber die diploide Phase (höchst wahrscheinlich wenigstens). Die erste Gruppe bilden gewisse Lamhiaria- hvien, an denen erst neuerdings ent- deckt worden ist,-) daß aus ihren Schwärmsporen winzige, rasch vergängliche, männliche und weib- liche Prothallien entstehen, ähnlich wie bei höheren Farnpflanzen. Das Ei muß diploid sein, demnach auch die daraus sich bildende große Laminaria. Daß bei der Bildung ihrer Schwärmsporen wie bei denen von Aglaozonia die Reduktion erfolgt, braucht kaum in Zweifel gezogen zu werden. Die andere Gruppe bilden der Blasentang, Fiicus, und verwandte Formen. Die Pflanze ist diploid, denn ihre vegetativen Teilungen zeigen dieselbe Zahl von Chromosomen wie die erste Teilung des befruchteten Eies, die Reduktion der Chromosomenzahl erfolgt demnach bei der Ent- stehung der Eier und Spermatozoiden, wie bei den Tieren, also mit vollständiger Ausschaltung einer ungeschlechtlichen Generation. Bemerkens- wert ist dabei, daß nach den Beobachtungen von Strasburger nach der ersten Vierteilung im Ei- behälter (nach den 2 Reduktionsteilungen) eine Ruhepause eintritt, und dann erst die weiteren Teilungen einsetzen, die zur Bildung von acht Eiern (bei Fuchs wenigstens) führen, daß ferner die vier ersten Kerne, die im Antheridium entstehen, tetra- edrisch angeordnet sind, wie die der Sporenanlagen im Sporangium, wenn Sporentetraden entstehen. Daß die Oogonien- und Antheridienanlagen aber eine „Zusammenziehung von Tetrasporangien und Gametangien" darstellen sollen, wie Strasburger ') Das Problem des Gencialionswechsel.s bei den Florideen. (NTaturw. Wochenschr. N. F. XV. Bd., 1916, Nr. 25 u. 36.) ■-) Vgl. N.iturw. Wochenschr, N. F. Bd. XVI, 1917, S. 578. will, scheint doch eine etwas zu weit gegangene, künstliche Deutung zu sein. Es ist aber nicht nötig, daß bei der Ausschal- tung oder Verkümmerung der ungeschlechtlichen Generation die Reduktionsteilung bei der Bildung der Geschlechtszellen erfolgt, sondern sie kann auch bei der Keimung des Eies eintreten, und dann ist die geschlechtliche Pflanze haploid! Von dieser Möglichkeit machen die grünen Algen (Chloro- phyceen) und Characeen Gebrauch, deren gegenseitige Verwandtschaft durch Übereinstim- mung in diesem Punkte eine größere Wahrschein- lichkeit erhält. Die Characeen, auch Armleuchteralgen ge- nannt, besitzen nur geschlechtliche Fortpflanzung. Wenn die Zygote von Cliara, das befruchtete Ei, keimt, so teilt sich zunächst ihr Kern zweimal, aber von den vier gebildeten Kernen degenerieren drei und werden von dem obersten, vierten durch eine Querwand abgetrennt. Der übrig bleibende teilt sich weiter, indem nur aus der oberen Zelle der Keimling entsteht. Offenbar tritt die Reduk- tionsteilung bei der Teilung des Kernes der keimen- den Zygote ein, was ja auch gut mit der Tatsache übereinstimmt, daß es sich dabei um eine Art Tetradenteilung handelt. Die diploide Phase be- schränkt sich also bei C/iara auf d\e ruhende Zygote. Reste der ungeschlechtlichen Generation können wir noch bei Coleochaete und OeJogoniiDii finden, die mikroskopisch kleine grüne Algen des Süß- wassers sind. Bei ersterer erfolgt nachweislich die Reduktionsteilung bei der ersten Teilung des befruchteteu Eies, aus dem ein kleiner scheiben- förmiger Körper entsteht, dessen Zellen zu Schwärm- sporen werden. Daraus aber ergibt sich, daß auch diese ungeschlechtliche Generation schon haploid geworden ist, daß also haploide und diploide Phase nicht mit geschlechtlicher und ungeschlecht- licher Generation zusammenfällt, denn ein diploider Kern ist nur während des Zygotenzustandes vor- handen. Noch einfacher liegt die Sache bei Oedogonium, allerdings nur der Vermutung nach, denn die recht schwierig zu beobachtende Keimung der Zygote ist noch nicht cytologisch untersucht worden. Was liegt aber näher, wenn die Zygote bei der Keimung vier Schwärmsporen liefert, als anzunehmen, daß wir hier eine Tetradenteilung vor uns haben, bei der die Reduktion der Chromosomen erfolgt? Bei Ulothrix, der Kraushaaralge, die wie Oedo- gcmiinn aus einfachen Zellfäden besteht und durch Kopulation von Schwärmsporen sich geschlechtlich fortpflanzen kann, teilt sich nach Klebs der Protoplast der Zygote bei der Keimung in vier Zellen, deren jede für sich in einen neuen Faden auswächst. Hierbei wäre also die Reduktionstei- lung zu vermuten, doch bedarf die Sache noch weiterer Untersuchung, da nach anderen Angaben sich aus der Zygote 2 — 14 Schwärmsporen bilden können. Möglich, daß auch bei ihrer Entstehung die Reduktion vollzogen wird. Von den zuletzt erwähnten Algen können wir N. F. XVI. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 717 leicht zu den Conjugaten übergehen, bei denen die Zygote durch Verschmelzung von zwei gleich- artigen, nicht frei beweglichen Geschlechtszellen (Gameten) gebildet wird. Sie sind teils einfache Zellfäden, teils einzeln lebende Zellen. Letztere bilden die durch ihre zierlichen Formen bekannten Desmidiaceen, bei denen sich zwei Gruppen unterscheiden lassen : 1. Bei Cylhidrocystis, dem sich wahrscheinlich Mesotaeniuni anschließt, ist die Zygote dipioid, keimt nach einer Ruhepause und teilt sich bei der Keimung in vier gleiche Zellen, die alle zu neuen Pflanzen werden; bei der Vierteilung tritt die Reduktion ein. 2. Bei Closleriuin, Costnarium und wahrschein- lich auch anderen Arten ist das Verhalten der Zygote, die Reduktion und die Keimung nach einer Ruhepause wie bei i beschaffen , aber es entstehen nicht vier gleiche Kerne, sondern zwei große und zwei kleine und nur zwei Keimlinge, deren jeder einen Großkern und einen Kleinkern besitzt. Indem der Kleinkern degeneriert, bekommt jede Zelle wieder einen haploiden Kern. ') Aus den fadenförmigen Conjugaten sind ver- schiedene Spirogyra- und Zygne}na-kx\.itx\ unter- sucht und in ihrem Verhalten verschieden befunden worden, so daß wir wiederum zwei Gruppen unter- scheiden können. Bei der einen macht die diploide Zygote eine Ruhepause durch und erst bei der Keimung tritt eine Reduktionsteilung ein unter Bildung von vier Kernen, von denen aber nur einer, der sog. Großkern, erhalten bleibt, die drei anderen, die Kleinkerne, degenerieren, so daß der Keimling wiederum nur einen haploiden Kern besitzt und diesen Zustand auf alle Zellen des Fadens vererbt. Bei der anderen Gruppe erfolgt die Reduktionsteilung sofort nach der Kernver- schmelzung bei der Kopulation, und von den vier dabei entstehenden Kernen bleibt nur der Groß- kern in der Zygote erhalten, da die drei Klein- kerne degenerieren. Es ist also schon die ruhende Zygote haploid, der diploide Zustand auf die denk- bar kürzeste Periode eingeschränkt. Den Desmidiaceen sind die Diatomaceen oder Kieselalgen in der Zierlichkeit der Gestalt, der Koloniebildung und der Vermehrung durch Teilung ähnlich, auch in der Kopulation zeigen sich gewisse Analogien, merkwürdigerweise aber verhalten sich in Hinsicht auf die Reduktionsteilung die beiden Familien recht verschieden. An das vorhin erwähnte Clostcrinm schließen sich viel- leicht noch am ehesten gewisse zentrisch gebaute Formen der Diatomeen an, doch sind die Vorgänge im einzelnen noch zu wenig erforscht. Bei der marinen Art Corctliron Valdiviae scheinen die vegetativen Zellen haploid zu sein und ebenso die kleinen Schwärmsporen, die in größerer Zahl aus einer Zelle entstehen und sich paarweise zu einer ') Vgl. H. Kauffmann, Über den Entwicklungsgang von Cylindrocystis (Zeitschr. f. Bot. VI. 1914. S. 72?— 774.). diploiden Zygote vereinigen. Bei deren Keimung vollzieht sich die Reduktionsteilung ähnlich wie bei Closteruuii und bilden sich vier Kerne, zwei Großkerne und zwei Kleinkerne, aber nur zwei Keimlinge, in denen je ein Großkern erhalten bleibt. Bei den nicht strahlig gebauten Diatomeen, der sog. Gruppe der Pcnnalae, sind im Gegensatz zu den vorigen und den Conjugaten die sich vege- tativ teilenden Zellen dipioid und erfolgt die Reduktionsteilung bei der Kopulation, durch welche aber hier nicht eine ruhende Zygote, sondern nur größere Zellen gebildet werden, sog. Auxosporen, die sich wieder in immer etwas kleiner werdende Zellen teilen. Hier hat man drei Fälle unter- scheiden können: 1. Bei Rlwpalodia gihba legen sich zwei Zellen aneinander, in jeder entstehen vier Kerne unter Reduktionsteilung, zwei Groß- und zwei Kleinkerne, und indem jene Zellen sich teilen, bilden sich zwei Gametenpaare mit je einem Groß- und einem Kleinkern in einem Gameten. Bei der Verschmel- zung der Gameten, wodurch also zwei Zygoten entstehen, vereinigen sich nur die Großkerne, die Kleinkerne verschwinden. 2. Bei Surirella saxonica teilen sich die Zellen, die zusammentreten, nicht, vielmehr entstehen in jeder unter Reduktionsteilung vier Kerne, und diesmal ein Großkern und drei Kleinkerne. Bei der nun erfolgenden Kopulation der Zellen ver- einigen sich nur die Großkerne, während die kleinen verschwinden. 3. Bei Cocconeis vereinfacht sich die Sache noch mehr, indem die Tetradenteilung nicht mehr vollständig ausgeführt wird, sondern nach der ersten Teilung ein Tochterkern degeneriert und nur der andere sich teilt und zwar in einen Groß- und einen Kleinkern. Die kopulierenden Zellen enthalten dann also je zwei ungleiche Kerne; in der Zygote, die zur Auxospore wird, bleiben zu- nächst nur die zwei Großkerne erhalten, da die Kleinkerne zugrunde gehen, schließlich ver- schmelzen auch die ersteren. Die Diatomeen der Pennatae-Gruppe bilden eine Ausnahme unter den Algen insofern, als ihre Zellen bei der Äquationsteilung dipioid sind wie die der Tiere und höheren Pflanzen, die Reduktionsteilung daher vor der Kopulation stattfindet, während bei den anderen einfach gebauten Algen die Zellen des Thallus haploid sind und die Reduktion nach der Kopu-lation, also bei der Keimung erfolgt. Nur Fucus verhält sich wie die Tiere, während Dictyota und gewisse Florideen mit ausgesprochenem Gene- rationswechsel noch eine besondere Gruppe bilden. Was schließlich die Pilze betrifft, so ist über die niederen Formen so wenig bezüglich der Reduktionsteilung ermittelt, daß wir auf sie nicht eingehen wollen. Um so interessanter liegen die Verhältnisse bei den höheren Formen, den Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVI. Nr. Schlauchpilzen oder Ascomycetcn und den Basidiomyceten. ') Bei den ersteren erfolgt die Reduktionsteilung im Schlauch, in dem die Sporen gebildet werden. Der junge Schlauch, eine längliche Zelle am Ende eines Fadens, enthält bei allen bisher genauer untersuchten Ascomyceten zwei Kerne , die miteinander verschmelzen. Dieser diploide Kern teilt sich nun, und zwar ist die erste Teilung heterotypisch, also eine Reduktionsteilung. Die durch die zweite Teilung entstehenden vier Kerne teilen sich aber meistens noch einmal, so daß acht Kerne und aus ihnen acht Sporen entstehen, die haploid sind und ein haploides Mycelium liefern. An diesem entwickeln sich die Sexualorgane, die allerdings nur bei einigen Arten bekannt sind (viel- leicht auch nicht überall vorkommen), und von denen die eigentliche Fruchtbildung ausgeht. Wenn nun die Kopulation, die Befruchtung, stattfindet, verschmilzt der männliche Kern nicht mit dem weiblichen, sondern die Kerne legen sich nur an- einander, und diese Paare gehen auf die sich weiter aus der Zygote bildenden Zellen über, sie teilen sich „konjugiert" weiter. Was jetzt entsteht, können wir also als diploide und ungeschlechtliche Generation betrachten: es sind die Hyphen, die schließlich die Schläuche liefern und daher ascogene Hyphen genannt werden. So kommt es, daß der junge Schlauch mit zwei Kernen ausgestattet ist, von welchem Zustand wir oben ausgegangen sind. Dem Ascus ist die Basidie homolog. Auch sie enthält in einem gewissen jugendlichen Zustand zwei Kerne, die dann verschmelzen, und bei der Teilung dieses neu gebildeten Kernes erfolgt die Reduktion der Chromosomen. Damit können wir uns aber nicht begnügen, wenn wir wissen wollen, woher die beiden Kerne der Basidie stammen, und wie sich der haploide und diploide Zustand zu den morphologischen Entwicklungsformen verhält. Zum Verständnis dieser Verhältnisse müssen wir sogar die ver.>-chiedenen Abteilungen der Basi- diomyceten einzeln betrachten und werden am besten von den Rostpilzen ausgehen. Bei ihnen entsteht die Basidie als Keimprodukt der sog. Winterspore, und die letztere ist es, in der die oben erwähnte Kernverschmelzung stattfindet. Aus ihr sproßt ein kurzer Zellfaden aus (eben die Basidie), der aus vier Zellen besteht. Vermutlich sind diese vier Zellen eine solche Tetrade, wie wir sie in Verbindung mit der Reduktionsteilung auf- treten sehen, vermutlich also, mit anderen Worten, tritt bei der Teilung der Basidie in vier Zellen die Reduktion ein. jede Zelle der Basidie schnürt eine Spore (Sporidie) ab, und wenn diese keimt, entsteht bei gewissen Formen eine andere Gene- ration, deren Fruchtform als Aecidium bezeichnet wird. Seiner Anlage aber geht ein Sexualakt vor- aus, wie bei der Fruchtbildung gewisser Ascomy- ') Vgl. hierzu die übersichtliche Zusammenstellung über die Sexualität der Pilze von H. .Sierp, in „Die Natur- wissenschaften" 1915 Heft 17. ceten, der jedoch auch nur in einigen Fällen be- obachtet worden ist. Und wie bei den Ascomy- ceten verschmelzen die Kerne nicht, sondern legen sich nur aneinander und teilen sich konjugiert weiter. So entstehen schon zweikernige Sporen im Aecidium und, wenn diese keimen, entsteht ein Mycelium mit zweikernigen Zellen, das der diploiden Phase entspricht. An ihm werden dann Sommer- und Wintersporen gebildet, erstere sind auch zwei- kernig, in letzteren aber tritt die oben schon er- wähnte Kernverschmelzung ein. Freilich spielt sich der Entwicklungsgang nicht immer in solcher Weise ab, doch müssen wir uns mit diesem Typus begnügen. Bei den Brandpilzen gehen wir auch von der Spore, der sog. Brandspore aus, in der zwei Kerne zu einem verschmelzen, und aus der die Basidie auskeimt. Diese besteht bei l'stilago aus vier Zellen und schnürt vier Sporidien ab: es ist also soweit alles ganz ähnlich wie bei den Rost- pilzen. Hier wäre dann auch die Reduktion der Chromosomen bei der Teilung der Basidie zu suchen. Bei den Tilletia-hritn aber ist die Basidie einzellig und erzeugt zahlreiche Sporidien: die Reduktion wird also erst bei deren Entstehung vor sich gehen. Die haploide Phase ist nun aber sehr beschränkt, denn die Sporidien kopulieren, und nun legen sich die Kerne wieder aneinander, und bei der Keimung entsteht ein Mycelium mit diploiden, aber zweikernigen Zellen, die später direkt zu den Brandsporen werden und erst in ihnen die Kerne wirklich verschmelzen lassen. Die Bildung und Kopulation der Sporidien kann auch ersetzt werden dadurch, daß an dem auswachsen- den Mycel Schnallen auftreten und durch diese Anastomosen hindurch der Übertritt der Kerne und ihre Paarung ermöglicht wird. Schließlich können die Kernpaare auch dadurch erzielt werden, daß die Wände zwischen zwei benachbarten Zellen sich auflösen. Hinsichtlich der Einzelheiten muß auf die Lehrbücher verwiesen werden. Die höheren Basidiomyceten, zu denen die meisten unserer sog. Schwämme gehören, verhalten sich weit einfacher. Ihre Basidie ent- steht nicht durch die Keimung einer Dauerspore, sondern ist, wie bei den Ascomyceten der Ascus, einfach das Endglied eines Fadens im fruktifizieren- den Gewebe (Hymenium). Die Kernverschmelzung und die Reduktionsteilung des Zygotenkerns finden in dieser Basidie statt. Es entstehen hier in der Regel nur diese vier Kerne und sie begeben sich in die am oberen Ende der Basidie gebildeten Sporenanlagen. Wenn sich aber aus diesen die reifen Sporen entwickeln, teilen sich die Kerne wieder und dadurch werden die reifen Sporen zweikernig. Keimen nun die Sporen, so liefern sie ein Mycel mit zweikernigen Zellen, und dieses bleibt so bis zur Bildung der Basidien, in denen erst die eigentliche Verschrrielzung der Kerne, also die Befruchtung, eintritt. Überall erfolgt gleich darauf bei der nächsten Kernteilung in der Basidie die Reduktion, aber die anderen Vorgänge sind N. F. XVI. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 719 verschieden je nach den Arten. Haben wir vorhin die Entwicl