.M«iüi äSa NATllfWlSSENSCHÄFTLICHE M)CHENSCHRIFT / — ^'^UEFOLXjE 3-BAND ',^ ' 1903 Af c^. /r. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. REDIGIERT VON Prof. Dr. H. POTONIE, und Dr. F. KOERBER, KGL. LANDESGEOLOGEN KGL. OBERLEHRER IN GROSSLICHTERFELDE BEI BERLIN. NEUE FOLGE 111. BAND (DER GANZEN REIHE XIX. BAND). (OKTOBER 1903 — DEZEMBER 1904.) JENA. VERLAG VON GUSTAV FISCHER. 1904. Alk- Rechte vorbehalten. Register. Allgemeines und Verschiedenes. D e B ;i r y , F, r i k s s o n , K 1 c li ;i b n , Myko- plasma-Theorie (mit Abb.l. 859. Börnstein, R., Weshalb Musikstücke mit tiefen Noten schließen. (Ürig.) 793. Dahl, (Jkologieu. Ethologie. (Orig.) 416. Dorn u. Wallstabe, Physiol. Wirk. d. Radiums. 928. France, Neue Untersuchungen über den Bau der Zelle. (S.-R. mit Abb.) 281. Fuchs, W., Das Keimgewebe der leben- den Geschöpfe. (Orig.) 961. G r a e b k e , Das Wesen des Begriffs der Gewohnheit. (Orig.) 625. Heilig, Konjugation u. natürl. Tod. (Orig.) 465- Heuser, Natürl. u. künstl. Erzeugnisse. (Orig. mit Orig. -Abb.) 593. K o 1 k w i t z , Wasserbiolog. Exkursion. 702. Lemke u. Ascherson, PHanzensagen. (ürig.) 687. Macfadyen, Neue Methode physiol. Forschung (mit Abb.) 652. Matthias, Latinisierung von Namen (Orig.) 383. Meisen heimer, Beziehungen der Süd- kontinente zu einem antarktischen Schöpfungszentrum (S.-R. mit Karte) 20. Möbius, K., Vögel, ästhetisch betrachtet. 667. Ner esheimer, Konjugation u. natürl. Tod (S.-R.) 604. P f u h 1 , Die Allmacht des Lichts (Orig.) 433. Plate, Was ist Konvergenz^ (Orig.) 64. Potonic, Plauderei über die Macht der Gewohnheit. (Orig.) 7. Reinhardt, Der Schlaf (Orig.) 801. Schröder, B., Über den Schleim und seine Bedeutung i;69. Schulz, N., Zerfalfdes Biogcn-Moleküls (Orig.) 624. Schutt, Kosmologie als Ziel der Meeres- forschung (Orig.) 705. Weiß, B., Entwicklung (Orig.) 737. Werner, Die Tierwelt in der bildenden Kunst. (Orig.) 835. Der Terminus ,, Experimentelle Morpho- logie". 592. Fette im Haushalt d. Natur u. des Men- schen. 470- 'Honigtau. I 76, 864, 960. PhysiologcnkongreB. 655, 718. Vers. D. Naturf. u. Arzte. 495. Anthropologie und Verwandtes. B e d d o e , Ureinwohner d. brit. Inseln. 616. du Bois-Reymond, R., Physiologie 1 des Schwimmcns. 745. B i e b e r , Anthropologie Äthiopiens. 92 I . Cunningham, Rechtshändigkeit des Menschen. 298. Dahl, Kraniometrie. (' 'rig. mit Orig.-', Abb.) 975. Dodge, Wüsten u. Menschen 665. Fehlinger, Sterblichkeit der europ. u. der Negerrasse (Orig.) 280. Fritsch, G., Vgl. Betrachlungen üb. d. ältest. ägypt. Darstellungen von Volks- typen (Orig. mit Orig.-Abb.) 673. Krämer, A., Anthropologie d. Samoaner 778. Meyer, E., Das Eolithen-Problem. (Orig.). 854. Odernheim er, Die Steinkammern bei Erdbach (Orig.) 150. P r e u ß , Entw. d. allmexik. Religion (Orig.) 257. Risley, Indische Rassentypen. 842. Schwarz, Sintflut u. Völkerwanderungen 160. Stelz ner, Synästhesie 407. Stratz, Was sind Juden? 517. Verner, Hellfarbiger Typus d. Bantu- neger 458. Ward, Rassenverschnielzung 532. Wein hold. Rcfraktionszustände des menschlichen Auges (Orig. mit Abb.) 225, 336. Wettstein, Vererbung und Auslese beim Menschen 361. Wilser, Urheimat d. Menschengeschlechts 74- Wilser, Über angebl. nur kletternde Mensclien (Orig.) 80, 128. Zander, Riesen u. Zwerge (Orig.) 385. Zander, Zwergvölker (Orig.) 417. Amerikanisten-Kongreß 462. Bräunung der Hautfarbe im Sommer 752. Kinderheiraten u. Bevölkerung Indiens 683. Über das Centrale d. Handwurzel 544. Zoologie. Apitzsch, Anpassung der Tiefseefauna (S.-R. mit Abb.) 161. Babak, Nahrung und Länge des Darm- kanals (mit .Abb.) 584. Ballerstedt, Zurückziehung einer Ameisenkolonie durch den Mutterstaat (Orig.) S24. Ballowitz, Gigantische Spermien 519. Bernstein, J., Elektr. Eigenschatten d. Zellen u. ihre Bedeutung 761. Bigelow, Gehörsinn der Fische. 871. Bongard, Biologie unserer Leuchtkäfer (Orig. mit Orig.-Abb.) 305. H ö nn i ngh aus, Gehörsinn der Wale. 1016. Brandes, Duftapparate bei Käfern 500. Brandt, Neuere Ergebnisse der Meeres- forscliung 636. Brenner, Meine Erfahrungen mit Skor- pionen (Orig ) 263. Bretscher, Die Neotenie bei den Am- phibien (S.-R.) 513. Brinkmann, Tiere u. Alkohol I Orig.) 471. Bruhns, Die 6 Berichte Schiaparellis üb. seine Maßforschungen (S.-R. mit Abb.) 49. B r u n i n g , Räuberische Süßwasser- schnecken (Orig.) 9, Brüning. Ampullaria gigas. (Orig. mit Orig.-Abb.) 779. Büsgen, Honigtau. (Orig.) 960. V. Büttel, Lebensweise der Hummeln (Orig.) 299. Chun, Leuchtorgane austral. Prachtfinken 471. Dahl, Schutzfärbungen der Tiere (Orig.) 367- Dahl, Calathus (Orig.) 384. Dahl, Welches Lehrbuch d. Zoologie soll man dem Unterr. an höheren Schulen zugrunde legen (Orig.) 769. Dahl, Planktonforschung (Orig) 830. Dawydoff, Zwischenform zw. Meduse u. Rippenqualle (mit Abb.). 971. Diem, Bodentiere in den schweizer Alpen 644. Dreyer, Einw. des Lichtes auf Amöben 646. E b e r t , Beispiele hervorragender tierischer Intelligenz. (Orig.) 378. Ehrenbaum, Über den Hummer (mit Abb.). 55. Emanuel, Labyrinth u. Thal. opt. des Frosches. 407. Forel, Automatismus. (Orig.) 551. Gör ich. Die neuen Studien über die Zellteilung. (S.-R. mit Abb.) 113. V. Gößnitz, Kicmenbogenlheorie der Wirbeltiere. (Orig. mit Abb.) 129. Guldberg, Wanderungen der Barten- Wale. 987. Günther, K., Nervenendigungen auf den Schmetterlingsflügeln. 666. Haupt, Leuchten der Organsmen. (Orig. mit Orig.-Abb.). 65. H e i n r o t h , Der Vogelzug. 202. :i S 8 2 9 Register. Henning, Gesch. d. Sandflohes in Afrika. (Orig.) 310. Hennings, Marine Myriopoden. 442. HoHiday, Reduktion des Genitalapp. bei Ameisen. 762. H olmgren, Vivipare Insekten (mit Abb.). 714- Holragren, Ameisen als Hügelbildner (mit .'Vbb.). 970. Hucke, Conchyliometrie. (Orig. mit Orig.-.^bb.) 1009. I h e r i n g , Biologie der stachellosen Honig- bienen Brasiliens (mit Abb.). 234. Kathariner, Orientierungsvermögen der Honigbiene (mit Abb.). 746. Keil hack, L., Cladoceren der Krummen Lanke. (Orig.) 727. Klien, Verhalten der Vorkernc nach d. Befruchtung. iS.-R. mit .'\bb.) 596. Kolbe, H. J., AlkohoUiebendc Tiere. (Orig.) 632. Kolbe, Über die psychischen Funktionen der Tiere. (Orig.) I. K r u p p u. B i a n c o , Tiefsee-Fischerei bei Capri 907. Langlev u. Lucas, GröUtes fliegendes Lebewesen (mit Abb.). 566. V. Lenden feld, Flügelgröße u. Körper- gewicht. (Orig.) 952. V. Linden, Die gelben und roten Farb- stoffe der Vanessen. 265. V. Linden, Hautsinnesorgane auf. d. PuppenliUllc von Schmetterlingen. 250. Lu ck s, Die Floscularien: Berichtigung. 16. V. Martens, Schleimfäden von Limax. (Orig.) 768. A. G. Mayer, .atlantische Form des Palolowurms. 303. M i c h a e 1 s e n , Fauna des Baikalsees. 746 Müller, Max, Erdhummel u. ihre Var. 935- N eh ring, Reiflzähnc der Raubtiere. (Orig.) 127. Neureuter, Lebensdauer der Insekten. (Orig.) 289. Noel, Die Fliege Chlorops lineata. 888. P e c k h a m , Richtungssinn b. den soli- tären Wespen (mit Abb.). 856. Phisalix, Immunität der Vipern und Nattern. 955. Pino, Sehpurpur. 937. Prowazek, Zellbewegungen während der Teilung. (Orig. mit Orig.-Abb.) 808. Rabes, Höhe des Vogelfluges. (Orig.) 331. Raspail, Mauersegler. 683. Rauther, System. Stellung von Gordius. 793- Reinhardt, Winterschlat. (Orig.) 403. R i e g 1 e r , Gefrierenlassen lebender Fische. 33°- Ri eg 1 er , Elektr. Ströme u. Chaeiopoden. 2'5- Rörig, Wirtschafll. Wert d. Vogel. 583. Rüge, E., Zellverbindungen. (S -R. mit Abb.) 817. Sanderson, Aus dem Leben d. Schlupf- wespen. 423. Schäfer, Schenkeldrüsen der Eidechsen. ^5- .... Schillings, Tierleben i. d. ost-airikan. Wildnis. 670. Schlickum, Beinabwur( beim VVclier- knecht. (Orig.) 716. Schmid, Aug., Die sogenannte Riesen- kraft der Insekten. (Orig.) 109. Schneider, K. C, Entst. d. Gliederung des Tierkörpers. (Orig.) 545. Schnitze, Oskar, Geschlechtsbildende Ursachen. 697. Schulz, Fr. N., Quelle der Muskelkraft. (Orig. mit Schemata. 1 353. Schuster, Ausbreitung des Girlitzes in Deutschland. 616. Schuster, W'., Jun.x Torquilla (Wende- hals). (Orig.)" 937. Schuster, W., Klappert der Storch? (Orig.) 955- Spengel, Schwimmblase, Lunge und Kiemen. 120. Spengel, Die Nesselkapseln der .Aoli- dier. (Orig. mit Abb.) 849. Thienemann, Vogelwarte Rossitten. (Orig.) 44. Tönniges, Schnecken als Parasiten. (Orig. mit Abb.) 241. Tornier, Überzählige organ. Bildungen (mit Abb.). 585. Ule, Ameisengärten. 493. Werner, Franz, Natürlicher Tod bei Reptilien u. Batrachiern. 921. W h e e 1 e r , Asseln-fressende Ameisen. 988. Wolff, Winterschlaf der Fledermäuse. (Orig.) 34S. Wolterstor ff, Methode zur Erhaltung von Leuchttieren. (Orig.) 32. Wolterstorff u. Jakob, Bastardnatur von Triton Blasii 871. Zaccharias, Vorkommen von Drepano- thrix dendata. (Orig.) 845. Ziegler, Einw. d. Alkohols auf d. Entw. d. Seeigel. 313. Zuntz, Blutkreislauf u. Ernährung der Organe. 538. Anableps tetrophthalmus, Lebensweise von. 768. .Vphis brassicae. 896. Aufgabe der Zahnnerven. 928. Augustmilbe. 800. Coleophora auf Astragalus. 848. Drahtwurm (Agriotes). 592, 704. Drüsensekret v. Salamandern etc. 432. Ei, dottcrluses. 224. Endemische Säugetiere Südamerikas. 544. Entstehung v. Weibchen bei höh. Tempe- ratur. 96. Flugvermögen der Tiere. 825. Fortjiflanzung des Flußaales. 655. Gewitterwürmchen. 256. Haeckel's Versehen in bezug auf Embryo- logie. 1040. Leuchtorgane von Vögeln. 634. Macropodcnnahrung. 768 Nahrung für Reptilien. 640. Neotenie bei Tritonarten. 431. Präparation von Tierskeletten. 7^4- Rattenschwanzlarven. 752. Regenwurmarten, deutsche. 8S0. Regenwürmer, Hautdrüsen. 944. Schmarotzer auf Aptelsinen u. a. Früchten. 464. Schwalben-Wanze. 1008. Über Eier u. Embryonen des .^xolotl. 672. Zoologenkongreß. 446. Botanik. Andreac, Insekten und Blumen. 76. .Asch crson, P., Embahuba-Baum. (Orig.) 992. BaUcrstedt, Pfl. -Anpassung an Boden- verhältnisse. (Orig mit Orig.-Abb.) 715. Baur, Denitrifizierende Bakterien der Ostsee. 139. Beyer, Paraffineinbettung pflanzl. Ob- jekte. (Orig.) 448. Brenner, Blattformen von Quercus Hex. (Orig. mit Orig.-Abb.) 519. Brenner, Abhängigkeit der Blattgestalt vom Klima. 1024. Buchenau, Staubblätter in Fruchtknoten von Melandryum (mit Abb.) 668. Czapek, Wurzelausscheidungen der Pflanzen. 208. Dangeard, Sexualität b. d. ."Vscomyceten. 425- Detto, Bedeutung der äther. Ole und Harze im Leben der Pflanze. (Orig. mit Abb.) 321. D ru d e , Pflanzenzwergformen der Japaner. 592- Drumond, Übereinstimmung der Flora Europas u. N. -.Amerikas. 888. Frey tag, Eine vermißte Pflanze. (Orig. | 60. F i 1 i p p , Wie sich die Pflanzen das Sonnen- licht dienstbar machen. lOrig. mit Abb.) 897. Gaidukov, Einfl. farbigen Lichtes aul d. Farbe d. Oscillarien. 605. Geisenheyner, Mainzer Sandflora. (Orig.) 713. Gothan u. Rosenthal, M., Jahres- ringe an der Baumgrenze i. d. .Mpen (mit Orig.-Abb.). 872. Gra ebner, Kampf ums Dasein i. d. Pflanzenwelt. (Orig.) 250. Grau, Meeresbakterien. 153. Grüner, Wanderung durch Heide, Ur- wald u. Moor. (Orig.) 374. Heller, A., Wirk, äther. Öle auf die Pflanzen. 973. Hennings, Eine neue deutsche Cla- thracee. (Orig. mit Orig.-Abb.) 10. Hennings, Wodurch entsteht der Feuer- schwamm. (Orig.) 48. Hennings, Gefärbtes Holz unserer Wald- bäume. (Orig.) 62. Hennings, Pilzexkursion nach Finken- krug. 202 Hennings, Hausschwanim an lebenden Bäumen. 496. Hennings, Leuchtende Hutpilze. (Orig.) 570. Hildebrandt, Bananen. 399. Höstermann, Einw. des Kochsalzes aul" Wiesengräser. 41. Iltis, Licht und Wurzehvachstum von Wasserpfl. 698. Janczewski, .\ntimeridian - Pflanzen. 927. Jansen, Bakteriensporen und Licht. 747- K i en i tz- G e rl o f f , Über die Symbiose von Pfianzenwurzeln mit Pilzen. (S.-R. mit Abb.) 177. Klebahn, Spezialisierung der Rostpilze. 587. Kny, Einschaltung des Blattes in das Verzweigungssystem der Pflanze. (Orig. mit Abb.) 369. Kolkwitz, Süßwasserbiologie u. Ab- wässerbesciligung. 669. Krause, E. H. L., Flora zwischen Mainz und Ingelheim. (Orig.) 379. Lauf fs, Physiol. Wirkung des Perchlorats auf die Pflanze. 90. Lindau, Pilze des Taumellolchs. (Orig.) 809. Lindemuth, Entstehung von Kartoft'el- sorten. (Orig.) 336. Register. III Macdougal, Mutation im Pflanzenreich. 945- Ma.ximow, Einfl. der Verletzungen auf die Respirationsquotienten. 121. Molisch, Eine blaue Diatomee. iio. Molisch, Rotfärbung der Chlorophyll- körner. 141. Molisch, Leuchtende Pflanzen. (Orig.) 641. Molisch, Blattbeweg, bei O.xalis hedy- saroides. 988. M o 1 i s c h , Assimilationsversuch mittels der Leuchtbakterienmethode. 1017. Möller, Gipfeldürre der Fichten. 846. Müller, Karl, Pflanzen mit eigenartiger Ernährung. 219. Neger, Stelzenpflanzen in der heim. Flora. (Orig. mit Orig.-Abb.j 300. Nabokich, Einfl. der Sterilisation der Samen auf die Atmung. 172. Ostenfeld, Apogamie bei Hieracium. 1005. PaUadin, .Atmung der Alge Clorothe- cium. 794. Pfuhl, Bäume u. Wälder l'osens. (Orig. mit Abb.) 922. Prowazek, Variationskurven von Cen- taurea Jacea. (Orig. mit graph. Darst.) 424. Reinke, Symbiose von Volvox u. Azoto- bakter. 443. Rostock, Biol. Bedeutung der Drüsen- haarc von Dipsacus silvestris. 494. Röss ig, Bildung der Pflanzenzellen. 1004. Schlickum, Abnorme Kirschblüten. (Orig.) 683. Schulz-Herford, .'\bnorme Blüten- bildung beim Mais. (Orig. u. Orig.- Abb.) 534. Seckt, Quecksilber u. grüne Pllanzen. (Orig.) 988. Sievers, Die Cisternen der Flechten. (Orig.) 302. Stahl, E., Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 763. S t ä g e r , Infektionsversuche mit Gramineen bewohnenden Clavicepsarten. 140. V o 1 k e n s , Laubwechsel tropischer Bäume. i_97' V. Wettstcin, Biologie unserer W'iesen- pflanzen. 826. Wittmac k, Über die Baumzwicbel. (Allium canadense). (Orig.) 16. Wittmack, Über Arum cornutum. (Orig.) ' 59- Wittmack, Geschichte der Kultur- pflanzen. 413. Wittmack , Unterscheidungsmerkmale der Getreidearten vor der Blüte. (Orig.) 992. Algenarten in Aquarien. 528. Botan. Tauschvereinc. 1040. Degenerierende Varietäten von Kulturpfl r 500. Equisetum-Kultur. 480. Freie Vereinigung f. System, u. Pflanzen- geographie. 126, 429. Populus euphratica. 368. Wiesenwachs. 864. Palaeontologie. F'raas, E.,Stammesgesch. d. Archaeocetcn (Urwale). 862. Gothan, Präparation von Braunkohlen- hölzern zur mikrosk. Untersuchung. (Ofig)' 574- Gothan, Jahresringbildung bei den Araucariten-Stämmen in ihren Bezieh. auf ihr geol. Alter. (Orig. mit Orig.- Abb.) 913. Jahn, J. J., Lobolithen. (Orig.). 527. J a c k e 1, Präparation foss. Knochen. (Orig.) 368. Koehne, Sammeln foss. Rindenrestc. (Orig. mit Orig.-Abb.) 408. Lucas, F. A., 2 neue foss. Vertebraten. 794- Nehring, Diluviale Springmausrcstc. (Orig.) 215. N or d enski öld , E., Mastodonten Süd- Amerikas. 989. Odernheim er, Inseklcnresle in Zu- sammenhang mit Petroleumvorkommen. (Orig.) 845. Pohle, Das Mammut in d. Vergangen- heit Sibiriens. (Orig.) 577. Potonie, Cunealopteris. (Orig.) 16. Potonie, Die Zusatzfiedcrn der Farne. (Orig. mit Abb.) 33. Salcnsky, Uns. Kenntn. vom Mammut. 889. Stiasny , Pseudofossil von Pinsdorf. (Orig. mit Orig.-Abb.) 956. Voigt, Reste der Eiszeitfauna in mittcl- rhcin. Gebirgsbächen. 684. Dendriten. 864. Pareiosaurus, ein Perm. -Riesentier aus dem nördl. Rußland (mit Abb.) 635. Versteinerter Wald von Arizona, (mit Abb.) 73'- Geologie und Mineralogie. Becke u. Löwl, Geol. Bau der Hohen Tauern (mit Profil). 588. Böhm, G., Marine Abi. d. Juraformation i. d. Molukken. 973. Burckardt, Landzusammenhang d. südl. Erdhälfie. 571. Drevermann, Entstehung des rhein. Schiefergebirges. (Orig.) 292. Gagel , Bohrprobensammlung der geolog. Landesanstalt. (Orig.) 78. Gans, Bedeutung der Nährstoffanalyse in agron. u. geogn. Hinsicht. 30. Geinitz, E., Bilder von Windwirkungen 1 am Strande. (Orig. und Orig.-Abb.) 1025. Gerland Erdbebenforschung. 84. Harbort, Magneteisenerzlager. 112. Hutton, F. W., Geolog. Gesch. Neu- seelands. 938. Hübner, Nitratlager der Sahara. (Orig. mit Karte.) 573. Jentzsch, Eisrücken am Gaußberg. (Orig. mit Abb.) 425. Kayser, Erich, Bildungsgeschichte des Rheintales. 88. K o e rt , Meeresstudien und ihre Bedeutung f. d. Geologen. (Orig. mit Orig.-Abb.) 481. Lacroix, Ausscheidung von (^)uarz in Eruptivgesteinen. 698. Lang, O., Der Lamsberg bei Gudensberg. (Orig. mit Oiig.-Abb.) 449. Lang, O., Gipfelkrönungen v. Vulkan- kuppen. (Orig. mit z. T. Orig.-Abb.) 929. Lawson, Algonkium. 141. Loebe, Unterschied zwischen Ton und Tonerde. (Orig.) 64. Nötling i'bergang zwischen Kreide und Tertiär. 535. Ochscnius, Wasserkissen. 91. Odernheime r, Asbeslfundstätten. (Orig.) 237- Odern heimer, Erdölvorkommen in Norddeutschland. (Orig.) 606. Ostmann, Patagonischc Formation. 154. Passarge, Inselsberg-Landschaften im Irop. Afril.a. (Orig. mit Orig.-.\bb.) 657. Philippi, Organische Ablagerungen am Grunde d Tiefsee. (Orig) 38 1. Potonie, LehmgeröUe. (Orig. mit Orig - Abb.) 810. Sapper, Vulkanische Erscheinungen in Guatemala. 83. Scheibe, Natürl. u. künstl. Edelsteine. 540. Solger, Das Alter der Erde. 2^3. Spring, Durchtränkung des Sandes. 473. Spring, Wasserdurchlässigkeit von Sand, Lehm und Ton. 554. Stille, Geologische Linien im Land- schaftsbilde Mitteldeutschlands. (Orig. mit Abb.) 865. Wagner, P., Der Humboldtfelsen im Zittauer Gebirge. (Orig. mit Orig.-Abb.) 187. Wahnschaffe, .Vusflug nach Staßfurt. 124. Wahnschaffe, Das Gifliorner Hoch- moor bei Triangel. (Orig. mit Orig.-Abb.) 785. Walth er , J., Entstehung und Besiedelung der Tiefseebecken. (Orig.) 721. Weber, Fried r., Kalisyenit des Piz Giuf. 1005. Weckbecker, Graphit aus Holzkohle und Ton. 669. Wilckens, Itedeutung von Eruptiv- Breccien als erdgeschichtlicheUrkunden. (Orig. mit Profil.) 26, 640. Angebliche Neubildung von Steinkohle. 764. Der Asphalt (mit Abb.) 443. Kristallnetze 672. Mineralienhandlungen. 720. Mud. 384, 448, 512, 560. Geographie und Geophysik. A rc h en h ol d , .Apparat zur Erklärung von Ebbe und Flut (mit Abb.) 188. v. Aufseß, Farbe der Seen. 650. Börnstein, Vorrichtung zur Erklärung von Ebbe und Flut. (Orig.) 251. D e c k e r t , Nordamerikanische Ströme als Verkehrsmittel. 86. Diels, Neu-Seeland. 412. Dinse, Systematik der Erdkunde. 522. Friedrich, Kartographische Aufgaben der Wirtschaftsgeographie. 86. Halb faß, Verkehr auf Seen. 87. Halbfaß, vSeiches (Orig.) 8S1. Hansen, Geschichtl. .Atlas der Rhein - provinz. 87. Haußmann, I'irdniagnet. v. Württemberg. 394- Kraus Geschichte der Handels- und Wirtschaftsgeographie. 86. Lampe, Der 14. deutsche Geographen- tag. (Orig.) 81. Luyken, Kerguelenstation. 82. Meyer, Totwasser. 459. Mouseaux, Magnetische Störungen vom 31. Oktober. 1 73. Nansen, Totwasser. 795. Pfaff, Schwereänderungen und Boden- bewegungen in München. 349. IV Register. Philippi, Erlebnisse der Südpolar- expedition. 539- Rapple, Die i. Durchquerung Austra- liens. (Orig.) 984. Roßmäßler, Aus dem südl. Kaukasus. (Orig.) 246. Roßmäßler, Im und am Wolga-Delta. (Orig.) c,I7. Schmidt, A., und Schott, Meeres- strömungen. 84. Schott, Physische Meereskunde und Schiffahrt. 313. Sc h warzsch il d , Breitenbestinimungen. 411. Sieger, Wirlschattsgeographie. 85. Supan, Namengcbung f. d. Formen des Meeresbodens. 427. Geograplienkongreß. 477i 7^^- Geophysikal. Observatorium auf d. Monte Rosa. 827. Südpolarcxpedition, Rückkehr. 266. — Er- gebnisse der (mit .Abb.). 504. Terminologie der Küstenbildungen. 608, Physik. Abel, Rückgang der Sterblichkeit in den letzten 50 Jahren. 907. Becker, Konstitution der Materie. (S.-R.) 529. Becker, A., Gegenwärtige Kenntnis über Radioaktivität. (S.-R. mit. l Abb.) 993- B e r n i u i , Elekt. Leitlähigkeil des Kaliums. 652. Blaas, Photogr. Wirkungen im Dunklen. (Orig.) 200, 316, 400. Blondlot, n-Strahlen. 268, 650. Blond lot. Neue Art Ausstrahlung. 764. Caesar, Töne am Telephon. 832. C h a n d e 1 1 , Elektrizität u. Kristallbildung. (Orig.) 910. Charpentier und Meyer, n-Strahlung lebender Organe. 332. Duden, Fortschritte in der Kenntnis der radioaktiven Stoffe. (S.-R.) 17. Elster u. Geitel, Elektrizitätszerstreu- ung in Luft infolge radioaktiver Ema- nation. 285.' Ewing und Walter, Detektor f. elektr. Wellen. 65 1. Fliegener, Über den Clausius'schen Entropiesatz. 29. Föppl, Kreiselversuch zur Messung der Umdrehung der Erde. 812. Goldstein, Nachfarben der Salze. 217. Grimsehl, Analyse von Schwingungen. 155- H a 1 1 w a c h s , Lichtelekir. Ermüdung. 862. H a r t m a n n , Emanium - Lichtspektrum. 927. Heyl, Physik. Eigenschaften der strom- führenden Materie. 649. Holtz, Erf. d. Elektrisiermaschine. 892. H u g g i n s , Spektrum der spontanen Licht- strahlung des Radiums. 3 16. Humphreys, Dopp. Umkehrung von Spektrallinien. 446. Koch, K. R., Änderung der Schwerkraft 940. Langenbach, Intensitätsverteilung bei Linienspektren. 12. Lussana, Therm. Eigenschaften d. festen und flüssigen Körper. 29. Marckwald, Radioaktive Stoffe. 251. Pflüger, Energiemessungen im Ultra- violett. 733. Precht, Monochromatisches blaues Glas (Orig.) 848. R ä h 1 m a n n , Ultramikrosk. Unters. 428. Righ i, Ionisierung der Luft durch elektr. Spitze. 143. Rubens, Lumm er, Wood, N-Strahlen. 941. Schlömilch, Fessenden etc.. Elektro- lytischer Wellen-Dcdeklor. 1019. Schuster, Hemsalech und Hagen- bach, Doppler-Effekt im elektrischen Funken. 536. Seddig, Elektr. Kraftlinien. 827. Smith, Schmelzwärme des Eises. 607. Taudin-Chabot, Abnorme Refraktions- Erscheinung. 216. Valbreuze, Quecksilber - Lichtbögen. 411. Wätzmann, Intensitätsverhältnissc der Spektra von Gasgemischen. 1036. Wood u. Moore. Spektrum d. Natrium- dampfes. 364. Zschimmcr, Für ultraviolett durchsich- tige Glasarten, it;^. Becquerelstrahlen u. Gravitation. 192. Begiiffe Gramm und Kilogramm. 127. Kondensator. 448. Versuche mit Gleich- u. Wechselstrom bei 7000 Volt (mit Kurve). 8 12. Mathematik. K eichart, Trisektion ein. Winkels. (Orig. mit Orig.-Abb.). 394. Schmidt, A., Elementare Berechnung der Logarithmen. (Orig.) 193. Schmidt, Max C. P., Latein. Term. d. Arithmetik. (Orig.) 468, 497. Ratschläge für Mathematikstudenten. 365. Astronomie. Adams, Die radialen Geschwindigkeiten ^ von Pleiadensternen. 846. Angström, Ozon-Absorption im Sonnen- spektrum. 1036. Arrhenius, Natur der Sonnenkorona. 1018. Banachiewicz, Sternbedeckung durch Jupiter. 78. Barnard, Aufnahmen d. Kometen Borelly (mit Abb.). 216. Ceraski, Veränd. Stern. 648. Curtiss, W.-Sagittarii. 1036. Darwin, G. H., Das Alter der Sonne. 142. Deslandrcs, Sonnenflecken und Erd- magnetismus. 394. Gorczynski, Verminderung der Sonnen- strahlung. 648. Graff, X-.-\urigac. 382. Hart mann, J., Oscillation v. c)'-Orionis. 940. Klein, H.J.,Die vulkanischen Bildungen des Mondes. 890. Langley, Veränd. d. Intens, d. Sonnen- strahlung. 877. Langley, Sonnenfinsternis v. 18. Mai 1900. 1018. Ludendorff, Veränd. Stern f-.Aurigae. 427. Marcuse, A., Wanderung durchs Sonnen- system. 670. Nichols und Hüll, Künstl. Kometen- schweif. 473. v. Nicssl, Die geogr. Beziehungen des Meteorphänomens. (Orig.) 273. Nießl, Natur d. Sternschnuppen. (Orig.) 879- Parkhurst, W-Aurigae. 364. Slipher, Venus-Rotation. 92. St ebb ins, Spectra von ;^-Ccli u. ;;-Cygni. 461. V o g e I , H. C, Doppelstern ;3'-Aurigae. 637. Wendell, Planetoid Iris. 411. Wirtz, Neue Messungen an den äußersten Planeten. Iio. Wolf, M., Neuer Stern. 77. Wolf, M., Gegenschein. 78. Wolf, M., 24 veränderliche Sterne. Iio. Algol. 47. Der vermeintl. 2. Erdmond. 192. Hiraraelserscheinungen. 78, 143, 20 f, 269, 350. 412, 495. 559. 618, 701, 765, 828, 910, 974, 1037. Meteorologie. Börnstein, Tägl. Gang des Luftdrucks in Berlin. 811. Eb ert, H., Ursache desatmosph. Potential- gefälles. 874. Eichhorn, Sonnenscheindauer. 716. Goll, Erdbeben u. Regen. (Orig.) 909. Hoffmann, J. F., Barometerstand und Niederschläge. 617. Kowalski, Elektr. Entladungen in der Luft. 393. Lamprecht, Einfl. des Mondes auf die Niederschläge. (Orig.) 795. Leß, Wetter-Monatsübersicht. (Orig. mit schcm. Darst. üb. Temperatur U.Nieder- schläge.) 43, 123, 190, 268, 332, 395, 476, 538, 618, 685, 750, 814, 893, 957, IO20. Loe wen herz u. Richarz, Temperatur- difterenz in vertik. Luftströmen. 364. Maurer, Erklärung d. magnet. Sturms v. 31. Oktober 1903. 510. Perlewitz, P., Elektr. Entladung bei Drachenaufstiegen. 957. Reiner, Neue Hilfsmittel d. Meteorologie, (mit Abb.). 99. Szlavik, Bravaiserscheinung. 891. Falb's Theorie. 112. Wetterglas. 128. Chemie. Bancroft, Elektrolyt. Läuterung des Kupfers. 173. Claude, Gewinnung von Sauerstoff mit Hilfe flüssiger Luft. 251. Erdmann, Erzeugung hoher Vakua für ehem. Destillation. 238. Er d mann u. Bedford, Flüss. Sauer- stoff u. flüss. Luft (mit Abb.). 925. Guldberg, Wanderungen verschiedener Bartenwale. 533. Hefelmann und Windisch, Salicyl- säure in Erd- und Himbeeren. 647. Moissan u. Dewar, Affinität u. Reak- tionen des flüssigen Fluors. 41. Pfannenstiel, Wertigkeit d. Elemente. 558. Ramsay, Per. Gesetz der Elemente. 733. Richards und Landis, Elektrolyse des Wassers. 219. Runge, Spektroskopische Bestimmung des Atomgewichts. 173. Tammann, Zustand des Eisens im Erd- innern. 393. Utz, Spontane Gerinnung d. Milch. 61 5. Walker, Elektrometallurgie des Goldes. 189. Register. Wo hier, L., Oxydierbarkeit des Platins. 286. Chlordioxydgas. 416. Eiweißstoffe in Muskeln. 1008. Metallographic. 155. Über CcUulose. 473. Technik, Instrumentenkunde und Industrie. B i r k e 1 a n d , Klektromagnetischc Kanone. 201. Börnstein, Luftballons gegen Explo- sionen zu schül/^en. (Orig.) 12. Burgerstein, Vcgetabil. Surrogate tier. Rohstoffe. 144. B ü s g c n , Bestimmung d. I lolzhätte. (Orig.j 603. V. Büttel, Taschenhlpen von Zeiß. (Orig. mit Abb.) 537. Czängiu. Biirzay, Galv. Element. 144. Dessauer und W'iesner, Sekundäre Röntgenstrahlen. 446. Engel-Precht, .\eues Pottasche- Ver- fahren. 3 1 . Grauer, Fiebelkorn und Odern- heimer, Kristallisierter Portland- cement (z. T. Orig.). 494, 5S9, 749. Heraeus, Quarzglas. 335. Koerber, Die Entwicklung d. achromat. optisclien Systeme (mit Abb.) 72. Naß, Entw. d. Beleuchtungswesens. 523. Niehus, Gewinnung des Rosenöls. 92. Pokorny, Einiges ül). d. Pilze i. Dienst V. Gewerbe, Industrie u. Landwirtschaft. (Orig.) 753. Pupin, Verb. d. telo[)h. Fernleitung. 557. R a t c a u , Dampfturbine als Schiffs- maschine. 700. Rathgen, Erhaltung v. Altertunisfunden. 209, 701. Rhousupulos und Rathgen, Kon- servierung von Altertümern (mit Orig.- Abb.). 209. V. Rohr, Verant. 462. Roßmäßler, Papieiuntersuchung. (Orig.) 229. V. Slavik, Farbige Photographie. 652. Schmidt, A., Reinigung des Quecksilbers. (Orig.) 160. Benoidgas. 543. Cement. 122. Ersatz des Platins in Glühlampen, i (o. Fernsprechlinie v. 5000 km. 1037. Kinematograph. 717. Röntgeneinrichtung tür Kriegszwecke (mit Abb.). 781. Röntgenstrahlen im Dienst der Kabel- fabrikation (mit .^bb.). 892. Unterricht. (Soweit nicht anders untergebracht.) Detmer, Herstellung von Schnitten und Wandtafeln. (Orig.) 624. de V r i e s, Wüstenlaboratorium zu Tuczon (Arizona). (Orig.) 401. Beleuchtung von Wandtafeln beim Unter- richt. 240. Ferienkurse in Jena. 365. Gesellsch. f. volkstünil. Naturkunde. 124, 201, 219, 251, 412, 523, 538, 669, 701, 1021. Museum von Meisterwerken der Natur- wissenschaft und Technik. 317, 396. Naturh. Museen in d. Verein. Staaten. 590. Preisaufgaben. 559. V. Reinach-Preis s. Paläontologie. 495. Medizin und Hygiene. D a h 1 , Wird der Skorpion durch seinen Stich d. Menschen gefährlich? (Orig.) 97- Deyckeu. Reschad Effendi, Dysen- terie in Konstantinopel. 493. Finsen's Lichttherapie (mit Abb.) 455- Hausmann, Biolog. Arsennachweis. 941. Ihrig, Wundbehandlung nach biolog. Prinzip. 215. Karsten, Paula, Indisches Mittel gegen Vergiftung. (Orig.) 96g. K e 1 1 i n g, Ursache d. Krebsgeschwüre. 726. K e n t , Prüfung v. Trinkwasser. (Orig.) 367. K o s s e 1, Serumtherapie u. Serumforschung. 524. Lcduc, i\li;klr. als Betäubungsmittel. 1020. Möller, A., Bekärnj^fung der Tuber- kulose. 1021. Murata, Schutzimpfung gegen Cholera. 423- Natolitzky und Hirn, Gifte in Stra- monium-Zigarctten. 617. Nocht, Tropenkrankheiten mit Abb.). I031. Otto, W., Elektrizität in der .Medizin. (Orig. mit Abb.) 1000. R abi n o w i tsc h und Kempner, Try- panosomen als Krankheitserreger (mit Abb.). 458. Röhler, Wurmkrankheit. |S.-R. mit Abb.) 390. Schäffcr - Stuckert, Zahncaries-Ent- stehung. ng. Schmidt, H. E., Entwicklung der Licht- therapie (mit Abb.) 455. Thoms, Giftigkeit bitterer Mandeln. (Orig.) 416. W e i n h o 1 d, Gegenwärtiger Stand d. Lehre von der Kurzsichtigkeit. (Orig.j 822. W e s e n b e r g , Über den biologischen Arsennachweis (S.-R.). 835. Zuntz, Ventilation menschlicher Wohn- räume. (Orig ) 329. Kefir. 528. Lepraverbreitung im indischen Reiche. 696. Menschen- u, Rindertuberkulose. 440, 630. Phagocytenlehre usw. 296. Nationalökonomie. B o r o d i n, Fischereiverhältnisse i. Rußland. 682. Eckstein, Fischerciausstellung. 121;. G u a r i n i , Elektrizität und Landwirtschaft. 42. Kirsch mann, Eisgewinnung. 365. Luerssen, Krähenfang an der Ostseeküste. (Orig. mit Orig -Abb.) 758. L u n d , Versorg, d. Inlandes m. Seefischen. (Orig.) 233. Tuben f, iBlitz als Waldverderber (mit Abb.). 552. Wittmack, Aufschwung des deutschen Gartenbaues. 729. Arachis-Kultur. 480. Aufforstungen in Tsingtau. 488. Löftler'scher Mäusetyphusbazillus. 543. Biographisches u. Historisches. F u r ii r i n g e r, r, Gcgcnbaur (mit Porträt). 103. Jacobi, Max, Leonardi da Vinci als Alpenfreund. (Orig.) 776. Jaekel, K. A. v. Zittel. (Orig.) 359. Stahl, E„ Matthias Jakob Schieiden. 977- Bredichin f. 655. Calandreau f. 495. Gegenbaur 103. V. Hefner-Alteneck j. 269. Lemström f. 941. Marey f. 796. V. Martens, E., f. 877. Perrotin f. 495. Roberts, J. f. 796. Schieiden, Centenarfeicr. 269. Siemens, Friedr. j. 796. Spencer f. 270. Stübel j. 1007. V. Zittel. 359. Literatur. Abbe, Gesammelte .■\bhandlungen. 287. A b e g g , Elektrolytische Dissoziation. 397. Adamkiew icz. Die Großhirnrinde. 93. Ahrens, Gärungsproblem. 397. Ahrens, Chem.techn. Vorträge. 397. Ahrens, Scherz u. Ernst in der Mathe- matik. 1039. Alberl 1. v. Monaco, Eine Seemanns- laufbahn. 542. Lit. üb. die schwäb. Alp. 960. Arnold, Physik. Chemie, iii. Arnold, Rep. der Chemie, ill. Aß mann & Hergesell, Beiträge zur Physik d. Atmosphäre. 991. Avenarius, Philosophie als Denken der Welt. 350. Bachmetjew, Entom. Studien. 382. Bala weider, Mathem. Ableitung der Naturerscheinungen. 655. H a u r , Hydrate in wässeriger Lösung. 397. Becker, 11., Alkalimetalle. 797. Beilingshausen, Südl. Eismeer. 815. Berliner, Experimentalphysik. 79. Besson, Le radium. 640. Biedenkapp, Was erzähle icii meinem 6 jährigen. 254. Bloch, E., Werners Theorie des C-Atoms. 847- Blondlot, Kayons-N. 640. Bölsciie, Sonnen u. Sonnenstäubchen. 126. B ö 1 s c h e , .\bstammung d. Menschen. 590. Borchers, Nickel. 797. Borchers, Elektrometallurgie. 943. Borchers, Institut f. Metall-Hüttenwesen. 911. Boussinesq, Theorie de la chaleur. 79. Brauns, Mineralreich. 319. Broca, Telegraphie sans fils. 655. Bruhns, Petrographie. 239. Bruhns, Kristallographie. 703. Burgerstein, Trans])iration d. Pflanzen. 1022. V. Büttel- R eep en. Sind die Bienen Rellexmaschincn.' 396. Ch alikiopoul OS, Sitia. 127. Lit. üb. Chemie. 1024. Chipart, Theorie gyroslat. d. I. lumiere. 366. Christiansen u. Mül 1 c r, Theor. Phy- sik. 223. Classen, Elektr. u. Magnetismus. 686. Claus -Grobben, Zoologie. 430. Conwentz, Heimatkunde in der Schule, 414. VI Register. C o n w e n t z , Gefährdung der Natur- denkmäler. 1038. Cook, F. A., Die erste Polarnacht. 751. Coym, Geometrie d. Ebene. 576. Crüger, Physik. 478. Dacque, Deszendenzgedankc u. seine Geschichte. 560. Dahl, Anl. zum wiss. Sammeln v. Tieren. 576. Danne, Radium. 797. Danneel, Elektrochemie. 224.. Dannecl, Elektrochemie u. Metallurgie. 896. Danne mann, Gesch. d. Natur. 192. Danncmann, Entw. d. Naturw. 270. Darapsky, Wünscheh'ute. 462. Delbrück u. Schrobe, Hefe, Gärung und Fäulnis. 751. Dennert, Chem. Praktikum. 576. Descombe, La comprcssibilite des gaz reels. 304. Detto, Anpassung. 718. Lit. üb. Deszendenztheorie. 960. Die kl, Effektbereclmung von Flugvor- richtungen. 767. Dreher, Philosoph. Abhandlungen. 78. Drescher, Kosmische Schneewolken. 991. I-)riesch, Die Seele als elementarer Naturfaklor. 45. Drignlsky, D. Südpolarexpedition. 619. Edcr, Jahrb. f. Photographie. 96. Eder, Praxis d. Photographie. 479. Eder, Photogr. mit Chlorsilbergelatinc. 47?- Egeli, Unfälle beim ehem. Arbeiten. 878. Lit. üb. Eingeweidewürmer. 896. Elbs, Übungsbeispiele für Fülektrolyse. 1039. Engel har dt, Monographien über Elektrochemie. 797. Fn gel h ard t, V., Hippochloritc u. elektr. Bleiche. 863. Ephraim, Vanadin. 895. Esser, Pflanzen f. d. bot. Unterr. 271. Lit. üb. den Essigaal. 1007. Eyth, Im Strome unserer Zeit. 376. Feldhaus, Erf d. eleklr. Verstärkungs- flasche. 272. Ferchland, Elektrochemie. 175. Fisher u. Darby, Mesurcs electriques. 79- Lit. üb. das Fischauge. 8S0. Fiticca, Sulfitzellstoff-Fabrikalion. 911. Lit. zum Bestimmen von Flechten. 1024. Fränkcl, Anatom. Vorträge. 352. Friedmann, Herm., Konvergenz der Organismen. 718. Frobenius, Geogr. Kulturkunde. 591. Fromm, Chem. Schutzmittel des Tier- körpers. 366. Fuß u. Hensold, Physik. 478. Geisen heyner, Flora von Kreuznach. >9I- Geißler, Mathem. Erdkunde. 463. Gelcich, Astron. Bestimmung der geogr. Koordinaten. 158. Gerber, Bewegung u. hortpHanzung der Wirkungen im Äther. 847. Ge wecke, Sternkarte. 7S4. Giard, Controverses transformistes. 718. Giesenhagcn, Botanik. 271. Götz, Bayern. 703. Graf, Ilimmelskunde. 1023. Gray, Physik I. 543. Grimsehl, Elektr. Glühlampe. 287. Grünberg, Hypothese zur Thermo- dynamik. 95. Grund, Karsi-Hydrographie. 591. Haas, Versteinerungskunde. 174. Haas, Der Vulkan. 751. Haberlandt, Physiol. Pflanzenanatomie. 607. Hagen, Synopsis d. höheren Mathem. 655. Hager- Mez, Mikroskop. 974. Harperath. Grundlagen der Astronomie. 239- Hartinger's naturgcschichtl. Wand- tafeln. 447. Hartmann .Zukunft D.S.W. -Afrikas. 446. Hassert, Württemberg. 703. Hauber, Statik. 334. Hauberrisser, Photogr. Negative. 479. Haus ding, Torf- Gew. u. -Verw. 911. Hansgi rg, Phyllobiologie. 143. Heibig, Die erste Erfindung. 254. Helfenstein, Energie u. ihre Formen. 63. Herrmann, Elektrotechnik. 703. Hert wi g , Handb. d. vergl. Entwicklungs- lehre der Wirbeltiere. 14. Hcrtwig, Zoologie, 430. Herz, Verwandtschaftslehrc. 397. Herz, Lösungen. 894. Heß, Die Gletscher. 765. Hesse, Natur u. Gesellschaft. 541. Hof mann , K arl , Radioaktive Stoffe. 80. Hörn es, Paläontologie. 703. Huber, Katechismus der Mechanik. 95. V. Hübl, Ozotypie. 479. Lit. zum Bestimmen von Insekten. 9 12. Johannsen, Erblichkeit in Populationen. 7.8. Jost, Pflanzenphysiologie. 1038. Jörge nscn, (ihemic. in. Kampffmeyer, Marocco. 559. Kap teyn, Skew frequency curvcs. 415. Karsten u. Schenck, Vegetations- bilder. 878. Kassowitz, Biologie. 317. Kienitz, Baden. 703. K i eni tz- G erlof f , Bakterien u. Hefen. 942. Klebs, VVillk.Entw.-And.b. Pflanzen. 255. Klein, Chemie. 703. Klein, F., Umgestaltung des nuith'-ni. Unterr. 1023. Klockmann, Mineralogie. 95. Knelei", Das Christentum und die \'er- trcter der Naturw. 94. Kobert, Sa;'ioninsubslanzen. 446. K o h u t , J. V. Liebig. 20J. Kolbe, B., Elektrizitätslehre. 608. Kollert, Physik. 158. Krämer, Weltall u. Menschheit. 286. 941. Kr an eher, Entom. Jahrbuch. 270. Kra.san, Indiv. u. spez. Gestaltung i. d. Natur. 477. Ki'iz, Quartär in Mähren. 158. Kur eil a s. Löwenthal. Kubier, Weltgesetze. 846. Ladenburg, Racemie. 397. Langhans, Rechts u. links der Eisen- bahn. 735. Lankaster, Zoology. 430. Lassar-Cohn, Chemie, iii. Lauterborn, Vogel- etc. Buch von Baldner. 304. Lepsius, Geol. v. Deutschland. 591. Leo, Hat das Menschenleben einen Zweck? 78. Levy, Organ -chem. Präparate. 383. Linde. Lüneburger Heide. 1007. Lipps, Das Selbstbewußtsein. 93. Liesegang-Gädickc, Photogr. Alma- nach 1904. 479. Liznar, Barometr. Höhenmessung. 415. Loin, Chemie, in. Lösner, Levitation u. Flugproblem 767. Löwenthal u. Kurella, Grenzfragen des Nerven- u. Seelenlebens. 93. Lubarsch, Chemie. 942. Lunge, Techn.-chem. Analyse. 703. Mahler. Physikal. Formelsammlung 640. Marth, Trunksucht. 958. Mathias, Le point critique. 304. Matzat, Philosophie der .Anpassung. 46. Matzdorff, Tierkunde. 430. Marti, Wetterkräfte. 941. Mayer, Hans, Die neueren Strahlungen- 640. Meyer, Arthur , Bakterienkunde. 143. Meyer, G., Graphologie. 62. Meyer's Konversationslexikon. 32,^70, 526, 828, 1037. Meyer's Histor. -geogr. Kalender. 590. Mie, Ionen u. Elektronen. 415. Lit. zum Bestimmen von Mineralien. 944. Minet, Aluminium. 797. Lit. üb. die Genesis von Mooren. 880. Mooser, Entsl. d. Sonnensystems. 846. Morel!, L'acetylene. 942. Möbius, Astronomie. 334. Moebius, Schieiden. 543. Nansen, Eskimoleben. 783. Neger, Handelspflanzen. 175. Nernst, Theoret. Chemie. 928. Neumeister, Wesen der Lebenserschei- nungen. 559. N i e m a n n , Mikroskop. 894. Nippoldt, Erdmagnetismus. 175. Nissenson, Elektrolytisches Laborato- rium. 797. Oppenheimer. Fermente. 240. Ostwald, Schule der Chemie, iii. Pellat, Electricite. 207. Penck, Morph, u. Erdoberfläche. 512. Lit. üb. Perlenfischerei. 1008. Pernter, Wetterprophezeiung. 144. Perrin, Chimie physique. 1007. Petzoldt, Fünf i. d. Philos. d. reinen Erfahrung. 63S. Pfaundler, Phys. d. tägl. Lebens. 478. Phillips, Combustibles. 447. Pizzig belli, Photogr. Prozesse. 479. Poincare, Theorie d. Maxwell. 816. Pokorny-Latzel. Tierreich. 430. Popig, Stellung d. Südost-Lausitz ipi Gebirgsbau Deutschlands. 511. Post u. Kuntze, Lexikon generum phanerog. 4S0. Ramsay, Period. System d. Elemente. 159. Rauter, Chem. Technologie. il2. Rauter, Schwefelsäureindustric. 397. Reinisch, Pctrographisches Praktikum. 239- RcUstab, Telegraphie. 175. R em US , Das dynamologische Prinzip, 799. Ribot, Schöpferk-aft der Phantasie. 93. Riehl, Helmholtz u. Kant. 8 16. R i e c k c , Zum Unterr. in Physik u. Astro- nomie. 1023. Roosevelt, lagden in amerik. Wildnis. 990. Rosen, Die Natur i. d. Kunst. 429. Rosenberg, Physik. 478. Röttger, Nahrungsmittelchemie. 239. Rudorf, Lichtabsorption in Lösungen. 397- Register. VII Rüdorff- Lüpke, Chemie, I2. Aufl. III. Rüd orft- Krause , Chemie, 13. Aufl. 829. Ruhmer, Funkeninduktoren. 686. Ruppin, Darwinismus u. Srig.) 67. Ramses II. 694, 695. Riffkalk (älterer) mit Brandungskehle. (Orig.) 485. Rosa-Sprofl. (Orig.) 903. Sandstein - Orgel im Zittauer Gebirge. (Orig.) 188. Sarcophaga u. Tachina , Weibliche Ge- schlechtsorgane. 714, 7^5- Schädel. (Orig.) 975, 976. Scharfenstein b. Cassel. (Orig.) 934. Schech el Beled. 680. Schema einer Ctenophorc. 972. Schema einer Meduse. 972. Schema über die Stärke der |3-Strahlen. 998. Schemata zur Biogen-Hypothese. (Orig.) 358- Schemata zur Demonstration der P.rillen- wirkung. (Orig.) 228. Schemata zur Erläut. der Extremitäten- entstehung. 147, 148. Schemata zur Vergleichung von Größe, Gewicht u. Kraft von Vögeln. lOrig.) 567. Schemat. Darstellung über Temperatur u. Niederschläge. 44, 124, 190, 269, 333, 395. 477> 538. 618, 685, 750, 814. Scheuchzeria palustris. 790. Selachier-Schädel-Skelett. 132. Spirogyra jugalis. 899. Schnecken, parasitische. 242, 243, 244, 245, 246. Schwimmender Eisberg. 507. SemperncUa. 164. Seti I. 694. Sicyos-Sproß. 904. Sigillarien-Rinden. (Orig.) 409 — 410. Sphagnum acutifol. 787. Sphinx. 693. Sphinx von Gizeh. (Orig.) 690. Stachys silvatica-Sproß. (Orig.) 902. Stauzone des Meereises. 507. Stegomyia fasciata. 1032. Stelzenpflanzen, heimische. (Orig.) 301. Sven v. Hedins Boot auf dem .^ksu-Darja. 621. Tätelchen aus einem Grabe von Abvdos. 678. Taschenlupen von Zeiß. 537. Thutmosis 111. 693, 694. Tokkus-Kum. 623. Torfstich im Gifhorner Moor. (Orig.) 789. Transportable Röntgen-Einrichtungen. 782, 783. Trichomanes reniforme. 36. Trisections-Apparat für Winkel. (Orig.) 394- Triticum, Blattquerschnitl. 900. Trypanosomen. 458, io34- Überzählige tier. Bildungen. 585, 586. Vaccinium Oxycoccos. 792. Variationskurven für Centaurea Jacca. (Orig.) 424. Versteinerte Baumstämme aus .\rizona. 731 u. 732. Völkertypen ägypt. Wandgemälde. 676. Vulkane mit Gipfelkrönungen. 933, 934. Zellen (zu France, S. R.). 282, 283. Zellverbindungen. 818, 820, 821. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. F. Koerber Neue Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 4. Oktober 1903. Nr. 1. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der I'osl 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5263. Inserate: Die viergespaltene Petitzeile 40 Pfg. Bei griiljeren Aufträgen entsprechender Rabatt. PieiKigen nach Ul)er- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, BlumenstraBc 46, HuchhUndlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Über die psychischen Funktionen der Tiere. Von Prol. H. J. Kolbe. .Äußeriingen der Tiere werden verschiedenen Gesichtspunkten [N.Tcluhuck veiboten. I Die seelischen unter zwei ganz betrachtet und beurteilt. Die erste Richtung der Tierpsychologen steht unter dem Zeichen des Instinkts. Alle psychischen Erscheinungen an Tieren werden auf instinktiven Impuls zurückgeführt, jenen geheimnis- vollen inneren Naturtrieb, dem das Tier blindlings und ohne eigentliches Bewußtsein folge. In der zweiten Richtung waltet vornehm- lich die Ansicht vor, daß die Tiere neben instink- tiven Trieben selbständige seelische Regimgen haben, daß sie denken und bewulSt psychische Tätigkeiten ausüben. Das hierfür gebräuchliche Schlagwort heißt Intelligenz. Die alte, auf den Instinkt begründete Lehre von der Seele der Tiere hat auch in der Gegen- wart hervorragende Vertreter. Vor allem ist es P. Erich Was mann'), der seit vielen Jahren ') Man vergleiche z. B. aus seinen zahlreichen Werken „Die psychischen Fähigkeiten d e r A mci s e n" (1899) und „ V c r g 1 e i c h e n d c S t u d i e n über das Seelenleben nicht nur als feiner Beobachter des Insekten- und namentlich des Ameisenlebens bekannt ist, sondern auch die psychischen Fähigkeiten der x^meisen in weitestem Sinne erforscht. Indem er von dem Standpunkte ausgeht, daß zurflrklärung der ps)-chischen Vorgänge bei den Tieren keine höheren Faktoren herangezogen werden dürfen, wenn einfache genügen, geht er niemals über die Annahme von Instinkten bei den Tieren hinaus. Aber als einsichtsvoller Naturforscher gesteht W a s m a n n den Ameisen ein „unzweifelhaftes Vermögen der sinnlichen Mitteilung", „individuell erworbene Geschicklich- keit", die „Fähigkeit, selbständig, aus unzweifel- haften Erfahrungen heraus, ihr Handeln zu modi- fizieren", die „individuelle Bildung von neuen sinn- lichen Assoziationen", ferner ,, Lernvermögen", dann die Fähigkeit, „selbständig individuelle Erfahrungen zu sammeln" und schließlich „das Benehmen an- derer Gefährtinnen wahrzunehmen und instinktiv nachzuahmen", bereitwillig zu. Diese Fähig- der Ameisen und der höheren mehrte .\uflagc (1900). Tiere." Zweite ver- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. I lfahrung und durch Lernen Er- worbene. Indes haben die Tiere nur anschau- liche Vorstellungen; beim Menschen treten noch abstrakte, begriffliche Vorstellungen hinzu, wie z. B. schon von Schopenhauer hervor- gehoben wird. Waitz ') ist der Ansicht, daß den Tieren durch den Mangel der Sprache nicht nur die Bildung von Begriffen, sondern auch das Denken unmöglich sei. Ein Hund hat aber in seiner psychischen Vorstellung von einem anderen Hunde ') Waitz, Lehrbuch der Psychologie als Natur- wissenschaft. S. 538. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. I sicher den Begriff „Hund", ohne dafür einen sprach- lichen Ausdruck anscheinend nötig zu haben. Und Denkvermögen in einfachen Formen ist vielen Tieren auch wohl nicht abzusprechen, wie manche Beobachtungen zeigen. In der Literatur sich findende Mitteilungen von Beispielen des Abstraktionsvermögens bei Insekten sind ohne Zweifel Mißdeutungen und Anthropomorphismen, welche von Wasmann') auf ihren eigentlichen Wert zurückgeführt werden. Einfache Formen des Abstraktionsvermögens glaubt Darwin'-) bei Hunden annehmen zu können; denn er schreibt; „Wenn ein Hund in der Ent- fernung einen Hund sieht, so ist es oft ganz klar, dal.^ er nur in abstraktem Sinne wahrnimmt, daß es ein Flund ist, denn wenn er näher herankommt, so ändert sich sein ganzes Wesen plötzlich, wenn der andere Hund mit ihm befreundet ist." Es ist natürlich unmöglich, zu beurteilen, was in der Seele des Hundes vorgeht. xAhnlich ist es mit der Frage, ob Tiere Selbst- bewußtsein haben. Darwin glaubt ,"') daß ein alter Hund mit einem ausgezeichneten Gedächt- nisse und etwas Einbildungskraft, wie sie sich durch seine Träume zu erkennen gibt, sicher über die Freuden und Leiden Betrachtungen anstellt, welche er vorher auf der Jagd hatte. Daran ist gewiß nicht zu zweifeln. Ich selbst kann dazu die folgende kleine Geschichte mitteilen , welche den Hund (schottischen Schäferhund) eines meiner Bekannten betrifft. Dieser Hund, der gewohn- heitsmäßig den Abend und die Nacht im Hause zubringt und hier seine regelmäßige Mahlzeit und sein bequemes Nachtlager erhält, blieb ein- mal bei einem Spaziergange, auf dem er seinen Herrn begleitete, zurück .und verirrte sich an- scheinend. Er war am Abend nicht zu Hause, auch in der Nacht nicht. Am folgenden Morgen stellte er vor der Haustür sich ein und winselte. Als ihm von Hausgenossen geöffnet wurde, klagte und jammerte er, als ob er sagen wollte, er habe eine sehr schlechte Nacht und große Unbequem- lichkeiten gehabt. Auch dieses Beispiel, wenn es nicht mißdeutet ist, könnte einiges Licht auf die Vorstellungen werfen, welche sich im Kopfe des Hundes abspielten. Schließlich taucht bei derartigen Betrachtungen, wobei Tiere eine Rolle spielen, immer wieder der Begriff „Instinkt" vor uns auf. Instinkt ist, wie ich mehrfach mit Recht dar- gelegt zu haben glaube, nur in der Anlage als solcher vorhanden. Er ist ein Naturtrieb , aber die aus dem Naturtriebe hervorgehende Handlung halte ich nicht mehr für in- stinktiv. Vielmehr bin ich der Ansicht, daß ') E. Was mann. Die zusammengesetzten Nester und gemischten Kolonien der .\ m e i s e n. Münster i. W. S. 190. ") eil. Darwin, Die Abs tammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl. Deutsch v. (. Victor Carus. 5. Aull. Stuttgart, 1S90. S. gj. ^1 Ch. Darwin, 1. c. S. 92. der Instinkt auch bei den Tieren vom Verstände kontrolliert wird, daß der in Tätigkeit umgesetzte Instinkt selbständiges Handeln ist. .^ber die aus dem Instinkte resultierenden Handlungen der Tiere werden von ihrer Organisation reguliert. Eine Arbeiterameise, welche für die Brutpflege prädestiniert ist, kann schon bald nach ihrem Aus- schlüpfen aus der Puppe ihre ihr vorgesetzten, im Haushalt des Ameisenstaates notwendigen Arbeiten verrichten, ohne diese erlernt zu haben. Der ihr innewohnende Naturtrieb lenkt sie zu diesen Hand- lungen hin, und sie verrichtet ihre Arbeiten so, wie diese ihrer körperlichen Organisation ange- messen sind. Bei dieser Ausführung ihrer Arbeiten handelt sie selbständig und lernt durch eigene Erfahrungen und Nutzanwendungen noch mehr dazu. Auch Reflextätigkeit, wie sie der Natur der Ameise entspricht, beeinflußt sicher ihre Arbeiten. Ich fasse den Instinkt und die daraus re- sultierenden Handlungen nun folgender- maßen auf: Instinkt ist ein erblicher Trieb zu bestimmten Handlungen, welcher in engster Verbindung steht mit der durch die Organisation des Körpers gegebenen h""ähigkeit, diese Handlungen auszu- führen. Die Ausführung der durch den Instinkt hervorgerufenen Handlungen ist eine selbständige und bewußte Tätig- keit. Meine vorstehende Erklärung unterscheidet sich von den bisherigen Erklärungen des Instinkts da- durch, daß ich die Ausführung der durch Instinkt hervorgerufenen Handlungen nicht für instinktiv halte. Hierinit glaube ich die Schwierigkeiten hinweggeräumt zu haben, welche zwischen den Differenzen der bisherigen Deutungen bestehen. Einige Naturforscher er- klären auch die aus dem Instinkte hervorge- gangenen Handlungen für instinktiv; andere sind zu extrem in der Auffassung der Intelligenz der Instinktwesen. Da es wichtig ist, festzustellen, was bei einem Tiere Instinkt und was durch eigene Erfahrung erworben und erlernt ist, so erscheint es not- wendig, junge Tiere (namentlich junge Säugetiere und Vögel, kurz vorher aus der Puppenhülle her- vorgegangene Insekten) daraufhin zu beobachten und dabei anzumerken, wie sie bei all ihrem Tun sich benehmen, wie sie ihre Nahrung suchen und finden, wie sie sich zu ihresgleichen verhalten, wie ihre Beziehungen zu ihren Eltern sind (was bei Insekten nur teilweise möglich ist), namentlich wie und worin sie von ihren Eltern unterrichtet und bei ihren Versuchen unterstützt werden, dann wie sie ihre Handlungen zu den sexuellen Tätigkeiten und zu den Geschäften der Brutpflege einleiten ; ferner wie sie ihre Handlungen vervollkommnen, wie sie an Geschicklichkeit zu den verschiedenen Hand- lungen gewinnen, was für Erfahrungen sie machen, wie sie diese verwerten, was sie sonst noch hinzu- lernen und wie sie sich fernerhin in allen ihren N. F. III. Nr. I Naturwisscnschaftliclic Wochenschrift. Handkingen verhalten, und namentlich wie die Handlungen der älteren Tiere sich von denen der jüngeren Tiere unterscheiden. Das heißt also : die auf individueller Wahrnehmung und auf Lern vermögen beruhenden selbständigen Handlungen sollen von den der betreffenden Art zukommenden, aus Instinkten hervorgehenden Hand- lungen unterschieden werden. An derartigen Beobachtungen ist in der Biologie großer Mangel ; sie sind aber notwendig für die Erkenntnis der Tierseele. Kleinere Mitteilungen. Plauderei über die Macht der Gewohn- heit. — Durch stete Wiederholung seines Rufes „ceterum censeo Carthaginem esse delendam" ge- wöhnte der alte Cato die Römer an seinen Ctc- danken von der Notwendigkeit der Zerstörung Carthagos. Der frühere preußische Abgeordnete Bohtz stellte in einer Sitzung (vom 14. April 1891) den Antrag in § 80 der Landgemeindeordnung das Wort „absolute" in „unbedingte" umzuändern und führte zur Begründung das Folgende aus. Der stenographische Bericht lautet : „„um das Wort habe ich gebeten, weil ich mir auf Nr. 252 der Drucksachen unter Nr. 4 den Antrag zu stellen erlaubt habe, in i; 80 das Wort „absolute" vor Stimmenmehrheit umzuwandeln in „unbedingte". Das klingt vielleicht lächerlich, aber wir sind bestrebt, da, wo es irgend geht, I''rem(i- wörter zu eliminieren (Rufe : eliminieren !) (Heiterkeit.) Dieser Lapsus, — (Rufe: Lapsus!) (Große Heiterkeit.) der mir eben begegnet ist, beweist nur, wie sehr wir noch gewöhnt sind, mit Fremdwörtern . . . (Rufe: zu operieren!) (Stürmische Heiterkeit.) — Mißbrauch zu treiben, so daß es wirklich an- gezeigt ist, da, wo es angängig erscheint, der- artige Fremdwörter zu beseitigen. Nun habe ich bei meiner Erfahrung in der Praxis — (Heiterkeit.) häufig gefunden , daß bei der Feststellung der Mehrheit bei Wahlen, die Gemeindevorsteher in Verlegenheit geraten. Sie verstehen die Begrifie „absolute" und „relative" Mehrheit nicht ausein- ander zu halten, und ich habe es deshalb für an- gezeigt gehalten, den Antrag zu stellen, an Stelle des Wortes ,, absolute" hier das deutsche Wort „unbedingte" zu setzen. Die Sache hat ja nun hier einen lächerlichen Anstrich gewonnen, aber sie ist wirklich nicht so lächerlich, wie es scheint. Ich habe es ernst gemeint und möchte Sie bitten, den von mir zu § 80 gestellten Antrag hier schon bei § 60 an- zunehmen, woraus dann als Konsequenz — (Heiterkeit.) — folgt, daß er auch bei § 80 als angenommen gilt." " Muß man bei solchen Beispielen, die sich ins Unendliche mehren lassen, nicht unwillkürlich an einen großen, schweren Pendel denken, der beim ersten Anstoß einen noch nicht merklichen, beim zweiten einen eben merklichen Ausschlag und schließlich nach und nach immer deutlicher werdende .Ausschläge zu erkennen gibt, um endlich bei diesen länger zu verweilen ? Unser Denken und Handeln auf Grund von Gewohnheiten ist zu vergleichen mit der „Trägheit" des Stoffes. P. Mantegazza sagt in seinem Büchelchen „Hygiene des Kopfes" : „Die (iewohnheit ist eine der psychologischen Formen des allumfassenden Trägheitsgesetzes, und sicherlich eines der elementarsten Gesetze der Be- wegung, indem dieselbe, sobald sie einmal eine Richtung eingeschlagen hat, nicht anhält, wenn sie nicht etwa auf Hindernisse stößt, die ihr eine andere Richtung zu geben oder sie in eine Kraft umzubilden vermögen. Ja sogar der Instinkt ist wohl nichts anderes als eine von Generation zu Generation fortgeerbte Gewohnheit, als die ver- mittelst der Liebe übertragene Veränderung des Individuums . . . Die Gewohnheit ist eine be- ständige Modifikation eines Organs oder einer Funktion, hervorgebracht durch die häufige Wieder- holung einer und derselben Tätigkeit oder Hand- lung, infolgedessen dieselbe immer leichter und notwendiger wird." Es ist in der Tat sehr bemerkenswert , daß einmal gewonnene Denkanschauungen mit außer- ordentlicher Zähigkeit festgehalten werden. Die Macht der Gewohnheit spielt hier eine gewaltige und — man muß wohl auch sagen — „berech- tigte" Rolle; denn hat sich eine Denkrichtung im Leben bewährt, oder hat sie doch keinen Anstoii gefunden, so liegt ja keine äußere Ursache vor, sie aufzugeben oder verschwinden zu machen. Folgen wir einer nützlich gefundenen Gewohn- heit, so schwindet uns allmählich das Bewußtsein des aus der Erfahrung geschöpften Grundes, warum wir ihr folgen. Ihr zu folgen erscheint uns dann in unserem Handeln ohne weiteres selbstverständ- lich, in unserem Denken auch : sie nähert sich dem Aprioristischen immer mehr. Mantegazza macht ferner den berufsmäßig mit dem Kopfe Arbeitenden Vorschläge dahingehend, ihre Arbeiten an bestimmte Zeiten zu knüpfen, niemals über den Beginn der Ermüdung hinaus zu arbeiten, von Reizmitteln keinen Gebrauch zu machen usw.') Diese Ratsciiläge können von denen, die bisher anderen Gewohnheiten folgten, deshalb leicht angenommen werden, weil die Denk tätig- ') Vgl. „Naturw. Wochcnsclir." Bd. V (1890), S. 501. Naturwissenschaftliclic Wochenschrift. N. F. III. Nr. I keit vergleichsweise leicht neuen Gewohnheiten folgt. Mit der Denkrichtu ng ist es eben anders; denn, wie gesagt, die Gewohnheit, in einer be- stimmten Richtung zu denken, auch wenn diese eine falsche aber nützliche oder indifferente ist, ist nur sehr schwer, oft gar nicht zu überwinden. ,,Es ist eine merkwürdige, sich immer wieder- holende Erscheinung in der Geschichte der Wissen- schaft — sagt z. B. Melchior Neumayr ') — : eine neue und richtige Auffassung, die sich nicht auf neues handgreifliches Material von Tatsachen, sondern auf eine bessere Deutung schon bekannter Beobachtungen stützt, gelangt nicht dadurch zur allgemeinen Annahme, daß die Gegner durch die Macht der Gründe widerlegt und überzeugt werden, sondern dadurch, daß dieselben aussterben und die junge Generation die neue Theorie als selbst- verständlich annimmt, so daß eine solche in der Regel ein Menschenalter braucht, um sich Eingang zu verschaffen." Zur Illustration dieser Äußerung sei der be- kannte Berliner Naturforscher Christian Gottfried Ehrenberg herangezogen , der in einem nachge- lassenen Manuskript über die Darwin'sche Theorie den Ausspruch tat : -) „Der Gedanke, daß alles Leben in seinen Formen aus lieblosem Kampfe ums Dasein hervorgegangen, ist drückende Folter. Ich erachte, daß die späteren Generationen der Menschen diese lieblose Schöpfung nicht ertragen werden, sondern sich umzusehen geneigt sein werden, ob • nicht noch eine andere Weltansicht des Lebens aufzufinden sei" — und doch giebt Ehrenberg zu : — ,,Darwin's Bemühung ist das Resultat eifriger Anschauung der Natur in einem langen, beobachtungsreichen Leben. Die von diesem Schriftsteller vorgetragenen , höchst interessanten Naturbilder werden einen großen Wert für alle Zeiten behalten , nicht bloß der reichen eigenen Beobachtungen halber , sondern auch wegen der Eintragung vieler sehr zerstreuter Beobachtungen anderer, wonach dieses Werk zu einem Lexikon geworden ist, dessen einzelne Schätze von Zeit zu Zeit immer wieder benutzt zu werden geeignet sind." Für Ehrenberg war die Annahme der Konstanz der Arten eine Hauptgrundlage seiner langen und beständigen Studien gewesen ; dieser Gedanke ge- hörte innig zu seinem Weltbegriff, der durch die Annahme der Veränderlichkeit der Arten wesent- lich erschüttert worden wäre. Die Selbsterhaltung mußte ihn daher zur Ablehnung der Deszendenz- Theorie führen, und es ist nur ein Zeichen des trefflichen Naturforschers, daß er klar erkannte, daß für ihn ein wesentlicher Grund der Ablehnung in der „drü cken den Folter", in dem ihm „lieb- los" erscheinenden Kampf ums Dasein lag. Es wäre psychologisch fast wunderbar, wenn die älteren Naturforscher nicht zum größeren Teil Gegner der Deszendenz -Theorie und im speziellen des ') Erdgeschichte I. Leipzig 18S7. p. 18. -) Vergl. Nalurw. VVochenschr. Bd. X (1895) Nr. 15. Darwinismus gewesen wären. Wenn wir die beiden Möglichkeiten — Konstanz der Arten und Ver- änderlichkeit derselben — gegenüberstellen , so entspricht freilich die letztere erdrückend besser den Tatsachen und fordert gebieterisch ihre Annahme: aber auch zur Einsicht von Wahrheiten^ gehört Übung! Die mit dem Hypnotismus Vertrauten nennen die Tatsache von der Kraft der Gewohnheit Sug- gestion. Bei der Erziehung werden einem jeden Dogmen vorgetragen, um sie einzupflanzen; „s[)äter — sagt z. B. Albert Moll ') — sitzen sie in ihm fest und beeinflussen sein ganzes Handeln. Es ist das Dogma für ihn zu einer Autosuggestion ge- worden, die durch keine wissenschaftlichen Gründe beseitigt werden kann; denn die Autosuggestion ist der größte Feind der Fremdsuggestion. Jeder Mensch eignet sich diese Autosuggestionen im Laufe der Zeit an. Auch die \'orurteile sind solche Autosuggestionen. Ideen, für die Menschen kämpfen, sind als Autosuggestionen aufzufassen." Mag man nun die Tatsache nennen oder ,, er- klären" wie man wolle: jeder Einzelne hat an der Partei, der er nicht angehört, die Erfahrung ge- macht, daß die Logik eingefleischten Anschauungen gegenüber keinen Einfluß übt, und jeder Gelehrte wird bestätigen, daß speziell die wissenschaftliche Logik anerzogenen oder althergebrachten An- schauungen gegenüber meistens machtlos ist. Es ist diese Tatsache auch ganz begreiflich. Denn ist ein Mensch mit den ihm anhaftenden, aus seinem Lebensgange resultierenden Gewohnheiten seinen Bedürfnissen entsprechend gut durchge- kommen, so hat er keine Ursache diese Gewohn- heiten in seinem Denken und Handeln zu ver- lassen. Viele Gewohnheiten entstehen mit Rück- sicht auf die individuelle Lebenserhaltung und festigen sich, wenn sie nicht durch aus ihnen folgende lebensstörende Hindernisse beseitigtwerden. Die meisten Gewohnheiten verdanken wir der Er- ziehung, der planmäßigen in unserer Jugend oder der später aus dem gesellschaftlichen Leben sich ergebenden, und auch diejenigen unter diesen, die weder nützlich noch schädlich aber aus falschen Voraussetzungen entspringen, werden sich im ge- gebenen Moment geltend machen, weil das ganze menschliche Verhalten auf Assoziationen beruht. Die Prinzipien der Erziehungslehre beweisen, daß die Pädagogen den Wert der Gewöhnung (der l^bung) vollauf kennen. Schopenhauer sagt: „Durch Erziehung und Beispiel kann man den Menschen das Richtige und Vernünftige, oder auch das Absurdeste einprägen, z. B. sie gewöhnen, sich diesem oder jenem Götzen nur vpn heiligem Schauer durchdrungen zu nähern und beim Nennen seines Namens nicht nur mit dem Leibe, sondern auch mit dem ganzen Gemüte sich in den Staub zu werfen ; an Worte, an Namen , an die Ver- teidigung der abenteuerlichsten Grillen, willig ihr Eigentum und Leben zu setzen; die größte Ehre ') Der Hypnotismus. I. AuH. p. 35. N. F. III. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. und die tiefste Scliandc bchebij^ an Dieses oder Jenes zu knüpfen, und danach jeden mit inniger i^berzeugung hoclizuschätzen, oder zu verachten ; aUer animalischer Nahrung zu entsagen, wie in Hindostan, oder die dem lebenden Tiere heraus- geschnittenen, noch warmen und zuckenden Stücke zu verzehren, wie in Abessinien ; Menschen zu fressen, wie in Neuseeland, oder ihre Kinder dem Moloch zu opfern; sich selbst zu kastrieren, sicli willig in den Scheiterhaufen des Verstorbenen zu stürzen, — mit einem Worte, was man will. Daher die Kreuzzüge, die Ausschweifungen fana- tischer Sekten, daher Chiliasten und Flagellanten, Ketzerverfolgungen, Autos de fe, und was immer das lange Register menschlicher Verkehrtheiten noch sonst darbietet." Da sagt allerdings Schiller's Wallcnstein nicht zu viel, wenn er die Gewohnheit die Amme des Menschen nennt. Für die meisten ist es unmög- lich, für andere nur nach Kämpfen möglich, die von der Amme übertragenen Keime wieder los- zuwerden. Die Fähigkeit zu glauben bedarf zli ihrer Entstehung der Pflege, aber sie entwickelt sich leicht; wer aber einmal gläubig geworden ist, und dann ausschließlich wissen will, findet in seinem Denken versperrende steile Wälle auf- getürmt, die zu erklimmen nur wenigen ver- gönnt ist. Die anerzogene Denkrichtung eines Menschen gleicht einem gewaltigen Sturzbach, der alles sich ihm in den Weg .Stellende mit sich fortreilU. Ein junger Bach schlängelt sicii, den zurückzulegenden Weg zur Erreichung seines Zieles überflüssig ver- längernd, vielfach hin und her und entfernt sich auch wohl streckenweise vom Ziele. Erst nach und nach , sehr allmählich vermag er gewisse Strecken seines Bettes, die nur Umwege und Rück- schritte bedeuten, abzuschneiden. Auch der Ver- stand kann aus seinem mäandrischen Geleise nur selten plötzlich heraus in ein in gerader Richtung schnell zum Ziele laufendes hinein; ebenso wie auch ein Wasserlauf nur bei ausnahmsweise starkem Zufluß, wenn das alte Bett die Fülle nicht melir fassen kann, ein neues, kürzeres Bett zu graben vermag. Die Logik aber ist es nicht, die falsche Ansichten des Alltagsmenschen zu rektifizieren ver- mag; wie beim Wasserlauf vermag ein solches nur der Zwang der Verhältnisse. „So sehen wir — sagt auch Moll ') z. B. — daß gegenüber Vorurteilen, Dogmen, politischen Ansichten, die Logik keinen allzugroßen Wert hat." Wenn wir diese Tatsache erwägen unter dem Gesichtspunkt, daß die konstanten Eigenschaften der organischen Wesen, sofern diese nicht zu- grunde gehen sollen, so beschaffen sein müssen, daß sie das individuelle Leben und die Arterhaltung stets unterstützen oderjedenfalls doch nicht hindern, so müssen wir ohne weiteres aus dem Gesagten die Folgerung ziehen, daß für das Leben und die Erhaltung der Organismen, speziell des Menschen, ') A. a. O. p. 35. also wohl gewohnheitsmäßiges Denken wichtiger ist als rein logisches. Ein Re- sultat, aus welchem wir die Individualitäten ver- stehen lernen, deren Eigentümlichkeiten nur in- sofern bestehen, als sie im Kampf ums Dasein nicht tangiert werden. Gab es nun stets Individualitäten , oder mit anderen Worten : waren die Menschen stets geteilter Meinung? Daß übereinstimmende Meinungen immer auf Gebieten herrschen, die die dringenden Bedürfnisse des menschlichen Lebens betreffen, während ein Auseinandergehen erst auf Gebieten stattfindet, die in dieser Beziehung indifferent sind, ist eine leicht wahrzunehmende Tatsache. Eduard Kulke ') macht darauf auhnerksam, daß ein solcher Widerstreit der Meinungen , wie er heutzutage beobachtet wird, aus dem Grunde bei dem Menschen der allerersten Urzeit nicht möglich war, weil sich bei diesen alles ausschließlich um den Kampf ums Dasein drehte: „Solange das Streben nach Befriedigung der dringendsten Be- dürfnisse das einzige blieb, welches das Denken der Menschen beschäftigte, konnte die durchgängige Übereinstimmung in ihren Meinungen auch gar nicht durchbrochen werden." „Diese Möglichkeit trat nicht eher hervor, als bis die Menschen an- fingen ihre Gedanken auf Dinge und Erscheinungen zu richten, welche mit den dringenden Bedürf- nissen und deren Befriedigung in keinem unmittel- baren Zusammenhang standen." Erst hier können gewisse subjektive Eigentümlichkeiten des Indivi- duums hervortreten. Durch Schaden wird man klug; wo ein Schaden mit einer falschen Meinung nicht verknüpft ist, bleibt man eben unklug. Be- ginnt eine subjektive Meinung eines einzelnen die Gesamtheit aus irgend einem Grunde zu inter- essieren, so tritt der Moment ein, wo sich die religiösen Vorstellungen zu bilden beginnen. Denn war z. B. die .Sonne ein Wesen, das sein dem Menschen unentbehrliches Licht und seine ebenso unentbehrliche Wärme, wenn es wollte, auch vor- enthalten konnte, so mußte man es verehren und anbeten; war sie ein von unsichtbarer Hand ge- worfener Gegenstand, so mußte jenes Wesen ver- ehrt und angebetet werden, das die Macht besaß, solches zu vollbringen: es kam nur darauf an, für welche dieser subjektiven Meinungen sich die Ge- samtheit oder ein Teil der Gesamtheit (Kasten- bildung) entschied. Dies die Ansicht des letzt- genannten Autors. Nur diejenigen Meinungen werden allmählich ausgemerzt, die unbedingt zu schädlichen Hand- lungen führen; die relativ unschädlichen Ansichten aber haben lange Dauer und werden nur durch neu auftauchende Interessen von anderen beeinflußt oder abgrelöst. H. P. Zur Entwicklungsgeschichte der Meinungen. Leipzig 1891. Räuberische Süfswasserschnecken. — Die siroße Schlanmischnecke oder gemeine Teich- lO Nalurwisseiiscliaftlichc VX'ochcnschrifi. N. I'. III. Nr. I Schnecke, Limiiaea stagnalis Lam. ist in unseren Teichen und Tümpeln überall häufig zu finden. Ihre ansehnliche Größe macht es ziemlich leicht, sie zu beobachten, und ihr Körperbau wie ihre Lebensweise bieten so viel des Interessanten, daß es sich wohl lohnt, Zeit und Mühe dafür hinzu- geben. Es haben sich auch schon viele Zoologen und Laien mit ihr beschäftigt, und es ist bereits viel über sie geschrieben worden. Trotzdem möchte ich hier einige Beobachtungen veröffentlichen, von denen ich wohl annehmen darf, daß sie weniger bekannt sind. In Kreisen der Aquariciiliebhaber erfreut sie sich keines guten Rufes, denn sie richtet unter den Pflanzen im Aquarium große Ver- wüstungen an. Das tut sie aber allem Anscheine nach nur aus Not, weil es ihr an tierischer Nahrung mangelt. Jedenfalls zieht sie die letztere den Vege- tabilien vor. Gleich den Wasserasseln und anderen Kleinkrebsen maciit sie sich in den Gewässern dadurcii nützlicii, daß sie dieselben vom Aase säubert. Dabei leistet sie im Skelettieren toter Fische ganz Vorzügliches, alle Weichteile, die Augen, sogar das Gehirn werden vollständig entfernt und aucii die feinste Gräte säuberlich abgeleckt. Aber aucii lebenden Tieren wird die Limnaea stagnalis gefährlich. Ich habe selbst beobachtet, wie sie eine ganze Kolonie Süßwasserpolypen (Hydra) ver- nichtete. Die Hydren saßen in lo — 12 Exem- plaren an der Glaswand eines Aquariums, die Schnecke kroch an derselben entlang. Kaum be- rührten die Tentakeln der Polypen ihre Oberlippe, welche ein vorzügliches Tastorgaii zu sein scheint, als sie sich schleunigst daran machte, eine nach der andern zu verzehren. Ein anderes Mal traf eine große Limnaea auf ihrem Wege eine junge Posthorn- oder Tellerschnecke (Planorbis). Sofort überfiel sie dieselbe, wobei sie das Maul außer- ordentlich weit öffnete. Im Augenblick war sie damit fertig und ließ das Gehäuse des Tierchens zurück. Ich habe dasselbe mit dem Mikroskop untersucht und gefunden, daß der Körper der Planorbis vollständig aus dem Gehäuse heraus- geholt war. Anfangs war ich geneigt, derartige L^berfälle auf lebende Tiere als Gelegenheitsräube- reien anzusehen, bis ich vor einigen Tagen durch eigene Anschauung dahin belehrt wurde, daß nicht immer der Zufall die Schuld trägt, sondern daß auch eine planmäßige Jagd stattfindet, bei welcher außer dem Tastsinn auch die Augen eine wichtige Rolle spielen. In einem großen Einmacheglase wächst vor meinem Fenster unser einheimisches Pfeilkraut, Sagittaria sagittaefolia L. Die Pflanze ist mit unzähligen großen Blattläusen behaftet. Eine Gruppe dieser Tiere saß an einem Blatt- stiele und wurde von einer Limnaea bemerkt. Da die Läuse oberhalb des W^assers saßen, konnte von einer Anwendung desTastsinnes seitens der .Schnecke nicht die Rede sein, sie mußte vielmehr die Beute mittels der .\ugen wahrgenommen haben. Nun geschah etwas Unerwartetes : die .Schlammschnecke kroch aus dem Wasser heraus, bis ihr Kopfende ca. 3 cm über der Wasseroberfläche war und suchte den Blattstiel rund herum ab, und alles, was sich nicht durch schleunige Flucht retten konnte, wurde von dem weit geöffneten Maule gepackt und aufgefressen. Wenn ein Beutestück an der Oberfläche des Wassers treibt, so weiß die Limnaea sich unter geschickter Verwendung der P'ußsohle desselben zu bemächtigen und es dem Munde zuzuführen, so daß sich dem Beschauer un- willkürlich der Gedanke aufdrängt, das Tier müsse einer gewissen Überlegung fähig sein. Es möge darum zum Schlüsse noch das folgende Experiment Erwähnung finden. Um zu sehen, was das Tier beginnen würde, steckte ich in die geöffnete Atem- höhle einer Schlammschnecke einen feinen Stroh- halm. Kaum spürte die Limnaea den PVenrdkörper, als sie die Atemöffnung schloß, den Körper einzog und sich zu Boden fallen ließ. Hier blieb sie eine Weile regungslos liegen, dann kam sie aus dem (ichäuse heraus und suchte sich über die Ursache des Unbehagens zu orientieren, schließlich faßte sie mit der Oberlippe und mit dem vorderen Teile der Sohle den Halm und zog ihn ruckweise unter fortwährendem Nachfassen aus dem Luft- sackc heraus. Chr. Brüning. Eine neue deutsche Clathracee. — Die inter- essanten P'ormen der Phalloidecn sind besonders in den Tropen verbreitet, während bei uns in Deutschland bisher nur zwei heimische Arten, die Stinkmorchel (Phallus impudicus) und die Hundsrute(Mutin us caninus) beobachtet worden sind. Hin und wieder ist allerdings auch der rote Gitterpilz (Clathrus cancellatus), so vor mehreren Jahren bei Berlin auf einem Palmen- kübel, gefunden worden, doch wurde das Mycel dieses Pilzes stets mit der Pflanze aus Italien oder Südfrankreich eingeschleppt. Erstgenannte Arten gehören zur l''amilic der Phallaceen, letztere den Clathraccen an. Zu meiner größten Überraschung erhielt ich im August vorigen Jahres einen ganz wunderbaren Pilz in zahlreichen lebenden Exemplaren aus Lud- wigslust in Mecklenburg zugesandt. Derselbe war dort auf einem sandigen Spargelfeld außerhalb der Stadt gewachsen und war von dem Herrn H. Klitzing daselbst entdeckt worden. Der Pilz erwies sicli als eine Art der Clathraceen-Gattung Anthurus, deren Vertreter, sonst fast ausschließlich in tropischen Gebieten heimisch, bisher sehr mangelhaft bekannt geworden sind. Es sind dies etwa 7 Arten , von denen A n t h u r u s W o o d i i in Ostafrika, A. Santa Catharinae in Brasilien, A. Clarazianus in Argentinien, A. cruciatus in Gujana, A. Müllerianus, A. aust ral ien sis in Australien, sowie A. borealis in Nordamerika vorkommt. Letztere Art wurde erst im Sep- tember 1894 auf einem sandigen Getreidefelde bei Last Galway (New- York) von Burt entdeckt und beschrieben. — Mit dieser letzteren Art hat unser mecklenburger Pilz nun sehr große .\hnlichkeit, doch ist derselbe durch verschiedene Merkmale, so durch P'ärbung der Arme und der Sporenmasse, N. F. III. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. durch Vorhandensein einer ringförmig verlaufenden Leiste unterhalb der Arme u. s. w. abweichend. Ich habe den Pilz daher vorläufig nur als Varietät zu letzterer .^rt gestellt, doch dürfte derselbe wohl besser als Art A n t h u r u s K 1 i t z i n g i i abzu- trennen sein. Das Vorkommen, sowie die ange- gebene Verschiedenheit von der amerikanischen Art sprechen dafür, daß der Pilz zweifellos ein ursprünglicher Bürger unserer Flora, möglicher- weise auch weiter verbreitet sein dürfte. Recht oft entziehen sich derartige sich äutlcrst rasch ent- wickelnde und dabei äul.^)erst vergängliche Pilzarten dem Auge und der Kenntnis des Mykologen. Der heran. Dieses Ei ist von weißer Farbe, an der Basis dem Mycelstrange angewachsen. Bei der Reife reißt die Eihaut, welche außen pergament- artig, innen aus einer dicken Gallertschicht und zu innerst aus einer sehr dünnen weißen Membran besteht, unregelmäßig auf. Der Stiel des Frucht- körpers streckt sich oft binnen wenigen Minuten und hebt die Gleba hervor, während die zerrissene E'ihaut am Grunde des Stieles als Scheide ver- bleibt. Der Stiel ist keulenförmig nach oben zu verdickt, 2 — 8 cm lang, oben 1 — 2 cm dick, aul.5en weiß, runzelig, netzig-zellig, im Innern mit weitem I lohlraume. Fig. I. ^ Fig. 2. Fig. 7. >0 Fig. 8, P'Jt?) yi Fig. 4. Fig. 3- fig- .=;■ F'ig. 1 u. 2 : F.icr in verschiedenen Stadien mit Myeel ; Fig. 3 : Entwickelter 6-armiger Fruclitkörper; Fig. 4: 7-armiger kleinerer Fruchtkörper; Fig. 5: Überreifer Fruchtkiirper, dessen .\rmc sich an der Spitze getrennt haben ; Fig. 6 : Unent- wickelter Fruchtkörper, bei dem in der oberen Hälfte die Fihaut abgelöst worden ist; Fig. 7 u. 8; Querschnitte durch ein /.iemlich reifes Ei. (Alles natürl. GröLie.l höchst unangenehme Geruch, sowie die nicht leicht zu konservierende Form des oft nur wenige Stunden vegetierenden Pilzes schrecken den Laien, falls er ihn bemerkt, ab vom Sammeln und Aufbewahren desselben, und die wenigen Mykologen können nicht überall zugegen sein, wo gerade ein der- artiger Pilz einmal auftritt. Unser Pilz entwickelt sich, wie auch die übrigen Phalloiden aus einem eiähnlichen Körper. Dieser geht aus den im Boden befindlichen Mycelsträngen hervor, er ist anfangs etwa in Größe eines Senf- kornes wahrnehmbar und wächst nach und nach unter der lürde bis zur Größe eines 'I'aulieneies Zuoberst des Stieles macht sich eine ring- förmige, schwach hervortretende Leiste bemerkbar, oberhalb dieser teilt sich derselbe in 6, seltener in 5 oder 7 Arme. Diese sind fast lanzettförmig, \—2^l„ cm lang, 0,5 — 0,6 cm breit, nach oben stark verjüngt, zugespitzt oder stumpflich, in der Mitte von einer tiefen, glatten, weißen Längsfurche durchzogen, die nach oben zu breiter und flacher wird. Auf beiden Seiten der Längsfurche, sowie auf der Innenseite bis kurz vor der Basis sind die Arme querrunzelig, weißlich, mit der schokoladen- braunen Sporenmasse bedeckt. Im sporenreifen 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. I Zustande neigen die Arme nach oben dicht zu- sammen, wenn jedoch die Sporen abgeflossen sind, beginnen sie sich zu trennen und nach außen zu neigen. Die Sporen entstehen zu S~8 a^n Scheitel der langkeuligen Basidien, sie sind ellip- soid oder ovoid-subfusoid, chlorin-hyalin, 3' '., — 4 u lang, I — 2 /.t breit. Die Sporenniasse besitzt einen an Menschenkot erinnernden Geruch. Die Fruchtkörper sind recht verschieden groll, einzelne bis 12 cm, andere nur 4 — 6 cm hoch und besitzen je nach der Anzahl und der Länge der Arme ein oft recht verschiedenes Aussehen. Der Pilz entwickelt sich von August bis Spätherbst, selbst noch bei gelinden Nachtfrösten im Oktober, am üppigsten jedoch in feuchtwarmen Nächten. Wir geben anbei einige Abbildungen des Pilzes in verschiedenen Entwicklungsstadien und Formen, die von dem Entdecker Herrn H. Klitzing nach der Natur gezeichnet worden sind. Prof. F. Hennings. Um Luftballons gegen Explosionen zu schützen, wurden auf \'eranlassung des „Berliner Vereins für Luftschiffahrt" neuerdings Versuche angestellt, die, obwohl noch nicht abgeschlossen, für die Leser dieser Zeitschrift doch schon einiges Interesse bieten dürften. Wie s. Z. in den Tages- blättern berichtet wurde, verlor der genannte Verein am 25. April d. J. seinen schönen Ballon „Pannewitz" durch Feuer unmittelbar nach Be- endigung einer bis dahin unter den günstigsten Verhältnissen \-erlaufenen Fahrt. Die Einzelheiten des Unglücksfalles glichen vollständig denjenigen, welche am 26. April 1S93 zur Vernichtung des Ballons ,, Humboldt" führten, und machen es sehr wahrscheinlich, daß in beiden und noch mehreren ähnlich verlaufenen Fällen ein elektrischer Funke beim Landen entstand und die Gasfüllung des Ballons in Brand setzte. Unter den Schutzmaß- regeln, die zur Vermeidung solcher Vorgänge empfohlen wurden, befand sich auch die An- wendung radioaktiver Substanzen. Man erinnerte sich, daß in neuerer Zeit mehrere Körper (Radium, Polonium und ihre Verbindungen) auf- gefunden wurden, welche eine zuvor noch nicht bekannte Art von Strahlen aussenden, und daß die von solchen Strahlen durcheilte Luft eine er- höhte elektrische Leitungsfähigkeit zeigt. Lädt man einen isoliert aufgestellten Leiter mit Elek- trizität und nähert ihm einen jener radioaktiven Körper, so verschwindet die Ladung alsbald, weil die umgebende Luft sie vermöge ihrer durch die radioaktive Strahlung gewonnene Leitungsfähigkeit fortführt. Daraufhin glaubte man eine jede während der Luftfahrt entstehende elektrische Ladung des Ballons sogleich und ohne Gefahr beseitigen zu können durch Anbringen eines radioaktiven Körpers an irgend einem Teile des Ballons. Die \^ersuche erwiesen indessen die Irrigkeit solcher Hoffnung. Man bediente sich dabei eines zur Abfahrt fertigen Ballons, der mit einer isolierenden Seidenschnur an den Boden gefesselt war und nur soviel Auf- trieb hatte, um die Schnur zu spannen. Zunächst galt es, diesem Ballon eine elektrische Ladung zu erteilen. Seine Wasserstofffüllung ließ die An- wendung einer Elektrisiermaschine bedenklich er- scheinen, und man wandte daher ein durch dies- jährige Beobachtungen des Herrn Ebert in München bekannt gewordenes X'erfahren an, näm- lich die PLlektrisierung durch Sandauswerfen. Der genannte h'orscher bemerkte, daß das bloße Aus- schütten von Sand aus einem der gebräuchlichen Ballastsäcke genügt, um den Sack und seinen Träger (natürlich bei isolierter Aufstellung) positiv elektrisch zu machen, während der herabfallende Sand negati\e Ladung zeigt, falls man ihn in einem isolierten Gefäß auffängt. Demgemäß fand man auch bei den hier erwähnten Versuchen, daß Aus- werfen trockenen Sandes aus dem Korbe des isolierten Ballons eine erhebliche Ladung positiven Vorzeichens im Ballon erzeugte, namentlich wenn der Sand, wie es ja beim Ballastwerfen zu ge- schehen pflegt, an der äußeren Korbwand Reibung fand. Wurde nun eine solche Ladung bewirkt, und dann durch einen am Boden stehenden Be- obachter eine mit radioaktiver Substanz bedeckte Metallplatte dem Ballonkorb genähert, so entlud sich der Ballon rasch. Diese Wirkung blieb aber aus, wenn derselbe Beobachter auf Paraffinstücken stand und dadurch vom Boden isoliert war. Denn wenn jetzt auch in der unmittelbaren Nähe des Korbes eine leitende Luftmasse sich befand, so fehlte doch die leitende Verbindung mit dem Erdboden, welche zum Fortführen der Ballonladung nötig gewesen wäre. .Aus demselben Grunde er- wies sich auch die .'\nbringung der radioaktiven Platte am äußeren Korbrand als unwirksam und verhinderte keineswegs die Ladung des Ballons durch .Sandauswerfen. Weil aber der frei fliegende Luftballon gleichfalls keine Gelegenheit zur P'ort- führung angesammelter Elektrizität gegen den Boden bietet, wird er das nämliche Verhalten zeigen, und es ist daher untunlich, durch Anwen- dung radioaktiver Körper die elektrische Ladung des Ballons zu hindern und das Entstehen zünden- der Funken auszuschließen. Über weitere Versuche, welche die gleiche Auf- gabe auf andere Art zu lösen bestimmt sind, hoffen wir später zu berichten. R. Börnstein. Die Intensitätsverteilung bei Linienspek- tren. — Zahlreiche Arbeiten sowohl theoretischer als experimenteller Natur haben in den letzten Jahren gezeigt, daß feste Körper ebenso wie der sogenannte ,,s c h w a r z e" Körper alle Wellenlängen mit zunehmenden Intensitäten aussenden , wenn man die Temperatur erhöht; da jedoch dieses .Anwachsen für kleine Wellenlängen schneller vor sich geht, verschiebt sich das Energiemaximum nach diesen hin. Es wäre interessant zu untersuchen, ob dieses selbe Gesetz sich auch für die Linienspektra der Gase bestätigt , worauf viele Erscheinungen hin- N. F. III. Nr. I Natui'wissenscliaftliche Wocliciischrift. 13 weisen. Aber ganz besondere experimentelle Schwierigkeiten stellen sich bisher einer endgülti- gen Lösung dieses Problems entgegen. Die Licht- stärke der Linien ist nämlich nicht das genaue Maß für die ausgesandte Energie ; ein solches wird vielmehr nur durch das Bolometer oder ein Wärnieelement geliefert. Da jedoch diese Instru- mente noch nicht empfindlich genug sind, um mit ihnen die Energie zu messen, die einer Spek- trallinie einer Geißlerröhre entspricht, so kann man nur auf photometrischem VVege die Hellig- keit der Linien mit der des entsprechenden Be- reiches einer Lichtquelle vergleichen, für die die Verteilung der Lichtstärken gegeben ist. Diese Methode ist von Herrn K. L a n g e n b a c h eingeschlagen worden, dessen LJntersuchungen in Nr. 4 der Annalen der Piiysik veröfifentlicht worden sind. Verfasser hat auch die Schwierig- keit gefunden, daß die Streifen bei der geringsten Veränderung der F^ntladung unregelmäßige Ver- breiterungen erfahren , welche die Stärke der Emission verändern. Daher ist denn auch der Verfasser weit entfernt, seinen Ergebnissen cjuanti- tativen Wert beizumessen und sieht in ihnen viel- mehr nur eine erste grobe Annäherung, aus der jedoch hervorgeht, dal.3 bei diskontinuierlichen Gasspektren das Energiemaximum sich gleichfalls für wachsende Temperaturen nach den kleinen Wellenlängen hin verschiebt. Es ist überflüssig, auf die Wichtigkeit hinzu- weisen, welche eine genaue Kenntnis der Ver- teilung von Spektralenergien für die Astronomen hätte, die auf diese Weise in der Lage wären, aus der Untersuchung des Spektrums eines Ge- stirns genaue Schlüsse auf die Tem])cratur des- selben zu machen. Die bisher in dieser Richtung gemachten Versuche ruhten auf keiner genügend sicheren Grundlage, und nur durch weitere Ver- folgung der vom Verfasser begonnenen LJnter- suchungen kann man einmal die Temperatur der Sterne mit einiger Genauigkeit bestimmen zu können erwarten. A. Gr. Bücherbesprechungen. Prof. Dr. Otto Wünsche, Blicke auf die Ent- wicklung der Naturwissenschaften. \'or- trag, gehalten im Verein für Naturkunde zu Zwickau. Sonderabdruck aus dem Jahresbericht des Vereins für Naturkunde zu Zwickau 1S99. Zwickau, 1902. Gebr. Thost (R. Bräuninger). 2,:; S. 8". — Preis 50 Pf. Die Wissenschaft ist der Inbegriff von Über- zeugungen, die zusammengehalten werden durch das Bewußtsein, w a r u m man sie für wahr zu halten hat. In diesem Sinne ist ihr Anfang in Alexandria zur Zeit der Ptolemäer zu suchen. Seitdem hat sie einen ungeheuren Umfang angenommen , vor allem durch das Eindringen in das Gesetz der Entwicklung, das wir überall finden , und der gegenüber alles Be- harren nur scheinbar und vorübergehend ist. Dies rasche Anwachsen täuscht jedoch insofern , als die unzähligen Einzeltatsachon , die heute viele Zweige der Naturwissenschaft unübersehbar machen, ihre Be- deutung verlieren werden , wenn wir sie als Folgen allgemeinerer Gesetzmäßigkeiten erkannt haben werden. Aber darum bleibt das Wesen des Fortschritts doch an flüssige Einzelarbeit geknüpft, und auch das Genie wirkt um so erfolgreicher, je mehr es den dichterischen Drang bezwingt. Das Beweisen, nicht das bloße Finden eines Gesetzes macht den großen Mann der Wissenschaft. Diese großen Männer sind eng mit ihrer Zeit verknüpft, sie sprechen gleichsam nur aus, was zur Entwicklung herangereift ist, und sie haben auch nur Erfolg , wenn ihre Gedanken in den Zu- sammenhang der jeweiligen Wissenschaftsentwicklung hineinpassen. So zeigt die ^^'issenschaft ein selb- ständiges Leben nach eigenen Gesetzen. Alle flüssige Arbeit , selbst der Irrtum , wenn er gründlich behan- delt wird, bringt sie vorwärts. Zum Schluß fragt der Verfasser nach den Kräften, die die Menschen zur Wissenschaft trieben, und findet sie nicht im Trieb nach Erwerb oder im Drängen der Not, sondern im Sinn für das Erhabene ; denn d i e Völker haben für die Wissenschaften am meisten geleistet , die auch durch gewaltige Bauten jenen Sinn bekundet haben. .\ber entspringt die Wissenschaft nicht dem Nutzen, so dient sie ihm doch , und mag auch manche der Naturwissenschaften unnütz erscheinen , so läßt sich die Tragweite ihrer Forschungen nie vorher über- sehen. ..Die Geisteskraft, durch Wissenschaft geweckt und geleitet, beherrscht die Welt." Das sind die Ge- danken , die der Vortrag entwickelt und durch viel- fache Beispiele aus der Geschichte der Naturwissen- schaft belegt. Wie der ^''erfasser im Vorwort sagt, verfolgt er den Zweck, „den Leser für den deutsch- russischen Naturforscher K. E. v. Baer und für natur- wissenschaftliche Studien zu interessieren", und schließt sich in den Grundgedanken an einen Vortrag mit ähnlichem Titel an, den v. Baer am 29. Dezember 1835 in der Akademie zu St. Petersburg gehalten hat. Der Versuch ist eigenartig und wird jeden sym]jathisch berühren , der die vielfache Unkenntnis der Wissenschaftsgeschichte und ihrer Träger selbst in naturwissenschaftlichen Fachkreisen bedauert. Aber es hat auch seine Bedenken, Tote zu erwecken, wenn man ihnen nicht denjGeist der Neuzeit einhauchen kann. Wer heute Blicke auf die Entwicklung der Naturwissenschaften wirft , darf nicht achtlos an dem vorübergehen, was seit Baer geleistet worden ist, und bei näherem Hinsehen wird er dann finden, daß in der ersten Hälfte des 1 9. Jahrhunderts allerdings ein Wendepunkt in der Entwicklung der Naturwissenschaft eingetreten ist , der durch die unvergleichlich viel zahlreicheren, ihr jetzt zur Verfügung stehenden Arbeits- kräfte bedingt ist. Heute erfordert die Wissenschaft wirklich geniale Männer, die nicht nur selbst durch flüssige ."Arbeit den Bestand mehren , sondern vor allen Dingen das ungeheure alljährlich wachsende Beobachtungsmaterial zu wahrem Fortschritt zu ver- werten wissen. Mit der Ausdehnung der „Gelehrten- republik" wird man auch in ihr mehr und mehr zwischen arbeitenden und beherrschenden , organisa- torischen Naturen unterscheiden müssen. .\ber dieser 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Umschwung ist nur eine letzte Phase einer mannig- fohigen Entwicklung, deren Verfolgung man nach dem Titel zunächst von dem obigen Vortrag erwarten würde. Die Wissenschaft der Alexandriner, der Araber, des Mittelalters , der Renaissance , der Kepler und Kopernikus , Newton , Linne usw. , das alles sind recht verschiedene Arten des Denkens, deren gesetz- mäßige Entstehung auseinander und im Kampfe mit- einander den ungemein fesselnden Inhalt einer wahr- haft entwicklungssuchenden Wissenschaftsgeschichte bilden müßte. Möge sie bald geschrieben werden ! F. S. Handbuch der vergleichenden und experimen- tellen Entwicklungslehre der Wirbeltiere. Bearbeitet von Prof. I^r. P.arfurth, Rostock, Prof. Dr. Braus, Heidelberg, Dozent Dr. Bühler, Zürich , Prof. Dr. R u d. B u r c k h a r d t , Basel, Prof. Dr. Felix, Zürich, Prof. Dr. Flemming, Kiel, Prof. Dr. Froriep, Tübingen, Prof. Dr. Gaupp, Freiburg i. Br. , Prof. Dr. (joeppert, Heidelberg, Prof. Dr. Oscar Hertwig, Berlin, Prof. Dr. Richard Hertwig, München , Prof. Dr. H o c h s t e 1 1 e r, Innsbruck, Prof. Dr. F. K e i b e 1, Freiburg i. Br., Dozent Dr. Rud. Krause, Berlin, Prof. Dr. Wilh. Krause, Berlin, Prof. Dr. v. Kupffer (f), München, Prof. Dr. Maurer, Jena, Prof. Dr. Mo liier, München, Dozent Dr. Peter, Breslau, Dr. H. Poll, Berlin, Prof. Dr. Rückert, München, Prof. Dr. Sc h au i n slan d, Bremen , Prof. Dr. Strahl, Gießen , Prof. Dr. Waldeyer, Berlin, Prof. Dr. Ziehen, Utrecht. Herausgegeben von Dr. Oscar Hertwig, o. ö. Piof., Direktor d. anatom.-biolog. Instituts in Berlin. Jena, Verlag von Gustav Fischer, 1901 — 1903. I. bis 15. Lieferung. (Vollständig in etwa 20 Lieferungen zu 4 Mk. So Pf.) Ein bedeutsames Werk über die Entwicklungs- geschichte der Wirbeltiere liegt in dem vorliegenden Handbuche vor. Es ist ein Kompendium der Onto- genie dieser Tiere und umfaßt unter Berücksichtigung der verschiedenen Klassen der Wirbeltiere in ver- gleichender Darstellung alles Wesentliche, was über den Werdegang derselben von der Eizelle an bekannt geworden ist, namentlich bereichert durch die zahl- reichen, in Zeitschriften und in verschiedenen Büchern zerstreuten neuesten Forschungsresultate auf diesem Gebiete. Seit der vor mehr als zwanzig Jahren er- folgten Herausgabe der „Treatise on comparative embryology" des leider zu früh durch den Tod der Wissenschaft entrissenen Francis Balfour ist kein Versuch mehr gemacht worden, das Gesamtgebiet der vergleichenden Entwicklungsgeschichte der Tiere zu- sammenfassend darzustellen. Nur Korscheit und Heider haben seitdem das treffliche Lehrbuch der wirbellosen Tiere 1890 — 93 in 3 Bänden heraus- gegeben, welches seit kurzem seine zweite Auflage erlebt. Aber ein für den Forscher bestimmtes Hand- buch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte der Wirbeltiere, welches den neuesten Standpunkt dieser umfangreichen Wissenschaft repräsentiert, gab es bis jetzt noch nicht. Denn die im Laufe der letzten Jahrzehnte herausgegebenen, umfassenden Lehrbücher der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Tiere sind vorzugsweise für den Studenten der Medizin und den praktischen Arzt berechnet und haben die vergleichende Entwicklungsgeschichte nur insoweit berücksichtigt, als dies für Lehrbücher erforderlich schien. Das vorliegende, noch nicht abgeschlossene Hand- buch der Acrgleichenden ^Entwicklungsgeschichte der Wirbeltiere will also einen treuen Spiegel vom Stande der gegenwärtigen entwicklungsgeschichtlichen For- schung geben. Die Namen der vielen guten Mit- arbeiter an diesem umfangreichen Werke, ohne Aus- nahme Fachleute , welche durch eigene Forschungen tiefere Einblicke in einzelne Gebiete der vergleichen- den Entwicklungsgeschichte der Wirbeltiere gewonnen haben, sind eine Gewähr für die (lüte des Inhalts der einzelnen Kapitel. Die Herausgabe des ganzen Werkes liegt in den bewährten Händen Oscar Hert- wig' s. Für die Bearbeitung des Materials sind die ein- zelnen Organsysteme der Einteilung zugrunde gelegt, wie sich aus der unten mitgeteilten Inhaltsangabe ergibt. Der Herausgebet und seine Mitarbeiter wollen in dem Handbuche vor allen Dingen einen erschöpfenden, auf ()uellenforschung beruhenden Überblick über das Gesaratgebiet der vergleichenden EEntwicklungsge- schichte der Wirbeltiere bieten, unter möglichst voll- ständiger Berücksichtigung der ganzen entwicklungs- geschichtlichen Literatur und unter Zusammenfassung aller als gesichert erscheinenden Ergebnisse, sowie der noch strittigen Fragen und der leitenden und sich immer mehr verfeinernden Probleme der Forschung. .\uch sind in dem Handbuche die Ergebnisse der e-\i]erimentellen Entwicklungslehre gebührend berück- sichtigt. Zahlreiche gute Te.xtfiguren erleichtern das Verständnis des Inhalts. Das Titelbild stellt den berühmten Altmeister Karl Ernst v. Baer vor, mit dessen gut ausge- wähltem Ausspruche als Motto : „Die Wissenschaft ist ewig in ihrem Quell, unermeßlich in ihrem Umfange, endlos in ihrer Aufgabe, unerreichbar in ihrem Ziele." In der Tat umgreift das vorliegende Werk mit weiten Armen das ganze höhere organische Leben, um es aus seinem innersten Sein und Werden heraus zur öffentlichen Darstellung zu bringen. Eine große Frage ist es, welche die Naturforscher bei ihren entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen stets auf das lebhafteste beschäftigt hat und noch beschäftigt, es ist die Frage : was ist das Wesen des organischen Entwicklungsprozesses, wodurch wird es möglich, daß aus einer winzigen Substanzmenge, aus einem Pflanzen - Samen oder aus einem tierischen Ei wieder ein hoch zusammengesetzter Organismus genau der gleichen .\rt entsteht? Was ist der Keim von Anfang an und wie bildet er sich zum ausgewachsenen Geschöpf um r Wie ist das Wunder zu erklären, daß an der Wund- stelle die organische Substanz die Fähigkeit besitzt. Verlorenes in zweckmäßiger Weise wieder herzustellen : Vom historischen Standpunkte ist es interessant, zurückzuschauen auf unsere Wissenschaft während der N. F. III. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 15 letzten Jahrhunderte. Wir werden wieder daran er- innert, daß früher die Samenfäden meistens für para- sitische Gebilde der .Samenflüssigkeit, den Infusorien vergleichbar, gehalten wurden , und daß es noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts gedauert hat, bis der wirkliche Sachverhalt, daß Ei- und Samen- zelle als gleichwertige Elemente am Zeugungsakt be- teiligt sind, festgestellt und damit die Streitfrage der Ovisten und der .Xniniaikulisten zum Abschluß ge- bracht wurde. Wie änderte sich nicht die Entwicklungslehre, be- vor die wahre Theorie der Gegenwart zum Durch- bruch kam! Die im 17. und 18. Jahrhundert herr- schende Präformationshypothese (oder E\o- lutionsh\ pothese) , nach welcher angenommen wurde, daß im Ei oder im Samenfaden das spätere ausge- wachsene Geschöpf gewissermaßen schon in kleinster Form vorgebildet oder als unendlich kleines Miniatur- bild angelegt und in Hüllen eingeschlossen sei, welche von dem neu entstehenden Wesen durchbrochen wer- den mußten, — diese Hypothese wurde im 18. Jahr- hundert durch die E p i g e n e s i s abgelöst , welche eine neue Periode einleitet und die allmähliche Ent- stehung eines der Form nach noch nicht vorgebildeten Organismus aus dem elterlichen Zeugungsstofte durch Umbildung zum Ciegenstande hat. Mit der Darstellung dieser historischen Rückblicke wird die i. Abteilung des ersten Bandes ein- geleitet ; sie stammt aus der Feder von Professor Osr:ar Hertwig und ist in der „Einleitung und allgemeinen Literaturübersicht" enthalten. Sie umfaßt 1. die Entwicklungslehre im 16. bis 18. Jahrhun- dert (die Theorien der Präformation oder Evo- lution, der Epigenesis und des Panspermatismus) S- 1—35; 2. die Entwicklungslehre im ig. Jahrhundert (die morpiiologische, die physiologische Richtung in der entwicklunLisgeschichtlichen Forschung) S. 35—68; Allgemeine Literalurübersicht S. 69 — 85. Daran schließen sich die einzelnen Kapitel. I. Kapitel: Die Geschlechtszellen. Von Professin W. Waldeyer. S. 86 — 476. II. Kapitel: Eir e ife und Be fr u ch t un g. Der Furchungsprozeß. Von Professor Richard Hertwig. S. 477 — 698. III. Kapitel: Die Lehre von den Keim- blättern. Von Professor Oscar Hertwig. S. 699 bis 966. IV. Kapitel : M i ß b i 1 d u n g e n u n d M ehr f a c h - bildungen, die durcli Störung der ersten Entwicklungsprozesse hervorgerufen wer- den. Von Professor Oscar Hertwig. S. 967 - 998. Zusammenfassung von Kapitel III und IV. Die Ergebnisse der Keimblattlehre. Von Professor Oscar Hertwig. S. 999 — xoiS. \Vert\oll sind hier namentlich die Ergebnisse, welciie den Urniund betreffen. „Am wichtigsten ist die Stelle des Urmundes, wo sich die Naht vollzieht. Sie allein gibt einen bei allen Wirbeltieren vergleichbaren Punkt ab." „Aus dem immer kleiner werdenden Urmundgebiet geht der Schwanz und die Afteranlage hervor." „Was man auf den einzelnen Stadien als Urmund bezeichnet, ist nicht ein und dasselbe un- verändert gebliebene Organ ; es sind nur verschiedene Strecken eines sich durch Wachstum am hinteren Ende in demselben Maße ergänzenden und erneuern- den Organs, als es nach vorn durch Verwachsung und Organdifferenzierung aufgebraucht wird." Die 2. Abteilung des ersten Bandes beginnt mit dem VI. Kapitel : Die Entwicklung d e r ä u ß e r e n Körper form der Wirbeltier embryo neu, insbesondere der menschlichen Embry- onen aus den ersten zwei Monaten. Von Professor F. Keibel. S. i — 176. \'II. Kapitel : Die Entwicklung der Eihäute der Reptilien und d e r V ö g e 1. Von Professor Dr. H. Schauinsland, S. 177 — 234. VIII. Kapitel: Die Embryonalhüllen der Säuger u n d d i e P 1 a c e n t a. Von Professor Hans Strahl. S. 235—368. Des zweiten Bandes i. Abteilung enthält die folgenden Kapitel: I. Kapitel: Die Entwicklung des Mundes und der Mundhöhle mit Drüsen und Zunge; die Entwicklung der Schwimmblase, der Lunge und d e s K e h 1 k o j) f e s b e i d e n W i r b e 1- tieren. Von Professor E. Göppert. S. 1 — 108. II. Kapitel: Die Entwicklung des Darm- systems. Von Professor F. Maurer. S. log — 252. III. Kapitel: Die Entwicklung der Haut und ihrer Nebenorgane. Von Professor Wilh. Krause. S. 253 — 348. IV. Kapitel: Die Entwicklungsgeschichte der Verknöcherungen des Integunients und der Mundhöhle der Wirbeltiere. Von Professor Rudolf Burckhardt. S. 34g — 462. Die 2. Abteilung des zweiten Bandes ent- hält bis jetzt die folgenden Kapitel : V. Kapitel : Die E n t w i c k 1 u n g d e s G e r u c h s - Organs und Jakobson'schen Organs in der Reihe der Wirbeltiere. Bildung der ä u ß e r e n Nase und des G a u m e n s. Von Dr. Karl Peter. S. 1 — 82. VI. Kajjitel: Entwicklungsgeschichte des Gehörorgans. Von Dr. Rudolph Krause. S. S3— 138. Die 3. Abteilung des zweiten Bandes beginnt mit dem VIII. Kapitel : Die Morphologie des Zentralnervensystems von Prof K. von Kupffer (der leider währenddessen gestoijjen ist). S. i — g6 (noch nicht abgeschlossen). Von der 2. Abteilung des dritten Bandes sind bis Jetzt folgende Kapitel erschienen : III. Kapitel: Die Histiogenese der Stütz- substanzen der Bindesubstanzgruijpe. Von Prof. W. Flemming. S. i — 20. IV. Kapitel: Die Entwicklung des Blut- gefäß syst ems. Von Professor Hochstetter. S. 21 — 166. Zahlreiche Figuren sind dem Te.xte der einzelnen Kapitel eingefügt. Später wird noch über die Schluß- ka[iitel referiert werden. Nach Fertigstellung des i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. I ganzen Werkes werden wir Gelegenheit nehmen, noch auf den Inhalt des wichtigen Werkes zurückzukommen. Prof. H. Kolbe. Dr. Felix Wahnschaffe, Geheimer Bergrat, Landes- geologe, Professor an der Bergakademie und Privat- dozent an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin : A n 1 e i t u n g z u )■ w i s s e n s c h a f 1 1 i c h e n B o d e n- unter suchung. 2. Auflage. Paul Parey in Berlin 1903. — Preis 5 Mk. Als das einzige auf diesem Gebiete der chemischen Forschung existierende Spezialwerk ist das vorliegende Buch kürzlich in zweiter, neubearbeiteter Auflage er- schienen. Es ist durch Aufnahme einiger neuerer Untersuchungsmethoden auf dem Gebiete der Boden- analyse wesentlich bereichert und mit zahlreichen Textabbildungen ausgestattet worden , während die bisherige Einteilung des Stoffes beibehalten wurde. — Nach einem einleitenden Abschnitt, der die Definition, Klassifikation und Entstehung des Bodens, sowie den Zweck der Bodenuntersuchung behandelt, folgen i. ,,l)ie mechanische Bodenanalyse, 2. Die Bestimmung der Bodenkonstituenten, 3. Bestimmung der Pflanzennähr- stoft'e, 4. Die Bestimmung der für das Wachstum der Pflanzen schädlichen Stoffe des Bodens, 5. Die Er- mittelung verschiedener Eigenschaften des Bodens, welche teils auf physikalischen, teils auf chemischen Ursachen berJ.ien." — Neu aufgenommen sind unter 1. einzelne neue Schlämmapparate, die indessen noch wenig Eingang in die Praxis gefunden haben, unter 2. „Die Bestimmung des kohlensauren Kalkes durch Maßanalyse, die Ermittelung der Karbonate von Kal- zimii und Magnesium durch Auskochen mit Essig- säure und die maßanalytische Humusbestimmung nach Aschmann und Faber," Unter 3. ist neu der Ab- schnitt „über den Auszug des Bodens mit Zitronen- säure oder Essigsäure zur Bestimmung der assimilier- baren Phosphorsäure, sowie Pagnouls kolorimetrische Methode zur Bestimmung des leicht löslichen Kalis." Endlich ist der Inhalt des Buches auch um die neueren ,, Bestimmungen der Benetzungswärme des Bodens" und die „elektrische Messung der löslichen Bodensalze" bereichert worden. Das Wahnschafte'sche Buch, welches in der neuen Auflage besonders auch in dem Kapitel über die Nährstoffbestimmung einer Umarbeitung unter- zogen wurde, und welches teilweise die Methoden der Bodenuntersuchung wiedergibt, wie sie im Laboratorium für Bodenkunde an der Königl. Preuß. Geologischen Landesanstalt zur Anwendung kommen, ist als ein Ratgeber jedem zur Anschaffung zu empfehlen, der sich mit der mechanischen und chemischen Boden- analyse und der Bestimmung gewisser ph}'sikalischer Eigenschaften des Bodens zu befassen hat. Bei einer Neuauflage dürfte es sich empfehlen, dem Werke ein Inhaltsverzeichnis beizufügen, um die Übersichtlichkeit des Stoftes zu erhöhen. L. Briefkasten. B. H., Kitzingen. — Bezüglich der Anforderungen, welche an akademisch gebildete Frauen bei der Anstellung als Lehrerin an höheren Mädchenschulen gestellt werden, können wir Ihnen keine Auskunft erteilen ; diese Fälle sind wohl bisher nur vereinzelt vorgekommen und individuell be- handelt worden. Falls Bestimmungen über abzulegende Prü- iungen etc. bereits vorhanden sind, würden Sie dieselben wohl am besten durch Frauenvereine oder direkt von den in Be- tracht kommenden Behörden erfahren können. Herrn H. — Baumzwicbel. Die Baumzwiebel, Allium canadense Kalm, wird meines Wissens in Deutschland noch nicht kultiviert. Sie kommt, wie .•\sa Gray in seinem Manual of the Botany of the Northern United States, 6. Auf- lage, S. 526, angibt, auf feuchten Wiesen, von Kanada bis zum Golf von Mexiko vor und blüht im Mai und Juni. Der Schaft ist nach ihm I Fuß hoch oder mehr. — Warum der Fragesteller diese Zwiebel Baumzwiebel nennt , ist mir daher nicht recht klar. In den Vereinigten Staaten heißt sie Wild Garlie (wilder Knoblauch). L. Wittmack. Herrn O. in .Stuttgart. — Herr R. Lucks schreibt: ,, Zeile 2 v. oben im zweiten Abschnitt der r. Spalte auf pag. 592 muß es selbstverständlich ,,D o rsa 1 1 ap p e n" heißen. Das Versehen geht aus Abschn. 3 r. Spalte pag. 590 deutlich hervor. .Mit den dreierlei Eiern hat es seine Richtigkeit. Es kommen vor ; r. . I größere, aus denen Weibchen hervorgehen ; oommcrcicr ' o ? o ' ( kleinere, aus denen sich Männchen entwickeln ; Wintereier, die wohl besser als Dauereier bezeichnet werden dürften, da die Ablage und oft auch die Entwicklung schon im Sommer vor sich geht." Herrn R. in Trier. — In Ergänzung der früheren Mitteilung empfiehlt Ihnen Herr Mittelschullehrer K. Burchardt (Halle a. S.) das Buch von Hohmann ,,Die Mittelschulprüfung" (Verlag von Hirt in Breslau) und zwar Heft 7, Naturwissenschaften, bear- beitet von Dr. Imhäuser. Herrn Dr. G. in M. — Über Bau und Entwicklung der .Algen finden Sie eine gute, ausführliche t'bersicht in Engler- Prantl's Natürlichen Pllanzenfamilien (Wilhelm Engelmann in Leipzig). Dort ist auch die weitere Literatur angegeben. Herrn G. M. in .Arnswalde. — Die ausführlichste Thallo- phyten-Flora , die wir besitzen, ist die Kabenhorst'sche und zwar die von einer Anzahl Spezialisten herausgegebene 2. Auf- lage. Sic enthält viele Abbildungen und ist bei Eduard Kummer in Leipzig erschienen. Herrn Dr. A. — Die Sphenopteris elegans ist bei ihrer Häufigkeit ein wichtiges Leitfossil für das untere produktive Karbon. Durch die echte Keilgestalt der Fiedern letzter ( >rd- nung (der letzten Elemente der Wedel) weicht sie von den .\rten, die man jetzt als die typischen Sphenopterisarten an- sieht, ab. Letztere haben mehr oder minder kreisf. F. 1. (_)., jedenfalls lassen sie sich bequem in einen Kreis einzeich- nen. Bei der wenig bequemen Umgrenzung der Gattung Sphenopteris in ihrem gegenwärtigen Umfang habe ich die Absicht (wie schon früher Palmatopteris und .^lloiopteris) auch die Sphenopterisarten vom Typus der Sphenopteris elegans abzutrennen und in die neue ,, Gattung" Cuneatopteris zu tun, also aufler dieser .Art ncch z. B. die Sphen. divaricala, Sphen. linearis Brg., Diplothmema elegantiforme Stur u. Sphenopteris laüfrons Zeiller, vielleicht auch Sphen. Mantelli Brongn. Inhalt: Prof. H. J. Kolbe: Über die psychischen Fujiktionen der Tiere — Kleinere Mitteilungen: Prof. II. Potonie: Plauderei über die Macht der Gewohnheit. — Chr. Brüning: Räuberische Süßwasserschnecken. — Prof. P. Hennings: Eine neue deutsche Clathracee. — Prof. R. Börnstein: Luftballons gegen E.xplosionen zu schützen. — K. Langen- bach: Die Intensitätsverteilung bei Linienspektren. — Bücherbesprechungen: Prof. Dr. Otto Wünsche: Blicke auf die Entwicklung der Naturwissenschaften. — Prof. Hertwig: Handbuch der vergleichenden und experimentellen Entwicklungs- lehre der Wirbeltiere. — Dr. FelixWahnschaffe: Anleitung zur wissenschaftlichen Bodenuntersuchung. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Gross-Lichterfelde-We.st b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G, Pätz'schc Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,Di6 JNatUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. F. Koerber Redaktion Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 11. Oktober 1903. Nr. 2. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen uiul Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegcld bei der l'ost 15 l'fi;. extra. Postzeitungsliste Nr. 5263. Inserate : Die zweigcspaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren .Vufträgen entsprechender Rabatt. Ikilagen nacli Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, lilumenstraße 46, P.uchhändlerinserate durch die Verlagshandlung crlHten. Über die Fortschritte in der Erkenntnis der radioaktiven Stoffe. [Naclnliticl< verboten.^ Von Prof. Dr. Duden in Jena. In der Geschichte der Chemie hat schon ein- mal eine Entdeckung eine große Rolle gespielt, die durch rein physikalische Methoden die Exi- stenz zahlreicher unbekannter Elemente enthüllte. Mit Hilfe der Spektralanalyse wiesen K i r c li - hoff und Hunscn das Rubidiimi und Caesium, spätere Eorscher zahlreiche andere Elemente nach, und dieser spektralanalytische Nachweis wurde für den Chemiker der Wegweiser, der ihn zur schließ- lichen Isolierung dieser seltenen Stoffe hinführte. Einen ähnlichen Weg hat die Auffindung der radioaktiven St off e durchlaufen, jener rätsel- haften, aus Uran- und Thormineralien stammenden, strahlenden Substanzen, die augenblicklich das naturwissenschaftliche Interesse in so hohem Maße in Anspruch nehmen. Ihre Entdeckung ist freilich nicht annähernd so fertig und abgeschlossen an die Öffentlichkeit getreten, wie seiner Zeit die Spektralanalyse Kirchhoff's und Bunsen's, vielmehr muß diesem so viel Unbekanntes bieten- den Terrain Schritt für Schritt abgerungen werden. Seit den ersten Mitteilungen Becquerel's über diese Strahlungscrscheinungen sind jetzt sieben Jahre verflossen, die zwar höchst bemerkenswerte Fortschritte gebracht, aber noch mehr Rätsel un- gelöst gelassen haben. Wenn sich somit ein einigermaßen abgerundetes Bild über dies Gebiet zur Zeit noch nicht ge- winnen läßt, dürfte es doch erwünscht sein, von Zeit zu Zeit die F"ortschritte zu registrieren, die die Bearbeitung zu verzeichnen hat, und so sei hier kurz der augenblickliche Stand unserer Kennt- nisse der radioaktiven Stoffe dargestellt , an- knüpfend an einen ähnlichen Bericht in dieser Zeitschrift, der mit dem Jahre I 9 o I abschließt. Die Anreicherung der Radioaktivität in den verschiedenen analytisch abgeschiedenen Bestand- teilen der Uranpechblende und verwandter Mine- ralien stellt dem Chemiker die Aufgabe, die die .Strahlung bedingenden Stoffe in diesen einzelnen Fraktionen aufzusuchen, eine Aufgabe, die für die verschiedenen Anteile in sehr verschiedenem Grade gelöst werden konnte. Am vollkommensten für das zuerst von den beiden Curies in der Baryiimfraktion der Uran- mincralien vermutete neue Element Radium. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 2 Bei der Verarbeitung von genügend großen Mengen von Uranpecherzrückständen läßt sich das Radium aus der das Baryum, Strontium und Calcium ent- haltenden Fraktion nach mehreren Methoden, am einfachsten anscheinend nach der von Giesel angegebenen — Krystallisation des Radiumbaryum- bromids aus Wasser — in reiner Form abscheiden. Man erhält äußerst minimale Mengen dieses kost- baren Salzes, das nach der spektroskopischen Untersuchung von Runge und Precht keine Baryumlinien mehr aufweist, sondern ein neues glänzendes riammenspektruin, charakterisiert durch zwei breite Linien im Orangerot, besitzt. Es zeigt starke Eigenfluoreszenz, bringt den Baryumplatin- cyanür und den Zinkblendeschirm zu kräftigem Leuchten und liefert die früher näher geschilderten Strahlungserscheinungen — Ionisierung der Luft, chemische Wirkung der Strahlen auf die photo- grapliische Platte, Ozonisicrung des Luftsauerstoffs, Polymerisation des gelben Phosphors zu rotem Phosphor, F'ärbung von Alkalisalzen und von Glas- substanz usw. — in der markantesten Weise. Seine Aktivität ist etwa 400000 mal so groß wie die der natürlich vorkommenden Uranverbindungen. Diese Energieabgabe des Radiumatoms, die unter gewöhnlichen Umständen als Strahlung und Emana- tion (s. u.) auftritt, äußert sich in der wässerigen Lösung des Salzes durch eine Zerlegung des Wassers in Wasserstoff und Sauerstoff. Auch das feste Salz selbst zeigt einen eigentümlichen Zerfall in freies Brom und Metall, bezw. Metallhydroxyd, der Gelbfärbung und alkalische Reaktion des Präparats zur Folge hat. Das Atomgewicht des Radiums ergibt sich aus wiederholten Bestimmungen von Frau (Turie zu 225, so daß es sich ohne Zwang in die dritte Vertikalreihe des periodischen Systems (Erdalkalien) neben das Thor einreiiit. Es ist als das höhere Homologe des Baryums anzusprechen, dem es, wie schon aus einer Abscheidung hervorgclit, in den meisten Re- aktionen folgt. Die elementare Natur des Radiums geht aus diesen Daten ebenso sicher hervor, wie die Tat- sache, daß es als der Träger der Radioaktivität der Baryumpräparate aus Uranmineralien anzusehen ist. Die Frage nach der Quelle dieser P^nergie- abgabe ist damit aber natürlich noch nicht be- antwortet. Verfolgen wir zunächst die übrigen in der Pechblende enthaltenen aktiven Substanzen, so ist deren Kenntnis noch nicht so weit gefördert wie die des Radiums. Höchst wahrscheinlich handelt es sich auch hier um primär aktive Stoffe, d. Ji. um neue Elemente, denen die Eigenschaft der Becqu erelstrahlung zukommt, eine endgültige Bestätigung dieser Ansicht durch spektroskopische oder eingehendere chemische Untersuchungen steht aber noch aus. Am vollständigsten sind die Daten über das a k t i V e B 1 e i. Durch geeignete chemische Behand- lung lassen sich ihm geringe Mengen eines Stoffes entziehen, dessen Reaktionen in verschiedenen Punkten von denen des Bleies differieren und dessen Aktivität sich während einer jahrelangen Beobachtungsdauer nicht vermindert hat. Die Strahlen, die von diesem Radioblei ausgehen, wirken sowohl auf das Elektroskop wie auf die photographische Platte; sie induzieren Schwer- metalle, die mit Radiobleipräparaten in Berührung kommen, kräftig, und letztere büßen dabei ilire Wirksamkeit vorübergehend fast vollständig ein. Die Tatsache aber, daß die so geschwächten Prä- parate bei längerem Aufbewahren die frühere Aktivität wieder völlig regenerieren, ist nur so zu deuten, daß sie selbst da s Radioakt ivität erzeugende Prinzip enthalten, d. h. daß es sich hier um einen primär aktiven Stoff handelt. Die das Wismut enthaltende Praktion der Pech- blende, in der dieCurie's zuerst eine Anreiche- rung der Aktivität beobachteten, liefert beim Itin- bringen eines Antimon- oder Wismutstäbchens in ihre salzsaure Lösung einen minimalen Metall- beschlag, der eine kräftige Ionisierung der Luft be- wirkt Es ist noch nicht sicher entschieden, ob es sich hier ebenfalls um einen neuen primären aktiven Stoff — Radiotellur oder zu Ehren von Frau Curie Polonium genannt — handelt, oder ob man es mit einer Induktion des Wismuts durch geringe in der Lösung enthaltene Mengen von Radium zu tun hat. Es scheint, dat3 unter ge- wissen noch nicht näher erkannten Umständen auch die induzierte Aktivität sich sehr lange konstant erhält. In einem solchen Fall würde das einzige Kriterium, das man bisher zur sicheren Unterscheidung zwischen primärer und induzierter Aktivität zur Verfügung hat, versagen, und so kann erst eine genauere Kenntnis der hier ob- waltenden Gesetze die jetzt noch vorhandene Un- sicherheit über die Natur des Radiotellurs be- seitigen. Auch für die bei dem aktiven LIran und Thor ge- machten Beobachtungen endlich ist es zur Zeit noch schwer, eine völlig befriedigende Deutung zu geben. Die Becqu erel strahlen, welche von diesen aus- gehen, setzen sich ebenfalls aus 2 («- und /?-Strahlen), vielleicht auch aus 3 Strahlengruppen zusammen. Unterwirft man aber Uran- oder Thorverbindungen gewissen Fällungs- oder Krystallisationsopcrationen, so läßt sicli , indem gleichzeitig minimale Sub- stanzmengen von der das Uran oder Thor ent- haltenden Hauptportion abgetrennt werden, eine Zerlegung der ursprünglichen Strah- lung herbeiführen. Die a-Stralilung, die die Ioni- sierung der Luft bewirkt und deshalb durch Ent- ladung des Elektroskops wahrzunehmen ist, ver- bleibt bei dem Uran, bezw. Thor; die /i-Strahlung, dje ein größeres Durchdringungsvermögen besitzt, und die photograpiiische Platte schwärzt, haftet den minimalen bei jenen Trennungsverfahren er- haltenen Niederschlägen an, die vorläufig als Uran-X bezw. Thor-X bezeichnet werden. Diese Zerlegung entspricht indes noch nicht einem stabilen End- zustand ; vielmehr regeneriert sich die /f-Strahlung des Urans bezw. Phors allmählich, während gleich- N. F. III. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochcnsclirift. 19 zeitig die X-Bestandtcile ihre /y-.'\lrrelation bctwccn tertiary mam- mal horizons of Europe and America. Annais New York Academy of Sciences, vol. 13. 1901. -) O. St oll. Zur Zuogegraphie der landbewohnenden Wirbellosen. Berlin. 1897. ^) F. E. Beddard. .\ monograph of the Order of Oligochaeta. Oxford. 1895. *) L. H. Plate. Über Cyclostomen der südlichen Halb- kugel. Verhandl. V. Internat. Zoolog. Kongr. Berlin. 1902. *) H. V. Ihering. On the ancient relations betwcen New Zealand and South America. Transact. and Proceed. New Zealand Institute, vol. 24. 1S91. — — The history of the neotropical region. Science. N. S. vol. 12. 1900. amerikas. Beide Teile sind völlig unabiiängig von einander entstanden, das weitaus ältere Gebiet ist .Archiplata und seine Fauna weist in den Ver- tretern der Süßwassermuscheln (U n i o), der Süß- wasserfische und der Krebse (Par as taciden) auf eine nahe Verwandtschaft mit Australien und Neu- Seeland hin , eine Ansicht, der sich neuerdings auch Ortmann') angeschlossen hat, und die zur Annahme eines südpacifisch-antarktischen Kon- tinents führen mußte, während Archamazonia, wie ich hier ergänzend hinzufügen will, durch einen über St. Helena führenden südatlantischen Kon- tinent (Archhelenis) direkt mit Afrika verbunden gewesen sein soll. Dieser antarktische Kontinent von Ihering's erstreckte sich weit in den pazifischen Ozean hin- ein, insofern er auch Polynesien umfaßte, einen Schritt weiter geht Hut ton (1884)-), derselbe Forscher, der früher so energisch für eine Ant- arktis eingetreten war, indem er den antarktischen Kontinent völlig verwirft, und die Verbindung zwischen Südamerika, Australien und Neu-Seeland in nördlichere Breiten, in den südlichen pazifischen Ozean, verlegt. Auf dieser Landbrücke fand ein Austausch der Organismen beider Gebiete statt, und zwar zur Zeit der unteren Kreideperiode, während in der oberen Kreide der ganze Kon- tinent gleichzeitig mit der Hebung Südamerikas zerfiel. Einer Verbindung Neu-Seelands mit Afrika glaubt Hutton nunmehr gänzlich entbehreir zu können, ihre gemeinsamen Formen sind von Norden her in diese weit voneinander entfernten Gebiete eingewandert. Wir haben somit in H u 1 1 o n bereits einen direkten Gegner des antarktischen Schöpfungs- zentrums vor uns, ein weit energischerer Gegner hatte sich indessen bereits lange vor ihm in J. V. Haast*) erhoben, und zwar gerade gegen die eigenen früheren Ausführungen Hutton's. J. V. H a a s t ging aus von einer anatomischen Untersuchung der fossilen straußartigen Riesenvögel und fand so starke Differenzen im Bau von .Aepy- ornis Madagaskars und von Dinornis Neu- Seelands, daß diese zum mindesten als Beweise für eine Landverbindung beider Gebiete nicht heran- gezogen werden könnten. Gegenüber den Über- einstimmungen, die etwa in anderen Tiergruppen auftreten sollten, nimmt er seine Zuflucht zu den älteren Erklärungsversuchen durch passive Ver- brcitungsmittel oder aber zu der Annahme, daß ähnliche Bedingungen an verschiedenen Orten die gleichen Erscheinungen zur Folge hätten. Nicht weniger entschieden sprach sich Wal- 1 a c e *) gegen diese Theorie aus, gleichfalls aus- ') A. E. Ortmann. v. Ihering'^ .\rchipluta-.\rchhelenis theory. Science. N. S. vol. 12. 1900. ^) F. W. Hutton. On the origin of the fauna and flora of New Zealand. Annales and Magaz. natur. history. 5. ser. vol. 13. 18S4. ■') Jul. V. Haast. .\dress to tlie Philosophical Institute of Canterbury. Transact. and Proccedings New Zealand In- stitute, vol. 6. 1873. *) A. R. Wallace. Island Life. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 2 gehend von der Verbreitung der flugunfähigen Riesenvögcl. Zwei Tatsachen scheinen ihm nament- lich eine antarktisclie Landverbindung in Rück- sicht auf die \^erbreitung dieser Formen gänzlicli überflüssig zu machen, nämlich einmal die früher weit ausgedehntere Verbreitung der strau(3artigen Vögel und dann ihre Abstammung von ursprüng- lich flugfähigen Formen, deren weiter Verbreitung nichts im Wege stand. Entsprechend seiner Theorie von der Permanenz der Meeresbecken glaubt Wal- 1 a c e sogar die gemeinsamen Züge , welche Australien , Südafrika und Südamerika in ihrer übrigen Tier- und Pflanzenwelt zweifellos aufweisen, gleichfalls auf eine andere Weise erklären zu können. Diese Pflanzen- und Tierformen sind für ihn nichts anderes als die letzten Überreste einer früher weit nördlich verbreiteten Organismenwelt, die allmäh- lich von stärkeren I'"ormen aus ihrem \'erbreitungs- gebiet zurückgedrängt wurden und sich nur noch im Süden auf den isolierteren Teilen der Erdober- fläche gegen die Konkurrenz der höher organi- sierten Geschöpfe erhalten konnten. Noch präziser suchte Lydekker') den nörd- lichen Ursprung der jetzt auf die Südhemisphäre beschränkten Tierformen darzutun, womit einem antarktischen Kontinente naturgemäl-3 seine Be- rechtigung genommen würde. So kamen nach ihm aus dem Norden die Beuteltiere, wanderten die australischen Laufvögel über Neu-Guinea in die australische Region ein, nördlichen Ursprungs sind der Strauß und die riesigen Landschildkröten, die jetzt nur noch auf den Galapagosinseln und auf den Inseln um Madagaskar vorkommen, aber im Pliozän über die ganze nördliche Halbkugel weit ver- breitet waren. Nur die Pinguine sind auch nach Lydekker sicher südlichen Ursprungs, da sie nie fossil im Norden vorkommen. Wenn eine Ver- bindung der drei Südkontinente aufrecht erhalten werden muß, so ist sie weiter im Norden zu suchen, und Lydekker nimmt auch tatsächlich eine solche zwischen Südamerika und Afrika in Rück- sicht auf die Verbreitung der Süßwasserfische, der Lungenfische, der Amph isbaenid en und der I g u a n i d e n an, eine solche zwischen Südamerika und Australien in Rücksicht auf die Verbreitung der Beuteltiere. Lydekker nähert sich so im ersten Falle den .Anschauungen v. Ihering's, im letzteren denjenigen Hutton 's, wenn sich für ihn auch gerade über die letztere Landverbindung sichere Angaben ihrer Lage noch nicht machen lassen. Alle Gründe, welche gegen diesen antarktischen Kontinent vorgebracht wurden, stützen sich in erster Linie auf die geringe Beweiskraft der Ver- breitung der fluglosen Riesenvögel , sie speziell hat nun in neuester Zeit Burckhardt-) zum Gegenstand einer besonderen Untersuchung ge- macht, um ihre Bedeutung für die Lösung der vorliegenden I'ragen mit möglichster .Sicherheit ') R. Lydekker. Die gcographisclu- Verbreitung und geologische Entwicklung der Säugetiere. Jena. 1897. -) R. Burckhardt, I. c. ZU bestimmen. Zunächst erhebt sich dann hierbei die Frage nach dem phyletischcn Ursprung der fluglosen Riesenvögel. Übergänge von flugfähigen zu fluglosen Formen finden wir in erster Linie bei den sog. Geranomorphen, einer Vogelgruppc, welche im wesentlichen die Rallen und die Kraniche umfaßt. Die Rallen stellen eine artenreiche, schon in der Kreide von Nordamerika auftretende, weit verbreitete P'amilie dar, die namentlich insulare Gebiete stark bevorzugt und es gerade auf solchen zu den eigentümlichen Riesenformen gebracht hat. Namentlich die madagassische und die neuseelän- dische Provinz weisen derartige Formen auf, welche, wie z. B. die subfossile Aptornis Neu-Seelands oder die Leguatia gigantea der Maskarenen, noch deutlich ihre Abstammung von Rallen er- kennen lassen , die auf diesen einsamen Insel- gebieten sich niederließen, ihr P'lugvermögen ein- büßten, P'ederkleid sowie vordere Extremität rück- bildeten und sich, häufig unter Erwerbung riesen- hafter Körpermaße, zu typischen Laufvögeln um- bildeten. Einen zweiten Ausgangspunkt derartiger Riesenformen bilden die Kraniche, Reste derselben haben sich in den Scliicliten der Pampas Süd- amerikas in der Gattung Phororhacus und anderen erhalten. — Sehr wenig wissen wir da- gegen noch über die Abstammung der übrigen zahlreichen fluglosen Vogelformen. Endglieder flugfähiger Vogelfamilien sind beispielsweise ganz zweifelsohne die fluglosen Riesentauben (Didus) der Maskarenen, die gleichfalls fluglose Riesengans (C n e m i o r n i s) Neu-Seelands, von Rallen stammen vermutlich die Apterygiden und Dinorni- t h i d e n Neu-Seelands ab , kaum etwas sicheres anzugeben ist dagegen über die Verwandtschafts- verhältnisse der Kasuare Australiens und Neu- Guineas, der Strauße Afrikas, der Nandus (Rh ei- den) Südamerikas, der fossilen Aepyornithi- den und Mül leror ni t hide n Madagaskars. Trotz dieser starken Lücken unserer heutigen Kenntnisse läßt sich aus diesen Tatsachen immer- hin mit völliger Sicherheit auf einen polyphylcti- schen Ursprung der fluglosen Laufvögel schließen. Und weiter ergibt sich die auffallende Tatsache, daß gerade insulare Abschließung die Haupt- bedingungen für das Zustandekommen flugloser Riesenformen zu enthalten scheint, wie es so auf- fällig bei Neu-Seeland, Madagaskar und Patagonien, welch letzteres zeitweise insularen Charakter be- sessen zu haben scheint, hervortritt. Burck- hardt geht sogar so weit, die heutigen kontinen- talen Strauße direkt als Einwanderer aus insularen Gebieten anzusehen, wofür ihm auch der geringe Arten reichtum der Strauße gegenüber allen insu- laren Formen zu sprechen scheint. Die Strauße und Rheiden weisen nur je 4 Arten auf, die großenteils auf Inseln lebenden Kasuare bereits 7 und die fossilen Dinornithiden nicht weniger als 26 Arten. Über die eigentliche Art der Einwirkung insularer Abgeschlossenheit auf einen Organismus können wir uns nur schwer eine Vorstelluno- machen, das Aufgeben der unnötigen Flugfunktion N. F. III. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. !5 an einem von Feinden und Konkurrenten freien Orte mag- zunächst das Hugorgan unterdrückt haben, und hieran schloß sich sodann die mon- ätröse Ausbildung riesenhafter Körpermaße an. Mit diesem Nachweis einer polyphyletischcn Entstehung der fluglosen Riesenvögel , wie er übrigens auch früher schon wiederholt geführt worden ist, verlieren dieselben nach Burckhardt jede Beweiskraft für die ehemalige Existenz eines antarktischen Kontinentes, da sie ja stets an den Orten ihres Vorkommens unabhängig vonein- ander entstanden sein können. Wenn überhaupt antarktische Landverbindungen bestanden haben, so kann nach Burckhardt's Ansiciit nur an eine solche zwischen Neu-Seeland und Südamerika gedacht werden, aber auch für diese Annahme kann dann in keiner Weise die Verbreitung der Lauf- vögel herangezogen werden, da sich die Dinor- n i t h i d e n und die R h e i d e n völlig fern stehen. Und sicherlich ist diese Verbindungsbrücke zwischen Südamerika und der australischen Region wohl der einzige Teil des antarktischen Kontinentes von Forbes, für dessen Existenz bereits heute eine Reihe gewichtiger und unabweisbarer Gründe sprechen. Wir hatten oben eine ganze Reihe von Tiergruppen (Reptilien, Amphibien, Süßwasser- knochenfische, Cyclostomen, Muscheln und Krebse des Süßwassers, Insekten, Spinnen, Regenwürmer) kennen gelernt, welche beiden Gebieten gemein- same Formen enthalten und so auf eine feste Landverbindung hinweisen, eine Betrachtung der Karte ergibt, daß auch die heutige Verteilung von Land und Wasser, soweit sie bis jetzt be- kannt ist, einer derartigen Vorstellung keineswegs hindernd im Wege steht. Weit weniger zuver- lässig sind die Grundlagen für die .Annahme einer Landverbindung zwischen Madagaskar und Neu- Seeland ; gewaltige Meerestiefen , welche , wie die Deutsche Tiefseeexpedition neuerdings feststellte, mehr als 5000 m betragen können, trennen beide Gebiete, so daß wir hier ganz gewaltige Verände- rungen des Reliefs der Erdoberfläche annehmen müßten. Eine definitive Entscheidung läßt sich indessen heute kaum schon fällen, und erst eine erfolgreiche Südpolarexpedition läßt uns neues, vielleicht entscheidendes Material zur endgültigen Klärung dieser bedeutungsvollen Probleme er- hoffen. Kleinere Mitteilungen. Die Schenkeldrüsen der Eidechsen, über deren Bedeutung und Funktion man noch nicht recht klar ist, liat neuerdings F. Schaefer aus Labiau untersucht ; er berichtet darüber im „Archiv für Naturgeschichte", Jahrg. 68, Bd. i, 1902, S. 27 — 64 (mit 20 Fig. auf 2 Taf). In einer längeren Übersicht stellt Schaefer zunächst nach Boulanger's „Catalogue of the Lizards in the British Museum" alle Eidechsen zusammen , bei denen Schenkel- drüscn nachgewiesen sind ; hierbei führt er zugleich die Arten mit an, welche Analporen und Präanal- poren besitzen. Aus der Familie der Geckoniden besitzen Schenkelporen Arten der Gattungen Gymnodactylus, Gonatodes, Oedura, Hemidactylus, (lehyra, Perochirus, Lepidodactylus, Naultinus, Hoplodactylus, Gecko und Phelsuma; von den Agamiden Amphibolurus, Physignathus, Chlamydo- saurus, Lophyra und Liolepis; von den Iguaniden fast alle Gattungen, ebenso fast alle Tejiden, alle Zonuriden, Lacertiden und Gerrhosauriden. Die Schenkeldrüsen sitzen an den hinteren Oberschenkeln und zwar unter den letzten größeren Schuppen, welche an der Innenfläche des Ober- schenkels in einer geraden Linie von der Kloake bis zum Kniegelenk an die kleinen Schuppen grenzen. Jede Schuppe entspricht einem darunter liegenden (3rgan und wird vom Ausführungsgang desselben durchbohrt. Man kann deutlich einen unter der Schuppe liegenden verbreiterten Teil, den Drüsenkörper, einen die Schuppe durchsetzen- den Abschnitt, den Ausführungsgang, und den an der Oberfläche der Schu[ipe frei hervorragen- den Zapfen unterscheiden. Die Anzahl der Schenkelporen schwankt nicht nur bei den einzel- nen Arten, sondern auch bei den Individuen einer Spezies, ja sie kann sogar auf beiden Schenkeln ungleich sein. Als geringste Zahl der Schenkel- poren fand Schaefer bei den von ihm untersuchten Stücken 12, als höchste 25 auf einer Seite. Mit- unter besitzen beide Geschlechter Schenkeldrüsen, öfter nur das Männchen. Da der Verfasser nicht Spiritusmaterial, sondern frische Exemplare unter- suchen wollte , mußte er sich auf Lacerta agilis, L. muralis, L. serpa, L. viridis, Sceloporus acan- thinus und Acanthodactylus velox beschränken. Die Form und Gestalt der Schenkeldrüsen ist nicht immer gleich, sondern kann bei einzelnen Arten mancherlei Abweichungen zeigen. Das aus den Poren an der Mündung hervorragende, Papille, Warze, hornartiger Kegel oder Zapfen benannte Sekret besteht nach Schaefer's Untersuchungen bei Lacerta muralis, L. viridis und Acanthodactylus velox außerhalb der Brunstzeit nur an der Mün- dung aus einigen völlig verhornten Zellen, wäh- rend die Hauptmasse dieser Zellen aus einer erst in Verhornung begriffenen Substanz zusammen- gesetzt ist. Nur bei Lacerta agilis besteht außer- halb der Brunst der ganze Zapfen aus völlig ver- hornten Zellen. Dagegen bildet bei Sceloporus acanthinus das Sekret eine völlig zerfallene, dem Sekret von Talgdrüsen ähnlich sehende Masse, in der verhornte Elemente nicht nachzuweisen sind. Eine Absonderung der Schenkeldrüsen, die von manchen Autoren bestritten wird, nimmt Schaefer als sicher an, da die Zellen des Drüsenzapfens in den verschiedenen Jahreszeiten denselben Farb- stoffen gegenüber ein verschiedenes chemisches Verhalten zeigen , je nachdem die Zellen .schon 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 2 völlig verhornt oder erst in Verhornung begriffen sind. Der an der Mündung hervorragende, aber noch an dem inneren Zapfen des Drüsenganges festhaftende Sekretpfropf wird wohl durch mecha- nische Einwirkung von der Mündung beseitigt. Mit der absondernden Tätigkeit der Oberhaut bei der Häutung kann diese x\bsonderung der Drüsen nicht verglichen werden, da bekanntlich bei der Häutung sich an der Oberhaut bereits die darunter liegende neue Hornschicht gebildet hat, während bei den Schenkeldrüsen zu gewissen Zeiten überhaupt keine Hornzellen nachzuweisen sind. Zur Brunstzeit erfolgt bei männlichen Indi- viduen eine viel schnellere Umwandlung der Zellen des Drüsenkörpers wie zu anderer Zeit, und dem- entsprechend muß auch eine viel schnellere Ab- sonderung des Sekretes erfolgen ; denn eine Ver- hornung der Zellen des Drüsenzapfens findet in dieser Zeit nicht statt. Die entwicklungsgeschichtlichen Untersuchun- gen der Schenkeldrüsen haben ergeben, daß die- selben aus einer Einsenkung des Rete Malpighii der Epidermis in das darunter liegende Binde- gewebe und gleichzeitiger Wucherung und Ver- mehrung dieser Epidermiszellen hervorgegangen sind. Das Lumen der Drüsen wird größtenteils ausgefüllt von Zellen, doch ist im Ausführungs- gang zwischen der Wand des Drüsenganges und dem Zapfen immer noch eine Lichtung nachzu- weisen. Die im Drüsenkörper gebildeten Zellen erfahren allmählich eine LTmwandlung und können schließlich als verhornte oder als in V'erhornung begriffene Zellen oder als detritusähnliche Masse abgeschieden werden. Was die morphologische Bedeutung der Schenkeldrüsen anbetrifft, so haben die früheren Autoren darüber sehr verschiedene Ansichten ge- äußert. Schaefer betrachtet die Schenkcldrüsen als zellenbereitende Drüsen (Glandulae celluliparae), und da sie auch eine dem Sekret der Talgdrüsen ähnliche Masse abscheiden können, muß ihnen dieselbe anatomische Stellung eingeräumt werden, wie sie die selbständigen, nicht in Verbindung mit Haaren befindlichen Talgdrüsen einnehmen. S. Über die Bedeutung von Eruptiv-Breccien als erdgeschichtliche Urkunden. — Als Vulkan- embryonen bezeichnet man mit einem von Leopold v. Buch geschaffenen Namen nicht zur völligen Entwicklung gelangte Vulkane, aus denen sich keine Lava an die Erdoberfläche ergossen hat. Ihre — wahrscheinlich sehr plötzliche — Ent- stehung verdanken sie einem explosiven Vorgange, durch den sich die Spannung intratellurischer Gas- und Dampfmassen auslöste. Die Explosion schlägt einen Kanal durch die feste Erdkruste und an der Oberfläche bildet sich oft eine schüsseiförmige Vertiefung. Ist dies letztere der Fall, so spricht man von Maaren, ein Name, der von den Krater- seen der Eifel entlehnt ist. Der durch die Ex- plosion entstandene Schlot wird durch verschieden- artiges Material ausgefüllt. Dasselbe kann aus vulkanischen Auswürflingen bestehen, wie sie sich auch um den Rand der Maare anzuhäufen pflegen; in der Tiefe trifft man oft einen Pfropfen erstarrten Magmas an. Sehr oft wird die Aus- füllungsmasse aber auch durch Bruchstücke der Gesteine gebildet, welche bei der Explosion durch- schlagen sind. Manchmal sind diese Brocken durch magmatische Masse verkittet, manchmal entbehren sie dieses Bindemittels so gut wie ganz. In neuerer Zeit sind wieder einige Beispiele von Vulkan- schloten bekannt geworden, die dadurch merk- würdig sind, daß sich in ihnen nicht nur Frag- mente von solchen Gesteinen finden, durch die heute die vulkanische Röhre hindurchgeht, sondern auch von solchen, die man in der Umgebung des Schlotes vergeblich sucht. Wie wir im folgenden sehen werden, gehören solche Vorkommnisse zu den merkwürdigsten und wichtigsten Dokumenten für die Geschichte unseres Planeten. Das erste dieser geologischen Schatzkästlcin, von denen hier die Rede ist, liegt in der Nähe des Dorfes Alpersbach am südlichen Abhang des Höllentales, das sich von den Höhen des Schwarz- waldes in westlicher Richtung nach Freiburg i. B. hinunterzieht. Unter dem Namen der „Nagclfluh von Alpersbach" ist es schon länger bekannt und zuerst von Steinmann 1888 (Ber. d. nat. Ges. Freiburg i. B. Bd. IV) ausführlich beschrieben. Seine wahre Natur ist aber erst in neuerer Zeit erkannt (Steinmann, Die Neuaufschließung des Alpersbachcr Stollens. Ber. oberrhein. geol. Ver. 35. 1902). Auf dem von Ouarzporphyrgängen durchsetzten (rneiß, der an der genannten Lokalität ansteht, liegt dort ein Konglomerat, das aus den krystallinen Gesteinen der nächsten Umgebung, dann aber auch aus Brocken von Schichtgesteinen besteht, deren Alter durch die eingeschlossenen Versteinerungen unschwer bestimmt werden kann. Vertreten sind alle Formationen der Trias und eines Teils des Jura, vom Buntsandstein an bis zum unteren Malm. Es finden sich nicht etwa nur Reste der härteren Schichten, sondern auch in kleinen eckigen Bruch- stücken solche der Mergel und Tone des Keupers, des Lias usw. Die Komponenten der Breccie erreichen bis 0,5 m Durchmesser und sind nicht gerundet. Die ganze Ablagerung nimmt nur einen sehr geringen Raum ein. Weit und breit findet sich nichts Ahnliches. Die nächsten mesozoischen Sedimente liegen im Westen in 18 km Ent- fernung am Schönberg, südlich von Freiburg. Im Osten liegen Buntsandstein und Muschelkalk in 12 — 18 km, die nächsten Juraablagerungen in noch viel größerer Entfernung. Die Frage, wie diese Breccie an ihre jetzige Stelle mitten im Gneiß gekommen ist, war im Anfang nicht leicht zu beantworten. Man dachte zuerst an ein tertiäres, im Wasser abgesetztes Konglomerat nach Art der am östlichen Schwarz- waldrande verbreiteten Süßwassernagelfluhen. An einen Transport von Osten oder Westen her, wo die mesozoischen Sedimente in größerer Aus- N. F. III. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 27 dehnung anstehen, darf nicht gedacht werden, weil man sonst annehmen müßte, dal3 der heutige „hohe Schwarzwald" einstmals zur Tertiärzeit niedriger gelegen hätte als seine randlichen Partien im Osten oder Westen. Dieser Annahme widerspricht aber alles, was wir über die geologische Geschichte des Gebirges wissen. Trias und Jura müssen vielmehr bei Alpersbach selbst anstehend vorhanden ge- wesen sein. Da sich nun Bruchstücke aller Schichten vereinigt finden und direkt auf Gneit^ ruhen, so müßte man sich vorstellen, dal.^ der Boden des Wassers sehr unregelmäßig gewesen sei und enorme Höhenunterschiede gezeigt haben müßte, da an einer Stelle Buntsandstein, an einer anderen IVIalm, an einer dritten Gneiß zutage gelegen haben müßte. Vor allem ist aber schon deshalb der Wasser- transport nicht denkbar, weil die Komponenten der Breccie nicht gerundet sind, und sich ferner im Wasser die Brocken von IMergel und Ton, wie wir sie in der Breccie vorfinden, niemals zusammen- hängend hätten erhalten können. Endlich ist das Tal, an dessen Hang sich die „Nagelfluh" von Alpersbach findet, ganz jung und erst zur letzten Eiszeit ausgefurcht. Zur Eiszeit kann aber die Decke mesozoischer Sedimente nicht mehr auf dem Schwarzwald gelegen haben , weil die Moränen jener Gegend niemals Brocken von Musciielkalk, Lias usw. führen. Ein Transport durch Eis kann also auch nicht stattgefunden haben. So bleibt denn als einzige und zwar befriedi- gende Erklärung, daß es sich bei dieser Breccie um die Ausfüllungsmasse eines Vulkanschlotes handelt. Dann erklären sich die Verhältnisse so: Das Gneißgebirge des Schwarzwaldes war von der vollständigen Schichtenreihe vom Buntsandstein an bis zum unteren IVIalm bedeckt, als durch eine vulkanische Explosion eine Röhre von 20 — 30 m Durchmesser durch all diese Gesteine hindurch geschlagen wurde. In diese fielen Bruclistücke aller Schichten hinein und erfüllten den Schlot in buntem Durcheinander. Eruptives Material läßt sich freilich in der Breccie nicht nachweisen ; aber das spricht nicht gegen die gegebene Erklärung. Ähnliche Tuffröhren finden sich in der weiteren LJmgebung, nämlich in den Vorbergen des Schwarz- waldes. Auch hat man neuerdings in den Moränen bei Neustadt i. Schwarzwald, also nicht weit von Alpersbach, Basaltgeschicbe gefunden, welche ver- raten, daß auch dort ein vulkanischer Durchbruch stattgefunden haben muß, dessen Lage aber wegen der glazialen Bedeckung nicht festgestellt werden kann. Ferner findet sich bei Hornberg (an der Schwarzwaldbahn) mitten im krystallinen Gebirge ein Rasaltschlot, der Buntsandsteinstücke einschließt, während dieses Gestein in der Umgegend nicht ansteht. — Das Alter der Entstehung der Alpers- bacher Breccie läßt sich nach dem der Eruptionen des Kaiserstuhls und Hegaus, unter denen durch sie auch ein örtlicher Zusanmienhang geschaffen ist, als miocän festsetzen. Das eben beschriebene Vorkommnis lehrt uns nun eine ganze Reihe wichtiger Tatsachen. Zu- nächst muß der Schwarzwald zur Miocänzeit noch ganz von den mesozoischen Sedimenten bis zum unteren Malm hinauf bedeckt gewesen sein.^) Der Schwarzwald ist also auch nicht zur Jurazeit eine Insel gewesen, wie er noch vielfach auf Karten, die das einstige Jurameer darstellen, erscheint. Sodann haben wir hier einen Maßstab für die ge- waltige Wirkung der Denudation vor uns. Denn die ganze Schichtenfolge, von der wir in dem Schlot eine Mustersammlung erhalten finden, ist seit dem Miocän (bis auf den Buntsandstein) vom hohen Schwarzwalde gänzlich entfernt worden. Wenn man sich die Mächtigkeit der abgetragenen Schichten nach den Verhältnissen in den nächst benachbarten Gebieten mesozoischer Sedimente berechnet, so ergeben sich für Trias und Jura 500 m. Da in der Umgegend von Alpersbach Berge von 1250 m noch bis oben hin aus Gneiß bestehen, die Breccie aber in lOOO m Höhe liegt, so sind an der Stelle, wo sie liegt, auch noch 250 m krystallinen Gesteins abgetragen, denn der Buntsandstein hat sich auf einer ziemlich ebenen Fläche auf dem Gneiß abgesetzt und kann also frühestens in 1250 m Höhe begonnen haben. Seit der Entstehung des Alpersbacher Schlotes sind also im ganzen 750 m an jener Stelle vom Gebirge abgetragen. Das folgende Profil möge zur Verdeutlichung des Gesagten dienen. Ein dritter Punkt von Wichtigkeit, der durch die Breccie Beleuchtung erfährt, ist die Ausbildung ') Eine Schwierigkeit mag hier noch angedeutet werden. Sie liegt in dem Problem, ob noch jüngere Schichten als der untere Weiße Jura auf dem Schwarzwald zum Absatz gelangt sind. Wäre der Schwarzwald nach Ablagerung des unteren Malm (des jüngsten Gliedes der mesozoischen Schichlenfolge im badischen Oberlande) trocken gelegt, so ist es schwer, sich vorzustellen , daß seit jener Zeit bis zum Miocän keine Denudation tätig gewesen sein sollte. Im Gegenteil müßte man annehmen, daß während des unendlich langen Zeitraumes vom mittleren Malm durch die ganze Kreidezeit hindurch bis zum Miocän vom Gebirge doch wohl mindestens ebenso viel abgetragen ist, wie seit dem Miocän bis auf unsere Zeit. Die Länge des ersteren Zeitraumes muß doch gewiß noch größer sein als die des letzteren. Daß in der Oligocänzeit dieselben mesozoischen Schichten den .Schwarzwald bedeckten, beweist der Umstand, daß ihre Bruchstücke auch die oligocänen Küsten- konglomerate an seinem Fuß zusammensetzen, in denen sich nie ein krystallines Gestein gefunden hat. Dies muß also noch nirgends freigelegt gewesen sein. — Das angedeutete Problem ist schwer zu lösen. Branco hat ein ähnliches für die schwä- bische Alb untersucht (s. Schwabens 125 Vulkanembryonen, p. 54 ff.). Er kommt dabei zu der Vorstellung, daß jüngere als jurassische Schichten die .Mb (und den Schwarzwald) nicht bedeckt haben, und daß die Schichten von diesen Gebirgen in der Weise abgetragen sind, daß ein Steilabsturz allmählich rückwärts rückte, wie es jetzt derjenige der schwäbischen Alb tut, während die Denudation oben auf den Schichten sehr wenig wirkte. Dazu hob sich ja der Schwarzwald zur Miocän- zeit als Gebirge heraus und die Denudation konnte auf diesem höher gelegenen Stück kräftiger wirken als in den niedrigeren, im Osten und Westen gelegenen Teilen. Die Frage, ob mittlerer und oberer Malm oder auch Kreide auf dem Schwarzwald abgelagert sind, lassen wir daher offen, aber durch die Branco- sche Vorstellung wird eine Denudation verständlich, die nicht auf der ganzen Fläche der Sedimentdecke wirkte, sondern den Rand dieser letzteren allmählich immer weiter gegen SO ver- legte. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 2 der Schichten, ihre „Facies" Z. B. ist der obere Braune Jura am Rande des Rheintales als ein mächtiger Komplex von Oolithen, als sogen. Haupt- rogenstein, entwickelt, während er östlich vom Schwarzwald in mergeliger Facies erscheint, t'ber die Lage der Grenze zwischen den beiden Aus- bildungsweisen weiß man nichts Bestimmtes, jeden- falls muß sie aber östlich vom Alpersbacher Schlot liegen, da sich in diesem noch Hauptrogenstein findet. Umgekehrt ähnelt der obere Muschelkalk, der sich in der Breccie findet, in seiner Ausbildung mehr dieser Formation wie sie sich im Osten des Schwarzwaldes zeiet. leicht zu eine finden sein. Zufälliijkeit Nive.^.u (1. Rheinebene be Profil durch das IlöUental im südlichen Schwarzwald mit Rekonstruktion der Sedi- mente (Buntsandstein bis Unt. Malm), die das Gneifigcbirge zur Zeit der Ent- stehung des Alpersbacher Schlotes (S) bedeckten. (Nach den .Angaben von Stein- mann). G — G = obere Grenze des Gneißes, Auflagerungsfläche des Buntsandsteins. M — M = Oberfläche des Schwarzwaldes (bestehend aus unterem Malm) zur mitt- leren Miocänzeit, als der .Mpersbacher Explosionskraters entstand. R—R^ Heutige Oberfläche des Gebirges. Die Gesleinsmasse zwischen den Linien M — M und R — R ist seit der Miocänzeit abgetragen. — Der Durchmesser von S ist ganz bedeutend übertrieben. Auch im Odenwald hat sich ein solches merk- würdiges Dokument für die Erdgeschichte gefunden, und zwar am Katzenbuckel, wo F r e u d e n b e r g Lias entdeckt hat (Ber. d. oberrh. geol. \'er. 36. 1903). Der Katzenbuckel ist eine| Kuppe von Nephelinbasalt, die unweit Eberbach (ONO von Heidelberg) über den dort vorherrschenden Bunt- sandstein emporragt. In diesem Basalt findet sich eine Scholle von hartgebranntem Schieferton ein- geschlossen, welcher sich durch charakteristische Fossilien als unterer Brauner Jura (Opalinus-Ton) er- weist. Weit und breit sind keine Juraablagerungen vorhanden ; der nächste Braune Jura findet sich in ca. 35 km Entfernung bei Langenbrücken, nörd- lich von Bruchsal. Der hier anstehende Opalinus- Ton stimmt mit dem im Basalt des Katzenbuckels gefundenen sehr gut überein. So muß also auch der Odenwald einst von Sedimenten bedeckt ge- wesen sein, von denen wir keine Spur mehr auf den Bergen finden. Nur diese kleine Scholle ist in der Tiefe eines vulkanischen Schlotes, in den sie hineingestürzt ist, auf wunderbare Weise er- halten worden. Auch liier hat also die Denudation gewaltige Wirkungen ausgeübt. Denn es ist un- wahrscheinlich, daß nur der Opalinus-Ton auf dem Buntsandstein abgelagert sein sollte. Wahrschein- licher ist es, daß auch noch andere Sedimente des Mesozoikums hier abgesetzt und später wieder entfernt sind. Warum gerade nur diese eine Schicht in dem Basalt eingeschlossen ist, dafür dürfte aller- dings eine Erklärung nicht Es kann sich da vielleicht handeln.^) Nicht nur Deutschland besitzt solche geo- logische Schatzkästlein, die wichtige Kunde aus grauer X'orzeit bergen, auch aus England ist ein ganz analoges X^orkommnis be- kannt geworden. Auf der Insel Arran liegt ein größeres Eruptions- gebiet, das von Schichten des old red sandstone, des Karbon und der Trias begrenzt ist. In diesen Eruptivmassen sind von Peach und Gunn (Quart. Journ. Geol. Soc. London, \^ol. 57, pag. 226 ff.) nicht unbeträchtlicheMassen meso- zoischer Sedimente entdeckt, die sonst auf der Insel absolut fehlen. Durch Fossilien konnten Rhät , unterer Lias (Schichten der Schlotheimia angulata) und obere Kreide nachgewiesen wer- den. Neben diesen finden sich auch Bruchstücke der Gesteine, welche heute um die eruptiven Massen herum die Oberfläche der Insel bilden. Es geht aus diesen Ver- hältnissen hervor, daß ein.st rhä- tische, liasische und oberkretacische Schichten die Insel Arran bedeckt haben. Da die letzteren noch von den Eruptivgesteinen eingeschlos- sen und kontakt-metamorph verändert sind, so ergibt sich ein tertiäres Alter der Eruption, das von beson- derem Interesse ist, weil die Eruptiva z.T. den Charak- ter von Granit tragen. .Auch auf Arran hat dann die Denudation diesen ganzen Schichtenkomplex wieder abgetragen und nur in der Tiefe des vulkanischen Schlotes, die jetzt frei zutage liegt, haben sich seine Reste erhalten. Das nächste Gebiet, wo sich ähnliche Sedimente wie diese eingeschlossenen Schollen von Arran finden, liegt im nordöstlichen Irland in einer Entfernung von 40 englischen Meilen. Auch dort folgt über dem Rhät der untere Lias und dann Ablagerungen der oberen Kreide. — Wie viele Fälle mag es geben, daß mächtige Schichten auf der Erde abgelagert und nachher ') Es sei darauf hingewiesen, daß diese beiden nicht die einzigen Turtröhren in Deutschland sind, die Gesteine ent- halten, die jetzt nicht mehr in ihrer näheren Umgebung vor- kommen. Es sei nur an den Tuft' von Scharnhausen bei Stuttgart erinnert, den Brancu beschrieben hat (Brancu, Schwa- bens 125 Vulkanembryonen S. 454 ff.). Dieser Schlot geht heute inKeuper zutage aus, enthält aber noch Weißen Jura (V und ,?. N. F. III. Nr. 2 NaturwissensclKiftliche Wochenschrift. wieder vcrsclnvmiden sind, ohne daß wir je eine Kunde von ihnen erhalten werden. Die hier be- schriebenen Vullvanschlote , deren Untersuchung solche Vorgänge für gewisse Gebiete beweist, sind doch nur seltene Vorkommnisse, und die Resultate, die ihre Untersuchung ergeben hat, zeigen uns neben ihren wichtigen Ergebnissen doch auch wieder aufs deutlichste, wie lückenhaft die Ur- kunden sind, aus denen die Geologie die Ge- schichte der Erde enträtseln muß. Dr. Otto VVilckcns. Die thermischen Eigenschaften der festen und flüssigen Körper. — In der Märznummer des N'uovo Cimcnto veröftentlicht S. Lussana den zweiten Teil seiner Untersuchungen über die Gesamtheit der thermischen Eigenschaften von festen und flüssigen Körpern. Die vom Verfasser beschriebenen Versuche beziehen sich auf Phosphor und a-Naphthol und gestatten die Aufstellung fol- gender Schlussfolgerung: Die Kompressibilität nimmt sowohl im flüssi- gen als im festen Zustande für wachsende Drucke ab. Wenn man das Volumen durch die Beziehung V = a -|- bp -}- cp- darstellt, so bemerkt man, dass b immer negativ und c positiv ist. b und c nehmen im übrigen für wachsende Temperaturen zu und sind für den flüssigen Aggregatzustand weit grösser als für den festen. Der Ausdehnungskoeffizient nimmt ab, wenn der Druck zunimmt. Im übersclimolzenen Zu- stande zeigt der Körper dasselbe \'erhalten wie im flüssigen Zustande. Die Ueberschmelzung ist anscheinend umso leichter, je höher der Druck ist. Die Volumveränderungen, von denen der Schmelzprozess begleitet ist, nehmen für wach- sende Drucke nach einem ständig kleiner werdenden Koeffizienten ab. Verfasser hält es nicht für an- gezeigt, Schlüsse mit Bezug auf die Schmelzwärme sowie auf das Vorhanden oder Nichtvorhandensein eines kritischen Punktes zu ziehen und beabsichtigt in einer späteren Arbeit, wo Versuche mit anderen Substanzen wiedergegeben werden sollen, hierauf zurückzukommen. A. Gr. Über den Clausius'schen Entropiesatz betitelt sich eine in der Vierteljahrsschrift der naturforschen- den Gesellschaft in Zürich (XLVIII, 1903) erschienene Abhandlung von A. Fliegner. Die interessanten Ergebnisse dieser Studie geben wir nachfolgend im Auszug wieder, indem wir hinsichtlich der Erklärung des Entropiegesetzes auf den in Nr. 35 des vorigen Jahrgangs erschienenen Aufsatz von Dr. Gradenwitz verweisen. „Die Untersuchungen haben drei Fälle ergeben, für welche der Entropiesatz nicht gilt: die unstetigen Expansionen, die endothermen chemischen Reaktionen und die Kältemischungen. Sucht man noch nach gemeinschaftlichen Zügen bei diesen drei Vorgängen, so könnte man sie vielleicht in Folgendem finden : Bei den unstetigen Expansionen wird durch die vorhandenen Kraftwivkungen verhältnismäßig großen Massen eine bedeutende fortschreitende Geschwindig- keit erteilt , während die Entropie abnimmt. Wenn dann bei der Bewegung Widerstände nur in geringem Grade vorhanden sind, so wird die erlangte Strömungs- energie namentlich zur Überwindung von Massen- anziehungskräften ganz oder teilweise aufgebraucht, und dabei bleibt die Entropie dauernd kleiner, wenig- stens wenn von der Umgebung her keine Wärme zugeführt wird. Die Molekeln sind nun , wenn auch sehr kleine , so doch zusammengesetzte Körperchen, und auch von den Atomen wird neuerdings ange- nommen , daß sie noch nicht die kleinsten Teilchen des Stoffes bilden , sondern daß uns nur noch die Mittel zu einer weiteren Zerteilung fehlen. Man wird daher diesen Körperchen auch eine gewisse Entropie zusprechen dürfen, die abhängig ist von der gegen- seitigen Bewegung und gegenseitigen mittleren l^age ihrer wirklich kleinsten Teilchen. Bei chemischen Reaktionen und beim Lösungsvorgange müssen diesen Kör[)erchen durch die vorhandenen Kraftwirkungen auch große, voneinander weg gerichtete Geschwindig- keiten erteilt werden, und man muß annehmen, daß ihre Entropie dabei abnimmt. Die erlangte fort- schreitende Bewegung geht widerstandslos vor sich, da die Molekularstöße als vollkommen elastisch an- gesehen werden müssen. Daher wird die Strömungs- energie nur die Massenanziehungskräfte zwischen den Atomen und Molekeln zu überwinden haben, wodurch die Entropie nicht beeinflußt wird. Das Gemein- schaftliche würde dann sein : die Entstehung einer großen Strömungsenergie und das gänzliche Fehlen von Widerständen, oder doch deren Kleinheit gegen- über vorhandenen Massenanziehungskräften. Bei den chemischen Reaktionen , soweit sie nicht einfache Dissoziationen sind, wirken allerdings die Anziehungs- kräfte bei der Vereinigung der Atome zu den neuen Molekeln im entgegengesetzten Sinne auf Erhöhungen der Entropie, sie erlangen aber nur bei den e.xother- men Prozessen das Übergewicht. Die vorstehenden Entwicklungen zeigen nun, daß die eine der Annahmen, von denen Clausius bei der Herleitung seines EnlrojMesatzes ausgegangen ist, den wirklichen Verhältnissen nicht entspricht. Der Entropiesatz stellt kein unbeschränkt gültiges Natur- gesetz dar, das auf alle Vorgänge im. ganzen Weltall angewendet werden dürfte. Vielmehr entzieht sich ihm eine Anzahl unstetiger Vorgänge. Daher sind auch alle aus dieser unrichtigen Annahme gezogenen Schlüsse nicht als bewiesen anzusehen. Auf rein mechanische Vorgänge, die in kleinerem Maßstabe künstlich erzeugt werden können, darf man den Entropiesatz in der integrierten Form allerdings trotzdem anwenden. In der allgemeinen Form da- gegen, daß die Entropie des Weltalls einem Maximum zustrebe, mufs er fallen gelassen werden. Im Weltall treten die mechanischen Zustands- änderungen mit bleibender Zunahme der Entropie in einem abgeschlossenen Gebilde wahrscheinlich häufiger auf, als die unstetigen Expansionen mit einer 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. \r. 2 bleibenden Abnahme. Dafür nimmt aber bei diesen die Entro]iie gegenüber der Wärmemitteilung um un- endlich grotie Beträge ab, während bei jenen die Entropiezunahme und die Wärmemitteilung der glei- chen Größenordnung angehören. Bei den chemi- schen Reaktionen dürften sich die Änderungen der Entropie in der organischen Natur angenähert die Wage halten, da in der Tierwelt die oxydierenden, exothermen Vorg.nnge vorherrschen, in der Pflanzen- welt die reduzierenden, endothermen. In der unor- ganischen Natur gehen die exothermen Reaktionen namentlich bei den niedrigeren Temperaturen vor sich, die endothermen namentlich bei den höheren. Zusammenstöße von Weltkörpern, durch die angeniein hohe Temperaturen erzeugt werden , müssen daher umfangreiche endotherme Dissoziationen zur Folge haben, die mit einer bedeutenden bleibenden Ab- nahme der Entropie verbunden sind. In welchem gegenseitigen Verhältnisse aber diese entgegengesetzten Änderungen vorkonmien, entzieht sich unserer Beur- teilung vollständig. Es ist daher ganz wohl möglich, daß die Zunahmen das Übergewicht besitzen , und daß der Clausius'sche Entropiesatz doch richtig ist. Dagegen ist auch eine ununterbrochene Abnahme der Entropie nicht ausgeschlossen. Und da sich für keine dieser Änderungen zwingende Gründe oder Gegengründe anführen lassen, so muß auch die Mög- lichkeit zugegeben werden, daß die Entropie des Weltalls vielleicht konstant bleibt. Immerhin würde das keine strenge Konstanz sein, wie bei der Energie, bei der eine Änderung in einem Sinne an einer Stelle unmittelbar eine gleich große Änderung im entgegengesetzten Sinne an einer anderen Stelle ent- spricht. Vielmehr würde es sich bei der Entropie nur um Schwankungen innerhalb engerer Grenzen handeln können. Die Frage, ob sich die Entropie des Weltalls überhaupt ändert, und wenn ja, in welchem Sinne, geht also gegenwärtig noch gar nicht zu beantworten, und sie wird wohl auch immer unentschieden bleiben." Über die Bedeutung der Nährstoffanalyse in agronomischer und geognostischer Hinsicht äußert sich Dr. R. Gans im Jahrbuch der Königl, Preuß. Geologischen Landesanstak für 1902 (Band XVIII. Heft I. Berlin 1903). An der Hand zahlreicher Analysentabellen weist der Verf. auf die vielfach verkannte, hohe Bedeutung der chemischen Untersuchung von Bodenarten hin. Das Analysenmaterial entstammt zumeist dem Quartär des norddeutschen Flachlandes und wurde im Laufe des verflossenen Jahrzehnts im Laboratorium für Boden- kunde der oben genannten Anstalt bearbeitet. Man hat hier die Methode der Nährstoft'untersuchung bei- behalten, durch Auszug des Bodens mit kochender, konzentrierter Salzsäure die Summe der leichter und schwerer löslichen Bestandteile zu ermitteln. Der Grund hierfür liegt einmal darin, daß es bei der agronomisch-geologischen Landesaufnahme nicht darauf ankommt, den augenblicklich leicht löslichen, sondern den für eine längere Reihe von Jahren für die Pflanzen verfügbaren, wenn auch momentan schwerer löslichen Vorrat des Bodens an Nährstoffen festzustellen. Und andererseits ist zu berücksichtigen, daß die leicht- löslichen Salze, die allerdings allein den Pflanzen direkt zu ihrem Aufbau dienen, doch nur da in genügender Menge vorhanden sind, wo sich auch schwerer lös- liche vorfinden, aus denen sie ja zum Teil durch Ver- witterung entstehen. Conditio sine qua non ist hierbei natürlich eine physikalische Beschafienheit des Bodens, die eine gleichmässige Verwitterung erlaubt, und außer- dem die Gegenwart aller der Bestandteile, die diese Verwitterung begünstigten. Solche sind z. B. Kalk- und Humusverbindungen, die teils ein Wiederunlöslich- werden einmal gelöster Stoft'e verhindern oder min- destens verzögern, teils durch die bei der Vermode- rung von Humussubstanzen auftretende Kohlensäure eine Zersetzung der Silikate herbeiführen. — Von agronomischem Interesse ist ferner der Nachweis, daß sich eine Klassifikation der Bodenarten auf chemischer Grundlage durch Ermittelung der löslichen Nährstoft'- tonerde weit präziser durchführen läßt, als dies durch rein oberflächliche Prüfung des Materials bisher mög- lich war. So schlägt der Verf. vor, einen Boden, unter Beibehaltung der gebräuchlichen agronomischen Benennungen , folgendermaßen zu bezeichnen : Bei einem Gehalte an lösHcher Tonerde von o — 0,7 5 "ii als Sandboden 0,7 s — 2 „ „ lehmigen, tonigen Sandboden - — 3 t) II sandigen Lehm- oder Tonbodeu 3 u. mehr ,, „ (schwachsandigen) Lehm- oder Tonboden. Auch in geognostischer Hinsicht boten die der Arbeit beigegebenen , äußerst sorgfältig zusammen- gestellten Änalysentabellen dem Verf. ein wertvolles Hilfsmittel , auf Grund der Nährstofifanalyse gewisse Gesetzmäßigkeiten des ziemlicli gleichartigen Materials in physikalisch-chemischer Beziehung und seiner che- mischen Zusammensetzung zu ergründen und damit die Bedeutung der Nährstoffanalyse besonders günstig zu beleuchten. Aus der Zusammenfassung der Re- sultate aus dem Bereiche des oberen und unteren Diluviums seien folgende wichtigsten Sätze wieder- gegeben. Die in Salzsäure lösliche Tonerde der Nährstoft'- bestimmung, welche die Hälfte der bei der Ton- bestimmung gefundenen Tonerde darstellt, gibt uns Aufschluß über den Gehalt an tonartigen resp. zeo- lithartigen Bildungen. Bei gleichem Humusgehalte enthalten Lehm- oder Tonböden mehr Stickstoft" als Sandböden. Die Stickstoftabsorption eines Bodens steigt mit wachsendem Tongehalt , mit wachsendem Gehalte an löslicher Tonerde und mit wachsendem Kalkgehalt. Es sind also stickstoffabsorbierende Silikate, welche Kalk und Tonerde enthalten müssen, zeolithartige Körper. Wegen der verschiedenen Lös- lichkeit und der aus diesem Grunde vermutlich ver- schiedenen Bildung ihrer Tonerde könnte man sich diese zeolithartigen Körper, ähnliclj dem Anorthit aus Feldspat, entstanden denken durch Umtausch eines Si gegen AI und daher die verschiedene Bildung der Tonerde erklären. — Der Gehalt an löslicher Ton- erde und Kalk in Verbindung mit einer Stickstoft"- absorption gestattet uns einen sicheren Schluß auf das N. F. ni. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 31 Vorhandensein zeoüthartiger Körper, während anderer- seits eine zu niedrige .'\bsorption bei hohem Tonerde- gehak uns Kalkmangel im Boden anzeigt. Der Phos- lihorsauregehalt erwies sich häufig höher bei großem Humus- und Kalkgehalte. Das Verhältnis von lös- licher Tonerde zum löslichen Kali dei' Nährstofl- bestimnnmg läßt uns einen Einblick tun, wieviel Kali infolge \'erwitterung beim Übergänge von einer Boden- klasse in die andere verloren ging. Die Durchschnitts- werte bei dem Verhältnis von löslicher Tonerde zum löslichen Kali ergeben : bei 37 untersuchten Mergeln 7 27 60 5° 25 1,33 io3 0,68 10: 1,76 Lehmen u. Tonen 10:1,49 sandigen Lehmen u. Tonen 10: 1,^0 lehmigen, tonigen Sauden 10 San den 10 Schlicken 10 Es geht also beim Verwitterungsprozet;') vom Mergel zum Lehm Kali verloren, eine Folge der Auslaugung zeohthartiger Bildungen mit dem bei der Verwitterung entstehenden, sauren kohlensauren Kalk enthaltenden Wasser. Der Übergangsprozeß von Lehm zum san- digen Lehm und von ihm zum lehmigen und rei- neren Sande konnte aus Mangel an Kalk diese kalk- haltigen Lösungen in nicht so starkem Grade oder garnicht mehr entstehen lassen, daher geringer oder gar kein Verlust an Kali. — Die Arbeit schliel^Jt mit einer recht anschaulichen Darstellung der Eisenbewegung im Boden. Dem Verfasser werden alle Interessenten für seine Mühe und Gründlichkeit, mit der er sich seiner Aufgabe unterzogen, lebhaft Dank wissen. Dr. Loebe. Neues Pottascheverfahren. — Der Verbrauch an Seife bildet bekanntlich einen ziemlich zuver- lässigen Mal.istab für den Kulturzustand eines V^olkes, und es ist daher kein Wunder, daß der Redarf an dem für die Seifenfabrikation unerläl.i- lichen Alkali auf der Erde mit der fortschreiten- den Kultur ihrer Bew^ohner ständig stieg; sind doch die Zeiten längst vorbei, da das alte Industrie- land Ägypten mit seiner Trona (Verkehrung von Natron) und die Aschen der Strandpflanzen den Pottasche- und Sodabedarf der Erde deckten! Bekanntlich war es zur Zeit der französischen Revolution, als Frankreich, durch die Kontinental- sperre von jeder überseeischen Zufuhr abgeschnitten, seine gesamte Pottasche auf Schiei-5pulver verar- beiten mußte, und somit für die blühende Seifen- industric dieses Landes (französische Seifen werden noch heute vielfach bevorzugt) nichts übrig blieb, daß es einem französischen Chemiker L e b 1 a n c gelang, auf künstlichem Wege mittels eines Schmelz- prozesses, der zunächst nur ein sehr unreines und umständlich zu reinigendes Rohprodukt (Rohsoda) liefert, Soda bezw. Pottasche aus Kochsalz (Chlor- natrium) bezw. Chlorkalium darzustellen. Über ein halbes Jahrhundert wurde nach diesem Leblanc-Prozeß die Hauptmenge des für technische und hauswirtschaftliche Zwecke unentbehrlichen Alkalis dargestellt, bis es Solvay Ende der sech- ziger und Anfang der siebziger Jahre gelang, einen bereits 1838 von Dyar und Hemming bekannt gegebenen nassen Sodaprozeß, das sogenannte Ammoniaksodaverfahren, welches ein hochprozen- tiges reines Rohprodukt — kalzinierte Soda — liefert, zu einem fabrikmäßigen auszuarbeiten, welches sowohl infolge seiner billigen Arbeits- weise als auch mit Rücksicht auf die große Rein- heit seines Endproduktes in kurzer Zeit die Leblanc- Soda aus dem Felde schlug und den Preis der Soda etwa auf den dritten Teil herabdrückte. Aber auch der Ammoniaksoda ist bereits eine gefährliche Konkurrentin in der Elektrolytsoda erstanden , welche in P'orm von Natronlauge mittels des elektrischen Stromes (elektrolytisch) aus Kochsalzlösung (natürlicher oder künstlicher Sole) gewonnen wird. Die fast ebenso wichtige Pottaschegewinnung mul.?te nun die ganze Zeit nach dem umständ- lichen feurig-flüssigen Leblanc - Prozeß geschehen, da der Ammoniakprozeß der Sodabereitung wegen der Leichtlöslichkeit des Kaliumbikarbonats (die Soda resultiert bei dem Ammoniaksodaprozeß durch P^inwirkung von Kohlensäure auf ammonia- kalische Kochsalzlösung — Sole — zunächst als schwerlösliches Bikarbonat) sich auf die Pottasche- gewinnung aus Chlorkalium leider nicht übertragen läßt. Erst in neuerer Zeit ist es nun gelungen, auch hierfür einen nutzbringenden nassen Prozeß zu erfinden, und das Salzbergwerk Neu-Staßfurt bei Staßfurt bezw. dessen chemischer Leiter Prof Dr. P r e c h t hat das hohe Verdienst, das bereits von einem französischen Chemiker Engel (Deutsches Patent 15 218) vor 20 Jahren angegebene Magnesia- Pottascheverfahren soweit durchgebildet zu haben, daß dasselbe lebensfähig geworden ist. Während aber das Ammoniaksodaverfahren direkt das schwerlösliche Natriumbikarbonat aus der am- moniakalischen Sole ausscheidet, gelingt es nach dem Magnesiapottascheverfahren zunächst nur, ein unlösliches Zwischenprodukt , das Kaliummagne- siumkarbonat aus einer mit Magnesiumkarbonat versetzten Chlorkaliumlösung mittels Kohlensäure abzuscheiden, welches aber mit Wasser leicht in seine Komponenten, die leichtlösliche Pottasche und das unlösliche Magnesiumkarbonat, zerlegt werden kann, von denen die erstere durch Ein- dampfen der wäßrigen Lösung nach Trennung von dem unlöslichen Erdkarbonat als chemisch reines Kaliumkarbonat, als „Krystallpottasche'' mit 2 Mol. Wasser (ein technisch gänzlich neues Pro- dukt) in feinen Krystallen oder kalziniert wasser- frei mit 99 — 100 "/,j Gehalt an K.,COo gewonnen wird. Dieses in den Deutschen Patenten 50 786, 53 574, 55182, 57721, 125987, 141 808, 143408, 143409, 143594, 143595 und 144742 nieder- gelegte Verfahren stellt einen Triumph exakter technischer Arbeit dar und die E n gel - Pre c h t- sehe Magnesiapottaschc dürfte auch mit Rück- sicht darauf, daß sie nicht, wie ihre jüngste Kon- kurrentin, die Elektrolytpottasche bezw. -Kalilauge, von der Konjunktur des Chlorkalks abhängig ist, noch lange ihren Platz behaupten, namentlich da 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 2 auch von anderer berufener Seite (vergl. das Patent 135329 der Deutschen Sol vay- Werke in Bern- burg) die weitere Ausbildung des alten En gel- schen Vorschlags in Angriff genommen zu sein scheint. Ullrich Sachse. Bücherbesprechungen. Meyer's grofses Konversations-Lexikon. Ein Nach- schlagewerk des allgemeinen Wissens. 6. gänzlich neubearb. u. verm. Aufl. 4. Band. Chemnitzer bis Differenz. Leipzig u. Wien. Bibliographisches In- stitut 1903. Dafth-, daß sich das Lexikon eifrig bemüht, den Zeitbedürfnissen Rechnung zu tragen, ist der vor- liegende Band wiederum ein Beweis; so ist „China" ein besonders langer, gut durch Karten und Ab- bildungen unterstützter Artikel gewidmet. „Deutsch- land" ist ganz hervorragend berücksichtigt; der Ar- tikel umfaßt S. 761 — 837 und bringt eine grosse An- zahl Karten und sonstige Illustrationen ; dazu kommen noch über 50 ebensogut ausgestattete Seiten mit Kapiteln wie Deutsche Literatur, Philologie usw. Der vorliegende Band bringt auch einen gut geschriebenen Artikel „Darwinismus". Briefkasten. Herrn Dr. K 1 ingcl h u fi er in ÜlTenburg (Baden). — Zu 1). Eine Methode, welche Reptilien und Am- phibien mit Erhaltung aller, auch der vergänglichsten, Farben- töne sicher zu konservieren gestattet, gibt es nicht. Namentlich die zarten roten und gelben Karben der Unterseite vieler Amphibien verblassen in jeder erprobten Konser- vierungsflüssigkeit mehr oder weniger. Reptilien bewahre man stets in Spiritus auf, und zwar größere Schlangen in unvcrdiinr.tcm , alle anderen Reptilien in 75— 9° "o Spiritus, und injiziere sie mit Spiritus in gleicher Stärke. Amphibien töte man in einer Mischung von 50 Teilen Spiritus, 50 Teilen Wasser, I — 2 Teilen Formollosung (die gewöhnliche, überall erhälüiclie Lösung!), welche man oftmals verwenden kann. Nach einer Stunde oder einem Tage wandern sie , in die richtige Lage gestreckt, in ca. 70 "/„ , am besten auch schon gebrauchten Spiritus. Neben dem Lichtabschluß scheint Zusatz von elw.as Salz (eine Messerspitze bis '/, Theclöffcl für kleine bis mittlere Tiere) nach meinen neuesten Erfahrungen das Ausbleichen hinzuhalten. (Im Berliner Museum für Natur- kunde befinden sich übrigens unter vielen verbleichten einige wenige ältere Spirituspräparatc, welche seit ca. 50 Jahren ilire Farbenpracht und Form fast unverändert bewahrten, dank einer besonderen, vielleicht rein zufälligen Zusammensetzung der Konservierungsflüssigkeit.) Zu 2). Diese Frage läßt sich ohne nähere Angaben nicht genügend beantworten. — Große Fische läßt man am zweck- mäßigsten von einem tüchtigen Präparator ausstopfen und ver- giften ; kleinere Fische werfe man lebend in eine Mischung von I Teil Formollösung und 20 — 40 Teilen Wasser, sie be- wahren hier Form und Färbung meist ausgezeichnet. Nur die vergänglichsten Farben, wie das zarte Rot des Goldfisches, verbleichen leider auch hier. Durch Zusatz von Salz läßt sich dem in etwas steuern. — Man kann bei Raummangel in einem gewöhnlichen grcßen .\kkumuIatorenglase im Format eines Aquariums, mit einer angesclilifl'enen Glasscheibe zuge- deckt, eine ganze .\nzahl Fische leicht und billig konservieren, da die Flüssigkeit nur sehr langsam verdunstet. Dr. W. Wolterstorff. Schriften zur Deszendenzfrage aus dem Verlage von Gustav Fischer in Jena. Rnpr-lrpl Ernst, Dr., Prof. an Qjg NatUPail- 1. ItliC».^l\-d j (lej. Universität Jena, schauung von Darwin, Goethe und Lamarck. Vortrag in der ersten öffentlichen Sitzung der 55 Ver- sammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte zu Eisenacli am 18. Sept. 1889 gehalten. 1882. Preis: 1 Mark 50 Pf. ri X • Oscar, Direktor des anatomisch - bio- ilCl IV\ 1.^1 logischen Instituts der Universität Berlin. Die Lehre vom Organismus und ihre Be- ziehung zur Sozialwissenschaft. |^g";^''jf 'j,^-; erklärenden Zusätzen und Litteraturnachweisen. 1889. Preis: 1 Mark. Jaekel, ^-^^1;°' "eher verschiedene Wege phylogenetischer Entwickelung. ^,^;\,,/d^„„^;i^- Abdr. aus den Verhandlungen des V. internationalen Zoolocren-Kongi-esses zu Berlin. 1901. Preis: 1 Mark 50 Pf. Knkpn '^'■"**' P™f. der Geologie und Palaconto- J-^^'i^d) Palaeontologie in Tübingen. logie und Descendenziehre. J::^^^^^ der naturw. Hauptgruppe der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Hamburg am 28 Sept. 1901. Mit 6 Figuren im Text. 1902. Preis: 1 Mark. IVTni'/'lf Hpiiirlch, Direktor der Landwirt- P|]j|o- lVJ.ctl/jtll'j Schaftsschule zu Weilliurg a. d. Lahn. Sophie der Anpassung. 'B'''^* =^"f^ ^'\" ^■^''"'^ r" r a_ desSammelwerkes„Natur und Staat"). Preis: 6. Mark, geb. 7 Mark. T?rkön W'l'i'Pl» Prof. der Zoologie und vergleichenden JAÜScl, Anatomie an der königl. Universität Modena. Die progressive Reduktion der Variabilität und ihre Beziehungen zum Aussterben und zur Entstehung der Arten, j^ jt^^^^^^^-^^ aus dem Italienischen übersetzt von Prof. Dr. Iloinricll Bosshard, Zürich. 1902. Preis: 2 Mark 50 Pf. >nin "^'11""? ?"■ P^'' ' Darwinismus und t^flllj Magdeburg Sozialwissenschaft. Staat") Preis: 3 Mark, geb. 4 Mark. pn oaI '\' ^f •' ^"r ^'?^- '^^ Zweckmässigkeit ^",'-i'-'*) Zoologie m (.Tiessen. und Anpassung. ^J'^p^j.«"'^'^'^'' ^«'^«- ^^^^- ''''''*'= Weismann, ^^f^f ' Vorträge über Descen- denZtheOrie, 1?.'^=*!'^^. an der rniversität F>e.burg i. B. : Mit 3 farbigen Tafeln und 131 lext- fir. Bruhns. Während es die Aufgabe der beiden ersten in dieser Zeitschrift veröffentlichten Aufsätze (N. F. I, S. 541 u. 553, 11, 181) gewesen war, einen Überblick über die Gesamtheit der bisherigen Beobachtungen des Mars zu geben, sollen in dem folgenden einige Beispiele aus dem reichen Material an Detail- beobachtungen besprochen werden, durch die der entschieden bedeutendste Marsforscher der Gegen- wart die Kenntnis unseres Nachbarplaneten zu fördern bemüht war. Seit Schiaparelli 1878 seinen ersten Bericht über die von ihm im voraufgegangenen Jahr ausge- führten Studien veröffentlichte, hat er noch 5 weitere Bände über die Resultate der Jahre 1879, 1881/2, 1883/4, 1886, 1888 herausgegeben. Während die ersten zwei Veröffentlichungen rasch den Beobach- tungen selbst folgten, ist die dritte erst 1886, die vierte 1896, die fünfte 1897, die sechste 1899 er- schienen.') Ein siebenter Band über die Opposition ^) Osservazioni astronomiche e fisiche sulP asse di rota- zione e suUa topografia del pianeta Martc. Memoria prima (1878), seconda(i 881), terza(i886), quarta(i896), quinta (1897), sesta (1899). Aus den Bänden der Reale .\ccademia dei Lincei, Floma. von 1890 steht, soviel mir bekannt ist, zur Zeit noch aus. Das vorzüglich Wertvolle dieser Serie von Publikationen ist die regelmäßige topogra- phische Schilderung der einzelnen Gebiete des Mars, so wie sie aus den vielen verschiedenen Skizzen und Zeichnungen sich darstellen lassen. Die neuen allgemeinen Ergebnisse der Arbeit des Mailänder Astronomen sind ja durch zahlreiche sonstige Berichte hinreichend bekannt ge- worden. Es war nicht von Anfang an die Absicht Schiaparelli's gewesen, sich an der Durchforschung des Mars zu beteiligen. Mehr aus gelegentlichem Interesse und um seinen neuen Merz'schen Re- fraktor (Brennweite 3,25 m, Objektivöffnung 2 1 8 mm), der auf Doppelsterne sich sehr gut bewährt hatte, zu erproben, richtete er iin August 1877 sein Augenmerk auf den Planeten. Erst als er hierbei die Erfahrung machte, daß er die von den früheren Beobachtern gesehenen Objekte gut wahrnehmen konnte, entschloß er sich am 12. September, ob- wohl die Opposition schon vor 3 Tagen statt- gefunden hatte, zu einer systematischen Fortsetzung der Studien. Die folgende Tabelle gibt über die 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 4 äußeren Bedingungen seiner Beobachtungen eine kurze Übersicht; Tabelle I. 1877—78 1 879—80 1881—82 1883—84 1886 18S8 s 9- Q OM' 5. Sept. 12 Xov. 26 De?.. .SI Jan. 6. März 10 Apr. 25,00 19,28" 15.47" 13,90" 13.90" 15,50" 23. Aug. 30. Sept. 26. Okt. 5. Nov. 3. Fd.r. 2. .\pr. 16,22" 11,00" 7,80" 9,00" 14,90" .= ?^ .c O Ji März März Apr. Mai Juli Aug. 5,16' 5.87" 6,00" 6,90" 7.90" S,3o" Vom I.Mai 1886 ab benutzte er seinen neuen 18-zölligen Refraktor. Den 4 ersten Publikationen hat Schiaparelli je eine Karte in Merkators Projektion beigegeben, auf deren Konstruktion besondere Sorgfalt ver- wendet wurde. Nachdem er 1877/7B 62 verschiedene Punkte so genau als möglich mikrometrisch fest- gelegt hatte, bestiinmte er deren Lage 1879/80 von neuem und vermehrte ihre Zahl um 52. Zwischen den so gewonnenen Plx-punkten wurden auf Grund der nach dem Augenschein gefertigten Zeichnungen die Grenzlinien der Oberflächengebiete eingezeichnet. Hatte er anfangs diese Gebiete durch scharfe harte Linien schematisch abgegrenzt, so war er später bestrebt, auch die feinen Hellig- keitsstufen und die Schattierungen darzustellen. Auf der so gewonnenen ersten Grundlage arbeitete er danach weiter unter Verwertung der zahlreichen Kinzelskizzen , deren er z. B. 188 1/2 im ganzen 162 anfertigte. (S. Abb. i.) Die Neigung der Marsachse gegen die Linie Erde-Mars ist bekanntlich von Opposition zu Oppo- sition veränderlich, so daß 1877/8 der Südpol bis zu 25", 1879,80 bis zu 18,5" der Erde zugeneigt war, 188 1/2 variierte die Neigung des Südpols zur \'isierlinie von 7,6" bis zu — 2,5" und wieder zurück bis zu ii,i", 1883/4 war entsprechend der Nordpol der Erde um 12,3" bis 18,4" zugeneigt, 1886 um 21,8" bis 25,5", 1888 um 20,1" bis 24,9". Mit Rücksicht auf diese Verhältnisse hat Schiapa- relli 1886 und 1888 von der früheren Darstellungs- methode nach Merkators Projektion abgesehen, und statt deren eine polare Projektion angewandt, die es ihm ermöglichte, die nähere Umgebung um den Nordpol mehr der Wirklichkeit entsprechend abzubilden. (S. Abb. 2.) Bei der Verwendung des großen 18-Zöllers hatte sich im Jahre 1888 die Zahl der einzeln sichtbaren Objekte an günstigen Abenden derart gehäuft, daß es sich notwendig zeigte, die Skizzen in größerem Maßstabe mit einem Durchmesser von '^J mm statt 60 wie früher herzustellen. Durch vorheriges Einzeichnen von 2 oder 3 Punkten und etwa einer Hauptlinie nach den 1877 und 1879 ge- o ^ ij a. B5 3 >0 ,^15 60 78 64 59 3327 2256 20 44 ■643 machten genauen Messungen wurden die Skizzen vorbereitet, um zwischen ihnen die große Fülle der Einzelheiten einfügen zu können. Solcher Skizzen sind in jedem der 6 Berichte mehrere wiedergegeben , die wegen der auf ihnen sich bietenden Bilder besonderes Interesse darbieten. Die Karten stellen nicht den in einem gegebenen Augenblick sich zeigenden Zustand der Oberfläche dar, sondern sind vielmehr gewissermaßen übersicht- liche Verzeichnisse aller erwähnten Namen. In den Skizzen dagegen haben wir Augenblicksbilder vor uns. (S. Abb. 3-) Doch wir verlassen diese allge- meinen Ausführungen und wenden uns einigen speziellen Gebieten zu, die be- sonderes Interesse bieten und zugleich für viele andere als Proben der Schiaparelli'schen Arbeit dienen. a) Eins der merkwürdigsten Objekte der süd- lichen Marshemisphäre ist der Lacus Solls mit der ihn umgebenden Region Thaumasia. Unter 20" bis 30*' südlicher Breite und ca. 85" — 95" west- licher Länge sieht man den nahezu kreisförmigen dunkeln Fleck des Sonnensees, von dem 3 Kanäle nach Süden (Ambrosia), nach Osten (Nektar) und nach Nordwesten (Eophorus) ausstrahlen und durch den hellen Ring Thaumasia die Verbindung mit der großen dunklen Masse des Mare Australe und des Mare Erythraeum, sowie mit dem Kanalsystem des Lacus Phoenicis herstellen. Ihrer südlichen Lage entsprechend war diese Gegend natürlich am günstigsten zu sehen in den Jahren 1877/8, 187980 und 1881/2, während sie in den 3 nach- folgenden Oppositionen sehr nahe dem Rand der Scheibe sich befand. Doch hat Schiaparelli auch dann noch deutlich den dunkeln Meck erkennen können, und zwar machte er 1888 die bemerkens- werte Erfahrung, daß Lacus Solls deutlicher sich abhob am linken, hell beleuchteten Rand, als rechts nahe dem beschatteten Phasenrand. Von verschiedenen Beobachtern ist Lacus Solls oft verschieden dargestellt worden. Schiaparelli hebt 1877 ausdrücklich seine kreisförmige Gestalt hervor; „wenn eine Verlängerung nach einer be- stimmten Richtung angegeben werden könnte, so würde ich sie in Richtung des Meridians, nicht aber in der des Parallelkreises gezeichnet haben." Kaiser, Lockyer, Dawes haben ihn dagegen 1862 und 64 deutlich elliptisch mit der großen Achse von Ost nach West gezeichnet, und diese ausgeprägt elliptische Gestalt mit der Richtung von NO nach SW finden wir wieder bei Guillaume und Wislicenus 1890, bei Campbell und Barnard 1892, bei Lowell 1894 und 1896 und bei P'auth 1898, während Plammarion, Wilson und Keeler 1892 die rein kreisförmige Gestalt angeben. Wenn Schiaparelli zwar auch 1877/8 angibt, daß er die Ränder des Lacus Solls leicht unregelmäßig, wie gezähnt mehr vermutet, als gesehen habe, so ist N. F. III. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochensclirift. 51 1 . 1 ! -f ' 1 ' ' - 1 i ~1 1 1 ; 1 ■ .■■'^ 1 "^ .^ '■o .> ~i 1 ■1 :• 1 j 1 1 i j- , t j ' 1 1 1 1 ^-l- ^ ^^ [ ^^ ^ j > Htf t : i i i Ö li^s-,-' 1^ i^'^FP^^^J^ ! ■ ?5 1 « : N 1 I -^ 1 i 1 i 1 1 s% ; ci. rt g =. rt >. 2- '^ X H CS c s " i "3 !- -«i ,'r Xztj X-l a^ 0 — n ,p s ■^ 0 3 s 0 < w ■—' 0 CJ 4J ^ 0 rt ^ invo r^M J H < 2^ er doch weit davon entfernt, ihn als so eckig (viereckig) anzugeben wie Loh.se und Dre)-er 1879. Bemerkenswert ist, dal3 Schiaparelli innerhalb des Flecks unregelmäßige Abstufungen der Schat- tierung sieht: „Die Dunkelheit ist am größten und stärksten im Zentrum , mit unregelmäßiger Abnahme gegen die Ränder nicht in gleichförmiger Veränderung, sondern sprungweise, hier mehr, dort 5: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 4 weniger bemerkbar." 1894 wurde von Douglas und Lowell unter anderen Objekten der Oberfläche auch der Sonnensee doppelt, wenn nicht vierfach durch je eine horizontale und vertikale Linie, von Schäberle sogar dreifach durch vertikale (nord-südl. Linien) geteilt beobachtet. Flammarion veröffent- licht in seiner Monographie (pag. 475) eine Zeich- nung Schiaparelli's von 1890, in der eine solche helle Linie durch den See läuft, die etwa ',,, von ihm im Osten abtrennt. #° n \\ > 4/ n H ¥'^. «i osi "" 13 Ccrberus Fig. 2. Martis phacnomcna, anno 1888 in licmispliacrio borcali obscrvata An Kanälen, die vom Lacus Solls ausgehen, hat Schiaparelli von 1877 bis 1888 stets nur die anfangs erwähnten drei sehen können, an einen vierten glaubt er sich nachträglich aus dem Jahre 1879 undeutlich erinnern zu können, nachdem er erfahren hat, daß Burton (bei Dublin) ihn gesehen hat. Erst in der erwähnten Zeichnung von 1890 tritt der Burton'sche auf und dazu noch 2 andere. Flammarion gibt auf seinen Bildern von 1892 keine, Lowell 1894 nicht weniger als 11, 1896 noch 9 an, während wir bei Hussey 1892 5 finden. Besonders wechselnd in seinem Aussehen ist der Kanal Ambrosia, der I S77 als breites mattes Band, 1879 als schmale dunkle Linie, 1890 gar nicht zu sehen war. b) t^in anderes Objekt der Südhalbkugel, das eigenartige Bilder gibt, ist das Land Hellas. Fast genau südlich von der bekannten Großen Syrte, dem oft beobachteten großen Dreieck, gelegen, bildet Hellas zwischen 55" und 29" südlicher Breite einen großen Kreis, durch den hindurchziehend seit 1877 in nordsüdlicher Richtung der Kanal Alpheus, seit 1879 aul.5erdem in ostwestlicher Rich- tung der Peneus beobachtet werden konnte. Als scharf begrenzter, aber kleiner heller Fleck, zeigt es sich schon auf einer Zeichnung von Schröter (20. Nov. 1798), ist danach sehr oft gesehen worden, schärfer oder schwächer von der dunkeln Um- gebung sich abhebend, bis in die letzten Jahre. Als jüngste Darstellung finde ich es auf einigen Zeichnungen von Herrn Fauth aus dem Jahre 1899, wo es am äußersten Rande der sichtbaren Scheibe mit dem deutlich kenntlichen dunklen Kreuz hell erscheint. Auf einer Zeichnung von Flammarion vom 16. August 1892 macht es den Eindruck eines grollen, fast quadratischen Fensters mit ab- gerundeten Ecken. Stets finden wir Hellas im Westen umsäumt von dem breiten dunklen Hellespont, imd fast stets im Süden und Osten von dem ebenfalls dunklen Hadriaticum Marc. Doch zei- gen sich schon hier sehr be- merkenswerte Differenzen. Zwischen Hadriaticum Marc einerseits und Thyrrhenum Marc und Syrtis magna ande- rerseits erstreckt sich das helle Land Ausonia, das 1877 durch- aus hell, aber seit 1879 durch den breiten verwaschenen Kanal Euripus in 2 Teile zerlegt er- schien, und die „Region"' (matter getönt) Japygia. Beide sind sehr variabel, so daß wir sie z. B. 1879 bei Schiaparelli als eine unbestimmt begrenzte weißliche Hache dargestellt finden mit einem breiteren, matt dunklen Bande im Westen. Dagegen hat Lowell 1895 durch 1 Syrlis magna 2 E^uphratcs 3 Lacus Ismenius 4 .Arnon 5 Lacus ArcÜiusa 6 Kisun 7 Nilttsyrtis 8 Astusapcs 9 Elysium 10 Eunoslus 1 1 Hvblacus Slv.x / i K Fig. 3. Elysium nach einer Zeichnung vom 18. Januar 18S4. einen schmalen scharfen Kanal im Osten der Hellas und die zusammenhängende Verbindung der beiden Meere Hadriaticum und Thyrrhenum ein ganz andersartiges Bild erhalten. Das erwähnte Neuauftauchen des Kanals Euripus wird 1879 von Schiaparelli in einer Weise ge- N. 1'. III. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 53 schildert, die sehr charakteristisch für die Gebilde auf dem Planeten ist. Am 26. Oktober sah er in dieser Gegend einen unbestimmten Schatten. Erst am ::8. war der Kanal unter günstigen V'er- hältnissen deutlich erkennbar, wie er die beiden Halbinseln Hespcria und Ausonia mit einer Breite von ungefähr 5" durchsetzte. Beide Ränder waren in Ausonia undeutlich, aber die Allgemeinrichtung durchaus klar und bestimmt. Am 8. November war er reichlich so breit, wie die Hälfte von Au- sonia und beiderseits gut begrenzt. Er blieb auch in Ausonia bis in den Januar gut zu sehen, während er vom 7. Dezember an in Hesperia sich plötzlich verwischte und unsichtbar wurde. 1877 ist er am 14. Oktober sicher nicht sichtbar gewesen, da- gegen scheint ihn Green am 10. September ge- sehen zu haben. Auch 1881 und 1883 war Euripus klar zu bemerken. Später war die Lage des Mars zu ungünstig. In Hellas selbst beobachtete Schiaparelli mehr- fach eine verschiedene Helligkeit in den einzelnen Quadranten, so daß er z. B. am 13. und 14. No- vember 18S1 glaubte, daß nur der südwestliche Quadrant als selbständige Insel hervortrete. Dai- auf mag es auch zurückzuführen sein, wenn er mehrfach den Durchmesser von Hellas auf nur ca. 5" bis 6" angibt. c) Eine sehr auffallende Beobachtung hebt Schiaparelli in der sechsten Publikation hervor. Aus der Mitte des Sabaeus Sinus erstreckt sich nach Norden der Kanal Euphrates, beginnend bei ca. 5" südlicher Breite und ca. 338" areographischer Länge. Auf der Karte von 1879 (s. Abb. i) ist er mit einem geringen Winkel nach ()sten ab- biegend bis zum Ismenius Lacus gezeichnet, wo die areographische Länge noch etwa 334" beträgt (ca. 40" ndl. Br.). 1881 2, 18834 und ganz scharf ausgesprochen 1886 verläuft er parallel dem Me- ridian und setzt sich jenseits des Ismenius Lacus fort als Arnon bis zum Lacus Arcthusa und von da aus mit einer geringen Biegung nach Osten als Kison bis zum 80." nördlicher Breite und bzw. 310." areographischer Länge. Auf diese Weise tangiert der Euphrat-Arnon-Kison gewissermaßen die um den Nordpol liegende Schneezone, diese von Süd nach Nord gerichtet links liegen lassend. Wesentlich unterscheidet sich davon das Bild 1888 (s. Abb. 2). Euphrat ist zwar auch noch in derselben Lage wie früher, aber schon beim Lacus Ismenius läßt sich eine kleine Lagenverschiebung von 6'/.," nach Westen berechnen. Während sich jedoch diese Abweichung immerhin noch als ein allerdings auffallend hoher Beobachtungsfehler an- sehen läßt, ist das nicht möglich bei dem weiteren Verlauf des Arnon-Kison, der die Polkappe rechts liegen lassend, bei ca. 20" areographischer Länge an den 80. Breitengrad herankommt. Dies besagt, daß das ganze, wesentlich gleichgerichtete Linien- system Euphrat bis Kison nicht wie früher eine schwache Wendung nach fallenden Längengraden, sondern eine solche nach steigenden ausführt. Wir haben es hier mit einer ganz scharf beobachteten Änderung in der Konfiguration der Marskanäle von einer Opposition zur nächsten zu tun, für die jede Erklärungsmöglichkeit noch fehlt. Eine ähnliche Erscheinung glaubt Schiaparelli im Laufe des Astusapes, eines kurzen von Syrtis magna nach dem Nordende von Nilosyrtis ver- laufenden Kanals, zu beobachten. Auch dieser scheint in diesem Jahr, namentlich deutlich am 6. Juni, eine kleine Drehung in gleicher Richtung wie Euphrat-Kison vollzogen zu haben. Doch fehlen genaue Messungen, so daß er hier nur die Vermutung ausspricht, wo er im ersten Falle von Gewißheit redet. d) Noch ein weiteres Gebilde der Marsober- fläche wollen wir hier erwähnen, das besonders merkwürdig auf einer Zeichnung des 4. Bandes (18834) hervortritt (s. Abb. 3). Es ist das Land Elysium, das hier als Polygon von fast kreisförmiger Gestalt erscheint , gebildet durch die Kanäle tlunostus, Hyblaeus, St\'x und Cerberus, die alle 4 breit verdoppelt sich zeigen. — 1877 war das unter 10 bis 36" nördlicher Breite gelegene Ely- sium infolge der ungünstigen Stellung des Mars gar nicht, 1879 ri"'' undeutlich zu sehen, aber 1881 ist sclion seine Kreisgestalt scharf ausgeprägt. Viel- fach zeigt es sich heller wie die Nachbarländer. Diese Helligkeit ist jedoch ungleichmäßig, fast immer mehr hervortretend, wenn sich das Gebiet rechts vom Mittelmeridian der Scheibe, d. h. in Abendlage befand. 1879 hatte Schiaparelli ge- glaubt, hier Schnee wahrzunehmen, den er 1881 aber nicht wieder nachweisen konnte. Als schwie- riges, aber durchaus deutliches Objekt war der Kanal Galaxias, in nordsüdliclier Richtung durch Elysium verlaufend, zu sehen. Nach dieser Opposition war er jedoch nicht wieder bemerkbar. Ein anderer, schwer nachzuweisender, kurzer Kanal war zu be- obachten am Ostrand, wo er die Kanäle Styx und Cerberus verbindend die von beiden gebildete Ecke abschneidet. Auch auf der Karte von 1883/4 ist diese Segmentbildung zu erkennen. 18834 zeigte sich nun unter anderem eine wichtige Veränderung, indem die umgebenden Kanäle erst undeutlich und verwaschen aussahen, am 18. Januar aber das ganze Gebilde als der in der Figur wiedergegebene Doppelring sich darbot. Diese Verdoppelung geschah dabei auf Kosten des inneren Raumes, dessen Durchmesser sich deutlich verringerte. Die P""arbe des ganzen Landes war auch in diesem Jahre ebenso wie in den folgenden wechselnd, häufig hell, mitunter so weii.3, wie der Polfleck. In den folgenden Oppositionen wiederholten sich imWesentlichen diese Erfahrungen. Über die verschiedenen Schattierungen, wie sie sich im Verlauf weniger Monate darboten, gibt folgende Tabelle aus dem Jahre 1888 Auskunft (hier ist to die areographische Länge des mitt- leren Scheiben meridians. Die von Elysium ist ca. 220"). April 2. (0=211" Elysiumniclit weiß, umgeben von breiten dunklen Streifen. Mai 2. 258" Weiß. 54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. )t 3- n 3- 5- 6. J) 7- )l 7- )» 13 Juni 6. 12. i8. 21. Juli 21. 22. 25- Mai 2. 271" Sehr weiß. „ 2. 294* Am Rande fehlt Elysium, weiß wie die Polarkalotte, gut begrenzt; es sieht aus ^ wie eine zweite; Kalotte. 240" Nicht weiß. 256" Ist weiß geworden. 218" Nicht weiß. 207" Nicht weiß. 195" Etwas weiß auf der rechten Seite. 202" Weiß, aber nicht glänzend. 1 64" Gelb- weiß, glänzend am rech- ten Rand. 282" Weiß am Rande, aber nicht so lebhaft wie Aeolis. 221" Weiß, aber weniger kräftig wie Memnonia. J69" Hin wenig weil5 am rechten Rande der Scheibe. 160" Ein wenig aschfarbenes Weil3 rechts bezeichnet den Ort von Elysium. 213" Ziemlich weiß, aber nicht glänzend. 211" Etwas weiß. 188" Nicht weiß, soeben aus dem Schatten herausgetreten. Auch das weiter nördlich gelegene Gebiet ist von Interesse, insofern als es 1886 durchaus wie von einemWolkenschlcier verhüllt erschien, während sich hier 1888 eine Anzahl kleinerer dunkler Flecke zeigte, die „laghi", die einigermaßen an die später 1892 erwähnten „lakes" Pickering's erinnern. e) In allen 6 Bänden ist je ein besonderer Ab- schnitt den Polarflecken gewidmet, und zwar ist in den 2 ersten Oppositonen der Stellung des Planeten entsprechend hauptsächlich die südliche, in den 4 letzten die nördliche Halbkugel be- obachtet worden. Bekanntlich ist der südliche Polarfleck nicht konzentrisch mit den Polarkreisen des Planeten, sondern hat seinen Mittelpunkt 5 bis 6 Grad in der Richtung auf Mare Erythraeum vom Pole ab- gewandt. Es sei hier sogleich darauf hingewiesen, daß ebenfalls der nördliche Polarfleck eine freilich geringere Exzentrizität von ca. 1V.3 Breitengraden zeigte. Von Interesse sind natürlich die Angaben über den Durchmesser dieser Kappe und seine Veränderung im Laufe der Opposition, wie sie sich aus folgender Tabelle, einem Auszug aus den von Schiaparelli gegebenen, erkennen läßt. Tabelle II. Durchmesser des südlichen Polarfleckes. 1877 u.1879. Datum. Zeit vor ( — ) bezw. Durchmesser nach (-|-) dem Solstiz. in Grad. 1877 Aug. 23. —26 28,6 Sept. 3. — 15 26,0 „ 12. — 6 17,4 „ 22. + 4 14,7 Okt. 2. 4-14 11,8 Okt. 12. -24 9,5 Nov. 4. h47 7.0 1879 Okt. 12. -59 7,6? -69 6,7 Nov. 10. -88 4,6 „II- -89 11,0? „ 17- -95 6,1? „ 28. -106 4,4 Dez. 21. -129 5,5 „ 26. -134 12,0 1880 Jan. 2. I-141 14,3 Zu dieser Tabelle ist zu bemerken, daß trotz weiterer Beobachtung bis zum 2. Januar 1878 ein völliges Verschwinden des Fleckes nicht eintrat, vielmehr schätzte Schiaparelli Ende Dezember und später seinen Durchmesser wieder auf 15" bis 20". .Aber diese späteren Beobachtungen haben sehr darunter gelitten, daß in dieser ganzen Gegend Nebel auftraten, die die ganze Polarregion weißlich erscheinen ließen. Besonders beachtenswert ist es, daß mehrmals der Fleck wie eine Protuberanz aus der Scheibe hervorzuragen schien , woraus man schließen muß, daß er so, wie er gesehen wurde, nicht reell war, sondern noch einen viel kleineren Durchmesser, wie den angegebenen, hatte. Seine Gestalt erschien wohl mitunter unregelmäßig, aber bot nicht so viel Interessantes, wie die des Nord- polarfiecks. Dieser liatte sich schon 1877 in Form von 6 vom Scheibenrand hereinragenden Spitzen bemerk- bar gemacht, die auch 1879 bis Mitte Januar allein sichtbar waren. Vom Dezember an aber begannen diese sich zurückzuziehen und ihren Umfang zu verringern, bis sich aus ihnen am 26. Januar die zusammenhängende geschlossene Polarkalotte ge- bildet hatte, die von nun an durchweg eine ziem- lich regelmäßige Gestalt hatte. Nur an 3 Stellen zeigten sich vorübergehend in der Zeit vom 31. Januar bis 10. Februar Einbuchtungen, die zum Teil mit den Zwischenräumen der früheren Hervor- ragungen zusammenpaßten. Auch am Norpolar- fleck ließ sich nun und in den nächsten Oppo- sitionen eine von der Jahreszeit abhängige Ver- änderung seines Durchmessers feststellen, wie die ausführlichen, von Schiaparelli gegebenen Tabellen beweisen. Aus diesen Tabellen erkennt man aber auch, daß diese Veränderung eine ungleichmäßige war und namentlich in keinem Jahr zum völligen Ver- schwinden geführt hat. Und weiter ergab sich aus den beiden Oppositionen von 1881 2 und 1883 '4 die sehr bemerkenswerte Erscheinung einer „kritischen Periode", in der die Nordpolarklappe, vorher kaum sichtbar, in wenig Tagen das Maxi- mum ihrer Ausdehnung erlangte. Dies fand 1882 statt in der Zeit vom 17. bis 26. Januar, 1883 in der Zeit vom 14. bis 18. Dezember. Beide Pe- rioden lagen nahezu in der analogen Jahreszeit auf dem Mars, nämlich 1882 48 Tage nach dem Frühlingsäquinox und 151 Tage vor dem Sommersolstiz. (Jan. 25.) N. F. ITI. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 55 1882 51 Tage nach dem Frühlingsäquinox und 149 Tage vor dem Sommersolstiz. (Dez. 26.) 1886 und 1888 konnten diese „kritisclien Perioden" nicht mehr beobachtet werden, da die Jaiireszeit auf dem Mars schon zu weit vorgeschritten war. Was die ferneren Besonderheiten dieses Polar- fleckes anbetrifft, so wollen wir nur noch einiges über die 1888 beobachtete Teilung des Fleckes erwähnen, die uns an die dunklen Bänder erinnert, die 1894 und 96 auf dem Lowelhlnstitut im Süd- polarfleck beobachtet wurden. Vom 29. April dieses Jahres bis zum 5. Mai war nichts besonderes zu sehen, am 8. Mai dagegen findet sich in Schiaparelli's Tagebuch die Stelle : „Der Schnee ist quer durch- schnitten von einer feinen dunklen Linie, von der ich keine Fortsetzung außerhalb dieses Schnee- fleckes sehen kann. Ich hatte sie schon gestern geahnt." Am 9. Mai ist die weiße Masse durch 2 solcher Linien in 3 Teile zerlegt. Am 10. Mai ist nur eine Teilungslinie zu sehen, die sich nach rechts außerhalb des Fleckes fortsetzt und links mit einem dunklen tags vorher noch nicht vor- handenen See zusammenhängt. Am 13. und 15. Mai ist die dunkle Bande wieder sichtbar und zwar jetzt breiter als vorher. Die nächste genaue Be- obachtung am 24. Mai zeigt die Schneemasse wieder regelmäßig ohne irgend welche Teilung, was aber möglicherweise seinen Grund in der Stellung des Planeten haben kann. Erst vom 4. Juni bis 13. Juni ist die Teilung wieder sicht- bar. „Der Schnee hat einen kleinen Begleiter zur linken. L)enkbar beste Definition! (Imagine piu che superba!) Der größere Schneefleck ist un- gefähr in der Mitte durch eine dunkle Linie geteilt, aber das Stück links ist weiter abgelegen. Das große Stücke ist nicht symmetrisch, sondern ei- förmig und zwar weniger zugespitzt auf der linken Seite." Diesmal verschwand die Erscheinung, ohne daß derselbe Grund wie oben vorlag, in den Tagen vom 13. bis 27. Juni. Vom 12. bis 15. Juli war das kleine abgetrennte Stück wieder nachweisbar. Mit diesen Tagen hören aber die deutlichen Be- obachtungen der Polarkappe auf .Sie ist nur noch vereinzelte Tage sehr reduziert und einfach bis zum 29. Juli, dem Ende der Mailänder Beob- achtungen überhaupt, zu sehen. Wir brechen hiermit unseren Bericht ab. Nur einige wenige Punkte haben wir aus dem reichen Material hervorgehoben, aber sie werden mit dem, was wir schon früher über Schiaparelli hier und da erwähnt haben, ausreichen, zu zeigen, auf welchem Wege die positive exakte Marsforschung fortschreitet. Nur erst eine kurze Reihe von Oppo- sitionen ist verarbeitet worden , aber schon ist manches sichere Resultat zutage gefördert. Vieles freilich ist auch rätselhaft und unerklärlich. Oft werden die Verhältnisse auf unserem Nachbar- planeten mit denen auf der Erde verglichen; ob mit Recht oder Unrecht: wer vermag es heute zu entscheiden ? Mit S|iannung und Interesse werden wir aber verfolgen dürfen, was uns etwa die Zu- kunft für Aufklärun"- bieten ma«-. Kleinere Mitteilungen. Über den Hummer hielt Professor Ehren- bau m - Helgoland einen Vortrag im Institut für Meereskunde zu Berlin, der in der Plscherei- Zeitung (Verlag von J. Neumann in Neudamm) veröftentlicht wurde.M Hummer - Fischerei kann an keinem anderen Punkte der deutschen Seeküsten ausgeübt werden als bei Helgoland. Zwar werden auch von un- seren Nordseefischern gelegentlich einige Hummer gefangen, aber dies sind meist nur verirrte Tiere, da der felsige Boden, der den eigentlichen und bevorzugten Aufenthalt des Hummers bildet, in der offenen Nordsee außerhalb von Helgoland kaum vorkommt und da andererseits der Helgo- länder Felsgrund wegen seiner gefährlichen Be- schaffenheit den Kurrenfischern der Nordsee ihre Tätigkeit verbietet. Der Fang des Hummers wird fast überall gleichartig betrieben, nämlich mit Hilfe von Fang- körben, die nach Art der Aalkörbe konstruiert, das Tier mit einem Köder anlocken und leicht herein-, aber schwer wieder herauslassen. Diese ') Für die Ueberlassung der Abbildungen sagen der ge- nannten Zeitung unseren besten Dank. vogelbauerähnlichen Körbe (helgoländisch : Tiners) sind am Boden mit Steinen oder Zement beschwert und werden an einer mit Korkstücken besetzten Leine, dem ,,Simm", auf den Boden des Meeres versenkt, um alle Tage einmal aufgeholt, entleert und mit frischem Köder versehen zu werden. Ein einzelnes mit zwei Mann besetztes Hummer- boot fischt gleichzeitig mit 40, 60 bis 100 Stück solcher Körbe, die in Reihen gesetzt werden und an dem mit einer kleinen Boje gemerkten oberen Ende ihrer Leine leicht aufgefunden werden. In der unmittelbaren Nähe von Helgoland liegen mehrere Tausende solcher Körbe. Außer den Körben wird gelegentlich beson- ders im Herbst noch eine andere Art von Fang- geräten benutzt, die „(jlippen", welche den Krebs- tellern ähnlich konstruiert sind und, wie es scheint, auch anderswo, z. B. an den britischen Küsten, vielfach zum Hummerfang benutzt werden. Die Glippen bestehen aus einem einfachen Netz- beutel, der an einem eisernen Reifen von 50 cm Durchmesser hängt und an einer Leine in die Tiefe hinabgelassen wird. In der Mitte des eiser- nen Reifens ist von Draht oder Bindfaden ge- halten der Köderfisch befestigt, so dass er beim Herablassen des Ringes auf dem Boden in die Mitte des Netzes zu liegfen kommt. Glaubt der S6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 4 Fischer, daß ein Hummer den Köder angenommen hat, so tut er einen kurzen Ruck an der Leine, so daß der Hummer in den unter ihm hängen- den Sack fällt , und holt schnell ein. Gewöhn- lich aber werden die Glippen ebenso wie die Hummerkörbe an mit Korken versehenen Boje- leinen in Abständen von lo bis 12 Faden ver- senkt und in kurzen Zwischenräumen aufgeholt, in der Erwartung, daß die am Köder nagenden Tiere im Momente des Aufhebens in das darunter hän- gende Netz hineinfallen. — In den Glippen sowohl als in den Körben werden meist statt des zu er- wartenden Hummers nur große Taschenkrebse (Cancer pagurus L.) gefangen, aber auch diese werden in den Kauf genommen als nützlicher Köder für den Fang von Dorsch und anderen Fischen, welche ihrerseits wieder als Hummerköder benutzt werden. Hummer ist eine begrenzte, die sich nicht durch Zuzüge von entfernteren Gebieten beliebig ergänzt oder vergrößert. Im Jahre 1902, welches ein sehr schlechtes war, sind im Frühjahr 29 000 Pfund, was sehr wenig ist, und im Herbst 12 300 Pfund, was als Herbst- fang sehr reichlich ist, gefangen worden, so daß also diejenigen Boote, welche beide Fangsaisons mitgenommen haben , durchschnittlich 660 Pfund im ganzen Jahre fingen, wobei zu bemerken ist, daß das zugleich der Anzahl der gefangenen Hum- mer entspricht, da das Durchschnittsgewicht der gefangenen Hummer etwa ein Pfund beträgt. Es konnte konstatiert werden, dass 34749 Stück Hummer 34 065 Pfund wogen (also durch- schnittlich eine Kleinigkeit [lO g] weniger als ein Pfund das .Stück). In besonders günstigen Jahren mögen statt der oben erwähnten 41 300 des Jahres Fig. I. Körbe zum Fang des Hummers. Es werden bis zu 50 Stück 1 lummcr mit die- sen Geräten von einem Boot in einem Tage ge- fangen. In der kältesten Zeit des Jahres ruht der Hummerfang gewöhnlich, nicht nur weil er dann vielfach durch ungünstige Witterungsverhältnisse verhindert wird, sondern auch weil der Hummer in eine Art Kältestarre verfällt und dann dem Köder nicht Jiachgeht. Außerdem existiert aber auch im Sommer eine — früher durch Übereinkunft der Fischer, jetzt durch Polizeivorschrift geregelte — Schonzeit von Mitte Juli bis Mitte September, während der nicht gefischt werden darf. In der F"rühjahrsperiode werden die Haupt- mengen gefangen, in der Herbstperlode weniger als halb so viel wie im Frühjahr. Dies liegt im wesentlichen an den Witterungsverhältnissen. Die Zahl der bei Helgfoland existierenden 1902 etwa 60000 Stück gefangen werden, wobei auf das während beider Saisons fischende Boot etwa 900 Stück entfallen würden. Sobald das Boot vom Fange zurückkehrt, wer- den den gefangenen Hummern mit einem .Stückchen geteerten Garns die Scheren gefesselt, damit sie sich nicht gegenseitig beschädigen können. In anderen Gegenden wird dem in weniger menschen- freundlicher Weise durch Eintreiben eines kleinen Holzpflockes in die Basis des Daumengliedes der Schere vorgebeugt. Die gefesselten Tiere werden in großen hölzernen durchlöcherten Kästen aufbe- wahrt und hier aufs sorgfältigste gefüttert und ge- pflegt, bis sie allmählich unter möglichst günstigen Bedingungen in den Konsum gebracht werden können. Solange das Wasser warm ist, entwickelt der Hummer einen kräftigen Appetit, und sein Hunger N. F. III. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 57 wird durch reichhche und regelmäßige Fütterung mit zerschnittenen minderwertigen Fischen gestillt. Eine natürliche Folge der Nahrungsaufnahme ist das Wachstum, und der Hummer wird also in der Gefangenschaft auch an (xröße und Gewicht zunehmen. Dieses Wachstum erfolgt aber beim Hummer, wie bei allen Krustentieren, die ja in einem mehr oder weniger verkalkten und nicht dehnbaren Chitinpanzer drinsitzen, nicht allmählich, sondern periodisch durch eine Häutung, bei welcher das Tier aus der alten Schale herausschlüpft und bis zur völligen Erhärtung der ursprünglich weichen neuen Schale sich in allen seinen Teilen ausdehnt und streckt. Dieser Häutungsprozeß, der bei jugend- lichen Tieren mehrmals, bei marktfähigen Hummern durchschnittlich einmal im Jahre erfolgt, gehört zu den einschneidendsten Vorgängen im Leben des Hummers. Die Häutung geht in der Regel in der warmen Jahreszeit vor sich und erfolgt auch wäh- rend der Gefangenschaft in den Kästen. Der Um- stand aber, dass die frisch gehäuteten und noch weichen Tiere eine Zeitlang ganz unbeholfen und wehrlos sind und in diesem Zustande von ihren Kameraden unfehlbar gelötet und gefressen wer- den, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, legt dem Fischer die \'erpflichtung auf, sorgfaltig darüber zu wachen, daß die Hummer vor der Häutung von ihren Kameraden getrennt und isoliert wer- den, bis sie ihre Beweglichkeit und Widerstands- kraft zurückerlangt haben. Der Fischer beobachtet imd betastet daher seine Pflegebefohlenen auf das sorgfältigste und achtet auf das Weichwerden des unteren Rrustpanzcrrandes, welches ihm das Nahen der Häutung verrät. Dieser Prozeß, der bei unnormalem X'erlauf dem Tiere sehr oft das Leben kostet, verläuft normaler- weise in der kurzen Zeit von zehn bis zwölf Minuten. P"r. Herrick gibt sogar an, daß der Häutungs- prozeß bisweilen nur sechs Minuten dauert, und daß bei ganz jungen Hummern von wenigen Milli- metern Länge die Häutung fast momentan er- folgt, ist von mehreren Seiten beobachtet worden. Normalerweise entsteht bei der Häutung nur ein einziger Querspalt an der Oberseite der alten Schale zwischen Kopfbrust und Abdomen oder Schwanzstück, und zu dieser verhältnismäßig schmalen Oeffnung mul3 das weiche Tier mit allen seinen Anhängen heraus. Wohl bildet sich nach- träglich oft in der brüchigen Schale des abgeworfe- nen Brustschildes ein medianer Längsspalt aus; aber dieser sowohl wie die an den Scheren be- obachteten Längsspalte gehören nicht normaler- weise zur Häutung. Unter dieser Voraussetzung liegt das Verblüffendste in dem ganzen Häutungs- vorgang darin, daß die in ihren Klauengliedern so enorm dicken Scheren durch das schmale Rohr gezogen werden, das die Schere in ihrem oberen Teil bildet. Herrick hat bei einer von ihm be- obachteten Häutung eines 28 cm langen Hummers gemessen, dass dw größte Querschnitt der Schere 882 qmm, der kleinste dagegen (zwischen dem zweiten und dritten Scherengliedej nur 93 qmm betrug, daß also der Querschnitt der Schere auf weniger als ein Neuntel reduziert werden mußte, wenn das/Herausziehen des Gliedes aus der Schale glatt erfolgen sollte. Schon an dem Ansatz des sogenannten Handgliedes an die Schere beträgt das Lumen der Schale weniger als ein Viertel von dem größten Querschnitt der .Scherenhand. Daß die unteren Ränder des Brustpanzers weich werden, wurde bereits erwähnt; ebenso wird aber auch in den engsten Teilen der Scheren- wand — auf der inneren Fläche des zweiten bis vierten Gliedes der Schere — der Kalk so weit aufgelöst, daß nur eine dünne und etwas dehn- bare Membran zurückbleibt, welche nun gestattet, daß die Schere an dieser Passage etwas weniger stark und nicht bis auf ein Neuntel ihres Quer- schnittes zusammengepreßt zu werden braucht, wenn sie aus der alten Schale herausgezogen wird. Dieses Zusammenpressen — oder richtiger wohl ."Ausziehen der Gliedmaßen, denn die Scheren werden beim Häutungsprozeß wie ein Stück Gummi in die Länge gezogen und vollständig deformiert — ist nur denkbar, wenn ein Kollabieren oder Zusammenfallen der muskulösen Teile vorauf- gegangen ist, welche das Hauptvolumen der Schere ausmachen, und dieses wiederum muß man sich durch das LIerausziehen des Blutes hervorgerufen denken. Der Hummer besitzt wie andere Kruster Gefäße mit geschlossenen Wandungen nur für das arterielle Blut, während das venöse Blut in großen Hohlräumen des Körpers, sogenannten Blutsinus, enthalten ist. Sind diese Hohlräume zwischen den Muskeln der Schere gefüllt, so er- scheint das Glied prall, sind sie leer, so fällt es zusammen. Daß das Blut bei der Häutung wirk- lich aus den Gliedmafien, besonders den Scheren, in den Rumpf zurückgezogen wird, scheint auch daraus hervorzugehen, daß der letztere sich enorm aufbläht und dadurch den eigentlichen Häutungs- jirozeß mit dem Zerreißen der häutigen Ver- bindung zwischen Kopfbrust und Schwanz ein- leitet. Durch das Aufblähen des Rumpfes wird diesem die alte Schale zu eng, und sie wird daher automatisch nach oben und vorn abgehoben, ob- wohl (Gliedmaßen, Fühler etc. zunächst noch in der alten Schale stecken bleiben. Wenn die alte Schale in dieser Weise nach oben abgehoben wird, sieht man auch, wie nützlich es ist, daß in den unteren Rändern derselben der Kalk bereits aufgelöst wor- den ist, weil diese dadurch ihre Schärfe verlieren und zwischen ihren Rändern für den frei werden- den weichen Hummer mehr Raum lassen. Hat sich der Häutungsprozeß bis zu diesem Punkt fast ohne merkliche Bewegungen des auf der Seite liegenden Tieres vollzogen, so beginnt dasselbe jetzt ruckweise, heftige Bewegungen zu machen, durch welche es die Gliedmaßen, Fühler, Mund- werkzeuge, Augen, Magen und alle inneren Skelett- teile, welche an der Häutung teilnehmen, aus der alten Hülle zu befreien sucht. Dabei machen die Scheren offenbar die größten Schwierigkeiten, und während der aufgedunsene und aufgequollene 58 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 4 Rumpf des Hummers schon fast völlig frei ist und Kiemen, Mundwerkzeuge, Magen und Augen aus der alten Schale herausgezogen sind, sind die Scheren und Beine noch immer teilweise fest. Endlich mit einem letzten Ruck gelingt es dem Hummer, auch diese frei zu machen und fast gleichzeitig die Schale des ganzen Hinterkörpers abzuschleudern. Die alte Schale schließt sich so- gleich über der Oeffnung, aus welcher der Hummer hervorkam, und gewährt in täuschendster Weise das Bild eines selbständigen und lebenden Tieres. Im Innern derselben bleibt eine wasserhelle, schleimige Masse zurück, welche zwischen der alten und der neuen Schale eine gleichmässige Schicht gebildet und gewissermaßen das Schmiermittel für den glatten Verlauf des Prozesses geliefert hatte. Das frisch gehäutete Tier liegt — zunächst völlig hilf- los — mit gänzlich deformierten , in die Länge gezogenen und stark verkleinerten Scheren neben seiner alten Schale und bemüht sich, mit lang- samen, fast tastenden Bewegungen, wieder Herr seiner Glieder und besonders seiner Scheren zu werden, in welche das Blut zurückgetrieben wird, so daß sie langsam ihre normale Form wieder annehmen und sich über ihren früheren Umfang hinaus vergrößern. Darüber vergehen indessen mehrere Stunden. Sehr auffallend ist auch die Farbe des ganz frisch gehäuteten Hummers; es ist ein so eigentümliches Sammetschwarz, wie man es sonst beim Hummer niemals antrifft ; doch macht diese Farbe sehr bald den normalen blau- schwarzen bis olixschwarzen Tönen Platz. Einige -Stunden nach der Häutung hat sich der Hummer wieder so weit erholt, dass er sich lang- sam von der Stelle bewegen kann. Doch vergehen noch Wochen , bis die Schale ihre ursprüngliche Härte wieder erlangt hat. Die Gesamtlängen- zunahme eines mittelgrossen Hummers von etwa 25 cm (i Pfund) beträgt nur ca. 2 cm, und da die Häutung bei Hummern dieser Größe nur ein- mal jährlich erfolgt, so ist das jährliche Wachstum ein geringes. Allerdings mui3 man dabei beachten, daß die Körperlänge ein unvollkommenes Maß für das Wachstum ist, wenn nicht auch die Gewichts- zunahme in Betraclit gezogen wird. Das Gewicht beträgt aber schon bei 28 bis 29 cm Länge l'/„ Pfund und bei 33 bis 34 cm 2 Pfund (während ^.ipfündige Hummer etwa 20 cm lang sind). Je größer die Hummer werden, desto geringer ist die Längenzunahme bei der Häutung und desto sel- tener erfolgt die letztere. Schon bei einem 40 cm langen Tier, dessen Häutung in Helgoland be- obachtet wurde, war die Längenzunahme kaum meßbar. Mehr als 50 cm Länge scheint der euro- päische Hummer kaum zu erreichen , und selbst der amerikanische Hummer, der an Gewicht wesentlich schwerer wird als der europäische, scheint über das genannte Längenmaß nur selten hinaus zu gehen. Bei alten Hummern erfolgt das Wachstum und die Gewichtszunahme wesentlich nur noch auf Kosten der Scheren, die schließlich eine enorme Größe erreichen. Ein großes Körper- gewicht ist jedenfalls das sicherste Zeichen für das hohe Alter eines Hummers; die Scheren können bei solchen alten Hummern bis zur Hälfte des ganzen Körpergewichts ausmachen. 12 bis 13 Pfund ist wohl das Maximalgewicht des europäischen Hummers, wenigstens sollen derartige Gewichte an den britischen Küsten beobachtet worden sein ; der größte Helgoländer Hummer, den Ehr. sah, wog 8'/'j Pfund nnd war 48 cm lang. Solche großen und alten Tiere sind fast immer Männchen, die sich von ihren jüngeren Stammes- genossen entfernt haben und ein einsames Leben führen auf entlegenen und vom Hummer gewöhn- lich nicht besuchten Gründen. Aus dem vorher Gesagten ergibt sich, daß die Frage nach dem Alter großer Hummer und nach dem Alter, das der Hummer überhaupt erreicht, nicht beantwortet werden kann. Etwas besser gelingt die Feststellung des Alters bei jüngeren Hummern. Die Häutungen und damit das Wachstuin der Hummer erfolgen nur während der wärmeren Jahreszeit, wenn die Nahrungsaufnahme eine reich- liche ist, und daher schliel.3en die Wachstums- perioden gewöhnlich mit dem Dezember und be- ginnen erst wieder im Mai. Die Hummer werden in den Sommermonaten, namentlich im August, in einer Größe von ca. 8 mm geboren ; sie sind am Ende der ersten oder zu Beginn der zweiten Wachstumsperiode meist 25 bis 30 mm lang (doch werden von amerikanischer .Seite auch Größen von 35 bis 52 mm angegeben), am Ende der zweiten Wachstumsperiode scheint die Körperlänge 60 bis 85 mm zu betragen; und in jeder dieser beiden ersten Wachstumsperioden mag die Zahl der Häutungen etwa sieben bis acht betragen (Herrick nimmt sogar noch erheblich mehr an, 14 bis 17 im ersten Jahre, was vielleicht darauf zurückzuführen ist, daß das Ausschlüpfen der Larven in den amerikanischen (iewässern schon zeitiger im Jahre beginnt). Von nun an aber wird der Maßstab der Größenzunahme noch unsicherer, und es beruht nur auf X^ermutung, wenn man an- nimmt, dass auch in den folgenden Lebensjahren die Zunahme der Totallänge sich auf 4 bis 5 cm pro Jahr beziffert, während die Zahl der Häutungen langsam abnimmt, und daß demnach eine Körper- länge von 24 cm, welche den Eintritt der Ge- schlechtsreife bezeichnet, etwa im fünften Lebens- jahre erreicht wird. Sobald aber die Tiere ge- schlechtsreif sind, können die Häutungen — wenig- stens bei den trächtigen Weibchen — nur einmal im Jahre stattfinden , weil die Hummereier fast ein Jahr unter dem Hinterleib getragen werden, bis sie ausschlüpfen, und weil eine Häutung in dieser Zeit den Verlust der ganzen Brut zur Folge haben würde. Nicht alle Weibchen tragen Eier, ja noch nicht einmal die Hälfte. Dies hängt zum Teil damit zusammen, dass der Hummer eine gewisse Körper- größe erreicht haben muß, um im Stande zu N. F. III. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 59 sein, Eier zu produzieren. Beim Helgoländer Hummer beträgt diese Länge gewöhnlich 24 bis 25 cm. Es wurde bereits erwähnt, daß die Eier nach der Ablage noch elf bis zwölf Monate zu ihrer Entwicklung gebrauchen, mit anderen Worten, daß die Inkubationsdauer wie beim Hühnchen drei Wochen , so beim Hummer fast ein volles Jahr beträgt. Es folgt also, daß die Hunmier nicht in jedem Jahre Eier absetzen, denn sonst müßte man das ganze Jahr hindurch die weiblichen Hummer immer mit äußeren Eiern antreffen. Es ergiebt sich nun die für die Beurteilung der Vermehrung sehr wichtige Frage : Wie häufig oder in welchen Intervallen produziert der Hummer Eier r Appelof hat festgestellt, dat5 die Weibchen jedes zweite Jahr Eier ablegen, ausnahmsweise in zwei aufeinander folgenden Jahren. Indessen trägt nur ein Viertel der gefangenen fortpflanzungsfähigen Weibchen äußere Eier; und damit ergibt sich die höchst interessante Thatsache, daß die Eier tragen- den Weibchen durch verminderte Freßlust, Ab- neigung, den Köder zu nehmen, oder welches sonst die Ursachen sein mögen, in geringerem Maße als die anderen Hummer der Gefahr ausgesetzt sind, durch den Fang vernichtet zu werden. Viel- leicht ist dieses Verhalten auch damit zu er- klären, daß die Eier tragenden Hummer sich vor- zugsweise in Verstecken aufhalten, die sie ungern verlassen. Jedenfalls ist dieser Instinkt, den die Natur in die Lebensgewohnheiten der trächtigen Weibchen gelegt hat, von der größten Bedeutung für die Vermehrung des Hummers und die Er- haltung seines Bestandes. Ein weiteres Mittel zur Erreichung dieses eben angedeuteten Zieles kann man in der grossen Zahl von Eiern erblicken , die das Hummervveibchen [iroduziert. Preilich ist diese Zahl nicht so groß wie bei manchen Uschen des Meeres, die in einer Laichperiode hunderttausende, ja sogar Millionen von Eiern ablegen, aber doch wesentlich größer als beim Flußkrebse, der über 120 Stück gewöhn- lich nicht hinauskommt. Der Helgoländer Hummer produziert schon bei der ersten Eierablage — wenn er etwa ein Pfund schwer ist — 8000 bis 10 000 Eier, für zwcipfündige Hummer kann man 15 000 bis 18000, für dreipfündige 20 000 bis 24 000, für vierpfündige 30 000 bis 36 000 Eier als Mittel annehmen. Herrick hat beim amerikanischen Hummer in den extremsten Fällen fast 90 000 bis 100 000 Eier konstatiert. Das waren Hummer von 41 bis 48 cm Länge und bei dem 41 cm langen Tier, welches die meisten Eier hatte, wogen diese allein ein Pfund. Um die Bedeutung dieser Zahlen voll würdigen zu können, muß natürlich die Frage aufgeworfen werden : welche Mengen neugeborener Hummer ent- sprechen diesen Einiengen und'welcher Prozentsatz von diesen gelangt zur weiteren Entwicklung.'' Die Ablage der Eier und die Befruchtung der- selben findet beim frei lebenden Hummer unter so eigentümlichen Umständen statt, daß dabei von wesentlichen Verlusten kaum die Rede sein kann. Das Männchen nähert sich dem Weibchen zum ZweckederBegattung, unmittelbar nachdem letzteres sich gehäutet hat und noch ziemlich hilflos und seine Gliedmaßen in un\ollkommenem Maße be- Vi^. 1. Die ersten sieben Stadien der ersten VVacVistumsperiode des Hummers. (Die Figuren am recinen Ende der Reihen stellen leere Häute dar.) herrschend sich der Angriffe des Männchens nicht erwehren kann. Der Begattungsakt selbst ist kaum jemals beobachtet worden, aber die Spuren des- 6o Naturwissenschaftliche Wocheiisclirift. N. F. III. Nr. 4 selben sind oftmals am ersten Morgen nach der Häutung am Weibchen zu sehen. Das Weibchen besitzt auf der Brust zwischen der Basis der vierten und fünften Beinpaare eine Art Tasche, auf deren spaltförmige OefTnung das Männclaen den in einer wurstförmigen gelatinösen Hülle enthaltenen Samen aufklebt, sodaß er alsbald ins Innere dieser Tasche gelangt. Hier verweilt er und behält seine befruch- tenden Fähigkeiten Wochen und Monate lang bei. Die Ablage der Eier, welche — oft erst einige Monate später — aus kleinen Oeffnungen am Grunde des dritten Beinpaarcs heraustreten , und die Befruchtung dieser Eier findet ganz unabhängig von der Begattung statt. Das Weibchen sucht für diesen Akt einen Schlupfwinkel auf, in dem es nicht gestört werden kann, wirft sich auf den Rücken und bildet mit dem umgebogenen Schwanz eine Mulde, in der die austretenden Eier aufgefangen und mittels eines von den Schwiinmfüßeii des Schwanzes abgesonderten und im Wasser allmählich erstarren- den Sekretes befestigt werden. Von dem Augenblicke an, wo der Hummer die schützende Hülle des Eies und den Aufent- halt bei der Mutter verläi3t, beginnen Gefahren auf ihn einzudringen, in so erdrückender Menge, dal.5 die Reihen der eben geborenen jungen Hum- mer in erschreckender Weise gelichtet werden. Der ausschlüi)fende Hummer ist etwa 8 mm lang, besitzt lebhafte Farben , unter denen neben blau und rot grün vorwaltet, und schwimmt — ab- weichend von den Gewohnheiten des ausgebilde- ten Tieres — frei im Wasser umher. Alle diese Eigenschaften machen ihn in hervorragendem Maße geeignet, anderen räuberischen Bewohnern des Wassers — namentlich Fischen verschiedener Art — zum Opfer fallen. Es ist wahrscheinlich, daß sich diese kleinen Tiere unweit ihrer (leburts- stätte, also in der Nälie des Grundes und unter dem Scliutze von Pflanzen, aufiialten und daß sie diesen geschützten Aufenthalt nur des Nachts ver- lassen, um oberflächlichere Wasserschichten aufzu- suchen. Jedenfalls ist es auffallend, wie wenig solcher kleinen Hummer man am Tage in feinen Gazenetzen fangen kann. Die Zeit, welche sie im Wasser frei schwimmend verbringen, dauert nicht lange. Man kann sie auf drei bis vier Wochen für das Individuum veran- schlagen; sie ist um so kürzer, je günstiger Tem- peratur- und Nalirungsverhältnisse im Wasser sind; und da in der zweiten Hälfte des August die mittlere Wassertemperatur bei Helgoland mit i6,8" C ihr Maximum erreicht, so ist der Monat August, in dem die meisten Hummer geboren werden, zugleich auch die günstigste Zeit für ihr Fortkommen. Der junge Hummer kommt als Larve auf die Welt, das heißt seine Körpergestalt unterscheidet sich zunächst noch von derjenigen des ausgebil- deten Tieres, und erst nachdem er in jenen ersten drei bis vier Wochen vier Verwandlungen in ebenso vielen Häutungen durchgemacht hat, er- reicht er annähernd die Gestalt des ausgebil- deten Tieres und kann nur wie dieses am Grunde leben. Die erste dieser Häutungen erfolgt schon gleich- zeitig mit dem Aus.schlüpfen des Hummers und ergibt das erste etwa 7 bis 8 mm lange Larven- stadium (\-ergl. die Figur 2), welches je nach den Temperaturverhältnisseii vier bis fünf oder auch acht bis neun Tage alt wird; dann folgt nach der zweiten Häutung das zweite Larvenstadium, durch das Auftreten der Schwimmfüße am Schwänze kenntlich, 10 bis II mm lang, welches etwa ebenso lang wird, wie das erste, höchstens einen bis drei Tage älter. Das dritte Larvenstadium ist 12,5 bis 13,5 mm lang und daran kenntlich, daß die ur- sprünglich einfache Schwanzplatte jetzt durch seitliche Ergänzungstücke verbreitert ist; es wird etwa 10 bis 12 Tage alt. Die vierte Häutung endlich ergibt das 15 bis 16 mm lange vierte Stadium, welches schon nach etwa zwei bis drei Tagen das Leben auf dem Grunde aufnimmt; es sieiit viel hummerartiger aus als die früheren Stadien, was hauptsächlich auf den Verlust der larvalen Schwimmanhänge an den Geh- füllen und auf das Erscheinen der großen Fühler zurückzuführen ist. \^on diesem Zeitpunkt ab vermindern sich die Gcfahien für das Leben des jungen Hummers ganz bedeutend, da er im stände ist, sich unter Steinen am Grunde zu verbergen, und da er sein Versteck offenbar nur selten oder mit der größten Vorsicht verläßt. Wenn schon der Hummer, sobald er das Leben am Grunde aufgenommen hat, ziemlich vor (iefahren geborgen ist, so ist dies in noch höherem Maße der Fall, wenn er älter wird und damit überhaupt die Zahl der Tiere, die ihm gefährlich werden können, sich sehr vermindert. Eine vermifste Pflanze. — In zuverlässigen Berichten wird uns \'on einer Heil]iflanze der Römer erzählt, welche diesen durch die Vettonen bekannt geworden war. Daß es eine seltene Heilkraft ge- wesen sein muß , deren Samen kriegerisch vor- dringende Völker aus den Pj'renäen mit sich führ- ten, läßt sich allerdings vermuten. Dal.^ der Leib- arzt des Kaisers .'Xugustus, Antonius Musa, ein Buch verfasste : ,,De herba Betonica", welches er dem Marcus Agrippa widmete, sagt uns deut- licher, daß es eine wertvolle Heilpflanze gewesen sein wird. Musa beschreibt 47 Krankheiten , in denen er die gröl.5ten Erfolge der von ihm zu- erst als Betonica eingeführten Pflanze zuerkennt. Aber er sagt uns nicht, ob er seinen Kranken ebenso wie in der Behandlung des Kaiser .Augustus das Essen von grünem Salat und kalte Waschungen des Körpers zur Mitwirkung dieser Kur verordnete. Das Getränk aus dem Saft der Betonie brauchte es dann nicht gerade allein gewesen zu sein, wel- ches die Heilerfolge erzielt hat. Aber immer bleibt die Tatsache bestehen , daß die von der Allgemeinheit bis dahin Vettonica genannte Pflanze unsere Beachtung verdient. Musa's Verdienste N. F. III. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6i wurden reich belohnt. Kaiser Augustus erhob ihn in den Ritterstand und ließ ihm eine .Säule im Tempel des Äskulap errichten. Zum dauernden Andenken an ihn erklärte der dankbare Kaiser fortan alle Arzte von jeder Abgabe frei. Es darf also berechtigten Zweifel erregen , wenn Botaniker aus irgend welchem scheinbaren Zusammentreffen glaubten , unsere früher (auch neuerdings wieder von Bentham) für eine Stachys angesehene Art sei diese Heilpflanze , und sie deshalb als Betonica officinalis registrierten. Zwei- fellos wird hier ein Irrtum vorwalten , denn in wiederholten , mit ihr gemachten Heilversuchen versagte sie vollständig. Ja, es traten geradezu schädliche Folgen ein. Da erscheint es doch als eine Pflicht für die fleißigen Botaniker, nach den Ursachen des Irrtums zu forschen. Fragen wir uns zuerst: „Wie kann unsere ehemalige Stachys überhaupt zu dem unverdienten Rufe einer Heilpflanze gekommen sein, ohne deren Wirkungen zu besitzen?" Da sie in vielen Gegen- den selten zu finden ist, kann es dadurch geschehen sein, daß man sie mit einer anderen Pflanze ver- wechselt hat. Schon die alten Germanen wandten eine La- biate als Heilmittel an , welche man Andorn nannte, also ebenso wie wir noch heute unser Marrubium vulgare. Dieses enthält eine in vielen Krankheitszuständen äußerst wohltätige Heilkraft. Selbstverständlich wandte man aber an vielen Orten nicht nur die echte, sondern wenn man diese nicht fand, ähnlich aussehende Pflanzen an : So geschah es mit „Stachys silvatica", ,, Stachys arvensis" und „Stachys palustris", die noch heute Wald-Andorn , P^eld-Andorn und Wasser-Andorn genannt werden. Ja, man taufte sogar noch eine andere Art „schwarzer Andorn", die nicht einmal eine Stachys war. Jede derartige falsche Anpreisung verdächtigte Marrubium vulgare, seiner- seits nicht die echte zu sein. Aus diesen Ver- mutungen , welches wohl die richtige wäre, kam man auf den Gedanken , die so prächtig hübsch rosa blühende Schwesterart sei die gewünschte I leilkraft. Denn man sagte sich : Sind diese Stachys nicht die richtigen, so muß es jene sein. Da der deutsche Name nicht Klarheit gab, suchte man die lateinische Verwandtschaft ab. Hielt man sich an die Stachys, so glaubte man nun eine Heilkraft der Labiaten zu haben und deshalb sie als Betonica auszeichnen zu dürfen. Daß man sie später von Stachys trennte, änderte an diesen Voraussetzungen nichts. Für die Beantwortung der Frage : „Wie kam Betonica officinalis in den unberechtigten Ruf eine Heilpflanze zu sein ?" ist der Weg über die Mehrheit der Andorn- und Stachysarten ganz erklärlich. Alsdann läge aber auch die Vermutung nahe, daß die Betonicte der Römer eine Labiate und zwar Marrubium vulgare sei. Indes fand man es massenhaft nahe einer Stadt in Latium ani See Fucinus Maria-Urbs (Sumpfstadt), nach welcher es Marrubium vulgare genannt wurde. Da läßt sich doch annehmen, daß man sich bemüht hat, zu er- fahren, wie man es dort bezeichnete und darnach erfahren hätte, daß es die berühmte Bettonica sei. Marrubium vulgare hingegen war außerdem eines der bekanntesten Heilmittel der alten Welt. In Griechenland wurde der Saft entweder frisch oder mit Honig eingekocht in vielen Fällen auch mit einem Zusatz von Myrrhen bei allen Er- krankungen der Atmungsorgane, Asthma, Schwind- sucht und Unterleibsleiden angewendet. Daß mit dieser Pflanze wunderbare Heilungen geglückt sind, wird vielfach bestätigt. FIs ist weder anzu- nehmen, daß dies in Rom ganz unbekannt ge- wesen sei, noch da{3 man alsdann immer wieder ausgesprochen hätte, man habe jene Heilpflanze durch die Vettonen kennen gelernt , wie dies Plinius direkt berichtet. Nun haben wir aber äußerst selten in Deutsch- land die Betonica Alopecuros, Fuchsschwanz -Be- tonie. Man hat sie bisher nur bei Berchtesgaden und bei Partenkirchen gefunden. Es läge doch eigentlich sehr nahe , daß sich von Rom zurück- ziehende Scharen , von denen sich ja tatsächlich viele in den tyroler und baierischen .Mpen an- siedelten, die Betonica hier angebaut hätten. Auch der Umstand, daß die Gegenwart dieser Gebirgs- pflanze gar keine Heilkraft nachrühmt, könnte sich als verhängnisvolle Nachlässigkeit erweisen. So erscheint es wirklich als Pflicht, jene Eigenschaften zu prüfen und hoftentlich erweist es sich, daß wir die heilbringende Pflanze in Deutschland besitzen. Wenn es aber vergeblich geschieht und sich keine der vielen Heilkräfte zeigen will? Dann bliebe das Rätsel wieder ungelöst, wenn wir nicht eine etwas gewagte Schlußfolgerung auch noch in das Reich der Möglichkeiten einbeziehen wollen. Wenn man aber bedenkt, daß die Heil- erfahrungen bisher immer ohne botanische Keimt- nisse gemacht werden, und daß die botanischen Bestimmungen ohne irgend welchen Zusammen- hang mit jenen sich erst durch Mitteilungen verall- gemeinern, so lehrt die Erfahrung, daß selbst wunderliche Sprünge nicht zur Unmöglichkeit ge- hören. j|]Auf dem weiten Wege von Rom bis zu uns könnte aus Vettonica — Veronica geworden sein. Es wäre auch möglich, daß christlicher Eifer die bewährte Heilpflanze nicht nach einem heidnischen Volksstamm genannt wissen wollte , sondern sie zu Ehren der heiligen Veronika, die Wunderkuren damit verrichtet haben soll, benannte. Jedenfalls hat unsere Veronica officinalis ungemein heilsame Eigenschaften. Ihre kleinen, wie in einer Ähre stehenden lila-bläulichen Blütchen, werden nur leider sehr häufig mit der glänzend himmelblau strahlendenVeronica Chamaedrys, Gamander-Ehren- preis, verwechselt, die unter dem Namen Männer- treu allbekannt ist. Ist dann der Erfolg uner- heblich, so hat dies Veronica officinalis nicht ver- schuldet. Sie würde uns als I leilpflanze bleiben, auch wenn wir feststellen könnten, daß Betonica Alopecuros eine viel wertvollere Heilkraft in richtiger Anwendung zu spenden vermag. J. Freytag. 62 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. Iir. Nr. 4 Über gefärbtes Holz unserer Waldbäume. — Wohl mancher Leser dürfte auf seinen Spazier- gängen durch unsere Nadel- und Laubwälder ein- mal morsche Aststücke , vielleicht sogar ganze Baumstämme angetroften haben, deren Holz im Innern eine auffällige indigoblaue oder spangrüne Färbung zeigte, oder auch er hat in Kiefern- oder Fichtenwäldern morsche Kiefernstämme oder Wur- zeln bemerkt, deren Holz intensiv blutrot gefärbt war. Der Laie wird vielleicht vergeblich nach der Ursache dieser eigenartigen Erscheinung forschen, wenn er nicht zur feuchten Herbstzeit auf den gefärbten Holzteilen winzige, oft gleich gefärbte Pilze wahrnehmen sollte. Die intensive Färbung des betreffenden Holzes wird eben durch Mycelien gewisser Pilze verursacht. Die indigoblaue oder spangrüne Farbe morschen Holzes von Buchen, Hainbuchen, Eichen usw. wird durch das Mycel eines kleinen Schüsselpilzes C h 1 o r o s p 1 e n i u m a e r u g i n o s u m (Oed.) sowie Ch. aeruginascens Nyl. bedingt. Beide Arten sehen sich äußerst ähnlich und finden sich zur feuchteren Herbstzeit meist auf der Unterseite des auf dem Waldboden liegenden Holzes. Die schüssei- förmigen, kurzgestielten Fruchtkörper sind grün- blau oder spangrün, meist ' '.j — i cm im Durch- messer. Sie enthalten zahlreiche Schläuche mit je 8 zylindrischen oder spindelförmigen, mikroskopisch- kleinen Sporen. Ersterer Pilz ist weit verbreitet, nicht nur in Europa, sondern auch auf dem Kilima- ndscharo, Himalaya, Brasilien usw. Andere Pezizaceen vermögen eine blutrote Färbung verschiedener Hölzer zu verursachen, so wird das Holz der Robinie von dem Mycel eines kleinen braunroten Schüsselpilzes Tapesia cru- e n t a P. Henu. innen und oberseits blutrot gefärbt. Eine andere Art: Tapesia atrosanguinea Fuck. ruft ähnliche Färbung auf weichfaulem Holz der Birke und Buche hervor, ebenso eine winzige Pe- zizee, Patellea sanguinea (Pers.l, solche auf entrindetem Holze der Eichen, Haselnüsse usw. Das Holz junger morscher Kiefern- und Fichten- stämme, sowie das der Wurzeln findet sich nicht selten durch und durch intensiv Scharlach- oder blutrot gefärbt. Diese Färbung wird durch das Mycel einer Thelephoracee, Corticium san- g u i n e u m, veranlaßt, deren häutig-krustige Frucht- körper von gleicher Färbung, mit filzigem Rande meist die Autjenseite der befallenen Stämme oder Wurzeln überziehen. Das Mycel eines winzigen, kaum mit bloßem Auge erkennbaren Pyrenomyceten ruft in kiefernen und fichtenen Brettern oft eine graublaue Streifung hervor, wodurch das Holz für manche technische Zwecke unverwendbar wird. Es ist dies Cera- tostomella pilifera (Fr.), dessen schwarze Fruchtkörper, kaum senfkorngrol.5, auf dem Scheitel mit langem Schnabel versehen sind. P. Hennings. Akademische Antrittsvorlesung gehalten am ig. Mai 1900. Johann .'\mbrosius Barth in Leipzig 1900. — Preis 1.20 Mk. Als Physiker meint Verf. mit dem Titel, daß jedes neue Instrument, jede Zusammenstellung be- kannter Instrumente zu neuem Zweck vom entvvick- lungsgeschichtlichen Standpunkte aus sich als eine naturgemäße Fortentwicklung und Erweiterung unserer Sinne, als ein Fortschritt in der Anpassung an unsere Umgebung und einen Vorteil im Kampfe ums Dasein darstellt. Dies führt er an Beispielen durch. P. Bücherbesprechungen. Otto Wiener, o. l^rof. der Ph\sik an der Univ. Leipzig, Die Erweiterung unserer Sinne. Dr. Georg Meyer, Die wissenschaftlichen Grundlagen derGraphologie. Mit 3 1 Tafeln. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1 901. — Preis 5 Mk. Das vorliegende Buch über den Gegenstand, der so viele dilettantische Arbeiten aufzuweisen hat, hebt sich wohltuend ab. Es behandelt in vorsichtiger, besonnener Weise die allgemeinen Gesichtspunkte, die bei der Beziehung zwischen Schrift und Seelen- leben in Frage kommen und versucht die Hauptprinzipien herauszuschälen. Verf. erkennt an, daß sich in ziemlich erheblichem L'^mfange aus den Schriftzügen Schlüsse auf Charaktereigentümlichkeiten ziehen lassen , und stellt eine Reihe von diesen fest ; jedoch ist das Buch keine eigentliche Graphologie in dem Sinne eines Systems des Gegenstandes und Anleitung zur prak- tischen Betätigung, vielmehr will es mehr eine wissen- schaftHche Einführung in den Gegenstand sein. Eine Reihe von sehr sorgfältig ausgeführten Tafeln mit Schriftproben ergänzen in treft'licher Weise den Text. M. Klein. Prof. Dr. L. Weis, Kant: Naturgesetze, Natur- und Gottes-Er kennen. Eine Kritik der reinen Vernunft. Berlin (Schwetschke) 1903. Verf. behandelt Kant und zwar besonders die Kritik der reinen Vernunft, zunächst seine Natur- anschauungen, darauf den verneinenden Teil der Kritik, (die sog. Ideen der reinen Vernunft 1 und drittens zeigt er, wie Kant mit Hilfe der Erfahrung sowohl in der Natur als in Religion und Sittlichkeit zu positiven Er- gebnissen gelangt. Die Tendenz des Verf. geht darauf hinaus zu zeigen, „daß über den Geist der Evangelien kein menschlicher Geist, keine Wissenschaft und keine Kiütur hinauskommt." Aus den kritisclien Erörterungen des Verf.'s sei nur seine .\ußerung herausgegriffen, nach der die scharfe Trennung von Religion und Wissenschaft (Vernunft, Sittlichkeit), — die ein spöt- tischer Kritiker Friedrich Albert Lange's (des Verf. der Gesch. des Materialismus), eines hervorragenden Vertreters dieser Trennung, als Lehre von der doppelten Buchhaltung bezeichnet hatte, — unbedingt abzulehnen sei; sie sei ein „Verrat an der Religion des Geistes und der Wahrheit". Kant's Namen hierbei (ins- besondere bei der Trennung von Religion und Sitt- lichkeit) anzuführen, sei eine „Schändung'' desselben. W. nennt diese Lehre auch eine Zweistubenlehre und läßt den .Anhänger derselben in der Wissenschafts- stube von seinem Gotte träumen, in der Sonntags- stube den Kuhns des Christentums pflegen. Hierzu bemerken wir: Verf hat die Lehre von der doppelten N. F. m. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 63 Buchführung falsch aufgefaßt, denn in der Werktags- (Wissenschafts-)Stube, da träumt man nicht von Über- sinnlichem, sondern durchforscht nur das Sinnlich- Gegebene ; die Träumereien vom Unbedingten (Ab- soluten), also von Golt, Unsterblichkeit usw. : sie ge- hören in die „Sonntagsstube" (Glaubensstube), sie sind nicht Sache der Wissenschaft (der Forschung) sondern des Glaubens. Verf versteht also nicht einmal zu trennen und damit fällt seine Kritik. AVir möchten noch einen allgemeineren Gesichtspunkt hervorheben, d. h. einen Grund für die Berechtigung einer solchen Trennung. Vom wissenschaftlichen Standpunkte aus ist es durchaus geboten, alles zu Unsichere, alles zu unbestimmte Vermuten, Ahnen, Hoffen usw. auszu- schließen, da uns sonst das Hauptmerkmal und der Hauptvorteil der Wissenschaft, die Sicherheit, verloren gehen müßte. Jedoch — angesichts der Tatsache, daß wir die Wirklichkeit nicht restlos zu einem ein- heitlichen Weltbilde wissenschaftlich gestalten können, müssen wir uns eine Möglichkeit sichern in freieren, außerwissenschaftlichen, sich aber doch an die Wissen- schaft möglichst anlehnenden Formen uns ein einheit- liches harmonisches Weltbild zu verschaffen. Kl. u. P. Erich Zugmayer, Eine Reise durch Island im Jahre 1902. Wien, Adolph W. Künast. 1903. 192 Seiten. Mit Abbild, u. 2 Karten. — Preis 4 Mk., geb. 5 Mk. Im Plauderton schildert Verf einen sechswöchent- lichen Ritt durch die geologisch so interessante Vulkaninsel, Freud und Leid der anstrengenden Reise läßt er den Leser getreulich mitempfinden und eine Reihe von Illustrationen nach selbstgefertigten photo- graphischen Aufnahmen gibt auch eine Anschauung sowohl der großartigen Wasserfälle und Schlucliten, als auch der kleinen Ansiedelungen und der unglaub- lichen Ode und Monotonie weiter Gebiete des merk- würdigen Landes. Die Reise erstreckt sich von Rey- kjavik über die Geysir zum Hekla, alsdann mitten durch die Insel über die .Sprengisandur-Wüste , von der seit 40 Jahren in deutscher Sprache nichts mehr berichtet worden war, nach dem Nordlande und seiner Hauptstadt Akureyri. Der Rückweg von dort hielt sich in der Nähe der nördlichen Fjorde. Auf ihm wurde die Surtshellir-Höhle besucht und nach Mög- lichkeit vermessen. Für Islandtouristen gewöhnlichen Schlages, die sich meist mit dem Besuche der Geysir und der Hekla begnügen, ist die Angabe von Wich- tigkeit, daß die Ruheperiode, die der große Geysir in den letzten Jahrzehnten durchgemacht hatte und die die Touristen oft wochenlang vergeblich auf einen Ausbruch warten ließ, vorüber ist und daß derselbe seit einem im Jahre 1896 stattgehabten Erdbeben durschnittlich jeden Tag und recht hoch springt. Auch der Otherris-Hola springt oft und kann dazu durch Seife oder Rasenschollen in kurzer Zeit ver- anlaßt werden. Dagegen hat der Strokkur, der früher die Reisenden entschädigte, seit 1896 seine Tätigkeit gänzlich eingestellt. ') F. Kbr. ') Inwieweit dieser Zustand durch die vor einigen Tagen gemeldeten , vullsanischen Erscheinungen wieder modiliziert worden sein mag, laßt sich zurzeit natürlich nicht beurteilen. E. Weighardt , Mathematische Geographie.. Leitfaden für den Unterricht in der Obertertia der Mittelschulen. 2. Auflage. Biihl (Baden), A. G. Konkordia. 1902. 45 Seiten. — Preis 60 Pf. In leicht verständlicher Weise werden die wichtig- sten Himmelserscheinungen erläutert. Die scheinbare Sonnenbahn wird zunächst als eine Schraubenlinie er- kannt und erst nach der Betrachtung des Fi.xstern- hinmiels in tägliche und jährliche Bewegung zerlegt, ein methodisch gewiß wohlbegründetes Verfahren. Im einzelnen sind wir in folgenden Punkten abwei- chender Ansicht. Die Bezeichnung „Wendekreis" sollte auf die Erde beschränkt bleiben , da diese Parallelkreise am Himmel ebensowenig Bedeutung be- sitzen , wie die mitunter auf Erdgloben zu findende Ekliptik auf der Erde. Figur iS ist schwer zu ver- stehen und unnötig , da das Beispiel des Karoussel- fahrens oder eine Umdrehung um den eigenen Kör- per die Sache hinreichend klarstellt. In Figur 32 hätten die reellen Verhältnisse verwendet werden sollen, damit die richtige Gestalt der heliozentrischen Mondbahn (durchweg konkav in bezug auf die Sonne; erkannt wird. Mit Bezug auf die historischen Be- merkungen (S. 44) sei darauf hingewiesen , daß Kopernikus die Planeten sich nicht in k o n zentrischen Kreisen um die Sonne bewegend vorstellte , sondern daß er jedem einen besonderen exzentrischen Kreis zuordnete und sogar auch noch einen Ejjicykel zu Hilfe nahm, um die LIngleichheiten der Bewesfung völlig darstellen zu können. F. Kbr. Dr. A. Helfenstein , Die Energie und ihre Formen. Kritische Studien. Leipzig-Wien, Deu- ticke. 1903. 152 S. 8". — Preis 4.20 Mk. In der Ausdrucks- und Auffassungsweise weicht der Verfasser von anderen Physikern weit ab. „Heute, wo sie (die verschiedenen Zweige der Naturwissen- schaften) sich die Mittel allmählich zu verschaffen wußten, .^.\iome aufzustellen, hätten sie auch den ersten Weg einschlagen können (man geht aus von festen, für immer bestimmten Grundsätzen, .Axiomen, und sucht alle Tatsachen damit in F-inklang zu bringen, daraus abzuleiten). Axiome: I. Die Weltmasse ist konstant. II. Die Bevvegungsgröße der Weltmasse, ihre Energie, ist konstant. Es gibt nur eine Energie, kinetische Energie, identisch mit Massenbewegung. — Der Äther ist gasförmig und liesitzt als solcher eine Bewegimg, die wir als Gasenergie kennen gelernt haben. — Die Ätherteilchen reiben sich aneinander. — So mochte es kommen, daß an einzelnen Stellen des Raumes die Temperaturs ich derart steigerte, daß der Äther verbrannte, es entstanden Sonnen, d. h. Glut- herde, in denen der Ätiier verbrennt, sich verdichtet. — Die Erdrinde führt zitternde Bewegungen nach allen Richtungen aus, deren Energie die siiezifische Gravitationsenergie , die Hauptursache der Schwere der Körper, ist." Daß es gelingt, für die Physik aus dem Buch er- heblichen Nutzen zu ziehen, möchte Ref. bezweifeln. A. S. 64 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 4 Literatur. Beck, Prof. Dr. Ricli.: Lehre v. den Erzlagerstätten. 2., neu durcligearb. Aufl. Mit 257 Fig. u. I (färb.) Gangkarte. (X.\, 732 S.) Lex. 8". Berlin '03, Gebr. Borntraeger. — 18 Mk.; geb. 21 Mk. Buchenau, Fr. : IV, 14. Scheuchzeriaceae, IV, 15. Alismataceae u. IV, 16. Butomaceae m. 201 Einzelbildern in 33 Fig. (66 u. 12 S.) Leipzig '03, W. Engelmann. — 5 Mk. Herz, Priv.-Doz. Dr. W. ; Über die Lösungen. Einführung in die Theorie der Lösungen, die Dissozationstheorie und das Massenwirkungsgesetz. Nach Vorträgen. (V, c,o S.) gr. S**. Leipzig '03, Veit & Co. — 1,40 Mk. HIasiwetz, weil. Prof. Dr. H. : Anleitung zur qualitativen chemischen Analyse. Zum Gebrauche bei den prakl. Übgn. im Laboratorium. 13. Aufl., durchgesehen und ergänzt von Prof. Dr. G. Vortraann. (V, 51 S.) gr. 8". Wien '03, F. Deuticke. — I Mk. Lindau, Kust. Priv.-Doz. Dr. Gust. : Hilfsbuch f. d. Sammeln der .\scomyceten m. Berücksicht. der Nährpflanzen Deutsch- lands , Österreich-Ungarns , Belgiens , der Schweiz und der Niederlande. (VI, 139 S.) schmal 8". Berlin '03, Gebr. Borntraeger. — In Leinw. kart. 3,40 Mk. Briefkasten. Herrn Dr. F. i n L. — Sie fragen ; W a s n e n n t m a n in Zoologie und Botanik Konvergenz? — Unter ,, Konvergenz" versteht man im Tier- und Pflanzenreiche die Erscheinung einer formalen Ähnlichkeit oder Übereinstimmung, welche nicht auf Blutsverwandtschaft beruht. Wenn zwei (Organismen im Baue eines Organs eine wesentliche Gleichheit zeigen, so läßt sich im allgemeinen daraus schließen, daß beide von derselben Stammform abstammen, also blutsverwandt sind, und von diesem gemeinsamen Vorfahren die gleiche Eigen- schaft ererbt haben. Es gibt jedoch zahlreiche .Xusnahmen von dieser Regel, indem das gleiche Bedürfnis oder die Gleich- artigkeit der Existenzverhältnisse auch bei nicht verwandten Tieren resp. Pflanzen denselben Bau veranlaßt hat. Beispiele solcher ,, Konvergenz" sind die Schneefarbe des Eisbären, Polarfuchses und anderer arktischer Tiere ; die Sandfarbe bei wüstenbewohnenden Eidechsen, Vögeln, Antilopen und dem Löwen; der Mangel an Zähnen und die Ausbildung eines llornschnabels bei Schildkröten, Vögeln und dem Schnabel- tier; das Facettenauge der Krebse und das der Tracheaten. In solchen Fällen beweist die Verschiedenartigkeit der allge- meinen Organisation, daß die Ähnlichkeit in einem Organ sekundär erworben wurde, also nicht auf Vererbung, sondern auf Konvergenz beruht. L. Plate. Herrn A. H. in Augsburg. — Die mutuahstischc Sym- biose läßt sich freilich nicht gegen Darwin's Selektionslehre ins Feld führen, denn wenn zwei Organismen sich gegenseitig unterstützen, so können sie im Kampf ums Dasein daduich sicherlich einen erheblichen Vorteil genießen. Wir empfehlen Ihnen zur Beurteilung derartiger Fragen das Buch von L. Plate, Bedeutung des Darwin'schen Selektionsprinzips und Probleme der Artbildung. W. Engelmann in Leipzig. 1903. 2. Auflage. Herrn S. in Jolle nb eck. — Ihre Fragen lassen sich streng nur durch Entwicklung theoretischer Formeln der an- gewandten Mechanik beantworten , für die es hier an Platz fehlt. Das leichtere Brechen eines Balkens, wenn derselbe in der Mitte belastet ist, als in der Nähe der Unterstützungs- [lunkte, erklärt sich durch die im erstercn Falle eintretende, größere Durchbiegung. Die Tragkraft des in der Mitte be- lasteten Balkens von der Länge 1 verhält sich zu derjenigen bei den Teillängen Ij und L wie ) Ij l, : -j 1. Die Begründung dieses Satzes erfordert eindringende Kenntnis der Elastizitäts- lehre. Vielleicht genügt Ihnen das in Klimpert's Übungsbuch zum Studium der allgemeinen Physik und elementaren iVIccha- nik (Dresden, Kühtmann, 1894. Preis 8 Mk.) Gebotene. — Für den Winkelhebel gilt dasselbe Gesetz, wie für jeden an- deren Hebel : Gleichgewiclit findet statt, wenn das statische Moment der Kraft gleich dem der Last ist. Nur ist hier be- sonders zu beachten, daß als Hebelarm das vom Drehpunkt auf die Richtung der Kraft gefällte Lot zu nehmen ist. Herrn A. in T. — Sie fragen nach dem Unterschied zwischen Ton und Tonerde. — Ton ist ein mineralogi- scher Begriff, Tonerde lediglich eine chemische Bezeich- nung, und zwar der veraltete, aber heute noch gebräuchliche Ausdruck für Aluminiumoxyd, AI,, Oj, und in Verbindung mit Kieselsäure der Hauptbestandteil des Tones. Unter Ton ver- steht man das durch die Zersetzung vorwiegend feldspathaltiger Gesteine entstandene, zumeist aus wasserhaltigem Aluminium- silikat von bestimmter Zusammensetzung bestehende Material, das sich in mehr oder weniger reiner Form weitverbreitet vor- findet. Trocken ist der Ton erdig, und in nassem Zustande klebrig und plastisch. Der reinste Ton ist Kaolin oder Porzellanerde , und zwar stellt er reines, durch Verwitterung von Feldspat entstandenes Tonerdesilikat dar. Seine Konstitutionsformel ist 2 Ha Alj Sia Oip . H., AI, O4 . 3 H., O. Man könnte in- dessen vom chemischen Standpunkte aus die Tone als un- reinen Kaolin bezeichnen, da sie außer .^luminiumsilikat noch andere Zersetzungsprodukte jener Gesteine, vornehmlich Kar- bonate enthalten, oft aber auch Calcium , Magnesium und vor allem Eisen. Der Gehalt des Tones an Eisen ist maßgebend für seine Verwendbarkeit, da das Eisenoxyd, sofern nicht be- reits der rohe Ton dadurch gelbbraun gefärbt ist , dem ge- brannten Tone seine rote Farbe verleiht. Von chemischem Interesse ist die Tatsache, daß die Tonerde des eisenhaltigen Materials, das wir gewöhnlich Ton zu bezeichnen pflegen, sich bedeutend leichter in kochender, konzentrierter Salzsäure löst, als die des eisenfreien Kaolins — entsprechend der leichteren Zersetzbarkeit und Verwitterungsfähigkeit eisenhaltiger Ver- bindungen. Feska glaubt annehmen zu dürfen, daß diese leichter lös- liche Tonerde zeolithartigen Bildungen angehöre. Nun fand aber Gans , daß sich bei der Tonbestimmung vermittels Schwefelsäure im geschlossenen Rohre bei 220" bei Diluvial- böden gerade die doppelte Menge Tonerde ergibt, als bei dem Salzsäureauszug. Man kann sich schwer erklären, daß genau die eine Hälfte der Tonerde in den Tonen Zeolithen, die andere anderen Verbindungen angehören sollte , wenn auch die leichter lösliche Tonerde schwerlich kaolinartigen Charak- ters sein kann, da Kaolintonerde sich nur schwer in Salz- säure löst. Gans kommt daher zu dem Schluß, daß man in den Tonen komplizierter zusammengesetzte Silikate annehmen müsse, bei denen die eine Hälfte der Tonerde, und zwar in Verbindung mit Alkalien, fester gebunden ist als die andere, die mit Eisenoxyd, Kalk oder Magnesia enger verbunden ist. Versuche haben diese .'\nnahme bestätigt. Diese zeolithartigen Körper könnte man sich , ähnlich dem .Anorthit aus Natron- feldspat, dadurch entstanden denken, daß im Urgestein ein Si gegen AI ersetzt wurde. Die von Groth und Brauns für Anorthit aufgestellten Strukturformeln würden beide das ver- schiedene Verhalten der Tonerde begründen ; Si- Si — 0 0 0 ( AI /\ 1 0 1 AI Si — 0 — C a Groth o -0 — AI o/^o \/ AI O o Si — O — Ca Brauns Denkt man sich hierin den Kalk durch Eisen ersetzt, das in der Tat Kalk zu verdrängen imstande ist, so würde eine derartige Zusammensetzung etwa den im Tone vorliegenden Verbindungen entsprechen. Dr. Loebe. Inhalt: Dr. Bruhns; Die sechs Berichte Schiaparelli's über seine Marsforschungen. — Kleinere Mitteilungen: Professor Ehrenbaum: Über den Hummer. — J. Frey tag: Eine vermißte Pflanze. — P. Hennings: Über gefärbtes Holz unserer Waldbäume. — Bücherbesprechungen: Otto Wiener: Die Erweiterung unserer Sinne. — Dr. Georg Meyer: Die wissenschaftlichen Grundlagen der Graphologie. — Prof. Dr. L. Weis: Kant: Naturgesetze, Natur- und Gotteserkennen. — Erich Zugmayer: Eine Reise durch Island im Jahre 1902. — E. Weighardt: Mathematische Geographie. — Dr. A. Helfenstein: Die Energie und ihre Formen. — Litteratur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Gross-Lichterfelde-West b. Berlin, Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. UJ LIBRARY lg: Einschliefslich der Zeitschrift ,,Dl6 NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin, Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge 111. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 1. November 1903. Nr. 5. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringcgcld bei der l'nst I ^ VU^. i-\tra. Postzrilungslisti.- \r. 5446. Inserate : Die zwcigespaltene l'ctilzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabalt. Beilagen nach Über- linkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchliandlfrinscrate durch die Verlagshandlung erbeten. Leuchtende Organismen. fNachdnick vetbolen,] Von H. Hau Marshall sagt: „Vieles, lieber Freund und ge- treuer Nachbar, ist uns an dem Leuchten der Tiere noch dunkel." Dieses Paradoxon wird wohl noch eine Reihe von Jahren seine Gültigkeit be- halten, trotzdem Mikroskop und Chemie eifrig bei der Arbeit sind, die Lichträtsel der Natur zu lösen. Große Schwierigkeit bereitet einerseits der Um- stand, dal3 sich bei vielen Organismen, trotz des Leuchtens, keine besonderen Organe hierfür auf- finden lassen, andererseits die Leuchtorgane selbst im Bau erheblich voneinander abweichen. Ver- mutlich sind auch die inneren Vorgänge verschieden. In meinen Ausführungen werde ich mit den- jenigen Lebeweseii beginnen, an welche wohl jeder beim Lesen der Überschrift zuerst denken wird, mit unseren Glühwürmchen (Lampyrls). An warmen Juniabenden blitzen sie bei uns auf, diese Staellae volantes der alten Römer. Ihnen leuchtete aber eine andere Gattung (Luciola), die an Schön- heit des Lichts unser Johanniswürmchen noch über- trifft. Diesen letzteren Namen nun für ein fliegendes Insekt anzuwenden, wäre entschieden unstatthaft, wenn die Weibchen von Lampyris nicht flügellos und darum wurmähnlich wären (L. spicndidula pt, Halle a. S. besitzt im weiblichen Geschlecht nur Flügelstummel, L. noctiluca auch diese nicht einmal); die Männ- chen hingegen besitzen Flügel. Einige Beobachter wollen folgendes wahrgenommen haben. Während die Männchen ihre leuchtende Bahn ziehen, lockt das im Grase sitzende Weibchen mit seinem Laternchen, das es wie das Männchen an der Spitze des Hinterleibes, und zwar an der Unter- seite, trägt. Seine Augen liegen unter dem großen Brustschild (Prothorax) verborgen, aber durch 2 Fensterchen, die sich darin befinden, hat es bald die abenteuerlustigen Männchen erspäht. (Wie sich L. noctiluca hierbei verhält, ist mir rätselhaft, denn ihr fehlen die Fensterchen.) Nun beginnt ein sog. Leuchtduett, und die genannten dichterisch ver- anlagten Beobachter haben versichert, daß Weib- chen und Männchen sich mit ihrem Lichtchen zu- blinzeln, eigentlich zublitzen. — Ob nun das Licht der Leuchtkäfer nur eine Llochzeitsfackel ist, wäre vielleicht zu bezweifeln. In erster Linie wird es wohl ein Schutzmittel gegen Fledermäuse, Ziegen- melker und anderes Raubgesindel sein; denn es dürfte doch nicht ganz der Geschmacksrichtung dieser Tiere entsprechen, nach Feuerfunken zu 66 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. V. III. Nr. 5 schnappen, zudem die Lampyriden auch ziemlich schlecht schmecken müssen, was schon unsere Nase leicht erraten kann. Zerdrückt man nämlich solch Leuchtkäferchen, so kann man einen unangenehmen Duft wahrnehmen, der an Zwiebelgeruch erinnert. Tagsüber kann das Käferchen dieser Schutzmittel entbehien, es hält sich verborgen und ist ausserdem durch sein erdfarbenes Kleid geschützt. — Die Eier von Lampyris sollen auch leuchten, sogar schon im Eierstock. Ich habe die Tierchen wieder- holt zum Eierlegen veranlaßt, habe aber selbst bei Nacht unter dem Mikroskop nichts wahrnehmen können, auch nicht den leisesten Lichtschimmer, trotzdem die Eier lebten. Die daraus schlüpfenden Lar^'en leuchten aber, und zwar an jeder Seite eines Leibesabschnittes. Im Spätherbst sind sie schon ziemlich erwachsen. Ich habe sie (L. splen- didula) oft in Unmengen in den Straßengräben bei dem Dorfe Osterode gesehen, wenn ich in lauen November- oder Dezembernäcliten von Herz- berg a. E. nach Hause pilgerte. — Eine Larve der größeren Art L. noctiluca fand ich am Abend des 2. Pfingstfeiertages 1900 auf dem Wege nach der Rudelsburg. Ich nahm das Tier mit den Flechten (Cladonia tubaeformis), auf denen es saß, mit nach Halle. Bis zu seiner Verpuppung, die nach etwa 3 Wochen erfolgte, nährte es sich von der Flechte, wie direkte Beobachtung und deutliche Fraßspuren bewiesen. Die Puppe besaß mehrere stark leuch- tende gerundete Flecke auf der Unterseite des Hinterleibes. Das daraus sich entwickelnde Weib- chen leuchtete auch recht kräftig bei Tag und bei Nacht. — Aus den hier mitgeteilten Beobachtungen kann man leicht ableiten, daß das Leuchten nicht etwa zum Auffinden der Geschlechter dient, sondern bei seiner Permanenz in allen Entwicklungsstadien (Eier ausgenommen) als ein mit dem Wesen des Tieres verbundener Vorgang angesehen werden muß, der zu dessen Wohlbefinden unbedingt not- wendig ist. Man nahm früher an, daß es tagsüber aufge- nommenes Sonnenlicht wäre,, das am Abend von den weißlichen Leuchtflecken wieder ausgestrahlt würde. Später machte man den Phosphor dafür verantwortlich. Aber Mateucci wies schon zu An- fang des vorigen Jahrhunderts das Irrige dieser Ansicht nach. Er fand eine Flüssigkeit, seiner Meinung nach aus Salpetersäure und Kohlensäure bestehend, die von dem Leuchtorgan ausgeschieden wurde. Den Vorgang des Leuchtens selbst hielt er für einen Oxydationsprozeß. Außerdem schwelgte er in der Hoffnung, man würde einmal den leuch- tenden Stoff fabrikmäßig herstellen können und empfahl dazu als Rohstoffe faules Holz und faule (?) Fische; denn beide Stoffe seien bequem in der nötigen Menge zu bekommen. Leider hat man aber entdeckt, daß im faulenden Holze die das- selbe durchziehenden Pilzmycelien und auf den toten Fischen die Leuchtbakterien leuchten. Damit wäre also wieder einmal ein schöner Gedanke ins Wasser gefallen. — Der Anatom Kölliker kam der Sache schon etwas näher. Er erkannte bei der mikroskopischen L^ntersuchung das Leucht- organ als einen selbständigen nervösen Apparat, welcher ein harnsaures Salz (NH4O), also ein Ver- dauungsprodukt, abscheidet. — Neuerdings hat ein japanischer Naturforscher den Leuchtvorgang unter- sucht. Er fand, daß während der Verdauung Kelone entstehen. Diese polymerisieren sich und spalten sich während der Verdauung im Leucht- organ in andere organische Verbindungen. Dieses Spalten wird von dem Leuchten begleitet. — Solche organische Verbindungen, welche leuchten, kennt man jetzt eine ganze Menge. B. Tschugaeff fand bei der Untersuchung von 510 solcher Stoffe 127 lumineszenzfähige, d. h. leuchtfähige. Er nennt diese Erscheinung in Anlehnung an E. Wiede- mann Tribolumineszenz. Eine in bezug auf das erzeugte Licht ganz ähnliche Erscheinung, eben- falls Tribolumineszenz genannt, kann man be- obacliten, wenn man im Dunkeln Porzellan- oder Steingutscherben mit den Bruchflächen aneinander- reiht, auch Stücken von Hutzucker reibt oder im Mörser zerstößt. Was man dabei zu sehen be- kommt, das ist kein Feuer und das sind auch keine Funken im gewöhnlichen Sinne des Wortes. Licht ist es, und nach dem berühmten Gesetz von der Erhaltung der Kraft handelt es sich bei diesen und ähnlichen Vorgängen jedenfalls um eine frei- werdende Energie, die sich dem Auge als Licht wahrnehmbar macht. Die vorhin genannten Käferarten Lampyris und Luciola, desgl. Photuris, Lamprorhiza, Lampro- phorus, Photinus u. s. w., alles Käfer, die sich mehr oder weniger ähnlich sehen, gehören zu den VV^eich- käfern (Malacodermata). Zu den Schnellkäfern (Elateridae) gehört der Cucujo Südamerikas (Pj-ro- phorus noctilucusj, über den manche Reisebeschrei- bung einiges zu plaudern weiß. Die Leuchtorgane dieses Käfers sind von denen unseres Glühwürm- chens sehr verschieden. Er besitzt deren drei, 2 an den Ecken des Prothorax und eins an der Unterseite der ersten Hinterleibssegmente. Dieses letztere ist für gewöhnlich von dem anliegenden Metathorax verdeckt und wird erst beim Fliegen sichtbar, da die Elateriden die Gewohnheit haben, beim Flug den Hinterleib zu heben. — Die Leucht- organe sind von einem linsenartig gewölbten durchsichtigen Teil des Chitinpanzers bedeckt. Bei der Untersuchung, die bis jetzt allerdings noch viel zu wünschen übrig läßt, hat man winzige krystallinische Körperchen gefunden, die innerhalb des Organs gebildet werden. Leider weiß ich nicht zu sagen, ob an sie der Leuchtvorgang ge- bunden ist. Da ich einmal bei den Käfern bin, will ich noch erwähnen, daß die Flüssigkeit (Buttersäure), welche die Bombardierkäfer (Brachinus crepitans und Br. explodens) gegen ihren Feind spritzen, leuchten soll. Man soll aber nichts unversucht lassen ; deshalb habe ich fleissig Steine gewendet und mir eine ganze Anzahl dieser niedlichen Lauf- käferchen verschafft. Diese habe ich dann in ein Glas gesperrt und bei Nacht mit einem Haar- N. F. III. Nr. 5 Naturwisseiischaftliclic Wochenschrift. 67 pinsel gereizt. Die Butlersäure wurde, wie mir meine Ps'ase bezeugte, in Massen vergeudet, aber sie tat mir nicht den Gefallen, zu leuchten. Man sagt noch einer ganzen Menge Insekten nach, daß sie leuchten sollen, und wer sich dafür interessiert, dem empfehle ich Henry Gadeau de Kerville, „Die leuchtenden Tiere und Pflanzen", übersetzt von W. Marshall (Leipzig, J. J. Weber. 3 Mk.). Mancher Leser wird vielleicht noch an an den berühmten Laternenträger, eine Zikade, denken; doch gehen die Berichte über sein Leucht- vermögen weit auseinander. Der südamerikanische Laternenträger hat zwar einen sehr lichtvollen Namen (Fulgora laternaria), aber neuere Beobachter haben an dem Tier kein Licht wahrnehmen können. Fig. 1. Pyrophorus noctilucus (Surinam). Nat. (Iröüe. und seine blasig vorgewölbte Stirn leuchtet sicher ebensowenig wie die des seltenen kleinen Laternen- trägers Pseudophaiia europaea, den ich einmal bei Dresden gefangen habe. Mit den Insekten nahe verwandt sind die Tausendfüßler, unter denen es tatsächlich leuch- tende Vertreter gibt, die aber trotzdem kein be- sonderes Organ hierfür besitzen. Bis jetzt habe ich nur die Bekanntschaft des kleinen Geophilus electricus gemacht, und zwar im Seminargarten zu Weißenfels. An seiner ganzen Oberfläche sondert dieses Tierchen einen leuchtenden Schleim ab, auch die abgestreiften Teile leuchten weiter, sodaß er eine phosphoreszierende Si)ur hinterläßt. zeitweilig wuchern Bis jetzt habe sprochen ; ehe ich .Auch einem leuchtenden Regenwurm (Alle- lobophora foetida), der sich durch ein stinkendes Sekret übel bemerkbar macht, und den meine Kröten und Salamander beharrlich verschmähten, kann man gelegentlich begegnen. Ich selbst habe an dem Wurm nichts dergleichen wahrnehmen können und vermute das Vorhandensein von Mikro- organismen, die in dem abgeschiedenen Schleime und das Leuchten verursachen, ich nur von Landtieren ge- aber zu den Bewohnern des Meeres übergehe, will ich noch kleiner Organismen gedenken, die eine gewissermafSen vermittelnde Stellung einnehmen, der sogenannten Photobakterien. Sie finden sich z. B. auf frischen Knochen und verraten dann ihre Anwesenheit im dunkeln Zimmer durch phosphoreszierende Flecke. Leider sind die Leuchtbakterien sehr kurzlebig und werden bald durch die eintretende Fäulnis vernichtet. I^Grüne Heringe und andere Seefische leuchten sehr leicht. Zu genießen sind solche Fische trotz der .Anwesenheit des Mikroorganismus. Sein Vor- handensein ist durchaus kein Zeichen eingetretener Fäulnis, sondern im Gegenteil, es garantiert sogar für frische Ware. Bei beginnender Fäulnis hört das Leuchten auf. Mein Fischlieferant sagt immer: ,, Solange noch Phosphor daraufist, sind die Heringe noch gut." .Sehr ergötzlich zu lesen ist, was Prof. Marshall über seine Bekanntschaft mit den Leucht- bakterien erzählt(SpaziergängeeinesNaturforschersj: „In Leiden, als ich noch .Assistent am Reichs- museum war, habe ich auf dem Gebiete der Phos- phoreszenz persönlich einmal eine in der Tat „glänzende" Erfahrung gemacht. Ich hatte von Fischersleuten einen jener seltsamen großen P'ische, die man Mondfische oder schwimmende Köpfe (Orthagoriscus mola) nennt, erworben, der, als ich ihn erhielt, schon nicht mehr ganz frisch war. tat aber nichts zur Sache. Meinem Eifer, ich damals 22 Jahre alt, erschien der Geruch, das Vieh im Laufe der ziemlich langwierigen Zergliederung entwickelte, eine Kleinigkeit, obwohl er das ganze Parterre des Museums verpestete, bis mein X'orgesetzter, der gute alte Schlegel, der sonst wahrhaftig in solchen Sachen nicht empfind- lich war, endlich ein Einsehen hatte und die faule Bestie kurzerhand entfernen ließ. Es war ein toller Gestank, der sich in meine Kleider, ich glaube selbst in die Gewebe meines Körpers fest- nistete; wenigstens liefen mir die Hunde auf der Straße nach und ich konnte ein paar Monate keinen Fisch essen. Kurz und gut, ich hatte während jener Tage einmal etwas in meiner Stube auf dem Museum, deren Fenster nach meinem Weggang mit Läden geschlossen wurden , vergessen und betrat vielleicht um 8 Uhr, es war im Herbst und schon dunkel, ohne Licht das Lokal. Gott, welche Pracht bot sich meinen erstaunten Blicken! Der Fisch, die Tafel, auf welcher er lag, die Tücher und Instrumente, welche ich benutzt hatte, da und dort auf dem Boden und an den Möbeln Flecken, auf welche vielleicht Stückchen Fleisch gefallen Das war den 68 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 5 waren oder die meine beschmutzte Hand berührt hatte, alles, alles in einem prachtvoll grünlichen lebhaften Lichte und überzogen wie von einem strahlenden Samtl" (Anm. d. Verf: Sicherlich hat der Fisch einen intensiven Seefischgeruch be- sessen und nur an den ersten Tagen geleuchtet.) — Bringt man etwas von dem leuchtenden Schleim eines Seefisches unter das Mikroskop, so kann man bei starker Vergrößerung auch den Erreger des Lichtes wahrnehmen, nämlich kleine runde Körperchen. Diese sind die Leuchtbakterien, und sie gehören wegen ihrer kugeligen Form zu den Mikrokokken. Man kann sie auf Kartoffeln kulti- vieren, die in starkem Salzwasser gekocht sind, oder auch wie alle anderen Bakterien in Nähr- gelatine. Leider verflüssigen sie sehr bald das Nährmaterial und fallen dann dem Verderben anheim. In neuerer Zeit hat sich besonders R. Dubois (Paris) mit dem von ihnen ausgestrahlten Lichte beschäftigt. Seine Resultate hat er niedergelegt in: Über Beleuchtung mit kaltem physiologischem, sog. lebenden Lichte. Der kurze Inhalt ist fol- gender: Physiologisches Licht enthält die größte Menge Strahlen mittlerer Wellenlänge mit einem Minimum von Wärme und chemischer Strahlung. Die Schwierigkeit, es in hinreichender Intensität zu gewinnen, glaubt der Verfasser mit Hilfe der Photobakterien bei Anwendung einer von ihm aus- probierten Nährflüssigkeit überwinden zu können. Er hat auf diese Weise während der Pariser Aus- stellung im Palais de l'Optique ein Zimmer soweit beleuchten können, wie es etwa der Mondschein- helligkeit entspricht. Das Licht wirkt erst in mehreren Stunden auf die photographische Platte ein, geht durch Holz und Karton, aber nicht durch Blattaluminium. Die meisten leuchtenden Organismen beher- bergt das Meer. Zu verwundern ist, daß die Ge- lehrten des klassischen Altertums sich scheinbar nicht um das Meeresleuchten gekümmert haben. Aristoteles erwähnt es nicht, und nur Plinius er- wähnt einen leuchtenden Plsch, den er auch genau beschreibt, den es aber gar nicht gibt. Der erste, der des herrlichen Schauspiels gedenkt, ist Amerigo Vespucci. Erst im i8. Jahrhundert entdeckte man die Träger des Leuchtens. Das Meeresleuchten hat nach dem jeweiligen Stande der Naturwissen- schaft eine verschiedene Deutung erfahren. Als Brand im Jahre 1699 zu Hamburg im Urin nach Gold suchte und statt dessen den Phosphor fand, musste die eigentümliche Lichtentwicklung bei seiner langsamen Verbrennung zur Erklärung des Meeresleuchtens herhalten. Alexander v. Humboldt wiederum will es als eine elektrische Erscheinung aufgefaßt wissen und stellt es mit Elmsfeuern, Blitzen und Nordlichtern zusammen. Ganz klar ist man sich heutzutage aber auch noch nicht darüber. Am Meeresleuchten beteiligen sich verschiedene Infusorien und Algen. Zu den ersteren zählt vor allen Dingen das Kranztierchen Noctiluca miliaris und das quallenähnliclic Infusor Leplodiscns, und zu den Algen zählen die von der Challenger- Expedition als leuchtend erkannten Pyrocystis- Arten. — Noctiluca miliaris kommt in der Nord- see vor. Das Tierchen nimmt dieselbe Fläche ein wie ein Haarquerschnitt und hat die Gestalt einer Pfirsiche, d. h. es ist kugelrund und besitzt eine Furche. Die Stelle des Stieles vertritt ein kurzer sich nur langsam bewegender Geißelfadeii. Das Tierchen ist einzellig und das Licht strahlt von dem protoplasmatischen Inhalte aus. Gerade so winzig sind die scheibenförmigen Leptodiscen des Mittelmeeres. Die zigarrenförmigen Pyrocysten sind etwa i mm lang und im offenen Ozean unter den Tropen zu finden. Die deutsche, von Chun geleitete Tiefseeexpedition fand sie in der grossen Fischbai in Südwest-Afrika. Der Bericht darüber lautet folgendermaßen : „Es machte einen fast märchenhaften Eindruck, als am Abend nach un- serem Eintreffen die Oberfläche des Wassers zu phosphoreszieren begann und sich ein Raketen- feuer von Hunderten glühender Streifen entwickelte, die ebenso rasch wieder verschwanden , als sie auftauchten. Es waren grosse Fische, welche bei dem Durchschneiden des Wassers die massenhaft an der Oberfläche angestauten niedersten Organis- men (Diatomeen und Pyrocystis) zum Leuchten Israeliten." — Die Erscheinung des Meeresleuchtens kann man bis in die Polargegenden beobachten. Am intensivsten leuchten immer die Wellen- kämme, überhaupt die Stellen, wo mechanische Reize auf die Organismen einwirken, ganz gleich, ob sie von Kiel und Schiffsschraube oder von Fischen verursacht werden. Nahe der Meeresoberfläche schwimmen auch größere Tiere, welche Leuchtvermögen besitzen, so die Rippenquallen (Tiara), der bandartige Venus- gürtel (Cestus veneris), ferner die zu den Würmern gehörenden unter dem Namen Pyrosomen (Feuer- leiber) bekannten Tierkolonien , die einem hohlen Tannenzapfen ähnlich sehen. Weiterzählen hierher die von Prof. Dr. Rieh. Greeff-Marburg beschriebenen Würmer der Gattung Tomopteris, die zu den Ringelwürmern (Anneliden) gehören. Sie sind nur 2 cm lang, flach gebaut und tragen an ihren Fußstummeln rosettenförmige Leuchtorgane. Ein festsitzendes leuchtendes Tier, das sich Höhlen in Stein, Sand, Holz u. s. w. bohrt und sich damit selbst ein Gefängnis bereitet, ist die Bohrnuischel (Pholas dactylus). Sie sieht einer gewöhnlichen Flussmuschel ähnlich. Sie besitzt zwei stark leuchtende Flecke und einen ebensolchen Streifen auf dem Mantel (das ist die den Schalen anliegende schleimige Haut) und zwei Leuchtstreifen auf der röhrenförmigen Verlängerung desselben, dem Atem- sipho, den sie aus ihrer Höhle herausstreckt. Der von den genannten Stellen abgesonderte Schleim leuchtet, auch abgestreifte Teile desselben leuchten, sogar an getöteten Tieren leuchtet er noch weiter. Die Zusammensetzung des Stoffes ist meines Wissens noch nicht bekannt. Einen Namen hat er aber schon bekommen, nämlich Luciferin. Bei dieser Bohrmuschel kann man die Frage aufwerfen, wozu N. F. III. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 69 denn das Tier in seiner Höhle, die manchmal so- gar recht tief ist, das Licht braucht. Sicherlich dient es dazu, winzige Organismen herbeizulocken, die der Muschel dann zur Nahrung dienen. Aber nicht nur die bis jetzt angeführten Tiere sind mit Leuchtkraft begabt, sondern fast sämt- liche im Meer vorkommenden Tierklassen weisen leuchtende Vertreter auf. Leuchtorgane sind be- sonders bei Tiefseetieren eine ganz allgemeine Er- scheinung. Wir sind nun schon so weit biologisch geschalt, um ohne weiteres eine Erklärung dafür abgeben zu können. Entweder dienen die Organe bei plötzlichem Aufleuchten als Schreck- und da- mit als Schutzmittel für ihren Träger, andererseits dienen sie der Anlockung von Nahrung. In dem Dunkel der Meerestiefe müssen die mit Leucht- apparaten ausgerüsteten Tiere wie Laternen er- scheinen, nach deren Lichte wieder solche Lebe- wesen hinstreben, die von der Natur nicht in gleicher Weise bedacht worden sind, den Leucht- tieren aber zur Nahrung dienen. Um nun einen Begriff von dem Bau und der Funktionsweise eines Leuchtorgans zu geben, seien zwei Fische einer spezielleren Betrachtung unterzogen mit Beziehung auf die Untersuchungen des Herrn Dr. Brandes- Halle, der mir in der liebenswürdigsten Weise sein gesamtes mikroskopisches Material zur Verfügung stellte. Nebenstehende Abbildung stellt ein im Mitlei- meer pelagisch lebendes Fischchen, Argyropelecus hemigymnus, dar, dessen wissenschaftliche Be- nennung es vollständigf beschreibt. Es ist axt- FiP Argyropelecus hemigymnus. Mittclmccr. Nat. Größe. förmig gestaltet und halb mit fleischfarbener, halb mit silberglänzender Haut bedeckt. Es hält sich für gewöhnlich in einer" Tiefe von 5 — 600 "^ auf, kommt aber nachts gelegentlich an die Ober- fläche. Die abgerundeten länglichen Flecken sind die Leuchtorgane. Da die Organe in der Hauptsache nach aussen von gallertiger Beschaffenheit sind, die Gallertmasse aber nach dem Tode gerinnt, so nehmen dieselben , da sie außerdem noch einen spiegelnden Hintergrund besitzen, Perlmutterglanz an. Diese Flecken waren nun auch schon längst unter dem Namen ,, perlmutterglänzende Flecken" bekannt, ehe durch Beobachtung festgestellt wurde, dass sie Leuchtkraft besitzen. Nebenstehende Zeichnung nach einem Quer- schnitt durch ein Paar .Schwanzorgane will ich in folgendem erläutern. Am besten läßt sich das Leuchtorgan mit einer Düte vergleichen, die unter die schuppenlose Körperwandung gesteckt worden ist und deren große seitliche Öffnung mit der Haut eine Ebene bildet. Die Wandung der Düte (r) besteht aus langen Bindegewebszellen, in welche Guaninkalk eingelagert ist, der ja, wie ich hier neben- bei erwähnen will, den Silberglanz aller Fischhaut und aller Fischschuppen verursacht. Durch die Rundung zur Düte ist ein parabolisch gekrümmter Reflektor zustande gekommen. Die Außenseite / Fig. 3. Leuchtorgane von Argyropelecus hemigymnus. Untere Hälfte des Schwanzes. Querschnitt. 100 mal vergr. des Reflektors ist mit einer dichten Pigmentschicht belegt. Im Zipfel der Düte (die äußerste Spitze muß sich der Leser abgeschnitten denken) liegt ein großer Haufen kugeliger Drüsenzellen (d) und zwischen ihnen in Bindegewebe eingebettet liegen Nerven und Adern. Diese einzelligen Drüsen sondern verhältnismäßig große stark lichtbrechende Körperchen ab, die als Leuchtkörper anzusehen sind. Vor diesem Drüsenhaufen liegt eine Bikonkav- linse (1), die aber bei dem hier abgebildeten Organ noch eine ebene Austrittsfläche hat. Diese letztere liegt der durchsichtigen Körperwandung direkt an, während die untere konkave Seite gegen den Reflektor gerichtet ist. Der noch übrig bleibende Raum ist von Gallertgewebe (g) erfüllt. Wir haben also in diesem Organ eine regelrechte Blendlaterne vor uns, welche alles Licht senkrecht zur Körperwandung nach außen wirft. — Die Drüse des hier abgebildeten Organs speist gleich- 70 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 5 zeitig die Lampen der linl / / / w / •^ / / o / ( » / o o / o o 0 / 0 •/ • •/ ' • 0,015 0,015 1,50 1,55 1,60 1,65 B'ig. 4. Graphische Darstellung der Farbenzerstreuungs- und Brechungsvermögen verschiedener Glassorten. — 100 — 50 o +5° -|-ioo +'5° Figur 5. Die Farbenabweichung verschiedener Fernrohrobjek- tive, graphisch dargestellt. Welche Fülle von Gläsern mit ganz neuen Eigenschaften durch Beimengung gewisser Stoffe, wie Baryt, Borsäure, Phosphaten und Zink, in Jena erschmolzen wurde, läßt die graphische Darstellung Figur 4 erkennen, in welcher die Farbenzerstreuungs- und Brechungsvermögen der älteren Gläser durch schwarze Kreise, die der neuen Abbe-Schott'schen Gläser durch leere Kreise dargestellt sind. Man sieht, wie die älteren Gläser sämtlich nahe der Diagonale des großen Rechtecks liegen, so daß also bei ihnen erhöhter Brechbarkeit stets auch größere Farbenzerstreuung entsprach, während die neuen Gläser zum Teil stark nach der rechten Seite hin von der Diagonale abweichen, was soviel bedeutet, als daß man mit ihrer Hilfe starke Brechung bei relativ geringer Farbenzerstreuung erreichen kann. Es gelang durch diese vergrößerte Auswahl unter den zur Herstellung der Linsen benutzten Mate- rialien, Flintgläser zu erhalten, die ein Spektrum erzeugten, das dem mit Crownglas entworfenen in allen Teilen kongruent war (vgl. den unteren Teil der Mgur l), so daß nunmehr das sekundäre Spek- trum fast völlig beseitigt werden konnte. Fig. 6. Der dadurch ermöglichte Fortschritt kam eben- sowohl den Fernrohren , wie den Mikroskopen zugute. Unsere Figur 5 läßt den Vorzug der mit Benutzung der neuen Glassorten hergestellten Zeiß- schen Objektive gegenüber den älteren Meister- werken eines Fraunhofer, Clark oder Grubb deut- lich erkennen. Die senkrechte Linie 00 würde das ideale Objektiv darstellen, bei welchem die Farbenabweichung für alle Wellenlängen (hier Or- dinaten) gleich Null ist. Man sieht, wie außer- ordentlich nahe das Jenaer Objektiv an dieses Ideal heranreicht und wird es daher gerechtfertigt finden, wenn man dasselbe zum Unterschied von den gewöhnlichen, achromatischen Gläsern einen Apochromaten genannt hat. Ein apochromatisches Mikrosko]3objektiv für homogene Immersion ist nun freilich auch ein auf Grund sorgfältigster theo- retischer Berechnungen entstandenes, mechanisches Kunstwerk, besteht es doch, wie Figur 6 zeigt, aus nicht weniger als 10 einzelnen, zum Teil freien, zum Teil miteinander verkitteten Linsen aus den verschiedensten Glassorten, ja mitunter sogar aus natürlichem Flußspat. Kleinere Mitteilungen. Die nach eniem Urheimat auf der Cassel gehaltenen Vortrag von Dr. Ludwig W i 1 s e r. — Unter den großen Aufgaben der des Menschengeschlechts, Anthropologie, den „Welträtseln", waren besonders Naturforscherversammlung in zwei, deren Lösung mit Anstrengung erstrebt, mit N. F. III. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 75 Spannung erwartet wurde, der Ursjjrung des Mensclien und die arische Frage. Nach den Er- gebnissen der schwedischen Volksuntersuchung darf diese wohl als gelöst gelten, über die erste aber herrschen noch sehr verworrene und wider- sprechende Ansichten. Nur soweit haben sich die Meinungen geklärt, daß, während einerseits der Widerspruch gegen die tierische Abstammung des Menschen verstummt, man andererseits die Groß- affen nicht mehr als unsere unmittelbaren Vor- fahren, sondern als unsere nächstenSeitenverwandten im Tierreich betrachtet. Wie die gemeinsamen Vorfahren beschaffen waren, läfSt sich, da sie fossil nicht gefunden sind, und auch schwerlich zu finden sein werden, nur vermuten, doch müssen wir ihnen notwendigerweise solche Eigenschaften zuschreiben, die sich ebensowohl zu menschlichen wie zu äffischen entwickeln konnten. Mit Hilfe der Ein- bildungskraft läßt sich daher folgendes „Ahnenbild" entwerfen : mittelgroße, dicht behaarte, schwanz- lose Geschöpfe mit entwicklungsfähigem, aber noch kleinem Gehirn, kräftigen Kiefern und Zähnen, ungefähr gleich langen Vorder- und Hinterglied- maßen mit Greifhand und Greiffuß. Was den einen Zweig dieses Stammes, die späteren Groß- affen, veranlaßt hat, sich ausschließlich ans Baum- leben zu gewöhnen, den anderen, die späteren Menschen, dies gänzlich aufzugeben, läßt sich mit Sicherheit nicht mehr entscheiden, nur darin sind die meisten Forscher einig, daß der aufrechte Gang die höhere Entwicklung eingeleitet und ermöglicht hat. Lamarck's geistvolle Schilderung dieses Werdeganges ist durch die überraschende Ent- deckung des Pithecanthropus erectus, eines Vor- menschen mit aufrechtem Gang aber noch un- entwickeltem, fast tierischem Gehirn aufs glän- zendste bestätigt worden. Der menschliche Fuß, dem veränderten Gebrauch in vollendeter Weise angepaßt, ist in seiner Art ein eben solches „Meisterstück der Natur" wie die Hand. Auf welchem Schauplatz aber haben sich diese Um- gestaltungen, Anpassungen und Neuerwerbungen abgespielt? Aus den heutigen Wohngebieten der Großaffen hat man geschlossen, das W'erdeland des Menschen sei zwischen den Wendekreisen, in Afrika oder Ostasien, zu suchen, und der Fund des Pithecanthropus hat dieser Auffassung neue Nahrung gegeben. Trotzdem ist dies ein Trug- schluß. Nicht wo wir eine bestimmte Tierart lebend, sondern wo wir die versteinerten Knochen ihrer Vorfahren antreffen, befinden wir uns in der Nähe ihres Ursprungs. Wie in der Wüste, selbst wenn der Wind alle übrigen .Spuren verweht hat, der Weg einer Karawane an den Gerippen ge- fallener Lasttiere zu erkennen ist, so verraten zer- streute Versteinerungen dem kundigen Forscher die von den einzelnen Tierstämmen bei ihrer Ver- breitung über den Erdball eingeschlagene Richtung. Man kann daher von vornherein sagen, daß, wo fossile Knochen ausgestorbener Großaffen und niederer Menschenrassen zusammen vorkommen, beider Ursprungsland nahe sein muß. Dies trifft aber für keinen anderen Weltteil als für den unsrigen zu. Während im europäischen Boden Schädel- bruchstücke, Knochen und Zähne von mindestens drei verschiedenen Arten menschenähnlicher Affen, Dryopithecus Fontani, Pliopithecus antiquus und Pliohylobates eppelsheimensis, gefunden worden sind, ist nur eine außereuropäische, der Palaeo- pithecus sivalensis, bekannt, deren Fundort, die Siwalik Hills im nordwestlichsten Pendschab, von Europa nicht weiter als von Afrika oder Insel- indien entfernt ist. Bei uns mehren sich die Funde von Knochen tiefstehender Menschenrassen von Jahr zu Jahr; in überseeischen Ländern aber sind solche mit einziger Ausnahme von Amerika, nicht gemacht worden, und der zugleich best- beglaubigte und älteste, von Santos in Brasilien, gibt sich durch seine oberfläche Fundschicht unter einem Muschelhaufen, wie durch die Schädelbildung als jünger zu erkennen. Wie die Strahlen eines Fächers laufen in Europa die Richtungslinien für die Verbreitung der Großaffen und der Menschen zusammen, und der Ort, wo sie sich schneiden, das gemeinsame Verbreitungszentrum, kann daher nur nordwärts, in heute von Meeresfluten oder ewigem Eise bedeckten Gebieten, der sog. „Arkto- gäa", gesucht werden. Auch von keinem anderen der großen Säugerstämme, die sich mit dem Menschen über die Erde verbreitet haben, ist das Ursprungsland bekannt; der Bildungsherd der Säugetiere muß daher in unerforschlichen und un- zugänglichen Teilen des Erdballs liegen. Im Nord- polarmeer — der Südpol fällt auf Land — ist das erste Leben entstanden, an seinen Küsten haben sich die ersten Landbewohner, später Warmblüter und Säugetiere entwickelt, und von hier aus über alles zugängliche Land verbreitet. Die ältesten Wellen bestanden aus Geschöpfen niederster, die letzten aus solchen höchster Entwicklungsstufe. Die fortschreitende Abkühlung der Erde hatte un- geheure Niederschläge aus der früher viel wär- meren und daher wasserhaltigeren Luft zur Folge und ist somit die gemeinsame Ursache für die Eiszeit wie für die Erhöhung des Meeresspiegels. Der erste, der für den „paläarktischen" Ursprung des Menschen eintrat, war Moritz Wagner, doch dürfen seine Ansichten nicht mit den meinigen verwechselt werden ; wenn er behauptet „die Eis- zeit hat den Menschen gemacht", sage ich „sie hat den weißen Mann geschaffen". Der Pithec- anthropus, besser Proanthropus erectus gehört einer vorläufigen Welle an, die mit der sie begleitenden Tierwelt auf Java ausgestorben ist. Seine Fund- schicht ist jünger als die des europäischen Ur- menschen, Homo primigenius; als der Vormensch den Gleicher erreichte, gab es bei uns schon richtige, wenn auch noch tiefstehende Menschen. Da sie mit großen, allgemeingültigen Entwicklungs- gesetzen in unvereinbarem Widerspruch stehen, wäre es verlorene Mühe , die für einen südlichen Ursprung, so neuerdings für Australien, vorge- brachten Scheingründe im einzelnen zu widerlegen. Die Frage nach der Urheimat des Menschen- 76 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 5 geschlechts hat nicht nur theoretische , sondern auch die größte praktische Bedeutung; unter der Herrschaft äherer Anschauungen war es, wie die Erfahrung gelehrt hat, nicht möglich, richtige Vor- stellung-en über Verbreitung, verwandtschaftlichen Zusammenhang und geschichtliche Bedeutung der Menschenrassen zu gewinnen. (x) Inwiefern werden Insekten durch Farbe und Duft der Blumen angezogen? betitelt sich eine Arbeit Eugen Andreae's, die soeben in den Beiheften zum Botan. Zentralblatt erschienen ist. — Der Zweck dieser Arbeit besteht in dem Nachweise, inwiefern Felix Plateau recht hat mit seinen Untersuchungen, daß die Insekten lediglich durch den Duft angezogen werden, sodann in der Antwort auf die Frage, ob die F'arbe in manchen Fällen nicht auch ein maßgebendes Anziehungs- mittel sein könne zur Bestäubung der Blumen- pflanzen. Plateau glaubt auf Grund seiner Experi- mente eine Wirkung der Farben entschieden ver- neinen zu müssen. Christian K. Sprengel schrieb der Farbe und der Gestalt eine Anziehungskraft schon auf Entfernungen zu. Darwin teilt im all- gemeinen die Meinung Sprengel's, ohne eine Spezial- wirkungf der Farbe zu betonen. Mit noch größerer Zurückhaltung für den Effekt der Farbe äußert sich Frederico Delpino, von dem wir auch eine Einteilung der Blumenfarben haben. Das Ver- dienst, an den Insekten zuerst Experimente an- gestellt zu haben, muß Bonnier und Lubbock zu- geschrieben werden. Sie beide gingen aus von der Frage, ob die Farbe überhaupt anzieht. Her- mann Müller stellte Experimente so an : er legte zwischen zwei Glasplatten Blumenblätter verschie- dener Farben, versah jede dieser Platten mit einem Honigtropfen und beobachtete, ob die von ihm bezeichneten Bienen eine Farbenauswahl trafen, und er kam zum Schlüsse, daß eine Farbe vor der anderen bevorzugt wurde. Daß die F'arbe überhaupt anzieht, ist für Müller eine ausgemachte Sache; ihm kam es mehr darauf an, eine Selek- tion zu konstatieren, mit welcher er die vorhan- handenen Farben und P"ormen der Blumen in der Natur erklären wollte. Anton Kerner von Marilaun sagt u. a. : „Man könnte glauben, daß der Duft allein schon zur Anlockung der Insekten genügen würde; es muß aber doch wohl anders sein, denn sonst wäre es nicht begreiflich, warum die ver- schiedenen nach Aas duftenden Aristolochien, Sta- pelieii, Rafflesien und Balanophoreen neben dem Dufte auch noch die Farben des Aases an sich tragen. Wieviel bei dieser Anlockung auf Rech- nung der Farbe, wieviel auf Rechnung des Duftes kommt, ist freilich schwer zu entscheiden, und es wäre verfrüht, schon jetzt hierüber ein end- gültiges Urteil abzugeben." Andreae's — unter Stahl's Leitung in Jena — an- gestellte Experimente ergaben nun das Resultat, daß die Blumenfarben in der Tat in dem Sprengei- schen Sinn aufzufassen sind. Er beobachtete in Jena, am Comersee und in Corsica; niemals hat er ein negatives Resultat erzielt, was nach der Behauptung Plateau's: nur der Duft zieht die In- sekten an, doch wohl hätte sein müssen. Um die Art der angestellten Experimente auf- zuzeigen, sei als Beispiel eines im folgenden be- sprochen. In einem Beete standen ungefähr 30 bis 40 Exemplare von Eranthis hiemalis. Die be- suchenden Insekten waren Apis mellifica und Musca domestica. Zwei Meter von dem Beet wurden gelbe künstliche Blumen aus Stoff und Papier auf- gestellt. Die Honigbienen umschwärmten haupt- sächlich das Eranthis-Beet, nahmen aber auch die künstlichen Blumen wahr, flogen heran und dann wieder weg; manchmal eine herzu, zurück und wieder herzu, gleichsam, um sich zu überzeugen. Innerhalb der Zeit einer Stunde sah A. wenigstens zehn Honigbienen sich auf die künstlichen Blumen niedersetzen; drei hielten sich über eine halbe Minute auf derselben auf, um Putzgeschäfte zu ver- richten. Eine machte den Versuch, in eine Krone einzudringen, flog aber gleich wieder weg. Zu einem Kontrollversuch nahm A. eine Glas- glocke. Sie wurde über eine Eranthis gestülpt. In der ersten Viertelstunde flogen vier Honigbienen an die Glasglocke. Als diese sich jedoch mit Feuchtigkeit beschlagen hatte, wurden die darinnen befindlichen Blumen ignoriert. A. stellte dann wieder gelbe künstliche Stofi'blumen hin, und diese wurden innerhalb einer Stunde achtmal beflogen. Nach der Entfernung der Glasglocke besuchten die Honigbienen die Eranthis wieder. Bei einem 2. Kontrollversuch flogen die Honig- bienen mit dem Winde. A. nahm drei dünn- wandige Bechergläser und stellte sie, den Boden nach unten, am Rande des Beetes auf. Das erste Glas enthielt zehn Eranthis-Blüten, von welchen die Korollen entfernt waren ; das zweite Glas ent- hielt zehn vollständige Eranthis-Blüten. Das dritte Glas war um zwei Schritte von dem anderen ent- fernt und enthielt nur die gelben Blätter der Blütenhülle. In dem ersten und zweiten Glas fanden sich gleich viele Musca domestica vor. In dem dritten Glas waren keine (es enthielt nur die gelben Fetalen). Von den Honigbienen flog eine in das erste Glas, zwei andere flogen nahe heran. In das zweite Glas, wo die vollständigen Blüten waren, flogen vierzehn hinein und zehn darum herum. Um das dritte Glas, wo nur Blumen- blätter waren, flogen vier herum und neun hinein. Aus diesen drei Versuchen ist folgendes mit Sicherheit zu entnehmen: Die Honigbiene geht an die künstliche Blume, und zwar wird diese nicht zufällig wahrgenommen, sondern : sie wird direkt beflogen. Bedford erzählt übrigens, daß eine Dame, deren Hut mit künstlichen Maiglöckchen geschmückt war, einige Zeit lang von einem Pieris brassicae ver- folgt wurde, der von Zeit zu Zeit den Versuch machte, sich auf die Blumen niederzulassen. Eine andere Tatsache wird von Blanchard be- richtet. An den Zimmerwänden eines Hotels, in welchem er sich aufhielt, waren große rote Blumen N. F. III. Nr. 5 Naturwissciiscliaftliche Wochenschrift. n gemalt; diese wurden regelmäßig beflogen von einem Schwärmer, und nie flog derselbe an die Decke, welche mit grünen Ranken und Blättern bemalt war. Schließlich experimentierte auch Reeker in Münster mit künstlichen Kornblumen und mit nach- geahmten Blumen von Ranunculus acer und auch seine Versuche ergaben „ein so übereinstinmiendes positives Resultat", daß er auf weitere verzichten durfte. Es ist offenbar, daß Insekten, welche eine laufende Lebensweise haben, auf den Duft mehr reagieren müssen als auf die Farben, weil der Boden gleichmäßig abgetönt ist und der Duft, welcher infolge der porösen Eigenschaft besser diesem Substrate adhäriert, als der Luft, jenen Insekten als Leitmittel ihrer Triebe dient. So be- obachtete A. auch im Monat Oktober die Coleop- teren in Corsica bei Ajaccio und sah, daß die ver- schiedenen Arten der Scarabaeen und Geotropinen anders zu ihrer Nahrung geführt werden, als dies von H)-menopteren bekannt ist. Es liegt daher der Schluß nicht fern, daß mit der laufenden Lebensweise korrelativ der Geruchs- sinn eine höhere Ausbildung erfährt, während bei der fliegenden Lebensweise und bei großer Lebens- dauer der Gesichtssinn in dem Maße sich ver- schärft, als der Flug an Geschwindigkeit zunimmt. Es ist dies eine Konvergenzerscheinung, wie die- selbe auch dem Stamme der Vertebraten und bei einigen Säugern und Vögeln wiederkehrt und die bei der verschiedenen Lebensweise der Tiere sich verschieden äußert. Diese Erörterung aber führt uns zu der wichtigen Unterscheidung zwischen biologisch niederen und höheren Insekten, Iimer- halb der Ordnung ist jeweilen hoch und nieder zu unterscheiden. Jene zeichnen sich aus durch kurzen Flug; kurze Lebensdauer im Endstadium, hohes Geruch- vermögen und geringes Sehvermögen. — Diese hingegen sind gekennzeichnet durch einen langen direkten Flug, eine relativ lange Lebensdauer und durch einen scharfen Gesichtssinn. Diese Llnter- scheidung kann aber keine absolute sein. Die mannigfachen Infloreszenzen und die Ko- rollen mit Kontrastfarben sind denn hauptsächlich diesen biologisch hoch differenzierten Insekten an- gepaßt, während die anderen stark duftenden Blumen ohne Kontrastfarben vorwiegend die Auf- gabe haben, die biologisch niederen Insekten herbei- zulocken. Die Prosopis und Anthrena reagieren ganz anders auf Düfte als die höheren .Apiden. Denn während bei Apis, Osmia, Anthophora, An- thidium die F'arben aus großen Entfernungen diese Tiere herbeiziehen, was man entnehmen kann aus dem direkten und schnellen Flug nach einem fixen farbenprächtigen Gegenstand, so ist dieser Flug bei niederen Bienen ein ganz anderer. Er ändert seine Richtung, und zwar jedesmal nach derjenigen Seite, von welcher der diffuse Duftstoff entströmt. Aber auch diese Tiere nehmen die I-'arben wahr, doch nur in der nächsten Nähe, wie man aus Ex- perimenten ersehen kann. Ebenso die Dipteren. Ein Eristalis verhält sich anders gegenüber den Farben als eine Mücke. Und Bombilius Volucella, zwei hochentwickelte Fliegen, reagieren sehr wenig auf Düfte. Schon August Forel sagt: Ihren Weg in der Luft finden jedoch die F'liegen keineswegs mit dem Geruch, sondern mit dem Auge. Das hat jedenfalls seine Richtigkeit für die hoch- entwickelten Dipteren. Beobachtungen an Nachtinsekten ergeben, daß Dämmerungsinsekten (wie Museiden) mit ihrer höchst kurzen Lebensdauer zu den biologisch niederen Insekten zu zählen sind, denn für die höheren Tagesinsekten sind die F'arben mit dem Substrate, an welches sie gebunden sind, schon wirksam aus Entfernungen , nicht aber für die niederen Insekten. Dabei ist vor allem zu bemerken, daß eine in der heutigen Systematik, welche auf die Mor- phologie hauptsächlich Bezug nimmt, tiefstehende Art nicht durchaus zu den biologisch niederen Insekten zu zählen ist. Es ist leicht einzusehen, wozu die Tagesblumen vorwiegend Kontrastfarben und lebhaft gefärbte Blumen aufweisen, und die Nachtblumen im all- gemeinen starken Duft und Blumen mit matten F'arben haben, und umgekehrt Xi&X. sich auch schließen, daß der penetrante Duft bei den Tages- blumen höchstwahrscheinlich zur Anlockung der niederen Insekten dient. Eine Mittelstufe zwischen Tages- und Nachtblumen würden wir in den Wald- blumen finden, die bei starker Färbung auch stark- duften, um in ihrer verdeckten Stellung leichter wahrgenommen zu werden. Wenn eine Anziehungskraft der Farbe für In- sekten auf Entfernungen hin erwiesen ist, so können wir solche interessante Beziehungen erklären, wie sie zwischen Blumen und Insekten auf den Ker- guelen vorkommen. Infolge der zahlreichen Stürme, welche dort herrschen, haben sich nur diejenigen Insekten erhalten können, welche eine laufende r.ebensweise angenommen haben. Durch Nicht- gebrauch verkümmerten die Flügel und gleich- zeitig werden wir gewahr, daß die Größe der bunten Korolle der Phanerogamen abgenommen hat. Diese ist eine „Flagge", durch welche die höheren Insekten von weitem herbeigelockt werden. Die Flügel, d. h. die Organe, welche das Tier an entlegene Orte trägt, werden rudimentär, und in gleicher Weise reduziert sich das anlockende Ob- jekt — die Korolle. Ein mutmaßlich neuer Stern ii. Größe ist am 21. September von Prof. M. Wolf in Heidel- berg entdeckt worden. Die Position des ein Nebel- spektrum zeigenden Gestirns ist für 1903,0: a= 303 "44' 55", (?=52"50' II". Ob es sich wirklich um eine Nova, oder nur um einen veränderlichen oder auch bisher einfach übersehenen Stern handelt, können erst weitere Ermittelungen ergeben. 78 Naturwissensrhaftlichc Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 5 Der Gegenschein ist nach einer vom 24. Sept. datierten Mitteilung Prof. M. Wolfs zurzeit be- sonders auffällig. Der mit dem Zodiakalliclit durch ein schmales Band in Verbindung stehende Licht- fleck, der mit diesem Namen bezeichnet wird, be- findet sich stets in der Nähe desjenigen Punktes am Himmel, der der Sonne gerade gegenüberliegt, also um Mitternacht kulminiert. Nach Wolf er- scheint der Fleck gegenwärtig als ein rauchartiger Schleier von unregelmäl-^iger Form und mehr als 20 Grad Durchmesser. Natürlich ist die Sichtbar- keit eines so zarten Objekts nur aiif^erhalb der grof^en Städte unter günstigsten Witterungsver- hältnissen bei Abwesenheit des Mondscheins zu erhoffen. Eine Sternbedeckung durch Jupiter konnte am 19. September auf mehreren Sternwarten be- obachtet werden , nachdem B a n a c h i e w i c z in Moskau am Morgen desselben Tages telegraphisch auf dieses von den astronomischen Ephemeriden nicht angekündigte Ereignis aufmerksam gemacht hatte. Der bedeckte Stern war 6,5. Gröiäe. Be- deckungen von Fixsternen durch Planeten gehören zu den recht seltenen und von verschiedenen Ge- sichtspunkten aus interessanten Ereignissen am Himmelszelt. Im vorliegenden I-'alle wurde die Beobachtung durch starkes Walles des noch ziem- lich tief stehenden Planeten vielfach beeinträchtigt. Himmelserscheinungen im November 1903. Stellung der Planeten: Me rkur ist unsichtbar, Venus glänzt als Morgenstern s'/j — 4 Stunden lang. Mars kann abends noch etwa I ' ., Stunde lang im SW. gesehen werden, Jupiter ebenso ca. 7 Stunden und Saturn 3 Stunden lang. Sternbedeckung: Am 9. Nov. wird X Germinorum um 9 Uhr 39,7 .Min. abends M.E.Z. für Berlin durch den Mond bedeckt. Uer .\ustritt erfolgt um 10 Uhr 30,3 Min. Verfinsterungen der Jupitertrabanten: 3. Nov. 7 Uhr 20 Min. 14 Sek. ab. M.E.Z. I. Austritt 6. „ 7 „ 56 „ i-~, „ „ „ II. 8. „ 8 „ 57 „ 27 „ „ „ IV. EintriU 8. „ II ,, 45 ,, 29 ,, ,, ,, IV. Austritt 10- n 9 „ 15 .. 49 n „ „ I- M '3- M 10 „ 33 „ 19 „ „ „ II. „ 14- „ 6 „ 31 „ 24 „ „ „ 111. „ "7- .1 II >, II „ 26 ,, ,, ,, I. ,, 19- „ 5 .. 40 n 24 „ „ „ I. „ 21. ,, 7 ,, 38 ,, o „ „ ,, III. Eintritt 21. ,, 10 „ 33 ,, 23 ,, ,, „ III. Austritt 25- M 5 .. 54 ., 40 „ „ „ IV. „ 26. „ 7 ., 36 „ I „ „ „ I. „ Algol-Minima: .Am 10. um 9 Uhr 12 Min. abends, am 13. um 6 L hr 1 Min. abends und am 30. um lo Uhr 55 Min. abends. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Die Kgl. Geologische Landcsanstalt und Bergakademie sammelt seit Jahren systematisch alle erreichbaren Ergebnisse von Tief- und Flachbohrungen, — sowohl die Proben wie Bohrregister, Schichtverzeichnisse etc., — und hat sich zur Erlangung möglichst sämtlichen diesbezüglichen Materiales so- wohl mit den zuständigen Staatsbehörden wie mit den größeren Bohrunternehmern, deren Adressen ihr zugänglich waren, in Verbindung gesetzt. Wenn nun auch jetzt jährlieh ein sehr groUes Material an Bohrproben und Bohrregistern bei der Anstalt einläuft und dort bearbeitet, systematisch geordnet und für die Verwendung zur Lösung wissenschaftlicher und praktischer Fragen aufbe- wahrt wird , so ist es doch olTcnbar, daß lange nicht alle Bohrunternelmier, besonders nicht die kleinen Brunnenmacher in abgelegenen Ortschaften, sich der kleinen Mühe unterziehen, die Proben und Bohrregister von Brunnenbohrungen einzu- senden. (Für die Unkosten von Transport und Verpackung kommt in jedem Falle die .\nstalt auf.) Auf diese Weise geht viel für die Wissenschaft und für die geologische Spezial- kartierung wichtiges Material jährlich verloren. Es wäre daher ein von der Geol. Landesanstalt mit Dank begrüßter Fortschritt, wenn sich Lehrer, Pastoren und sonstige Persönlichkeiten, die für die Wichtigkeit der Feststellung und .\ufsammlung der Ergebnisse derartiger vorübergehender .■Auf- schlüsse Verständnis haben, angelegen sein ließen, Bohrunter- nehmer und Krunnenmacher auf diese Bestrebungen der Kgl. Geol. Landesanstalt hinzuweisen und zur Einsendung von Bohrproben und Schichtverzeichnissen zu veranlassen. Eine .Anweisung zum sachgemäßen Sammeln und Aufbe- wahren von Bohrproben, sowie Kästchen zur Verpackung der- selben werden jederzeit unentgeltlich von der Kgl. Geol. Landcs- anstalt und Bergakademie (Berlin N. 4, Invalidenstraße 44) geliefert. Dr C. Gagel, Kgl. Landesgeologe. Bücherbesprechungen. Dr. med. Leo, N. Hat das iMe n seh enlebcn einen Zweck? Naturwissenschaftliche Betrachtung. Verlag von W. u. S. Loewenthal. Berlin (ohne Jahreszahl, erschienen 1903). — Preis 1.50 Mk. i '. Verf. versteht unter der im Titel angegebenen Frage die Untersuchung des Problems ,, welches natur- gesetzliche Resultat kann oder muß als notwendige Folge derjenigen Erscheinung erschlossen werden, deren Summe wir das geistige Leben eines Menschen nennen ?" Es soll also untersucht werden, inwieweit die mecha- nistische (monistische) Naturauffassung hinreicht, die Sittlichkeit zu begründen. Um das dtirchzuführen, bespricht Verf. zunächst die Grundlagen z.ir Erklärung der Naturerscheinungen, und damit der geistigen Tätigkeit. Er tut dies in einer den Unterzeichneten in- sofern nicht zusagendem Weise, als er dogmatisch eine scharfe Grenze zwischen Tieren und Anorganischem festsetzt, ohne das irgendwie ausreichend zu begründen. „Ohne die Existenz — sagt der Verf. — eines dem Stoffwechsel nicht unterliegenden intelligenten Prinzips wäre selbstbewußtes objektives Denken, wäre die Selb- ständigkeit unseres Denkens gegenüber unseren Em- pfindungen und Vorstellungen , wäre die dauernde Identität unserer Individualität nicht nur unerkläibar sondern geradezu unmöglich." Mit diesem Eintreten für die „Seelen sub s tan z" entfernt sich Verf. von denjenigen Anschauungen , die auf der Basis der heutigen naturwissenschaftlichen Errungenschaften un- annehmbar sind. Kl. u. P. Prof. Dr. Eugen Dreher, Philosophische Ab- handlungen. Berlin (R. v. Decker's Verlag) 1903. Preis 3 Mk. Die vorliegenden Abhandlungen des verstorbenen Verfassers wurden von seiner Gattin gesammelt und noch einmal zusammenhängend herausgegeben ; ein- geleitet wird das Buch durch eine Biographie, ge- schlossen durch ein Verzeichnis sämtlicher Schriften des Verfassers. Dreher vertrat einen dualistischen Standpunkt: Geist und Stoff waren für ihn unverein- bare Gegensätze. Die Abhandlungen behandeln die verschiedensten Stoffe: Die geistigen Strömungen N. F. III. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 79 während des Mittelalters und der Neuzeit, Friedrich den Großen, Goethe, Darwin usw. Die Abhandlungen sind flott und geistvoll geschrieben. P. David Friedrich Straufs, Der alte und der neue Glaube. Hin liekenntnis. Volks-.-\usgabe in unverkürzter Form. i6. Aufl. Bonn (Emil Sirauß) „1904". — l'reis 1 Mk. — — , Das Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet. Volks - Ausgabe in unverkürzter Form. 2 Teile. 13. Auflage. Bonn (Emil Strauß) „1904". — Preis 2 Mark. I ) Das berühmte, unter i genannte Werk erscheint hiermit in einer wirklich billigen und recht gut ge- druckten Volksausgabe; viel über dasselbe in einer Anzeige jetzt noch zu sagen, hieße Eulen nach Athen tragen. Wir beschränken uns daher daran zu erinnern, daß in dem i. Abschnitt das Christentum kritisch er- örtert wird, im 2. die Frage behandelt wird, „ob wir noch Religion haben", eine Frage, die eine bedingte Bejahung findet, der 3. .Abschnitt ist eine ungemein klare und fes- selnde Darstellung der modernen Naturauffassung, bei der wir nur die Zugeständnisse an den Materialismus etwas bedenklich finden würden , da Strauß diesbe- züglich noch auf dem Standpunkt Carl Vogt's steht, indem er das Gehirn nicht, wie man das heute muß, als eine Voraussetzung oder Bedingung des Seelenlebens auffaßt, sondern als den .Apparat der Seele bezeichnet. Im 4. ijetzten) Abschnitt gibt Strauß dann eine kurze Sittenlehre, die — da die Idee der (lattung als lebender Begriff an die Spitze gestellt wird — nicht als materialistisch, sondern als idealistisch bezeichnet werden muß. In den Zugaben bietet er prächtige, feinfühlige Erörterungen über unsere großen Dichter und Klassiker. Wir hoffen sehr, daß durch die verdienstliche , billige Volksausgabe das Buch wieder viele Leser erhält. Geschrieben ist es ja so einfach und durchsichtig, daß es — wie einmal ein Kritiker sagte — nachmittags zum Kaffee gelesen werden kann ; Strauß erwidert freilich darauf, daß es aber nicht beim Kaft'ee geschrieben worden sei, was ihm wohl zu glauben ist. 2 1 Das Leben Jesu ist eine mehr volkstümliche Bearbeitung des berühmten größeren 1835 erschienenen Werkes gleichen Titels, die mitveranlaßt wurde durch das Erscheinen von Renan's „La vie de Jesu". Kl. u. P. Fisher et Darby, Manuel elementaire pra- tique de Mesures electriques sur les c a b 1 e s s o u s - m a r i n s. Traduit de 1' Anglais par Ldon Husson. Paris, Gauthier-Villars. 1903. 174 pages. — Prix 5 frcs. Das für den Praktiker gewiß recht brauchbare Handbuch zerfällt in zwei Teile. Im ersten wird die Theorie und Praxis der in Betracht konnnenden elek- trischen Meßmethoden im allgemeinen entwickelt, während im zweiten Teile die speziell zum Zweck der Lokalisation von Kabelbrüchen ersonnenen, geistvollen Verfahren eingehend geschildert werden. Jede in dem Buche beschriebene Methode wird durch ein Zahlenbeispiel erläutert, aucli unterstützen zahlreiche Schaltungsskizzen , die stellenweise allerdings etwas deutlicher sein könnten, das Verständnis des Textes. F. Kbr. J. Boussinesq, membre de l'institut, professeur ä la faculte des sciences de luni versite de Paris. T h e o r i e a n a 1 }■ t i ij u e de 1 a c h a 1 e u r m i s e an h a r - monie avec lathermodynamiqueetavec 1 a t h e o r i e m e c a n i q u e de 1 a I u m i e r e. Tome II. Refroi dissemen t et echauffe- ni e n t par r a y o n n e m e n t , c o n d u c t i b i 1 i t e des tiges, lames et masses cristaUines, courants de convection, theorie meca- nique de la lumiere. XXXII. 625 S. gr. 8". Paris, Gauthier-Villars, 1903. Dem ersten vor 2 Jahren erschienenen Bande der 'Pheorie de la chaleur hat der Verfasser jetzt den zweiten , bedeutend umfangreicheren , folgen lassen. Zunächst behandelt er die Zurückführung von Fa- wärmung und Abkühlung durch Strahlung auf die durch Berührung, und die Anwendung auf die Ab- kühlung der Erdrinde u. a., dann die .Ausbreitung der Wärme in einem homogenen Körper, die Leitungs- fähigkeit, die Verteilung der Temperatur um eine Wärmequelle herum ; ferner die Wärmebewegung in Körpern mit sichtbaren Bewegungen ( Deformation oder Vibration). Beigefügt sind 2 größere Noten über den Widerstand, den ein in eine Flüssigkeit getauchter fester Körper ihren Schwingungen entgegensetzt, als Typus der Wirkungen der Körpermoleküle auf den .Äther, und eine Lichttheorie als Ausführung des Inhalts des 3. und 4. Kapitels des i. Bandes. .A. S. Dr. Arnold Berliner, Lehrbuch der Experi- mentalphysik in elementarer Darstel- lung. Mit 3 lithographischen Tafeln und 695 zum Teil farbigen Abbildungen im Text. XVI u. 857 S. gr. 8". — Preis brosch. 14 Mk., geb. r6.5o Mk. Jena, G. Fischer. 1903. Das Buch wendet sich neben den angehenden Ptiysikern besonders an Mediziner, Chemiker und andere, die die Physik als Hilfswissenschaft brauchen. Ihre Kenntnisse und Bedürfnisse bestimmen den dar- gestellten Stoff' und die vorausgesetzten mathematischen Kenntnisse. Die Darstellung ist, dem Leserkreis an- gepaßt, breiter, als man sie sonst in Physikbüchern findet. Aber auch der Stoft' ist nicht in allen Stücken derselbe, wie in den meisten Physikbüchern sonst. Besonders in der Optik, wo auf die Abbesche Theorie der Instrumente eingegangen wird, weicht die Dar- stellung teilweise erheblich von der sonst üblichen ab. Von dem Herkoinmen weichen auch Figuren ab, die auf 3 Tafeln beigegeben sind. Sie sind so einge- richttt, daß man Teile der Figur aufklappen kann, so daß z. B. bei der Polarisation die Ebenen, in denen die Lichtschwingungen verlaufen, wirklich im Raum vor dem Leser liegen, und nicht nur eine schwer verständliche Projektionsfigur sie erläutert. In der Elektrizität sind den Bedürfnissen des Chemikers entsprechend die Anschauungen der Elektro- chemie breit dargestellt ; die Lehre von den Ionen, die Nernstsche Theorie der galvanischen Elemente, 8o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. S die Elektrolyse sind in der Art und Ausführlichkeit behandelt, wie es ihrer Wichtigkeit entspricht. Wenn man beim Lesen des Buches durchaus dem lobenden Urteil zustimmen wird, das Prof. L. Her- mann-Königsberg in einem beigegebenen Begleitwort aussjjricht , so sei doch der Wunsch geäußert, daß in der nächsten Auflage die Figuren durchgehend von geübten Zeichnern hergestellt werden möchten ; Abbildungen wie Figg. 384, 375, 288, 276, 207, 163, 164, 153 und viele andere können doch schöner und deutlicher sein. Auch Satzfehler, wie zuverl- ässigsten (S. 794), Zin's (Fig. 201), Rob. Jul. Meyer (S. 67), hätten wohl vermieden werden können. A. S. Prof. Dr. Karl Hofmann, Die radioaktiven Stoffe nach dem gegenwärtigen Stande der wissen- schaftlichen Erkenntnis. Leipzig, J. A. Barth. 1903. 54 Seiten. — Preis 1,60 Mk. Die Schrift stellt in recht übersichtlicher Weise unsere bis zum September 1902 gewonnenen Kennt- nisse über die radioaktiven Stoffe zusammen und bietet zugleich eine genaue Geschichte der Entstehung dieser Kenntnisse nebst vollständigem Literaturnach- weise. F. Kbr. Briefkasten. Herrn Landmesser F. in 1*. — Ihr eingesandter -Aufsatz ,,Der Verkehr mit den Marsbewohnern" ist für unsere Zeit- schrift ungeeignet, da die Idee nicht neu, aber praktisch kaum durchführbar ist. Wir sind auch nicht in der Lage, Ihnen jemand zu nennen, der der Sache vermutlich näher treten würde. — Im übrigen bemerken wir bei dieser Gelegenheit, daß bei unerbeten eingehenden Manuskripten eine frankierte Rücksendung nur dann erfolgen kann, wenn das Rückporto beigefügt ist. Herrn P. Fl. in Leipzig. — Herr Prof. Hennings em- pfiehlt Ihnen zur flrientierung über die Präparations-Methoden von Pilzen für Sammlungen: Herpel (in St. Goar), Das Prä- parieren fleischiger Hutpilze. — Damm er, M. , Handbuch für Pflanzensammler. (Mit 59 Te.\tfig., 13 Tafeln). Stuttgart (F. Enke) 1891. — .X b ha nd lung en d. botan. Vereins der Provinz Brandenburg. Bd. XXXI. (Gebr. Borntraeger-Berlin.) Herrn Dr. E. F. in Luxemburg. — Die aus ,, Daily Chronicle'' in verschiedene deutsche Zeitungen übergegangene Nachricht von einem die Sumpfgegenden von Britisch-Neu- guinea bewohnenden wilden Menschenstamm, der infolge aus- schlieülichen Baumlebens das Gehen verlernt und eine im Ver- hältnis zum Rumpf sehr starke Rückbildung der unteren Glied- mal^en erfahren hat, ist allerdings geeignet, Aufsehen zu machen. Sie würde, wenn sie sich bewahrheitet, den Anhängern Lamarck'scher Anschauungen Recht geben. (obgleich vor einiger Zeit eine ähnliche Kunde durch die Blätter ging, bleibt indessen Bestätigung abzuwarten. L. Wilser. Neue botanische Werke aus dem Verlage von Gustav Fischer in Jena. Das kleine pflanzenphysiologische Praktikum. Anleitung zu ptlanzenphysiologischen Ex- perimenten. Für Studierende und Lehrer der Naturwissenfcbafteii. Von Dr. W. Detmer, Prof. an der Universität in Jena. Mit 163 Abbildungen. 1903. Preis: brosch. 5 Mark liO Pf., geb. 6 ilaik 50 Pf. lieber Erblichkeit in Populationen und in reinen Linien ^'" t^eitrag zur tSeleui^htuui; schwebende]' Selektionsfragen. Von W. Jotaannsen, Prof. der Pflanzenphysiologie an der königl. dänischen land- wirtschaftlichen Hochschule in Kopenhagen. Preis: 1 Mark 50 Pf. Lehrbuch der Pharmakognosie des Pflanzen- reiCheS. ^'^^ Hochschulen und zum Selbstunterricht. Mit Rücksicht auf das neue Deutsche Arznei- buch. Von Dr. George Karsten, a. o. Prof. der Botanik an der Universität Bonn. Mit 5^8 Abbildungen im Text. 1903, Preis: 6 Mark, geb. 7 Mark. Bisher erschien Heft 1 — 5 der: Vegetationsbilder. y°"TP'- <*•. .Karsteo, Prof, an der Universität Bonn, und Dr. H. Seheuk, Prof. an der Technischen Hochschule Darmstadt. Der Preis für das Heft von 6 Tafelu ist auf 3,50 Mark festgesetzt worden unter der Voraus- setzung, dass alle Lieferungen bezogen werden. Einzelne Hefte werden mit 4 Mark berechnet. Willkürliche Entwickelungsänderungen bei Pflanzen. -''-''" Beitj^ag zur Physiologie der Ent- 1 Wickelung. Von Dr. Georg Klebs in Halle a. S. Mit 28 Textabbildungen. Preis: 4 Mark. Ueber die Organisation und Physiologie der Cyanophyceenzelle und die mitotische Teilung ihres Kernes v^"] ^^- f. (j- Kohi, a. o. Prot, der üotanik an der Universität Marburg. Mit 10 lithooraphischen Tafeln. Preis: 20 Mark. Botanische Practica, i^- .T"'* '• Practieum der bo- tanischen Bakterleukunde. Einführung in die Methoden der botanischen Unter- suchung und Bestimmung der Bakterienspezies. Von Dr. Arthur Meyer, 0. Prof. der Botanik an der Univers. Marburg. Mit einer farbigen Tafel und 31 Textab- bildungen. 1903. Preis : 4 Mark .50 Pf , geb. 5 Mark 20 Pf. Der rote Brenner des Weinstockes. ^"^ «^^ ■ ■ Schweize- rischen Versuchsanstalt für übst-, Wein- und Garten- bau in Wädensweil. Von Hermann MUHer-Thurgan. Abdruck aus dem Zentralblatt für Bakteriologie, Para- sitenkunde und Infektionskrankheiten, II. Abteilung- Bd. X. Preis: 3 Mark 60 Pf. Dendrologische"' Winterstudien. Grundlegende vor- — — • arbeiten lür eine eingehende Beschreibung der Unterscheidungsmerkmale der in Mitteleuropa heimisch, und angepflanzt, soramer- grünen Gehölze im blattlosen Zustand. Von CarailloKarl Schneider. Mit 224 Textabb. Preis: 7 Mark 50 Pf. Inhalt: 11. Haupt: Leuchtende Organismen. — Dr. F. Koerber: Die Entwicklung der achromatischen, optischen Systeme. — Kleinere Mitteilungen: Dr. Ludwig Wilser: Die Urheimat des Menschengeschlechts. — Eugen Andreae: Inwiefern werden Insekten durch Farbe und Duft der Blumen angezogen? — Prof. M. Wolf: Ein neuer Stern. — Prof. M. Wolf: Der Gegenschein. — Bana c h i c wi cz: Eine Sternbedeckung durch Jupiter. — Himmels- erscheinungen im November 1903. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Bücherbesprechungen: Dr. med. Leo N. : Hat das Menschenleben einen Zweck? — Prof. Dr. Eugen Dreher: Philosophische Abhandlungen. David Friedrich Strauß: Der alte und der neue Glaube. — Das Leben Jesu. — Fish er et D a rby :''Manuel elementaire pratique de Mesures electriques sur les cables sous-marins. — J. Boussinesq: Theorie analytique de la chaleur. — Dr. Arnold Berliner: Lehrbuch der Experimentalphysik in elementarer Darstellung. — Prof. Dr. Jvarl Hof mann: Die radioaktiven Stoffe. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. nnicU von Lippert Ä Co. (G. Pätz'sche Bnchdr.), Nanmhurjj a. S. <^w? Einschliefslich der Zeitschrift ,,L)l6 JNätUr (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 8. November 1903. Nr. 6. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate : Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nacli Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Der 14. deutsche Geographentag. [Nachdruck verboten.] Seit dem Jahre 1881 tritt, meist in Abständen von 2 Jaiiren , der deutsche Geographentag zu- sammen. Die Vorträge und Erörterungen, zu denen es bei diesen bisher stets anregend und liarmonisch verlaufenen Versammlungen kommt, bieten ein so gutes Bild von den augenblicklich im Vordergründe stehenden Aufgaben und Zielen erdkundlicher Forschung, daß ein Bericht über den Geographentag ein wesentliches Stück der Schilderung von dem gegenwärtigen Stande der geographischen Wissenschaft in sich schließt. — Die Pfingsttagung, welche die deutschen Geo- graphen in diesem Jahre in Köln abhielten, stand unter dem starken und freudigen Eindruck, den die gerade eintreffenden Nachrichten von der Rück- kehr der deutschen Südpolarexpedition auf der GauiB hervorriefen. Seit langem ist der deutsche Geographentag für die Erforschung der Südpolar- gebiete eingetreten. Er hatte bei der 11. Tagung zu Bremen im Jahre 1895 eine eigene Kommission für antarktische Unternehmungen aus seinem Schöße heraus gebildet, und es war eine hohe Genug- tuung, als auf der 13. Tagung in Breslau zu Pfingsten 1901 diese Kommisson aufgelöst werden konnte. Von Dr. Felix Lampe. weil die Expedition gebildet war und vor ihrer Abreise stand. Wie damals in der ersten Sitzung des Geographentages ein Teilnehmer der ins Süd- ]joIargebiet ausziehenden Expedition über zu lösende .Aufgaben der antarktischen Forschung sprach, war in diesem Jahre auf der 14. Tagung der erste Vortrag ein Bericht von einem Mitgliede der Kerguelenstation, die zur deutschen Südpolar- expedition gehörte. Was an Wehmut durch die Mitteilungen von den Leiden erzeugt wurde, welche die auf den einsamen, unwirtlichen Inseln im süd- indischen Meere abgeschnittenen deutschen Forscher während eines Jahres zu erdulden hatten, wurde aufgewogen durch die aus Durban eintreffende Kunde von der guten Gesundheit an Bord des Expeditionsschiffes, das im April die Antarktis verlassen hatte. Die wissenschaftliche Arbeit des 14. Geographen- tages, gestützt durch die freudige Stimmimg über die Erfolge der deutschen Südpolarforschuiig und angenehm unterbrochen durch, eine Reihe ge- selliger Feste, ist nicht gering gewesen, wenn- gleich es an besonders hervorragenden Einzelheiten sebrach. Die erste Sitzung war den Berichten zu- 82 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 6 rückgekehrter Reisender gewidmet, die zweite und dritte den Beratungen über zwei junge, aufblühende Seitenzweige der Geographie, die Meereskunde und die Wirtschaftsgeographie. Die vierte Sitzung war der Schulgeographie eingeräumt, für deren Förderung im Interesse der Popularisierung der geographischen Forschungen der deutsche Geo- graphentag stets warm eingetreten ist. In der fünften Sitzung war die Landeskunde des Gebietes, in dem die Tagung stattfand, der Gegenstand der Vorträge. Die letzte Sitzung brachte dann die Nachlese und die geschäftlichen Beratungen. Unter diesen ist erwähnenswert die Erhöhung des Mit- gliedbeitrages von 6 auf lo Mark und des Teil- nehmerbeitrages von 4 auf 6 Mark. Ferner wurde die in Breslau gewählte Kommisson für erdkund- lichen Unterricht an höheren Schulen neu gebildet und, um ihr mehr Beweglichkeit zu schaffen, in der Mitgliederzahl beschränkt. An den folgenden drei Tagen fanden Ausflüge statt, die sich an die Ver- handlungen über Wirtschaftsgeographie und über die Landeskunde der Rheingebiete anschlössen. Es wurden das Siebengebirge, die Basaltbrüche auf dem Westerwald bei Linz und die vulkanische Eifel besucht, andererseits die Hochöfen des Eschweiler Bergwerkvereins, die Eisen- und Walzwerke der Roten Erde bei Aachen und die Talsperre im Urfttale unterhalb Gemünd besichtigt. Es würde zu weit führen, im einzelnen hier die teils geo- logischen, teils wirtschaftsgeographischen Beob- achtungen zu verfolgen, zu denen die in ihrer Anlage äußerst zweckmäßig vorbereiteten und bei der Durchführung wegen der geschickten Leitung höchst lehrreichen Ausflüge Anlaß gaben. Doch muß betont werden, daß selbst in äußerlich so trefflich bekannten Gebieten, wie das alte Kultur- land des Rheins eins ist, gerade infolge sich ständig vertiefender Forschungen eine immer sich er- neuernde Zahl von Forschungsaufgaben auf- taucht, deren Lösung noch im weiten Felde steht. Es sei aus dem Bereich der geologischen Ausflüge nur die Frage nach der Entstehung des Traß er- wähnt. Auch darf nicht vergessen werden, daß in Köln eine trefi"lich beschickte Ausstellung von höchst interessanten geographischen Gegenständen für die Tagung zusammengebracht war. Die Ent- wicklung der kartographischen Darstellung der Rheinlande war von einer alten Stadtansicht aus dem Jahre 1531 über die Werke des Rheinländers Mercator und des Kölner Geographen Vopell fort bis in die Gegenwart zu verfolgen, und ebenso reiche Anregungen boten die Abteilungen der Ausstellung, welche seitens der geologischen Landes- anstalt, des Bonner Oberbergamts und einer Reihe von Privatindustriellen zur Veranschaulichung der Bodenverhältnisse und Bodenschätze der Rhein- provinz zusammengestellt waren, und die anderen, welche die Arbeiten der Stromregulierungen, den Handelsverkehr, die Niederschlagsverhältnisse ver- anschaulichten. An erster Stelle unter den 24 Vorträgen, welche auf dem Kölner Geographentag gehalten wurden, stand der Bericht des Dr. Luyken über die d e u t seh e Kerguelenstation. Sie war eingerichtet, um für den international vereinbarten Zeitabschnitt vom I. Februar 1902 bis zum i. Februar 1903 erd- magnetische und meteorologische Beobachtungen auszuführen, die zunächst mit denen korrespon- dieren sollten, welche die im Süden der Kerguelen tätige Gaußexpedition anzustellen hatte, weiterhin aber mit den Beobachtungen der englischen Dis- covery-Expedition im Süden von Australien und in Lyttelton auf Neuseeland, schließlich mit denen der schwedischen Expedition auf der Antarctic im Süden von Amerika und der argentinischen Station auf der Staateninsel, damit ein Bild von den Zuständen des Erdmagnetismus und der Witte- rung im ganzen Südpolargebiet entsteht. Das Zahlenmaterial der Kerguelenbeobachtungen konnte natürlich in Köln noch nicht vorge- bracht werden , besitzt seinen Wert auch erst in Verbindung mit dem der übrigen 5 Stationen, zu denen sich dann noch Kapstadt gesellt. Eben- sowenig konnten die Sammlungen vorgelegt werden, welche auf den Kerguelen zusammengebracht sind. Es war immerhin erfreulich zu hören, daß trotz der schlechten Gesundheitsverhältnisse, unter denen die Mitglieder zu leiden hatten, sämtliche Termin- beobachtungen durchgeführt und reiche Samm- lungen in der Stationsumgebung angelegt sind. Pinguine und andere Seevögel lebend nach Europa zu bringen glückte nicht, da die Tiere infolge freiwilliger Nahrungsenthaltung eingingen. Vor allem zu bedauern ist, daß abgesehen von einem vorbereitenden Ausfluge von 5 Tagen keine Durch- forschung der Inselgruppe stattfinden konnte, so daß die Landeskunde nicht gefördert ist. Was an Beobachtungen vom Tier- und Pflanzenleben, vom Witterungs- und Landschaftscharakter mitgeteilt werden konnte, bestätigte nur schon vorhandene Kenntnisse. Auf den Inseln herrscht ein ozeanisch ausgeglichenes Klima. Die höchste beobachtete Wärme betrug 18" C; meist stand das Thermo- meter einige Grade über o, nie beträchtlich unter dem Gefrierpunkt. Die fast beständig stürmische Witterung verleiht aber dem Tier- und Pflanzen- leben einen antarktischen Zug. Bäume und Sträucher gedeihen nicht; dagegen wuchern überall die Flechten. In der Nähe der Station wurden 20 neue Phanerogamen gefunden. Weite Verbreituno- haben der Acena die früher ausgesetzten Kanin*^ chen verschafft, die an ihrem Fell die Kletten- früchte verschleppen. Dagegen ist der eßbare Kerguelenkohl durch diese Tiere fast ausgerottet. Das Robben- und Pinguinleben war in der Stations- umgebung recht arm, im Gegensatz zu den Schilde- rungen anderer Reisender. Die Insekten sind, ab- gesehen von einer Mückenart, wie aucii ander- wärts auf sturmumtobten Inseln, flügellos. Das Landschaftsbild, in dem sich das Meer mit tief in die Inselgruppen eingreifenden Fjorden und eine Reihe von beträchtlich hoch ansteigenden Berg- massen mit reichlicher Schneebedeckung zu ab- wechslungsvoller Einheit zusammenfinden, wird von N. F. III. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 83 Dr. Luyken als ein überaus schönes geschildert. Mit Recht nahm einen breiten Raum in seinem Bericht die Erzählung der persönlichen Erlebnisse ein, vor allem die Schilderung von der Beriberi- Erkrankung des Dr. Werth und vom Tode des Dr. Enzensperger an demselben Tropenleiden, das anscheinend durch die Chinesenmannschaft des Transportdampfers eingeschleppt war, welcher die Reisenden auf die Inseln brachte. Prof. Sapper, im Früh jähr aus Weslindien zurück- gekehrt, behandelte darauf die vulkanischen Er- scheinungen in Guatemala und auf den Antillen. Erdbebenstöße in der Richtung auf die Vulkane von Guatemala hatten die Bevölkerung dort bereits gewarnt, als die großen Ausbrüche des Santa Maria und Izalco eintraten ; der Mont Pele von Marti- nique und die Soufriere auf St. Vincent begannen weit unerwarteter ihre Tätigkeit. Und doch haben beide Gebiete trotz der 3000 km Entfernung offen- bar im Wechselverhältnis gestanden, wie die stets in kurzer Zeit aufeinander folgenden Katastrophen auf den Antillen und in Guatemala beweisen. Ein- mal begann die vulkanische Tätigkeit an der einen, das andere Mal an der anderen Stelle. Die Art der Aus- brüche unterschied sichfreilich. Aufdem mittelameri- kanischen F'estlande erhoben sich in geysirähn- lichen Explosionen hohe Pinienwolken ; auf den An- tillen stürzten oder krochen überquellende Wolken- massen in den Vertiefungen des Geländes herab. Dort wurden 5000 qkm Land mit ungeheuren Aschenmassen überstreut ; hier fiel nur wenig Asche, so daß in Martinique und St. Vincent zu- sammen vielleicht nur 200 qkm Land in Mitleiden- schaft gezogen wurden. Sind in Guatemala deshalb große Materialverluste zu beklagen, so übertreffen der Mont Pele und die Soufriere wegen der Schnelligkeit der herabfallenden heißen Gase die festländischen Vulkane durch die Zahl der Menschen- leben, die zugrunde gegangen sind: 32 und 16 Tausend gegen nur 500. Aus den Talsohlen sind auf den Antillen die Aschen leichter vom reichlich abfließenden Wasser bereits entfernt worden, als auf dem weiten, ebenen Überschüttungsgebiet in Guatemala; auch finden sich weder an der Soufriere noch am Mont Pele Laven, Schlacken, Lapilli. Nur an höheren Teilen der Berggehänge liegen kantige Blöcke aus der Bergunterlage, beispielsweise An- desite auf Martinique; in Guatemala ist es da- gegen zu Lavaergüssen gekommen und viel Bim- steine sind gefallen. In St. Vincent sind die Ver- änderungen des Geländes kaum merkbar und be- schränken sich in Martinique auf den Gipfel des Vulkans; auch der Meeresboden der Umgebung scheint keine wesentlichen Umgestaltungen erfahren zu haben. Dagegen sind an den Vulkanen in Guatemala beträchtliche topographische Umfor- mungen vor sich gegangen. Selbst in der Weise, wie der Mensch helfend und das Unglück mil- dernd nach den Katastrophen eingegriffen hat, unterscheiden sich St. Vincent, Martinique und Guatemala. Hier verkündete die Regierung sofort Standrecht, tat aber, abgesehen von Wegherstel- lungen, nicht viel, und von Geldbeihilfen war schon deshalb keine Rede, weil niemand den Behörden größere Summen zur Verteilung anvertraute. In Martinique haben die Franzosen in musterhafter Weise einen wissenschaftlichen Beobachtungsdienst eingerichtet. Die Engländer dagegen begründeten landwirtschaftliche Hilfsstationen, so daß auf St. Vin- cent von Zerstörungen wenig mehr zu sehen ist. In Guatemala sind die Besitzer der Kaffeepflan- zungen am meisten geschädigt. Von 50 Millionen Mark im betroffenen Gebiet angelegten Kapitals dürfte die Hälfte verloren sein, darunter sehr viel deutsches. Die indianischen Pflanzungsarbeiter hatten sich gerade zur Ernte eingefunden und ihre Arbeitsvorschüsse erhalten, als das Unglück herein- brach. Sie begaben sich schleunigst in ihre Heimat zurück und werden eher gewonnen als verloren haben. Unter allen vulkaiüschen Erscheinungen Westindiens bleiben am rätselhaftesten die steile, etwa 250 m hohe P'elsnadel, welche täglich um 2 bis 10 m aus dem Schlünde des Mont Pele hervorwächst und oben andauernd abbröckelt, ferner die Natur der Gaswolken, deren Zusammensetzung noch unklar ist. Um ihre Wärme zu messen, haben die Franzosen Metallkörper in den Weg gelegt, den die Wolken am Berge herab zu nehmen pflegen. Bei den kleineren Explosionswolken ist nicht einmal Zinn geschmolzen ; sie können also nicht über 230" warm sein. Die neueren Forschungsreisen gewidmeten Sitzungen wurden durch eine überaus klare mor- phologische Darstellung abgeschlossen, die Dr. Friedrichsen aus Hamburg auf Grund seiner Teilnahme an einer vom Mai bis Oktober 1902 im Tienschan tätigen, von der Universität Tomsk ent- sendeten Expedition über die zentralen Teile dieses gewaltigen Kettengebirges entwarf. Orographisch sind im Gebiete des 6895 m hohen Khan Tengri 2 Gebirgsknoten zu unterscheiden, welche durch 3 Parellelketten verbunden sind. Aller Abfluß strömt von diesen beiden Bergmassiven herab, benutzt die Längstäler zwischen den Ketten und sammelt sich in der einen Abzugsrinne des Aksu, der in ungangbarem, engem Querdurchbruch zum Tarimbecken sich einen Weg durch sämtliche Ketten bahnt. Petrographisch sind zu unterscheiden alte Schiefer und kristalline Gesteine, dann permo- karbonische Sandsteine und Konglomerate. Die Oberflächenformen werden von der Gesteinsart stark beeinflußt. Seit jenen sehr weit zurück- liegenden paläozoischen Zeiten scheint keine Meeres- bedeckung auf dem Berglande Spuren hinterlassen zu haben. Nur Gletscher haben noch umge- staltend an den Bergformen gearbeitet. Das Land- schaftsbild des Gebirges unterscheidet sich da- durch von dem Charakter etwa unserer Alpen, daß der Vegetationsfuß nicht bis an die Kappe der Gletscher und des Dauerschnees reicht, sondern daß mächtige Geröllhalden sich dazwischen schieben. Die Talböden liegen hoch und sind oft weite Ebenen, deren Flankenketten viele Kilometer weit auseinander liegen. Sie zeigen die Formen der 84 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ITI. Nr. 6 Peneplains und überall die Tätigkeit subaerischer Denudation, wie sie ein trockenes Klima bedingt. Die Gletscher sind gegen frühere Zeiten ganz ge- waltig eingeschrumpft, und ihre Zungenenden ver- lieren sich zum Teil im umlagernden Moränen- schutt. In die Talebenen sind dann wieder enge Erosionsschluchten der Flüsse eingegraben. Die Bergketten zeigen an sich alpine Formen, besonders in der Nähe der Verknotungsmassive, sind aber selten tief eingeschartet. Den ozeanographischen Vorträgen ging voraus ein Bericht des Straßburger Professors Gerland über die Erdbebenforschung. Auf Betreiben dieses jetzt schon im 7 1. Lebensjahre stehenden, um die Erd- bebenkunde überaus verdienten Gelehrten wurde be- reits auf dem Berliner internationalen Geographen- kongreß von 1899 der Beschluß gefaßt, einen die ganze Erde umspannenden Beobachtungsdienst ein- zurichten, der die -Schwankungen der Erdrinde ver- folgen soll. Wirklich trat behufs einer ersten Organisation im Jahre 1901 eine internationale Konferenz in .Straßburg zusammen, und im ver- flossenen Juli hat zum zweiten Male solche Konferenz in Straßburg stattgefunden. Nicht nur Erdbebenstöße sondern auch Gesamtbewegungen von Flächenteilen der Erdkruste, mikroseismische Schwankungen, Lotveränderungen, Seebeben, Schall- phänomene sollen nach vereinbarten , möglichst gleichen Methoden beobachtet, mit gleichen In- strumenten gemessen, dann in gleichartig aufge- stellten Tabellen registriert und graphisch wie kartographisch dargestellt werden. Praktische Ver- wertung wird dieses internationale Studium der Erd-Seismizität finden durch Untersuchungen über die Sicherheit der verschiedenen Baugründe in Schüttergebieten, der Gewölbebauten, Hausbauart, der Schlagenden Wetter in Bergwerken. Zur Er- forschung der Seismizität Deutschlands werden in Aachen, Karlsruhe, Darmstadt, München, Göttingen, Hamburg, Leipzig, Jena, Breslau, Königsberg, Pots- dam Beobachtungsstationen erster Ordnung ein- gerichtet, außer denen noch Nebenstationen für mikroseismische Bewegungen tätig sein sollen. Den Mittelpunkt dieser deutschen wie der inter- nationalen Beobachtungen wird Straßburg bilden. Die beiden ozeanographischen Vorträge be- schäftigten sich mit den Meeresströmungen, und zwar trat Prof. Schmidt aus Potsdam warm für die Erforschung der bisher noch wenig bekannten Be- wegungen des Meereswassers in der Tiefe ein ; Dr. Schott aus Hamburg dagegen zog aus dem reichen Tatsachenmaterial, das über Schiffsver- setzungen auf den Dampferwegen von England nach New York vorliegt, Schlüsse überdie Eigenart der Oberflächenströmungen. Prof Schmidt schlug vor, vertikale und horizontale Tiefsee- strömungen durch direkte Messungen mit Hilfe schwimmender, in bestimmten Tiefen zu haltender Bojen zu beobachten. Ein Schiff müsse ihnen folgen, eingerichtet als schwimmendes Observato- rium, das zugleich eine einwandfreie magnetische Vermessung der Ozeane vorzunehmen habe. Auf ihm würden außerdem ozeanographische Forscher eine praktische Studienzeit durchmachen können, die den theoretischen P'ortschritten der jungen Wissenschaft der Meereskunde zugute kommen werde. Die Schiffsversetzungen geben dagegen für die Erkenntnis der oberflächlichen Meeres- strömungen schon einen reichen Beobachtungs- stoff, und es besitzt das Verständnis der Ober- flächenströmungen einen hohen praktischen Wert für die Schiffsleitung. Nach Dr. Schott steht die Größe der Stromversetzung in umgekehrtem Ver- hältnis zur Schiffsgröße , scheint aber von der Schnelligkeit und Maschinenkraft der Schiffe un- abhängig zu sein. Ausnahmsweise große Ver- setzungen infolge besonderer Windverhältnisse oder unregelmäßiger Strömungserscheinungen betreffen jedoch gleichmäßig Schiffe aller Größen. Außer- dem fügte Dr. Schott noch eine Reihe von Regeln hinzu, die sich für die Schiffsversetzungen auf dem nordatlantischen Meere ergeben, und aus denen man deutlich den Einfluß des Golfstroms wie der nördlichen kalten Neufundland-Strömung er- sieht. Überdie Erörterungen, welche die schulgeo- graphische Sitzu ng ausfüllten, eingehender zu berichten, ist hier nicht der geeignete Platz. Die geographische Wissenschaft strebt nach Vertiefung des Verständnisses für Oberflächenformen und klimatische Erscheinungen, für Lebensverhältnisse von Pflanzen, Tieren und Menschen, für die Be- dingtheit wirtschaftlicher Vorgänge und staatlicher Zustände durch die Tatsachen, welche die Natur im allgemeinen und in den einzelnen Sonderfällen darbietet. Zweifellos versucht der geographische Unterricht an einer großen Mehrzahl der Schulen nicht, diesem Streben auch Schülern gegenüber geeigneten Ausdruck zu verleihen, sondern läßt sich an Gedächtnisarbeit der Einprägung von topo- graphischen Gegebenheiten genügen. Ausdehnung des Geographieunterrichts auf die Oberklassen von Gymnasien und Realgymnasien, Verwendung aus- reichend vorgebildeter Lehrer für ihn, Verbesse- rung von Lehrmitteln und Lehrmethoden, Ab- stellung von allen irgend zur öffentlichen Kenntnis gelangenden Mängeln in betreff dieses Unterrichts, diese vor allem erstrebenswerten Ziele hat der deutsche Geographentag bei früheren Sitzungen und auch bei der Kölner Zusammenkunft unter leben- digem Zusammenwirken von Hochschulprofessoren und Oberlehrern durch Vorträge und Debatten zu klären und in erreichbare Nähe zu rücken ver- sucht. Es wäre nur dringend zu wünschen, daß seitens der im Geographieunterricht beschäftigten Lehrer und seitens der Direktoren und Behörden von den mancherlei wertvollen Anregungen dieser schulgeographischen Sitzungen aus den gedruckten Verhandlungen Kenntnis genommen würde und daß vor allem die vom Geographentage einge- setzte Kommission für Schulgeographie von inter- essierten Kreisen in Anspruch genommen würde, sei es durch Mitteilung von Wünschen und Re- formideen, sei es durch Anzeige hervorgetretener N. F. m. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 8S Ubelstände und Schwierigkeiten.*) Außer allge- meinen Besprechungen über die Lage des erd- kundlichen Schulunterrichts brachte die Sitzung einen Vortrag vom Direktor Stein ecke aus Pissen über die Stellung der Geographie an Re- formschulen und zwei Erörterungen über die Her- stellung von Heimatkarten (Reallciirer Steinel aus Kaiserslautern und Dr, Haack aus Gotha). Will die Erdkunde die Gesamtheit der Er- scheinungen auf der Erdoberfläche in ihrem Zu- sammenhange als einheitliches Bild erfassen, will sie nach dem Verhältnis von Grund und Folge den Reichtum der Wechselwirkungen begreifen, aus denen der besondere Charakter der einzelnen Landindividualitäten und die auf dem ganzen Erden- runde herrschenden Zustände hervorgehen, dann ist sie darauf angewiesen, unter steter Anwendung der ihr eigenen räumlichen Anschauungsweise, unter Ablehnung philosoi)hischer Spekulationen, fußend auf gesicherten Maßen und Zahlen, eine bedeutende Menge von Ergebnissen anderer Wissen- schaften zu übernehmen und in und miteinander zu verarbeiten. Unzweifelhaft liegt die Gefahr nahe, daß der Geograph, persönlichen Liebhabereien und Sonderneigungen folgend, dabei von den eigent- lich erdkundlichen Betrachtungen abschweifend sich in Nachbarwissenschaften hinein verirrt und daß umgekehrt F"orscher auf dem Gebiete solcher verwandten Wissenschaften um einzelner für die Erdkunde wichtiger Ergebnisse halber ihre Ar- beiten als geographische Forschungen ansehen. Dieser t'belstand ist bei der Kölner Tagung mehr- fach merklich hervorgetreten, einmal bei der Sitzung, welche sich mit der Wirtschaftsgeographie be- schäftigte, dann bei den Vorträgen, welche die Kenntnis des Rheinlandes vertiefen sollten. Hier handelte es sich um Sonderfragen bei einem in den Grundzügen geographisch genau bekannten Gebiet, und solche Einzeluntersuchungen führen leicht auf Seitenbahnen. So wurden floristischc Beobachtungen aufgezählt und von der Lebens- geschichte der Sprudelwürmer Interessantes mit- geteilt. Bei der Wirtschaftsgeographie galt es umgekehrt das Arbeitsfeld einer jungen Teilwissen- schaft der Erdkunde erst abzustecken, und es wird bei der Grenzfestlegung neuer Wissenschaften leicht zu Abschweifungen auf fremde Gebiete kommen. So wurde über volkswirtschaftliche Fragen wie Tarife und Zollpolitik in Vergangenheit und Gegen- wart vorgetragen und debattiert. Aber der über- quellende Reichtum der geographischen Tatsachen und Gegenstände darf nicht zum Verhängnis an der Wissenschaft selbst werden, indem er Zersplitterung hervorruft, während doch darnach gestrebt wird, Gesamtbilder von Ländern und Völkern, von den all- gemein aufder Erdoberfläche herrschendenZuständen zu entwerfen. Vom zoologischen, botanischen, volks- ') In Köln wurde zum Vorsitzenden dieser Kommission Ober- lehrer H. Fischer in Berlin (Bellcalliancestr. 69) erwählt. An- dere Mitglieder sind; Direktor .\uler (Dortmund), die Ober- lehrer Gruber (München), Lampe (Berlin), Wermbter (Rasten- burg), Wolkenhauer (Bremen), Zemmrich (Plauen). wirtschaftlichen Arbeitsmaterial, welches in diesen durchweg tmgemein sorgfältigen Untersuchungen und überaus lehrreichen Vorträgen dem Geographen- tage vorgelegt wurde, kam vieles für die Erdkunde nicht in Betracht; die aus demselben sich ergebenden, für die Geographie vielleicht wichtigen Schlüsse wurden jedoch, zum Teil aus dem äußerlichen Umstände, weil des Redners Zeit abgelaufen war, nicht ausreichend in ihrer Bedeutsamkeit für die erdkundliche Wissenschaft gekennzeichnet. An dieser Stelle werde nur auf die erdkundlichen Ergebnisse zunächst der wirtschaftsgeograpiiischcn Sitzung, dann der landeskundlichen eingegangen. Gleich der erste Vortrag unter den wirtschafts- geographischen bemühte sich, den Gegenstandund die F"orschungsmethode der Wirtschaftsgeogra- phie gegen die verwandten volkswirtschaftlichen, ge- schichtlichen und naturkundlichen Wissenschaften möglichst klar abzugrenzen. Mit Recht betonte Prof Sieger aus Wien in seinen Ausführungen über diese vielverzweigten Fragen, daß es bisher eine deutlich ihrer Ziele und Arbeitsweisen sich be- wußte Wirtschaftsgeographie noch gar nicht gebe und daß sie ihr Forschungsfeld durchaus nicht einfach nach dem Maßstabe der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit der zu behandelnden Tatsachen zur Geographie abstecken könne; denn selbst Grenzzölle sind in ihrer Eigenart geographisch bedingt und haben umgekehrt eine oft sehr ent- scheidende Rückwirkung auf die Entwicklung eines geographischen Wirtschaftsgebietes. Doch wird der Wirtschaftsgeograph, wenngleich er des ge- samten statistischen Materials volkswirtschaftlicher Art nicht entraten kann, dergleichen die National- ökonomie zunächst angehende Tatsachen nach eigenen, vor allen Dingen räumlichen Gesichts- punkten durcharbeiten müssen , bedarf also der Kenntnisse von der Statistik, um das Urmaterial selbständig kritisch behandeln zu können. Es gehört dazu auch historische Schulung, Übung in der Quellenforschung, kurz geschichtliches Wissen sowohl von Fatsachen wie von Forschungsmetho- den. Zu dritt gilt es geographische Kenntnisse, vornehmlich Kenntnisse von der rein geographischen Literatur zu verwerten, und das Vermögen zu ent- wickeln, sich kartographischer Hilfsmittel zu be- dienen, sowohl um aus ihnen zu lernen, wie um sie für eigene Arbeiten fruchtbar zu machen. Schließlich bleibt aber wie beim landeskundlichen Forschungsreisenden das wichtigste Erfordernis Autopsie und die Kunst persönlich scharf zu sehen. Durchdringen sich diese Fähigkeiten und Kennt- nisse, so wird das Ergebnis der Einzelforschung, wird der Gesamtcharakter der wirtschaftsgeographi- schen Wissenschaft am besten sich darstellen lassen als ein Teilergebnis und eine Teilwissenschaft der Anthropogeographie. Wie aber bei dieser und überhaupt bei der Geographie ein L^nterschied besteht zwischen der Einzelerforschung der Völker und der besonderen Siedelungen und andererseits der allgemeinen Überblicke, zwischen der Länder- kunde und der allgemeinen Erdkunde, so wird 86 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 6 auch ein gewisser Gegensatz der Forschungs- methode, eine Verschiedenheit der Gesichtspunkte bei der Betrachtung entstehen müssen zwischen der allgemein en Wirtschaftsl) A. P. Ninni in: Resoconti Soc. ent. Ital. v. 1881 p. 18. ") A. Costa in: Rendic. .Acc. Sei. fis. mat. Napoli 2. ser. V. 6 p. 144, 1892. '") E. Simon in: Bull. Soc. ent. Ital. v. 1892 p. 96. N. V. III. Nr Natur wissenschaftliche Woclieiischrift. 99 Weniger zuverlässig als die Beobachtungen am eigenen Körper sind die Vergiftungsfälle durch Skorpione, über welche uns Arzte berichten. Der Arzt ist nämlich auf die Zuverlässigkeit der An- gaben seiner Patienten angewiesen und wenn diese auch absichtlich seltener ihrem Arzte die Unwahr- heit sagen, so steht doch fest, daß Ungebildete, namentlich Kinder, bei Naturbeobachtungen leichter Täuschungen unterworfen sind als Gebildete. Die größte Zahl der wirklich zur Beobachtung ge- langten tödlich verlaufenen Fälle ist aus Nord- afrika bekannt geworden'). Dann liegen in der Literatur, soweit ich sehe, Fälle von den Antillen,-) aus Mexiko '') und aus Südafrika ■*) vor. ^) Guyon in: Rev, Mag. Zool. (2. ser.) v. 4 ]>. 151, 1852, V. 16 p. 327, 1863 u, V. 19 p. 235, 1867. -) Guyon in: Gazette tredicale de Paris 1861. ') E. 11. Tliompson in: l'roc. Ac. nat. Sei. l'liila- dclpliia V. 1886 p. 299. *) Baclimann in: Vcili. Ges. Deutscli. Naturf. u. .\rzte, 73 Vers. Hanib. 1902. Teil II, 2 p. 5S4. — In dem genannten .\ufs:.tz ist gesagt, daß sicli die Skorpione, welche die beiden beobachteten Fälle veranlaßt hatten, im Museum für Natur- kunde zu Berlin befinden sollen. Ich liatte Herrn Dr. Bachmann schon brieflich mitgeteilt, daß sie in der Arachnidcnsammlung des Museums nicht vorhanden sind. Da sie vor meiner Amtszeit eingegangen sein müßten, Ivann ich leider über ihren Verbleib nichts sagen. Wo Statt der Einzelfälle allgemeine Angaben gemacht werden, treten Übertreibungen auf, die sich z. T. ins Ungeheuerliche steigern. So wird aus Durango in Mexiko berichtet, daß von den 15 — 16000 Einwohnern jährlich 200 — 250 Kinder dem Skorpione zum Opfer fallen. Die Kinder sollen nämlich nachts mit der Laterne ausgeschickt werden um Skorpione zu fangen und dabei be- sonders exponiert sein. In den drei heißen Monaten sollen in manchen Jahren 70 — 1 00 000 Skorpione gesammelt und gegen die festgesetzte Prämie ein- geschickt werden. ' ) In manchen Ländern, die zahlreiche Skorpione beherbergen, sind tödliche Stiche bei den Ein- wohnern gänzlich unbekannt.') Aber auch dort, wo tödliche Stiche beobachtet sind, sind es nur bestimmte Arten, deren Stich für den Menschen lebensgefährlich ist.'') So sind die Arten der in Europa verbreiteten Gattung E u s c o r p i u s nach den Angaben der Autoren völlig ungefährlich. Von allen Arten die gefährlichste ist vielleicht Buthus australis in Nordafrika. ') Mem. med. milil. avril 1865 No. 64. -) Vgl. van Hassel t in: Tijdschr. l'"ntom. v. S p. 100. ■'1 Vgl. außer Khrenbcrg, Guyon etc. Wagner, Reise in Algier V. 3 p. 21511". [Xiiclidiuck verL)ulcu.] Neue Hilfsmittel der Meteorologie. \"on iJr. Julius Reiner. An Apparaten zur genauen Messung der Luft- temperatur, Luftfeuchtigkeit und Dichte usw. hat CS schon in früheren Jahrhunderten nicht ge- fehlt, obwohl sie noch nicht so vollkommen und zuverlässig waren, wie die der Gegenwart. Die ' Meteorologie war aber früher auf die Untersuchung der untersten Luftschichten allein ange- wiesen. Von diesen aus suchte man die Gesetze des ganzen Luftmeeres zu erschließen. Es zeigte sich aber bald, daß in den oberen Luftschichten ganz andere Verhältnisse vorkommen, die sich auf dem Wege der Analogie nicht klarstellen lassen, und die einen großen Einfluß auf den Gang der Witterung in den untersten Luftschichten ausüben. Man sann daher auf Mittel, einen ähnlichen L^ber- blick, wie wir ihn heute alltäglich über die Vor- gänge am Grunde des Luftmeeres erhalten, auch für die höheren Schichten desselben zu gewinnen. Man kam bereits in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf die Idee, meteoro- logische Stationen auf hohen Berggipfeln einzu- richten, damit man auch über die Vorgänge in den höheren Luftschichten sich orientieren kann. Als im Jahre 1879 der zweite meteorologische Kongreß in Rom zusammentraf, da war auch die auf Gründung meteorologischer Observatorien auf Berggipfeln gerichtete Bewegung schon in vollem Gange. Zu den bereits früher gegründeten Ob- servatorien im Alpengebiete — Rigi (17^4 ni). Chaumont (11 52 m), Gäbris (1250 m). Ober (2043 '"n) und .Schafberg (1776 m) — traten die Stationen des Signal Service auf dem Mt. Washington (191 6 ni) und dem Pikes Peak (4300 m). In Frankreich wurde ein Observatorium auf dem Gipfel des Pic du Midi (2859 m), in Österreich auf dem Sonn- blick (3096 m) und in Deutschland auf der Zug- spitze (2964 m) und noch einige andere gegründet. Allein nicht überall sind geeignete oder über- haupt Berggipfel zu haben. Man sann daher auf weitere Mittel , die höheren Luftschichten , aucli über das höchste Niveau der Berge hinaus, zu er- forschen. Es kamen nun folgende Hilfsmittel in Betracht: der bemannte und der unbemannte Ballon und die Drachen. Der bemannte Ballon hat schon zu Beginn des XIX. Jahrhunderts dazu gedient, die Vorgänge in den hohen Luftschichten erforschen zu helfen. Von den nicht vereinzelten Fällen nennen wir nur den von Gay-Lussac, der am 16. September 1804 mit seinem Ballon bis zu einer Höhe von 7016 Meter vordrang. Er erstattete über diesen Aus- flug der französischen Akademie einen eingehenden Bericht, der in der Gelehrtenwelt viel Aufsehen machte. Die königliche Gesellschaft zu Kopen- hagen hat sogar im Jahre 1809 ein Preisausschreiben erlassen, um die Untersuchungen nach dieser Rich- tung hin zu fördern. Das Thema dieser Preis- aufgabe lautete : „Welche Erweiterungen haben die Meteorologie und die Lehre von der Beschaffen- heit der höheren Luftschichten durch die bisher lOO Naturwissenschaftliche Woclieiischrift. N. F. III. Nr. 7 angestellten Experimente erfahren? Wie sind die Versuche mit geringeren Kosten und kleineren Luftbällen, die keine Person tragen, derartig ein- zurichten, dai3 daraus Gesetze über die Elektrizität der oberen Atmosphäre, über das Quantum des Sauerstoffs, Stickstoffs und der Kohlensäure, die in einer gegebenen Höhe und in einem gegebenen Luftvolumen enthalten sind, über die Richtung der Winde in größerer T^öhe, über die Temperatur und andere dergleichen Verhältnisse hergeleitet werden können ?" Die in dieser Preisaufgabc gestellten Fragen wurden erst in den letzten Jahren des abgelaufenen Jahrhunderts einer eingehenden Behandlung unter- zogen. Der meteorologische Drache und der unbemannte Ballon mußten erst den neuen Zielen dienstbar gemacht werden. Die ersten Versuclie mit dem meteorologischen Drachen reichen bis auf das Jahr 1S93 zurück. die gegenwärtig von der meteorologischen Draclien- station im Luftschiffer- Übungspark in Petersburg mit Erfolg fortgesetzt werden. Auch in Belgien und Österreich hat man dem neuen Hilfsmittel der Meteorologie besondere Be- achtung gewidmet. Im letzgenannten Lande wurde sogar von dem Ingenieur Hugo L.Nickel ein Drache eigenen Systems erbaut , das von der Wiener meteorologischen Zentralanstalt adoptiert wurde. In Deutschland wurde im Frühling 1899 eine aeronautische Abteilung am Preußischen Meteoro- logischen Institut (Berlin) gegründet und zwei Be- gründer derselben, Professor Assmann und Herr B e r s o n, zur Erlernung der meteorologischen Drachentechnik im Sommer 1899 nach Trappes gesandt. Es wurde dann mit einem großen Kosten- aufwande eine meteorologische Drachenstation in der Nähe von Berlin errichtet, die auch für Ver- suche mit Drachcnballons eingerichtet ist. Der Hargravc-Drache. Es gehört ein großes Maß von Geduld dazu, um mit einem so launischen Werkzeug Versuche anzustellen. Erst [durch jahrelange Ausdauer ist es einigen Männern gelungen, den Drachen aus einem Kinderspielzeug zu einem wichtigen wissen- schaftlichen Hilfsmittel der Meteorologie zu machen. Die Amerikaner und Engländer haben sich um die Dienstbarmachung des Drachens für meteoro- logische Zwecke besonders verdient gemacht. In Europa hat man erst später der Sache sich zu- gewandt. Teisserenc de Bort hat auf seinem Privatobservatorium in Trappes bei Paris mit Hilfe platter sechseckiger Drachen Versuche an- gestellt, die dann von vielen anderen nachgeahmt und ausgebaut wurden. In Rußland hat das St. Petersburger Physi- kalische Zentral-Observatorium auf seiner Filiale in Pavlofsk die Vorversuche mit den Drachen zur Erforschung der höheren Luftschichten begonnen. Neben dieser Institution verdient auch die Drachenstation der Deutschen Seewarte in Ham- burg unter Leitung von Professor W. Koppen besonders hervorgehoben zu werden. Koppen hat sich durch seine Monographie „Erforschung der freien Atmosphäre mit Hilfe von Drachen" um die wissenschaftliche Seite der Frage verdient ge- macht, seine Untersuchungen versprechen auch in Zukunft sehr wertvolle Ergebnisse, da er der Flug- und Steigkraft der Drachen besondere Aufmerk- samkeit widmet. Er hat auch einen Drachen eigner Konstruktion hergestellt, mit dem er ganz gute Resultate erzielt hat. Unter seiner Leitung wurde auch in den Monaten April bis Juli 1901 die Drachenausrüstung für die Deutsche Südpolar- Expedition hergestellt. Von den jetzt für meteorologische Zwecke ge- brauchten Drachen verdienen folgende Typen ge- nannt zu werden. N. F. III. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. lOI Der Edd}'-Malay -Drac h en ist ungefäiir ebenso breit wie lang, sein Gerüst besteht aus nur zwei Stöcken, deren einer die gerade Mittel- rippe bildet, während der Querstock rückwärts gebogen ist und in einer Entfernung von 20",, der Länge vom Kopfe des Drachens an die Mittel- rippc angesetzt ist. Als Material für das Gerüst dienen Fichtenstäbe, als Bezug wird leichtes Baum- wollzeug angewendet, gewöhnlich von roter Farbe, damit der Drache in der Höhe leichter zu be- merken ist. Fig. 2. Befestigung des Hargrave-Dradicn. Der H a r g r a V e - D r a c h e , vom Erfinder Law- rence Hargrave zu Sydney in Australien „Zellen - drachen" und in letzter Zeit oft auch „Kasten- drachen" genannt, besteht aus zwei oder mehreren Zellen von Zeug, in der Form von Kästen ohne Boden und Deckel, die durch Rahmen gespannt erhalten und miteinander verbunden sind. Das Washingtoner Weatherbureau ist mit einem Drachen nach diesem System ausgestattet (Fig. i). Aut dem Privatobservatorium des Herrn Teisserenc de Bort in Trappes befindet sich ein nach dem Hargravesystem modifizierter Drachen, mit dem gute Erfolge erzielt wurden. Teisserenc de Bort äußert sich darüber in einem Briefe an Pro- fessor Koppen folgendermaßen. ,,Ich halte diesen Drachen für sehr gut. Einer derselben trug meinen Registrierapparat 1800 m hoch, ungefähr 13 kg, ohne das Gewicht des Drachens zu rechnen." Besondere Schwierigkeiten bereitet hauptsäch- lich das Steigenlassen der Drachen, es gehört eine durch lange Erfahrung erworbene Geschicklichkeit dazu, um den Drachen im richtigen Momente frei zu lassen. Ebenso ist es notwendig, die Befesti- gung des Seiles am Drachen richtig anzubringen, damit daraus keine Hemmungen für die freie Be- wegung erwachsen. Die auf dem Blue Hill zur- zeit angewendete Art veranschaulicht die oben- stehende Zeichnung des Herrn Rotch (Fig. 2). Die Schnüre A,, Aj, A.^ bestehen zum Teil aus Kautschuk und dehnen sich bei zunehmendem Winde aus, wodurch die Spannung von der un- elastischen Schnur B übernommen wird und der Drache flach auffliegt. Zum Schluß wollen wir noch den Treppen- drachen, System Professor Koppen (Fig. 3), nennen, mit dem der Erbauer gute Erfolge erzielte. Der eigentliche Zweck der Drachenaufstiege beruht darin, daß man am Drachen einen „Meteoro- g r a p h" befestigt, der die Vorgänge in den höheren Luftschichten registriert. Die Verwendung der Drachen für meteorologische Zwecke hat ihre Be- deutung erst durch die Konstruktion geeigneter Registrierapparate erhalten, die der Drache bei seinem Aufstiege mit in die Höhen führt. Einigen Herren von dem Aeronau- tischen Observatorium zu Berlin ist es gelungen, den Drachen mit den Registrierapparaten bis zu einer Höhe von 5475 m steigen zu lassen. Pro- fessor Dr. A s s m a n n berichtet darüber folgendes. Am 6. Dezember 1902 ist es geglückt, bei der herrschenden starken östlichen Luftströmung, welche die Drachen über die harmlose, von großen Wäldern bedeckte Gegend bei Spandau (Berlin) führte und deshalb die Benutzung eines Drahtes von 10 km Länge mit sechs Drachen gestattete. Zwar riß der Draht, nachdem bereits i5COm und ein Drachen eingeholt waren, infolge eines unliebsamen Betriebsunfalls, und fünf Drachen mit S^oo m Draht traten Fis Küppcn's Trc|i]icnclraclie. eine ..ungefesselte" Luftreisc an, aber der Registrier- apparat kam , nachdem er volle 24 Stunden in der Luft gestanden hatte, unversehrt bei Neu- Segefeld, 8 Kilometer westlich von Spandau, zur Erde, so daß die Ergebnisse des Experiments ohne Einschränkung benutzbar sind. Die Registrierungen dieses Aufstieges lassen erkennen, daß, nachdem der Drahtbruch erfolgt war, der oberste, den Apparat tragende Drachen bis zur Höhe von 220D m niedergesunken, dann aber wieder bis zu 4000 m gestiegen ist. Mit I02 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. geringen Höhenschwankungen verblieb dasDrachen- gespann in 1600 — 1700 m Höiie und sank erst am anderen Morgen um 9 Uhr zur Erde herab. Bei dem Aufstiege hatte eine Temperatui von — 14,7" geherrscht, die, wie dies in klaren VVinter- nächten der Fall ist, mit der Höhe beträchtlich zunahm. Bei looo m wurden — 8,6", bei 1295 m nur — 8,1" gefunden. Zwischen 2 und 3000 m herrschte eine fast gleichmäßige Temperatur von — 10 bis — 11". Über dieser wärmeren Schiclit nahm die Temperatur langsam bis zu — 15" ab. Erst über 5 km Höhe begann wieder die stärkere Temperaturabnahme, die bei 5475 m, dem höchsten erreichten Punkte, bis — 17,7" führte. Die relative Feuchtigkeit, die an der Station g6'% betragen hatte, sank schnell mit der Erhebung bis auf 8% bei 5000 m. Die Windrichtung war unverändert in allen Höhen, dagegen änderte sich die Windgeschwindig- keit. An der Station betrug dieselbe 2,5 m in der Sekunde, bei 1000 m dagegen 15 bis 20 m in der- selben Zeit. Neben den Drachenaufstiegen leisten noch die bemannten und unbemannten Ballons der modernen Meteorologie große Dienste. Jedes dieser Ver- fahren hat seine besonderen Vorzüge und Nach- teile, das Zusammenwirken aller aber hat schon bis jetzt einige wichtige Resultate geliefert, die genügend bewiesen haben, wie notwendig die Untersuchung der höheren Luftschichten für die Meteorologie geworden ist. Die Drachen haben nur eine verhältnismäßig geringe Steigkraft; man' kann sie aber durch das Anordnen mehrerer Einzeldrachen zu eineni Ge- spann bis auf 6000 m ' bringen. Über diese Höhe hinaus ist es vorläufig noch nicht gelungen ein Drachengespann steigen zu lassen. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß man nur bei gün- stigem Wind die Drachen verwenden kann. Mehr Vorteile bieten die unbemannten Ballons, sie erreichen die Höhe von 25000 m, sind aber sehr oft sehr unsicher, da sie vom Winde erfaßt, hunderte von Meilen weggetragen werden und gänzlich unauffindbar sind. Dagegen ist der bemannte Ballon nur geeignet zu [mittleren Aufstiegen, da sich über 10000 m kein Mensch hinaufwagen dürfte, ohne sein Leben dabei zu gefährden. Schon bei einer Höhe von 5ooo m stellt sich Atemnot ein, die sich mit zu- nehmender Höhe steigert. Außerdem sind die be- mannten Ballons sehr kostspielig, gestatten aber viel genauere und umfangreichere Beobachtungen, als die^anderen Hilfsmittel. Einen wesentlichen Anteil an der Erforschung der höheren Luftschichten hat der im Jahre 1881 zu Berlin gegründete „Deutsche Verein zur Förde- rung der Luftschiffahrt", dem es durch eine Sub- vention des deutschen Kaisers ermöglicht wurde, eine Reihe sehr ergebnisvoller Luftfahrten auszu- führen. Die Resultate derselben gestatten uns einen Einblick in die kompliziertesten Erscheinungen der freien Atmosphäre, von denen nur einige hier gestreift werden mögen. Aus dem Vergleiche mehrerer Aufzeichnungen ergibt sich nach den Beobachtungen von Berson eine durchschnittliche Temperaturabnahme in verti- kaler Richtung auf je loom im Winter von —0,43", im Frühling — 0,63", im Sommer —0,68" und im Herbst —0,58*'. Demnach herrscht im Sommer in einer Höhe von loooo m eine Temperatur von — 58", wenn wir für die Erdoberfläche eine Tempe- ratur von 10 Grad setzen. Diese Werte brauchen aber noch nicht als endgültig fixiert angesehen zu werden, da bei einer ausgedehnteren Beobachtung sich noch verschiedene Modifikationen ergeben dürften. Außerdem dürfte auch die geographische Lage und die Jahreszeit in einem mehr oder weniger starken Maße den Gang der Temperatur in den oberen Luftschichten beeinflussen. Professor Hergesell -Straßburg fand für die Höhe von 5000 m folgende faktischen Resultate. Die höchste Temperatur, die in dieser Höhe in dem Zeitraum vom 26. Oktober 1895 bis zum 3. Oktober 1899 beobachtet wurde, betrug —6". Sie wurde sowohl in Paris, .Straßburg und Berlin in den Monaten Juni, beziehungsweise Oktober ge- funden. Die tiefste Temperatur wurde über Peters- burg am 24. März 1899 mit — 45" ermittelt. In 7000 m Höhe betrug die höchste Temperatur — 17", die tiefste — 59". In lOOO m-Höhe ergab sich als Maximaltemperatur — 36" (Paris, am 5. Aug. 1896), als Minimaltemperatur — 83" (Straßburg, am 13. Mai 1897). Professor Hergesell fand ferner, daß in Höhen von lOOOO m die Tempera- turen schnell wechseln und daß sie ziemlich regel- los auf die einzelnen Jahreszeiten sich verteilen. Es tritt ferner in den liöheren Schichten auf nur kurze horizontale Entfernungen oft ein ganz starker Temperaturunterschied auf, ein Unterschied, der auf 100 km Entfernung 30 bis 40" ausmachen kann. Gleich der Temperatur ändert sich auch die Windgeschwindigkeit und Windrichtung mit der Höhe. Die aus verschiedenen Fahrten gewonnenen Werte für die Windgeschwindigkeit schwanken zwischen 10 bis 32 m in der Sekunde, während sie an der Erdoberfläche höchstens 5 m betrug. Zum Vergleich möge man sich vergegenwärtigen, daß ein Schnellzug nur 25 m in der Sekunde zurück- legt. Der Wind braust also in der Höhe noch um ein gaiiz'bedeutendes schneller vorbei als ein Eilzug. Auch die Wolken stellen sich von der Nähe betrachtet ganz anders dar, als von der Erd- perspektive aus gesehen. Bei seinem Ballonauf- stiege am 8. Juni 1898 fand Berson folgendes. In einer Höhe von 2492 m kam er in den Dunst der Wolken, bei 2606 m Höhe begannen bereits die Wolkenschichten, die Erde war nur noch schwach durch die Wolken sichtbar. Bei 2715 m war er bereits ganz von Wolken umgeben, aus denen er erst in einer Höhe von 3072 m wieder herauskam. Die Wolkenschicht hatte also in diesem Falle eine Dicke von 580m. .An demselben läge fand N. F. III. Nr. 7 Naturwisscnscliaftliclic Wochenschrift. 103 Süring während seiner Balionfalirt in einer Höhe von 2055 m, daß es nebelig zu werden begonnen hatte, bei 2590 m war die Erde bereits leicht ver- schleiert zu seinen Füßen, bei 2734 m erreichte er die ersten kompakten Wolken, die er erst bei 3125 m Höhe verlassen hatte. Wenn man also den Anfang der Nebelsciiiciit zu den Wolken zählt, so erhält man einen Wolken- komplex von 1070 m Dicke, ohne Nebelschicht dagegen einen solchen von 609 m. Daraus ist schon ersichtlich, daß die Wolkenscliichtcn ziem- lich dick sind und keine einheitlichen \^erhältnisse darstellen. Aber nicht nur bei Regenwolken, auch bei den Eiswolken ist es schwer, eine feste Norm für die Wolkenschicht zu finden. Das erste Stadium einer gefrorenen Wolke liilden die Eisnadcln, aus denen dann das zweite Stadium, die Schneewolke, hervorgeht. Hauptmann Groß schildert uns die Wolken, die er bei seiner Ballonfahrt am 19. Juni 1889 [jassierte, folgendermaßen: „Die Wolke selbst, deren Mächtigkeit nach der Höhe zirka 1000 m be- trug, war am 19. Juni ziemlich feucht; wir konnten ihre einzelnen Teilchen deutlich wie Staub sehen, sie waren jedoch nicht gefroren, obgleicli bis 7" Kälte in ihnen herrschte. Erst bei dem Ansetzen an unsere Kleider und das Tauwerk des Ballons erstarrten sie zu Reif . . ." Wir unterlassen es, auf die weiteren Einzel- heiten einzugehen, die ^ sich bis jetzt aus der Er- forschung der höheren Luftschichten ergeben haben. Das Bild, das man gewonnen hat, ist trotz seiner l'nvollständigkeit ein liöchst interessantes, und be- rechtigt zu den kühnsten Hoffnungen, die sich bei einer näheren Ausgestaltung der Untersuchungen für die praktische Meteorologie erfüllen werden. Es läßt sich zwar noch nicht genau feststellen, welchen Einfluß die hohen Luftschichten auf den (tang des Wetters an der Erdoberfläche ausüben; daß ein Einfluß existiert, ist jedoch unwiderleglich. Im Augenblicke aber, wo das Luftmeer bis zu einer Höhe von 20000 m ebenso genau durcli- forscht sein wird, wie die der Erdoberfläche an- haftenden Luftschichten , dürfte es nicht melir schwer sein, die noch auf schwankenden Grundlagen beruhende Wetterprognose sicherer zu fundieren. Es ist daher mit besonderer Genugtuune zu begrüßen, daß die meisten meteorologischen Sta- tionen der Erforschung der Vorgänge in den höheren Luftschichten eine gesteigerte Aufmerk- samkeit widmen , wobei die neuen Hilfsmittel sehr geeignete Dienste zu leisten bestimmt sind. — Kleinere Mitteilungen. Über den am 14. Juni zu Heidelberg \erstor- benen Zoologen Carl Gegenbaur veröffentlicht Max Für bringer im Anatomischen Anzeiger (Jena, d. 5. Okt. 1903) einen Nekrolog, dem wir das Folgende entnehmen: Carl Gegenbaur wurde am 21. August 1S26 in Würzburg als Kind einer katholischen Familie geboren. Sein Vater starb als Rentamtmann in Würzburg. Die Kindheit verlebte er in Würzburg, sowie in Weißenburg a/S. und Arnstein, zwei kleinen fränkischen Städten. Danach (1838 — 1845) bezog er das katholische Gymnasium in Würzburg, in allen Fächern ein eifriger Schüler, aber mit mehr und mehr zunehmendem Interesse für Geschichte und Naturwissenschaften. Nach 1845 bestandenem Absolutorium wurde er Student der Naturwissenschaften und der Me- dizin in Würzburg und blieb daselbst bis zu dem im Frühling 185 1 abgelegten medizinischen Doktor- examen. Als die Lehrer, welche auf seine Ent- wicklung größeren Einfluß gehabt, führte er selbst A. Koelliker, Fr. Leydig, Heinr. Müller und R. Vir- chow an; auch die klinischen Studien vernach- lässigte er nicht und war einige Semester Assistenz- arzt an der inneren Klinik von Marcus. Aber bereits damals entfaltete sich sein Studium auf zoologischem und anatomischem Gebiete in selb- ständiger Weise, wie er auch in dieser Zeit eigene Untersuchungen über den Schädel des Axolotl 1849 und über die Tasthaare 1850 veröffentlichte. Die Doktordissertation handelte „De limacis evolutione" und wurde ein Jahr später im deutschen Auszuge gedruckt (Entw. von Limax); die Pro- motionsrede betraf die Variabilität der Organismen, insbesondere der Pflanzen, und kam zu Anschau- ungen, welche den später von Ch. Darwin ver- öffentlichten verwandt waren. Eine längere Studienreise im Jahre 185 1 führt ihn unter anderem zu Johannes Müller und an die Nordsee, eine noch längere in den Jahren 1852 und 1853 nach Italien, insbesondere nach Sicilien, wo er namentlich im Verein mit A. Koelliker und H. Müller die Meeresfauna von Messina studierte und eine Fülle von Material und Kenntnissen be- treffend den Bau und die Entwicklung zahlreicher wirbelloser Seetiere sammelte. Die folgende Zeit nach der Rückkehr nach Würzburg gilt der weiteren Bearbeitung der in Messina gesammelten Tiere, dem Studium der ein- heimischen niederen Fauna und der Vorbereitung zur Dozententätigkeit. Ende des Wintersemesters 1853/54 habilitierte er sich (mit der Habilitations- schrift „Zur Lehre vom Generationswechsel und der Fortpflanzung bei Medusen und Polypen") für Anatomie und Physiologie und begann mit dem .Sommersemester 1854 seine drei Semester währende Tätigkeit als Privatdozent in Würzburg. In diese Zeit von 1852 — 1855 fällt die Be- arbeitung zahlreicher Abhandlungen über Cölen- teraten, Würmer, Echinodermen, Crustaceen, Mol- lusken und Tunicaten. In der Vorbereitung für die von Leydig bisiier I04 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 7 eingenommene zoologische Prosektur am ana- tomischen Institute erhielt Gegenbaur den Ruf als Professor extraordinarius der Zoologie in Jena, in Nachfolge Oskar Schmidts, und trat diese Stelle mit Beginn des Wintersemesters 1855/56 an. In diesem der niedizinischen Fakultät zuerteilten Pro- fessorate verblieb er 3 Jahre, Zoologie, vergleichende Anatomie, Histologie und Entwicklungsgeschichte lesend, zootomische, histologische und mikrosko- pische, sowie morphologische Übungen, Demon- strationen und Repetitorien abhaltend, das zoolo- gische Institut mannigfach organisierend und dabei eine reiche produktive, wissenschaftliche Tätigkeit entfaltend. Eine Wendepunkt seiner Stellung und Tätig- keit vollzog sich mit dem Ende des Sommer- Semesters 1858. Der Ana- tom und Physiolog E. Huschke war während des- selben gestorben, und man einigte sich für die Nach- folge Gegenbaur's im Ordi- nariate, die zufolge dessen Wünschen und Bedingun- gen so getroffen wurde, daß Gegenbaur zu seinem bisherigen zoologischen Lehrgebiete die Anatomie übernahm , während die Physiologie abgetrennt und, zunächst als Extraordina- riat, A. V. Bezold übertragen wurde. Gegenbaur's erst 1860 gehaltene Rede zum Eintritt in die medizini- sche Fakultät handelt „De animalium plantarumque regni terminis et differen- tiis (1860). Gegenbaur war bis 1862 in den beiden Fächern der Anatomie und Zoologie Carl Gegenbaur im als akademischer Lehrer tätig, gab die Zoologie aber in diesem Jahre an Ernst Haeckel ab, der sich 1861 auf seinen Rat in Jena habilitiert hatte und 1862 daselbst außer- ordentlicher Professor der Zoologie wurde. Als Professor der Anatomie hat dann Gegenbaur die lange Zeit bis zum Ende des Sommersemesters 1873 in Jena gewirkt und in seinen Vorlesungen das ganze Gebiet der menschlichen Anatomie, Embryo- logie (nebst Teratologie) und vergleichenden Ana- tomie gelehrt. Die Veröffentlichungen jener Zeit von 1859 bis 1873 handeln zunächst noch über Wirbellose. 1859 erschienen die bekannten Grundzüge der ver- gleichenden Anatomie, welche das gesamte Gebiet der Wirbellosen und Wirbeltiere umfassen. Zu- gleich mit dem Jahre 1861 beginnt die Reihe der hervorragenden Einzelarbeiten über Entwicklungs- geschichte, Histologie und Histogenese und ver- gleichende Anatomie der Wirbeltiere , welche Gegenbaur's Namen bald die Geltung eines der ersten vergleichenden Anatomen verschafften. Gegenbaur hat sich in Jena sehr wohl gefühlt und seiner Anhänglichkeit und Dankbarkeit zu dieser seiner „hohen Schule" wiederholt Ausdruck verliehen. Einen 1872 an ihn ergangenen Ruf an die renovierte Universität Straf3burg lehnte er ab. In Jena begründete er im P'rühling 1863 das kurze Glück seiner ersten Ehe mit Anna Margarethe Emma, geb. Streng, welche bereits im Sommer 1864 starb, nachdem sie ihm eine Tochter Emma geschenkt. Erst nach Jahren, im Frühling 1869, hat er sich wieder vermählt, mit Ida, der Tochter des Anatomen Friedrich Arnold; diese Ehe hat in reinem Glücke bis zu seinem Tode gedauert; zwei Kinder, die Tochter Elsa und der Sohn Friedrich, sind ihr entsprossen. Zu den Jenaer Kollegen bestanden die freundlich- sten Beziehungen. Die Freundschaft zwischen Gegenbaur und Haeckel durchzieht als wesentliches Band die Jenaer Zeit und ist auf beider Forscher Arbeiten von großem Ein- flüsse gewesen. Im Sommersemester 1873 erhielt er die Be- rufung nach Heidelberg als Fr. Arnold's Nachfolger, wo er bis zu seinem mit dem Ende des Wintersemesters 1900/01 erfolgten Rück- tritte geblieben ist. Einen glänzenden Ruf an die neu begründete Universität Amsterdam schlug er aus. Die Heidelberger Verhält- nisse brachten im Anfange manche Schwierigkeit; .Mtcr von 62 Jahren. dank Seiner Energie wurde er derselben größtenteils Herr. Ihm ergebene Prosektoren und Assisten- ten, von denen namentlich M. Fürbringcr, G. Rüge, Vr. Maurer, H. Klaatsch und E. Göppcrt als längere Zeit bei ihm verbleibend genannt seien, suchten nach Möglichkeit mitzuhelfen. Glückliche häusliche Verhältnisse , eine erfolg- reiche Tätigkeit und befreundete Kollegen trugen dazu bei, ihm den Aufenthalt in Heidelberg so angenelim als möglich zu machen , so daß er auch hier neben seiner reichen, im wesentlichen der Jenenser gleichenden, alier auf einen größeren Schülerkreis ausgedehnten Lehrtätigkeit eine groß- artige Produktion als Forscher entfalten konnte. Die mit Kuno Fischer bereits in Jena geknüpfte Freundschaft gestaltete sich in Heidelberg zu einem innigen, auf gegenseitiger Wertschätzung und voll- kommenem Verständnis beruhenden Bande. Auch die alten Jenenser Beziehungen blieben bestehen lunl führten, namentlich mit dem Freunde Haeckel, kf^ § '.^^^JÄP- ■^^^^ ^^f^-^^ ik ^^^^^^^^^^^^^H^ ^w ^^^Ik'' 1 ^^B(HB|H^^^ ./^^."' N. F. III. Nr. 7 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. 105 zu öfteren Begegnungen. Niclit minder erliielt der berülimte Mann zahlreiche Besuche von Kol- legen, die seine persönliche Bekanntschaft auf- suchten. Breiterem gesellschaftlichen Verkehre war er abgeneigt; auch fehlte ihm bei seiner ange- strengten wissenschaftlichen Tätigkeit dafür die Zeit. Die Zahl der in Jena und Heidelberg ausge- bildeten Schüler ist eine große. Gegenbaur's literarische Tätigkeit in Heidelberg kennzeichnet das weitere Fortschreiten auf den bereits in Jena begangenen Bahnen, welche nament- lich der vergleichenden Anatomie und Entwick- lungsgeschichte der Wirbeltiere gelten ; doch kommt noch die eingehendere Beschäftigung mit der Ana- tomie des Menschen hinzu. Von allgemeinerem Inhalte und charakterisch für die Methodik der (Tegenbaur'schcn Forschung sind die Abhandlungen über die Stellung und Bedeutung der Morj^hologie (Morph. Jahrb. Bd. i, 1875). Auch zahlreiche (23), vorwiegend kritische Besprechungen wissenschaft- licher Werke hat Gegenbaur gegeben. Alle Ar- beiten der Heidelberger Zeit überragend heben sich die zu dieser Zeit erschienenen Lehr- und Handbücher der vergleichenden und menschlichen Anatomie hervor. Am Anfang dieses Jahrhunderts begann die Kraft des hochbetagten Mannes, der kein Aus- ruhen von der Arbeit und keine Schonung kannte, schwächer zu werden. Noch war sein Geist hell und frisch wie jemals, aber seine körperliche Leistungsfähigkeit war vermindert, und die alj- nehmende Kraft seiner Gliedmaßen erlaubte ihm nicht mehr die erheblichen Anstrengungen seines Amtes. Mit Schluß des Wintersemesters 190001 legte er die Direktion des anatomischen Instituts nieder, die in die Hände seines Schülers Für- bringer überging. In seinem Otium cum dignitate war er zuerst noch mit literarischen Arbeiten beschäftigt; dann, als die zunehmende Schwäche seiner Muskulatur ihm den Gebrauch der Gliedmaßen und das Sprechen mehr und mehr erschwerte, verhielt er sich mehr empfangend, aber mit ungcschwächtcm Interesse und Verständnis für gute Lektüre, namentlich auf historischem und kulturhistorischem Gebiete, wie auch für die wichtigeren Tagesfragen, wobei ihn besonders jede Bedrohung der Geistes- und Ge- wissensfreiheit lebhaft ergriff. Die Schriften allgemeineren Inhalts von 1860, 1875, 1888 und 1889 sind Aufsätze von bedeuten- dem Gehalte, von denen die erste für die damalige Zeit hervorragende Anschauungen über die Grenzen und gegenseitigen Beziehungen der Tiere und Pflanzen gibt, während die 3 letzten die Methodik der Gegenbaur'schen Forschung in fesselnder, aber zugleich sehr konzentrierter P'orm darlegen. Sie wenden sich gegen die Einseitigkeit der Unter- suchung, wägen die gegenseitige Bedeutunglaller der Disziplinen, wie vergleichende Anatomie, Onto- genie und Physiologie, ab, welche für die von einem weiteren Horizonte aus unternommene wissen- schaftliche Forschung in Betracht kommen, und geben an, wie sie zu berücksichtigen sind. Die Frage der Cänogenese (Haeckel) wird mit be- sonderem Nachdrucke behandelt. Von schnellen Lesern sind diese Abhandlungen arg mißverstanden und unterschätzt worden ; wer sich mit Nachdenken in deren Inhalt vertieft, findet hier eine reiche Schatzgrube und zugleich einen Wegweiser für die nach Erkenntnis strebende Arbeit. Die kurzen 1898 erschienenen Bemerkungen zur anatomischen Nomenklatur nehmen Stellung zu gewissen, von der Anatomischen Gesellschaft vorgeschlagenen Bezeichnungsweisen an der Hand eines älteren Aufsatzes von Sigmund Schultze (1859) '^"'^ '^"'^" halten manches Beherzigenswerte. Die Abhandlungen über Wirbellose aus den Jahren 1851 — 1862, teils Sammelschriften über Tiere verschiedener Abteilungen, teils Monographien über einzelne Gruppen oder Formen, behandeln die Protozoen, Cölenteraten , die Sammelgruppe der Würmer, Echinodermen, Crustaceen, Mollusken und Tunicaten. Namentlich die Schriften über Siphonophoren, Medusen und Polypen, Cteno- ])lTorcn, Sagitta, Phyllosoma und Sapphirina, Li- mulus, die Pteropoden und Ileteropoden, sowie Tunicaten treten nach Umfang und Bedeutung hervor, haben sehr wichtige Beiträge zur Kenntnis des Baues und der Entwicklung dieser Tiere und zur tintwicklungslehre überhaupt gegeben und Gegenbaur's Ruf als hervorragender Zoolog be- gründet. Noch bedeutsamer erweisen sich die Arbeiten über die Wirbeltiere, die — abgesehen von Jugend- arbeiten aus den Jahren 1849— 185 1 — mit dem Jahre 1861 einsetzten und bis 1896 in der statt- lichen Reihe von 75 Abhandlungen und Mono- graphien erschienen sind. Mit entwicklungsgeschicht- lichen Untersuchungen über die Wirbeltiereier (1861, 1864) und mit histologischen und histo- geiietischen Arbeiten über Skelettgevvebe und Ossi- fikation (1864, 1866, 1869, wozu noch die beiden Arbeiten über die Wirbelsäule aus dem Jahre 1862, sowie diejenigen über den Schultergürtel, 1865, und über das Kojifskelett von Alepocephalus, 1878, weitere Beiträge liefern) beginnt die Reihe. In ihnen wird die wahre Natur des Wirbeltiereies als eines einzelligen Gebildes und das wahre Wesen der Ossifikation durch exakte, vergleichend-onto- genetische Untersuchungen und scharfsinnige Re- flexionen erkannt und, gegenüber zahlreichen anders- lautenden Angaben und Behauptungen anderer Forscher, zur Geltung gebracht. Kleinere Abhand- lungen betreffen Drüsenzellen (1863) und Purkinje- sche Fäden (1877). — Die Veröffentlichungen über das Skelettsystem der Wirbeltiere bilden den Schwer- punkt der Abhandlungen. Bezüglich der Kenntnis des Rumpfskelettes haben sich von hohem und bleibcndem'^Werte die vorwiegend auf vergleichend- cntwicklungsgeschichtlicher Untersuchung beruhen- den Arbeiten^ über die Entwicklung und ver- gleichende Anatomie der Wirbelsäule der Amphibien io6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 7 und Reptilien (1862) erwiesen; namentlich das Verhalten der Chorda dorsalis kommt in ihnen zu einer bisher nicht geahnten Geltung. Ihnen reiht sich die bedeutende Untersuchung über die Wirbel- säule des Lepidosteus (1867, 1868) an, welche die Lehre von den metamerischen Umbildungen der Wirbelsäule in scharfsinniger Weise begründet. In die gleiche Kategorie gehören die Arbeiten ül)er das Becken der Vögel (1871 ) und die lumbosakralen Übergangswirbel (1872), letztere unter seiner Lei- tung gemachte Untersuchungen ergänzend und verallgemeinernd. Durcli E. RosenlDerg's fruclit- bringende ontogenetische Arbeit ist denselben neue Nahrung zugeflossen; Gegenbaur und verschiedene seiner Scliüler haben aus ihr Nutzen gezogen. Über das Kopfskelett handelt bereits die erste Jugendarbeit (1849), sowie die schon erwähnten Untersuchungen über die Ossifikation. Das Haupt- werk auf diesem Gebiete bildet das Kopfskelett der Selachier (1872); zusammen mit der ein Jahr zuvor erschienenen Arbeit über die Kopfnerven des Hexanciius bildet es den Ausgangspunkt der neueren Erkenntnis über die Genese des Kopf- skelettes der Wirbeltiere überhaupt, das Fundament, auf welchem alle über diese P^rage handelnden Arbeiten weitergebaut liaben. Gegenüber der alten durch Tii. H. Huxley beseitigten Schädeltheorie repräsentiert es über Johannes Müller und Huxley hinaus den grollten Schritt, welchen die Forschung auf diesem Gebiete genommen hat, namentlich auch, weil hier die Entwicklung und die Kor- relation zu den Weichteilen , insbesondere den Nerven, in umsichtsvolister Weise als Werkzeuge der Erkenntnis verwendet und kritiscli gesichtet werden. Die fundamentale Bedeutung der Selachier wird hierbei nacli den verschiedensten Richtungen beleuchtet und bewiesen; diese Fische gelten von jetzt an als die Objekte, an welche unsere Er- kenntnisse über die Organbildungen bei den über ihnen stehenden Wirbeltieren anzuknüpfen haben. Gegenbaur hat sie sozusagen der Forschung ent- deckt, und dieser geniale Fund erhielt später durch M. Balfours und seiner vielen Nachfolger onto- genetische Angaben seine entsprechende Beleuch- tung. Die Arbeiten über Alepocephalus (1878) und die Occipitalregion der Fische (1887) bilden Ergänzungen zu diesem epochemachenden Werke. Die kritische Studie über die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskelettes (1887) gewährt eine von hoher Warte unternommene Besprechung und Würdigung der in der Zwischen- zeit erschienenen bezüglichen Arbeiten, von denen einige auf ungenügend gesicherter Grundlage und in einseitiger Anwendung der Ontogenese Ein- wände gegen die von Gegenbaur vertretenen An- schauungen erhoben hatten. Kleinere Veröffent- lichungen handeln über die Nasenmuscheln (1873, 1879), den Canalis Fallopii (1876) und das Os lacrymale (1881, 1883), wobei sich auch hier Ar- beiten des Lehrers und der Schüler die Hände reichen. Endlich die Reihe der Abhandlungen über das (rliedmaßenskelett, welche einerseits mit Untersuchungen über das Fubskelett der Vögel (1S63, 1864), sowie den Monographien über Carpus und Tarsus (1864) und die Brustflosse der Msche (1865), andererseits mit der Beschreibung eines Claviculadefektes beim Menschen und mit Be- merkungen über die Entwicklung der Clavicula (1864) und die episternalen Skeletteile bei den Säugetieren (1864, 1865), sowie der Monographie über den ScJiultei'gürtel der Wirbeltiere (1865) be- ginnen, in fortschreitender Bearbeitung auf den Beckengürlel und die hintere Extremität ausge- dehnt werden und zu einer immer tiefer gehenden Durchdringung beider Forschungsreihen führen (1866, 1867, 3 Arbeiten von 1870). Neue Lichter gewäiiren die Entdeckung des Ceratodus, sowie die UntersucJiung des Kopfskelettes der Selachier; so wird Gegenbaur zu seiner Archipterygium- theorie geführt (1872), die in den Grundzügen der vergleichenden Anatomie (1874, 1878) eine weitere Behandlung erfährt. Fernere, von Gegenbaur be- fruchtete Arbeiten der Scliüler, sowie die Ein- wände der Gegner (insbesondere der Anhänger^ der Seitenfaltentheorie) füiiren zur fortgesetzten Fuiidierung der Archipterygiumtheorie, wobei so- wohl die Korrelationen zu den Weichteilen, wie die spezielle Ontogenese eingehender berücksichtigt werden. Alle diese Fragen werden in den Ver- öffentlichungen von 1876, 1879 und namentlich 1894, sowie in den daran anschließenden Unter- suchungen seiner Schüler und Anhänger behandelt und bilden bis auf den heutigen Tag ein viel um- strittenes Arbeitsgebiet von hoher Bedeutung. Direkt an den Schultergiirtel der Wirbeltiere (1865) schließt die namentlich auch die paläontologischen Verhältnisse eingehender berücksichtigende Unter- suchung über Clavicula und Cleithrum (1895) an. Speziellere Fragen dieses Gebietes werden neben- bei in den kleineren Abhandlungen über die Drehung des Humerus (1868), den Ausschluß des Schambeins von der Pfanne des Hüftgelenks (1876), die Polydaktylie (1880, 1888) und die Malleoli des Unterschenkels 1 1886) behandelt; auch das Becken der Vögel (1871) und die Bemerkungen zu Goette's Entwicklungsgeschichte der Unke (1875) enthalten hierher Gehöriges. — Die Arbeiten Gegenbauer's über das Muskelsystem (t86i, 1875, 1S89, 1896) treten weniger in den Vordergrund. Hier sind es mehr seine Schüler, welche, von ihm angeregt, diesem Gebiete eine breitere Behandlung zu teil werden liel.kn und ihren Untersuchungen nament- lich die Zusammengehörigkeit von Nerv und Muskel und die ausschlaggebende Bedeutung der Innervation für die Bestimmung der Homologien zu Grunde legten. Doch wirkten von Gegenbaur's bezüglichen Abhandlungen seine Studien über den Muse, omoliyoideus (1875) und die Rückenmuskeln (1896) aufklärend. — Von den Veröffentlichungen über das Nervensystem ist die über die Kopf- nerven des Hexanchus (1871) als bahnbrechend zu bezeichnen ; fast alle später erschienenen be- züglichen Arbeiten knüpfen an sie an. Von min- derer und mehr spezieller Bedeutung sind die N. F. III. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 107 anderen Arbeiten (1866), sowie die schon beim Skelettsystein erwähnte über den Canalis Fallopii (1876). Auch hier haben Gegenbaur's Schüler ausführlich weitergearbeitet. — Das Hautsystem wird in 2 Jugendarbeiten über Tasthaarc (1850, 1851), in einer an Boa's Arbeiten anknüpfenden Abhandlung zur Morphologie des Nagels (1885) und namentlich in einer Anzahl inhaltsreicher und diese Fragen zu hoher Bedeutung erhebender Unter- suchungen über Milchdrüsenpapillen, Zitzen und Mammarorgane (1873, 1876, 1884, 1886) behandelt. Auch hier bilden die Arbeiten der Schüler ein wichtiges, das Hautsystem in mannigfachen Rich- tungen durciiforschendes Kontingent. — • Unter den Sinnesorganen werden nur dem Geruchsorgane Untersuchungen über accessorische Abschnitte des- ■selben zu teil (1873, 1879, 1885). — Von den Arbeiten über das Kingeweidesystem heben sich die beiden Untersuchungsreihen über die Zunge und Unterzunge (1884, 1886, 1894), sowie die Epi- glottis (1892) als sehr bedeutsam hervor. Ihnen gegenüber treten die Abhandlungen über Gaumen- falten (187S), Vorder- und Mitteldarm (1878, 1891), Nebenpankreas (1863), und Abdominalporus (1885), obwohl auch diese Gebiete aufklärend, mehr zurück. — Über das Gefäßsystem handeln die drei wich- tigen Untersuchungen über das Herz aus dem Jahre 1865, wozu sich noch die kurzen Abhand- lungen über die Purkinje'schen Fäden (1877) und über die Beziehungen der Vena pulmonalis zur Vena cava superior (1880), sowie die ausführ- lichere Arbeit über den Conus arteriosus der Fische (1891) gesellen. — Damit ist aber die Reihe der eigens vorgenommenen Untersuchungen Gegenbaur's nicht erschöpft. Zahllose Stellen in seinen Lehr- und Handbüchern geben Kunde von spezieller, neue Lichter ansteckender Forschung. Von den 23 Bücherbesprechungen Gegenbaur's treten namentlich die Bemerkungen zu Goette's Entwicklungsgeschichte der Unke nach Umfang und Inhalt hervor. Seine Kiitik ist zum Teil un- berechtigen Ansprüchen gegenüber scharf, erkennt aber wirkliche Verdienste durchaus wohlwollend an. Alle Veröffentlichungen Gegenbaur's an Reich- tum und Bedeutung übertreffend, erweisen sich naturgemäß seine umfassenden Lehr- und Hand- bücher der Vergleichenden und Mensclilichen Ana- tomie. Die Vergleichende Anatomie ist in 5 Auflagen erschienen, deren i. und 2. (1859, 1870J unter dem Titel „Grundzüge der vergleichenden Anatomie" und deren 3. und 4. (1874, 1878) unter dem Namen „Grundriß der vergleichenden Anatomie" Wirbel- lose und Wirbeltiere zur gleichmäßigen Darstellung bringen, während die letzte, die umfangreichste und bedeutsamste, in 2 Bänden als „Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere, mit Berücksichtigung der Wirbellosen" (1898, 1901) erschienen, speziell die Morphologie der Wirbeltiere behandelt, aber allent- halben mit ihren Wurzeln in das wirbellose Gebiet taucht, hier morphologisch bedeutsame Parallelen oder genealogische .Anfänge zu den bei den Wirbel- tieren zu weiterer Ausbildung gekommenen Zu- ständen aufhellend und klarlegend. Diese Werke haben vor allen Gegenbaur's Weltruf als erster vergleichender Anatom unter den Zeitgenossen begründet und im Original oder in mehrfachen Übersetzungen ihren Weg durch die weitesten Fachkreise genommen. Vollständige, alle bekannten Untersuchungen wiedergebende Repertorien sind sie nicht, wollen sie auch nicht sein. Aber durch die Fülle neuer bedeutsamer Beobachtungen und Forschungen , durch die geistige Durchdringung des Stoffes, durch die Erhebung der vergleichenden Behandlung zur genealogischen Erkenntnis, endlich durch die planvolle, kritische und lebendige Ver- knüpfung aller jener Methoden, welche uns ver- gleichende Anatomie und Paläontologie, Entwick- lungsgeschichte und Physiologie darbieten, über- ragen sie alle bislierigen Werke auf diesem Ge- biete, auch die ihnen geistig nahekommenden, aber den Stoff zu ungleich behandelnden entsprechenden Veröffentlichungen des genialen Huxley. In ganz besonderem Maße gilt dies für die zuletzt er- schienene Ausgabe 1 1898, 1901 ), das Produkt einer 20-jährigen Arbeit, ein durchaus großzügiges W'erk, welches für geraume Zeit ein Fundament und einen Ausgangspunkt für die vergleichend - morpholo- gischen Arbeiten der Zukunft bilden wird. Der gleiche Geist erfüllt die „Anatomie des Menschen", die seit 1883 in 7 Auflagen gleichfalls eine weite Verbreitung gefunden und mit ihrer originellen, genetischen und vergleichenden, allent- halben nach morphologischem Verständnis der menschlichen Gebilde strebenden Behandlung Licht und Leben in das Detail der anthropotomischen Kenntnisse getragen hat. Die kleine Selbstbiographie ,, Erlebtes und Er- strebtes" (1901) ist ein ungleiches Werk, das in liebevoller Weise und von feinen Zügen und einer bedeutenden Lebensanschauung durchdrungen, von seinen Vorfahren und von der Kindheit und Jugend- zeit seines Strebens berichtet, die reifste und vollste Zeit dieses reichen und schaffensfreudigen Lebens aber viel zu kurz behandelt, weil der Schreiber über die dafür nötige Frische nicht mehr verfügte, wohl auch bei seiner Abneigung vor jeder Selbst- bespiegelung einen zunehmenden Überdruß, von sich selbst zu sprechen, empfand. In wenig mehr als 100 Seiten handelt Gegenbaur viel mehr von dem, was er gelernt und anderen verdankt, als von dem, was er selbst geleistet hat. Aber auch in der letzten Hälfte finden sich an manchen Stellen bedeutsame Einblicke in die Werkstätte seines Geistes. Mit seinen Arbeiten verbindet sich eine klare und tief durchgeistigte Darstellung, oft von einer Konzentration und taciteischen Kürze, die an den Leser hohe Anforderungen stellt. Das ist ihm von manchem zum Vorwurf gemacht worden. Auch Kant und Helmholtz wurde es ihrerzeit ver- dacht, daß sie nicht von jedem mühelos gelesen werden könnten. Für denjenigen, der exaktes und eindringendes Studium nicht scheut, eröffnen sich io8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 7 in Gegenbaur's Schriften, namentlicli bei wieder- holtem und zusammenliängcndem Lesen der auf- einander folgenden Veröffentlichungen über das- selbe Thema, großartige Genüsse, und an manchen Stellen erhebt sich seine sonst etwas schwere Sprache zu einer wahrhaft leuchtenden Schönheit. Als akademischer Lehrer nimmt Gegenbaur eine hohe Stellung ein. Er war in seinen Vor- lesungen nicht das, was man einen glänzenden Redner nennt. Sein Vortrag verlief nicht glatt, sondern stockte nicht selten, wenn er nach dem prägnantesten, am meisten bezeichnenden Worte für seine Gedanken suchte. Auch enthielt er sich zumeist der Anwendungen auf das Pathologische und beschränkte sich in der Regel auf die reine zusammenhängende Darstellung, die er durch Ver- bindung der beschreibenden Anatomie mit der Ontogenese, vergleichenden Anatomie und zum Teil der Physiologie zum Verständnis braclite. Bereits seine ersten Vorlesungen in Jena, in den 50 er und 60 er Jahren sind, ebenso wie seine Veröffent- lichungen, ganz und gar von der Entwicklungs- geschichte, von jener „genetischen Methode" durch- drungen, mit welcher sein Heidelberger Vorgänger PViedrich Arnold so Großes als Lehrer gewirkt. In den behandelten Gebieten gab er die Haupt- sachen vollständig, enthielt sich aber meist der Mitteilung unwichtigerer Details oder gar unge- nügend gesicherter, so oft nur eine ephemere Geltung besitzender Befunde. Überall kam es ihm auf schlichte Klarheit und geistigen Gehalt an. Die Zuhörer sollten und mußten mit ihm die Tat- sachen durchdenken. So hafteten seine Worte im Gedächtnisse und erzeugten weiteres Nachdenken. Ein nicht geringes Zeichentalent unterstützte die Anschaulichkeit des Vortrages; auf die genaue Ausführung seiner Tafelzeichnungcn legte er Wert. In den praktischen t'bungen sah er vor allem auf treue, gründliche, ununterbrochene Arbeit. Sauberes, gewissenhaftes und nachdenkliches Prä- parieren auf Grund gründlicher Vorbereitung war für ihn die unerläf^liche Bedingung, und scharf hat er durch regelmäßiges Abfragen die Kennt- nisse und den Geist der Arbeitenden kontrolliert. Die Benutzung von anatomischen Bilderbüchern empfahl er bei der Präpariersaalarbeit nicht, weil durch deren allzu bequemen Gebrauch das Vor- stellungsvermögen der Präparanten nicht zur ge- nügenden Übung und Ausbildung gelange. Da- gegen sah er gern, wenn die Arbeiter ihre Prä- parate selbst abzeichneten, weil er darin eine sichere Kontrolle für die Sauberkeit und Genauig- keit der Präparation und ein vorzügliches (ie- dächtnismittel der Anschauung erblickte. Oft zog er aus der Art, wie dieser oder jener präparierte, Schlüsse auf seinen Charakter und auf seine ärzt- liche Zukunft. Gegen die Fleißigen und Gewissen- haften war er gütig und anerkennend, aber sehr sparsam mit lobenden Worten. Den Säumigen und Interesselosen, die sich nur hier und da auf dem Präpariersaal blicken ließen, hat er die wenigen daselbst verbrachten Stunden sehr schwer gemacht. Er nannte das die Zuchtauslese auf dem Präparier- saal. Den älteren Laboranten, die upiter seiner Leitung mehr selbständige L'ntersuchungen aus- führten, widmete er täglich eine geraume Zeit für die Besprechungen über die in Angriff genommenen Themata. Einfachem, nicht zeitraubendem X'erkehre mit ihm sympathischen Menschen war Gegenbaur zu- geneigt; im übrigen verhielt er sich mehr zurück- lialtcnd. Kongresse und akademische Festlich- keiten besuchte er höchst selten. Jedes Feiern seiner Persönlichkeit verweigerte er auf das strengste. In der Hauptsache war er eine einsame, auf sich gestellte, spröde Natur, ganz wohl nur von wenigen gekannt. Aber jedem, der mit ihm in Berührung kam, fiel die großartige Konzentration und Vertiefung seines Wesens auf Gegenbaur hat wohl nie etwas Überflüssiges gesagt oder getan. Sein gan- zes Wesen war zielbewußt, den grofien , klar er- kannten Aufgaben geweiht. So reich veranlagte Menschen , wie er, laufen große Gefahr, ihre gewaltigen Kräfte über zu viele Gebiete zu verteilen. Gegenbauer besaß ein un- gewöhnliches Maß universeller Bildung, ein feines Empfinden und großes Vermögen in bildender Kunst und Literatur, eine lebhafte Begeisterung für die politische und kulturelle Erhebung unseres V^aterlandes und für die Befreiung des mensch- lichen Geistes und Gewissens von jeder die freie Entwicklung und Bestimmung hemmenden Schranke, — er hat auch stets für große Sachen seine mächtige Persönlichkeit eingesetzt und einem gesunden, maßvollen Fortschritte gehuldigt. Aber niemals, wie oft auch bei ihm angefragt wurde, war er für die Rolle eines Führers in Fragen, die seiner Wissenschaft und seinem Berufe ferner lagen, zu gewinnen. Die Zeit war ihm dafür zu kostbar, und Zeit\-cilust durch derartige Beschäf- tigungen und Liebhabereien, ebenso wie jeden Dilettantismus, in welcher Form auch, verab- scheute er. Er konnte sich an der Natur, die sich ihm reicher und schöner als den meisten Menschen offenbarte, entzücken und erheben ; er hatte leb- haftestes Interesse an Ländern, X'ölkern und Men- schen. Er hat aber nie zu seinem Vergnügen, sondern nur der Erholung oder der Seinigen wegen Reisen gemacht. Zumeist aber erfrischte er sich, indem er gleichzeitig mehrere Aufgaben in An- griff nahm und in der Bearbeitung der einen F2r- holung von der anderen fand. Sehr frühzeitig hatte er erkannt, dati nur die Tätigkeit Leben ist und daß alle Kräfte für die Hauptaufgaben ein- zusetzen seien. Multum, non multa. Mit seiner Konzentration ging Hand in Hand seine Sachlichkeit, Unbestechlichkeit und Wahr- haftigkeit, tlr lebte nur im Djenste seiner Sache, mit der ganzen Kraft der Überzeugung. Die Persönlichkeit kam für ihn niemals in Frage; in diesem Dinge war er streng und unerbittlich gegen sich und andere. Nie hat er bloßen persönlichen N. F. III. Nr. 7 Nalurwisscnschaftliche Wochenschrift. log Wünschen Reclinung j^fctragcn, nie geschwiegen, wo es die Sache verlangte. In diesem mächtigen Wahrheitsdrange hat er von ihm als richtig Er- kanntes unentwegt verteidigt und manclimal per- sönliche Empfindlichkeit verletzt; auf der anderen Seite war er für begründete Einwände durchaus empfänglich. Sein Urteil war unbestechlich. In seiner Schätzung des Menschen standen zu aller- erst der Charakter und die Leistungen ; unsittliche Naturen , berechnende Streber und leichtfertige Blender stellte er besondej-s tief. Über die sogenannte Riesenkraft der In- sekten. — Viele lassen sich im Unterrichte die Gelegenheit nie entgehen, bei der Besprechung der Insekten auf die ungeheuren Kraftleistungen dieser Tiere hinzuweisen und den Schülern dar- über die enstaunliclisten Sachen vorzurechnen. Der Mensch, heißt es da, ja das I^ferd, seien im Ver- gleiche zur Ameise, zum Floh die größten Schwäch- linge. Wenn der Mensch „verhältnismäßig" gleich stark wäre wie die Ameise oder ein kleiner Käfer, so müßte er die schwersten Steinblöcke, die gröl.^ten Baumstämme tragen können. Wenn seine I'ähig- keit im Springen derjenigen des Flohs „vcrhältnis- mäl.iig" gleich wäre, müßte er mit einem Sprunge über Berge setzen können. .Audi in Lehrbüchern der Zoologie wird auf solche Dinge aufmerk'sam gemacht inid es gibt Bcispiclsanmilungcn für das Rechnen, die eine Menge derartiger Aufgaben ent- halten. Aus all diesen Rechnungen wird geschlossen, die Insekten besäßen verhältnismäßig eine unge- heure Kraft. Man müßte .sich denken, sie hätten verhältnismäßig größere Muskelmassen oder ihre Muskelfaser sei zäher, leistungsfähiger als die des Menschen und der gröl.^cren Tiere. Es ist aber keins von beiden der I'^all, sondern es läl.5t sich eher das Gegenteil behaupten. Bei all diesen Rechnungen v\'ird mit dem Be- griffe „verhältnismäßig" in der oberflächsten Weise umgegangen. Hierzu das folgende Beispiel ; Aufgabe. Ein 2 mm großer Floh springt 40 cm hoch Wie hoch mutete ein 160 cm großer Mensch bei verhältnismäßig gleicher Kraft springen können ? Antwort: 160 cm = Soo X 2 mm 800 X 40 cm = 320 m. Somit müßte der Mensch 320 m hoch, also noch 20 m über den Eifelturm springen können. Hier ist zunächst zu bemerken, daß beim Menschen bei der I'eststellung der Gröl.k das Bein mitgerechnet wird , beim Floh nicht. Das Ver- hältnis würde sich alsdann statt i : 800 vielleicht 1 : 400 stellen. Alsdaim wird in der oberflächlichsten Weise einfach die Körperlänge zur Sprunghöhe in ein gerades Verhältnis gesetzt und daraus ein Schluß auf die Kraft gezogen. Die Sache verhält sich aber anders. Die Kraft (bei gleicher Leistungs- fähigkeit der Muskelfaser) ist ungefähr proportional dem Querschnitte des Muskels. Vorausgesetzt, es würde sich um geometrisch ähnliche Wesen handeln, so wäre der Muskeli]uerschnitt, also auch die Kraft, proportional dem Quadrate der linearen Dimension ; in diesem Falle also müßte die Kraft des entsprechenden Muskels beim Menschen 400- mal größer sein. Wenn sich nun der beim Springen hauptsächlich tätige Muskel bei beiden um denselben Bruchteil verkürzt, so ist die abso- lute Länge der Zusammenziehung beim Menschen 400 mal größer. Die Kraft wäre 400 -mal größer, der Weg 400 mal größer, somit die erteilte lebendige Kraft 400'' mal größer. Nun ist aber die Masse auch 400'' mal größer. Bei beiden wird also der Masseneinheit dieselbe lebendige Kraft erteilt, folglich muß der Sprung in beiden F"ällen gleich hoch werden, beim Menschen also nicht 400 mal höher. Nun arbeitet aber der Muskel des Menschen unter wesentlich anderen Bedingungen als der des Insekts. Die Springmuskeln haben nämlich nicht nur einer bestinrnnten Masse eine bestimmte Beschleunigung zu erteilen, sondern sie haben auch noch einen VViderstand zu bewältigen , nämlich die Wirkung der Schwerkraft. Diese fängt näm- lich nicht erst an zu wirken in dem Augenblicke, wo der springende Körper den Boden verläßt, also wenn die Erteilung von lebendiger Kraft auf- hört, sondern sie wirkt schon während der Kon- traktion des Springmuskels. Der Querschnitt des Muskels wäre beim Menschen 400'-' mal größer, die Masse, also auch die Wirkung der Schwer- kraft, aber 400" mal größer; somit fällt beim Menschen auf die Flächeneinheit des Muskel- querschnittes eine 400 mal gröl.3ere Last. Der Muskel ist also 400 mal so stark belastet als der des Insekts, und in diesem stark belasteten Zu- stande soll er doch leisten was der schwach be- lastete leistet. Wenn also der Mensch nur ab- solut, nicht verhältnismäßig, gleich hoch springen sollte wie der Floh, so müßte er verhältnismäßig bedeutend dickere und zudem viel zähere Muskeln besitzen, müßte also verhältnismäßig viel stärker sein. Wenn man die Verhältnisse etwas oberfläch- licher betrachtete, aber immerhin nicht so ober- flächlich wie es oft geschieht, müßte man sagen, die Kraft werde in den Muskeln geleistet, die Muskelmenge sei der dritten Potenz der linearen Ausdehnung proportional ; dasselbe ist aber auch von der zu hebenden Masse zu sagen, somit müßten das große und das kleine Tier gleich hoch springen können. Nun ist aber noch der Luftwiderstand zu be- rücksichtigen. Dieser kommt natürlich bei den kleinen Tieren mehr zur Geltung als bei den großen ; denn er hängt wesentlich von der Größe des senkrecht zur Bewegungsrichtung gelegten Querschnittes ab. Beim kleinen Tiere kommt also auf die Masseneinheit ein größerer Luftwiderstand. Dies spricht etwas zugunsten der kleinen Tiere, die große Belastung hingegen zugunsten der großen. I lO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 7 Aus dem Umstände, daß der Floh 40 cm hoch springt, der Mensch vielleicht 80 cm, darf also nicht geschlossen werden, daß der Mensch ver- hältnismäßig schwächer sei als das Insekt, sondern im Gegenteil, daß der Mensch verhältnismäßig weit mehr leiste. Fs darf also durchaus nicht von einer ungeheuren Kraft gesprochen werden; von einer mächtigeren oder zäheren Muskulatur ist keine Rede, sondern man kann einfach sagen, es hänge mit der Kleinheit der Insekten und anderer Tiere zusammen, daß sie in einer Beziehung den großen gegenüber im Vorteil sind: wenn sie auch in der Regel verhältnismäßig schwächer sind als diese und z. B. weniger hoch springen, so macht wegen ihrer geringen Ausdehnung die Sprunghöhe doch ein Vielfaches ihrer Körperlänge aus. Ähnlich verhält es sich mit den Leistungen im Ziehen und Tragen. Da kommt es einzig auf die Querschnitte der Muskeln an. Ein linear lO- mal größeres Tier sollte also nicht eine lOOOmal, sondern nur eine 100 mal größere Last zu ziehen vermögen. Wenn ein Mensch linear 200 mal so groß ist wie eine Ameise, so sollte er bei ver- hältnismäßig gleicher Kraft 200- = 40000 mal mehr schleppen können als sie. Da aber sein Gewicht (wieder geometrische Ähnlichkeit voraus- gesetzt), 200'''= 8 000000 mal größer ist, so müßte er, verglichen mit seinem Gewichte, 200 mal weniger schleppen. Wenn die Ameise das Zehnfache ihres Gewichtes vorwärts brächte, so müßte der Mensch 7.20 seines Gewichtes bewältigen können. Er leistet tatsächlich bedeutend mehr, zudem noch mit einer weit größeren Geschwindigkeit. Wenn man also die Kraftleistungen der In- sekten oder anderer kleinerer Tiere glaubt an- staunen zu müssen, so ist man vollkommen im Irrtum. Der Fehler liegt darin, daß man einen ganz falschen Maßstab anlegt. Aug. Schmid. durch Gaillon auf den an der Küste der Normandie gezüchteten Austern von Marennes eine blaue Kieselalge entdeckt worden, die mit der von Molisch gefundenen identisch sein dürfte. Zu be- stimmten Zeiten des Jahres, besonders im Früh- sommer, ninmit das Wasser in den Austerngehegen infolge der ungeheuren Vermehrung einer blauen Diatomee eine blaugrüne Färbung an. Vielleicht gelingt es, reichlicheres Material für die Untersuchung zu beschaffen und so eine Klärung obenerwähnter Fragen herbeizuführen. Se. Neue Messungen an den äufsersten Planeten. Der Durchmesser des Planeten Neptun ist kürz- lich von Wirtz (Astr. Nachr. Nr. 3907) gleich 2",303 gemessen worden. Dies entspricht einem wahren Durchmesser von 50 251 km und würde als Dichtigkeit des Planeten den Wert 1,54 er- geben. Die Abplattung des Uranus, welche durch direkte Messung nicht sicher nachweisbar ist, wurde von Bergstrand aus den Bahnen seiner Tra- banten abgeleitet (Astr. Nachr. Nr. 3889) und gleich j\ gefunden, wenn man eine ähnliche Dichtig- keitsverteilung als bei Saturn im Inneren des Pla- neten annimmt, während bei homogener Dichtig- keit sich als unterer Grenzwert ^V ergeben würde. Die Rotation des Uranus läßt sich zwar nicht direkt beobachten, würde aber bei einer Abplattung von y'y sich in 11,5 Stunden vollziehen müssen. Eine interessante Notiz über eine blaue Diatomee teilt Molisch in den Ber. d. Dtsch. Botan. Gesellsch., Bd. XXI, 1903, Heft i, mit. Fr hat auf den Schalen der Steckmuschel (Pinna nobilis L.) in Triest eine Diatomee gefunden, die sich im lebenden Zustande durch eine blaue Farbe auszeichnete. Die Alge zeigt lebhafte Bewegung und hat eine schiffchenartige, an beiden Enden zugespitzte Form. Gewöhnlich trägt sie an den beiden Längsseiten je einen Chromatophor von der für die Kieselalgen charakteristischen gelb- braunen Farbe ; zv^^ischen den Farbstoffträgern liegt im Zentrum der Zelle der farblose Zellkern. Der übrige Zellinhalt erscheint besonders gegen die beiden Enden zu zum großen Teile himmelblau oder azurblau gefärbt. Da Molisch die Alge nur in vereinzelten Exemplaren aufzufinden vermochte, so konnte er sie leider nicht genauer beschreiben ; auch konnte er den blauen Farbstoff nicht weiter prüfen, vor allem nicht feststellen, ob das Proto- plasma oder der Zellsaft oder beide Träger des Farl)stoffes sind. Wie Verf angibt, ist bereits im Jahre 1820 24 veränderliche Sterne sind im Orion- Nebel von Prof. M.Wolf in Heidelberg dadurch entdeckt worden, daß derselbe verschiedene, mit Hilfe des Bruce -Teleskops gewonnene photogra- phische Aufnahmen des Nebels im Stereokom- parator (vgl. Bd. I, S. 521) verglich. Von 1 1 weiteren Sternen bleibt es außerdem noch mehr oder minder wahrscheinlich , daß sie veränderlich sind. Die Positionen der Sterne sind in den Astron. Nach- richten Nr. 3899 angegeben. Einige unter denselben gehören vermutlich zu den Verärderlichen mit kurzer Periode und bei einem erreicht die Licht- schwankung den enorm hohen Betrag von 6 Größen- klassen. Ersatz des Platins in den Glühlampen. — Bekanntlich müssen die Zuleitungsdrähte einer elektrischen Glühlampe, die am Grunde der Birne durch das Glas hindurch nach dem Inneren führen, aus Platin bestehen. Der Grund hierfür liegt ein- mal darin , daß das Platin annähernd denselben Ausdehnungskoeffizienten besitzt wie Glas (Aus- dehnungskoeffizient für Glas = 0,00000862, für Platin = 0,00000856), und deshalb Drähte aus diesem Metall in Glas eingeschmolzen werden können, ohne daß das Glas nach dem Erkalten springt. Andererseits vermag der Glasfluß infolge der NichtOxydierbarkeit des Platins bei hohen Temperaturen sicli leicht mit dem reinen Metall zu verbinden und so einen luftdichten \'erschluß N. F. III. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. III zu bilden. Indessen repräsentieren die beiden kurzen Platindrähte einer Glühlampe bei einem Gewicht von 0,15 — 0,20 g immerhin einen Wert von etwa 36 bis 48 Pfg., und ein Ersatz des Platins durch ein billigeres Metall würde die Herstellungskosten wesentlich herabsetzen. Mit diesem Problem hat man sich bereits lange Zeit befaßt, und das Inter- esse hieran ist um so lebhafter, da die Platinpreise noch immer im Steigen begriffen sind. Es kom- men zur Lösung dieser Frage lediglich zwei Ge- sichtspunkte in Betracht : Entweder muß ein Me- tall resp. eine Legierung von annähernd demselben Ausdehnungskoeffizienten gefunden werden , wie ihn Glas resp. Platin besitzt, oder es ist die Her- stellung eines geeigneten Bindemittels nötig, wel- ches einen Draht von beliebigem Metall luftdicht mit dem Glase zu verbinden gestattet. — Man glaubte anfangs im Nickelstahl einen Stoff der erstgenannten Eigenschaft gefunden zu haben, doch scheiterte die praktische Durchführung dieser Ent- deckung einerseits an der Schwierigkeit, das rich- tige Verhältnis des Nickelzusatzes zum Eisen zu ermitteln; andererseits daran, daß der Nickelstahl bei der hohen Temperatur der Lötrohrflamme mit einer Oxydschicht bedeckt wird, die ein Ver- schmelzen des Glases mit dem Metall verhindert. Kurz, daß es noch nicht gelang, auf diesem Wege praktische Erfolge zu erzielen, beweist schon der Umstand, daß bis heute das Platin zu dem ge- dachten Zwecke noch immer ausschließlich zur \"erwendung kommt. Dagegen ist es kürzlich der I'^ranzösischcn Allgemeinen Glühlampengesell- schaft (Bainville, Chemikerzeitung 1903; Reper- torium Nr. 17, S. 244) gelungen, einen Kitt her- zustellen, vermittels dessen man jeden beliebigen Draht ohne Mühe luftdicht einzukitten vermag. Die Zusammensetzung dieses neuen Kittes wird noch geheim gehalten. Er ähnelt hinsichtlich seiner Konsistenz dem reinen Wachs, trocknet nicht in der Kälte und schmilzt nicht in der Wärme. Er wird in einen Behälter gebracht, durch den die Zuleitungsdrähte führen, und der am Grunde der Lampe angebracht wird. Falls sich die neue Erfindung bewährt, dürfte sie eine bedeutende Preiserniedrigung für Glühlampen zur Folge haben. Dr. Loebe. Bücherbesprechungen. i) W. Ostwald, o. Prof. d. Chemie in Leipzig, Die Schule der Chemie. Erste Einführung in die Chemie für jedermann. I. Teil : Allgemeines. Mit 46 Abbild, gr. 8. Braunschweig, Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn. — Preis geh. INL 4.80, geb. M. 5.50. 2) Dr. S. M. Jörgensen, Prof. a. d. Univ. in Kopen- hagen, Grundbegriffe der Chemie an Bei- spielen und einfachen Versuchen. Mit 13 Fig. Leopold Voß in Hamburg u. Leipzig, 1903. — Preis 2 Mk. 3) Dr. Carl Arnold, Abriß der allgemeinen oder physikalischen Chemie. Als Ein- führung in die Anschauungen der modernen Chemie. Leoiiold Voß in Hamburg u. Leipzig, 1003. — Preis 2 Mk. 4) Prof. Dr. Lassar-Cohn, Einführung in die Chemie in le i c h t faß 1 ich er Form. 2. Aufl. Mit 60 Abb. Leopold Voß in Hamburg u. Leipzig, 1903. — Preis 3 Mlc. 5) Dr. Wilhelm Loin, Prof. a. d. Ober-Realschule zu ßraunschweig, Methodischer Leitfaden f ü r den A n f a n g s u n t e i' r i c h t in der Chemie unter Berücksichtigung der Mineralogie. Mit 98 Abb. 4. verb. Auti. Otto Salle in Berlin, 1902. — Preis 2 Mk. 6) Dr. Fr. Rüdorff's Grundriß der Chemie für den Unterricht an höheren Lehranstalten. \'öllig neu bearbeitet von Dr. Robert Lüpke, Oberl. am Dorotheenstädt. Realgymnasium zu Berlin. Mit 294 Holzschnitten u. 2 Tafeln. 12. Aufl. H. \\'. Müller in Berlin, 1902. — Preis 5 Mk. 7) Dr. Carl Arnold, Prof. d. Chemie an der Kgl. Tierärztlichen Hochschule zu Hannover, R e p e - titorium der Chemie. 11. verb. u. ergänzte Aufl. Leopold Voß in Hamburg u. Leipzig, 1903. — Preis 7 Mk. Unter der oben genannten Literatur zur Chemie sind teils gute Werke für die Bedürfnisse des An- fängers und Liebhabers (Nr. i, 3 u. 5), teils vorzüg- liche Lehrbücher für den ernstlicher Chemie Studieren- den (Nr. 2, 3, 6 u. 7). Alle die aufgeführten Bücher sind ihren Zwecken gut angepaßt. i) Ostwald macht den Versuch, eine Chemie für solche zu schreiben, die weiter nichts mitbringen, als etwa die Kenntnisse , die eine Elementarschule ver- schafft. Wer denkt, wenn er den Titel ,,Die Schule der Chemie" liest, nicht dankbaren Sinnes an Stöck- hardt's prächtiges Buch gleichen Titels, das so vielen die ersten Wege in dem Gebiet der Chemie ge- ebnet hat. Wenige für die Jugend und überhaupt die allerersten Anfänger berechnete naturwissenschaft- liche Bücher sind so treft'lich, gewissenhaft und ge- schickt-pädagogisch ausgearbeit, wie es das Stöckhardt- sche Buch war. Es ist deshalb vielleicht zu bedauern, daß sich Ostwald nicht der so bewährten Vortragsart, die Stöckhardt in seinem Buche anwendet, ange- schlossen hat. Ostwald wendet die Dialogform zwischen Lehrer und Schüler an, die freilich durch die Breite, die sie mit sich bringt, ein längeres Verweilen des Anfängers bei den einzelnen Tatsachen bedingt und dadurch wohl einen pädagogischen Wert hat. Stöck- hardt hat aber bewiesen, daß er das Richtige durch seine Art getroffen hatte und so konnte wohl der Nachteil der Breite, den die Dialogform bedingt, ver- mieden werden. Ostwald findet freilich (Vorwort, p.VII), daß sie zur Erreichung des Lehrzweckes nicht mehr Raum beanspruche und viel eindringlicher und frischer wirke, als die fortlaufende Darstellung. 2) Das Büchelchen Jörgensen's ist vorzüglich ge- eignet, in die Grundbegriffe der Chemie einzufuhren, sehr geschickt durch Hervorhebung, wie sich die Be- griffe historisch entwickelt haben. J. setzt die Kenntnis der elementaren Physik voraus. 3) Arnold's Arbeit will dasselbe wie die vorige, aber sie dringt weiter und ist nicht so elementar ge- 112 Naturwissenschaflliche Wochenschrift. X. I-'. III. Xr. 7 halten. Sie ist ein erweitertei' .Abdrutk des Ab- schnittes über allgemeine Chemie des unter 7 ge- nannten Repetitoriums. Über die Werke 4, 5 und 7 haben wir schon bei früheren Auflagen lobende Anzeigen geboten, denen wir nichts hinzuzufügen haben. Dem Rüdorft'-L.üpke- schen Werk (6) müssen wir aber noch ein Wort widmen, da es uns hier in neuer, wesentlich veränderter und erweiterter Bearbeitung entgegentritt, die der leider verstorbene Dr. Lüpke besorgt hat. Es ist eigentlich nur die Vortragsform an dem Buch dieselbe wie früher geblieben, der Inhalt hat fast gänzliche Neubearbeitung erfahren. Für ein Schulbuch ist es recht umfangreich: es umfaßt jetzt 532 Seiten. i) Dr. H. Wichelhaus, Geh. Regierungsrat, Professor und Direktor des technologischen Instituts der Uni- versität Berlin, Populäre Vorlesungen über chemische Technologie. VIII u. 379 S. gr. 8". Mit zahlreichen Abbildungen. Verlag von Georg Siemens in Berlin, 1902. — Preis 10 Mk. 2) Dr. Gustav Rauter, Allgemeine chemische Technologie (Sammlung Göschen). G. J. Göschen in Leipzig, 1903. — Preis geb. 0.80 Mk. i) Der Zweck des Buches ist, einen Überblick über die Rohstoffe, Apparate und Verfahren der chemischen Technik zu geben. Es ist hervorgegangen aus Vorlesungen ülier Technologie, die bei zahlreichen Staatsbeamten, vor allem auch bei den Juristen, leb- haften Zuspruch gefunden, weil W. es verstand, seine Vorlesungen tunlichst von Formeln, Gleichungen und Einzelheiten zu entlasten. Es kann denn auch das allgemein verständliche Buch den Juristen, Zolltech- nikern, Kaufleuten und Ingenieuren, soweit sie mit chemisch-technischen Dingen zu tun haben, sehr em- pfohlen werden, sowie überhaupt jedem, der sich für den Gegenstand interessieren muß. Unter den Natur- forschern sind es insbesondere — abgesehen von den Chemikern selbst — die Physiker und Biologen. W. gliedert seinen Stoft' in die Kapitel: Chlornatrium — Schwefel und Schwefelverbindungen — .Ammoniak — Salpeter und Salpetersäure — Phosphor — Zündwaren — Eisen — Silicate — Kohlenstoffverbindungen (mit Abschnitten über Fette und Öle, Kohlehydrate, Leuchtstoffe, Steinkohlenteer und Teerfarbstoffel. 2) Das Heft von Rauter ist zur allerelementarsten Einführung in den Gegenstand recht geschickt zu- sammengestellt. Literatur. Frischauf, Prof. Dr. Jolis. : Grundriß der tlieoretischen .\stro- nomie u. der Geschichte der Planetentheoricn. 2., verm. Aufl. (XV, 199 S. m. 22 Fig.) gr. 8". Leipzig '03, W. Engelmann. — 5 Mk. ; geb. in Leinw. 6 Mk. Garbowski, Tad. : Morphogenetische Studien. Als Beitrag zur Methodologie zoolog. Forschg. (VIII, 189 S. m. 6 färb, Taf. u. 6 Bl. Erklärgn.l Imp. 4". Jena '03, G. Fischer. — 28 Mk. Hengstenberg, Ernst: Weltreisen. iX, 246 S. m. 107 Ab- bildgn., 27 Lichtdr.-Taf. u. i Karte.) gr. 8". Berlin '03, U. Reimer. — Geb. in Leinw. 10 Mk. Lamarck, Jean: Zoologische Philosophie. Nebst e. biograph. F.inleitung v. Prof. Charles Marnns. Aus dem Franz. von Arnold Lang. 2. unveränd. (anaslat.) Abdr. (XXIV, 512 S.) gr. 8". Leipzig '03, J. A. Barth. — 10 Mk. Lepsius, Prof. Dir. Dr. Rieh : Geologie v. Deutschland und den angrenzenden Gebieten. IL Tl. Das östl. u. nördl. Deutschland. I. Lfg. (Bog. I — 16.) Mit den Profilen I — 58 im Te.Nt. (II, 246 S.) gr. 8". Leipzig '03, W. Engelmann. — 8 Mk. Schurtz, Dr. Heinr. : Völkerkunde. Mit 34 .\bbildungcn im Texte. (.Xlll, 178 S.) Wien '03, F. Deuticke. — Subskr.- Prcis 6 Mk. ; Einzelpr. 7 Mk. Briefkasten. Herrn R. in Berne. — Wir machen Sie auf Konser- vierungsmethoden wie die Wickersheimer'sche aufmerksam. Darüber werden Sic in naturhistorischen .Museen oder in Anatomien Auskunft erhalten. Über die Einbalsamierung der Ägypter sollen alle Angaben ziemlich unzuverlässig sein. Es finden sich solche in Petügrew : History of Egyptian Mummies. London. 1834. Rathgen. Herrn G. Lange in Remscheid. — Erzlagerstätten von Magneteisen und Roteisenstein finden sich häufig in der Nähe von kristallinen Schiefern und Eruptivgesteinen, besonders gern vergesellschaftet mit Gesteinen von basischer Natur. Teils sind die Erze infolge magmatischer Diflerenziation ausgeschie- den, teils verdanken sie wohl postvulkanischen Prozessen ihre Entstehung. Nun finden sich Eruptivgesteine in Skandinavien in weiter Verbreitung und damit dürfte die Häufigkeit und Mächtigkeit der dortigen Eisenerze in Zusammenhang zu bringen sein. Harbort. Herrn G. L. in Remscheid. — Zur Falb'schen Wetterprognose nimmt die Naturw. Wochenschr. selbstver- ständlich keine andere Stellung ein wie die meteorologische Wissenschaft. Das Urteil über Falb läßt sich dahin zusammen- fassen: Seine Hypothesen sind schon wiederholt vor ihm von anderer Seite ausgesprochen worden. Durch sorgfältige wissenschaftliche Untersuchungen ist jedoch festgestellt worden, daß ein nennenswerter Einfluß der Stellung von Sonne und Mond auf die Witterung im Sinne der Fluttheorie nicht exi- stiert. — Wenn Sie sich für wissenschaftliche Widerlegungen der Falb'schen Lehren interessieren, verweisen wir Sie auf die umfassenden .Aufsätze von Ginzcl und Pernter in der Zeit- schrift ,, Himmel und Erde", Band II und IV, auch auf Pernter's Vortrag ,, Allerlei Methoden, das Wetter zu prophezeien" (Wien, 1903). Zur Kritik von F'alb's Erdbebenprophezeiungen finden Sie Ausführliches aus der Feder des bekannten Geologen .\lbert Heim in der Naturw. Wochenschr. II. Bd. Nr. 25 V. 16. Sept. 1888 u. Nr. 26 v. 23. Sept. 1888. Anfrage. Auf der Rinde von abgestorbenem Holze be- merke ich in meinem Garten regelmäßig rote Buckel von etwa 3 mm Durchmesser. Wie heißt dieser Pilz? Ist derselbe die Ursache des .\bsterbens oder siedelt er sich erst nach dem Tode des Holzes auf demselben an ? K. in L. Es handelt sich um Tubercularia vulgaris Tode (Conidien- stadium der Nectria cinnabarinai. Dieser Pilz ist ein gefahr- licher Wundparasit, es dringen die Sporen in Wundstellen der Bäume und Sträucher ein und bringen die Pflanze alsdann oft zum .\bsterben. Alle mit solchen Pilzen behaftete Zweige sind zu verbrennen, niemals auf den Düngerhaufen zu bringen. Prof. Hennings. Inhalt: Prof. Dr. Friedr. Dahl: Wird der Skorpion durch seinen Stich dem Menschen gefährlich? — Dr. J u 1 i u s Reiner: Neue Hilfsmittel der Meteorologie. — Kleinere Mitteilungen: Ma.\ Fürbringer: Carl Gegenbauer j. — Aug. Schmid: Über die sogenannte Riesenkraft der Insekten. — Molisch: Notiz über eine blaue Diatomee. — Wirtz u. Bergstrand: Neue Messungen an den äußersten Planeten. — Prof. M. Wolf: 24 veränderliche Sterne. — Dr. Loebe: Ersatz des Plaüns in den Glühlampen. ■ — Bücherbesprechungen: W. Ostwaldt und andere: Sammel-Referat über Lehrbücher der Chemie. — i) Dr. H. W i c helh au s: Populäre Vorlesungen über chemische Technologie. 2) Dr. Gustav Rauter: Allgemeine chemische Technologie. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantworllicher RetLikleur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichlerfelde-West b. Berlin. Druck von Lippen & Co. (G. Pälz'schc Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. F. Koerber Neue Folge 111. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 22. November 1903. Nr. 8. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post I^ Ptg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate : Die zweigespaltenc Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren .Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Goblis, Blumenstraße 46, Buchhändltrinserate durcli die Verlagshandlung erbeten. [Nachdruck veiboten.] Die Zell- teilung äußert sich in zwei verschiedeneil Arten, in der direkten Zell- teilung oder Amitose und in der indirek- ten oder Mi- tose. Bei der di- rekten Teilung durchschnürt sich die Zelle in der Mitte, und der Kern folgt dieser Einschnürung. Sie kommt bei den niederen Pflanzen vor, Die neuen Studien über die Zellteilung. Ein Sainmelreferat. Von W. Görich in Marburg (Hessen). 1 Fig. I. Kerne alterer Zellen aus dem Stengel von 'l'radescantia virguinea in direkter Teilung (nach Strasburger.) und zwar bei alten Zellen oder solchen , deren Inhalt bald desorganisiert werden soll. Im Tier- reich ist die direkte Teilung besonders auf die Protozoen beschränkt. Weit komplizierter ist der Gang der indirekten Teilung (der Mitose oder Karyokinese), die be- sonders bei den höher organisierten Vertretern Fig 2. Ein sich zur Teilung anschickender Zellkern aus einer Keimpflanze von P^ucus serratus (nach Strasburger). n = Nucleolus (Kernkörperchen), (■ = Zentrosonien, k/> = Strahlungen, .f = Chromosomen. 114 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 8 des Tier- und Pflanzenreichs vorkommt. Hier zeigt sich zunächst am Kern der sich teilenden Zelle ein kleines Gebilde, das Zentrosoma, das in das Zytoplasma der Zelle feine Strahlen sendet. Im zweiten Stadium zerfällt das Chromatin des Kerns in einzelne Fäden, und das Zentrosom teilt sich in zwei gleiche Körperchen (Fig. i). Diese letzteren rücken längs der Kernmembran auseinander, während zu- gleich die Chromatinfädcn sich in einzelne Schleifen, die Cliromosome, teilen. Die beiden Zentrosome, die schon kurz nach ihrer Teilung zwischen sich feine Fasern erkennen ließen, legen sich schliel31ich pol- ähnlich an entgegengesetzten Seiten des Kerns an. Dieser hat inzwischen seine Membran verloren, und die Chromosome haben sich zur Äquatorialplatte in die Mitte des Kerns gelagert. Die Fasern, die zunächst nur zwischen den Zentrosomen bestanden, Fig- 3- .^ufeinander folgende Stadien der Kern- und Zellteilung (etwas sclicmalisicrt) (nach Strasburger.) treten nun auch zu den Chromosomen heran, und wir erhalten das Bild einer Spindel. Die Chromo- some teilen sich hierauf der Länge nach, und die einzelnen Teile rücken nach den Zentrosomen hin, um die beiden Tochterplatten zu bilden, zwischen denen die Faserung bestehen bleibt. Die Chromo- some rücken nun im weiteren Verlauf ganz in die Nähe der Zentrosomen und verdichten sich schließlich. Gleichzeitig tritt in der Zellwand eine Furche auf, und durch Einlagerungen in die Ver- bindungsfasern kommt es zur Bildung der Zell- platte. Diese Zellplatte ist die Anlage der neuen Zellmembran, die sich nach völliger Verdichtung der Tochterplatten zu ruhenden Kernen heran- bildet. Die beiden genannten Zellteilungen stehen jedoch nicht ohne Bindeglieder einander gegen- über. So sehen wir schon bei der Amöbe (Fig. 4) im Zellkern einen Körper liegen, den sogenannten Binnenkörper, der sich zugleich mit der Kern- und Zellteilung in 2 Hälften abschnürt. Bei Fuglena teilt sich zunächst der Binnen- körper, und das Chromatin legt sich in Gestalt von Chromosomen in ihre Mitte. Die beiden Teile des Binnenkörpers rücken auseinander, und die Chromosome lagern sich in ihre Nähe. Zugleich mit der Streckung des Kerns in die Länge lagern sich die Chromosome immer fester um die Teile des Binnenkörpers, bis sie bei der Trennung der Zelle in zwei ruhende Kerne übergehen und den Binnenkörper ganz in sich einschließen. P^inen weiteren Schritt zur Mitose finden wir bei Opalina. Hier wird der spindelför- mige Kern von feinen Fasern durchzogen, die die Chromosome in sich einschlingen. Im weiteren Verlauf der Kernteilung gruppieren sich die Chromosome in die Mitte und bilden hier zwei Schichten. Eine Teilung der Länge nach erfolgt nicht. Bei den weiteren Stadien ziehen sich die Chromosome längs ihrer achro- matischen Fasern nach den Polen des Kerns hin, wo die Fäden in ein dichteres polares Areal zusammenlaufen. Haben die Chromosome eine entsprechende Höhe in bezug auf die Zellwand er- reicht, dann verdichten sie sich, die Zell- membran schnürt sich ein, und es kommt zur regelrechten Zellteilung. Eine typische indirekte Kernteilung tritt bei Aktinosphärium auf. Hier ver- dichtet sich das Chromatin zunächst in eigentümlicher Weise, und fast gleich- zeitig bildet sich an einem Pol ein kleines Körperchen. Dieses teilt sich bald, und es rücken die beiden Teil- produkte nach entgegengesetzten Polen des Kerns. Auch das Protoplasma der Zelle nimmt in der Nähe des Kerns eine eigenartige Struktur und Lage an, indem feinkörnige Schicht sich kegelförmig an die Kernmembran anlegt. An den Spitzen dieser Protoplasmakegel liegen die kleinen Körperchen, die zu dieser Zeit feine Strahlen in das Zell- plasma senden. Auch in den Polkegeln treten feine Fasern auf, die beim Zerfall des Chro- matins auch durch die Lagerung der Chromo- some ziehen. Letztere legen sich im weiteren Verlauf zu zwei Tochterplatten an und rücken nach Auflösung der Kernmembran nach den Polen hin. Die kleinen Körperchen verlieren sich schließlich bei der Verdichtung der Chromosome. Die .Strah- lung hört auf, und es kommt zur völligen Teilung des Kerns, indem sich das grobkörnige Zellplasma gegenüber dem hyalineren die Oberhand verschaft't. So ist durch allmähliches Fortschreiten die direkte Zellteilung in die Nähe der indirekten ge- eine N. F. III. Nr. S Naliirvvissciischaftliche Wochenschrift. 115 bracht. Wir sahen, daf3 bei letzterer das Zentro- soma eine wichtii^e Rolle spielt, und wollen uns nun speziell mit ilim befassen. Mit Ro\'cri können wir das Zentrosom definieren Aiiiorba I'Aiglcna gene Protoplasma sich an einem Pol desselben an- sammelt. Der Kern selbst entwickelt eine aus- gesprochene Heteropolie, indem die angrenzenden Chromatinfäden zugleich nach diesem Pole hin konvergieren. Hier ist die .'\nlagestatte des Zentro- soms. Die Kernfäden, die den Hauptpol des Kerns bezeichnen, ragen im weiteren Verlauf über die Grenzen des Kerns hinaus in das umgebende '.\.''ki ■(m^:: ( *palina Kig. 5. Zcntrosonia-Entwicldung bei Aclinos|iiiacrimn (mich i\. Ilcrlwig.) Actinospliacriuni (nacti 1\. Ilcrtwig.) Fig. 4. Kcnilcilungsfiguren. als ein der entstehenden Zelle zukommendes, dauerndes Organ, das die Zentren für die ent- stehenden Tochterzellen liefert. Seinem Hauptbestandteile nach setzt es sich aus achromatischer Substanz zusammen, und wir unterscheiden an ihm die Zentralkörper oder Zen- triole und das kugelförmig angelegte Zentroplasma, das die Zentriolen wie ein lichter Hof umgibt. Die Bildung des Zentrosoms, z. 13. bei Aktinosphärium (Fig. 5), kündigt sich hierbei zunächst durch das Auftreten einer Protoplasma- strahlung in der Zelle an, indem das früher allseitig gleichmäßig um den Kern gelegene homo- körnchenfreie Protoplasma. Die Spitzen und Zacken derselben bilden die erste Anlage des Zentrosomas. Fs besitzt in diesem Stadium noch eine spongiöse Gestalt und sitzt entweder der Kernmembran breit auf oder ist mit ihm durch einzelne Kernfäden verbunden, je nach der Gestaltung des Kernpols. Allmählich wird die P'orm des Zentrosoms eine kompaktere, und, indem sich zwischen Kern und Zentrosom eine Schicht des feinkörnigen Proto- plasmas legt, kommt es zur Loslösung desselben. Fig. 6. Fntstcliung des Centrosomas bei .\scaris mcgalo- ccphala (nach Brauer.) Die Entstehung des Zentrosoms aus dem Kern zeigt sich auch bei der Bildung der Spermatozj'ten von Ascaris megalocephala ( Fig. 6). Hier liegt neben den Ciiromosomen und dem Nukleolus ein Ge- bilde, das letzteren bei weitem an Größe überragt. Es ist ein Zentrosom von kugeliger Gestalt, von dem nach allen Seiten Jiin feine I'asern ausstrahlen. Ii6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 8 Sein Innenraum erscheint homogen und trägt im Zentrum ein dunkleres Korn, das Zentralkorn. Bei älteren Stadien zeigt das Zentrosom eine lang- gestreckte Form, das Zentralkorn teilt sich und die Stücke lagern sich an verschiedenen Polen an. Auch das Zentrosom selbst schnürt sich durch, und die Teilprodukte rücken nach entgegengesetzten Seiten der Kernmembran zu, während sich zwischen beiden feine F'asern hinziehen, die um so deutlicher werden, je weiter die Zentrosome sich vonein- ander entfernen. Es bildet sich gleichsam eine kleine Spindel ohne Aquatorialplatte aus. Sobald sich nun die Tochterzentrosome der Membran des Kerns anpassen, platzt diese, so daß die Zentro- some zur Hälfte im Kern, zur Hälfte im Zell- plasma liegen. Gleichzeitig bildet das Protoplasma einen körnchenfreien Hof um die Zentrosomen, die Sphäre, in die jene eine feine Strahlung senden. Schließlich liegen die Zentrosome ganz außerhalb der Kernmembran und an entgegengesetzten Polen derselben. Es hat also in diesem Falle die Teilung und Lagerung der Zentrosome im Innern des Kerns sich vollzogen. schon vorher getrennten Zentriolen in die Länge, und um jedes Zentriol schnürt sich die Hälfte des Zentroplasmas ab. Die Substanz des Mutter- zentrosomas scheint ganz in die Tochtergebilde überzugehen, die sich alsbald abrunden und zu neuen Zentrosomen heranwachsen. Zuweilen sieht man zwischen beiden noch einen äquatorialen Verbindungsstiel auftreten, der als letzter Rest der ursprünglichen Gemeinschaft der beiden Teile gelten kann. Wesentlich anders gestalten sich die Verhältnisse, wenn das Zentrosom sich zur Teilung anschickt, während es sein größtes Volumen besitzt, wobei dann die Verkleinerung mit der Teilung Hand in Hand geht (Fig. 8). Hier wächst das Zentrosom zu einem elliptischen Körper heran, in dessen vor- iiii# Fig. 7. .\us Boveri, Zelleastudien, Heft IV, 1901. Fig. 8. Aus Boveri, Zcllcnstudien, Hett IV, 1901 Nach der Entwicklung des Zentrosoms aus dem Kern bleibt seine Größe in der Zukunft niclit die- selbe, vielmehr v-erkleinert es sich durch Ver- dichtung wieder. Dies ist von Bedeutung für die Teilung, die je nach den beiden Entwicklungs- stufen einen anderen Verlauf nimmt. In dem Falle, wo das Zentrosom schon wieder verkleinert ist, geht die Bildung der Tochterelemente sehr einfach vor sich (Fig. 7). Hier streckt sich das Zentrosom in der Richtimg der N^erbindungslinie der beiden gewölbten Enden die Zentriolen zu liegen kommen. Um jedes Zentriol differenziert sich ein homo- gener Teil des Mutterzentrosoms; der mittlere Teil wird faserig und liegt als Verbindung zwischen den beiden Polen. So kommt es zu einer Zentral- spindel, die in gewisser Beziehung dem vorhin erwähnten Verbindungsstiel entspricht. Die Tochter- zentrosome entwickeln sich nun aus den dichteren Partien der Pole. Hier sei srleich noch erwähnt, daß an (xröße N. F. III. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 117 das Zentrosom der Zellengröße proportional ist. Was die Beziehung des Zentrosoms zur Spindel betrifft, so gilt da wohl der Satz, da(.3 das Zentro- som um so größer ist, je gröfSer sich ihm die Spindel anlegt. Nach Boveri teilen sich die Zentrosome nur durch Zweiteilung, wonach sich die Anzahl der Spindelpole richtet. Völlig übereinstimmend da- mit sind die Befunde der Brüder Hertwig bei See- igel - Eiern. Sie brachten normal befruchtete Eier, die kurz vor der Teilung standen, in eine Chinin- oder Chlorallösung, um die Durchschnürung des ProtO]3lasmas zu verhindern. Dabei bildete sicli die Teilungsfigur zurück, und das gesamte Chromatin vereinigte sich zu einem einzigen, ziem- lich großen Kern. Wenn nun die Teilungsfähig- keit wieder erwachte, zeigten sich um diesen Kern 4 Pole, und es entstand eine vierpolige Teilungs- figur. Der Vorgang verlief nach Boveri's Meinung einfach so, dal:! den Zentrosomen zwar der Ein- fluß auf Protoplasma und Kern entzogen war durch die Einwirkung des Chinins, sie selbst aber in der begonnenen Teilung ruhig fortschritten. Er unterstützte aber auch die Behauptung Boveri's, daß die Zentrosomen sich stets in der Zweiteilung vermehren. Wie verhält sich nun das Zentrosom zu der es umgebenden Sphäre. Diese besteht aus fein- körnigem Protoplasma, das sich sofort um die Anlagestelle des Zentrosoms legt, wenn dieses in die Nähe der Kernmembran kommt. Ob die Sphäre, die in ihrer Struktur sich vom übrigen Proto- plasma der Zelle unterscheidet, einen dauernd unterscheidbaren Bestandteil des Protoplasmas be- deutet, der, für gewöhnlich im ganzen Zellenleib verteilt, sich um die Zentrosome ganz oder teil- weise zusammenzieht und zu radiären Zügen ordnet, oder ob unter dem Einfluß der Zentrosome das gewöhnliche Protoplasma sich umwandelt, ist noch nicht entschieden. Jedenfalls findet eine Ansamm- lung von dichterer, feinkörnigerer Zellsubstanz um die Zentrosome statt, mit der eine Zurück- drängung von Zwischensubstanz verbunden ist. Die Strahlung, die man in der Sphäre wahrnimmt, geht nicht bis zu den Zentriolen heran, sondern reicht nur bis zur Grenze des Zentroplasmas. Das Verhältnis der Sphäre zu Zentrosom und Zentriol legt uns zwei Fragen nahe: I. Von welchem Teile des Zentrosoms Jiängt die Bildung der Sphäre ab, und 2. steht die Teilung des Zentrosoms in ge- wissem Verliältnis zu derselben ? Wenden wir uns zunächst der ersten P'rage zu, so sehen wir, daß das Zentroplasma nie von Strahlen durchzogen ist, das Zentriol könnte also nicht als Insertionspunkt wirken, sondern nur etwa wie ein in Papier ge- wickelter Magnetpol, der Eisenfeilspänen eine radiäre Anordnung beibringt, aber soweit das Papier reicht, einen an Spänen freien Ring um sich läßt. Ver- längert man die Strahlen nach dem Zentriol hin, so treffen sie zwar in kugeligen Zentrosomen in letzterem zusammen, was aber namentlich bei der Teilung in Tochterzentrosome nicht mehr der Fall ist. Dagegen nimmt die Sphäre jede Form an, in die das Zentrosom als Ganzes übergeht; sie wächst, wenn das Zentrosom an Größe zunimmt, und plattet sich gleichzeitig mit ihm ab. Diese Abplattung von Zentrosom und Sphäre geht oft in einer Ebene vor sich, die zu der Richtung der Verbindungslinie der beiden Zentriolen einen Winkel bildet. Somit läßt sich wohl die erste Frage dahin entscheiden, daß die ganze Beziehung zur Sphäre dem Zentrosom als Ganzem obliegt, während das Zentriol weder Insertionspunkt der Radien, noch deren Erregungszentrum ist. Was die zweite Frage nach den Teilungsbeziehungen zwischen Sphäre und Zentrosom angeht, so lehrt die Beobachtung, daß sich um jedes Tochter- zentrosom eine neue Sphäre bildet, die wie die erste sich von minimalen Anfängen entwickeln muß. Ist sie auf der Höhe ihrer Entwicklung an- gelangt, dann schwindet sie nach ihrer karyokine- tischen Wirksamkeit wieder dahin. Man kann daher wohl annehmen, daß jedes Zentrosom nor- malerweise nur eine Sphäre erzeugen kann. Die Frage, ob das Zentrosom in allen Zellen vorkommt, ist wohl mit „Nein" zu beantworten. Einmal tritt nämlich die indirekte Teilung nicht immer unter Beteiligung von Zentrosomen auf, dann sehen wir bei vielen Protozoen, bei Pflanzen und den Ovozyten vieler Tiere, dal.5 die Einrich- tung des Zentrosoms nicht unbedingt erforderlich ist. Ist nun auch in dieser Hinsicht die Gültig- keit der Zentrosomenlehre eine beschränkte, so ist eine andere Frage die, ob diese Körperchen in den Zellen, deren Teilung durch sie vermittelt wird, dauernde oder nur vorübergehende Bildungen sind. In dieser Hinsicht gehen die Meinungen der Autoren noch sehr auseinander. Boveri meint, daß das Zentrosom als Ganzes ein dauerndes Zell- organ sei, dagegen ist ein anderer Teil der Forscher der Meinung, daß diese Bereciitigung nur den Zentriolen zukomme, und dies wiederum nur bei Zellen, die in rascher Folge Teilungen unterworfen seien. Jedenfalls ist den Zentrosomen eine Wichtig- keit, die den Chromosomen zukommt, nicht im geringsten beizulegen. Weit wichtiger ist dagegen das Verhältnis der Zentrosomen in den Fällen, wo sie sich an der Zellteilung beteiligen. Auch hierüber hat lange Zeit der Streit der Forscher hin und hergewogt, und er dauert auch jetzt wohl noch fort. Eine ganze Reihe von Theorien sind über diesen Punkt aufgestellt worden, von denen hier nur einige er- wähnt seien. Da die vorher angestellten Be- trachtungen in Rücksicht auf die Boveri'schen Sätze verliefen, so möge seine Theorie auch zuerst be- handelt werden. Boveri's Ansicht ist ungefähr folgendermaßen zu- sammenzufassen : Zum Zweck der Teilung hat sich in der typischen Metazoenzelle in Gestalt des Zentrosoms ein Gebilde organisiert, das die Pro- zesse der Mitose maschinenmäßig zum Verlaufe bringt. Es ist gewissermaßen das dynamische Zentrum der Zelle, durch dessen Teilung die ii8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 8 Zentren zu den sich bildenden Tochterzellen ge- schaffen werden, um die sich dann die übrigen Zellbestandteile symmetrisch gruppieren. Um jedes Tochterzentrosoma entstellt aus gewissen Bestand- teilen des Zellkörpers eine Sphäre, und es differen- zieren sich in manchen Fällen aus dem Kern- inhalte ähnliche Fasern , die gleichfalls auf die Zentrosome gerichtet sind. Indem nun jedes Tochterzentrosom auf den noch ungeteilten Re- standteil des Kerns, das Chromatin, eine anziehende Wirkung ausübt, kommt es zur Bildung der Äqua- torial- und später der Tochterplatten. Auch die Bildung der unter dem Namen „Zellplatte" be- kannten Scheidewand und die Einschnürung der Zellwand in der auf der Verbindungslinie der Zentrosome senkrechten Ebene ist deren Wirkung. Das Zentrosom ist somit das eigentliche Teilungs- organ der Zelle, es vermittelt die Kern- und Zell- teilung. Die aktive Tätigkeit des Kerns beruht bei der Teilung nur in der Kontraktion des Chro- matins, dem Zentrosom fällt dagegen die Aufgabe zu, diese durch die Spaltung entstandenen Tochter- elemente in 2 Gruppen zu zerlegen, so da(3 sie beim Zustande des ruhenden Kerns nicht mehr von einer Kernvakuole umschlossen werden. Treten mehr als 2 Zentrosome in Tätigkeit, so wird un- abhängig von Qualität und Quantität der Kern- substanz diese in soviel gleiche Teile zerlegt, als Zentrosome auftreten. Andere Theorien sprechen dagegen dem Zentrosom nur die Existenz eines Angriffsorganes zu und lassen die Zellteilung durch die Strahlung des Protoplasmas zustande kommen. Gebilde ohne jede Struktur der Zentralkörper. Aus seiner Vermehrung, die ohne jede Beziehung zur Zellteilung verläuft, entsteht eine Anzahl von Gebilden, die zu Gruppen vereint die Mikrozentren Heidenhain's bilden. Diese Mikrozentren sind durch organische Radien mit der Zellmembran verbunden, so daß sie sich immer im Zustand der Spannung befinden. Da diese ortjanischen Fäden eleichlansf sind, und so die Spannung nach allen Seiten die gleiche ist, so würde sich das Mikrozentrum immer in der Mitte der Zellen befinden, jedoch drängt sie der dazwischentretende Kern mehr der Peripherie der Zelle zu. Das Spannungsgesetz ist nun auch bei der Mitose wirksam. Durch die Teilung des Mikrozentrums wird das Gleichgewicht innerhalb der Zelle gestört, da sich die Radien zu gleichen Teilen auf die beiden Tochterelemenle als In- sertionspunkte konzentrieren. Beide Radiärsysteme streben nun der Gleichgewichtslage zu, die erst dann erreicht wird, wenn sich die Tochtermikro- zentren in eine polare Stellung gelegt haben, und der Kern zwischen beide Pole zu liegen kommt. Durch die Kontraktion der über den Kern hin- laufenden Polfäden, kommt die Bildung der Äqua- torialplatte und der Tochterplatten zustande. Auf demselben Vorgange beruht auch die schließliche Einschnürung der Zellmembran. Heidenhain ver- legt also die Hauptarbeit bei der Mitose nicht in die Wirkung von Zenlrosomen oder Mikrozentren, sondern in die Zugkraft der radiären Sirahlen, die sich der Mikrozentren nur als Insertionspunktc be- dienen. Fig. g. Schemata zur Zellteilungsthcoiie (nach Heidenhain.) So nimmt Heidenhain Zentrosome in dem Sinne, wie sie eben beschrieben wurden, nicht an, sondern sieht im Mittel[Hinkl der Sphäre ein kugeliges Fig. 10. Schemata zur Expansionstheorie (nach Meves.) Entgegen dieser Anschauung nimmt eine andere Richtung nicht eine Kontraktion, sondern eine Expansion der Fasern an. Ihre Ansicht ist, daß durch anhaltendes Wachstum der Polstralilen, die N. F. III. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochensclirift. 119 auch hier an das Zentrosom anstoßen, eine stem- mende Wirkung derselben erzielt werde, auf die alle Erscheinungen der Mitose zurückzuführen seien. Die Anlage der Zentralspindel ist von dem Wachs- tum der Fäden zwischen den Tochterzentrosomen abzuleiten und bedingt auch durch ihre Stemm- wirkung das weitereAuseinanderrücken der letzteren. Die Entstehung der Äquatorialplatte ist nach dieser Expansionstheorie auf den von beiden Zentrosomen auf die Chromosome gleichmäßig ausgeübten Druck zurückzuführen. Die Tochter- platten werden dadurch gebildet , daß die Fäden sich an die einzelnen Teilchromosome nach deren Längsspaltung anlegen und durch ihr Wachslum dem entgegengesetzten Zentrosom zuschieben. Die definitive Zellteilung kommt nach Meves schließlich dadurch zustande, daß die Polfäden zwischen den Zentrosomen und auch solche, die seitlich nach der Zellmembran verlaufen, stark an Größe zunehmen. Durch diese gekreuzte Stemm- wirkung wird die Zellmembran gezwungen, sich zwischen den Zentrosomen einzuschnüren, da zugleich das Protoplasma aus den mittleren Zellteilen nach den seitlich ausgebuchteten Partien hinwandert. Den Stützpunkt zu diesen stemmenden Wirkungen der Polfäden bilden wiederum die beiden Zentro- some. Vis Schemata zur Zcllteilungsthcoric von Rliuiiil>Kr Inacli Rhumbler.) Noch eine andere Theorie der Zellteilung ver- dient hier Erwähnung, da bei ihr neben einem Zug zugleich ein Druck der Zellelemente ange- nommen wird. Es ist die Hypothese, die Rhumbler auf Grund der Wabentheorie Bütschli's aufgestellt hat. Letztere sagt aus, das Protoplasma der Zelle ist als Ganzes flüssig und besteht aus dem weiche- ren Enchylema und dem zäheren Hyaloplasma. Die Wechselbeziehung zwischen beiden Bestand- teilen ist die ideal beste, wenn das Enchylema sich in dem wabenähnlichen Bau des Hyaloplas- mas einlagert. Die Strahlung im Innern der Zelle kommt nach Rhumbler's Theorie dadurch zustande, daß das Zentrosom seiner Umgebung Flüssig- keit entzieht. Auf diese Weise wird das Hyalo- plasma zäher und zugleich müssen sich die Waben in der Nähe des Zentrosoms zusammenziehen. Diese Verkleinerung der Waben bedingt einen Zug des ganzen Zellenbaues, der noch um so größer wird, wenn der Kern beginnt, sich eben- falls auf Kosten der ihn umgebenden Waben aus- zudehnen. Das Zentrosom kann schließlich dem beiderseitigen Zuge nicht mehr standhalten , es teilt sich, und beide Tochterzentrosome werden durch die Zugkraft um den Kern herum in eine IJolare Stellung gegen ihn bewegt. Auch die An- lage der Äquatorial- und Tochterplatten beruht auf der Wirkung eines Zuges der Wabenradien. Die Zellteilung selbst kommt durch großes Wachsen der Zellmembranen und den Zug der Radien zu- stande. Wir sehen aus den angeführten Theorien, wie verschiedener Art die Ansichten der Autoren über die Zellteilung sind. Alle aber stimmen dahin überein, daß das Zentrosom durch seine Teilung die Zentren zu den sich neubildenden Zellen ab- gibt. W'erfen wir zum Schlüsse noch einen Blick auf die Bedeutung des Zentrosoms im allgemeinen und fragen uns, was die Einrichtung desselben zu bedeuten hat. Daß alles zur Teilung Notwendige in der Zelle selbst ruht, das lehrt die Teilung der Protozoenzelle. Daher gewinnt die Auffassung immer mehr an Sicherheit , daß die Bedeutung der Zentrosombildung in einer Verbesserung des Kernteilungsapparats beruhe. Die Scheidung des Chromatins ist bei der direkten Teilung eine re- lativ rohe, durch die Individualisierung des Zentro- soms als Teilungsapparat neben dem Kern wird eine viel innigere Beziehung zwischen Kern- und Plasmateilung hervorgerufen. Bei den Protozoen scheint das Zellplasma in sich die Fähigkeit zur Teilung zu haben; Kern- und Plasmateilung sind ziemlich unabhängig voneinander. Dies ändert sich jedoch mit dem Auftreten des Zentrosoms. Dieses sphärenerregende Gebilde macht seinen Einfluß auf Kern und Plasma gleichzeitig geltend, was besonders in den Fällen geschieht , in denen es darauf ankommt, die Kernteilung streng an die des Zytoplasmas zu binden und eine möglichst gleichmäßige Verteilung des Chromatins auf beide Tochterzellen herbeizuführen. Kleinere Mitteilungen. Die heutigen Anschauungen über die Ent- stehung der Zahncaries behandelte der Zahn- arzt Dr. F'ritz Sc hae f fe r- S t u cker t in einem Vortrag vor der Senckenb. Ges. zu Frankfurt a. M. (vgl. Berichte 1903). — Die Caries der Zähne nimmt unter den Erkrankungen des menschlichen Körpers eine Sonderstellung ein, da das Zahnge- webe nicht die Bedingungen der Ausheilung in sich birgt. Die Forschungen werden deshalb nicht auf die Auffindung eines Caries- Erregers oder auf die Gewinnung eines spezifischen Heilmittels ge- richtet sein, sondern auf die Erforschung der mannig- fachen Ursachen, welche zum Zustandekommen dieser Erkrankung beitragen. Für die L'rsachen der Zahncaries kommen namentlich in Betracht die beiden Hartgewebe I20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 8 der Zähne : Schmelz und Zahnbein oder Dentin. Die Anlage dieser Gewebe, die Verkalkung erfolgt für die Milchzähne vom fünften Monat des Fötal- lebens ab und für die bleibenden Zähne in den vier ersten Lebensjahren des Kindes. Redner teilt die Ursachen der Zahncaries in exzitierende und prädisponierende Ursachen ein. Über die exzitierenden Ursachen sind seit Hippo- krates und Galen bis heute die mannigfachsten Theorien aufgestellt worden. Jetzt gültig ist die von Miller begründete chemisch - parasitäre Theorie. Danach ist der erste Vorgang bei der Zerstörung des Zahnschmelzes die chemische Einwirkung von Säuren, die die zirka 95 prozentige anorganische Substanz des Schmelzes lösen. Die hauptsäch- lichste Säurequelle im Munde ist die Gährung der Kohlehydrate. Die Speisereste von Zucker, Brot, Kartoffeln, Stärke bilden Milchsäure, die der schlimmste Feind des Zahnschmelzes ist. Es sind insbesondere alle klebrigen stärke- und zucker- haltigen Nahrungsmittel geeignet, den Beginn der Caries zu fördern. Nachdem die Säure die harte Schmelzsubstanz chemisch gelöst hat, tritt die parasitäre Wirkung, die zerstörende Wirkung der Bakterien in Tätigkeit. Die Bakterien haben im Munde die günstigsten Lebensbedingungen. Von Miller sind sechs pathogene Mundbakterien in cariösen Zähnen konstatiert, denen sonstige Krank- heitserscheinungen nicht zuzuschreiben sind. Es finden sich aber auch Mikroorganismen in cariösen Zähnen vor, die bei Allgemeinerkrankungen des Körpers, bei Lungenentzündung, Tuberkulose und anderen nachgewiesen worden sind. Die neuesten Forschungen von Preiswerk machen nun sogar auch die Gärungserreger der Eiweißstoffe, des Fleisches, der Eier u. a. für das Entstehen der Caries verantwortlich, so daß für den Schmelz in bezug auf die Bakterien im Munde gesagt werden kann : Feinde ringsum. Im allgemeinen aber ist der Zahnschmelz auch gegen die Einwirkung der Säuren sehr widerstandsfähig. Die verschiedene Widerstandsfähigkeit der Zähne ist die Hauptfrage der prädisponierenden Ursachen. Namentlich der Kalkgehalt des Schmelzes kommt bei den prä- disponierenden Ursachen in Betracht. Roses aus- gedehnte Untersuchungen haben nachgewiesen, daß auf kalkarmem Boden schlechte Zähne, auf kalkreichem Boden gute Zähne vorkommen. Als gute Zähne sind im allgemeinen gelbliche, als schlechte die bläulich-weißen und weißen Zähne zu bezeichnen. Auch das Vorkommen der Farben stimmt mit dieser Statistik überein. Die Härte des Wassers (kalkhaltiges Wasser hat einen größeren Härtegrad) stimmt gleichfalls mit der mehr oder minder großen Cariesfrequenz überein. Als Unter- suchungsmaterial hat Rose Schulkinder, namentlich aber Musterungspflichtige gehabt , und Redner spricht die Hoffnung aus, daß die Untersuchungen der Zahnverhältnisse bei Musterungspflichtigen noch weitere Aufschlüsse bringen werden. Weitere prä- disponierende Ursachen sind der Kalkgehalt des Speichels, der nach Michel auch auf den mehr oder minder hohen Härtegrad des Wassers zurück- geführt wird. Dann ist von Wichtigkeit für die Bildung der Zähne die Ernährung während des Fötallebens sowohl als während der vier ersten Lebensjahre. Das Stillen der Kinder ist von heil- samem Einfluß auf die Entwicklung der bleibenden Zähne. Aber auch bei dem Ersatz für die Mutter- milch wird zu wenig auf genügende Kalkzufuhr gesehen. Der Salzgehalt der Kindernährmittel ist ein sehr verschiedener, und wie Redner an einer Tabelle zeigt, sorgen nur wenige Kindernährmittel für genügenden Gehalt an Kalksajzen. Ernährungs- störungen, Krämpfe, Verdauungsstörungen verur- sachen oft bleibende mangelhafte Schmelzbildung. Auch die Rasseneigentümlichkeit spielt nach Rose eine einflußreiche Rolle bei dem Auftreten der Caries. Langköjjfe mit schmalem , engem Kiefer haben größere Cariesfrequenz als Kurzköpfe mit breitem Kiefer. Die Erblichkeit ist gleichfalls unter die prädisponierenden llrsachen zu rechnen, denn das enge Zusammenstehen breiter Zähne im engen Kieferbogen gibt zweifellos Anlaß zur Entstehung von Cariesherden. Schließlich ist die aus den Statistiken Roses hervorgehende Beobachtung zu erwähnen, daß in Gegenden mit schwarzem, dickrindigem Roggenbrot weniger Caries auftritt als bei Genuß weißen, weichen Weizenbrotes. Dieser Umstand ist auf die mecha- nisch reinigende Wirkung des Kauens harter Nahrungsstoffe zurückzuführen , setzt aber still- schweigend auch eine gewisse vitale Reaktion vor- aus, die beim Zahn noch nicht völlig nachgewiesen ist. Der Satz: Jedes Glied des menschlichen Körpers wird durch Benutzung besser und kräftiger, muß in gewisser Beziehung auch für die Zähne gelten. Das beweisen die Zähne der Naturvölker, das zeigen hauptsächlich die enormen Größen bei den prähistorischen Zahnfunden der Schipkahöhle, von Krapina u. a. Über ,, Schwimmblase, Lunge und Kiemen" betitelte sich ein \^ortrag von J. W. S p e n g c 1 aus Gießen, den dieser vor der Senckenbergischen Naturf-Ges. in Frankfurt a. M. gehalten hat. Bei einem Versuch — lesen wir in den Berichten der genannten Gesellschaft (1903) — die zwischen Schwimmblase, Lunge und Kiemen bestehenden Beziehungen zu ermitteln, ist die morphologische und physiologische Betrachtungsweise der Organe möglichst scharf auseinander zu halten. Organe gleichen morphologischen Wertes können bei ver- schiedenen Tieren ihre Funktion wechseln, und der gleichen Funktion können bei verschiedenen Tieren Organe verschiedenen morphologischen Wertes dienen. Für letzteres sind ein Beispiel die Atmungsorgane der Wirbeltiere: Kiemen und Lungen, für ersteres die Schwimmblase und die Lunge, unter denen nach der herrschenden An- sicht Homologie besteht. Dieser steht zwar die Tatsache entgegen, daß die Schwimmblase in der Einzahl vorhanden ist, über dem Darm liegt und von obenher in denselben einmündet, wohingegen N. F. III. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 121 die Lunge doppelt ist, unter dem Darm liegt und von unten her in ihn einmündet. Allein die ver- gleichend-anatomische Forschung hat unter den Fischen Formen nachgewiesen, deren Schwimm- blasen sich bald in dem einen, bald in dem anderen der genannten Punkte wie die Lungen verhalten, und die zum Teil auch insofern von den gewöhn- lichen Schwimmblasen abweichen und den Lungen gleichen, als sie wie diese gebaut sind und mit atmosphärischer Luft vom Munde aus gefüllt werden können, während die echten Schwimm- blasen mit Gasen gefüllt sind, die aus dem Blut ausgeschieden werden. Für die Annahme einer allmählich entstandenen Änderung der Funktion ist es von Wichtigkeit, daß manche Fische den in ihrer Schwimmblase enthaltenen Sauerstoft' wieder in ihr Blut aufnehmen und so zur Atmung mit- verwenden können, wie es in der Lunge regel- mäßig geschieht. Füllung mit Luft vom Munde aus ist dafür noch günstiger. Am weitesten sind diese denen der Lunge entsprechenden Einrich- tungen bei den sogenannten Lungenfischen ausge- bildet, deren zwei Schwimmblasen physiologisch und anatomisch den Lungen der Amphibien gleichen, auch darin, daß sie die PTemente eines Kehlkopfs aufweisen und ihre Blutgefäßversorgung mit der- jenigen der Lungen übereinstimmt. Für die Annahme einer Umwandlung der Schwimmblase in eine Lunge ergeben sich Schwierig- keiten, da die erstere bei diesem Vorgang von der Oberseite auf die Unterseite des Darms rücken und dabei die mit ihr zusammenhängenden Blutgefäße Verschiebungen erfahren müßten, wie sie in Wirklichkeit nicht beobachtet werden. Boas hat deshalb die Hypothese aufgestellt, die Schwimm- blase sei vor ihrer Lageveränderung in zwei Blasen geteilt, jede an einer Seite um den Darm herum auf die Unterseite gewandert und beide dann wieder miteinander verwachsen. Da diese An- nahme auf gewichtige Bedenken stößt, wird man es mit Sagemehl für wahrscheinlicher halten, daß das zuerst vorhandene Organ sich lungen- ähnlich verhalten habe und aus ihm die Schwimm- blase hervorgegangen sei, welche dann die für eine solche zweckmäßige Lage an der Oberseite des Darms angenommen habe. Sp. versucht diese An- sicht zu stützen, indem er die lungenähnlichen Organe als ein Paar ursprünglicher Kiementaschen betrachtet. Dafür beruft er sich auf die Herkunft der Skelett- und Muskelbestandteile des Kehlkopfs an den entsprechenden Teilen der Kiementaschen und auf die Blutgefäl3versorgung durch Äste der Kiemenarterien. Eine Vereinigung von zwei Kiemen- taschen zu einer gemeinsamen Mündung kommt auch bei gewissen Fischen vor. Vielleicht sind aber statt zweier Kiementaschen nur zwei Aus- sackungen solcher zu Lungen geworden, wie sie sich in Zusammenhang mit sogenannten acces- sorischen Kiemenorganen bei Fischen finden. N. A. Maxim ow. Über den Einflufs der Verletzungen auf die Respirationsquotienten. (Ber. d. Dtsch. Botan. Gesellsch., XXI. Bd., Hefts, 1903). — Es ist bekannt, daß die Verletzung der Pflanze eine Reihe verschiedenartiger Prozesse in dieser hervorruft , wie eine energische Synthese von Eiweißkörpern, eine Steigerung der Atmungs- tätigkeit u. dergl. Eine solche Erhöhung der Atmungsenergie ist nur bei Luftzutritt, also bei Gegenwart von Sauerstofif, wahrnehmbar. Verf. hat sich in der vorliegenden Arbeit die Aufgabe gestellt, festzustellen, ,,ob in der Tat nach statt- gefundener Verletzung eine erhöhte Absorption von Sauerstoff wahrzunehmen ist, was sich durch ein Fallen des Respirationsquotienten ') offenbaren würde. Verf. arbeitete bei seinen Versuchen mit Kartoffelknollen und Zwiebeln von AUium Cepa, Beide Objekte sind recht glücklich gewählt, da sich die erwähnten Prozesse, die sich infolge von Verletzungen abspielen, besonders gut an fleischigen, an Nährstoffen reichen Organen beobachten lassen. Die Objekte wurden in zerschnittenem Zustande in durch Quecksilber abgeschlossene Reagensgläser gebracht, die Luft in den Röhren dann gasanaly- tisch untersucht. Dabei ergab sich , daß die Respirationsquotienten bei unverletzten fleischigen Organen (besonders bei den Knollen von Solanum tuberosum) recht bedeutende Schwankungen auf- weisen können. Da sie nämlich die Fähigkeit besitzen, große Mengen Kohlensäure in sich anzusammeln, so können sie, in einen abgeschlos- senen Raum gebracht, in der ersten Zeit einen Teil dieses Gases zurückhalten , was zu einem scheinbaren Sinken des Respirations(]uotienten führen kann. Das Umgekehrte, ein Steigen des Atmungsquotienten , konnte beobachtet werden, sobald die Versuchsobjekte aus einer an Sauerstoff sehr reichen Atmosphäre in die Luft gebracht wurden , wobei sie einen Überfluß an CO._, aus- scheiden, was natürlich ebenfalls zu falscher Deu- tung Anlaß geben konnte. Unmittelbar nach \ollzogener Verletzung erfuhr der Respirationsquotient eine bedeutende Steige- rung; es wurde eine große Menge Kohlensäure ausgeschieden, ohne daß eine entsprechende Sauerstoffabsorption stattfand. Diese Erscheinung erklärte sich daraus, daß die durch Vergrößerung der freien Oberfläche (die Oberflächenvergrößerung kam zustande durch die Verwundung) in den Ge- weben angesammelte Kohlensäure eine schnelle Absonderung erfuhr. Diese erste lebhafte Gas- ausscheidung hörte übrigens sehr bald auf. Da- nach fiel der AtmungS(]uotient rapid, was durch ein lebhaftes Steigen der Sauerstoftabsorption be- dingt war, begann jedoch bald darauf wieder zu wachsen und erreichte am zweiten oder dritten Tage nach der Verletzung das Maximum. Mit dem Fortschreiten der Heilung der Wundfläche kehrte der Respirationsquotient allmählich zu seiner früheren Höhe zurück. Se. ') Unter ,, Atmungsquotient" versteht man das Verhältnis der . CO, aus<;catmctcnKohlensäurc zum aufgenommenen Sauerstoff, ". 122 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 8 Der Zement. — Zemente oder hydrau- lische Mörtel — so genannt, weil Wasser keinen Einfluß auf dieselben hat; sie werden so- gar um so fester, je länger sie mit Wasser in Berührung sind — kommen teils schon fertig ge- bildet vor, durch vulkanische Hitze gebrannt, Trass, Puzzuolanerde, Santorin, teils werden sie künstlich durch Brennen natürlich \'orkommendcr toniger Kalksteine oder durch Brennen eines künstlichen Gemisches aus Kalkstein oder aus Ätzkalk mit Ton erzeugt. Die ersteren Arten von Zement, aus tonigem Kalkstein, bezeichnet man als Roman- ze m e n t e, die letzteren als P o r 1 1 a n d z e m e n t e. Bis in das verflossene Jahrhundert hinein wurde nur Romanzement durch Austreiben der Kohlensäure aus dem Kalkstein durch Brennen bei einer Temperatur bis zu 400" C. hergestellt, bis es im Jahre 1824 dem englischen Maurer Joseph Aspdin gelang, durch Brennen einer be- stimmten Mischung von Kalk und Ton bis zur Sinterung bei etwa 1400" C, also bei Hochofen- temperatur, einen künstlichen Zement zu erzeugen. Dieses Produkt hatte nun mit dem in England viel zu Bauzwecken benutzten Baustein „Portland- stone" sowohl Farbe als auch Festigkeit gemein, weshalb Aspdin seine Erfindung „Portland- zement" nannte. Bei der sich bald entwickelnden künstlichen Fabrikation des neuen Produktes, welche beson- ders in Deutschland seit ungefähr 50 Jahren aus kleinen Anfängen sich zu einer hervorragenden Industrie emporgeschwungen hat, wurde der von Aspdin allerdings willkürlich gewählte Name „Portlandzement" als Begriff der von ihm erfun- denen Herstellungsmethode festgehalten , so daß man jetzt unter diesem Namen nur einen h\-drau- lischen, unter Wasser erhärtenden Mörtel versteht, welcher dadurch hergestellt wird , daß man eine innige Mischung von Kalk und Ton bis zur Sinte- rung brennt und dann in die Form eines feinen Pulvers bringt. Als V e r f ä 1 s c h u n g s m i 1 1 e 1 des Portland- zementes dienen besonders die fein gemahlenen Hochofenschlacken, welche ebenfalls hydraulische Eigenschaften in gewissem Grade besitzen. Ge- mische von Portlandzement und solchen Hochofen- schlacken werden dann unter dem Namen „S c h 1 a c k e n z e m e n t e" in den Handel gebracht. Eine Hauptbedingung für einen guten Port- landzemenl ist die richtige Zusammensetzung dieselbe ist etwa folgende : Kalk 62 »/„, Kieselsäure 22 %, Tonerde, Eisenoxyd 12 " Magnesia 2 — 3 Schwefelsäure i — 2 "/„, Alkalien etc. o — i Die im Kalk und Ton zur Zementbildung ent- haltenen Hauptbestandteile müssen demnach je nach den sie begleitenden Nebenstoffen, wie I\lag- nesia, Gips, Alkalien etc. in einem ganz bestimm- ten, und demnach jeweils zu berechnenden Ver- 0/ 111 7o '/u, 1; MI- hältnisse gemischt werden. Aus diesem Grunde ist in den großen Zementfabriken ein wissen- schaftliches, mit den erforderlichen Apparaten aus- gestattetes Laboratorium die wichtigste Abteilung des ganzen Betriebes , da nur eine fortwäh- rende chemische Kontrolle eine Garantie für ein gutes, gebrauchsfähiges Produkt gibt. Sehen wir uns nun einmal die Fabrikation des Portlandzementes etwas genauer an. Selbstver- ständlich gehören in eine große Fabrik heutzutage große Dampfmaschinen zum Betreiben der ein- zelnen Mühlen etc., ferner Maschinen zur Erzeugung von Elektrizität für Kraftbetrieb und elektrisches Licht. Das Rohmaterial muß zuerst zerkleinert wer- den; dies kann auf dreierlei Art erfolgen, entweder nach dem Trockenverfahren (Karlstadt a. M.), oder nach dem Naßverfahren (Schlämmen; Hemmoor), oder nach dem gemischten Verfahren (Amöne- burg). Die Rohmühle mit den Koller- und Stein- mahlgängen dient zum Mahlen der vorher zer- kleinerten Kalksteine und Zuschläge, die in Block- form zunächst den Steinbrecher passieren müssen, um dann in den Mahlgängen zu feinstem Pulver gemahlen zu werden. Dieses sogenannte Roh- mehl besitzt nun bereits die richtige Mischung, muß aber noch gebrannt werden, und wird durch eine in regelmäßigen Zwischenräumen vorzuneh- mende chemische Analyse auf 75 — 78 "/„ Kalk gehalten. Hat dieses Material die richtige Zu- sammensetzung und genügende Mehlfeinheit und wird dem späteren Brennen genügende Sorgfalt zugewendet, dann muß auch das Endprodukt voll- ständig allen Anforderungen entsprechen. Durch geeignete Vorrichtungen wird hierauf das Rohmehl mit 8 — 10 "/n Wasser innig durch- knetet; von der so erhaltenen Masse preßt man dann Steine, welche entweder direkt oder nach kurzem Trocknen in vorgewärmten Räumen ge- brannt werden. Das Brennen kann erfolgen in Schachtöfen, Ringöfen oder Etagenöfen; neuer- dings werden auch sog. rotierende üfen vielfach empfohlen. Dies sind 20 und mehr Meter lange, mit Ton ausgekleidete Rohre von einem Durch- messer bis Mannesgröße. Die Masse wird hier erhitzt bis zur Sinterung, das ist bis zum Schmelzen und fällt dann in den Schachtöfen den Ausgängen zu. Beim Erhitzen würde es sich zeigen, ob die Zusammensetzung des Zementes richtig ist. Wird nämlich die Kalkmenge nur um weniges über- schritten, so stellt sich sofort der schlimmste und am meisten gefürchtete Fehler, „das Treiben", ein, während ein Mangel an Kalkgehalt die Festigkeit, d. h. die Qualität mehr und mehr verringert. Von hier aus werden die Klinker — so heißt die ge- brannte Masse — nach dem Bespritzen mit Wasser in die Zementmühle gefahren. In dieser werden dieselben durch Brechmaschinen zerkleinert, dann in Kugelmühlen gebracht, aus denen sie durch Schnecken (korkzieherartige Schraubengänge) nach großen Siebflächen befördert werden und hierauf als mehlfeines Zementpulver in Silos gelangen, die N. F. III. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. nach einer gewissen Belastung sich automatisch entleeren, um neuen Zufuhren Platz zu machen. Die Verpackung des fertigen Produktes erfolgt dann meistens ebenfalls automatisch in Säcken oder auch, namentlich fi.ir den Export, in Fässern. In größeren Fabriken werden natürlich auch die für die für die Aufnahme des Zementes bestimm- ten Säcke und Fässer hergestellt. Die Haupteigenschaften eines guten Portlandzementes sind Volum beständigkcit und Festigkeit. Als volumbeständig ist ein Zement dann anzusehen, wenn er, mit Wasser ohne Sandzusatz angemacht, an der Luft oder im Wasser die beim Abbinden angenommene Form dauernd beibehält. Namentlich in England, in verschiedenen Fabriken auch in Deutschland, bedient man sich eines Apparates zur ,, graphischen Darstellung der Abbindezeit" mit Uhr und Skala; bei diesem werden die Abbindekurven automatisch aufgezeichnet. Die Abbindezeit differiert von einer Minute bis zu lO Stunden und darüber, weshalb man schnell-, mittel- und langsambindende Port- landzementc unterscheidet. Ein Zement, welcher abgebunden hat oder im Begriffe ist, abzubinden, wird absolut unbrauchbar oder zum mindesten minderwertig, wenn man ihn überrührt oder ihn zur Weiterverarbeitung gar noch durch Wasser- zusatz geschmeidig erhalten will, was häufig ge- schieht. Auf die Abbindezeit ist die Temperatur, sowohl des Zementes, wie auch des Wassers von entscheidendem Einfluß. So besaß z. B. ein- und derselbe Zement (Vortrag, gehalten am 14. Januar igoi im Polytechnischen Verein München von Direktor Steinbrück), welcher bei der normalen Temperatur von 16" C. eine Abbindezeit von I Stunde 30 Minuten hatte, bei einer Winter- temperatur von 7 " C. eine solche von 5 Stunden, bei einer Hochsommertemperatur von 30" C. eine solche von 26 Minuten. Doch auch die zur Ver- arbeitung des Zementes genommene Wassermenge beeinflußt die Abbindezeit, wie aus folgendem zu ersehen ist. Ein und derselbe Zement bindet ab bei 26 "/„ Wasserzusatz in 6 Stunden 37 Minuten, „ 27 % „ „ 7 „ 20 „ , .. 28 /„ „ „8 „ 3 „ , „ 29% „ „ 8 „ 24 „ , „ 307,, „ „ 9 „ 28 „ . Die Rindezeit erhöht sich also mit dem Wasser- zusatz. Scliließlich wirkt aucli die Feuchtigkeit der Luft insoferne auf das Abbinden ein , als der Zement in trockener Luft schneller abbindet als in feuchter; doch sind die Differenzen nicht be- deutend. Die Bestimmung der Festigkeit er- folgt durch die Zugprüfung oder durch Ermittlung der Druckfestigkeit mittels besonderer Apparate; erstere ist bequemer und mit billigeren Apparaten auszuführen wie letztere; die D r u ckfestigkeit be- trägt durchschnittlich das Zehnfache der Zugfestig- keit. Die Normen schreiben hierüber vor ; „Lang- sam bindender Zement soll bei der Probe mit 3 Gewichtsteilen Normalsand auf einen (iewichts- teil Zement nach 28 Tagen Erhärtung — i Tag an der Luft und 27 Tage unter Wasser — eine Minimalzugfestigkeit von 16 kg pro Ouadratzenti- meter haben, so daß man also 160 kg pro Quadrat- zentimeter Druckfestigkeit \'erlangen kann." Wie bei dem Abbinden, so spielt auch bei der Anfertigung der Festigkeitskörper die Temperatur eine große Rolle, indem bei steigender Temperatur die Zugfestigkeit immer geringer wird. Einen weiteren Einfluß übt die relative Feuchtigkeit der Luft aus: je feuchter die Luft, desto höher ist die Zugfestigkeit. Ferner muß auf richtigen Wasser- verbrauch bei Herstellung der Festigkeitskörper geachtet werden : von zu trockener bis zur rich- tigen Mörtelkonsistenz steigt die Festigkeit, wäh- rend sie bei zunehmender Geschmeidigkeit durch erhöhten Wasserzusatz wieder fällt. Daß auch der zu den Prüfungen verwendete Sand die Zug-, bzw. Druckfestigkeit beeinflussen kann, sei hier ebenfalls bemerkt. Zu weiteren Untersuchungen dienen noch Apparate zur Bestimmung der Aufnahmefähigkeit des Zementes für Kohlensäure während der Lage- rung, Meßapparat für Ausdehnung und Schwindung von Zementprismen, Apparat zur Bestimmung des spezifischen Gewichtes etc. Schließlich seien noch einige der sich vielfach wiederholenden technischen Bezeichnungen erklärt. Zur Ermittlung der „Bindezeit" rührt man Zement mit Wasser zu einem dünnen Brei an, bringt diesen mit einem Spatel auf eine Glasplatte, so daß ein etwa 1,5 cm dicker Kuchen entsteht und läßt diesen, vor Luftzug und Sonnenlicht geschützt, bei 15" C. liegen. Ist der Kuchen so weit erstarrt, daß er einem leichten Drucke mit dem Finger- nagel widersteht, so hat er „abgebunden". Wird dieser Zementkuchen dann noch 24 Stunden lang in kaltes Wasser gelegt und zeigt er bei dieser Behandlung weder Verkrümmungen noch Kanten- risse, so ist er „volumbeständig". Utz, Korps-Stabsapotheker. Wetter-Monatsübersicht. Der diesjährige Oktober linUe in seinem größeren Teile einen trüben, regnerischen Witterungscharakter mit mehr- fach wechselnden Temperaturverhältnissen. Wie aus der um- stehenden Zeichnung ersichtlich ist, war in den meisten Gegen- den Deutschlands der erste zugleich der wärmste Tag des Monats, an dessen Nachmittage sich das Thermometer an vielen Orten, z. B. in Bonn, Uslar, Altenburg, Bamberg und iVIülhausen i. E. auf 25, in Magdeburg sogar auf 27 Grad C. erhob. Dann kühlte sich die Lull zunächst langsam, seit dem 8. aber schneller ab, so daß jetzt auch die IMittagstemperaturen meist unter 15 Grad C. blieben. Nach einigen etwas wärme- ren Tagen gegen Mitte des Monats setzte sich die Abkühlung überall bis zum 20. weiter fort. In dieser und den folgenden Nächten trat vielfach Frost auf, namentlich im Süden, wo die Temperaturen 3 bis 4 Grad unter den Gefrierpunkt herab- gingen. In den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen und Pommern waren auch schon vom 12. bis 14. Oktober leichte Nachtfröste vorgekommen. Die letzte Oktoberwoche zeichnete sich in ganz Deutsch- land durch ruhiges, freundliches und sehr mildes Wetter aus, wobei die Mittagstemperaturen noch öfter 1 5 und die Tages- mittel 10 Grad C. überschritten. Auch im Durchschnitt des 124 Naturwissenschaftliche , Wochenschrift. N. F. III. Nr. 8 Monats w.Trcn die Tcmpcralurcn allgemein zu liocli. Der Überscliuß über die normalen Werte betrug zwar östlich der Elbe nur wenige Zehnlelgrade, in Nordwest- und Süddeutsch- land aber i bis l'/aGrad. Die Zahl der Sonnenscheinstunden, >Mift(«r8 Tetnperafuräti einia^eeOrk imOktovct^ 1903. I I I I I I I I I I I i- I I I I I I I I I BfriirwrWdlfrturtau. deren z. B. in Berlin 94 gemessen wurden, stimmte mit ihrem Durchschnitt aus den früheren Oktobermonaten, trotz längerer Zeiten mit bedecktem Himmel, ungefähr überein, weil das letzte Drittel des Monats viel Sonne brachte. Sehr reichlich fielen im letzten Oktober die Niederschläge, die unsere zweite Zeichnung zur Darstellung bringt. In vielen Gegenden Norddeutschlands verging bis zum 18. kein Tag ■ -V ßieJer5cI/a3sl^öJ9cn im ÖWo&er 1903. Mitllersp Wert für DeuFscHlancl. Monafesumme irti OHtr. ohne Regen, die am ergiebigsten im westlichen Küstengebiete waren. Am 6. und 7. Oktober herrschten in den nordwest- lichen und mittleren Landestcilen, etwa bis zur Oder hin, starke Weststürme, die vielfachen Schaden anrichteten und auüerurdcnllich grolJe Regenmengen mit sich brachten. Am 13. und 14. liel in den Provinzen Ost- und Westpreufsen der erste Schnee, .^m 16. fanden in Nordeutschland weit verbreitete Gewitter statt, die an einzelnen Orten, z B. in Münster, Lüdenscheid, Grünberg von Hagelfällen begleitet waren. Auch über Berlin entlud sich ein kurzes Gewitter, was hier im Oktober durchschnittlich nur alle fünf Jahre ein- mal geschieht. Nachdem durch die anhaltende Nässe die Feldarbeiten schon verzögert worden waren, ließen die Niederschläge in der zweiten Hälfte des Monats allmählich nach. Aber erst seit dem 25. trat überall trockenes Wetter ein, das im gröUten Teile Norddcutschlands fast bis zum Schlüsse des Monats Be- stand hatte, während in Süddeutschland in seinen letzten Tagen nochmals stärkere Regen herniedergingen. Der gesamte Ertrag an Niederschlägen belicf sich für den Durchschnitt der be- richteten Stationen auf 86,6 Millimeter, volle 20 Millimeter mehr, als die gleichen Stationen im Mittel der zwölf letzten Oktobermonate ergeben haben. In der Lage und den Bewegungen der Hochdruck- und Depressionsgebiete kamen im Laufe des Oktober sehr häufige Wiederholungen vor. Bis zum 10. zog ein barometrisches Minimum dicht hinter dem anderen vom atlantischen ( »zean gerade ostwärts über Südskandinavien ins Innere Rußlands hinein , während ein Hochdruckgebiet über Südwesteuropa lagerte. Nachdem aber ein anderes, vom Eismeer gekommenes Maximum die skandi- navische Halbinsel besetzt und dort Krostwctter herbeigeführt hatte, schlugen die nächsten, außerordentlich tiefen atlantischen Depressionen nach Norden gerichtete Straßen ein und ent- sandten nur einzelne Teilminima in das Gebiet der Nordsee und ( )stsee. In Mitteleuropa trat deshalb anstatt der vorher fast dauernden Südwest- und Westwinde ein mehrfacher Wechsel zwischen einer trockneren, kühlen Ost- und feuchten, milden Südwcstströniung ein. .Am 18. Oktober verbanden sich das südwestliche und nördliche Hochdruckgebiet miteinander und bildeten ein höheres Maximum, das in den nächsten Tagen nach Nord- westrußland zog , dabei aber sich bis Obcritalien nach Süd- westen erstreckte. Die Minima blieben auch jetzt dem euro- päischen Fesllande fern , wo zunächst kühle Nordwest- und dann mildere Sudwestwindc herrschten. Erst gegen Ende des Monats drang eine sehr umfangreiche Depression von den britischen Inseln allmählich nach Mitteleuropa vor. Ein Teil von ihr wandte sich von da nach Norden, ein anderer ge- langte nach Süden hin und veranlaßte im Verein mit einem Minimum, das schon vorher auf dem westlichen Mittelmeere verweilt liatle, verheerende Wolkenbrüche in der Südschweiz, Südtirul und Italien, wobei vom 28. bis 31. Oktober in Lugano gerade 200, in Riva 101, in Turin 82, in Livorno 81 mm Regen fielen. Dr. E. Lcss. Vereinswesen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde. — .'\ni Mittwoch, den 8. April, unter- nahm die Deutsche Gesellschaft für volk.stümliche Naturkunde unter der Leitung des Herrn Geheimen Bergrats Professor Dr. VVah n seh äffe einen geo- logischen Ausflug nach Staßfurt zur Besichtigung der dortigen Salzlager. Ein vorbereitender Vor- trag war für die Teilnehmer an dem Ausfluge von dem Führer bereits am Sonnabend, den 4. April, in der Königlichen Bergakademie unter Vorlage von Profilen und Proben der haupssächlichsten in Staßfurt vorkommenden Salze gehalten worden. .Am Ausflugstage versammelten sich 58 Teil- nehmer, darunter auch eine größere Anzahl Damen, schon zu früher Stunde auf dem Potsdamer Bahn- hofe, um den um 6 Uhr morgens abgehenden Zug über Magdeburg nach Staßfurt zu benutzen. An dem Bahnhofe daselbst wurden sie von Herrn N. F. III. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 125 Hergrat Ziervogel empfangen und sogleich zum Königlichen Schacht Berlepsch geleitet, wo nach Anlegung der Grubenanzüge in dem großen Ar- heitersaale zunächst an einem Profile eine Erläute rung der Schachtanlage und des Abbaues der Salze stattfand. Hierauf erfolgte die Einfahrt in den Berlepschschacht bis zu der vierten, 406 m tiefen Tiefbausohle, von wo aus die Wanderung durch die Abbauörter des jüngeren hängenden weißen Steinsalzes, des Sylvinits, des Carnallits und des älteren liegenden Steinsalzes mit seinen regel- mäßigen Anh)-dritschnüren begann. Nach der Aus- fahrt nahmen die Teilnehmer ein von dem Kalis\'ndi- kat angebotenes h'rühstück entgegen, bei welchem der Direktor Herr Bergrat Graeßner unter Vorlage zahlreicher Wandtafeln eine Übersicht über die Wirksamkeit des S\'ndikats für den Verkauf der Kalisalze und die Bedeutung der letzteren für die Landwirtschaft gab. Bei der Rückfahrt über Magde- burg blieb noch so viel Zeit übrig, daß man sich im Hotel Continental zu einem frohen Mahle ver- einigen und eine Wanderung durch die Stadt unternehmen konnte. Am Sonnabend, den 18. April, nachmittags 4 Uhr, fand sich eine größere Anzahl von Mit- gliedern der Gesellschaft zur Besichtigung des groß- artigausgestatteten neuen Pharmazeutischen Instituts der Universität in Dahlem ein. Der Direktor des Instituts, Herr Prof Dr. Thoms, der hierbei den Führer machte, verbreitete sich in einem einleiten- den, im großen Hörsaal gehaltenen Vortrage über die für den Unterricht und für praktische Übungen getroffenen Einrichtungen moderner chemischer Laboratorien. Unter Vorführung zahlreicher Lichtbilder sprach am Mittwoch, den 22. April, abends 8 L'hr, im Bürgersaale des Rathauses Herr Prof Dr. Carl Müller über „Pflanzen mit eigenartiger Ernährungs- weise". Einer Besichtigung des Meteorologisch-Magne- tischen Observatoriums galt eine Exkursion, die am Mittwoch, den 13. Mai, nachmittags, nach dem Telegraphenberg bei Potsdam unternommen wurde. Die Herren Abteilungsvorsteher Prof Dr. Sprung und Prof A. Schmidt, unterstützt von den wissen- schaftlichen Mitarbeitern bezw. Assistenten Herren Dr. Lüdeling, Kühl, Dr. Märten und Dr. Nippoldt, erklärten in ausführlicher Weise die Einrichtungen und Instrumente des genannten Instituts. Über ,, Hygiene des Auges" hielt am Mittwoch, den 20. Mai, im Rathaussaale Herr Prof Dr. S i 1 e x einen Vortrag. Am Montag, den 25. Mai, nachmittags, besuchte die Gesellschaft die Jubiläums - Ausstellung des Fischereivereins für die Provinz Brandenburg im Landes-Ausstellungspark am Lehrter Bahnhof Vor- her sprach Herr Prof Dr. Eckstein aus Ebers- walde im Hörsaal der alten Urania über das Wesen der Jubiläums- Ausstellung und ihre Be- deutung in wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Beziehung. I3ie Ausstellung, so führte der Herr Vortragende aus, hat den Zweck, zu zeigen, was die Provinz Brandenburg 1903 auf jedem Zweige der F'ischerei und Fischzucht zu leisten im stände ist. Dieser Zweck ist eigennützig und uneigen- nützig zugleich; ersteres, weil jeder Aussteller durch Vorführung eigener Produkte, eigener Arbeit in friedlichen Wettkampf mit den anderen eintritt, letzteres, weil die .Ausstellung dem Allgemeinen dient, indem sie das V'erständnis des Laien für die Fischerei und alle damit zusammenhängenden Ver- hältnisse erweckt, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch bezüglich der Wissenschaft, Geschichte, Kunst und allgemeinen Bildung. Die .Ausstellung zeigte zunächst die Tätigkeit des Ver- eins, der als Aussteller auftrat und zugleich einen sehr wertvollen Katalog und eine Festschrift (im Verlag der Gebrüder Borntraeger, Berlin) heraus- gegeben hat, sodann die Tätigkeit seiner Mitglieder, und zwar seines Vorsitzenden, der sich die größten Ver- dienste um das Emporblühen des Vereins erworben und dem in erster Linie dasZustandekommen der Aus- stellung zu verdanken ist; der Fischer, welche Wildfische aus See und Strom, Netze, Werkzeuge und historisch wertvolle Dinge ausstellten; der Fischzüchter, welche ihre Zuchtresultate, Nutzfische sowohl wie Zierfische, in mustergültiger Weise zur Darstellung brachten; der Fischhändler, welche zeigten, welche Krebse und Fische neben ein- heimischen Arten konsumiert werden; der wissen- schaftlich tätigen Mitglieder, deren .Arbeiten sich auf Wasseruntersuchung, Biologie, Ernährung der Fische u. a. m. erstreckt, und der Sportfischer, welche ihre Angeln, Geräte, Literatur ausstellten. Aber auch Nichtmitglieder , soweit sie der Provinz angehören, waren zur Ausstellung zuge- lassen und konnten ihre Tätigkeit auf dem Gebiete der Fischerei zeigen. Endlich sollte die Aus- stellung den Zusammenhang der Fischerei mit der Industrie beleuchten ; es waren zu sehen die Er- zeugnisse der Netzfabriken, ferner wasserdichte Kleider für Fischer, Fischwagen, Kochtöpfe für Fische, Fischgedecke, Tafeltücher u. dgl., ferner Kochkisten, Samariterkisten, naturwissenschaftliche Präparate, wissenschaftliche Hilfsmittel usw. Die Frage, worin die Bedeutung der Ausstellung liege, beantwortete Herr Prof. Eckstein mit den Worten : sie soll zeigen, was jeder hat und was er kann, in erster Linie die Provinz als solche, denn es ist auf der Ausstellung eine Darlegung gegeben der wirtschaftlichen Bedeutung der Fischerei für die Mark Brandenburg; dann jeder einzelne, er selbst erkennt, was der andere besser hat und besser kann; er sieht die kleinen oder großen Mängel seiner eigenen Leistung und findet dadurch einen mächtigen Antrieb zum Fortschritt. Außerdem gil)t ihm die Ausstellung Gelegenheit zur An- knüpfung von Verbindungen in persönlicher oder geschäftlicher Beziehung. — An diesen Vortrag schloß sich die Besichtigung der Ausstellung, wobei die Teilnehmer in zwei Gruppen geteilt von Herrn Dr. Brühl und Herrn Prof Dr. Eckstein ge- führt wurden und mit regem Interesse den ge- gebenen Erklärungen folgten. 126 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ITT. Nr. 8 Wälirend der Monate Mai und Juni fand an vier Sonntagen, jedesmal in der Zeit von ii — i Uhr mittags unter Leitung des Herrn Prof. Dr. O. H e i n - roth ein Vortragszyklus „Biologie der Säugetiere und Vögel" im Zoologischen Garten statt. Die erste Demonstration am Sonntag, den lo. Mai, galt den gro(3en Raubtieren, den Raubvögeln, den Einhufern und Robben ; die zweite am Sonntag, den 17. Mai, den Kleinsäugern und Wiederkäuern; die dritte Wanderung am Sonntag, den 14. Juni, führte zu den übrigen Huftieren, den Straußen, den Hühnervögeln und Tauben, sowie den kleinen Raub- tieren, und die vierte und letzte Wanderung end- lich am Sonntag, den 21. Juli, zu den Affen, den Schwimm- und Stelzvögeln und zum Vogelhaus. Maßgebend für den Gang der Demonstrationen waren natürlich die örtlichen Verhältnisse des Zoologischen Gartens. Die Arbeit des Monats Juni war im übrigen ausschließlich Ausflügen in die nähere und weitere Umgebung Berlins gewidmet. Dem neuen Bota- nischen Garten wurde am Freitag, den 12. Juni, ein Besuch abgestattet, wobei Herr Geh. Reg.-Rat Prof Dr. Engler, sowie die Herren Dr. Di eis, Dr. Gräbner und Dr. Pilger die Führung über- nahmen. Eine Besichtigung der Baumschulen des Herrn ( )konomierat Späth am Baumschulenweg bei Treptow fand statt am Donnerstag, den 18. Juni, und als letzte der sommerlichen Veranstaltungen eine Besichtigung der biologischen Station des Deutschen Fischerei -Vereins am Müggelsee unter h'ührung des Leiters, Herrn Dr. P. Schiern enz, am Donnerstag, den 25. Juni. 1. A. : Dr. W. Greif, I. Schriftführer. SO 16, Köpenickerstraße 142. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Eine ,,Freic Vereinigung für Systematik und Pflanzcngeographie" hat sich im September in Berlin konstituiert. Der Vorstand ist folgendermaßen zusammen- gesetzt: 1. Vorsitzender Herr Engler- Berlin. II. Vorsitzender Herr Pfitz er- Heidelberg. I. Schriftführer Herr Sc h um a n n- Bcrlin (Grunewald-Str. 6/7). 11. Schriftführer Herr Gilg- Berlin. Kassenwart Herr P o t o n i e - Groß -Lichterfelde -West. Die Vereinigung umfaßt jetzt über loo Mitglieder. Meldungen zum Beitritt wolle man an den I. Schriftführer richten, den Bei- trag von 3 Mk. an den Kassenwart senden. Der Vorstand. Bücherbesprechungen, Wilhelm Bölsche, Von Sonnen und Sonnen- stäubchen. Kosmische Wanderungen. Mit 4 farbigen und 4 schwarzen Tafeln nach Oiiginal- aquarellen von Prof. Ernst Häckel. Berlin, Georg Bondi, 1903. — Preis 6 Mk. Das vorliegende Buch des bekannten Schrift- stellers, eine Sammlung der verschiedenartigsten Essays , läßt sich bei aller Mannigfaltigkeit der Gedanken doch nach folgenden drei Gesichts- punkten einheitlich zusammenfassen , nach dem rein naturwissenschaftlichen, dem ästhetischen und philo- sophischen als dem allgemeinsten. Naturwissenschaft- lich ist selbstverständlich die Grundlage, ja die Atmo- sphäre, welche das Ganze durchzieht, überall Zurück- greifen auf die Beobachtung, auf exaktes Material, auf die Bausteine unserer modernen Weltanschauung, die etwa durch Namen wie Kopernikus, Galilei, Newton, Darwin, Rob. Mayer symbolisiert sind. Bei allem Sjiielraum für Hypothesen ist nun einmal gegen die Mechanik, d. h. die festgefügte Gesetzlichkeit alles Geschehens von wissenschaftlicher Seite aus nichts mehr zu machen , sonst stürzt alles in ein heilloses Chaos zusammen, darüber dürfen wir hier wohl zur Tagesordniuig übergehen. Aber die Sache hat auch, was häufig nicht recht beachtet wird, ihre gewichtigen ästhetischen Konsequenzen. Bislang ist der bekannte Schiller'sche .Ausspruch : Die Kunst hast du, o Mensch, allein, ein unanfechtbares Dogma, aber wie alle Dog- men, so ist auch für dieses jetzt die Zeit absoluter \'erbindlichkeit dahin. Mit Recht hat Bölsche das große Häckel'sche Werk über die Radiolarien als einen Vorstoß in eine ganz neue ästhetische Betrach- tung bezeichnet, so daß wir uns, wenn wir unbefangen sein wollen, eingestehen müssen, daß auch die Natur die vollkommensten , schönsten Gebilde schafi"t , die nur je eine harmonisch gestimmte Phantasie eines gottbegnadeten Künstlers erschaut hat. Und diese Schönheit erscheint vollständig, gesetzmäßig, notwendig, organisch, ja, wenn man will, mechanisch, nur darf man dabei nicht an etwas Totes, vom äußeren Zwang Hervorgerufenes denken. Es ist gar keine Frage, er- klärt Bölsche, die Natur auch unterhalb des Menschen ist voll von Objekten, die unserem menschlichen Sinn noch als vollkommene künstlerische Leistung er- scheinen, die zweifellos Objekt der Lehre vom Schönen, der .\sthetik, sein müssen (S. 239), — nur daß eben unsere bisherige, immer noch nach griechi- schen Prinzipien aufgebaute Betrachtung sich um die Tatsachen scheu herumzudrücken pflegt, anstatt sie als Ausgangs]junkt einer ganz neuen Perspektive zu verwerten. Und das dritte Ferment, vielleicht das fruchtbarste von allen, ist das philosophische, weil es unser ganzes Denken umfaßt und von (hund aus ver- ändert. Es bedarf an dieser Stelle keiner Erörterung, wie revolutionär der Entwicklungsgedanke auf allen Ciebieten menschlicher Forschung gewirkt hat , wie er der Zauberschlüssel geworden ist für Geheimnisse, an denen frühere Generationen sich vergeblich ab- gemüht haben. Aber in dem wohl verzeihlichen Triumphgefühl hat man zweierlei vergessen, was sich gelegentlich empfindlich rächte : Einmal, daß wir bei allen Fortschritten der Technik und Kritik trotzdem zur Stunde nicht wissen , was Leben ist und wie es entsteht, — dazu helfen uns auch nicht Millionen von lahren — , und sodann daß alle Wertmechanik uns nicht das letzte, schwerste Rätsel des Seins löst, daß nämlich überhaupt Etwas ist. Das ist, in viel höherem Sinne als die anderen viel umstrittenen dog- rnatischen Wunder das eigentliche Weltwunder, das jedes tiefere Nachdenken stutzig macht. „hnmer, wohin"" wir sinnen und forschen mögen, bewegt uns dieses dunkle Ahnen, daß alles in einem ewigen Einen schwimmt, eine tiefste kosmische Einheit bildet. Und doch ist dieses Eine auseinandergespannt zu dem unendlichen Majaschleier des Vielfältigen. Nicht bloß N. F. III. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 127 Sonne, sondern auch See, der sie spiegelt. Und am See dieses liebliche Blumenauge, eine Individualität, wie ich, ich selbst, in dessen untersuchendem Auge doch wieder das alles schwimmt" (S. 420). Hier macht das C.efühl, die unverwüstliche Pliantasie, wohl zu unterscheiden von sinnverwirrender Phantastik, ihr alles Recht gi-ltend, und das sollen wir zu unserem eigenen Heile wohl bedenken, wenn wir ni( ht wieder, wie der alte Nicolai und andere brave Vertreter der sonst längst überwundenen Aufklärung, auf den öden Sandbänken eines flaclien Rationalismus Schiffbruch erleiden wollen. — .-Vuch das vorliegende Buch, von dem wir hier nur eine ganz flüchtige Skizze entwerfen konnten, ist mit den bekannten Vorzügen des Ver- fassers ausgestattet, anschaulicher, frischer Ausdrucks- weise, scharfer Beobachtung, eindringender Kritik und liebenswürdigem Humor, so daß wir ihm die weiteste X'erbreitung wünschen. Th. Achelis-Bremen. Dr. L. Chalikiopoulos, Sitia, die Osthalbinsel Kretas. Eine geographische Studie. Mit 3 Tafeln und 8 Abbildungen. Heft 4 der Veröffentlichungen des Instituls für Meereskunde und des Geographi- schen Instituts an der Universität Berlin. Heraus- gegeben von deren Direktor Ferdinand Frhr. V. Rieht ho fen. Berlin, E.S.Mittler u. S., April 1903. — Preis 5 Mk. Die enge Begrenzung des behandelten Gebiets läßt ein genaueres Eingehen auf den Inhalt des Buches an dieser Stelle nicht geeignet erscheinen. Aber auch für ferner stehende Freunde der Geographie wird die Arbeit von Interesse sein als ein Werk Richthofen- scher Schule, jener Schule, die ihrem Jünger nirgends eine bestimmte Manier aufprägt, deren Eintluß man aber stets herausfühlt in der Sorgfalt der Beobachtung und in dem feinen \'ersländnis für den Zusammen- hang aller geographischen Erscheinungen. Gerade auf dieser Halbinsel, wo politische Wechselfälle keine tiefgreifenden Veränderungen hervorgerufen haben, kommt der Richthofen'sche Grundgedanke vorzüglich zur Geltung, daß man von der Geschichte des Bodens ausgehen müsse, um ein Gebiet und seine Bewohner zu verstehen. So zeigt der Verfasser denn auch, wie gerade auf Sitia die Abhängigkeit der Verteilung menschlicher Siedelungen und selbst der Bevölkerungs- dichte von dem geologischen Gharakter der Gegend besonders klar hervortritt. F. S. Literatur. Katzer, Landesgeol. Dr. Fidr. : Gculogischcr Führer durch Bosnien u. die Herzegowina. Hrsg. anläßlich des II. inter- nationalen Geologenkongresses von der Landesregierung in Sarajevo. Mit 8 Kartenbcilagen u. zahlreichen Abbildgn. im Text. (111 , 280 S.) gr. 8". Sarajevo '03. (Leipzig, M. Weg.) — 5 Mk. Kohl, Prof. Dr. F. G. : Über die Organisation u. Physiologie der Cyanophycecnzelle und die mitotische Teilung ihres Kernes. (111, 240 S. m. 10 lith. Taf.) gr. 8». Jena '03, G. Fischer. — 20 Mk. Rrahmann, Max: Fortschritte der praktischen Geologie, i. Bd. 1893 bis 1902. Zugleich General-Kegister der Zeitschrift f. prakt. Geologie. Jahrg. I bis X, 1893 bis 1902. Mit 136 Kartenskizzen etc. u. 45 Statist. Tab. (XXll, 410 S.) Lex. 8". Berlin '03, J. Springer. — 18 Mk. ; geb. in Halbfrz. 20 Mk. Koehne, E. ; Lythraceae, mit 851 Einzelbildern in 59 Fig. (326 S.) Leipzig '03, W. Engelmann. — 16,40 Mk. Ramsay, Sir William: Einige Betrachtungen üb. das periodi- sche Gesetz der Elemente. Vortrag. (29 S. m. 1 Abbildg.) gr. 8'1 Leipzig '03, J. A. Barth. -- 1 Mk. Rudel, Vorst. Prof. ; Grundlagen zur Klimalologie Nürnbergs. Ergebnisse 20Jähr. Welterbeobachtgn. zu Nürnberg 1881 bis igoo. 1. Tl.: Luftwärme. (77 S. m. 3 graph. Taf.) gr. 8". Nürnberg '03, M. Edelmann. — 4 Mk. Briefkasten. Ist die .■\ngabe kleinerer Schulbücher fehlerhaft, daß die Reißzähne der Raubtiere sämtlich Molare sind? R. Hertwig (Lehrbuch S. 597) gibt an, daß die Reißzähne des Oberkiefers Prämolare sind. Das ist wohl richtig? H. R. Hoogenraad (Ryswyk, Holland). Der obere Reißzahn (Sectorius) der Raubüere wird als (letzter) Prämolar gerechnet, da ihm ein Milch-Backenzahn vorausgeht; der untere Reißzahn gilt als echter Molar, da ihm kein Milch-Backenzahn vorausgeht. Berlin, 6. II. 1903. Prof. Dr. Nehring. Herrn Dr. Tb. Seh. in Ludwigsburg (WürU.) — Einen spez. geolog. Führer für den Taunus gibt es nicht. Die geolog. Literatur über den Taunus ist ziemlich groß. Für Ihren Zweck sind zu nennen: Gosselet, Excurs. geol. dans le Hundsrück et le Taunus. 1890. — Kinkelin, Erläuterung zu zwei geologischen Übersichtskarten der Gegend zwischen Taunus und Spessart mit zwei geologischen Karten. Frank- furt. 1899. — Lossen, Geognostische Beschreibung der links- rheinischen Fortsetzung des Taunus 1867. — Lossen, Kriti- sche Bemerkungen für neuere Taunuslileratur. 1877. — Bräutigam, Geognostische Verhältnisse der Umgegend von Frankfurt a. M. 1862. Weitere .Auskünfte erteilt Ihnen gewiß gern Herr Baron v. Reinach in Frankfurt a. M., Taunus- anlagc 10. Herrn H. B. in Charlottenburg. — .Xuf Ihre ."Ausfüh- rungen d. d. 23. Okt. 1903 erhalten wir von geschätzter Seite die folgende Entgegnung: Es ist, wie der Einsender richtig bemerkt, darauf zu achten, daß die Ausdrücke Gramm, Kilogramm etc. in verschiedenem Sinne gebraucht werden: I. von wissenschaftlicher Seite, um die Einheit der Masse zu bezeichnen; I g ist die Masse Wasser, die bei 4" den Raum von I ccm ausfüllt. 2. im praktischen Leben als Einheit der Kraft, des Gewichts. Damit identifiziert man also die Massen der Körper mit den Gewichten, durch die man sie mißt; I g ist das Gewicht eines ccm Wasser von 4°. Da- bei wird stillschweigend davon abgesehen , daß das Gewicht eine von Ort zu Ort veränderliche Größe ist. Da das Ge- wicht im absoluten System (Zeit-Länge-Masse-System) definiert ist als Produkt aus Masse mal Beschleunigung beim freien Fall (P = Masse X 8)> *° verhält sich das Gewicht eines Körpers im absoluten System (l) zu seinem Gewicht im ,,Gewichlssystem" (2) wie g zu I. Für Deutschland ist g = ca. 981, so daß I Gramm, als Gewicht im üblichen Sinne verstanden, = 981 Dynen zu setzen ist. Eine Schwierigkeit in diesen sehr klaren Verhältnissen sieht der Einsender — von weniger wichtigen formellen Bedenken abgesehen , dann eintreten, wenn man die Allgcmeingültigkeit des Newton'schen Gravitationsgesetzes verneint, und er ist der .Ansicht, daß ge- wisse astrophysische Erscheinungen dies verlangen. Denn die Proportionalität zwischen Masse und Gewicht hört natürlich auf, wenn die Körper eine verschiedene Beschleunigung durch die Schwere erfahren. Jene .\nnahme erscheint indes durchaus willkürlich ; wir haben das Newton'sche Gesetz als fundamentales, streng gültiges Entfernungsgesetz aufzufassen, gültig auch für elektrische, optische , magnetische , akustische Fernwirkungen, und um eine Erklärung gewisser Kometen- erscheiuungen zu geben wird wohl kaum ein Physiker zu 128 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. V. III. Nr. 8 einer „Ausnahme vom gewöhnlichen Gravitationsgesetz" greifen. Was die radioaktiven Substanzen anlangt, so ist aucli bei ihnen, wenn man sich nicht auf rein hypothetisches Ge- biet begeben will, nur an eine Änderung des Faktors M (P = ^t X g) ^" denken. Nach neueren Mitteilungen Ramsay's, die nach seinen eigenen Angaben aber noch der weiteren Prüfung bedürfen, ist die Strahlung mit einer Entwicklung von Helium verbunden ; seine Wägungen müßten dies Defizit natür- lich anzeigen. Herrn Lehrer L. in Hefslar. — Das in Ihrer .'Vnfrage gemeinte Instrument ist jedenfalls das ,, chemische Wetterglas", auch ,,Paroskop" genannt, das von Barth in Nürnberg her- rühren soll und nach freundlicher Mitteilung von Herrn Ge- heimrat Hellmann in den 60 er Jahren vom Berliner Hofoptikus W. Meyer in den Handel gebracht wurde. Es besteht aus einem länglichen, verkorkten oder mit durchstochenem Leder verschlossenen Glas , das eine Lösung von Salpeter, Salmiak und Kampfer in Weingeist enthält. Vermutlich werden so- wohl Temperatureinflüsse, als auch der Feuchtigkeitsgrad der Luft die wechselnden Kristallisationserscheinungen in dem Glase bedingen, ein Zusammenhang derselben mit dem zu er- wartenden Wetter läßt sich jedenfalls weder wissenschaftlich noch empirisch begründen, denn die meteorologische Forschung hat das Instrument nicht in den Schatz ihrer Beobachtungs- mittel aufgenommen. Herrn W. M. in Hannover. — Eine sehr zuverlässige Firma für meteorologische Instrumente ist R. F'ueß (Steglitz, Düntherstr. 7 — 8), bei der Sie Quecksilberbarometer in allen Ausführungen erhalten. Für Ihre Zwecke dürfte ein einfaches Instrument mit direkter Ablesung ohne Nonius und Lupe aus- reichend sein. — Mit Bezug auf die Einrichtung der Chrono- meter werden Sie vielleicht ausreichende Belehrung schöpfen können aus dem 30 Seiten langen Artikel ,, Chronometer" in Valentiner's Handwörterbuch der Astronomie, Band I. Leich- ter zugänglich dürfte Ihnen sein: Katechismus der Uhrmachcr- kunst von Rüffert. Mit 252 Abbildungen und 5 Tabellen. Leipzig, J. J. Weber, 1901. Preis geb. 4 Mk. Herrn Dr. E. F. in Luxemburg. — Als Ergänzung zu der Antwort auf p. 80 das Folgende. In dieser Antwort aut eine Anfrage wegen neuentdeckter wilder Volksstämme in Neu- guinea habe ich zum Schlüsse bemerkt, daß Bestätigung ab- zuwarten bleibe. Eine solche ist nun eingetroffen, und zwar, wie mir scheint, durch zuverlässige Augenzeugen. Zu seinen früheren Mitteilungen über tiefstehende Zwergvölker in Neu- guinea bringt ,, Daily Chronicle" nämlich wertvolle Ergänzungen und Bestätigungen aus der H'eder zweier durchaus glaubwürdiger Männer, des früheren und jetzigen Administrators der eng- lischen Kolonie, Sir Francis Winter und Mr. Robinson. Demnach handelt es sich um zwei verschiedene Zwergvölker, die Ahgai-Ambo und die Korobala. Erstere wohnen , soweit die Überlieferung der Eingeborenen reicht, auf Bäumen im Sumpfland und können auf festem Boden nur sehr schlecht gehen, wobei ihre Füße leicht bluten. Diese sind, nach dei anschaulichen Beschreibung Sir Francis W i n te r 's, kurz, breit und flach, mit langen, dünnen, wenig beweglichen Zehen , so daß man den Eindruck hat, als stünden die Zwerge auf ,, Holz- füßen". Die Haut der Oberschenkel hängt in Falten herab ; Muskel und Sehnen sind sehr schlecht entwickelt. Aussehen und Haltung affenähnlicher als bei ,, irgend einem anderen menschlichen Wesen". Die Rückbildung der Beine und Füße infolge von Nichtgebrauch im Sinne Lamarck's scheint zweifellos. Die Korobala dagegen sind wohlgebaut und kriegerisch, wenn auch sehr klein ; ihr Häuptling war nur 4 Fuß 3 Zoll, d. h. etwa 130 cm groß. Sie kennen kein Metall, haben aber sehr lange Lanzen, Schilde und Steinbeile. L. Wilser. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Vegetationsbilcler heiaiisgegetieu von Dr. G. liai'Mlen. Professur an der Universität Bonn und Dr. H. .«iclienck, Pro- fessor an der technischen Hochseliule Darnistadl. Eine Samniluug von Lichtdrucken nach sorgfältig aiisgewählteu photograph. Vegctationsaufnalimen. Preis für das Heft von tj Tafeln Si,.50 Mark für Ab- nehmer der ganzen Keilte von 8 Heften. Einzel- preis 4 Mark für das Helt. Die erste Reihe von 8 Heften liegt fertig vor iiud enthält folgendes: Erstes Heft: 'H^ScVe" ii c k . SÜdbraSilJeil. Tropischer Regeuwald bei Bluiiu-nau, .S -Cath. — Cocos Romanzofflana bei Blumenau. — Cecropia adenopus (Ameisenbäume) bei Blumenau. - Epiphytenvegetation bei Blumenau. — Arauearien- wald, Hocliland von Parana. Zweites Heft: G Karsten, Malaylscher Archjpel. Nipoforniation bei Tandjoeng Priuek, .lava. — Tropischer Regenwald bei Tjiboda-s, .Java. — Baumfani des tropischen Regen- waldes bei Tjibodas. — Straße in Aniboina, Molukken. — Tro- pischer Regenwald auf Hitoe-Amboina, Molukken. — Straße in . Teruate, Molukken. Drittes Heft: H schenck. Tropjsche Nutzpflanzep. Thea sinensis, Teestrauch, Teeplantage auf Java. Tljeo- broma Cacao; Kakaobaura mit reifen Früchten. - CoHea arabica, Kaffeebaum ; mit Früchten besetztes Bäumchen, Brasilien. — Coffea liberica. LiberiakatTee. Bluten und Früchte. — Myristica frangans, Muskatnuß; Blüten und Fruchtzweige. — narica Papaya. Melonen- baum; weiblicher Baum mit Fritcbten. Viertes H. tt: G Karsten Mcxikanischer Wald (JeF Tropen und Subtropen. Tiilaudsia usueoides bei Tepetitan. Tabasco. — Tropischer Regenwald des Cafetal Trionfo. Chiapas. — Bodenvegetation des tropischen Regenwaldes. La SomJua. Chiapas. — Subtropischer Regenwald bei Misantla. Vera Cruz. — Bodenvegetation des sub- tropischen Regenwaldes. Cuesta de St. Juan. Vera Cruz. Fünftes Heft: A, Schenck. Südwest-Afrika. Wüste zwischen dem Khantluß und dem Khuosgebirge nörd- lich vom Tsoakhoub (Swakopl, mit Welwitscbia nin.tlolis. — Eunborbiaceeustepiie bei Guos. oasenartig m dem W ustcngebiet zwisilien Lurleritzbucht lAngra Pequenai und Aos (GroU-Namaland). — Straurb^tl•|lpe bei Aos — .Aloe dichotama ;in Bergabhängen bei Khukhaus sudlich von Aos. — Acacia giraffae, Euclea pseudebenus und Acacia horrida. Flußufervegetation der trockenen Flußbetten. Im Aartal auf dem Huibplateau zwischen Aos und Bethanien. — Euclea pseudebenus im Aartal auf dem Huibplateau. Monokotylenbäume. Sechstes Heft: Karsten. Pandanus australiana. aloifolia. — Nolina recurvata. veuala niadagascariensis. Siebentes Heft; H. Schenck - Xantiiorrhoea Preissii. Yucca Dendrocalamus gigantens. — Ra- , Strandvegetation Bra- siliens. Ipomoea pes caprae auf den .AußendUnen bei Capo frio, Staat Rio de Janeiro. — Strandv.-getation bei der Lagoa de Rodrigo de Freitas Rio de Janeiro. — Restinga-Formation bei der Lagoa de Rodrigo de Freilas. - 3 Tafeln mit Restinga-Forniation bei Capo frio. Achtes Heft: G. Karsten und E Stahl. MeXJkaniSChe Cacteen- Agaven- und Bromeliaceen- Vegetation. Cereus genimatus und Mesquite. — Echiuocactus robustus. — Echinocactus ingens. — Agaven und Bromeliaceen. — Agave liornda, Opuntia, Echinocactus ingens. — Cereus Pecten-alioriginum. Inhalt: W. Görich: Die neuen Studien über die Zellteilung. — Kleinere Mitteilungen: Dr. Fritz Schaeffer- Stuckert: Die heutigen Anschauungen über die Entstehung der Zahncaries. — J. W. Spengel: Über Schwimmblase, Lunge und Kiemen. — N. A. Maximow: Über den Einfluß der Verletzungen auf die Respirationsquotienten. — Utz: Der Zement. — Wetter-Monatsübersicht. — Vereinswesen. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Bücher- besprechungen: Wilhelm Bölsche; Von Sonnen und Sonnenstäubchen. — Dr. L. Ch a 1 i k i op o ul o s ; Sitm, die Osthalbinsel Kretas. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Veianlwoitlicher Redaktein : Prof, Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'schc Bnchdr.), Naumburg a S. , fe-.^ Einschliefslich der Zeitschrift ,,JL)i6 JNa,tUr' (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion; Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge 111. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 29. November 1903. Nr. 9. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zwcigespaltenc Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändicrinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Die Kiemenbogentheorie der Wirbeltiere. [Nachdruck verboten.] Von Dr. med. W. Unter Leitung und dem Vorbilde des großen Heidelberger Anatomen C. Gegenbau r hat .sich in den letzten 50 Jahren aus den empirischen Naturwissenschaften heraus ein neuer Zweig zu gewaltiger Höhe entwickelt : die vergleichende Anatomie. Schon von Cuvier, Meclsel u. a. in um- fangreichen Anfängen mit mehr oder minder großem Erfolge bearbeitet, hat sie jetzt erst einen ge- wissen Kulminationspunkt erreicht. Früher waren die Funde von den Forschern einfach aufgezeichnet und beschrieben worden. Durch Herausgreifen einiger prägnanter unterschiedlicher Merkmale ent- stand der Artbegriff. Die so festgestellten .^rten wurden dann nach ihren meist äußerlichen Kenn- zeichen einem Schema eingeordnet. Dies ist die Auffassungsweisc , wie sie den künstlichen Systemen zugrunde liegt, welche in Linne einen Hauptvertreter fanden; es ist dies zugleich die Zeit , in der die Konstanz der Art als etwas Unumstößliches galt. Statt des bisherigen kritiklosen Sammeins und Beschreibens nahm bald die Wissenschaft einen neuen höheren Gesichtspunkt in sich auf; denn V. Göfsnitz, Jena. je mehr sich das Material genau beschriebener Arten anhäufte, je mehr an einzelnen Stellen die Unmöglichkeit klar wurde, auf dem bislang be- schrittenen Wege Neues zu fördern, um so mehr gewann eine neue Methode Oberhand, die ver- gleichend-anatomische Methode. Diese letztere hat zur Aufgabe, die näheren und entfernteren Beziehungen der Organismen zu- einander aufzudecken; dieser Forderung wird sie gerecht, indem sie abwägend mit dem kritischen Faktor der Verglcichung Organ für Organ ein- ander gegenüberstellt, unwichtige Punkte ausschließt und die tieferliegenden leitenden Gesichtspunkte innerhalb der Organismenwelt heraussucht. Da noch hinzukam, daß die Anschauung einer Kon- stanz der Art immer unhaltbarer wurde, so machte sie es schließlich möglich , durch ver- gleichende Schlüsse von höher organisierten über niederorganisierte Tiere hinweg für den histo- rischen Werdegang der ersteren einen Anhalt zu finden. Derartige Schlußreihen wurden von einzelnen Forschern (Haeckel) durch Stamm- bäume versinnbildlicht, in welchen der aus be- kannten Ursachen häufige Mangel fossiler Ahnen- I30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 9 formen durch Unterschiebung einer lebenden ein- facheren Art als Typus ausgeglichen wird. Auf diesem soeben kurz skizzierten Wege wuchs aus den beschreibenden Wissenschaften her- aus eine historische, welche zugleich eng ver- knüpft ist mit der langsam, doch stetig sich bahn- brechenden Lehre von der Entwicklung des or- ganischen Lebens auf der Erde. Die Empirie gibt fernerhin für die vergleichende Anatomie die Grundlage ab, aus der letztere sich analytisch einen fruchtbaren Boden schafft, der dann synthetisch die besten Früchte der Erkennt- nis trägt. Im folgenden werde ich mich im Anschluß an die von Gegenbaur vertretenen Anschauungen zu zeigen bemühen: wie in der Organis- menwelt weniger reine Neubildung als im wesentlichen immer Heranziehung von vorhandenen Organen abnehmen- der oder zurücktretender Bedeutung zur Neuschaffung und Ausbildung von Organen steigender Bedeutung statt- hat, ein steter, komplizierender Wechsel der Funktion und damit relative Erhöhung der Leistungs- fähigkeit. Dies klarzulegen ist kaum ein Organkomplex geeigneter, als das Kiemenskelett nieder- ster Fische mit seinen Umbildungen, welche es im Laufe der Zeit erfahren hat, indem es in eine zunehmende Zahl neuer Organe überging. Zu diesem Zwecke soll nach einer einleitenden Bemerkung über Funktionswechsel der Organe zur Beschreibung des Kiemenapparates übergegangen werden, wie er heute noch bei den Fischen aufgefunden wird. Haben wir so eine kurze Kenntnisnahme ihrer heutigen und auch einen Anhalt für ihre primitive Gestaltung gewonnen, so bleibt dann übrig, ihre Umwandlung durch die Wirbeltierklassen, soweit sie als wichtig in Be- tracht kommen, zu verfolgen. Wir werden dann sehen, wie der in seiner Gesamtheit ursprünglich der Atmung dienende Kiemenapparat bei niederen Klassen am Aufbau der Kauwerkzeuge und später bei höheren Formen an der Ausbildung des Gehörorgans und der Luftwege hervor- ragenden Anteil nimmt. Ein kurzer Vergleich mit dem entsprechenden Embryonalstadium des Menschen soll dann diese vergleichend-anatomischen Feststellungen bestätigen. Und schließlich wird dann ein Referat über den Stand der Archiptery- giumfrage, d. h. über die Ableitungsmöglichkeit der Extremitäten von letzten Kiemenbögen folgen. Meine Darstellung soll in gedrängter Kürze nur das Allerwesentlichste umfassen, was zum Ein- dringen in die genannte Frage nötig ist; wer sich genauer und wissenschaftlicher orientieren will und eingehende Besprechung und Begründung des hier aufgezählten Tatsachenmaterials verlangt, dem sei aus den vielen fachwissenschaftlichen VVerken her- aus, deren Auszug und zusammenfassende Ver- arbeitung unter eingehender Zitierung sie zugleicli darstellt, die „Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere" von C. Gegenbaur empfohlen. Diese umfaßt 2 Bände , von denen der zweite kürzlich erschienen ist. Mit meinen Ausführungen möchte ich zugleich einen kleinen Einblick in die vergleichende Anatomie bieten, welche uns sichtend und ausscheidend für das Verständnis der Organe und schließlich der Organismen den sichersten Leitgedanken an die Hand gibt. Funktionswechsel und rudimentäre Organe. Jeder Organismus ist von der Außenwelt ab- hängig, unter deren mannigfaltigem Einfluß er fort- gesetzt steht. Die Einflüsse verändern sich; der Organismus folgt und paßt sich an, dieser in einer Seite, jener in einer oder mehreren anderen Seiten der Organisation. Was bei den Pro- tisten die einzelne Zelle an Funktionen in sich vereinigte, wird dann auf die verschiedenen Zellen der Metazoen verteilt, wo sich immer mehr Zellen und Zellkomplexe speziellen Funktionen zu- wandten. So entstanden im Laufe der Zeit die Organe in steigender Zahl und Differenzierung. Diesem Vorgange der Anpassung liegt das große organbildende Prinzip der Arbeitsteilung zugrunde, welches den Organismus zu höheren -Stufen führt (Gegenbaur). Der Wettbewerb der Organismen untereinander gilt aber auch weiterhin für die einzelnen Organe innerhalb eines Lebewesens. Organe, welche ent- sprechend abgeänderten äußeren Bedingungen, denen sie angepaßt waren, an Bedeutung abnehmen, bilden sich zurück; viel häufiger aber wohl wandeln sie sich um und werden Hilfsorgane anderer, wich- tigerer. Diese letztere Unterordnung führt zur noch höheren Stufe, zum Zusammenschluß von O r g a n s y s t e m e n. Ja, die Organe werden endlich drittens sogar Träger ganz neuer Funktionen, denen sie sich langsam wechselnd entgegenentwickeln, immer noch mit Spuren der zwischengeschalteten Funktionen behaftet, — ein Vorgang, bei dem von Zielstrebigkeit natürlich nicht die Rede ist. Ersterc, die reduzierten Organe , werden eine Zeitlang weiter vererbt , beschränken sich nur auf das Embryonalleben, z.B. die Lanugo, das Wollfell des menschlichen Embryo, als Rest des alten Säugetierhaarkleides. Sie sind so als rudimen- täre Organe von größter phylogenetischer Bedeutung: „indem die Rückbildung eine Aus- bildung voraussetzt, sind die rudimentären Organe wichtige Zeugnisse einer vorausgegangenen anderen Organisation" (G e g e n b a u r), über die allein durch die Entwicklungslehre Aufschluß zu erlangen ist. Für uns schiebt sich zwischen beide Gruppen eine entsprechend der noch mangelhaften Kenntnis mehr oder weniger umfangreiche Gruppe von Mittelformen ein, deren tatsächliche und eigent- liche Bedeutung für den Lebensprozeß bei nicht rein rudimentärer Gestaltung noch nicht er- schlossen ist. Mit unserer steigenden Erkenntnis hat jedoch die Zahl der rudimentären Organe sehr abge- N. F. III. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 131 nommen. Wissen wir doch heute, um bekannte früher stark umstrittene Objekte anzuführen, daß die Schilddrüse (z. T. ein Rest des Epithels der vierten Kiemenspalte, sowie einer Bildung, die der Hypobranchialrinne der Tunikaten gleich- zustellen ist) einer noch nicht genau festgestellten, aber höchst wichtigen Funktion als Unterlage dient. Wird sie nämlich völlig entfernt, so tritt die Cachexia strumipriva, d. h. eine schleimgeschwulst- artige Veränderung der Weichteile, verbunden mit körperlicher Schwäche und totaler Verblödung (Kretinismus) ein. Krankheiten der Nebenniere äußern sich in der Bronzekrankheit, die nach vielen \'eränderungen am gesunden Menschen schließlich mit dem Tode endigt. Weitere lehrreiche Beispiele dieser Art sind gegeben : I. in den Milchdrüsen, die neueren ]'"or- schungen, besonders an den Monotremen, zufolge (Gegen baur z. T. , Benda, Eggeling u. a.) wahrscheinlicher aus ehemaligen Schweif5drüsen als aus Talgdrüsen hervorgegangen sind ; dann 2. in einem Teile des Schädelskeletts, dessen wichtige Ableitung von wirbelähnlichen Ge- bilden schon (io etil e (Oken) erkannt, Huxlcy eingehend kritisiert und Gegenbau r dann wirk- lich wissenschaftlich begründet hatte; — und noch in vielen anderen Bildungen, speziell in der Geschlechtssphäre. Am weitgehendsten und umfassendsten jedoch fanden die Kiemen Verwendung, welche ich mir als klassisches Beispiel zur genaueren Besprechung auserwählt habe. Fig. 1. Der Kiemendarm eines Haies (A) und eines Knochenfisches (B) durch Entfernen des Schädels freigelegt, so daß der Boden der Mundhöhle von innen her ge- sehen werden kann. Außerdem ist jedesmal links die Kiemenregion nochmals horizontal durchschnitten worden. .\ Zygaena malleus, Hammerhai. B Gadus aeglefinus, Kabeljau. a vordere Befestigung am Schädel, uk Unterkiefer, m Mund, prm Präma.xillare, ma Maxil- larc, pa Palatinum , hm Hyomandibulare , is innerer Eingang der Kiemengänge oder Taschen (innere Kiemenspalte), as äußere Mündung der Kiemengänge (Kiemenspalten), ops Kiemendeckelspalt, h I lautbrücken, b Kiemenbögen, bl' vordere, bl- hintere Kiemen- blättchen derselben, op Opercula (Kiemendeckel), s Schultergürtel, z Zunge, phi Ossa pharyngaea inferioria, o Oesophagus (Speiseröhre). Die roten Pfeile geben den Weg an. welchen das Atmungswasser von der Mundhöhle nach außen zu durchlaufen hat (aus R. Hertwig n. Wiedcrsheim).. Fig. 2. Querschnitte durch Kiemenbögen und Kiemen rechts beim H am merh ai, links beim Kabeljau, etwas vergrößert (aus R. Hertwig nach Wiedersheim). b Kiemenbögen, z Zähne, a Arterie, v Vene, bl' vordere ) ... ,,..., , bl= hintere / Kiemenblattchen, r Knorpelradius, h Hautbrücke. Die Kiemen. Es sind dies Organe, die entfernt ähnlich beimEichel- wurm (Balanoglossus, En- teropneusta), homolog d. h. von gleichem Ursprung resp. aus demselben morphologi- schen Material wie bei den Wirbeltieren, aber wohl erst bei den Mantel tieren (Tunikaten, möglicherweise rudimentären Wirbel- resp. Chordatieren) angelegt sind. Ein sicheres vergleichend- anatomisches Material geben für uns jedoch erst die Fische, die ersten und zwar im Wasser lebenden Wirbeltiere, ab, bei denen die Kiemen auf der Höhe eigentlicher Funktion gefun- den werden. Da die Fische nicht wie die anderen an der Luft lebenden Wirbeltiere den Uuft Sauerstoff zum Lebensprozeß der Verbren- nung benutzen, so müssen sie denselben aus dem Was- ser entnehmen. Dies ge- schieht auf folgende Weise : dasAtemwasser strömt durch den Mund in den Kopfteil des Darmes ein (Fig. i) und 132 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. von diesem wieder durch seitUche, je einem Körpersegment entsprechende Gänge oder Taschen, die durch je eine Spalte an die Hautoberfläche münden , wieder aus. Diese Aussackungen des Kopfdarmes, in denen die Sauerstoffaufnahme und die Ausscheidung der bei dem Lebensprozeß ent- standenen Kohlensäure, also, wie wir es allgemein bezeichnen, der Vorgang der Atmung stattfindet. Fig. 3. Scheraatischer Querschnitt des primitiven Fisclikopfes i. d. Kiemenregion. I Körperseg- ment. S Schädeldecke, G Gehirn, KD Kopldarni, HL Hmterer \ i^^schnitt eines Bogenteilcs der linken Seite. VL Vorderer / HR Hmterer \ ^^schniU eines Bogenteiles der rechten Seite. VR Vorderer ) ^ C Copula als Bindestück für beide Bogenabschnitte eines Segmentes untereinander und mit dem des 'folgenden resp. den des vorhergegangenen Segmentes. KS Kiemenspalte. tragen den Namen Kiemen. Die Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureabgabe finden in diesen Gängen in der Art statt, daß der Sauerstofif durch das die- selben bekleidende respiratorische Epithel diffundiert. Unter dem Epithel lagert ein blut- reiches Gewebe, dessen zahlreiche Gefäß- K a p i 1 1 a r- schlingen unter dem Epithel ein Netz bilden. Die Gefäße sind auf diese Weise geeignet, sofort den Sauerstoff aufzunehmen und weiter durch das Herz zum Orte seiner Bestimmung, den Verbrennungsstätten des Körpers (Muskeln, Drüsen, auch Nervengewebe) zu transportieren ; andererseits findet in umgekehrter Bahn die Kohlensäureabgabe statt. Dieses Epithel ist zur Ver- größerung seiner das sauer- stoffhaltige Wasser berühren- den Oberfläche vielfach ge- faltet , auch durchbrochen. Das jeder K^iementasche zu- gehörige, beim Amphioxus noch einfach kutikulare Stützgewebe (Fig. 2) wurde dann vom Skelett der Wirbelsäule aus (resp. deren beim Aufbau des Schädels verwendeten Ab- schniten) knorpelig, um später dann mehr oder weni- ger zu verknöchern. Dieses Stützgewebe ist b o g e n - förmig dem Kopfdarm angelegt. Die einzelnen Bögen werden als Kiemen- oder besser noch Visceralbögen bezeichnet und bestehen beider- seits aus einem vorderen (ventralen) und hinteren Fig. 4. I II Schade und Kiemenskelett eines lachiers (Schema n. Gegenbaur). Lippenknorpel, Kieferbogen, o oberer, u unterer Abschnitt, Visceralbögen, III — VIII Kiemenbögen, Nasenöffnung, Siebbein eth orb la occ cv Augenhöhlen- | Labyrinth- [ Hinterhaupts- J Wirbelsäule. Legion, (dorsalen) Abschnitte. Die Bogenteile beider Seiten sowie sämtliche Bögen untereinander werden in der Mittellinie durch Schaltstücke (Copulae) ver- einigt (Fig. 3). Bei einer Reihe von Fischen werden auch die Falten des respiratorischen Epi- thels durch Stäbchen, Kiemenstrahlen oder -radien gestützt, welche von den Bögen ihren Ursprung nehmen. Über sämtliche Kiemen ist bei vielen Fischen eine Integumentfalte, Kiem en- de ekel (Operculum), herübergezogen, welcher ausgewanderte Radien des zweiten Bogens, wo- rüber wir später noch Näheres hören werden, den ersten Halt verliehen. Zusammenhänge der vor- i' ff/iN po t/r S. 7. Fig. 5. Anfang der WirbelsäuTe und Schädel mit Visceralsk ele tt von Mustelus vulgaris (Haie) (aus R. Hertwig). wk Wirbelkörper, r Rippen, o obere Wirbelbogen, ic Intercalaria (Schaltstücke), ps Dornfortsatz; Schädel: v Vagusnerven- austrittsloch, gp Glossopharyngeusloch, po Hinteraugenhöhlenfortsatz, ao Voraugenhöhlen- fortsatz, tr Trigeminusloch, o Augennervenloch, H Ilörkapsel, N Nasenkapsel, R Rostrum, I - 8 Visceralbögen, i Lippenbogen (als Visceralbögen noch nicht ganz sicher), 2 Kiefer- bogen, Pq Palatoquadratum, Md Mandibulare, 3 Zungenbeinbogen, Hm Hyomandibulare, H Hyoid, 3 — 8 Kiemenbögen, co Copula. N. F. III. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 133 deren Bögen mit dem Kopfknorpel bei den Cy- clostomen (Neunaugen) lassen es für wahr- scheinlich halten, daß sämtliche Visceralbögen, die im ganzen genomm.en bei den Cyclostomen schon kaudalwärls verlagert sind , von dem knorpeligen Primordialkranium (perichordales Gewebe) abstammen und somit eine innere Skelett- bildung darstellen. Unter Primordialkranium (Urschädelkapsel) versteht man den Teil des Wirbehierschädels, der aus dem Wirbelsäulen- abschnitt im Kopfteile hervorgegangen ist. Die Kiemen bögen spielen demnach für den Darm loch, Acantliias vulgaris (aus R. Hertwig nach Claus). N Nase, .Spl Spritz chier nicht sicher hierher rechnen dürfen (Fig. 4 u. 5) (Gg. S. 355 ff.). Die Auswanderung des Kiemen- apparates sowie anderer dort ursprünglich ge- lagerter Organe (Herz, Magen) aus dem Kopfteile ist wohl am besten auf die sich anbahnende Halsbildung zurückzuführen, d.h. einer Schei- dung des Körpers in Kopf und Rumpf zur größeren Bewegungs- resp. Drehungsmöglichkeit des ersteren ; denn inzwischen waren in ihm die wichtigsten Organe des Tieres der Außenwelt gegenüber, die Sinnesorgane mit dem von ihnen ab- hängigen Gehirne entstanden und hatten sich weiterentwickelt. Ihre Ausbildung und Volumzunahme verdrängte die mehr vegetativen Organe, denen sie vorher noch Baumaterial entnahmen , nach dem Rumpfe hin; nur deren Eingangspforte, die Mundöffnung, zugleich als Stelle ihrer primitiven Lagerung, blieb am Kopfe lokalisiert. R vordere Rückenflosse mit Stachel, .Schwanzflosse, Ks Kiemenspalten, R., hintere Rückenflosse, S heterocerke Br Hrustflosse, B Bauchflossc. Fig. 7. Kopfskelett eines Haies (Scymnus) R Rostrum, O Austrittsstelle des Augennerven, Po Hinteraugenhöhlen-Fortsatz, L Lj L„ Lippenknoriiel, P Palatum, ) , „ Q Quadrat«™, / '• ^"g^"' Kr Spritzlochknorpel (Radienrudiment d. I. Bogens), Hm Hyomandibulare, | hy Hyoidbogen, ( hr hr" Radien (Kiemenstrahlenl d. II. Bogens. II. Bo in der Kopfregion dieselbe Rolle, wie die Rippen für diesen in der Rumpfregion (R. Hertwig). Von Muskulatur überwachsen und dadurch beweglich geworden, lösten sie ihren Verband mit der Ursprungsstätte, dem Kopfe. Ihre ehemalige Zahl ist ungewiß, da der Amphioxus ja nicht den ganz primitiven Wirbel- tierzustand wiedergibt, sondern sich auch in seiner Art verschiedentlich weiter angepaßt hat ; wir legen eine Zahl von 9 Bögen zugrunde, indem wir die ganz rudimentären 2 Lippenknorpelbögen der Sela- Die zwei ersten Kiemenbögen. K i e f e r b i 1 d u n g. Gehen wir nun von der ur- sprünglichen Funktion der Kiemen- spalte und des zugehörigen Bogens aus, so wäre — immer unter dem Gesichtspunkte steigender Diffe- renzierung — der Entwicklungs- gang etwa folgendermaßen zu fassen. Der Mund, anfänglich (Am- phioxus, Neunaugen) nur eine Öff- nung, durch welche das die Nah- rung enthaltende und zur Atmung nötige Wasser einströmte, eignete sich den ersten Visceralbögen als Stütze zum Festhalten von Nah- rungskörpern an. Dieser Bogen war entbehrlich geworden durch Reduktion seiner zugehörigen Kiementasche, welche wiederum eine Folge feinerer Ausbildung der übrigen Kiemen war. Der zweite Visceralbögen bot bald der Zunge, einem neuen wichtigen Organe des Kopfdarmes, einen Halt. Diese Vorgänge sind heute noch aus dem Verhalten der Selac hier zu erkennen, bei welchen der Oberkiefer (Palato-Qua- dratum) und der Unterkiefer (Mandibula) den ersten und der Hyoidbogen den zweiten Visceralbögen der Entstehung nach einbegreift (Fig. 4 u. 5). Hierbei muß jedoch gleich bemerkt werden, daß diese Gebilde ') nur funktionell den gleichbe- nannten Organen höherer Wirbeltiere entsprechen. Weiterhin werden wir sehen, daß sie anatomisch d. h. ,,Ober- und Unterkiefer" 134 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. gänzHch differente Dinge darstellen. Bei den Selachiern sind die erste Kiemenspalte und -tasche jedoch nicht ganz zurückgebildet worden, sie dienen als Spritzloch (F"ig. 6) mit Spritzkanal anderen Funktionen. Eine Art Deckknorpel dieses Spritz- loches ist identisch mit Radienrudimenten des Kiefer- bogens (Fig. 7). Von der ursprünglichen Zahl 9 der Visceralbögen sind bei den verschiedenen Unterabtei- lungen der .Selachier, wie ihre Namen : Heptanchus, Hexanchus, Pentanchus schon andeuten, je nach- dem nur noch 7, 6 und 5 als funktionierende Kiemen vorhanden , der 8. und 9. werden rudi- mentär. Bei den Selachiern fanden wir die mannig- -rtci des Gehörorgans des Menschen (n. R. Hertwig äußeres Ohr, Tb' in die Raclienhöhle, Hammer, Amboß, Steig I mittleres Ohr. ) inneres Ohr (Labyrinth). Fig 8. Sehern M Ohrmuschel, \ Mae äußerer Gehörgang, / Mt Trommelfell, Ct Paukenhölilc, Tb Eustachische Röhre, mündet bei SAp' Reihe der Gehörknöchelchen , , , bügel), in der Figur als ein Stück gezeichnet. f Einfügung der Steigbügelplatte in das ovale Fenster, M die das runde Fenster schließende Membran, Kl Kl' Knöchernes Labyrinth mit eingelagertem häutigen La- byrinth, dazwischen schwarz die Perilymphe. S Sacculus, Con Ductus cochlearis, zwischen beiden Cr Canalis re- uniens, Con' knöcherne Schnecke, Ct Ende der Schnecke (Cupula terminalis), Sv, St Scala vestibuli und Scala tym- pani, ■* Libergang beider. Dp' Ductus perilymphaticus, endigt blind ; 2 Utriculus mit dem horizontalen Halb- bogenkanal, a und b die beiden vertikalen Halbbogen- kanäle, c Verbindung derselben, Co die gleiche Ver- bindung im knöchernen Labyrinth, De Ductus endolympha- ticus mit Endblase Se. faltigsten Umänderungen des Kieferapparates, das Palatoquadratum als Oberkiefer, die Mandibula als Unterkiefer. Doch sieht man auch schon ferner bei ihnen Anfänge davon, daß der zweite Visceral- bögen sich scheidet in i. das Hyo- Mandibu- lare, das später als Kieferstiel seine Wirksamkeit hat, und 2. in den Hyoidbogen im engeren Sinne. Letztere Umwandlungen sind erst außerhalb der Selachierreihe vollendet , die Reihe der Verände- rungen und des Wechsels jedoch noch lange nicht abgeschlossen. Das Hyo-Mandibulare der Knochenfische und Ganoiden ist unter weiterer Diffe- renzierung, der Abgliederung einer Verbindung zum Kieferbogen hin (Sym plecticum), end- gültig Kieferstiel geworden. Das Palatoquadratum dient nicht mehr als Oberkiefer, sondern hat diese physiologische Rolle dem einen Lippenknorpel überlassen und ist selbst von der Mundöffnung zur Schädelkapsel hin abgerückt. Die Mandibula gibt dagegen noch fernerhin in Gestalt des M e c k e 1 - sehen Knorpels die Grundlage des knöchernen Unterkiefers ab. Die weiteren Beziehungen genannter LTmwand- lungen der beiden ersten Schlundbogen zum Ge- sichts- und Schädelskelett übergehen wir als für unsere vorliegende Aufgabe zu kompliziert und unwesentlich, so die genetischen Beziehungen des Palatoquadratum zum Gaumen und Flügelbein usw., wo sich Verknöcherungen meist in Anschluß und auf Grundlage der angeführten Visceralbogenabkömm- linge zeigen. Einer eingehenderen Besprechung ist jedoch wohl noch wert, wie die beiden ersten Visceralbögen eines der beiden höchsten Sinnes- organe, das Ohr, in seinen mittleren und äußeren Teilen vervollständigen halfen und zwar kamen hier die hinteren Abschnitte zur Verwendung, während zur Kieferbildung die vorderen Abschnitte herangezogen wurden. Ausbildung der schallleitenden Appa- rate des Gehörorgans. Das Wasser hörte auf ausschließlicher Aufent- haltsort der Wirbeltiere zu sein; zuerst die Dipnoer, dann die Amphibien stiegen ans ■ Land. Die Lungen — einst Schwimmblasen der Fische — kamen zur Höhe ihrer Ausbildung. Die bei den Amphibien nur noch auf das Larven- stadium beschränkten Kiemen schwinden; hiermit verliert der Kiemendeckel (Operculum) an Be- deutung und mit ihm das ihn im wesentlichen tragende Hyomandibulare. Seine Reduktion, so- wie weiterhin die starke Inanspruchnahme und Ausbildung des die Kiefer gleichfalls tragenden Palatoquadratum hat zur Folge, daß das Hyo- mandibulare auch seine zweite Obliegenheit, Stütze des Kieferapparates zu sein, aufgibt und nun das Palatoquadratum direkten Anschluß an den Schädel gewinnt. Ganz jedoch schwindet das Hyomandi- bulare wie auch das Operculuin nicht; sie nehmen an der Vervollkommnung anderer Organe teil, und dazu bietet sich genügend Gelegenheit. Das Land- leben, d. h. das Leben an der Luft, läßt die schon vorhandenen Sinnesorgane sich ausgiebig entfalten und zwar ist es speziell das Ohr, dessen Aus- bildung für die Hörfunktion an das Leben in der Luft gebunden ist. Bekanntlich werden am menschlichen Ohre 3 Abschnitte (F"ig. 8) unterschieden , das äußere, mittlere und innere Ohr. Das äußere leitet ver- mittels Ohrmuschel und Gehörgang die Schall- wellen der Luft zum Trommelfell, welches die Grenze zum mittleren Ohr hin bildet. Das mitt- N. V. III. Nr. 9 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. I3S lere Ohr besteht aus einem I lohhaum , Paulven- höhle, der durch die Eustachische Röhre mit der Rachenhöhle kommuniziert. Die Schallwellen werden nun durch die in der Paukenhöhle ge- legenen Gehörknöchelchen (Fig.9) (Hammer, Amboß und Steigbügel) durch die Platte des letzten dem flüssigen Inhalte des Labyrinthes am ovalen Fenster übermittelt. Das komplizierte innere Ohr begreift die Schnecke mit den tausenderlei Verzweigungen des Hörnerven als Hauptaufnahmestelle dieser Oualität von Sinnesempfindungen, die 3 Bogen- gänge und andere Gebilde mit ein. Ursprünglich nur ein sogenanntes Hörbläschen, Otocyste, ist schon das Labyrinth mit seinen über die Cyclostomen hinweg entwickelten 3 Bogengängen, die, nach den 3 Dimensionen des Raumes orientiert, senkrecht zueinander angeordnet sind, ein wichtiges statisches Organ der Fische, wo die Hörfunktion gewiß noch eine minder- wertige ist. Eine I^aukenhöhle ist bei den Sela- chiern erst angedeutet und hat sich dort aus der ersten Kiementasche entwickelt. Die Heran- Fig. 9. Gehörknöchelchen des M e n s c h c n (n. R. Ilert- wig aus Wiedcrshcim). H Hammer, A Amhoß, S Steigbügel. Ziehung der ersten Kiementasche und, wie wir dann sehen werden, der ersten zwei Visceralbögen in den Dienst des Ohres, ist um so natürlicher, als diese Gebilde in unmittelbarer Nähe des Laby- rinthes lagen; der Spritzkanal der Selachier führt sogar an ihm vorüber. Der Deckknorpel des Spritzloches vollendet als Trommelfell den Abschluß nach außen. Dieses stammt demnach von Radien des ersten Visceralbogens ab und ist somit eine Skelettbildung, zumal das an der Haut- oberfläche gelegene Trommelfell bei den Amphi- bien noch knorpelig angetrofi'en wird. Bei den letztgenannten kompHziert sich jedoch der schall- leitende Apparat noch mehr, da sich zwischen Trommelfell und Fenestra ovalis des Labyrinthes eine feine Knorpelsäule, die von einer Arterie durchbohrte Columella (später Steigbügel), das Homologon des Hyomandibulare der Fisciie, ein- gefügt hat. Diese Columella ist mit ihrem proxi- malen, d. h. dem Schädel zunächst liegenden Ende, dem winzigen Reste des Operculums, der Fenestra ovalis eingepafSt. Das Ouadratum steht noch immer in Beziehung zum Hyomandibulare, wäh- rend sich vom Unterkieferknorpel ein Gelenkstück, Articulare, zum Schädel hin abgegliedert hat. Diese Verhältnisse werden bei den Vögeln und Reptilien, die wegen vieler Übereinstimmung besser zusammengefaßt werden und als solche Sauropsiden heißen, schärfer herausgearbeitet. Dort kann man schon deutlicher eine Eustachi- sche Röhre, wie die Paukenhöhle der Ableitung nach ebenfalls zur ersten Kiementasche zugehörig, als Verbindung von Kopfdarm (Rachenhöhle) und Paukenhöhle hinziehen sehen. Die Gelenkabgliede- rung, Articulare des Meckel'schen Knorpels, ist zu- gleich vollendet worden. Etwas Neues tritt bei den Säugetieren auf, da der vordere Teil des Meckel'schen Knorpels unter Auflagerung des Dentale als endgültiger zähnetragender Unterkiefer an Selbständigkeit ge- wonnen hat, so lösen sich die untereinander ge- lenkig verbundenen Articulare und Quadratum unter Reduzierung als überflüssig geworden aus dem Kieferverbande aus und vervollständigen die wohlbekannte Reihe der Gehörknöchelchen, indem wir dort den ersteren Knochen als Hammer, den zweiten als Amboß wiederfinden. Der LInterkiefer der Säugetiere entspricht also nur einem Teile des Unterkiefers der Sauropsiden und einem noch klei- neren desjenigen der Selachier, indem der Rest bei der Bildung der Gehör- knöchelchen Verwendung fand. Der ebenfalls neuen Steigbügel form der Columella, wie sie uns bei den meisten Säuge- tieren auffällt, liegt der Durchtritt der genannten Arterie ursächlich zugrunde. Daß und in welcher Art diese Gebilde zum Visceralapparat gehören, bezeugt ferner noch die Innervation des Steig- bügelpressers (Musculus stapedius) durch den Nervus facialis, den Nerven des zweiten, und ferner die des Tensor tympani, den Spanner des Trommel- felles durch den Nervus trigeminus, den Nerven des ersten Visceralbogens. Der Knorpel des äußeren Gehör- ganges der Sauropsiden und Säugetiere, der zu den in die Tiefe verlagerten Teilen des Gehörorganes führt, sowie die eigentümliche knorpelige Ohr- muschel der Säugetiere leiten sich von dem primitiven Zungenbein ab, dessen Entstehung aus weiteren Visceralbögen nebst anderen Gebilden noch klarzulegen ist. Das Skelett der Luftwege. Mit der Ausbildung von Luftwegen zu den als Lungen dienenden ehemaligen Schwimmblasen bei den Dipnoern und der hierauf ausschließlichen Lungenatmung bei den meisten ausgewachsenen xAmphibien war endlich bei den Saurop- siden eine geschützte feste Luftröhre nötig ge- worden, aus der heraus bei den Säugetieren ein höheres Organ, der Kehlkopf, zur vollen Aus- bildung kam; auch hier spielen Visceralbögen eine entscheidende Rolle. Wir verzichten darauf, genauer kennen zu lernen, wie der den vorderen Kopfdarm umschließende Hyoidapparat der Sauropsiden aus dem primitiven 136 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 9 Hyoidbogen (Teil des 2. Visceralbogens) , deren vorderer Copula und dem ersten und zweiten eigentlichen Kiemenbogen bei den Reptilien, resp. allein noch von dem ersten, d. h. also dem 3. Visceralbogen bei den Vögeln gestützt wird. Es ist dies ein Vorgang von großer Mannigfaltig- keit und für uns von nebensächlicher Bedeutung. Wir beginnen daher lieber sofort bei den Säugetieren. Dort sehen wir, wie bei den Monotremen , den bekannten eierlegenden Säuge- tieren, ein verzweigtes, 4 Bogen umfassendes Hyoid im vordersten Bogen sich gabelt und einerseits zum Kranium sich erstreckt, andererseits in den längeren äußeren Ohrknorpel (G. Rüge) ausläuft. Ein Kehldeckel formt sich aus Resten des 6. Vis- ceralbogens. Das Skelett der Luftröhre selbst, zu- sammen wahrscheinlich mit Ring- und Stellknorpel, welches bei den Sauropsiden durch kaudalwärts fortschreitende Teilung sich fortsetzte, leitet sich vom 7. Visceralbogen ab. Interessant ist es, daß diese komplizierten Skelettanlagen bei den Amphi- bien in ihren Anfängen schon angedeutet sind, da dort beiderseits eine Knorpelspange, die Carti- lago lateralis, als Rest des 7. Visceralbogens der Luftröhre einen gewissen Halt verleiht. Das Hyoid der Monotremen wird bei den = » «ja ■ [ö tdS; o «^ T CO n er t- S "9 ^ O W 5 cn i>:-a a 2. o er ^ o -0 =- I r- ^ p— -ö ^ 0 N n n ti o* tn n> 0 ^ CL 2. 3 3 cn o O T) er 2. 5 3 O ■o > 3 g 3 0 es pr 3 o o S" > O. P TJ 3 f^ ^ n> 'rj H er N. F. III. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 137 übrigen Säugetieren stark dift'erenziert; sein erster Bogen erscheint als knorpeliger Gehörgang inkl. der Ohrmuschel; der zum Kranium entsandte Fortsatz steht, dort als Processus styloides (Griffelfortsatz), festgewachsen noch durch das Lig. stylo-hyoideum mit dem kleinen Zungenbeinhorn, alles Resten des 2. Visceralbogens, in Verbindung. Das Zungenbein selbst umfaßt, aus Körper (Co- pula), großem und kleinem Hörn bestehend, nur noch den 2. und 3. Visceralbogen. Der 4. und 5. Visceralbogen (3. u. 4. Bogen des Monotremen- zungenbeins) gibt für den Kehlkopf, dessen Anfänge bis zu den Sauropsiden zurückreichen, den größten Knorpel, den Schildknorpel (Thyreoid), ab. Fig. 10. Menschlicher Embryo aus der dritten Woche (aus O. Hertwig nach einem Modell von Ilis). Die vordere Bauchwand ist abpräpariert, so daß das Herz (h) frei- liegt, und der Darm bei d, dem Übergang in den Dottergang, abgeschnitten (das Ganze s. stark vergrößert). S Scheitelhöcker, St Stirnfortsatz, mb Mundbucht, ok Obcr- kieferfortsatz, uk Unterkieferfortsatz, zb Zungenbeinbogen, seh erste Schlundfurche (Kiemenspalte), us Ursegmente (primi- tive gleichwertige Körperabschnittc) , ta Truncus arteriosus (.•\rterienstiel), 1 Leber, bs abgeschnittener Bauchstiel mit den Nabelgefäßen (vu). rückführen läßt, ist übrigens noch öfters durch ver- sprengte Schilddrüsenkeime gekennzeichnet; seine alte Ausmündungsstelle in den Mund liegt noch im blinden Loch der Zunge als Überrest einer alten Einrichtung vererbt vor. Der besseren Orientierung und der Übersicht halber fasse ich nun in einer schematisch abge- kürzten Tabelle die Resultate nochmals zusammen in freier Anlehnung an Ge genbau r (S. 457 ff.). Aus der Tabelle wird abzulesen sein, daß nur weniges von den alten Kiemenbögen völlig rudimentär ward, und daß das meiste, jedoch in mehr oder minder reduzierter und modifizierter Form, anderen Zwecken dienend, weiter fortbestand. Diesen vergleichend - anatomisch gewonnenen Tatsachen wrede ich noch kurz die Ontogenese des Menschen gegenüberstellen ; vorher will ich jedoch noch beiläufig bemerken, daß, soweit jetzt wohl feststeht, für die phylogenetischen Schlüsse über s* s^ zb uk Fig. II. Sehr junger menschlicher Embryo aus der vierten Woche von 4 mm Nackensteißlänge, der Gebär- mutter einer Selbstmörderin 8 Stunden nach ihrem Tode ent- nommen (aus O. Hertwig n. Rabl), st. vergrößert, au Auge, ng Nasengrube, uk Unterkiefer, zb Zungenbeinbogen, s^ s' dritter und vierter Schlundbogen, h durch die Entwick- lung des zur Zeit relativ sehr großen Herzens verursachte Auf- treibung der Rumpfwand, us Grenze zweier Ursegmente, oe obere \ ,, . ■.-. ' E-ttremitat. ue untere f Was die zugehörigen Schlundspalten resp. -taschen anlangt, so weiß man nur, daß vom Epithel der zweiten sich die Halsmandel, Ton- sille, herleitet. Aus dem Epithel der dritten entsteht die Thymus (Kalbsmilch), ein Organ, in welchem während der Embryonalzeit die Blut- bildung vonstatten geht, während es schließlich beim Erwachsenen völlig rudimentär wird. Die Her- kunft der Seitenteile der Schilddrüse von der 4. Schlundplatte wurde schon anfangs erwähnt. Der Unterkiemengang (Hypobranchialrinne), auf die sich der unpaare Teil der Schilddrüse zu- den Ursprung der Säugetiere hauptsächlich Am- phibien und weiter zurück S e 1 a c h i e r in Be- tracht kommen. Dagegen sind die Vögel und Reptilien einerseits, die Ganoiden und Teleostier andererseits als divergente, d. h. für sich fort- entwickelte Formen aufzufassen. Ontogenese des Menschen resp. der Säugetiere. Ganz früh schon , innerhalb der ersten drei Wochen nach der Befruchtung des Eies, bietet der menschliche Embryo das den meisten wohl aus Haeckel's Schöpfungsgeschichte her bekannte, 138 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. III. Nr. 9 und gerade von Leuten, die noch keinen mensch- Hchen bzw. Säugetierembryo im frühesten Stadium zu Gesichte bekommen hatten, vielbestrittene und angezweifehe typische Bild. Nach mancherlei Um- bildungen des befruchteten Eies, dem Durchbruche des sekundären Mundes, Schluß des am kaudalen Ende gelegenen Urmundes haben wir dann ein eigentümliches Wesen vor uns (Fig. lO u. ii), fisch- artig, mit kräftigem Schwänze, einem langgezogenen Herz wandert dem Rumpfezu, was zugleich eineRück- bildung der Kiemenbogengefäße (Fig. 12) zur Folge hat, die als Subclavia, Carotis etc. jedoch weiter- verwendet werden, nur der linke 5. (4.?) Arterien- bogen wird zur großen Körperschlagader, der Aorta. Über die Weiterverwendung der Visceral- bögen sind wir am besten für die beiden ersten orientiert. Eine Abbildung Kölliker's (Fig. 13) zeigt einen i8-Wochenembryo, bei dem der erste Fig. 12. Schema tische Darstellung der Umbildung inderAnlage der Arterienbögen bei den wichtigsten Wirbeltierklassen. Hell: die An- lagen, welche zugrunde gehen. Schwarz: die Arterien mit venösem Blut. Schraffiert die Gefässe mit arteriellem Blut. 1 Dipneusten, II Geschwänzte Amphibien (Urodelen) mit Lungenatraung, III Reptilien, IV Vögel (bei Säugetieren würde nicht der rechte, sondern der linlie Aorten-Bogen erhalten bleiben), ast .Arterienstiel, ao^ venöse Aorta der Reptilien , ao^ arterielle Aorta (gr. Körperschlagader, die vom Herzen ausgeht), a, b die fast allgemein schwin- denden Bögen, I — 4 die übrigen Bögen: 1 Carotidenbogen (gr. Halsschlagader), 2 Aortenbogen (gr. Körperschlagader), 4 Pulmonalisbogen (Lungenarterie), db dessen Verbindung zur absteigenden Aorta (ad), K Kiemenkapillaren (nach R. llertwig.) höckerigen (infolge der verschiedenen Zahl [3 — 5] Gehirnblasen), kaum vom Rumpfe geschiedeneu Kopfe; auf der vorderen Seite des letzteren eine große buchtige Öffnung des Kopfdarmes, dieMund- öffnung mit den verschiedenen in sie hinein- ragenden Zapfen der Stirn- und Oberkieferfortsätze. Die kaudale Seite desselben umzieht ein starker Wulst, auf den jederseits noch 3—4 schwächere, immer durch eine Spalte voneinander geschieden, folgen. Diese Spalten entstanden, wie man an einer Reihe verschiedenaltriger Embryonen be- obachtet hat, durch Einsenkung des Epithels der Körperoberfläche zum Kopfdarm. Noch liegt ein großes Herz in der Mund- und Kiemenregion ; "denn ganz deutliche Anlagen von Kiemen sind es, welche das kleine Menschenfischlein uns darbietet, das noch dazu beiderseits ein Paar flossenähnlicher Knospen aus der Körperwand hervorsprießen läßt. Doch schnell tritt eine Umwandlung ein, um so schneller, je höher die Tiere im System, je näher sie dem Menschen stehen. Die Schlundspalten schließen sich und kommen zum Schwunde; wir können nun beobachten, daß Epithelknospen der 3. und 4. Spalte innerhalb des Körpers weiter- wachsen und sich organisieren als Thymus und Schilddrüse. Der am Ende des zweiten Monats begonnene Verschmelzungsprozeß zum Zwecke der Ohrknorpelbildung in der Umgebung der ersten Spalte läßt sich auch diese verschließen, welche nach innen verlagert als Tuba Eustachü, Pauken- höhle und äußerer Gehörgang sich differenziert. Das Mk kh grf Istk Fig. 13. Kopf und Hals eines menschlichen Em- bryo von 18 Wochen mit freigelegtem Visceral- skelett vergrößert (aus O. Hertwig n. Kölliker). Aus der Seitenwand des Halses ist in die Haut und die oberflächliche Muskulatur ein Fenster geschnitten; dann ist der Unterkiefer etwas hochgeschoben, um den Meckel'schen Knorpel zu zeigen, der zum Hammer führt. Das Trommel- fell ist entfernt und der Paukenring (Annulus tympanicus) sicht- bar, ha Hammer, der ohne Unterbrechung in den Meckel- schen Knorpel (WK) übergeht; uk knöcherner Unterkiefer (Den- tale), mit seinem am Schläfenbein artikulierenden Gelenkfort- satz; am. Amboß, st Steigbügel, pr Paukenring (Annulus tym- panicus), grf Griffel fortsatz, Isth Ligamentum stylo-hyoideum, Kh kleines Hörn des Zungenbeins, gh großes Hörn des Zungenbeins. N. F. III. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 139 Knorpelbogen freipräpariert ist; vorne, Mecl-cel- sc her Knorpel genannt, liegt ihm der knöcherne L'nterkiefer auf, hinten (dorsal) dagegen ist seine beginnende Teilung verdeutlicht, aus der schon eine Hammer- und Amboßform erkennbar ist. Parallel mit ihm läuft der zweite Bogen, bereits geschieden in 3 Teile, die unschwer als Processus styloides, Lig. stylo-hyoideum und kleines Zungenbeinhorn anzusprechen sind. (Fig. 14 u. 15). am ha mk mk V. Fig. 14. Die herauspräparierten Meckerschcn und Reich er t'schen Knorpel mit der Anlage der Gehör- knöchelchen, von einem 2,7 mm langen Schafembryo (aus O. Herlwig n. Salensky!. Meckel'scher Knorpel, Hammer, mk ha am am, zb langer \^ ^,,^,5^(2 des Amboß, kurzer / knorpeliger Zungenbeinbogen. Die angeführten Stadien in der Keimes- geschichte des Menschen (Säugetiere) können ihre Aufhellung nur auf dem vorhin von uns be- schrittenen Wege, der vergleichenden Anatomie, finden, da sie sonst rätselhaft erscheinen müßten. Daher sagt Gegenbaur: „Die Deutung der ontogenetischen Erscheinungen er- fordert somit ein volles Verständnis der vergleichend -anatomischen Tat- sachen. Diese sind hier die höhere In- stanz, da sie dem ausgebildeten, seine Organe in ihrer vollen Funktion be- sitzenden Organismus entnommen sind." Zugleich drängt sich aber dem Beobachter die logische Notwendigkeit eines biogene- tischen Grundgesetzes, wie es von F. Müller aufgefunden, von E. Haeckel jedoch eingehend wissenschaftlich begründet wurde, geradezu zwin- gend auf — Mit den besprochenen Organen ist jedoch die ganze Kiemenbogenfrage noch nicht er- ledigt. Ein weiteres um.fassendes Organgebiet, und zwar die beiden Extremitätenpaare, werden von aus- Fig. 13. Kopfskelett eines Embryo von Tatusia hybrida, Gürteltier (aus R. Hertwig nach Parker und Wiedersheim) knor- peliges Kopfskelett punktiert, häutiges schraffiert (h). I. Belegknochen: na Nasenbein (davor Nasenkapsel mit Nasen- öffnung), la Tränenbein, fr Stirnbein, pa Scheitelbein, im. Zwischen- kiefer, mx Oberkiefer, ju Jochbein, sq Schuppe, de Belegknochen des Unterkiefers; 2. Knorpel und primäre Knochen: os oberes Hinter- hauptsbein, o Hinterhauptbeinknorpel, pe Felsenbein (Gehörkapsel}, a Amboß (Quadratum) , n Hammer (Articulare) , mk Meckel'scher Knorpel, St Steigbügel (Hyomandibulare) , h Zungenbeinbogen, kb Kiemenbogenrest, ty Tympanicum. schlaggebenden Autoritäten der Abstammung nach auf Kiemenbogen zurückgeführt. Da dies jedoch von hervorragenden Gegnern bestritten wird, so sollen nur einige Hauptargumente unter Berück- sichtigung der gegnerischen Meinung herangezogen werden. (Schluß folgt.) Kleinere Mitteilungen. Über ,,zwei denitrifizierende Bakterien aus der Ostsee" berichtet E. Baur. (Wissenschaftl. Meeresuntersuchungen , herausgegeben von der Kommission zur wissenschaftlichen Untersuchung der deutschen Meere in Kiel etc. N. F". VI. Bd. Abteilung Kiel, 1902.) Modifizierte Winogradsky'sclie Nährlösung wurde mit nitritreichem aus dem Seewasser- aquarium des Kieler zoologischen Institutes ent- nommenen SchlicK geimpft. In demselben Ver- hältnis, in welchem die Fäulnis fortschritt, machte sich eine Abnahme des Nitritgehaltes der Kultur bemerkbar, bis dieselbe nach 3 Tagen nitritfrei war. Zur Weiterzüchtung der hiernach wahr- scheinlich in dieser Kultur vorhandenen denitri- fizierenden Bakterien wurde eine Nährlösung von besonderer Zusammensetzung: Fischseewasser (l kg Dorsch in i — 2 1 Seewasser gekocht, nach dem Erkalten filtriert) 100,0, Pepton 2,0, Kalium- nitrit 0,25 benutzt und mit dieser „Nitritbouillon" beschickte sterilisierte Röhrchen mit je einem Tropfen der betreffenden Kultur geimpft. Schon nach etwa 2 Tagen trat in den meisten Röhrchen reichliches Wachstum von Bakterien und Gas- entwicklung auf. Die letztere hörte nach 6 — 10 Tagen auf und mittlerweile war auch das Nitrit verschwunden, wie die Prüfung ergab, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach unter der Wirksam- keit denitrifizierender Mikroorganismen. Die ein- zelnen Bakterienspezies zu isolieren, machte zu- nächst große Schwierigkeiten. Dann aber zeigte sich weiterhin, daß die gewonnenen Reinkulturen zwar gut wuchsen , aber nicht denitrifizierend wirkten, so daß, da die Denitrifikationsbakterien 140 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 9 darunter vermutet werden mußten, nur die An- nahme übrig blieb, daß es sich hier um eine Spezies handeln dürfte, welche allein in Reinkultur nicht denitrifizierend zu wirken vermochte. Diese Annahme wurde durch die weitere Untersuchung bestätigt. Der Organismus erhielt den Namen Bacterium Actinopelte. Es sind i — 1,5 i" lange, 0,5 j« breite, gerade oder schwach gebogene, an den Enden abgerundete, lebhaft bewegliche Stäb- chen, welche keine Sporen bilden, nach Gram entfärbt werden und an älteren Kulturen deutliche Polfärbung geben. Es schien nun notwendig, der Frage näherzutreten, ob die Fähigkeit der Deni- trifikation des gefundenen Bakteriums von der Gegenwart anderer lebender Bakterien abhängig ist oder nur von Stoffwechselprodukten derselben. Um das zu entscheiden, wurde Nitritbouillon mit einem Leuchtbakterium, dessen günstiger Einfluß schon bei den Vorversuchen festgestellt war, in- fiziert, I Vs Tage faulen gelassen, in Röhrchen ge- füllt und 'sterilisiert. In diesen Röhrchen wuchs und denitrifizierte B. Actinopelte auch in Reinkultur und damit war der Beweis erbracht, daß die Stofif- wechselprodukte anderer Bakterien es waren, welche das Zustandekommen des Denitrifikations- prozesses ermöglichten. Weitere Untersuchungen ergaben dann, daß B. Actinopelte zum guten Ge- deihen bestimmter Kohlehydrate bedarf, daß der Organismus in Nährlösungen, welche z. B. Stärke enthalten, auch in Reinkultur gut wächst und denitrifiziert, ebenso bei Gegenwart von Glyzerin, Mannit, Propylalkohol. B. Actinopelte gehört zu den denitrifizierenden Bakterien , welche sowohl Nitrate wie Nitrite zersetzen können. Indessen ist seine Fähigkeit Nitrate zu reduzieren sehr inkonstant; denn längere Zeit in Reinkultur fort- gezüchtet, verliert es dieselbe und vermag dann nur noch Nitrite zu zersetsen. Aus den Versuchen über die Bedeutung der Nitritzersetzung für den Stoffwechsel von B. Actinopelte scheint hervor- zugehen, daß die Nitrite des Sauerstoffs wegen zerstört werden und das Bakterium also bei Gegen- wart von Nitriten anaerob zu leben vermag. Der Denitrifikationsprozeß an sich wird durch Sauer- stoffzutritt gefördert. Das Temperaturminimum, bei welchem B. Actinopelte noch wächst und denitrifiziert liegt bei etwa + 5" C., das Optimum bei -\- 20 — 25° C, das Maximum bei etwa + 35" C. _, . Bacterium lobatum, eine andere denitnfizie- rende, aus einer aus der Kieler Außenföhrde herstam- menden Schlickprobe isolierte Bakterienspezies ist 2 — 3 ;ti lang und 0,75 — 1 /« breit, also größer als B. Actinopelte, gleicht demselben aber sonst in Form, Beweglichkeit, Färbbarkeit und bildet wie dieses auch keine Sporen. Auch B. lobatum be- darf behufs besseren Wachstums der Kohlehydrate und zwar sind am geeignetsten Glykogen, Propyl- alkohol, Mannit. B. lobatum zersetzt nur Nitrite, verliert dieses Vermögen aber fast immer, wenn es einige Wochen in Reinkultur fortgezüchtet wird. Wie bei B. Actinopelte wird auch bei B. lobatum durch Luftzutritt die Denitrifikation be- günstigt, desgleichen durch die Gegenwart der Nitrite anaerobes Wachstum ermöglicht. Das Temperaturminimum, bei welchem B. lobatum noch wächst und denitrifiziert, liegt bei etwa o" C. das Optimum bei 20—25** C, das Maximum bei 39_4o0 Q Dr. A. Liedke. Rob. Stäger, Infektionsversuche mit Gramineen-bewohnenden Claviceps-Arten. — (Bot. Zeitung, 1903, p. iii.) Das Mutterkorn ist eine im Spätsommer auf Roggenfeldern sehr häufig auftretende Erscheinung. Es stellt den Dauerzustand eines Pilzes dar, der im Frühjahr die junge Saat befällt und auf ihr den bekannten Honigtau hervorruft, eine schleimige, süße Masse, in der zahlreiche Pilzsporen enthalten sind, die durch Insekten weiterverbreitet werden und so eine große Zahl anderer Roggenpflanzen infizieren können. Früher, als man den Entwick- lungsgang des Mutterkornpilzes noch nicht kannte und noch nichts von der Zusammengehörigkeit des Honigtaues mit dem erwähnten blauschwarzen, hornartigen „Mutterkorn" wußte, hielt man das Honigtaustadium für einen besonderen Pilz, den man als Sphacelia segetum bezeichnete. Der Pilz kommt außer auf Roggen und anderen Getreidepflanzen noch auf zahlreichen Gräsern vor. Man kennt sechs verschiedene Arten ,^ von denen die auf Roggen vorkommende Claviceps purpurea die bekannteste und wohl auch ver- breitetste ist. Verf hat nun künstliche Infektionsversuche vorgenommen, um festzustellen, ob diese sechs Arten wirklich spezifisch dififerent sind, und ob vielleicht die auf verschiedenen Gramineen wach- senden Clavicepspilze ebensoviele Rassen dar- stellen, die allein w.eder ihre verschiedenen Nähr- pflanzen befallen. Die Infektion nahm Verf. so vor, daß er die im Wasser suspendierten Pilz- sporen mittels eines Zerstäubungsapparates auf Gramineenblüten übertrug. Natürlich wurden die einzelnen Versuchspflanzen unter möglichster Ab- sonderung der verschiedenen Versuchsreihen unter- einander geimpft. Als günstigster Zeitpunkt für die Infektion ergab sich die Zeit der höchsten Blüte der Gräser. Auf noch nicht blühendem Roggen bleiben die Pilzsporen unter Umständen drei bis vier Tage keimfähig. Nach dem Abblühen tritt eine Infektion nicht mehr ein. Die Fähigkeit, durch den Mutterkornpilz infi- ziert zu werden, ist bei den verschiedenen Grami- neen sehr ungleich. Einige sind gegen Infektion nahezu oder völlig immun, andere dagegen zeigen eine sehr leichte Empfänglichkeit dafür. Zwischen beiden Extremen bestehen zahlreiche Gradunter- schiede. Auf die zahlreichen, sehr sorgfältigen Infektionsversuche des Verfassers kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Verf kommt zu dem Schluß, daß bei denjenigen Gräsern, bei welchen eine Infektion mit vom Roggen stammen- den Sporen nicht gelang, die auf ihnen im Freien N. F. III. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 141 wachsenden Mutterkörner besondere spezialisierte Formen oder biologische Abarten der typischen Claviceps purpurea darstellen. Besonders hervor- zuheben ist das Ergebnis, das Verf. mit der In- fektion von Loliumpflanzen erzielte. Es gelang ihm nämlich in keinem F"alle, Lolch mit Pilzsporen zu infizieren, die auf Roggenpflanzen gewachsen waren, ebensowenig umgekehrt von Lolium stam- mende Sporen auf Roggen zu übertragen Dieses Resultat ist deswegen bemerkenswert, weil die Ansicht allgemein verbreitet ist, daß die Roggen- felder gewöhnlich von den am Rande der Felder wachsenden Lolchpflanzen aus infiziert werden, eine Annahme, die übrigens schon deswegen nicht richtig sein kann, weil der Pilz am Roggen zuerst auftritt, nämlich Ende Mai und im Juni, während erst im Juli, August und gegen den Herbst hin an Lolium Honigtau zu beobachten ist. Die Infektionsversuche und Beobachtungen im PVeien zeigen , daß aus dem gleichzeitigen Befallensein verschiedener Nährpflanzen durch Mutterkornpilze an einem und demselben Standort nicht auf die Identität ihrer Parasiten geschlossen werden darf. In einem Anhange an seine Arbeit führt Verf ein Verzeichnis der Insekten auf, welche mit Honigtau befallene Gräser besuchen. Eine groI.5e Zahl von Insekten, unter denen besonders Fliegen, Käfer und Ameisen reichlich vertreten sind, gehen dem zuckerhaltigen Honigtau nach , sowie auch dem ebenfalls Zucker enthaltenden Blütenstaub. Dabei beladen sie sich mit Honigtau und schleppen mit diesem Sporen des Pilzes fort, die sie auf andere, noch gesunde Blütenstände übertragen, welche sie aufsuchen, um Blütenstaub zu verzehren oder daselbst an den Blüten nach Honigtau herum- zusuchen. Die Insekten finden sich da, wo Honig- tau vorhanden ist , so zahlreich und mit solcher Regelmäßigkeit ein , daß sie durch ihre Menge denselben häufig geradezu verraten. Günstige Objekte zur Beobachtung bieten be- sonders die Lolcharten und das an Teichen und Gräben häufig vorkommende Rohr-Bandgras, Pha- laris arundinacea. Von den angeführten Insekten vermitteln be- sonders die Fliegen die Verbreitung des Pilzes, während die Ameisen weniger dazu beitragen. Diese stellen sich zwar überall da in großer Zahl ein, wo es Zucker zu naschen gibt, besuchen aber anscheinend honigtaulose Gräser nicht, übertragen daher die Pilzsporen nicht oder nur selten auf gesunde Pflanzen. Se. Hans Moli seh. Über vorübergehende Rotfärbung der Chlorophyllkörner in Laub- blättern. (Ber. d. Dtsch. Botan. Gesellscli. , Bd. XX, 1902, S. 442). — Chromoplasten, d.h. proto- plasmatische Körperchen, an die gewisse Farbstoffe, besonders rote und gelbe, gebunden sind, finden sich in den Zellen der Blumenblätter und F"rucht- schalen häufig vor , nur ausnahmsweise dagegen in anderen Organen der Pflanze, wie z. B. in den Mohrrüben und in tien Sprossen und Blättern einiger parasitisch lebender Gewächse , wie Oro- banche, Neottia u. a. Unter Umständen entstehen Chromoplasten aber auch in Laubblättern; so im Herbst, beim Ab.sterben und Abfallen der Blätter. .^ber auch an lebenden Blättern kann, wie Verf. beobachtete, vorübergehend eine Rotfärbung auf- treten. So nahm Molisch wahr, daß die Laub- blätter mehrerer Aloearten, wenn sie im Frühling (Mai) aus dem Gewächshause ins Freie gestellt und dem direkten Sonnenlichte ausgesetzt wurden, ihre grüne Farbe auf der Oberseite verloren und sich stattdessen braun oder rotbraun färbten. Diese Rotfärbung beruhte aber nicht, wie Verf feststellen konnte, auf einer Bildung von .^nthocyan, dem bekannten, im Zellsaft gelösten roten Farbstoffe, sondern wurde durch eine Veränderung der Chloro- phyllkörner hervorgerufen. Der Chlorophyllfarbstoff wurde dabei in rotes Carotin umgewandelt. Die Ursache für diese eigentümliche P'arben- änderung ist zweifellos in der intensiven Belich- tung zu suchen; sie bleibt bei dunkel gehaltenen Pflanzen derselben Arten aus. Auch verschwindet eine bereits eingetretene Rotfärbung der Blätter bei länger andauernder Verdunkelung der Pflanze. Bei lange Zeit einwirkendem, direktem Sonnen- lichte tritt in den meisten Phallen ganz allmählich wieder die grüne P"ärbung auf. Ahnliche Beobachtungen wie an den .^loearten konnte Verf auch an Blättern und Stengeln von Selaginella machen. Se. Die Berechtigung des Namens „Algon- kium". — Gegen eine zu ausgedehnte Anwen- dung des Namens „.Algonkium" wendet sich Law- son in einer kleinen Schrift (The Eparchaean Interval. A criticism of the use of the term Al- gonkium. Bull, of Dep. of Geol. Univ. of Calif. Vol. III Nr. 3) deren Inhalt im wesentlichen fol- gender ist : F"ür die von Logan und Hunt aufgestellten P'ormationen „Laurentium" und ,,Huronium" schuf Dana den zusammenfassenden Begriff des Archai- kums. Man verstand unter dieser IBezeichnung alle (vordem auch „azoisch" genannten) Gesteine von vorkambrischem Alter. 1899 beschloß dann die geologische Landesanstalt der Vereinigten Staaten, die vorkambrischen Sedimente als Algonkian (oder Algonkium; der Name ist von einem Indianer- stamm hergenommen) zusammenzufassen, während „die Zeit der Bildung der alten krystallinen Ge- steine" die archäische heißen sollte. Die so um- schriebene Schichtenfolge ist keineswegs eine klar kenntliche geologische F"ormation. Will man Ab- lagerungen wie die Animikie-series und die Kewee- nawan-series der Lake Superior-Gegend, die durch eine Diskordanz vom Laurentium getrennt und vom oberen Kambrium diskordant überlagert werden, Algonkium nennen, so hat Lawson da- gegen nichts einzuwenden. Scharfen Einspruch aber erhebt er dagegen, daß auch solche Gesteine zum Algonkium gerechnet werden, die älter als die große postarchäische Diskordanz sind. Diese 142 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 9 trennt nämlich nach Lawson überall die ältesten krystallinen Gesteine von den darüber liegenden Schichten. Ein sehr langer Zeitraum muß dieser Pause in der Gesteinsbildung entsprechen und nach L. hat man noch nirgends Gesteine gefunden, welche diesem „eparchaean interval" entsprechen. Es wäre aber gegen allen Gebrauch, wenn man Formationen zusammenfassen wollte, die zu beiden Seiten einer Diskordanz liegen, welche an Be- deutung alle anderen Diskordanzen übertrifft, nach denen man sonst Formationsgrenzen gezogen hat. Soweit Lawson. Wir möchten dem folgendes hin- zufügen. Dal3 die Abgrenzung des Algonkiums nach unten schwer sei, mußte schon bei der Aufstellung dieser neuen geologischen Formation zugegeben werden. In der Tat scheint dieser Punkt mehr Schwierigkeiten zu verursachen, als man nach den Darlegungen Lawsons vermuten sollte. Die dem ,, eparchaean interval" entsprechende Diskordanz ist keineswegs so allgemein in deutlicher Ausbildung vorhanden, daß man die Grenzlinie nach ihr mit Leichtigkeit ziehen könnte. Zudem ist ja nicht nur die Gliederung, sondern vor allem die Paral- lelisierung dieser fossilleeren, vielfach aus erup- tivem Material aufgebauten Gesteinskomplexe oft geradezu ein Ding der Unmöglichkeit. Die Ge- steine des Algonkium sind dazu auch häufig so stark verändert, daß sie ebenfalls die Bezeichnung „krystalline Schiefer" verdienen. „Unterhalb des Algonkiums", sagt Walcott,') „kennt man keine klastischen Gesteine mehr". Dann würde man also nur noch diejenigen Gesteine ar-Ä chäisch nennen dürfen, die sich auf der Erde zu''? jener uralten Zeit gebildet haben, als das Wasser K in flüssiger Form noch nicht existierte. (Denn sobald sich Wasser auf die Erde niederschlug, be- gann es auch sogleich seine abtragende Tätigkeit und schuf Sedimente aus den Trümmern der Ge- steine, die es zerstörte.) Aber wo kennt man solche Gesteine, — die Gesteine der ersten Er- starrungskruste unseres Planeten ? Seitdem durch Rosenbusch, besonders durch die Untersuchung der Schwarzwälder Gneiße, nachgewiesen ist, daß alle ,, krystallinen Schiefer" entweder umgewandelte Sedimente oder umgewandelte Eruptivgesteine sind, muß man sagen, daß man mehr als je in Ver- legenheit ist, auf diese Frage eine Antwort zu geben. Die ältesten krystallinen Schiefer erweisen sich als Sedimente, die von eruptiven Massen in- jiziert und daher älter als diese sind — was für Gesteine kann man überhaupt noch archäisch nennen, wenn man die Worte Walcott's als Richt- schnur nehmen will? Von diesem Gesichtspunkte aus muß man die Berechtigung von Lawson's Ein- spruch anerkennen, was kaum tunlich wäre, wenn man sich nur auf die Bedeutung des „eparchaean interval" stützen wollte. Eine nicht beseitigte Unsicherheit haftet also noch dem Gebrauche des Namens Algonkium an. So berechtigt es ist, Sedimente, die man unter dem untersten Kambrium antrifft, mit einem be- sonderen Formationsnamen zu belegen, so schwierig ist es, die Linie zu ziehen, welche diese Formation nach unten abgrenzt, wenn man nicht das Ar- chaikum gänzlich aus der geologischen Nomen- klatur ausmerzen will, wozu keine Veranlassung vorliegt. Über diese Schwierigkeit kommen wohl auch diejenigen, die die Existenz klastischer Ge- steine archäischen Alters nicht leugnen, kaum hin- weg. Daß das Algonkium noch eine unsichere Stellung in der geologischen Formationsreihe ein- nimmt, geht auch aus dem Umstand hervor, daß es in der neuesten Auflage von Credner's „Ele- menten der Geologie" als Äquivalent des Kam- briums, Silurs usw. behandelt wird (was auch Lawson für das Richtige hält), während Kayser es in seiner „Formationskunde" ebenso wie Frech in der „Lethaea palaeozocia" als einen Zeitabschnitt betrachtet, welcher dem Paläozoikum gleichwertig, ja ihm an Dauer noch weit überlegen ist. Für die letztere Auffassung scheint neben der großen Mächtigkeit der fraglichen Ablagerungen der Um- stand zu sprechen, daß auch innerhalb des „Algon- kiums" Diskordanzen vorkommen. Bei der Un- möglichkeit der Parallelisierung der „algonkischen" Gesteinsmassen in den verschiedenen Gebieten ihres Vorkommens, wird man sich vielleicht darauf be- schränken müssen, sich mit lokalen Gliederungen zu begnügen und durch den Gebrauch der neu- tralen Bezeichnung „präkambrische Formationen" "einen Ausweg aus den Schwierigkeiten zu wählen, deren Überwindung einstweilen noch ganz außer- halb des Bereiches der Möglichkeit zu liegen scheint. Dr. Otto Wilckens. ') Compte rendu du XIII. Congri'S gtol, intcrn;ition;il. I-. iasc. pag. 299. Das Alter der Sonne. — Lord Kelvin hatte vor einiger Zeit Berechnungen über die Energie- verluste der Sonne angestellt und daraus den Schluß gezogen, daß, wenn diese Energiemengen lediglich eine Folge der Kontraktion des Sonnen- balles sein sollen, die Sonne sicherlich vor 500 Millionen Jahren die Erde noch nicht beleuchtet haben könnte, wahrscheinlich sogar nicht einmal vor 100 Millionen Jahren. Andererseits könnte alsdann der Fortbestand der Sonnenstrahlung kaum noch für viele Millionen Jahre zu erwarten sein. Kürzlich hat nun G. H. Darwin diese Rech- nung des Lord Kelvin unter etwas veränderter Beurteilung der Zunahme des Energieverlustes bei der Konzentration der Sonnenmasse wiederholt und anstelle jener lOO Millionen Jahre des Lord Kelvin sogar nur 12 Millionen Jahre als wahr- scheinliches „Alter der Sonne" gefunden. Der- selbe Forscher weist aber zugleich in einem an die „Nature"r "gerichteten' Schreiben vom 20. Sep- tember er. darauf hin, daß die Entdeckung der radioaktiven Substanzen allen derartigen Berech- nungen den Boden entzieht, da die von diesen Substanzen abgegebenen Energiemengen ganz außerordentlich^groß sind, ohne daß wir die Quelle derselben in Kontraktion suchen dürfen. „Da wir N. F. III. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 143 jetzt wissen, daß ein Atom Materie fähig ist, in sich selbst einen enormen Energievorrat zu be- sitzen, haben wir, glaube ich, kein Recht zu be- haupten, daß die Sonne unfähig sei Atom-Energie in einer Intensität frei zu machen, die vergleichbar ist mit der, die sie entwickeln könnte, falls sie aus Radium bestünde. Dementsprechend sehe ich keinen Grund ein, daran zu zweifeln, daß man die aus der Gravitationstheorie abgeleitete Abschätzung des Energievorrates der Sonne sehr wohl durch einen solchen Faktor auf den zehn- oder zwanzig- fachen Betrag erhöhen könnte." Es ist klar, daß durch solche Modifikationen der kosmologisch ge- schätzten Entwicklungszeiträume eine Annäherung an die bisher sehr stark abweichenden Ansichten der Geologen möglich sein würde, worauf G. H. Darwin am Schlüsse seines Briefes hinweist. das Vergrößerungsglas zu Hilfe genommen wer- den, um das Schattenbild des Netzes zu erkennen. Ionisierung der Luft durch eine elektri- sierte Spitze. — Hierüber macht Righi in der Ph)'sik. Zeitschrift IV, Seite 641 interessante Mit- teilungen. Bereits vor mehreren Jahren hat der- selbe gezeigt, daß die von einer Spitze ausgehen- den, geladenen Teilchen eine Bewegung längs der Kraftlinien annehmen, so daß sich elektrische Schattenphänomene durch in den Weg gestellte Objekte erzielen ließen. Der modernen Theorie gemäß handelt es sich hier natürlich um Ionen und darum hat Righi die Versuche von neuem aufgenommen. Eine Spitze, die durch Verbindung mit einer Elektrisiermaschine dauernd geladen ge- halten wird , wurde rings von einer Metallkiste umgeben, in der sich nur eine durch ein geerdetes Drahtnetz verschlossene (Öffnung befand. Zwischen den Maschen dieses Drahtnetzes treten nun die Ionen, die mit der Spitze gleichartige Ladung haben, hindurch und können sowohl elektro- metrisch, als auch in besonders instruktiver Weise mit Hilfe des Schwefel-Mennige-Pulvergemisches nachgewiesen werden. Im ersteren Falle läßt man sie auf eine mit dem Elektrometer verbundene Metallplatte auftreffen, im letzteren dagegen auf eine Ebonitplatte, die auf ihrer vom Netz abge- wendeten Seite eine Stanniolbelegung besitzt. Wird durch Ladung dieser Belegung — am besten mit Hilfe einer Leydener Flasche — zwischen dem Netz und der Ebonitplatte ein elektrisches Feld erzeugt, das die Ionen nach der letzteren hintreibt, so erreichen diese die Platte auch bei beträcht- licher Entfernung von dem Drahtnetz, und da sie sich auf den Kraftlinien bewegen, so läßt sich durch Bestäubung mit dem Pulvergemisch das geometrische Abbild des Drahtnetzes sichtbar machen, indem je nach dem Vorzeichen der Ionen der Mennige- oder Schwefelstaub an den von Ionen getroffenen Stellen festgehalten wird. Der Staub zeigt sich daher in kleinen Quadraten an- geordnet, deren Zwischenräume den Maschen des Drahtnetzes entsprechen , von denen keine Ionen auf die Platte übergingen. Selbst bei sehr engen Drahtnetzen gelingt der Versuch , nur muß dann Himmelserscheinungen im Dezember 1903. Stellung der Planeten: Merkur ist Ende des Monats nacli Sonnenuntergang kurze Zeit im SW. sichtbar, Venus glänzt als Morgenstern 3—4 Stunden lang. Mars und Saturn stehen unweit von einander und sind etwa l'/^ Stunde lang abends im SW. sichtbar, während Jupiter noch volle 5 Stunden lang am südwestlichen Aheudhimmel glänzt. Verfinsterungen der Jupitermonde: 3. Dez. 9 Uhr 31 Min. 37 Sek. ab. M.E.Z. I. Austritt 8- „ 5 .. 8 „ 41 „ „ „ II. Eintritt 8. ,, 7 ,, 44 ,, 19 „ ,, ,, II. Austritt 12. „ 5 >, 56 ,, 3 „ n n I. „ '5- M 7 .. 46 .. 43 „ „ ,, 11- Eintritt •5- M 10 „ 22 ,, 8 „ ,, „ II. AuslriU 19- „ 7 „ 51 .. 36 ., „ „ I- „ 26. „ 9 „ 47 n 6 „ „ „ I. 27. M 6 „ 40 „ 17 „ „ „ III. Sternbedeckung: .\m Morgen des 7. wird der Fi.xstern 1 Germinoruni durch den Mond bedeckt. Der Eintritt erfolgt für Berlin um 6 Uhr 45,9 Min. M.E.Z., der Austritt um 7 Uhr 42,9 Min. Algol-Minima: .Am 3. um 7 Uhr 44 Min. abends, am 23. um 9 Uhr 27 Min. abends und am 26. um 6 Uhr 16 Min. aljends. Bücherbesprechungen. Dr. Arthur Meyer, Prof. d. Botanik in Marburg, Praktikum der botanischen Bakterien- kunde. Einführung in die Methoden der bo- tanischen Untersuchung und Bestimmung der Bak- terienspezies. Zum Gebrauche in botanischen, bak- teriologischen und technischen Laboratorien sowie zum Selbstunterrichte. Mit i farbigen Tafel und 31 Abt. im Te.Kt. Gustav Fischer in Jena 1903. — Preis 4.50 Mk. Die bisherigen bakteriologischen Praktika haben meist Nicht-Botaniker zu Verfassern, so daß es inter- essant sein muß zu sehen, wie denn nun ein Fach- Botaniker den Gegenstand vorbringt. Freilich vertritt nun der Autor in seinem Praktikum einige Anschau- ungen, die noch sehr der Aufklärung bedürfen, so daß das Buch nicht hinreichend den allgemeinen An- sichten und Kenntnissen über die Bakterien, sofern die botanische Seite in Betracht kommt, angepaßt ist. Prof. Dr. A. Hansgirg , Phyllobiologie nebst Übersicht der biologischen Blatt-Typen von Einundsechzig Siphonogamen - Familien. Mit 40 Abbildungen im Text. Berlin, Verlag von Ge- brüder Bornträger, 1903. — Preis 12 Mk. Die in dem vorliegenden Buche beschriebenen biologischen Typen oder Klassen der Laubblätter sind auch für die Pflanzensystematik von hohem Werte, so daß sie in neuerer Zeit auch von den Systematikern bei spezieller Bearbeitung einzelner Gattungen und Fainüien der Siphonogamen berücksichtigt wurden und wo es nicht geschehen ist, hoffentlich noch Berück- sichtigung finden werden, da sie zumeist sehr auf- fallende und konstante Charaktere abgeben. Ein Buch zu besitzen, das dasjenige, was wir bis jetzt über die ökologischen Eigentümlichkeiten der Laubblätter wissen, zusammengestellt bietet, wird vielfach angenehm em- pfunden werden. 144 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 9 Prof. J. M. Pernter, Allerlei Methoden, das Wetter zu prophezeien. Vortrag. 36 Seiten. Mit 8 Abb. Wien, 1903. Selbstverlag des Vereins z. Verbr. naturw. Kenntnisse. In fesselnder Darstellung bespricht Verf. die vieler- lei Methoden der Weiterprognose und wendet sich nach Abfertigung aller falschen Propheten dem wissen- schaftlichen Verfahren zu, das die Luftdruckverteilung zur Grundlage hat. An der Hand von acht typischen Wetterkärtchen werden die charakteristischen Witte- rungslagen von Mitteleuropa zur Anschauung gebracht, und über die allerdings noch recht bescheidenen An- fänge der wissenschaftlichen Prognose ohne jede Über- treibung berichtet. Den Wert der auf vielhundert- jährigen Beobachtungen beruhenden echten „Bauern- regeln" für eine lokale Voraussage erkennt Verf. voll an, während er sich mit Entschiedenheit, aber in vor- nehmer Weise gegen diejenigen wendet, die von vor- gefaßten Meinungen aus ihre Prophezeiungen gewinnen und leichtfertig in die Welt hinaus senden. Die kleine Schrift ist als ein Muster populärer Belehrung zu be- zeichnen. Herrn O. L. in Chemnitz. — Vergleichen Sie die Ab- handlung von Alfred Burgcrstcin „Vegetabilische Surro- gate tierischer Rohstoffe" (Wiener illustrierte Gartenzeilung. Wien 1903. Heft VII, p. 243—250), in der Sie behandelt finden 1) das vegetabilische Elfenbein, von den Samen der rhytelephas und Coclococcussamcn herrührend, 2) vcget. Roßhaar, das von Tillandsia usneoides stammt (Surrogate bilden Zostcra marina und Teile von Cliamacrops humilis), 3'j Pflanzen seiden, die von Asclcpiadaceen und Apocy- ncen gewonnen werden (auch aus Baumwolle und Holzcellu- l.ise "wird ,, Kunstseide" erzeugt), 4) Pflanzcndunen : Pllanzenwolle in den Fruchtkapseln der Bombacecn, 5) vege- tabilisches Wachs. Literatur. Frank, weil. Prof. Dr. A. B. : Pflanzen-Tabellen zur leichten, schnellen u. sicheren Bestimmung der höheren Gewächse Nord- u. MiUeldeutschlands. 8. verm. u. verb. Aufl., neu hrsg. V. Gymn.- Oberlehr. Dr. G. Worgitzky. (XXXVI, 238 S. m. Abbildgn. 8". Leipzig '03, H. Schmidt & C. Günther. — 2,40 Mk. ; kart. 2,65 Mk. ; geb. 3 Mk. Klockmann, Prof. Dr. F.: Lehrbuch der Mineralogie. 3., verb. u. verm. Aufl. (Xll, s88 u. 41 S. m. 522 Fig.) gr. 8". Stultcrart '03, F. Enke. — 14 Mk.; geb. in Halbfrz. 16 Mk. Herrn Simonson in Moskau. — Ober das Element von C z a n g i und v. B ä r z a y entnehmen wir dem ,, Elektrotechniker" (Nr. 11), daß es sich um ein Element handelt, bei dem Elek- troden und Depolarisator dem Bunscnelement entsprechen, während als Erreger eine Quecksilberoxydnilratlösung dient, der zur Erhöhung der Leistung Cyankalium und Alkohol zu- gesetzt ist. F. Peters hat dieses Element geprüft und mit ähnlichen ohne den Cyankaliumzusatz verglichen und ist da- bei zu günstigen Resultaten gelangt. In einem Versuche z.B. war bei E'ntladung mit 0,1 Ohm äußerem Widerstand noch nach 30 Minuten eine E. M. K. von 1,4 Volt und eine Strom- stärke von 13 Ampere zu beobachten, während ohne jenen Zusatz nur 0,5 Volt bzw. 5 Ampere erzielt wurden. StaU einer Abnahme ist bei den neuen Elementen während geraumer Zeit sogar eine Zunahme der Leistung zu beobachten. Die Patentierung der neuen Elemente wurde daher von Peters empfohlen. — Wie es jedoch mit der Ökonomie , Lebens- dauer und praktischen Verwendbarkeit steht, wurde von Peters nicht untersucht und bleibt daher abzuwarten. — Eine Bezügs- quelle des Elements anzugeben sind wir nicht in der Lage. Herrn Lehrer K. in Ellrich. — Für Ihre Zwecke dürften am empfehlenswertesten sein die „Periodischen Blätter für Realicnunterricht und Lehrmiltelwesen", Tetschen, Verlag von O. Henckel, Preis jährlich (6 Hefte) 5 Mk. Mehr den Unter- richt an höheren Lehranstalten ausschließlich berücksichtigen die ..Zeitschrift für den physikalischen und chemischen Unter- richt", Berlin, J. Springer; Preis jährlich (12 Hefte) 12 Mk. Die biologischen Zweige des Unterrichts finden besondere Forderung in „Natur und Schule", Leipzig, B. G. Teubner, Preis jährlich (8 Hefte) 12 Mk. Herrn Oberlehrer Günthatt (?) in Bremen. — Ein an Sie adressierter Brief ist als unbestellbar zurückgekommen. Herrn A. H. in Augsburg. — Ich möchte Sie noch darauf aufmerksam machen, daß die Symbiose und ihre Stellung in der Deszendenzlehrc in vorzüglicher und sehr ausführlicher Weise in „Weismann's Vorträge über Deszendenztheorie" (Gustav Fischer in Jena) Vortrag IX erörtert worden ist. W. Leo. Briefkasten. Herrn C. Grün in Neuwied a. Rhein. — Die beste Aus- kunft gibt das ,, Biographisch -liter. Handwörterbuch zur Gesch. der exakten Wissenschaften ges. von Poggendorf. Bd. !, 2 (bis \Sc,8 reichend) 1863, Bd. 3i, 3, 2 (reicht bis 1883) 1898." Dr. M. Blumenthal. Herrn Kieckbusch in Ellrich. — Zum Studium der Mineralien des Harzes empfehlen wir Ihnen „Die Minerale des Harzes". Eine auf fremden und eigenen Beobachtungen beruhende Zusammenstellung der von unserm heimischen Ge- birge bekannt gewordenen Minerale und Gesteinsarten von Dr. Otto Luedeckc, Prof. an der Universität Halle a. S. Gr. 8. Mit einem Atlas von 27 Tafeln und einer Karte. Ge- heftet 56 Mk., in Halbfranz geb. 60 Mk. (Verlag von Gebrüder Borntraeger in Berlin.) Von geologischen Führern des Harzes sind außer dem bekannten Führer von v. Groddeck zu nennen: Behme, Dr. Fr., Geolog. Führer durch die Umgebung von Harzburg, einschließlich Ilsenburg, Brocken, Altenau etc. 1895. Haben, Hannover. 60 Pfg. 1 Geolog. Führer durch die Umgebung der Stadt Goslar am Harz, einschließlich Hahnenklee, Lautenthal etc. 2. Aufl. 1895. 90 Pfg. _, Geolog. Führer durch die Umgebung der Stadt Claus- thal i. Harz, einschließlich Wildemann, Grund und (Oste- rode. 1898. 1,80 Mk. Inhalt: Dr med W. V. Gößnitz: Die Kiemenbogentheorie der Wirbeltiere. — Kleinere Mitteilungen: E. Baur: l'ber „zwei denitrifizierende Bakterien aus der Ostsee". - Rob. Stäger: Infektionsversuche init Grammeen- bewohnenden Claviceps-Arten. - HansMolisch: Über vorübergehende Rotfärbung der Chlorophyllkorner m Laubblattern — Lawson: Die Berechtigung des Namens „Algonkium". - G. H. Dar wi n : Das Alter der Sonne^ - Righi; Ioni- sierung der Luft durch eine elektrisierte Spitze. — Himmelserscheinungen im Dezember 1903. - Bucherbesprechungen: Dr. Arthur Meyer; Praktikum der botanischen Bakterienkunde. - Prof. Dr. A. Hansg.rg: Phyllobmlog.e nebst Übersicht der biologischen Blatt-Typen. - Prof J. M. Pernter; Allerlei Methoden, das Wetter zu prophezeien. - Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr,), Naumburg a. S. Herrn H. H. in Tetschen. — Am besten ist es, Sie setzen sich mit einer geeigneten Firma in Verbindung. Diese wird Ihnen mit näherem gewiß gern an die Hand gehen. Es würde hier zu weit führen, auf die Frage näher einzugehen. Im übrigen empfehle ich Ihnen „F. Fischer, das Wasser und seine Reinigung", worin Sic sich eingehend über die Trink- wasserrcinigung unterrichten können. An Firmen könnte ich Ihnen nennen: Arnold & Schirmer. G., Berlin NO. Gr. Frank- furterstraße 123. (Feinfilter für Wasser u. a.) Berliner Wasscr- reinigungs-GesclIschaft m. b. H. Fricdenau b. Berlin, Rönne- bergstraße 4. Bühring & Co., Berlin C. NW. Louisenstr. 21. Dr. Lb. , t-.^ Einschliefslich der Zeitschrift „^16 NatUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 6. Dezember 1903. Nr. 10. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen utul Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der I'ost I ; Pfg. extra. Postzeitungsliste .\r. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Pctilzcile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, lUumenstraße 46, Buchhändlerinserate durcli die Verlagshandlung erbeten. fNachilruck verboten." Die Kiemenbogentheorie der Wirbeltiere. Von Dr. med. W. v. Göfsnitz, Jena. Die Extremitätentheorie. Einleitendes. Schon außerhalb der Wirbeltierreihe stoßen uns der Lokomotion dienende Anhänge des Körpers auf, die, paarig vorhanden wie z. B. typisch bei den Insekten, oft den Extremitäten der Wirbel- tiere verglichen werden könnten, wenn sie nicht, was als fundamentaler Unterschied hervorzuheben ist, äußere Skelettbildungen darstellten. Die ersten Wirbeltiergliedmaßen waren ihrem Zwecke , Fortbewegung im Lebenselemente der Fische, dem Wasser, entsprechend flächenhaft an- gelegt; ihre stiitzende Grundlage ist eine innere Skelettbildung. Man findet bei den Fischen i.) so- genannte unpaare Gliedmaßen sowohl auf der Rücken- als auch auf der Bauchseite, die aus einem primitiven medianen Flossensaum hervor- gingen; Fortsätze der Wirbelsäule gaben ihnen inneren Halt, der Saum gliederte sich in einzelne Abschnitte, wie sie bei den Fischen typisch sind. Wesentlich anders verhält es sich aber 2.) mit den paarigen Flossen, der Brust- und Bauchflosse der Fische, den Vorläufern der paarigen Extremi- (Schluß.) täten sämtlicher übrigen Wirbeltiere. Das Einheit- liche an ihnen bis herauf zum Menschen ist der Besitz je eines Extremitäten gürteis (Schulter- und Beckengürtel) und je eines Paares mit dem zugehörigen Gürtel beweglich verbundener freier Extremitäten: vordere Gliedmaßen (Arme) und hintere Gliedmaßen (Beine). I. Gegenbaur's Archipterygiumtheorie in kurzem Überblick. Nach Gegenbaur's Archipterygiumtheorie leiten sich die paarigen Extremitäten von zwei letzten Kiemenbogen in ihrer Gesamtheit ab. Je ihr Gürtel und die freie Extremität, letztere als Archipterygium, repräsentieren also ursprüng- lich eine gemeinsame Anlage, die von der Ver- bindungsstelle beider als Grundlage perip her- wärts in Ober- und Unterarm, Hand, Finger usf. ausgewachsen ist. Diese ehedem am Hinter- rande des Kopfteiles lokalisierten Bögen wan- derten unter fortgesetzter Aus- und Umbildung kaudalwärts, d.h. in der Richtung nach dem Schwanzende des Körpers, bis sie schließlich an auch noch bei den Säugetieren nicht völlig 146 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 10 fixen Punkten als vordere und hintere Extremität anlangten. Als wichtig kommt noch in Betracht, daß trotz aller Verschiedenheit in den einzelnen Fällen beide einander homodynam sind und in ihrer Einrichtung viel Gemeinsames aufweisen. Als von Gegenbaur's Seite diese Haupt- sätze der Archipterygiumtheorie bekannt ge- geben wurden, erhob sich bald eine ausgedehnte und starke Gegnerschaft; ich nenne nur Autoren wie Dohrn, Mivart, Rabl und Wieders- heim. Der zeitlich erste wirkliche Gegner, Bal- four, stellte als die wesentlichste Gegenhypothese, der die meisten anderen im Prinzip mehr oder weniger nahe kommen, die Lateral falten- hypothese auf, gestützt ebenfalls auf eine Reihe von auf Tatsachen begründeten Forderungen. 2. Balfour's Lateralfaltenhypothese. Nach dieser Hypothese, die vorwiegend an die Ontogenie anknüpft, entstehen in einer den Körper umziehenden Seitenfalte gleichwertige, d. h. einzeln oder in Gruppen je einem Segmente zugehörige Knorpelstäbe; diese verwachsen beider- seits an ihrem dem Körper zugewandten (medialen) Ende zu einem stäbchenartigen Bindestück, dem Bas i p t er y gi u m , von welchem aus der Glied- maßengürtel, Schulter- resp. Beckenskelett, sich bilden. Was hier vorliegt ist also i. keine einheit- liche, d. h. ursprünglich einem Segmente zu- gehörige Anlage, und zugleich liegt hier 2. ein von der Peripherie zentralwärts gerichtetes Wachstum vor - — zwei scharfe Gegensätze, zu denen als dritter noch die A b 1 e u g n u n g einer Wanderung unter Behauptung einer plnlogenetischen t-nt- stehung im wesentlichen an Ort und Stelle hinzu- kommt. Verhältnis zwischen Ontogenie und ver- gleichender Anatomie als Wissen- schaften. Aus dieser Gegensätzlichkeit zweier Anschau- ungen, wie sie in der Archipterygium- und Lateral- falten-Hypothese niedergelegt sind, die jede in ihrer Art mit gewichtigen Gründen von autori- tativer Seite gestützt erscheint, ersieht man wieder die Notwendigkeit gegenseitiger kritischer Ab- wägung, nicht bloß nach Zahl, sondern auch nach Bedeutung der Beweismaterialien. Je mehr sich unsere Kenntnis erweitert hat, um so mehr trat diese Notwendigkeit schärfster und umfassendster Kritik in den Vordergrund. Um ein ganz ein- leuchtendes und sehr einfaches Beispiel aus der Empirie, der Systematik der Organismenwelt, an- zuführen: Der Walfisch hat lange als Fisch ge- golten wegen einer Reihe äußerer Charaktere, des allgemeinen Habitus, bis genauere Beobachtung an einer Reihe noch wichtigerer Merkmale erkannte, daß er ein Säugetier ist ; ein Säugetier, das erst sekundär wieder in Anpassung an das Leben im Wasser den äußeren*' Habitus eines Fisches — Konvergenz unter dem Einflüsse gleicher Lebensbedingungen — angenommen hat. Wenn nicht zugleich die typischen Merkmale, Besitz von Zitzen, eines furchenreichen und typisch gebauten Großhirnes, eines Zwerchfelles etc. schon einleuchtend genug wären , so kommen noch schließlich rudimentäre Organe, wie die Anlage der nicht zur Entwicklung gelangenden Säugetier- zähne als Beweismittel zu ihrem Rechte. War dieses schon von Darwin besprochene Objekt der Tierwelt, dem ich den früher zu den Palmen gerechneten Cycas, der in die Verwandtschaft der Nadelhölzer gehört, an die Seite stelle, einer von vielen längst abgetanen Streitpunkten der Systematik, so werden jetzt immer größere Komplexe spezieller Fragen ins Gefecht ge- führt. — Augenblicklich besteht eine starke Gegensätzlichkeit am meisten in den beiden Lagern, welche der \'ergleichenden .'\natoniie resp. der ontogenetischen Forschung den Hauptaus- schlag zusprechen. In der letzteren , der Ent- wicklungsgeschichte, die seit der Erfindung des Mikroskopes zur Wissenschaft wurde und der wir die gewaltigsten epochemachenden Entdeckungen verdanken, besitzt nach Gegenbaur's Worten (S. 17) „die vergleichende Anatomie eins der wich- tigsten Hilfsmittel, insofern die Palin genese (d. h. die Wiederholung phylogenetisch aneinander gereihter Stadien im Embrj'onalleben des Einzel- wesens — wesentlicher Inhalt des biogenetischen Grundgesetzes) Zeugnisse bietet für die Vor- geschichte der Organismen. Dieser Wert der Ontogenie ist jedoch kein absoluter; die mit der Palingenese vermischte Cänogenie (Haeckel) in ihren mannigfachen Erscheinungen Iseschränkt jenen Wert und läßt ihn nur als einen relativen anerkennen. Bei der Verwertung der Ontogenese zu phylogenetischen Folgerungen be- darf es daher der kritischen Sichtung, der scharfen Sonderung der palingenetischen und cänogene- tischen Instanzen. Wer die Ontogenie mit allen ihren Erscheinungen für palingenetische Schlüsse in Anspruch nimmt, gerät auf Irrwege, wie wir sie allerdings vielfach betreten finden." Die auf winzigen Zeitabschnitt beschränkte Ontogenese kann eben kein völlig getreues Bild der im Ver- hältnis dazu fast unendlich langen Phylogenie geben. In ihr findet — abgesehen von meletogene- tischen Gebilden, die mit der Phylogenie gar nichts zu tun haben und die der Anpassung an spezielle Zustände des Embryonallebens ihr Dasein verdanken, so sämtliche F r u c h t h ü 1 1 e n der Vertebraten — bedingt natürlich in ihrer Kürze nicht nur Abkürzung, sondern auch Über- springung älterer Zustände statt, die sich weiter- hin in örtlicher (Heterotopie) und zeitlicher (Heterochronie) Verschiebung äußert. Alles dies spielt auch in die referierend von mir behandelte Frage hinein; diese Abschweifung hat zugleich Bezug auf die Einleitung zu Gegen- N. F. III. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 147 b a u r ' s vergleichender Anatomie, S. i — 28 ff., deren Studium nur dringend zu empfehlen ist. EinigesausderArchipterygiumtlicorie. Es erübrigt nun noch eingehender die Extremi- tätentheorie im Sinne Gegenbaur's zu besprechen; da jedoch bei ihr das Gebiet, wie an der starken Gegner- schaft ersichtlich ist, als ein noch sehr strittiges er- scheint und die ganze Argumentationsreihe spez. Fig. 16. Reell tes Br US tflosscnskcle tt eines fossilen Haies (.Xenacanthus Decheni) [aus Gegenbaur n. A. Fritscli]. s Stamm, r Radien (Übergang des biserialen in den uniseri- alen Typus). auch die periphere Difterenzierung innerhalb der Gliedmaße für eine populäre Darstellung leicht zu unverständlich wird, so will ich nur auf einige wichtige Punkte eingehen, um dann mit einer kurzen Würdigung der unserer Ansicht nach höchst wichtigen Resultate der kürzlich publizierten Arbeit von E. Rüge über die Ontogenese des Flossen- skeletts zu schließen. Genese des Archipterygiums. Wenn wir Gegenbaur bei der vergleichend- anatomischen Entwicklung des Archipterygiums folgen wollen, so müssen wir mit ihm auf in- differente Zustände bei den Selachiern zurück- greifen. Wir sehen dort die freie Extremität mit Hilfe eines sogenannten Basale mit dem Schulter- gürtel(-Bogen) artikulieren : Dem Basale sitzen eine Reihe von Radien an, deren terminale Sprossung und Abgliederung wir sogar heute noch, selbst bei Individuen derselben Art, beobachten können. Parallel damit ist ein ähnlicher Prozeß in dem Diesen genannten Punkten entnimmt Gegenbaur die Berechtigung, auch für die Phylogenese der Extremität einen ähnlichen Vorgang supponieren zu dürfen. Er geht dabei von einer Grundform aus, welche an dem Stammradius, der durch ein abgegliedertes Basale mit dem Schultergürtel ge- lenkig artikuliert, eine gefiederte Anordnung von Fig. 18. Linker Brustgüitcl mit Flosse von Hcptanchus (Haie) (n. R. Ilcrtwigl. s Scliulterblatt (^Scapula) der linken, Si der rechten Seite (durch- scheinend gedacht), u unterer Teil des Schultergürtel, nl Nerven- loch, 1,2,3 basale Teile der freien Kxtremität: Pro-, Meso-, Metapterygium; a Stammreihe, r Nebenreihen der knorpeligen Flossenradien, h Hornfaden oder Flossenstrahlcn, bei h' durch- schnitten, da ihr dem Schultergürtel zugekehrter Teil sonst die Enden der Flossenstützen zudecken würde (fast rein uniserialer Typus). Fig. 19. Schemata zur Differenzierung des Brust- flosscnsk el e tts der Selachier (n. Gegenbaur). F'ig. 17. Scliemata zur Erläuterung der Homodynamie des Extrem i tätenskeletts mit jenen der Kiemen (n. Gegenbaur). a — d Kiemenbogen von Selachiern, e Archipterygiumform. Skelett der wirklichen Kiemen zu verfolgen. Dort sieht man an einigen Bogen einen mittleren .Strahl sich verstärken und einzelne andere Strahlen auf ihn als Hauptstrahl überwandern. Diese fiedrige Anordnung besitzt, mehr oder weniger noch durch Teilungsvorgänge kompliziert, Gegenstücke im Skelett lebender, besonders aber fossiler Haie (Fig. 1 6). übergewanderten Radien als erste Anlage einer freien Ex- tremität aufweist. Diese Grund- form bezeichnet er als Archi- pterygium (Fig. 17). Je nach verschiedener Sprossung und Teilung, die entweder die Radien beider .Seiten des Haupt- strahles gleichmäßig betrifft oder eine zurückbleiben läßt, ist ein biser ial es oder ein uniscriales (Fig. 18 u. 19) Archripterygium das Endergebnis , zwei Formen , die durch eine Reihe Übergänge miteinander verbunden sind. Die gesamte Anlage ist eine einheitliche, ein Körpersegment betreffende, die dann peripher- wärts in eine wechselnde XHelheit von abgeglie- derten Strahlen als freie Extremität auswächst, für 148 Naturwissenschaftliche AVoclienschrift. N. F. III. Nr. lo die sich fernerhin die Zahl 5 als Dauertypus festgelegt hat. Der Bogen selbst kompliziert sich durch Auflagerung von Deckknochen, auch durch Rückwanderung von Strahlengliedern zu dem Schulter- und Beckengürtel, wie sie uns heute be- kannt sind. Während bei den Dipnoern, besonders bei Ceratodus (Fig. 20), noch ein schön ausgebil- detes biseriales Archipterygium erhalten ist, so hat sich schon die Flosse der übrigen im Wasser lebenden Wirbeltiere zur uniserialen umgewandelt. Fig. 20. Brust flosscn- skclctt von Ceratodus p'orsteri, '/s d. n. Cr. (aus Gegenbaur). h Basale des Flossenstammes, s Glieder des letzteren, r Radien ; darüber hinaus gehen die Ilorniäden. Fig. 22. Nervus collec- t orv. Accipenscr sturi 0 (Stör) mit dem Skelett der Bauchflosse. 19 — 31 Wirbelzahl, \ Nerven- v^ — V4 ventrale I zweige an dl — d^ dorsale j die Glied- ) maCe (aus Gegenbaur n. v. DavidofiQ. Nur kurz will ich noch das weitere Verhalten bei den Tetrapoden, wo die Extremität als Hebel wirkend der Lokoinotion dient, berühren. Schon bei den im Wasser lebenden Vertebraten war ein gelenkiges Basalstück ähnlich jetzt dem Oberarm und -Schenkel abgegliedert worden; der Rest der freien Extremität zeigt als Prototyp (Fig. 21) nur noch ein uniseriales X'erhalteii und trägt innerhalb dieses den Namen Chiropte- rygium; dieses, das mehr oder weniger deutlicli in den Skelettbildungen bis zti den Säugetieren hinauf nachweisbar ist, prägt sich z. B. beim Ichthyosaurus hübsch aus. Die Zahl 5 der Radien wird bei den Säugetieren zwar häufig re- duziert, sie ist aber in der Ahnenreihe, wie in geradezu klassischer Weise das Pferd zeigt, (ein Verdienst der amerikanischen Paläontologen Cope und Marsh), immer wieder nachweisbar. Ein wichtiger Punkt bliebe noch zu behandeln, die Wanderung der Extremität, die noch eine Reihe Belege finden muß. Für die F'ische ist sie leichter zu erschließen, da dort wenigstens die vordere Extremität dicht hinter den Kiemen- bögen liegt. Doch wird theoretisch die Schwierig- keit, für die hintere Extremität eine successive kaudalwärts gehende Wanderung zu postulieren, ichon geringer, wenn man beachtet, wie allein schon die vordere Gliedmaße von den Fischen bis zu den Vögeln immer weiter nach hinten tritt unter Anwachsen der zwischen ihr und dem Kopfe eingeschalteten Halswirbel. Fig. 21. Schema einer 5fingerigen Extremität (aus R. Hertwig n. Gegenbaur). Die durchgezogene Linie stellt den Stamm- radius dar, die punktierten geben die Seiten- radien an. Die für die hintere Extremität gültigen Bezeichnungen sind eingeklammert. II Oberarmknochen (Oberschenkel), U Ellenbogen (Wadenbein), R Speiche (Schienbein), G Handwurzel (Fußwurzel) bestehend aus 2 Reihen und 2 zentralen Stücken : I. Reihe r Radiale (Tibiale), i Inlermedium, u ulnare (Tibulare), II. Reihe i — 5 Carpalia (Tars.^lia"), c Centralia. Die Mittelhand (Miltelfuß) und die Finger (Zehen) sind nicht bezeichnet worden. Bedeutung der N e r v e n b e z i e h u n g e n. Eine weitere, höchst wertvolle Argumentation, welche die Wanderung der Extremitäten als etwas durchaus nicht Unnatürliches erscheinen läßt , ist in Beziehungen zum Nervensystem gegeben. Ge- netisch gehören bekanntlich Nerv und Muskel zu- sammen , wie uns die Neuromuskelzelle niederster Organismen an die Hand gibt; bei den Wirbeltieren wird diese Eigenschaft in der Metho- dik der Forschung jetzt viel benutzt, da das zen- trale Organ mit seinen abgehenden Nerven geringeren Schwankungen unterworfen ist als das periphere Gebiet (Muskel etc.) und daher um so eher und um so sicherer primitive Zustände in der Art seiner Nervenabgabe erkennen läßt. Speziell den umfangreichen und eingehenden Ar- beiten M. Fürbringer's verdanken wir es, daß in den ein Organ versorgenden Nerven ein wich- tiger Anhalt sowohl für die segmentale Zugehörig- keit als auch für weitere verwandtschaftliche Be- zielnmgen dieses Organes gesucht wird, dieses mag sich peripher noch so sehr verschieben ; ist N. F. III. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 149 es der ursprünglichen AnInge homolog, d. h. völlig gleichen morphologischen Ursprunges, so zeigt der z.ugehörige Nerv durch die Stelle seines Austrittes an dem VVirbelkanal den segmentalen Ursprungsort und in seiner Lagerung den Wände rungsweg des Organes an. Beispiele erläutern dies: Der zur Kopfregion gehörige Nervus vagus, im wesentlichen Nerv des dritten Kiemen- bogens, verläuft zu Kehlkopf, Luftröhre, Lunge, Herz und Magen als Wegweiser ihrer Bildungs- stätte, ihrer primitiven Lagerung und sekundären Wanderung hin. Der Nervus hypoglossus, ein Nerv der Unterkiemenmuskulatur zeigt an, da(3 diese bis an den Unterrand des Brustbeines, d. h. bis in Magen- höhe, gewandert ist, ja, innerhalb der Säugetier- reihe verläuft er in seinen Endgliedern bei einigen Arten fast bis zum Becken; das Schuppentier Manis ist es, bei dem die zum Ameisenfang aus- gebildete Zunge diesen so tief herabgehenden Ursprungsort an dem bogenförmig verlängerten Schwertfortsatz gefunden hat. Hier liegt also schon in einem Nerven nnt seiner zugehörigen Muskulatur der Weg vom Kopfe zur hinteren Extremität, nur für ein anderes Organ, angegeben. Ebenso ist das Zwerchfell, der wichtige und typische Säugetieratemmuskel (dessen Anfänge höchstens bei Amphibien angedeutet sind), aus der Hypobranchiallängsmuskulatur der oberen Hals- region, wo es Anschluß zur Hypoglossusmuskulatur hatte, mit dem Herzen bis in Magenhöhe gewan- dert, wie jetzt noch durch seinen Nerven, N. phre- nicus, dargethan wird. Behält man diese Beispiele im Auge , so ist auch für die Extremität eine Wanderung nichts Fremdes mehr, die in der oberen Extremität, noch dazu in der Innervation eines Muskels (Trapezius), durch einen (z. t.) Kopfnerven (Accessorius) belegt erscheint (abgesehen von den unter die mittlere Verbindung des Schultergürtels getretene Hypo- branchialmuskulatur). Die Kopfregion ist eben, wie alle genannten Beispiele zeigen, die ehemalige Lagerungsstätte der meisten wichtigen Körper- organe gewesen. Ferner sind noch die Nervenplexus, d. h. Schlingenbildungen der Nerven untereinander, wie sie für die Nerven beider Extremitäten typisch geworden sind, als wichtiger Anhalt zu besprechen. Diese Schlingenbildung beruht auf peripherer An- gliederung n eu er Segmente für bestimmte Organe, die dadurch der ursprünglichen Anlage nicht mehr rein homolog , aber noch s e r i a 1 - homolog sind, da entspreciiende Muskelabschnitte den neu zuerworbenen Segmenten entnommen werden. Daß diese Neuaufnahme in ihrem Fort- schreiten eine schwankende ist , erkennen wir an der wechselnden Zusammensetzung der Plexus aus verschiedenen Spinalnerven in der ganzen Vertebratenreihe bei im wesentlichen vorherrschen- der Konservierung der gegenseitigen Nerven- beziehungen innerhalb der Plexus. Im Gegensatz zu den .-Vnuren sind bei den meisten höheren Vertebraten die mehr kopfwärts gelegenen Teile der Plexus in Rückbildung begriffen, der kaudal- wärts gelagerte Abschnitt jedoch [jrogressiv tätig. Auch in diesem V'erhalten der Plexus ist ein wichtiger Fingerzeig gegeben, der sich beim Plexus der Bauchflosse niederster Fische darin ausdrückt, ,,daß der vorderste jenem Gebiete zugeteilte Nerv (wie Davidhoff und Braus fanden) mit einem Längsnervenstamme in Verbindung steht, in wel- chem sich eine Anzahl der vorhergehenden Spinal- nerven vereinigen". Dieser Nervus collector i^Fig. 22) ist von verschiedener Länge und spricht dafür, „daß die Bauchflosse einen Weg von vorn nach hinten zurückgelegt hat, auf welchem sie nach und nach in die Gebiete immer weiter zu- rückliegender Spinalnerven, d. h. Rumpfmetameren, gelangte, aus denen sie jeweils ihre Muskulatur bezog. Diese Wanderung der Gliedmnße erscheint als ein ähnlicher Vorgang wie jener, welcher die vordere Gliedmaße betraf." (Gg. S. 839.) In diesem Sinne wird auch das Auftreten einer die Flossenanlage jeder Seite verbindenden Inte- gumentfalte von Gegenbau r mit der supponierten Wanderung der Hintergliedmaße in Verbindung gebracht. Darauf würden auch die sogenannten „Aborti vknospen" (Dohrn) der betreffenden Muskelsegmente als Zeichen ehemaliger Verwen- dung im Dienste der Extremität zu beziehen sein. Aus vorstehendem Abschnitte über die Archi- pterygiumtheorie ist zu ersehen , daß die dafür angeführten Punkte im wesentlichen aus der Vergleich ung erschlossene Postulate dar- stellen , ebenso wie dies für die zugunsten der Balfour'schen Hypothese angeführten onto- genetischen Befunde gilt. Neue Ergebnisse der ontoge netischen Forschung. Im Gegensatz zu den bisherigen entwicklungs- geschichtlichen Resultaten werden in der erwähn- ten Arbeit E. R u g e 's („Die iLntwicklungsgeschichte des Skeletts der vorderen Extremität von Spinax niger") jedoch jetzt gerade auf dem Gebiete der Ontogenie Tatsachen zum Vorschein gebracht, die auch hier zugunsten der Archipterygiumtheorie in den Hauptpunkten sprechen. Rüge konnte beim Vergleichen einer Anzahl verschiedenaltriger Sela- chierEmbryonen in klarster Form verfolgen, daß die Verknorpelung des Extremitätsskeletts von einer einheitlichen Vorknorpelmasse aus- ging. Vorwiegend zuerst differenzieren und glie- dern sich Schultergürtel und die basaleren Teile der Extremität, Meso- und Metapterygium und hierauf die einzelnen Knorpelstrahlen ; mit anderen Worten: in der Ontogenie besteht eine einheit- liche Grundlage, die sich perip herwärts fortschreitend differenziert. Auch für die Forderung, daß primär ein biseriales Arch i p t e ry gi u m vorhanden sein muß, fand er Beleg im Nachweis eines sogenannten Postaxial- radius, der dann wieder zugrunde geht. Einige weitere speziellere und wichtige For- 150 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. lo derungen der Archipterygiumtheorie werden eben- falls wahrscheinlicher gemacht, so daß jetzt der Lateralfaltenhypothese auch auf ihrem Haupt- argumentationsgebiete der Ontogenie — über die ich Gegenbau r's Ansicht einleitend referierte — abgesehen von älteren Arbeiten neuerdings wieder eine Reihe wichtiger Gründe entgegenstehen. Weitere Forschungen werden hoffentlich end- gültigen Ausschlag geben. Zusammenfassung und Schlufs. Kurz rekapituliert wäre der Vorgang bei der Extremitätenbildung folgender: an den letzten ehemaligen Kiemenbogen bilden sich die Radien um, indem sie sich an einen stärkeren als Haupt- strahl funktionierenden angliederten. Eine weit- gehende Teilung gab dem Ganzen, das sich auch im Schulter- und Beckengürtel, z. B. durch Rückwanderung von Radien zum Bogen nach der Ventral- und Dorsalseite des Körpers hin kompli- zierte, eine größere Beweglichkeit. Die vom Ver- bände der übrigen Kiemenbogen unter Funktions- wechsel gelösten Extremitäten wanderten dann, sich mehr und mehr vom Kopfe und voneinander entfernend, zuerst als Flosse und später aus dieser als Vierfüßlergliedmaße differenziert, kaudalwärts. Demnach leiten sich beim Menschen scliließ- lich von 9 — II primären Kiemenbogen eine Reihe Organe der Mundhöhle und des Ohres, dieSprech- und Atemorgane, sowie das Skelett der F'ort- bewegungsorgane ab (vgl. die Tabelle). Es gehen also Hammer, Amboß und Trommelfell sowie der Unterkiefer auf den I. Kiemenbogen zurück; Steigbügel, Ohrknorpcl mit Ohr- muschel, kleines Zungenbein hörn etc. auf den 2. Kiemenbogen. Der lufthaltige Teil des Ohres: Eustachi- sche Röhre, Paukenhöhle und äußerer Gehörgang ist identisch mit der ersten Kiementasche. Der Rest des Zungenbeines gehört zum dritten, der Schildknorpel zum vierten und fünften Bogen. Die übrigen Gebilde des Kehlkopfes und die Ringe der Luftröhre bewahren die Überbleibsel des sechsten und siebenten Bogens. In der Halsmandel, der K a 1 b s m i 1 c h (Thymus) und Schilddrüse sind nur noch Epit hellen je der 2. — 4. Kiemenspalte weiter vererbt worden, die übrigen 2 kamen zum Schwunde. Und endlich sind in dem Skelett der beiden Extremitäten paare zwei letzte Bögen weiter differenziert worden. Meine Erörterungen sollten nur in gemein- verständlicher Weise den vorläufigen Ab- schluß der Kiemenbogenfrage wiedergeben. Immer neue Funde werden gemacht, neue Verknüpfungen und Ideen tauchen modifizierend auf. Dauernd in ihrem vollen Umfange ist ja überhaupt keine unserer höchsten Wahr- heiten festgelegt und abgeschlossen; immer schönere, weiter und tiefer gehende P'ragen tun sich den neuen Generationen auf, die auch jede ihr Teil zum Fortschritte beitragen wollen. Und so sagt Gegenbaur in seinem Vorworte : „Das ist ja das Leben einer Wissenschaft, daß sie nicht zum Abschluß kommt, das wäre ihr Ende, ihr Tod." Die Steinkammern bei Erdbach an der neuen Westerwald-Querbahn. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Edgar So häufig die Höhlen im Süden Deutschlands sind, namentlich in Württemberg, welches man daher auch als das klassische Land der Höhlen- forschungen in Deutschland bezeichnen kann, so selten sind sie im allgemeinen im mittleren und nördlichen Deutschland anzutreffen. Die beiden Höhlen bei Erdbach, welche die große und die kleine Steinkammer genannt werden, sind zwar schon lange bekannt, aber doch bis jetzt weder dem Publikum zugänglich gemacht, noch auch überhaupt einer eingehenden Untersuchung unter- zogen worden. Es ist dies um so auffallender, da eine im Jahre 1884 durch Oberst von Cohausen den verstorbenen , verdienstvollen Vorstand des Wiesbadener Altertums - Vereins , vorgenommene oberflächliche Untersuchung, auf welche wir noch näher eingehen werden, schon verschiedene inter- essante Funde ergeben hat. Der Ostabhang des Westerwaldes, an welchem auch Erdbach liegt, zeichnet sich durch große geologische Mannigfaltigkeit aus. Ältere und jüngere Odernheimer. neptunische Gesteine werden hier von plutonischen Massen des verschiedensten Alters durchbrochen und überlagert. Von älteren sedimentären Ab- lagerungen kommen hauptsächlich Schiefer, Schal- steine und Massenkalk , von jüngeren feuerfeste Tone und Braunkohlen in Betracht ; von plutoni- schen Gesteinen Feldspatporphyr, Diabasgesteinc, Trachyte, Phonolithe und Basalte verschiedenen Ursprungs. Dieser großen Verschiedenartigkeit der Gesteine entspricht auch die Mannigfaltigkeit nutzbarer Minerallagerstätten : Roteisensteinlager in Wechsellagerung mit Schalsteinen und Diabas- gesteinen, Dachschieferlager im Devon, Brauneisen- stein- und Manganerz auf dem Massenkalk und Schalstein, ferner Eisen-, Blei-, Silber- und Zink- erzgänge in den Koblenzschichten, Kupfer-, Nickel- und Schwefelkiesgänge im Diabas und sporadisch Zinnobererze, ferner Schwerspat. In den diluvialen und tertiären Schichten finden sich außer den schon erwähnten massigen Ablagerungen plastischer Tone und Braunkohlen Braunsteine, Sphäro.siderite, N. F. III. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 151 Phosphorite und tonige Kobalterze. Diese kurze Beschreibungdes geologischen Aufbaues der näheren Umgebung der Höhlen schicke ich zum Verständnis des Weiteren voraus. Als Quellen erwähne ich F. Odernheimer, Das Berg und Hüttenwesen im Herzogt. Nassau 1867 und E. Frohwein, Beschrei- bung des Bergreviers Dillenburg 1885. Ferner die geologische Karte von v. Dechen. Bei der Be- schreibung der Höhlen selbst und ihrer Umgegend, soweit sie sich auf das frühere, jetzt teilweise ver- änderte Aussehen bezieht, ist die Schilderung des Herzogt. Nassau von C. D. Vogel 1843 und die geognostische Beschreibung von C. E. Stifft zu- grunde gelegt. Der Ausgangspunkt für den Besuch der Höhlen ist das an der Köln-Gießener Bahnlinie im Dill- tale, am Fu(.5e des Westerwaldes gelegene alte Städtchen Herborn. Herborn mit seinem male- rischen alten Schlol.3 bildet auch den Anfangspunkt der jetzt im Bau befindlichen Westerwald-Ouer- bahn, welche die reichen Naturschätze des Wester- waldes erschließen soll. Wir folgen daher auch bei unserem Gange der zukünftigen Trace dieser Bahn. Nachdem die Bahn kurz hinter Herborn die Dill überschritten hat, durchschneidet sie in einem tiefen Einschnitt bei Burg Kieselschiefer, Mandelstein, Hyperstenfels und Kramenzel und ge- langt dann in das enge Waldtal der Amdorf. Es folgt darauf wieder Mandelstein, dem sich bei Neuhaus, einem früheren Jagdschlößchen der Grafen von Dillenburg ein Schieferzug nähert, der von jetzt ab auf der rechten Talseite der Bahn parallel läuft und erst bei Erdbach erreicht wird. Zwischen Uckersdorf und Amdorf verläßt die Bahn das Tal der Amdorf, die hier die Erdbach aufnimmt. Von der zukünftigen Station Erdbach führt uns der Weg in wenigen Minuten zu den Steinkammern. Wir folgen der Erdbach, die plötzlich in unter- irdischem Laufe in den Felsen verschwindet und stehen vor einer steilen Kalksteinwand, von mäch- tigen Buchen umschattet, die ihre Wurzeln tief hinabsenden in das zerklüftete Gestein. Das Hauptvorkommen des Massenkalkes ist auf das Gebiet zwischen Langenaubach, Medenbach, Erd- bach und Breitscheid beschränkt und umfaßt den Ostrand der Westerwälder Tertiärablagerung, wäh- rend weiter gegen Nordosten nur schwache Partien dem unteren Schalstein aufgelagert sind. Der Kalk, der im Kontakte mit Posidonomyenschiefer steht, ist in frischem Zustande ein dichtes, blau- graues, dickbänkiges Gestein mit Querklüften, welches an der Oberfläche unter dem Einflüsse der Verwitterung stark zerklüftet erscheint. Die Spalten sind oft scharf, wie mit dem Meißel, in den Felsen gearbeitet , vielfach in Form recht- winkliger Kreuze, so daß man versucht ist an das Werk von Menschenhänden zu denken. Der Kalk- stein zeigt große Neigung zur F'elsbildung. Über- gänge in Dolomit sind selten. G. Bischof) fand ') G. Bischof, Lehrbuch der ehem. u. physik. Geologie, Bonn 1855, Bd. 2, S. 1085 u. 11S2. parallel der Schichtung eine schmale, braune Lage, welche eine fast schon vollständige Extraktion der Karbonate zeigte und seine braune Farbe der höheren Oxydation des Eisenoxj'dul- und Mangan- oxydulkarbonats verdankt. Deutliche Versteine- rungen kommen selten vor. Die sicher bestimmten hat Koch ^) in seiner Arbeit über die Paläozoischen Schichten und Grünsteine in den Ämtern Dillen- burg und Herborn zusammengestellt. Verfolgt man das durch die Kalksteinwände eingeschlossene enge Felsental weiter, so kommt man auf freies Feld. Den Kalk bedeckt westlich und zwar dicht bei Breitscheid Basalt und be- sonders südöstlich des Dorfes Ton und Walker- erde. Wir befinden uns an dem Ausgehenden der Braunkohlenformation. Hier und da zeigen sich an der Oberfläche des Bodens Vertiefungen, welche durch das Einstürzen unterirdischer Höhlen und Klüfte entstanden sind und noch entstehen. Mehr als zwanzig solcher Vertiefungen finden sich auf der kleinen Fläche, die sich vor dem Dorfe Breit- scheid ausbreitet. Wie Vogel berichtet, entstand am Anfange des vorigen Jahrhunderts mitten im Dorf ein solcher Erdfall. Die Zerklüftungen des Gebirges, die das Wasser überall durchsickern lassen, sind auch die Ursache, daß sich in diesem Dorfe keine zutage gehende Quelle findet und auch kein Ziehbrunnen anzulegen ist, sondern das Wasser von dem nahe gelegenen Basaltgebirge hergeleitet werden muß. In diese Erdfälle stürzt sich der kleine Bach, der durch Breitscheid fließt und, nachdem er ca. ^;., Stunde in verborgener Tiefe unter dem Berge durchgeflossen ist, kommt er, wie schon erwähnt, an dessen Fuße unten im Tale verstärkt wieder kristallklar zum Vorschein und treibt sofort eine Mühle. Dieser Berg mit dem unterirdischen Laufe des Baches heißt in der Umgegend die ,, große Brücke" und hat diesem selbst den Namen „Erdbach" gegeben. Es ge- bricht ihm niemals an Wasser und er friert auch bei der strengsten Kälte nicht zu. Von den Höhlen selbst gibt Becher -) folgende Beschreibung vor etwa 100 Jahren: „Ungefähr ■\!^ des Berges, der zwischen 25 und 30 Grad aufsteigt, sind die Höhlen. Der Eingang der einen (kleine Steinkammer) ist niedrig und gleicht einer Dachshöhle. Man muß hinein kriechen. Nach 8 Schuh erweitert sie sich aber, und wird so hoch, daß aufrecht gegangen werden kann. Nach zurückgelegten 50 Fuß wird der Tag wieder erblickt. Durch eine enge Öffnung gelangt man in eine Grotte, welche 12 Schuh breit, in der Mitte 7 hoch und 30 lang ist und deren Ausgang das Ende der Höhle ist. Auf der rechten Seite geht noch eine besondere Höhle hinein, die ich 35 Schuh untersuchte. Abgerissene Kalksteinblöcke lagen auf dem Boden. Das Innere beider Höhlen war mit Tropfstein geziert.. Sechzig Schuh davon sind die großen Steinkammern in einem Kalkstein- ') Jahrbuch des Vereins für Naturkunde im Herzogt. Nassau 1858, S. 233 ff. ^) Becher, Beschreibung der Oranien-Nassauischen Lande S. 221 ff. 152 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. lo felsen, der mit Epheu bewachsen ist. Der Weg dahin führt über schroffe Kalksteinfelsen. Die Grotte vor denselben ist 28 Schuh lang und 15 breit. Gerade über ihr hängt eine große auf beiden Seiten schon losgetrennte Last Kalkstein, die oben noch wie eingekeilt scheint. Auf der rechten Seite ist der Fels wellenförmig gesprungen, wodurch Klüfte entstanden, die im Zickzack in ihm hineingehen. Weiter als 20 Schuh konnte ich nicht kommen, da die Höhle zu enge ward. Ich bemerkte, daß sie ungefähr 12 oder einige Schuh mehr hoch und mit Tropfsteinen überzogen war." Die zweite Untersuchung fand, wie schon in der Einleitung angeführt, durch Oberst von Cohausen 1884 statt. Da es interessant ist die beiden etwa 80 Jahre auseinander liegenden Messungen der Höhlen zu vergleichen, so führe ich auch diese Daten hier an. Nach Cohausen reicht die große Steinkammer 6,5 m in das südliche Berggehänge, ist 2 — 3 m weit und i — 3 m hoch; sie steht am hintersten Ende mit einer 80 cm weiten, i m hohen offenen Spalte in Verbindung, welche sich nach rechts auf 7 m Länge abzweigt, dann verengt und tiefer niedersetzt. Die kleine Steinkammer hat eine 3,5 m weite Öffnung von 2 m Höhe in einer senkrechten Fels- wand, verengt sich bald auf 1,2 m und geht bei 4,5 rn Entfernung vom Eingang in eine 3 — 4 m weite Halle über. Letztere steht einerseits mit einer 80 cm hohen und 70 cm weiten offenen Kluft in Zusammen- hang, welche auf 6,6 m Länge in östlicher und weiter noch auf 2,15 m Länge in südöstlicher Richtung verläuft und sich dann so verengt, daß eine L'ntersuchung nicht mehr ausführbar ist, während andererseits ein 70 cm hoher und offener Raum in südwestlicher Richtung von der Halle abzweigt, welcher bei 13 m Länge sich bei gleicher Breite auf 1,5 m Höhe erweitert und wieder ins Freie mündet. Während also bei der großen Steinkammer die ältere Messung mit der neueren gut übereinstimmt, differiert sie bei der kleinen Höhle nicht unwesentlich. Früher war dieselbe noch auf eine Länge von ca. 58 Fuß zugänglich, was jetzt nicht mehr möglich ist. In der großen Steinkammer war die Ausbeute nur gering. Cohausen fand nur wenige Knochen rezenter Tiere, welche von Raubtieren dorthin geschleppt waren, einen kleinen Meil.jel aus Ton- schiefer und einen flachen, durchbohrten Griffel, wie derselbe vor 40 Jahren in den Schulen ge- braucht wurde. Reichhaltiger waren dagegen die Funde in der kleinen Steinkammer. Es fanden sich menschliche Gebeine, jedoch kein Schädel, ein Bronze-Armring, 5 Ohrringe mit Bernstein und Glasperlen, ein eiserner Halsring, verschiedene Topfscherben, Knochen vom Hund und Fuchs, hauptsächlich aber vom Rind, und ein Reißzahn vom braunen Bären (Ursus arctus), aber keine Waffen und Feuersteinmesser. Vor einiger Zeit hat nun der Herborner Alter- tumsverein auf Anregung des Vorsitzenden Hoff- mann und des Oberförsters Behlen beschlossen, die Arbeiten wieder aufzunehmen und den Be- mühungen dieser Genannten ist es zu verdanken, daß die Behörden die Erlaubnis zu den in um- fassendem Stile geplanten Ausgrabungen erteilten. Da sich der Schreiber dieser Zeilen an der Be- aufsichtigung dieser Arbeiten beteiligte, so sei es gestattet, etwas näher auf das Ergebnis derselben einzugehen, wobei ich außer eigener Anschauung noch den Bericht des Herborner Altertumsvereins zugrunde lege. Die Beschaffenheit der Höhlen läßt vermuten, daß wir es wie bei den Höhlen der schwäbischen Alb, der dieses kleine Gebiet in seinen steil abstürzen- den Rändern und seiner landschaftlichen Konfigura- tion nach auffallend gleicht, mit einem ausge- waschenen Kluftsystem und nicht mit einer eigent- lichen Verwerfungsspalte zu tun haben. Vor dem Eingang zur Höhle der großen Stein- kammer befindet sich eine große Lehmanhäufung und es wurde beschlossen, diese systematisch ab- zugraben und zu durchsuchen. Daß wir hier keinen typischen Höhlenlehm vor uns haben, sondern Ein- schwemmungen von außen, geht aus den in dem Lehm aufgefundenen zahlreichen Gesteinstrümmern hervor, welche ihrer Abstammung nach unzweifel- haft auf ihre Herkunft aus dem Breitscheider P~eldc hinweisen. Es sind neben Kalksteintrümmern, hauptsächlich basaltische und trach_\-tische Kon- glomerate. Der eigentliche Höhlenlehm aber muf^ sich nach den Lhitersuchungen von Professor E. Fraas ') in der Höhle selbst an Ort und Stelle gebildet haben. Fremdartige eingeschwemmte Ge- steine oder Geröllablagerungen fanden sich in dem- selben niemals. P2r hält den Höhlenlehm vielmehr für den Rückstand des ausgelaugten Kalkgesteins. Das massenhafte Auftreten fremdartiger Gesteine in unserem Lehm läßt sich auch durch die schon erwähnten trichterförmigen Erdfälle oberhalb der Höhle auf dem Breitscheider Felde erklären. Von dem durch diese Erdfälle, namentlich bei heftigen Gewitterregen transportierten Lehm und Geröll, stammt daher auch jedenfalls diese Erdanhäufung vor der Höhle der großen Steinkammer. So fand z. B. Petzholdt,-) daß im Etschtale, wo Spalten den Kalkstein durchsetzen, am unteren Ende der- selben mächtige Schutthaufen angehäuft sind. Dieselben Beobaclitungen machte Bischof bei den Erdfällen in der Gegend von Paderborn. Die Erd- anhäufung zeigte auch keine Wölbung in der Mitte, wie sie für den Höhlenlehm charakteristisch ist. Fraas fand bei anderen Höhlen, daß die Firstlinie dieser Wölbung stets mit derjenigen der Höhle zusammenfiel, und daß an den Seitenwandungen der Höhle der Lehm so niedrig lagerte, daß eine Rinne frei blieb. Die Spitze der Schuttanhäufung der Steinkammer liegt an dem Ende und weist ') Jahreshefle des Vor. f. vaterl. Naturkunde in Württem- berg. 50. Jahrg. S. LXVf. '') Beiträge zur Geogn. v. Tyrol, S. 208. N. F. III. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 153 auf den Eingang der Höhle hin, breitet sich von da kegelförmig vor ihrer Mündung wie eine Schutt- halde aus, wo sie durch die weit überragenden Felsen an der weiteren Abschwemmung geschützt wurde. Die stark vorspringende Neigung der Felsen gab auch die Veranlassung zur Vermutung, daß diese jetzt weit außerhalb gelegenen Fels- partien die frühere Fortsetzung der Höhle nach außen bildeten, deren obere Wölbung aber ein- gestürzt sei. Wäre dieses der Fall, so könnte die jetzige Erdanhäufung vor der Höhle eine im Innern derselben entstandene Höhlenlehmbildung sein. Daß dieses aber höchst unwahrscheinlich ist, geht aus dem gänzlichen Fehlen der diese Bildungen charak- terisierenden Eigenschaften hervor. Die starke Neigung der bloßgelegten Felspartien wird viel- mehr durch die zur horizontalen geneigte Einfall- fläche der Kalkschichten bedingt. Dieser Schilde- rung entsprechend waren auch die Resultate der Ausgrabung in der vor der Höhle lagernden Masse nicht sehr bedeutend, obgleich, am unteren Ende anfangend, der Schuttkegel bis zum Eingange des untersten Felsspaltes systematisch, Schritt für Schritt fortschreitend, bis auf eine Tiefe von ca. 2 m, allerdings bis jetzt nur in einer Breite von etwa 1,50 m, abgegraben wurde. Bei anderen Höhlen wurden auch die wichtigen, auf ursprünglicher Lagerstätte ruhenden, Funde nur im charakte- ristischen Höhlenlehm gemacht. Es wurden eine ganze Reihe Gefäßscherben gefunden, und die Funde weisen nach, daß die Höhle schon vor über 3000 Jahren den ersten Bewohnern der Gegend als Wohnstätte und bis in spätere Zeiten als Zufluchtsort bei Kriegsgefahr gedient hat. Als erste Spuren menschlicher Tätig- keit sind die ca. 30 mm dicken, grobsandigen, rohen Scherben und zur Markgewinnung zerschlagene Knochen vom Rind oder Pferd anzusehen. Weiter kamen Scherben aus der Bronze- und Eisenzeit, rauhe dicke, sowie glatte Stücke mit teils ganz roher Verzierung vor. Gleichfalls fanden sich auch Gefäßbruchstücke, wie sie die Burg Dernbach bei Herborn-Seelbach und der Brandschutt von 162 1 in der Stadt Herborn aufweist. Eine sogenannte Kulturschicht, wie deren die meisten Flöhlen zeigen, d. h. der Boden, auf dem die Bewohner lebten, Feuer anzündeten und Reste ihrer Mahlzeiten : Knochen, sowie Scherben, Werkzeuge usw. liegen ließen, ist bis jetzt noch nicht gefunden worden. Außer den Gefäßscherben fanden sich mehrere Hundert Knochen von Raubtieren, dann vom Dachs, dem Reh, Hasen und von Vögeln, ferner vom Rind, Schaf usw. Auch ein kleiner Huf, vom Esel oder kleinen Pferd herrührend, wurde gefunden. Alle diese Knochen tragen aber einen durchaus rezenten Charakter, vielleicht mit Ausnahme eines einzigen ca. V-2 "'' langen Knochens, welcher nach Behlen von Megaceros giganteus stammen könnte. In der obersten Erdschicht fanden sich Gegen- stände aus der neuesten Zeit, z. B. ein Knopf wie er an den Bauerntrachten vor 40 — 50 Jahren in dieser Gegend zu sehen war. Keiner der gefun- denen Scherben lag da, wo ihn seinerzeit die Be- wohner zurückgelassen haben ; alle sind wohl vor- wiegend durch die Tätigkeit des Dachses und Fuchses im Lehm zerstreut eingebettet worden, da sich Scherben aus der Hallstadtzeit über den- jenigen aus dem Mittelalter fanden. Durch diese Grabungen ist also bis jetzt weder die eigentliche Höhlenfauna, noch auch eine sogenannte Kultur- schicht aufgefunden worden. Prof. Dr. Ritterling von Wiesbaden, welcher vor einigen Tagen die Arbeiten an der Steinkammer und die P'unde be- sichtigte, rät zur Weiterarbeit. Es ist daher zu hoffen, daß die Regierung nicht nur die Erlaubnis zur Weitergrabung, die wegen Schwierigkeiten, welche die Forstbehörde machte, vorderhand ein- gestellt werden mußte, erteilt, sondern auch Mittel zur Verfügung stellt, um die Ausgrabungen, deren Kosten bis jetzt von dem kleinen Fterborner Altertumsverein aufgebracht worden sind, in syste- matischer Weise weiterführen zu können. Es steht zu erwarten, daß die weiteren Grabungen, nament- lich im Innern der Höhlen, noch interessante Funde zutage fördern werden. Tropfsteinbruchstücke sind in dem Schutt bis jetzt nicht gefunden worden, was ebenfalls darauf hinweist, daß man die der Höhle selbst ent- stammende Lehmschicht noch nicht erreicht hat, denn nach P>aas ist das Auftreten von Stalaktiten ebenfalls ein weiteres, nie fehlendes Charakteristi- kum des Höhlenlehms. Es mag noch zum Schlüsse angeführt werden, daß auch die Legendenbildung um diese im Waldes- dunkel gelegenen Höhlen und die mit blaugrünen Flechten bekleideten, schwer zugänglichen Fels- spalten, geheimnisvolle Schleier webt. Auch Schätze sollen hier noch vergraben sein, welche einst die Besitzer der 1337 zerstörten Burg Dernbach in Kriegszeiten in den Steinkammern verborgen haben Kleinere Mitteilungen. In seiner ersten Studie über Meeresbak- terien behandelt H. H. Grau die Reduktion von Nitraten und Nitriten (Bergens Museums Aarbog. Bergen 1902). Zur L'ntersuchung dienten Meereswasserproben, welche in der Zeit vom August bis November 1901 zwischen Helder und Texel wöchentlich von der Meeresoberfläche in sterilen Gefäßen entnommen wurden. VJm dem Umstände vorzubeugen, daß Bakterien- arten, welche auf Platten nicht gut fortkommen, womöglich der Beobachtung entgehen , wurden nicht nur Platten angelegt, sondern auch sog. An- häufungsversuche (elektive Kulturen) mit flüssigen Nährsubstraten angestellt und durch wiederholte Überimpfung aus solchen Kulturen in dieselbe Art 154 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. lo von Nährlösung schließlich ein konstantes Arten- gemisch erhalten. Die hieraus gewonnenen Rein- kulturen lassen sich je nach ihrem Verhalten zu Nitraten und Nitriten in folgende vier Gruppen einteilen : 1. Nitrate und Nitrite werden schnell bis zu freiem Stickstoff reduziert ; Ammoniak wird nicht gebildet. 2. Nitrate werden leicht zu Nitriten reduziert und diese letzteren \erschwinden später auch, jedoch ohne deutliche Stickstoffentwicklung. Da- gegen entsteht regelmäßig etwas Ammoniak, be- sonders bei Gegenwart von Zucker. 3. Nitrate werden nicht zu Nitriten reduziert, Nitrite können langsam, ohne deutliche Stickstoff- entwicklung, aus den Kulturen verschwinden. So- wohl Nitrate als Nitrite werden auch als einzige Stickstoffciuelle assimiliert. 4. Nitrate und Nitrite werden nicht reduziert und, als einzige Stickstoffquelle vorhanden, fast garnicht assimiliert, während Ammoniaksalze unter denselben Bedingungen eine gute Nahrung bieten. Es wurden im Laufe der Untersuchung mehr als 20 verschiedene Arten denitrifizierender Bak- terien gefunden. Von diesen ist nur eine kleine Anzahl von größerer Bedeutung für die Deni- trifikation. Drei Arten, welche besonders stark reduzieren, werden genauer beschrieben und zwar Bacillus repens und t ri vialis, welche beide leicht Nitrate und Nitrite unter Bildung von Ammoniak zersetzen und der B. H e n s e n i i , wel- cher Nitrate und Nitrite unter Bildung von freiem Stiffstoff reduziert. Die Frage, ob die gefundenen Denitrifikations- bakterien echte Meeresbakterien oder nur durch Zufall ins Meer gelangte Landbakterien sind, konnte durch Versuche dahin entschieden werden, daß es sich um echte Meeresbewohner handelte. Wenn nun auch sicher schien, daß an der niederländischen Küste gewöhnlich und regelmäßig denitrifizierende Bakterien vorkommen, so stand doch noch der Beweis dafür aus, daß diese in Rede stehenden Reduktionsvorgänge auch unter den natürlichen Lebensbedingungen, wie sie im Meere herrschen, vor sich gehen. Von Faktoren, welche besonders imstande sein könnten, diese Prozesse zu beein- flussen, nennt Verfasser die Temperatur, die Sauer- stoffspannung und die Nährstoffe. Was zunächst die Temperatur anbetrifft, so beschränkt sich Verfasser darauf, das für 2 Arten von Baur ange- gebene Resultat (wissenschaftliche Meeresunter- suchungen. Abtlg. Kiel. N. F. Bd. 6) anzuführen, wonach das Optimum für die Denitrifikation bei 20 — 25" C lag und bei 5" C die Reduktion sehr viel langsamer vor sich ging, ohne indessen völlig gehemmt zu werden, und hält es dadurch schon für bewiesen, daß die Temperaturen, welche im Sommer und Herbst an den Küsten Nord-Europas gemessen werden, an und für sich nicht niedrig genug sind, um die Denitrifikation wesentlich zu hindern. Hinsichtlich der Bedeutung der Säuer- st offspannung kommt Verfasser in seinen Ver- suchen zu demselben Ergebnis wie Baur, wonach gutes Lüften das Wachstum wie die Denitrifi- kation beschleunigt, und hält es für sehr wahr- scheinlich, daß auch die hohe Sauerstoff- spannung der Meeresoberfläche für die Denitrifi- kation günstig sein wird, doch nicht für ganz sicher und fordert eine genauere Prüfung dieser Frage. Aus des Verfassers Versuchen über die Ernährungs- bedingungen geht hervor, daß in der freien Natur die Art der Nahrung keine Bedeutung für die Denitrifikation haben dürfte, dagegen die Menge der kohlenstoffhaltigen Nahrung von ent- schiedenem — und zwar begünstigendem — Ein- flute auf den Ablauf des Prozesses ist. Dr. A. Liedke. j Die patagonische Formation nimmt im süd- lichsten Teil Südamerikas weite FJächenräume ein. Soweit nicht diluviale Bildungen sie bedecken, tritt sie im patagonischen Tiefland, von der Kor- dillere bis an den Ozean , überall zutage. Ihre .Ablagerungen sind vielfach sehr reich an Fossilien — meist Mollusken — , von denen schon d'Orbigny und Darwin einige nach Europa gebracht haben, die aber in ihrer großen Mannigfaltigkeit erst in neuerer Zeit beschrieben sind. An dem tertiären Alter dieser Schichten ist niemals gezweifelt wor- den, wenn man sie auch bald in dieses, bald in jenes Niveau stellte; aber die Versuche, die Ab- lagerungen zu gliedern und in Unterabteilungen zu zerlegen, hatten wenig Erfolg. Der argentini- sche Wirbeltierpaläontologe Ameghino hatte in neuerer Zeit eine „leonensische" und eine „julien- sische" Stufe unterschieden und die obersten Schich- ten als eine besondere, „suprapatagonische", For- mation abgetrennt. Die Berechtigung dieser Eintei- lung wurde nun durch O r t m a n n einer sorgfältigen Prüfung auf Grund des reichen Materials unter- zogen , welches die Expedition der Princeton Uni\-ersität in Patagonien gesammelt hat. Ort- mann stellt fest (Rep. of the Princ. Univ. Exped. to Patagonia. Palaeontology. Tertiary Inverte- brates), daß die Leitfossilien der einzelnen Stufen Ameghinos an vielen I'undstellen mit einander gemischt, ja im selben Gesteinsblock vorkommen, während A. sie auf einzelne Schichtenkomplexe bescliränkt glaubte. — Gleichaltrige, aber räumlich getrennte tertiäre Schichten enthalten oft sehr verschiedene Faunen. Dies rührt daher, daß die Tertiärbildungen , die wir auf der Erde kennen, fast ausnahmslos in seichten, oder küstennahen Meeren entstanden sind. Tertiäre Ablagerungen der hohen See sind uns kaum bekannt. Man muß bei der Vergleichung und Altersbestimmung tertiärer Faunen immer im Auge behalten , daß man die lokalen Einflüsse, unter denen die Orga- nistuen gelebt haben, besonders stark mit in Rechnung ziehen muß. So ist es auch erklärlich, daß die patagonische Formation an weit ausein- ander liegenden Plätzen recht verschiedene F"ossi- lien liefert und man darf auf diesen Umstand nicht ohne weiteres eine Gliederung der Schichten N. F. III. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 155 basieren. Im Gegenteil zeigen Ortmann's Unter- suchungen, daß die patagonische Formation ein einheitliches, nicht weiter in Unterstufen zerleg- bares Gebilde ist. Das Alter der in Rede stehenden Schichten läßt sich am sichersten durch den Vergleich mit anderen Faunen bestimmen. Es ist unter- miocän. Die Fauna zeigt nahe Beziehungen zu derjenigen chilenischer, neuseeländischer und austra- lischer Ablagerungen, dagegen nur geringe zu miocänen Faunen des nördlichen Südamerikas. Man muß daher annehmen, daß der Kontinent zur Miocänzeit aus zwei, durch einen Meeresarm von ziemlich beträchtlicher Breite getrennten Hälften bestanden hat , deren Küsten von sehr verschiedenen Tierformen bewohnt waren. Der Umstand, daß dagegen das neuseeländische und australische Tertiär so nahe faunistische Beziehun- gen zur patagonischen Formation aufweist, verlangt folgende Erklärung: Die ,, patagonischen" Fossilien sind Küstennähe liebende Formen, die sich nicht quer über den Ozean, sondern nur an Küsten ent- lang \erbreiten konnten. FIs muß also irgend eine Landbrücke zwischen Australien und Südamerika bestanden haben. Die meisten Forsclier, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, sind der Mei- nung, daß man die Existenz einer antarktischen Landmasse annehmen muß, die noch zu Beginn der Tertiärzeit einerseits mit Südamerika, anderer- seits mit Australien verbunden war und an deren Küsten hin die Mollusken usw. von einem. Meer in das andere wanderten. Diese Annahme dürfte am meisten Wahrscheinlichkeit für sich haben, obgleich andere Erklärungen theoretisch nicht ausgeschlossen sind. Für dieselbe sprechen auch Gründe zoolo- gischer Natur, wie dies von Meisenheimer in Nr. 2 dieses Jahrgangs der Naturw. VVochcnschr. ausführlich dargestellt ist. Dieser Abhandlung ist auch eine Karte beigegeben , aus der zu ersehen ist, wie man sich die Verbindung der Südkontinente mit der antarktischen Landmasse vorstellen kann. Dr. Otto Wilckens. Zur Analyse von Schwingungen hat Grim- sehl einen recht einfachen Apparat ersonnen. Derselbe besteht aus einem Fernrohr, durch dessen Bildebene man eine kleine photographische Platte hindurchfallen lassen kann. Auf dieser Platte kann man z. B. dadurch eine Reihe von punktförmigen Ein- drücken erzielen, daß man einen Lichtstrahl durch die Löcher einer gedrehten Sirene hindurch in das Fernrohr leitet. Man erhält dann durch Abzählen der Punkte *) mittels der durch einen Vorversuch ermittelten Fallgeschwindigkeit der Platte die Schwingungszahl des Sirenentones, ohne daß die Drehung der Sirenenscheibe durch die Einschaltung eines Zählwerks eine Störung erfährt. — Um die Schwingungskurve einer schwingenden Saite zu fixieren, spannte G. die Saite vertikal vor dem leuchtenden, horizontalen Glühkörper einer Nernst- lampe aus. Im P"ernrohr sieht man dann, wenn auf die Saite scharf eingestellt wird, einen hellen Streifen, der eine dunkle Unterbrechung zeigt. Beim Schwingen der Saite schwingt dieser dunkle Punkt hin und her und die in der Bildebene herab- fallende, photographische Platte zeigt uns daher nach der Entwicklung eine schöne Wellenlinie, deren Studium nun in Ruhe ausgeführt werden kann. Bemerkenswert ist auch hierbei der Um- stand, daß die Fixierung der Schwingungsform auf rein optischem Wege, also ohne jede störende Beeinflussung der schwingenden Saite zustande kommt. — Auch elektrische Entladungen, Licht- schwankungen einer singenden Bogenlampe etc. lassen sich durch den einfachen Apparat studieren. F. Kbr. Neue, für Ultraviolett durchsichtige Glas- arten sind auf der Xaturforscherversammlung in Kassel von E. Zschimmer beschrieben worden. (Phys. Zeitschr. IV, Nr. 26b.) Über die technische Herstellung dieser vom Jenaer Glaswerk Schott u. Gen. fabrizierten Gläser wurde bis jetzt noch nichts weiter bekannt gemacht, als daß die Variation der chemischen Zusammensetzung allein nicht zum Ziele geführt hat. Die neue Glasart läßt bei einer Glasschicht von i cm Dicke von Strahlen der Wellenlänge 305 /(/( (im Anfang des Ultraviolett) noch etwa 50 Prozent hindurch. Bei 280 iiu, wo gewöhnliche Gläser bereits völlig undurchsichtig sind, läßt die neue .Sorte allerdings nur bei i mm dicker Schicht noch 50 Prozent hindurch. Durch ein Deckgläschen aus der neuen Sorte konnte das Spektrum bis 248 //// photographiert werden, während es bei Vorschaltung eines gewöhnlichen Deckgläschens bei 297 ,«/< abbricht. ,,Daß die gesteigerte Durchlässigkeit der neuen Jenaer Glasarten von Bedeutung sein wird, zeigten einige bereits ausgeführte astrophotographische Versuche des Herrn Dr. Villiger in Jena, welche ergaben, daß man bei Anwendung von Objektiven aus den neuen Glasarten in der Tat eine erheb- lich größere Anzahl von Sternen und merklich gesteigerte Feinheit im Detail erhält, als mit ge- wöhnlichen Objektiven." F. Kbr. ') Natürlich rücken die Punkte infolge der beschleunigten Fallbewegung weiter auseinander, man kann daher an ihnen auch die Kallgcsetze bestätigen. Metallographie. — Das Studium der Metalle ist jahrzehntelang nur chemisch-analytisch und vom Standpunkte der Festigkeitslehre aus betrieben worden. Es sind dabei jedoch oftmals Erschei- nungen aufgetreten, die weder durch die Festig- keitsprüfung noch durch die Analyse erläutert werden konnten, so daß man in diesem Falle vor Rätseln stand, deren Lösung einem besonderen Zweige der Naturwissenschaft vorbehalten war. Dieser neue Zweig wissenschaftlicher Erforschung der Metalle nennt sich Metallographie und be- zweckt die Untersuchung der Metalle in normalen und abnormen Verhältnissen bezüglich ihres inneren Aufbaues. Um dies erreichen zu können, bedient 156 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. lo man sich des Mikroskops und der Bestimmungs- methoden für Sclimelz- und Erstarrungspunkte, bzw. der Abküiilungserscheinungen der Metalle. Das Mikroskop liefert uns bei verhältnismäßig starker Vergröl3erung an angeätzten Schliffen einen Einblick in den inneren Aufbau. Wir müssen zu diesem Zwecke die Metalloberfläche beleuchten und das reflektierte Licht durch das Mikroskop gehen lassen. Wir können also hier nicht mit Dünnschliffen arbeiten, wie es bei Gesteinen der Fall ist. Die Metalle im reinen Zustande zeigen unter dem Mikroskop einen ähnlichen inneren Aufbau wie die einfachen Gesteine, beispielsweise Marmor oder Quarz. Haben wir es aber mit Le- gierungen zu tun, so treten Verhältnisse auf, wie wir sie bei gemengten Gesteinen beobachten können. Wir haben also hier verschiedenartig gefärbte Ge- fügebestandteile, die sich deutlich voneinander unterscheitlen und in jedem Falle ein charakte- ristisches Merkmal an sich haben, so daß man sie identifizieren kann.') Die mi- kroskopisciie Beobachtung ist nun allein nicht im stände das Wesen der Metallographie auszumachen, sondern wir müssen uns auch physikalischer und chemischer Arbeitsverfahren bedienen , um treffende Schlüsse zu ziehen. Die Metallographie gebraucht infolge- dessen die Methoden der analy- tischen Chemie zu ihrer Unter- stützung , sie bedient sich der Festigkeitsprüfung und galvani- schen Untersuchung und sie be- trachtet die Metalle auch vom phj'sikalis-chchemischen Stand- punkt aus, indem sie die Er- scheinungen bei der Erstarrung in Einklang zu bringen sucht mit den wissenschaftlichen Erkennt- nissen der chemischen Lösungs- theorie. Schon vor längerer Zeit wurde von Ledebur erkannt, daß die Legie- runcren als erstarrte Lösungen aufzufassen seien, aber erst neuere Arbeiten, welche \'on Guthrie, Osmond, Le Chatelier, van t'Hoff, Roozeboom, Heyn und anderen ausgeführt wurden, haben diese Anschauungen bestätigt und erweitert. Die Metalllösungen sind den Salzlösungen an die Seite zu stellen und es gelten für sie die nämlichen Be- dingungen wie für die letztgenannten. Betrachten wir beispielsweise zuerst nach den Untersuchungen Guthries die Kochsalzlösungen, so finden wir, daß dieselben bei ihrer Abkühlung Änderungen ihrer Zusammensetzung aufweisen, wie wir sie später auch beim Abkühlen geschmolzener Legierungen beobachten können. So ist beispielsweise eine Lösung von Kochsalz in Wasser mit 23,5 "',j Koch- salz bei — 22" C. gesättigt für Eis wie für Chlor- natrium. Ist der Kochsalzgehalt der Lösuncr ore- ringer, so wird sich beim Abkühlen von gewöhn- licher Temperatur bis — 22" C. zuerst Eis aus- scheiden und die Kochsalzlösung der Sättigung für — 22" C. zustreben. Ist der Kochsalzgehalt höher als 23,5'',,, so wird sich zuerst Kochsalz ausscheiden und schließlich bei — 22" C. ebenfalls die für diese Temperatur gesättigte Lösung er- starren. Kühlt man weiter ab, so wird die ganze Masse fest. Wir haben also folgende Systeme in den Kochsalzlösungen zu unterscheiden : Die Lö- sungen mit 23,5";'|, Kochsalz sind bis zu — 22" C. flüssig; Lösungen mit höherem Kochsalzgehalt scheiden zuerst Kochsalz, solche mit niedrigerem Kochsalzgehalt zuerst Eis aus, wenn man bis — 22" C. abkühlt; sämtliche Systeme unterhalb — 22" C. sind fest. Dies veranschaulicht auch die beigegebene Kurve. Analog verhalten sich nun die Kupfersilberlegierungen, die folgendes Er- starrungsbild darstellt: bei 778" C. erstarrt die flüssigste Legierung mit 28",, Ku[)fer. Legierungen t ^^' ( -f 30 > -7* R k/jvi e jj ach sa£j £diu :h^ t^e^ te eL f&ac/ f ■ 'emä> n V 1 A ccA sat )■ J V -10 we a,r\ yace E^ staf ^^ h f /(? fne sc JlecÄ Z, CS ^t^ cAivci '^s^^ f~ue. su^j — ^^SJ-er-, >) Vgl. den .Artikel von Dr. Brühl in N. F. Bd. I, S. 213f. mit höherem Kupfer- bzw. Silbergehalt erstarren bei höheren Temperaturen und haben 2 Erstarrungs- punkte. Bei dem obersten beginnt metallisches Kupfer bzw. metallisches Silber sich auszuscheiden, die Temperatur sinkt weiter bis 778", wo dann die ganze Masse fest wird. Bei niedrigerem Kupfer- gehalt sättigt sich die flüssig bleibende Legierung unter Ausscheidung von Silber so weit, bis eine Legierung mit 28",, Kupfer entstanden ist, die erst bei 778" C. erstarrt. Ist der Kupfergehalt höher, so strebt bei Abkühlung die Lösung eben- falls diesem Gleichgewichte zu, nur daß sich zuerst Kupfer ausscheidet und schließlich ebenfalls eine Legierung mit 28" ,, Kupfer übrig bleibt. In gleicher Weise verhalten sich die Blei-Antimonlegierungen, die Blei ■ Silberlegierungen und auch die Eisen- Kohlenstofflegierungen (siehe Abbildung). Bei Eisen-Kohlenstoft'legierungen ist insofern eine be- sondere Eigenart zu bemerken, als dieselben auch im erstarrten Zustande bei höheren Temperaturen N. F. III. Nr. lo Naturwissetischaftliche Wochenschrift. 157 diese Umwandlungen zeigen. Es steht aber der Annahme nichts im Wege, daß auch im äußerlich festen Zustande Lösungserscheinungen auftreten und daß die Eisen-Kohlenstofflegierungen auch im erstarrten Zustande verschiedene Aggregatzustände annehmen. (Vgl. E. Heyn, Vortrag im 5. inter- nationalen Kongreß für angewandte Chemie, Berlin 1903.) Wenn wir auch bisher gewohnt sind, nur 3 verschiedene Aggregatzustände anzunehmen und wenn wir beispielsweise beim Schwefel die anderen Modifikationen zwar chemisch als dasselbe aber doch eben als besondere Modifikationen ansehen, so ist es doch möglich diese Modifikationen als feste Aggregatzustände aufzufassen. So hat bei- spielsweise das Eisen mit etwa 0,2% Kohlenstoff 2 verschiedene Aggregatszustände, den einen bei etwa 880'' C, den anderen bei etwa 700" C. Der dritte Aggregatszustand ist dann der flüssige. Wir können beim Eisen ebenso wie beim Schwefel diesen Aggregatszustand festhalten. Dies geschieht -fAlY ^,1 -t/f -f/tJtKo^tm durch Abschrecken bei den betreffenden Temiie- raturen. Um der Sache näher zu treten, sei er- wähnt, daß nach den Untersuchungen von Ledebur, Mylius, Förster, Schöne und anderen bei Lösungen von Eisen -Kohlenstofflegierungen bis etwa 1,3",, Kohlenstoff in kalter verdünnter Schwefelsäure unter Luftabschluß Eisenkarbid ausgeschieden wird und Eisen in Lösung geht. Wir haben es daher bei Eisen - Kohlenstofflegierungen wahrscheinlich mit Legierungen von Eisen mit Eisenkarbid zu tun, und wir können an der Hand des gegebenen Schaubildes daraus schließen, daß sich bei Le- gierungen unter 0,95 "/o Kohlenstoff beim Ausgang aus einem festen Aggregatszustand in den anderen zuerst Eisenkrystalle und dann bei etwa 700" C. eine feste Lösung mit 0,95 "„ sich ausscheidet. Ist der Kohlenstoffgehalt höher, so scheidet sich zuerst Eisenkarbid aus, bis bei etwa 700" C. ebenfalls der gleiche Gewichtszustand erreicht ist und eine Lösung mit 0,95",, Kohlenstoff erstarrt. Um dies nachzuweisen hat man aber noch ein sehr »utes Hilfsmittel, und zwar ist dies das Mikroskop, welches uns zeigt, daß diese Schlüsse der Wirklichkeit entsprechen. L'm die mikroskopischen LTnter- suchungen ausführen zu können, muß man die Metallproben eben schleifen und hochglanzpolieren. Diese Schliffe werden alsdann durch geeignete Ätzmittel angeätzt und unter dem Mikroskop be- trachtet, wobei man nötigenfalls bis zu sehr hohen Vergrößerungen schreiten muß, um eingehende Aufschlüsse zu erhalten. Man ist so imstande Hand in Hand mit den Schmelzpunktkurven die theoretische Lösung hüttenmännischer Fragen dem Auge wahrnehmbar zu machen, so daß es selbst dem Laien möglich ist, diese LJntersuchungen als vollständig stichhaltig anzuerkennen. Bei einem Bilde, welches eine Blei-Antimon- leglerung darstellt, die mehr als is"/,, Antimon enthält, sehen wir ausgeschiedenes Antimon und eine Mischung von Blei und Antimon in innigster Vereinigung. Diese innige Mischung stellt die leichtflüssigste Legierung dar, welche aus i3"/u Antimon und 87"/,, Blei besteht. Haben wir höhere Gehalte an Blei , so scheidet sich das Blei in Form großer Kristalle zuerst aus und wir finden hier ebenfalls das erwähnte innige Gemenge von Blei und Antimon als Zwischenmittel zwischen den Bleikristalliten. Auch andere Legierungen geben natürlich entsprechende Bilder. Nachdem wir nun das Wesen der Metallographie und seiner Hilfsmittel kennen gelernt haben , wollen wir auch auf den Wert dieser Wissenschaft für die Praxis eingehen. An der Hand der Schmelz- punktkurven ist es möglich, sich für be- stimmte Zwecke Legierungen auszusuchen, welche gewissen Anforderungen , welche „y die Praxis an sie stellt, gerecht zu wer- ^ jf' den vermögen. An der anderen Seite kann man aber auch nachweisen, ob ein Material, beispielsweise Kesselblech , durch Hämmern oder Walzen in kaltem Zustande ganz oder stellenweise in seinen Festigkeitseigenschaften beeinfluIH worden ist, oder ob im Gegenteil eine lokale Uberhitzung oder Dauererhitzung stattgefunden hat. In jedem dieser F'älle wird man zwar durch Festigkeits- prüfungen und zwar besonders durch Biegeproben einige Aufschlüsse erhalten, die Frage warum jedoch wird uns erst die metallographische Prüfung beantworten. Bei Kupfer beispielsweise wird es möglich sein nachzuweisen, ob man Elektrolx't- kupfer oder hüttenmännisch dargestelltes Kupfer, bzw. umgeschmolzenes Elektrolytkupfer vor sich hat. Einen ferneren \'orteil bietet die Metallo- graphie, indem sie sich mit der t'inwirkung von Gasen auf die Metalle beschäftigt. Es ist ihr da- durch gelungen nachzuweisen, daß Wasserstoff auf Eisen und Kupfer einen dauernd schädlichen Ein- fluß auszuüben imstande ist. Es ließe sich noch eine große Reihe von praktischen Beispielen nach- weisen, aber schon diese wenigen werden genügen, 158 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. III. Nr. lo den Wert dieser neuen Wissenschaft darzutun. Die Metallographie hat, trotzdem sie durch die Untersuchungen von A. Martens in den 70 er Jahren des vorigen Jahrhunderts als eine deutsche Wissen- schaft bezeichnet werden darf, ihre hauptsächlichste Ausbildung im Auslande gefunden. Eine große Anzahl deutscher Hochschulen steht ihr noch fremd gegenüber und es wird erst der Zukunft vorbehalten sein, für die Metallographie an deutschen Hochschulen den Boden zu gewinnen, der ihr ge- bührt. Die Metallographie wird aber nur dann zu einer vollständig ausgebildeten Wissenschaft werden können, wenn die ihr von den Ministerien zugeteilten Bearbeiter nicht allein die Mittel zu ihrer Ausarbeitung an die Hand bekommen, sondern auch darin ihre Lebensaufgabe erblicken können. Mögen diese Zeilen dazu beitragen, der Metallo- graphie einen größeren Interessentenkreis zuzu- führen und ihr an geeigneter Stelle Gehör zu ver- schaffen. Ernst A. Schott. Bücherbesprechungen. Dr. Martin KHz, Beiträge zur Kenntnis der Quartärzeit in Mähren. Mit 180 Illustra- tionen und 2 Tafeln. Steinitz (Mähren) 1903. Selbst- verlag des Verfassers. 560 Seiten. 8". Wenn man die Würze eines Buches neuerdings mit Recht in einer wohltuenden Kürze sucht, so mul3 das vorliegende Werk zu den schwach gewürzten ge- zählt werden. Die umständliche Beschreibung mancher Nebensachen, die trotz der vielen Kapitelüberschriften wenig übersichtliche Darstellung und die oft zusammen- hangswidrige P^infügung der Abbildungen erschweren das Lesen der umfangreichen Arbeit. Aber das Buch enthält eine solche Fülle von Tatsachen über die vom Verfasser seit mehreren Jahrzehnten mit ungemeiner Sorgfalt unternommenen Nachgrabungen im Lößhügel von Predmost bei Prerau und in den Höhlen der mährischen Devonkalke in den linken Seitentälern der Zwittawa nordöstlich von Brunn, daß wir diese deutsche Zusammenfassung seiner bisher vielfach in tschechischer Sprache erschienenen Einzelarbeiten nur außerordent- lich dankbar begrüßen können. Der Umfang des Buches verbietet ein genaueres Eingehen auf den Inhalt. Als Nachschlagebuch betreffs der Fund- umstände ist das Werk zweifellos durchaus zuverlässig. Zweifelhafter erscheint die Sicherheit der gezogenen Schlüsse. Der Verfasser meint, der diluviale Mensch der älteren Steinzeit sei gleich den nordischen Tier- forinen (Eisfuchs, Schneehase, Rentier u. a.), die mit seinen Resten zusammen gefunden werden, von dem vorrückenden Inlandeise gedrängt, aus Sibirien (?) in Mähren eingewandert und nach der Eiszeit wieder jener Tierwelt nach Norden gefolgt, wo Reste in den Lappen noch fortleben sollen. Inzwischen hätte sich in Mähren eine Steppenfauna ver- breitet und darauf wanderte während des Allu- viums der Mensch der jüngeren Steinzeit , der Arier, ein, der aus dem Osten des Aralsees seine Haustiere mitbrachte, Ackerbau trieb und die Kunst des Töpfers wie des Webers kannte. — Für diese noch so durchaus strittigen Fragen scheint dem Ref in dem vorliegenden Werk die Urgeschichte des westlichen Europa doch zu wenig in Betracht ge- zogen. Vor allem dürfte die Neandertalrasse, die der Verfasser abgetan glaubt, lebenskräftiger als je sein und wesentlich zur Verschiebung und Verwicklung der Frage beitragen. F. S. Gelcich, Die astronomische Bestimmung der geographischen Koordinaten. 126 Seiten. Mit 46 Abb. VlI. Teil der „Erdkunde" von W. Klar. Leipzig u. Wien, F. Deuticke. 1904. — Preis für Abnehmer d. ganzen Werkes 4 Mk., Einzelpreis 5 Mk. Bei der Auswahl des behandelten Stoffes hat Ver- fasser sich davon leiten lassen, daß er dem angehen- den Geographen eine ausreichende Einführung in das für ihn wichtige Gebiet geben wollte. Dementsprechend sind mathematische Kenntnisse in möglichst geringem Umfange vorausgesetzt und benutzt worden. Vor allem hat es unseren Beifall, daß der sphärische Kosinussatz vorzugsweise benutzt wird, während auf die eleganteren, aber schwieriger im Gedächtnis haf- tenden Formeln der sphärischen Trigonometrie ver- zichtet wurde. Daß auch die Zeitbestimmung be- handelt ist, scheint völlig gerechtfertigt, ebenso wie die Aufnahme der Breitenbestimmung nach Horrebow- Talcott. In Fortfall könnte u. E. in Zukunft die Längenbestimmung durch Monddistanzen kommen, da die Schwierigkeit der Beobachtung, sowie die um- ständliche Reduktion gewiß nur sehr selten eine An- wendung diesei; Methode empfehlen wird. Fällt doch sogar von 1905 ab die Angabe der Monddistanzen in der ,,Connaissance des temps" gänzlich fort, da nach Ansicht des „Bureau des longitudes" die für deren Berechnung aufzuwendende .Vrbeit in keinem Verhältnis steht zur Seltenheit ihrer Benutzung. Dafür würden wir ein noch etwas breiteres Eingehen auf die Methode der Standlinien freudig begrüßen. — Sehr nützlich werden sich dem Anfänger die überall in aller Ausführlichkeit angefügten Zahlenbeispiele erweisen. F. Kbr. Prof Dr. Kollert, Katechismus der Physik. 6. Aufl. 593 Seiten mit 364 Abb. Leipzig, J. J. Weber. 1903. — Preis geb. 7 Mk. Der Name „Katechismus" könnte sowohl in bezug auf Inhalt als auch Form des Buches falsche Vor- stellungen erwecken. Dasselbe stellt ein handliches, aber recht inhaltreiches Kompendium der Physik dar, das an zahlreichen Stellen von mathematischen Ent- wicklungen durchsetzt ist, die hier und da sogar die Elemente Differential- und Integralrechnung voraus- setzen. Das Büchlein kann demnach ziemlich weit- gehenden Bedürfnissen genügen. — Bei der Elek- trisiermaschine wird eine sehr seltene Form der In- fluenzmaschine beschrieben , während die heute fast allein in den Handel kommende Konstruktion nach Wimshurst gar nicht erwähnt wird. Im übrigen aber beobachtet man überall das Streben des Verfassers, dem neuesten Standpunkt der Wissenschaft und Technik gerecht zu werden. F. Kbr. N. F. III. Nr. lO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 159 i) Wilhelm Wislicenus, Die Lehre von den Grundstoffen. Antrittsrede, gehalten bei Über- nahme der ordentlichen Professur der Chemie an der Hochschule zu Tübingen am 30. April 1903 im Festsaale des Universitätsgebäudes. Tübingen. Verlag von Franz Pietzker. 1903. — Preis — .80 Mk. 2) Sir William Ramsay, K. C. B., Einige Be- trachtungen über das periodische System der Elemente. Vortrag gehalten auf der 75. Ver- sammlung deutscher Naturforscher und Arzte zu Kassel. Leipzig. Verlag von Johann Ambrosius Barth. 1903. — Preis I Mk. i) Das von Mendelejeff und Lothar Meyer ausge- baute periodische System der Elemente, das in den beiden Schriften den Gegenstand der Behandlung bildet, gehört unstreitig zu einem der merkwürdigsten Gesetze der Chemie. An derselben Stätte, an der vor nahezu dreißig Jahren Lothar Meyer den Lehr- stuhl für Chemie einnahm, hat nun Wilhelm Wislicenus seine Antrittsrede gehalten , welcher er im Andenken an jenen großen Forscher einen Überblick über die Lehre von den Elementen zu gründe legte. Er bespricht in knapper Darstellung die Wandlungen, die diese Lehre seit Aristoteles bis auf unsere Tage erfuhr, schildert die auffallenden Ge- setzmäßigkeiten, welche die Elemente hinsichtlich ihrer Atomgerichte , ihrer chemischen und physikalischen Beschaflenheit aufweisen, und die schließlich zur Auf- stellung des periodischen Systems geführt haben. Er zeigt, wie dieses Gesetz auch dazu gedient hat, neue Elemente zu entdecken und deren Eigenschaften theoretisch voraus zu bestimmen, und berührt am Schlüsse seines Vortrags auch die neueren For- schungen auf dem Gebiete der strahlenden Materie, deren Wirkung zuerst am Uranpecherz wahrgenommen wurde, und die zur Entdeckung des Radiums führte. Der Stoft" ist gemeinverständlich und interessant be- handelt und die Schrift bei ihrer klaren Darstellungs- weise jedem, der mit Interesse den Gang der wissen- schaftlichen Forschung verfolgt, aufs Angelegentlichste zu empfehlen. 2) Ramsay gibt in seiner Abhandlung einen rein wissenschaftlich gehaltenen llberblick über die gegen- wärtige Bedeutung des periodischen Systems in der neueren Chemie. Wir kommen in einer näheren Mit- teilung noch auf den genannten Vortrag zurück. Lb. Posner, Priv.-Doz. Dr. Tlidr. : Lehrbuch der synthetischen Methoden der organischen Chemie. Für Studium und Pra.xis. (XXXII, 436 S.) gr. 8". Leipzig '03, Veit & Co. — Geb. in Leinw. 10 Mk. Literatur. Kollert, Gewerbeakad.-Lehr. Prof. Dr. Jul. : Katechismus der l'liysik. 6., verb. u. verm. .'Xufl. Mit 364 in den Text gedr. Abbildgn. (XVI, 593 S.) Leipzig '03, J. J. Weber. — 7 Mk. Krämer, Marine-Oberstabsarzt Dr. Augustin: Die Samoa- Inseln. t ntwurf e. Monographie m. besond. Berüclisicht. Deutsch-Samoas. II. Bd. Ethnographie. Mit 2 Taf. , 148 Textbildern u. 44 Te.\tfig. 4. u. 5. (Schluß-)Lfg. (X u. S. 297 — 445 m. 117 Abbildgn.) gr. 4". Stuttgart '03, f.. Schwei/crbart. — 4 Mk. Salmon, Gco. : Analytische Geometrie der Kegelschnitte mit besond. Berücksicht. der neueren Methoden. Frei bearb. v. Prof. Dr. Wilh. Fiedler. 6. .\utl. 2. Tl. (XXIV u. S. 443 bis 854 m. Fig.) gr. 8". Leipzig '03 , B. G. Teubner. — 8 Mk. ; geb. in Leinw. 9 Mk. Briefkasten. Herrn Oberlehrer Dr. L. in Krankfurt a. M. — I. Wo finde ich Literaturangaben über das Treiben von Knollen- gewächsen speziell von Arum cornutum } 2. Sind nähere Untersuchungen über das Wachstum von Arum cornutum gemacht worden und wo finden sich die be- treffenden Arbeiten? 3. Woher kommt Arum cornutum? 4. Entsprechen die im Handel vorkommenden sogen. Knollen und Doppelknollen ein und derselben Spezies oder sind es verschiedene? .Antwort auf Frage i: ,,ln den meisten Garten- büchern, u. a. in F. C. Heinemann, Erfurt, Gartenbibliothek Xr. 8, Kultur der Zwiebelgewächse; Betten, Praktische Blumenzucht im Zimmer, 3. AuH.; Ilesdörfl'er, Handbuch der praktischen Zimmergärtnerei." Antwort auf Frage 2; ,, Veröffentlichungen über das Wachstum von Arum cornutum , richtiger Sauromatum veno- sum Schott, sind u. a. zu finden gelegentlich der Beschreibung des Wachstums von Amorphophallus Rivieri , einer anderen Aracee, in einem ausführlichen Bericht des Kgl. Garteninspektors Lindemuth im Heft 5 der Gartenllora, Jahrg. 1903. S. 127. Abbildung und Beschreibung von Sauromatum venosum in Gartenllora 1899, S. 66." Siehe auch Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 11, S. 126. Antwort auf Frage 3: ,,i )stindien." Antwort auf Frage 4; ,,Die Doppelknollen, die Sie im Auge haben, kenne ich nicht. Es sind wahrscheinlich nur die älteren Knollen mit der daraufsitzenden neuen Knolle." L. Wittmack. Herrn Dr. F. R. in Köln a. Rh. — Sie wünschen die Angabe einiger Werke mittleren Umfanges, welche in anregender, jedoch wissenschaftlicher Form geschrieben einzelne Arten oder Familien der Evcrtebraten (z. B. Ameisen, Spinnen, Wasserkäfer, Lauf- käfer, Kellerasseln, Krebse, Seesterne, Schwämme, Infusorien etc.) in bczug auf Bau, Lebensweise etc. (nicht syste- matisch) ausführlich behandeln. Werke, die diesen Anforderungen entsprechen, gibt es leider recht wenige und doch dürften sie dem Lehrer bei seiner Vorbereitung sehr nützlich sein. Gewöhnlich ist in wissen- schaftlichen Werken der Lebensweise der Tiere zu wenig Rechnung getragen oder es kommt umgekehrt die Anatomie zu kurz. Viel- fach treten uns Darstellungen der gewünschten Art als Einleitung in systematischen Werken entgegen , namentlich allerdings in älteren systematischen Werken, da sich die modernen Systema- liker meist wenig um die .Anatomie kümmern. Derartige Ein- leitungen leiden aber gewöhnlich an dem Fehler, dati sie zu kurz und knapp geschrieben sind und auüerdem meist auch der .Abbildungen entbehren. — Von Werken, welche den An- forderungen am vollkommensten entsprechen , nenne ich an erster Stelle K. Mob ins, Die Auster und die .Austernwirt- schaft, Berlin, 1877 (3 Mk.), ein Werk, welches den so frucht- baren Gedanken der Biocönose oder Lebensgemeinschaft zum ersten Male zum Ausdruck bringt. Dann schließen sich außer T. H. Huxley, Der Krebs, deutsche Übersetzung, Leipzig 1881 (5 Mk.) verschiedene Werke über die Honigbiene an, z. B. Franz Huber 's Neue Beobachtungen an den Bienen, übersetzt von G. Kleine, F.inheck 1859 (8,50 Mk) ; A. v. Berlepsch, Die Biene und ihre Zucht mit beweglichen Waben, 3. Aufl., Mannheim 1873 (lo Mk.) ; Tony Kellen, Bilder und Skizzen aus dem Leben der Bienen imd den Wun- dern ihres Staates, Nördlingen 1890 (4 Mk.) etc. — Ferner ist zu nennen J. Lubbock, Ameisen, Bienen und Wespen (deutsche Übersetzung), Leipzig 1883 (7 Mk.). — Alle Insekten werden behandelt in einem älteren englischen Werk, das auch in deutscher Übersetzung erschienen ist, es ist W. Kirby und W. Spence, Einleitung in die Entomologie, übersetzt von Üken, 4 Bde., Stuttgart 1823 — 1833 (10 Mk); ferner in i6o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 10 V. Graber, Die Insekten, 2 Bde., München 1877— 1879 (8 Mk.) und in J. H. Kolbe, Eintührung in die Kenntnis der Insekten, I. Bd., Berlin 1889 — 1893 (14 Mk.). Von letz- tcrem Werke ist allerdings bis jetzt nur der erste, anatomische Teil erschienen. — Von Spinnen gibt es nur zwei amerikani- sche Werke: J. H. Emerton, The slructure and habits of , ■ , sniders Salem 1 878 (7,so Mk.) und H. C. M c C o o k , American punkt der Erde gerichtete Kraft entsteht, deren Intensität so .ilH.r.'nnd their sninninpwork, ■; vol., Philadelphia 1889- groß ist, als sie sein müßte, wenn die Gesamtmasse der Erde im Mittelpunkt vereinigt wäre. Für einen inneren Punkt kommt versuche, doch befriedigt keiner. Übrigens haben wir bei Gelegenheit von Bücherbesprechungen mehrfach auf Erklärungs- versuche der Gravitation hingewiesen. Die Anziehung geht von jedem Massenteilchen aus, doch setzen sich für einen außerhalb der Erde liegenden Punkt die Kräfte so zusammen, daß eine resultierende, nach dem Mittel- 1893 (250 Mk.). — Über Protozoen, Schwämme, Echinodermen, Asseln etc. scheinen ähnliche, selbständige Werke noch nicht vorzuliegen. Es muß deshalb auf Bronn 's Klassen und Ord- nungen des Tierreichs verwiesen werden, obgleich dieses Werk sich ganz andere Ziele setzt. Es würden für Sie in Betracht kommen: O. Bütschli, Die Protozoen, 3 Bde., Leipzig 1880—1889 (85 Mk.), G. C. J. Vosmaer, Klassen und Ord- nungen der Spongien, Leipzig und Heidelberg 1882—1887 (24 Mk.); H. Ludwig und O. Hamann, Die Echino- dermen, i. Teil, Seewalzen, Leipzig 1892 (24 Mk.), 2. Teil, Seesterne, Leipzig 1894 (l8Mk.), 3. Teil bisher etwa 30 Liefe- rungen ä 1,50 Mk. ; endlich A. Gerstäcker, Die Klassen und Ordnungen der Gliedertiere, 2 Bde., die Krebse zu Ende geführt von Ortmann, Leipzig 1866-1901 (136,50 Mk.). — Die Preise z. T. für antiquarische E.\emplare sind nach den Katalogen von R. Friedländer & Sohn beigefügt. Prof. Dr. Friedr. Dahl. die Wirkung derjenigen Kugelschale in Abzug, auf deren Innenfläche der betrachtete Punkt liegt. Daher nimmt die Schwere im Erdinnern, wie auch durch Versuche bestätigt ist, mit zunehmender Tiefe ab und im Erdmittelpunkt würden sich die von den einzelnen Massenteilchen ausgeübten Kräfte gegen- seitig aufheben, so daß dort die Schwere gleich Null sein müßte. C) Die Frage nach der Zeit, zu welcher sich die Natur- wissenschaft in Sonderdisziplinen aufgelöst hat , für die an Universitäten besondere Lehrstühle entstanden, läßt sich allge- mein nicht beantworten, da sich diese Entwicklung allmählich vollzog und die verschiedenen Universitäten natürlich ungleich schnell der Notwendigkeit der Trennung nachgaben. Vor hundert Jahren waren die Hauptzweige gewiß überall schon gesondert, aber die Spezialisierung schreitet noch gegenwärtig vorwärts, so daß z. B. für Paläontologie , Elektrochemie , an- gewandte Mathematik, Astrophysik etc. gegenwärtig an man- chen Orten besondere Lehrstühle bestehen, an anderen nicht. HerrnG. B. inStyrum. — A) Reinigung des Queck- silbers. 1. Reinigung von Staub. Man sprenge von Herrn A. G. C. — Das Buch von F. v. Schwarz, „Sint- einVr Flasche mTtUngemVengem Hals (Seltersflasche)' den"Boden flut und Völtowandcrangen^', fmden Sie in der Naturwiss. ab, lege über die Halsöffnung ein Stück Fensterleder und be "'- ■' >-- festige es durch einen darüber gezwängten Gummiring (nötigen- falls Bindfaden oder Eisendraht). Gießt man das Quecksilber von der Bodenöffnung her ein, so läuft es bis auf einen Rest durch das Leder. Bei Max Stuhl, Berlin, Friedrichstr. 131 bekommt man einen ähnlichen Apparat für ca. 3 Mk. , der mit Hilfe einer Wasserluftpumpe alles ohne Rest durchsaugt; bei Kahler & Martini, Berlin, Wilhelmstr. 50, einen Queck- silberreiniger für ca. 6 Mk., bei dem das Metall durch feine Rinnen an einem eingeschliffenen Glasstab läuft. 2. Reiniaung von beigemengten Metallen, wie Messing etc. Man gieße das Quecksilber in eine Flasche, darüber verdünnte Salpetersäure und lasse es eine Zeitlang stehen. Oder man lasse es aus dem oben beschriebenen .Apparat durch die verdünnte Säure tropfen und dann noch eine kurze Zeitlang stehen. Darauf gieße man die Säure ab, schüttle so lange mit Wasser, das immer wieder zu erneuern ist, bis das Wasser nicht mehr von Quecksilbernitrat milchig getrübt ist. Um zu waschen, kann man das Quecksilber auch durch den unter I. erwähnten Apparat in Wasser gießen, das sich in einem hohen, schmalen Cylinder belindet, so daß das Quecksilber durch viel Wasser lallt. 3. Reinigung von Wasser. Man gießt das Queck- silber einige Male durch den Apparat, nötigenfalls unter Er- neuerung des Leders, oder gießt es in eine saubere Porzellan- schale und dampft das Wasser ab. 4. Da reines Quecksilber schwerer ist als solches, das fremde Metalle enthält, kann man durch öfteres Reinigen nach 1. mit Hilfe mehrerer Apparate einen verunreinigten Rest von dem reinen Quecksilber abscheiden, und die höchst lästige und zeitraubende Reinigung nach 2. bei dem Rest ab und zu vornehmen. — Wer sich gewöhnt, gebrauchtes Quecksilber jedesmal durch Leder zu gießen, und es nie ungereinigt zu dem reinen zurückzugießen, braucht die Reinigung 2. sehr selten auszuführen. Natürlich dürfen dann auch die Flaschen für reines Quecksilber nie ungereinigtes aufnehmen. Dr. A. Schmidt. B) Das rein hypothetische Gebiet der Drucktheorie der Gravitation möchten wir in dieser Zeitschrift lieber nicht anschneiden. Es gibt sehr viele derartige Erklärungs- Wochenschr. Bd. X (1895) Nr. 30 p. 366 besprochen; diese Besprechung gibt Auskunft über die in dem Buch ausge- sprochene Sintfluthypothese. Danach ist v. Schwarz der An- sicht, daß im zentralen Asien an der Stelle der großen Mon- golischen Wüste sich früher ein Meer von der Größe des Mittelländischen befunden habe, dessen Spiegel durch eigen- artig komplizierte Faltenbildung bis zu 6000 Fuß Seehöhe emporgehoben war. Durch Erdbeben wurde dann mit einem Male eine Lücke in die umgebenden Gebirgspartien gerissen, und die ungeheure Wassermasse ergoß sich nun als ein Strom von 20 bis 30 km Breite und etwa 1500 m Tiefe mit der 60-fachen Geschwindigkeit eines gewöhnlichen Flusses in die .^ralo-Kaspische Niederung und von dort aus ins Schwarze und ins Mittelmeer. Die infolgedessen eintretenden klimati- schen Veränderungen verursachten in der Folge große Völker- wanderungen, welche jene Verteilung der Völker herbeiführte, wie sie uns zunächst etwa zwischen 2000 und 1500 v. Chr. entgegentritt. Den Ausbau dieser Theorie und die Beweisführung kann man nicht anders als äußerst geschickt bezeichnen ; daß dem Verfasser hier und da auf den ihm fremden Wissensgebieten wesentlichere Schnitzer mitunterliefen, darf, zumal bei dieser Fülle von Material, nicht verwundern. Trotzdem aber die Beweise zuweilen geradezu bestechend erscheinen und die frühere Existenz des großen Mongolischen Meeres auch aus anderen Gründen recht wahrscheinlich ist, so lassen sich doch gegen die v. Schwarz'sche Theorie schwerwiegende Bedenken erheben, wenngleich man zugeben muß, daß sie nicht so sehr in der Luft schwebt, wie alle übrigen Erklärungen über das Wesen der Sintflut ohne Aus- nahme. Ausführlicheres am angeführten Ort. E:in Leser bittet um Aufnahme folgender Frage: ,,Gibt es eine billige und praktische Beleuchtung von Karten und Wandtafeln (mit Lampe und Spiegel, doch ohne Gas und Elektrizität) für Vortragszwecke und wo sind die dazu nötigen Apparate erhältlich?" Wir bitten Leser, die darüber Erfahrungen haben, freundlichst der Redaktion Mit- teilung zukommen zu lassen. liThalt: Dr med. W. v. Gößnitz: Die Kiemenbogentheorie der Wirbeltiere. (Schluß.) - Edgar O d er nh e i mer : Die Steinkammern bei Erdbach an der neuen Westerwald-Querbahn. - Kleinere Mitteilungen: H. H. Grau: Studie über Meeresbakterien. - Ortmann: Die patagonische Formation. - Grimsehl: -^"^ A«^ Y^'^ TnW "'"^"bücW ler: Neue, für UhravioleU durchsichtige Glasarten. — Ernst A. bchott: Metallographie. — Bucher- E. Z s c h i m m besprechungen : Dr. Martin Kfiz: Beiträge zur Kenntnis der Quartärzeit in Mahren. — Gele sehe Bestimmung der geographischen Koordinaten. - Prof. Dr. Kollert: Katechismus der Physi Wislicenus: Die Lehre von den Grundstoffem 2) Sir William Ramsay, K. C. b. : Lmige Gel eich: Die astronomi- sik. — 1) Wilhelm Betrachtungen über das periodische System der Elemente. — Literatur: Liste. Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. PStz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 13. Dezember 1903. Nr. 11. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren .Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Die Anpassung der Tiefseefauna an die Eigenheiten des Tiefseewassers. Ein Referat nach Chun (Aus den Tiefen des Weltmeeres, 2. Aufl. 1902) und Seeliger (Tierleben der Tiefsee 1901). [Nachdruck verboten.] Von Paul Apitzsch, Oelsnitz i. V. Die allgemeine Regel ist, daß jede Lebensform ein bestimmt abgegrenztes Gebiet bewohnt und daß sie, wenn sie dieses Gebiet verläßt, sich der Gefahr aussetzt, ihrem Organismus zu schaden oder ganz zugrunde zu gehen. Die Tiergeographie weist nach , daß nicht Willkür und Laune der Geschöpfe bei der Wahl ihres Aufenthaltsortes maßgebend sind, sondern bestimmte Gesetzmäßig- keiten. Während man nun bei der Landfauna diese Gesetzmäßigkeiten schon vor Jahrzehnten kannte und in wissenschaftlicher Weise bearbeitete, wäh- rend man die gesamte Landmasse der Erde sowohl in horizontaler wie auch in vertikaler Richtung in Faunengebiete einteilte, hielt man die Tierwelt des Meeres für eine große kosmopolitische Ge- sellschaft, die sich nach Belieben nach allen drei Dimensionen hin verbreiten könne. Diese naive Ansicht hat die Wissenschaft längst widerlegt, und wenn auch die Verbreitungsbezirke der Meeres- fauna nicht so scharf abgegrenzt sind wie die der Landfauna, weil im Meerwasser so schroffe Kon- traste nicht gut möglich sind, so existiert doch tatsächlich eine gewisse Tiergeographie auch für die Bewohner der Meere, und zwar ebenfalls in hori- zontaler und vertikaler Richtung. Bezüglich der ersteren besteht allerdings nur ein einziger nennens- werter Unterschied: die Temperaturverhältnisse; denn die Temperatur des Oberflächenwassers schwankt zwischen -(- 32 " C. in den Tropen und — 3 " C. im Polarmeere. Daß ein derartig großer Unterschied die Tierwelt beeinflussen muß, ist ohne weiteres ersichtlich. Mehr als ein unter- scheidendes Merkmal kommt aber dann in Betracht, wenn man die vertikalen Schichten des Meer- wassers auf ihre Eigenschaften hin untersucht und miteinander vergleicht. Wenn man auch nicht mehr, wie seinerzeit der englische Zoologe Eduard Forbes (1843), acht solcher Schichten unter- scheidet und jede derselben mit einer ihr allein eigentümlichen Tierwelt bevölkert, so sind doch unbedingt zwei Schichten streng voneinander zu halten: das Oberflächenwasser und das Tiefen- wasser. Zweck dieser Abhandlung soll nun sein, die Eigenheiten des Tiefseewassers, im Gegensatz zum Oberflächen wasser, Fig. I. Aphrocallistcs, zu den HcxaMncllidcn (Glassclnvämnicn) gehörend. Natürl Größe. 677 m. Süd-Nias-Kanal. N. F. III. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 163 festzustellen und nachzuweisen, wie sich die Fauna derTiefsee diesen eigen- artigen Verhältnissen anpaßt. Zwischen Oberflächen- und Tiefenwasser be- stehen fünf einschneidende Unterschiede, von denen jeder allein schon zu der Annahme führen könnte und vor gar nicht allzulanger Zeit auch zu der Annahme geführt hat, daß die Tiefen der Meere unbewohnt seien. Es sind dies: I. Der un- geheure Wasserdruck, II. die niedrige Temperatur, III. die chemische Beschaffenheit, IV. die Vege- tationslosigkeit, V. das Fehlen des Sonnenlichtes. I. Der Wasserdruck ist in der Tiefe so be- deutend , daß man zunächst annehmen müßte, er würde jedes lebende Wesen unbedingt ver- nichten. Lastet doch auf einer Bodenfläche von I qm in einer Tiefe von 6000 m das ungeheure Gewicht von 6 Millionen kg, das wäre ungefähr gleich dem Gewicht von 15 Güterzügen mit je 30 Wagen. Die Folge dieses gewaltigen Wasser- Kig 2. l'li crone ni;i raiiliLuius F. E. Schulze, zu den Ilexaktiuelliden (Glasschwämmen) gehörend. Etwas verkleinert. 80^ m. Nikobaren. 164 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. II druckes ist, daß Gegenstände aus nachgiebigem Material, z. B. die Korkscheiben an den Schlepp- netzen der Tiefseeexpeditionen, auf mehr als die Hälfte ihres Volumens zusammengepreßt werden oder daß heruntergelassene Glasthermometer ein- fach zerdrückt werden. Nun müßte man weiter daraus folgern, daß dann die unendlich feineren Gewebe der zarten Tiefseeorganismen erst recht zerpreßt werden müßten. Dies ist keineswegs der Fall ; denn es handelt sich nicht um einen ein- seitig wirkenden Druck, sondern die Tiere leben nicht nur allseitig umgeben, sondern auch er- füllt von demselben verdichteten Wasser, sodaß Druck und Gegendruck sich gegenseitig aufheben; und die Tiefseetiere werden ebensowenig erdrückt als wir Menschen von dem doch auch nicht unbeträchtlichen Luftdruck. Wenn nun alle Meerestiere so eingerichtet wären , daß sie ohne weiteres die Innenräume ihres Körpers mit dem sie umgebenden Medium füllen könnten, dann würde ihnen die Möglichkeit gegeben, unbehelligt vom größeren oder geringeren Wasserdruck, in jeder beliebigen Tiefe zu leben. Bei einer Anzahl von Fischen ist dies auch der Fall : die Schwimm- blase derselben steht mit dem Darm durch einen Luftgang (Physostomen) in Verbindung, sodaß beim Auf- oder Abwärtssteigen die Spannung der Blase reguliert werden kann. Daraus erklärt sich auch die Tatsache, daß solche Fische ebenso- gut an der Oberfläche als auch in Tiefen bis zu 2000 m gefunden worden sind. Befinden sich aber im Innern des Körpers allseitig abgeschlos- sene, mit Luft gefüllte Räume, deren gasiger Inhalt auf ein geringes Volumen zusammengepreßt ist, so wird beim Aufwärtssteigen des Tieres infolge der Abnahme des äußeren und der Zunahme des inneren Druckes letzterer so stark w^erden , daß die umgebenden Gewebe zerrissen werden. Zart- gebaute Tiefseeorganismen kommen infolgedessen häufig zerfetzt an die Oberfläche, und Brisinga elegans z. B. dürfte wohl überhaupt noch kein menschliches Auge lebend gesehen haben. „Aber auch da, wo keine luftführenden Räume sich finden, kommen umfangreiche Zerreißungen vor, wenn die Gewebe den raschen Druckverschiedenheiten nicht schnell genug zu folgen vermögen. So er- beutet man Tiefseefische häufig mit hervorgetretenen Augen, mit ausgestülptem Schlund und Enddarm." (Seeliger.) II. Die niedrige Temperatur. Die Tem- peraturverhältnisse des Meeres überhaupt sind äußerst komplizierter Art. Denn der gewöhnlich angenommene Satz: „je tiefer, desto kälter" hat keineswegs allgemeine Bedeutung, z. B. nicht für die arktischen und antarktischen Meere. So verschieden aber die Temperaturverhältnisse der oberen und mittleren Wasserschichten sein mögen, in der Tiefe herrscht eisige Kälte, und die Tem- peratur hält sich meist in der Nähe des Gefrier- punktes. Eine Ausnahme hiervon machen, wenig- stens soweit bis jetzt bekannt ist, nur drei Meeres- teile der Erde : das Mittelländische Meer, der .Sulu- Fig. 3. Sempernella cucumis, zu den Hexaktinelliden (Glasschwämmen) gehörend. 362 m. Nikobaren. '/l latürl. Gr. N. F. III. Nr. 1 1 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. lös See bei Borneo und das Mentaweibecken bei Sumatra. Im Mittelmcere geht selbst in der be- trächtHchen Tiefe von 4000 m die Temperatur nie unter-)- 13 "C, in den beiden anderen genannten Meeresteilen nicht unter -|- 10,3 " C. bez. -|- 6 " C. Der Grund zu dieser Sonderstellung ist beim Mittelmeere darin zu suchen , daß bei Gibraltar ein unterseeischer Höhenrücken Europa und Afrika verbindet, sodaß das kalte, vom Pol herströmende Unterwasser des Ozeans nicht in das abgeschlossene Mittelmeerbecken eintreten kann. Die anderen beiden Meeresteile sind durch unterseeische Riffe allseitig umgeben, so daß auch hier das kalte Grund- wasser des Ozeans nicht einströmen kann. Abge- sehen aber von diesen drei Meeresteilen hat das Tiefenwasser eine sehr niedrige Temperatur. Dies hat zur Folge, daß eine gewisse Übereinstimmung der Lebensbedingungen in der Tiefe auch der tropischen Meere und in den oberen Schichten der arktischen und antarktischen Meere besteht. Daher sind Oberflächenformen der Polarmeere, insofern sie die Fähigkeit haben, in die Tiefe zu steigen, nicht selten Tiefseeformen der tropischen Meere, da die Temperaturverhältnisse die gleichen sind. Ausdrücklich aber sei hinzugefügt, daß dies nicht zur Regel wird, ja daß sogar in einigen Fällen das Gegenteil vorkommt. In den Tropen, wo die Temperaturunterschiede zwischen Tiefen- wasser und Oberflächenwasser am größten sind, kommen viele mit dem Grundnetz zu Tage ge- förderte Tiefseeorganismen in völlig aufgelöstem Zustande an die Oberfläche, da sie das warme Wasser der oberen Schichten nicht vertragen. Warmwasserformen können niemals in der Tiefe vorkommen, sondern immer nur solche Lebewesen, die sich dem kalten Wasser angepaßt haben. III. Die chemische Beschaffenheit des Tiefen Wassers. In vier wesentlichen Punkten unterscheiden sich in dieser Beziehung Oberflächen- und Tiefen wasser. a) Nach den Be- d e Fig. 4. a. Mclanostomias melanops n. gen. et. sp. Brauer (Fam. Stomialidae), Ind. Ozean. 1024 m. Wenig verkleinert. b. Gigantactis Vauhoeffeni n. gen. et. sp. Brauer (Fam. Ceratiidae). Ind. Ozean. 2500 m. Nat. Gr. c. Cryptopsarcs Couesi (?) Gill. (Fam. Ceratiidae). Golf v. Aden. 1840 m. Wenig verkleinert. d. Melanocetus Johnsoni G. (Fam. Ceratiidae). Golf v. Guinea. 4000 m. Wenig verkleinert. e. Melanocetus Krechi Brauer n. sp. Ind. Ozean (Seychellen). Nat. Gr. i66 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. II obachtungen der Challencrer- und der deutschen lieh dickere Gehäuse entwickeln. Ebenso sind Tiefseeexpedition nimmt der Sau erstoffgehalt die Korallen und Moostierchen weniger stark mit des Wassers nach der Tiefe zu allmählich ab, Kalk durchsetzt; sie bilden schwächere Zweige erreicht bei 730 m das Minimum und steigt dann und sind leicht zerbrechlich. Die Seeigel der Fig. 5. Nephrops mit zu kleinen Stummeln rück gebildeten, pigmcntlosen Augen. Sud -Nias- Kanal. 614 m. wieder etwas, ohne aber das Oberflächenmaximum auch nur annähernd zu erreichen. Das Tiefen- wasser ist demnach sauerstoffarm. Der Grund hierzu ist einmal darin zu suchen, daß der Tief- see, wie im nächsten Abschnitt behandelt werden wird, die den Sauerstoff produzierenden Pflanzen fehlen und dann, daß die Möglichkeit ausge- schlossen ist, den Sauerstoff der atmosphärischen Luft aufzunehmen. Dieser Sauerstoffarmut steht b) der Reichtum an Kohlensäure gegen- über. Ein Liter Oberflächenwasser enthält etwa 5 cg gebundene Kohlensäure; nach der Tiefe zu steigt der Gehalt , um bei 3000 m Tiefe 6 cg zu erreichen. Sauerstoffarmut und Kohlensäurereich- tum des Tiefenwassers scheinen die Pauna der Tiefe weniger zu beeinflussen, wenigstens nicht in dem Maße, wie die beiden nächsten chemischen Eigentümlichkeiten, c) Die Kalkarm ut. Hier- über schreibt Professor Seeliger in seinem ,, Tier- leben der Tiefsee": „Die Kalkarmut des Tiefen- wassers beeinflußt allerdings die Organisation der Tiere. Unter den P'oraminiferen der Tiefsee finden sich oft Formen, deren Kalkschalen durch außer- ordentliche Zartheit auffallen, während die nächst- verwandten Arten im seichten Wasser beträcht- Tiefe zeigen Neigung zur Beschränkung der Kalk- platten, und die Muscheln fallen oft durch ihre geringe Größe auf. Die Tiefseefische haben häufig spongiöse, lückenhafte Knochen, die an Kalksalzen verhältnismäßig arm sind; und bei den Tiefsee- krebsen kann man es geradezu als die Regel be- trachten, daß der Kalkpanzer, der die oberfläch- lich lebenden .Arten schützt, dünn wird und auch vollkommen schwindet." d) Der Kalkarmut steht ein auf^erorderitlicher Reichtum an Kiesel- säure gegenüber. Daraus erklärt sich das Vor- kommen der Glasschwämme oder Hexaktinelliden in der l'iefsee. Während Kalk- und Hornschwämme im allgemeinen auf die oberflächlichen Regionen beschränkt sind, ist die Tiefsee das eigentliche Gebiet der aus reiner Kieselsäure wunderbar fein gewobenen Skelette der Glasschwämme. (Siehe Figur I — 3). Aus der beträchtlichen Tiefe von 4636 m hat die deutsche Tiefseeexpedition im Südpolarmeere zwei prächtige Vertreter der Hexak- tinelliden (Holascus und Caulophacus) gehoben. Erstere Form stellt glatte Röhren dar, letztere hat Ähnlichkeit mit einem Hutpilze; sämtliche Skeletteile beider aber bestehen aus feinen Kiesel- säurenadeln , die als Sechsstrahler (Hexaktine) N. F. III. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 167 oder als von diesen abzuleitende Nadelformen auf- treten. IV. Die Vcgetationslosigkeit der Tiefe. Das Oberflächenwasser des Meeres ist außerordentlich reich an pflanzlichen Org-anismen; und zwar sind es in erster Linie die Diatomeen, einzellige Pflanzen, welche das bekannte „Plankton" bilden. Da die Diatomeen sich auf ungeschlecht- lichem Wege durch Teilung vermehren, so stauen sie sich in kurzer Zeit so massenhaft an, daß die Oberfläche des Meeres verfärbt erscheint. Die Hauptmasse genannter Organismen kommt aber nicht direkt an der Oberfläche, sondern in einer Tiefe von 40 — 80 m vor. Dann aber nimmt der Reichtum pflanzlicher Stofif^ nach der Tiefe zu beständig ab, um bei 450 — 500 m völlig aufzu- hören. Die Tiefsee ist also vegetationslos. Wie ist es dann überhaupt denkbar, daß die Tiere der Tiefe, die doch in erster Linie Pflanzenfresser sind, überhaupt existieren können? Die in den oberen und mittleren Schichten massenhaft \-or- kommenden pflanzlichen Stoffe sterben und sinken zu Boden. „Der konservierenden Kraft des kalten Seewassers ist es zuzuschreiben , daß das Proto- plasma nicht sofort zersetzt wird, sondern, mehr oder minder verändert und von der Schale um- schlossen, auch in noch tiefere Schichten gelangt. Manchmal war der Inhalt der durch kräftige Schalen ausgezeichneten Diatomeen noch so wohl erhalten, daß man die betreffenden F"ormen aus etwa 1000 m Tiefe für lebend hätte halten mögen, wenn nicht die veränderte Gruppierung der Chro- matophoren darauf hindeutete, daß es sich um bereits abgestorbene Organismen handelte. Von der reichbesetzten Tafel an der Oberfläche fallen also immerhin nicht wenig Brosamen in die Tiefe, welche den dort befindlichen tierischen Formen das Dasein ermöglichen." (Chun.) Rechnet man noch dazu, daß auch alle die Millionen der in den oberen und mittleren Regionen lebenden Tiere einmal sterben müssen und daß deren Leichen ebenfalls in die Tiefe sinken, so kommt man zu der Überzeugung, daß es der Grundfauna der Meere durchaus nicht weder an pflanzlicher noch an tierischer Nahrung jemals fehlen wird. Chun stellt den Satz auf: „Je größer das Quantum von organischer Substanz ist, welches an der Ober- fläche produziert wird und wie ein feiner Regen in die tieferen Schichten niederrieselt, desto reich- haltiger ist das Tierleben auf dem Grunde ausge- bildet." Die Anpassung würde in diesem Falle demnach nicht die Organisation des Tieres be- treffen , sondern lediglich darin bestehen, solche Schlaraffenländer des Meeresgrundes ausfindig zu machen. V. Das Fehlen des Sonnenlichtes. Die notwendigste Vorbedingung für die Entwick- lung pflanzlicher Gebilde ist allenthalben das Licht. Soweit das Sonnenlicht in die Tiefe des Meeres hinabzudringen vermag, soweit ist auch die Mög- lichkeit zur Bildung pflanzlicher Lebewesen ge- geben. Die unterste .Lichtgrenze ist demnach i. ('■'' d, Sä; O 2 =0 'S- ■° a " 1. " — — O i" ^ o\ . a - eL bna JA o § 5 .= U Ö.H '^ _j u 1* « c -a ■^ M c: ■ 6Z o P i5 ^ o -^ e 3 Sc CO M 1-1 U> .2 c 2;t i68 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 1 1 zugleich die Grenze für die lebende Meeresflora. Es" würde zu weit führen , alle die älteren und neueren experimentellen Untersuchungen aufzu- zählen, welche lediglich die Frage beantworten sollen: Bis zu welcher Tiefe ist das Meer erleuch- tet ? Das Ergebnis derselben ist : Von etwa 30 m Tiefe an schimmert das Meerwasser in schwach bläulichem Lichte, das an Stärke immer mehr abnimmt, je mehr die Tiefe wächst. Zwischen 550 und 600 m hört jede Belichtung durch die .vÄ^^S^S^. Fig. 7. Barathronus bicolor G. u. B. 1289 m. Somaliküste. Nat. Größe. %i ..'*' Fig. 8. Achtarmiger Cephalopode (Amphitretus) (mit Teleskop au gen.) Bis 1800 m. Agulhasstrom. Wenig vergrößert. ~^: ^ \ Fig. 9. Jugendform von Fischen aus dem Indischen Ozean, mit Stielaugen. (Stylophthalmus Brauer.) Bis 2000 m. Links der Kopf einer mit kürzeren, brei'eren Augenstielen ausgestalteten Jugendform. N. F. III. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 169 Sonnenstrahlen auf, und ewige Nacht reicht bis zum Grunde der Ozeane. Wie beeinflußt nun das Fehlen des Sonnen- lichtes die Organisation und Lebensweise der Tief- seefauna ? a) Zunächst macht sich der Einfluß in der Färbung bemerkbar. Rot und schwarz sind die beiden markantesten Schutzfarben auch schon der mittleren Regionen, da in diesen, wie oben er- wähnt, schwach bläuliches Licht herrscht, und in blauem Lichte sind rote und schwarze Gegen- stände schwer wahrnehmbar. Dasselbe gilt auch für die Tiefsee; denn unter der Annahme, daß in der Tiefsee noch andere Lichtquellen existier- Fi g. 10. Munidopsis, ein Krebs mit pigmentarmen .'\ugen. Nalürl. Gr. 646 m. Süd-Nias-Kanal. I/o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. II ten , müßten auch diese einen blauen Schein verbreiten. Darum sind die Hauptfarben der Tiefseetiere rot und scliwarz. Die meisten Tief- seekrebse sind liochrot gefärbt, sehen also etwa so aus wie unsere gekochten Krebse. Die Polypen der Tiefe, an ihrer Spitze der gewaltige über 2 m lange Monocaulus Imperator, sind blutrot gefärbt. Nahe Verwandte dieser Tiere, die im Oberflächen- wasser leben , zeigen oft eine wesentlich andere Färbung. Eine in Tiefen von 1420 — 3380 m lebende blinde Eryonide, der 13 cm lange Noto- stomus Westergreni Fnxon (3200 m), die bis 2000 m vorkommende Brisinga endecacnemos Asbjörnson, ja sogar eine Tiefseequalle, die Periphylla mirabilis Haeckel, alle sind hochrot, die letztere mattrot gefärbt. — Im Gegensatz zu diesen wirbellosen Tieren sind die Fische der Tiefsee meist sammet- schwarz gefärbt. Die im Indischen Ozean häufig c) Eine Folge der herrschenden Dunkelheit ist auch die Rückbildung der Augen vieler Tiefsee- formen. ,, Unter den Bewohnern der Grundfauna treten uns eine ganze Anzahl von Formen ent- gegen, welche die Verkümmerung der Augen bis zum völligen Verlust in allen Stadien verfolgen lassen. (Siehe Figur 5 u. 10). Unter den Grund- fischen ist der Barathronus (siehe Figur 7) ein typisches Beispiel für die Rückbildung der Augen, an deren Stelle zwei in goldenem Metallglanze erstrahlende Hohlspiegel getreten sind. Auch in allen jenen Fällen, wo die Augen anscheinend wolil- erhalten uns entgegentreten, erweist die anatomi- sche Zergliederung eine tiefgehende Rückbildung des Sehorgans." Noch zwei andere Eigentümlich- keiten zeigen die Augen mancher Tiefseeformen : die Bildung des Teleskopauges (siehe Figur 8) und das V^orkommen von Tieren mit Stielaugen. Bei Das unter dem Auge Fig. II. Malacosteus n. sp. mit zwei Paaren von Lcuchtorganen. gelegene Organ glänzt im Leben rubinrot, das hintere ist augenähnlich gestaltet, liegt in einer Grube und glänzt grün. Bis 5000 m. Südatlantischcr Ozean. vorkommende Echiostoma, der seltenere, außer- ordentlich bizarr gestaltete Melanocetus und viele andere haben einen tiefschwarzen Ton. (Siehe Figur 4). b) Da viele Tiefseeorganismen , wie weiter unten erwähnt werden wird, keine Sehorgane haben oder, falls diese vorhanden sind, der Ge- brauch derselben infolge der herrschenden Finster- nis unmöglich oder erheblich eingeschränkt ist, so müssen andere Organe die Orientierung im Räume ermöglichen; und darum sind die Tast- organe der Tiefseetiere ganz besonders ausge- bildet. Die Fische tragen, meist in der Nähe des Maules, lange fühlerartige Barteln. (Siehe Figur 6). Bei den Krebsen sind die Tastorgane oft 3 — 4- mal so lang als der gesamte Körper. (Siehe Figur 5). So hat der im Mittelmeer vorkommende Sergestes magnificus bei einer Körperlänge von 38 mm fadenartige Fühler von 115 mm Länge. Aber nicht nur die Fühler sind zu Tastorganen ausgebildet, sondern an allen möglichen Körper- stellen, am Maule und an den Extremitäten befin- den sich äußerst empfindliche Borsten und Haare, die es den Tieren möglich machen, sich trotz der Finsternis mit größter Sicherheit zu bewegen. Fischen sind diese ausgebildet. (Siehe mehreren Jugendformen von Stiele geradezu monströs Figur 9). d) Nun könnte man einwenden: Wozu brau- chen die Tiefseetiere überhaupt Augen > wenn in der Tiefe absolute Finsternis herrscht? Hierzu ist zu bemerken; Nachgewiesen ist nur, daß das Sonnenlicht niemals in die Tiefe gelangen kann. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß die Tiefsee noch andere Lichtquellen aufzuweisen hat; und sie hat tatsächlich eine solche, nämlich: das Leuchtvermögen vieler Tiefseetiere selbst. Chun schreibt in seinem im Vorjahre in zweiter Auflage erschienenen Werke „Aus den Tiefen des Weltmeeres": ,,Es gewährt einen feen- haften Anblick, wenn in der Dunkelheit das Ver- tikalnetz mit dem teilweise noch lebenden Inhalt an die Oberfläche gelangt und die in ihm ent- haltenen Organismen in phosphorischem Schein erglühen. Bald sondern sie leuchtende Sekrete ab, bald erstrahlt der ganze Körper, bald be- schränkt sich das Leuchtvermögen auf einzelne Organe. An den Zweigen der Pennatuliden huschten, blitzartig von Pol)'p zu Polyp übergrei- fend, die Strahlen auf und 'ab. Die Protozoen, N. F. ni. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 171 die Würmer, der von Asbjörnson entdeckte See- stern Brisinga, viele Krebse der Tiefsee und vor allen Dingen ein großer Teil der Tiefseefische sind durch ihre Phosphoreszenz ausgezeichnet. Bei manchen der letztgenannten umsäumen die Leucht- organe, als Blendlaternen mit Hohlspiegeln und Linsen ausgestattet, die Seitenteile des Körpers und den Bauch , während andere Fische als Dio- geneße der Tiefsee ihre Glühlämpchen am Kopfe und auf dem Unterkiefer tragen. Selbst die Re- gion vor der Schwanzflosse und die Schwanzspitze können als Träger von Leuchtorganen erscheinen." Die Bedeutung der Leuchtorgane im biologischen Sinne kann selir verschieden gedeutet werden. Häufig liegen die Organe am Kopfe und sind so gestellt, daß sie das Terrain vor demselben er- leuchten. Sie würden also in diesem I'^alle den Zweck haben, dem Lichtträger das Erkennen heran- kommender Beutetiere zu ermöglichen. Diese Er- klärung gilt aber nicht für die an den Seiten und am Schwänze befindlichen Leuchtorgane, da der von diesen ausgehende Lichtkegel nicht direkt den Augen des Lichtträgers zugänglich erscheint. Die Ansicht, daß die Leuchtorgane als Schreckmittel anzusehen seien , widerlegt das oft erprobte Ex- periment, daß die in große Tiefen hinuntergelassenen elektrischen Schwimmlampen in kurzer Zeit von einer außerordertlich großen Zahl der verschieden- sten Tiefseeorganismen umschwärmt waren. Also nicht eine Flucht vor der Lichtquelle, sondern vielmehr ein Zustreben zu derselben wurde kon- statiert. Demnach scheinen die Leuchtorgane eher den Zweck zu haben, Beutetiere heran- zulocken. Diese Erklärung ließe sich auch in Einklang bringen mit der Tatsache, daß eine ungewöhnlich große Zahl solcher Tiere mit Leuchtkraft ausgestattet sind, die am Grunde des Meeres festsitzen (Aclyonarien und Seesterne) und die vielleicht ohne ein solches Lockmittel zeit- weilig an Nahrungsmittel zu leiden hätten. Einige typische Vertreter der leuchtenden Tief- seefauna zeigen die dieser Abhandlung beigegebe- nen Abbildungen, die sämtlich dem Chun'schen Werke entnommen sind. Figur 4 a zeigt einen leuchtenden Tiefseefisch aus der Familie der Stomiatiden (Melanostomias melanops n. gen. et sp. Brauer), bei dem die Leuchtorgane teils am Kopfe, teils an den .Seiten des Körpers sichtbar sind. Zu derselben Familie gehört der in Figur 6 abgebildete Macrostomias lon^jibarbarus n. g^en. n. ^. fy* Fig. 12. Calli tcutli 16 u. Übersälen Bauchseite. i p. , vun der mit Leuclitorgancn 1500 m. Indischer Ozean. Fig. 13. Ly CO f eil tli is diadenia Ch. n. sp. von der Bauchseite. Tliotogr. Aufnahme nach dem Leben. Prächtige Leuchtorgane. looo m. Bouvet-Inseln. Wenig vergrößert. 1/2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. II sp. Brauer. Die übrigen auf Tafel 4 befindhchen Tiefseefische gehören der Famiüe der Ceratiiden an. „Diese monströsen F"ormen besitzen eine zwischen den Augen auf der Stirnfläche des Kopfes sich erhebende oder direkt von der vorge- zogenen Schnauzenspitze ausgehende, lange, durch Muskeln bewegliche Rute, welche in einen Knopf ausläuft." Dieser Knopf ist mit Organen besetzt, die zwar nicht auf Grund direkter Beobachtung, wohl aber auf Grund ihres anatomischen Baues als Leuchtorgane zu betrachten sind. Besonders auffällig ist dies bei Gigantactis Vanhoeffeni n. gen., n. sp. Brauer (Figur 4 b). Prächtige Beispiele von Phosphoreszenz bieten auch die Cephalopoden, wie sie Figur 12 und 13 zeigen. Erstcre stellt einen Vertreter der Gattung Calliteuthis dar. Die ganze Körperoberfläche von den Schwanzflossen bis zu den Armen ist mit Leuchtorganen besetzt, und zwar die Bauchseite reichlicher als die Rückenfläche. — Während es aber den Mitgliedern unserer deutschen Tiefsee- expedition nicht vergönnt war, diesen Tintenfisch leuchten zu sehen, kam der in Figur 13 abgebil- dete Cephalopod noch lebend und leuchtend an die Oberfläche und wurde sofort photographiert. In der ersten Auflage seines Werkes (19C0) be- zeichnet ihn Chun als Enopioteuthis diadema, während die 2. Auflage (1902) ihn Lycoteuthis diadema nennt. Dieser Tintenfisch hat 24 Leucht- organe, die eine ganz eigenartige Gruppierung aufweisen. An jedem der beiden großen Fang- arme sind zwei; der Unterrand der Augen ist von je fünf Organen umsäumt, und die übrigen zehn liegen an der Bauchseite. Am auffälligsten aber ist, daß diese 24 Leuchtorgane nicht ein und das- selbe Kolorit zeigen, sondern in fünf verschiedenen Farben erglänzen: das mittelste der Augenorgane ist ukramarinblau, und die äußeren sind perlmutter- glänzend. Von den Organen auf der Bauchseite erstrahlen die vorderen in rubinrotem Glänze, während die hinteren schneeweiß oder perlmutter- farben sind mit Ausnahme des mittelsten , das einen himmelblauen Ton aufweist. Mit Recht verdient darum dieses wunderbare Geschöpf den Beinamen diadema; wie mit einem Dia- dem bunter Edelsteine besetzt erscheint der ganze Körper. Professor Chun, gewiß die erste Autorität auf dem Gebiete der Tiefseefauna, bekennt selbst am Schlüsse seines hochinteressanten Werkes: ,, Woll- ten wir die Anpassungen der Tiefseefauna an die eigenartigen Existenzbedingungen gründhch er- örtern, so möchten unsere Kräfte hierzu nicht ausreichen." Kleinere Mitteilungen. A. J. Nabokich, Über den Einflufs der Sterilisation der Samen auf die Atmung. (Ben d. Dtsch. Botan. Gesellsch., Bd. XXI, 1903, Heft 5-) — Ein Teil der bei Versuchen über Pflanzenatmung beobachteten Kohlensäure rührt unzweifelhaft nicht von den Versuchsobjekten, Samen, Blättern, Zwiebeln, Keimpflanzen usw. her, sondern von den auf der Oberfläche der Objekte vegetierenden Mikroorganismen, von Schimmel- pilzen und besonders Bakterien. Verf. hat ver- gleichende Untersuchungen darüber angestellt, wieviel von der konstatierten Kohlensäure sozu- sagen „bakterielle" Kohlensäure ist. Er arbeitete dabei mit Samen von Pliaseolus vulgaris in 300 ccm fassenden Pettenkofer'schen Röhren. Die Samen wurden im einen Falle in der Röhre sterilisiert; im Parallelversuch unterblieb diese Behandlung. Die Kohlensäurebestimmung wurde im Verlaufe von 36—48 Stunden regelmäßig alle 4 Stunden vorgenommen. Es zeigte sich, daß die infizierte Kultur erheb- lich mehr Kohlensäure ausschied als die sterilisierte, und zwar betrug dieses Plus durchschnittlich 25 bis 30 "/„ der gesamten ausgeschiedenen Kohlen- säure. Die Mikroorganismen dürfen also unter keinen Umständen vernachlässigt werden, falls die Versuche den Zeitraum von i^o bis 2 Tagen überschreiten, und der Experimentator mit abso- luten Bestimmungsgrößen der Kohlensäure rechnen muß. Anfänglich tritt freilich die Atmung der Bakterien und keimenden Schimmelpilzsporen noch nicht sehr deutlich hervor, so daß sie am ersten Tage ohne großen Fehler ignoriert werden kann. Nach I — I Y2 Tagen dagegen tritt die Lebens- tätigkeit der Bakterien sehr lebhaft in den \^order- grund, so daß die von ihnen herrührende Atmungs- kohlensäure nicht mehr übersehen werden darf \^erf hat weiter Versuche angestellt zur Er- klärung des Einflusses, den die Sterilisation mittels Broms und Sublimates auf die Samen und ihre Atmung ausübt. Beide Antiseptika wirken an- fänglich steigernd auf die Atmungsenergie; dann aber tritt die entgegengesetzte Reaktion ein , bis allmählich die Wirkung der Reagentien aufhört, und die Samen auf ihren normalen Zustand zurück- gehen. Da die Atmung anästhesierter Samenportionen mit der nicht anästhesierter verglichen werden sollte, so konnten die Versuche natürlich nicht an sterilisiertem Material vorgenommen werden, sondern es mußte die mit Sublimat oder Brom behandelte Portion, um sie mit der zu vergleichen- den Samenportion unter gleiche Bedingungen zu bringen, ihrerseits nach der Behandlung mit dem Reagens wieder mit Mikroorganismen infiziert werden. Diese Infektion wurde vorgenommen mit dem Aufgußwasser gequollener Bohnen. Das Resultat der Versuche war, daß bei den mit Brom oder Sublimat behandelten Samen die Atmungsenergie zu Anfang merklich zunimmt, nach einer gewissen Zeit aber wieder sinkt, wäh- rend die nichtsterilisierten Samen ihre Atmungs- N. F. III. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 173 tätigkeit langsam, aber dauernd steigern. Der Sterilisationsprozeß verläuft also nicht ohne Ein- wirkung auf die Samen. Diese reagieren im Gegenteil sehr energisch auf die Sterilisation, ob- wohl die Reagentien nur in verdünnten Lösungen (i : 500 bis I : looo) und auf kurze Zeit (V2 Stunde) zur Anwendung gebracht wurden. Se. Die starke magnetische Störung vom 31. Oktober, die in ganz Europa erhebliche Stockungen des Telegraphenbetriebes zur Folge hatte, hat nach einer Mitteilung von Moureaux (Comptes rendus v. 2. November) in Val-Yoyeux um 6 Uhr 12 Minuten mit einer plötzlichen Ver- größerung der Deklination und Horizontalintensität unter gleichzeitiger Verminderung der Vertikal- intensität ihren Anfang genommen. Später traten starke Schwankungen dieser Elemente des Erd- magnetismus ein; gegen Mittag nahm die Vertikal- intensität sehr stark zu, während Deklination und Horizontalkraft sprunghafte Änderungen aufwiesen. Die Deklination verringerte sich kurz vor 2 Uhr nachmittags innerhalb eines Zeitraumes von drei Minuten um 1 " 39', und nahm kurz nach 2 Uhr ebenso schnell wieder um 1" 18' zu. Im allge- meinen war die Vertikalkraft durch die Störung vergrößert , die beiden anderen Elemente ver- kleinert. Die erdmagnetische Kraft hat um ca. 2"/|| ihres Gesamtbetrages variiert und die Deklina- tionsstörung belief sich im Maximum auf 2" 4', Beträge, wie sie nur sehr selten beobachtet wurden. Ähnlich lauten natürlich auch die Berichte aus Straßburg, Potsdam usw. Marchand hat (Comptes rendus v. 16. Nov.) gleichzeitige Beobachtungen in Bagneres und auf dem Pic du Midi veröffent- licht, aus denen hervorgeht, daß die Störung in der Höhe viel beträchtlicher war als im Tal. Daraus muß man schließen, daß die die Störung verursachenden Ströme mindestens zum Teil in den höheren Schichten der Atmosphäre verlaufen. Interessant ist der Umstand, daß auch diese Störung mit der Passage einer größeren Sonnen- fleckengruppe durch den Mittehneridian der Sonne zeitlich zusammenfiel. Auch wurde am Abend des 31. namentlich in Nordamerika ein glänzendes Nordlicht wahrgenommen. F. Kbr. Über die spektroskopische Bestimmung des Atomgewichts hielt Prof. Runge einen Vor- trag vor der Naturforscherversammlung in Cassel. — Obgleich schon seit langem bekannt ist, daß zwischen den Linienspektren der Elemente und ihren Atomgewichten Beziehungen bestehen — die Linien rücken im allgemeinen mit wachsendem Atomgewicht nach demrotenEndedesSpektrums — , so bereitet doch die Aufsuchung der entsprechenden Linien in den Spektren verschiedener Elemente Schwierigkeiten, die auch jetzt noch nicht durch- weg behoben werden konnten. Indessen können da, wo Linienserien auftreten (d. h. Liniengruppen, deren Wellenlängen durch eine mathematische Formel zusammenhängen), diese Serienlinien auf- einander bezogen werden. Für einzelne Linien liefert in vielen Fällen das Verhalten im mag- netischen Felde (der Zeeinann-Effekt) ein gutes Mittel zur Auffindung der entsprechenden Linien verschiedener Spektra. Hat man diese entsprechen- den Linien festgestellt, so sind deren Schwingungs- zahlen eine glatte Funktion des Quadrats des Atomgewichts, so daß man dann das Atomgewicht eines Elements aus den Atomgewichten verwandter Elemente (graphisch oder durch empirische Formeln) ermitteln kann. Auf solchem Wege fanden Runge und Brecht das Atomgewicht des Radiums gleich 257, während Frau Curie 22$ gefunden hat. Welche Zahl nun die richtigere ist, muß vorläufig noch unentschieden bleiben. F. Kbr. Elektrolytische Läuterung des Kupfers. — In einer von \\'. D. Bancroft kürzlich vor der amerikanischen Elektrochemischen Gesellschaft vor- getragenen und im „American Electrician" wieder- gegebenen Arbeit über obigen Gegenstand wird über eine Reihe von Versuchen berichtet, deren Zweck die Feststellung der ökonomischen Be- dingungen war. Die hauptsächlichen Faktoren, die bei diesen Versuchen variiert wurden, waren die Temperatur und die Stromdichte. Es wurden zwei Kurvensysteme aufgezeichnet, von denen das eine die Beziehung zwischen den Kosten der Fällung einer Tonne Kupfer und der Arbeits- temperatur wiedergibt; die zweite Serie zeigt die Beziehung zwischen denselben Kosten und der bei dem \'erfahren benutzten Stromdichte. Aus diesen Kurven ergibt es sich, daß eine Temperatur von 70* am günstigsten ist. Wenn auch die Kosten bei dieser Temperatur und bei einer Stromdichte von I Ampere pro Ouadratdezimeter sehr erheb- lich sind, so tritt doch ein sehr schneller Abfall ein, wenn die Stromdichte zunimmt, bis bei höheren Werten derselben ein ziemlich konstanter Wert erreicht wird. Zwischen 3,5 und 3,75 Ampere pro Quadratdezimeter liegt die beste Stromdichte zur Erzielung ökonomischer Resultate, da bei dieser Dichte keine besondere Energie zur Erwärmung der Lösung erfordert wird. Wenn man bei dieser Stromdichte und mit bedeckten Trögen arbeitet, um allzu hohe Strahlungsverluste zu verhüten, so genügt der Strom allein zur Erwärmung des Elektro- lyten auf eine über 80" liegende Temperatur. Um einen guten Kreislauf zu erzielen, was für gute Niederschläge bei großen Stromdichten sehr wesent- lich ist, wurden Pumpen verwandt. Wenn die Zu- und Ableitungsröhren der Pumpe gehörig isoliert waren, so sank die Lösung vor der Rückkehr nach den Trögen nicht unter 70". Außerdem erzielt man beim Arbeiten mit so bedeutender Stromdichte ganz bedeutende Er- sparnis in bezug auf Herstellungskosten der An- lage, da eine geringere Anzahl von Trögen zum Ausfällen einer gegebenen Kupfermenge in ge- gebener Zeit genügt. Je geringer die Heizkosten sind, um so größer ist der Vorteil einer hohen Temperatur. Verfasser faßt die Ergebnisse seiner 174 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. II Untersuchung dahin zusammen, daß er zunäclist oben verschlossene Tröge, zweitens eine Stromdichte von 3,5 Ampere pro Quadratdezimeter und drittens eine Temperatur von 70" C. empfiehlt. A. Gr. Bücherbesprechungen. i) Karl A v. Zittel, Professor an der Universität zu München, Grundzüge der Paläontologie (Paläo Zoologie). i. Abteilung; Invertebrata. Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. Mit 1405 Abbildungen. (R. Oldenbourg, München und Berlin, 1903.) — Preis geb. 16.50. Mk. 2) Dr. Gustav Steinmann , o. Prof. d. Geologie u. Paläontol. an der Univ. Freiburg i. B., Einführung in die Paläontologie. Mit 818 Textabb. Leipzig (Wilhelm Engelmann) 1903. — Preis 12 Mk. 3) Dr. Hippolyt Haas, Prof d. Geol. u. Paläontologie an d. Univ. Kiel, Katechismus der Ver- steinerungskunde (Petrefaktenkunde, Paläonto- logie), eine Übersicht üb. die wichtigeren Formen des Tier- u. Pflanzenreichs der Vorwelt. Zweite, gänzlich umgearbeitete Auflage. Mit 234 Abbil- dungen und I Tafel. Verlag von J. J. Weber in Leipzig. — Preis 3,50 Mk. i) Erst 1895 ist die erste Auflage des Zittel'schen Werkes erschienen, das aus dem umfangreichen Handbuch der Paläontologie hervorgegangen war, und schon jetzt können wir eine zweite Auflage anzeigen. Wenn das vorliegende Werk auch auf der im „Handbuch" ein- geschlagenen Methode der Darstellung und Anordnung fußt, so geben die „Grundzüge" doch keineswegs einen einfachen Auszug aus demselben, sondern in ihnen spiegelt sich das Resultat der zahlreichen und wich- tigen Entdeckungen der letzten Jahre wieder, welche in den Anschauungen der Paläontologen Verände- rungen tiefgreifendster Art herbeigeführt haben. Einer Hauptaufgabe der Paläontologie, nämlich der Erzielung einer natürlichen, den morphologischen und phylogenetischen Erfahrungen entsprechenden Syste- matik, wurde vom Verfasser ganz besondere Aufmerk- samkeit gewidmet. Seit dem Erscheinen der ersten Auflage der „Grund- züge" wurde durch den ehemaligen Schüler und Freund des Verfassers Dr. Gh. Eastman in Harvard Mass. eine englische Übersetzung oder besser Bearbeitung des Werkes veröffentlicht. Neben einzelnen Ab- schnitten, welche in unveränderter Form Eingang in die englische Ausgabe fanden , wurden andere von hervorragenden amerikanischen oder englischen Spezial- forschern überarbeitet und teilweise wesentlich umge- staltet. Das englische „Textbook of Palaeontology" weicht namentlich bei den Crinoideen, Bryozoen, Mol- lusken und Trilobiten nicht unerheblich von den deutschen Grundzügen ab und weist insbesondere in der systematischen Gruppierung des Stoffes bedeutende Änderungen auf Auch der Umfang einzelner Ab- schnitte ist in der englischen Ausgabe erheblich ver- größert. Die bis jetzt erschienenen Klassen der Wirbeltiere (Fische, Amphibien, Reptilien und Vögel), welche einen zweiten Band bilden , schließen sich enger an das deutsche Original an, sind aber eben- falls von angesehenen Forschern (A. Smith Wood- ward, Williston, Lucas) überarbeitet und in mancher Hinsicht verbessert und ergänzt worden. In der vorliegenden zweiten Auflage der „Grundzüge" wurde nun den Verbesserungen der englischen Ausgabe Rech- nung getragen, jedoch in der Hauptsache an der ur- sprünglichen Verteilung des Stoffes und an der in Deutschland eingebürgerten systematischen Gliederung derselben festgehalten. Einzelne Abschnitte, wie die Korallen und Pelmatozoen, erheischten allerdings eine vollständige Umarbeitung. Der Umfang des Buches wurde dadurch etwas vergrößert, und da eine ähnliche Überarbeitung auch bei den Wirbeltieren erforderlich ist, so erschien es rätlich, das schon in erster Auflage etwas zu dickleibige Buch in zwei Abteilungen zu zer- legen, wovon die erste die Invertebraten, die zweite die Wirbeltiere enthält. Jede Abteilung erhält ihr eigenes Register, bildet daher gewissermaßen ein selb- ständiges Werk und ist einzeln käuflich. Bei der sehr reichen Illustration und der guten Ausstattung des Werkes ist der Preis desselben ein sehr mäßiger. 2) Das Steinmann'sche Buch ist gegenüber dem Zittel'schen Werk, das auch dem Fachmann weitgehend dient, nur eine Gesamtübersicht der Paläontologie für die Studierenden : es berücksichtigt daher auch die Paläobotanik, und man muß sagen in einer für einen Nicht-Spezialisten sehr anerkennenswerten Weise. Freilich ist es — wie sich an mehreren Stellen zeigt — • nicht zweckmäßig, wenn man in einer Disziplin wie der Paläobotanik Zusammenstellungen nur nach der Literatur macht, ohne selbst das Gebiet in seiner Gesamtheit als Spezialist zu betreiben, da es sich in diesem Fall um eine Disziplin handelt, die noch zu sehr im Werden (in der Gärung) be- griffen ist. Es wäre daher gut, wenn Verf. bei einer Neu-Auflage einen neuzeitlichen (von der bota- nischen Seite her kommenden) Paläobotaniker zu Rate zöge. Besser als Steinmann den Abschnitt bearbeitet hat, wird irgend ein anderer Zoopaläontologe das auch kaum können : Steinmann gehört unter den letzteren zu den besten Kennern der fossilen Pflanzentypen, wie er überhaupt einer derjenigen Geologen ist, die wirklich das ganze Gebiet einschließlich der unmittel- bar dazu gehörigen Nebendisziplinen übersehen. — Der weit umfangreichere paläozoologische Teil (p. 60 bis 451; die Paläobotanik reicht von S. 11 — 59) ist dagegen recht brauchbar. 3) Der Haas'sche Katechismus ist sehr geeignet eine elementare Übersicht über das Gebiet zu geben. Steinmann zitiert in seinem weit umfangreicheren Buch weder Literatur, noch gibt er die Quellen an, woher die von ihm entlehnten Figuren stammen, obwohl man gerade in einem vergleichsweise so eingehenden Werk doch einige Literaturzitate wünschen möchte, um eine Brücke zu weiterem Studium zu haben. Haas hingegen gibt die gewünschten Winke; unter den Figuren freilich könnten aber wohl in Zukunft die Quellen bei einem bloßen ,, Katechismus" wegfallen, um so mehr, als sie — wenigstens für die pflanzlichen Fossilien — zum Teil unrichtig wieder- gegeben sind ; so stammt Fig. 2 1 7 nicht von Frech N. F. III. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 175 sondern von Potonid, Fig. 218 nicht von Frech sondern von Feistmantel. Für denjenigen, der ein kurz orien- tierendes Buch wie den Haas'schen Katechismus zur Hand nimmt, sind solche Angaben ganz belanglos. Die Paläobotanik umfaßt nur die Seiten 214 — 237, die für den Studierenden wichtigere Paläozoologie p. 3 — 213. i) Dr. L. Rellstab , Die elektrische Tele- graphie. 122 S. mit 19 Fig. 2) Dr. Nippoldt jun., Erdmagnetismus, Erd- strom und Polarlicht. 136 S. mit 3 Tafeln und 13 Fig. Sammlung Göschen. Leipzig 1903, Göschen's Verlag. Preis pro Heft geb. 80 Pf. Nr. I gibt in meisterhafter Kürze einen Überblick über das umfassende Gebiet der Telegraphie. Staunend erfährt der Neuling von der immensen Summe genialer Erfindungen, die zu der heutigen Vollkommenheits- stufe der telegraphischen Technik geführt haben ; mit aufrichtigem Bedauern gewahrt er andererseits, wie das Bessere des Guten Feind ist, und wie die ganze Lebensarbeit eines Erfinders ersten Ranges durch eine auf anderem Prinzip beruhende, noch zweckmäßigere Methode zum alten Eisen gestellt wird. Ausgehend von einer historischen Einleitung fuhrt uns Verf vom einfachen Morseapparat über die Gegensprechsclialtung und Mehrfachtelegraph ie zu den genialen Typen- druckern von Hughes, Bandet und Rowland, um schließlich die neuesten Errungenschaften : die Schnell- telegraphie von Pollack und Virag, sowie die draht- lose Telegraphie kurz zu besprechen. Auch der unter eigenartigen Verhältnissen arbeitenden Kabeltelegraphie ist ein besonderes Kapitel gewidmet. Auch der Verf von Nr. 2 weiß sein umfangreiches Gebiet in trefflicher Kürze zur Darstellung zu bringen und uns durchaus mit dem neuesten Standpunkte der Wissenschaft gegenüber dem rätselvollen erdmagne- tischen Erscheinungskomple.t bekannt zu machen. Stellenweise wird etwas zuviel mathematische Theorie geboten, die für den ungeschulten Leser unverständ- lich bleiben muß. Vielleicht wären einige Abbildungen charakteristischer Polarlichter den meisten Lesern will- kommener, als die Erörterungen über Potential und Kugelfunktionen (Nr. 21 — 28). F. Kbr. Dr. P. Ferchland, Grundriß der reinen und angewandten Elektrochemie. Mit 59 Figuren im Text. Halle a. S., Wilhelm Knapp. 1903. 266 Seiten. — Preis 5 Mk. Unter der sich stetig mehrenden Zahl von Büchern, die die Einführung in die elektrochemischen Tat- sachen und Theorien vermitteln sollen , dürfte der vorliegende Grundriß, der bei seinem Leser die chemisch-physikalischen Kenntnisse eines Studierenden im 4. Semester voraussetzt, wegen der großen Klar- heit, mit welcher er den dem Anfänger nicht immer leicht verständlichen Stoff darbietet, eine der ersten Stellen einzunehmen bestimmt sein. Schon die äußere Gliederung läßt diesen Vorzug erkennen, insofern als die mit Energieänderungen verbundenen elektro- chemischen Vorgänge bereits durch die Überschrift des sie behandelnden (zweiten) Abschnittes von den Erscheinungen unterschieden werden, die lediglich die Folge der Stromleitung in den Elektrolyten sind und denen der erste Abschnitt des Buches gewidmet ist. Dadurch wird der Neuling vor der Versuchung be- wahrt, die erfahrungsgemäß leicht an ihn herantritt, auch da energetische Vorgänge zu vermuten und nach einer möglichen Erklärung zu suchen, wo es sich gar nicht um solche handelt. Ln einzelnen erfüllt das Buch vollständig die Erwartungen, die man nach der klaren Disposition hegen darf: überall, auch in schwie- rigeren Kapiteln (z. B. in dem die Polarisations- und die verwandten Erscheinungen betreffenden) weiß der Verfasser den Stoff mundgerecht zu machen, und durch die geschickte Art der Darstellung das Verständnis zu erleichtern. In den 16 Kapiteln der erwähnten beiden Abschnitte wird ein vollständiger Überblick über das Gebiet der Elektrochemie gegeben, wobei auch die neuesten Forschungsergebnisse Berücksichti- gung finden, wie z. B. die interessanten von J. Bil- litzer ausgeführten Messungen der Potentialdifferenz Hg/0,1 norm. Kaliumchloridlösung, die mit Kalomel gesättigt ist, deren beträchdiche Abweichungen von dem bisher allgemein angenommenen Werte, soweit dem Referenten bekannt ist, noch nicht erklart woiden sind. Ein dritter Abschnitt behandelt aut etwa zwei Druckbogen die elektrochemischen Prozesse (nament- lich die Karbidgewinnung), sowie die wichtigsten tech- nisch-elektrochemischen Vorgänge. — Die Ausstattung des Buches entspricht dem bekannten guten Ruf des Verlags. Böttger. Dr. phil. F. W. Neger, Prof. an der großherzogl. Forstlehranstalt zu Eisenach, Die Handels- pflanzenDeutschlands, ihreVerbreitung, wirtschaftliche Bedeutung und tech- nische Verwendung. (Chemisch - technische Bibliothek. Band 268.) A. Hartleben's Verlag. Wien und Leipzig. „1904''. — Preis: 3,80 Mk. In dem i. Teil des Büchelchens sind die deut- schen Handelspflanzen nach den aus ihnen gewonnenen Rohstoffen angeordnet; zugleich enthält dieser Ab- schnitt Angaben über die wichtigsten chemischen und physikalischen Eigenschaften der in der Technik, im Erwerbsleben und als Heilmittel verwendeten pflanz- lichen Stoffe. Der 2. Teil zählt die deutschen Handels- pflanzen in alphabetischer Reihenfolge ihrer lateinischen Namen auf, unter Beifügung von Angaben über Kultur, Ernte, Verwendung, Verarbeitung und Bedeutung im Welthandel etc. Dieser Teil bildet dadurch zugleich eine wesentliche Ergänzung des kürzer gefaßten ersten Teiles. Den Bedürfnissen desjenigen, der mit bota- nischen Namen und Ausdrücken weniger vertraut ist, wird dadurch Rechnung getragen, daß die deutschen Namen der aufgeführten Handelspflanzen im Register berücksichtigt sind, sowie dadurch, daß in einem Anhang die wichtigsten zur Verwendung kommenden botanischen Fachausdrücke kurz erläutert werden. Literatur. Le Blanc, Dir. Prof. Dr. Ma.v : Lehrbuch der Elektrochemie. 3- verm. Aufl. (VIII, 284 S. m. 31 Hg.) gr. 8". Leipzig '03, O. Leiner. — 6 Mk. ; geb. in Leinw. 7 Mk. 176 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 1 1 Bloch, Dr. Ernst: Alfred Werner's Theorie des Kohlcnstoff- atoms und die Stercochemie der karbocyklischen Verbin- dungen. (IV, 88 S. m. 48 Fig. u. 3 Taf.) gr. 8». Wien '03, C. Fromme. — 3 Mk. Dannstedt, Staats-Laborat.-Dir. Prof. Dr. M. : Anleitung zur vereinfachten Elementaranalyse f. wissenschaftliche u. tech- nische Zwecke. (44 S. m. Abbildgn.) gr. 8". Hamburg '03, O. Meißner's Verl. — !,20 Mk. Eibner, Priv.-Doz. Dr. A. : Zur Geschichte der aromafischen Diazoverbindungen. (VIII, 267 S.) gr. 8". München '03, R. Oldenbourg. — 6 Mk. Gegenbaur, weil. Prof. Dir. C. : Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 7. verb. Aufl. 2. unveränd. Abdr. 2 Bde. (XVIII, 478 u. X, 658 S. m. 734 zum Teil färb. Holzschn.) gr. 8». Leipzig '03, W. Engelmann. — 25 Mk. ; geb. in Halbfrz. 30 Mk. Giesenbagen, Prof. Dr. K.: Lehrbuch der Botanik. 3. Aull. m. 557 Te.xtfig. (XI, 475 S.) gr. 8». Stuttgart '03, F. Grub. — 7 Mk. ; geb. in Leinw. 8 Mk. Gelcich, Reg.-R. Zentralinsp. Insp. Eug. : Die astronomische Bestimmung der geographischen Koordinaten. Mit 46 Holz- schn. im Te.xte (X, 126 S.) Wien '04, F. Deuticke. — Sub- skr.-Pr. 4 Mk. ; Einzelpr. 5 Mk. Hilbert, Prof. Dr. Dav. : Grundlagen der Geometrie. 2., durch Zusätze verm. u. m. fünf Anh. verseh. Aufl. (V, 175 S. m. F'g) gl"- S". Leipzig '03, B. G. Teubner. — 5,20 Mk. ; geb. in Leinw. 5,60 iSIk. Hoff, J. H. van't. : Vorlesungen üb. theoretische u. physikalische Chemie. 3. Heft. gr. 8". Braunschweig, F. Vieweg & Sohn. Katzer, Landesgeol. Dr. Frdr. : Grundzüge der Geologie des unteren Amazonasgebietes (des Staates Parä in Brasilien). Mit I geolog. Karte in Farbendr., 4 Bildnissen u. zahlreichen Abbildgn. im Text, darunter 16 Versteinerungstaf. (III, 298 S.) LcK. 8". Leipzig '03, M. Weg. — 14 Mk. Kraepelin, Prof. Dr. Emil : Psychiatrie. Ein Lehrbuch f. Studierende u. Ärzte. 7., vielfach umgearb. Aufl. i. Bd. All- gemeine Psychiatrie. (XV, 47S S.) gr. S". Leipzig '03, J. A. Barth. — 12 Mk. ; geb. in Leinw. 13,20 Mk. bar. Zittel, Prof. Karl A. v. : Grundzüge der Paläontologie (Paläo- zoologie). I. Abtlg. : Invertebrata. 2. verb. u. verm. Aufl. (VIII, 558 S. m. 1405 Abbildgn.) gr. 8». München '03, R. Oldenbourg. — Geb. in Leinw. 16,50 Mk. Briefkasten. Abonnent in Stockholm. — Uns ist nur der „Leitfaden bei zoologisch-zootomischen Präparierübungen" von August v. Moj- sisovics (Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann) bekannt, als noch kürzer wie das Buch von Kückenthal. Er behandelt in absteigender Linie die Klassen der Vertebraten bi.« inklusive Coelenteraten und hat sich als sehr brauchbar bewährt. Sonst käme eventuell noch in Frage „das zootomische Practicum" von M. Braun (Stuttgart, Verlag von Ferdinand Enke). Herrn A. L. in Hcßlar. Der Pilz ist Crucibulum vulgare. Herrn S. in Ratztburg. — Sie finden Auskunft in Otto Bachmann's Leitfaden zur Anfertigung mikrokopischer Dauerpräparate. München (R. Oldenbourg). — Preis 6 Mk. Ein .Abonnent bittet um Angabe einer Firma, die in der Lage wäre, den Panzer einer Schildkröte (Chelone imbricata) mit künstlichem Kopf und künstlichen Gliedmaßen zu versehen. Herrn Dr. Th. Seh. in Ludwigsburg. — Wir ergänzen die geol. Lit. des Taunus (vgl. N. W. v. 22. Nov. 03 p. 127) durch die .\ngabe, daß insbesondere vom Taunus die geolog. Spezialkarten nebst Erläuterungen von Karl Koch vorliegen; sie sind von der Kgl. preuß. geol. Landesanstalt in Berlin, Invalidenstr. 44, zu beziehen. Herrn A. S. in Wien. — Ein Buch der gewünschten Art gibt es nicht; farbige Abbildungen aller Drogen sind mir ebenfalls nicht bekannt. Von Atlanten, welche die Stamm- pflanzen farbig darstellen, nenne ich A. Meyer und K. Schu- mann: Atlas der in dem Deutschen Arzneibuche enthaltenen Pflanzen. Englisch geschrieben, gut aber teuer ist Bentley and Trimen: Medical plants. Prof. Dr. K. Schumann. Herrn F. B. in Reinsdorf b. Artern. — In den mißge- bildeten Blüten von Sinapis arvensis wuchert der Pilz, der bekannt ist unter dem Namen Cystopus candidus, der aber jetzt von vielen Mykologen mit Recht als Albugo Candida (Pers.) O. Kze. bezeichnet wird, da die Gattung Albugo früher aufgestellt worden ist. Die schmutzig - weißen autgeplatzten Streifen sind die Conidienlager des Pilzes, während sich in dem Gewebe der angeschwollenen Blätter der monströs ver- größerten Blüten die Oosporen , d. s. die Dauersporen ge- bildet haben. Prof. Dr. P. Magnus. Herrn M. G. in Unterringingen. — Von den von Ihnen genannten Floren würden wir Ihnen Garcke's Flora empfehlen, die auch Süddcutschland berücksichtigt. Besonders wichtig ist Ascherson-Graebner's Synopsis der mitteleuropäischen Flora. Als Honigtau bezeichnet man I. klebrige, süße Überzüge besonders auf Blättern ; es sind Ausscheidungen von Blatt- läusen, die diesen , .Honigtau" verursachen. Er ist den Tieren, die die Blätter fressen, unschädlich. Vgl. hierzu : Der Honig- tau. Biologische Studien an Pflanzen und Pflanzenläusen. Von Dr. M. Büsgen, Prof. an der Großh. Sachs. Forstlehranstalt in Eisenach. (Gustav Fischer in Jena, 1891). 2. Die als Honigtau bezeichnete fade — süßlich schmeckende Flüssigkeit, die sich zuweilen zwischen den Spelzen von Gräsern (insbesondere des Roggens) vorfindet, ist der von einem Pilz (Claviceps purpurea) erzeugte Schleim. Herrn K. in Ellrich. — Das Ihnen empfohlene Buch von Luedecke enthält auch viel Geologisches. Eine kurze Auf- zählung der Harzmineralien mit Angabe des Vorkommens ist E. Schulze, Lithia hercynica. Ein Werk speziell für den Südharz existiert unseres Wissens nicht. Groddeck's .Abriß der Geognosie des Harzes, 2. Aufl. 1883, ist nur noch antiquarisch zu haben; Genaueres finden Sie in der geologischen Spezialkarte von Preußen, Lieferung 1, (Blätter Zorge, Benneckenstein, Hasselfelde, Ellrich, Nordliausen, Stolberg), die durch jede Buchhandlung zu beziehen ist, und von der jedes Blatt mit einem Heft Erläuterungen 2 Mark kostet. Herrn M. in Cottbus. — Die auf einer Hochschule (Berg- akademie usw.) verbrachten Semester werden bei der Doktor- Promotion bei den meisten Universitäten bis zu 3 Semestern auf das Universitäts-Triennium angerechnet; die Immatrikulation an einer solchen ist daher unbedingt erforderlich. Näheres finden Sie in den Einzelbestimmungen der Universitäten und in dem Heft: „Mein künftiger Beruf." Der philosophische Doktorgrad. Leipzig, Verlag von C. Bange. Preis 50 Pfg. Herr B. B. in Görlitz. — Über Diosmose vgl. Sie Pfeffer's Pflanzenphysiologie (Wilhelm Engelmann in Leipzig, I 1897 p. 73 ff.) und E. du Bois Reymond's Vorlesungen über die Physik des organ. Stoffwechsels (August Hirschwald in Berlin, 1900). Inhalt : Paul Apitzsch: Die Anpassung der Tiefseefauna an die Eigenheiten des Tiefseewassers, — Kleinere Mitteilungen: A. T. Nabokich: Über den Einfluß der Sterilisation der Samen auf die Atmung. — Mourea ux : Magnetische Störung voni 31. Oktober. — Prof. Runge: Spekfroskopische Bestimmung des Atomgewichts. — W. D. Bancroft: Elektro- lytische Läuterung des Kupfers. — Bücherbesprechungen: i) Karl A. v. Zittel: Grundzüge der Paläontologie (Paläozoologie), 2) Dr. Gustav Steinmann: Einführung in die Paläontologie, 3) Dr. Hippolyt Haas: Katechis- mus der Versteinerungskunde. — l) Dr. L. Rellstab: Die elektrische Telegraphie, 2) Dr. Nippoldt jun. : Erdmag- netismus, Erdstrom und Polarlicht. — Dr. P. Ferc bland: Grundriß der reinen und angewandten Elektrochemie. — Dr. phil. F. W. Neger: Die Handelspflanzen Deutschlands, ihre Verbreitung, wirtschaftliche Bedeutung und technische Verwendung. . — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortliclicr Redakteur: Prof. Dr. H. Potonic, Grofs-Lichterfeldc-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr,), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „O^^ JNa.tUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoniö und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-^^'est bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Baad; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 20. Dezember 1903. Nr. 12. Abonnement : Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. e.\tra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate : Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. [Nachdruck verboten.] Über die Symbiose von Pflanzenwurzeln mit Pilzen. Ein Sammelreferat mit kritischen Bemerkungen Unter gleichem Titel wie der obige hat der verstorbene Professor A. B. F r a n k 1 888 im zweiten Bande dieser Zeitschrift einen Aufsatz veröffent- licht. Drei Jahre vorher meinte er, nachgewiesen zu haben, „daß ganz allgemein die Wurzeln unserer Waldbäume eine wesentlich andere Organisation als die gewöhnlichen Wurzeln der anderen Pflanzen hätten, indem sie regelmäßig mit einem Pilz ver- gesellschaftet sind, welcher wie ein lückenloser Mantel die ganze Oberfläche der Saugwurzel bis zu deren Spitze nicht nur überzieht, sondern dabei auch in fester organischer Verwachsung mit der Wurzel sich befindet." Dem aus Pilz und Wurzel zusammengesetzten Gebilde hatte er den Namen Mykorhiza gegeben, die er in dem eben be- schriebenen F"alle als eine ektotrophische be- zeichnete. Außerdem hatte er aber auch im ganzen Umfange der Ericaceenfamilie eine endotro- phische Mykorhiza kennen gelehrt, bei welcher Pilze innerhalb der Epidermiszellen leben, ein Fall, der in ähnlicher Weise bereits früher bei Orchi- deen bekannt geworden war. Da Frank beobachtet hatte, daß die My- korhizapilze der Bäume nicht bloß an den Wurzeln Prof. Dr. F. Kienitz-Gerloff in Weilburg a. d. Lahn. haften, sondern von diesen aus in den Boden ein- dringen um dort mit den pflanzlichen Trümmern in Verbindung zu treten, und da eine völlig chloro- phyllose Pflanze unserer Wälder, der Fichten- spargel (Monotropa Hypopitys), wie schon Ka- mienski nachgewiesen hatte, eine ganz eben- solche Bildung zeigt, so glaubte Frank, den physiologischen Nutzen der M_\-korhiza in allen Fällen darin erblicken zu sollen, daß der Pilz der höheren Pflanze die organischen, kohlenstoffhaltigen Bestandteile des Humus nutzbar mache. Damit wäre dann eine direkte Verwertung des letzteren bei der Ernährung der Bäume gegeben gewesen, und die alte Humustheorie wäre in einem neuen, früher nicht geahnten Sinne für die Waldbäume, soweit sie Mykorhizen haben, wieder zur Gültigkeit gelangt. Sehr wesentlich in seiner Auffassung wurde Frank bestärkt durch den Ausfall von Ver- suchen, bei denen Buchenkeimpflanzen im Topfe in Humusboden erzogen wurden und zwar die eine Hälfte in unverändertem, die andere in solchem, wo vorher durch mehrstündigen Aufenthalt im Dampfsterilisierungsapparate alle Pilzkeime zer- stört worden waren. Denn während die Pflanzen 178 Naturwissenschaftliche Wochensclirift. N. F. III. Nr. 12 der ersten Hälfte Mykorhizen bildeten und sich üppig entwickelten, hatten die der zweiten nor- male, mit Wurzelhaaren versehene Wurzeln ge- bildet, gingen aber im zweiten Jahre der Kultur allmählich zu Grunde. Den Pilzen der endotrophen Mj-korhiza schrieb Frank ursprünglich denselben Wert für die höheren Pflanzen zu wie denen der ektotrophen, äußerte aber später (1891) die Vermutung, daß hier die Pilze ihre Eiweißstoffe an die sie beherbergende Pflanze abgäben, und bezeichnete letztere als pilz- verdauend. In einer Anzahl seitdem erschienener Abhand- lungen über das gleiche Thema sind dann noch verschiedene andere H)-pothesen betreffs der Be- deutung der Mykorhiza geäußert worden. Auf der einen Seite meinte man sie darin zu finden, daß die Pilze, abweichend von den grünen Ge- wächsen, imstande seien, auch ohne Mitwirkung des Lichtes die aus dem Boden aufgenommenen anorganischen Salze, speziell Stickstoffverbindungen, zu Proteinstoffen zu verarbeiten. Von anderer Seite wurde den Pilzen der endotrophen My- korhiza die Fähigkeit zugeschrieben, den freien Stickstoff der atmosphärischen Luft zu fixieren. Endlich hat man auch die Pilze nur als unschäd- liche Schmarotzer angesehen, ihnen aber keinen Nutzen für die bewohnten Pflanzen beigemessen. Die letztvergangenen Jahre haben wiederum einige Arbeiten gezeitigt, die sich mit diesem Thema beschäftigen und über die hier berichtet werden soll, zumal besonders eine von ihnen die ganze Frage in ein vollständig neues Licht zu setzen bestrebt ist. Sie rührt von E. Stahl in Jena her, der dadurch seinen vielen Verdiensten um die Aufklärung namentlich ökologischer Ver- hältnisse ein neues hinzugefügt hat.^) Zunächst suchte Stahl die Verbreitung der Mykorhizensymbiose zu bestimmen, die ja nach den ersten Arbeiten Franks, wenn auch für ge- wisse biologische Gruppen charakteristisch, doch nur ein beschränktes Vorkommen im Pflanzenreich zu zeigen schien. Freilich hatten schon Arbeiten von Schlicht und Janse gelehrt, daß die Er- scheinung sowohl in Europa, als auch in den Tropen sehr viel verbreiteter sei , als man ursprünglich annahm, denn Schlicht hatte von 105 in Nord- deutschland gesammelten Arten nicht weniger als 70, Janse in Westjava von 75 untersuchten Arten 69 mindestens gelegentlich verpilzt gefunden. Stahl kommt zu dem Schluß, daß die Mykorhizen führen- den Gefäßpflanzen mindestens ebenso zahlreich, wenn nicht gar zahlreicher sind als diejenigen, welche dieser Bildungen entbehren. Und zwar finden sich besonders endotrophe Mykorhizen weit häufiger, als man geglaubt hatte, z. B. bei Koni- feren, bei den Geisblattarten, vielen anderen Laub- hölzern und einer sehr großen Zahl von kraut- artigen Pflanzen. Spärlich verpilzt zeigten sich ') Der Sinn der Mykorhizenbildung. Eine vergleicliend biologische Studie. Jabrb. f. wissensch. Botanik. Bd. XXXIV. H. 4. 1900. von den Holzgewächsen die Eschen, Ulmen, Weiden, Pappeln und Birken, stets vollkommen pilzfrei Holunder, Tulpen-, Walnuß-, Götter- und Essig- baum, sowie einige Sträucher, von Krautgewächsen außer mehreren anderen alle Cruciferen, Cype- raceen, Poljpodiaceen und Equisetaceen. Der Ein- fluß des Standortes machte sich insofern geltend, als die Mykorhizenpflanzen am reichlichsten auf humusreichem Boden vertreten sind und mit ab- nehmendem Humusgehalt zurücktreten, wenn auch nie bis zum vollständigen Schwinden, daß ferner Pflanzen, welche auf unkultivierten Böden in der Regel verpilzte Wurzeln führen, auf kultiviertem den Pilz entweder gar nicht oder nur vereinzelt beherbergen und trotzdem gut gedeihen. Dem- nach unterscheidet Sta hl zwischen obligaten und fakultativen Mykorhizenpflanzen einer- und my- korhizenfreien Gewächsen andererseits. Daß eine chlorophyllarme oder, wie der Fichten- spargel, gänzlich chloro])hyllfreie Pflanze, welche nicht Schmarotzer ist, sich von den organischen Bestandteilen des Humus nährt, ja auf diese allein angewiesen ist und in ihrem Nahrungserwerb möglicherweise durch die Pilze unterstützt wird, leuchtet ohne weiteres ein; schwer begreiflich ist es hingegen, weshalb chlorophyllreiche und zur Kohlenstoffassimilation wohl befähigte Gewächse nicht ohne diese Humuskörper sollten gedeihen können. Die vorher aufgeführten Standortsverhält- nisse, insbesondere das Zurücktreten der Verpilzung auf nährsalzreichem Boden führten Stahl daher auf den Gedanken, „daß die Mykorhizen- bildung wahrscheinlich mit der er- schwerten N äh rsal zge vvin n u ng in irgend einem näheren Zusammenhang stehen m öchte." Es fragte sich also, ob diese Vermutung in anderen Umständen als in den Standortsverhält- nissen Stützen findet. Zunächst ist die Versorgung der Pflanzen mit Salzen abhängig von ihrer mehr oder weniger reichlichen VVasserdurchströmung. Kennzeichen einer solchen sind aber einerseits die Ausscheidung flüssigen Wassers, welche stets auch mit reich- licher Verdunstung gepaart ist , so daß wasser- ausscheidende Pflanzen, abgeschnitten, in kurzer Zeit verwelken und verdorren. Andererseits sind die von Wasser stark durchströmten Gewächse meist auch dadurch von den übrigen unterschieden, daß sie bei der Assimilation des Kohlenstoffs er- hebliche Stärkemengen in ihren Chlorophyllkörnern speichern, daß sie „Stärkeblätter" besitzen oder „amylophyll" sind, während anderweitig lösliches Kohlehydrat, vor allem Zucker angesammelt wird, so daß man von „saccharophyllen" Pflanzen mit „Zuckerblättern" sprechen kann. Bei ersteren wird infolge der Unlöslichkeit der Stärke und der Ab- nahme der Zellsaftkonzentration die Verdunstung gesteigert, bei letzteren durch die Zunahme ge- löster Stoffe erschwert sein. In der Tat haben frühere Untersuchungen das Bestehen eines der- artigen Zusammenhanges bestätigt. N. R III. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 179 Die Vergleichung der mylvorhizenführenden und mykorhizenfreien Pflanzen hinsichtlich aller dieser Verhältnisse schien nun zu ergeben, daß jene in der Tat im allgemeinen eine geringe, diese eine starke Wasserdurchströmung besitzen, und eine An- zahl von Ausnahmen ließ sich unter Berücksichti- gung der Nebenumstände mit Stahl's Annahme ziemlich gut in Einklang setzen. So gehören bei- spielsweise die Esche und die Birke, welche, auf das Laubtrockengewicht bezogen, am stärksten von allen Laubbäumen verdunsten, zu denjenigen, die nur gelegentlich Wurzelverpilzung zeigen, während sie sich bei den übrigen Arten in der Regel vorfindet, und andererseits haben die stets mykorhizenfrei gefundenen Holzgewächse, wie Weiden, Holunder u. a. ein sehr bedeutendes Wasserbedürfnis. Die gegen Trockenheit sehr empfindlichen Orchisarten zeigen niemals Wasser- ausscheidung, haben oberflächliche Wurzeln, häufig selbst an schattigen und feuchten Stellen den sonst an solchen Orten ungewöhnlichen Blattglanz, welcher die Transpiration einschränkt, und besitzen Zucker- blätter. Ihre Wurzeln sind verpilzt. Das stark verdunstende Cypripedium hingegen scheidet Wasser aus, besitzt lange, tiefgehende Wurzeln, keinen Blattglanz, Stärkeblätter und ist oft völlig frei von Pilzen. Indem sich Stahl nun fragt, wie es kommt, daß besonders auf humusreichem Boden, in welchem die Nährsalze gut absorbiert werden , die Ver- pilzung so häufig ist, und welches seine Eigen- schaften sein möchten, die den grünen Pflanzen mit unverpilzten Wurzeln den Kampf ums Dasein erschweren, kommt er zu dem Ergebnis, daß es die den Humus durchsetzenden, zahllosen Pilz- mycelien sind, welche namentlich bei der Bildung ihrer Fruchtkörper und Sporen mit den grünen Pflanzen in Wettbewerb um die Nährsalze treten. Hiernach „könnten die an humusreiches Substrat gebundenen obligaten Mykorhizenpflanzen bei ihrer geringen Wasserdurchströmung aus eigenen Kräften den Kampf um die Nährsalze mit den Pilzen und anderen stark transpirierenden Gewächsen nicht be- stehen ; sie haben es aber verstanden, sich gewisse Pilze tributär zu machen, welche sie des selb- ständigen Nährsalzerwerbes mehr oder weniger ent- heben, indem sie von ihnen schon weiter ver- arbeitete organische Verbindungen empfangen." Eine experimentelle Prüfung stellte Stahl auf die Weise an, daß er Exemplare von weißem Senf, von Gartenkresse, Weizen und Flachs, Pflanzen, welche mit Ausnahme der letztgenannten keine Mykorhizen bilden, teils in unverändertem, teils in solchem Buchenwaldhumus zog, der durch Dämpfe von Äther und Chloroform sterilisiert worden war. Die ersteren blieben in ihrer Ent- wicklung beträchtlich hinter den letzteren zurück, • konnten aber durch Begießen mit K n o p ' scher Nährlösung leicht gekräftigt werden. Dabei zeigten sie viel längere Wurzeln, eine Erscheinung, die man auch sonst beobachtet, wenn man Pflanzen in salzarmem oder salzfreiem Wasser erzieht. Gleich- zeitig ergab sich aber auch aus dem schon mit bloßem Auge erkennbaren, üppigen Wachstum der Pilzmycelien in den begossenen Töpfen, wie gierig diese die ihnen zugänglichen Salze ausnutzten. Diese Versuchsergebnisse, sagt Stahl, „bilden ein beachtenswertes Gegenstück zu den Frank- schen Kulturen mit Fagus- und Pin\is-Keimpflanzen. Während Frank diesen mykotrophen Holzge- wächsen durch Sterilisierung des Humus, wobei nicht nur die antagonistischen, sondern auch die symbiontischen Pilze beseitigt wurden, das Ge- deihen erschwerte, wirkte auf unsere autotrophen Versuchspflanzen die Entfernung oder doch Zurück- drängung der Pilzmycelien in eminent fördernder Weise. Die stark transpirierenden autotrophen Gewächse finden nämlich in den Pilzmycelien bloß Konkurrenten, während die mykotrophen Pflanzen es verstehen, sich gewisse Pilze tributär zu machen, und so imstande sind, den Kampf mit den den Boden erschöpfenden Mycelien erfolgreich zu be- bestehen." Eine weitere Bestätigung seiner Ansicht meint Stahl noch in einigen anderen Umständen zu finden. Erstens darin, daß keine obligate Myko- rhizenpflanze nitratführend gefunden wird, selbst wenn auf demselben Boden wurzelnde mykorhizen- freie Gewächse oft reichlich damit versehen sind, insofern nämlich bei ersteren die Verarbeitung der Nitrate bereits in den Pilzen vor sich geht. Zweitens auch darin, daß ihr Aschengehalt im Vergleich zu den autotrophen Gewächsen verhältnismäßig gering ist, weil die notwendigen mineralischen Substanzen von ihnen ganz oder doch zum großen Teil in Gestalt von organischen Verbindungen aufge- nommen werden, während die Autotrophen gleich- zeitig mit den notwendigen nicht unerhebliche Mengen entbehrlicher Salze aufzunehmen gezwungen sind. Dies tritt auch darin hervor, daß die myko- trophen Gewächse, falls nicht etwa besondere Ver- hältnisse vorliegen, im allgemeinen arm sind an Kalkoxalat, welches ja diejenige Form zu sein pflegt, in der der überschüssig aufgenommene Kalk in den Pflanzen abgelagert wird. Besonderes Interesse verdient der vorletzte Ab- schnitt von Stahl's Arbeit, in dem er die Mj-ko- rhizenpflanzen mit den Fleisch verdauenden und schmarotzenden vergleicht. Er sucht darin die Frage zu beantworten, auf welche Weise etwa „im Laufe der Zeit aus autotrophen Pflanzen, die mit ihren Wurzeln Wasser und Nährsalze aufnahmen und unter dem Einfluß des Lichtes in den Blättern organische Verbindungen erzeugten, unselbständige Wesen werden konnten." Wollte man Schwächung oder Verlust der Kohlenstoffassimilation als das primäre ansehen, so hätte, meint er, dieser Vorgang nur in licht- armer Umgebung eintreten können. Die Folge wäre dann mangelhafte Ausbildung der Assimila- tionsorgane gewesen, diese hätte wieder die Ent- wicklung eines kräftigen Wurzelsystems, damit auch jede Möglichkeit einer lebhaften Wasser- durchströmung verhindert und so den Nährsalz- i8o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 12 erwerb beschränkt. Diese Annahme ist Stahl unwahrscheinlich, nach seiner Meinung ist „die zuerst nur partielle Aneignung der Nährsalze mit fremder Hilfe der erste Schritt gewesen auf einer Bahn, die in manchen Fällen (Orobancheen, Balano- phoreen, Rafflesiaceen, Monotropa) zur gänzlichen Unselbständigkeit der Ernährung geführt hat." Be- züglich der Mykotrophen weist er dabei auf die Orchideen und Gentianeen hin, bei denen es zwischen den völlig selbständigen und den gänz- lich saprophytischen Arten mannigfaltige Uber- gangsstufen gibt. F"erner auf die grünen Wurzel- schmarotzer unter den Rhinanthaceen und die Mistel, deren Natur als Nährsalzparasiten entweder sicher nachgewiesen oder im höchsten Grade wahrscheinlich ist, die nur schwach entwickelte Wurzeln besitzen und besonders auf Wirtspflanzen mit starker Wasserdurchströmung gedeihen, und endlich auf die fleisch verdauenden Gewächse, welche sich bekanntlich in der Regel auf nährsalzarmer Unterlage befinden und die aus den gefangenen Tieren wahrscheinlich nicht nur ihren Bedarf an Stickstoffverbindungen, sondern auch an anderen wichtigen mineralischen Nährstoffen decken, nament- lich an Kali und Phosphorsäure. Da Insektivore und Parasiten niemals Myko- rhizenbildung zeigen, so würde also nach Stahl der Nährsalzerwerb nicht autotropher grüner Pflan- zen auf dreierlei Weise zustande kommen : ent- weder durch Vergesellschaftung mit Pilzen oder durch Insektenverdauung oder drittens durch Schmarotzertum. Betrachten wir nun die Ergebnisse der anderen Forscher, welche sich in allerletzter Zeit mit der Mykorhizenfrage beschäftigt haben, zunächst die von Werner Magn us, dem Japaner Shibata und diejenigen von H i 1 1 n e r und Tubeuf. Magnus untersuchte besonders Orchideen und zwar in erster Linie Neottia Nidus avis,\) Shibata die Konifere Podocarpus (chinensis und Nageia) und die Lycopodiacee Psilotum, außerdem Erle und Gagel (Myrica rubra)-), und auch Hiltner's Unter- suchungen beziehen sich auf3er auf die Ölweide (Elaeagnus) auf die Erle und Podocarpus.*) Hatte man bisher für die fast chlorophyllfreie Neottia mit einiger Sicherheit annehmen zu können gemeint, daß ihr die Hauptmenge ihrer Kohlen- stoffverbindungen mit Hilfe des Wurzelpilzes aus dem Humus, auf dem sie ja ausschließlich gedeiht, zugeführt werde, so kommt Magnus zu einer ganz anderen Ansicht und zwar deshalb, weil der wurzelbewohnende Pilz bei ihr, sowie bei anderen Orchideen fast ganz in das Innere der Wurzel ein- geschlossen ist und nur sehr wenige und unregel- mäßige Verbindungen nach außen besitzt. Bei Neottia findet er sich ausschließlich in der dritten bis fünften Zellschicht von außen, und es lassen sich hier deutlich zweierlei Arten von Zellen unter- scheiden, die bei den übrigen Orchideen noch wenig, bei Neottia aber ganz scharf gesondert sind. In den Zellen der mittleren Schicht (der vierten von außen) bildet der Pilz nämlich dickwandige, von Zweigen ringförmig umsponnene und dadurch ') Studien an der endotrophen Mykorhiza von Neottia Nidus avis. Jalirb. f. wissensch. Botanik. Bd. XXXV H. 2 igoo. '■') Cytologische Studien über die endotrophen Myko- rhizen. Jalirb. f. wissensch. Botanik. Bd. XXXVIl H. 4 igo2. ") Naturwissenschaftliche Zeitschrift für Land- und Forst- wirtschaft. H. I 1903. Fig. I. Neottia. Wurzelquerschnitt. V Verdauungszellen, P Pilz- wirtszellen, 50: I. Nach W. Magnus. Fig. 2. Neottia. Pilzwirtszelle, Nach \V. iSIagnus. Fig. 2 a. Neottia. Rin- denhyphe in Entste- hung, 1000 : I. Nach W. Magnus. Fig. 3. Neottia. Verdauungszellc, jung, 333; 1. Nach W. Magnus. N. F. III. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 187 gewissermaßen umrindete Hyphen, welche ihrer- seits wieder dünnwandige, die ganze Zelle durch- setzende Haustorienh\-phen entsenden, die zum Nahrungserwerb wohl geeignet erscheinen (Fig. I bis 3). Beim Absterben der Wurzel bleiben erstere am Leben und sind dazu bestimmt, den Pilz außer- halb der Pflanze zu überwintern. Magnus nennt ■daher die betr. Zellen „Pilz wi rtsze 11 en". In den Zellen der beiden anderen Schichten zeigt der Pilz deutliche Desorganisationserscheinungen. Dies sind die „Pilz ve rdau u ngszell e n". Hier wird er von seinem ersten Eindringen an durch das Zellplasma geschädigt. Gerade dadurch , daß letzteres einen üppigen Nährboden darstellt, kommt der Pilz nicht mehr dazu, eine starke Membran zu entwickeln, er bildet dünnwandige, plasmareiche Hyphen , welche in dichtem Knäuel die ganze Zelle durchwachsen (Fig. 3), teilweise Eiweiß speichern, dann aber durch das Wurzelplasma getötet und als Nahrung verwendet werden, so daß nur noch ihre unverdauliciien Bestandteile als zusammengedrückte, klumpenförmige Reste in der der Orchideen erinnert also in vielen Punkten an die Bakteriensymbiose der Leguminosen. Ganz ähnliche Sonderung in Wirts- und Ver- dauungszellen, dort mit dicken, braunen , niemals entartenden, hier mit feinen, sehr schnell degene- rierenden H_\-phen meint Magnus auch bei der Heidelbeere und dem Heidekraut beobachtet zu haben. Die von Shibata untersuchten Pflanzen be- sitzen alle reichlich Chlorophyll, so daß sie zur Kohlenstoftassimilation wohl befähigt sind. Die feineren Wurzeln der Podocarpus - .Arten sind in zwei Reihen reichlich besetzt mit kugeligen Knöll- chen von 0,5 bis i mm Durchmesser, in deren Rindeiiparenchjmi der Pilz fast ausschließlich vor- kommt, während die äußersten Zellschichten meist keine oder nur spärliche, derbe Pilzfäden von sehr dicker Wandung beherbergen. Bei dem wurzel- losen Psilotum bewohnt der Pilz fast jede Rinden- zelle bis zur Nähe des Meristems der wachsenden Rhizomspitze. Auch bei diesen beiden Pflanzen besitzen die Pilzmycelien nach außen nur sehr wenige Fig. 4. Podocarpus. Von Pilzmyccl erfüllte Nach Shibala. KnöUchenzelle, 780: I. Fig. !^. Psiloluni. Verdauungs- zclle mit beginnender Klumpen- bildung, 426: I. Kl Klumpen, K Kern. Nach Shibata. Zelle Übrig bleiben und schließlich von einem Schmarotzerpilz als dritten Kommensualen auf- gezehrt werden.') So stellt sich nach Magnus die S}'mbiose bei Neottia und, abgesehen von der unvollkommeneren Sonderung, wohl auch bei den übrigen Orchideen, dar, einerseits als ein Kampf zwischen Pilz und höherer Pflanze, der andererseits wieder beiden Symbionten zum Nutzen gereicht , der höheren Pflanze in den Verdauungszellen, die ihr in dem substanzreichen Pilz Nahrung liefern, dem Pilz in den Wirtszellen, wo er schmarotzend wächst und Uberwinterungsorgane bildet. Die Pilzsymbiose *) Bei der Nachuntersuchung finde ich die Sonderung in Wirts- und Verdauungszellen nicht ganz so scharf wie Magnus angibt. Erstere kommen auch in der dritten Schicht vor, ohne daÜ ihnen auüen Verdauungszellen anliegen. Verbindungen, so daß die Stoffaufnahme ausschließ- lich von der Wirtspflanze besorgt werden muß. Während nun in den Knöllchen von Podo- carpus die reichlich entwickelten Mycelien des endophytischen Pilzes unter eigentümlichen .-\nde- derungen der Wirtszellkerne auf einmal von den Wirtszellen verdaut und resorbiert werden, wobei nicht nur der plasmatische Inhalt des Pilzes, sondern auch seine aus Chitin bestehende Hautsubstanz dem Wirte zugute kommt, lassen sich bei Psi- lotum wiederum Wirts- und Verdauungszellen unter- scheiden, die jedoch hier regellos nebeneinander vorkommen. Auch hier erleidet der Kern der letzteren Änderungen, die Hautsubstanz des Pilzes bleibt aber nach der Verdauung unversehrt zurück und wird zu einem Klumpen zusammengeballt (Fig- 4, 5). I»2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 12 Auch bei der Erle und Gagel, wo der Infek- tionsorganismus gleichfalls im Rindenparenchym gedeiht, ohne nach außen hervorzutreten, wird er von dem Protoplasma der bewohnten Zellen verdaut. Der von früheren Forschern für einen Faden- pilz gehaltene Erreger der ErlenknöUchen wird m. Fig. 6 a— c. ErlenknöUchen. a erstes Stadium der ,,Spo- rangien"-Bildung, b .späteres Stadium, c ausgebildete in Tcil- stücke zerfallene „Sporangien" ^'""' , nach Shibata ; d Bak- teroiden von der Wicke, e ebensolche von der Lupine '■'°",,. von Shibata und Miltner als ein bakterien- artiger Organismus angesprochen. Ersterer glaubt, das Anfangsstadium der Infektion dicht unter dem Teilungsgewebe der Wurzeln beobachtet zu haben, wo er einzelne in die Zellen eindringende und deren Leiber durchwachsende, äußerst feine, haut- lose, stellenweise verzweigte Fäden wahrnahm, die sehr oft in verschieden lange, gerade oder ge- krümmte Stäbchen zerfielen. Im Verlauf der Fäden treten stark färbbare, rundliche und sich allmählich vergrößernde Knötchen auf. Die Zell- kerne nehmen zu Anfang der Infektion bedeutend an Umfang zu, Stärkekörner verschwinden, und neben dem Kern findet sich ein großer, dichter, mit dem wandständigen Plasma durch dünne Fäden verbundener Plasmaklumpen, der kleine, tropfen- artige Gebilde, die „Sekretkörperchen", umschließt. Diese vermehren sich, während die Pilzfäden zu dichteren Knäueln heranwachsen, häufig in kurze Stäbchen zerfallen und an der Peripherie zahl- reiche, kugelige Gebilde entwickeln, die man schon flüher kannte und Sporangien genannt hat, da man ihnen eine Haut zuschrieb und da ihr Inhalt in zahlreiche eckige, als Sporen gedeutete Teil- stücke zerfällt (Fig. 6 a — c). Sie und das Faden- gewebe verschwinden endlich und werden ver- daut, wobei die „Sporen" sich etwas hartnäckiger erweisen. .Shibata streitet ihnen die Sporen- natur ab und hält sie für identisch mit den so- genannten Bakteroiden der Leguminosenknöllchen (Fig. 6d). Im Gegensatz hierzu erfolgt nach H i 1 1 n e r die Infektion der Wurzeln genau wie bei den Legumi- nosen durch die Wurzelhaare, die sich dabei ab- norm umformen (Fig. 7) und später verschwinden, worauf an den Wurzeln Schwielen als erste An- deutung der Knöllchen entstehen. Er hält die Bläschen des Erlenorganismus auch jetzt noch für Sporangien, ihre Inhaltskörper für Sporen und schreibt gleiche Natur auch kleinen, stark auf Eiweiß reagierenden Körperchen zu, die innerhalb der Schleimfäden auftreten. Bei der physiologischen Deutungderbetreft'enden Bildungen geht Hiltner von den Leguminosen- knöllchen aus. Der heute allgemein angenommenen Auffassung, wonach die Leguminosen die Bakterien einfangen und ihnen in den Knöllchen eine Brut- stätte bereiten, um die von ihnen erzeugten Assimi- lationsprodukte des Stickstoffs auszubeuten, wider- spricht Hiltner, ja er hält selbst die von allen' anderen Forschern geteilte Meinung, daß die Bak- teroiden Involutionsformen, d. h. krankhafte Bil- dungen seien, entstanden unter dem Angriff des Leguminosenplasmas und später von diesem zum Zweck der Stickstoffaneignung zerstört, für falsch. Nach ihm stehen die Erlen- und Leguminosen- pflanzen gegen die für sie giftigen Bakterien im Kampf, dessen Ausgang von dem Ernährungs- zustande jener, der Virulenz dieser abhängt. Ge- lingt es der höheren Pflanze zu siegen, den Knöll- chenerreger zu resorbieren, ,,so unterbleibt jede Stickstoffassimilation, die Pflanze nimmt dem Para- siten dann nur jenes an sich nicht große Stick- stoft'kapital wieder ab, das sie ihni vorher aus ihrer eigenen Leibessubstanz zugeführt hatte." — ,,In normalen, stickstoffsammelnden Knöllchen, die nicht durch mangelhaft angepaßte und infolgedessen für die betreffende Pflanzenart wenig virulente Bak- terien entstanden sind, fällt jedenfalls ein Teil der eingewanderten und im Wurzelgewebe zur Ver- mehrung gelangten Bakterien den Pflanzen zum Opfer; aber die Stickstoftassimilation innerhalb der Knöllchen ist gerade darauf zurückzuführen, daß sich die Bakterien vor der resorbierenden Wir- kung der Pflanze zu schützen wissen, indem sie das ihnen von der Pflanze durch deren Enzx'me Fig. 7. Eindringen des Schmarotzers in die Wurzelhaare der Erle und plasmodienartiges Wachstum innerhalb der Wurzel- zollen. Nacli Hiltner. N. F. III. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 183 entzogene Eiweiß durcli Stickstoffsanimlung immer wieder zu ersetzen imstande sind. Das weitaus wichtigste physiologische Moment, das sich uns beim näheren Studium der Knöllchenvorgänge offenbart, ist nicht in der völligen Resorption der Bakteroi'den gegeben, wie Frank meinte, sondern darin, daß diese Bakteroiden Mittel und Wege finden, sich durch Stickstoffassimilation vor dieser Resorption zu schützen." Die Bakteroiden nun hält H i 1 1 n e r für Spo- rangien, welche von den Bakterien als Schutz- mittel gegen die Einwirkung des Zellplasmas ge- bildet werden, und er meint nachgewiesen zu haben, daß sie in traubenzuckerhaltigen Lösungen in s[)orenartige, wieder zu Stäbchen auswachsende Teilstücke zerfallen.') ,, Die Pflanze resorbiert, nach- dem zwischen ihr und den Bakterien ein Gleich- gewichtszustand hergestellt ist, nicht diese selbst, bzw. die aus ihnen hervorgegangenen Bakteroi'den, sondern nur Teile von ihnen, die sich durch hohen Eiweißgehalt auszeichnen." Es gelang H i 1 1 n e r ferner , Bakterien von solcher Virulenz für die Erbsenpflanze zu erlangen, daß sie der Einwirkung der VVurzelzellen auch ohne Bakteroi'denbildung zu widerstehen ver- mochten. ,,In stickstoffarmen Medien wachsende Erbsenpflanzen werden durch solche hochvirulente Bakterien nicht zur Stickstoflsammlung angeregt, sondern im Gegenteil nicht unbeträchtlich ge- schädigt, so daß sie eine erheblich geringere Ernte- masse ergaben, als die Vergleichspflanzen." Auch von den Erlenknöllchen meint H i 1 1 n e r den Beweis erbracht zu haben, daß in ihnen Stick- stoffassimilation stattfindet. Das Endschicksal der Erlenorganismen kann daher auch nicht das sein, resorbiert zu werden und S h i b a t a ' s Befund muß sich auf solche KnöUchen beziehen, welche keinen Stickstoff sammelten, weil sie höchst wahrschein- lich von Pflanzen stammten, die in zu stickstoff- reichem Boden wuchsen. In den von H i 1 1 n e r gezogenen Knöllchen ging hingegen Stickstoff- assimilation vor sich, und hier spielen sich denn dieselben Vorgänge wie in den Leguminosen- knöllchen ab, d. h. also, es werden nicht die Knöllchenerreger verdaut, sondern nur Teile von ihnen, die immer wieder ersetzt werden. Die Erlenbakterien bilden die sogenannten Sporangien, die allerdings eigentlich nur nuklei'nreiche, in ver- schieden große Teile zerfallende Plasmamassen sind. Aber diese Teile sind wirkliche Sporen, welche vermutlich von Zelle zu Zelle wandern,-) wenn sie nicht sofort zu Stäbchen und Fäden auswachsen. Was für die Erle, das soll in allem wesent- lichen auch für Podocarpus gelten, dessen Pilz in den Knöllchen an seinen Fäden seitlich ansitzend überaus eiweißreiche Gebilde entwickelt. Letztere sind es, die zu Sporangien werden sollen und unter ') Diese Auffassung der Bakteroiden durfte wohl wenig Anklang finden, da sie mit den Befunden über die Sporen- bildung bei anderen Bakterien in vollem Widerspruch stehen. ^) In welcher Weise dies ,, Sporen" fertig bringen sollen, ist m. E. nicht einzusehen. Umständen auch können, meistenteils aber vor ihrer vollen Ausbildung verdaut werden. Tubeuf ^) stimmt mit Miltner bezüglich der endotrophen Mykorhiza darin überein, daß auch er ihr die Fähigkeit zur Assimilation des Luft- Stickstoffs zuschreibt, während er eine Ausnutzung des Substrats durch sie deshalb für unmöglich hält, weil kein Zusammenhang besteht zwischen den Pilzfäden im Pflanzeninnern und jenen im Substrat. Er macht aber darauf aufmerksam, daß die endo- trophen Mykorhizapilze wahrscheinlich auch außer- halb der Wurzeln Stickstoff aus der Luft aufnehmen können und den Boden dadurch an Stickstoff be- reichern. Sind also nach dem V^orst eh enden bezüglich der endotrophen Mykorhiza der zuletzt genannten Pflanzen noch zahlreiche Meinungsverschiedenheiten vorhanden und Streitfragen zu erledigen, so gilt dies in erhöhtem Maße hinsichtlich der übrigen Mykorhizen. V^on diesen wollen wir vorläufig diejenigen der Kiefer ausscheiden , da dieser Baum nach zwei Veröffentlichungen von A. Möller'-) eine Sonder- stellung einzunehmen scheint. Möller wies experi- mentell nach, daß an der Kiefer im märkischen Sandboden die ektotrophe M\korhiza gerade in humusarmen und humusfreien Böden auftritt, im Humusboden hingegen fehlt. In diesem sind die Wurzeln lang und reich verzweigt, von der Basis nach der Spitze an Länge regelmäßig abnehmend. Die ektotrophen M}-korhizen sind hier Wurzeln, welche durch Pilzinvasion an ihrer normalen Ent- wicklung gehindert sind. Dementsprechend wächst die Kiefer auch am besten auf Humus- boden, vor allem in der obersten , als Rohhumus bezeichneten, torfig -faserigen Schicht, mit noch deutlich erkennbarer Pflanzenstruktur. Dies soll sich dadurch erklären, daß dieser Boden, vor Aus- trocknung geschützt, der Kiefer bessere Stickstoff- nahrung bietet als jede andere Schicht, wobei allerdings fraglich ob, ja sogar unwahrscheinlich ist, daß bei dem Stickstoffbezug die Mykorhiza eine Rolle spielt. Schlechter wächst der Baum im Sandboden, besonders in de.ssen nährstoffreichster unterster Schicht, dem Gelbsand, während der durch die Atmosphärilien ausgelaugte Bleisand bessere Resultate ergab. Die Kiefernwurzel sucht daher auch den letzteren auf. Die Hauptwurzel und die Spitzen der Hauptseitenwurzeln werden übrigens hier nie zu M_\'korhizen. Auch eine endo- trophe Mykorhiza fand Möller bei diesem Baum allgemein verbreitet, er schreibt ihr aber bei der Ernährung ebenfalls keine Rolle zu, da sie keine Verbindung mit dem Boden besitzt und außerdem in allen Böden vorkommt. ^) Naturwissenschaftliche Zeitschrift für Land- und Forst- wirtschaft. H. 2 1903. *) Über die Wurzelbilduog der ein- und mehrjährigen Kiefer im märkischen Sandboden. Keitschr. f. Forst- und Jagdwesen. 1902. S. 197. Untersuchungen über ein- und zweijährige Kiefern im märkischen Sandl.H.)den. Ebenda. 1903. H. 5- i84 Naturwissenschaftliche Wochensclirift. N. F. III. Nr. 12 Was nun die Mykorhiza der übrigen Pflanzen anbelangt, so will es mir als ein Fehler erscheinen, daß die älteren Bearbeiter der Frage die physiologi- sche Deutung der M)'korhiza immer nur von einem einzigen Gesichtspunkt aus gesucht und diesen dann oft auf alle doch recht ungleichartigen Fälle ausgedehnt haben. Das gilt auch für die Anschau- ungen Stahl's, der mir trotz der großen Achtung, die ich gegenüber den Arbeiten des hochgeschätzten Forschers hege, in diesem Falle zu einseitig zu verfahren scheint, was er ja gewissermaßen selbst zugibt und was auch z.B. von G.Karsten her- vorgehoben wird.') Wenn bei Frank und seinen Schülern die Einseitigkeit ursprünglich in der Annahme liegt, daß die Pilze überall, wo sie vorkommen, die direkte Ernährung der Pflanzen aus dem Humus übernähmen, gleichgültig, ob die Wirtspflanze kein oder reichliches Chlorophyll enthält, und darin, daß er später wieder alle endotrophen Mj-korhizen als Pilzfallen, die sie beherbergenden Pflanzen als pilz- verdauende ansprach, so scheint mir andererseits Stahl besonders darin zu einseitig vorzugehen, daß er den endotrophen Mykorhizen dieselbe Funktion zuschreibt wie den ektotrophen.-) Letztere sind ja bis jetzt bei nur verhältnismäßig wenigen Pflanzen nachgewiesen worden, und ich kann den Umstand, daß an den Wurzeln von Juniperus (communis sowohl wie nana) bald endotrophe, iDald ektotrophe Mykorhizen vorkommen, nicht mit Stahl so deuten, daß beiderlei Bildungen sich gegenseitig vertreten können. Ich glaube, es wird vor allem darauf ankommen, in welchem Maße die betreffende M\-korhiza aus- gebildet ist. Ist diese Ausbildung derartig wie bei den Cupuliferen, daß die ganze Wurzel von einem Pilzmantel vollständig eingeschlossen und die Bildung von Wurzelhaaren gänzlich unterdrückt wird, daß ferner von der Mykorhiza nach allen Seiten den Waldboden durchsetzende Fäden ausgehen, so kann es ja wohl keinem Zweifel unterliegen, daß der Pilz hier zum Nahrung aufnehmenden Organ geworden ist, und es liegt im Hinblick auf den Chlorophyllreichtum des Wirts und die Aus- führungen Stahl's sicherlich näher, den Nutzen der Mykorhiza in der Beschaffung der Nährsalze als im Bezüge des Kohlenstoffes aus dem Humus zu suchen. Sie mag sich in der Tat im Kampfe mit den Pilzen um die Nährsalze des Bodens ausge- bildet haben, und es wäre sehr wohl denkbar, daß bei manchen Bäumen, bei den Cupuliferen und namentlich bei der Rotbuche die Anpassung so weit gegangen ist, daß die betreffenden Pflanzen allmählich zum selbständigen Nährsalzervverb un- fähig geworden sind. Dafür scheinen ja die P" r a n k - sehen Kulturen zu sprechen, bei denen in dem geglühten und mit Nährlösung begossenen Quarz- ') In seiner Besprechung von Stahl's Abhandlung in der botanischen Zeitung, Jahrg. 58 1900. II. Abteilung Nr. 14. ^) Ebenso auch Percy Groom auf Grund seiner Be- obachtungen an der saprophytischen Burmanniacee Thismia in Annais of Botany, Vol IX 1895. Sande von einem Kampfe mit den Pilzen keine Rede sein konnte. Immerhin möchte ich her\'or- heben, daß es sich hier stets nur um mehr oder weniger oberflächliche Wurzeln handelt und daß über das Verhalten der in die tieferen Boden- schichten eingedrungenen meines Wissens bis jetzt ebensowenig bekannt ist, wie über die äußerste Tiefe, in welcher im Waldboden noch Pilzmycelien vorkommen. Die Töpfe, welche Frank zu seinen Kulturen benutzte, waren nur 18 cm tief, und die Kultur dauerte etwa 2 Jahre. Nun treibt aber die Buche schon in den ersten Jahren eine unter günstigen Umständen i m Länge erreichende, mit zahlreichen Nebenwurzeln besetzte Pfahlwurzel. Die Möglichkeit ist also nicht ausgeschlossen, daß auch die im sterilisierten Boden erzogenen Buchen, so- bald sie die ersten ungünstigen Verhältnisse über- wunden hatten, bei größerer Tiefe der Töpfe schließlich zu gedeihlicher Entwicklung gekommen wären. Und endlich verdient es wohl auch hervor- gehoben zu werden, daß nach R. Hart ig selbst an 1 2jährigen Exemplaren der verschiedensten Cupu- liferen, auch der Rotbuche, im forstlichen Ver- suchsgarten zu München keine Spur der Myko- rhiza zu beobachten war, und daß hier auch an solchen Bäumen, deren Wurzeln sehr arg von Mykorhiza befallen waren, immer ein sehr großer Teil pilzfreier Wurzeln aufgefunden wurde.') Diese Beobachtung Hartig 's wird von Stahl, der ihn doch zitiert, gar nicht erwähnt, vielmehr werden von ihm die Cupuliferen als regelmäßig myko- rhizenführende Bäume aufgeführt. Bei schwächerer Ausbildung der ektotrophen Mykorhiza und besonders bei ihrem mehr ge- legentlichen Vorkommen kann ich hingegen keinen zwingenden Grund erkennen, aus dem man ihr dieselbe Funktion wie in den extremen Fällen zu- schreiben müßte. Am allerwenigsten aber bei der endotrophen Mykorhiza, um die es sich in der Stahl'schen Arbeit vorzugsweise handelt. Wo sie bis jetzt genauer studiert wurde, fand sich, daß sie nach außen nur ganz wenige und unbedeutende Ver- bindungen besitzt und meistens nicht einmal in der Epidermis oder in den Wurzelhaaren vor- kommt. Aber selbst, wo dies der Fall ist, müßten doch Wasser und Salze erst deren Zeilhäute durch- dringen , um an den von ihnen umschlossenen Pilz zu gelangen. Stahl hebt wiederholt die ge- ringe Oberflächenentwicklung der m)-korhizen- führenden Wurzelsysteme hervor. Nun wird diese Oberfläche ja aber durch die endotrophe Myko- rhiza nicht im mindesten vergrößert, und ich kann mir auch deshalb von der Art und Weise, wie diese bei dem Wasser- und Nährsalzerwerb wirken soll, keine auch nur einigermaßen klare Vorstellung machen. Bei den Ericaceen findet sich der endophyte ') Botanischer Verein in München , Generalversammlung vom II. November 1885. Bericht im Botan. Zentralblatt, Bd. XXV 1886 S. 350—352. N. F. III. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 185 III. sterihsierte Erde Pilz allerdings ausschließlich in den weiten Epi- dermiszellen der Wurzeln. Wenn letztere aber auch keine Wurzelhaare entwickeln, so sind sie dafür selbst, wie auch Stahl angibt, ganz be- sonders lang und dabei haardünn, so daß sie physiologisch die Haare vertreten, jedenfalls aber eine sehr bedeutende Oberfläche besitzen. Und gerade hier, nämlich bei der Heidelbeere, hat Stahl selbst experimentell gezeigt, daß die in sterilisiertem Heideboden völlig pilzfrei erzogenen Exemplare sehr wohl gediehen, ja sogar die in frische Heideerde eingesetzten und mit charakte- ristischen Mykorhizen versehenen Pflänzchen über- trafen. Was aber seine Versuche mit dem Machs, dem Senf, der Gartenkresse und dem Weizen an- belangt, die in dem unsterilisierten Boden nicht fortkamen, so besitzen wir eine ganz neue Arbeit von F. W. Neger,') der diese Dinge an der Gartenkresse nachgeprüft hat, namentlich um fest- zustellen, welchen Einfluß die Sterilisierung auf den Boden ausübt. Er stellte in je drei Kultur- töpfen Böden von folgenden Eigenschaften her: I. nicht sterilisierte Erde 1 chemisch - physikalische ^^ .... . , ^ I Eigenschalten verschie- II. sterihsierte u. nicht , j^,^ _ phvsiolog. Eigen- stenhsierte Erde | gehaften gleich. chemisch - physikalische Eigenschaften gleich, phx'siologische Eigen- schaften verschieden. Dabei ging er von folgender Überlegung aus: a) ,, Gedeihen die Versuchspflanzen in I und II gleich schlecht und in III bedeutend besser , so besteht ein Kampf um die Nährsalze; denn es ist klar, daß die Bodenpilze im Topf II schnell das ganze Erdreich in ihre Gewalt bringen, um so mehr, als die beiden Bodenarten in II gut ge- mischt und die Mischung einige Tage stehen ge- lassen wurde, ehe die vorgekeimten Versuchs- pflanzen eingesetzt wurden. b) Gedeihen hingegen die \^ersuchspflanzen in II und III gleich gut und besser als in I, so ist diese Förderung weniger auf Rechnung des fehlen- den Kampfes mit den Bodenpilzen zu setzen (in II sind solche reichlich anwesend), als vielmehr auf die Wirkung der Sterilisation des Bodens zurückzuführen." Neger's Resultate deckten sich nun ziemlich genau mit der zweiten erörterten Möglichkeit. Das Wesentliche war jedenfalls, daß die Pflanzen in nicht sterilisiertem Boden sich in auffallendem Nachteil befanden gegenüber denjenigen in ge- mischtem Boden, obwohl in letzterem die Kon- kurrenz der Bodenorganisinen als nahezu ebenso groß angenommen werden kann wie im nicht sterilisierten Boden. Das günstige Wachstum der Pflanzen in sterilisiertem Boden kann also der ') Ein Beitrag zur Mykorhizafrage: Der Kampf um die Nährsalze. Naturwissenscliafil. Zeitschr. f. Land- und Forst- wirtschaft. H. 9 S. 372 1903. Hauptsache nach als P'olge der günstigeren Er- nährungsbedingungen, welche ein sterilisierter Boden durch die darin angehäuften und der Zersetzung preisgegebenen Tierleichen usw. bietet, aufgefaßt werden und nicht als Folge des Fehlens der kon- kurrierenden Bodenorganismen. Dann ist es aber nicht wunderbar, daß die Pflanzen im gemischten Boden nicht die gleiche Üppigkeit der Laub- entfaltung zeigen wie diejenigen im sterilisierten, da ihnen ja auch nur die Hälfte der durch die Sterilisation zugänglich gemachten Nährstoffe zur Verfügung steht. ,,Das Wurzelsystcm aller drei Gruppen von Versuchspflanzen war absolut ungefähr gleich. Zieht man aber in Betracht, daß die Pflanzen von I hin- sichtlich ihrer oberirdischen Entwicklung den Pflanzen von II und III um das 2- bis 4 fache nachstehen, so kann auch hier die von Stahl hervorgehobene Erscheinung bestätigt werden, daß Pflanzen , welche unter ungünstigen Ernährungs- bedingungen leben, ein verhältnismäßig viel mäch- tigeres Wurzelsystem besitzen als Pflanzen, welche in einem an Nährstoffen reichen Boden wurzeln. Daß aber die Pflanzen in II und III bei gleicher oberirdischer Entwicklung hinsichtlich ihrer Be- wurzelung keine bemerkenswerte Unterschiede auf- weisen , spricht nicht besonders für einen sehr heftigen Kampf um die Nährsalze in dem von Pilzen durchsetzten Boden des Gefäßes II." Ich selbst möchte noch hinzusetzen, daß für die genannten Pflanzen Buchenwaldhumus ein völlig ungewohntes Substrat ist, dem sie mit der in ihm entbrennenden Konkurrenz mit den Pilzen überhaupt nicht angepaßt sind. Einen Beweis, daß die Pflanzen in ihm durch ihre endophytischen Pilze unterstützt wurden, kann ich in Stahl's Versuchen um so weniger erblicken, als selbst der Flachs, der nach Stahl stets reichlich verpilzte Wurzeln besitzt, sich in dem unsterilisierten Humus schlechter entwickelte als in dem sterilisierten. Die von Stahl betonten Standortsverhältnisse lassen sich m. E. ebenfalls in ganz anderer Weise erklären. Denn die in Betracht kommenden Pilze sind ja ebenso wie die höheren Pflanzen ganz be- stimmten und je nach ihrer Art verschiedenen Substraten angepaßt, und es kommt für sie ein ganz bestimmter Gehalt des Bodens an Feuchtig- keit, an Nährsalzen und, da sie Saprophyten sind, auch an organischen Stoffen bestimmter Art und bestimmten Zersetzungsgrades, endlich auch der Luftgehalt, die Erwärmung und Beleuchtung des Bodens sehr in Betracht. Es kann also kaum be- fremden, wenn z. B. Pflanzen, welche in voll- kommen durchnäßtem Boden wachsen, ebenso- wenig Mykorhizen führen wie typische Sand- pflanzen. Und wenn auf Böden, welche an mine- ralischen Nährstoffen reich sind, wie auf Äckern, Gärten, Schutthaufen, die Mykorhizenpflanzen zu- rücktreten und auch solche Gewächse sich pilzfrei erweisen, die auf unkultiviertem Boden Mykorhizen führen, so ist doch auch zu erwägen, daß auf der- artiger Unterlage höhere Pilze überhaupt selten Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 12 beobachtet werden, selten wenigstens im Vergleich mit jedem humusreichen Boden. Bezüglich der ektotrophen Mykorhiza macht Tubeuf gegen Frank geltend,') daß bei ihr die Wurzelhaare nicht gänzlich fehlen, sondern sowohl im humusfreien, als im humosen Boden vorhanden sind, wie Möller schon früher angegeben hatte.-) Während er die von Stahl aufgeführten Tat- sachen zugibt, mißbilligt er seine Schlüsse. Seiner Auffassung nach besteht eine Konkurrenz zwischen den Pflanzen und Pilzen nicht so sehr, denn von den Fruchtkörpern wird das Nährstoffkapital nur vorübergehend benutzt und zwar besonders im Herbst , wenn die Hauptnährstoffaufnahme der Holzpflanzen zu Ende ist. Ferner gehen die Nähr- stoffe aus den Fruchtkörpern bei deren Zerfall größtenteils wieder in das Substrat zurück. Überhaupt wird im Wald und Moor das Nährstoffkapital immer wieder durch Verwesen dem Boden zurück- gegeben, die in die Tiefe gewaschenen Stoffe werden dann durch die Wurzeln wieder in die Höhe ge- bracht. Der Nutzen der ektotrophen Mykorhiza besteht nach Tubeuf darin, den Pflanzen den Humus- stickstofl" verwertbar zu machen, den sie in P'orm von Eiweiß an die Pflanzen abgeben. Denn 1. sind im Humus nachgewiesenermaßen keine Nitrate, 2. kann nach Tubeuf 's Kulturversuchen den Pflanzen der ektotrophen M\-korhiza der Humus- stickstoff durch Nitraternährung ersetzt werden. 3. Koniferen und Kupuliferen, die alle fakul- tative Mykorhizenpflanzen sind, können sich bei nötigem Nährsalzvorrat selbständig ernähren. Sie sind für die künstliche Düngung sehr dankbar, so daß Buchen dabei schon im ersten Jahre zu be- sonders kräftigen Pflanzen erwuchsen. Wenn sie dagegen nicht künstlich ernährt werden, kümmern sie trotz Mykorhiza. 4. Sollte die Mykorhiza die Nährsalzaufnahme erleichtern, so würde es sich dabei auch um Nitrate handeln. P'ehlt es Pflanzen mit geringer Wasserdurchströmung an Nährsalzen, so fehlt es ihnen auch an Nitraten. Kann der Pilz diese nicht beschaffen, so nützt es wenig, wenn er die anderen Salze liefert. Tubeuf unterscheidet 1. Pflanzen mit hier und da auftretender ekto- tropher Mykorhiza, bei denen letztere ohne prak- tische Bedeutung ist (Weiden). 2. Pflanzen mit reicher ektotropher Mykorhiza, aber auch noch normaler Bewurzelung (ev. Be- haarung) und normalem Assimilations- und Transpira- tionssystem. 3. Pflanzen mit ektotropher Mykorhiza und reduziertem Wurzel-, Assimilations- und Transpira- tionssj'stem bei denen alle Nährstoffe vom Pilz vermittelt werden müssen (Monotropa). 4. Pflanzen mit ektotropher und endotropher Mykorhiza. Das Verhältnis zwischen Pilz und höherer Pflanze ist nach ihm folgendes: Die Pflanzen ernähren sich selbständig. Wo ihnen Stickstoff in anorganischer Form fehlt, köimen sie durch Vermittlung der endotrophen M\'korhiza Luft-, durch die der ektotrophen Humusstickstoff in assimilierter Form erhalten.') Diejenigen, bei welchen eine geringe Wasserdurchströmung, ge- ringeres Nährsalzbedürfnis, langsameres Wachstum, geringere Wurzelentwicklung vorhanden ist, sind dem Pilzbefall am meisten ausgesetzt und werden abhängig. Mit Zunahme der Verpilzung ist Verminderung des Wurzelsystems verbunden, die Wurzeln können daher das Substrat nicht mehr so ausnützen, die Mykorhiza verwendet den Stickstoff" der nächsten Umeebung. Mit der Reduktion der Wurzeln schwinden Assimilations- und Transpirationsorgane, der Pilz übernimmt die Gesamterährung (Mono- tropa).-) Die Bäume sind vor Überhandnähme der Ver- pilzung gesichert, da sie ihre Wurzeln aus der Humusregion weit hinaussenden und damit die P'ähigkeit selbständiger Ernährung behalten. Die schnellwüchsigen, wasserbedürftigen scheinen am selbständigsten zu sein, denn je weiter die Wurzel in den nährkräftigeren Untergrund reicht, und von da ohne Pilze Nährstoffe bezieht, desto besseres Gedeihen zeigten die betreffenden Pflanzen. Die Initiative zur Mykorhizenbildung ist nicht von den Pflanzen ausgegangen, sondern von den Pilzen, die von ersteren Salze und Kohlehydrate erhalten , sich also wegen Nährstoffmangel der Wurzeloberfläche anlegen und in ihr Inneres eindringen. Denn die ektotrophen Pilze hängen den Wurzeln keineswegs nur äußerlich an, sondern sind auch im Wurzelinnern nachweisbar, wo sie die Intercellularen erfüllen und die nährstoffreichen WurzelzeJlen umspinnen. Da aber die Pflanze den Befall der Wurzelparasiten nur dann aushält, wenn ihr vom Pilz Stickstoff geboten wird, so sind zur Symbiose nursolche Pilze gelangt, welche freien Stick- stoff aufnehmen oder Humusstickstoff verarbeiten. Ich selbst stelle mir die Entstehung der Myko- rhizenbildung etwa so vor, daß sich auf überhaupt mycelhaltigem Boden in resp. auf den Wurzeln, bzw. sonstigen unterirdischen Organen solcher höherer Pflanzen, deren Protoplasma dies gestattete, Pilze schmarotzerisch ansiedelten, die in den meisten Fällen ihren Wirten weder Nutzen bringen, noch Schaden zufügen. So bei dem größten Teile der endotrophen und bei den fakultativen ektotrophen Mykorhizen. Unter besonderen Verhältnissen, wie 1) A. a. O. ^) Zeitschr. f. Forst- u. Jagdwesen 1902. S. 197. ') Die Verwertung des atmosphärischen Stickstoffs durch die ektotrophe Myliorhiza bestreitet auch Möller für die Eiche ebenso wie für die Kiefer. -) Bei chlornphyllfrcien Pflanzen ohne ektotrophe Myko- rhiza müssen hingegen die Wurzelzellen Kohlenstoff auf- nehmen (Neottia). N. F. III. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 187 in dem Falle der Cupuliferen, wo die äußere Ver- pilzung einen extremen Grad erreichte, trat dann das oben für die Buche unter den angedeuteten Einschränkungen erörterte Verhältnis ein, daß der Wiit den Pilz als geeigneten Verbündeten im Kampfe mit seinen Artgenossen um die Nährsalze und vielleicht die Stickstoff- oder, wie bei Mono- tropa, auch um die kohlenstoffhaltigen Humus- bestandteile in Anspruch nahm. Freilich ist ja selbst in dem letztgenannten Falle noch keineswegs etwas Sicheres darüber ermittelt, ob der Fichtenspargel nicht auch ohne den Pilz zu gedeihen und nicht selbständig den Humus zu assimilieren vermag. In den extremen Fällen der endotrophischen Mykorhiza hingegen , die wir au(3er bei Podo- carpus, Psilotum und eventuell bei Alnus und M\'rica, namentlich bei den Orchideen verwirklicht finden, bildete sich die Mykophagie in verschie- denem Grade aus, die schließlich bei Neottia zu einer besonders weit gehenden Sonderung und Anpassung innerhalb der VVurzelgewebe führte. Daß der Pilz hier mit dem Kohlenstoffbezuge nichts zu tun hat, erscheint mir ebenso wie Magnus undShibata als sicher. Denkbar aber wäre es immerhin, daß er entweder, wie die Bak- terien der LeguminosenknöUchen, den atmosphä- rischen Stickstoff assimilierte, oder daß er dem Wirte die von dessen Wurzeln zwar aufgenom- menen, aber für ihn selbst schwer verarbeitbaren Ammoniumsalze nutzbar machte. Jedenfalls wird es noch zahlreicher und ge- nauer Bearbeitungen der Einzelfälle, ganz be- sonders aber solcher Kulturversuche bedürfen, die mehr als die meisten bisherigen die am natür- lichen Standort gegebenen Verhältnisse berück- sichtigen , um die schwierige Frage nach der physiologischen Bedeutung der M_\'korhiza aufzu- hellen. Kleinere Mitteilungen. Der Humboldtfelsen im Zittauer Gebirge. — Das weite Lausitzer Granitgebiet wird im Süden von Zittau durch eine gewaltige Verwerfung be- grenzt, längs welcher der anstoßende Brongniarti- quader ungefähr 280 m in die Tiefe gesunken ist. Die verschiedene Verwitterbarkeit der beiden be- nachbarten Gesteine hat aber im Laufe der Zeiten die Höhenverhältnisse derart umgekehrt, daß jetzt das Sandsteingebirge sich mauergleich ca. 100 m über die Zittauer Ebene erhebt. Der Grenzstreifen des Sandsteins zeigt zwei Eigentümlichkeiten, die vermutlich beide im ursächlichen Zusammen- hange stehen: erstens ist der Sandstein von zahl- reichen Basalt- und Phonolithgängen durchschwärmt, Der Ilumliiililtrilsin im ZiUauer Gebirge. i88 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 12 und zweitens ist in der Nähe dieser Gänge das Hauptgestein mit außerordentlich festem Kiesel- säurezement verhärtet und porös. Die letzten beiden Eigenschaften machen den Sandstein be- sonders geeignet zur Herstellung von Mühlsteinen. Die geschilderten geognostischen Verhältnisse lassen sich trefflich studieren in einem der Brüche von Jonsdorf, an einer Stelle, die einst schon einem Alexander v. Humboldt hohes Interesse abgelockt hatte. Ein fast kreisförmiger Eruptionsstiel aus Nephelinbasalt durchbricht hier den Sandstein in nahezu senkrechter Richtung. Durch den Stein- bruchbetrieb ist dieser Stiel seit Humboldt's Besuch bis in 40 m Tiefe freigelegt worden. Die plump kugelförmige Absonderung des Basaltes brachte es mit sich, daß der 6 — 8 m dicke Stock allmäh- lich immer mehr an Höhe verlor. Zeitweise er- Beispiel, wie durch verschiedene Verwitterbarkeit die Niveauverhältnisse beeinflußt werden. In nächster Nähe des Humboldtfelsens ist übrigens noch eine geologische Merkwürdigkeit die ebenfalls verdient, vor ihrer gänzlichen Zer- störung im Bilde festgehalten zu werden. Es ist die sogenannte Orgel. Frei am Rande eines Ab- sturzes erhebt sich eine Sandsteinmasse von 5 m X 9 m Umfang, die in lauter senkrechte Säulen von ungefähr 2 m Höhe abgesondert ist. Zur Zeit finden wir in der Nähe kein Eruptivgestein mehr, das diese Absonderung veranlaßt haben könnte. Doch unterliegt es keinem Zweifel, daß sie in ursächlichem Zusammenhange mit einem ehemals aufliegenden , jetzt aber weggewitterten Phonolithgange steht. Dr. P. Wagner. Die Orgel in der Nähe des liumboldtfelscns. forderte die Betriebssicherheit im Bruch die Ent- fernung der oberen Blöcke, und so tritt uns heute der sogenannte Humboldtfelsen nur noch als eine 6 m hohe kegelförmige Masse entgegen. Im Umkreise des Basaltstiels ist der Sandstein in Säulen zersprungen, die — nur getrennt durch etwas Reibungsbreccie — sich radial um den Ba- salt anordnen. Unser Bild zeigt uns rechts noch einen hellen Phonolithgang, dessen stark ver- wittertes Gestein eine weithin gerade fortlaufende grabenartige Einsenkung ausfüllt. Zur Rechten bildet der silifizierte Sandstein eine gewaltige Wand ; links läuft parallel ein ungefähr halb so breiter Basaltgang, dessen wagerechte Säulen gleich einem Stoße von Holzscheiten den Phono- lith überragen. Diese drei Gesteinsarten in un- mittelbarer Nachbarschaft geben uns ein treffliches Einen Apparat zur Erklärung des Phä- nomens von Ebbe und Flut hat ¥. S. Are he n- hold, der Leiter der Treptow-Sternwarte, kon- struiert und in der Halbmonatsschrift „Das Welt- all", 4. Jahrg., Heft 2, pag. 38 fif. beschrieben. Ich erläutere den Apparat an der beigegebenen P'igur: Die Kugel m repräsentiert den Mond; die von dem Drahtgeflecht umgebene Kugel ist die Erde.') Das Drahtgeflecht selbst stellt die die Erde umgebenden Wassermassen dar, und zwar ist der Einfachheit halber angenommen, daß die Erde voll- ständig von einem Wassermantel umgeben sei, ') Natürlich sind hier wie bei allen Tellurien und ähn- lichen nemonstralionsapparatcn die Größen- und Entfcrnungs- vcrhältnisse völlig falsche, worauf heim Gebrauch im L'nter- licht mit Nachdruck liinzuweiscn ist. Ked. N. F. III. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 189 d. h. daß sämtliche Kontinente und Inseln ganz und gar überschwemmt seien. Zuerst wird die Mondkugel durch den Dozenten verdeckt, und der Apparat zeigt uns die Erde ohne Begleiter: die Wassermassen legen sich kon- zentrisch um die Erde. Durch einen Ruck an der Mondkugel, die mit der Erdkugel durch ein Feder- system verbunden ist, wird der Erdkern c nach c', die Wassermengen bei a nach a' und die bei b nach b' gerückt , wobei a a' c c' b b' ist : das System Elrde — Mond stellt sich nunmehr in seiner wirklichen Gestalt dar. Man sieht, dal3 sich durch die Attraktionswirkung des Mondes zwei um 180" voneinander entfernte Flutberge, der eine bei Pfeil A und der andere bei Pfeil B, bilden ; auf allen Teilen der Erde, die von den beiden Flut- bergen um einen rechten Winkel abstehen ist Ebbe. Besonders wird durch den Apparat deutlich ge- macht, daß nicht nur ein Flutberg bei Pfeil A, sondern auch ein Plutberg bei Pfeil B entsteht. Archenhold'scher Ebbe- und Flutapparat. eine Erscheinung, deren Verständnis bekanntlich dem Laien gewisse Schwierigkeiten zu bereiten pflegt. Mit Hilfe der Handhabe H läßt sich die Erde in der Richtung des Pfeils um ihre Achse drehen ; dadurch wird ersichtlich, daß sich Ebbe und Flut in Abständen von je sechs Stunden folgen — ge- nauer: in Abständen von je 6 Stunden 12,5 Min., da der Mond wegen seiner Bewegung um die Erde täglich etwa 50 Minuten später kulminiert als am voraufgegangenen Tage. Sehr anschaulich wird auch durch den Archenhold'schen Apparat, daß das Phänomen von Ebbe und Flut verlang- samend auf die Erdrotation wirkt. Die Flutberge werden vom Monde festgehalten, und die Erde dreht sich unter ihnen fort: die Flutberge sind gewissermaßen eine Bremse für die P>drotation, diese wird immer mehr verlangsamt, bis schließlich Erdtag und Monat zusammenfallen. Die Firma Ferdinand Ernecke in Berlin bringt den Apparat in zwei Ausführungen — mit Vor- richtung für die Erdrotation für So Mark, ohne sie für 45 Mark — in den Handel. Im „Astrono- mischen Museum" der Treptow-Sternwarte in Trep- tow bei Berlin ist der Apparat zur Besichtigung aufgestellt. Mg. Die Elektrometallurgie des Goldes. — Die Elektrometallurgie des (Toldes beruht auf dem Umstände, daß sich der elektrische Strom mit Vor- teil sowohl zur Auflösung von metallischem Gold in Cyanidlösung, als Doppelsalz AuKCy.,, als auch zum Niederschlagen desselben aus einer solchen Lösung verwenden läßt. Die Wirkung des Stromes beim Auflösungsprozeß scheint, wie W. H.Walker in einer kürzlich in der Amerikanischen P,lektro- technischen Gesellschaft vorgetragenen Arbeit her- vorhebt (siehe „Elektrochem. Ind." Nr. 14), darin zu bestehen, daß derselbe Sauerstoff liefert. Anderer- seits haben Laboratoriums- versuche gezeigt, daß in einer Lösung des obigen Doppel- salzes das Kation K und das Anion Au Cy,_, ist, was für den Niederschlagsprozeß von größter Bedeutung ist. Das Kation K wird nämlich zunächst ausgefällt, wirkt dann auf die Lösung des Doppelsalzes ein und führt so durch einen sekun- dären Prozeß die Fällung des Goldes herbei. Das Gold ist daher in den von der Kathode ausgehenden Anionen enthalten, so daß der Strom danach strebt, den Goldgehalt der Lösung in der Nähe der Kathode zu ver- mindern. Andererseits ist ge- rade an der Kathode Gold er- forderlich, um die sekundäre Reaktion zwischen dem primär niedergeschlagenen Kalium und der Lösung zu ermöglichen. Hieraus geht her- vor, wie wichtig es ist, bei dem Fällungsprozeß gut umzurühren , und erklärt sich auch der geringe Nutzeffekt. Verfasser gibt im weiteren eine Übersicht über die verschiedenen elektro- chemischen Goldverfahren, und teilt diese in zwei Klassen : zur ersten Klasse gehören die Verfahren, bei denen Auflösung und Ausfällen nicht gleich- zeitig stattfinden; zu dieser Klasse gehört das in großem Umfange in Südafrika benutzte Siemens & Halske'sche \'erfahren. Der hauptsächliche Vorteil, den nach Ansicht des Verfassers die elektro- chemische Fällung von Gold gegenüber der che- mischen Methode bietet, ist der Umstand, daß die erstere weniger konzentrierte Lösungen erfordert und auch der Cyanidverbrauch geringer ist. Zu der zweiten Klasse von Verfahren gehören die- jenigen, bei denen Auflösung und Fällung gleich- zeitig stattfinden. Drei der wichtigsten Verfahren igo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 12 werden vom Verfasser beschrieben und ausführUch besprochen, nämUch das Peletan-CIerici'sche, das Ricl•'• '•••s,/_ T -^^^1 ^•"""^^ "■•' 5^. Berlin L_,*^^_^ 8>" ■ ■*■•** ^ ,V...... T rpr.lriii "■—..••— *. V ' -■■■:. >• "> ■• — • ••••• Karlsruh! 9.5° _ 0- —'''S-—/^ J-*"""*^»,. — ^ — 75= — Mud ""^ 7» ,''"- V ». .— ••• ^ '-,.'' ♦- •' .••••' **^ V 1 1 1 1 1 1 : 1 1 ' I .1 1" 1 1 1 1 1 1 1 : 1" -1 1 1 Berliner Wetterbureau. wiedergegebenen Durchschnittstemperaturen immer ein paar Grade über ihren normalen Werten. Seit dem 9. traten im Osten und Süden etwas häufiger Nachtfröste auf, und um Mitte des Monats fand eine allgemeinere, wenn auch nur langsame Abkühlung statt, die sich meist bis zum 19. fort- setzte. Dann stiegen die Temperaturen wieder und erreichten um den 24. noch einmal nahezu die Werte, mit denen der Monat begonnen hatte, worauf sich die Luft von neuem und diesmal stärker abkühlte, so daß in den letzten Novembertagen vielfach leichter Frost herrschte. Im Monatsmittel wurden die normalen Novembertempera- turen überall in Deutschland um ungefähr 1 '/2 Grad über- troffen. Zu diesem Temjieraturüberschuß, an dem die Sonnen- strahlung fast gar keinen Anteil hatte , trug auch weniger die Wärme der überwiegend vom Ozean kommenden' Winde als die dichte Nebelschicht und eine starke Wolkendecke bei, welche fast beständig den Erdboden vor Ausstrahlung schützten. Beispielsweise gab es in Berlin während des ganzen Mo- nats nicht mehr als 22 Stunden mit Sonnenschein , wäh- rend hier in dem allerdings besonders klaren November des vorigen Jahres die Sonne an 101 Stunden, aber auch in dem gleichfalls sehr trüben November des Jahres 1901 immer noch an 37 Stunden geschienen hat. Bis zum 9. November waren die Niederschläge, wie die nebenstehende Zeichnung erkennen läßt, überall sehr gering, in manchen Gegenden Süddeutschlands blieben sie sogar X?iäacr3cr)lag6l]öl]2ii im X^ownil'cr J903. -I -^ Miltlerer Werf für . Deufschland. ^otiatssumnie im Novor. Iä03. 02, Ol 00 1835 3«. E J -= E ■ = m ■« - » S ^ li ih S , , 1.-9. November. , , LUm-kBPLUJ-lü TT B n — n — ) — i — ^ — I — \ — n 10.- 30. November. ä ™ m iTinp erliner Welterbureau. völlig aus. Darauf folgten aber allgemeine und sogleich ziemlich ergiebige Regenfälle, die vom 10. bis 12. an der Küste verschiedentlich von Hagel begleitet waren und sich dann fast täglich in größerer oder geringerer Stärke wieder- holten. Zwischen dem 17. und 20. fanden im Binnenlande, namentlich in Schlesien, dem Königreich und der Provinz Sachsen, Thüringen und Bayern zahlreiche Schneefälle statt. Im Gebiete der Oder traten infolge der lange anhaltenden Niederschläge Hochwasser ein, die mancherlei Scliäden brachten und in den nächsten Tagen noch anwuchsen. Vom 21. zum 22. nämlich jagte ein schwerer Sturm von Westen nach Osten durch ganz Deutschland hindurch, brachte wieder- um starke Regenfälle, an der Küste Hagelschauer und zwi- schen Rhein und Elbe vielfach Gewitter mit sich. Nach seinem Vorübergange wurden die Niederschläge zwar zunächst geringer, hörten jedoch nirgends gänzlich auf, und schon nach wenigen Tagen stellten sich abermals stürmische Westwinde mit reichlichen Regen ein, die mehr und mehr in Schnee übergingen. So hatte der Monat nicht allein eine besonders große Zahl von Regen- und Schneetagen, sondern auch mehr- mals, namentlich in Westdeutschland, sehr bedeutende Nieder- schlagsmengen, und sein gesamter Ertrag an Niederschlägen, der sich für den Durchschnitt der berichtenden Stationen auf 69,5 Millimeter bezifferte , war daher viel größer als in den meisten der Novembermonate seit Anfang des vorigen Jahr- zehntes, nur im November 1893 und 1901 ist er annähernd erreicht worden. Während des ganzen November wurde Nordeuropa von immer neuen barometrischen Depressionen durchzogen, (.He anfänglich nur mäßige Tiefe besaßen und ihren Bereich nicht sehr weit nach Süden ausdehnten, Die mittleren Breiten Europas wurden dabei gewöhnlich von einem umfangreichen Hochdruckgebiete bedeckt. Als aber am 10. November eine tiefere Depression auf dem europäischen Nordmeer erschien, zerfiel das Maximalgebict in eine östliche und eine westliche Hälfte, zwischen denen von dieser und mehreren ihr folgen- den Depressionen Teilminima in Mitteleuropa einzudringen vermochten. Am tiefsten war ein iSIinimum, das um den 20. nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Nordeuropa orkan- N. F. III. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 191 artige Stürme erregte, die auf den Meeren außerordentlich zahlreiclic SchitTsunglücksfiiUe herbeifülirten. Im letzten Monatsdrittel traten die Barometorminima in niedrigeren Breiten auf dem atlantischen Ozean auf und eilten von dort immer schnell in östlicher Richtung weiter. Beson- ders eine sehr umfangreiche Depression, die am 27. vor Irland erschien und namentlich in England , Frankreich und Süd- deutschland heftige Stürme verursachte, rückte mit unvermin- derter Tiefe weit ins Innere des europäischen Festlandes ein, so daß der November in ganz Mitteleuropa mit ungewöhnlich niedrigem Luftdruck und unablässigen Regen- und Schnee- fällen endigte. Dr. E. Lcss, Bücherbesprechungen. Prof. Dr. Thome, Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz. 2., verm. u. verb. Aufl. Bd. I. Mit i6o Tafeln in Farbendruck. Gera, Reuß j. L. (Friedrich von Zezschwitz) 1903. Preis 18,75 ^k. Nach Floren ist das Bedürfnis sehr groß, daher ist auch die Zahl derselben Legion. Thome's Flora ge- hört zu denjenigen, die sich Freunde erworben haben. Der Genre, den sie vertritt, erfüllt ein oftenkundiges Bedürfnis, denn viele, die sich nicht gerade wissen- schaftlich mit Floristik beschäftigen wollen, aber doch gern etwas — wenigstens die Namen — der sie um- gebenden wilden Pflanzen wissen möchten, ist eine wie die vorliegende gut und in den Naturfarben illustrierte Flora genehm , insbesondere dann , wenn die Arten, wie hier, in natürlicher Größe dargestellt sind. Dieses Bedürfnis ergibt sich, kurz gesagt, daraus, ein Werk zu besitzen, das möglichst schnell und bequem Auf- schluß über den Namen einer bestiinmten , gerade vorliegenden Pflanze gibt. Wenn nun auch nicht die Thome'sche Flora alle Arten abbildet, so bringt sie doch so viele Abbildungen, daß sie mit Zuhilfenahme des Textes nur selten einmal versagen wird. Übrigens ist der Text umfangreich genug, und der allgemeine Teil dazu angetan, die ersten Schritte auch für ein tieferes Eindringen in den Gegenstand zu ebnen. Der vorliegende Band behandelt die leider als Krypto- gamen bezeichneten Pteridophyten, ferner die Gym- nospermen und die Monocotyledonen. Es wird sicherlich in dem Interessentenkreise der Thome'schen Flora freudig begrüßt werden, daß sie auf das ganze Pflanzenreich erweitert wird, indem Prof Migula die Bearbeitung der Bryophyten und Thallophyten übernommen hat. Es liegen von dieser Bearbeitung bereits 14 Lieferungen (ä i Mk.) vor, enthaltend die Bryophyten, von denen nicht mehr viel fehlt. Sobald der erste Band (der 5. des ganzen Werkes, inkl. der Pteridophyten und Phanerogamen) von Migula's Flora vorliegen wird, kommen wir auf das Unternehmen zurück. Oberlehrer L. Geisenheyner, Flora von Kreuz- nach und dem gesamten Nahegebiet unter Einschluß des linken Rheinufers von Bingen bis Mainz. Bearbeitet zum Ge- brauch in Schulen und auf Exkursionen. Zweite Auflage. Kreuznach, Druck und Verlag von Ferd. Harrach [1903]. 328 Seiten. Preis 3 Mk. Der in weiten Kreisen rühmlich bekannte Verfasser, dem sein mühsames Schulamt noch Zeit und Lust zu ver- dienstlichen biologischen Forschungen läßt, von denen wir hier nur seine Studien über Pteridophyten und über PHanzengallen erwähnen wollen, bietet uns hier das Ergebnis mehr als 30 jähriger Forschungen in einem der anziehendsten Teile des deutschen Rheingebietes. Schon vor mehr als 100 Jahren haben hier Koch und Ziz, Gmelin (der von hier seine Saxifraga spon- hemica beschrieb), später F. Schultz, W i r t g e n , Bogenhard und mancher andere herborisiert, und immer noch ist der Reichtum dieses Lokalgebiets nicht erschöpft, in dessen Tälern die letzten Aus- läufer derPontischen Flora tnediterranen Einstrahlungen begegnen, während die Flora der Höhen noch unter dem Einfluß des atlantischen Florenelements steht (einer der neueren Funde betrifft z. B. die von F. Wirt gen dort nachgewiesene Carex binervis). Die gewissenhafte und kritische, trotz kurzer Fassung dem pflanzengeogiaphischen Bedürfnis genügende Darstel- lung des floristischen Materials macht das Büchlein auch dem auswärtigen Fachgenossen wertvoll. Auch der beschreibende Teil verdient alle Anerkennung und macht das Werk zur Benutzung beim Unterricht und auf Exkursionen, für die es in erster Linie be- stimmt ist, im ganzen recht brauchbar, wenn auch einzelne nicht ganz auf der Höhe heutiger Morpho- logie stehende Definitionen unterlaufen. Verfasser zeigt überall, daß er mit offenen Augen im Freien ge- forscht und die Literatur mit selbständigem Urteil benutzt hat; allerdings hätten wir neben Rosa, Rubus und Hieracium, die in engem Anschluß an Keller, F o c k e und Nägeli-Peter dargestellt sind, auch Menta (so schreiben die römischen Autoren, nicht Mentha) mit Berücksichtigung von Briquets Forschungen bearbeitet gewünscht, welche Gattung auf dem Stand- punkt von Wirt gen (1857) geblieben ist. Die Be- rücksichtigung von Formen und Bastarden ist ungleich- mäßig ; hauptsächlich sind von letzteren nur die von den älteren Floristen schon aufgeführten, oft für Arten gehaltenen, aufgenommen. Die Kulturpflanzen sind sehr eingehend, etwa in dein Umfange wie in den Florawerken des Referenten berücksichtigt. Die Aus- wahl der Zierpflanzen beweist, daß teils aus klima- tischen , teils aus historisch-ethnologischen Gründen (Nähe von Frankreich) doch nicht unerhebliche Unter- schiede von den nordostdeutschen Gärten stattfinden ; so sind Saxifraga punctata und Broussonetia papyrifera aufgenommen, wogegen Nicotiana rustica weder kul- tiviert noch verwildert vorzukommen scheint. Sehr dankenswert ist für ein Gebiet, in dem die Kultur der Rebe eine so wichtige Rolle spielt, die ausführ- liche Darstellung der wichtigsten Kulturformen des Weinstocks. Besonderen Wert legt Verfasser auf die deutsche Nomenklatur, in welcher er mehrfach Meigen folgt, auch da, wo dessen Verkürzungen dem Referenten als „Verschliinmbesserungen" erscheinen. So heißt z. B. Veronica teucrium (latifolia) nicht breitblättriger, son- dern breiter Ehrenpreis; das winzige Androsaces elongatum, an dem die Blütenstiele nur verhältnis- mäßig länger sind als bei septentrionale, heißt langer Mannsschild, das auch noch recht unansehnliche A. maximum großer M. , wo „größter" entschieden 192 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 12 passender wäre. Referent steht diesen Bestrebungen, eine einheidiche deutsche Nomenklatur zustande zu bringen, sehr skeptisch gegenüber. Wenn E. H. L. Krause es für richtig hält, eine solche, ohne Rück- sicht auf die lateinische, die für ihn veränderlich bleiben kann, herzustellen, so ist diese Umkehrung des Richtigen bei der Neigung zu Paradoxen, der sich dieser talent- und kenntnisreiche Autor leider über- läßt, nicht zu verwundern. Referent kann es aber nicht verstehen, daß ein im ganzen nüchterner Schrift- steller wie M eigen die lateinischen Namen auch in Gelehrtenschulen entbehrlich findet. Referent ist der Ansicht, daß Liebhaber der Flora, die kein Latein verstehen und Elementarschüler, wenn sie eine größere Zahl einheimischer Pflanzen kennen lernen sollen, ebenso gut die lateinischen Namen lernen können wie das Gärtner und Gartenfreunde, die doch_ oft auch keine gelehrte Schulbildung haben, ohne Wider- rede tun. Referent kann auch nicht einsehen, daß es eine Erleichterung für das Gedächtnis ist, statt Isnardia Heusenkraut und statt Aldrovandia Wasser- hade zu lernen. Von diesen nichtssagenden Erfin- dungen ist es nur noch ein Schritt zu den Oken- schen „Zullen" und „Schnullen". Indes soll dieser prinzipiell abweichende Standpunkt den Referenten nicht hindern, das G.'sche Werk als ein gutes Buch anzuerkennen. P- Ascherson. Literatur. Deckert, Dr. Emil: Nordamerika. Eine allgemeine Landes- kunde! 2., neubearb. Aufl. Mit 140 Abbildgn. im Text, 12 Karten u. 19 Taf. in Holzschn., .\tzg. u. Farbendr. (In 14 Lfgn.) I. Lfg. (S. 1—48) Lex. 8». Leipzig '03, Biblio- graph. Institut. — I Mk. Graff, L. v. : Die Turbellarien als Parasiten u. Wirte. Hrsg. als Festschrift der k. k. Karl-Franzens-Universität zu Graz f. d. J. 1902. (VI, 66 S. ra. I Fig., 3 Taf. u. 3 Bl. Er- klärgn.) gr. 4". Graz '03, Lcuschner & Lubensky. — 14,50 Mk. Jörgensen, Prof. Dr. S". M. : Grundbegriffe der Chemie, an Beispielen und einfachen Versuchen erläutert. (IV, 196 S. m. 13 Fig.) 8». Hamburg '03, L. Voß. — 2 Mk. Krafft, Prof. Dr. F. : Kurzes Lehrbuch der Chemie. Anorganische Chemie. Mit zahlreichen Holzschn. u. I Spektraltaf. 5. verm. u. verb. Aufl. (XIV, 525 S.) gr. 8". Wien '04, F. Deuticke. — 9 Mk. ; geb. 10,50 Mk. Briefkasten. Abonnent in Stockholm. — Zu empfehlen ist je nach dem speziellen Zweck: , .Tierphysiologisches Praktikum für Tierärzte und Landwirte" von E. H. Stein. Stuttgart, Enke, 1903. 144 Seiten. Enthält die physiologisch wichtigen che- mischen Methoden sehr klar und handlich. — „Leitfaden für das physiologische Praktikum" von L. Hermann. Leipzig, 1899. Berücksichtigt hauptsächlich die physikalischen und vivisektorischen Schulversuche, ist in erster Linie für den stud. med. berechnet. Beide Werke ergänzen einander. Prof. N. Zuntz. Herrn J. J. in München. — Wir empfehlen Ihnen Dannemann, Grundriß der Geschichte der Naturwissen- schaften. Leipzig (Wilhelm Engelmann). I.Bd.6Mk. und U. Bd. 9 Mk. Das Werk ist entschieden ausgezeichnet als Einführung in die Geschichte der Naturwissenschaften, wenn auch — wie das bei dem großen Gebiet kaum anders sein kann — ein- zelne Teile verbesserungsbedürftig sind, so vor allem das, was sich auf die Geschichte der botanischen Morphologie bezieht, wie der AbschniU ,,Die Botanik unter dem Einfluß der Meta- morphosenlehre: Goethes Versuch über die Metamorphose der Pflanzen 1790." (Vgl. diesbezüglich Potonie, Ein Blick in die Geschichte der botanischen Morphologie und die Pericaulom- Theorie. Gustav Fischer in Jena. Preis I Mk.). Herrn K. S. in Gera. Die in Ihrem Schreiben ausge- sprochene Idee, daß die Energie der Becquerelstrahlen , .um- geformte Schwerkraftsenergie" sein könnte, ist zuerst von Heydweiller in der Physik. Zeitschr. vom 15. Oktober 1902 (IV, Nr. 2) geltend gemacht worden. Er hält auf Grund von vermeintlicher Gewichtsabnahme strahlender Substanzen die Radioenergie für umgewandelte, potentielle Gravitationsenergie und beruft sich bei dieser Vorstellung auf Lord Kelvin's Ahterwirbel-Atomtheorie. Auch Geigel hat diese Ansicht ex- perimentell zu begründen versucht (Ann. d. Physik, X, 429. 1903), indessen wurde ihm von Forch und Kucera (Phys. Ztschr. IV, Nr. il v. I. März 1903) widersprochen. Jeden- falls ist die Ansicht rein hypothetisch und es wird wohl vielen so ergehen, wie dem Schreiber dieser Zeilen, daß sie sich nämlich überhaupt keine rechte Vorstellung davon machen können, was jene Hypothese besagen will. Herrn W. M. in Hannover. — Mit bezug auf die Ihnen in Nr. 8 gegebene Auskunft werden wir aus dem Leserkreise freundlichst aufmerksam gemacht auf das Werk des an der deutschen Seewarte amtierenden Professor Stechert,„Das Marinechronometer und seine Verwendung in der nautischen Praxis", 1894, Preis 3 Mk. Dieses Buch dürfte Ihren Wün- schen besonders entsprechen. Herr Lehrer L. in Hefslar. — Von meteorologischen Vereinen in Deutschland kennen wir nur die ,, Deutsche meteo- rologische Gesellschaft", deren Zweigverein Berlin z. Z. Prof. Sprung als Vorsitzenden und Dr. Lachmann (Ansbacherstr. 41) zum Schriftführer hat. Beschäftigung als meteorologischer Beobachter können Sie in Preußen natürlich nur von der vor- gesetzten Behörde, d. h. dem Berliner kgl. meteorologischen Institute, erhalten. Herrn G. K. in Thierberg-Abbau b. Osterode O.-Pr. — Die Wissenschaft weiß nichts von einem zweiten, bzw. dritten Erdmonde. Vor einigen Jahren wollte ein Hamburger Privat- gelehrter einen zweiten Erdmond entdeckt haben , der sich den Blicken der Menschen nur sehr selten zeige. Die Sache beruhte auf Irrtum und falschen Voraussetzungen und hat vielleicht gerade deshalb in Greifswald Nachahmung gefunden. Möglicherweise hat in Greifswald der Vorübergang eines dunkeln Körpers vor der Sonnenscheibe zu der Annahme eines noch unbekannten Erdmondes geführt. Eine vereinzelte Beobachtung solcher Art ist aber absolut nicht beweiskräftig, da sie einfacher auf einen meteorischen Körper oder auch auf einen in großer Höhe ziehenden Vogel zurückgeführt wer- den kann. Nur falls solche Vorübergänge in regelmäßigen Zwischenzeiten vorkämen, könnten sie zur Annahme eines die Erde umkreisenden Körpers zwingen. Bis jetzt ist davon nichts bekannt geworden. F. Kbr. Berichtigung. Auf Seite 147 der Nr. 10 N. F. III. sind im Artikel von W. V. Gößnitz (Die Kiemenbogentheorie der Wirbeltiere) die Figuren 16 und 19 versehentlich miteinander vertauscht. Ebenso muß die Buchstabenerklärung zu Figur 19 gestellt werden, die Bezeichnung selbst hat stehen zu bleiben. Inhalt: F. Kienitz- Gerlo ff; Über die Symbiose von Pflanzenwurzcln mit Pilzen. - Kleinere Mitteilungen: Dr^ P. Wagner: Der Humboldtfelsen im Zittauer Gebirge. - F. S. Ar c h enh o Id . Emen Apparat -;;^F-'< """g '^^ J^a- nomL von Ebbe und Flut. - W. H. W alk er : Die Elektrometallurgie des Goldes. - Wetter-Monatsubers.cht - Bücherbesprechungen: Prof. Dr. Thom6: Flora von Deutschland .Österreich und derSdiwe.z. - Ober ehrer l^ Geisenheyner: Flora von Kreuznach und dem gesamten Nahegebiet unter Einschluß des linken Kheinufers von Bingen bis Mainz. — Literatur: Liste. — Briefkasten. — Berichtigung^ ^ Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfeldc-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr,), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „^-'^^ NatUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. F. Koerber Redaktion Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Band; der ganzen Reibe XIX. Band. Sonntag, den 27. Dezember 1903. Nr. 13. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Pust 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Pctilzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Elementare Berechnung der Logarithmen. [Nachdruck verboten.] Von Dr. A. Schmidt. I. Unter der großen Zahl derer, die mit Loga- rithmentafeln oder Rechenschiebern rechnen, sind wenige, die von der Berechnung der Logarithmen durch die logarithmische Reihe etwas wissen, aber wahrscheinlich viele, die nach einem Weg fragen, auf dem man zu ihrer Berechnung kommen kann. Ob es der beste Weg ist, kommt nicht zuerst in Frage; darin ist die Logarithmenberechnung in derselben Lage, wie die des Kreises. Auch bei 7t fällt es niemandem ein, so zu rechnen, wie wir es in Sekunda lernen und wie die Griechen ge- rechnet haben. Trotzdem bleibt die Berechnung der Kreisvielecke der anschaulichste und leichteste Weg, auf dem wohl noch lange jedem Laien gezeigt werden wird, wie man tc berechnen kann. Bei den Logarithmen ist es ähnl.ch. Hier ist der anschauliche Weg der, daß man darauf hin- weist, daß Potenzen des Numerus gleich oder doch annähernd gleich Potenzen von 10 sind. Nur muß die Angabe der Potenzen von 10 und dem Numerus so beschaffen sein; daß man sie nach- rechnen kann. Daß 2!""""" fast gleich lo'"'!«'* kleiner als 10-* und 2'°'' wenig größer als 10^^ ist, das kann jeder Sekundaner nachprüfen, den man 2 ^^, 2 -", 2 ■*", 2 **•• ausrechnen läßt. Der folgende Aufsatz will zeigen, wie man für alle Primzahlen durch die Betrachtung ihrer Po- tenzen die Logarithmen berechnen kann. Dabei beschränkt sich dieRechnungzunächstaufßDezimal- stellen, eine Genauigkeit, die etwa der der Rechen- scliieber gleichkommen dürfte. Welchen Wert für den Numerus die dritte Stelle der Logarithmen hat, wird an 10 ''•'"•' untersucht. Zum Schluß wird noch angegeben, wie man mit Hilfe der vor- handenen Tafeln das Absuchen der Reihenfolge der Potenzen einer Primzahl sich erleichtern kann, so daß man ohne weiteres diejenigen berechnet, die zur Kenntnis des Logarithmus führen, und die wegläßt, die für diesen Zweck wertlos sind. IL Hat man zwei Werte eines Logarithmus, die sich in der dritten Dezimale unterscheiden, wie 3,044 und 3,045, und ist 10 "'"^^^x, so ist 10 .04 6 ^^ jQ 3,044 + 0,001 ^_ j.. jO 0,001 ist, kann niemand nachprüfen, daß aber 2 °" wenig Wenn man darum den Wert von 10"'""' kennt. 194 so kennt man auch den Einfluß der dritten Dezi- male auf das Resultat. 1000 Anstatt aber lo "■'"'" oder )' lo zu berechnen, 1024 wählen wir ) lO; denn da 1024 = 2'" ist, so läßt sich diese Wurzel durch Quadratwurzelziehen berechnen ; und das eine Resultat wird vom anderen nicht viel abweichen. Jedenfalls ergibt sich der 10ä4 Einfluß der dritten Stelle aus | 10 ebensogut wie lOoü aus j' 10 ■ Die Quadratwurzeln können dabei so gezogen werden, daß jedesmal 3 Dezimalen genau und die nächsten durch abgekürzte Division gefunden werden nach folgendem Schema: 110=3,162278 100:61 3900:626 14400:6322 1756:6324 491 48_ Man erhält dadurch ) 10,00000 ■=^ 3,162278 13,162278 = 1,778280 17778280= 1,333 522 1/1,074608 = 1,036633 1' 1,036 63 3 = 1,018151 1/1,018 151 r= 1,009034 1' 1^009034= 1,004507 11,004 507= 1,002250 IU33522= 1,154782 11,154782 = 1,074608 Also ist lo"'""' ungefähr gleich 1,002 und die Vergrößerung der letzten Stelle eines dreistelligen Logarithmus um I bedeutet die ISIultiplikation des Numerus mit 1,002 oder die Addition von y/ff-j des Wertes des Numerus. Ist also umgekehrt ein Numerus bis auf etwa Yfj'Tnr seines Wertes genau, so ist es auch der Logarithmus bis auf 3 Stellen. — Dies bedeutet, daß z. B. die Logarithmen von 2400 und 2401 sich in 3 Stellen nicht unter- scheiden. [Fünfstellig hat man log 2400 = 3,38021 log 2401=3,38039.] Nun ist 2400 = 8-3- 100, 2401 = 7*, also kann der dreistellige Logarithmus von 7 dadurch gefunden werden, daß man mit den Logarithmen von 2, 3 und 5 den von 2400 be- rechnet, ihn gleich dem von 2401 setzt und dar- aus den Logarithmus von 7 sucht, wie es unten geschieht. IIL Um nun planmäßig die Potenzen der Prim- zahlen zu suchen, die Potenzen von 10 nahezu gleich sind, schreibe man zunächst eine größere Reihe von Potenzen von 2 und 3 auf Die fol- gende Tabelle enthält sie bis 2'*" und bis 3-'. 2 2048 2097 152 4 4096 4194304 8 8 192 8388608 16 16384 16777216 32 32768 33554432 le Wochenschri ft. N. F. m. Nr. 13 64 65536 67 108864 128 131 072 134217728 256 262 144 268435456 512 524 288 536870912 1024 1048 576 1073741824 3 177 147 9 531 441 27 1594323 81 4782969 243 14348907 729 43046721 2 187 129 140 163 6561 387420489 19683 I 162261 467 59049 3486784401 3 -'= 10460353203 Hier unterscheiden sich um etwa tAtf ^o"" einander 2" = =65536 und io-3« = = 65610. Denn der tausendste Teil ist bei beiden Zahlen etwa 66, die eine aber ist nur um 74 kleiner als die andere. Wir wollen daher setzen 2^®=^ 10-3* oder i61og2 = 81og3+ 1. Ebenso können wir die Zahlen 10460353203 und 1048576-10^ für unseren Zweck einander gleich setzen, so daß sich ergibt 20 log 2 =: 2 1 log 3 — 4. Aus diesen beiden Gleichungen erhalten wir 176 log 2 ^53 und 176 log 3 = 84, also log2 = i\\ = 0,30i log 3 = tV^ = 0,477- Aus log 2 = 0,301 folgt ohne weiteres log 5 = 0,699. IV. Für die folgenden Primzahlen suche man Po- tenzen, die bis auf einen Fehler von etwa yVött mit Zahlen übereinstimmen, die durch schon behandelte ausdrückbar sind. I\Ian findet 7^ ^ 2401 und 2400 = 2''-3 - lO"^, also können wir setzen 4 log 7 = 3 log 2 + log 3 + 2 = 0,903 +0,477+2 = 3,380 log 7 = 0,845. ir''= 161051 wird gleich 161 000 oder gleich 7-23-10^ gesetzt, 23^ = 279841 gleich 280000 oder 2--7-io^ Also ist 5 log II = log 7 + log 23 + 3 4 log 23 = 2 log 2 + log 7 + 4 20 log 1 1 = 5 log 7 + 2 log 2 + 16 = 4,225 -\- 0,602 + 16 = 20,827 log II = 1,041. 13^=2197 wird gleich 2200 gesetzt. Man hat 3 log 1 3 ^ log 2 + log 1 1 + 2 = 3.342 log 13= i,>i4- N. F. III. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 195 17-' r= 4913 kann gleich 4900 gesetzt werden; dabei ist zwar der Fehler bei log ij'' etwas zu groß, aber nicht bei log 17, wo er auf den dritten Teil zurückgeht. 3 log I7 = 2l0g7 + 2 = 3.690 log 17= 1,230. 19*^130321 kann gleich 130000 gesetzt werden. 4log 19 = 1,114 + 4 log 19= 1,279. Die folgende Tabelle gibt für die Primzahlen unter 100 die benutzten Potenzen, die benutzten Näherungswerte und die damit berechneten Loga- rithmen. Primzahl- potenz Wahrer \Vert Näherungs- wert Logarithmus 23^ 279841 280000 1,362 29'^ 841 840 1,462 31^ 961 960 1.49' 37' I 874 161 I 870000 1,568 41* 68921 69000 1,613 43' 1849 1850 1.633 47' 2209 2210 1,672 S3' 2809 2808 1.724 59'^ 3481 3480 1,771 61^ 3721 3720 1,785 67* 300763 300000 1,826 71' 5041 5040 1,851 73' 5329 5330 1,863 79' 6241 6240 1,898 .83^ 6889 6890 1,919 89^ 7921 7920 1,949 97' 9409 9408 1,987 Daß die Reduzierung auf einen Näherungswert in den angegebenen Grenzen auf die drei ersten Stellen der Mantisse keinen Einflui3 hat, kann man auch am Beispiel so zeigen. Aus 9400 ^ 2 •47- 10'^ 9405 =5-9-ii-i9 9408 ^ 3 • 49 • 64 statt 9409 erhält man stets 2 log 97 = 3,973. V. Kommt es nur darauf an, zu zeigen, wie etwa eine dreistellige Logarithmentafel berechnet werden kann, so genügt das in III und IV benutzte Ver- fahren. Will man darauf hinweisen, wie eine be- liebige Genauigkeit erzielt werden kann, so gehe man folgendermaßen vor. Die Tabelle der Potenzen von oio = 1024 ^ I 048 576 = 1073741824 = 1099 511 627776 = 1125 899 906 842 624 = I 152921 504606846976 zeigt die Werte 220 .,30 t')0 oüO 2 '" := I 1 80 59 1 620 7 1 7 4 II 303 424 2"" =1208925819614629174706176 2«o = I 237940039285 38027489g 124224 2ioo-_ I 267650600228229401 496703 205 376. Multipliziert man diese Zahlen mit 8, so findet man 2"^ dicht vor einer Potenz von 10, 2'"* dicht hinter einer solchen. Es ist 2»-'< lo-s und 2l''3> io31. Also ist TVj lO«- ist. Da aber 2'"= 1024 ist, also das Produkt einer Zahl mit 1024 sich von dem mit 1000 gebildeten nur wenig unterscheidet, so muß auch 2'"" nahezu gleich 10°" sein. Da 2^»« = (126 765...). (123794. ..)-64 = 1028 . . . ist, so findet man TV^ioi'' 3-äio-" und 3^''-< 10'-'. Da aber die ersten Stellen von 3^'- gleich 109418, und die von 3" gleich 887303 sind, so sind die ersten Stellen von 3" gleich 98477, und es ist 3^->io-» 3^* loi» 7^*< 10", oder i^3<;io" io*i-< 59''^<; 10"- usw. Hat man über den Logarithmus einer Zahl gar keinen Anhalt, so bleibt nichts übrig, als eine möglichst große Reihe von Potenzen aufzuschreiben und daraus diejenigen zu bestimmen, die Potenzen von 10 benachbart sind. \^erwandelt man die Logarithmen der fünf- oder mehrstelligen Tafeln in Kettenbrüche, so wird diese Arbeit sehr ge- kürzt. Dabei zeigt sich aber, daß für die fort- schreitende Genauigkeit nicht alle Näherungswerte in Betracht kommen, die durch Potenzieren oder Multiplizieren der ersten sich ergeben. Zum Bei- spiel erhält man für log 2 aus der folgenden Division 100 000 9691 421 45 5 2 30103 3 1030 9 188 2 8 5 3 I I 2 die Näherungswerte Ol 3 2S 59 14R ,,c!„r T' -5' TlT' -51' T9(I' 7^f "SW. Schon 1^1=0,30103 liefert den Logarithmus auf 5 Stellen genau. Aus der Reihe 11)3 \/Og 2 <^^^ fehle aber ÜTl (^V^<)TVü/^ = 0,30107 0,30100, ^V5 = 0'30I04 MJ = 0,30102, ^^1 = 0,30105. ^■"St iil ) 10^*) 14 liefert die Beziehung 87^'^'^ 10^°. Man kann also bei der Berechnung der Potenzen von 877 bis zur I7ten beliebig viele auslassen. Darum rechnet man wobei die einge- klammerten Poten- zen von 10 die An- zahl der nicht aus- geschriebenen Stel- len durch die gleiche Anzahl von Nullen nachweisen. Aus den Ungleichungen 877''> 10'^" u. 877^*< I0-" erhält man durch Potenzieren 877^*>io>"» 8773«< lo'»" 877" > loi»" 877'-' < 10'»» usw. Die erste führt auf den Zwischenwert Sjj^'', die zweite auf 877°- und 877^'', die zu prüfen sind. Man findet 877^^ = 1009 (• 10""), also 877^ 877* 877« 8771«= I22( 877>' = io7(.io''ä)>io'^ 877»* = 942 (• I0'*''j < lO'* 877^5-^ IQlOS 877'- 877 »^ i77'^''< io"8; ferner ist 877i'>io'»8 877is<;ioi Folglich hat man ^ = 2,941 18 < log 877 < 2,94444 = fl V/ = 2,94286 < log 877 < 2,94444= V^6 V^/ ^ 2,94231 < log 877 < 2,94340 = V-j» usw. Bestimmt man den Kettenbruch und die Nähe- rungswerte mit einer siebenstelligen Tafel, so bleiben die ersten Werte konstant, die anderen ändern sich und führen auf andere Ungleichungen zwischen Potenzen von 10 und dem Numerus. Für die Berechnung der Logarithmen ist das aber natürlich ganz gleichgültig. Die vorliegende Theorie besagt, daß man unter den Potenzen des Numerus zwei auswählt, die von unten und von oben an N. F. III. Nr. n Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 197 Potenzen von lü herankummen. Durch l'otenzieren der beiden zuerst gefundenen kommt man zu neuen, zwischen denen noch andere liegen, die den gesuchten Logarithmus in immer engere Grenzen einschließen. Dabei dient, wie gesagt, der vor- handene Logarithmus und der daraus hergeleitete Kettenbruch nur als Wegweiser. Der Schüler, den man so rechnen läßt, wird leicht einsehen, daf3 man in Ermangelung anderer Methoden auf diese Weise die Logarithmentafeln berechnen könnte. Wer es etwa zuerst so gemacht hätte, der hätte in Unkenntnis des schließlichen Ergebnisses natür- lich länger suchen müssen, als der, der heute mit den Näherungswerten als Führern sucht. Kleinere Mitteilungen. Der Laubwechsel tropischer Bäume betitelt sich ein Aufsatz von Prof. Dr. tj. Volkens in der Gartenflora (Berlin, Gebrüder Bornträger, 1903). — Der Wechsel der Jahreszeiten wird uns Nord- ländern durch nichts so sinnfällig gemacht, als durch das fallende Laub im Herbst und das neu treibende im Frühjahr. Wir sprechen von einem Schlafengehen der Natur zum Winter hin und von ihrem Wiedererwachen im Lenz. Daß es auch bei uns eine ganze Reihe von Bäumen und Sträuchern gibt (z. B. Coniferen, Buchsbaum, Stecheiche), die immergrün sind, bei denen zum mindesten das Fallen der Blätter an keine bestimmte Jahreszeit gebunden ist, daran denken wir meist nicht. Die Abhängigkeit des Laubwechsels von klimatischen Faktoren wird allgemein als feststehende Tatsache angesehen. Bei dieser Sachlage muß es auffällig erscheinen , daß verhältnismäßig spät erst von Botanikern an die Lösung einer Frage heran- gegangen wurde, welche doch sehr nahe liegt, an die nämlich: Wie verhalten sich die Holzgewächse bezüglich der Lauberneuerung in Gegenden, wo das Wetter das ganze Jahr über völlig oder un- gefähr dasselbe bleibt, wo insbesondere immer gleiches Sonnenlicht strahlt, wo reichliche Regen- mengen und hohe Temperatur in keinem Monat einen Stillstand der Vegetation bedingen? Sein Aufenthalt in Buitenzorg durch 7 Monate gab V. Gelegenheit, Schimper's diesbezügliche all- gemeinere Feststellungen im einzelnen zu verfolgen. Buitenzorg hat den Nachteil, daß von einem sich das ganze Jahr über durchaus gleichbleibenden Klima nicht die Rede sein kann und zwar darum nicht, weil ein Wechsel zwischen einem regen- reichen und einem regenärmeren Jahresabschnitt besteht. Man darf aber nicht vergessen, daß Ört- lichkeiten, die ein durchaus das ganze Jahr über sich gleich bleibendes Klima besitzen, überhaupt auf der Erde nur spärlich gesät sind. Eine weit verbreitete Mein'ung ist, daß in legen- reichen Tropenländern die Natur nie zur Ruhe komme, daß Werden und Vergehen sich ohne Pause aneinanderschließe. Mit Bezug auf den Laub- wechsel hieße das: die Bäume treiben fortdauernd, lassen an der Spitze aller Zweige unaufhörlich neue Blätter hervorsprießen, während früher ge- bildete in der Reihenfolge ihrer Entstehung zum Abfall gelangen. Ein solches Verhalten kommt nun allerdings vor, es ist aber äußerst selten. V. kann nur zwei Bäume nennen, bei denen er es konstatierte, Albizzia moluccana, eine Leguminose, und Filicium decipiens, eine Sapindacee. Albizzia ist ein Baum, der es in 18—20 Jahren auf eine Höhe von 30 und auf einen Umfang von 2 — 3 m bringt. Mit unglaublicher Schnelle schießt er wie eine Staude empor, nimmt anfangs an jedem Tage um I mm im Umfange zu, stirbt aber zu einer Zeit bereits wieder ab, wo viele unserer Bäume erst in das tragfähige Alter kommen. Mit diesem beschleunigten Abspinnen des Lebenszyklus mag es zusammenhängen, daß Albizzia moluccana und Filicium decipiens keine Periodizität des Treibens zeigen. Bei allen übrigen Bäumen trat dieselbe in augenfälligster Weise auf Die Zahl der Bäume, bei denen der Laubwechsel sich ähnlich vollzieht, wie bei unseren Buchen, Eichen, Linden usw., bei denen sämtliche alten Blätter fallen, bevor neue gebildet werden, ist auch in den regenreichsten Tropengegenden sicher viel größer, als man ge- meinhin annimmt. Fast alle Holzgewächse, deren Laub krautig ist, nicht die Textur etwa des Lorbeer- oder Oleanderblattes hat, gehören hierher. Wenn die meisten Reisenden trotzdem den tropischen Wald als immergrün erklären, so liegt dies daran, daß einerseits bei vielen Arten die Zeit, während der einzelne Baum kahl steht, eine sehr kurze ist, sich auf wenige Tage beschränkt, und daß anderer- seits die verschiedenen Individuen ein und der- selben Art ihr Laub nicht zu gleicher Zeit fallen lassen. Wenn man die Bäume, die völlig kahl werden, in Gruppen sondert, so treten einem besonders auffällig diejenigen entgegen, welche ihr Laub mehrmals im Jahre verlieren. Von einem Feigen- baum, Ficus hirta, sah V. zu jeder Zeit einzelne Exemplare kahl stehen, andere im vollen Laube, noch andere entweder dabei, eben die Blätter ab- zuwerfen oder neue zu treiben. Die genauere Prüfung ergab, daß diese Art den Laubwechsel regelmäßig in Fristen von 4^/2 — S'/.j Monaten voll- zieht, daß die einzelnen Exemplare 3 — 5 Tage kahl stehen, daß das \yerfen 8 — 10 Tage, die Wiederbelaubung vom Öffnen der Knospen bis zur völligen Ausbildung der Blätter i'/.j— 2V2 Wochen erfordert. Pongamia glabra, eine Legumi- nose, die an allen tropischen Küsten gemein ist, wirft das gesamte Laub zweimal im Jahr, im Januar und im Juli, ebenso Terminalia belerica, während Terminalia Catappa meist im Frühjahr und wiederum im Herbst ein neues Blätterkleid anzieht. Ein Schritt weiter führt zu Arten, die alle S— 10 Monate wechseln, bei denen also das ein- igS Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 13 zelne Exemplar in diesem Jahr vielleicht im August, im nächsten im Juni, 1905 im März für kurze Zeit blattlos wird. Arten, die sich in der Richtung genau wie unsere Bäume verhalten, daß sie sich regelmäßig nur im Frühjahr neu belauben, kommen auch vor, aber sie sind keine alb.u häufige Erschei- nung. Fassen wir das Werfen als Einzeltatsache ins Auge, so ist zunächst zu bemerken, daß es physio- logisch wie bei uns durch das Auftreten einer Korklamelle veranlaßt wird, die am Grunde des Blattstiels auftritt und den in den Leitungsbahnen der Zweige sich fortbewegenden W'asserstrom ver- hindert, weiterhin in das Blatt überzutreten. Das Laub wird gelb danach, in vielen Fällen aber auch rot. Der Abfall geschieht entweder gleichzeitig, indem alle Äste auf einmal werfen, oder er be- ginnt an der Spitze und setzt sich zur Basis der Krone fort — auch das Umgekehrte tritt ein — oder endlich es verliert ganz unregelmäßig heute dieser, morgen jener Ast seine Blätter. Ebenso wechselnd ist die Zeit, in der der Laubfall sich abspielt. Bei der einen Art umfaßt sie wenige Tage, bei der anderen Wochen, ja sogar Monate. Auch die Zeit des Kahlstehens ist außerordentlich verschieden. Terminala Catappa kann heut das letzte Blatt fallen gelassen haben und am nächsten Morgen öfifnen sich bereits allenthalben die jungen Knospen. Pongamia glabra stand mehr als 5 VVochen kahl, zwei Exemplare der Albizzia lebbek ver- harrten volle 6 Monate im Zustande der Winter- ruhe. Bei der einen Art vergehen im weiteren kaum 8 Tage und der vorher kahl gewesene Baum prangt wieder in vollem Schmuck seines Blätter- kleides, bei der anderen zieht sich die Wieder- belaubung vom ersten Sichtbarwerden neuer Blätter bis zu deren Heranwachsen zu normaler Größe viele Wochen lang hin. Als eine zweite Gruppe von Bäumen seien solche zusammengefaßt, die, ohne völlig kahl zu werden, doch an den einzelnen Zweigen das ge- samte Laub wechseln. Das kann sich in dreierlei Weise abspielen, einmal, indem die Neubelaubung allenthalben zugleich mit dem Fallen eintritt, dann, indem die Blätter erst abgeworfen werden, nach- dem die neuen bereits fertig ausgebildet sind, end- lich, indem ein Ast nach dem andern oder deren viele zugleich werfen und von neuem treiben, während der Rest vorläufig noch in Ruhe bleibt. Der letzte Fall kommt darauf hinaus, daß die Krone nicht in der Gesamtheit, sondern partie- weise, in Intervallen, die Belaubung erneuert, so ist's bei dem bekannten Brechnußbaum, Strychnos nux vomica. Mitte April sah man an ihm unter- mischt zweierlei Äste: solche, an denen alles alte Laub abgefallen war und an denen eben neben Blüten junge, rötliche Blätter hervorbrachen, und andere, an denen sich das dunkelgrüne, alte Laub noch vorfand. 14 Tage später warfen auch die letzteren und in weiteren 8 Tagen waren auch sie wieder frisch ergrünt. — Ein am Ende der Reihe stehendes Beispiel ist eine Zizyphusart. Ein Exem- plar derselben fiel Mitte Januar dadurch in die Augen, daß es in dem Grün seiner eiförmigen Krone zwei voneinander getrennte, mehrere Quadrat- meter große, zirkumskripte Stellen gewahren ließ, welche sich durch schön rosenrotes, eben zur Ent- faltung gekommenes Laub auszeichneten. Es ge- hörte, wie eine nähere Prüfung ergab, zwei vom Stamm abgehenden Ästen an, die an sämtlichen ihrer letzten , buschig gehäuften Auszweigungen eben neu getrieben hatten. Das rote Laub wurde nach 4 — 5 Tagen grün, war aber durch seine lichtere Tönung noch 6 Monate später von dem älteren Laube wohl zu unterscheiden. Anfang April wiederholte sich das Spiel und ebenso im Juni; beide Male waren es abermals je zwei der Hauptäste, die einen vollständigen Blattwechsel vollzogen. Es gibt — wie gesagt — auch Arten, die das alte Laub — und zwar vollständig — erst ver- lieren, nachdem das neue sich gebildet hat. Durch diese werden wir zu den immergrünen Bäumen im engeren Sinne hinübergeführt. V. versteht dar- unter solche, bei denen wir zu jeder Zeit im Jahr zum mindesten zwei Blattschübe unterscheiden können. Ein Blattschub ist die Gesamtheit aller Blätter, die eine Zweigknospe vom Beginn bis zum Abschluß eines einmaligen Treibens erzeugt. An einem Zweige sind drei Blattschübe vorhanden, wenn die noch in Funktion befindlichen Blätter an ihm gruppenweise in drei verschiedenen, auf- einander folgenden Zeitabschnitten entstanden sind, die 5 untersten beispielweise im März, die fünf höheren im Juli und die 5 letzten am Gipfel im November eines Jahres. Die einzelnen Schübe sind meist streng voneinander zu unterscheiden. Schub von Schub setzt sich zumeist durch die sichtbar bleibenden Narben abgefallener Knospenschuppen ab. Häufig sind die ersten Blätter eines neuen Schubes kleiner oder größer als die letzten des vorhergegangenen Schubes, manchmal beginnt auch der neue Schub mit einem Blattpaar, das eine von den folgenden durchaus abweichende Gestalt hat, ja es kommt vor, daß immer abwechselnd der eine Schub kleine, der nächste größere Blätter erzeugt. Bei vielen hierzulande kultivierten Rhododen- dronarten und Pirolaceen kann man beobachten, daß die Blätter an den aufrechten Zweigen zu Etagen übereinander geordnet sind, immer eine Mehrzahl spiralig inserierter ist durch ein blatt- freies Zwischenstück von der höheren wie von der tieferen Gruppe geschieden. Jede Gruppe bildet nach V.'s Terminologie einen Blattschub. Solche etagenartig übereinander — oder auch wohl an horizontalen Ästen nebeneinander stehenden — Blattschöpfe sind bei tropischen Bäumen unge- mein häufig. Sie werden vielfach dadurch ver- anlaßt, daß das erste Internodium zu einem finger- bis handlangen Zweigstück auswächst, während die folgenden ganz kurz bleiben. — Lassen uns alle die aufgeführten Merkmale im Stich, so können wir die einzelnen Blattschübe mitunter durch ein nur in den Tropen mögliches Kennzeichen scharf N. F. III. Nr. I Natiirvvissciisrhaftlichc Wochenschrift. 199 voneinander sondern, durch ihre Bedeckung mit epiphytischen Mechten und Algen nämlicli. Die immergrünen Bäume lassen sich in zwei Klassen bringen. Bei den einen geraten sämtliche oder doch die ganz überwiegende Zahl der Knd- knospen bzw. auch vereinzelte .Seitenknospen zu gleicher Zeit ins Treiben, bei den anderen immer nur ein kleinerer oder größerer Bruchteil aller. Was die ersteren angeht, so ist es ein sehr ver- breiteter Fall, daß der Baum sich über und über mit neuen hellgrünen, bleichen, sehr häufig auch roten Blättern bedeckt, bald nachdem oder kurz vordem die Blätter des vorvorletzten .Schubes ab- gefallen sind. An solchen treffen wir dann dauernd zwei Blattschübe in Funktion, einen jüngeren und einen älteren, einen hell- und einen dunkelgrünen. Daß drei I^lattschübe immer gleichzeitig vorhanden sind, kommt auch noch häufig vor, vier, fünf und mehr sind zum wenigsten an alten, ausgewachsenen Bäumen eine Seltenheit. — Die immergrünen Bäume der zweiten Klasse, die sich dadurch aus- zeichnen, daß immer nur eine beschränkte Zahl von Knospen neue Blätter entstehen läßt, weisen im einzelnen eine große Mannigfaltigkeit der hier- her gehörigen Erscheinungen auf. Wir stoßen auf Arten, bei denen zu jeder Zeit, wann wir auch den Baum betrachten mögen, einige wenige oder auch eine größere Zahl von Zweigspitzen mit eben sich entfaltendem Laube bedeckt sind, während alle übrigen in Ruhe erscheinen, und wir sehen andere, die in ganz regelmäßigen Intervallen von VVocIien und Monaten einen Teil ihrer Knospen zum Ausschlagen bringen. Für beide gilt, daß die jeweilig obersten Blätter an den verschiedenen Auszweigungen der Krone ungleichen Alters sind, denn die einen können ja vor acht Tagen, die anderen vor acht Monaten erzeugt worden sein. Eine bestimmte Gruppe unter den immer- grünen Bäumen stellen diejenigen dar, welche nach der Ausdrucksweise Treubs ihr Laub , .ausschütten". Wir bemerken an ihnen, daß eine Anzahl Blatt- knospen zu gleicher Zeit mächtig anschwellen, alle zusammen in einer Nacht aufbrechen und dann am Morgen als das Produkt jeder einzelnen ein ganzes Büschel fast völlig ausgewachsener, schlaff herunterhängender, lichtgrüner, weißer oder roter, neuer Blätter gewahren lassen. Das Merkwürdigste dabei ist, dal:! dieses Ausschütten, das von monate- langen Pausen unterbrochen wird, alle im Buiten- zorger Garten vorhandenen Exemplare einer Art fast genau zu derselben Stunde befällt. Wir haben da ein Seitenstück zu einer von Went ausführ- licher erörterten Tatsache, die auch Schimper er- wähnt. Dieser sah im Buitenzorger Garten am 13. Dezember 1889 ausnahmslos alle Exemplare einer epiphytischen Orchidee, Dendrobium cru- menatum, genau zur selben Zeit ihre weifSen Blüten öffnen und dasselbe am 19. Januar 1890 an allen ihm zu Gesicht kommenden Exemplaren der Art in der Umgebung der Stadt Samarang geschehen. Eine weitere Besonderheit bot die Dammara- fichte, Agathis Dammara, dar. Betrachtet man deren letzte Auszweigungen, so findet man sie von einem kurzen, zentralen Endgliede und einem meist dreigliedrigen Quirl von Seitenzweigen gebildet. Endglied wie Seitenzweige schließen mit einer Knospe ab. Das Treiben gestaltete sich nun so, daß erst, am 10. Mai, die Knospen des Endgliedes ausschlugen und bis zum 20. Mai ein neues, reich beblättertes, aus einem zentralen und drei Seiten- zweigen bestehendes Achsensystem lieferten. Dann trat Ruhe ein bis zum 8. Juni, wo ein neues Treiben anhub, das aber diesmal nur die End- knospen der im Quirl stehenden Seitenzweige er- faßte und deren einfache Verlängerung bewirkte. Ganz eigenartige Verhältnisse bieten einige Ver- treter der Meliaceen-Gattungen Chisocheton, Aglaia und Dysoxylon dar. Bei ihnen hat nicht nur der Zweig am Ende eine Knospe, mit der er ab- schließt, sondern auch jedes einzelne der großen, paarig gefiederten Blätter. Beiderlei Knospen treiben periodisch aus , durch die Tätigkeit der einen wird der Zweig verlängert, durch die der anderen fügt das Blatt den schon vorhandenen Blättchenpaaren ein paar neue hinzu. Wir unterscheiden bei unsern Bäumen und Sträuchern Zweigknospen mit begrenztem und solche mit unbegrenztem Wachstum. Eine Roß- kastanie, die begrenzte Knospen hat, bildet aus diesen im Frühjahr schnell hintereinander gewöhn- lich 5 — 7 Blätter, dann \erharrt der Zweig bis zum nächsten Jahr in Ruhe. Eine Weide mit un- begrenzten Knospen schlägt im März oder April aus, es entstehen neue Seitenzweige und diese ver- längern sich den ganzen Sommer hindurch, pro- duzieren an der Spitze fortdauernd neue Blätter, bis der Herbst einen Stillstand eintreten läßt. Be- grenzte und unbegrenzte Knospen treffen wir nun auch bei den Bäumen des tropischen Waldes an, jedoch mit der Einschränkung, daß unbegrenzte sehr selten sind. Die Regel bilden begrenzte Knospen, d. h. also solche, die beim jedesmaligen Treiben nur eine beschränkte Zahl von Blättern liefern, oft sogar eine ganz bestimmte, für die Art konstante. Was das Werfen der immergrünen Bäume an- betrifft, so kann es ein periodisches sein wie das Treiben, bei sehr vielen Arten ist es aber im Gegen- satz dazu ein unperiodisches. Wir sehen im letzteren Fall das neue Laub in bestimmten Intervallen an allen oder wenigen Zweigen hervortreten, das alte aber löst sich vereinzelt das ganze Jahr über ab; an welchem Tage wir auch einen Baum ins Auge fassen, immer werden wir eine größere oder kleinere Zahl gelber Blätter an ihm sehen, die dicht vor dem Abfall stehen. Was ist denn nun wohl der Grund, daß auch in Gegenden, wo das ganze Jahr über ein gleich- mäßiges Klima herrscht, dennoch bei der Laub- erneuerung ein ständiger Wechsel zwischen Perioden der Tätigkeit und Perioden der Ruhe zu beob- achten ist. Wir nehmen es als selbstverständlich an, daß es bei uns die Kälte ist, die die Blätter zum Abfall bringt, und die steigende Wärme, die 20O Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 13 sie im Frühjahr wieder hervorlockt. Unterschiede zwischen einer warmen und kalten Jahreszeit existieren aber in Java überhaupt nicht, und die Unterschiede zwischen den regenreicheren und den regenärmeren Monaten sind zu geringfügig, als daß wir ihnen einen tiefgreifenden Einfluß zuschreiben könnten. Wir erfuhren ja auch, daß die eine Art ihr Laub vielleicht im Juli, die andere im Dezember wechselt und es ist hinzuzufügen, daß selbst die verschiedenen Individuen ein und derselben Art in dieser Beziehung ein sehr ungleiches Verhalten zeigen. Das Klima kann es also jedenfalls nicht sein, das als Urheber der Periodizität angesprochen werden könnte. Was nun aber sonst .' Wir müssen gestehen, wir wissen es nicht. Bei den Erscheinungen des Laubwechsels stehen wir vor Rätseln. Zwei Exemplare des Legumi- nosenbaumes Schizolobium excelsum besaßen im Januar je einen starken, \'om Stamm ausgehenden Ast, der völlig laublos war, während die übrigen Äste reich beblättert waren. Jeder würde diese beiden Äste für tot gehalten haben und dies um so mehr, als sie volle drei Monate lang keine Spur wieder erwachenden Lebens zeigten. Dennoch waren sie nicht tot, sie hatten nur geschlafen. Im Mai schlugen sie wieder aus und waren vier Wochen später von ihren Genossen nicht mehr zu unter- scheiden. Derartige „schlafende" Äste sind auch bei anderen Arten verbreitet, so namentlich an einem Obstbaum der Tropen, der Sapindacee Lan- sium domesticum , doch fallen sie hier darum weniger auf, weil sie nicht der ersten, sondern einer höheren Ordnung angehören. ixl "" Über photographische Wirkungen im Dunkeln. — Gelegentlich von Versuchen, die ich im Laufe des letzten Jahres zu dem Zwecke an- stellte, um das Verhalten belichteter Uransalze zu beobachten, kam mir folgende Erscheinung unter: Auf weißes Papier wurden mittels Uranitrats einige Worte geschrieben, das Papier sodann für kurze Zeit dem Sonnenlicht ausgesetzt und, im Dunkeln mit einer Bromsilberplatte bedeckt, einen Tag der Einwirkung überlassen. Zu meiner LTber- raschung zeigte sich bei der Entwicklung anstelle eines erwarteten verkehrten Positivs ein Negativ. Das belichtete Uransalz hatte also nicht auf die Platte gewirkt, dagegen zeigte weißes, besonntes Papier eine deutliche Wirkung auf die photo- graphische Platte. Dadurch wurde ich auf das Verhalten belichteten Papiers aufmerksam gemacht und ich stellte eine Anzahl von Versuchen an, welche mir ergaben, dal3 weißes oder in ent sprechender Weise gefärbtes Papier, die Eigen- schaft hat , nach intensiver Belichtung durch Sonnenlicht, auch nach Aufhören derselben noch längere Zeit chemisch wirksame Lichtstrahlen aus- zusenden , welciie auf die photographische Platte wirken. Da mir mein Beruf nicht gestattet, die Sache weiter zu verfolgen, teile ich hier einige gemachte diesbezügliche Beobachtungen mit , in der Hoff- nung, daß andere berufene Forscher die Sache weiter verfolgen werden. 1. Man setzt weißes, schwarz oder rot be- drucktes Papier M einige Minuten dem Sonnenlicht aus, legt dann möglichst bald auf die besonnte Seite in der Dunkelkammer eine Trockenplatte und läßt einige Stunden bis einen Tag liegen. Nun entwickelt man mit einem der gewöhnlichen, kräftigen Entwickler und erhält ein, je nach der Beschaffenheit des Papiers, schwächeres oder kräftigeres Negativ des Druckes. Lag das Papier vorher längere Zeit im Dunkeln und bedeckt man während der Besonnung einzelne Stellen mit schwarzem Papier, das während des Kontakts mit der Bromsilberplatte natürlich wieder entfernt wird, so erweisen sich diese Stellen als unwirksam, ein Beweis, daß tatsächlich die Belichtung und nicht etwa chemische Einwirkung des Papiers auf die Platte, die Ursache der Schwärzung derselben ist. 2. Versuche mit Sonnenlicht, welches durch farbige Gläser filtriert wurde, ergaben folgendes: Belichtung mit Licht des Spektrums von rot bis blau hatte keine Wirkung, violettes Licht wirkte weitaus am besten. 3. Nicht alles weiß scheinende Papier gibt gleich gute Resultate. Papier mit einem Stich ins gelbliche oder rötliche wirkt schwach oder gar nicht. 4. In der Masse blau gefärbtes Papier wirkt sehr stark ^) , doch ist nicht alles blauaussehende Papier gleich wirksam. Anderes gefärbtes Papier wirkt schwach oder gar nicht." ) 5. Holzstoffreiches Papier (selbst gelblich ge- färbtes) wirkt sehr energisch. 6. Läßt man ein kräftiges Spektrum auf weißes, längere Zeit im Dunkeln gelegenes Papier ein- wirken , so zeigt sich , daß die Wirkung erst im violetten und ultravioletten Teil auftritt, d. h. daß nur jene Stelle des Papiers, welche unter dem Einfluß des violetten und ultravioletten Teiles des Spektrums stand, photographisch wirksam wird. Infolge der gemachten Beobachtungen wurden mii' einige bisher unerklärliche Erscheinungen an käuflichen Trockenplatten erklärt. Wiederholt zeigen sich die oberen Platten solcher Pakete, welche in weißem Pajsier eingewickelt waren, ver- schleiert. Besonders gilt dies von Entwicklungs- papieren. Nach dem Mitgeteilten sollte die licht- empfindliche Schicht derartiger Papiere nicht auf solches weißes Papier aufgetragen werden, welches vorher längere Zeit dem Tageslicht ausgesetzt war. Die meisten Platten zeigen an zwei gegenüber- liegenden Stellen am Rand nach dem Entwickeln dunklere Streifen. Sie rühren von den weißen ') Auch Schriften mit anderen Stoßen (Tinte , farblose Salze) verhindern die photochemischc AUtion des belichteten Papiers und liefern daher Negative. ^) Sehr stark wirkt z. B. das dem käuflichen Kalzium- Brillantpapier beigegebene blaue Papier mit der Gebrauchs- anweisung. ^) So scheint Ultramarinblau unwirksam zu sein. Ks wäre gut, wenn verschiedene Farbstoffe, bzw. auch .Vnilin- farben, auf ihre photochemische Wirksamkeit geprüft würden. N. 1'. III. Nr. I-, Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. 201 Papierzwischenlagen her, welche zur Trennung der Platten eingelegt werden. Zur Erklärung der Erscheinung mag hier be- merkt werden, daß es sich wahrscheinlich um auch nach der PCrregung fortdauernde Lichtschwin- gungen nach Art jener in der sogen. Leuchtfarbe handelt. Prof. Dr. J. Blaas, Innsbruck. Die Birkeland'sche elektromagnetische Kanone. — Die skandinavische Fachpresse hat in jüngster Zeit die Besprechung der Professor Birke- land'schen elektromagnetischen Kanone wieder auf- genommen. Bekanntlich besteht das Prinzip dieses Apparates darin, daß ein Eisenkern in ein Sole- noid hineingezogen und am anderen Ende heraus- geschleudert wird. Dies Prinzip war freilich nicht neu, und was der Erfindung des norwegischen Gelehrten ihren eigentlichen Wert verleiht, ist die Methode, nach der mit verhältnismäfiig geringem Energieverbrauch und ohne P\inkenbildung gute Resultate erzielt werden. Wenn man ein Geschoß vermittels einer elek- trischen Kraft in das Innere einer Spirale hinein- saugt, so wird dasselbe magnetisch und bleibt in cler Mitte des Solenoids stehen, wo die beiden entgegengesetzten Kräfte, die auf dasselbe ein- wirken, sich das Gleichgewicht halten. Wenn man den Strom gerade in diesem Augenblicke unterbricht, so geht der Kern weiter und fliegt, wenn die Stromstärke beträchtlich war, mit sehr bedeutender Kraft hinaus. Die zu lösende Schwierig- keit liegt in der Art der Stiomunterbrechung. Die Birkeland'sche Kanone besteht aus einer Reihe kurzer und platter Elementarspulen, in denen nacheinander der Strom unterbrochen wird, je nach- dem der vordere Pol des Geschosses an den Spulen vorbeipassiert; auf diese Weise haben dieselben keine merkliche Einwirkung auf den Hinterpol des Geschosses. Zu diesem Zwecke werden die Ver- bindungen durch Stromunterbrecher gebildet, die in einem in der Kanone angebraciiten Längs- einschnitt angeordnet sind. Die Arme dieser .Strom- unterbrecher können gegeneinander verschoben werden, so daß ihr Kontakt zerstört und auf diese Weise der die betreffende Solenoidgruppe durch- fließende Strom unterbrochen wird. Diese Ver- schiebung wird durch einen keilförmigen Stift be- wirkt, welcher auf einem vom Geschoß mitge- nommenen Schlitten aufsitzt. Beim Vorwärts- dringen des Geschosses werden die Kontaktarme nacheinander getroffen und von dem Stift zur Seite geschoben. Um das Eisengeschoß mit Magnetismus zu sättigen , verwendet man eine Spule mit unabhängiger Strom(|uelle. ¥Än be- sonderer Motor, dessen Achse mit dem Hinterteile des Geschosses fest verbunden ist, dient dazu, letzteres vor Beginn seines Laufes in Rotation zu versetzen. Die von Birkeland ausgeführten Versuche haben sehr bemerkenswerte Ergebnisse geliefert. Es ist von Interesse, die bedeutenden Überspannungen zu beachten, welche die Leiter erfahren können. vorausgesetzt, daß diese nur während kurzer Zeit wirken; das Eigenartige der elektromagnetischen Kanone besteht gerade in der Bewirkung sehr be- deutender Überspannung während einiger Hundert- stel Sekunden. Der Strom wird, nachdem er in alle Spulen geschickt worden ist, während des Vorwärtsdringens des Geschosses nacheinander aus einer immer größeren Zahl derselben ausgeschaltet. Der Erfinder hat auch ein Solenoidgeschoß von geringerem Kaliber konstruiert, dessen Ver- wendung besonders bei Stromquellen mit geringem iimeren Widerstände vorteilhaft ist. In diesem Falle empfiehlt es sich, die Solenoide in serie- verbundenen Gruppen anzuordnen, wobei jede Gruppe einen ununterbrochenen Draht darstellt, an dem das Geschoß entlang gleitet. A. Gr. Himmelserscheinungen im Januar 1904. Stellung der Planeten: Merkur ist bis zum 11. abends im SW., gegen Ende des Monats morgens im SO. für kurze Zeit sichtbar. Venus ist als Morgenstern zuletzt noch 1^/4 Stunden lang sichtbar. Mars kann abends im W. immer noch I '2 Stunden lang, Jupiter im SW. zuletzt noch 3 Stun- den lang gesehen werden, während Saturn um die Mitte des Monats unsichtbar wird. Verfinsterungen der Jupitertrabanten: 3. Jan. 9 Uhr 33 Min. 50 Sek. ab. M.E.Z. des 111. Eintritt 4. ,, () ,, II ,, 24 ,, „ „ ,, 1. Austritt 9- V 7 ,. 35 .. 55 >. .. .. ., II- „ II- » 5^ ,, 6 „ 46 ,, ,, „ ,, 1. „ 27- „ 6 n 26 „ 3 „ „ „ „ 1. ,, 31. ,, 4 „ 56 „ 56 ,, „ ,, „ IV. Eintritt 31. ., 6 ,, 23 ,, 29 ,, ,, ,, ,, IV. .-\uslriu Sternbedeckungen: In der Neujahrsuacht wird .\ldcbaran durch den Mond bedeckt. Der Eintritt erfolgt für Berlin um 1 Ulir 51,6 Min. morgens, der Austritt um 2 ühr 8,8 Min. .\ni Abend des 5. Jan. wird o Leonis um 1 1 Uhr 22,0 Min. bedeckt und tritt um 12 Uhr 23,6 Min. wieder hervor. Am 31. wird /. Germinorum um 4 Uhr 8,1 Min. abends bedeckt und tritt um 5 Uhr 0,9 Min. wieder aus. Algol-Minima: Am 12. um 11 Uhr 9 Min. abends, am 15. um 7 Uhr ;S Min. abends und am 18. um 4 Uhr 47 Min. abends. Vereinswesen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde. — Nach der längeren Ruhepause des Sommers nahm die Gesellschaft am Freitag, den 9. Oktober, abends 8 Uhr, mit einem Experi- mentalvortrag des Herrn Professor Gustav A m - berg über „Licht und Farbe " ihre gewohnte Tätigkeit wieder auf Schon geraume Zeit vor Beginn des Vortrages hatte sich der Hörsaal der alten Urania in der Invalidenstraße bis auf den letzten Platz gefült. Nachdem der I. Vorsitzende, Herr Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Kny, die zahlreich Er- schienenen mit warmen Worten begrüßt und ihnen den reichhaltigen ArbeitS[.ilan der Gesellschaft für das Jahr 1903 04 bekannt gegeben hatte, erteilte er das Wort dem mit lautem Beifall empfangenen Herrn Vortragenden. In klarer, anschaulicher Weise behandelte Herr Amberg zunächst das Wesen des physikalischen Vorganges, den wir mit dem Namen „Licht" bezeichnen und der in Wellenbewegungen des alles durchdringenden .\thers besteht; an der Hand ausgezeichneter Experimente erläuterte er 202 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 13 alsdann das Gesetz der Brechung und der Re- flexion des Lichtes in verschiedenen Medien, zeigte die totale Reflexion des Lichtes durch Wasser und Prismen, führte durch Winkelspiegel bezw. Hohl- spiegel erzeugte virtuelle bezw. reelle Bilder vor und erklärte den Gang der Lichtstrahlen durch Linsen an dem holländischen und astronomischen Fernrohr. Die Zerlegbarkeit des scheinbar ein- fachen Lichtes in die Regenbogenfarben, deren Wiedervereinigung zu Weiß experimentell nach- gewiesen wurde, gab Anlaß zu einem näheren Eingehen auf die Spektral- Analyse und das Wesen und die Bedeutung der Frauenhofer'schen Linien. Zum Schluß führte der Herr Vortragende noch eine Reihe von Photographien in den natürlichen Farben mit Hilfe der dreifachen Farbenfilter vor. — Unter Führung des gelehrten Pilzkenners Herrn Prof. P. Hennings vom Königl. Botanischen Mu- seum wurde am Sonntag, den 11. Oktober, vor- mittags eine Exkursion zum Studium der heimischen Pilzflora nach Finkenkrug unternommen. Trotz- dem der am voraufgegangenen Mittwoch herrschende Sturmwind den Waldboden stark ausgetrocknet und die in ungeschützter Lage aufgeschossenen Hut- pilze vernichtet hatte, war das Ergebnis der Ex- kursion doch noch ein verhältnismäßig befriedi- gendes. Im ganzen mögen gegen 50 Arten be- obachtet worden sein. Mit Ausnahme mehrerer Giftpilze , wie Fliegenschwamm , Knollenblätter- schwamm , zerbrechlicher Täubling, Hartbovist, Schwefelkopf, sowie des orangefarbenen Pfifferlings sind die Arten als sämtlich unschädlich, wenn auch nicht in allen Fällen als eßbare Pilze zu bezeichnen. Manche kleinere Arten, so die zarten Mycenen, das Moos-Glöckchen, die Tintenpilze usw. würden sich für diesen Zweck nicht lohnen. In größerer Menge wurde überall an Baum- stümpfen, sowie auch an abgestorbenen Birken- stämmen der Hallimasch, in dichten Rasen auf- tretend, beobachtet. Das strangförmige Mycel des- selben, welches meist den Waldboden durchzieht, ist ein gefährlicher Baumverderber, da es von den erkrankten Wurzeln aus bis hoch in die Stämme hinaufwächst und diese abtötet. Der Pilz hat einen etwas säuerlichen Geschmack, ist aber ein vortreff- licher Speisepilz, welcher gewiß mit Vorteil dem Berliner Pilzmarkte zuzuführen wäre, zumal er oft in ungeheurer Menge auftritt. — Der Lauchschwamm oder sogenannte Museron fand sich vereinzelt auf Heideboden, er ist als Gewürz für Braten und Saucen bekannt genug. Von Ritterlingen wurde die blauviolette Form (Tricholoma personatum) ge- sammelt, welche zwischen trockenem Laub meist häufig vorkommt und eßbar ist. Der Krämpling (PaxiUus involutus) wächst meist in Umgebung von Birken, er wird trotz seines nußfarbigen Aus- sehens, sowie der etwas schleimigen Hutoberfläche vielfach gegessen. Der Nelkenpilz (Marasmius Oreades) ist ein vorzüglicher Suppenpilz, während der lederige (Marimius urens) einen brennenden Geschmack besitzt. Verschiedene Trichterlinge (Clitocybe infundibuliformis, Cl. laccata, Cl. inversa. Cl. flaccida usw.) sind, da sie meist herdenweisc auftreten, gute Suppenpilze von angenehm mildem Geschmack. Der Lackschwamm (Cl. laccata) findet sich bald in amethystfarbener, bald bräunlicher oder gelbrötlicher Form. • — Der auch im rohen Zustande äußerst wohlschmeckende Waldchampi- gnon fand sich nur vereinzelt. Derselbe wird leider oft mit dem giftigen Knollen-BIätterschwamm ver- wechselt, ist aber durch das F'ehlen des scheidigen Stielknollens, durch die bräunlichen Blätter leicht von letzterem, welcher stets weißbleibende Blätter besitzt, leicht zu unterscheiden. Von Milchblätter- schwämmen wurden nur einzelne Arten, die sich meist durch weif31iche, sehr scharfschmeckende Milch auszeichnen, so der rotbraune und der wol- lige Milchling beobachtet. Beide Arten sind trotz des scharfen Geschmackes eßbar, zumal wenn das Aufkochwasser weggegossen wird. Ersterer wird in Ostpreußen , Rußland usw. für den Winter in großen Mengen eingemacht. Auch die meisten anderen Arten sind eßbar. Dies gilt ebenso für die Täublinge, von welchen jedoch der Spei- teufel, sowie der mehrfach bemerkte zerbrechliche Täubling, der in verschiedenen Färbungen vor- kommt, sehr scharf und als giftig verdächtig sind. — Von Röhrenpilzen wurden besonders die Ziegen- lippe, der Maronenpilz, vereinzelt der Butterpilz, der Schmerling und der Kapuzinerpilz gesammelt, dieselben sind sämtlich eßbar. P'erner wurde der kleine Pfeffer-Röhrenpilz hin und « ieder bemerkt, der sich durch brennenden Geschmack leicht be- merkbar macht und jedenfalls verdächtig ist. Ebenso ist der bitteie Röhrenpilz wegen intensiv bitteren Geschmackes nicht el3bar. Fast alle anderen heimischen Arten sind gute Speisepilze. — Von Porenschwämmen wurde an Birkenstämmen mehr- fach der Birken-Porenschwamm in jungen Exem- plaren angetroffen, welche einen milden Geschmack und weiches Fleisch besitzen. — Von Bauchpilzen wurden einzelne Streulinge gesammelt, welche im jungen Zustande eßbar sind. Der Kartofl'elbovist, oft als deutsche Trüffel verwendet, ist im frischen Zu- stande giftig. — Von Hahnenkämmen machte sich nur der kleine kammförmige bemerkbar; derselbe ist wie fast alle Arten eßbar, ebenso der Ziegen- bart, der in großen bis i Kilo schweren Exem- plaren nicht selten an Kiefernstünipfen auftritt. — Die nächste Sitzung fand am Mittwoch, den 28. Oktober, im Bürgersaale des Rathauses statt. Vor Eintritt in die Tagesordnung machte der Herr \^orsitzende die erfreuliche Mitteilung, dal3 die Mitgliederzahl nunmehr das erste Tausend überschritten habe. Darauf erteilte er Herrn Dr. He in rot h das Wort zu seinem Vortrage über das Thema; „Der Vogelzug und seine Ursachen". — Der Vortragende ging von den landläufigen Anschauungen über den Vogelzug aus, denen zu- folge der Zugvogel regelmäßig in großen Höhen unaufhaltsam mit fabelhafter Geschwindigkeit ge- sellig zusammengeschart seinem Ziele zustrebt. Gätke von Helgoland hat mit seinem Werke zum Teil die Schuld an den fehlerhaften Berichten, die N. F. III. Nr. I :! Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 20^ trotz exakter neuerer Forschungen immer noch in der Literatur wieder Platz finden. Man kann unter denjenigen Vögeln, die zum Winter ihre Brutheimat verlassen, solche unter- scheiden, welche durch äußere Einflüsse, d. h. vor- wiegend durch Nahrungsmangel gezwungen, dem Süden zustreben, und diese pflegen erst dem eigentlichen Einbruch des Winters zu weichen und mit den ersten milden Frühlingstagen wieder zurück- zukehren, ja einzelne Tiere bleiben auch wohl in besonders geschützten Lagen oder, wenn der Mensch ihren Tisch deckt, während der kalten Jahreszeit zurück. Rotkehlchen, Stare, Lerchen, viele Wasservögel zählen zu diesen. Diesen gegenüber stehen zahlreiche Vögel, welche mehr aus inneren, d. h. uns unbekannten Gründen ziehen. Der Storch z. B. erscheint bei uns im März, d. h. zu einer Zeit, in der er unter dem bittersten Nahrungsmangel, Schnee und Kälte zu leiden hat, und verläßt Europa gerade dann, wenn bei prächtigstem Wetter sich ihm Nahrung in Hülle und Fülle bietet. Manche \''ögel, wie Kuckuck, Pirol, Segler u. a. sind überhaupt nur etwa dreiundeinhalb Monate bei uns. Wenn man sich die Entstehung des Vogelzuges in der Weise denkt, daß ursprünglich wegen der gleichmäßigeren, wärmeren Temperatur auf der Erdoberfläche auch die Verbreitung der Vogelarten eine gleichmäßigere war, dann aber durch das allmähliche Herein- brechen der Eiszeiten in die gemäßigte Zone die Vögel während des größten Teiles des Jahres zurückgedrängt wurden, so müssen wir annehmen, daß die in Rede stehenden Zugvögel als die empfindlicheren und dem Hunger leichter ausge- setzten nur kurze Zeit an ihren Brutplätzen weilen konnten und diese Eigentümlichkeit in die jetzige Erdperiode mit herüber genommen haben. \'iel- leicht kann man aus dem Verhalten dieser Tiere schließen, daß der Eiszeitsommer früher im Jahre begonnen und bereits im August geendet hat. Da bei einem großen Teil, namentlich der kleineren Insektenfresser, der Zug einzeln und außerdem nachts stattfindet, so ist es für uns un- verständlich, wie die Tiere den Weg zum Süden finden. Da sie auch im Käfig bei Wärme und Überfluß an Nahrung nachts zur Zugzeit unruhig werden, so dürfen wir wohl ein Zugzentrum im Zentralnervensystem annehmen. Soviel wir aus den Beobachtungen der Luft- schiffer und physikalisch denkender Forscher wissen, ziehen die Zugvögel bei gutem, d. h. sichtigem Wetter in einigen hundert Metern Höhe, bei Nebel jedoch viel niedriger. Die Angaben, daß Vögel in 1 2 000 Metern Höhe ziehen, sind ins Reich der Fabel zu verweisen. Die Wanderer würden bei den hohen Kältegraden (über — 30") erfrieren, und genau angestellte Versuche haben gezeigt, dalä bei dem niedrigen Luftdruck dieser Höhen Vögel sofort sterben. Außerdem ist zu bedenken, daß selbst fliegende Kraniche und Schwäne nur wenige hundert Meter hoch noch für unser Auge erkennbar sind. Die durchsclinittliche Fluggeschwindigkeit dürfte etwa 50 bis 60 km in der Stunde betragen; die Rauchschwalbe soll allerdings die vierfache Strecke zurücklegen können. Der flüchtige Beobachter neigt dazu, den Wind bei seinen Angaben außer acht zu lassen, dessen Geschwindigkeit natürlich je nach der Richtung zu der des Fluges zuge- rechnet oder von ihr abgezogen werden muß. Zahlreiche Vögel, die im ersten Jahre noch nicht fortpflanzungsfähig sind, treiben sich während dieser Zeit fast auf der ganzen Erde herum, nament- lich sind dies einige Strandläufer, die überall an den Meeresküsten gleiche Existenzbedingungen finden. — Der Vortragende geht dann noch auf die Gefahren ein, welchen die Vögel häufig in großen Massen während des Zuges erliegen. Da die Ver- mehrung der Wander- und Standvögel eine an- nähernd gleiche ist, so kann man annehmen, daß der Winter unter den letzteren etwa dieselben Opfer fordert wie der Vogelzug unter den ersteren. Im Anschluß an den Vortrag berichtete Herr Kammergerichtsrat Hauchecorne noch über einige von ihm beobachtete eigentümliche Wachs- tumserscheinungen an Eibenbäumen unter Vor- legung von Querschnitten und photographischen Aufnahmen. — Den Beschluß der Sitzung bildete die dies- jährige Hauptversammlung. Zur Erstattung des Jahresberichts erteilte der I. Vorsitzende, Herr Geh. Rat Kny das Wort zunächst dem I. Schrift- führer der Gesellschaft, Herrn Oberlehrer Dr. Greif. Spricht schon, so führte derselbe aus, die erfreuliche Mitteilung, welche der Herr Vorsitzende zu Beginn des heutigen Abends zu machen in der L-age war, von der gedeihlichen Weiterentwicklung der Gesell- schaft in dem verflossenen Geschäftsjahre, so wird aus dem Überblick über die in diesem Zeitraum von ihr entfaltete Tätigkeit nicht minder klar hervorgehen, daß sie getreu ihren Bestrebungen und Zielen rastlos fortgeschritten ist. Es haben von Anfang Januar bis Ende Dezember 1902 statt- gefunden 18 Einzelvorträge, 12 Exkursionen und 4 je 6 stündige Vortragszyklen, ein physiologischer, ein elektrotechnischer, ein landwirtschaftlicher und ein hygienischer. Alles in allem genommen hat somit das verflossene Geschäftsjahr 54 einzelne Veranstaltungen gebracht, das macht unter Abzug der drei Ferienmonate durchschnittlich 6 Ver- anstaltungen im Monat, gewiß eine bei den ge- ringen der Gesellschaft zu Gebote stehenden Mitteln recht ansehnliche Leistung. Daneben hat sich der Wirksamkeit der Gesellschaft ein neues Arbeits- feld dadurch erschlossen , daß dem „Verein für volkstümliche Naturkunde zu Stettin" auf sein Er- suchen und nach reiflicher Prüfung aller einschlä- gigen Verhältnisse durch den Vorstand unserer Gesellschaft die Berechtigung erteilt wurde, sich als „Zweigverein der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde" zu konstituieren. Der Vorstand hat mit besonderer Genugtuung die Ge- legenheit begrüßt, auf diese Weise einen wichtigen Schritt vorwärts zu tun zur Verwirklichung des in § 2 der Satzungen festgelegten weiteren Zieles der 304 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 13 Gesellschaft, das seiner Zeit den Gründern derselben bei der Namengebung vorgeschwebt hat. Möge das Vorgehen des Stettiner Vereins auch ander- wärts Nachahmung finden, damit in immer weiterem Umfange die Gesellschaft an der edlen und schönen Aufgabe wirken kann, die Kenntnis der Natur und die Liebe zu ihren Gebilden zu einem der her- vorragendsten Bildungs- und Erziehungsmittel unseres deutschen Volkes zu gestalten. Mit herz- lichen Wünschen für das Aufblühen und Ge- deihen des zwar noch kleinen, aber rührigen und strebsamen Stettiner Vereins verband der Bericht- erstatter noch den wärmsten Dank an alle die- jenigen, die durch ihre wertvolle Mitwirkung und Unterstützung zum Gelingen der so erfolgreichen Arbeit des Jahres 1902 beigetragen haben. Im Anschluß an diesen Bericht gab der I. Schatz- meister, Herr Konsul Seifert eine Übersicht über die Finanzen der Gesellschaft. Die Einnahmen einschließlich des vom Vorjahre übernommenen Kassenbestandes von Mk. 1523,87 beliefen sich auf Mk. 45 5 2,5 7; diesen standen an Ausgaben gegen- über Mk. 3059,24, so daß am Schluß des Geschäfts- jahres 1902 sich ein Kassenbestand von Mk. 1493,33 ergibt. Der zu laufenden Ausgaben nicht be- nötigte Teil des Vereinsvermögens ist auf einem unter dem Namen der Gesellscliaft errichteten Depositenkonto bei der Direktion der Diskonto- Gesellschaft hinterlegt und beträgt zurzeit Mk. looo. Die Rechnungen sind durch die von der vorigen Hauptversammlung gewählten Kassenprüfer, die Herren Verlagsbuchhändler Schmidt und Rentier Marti ny, in Ordnung befunden worden. Die beiden genannten Herren werden auch für das folgende Jahr mit dem gleichen Amte betraut. Dem Vorstand wird hierauf Entlastung erteilt, nachdem ilim durch Herrn Kammergerichtsrat Hauchecorne der Dank der Gesellschaft für seine umsichtige Geschäftsführung ausgesprochen worden ist. Es wird nunmein- zu der Neuwahl des Aus- schusses geschritten. In denselben werden wieder- gewählt die seitherigen Mitglieder des Vorstandes, Herren Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Kny, Prof. Dr. Jaekel, Geh. Bergrat Prof. Dr. Wahnschaffe, Ober- lehrer Dr. Greif, Prof. Dr. Plate, Konsul Seifert, Direktor Archenhold und Prof. Dr. Potonie, sowie die Herren Prof. Amberg, Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Bastian, Prof Dr. Börnstein, Dr. Brühl, Graf Douglas, Dr. Deckert, Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Engler, Kauf- mann W. Gericke, Kammergerichtsrat Hauchecorne, Direktor Dr. Heck, Dr. Heinroth, Direktor Dr. Hermes, Oberbürgermeister Kirschner, Direktor Prof Dr. Reinhardt, Kaufmann H. Schalow, Geh. Reg.- Rat Prof Dr. E. Schulze, Prof. Dr. K. Schumann, Prof Dr. Thoms, Prof Dr. Tornier, Chefredakteur Trojan, Sanitätsrat Dr. Ulrich, Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Wittmack und Fräulein Charlotte Effer. Neu hinzugewählt wird Herr Geh. Legationsrat und vortragender Rat im auswärtigen Amte Dr. Lentze. Die nach § 12 der Satzungen unmittelbar nach Schluß der Hauptversammlung durch den Aus- schuß zu vollziehende Neuwahl des engeren Vor- standes hatte folgendes Ergebnis: I. Vorsitzender Herr Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Kny, II. \'orsitzender Herr Prof. Dr. Jaekel, III. X'orsitzender Herr Geh. Bergrat Prof. Dr. W ah nschaf fe, I. Schriftführer Herr Oberlehrer Dr. Greif, II. Schriftführer Herr Prof Dr. Plate, I. Schatzmeister Herr Konsul R. Seifert, II. Schatzmeister Herr Prof Dr. Bö r n st ei n, I. Beisitzer Herr Kammergerichtsrat Hauche- corne, IL Beisitzer Herr Landesgeologe Prof Dr. Potonie. I. A. : Dr. W. Greif, I. Schriftführer. Berlin SO 16, Köpenickerstraße 142. Bücherbesprechungen. Max Verworn: „Allgemeine Physiologie". Vierte, neu bearbeitete Auflage. Verlag: Gustav Fischer Jena 1903. (652 Seiten, 300 Abbildungen, gegen 631 Seiten, 295 Abbildungen der III. Aufl.). — Preis i5 Mk. „Die Naturforschung kann nicht auf die Dauer ohne einen philosophischen Arbeitsplan ersprießliche Fortschritte machen, und wir sehen ja auch in der C.eschichte der Wissenschaft, daß niemals durch be- schränkte Spezialforschung, sondern stets nur von wahr- haft philosophisch, d. h. planmäßig, methodisch und zielbewußt arbeitenden Naturforschern große Fortschritte gemacht wurden." Dieser geschickt in die Praxis übertragene Grund- satz des Verfassers kennzeichnet auch durchaus das vodiegende Werk und verleiht ihm Bedeutung und Interesse weit über die Schranken enger Fachwissen- schaft hinaus: von der ersten bis zur letzten Seite wird die Aufmerksamkeit des Lesers aufs lebhafteste angeregt, weil die wissenschaftliche Einzeltatsache durchgängig nur als Baustein behandelt ist zur Be- gründung klarer, zu einem übersichtlichen System ver- schmolzener Vorstellungen vom Wesen des Lebens, von seiner Herkunft und seinen Beziehungen zur „un- belebten" Natur. Nirgends ermüdet ein Verweilen im Speziellen um des Speziellen willen : Das ganze Werk ist vielmehr ein wohlgebauter Organismus, der auch gegenüber den benachbarten Wissenszweigen und gegenüber der Philosophie seine naturgen-iäße Stellung zu finden und klare Auseinandersetzung in den Grenz- gebieten herzustellen sucht. Wer nach lükenntnis des Lebens strebt, sei es auf philosophischem, sei es auf naturwissenschafdichem Wege, wird an diesem Buche nicht vorübergehen können. Es sei daher gestattet, bei Besprechung der IV. Auf- lage etwas ausführlicher gerade auf diese allgemeinen Verdienste des Werkes einzugehen, die bei den frülieren Besprechungen 'j nur kurz angedeutet wurden. Der Gedankengang, der die Darstellung trägt, ist in Kürze etwa der folgende: Nr. >)X. 35 S. Bd. 1895 419. Nr. 40 S. S. 499. XII. 1'.>1. 1S97 N. F. III. Nr. I-, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 205 Die Physiologie beschäftigt sich mit der Erforschung des Lebens. — Was ist „Leben"? was „Erforschen"? „Erforschen" heißt Zurückführen von unbekannten Erscheinungen auf allgemeinere, bekannte, letzten Endes auf eine allgemeinste, bekannte Erscheinung. Dieses letzte versuchte unter anderen philosophi- schen Bestrebungen für die ganze Welt Spinoza's Monismus zu leisten, aber die „Substanz", auf die er alles zurückführte, war nichts Bekanntes, bekannt waren erst ihre bereits zwiegeteilten Äußerungsformen : „Denken" und „Ausdehnung", die also wieder nicht ein einziges Erklärungsprinzip darstellten. Weiter sucht des Verfassers Psychomonismus zu dringen: Alles was wir tatsächlich von der Welt wahrnehmen — ohne Zuhilfenahme überflüssiger Hypothesen — sind Empfindungen und Vorstellungen. Wir kennen also tatsächlich nur psychische Dinge. („Körper", „I^e- wegungen" sind zusammengesetzte, „Gefühle", „Em- pfindungen" sind einfachere psychische Gebilde.) Daß diesen Erscheinungen etwas nicht Psychisches zugrunde liege, ist überflüssige, deshalb unberechtigte Hypothese, da die ganze Welt, die wir kennen, sich aus rein psychischen Elementen aufbaut : aus komplizierteren , nämlich den körperlichen und Be- wegungs-Eindrücken und aus einfacheren : den Emp- findungen. Dieser Gedanke darf uns aber nicht zum „Sol- ipsismus verführen, da die Erfahrung lehrt, daß nicht nur e i n wahrnehmendes psychisches Zentrum , das „Ich" existiere; vielmehr ist die welterfüllende Psyche differenziert in unzählig viele psychische Zentren : In- dividuen verschiedenster Art (organische und an- organische), die einander gegenseitig begrenzen (und zwar nach unserer Vorstellung ,, räumlich" und „zeitlich" sich begrenzen). Alle diese Individuen sind Erscheinungsformen der unbegrenzten, ewigen Psyche, aber ihre Realität be- ruht einzig und allein auf Wechselwirkung, d. i. gegen- seitiger psychischer Beeinflussung und Wahrnehmung. Es ist dies nach Ansicht des Referenten in Praxi durchaus dieselbe Auffassung wie diejenige der Ener- getiker oder des Spinozistisch-Haeckelschen Monismus, nur daß diese von naturwissenschaftlichem Denken ausgehenden Weltanschauungen an die räumliche Aus- dehnung der Weltsubstanz anknüpfen (gleichviel ob der „Raum" als solcher real oder nur unsere An- schauungsform ist), während Verworn, mehr an philo- sophische Denkart sich anlehnend, betont , daß die Substanz nur durch ihr Wirken (Wechselwirkung der einzelnen Individuen) Realität hat, und daß ihr ge- samtes Wirken wiederum als eine Reihe psychischer Zustände und deren Wechsel seinen vollkommenen Ausdruck findet, ohne daß irgend ein Rest nicht psychischer Natur überbliebe. Ein solcher Rest könnte allenfalls in der reinen Form und Ausdehnung und deren Wandelung gefunden werden, aber auch das sind ja psychische Gebilde, d. h. Dinge, die nur für eine wahrnehmende Psyche — es braucht keine menschliche zu sein — irgendwelche Wesenheit besitzen. Da wir also in Wahrheit nur Psychisches kennen, heißt Erforschen : Rückführen der komplizierteren psychischen Gebilde auf die einfachsten psychischen Elemente : weil aber die Atome, aus denen die „Körper- welt" sich aufbaut, nicht einfachste psychische Ele- mente sind, sondern bereits komplizierte psychische Vorstellungen, deshalb kann man nicht alles Psychische auf Atome im physikalischen Sinne, d. h. auf den Be- griff der Körperlichkeit , zurückführen , wie es einst der extreme Materialismus wollte. Andererseits möchte Unterzeichneter darauf hin- weisen, daß man sehr wohl beim Bau des Weltbildes auch in historischer Weise von den Atomen ausgehen kann, insofern die „Weltpsyche" oder Substanz — denn das, was Verworn „Psyche" nennt, umfaßt alles, was das Wesen von Spinoza's „Substanz-' ausmacht, sowohl die res cogitans, wie die res extensa — in- sofern diese sich ja tatsächlich in Atome, d. h. räum- liche Komplexe difterenziert hat , und auch unsere menschliche Psyche — objektiv, als Gebilde im Raum betrachtet — aus Atomen, Molekülen und Zellen auf- gebaut ist. Freilich muß man dann den zunächst rein physikalisch-chemischen Begriff des Atoms durch die Vorstellung eines zugehörigen subjektiv -psychischen Moments erweitern in der Weise, wie es Haeckel tut, und darf nicht vergessen, daß überhaupt die Begriffe ,, Körperlichkeit", ,, Ausdehnung" und „Bewegung" sich aus einfacheren, rein psychischen Eindrücken zu- sammensetzen. Bleibt man dessen eingedenk, so bietet gerade der Ausgang von den Begriften „Raum" und „.\tom" eine so klare und leichte Orientierung, daß dieser Weg sicherer und praktischer erscheint als der für den ungeschulten Geist wenigstens etwas dunkle und schwierige Pfad von den „psychischen Elementen" her. In einem Punkte darf der Verfasser nicht miß- verstanden werden : er leugnet in keiner Weise die Realität der Objekte, er leugnet keine einzige physi- kalische Wirkung, sondern weist nur einzig darauf hin, daß wir mit dem Namen „Körper", mit dem Namen „Wirkung" Beeinflussungen unserer Psyche bezeichnen, daß — jede Wahrnehmung fortgedacht — die Welt überhaupt wesenlos wird ; denn das Wesen der Dinge besteht in der gegenseitigen Beeinflussung. Alle Kennzeichen von Beeinflussung sind aber rein psychischer Natur; ein Ding, das sich nicht mani- festieren kann, hat überhaupt nicht Realität. Nachdem Verfasser sich so mit der skeptischen Philosophie auseinandergesetzt, geht er an seine engere Aufgabe: Wie die psychomonistische Betrachtung be- wies, gilt letzten Endes für die ganze Welt, die wir kennen, ein einziges Erklärungsprinzip. Die Physio- logie im engeren hat es mit den körperlichen Lebenserscheinungen zu tun, und da sich die Erscheinungen der anorganischen Körper alle auf kleinste körperliche Elemente, die kraftbegabten Atome, zurückführen und dadurch erklären lassen, müssen wir fragen , ob auch die Erscheinungen der lebenden Körper auf die Eigenschaften derselben Elemente zurückführbar sind. Der Vitalismus antwortet „nein". Aber die von ihm konstruierte, besondere „Lebenskraft" würde — so wie der Begriff meist aufgefaßt wird — dem Energiegesetz widersprechen. Alle scheinbaren Unter- schiede der organischen Kräfte erklären sich übrigens 2o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. I- leicht aus den Besondertieiten, welche die komplizierte chemisch-physikalische Struktur der organischen Körper ihnen naturgemäß verleiht. Ein „Körper" bleibt stets ein Körper und die Gesetze des Körperlichen sind physikalisch-chemische. Die heutige Neigung zu vitalistischer Mystik be- ruht im übrigen wohl auf einer momentanen Ent- mutigung, die eingetreten ist, weil die von den großen Physiologen des XIX. Jahrhunderts zur Erforschung der Organ-Physiologie geschaffenen Methoden nach Erfüllung dieser Aufgabe nunmehr versagen, wo die Wissenschaft in die eigentlichen, elementaren Lebens- vorgänge eindringen will , deren Sitz der Ur- und Elementarorganismus, die Zelle, ist und in dieser die Eiweißverbindungen, deren eigentümlicher Chemismus, der ,, Stoffwechsel" den eigentlichen elementaren und allgemeinen „Lebensvorgang" darstellt. Diesen zu er- forschen ist die Chemie und die Zellular p hys i o - 1 o g i e berufen, welche letztere daher den eigentlichen Gegenstand der „allgemeinen Physiologie" bildet. Diesen Forschungszweig, dessen Förderung bisher fast allein den Zoologen zu verdanken ist, von physio- logischer Seite in Angriff genommen und auf seine Bedeutung aufmerksam gemacht zu haben , ist ein Hauptverdienst des Verfassers. Die dabei anzuwendende Methode ist nach dem Verf. in erster Linie die vergleichende, die seit des großen Joh. Müllers Tode von der Physiologie zu ihrem Schaden vernachlässigt worden ist, trotzdem die glänzenden Resultate der Entwicklungslehre, besonders der vergleichenden Morphologie, gerade hier hätten Anregung schaffen und die Forschung erleichtern müssen. Als besonders günstiges Objekt bieten sich die freilebenden Einzelzellen (Protisten), weil sie die z. Z. einfachsten Zustände der lebenden Materie und ihrer Äußerungen darstellen und lebend unter dem Mikroskop beobachtet werden können, während man Gewebezellen höherer Tiere erst aus ihrem natürlichen Verbände reißen muß. Demgemäß hat die Physiologie hauptsächlich, auf drei große Entdeckungen der neueren Zeit gestützt, weiterzubauen : i) die Entdeckung des Eneriegesetzes, 2) die Zellenlehre, d. h. die Erkenntnis, daß jeder Organismus aus Zellen aufgebaut ist, Elementarorganis- men, deren Einzelleistungen seine Gesamtleistung be- dingen, 3) die Deszendenz, d. h. die Verwandtschaft der gesamten Lebewelt und ihre gemeinsame Herkunft aus dem Anorganischen. Diesen Gesichtspunkten sucht das vorliegende Werk in sehr glücklicher Art gerecht zu werden und von ihnen her den ganzen Mechanismus des Lebens — soweit der gegenwärtige Stand des Wissens das erlaubt — abzuleiten und klar zu legen : das erste Kapitel iS. i — 58) beschäftigt sich haujjtsächlich mit den eben angedeuteten Betrachtungen und enthält außerdem eine Entwicklungsgeschichte der physio- logischen Forschung. Das zweite Kapitel (S. 59 — 146) handelt „von der lebendigen Substanz", ihrer chemisch -physikalischen Zusammensetzung und ihren Unterschieden gegenüber der anorganischen und toten Substanz. Im dritten Kapitel (S. 147 — 288) werden die elementaren Lebenserscheinungen besprochen: der Stoff-, Form- und Energiewechsel, wobei besonderes Interesse auf die Enzyme verwandt wird, deren Wir- kungsweise der der anorganischen katalytischen Körper gleich zu sein scheint. Beim „Formwechsel" teilt sich die Betrachtung in die der phylogenetischen und onto- genetischen Entwicklungsreihe, die beide zum Aufbau des vielzelligen Organismus aus dem einzelligen führen. Das vierte Kapitel (S. 2S9 — 370) bespricht die ,,allgemeinen Lebensbedingungen" 1) die heutigen Be- dingungen des bestehenden Lebens, 2) die Herkunft des Lebens und seine Entwicklung zu höheren Stufen, wobei eingehend die Theorien über diese Probleme kritisiert und besonders auch die Vermutungen be- handelt werden, die man nach dem heutigen Stande der Forschung über die chemischen Vorgänge und Bedingungen bei der Urzeugung sich bilden darf. Es folgt eine Darstellung des Sterbevorganges und seiner in allmählichen Veränderungen der Zelle bestehenden Ursachen. Das fünfte Kapitel (S. 371 — 507) behandelt die Reize und ihre Wirkungen, ein Gegenstand, bei dem am meisten die eigenen Versuche des Verfassers an Einzellern interessieren dürften. Hochbedeutsam für die mechanistische Erklärung der Lebenserscheinungen ist der Inhalt des letzten Kapitels: „Vom Mechanismus des Lebens" (S. 508 bis 636) in dem, soweit dies z. Z. möglich, eine chemisch-mechanische Herleitung der gesamten körper- lichen Lebenserscheinungen oder doch ein Nachweis der Möglichkeit einer sochen Herleitung versucht wird : dieses Kapitel gliedert sich in die Abschnitte : I. Der Lebensvorgang. II. Die Mechanik des Zellebens. III. Die Verfassungsverhältnisse des Zellstaates. Als ,, Biogene" werden die lebenden Eiweißmoleküle im Gegensatz zu den toten bezeichnet, deren chemische Struktur eine andere ist. Der Lebensvorgang ist der Chemismus (Stoffwechsel) der Biogene, die sehr labile Verbindungen darstellen, ihr fortwährender Zerfall (Dissimilation) und Wiederaufbau (Assimilation). Das Verhältnis Assimilation zu Dissimilation heißt Biotonus. Die Reize beeinflussen fördernd und hemmend in mannigfacher Weise diese chemischen Vorgänge und verändern so den Biotonus. Darauf beruhen die Lebens- erscheinungen, insonderheit alle Kontraktions- (Be- wegungs-)Erscheinungen, besonders lassen sich alle photo-, gahano- usw. -taktischen Erscheinungen auf diese Weise leicht erklären. Das Wachstum beruht auf Polymerisation der Biogene, die Zellteilung auf der Veränderung, welche die Ernährung bei einfachem Wachstum dadurch er- fährt, daß die Oberfläche nur quadratisch, der Inhalt der Zelle kubisch zunimmt. Durch die Teilung werden die Anfangsbedingungen wiederhergestellt und der Prozeß beginnt von neuem. Bei der Nahrungsaufnahme und Verarbeitung spielen teils physi- kalische, teils chemische Kräfte eine Rolle. Selbst sehr komplizierte und scheinbar physikahsch nicht N. F. m. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 207 erklärbare Vorgänge werden als rein [jlnsikalisch- chemischer Natur nachgewiesen durch sinnreiche Parallelversuche an unbelebtem Material. Hier stützt sich Verf. vielfach auf Untersuchungen Rhumblers, der auf diesem Gebiete durch besonders tief eindringende Forschung bekannt, für die 4. Auflage des vorliegendenWerkes den Abschnitt über die Mechanik des Zellteilungsvorganges (S. 571 — 8i) auf Grund der neusten Untersuchungen erweiternd bearbeitet hat. Die Ausführungen über alle diese Gegenstände sind außer- ordentlich lichtbringend und lesenswert ; der auf diesem Gebiet Fremde wird überrascht sein , wie tief die Forschung bereits in die Zellmechanik eingedrungen, wie weit sie in der mechanischen Erklärung der Lebenserscheinungen fortgeschritten ist. Es ist hier nicht möglich weitere Einzelheiten zu besprechen, ich muß auf das Werk selbst verweisen, nur möchte ich noch hervorheben, daß die außerordentlich über- sichtliche Disposition, in Verbindung mit der kr\stall- klaren Sprache, die auch den sprödesten Stoff spielend bewältigt, die Lektüre selbst für den Nichtfachmann zu einer verhältnismäßig leichten und sehr angenehmen macht. E. Me\er. Weber u. Wellstein, Encyklopädie der Ele- mentar- Mathematik. Ein Handbuch für Lehrer und Studierende. Erster Band. Elemen- tare Algebra und Analysis von Heinrich Weber. Leipzig, Teubner, 1903. 447 S. — Preis geb. 8 Mk. Neben der großen Enzyklopädie der Mathematik, die seit einigen Jahren im gleichen Verlage erscheint, wird den Studierenden , die auf die Fundamente der höheren Mathematik zurückgreifen, und den Lehrern, die ihren Unterrichtsstoff vom Standpunkt der höheren Mathematik aus betrachten wollen, ein Ersatz geboten für die jetzt vergriffenen Elemente der Mathematik von Baltzer. Die vorliegende Enzyklopädie soll 3 Bände umfassen , von denen der zweite die Geo- metrie, der dritte die Anwendungen behandeln wird. Der erste Band enthält neben dem, was die preu- ßischen Lehrpläne den Schulen zuweisen, den Gauß- schen Beweis von der Existenz der Wurzeln einer algebraischen Gleichung, einiges über Kongruenzen und Potenzreste , einen Abschnitt über unbestimmte Gleichungen zweiten Grades, die Pell'sche Gleichung, den Sturm'schen Satz, die Unlösbarkeit der Gleichungen 5. Grades; ferner aus der Analysis die unendlichen Produkte und die Transzendenz von q und ft. Diese Herzählung zeigt , daß iii dem Buche das Gebiet der Elementarmathematik ziemhch genau so begrenzt ist , wie es die höheren Schulen tun. Das Buch bietet eine Wiedergabe dessen, was der Ver- fasser seit 1 5 Jahren seinen Studenten über die Elementarmathematik gelesen hat, und wird daher für viele eine willkommene Gabe sein, die von ihrer eigenen Studienzeit her eine derartige zusammen- fassende Betrachtung über die Elementarmathematik nicht kennen. A. S. Prof. Dr. Hermann Schubert, Elementare Be- r e c h n u n g d e r Logarithmen, eine Ergänzung der Arithmetikbücher. Leipzig, Göschen. 1903. 87 S. — Preis 1.60 Mk. Zweck des Buches ist, zu zeigen, wie ohne Be- nutzung der logarithmischen Reihe und der natür- lichen Logarithmen die gemeinen Logarithmen mit beliebiger Genauigkeit berechnet werden können. Grundlage der Berechnung werden die Formeln 2) -5 < 2l0g X — log (X — l) — log (X -f- l) 2X" I "^ 2X- — 1 ^ 7 (2X2 _ j) (^ __ i)' WO d eine zwischen | und i liegende Konstante ist ; 3) Y„ ^ — log X -j- Uj log (x + i) — n-. 'og (-^ + 2) + . . . — (— )° log (x -f- n), wo X und n ganze positive Zahlen sind, und Y„ eine positive Zahl ist, die mit wachsendem x und n immer kleiner wird. Für den L^nterricht würde es genügen, um den Schülern eine Möglichkeit zu zeigen, wie man Loga- rithmen berechnen kann, sich auf die Anfänge der Schubert'schen Entwicklungen zu beschränken. Da aber auch hier schon e und e- gebraucht werden, scheint mir der Weg über die logarithmische Reihe und die natürlichen Logarithmen kürzer und auch darum vorzuziehen zu sein, weil auf diesem Wege tatsächlich berechnet wird. Will man Sekundanern einige Logarithmen vorrechnen , so kann man auch die Schubert'sche Methode nicht anwenden. Es ist aber wohl möglich, durch Betrachtung der Po- tenzen des Numerus Logarithmen zunächst auf 3 Stellen zu berechnen.') Die Mathematiker aber seien auf die vorliegende Arbeit ausdrücklich hingewiesen ; es gewährt außer- ordentliches Vergnügen, zu sehen, wie hier die ge- meinen Logarithmen direkt berechnet werden, und dem Verfasser Schritt für Schritt durch seine Unter- suchungen zu folgen. A. S. Proi". H. Pellat, Cours d'electricitd Tome IL Paris 1903. Gauthier-Villars, 554 pages avec 221 fig. — Prix 18 fr. Dem von uns Bd. I, S. 96 angezeigten ersten Bande reiht sich der nun vorliegende zweite würdig an. Das Bestreben des Verf., die Grundgesetze der Elektrizitätslehre auf festem Fundamente unter Be- nutzung möglichst einfacher, mathematischer Methoden zu entwickeln, kommt durchweg in einer eleganten Darstellung zum Ausdruck. Die Elektrodynamik be- ginnt den zweiten Band, der Magnetismus wird erst danach im zweiten Kapitel behandelt. Verf bezweckt mit dieser Reihenfolge eine deutlichere Klarstellung des Wesens des Magnetismus, der sich nur als ein sehr bequemes , mathematisches Hilfsmittel darstellt, dem keinerlei physische Realität entspricht. Im dritten ICapitel werden die Induktionserscheinungeh behandelt, im vierten die Anwendungen derselben in Motoren und Dynamomaschinen, im fünften die elek- ') Vgl. den Aufsati am Eingänge dieser Nummci-, 208 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 13 Irischen Schwingungen und das umfangreiche sechste Kapitel setzt die elektromagnetischen Messungen aus- einander. Die Elektrolyse bleibt dem in Vorbereitung befindlichen dritten Bande des Werkes vorbehalten. Dr. Adolph Kohut, Justus von Liebig, sein Leben und ^Virken. Auf Grund der besten und zuverlässigsten Quellen geschildert. Mit un- gedruckten Briefen Liebig's, zwei Briefen Liebig's in Faksimile und 34 Original-Illustrationen. Gießen, Verlag von Emil Roth, 1904. — Preis geb. 6 Mk. Der Verfasser schildert das Leben und AVirken Justus von Liebig's auf Grund der bereits gedruckt vor- liegenden Nachrichten und mancherlei neuer hand- schriftlicher Mitteilungen. Man verkehrt gern mit be- deutenden Menschen und die Form der Biographie ist ein Verkehr mit ihnen in der angenehmsten Form. Die vorliegende Liebig-Biographie ist wohl geeignet seine Persönlichkeit und seine Taten näherzurücken. Durch die ausgiebige Benutzung von brieflichen Mit- teilungen, den Abdruck von mancherlei geschickt aus- gewählten Stellen aus Liebig's Schriften ist dem Leser mancherlei zur Beurteilung von Liebig's Eigenart selbst überlassen, oder es ist ihm doch die Möglichkeit gegeben, Schlußfolgerungen über den Helden der Biographie selbst zu ziehen. Literatur. Kronecker, Leop.; Vorlesungen üb. Mathematik. (In 2 Tln.) II. Teil. Vorlesungen üb. allgemeine Arithmetik. 2. .Abschn. ; Vorlesungen über die Theorie der Determinanten. Bearb. u. fortgeführt von Prof. Dr. Kurt Hensel. I. Bd. I. bis 21. Vorlesg. (XII, 390 S. m. 11 Fig.) gr. 8". Leipzig '03, B. G. Teubner. — 20 Mk. ; geb. 21 Mk. Langenhan, .\. : Versteinerungen der deutschen Trias (des Bunt- sandsteins, Muschel-Kalks u. Keupers), auf Grund 40 jähriger Sammeltätigkeit zusammengestellt u. nach den Naturobjekten • autogr. (22 S. m. Abbildgn. u. 17 Taf.) gr. 8". Liegnitz '03, E. Scholz Nachf. in Komm. — 2,50 Mk. bar. Lassar-Cohn, Prof Dr.: Einführung in die Chemie in leicht- faßlicher Form. 2. Aufl. (XII, 292 S. m. 60 Abbildgn.) gr. 8". Hamburg '03, L. Voß. — 3 Mk. ; in Leinw. geb. 4 Mk. Lindman, C. A. M. : Beiträge zur Kenntnis der tropisch- amerikanischen Farnflora. [Aus: ,,Arkiv f. Botanik".] (S. 187—275 m. 8 Doppeltaf) gr. 8". Stockholm '03, (Berlin, R. Friedländer & Sohn.) — 4 Mk. Martin, Ch.-Ed. : Le , Boletus subtomentosus' de la rcgion genevoise. Essai de Monographie. (IX, 39 S. m. 18 färb. Taf.) Bern '03, K. J. Wyss. — 8 Mk. Müller, Dr. Herrn : Beitrag zur Embryonalentwicklung der Ascaris megalocephala. Mit 5 färb. Taf. u. 12 Fig. im Text. (30 S.) Stuttgart '03, E. Nägele. — 36 Mk. Pfeiffer, Prof E)r. Eman. : Physikalisches Praktikum für An- fänger. Dargestellt in 25 .arbeiten. (VIII, 150 S. m. 47 .Abbildgn.) gr. 8''. Leipzig '03, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. 3,60 Mk. Briefkasten. Herrn E. S. in Leipzig-Schönefeld. — Wir nennen Ihnen: Schlömilch's Handbuch der Mathematik. L Bd. Ele- mentarmathematik. II. Bd. Höhere Mathematik. Leipzig, J. A. Barth. Preis pro Band ca. 20 Mk. Dressel's Lehrbuch der Physik, Freiburg, Herder's Verlag. Preis 15 Mk. In- dessen ist die einschlägige Literatur außerordentlich reich an brauchbaren Werken. Vermutlich würden für Ihren Zweck schon gute Schulbücher in Verbindung mit Aufgabensamm- lungen ausreichen, z. B. Lanner , Naturlehre, Wien, J. Roth. Preis geb. ^,20 Mk. ; Bork-Nath, Mathematische Hauptsätze, Leipzip, Dürr. ca. 5Mk. ; Martus, Sammlung mathematischer -Aufgaben. Leipzig, E. A. Koch. ca. 6 Mk. Herrn J. in Calais. — Wir können da nur mit Dickens (Pickwickier I. Kap. 4) sagen: „Viele Schriftsteller hegen eine nicht nur törichte, sondern in der Tat auch unehrenhafte Abneigung, die Quellen anzugeben, aus welchen sie ihr Ma- terial schöpfen." Wir können das nicht ändern. Für die wissenschaftliche Bearbeitung irgend eines Gegenstandes muß man sich eben selbst eine hinreichende Kenntnis der in Betracht kommenden Literatur zu verschaffen suchen, um die Quellen zu finden. Freilich wird das bei dem Übermaß „wissen- schaftlicher" Produktion immer schwieriger und einmal ge- radezu unüberwindlich werden. Herrn H. R. Hoogenraad in Ryswyk (Holland). — DieWurzeln der h öh er en P flanzen schei den eine Reihe von gelösten Substanzen aus, die teils an- organischer, teils organischer Natur sind. Von ersteren konn- ten Kali, Kalk, Magnesia, Salzsäure, Schwefelsäure und Phos- phorsäure mit Sicherheit nachgewiesen werden, hiervon aller- dings nur Kali und Phosphorsäure in einigermaßen reich- licher Menge, und zwar als Monokaliumphosphat , das aller Wahrscheinlichkeit nach zum größten Teile aus lebenden Wurzelhaarzellen, aus der Epidermis und den Rindenzellen der haartragenden Region der Wurzel herrührt. Von organi- schen Substanzen ist Ameisensäure, in Form von Kalium- formiat, ein recht häufiges Vorkommnis im Wurzelsekret. Die Säure diffundiert aus lebenden Zellen der jüngsten Wurzel- particn , ist also kein Zersetzungsvorgängen entstammendes Produkt. In einem Falle wurde Oxalsäure, ebenfalls als Kaliumsalz , gefunden , nämlich an den .Ausscheidungen der Wurzeln von Hyacinthus orientalis. Bemerkenswert ist , daß die Wurzeln oxalsäurereicher Pflanzen, wie Rumex, Oxalis u. a., keine Oxalsäure ausscheiden. Essigsäure und Milchsäure, deren Vorkommen auch behauptet worden ist, finden sich in den Wurzelausscheidungen nicht vor. Die bekannte Erschei- nung der Rotfärbung von Lakmuspapier durch die Ausschei- dungen der Wurzeln beruht in der Regel auf der sauren Reaktion des sezernicrten Monokaliumphosphates. Die durch Wurzeln hervorgerufenen Korrosionserscheinungen an Gcsteins- platten sind auf die Ausscheidung von Kohlensäure zurück- zuführen, der der Hauptanteil an allen zur Beobachtung kommenden Anätzungserscheinungen zugestanden werden muß. Man kann im allgemeinen sagen, daß Substanzen, die durch Kohlensäure nicht in Lösung gebracht werden können, wie z. B. Silikate, auch von den Wurzelabsonderungcn nicht in merklichem Grade angegriffen werden. Dabei befindet sich die Kohlensäure natürlich nicht in freiem, gasförmigem Zu- stande, sondern ist im Imbibitionswasser der äußeren Membran- schichten der Wurzelzellen und in den benachbarten Flüssig- keitsschichten des Bodenwassers gelöst. Kohlensäure ist also die einzige freie Säure, die regelmäßig von den Wurzeln höherer Pflanzen ausgeschieden wird ; doch findet auch noch, wie erwähnt, durch andere Stofl'e eine Säurewirkung statt. — Ausführlicheres über diesen Gegenstand finden Sie in der Arbeit von Friedrich Czapek, Zur Lehre von den Wurzel au sscheidungen (Jahrb. f. wiss. Botanik, Bd. 2g, 1896), der die vorstehenden Mitteilungen entnommen sind. Dr. Seckt. Inhalt: Dr. A. Schmidt: Elementare Berechnung der Logarithmen. — Kleinere Mitteilungen: Prof Dr. G. Volkens: Der Laubwechsel tropischer Bäume. — Prof. Dr. J. Blaas: Über photographische Wirkungen im Dunkeln. — A. Gradenwitz: Die Birkeland'sche elektromagnetische Kanone. — Himmelserscheinungen im Januar 1904. — Vereins- wesen. — Bücherbesprechungen: Max Verworn: Allgemeine Physiologie. — Weber u. Well stein: Encyklo- pädie der Elementar-Matheniatik. — Prof. Dr. Hermann Schubert: Elementare Berechnung der Logarithmen. — Prof H. Pellat: Cours d'electricite. — Dr. A d olph Ko hu t: Justus von Liebig, sein Leben und Wirken. — Litera- tur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Band; der ganzen Reibe XIX. Band. Sonntag, den 3. Januar 1904. Nr. 14. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegcld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltcne Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft, [nseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, lUumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Über die chemische Reinigung und Konservierung von Altertümern. [Nachdruck verboten.] Durch die archäologischen Ausgrabungen auf den Trümmern ehemaliger Kulturstätten sind uns eine große Menge wertvoller Gegenstände über- liefert worden, Denkmäler aus Stein und Erz, die uns als Zeugen vergangener Zeiten über die Kultur- zustände jener Tage aufklären, nachdem sie Jahr- hunderte, Jahrtausende lang in Schutt und Asche begraben lagen. Kunst und Wissenschaft schöpfen gleichzeitig aus diesen Quellen, die ihnen die Kenntnis einer anderen Welt erschließen. Doch ist es oft schwierig und mit gewissen Gefahren verbunden, die aufgefundenen Altertümer in zweckentsprechender Weise v'or dem Verfall zu retten und der Nachwelt zu erhalten , da sie, wenigstens was die metallenen Gegenstände be- trifft, zum großen Teil bereits mehr oder weniger der Verwitterung anheimgefallen sind. So waren die wertvollen Bronzen der Akropolis bei ihrer Auffindung teilweise in starker Zersetzung begriffen, das Metall hatte sich mit einer dicken Schicht von Oxydationsprodukten des Kupfers be- deckt, und es bedurfte schleuniger Abhilfe, um diese Zersetzung aufzuhalten. Auch Schichten mine- ralischer Natur, insbesondere aus Kalkstein be- Von Dr. Richard Loebe. Stehende, hatten sich an den Bronzen festgesetzt. Und in noch viel höherem Maße war dies bei den aufgefundenen ägj-ptischen Tontafeln der Fall. Intolge dieser Inkrustationen war zuweilen nicht einmal ersichtlich, was der Gegenstand überhaupt vorstellte. Und Inschriften wurden oft an Stücken entdeckt, erst nachdem sie von der Verunreinigung befreit waren. So war es denn notwendig, das Augenmerk zunächst darauf zu lenken, wie man die Altertums- funde von den ihnen anhaftenden Zersetzungs- produkten, seien sie nun metallischer Herkunft oder mineralischer Natur, am zweckmäßigsten befreien könne. An eine mechanische Entfernung solcher Fremd- körper ist in den meisten Fällen gar nicht zu denken , da mit ihr eine gänzliche Zerstörung der Kostbarkeiten gleichbedeutend wäre. Und so mußte sich die Chemie in den Dienst der Archäo- logen stellen, sie mußte auf Mittel und Wege sinnen, dem Übel zu steuern. Und es ist inter- essant zu verfolgen wie ihr dies gelang. Bevor wir jedoch auf die näheren Einzelheiten der Reinigung der Altertümer übergehen, ist es 2IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 14 nötig, über das dabei zu verfolgende Prinzip einige Bemerkungen vorauszuschicken. Wie bereits bemerkt, bestehen die \'erun- reinigungen der metallenen Gegenstände zumeist aus Oxyden, also bei Bronzen aus den verschie- denen Kupferoxyden. Da die Kohlensäure jedoch ebenfalls bei dem langen Zerstörungswerke behilf- lich gewesen ist, finden sich auch Karbonate in den Zersetzungsprodukten vor, von denen ja das saure Salz des Kupfers, die Patina, allgemein bekannt ist. An m i n eral ischen Stoffen treten uns bei Bronzen und Allei tümern aus Stein besonders Kalkstein, dann aber auch tonige Bestandteile und Gips entgegen, oft auch gemischt mit Kieselsäure. Diese steinartigen Krusten besitzen eine große Widerstandsfähigkeit gegen mecha- nische Einwirkungen und widersetzen sich zu- weilen, wie bei den ägyptischen Tontafeln, selbst chemischen Agentien, soweit solche wegen der ebenfalls erdigen Natur des Tones überhaupt in Frage kommen können. Während die Kalksteinkruste leicht durch eine Säure, die das Metall selbst nicht angreift, unter Kohlensäureentvvicklung von dem metallenen Gegenstande heruntergelöst werden kann (z. B. Salzsäure bei Bronze), mußten zu dessen Entfernung bei den Ton tafeln besondere, von Rathgen ') em- pfohlene und später angegebene Maßnahmen ge- troffen werden. Bei der Reinigung von antiken Metall- gegenständen aber handelt es sich in der Regel nur um eine Reduktion der Oxyde, die entweder durch den bei der Elektrolyse von Salzlösungen entstehenden kathodischen Wasserstoff oder den bei der chemischen Einwirkung einer Säure auf ein Metall freiwerdenden Wasserstoff ,,in statu nascendi" herbeigeführt wird. Nachdem die Antiquitäten so von anhaftenden Zersetzungen befreit worden sind, ist es noch nötig, sie mit einer Schicht undurchlässigen Ma- terials zu imprägnieren, um sie vor dem Einflüsse der Atmosphärilien zu bewahren. Indem man nun in der angegebenen Richtung auf verschiedenen Wegen zum Ziele gelangte, gewann die chemische Reinigung von Altertums- funden immer mehr an Bedeutung. Denn durch sie wurde es ermöglicht, Inschriften von großer Wichtig- keit zu lesen , andere wurden , wie eingangs er- wähnt, nach der Reinigung durch Zufall überhaupt erst entdeckt. So wuiden Kunstgegenstände bis zu der überlebensgroßen Statue des Jünglings von Antikythera -) dem Reinigungsprozesse unterworfen und darnach zusammengefügt und zeigen nun dem bewundernden Beschauer selbst in den Einzel- heiten nie gesehene Vollendung. So wurden aus- gegrabene antike Gebrauchsgegenstände des täg- lichen Lebens, Werkzeuge, Waffen und Schmuck- gegenstände der verschiedensten Kulturepochen durch die Reinigung vor dem Zerfall bewahrt und ihnen ein gutes Aussehen wiedergegeben. Kurz, die Archäologie, mit ihr die Philologie, die Kunst und die Geschichte, insbesondere auch die Kulturgeschichte verdanken so der Naturwissenschaft, und speziell der che- mischen Forschung, einen großen Teil ihrer Erfolge. Wir wollen jetzt die Reinigungsmethoden der verschiedenartigen Antiquitäten näher betrachten. In neuerer Zeit haben sich insbesondere zwei tüchtige Fachmänner um die Frage der Reinigung und zugleich der Konservierung der Altertümer verdient gemacht. Es sind dies der Chemiker der königlichen Museen zu Berlin, Pro- fessor Dr. F"riedrich Rathgen und der Direktor der Industrie- und Handelsschule, sowie Chemiker der Königlichen Museen zu Athen, Professor Dr. O. A. Rhousopulos. Nachdem ersterer bereits im Jahre 1898 mit einem Handbuche ') über die brauch- barsten Methoden zur „Reinigung und Konser- vierung von Altertumsfunden" in die (Öffentlich- keit getreten war, brachte Rhousopulos kürzlich in der „Chemischen Zeitschrift"-) einen bemerkens- werten Beitrag zu dieser Frage, über den im 2. Jahrgang der „Naturwissenschaftlichen Wochen- schrift"'^) bereits berichtet wurde, und in welchem er die auf Grund seines neuen Verfahrens ge- machten Erfahrungen niedergelegt und das Ver- fahren selbst weiteren Kreisen zugänglich gemacht hat. Rhousopulos behandelt die Bronzegegenstände im verdünnten Salzsäurebade bei Gegenwart von Zink in Form von Schnitzeln oder um den Gegen- stand herumgelegter Streifen. Einmal kann hierbei die Salzsäure die Kalksteinschichten leicht vom Metall herunterlösen, ohne daß sie auf die Bronze einwirkt, und auf der andern Seite kommt das Prinzip der Reduktion bei diesem Verfahren zur Geltung, indem der durch Einwirkung der Säure auf das Zink entstehende Wasserstoff in statu nascendi die Hauptrolle spielt. Dadurch werden die Oxydationsprodukte des Kupfers, Kupfer- oxychlorid, Kupferoxyd und endlich auch Kupfer- oxydul zu Metall reduziert. Das Kupferoxydul ist aber ein sehr kompakter Körper, daher der chemischen Einwirkung schwer zugänglich und kann der Reduktion durch seine Gegenwart Schwierigkeiten bereiten. In solchem Falle ver- wendet Rhousopulos Zinks taub statt des festen Metalls. ^) Zum erfolgreichen Gelingen der Re- duktion ist die peinlichste Sorgfalt darauf zu richten,durch längeres Abwaschen in kochendem Wasser jede Spur von Salzen und Kupferoxyd- verbindungen von dem Stücke zu beseitigen; ') Rathgen. Chemikerzeitung 1903, 27, 66. Siehe jedoch unten. ") Siehe Abbildung i. ') Friedrich Rathgen. Die Konservierung von Altertums funden. Berlin 1888 (Handbücher der Königlichen Museen), *) O. A. Rhousopulos. Über die Reinigung und Kon- servierung von .Antiquitäten. Chemische Zeitschrift 1903, 2 202, 364. ^) Naturwissenschaftliche Wochenschrift, II. Band. Heft 27 Seite 319. *) Chemische Zeitschrift, 2. Jahrgang, Nr. 24, Seite 762, Rathgen verwendet ebenfalls Zinkstaub , aber in alkalische Lösung, cf. weiter unten. N. F. ni. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 21 1 andernfalls können diese Spuren die Ursache später eintretender Ausblühungen werden. Gegen die Anwendung eines sauren Bades macht nun Rathgen ^j starke Bedenken geltend, da er nicht glaubt, daß es möglich sei, auf die angegebene Weise auch die äußerst geringen Spuren von Säure, die sich in den feinen Poren des Metalls festsetzen können, vollständig wegzuwaschen. Nach seiner Meinung bietet selbst die Prüfung der Waschwasser mit Silbernitrat keine hinreichende Gewähr für das Gegenteil. Aber selbst zugegeben , daß der- artige Spuren von Salzsäure imstande sind, ein neues Zerstörungswerk in die Wege zu leiten, so darf man nach Rhousopulos' Schil- derungen wohl annehmen , daß jene Befürchtung Standbild des Jünglings von Antikythera nach der Reinigung und wochenlangem Auskochen mit destilliertem Wasser bis jetzt sehr gut erhalten. Rhousopulos hatte das Glück, Tausende solch kostbarer Antiquitäten in Behandlung zu nehmen, sowohl ägyptischen, wie auch griechischen Ur- sprungs, darunter die berühmten mycenäischen Schwerter, sowie die Bronzen der Akropolis und die wunderbaren Meeresfunde von Antikjthera, die mehr denn zwei Jahrtausende der Einwirkung des Meerwassers und der darin lebenden Orga- nismen ausgesetzt waren. Herr Professor Rhousopulos hatte die Liebens- würdigkeit, mir einige Original-Abbildungen von solchen Bronzen zur Verfügung zu stellen, die er nach Figur 1. Bronzekopf a) vor der Reinigung. b) Nach der Reinigung. unberechtigt ist. Denn Rhousopulos verwendet viel mehr Zink, als in der Säure aufgelöst werden kann, und bei Beendigung des Reinigungsprozesses kann daher freie Säure im Bade kaum mehr vor- handen sein. Wäre dies dennoch der Fall, so würde sie ja durch die auf das Säurebad folgende Behandlung des Gegenstandes mit sehr verdünntem Alkali neutralisiert werden. Jedenfalls aber hat sich die Brauchbarkeit des von Rhousopulos ange- gebenen Verfahrens, wenigstens unter den attischen Verhältnissen, während eines Zeitraumes von vier- zehn Jahren erwiesen. So hat sich z. B. auch jenes ') Chemikerzeitung 1903, 27, 56. seinem Verfahren gereinigt hat, und ich spreche ihm hierfür auch an dieser Stelle meinen verbind- lichsten Dank aus. Zwei dieser Bronzen sind in nebenstehenden Abbildungen in ihrem Zustande vor und nach der Reinigung wiedergegeben. Ersteres ist ein fragmentarischer Bronzekopf, letz- teres die überlebensgroße Statue des Jünglings von den Meeresfunden bei Antikythera , welche wohl an Großartigkeit ihrer Körperformen von keiner anderen Schöpfung griechischer Kunst er- reicht worden ist. Es ist ersichtlich, welcher Aufwand von Mühe und Sachkenntnis erforderlich war, um aus den Stark verunreinigten Stücken jene Bildnisse von 212 Naturwissenscliaftüche Wochensclirift. N. F. III. Nr. 14 bewunderungswürdiger Schönheit wieder zu neuem Leben zu erwecken. Rhousopulos beschäftigt sich bereits seit 1888 mit der Reinigung von Altertümern, und seine be- schriebene Methode ist bereits im Anfang der neunziger Jahre im '.-/g/(ao/.oy(xoi' Jt'/awv (1892, S. 32) zum erstenmale veröffentlicht worden. Fast gleichzeitig mit ihm hatte auch Finkener ein Ver- fahren in Vorschlag gebracht, das sich auf die reduzierende Wirkung des bei der Elektrolyse einer Cyankaliumlösung an der Kathode, in unserm Falle also am Metallgegenstand selbst, entstehen- den Wasserstoffs gründete. Diese Methode hat aber den Nachteil, daß man dazu einer Menge Platin- drahtes bedarf — gewiß ein Grund, billigere Vor- schläge zu prüfen. Rhousopulos' Verdienst ist es, dieses Finkener'sche Verfahren durch ein viel ein- facheres, billigeres, gefahrloseres und zuverlässigeres ersetzt zu haben. Denn er führt die Reduktion ohne Benutzung des elektrischen Stromes aus und mit gefahrloseren Mitteln, als dem giftigen Cyankalium. Außerdem erreichte er mit seinem Verfahren nicht nur die Reduktion oxydierter Bronzen, sondern auch die Entfernung fingerdicker, kalkiger Schichten ohne Schwierigkeit, während er genötigt war, bei der Be- handlung eines mycenäischen Beils nach derFinkener- schen Cyankali- Methode den Prozeß sehr bald zu unterbrechen, da der Gegenstand anfing ab- zubröckeln.') Er glaubt dies darauf zurückführen zu müssen, daß bei Anwendung des elektrischen Stromes die reduzierende Wirkung radikaler vorsieh gehe. Ein anderer Teil desselben Beils ließ sich dagegen nach seinem Verfahren ohne Beschädigung reinigen. Ob das Verfahren auch für Eisensachen brauch- bar ist, darüber liegen noch keine Erfahrungen vor. Um sie vor dem Einfluß der Atmosphärilien zu schützen, überzieht Rhousopulos die fertig ge- reinigten Bronzegegenstände in der Wärme mit einer feinen Schicht reinsten Wachses. Falls aber der Gegenstand die hierzu erforderliche Erwär- mung nicht verträgt, verwendet er Zapon zur Imprägnierung. Sofern die vorhergegangene Reini- gung in jeder Beziehung mit der unbedingt nötigen Peinlichkeit zu Ende geführt ist, soll der Wachs- überzug volle Gewähr für unbedingte Haltbarkeit bieten. Rathgen ") macht jedoch hiergegen den Einwurf geltend, daß die Fettsäuren des Wachses im Laufe der Zeit wohl imstande seien, in schäd- licher Weise auf das Metall einzuwirken, und zu Ausblüh ungen Veranlassung geben können. Denn im Berliner Museum hat man zuweilen an so impräg- nierten Altertümern aus Bronze Zersetzungserschei- nungen wahrgenommen, die diese in südlichen Gegenden nicht aufwiesen. Da aber nun nach dem Berichte des griechischen Chemikers das Konservierungsverfahren mittels Wachs sich wäh- rend eines Zeitraumes von vierzehn Jahren in den Athener Museen gut bewährt hat, so ist man wohl zu der Annahme berechtigt, daß diese Zersetzungen auf klimatische Einflüsse zurückzuführen sind. Dem obengenannten Aufsatz von O. A. Rhou- sopulos mögen noch einige hochinteressante Angaben entnommen sein, die sich auf die merk- würdigen Funde jener Bronzen im Meeresgrunde bei Antikythera beziehen, weil sie uns außer anderen Merkwürdigkeiten über die Zusammensetzung an- tiker Bronzen unterrichten und auch zeigen, in welcher Weise diese durch den Einfluß der ver- schiedenen Organismen und des Wasserdruckes gelitten hatten.') „Ursprünglich bestand die Le- gierung aus 85"/,) Cu und i5"/o Sn. Viele Gegen- stände waren nur an der Oberfläche, andere bis an den Kern in Chloride und Oxyde umgewandelt. Diese konnten kaum das saure Bad vertragen und muteten sofort durch ein Pottaschelösungsbad ge- härtet und gereinigt werden. Eine Hand hatte eine dünne, schwarze, aus Kupferoxyd bestehende Oberfläche, darunter eine dicke Schicht von grauen Chloriden, sodann Oxydul und ganz im Innern einen rein metallischen Kern." Die von Rhouso- pulos vorgenommenen Analysen dieser Bronzen und ihrer Zersetzungsprodukte sprechen für die von Berthelot ~) aufgestellten Formeln, die in anschau- licher Weise den Entwicklungsgang der Zersetzung wiedergeben : A. I. 4 Cu -|- 4O ^ 4 CuO 11. 4 CuO -f- 2 NaCl 4- CO., + 4 H.,0 = 3 CuO • CuCl, •4H.,0 + Na.,CO., B. III. 3 CuO -CuCl., -4 H.,0 + 4 Cu + NaCl = Cu,Cl„ -NaCl -|- 3'Cu.,0 + 4 H.,0 IV. 3 CuCl., + 30 + 4 H.,0'= 3 CuÖ, CuCI, + 2 CuCL V. CuCL + 3 Cu + 3O + 4 H.,0 = 3 CuO - CuCl,, • 4 H.,0. Zur Reinigung metallischer Antiquitäten hat auch Rathgen beachtenswerte Vorschläge gemacht. Bezüglich des Reduktionsverfahrens zieht er das Finkenersche jedem anderen vor. Neuerdings ■*) empfiehlt er zur Reinigung kleinerer Gegenstände, wie S i 1 b e r m ü n z e n und kleiner Eisensachen mit gut erhaltenem Kern die Reduktion mit Cyankalium im .Schmelzfluß. Die alten Silbermünzen sind in der Regel durch einen Überzug von Chlorsilber verun- reinigt. Bringt man nun Cyankalium im Porzellan- tiegel zum Schmelzen und legt die Münze dahinein, so wird das anhaftende Chlorsilber reduziert und das reduzierte Silber schwimmt schwammförmig auf der Oberfläche der Schmelze. Diesem Pro- zesse folgt ein gründliches Auswaschen mit destil- liertem Wasser und Alkohol. Zuletzt muß die Münze im Trockenschrank getrocknet und endlich mit einer weichen Bürste bearbeitet werden. Falls sich das Tränken mit einem luftabschließenden ') Chemische Zeitschrift, 2. Jahrgang, Nr. 24, S. 762. ■■') Chemilierzeitung 1903, 27, Nr. 56. ') Rhousopulos. Chemische Zeitschrift, 2. Jahrgang, Nr. 7, Seite 204. *) Compt. rend. 118, 768 (1894). I'^h entnelimc diese Angaben der Arbeit Rhousopulos'. ^) Chemil< S.6 = 2,778 km. Bei der Festigkeitsprüfung gegen Reißen ist noch der Umstand zu erwähnen, daß zwischen Papier- streifen, die in der Längsrichtung und solchen, die in der Ouerrichtung des Maschinenlaufs geschnitten sind, ein nicht unbedeutender Unterschied in Bezug auf Widerstandskraft herrscht, aus welchem Grunde man die Prüfung mit beiden vornehmen und den Mittelwert der Resultate als gültig für die be- treffende Papiersorte annehmen muß. Ein Diagonal- streifen besitzt annähernd diesen Mittelwert. Auch der größere oder geringere Feuchtigkeitsgehalt ist von erwähnenswerter Beeinflussung der F'estigkeit des Papiers, es ist daher orforderlich, die Prüfung nicht eher anzustellen, bis das Papier auf geeignete Weise auf einen Wassergehalt von 7 — 8",, ge- bracht ist. 2. S a u g f ä h i g k e i t der Löschpapiere wird auf folgende Weise bestimmt. In ein flaches Wasser- gefäß werden aus beiden Richtungen (lang und quer zum Maschinenlauf) geschnittene Streifen mit einem Ende eingetaucht, die neben einer Skala in einem horizontalen Träger senkrecht eingeklemmt sind. Während einer Versuchsdauer von 10 Minuten beobachtet man wie hoch sich das Wasser in den Streifen aufsaugt und teilt je nach der Höhe von 20, 40, 50 und 60 mm die Sorten in vier Klassen ein. 3. P" i 1 1 r a t i o n s fä h i g k e i t. Gutes Filtrier- papier muß drei Bedingungen gerecht werden : F'iltrationsgeschwindigkeit , Scheidungsvermögen und F'estigkeit des durchfeuchteten Filters. Die Filtrationsgeschwindigkeit wird nach der Zeit be- messen, in welcher 100 ccm Wasser von 15" C durch ein Filter vom 10 cm durchfließen, was bei einem guten Papier innerhalb 3 — 4 Minuten der Fall ist. Die Scheidungsfähigkeit wird mit frisch gelalltem Baryt geprüft, den man zu diesem Zwecke aus einer Lösung von Chlorbaryum mit schwefelsaurem Natron unter verschiedenen Ver- hältnissen niederschlägt, und zwar bei gewöhn- licher Temperatur, bei 60, 80 und 100" C. Eine fünfte P'ällung wird aus siedender mit Salzsäure angesäuerter Chlorbaryum-Lösung mittels siedender verdünnter Schwefelsäure niedergeschlagen. Je nachdem das Filter die verschieden gefällten Nieder- schläge klar oder trübe durchläßt, kann man fünf Klassen aufstellen : I. ungenügend, wenn klar filtriert ; II. mäßig, wenn klar filtriert; III. genügend, wenn nur erste und zweite Fällung trübe filtriert; nur die fünfte Fällung die fünfte und vierte Fällung N. F. III. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 231 IV. gut, wenn nur die erste Fällung trübe filtriert ; V. sehr gut, wenn alle fünf Fällungen klar durchfließen. 4. Leimfestigkeit. Durch einfaches Auf- schreiben von Doppelkreuzen mit schwacher und scharfer Tinte auf das auf Leimfestigkeit zu prüfende Papier lassen sich durch Zusammenfließen und völliges Durchschlagen, oder Nichtdurchschlagen, wohl die besten und schlechtesten Sorten fest- stellen, aber ein deutliches Frkennen der ange- nommenen vier verschiedenen Stufen der Leim- festigkeit, nämlich leimschwach, annähernd leim- fest, leimfest und außerordentlich leimfest, ist mit diesem einfachen Mittel nicht zu bewerkstelligen. Diesen Zweck kann man jedoch auf folgende Weise mit Sicherheit erreichen. Aus einer Tropf- pipette läßt man aus geringer Entfernung auf das zu prüfende Papier, Tropfen einer ["/„igen Eisen- chloridlösung fallen, die man nach verschiedenen Zeiten, und zwar nach i, 4, 7 und lO Minuten absaugt und abtrocknet. Das Trocknen mit Lösch- papier muß genau zu der angegebenen Zeit er- folgen. Nach völligem Auftrocknen bestreicht man nun die Rückseite des Papiers mit einer i "/„ igen Tanninlösung, dieauchgleich wieder mit Löschpapier aufgesaugt wird. Eine entstandene deutliche Blau- färbung, oder Ausbleiben derselben, läßt erkennen, in welchem Grade ein Durchschlagen der Eisen- chloridlösung stattgefunden hat, oder ob sie gänz- lich ausgeblieben ist. II. Chemische Prüfung. Zweck der chemischen Prüfung des Papiers ist die Nachweisung fremder Beimengungen, welche entweder als sogenannte Füllstoffe dem Faserstoff des Papiers absichtlich beigemengt sind, oder dem- selben während der Herstellung des Papiers oder der Zubereitung seiner Rohstoffe zugeführt sind, oder ihm schon von vornherein anhaften. P'erner ist es in manchen Fällen nötig nachzuweisen, mit welchen Stoffen die Leimung resp. Imprägnierung ausgeführt worden ist. Wenn auch nicht für alle Papiersorten absolute Reinheit von fremden Bei- mengungen erforderlich ist, so gibt es doch viele, bei denen diese Forderung im Interesse ihrer Ver- wendung erhoben werden muß, so z. B. bei dem Filtrierpapier für chemische Arbeiten , bei den photographischen Papieren, bei den Wertzeichen- und Urkundenpapieren, die eine fast unbegrenzte Existenzdauer haben sollen. I. Unbeabsichtigte Verunreinigungen. Zu diesen gehören hauptsächlich Fette, die den alten I.umpen anhaften und nur äußerst schwierig denselben völlig entzogen werden können ; ferner Chloride, Sulfate und Karbonate der Alkalien und alkalischen Erden, Eisen Verbindungen und organische Stoffe, selbst freies Chlor und freie Säuren (Salz- und Schwefelsäure), die teils durch den Reinigungs- und Bleichprozeß, teils durch das Fabrikationswasser in die Papierrohstofie gelangen können. Die erste Prüfung, die man vorzunehmen hat, besteht darin, daß man das ungeleimte Papier mit l"/,, iger Natronlauge auskocht und nach dem Er- kalten der Flüssigkeit mit Salzsäure oder Schwefel- säure versetzt; eine auftretende Trübung zeigt die Gegenwart fettartiger Körper an. Man kocht das Papier mit destilliertem Wasser aus und verdampft den Auszug, bleibt dabei ein fester Rückstand, so ist die Anwesenheit von in Wasser löslichen anorganischen Salzen nach- gewiesen, die auf analytischem Wege zu bestimmen sind. Eine weitere Probe des Papiers digeriert man mit chemisch reiner Salzsäure, die dabei keine gelbe Färbung annehmen darf, deren Auf- treten auf einen Gehalt von Eisenverbindungen deuten würde. 2. Füllstoffe. Um dem Papier ein schönes Aussehen zu geben, oder seine Undurchsichtigkeit zu erhöhen, oder auch nur zum Zwecke der billi- geren Herstellung, wird es vielfach mit Füllstoffen beschwert, die zum größten Teil aus Silikaten, Karbonaten und Sulfaten der Tonerde und Mag- nesia bestehen. Diese absichtlichen Beimengungen werden in der Asche des betreffenden Papiers be- stimmt, in der sie enthalten sind, allerdings nicht als alleiniger Bestandteil, sondern vermengt mit den Salzen, die in den zur Herstellung des Papiers verarbeiteten Pflanzenfasern abgelagert waren, oder dem Papierstoff vom Reinigungs- und Bleichprozeß her anhaften. Die Menge dieser Salze ist aber so verschwindend klein, daß sie bei der Untersuchung der Asche auf den Ursprung der Füllstoffe un- berücksichtigt bleiben können. Um die Quantität der Füllstoffe zu bestimmen, verascht man eine abgewogene Papiermenge in einem Piatintigel, glüht die Asche solange, bis sie vollkommen weiß ist, wägt den Glührückstand und berechnet wieviel Gramm Asche auf 100 g Papier kommen. Der Aschengehalt nicht gefüllten und ungeleimten Papiers schwankt zwischen V'., bis 3 Prozent. Die qualitative und quantitative Be- stimmung der Füllstoffe in der Asche ist dann Sache der chemischen Analyse. 3. Leimung und Imprägnierung. Soll ein Papier zum Beschreiben mit Tinte ge- eignet sein, so darf es der Tinte ein Eindringen und Verlaufen zwischen seine Fasern nicht zu- lassen, es muß mit einem Mittel behandelt sein, welches dies verhindert. Von alters her geschah dies durch Eintauchen in eine Lösung tierischen Leims, auf welche Weise eine Oberflächenleimung erzeugt wurde. Dieses Verfahren ist in der mo- dernen Papierfabrikation durch das Leimen im .Stoff, das im sogenannten Holländer mit der Papier- masse vorgenommen wird, fast als verdrängt zu bezeichnen. Erst nachdem man die vegetabilische oder Harzleimung kennen lernte, hat sich das Leimen im Stoff eingebürgert und wird sich, seiner großen Vorzüge wegen, wohl auch erhalten, da es nicht nur für Harz , sondern auch für Leim ausführbar ist. Leim und Harz sind jedoch nicht die einzigen Materialien, die dazu benutzt werden Schreibpapier herzustellen, denn auch das Kasein findet die gleiche Verwendung, wenn auch weniger Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 15 für die Fabrikation des eigentlichen Schreibpapiers, so doch für Kunstdruckpapier, Buntpapier, Spiel- karten usw. Unter mehreren von verschiedenen Chemikern vorgeschlagenen Mitteln zum Nachweisen anima- lischer Leimung ist das Auskochen des Papiers mit destilliertem Wasser und Zusatz einiger Tropfen Gerbsäurelösung das einfachste und dabei sicherste, da der Leim durch die Gerbsäure in Gestalt eines geblichen Niederschlages (Leder!) ausgeschieden wird. Ebenso untrüglich und leicht ausführbar ist die Bestimmung der vegetabilischen Leimung. Man kocht das Papier in Alkohol aus, in welchem sich das Harz vollständig auflöst, und wenn man nun die Lösung in ein Becherglas voll Wasser gießt, so erscheint an der Oberfläche des Wassers eine bläulich gefärbte, trübe Schicht, welche von äußerst fein verteilten Harztröpfchen gebildet wird. Um Kasein nachzuweisen kocht man das Papier mit kalzinierter Soda, dann fügt man noch so viel Soda zu, daß sich die filtrierte Flüssigkeit klebrig anfühlt und versetzt mit Essigsäure. War das Papier mit Kasein geleimt, so wird letzteres als voluminöser weißer Niederschlag gefällt. Zur Fabrikation besonders geschmeidiger Pack- und Einschlagpapiere, die gleichzeitig für Wasser undurchdringlich sein sollen, ferner leimfesterPapiere von gewisser Durchsichtigkeit wird das dazu be- stimmte Papier mit verschiedenen Stoffen, wie Fett, Öl, Wachs, Stearin und Paraffin imprägniert. Dies geschieht entweder von der Oberfläche des fertigen Papiers aus, oder, ebenso wie bei der Leimung, mittels aus solchen Stoffen erzeugter Emulsionen im Holländer. — Um diese Körper zu bestimmen, extrahiert man eine abgewogene Menge des zu untersuchenden Papiers im Extraktions- apparat mit Ätheralkohol und läßt den Extrakt in einer tarierten Schale im Wasserbad verdampfen. Der in der Schale zurückbleibende Fettkörper wird noch getrocknet und gewogen. Ist derselbe unverseifbar, so besteht er aus Paraffin, im ent- gegengesetzten F'alle kann man noch, wenn ge- nügende Menge vorhanden ist, durch Bestimmung der Hübl'schen Jodzahl und der Verseifungszahl nach Köttsdorfer die Natur des verseif baren Fett- körpers feststellen. 4. Holzschliff und Strohstoff Trotz- dem der Holzschliff von allen jetzt zur Papier- fabrikation verwendeten Materialen der schlechteste ist, wird er doch vielfach als Surrogat des wert- vollen F"aserstoffs selbst besseren Papiersorten zu- gesetzt. So zweckdienlich er ist, die Herstellungs- kosten geringer Sorten zu vermindern, sollte er doch von der Herstellung solchen Papiers, von dem eine lange Lebensdauer verlangt wird, aus- geschlossen sein. Nur in einer Beziehung verleiht er der Ware eine für manche Verwendung er- wünschte Eigenschaft in höherem Maße, als die Leinen-, Hanf- und Baumwollenfaser, nämlich die Undurch.sichtigkeit. Es ist zu empfehlen, alle Papiere, welche zu besseren Zwecken Verwendung finden sollen, auf Holzschliff zu prüfen. In einer ganzen Reihe von Körpern, die zu den Produkten der chemischen Steinkohlenteer- Verarbeitung gehören, stehen uns Mittel zu Gebote, die mit großer Sicherheit als Reagenzien auf Holz- schliff dienen können, so z. B. Phenol in alkoholischer Lösung mit einigen Tropfen Salzsäure färbt gelb. Resorcin in alkoholischer Lösung mit einigen Tropfen Salzsäure färbt blauviolett. Phloroglucin in alkoholischer Lösung mit einigen Tropfen Salzsäure färbt rotviolett. Naphtol in alkoholischer Lösung mit einigen Tropfen Schwefelsäure färbt grün. Anilinsulfat in wässriger Lösung mit einigen Tropfen Salzsäure färbt gelb. Ebenfalls als Reagenzien auf Holzschliff können Chlorwasser, Salpeterschwefelsäure, Atzkali, Amyl- schwefelsäure und Goldchlorid verwendet werden, die mit demselben gleichfalls charakteristische Färbungen erzeugen. Auch auf Strohstoff kann das Anilinsulfat an- gewendet werden, auf welchem es nach einigen Stunden einen roten Fleck hervorbringt. 5. Freie Säuren und Chlor. Von allen Verunreinigungen des Papiers sind freie Säuren und Chlor die schädlichsten, da sie direkt zer- störend auf den Papierstoff einwirken. Ihr Vor- handensein kann nur infolge ungenügendenWaschens nach dem Bleichprozeß entstehen und gehört auch zu seltenen Ausnahmefällen, ist sogar von vielen Autoritäten entschieden bestritten worden. Sichere Mittel zum Nachweis dieser Schäd- linge haben wir für das Chlor im Jodkatiumstärke- papier, für Schwefelsäure und Salzsäure im Kongorot. 6. Eisen Verbindungen, und zwar in der Form fettsaurer und harzsaurer Salze, sind als Ur- sache des Vergilbens zu betrachten. Vom Vor- handensein solcher Eisenverbindungen kann man sich nach Dr. Klemm auf folgende Weise über- zeugen : Etwa I g Papier wird mit i "!„ iger Natron- lauge Übergossen und in einem Reagenzgläschen gekocht. Die Lösung wird vorsichtig in ein anderes Gläschen gegossen und darin mit eisenfreier Salpeter- säure versetzt, bis die Flüssigkeit deutlich sauer reagiert. Dann gibt man ca. 2 ccm Rhodan- ammonlösung hinzu und überschüttet das Gemisch mit etwa 5 ccm Äther. Nun schüttelt man kräftig durch und läßt abstehen; eine mehr oder weniger kräftige Rotfärbung der oberen Ätherschicht deutet auf Vorhandensein der Eisenverbindungen. III. Mikroskopische Prüfung. Mit Ausnahme des Holzschliffes kann die Frage, aus welchen Arten vegetabilischen Faserstoffes ein Papier zusammengesetzt sei, nur durch die mikro- skopische Untersuchung beantwortet werden. Zur Ausführung einer solchen ist natürlich die richtige Herstellung des Faserstoff- Präparats das erste Erfordernis. Dasselbe muß, um ein klares Bild der Stoffzusammensetzung geben zu können, N. F. III. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 233 als frei von allen nicht zu den Faserarten ge- hörigen Fremdkörpern, zu denen auch Leimungs- materialien und Füllstoffe der betreffenden Papier- sorte zu zählen sind, gelten können. Zur Her- stellung solcher Präparate verfährt man am besten auf folgende Weise : Kine Probe des Papiers, etwa 6 qcm groß, wird in kleine Stückchen zerrissen, in ein Reagenzglas gefüllt, mit 5 ccm einprozentiger Natronlauge Über- gossen und zum Kochen erhitzt. Mit dem Kochen fährt man solange fort, bis an einem Nichtzunehmen der eingetretenen graugrünlichen Färbung der Lauge ein vollständiges Lösen der Leimung zu erkennen ist. Nun gießt man die Flüssigkeit von den Papierschnitzeln vorsichtig ab, und wäscht diese solange mit destilliertem Wasser aus, bis letzteres nicht mehr alkalisch reagiert. Hierauf werden die Papierflocken in eine Schüttelflasche übergespült, die man zur Hälfte mit Wasser füllt; nachdem man noch Glasperlen oder Granaten zugefügt hat, verschließt man die Flasche und schüttelt deren Inhalt kräftig durcheinander, bis das Papier in einem gleichmäßigen Brei verteilt ist. (War das zu unter- suchende Papier nicht geleimt, dann fällt die Be- handlung mit Lauge weg.) Von dem so zubereiteten Brei bringt man einen kleinen Teil auf den Objektträger, trocknet ihn durch Betupfen mit Filtrierpapier und schreitet nun zur Färbung der Faserprobe. Durch die Färbung erhalten die Bilder des mikroskopischen Sehfeldes eine größere Übersichtlichkeit und er- leichtern die Erkennung und Unterscheidung der verschiedenen Faserstoffe einer Papiersorte sehr bedeutend, so daß ein geübter Sachkenner imstande ist, selbst eine quantitative Bestimmung mit ge- nügender Genauigkeit auf mikroskopischem Wege auszuführen. Durch die charakteristische Färbung, welche die verschiedenen Fasern bei der Behand- lung mit den drei gebräuchlichen Mitteln, der Jod- Jodkaliumlösung, Chlormagnesiumjodlösung und Chlorzinkjodlösung annehmen, wird die Erkennung der charakteristischen Fasergestalt wesentlich unter- stützt, und in manchen Fällen eine durch Ähnlich- keit der Gestalt bedingte Verwechslung verhütet. Mit Jod- Jodkalium färben sich : braun : Baumwolle, Leinen, Hanf; gelb: Holzschliff, ungebleichter Manillahanf und Jute. Mit Chlorzinkjodlösung färben sich: violett bis rotbraun : Leinen, Hanf, Baumwolle ; blau bis grau : gebleichte Jute, Holz-Cellulose, Esparto, Bambus, Strohstoff, Manillahanf. Mit Chlormagnesiumjodlösung färben sich: rotbraun: Leinen, Hanf, Baumwolle; blauviolett: Strohstoff, Bambus, Esparto; hellbraun: Holz-Cellulose; gelb: Holzschliff und ungebleichte Jute. Von animalischen oder mineralischen Faser- stoften kommen im Papier Schafwolle und Asbest vor. Kleinere Mitteilungen. Zur Versorgung des Inlandes mit See- fischen. — Die deutsche Hochseefischerei hat zwar im letzten Jahrzehnt einen gewaltigen Auf- schwung genommen, denn sie beschäftigt z. Zt. allein in der Nordsee 530 F"ahrzeuge mit einer Besatzung von 4020 Mann. Diese Flotte, unter welcher zu Anfang d. J. 135 Dampfer waren, wird noch eine beträchtliche Steigerung erfahren, sobald die von der Dampffischerei- Gesellschaft in Nordenham in Auftrag gegebenen großen Steamer zur Ablieferung gelangen und die Ausrüstung mit Hilfsmotoren für eine Reihe von Finkenwerder Seglern durchgeführt sein wird. Dennoch werden angesichts der stetigen Bevölkerungszunahme im Deutschen Reiche die Erträgnisse der Hochsee- fischerei nicht ausreichen, die Bedürfnisse des In- landes an guter und billiger Fischnahrung zu decken ; da trotz der wachsenden Frequenz unserer Nordsee-Fischmärkte durch englische und dänische Fänger und erhöhter Zufuhren die Nachfrage das Angebot bisher immer noch überstiegen hat. Be- sonders gilt dies von solchen Fischgattungen, für welche eine wesentliche Steigerung der Fangerträge weder in den heimischen noch in den europäischen Gewässern überhaupt zu erwarten steht, und die deswegen einen Preis bedingen, welcher ihren Konsum den breiteren Volksschichten nahezu gänzlich unmöglich macht. Erwägungen dieser Art haben dazu geführt, daß HamburgAltonaer Großfirmen die Einfuhr von Edelfischen von außereuropäischen Gewässern in Angriff genommen und damit ein nicht zu unterschätzendes Maß von Unternehmungsgeist und hanseatischem Wagemut bekundet haben. Der Umstand, daß in den sibi- rischen Gewässern , besonders im Amur ein un- gewöhnlicher Reichtum an Lachsen vorhanden ist, veranlaßte die Reedereifirma Th. & H. Eimbcke mit einer Reihe von P'irmen in Nikolajefsk und Wladiwostock Verträge auf regelmäßige Liefe- rungen solcher Fische in großen Mengen abzu- schließen. Den sibirischen bzw. russischen Firmen in den genannten Orten Ostasiens gelang es, ihrer- seits eine hinreichende Zahl von einheimischen Fischern für den Fang zu verpflichten. Für den Transport der Fische nach Deutschland wurde zunächst der Dampfer „Bianka" ausersehen und zu dem Zwecke zu Anfang d. J. auf der Reiher- stiegwerft einem teilweisen LImbau unterzogen. Letzterer erstreckte sich besonders auf den Ein- bau von Kühlanlagen und -räumen , nach deren Fertigstellung der Dampfer im Juni seine Ausreise nach dem Amurgebiete antrat. Die geschlossenen Verträge erwiesen sich als ausreichend, und die Lieferung von frischen F'ischen vollzog sich so glatt, daß der Dampfer bereits am 30. September mit voller Ladung die Heimreise antreten konnte. 234 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 15 Sein Eintreffen in Hamburg erfolgte Anfang Dezember. Von der Beschaffenheit und dem Absatz der ersten Sendung wird es abhängen, ob sich die Firma zur Einstellung eines weiteren Dampfers in diesen neuen Zweig ihres Betriebes in nächster Zukunft entschließen wird. Ein zweites, nicht minder interessantes Unter- nehmen betrifft die Einfuhr frischer Aale aus Ägypten, die seitens zweier Altonaer Firmen, Moilgaard u. Bill ins Werk gesetzt worden ist. Im Juni d. J. entsandten dieselben eine Kommis- sion, bestehend aus Vertretern ihrer Häuser und Berufsfischern, die eine Untersuchung der Strand- seen im Nildelta auf ihren Aalbestand vornehmen und im günstigen Falle dortige Fischer für das Unternehmen verpflichten sollten. Der Expedition wurden seitens der ägyptischen Behörden keine Schwierigkeiten bereitet, so daß sie mit Umsicht und Eifer sich ihres Auftrages entledigen konnte. Als besonders aalreich erwies sich der zwischen Damiette und Port Said belegene, mehr als 2000 Quadratkilometer bedeckende See Mensaleh, wo- gegen der Befund bei mehreren anderen Küsten- gewässern weniger befriedigend war. Die Firmen beschlossen daher, den Betrieb zunächst auf den erstgenannten See zu beschränken, und die Expe- dition schloß mit einer größeren Anzahl einheimi- scher Fischer Lieferungsverträge. Zur Konservie- rung der eingelieferten Fänge mußten mit Rück- sicht auf das Klima Unterägyptens besondere Vorkehrungen getroffen werden. Es wurde daher in der Nähe der Eisenbahnstation Mensaleh ein umfangreiches Depot eingerichtet und dasselbe mit Kellereien, Salzlagern, Eismaschinen usw. ausgerüstet. Die zur Einlieferung gelangenden Aale werden sortiert, geschlachtet, ausgenommen, sauber gespült, gehörig mit Salz eingerieben und dann in Fässern zwischen Eislagen verpackt, denen etwas Formalin, ein in hohem Grade die Fäulnis verhinderndes Mittel, zugesetzt wird. Die Fässer werden mittels der Eisenbahn nach Alexandrien überführt und unter Erneuerung der Eispackung in den dortigen Kellereien der Firmen bis zur weiteren Verladung nach Triest aufgespeichert. Den Seetransport übernehmen die Schiffe des Österreichischen Lloyd, worauf von Triest aus die Weiterbeförderung nach Hamburg mit der Eisen- bahn erfolgt. Obwohl die mehrmalige Umpackung und -ladung die Transportkosten nicht unwesent- lich erhöhen, stellt sicli der Preis der Fische am Hamburger Markt durchweg niedriger als derjenige für heimische Ware gleicher Art, weil in Ägypten, wo Aale von der Bevölkerung wenig geschätzt werden, der an die Fischer zu zahlende Preis 6 bis 8 Pfennige das Stück nicht übersteigt, die Fische sich aber im allgemeinen durch Größe und Güte auszeichnen. Die erste an den Hamburger Markt gelangte Sendung umfaßte rund 1 5 000 Stück, die schnellen und nutzbringenden Absatz nach dem Inlande fanden. Sobald die ägyptischen Fischer sich auf den P'ang der Aale besser eingerichtet haben werden, wird die Einfuhr eine bedeutende Steigerung erfahren können; jedenfalls rechnen die Unternehmer mit wöchentlichen Sendungen bis zu 150000 Stück. Allerdings fehlt es z. Zt. noch an Erfahrungen darüber, wie sich die Einfuhr der genannten F"ische rentieren wird ; bei der Umsicht, Sorgfalt und Sachkenntnis jedoch, mit welcher die gesamten Vorarbeiten in Ostasien sowohl, als auch in Ägyp- ten eingeleitet und durchgeführt worden sind, läßt sich für die Rentabilität der Unternehmungen das beste erhoffen. Sollten sich die gehegten Erwartungen erfüllen, so sind die Unternehmungen in volkswirtschaftlicher Hinsicht nicht zu unter- schätzen, da es nur eine Frage der Zeit sein kann, daß sie weiteren Kreisen zugute kommen werden. C. Lund. Wohl von jedem, der sich näher mit dem Staaten- leben der Honigbiene beschäftigt hat, ist es als eine der empfindlichsten Lücken unseres Wissens empfunden worden, daß wir über die biologischen Verhältnisse der Meliponiden , welche in einem großen Teile der Tropen unsere Honigbiene ver- treten, so wenig sichere Beobachtungen besaßen. Es ist deshalb ein großes Verdienst von H. von I be- ring, uns in einer kürzlich erschienenen ') Ab- handlung über die Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens einen genaueren Einblick in das Leben dieser Insekten gegeben zu haben. Dauernder Aufenthalt in den Tropen ermöglichte es Verf, eine bedeutende Menge von Material für seine Untersuchung zu sammeln und zu verwerten, und es seien deshalb im folgenden seine Ergeb- nisse im einzelnen etwas eingehender besprochen. Die in Südamerika vorkommenden Arten von stachellosen Bienen gehören der Gattung Meli- pona und Tri go na an, die sich bekanntlich von den echten Honigbienen (der Gattung Apis) da- durch unterscheiden, daß ihr Stachel verkümmert ist, und daß die Absonderung der Wachsplättchen an der Dorsalseite der Abdominalsegmente erfolgt. Als typische Nestform ist das Baumnest anzusehen, sein Aufbau ist kurz charakterisiert folgender (vgl. Textfig. i). Die Baumhöhle, in welcher sich das Nest befindet, ist oben und unten durch eine senk- recht zur Achse des Stammes stehende Scheide- wand, dassog.Batumen, abgeschlossen. Den äußeren Zugang bildet das Flugloch, das sich nach außen in eine Röhre oder trichterförmige Erweiterung fortsetzen kann, nach innen durch einen kurzen Gang zu dem eigentlichen Mittelpunkt des ganzen Nestes, zu der Brutmasse, führt. Letztere ist außen von konzentrischen Wachslamellen, dem Involucrum, umgeben und besteht im Innern aus einer Anzahl horizontal gelagerter Brutwaben, die sich ihrer- seits aus kurzen, sechseckigen Zellen aufbauen. Im oberen und unteren Teile der Höhle grenzen an die Brutmasse die Vorratstöpfe an, große, kugelige oder ovale Wachsgebilde, die teils mit Pollen teils mit M In: Zoolog. Jahrbücher. Abteil, für System, etc. 19. Bd. 1903. N. F. m. Nr. it; Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. 235 Honig angefüllt werden. Für die Auswahl der Nestanlage werden meist die mittleren und höheren Partieen des Stammes bevorzugt, Melipona nigra baut dagegen in der Regel am unteren Stamm ihr Nest, Trigona fulviventris sogar in großen hohlen Wurzeln. — Ein zweiter Nesttypus wird durch die Erdnester dargestellt, die in einer Tiefe von 2 — 4 m angelegt werden. Als Beispiel greifen wir Trigona subterranea heraus (vgl. Textfig. 2). Der zuführende Kanal verläuft in unregelmäßigen, weiten Spiralvvindungen bis zu einer geräumigen, halbkugelförmigen Höhle, deren Wände ebenso wie die des Ganges geglättet und mit einer feinen Wachsschicht überzogen sind. Durch einen 2 cm breiten Zwischenraum von der Wand der Höhle getrennt, liegt innerhalb derselben nun die eigent- die Honigtöpfe und zum großen Teile auch die Brutzellen aufgebaut. Zu den Brutwaben und dem Invokicrum wird ferner eine wachsartige Substanz benutzt, das sog. Cerumen, welches an der Flamme nicht schmilzt, sondern unterteilweiser Verbrennung verkohlt. Die Flugröhre besteht bei den Trigonen gleichfalls aus Cerumen, ebenso die Batumenplatte, der noch Harze und Pflanzengummi beigemischt sind, bei den Meliponen dagegen besteht die letztere aus Ton, ebenso wie die Umgebung des Flug- loches und die Flugiöhre. Selbst beim Bau der Honigtöpfc mischen die Meliponen Erde unter das Wachs. — Das Flugloch ist bei den Meliponen und einem Teil der Trigonen eine enge, runde Öffnung, die nur eine Biene auf einmal durchläßt, bei einzelnen Trigonen indessen ist sie stark er- /- Fig. I. Baumnest von Melipona. f Flugloch, r Flugröhre, iü Brut- waben , t Vorratstöpfe , in Invo- lucrum, ba ßatumen. Fie liehe Nestmasse aus Wachs, durch kleine Wachs- pfeiler gestützt und an der Wand befestigt. Die Brutwaben, welche wiederum im Zentrum der Nestmasse gelegen sind, sind nach außen von einem dichten Gewirr feiner Wachslamellen umgeben, so daß ein System anastomosierender Gänge ge- schaffen wird, die den Arbeitsbienen zum VV'ohn- räum dienen. Die Vorratstöpfe sind um die Nest- masse in ringförmiger Zone angeordnet. — Neben diesen beiden Nesttypen finden sich noch mancher- lei andere, von denen vor allem noch die frei- stehenden Nester hervorzuheben sind, wie sie bei- spielsweise Trigona helleri aus Lehm, Wachs und Pflanzenfasern auf Waldbäumen, Trigona ruficrus in kugeliger Form auf Sträuchern anlegt. Bei genauerer Betrachtung weist der Nestbau bei den einzelnen Formen nun noch mancherlei Besonderheiten auf. Von dem verwandten Material ist Wachs das weitaus wichtigste, aus ihm sind Erdnest von Trigona subterranea im Durchchnitt. weitert und verlängert sich in eine cylindrische oder trichterförmige Röhre. Die Scheidewände (Batumen) können bei Melipona bis zu 12 cm dick werden, ihr Bau unterbleibt, oder wird nur un- vollständig ausgeführt, wenn eine natürliche Ab- grenzung der Baumhöhle vorhanden ist. Das Innere der Höhlung, deren Wände von Resten faulen Holzes sorgfältig gereinigt, geglättet und mit einem feinem Wachsüberzug bekleidet werden, wird nur zum Teile von der Brutmasse und den Vorrats- töpfen eingenommen, der Rest bleibt leer. Ein- gehüllt ist die Brulmasse in das aus feinen Wachs- lamellen sich zusammensetzende hivolucrum, da- neben haben einige Nester, namentlich die frei- stehenden, noch ein System härterer Lamellen, die sog. Spongiosa, aufzuweisen, welche nach außen von dem Involucrum liegen und im einzelnen ge- wisse Besonderheiten aufweisen. Die Pollen- und Honigtöpfe liegen im allgemeinen nach außen von 236 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 15 der Brutmasse, bei den Meliponen in der Regel über und unter derselben, bei den Trigonen bald seitlich davon, bald darunter, bald randständig. Während weiter bei den Trigonen die Pollen- und Honigtöpfe zuerst ziemlich unregelmäßig durch- einander angeordnet sind, sind sie bei den Meli- ponen, insofern die Pollentöpfe näher der Brut- masse liegen, getrennt voneinander, was für die Gewinnung des Honigs von großem Vorteile ist. Die gegenseitige Anordnung der Töpfe ist eine ganz unregelmäßige, sie bilden einen dicken, durch Wachspfeiler an der Wand befestigten Klumpen einzelner Töpfe, die regellos unter großer Ver- schwendung von Baumaterial aneinander gefügt werden, so daß die zentralen Teile sogar nur unter Abtragung der peripheren Töpfe zugänglich sind. Die Größe der Töpfe schwankt je nach den einzelnen Arten von der Größe einer Erbse bis zu der eines Hühnereies, ebenso schwankt die Dicke der Wandung sehr beträchtlich. Große dickwandige Töpfe werden wahrscheinlich als Dauer- töpfe wiederholt benutzt (Meliponen), die dünn- wandigen dagegen nach einmaliger Benutzung ab- getragen (Trigonen). Den zentralen Teil des Nestes nimmt die eigentliche Brutmasse ein, sie setzt sich aus Waben zusammen, die unter nor- malen Verhältnissen horizontal gelagert und durch Pfeiler untereinander und an der Wand befestigt sind. Nur einige Trigonen weichen von der hori- zontalen Lagerung der Waben ab, insofern sie eine kontinuierliche Wabenplatte spiralig um eine Achse anlegen. Auch finden sich in den Brutwaben der Trigonen in der Regel Öffnungen zwischen den einzelnen Zellen, die zur Erleichterung des Ver- kehrs zwischen den einzelnen Waben dienen. Be- sonders hervorzuheben ist, daß bei den Meliponen solche Durchgangsöffnungen niemals vorkommen. Die einzelne Wabe besteht aus sechseckigen Zellen, die in regelmäßigen Quer- und Längsreihen an- geordnet sind, aus feinen Wachswänden sich zu- sammensetzen und oben wie unten gedeckelt sind. Sie dienen zur Aufzucht der Brut, werden stets nur ein einziges Mal benutzt und sodann wieder abgetragen. Schließen wir hieran zunächst die Beobachtungen des Verfassers über die Aufzucht der Jungen an. Jede Zelle wird von oben her zur Hälfte mit dem Futterbrei gefüllt, der im wesentlichen aus Pollen besteht, eine gelbe Farbe besitzt und bei den ver- schiedenen Formen eine wechselnde Konsistenz aufweist. Die Zelle wird mit dem Ei besetzt und sodann durch einen Deckel verschlossen. Das Ei schwimmt auf dem oberen Rande des Futterbreis, die ausschlüpfende Larve zehrt denselben völlig auf, wobei sie sich frei bewegen kann, also mit dem Kopfe bald nach unten, bald nach oben ge- richtet ist, und geht schließlich in das Nymphen- stadium über. Nun ist der Kopf stets nach oben gewendet und die auskriechende Imago braucht nur den über ihr befindlichen, dünnen Wachsdeckel zu durchbeißen, um ins Freie zu gelangen. Die Waben, aus denen reife Brut bereits ausgebrochen ist, zeigen daher ausnahmslos die Zellen an der oberen Deckel- seite geöffnet. Eine Fütterung der Larven findet niemals statt. Die Königin spielt im wesentlichen im Haus- halte der Meliponiden dieselbe Rolle wie bei der Honigbiene (Apis mellifica), weist aber im einzelnen in ihrem Verhalten mancherlei Besonderheiten auf Sie ist auch hier das einzige befruchtete Weib- chen, welches Eier legt und dessen Leben sich gänzlich innerhalb des Stockes abspielt. Dagegen vermag sie nicht den Stock beim Ausschwärmen zu begleiten, verhindert wird sie daran in erster Linie durch die beträchtliche Größenzunahme ihres Abdomens, die bei den Meliponen weniger augen- fällig ist, bei einzelnen Trigonen dagegen bis zu dem Vierfachen eines Arbeiters anwachsen kann. Im ganzen macht die Königin einen sehr schwer- fälligen Eindruck, zumal auch ihre Flügel im Neste sehr bald abgenutzt und defekt werden. Ihr ge- wöhnlicher Aufenthalt ist die Brutmasse, wo ihre einzige Aufgabe darin besteht, die neu hergerich- teten Zellen mit Eiern zu versehen. Die Arbeiter kümmern sich im Gegensatz zur Honigbiene nur sehr wenig um ihre Königin. Jungfräuliche Köni- ginnen beunruhigen die alte Königin im Neste nicht im mindesten, Verf. zählte deren bis zu vier- undzwanzig , sie werden bei Melipona aus nor- malen Arbeiterzellen erzogen, bei den Trigonen dagegen aus wohlausgebildeten Weiselzellen. Diese jungfräulichen Königinnen spielen eine sehr wichtige Rolle im Stocke, insofern sie es sind, die mit einem Teil des Schwarmes zur Gründung neuer Kolonien ausziehen, d. h. also das Schwärmen übernehmen. Leider ist dieser Vorgang nur sehr schwer zu be- obachten, da die Vorbereitungen zu demselben nur kurze Zeit dauern, und Verf. vermag deshalb nur wenige Angaben im einzelnen darüber zu machen. — Die Männchen werden stets in den gleichen Zellen aufgezogen wie die Arbeiter, unter- scheiden sich auch in der Größe kaum von den letzteren, ihr Verhältnis zur Gesamtheit des Stockes ist ganz dasselbe wie bei der Honigbiene, sie werden sogar im Herbste in ganz ähnlicher Weise aus dem Neste vertrieben. Die Arbeitsbienen endlich besorgen die Ar- beiten im Stocke, sie sind äußerst geschäftig und beginnen im allgemeinen mit ihrer Tätigkeit schon am frühen Morgen. Das Flugloch, welches einige Trigonen des Nachts verschließen, ist stets von Schildwachen besetzt. Ihre Hauptbeschäftigung bildet indessen das Eintragen von Pollen und Lehm, welche Substanzen an den Körbchen der Hinter- beine festgeklebt und so transportiert werden. Die Meliponen nehmen als eigene Nahrung nur Honig ein, die Trigonen lecken dagegen auch pflanzliche und tierische Säfte aller Art gierig auf, sie suchen Exkremente, Aas und dergleichen auf und können dem Menschen oft sehr lästig werden, indem sie sich auf der Haut niederlassen, um den Schweiß aufzusaugen. Bemerkenswert ist weiter ihr Ver- halten beim Öffnen der Nester. Der Brasilianer unterscheidet nach ihrem Verhalten gegenüber dem N. F. III. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 237 Menschen zwischen „zahmen" und „wilden" Bienen, je nachdem sie sich ohne Gegenwehr ihres Honigs berauben lassen (i\Ieliponen), oder wütend über den Angreifer herfallen (Trigonen). Sie stürzen sich namentlich auf den Kopf des Feindes, wühlen sich zwischen die Haare ein, dringen in Auge, Ohr und Nase ein und verursachen durch Bisse in die Haut kleine Wunden, von welchen die- jenigen der Trigona cacafogo auch für den Menschen wirklich schmerzhaft sind und erst nach längerer Zeit heilen. Bei den Kolonisten heißen sie all- gemein j.Haarvvickler", von denen die bösartigsten die Trigonen mit freiem Nest und weiter Flug- öffnung sind , sowie die Raubbienen. Letztere finden sich häufig, sie dringen einzeln in fremde Stöcke ein, um hier Honig zu rauben, oder über- fallen sogar, wie Trigona dorsalis beispielsweise, in Scharen andere Stöcke, aus denen sie unter heftigen Kämpfen die alten Bewohner vertreiben, um selbst von dem Stock Besitz zu ergreifen. Die Stärke der Bienenvölker ist eine außer- ordentlich verschiedene, sie schwankt bei Melipona zwischen 500 — 4C00, bei Trigona zwischen 300 bis 80000 Individuen, doch mögen Nester von Trigona mit über 100 000 Bewohnern vorkommen. Dieses normale Leben des Bienenstockes wird im Süden Brasiliens unterbrochen durch den Winter, im Norden durch die sommerliche Regenzeit, und für diese ungünstigen Jahreszeiten werden die reich- lichen Vorräte aufgespeichert. Indessen tritt, da die jahreszeitlichen LInterschiede hier nicht so scharf ausgeprägt sind wie in Europa, eigentlicii niemals eine völlige Ruhepause ein und die Arbeit wird nie auf längere Zeit gänzlich unterbrochen. Weiter bringt Verf. eine Reihe von Angaben über die Zucht der Bienen, sowie über die Ge- winnung des Honigs, der von den Brasilianern seit alters her geschätzt wird. Das Wachs ist im all- gemeinen sehr dunkel, es variiert bei den einzelnen Arten von gelb bis dunkelbraun und findet haupt- sächlich als Pfropfwachs Verwendung. Der Honig ist sehr dünnflüssig und kann nur nach einer Vor- behandlung durch Kochen längere Zeit aufbewahrt werden, ohne zu verderben. An Geschmack kommt derjenige der meisten Melipona-Arten dem euro- päischen Bienenhonig gleich, übertrifft ihn sogar an Aroma, bei den Trigonen ist er dagegen nicht selten stark säuerlich, ja er vermag sogar bei ein- zelnen Arten Vergiftungserscheinungen und Er- brechen hervorzurufen. Durchschnittlich fand Verf. Y2 — 2 1 Honig in einem Nest, doch sollen in großen Nestern von Melipona nigra 10 — 15 1 und mehr enthalten sein können. Überall trifft man deshalb in Brasilien bei den Hütten der Wald- arbeiter Mcliponen - Stöcke zur Honiggewinnung aufgestellt, bald in primitiven Zuchtkästen, bald in den natürlichen Baumklötzen. Indessen ist der Ertrag dieser Stöcke sehr gefährdet durch Ameisen und Raubbienen. Verf. spricht sich gegen eine Einführung dieser Bienen in Europa aus, wie es früher versucht worden ist, die Meliponiden stehen unserer Apis niellifica nach in ihrer geringeren Wider- standsfähigkeit, dem minder reichen Honigertrag, in der VVertlosigkeit des Wachses und endlich darin, daß es unmöglich ist, die Schwärme ein- zufangen, wodurch eine rationelle Zucht sehr er- schwert wird. Zum Schlüsse wendet sich Verf einigen allge- meineren, vergleichend-biologischen Betrachtungen zu. Die Meliponiden zerfallen auch biologisch scharf in die beiden Gattungen Melipona und Trigona. Melipona zeigt äußerst einheitliche biologische Verhältnisse, die charakterisiert sind durch einfache, nicht mit Durchlässen versehene Waben, durch reichliche Verwendung von Lehm bei der Herstellung von Batumen und Flugloch, sowie durch die geringe Größe der jungfräulichen Königinnen, die nicht in besonderen Weisehviegen aufgezogen werden. Weit mannigfacher in ihren Lebensäußerungen tritt uns dagegen die Gattung Trigona entgegen, wir haben drei verschiedene Arten von Nestbau, wir finden Differenzen in der Anlage der Flugröhre, in der Anordnung der Waben und so fort. — In drei Punkten nament- lich unterscheiden sich alle sozialen Bienen von ihren solitären Verwandten: i. In der Differen- zierung der weiblichen Individuen in unfruchtbare Arbeiter und fruchtbare Königinnen ; 2. in der Ausscheidung von Wachs und dessen Verwendung zu Kunstbauten; 3. in der Ansammlung von Vor- räten (Pollen und Honig). Für die Gattung Apis kommen sodann als besondere (wahrscheinlich sekundär modifizierte) Erscheinungen noch hinzu das Offenbleiben der Brutzellen, die Fütterung der Larven, der Bau von Doppelwaben sowie von be- sonderen Weisel- und Drohnenzellen, das Einfüllen des Honigs in Brutzellen. Apiden und Meliponiden sind Zweige desselben Astes, und wenn auch, wie Verf. hervorhebt, ein Vergleich analoger Verhält- nisse bei beiden Gruppen nur mit einer gewissen Einschränkung durchzuführen ist, so ist es doch ganz zweifellos, daß die genaue Kenntnis der Bio- logie der Meliponiden (sowie der tropischen Apiden) zum völligen Verständnis des Staates der Honig- biene unentbehrlich ist. J. Meisenheimer. Über neue Asbest -Fundstätten. — Wer kennt nicht die mannigfaltige Verwendung dieses wichtigen Minerals: Geradezu unentbehrlich für die Technik ist dieses Material geworden und doch liegt seine allgemeine Anwendung kaum ein Jahrzehnt hinter uns. Zu Dichtungen und Packungen, Platten, Asbest-Tüchern und Seilen, Filtern, Asbestfarben etc. etc. läßt sich dieser bild- same Stoff verarbeiten. Seine Unverbrennlichkeit, seine Widerstandsfähigkeit gegen Druck und gegen Einwirkung heißer Gase, seine Unangreifbarkeit durch Säuren und ätzende Flüssigkeiten, seine selbstfettende Eigenschaft, sein schlechtes Leitungs- vermögen für Elektrizität und Wärme, seine Form- barkeit beim Zusammenkneten mit Wasser, seine große Neigung, mit mineralischen Substanzen cmail- und kittartige Verbindungen einzugehen, seine leichte Verfilzbarkeit (worauf unter anderem Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 15 die Herstellung der Superatorplatten beruht), sein geringes spezifisches Gewicht — das sind im wesentlichen die Eigenschaften, auf welchen seine technische Verwertung beruht. Von neueren Erzeugnissen sei das Asbest- porzellan genannt, welches dadurch erhalten wird, daß feinst gepulverter und mit Säuren behandelter Asbest in Kapseln eingeschlossen und dann einer hohen Temperatur ausgesetzt wird. Man erhält so eine weiße, dem Porzellan an Durchschein nahe kommende Masse, welche sich vorzüglich als Filtriermaterial eignet, indem sie Bakterien und Verunreinigungen zurückhält. Außerdem bietet das Asbestporzellan dem Durchgange des elek- trischen Stromes einen viel geringeren Widerstand als Biskuitporzellan dar und dürfte daher als Diaphragma bei der Elektrolyse der Alkalichloride von Bedeutung sein. So sehen wir, daß der menschliche Erfindungs- geist dem Asbest immer neue Verwendungs- gebiete erschließt. Der Asbest ist bekanntlich eine Varietät der Hornblende, ein Silikat, dessen Kieselsäuregehalt gewöhnlich zwischen 39 und 49 Proz. schwankt. Der in der Technik verarbeitete Asbest ist zum allergrößten Teil kanadischer oder italienischer. Der beste kanadische Asbest wird in Asbest- gruben gewonnen, welche ausschließliches Eigen- tum der „Boston - Asbestos - Packing Cie." sind. Gewöhnlicher Asbest muß oft wegen anhaftender Verunreinigungen einer reinigenden Operation mit Salzsäure unterzogen werden, wobei jedoch Spuren von Salzsäure auch bei sorgfältigstem Waschen nur zu leicht im Asbest zurückbleiben und bei seiner Verwendung zu Verpackungen und Stopfbüchsen etc. das Metall angreifen. Der ge- wöhnliche italienische (namentlich der korsikani- sche) Asbest ist wegen seiner zu kurzen und, in- folge größeren Tonerdegehaltes, brüchigen F"aser zum Verspinnen untauglich. Dagegen liefern die oberitalienischen Gruben bei Mailand lim Val Tellino, Val d'Aosta) ebenfalls eine ausgezeichnete Ware. Da der Verbrauch an Asbest in den letzten Jahren außerordentlich gestiegen ist, so hat man vielfach nach neuen Fundstellen dieses wertvollen Materials geforscht. Neuerdings war man so glücklich in Finnland mächtige Lager auf- zufinden. Die Anwesenheit von Asbest war zwar schon seit einigen Jahren bekannt, doch hat es längerer Zelt und nicht unbedeutender Anstrengung bedurft, die asbestführende Zone zu erkennen und festzulegen. Unter den enormen Massen der Ab- lagerungen kieselsaurer Magnesia in Finnland kommen doch nur wenige P'undstätten für die Gewinnung des Asbestes in Frage. Der sich an diesen Stellen vorfindende Reichtum an Asbest übertrifft allerdings alle Erwartungen , denn das Asbestgestein kommt hier nicht in schmalen Adern und Säumen, sondern in ganzen Felsen und Gebirgen vor. Die Fundstätten liegen teil- weise direkt am schiffbaren Wasser, in der Haupt- sache aber in 30 — 35 km Entfernung vom Seen- becken , das über Wiborg Verbindung mit dem Meere hat. Dr. Edgar Odernheimer. Eine Methode zur Erzeugung hoher Vakua für die chemische Destillaton beschreibt Ernst Erdmann in den „Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft" (Jahrg. XXXVI, pag. 3456 ff.). Die Wichtigkeit der Vakuumdestillation für die Chemie ist zu bekannt, als daß ich näher darauf einzugehen brauchte. Bisher benutzte man zur Erzielung des Vakuums die einfache Wasser- strahlpumpe, mit der man aber kaum einen ge- ringeren Druck als 8 mm erreichte. Ernst Erd- mann teilt nun ein Verfahren mit, das, auf einem von Emil Fischer und Harries angegebenen Prin- zipe beruhend, ganz vorzügliche Resultate zu liefern scheint. Die Methode ist etwa folgende: Zunächst wird aus dem Destillationsapparat mit einer gewöhnlichen Wasserstrahlpumpe die Luft zum größten Teil entfernt, dann wird aus einem mit Marmor und Salzsäure beschickten Kipp'schen Apparat durch Schwefelsäure und Chlorkalzium gut getrocknete Kohlensäure einge- leitet, wieder ausgepumpt usw. Dies wird einige Male wiederholt, um möglichst alle Luft aus dem Apparate zu verdrängen. Zuletzt wird auch die Kohlensäure bis auf etwa 20 — 25 mm Druck aus- gepumpt. Ist nun irgendwo in den Apparat ein kleines Gefäß eingeschaltet und taucht man dieses Gefäß in flüssige Luft, so kondensiert sich die Kohlensäure in dem Gefäß, und der Druck sinkt in dem Apparate innerhalb einer Minute von 20 mm auf 0,1 mm und noch weniger, da die Tension des Kohlendioxyds bei der Temperatur der flüssi- gen Luft (ca. — 190") außerordentlich gering ist. Offenbar ist für das Gelingen der Methode erfor- derlich, daß die Kohlensäure frei von anderen Gasen ist, die eine größere Spannung haben. Da- her ist die in Bomben in den Handel gebrachte verflüssigte Kohlensäure nicht geeignet, weil sie eine ziemliche Menge Luft in gelöstem Zustande enthält (0,75 Vol. p. Ct.). Auf die angegebene Weise erhielt Ernst Erd- mann leicht Vakua von 0,1 mm; der niedrigste Druck, den er abgelesen hat, betrug nur 0,026 mm ; die Tension der Kohlensäure bei der Temperatur der flüssigen Luft beträgt also höchstens o,02Ö mm, wahrscheinlich aber, so meint Erdmann, noch weniger. Das Kühlgefäß kann sehr klein sein; bei einem Gesamtvolum des Destillationsapparates von 1,3 1 genügte ein Kühlgefäß von 10 ccm Inhalt und 25 qcm Kühlfläche. Die Methode hat den Vorzug der größten Einfachheit; sie erfordert keine kostspielige Appa- ratur und ist überall dort zu verwenden, wo flüssige Luft zur Verfügung steht, welche ja jetzt in vielen Großstädten technisch hergestellt und für billiges Geld verkauft wird; in Berlin kostet z. B. bei der Gesellschaft für Kühlhallen i 1 flüssiger Luft nur 1,50 Mk. Mg. N. F. in. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ?39 Bücherbesprechungen. Dr. H. Röttger, Ober-Inspektor der Königlichen Unter- suchiingsanstalt für Nahrungs- und Genußmiltel zu Würzburg, Kurzes Lehrbuch der Nahrungs- mittel-Chemie. Zweite vermehrte und ver- besserte Auflage. Mit 21 .Abbildungen. Leiiizig, Verlag von Johann Ambrosius Barth, 1903. — Preis II Mk. Das sehr zweckdienliche Buch bespricht nicht zu weitschweifig und auch nicht zu kurz, dabei klar und übersichtlich die wichtigsten Tatsachen der Nahrungs- mittelchemiu mit Weglassung alles Überflüssigen und Veralteten. Größere Lehrbücher, wie z. B. das aus- gezeichnete Werk von J. König, sind nicht jeder- mann stets zugänglich, für den Studierenden aber zu weitläufig. Das vorliegende Buch soll ein kurzer Leit- faden sein für den Studierenden der Hochschule, ein Ratgeber für den Praktiker; vielleicht kann es auch die Aufgabe des mit dem praktischen Unterrichte Be- trauten vielfach erleichtern, den Verwaltungs- und Justizbehörden manche Auskunft erteilen. Das Lehrbuch enthält zunächst die Grundzüge der Ernährungslehre; sodann werden die animalischen und vegetabilischen Nahrungs- und Genu(3mittel, schließ- lich Wasser und Luft behandelt. Die Besprechung der einzelnen (jegenstände um- faßt die Charakreristik derselben, ihre Gewinnung, normale Zusammensetzung, ihre Ausnutzbarkeit im menschlichen Körper, die eventuellen Veränderungen derselben bei ihrer Zubereitung, ihre Verunreinigungen und Verfälschungen, ihre Untersuchung und Beurteilung mit Berücksichtigung der einschlägigen Gesetze und Verordnungen. In der 2. Aufl. sind u. a. insbesondere die Ver- einbarungen zur einheitlichen Untersuchung und Be- urteilung von Nahrungs- und Genutimitteln für das Deutsche Reich, sowie die amtlichen Vorschriften für die LTntersuchung von Wein, Fetten etc. verwendet worden. Wie die Erfahrung zeigte, waren einzelne Untersuchungsmethoden in der i. Auflage für den angehenden Nahrungsmittelchemiker zu kurz beschrie- ben ; diese Methoden haben nunmehr eine ausführ- lichere Behandlung erfahren. Die Technologie der Nahrungs- und Genußmittel wurde eingehender be- sprochen. Endlich wurde durch möglichst vollständige Angabe der wichtigsten Literatur, durch Hinw-eise auf Sammelreferate dem Leser des Buches Gelegenheit gegeben, sich selbst über die einzelnen Gebiete weitere Belehrung zu holen. von den Gesteinen, welche dem Nichtfachmann zur ersten Orientierung dienen soll. Bei der großen Be- deutung der chemischen und mikroskopischen Unter- suchungen für die heutige Petrographie durften die Resultate derselben nicht übergangen werden. Dr. W. Bruhns, a. o. Professor an der Lhiiversität Straßburg, Petrographie. Mit 15 Abbildungen. G. J. Göschen'sche Verlagshandlung in Leipzig 1903. — Preis gebunden 80 Pf. In dem vorliegenden Bändchen der Sammlung Göschen wurde versucht, die wichtigsten Lehren der Petrographie in möglichst kurzer und leichtfaßlicher Weise darzustellen. In Anbetracht des verhältnismäßig geringen zur Verfügung stehenden Raumes kann und will die Arbeit natürlich nichts anderes sein, als eine auszugsweise Wiedergabe unseres gegenwärtigen Wissens Dr. Reinhold Reinisch, Petrograph isch es Prak- tikum. Zweiter Teil: Gesteine. Mit 22 Text- figuren. Berlin, Verlag von Gebrüder Bornträger, 1904. — Preis geb. 5 Mk. 20 Pf Der erste Teil des Praktikums behandelte die ge- steinbildenden Mineralien, der vorliegende zweite soll ein Hilfsbuch zur Einführung in die Gesteinsunter- suchung sein, kein Lehrbuch der Petrographie ; es enthält daher auch keine zusammenhängenden Ab- schnitte über Gegenstände der allgemeinen Petro- graphie, sondern bringt die einzelnen Tatsachen je bei einem geeigneten Objekt zur Sprache. Die Kenntnis der petrographischen Grundbegrifte ist vorausgesetzt. Das Buch umfaßt Eruptivgesteine, Sedimente und kristalline Schiefer. Die Anordnung der Eruptiv- gesteine erfolgt im wesentlichen nach dem Zirkel'schen System als dem praktischsten, für die Einführung in das Gesteinsstudium und besonders auch für das Be- stimmen von Felsarlen geeignetsten. Alkalikalk- und Alkaligesteine sind bei den betreffenden Arten streng geschieden, auch seltene, aber in Hinblick auf Spal- tungsvorgänge u. dgl. wichtige Gesteine herangezogen worden. Eine besondere Gruppe von Orthoklas-Plagio- klasgesteinen wurde nicht aufgestellt, aber allenthalben auf sie hingewiesen. Die kristallinen Schiefer schließen Abkömmlinge von Eruptivgesteinen aus, soweit dies heute möglich ist. Derartige Gesteine sind als Flaser- und Schiefer- facies denjenigen Eruptivgesteinen angefügt worden, von welchen sie zweifellos abstammen. Die beiden Hefte sind sehr zu empfehlen. Prof Dr. Harperath, Sind die Grundl agen der heutigen Astronomie, Physik, Chemie haltbar? Mit 2 Tafeln. 67 Seiten. Berlin 1903, Mayer u. Müller. — Preis i Mk. Von einem o. Professor der Chemie sollte man erwarten, die im Titel genannten Fragen mit ja be- antwortet zu hören. Dem ist aber nicht so, vielmehr hat Verf. im vorliegenden Vortrag der Naturforscher- versammlung zu Kassel verkündet, daß die Wissen- schaft bis jetzt falsche Bahnen gewandelt ist. Licht und Wärme empfangen wir nicht durch Ätherwellen, sondern durch elektrochemische Wirkungen, was eine Weiterbildung der Ansichten von Berzelius sein soll. Andererseits haben die Astronomen Koppernikus Un- recht getan, wenn sie dessen vermeintliche Drehung der Erdachse auf einem Kegelmantel zur Erklärung der Jahreszeiten für überflüssig erklärten und viel- mehr die während des ganzen Jahres sich selbst parallel bleibende Stellung der Erdachse aus dem Be- harrungsvermögen ableiten. Die Zeitgleichung kommt nach dem Verf durch eine ungleich schnelle Achsen- drehung der Erde in verschiedenen Jahreszeiten her- aus. Es hieße, den Raum dieser Spalten vergeuden, wollten wir den Ideen des Verf bis zur x\bleitung 240 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. i; der Titius-Bode'schen Reihe als einer notwendigen Folge seiner Naturauffassung folgen. Nur dem, der seine kosmischen und physikalischen Begriffe von Grund aus in Verwirrung bringen möchte, könnten wir das Studium der Schrift empfehlen. Dr. phil. et med. Carl Oppenheimer, DieFermente und ihre Wirkungen. 2. neubearbeitete Aufl. F. C. VV. Vogel in Leipzig 1903. — Preis 12 Mk. Die Kenntnis der Fermente hat nicht nur prak- tisches, sondern auch eminent wissenschaftliches Inter- esse, spielen sie doch in ihren Wirkungen beim Lebens- prozeß hervorragende Rollen. In der Neu-Auflage hat sich Verf wesentlich auf den Ostwald'schen Standpunkt gestellt, daß die Enzym- reaktionen zu den katalytischen gehören, jedoch betont Verf, daß die Fermente innerhalb des Rahmens der katalytischen Reaktionen doch noch Besonderheiten zeigen, die eine etwas abweichende Stellung derselben bedingen. Verf ist den Fortschritten überall gefolgt ; neu hinzugekommen ist ein Kapitel über Fibrin- ferment. Litteratur. Abbe, Ernst: Gesammelte .Abhandlungen. I. Bd. Abhand- lungen üb. die Theorie des MiUroskops, m. 2 Taf. u. 29 Kig. im Text u. i Portr. d. Verf. (VIII, 486 S.) gr. 8°. Jena '04, G. Fischer. — 9 Mk. ; geb. 10 MU. Ahrens, Prof. Dr. Fei. B. : Handbuch der Elektrochemie. 2. völlig neubearb. Aufl. (X, 686 S. m. 293 Abbildgn.) gr. 8". Stuttgart '03, F. Enke. ^ 15 Mk.; geb. in Leinw. 16,20 .Mk. Bauer, Prof. Dr. Ma.\: Lein buch der Mineralogie. 2. völlig neubearb. Aufl. (Xll, 924 S. m 670 Fig.) gr. 8». Stutt- gart '04, E. Schweizerbart. — 15 Mk. Broesike, Prosekt. Dr. Gust. : Lehrbuch der normalen Ana- tomie des menschliclien Körpers. 7., m. Berücksicht. der neuen Nomenklatur neu bearb. Aufl. (XIV, i. Stuttgart '03, F. Frommann. — 4,50 Mk. ; geb. 5,50 Mk. Groos, Prof Dr. Karl: Das Seelenleben des Kindes. .Aus- gewählte Vorlesgn. (V, 229 S.) gr. 8". Berlin '04, Keuther & Reichard. — 3 Mk. ; geb. 4 Mk. Kassovi;itz, Prof. Dr. Ma.\ : Allgemeine Biologie. 3. Band. Stoff- u. Kraftwechsel des Tierorganismus. (Vll , 442 S.) gr. S^. Wien '04, M. Perles. — 10 Mk. ; geb. in Leinw. 12 Mk. Kirchner, O., E. Loew u. C. Schröter, Proff. DD. : Lebens- gesclüchte der Blutenpflanzen Mitteleuropas. Spezielle Öko- logie der Blutenpflanzen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, i. Bd. i. Lfg. Mit 71 Einzelabbildungen in 31 Figuren. (S. 1 — 96.) gr. 8". Stuttgart '04, E. Ulmer. — 3,60 Mk. Kissling, Dr. Ernst: Die schweizerischen Molassekohlen west- lich der Reuß. Mit 3 (färb.) Taf. (Vlll, 76 S. m. Fig.) Bern '03, A. Francke in Komm. — 4 Mk. Koninck, Ingen. Prof Dr. L. L. De: Lehrbuch der qualita- tiven u. ijuantitativen Mincralanalyse. Deutsche Ausg., unter Mitwirkg. v. Prof De Koninck bearb. v. Prof. Vorst. Dr. C. Meineke. 2. Bd. Nach dem Tode des Bearbeiters der deutschen Ausg. hrsg. v. Dr. A. Westphal. (XXlll, 720 S. m. 89 Fig.) gr. 8". Berlin '04, R. Mückenberger. — 16 Mk. Klein, Prof. Dr. Herm. J. : Führer am Sternenhimmel für Freunde astronomischer Beobachtungen. Mit 7 Tafeln in Lichtdr., Lith. u. Chromodr. , sowie zahlreichen Abbildgn. im Text. 2. verb. .Aufl. (IV, 431 S.) gr. 8". Leipzig '03, E. H. Mayer. — 8 Mk. ; geb. 9 Mk. Merkel, Prof Dr. Fr.: Handbuch der topographischen Ana- tomie. Zum Gebrauch f. Ärzte. III. Bd. i. Lfg. (244 S. m. z. Tl. färb. Abbildgn.) gr. 8". Braunschweig '03, F. Vievveg & Sohn. — 9 Mk. Nernst, Prof Dr. Walth.: Theoretische Chemie vom Stand- punkte der Avogadroschen Regel und der Thermodynamik. 4. Aufl. (XIV, 750 S. m. 30 Abbildgn.) gr. 8". Stuttgart '03, F. Enke. — 16 Mk.; geb. in Leinw. 17,60 Mk. Briefkasten. Zur Frage auf Seite 160 unten in der Naturwissenschaft- lichen Wochenschrift sind uns freundlichst 2 .Antworten zu- gegangen : I. Zur Beleuchtung von Wandtafeln bei Vor- trägen ist Petroleumglühlicht sehr brauchbar, muß aber einigermaßen' überwacht werden, damit es nicht zu rußen an- fängt. Spiritusglühlicht wird wohl ebenso gut und beim Transport reinlicher sein. Ganz vorzüglich in der Lichtstärke ist das Mita-Reform-Licht von Siegel und Butziger in Dresden, ein Spiritus-Preßgas-Licht mit ziemlich kleinen, aber sehr dichten Glühstrümpfen, das auch im Projektionsapparat sehr brauchbar ist. Das Licht rauscht zwar etwas, doch gewöhnt man sich in wenigen Minuten so an dieses ganz gleichmäßige Geräusch, daß es auch beim Vortrage nicht stört. Den Glühstrumpf kann man bei einiger Geschicklichkeit nach dem Gebrauch abheben und mit Stabiltunkc von R. Schering, Berlin, Chaussee- straße 19, (kg 1.40 Mk.) tränken, er ist dann nach dem Trocknen dieses Überzuges wieder völlig transportfähig. W. Volkmann. Karten und Wandtafeln kann man sehr gut mit dem Lichtkonus einer Projektionslampe beleuchten. Als Lampe benutzte ich einmal in einem Dorfe das Auer'sche Licht; statt Gas wurde Alkohol verbrannt. Der Spiritus ist in einem Blechbehälter enthalten. Das Ganze gleicht einer gewöhn- lichen Petroleumlampe. Die Beleuchtung ist dann derjenigen der Auergaslampe gleich. Die Lampe gehört dem Departe- ment de rinslruction publique in Neuchätel Suisse. Dr. Robert Tissot, Chaux-de-fonds, Suisse. Herr M. L. in II. — Sie schreiben: „Welche Zeitschriften, Zeitungen etc. vermitteln den Kauf von (frischen oder doch noch nicht zubereiteten) Tierfellen ev. frisch geschossenen Tieren? Es kommt mir nämlich darauf an, einen europäischen Luchs, — ehe diese ganz aussterben — zum Ausstopfen zu erhalten. Haben vielleicht die Rauchwarenhändler eine bezügl. Zeitung oder dgl. r" Ich bemerke, daß l) derartige Zeitungen nicht vorhanden sind ; 2) die Rauchwarenhändler zwar eine Zeitung haben, die Ihnen aber nichts nutzen würde und 3) die Vermittlung für solche Anliegen durch Naturalienhandlungen gegeben ist. .Am besten ist's, an diese die Bitte zu richten, den nächsten dort in den Handel kommenden Luchs zu reservieren. Solche Handlungen sind : W. Schlüter, Halle a. S., Wuchererstr. 8. Linnaea, Berlin N., Invalidenstr. 105, J. N. Brunn, Trondhjem, Fclsvarer engros & en detail, Strandgaden 37, (15 — 150 Kr. pro Stück); V. Tric, Prag, Wladislawsgasse 2t a, J. F. G. Um- lauft, Hamburg, Spielbudenplatz 8, Gust. Schneider, Basel, Grenzacherstr. 67. Prof P. Matschie. Inhalt: Dr. Weinhold: Übersicht über die verschiedenen Refraklionszustände des menschlichen Auges. — F. A. R o ß - mäßler: Über Papieruntersuchung. — Kleinere Mitteilungen: C. Lund: Zur Versorgung des Inlandes mit See- fischen. — H. von Ihering: Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens. — Dr. Edgar Odern heimer: Über neue Asbest-Fundstätten. — Ernst Erdmann: Eine Methode zur Erzeugung hoher Vakua für die chemische Destil- lation. — Vereinswesen. — Bücherbesprechungen: Dr. H. Röttger: Kurzes Lehrbuch der Nahrungsmittel-Chemie. — Dr. W. Bruhns: Pctrographie. — Dr. Reinhold Reinisch: Petrographisches Praktikum. — Prof Dr. Har p c - rath: Sind die Grundlagen der heutigen .Astronomie, Physik, Chemie haltbar? — Dr. phil. et med. Carl Oppen- heimer: Die Fermente und ihre Wirkungen. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,I-^1^ NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion; Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge 111. Band; der ganzen Reibe XIX. Band. Sonntag, den 17. Januar 1904. Nr. 16. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegcld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltenc Pelitzeile 50 Pfg. Bei größeren .Aufträgen entsprechender Rabatt. Heilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Schnecken als Parasiten. Von Dr. C. Man bezeichnet als Schmarotzer oder Parasiten diejenigen Tiere, welche sich auf Kosten anderer ernähren, wobei der Schmarotzer auf die Nahrung angewiesen ist, die er von seinem Wirt erhalten l '■• '^0'''' "■■ "■ ^!'°h?"' der notanik an der Universität Mar- burg. Mit 10 lithographischen Tafeln. 1903. Preis: 20 Mark. Das Problem der geschlechtsbestimmenden Ursachen ^ °" ^"^^ "^' ^*^" I-iMiUossek, o. Professor ! der Anatomie in Budapest. 1902. Preis: 2 Mark. Betrachtungen über das Wesen der Lebens- Ein Beitrag zum Begriff des Proto- I plasnias. Von Prof. Dr. med. et phil. Preis: 2 Mark. Die Neuronenlehre und ihre Anhänger, „^j" i Beitrag zur Lösung des Problems der Beziehungen zwischen Nervenzelle, Faser und Grau. VoQ Dr. Frauz JJissl, a. o. Professor in Heidelberg. Mit 2 Tafeln. 1903. Preis: 12 Mark. Allgemeine Physiologie, ^.n Grundrio^^der^Lehre bildungen. Vierte neu be.irlieltetc .Vufl.ige. 1903. Preis: 15 Mark, halbfranz gebunden 17 Mark. Das Neuron in Anatomie und Physiologie. Vortrag gehalten in der allgenieiiien Sitzung der medi- zinischen Hauptgruppe der 72. Versammlung deutscher Naturforscher und .\rzte zu Aachen am 19. Sept. 1900. Preis: 1 Mark 50 Pf. Der Neo-Lamarckismus und seine Beziehungen Vortrag gehallen in der all- gemeinen Sitzung der 74. Ver- sammlung deutscher Naturforscher und .irzte in Karls- bad am 26. September 1902. Von Dr. Rieliard von Wetti^teiii, Professor an der Universität Wien. Preis: 1 Mark. erscheinungen K. >eiiiiieister. zum Darwinismus. Inhalt: Dr. C. Tönniges: Schnecken als Parasiten. — F. Roßmäßlcr: Naturschilderung aus dem südlichen Kaukasus. — Kleinere Mitteilungen: Dr. M. Gräfin v. Linden: Hautsinnesorganc auf der I'uppenhUlle von Schmetterlingen. — Grae bener; Ein Beispiel zum Kampfe ums Dasein in der Pflanzenwelt in Verbindung mit der raschen Verbreitung einer neu eingeführten Art. — Börnstein: Eine einfache Vorrichtung zur Erklärung der Flut und Ebbe. — George Claude: Die Gewinnung von Sauerstoff mit Hilfe flüssiger Luft. — Vereinswesen. — Bücherbesprecbungen: Carl Ernst Heibig: Die erste Erfindung. -^ Dr. Georg Biedcnkapp: Was erzähle ich meinem Sechsjährigen? — Dr. Karl Weule: Völkerkunde und Urgeschichte im 20. Jahrhundert. — Georg Klebs: Willkürliche Entwicklungs- änderungen bei Pflanzen. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur; Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von I.ippert Sc Co. (G. Pätz'sctie Buctidr.), Naumburg a. S. -^ Einschliefslich der Zeitschrift ,,Die NatUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion : Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 24. Januar 1904. Nr. 17. Abonnement: Man abonniert bei allen Buctihandlungen lind Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate : Die zweigespaltcnc Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinseratc durch die Verlagshandlung erbeten. Die Entwicklung der altmexikanischen Religion. [Nachdruck verboten.] Ein ethnologischer Versu Wohl nirgends auf der Erde gestaltet sich der Ursprung und die Entwicklung einer vielköpfigen Göttervvelt und der Übergang vom Dämonismus zu einer etiiisclien Religion so klar und durch- sichtig wie im alten Mexiko, dessen Bewohner un- abhängig von allen Einflüssen der alten Welt eine imponierende Kultur erlangt hatten. Ihre zahl- reichen religiösen Bilderschriften und die eingehen- den spanischen und aztekischen Berichte aus der ersten Zeit der Conquista ermöglichen es uns, einerseits den Typus einer auf Fruchtbarkeits- vorstellungen gegründeten primitiven Religion zu erfassen, deren Elemente die Ethnologie bei sehr vielen Völkern durchschimmern, aber nirgends er- kennen und verfolgen läßt, andererseits den Über- gang von niedrigen zu höheren Formen der Re- ligion festzustellen. Freilich , ohne die induktiv vergleichende Völkerkunde würden diese mexika- nischen Quellen dem Forscher nichts verraten.^) ') Der Aufsatz beruht hauptsächlich auf meinen letzten Arbeiten: l) Die Feuergötter als .Ausgangspunkt zum Ver- ständnis der mexikanischen Religion in ihrem Zusammenhang in Mitt. d. Anthrop. Ges. Wien 1903, S. 129 — 233. 2) Das Relief bild einer mexikanischen Todesgotthejt. Zeitschr. f. Ethno- ch von K. Th. Preufs. Am vierten Jahresfest im April, wenn der Mais, das hauptsächlichste Nahrungsmittel, aufge- gangen war, holten die Mexikaner von jedem Acker je eine Maisstaude und begrüßten sie zu Hause als Maisgottheit. In den Gemeindehäusern wurden sie aufgepflanzt, mit Kleidern behängt und mit Lebensmitteln aller Art bewirtet. Der Maisgott oder die Maisgöttin „war mit allem, was man aß und trank, identisch und brachte alle Maissorten, die Bohnen, Kräuter und alles übrige hervor." Augenblicksgötter nennt Usener trefi'end solche Dämonen, die sich in der Lebens- und Kraft- äußerung eines Dinges dem Menschen plötz- lich oftenbaren. Nichts anderes war ursprünglich die mexikanische Maisgottheit. Später aber stellte man sich den in der l'flanze lebenden Geist auch in menschlicher Gestalt vor. Wir wissen, daß die junge Xilonen (von xilotl, junger Maiskolben) als halb erwachsenes Mädchen von 12 Jahren auf- logie 1902. Verh. S. (445)— (467). 3) Die Sünde in der mexikanischen Religion. Globus LX.XXIII (1903) S. 253 bis 257; 268 — 273. 4) Phänische Fruchtbarkeitsdämonen als Träger des altmexikanischen Dramas im Archiv für Anthropol. 1903 N. F. I, S. 129- 1 88. 258 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 17 gefaßt wurde. Je reifer die Ernte, desto älter wurde die Göttin, und beim Erntefest hatte sie ein Alter \on 40 — 45 Jahren. Aus der jung- fräulichen Göttin waren die anderen Formen Chi- come coatl (Sieben-Schlange, ihr Kalendername) und Cinteotl (Maisgott, von cintli, Mais) entstanden, die sich im Alter nicht unterscheiden, und schließ- lich die Erntemutter Teteoinnan (,, Göttermutter"). Nun war der Hauptzweck des Erntefestes, auch für das nächste Jahr reiche Fülle zu erlangen. Die Göttin war alt geworden und mußte sich durch Wiedergeburt erneuen, sollte nicht die Vegetation, die in ihr verkörpert war, zugrunde gehen. Des- halb wurde die Vermählung der „Maismutter" Teteoinnan mit dem Sonnengott und zugleich die Geburt der Tochter am Erntefest in Mexiko dar- gestellt: Das war aber keine bloße Szene, sondern man meinte, in den betreffenden Personen seien die Dämonen verkörpert, und mit ihnen verjünge sich die Natur. Aus dieser Auffassung sind auch die blutigen Menschenopfer jenes Volkes zu erklären, die furcht- baren Metzeleien, die das Entsetzen der .Spanier her- vorriefen. Eine Göttin von 40 — 45 Jahren kam den Mexikanern zu alt vor, um mit Sicherheit ein kräftiges Kind zu bekommen. Einer solchen dürfe man das Schicksal der Pflanzenwelt nicht anvertrauen. Nur eine jugendlich kräftige Göttin könne Gewähr für eine reiche Ernte bieten. Sie taten daher das, was an einer Menge von Beispielen J. G. Frazer in seinem vortrefflichen Buche „the golden bough" als Sitte auf der ganzen Erde nachgewiesen hat: der Mensch, der Priester, der König, in dem der Dämon des Wachstums verkörpert ist, muß sein Leben lassen und einem Jüngern Nachfolger den Platz räumen, auf daß der Naturprozeß in der Pflanzenwelt, die mit dem Dämon identisch ist, nicht stille stehe. Sahagun und Duran berichten in ihren Historien über den Vorgang in Mexiko. Eine Frau in dem erwähnten Alter wurde 40 Tage vorher ausge- wählt, um die Göttin Teteoinnan oder Toci (,, unsere Ahne") am Erntefest zu repräsentieren. Man kleidete sie in die vorschriftsmäßige Tracht der Teteoinnan, betete sie an und verehrte sie, als wenn sie die Göttin selbst wäre. In dem Augen- blick, wo sie geopfert werden sollte, nahm sie ein Priester auf den Rücken, derart, daß das Gesicht nach oben gewandt war, und hielt sie an den Armen fest. Dann packte sie der Opfernde bei den Haaren und schnitt ihr den Kopf ab: „Der sie hielt, badete sich auf diese Weise ganz im Blute der Geopferten." Den noch warmen Körper häutete man sofort ab und bekleidete mit der Haut einen „großen und besonders kräftigen Priester", der nun die Rolle der Göttin übernahm. Man wird gut tun, den Priester, auf dessen Rücken die alte Göttin enthauptet wurde, mit dem ,, großen und besonders kräftigen Priester", der mit dem Überziehen der Haut der Teteoinnan zur jungen „Maisbraut" wurde, zu identifizieren. Dann erklärt sich der Verlauf von selbst. Durch das Blut und durch die Haut wird die Kraft der alten Göttin auf die neue, deren Vertreter zu dem be- vorstehenden Zweck des Gebarens möglichst kräftig ausgesucht ist, übertragen. Was soll nun aber ein Maiskind bei der Ernte? Unserem Empfinden nach müßte die Aussaat als Coitus und der sichtbar werdende Keim als Ge- burt aufgefaßt werden. Es wurden ja auch die jungen Maisstauden als jugendliche Maisgöttinnen angesehen. Die Lösung ist folgende. Der Mais- gott, der am Erntefest geboren wird, heißt Cin- teotl „Itztlacoliuhqui („das gekrümmte Obsidian- messer") und wird als Gott der Kälte bezeichnet. Er ist mit Todesemblemen ausgestattet. Der Vege- tationsdämon, der am Erntefest seine Wieder- geburt feiert, ist also bestimmt, im Winter zur Zeit der Fröste zu existieren. Er ist zum Geist der Witterung geworden, weil die Pflanzenwelt vom Wetter abhängt, und ist ein Gott des Todes, da auch in Mexiko zu jener Zeit fast alles Grün verschwindet. Gleich Persephone weilt er bei den Toten, aber er ist nicht dahin, ebensowenig wie die griechische Göttin, er existiert und hat ebenso wie sie die Pflicht, die Vegetation unversehrt durch den Winter zu führen, damit sie im Frühling zu neuem Leben erwachen kann. Daß er sich aber gerade im Herbst verjüngt, das liegt nicht an seinem Wesen und an der ihm zugefallenen Auf- gabe, dazu gab nur die Ernte Anlaß, die den Ge- danken an das Alter der Vegetation und die not- wendige Erneuerung mit zwingender Gewalt er- weckte. Im Frühjahr ist dann auch der Dämon des Winters alt geworden und muß sein Leben lassen, wenn die ersten Kinder der Wärme und F'euchtig- keit das Haupt erheben. Umgekehrt wie bei der Ernte ist hier augenscheinlich nicht der winter- liche Dämon an sich alt, sondern der junge Frühling macht ihn alt und gibt den Gedanken an Ver- jüngung ein. Zu jener Zeit, Ende Februar, hob in Mexiko das furchtbare Menschenschinden an, nach dem das Jahresfest tlacaxipeualitzli genannt ist. Davon hat auch der PVühlingsdämon seinen Namen Xipe „der Geschundene". Wie man die enthauptete Maismutter sogar durch ein Kolossal- monument darstellte, weil ihre Eigenschaft als Göttin, die durch Abschlagen des Kopfes erneut wird, so wichtig an ihr war, so hieß der Vege- tationsdämon des Frühlings wegen dieser wich- tigen Eigenschaft des Erneuens der Geschundene (Xipe). Der Gott erneut sich, indem er getötet und abgehäutet wird. Deshalb wurden sowohl die Gefangenen, die geopfert wurden, xipeme ge- nannt, wie die Leute, die nachher in der abge- zogenen Haut einhergingen. Dargestellt aber wird er ähnlich der mit der Haut der alten Erntegöttin bekleideten Teteoinnan als verjüngter Gott mit überzogener Haut. Teteoinnan und Xipe, die Erntemutter und der Frühlingsgott, sind aus der großen Anzahl der Dämonen, die natürlich ursprünglich existierten, ausgewählt und zu Repräsentanten der ganzen N. F. III. Nr. I- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 259 Schar geworden. Getötet wurden aber viele Men- schen. Von ihnen sagte man, sie würden den beiden Gottheiten und anderen zum Opfer ge- bracht. Man erkennt aber an dem Überziehen der Haut der Geopferten, daß hier ebenfalls nur die Erneuung von Dämonen vorliegt und die andere Deutung des Vorganges der Entwicklung ihren Ursprung verdankt. Nach dieser Erneuung konnte, wie wir das schon an der Teteoinnan des Erntefestes gesehen haben, die Verjüngung vorgenommen werden. Das geschah durch ob- scöne Gebärden, indem z. B. — nach den Bilder- schriften zu urteilen — , die mit langen Phallen versehenen Repräsentanten der Dämonen , ihre Instrumente wie zur Aktion erhoben , in langen Reihen einherzogen. Sehen wir uns jetzt die Zeremonien der Tötung und Erneuung dieses Gottes Xipe näher an. Am Feste wurde der größte Teil der zahlreichen (3pfer durch Herausreißen des Herzens getötet, einige aber, die kräftigsten und mutigsten Leute, waren aus- gesucht worden , mit ungleichen Waffen gegen 4 Krieger auf dem temalacatl, dem „steinernen Spinnwirtel" zum kämpfen, in dessen Mitte je einer durch ein Seil, das sogenannte Lebensmittelseil (tonacamecatl) derart festgebunden war, daß er sich frei auf dem Steine bewegen konnte. Wenn er besiegt war, wurde er gleich auf dem Rande dieses Kampfsteins auf die gewöhnliche Weise durch Herausreißen des Herzens geopfert. Man wird nicht fehlgehen in der Deutung, daß das ,, Lebensmittelseil" und der merkwürdige Kampfplatz des Gottes, der Spinnwirtel, der den Erdgöttinnen (Teteoinnan u. a.) als Patroninnen des Spinnens und Webens heilig war, sich aut das bezog, was man von dem Tod Xipes erwar- tete, die Fruchtbarkeit der Erde. Das ganze Sacrificio gladiatorio aber soll den Kampf zwischen dem alten und neuen Vegetationsdämon vorstellen. Natürlich mußte bei dem Kampfe — dafür hatten die Mexikaner schon gesorgt — der alte Dämon erliegen. Aber es war mit Absicht ein hartes Ringen zwischen den besonders dazu ausgewählten Gefangenen und ihren Gegnern, denen trotz ihrer überlegenen Waffen mitunter noch ein fünfter zu Hilfe kommen mußte. Je kräftiger der alte Dämon war, mit desto größerer Gewißheit durfte man auf einen leistungsfähigen , gesunden Nachfolger rechnen, auf den die Eigenschaften des Vorgängers zugleich mit der Haut übergehen, und damit auf reiches Wachstum und ergiebige Ernte. Dieselbe Idee liegt der folgenden Zeremonie zugrunde. Die mit der Haut bekleideten Xipeme, die neuen Vegetationsdämonen, stellen sich , wenn sie zum erstenmal mit der Haut erscheinen, in Reihen auf. Ihnen gegenüber nehmen unerschrockene, ausgezeichnete Krieger Stellung, versetzen sie durch Neckereien in Zorn und Wut , und fliehen , ver- folgt von der Schar der Xipeme. Das Gefecht zieht sich schnell in bestimmter Richtung nach dem Tempel Xipes, nach Yopico hin. ,,Wer er- griffen wird, den schlagen sie, treten ilni mit Füßen und lassen sonst ihren Zorn an ihm aus." Noch deutlicher wird uns der Sinn dieser Zeremonie werden, wenn wir sie mit den ähn- lichen Gefechten am Erntefest vergleichen, wo die alte Maismutter mit der jungen kämpft, und entsprechend ganze Scharen daran teilnehmen. Bevor die Verkörperung der Göttin zum Tode geführt wurde, fanden 4 Tage lang heftige Kämpfe zwischen den alten und jungen Medizinfrauen statt, deren Patronin die Göttin war. In zwei gleiche Parteien geteilt bewarfen sie sich mit Ballen be- stimmter Blätter und Stengeln gelber Blumen, wobei Teteoinnan unter der Gruppe der Alten den ersten Angriff auf die der Jungen machte. Nach dem Siege dieser letzteren wurde die alte Göttin in der Nacht darauf getötet. So dezent auch die mexikanischen Bilder- schriften im allgemeinen sind, so läßt sich doch an sehr vielen Gottheiten des mexikanischen Pantheons mit Sicherheit feststellen, daß sie wie Teteoinnan und Xipe Fruchtbarkeitsdämonen sind, daß sie wie diese mit der Pflanzenwelt identisch sind, und, da sie in menschlicher Form gedacht werden, auf menschliche Art für die Fortpflanzung der Vegetation Sorge tragen. Nach dieser ihrer Haupttätigkeit hat die Maismutter Teteoinnan den Beinamen Tlagolteotl , „Göttin des Unrats" d. h. der geschlechtlichen Ausschweifungen, ebenso wie im Germanischen die ihr entsprechende Korn- mutter ,,die große Hure" genannt wird. Da ferner der Sonnengott besonders als Vater zur Befruch- tung der Erde anerkannt wurde, so hatten die Mexikaner es in dem gleichen Gedankengange für richtig befunden, einen mit Syphilis behafteten Gott Nanauatzin, ,,den armen Syphiliskranken", zum Sonnengott zu machen. Wegen seiner ge- waltigen geschlechtlichen Tätigkeit mußte er an der Krankheit leiden, die man an ausschweifenden Menschen zu sehen gewohnt war. In den Bilder- schriften ist diese Idee der geschlechtlichen Tätig- keit der Gottheiten häufig dadurch zum Ausdruck gebracht, daß eine Eidechse, das Symbol der Fruchtbarkeit und des Wasserreichtums, oder eine Blume an den Penis oder die Vulva gesetzt ist. Da aber die Dämonen , als sie zu Göttern und sittlichen Mächten erhoben wurden, anfingen Kleider zu tragen wie die Mexikaner selbst, denen es als eine Schande galt, ohne Schambinde zu erscheinen — so ist eine Verbindungslinie von der Eidechse zu der Gegend zwischen den Beinen gezogen. Nur die ärgsten PVuchtbarkeitsgottheiten gehen bezeichnenderweise trotz ihrer staatlichen Würde noch zuweilen nackt. Dahin gehören Teteoinnan, Xochiquetzal, ihrem Namen und Wesen nach die mexikanische Flora, ,,die die Erde mit Blumen bedeckt", Xochipilli (der „Blumenprinz"), der Gott des Spiels und Tanzes, und Tlaloc, der Regengott. Zu diesen Vegetationsdämonen gehört auch eine der mexikanischen Hauptgottheiten, Tezcatli- poca {Spiegelrauch), dessen eigentümlicher Kultus 200 Naturwissenschaftliche Wochcnsclirifi. N. F. III. Nr. 17 weiter das Wesen dieser Waclistumsdämonen er- lau sehr oft unliebsame Überraschungen. Wiederholt ist es vorgekommen , daß einer von der Decke auf sie fiel, wenn sie gerade entwickelte. Einmal war sie nicht wenig überrascht auf der entwickelten Platte das Bild eines Skorpions zu sehen, das sich bei näherer Besichtigung als der Skorpion selbst herausstellte , der ganz gemütlich auf der Platte saß. Ein anderes Mal war die Platte am folgenden Morgen von den Zangen und Füßen eines Skorpions beschädigt, d.h. die Gelatine- schicht stellenweise zerstört; ob aber durch Ab- nagen oder durch Herummarschieren , ließ sich nicht feststellen. Meine Frau behauptet, daß die Schäden deutlich als durch Abnagen mit Zangen verursacht aussahen. Leo Brenner. Morphologische und physiologisch-chemi- sche Untersuchungen über die Pigmente der Lepidopteren. i. Die gelben und roten Farb- stoffe der Vanessen betitelt sich ein Artikel der Gräfin M. v. Linden. ( Arch. ges. Physiol. Bd. 98. 1903. pag. I — 89. Mit 3 Textfig. und i Taf.) In genannter Arbeit kommt die Verfasserin zu außerordentlich interessanten und wichtigen Resultaten über das Wesen der Lepidopteren- Pigmente, die hier in aller Kürze mitgeteilt werden mögen. Die roten und gelben Pigmente der^Vanessen gehören zu den Eiweißkörpern, wie sich aus den Versuchen über Wasserlöslichkeit, über ihre F"äll- barkeit aus ihren wässrigen Lösungen und vor allem aus dem positiven Ausfall der Millon'schen und der Xanthoprotein-Reaktion ergibt; sie ent- halten Eisen und freien Zucker (Berlinerblau-, Fehling'sche und andere Reaktionen). Ganz ähnlich wie beim Hämoglobin ist hier ein Eiweiß- körper an ein Pigment gebunden: salzsaurer Al- kohol trennt einen alkohollöslichen gefärbten von einem wenig oder gar nicht gefärbten wasser- löslichen Bestandteile, der, seiner spezifischen Reaktion nach zu urteilen, zu den Albumosen ge- hört und ganz wie die Globuline durch Kohlen- säure gefällt wird (das gilt aber nur vom Darm- exkremente-, nicht vom Epidermis Farbstoff). Der alkohollösliche rotfärbende Bestandteil ist eine Säure, ihre gelbe Chloroformlösung gibt die Gmelin'sche Gallenfarbstoffreaktion und steht kristallographisch sowie optisch^ dem Bilirubin nahe. Der rote Vanessenfarbstoff hat mit dem Hämo- globin wichtige Kristalleigenschaften (Doppel- brechung und Dichroismus) gemeinsam. Vor allem aber hat er, wie das Hämoglobin, die Fähigkeit, den Sauerstoff der Luft locker zu bin- den, ferner, analog der Entstehung des Methämo- globins aus dem Oxyhämoglobin, eine bestän- digere Verbindung mit dem Sauerstoff einzugehen, wenn er längere Zeit der Luft ausgesetzt wird, die sich von jener rubinroten, durch sherrygelbe Fär- bung unterscheidet, ganz wie das Methämoglobin vom Oxyhämoglobin. Spektroskopisch ist für den roten Vanessenfarbstoff ein sehr breiter Ab- sorptionsstreifen zwischen b und F besonders charakteristisch, ei ist dem Urobilin jedenfalls sehr nahe verwandt. Nach längerer Einwirkung von Sonnenlicht oder von Wärme (Wärme gibt zuerst rotbraune Töne) erhält man einen ähnlichen F"arbenumschlag, wie bei der Oxydation. Die verschiedenen Farbenabstufungen , in denen der P'arbstoff bei Vanessa auftritt, scheinen den Oxy- dations- und Reduktionsvorgängen im Organismus ihre Existenz zu verdanken, — die experimentell (Hitze, Chloroform) erzielte karminrote Farbe der Raupen (Vanessa urticae) kann durch Oxy- dation (längere Einwirkung der Luft) in die braungelbe, gelbe und grüne Farbe zurück- verwandelt werden entsprechend ihrer ontoge- netischen Entstehung aus den anderen. Die Vanessenfarbstoffe entstehen im Darm der Raupe aus dem mit der pflanzlichen Nahrung auf- genommenen Chlorophyll. Die Verfasserin zeigt an der Hand mikroskopischer Präparate den Über- gang des gelösten' und als Chlorophyllan von den Darmzellen aufgenommenen Chlorophyllfarbstoffes während des Raupenlebens in eine grüngelbe Modifikation, die von den Geweben aufgenommen und in der Epidermis allmählich in eine rote Farbe verwandelt wird. Der Gehalt an Zucker und Eiweiß, seine Bil- dungsstätte, ferner aber der ausgiebige Konsum seitens der im Schmetterlingsdarm parasitierenden Insekten während ihrer Puppenruhe weist darauf 266 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 17 hin, daß der Vanessenfarbstoft' wohl als Reserve- nahrung während der Metamorphose eine große Bedeutung besitzen mag. Nach seinen chemischen Eigenschaften und seiner Verteilung im Insektenkörper kommt ihm sicher auch eine respiratorische Funktion zu. So erklärt es sich aus der besonderen Sauerstoff- speicherungsfähigkeit der grüngelben Modifikation, daß die Raupen ganz außerordentlich lange in sauerstofffreier Luft am Leben bleiben. Aus dem respiratorischen Pigment der Pflanze hervorgegangen, zu einem respi- ratorischen Tierpigment verwandelt und fast identisch mit dem Blutfarb- stoffe der Wirbeltiere und dessen Um- wandlungsprodukten bietet uns der Vanessen- farbstoff ein in der Tat beispielloses Beispiel einer Konvergenzerscheinung, auf deren ganz außer- ordentlich deszendenztheoretische und antivitalisti- sche Bedeutung Referent zum Schluß wenigstens hingewiesen haben möchte. Dr. Wolff (Jena). Die Rückkehr der deutschen Südpolar- expedition. — Am 26. November 1903 ist die deutsche Südpolarexpedition nach Kiel zurück- gekehrt, von wo sie am 11. August 1901 ausge- laufen war. Sie hat die erste mit reichen Mitteln ausgestattete Entdeckungsfahrt in fremdes Land durchgeführt, welche das Deutsche Reich hat unternehmen lassen. Es ist Eigenart der Deut- schen, Leistungen anderer Völker milde, die eigenen oft recht streng zu beurteilen. Daher sind in- mitten der berechtigten Befriedigung darüber, daß die Mitglieder der deutschen Expedition auf dem Schiffe Gauß in der Ferne sehr fleißig gearbeitet haben und wohlbehalten zurückgekommen sind, in der wissenschaftlichen und politischen Presse auch minder wohlwollende Stimmen laut geworden, z. B. im Globus, in der Flotte, im Hamburger Korrespondent. Die gleichzeitig auf der Discovery hinausgezogene englische Expedition ist rund 16 Breitengrade weiter nach Süden gelangt, und die dritte zur selben Zeit in der Antarktis tätig ge- wesene Unternehmung, die schwedische Expedition des Dr. Nordenskiöld, hat tapfer gegen mancherlei Unglück, wie den Verlust ihres Schiffes, und gegen Entbehrungen standgehalten und dadurch persönliche Anteilnahme herausgefordert. Ehe noch die zur Erholung zunächst in ihre Familien zurückgegangenen Insassen der Gauß mit zusam- menfassenden Reiseberichten in die Öffentlichkeit getreten sind, ist hier und da von Enttäuschungen gesprochen, welche die örtlich nicht gerade um- fangreichen Neuentdeckungen der deutschen Expe- dition hervorrufen müßten. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß wolil noch niemals eine Expedition schon während ihrer Tätigkeit in der Fremde so eingehende Veröffentlichungen ihrer wissenschaftlichen Arbeiten ermöglicht hat. Be- reits zu Anfang des Dezember 1901 sendete sie von Kapstadt, Ende Januar und Anfang April 1902 von den Kerguelen-Inseln, um die Mitte des Jahres 1903 wiederum von Kapstadt je ein umfangreiches Paket von allgemeinen und nautischen Reise- berichten, von ozeanographischen und geologischen Untersuchungen, von erdmagnetischen und meteo- rologischen, chemischen, biologischen und bakte- riologischen Beobachtungen in die Heimat, wo sie sofort mit Karten , Photogrammen , Tabellen ab- gedruckt wurden (Veröftentlichungen des Instituts für Meereskunde, Heft i, 2, 5. Berlin, Mittler & Sohn, 1902, 1903). Ein ehrenderes Zeugnis vom pflichteifrigen, opferfreudigen Fleiße der Expe- ditionsmitglieder geben diese reichen Ergebnisse intensiver Einzelforschung als extensive Neuent- deckungen getan hätten. Die englische Expedition ist von einem Marineoffizier geleitet, dem die wissenschaftlichen Teilnehmer unterstellt sind, die deutsche von einem Gelehrten, und sie hat einem schwimmenden Laboratorium geglichen. Bei jener wurden kecker Wagemut und körperliche Anstrengungen aufgewendet, um wertvolle Leistun- gen früherer Entdecker zu überbieten. War doch schon J. A. Roß in derselben Gegend östlich des Viktoria-Landes bis über den 78. Grad mit seinen .Schiffen vorgedrungen, und Borchgrevink hatte hier im Jahre 1900 überwintert und war über das feste Land gefahren. Die deutsche Expedition richtete ihren Vorstoß dagegen in einen der un- bekanntesten Küstenstriche der Antarktis, in die Lücke, die zwischen dem Wilkes-Land, südlich von Australien im Westen von Viktoria -Land, und Kemp- und Enderby-Land, nocii weiter west- lich, klafft oder doch nur von der Termination- Insel unterbrochen wird, an deren Vorhandensein man zweifeln mußte. Diese Küsten liegen sämt- lich in der Nähe des Polarkreises, und es war kaum zu erwarten, daß zwischen ihnen das Meer sich soweit polwärts in die Antarktis einbuchte, wie im Süden des Atlantischen Ozeans als Weddel- und südlich des Großen Ozeans als Roß- Meer. Die ganz allgemein gehaltene Anweisung, welciie die deutsche Expedition von Kaiser und Reich erhielt, lautete deshalb im Allerhöchsten Erlaß vom 18. Juli 1901: „Als Forschungsfeld gilt die indisch-atlantische Seite des Südpolargebiets. Falls die Erreichung eines Südpolarlandes gelingt, ist wenn angängig auf demselben eine wissenschaft- liche Station zu gründen und tunlichst während eines Jahres zu unterhalten." Diesem Plane ist die Expedition genau nachgekommen. Es wurde ein bisher unbekanntes Land gefunden, und 90 km vor der Küste im Scholleneise vom 22. Februar 1902 bis zum 8. Februar 1903 eine Station unter- halten. Trotzdem sind von einigen Seiten zwei Ausstellungen an der Tätigkeit der Expedition erhoben: Sie sei zu spät im Südsommer 1902 ins Südpolargebiet eingedrungen und habe des- halb nicht ausführlich genug die unbekannten Küsten befahren, nicht zweckmäßig genug eine i^berwinterungsstelle sich aussuchen können. Fer- ner habe sie die Zeit, während der sie im Eis eingefroren war, nicht emsig genug zu Überland- N. F. m. Nr. i; Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 267 fahrten zum Zweck von Neuentdeckungen ver- wertet. Eine wesenthche Schwierigkeit südpolarer Forschungen liegt in der weiten Entfernung der Antarktis von Europa. Um den langen Weg der Expedition bis zu ihrer Wirkungsstätte mit nutz- bringenden Arbeiten zu kürzen, wurden von der Gauß die wenigst untersuchten Teile des Atlan- tischen Meeres befahren, und ständig arbeiteten die Netze, Lote, Thermometer, eifrig wurde Witte- rung und Magnetismus beobachtet. Darüber ver- zögerte sich die Ankunft der Gauß in Kapstadt bis zum 23. November 1902. Um diese Zeit hätte man schon auf den Kerguelenlnseln sein können. Aber erst während der Fahrt stellte sich heraus, daß das für Eisverhältnisse gebaute Schiff ein langsamer Segler war. Dazu hatte man unter häufigen Windstillen zu leiden. Aus diesen Mängeln machte der Expcditionsleiter, Prof v. Drygalski, einen Vorteil, indem er die Muße benutzte, um alle wissenschaftlichen Mitglieder sich in die Ar- beitsweisen ihrer Untersuchungen einleben, mit ihren Instrumenten und den verfügbaren Räumlich- keiten sich ganz vertraut machen zu lassen, damit unter den äußerlich schwierigen Verhältnissen im Polargebiet ein jeder volle Sicherheit besitze. Zu- dem hatte er bei andauerndem Studium der Be- richte von früheren Südpolarfahrern erkannt, daß es nutzlos sein werde, früher als am 15. Januar die Kerguelen zu verlassen, da bei dem sommer- lichen Abtrieb von Eismassen man mit dem Schifte doch erst spät an das feste Land würde gelangen können, ein anhaltender Kampf mit Eis- bergen noch vor der Überwinterung die Mann- schaft aber nutzlos ermüde. Damit die über Australien mit Polarhunden und Kohlenvorräten zu den Kerguelen -Inseln entsendeten Gefährten dort nicht über das Ausbleiben der Gauß sich beunruhigten, wurde ihnen mit einem von Kap- stadt nach Australien gehenden Dampfer Nach- richt geschickt; doch hat dies Schiff die Kerguelen- Station nicht gefunden, weil sie nicht am verab- redeten Drei- Insel-Hafen aufgeschlagen war, son- dern in der Observatoriumsbucht. Erst am letzten Dezember traf die Gauß auf den Kerguelen ein, nachdem sie wieder auf dem Meere so emsig tätig gewesen war, daß eine wertvolle Bereiche- rung unserer Kenntnisse erzielt ist. Nun mußte man einen Monat auf der Kerguelenstation bleiben, länger als geplant. An Bord des Dampfers näm- lich, der die Kerguelenstation von Australien ge- bracht halte, war unter der chinesischen Mann- schaft die bisher nur aus tropischem Klima bekannte Beriberi-Krankheit ausgebrochen, so dal5 die Ein- richtung der Kerguelenstation weit zurück war und die Gauß-Mannschaft helfen mußte, obwohl die Kohleneinnahme an sich schon schwierig war. Trotzdem wird man jetzt von Glück sagen müssen, daß die Gauß mit der Chinesenmannschaft des inzwischen abgefahrenen Dampfers nicht mehr in Berührung kam; denn die Beriberi ist bei den auf den Kerguelen zurückgelassenen Beobachtern Dr. Werth und Dr. Enzensperger später ausgebrochen, offenbar also infolge Ansteckung trotz der rauhen Witterung in diesen nicht-tropischen Gebieten. So hat die Verzögerung des Aufbruchs in die Ant- arktis, der am 31. Januar 1902 erfolgte, die Ex- pedition wahrscheinlich vor schwerem Unheil be- wahrt, welches auf den Kerguelen später das hoffnungsvolle Leben Enzenspergers gefordert hat, und die Wissenschaft um viele ozeanographische und andere Ergebnisse aus dem südwestlichen Indischen und mittleren Atlantischen Ozean be- reichert. Nun ging es nach Süden, und wirklich wurde man vom Eise ziemlich wenig belästigt. Termi- nation-Land wurde nicht gefunden, wohl aber weiter westlich eine bisher nirgends verzeichnete Küste. Prof v. Drjgalski berichtet, daß Eisberge so häufig die F'orm von Land vorspiegeln , daß die von Kapitän VVilkes angedeutete Termination- Insel wahrscheinlich ein Eisberg gewesen ist. Diese Ansicht ist annehmbarer als eine in der deutschen Heimat aufgestellte Vermutung, die von der Gauß neu entdeckte Kaiser Wilhelm II. -Küste sei nur das alte Termination-Land und Wilkes habe sich lediglich in der Ost - West - Lage geirrt. Schon 9 Tage, nachdem man mit dem Eise in Berührung gekommen war, wurde die Gauß eingeschlossen, ehe sie das Festland erreichen konnte. Die Be- rechnung, daß man anfangs Februar das eisfreieste Meer v^orfinden würde, war also richtig gewesen. Das Land ist vom Fesselballon des Schiffes an klarem Tage aus Höhen bis zu 500 m beobachtet, und zu ihm sind auch mehrere Schlittenfahrten unternommen ; im ganzen sind 7 P'ahrten von zu- sammen 106 Tagen Dauer ausgeführt. Nur eine 366 m hohe Basaltkuppe, überstreut von erratischen Blöcken vorwiegend archaischen Gesteins, ragt aus dem flach ansteigenden Inlandeise auf Sonst zeigt dies eisbegrabene Land keinerlei hervor- tretende Leitlinien des Oberflächenbaus, keine aus- geprägten Formen. Nur sehr weite Überlandreisen hätten vielleicht eine geographische Neuentdeckung herbeiführen können ; aber der zweifelhafte Erfolg war nur unter schwerer Gefährdung der Expedi- tion zu erreichen; denn das Schiff lag nicht am Land und konnte mit dem umgebenden Scholleneis leicht abgetrieben werden. Besser waren die Kräfte der wissenschaftlichen Teilnehmer und der Besatzung bei wissenschaftlichen Beobachtungen zu verwerten. Trotz schwerer Schneestürme, deren Gewalt die größten Hemmnisse der Arbeiten her- vorzurufen geeignet war, während die Kälte nur in Ausnahmen sich bis zu — 40,8" im Tagesmini- mum, zu — 35,4" im Tagesdurchschnitt gesteigert hat (August), ist die emsige Tätigkeit nicht ein- gestellt worden. Über die wissenschaftlichen Leistungen ausführlich zu sprechen, ist es erst Zeit, wenn umfänglicher die Expeditionsteilnehmer sich selbst geäußert haben. Am S.Februar 1903 wurde das Schiff eisfrei und versuchte bis zum 16. März durch die Schollen sich einen Weg west- wärts an der Küste entlang zu bahnen. Dabei 268 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 17 wurde ständig gefischt, gelotet, geschleppt, ge- messen, magnetisch beobachtet. Dünung und Strömung waren in dem umgebenden Eis zu wirk- sam, als daß man den Versuch hätte wagen können, sich einen zweiten Südwinter hindurch gefangen zu geben. Man entschloß sich, die Antarktis zu verlassen, mit dem Wunsche, im kommenden Süd- sommer weiter westlich von der bisher besuchten Stätte die Küste des Südpolarlandes wieder auf- zufinden. In Kapstadt mußte man vor allem aucli frische Kohlen einnehmen; denn ein erst nach der Ausreise des Schiffs von Europa sich geltend machendes Leck, das später bei der Über- winterung entdeckt wurde, hatte die Dampfpumpe und den Kohlcnvorrat über die Berechnung hinaus in Anspruch genommen. Die gesamte Schiffs- besatzung war willens, eine zweite Überwinterung vorzunehmen. Doch in Kapstadt erhielt man den Befehl, heimzukehren, da etatsrechtliche Schwierig- keiten der vom Reichstage nicht bewilligten Ver- längerung der Reise entgegenständen. Dieser Befehl hat den geographischen Entdeckungen der deutschen Südpolarexpedition ein Ende geinacht, nicht aber die Art und Weise, wie der Expeditions- Iciter oder die Teilnehmer ihre Zeit verwertet . haben. Diese Zeitausnutzung ist infolge einer Reihe von Umständen von der Art gewesen, daß Seitenzweige der geographischen Wissenschaft mehr Förderung durch die Expedition erfahren werden als die eigentliche Chorographie der Ant- arktis. Wer durch diese Tatsache enttäusclit ist, würde fälschlich die G r ö I.j e der Erfolge bemängeln, weil die Eigenart der Ergebnisse eine andere gewesen, als er sich gedacht. Dr. F. Lampe. Weitere Mitteilungen über die n-Strahlen 'j hat Blondlot in den Comptes rendus vom 9. Nov. und 7. Dez. 03 veröfil'entlicht. Bei seinen Versuchen, die zur Konzentration der Strahlen eine Quarzlinse benutzten, entdeckte B. zu seinem großen Erstaunen, daß die Strahlung auch dann nocii fortdauerte, wenn die in eine Laterne ein- geschlossene, erregende Gasglühlichtflamme aus- gelöscht und entfernt wurde. Es zeigte sich, daß die Quarzlinse nunmehr ihrerseits die Fähigkeit erlangt hatte, n-Strahlen auszusenden. Das gleiche, der Phosphoreszenz ähnliche Verhalten zeigte Kalk- spat, Flußspat, der Faden einer Nernstlampe und eine Anzahl von Metallen, wie Gold, Platin, Silber, Blei, Zink usw. Dagegen fehlt die Fähigkeit zur Auf- speicherung von n Strahlen dem Aluminium, dem Holz, Papier und Paraffin. Da auch im Sonnen- licht n-Strahlen enthalten sind, so gehen solche auch von Kieselsteinchen aus, die von derselben bestrahlt wurden. In die Nähe einer phospho- reszierenden Schwefelkalziummasse (sog. Baimain- scher Leuchtfarbe) gebracht, verursachten vorher besonnte Kieselsteinchen, Kalksteinchen oderZiegel- stückchen eine Vermehrung der Helligkeit der Phosphoreszenz. Dagegen bleibt die Wirkung ') Vgl. Bd. II, S. 500. gänzlich aus, sobald die untersuchten Körper feucht sind, da ja selbst eine sehr dünne Wasserhaut die n-Strahlen völlig absorbiert. Des weiteren bemerkte Blondlot noch, daß Kompression durch Druck viele Körper zur selb- ständigen Emission der n-Strahlen veranlaßt, er erzielte dies z. B. bei Holz, Glas und Kautschuk. Befindet man sich in einem schwach erhellten Räume, so daß etwa das Zifferblatt einer Uhr nur unbestimmt wahrnehmbar ist, so empfindet unser Auge eine Aufhellung dieser Fläche, wenn man einen Spazierstock in der Nähe des Auges biegt, oder ein Stück Glas drückt und dadurch zur Aus- sendung der n-Strahlen veranlaßt.') Körper, deren innere Teile dauernd im Spannungszustande sich befinden, wie Hartglas und gehärteter Stahl, senden dementsprechend dauernd n-Strahlen aus, während ungehärteter Stahl wirkungslos ist. Diese Strahlen sollen 1,5 cm dicke Aluminiumplatten oder 3 cm dicke eichene Bretter durchdringen und selbst an einer Messerklinge aus der Merowingerzeit will B. die bis heute fortbestehende Strahlung beobachtet haben. Die außerordentlich geringe Energieent- faltung setzt B. auf Rechnung der bei der Härtung dem Stahl mitgeteilten potentiellen Energie. So sehr manche der von B. entdeckten Strah- lungswirkungen an die Becquerelstrahlen erinnern mögen, müssen sie doch als eine besondere Art von Strahlen betrachtet werden, die sicherlich in die Klasse der Spektralstrahlen gehören, werden sie doch gebrochen, reflektiert, polarisiert usw. und lassen eine Messung ihrer Wellenlänge zu. Kbr. ') Ref. muß allerdings bekennen, daß es ihm bislang nicht gelungen ist, eine von diesen Erscheinungen durch eigene Versuche zu bestätigen. Wetter-Monatsübersicht. Die trübe, nebelige Witterung, die schon seit Anfang No- vember fast ununterbrochen geherrscht hatte, setzte sich wäh- rend des größten Teils des vergangenen Dezember in ganz Deutschland fort. Weder kam in ihm besonders strenge Kälte noch auch für die Jahreszeit übermäßig hohe Wärme vor, vielmehr hielten sich die Temperaturen am häufigsten in der Nähe des Gefrierpunktes. Die in der beistehenden Zeichnung wiedergegebenen Temperatur-Minima der einzelnen Dezember- tage sanken zum erstenmal am 4 und 5. an verschiedenen Orten Süd- und Mitteldeutschlands auf — 10 Grad C. oder noch etwas tiefer. Dann trat überall Erwärmung ein, die etwa bis zum i I. Dezember fortdauerte, worauf die Temperaturen in den nächsten zwei Wochen sich ganz allmählich wieder erniedrigten. Erst seit den Weihnachtsfeiertagen, die sich in vielen Gegenden durch freundliches, klares Wetter auszeichneten, führte das Thermometer etwas größere Bewegungen aus. Königsberg i. Pr. und Mcmel brachten es am 26. Dezember auf 13 Grad C. Kälte. Bald darauf wurde es dort wieder gelinde, während bei Jahresschlufs im ganzen Binnenlande ziemlich strenger Frost herrschte. Die Mittcltemperaturen des Dezember lagen durchschnittlich etwa einen halben Grad unter ihren normalen Werten. An den meisten Tagen , be- sonders um Mitte des Monats , war der Erdboden mit einer dicken Nebelschicht bedeckt, durch die die Sonne nicht hin- durchzudringen vermochte. Dabei herrschte im allgemeinen ziemlich ruhige I^uft, nur am 3. und 4. traten an der Nord- seeküste stürmische Südwestwinde auf. N. F. III. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 26g 7ciiipcratur;A\iiiima ciiii^crörlc imjJovcinW'lJüj, Ebenso wie der Sonnenschein blieben jedoch, wie unsere zweite Zeichnung erkennen liil3t, auch ergiebigere Niederschläge im vergangenen Monat meistens aus. Nur in seinen ersten Tagen fiel beinahe überall Schnee, der kurze Zeit liegen blieb, dann häufiger etwas Regen. Die Niederschläge wurden aber Mittlerer Werf füi' Deutschland. IG. bisil.Bet. U 5™ -■ n.R 1 ^ oiiafssummeimPe; 1303. 02. m. 00. 1H9. j». D ^ J^diinr Welttrbur' Divisor = Dividendus) durch die Neuner- reste prüft, was doch ebensogut ausreicht. Auch hätte bei der Behandlung der Neunerprobe darauf hingewiesen werden sollen, daß das Stimmen derselben kein Beweis für die Richtigkeit der Rechnung ist, da namentlich Fehler durch weggelassene Nullen dadurch nicht entdeckt werden. — In der Anweisung am Schluß von Seite 96 fehlt die Angabe der oberen Grenze (128), bis zu welcher die Zahlenreihen fort- zusetzen sind. F. Kbr. F. M. Feldhaus, Die Erfindung der elek- trischen Verstärkungsflasche durch E. J. V.Kleist. Heidelberg 1903, C.Winter. 29 Seiten. — Preis 80 Pf In der kleinen Schrift sind mit Sorgfalt die weni- gen Daten zusammengetragen, die sich über die Ge- schichte der Entdeckung der Verstärkungsflasche und über das Leben des physikalischen Dilettanten E. J. V. Kleist noch jetzt mit Sicherheit feststellen ließen. Bei der Bedeutung, welche dieser Ansammlungs- apparat für die moderne Funkentelegraphie besitzt, war die verdienstliche Arbeit des Verf. gewiß zeit- gemäß. Die Absicht des V'erf , den Gebrauch des Namens ,,Leydener" Flasche zu beseitigen, wird wohl noch eine Zeitlang mit dem Beharrungsvermögen des Sprachgebrauchs zu kämpfen haben; in den phy- sikalischen Lehrbüchern ist wohl fast durchweg den Prioritätsansprüchen v. Kleist's bereits Gerechtigkeit widerfahren. F. Kbr. H. W. J. Thiersch und Aug. Thiersch , Die Physiognomie des Mondes. Augsburg 1883, R. Preyß. 42 Seiten mit 4 Tafeln. — Preis 2 Mk. Obgleich seit dem Erscheinen dieser Schrift bereits 20 Jahre vergangen sind, wollen wir doch, einem Wunsche der Verlagshandlung entsprechend , nicht unterlassen, unsere sich für die Materie interessieren- den Leser auf die seinerzeit wenig bekannt gewordene Schrift der weil. Baseler und Münchener Professoren hinzuweisen. ' Dieselben entwickeln nach einem histo- rischen Überblick über die Versuche, die Entstehung des Mondantlitzes zu erklären, die sog. Aufsturztheorie, die wohl zuerst von Gruithuisen (1825) und Althaus (1839) ausgesprochen wurde und später in Meyden- bauer, M. Wilh. Meyer, Alsdorf und anderen namhafte .\nhänger fand. Da die uns zugängliche Literatur nirgends Hinweise auf die gediegene Schrift der Gebr. Thiersch aufweist, sei dieselbe nunmehr der Beachtung derjenigen empfohlen , die in der noch immer nicht entschiedenen Frage nach der Entstehung der eigenartigen Ringgebirge des Mondes mitsprechen wollen. Die beigegebenen Tafeln sind Reproduktionen aus dem bekannten Werk von Nasmvth und Carpenter. F. Kbr. Literatur. Otto, Frdr. .^ug. : Die Auflösung der Gleichungen mit Be- rUcksicht. der neuesten Fortschritte. 4. AuH. (63 S.) 8". Dusseldorf '04, F. A. Otto. — Kart. 3 Mk. Schlotke, Gewerbesch.-Dir. a. D. J. : Die Kegelschnitte und ihre wichtigsten Eigenschaften in elementar -geometrischer Behandlung. (111, 96 S. m. 129 Fig.) gr. 8". Dresden '03, G. Kühtmann. — 3,20 Mk. ; kart. 3,40 Mk. Skraup, Prof. Dr. Zd. H. : Die Chemie in der neuesten Zeit. Rektorats -Rede. (20 S.) gr. 8°. Graz '04, Leuschner & Lubensky. — 50 Pf Wettstein, Prof Dr. Rieh. R. v. : Handbuch der systemati- schen Botanik. II. Ed. i. Tl. Mit 664 Fig. in 100 Ab- bildgn. und l Farbenlaf (160 S.) gr. 8". Wien '03, F. Deulicke. — 6 Mk. Inhalt: K. Th. Preuß: Die Entwicklung der altme.\ikanischen Religion. — Kleinere Mitteilungen: Leo Brenner: Meine Erfahrungen mit Skorpionen. — Gräfin M. v. Linden: Morphologische und iihysiologisch-chcmische Unter- suchungen über die Pigmente der Lepidopteren. i. Die gelben und roten Farbstofie der Vanessen. — Dr. F. Lampe: Die Ruckkehr der deutschen Südpolare.xpedition. — Blondlot: n-Strahlen. — Wetter-Monatsübersicht. — Himniels- erscheinungcn im Februar 1904. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Bücherbesprechungen: Meyers Großes Konversations-Lexikon — Dr. Friedrich Dannemann: Grundriß einer Geschichte der Naturwissenschaften, -r- Entomologisches Jahrbuch. — v. Wettstein, Strasburger, Giesenhagen etc.: Sammelreferat über botanische Lehrbücher. — Prof Dr. II. Schubert: Mathematische Mußestunden. — F. M. Feld haus: Die Erfindung der elek- trischen Verstärkungstiasche. — H. W. J. Thiersch und Aug. Thiersch: Die Physiognomie des Mondes. — Lite- ratur: Liste. Vcrantwortliclier Redakteur: Prof. Dr. H. Potouie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sctie Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,Dl6 NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902, Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonid und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 31. Januar 1904. Nr. 18. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Pust 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltcne Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren .\ulträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blun:ienstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Die geographischen Beziehungen des Meteorphänomens. [Nachdruck verboten.] Es ist schon lange sichergestellt, daß die An- zahl der bei geeignetem Zustande des Himmels an jedem Orte stündlich sichtbaren Meteore nach Tages- und Jahreszeit verschieden ist. Der Reich- tum an scheinbar geräuschlos hinziehenden Stern- schnuppen ist von Mitternacht bis zur Morgen- dämmerung stets viel größer als in den Abend- stunden und überdies, auf der nördlichen Hemi- sphäre, in der zweiten Jahreshälfte größer als in der ersten. Dabei bleiben jedoch einzelne, inner- halb kürzerer Abschnitte besonders reiche Ströme, z. B. die August-Perseiden u. a. außer Betracht. Die Erklärung dieser offenbar gesetzmäßigen Erscheinung ist unter der Annahme, daß sie durch das Eindringen kosmischer Körperchen in die irdische Atmosphäre hervorgerufen wird, in all- gemeinen Umrissen theoretisch begründet. Im einzelnen bestehen jedoch, zwischen den Ergeb- nissen der Theorie und den allerdings noch wenig ausreichenden Erfahrungen , nicht unwesentliche Gegensätze, deren Aufklärung zu neuen Erkennt- nissen über die im Sonnensystem und dessen Um- gebung in kleinen Partikeln verteilte Materie führen könnte. Von Prof. G. v. 'Niessl in Briinn. Zweierlei Voraussetzungen sind es namentlich, von welchen hier die Synthese ausgehen muß, um zu einem mit den Beobachtungen vergleichbaren Ergebnisse zu gelang-en. Die eine betrifft die Ver- -ITT t eilung der Bahnen dieser Körper m der Um- gebung der Erdbahn, die andere die Geschwin- digkeit, mit der sie sich in gegebener Ent- fernung von der Sonne bewegen. Hinsichtlich der Verteilung bleibt vorerst die einfachste und nützlichste Annahme die, daß be- züglich der Bewegung im Sonnensj'stem , keine Richtung bevorzugt ist, daß also zunächst kein Grund vorliegt, eine gesetzmäßige Abweichung von der rein zufälligen, d. i. gleichmäßigen Ver- teilung vorauszusetzen. Diese Annahme ist völlig geeignet, sobald ausreichende Beobachtungen vor- ieeen, durch Vergleichung der Ergebnisse die Wahrscheinlichkeit eines anderen Ver(eilungs-Ge- setzes sowie auch die unregelmäßigen Abweichungen zu erkennen. Die Geschwindigkeit der Meteore ist zweifellos eine planetarische oder siderische. Es fragt sich nur, ob sie für alle ungefähr einheitlich zu nehmen wäre, oder ob sehr erhebliche Abstufungen vor- 274 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. i8 kommen. Als eine für alle Fälle zureichende Nähe- rung könnte vorläufig die sogenannte parabolische Geschwindigkeit (der Grenzwert zwischen den Ge- schwindigkeiten in elliptischen und hyperbolischen Bahnen) gelten, d. i. in der Nähe der Erdbahn nahezu 42 km in der Sekunde, wobei man aber doch mehr an einen Durchschnittswert, als an völlige Gleichheit zu denken hat. Auch in dieser Hinsicht bietet die Vergleichung theoretischer Er- gebnisse mit ausreichenden Erfahrungen Anhalts- punkte zur Verbesserung der ersten Annahmen. Auf den Sternhimmel versetzt, müssen unter sich parallele Bahnen von einem gemeinsamen Strahlungspunkte perspektivisch auszugehen schei- nen, welcher zugleich den Richtpunkt für die Be- wegung der zum selben Strome gehörigen Meteore darstellt. Unter der früher angeführten Voraus- setzung müßte man sich diese Strahlungspunkte (Radiationspunkte oder Radianten) auf dem ganzen Himmelsgewölbe gleichmäßig verteilt denken, weil eben keine Richtung bevorzugt sein soll, und auch die Geschwindigkeiten in diesen Bahnen müßten, abgesehen von unbedeutenden Beträgen, als gleichartig angenommen werden. Ungeachtet der Einfachheit dieser Annahmen, stellt sich doch die daraus hervorgehende Synthese des Meteor- phänomens für einen bestimmten Ort der Erde als recht verwickelt heraus. Vor allem kommt nun in Betracht, daß sich die Erde in ihrer jährlichen Bahn mit der nicht unbedeutenden Geschwindigkeit von rund 30 km in der Sekunde weiter bewegt. Für die nach- stehenden Erörterungen kann hinreichend genau diese Bewegung als im Kreise um die Sonne vor sich gehend genommen werden, in einer Ebene, welche durch die Ekliptik am Himmel bestimmt ist. Darnach muß die Bewegungsrichtung der Erde immer rechtwinklig gegen die Richtung zur Sonne gedacht werden, also am Himmel immer durch jenen Punkt bezeichnet sein, der im Sinne der astronomischen Länge um 90" gegen die Sonnenlänge zurückliegt. Wir nennen diesen jeweiligen Richtpunkt für die Erdbewegung, ihren Zielpunkt (auch Apex) den diametral gegenüber liegenden, welcher der Sonne in Länge um 90^^ vorausgeht, Fluchtpunkt (Antiapex). Ist also die Sonnenlänge z. B. 100", so ist die Länge des Zielpunktes 10", jene des Fluchtpunktes 190". Mit der Sonne durchwandern die beiden Punkte daher im Verlaufe des Jahres die ganze Ekliptik. Die gleichzeitigen Bewegungen der Erde und der Meteore erzeugen eine Resultierende, deren Richtung, gegen den Zielpunkt hin abgelenkt, die sogenannte scheinbare Bewegung der Meteore darstellt. Demgemäß liegen die scheinbaren Strah- lungspunkte dem Apex näher als die wahren, wo- durch eine scheinbare Verdichtung der Radianten entsteht, die in zonaler Anordnung vom Zielpunkt gegen den Fluchtpunkt hin abnimmt. Die Hemi- sphäre des Zielpunktes, welche infolge dieser Ver- dichtung mehr Radianten aufweist, wird deshalb der Erde auch mehr Meteoren liefern als jene des Fluchtpunktes. Haben die Meteore in bezug auf die Sonne ungefähr gleiche Geschwindigkeit, so gilt dies nicht hinsichtlich ihres Zusammentreffens mit der sich ebenfalls rasch weiter bewegenden Erde. Am schnellsten, nämlich mit der Summe beider Ge- schwindigkeiten (42 -j- 30 km), werden die vom Zielpunkt her der Erde entgegenkommenden Körper in die Atmosphäre eintreten, am langsamsten, weil mit dem Unterschiede (42 — 30 km, wozu noch nahe 4'/» krn als Wirkung der Erdschwere kommen), die aus der Richtung des Fluchtpunktes sie ein- holenden. Das Verhältnis der Extreme ist un- gefähr 9:2. Der Einfluß auf die stündliche An- zahl wird klar, wenn man sich den Meteorstrom ruhend denkt und dessen Geschwindigkeit im um- gekehrten Sinne auf die Erde überträgt, welche, jenen durchdringend , einen Zylinder aushöhlt. Offenbar ist die Anzahl der von ihr dabei während I Sekunde aufgefangenen Meteore der Länge des gleichzeitig ausgehöhlten Zylinders proportional, also der relativen Geschwindigkeit. Hierin liegt ein zweiter Grund, weshalb stündlich wesentlich mehr Meteore von der Seite des Zielpunktes die Erde treffen, als von der entgegengesetzten Seite. Endlich ist noch der für den Gang der Er- scheinung an jedem Orte maßgebende Umstand hervorzuheben, daß im übrigen die Anzahl der Meteore, welche, aus einem Radianten in die Atmosphäre tretend, an irgend einem Orte sicht- bar werden, mit der Höhe des Radianten über dem Horizonte sehr wesentlich wächst. Es ergibt sich demnach , daß die innerhalb eines Zeitbruchteiles durchschnittlich wahrnehm- bare Meteormenge, abgesehen von verschiedenen Nebenumständen, zunimmt: i. mit der Anzahl und Höhe der gleichzeitig über dem Horizonte be- findlichen Strahlungspunkte; 2. mit der relativen Geschwindigkeit ihrer Meteore. Weil nun in der Umgebung des Zielpunktes die meisten Radianten gruppiert und überdies in deren Strömen die größten relativen Geschwindig- keiten vertreten sind, so wird die im Verlaufe der täglichen Bewegung des Himmels einem Beob- achter stündlich wahrnehmbare Anzahl der Stern- schnuppen mit dem Aufsteigen des Zielpunktes (Apex) wachsen und ihren größten Wert, absolut genommen, erreichen, wenn er ins Zenit gelangt, falls dies nach der geographischen Lage des Ortes möglich ist, und wenn nicht andere Umstände (z. B. das Anbrechen des Tages, Mondlicht u. a.) entgegenwirken. Es muß daher eine gesetz- m ä ß i g e Veränderlichkeit der an jedem Orte stündlich sichtbar werdenden Meteormenge ein- treten, die mit der scheinbaren täglichen und jähr- lichen Bewegung des Apex, also auch mit der geographischen Breite in ähnlicher Weise zusammen- hängt, wie die Einstrahlung von Licht und Wärme durch die Sonne, wobei jedoch die analogen Epochen nicht zusammenfallen. Sehr treffend bezeichnet daher Prof Schiaparelli N. F. III. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 275 den Zielpunkt gleichsam als den Ort einer „meteo- rischen Sonne", nur darf man diese Analogie nicht zu weitgehend auffassen. Der Versuch, die Varia- tionen des Meteorphänomens in allzugroßer Ver- einfachung derart von der Lage des Zielpunktes am Himmel abzuleiten, als ob in demselben alle Meteore konzentriert wären, wie in der Sonne Licht und Wärme, hat zu manchen Irrtümern ge- führt. Die Strahlungspunkte sind ja über den ganzen Himmel, wenn auch in einer vom Ziel- punkt gegen den Fluchtpunkt mehr oder minder rasch abnehmenden Dichtigkeit verteilt. Wenn also z. B. der Zielpunkt im Nadir steht, so ist dies keineswegs mit derselben Stellung der Sonne zu vergleichen. Allerdings befindet sich dann im Zenit der Fluchtpunkt und über dem Horizonte die Hemisphäre, welche weniger Strahlungspunkte und geringere Meteorgeschwindigkeiten darbietet. Diese, für die Anzahl der stündlich wahrnehm- baren Meteore ungünstigste Konstellation , ist jedoch im Verhältnis zur günstigsten, in welcher der Zielpunkt im Zenit steht, nicht im entfern- testen einer solaren Mitternacht, mit der Sonne im Nadir vergleichbar. Gerade diese, an Stern- schnup[3en arme Zeit ist vielmehr durch das Vor- kommen einzelner großer, zuweilen mit bedeuten- den Detonationen verbundenen Meteore ausge- zeichnet. Nach der oben angegebenen Stellung des Ziel- punktes zur Sonne muß er zur Zeit der Nacht- gleichen und Sonnenwenden der letzteren im Stundenwinkel um 6 Stunden und auch sonst wenigstens nahezu um diesen Betrag voraus sein. Er ist daher überall auf der ganzen Erde (die Pole selbstverständlich ausgenommen) ungefähr um 18 Uhr oder 6 Uhr morgens wahrer Ortszeit in der oberen Kulmination, also in relativ günstigster Lage, soweit die Tageszeit in Betracht kommt. Wie nahe er dabei an das Zenit gelangt, und welchen Bogen er über dem Horizont beschreibt, hängt von seiner Deklination und der geographi- schen Breite des Beobachtungsortes ab. Das gleiche gilt hinsichtlich des diametral gegenüber liegenden Fluchtpunktes für 6 Uhr abends. Wenn diese Beziehungen allein maßgebend wären, so müßte überall auf der Erde und zu allen Zeiten des Jahres die Meteormenge sehr nahe um 6 Uhr morgens ihr tägl i c h es M ax i m u m erreichen. Man darf jedoch nicht vergessen, daß während des größeren Teiles des Jahres in der angegebenen Abend- und Morgenstunde, des Tageslichtes wegen, Meteore ge- wöhnlicher Größe nicht beobachtet werden können, ja daß in unseren Breiten im Hochsommer schon um 15 Uhr oder 3 Uhr morgens solche Beobachtungen unmöglich sind. Zur völligen Erprobung des aus den gegebenen Voraussetzungen fließenden Er- gebnisses sind also eigentlich nur die langen Winternächte geeignet. Leider besitzen wir in bezug auf die sogenannte tägliche Variation der Meteore nur einigermaßen branchbare Jahresdurch- schnitte, keine monatlichen Reihen. Wenn es nun auch nach diesen, auf das ganze Jahr sich be- ziehenden Zahlen den Anschein hat, als ob die größte Meteormenge schon ungefähr auf die zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens in der Mitte liegende Stunde entfalle, so bleibt es noch immer etwas zweifelhaft, ob hierin nicht doch im wesentlichen der Einfluß des Sonnenlichtes sich geltend macht, oder ob dieser bemerkenswerten Verschiebung des Maximums andere Ursachen zu- grunde liegen. In dieser Hinsicht würden entscheidende Nach- weise so wichtig sein, daß es ein sehr verdienst- volles Opfer wäre, Beobachtungen über die stünd- liche Meteormenge im Winter von Mitternacht bis zum Morgen anzustellen, welche zahlreich genug wären, um das Gesetz für jeden einzelnen Monat ableiten zu können. Es ist vielleicht noch am Platze daran zu er- innern, daß nach dem früher Gesagten ungefähr um 6 Uhr morgens die meisten schnell ziehen- den Meteore, dagegen um 6 Uhr abends jene mit durchschnittlich geringster Geschwindigkeit in die Atmosphäre eindringen. Wenn es richtig ist — und diese Annahme liegt, wie ich schon mehrfach gezeigt habe, ziem- lich nahe ') — daß, unter sonst gleichen Verhält- nissen, die schnellsten Meteore in der Atmosphäre zumeist schon in großen Höhen gänzlich aufgelöst werden, während langsamer ziehende leichter in den tieferen atmosphärischen Regionen zu großen detonierenden Erscheinungen und Meteoritenfällen Veranlassung geben können, so würde sich der Gegensatz erklären, daß in der zweiten Nachthälfte die lautlos hinziehenden Sternschnuppen ihr Maxi- mum erreichen, während zugleich die Zahl der detonierenden großen Meteore und Meteoriten um diese Zeit die kleinste ist, dagegen in den Nachmittagsstunden und abends zu einem Maxi- mum anwächst. Indem der Apex die Ekliptik durchläuft, ist er in der Zeit von der Sommer- bis zur Winter- Sonnenwende nördlich, während der anderen Jahres- hälfte südlich vom Äquator. Er wird dann einer- seits auf der nördlichen, andererseits auf der süd- lichen irdischen Halbkugel die größten Tagbogen beschreiben und dem Zenit am nächsten kommen, womit für jede Halbkugel die größeren nächtlichen Meteormengen verbunden sind, während diekleinsten auf jene Epochen treffen, welche auf den anderen Hemisphären die Maxima darbieten. Hierdurch entsteht die sogenannte jährliche Variation. Hinsichtlich der täglichen Variation müssen sich die Ergebnisse beider Halbkugeln gleichartig, bezüglich der jährlichen jedoch gegensätz- lich gestalten. Die Erfahrungen, welche uns aus der nördlichen Halbkugel vorliegen , sind ausreichend , um die schon in den ersten Worten dieses Aufsatzes er- ') Eine ausführliche Darstellung dieser merkwürdigen Be- ziehungen in gemeinverständlicher Fassung findet man unter dem Titel „Über die Rolle der Atmosphäre im Meteorphä- nomen" im 63. Jahrgange (für 1901) des von der Wiener Sternwarte herausgegebenen „Astronomischen Kalender". 276 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 18 wähnte Tatsache sicherzustellen, daß die Anzahl der Sternschnuppen in der zweiten Hälfte des Jahres größer ist als in der ersten, völlig in Übereinstimmung mit der Theorie. Dagegen sind Einzelheiten , wie die Eintrittszeiten der Jahres- extreme etc. teils nicht hinreichend aufgeklärt, teils wahrscheinlich abweichend, woraus man, was sehr nahe liegt, scliließen könnte, daß zeitweise die un- gleiche Verteilung der Meteorströme sich wirk- samer geltend macht, als jede andere Beziehung. Die Beobachtungs-Materialien aus der südlichen Halbkugel sind ganz unzulänglich. Die verdienst- lichen Beobachtungen Neumayers aus Melbourne sind für unsere Zwecke zu lückenhaft, und sie stammen aus einer Zeit, in welcher die Theorie zu wenig entwickelt war, um derartigen For- schungen die nötige planmäßige Grundlage zu liefern. Wenn die Ergebnisse dieser Beobachtungen aus Australien hinsichtlich der jährlichen Variation den früher hervorgehobenen Gegensatz zur nörd- lichen Hemisphäre anscheinend nicht erkennen lassen, was übrigens ohne genaue Analyse der Einzelheiten nicht behauptet werden kann, so regt sich in diesen Zweifeln umso dringender der Wunsch, daß viel zahlreichere Beobachtungen aus südlichen Breiten ausreichendes Material zur Ent- scheidung in dieser Frage liefern möchten. Leider sind auch die zahlreichen Beobachtungs- resultate aus der nördlichen Erdhälfte noch immer nicht derart, daß sie vollkommen geeignet wären, die Ergebnisse der theoretischen Untersuchungen mit Sicherheit zu bestätigen oder zu korrigieren. Die meisten dieser Beobachtungen leiden an dem Übelstande, daß sie sehr ungleichmäßig verteilt sind und sich oft nur auf einzelne Termine be- schränken, welche sich durch ausnahmsweise reich- haltige Ströme auszeichnen. Gerade deshalb sind sie aber zur Ableitung des regelmäßigen Verlaufes unverwendbar. Zahlreiche von den älteren Er- gebnissen, z. B. jene, zu welchen Heis Veran- lassung gegeben hat, beschränken sich wieder so vorwiegend auf die erste Nachthälfte, in welcher die Erscheinung nur unvollkommen entwickelt ist, daß ihre Berücksichtigung bei der Ableitung all- gemeiner Gesetze notwendig Irrtümer herbeiführen muß, wenn dabei nicht mit äußerster Vorsicht zu Werke gegangen wird. Selbst die wertvollsten und am meisten plan- mäßig angelegten Arbeiten dieser Art, wie zum Beispiel jene von Z e z i o 1 i in Bergamo und D e n - ning in Bristol, Früchte einer bewundernswerten Aufopferung, liefern Ergebnisse, welche durch die ungleiche Verteilung der Beobachtungszeit teilweise recht merklich beeinträchtigt werden. Man er- kennt dies sehr deutlich aus der Anzahl der ab- geleiteten Radianten, und ich will, um die großen Schwierigkeiten der Schlußfolgerung anzudeuten, nur einige Beispiele vorführen. Bei Zezioli kommen auf die Monate März und Oktober nicht ganz je 39 Beobachtungsstunden, dagegen auf den Juli 170. Infolgedessen entfallen, nach der äußerst sorgfältigen Ableitung Schia- parellis, auf den Juli 24 Prozent, also fast der vierte Teil der für das ganze Jahr nachge- wiesenen Strahlungspunkte, während der Oktober nur 5 Prozent darbietet. Wer bloß aus dem von Schiaparelli nach Zezioli's Beobachtungen mitge- teilten Radianten- Verzeichnisse schließt (zur Aus- mittlung der Beobachtungsstunden muß man bis auf die Details bei Zezioli zurückgreifen) wird den Oktober für einen der meteorärmsten Monate halten müssen, während gerade das Gegenteil richtig ist. Bei Denning findet man im Juli 14 Prozent und im Oktober ebenfalls 14 Prozent aller jähr- lichen Radianten, was doch ein ganz anderes Ver- hältnis ist. Es beträgt aber auch die Anzahl seiner Beobachtungsstunden nach den nur summarischen Angaben im Juli 157 und im Oktober 175. In diesem Verzeichnisse kommt dagegen wieder der F"ebruar mit bloß 28 (unter jährlichen 1298) Beobachtungs- stunden recht übel vveg, denn er liefert nur i Pro- zent Radianten. Aus den Materialien von Zezioli hat Schiaparelli hingegen für denselben Monat 9 Prozent abgeleitet, also fast doppelt so viel als für Oktober. Die Anzahl der zugehörigen Be- obachtungsstunden war 70. Da beide Beobachter den Morgenstunden die entsprechendeBerücksichtigung zuteil werdenließen, so ergibt sich wenigstens dann eine gewisse Über- einstimmung, wenn man in diesem Beispiele die Anzahl der Radianten mit jener der Beobachtungs- stunden, beide in Prozenten ausgedrückt, vergleicht. Man findet nämlich : Ermittelt Zugehörige Strahlungspuc kte : Beobachtungsstunden (beides in Prozenten der ganzjährigen Anzahl) nach t Februar . . Schiaparelli| Juli . . 9% • • 8% 24 „ ■ • 20 „ (Zezioli) 1 Oktober . . 5 „ ■ • 4 ., , f Februar ^"^^!^ Juli . . Dennmg Oktober . . 14 „ • 14 n ■ ■ 2 „ • 12 „ • 13 - Ich wollte an diesem kleinen Beispiele ') nur zeigen, wie sehr die Ergebnisse, auch die besten welche wir besitzen, mit der so ungleichen Ver- teilung der Beobachtungszeit zusammenhängen. Im März beträgt die Zahl der Beobachtungsstunden auf je 100 im ganzen Jahre bei Zezioli nur 4 und bei Denning 3. Die Herstellung ausreichender Materialien für eine in jeder Hinsicht befriedigende Begründung des Meteorphänomens und der hieraus zu ziehen- den kosmologischen Folgerungen, erinnert an die Aufgabe, die Blätter sämtlicher Bäume eines größeren Waldes zu zählen. Sie spottet der Be- mühungen jedes einzelnen und ist nur durch ein Heer von Beobachtern, ja auch durch viele nur im einheitlichen, planmäßigen Vorgehen zu lösen. Die räumliche Verteilung der Beobachter auf ein ') Der Unterschied der geographischen Breite kommt dabei noch gar nicht wesentlich in Betracht, und zwar umsowcniger, als Zezioli's Beobachtungsmethode mehr die Ermittlung nörd- licher Strahlungspunkte begünstigte. N. F. III. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. l-jl weites Ländergebiet kann nur Vorteile bringen, deren Ausnützung möglichst anzustreben wäre. Damit sei es begründet, wenn diese Betrach- tungen sich nun dahin wenden, kurz zu erörtern, wie der gesetzmäßige Teil der Erscheinung nach unseren Voraussetzungen in verschiedenen Re- gionen der Erde ungefähr sich darstellen müßte. Für einen Beobachter am Äquator geht der Zielpunkt in den Sonnenwenden (22. Juni und 22. Dezember) um 6 Uhr morgens w. Z. durch das Zenit, woraus sich das größte jährliche Maxi- mum vor Anbruch des Tages ergibt. An den- selben Tagen geht aber um 6 Uhr abends der Mucht- puiikt durch das Zenit, wodurch das kleinste jährliche Minimum entsteht. Nur am Äquator fallen die äußersten Extreme zweimal im Jahre in dieselbe Nacht, und die tägliche Variation von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens muß also hier die größtmöglichste sein. Die Kulmination der beiden Hauptpunkte er- folgt vor und nach den Sonnenwenden immer weiter vom Zenit, wodurch sich das tägliche Maximum vermindert, das Minimum erhöht, die Extreme also abschwächen. Zur Zeit der allge- meinen Äquinoktien (21. März und 23. September) erreichen Ziel- und Fluchtpunkt die kleinsten Kul- minationshöhen südlich und nördlich vom Zenit, weshalb in diesen Nächten das kleinste jährliche Morgenmaximum und zugleich die kleinste täg- liche Amplitude eintritt. Da jedocli auch dann der Zenitabstand nur 23'.," beträgt und die Ex- treme durch die Dämmerung noch abgeschwächt werden, so wird das Phänomen im März und September, wo es also relativ am schwächsten auftritt, nicht allzuviel von dem Charakter, den es in den Sonnenwenden zeigt, verlieren. Hieraus folgt also, daß im .Vquator die tägliche Varia- tion i m m e r s e h r ansehnlich, die jährliche dagegen sehr gering sein wird. Beobachtungen am Äquator gestatten die völlige Vergleichung der beiden Hemisphären des Himmels, wenn man nämlich die Meteore nicht bloß zählt, sondern ihre Lichtbahnen auch verzeichnet , da- mit deren Ausstrahlungspunkte bestimmt werden können. Schon hier könnten durch längere Zeit planmäßig durchgeführte Beobachtungen zeigen, wie sich die jährlichen Perioden beider Halbkugeln vergleichsweise stellen. Der Umstand, daß hier in den Abendstunden täglich der weitaus größte Teil des Himmels nur Meteore von relativ geringer Geschwindigkeit liefert — welche freilich weit weniger zahlreich als die Sternschnuppen am Morgen sein werden — könnte Veranlassung zu verhältnismäßig häufigerem Auf- treten detonierender Meteore und Meteoritenfälle geben. In allen Breiten zwischen dem Äquator und den Wendekreisen erreicht das IVIorgen- maximum ebenfalls zweimal im Jahre den größten Wert, aber nicht in den Sonnwend- nächten, wie am Äquator, sondern je nach der Breite in verschiedenen Jahresepochen. Der Ziel- punkt geht nämlich dann durch das Zenit, wenn seine nördliche (südliche) Deklination gerade so groß ist als die nördliche (südliche) Breite des Be- obachtungsortes. Diesen beiden Epochen größter Morgenmenge steht nur ein Datum der kleinsten Morgenmenge gegenüber, wenn sich der Apex im Wendekreis der jenseitigen Halbkugel befindet, was für die Nord- | ^T-ir (21. März Süd- / H'^'f^^ ^'" l 23. September eintritt. So ist z.B. für 15" nördlicher Breite der jährliche Gang des Morgenmaximums folgender: Am 3. — 4. August und 12. — 13. November treten die größten Morgenmengen in derselben Intensität, wie die Maxima am Äquator auf. Zwischen beiden vermindert sich das Morgenmaximum nur v?enig, weil sich bis zum 23. September der Zielpunkt in der Kulmination bloß um SV»" (nördlich) vom Zenit entfernt, um dann, im November, wieder dahin zurückzukehren. Bei der niedrigsten Morgen- menge am 21. März kulminiert der Zeitpunkt schon 38''.," .südlich vom Zenit, was wohl bereits recht bemerklich werden mag. Zur Zeit der beiden Solstitien kommen Ziel- und Fluchtpunkt im Himmels- Äquator bis 15" an das Zenit, woraus ein mittlerer Zustand resultiert. Man sieht daher, daß in diesen Regionen die jährliche V^ariation schon deutlicher (wenigstens theoretisch) hervortritt, indem sich symmetrisch um das Herbstäquinoktium zwei Maxima grup- pieren, welchen ein ausgesprochenes (jährliches) Minimum im Frühlingsäquinoktium gegenüber- steht. Wegen der Morgendämmerung werden ver- mutlich die beiden einzelnen absoluten Maxima zu einer länger andauernden Periode verschmelzen. Zurzeit, da der Zielpunkt mit 15" Deklination das größte Maximum hervorruft, muß sich der Fluchtpunkt in iS** südlicher Deklination be- finden und bei der Kulmination um 6 Uhr abends 30'^' südlich vom Zenit entfernt sein. Die Stellung des Himmels ist daher etwas günstiger als am Äquator, weshalb die Amplitude der täglichen Varia- tion schon kleiner ausfallen wird. Wenn die Deklination des Fluchtpunktes 15" nördlich wird (31. Januar bis i. Februar und 10. bis 1 1. Mai), so kulminiert er im Zenit und erzeugt dieselbe ungünstige Stellung wie im Zenit des Äquators. Da jedoch an denselben Tagen der Zielpunkt (mit 15" südlicher Deklination) 30" südlich vom Zenit kulminiert, so nähert sich das Morgenmaximum dann schon stark dem geringsten Wert und es wird die tägliche Amplitude noch kleiner sein. Vom Äquator gegen die Wendekreise wächst also die jährliche und vermindert sich die tägliche Variation. Dies gilt für beide Halb- kugeln, doch sind die Eintrittszeiten bei der jähr- lichen Periode verschieden. Unter 15" südlicher Breite z. B. sollen die beiden größten Morgen- mengen auf 31. Januar bis i. Februar und 10. bis II. Mai fallen, mit einer geringen zwischenliegen- den Abminderung am 2 1. März. Dieser liegt die kleinste Moigenmenge am 23. September gegen- über. Die gegensätzlichen Beziehungen aul beiden 278 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. III. Nr. 18 Halbkugeln sind also theoretisch leicht zu erkennen. Man darf jedoch nicht vergessen, daß die Dämme- rung immer dahin wirken wird, die Ausprägung des Ganges dieser Erscheinungen abzuschwächen, weshalb er sich wohl nur aus sehr vielen Be- obachtungen bis ins einzelne würde nachweisen lassen. Unter den beiden Wendekreisen gibt es für die größte Intensität am Morgen nur mehr ein Jahresmaximum am 23. September und ein Jahresminimum am 21. März auf der nördlichen und mit verwechselten Daten auf der südlichen Halbkugel. In der Maximalepoche geht der' Ziel- punkt noch durch das Zenit, während der Flucht- punkt am Abend desselben Tages schon 47" vom Zenit entfernt bleibt. Am 21. März tritt das Um- gekehrte ein (auf der Nordhälfte). Aus beiden Lagen ergibt sich wieder eine Vermehrung der jährlichen und Verminderung der täglichen Ampli- tude. In den sogenannten gemäßigten Zonen, zwischen Wende- und Polarkreis, bleiben nun durch- weg die Jahresepochen der beiden Extreme die gleichen wie an den betreffenden Wendekreisen, allein der Zielpunkt kann nicht mehr im Zenit kulminieren und bleibt auch in der günstigten Lage desto weiter davon, je größer die geo- graphischen Breiten sind. Dasselbe gilt aber auch vom Fluchtpunkt, weshalb bei Vermehrung der jährlichen Variation die tägliche noch weiter ab- nimmt. Unter der Breite von 50" bleibt z. B. im Herbstäquinoktium — also in günstigster Lage — um 6 Uhr morgens der Zielpunkt, kulminierend, schon 26','.," vom Zenit, im Frühlingsäquinoktium um dieselbe Stunde gar 73 Vo'' (er ist also dann nur mehr 16'/.," hoch). Die Stellung der am dichtesten mit Radianten besetzten Partien des Himmels ist um diese Zeit bereits sehr ungünstig, der Tagbogen auch klein und hiernach müßte um die März Naclitgleiche in den höheren nördlichen Breiten die stündliche Meteormenge relati\- nur mehr gering sein, wie dies auch wirklich der Fall ist. Betrachten wir nun zum Abschlüsse den Gang der Erscheinung am Nordpol der Erde, so stellt sich heraus, daß wieder im Herbstäquinoktium der Apex, aber hier nur mit 23'/,-," Höhe den höchsten Stand hat, den er wegen der geringen Änderung der Deklination, parallel zum Horizont am Himmel kreisend, tagelang nahezu behält. Allein, um diese Zeit und noch lange darnach hindert das Tageslicht jede Beobachtung. Angenommen, daß diese nicht früher beginnen kann, als bis die Sonne sich mindestens 15" unter dem Horizonte befindet, so bleibt am Nordpol die Sichtbarkeit der Sternschnuppen auf die Zeit vom 4. November bis 8. Februar, vermutlich aber auf kaum 3 Monate beschränkt, während am Äquator die Summe aller Nachtstunden, nach Ausscheidung der Dämmer- zeiien, etwas weniger als 5 Monate liefert. "'' Für einen Beobachter am Nordpol bewegt sich der Zielpunkt am 4. November 17V2" hoch, am 22. Dezember im Horizont und am 8. Februar I7\'ä" unter demselben. Beiläufige Vorstellung der damit'verbundenen Veränderung der Meteor- menge gibt eine Vergleichung mit den identischen Lagen der Apex-Hemisphäre unter 50" geogra- phischer Breite in einer Sonnwendnacht der Reihe nach um 2 Uhr morgens, um Mitternacht und um 10 Uhr abends. Nach verschiedenen, freilich noch wenig sicheren Erfahrungen, wären in den drei letztbezeichneten Terminen die stündlichen Meteor- mengen für einen Beobachter etwa 16, 10 und 8, so daß ein Beobachter am Nordpol, wenn die so- genannte polare Nacht beginnt, während 24 Stunden etwas über 380 und zu Anfang Februar, d. h. un- gefähr gegen Ende derselben, nur mehr die Hälfte, also etwa 190 Meteore zählen könnte. Dies wären beiläufig die unter dem Einflüsse der Dämmerung noch wahrnehmbaren Extreme der jährlichen Varia- tion, welche vermutlich auch in dieser verminderten Quantität noch gröfSer als in jeder anderen Breite ausfällt. Die tägliche Variation ist dagegen nicht mehr zu erkennen. Man darf nicht vergessen, daß diese Betrach- tungen von bestimmten, gleichsam probeweisen Voraussetzungen ausgehen, und daß es sich eben darum handelt, Erfahrungen zu sammeln, welche jene verbessern sollen. Wenn ich dazu hier wieder neue Anregungen versuche, so denke ich an Schiaparelli's ') bezeichnende Worte: „Das Phä- nomen der Sternschnuppen ist von einem solchen Reichtum und einer solchen Mannigfaltigkeit, daß man seinen Mechanismus nicht klar darlegen kann, wenn man sich nicht einer sehr strengen Kritik befleißigt, welche dazu dient, soviel als möglich die Gefahr willkürlicher Kombinationen auszu- schließen." Die hier erörterten, mit der geographischen Breite zusammenhängenden Veränderungen des Phänomens, gleichsam die örtliche Variation, empirisch völlig aufzudecken, könnte nur durch zahlreiche, insbesondere auf die zweite Nachthälfte ausgedehnte Beobachtungen unter möglichst verschiedenen Breiten gelingen, wobei wenig- stens einigermaßen auch die südfiche Erdhälfte oder mindestens die äquatorealen Regionen ver- treten sein müßten. Und warum sollte dies, bei der nun doch rascher vor sich gehenden Er- schließung der südlichen Erdteile und dem steigen- den -Seeverkehr nicht doch endlich möglich werden ? Man kann sich indessen schwer verhehlen, daß der Kreis der Mitarbeiter wahrscheinlich erweitert würde, wenn nicht unbedingt die Opferung ganzer oder halber Nächte verlangt würde. Einige Stunden verständnisvoller Betrachtung hin und wieder dem Nachthimmel zu widmen, würden sich wohl weit mehr freundliche Leser bereit finden. Wie wäre dies nun planmäßig einzurichten? Um sehr bescheiden zu sein, möchte ich zu- nächst auf folgende für alle Punkte der Erde gleich- ') Entwurf einer astronomischen Theorie der Stern- schnuppen. Deutsche Ausg. 1871, S, 73- N. F. III. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. mätiig geltende Tatsache aufmerksam machen. Zur Zeit der Sonnenwenden befindet sich der Zielpunkt der Erdbewegung, also die „meteorische Sonne" in den Äquinoktialpunkten und steht gerade um 12 Uhr wahrer Mitternacht eines jeden Me- ridians im Horizont — er geht im Osten auf^) In diesem örtlichen Moment hat also überall auf der Erde der Apex mit der um ihn bis zum Fluchtpunkt abnehmenden Verdichtung in bezug auf den Horizont identische Stellung. Der Orts- meridian scheidet zugleich die Hemisphären des Zielpunktes und Fluchtpunktes, im Osten befindet sich die meteorreiche, im Westen die ärmere. Der Zustand ist bezüglich der Hauptvoraussetzungen so gleichmäßig und so vergleichbar, daß er sich besonders eignet, einen mittleren XormaKvert zu- nächst für diese wichtige Stunde abzuleiten und etwaige gesetzmäßige, jedenfalls aber die unregel- mäßigen Abweichungen zu erkennen. Abgesehen von der ungleichen Verteilung der Meteore im Querschnitt und senkrecht darauf, welche verursachen kann, daß während kurzer Zeit ein Beobachter zufällig sehr reichlich bedacht, ein anderer dagegen für seine Geduld kaum entschädigt wird, gibt es noch so manche modifizierende Umstände, wie z.B. die größere oder geringere Rein- heit der Atmosphäre und die Art der Überwachung. In ersterer Hinsicht und bezüglich des störenden Mondlichts, wäre zu empfehlen, nur dann zu be- obachten, wenn wenigstens noch Sterne 3. Größe gut sichtbar sind. Der schwächste Stern im all- bekannten Viereck des„Großen Bären" oder „Wagen" könnte z. B. zur Probe dienen. Ein einzelner Be- obachter würde am besten tun, seine Aufmerk- samkeit ungefähr in halbe Himmelshöhe gegen Osten und die benachbarten Regionen zu richten. Mehrere Beobachter an demselben Orte könnten durch Teilung der Arbeit auch den ganzen Himmel überwachen, hätten jedoch gesonderte Aufschrei- ') Da die Solstitien nicht genau um Milternacht ein- treten, so können sowohl im Juni wie im Dezember gut genug die Milternachtszeiten zwischen den Mittagen des 21. und 23. gewählt werden. Die Zeitgleichung ist dabei so gering, daß man auch die mittlere Ortszeit nehmen kann. bungen zu führen. Es ist hier ausdrücklich nur von der Zählung der Meteore die Rede , doch wäre eine wenigstens annäherndc^Zeitangabe für jeden einzelnen Fall nicht unwichtig. Die Einzeichnung der beobachteten Bahnen in Sternkarten wäre zwar sehr schätzenswert, aber es scheint mir besser sie nicht zu verlangen, denn es würde dadurch vermutlich eine Anzahl williger Mitarbeiter ausgeschlossen. An den Observatorien könnte man sich damit allerdings beschäftigen und zwar regelmäßig stets mehrere Nächte vor und nach den Solstitien, um hinreichendes Material für die Ableitung der Radianten zu erhalten. Selbstverständlich wäre es erfolglos, die Be- obachtungen ausschließlich auf den Moment des .Aulganges des Apex zu beschränken. Man kann, ohne die \'crgleichbarkeit der Resultate zu beein- trächtigen, mindestens eine Stunde vor und nach diesem Momente einbeziehen, also von 1 1 Uhr bis I Uhr beobachten. Die Lagen in den beiden Solstitien unter- scheiden sich voneinander so, daß in der Mitter- nacht der Sommer-Sonnwende, der westliche Teil des Sternhimmels zwischen i8o" und 360" Rektaszension, dagegen im Dezember der östliche in Betracht kommt. Gegenüber den bisherigen so sehr widersprechenden Angaben, würde man, bei hinreichend zahlreichen Beobachtern, wenigstens für diese beiden Epochen mehr Sicherheit dar- über erhalten, ob die eine oder die andere Hälfte einen überwiegenden I\Ieteorreichtum liefert, der auf eine andere Beziehung, als die in beiden Fällen ganz identische Stellung des Zielpunktes zurück- geführt werden müßte. Wer systematischer Arbeit dieser xArt häufiger einige Nachtstunden widmen wollte, könnte nach Gefallen noch weiter gehen. Gewicht würde ich jedoch zunächst darauf legen, daß die Beobachtungen auch in jeder anderen Nacht symmetrisch um die Zeit des Zielpunkt- Aufganges gruppiert würden. Dieser hängt in verschiedenen anderen Jahresepochen auch noch merklich von der geo- graphischen Breite ab. Ich glaube jedoch, daß die nachstehende kleine Tafel, welche die mitt- Mittlere Ortszeiten für den Aufgang des Ape.v der Erdbewegung um die Mitte der einzelnen Monate. Geogr. Breite Jänner Febr. März .-\pril Mai Juli Aug. i Septb. Oktb. Nov. I Dezb. Nord 70" 60' SO' 40" 30" 20" 10" o" 10' 20" 30" 40" 50" 13" 45" Süd 3 40 2-] 17 9 54 47 40 32 22 9 16'^ 34" 14 19 29 o 39 2 2 7 53 39 24 7 46 17 '3 13 12 12 12 1 1 1 1 II II 10 10 14" 45' 13 55 23 56 34 16 58 40 13 12 12 12 1 1 1 1 1 1 1 1 10 ') o 34 54 15" 14 13 13 12 12 12 1 1 1 1 1 1 10 10 0 4 30 6 46 30 14 58 42 22 5« 24 I 5'' 2™ 12' 33" 10" 1 2™ 13 54 12 22 10 51 13 22 12 17 10 13 2 12 13 ^i 12 47 12 II 32 12 35 12 9 39 12 25 12 7 46 12 15 12 5 52 12 5 12 3 5« II 55 12 I I "^ 5 II 43 II 59 12 12 II 28 1 1 57 1 2 21 11 8 1 1 53 1 2 34 / 9 10 10 1 1 1 1 II in II 12 12 12 IS '26° 26 13 41 I 17 32 45 58 13 29 49 34" 47 34 54 14 33 50 7 26 46 0 9" 10 10 1 1 1 1 1 1 12 12 12 12 13 7 42 7 27 44 o 16 33 57 53 !i3 57 |9> 10™ 10 21 10 54 II 16 II 31 1 1 43 II 54 12 4 12 14 1 2 25 12 37 D- 13 14 : ' 29"' 41 47 51 55 3/ 59 I / 1 1 15 28o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. i8 lere Ortszeit für den Aufgang des Apex von lo" zu lo" geographischer Breite für den mittleren Tag eines jeden Monats gibt, hinreichen wird, die einem anderen Bedürfnisse entsprechenden Werte durch Einschaltung zu finden, da es ja dabei auf einige Minuten nicht ankommt. Die wohl seltenen Fälle des Gebrauches zwischen 60" und 70" geo- graphischer Breite und noch weiter, würden freilich besondere Bestimmung erfordern. Der leichtern Übersicht wegen, sind die Stunden nach Mitter- nacht über 12 Uhr weiter gezählt, so daß 13 Uhr, 14 Ulir etc. mit i Uhr, 2 Uhr etc. morgens gleich- bedeutend sind. Es würde sich, wie gesagt, auch hier empfehlen, womöglich die Zählung der Meteore so einzu- richten, daß die angegebene Zeit jedesmal unge- fähr in die Mitte des ganzen Beobachtungsabschnittes käme. Der Grundgedanke dieser Vorschläge hat einige Ahnliclikeit mit der Bestimmung von Terminen für die meteorologischen Beobachtungen (Ablesung der Thermometer, Barometer etc.). Kann man nicht zusammenhängende stündliche Angaben liefern, was ohne registrierende Instrumente kaum möglich ist, so erschweren Aufschreibungen zu ganz unregelmäßigen Terminen sehr die Vergleich- barkeit, gerade wie in unserem Falle. Es ist ja richtig, daß man auch das bereits vorliegende Material in dem Sinne prüfen könnte, daß zu- nächst die Beobachtungsergebnisse gleicher Apex- stellung in Vergleichung kämen. Ich habe dies auch ver.-.ucht, allein die Ausbeute ist nicht sehr groß. Die Gründe dafür habe ich schon früher erwähnt, und es kommt auch noch dazu, daß ein großer Teil der einzelnen Beobachtungen, welche zu statistischen Angaben führten, gar nicht ver- öffentlicht vorliegt. Um in Fachkreisen nicht mißverstanden zu werden, möchte ich schließlich noch erwähnen, daß mit dieser, in einer so weit verbreiteten Zeit- schrift enthaltenen Anregung nur der Anfang und erste Versuch zu einer mehr planmäßigen Aus- gestaltung des Beobachtungswesens gemacht werden sollte. Würden dadurch weitere Kreise (also viele Beobachter) zur Mitwirkung auch nur in den be- scheidensten Grenzen ermuntert, so wäre zugleich die Hoffnung erweckt, daß mit zunehmendem Interesse allmähliche Erweiterungen des Planes durchführbar wären. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß gut angelegte Meteorzählungen in den äquato- realen und polaren Regionen, dann insbesondere in allen Teilen der südlichen Erdhälfte, namentlich für die Stunden nach Mitternacht, ganz besonders wichtig und entscheidend sein würden. Leider bekommt man in den Ergebnissen der nicht mehr so seltenen Expeditionen in derartige Gebiete kaum solche Beobachtungen zu sehen, vielleicht nur deshalb, weil ihr Wert zumeist unterschätzt wird. Erfreulich wäre es daher, wenn diese Zeilen dazu beitragen könnten, hierüber andere Anschau- ungen zu verbreiten. Kleinere Mitteilungen. Die Sterblichkeit der europäischen und der Neger-Rasse. — Eine der interessantesten Erscheinungen im Völkerleben ist die verschie- dene Widerstandskraft der einzelnen Rassen gegen auftretende Krankheiten. Zeigen sich diesbezüg- lich schon bei den europäischen Nationen auf- fallende Verschiedenheiten, so treten diese um so deutlicher hervor, wenn wir die Sterblichkeits- verhältnisse der europäischen (kaukasischen) Rasse mit jenen anderer Rassen in Vergleich bringen. Die fragliche Erscheinung läßt sich nur durch Massenbeobachtungen nachweisen, welche bisher jedoch sehr wenig angestellt werden konnten. Soweit die Negerrasse in Betracht kommt, liefert die Statistik der Vereinigten Staaten von Amerika wertvolles Material. Obwohl gerade in jenem Gebiet, für welches zuverlässige Daten zur Ver- fügung stehen, der weitaus größte Prozentsatz der Bewohner europäischer Abstammung ist, so er- streckt sich die Statistik dennoch auf eine ge- nügende Anzahl von Personen der Negerrasse, um aus den Ergebnissen derselben Schlüsse ziehen zu können. Insgesamt stehen Angaben für ein Gebiet mit 28807269 Bewohnern zur \^erfügung. (Die Staaten Connecticut, Maine, Massachusetts, Michigan, New Hampshire, New Yersey, New York, Rhode Island, Vermont, Distrikt Columbia; ferner über 700 Städte in anderen Staaten.) Von den Bewohnern dieses Gebietes waren 27555800 An- gehörige der europäischen Rasse, i 180546 Neger, 14010 Indianer, der Rest Chinesen und Japaner. Da die Zahl der den drei letztgenannten Völkern angehörenden Personen eine relativ sehr geringe ist, und weiter die asiatische Bevölkerung der Vereinigten Staaten in ihrer Mehrheit aus er- wachsenen Männern besteht, sollen dieselben hier weiter nicht beachtet werden. Es ergibt sich, daß im Jahre 1900 die Sterb- lichkeitsrate per 1000 Einwohner bei Angehörigen der europäischen Rasse 17,3 betrug, hingegen bei den Negern 30,2, somit fast doppelt so hoch war. Werden die Ergebnisse der Statistik für die länd- lichen Teile der genannten zehn Staaten gesondert betrachtet, so ergibt sich allerdings eine Ab- schwächung des Gegensatzes; es stellt sich hier die Sterblichkeitsrate der europäischen Rasse auf 15,3, die der Neger auf 19,1. In den außerhalb der angeführten nordöstlichen Staaten der Union ge- legenen Städten Steigthingegen die Sterblichkeits- rate der Neger wieder bedeutend, nämlich auf 31,8, während sie dort bei der europäischen Rasse nur 17,5 beträgt. Im Lauf der letzten zehn Jahre ist die Sterblichkeitsrate der europäischen Rasse in dem gesamten Registrationsgebiet der Vereinigten N. F. III. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 281 Staaten von 19,1 auf 17,3 zurückgegangen, da- gegen jene der „farbigen Rassen" bloß von 29,9 auf 29,6; eine weitere Unterscheidung der letzteren wurde im Jahre 1890 nicht vor- genommen , doch waren fast alle jene Per- sonen, welche als „Farbige" bezeichnet wur- den, Neger. In den ländlichen Gebietsteilen zeigt sich von 1890 bis 1900 sogar eine Erhöhung der Sterblichkeitsrate der ,, Farbigen" von 18,1 auf 19. Es ist zweifellos, daß die Sterbliclikeit der Neger von den relativ ungünstigen klimatischen Verhältnissen in den Südstaaten, wo der größte Teil derselben lebt, beeinflußt wird. Dies geht schon daraus hervor, daß die Sterblichkeit der Neger an Malaria verhältnismäßig zehnmal, jene an Typhus doppelt so groß ist als bei der euro- päischen Rasse. Aber auch gegen andere Krank- heiten ist die Negerbevölkerung weniger wider- standsfähig. Von je 100 000 Personen dieser Rasse starben an Tuberkulose 485, von den Euro- päern 174; an Lungenentzündung von den Negern 355, von den Europäern 185; die Sterbefälle in- folge von Krankheiten der Geschlechts- und Harn- organe sind bei den Negern gleichfalls weit häufiger; das Verhältnis stellt sich auf 100 : 157. — Die größere Sterblichkeit der Neger gegenüber der Bevölkerung europäischer Abstammung tritt in allen Gebietsteilen zutage , auch dort , wo die Lebensbedingungen vollständig gleich sind; dies läßt die Annahme berechtigt erscheinen, daß diese größere Sterblichkeit nicht allein in äußeren Einflüssen, sondern in der geringeren Vitalität der Negerrasse mit ihre Begründung hat; zumal gerade die Neger in der Regel weniger in jenen Berufen tätig sind, welche besondere Gesundheitsgefahren mit sich bringen. Fehlinger. Neue Untersuchungen über den Bau der Zelle. — Jedermann, der tiefer in die Grundfragen tierischer und pflanzlicher Lebenserscheinungen ein- dringt, wird mit Erstaunen bemerken, daß in allen Fragen welche sich auf die Funktion der Lebens- einheit beziehen, die größte Zahl von Hypothesen besteht. Dies ist ein deutlicher Fingerzeig, mit welcher Unsicherheit gerade auf diesem Gebiete die Forschung zu kämpfen hat. Man könnte nun meinen, daß dem wegen der Schwierigkeiten, die sich einer experimentellen „Cellularphysiologie" ent- gegenstellen, so sein müsse. Dies wäre jedoch ein Irrtum, da uns das Studium aller elementaren Lebenserscheinungen dadurch ungemein erleichtert ist, daß es freilebende, leicht massenhaft zu züch- tende und zu beobachtende einzelne Zellen, näm- lich die Protozoen und einzelligen Algen gibt. Deren physiologisches Studium ist bis in die jüngste Zeit, in welcher sich zum Glück die Aufmerksam- keit der Forscher auf sie wendet, bedeutend ver- nachlässigt worden. Eine andere Ursache der ob- geschilderten Erscheinung ist jedoch auch darin zu finden, daß man unbegreiflicherweise noch viel zu wenig Aufmerksamkeit auf den gröberen und feineren Bau der Zelle verwendet hat. Seit jener großen Periode morphologischer P"orschüng, welche durch Schieiden und Mo hl so glücklich ein- geleitet wurde, hat man sich nur darauf beschränkt, den Wabenbau des Protoplasmas festzustellen. Alle übrigen Ergebnisse der Zellen forsch ung, die Ent- deckung der feineren, fädigen Kernstrukturen, der Vorgänge bei der Samenfädenbildung, der Ei- befruchtung, die Entdeckung der Nebenorgane des Kerns, sind nur gewissermaßen Nebenresultate einer auf andere Probleme gerichteten Forschung gewesen, weshalb man es auch verabsäumt hat, alle diese Zellorganisationen auf ihre eigentliche Bedeutung für den Gesamtorganismus und nament- lich auf ihre physiologische Rolle zu prüfen. Die .'\rbeiten zahlreicher Forscher machen darauf auf- merksam, daß die Zelle selbst ein vielfach ge- gliederter, in verschiedene Organgruppen geson- derter Organismus ist; trotzdem mangelt noch immer eine systematische Untersuchung der sich immer mehr hervordrängenden Frage, ob denn die Zelle tatsächlich die funktionelle Einheit des Lebens sei. Wenn unsere Erkenntnis in diesem Punkte tiefer zu dringen vermag, wird die günstigste Rückwirkung auf die Grundfragen der Physiologie nicht ausbleiben. Bei der geschilderten Sachlage muß es mit großer Freude begrüßt werden, wenn nun wieder Forschungen angestellt werden, deren Hauptzweck es ist, den Bau der Zelle aufzuhellen. Eine sehr bedeutsame Arbeit dieser Kategorie veröffentlicht soeben Prof Dr. O. Rohd e (Breslau).') Er bringt sehr überraschende Angaben über Entwicklung und Funktion der sogenannten Sphären und Zentro- somen, wodurch uns diese Gebilde in ganz neuem Lichte gezeigt werden. Unter Zentrosomen (Polkörperchen) versteht man seit 1876 bekanntlich jene stark glänzenden, kleinen Körnchen, die man in vielen teilungs- fähigen Zellen in der Nähje des Zellkernes findet und die bei der mitotischen Kernteilung eine große Rolle spielen, indem sie gewissermaßen die Pole der ganzen Erscheinungen darstellen, die Zentren jener Kräfte, welche die beiden Hälften des Kernes auscinanderziehen. E. v. Beneden fand zuerst um die Zentrosomen jene dunkle plasmatische Hülle, welche man jetzt als Archiplasma oder Attraktionssphäre (kurz: Sphäre) bezeichnet und schon er sprach die Vermutung aus, daß Sphäre und Zentrosoma dauernde und wesentliche Bestandteile aller vermehrungsfähigen Zellen sind. Diese Anschauung fand alsbald Bestätigung, ja man fand Sphären auch bei Zellen, die sich nicht mitotisch teilen, neuestens sogar bei solchen, die sich überhaupt nicht teilen, wie z. B. die Nerven- zellen (Ganglien). Diese allgemeine Verbreitung der Sphären wies darauf hin, daß dieselben ein wichtiges Zellenorgan darstellen, andererseits aber ') E. Roh de, Untersuchungen über den Bau der Zelle. II. Über eigenartige aus der Zelle wandernde ,, Sphären" und „Zentrosomen", ihre Entstehung und ihren Zerfall. (Zeitschrift f. wiss. Zoologie. 75. Ud., 2. Heft, 1903, p. 147—220. Mit Tafel XVn— XlX.l 282 Naturwissenschaftliche Wochensclirift. N. F. III. Nr. i8 wurde es durch diese Erfalirung sehr zweifelhaft, daß ihre Funktion erst mit der Kernteilung ein- setze. Neue Untersuchungen waren daher sehr erwünscht. Einiges Licht über die Bedeutung der Sphären brachten im Jahre 1895 die Untersuchungen Len- hossek's.') Er fand als erster die Sphären in den Ganglienzellen des Frosches, beschreibt sie als kugelige, wohl umschriebene Gebilde, die von einer Art Membran umhüllt sind und im Innern stets ein kernartiges Zeritralkorn tragen. Es wurde dadurch deutlich darauf hingewiesen, daß die Sphären gewissermaßen Zellen en miniature dar- stellen, andererseits aber glaubte er einen innigen Zusammenhang zwischen Zelle und Sphäre darin zu finden, daß die Sphäre stets einen ganz be- stimmten Platz, nämlich den Mittelpunkt der Zelle einnahm. Dieser innige Zusammenhang bestätigte sich durch zahlreiche Befunde über die Bildung der Samenfäden im Hoden von Wirbeltieren. Man fand übereinstimmend, daß die Sphäre in den Mutterzellen, aus welchen sich die Samenfaden entwickeln, einen wesentlichen Teil zu deren Bil- sph Fig. I. Spinalganglienzelle des Frosches mit Zellkern (k) und Sphäre (sph), in welcher das Zentrosom liegt. (Nach Lenhossek). Stark vergr. dung beiträgt, indem sie und das Zentrosom den vordersten Teil des Samenfadenkopfesbildet, also bei der Spermatogenese zum mindesten dieselbe wich- tige Rolle spielt wie der Zellkern. Ahnliches wurde neuestens auch bei der Entwicklung der Samenfäden eines Schwimmkäfers (Cybister)-) be- obachtet, so daß wir allem Anscheine nach an- nehmen müssen, Zentrosom und Sphäre seien zur Bildung der Samenfäden unbedingt nötig. Noch komplizierter gestaltete sich das Problem durch eine Beobachtung, nach welcher der Sphäre ein ganz eigenartiges, von der Zelle unabhängiges Leben und eine Art von Entwicklung zugeschrieben werden mußte. F' r. M e v e s ") beschrieb im „Archiv für mikroskopische Anatomie" seltsame ') E. L enhossek, Zentrosom und Sphäre in den Spinal- ganglienzellen des Frosches. (Archiv für mikroskopische Ana- tomie. 1895.) '') D. N. Voinov, La Spermatogenese d'ete chcz le Cybister Roeselii. (Archives de Zoologie experimcntale IV. ser. 1. 1903, p. 173 — 260.) Mit 5 Tafeln. ') F. Meves, Über eine Metamorphose der Atlraktions- sphäre in den Spcrmatogonien von Salamandra maculosa. (.Archiv f. mikr. Anatomie. Bd. XLIV.) Veränderungen, welche er, so oft der Herbst kain, in den Hodenzellen des gefleckten Salamanders beobachtete. Er sagt darüber : Gegen Ende des Sommers, manchmal schon im Juli, gehen die Sphären in Körnerhaufen über, die sich später in der Zellsubstanz zerstreuen und in noch kleinere Teilstücke, in ganz winzige Körnchen zer- fallen. Im Frühjahr jedoch ziehen sich diese Körnermassen, welche Winters über den Kern wie eine Hohlkugel umgaben, wieder mehr auf eine Stelle zusammen. Zuletzt bilden sie einen ein- zigen Haufen, der sich immer mehr zu einem dunklen homogenen Körper, einer neuen Attrak- tionssphäre umbildet. Diese äußerst merkwürdige Beobachtung blieb lange Zeit ganz ohne Bestätigung und wurde in- folgedessen von den meisten Forschern ziemlich unberücksichtigt gelassen. Erst jetzt hat sie durch die Resultate Prof. Rohde's volle Bestätigung erfahren. Rohde's Sphärenstudien beziehen sich so- wohl auf Bau als auch Entwicklung und morpho- logische Bedeutung dieser Gebilde. Er stellte vor allem fest, daß die Sphären tatsächlich zellen- ähnlichen Bau besitzen. Er faßt seine Über- zeugungen diesbezüglich in die Worte zusammen : Die Sphären der Froschganglienzellen sind „ganz selbständige mit einem spezifischen Protoplasma versehene Bildungen, die in ihrer Struktur den Bau der Zelle wiederholen, insofern sie aus einer dem Protoplasma der Zelle entsprechenden Grund- substanz bestehen , welche in ihrem peripheren Abschnitte meist radiär gestellte Körnchen (etwa im Sinne der Mikrosomen der Zelle) und in ihrem Zentrum ein oder mehrere Zentralkörner enthält, welche an den Kern der Zelle erinnern." Diese Grundsubstanz unterscheidet sich in ihrem Ver- halten gegen Färbsubstanzen dermaßen von dem Protoplasma der Zelle, daß die Sphäre als ein Fremdkörper betrachtet werden muß. Diese Sphären nehmen in den Ganglien durchaus nicht immer eine zentrale Lage ein, wie es Lenhossek be- obachtete, sondern sie finden sich sowohl im Zell- körper, als auch in dem Zellkern zerstreut. Manch- mal sind sie nur in der Einzahl, bald aber zu inehreren, bisweilen sogar in sehr bedeutender Menge in den Zellen vorhanden. Dies findet seine Erklärung darin, daß die Sphären sich ganz un- abiiängig von der Zellteilung teilen können (siehe Abb. 3). In dem Zelleib und auch außerhalb desselben zerfallen sie (er beobachtete dies so- wohl im Sommer wie im Winter) in kleinere Teilstücke, diese wieder in kleinste Körner. Anderer- seits beobachtete er, daß diese Körnchen im Zell- kern sich vergrößern, langsam eine neue Körnchen- zone ausbilden und schließlich wieder zu normal gebauten Sphären heranwachsen, die in den Zell- leib übertreten oder die Zelle ganz verlassen und außerhalb derselben ein selbständiges Leben führen. Bezüglich der Zentrosomen beobachtete Rohde eine auffallende Übereinstimmung derselben mit dem Zentralkorn der Sphären. So wie dieses be- N. F. m. Nr. ü Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 283 stehen sie aus zweierlei Substanzen, deren eine sich ganz so verhält wie die chromatische Sub- stanz des Zellkernes. Sphärenlose Zentrosomen kommen überall in der Zelle, im Kern wie im Zellkörper vor; sie können ebenso wie die Sphären selbst aus den Zellen heraustreten. Dies ist der wesentliche Inhalt der R o h d e - sehen Arbeit. Sie faßt so ziemlich alles zusammen, was wir jetzt über die Sphären wissen und ver- einigt die Arbeiten Lenhossek's und Meves' in erfreulichster Weise. .Aber sie stürzt uns in ein Gewirr von neuen Fragen und macht die Sphäre zu einem noch rätselhafteren Problem als sie bis- her war. In einem besonderen Kapitel versucht Roh de zwar eine Erklärung seiner Befunde, muß sich aber doch damit bescheiden, die Frage offen zu lassen. Das eine ist jedoch sicher, daß die Sphären und Zentrosomen mit der Zellteilung nicht in notwendigem Zusammenhang / Fig. 2 — 6. — Fig. 2—4. Spinalganglicnzellcn des Frosches mit Sphären in allen Stadien der Teilung (Fig. 3), .\uswanderung (Fig. 3) und Entwicklung (Fig. 4) nach R o h d e. — Fig. 5— 6. Zentralkapscln aus den Samenzellen des Grottenolmes (Proteus). Die Sphäre ist bei Fig. 5 erhalten, bei Fig. 6 verloren gegangen. Nach Heidenhain. ^ «^ Fig. 7. Monas -Art aus Sumpfwasser. a Normales Individuum mit einem Zellparasitcn /. i Ebensolche Zelle mit mehreren Parasiten, c Die Parasiten im Auswanderungsstadium. */ Parasitische Sphäre, stärker vergr. e Ausgewanderte Sphären , aus welchen kleine Flagellaten (Bodo saltans r) schlüpfen. / Monaszelle mit einer in zahlreiche kleine Zellen zerfallenen parasiti- schen Sphäre. ;'■ Monaszellc mit einer Cyste. Mäßig stark vergrößert. Nach der Natur gezeichnet. 284 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. l8 stehen, sondern daß ihre eigentliche Funktion und Bedeutung wo anders zu suchen ist. Sie besitzen zweifellos Ähnlichkeit mit den sogenannten Richtungskörperchen der Eier. Die- selben lösen sich bekanntlich als sehr kleine Teile von der Eizelle als besondere Zelle ab und können ebenfalls einige Zeit außerhalb der Mutterzelle existieren. Die Richtungskörperchen sind aber ebenso unverstandene Gebilde wie die Sphären und wir hätten mit dieser Deutung nichts ge- wonnen als ein Analogon. Dabei bleibt aber zu bedenken, daß die Richtungskörper in sehr gesetz- mäßiger Anzahl entstehen, daß ihr Plasma färbe- risch genau mit dem der Eizelle übereinstimmt und daß sie erst nach ihrer Auswanderung sich auflösen. Ganz anders die Sphären. Sie sind erstens nicht immer vorhanden, meist aber sehr zahlreich, sie zerfallen und wachsen wieder inner- halb der Zelle und sind chemisch als Fremd- körper zu betrachten. Gerade dieser letztere Umstand macht es viel wahrscheinlicher, daß sie überhaupt Fremdkörper sind, die mit der Zelle nicht in vitalem Zusammen- hang stehen. Und diese Anschauung ist auch R o h d e am sympathischesten. Er sagt, die Sphären, resp. Zentrosomen, sind wahrscheinlich Zellpara- siten, deren wir ja durch neuere Arbeiten bereits eine große Anzahl kennen. Zugunsten dieser An- sicht spricht außer der chemischen Verschieden- heit auch noch der selbständige Entwicklungs- zyklus, die so verschieden intensive Infektion der Nervenzellen und ganz besonders die Beobachtung, welche vor einigen Jahren der bekannte Histo- loge Heidenhain ^) veröffentlichte, wonach sich die Sphären in den Samenzellen des Proteushodens einkapseln können. Die Sphäre liegt in diesen Zellen in einer Kapsel, die durchlöchert aussieht, in Wirklichkeit aber aus dicken, eng verflochtenen Fasern zusammengesetzt ist. Meistenteils findet man aber nur die leeren Kapseln (Fig. 6). Golgi und Ballowitz haben diese Gebilde in Nervenzellen, und in Zellen des Augenepithels fder Membrana elastica posterior) ebenfalls gefunden ; man steht dieser Erscheinung geradezu ratlos gegenüber und ist zu ihrer Erklärung auf wunderliche Theorien verfallen. Die Roh de 'sehe Theorie von der parasitären Natur der Sphären würde sie aber mit Leichtigkeit erklären, da solche Einkapselungen von Zellparasiten schon beschrieben wurden. Ver- fasser dieser Zeilen kann diesbezüglich auf einen von ihm selbst beobachteten derartigen Organis- mus hinweisen, dessen Entwicklung und Organi- sation frappant an die Sphären erinnert. Es ist dies eine Monasart (wahrscheinlich in den Formenkreis der Monas guttula gehörig), welche ich vor I2 Jahren massenhaft in einem Sphagnumsumpf fand und längere Zeit beobachtete. Die meisten der Zellen enthielten außer dem ') M. H e i d e n h a i n , Über die Zenlralkapseln und Pseudo- chromosomen in den Samenzellen von Proteus, sowie über ihr Verhältnis zu den Idiozomen, Chondromiten und Archoplasma- scbleifen. (Anatomischer Anzeiger 1900.) Zellkern , einigen Vakuolen und Nahrungsballen auch noch ein oder mehrere sphärenartige Gebilde, welche aus einem sehr stark glänzenden Zentral- korn und einer durchsichtigen plasmatischen Masse bestanden, an deren Peripherie feine Körnchen eingelagert waren. Dieselben erinnerten in ihrer äußeren Erscheinung stark an die in den Nerven- zellen gefundenen Sphären. Diese Ähnlichkeit wurde noch dadurch verstärkt, daß diese Pseudo- sphären, ebenso aus den Monaszellen auswandern wie die wirklichen Sphären aus den Ganglien (vgl. Fig. c). Ebenso konnte ich ein Anschwellen der fraglichen Gebilde und ihren Zerfall in zahlreiche kleine Körnchen (Fig. f) beobachten. Der Unter- schied macht sich erst in der Entwicklung der ausgewanderten Kügelchen geltend, denn die von mir beobachteten Pseudosphären platzten alsbald und aus ihnen schlüpften kleine, zweigeißelige Zellen, die das frühere Zentralkorn an ihrer schwächeren Spitze trugen und rasch davonschwam- men (Plg. e). Diese kleinen Zellen hatten alle Charaktere der unter dem Namen Bodo saltans S t. beschriebenen Flagellatenart , welche durch diese Beobachtung als Parasit der Monasarten ent- larvt wurde, und sich auch als unzweifelhafter Parasit darstellte, da durch das Auswandern des Sphärenstadiums die Wirtszelle zerstört wurde. Unter diesen Monaszellen befanden sich jedoch auch welche, die eine rundliche hyaline Kapsel enthielten, über deren weiteres Schicksal ich nichts eruieren konnte. Ebensolche Übereinstimmungen mit deni von den Sphären Bekannten zeigte sich in Bau und Entwicklung gewisser parasitischer Pilze, nament- lich bei dem in den Euglenen schmarotzenden P o 1 y p h a g u s E u g 1 e n a e. So wie bei dem Schmarotzer der Monas , zeigen sich auch bei ihnen Ruhekapseln, Zerfall in kleine Sporen und Auswandern derselben. Ein wesentlicher Unter- schied liegt nur darin, daß, während die Mona- dinen und Euglenen durch ihre Gäste zugrunde gerichtet werden, wir von den Sphären nichts wissen, was auf deren Parasitismus deuten würde. Wir werden daher, falls sie als Fremdkörper zu betrachten sind, in ihnen wohl mehr Symbion- t e n denn Schmarotzer sehen müssen. Damit hat es jedoch vorläufig noch gute Weile. Ebenso viele Gründe wie für die symbiotische Natur der Sphären lassen sich auch gegen die- selbe anführen. Da wäre vor allem der unzweifel- hafte, enge Zusammenhang mit den Vorgängen der Kern- und Zellteilung, nicht minder die von vielen Forschern beobachtete Tatsache , daß von den Sphären zahlreiche feine Strahlen weit in das Zellprotoplasma hineinreichen und sich dort schein- bar verlieren. Ganz besonders beweiskräftig für die innige Zusammengehörigkeit von Zelle und .Sphäre sind schließlich die oben mitgeteilten \'or- gänge bei der Samenfadenbildung. Man könnte zwar dagegen einwenden , daß auch hierfür Analoga in dem Zusammenleben von Wirtszellen und deren Parasiten bekannt sind. Es N. F. m. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 285 wäre dies Erikssons Mycoplasma, jene eigentümliche Infektion des Protoplasmas der Grasarten durch die Rostpilze, welche sich nach dem Genannten durch Einlagerung mikroskopi.scher Hyphenteilchen in das Protoplasma sämtlicher Zellen der Wirtspflanze kundgibt. Nach Eriks- sons neueren Untersuchungen nimmt diese Pilz- substanz an den Zellteilungen Anteil und weiß sich selbst in den Befruchtungsvorgang einzu- drängen, wodurch es ermöglicht ist, daß schon der Keim der rostkranken Pflanze neuerdings den Parasiten in sich schließt. Erikssons Untersuchungen wurden aber stark angefochten und stehen noch mitten in dem Kampfe der Meinungen, so daß sie in der Sphären- frage durchaus keine zuverlässige Stütze bilden. Es ist jedoch auch nicht ausgeschlossen , daß beide Anschauungen zu Recht bestehen und daß man vorläufig noch nicht imstande ist, zwei sich zum Verwechseln ähnliche Gebilde von sehr ver- schiedener Bedeutung, nämlich Symbionten und Zellorgane, auseinanderzuhalten, sowie man seiner- zeit die in mikroskopische Wassertiere (Infusorien, Hydra, Schwämme) einwandernden grünen Algen auch nicht von Chlorophyllkörnern zu unter- scheiden vermochte. Prof. Rohde schließt seine Studie mit der Erörterung dieser Möglichkeit, welche entschieden viel Einnehmendes für sich hat. Die Entscheidung wird wohl bald durch fortgesetzte Untersuchungen gebracht werden. Und daß es an solchen nicht mangeln wird, dafür sorgt schon die große Bedeutung, welche nach dieser so glücklich begonnenen Enträtselung dem Problem der „Sphäre" zukommt. R. France. Über Elektrizitätszerstreuung in Luft infolge radioaktiver Emanationen sind im letzten Jahre an mehreren Orten Beobachtungen angestellt worden, die zu interessanten Ergebnissen geführt haben. Die Leitfähigkeit der Luft hat sich nämlich in Kellern und Höhlen vielfach als erheblich größer herausgestellt wie in der freien Atmosphäre, doch verhalten sich, wie es scheint, verschiedene Boden- arten in dieser Beziehung sehr verschieden. Es liegen Beobachtungen hierüber vor von Elster und G eitel aus Wolfenbüttel, Claustal, Baumanns- und Iberghöhle, Kalisalzbergwerk bei Vienenburg, Zinnowitz, von Ebert und Evers aus München, von Börnstein aus Berlin und Wilmersdorf, von Gockel aus Freiburg (Schweiz), Hirns tedt aus Freiburg i. B. , von Cuomo aus Capri und von Rizzo aus der Caverna di Bossea in den Seealpen. Während in Kellern in Wolfenbüttel und Frei- burg i. B. und in den Höhlen des Harzes, der Seealpen und der Insel Capri die Ionisierung der Luft sich abnorm hoch erwies, war sie in Claustal, Zinnowitz, Freiburg (Schweiz), Wilmersdorf und Berlin nur unbedeutend gesteigert, im Kalisalz- bergwerk sogar vermindert. Daß es sich um eine radioaktive, dem Boden entstammende Emanation handelt, geht daraus hervor, daß die Ionisierung von Luft, die aus dem Boden gesaugt wurde, eine Zeitlang zunahm und erst allmählich ihr Maximum erreichte. Elster und Geitel schreiben auf Grund ihrer Versuche dem Erdreich selber eine gewisse Radioaktivität zu, die bei Behandlung mit Säuren an den tonigen Bestandteilen haftet, was mit der vonCooke an Ziegelsteinen beobachteten Becquerel- strahlung gut stimmt. Auch der Erde entstam- mende, verflüssigte Kohlensäure erwies sich nach ihrer Vergasung trotz mehrtägigen, voraufgegange- nen Transportes als aktiv. Durch die Aktivität der Bodenluft erklärt sich auch der von Elster und Geitel festgestellte Einfluß des Barometer- standes auf die Leitungsfähigkeit der freien atmo- sphärischen Luft. Eine Verminderung des Luft- druckes muß ja den Austritt von Luft aus den Kapillaren des Erdbodens und damit eine Steige- rung der Aktivität zur Folge haben. Freilich wird diese Steigerung nicht immer eintreten, da z. B. reiche Niederschläge eine Verstopfung der Boden- kapillaren bewirken können. Nach Börnstein's Versuchen scheint die der Luft Akti\'ität ver- leihende Emanation in sehr geringer Menge im Bodenwasser enthalten zu sein, aus dem sie an die Luft übergeht, wenn diese mit einer großen Wassermenge in Berührung gebracht wird. In neuester Zeit fanden Elster und Geitel in dem sogenannten „Fango", einem aus einer Sprudel- therme bei Battaglia in Oberitalien gewonnenen, bei uns zur Herstellung von Umschlägen und Bädern importierten feinen Schlamme, ein Material, dessen Aktivität die der in Deutschland vorkom- menden Tone um das Drei- bis Vierfache über- trifft. Allerdings ist auch die im Fango anzu- nehmende Radiummenge so gering, daß eine Radiumdarstellung aus ihm unlohnend erscheint. Die Joachimstaler Pechblende enthält 11 80 mal so viel Radium. Die genannten Forscher fassen ihre Ergebnisse in der neuesten Publikation (Phys. Ztschr. V, S. 11) folgendermaßen zusammen: „Die feste Erdrinde ist die Quelle einer radio- aktiven Emanation, die in gewisser, nicht überall gleicher Dichtigkeit allgemein in der Bodenluft enthalten zu sein scheint. Von hier aus dringt sie einerseits durch Diffusion in die Atmosphäre besonders bei sinkendem Luftdruck ein und ist daher über dem Lande in größerer Konzentration als über dem Meere vorhanden , andererseits löst sie sich in dem Wasser der Quellen und Brunnen und kann diesem vermittels Durchlüftung wieder entzogen werden. Der Ursprung dieser Emanation ist in einem verschwindend kleinen Gehalte an Radium in den verschiedenen Erdarten zu suchen, seine Gegenwart tritt verhältnismäßig deutlich in tonhaltigen Erden hervor. Gewisse Tatsachen, wie das Vorhandensein starker Emanation in Kohlensäureexhalationen und Thermalquellen und die vergleichweise starke primäre Aktivität des aus einer solchen stammenden Fangoschlammes scheinen darauf hinzudeuten, daß der Gehalt an Radium mit der Tiefe zunimmt oder vielleicht in vulkanischen Produkten besonders hoch ist." F. Kbr. 286 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. i8 „Über die Oxydierbarkeit des Platins' durch elementaren Sauerstoff" hat I.othar Wohl er in den „Berichten der Deutschen Chemischen Ge- sellschaft", XXXYI. Jahrcr., pag. 3475 ff., eine wert- volle Abhandlung veröffentlicht, deren Resultate wir hier kurz zusammenfassen. Das Platin, jenes in Wissenschaft und Technik viel verwendete, unersetzbare Edelmetall, unter- scheidet sich — so meinte man wenigstens bis- her — von allen anderen Metallen durch seine NichtOxydierbarkeit durch molekularen Sauerstoff. Das mußte um so merkwürdiger erscheinen, als sämtliche anderen Glieder der Platinreihe, das Palladium, das Rhodium, das Ruthenium, das Os- mium und das Iridium , \-erhältnismäßig leicht oxNxliert werden, und auch die — berechnete — Bildungswärme des Platinoxyduls PtO ziemlich hoch, -|- 75 J, ist. Wöhler zeigt nun, daß die bisherige Annahme falsch ist und daß sich das Platin sowohl an der Luft wie in Sauerstoffatmo- sphäre ox^'diert. Bekanntlich oxydiert sich ein Metall um so leichter, je feiner es verteilt ist, und daher unter- suchte Wöhler zunächst das am feinsten verteilte Platin, den durch besondere Verfahren hergestellten Platinmohr. Daß der Mohr überhaupt Sauerstoff enthielt, ergab sich aus der Tatsache, daß Jod- stärke, dies empfindliche Reagens auf Oxydations- mittel, durch Platinmohr gebläut wird, und zwar ist ..diese oxydierende Wirkung . . . um so stärker, je länger der Mohr der Luft ausgesetzt war, und besonders stark, wenn er lange Zeit bei Wasser- badtemperatur im Sauerstoff getrocknet war." — „Im engen Zusammenhange damit steht die Menge des vom Platinmoiir aufgenommenen Sauerstoffs." Der Mohr wurde durch Erhitzen in Sauerstoff immer schwerer und hatte schließlich nach sechs- wöchentlichem Erhitzen bei einer allmählich bis auf 280" (Diphcnylaminbad) gesteigerten Tempe- ratur 2,3% Sauerstoff aufgenommen. Die so ent- standene Verbindung unterschied sich von metal- lischem Platin durch ihre Löslichkeit in Säuren, besonders in Salzsäure; von ganz sauerstofffreiem Platinmohr löste sich nämlich in konzentrierter Salzsäure nach 24 stündigem Erhitzen auf 20j" im geschlossenen Rohre nur tj^a^/o, während dem z. T. oxydierten Mohr durch Salzsäure schon bei schwachem Erwärmen 10 — 16"/,, metalhschen Platins entzogen wurde. Nachdem Wöhler gefunden hatte, daß sich bei Erhitzen des Platinmohrs in Sauerstoff oder Luft tatsächlich eine Sauerstoffverbindung bildete, legte er sich die Frage vor, welche Sauerstoft'-Platin- Verbindung vorlag. Außerordentlich diffizile und mühsame LJntersuchungen ergaben , daß der in Salzsäure lösliche Platinmohr 6,05, 7,43, 7,36, 7,1 und 7,8"/,, Sauerstoff enthielt, d. h. daß es sich um Platinoxydul PtO mit einem theoretischen Sauerstoffgehalt von 7,6"/,, handelte. Das Platin- oxydul war als Chiorür PtCl., in Lösung gegangen und konnte durch Kochen mit Soda als das tief- schwarze Oxydulhj-drat gefällt werden. Wie leicht begreiflich, geben das Oxydulhydrat wie der (oxydierte) Mohr ihren Sauerstoff leicht wieder ab; sie sind starke Oxydationsmittel: „So lassen sich Oxalsäure, Harnstoff, Zucker und Stärke durch Platinmohr (d. h. durch das in ihm ent- haltene Oxydul) oxydieren, auch neutrales Natrium- formiat und Kaliumoxalat, und selbst Essigsäure wird beim Erwärmen damit zu Kohlensäure und Wasser verbrannt." „Diese Versuche bestätigen durch das gleiche Verhalten von Mohr und Oxydul- hydrat noch weiter, daß Oxydulhydrat im Mohr vorhanden ist, d. h. daß das fein verteilte Platin des Mohrs durch Sauerstoff zu Oxjxlul sich oxy- diert." Da der Mohr, auch wenn er sauerstofffrei ist, ebenso wie das Oxydul schwarz ist, so ist die partielle Verbrennung des Mohrs für das Auge nicht wahrnehmbar. Daher versuchte Wöhler, und zwar mit Erfolg, den hellgrauen Platinschwamm, ein ebenfalls fein, aber weniger fein als der Mohr verteiltes Platin, und schließlich die Platinfolie selbst zu oxydieren. Zu diesem Zwecke erhitzte er Platinschwamm 34 Tage lang in Sauerstoff- atmosphäre auf etwas über 400" (bei noch höherer Temperatur zerfällt das Platinoxydul, wie er festge- stellt hatte, wieder in seine Komponenten) : der hell- graue Schwamm wurde tiefschwarz, ,, nahezu die Hälfte (44,4"/^) war in Platinoxydul verwandelt." Bei der viel dichteren Platinfolie geht die Oxy- dation noch langsamer vor sich, aber nach 37 Tagen hatte auch diese 1,9% Sauerstoff aufgenommen. ,, Damit ist ... die Oxydierbarkeit des letzten, bis jetzt für unoxydierbar geltenden Metalles durch molekularen Sauerstoff nachgewiesen." Von besonderer Wichtigkeit ist die Wöhler- sche Arbeit für das Verständnis der katalytischen Wirkung des Platins. Bekanntlich versteht man unter „Katalyse" die Beschleunigung einer zwar an sich freiwillig, aber sehr langsam verlaufenden chemischen Reaktion bei Anwesenheit einer kleinen Menge einer gewissen anderen Substanz, des so- genannten Katalysators. Nun ist einer der am meisten gebrauchten Katalysatoren eben das fein verteilte Platin, durch das besonders Oxydations- prozesse beschleunigt werden (Doebereiners Zünd- maschine, Oxydatior. des Schwefeldiox)-ds SO., zu Schwefelsäureanhydrid SO.j usw.). Worauf aber diese Beschleunigung beruhte, das war bisher recht unsicher. Zwar nahmen viele Forscher die Bildung von Sauerstoff-Platin-Verbindungen als Zwischen- produkten an, aber dieser Ansicht fehlte bishef die wichtigste Stütze, nämlich der Nachweis, daß solche Sauerstoff-Platin-Verbindungen tatsächlich aus feinverteiltem Platin und Luftsauerstoff ent- stehen. Diesen Nachweis hat Wöhler geliefert und dadurch eine der wichtigsten katalytischen Reak- tionen dem Verständnis eröffnet. Mg. Bücherbesprechungen. W e 1 1 a 1 1 und Menschheit. Herausgegeben von Hans Kraemer. II. Band. Berlin, Bong &; Co. N. F. III. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 287 Ohne Jahreszahl. 518 Seiten mit zahlreichen Ab- bildungen und Beilagen. — Preis geb. 15 Mk. Auch der zweite Band des von uns bereits früher angezeigten Werkes bietet einen Schatz hervorragend gut ausgeführter und wissenschaftUch wertvoller Illu- strationen und kulturgeschichtlich interessanter, sowie auch künstlerisch wirkender Beilagen. Der Text, der diesmal von Prof. Klaatsch (Entstehung und Ent- wicklung des Menschengeschlechts!, Prof. Beushausen (Entwicklung der Tierwelt) und Prof. Potonie (Ent- wicklung der Pflanzenwelt) stammt, steht durchweg auf der Hohe wissenschaftlichen Ernstes und gründ- lichster Sachkenntnis. Es werden dem Leser hier nicht blendende Hypothesen mit mehr oder weniger schwanigvollen Phrasen mundgerecht gemacht, sondern derselbe wird mitten in die wissenschaftlichen Probleme der Gegenwart hineingeführt, er erfährt das Für und Wider verschiedener Auffassungen in der im ganzen allerdings als unumstößlich erwiesen dargetanen Ent- wicklungslehre und wo die Verf. namentlich bei anthropologischen und paläobotanischen Fragen die Ergebnisse ihrer eigenen Forschungen und Mut- nial3ungen aussprechen , geschieht es mit einer bei aller Zuversicht in die eigene Meinung wohltuenden Zurückhaltung und unter Vorlegung so reicher Belege, daß der aufmerksame Leser sehr wohl in der Lage ist, sich ein selbständiges Urteil zu bilden. Eine kritische Beleuchtung der Ansichten von Prof Klaatsch über die Entwicklung des Menschengeschlechts hat Dr. Wilser im II. Bande dieser Zeitschrift (S. 505 f.) gegeben. — Leider können wir gleichwohl auch bei diesem zweiten Bande die Bemerkung nicht unterdrücken, daß eine erhöhte redaktionelle Sorgfalt die Benutzung des Werkes ganz erheblich hätte erleichtern und fördern können. Schon die Reihenfolge der Hauptabschnitte: „Mensch, Pflan- zen, Tiere" ist durchaus wider den Entwicklungs- gedanken und bedingt außerdem im dritten Abschnitt Wiederholungen aus dem ersten, resp. im ersten die Vorwegnahme von Tatsachen, die in den dritten ge- hören. Zudem sind alle Verweisungen auf frühere Stellen des Textes so allgemein gehalten , daß man dieselben nicht so leicht auflinden kann , zumal ein ausführliches Inhahsverzeichnis und Register, sowie speziellere Seitenüberschriften vermißt werden. Ebenso fehlt den Illustrationen durchgehende Numerierung und direkte Bezugnahme auf dieselben im Text, so daß es z. B. namentlich bei den Feuersteinwerkzeugen außerordentlich schwer ist, die Belege für das im Text Gesagte unter den weit zerstreuten Abbildungen herauszufinden. Merkwürdig ist bei dem sonstigen Reichtum an Abbildungen das Fehlen einer zur Er- kennung der Rassenmerkmale ausreichenden Zahl von ethnologischen Bildern. — Diese Ausstellungen sollen indes nur die Punkte bezeichnen, an denen die Hebel zur weiteren Vervollkommnung des prächtigen Werkes ansetzen könnten. Wir zweifeln nicht, daß auch heute schon die Anschaftung des im Vergleich mit dem Gebotenen wohlfeilen Werkes jedermann befriedigen wird. F. Kbr. 732 -\- 117 pages. Paris, Gauthier-Villars. — Prix 1,50 fr. 2) Annuaire pour l'an 1904, publie par la socidte Beige d'astronomie. Illustre de cartes, figures et planches. Bruxelles, Veuve Ferd. Larcier. 192 p. i) Mit dem vorliegenden Jahrgang des rühmlichst bekannten Pariser Annuaire ist die Teilung der die kalendarischen Angaben begleitenden tabellarischen Zusammenstellungen zur Durchführung gelangt. Neben einer Reihe von astronomischen Tabellen bleiben alle geographischen und statistischen Angaben für den nächsten Jahrgang aufgespart, wogegen die physikali- schen und chemischen Tafeln im jetzigen Jahrgang wesentlich erweitert worden sind. Unter den Hinzu- fügungen seien hervorgehoben : Kalenderwesen ver- schiedener Völker, Elemente aller kleinen Planeten, Dichtigkeiten , Ausdehnungskoeffizienten , Kompressi- bilität und Viskosität zahlreicher Flüssigkeiten, Wellen- längen der verschiedensten Spektra , Löslichkeits- tabellen , Tafeln über die Drehung der Polarisations- ebenc, sowie über Legierungen und namentlich die thermochemischen Daten nach Berthelot's neuester Revision. — Die wissenschaftlichen Beigaben ent- halten einen Bericht über den internationalen Geo- dätenkongreß von 1903 in Kopenhagen von Bouquet de la Grye , sowie eine recht klare und elementare Erklärung der Giundtatsachen des Gezeitenphänoraens von Hatt. 2) Das belgische Annuaire ist im Gegensatz zum vorigen ausschließlich astronomisch - meteorologischen Inhalts. Zahlreiche Abbildungen und Kärtchen ver- anschaulichen die Stellungen und den Lauf der Ge- stirne. Die wissenschaftliche Beilage von J. Vincent behandelt diesmal die Messung der atmosphärischen Niederschläge in recht erschöpfender Weise, allerdings ohne Berücksichtigung der registrierenden Apparate. F. Kbr. Abhandlungen zur Didaktik und Philosophie der Na- turwissenschaft. Herausgeg. von E. Poske, A. Höfler und F.. Grimsehl. Heft i: Prof. E. Grimsehl, Die elektrische Glühlampe im Dienste des physikali- schen Unterrichts. Berlin, J.Springer. 1904. 60 Seiten mit 40 Abb. — Preis 2 Mk. Die überall leicht und billig zu beschaffende Glüh- lampe stellt ein ausgezeichnetes Hilfsmittel dar, um die verschiedenartigsten physikalischen Tatsachen in einfacher Weise zu demonstrieren , namentlich wenn Anschluß an eine Starkstromleitung vorhanden ist. Der Verf, der eine große Anzahl hierher gehöriger Versuchsanordnungen selbst ersonnen hat, hat in der vorliegenden Abhandlung alle derartigen , zumeist in der Poske'schen Zeitschrift beschriebenen Anwen- dungen systematisch zusammengestellt und so aus- führlich behandelt , daß die Versuche ohne weiteres danach mit Erfolg angestellt werden können. Jedem Physik Unterrichtenden kann die Schrift demnach aufs beste empfohlen werden. F. Kbr. i) Annuaire pour l'an 1904, publie par le bureau Ernst Abbe, Gesammelte Abhandlungen, des longitudes. Avec des notices scientifiques. I. Band. Abhandlungen über die Theorie des 288 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. i8 Mikroskops. Mit 2 Tafeln und 29 Figuren im Text und einem Porträt des Verf. Jena, Gustav Fischer, 1904, 486 Seiten. — Preis geb. 10 Mk. So epochemachend und gegenwärtig von allen Seiten anerkannt die theoretischen Leistungen Abbe's auf dem Gebiete der Mikroskopie sind, existiert doch bisher noch keine von ihm selbst verfaßte , ausführ- liche Darstellung seiner Forschungen, und auch die vorhandenen, kleineren Publikationen waren in ver- schiedenen, zum Teil schwer zugänglichen , ausländi- schen Zeitschriften zerstreut. Es ist daher ein sehr dankenswertes Unternehmen , daß eine Anzahl von Abbe's Schülern unter der Leitung von Dr. Czapski sich der Mühe unterzogen hat, die Veröftentlichungen ihres Meisters zu sammeln und , soweit erforderlich, ins Deutsche zu übertragen. Der erste Band dieser ohne Wissen des Verfassers unternomiuenen Samm- lung, dem noch zwei bis drei weitere folgen sollen, liegt nunmehr vollendet vor. Besonders wichtig als erste Einführung in die durch Abbe gegebenen neuen Grundlagen sind die unter Nr. III in diesem Band enthaltenen „Beiträge zur Theorie des Mikroskops und der mikroskopischen Wahrnehmung", die 1873 in Schulze's Archiv für mikroskopische Anatomie er- schienen sind und ohne mathematische Formeln in klarer Weise die Bedingungen für die Abbildung feinster Strukturen auseinandersetzen. Von den 21 übrigen, durchweg leicht lesbaren Abhandlungen dieses Bandes seien hervorgehoben diejenigen „über die optischen Hilfsmittel der Mikroskopie" (1876), „über das System der homogenen Immersion" (1879), „über die Grenzen der geometrischen Optik" (1880), „über die Bemessung der Apertur" (1881) und über „die Beziehungen zwischen Apertur und Vergrößerung" (1882). Auf die weiteren Bände darf man besonders gespannt sein, da der dritte die bisher noch gar nicht veröffentlichten Arbeiten enthalten soll und ein letztes Bändchen die Ansprachen und Reden bringen wird, in denen Abbe seinen Achtung gebietenden sozialpolitischen Standpunkt entwickelt hat. F. Kbr. Leserkreis irgend ein Interesse bieten könnte. Bei einem an- deren Verhalten würde der Raum der Naturwiss. Wochenschr. durch den Briefkasten übermäßig belastet werden. Red. Literatur. Pilger, R.: Taxaccae, m. 210 Einzelbildern in 24 Fig. {124S.) Leipzig '03, W. Engelniann. — 6,20 Mk. Redlich, Doz. Dr. Karl A.: Anleitung zur Lötrohranalyse. 2., umgearb. Aufl. (IV, 32 S. m. 8 Abbildgn.) 12". Leoben '03, L. Nüssler. — I Mk. Briefkasten. Zur Nachricht (zugleich als Antwort auf mehrere An- fragen): Anfragen, die den Verkauf von Objekten oder die einen Anlcauf z. B. eines alten Mikroskopes u. dgl. betreft'en, können im Briefkasten keine Erledigung finden. Für solche Zwecke stehen die Inserate zur Verfügung, wegen derer man sich an die Vcrlagsbuchliandlung in Jena wenden wolle. Der Briefkasten soll auch von den sonstigen Fragen nur diejenigen berücksichtigen , deren Beantwortung auch für den übrigen Herrn K. K in Poggendorf. — Eine treffliche Mono- graphie der Kompositen (bis zu sämtlichen Gattungen und den wichtigsten und wichtigeren Arten hinab) finden Sie in Teil IV Abteilung 5 der Natürlichen Pflanzenfamilien von Engler und Prantl (Wilhelm Engelmann in Leipzig). In der Arbeit wird auch die wichtigste Literatur angegeben. Herrn W. W. in Halle a. S. — l) Vgl. Sie zur Frage nach der .-\ufnahme von elementarem Stickstoff durch Bakterien und Pflanzen überhaupt z. B. p. 284 ff. in den Vorlesungen über Pflanzenphysiologie von L. Jost (Gustav Fischer in Jena 1904). 2) Wegen 2 und 3 finden Sie Auskunft in Dörfler's botanischem Adreßbuch. Herrn S. E. in Magdeburg. — Wir empfehlen Ihnen Klaatsch „Die Entstehung und Entwicklung des Menschen- geschlechts" in Bd. II von „Weltall und Menschheit" (Bong \' Co. in Berlin). Herrn V. in G. — Das beste Buch über die Natur- geschichte der Sprache ist das Werk von Ma.x Müller „Vor- lesungen über die Wissenschaft der Sprache", übersetzt von C. Bötiger (Julius Klinkhardt in Leipzig). Gleich in der I. Vorlesung begründet M. , daß ,,die Sprachwissenschaft zu den Naturwissenschaften gehört". Daß die Neigung, die grammatischen Regeln als so eine Art von Absolutem anzu- sehen noch immer nicht auszurotten ist, scheint Ihnen bei der Tatsache, daß die Gymnasien (die doch früher fast ganz herrschten) den Sprachunterricht so gewaltig in den Vorder- grund rücken, , .höchst wunderbar". Wir bitten aber zu be- denken, daß auf den Schulen ja gar kein Wissenschaft- liclicr Sprachunterricht erteilt wird, sondern daß alles Be- mühen nur daraufgerichtet ist, die Schüler möglichst die alten Sprachen (griechisch und lateinisch) verstehen zu lehren. Der Unterricht hat also in Wirklichkeit (wenn auch gewünscht wird, daß dabei ,,der Geist der alten Völker" erfaßt werde) ein rein praktisches Ziel. Bei dieser Sachlage ist es nicht auffallend, daß so viele „Gebildete" keine rechte Vorstellung davon haben, daß die Sprache ein Entwicklungsprodukt ist und daß infolgedessen so schiefe Urteile möglich sind, wenn es sich um die Frage handelt, ob etwas sprachlich ,, richtig" oder ,, falsch" sei. Es gibt natürlich keinen absoluten Maßstab für das Richtige und Falsche in einer Sprache, sondern es kann heute etwas „richtig", nach hundert Jahren aber dasselbe ,, falsch" sein, je nachdem der Gebrauch sich ändert. Herrn Dr. A. in F. — Um die wichtigsten nutzbaren Pflanzen der Erde kennen zu lernen nicht nur hinsichtlich ihres Aussehens, sondern auch ihrer Verwendung, empfehlen wir Ihnen Dr. Karl Müller's „Praktische Pflanzenkunde für Handel, Gewerbe und Hauswirtschaft". Mit 140 Abbildungen auf 24 kolorierten Tafeln (E. Stahl's Verlag Nachf. in Breslau). Preis geb. 9 Mk. Herrn J. in Königsberg a. Eger. — Eine botanische Zeit- schrift, wie Sie sie verlangen, gibt es nicht. Die Original- milteilungen, die das botanische Zentralblatt früher brachte, finden Sie jetzt in einer besonderen Zeitschrift: ,, Beihefte zum Botanischen Zentralblatt" (Gustav Fischer in Jena) vcröflent- licht, während das Botanische Zentralblatt selbst (Brill in Leiden) ein ausschließlich referierendes Organ geworden ist. Beide Zeitschriften sind vollständig selbständige Unternehmungen geworden, die nur im Ti'cl Gemeinsames aufweisen. Inhalt: Prof. G. v. 'Niessl: Die geographischen Beziehungen des Meteorphänomens. — Kleinere Mitteilungen: F"eh- linger; Die Sterblichkeit der europäischen und der Neger-Rasse. — France: Neue Untersuchungen über den Bau der Zelle. — Elster und G eitel: Elektrizitätszerstreuung in Luft infolge radioaktiver Emanationen. — Lothar Wohl er: Über die 0.\ydierbarkeit des Plaüns durch elementaren Sauerstoff. — Bücherbesprechungen: Hans Kraemer: Weltall und Menschheit. — Annuairc pour I'an 1904. — Abhandlungen zur Didaktik und Philosophie der Naturwissenschaft. — Grimsehl: Die elektrische Glühlampe. — Ernst Abbe: Gesammelte Abhandlungen. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Licliterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „Dl6 NatUT" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Heue Folge HI. Band; der ganzen Reibe XIX. Band. Sonntag, den 7. Februar 1904. Nr. 19. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Posl 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 544Ö- Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Die Lebensdauer der Insekten. [Nachdruck verboten.] Von Franz Neureuter, cand Über die Le.bensdauer der Insekten herrschen im allgemeinen recht einseitige Vorstellungen. Dies hat darin seinen Grund, daß man unter „hisekt" gewöhnlich das vollkommen entwickelte Tier ver- steht und dabei die vorhergehenden Lebens- und Entwicklungsstadien desselben ganz außer acht läßt. Das Leben eines Tieres aber beginnt keines- wegs erst in jenem Augenblicke, in welchem es in seiner fertigen Gestalt und definitiven Form uns entgegentritt. Dieser höchsten Lebensstufe geht die allmähliche Entwicklung voraus. Letztere vollzieht sich meist unzugänglich für unsere direkte Beobachtung innerhalb der EihüUe, aus welcher am Ende der Entwicklung ein Tier hervorgeht, das bereits mit allen wesentlichen Organen aus- gerüstet ist. In den Insekten jedoch tritt uns eine Tier- klasse entgegen, die auch außerhalb des Eies eine Entwicklung durchmacht, welche wir direkt be- obachten können. Darum ist es gerechtfertigt, auch die dem vollkommen entwickelten Insekt vor- aufgehenden Entwicklungsstufen als „Leben" im herkömmlichen Sinne zu bezeichnen. Bei dieser Art der Auffassung aber kommt dem Leben der prob., Heiligenstadl in Thüringen. Insekten eine viel größere, ja verhältnismäßig sehr große Dauer zu. Das Merkwürdige dabei ist, daß in vielen Fällen die Entwicklung eines Insektes eine bei weitem längere Zeit in Anspruch nimmt, als das vollkommene Insekt selbst lebt. Es hat dieses seinen Grund in den Lebensfunktionen der einzelnen Entwicklungsstadien. Jedes Tier hat in bezug auf die Natur, in welcher es erzeugt wird, lebt und vergeht, einen zweifachen Zweck oder eine doppelte Aufgabe, einmal sich selbst und sodann seine Art zu er- halten, sich fortzupflanzen. Bei vielen Tieren geht die Erfüllung diesei' beiden Aufgaben im allge- meinen gleichzeitig nebeneinander her, wenngleich z. B. bei den höheren Tieren die letztere Aufgabe in ein höheres Alter verschoben ist, während der jüngeren Lebenszeit die Ausbildung und Festigung der körperlichen Organe anheimfällt. Bei den In- sekten jedoch ist jede der beiden Aufgaben einer ganz verschiedenen Lebensstufe zugewiesen. Im Larvenstadium des Insektes fällt dem Tiere einzig und allein mit sehr wenigen Ausnahmen die Auf- gabe zu, sich zu ernähren, zu wachsen. Das voll- kommene Insekt jedoch wächst nicht mehr. Seine 290 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 19 Größe ist bestimmt und abhängig von der Größe der Larve. Es hat nur noch den zweiten Lebens- zweck zu erfüllen, welcher darin besteht, dal.i es seine Art fortpflanzt, wozu die Larve bei den weitaus meisten Insekten nicht befähigt ist. Da es nun klar ist, daß das Wachstum eines Tieres abhängig ist von der Nahrungsaufnahme, von Witterungsverhältnissen und noch anderen Be- dingungen , die Fortpflanzung jedoch in kurzer Zeit geschehen kann, so leuchtet ein, daß auch das erstere Stadium, nämlich das der Larve, eine viel längere Zeit erfordert, als das letztere Stadium, das der Fortpflanzung. Es läßt sich also schon von vornherein vermuten, daß wir unter den In- sekten solche treffen, die zu ihrer Entwicklung eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen. Im allgemeinen läßt sich wohl sagen , daß ein ge- wisses Verhältnis besteht zwischen Körpergröße und Lebensdauer. Es soll damit jedoch nicht etwa gesagt sein, daß ein größeres Insekt auch als voll- kommenes Tier eine entsprechend längere Lebens- dauer besitzt, daß also die größten unter ihnen auch immer am längsten lebten, wenngleich es oft so sein wird. Vielmehr hat die Länge der „Lebens"zeit eines größeren Insektes in der längeren Zeit, die seine Entwicklung beansprucht, ihren natürlichen Grund. Ein allbekanntes Beispiel ist der Maikäfer (Me- lolontha vulgaris). Erst im vierten Jahre seines Lebens \'erläßt dieser seinen unterirdischen Aufent- haltsort. Drei Jahre hindurch hat derselbe als Larve ein lichtscheues Dasein geführt. Das Ei, aus welchem die Larve hervorging, war nicht größer als ein Stecknadelknopf Allmählich jedoch wuchs die Larve bei reichlicher Nahrungsaufnahme. Ihr Körperumfang schwoll immer mehr und mehr an, bis sie unter mehrmaliger Häutung endlich im vierten Jahre ihre volle Größe erreichte und zur Puppe wurde. Das vollkommene Insekt, das bald darauf aus der Puppe hervorgeht, verbleibt bis zum folgenden Frühlinge in der Erde. Nach dem Verlassen derselben sorgt es für die Fortpflanzung und stirbt umso schneller ab, als jene geschieht. An klimatisch günstigeren Orten kürzt sich die Lebensdauer dieses Käfers ab, d. h. seine Ent- wicklung vollzieht sich schneller. Die Larve eines anderen bekannten Käfers, des Hirschkäfers (Luca- nus cervus), lebt gleichfalls fünf, nach einigen sechs Jahre lang im faulenden Holze alter Eichen. Ebenso bringt die Larve unseres größten deutschen Bock- käfers, des Cerambyx heros, mehrere Jahre im Stamme der Eichen zu. Hier bohrt sie lange Gänge und nährt sich von den losgenagten Holz- teilchen, bis sie ausgewachsen ist. Alsdann hat sie die Länge und Dicke eines Fingers erreicht und verpuppt sich im Mulme. Die Käfer selbst erfreuen sich nur eines kurzen Daseins von einigen Wochen. Unter den Schmetterlingen ist hier als einer der bekanntesten besonders der Weidenbohrer (Cossus ligniperda) zu nennen, dessen Raupe zwei bis drei Jahre im Stamme der Weiden, Pappeln und anderer Bäume lebt, bis sie den Falter ergibt. Die Raupe des sog. Augsburger Bären (Pleretes matronula) überv^üntert dagegen zweimal unter Laub und Moos und verwandelt sich erst im dritten Jahre in die Puppe und den Schmetterling. Die Larven der Eintagsfliegen leben mehrere Jahre hindurch im Wasser, wo sie ein räuberisches Leben füiiren, während das vollkommene Insekt kaum einige Stunden sein Dasein genießt. Leiclit- beschwingt steigt es aus dem Wasser empor, um nach kurzer Zeit tot in dasselbe zurückzusinken, nachdem es seine Brut dort untergebracht hat. Von einer Zikade (Cicada septendecim) wird erzählt, sie brauche zu ilirer vollen Entwicklang nicht weniger als 17 Jahre, weshalb sie auch den Namen einer siebzehnjährigen Zikade erhalten haben soll. Im allgemeinen scheint jedoch die Dauer von fünf Jahren die längste für die Ent- wicklung eines Insekts und somit für dessen Leben zu sein. Bei der Mehrzahl der Insekten vollzieht sich der Kreislauf der Entwicklung vom Ei durch Larve, Puppe, Imago bis wiederum zum Ei in der Zeit eines Jahres. Man bezeichnet diesen Kreis- lauf als Generation und sagt, die Insekten haben in einem Jahre gewöhnlich eine Generation. Doch gibt es viele Arten, die deren zwei haben. Man unterscheidet alsdann Frühjahrs- und Sommer- generation. Dazu kann sich in solchen Jahren, welche infolge ihrer klimatischen Verhältnisse der Entwicklung der Insekten besonders günstig sind, sogar noch eine dritte Generation gesellen, wie in diesem F"alle auch Insekten, die sonst alljährlich nur in einer Generation auftreten, zwei solcher hervorbringen können. Selbstverständlich ist als- dann das Leben des einzelnen Tieres durch alle Entwicklungsstufen hindurch entsprechend gekürzt, je schneller die Generationen einander folgen. So kann z. B. in günstigen Jahren der gemeine Kohl- weißling (Pieris brassicae) u. a. drei Generationen mit vielen Tausenden von Individuen liefern. Die Raupen bedürfen alsdann nur einer Zeit von etwa zwanzig Tagen, bis sie erwachsen sind. Die Puppe schlüpft gleichfalls nach etwa zwei Wochen, so daß in ungefähr sechs Wochen eine vollständig neue Generation auf dem Plane erscheint, die ebenso schnell verschwinden würde, wenn die be- dingenden Faktoren die gleichen blichen. Ahn- liche Verhältnisse bestehen bei anderen Faltern z. B. beim kleinen Fuchs (Vanessa urticae), beim Tagpfauenauge (Vanessa io) und vielen anderen. Manche Falter, die unter gewöhnlichen Verhält- nissen jährlich nur eine Generation liefern, er- scheinen, wie eben gesagt, unter günstigeren Be- dingungen in zweien z. B. der Wolfsmilchschwärmer o o (Deilephila euphorbiae). Der Falter selbst oder allgemeiner das voll- kommene, entwickelte Insekt hat nach dem Ge- sagten die kürzeste Lebensdauer. Unter Umständen kann sich dies Verhältnis jedoch ändern. Dieses ist der I'all bei allen überwinternden Schmetter- lingen und sonstigen Insekten. Manche Schmetter- N. F. III. Nr. 19 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. 291 lingsarten bringen nämüch den Winter als voll- kommene Insekten zu, nicht wie gewöhnlich als Puppe oder Ei oder auch Raupe, wie letzteres bei einigen Arten (Gastropacha rubi) geschieht. Die über- winternden Tiere sind nach allgemeiner Annahme befruchtete weibliche Individuen, die im folgenden Frühjahr ihre Art fortzupflanzen haben. Ihrer Auf- gabe entspricht die lange Lebensdauer. Das nähere hierüber hat der Verfasser im zweiten Hefte des vorigen Jahrganges von „Natur und Offenbarung" auseinandergesetzt. Das gleiche, was dort von den Schmetterlingen gesagt ist, gilt auch von anderen Insekten. Es hat sich also durch die Fähigkeit überwintern zu können die Lebensdauer des Imagos, d. h. des entwickelten Tieres, um ein bedeutendes verlängert. Viele entwickelte Insekten erfreuen sich wohl nur eines kurzen Lebens, sie sterben um so früher ab, als sie ihrer Aufgabe, nämlich der Fortpflanzung, sich entledigt haben. Die Eintagsfliege, von der oben schon die Rede war, wird mit Recht so genannt, bei vielen anderen wird es nicht anders sein. Eine längere Lebens- dauer besitzen voi allem die Schmarotzer unter den Insekten. Sie können oft sehr lange jede Nahrung entbehren und doch am Leben bleiben. Unsere gewöhnliche Bettwanze (Cimex lectularius) kann, wie Leunis feststellte, ein halbes Jahr lang ausdauern, ohne irgend welche Nahrung zu sich zu nehmen. Sie wartet, bis sich dazu geeignete Gelegenheit bietet, um sich dann mit um so größerer Gier über ihr Opfer herzustürzen. Ein besonders lehrreiches Beispiel in der Frage nach der Lebensdauer der Insekten ist die ge- meine Honigbiene (Apis mellifica). Die Arbeiterin kann verschieden lange leben. Ihre Lebenszeit ist um so länger, je weniger ihre .■\rbeitskraft in Anspruch genommen wird. Zur Zeit der größten Tracht im Hochsommer, wo die Bienen mit an- gestrengtem Fleiße arbeiten, währt die Dauer des Lebens der einzelnen Arbeitsbiene nur etwa sechs Wochen. Andere dagegen überwintern. Den Drohnen kommt gleichfalls eine nur beschränkte Lebensdauer zu. Ganz im Gegensatz dazu lebt die Königin nicht mehrere Wochen oder Monate, sondern mehrere Jahre. Sie kann bis fünf Jahre erreichen. Diese. auf den ersten Blick seltsam er- scheinenden Verhältnisse haben ihren Grund in den Lebensgewohnheiten der Honigbiene. Die Honigbiene lebt in einem Staate. Im Bienenstaate aber herrscht Arbeitsteilung. Die Arbeitsbienen sorgen allein für die Aufzucht und Pflege der Jungen und werden durch dieselbe vollständig in Anspruch genommen und in kurzer Zeit aufge- rieben. Die Fortpflanzung selbst aber besorgt unter normalen Verhältnissen allein die Königin, welche jahrelang befruchtet bleibt, nachdem sie von den hinfälligen Drohnen einmal befruchtet ist. Sie vermehrt und bevölkert den Stock immerfort wieder von neuem und schafft Ersatz für die ab- sterbenden Glieder desselben. Im Bienenstaate ist es also gerade das für die Fortpflanzung sor- gende Individuum, das sich der längsten Lebens- zeit erfreut. Das aber hat seinen Grund in der Bedeutung der Königin für den ganzen Staat, in welchem sie der iVlittelpunkt alles Lebens und aller Tätigkeit ist. Eine Erscheinung im Leben der Insekten bedarf hier noch der Erwähnung. Zwischen dem Stadium der Larve und dem des vollkommenen Insektes schiebt sich bekanntlich bei allein Insekten mit vollkommener, holometaboler Verwandlung ein Zustand der Ruhe ein, welchen man gewöhnlich als Puppe bezeichnet. Dieses Puppenstadium nun kann gleichfalls von sehr verschiedener Dauer sein. Eine Puppe des Mauerfuchses (Pararge Megaera) gibt zur Zeit des Hochsommers in etwa vierzehn Tagen den Falter, andere Puppen dagegen ruhen den ganzen Winter über und ergeben den Falter erst im folgenden Jahie oft sehr spät. So ruht die Puppe vom Eichenspinner (Gastropacha quer- cus) in höheren Gebirgsgegenden ein volles Jahr, während sie in der Ebene den Falter noch in demselben Sommer ergibt. Alles dieses läßt aber noch eine gewisse Regel erkennen. _ Gegen diese Regel geht jedoch das sogenannte Überliegen der Puppe. Man versteht darunter die Erscheinung, daß eine Puppe zu einer gewissen normalen Zeit den zu erwartenden Falter nicht liefert, sondern ganz gegen die Regel im Zustande der Ruhe ver- bleibt und der Falter erst später erscheint, ja sogar jahrelang auf sich warten läßt. Man hat diese Erscheinung besonders bei Schmetterlingen aus der Klasse der Spinner beobachtet. In der „Illustrierten Wochenschrift für Entomologie" 1896, Nr. 25, findet sich folgendes Beispiel dafür ange- geben. Dr. R. V. Stein erhielt einen schönen männ- lichen Falter von Bombyx quercus am 2. Juli 1879 aus einer Puppe, die seit dem Sommer 1876 bereits eingesponnen war, also drei Jahre geruht hat. Dem kann der Verfasser einen anderen, noch deutlicheren Fall hinzufügen. Derselbe erhielt ein etwas kleineres sonst aber völlig normales Männchen von Saturnia pavonia, dem kleinen Nachtpfauen- auge, aus einer Puppe, die von Ende Sommer des Jahres 1898 bis zum März des Jahres 1903, also vier und ein halbes Jahr im Zustande der Ruhe zugebracht hatte. Man sagt, die aus solchen über- liegenden Puppen hervorgehenden Individuen hätten die Aufgabe, die Existenz der Art auch für den Fall zu sichern und in spätere Zeiten hinüberzuretten, daß alle anderen Individuen derselben Generation, die sich normal entwickelten, inzwischen unter- gegangen seien, ohne in genügender Anzahl zur Fortpflanzung zu kommen. Die Lebensdauer der Insekten ist also recht verschieden, wenn wir ein einzelnes Entwicklungs- stadium für sich ins Auge fassen. Das vollkommene Insekt, das Produkt der ganzen Entwicklung, re- präsentiert zwar die vollkommenste Stufe, zugleich aber auch die hinfälligste und hinsichtlich der Lebensdauer im allgemeinen die kürzeste. Die gefräßige Larve ist nur auf Nahrungsaufnahme be- dacht. Ihr Körperumfang vergrößert sich fort und fort oft lange Zeit hindurch. Das eigentliche In- 292 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 19 sekt dagegen besitzt eine durch die Lebensverhält- nisse der Larve gegebene, unveränderliche Größe, ist mit anderen Organen ausgestattet, oft geradezu unfähig zur Nahrungsaufnahme infolge des Mangels von entsprechenden Mundvverkzeugen und kennt nur eine Aufgabe, nicht selbst zu wachsen und sich zu vergrößern wie das Blatt eines Baumes, sondern den Stamm zu erhalten.') ') cf. Kolbc's Art. über altersschwaclie Käfer Wochenschr. Bd. XV, 1900, p. 404. .Vaturw. Wie entstand das rheinische Schiefergebirge?') Vortrag, gehalten auf der Generalversammlung des Vereins „Berggeist'' zu Siegen 1902. Fr. [Nachdruck verboten.] Von Dr, Im nordwestlichen Deutschland liegt ein ge- waltiger paläozoischer Gebirgskomplex, der sich jenseits der politischen Grenze des Reiches durch Belgien und Nordfrankreich bis an den Kanal hin ausdehnt. Diese große, auf allen Karten scharf hervortretende Masse besteht im wesentlichen aus devonischen Gesteinen, die am Nord- und Ost- rand, wie auch gelegentlich im Innern durch kar- bonische und jüngere Schichten bedeckt werden. Langgezogene , flache Bergrücken , von mulden- förmigen Tälern durchschnitten, bilden den Charakter des inneren, besonders aus sandig-schiefrigen Ge- steinen bestehenden Teiles des rechtsrheinischen Schiefergebirges. Dagegen verleihen kegelförmige Kuppen und abwechslungsreiche Bergformen, die durch die verschiedene Widerstandsfähigkeit der einzelnen Gesteine gegenüber den Witterungs- einflüssen hervorgerufen werden , besonders den randlichen und südlichen Teilen ihren hohen land- schaftlichen Reiz. Das ganze Gebirge besteht aus einem System von mehr oder weniger stark zu- sammengepreßten Falten, die namentlich im süd- lichen Teil des Gebirges häufig überkippt sind und gerade hier meist südöstlich einfallen. Nach Norden werden diese Falten immer schwächer, so daß die Annahme, daß sie einem von Südosten kommen- den Druck ihre Entstehung verdanken, dadurch berechtigt erscheint. Alle Gesteine besitzen wesent- lich dieselbe Streichrichtung von ONO nach WSW, von Buch im die man seit Leopold zu dem häufig anders gerichteten Streichen der übrigen deutschen Gebirge als die niederländische bezeichnet. Zahllose Störungen erschweren die Erkennung des Aufbaues ganz außerordentlich. Verwerfungen und Überschiebungen sind in überaus großer Zahl vorhanden; außerdem wurde das ganze derartig zerhackte Gebirge von der Erosion und Abrasion bearbeitet und so entstand der Rest eines ehemals gewaltigen Gebirgssystems, den wir heute vor uns sehen. Während unser rheinisch-westfälisches Gebirge im Norden allmählich unter viel jüngeren Ge- steinen verschwindet, die es diskordant überlagern, ist der Ostrand nach der hessischen Senke un- regelmäßig stafTelförmig abgesunken. Im Süden ') Der Vortrag berücksichtigt im wesentlichen die geo- logischen Verhältnisse des rechtsrheinisch belegenen Teiles unseres Schiefergebirges, Drevermann, Marburg a. Lahn. ruht das Devon auf den älteren Taunusgesteinen. Aus der etwa nord-südlich verlaufenden Ostgrenze springt der Kellerwald über den Rand hinaus weit vor; er stellt ein selbständiges halbinselförmiges Horstgebirge dar, das nach allen Seiten von ge- waltigen Bruchlinien begrenzt wird. Gerade von der genauen Untersuchung dieses Teiles unseres Gebirges ist in neuerer Zeit viele Anregung aus- gegangen und interessante Fragen, die lange zweifel- haft geblieben waren, sind im Anschluß daran gelöst worden. Wenn wir nun die Geschichte des rheinischen Schiefergebirges ins Auge fassen, so teilen wir den unermeßlichen Zeitraum am besten in drei große Epochen, deren jede wohl nach Millionen von Jahren zählt. Die erste, für unser Gebiet un- wichtigste, umfaßt die Zeit bis zur Ablagerung des Devons, die zweite und bedeutsamste bringt die Ablagerung und Aufrichtung der Gesteine dieser Formation und des Karbons und im dritten vernichtet die zerstörende Kraft des Wassers wieder, was in der früheren Zeit geschaffen war und modelliert den riesigen Rumpf heraus, der sich von der Diemel und Eder bis zur Maas erstreckt. Wie unser Gebirge in archäischen Zeiten aus- sah, davon ist uns nichts bekannt. Vielleicht sind die ältesten Ablagerungen da zu suchen, wo am Südhang des Taunus unter den ältesten devonischen Schichten ein schmaler Zug halbkristalliner Ge- steine liegt, deren Alter noch zweifelhaft bleiben muß, trotzdem es vor kurzem gelungen ist, hier Spuren von Versteinerungen aufzufinden. Links- rheinisch ragen aus dem umgebenden Devon einige uralte Gebirgskerne heraus, auf deutschem Boden das hohe \'enn, in Belgien das Massiv von Rocroi, deren Alter sich durch glückliche Funde von Fossilresten als kambrisch feststellen ließ. Be- merkenswert ist, daß das unterste Devon dis- kordant auf diesen besonders aus Schiefern und Ouarziten zusammengesetzten Inseln aufruht. Sie waren schon gefaltet, ehe das Meer zu devonischer Zeit von Westdeutschland und Belgien Besitz er- griff und in seiner Brandungswoge an vielen Orten konglomeratische Gesteine entstehen ließ, deren Bestandteile diesen alten Gebirgen entnommen sind. — Weiter kannte man bis vor wenigen Jahren keine älteren als devonische Gesteine im rheinischen Schiefergebiree. Da gelang es im Gegensatz Kellerwalde durch überaus mühsame und N. F. III. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 293 Arbeiten , in einer aus selu- mannigfaltigen (je- steinen zusammengesetzten Schichtenfolge silu- rische Versteinerungen aufzufinden. In der weiteren Verfolgung dieser Entdeckungen wurde festge- stellt, daß sich das Silur in einem mehrere Kilo- meter breiten Zuge südwestlich bei Marburg vor- bei bis an den Basalt des Westerwaldes fortsetzt, wo es unter dem Tertiär verschwindet. Wir hätten in diesem Zuge, der seine ganz übereinstimmend aufgebaute nordöstliche Fortsetzung im Westharz findet, auf der rechten Rheinseite das älteste sicher bekannte Niveau vor uns. Mit dem untersten Devon, das von den Bel- giern als Gedinnien bezeichnet wird, beginnt der wichtigste Zeitabschnitt in der Geschichte unseres Gebirges. Außer den schon erwähnten Konglome- raten wurden damals noch bunte Schiefer und Ar- kosen abgelagert, die nur eine ärmliche Fauna ent- halten. Das eigentliche Unterdevon ist im rheinischen Gebirge in ziemlich gleichbleibender Facies ent- wickelt. Ein flaches Meer mit sandigem Boden bedeckte unsere Gegend, in welchem zahllose Brachiopoden und Zweischaler, daneben Gastro- poden, Trilobiten, Crinoiden usw. lebten. Das älteste Glied besteht im Taunus und an anderen Orten aus weißen Quarziten, dem sog. Taunus- quarzit, im Siegerland und im Rheintal aus Grau- wacken und Tonschiefern, deren besondere Eigen- tümlichkeit darin besteht, daß die Tierwelt sich durch ihre außerordentliche Größe auszeichnet, die sie zur Devonzeit nie wieder erreicht. Der (irund ist vielleicht darin zu suchen, daß damals die ge- samte Fauna von anderen Gegenden einwanderte und w^ährend der Unter- und Mitteldevonzeit lang- sam degenerierte; denn die Größenabnahme ist ganz allmählich und läßt sich oft Glied für Glied verfolgen. — Über diesen Gesteinen folgt ein schiefriger Horizont, der sich durch zahlreiche Dach- schieferlager auszeichnet, der rechts- und links- rheinisch weit verbreitete Hunsrückschiefer. Seine Fauna weicht von der des ganzen übrigen Unter- devons insofern ab, als die gewöhnlichen Brachio- poden fast gänzlich fehlen. Dafür treten zahlreiche Asterien, Crinoiden, Trilobiten, Cephalopoden und ähnliche, in tieferem Meere lebende Tiere auf, von denen besonders die Echinodermen oft durch ihre ausgezeichnete Erhaltung hervorragen. Die sog. Koblenzschichten , welche die obere Hälfte des Unterdevons bilden, bestehen aus Grauwacken und ähnlichen Gesteinen, die wegen ihres Reichtums an derBrachiopodengattungSpirifer auch Spiriferen- sandstein genannt werden. Sie schliel3en einen Qnarzitzug ein, den sog. Koblenzquarzit, der die unteren und oberen Koblenzschichten trennt und so außer den oft nur minimalen paläontologischen Unterschieden eine petrographische Grenze schafft. Wegen seiner Härte bildet der Koblenzquarzit oft die höchsten Erhebungen und Wasserscheiden. Außer dieser sandigen Facies des Unterdevons ist im Kellerwald und bei Marburg noch die kalkige, sog. herzynische Entwicklung mit reicher, etwas abweichender Fauna aufgefunden worden, die sich besonders in Böhmen durch eine große Fülle von Versteinerungen auszeichnet. Tritt im Unterdevon eine außerordentlich gleich- mäl.3ige Gesteinsentwicklung hervor, so wird es sofort anders, wenn wir in die unteren Schichten des Mitteldevons gelangen. Linksrheinisch zeichnen sich die Kalzeolaschichten der Eifel durch ihre ausgezeichneten Versteinerungen aus, die sie in unerschöpflicher Menge enthalten. In der Aachener Gegend lag offenbar die Küste jenes Mitteldevon- meeres, denn grobe konglomeratische Gesteine deuten darauf hin, daß kräftige Brandungswellen hier eine alte Küste zernagten und mit ihrem Material das neue Gestein schufen. Rechtsrheinisch herrscht in den nördlichen Teilen des Gebirges die Flachmeerfacies des Unterdevons noch fort; sandie-toni^e Gesteine, die Lenneschiefer, die be- sonders zahlreiche Brachiopoden enthalten, lassen auf die Nähe einer Küste schließen. Hochinter- essant ist es, daß in den letzten Jahren eigenartige, anodontaartige Zweischaler gefunden wurden, die sogar auf Brack- oder Süf3wasserschichten hin- zuweisen scheinen, deren genaues Alter allerdings noch nicht völlig sicher ist. Ein offenes Meer nahm dagegen den südlichen Teil des Schiefer- CTebirg-es ein. Die zarten Ton- und Dachschiefer mit ihren zahllosen winzigen Pteropodenschälchen (Styliolina, Tentakulites) können nur in weiter Ent- fernung von der Küste abgelagert worden sein. Aus diesen Schichten stammen auch die wunder- vollen Schwefelkiesgoniatiten und Orthoceren von Wissenbach und aus dem Rupbachtale, die in vielen Sammlungen verbreitet sind. An vielen Orten enthalten die Tentakulitenschiefer größere und kleinere Kalkknollen, die oft von wohlerhaltenen Versteinerungen erfüllt sind und in neuerer Zeit eine ins einzelne gehende Gliederung ermöglicht haben. Im oberen Mitteldevon ragten in den meisten Gegenden mächtige Korallenriffe aus den Wogen empor, an denen ein reiches Tierleben sich ent- faltete. Dickschalige Mollusken und Brachiopoden fanden hier reiche Nahrung, aber auch Trilobiten und andere Tiere lebten zwischen den Korallen- rasen. Fast allenthalben, wo das obere Mittel- devon entwickelt ist, findet sich der meist schich- tungslose hellgraue Massenkalk, der nach außen hin besonders an angewitterten Stücken oft noch prachtvoll die ganze innere Struktur der Einzel- korollen erkennen läßt. Wiederum weicht der südliche Teil unseres Gebirges von der übrigen Entwicklung ab. Hier setzt sich die pelagische Facies der Tentakulitenschiefer auch ins jüngere Mitteldevon fort, obwohl auch hier Riffkalke eine große Rolle spielen. In der Lahn- und Dillgegend fanden gewaltige untermeerische Eruptionen von Diabasen statt, wobei große Massen von Tuffen ausgeschleudert wurden, die heute als Schalsteine weit verbreitet sind. Den Beschluß des Mittel- devons bildet fast allenthalben ein Eisenstein- horizont. Noch mehr als im Mitteldevon machten sich 294 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 19 Faciesverschiedenheiten aber im Oberdevon geltend. Cephalopodenkalke, die allgemein als Tiefseeabsätze gelten, sind weit verbreitet und haben schon früh eine Zweiteilung des Oberdevons ermöglicht. Zur unteren Hälfte, die nach dem Hauptleitfossil als Intumeszensstufe bezeichnet wird, rechnet man außer echten Tiefseekalken Brachiopodenmergel, Goniatitenschiefer und echte Riffkalke, also Ge- steine, die in den verschiedensten Meerestiefen ab- gelagert wurden. Sie alle sind durch das gemein- same Leitfossil Manticoceras intumescens mitein- ander verbunden. Auch ein Teil des westfälischen Flinz dürfte hierher gehören. Ebenso enthält das jüngere Oberdevon die verschiedenartigsten Ge- steine. Tiefseekalke haben auch hier die Haupt- leitfossilien, der Gattung Clymenia angehörige Cephalopoden, geliefert, die wenigstens in Europa auf diesen Horizont beschränkt, hier aber in außer- ordentlicher Verbreitung bekannt sind. Außerdem aber gehören hierher die grünen und roten Cypri- dinenschiefer, Sandsteine, ßrachiopodenschiefer, Schalsteine und Diabase, von denen namentlich das erstgenannte Gestein durch seine weite Ver- breitung wichtig ist. Eine gewaltige, von großen Tuffmassen begleitete untermeerische Diabaserup- tion bezeichnet im Süden unseres Gebirges den Schluß der devonischen Zeit.) Die äußerste Nordwestecke des rechtsrheinischen Gebirges, die Gegend von Düsseldorf und Velbert, scheint sich in Beziehung auf die Ausbildung des jüngeren Oberdevons eng an die belgische Ent- wicklung anzuschließen, wo Hochseebildungen, also Clymenienkalke fehlen , dagegen Sandsteine und Schiefer weit verbreitet sind, die durch ihren Reich- tum an Brachiopoden und Zweischalern sich als Absätze aus flacher See kennzeichnen. In den oberen Horizonten stellen sich in Belgien sogar Landpflanzen und Fische ein, die Beziehungen zu der Binnenentwicklung des Devons, dem Old-red- sandstone, recht wahrscheinlich machen. Werfen wir einen Blick auf die Entwicklungf des Devons zurück, so sehen wir, daß zur Unter- devonzeit ein flaches Meer mit ziemlich einheit- licher Fauna allgemein verbreitet war; nur im Osten und Südosten treten hercynische Formen zahlreicher auf die jedoch auch an den übrigen Fundorten nicht gänzlich fehlen. Im Mitteldevon dauerte im Norden die Flachmeerentwicklung fort ; im Süden machte sich dagegen eine wesentliche Vertiefung geltend und hier breitete sich ein offenes Meer aus, in dem besonders Cephalopoden und Pteropoden lebten. Das Oberdevon bringt dagegen wieder eine Ausgleichung der Gegensätze, die sich schon im jüngeren Mitteldevon angebahnt hatte. Cephalopodenkalke in Nord und Süd, da- neben sandige Gesteine lassen auf mehrfache Schwankungen in der Tiefe des Meeres schließen, zu denen auch die häufigen Eruptionen von Diabas ihr Teil beigetragen haben dürften. Das Karbon beginnt ziemlich allgemein im ganzen rechtsrheinischen Teil des Gebirges mit einer Zone bunter fester Kieselschiefer, die offen- bar aus sehr tiefem Meere abgelagert wurden, da ihre bisher bekannte Fauna im wesentlichen aus Radiolarien und Cephalopoden, also Bewohnern der offenen See besteht. Nur lokal kommen darin Kalksteineinlagerungen vor, die aber durch ihren Versteinerungsreichtum außerordentlich wich- tig sind. Darüber liegen Schiefer mit Posidonia Becheri, einem durch seine Massenhaftigkeit wich- tigen Leitfossil, die auch noch im offenen Meere entstanden. Den Beschluß des Unterkarbons bilden mächtige schiefrig- sandige Gesteine, in denen erst vor kurzem eine zwar ärmliche, aber außerordent- lich wichtige Fauna entdeckt wurde, die am Ost- und Südrand des Gebirges eine ziemlich weite Verbreitung zu haben scheint. Ganz anders ist das Unterkarbon in Belgien und in der Nordwestecke des rechtsrheinischen Gebirges entwickelt. Hier stellt sich über den sandigen Oberdevonschichten zunächst eineBrachio- podenfauna ein, die eine, wenn auch kleine Ver- tiefung des Meeres anzeigt und eine Mischung devonischer und karbonischer Typen enthält. Über dieser Etroeungtstufe folgen sehr mächtige Kalke, die lokal von Korallen, Brachiopoden, Zweischalern und Gastropoden geradezu wimmeln. Man teilt sie in eine untere Tournay- und eine obere Vise- stufe ein, die sich durch ihre Fauna gut unter- scheiden lassen. Wenn man beide geschilderten Entwicklungen des Unterkarbons vergleicht , so könnten vielleicht die Kieselschiefer der Etroeungt- stufe, die Posidonienschiefer der Tournay- und die erwähnte höher liegende Fauna der Visestufe ent- sprechen. Über die genaue Grenze zwischen dem Kuhn und dem untersten Gliede des Oberkarbons, dem flötzleeren Sandstein, ist noch wenig Sicheres be- kannt. Im Norden wird wohl ein Alaunschiefer- horizont eine Grenze darbieten; im Osten und Süden jedoch dürfte zu erwägen sein, ob nicht der obere Teil der gfewöhnlich zum Kulm ee- rechneten Grauwacken zum Flötzleeren zu rechnen sind. Während dieser Zeit fand eine vollständige Hebung des Meeresbodens statt, die schon vorher angebahnt wurde und so den Kontinent lieferte, der von der jüngeren Karbonzeit an in unserer Gegend sich befand. Die sumpfigen Küsten und Niederungen waren von riesigen Waldungen be- deckt, die sich aus mächtigen Schachtelhahnen, Bärlappgewächsen und baumartigen Farnen zu- sammensetzten. Dazu herrschte ein warmes feuchtes Klima und so entstanden zu damaliger Zeit die mächtigen Steinkohlenlager, die heute den Reich- tum dieser Gegenden bedingen. Manchmal brach das Meer wieder in die Sümpfe ein und spülte allerhand Seetiere mit sich, die heute in verschie- denen Horizonten zwischen den Flötzen vorkommen. In den zwischengelagerten weichen Schiefertonen finden sich die Farne und sonstige Gewächse bis in die zartesten Einzelheiten erhalten, daneben aber auch Insekten, Spinnen, Tausendfüße und andere Landbewohner neben Süßwassermuscheln, welche N. F. III. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wocliensclirift. 295 zum ersten Male in der Erdgeschichte uns Kunde von einer reicheren Festlandfauna bringen. Die karbonische Zeit gewinnt aber ihre gröüte Wichtigkeit durch die tektonischen Vorgänge, die unser Gebiet zum ersten Male seit dem Kambrium wieder in ausgedehntem Maße betrafen und die Entstehung des rheinischen Schiefergebirges (und zahlreicher anderer Gebirge Europas) zur Folge hatten. Ein riesiges Gebirge von alpinem Charakter, die sog. paläozoischen Alpen, erhob sich damals und ein hervorragender Teil davon war unser rheinisches Massiv, das zu Sueß' armorikanischem Gebirge gehört. Diese Faltungen setzten am Ende der Kulmzeit mit größter Stärke ein und dauerten unter allmählicher Abnahme während der ganzen jüngeren Steinkohlenzeit fort, um im Perm lang- sam zu erlöschen. Die bedeutenden Störungen, die ausgedehnten, oft ganz flachen Überschiebungen, die im Norden wie im Süden unseres Gebirges nachgewiesen sind, die bis ins Kleinste gehende Fältelung mancher Schiefer legen ein beredtes Zeugnis ab für die gewaltigen Kräfte der damaligen tektonischen Vorgänge. Sie schufen aus einem Kontinent, der sich aus wesentlich horizontal ge- lagerten Schichten aufbaute, und in dem nur die ältesten , schon früher gefalteten Gesteine be- deutendere Erhebungen bildeten, ein Gebirge mit schroffen, zerrissenen Gipfeln und alpinen land- schaftlichen Formen, welche an Schönheit und Großartigkeit den steilsten und wildesten I'elsen- gipfeln der Jetztzeit kaum nachgestanden haben dürften. Mit der Aufrichtung des Gebirges setzt aber auch sofort die ausgleichende Wirkung der Erosion ein und damit beginnt der dritte Abschnitt in der Geschichte unseres Massivs. Schon die permische Zeit berührt das ganze Gebiet fast nur noch an den Rändern und greift nur an wenigen Stellen in das Innere hinein. Während dieser und der darauf folgenden Trias- zeit herrschte ein heißes Wüstenklima im Norden, Osten und Süden der rheinischen Alpen. Über- aus mächtige, meist rote Sandsteine und Kon- glomerate mit Kreuzschichtung, Wellenfurchen, Trocknungsrissen, Steinsalzkristalloiden und anderen Merkmalen können nur unter Bedingungen ent- standen sein, wie sie heute etwa in der aralo- kaspischen Senke und anderen Wüstengebieten herrschen. Im Süden finden im Beginne dieser langen Zeit noch gewaltige Eruptionen statt, welchen die großen Melaphyrlager des Saar-Nahegebietes ihre Entstehung verdanken. Häufige Meeresein- brüche in die große germanische Perm-Trias- Wüste lieferten uns während der Zeit des Zechsteins, des Röt und des Muschelkalks artenarme , aber in- dividuenreiche Faunen, die dem Geologen jetzt die einzigen Anhaltepunkte zurVergleichung unserer Schichten mit den gleichzeitigen Ablagerungen des offenen Meeres darbieten. Zugleich aber gaben perio- dische Wasseransammlungen undBinnenseen den An- stoß zum Absätze jener enormen Steinsalzlager, an denen Deutschland so überaus reich ist, und die uns vor allem durch ihre Kalisalze einen einzig dastehenden nationalen Reichtum überliefert haben. Unser Ge- birge hat uns, wie ich schon sagte, nur an den Rändern Ablagerungen dieser Zeit hinterlassen. Trotzdem aber haben wohl die Sandstürme um seine Gipfel getost und sie zernagt; gewaltige Wolkenbrüche rissen tiefe Talschluchten in seine Gehänge ein und lagerten ungeheure Massen groben Schuttes in den weiten Ebenen der Wüste ab. Und das Werk der Zerstörung setzte sich während der Jura- und der älteren Kreidezeit fort, die ebenso wie die früheren Perioden das eigent- liche Gebiet unseres Gebirges unberührt ließen. Trotzdem arbeitete auch damals die niemals stille stehende Erosion langsam weiter und ebnete die wilden Schroffen immer mehr ein. .allmählich wurde der alpine Charakter schwächer und un- deutlicher, die Berggipfel rundeten sich und die steilen P'elshänge wurden flacher. Zu Beginn der jüngeren Kreidezeit verließ im Norden das Ceno- man-Meer seine Ufer; es brach weithin über das Land hinein und seine Brandungswoge ebnete das hier ohnehin flachere Gebirge vollständig ein. Kreideablagerungen, die meist mit Konglomeraten beginnen, liegen in der großen westfälischen Bucht direkt und diskordant auf karbonischen oder per- mischen Schichten. Eine reiche marine Fauna zog zum ersten Male wieder in das Gebiet ein ; die gewaltigsten Riesen unter den Ammoniten, zahllose Muscheln, Schnecken, Seeigel, Krebse und Fische und viele niedere Tiere bevölkerten die Wogen des Meeres, welches besonders mergelige und kalkige Gesteine ablagerte. Im ältesten Tertiär hatte sich das Meer ganz aus Norddeutschland zurückgezogen. Zur Oligocänzeit aber trat es wieder aus seinen Ufern und lagerte im Norden, wie im Osten und Süden unseres Gebirges Sande und Tone mit reichen Faunen ab. Kurz nach dem Schluß der Oligocänzeit zog es sich zum letzten Male aus diesem Gebiet zurück und löste sich in eine Reilie von brackisch werdenden und allmäh- lich sich immer mehr aussüßenden kleineren Becken auf. Zur Miocänzeit, in der die Alpen und die übrigen großen Gebirge Südeuropas entstanden, brachen im östlichen, südlichen und zentralen Ge- biete des rheinischen Gebirges gewaltige zusammen- hängende Massen und zahlreiche kleine Einzel- ergüsse von Basalt hervor. Der Westerwald, die Rhön, der Vogelsberg, der Habichtswald und viele andere Berge legen ein Zeugnis ab von der da- maligen extremen Steigerung der vulkanischen Tätigkeit. .^uch das größtenteils trachytische Siebengebirge ist hier zu nennen. Zum Teile hängen die oft ganz ungeheuren Ergüsse wohl mit dem Aufreißen der zahlreichen Spalten, z. T. auch mit dem Einbruch der hessischen Senke zusammen, jenes breiten Grabens, der als nördliche P'ortsetzung der Rheintalspalte sich bis über Kassel hinaus fort- setzt. Zur selben Zeit entstanden die zahlreichen Braunkohlenlager, die meist in ihrer Verbreitung etwa an die der Basalte gebunden sind. Ebenso wurden die wertv^ollen Tonlager vieler Gegenden damals abgelagert. Viele Täler begannen schon 296 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. in. Nr. 19 sich in ihren Grundzügen anzulegen und ver- schärften sich im Pliocän noch stark. Meeres- ablagerungen aus dieser Zeit fehlen uns gänzlich; nur Schottermassen sind weit verbreitet und in ihnen finden sich an vielen Punkten die Reste des gewaltigen Dinotheriums und des Mastodon, die damals in Deutschland lebten. Der Übergang zum Diluvium ist ganz un- merklich ; es zeichnet sich allenthalben dadurch aus, daß seine Ablagerungen im wesentlichen an die Flußläufe geknüpft und fluviatiler Entstehung sind. Das Klima, welches schon zur jüngeren Tertiärzeit sich merklich abgekühlt hatte, wurde immer kälter. Und dann rückten von Norden her, besonders von Skandinavien, ungeheure Gletschermassen vor, die ganz Norddeutschland unter sich begruben und iliren Eisrand bis an den Fuß des rheinischen Schiefergebirges vorschoben. Der Kern des Massivs selbst blieb frei von der allgemeinen Vereisung, obwohl kleine lokale Vergletscherungen vielleicht auch hier vorgekommen sein mögen. Ein mehr- faches Zurückweichen und Wiedervorrücken des Eises brachte natürlich wesentliche Temperatur- schwankungen mit sich. Während der Interglazial- zeiten herrschte ein verhältnismäßig warmes Klima und es gedieh daher eine ähnliche Flora, wie wir sie jetzt besitzen ; dagegen rückten in den eigent- lichen Eiszeiten nordische Pflanzen bis weit nach dem Süden vor. Außer den Blocklehmen und Anhäufungen fremder Gesteine, welche die Gletscher uns aus ihrer nordischen Heimat zuführten, brachten damals die Flüsse gewaltige Schottermassen aus den Gebirgen in die Täler. Sodann fällt in das Diluvium im wesentlichen auch die Entstehung des Löß, eines kalkreichen, schichtungslosen Lehmes, der nach der Ansicht der meisten Geologen un- geheuren Staubstürmen seine Entstehung verdankt und zu einer Zeit abgelagert wurde, als das nörd- liche Deutschland in Klima und Bodenbeschaffen- heit ein typisches Steppenland war. Zur Diluvialzeit lebten bei uns Mammut, Rhino- zeros, Renntier, Riesenhirsch, Auerochs und Wisent, von Raubtieren Löwe, Höhlenbär und Hyäne, deren Reste wir besonders in den Höhlen finden, die in unseren Kalkgebirgen oft so zahlreich vorhanden sind. Mit dem Zurückweichen der gewaltigen Eismassen entwickelt sich in ganz Norddeutschland ein Tundren- und Steppengebiet. Lemming, Ziesel, Steppenantilope und andere Tiere, die jetzt in den sibirischen Tundren leben, waren damals neben den schon genannten größeren Säugetieren bei uns heimisch. Allmählich wurde das Klima wieder wärmer; große Grasweiden und LVwälder be- deckten unser Vaterland. Und in diese Diluvial- zeit fällt auch das erste sichere Auftreten des Menschen, von denen ja unser Gebirge im Neander- talmenschen einen der ältesten bekannten Vertreter beherbergt hat. Wahrscheinlich haben unsere Vor- fahren noch die Vulkane der Eifel ihren Bimstein- regen speien sehen , sicher wohl haben sie mit Mammut und Höhlenbär gekämpft. Und damit treten wir in das Alluvium ein, unter welchem Namen wir die Zeit verstehen, die uns keine wesentlichen Änderungen im Klima, in der Meeresverbreitung, in Fauna und Flora mehr gebracht hat und die uns in die Gegenwart hinüberleitet. Kleinere Mitteilungen. Calor, dolor, ruber, tumor. — Vor ungefähr 40 Jahren fand in einer größeren Stadt Italiens ein Prozeß statt, der unerwarteterweise eine sen- sationelle Wendung nahm. Ein Bedienter war angeklagt, seinen Herrn vergiftet zu haben, und das Gift, welches, wenn auch in ganz geringfügiger Menge, in der Leiche nachgewiesen werden konnte, entsprach in seinen Wirkungen, wie es schien, vollständig der Gruppe der Alkaloide. Das gerichtsärztliche Gutachten wurde jedoch , da der sonstige Indizienbeweis zu schwach war, an die Fakultät geleitet und zum größten Erstaunen der ärztlichen Welt entschied der Chemiker Selmi, daß das vorliegende Alkaloid kein künstlich in den Körper gebrachtes Gift, sondern ein Zersetzungs- produkt der Leiche sei. Der Angeklagte wurde daraufhin freigesprochen. Dieser Prozeß war berufen, eine denkwürdige Rolle in der Geschichte der Medizin zu spielen. Durch Selmi war hiermit zum ersten Male fest- gestellt worden, daß Alkaloide nicht bloß als Pro- dukte des pflanzlichen, sondern auch des tierischen und des menschlichen Oreanismus auftreten können. Unter besonderen , wenn auch allerdings höchst seltenen Umständen, so z. B. bei tiefgreifenden Ernährungsstörungen, können sogar, wie Selmi zeigte, ohne das Eindringen von Bakterien die von ihm sogenannten Ptomaine im lebenden Organis- mus sich bilden und auf diese Weise X'^ergiftung durch Erzeugnisse des eigenen Stoffwechsels ver- anlassen. Diese Tatsache wirft ein überraschendes Licht auf den Stoffwechsel des Lebens. Ptomaine sind nämlich Stoffe, welche aus dem EiweilB nur durch tiefgreifende Sauerstoffentziehung hervor- gehen können, während der ph3'siologische Stoff- wechsel der Tiere hauptsächlich eine Sauerstoff- aufnahme ist. Liegt da nicht die Vermutung nahe, daß jene erschöpfenden Ernährungskrankheiten dadurch ihre vernichtende Wirkung ausüben, daß sie den Organismus sauerstoffarm machen, etwa die Zellen der Fähigkeit berauben , die nötige Menge Sauerstoff an sich zu reißen? In der Regel erfolgt jedoch die Bildung von Ptomaiiien unter der Einwirkung von Bakterien. Brieger gelang es in einer ganzen Reihe von Fällen, aus den Kulturen der Bazillen die Ptomaine in chemisch reinem, kristallisiertem Zustande dar- zustellen. Die Giftigkeit mancher von diesen N. F. m. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 297 Körpern ist eine geradezu phantastische ; in tausend- facher Verdünnung ist eine ganz geringfügige Menge davon im stände, ein Tier zu töten. Bei gewissen Infektionskrankheiten , wie z. B. dem Starrkrampf, kann es wohl auch keinem Zweifel unterliegen, daß durch die Ptomainvergiftung der Charakter der Krankheit bestimmt wird. Durch ihre Stoffwechselprodukte greifen die Bakterien den Organismus an, der sich nun mit größerem oder geringerem Erfolg zur Wehr setzen kann. Aber soviel steht jedenfalls als Ergebnis dieser Forschung fest: dieser Kampf ist ein Kampf mit chemischen Waffen. Haben wir es nun wirklich mit einem Kampf zu tun? Oder ist dieser Ausdruck nur eine (in wissenschaftlichen Dingen fast immer unglücklich gewählte) Metapher, welche uns den in seinem Wesen rätselhaften Vorgang versinnbildlichen soll : Was ist jene „Naturheilkraft", die so lange Zeit' allmächtig unsere medizinischen Systeme be- herrschte und später ebenso allgemein als ein mystischer und inhaltsleerer Begriff verschrien und geächtet wurde r Ist sie nichts anderes als in jedem Fall gleichsam das zufällige Ergebnis aller der Erhaltung des Organismus günstigen Momente ? Aber worauf beruht dann die Beständigkeit, mit der sie jedesmal in Wirkung tritt ? Wenn eine Bakterieninvasion einmal stattgefunden hat — und wir wissen, daß sie tatsächlich fast jederzeit bei jedermann stattfindet — wodurch wird dann in vielen Fällen ihre x\usbreitung gehindert, ihre verderblichen Folgen im Keime erstickt oder ihnen doch frühzeitig ein Ziel gesetzt ? Auf diese Frage, gewissermaßen die Grund- frage der Medizin , lautete die Antwort zu ver- schiedenen Zeiten höchst verschieden. Man suchte lange Zeit (es war dies das letzte Opfer, das den Manen der Humoralpathologie gebracht wurde) die Ursache für dieses Verhalten in der chemi- schen Beschaflenheit des Blutes und der Gewebe- säfte. Der eingedrungene Bazillus nährt sich ja als Parasit vom Organismus; trifft er auf einen chemisch günstigen Nährboden, so sollte seine Entwicklung eine üppige, also für den Wirt ver- derbliche sein. Ist dem nicht so, so wird er aus dem Organismus wie jeder andere Fremdkörper entfernt. Er verursacht dann etwa nur eine Ent- zündung, aber nicht eine eigentliche Infektion. Die Sache schien höchst einfach zu sein , und in der Tat läßt sich eine Menge bekannter Tatsachen unter diese Hypothese einreihen. Es ließ sich in einer ganzen Reihe von Fällen der Nachweis führen, daß das Blut von Tieren, die gegen eine bestimmte Krankheit immun sind , Stoffe enthält, die den betreffenden Krankheitserregern verderb- lich sind. Diese Beobachtung wurde zum Aus- gangspunkt der Arbeiten über künstliche Immuni- sation; und die moderne Serumtherapie, unter deren Zeichen jetzt die Medizin steht, ist die Frucht dieser Forschungen. Nichtsdestoweniger unterliegt es keinem Zweifel mehr, daß diese Theorie nicht der Wahrheit ent- spricht, d. h. , daß sie jedenfalls nicht die ganze Wahrheit ist. Analoge Erscheinungen aus dem Gebiete der normalen Physiologie haben zuerst die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß das Rätsel viel tiefer zu suchen ist. Untersuchungen von Heiden hain zeigten, daß die Ausscheidungen weder aus physikalischen noch aus chemischen Momenten genügend erklärt wer- den können , daß sie eine Lebensfunktion der be- treffenden Zellen seien. Runeberg wies durch seine Experimente nach, daß selbst die Durch- seihung von Eiweiß durch die Blutwandungen nicht einem gewöhnlichen physikalischen Filtrations- prozeß vergleichbar sei , während ähnliche Tat- sachen für die Aufsaugung der Nährstoffe schon früher durch Neumeister bekannt geworden waren. .^11 dies deutete darauf hin, daß auch bei den pathologischen Prozessen die Dinge wohl nicht so einfach liegen dürften , zumal zahlreiche Aus- nahmen sehr bald in die ursprünglich gefundenen „Gesetze" eine Bresche legten. Da trat der russische Forscher E. Metschnikoff mit einer neuen Theorie auf Jeder infektiöse Krankheitsprozeß soll nach ihm ein wirklicher Kampf des Organismus mit seinen unsichtbaren P'einden sein. Eine bestimmte Gruppe von Kör- perzellen, die von ihm sogenannten ,,Phagocyten", zu welchen besonders die weißen Blutkörperchen und gewisse Bindegewebszellen gehören, soll nach Metschnikoff bestimmt sein, diesen Kampf zu füh- ren. Die Phagocyten greifen die Bakterien an, verschlingen und töten sie. An mikroskopischen Präparaten aus frisch erkrankten Geweben sieht man zahlreiche solche Zellen mit halb oder ganz verschlungenen Bakterienleibern und die verschie- dene Färbbarkeit der letzteren mit Anilinfarbstoffen beweist uns, daß sie nicht mehr in lebendem Zu- stande sind. Auf den charakteristischen Anblick solcher Präparate hin konnte Metschnikoff sogar Prognosen begründen. Es gelang ihm fernerhin zu zeigen, daß alle Umstände, welche die Tätig- keit und Beweglichkeit der weißen Blutkörperchen herabsetzen, auch die Widerstandskraft des Orga- nismus infektionären Einflüssen gegenüber ver- mindern. Der Kampf ist also , wie bereits oben ange- deutet wurde, ein Kampf mit chemischen Waffen. Diese Waffen selbst sind in neuester Zeit allem Anscheine nach gefunden worden. Sowohl die weißen Blutkörperchen, wie auch die anderen Phagocyten sind äußerst zellkernreiche Gebilde und in dem Zellkern hat A. Kos sei eine Substanz, die Nukleinsäure, gefunden, die eminent bakterien- tötende Eigenschaften besitzt. Nukleinsäure und Bakteriengifte — an der Erforschung des Auf- baues und der Eigenschaften dieser Körper hängt die Zukunft der pathologischen Chemie ! Aber schon durch die gegenwärtigen Errungen- schaften der Forschung sind unsere pathologischen Kenntnisse und Anschauungen gewaltig revolutio- niert worden. Die von Cohnheim entdeckte Tat- sache, daß bei der Entzündung massenhafter Aus- 298 Naturwisseiischaftliclie Wochenschrift. N. F. III. Nr. 19 tritt der weißen Blutkörperchen aus den Gefäßen stattfindet, gewinnt durch die Metschnikoff'sche Theorie eine neue Beleuchtung. Und abermals sind es scheinbar fernabliegende Beobachtungen, durch welche unsere Einsicht auf diesem Gebiete am meisten gefördert wurde. Dem Botaniker Pfeffer fiel zuerst die Tatsache auf, daß manche chemischen Stoffe, wie z. B. Äpfelsäure auf pflanz- liche oder tierische Zellen direkt als Bewegungs- reiz wirken , dieselben anziehen oder abstoßen können. Wir nehmen gegenwärtig nach den grund- legenden Forschungen von Leber über die Ent- zündung an, daß ähnliche Reize auch bei dieser wirken und daß eben die Bakterienprodukte es sind, welche die Leukocyten zum Austritt aus den Blutgefäßen und zum Kampfe rufen. Zwischen der Fülle von biologischen, chemischen und an- deren Problemen, die das Wort „Entzündung" bei uns wachruft und dem klassischen Schema des römischen Arztes: „Calor, dolor, ruber, tumor" liegt eben eine Welt naturwissenschaftlicher Er- kenntnis und Gedankenarbeit. Sokal. Über die Rechtshändigkeit des Menschen hielt Prof. D. G. Cunningham vor dem Anthro- pological Institute of Great Britain and Ireland einen Vortragt), der manche interessante Mit- teilungen enthält. Es handelt sich besonders darum, festzustellen, ob bei den ältesten Angehö- rigen des Menschengeschlechts diese Eigenschaft bereits in dem Maße entwickelt war, wie in der Gegenwart. Schon im Jahre 1890 hat Prof E. V. Martens-) daraufhingewiesen, daß der durch die schiefe Lage des Herzens bedingte, ein wenig raschere Blutzufluß zum rechten Arm eine der Ursachen sein dürfte, welche den Menschen be- wogen haben, lieber diesen zu gebrauchen als den linken. Der raschere Blutznfluß zum rechten Arm ist bedingt: i. dadurch, daß aus dem Bogen der Aorta zuerst die rechte Armschlagader und die rechte Kopfschlagader, dann die Hauptader für die linke Kopfhälfte und zuletzt jene für den linken Arm kommt; die Schnelligkeit des Blutlaufs nimmt aber vom Herzen nach den entfernteren Körper- teilen zu stetig ab; 2. durch den Umstand, daß die rechte Armschlagader in der Regel eine Strecke weit, durchschnittlich 27.3 cm, mit der rechten Kopfschlagader zu einem gemeinschaftlichen Stamm verbunden ist (Arteria anonyma); das Blut strömt also zum rechten Arm durch diese Strecke in einem weiteren Kanal (12 — 15 nirn Durchmesser) als zum linken Arm durch die gleiche Länge der linken Armschlagader, die getrennt aus dem Aorta- bogen mit einem Durchmesser von etwa 10 mm kommt; je weiter aber der Durchschnitt der Arterie ist, ein desto geringerer Teil des Blutes wird durch den Widerstand der elastischen .'\rterien- wände und den Druck der umgebenden Teile aufgehahen; 3. durch die oft größere Weite der rechten Armschlagader. Nun ist aber zum min- desten nicht gewiß, ob in früheren Jahrtausenden die rechte Armschlagader ebenso oft wie jetzt etwas weiter war als die linke, und die vielfach beobachtete Unbeständigkeit des Unterschiedes deutet darauf hin, daß derselbe, wo er vorkommt, erst später er- worben, nicht alt angestammt ist. Aber auch der Ursprung der Arm- und Kopfarterien aus dem Bogen der Aorta, die beiden rechten gemeinsam, die beiden linken getrennt, ist ziemlich unbestän- dig; die Anatomen geben an, daß unter je 8 Fällen es in einem sich anders verhält, und so könnte man mit einiger Kühnheit annehmen, daß auch die zweite Ursache der rascheren Blutzufuhr zum rechten Arm, die größere Weite im Anfangsstück, die auf diesem Gefäßursprung beruht, beim Men- schen nicht uralt, sondern später erworben sei. Dann bliebe nur der weitere Weg für das Blut vom Herzen zum linken Arm, als mechanische Ursache der Rechtshändigkeit. Einen Grund dafür, daß die rechte Hand bei allen aktiven Verrichtungen den Vorzug erlangte, sieht Prof v. Martens auch darin, daß seit der älte- sten Zeit bei den Kämpfen der Menschen, sei es gegen feindliche Stämme oder Tiere, die linke Hand als Schutzwehr für das Herz gedient hat. Zahlreiche Beweise sind, wie Prof Cunningham ausführte, erbracht worden, daß auch in vorge- schichtlicher Zeit der Verwendung der rechten Hand eine größere Rolle zukam , als jener der linken. Es ist anzunehmen, daß die Rechts- händigkeit in einer sehr frühen Periode der Evo- lution des Menschengeschlechtes zu einer Charakter- eigenschaft desselben wurde, wahrscheinlich noch vor der Entstehung der artikulierten Sprache. Je tiefer wir jedoch in das Dunkel der prä- historischen Zeit vordringen, desto mehr finden wir Belege dafür, daß die in Rede stehende Eigenschaft damals durchaus nicht so sehr All- gemeingut der Menschen gewesen war wie jetzt. Auf Grund des eingehenden Studiums von Gerätschaften und Waffen aus der neolithischen Epoche konnten verschiedene Forscher den Be- weis erbringen, daß in jener Zeit der Prozentsatz der Hnkshändigen Personen ein ganz bedeutender war; diese Tatsache hatten u. a. Cannon Green- well in England, Dr. Mortillet in Frankreich und Dr. Brinton in Nordamerika festgestellt. ') Es sind Gründe vorhanden, die zu der Annahme be- rechtigen, daß in jener Epoche, bevor die mani- pulative Geschicklichkeit bedeutend entwickelt war, die Differenz zwischen den beiden Gliedern nicht annähernd eine so ausgesprochene war als gegenwärtig. Weiters wird die Frage aufgeworfen, ob die Rechtshändigkeit ein spezielles Attribut des Men- ') Journal of the .^nüiropological Institute. Vol. XXXII, pag. 273—296. ■^) Naturwissenschaft!. Wochenschrift, V. Band, Nr. 47. ') Greenwell : Journal of the Ethnological Society. Neue Serie,", II, pag. 419—439. — G. de Mortillet: Bull, de la Societe d'Anthropologic de Paris, tome prem., IV« series, 3° fasc. — Brinton: American Anthropologist, vol. IX, p. 175. N. ¥. III. Nr. 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 299 sehen ist, oder ob er diese Eigenschaft mit den anthropoiden Affen gemein habe. Die Hand der letzteren dient nicht nur der Fortbewegung des Körpers, sondern ihr sind viele von den Fähig- keiten eigen, welche die menschliche Hand aus- zeichnen ; es würde daher nicht unberechtigt er- scheinen, in einem bestimmten Maße die Bevor- zugung des Gebrauches des rechten Armes bei diesen Tieren zu erwarten. Die Meinungen hier- über sind geteilt. Bereits im Jahre 1871 berichtete Dr. Ogle, daß er unter 23 Affen 20 fand, bei denen die Rechtshändigkeit ausgebildet war; auch in letzter Zeit sind mehrere Forscher zu ähnlichen Resultaten gekommen. Cunningham kann sich diesen Anschauungen auf Grund seiner langjährigen Beobachtungen jedoch nicht anschließen; er konnte bei Affen keinerlei Bevorzugung des einen oder des anderen Armes bemerken. Auch fand er, daß die Oberarmknochen von Schimpansen fast vollkommen gleich ausgebildet waren; ein auftretender Unterschied sprach sogar zugunsten des linken Gliedes. Nach diesen Beobachtungen Cunningham's ist sein Schluß berechtigt, daß in der Evolution des Menschen die Rechtshändigkeit nicht früher zur Geltung kam , als die Arme ab- solut frei von der Benützung zur Fortbewegung des Körpers und ausschließlich zu Verrichtungen jener Art verwendet wurden, die ihnen gegen- wärtig zukommen. Es ist anzunehmen , daß bei zivilisierten Rassen , die sich mit den höchsten Formen der manuellen Arbeit betätigen, auch die Rechtshändigkeit in bedeutenderem Maße ent- wickelt ist. Besonders bemerkenswert ist noch eine andere Beobachtung, welche Cunningham in seinem Vor- trage erwähnte; englische Arzte fanden nämlich, daß ein großer Prozentsatz mikrocephaler Idioten linkshändig ist und noch weit mehr beide Hände in gleichem Maße gebraucht. Obwohl der Vor- tragende anerkennt, daß die diesbezüglich gegen- wärtig zur Verfügung stehende Statistik nicht ge- nügend erscheint zu weitreichenden F'olgerungen, so ist er doch geneigt, anzunehmen, daß hier eine bestimmte atavistische Tendenz hervortritt, zu dem ambidexteren Zustand zurückzukehren , welcher der Wahrscheinlichkeit nach dem Urmenschen eigen war. Fehlinger. Die Lebensweise der Hummeln. — Der Artikel über ,,Das Leben der Hummeln" Naturw. Wochenschr. Nr. 39, 1903 gibt mir Veranlassung zu einer kurzen Berichtigung. Durch besondere Umstände wurde dieselbe verzögert. Der Schreiber jenes Artikels, Herr Forstmeister a. D. R o t h e , bemüht sich ,, einige Irrtümer zu heben, die Ein- gang in die Wissenschaft gefunden haben". Es werden jedoch keine Irrtümer berichtigt, sondern eine ganze Anzahl von irrtümlichen Ansichten in Kurs gesetzt. Die Arbeiten unserer besten Hummel- forscher Hoffer und Schmiedeknecht schei- nen Rothe unbekannt geblieben zu sein und R o t h e bringt daher manches als neu , was dort längst richtiger und klarer beschrieben ist. Ich gehe kurz auf einige Hauptirrtümer ein und lasse zahlreiche Ungenauigkeiten beiseite, wie z. B. die Angabe, daß die ., Mooshummel" ,, gleichmäßig rötlichbraun" sei. Rothe meint zweifellos die Bombus muscorum F., die aber anders gefärbt ist. Eine ,, gleichmäßig rötlichbraune" Hummel be- sitzen wir überhaupt nicht in Deutschland. Auch verlohnt es sich nicht z. B. folgende ganz willkür- liche Angaben richtig zu stellen. Rothe will „noch im Juli junge Königinnen der Erdhummel (Bombus terrestris L.) nach einem Wohnplatz suchend gesehen haben und behauptet demgemäß, daß die Erdhummel „viele Wochen vergeblich" — in diesem Falle also, — da die Terrestris be- reits im April und Anfang Mai erscheint und auch in rauheren Gegenden Norddeutschlands (um dieses Gebiet handelt es sich) jedenfalls Ende Mai da ist — , zwei bis drei Monate auf der Suche nach einem passenden Nistplatz sei. Dieser Irr- tum ist aus einem weiteren entstanden, daß ,, näm- lich die Mutter selber nur so lange Honig und Blumenstaub einsammelt, als Junge im Nest noch nicht vorhanden sind". Die „Mutter" sammelt auch nocli und zwar stets noch ein, wenn auch schon flugfähige „Junge" vorhanden sind. Sie gibt ihre eigene Außentätigkeit meist erst bei verhältnismäßig kräftiger Entwicklung des Volkes auf. „Hier muß ich dringend darauf hinweisen", so sagt Rothe, „daß die Hummeln kein Wachs er- zeugen und daher auch keine Zellen bauen. Es ist ein starker Irrtum, wenn in naturwissenschaft- lichen Schriften noch jetzt die Behauptung auf- gestellt wird, daß die Hummeln Wachs zwischen den Hinterleibsringen ausschwitzten und daraus Zellen bauten , solche Annahmen sind von dem Wesen der Hausbienen entlehnt". Was wird der Herr Forstmeister sagen, daß man herausgefunden hat, daß die Hummeln nicht allein das Wachs zwischen den Unterleibsringen herausschwitzen wie die Bienen, — eine Tatsache die seit langen Jahren bekannt ist — , sondern jetzt sogar die Beobachtung gemacht hat, daß das Wachs auch zwischen den oberen Segmenten des Abdo- mens ausgeschieden wird. Auf dem Zoologen- Kongreß in Gießen (1902) ließ Referent „einige Hummeln kursieren, bei denen die Wachslamellen auf dem Rücken und am Bauche mit großer Deutlichkeit zu sehen waren."') Die Hummeln bauen auch richtige Wachszellen , tragen sie aber frühzeitig wieder ab, so daß oberflächliche Einblicke in ein Hummelvolk das Vorhandensein solcher Zellen nicht leicht ermittelt. Das, was man gewöhnlich in den Hummelnestern sieht, sind nicht die ,, Zellen" wie Rothe meint, sondern die Larvenkokons. Man vergleiche die Abbildung des ') V. Buttel-Rccpen, Die stammcsgeschichtliche Ent- stehung des Bienenstaates sowie Beiträge zur Lebensweise der solitären und sozialen Bienen (Hummeln , Meliponincn etc.). Leipzig, 1903 Enthält auch Verzeichnis der Hummelliteratur. ;oo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 19 Hummelnestes auf Seite 5 1 1 dieser Zeitschrift Nr. 43, 1903. Rot he hat die richtigen Zellen auch gesehen, er nennt sie aber „harzige Hüllen" und erklärt sie nicht weiter. Der Orientierungsausflug ist gut und richtig geschildert, weniger richtig ist die biologische Ursache des „Haarschwundes" bei alten Köni- ginnen erkannt. „Die alte Mutter des Stockes be- kommt um diese Zeit auf der Mitte des Rückens einen runden , kahlen Fleck durch den Schwund der Behaarung." Rot he scheint nun zu glauben, daß hier ein Ausfallen der Haare durch das Alter bewirkt wird, denn er sagt : „diese Stelle, auf welcher die glänzend schwarze Farbe des Körpers nun hervortritt, erinnert lebhaft an die Kahlköpfig- keit unserer Männerwelt". Wir haben es hier natürlich nur mit einem Abbrechen , Abscheuern der Haare an der am meisten exponierten Körper- stelle zu tun, hervorgerufen durch das andauernde Kriechen in den engen Zwischenräumen im Neste usw. „Ausscheidungen lassen die Hummeln niemals im Neste, sondern stets anderwärts fallen." Diese Ansicht Rothe's ist ebenfalls unrichtig, dem widersprechen die Beobachtungen unserer besten Hummelforscher und auch die des Referenten. Die größte Konfusion entwickelt Rot he in dem Bemühen, die Wissenschaft über die Fort- pflanzungserscheinungen im Hummelstaate zu be- lehren. Nach ihm entstehen die Männchen nicht aus unbefruchteten Eiern, es „besteht bei den Bienen und Hummeln keine Parthenogenesis." Bei den Bienen hätte das neuerdings ein ,, echter Bienen- vater" festgestellt: „das Ei geht nämlich so eng an den Samenbehältern vorüber, daß es von dem befruchtenden Lüftchen getroffen werden muß. Ein befruchtender Hauch, den die Bienen- mutter nicht abzuschließen vermag, trifft das Ei. Die Samentaschen haben keine Verschlußklappen" usw. usw. Hier offenbart sich eine so hoffnungs- lose Unkenntnis der Befruchtungsvorgänge , der anatomischen, morphologischen und physiologischen \'erhältnisse, der befruchtende Hauch entführt uns so in vormittelalterliche Zeiten, daß man kaum auf irgend ein Lehrbuch der Zoologie oder Physiologie hinzuweisen wagt. Trotz der Un- kenntnis aller einschlägigen Verhältnisse behauptet Rot he, daß er „mit Sicherheit feststellen" konnte, die Männchen der Hummeln entstünden nicht aus unbefruchteten Eiern. „Die Exemplare des In- sekts, denen das Legen unbefruchteter Eier zuge- schrieben wird", (Rothe meint die Hummel- arbeiter) „legen überhaupt keine Eier; eine genaue mikroskopische Untersuchung der inneren Körper- teile bestätigt, daß diese Individuen durchaus ver- kümmerte \\'eibchen, geschlechtslose Arbeiter- hummeln sind". Dabei hat u. a. L e u c k a r t Hunderte von eierlegenden Arbeiterhummeln untersucht und gefunden, daß sich keine Spur von Verkümmerung nachweisen läßt; sie sind voll- kommene Weibchen in jeder Beziehung, nur in der Körpergröße in den meisten Fällen der Königin nachstehend. Aus diesem Grunde schlug Referent in der angezogenen Arbeit vor, da in dieser Hinsicht ein großer Unterschied mit den Arbeitern im Bienenstaat vorwaltet , die sogen. Hummelarbeiter lieber „Hilfsweibchen" zu nennen. Auch die Schilderung der Paarungsvorgänge widerspricht allen bisherigen sorgfältigen und ge- wissenhaften Beobachtungen. Jedenfalls ist die geschilderte Ausführung nicht die normale, als solche aber wird sie hingestellt. Es gäbe da noch viel zu berichtigen. Referent schließt aber mit dem Rothe'schen Ausspruch, dem man durchaus beistimmen kann: ,,Wie leicht und wie oft tritt bei der Beobachtung der honig- trageriden Insekten die Phantasie an die Stelle der Forschung." Dr. v. Büttel. Über Stelzenpflanzen in unserer einheimi- schen Flora. — Es ist bekannt, daß einige Ge- wächse der Tropenzone mit besonderen stelzen- artigen Organen ausgerüstet sind, deren Aufgabe ist, den Stamm im Tragen des oft gewaltigen Gewichtes der Biätterkrone zu unterstützen. Wir finden diese Einrichtungen besonders bei den Schraubenpalmen (Pandanusarten), ferner bei den den weichen Schlamm der Meeresküste be- wohnenden Mangroven (Rhizo phora), sowie bei einigen anderen Vertretern tropischer Pflanzen- familien, bes. Palmen , Clusiaceen und Ficusarten. Diese Beispiele werden in den botanischen Werken in der Regel auch angeführt, um die Erscheinung der Stelzenbildung im Pflanzenreich zu illustrieren. Daß wir in der europäischen Flora eine Reihe von Pflanzen haben, welche — wenn auch weniger auffallend — gleichfalls die Einrichtung von stelzen- ähnlichen Organen besitzen, scheint wenig bekannt zu sein. Die oben erwähnten Stelzen der Schrauben- palmen und Mangrovebäume sind ihrer morpho- logischen Natur nach Wurzeln, unterscheiden sich aber von eigentlichen Wurzeln durch ihren inneren, dem speziellen Zweck des Stutzens besser ange- paßten Bau. Während nämlich sonst die Mitte einer Wurzel in der Regel von einem soliden Leitbündelcylinder eingenommen wird, finden wir bei Stützwurzeln eine weite Markhöhlung, um welche herum die Leitstränge, einen Hohlc}-linder bildend, angeordnet sind. Dadurch stimmen die Stützwurzeln mit dem Bau des Stammes überein, und in der Tat kommt ihnen auch weniger die mechanische Aufgabe der Zugfestigkeit — wie den eigentlichen Wurzeln — als vielmehr die- jenige der Säulenfestigkeit — ähnlich wie der Hauptachse — zu. Unter unseren einheimischen Pflanzen kommen nun Wurzeln von dem oben angegebenen Bau und entsprechender Funktion bei hohen stark gebauten Gräsern wie besonders bei Zea Mays vor, für die genauere Angaben von Haberlandt^) vorliegen. Eine Pflanze mit ganz vorzüglich ent- Physiologische Pflanzenanatomie. I. Aufl. p. 129. N. F. III. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ^01 wickelten Stützwurzeln ist ferner Impatiens noli t an gere (sowie andere Arten der gleichen Gattung). Die Entwicklung der Stützorgane steht hier in Beziehung zu dem Substrat, welches von der Pflanze bewohnt wird; ist dasselbe weich (z. B. lockerer Sandboden oder VValdhumus), so sind die Stützwurzeln oft auffallend mächtig entwickelt und entspringen in mehreren Kreisen am untersten Knoten, um sich bogenförmig in das Erdreich zu versenken. Wo hingegen die Bedingungen für die Bildung derartiger Stützwurzeln nicht gegeben sind, bleibt ihre Entwicklung mehr oder weniger aus. Erwähnt sei noch, daß dieselben auch an einem der nächstoberen Knoten entstehen können, wenn eine Impatiens pflanze horizontal gelegt wird. Schon nach wenigen Tagen erheben sich dann aus der dem Boden zugewendeten Seite hacken- Fig. I. Impatiens noli längere; a. Stützwurzeln, welche aus dem untersten Knoten entspringen ; b. Knickung an einem der oberen Knoten, daran einige Stützwurzeln (s. Text). artige Gebilde, welche zu Stützwurzeln auswachsen und zwar geschieht dies an demjenigen Knoten, an welchem durch hyponastisches Wachstum (stärkeres Wachstum der Unterseite) die Vertikal- stellung des Blütensprosses bewerkstelligt wurde. Es besteht also offenbar eine Korrelationswirkung zwischen der durch Geotropismus induzierten Auf- richtung der Achse und der Stützwurzelbildung (s. Fig. ib). Eine Stelzenbildung, welche vollkommen ein- zig dasteht und für welche auch in der tropischen Pflanzenwelt bis jetzt kein Beispiel bekannt ge- worden ist, kommt dadurch zustande, daß nicht die Wurzel, sondern das Blatt, bezw. der Blattstiel die Funktion des Stützorgans übernommen haben. In ausgezeichneter Weise finden wir die Er- scheinung bei Geranium robertianum (so- wie auch bei G. lucidum). Hier kommt die Fähigkeit als Stützorgan zu funktionieren schon den Keimblättern zu (Fig. 2). Nachdem diese verwelkt sind, treten die untersten Blätter des grundständigen Blattquirls an ihre Stelle und, werden diese gewaltsam (oder indem sie allmählich verwelken) entfernt , so werden sie wieder durch die nächst überstehenden Blätter des gleichen Knotens, welche sich durch epinastisches Wachs- tum ihrer Ansatzstelle nach unten biegen, abgelöst (Fig. 3)- Fig. 2. Junge Pllanze von Ger. robertianum. Cotyledonen, als Stützorgan funktionierend, h hypocotyles Glied. 1 erstes Laubblatt. Fig. 3 stellt eine Pflanze von Geranium robertianum vor, welcbe als Keimpflanze in einen Topf gesetzt wurde. Zuerst dienten die Keimblätter als Stützorgane , später die untersten Grundblätter ; nach dem Verwelken dieser traten die nächst- oberen Grundblätter an ihre Stelle. Die Blattstiele bleiben viel länger erhalten als die Spreiten und bilden schließlich ein Stelzengerüst, welches zusammen mit dem hypocotylen Glied und den noch tätigen Stützblättern die Pflanze trägt. Aber auch hier können (ähnlich wie bei Im- patiens) an einem der darüberstehenden Knoten Stützorgane zur Ausbildung kommen. Dieser Fall tritt ein, wenn die Achse einer Storchschnabelpflanze horizontal gestellt wird. Dann erfolgt durch hyponastisches Wachstum des betreffenden Knotens Aufwärtsbiegung des Blüten- sprosses , zugleich durch epinastisches Wachstum der Blattstielbasis Senkung des Blattstiels der dem Boden zugewendeten Blüte. Nur das Blatt selbst läßt sich in seiner Stellung durch das Licht be- einflussen, d. h. es nimmt die ihm am meisten zusagende Lage zur Ausnutzung des diffusen 302 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 19 Lichtes an , was dadurch erreicht wird , daß der obere Teil des Blattstiels sich bogenförmig krümmt.') Die korrelative Beziehung, welche zwischen den sich senkenden Blättern und der sich auf- richtenden Blütenachse besteht, erinnert lebhaft an die oben erwähnte Beziehung zwischen Ent- stehung der Stützwurzeln und Aufrichtung der Achse bei Impatiens. Geranium robertianum ist indessen nicht die einzige Pflanze unserer einheimischen Flora bei welcher Blätter als Stützorgane dienen. Wir finden die Erscheinung in ganz ähnlicher Aus- bildung bei Stella ria nemorum besonders dann, wenn diese Pflanze an senkrechten Fels- wänden wächst. Hier dient dann das ganze Blatt als Stützorgan; es läßt sich in seiner Lage im Raum durch das Licht nicht beeinflussen, sondern stellt sich genau in die untere senkrechte Ver- längerung der Achse, während die anderen Blätter sehr deutlich auf das Licht reagieren, und eine für die Ausnutzung des diffusen Lichtes möglichst vorteilhafte Lage annehmen. Die Fälle, in welchen endlich nur die Basis des mehr oder weniger langen Blattstiels als Stützorgan dient , sind in unserer einheimischen Flora durchaus nicht selten ; ich beobachtete die Erscheinung bei den grundständigen Blättern von Ranunculusrepens, Chelidonium majus, und verschiedenen anderen. Die Stützwirkung be- ruht hier im Wesen darauf, daß die ziemlich starre und mit der Achse fest verbundene (zu- weilen auch beträchtlich verbreiterte) Blattstiel- basis dem Boden auffallend fest angepreßt ist. Prof Dr. F. W. Neger in Eisenach. ') Näheres hierüber siehe Neger, Über Blätter mit der Funktion von Stützorganen (Flora 1903. p. 371 — 379)' Die Cisternen der Flechten.') — Die Wich- tigkeit des Wassers für den Flechtenorganismus ist von Lichenologen teils auf Grund der geogra- phischen Verbreitung der Flechten -) erkannt, teils bei anatomischen Untersuchungen und die Assi- milation betreffenden Betrachtungen ^) bemerkt, in letzter Zeit aber auch hinsichtlich der der Fort- pflanzung dienenden Soredienbildung'') mehr als vorher hervorgehoben worden. In den Abhandlungen von Zukal (Morphologische und biologische Unter- suchungen über Flechten (1895)) ist ein Kapitel der Aufnahme und Leitung des Wassers durch die Flechten gewidmet. Es sind jedoch die dort auf Grund weniger Untersuchungen aufgestellten Regeln für große Abteilungen der Flechten nicht allgemein zutreffend. ') Obige ,, Mitteilung" gibt in Kürze die Ergebnisse ein- gehender Untersuchungen, die im botanischen Institut zu Jena ausgeführt sind, bekannt. Ein ausführlicher Bericht wird später an anderer Stelle folgen. -) Warming, Ökolog. Pflanzengeographic. ') Reinke, Abhandlungen über Flechten. 111, p. 112. *) Bitter, „Über Variabilität einiger Laiibflechtcn und über den Einfluß äußerer Bedingungen auf ihr Wachstum." So nimmt zwar eine Anzahl der Krusten- flechten das Wasser an der Oberseite auf, je- doch hat eine Reihe von Untersuchungen bei Aspicilia, Lecanora, Amphiloma, Calycium etc. ergeben, daß auch durch den Flechten rand, besonders wenn das Substrat, auf dem die I'lechte wächst, Feuchtigkeit unterhalb des F"lechtenthallus aufsaugt und längere Zeit anhält, das Wasser von untenher aus dem Substrat aufgenommen wird. Dieses erscheint als Notwendigkeit, wenn der Krtistenflechtenthallus, wie z. B. bei Calycium, an der Oberseite unbenetzbar ist. Beiden Laubflechten spricht Zukal betreffs der Wasseraufnahme von einer Art Arbeitsteilung zwischen Unter- und Oberrinde; jedoch bedürfen diese Behauptungen noch im einzelnen der weite- ren Begründung durch Beispiele. In der Gruppe der Parmelien hält er die Unterrinde vorzugsweise zur Wasseraufnahme befähigt, während eine An- zahl von Beobachtungen lehrt, daß die Ober- rinde und besonders der Rand des Flechtenthallus die Wasseraufnahme besorgt und die in dieser Flechtenabteilung besonders häufig braun bis schwarz gefärbte Unterrindefür Wasser undurchlässig erscheint. Die Leitung des Wassers im Flechtenthallus soll nach Zukal „einzig und allein" zwischen den Hyphen durch Kapillarität stattfinden, und doch haben Untersuchungen auch hier gezeigt, daß (z. B. bei Peltigera canina L.) ebensowohl die Membranen als auch die L.umina der Hyphen bei der Wasserversorgung mitbetätigt sind. Die Gattung Gyrophora hat eine interessante Wasserversorgung, die dem Standorte derselben besonders angepaßt ist. Diese Flechten nehmen die Feuchtigkeit vornehmlich durch die Unterseite auf und halten diese dort, da der Thallus dicht an das Substrat gedrückt gewachsen und die Ober- seite zur Verhütung der Verdunstung inkrustiert ist, auch länger fest. Die Fähigkeit des Fest- haltens des W'assers ist bei Gyrophora Dilenii und G. vellea L. noch besonders durch ein dichtes Rhizinengeflecht unterstützt. So bildet die Unter- seite der Flechte gewissermaßen eine Cisterne, die zur Verhinderung der Verdunstung durch die stark inkrustierte Oberrinde gedeckt wird. Die S t r a u c h f 1 e c h t e n zeigen wie die übrigen betreffs der Wasserökonomie große Verschieden- heit. Allgemein ist bei dieser Flechtengruppe die Hygroskopizität wirksam. Besondere Vorrichtun- gen zur Aufnahme einer verhältnismäßig großen Menge Wasser weisen die Cladonien auf. Sie haben sich in den Podetien Wasserreservoire ge- schahen , die durch ihre Durchlöcherung einen Wasservorrat aufnehmen und für eine Zeit den Bedarf der ganzen Flechte davon decken. Die Gallert flechten, von denen hier Mallotium tomentosum (Hofifm.) und Synechobla- stus flaccidus (Ach.) erwähnt seien, lassen durch die besonders auffallende Ouellung eine starke- Wasseraufnahme erkennen , die nicht durch die Zwischenräume der Hyphen geschehen kann, da der Thallus der Gallertflechten interstitienlos ist, N. F. III. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 303 sondern vermittelst großer Imbibitionsfähigkeit der ganzen Flechte bewirkt wird. Wie bei den Gyro- phoreen die Ünterrinde mit dem Rhizinengeflecht, bei den Cladonien die Podetien, so bildet bei den Gallertflechten der äußerst quellungsfähige Thallus im gewissen Sinne eine Cisterne für den ganzen Flechtenorganismus. So ist in dem Konsortium der Flechte nicht nur der Pilz als Einzelindividuum der Wasser- zuträger und Wasserbehälter für die Alge, sondern auch der gesamte Flechtenorganismus hat bei einem Teil der Flechten sich Vorrichtungen für Wasseraufnahme und Wasserspeicherung geschaffen, die den Pilz in den Stand setzen, Wasser zu schöpfen und der Alge zuzuführen und ihn so zu seiner zur Erhaltung der Alge und des ganzen Konsortiums notwendigen Funktion zu befähigen. Fr. Sievers. Über die atlantische Form des Palolowurms berichtet Alfred Goldsborough Mayer in den Berichten des „Brooklyn Institute of Arts and Sciences" (Vol. I, No. 3). Der Wurm, der dem pacifischen Palolowurm 'Eunice viridis) von Samoa und den P'idji-Inseln in vielen Beziehungen ähnelt, ist Eunice fucata, 1887 von Ehlers beschrieben. Er kommt hauptsächlich an den Dry Tortugas, bei Florida, an den Riffen von Porto Rico und an den Bahama Riffen vor; und zwar lebt er in langen , gewundenen Röhren auf abgestorbenen Korallenriffen etc. Das Interessanteste bei dem Palolowurm ist bekanntlich das Auftreten von großen Massen desselben zur Zeit der Fortpflanzung. Die Schwärmzeit des atlantischen Palolowurms ist nun nach Beobachtungen des Verfassers an eine ganz bestimmte Zeit gebunden, und zwar wurde der Fortpflanzungsschwarm während dreier Tage des letzten Mondviertels zwischen dem 2g. Juni und dem 28. Juli beobachtet. Die genaueren Be- obachtungsdaten kann man aus der Tabelle er- sehen. Im Jahre 1901 bekam man leider den Hauptschwarm nicht zu Gesicht. Jahr Taa: d. Schwarms Zeitd.letztenMondviertels 1898 9., 10. Juli 1899 I., 2. Juli 1900 19. Juh I90I ? . . . 1902 24., 25., 2! nun die Schwärmzeit herangekommen ist, kriecht der hintere Teil des Wurmes rückwärts aus der Wohnröhre heraus und sucht sich durch Schwimm- bewegungen von dem Vorderteil, der keine Ge- schlechtsorgane enthält, loszulösen. Bald bricht er auch an einer eingeschnürten Stelle ab und schwimmt in raschen Stößen zur Oberfläche des Meeres empor. Dies alles geschieht mindestens zwei Stunden vor Sonnenaufgang, und bald ist das Meer in der Gegend des Schwarmes milchig ge- trübt von den Spermatozoen und den Eiern, die in großer Menge von den Tieren in das Wasser entleert werden. Damit ist der Lebenszweck des Tieres erfüllt; nach und nach sinken die Körper zu Boden, und 2 oder 3 Stunden nach Sonnen- aufgang ist kein einziges Tier mehr an der Ober- fläche des Meeres zu sehen. Bei diesem massen- haften Auftreten ist der Wurm natürlich auch für viele andere Meeresbewohner, besonders Fische, eine willkommene Nahrung, wiewohl die äußerst schnellen Schwimmbewegungen des losgelösten Hinterendes das Ergreifen nicht leicht machen. Und selbst wenn ein solches Fortpflanzungsstück an einem Ende von einem Fisch gepackt wird, so bricht es an einer beliebigen Stelle durch und setzt sein Laichgeschäft ungestört fort. Die in dieser Weise in großen Massen abge- legten und befruchteten Eier schwimmen an der Oberfläche des Meeres umher und beginnen schon nach kurzer Zeit sich zu furchen. Die Furchung ist eine totale, inäquale. Die Larve, die schon mit zwei Augen versehen ist, schwimmt eine Zeit- lang an der Oberfläche umher und sinkt dann auf den Meeresboden hinab, wo sie sich zum fertigen Tier ausbildet. Es hat sich gezeigt, daß sich bei geschlechtsreifen Tieren der hintere Teil auch bei gewaltsamen Störungen, z. B. Aufbrechen der Wohnröhre etc. von dem Vorderteil loslöst; eine Regeneration des die Geschlechtsorgane ent- haltenden hinteren Teiles des Wurmes ist zwar noch nicht sicher beobachtet, scheint aber in nor- malen Fällen stattzufinden. Ernst Röhler. I 10. Juli 29. Juli 18. Juli 8. Juli 8. Juli 1 27. Juü Die Tageszeit für den Hauptschwarm waren in den meisten Fällen die frühen Morgenstunden. Der .'\nlaß zur Bildung dieser gewaltig großen Schwärme ist, wie auch in den meisten anderen Tierklassen, der Fortpflanzungstrieb. Das merk- würdigste bei diesem Palolowurm ist nun aber die Tatsache, daß die Schwärme nicht von den ganzen Tieren gebildet werden, sondern nur von Bruchstücken derselben. Die Geschlechtsorgane befinden sich nämlich nur im hinteren Teil des Wurmes und zwar in den letzten 155 Segmenten. Die Tiere sind getrennten Geschlechts. Wenn Bücherbesprechungen. S. Zaborowski, „L'Homme pr ehis torique", 7 ■"« edition entierement refondue, avec gravures dans le texte. Paris, Felix Alcan. 187 S. kl. 8". Der Archivbeamte der Societe d'anthropologie und Professor an der Ecole d'anthropologie bietet hier eine gedrängte Übersicht der vorgeschichtlichen Spuren des Menschen, woran gerade Frankreich so Bedeutendes aufzuweisen hat. Die Charakterisierung und Unter- scheidung der einzelnen Zeitabschnitte ist ungemein anschaulich, so daß die Schrift allen denen warm empfohlen werden kann, die sich mit geringster Muhe über den Gegenstand orientieren wollen. Am Schlüsse bringt der Verfasser seine Ansichten über die Ver- wandtschaftsverhältnisse der vorgeschichtlichen Rassen und ihre Ausbreitung durch Wanderungen zum Vor- trag. Daß man hier mit allem einverstanden sein soll, ist nicht gerade nötig. Der Wert des Schriftchens 304 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. IQ liegt in den Tatsachen, die es mitteilt, und in dieser wiedergegeben. Nach kurzer Behandlung des kriti- Hinsicht ist seine Vollständigkeit und Übersichtlich- sehen Punktes werden dann die verschiedenen Modi- keit nur zu loben. Otto Ammon-Karlsruhe. fikationen des Mariotte'schen Gesetzes (van der Waals, Clausius usw.) zusammengestellt. Es folgt die Theorie Robert Lauterborn, Dr. phil. u. Privatdoz. a. d. der korrespondierenden Zustände und im Schlußkapitel Univ. Heidelberg, Das Vogel-, Fisch- und Tie r buch des Straßburger Fisch ersLeon- hard Baldner aus dem Jahre 1666. Lud- wigshafen am Rhein (August Lauterborn) 1 903. Die Einleitung und die erläuternden Anmerkungen, die Lauterborn zu der Neu - Herausgabe des Bald- ner'schen Buches bringt, setzen den Text ins richtige Licht. Baldner, ein Fischer Straßburgs, schrieb seine Tierbeobachtungen nieder, die für denjenigen , der historisches Verständnis hat, vielfältiges Interesse bieten. Eine ausführliche Darstellung über das Baldner'sche Buch nach einem Vortrage Lauterborn's findet sich in der Naturw. Wochenschrift vom 15. Sept. 1901. wird die Kompressibilität der Gasgemische kurz be- handelt. Der Stoff ist durch Teilüberschriften im ganzen recht übersichtlich angeordnet. F. Kbr. i) Prof. E. Mathias, Le point criticjue des Corps purs. Paris, C. Naud. 1904. 255 pag. avec 44 fig. — Prix 7 fr. 2) Dr. L. Decombe, La compressibilite des gaz reels. — Scientia Nr. 21. Paris, C. Naud. 1903. 99 p. — Prix 2 fr. i) Das Buch ist hervorgegangen aus einem vom Verf. dem internationalen Kongreß der Physik 1900 erstatteten Bericht. Seit der 1863 erfolgten Ent- deckung der kritischen Temperatur durch Andrews sind auf diesem Gebiete zahlreiche Erfahrungen ge- sammelt worden, die in vielen Punkten eine Abände- rung der „klassischen" Theorie von Andrews notwen- Literatur. Auwers, Artli. : Neue Reduktion der Bradlcy'sclien Bcobacli- lungen aus den J. 1750 — 1762. i. Bd. Die Begründung d. Sternkatalogs, die Redulslion der Sonnen- und Planeten- bcobaclitgn. u. die Bearbeitung der Sektorbeobaclitungen v. Wanstead und Greenwicli enth. (XII, 634 S.) Imp. 4". St. Petersburg '03. Leipzig, Voss' Sort. in Komm. — 27 Mk. Berzelius , Jakob : Selbstbiographische Aufzeichngn. Hrsg. im /Vuftrage der königl. schwed. Akademie der Wissen- schaften V. H. G. Söderbaum. Nach der wörtl. Übersetzg. V. Emilie Wöhler bearb. v. Geo. W. A. Kahlbaum. Amedco .\vogadro u. die Molekulartheorie. Von Icilio Guar eschi. Deutseh v. Dr. Otto Merckens. (XIV, 194 S. m. Bildnis.) Leipzig '03, J. A. Barth. — 5 Mk. ; geb. in Leinw. 6,30 Mk. Zehnder, Prof. Dr. Ludw. : Das Leben im Weltall. (Ill, 125 S. m. I Taf.) gr. 8". Tübingen '04, J. C. B. Mohr. — 2,50 Mk. Briefkasten. Herrn H. W. in Kopenhagen. — Herr Prof. Zuntz in Berlin wird in der Naturw. Wochenschr. einen Artikel über ,, innere Sekretion" veröffentlichen. Herrn E. K. in Reibcrsdorf b. ZiUau. — I. .'\ngaben über Ameisenzucht finden Sic in der Naturw. \\'ochcnschr. in der Nr. vom i6. April 189g. — 2. Der Algenanflug an den dig machten. Es knüpfen sich diese im vorliegenden Aquarienwänden wird von Wasser.schnccken abgeweidet, die Buche ausführlich behandelten Fortentwicklungen an man in das Aquarium tut. die Natnen Cailletet, Mathias, Colardeau, Avenarius, Sajotschewsky, Gouy, Galitzin, Nadeschdine, de Heen u. a. Besonders den neueren Methoden der Bestim- mung der kritischen Konstanten wird eine sorgfältige Behandlung zuteil und im VII. Kapitel wird eine voll- ständige Zusammenstellung der kritischen Daten (Tem- peratur, Druck, Dichte) für i6'5 Stoffe (darunter 135 organische Verbindungen) gegeben. Den Schluß bildet eine kritische Besprechung der liquidogenen Theorien des flüssigen Aggregatzustandes. Es wird sicherlich dem Physiker hochwillkommen sein, dieses interessante , aber in den Lehrbüchern meist recht kurz behandelte Gebiet von einem mitten in der Spezi alforschung stehenden Fachmann dargestellt zu finden. 2) Dieses Büchlein behandelt ein verwandtes Gebiet wie das vorige und dürfte namentlich den Bedürf- nissen der Studierenden gerecht werden. Ausgehend vom Mariotte'schen Gesetz werden die Abweichungen von demselben ausführlich besprochen und die graphi- schen Darstellungen Amagat's nach seinen bei ver- schiedenen Temperaturen angestellten Versuchen Herrn R. Hartmann, Bautzen. — ,,Ein Buch über die Mineralien des Erzgebirges und Vogtlandes", das Ihren Be- dürfnissen entsprechen dürfte, ist: August Frenzel, Mineralogi- sches Lexikon für das Königreich Sachsen. Leipzig, Wilh. Engelmann, 1874, 380 Seiten, 6 Mk. (Mit Orts- und Sach- register.) — Max Weg in Leipzig bietet es für 4 Mk., Fried- laender & Sohn mit 5,50 Mk. an. — Ein neueies Werkchen dieser Art existiert nicht. Prof. Dr. Sterzel. Herrn K. K. in Poggendorf. — Ein zusammenfassendes Werkchen über die fossilen Hautflügler gibt es nicht; man muß sich schon an die Übersichten in den Lehrbüchern, z. B. ZiUel's Grundzüge der Paläontologie 2. .\ufl. 1903, halten, die auch die wichtigere Spezialliteratur angeben. (Übrigens habe ich in Weltall und Menschheit nicht gesagt, wir seien „sehr genau" über die fossilen Hautflügler unterrichtet, sondern nur, daß es um ihre Kenntnis etwas besser bestellt sei als um die anderer Insekten.) Beushausen. Herrn U. — Artikel, die gegnerische Ansichten mit Aus- drücken bekämpfen, die man allerdings oft in philologischen Schriften findet, so „Unsinn", „schauderhaft", „albern", „Dummheil" („Sprachdummheit") etc. etc., sind für ein natur- wissenschaftliches Blatt nicht zu gebrauchen. In der Natur- wissenschaft werden abweichende .'Ansichten nicht durch Schlag- und Schimpfworte bekämpft, sondern durch sachliche Gründe. Inhalt: Franz Neureuter: Die Lebensdauer der Insekten. — Dr. Fr. Drevermann: Wie entstand das rlieinische Schiefergebirge? — Kleinere Mitteilungen: Sokal: Calor, dolor, rubor, tumor. — Prof. D. G. Cunningham: Über die Rechtshändigkeit des Menschen. — Dr.v.Butlel: Die Lebensweise der Hummeln. — Prof. Dr. F. W. Ne g e r : Über Stelzenpflanzen in unserer einheimischen Flora. — Fr. Sievers: Die Cisternen der Flechten. — Alfred Golds- bor ough May er ; Über die atlantische Form des Pololowurms. — Bücherbesprechungen: S. Zab or o ws ki : „L'Homme prehistorique". — Robert Lauterborn: Das Vogel-, Fisch- und Tierbuch des Strafiburger Fischers Leonhard Baldner aus dem Jahre 1666. — I) Prof. E. Mathias: Le point criüque des Corps purs. 2) Dr. L. De- combe: La compressibilite des gaz reels. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redaliteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Licliterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift vt/lC NatUT" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-'West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 14. Februar 1904. Nr. 20. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 I'fg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltenc Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren .Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inscratenannahmc durcli Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Hlutncnstraiäe 46, Buchhändlcrinseratc durch die Verlagshandlung erbeten. Zur Biologie unserer Leuchtkäfer, [Nachdruck verboten.] \'on Hr. J. Bon Obschon man den Phosphoreszenzerscheinungen der Pflanzen und Tiere seit langer Zeit ein leb- liaftes Interesse entgegenbrachte, weiß man über die Lebenswelse einheimischer Leuchtkäfer noch sehr 'wenig. Dies mag zum Teil darin begründet sein, daß die Flugzeit der Lampyriden äußerst kurz ist, zum Teil darin, daß die Geschlechtstiere in der Gefangenschaft leicht sterben. Ich habe mich nun mehrere Sommer hindurch mit dem Studium einheimischer Leuchtkäfer befaßt und habe dabei nianciie interessante biologische Be- obaclitung machen können. Unsere Fauna weist an Leuchtkäfern Lampyris splendidula, Lampyris noctiluca und Phosphaenus hemipterus auf Am bekanntesten ist jedermann das Männchen von Lampyris splendidula, das am Niederrhein unter dem Namen Fürfönksken (Feuer- funken), in Schwaben unter dem Namen Hans- vögele (Johannisvögelchen) durch die Lüfte fliegt. Ich möchte hier gleich erwähnen, daß den meisten Naturfreunden nur dieses Männchen bekannt ist aus Gründen, die ich weiter unten aufdecken werde. Fs ähnelt dem Saatschnellkäfer — Agriotes linea- tus — unterscheidet sich aber von ihin wesentlich gardt, .Aachen. durch 2 pigmentlose Stellen an der X'entralseitc des vor und drittletzten Abdominalsegments. LJnter, resp. über denselben liegen die beiden Leucht- organe, also der Hypodermis unmittelbar an. Sic nehmen fast die ganze Ventralseite der betreffen- den Segmente ein und stellen dünne Plättchen dar, welche bei der Präparation sehr leicht zerreißen. Sie sind als 2 weiße Flecken auch am lebenden Tier leicht zu erkennen. Die Leuchtorgane der Männchen von Lampyris noctiluca liegen als 2 ovale Gebilde im letzten Abdominalsegment. Da die anliegende Hypodermis hier nicht ganz vom Pig- ment befreit ist, so werden die vom Leuchtorgan ausgesandten Lichtstrahlen im Pigment wesentlich geschwächt. Damit hängt dann weiter zusammen, daß diese Käfer durch ihr Licht viel weniger auf- fallen. Dazu kommt noch, daß die Männchen dieser Spezies sehr wenig fliegen. Wenigstens gibt die Tatsache, daß ich diese Käfer nie im Spinngewebe fand, Grund zu obiger Behauptung. Daraus ist dann weiter der Umstand zu erklären, daß ich unter den Tausenden von gefangenen, fliegenden Geschlechtstieren kein Männchen von Lampyris noctiluca fand. Man findet sie ausschließ- 3o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 20 lieh im Grase, oft 4 — 8 bei einem Weibchen, das durch sein helles Licht den Aufenthaltsort den Männchen verrät. Die Männchen von Lampj'ris noctiluca sind größer als die von Lampyris splen- didula. Bei einiger Vorsiciit kann man sie 6 bis 8 Tage in der Gefangenschaft halten, während die Männchen der anderen Spezies gewöhnlich inner- halb 3 Tagen sterben. Die Weibchen von Lampyris splenüidula sind breite, dorsiventral abgeplattete Tiere, die weiß- lich-gelb gefärbt sind; daher ist es auch schwieriger, ihre weißen Leuchtorgane im nichtleuchtenden Zustande zu erkennen. Sie haben deren 14 (Fig. l\ Fig. I. L. spl. 9 Ventral. Leuclitorgane gelb. Vergr. lo .Mal. ein großes an der Ventralseite des 6. Abdominal- segments, ferner 2, selten 3 Organe an derselben Seite des 5. Segments, außerdem ein kleines Or- gan in der Medianlinie des 3. Abdominalsegments und endlich in den 5 ersten Segmenten je 2 knollenförmige Organe an der lateralen Seite. Diese letzteren liegen an der dorsalen Seite der Seiten- zipfel der Pleuren. Sie sind nicht leicht heraus- zupräparieren, da sie sich in Größe und Farbe nur wenig von den sie umgebenden Fettkörpern unterscheiden. Selten leuchten alle knollenförmigen Organe gleichzeitig. Die Organe des ersten und drittletzten Segments sind größer und leuchten viel häufiger als die anderen. Selten leuchtet das Organ des 2. Segments. Es verdunkelt sich auch zuerst, wenn dem Tiere die Luft entzogen wird. Die Käfer trocknen in der Gefangenschaft sehr leicht aus. Vielleicht ist das eine Ursache ihres frühen Absterbens in der Gefangenschaft. Die Weibchen kommen stellenweise in ganz enormen Mengen vor. So fand ich z. B. in der Nähe des Philosophenweges zu Heidelberg eine hochgelegene Waldwiese von etwa '/,, ha Größe dicht mit diesen Käfern besät. Ich fand auf i qm dieser Wiesen- fläche 18 Käfer. Sie kehren im Gegensatz zu den Weibchen der anderen Spezies, dem die dorsal gelegenen Leuchtorgane fehlen, stets die dorsale Seite nach oben. Auffällig ist e.s, daß man sehr .selten 2 Käfer in Copula findet. xAuch findet man selbst in vorgerückter Stunde die Weibchen ge- wöhnlich allein. Sie sind leicht zu erkennen an den Flügelrudimenten, die sie jedoch zum Fluge nicht mehr befähigen. Diese Rudimente fehlen Fig. 2. L. noct. ij' Ventral. L = Leuclitorgane, M = Muskeln. den dunkler gefärbten Weibchen der anderen .Art vollständig. Auch sind diese viel größer und plumper als jene, besonders in den letzten Wochen vor der Eiablage. Die Eier sind sowohl vor als auch nach ihrer Ablage leuchtend. Die Weibchen von Lampyris noctiluca haben an der Ventralseite des 4. und 7. Abdominalsegments je 2 Leucht- organe (Fig. 2), außerdem je eins an der \'entral- seite des 5. und 6. Segments. Da letztere sehr groß sind und ein sehr intensives Licht ausstrahlen — ich sah das Licht dieser Käfer auf eine Ent- fernung von 1200 m im Grase eines Abhangs — eignen sie sich ganz besonders zu physiolcgischen Experimenten. IDazu kommt noch, daß sie in der N. F. III. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 307 Gefangenschaft länger leben als alle anderen Leucht- käfer, falls man für eine möglichst feuchte Atmo- sphäre sorgt. Sie bewohnen mit Vorliebe Ab- hänge, die teils fast kahl sind. Sind dieselben mit Gras bewachsen, so findet man die Tiere oft hängend an hohen Grashalmen. Auch in der Ge- fangenschaft versuchen sie möglichst hohe Gegen- stände zu erklettern. Nimmt man die unbeholfenen Tiere in die Hand, so leuchten sie ruhig weiter. Dem VVeibclien von Lampyris spendidula sehr ähnlich sind die Larven dieser Spezies; diese Ähnlichkeit kommt auch in der Anordnung ihrer Leuchtorgane zur Geltung. Die Tiere erinnern wesentlich an eine Assel, vermögen sich auch wie diese zusammenzurollen, wenn ihnen Gefahr droht. Es sind träge Tiere, die in der Gefangen- schaft verhältnismäßig selten leuchten. Weit reger dagegen sind die Larven von Lampyris noctiluca (Fig. 3) und besonders von Phosphaenus hemi- ])terus. Erstere sind schwarz gefärbt und haben an der dorsalen Seite in jedem Segment jederseits einen gelben Fleck, der sie leicht erkennbar macht. Das letzte Segment endigt mit einem Pinsel, den sie einziehen und ausstrecken können. Sie reinigen Epti M ^»imrt»^"'''' ^^•%ti L Tr Xi-:- l.pd Fig. 3. L. noct. Larve, quer, um die Anordnung der Leucht- organc zeigen. L = Leuclitorgane, f'k = Fettkörper, M = Mus- keln, I'^pd ^^ Epidermis, D ^= Darm, B =r Hauchmark, Th ^= Tasthaare, Tr = Tracheenslämmchen. Vergr. 20. mittels desselben ihren Körper vom Schleim der Schnecken, die sie mit Vorliebe fressen. Findet man an dunkeln Frühlings-, Herbst- oder Winter- abenden — wenn also die Geschlechtstiere nicht vorhanden sind — im Grase ein „Glühwürmchen", so kann man fast sicher damit rechnen, daß es die Larve von Lampyris noctiluca ist. Von ihr unterscheidet sich die Larve von Phosphaenus hemipterus durch ihre schlanke Gestalt und hellere Färbung, ferner durch eine tiefbraune bis schwarze Chitinplattc, die dorsal in jedem Segment liegt. Auch kann man sie leicht an dem rosa gefärbten Fettkörper erkennen, der zwischen diesen Platten durchschimmert imd bei den übrigen Leuchtkäfern weiß gefärbt ist. Die beiden Leuclitorgane liegen — gerade wie bei der Larve von Lampyris nocti- luca — als ovale Knollen von der Größe eines Stecknadelkopfes im vorletzten Abdominalsegment. Über die Flugzeit der einheimischen Leucht- käfer sind die Meinungen noch sehr verschieden. Die ersten Männchen von Lampyris splcndidula fand ich 1901 am 3. Juni, 1902 am 22. Juni, 1903 am 19. Juni, allerdings nur sporadisch, die letzten Exemplare am 18., 17. und 14. Juli. Die Haupt- flugzeit ist Ende Juni. Man findet die Käfer als- dann besonders häufig in lichtem Gebüsch, stellen- weise in ganz enormen Mengen, oft 20 — 30 zu gleicher Zeit, besonders an ruhigen, schwülen Abenden. Sie fliegen einige Minuten ruhig durch die Luft, lassen sich dann im Grase oder auf einem Raumblatt nieder, um nach kurzer Rast weiter zu fliegen Dieses Spiel beginnt gegen 9'., Uhr und dauert bis II, höchstens 1 1 '/._, Uhr. Nach dieser Zeit findet man die Käfer höchstens ein- zeln. Die Weibchen dieser Spezies habe ich selten vor zehn Uhr leuchtend gefunden. Sie leuchten jedoch fort bis zum nächsten Morgen, besonders intensiv, wenn sich ihnen die Männchen nähern. Doch findet man verhältnismäßig selten Männchen bei den im Grase lebenden Tieren. Ganz anders bei Lampyris noctiluca. Die Weibchen dieser Art, die schon mit Anbruch der Dunkelheit ihr helles Licht ausstrahlen, findet man in vorgerückter Stunde selten allein. Gewöhnlich haben sich ihnen mehrere Männchen, oft bis zu 8, zugesellt, stets eins in Copula mit dem Weibchen. Sobald das Weibchen Gesellschaft gefunden hat, gibt es seine Rücken- lage auf Bis dahin lag es nämlich auf dem Rücken, das .Abdomen mit den Leuchtorganenen empor- streckend. Die Männchen und Weibchen von Lampyris noctiluca findet man bereits mehrere Wochen vor den übrigen Geschlechtstieren leuchtend, in manchen Jahren schon Mitte Mai. Daß sie aber um diese Zeit selten leuchtend gefunden werden, ist wohl darin begründet, daß man die Männchen dieser Gattung aus bereits erwähnten Gründen überhaupt selten sieht. Am meisten aufmerksam auf die Flugzeit der Lampyriden wird man aber bekannt- lich durch die fliegenden Männchen von Lampyris splendidula. Wenn die aber fliegen, so ist die Haujjtflugzeit von Lampyris noctiluca bereits vor- über. Daher war man bislang der Ansicht, Lam- pyris noctiluca sei in Deutschland viel schwächei' vertreten als Lampyris splendidula. Wie zahlreicli sie jedoch vorhanden sind, davon legt die oft in großen Mengen auftretende Larve dieser Art be- redtes Zeugnis ab. So fand ich z. B. in der Nähe von Bruchsal an den Böschungen eines Hohlwegs, die sich etwa 10 Minuten weit erstrecken, ein Licht neben dem anderen, so daß ich von einem Stand- punkte aus über 50 Lichter zählen konnte. Auch an den Ufern des Lohgrabens zu Bornheim am Niederrhein kann man die Larven zu Tausenden fangen. Vor ihrer Verpuppung scheinen sie größere Wanderungen anzutreten. Ich fand wenigstens zu dieser Zeit viele Tiere an den Mauern, unter Stein- haufen, Holzhaufen etc. eines in der Nähe des Grabens befindlichen Guts, wo ich sie zu anderen Zeiten nie sah. Auch die Wege, welche zu dem- selben führen, waren mit vielen Larven bedeckt. Wie häufig nun die Larven an gewissen Ortlich- keiteii auftreten, so kann man oft doch selbst bei 3o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 20 der günstigsten Witterung viele Stunden die schein- bar geeignetsten Gebiete durchwandern, ohne ein Exemplar zu finden. Dieses lokale Auftreten findet man in noch höherem Grade bei den Larven von Phosphaenus hemipterus. Der Käfer soll bei uns selten vorkommen; trotz vielen Suchens habe ich auch nur ein Männchen gefunden, und zwar auf der Terasse des Heidelberger Schlosses sehr ver- steckt. Wenn ich aber bedenke, in welchen Scharen die Larven dieser Spezies in der Koniferen- anlage des Heidelberger Schlosses und auf dem Heidelberger Friedhof auftreten, so möchte ich das seltene Vorkommen des Käfers doch sehr bezweifeln. Man wird ihn wahrscheinlich deshalb so sehr selten finden, weil er eine sehr versteckte Lebensweise führt. Auch in der Gefangenschaft läuft er unruhig hin und her, gerade wie die Larve. Die Larven unserer Leuchtkäfer leuchten das ganze Jahr hindurch. Nach Wielowiejski er- schien das für die Larve von Lampyris splendidula noch zweifelhaft. Ich habe dieselben jedoch im Februar, März, April, Juni und November leuchtend gefunden. Außerdem brachte mir Herr Professor Dr. Lauterborn 14 Exemplare, die er am Sylvester- abend in Johanniskreuz (bayrische Pfalz) fand. Außerdem schickte mir ein Freund Mitte Oktober 3 leuchtende Larven aus dem Harz. Bislang hielt man die Lichtproduktion der Leuchtkäfer für eine Oxydation. Wenn man näm- lich lebende Männchen von Lampyris splendidula in eine wässerige Lösung von Osmiumsäure (OsOj) legt, so erkennt man schon nach einer 3 stündigen Einwirkung dieser Säure bei schwacher Vergröße- rung viele kleine schwarze Punkte in den Leucht- organen. Bei stärkerer Vergrößerung stellen sie sich uns als sternförmige Gebilde (Fig. 4) mit vielen Ausläufern dar, die als eine Erweiterung der Tracheenmatrix aufzufassen sind. M. Schnitze nannte sie Tracheenendzellen. Da sich nun diese Zellen schon schwärzen, bevor das übrige Plasma von der farblosen Säure überhaupt beeinflußt wird, sie also in der Tat ein großes Reduktionsvermögen verraten, so nahm man an, daß hier auch die Verbrennung besonders intensiv sei. An diesen Endzellen soll daher die Lichtentwicklung zuerst auftreten und sich von ihnen auf die übrigen Leuchtzellen verbreiten. Bestärkt wurde man in dieser Ansicht noch dadurch, daß die Leuchtkäfer das Leuchten einstellen sollen, sobald man ihnen die Luft entzieht oder aber sie in indifferente Gase bringt. Nun ist es zum mindesten auffällig, daß nur in den Leuchtorganen der Männchen von Lampyris splendidula eine solch starke Osmium- reduktion eintritt, obschon doch z. B. das Weib- chen von Lampyris noctiluca viel intensiver leuchtet. Auch ist es sonderbar, daß die Tracheenendzeilen anderer Organe auch ein großes Reduktionsver- mögen aufweisen, ohne daß die betreffenden Or- gane leuchten. Dahin gehören z. B. die Tracheen- endzeilen in den Sericterien der Raupen, ferner diejenigen in den Samenschläuchen der Lampy- riden und dem Fettkörper derselben. Es ist mir nun experimentell der Nachweis gelungen, daß die Lichtentwicklung nicht als eine einfache Oxyda- tion aufgefaßt werden kann. Zu dem Zweck brachte ich Weibchen von Lampyris noctiluca in eine Glasröhre, durch die ich Kohlenoxydgas leitete. Obschon das Licht sämtlicher Käfer in 5 — 15 Minuten verschwand, kehrte es doch stets wieder, wenn ich den Strom unterbrach und das Röhr- chen verschloß. Ja, selbst Tiere, die 5 Tage lang im Kohlenoxydgas sich aufgehalten hatten, leuch- teten noch. Sobald ich aber von neuem das giftige Gas durch die Röhre leitete, so daß ein Gasstrom die Röhre passierte, erlosch auch das letzte Licht. Es stellte sich aber wieder ein, wenn ich den Strom unterbrach und das Röhrchen ver- Trp J Fig. 4. L. spl. c^. Horizontalschnitt, Tracheenendzellen mit Fortsätzen. Tre = Tracheenendzclle, f= Fortsätze derselben, Kp = Kapillaren, von Fortsätzen umgeben, Zg = Zellgrcnze, K = Kern, Tr = Tracheenstamm. Vergr. 940. schloß. Ähnlich wie in Kohlenoxydgas verhielten sich die Käfer in der Kohlensäure und im Wasser- stoff. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß die Käfer, welche 5 Tage lang dem giftigen Kohlen- oxydgas ausgesetzt waren und während dieser Zeit regungslos auf dem Rücken lagen , sich wieder erholten, nachdem ich sie auf feuchtes F"iltrier- papier legte. Auch die Tiere, welche 4 Tage in einer Atmosphäre von Kohlensäure lebten, ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben, liefen wieder munter umher, nachdem sie 18 Stunden auf feuchtem Fließpapier gelegen hatten, .\hnlich wie in den indifferenten Gasen verhielten sich die Käfer, wenn N. F. III. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 309 ich Sauerstoff oder Stickstofifoxydul durch das Röhrchen leitete. Da sich nun die Käfer in den in ihren Eigenschaften und Wirkungen so sehr verschiedenen Gasen so wenig verschieden ver- hielten, so lag die Annahme nahe, daß nicht der WasserstofifoderdieKohlensäure, also das indifferente Gas selbst es ist, welches das Leuchten vernichtet, sondern der Gasstrom. Die Richtigkeit dieser Vermutung wurde durch das Experiment bestätigt. Leitete ich nämlich einen Luftstrom durch ein Röhrchen, in dem sich Leuchtkäfer befanden, so stellten dieselben das Leuchten ein. Wurde aber der Luftstrom unterbrochen, so begannen die Kater nach wenigen Minuten wieder zu leuchten. Nach diesen Experimenten kann das Leuchten unmög- lich als einfache Oxydationserscheinung erklärt werden. Legt man ein Leuchtorgan auf ein Stück Lösch- papier, um es nach einigen Minuten wieder zu entfernen, so leuchtet das Papier — falls man das Organ vorher andrückte — noch nach 8 Tagen. Auch die Finger, zwischen denen man ein Leucht- organ zerdrückt, leuchten weiter. Ich habe sogar 12 Tage nach ihrem Tode Leuchtkäfer noch leuchten sehen. Dann aber scheint ein allmäh- licher Zerfall einzutreten, der ein Fortleuchten un- möglich macht. Ganz anders aber verhalten sich Leuchtorgane, die sorgfältig getrocknet und dann in einem möglichst luftverdünnten Räume auf- bewahrt werden. Nahm ich nämlich die also be- handelten Organe aus dem Vakuum, so leuchteten sie nicht. Benetzte ich sie aber mit einem Tropfen destillierten Wassers, so kam das Licht nach einigen Minuten wieder zum Vorschein. Selbst solche Organe strahlten alsdann ein ziemlich intensives Licht aus, die ein Jahr lang im evakuierten Glas- röhrchen aufbewahrt worden waren. Merkwürdig verhalten sich die Leuchtorgane auch in verschie- denen Temperaturen. In ein Kochfläschchen mit Wasser gelegt, leuchtete das Weibchen von l^am- pyris noctiluca unter 23" C niclit. Bei allmäh- licher Steigerung der Temperatur leuchtete es anfangs schwach, allmählich stärker, bis das Thermo- meter 48" C zeigte. Erst bei 59° C hörte das Leuchten des bereits toten Tieres ganz auf und war nicht mehr zum Vorschein zu bringen. In einer Kältemischung von — 21*' C leuchtete der Käfer nicht. Nahm ich aber das Röhrchen mit den erstarrten Käfern in die hohle Hand, so leuchteten sie nach kurzer Zeit wieder. Ja, Dubois konstatierte, daß die Pyrophoren in einer Tempe- ratur von — iCo" C noch deutlich leuchteten. Ferner wies dieser Forscher nacli, daß getrocknete Leuchtorgane, welche einem Druck von 6oo Atmo- sphären ausgesetzt wurden, noch intensiv leuchteten. Es ist oft die Frage aufgeworfen worden, ob der Leuchtprozeß der Willkür der Käfer unter- worfen sei. Lange Zeit glaubte man diese Frage verneinen zu müssen, da man keine Nerven auf- zufinden vermochte, die mit den Tracheenend- zellen in Verbindung stehen. Viele Beobachtungen an lebenden Käfern sprechen jedoch für die .An- nahme, daß die Tiere das Leuchten nach Belieben einstellen können. So ist z. B. an windigen Abenden leicht zu beobachten, wie das Licht der fliegenden Lampyridenmännchen plötzlich ver- schwindet, um dann ebenso plötzlich wieder auf- zutauchen. Beobachtet man den Käfer — der an solchen Abenden sehr unruhig in Zickzacklinie fliegt — jedoch sorgfältig, so gewahrt man, daß das Leuchten keineswegs eingestellt wird, daß der Käfer vielmehr das Abdomen fortwährend unter den Thorax schlägt, so daß die ventrale Seite mit den Leuchtorganen nicht zu sehen ist. Auch die Larven von Lampyris noctiluca scheinen die Fähigkeit zu besitzen, ihr Licht plötz- lich verschwinden zu lassen. Wenigstens ent schwindet das Licht dann plötzlich unseren Blicken, wenn man den Käfern nahe kommt, so daß sie ohne Laterne nur mit Mühe zu fangen sind. Die Tiere sitzen nämlich mit \'orliebe auf Grashalmen. Sobald sie aber ein Geräusch merken, lassen sie sich auf die Erde fallen, wo ihre ventral gelegenen Organe natürlich den Blicken des Verfolgers ent- rückt sind. Aber das Leuchten stellen sie damit nicht ein. Wären die Tiere imstande, das Leuchten durch den Einfluß des Nervensystems zu unter- drücken, so müßte man sich ja immerhin darüber wundern, daß z. B. die Weibchen von Lampyris noctiluca ruhig w^eiter leuchten, wenn man sie aus dem Grase holt und auf die Hand legt, oder daß sie das Leuchten nicht einstellen, wenn man sie aus der Dunkelheit plötzlich einem grellen Lichte aussetzt. Auch die Tatsache spricht gegen den Einfluß des Nervensystems auf den Leuchtprozeß, daß die Tiere post mortem weiter leuchten. Wohl ist anzunehmen, daß die Absonderung eines Leucht- stoffes der Willkür des Tieres bis zu einem gewissen Grade unterworfen ist. Ist der Stoff aber ausge- schieden, so leuchtet er, mag der Käfer es wollen oder nicht. Daß diese Substanz in kurzer Zeit in relativ großen Mengen ausgeschieden werden kann, beweist eben die Tatsache, daß manche Lam- pyriden noch 12 Tage nach ihrem Tode leuchten. In Zusammenhang mit obiger Frage steht die Frage nach dem Zweck der Leuchtorgane, die oft zur Diskussion gestellt wurde. Von verschiedenen Seiten werden sie als Abschreckungsmittel gegen Feinde gedeutet. Leben nämlich viele Lampyriden mehrere Stunden in einem kleinen Gefäß, so be- merkt man einen sonderbaren Geruch, der ge- nügen soll, die Lampyriden ungenießbar zu machen. Die Wirkung dieses Geruchs wird jedoch ent- schieden überschätzt. Unsere Spinnen beweisen wenigstens, daß die Leuchtkäfer trotz desselben recht genießbar sind. So findet man z. B. an den Mauern der Heidelberger Schloßruine oft Hunderte von Männchen der Lampyris splendidula, welche tot und ihrer Säfte beraubt sind. Die Käfer scheinen sich nämlich am Tage mit Vorliebe in den Mauer- ritzen aufzuhalten. Die Spinne spinnt alsdann vor diese Ritzen ihre Netze, so daß die Käfer, sobald sie ausfliegen, sich gefangen sehen. Auch am Waldesrande habe ich oft Spinngewebe gefunden, 3IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 20 in dem sich bis zu 12 Käfer befanden, die aus- gesogen waren, aber noch lange leuchteten. Auch unsere Eidechsen fressen in der Gefangenschaft die einheimischen Leuchtkäfer. Für die Möglich- keit, daß die Leuchtorgane ihren Trägern als Ab- schreckungsmittel dienen, suchte man die Tat- sache ins Feld zu führen, daß sich die Indianer der Cucujos bedienen sollen, um ihre Hütten von dem nächtlichen Besuch der Moskitos zu befreien. Das klingt jedoch zum mindesten sonderbar, wenn man bedenkt, daß die meisten Insekten dem Lichte zustreben. Für ein Schreckmittel gegen die Feinde halte ich demnach die Leuchtorgane nicht, wohl aber für sekundäre Geschlechtscharaktere. Für diese Behauptung spricht zunächst die leicht zu kon- statierende Tatsache, daß die Weibchen von Lam- pyris noctiluca abends stets auf dem Rücken liegen. Sobald sich ihnen Männchen derselben Spezies nähern, sind sie nach Kräften bemüht, das Ab- domen mit den ventral gelegenen Leuchtorganen emporzustrecken, weil dadurch das Licht selbst aus weiter Ferne wahrzunehmen ist. Nach der Flugzeit der Männchen aber fand ich die Weibchen von Lampyris noctiluca stets in natürlicher Lage, also die ventrale Seite nach unten. Auch fliegen die Männchen stets von außen gegen die Flasche, wenn man leuchtende Weibchen in ihr trägt. Es ist dies fast das einzige Mittel, die Männchen dieser Art zu fangen, da sie während des Fluges infolge ihrer schwachen Leuchtfähigkeit den Blicken des Menschen entgehen. Auch das Verhalten der Weibchen von Lampyris splendidula spricht für die Richtigkeit obiger Behauptung. Sie leben mit Vorliebe an Abhängen in der Nähe des Wald- randes. Sobald aber die Flugzeit der Männchen vorüber ist, kriechen sie in den Wald hinein, täg- lich um etwa 3 — 4 m weiter, wo sie natürlich nicht so leicht entdeckt werden. Wollen wir jedoch die Leuchtorgane nur als sekundäre Ge- schlechtscharaktere auffassen, so bleibt es ja aller- dings sonderbar, daß die Weibchen nach der Flug- zeit der Männchen überhaupt noch mehrere Wochen leuchten. Auch müßten die Weibchen von Lam- pyris noctiluca, nachdem sich ihnen mehrere Männchen zugesellt haben, das Leuchten einstellen, da es alsdann seinen Zweck erfüllt hätte. Sie leuchten jedoch auch unter diesen Umständen die ganze Nacht. Endlich wäre auch das Leuchten der Eier und Larven vollständig überflüssig, wenn die Leuchtorgane nur dazu dienten, die Männchen anzulocken. Zur Geschichte des Sandflohs (Sarcopsylla penetrans L.) in Afrika. [Nachdruck verboten. In dem Reisewerke „Die Loangoexpedition" be- richten die Forscher Güßfeldt , Falkenstein und Pechuel-Loesche von dem Auftauchen der Sand- flohplage in Afrika. Im September des Jahres 1872 brachte ein englisches Schiff das Ungeziefer von Brasilien mit nach Ambriz. Bald hatten sich die Tiere an der ganzen Küste Westafrikas verbreitet. „Ihre erste rasche und sprungweise Verbreitung fanden sie vorzugsweise durch Küstenfahrer, deren Bemannung mit ihnen behaftet war. Landeinwärts waren sie am schnellsten in jenen Gebieten ver- schleppt worden, in welchen die alten vielbegange- nen Karawanenstraßen nach dem Innern führten, vornehmlich also im Süden vom Kongo. Von der Loangoküste hatten sie im September 1875 das allen Verkehr hemmende Gebirge noch nicht über- schritten." (L.-E. III, 298 ff.) Hesse stellte dann in seiner Arbeit „Die Ausbreitung des Sandflohs" (Geogr. Ztschr. V, o) das allmähliche Vordringen des lästigen Eindringlings dar. Alle diese Tat- sachen stehen fest. Nun findet sich aber in den ,, Schiffahrten" des Baseler Wundarztes Samuel Braun, Basel 1624, fol- gende Stelle: ,,Es (das Land Congo) ist aber das ungesundeste Land / als man weit und breit findet/ denn neben allerley bösen Krankheiten / bekommt man auch eine Plag / welche sie Peysy nennen / sind kleine Würmlein / wie sie im Käs pflegen zu wachsen / mit schwarzen Köpfen. Welche Würm- lein in des Menschen Fundament oder After / wie Von Dr. Georg Henning. auch in die Hand und Fuß zwischen den Nägeln und dem Bette kommen / und dasselbige auffressen/ daß es in 3 oder 4 Tagen ein Loch im After so groß machet / daß man ein Faust darein stoßen könnte / davon der Mensch in neun Tagen sterben muß / wo man nicht beyzeiten hilft. Aber ehe man die Sachen lernet kennen / kostet es oft viel Volk. Die einige Hilfe ist / eine Lemonen spalten oder schälen / und also ganz in das Fundament stecken. Also werden sie durch die Schärfe der Lemonen getötet und zerstöret / daß der Mensch wiederum zu seiner Gesundheit kommt. Allein / wie angedeutet / muß man nicht zu lang warten / sonst wäre es nicht möglich zu helfen." Soviel sagt Braun in dem Bericht über seine erste Reise nach Westafrika während der Jahre 1611 — 1613. Er selbst weiß nicht, in welcher Weise er die Krankheit zu deuten hat. Den Guineawurm meint er nicht, denn einmal würde die Beschreibung nicht im mindesten passen, und zweitens finden wir über diese Plage im Bericht der dritten Reise, nach der Goldküste 161 7 — 1620, ganz ausführliche und sachliche .'\ngaben. Es liegt nahe, bei der Krankheit ,, Peysy" an den Sandfloh zu denken. Ich will versuchen, eine Übereinstimmung nach- zuweisen. Halten wir zu diesem Zwecke den Be- richt Brauns und den der Loangoexpedition ein- ander gegenüber. Eine Übereinstimmung ist ganz un7.weifelhaft ; nur daß die Forscher der Loango- ex[)edition das Übel in seinem Ursprung erkannten N. F. III. Nr. 20 Naturwissenschaftliclic Wochenschrift. 311 und vom Sandfloh erzählen, während Braun die Ursache des Leidens aus Unlle nicht einheitliche Verbindungen, sondern Gemenge von solchen, und zwar enthalten sie der Mehrzahl nach entweder Kohlenstoff und Wasserstoff oder diese beiden Elemente mit Sauerstoff. Einige zeichnen sich aus durch einen Gehalt von Stick- stiff oder Schwefel. Die Hauptbestandteile der Ole sind Kohlenwasserstoffe der Formel C^^Hj^ (Terpene) und in vielen Fällen sauerstoffhaltige Verbindungen (Alkohole, Aldehyde, Ketone, zu- sammengesetzte Äther, Phenole). Nach ihrer Elementarzusammensetzung unterscheidet man sauerstofffreie, resp. -arme (aber terpenreiche), sauerstoftVeiche (terpenarme), stickstoffhaltige und schwefelhaltige ätherische (Jle. Zu der ersten Gruppe gehören z. B. das Ter- pentin-, Zitronen-, Pomeranzen-, Lavendel-, Majoran- und Ingweröl, zu den sauerstoffreichen Anis-, Fenchel-, Dill-, Kümmel-, Nelken-, Pfefferminz-, Patchouli-, Rosen-, Baldrianöl. Die Kapuzinerkresse (Tropaeolum) enthält stickstoftTührendes, die Kruzi- feren, Zwiebeln und Asa foetida (Ferula, eine LTm- bellifere) produzieren schwefelhaltiges Öl. Zwei Eigentümlichkeiten der ätherischen ( )le müssen noch erwähnt werden. Die sauerstoff- haltigen nämlich scheiden unter LImständen (bei starker Abkühlung oder bei längerer Aufbewah- rung, auch in der Pflanze) feste kristallinische Stoffe aus, die Stearoptene oder Kampfer, während der Rest (das Eleopten) flüssig bleibt. Zweitens erfahren die ätherischen Öle unter Einwirkung von Luft und Licht mit der Zeit eine merkwürdige Veränderung durch Aufnahme von Sauerstoff, sie dicken ein und „verharzen", wie man sagt. Geruch, Geschmack und andere Eigenschaften ändern sich dabei gleichfalls. Die für uns in Betracht konimeiuien Harze sind solche eingedickten ätherischen ( )le, also z. B. das Harz der Kiefer. DaCTcs/en ist das so^. Harz der Kirschbäume ein Stoff anderer Entstehung und Zusammensetzung. Über die Bildung und die chemische Natur der Harze ist wenig bekannt. Sie sind ebenfalls Gemenge verschiedener Verbindungen, oft mit einem Gehalte von ätherischen (jleii, Gummi oder .Schleim. .Sie kommen fast nur im Pflanzenreiche vor, oft in besonderen Organen und meistens gemischt mit ätherischen (Jlen, in denen sie ge- löst sind oder aus denen sie sich an der Luft bilden. Die echten oder Hartharze (Koniferen- harze z. B.) entstehen vermutlich in der Regel aus ätherischen ( )len. Diese Gruppe enthält Kör- per, die spröde und amorph und im natürlichen Zustande gelb bis braun sind; sie sind nie kristal- linisch. Kohlenstoff. Wasserstoff und Sauerstoft' sind die Hauptbestandteile aller Harze. Eine andere Klasse \'0n Harzen bilden die Weichharze oder Balsame, welche ein zähflüssiges, klebriges Gemenge von Hartharz mit ätherischen Ölen darstellen, vertreten z. B. durch den Peru- balsam, der aus der Papilionacee Toluifera Pereirae gewonnen wird. Ferner unterscheidet man Gummi- oder Schleim- harze , die sicli in den Milchsaftgefäi3en vieler Pflanzen finden (^Weihrauch, Gummigutt) und fossile Harze (Bernstein). i'ber die Wirkung der ätherischen Ole auf Organismen soll noch Einiges bemerkt werden. In der Pharmakologie spielen diese Stoße bekannt- lich eine grofie Rolle, hauptsächlich als Korri- gentien schlechtschmeckender Medikamente. In größeren Dosen jedoch sind sie fast alle giftig, sie bewirken Entzündungen (Senföl) und in starken Gaben tödliche Lähmungen des Atemzentrums. In gewissen Ölen (Nelken-, Thymianöl) sind scharf fäulniswidrige Bestandteile enthalten (Thymol). Auf N'erschiedene Insekten üben sie eine töd- liche Wirkung aus durch Vermittelung ihrer Dämpfe, welche auch für Pflanzen ein Gift .sind. Bespritzt man Schnecken mit dem Öle einer Apfelsinenschale, so sterben sie schnell ab. Auch auf den scharfen Geschmack dieser Stoffe sei noch einmal hingewiesen. Diese Tatsachen werden im folgenden von Wichtigkeit sein. Im übrigen wird dieser Überblick für unseren Zweck genügen, und wir wenden uns jetzt der Besprechung jener Organe zu, denen in der Pflanze die Erzeugung der ätherischen Öle und Harze zufällt. Die Bildungsstätten der ätherischen Öle und Harze in der Pflanze. In der Pflanzenphysiologie bezeichnet man die ätherischen Öle und Harze als Exkrete oder Aus- scheidungen; sie sind also Produkte von Drüsen- organen, wie der Speichel ein Produkt der Speichel- drüsen ist. Wenigstens gilt das für alle uns inter- essierenden und auch für die Mehrzahl der Fälle. In der Regel sind es also bestimmte Zellen und Gewebe, denen die Funktion der Aussehe!- N. F. III. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochciisciirift. düng zukommt. Nach der Lage der sezernierenden Organe kann man zwischen äußeren und inneren Drüsen unterscheiden; ersterere sind für gewölin- lich Haarbildungen, sog. Drüsenhaare, letztere ent- weder einzelne ölführende Zellen oder zusammen- gesetzte, ölerfüllte Hohlräume bildende Organe. Wir wollen uns zunächst mit den ätherisches Öl erzeugenden Drüsen haaren beschäftigen (Figg. 1—3). Unter den mannigfachen 1 laarbildungen der Pflanzen, welche größtenteils aus dem Hautgewebe (Epidermis) entspringende Zellfäden sind, unter- scheidet man eine Gruppe, die nach ihrer Form als Köpfchenhaare bezeichnet werden, da sie an ihrem Ende ein ein- oder mehrzelliges rundliches Gebilde tragen. entstanden sind infolge Teilungen einer Zelle durch senkrecht zur Oberhaut der Pflanze verlaufende Wände. In eigentümlicher Weise lagert sich nun das von den Drüsenköpfchen abgeschiedene Exkret ab. Bekanntlich wird die pflanzliche Epidermis von einem feinen wasserundurchlässigen Häutchen, der Cuticula, überzogen, welche den Hautzellen fest anliegend auch sämtliche Anhangsgebilde des Haut- gewebes, also auch die Haare, bedeckt. So ist auch das Drüsenköpfchen von einem solchen, oft kaum sichtbaren Häutchen umgeben. Die Exkrete, in unserem Falle die ätherischen Ole, werden im Köpfchen gebildet, durchdringen die Zellwand und lagern sich außerhalb derselben, aber umschlossen von der Cuticula ab. Je mehr Exkret abgeschieden Fig. I. Schema für die Bildung eines Drüsenliacircs. Fig. 2. Drüscnliaai von: Blattsliel der Primula sinen- sis, oben das Sekret. (Nacli de Bary.) Vergr. 142. Die meisten dieser Köpfchenhaare sind gleich- zeitig Drüsenhaare. Sie entstehen wie alle pflanz- lichen Haarbildungen aus einer sich über die übrigen P^jidermiszellen erhebenden Hautzelle, welche ent- weder einzellig bleibt und so ein einzelliges Haar bildet oder aber durch Querwände in einen mehr- zelligen Faden zerlegt wird. Schwillt die Endzelle einer solchen Zellreihe an, dann haben wir ein Köpfchenhaar vor uns, deren Köpfchen durch weitere Teilungen mehrzellig werden kann. Die P'iguren I a — c erläutern die Entstehung eines ein- fachen Haares, während Figur 2 ein fertiges sezer- nierendes Köpfchenhaar der Primula sinensis (Chi- nesische Primel) darstellt, einer beliebten groß- blütigen, durch weit aufgeblasene kegelförmige Kelche, krause eingeschnittene Blätter und grollen Reichtum an solchen Drüsenhaaren ausgezeichneten Zimmerjiflanze. Je nach der Länge des Stieles, als welchen man den zwischen Epidermis und Köpfchen ge- legenen Zellfaden bezeichnet, und nach der Be- schaffenheit des Köpfchens kann ein Drüsenhaar ein sehr verschiedenes Aussehen annehmen. Wir bilden noch den für die Lippenblütler (Labiaten: Thymian, Taubnessel etc.) charakteristischen Typus ab (Fig. 3). Hier steht häufig auf einer breiten, niedrigen Stielzelle (vgl. Abbildung) eine größere Anzahl (4 — 12) sezernierender Drüsenzellen, welche wird, um so stärker wird die Cuticula natürlich abgehoben und gespannt, was zu einer Zerreißung derselben führen kann, wobei sich dann das Ol nach außen ergießt, um seinen später zu be- sprechenden Zweck zu erfüllen. In unserer .Ab- bildung 3, welche eine etwas eingesenkte Blatt- drüse des Pfefferminzkrautes im Längsschnitte darstellt, ist die Abhebung der Cuticula von den sezernierenden Zellen sehr gut zu erkennen ; es Fig. 3. ( )ldrüse vom Blatte der Pfefferminze (.Mentlia pipcrita), Nacli Tschirch. E Epidermis, t TragzcUe, st Stielzelle, s Sekretionszcllen, e L^^xkret, c Cuticula. hat sich eine beträchtliche Menge von ( )1 in dem so entstandenen Räume angesammelt. Bei dem Haar der Primel (P'ig. 2) ist die Cuticula bereits gesprengt und der Exkrettropfen hängt frei daran; in manchen Fällen wird die Cuticula nach dem Platzen durch eine neue ergänzt, in anderen zer- springt sie nicht unregelmäßig, sondern es öffnet 324 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. I--. III. Nr. sich auf der Kuppe des Köpfchens ein kleiner kreisförmiger Deckel. Um die Mannigfaltigkeit der Haardrüsen zu veranschaulichen, bringen wir noch Abbildungen von solchen der echten Kamille und des Hopfens (Figg. 4 u. 5). Wie Figur 4 zeigt, sind die Drüsen- haare, welche sich an dem Fruchtknoten der Kamille (Matricaria chamomilla) finden, keine ein- fachen gestielten Köpfchen, sondern sie bestehen aus einer (mehr oder weniger langen) Doppelreihe von Zellen, von denen die oberen die Sekretion übernehmen ohne ein besonders abgesetztes Köpf- chen zu bilden. Die Cuticula verhält sich aber hier wie in den oben crenannten Fällen. Fig. 4. Öldrüsen vom Fruchtknoten der Kamille (Matricaria cliamomilla). Nach Tschirch. Die Cuticula (c) der oberen Zellen durch Exkret (e) abgehoben. Wieder anders gestaltet sind die Öldrüsen des Hopfens (Humulus lupulus), deren Gehalt an dem bitteren Lupulin die Pflanze ihre Bedeutung in der Bierbrauerei verdankt. Diese Drüsen finden sich an den Deckschuppen der weiblichen Blütenstände und den von ihnen eingeschlossenen Früchten. Die Sekretionszellen sind Scheiben- bis schalen- förmig angeordnet, stehen wie ein Hutpilz auf einem mehrzelligen Stielchen und sondern auf ihrer ( )berseite unter der Cuti- cula das Exkret ab. Auch diese Gebilde gehen aus einer einzigen Haut- zelle hervor. — Wir wenden uns jetzt den inneren Drüsen zu. Es genügt hier, drei Formen derselben zu unterscheiden , nämlich einzeln vorkommende Ex- kretzellen , mehr oder Fig. 5. Drüsenschtippen von den weiblichen BUitenstUn- den des Mopfens (Humulus Lupulus) im senkrechten Durchschnitt. A vor Beginn der Sekretbildung , B die Cuticula durch das Sekret emporgehoben, das Sekret durch Alkohol entfernt. (Nach de Bary.) Vergr. 142. weniger rundliche Exkret- behälter und in langgestreckten Bahnen verlaufende Exkretgänge. Alle drei Bildungen Können in einer Pflanze vertreten sein; zwischen rundlichen Be- hältern und (jängen oder Kanälen sind natürlich die verschiedensten Übergänge möglich. Wir besprechen zunächst den einfachsten F'all, die Exkret Zeilen. Es sind gewöhnlich ver- einzelt im Gewebe besonders unterirdischer Or- gane (Wurzelstöcke) auftretende, das ätherische Ol oder Harz enthaltende, mehr oder weniger auf- getriebene Zellen, deren Wandung sehr häufig ver- korkt ist, so daß ein Übertritt des Inhaltes in das angrenzende Gewebe unmöglich gemacht ist. Als Drüsenzeilen im strengsten Sinne des Wortes kann man diese Bildungen allerdings eigent- lich nicht bezeichnen, ebensowenig wie verschie- dene der folgenden Behälter und Gänge. Im Tierreiche sind einzellige Drüsen, z. B. die schleim- p Fig. 6. Teil eines Querschnittes durch das Rhizom von Acorus calamus. Nach Tschirch. Vergr. 110. ö ülzcUen , i Inter- cellularen, p Parenchym, g Gefäßbündel (schraffiert). absondernden sog. Becherzellen im Darme, sehr häufig und führen mit Recht den Namen einzelliger Drüsen, da sie ihr Sekret, was für Drüsen eben charakteristisch ist, sezernieren, nach außen ab- scheiden. Im Vergleiche dazu sind unsere Ex- kretzellen nur tLxkretbehälter ; um aber verschie- dene histologische Einzelheiten unberücksichtigt D O Fig. 7. Hypericum perforatum. Nach Habcrhuult. Blatt- querschnitt: Eo obere, Eu untere Epidermis, M Mcsophyll- zellen , O Sekretzellen, Ex Exkrettropfen , H Drüsenhülle, D Deckelzelle. lassen zu dürfen, wollen wir uns der obigen Aus- drucksweise bedienen und allgemein von inneren Drüsen sprechen. Als Beispiele des Vorkommens vereinzelter Exkretzellen mit ätherischen Ölen oder verwandtem Inhalte seien der Wurzelstock des Kalmus (Aco- rus calamus), des Friedlos (Lysimachia) , des Ingwers (Zingiber) und Holz und Rinde des Kampferbaumes (Laurus camphora) genannt. Zur besseren Veranschaulichung dieser Verhältnisse N. F. ni. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. J-^3 bringen wir einen Querschnitt aus dem VVur/.el- stocke unseres Kalmus zur Darstelhing (Fig. 6). Exkretbehälter und -gänge sind mehrzellige Organe. Die P^xkretbehälter sind gewöhn- lich rundliche, öl- oder harzerfüllte Hohlräume, deren Wandung von den sezernierenden Zellen gebildet werden, die sich fast immer deutlich von dem umgebenden Gewebe abheben und oft nahe der Epidermis liegen. Sie kommen besonders häufig in Blättern vor, wo sie durchsichtige Punkte erzeugen, z. B. beim „durchlöcherten" Johannis- kraut (Hypericum perforatumj. .'\uch in F'rüchten finden sie sich, sehr reichlich z. B. in der gelben Schale der Orange und Zitrone, aus der man ihren Inhalt bekanntlich durch Druck auspressen kann. Fig. 7 ist nach einem Querschnitt durch das Blatt von Hypericum perforatum , welcher eine Drüse durchschneidet, gezeichnet. Oben und unten sehen wir die einschichtige Epidermi.s, dazwischen das chlorophyllhaltige Blattgewebe mit der großen Drüse, welche beiderseits an die Epidermis an- stößt. Die Drüse selbst besteht aus einer ein- fachen Grenzschicht und den innen anliegenden Sekretionszellen, die einen großen Tropfen Öl ab- geschieden haben, welcher die Drüse durchschei- nend macht. Da dieselben sehr zahlreich im Blatte vorhanden sind, so erhält es bei durchfallendem Lichte den Anschein , als ob das Blatt durch- löchert sei. Die soeben behandelten Drüsenorgane weisen eine interessante Eigentümlichkeit auf, die von G. Haberlandt entdeckt worden ist. Sie be- sitzen nämlich besondere Entleerungseinrichtungen, die als Deckel bezeichnet wurden, und welche es bewirken, daß bei Krümmungen der Blattfläche oder irgend welchen Zerrungen oder Deforma- tionen der sie tragenden Flächen ein Ausspritzen des Exkretes erfolgt. Haberlandt hat seine Untersuchungen bei Rutaceen angestellt, zu denen als bekanntere \'er- treter die Raute, der Diptam und die Orangen gehören. Die Drüsen dieser Familie sind ganz ähnlich der in Fig. 7 abgebildeten, und wir können der Erklärung des Entleerungsapparates diese Zeich- nung zugrunde legen. Wie man sieht ist die Epidermiszcllengruppe, welche gerade über der Drüse liegt, etwas niedriger als die angrenzenden Hautzellen. Diese flacheren Zellen, welche auf der Oberseite des Blattes liegen, würden den Deckel der Drüse darstellen. An ihm findet sich nun die erwähnte Entleerungseinrichtung. Es sind näm- lich die senkrechten Querwände dieser Deckel- zellen von einem Stoffe imprägniert, welcher diese Wände untereinander weniger fest haften läßt, als es sonst zwischen Epidermiszellen der Fall ist, die ihrer Natur nach die Oberfläche der Pflanze zu schützen haben und demgemäß innig miteinander verbunden sind. Entsprechend aber der unten zu beschreibenden ökologischen Bedeutung der Drüsen ist es von Wichtigkeit, daß sich die Deckel mög- lichst leicht öftnen, um das F^xkret austreten zu lassen, und das wird durch die Einlagerung eines Pektin genannten Stoffes bewirkt. Außerdem aber zeigte Haberlandt, daß auch der Austritt des Drüseninhaltes noch durch eine besondere Eigenschaft der Drüsenwandzellen beschleunigt wird; denn diese Wandzellen ent- wickeln vermöge ihrer hohen Turgeszenz, d. h. vermöge der durch den Inhalt auf ihre Wände ausgeübten Spannung, einen hohen Druck, infolge- dessen beim Aufspringen der Deckelspalten bei Krümmung des Blattes der flüssige Inhalt der Drüse schnell ausgetrieben wird. Am Schlüsse dieses anatomischen Abschnittes haben wir noch kurz der Exkretgänge oder -kanäle zu gedenken, welche den Stamm der Johanniskräuter, der Umbelliferen, vieler Kompo- siten und als Harzgänge Holz, Rinde und Blätter der meisten Nadelhölzer durchziehen. Sie bilden in diesen Pflanzen häufig ein kompliziertes Kanal- Kig. 8. Partie eines Querschnittes durcli das Kiefcrnliolz nn einer Jahresgrenze. f Frühholz, s Spätholz, t Hoftüpicl, a eine sich nach aul3en verdoppelnde Tracheidenreihe, h Harzgang, m Markstrahlen. Vergr. 240. System, welches den .i^usfluß einer großen Menge von Öl oder Harz an einer verhältnismäßig kleinen Wunde veranlassen kann. Wir können uns leicht eine Vorstellung von dem Aussehen eines Exkretganges bilden, wcim wir uns einen der eben geschilderten Behälter ins Innere der Pflanze verlagert und anstatt rundlich sehr in die Länge gezogen denken. Wir erhalten dann einen mit Exkret erfüllten und mit sezer- nierenden Zellen ausgekleideten Kanal. Diese Kanäle können bei manchen Pflanzen eine be- deutende Länge erreichen. Bei unserer gewöhn- lichen Kiefer (Pinus silvestris) durchlaufen z. B. vier solcher Harzkanäle die Nadeln in ganzer Länge. Sie zeichnen sich hier noch durch einen Belag fester, dickwandiger Faserzellen aus, welche das Zusammendrücken der Gänge bei Biegungen der langen Nadeln erfolgreich verhindern. In 326 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 21 Fig. 8 ist ein Stückchen aus einem Querschnitte durch Kiefernholz abgebildet, in dem sich ein Marzgang befindet. IL Die ökologische Bedeutung der ätherischen Öle. D a s V c r h ä 1 1 n i s d e r ä t h e r i s c h e n l > 1 e zum Stoffwechsel. Nach einer kurzen Orientierung über die Chemie und Bildung der ätherischen Öle wollen wir jetzt ihre ökologische Bedeutung, d. h. ihren Wert für das Leben der Pflanze behandeln, nachdem wir zunäclist die Frage nach der physiologischen Rolle dieser Stoffe im pflanzlichen Stoffwechsel erörtert haben. Da die ätlierischen ()le einen hohen Kohlen- stoffgehalt aufweisen, also sehr reich an chemischer Energie sind, so liegt es nahe, in ihnen wichtige Nährstoffe zu vermuten, die in bestimmten Be- hältern, ähnlich wie die Stärke, für künftigen Ge- brauch als sog. Reservestofte gespeichert werden. Wir stehen hier vor einer sehr interessanten physiologischen Frage. In der Tat nämlich ist das Terpentinöl der Nadelhölzer die kohlenstoff- reichste Substanz der Bäume und zu ihrer Bildung werden grosse Massen vermutlich von Kohlen- hydraten (Stärke und Zucker) verbraucht und zwar in solcher Menge, daß auf einen Gewichtsteil des durch Oxydation aus dem Terpentinöl entstehen- den Harzes mehrere Gewichtsteile des Bildungs- materials kommen (Frank). Unter diesen Umständen muß es sehr merk- würdig erscheinen, daß die Physiologie in den ätherischen Ölen „Nebenprodukte" desStoft'wechsels erblickt, denen innerhalb des letzteren keine Be- deutung zukommt. Darüber sind sich alle Physio- logen einig: die Öle sind atrophische, nicht als Nährstoffe fungierende Verbindungen. Und doch werden sie in auffallend großen Mengen ge- bildet, ihre allzu energische Entfernung aus den Nadelbäumen bei der Harzgewinnung schädigt diese Pflanzen derartig, daß nian unbedingt an der so oft hervorgehobenen Ökonomie im Haus- halte der Organismen zweifeln müßte, wenn es nicht gelänge, die Bestimmung dieser wertvollen Produkte zu erkennen. Beweisend für die atrophische Natur der äthe- rischen ( )le ist vor allem die Tatsache, daß sie niemals, wenn sie einmal ausgeschieden und in den Behältern angesammelt sind, auch nicht bei Nahrungsmangel, resorbiert, in den Stoffwechsel wieder aufgenommen werden. Da in sehr vielen Fällen die Ölbehälter noch dazu von einer undurchlässigen Korkmembran umgeben sind, so wäre schon aus diesem Grunde ihr Verbrauch ausgeschlossen, während anderer- seits in der Verkorkung ein Hinweis darauf er- blickt werden muß, daß es auf eine Einbeziehung in den Stoffwechsel auch gar niclTt abgesehen ist. Wir werden später sehen, worin dieser Abschluß der Öle seine Erklärung findet. Ein anderer Beweis für die Bedeutungslosigkeit der Ole im Betriebstoffwechsel der Pflanze liegt, wie schon angedeutet, darin, daß sie selbst bei Nahrungsmangel nicht resorbiert werden, vielmehr findet man sie in Pflanzenteilen, die halb verwest sind, noch unberührt vor. Auch die Ausbildung der Drüsenorgane samt Inhalt in sehr frühen Stadien der mit ihnen versehenen Pflanzen zeigt an, daß ihre Bestimmung keine physiologische sein kann. Die älteren Pflanzenphysiologen , denen die ätherischen ( )le und andere sog. Nebenprodukte des Stoffwechsels wohl bekannt waren, hatten auf alle mögliche Weise versucht, die Regel der Stoft"- wechselökonomie auch an diesen Produkten durch- zuführen und waren dabei zu ganz merkwürdigen, erzwungenen Hypothesen gekommen. Es war ja auch mißlich, z. B. die reichlichen, zum größten Teile aus wertvollem Zucker bestehenden .Ausscheidungen der sog. Nektarien der Blüten und Blütenstände einfach als nutzlos anzusprechen. Solche Erschei- nungen legten eine physiologische Deutung doch sehr nahe. Als man jedoch auf diesem Wege in keiner Weise zu einem befriedigenden Ergebnisse ge- langen konnte, entschloß man sich, alle derartigen Bildungen als nutzlose Nebenprodukte des Stoff- wechsels beiseite zu schieben. Bei dieser erzwungenen Stellung verblieb man im allgemeinen, bis durch Darwin 's Begründung der Prinzipien der modernen Biologie die Mög- lichkeit gegeben wurde, auch diesen Tatsachen gerecht zu werden. Die ätherischen Öle und andere gleichbewertete Stoffe behielten zwar ihren Charakter als Nebenprodukte des Stoffwechsels, insofern sie eben mit letzterem als aufbauende, plastische Verbindungen nichts zu schaffen haben, ihre atrophische, aplastische Natur ist anerkannt; aber es eröffnete sich ein anderes Feld der Er- klärung, das Gebiet der Ökologie (Biologie im engeren Sinne), der Lehre von den Hills- und Schutzmitteln der Organismen im Existenzkampfe, im Kampfe gegen Feinde und L^ngunst der an- organischen Lebensbedingungen. Welche bedeutsame Rolle den ätherischen ( )len und Harzen in dieser Beziehung zukommt, wollen wir im folgenden kennen zu lernen versuchen. Die Bedeutung des Ko nifere n h a rzes. P^ür das Verständnis dieser Frage ist es von Wichtigkeit, auf die Eigenschaften und die Ver- teilung der Harzorgane noch etwas genauer, als es oben geschah, einzugehen. Das Harz bildet sich nur im Innern lebender Zellen und tritt in Form kleiner Tropfen in den weichzelligen Elementen (Parenchymgeweben) des Holzes, der Rinde und der Blätter auf So ent- steht es auch in den jungen Wandzellen der Harz- gänge und gelangt in deren Hohlraum, indem es die Membranen dieser sog. Epithelzellen durch- dringt. Der Harzeehalt verschiedener Koniferen ist ab- N. F. III. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. hängig- von der Zahl und Größe der den be- treft'enden Arten eigentümlichen Kanäle. Mayr stellte fest, dal-3 ein Kubikmeter Splintholz bei der Kiefer (Pinus silvestris) 22, bei der Lärche (Larix europaea) i8, bei der Fichte (Picea excelsa) 9 und bei der Tanne (Abies alba) etwa 3 Liter enthält. Bei der Harzgewinnung aus lebenden Bäumen können solche Massen natürlich niclnt in Frage kommen, da eine derartige Ausbeutung in kurzer Zeit zur Erscliöpfung führen würde. Ein starker Stamm, der für die Harznutzung in Europa er- giebigsten Konifere, der Schwarzkiefer (Pinus la- ricio), liefert z. B. im Jahre nur etwa 4 Liter, Fichten nur ungefähr den vierten Teil. In 4 - 5 Jahren würde ein Baum zugrunde gehen, wenn man ihm schonungslos das Harz abzapfte; dagegen kann man bei sachgemäßer Behandlung auf eine Nutzungszeit von 60— 80 Jahren rechnen. Jüngere Bäume vertragen die Harzentziehung schlecht, erst vom 20. — 25. Jahre an kann sie bei sorgfältiger Ausführung ohne Schaden begonnen werden. Wenn man sich bei diesen Angaben der Tat- sache erinnert, daß die Harze als Nähr- oder Speicherstoffe des Stoffwechsels in keiner Weise fungieren und zu ihrer Bildung eine, wie oben schon hervorgehoben, recht beträchtliche Menge wertvoller Produkte verwendet wird, so muß es einigermaßen befremden, daß die Entziehung solcher Ablagerungsstoft'e irgend einen Schaden hervorzurufen imstande ist. Es muß also diesen Produkten irgend eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommen, wenn die Entfernung derselben die Pflanze dermaßen zur Neubildung reizt, daß sie mehr Material dazu her- gibt als ihrem Allgemeinbestande zuträglich ist. Wir werden im folgenden sehen , daß zwei Leistungen diese Verhältnisse verständlich machen, W u n d V e r s c h 1 u ß und Schutz vor Tieren, oder mit anderen Worten, daß in der Ausbildung harzliefernder Drüsenorgane eine Anpassung der Pflanzen an gewisse für das Bestehen wichtige Faktoren der Umgebung zu erkennen ist. Wir beschäftigen uns zunächst mit der Funk- tion des Harzes als Wund verschl u ßm i 1 1 el. Für diese F"rage ist die Verteilung der Harzkanäle natürlich nicht ohne Interesse. Man kann erstens ein vertikales und ein hori- zontales Kanalsystem, zweitens ein äußeres und ein inneres unterscheiden. Vertikale Gänge ver- laufen sowohl in der Kinde wie im Holze und zwar in der Weise, daß die der Rinde mit denen des Holzes nicht in direkter Verbindung stehen, ebensowenig aber die des Holzes, wo sie jedem Jahresringe für sich angehören. Die Zahl solcher Kanäle ist recht bedeutend, nach Mayr wies der Querschnitt einer zehnjährigen Fichte 804 Vertikal- gänge auf, der einer ausgewachsenen in mittlerer Stammhöhe an 44000. Die Kanäle desselben Jahresringes sind öfter untereinander verbunden. Sie entsenden aber außer- dem das horizontale Kanalsystem, indem dort, wo einer von den ersteren einen Markstrahl durch- schneidet, sich ein Horizontalgang abzweigt, welcher, innerhalb des Markstrahles verlaufend, tlas Holz radial durchsetzt und in die Rinde austritt, ohne jedoch in Kommunikation mit dem Vertikalsystem der Rinde zu treten. In der Außenfläche des äußersten Jahresringes münden bei Fichte, Kiefer und Lärche auf einem Ouadratzentimeter mehr als 60 solcher Radialkanäle I Nebenbei sei bemerkt, daß im Holze unserer Tanne (Edel- oder Weißtanne, Abies alba), der kanadischen Tanne (Tsuga s. Abies canadensis), der Lebensbäume, des Wacholders und der auf Fried- höfen jetzt vielgepflanzten kalifornischen Cypresse (Chamaecyparis Lawsoniana) die Harzkanäle fehlen. Bei den beiden zuerst genannten Baumarten bildet sich .das Harz in den Parenthymzellen und in Markstrahlkanälen. Bei der Balsam- und Douglastanne (.Abies bal- samea und Pseudotsuga Douglasii, beide Nord- amerika), von denen die erstgenannte den ,, Kanada- balsam" liefert, kommen sog. Harzbeulen vor, die in der Rinde durch Erweiterung und Wucherung harzbildenden Gewebes entstehen. Die Verteilung der Harzmassen im ganzen Baume ist gewöhnlich eine derartige, daß das Wurzelholz den harzreichsten, der astlose Stamm oder Schaft den harzärmsten Teil vorstellt. Mit zunehmendem Alter steigt die im Holze gebildete Harzmenge, so daß die jüngsten Jahresringe das meiste Harz führen. An festem Harze dagegen ist der Kern reicher. Es wird außerdem ange- geben, daß die Südseite der Stämme mehr Harz enthalte als die entgegengesetzte, an Asten und Wurzeln soll die Oberseite mehr Harz produzieren ; letzteres gilt auch für die wärmeren Standorte gegenüber kalten. Jedermann weiß, daß, wenn man ein Nadel- holz verwundet, eine nicht unbeträchtliche Menge flüssigen Harzes ausfließt, welches die Wundfläche überzieht und allmählich erhärtet. Untersucht man eine solche Wunde genauer, so stellt sich heraus, dafi dieser Verschluß nicht nur auf der Oberfläche erfolgt, sondern daß das Harz auch sämtliche Zellumina und -Wandungen durchdringt und imprägniert, welche an die Wunde angrenzen. In älteren Stämmen findet man das Kernholz und die Basis der großen Aste häufig von Llarz infiltriert, selbst bei solchen Koniferen, die im Holze keine Kanäle besitzen. .Alle vorgebrachten Erscheinungen führen uns zu dem Schlüsse, daß wir in den Harzorganen der Koniferen eine Einrichtung zu erkennen haben, deren Wirkung eine ökologische, und zwar eine Schutzfunktion ist. Diese E'unktion äußert sich in zwei Richtungen ganz besonders, insofern nämlich infolge des Wund- verschlusses durch Harz die Infektion der verletzten Gewebe durch parasitäre Organismen verhindert wird und ferner dadurch, daß der Harzgehalt der Blätter und jungen Zweige pflanzenfressende Tiere abhält die Pflanzen allzu sehr zu schädigen. Die Ansicht, daß den Harzen eine hohe Be- 328 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 21 deutung für den Verschluß von Wunden zukomme, hat besonders Hugo de Vries^) schon vor längerer Zeit vertreten. Es sprechen dafür vor allem folgende Punkte. Zunächst die Beschaffenheit des Harzes selbst. In den Kanälen der Rinde, des jüngeren Holzes und der Nadeln befindet es sich, in flüssigem Zustande, als Terpentinöl resp. gelöst in diesem. Außerdem steht dieser flüssige Inhalt der Kanäle unter einem nicht unbedeutenden Drucke, der erzeugt wird von besonderen nicht oder wenig verholzten, das sezernierende Epithel der Gänge umscheidenden Zellelementen und welcher bewirkt, daß selbst bei kleinen Verletzungen eine zu vollständigem Schlüsse ausreichende Menge Harz ausgepreßt wird. Diesem letzteren Erfordernisse wird noch durch eine andere bereits besprochene Einrichtung des Kanalsystems genügt. Wie wir gesehen haben, stehen nämlich die Kanäle eines Jahresringes unter sich vielfach in Verbindung. z\ndererseits haben wir sowohl horizontale als vertikale Gänge, welche wiederum, wie oben gezeigt wurde, sich in einer bestimmten Beziehung zueinander befinden. Diese Eigenschaften setzen die Pflanze instand, selbst große Wundflächen hinreichend gut abzu- schließen, was nicht möglich wäre, wenn jedes- mal nur die in dem entsprechenden Bezirke be- findliche Harzmasse im Falle der Not herangezogen werden könnte. So aber kann dorthin, wo Ge- fahr droht, eine große Reserve geleitet werden. Die Gefahren nun, denen ein Baum ausgesetzt ist, dessen natürlicher Schutz, Korkschicht, Borke oder Rinde, verletzt worden ist, sind nicht un- erheblich. Tier- und Pflanzenreich liefern" die Feinde. Hirsch- und Rehwild beschädigt die Stämme, besonders der Fichten, durch Schälen und Fegen und erzeugt dadurch große Verwundungen, die unverschlossen vertrocknen, Infektion durch Pilze und Einwanderung von Insekten zur Folge haben. Vor allem sind die Pilze jene Feinde, welche diese Gelegenheit benutzen, um den Baum zu be- fallen. In bezug darauf ist es von Interesse, daß die Stümpfe ausbrechender Aste, resp. die von ihnen hinterlassenen Astlöcher durch Harzinfiltra- tion gegen Infektion geschützt werden, z. B. gegen den solche Stellen mit Vorliebe befallenden Tra- mctes pini, einen Löcherschwamm (Polyporacee), der deshalb nur frische Bruchflächen infiziert. Ferner ist wichtig, daß bei Verwundungen auch Neubildung von Harz beobachtet worden ist, was bei großen Wundflächen und beim Eindringen und Frai3 von Insekten Bedeutung hat, selbst Harz- kanäle bilden sich bei solcher Gelegenheit neu. Das geschieht z. B. nach dem Fräße des Fichten- rindenwicklers (Tortrix dorsana), wo alsdann nicht nur in dem Überwallungsgewebe, sondern sogar in dem älteren Holze der angrenzenden Partien neue Kanäle entstehen. Außerdem sollen die nach Verwundungen sich bildenden Jahresringe ganz allgemein mehr Kanäle enthalten, als für ge- wöhnlich in unverletztem Holze vorkommen (Ratze - bürg, de Vries). Dieselbe Erscheinung zeigt sich nach Ratzeburg an vom Wilde verbissenen Lärchen, an den durch Nonnenfraß beschädigten Zweigen von Fichten und an Kiefern, an denen die Forleule sich findet. Selbst bei der Tanne entstehen in solchen Fällen echte Harzkanäle im Holze. Diese Hinweise werden genügen, um die Be- deutung des Harzes für die Koniferen klarzulegen. Eingehenderes über die in Betracht kommenden Schädigungen findet man z. B. in Frank's Lehr- buch der Pflanzenkrankheiten. ^) Der italienische Botaniker D e 1 p i n o hebt die Schutzwirkung der Koniferenharze gegen größere Pflanzenfresser besonders hervor. Wer jene eigen- tümlich gewachsenen, niedrig strauchigen, fast wie künstlich geschnittenen Fichten kennt, die auf Alpenmatten oder in wildreichen Waldungen des Hügellandes zu finden sind und weiß, daß weidende Haustiere dort, hier Rot- und Rehwild den Schaden bewirken, der wird D e 1 p i n o ' s Meinung vielleicht für unhaltbar erklären, besonders wenn er sich jenes bekannten Beispieles aus Darwin 's „Ent- stehung der Arten" (Kap. 3) erinnert, wo auf einem gelegentlich abgesperrten Bezirke eines großen Weidelandes sich plötzlich junge Kiefern entwickelten, während sie ringsherum bisher zu fehlen schienen, obwohl sie in Wirklichkeit trotz eines beträchtlichen Alters (Darwin zählte bei einer 26 Jahresringe) vom weidenden Vieh so niedrig gehalten wurden, daß man sie nicht be- merkte. Aber solche Einwürfe kann man jeder Schutz- einrichtung gegenüber machen; denn nirgends gibt es einen absoluten, gegen jeden Feind zu allen Zeiten und unter allen Bedingungen zureichenden Schutz der Pflanzen gegen Tiere und umgekehrt. Sollten wir z. B. den Wimpern und Lidern des Auges ihren Wert absprechen, weil sie gelegent- lich das Eindringen von Fremdkörpern in das Auge nicht zu hindern vermögen.' Wenn dem Ziegenbock „eine Zigarre oder ein Stück Kau- tabak ein Leckerbissen ist", wie Lagerheim sagt, so folgt daraus nicht, daß er von diesem ,, Leckerbissen" sein Leben fristen könne, eben- sowenig wie der Umsatz des Tabaksmarktes und der anderer Reizmittel zu dem Schlüsse führen kann, daß man es mit wichtigen Nährmitteln zu tun habe. Wenn also Rinder und Ziegen ge- legentlich ein Bedürfnis nach scharfen Zutaten zur Speise haben, so dürfen wir deshalb noch nicht glauben, daß die genannten merkwürdigen Fichten und Kiefern diesen Tieren mehr als gewissermaßen Gewürzsträucher wären, es sind sozusagen die Pfeffernäpfchen ihres sonst nur mit Gras besetzten, reizlosen Tisches. ') H. de Vries, Über einige Nebenprodukte des pflanz- liclicn Stoffwechsels. Thiel's Landw. Jahrbücher X, 1881. ') Frank, Die Kranldiciten der Pflanzen. Breslau 187^, 2. Aufl. I— III. N. 1-'. III. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochensclirift. 329 Wäre es in VVirkUclikeit anders, so würde das Gras der Matten fröhlich sprielien, nirgends aber ein Nadelwald zu sehen sein. Und selbst, wenn das Gras die Hauptnahrung der Weidetiere bliebe, wir nähmen den genannten Pflanzen aber ihre Schutzstofife, so würden sie unvergleichlich mehr leiden, wie eben die Gräser beweisen, die ihrer- seits aber vor dem Untergange bewahrt sind durch eine außerordentlich ausgebildete Fähigkeit schneller und kräftiger Regeneration, worauf ihre Bedeutung für die Viehzucht gerade beruht. Nun könnte man einwenden, daß es aber doch zahlreiche Laubbäume gibt, denen jede Spur von ätherischen Ölen und Harzen fehle und die dennoch nicht untergegangen seien, sondern in großer Menge üppig gedeihen. Darauf wäre zu erwidern, daß diese Bäume der Schutzmittel keineswegs entbehren. Da diese Frage in ihrem ganzen Umfange nicht in unser Thema gehört, so genüge ein Beispiel. Auf einer thüringischen Weide, die an einem trockenen Bergeshange sich hinstreckte und welche ich im Interesse des Pflanzenschutzproblemes untersuchte, waren alle Gräser, Klee und andere F'utterpflanzen bis tief herunter abgefressen. Zwischen diesen geschorenen Arten aber fanden sich viele frisch- grüne Kirschpflänzchen, die von älteren Bäumen stammten, mit denen der Hang bepflanzt war. Sie standen ebenso unberührt da wie verschiedene Distelarten und andere stachlige Formen und wie der an ätherischem Öle reiche Quendel (Thymus serpyllum). Der Grund für diese Erscheinung ist der, daß die Blätter der Kirsche von einem bitteren Exkrete überzogen sind, welches von den Drüsen ihrer Zähne abgesondert wird. Als indirekter Beweis für das Vorhandensein ökologischer Wirkungen gilt das Vikariieren der Mittel. Ist z. B. irgend eine Pflanzengruppe mit einer für sie charakteristischen Schutzeinrich- tung ausgestattet, fehlt dieselbe aber einer oder wenigen Arten der Abteilung und ist bei diesen durch eine andere ersetzt, so darf man daraus auf die Notwendigkeit eines Schutzes überhaupt schließen. Einen solchen Fall liefert innerhalb der Nadelhölzer die Eibe (Taxus baccata). Vor den Laubhölzern zeichnen sich die Nadel- bäume aus durch langsames Wachstum, das einen vermehrten Schutz nötig macht , weil langsam wachsende Pflanzen, die sich außerdem schwer regenerieren, natürlich mehr gefährdet sind als schnellwüchsige. Auch sind die Laubhölzer in- folge ihres Blattwurfes vor den Schädigungen der Herbst- und Frühlingsstürme besser geschützt als die schwerbelaubten, immergrünen Koniferen. Diese Nachteile werden kompensiert durch den Harzgehalt, indem das Harz Wunden schließt, welche durch Tierfraß und Windbruch verursacht werden, und die Nadeln ungenießbar macht. Unter den Nadelhölzern fehlt nun allein der Eibe die Fähigkeit der Harzbildung. Besäße sie kein vikariierendes, diesen Mangel ausgleichendes Mittel, so dürfte man vielleicht einwenden, daß also auch die übrigen Nadelhölzer eines Schutzes nicht be- nötigen. In Wirklichkeit ist es bekanntlich anders, da die Eibe das Harz durch ein sehr giftiges Alkaloid ersetzt, daß sich in allen ihren Teilen mit Ausnahme der roten, süßen Samenmäntel („Beeren") findet. Vergiftungen von Kindern durch Eibennadeln sind nicht selten, die Tiere meiden die Pflanze. Die Ungiftigkeit der Samenhülle liefert wiederum einen Beweis für die Theorie der Samen- verbreitung durch Vögel, welche die Früchte ge- nießen, während der ebenfalls giftige Same un- verdaut den Körper verläßt. Die Eibe bildet einen jener wertvollen h'älle, welche uns einen Einblick gestatten in die feine und harmonische Abstimmung der Organismen gegeneinander. (Schluß fulgt.) Kleinere Mitteilungen. Wie grofs mufs die Ventilation eines von Menschen bewohnten Raumes sein? — Die P'rage läßt sich nicht mit wenig Worten allgemein gültig beantworten. Wir wissen genau, wie viel Sauerstoff ein Mensch in Ruhe und bei den ge- wöhnlichen Arbeitsleistungen braucht, wir wissen auch wie weit die Luft an Sauerstoff verarmen darf, ohne die Deckung dieses Bedarfs in Frage zu stellen. Damit ist aber das Luftbedürfnis keineswegs bestimmt. Die ausgeatmete Kohlen- säure wirkt bereits giftig, wenn auch nicht akut tötend, längst ehe die Verminderung des Sauer- stofifgehalts bedrohlich geworden ist. Das ist aber noch nicht alles. In einem Stadium der Luftver- schlechterung, in welchem die Kohlensäure an sich noch keine Schädigung bedingt, wirken die ihrer Natur nach niclit genauer bekannten Ab- dunstungen des men.schlichen Kör])crs, welche sich in jedem von Menschen erfüllten, schlecht ventilierten Räume ansammeln, bereits in unver- kennbarer Weise schädigend. — Endlich kommt der Wassergehalt der Luft, besonders bei arbeiten- den Menschen für die Beurteilung des Ventilations- bedürfnisses in Frage. — Sobald die Luft mit Wasserdampf gesättigt ist , wird die Verdunstung des Schweißes und damit die bei Arbeit unent- behrliche Abgabe der übermäßig produzierten Wäi'me unmöglich gemacht. Es tritt das Gefühl lähmender Schwüle auf und wenn dies^ mit Willensenergie überwunden wird, droht Über- hitzung des Körpers, die sich bis zum tödlichen Hitzschlag steigern kann. Dies dürfte zeigen, wie kompliziert die Beantwortung der aufgeworfenen F"rage ist, und daß man kein einheitliches Schema für Menschen bei verschiedener Tätigkeit, für die verschiedenen Jahreszeiten usw. aufstellen kann. Unsere Kenntnisse haben nun insofern einen wesentlichen L'ortschritt gemacht , als in jüngster 330 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 21 Zeit Wolpert (Arch. f. Hygiene Bd. 37) Ver- suche mitgeteilt hat, welche die Schädigung durch die Ausdünstungen des Menschen und durch die Produkte brennender Lampen auch objektiv demon- strieren. Er zeigte, daß die Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureausscheidung eines Menschen in einer derart verdorbenen Luft eine erhebliche .Ab- minderung erfahren. Da nun dieselben ein direktes Maß des Stoffumsatzes und damit der Kraftleistungen sind, ist erwiesen, daß diese durch die ,, verdorbene" Zimmerluft geschädigt werden. Die Außenluft enthält 0,3 Vol. Kohlensäure aufs Tausend, steigt dieser Gehalt aufs dreifache, so wird die Schädi- gung merkbar. Nun liefert ein ordentlich arbei- tender erwachsener Mann in der Stunde etwa 30 1 Kohlensäure; ein Kubikmeter frische Luft nimmt 0,9—0,3 ^ 0,6 1 Kohlensäure auf, indem der Gehalt auf die zulässige Grenze von 0,9 aufs Tausend steigt; es ist daher eine Ventilation von 50 Kubikmetern pro Stunde erforderlich 30 0,6 Eine solche Luftmenge würde auch bei ziemlich starkem Schwitzen noch zur Aufnahme des Wasser- dampfes ausreichen. Die Verdunstung eines bei Arbeit im Zimmer schwitzenden Mannes dürfte, weim die Zimmertemperatur 20'^' wäre, nicht leicht 150 g Wasserdampf pro Stunde übersteigen. Die Ventilationsluft hätte also höchstens 3 g Wasserdampf pro Kubikmeter aufzunehmen. Da gesättigte Luft aber bei 20 " C. 17 g Wasserdampf enthält, würde die angenommene Ventilationsgröße noch ausreichen, selbst wenn die Außenluft schon mit 70";'o Feuchtigkeit ins Zimmer gelangte. — Bei höheren Temperaturen nimmt die Schweiß- bildung zu , es steigt aber auch die Aufnahme- fähigkeit der Luft für Wasserdampf Erheblich größere Anforderungen müssen wir an die Ventilation in künstlich beleuchteten Räumen stellen. Eine Petroleumlampe von 5 Kerzen Helligkeit liefert noch etwas mehr Kohlen- säure als der arbeitende Mann und wenn auch die Luftverderbnis bei gleicher Kohlensäureproduk- tion durch die Lampe nicht ganz so groß sein dürfte als durch den Menschen, so ist doch auch die Schädlichkeit der mit Verbrennungsgasen ge- schwängerten Luft durch Wolpert objektiv nach- gewiesen worden. Daher müssen wir für die Zeit, in welcher bei Lampenlicht gearbeitet wird, an- nähernd die doppelte Ventilation verlangen, wäh- rend man für die nächtliche Ruhezeit, in welcher die Kohlensäureproduktion auf fast die Hälfte sinkt, mit etwa 30 Kubikmeter zufrieden sein kann. — Bei kürzerem Aufenthalte von Menschen in einem Räume, also etwa bei Vorträgen u. dgl. darf die Ventilation etwas unter der Norm bleiben, weil ja die Luft erst allmählich mit den schäd- lichen Substanzen aagereicliert wird. Wichtig ist auch , daß der Luftraum nicht zu klein sei, denn wenn die Luft eines Raumes mehr als dreimal in der Stunde erneuert wird, empfindet man die Ventilation schon unangenehm als Zug- luft. Man muß also für einen arbeitenden Men- schen 18 — 20 Kubikmeter Zimmerraum verlangen. Die Ventilation kleinerer Räume, welche den erwähnten Luftkubus bieten, erfolgt im Winter infolge der Temperaturdifferenz zwischen innen und außen und infolge der Druckwirkung des Windes in ausreichendem Maße durch die Porosität der Wände und Decken. Nur wenn diese Mauer- ventilation durch Nässe der Mauern oder durch undurchlässigen Ölanstrich stark beschränkt ist, wird sie unzureichend, ebenso bei größeren Arbeitsräumen, weil bei ihnen die Wand- flächen nicht in gleichem Maße wie der Inhalt und die Besetzung mit Menschen zunehmen. Hier wird künstliche Ventilation unentbehrlich, auf deren technische Ausführung an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann. Prof. N. Zuntz (Berlin). Das Gefrierenlassen lebender Fische. — .Amerikanische Blätter haben berichtet, daß man in Tacoma angefangen hat, Fische künstlich ein- frieren zu lassen , sie in diesem Zustande nach ostamerikanischen Märkten zu bringen und dort durch langsames Auftauen wieder ins Leben zurück- zurufen. J. Parkes Whitney hebt in einem amtlichen, im Auftrage der Regierung des Staates Oregon gelieferten Bericht hervor, daß es ihm gelungen sei, Fische steif gefrieren zu lassen und einer Kälte bis zu 12 Grad auszusetzen, ohne daß sie zugrunde gegangen wären. PIr betont aber ausdrücklicli, daß Sonnenschein für den gefrorenen Plsch tödlich wirke. Zu diesen amerikanischen Mitteilungen macht W. Riegler in der ersten Nummer der neugegründeten „Österreichischen Plscherei Zeitung", dem Blatt des „Österreichisclien Fischerei- Vereins", folgende bestätigende .Angaben aus eigener Erfahrung. Es sind mir, schreibt er, in meiner Knabenzeit so häufig Goldfische in Bottichen und anderen Behältern eingefroren, daß ich eine ganze Reihe unfreiwilliger Versuche zu machen Gelegenheit hatte. In manchen Fällen waren die lösche, auch wenn sie nur eine Nacht im Kerneis eingefroren waren, nicht ins Lelicn zurückzurufen. Oft aber habe ich darüber gestaunt, daß sie wochenlang festgefroren im Eisblock staken und bei langsamem Auftauen wieder zu Leben kamen. .Auffallend dabei war es, daß viele der „Geretteten", ich glaube die meisten, dauernde Rückgratverkrümmungen davontrugen. Alle P'ische, die ich durch rasches Auftauen oder gewaltsame, wenn auch noch so vorsichtige Zertrünunerung des Eises retten zu können meinte, erwachten nicht wieder oder gingen zugrunde, selbst wenn sie Zeichen von Leben gezeigt hatten. Durch diese Tatsache angeregt, habe ich später so n.anche Ellritze mit Schnee umballt und in dieser Packung bei Winterkälte liegen lassen. Ich habe darüber staunen müssen, daß diese zarten Pischchen die Schneeeinpackung oft mehrere Tage ohne allen Schaden an ihrer Gesundheit vertrugen und ins Wasser gebracht, zuweilen so davonschwammen, N. F. III. Nr. 2 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 331 als ob sie es auch nicht eine Minute entbehrt hätten. Die Schneeumhüllung, die reichlich Luft durchläßt, scheint dem Fische bedeutend weniger gefährlich zu sein als das starre Eis, das sich, ihn luftdicht einschließend, um seinen Körper legt. Sollten darum zeitgemäße Versuche über das Gefrierenlassen lebender Fische zum Zwecke ihres Lebend\ersandes gemacht werden, so wäre es mein Wunsch , daß der Schnee als Einbettungs- mittel beim Gefrierenlasseii und Umhüllungs- mittel beim Verfrachten ganz besonders erprobt werde. Die Sache ist nicht ohne praktische Be- deutung, sie könnte möglicherweise ein neues und zweckmäßiges Verfahren des Lebendverschickens der Fische schaffen. Was ein solches für die Leichtigkeit des Versandes für den Fischverbrauch bedeuten würde, braucht nicht erst gesagt zu werden. Heute, wo sich schon überall Eisfabriken befinden, die Schnee gerade so gut wie Blockeis erzeugen können, ist diese F"rage einer ernsteren Prüfung wert.^) ') Obiges aus der ,, Fischerei-Zeitung" (Xcudamm) vom 24. Oktober 1903. Die Höhe des Vogelfluges. — Bisher galt, entsprechend den dahingehenden Angaben , die Annahme, daß der Wanderzug der Vögel in ganz beträchtlichen Höhen (5000 m und darüber) statt- finde. F.ine positive Grundlage für diese Zahlen- angabe hat wohl zuerst kein Geringerer als A 1 e x. von Humboldt gegeben, der in den Anden durch Beoliachtung und Berechnung die Höhe erschloß, in der der Kondor, „der Riese unter den Geiern", schwebte. Kr erzählt darüber in den ,, An- sichten der Natur" (Ausgabe Meyer's Volksb. Nr. 834 — 39 p. 239): „Die Region, welche man als den gewöhnlichen Aufenthalt des Kondor betrachten kann, fängt in der Höhe des Ätna an. Sie be- greift Luftschichten, die zwischen 3240 — 5850 m über dem Meeresspiegel erhaben sind. . . . Unter den Kondoren maßen die größten Individuen, welche man in der Andenkette von Quito findet, mit ausgespannten Flügeln 4,5 m , die kleineren 2,G m. Aus dieser Größe und der des Winkels, unter welchem der \'ogel oft senkrecht über unserem Kopfe erschien, kann man auf die un- geheure Höhe schließen, zu der sich der Kondor bei heiterem Himmel erhebt. Ein Sehwinkel von 4 Min. z. B. gibt schon die senkrechte Entfernung von 2230 m. . . . Demnach war die absolute Höhe, die der Kondor erreichte, 7092 m (gemessen in einer Höhe von 4859 m), eine Höhe, in welcher das Barometer kaum noch 0,32 m hoch steht. . . ." — Nach Gätke's Beobachtungen auf Helgoland sollen die Brachvögel, die relativ niedrig fliegen, auf ihren Wanderungen meist in Höhen von 3000 bis 5000 m ziehen, während er für andere Zug- vögel weit bedeutendere Höhen als sehr wahr- scheinlich angibt. In den neunziger Jahren des vorigen Jahr- hunderts haben eingehende Arbeiten über die Anatomie und Ph}-siologie der Atmungsorgane der Vögel dargetan , wie durch den Bau der Re- spirationsorgane (Lungen und Luftsäcke), sowie durch einen eigenartigen Mechanismus bei dem Atmungsprozesse im Fluge, der Vogel befähigt wird, in so hohen Regionen, wo die Luft ganz beträchtlich dünner ist, zu atmen. Ja noch mehr : es wurde gezeigt, wie der Vogel in Anbetracht der gewaltigen Muskelarbeit beim Fliegen und dem dadurch ungemein gesteigerten Sauerstofl'- bedürfnis doch durchaus befähigt ist, beim Fluge in so luftdünnen Regionen mit Leichtigkeit und auch genügend atmen zu können (Max Baer in Zeitschr. f wissensch. Zool. 1896). Die Stellung der Nasenlöcher sowie die Schnelligkeit des Fluges ermöglichen es, daß die Luft ganz ohne Zutun des Vogels in die Luftröhre eintritt, teils die Lunge durchstreicht, teils die Luftsäcke füllt. Letztere dienen nicht etwa als Luftreservoire, son- dern besorgen den Wechsel der Atemluft, da bei der Flügelbewegung die den Flügeln zunächst liegenden Luftsäcke abwechselnd erweitert und verengt werden und so eine Luftzirkulation in den Luftsäcken , die alle miteinander in Verbindung stehen , erzeugen , während den Lungen nur der chemische Teil des Atmungsprozesses, der Gas- austausch, obliegt. So scheint also nach dem bisherigen Stande unserer Kenntnisse die Frage nach der Möglich- keit des Vogelfluges in so gewaltigen Höhen, wie sie durch die bisherigen Beobachter angegeben waren, völlig klar und einleuchtend dargelegt zu sein; doch wurde in neuester Zeit auf Grund aeronautischer Beobachtungen diese Frage gegen- teilig beantwortet: Auf dem V. internationalen Zoologenkongresse zu Berlin 1901 teilte v. Lu- canus mit, daß bei den Fahrten der Luftschifi'er Vögel selten in Höhen von mehr als 400 m über dem Boden angetroffen worden seien. Die weitere Mitteilung, daf3 Brieftauben, die in 1600 m Höhe ausgesetzt wurden, gar nicht zu fliegen vermochten, sondern einfach herabfielen, machten es dann über- haupt unwahrscheinlich , daß Vögel in solchen Höhen fliegen können. Es erscheint mir aber doch recht fraglich, ob auf Grund dieser bisher noch wenig zahlreichen Beobachtungen und Abflugversuche , die Frage nach der Möglichkeit des Vogelfluges in den oben angegebenen Höhen verneint werden muß. Erst- lich ist es gar nicht erstaunlich, daß so wenig Vögel in Höhen von über 400 m angetroffen werden : ihr Nahrungsgebiet ist doch am Erdboden und deshalb haben sie wohl nur in Ausnahmefällen — abgesehen von Raubvögeln — Veranlassung, sich in größere Höhen aufzuschwingen. Lind auch in den wenigen Tagen des Wanderzuges wird es sich selten treffen, daß Luftschiffer gerade in den Höhen kreuzen, die die einzelnen Vögel, die noch dazu oft die Nacht zu den Zügen benützen, bev-or- zugen, bezw. auch durch gerade wehende Winde gezwungen sind einzunehmen. Weiterhin kann auch nicht ohne weiteres das Herunterfallen von 332 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 21 Brieftauben aus Höhen von 1600 m jene Möglich- keit verneinen ; denn gewöhnlich steigt doch der Vogel allmählich aus dichteren Schichten in luftdünnere empor. Dort kann er dann einesteils wegen des verminderten Luftwiderstandes schneller fliegen, und muß andererseits schneller fliegen, um seinem gewaltigen Atembedürfnis, gemäß des Mechanismus der Atmung im Fluge (cf. oben!), genügen zu können. Ein Vogel dagegen, der passiv im Korbe emporgeführt wird, muß sich doch anders verhalten, da der Vogel in der Ruhe genau so atmet wie jedes Säugetier, d. h. selbst dabei tätig ist. Er ist noch wenig an so dünne Luft gewöhnt, seine Luftsäcke sind vielleicht auch noch nicht so prall gefüllt, wie es beim schnellen Fluge geschieht, kurz, es ist ein ganz anderer Fall, als wenn er in diese Höhen aufgeflogen wäre, und es erscheint dann auch nicht sonderbar, daß ein solcher Vogel, plötzlich ausgesetzt, zunächst ein ganz beträchtliches Stück fällt, ja, ich meine: fallen muf5. — Wie wichtig der Mechanismus der Atmung während des Fluges für den Vogel ist, davon kann sich jeder überzeugen , der einmal einen Vogel im Zimmer jagt: W^ohl fliegt derselbe anfangs lebhaft von einer Seite nach der andern, ermattet aber sehr bald und fällt schließlich ganz erschöpft und krampfhaft atmend an der Wand herunter. Bei der Kürze des Fluges füllen sich seine Luftsäcke nicht passiv mit Luft , er muß selbst atmen, und es ergeht ihm dann wie jedem Menschen, der längere Zeit schnell gelaufen ist; er wird matt, muß ruhen und Atem schöpfen. Ich meine daher, daß diese bisher noch wenigen Beobachtungen uns noch nicht zwingen können, gleich die bisherige alte Auffassung der Höhe des Vogelfluges über Bord zu werfen ; denn die An- nahme bedeutender Höhen für den Wanderzug der Vögel läßt ja tatsächlich Vorteile für den Vogel annehmen, z. B. schon Unabhängigkeit von der Windrichtung. Nichtsdestoweniger ist die mitgeteilte Beobach- tung der Luftschiffer nach mehr als einer Seite hin interessant und hat s. Zt. berechtigtes Auf- sehen erregt. Die Wichtigkeit der Frage wurde auch auf dem Zoologenkongresse selbst sofort anerkannt und daraufhin beschlossen, sämtliche Staaten aufzufordern „zur Erforschuug der Höhe des Vogel- und Insektenfluges ihren LuftschifFer- Abteilungen Beobachtungen der durchziehenden Vögel und Insekten in verschiedener Höhe anzu- empfehlen und anläßlich der Ballonfahrten Abflug- versuche anzustellen." Bis jetzt aber ist mir noch keine dahingehende Notiz wieder zu Gesicht ge- kommen. Zum Schlüsse will ich aber noch ausdrücklich bemerken, daß vorstehende Ausführungen nicht dahin sollen gedeutet werden, daß ich unbedingt bei der alten Anschauung stehen bleiben wolle. Dieses ist nicht der Fall; denn Angaben, denen gemäß der Wanderzug mancher Vögel in Höhen von 10 000 m oder gar noch darüber stattfinde, können wohl Zweifel an ihrer Richtigkeit heraus- fordern. Doch darf man auf Grund nicht ganz einwandfreier Versuche nicht gleich in das andere Extrem verfallen und die Höhen zu niedrig an- nehmen wollen. Hoffentlich bringen erneute Ver- suche und Beobachtungen bald mehr Klarheit in diese interessante Frage. Dr. Rabes-Zerbst. n - Strahlung lebender Organe. — In den Dezember- und Januar- Nummern der ,,Comptes rendus" machen Charpentier und E. Meyer bekannt, daß sie mit Hilfe der phosphoreszieren- den Schichten entdeckt haben, daß der mensch- liche, tierische und pflanzliche Körper im normalen Lebenszustande Strahlen aussende, die den von Blondlot entdeckten n - Strahlen jedenfalls nahe verwandt sind. In der Nähe der lebenden Organe leuchtet ein dünne Schicht phosphoreszierenden Schwefelkalziums stärker und gibt so das Vor- handensein jener Strahlung zu erkennen. Im menschlichen und tierischen Körper sind es namentlich die Muskeln und Nerven, welche, be- sonders im Zustande der Erregung, deutlich strahlen. Da die Versuche auch mit dem Frosch gut ge- lingen , selbst wenn die phosphoreszierende Sub- stanz eine höhere Temperatur hat als das Tier, hält Charpentier es für ausgeschlossen , daß es sich hier nur um eine Wirkung von Wärmestrahlen handeln könnte. Besonders intensiv wird die von den Nerven ausgehende Strahlung bei einer Kom- pression derselben. Das Zentralorgan erwies sich als die stärkste Quelle dieser physiologischen Strahlen. Ch. glaubt sogar, daß auch der nicht ausgesprochene Gedanke sich nach außen durch die vermehrte Strahlung des Gehirns zu erkennen gibt, so daß von dieser Seite her bis zu einem gewissen Grade eine Art von „Gedankenlesen" sich entwickeln könnte. Diese von nervösen Ele- menten ausgehenden Strahlen sind übrigens von den n-Strahlen dadurch unterschieden, daß sie vom reinen Wasser und Blei nicht völlig absor- biert werden, wohl aber von einem Aluminium- blech von 0,5 mm Dicke. Dagegen gehen die von den Muskeln , namentlich dem Herzen aus- gesandten Strahlen ungehindert durch das Alu- miniumblech hindurch und verhalten sich wie n-Strahlen. Die Muskelstrahlung wird im Gegen- satz zur Nervenstrahlung durch Kompression des Muskels nur wenig verstärkt. E. Me_\'er konstatierte die gleiche Strahlung bei Pflanzen, und zwar vorzugsweise in der Nähe der Blätter und Wurzeln. Die Pflanzenstrahlung wird durch Druck erheblich gesteigert, durchdringt das Aluminium und wird vom Blei zurückgehaltn. kbr. Wetter-Monatsübersicht. Am Anfang und gegen Ende des vergangenen Januar herrschte in ganz Deutschland trockenes, teilweise heiteres Frostwetter, wogegen um Mitte des Monats das Wetter sehr mild , aber windig und reich an Niederschlägen war. Die tiefsten Temperaturen kamen in Norddeutschland, wie die hei- stehende Zeichnung ersehen läßt, um den 6. Januar vor, an N. F. III. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. dem Neufahrwasser —12 Grad C. hatte. In der Provinz Ost- preußen brachte es Königsberg auf 14, Marggrabowa auf 19, Gumbinnen sogar auf 20 Grad C. Kälte. Dann fand über- Tcmpera/uryWiBJtiia einiger Ot'U Jtn3ati«ar }20^. Berliner Wetterburiau. all eine ziemlich rasche Erwärmung statt, die in Süddcutsch- land schon etwas früher begonnen hatte und sich fast bis zur Mitte des Januar fortsetzte, .«^m 13. und 14. wurden mittags in einem großen Teil des westdeutschen Binnenlandes 10 Grad C. überschritten, in der Nacht zum 14. ging dort das Thermo- meter an den meisten Orten nicht unter 5 Grad C. herab. Die zweite Frostzeit, die etwa am 18. ihren Anfang nahm, verlief im Norden etwas gelinder, im Süden zum Teil noch strenger als die zu Beginn des Jahres. Doch trat noch vor Schluß des Januar allgemein wieder Tauwetter ein. Im ganzen Monat war es durchschnittlich in Norddeutschland ein wenig zu warm, in Süddeutschland zu kalt. Bedeutend war der Mangel an Sonnenschein, den der Januar, ebenso wie die beiden ihm vorangegangenen Monate aufwies. Beispielsweise hat zu Berlin im letzten Januar nur an 26 Stunden die Sonne geschienen, gegen 42 Stunden im Durchschnitt der früheren Januarmonate. Wie das Jahr 1903 in Deutschland geendigt hatte, so ging auch die erste Woche des neuen Jahres, der nebenstehen- 15 i 2 äzrsij'^ a ossI^öTje n '1 -^ s ° s = C S i a. aJ3:x^3:£5 S:£xUcDofl SxLru.ai< im 3anuar 190'^. Milerer Wert für Deutschland. Monaksumme im Jan. I90ii 03, 02, 01. 00, WS, mtn 20. bis31. Januar — mji 1 1 1 1 1 IM LM •** B(rlirerWeft*rburcau. den Zeichnung zufolge, fast ohne alle Niederschläge vorüber. Erst in der Nacht zum 8. Januar traten an der Nordseeküstc Schneefälle ein , die sich , mit Regen abwechselnd, allmählich über das ganze Land verbreiteten. Vom 13. bis 15. Januar wurden die deutsche Küste und das westliche Binnenland von heftigen \A^eststürmen durch- zogen, die von schweren Regenfällen, vielfachen Gewittern und Hagelschauern begleitet waren. Die Niederschlage setzten sich bis zum 19. in Schneefällen fort und brachten dem größten Teile des Landes mit Ausnahme des Ostsee- gebietes endlich die schützende Schneedecke , die die Saaten während des Frostwetters zu Beginn des Jahres hatten entbehren müssen. Im letzten Drittel des Monats traten meist vereinzelte und erst in seinen allerletzten Tagen wieder zalilreichere und etwas ergiebigere Niederschläge auf. Ihr gesamter Betrag im Monat, der sich für den Durchschnitt der berichtenden Stationen auf 31.7 Millimeter belicf, war um 14 Millimeter kleiner, als ihn die gleichen Stationen seit Be- ginn des vorigen Jahrzehntes im Januar durchschnittlich er- geben haben. In der allgemeinen Anordnung des Luftdruckes gingen die .\nderungen von einem Tage zum andern gewöhnlich nur langsam vor sich. Ein barometrisches Ma.ximum, das am Schlüsse des vergangenen Jahres auf der skandinavischen Halbinsel gelegen hatte, begab sich mit kalten östlichen Win- den über Ostdeutschland allmählich nach Westrußland hin und dehnte dabei sein Gebiet über den größten Teil des euro- päischen Festlandes aus. Erst am 8. Januar vermochte eine umfangreiche ozeanische Depression mit ihrem südlichen Teile hier einzudringen , worauf sich die Winde nach Südwesten drehten und verschiedene neue Minima bald nachfolgen konnten. Das tiefste unter ihnen, das am 13. Januar bei Irland erschien, brachte den britischen Inseln, Frankreich und Deutschland schwere Stürme, zerfiel aber, nordostwärts fortschreitend, in mehrere Tcildepressionen, die allmählich tlacher und flacher wurden. Bald nach Mitte des Monats rückte vom biskayischen Meere ein neues Barometerma.ximum ostwärts vor und bedeckte vom 20. bis 25. Januar ganz West- und .Mitteleuropa. Hier stellte sich daher "ruhiges, trockenes, ziemlich kaltes Wetter ein, während auf der skandinavischen Halbinsel, später auch in Nordrußland, beim Vorübergange tiefer Depressionen, oftmals stürmische, aber für die Jahreszeit recht warme Westwinde herrschten. Als sich dann am 26. wieder ein Minimum vom atlantischen Ozean den britischen Inseln näherte , wurde das Hochdruckgebiet mehr nach Osten verschoben. In Mittel- europa fand dabei zunächst eine Drehung der Winde nach Südosten mit .Aufheiterung des Himiriels und Zunahme des Frostes statt, während gegen Ende des Monats eine mildere, feuchte Südwestströmung eintrat. Dr. E. Less. Ostsee. Bücherbesprechungen. Publikationen der Deutschen Seewarte : Vierteljahrskarte für die Nordsee und I. Jahrgang. Winter 1903/04. Monatskarte für den nordatlantischen Ozean. III. Jahrgang. 1904. Zu beziehen durch Eckardt & Meßtorff in Ham- burg. — Preis pro Blatt 75 Pf. Diese in großem Formate (80X50 cm und 84X 58 cm) ausgegebenen Karten sind zwar zunächst nur für den praktischen Seemann bestimmt, dem sie an Bord eine Anzahl für ihn wissenswerter Mhteilungen in möglichst übersichtlicher Form darbieten sollen, indessen wird die große Fülle von geophysikalischen, klimatolügischen und nautischen Angaben, die hier kartographisch niedergelegt sind, sicherlich auch eine ausgedehnte Verwendung derselben als Lehrmittel zur Folge haben, zumal der Preis ein außerordentlich 334 Naturwisseiiscliaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 21 niedriger ist. Um eine Vorstellung von dem reichen, didaktisch verwertharen Inhalte der Karten zu geben, greifen wir nur das Folgende heraus : Die Monatskarte für den nordadantischen Ozean zeigt uns den Verlauf der Isogonen , die Dampfer- und Seglerwege nebst Entfernungsangaben, die Passat- grenzen und Gebiete des Passatstaubfalles, die Lage der tropischen Regenzone, die Gebiete größter Nebelhäufigkeit und die Grenze des Treibeises, Strömungspfeile, Windrosetten mit Angabe der prozentischen Häufigkeit und Stärke der verschie- denen Winde, Sturmbahnen und Sturmwarnungs- signale. Ein Nebenkärtchen bringt das Mittelländische Meer zur Darstellung und die Rückseite ist; zur Be- kanntmachung meteorologischer Dekadenberichte und anderer Mitteilungen in Kartenform ausgenutzt. Die Vierteljahrskarte für die Nordsee und Ostsee, von welcher erst die erste Nummer zur Ausgabe ge- langte, enthält für diese Meeresteile in größerem Ma(3stabe zum Teil dieselben Angaben wie die Monatskarte, außerdem jedoch Tiefenlinien, Isorhachien, und die Orte der Sturmwarnungssignale. Nebenkärt- chen belehren über die mittleren Luftdruck-, Tempe- ratur- und Nebelverhältnisse. Außerordentlich lehr- reich ist die auf der Rückseite in 12 Einzel- kärtchen für jede Stunde gegebene Darstellung des Gezeitenphänomens in der irischen See, dem Kanal und der Nordsee. — Die meteorologischen Angaben haben bei dieser Karte besondere Schwierigkeiten bereitet, da in den heimischen Gewässern bis jetzt in der Regel keine regelmäßigen Schiftsjournale ge- führt wurden, so daß dieselben in meteorologischer Hinsicht vergleichsweise am wenigsten bekannt sind. F. Kbr. Sammlung Göschen. 1 ) Möbius, Astronomie. 10. Aufl. Neubearb. v. Prof W. F. Wislicenus. Mit 36 Abb. u. Sternkarte. 170 S. 1903. 2) Hauber, Statik. I. Die Grundlehren der Statik starrer Körper. Mit 82 Fig. 148 S. 1903. — Preis pro Bändchen 80 Pf i) Nachdem erst die 9. Auflage durch den jetzigen Herausgeber eine durchgreifende Neubearbeitung er- fahren hatte, konnte sich derselbe bei der vorliegen- den Ausgabe auf die Nachtragung der inzwischen er- folgten Entdeckungen und auf eine Revision der Zahlenwerte beschränken. Das Büchlein stellt eine treuliche, erste Einführung in das astronomische Wissen dar. Vielleicht könnte die beigegebene, kleine Sternkarte in Zukunft durch deutüchere Hervorhebung der helleren Sterne und schwächere Markierung der Sternbildgrenzen und Gradeinteilung etwas brauch- barer gemacht werden. 2) War die vorige eine populäre Schrift, so ist die Hauber'sche Statik wohl mehr als ein Taschen- buch für den Hochschulstudenten gedacht, dem sie sicherlich als ein nützliches Repetitorium dienen kann. Neben den analytischen Methoden werden besonders die graphischen Verfahren (Kräftepolygon und Seilpolygon) erläutert. Ein umfangreiches Ka])itel ist der Lehre vom Schwerpunkt gewidmet. Zalil- reiche durchgerechnete Beispiele werden die Anwen- dung der theoretischen Lehren wesentlich erleichtern. F. Kbr. E. Sorel, Ancien Ingenieur des Manifactures de l'Etat : La Grande Industrie c h i m i q u e m i n e r a 1 e. Potasse — Soude — Chlore — Jode — Brome. Paris. C. Naud Editeur. 1904. Dem ersten, im Jahre 1902 erschienenen (in der „Naturwiss. Wochenschr." des vorigen Jahrgangs pag. 263 besprochenen) Bande der „la grande Industrie chimique minerale" ist jetzt ein zweiter gefolgt. Der- selbe stellt ein in sich geschlossenes Ganzes dar, und behandelt in eingehender Weise die technische Chemie der Soda , Pottasche , des Chlors , Broms und Jods. Der Industrie der drei Halogene sind nur wenige Kapitel gewidmet, während der übrige Stoff eine reiche Quelle der Belehrung bietet. Der 671 Seiten füllende Text zerfällt in 21 Kapitel, von denen jedes in verschiedene Abschnitte zerfällt. Der Verfasser behandelt zunächst im i. Kapitel die Salinenindustrie, und bespricht in Unterabteilungen das Seesalz, dessen spezifisches Gewicht und seine Siedetemperatur, die spezifische Wärme der Lösungen, den natürlichen Zustand des Seesalzes; er erinnert an die Salzteiche im Westen Frankreichs, und an die Salinen im Süden ; erwähnt auch den Salzauszug im Süden \'on Rußland und gedenkt der Salzsteppen. Darauf widmet er dem Steinsalz einige -Abschnitte, bespricht die Steinsalz- lager von Cordova, Transylvanien, Staßfurt, Lothringen, und schildert die Gewinnung des Salzes aus Salzton, die Ausbeutung der Salzbänke durch Lösung, gedenkt des Salzvorkommens in Salzquellen und gibt ein kurzes Bild von der Konzentration und weiteren Be- liandlung der Lösungen bis zur Kristallisation des Kochsalzes. Im 2. Kapitel findet die Industrie der Staßfurter Abraumsalze weitgehende Berücksichtigung. Ein weiteres Kapitel behandelt ferner die Darstellung der Pottasche aus Pflanzen und aus Fett. Schließlich werden noch in einzelnen Kapiteln besprochen ; die Jod- und Broraindustrie, die Industrie des schwefel- sauren Kalis nach ■ verschiedenen Methoden , der Schwefelsäure und ihrer Salze, die Salzsäure und ihre Darstellung in der Technik, die Industrie der Soda nach dem Leblanc- und dem Ammoniak-Soda-Prozeß und endlich die Technik der Chlorbereitung , sowie der Verbindungen des Chlors, des Chlorkalium, Chlor- kalk, Hypochlorit und Chlorat. Das Werk zeigt von einer gründlichen Kenntnis der Fabrikationsmethoden und der Einzelheiten im Betriebe und, wenn auch der Inhalt des Werkes nicht gänzlich dem Titel entspricht, und die Übersichtlich- keit wegen der Fülle des Stofts zuweilen etwas leidet, so kann man auch von dem vorliegenden Bande sagen, daß es als Handbuch für den industriellen Chemiker hervorragend geeignet ist. R, Loebe. Literatur. Bartsch, Dr. llugü: rii.s der .\rzt kommt. Gruiidzüge der naturgcmäüen (iesuudhcilspflegc, Krankenpflege u. Kranken- behandig. Zum Gebrauche in Haus u. Familie gemeinvcr- N. F. m. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 335 ständlich dargestellt. (X, 301 S. m. 19 Abbildgn.) gr. S". Heidelberg '04, O. Petters. — 3 Mk. ; geb. in Lcinw. 4 Mk. Bilderzeugung, die, in optischen Instrumenten vom Stand- punkte der geometrischen Optik. Bearb. von den wisscn- schaftl. Mitarbeitern an der opt. Werkstätte v. Carl Zeifi !'. Culmann, .S. Czapski, .\. König, F. Löwe, M. v. Rohr, H. Siedentopf, E. Wandersieb. Hrsg. von M. v. Rohr. Mit 133 .'Xbbildungen im Text. (XXII, 587 S.) Berlin '04, J. Springer. — 18 Mk. Dölp, weil. Prof. Dr. H. : Aufgaben zur Diftercntial- u. Inte- gralrechnung nebst den Resultaten u. den zur Lösung nötigen theoretischen Erläuterungen, neu bearb. v. Prof. Dr. Eug. Netto. 10. Auflage. (Ul, 216 S.) gr. 8". Gießen '03, J. Ricker. — Geb. in Leinw. 4 Mk. Dölp, weil. Prof. Dr. H. : Die Determinanten, nebst .Anwendung auf die Lösung algebraischer und analytisch-geometrischer Aufgaben. Elementar behandelt. 6. .»Vull. (IV, 95 S.) gr. 8". Darmstadt '03, E. Rocther. — 2 Mk. Ergebnisse, wissenschaftliche, der deutschen Tiefsee-Expedition auf dem Dampfer „Valdivia" 1898—1899. Hrsg. v. Prof. Carl Chun. III. Bd. 7. Lfg. Imp. 4". Jena, Gustav Fischer. Fauna arctica. Eine Zusammenstellg. der arkt. Tierformen, m besond. Beriicksicht. des Spitzbergen-Gebietes, auf Grund der Ergebnisse der deutschen Expedition in das nördl. Eis- meer im J. 1898. Hrsg. v. DD. Fritz Römer und Fritz Schaudinn.' III. Bd. 2. Lfg. (S. 91—412 m. 52 Fig., 11 Taf. u. 1 1 Bl. Erklärgn.) Imp. 4". Jena '03, G. Fischer. — 40 Mk. Jost, Prof. Dr. Ludw. : Vorlesungen üb. Pflanzenphysiologie. (XIII, 695 S. m. 172 Abbildungen.) gr. 8". Jena '04, G. Fischer. — 13 Mk. ; geb. 15 Mk. Kleiber, Reallehr. Joh., u. Oberlehr. Dr. B. Karsten: Lehr- buch der Physik. Zum besond. Gebrauche f. techn. Lehr- anstalten sowie zum Selbststudium. Mit zahlreichen Fig., durchgerechneten Musterbeispielen u. Übungsaufgaben samt Lösungen. 2. Aufl. (VIII, 360 S.) gr. 8". .München '03, R. Oldenbourg. — Geb. in Leinw. 4 Mk. Oppenheim, Paul : Zur Kenntnis alttertiärer Faunen in .\gypten. I. Lfg.: Der Bivalven I. Tl. (Monomyaria, Heteromyaria, Homomyaria u. Siphonida integripalliataj. (S. I — 164 m. 17 Taf. u. 17 Bl. Erklärgn.) Stuttgart '03, E. Schweizerbart. — 40 Mk. Ostwald's Klassiker der exakten Wissenschaften. Nr. 140 — 142. 8". Leipzig, W. Engelmann. Kart. 140. Faraday, Mich.: Experimental-Untersuchungen üb. i:iektrizität. (.-\us den Phil. Trans, f. 1846, 1849 u. 1850. Hrsg. von A. J. v. C)ettingen. X.\. bis XXIII. Reihe. Mit II Fig. im Text. (174 S.) '03. 3 Mk. — 141. Enke, J. F.: Über die Bestimmung e. elliptischen Bahn aus drei vollständigen Beobachtungen. — Hansen, J. A. : Über die Bestimmung der Bahn c. Himmelskörpers aus drei Beobachtungen. Hrsg. v. J. Bausehinger. (162 S.) '03. 2,50 .Mk. — 142. Weber, Willi., u. Rud. Kohl- rausch: Fünf Abhandlungen üb. absolute elektrische Strom- u. Widerstandsmessung. Hrsg. v. Frdr. Kohlrausch. .Mit 2 Bildnissen u. 2 Fig. im Text. (116S.) '04. 1,80 Mk. Popig, Dr. Herm. : Die Stellung der Südostlausitz im Gebirgs- bau Deutschlands und ihre individuelle Ausgestaltung in Orographie u. Landschaft. Mit i Karte u. 1 Taf. Profile. (88 S.) Stuttgart '03, J. Engelhorn. — 7 Mk. Potonie, Landesgeol. Prof. Dr. H. : Abbildungen u. Beschrei- bungen fossiler Pflanzen-Reste der paläozoischen u. meso- zoischen Formationen. 1. Lfg. Hrsg. v. der königl. preuü. geolog. Landesanstalt. (IV, 5 ; 2 m. I Tat'., 2, 3, 2, 5, 2, .1. 1. 6. 3i 3. 6, 2, 2 m. I Taf., 4, 4, 10, 6, 8 S.) Lex. 8". Berlin '03, (S. Schropp). — In Mappe 3,50 Mk. Rabenhorst's, Dr. L. : Kryptogamen-Flora von Deutschland, Osterreich u. der Schweiz. 2. Aufl. 4. Bd. Laubmoose. Bearb. v. K. Gust. Limpricht. 41. (Schlurs-)Lfg. (VIII u. Register S. 33 — 79.) gr. 8". Leipzig '04, l'l. Kummer. — 2,40 Mk. Reiniscb, Rhold.: l'etrographisches Praktikum. 2. Tl.; Ge- steine. (VII, 180 S. m. 22 Fig.) gr. 8". Berlin '04, Gebr. Borntraeger. — Geb. in Leinw. 5,20 Mk. Shaler, Prof. N. S , S. D. : Elementarbueh der (Jeologie für .'\nfanger. Übers, von C. v. Karczewska. (308 S. m. Ab- Drcsdcn 'o^; , H. Schultze 3 Mk. liildgn.) gr. geb. 4 Mk. Stille, Dr. Hans: Geologisch-hydrologische Verhältnisse im Ursprungsgebiete der Paderquellen zu Paderborn. Mit Taf. I — VI u. 3 .Abbildgn. im Text. Hrsg. v. der königl. preuü. geolog. Landesanstalt u. Bergakademie. (IV, 129S.) Berlin '03. S. Schropp. — 8 .Mk. Briefkasten. Herrn W. Seh. in Pirna. — Auskünfte über geologische, mineralogische und verwandte Vereine iinden Sie in Böhm's Kalender für Geologen, Paläontologen und Mineralogen (Gebr. Borntraeger in Berlin.) Herrn H. in B. — Eine neuere, reichhaltige arithmetische Aufgabensammlung mit Ergebnissen ist diejenige von Lieber und Köhler, Berlin, L. Simeon. — Ein bekanntes Schulbuclier- antiquariat in Berlin ist dasjenige von Gsellius, W., Moliren- straße 52. Anfrage: Von verschiedenen Seiten sind bei der Redak- tion .\nfragen eingelaufen, die sieh auf .\nleitungen zur eigenen Herstellung physikalischer Apparate beziehen. Das hierher gehörige Buch von Lehmann ,, Physikalische Technik" ist ver- grift'cn und leider noch nicht wieder neu bearbeitet worden. Frick's ,,Phys. Technik" und Hopkins' ,,Der praktische Experi- menlalphysiker" lassen den Wunsch nach einer weiteren, praktischen .\nleitung hoch bestehen. Vielleicht ist einer unserer Leser in der Lage, ein entsprechendes neueres Werk empfehlen zu können. Die Redaktion könnte nur auf Ebert's Anleitung zum Glasblasen, Weinhold's ,, physikalische Demon- strationen", Weiler, ,,Der praktische Elektriker" (Leipzig, W. Schäfer) und auf die in Poske's Zeitschrift für den phys. u. ehem. Unterricht und in den ,, Periodischen Blättern für Realienunterricht" verstreuten Winke verweisen. Der Bau von Funkeninduktoren speziell wird in einem kürzlich erschienenen Werke von Ruhmer (Verlag von Hachmeister und Thal, Leipzig), ausführlich behandelt. Herrn K. W. inB. — Über Quarzglas ist bereits in Nr. 46 des zweiten Jahrganges (N. F.) der ,,Naturwissenschaftl. Wochen- schrift" auf Seite 550 berichtet worden. — ■ W. C. Heraus, der sich mit der Herstellung dieses neuen ,, Glases" befaßt, gab gelegentlich des V. Internationalen Kongresses für ange- wandte Chemie nähere Mitteilungen hierüber. Der Quarz kann wegen seiner hohen Schmelztemperatur (ca. 1830" C) nur in Gefäßen aus reinem Iridium geschmolzen werden. Damit das Iridium aber nicht selbst zum Schmelzen gebracht wird, darf man über eine Temperatur von 2000" C. nicht hinausgehen, und muß die Temperatur mit Hilfe eines Thermo- elementes regulieren, das aus Iridium und einer Legierung von Iridium und Ruthenium besteht. Ganze Quarzblöcke kann man nicht für sich erhitzen, da sie infolge einer mole- kularen .\nderung bei ca. 570" zerspringen. Bevor man den Quarz erhitzt, muß er sorgfältig gereinigt werden, da er außer von Metalloxyden besonders auch von ."Mkalien angegriffen wird, selbst von jenen Spuren, die sich bei der Berührung mit der Haut auf ihn übertragen. Dagegen ist er gegen reine Metalle unempfindlich, so daß man Metalle in Gefäßen von Quarzglas leicht destillieren, und so z. B. silberhaltiges Gold durch fraktionierte Destillation im Quarz- glaskölbchen bei einer gewissen Temperatur vom anhaftenden Silber befreien kann. Die Herstellung von Hohlgefäßen aus Quarzglas bietet mancherlei Schwierigkeiten, und die große Hitze, die dabei nötig ist, gestattet den damit beschäftigten .\rbeitern nicht mehr als fünf Stunden täglich zu arbeiten. .Auch können nur sehr geschickte Leute mit derartigen Arbeiten betraut werden, und aus den hiermit verbundenen hohen Arbeitslöhnen und dem großen Verbrauch an Sauerstoffgas, das zur Gewinnung der hohen Temperaturen nötig ist, erklärt es sich, daß die Herstellung des Quarzglases sehr kostspielig und des- halb sein praktischer Wert momentan noch ziemlich gering ist. Die Firma W. C. Heraus in Hanau hat aus Quarz- glas schon die verschiedensten chemischen Hohlgefäße, 336 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 21 wie Bechergläschen , Destillierkolben und Schmelztiegel hergestellt, von denen sich die letzteren sehr gut an Stelle von Platintiegeln verwenden lassen. (Ein Quarzglastiegel von der Größe eines größeren Platintiegels kostet etwa 15 bis 20 Mark.) Diese Quarzglasgefäße sind auch gegen mechanische An- griffe weniger leicht empfänglich, als das spröde Glas und das biegsame Platin. Vor allem ist aber der Quarz gegen plötzliche Ternperaturschwankungen infolge seines äußerst geringen Aus- dehnungskoeffizienten sehr unempfindlich. Und man kann daher ein bis zum Glühen erhitztes Gefäß aus Quarzglas be- quem in kaltes Wasser tauchen, ohne daß sich irgendwelche Sprünge zeigen. Zunächst tritt bei diesem Versuche das bekannte Leidenfrost'sche Phänomen auf, dann erfolgt, durch plötzliche Verdampfung der umgebenden Wasserteilchen her- vorgerufen, ein knatterndes Geräusch, und das Gefäß ist er- kaltet, ohne Schaden genommen zu haben. Über die Verwendbarkeit des Quarzglases zur Herstellung von Normalthermometern liegen noch keine positiven Re- sultate vor, und die mir zu Gesicht gekommenen Thermo- meterröhren waren noch nicht auf der Höhe der Vollendung angelangt. Bezüglich des optischen Verhaltens des Quarzglases, das in dem gedachten Referate auch bereits erwähnt wurde, sei noch als besonders interessant in Erinnerung gebracht, daß sich seine Lichtemplindlichkeit auch auf die ultravioletten Strahlen erstreckt. Neuerdings sind wieder weitere Fortschritte in der Bearbeitung des Quarzglases gemacht worden. Man vermag ihm schon kompliziertere Formen zu verleihen, und die Firma Heraus verwendet das Quarzglas jetzt zur Herstellung von Quecksilberbogenlampen. Durch die Widerstandsfähigkeit g"egen Temperaturunterschiede ist die Möglichkeit einer be- deutenden Querschnittverminderung der Lampen gegeben, und die Lampe^ arbeitet so auch mit einem viel geringeren Stromverbrauch. Vor allem kommt hierbei auch die Eigen- schaft des Quarzglases, für ultraviolette Strahlen durchlässig zu sein, zur Geltung, an denen ja die Quecksilberbogenlampe reich ist. Da sonach das Licht der neuen Quecksilberbogen- lampe sehr aktiv ist, — durch Messungen hat sich ergeben, wie die letzte Nummer der ,, Chemischen Zeitschrift" mitteilt, daß sie bei gleichem Wattverbrauch der gewöhnlichen P>ogenlampe um das Hundertfache überlegen ist — so geht daraus hervor, daß die Quarzglasquecksilberbogenlampe befähigt ist, der bis- her benutzten Bogenlampe als erfolgreiche Konkurrentin bei der Lichttherapie zur Seite zu treten. Übrigens mag an dieser Stelle noch darauf hingewiesen werden, daß das Glaswerk Schott und Genossen in Jena jetzt sowohl Krön- als auch Flintgläser nach einem besonderen Ver- fahren herstellt, die für ultraviolette Strahlen weit durch- lässiger sind, als die durchlässigsten der bisher bekannten Glasarten. Die optische Durchlässigkeit geht in dünnen Schichten etwa bis 2^0 fi(j. Auf dem kürzlich in Kassel statt- gefundenen Kongreß deutscher Naturforscher und Ärzte be- richtete Zschimmer-Jena über diese neuen Gläser und teilte mit, daß sie zwar nicht mit Quarz in Konkurrenz treten können, daß sie sich aber doch besser als dieses in großen Dimensionen zu astronomischen Zwecken herstellen lassen. R. Lb. Herrn O. M. in Weida (Entstehung von Kar- toff e 1 s o r t e n). — Es geht mit vielen Pflanzen, die aus dem wilden Zustande in Kultur genommen werden, so, daß sie während einer Reihe von Generationen unverändert ihren ursprünglichen Charakter bewahren. Plötzlich treten Veränderungen an den Sämlingen auf, und es kann nun ein unaufhaltsames Variieren beginnen, ohne daß Blütenstaub einer anderen Art, oder auch nur einer anderen Sorte, mitzuwirken braucht. — Die Ursache, die Art des Anstoßes zu dieser Ver- änderlichkeit, ist unbekannt. — Bastarde zwischen Solanum tuberosum, der Kartoffel, und irgend einer anderen Art von Solanum, sind mir unbekannt. — Die ersten, und eine Menge Sorten, müssen daher unter Kartoftelaussaaten, — da der Blütenstaub einer fremden Art oder Sorte nicht mitwirken konnte — , einfach durch Variation entstanden sein. — Später ist die Bestäubung der zahlreichen , durch Variation entstan- denen Sorten untereinander hinzugetreten und es sind .Misch- linge entstanden. Die heutigen Sorten sind Avahrscheinlich meist solche Mischlinge, ,,Hybriden". — Ich lese in einem Buche über Kartoft'elbau von H. Werner ; „Die Anzahl der Varietäten und Kartoffelsorten ist außerordentlicli groß, da es durch Aussaat des Kartoffelsamens, der fast immer durch Kreuzung, sei es durch natürliche oder künstliche Befruchtung mit anderen Sorten entsteht, leicht gelingt, neue Sorten zu erzeugen." Da traten vor etwa 30 Jahren vereinzelte Mitteilungen über sogenannte K a r t o f f el p fr o p fh y b r i d e n auf. Es sollten in irgendeiner Weise zwei Knollen, oder die Triebe zweier Knollen, von zwei verschiedenen Kartoffelsorten ver- bunden und zum Verwachsen gebracht worden sein und Knollen ergeben haben, die sich als Mischlinge der beiden Elternsorten erwiesen. Die Mitteilungen über angebliche Kartoffelpfropfhybriden häuften sich , kamen meist aus Eng- land, und fanden vielfach Glauben. Ein Mr. Tayler geht in der Sicherheit des Erfolges seiner Experimente so weit, zu behaupten, daß die Pfropfung zweier verschiedener Sorten auf- einander zu einem weit sichereren Resultate führe, als die Er- ziehung neuer geschlechtlicher Bastarde. Man hat es beispiels- weise nach ihm vollkommen in der Hand , Wohlgeschmack mit Frühzeitigkeit zu verbinden durch Pfropfen (bzw. Kopu- lieren oder dgl ') einer wohlschmeckenden , wenn auch späten, auf eine frühe, minder wohlschmeckende Sorte. — Ich nahm damals die Frage über die Kartoffelpfropf hybriden , um die viel gestritten wurde, auf und stellte zahlreiche , verschieden- artige Versuche an. (Meine Resultate habe ich veröftentlicht in ,,Landwirtsch. Jahrbücher 1878", auch als Broschüre er- schienen bei Paul Parey, Berlin. Mit 4 Tafeln). Zunächst wurden Knollenteile verschiedener Sorten gepfropft, entweder Hälften oder segmentartige Abschnitte aneinandergefügt oder keil- oder zylinderförmige Ausschnitte eingesetzt. In keinem einzigen Falle habe ich einen Mischling unter den geernteten Knollen nachweisen können, wohl aber gezeigt, wie man durch ungenaue Beobachtung zu vielen Irrungen gekommen ist. Eine größere Wahrscheinlichkeit eines Erfolges schien die Pfropfung der Stengel , namentlich die Übertragung des Farbstoffes, zu versprechen. Ich benutzte im Frühling die zu dieser Zeit an den Knollen sich findenden, langen Triebe (sog. Keime), die bei den verschiedenen Sorten durch die Farbe auffallend voneinander unterschieden sind. Ein dunkelblauer Keim der Sorte Zebra wurde auf den hellgrünen Keim der Sorte Kaliko kopuliert. Der Keim von Zebra wurde abge- brochen und eingepflanzt. Nach kurzer Zeit zeigte sich die Unterlage schön karminrot. — Ich habe die Frage nicht weiter verfolgt. Die Aufmerksamkeit wird nun weiter auf solche gefärbte Achsenteile gerichtet sein müssen; es ist zu verfolgen, ob die an ihnen entstehenden Ausläufer ebenfalls gefärbt sind und ob diese Färbung den am Ausläufer sich bildenden Knollen sich mitteilt. Es wäre in diesem Falle eine ursprünglich weiße Sorte durch den Einfluß der Pfropfung blau geworden, aber noch nicht als Pfropf bastard aufzufassen. — Auch Darwin hat Pfropfversuche in großem Umfange angestellt, gleichfalls mit negativem Resultate. Das ist noch der heutige Standpunkt. H. Lindemuth. Nachtrag. Zu dem Aufsatze; Übersicht über die ver- schiedenen Refraktionszustände des menschlichen Auges, Nr. 15, Seite 229, sei, um Mißverständnisse zu vermeiden, folgendes hinzugefügt: Als ,, Durchmesser", richtiger Meridian, bezeichnet man größte Kreise, die durch den hinteren und den vorderen (mit der Hornhautmitte nicht genau zusammenfallenden) Pol des Auges gehen. Der Ausdruck ,, Durchmesser' sprachliche Ungenauigkeit. Dr ist eme Weinhold. Inhalt: Dr. Carl Detto: Die Bedeutung der ätherischen Öle und Harze im Leben der Pflanze. — Kleinere Mitteilungen: Prof N. Zuntz: Wie groß muß die Ventilation eines von Menschen bewohnten Raumes sein? — J. Parkes Whitney: Das Gefrierenlassen lebender Fische. — Rabes: Die Höhe des Vogelfluges. — Charpentier und E. Meyer: n-Strahlung lebender Organe. — Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen; Publikationen der Deutschen Seewarte. — Sammlung Göschen. i)Möbius: Astronomie. 2) Industrie chiraique minerale. — Literatur: Liste. — Brieftasten. Hauber: Statik. E. Sorel: La Grande Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUT" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. F. Koerber Nene Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 28. Februar 1904. Nr. 22. Abonnement: M.Tn abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren ■Aulträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Die Bedeutung der ätherischen Öle und Harze im Leben der Pflanze. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Carl Detto, Assistent (S. Die ätherischen ( ) 1 e als Schutzmittel gegen Tiere. Wie oben dargelegt wurde, finden sich die ätherischen Öle sowohl in inneren Drüsenorganen, wie atich als Exkrete von Köpfchenhaaren. Man hat ihnen verschiedene Bedeutung im Haushalte der Pflanze zugeschrieben, indem man sie einmal als Schutzexkrete gegen tierische Feinde, sodann als solche gegen parasitäre Pilze und gegen Fäulnis, endlich auch auf Grund gewisser physikalischer Figenscliaften ihrer Dämpfe als Schutzmittel gegen Austrocknung in klimatisch trockenen Vegetations- gebieten betrachtete. Ihre Hauptrolle spielen diese Stoffe aber unzweifelhaft als Abwehrmittel gegen pflanzenfressende Tiere. Es sei zunächst, bevor wir diese Fragen näher erörtern, darauf hingewiesen, daß in einer Rich- tung die ätherischen ( )le nichts weniger als tier- feindlich wirken, nämlich in den Blütenblättern, in denen sie in Form kleiner Tröpfchen in den Zellen abgeschieden werden und so den Duft der Blüten, der die bestäubenden Insekten herbeilockt, am Botanischen Institut in Jena, hluß.) bedingen. Das Rosenöl mag als Beispiel genannt sein. Die allgemeine und große Wichtigkeit der Blütenstoffe für die Fortpflanzung der Gewächse ist so bekannt, daf5 dieser Hinweis genügt. Das Interesse liegt hauptsächlich darin, daß chemisch nahestehende Stoffe zu so ganz entgegengesetzten Zwecken Verwendung finden, zur Anlockung und zur Abwehr von Tieren. Als Feinde der Vegetation kommen unter den Tieren vor allem in Betracht gewisse Säugetiere (Huftiere und Nager), Schnecken und Insekten. Wenn wir von den Weidetieren (Huftiere) als Pflanzenfeinden sprechen, so pflegen wir dabei besonders oder ausschließlich an unsere Haustiere zu denken, und in der Tat beziehen sich auch die meisten Beobachtungen aus nahe liegenden Gründen auf sie, auf Rinder, Ziegen, Schafe, Kanin- chen etc. Wir dürfen aber nicht übersehen, daß unter der Verfolgung seitens dieser Tiere die Pflanzen ihre Schutzmittel nicht erworben haben. Wir müssen an die ungeheuren Antilopenherden Afrikas, an die Büftelherden Nordamerikas denken, an die Hirsche und ihre Verwandten in Nordamerika, ?:^^ Naturvvisscnschaftliclie Wochenschrift. N. F. III. Nr. 2: Europa und Asien, an die wilden Kinderarten, die auch Europa früher beherbergte und an die großen Pflanzenfresser der Tropen und der tertiären Epoche der nördlichen Gebiete. Erst bei Berücksichti- gung dieser allgemeinen und historischen Verhält- nisse wird man die rechte Würdigung der Not- wendigkeit von Schutzmitteln finden. Die Wirk- samkeit der Mittel dagegen vermögen uns auch die Beobachtungen an unseren Haustieren zu lehren. Ich will erwähnen, daß die ursprüngliche Vege- tation von St. Helena seit Einführung der Ziegen und Schweine daselbst ihrem Untergange verfallen war. Darwin macht in seinem Reisetagebuche'» darüber folgende interessante Mitteilung: Die Insel soll in früheren Zeiten mit Wald bedeckt gewesen sein. „Noch im Jahre 17 16 standen viele Bäume dort, aber im Jahre 1724 waren die meisten alten Bäume abgestorben, und da zu jener Zeit Ziegen und Schweine frei umherliefen, konnten junge Bäume nicht aufkommen. Es ergibt sich aus offiziellen Akten, daß auf die Bäume einige Jahre später unerwartet ein grobes Gras folgte, das sich jetzt über die ganze Bodenfläche verbreitet (nach Beatson, St. Helena). Dann sagt General Beat- son weiter, daß diese Ebene jetzt mit schönem Rasen bedeckt und das schönste Weideland auf der Insel geworden ist. Die Eläche, die in einer früheren Zeit mit Holz bedeckt war, wird auf 2000 Acres -) geschätzt ; heutigentags findet sich kaum ein Baum dort. — Die Tatsache, daß die Ziegen und Schweine alle jungen Bäume zerstörten, sobald sie aufschössen, und daß die alten im Laufe der Zeit abstarben, scheint sicher festgestellt zu sein. Ziegen wurden im Jahre 1 502 eingeführt ; 86 Jahre später waren sie, wie man weiß, aus- nehmend zahlreich. Mehr als ein Jahrhundert später, im Jahre 1731, als das Übel vollständig und unheilbar war, wurde ein Befehl gegeben, daß alle frei umherlaufenden Tiere getötet werden sollten." Auch die Entwaldung der Berge Griechenlands und Italiens wird den Ziegen zur Last gelegt.'') In den Alpen steht es ähnlich, wenn auch hier der Mensch und das Klima die Hauptschuldigen sind. Tschudi^) schreibt: „Bekanntlich sind die Ziegenherden durch ihre Naschhaftigkeit die ge- fährlichsten Feinde Und eine wahre Geißel der Gebirgswaldungen geworden; aber allmählich wird diesem schädlichen Unwesen durch bessere Forst- polizei und Einschränkung des Ziegenstandes ent- gegengewirkt. In Bondo treibt man, wie in der oberen Lombardei, die Vorsicht soweit, daß den Ziegen alljährlich im Oktober auf Gemeindekosten ein Teil der Schneidezähne abgebrochen oder ab- ') Darwin, Tagebuch naturgcschichtliclier uud geo- logischer Untersuchungen. Übers, von A. Kirchhofif. Hendel, Halle. S. SI5. — S. auch Grisebach, Vegetation der Erde. 11, S. 520." ^] Morgen. ') Vgl. V. Hehn, Kulturpflanzen u. Haustiere. ■*) Tschudi, Tierleben der Alpenwelt. 11. Aufl. Leipzig 1890. S. 558. gefeilt wird, um ihnen das Benagen der jungen Bäumchen zu verunmöglichen." Die Bewohner von Cresta, des höchsten Kirch- dorfes der Alpen (fast 2000 m) und anderer Dörfer des Averstales benutzen Ziegen- und Schafmist, getrocknet und zu torfartigen Stücken zerschnitten, als Heizmaterial ; außer Lawinen , Waldbränden usw. sind es ,,die zahllosen Kuh-, Schaf- und be- sonders die heillosen Ziegenherden, welche überall das Verderben junger Baumschläge sind" (Tschudi, I. c. S. 23s). In unseren Gegenden hat man oft Gelegenheit, den Einfluß zu beobachten, den besonders Schaf- herden auf den Bestand der Flora des Weide- landes haben. Einen solchen Fall habe ich oben bereits angeführt. Neben Disteln und anderen Pflanzen mit mechanischen Schutzmitteln wird man fast stets die reichliche Mengen ätherischen Öles produzierenden Labiaten unberührt vorfinden, so den Thymian, Origanum vulgare, Calamintha acinos, gewisse Mentha- Arten usw. Gegenüber den Weidetieren, welche die Exi- stenz der Pflanzenindividuen überhaupt bedrohen, ist es von untergeordneter oder gar keiner Be- deutung, ob die ölführenden Organe im Innern der Gewebe sich finden oder als äußere Haar- bildungen auftreten, wichtig ist nur, daß vor allem die Blätter genügend geschützt sind. Den Blüten gegenüber haben nach Kerner's') Angaben diese Tiere eine deutlich ausgeprägte Abneigung. Von einheimischen Pflanzen, die in den äthe- rischen Ölen einen wirksamen chemischen Schutz gegen die genannten Tiere besitzen, sind außer den Labiaten, welche mehrzellige Außendrüsen tragen, die mit gewöhnlichen Köpfchenhaaren ver- sehenen Storchschnabelgewächse zu nennen (Ge- ranium und Erodium); ferner Diptam und Raute, Rutazeen mit den oben besprochenen Entleerungs- apparaten, Umbelliferen, Hypericaceen und die große Abteilung der strahlenblütigen Kompositen (Kamille usw.) mit inneren Drüsenorganen. An die Weidetiere wollen wir eine einheimische Insektengruppe anschließen, die sich ganz ähnlich verhält, die Heuschrecken. Wie die ersteren sind auch diese Insekten in erster Linie Gras- fresser, in ungeheurem Individuenreichtume und in vielen Arten vertreten besonders durch die Gattung Stenobothrus, auf den Alpenmatten ebenso häufig wie in unseren weniger feuchten und trockenen Wiesen und Triften. Die Gefräßigkeit dieser Tierchen und die Kraft ihrer stark entwickelten Kiefer ist erstaunlich; selbst die äußerst harten, sehr kieselsäurereichen Blätter von Bambusarten vermögen sie zu zer- stören. Versuche mit zwei Stenobothrus-Arten, welche Professor Stahl -j anstellte, ergaben folgendes. Es wurden 52 verschiedene Pflanzenarten den Tieren vorgelegt, darunter von Gräsern 5, von ') Kerner, Schutzmittel der Blüten gegen unberufene Gäste. -) E. Stahl, Pflanzen u. SchnecUcn. Jena 1888. N. F. III. Nr. 2; Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 339 Labiaten 7, Boragineen 3, Kompositen 9 usw. Von den benutzten Gräsern (LoUum perenne, Brachy- podium pinnatum, Avena elatior, Hordeum mu- rinum, Bambusa aurea) wurden alle fünf gern ge- fressen, ebenso die Boragineen (Symphytum offi- cinale, Anchusa arvensis, Pulmonaria officinalis), von den Labiaten dagegen wurden Mentha aqua- tica, Galeopsis tetrahit und Stachys palustris über- haupt nicht, Lycopus europaeus, Glechoma hede- racea, Scutellaria galericulata und Salvia pratensis nur in der Not angegangen. Mit den Kompositen verhielt es sich folgendermaßen : Cirsium oleraceum und Sonchus laevis wurden gern, Senecio vulgaris, Crepis virens und Endivia Cichorium gar nicht, Achillea millefolium, Scorzonera hispanica,.Tarax- acum officinale, Picris hieracioides nur in der Not angenommen. Aus diesen Versuchen geht klar hervor, welche Bedeutung chemische Schutzmittel und besonders die ätherischen ()le gegenüber den Heuschrecken haben, während die mechanischen gegen diese Feinde keinen allzu großen Wert haben. Die an Kieselsäure reichen Gräser, deren Blätter also sehr hart und schneidend sind, die von Borsten starren- den, deshalb auch „Asperifolieen" genannten Bora- ginaceen werden gern gefressen, desgleichen die stachelige Kohldistel. Auch Picris hieriacioidis und Galeopsis tetrahit sind mechanisch gut ge- schützt, vorzüglich die erstere, beide aber ent- halten Schutzexkrete, Picris ein bitteres, Galeopsis ätherisches Ol, so daß auf diese die Abneigung der Tiere zurückgeführt werden muß, weil die ge- nannten Boragineen, die keine solchen hlxkrete bilden, mechanisch mindestens ebenso stark be- wehrt sind. Wie die Heuschrecken und VVeidetiere fahnden auch die Schnecken nach den Blättern der Pflanzen. Sie verhalten sich etwas anders als die erstgenannten Feinde, insofern als gerade sie gegen mechanische Wehreinrichtungen besonders empfind- lich sind. Die scharfen, oft als „F'eilhaare'' mit rauher Oberfläche ausgebildeten Borsten der Bora- gineen darf man geradezu als eine Anpassung gegen Schneckenfraß ansehen. Legt man solche Pflanzen den gefräßigsten Arten vor, so bleiben sie unberührt, zerschneidet man sie aber, so werden sie von den Schnittflächen aus angefressen und der Borsten beraubt ohne weiteres vertilgt. Wer die Unersättlichkeit mancher Arten, z. B. der kleinen, unsere ungeschützten Gemüsepflanzen in hohem Grade schädigenden und dem Gärtner des- halb sehr verhaßten Ackernacktschnecke (Limax agrestis, ein Tierchen von etwa 3 cm Länge) kennt, der wird sich eine Vorstellung der Gefahr machen können, welcher die chemisch ungeschützten Bora- gineen ausgesetzt wären ohne ihr stechendes Borstenkleid. Die Organisation der Gastropoden macht es leicht verständlich, warum sie sich den mechanisch bewehrten Pflanzen gegenüber, ein- schließlich der Gräser, so ganz anders verhalten als die mit einem festen Chitinpanzer versehenen, leicht und schnell beweglichen Heuschrecken, j* Von der Wirkung der ätherischen Öle auf Schnecken kann man sich auf eine sehr einfache Weise durch Nachprüfung der Stahl'schen Ex- perimente überzeugen. Man lege eine saubere Glasplatte horizontal und setze irgend eine Schnecke etwa die genannte Ackernacktschnecke oder die ebenfalls häufige, ein gelbes, dunkelgebändertes Gehäuse tragende Gartenschnecke (Helix hortensis) darauf Hat sich das Tier in einer bestimmten Richtung in Bewegung gesetzt, so fahre man mit einem zusammengepreßten Stückchen Apfelsinen- schale einige Zentimeter vor der Schnecke quer über die Kriechrichtung derselben, es wird sich infolgedessen ein Strich von ätherischem ()le vor der Schnecke befinden. Sobald nun das Tier nahe genug herankommt, bemerkt man ein deutliches Schlagen der Fühler noch ehe der Streif erreicht ist, welches andeutet, daß die Dämpfe des Öles gewittert werden. Häufig richten sich die Tiere kurz vor dem Striche senkrecht in die Höhe und suchen in der Luft herum, um alsbald, wenn das ()1 in genügender Menge vorhanden ist, umzu- kehren. Hat man den Ölstreifen im Kreise um das Tier herumgeführt, so ist es gefangen. Erst wenn das Öl stark verdampft ist, überschreitet die Schnecke die Linie, ohne jedoch den (Mstreif zu berühren ; betrachtet man sie von der Seite, so wird man sehen, daß sie über denselben je nach der Menge des Öles einen größeren oder kleineren Bogen schlägt. Daß man Schnecken durch Bespritzen mit ätherischem Öle töten kann, habe ich oben er- wähnt. Noch interessanter wird der eben geschilderte, zur Demonstration sehr geeignete Versuch durch den Umstand, daß auch das Öl einheimischer Pflanzen in gleicher, energischer Weise wirksam ist. Man nehme z. B. statt der Apfelsinenschale einen Stengel des Ruprechtskrautes (Geranium Robertianum). Dieser durch drei- bis fünfzählige Blätter und den blutroten .Stengel ausgezeichnete Storchschnabel besitzt eine große Zahl lang ab- stehender Köpfchenhaare, deren Exkret, ein äthe- risches Öl, der Pflanze einen sehr unangenehmen Geruch verleiht. Der durch dieses Exkret her- gestellte Strich hindert die Schnecken in dem- selben Maße wie oben gezeigt wurde; ganz ebenso wirken das Öl von Mentha piperita, aus der das Pfefferminzöl gewonnen wird, und von Dictamnus fraxinella (alba), des Diptam, dessen merkwürdige Drüsen weiter unten besprochen werden sollen. Man wird die intensive Wirkung des Geranium- öles sofort verstehen, wenn man bedenkt, daß die Pflanze für gewöhnlich im kühlen, feuchten Schatten von Gesträuchen, Felsen und Mauern wächst, d. h. gerade dort, wo die ebenfalls der Feuchtigkeit sehr bedürftigen Schnecken am häufigsten ge- funden werden. Noch auf anderem Wege kann man die Wir- kung des Öles nachweisen: „Wird ein Exemplar der kleinen Limax agrestis auf eine Pflanze von (ieranium Robertianum gebracht, so bringt sie 340 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 22 beim Krieclien jeden Augenblick ihre Tentakeln mit den Köpfchen der Drüsenhaare in Berülirung. Das Tier zieht die Tentakel sofort ein und erfaßt, aus naheliegenden Gründen, bereitwillig jede glatte Stütze, um das ihm unbequeme Substrat zu ver- lassen. Wird ihm diese Gelegenheit nicht ge- boten, so läßt es sich an einem immer länger werdenden Schleimfaden auf die Erde herab.') Auf den drüsenlosen Blumenblättern dagegen bewegt sich das Tier mit Leichtigkeit und verläßt die ihm zusagende Unterlage nicht so rasch. Auch die Gartenschnecke wird durch die Drüsenhaare sehr belästigt und verläßt das unbehagliche Substrat, sobald ihr dazu Gelegenheit geboten wird. Eine auf dieselbe Pflanze gebrachte Weinbergsschnecke (Helix pomatia) kam, selbst nach längerer Zeit, kaum von der Stelle, da sie bei jedem Versuch, die Tentakeln behufs Orientierung auszustrecken, dieselben mit den Drüsenköpfchen in Berührung brachte. Werden den erwähnten Schnecken Stengel- fragmente und Blätter unserer Pflanze vorgelegt, so machen sich die Tiere zuerst an die halbierten Stengel heran, um sie von den Schnittflächen aus- gehend allmählich zu verzehren, während die drü- sigen Oberflächen von Stengel und Blatt erst später und nur ganz allmählich verzehrt werden. Nach vorheriger Extraktion mit Alkohol (und nach- folgender Wässerung) werden Stengel und Blätter rasch und gleichmäßig vertilgt". (Stahl, 1. c. S. 46, 47.) Auch die als Zimmerpflanzen beliebten, meist vom Kap stammenden Pelargonien („Geranien") sind hier zu nennen. Von der ebenfalls schon genannten Primula chinensis sei noch hinzugefügt, daß das Exkret ihrer Köpfchenhaare äußerst giftige Eigenschaften besitzt. Gärtner, welche viel mit diesen Pflanzen zu tun haben, ziehen sich nicht selten schwere Entzündungen der Haut an Händen und Armen zu. In noch höherem Grade gilt das von der gleichfalls häufig in Zimmern gezogenen, blüten- reichen Primula obconica, die ebenfalls aus Ciiina stammt und der ersteren nahe steht. Ob nun die von den Drüsenhaaren gebildeten ätherischen üle oder ein anderer ihnen beigemengter Stoff jene Entzündungen hervorruft, scheint nicht sicher zu sein. Eine genauere Beschreibung des Krankheits- verlaufes mit Abbildungen gibt Nest 1er.'-) Auch den Kruziferen kommen ätherische Ole zu, und zwar schwefelhaltige, z. B. Senföl. Diese Öle finden sich jedoch nicht fertig in der Pflanze vor, sondern entstehen merkwürdigerweise erst bei der Verwundung der Gewebe, und zwar durch Spaltung eines Glykosides mit Hilfe eines Fermentes in Gegenwart von Wasser. Das Gl)'kosid erscheint bei verschiedenen Kruzi- feren als myronsaures Kalium (z. B. in den Samen des schwarzen Senfs, Sinapis nigra, daher Sinigrin genannt; in der Meerrettigwurzel, Cochlearia ar- ') Vgl. Naturw. Wochenschrift. X. F. I, 1902. .^. 463. ^) A. Nestler, Ber. d. d. Botan. Gesellschaft. XVlll, 1900, S. 189. Als Heilmittel wurde mit gutem Ejfolge Pick'sches Linimentum e.xsiccatum benutzt, abwechselnd mit Reispuder. moracia) in besonderen im Gewebe verteilten Zellen, desgleichen auch das Ferment, das Myrosin ge- nannt wird. Wird die Pflanze verwundet, so tritt eine Mischung der Stoffe ein und demzufolge die Bildung des scharfen, auf der Haut blasenziehen- den (')les, des Allylsenföles, welches dem Senf- pflaster seine Wirkung und dem Mostrich seinen Geschmack erteilt. Das für den Prozeß nötige Wasser liefert das Gewebe der Pflanze. Außer dem (Jl bilden sich bei der Spaltung noch Trauben- zucker und saures Kaliumsulfat, nach folgender Formel : C'^' H'" KNS- O« + H-'O (bei Gegenwart von My- Mvronsaures Kalium rosin) = KHSO* + CSN-C" H"> -|- C« H'- O» ') Allylsenföl Glykose Wir wollen mit diesen Angaben über den Schutz der Blätter durch ätherische Öle diesen Punkt verlassen, um noch einen Augenblick bei der Besprechung des Schutzes zu verweilen, den unterirdische Pflanze norgane durch die genannten Stoffe erfahren. Als Feinde kommen hier vorzüglich in Betracht unterirdisch lebende Insekten und ihre Larven, viele Würmer und einige an Wurzeln lebende kleine Schnecken, ferner kleine Nagetiere. Ätherisches Öl produzierende Zellen finden sich z. B. in den Wurzelstöcken verschiedener Zingi- berazeen (Ingwer etc.), in dem der Haselwurz (Asarum europaeum), einiger Gräser (ostindische Andropogon-Arten) und des Kalmus (Acorus cala- mus). Das Ul kommt auch in den übrigen Organen, speziell den Blättern vor. Asarum und Acorus sind an Orten zu finden, wo sie den verschie- densten Angriffen ausgesetzt sind. Der Wurzel- stock des Kalmus wächst im Schlamme stehender Gewässer, wo unter anderen niederen Tieren auch die häufigen Wasserschnecken sich aufhalten (Lim- naea, Planorbis etc.). Auch die Wasserratte dürfte in Betracht kommen. Die Haselwurz wächst im lockeren, feuciiten Waldboden, wo mehrere kleine Schneckenarten (z. B. Helix rotundata u. a. , Achatina uricula, Buliminus obscurus, Clausilia-, Pupa-Arten etc.) leben. Ähnlich verhält sich der Baldrian. Die aromatischen Zingiberazeen sind besonders reich in den Urwäldern Südasiens entwickelt. Die Schutzwirkung der in Rinde und Holz bei manchen exotischen Gewächsen reichlich vor- handenen ätherischen < )le und nahestehender Stoffe ist experimentell noch nicht nachgewiesen. Es wären zu nennen z. B. der Kampferbaum (Cinna- momum camphora, eine Laurazee, von Japan bis Formosa heimisch), ferner Cinnamomum cassiae und zeylanicum (Zimmt), Canella alba, die zimmt- artig riechende Canellrinde liefernd, und andere. Von Früchten, denen aus dem Gehalte an ätherischen Ölen ein wirksamer Schutz gegen Tierfraß erwächst, wurden die Citrusarten (Orangen, ') Nach E. Schmidt, Ph.irmazeutische Chemie. Braun- schweig 1901, Bd. II, I. S. 769. N. F. III. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 341 Zitronen etc.) schon besprochen. Ferner seien er- wähnt die ostindische Zingiberazee Elettaria car- damomum, die Pfefferarten, Piper nigrum das be- kannte Gewürz hefernd, P. cubeba, die offizineilen „Cubeben", ersteres ein Wurzelkletterer Hinter- indiens, letzteres ein Kletterstrauch der Sunda- inseln. Unter den einheimischen Pflanzen bieten größeres Interesse die Umbelliferen, deren F'rüchte infolge ihres Gehaltes an aromatischen Ölen, die sich in den für die systematische Bestimmung der Arten wichtigen ,,Ölstriemen" finden, eine nicht unbe- deutende Rolle im menschlichen Haushalte spielen ; erinnert sei an Anis, Fenchel, Kümmel, Dill. „Während nämlich die von den Vögeln mit Vorliebe aufgesuchten Früchte der meisten einheimischen Kompositen (Carduazeen, Cichoriazeen) bis zu ihrer völligen Reife den Augen der Vögel entzogen sind und die Hüllblätter der Fruchtköpfchen sich erst von den flugfertigen Früchten zurückschlagen, sind bei der Mehrzahl der Doldengewächse die auffälligen Früchte den Vögeln wie auf dem Prä- sentierteller dargeboten, da die Stiele der Dolden und Döldchen ebenso viele Anflugsorte darstellen. Von der Blüte bis zur Fruchtreife sind die großen Formen (Heracleum, Pastinaca usw.) fleißig von Vögeln besucht, aber nicht von Körnerfressern, sondern von Insektivoren, wie Meisen, Grasmücken, Fliegenschnäppern, welche zur Blütezeit den die Bestäubung vermittelnden Insekten nachstellen und später die Blattläuse und andere Insekten, die an den Doldengewächsen leben, ablesen. An die Früchte machen sich die Vögel nicht heran, und ohne Zweifel sind daran die in den Olstriemen vorhandenen chemischen Substanzen (meist äthe- rische Öle) schuld. Auch in der Gefangenschaft ließen bei meinen Versuchen Sperlinge die PVüchte verschiedener Umbelliferen unangetastet. Die darin enthaltenen Stoffe sind diesen Tieren nicht nur widerwärtig, sondern wirken auch in geringen Quantitäten tödlich auf ihren Organismus. Ein Sperling, welchem zehn ganze Früchte von Arch- angelica officinalis aufgezwungen worden waren, war nach der Prozedur munter und fraß mit Appetit zahlreiche Weizenkörner; am anderen Morgen war er tot. Ein junger Sperling ertrug ohne Nachteil zwei eben reife I'rüchte von Carum carvi (Kümmel), starb aber über Nacht nach der Einnahme von fünf Früchten dieser Pflanze. Fünf- zehn Früchte von Foeniculum officinale (Fenchel) reichten hin, um einen anderen, ausgewachsenen Sperling zu töten" (Stahl, 1. c. S. 102, 103). Wie oben bereits angedeutet worden ist, be- urteilen einige Forscher die ätherischen Öle als Schutzstoffe gegen Parasiten und gegen Fäulnis. Im ersteren Falle kämen in Betracht z. B. die Mehltaupilze (Erysibazeen) ; ihre Haustorien oder Saugfäden sind jedoch so dünn, daß sie mit Leichtigkeit zwischen den Drüsenhaaren und -Gängen hindurch zu wachsen vermögen, so daß man diese Annahme nicht als zwingend wird be- zeichnen können. Ähnlich ist es mit der anti- septischen Wirkung der Öle. Wenn man Blätter oder Stengelteile Öldrüsen führender Pflanzen faulen läßt, so können sie monatelang einem solchen Prozesse unterliegen, ohne daß die Öl- zellen irgendwie verändert wären, während das übrige Gewebe längst bis auf die Cuticula und ver- holzte Elemente verschwunden ist. Dieser Um- stand erklärt sich einfach aus der Tatsache, daß die meisten Ölzellen oder -Behälter verkorkte, un- durchlässige Wandungen haben, eine Einrichtung die keineswegs im Sinne der Antisepsis ist, die aber dadurch verständlich wird, daß die ätherischen Öle starke Gifte sind, also die umliegenden Ge- webe bei einem eventuellen Ergüsse aus ihren Behältern nicht schützen, sondern zerstören würden. Immerhin bleibt es merkwürdig, daß in manchen Ölen, z. B. dem des Thymian, so ausgezeichnete Antiseptica, in diesem Falle das viel benutzte Thymol, enthalten sind. Aber auch der andere Umstand, daß die Öldrüsen sehr früh angelegt werden, spricht für unsere Auffassung, daß es hauptsächlich auf pflanzenfressende Feinde abge- sehen ist, und das Thymol ist auch nicht nur antiseptisch, sondern besitzt nebenbei einen äußerst scharfen Geschmack. Eine wichtige Funktion erfüllen die ätherisches Öl absondernden Haardrüsen durch den Schutz der Blüten gegen jene kleineren Feinde, die als ,, unberufene Gäste" dem Nektar oder Blütenstäube nachstellen. Kern er hat in einer größeren Ab- handlung über „die Schutzmittel der Blüten gegen unberufene Gäste" auch diesen Gegenstand gründ- lich erörtert. Die ätherischen (3le sind es aller- dings nicht allein, welche hier als Klebestoffe eine Rolle spielen ; aber wo sie als solche auftreten, stehen sie anderen Mitteln in der Wirkung durch- aus nicht nach. Bekanntlich ist die große Mehrzahl der bunten und wohlriechenden Blütenpflanzen auf die In- sekten als Vermittler der Pollenübertragung an- gewiesen. Die Bienen und Hummeln nebst zahl- reichen Verwandten, die Schmetterlinge, Fliegen und Käfer sind in erster Linie damit betraut, also zumeist fliegende Kerfe. Daß gerade diese die besten und erfolgreichsten Bestäuber sind, an deren Körperbau und Lebensweise die Blüten auch vornehmlich angepaßt sind, leuchtet ohne weiteres ein, wenn man die Schnelligkeit und Gewandtheit bedenkt, mit der diese Tiere sich von Pflanze zu Pflanze bewegen, ein Umstand, der für die Sicher- heit der Bestäubung, also der Fortpflanzung, von größter Bedeutung ist. Im Hinblick auf diese Verhältnisse wird man es leicht begreifen können, daß viele Pflanzen Schutzmittel gebrauchen, welche eine nutzlose, d. h. nicht mit Bestäubung verbundene Entnahme von Nektar oder Blütenstaub verhindern. Wenn eine Biene Nektar saugt und Pollen sammelt, so leistet sie der Pflanze dagegen unschätzbare Dienste durch eine sozusagen sachverständige und mit keinem Risiko verbundene Bestäubung; Ameisen dagegen und manche andere von unten auf- 342 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 22 kriechende Insel<' 1956 bzw. 76 >< 1956= 129 000 bzw. 148000 kgm. In Wirklichkeit war die ge- leistete Arbeit wesentlich größer, da die horizon- tale Fortbewegung, die Überwindung der Reibung, Ungleichmäßigkeiten des Weges, überflüssige Mus- kelanstrengungen etc. nicht berücksichtigt sind. Also auch in diesem Versuche hätte nicht einmal die Hälfte der tatsächlich geleisteten Arbeit durch Zersetzung von Eiweiß gedeckt sein können. Auf Grund dieser Erfahrungen galt nun lange Zeit die alte Liebig'sche Hypothese als strikte widerlegt; ja man war sogar geneigt anzunehmen, daß das Eiweiß als Quelle der Muskelkraft über- haupt nicht in Betracht käme, sondern ausschließ- lich Fett und Kohlehydrate und zwar vorwiegend die letzteren. Die Erfahrungen über das Glykogen, den Hauptzucker des Muskels, wurden in diesem Sinne gedeutet. Der ruhende Muskel speichert Zucker in Form von Glykogen in sich auf; bei der Arbeit wird dieses Glykogen bald verbraucht, ein nachweisbarer Verbrauch von Muskeleiweiß findet dagegen nicht statt. — Erst anfangs der 90er Jahre hat Pflüger nochmals den Versuch gemacht, die alte Liebig- sche Anschauung zu retten. Der Haupteinwand, den Pflüger gegen die oben skizzierten an- scheinend so schlagenden alten Versuche von Pettenkofer und Voit, sowie von Fick und Wislicenus erhob, war folgender. Den er- wähnten Versuchen lag die Anschauung zugrunde, daß der Stickstoff des bei der Muskelarbeit eventuell zerfallenden Eiweißes innerhalb der näclisten 24 Stunden oder noch früher zur Ausscheidung ge- langte. Wäre diese Annahme irrig, würde tat- sächlich der einer Arbeitsperiode entsprechende Stickstoff erst nach 2 >< 24 oder 3 X ~4 Stunden vollständig zur Ausscheidung gelangen, so ließen die vorher erwähnten Versuche die Deutung zu, daß nur deshalb die ganze geleistete Arbeit nicht durch Eiweißumsatz gedeckt erscheint, weil derStick- stoff zum großen Teil in der nicht berücksichtigten 3S6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 23 Ruheperiode erst zur Ausscheidung^ gelangte. In der Tat konnte Pflüger und Schüler von ihm den Nachweis führen, daß die Folgen einer geleisteten größeren Arbeit für den Stoffwechsel innerhalb 24 Stunden noch nicht ausgeglichen sind. Argutinski, ein Schüler Pflüger's, machte fol- genden Versuch : Durch eine gleichmäßige Nah- rung von mittlerem Eiweißgehalt suchte er sich in sog. Stoffweciiselgleichgewicht zu bringen, d. h. zu erzielen, daß bei der gewöhnlichen Lebensweise die Summe aller durch die Nahrung eingeführter Stoffe gleich der Summe aller durch die Äusschei- dungsorgane ausgeschiedenen Stoffe war, insbeson- dere daß die Menge des in Harn und Kot ausgeschie- denen Stickstoffs gleich der Menge des in der Nahrung eingenommenen Stickstoffs war. Nachdem dieses Stoffwechselgleichgewicht einige Tage bestanden hatte (wenigstens nach der Annahme von Argu- tinski), wurde an einem Tage durch Bergbestei- gung eine grotSe Arbeit geleistet, ohne daß sonst in den Versuchsbedingungen sich irgend etwas änderte; dann folgten wieder einige Tage mit ge- wöhnlicher Beschäftigung. Naturgemäß wurde da- durch das Stofifwechselgleichgewicht gestört, da die Mehrleistung auf Kosten der Körpersubstanz geschehen mußte. Es zeigte sich nun, daß nicht nur an dem Arbeitstage selbst eine geringe Steige- rung des Eiweißumsatzes, also der Stickstoffaus- scheidung, eintrat, wie sie ja auch in den alten Versuchen beobachtet wurde, sondern auch noch mehrere Tage nach der Arbeitsleistung; erst dann war wieder die Störung des Stoffwechselgleich- gewichts beseitigt. Pflüger sagte daher: die alten Beobachtungen haben, da die Nacliperiode zu kurz war, zu einem Trugschluß geführt. Das Eiweiß ist doch die alleinige Quelle der Muskel- kraft und muß sie sein. Zu dieser schroffen Auf- fassung kam P f 1 ü g e r auch noch auf einem anderen Wege. Durch einen hoch interessanten Versuch, in welchem ein Hund ausschließlich mit magerem Fleisch (also im wesentlichen Eiweiß) ernährt wurde, konnte Pflüger zeigen, daß das Eiweiß die alleinige Quelle nicht nur der Muskelkraft sondern auch aller anderen Leistungen des tierischen Organismus sein kann. Er erzielte, daß dieser Hund nicht nur in der Ruhe , sondern auch bei intensiver Arbeit, ausschließlich durch Zer- setzung von Eiweiß lebte. Bei der Arbeit mufjte naturgemäß eine entsprechende Mehreingabe von Eiweiß erfolgen, da sonst Fett und Kohlehydrate vikariierend eingetreten wären. - — Obschon die Richtigkeit der Angabe von Argutinski, daß die Reaktion des Stoffwechsels auf eine inten- sive Arbeitsleistung erst nach mehreren Tagen be- endigt ist, durch Nachuntersuchungen von anderen Seiten bestätigt ist, so ist es heute doch nicht mehr angängig, diese Versuche im Sinne der alten Liebig 'sehen Auffassung zu verwerten. Argutinski hatte sich bei seinen Versuchen mit einer Nahrung von gewöhnlicher Zusammen- setzung ins Stoffwechselgleichgevvicht gebracht, die verhältnismäßig reich an Eivveißstoffen war. In einer der Versuchsreihen von Argutinski war die absolute Erhöhung des Eiweißumsatzes während des Versuchstages und den beiden darauf folgen- den Ruhetagen so groß, daß die geleistete Arbeit gerade eben durch den Mehrumsatz von Eiweiß gedeckt sein konnte. Die in anderen Versuchen beobachtete Er- höhung des Eiweißumsatzes genügte an sich nicht ganz, um den durch die Muskelarbeit postulierten Bedarf zu decken, aber der Gesamteiweißumsatz war so bedeutend, daß die ganze Muskelarbeit auf Kosten von Eiweiß hätte geleistet sein können, natürlich unter Zuhilfenahme der Hypothese, daß vorher, zur Zeit derRuhe, eine Luxuseiweißkonsump- tion stattgefunden hat, und daß zur Zeit der Arbeit Fett und Kohlehydrate des Körpers an anderer Stelle vikariierend eingetreten sind. Später hat Krumm acher die Argutinski- schen Versuche ebenfalls im Pf 1 ü ger' sehen La- boratorium nachgemacht mit ähnlichem Ergeb- nisse, nur daß die Steigerung des Eiweißumsatzes wesentlich geringer war, wie bei Argutinski, so daß höchstens 25 % der geleisteten Arbeit durch die Mehrzersetzung von Eiweiß geliefert sein konnten. Überhaupt haben andere Versuche (auch von Krummacher, der inzwischen sich der Voit 'sehen Schule angeschlossen hat) er- geben, daß die von Argutinski beobachtete, nicht unbeträchtliche Steigerung desEiweißumsatzes, namentlich an den der Arbeit folgenden Ruhe- tagen, sich bei geeigneter Versuchsanordnung fast ganz vermeiden läßt und zwar durch eine reich- liclie Beigabe von stickstoffreien Nährstoffen zu der Nahrung. Argutinski glaubte zwar bei seinen Versuchen in der Ruhe im Stoffwechsel- gleichgewicht zu sein; es liegen aber triftige Gründe vor, hieran zu zweifeln. Es geht aus den Ver- suchen von Argutinski nicht mit Sicherheit hervor, ob die Nahrung auch für die Ruhe eine ausreichende war, jedenfalls mußte die Arbeit an den Arbeitstagen auf Kosten der Körpersubstanz geleistet werden. Vermeidet man dies durch ge- nügende Beigabe von Fett und Zucker zur Nah- rung, so unterbleibt die Mehrzersetzung von Ei- weiß fast ganz. Außerdem ist noch zu berück- sichtigen, daß Überanstrengungen, die mit Atemnot, wenn auch geringen Grades, verknüpft sind, die Versuchsergebnisse wesentlich beeinflussen können. Asphyxie, Atemnot, auch geringen Grades, ruft Steigerung des Eiweißumsatzes hervor, die dann eine erhöhte Eiweißzersetzung als Folge der ge- leisteten Arbeit vortäuschen kann. Es genügen also diese Argutinski' sehen Versuche nicht, um die Liebig'sche Lehre zu beweisen, aber immerhin sind dieselben, ebenso wie die K r u m m a c h e r ' s , sehr wohl mit dieser Theorie zu vereinbaren ; sie widersprechen derselben nicht, wie es andere Versuche, z. B. der alte von F i c k und Wislicenus, taten. Nun sind neuerdings von der Zuntz'schen Schule aus Versuche gemacht worden, die in ein- wandsfreier Weise zeigen, daß Fette und nament- N. F. m. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 357 lieh auch Kohlehydrate als Quelle der Muskelkraft fungieren können. Man ging nämlich darauf aus, den Eiweißumsatz bei gleichzeitig zu leistender ergiebiger Arbeit auf das Minimum lierabzudrücken. Der EiweifSumsatz ist in erster Linie abhängig von der Eiweißzufuhr in der Nahrung. Je mehr Ei- weiß in der Nahrung aufgenommen wird, desto mehr wird auch zersetzt. Die Grenze der Zer- setzungsfähigkeit liegt für gewöhnlich höher, wie die Grenze der Aufnahmefähigkeit. Andererseits ist der Eiweißumsatz unabhängig von der Eiweiß- zufuhr, insofern als ein Leben ohne Zersetzung von Eiweiß nicht stattfinden kann; also findet auch bei absoluter Nahrungsentziehung, bei vollständigem Hunger, immer noch ein wenn auch geringer Eiweißumsatz statt, natürlich auf Kosten von Körpereiweiß. Ein hungernder Organismus ist aber imstande, noch ergiebige Arbeit zu leisten vermöge der Reservevorräte, die zu Zeiten reich- licher Ernährung aufgespeichert sind. Noch gün- stiger für die vorliegende Frage lassen sich die Verhältnisse gestalten, wenn eine Nahrung gereicht wird, die frei von Eiweiß oder arm an Eiweiß ist, aber reich an Fett und Kohlehydraten. Auf diese Weise kann man den Eiweißumsatz sogar noch etwas weiter herabsetzen wie durch vollständigen Hunger, und kann dabei noch die Reservevorräte des Körpers schonen. Ja es ist möglich, auch das Körpereiweiß intakt zu lassen, wenn man den Ei- weißgehalt der Nahrung etwa so groß nimmt, wie der tägliche Verlust an Körpereiweiß bei absoluter Nahrungsentziehung sein würde, im übrigen aber reichlich Fett und Kohlehydrate verfüttert. F r e n t z e 1, ein Schüler von Z u n t z , verfuhr demnach folgender- maßen. Er machte Arbeitsversuche einmal an hungernden Tieren, sodann an Tieren, die aus- schließlich mit großen Mengen Fett oder Zucker gefüttert waren; in beiden Fällen trat ein Ver- lust an Körpereiweiß ein. Endlich wurden auch Versuche mit eiweißarmer, aber fett- und kohle- hydratreicher Nahrung ausgeführt, wobei ein Ver- lust an Körpersubstanz vermeidbar ist. In allen drei Fällen ließ sich trotz intensiver körperlicher Arbeit der Eiweißumsatz so sehr herabdrücken, daß auch unter Berücksichtigung einer ausgiebigen Nachperiode der absolute Eiweißumsatz bei weitem nicht genügte, um die geleistete Arbeit zu decken. Die Erhöhung des Eiweißumsatzes über den Ruhe- wert war so minimal, daß nur ein kleiner Bruch- teil der geleisteten Arbeit durch diese Energie- quelle zustande gekommen sein konnte. Es ist durch diese Versuche einwandfrei gezeigt, daß auch Fette und Kohlehydrate die zur Leistung von Muskelarbelt nötige Energie zu liefern vermögen. Damit ist die alte Liebig'sche Lehre, die Pflüger in womöglich noch schärferer Form wiederholt hat, daß das Eiweiß die alleinige Quelle der Muskelkraft sei, in dem Sinne, wie sie ursprüng- lich gefaßt war, endgültig widerlegt. Das Eiweiß kann die zur Muskelarbeit nötige Kraft liefern, muß es aber nicht, da die bei der Verbrennung von Fetten und Kohlehydraten freiwerdende Energie dasselbe leisten kann, und tatsächlich für gewöhn- lich die Hauptmasse der Muskelarbeit leistet. Die alte L i e b i g- Pf 1 üger 'sehe Vorstellung hat sich nicht aus den Beobachtungstatsachen heraus- entwickelt, war also keine Theorie, sondern war eine reine Hypothese, die sich bei der experi- mentellen Prüfung wenigstens in ihrer ursprüng- lichen Form als unhaltbar herausgestellt hat. In neuester Zeit hat Verworn die alte Lehre modifiziert und den Versuch gemacht, sie auch den neueren Beobachtungen anzupassen; in seiner „allgemeinen Physiologie" war dieser Ver- such schon ausgesprochen; in dem kürzlich er- schienenen Schriftchen „Die Biogenhypo- these" ist der dort enthaltene Gedanke weiter ausgesponnen, und auf eine Reihe weiterer Pro- bleme der Physiologie ausgedehnt worden. Der Leser der P flu ger 'sehen Arbeiten wird manch- mal den Eindruck haben, daß Pflüger schon Ähn- liches gedacht hat, aber präzis und deutlich aus- gesprochen sind diese Vorstellungen erst durch Verworn. Verworn sagt etwa folgendes: Die Muskelkraft geht hervor aus dem Zerfall der das lebende Protoplasma des Muskels bildenden Eiweiß- moleküle. Diese Eiweißmoleküle sind natürlich nicht identisch mit dem toten Eiweiß, das der Chemiker zur Untersuchung bekommt, sondern sind noch wesentlich komplizierter und viel un- beständiger. Verworn nennt das hypothetische, sehr komplizierte und dabei labile Eiweißmolekül der lebenden Substanz „Biogen". Pflüg er hat schon vor langen Jahren mit dem Namen „leben- diges Eiweißmolekül" den gleichen Begriff ver- bunden. Mit der Einführung dieses Begriffes ist natürlich für uns nicht geholfen. Verworn geht aber weiter und sagt: Der Zerfall des Biogen- moleküls liefert die Energie bei der Muskeltätig- keit; es ist aber nicht nötig, daß das Biogen- molekül vollständig bis in seine einfachsten Spal- tungsprodukte weiter gespalten wird, sondern es ist denkbar, daß das „Biogen" zunächst in stick- stoffhaltige und stickstoffreie Komplexe zerfällt und dadurch Energie liefert. Während aber die stickstoffreien Komplexe weiter verbrannt werden, regenerieren sich die stickstoft'haltigen wieder zu Biogenmolekülen, indem sie sich mit stickstoff- freien \^erbindungen, sei es der Nahrung, sei es der Reservedepots des Organismus, verbinden. Damit soll erklärt werden, wie Arbeit zwar auf Kosten stickstoffhaltiger Substanzen des Organis- mus geleistet wird, wie aber beim Stofifwechsel- versuch trotzdem keine entsprechende Steigerung der Stickstoffausscheidung zur Beobachtung kommt. Beistehende Schemata können als Eiläuterung dienen, i und 2 seien Schemata für das Biogen- molekül. Die großen Kreise seien stickstoffhaltige Komplexe, die kleineren Kreise seien stickstoff- freie Komplexe. In Vig. i sind die Komplexe zu einem Ganzen vereinigt, in Fig. 2 ist das Biogen- molekül zerfallen. Figg. 3, 4 und 5 schematisieren die Regeneration des Biogens auf Kosten stick- stofffreier Komplexe, sei es der Nahrung, sei es 3S8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. IIl. Nr. 23 der Reservestofte des Körpers. Die aus der Nah- rung bzw. den Reservevorräten des Körpers stammenden Komplexe sind durch punktierte Kreise dargestellt. Es ist aus diesem Schema ersichtlich, daß es möglich ist, daß der Zerfall von Biogenmolekülen die Energie bei der Muskeltätigkeit liefert, ohne vermehrte Stickstoffausscheidung. gerecht zu werden. Selbstverständlich können aber diese Beobachtungen nicht als Beweis für die Richtigkeit dieser Hypothese gelten. Sie werden sich die Frage vorlegen, was hat denn die ganze Hypothese für einen Zweck.? Warum sucht man die rein h)-pothetische^Vorstellung, daß das Eiweiß die Quelle der Muskelkraft sei, durch neue, immer weitergehende Hypothesen zu halten? — o Fig. I. Intaktes P.iogenmol ekiil. o o o O O o o o Fig. 2. Zerfiillencs lii o genm ol el< ül. U vj o ^ 00 F'g- 3—5- Stickstofffreie Komplexe der Nalining, die sich mit den stickstoffhaltigen Resten des Bi o genm ol ekiil s zu einem neuen Biogenmolekül regenerieren. ./ Fig. 6. Intakte F. i \ve i ß m o I e k ü 1 e der Nahrung. vJ ■■■..J O Fig. 7. In stickstoffhaltige und sticljstofffrcie KompleNC zerfallenes Nahrungseiweiü. o o Fig. 8 — 9. Stickstoffhaltige Bio genreste, die sich mit stickstofffreien Komplexe» des Nahrungseiweifics zu neuen Biogenmole külcn regenerieren, während die stickstoffhaltigen Reste des Nahrungseiweißes weiter zerfallen und vom Organismus ausgeschieden werden. Die Figg. 6, 7, 8, 9 versinnbildlichen die Re- generation des Biogens auf Kosten stickstoffhaltiger Bestandteile der Nahrung (Eiweiß). Es ist ersicht- lich, daß auf diese Weise ein dem Zerfall von Biogenmolekülen entsprechende Ausscheidung von Stickstoff zustande kommt. Es ist also die Verworn'sche Hypothese des unvollständigen Zerfalls von Eiweiß bei der Muskel- tätigkeit und der Regeneration der Zerfallsprodukte zu dem ursprünglichen Eiweiß, soweit ich über- sehen kann, imstande, den bisherigen Beobachtungen Da muß man zugeben, daß das allerdings zum Teil Geschmacksache ist. Ich muß auch sagen, daß die Liebig' sehe Vorstellung in der Modifi- kation von Verworn mir das Sympathischere ist. Anderen geht es anders. So sagt z. B. Tieger- stedt, daß ihm die andere Vorstellung die plau- siblere ist, wonach der Muskel eine mit beliebigem Material heizbare Maschine ist. Solange wir über das eigentliche Wesen der Muskelkontraktion noch so im unklaren sind, werden derartige hypo- thetische Vorstellungen sich immer gegenüber- N. F. ni. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 359 stehen; und solange es Hypothesen sind, die zu weiteren Untersuchungen anregen, haben derartige Hypothesen auch ihre Berechtigung. Verworn macht in seiner erwähnten Schrift die treffende Be- merkung, daß eine falsche Hypothese der wissen- schaftlichen Erkenntnis oft mehr nützen kann, wie eine richtige Tatsache. Zum Scliluß noch einige Worte über die prak- tische Bedeutung der vorstehenden Erörterungen. Was soll ich tun, um mich in einen Zustand von größter Leistungsfähigkeit zu setzen ? Da sind zwei Dinge auseinander zu halten, einmal der je- weilige Zustand der Muskulatur, und zweitens die Art, wie die vorhandene Muskulatur am leistungs- fähigsten erhalten wird. Es bedarf keiner Er- örterung, daß die Eeistungsfähigkeit in erster Linie abhängig ist von der Entwicklung der Muskulatur, je „muskulöser", desto kräftiger. Eine Vermehrung der Muskelmasse ist nun nicht durch irgend eine Ernährung erzielbar, sondern ausschließlich durch eine entsj^rechende Übung der Muskulatur. Nach erschlaffenden Krankheiten , oder nach Perioden unzureichender Ernährung, wird eine gute Er- nährung auch ohne entsprechende Übung eine Vermehrung der vorher degenerierten Muskulatur bewirken, aber normalerweise . ist die Tätig- keit, die Übung, das Mittel, welches imstande ist, die Muskulatur zu kräftigen. Selbstverständ- lich kann Übung allein nicht den gewünschten Effekt haben, wenn nicht die Nahrung gleiciizeitig eine ausreichende ist, und namentlich auch der Eiweißgehalt der Nahrung ein solcher ist, daß nicht nur der ganze Bedarf nach Eiweiß gedeckt ist, sondern auch noch genügend Überschuß vor- handen ist , um eine Vermehrung des Muskcl- protoplasmas zu bewirken. Es ist nach dem vor- her Gesagten durchaus nicht nötig, sich hierzu einer reinen Fleischkost, wie sie von manchen Sportsleuten empfohlen wird, zu bedienen, sondern es genügt eine Kost mit reichlich Fleisch und solchen Fett- und Kohlehydratmengen, die die Ernährung zu einer ausreichenden machen. Die andere Seite der Frage, wie kann die vorhandene Muskulatur am besten ausgenutzt werden? steht in direkter Beziehung zu unserer Frage nach der Quelle der Muskelkraft. Wie ist ein Soldat am besten befähigt große Anstrengungen eines Manövers zu ertragen ? Wie ein Tourist zu forcierten Bergbesteigungen? Natürlich ist auch hier die vorausgegangene Übung und der Ernäh- rungszustand von ausschlaggebender Bedeutung; aber nicht zu unterschätzen ist auch die Bedeutung der Nahrung, welche während der forcierten Ar- beitsleistung dem Organismus zugeführt wird. Was für Nährstoffe soll der Bergsteiger, der Soldat, mit- nehmen auf den Marsch ? Wäre die Liebig'sche Anschauung in ihrer alten Form richtig, so müßten Eiweiß, Fleisch, oder irgend welche Eiweißpräparate die Hauptmasse des Proviants ausmachen. Kohle- hydrate, etwa gewöhnlicher Würfelzucker oder Chokolade, Dinge, die durch ihre Konsistenz, leichte Aufnahmefähigkeit etc. sich besonders als Proviant- material eignen würden, könnten keine direkte Er- höhung der Leistungsfähigkeit bewirken. Sie würden zwar den Bestand des Körpers an Fett und Kohlehydraten vor Abnutzung schützen, aber falls das Nahrungseiweiß verbraucht wäre, würden sie nicht verhindern, daß eine rapide Abnutzung von Körpereiweiß stattfindet. Die heute be- sprochenen Stoffwechseluntersuchungen lehren uns aber mit voller Sicherheit, daß dem Eiweiß eine derartige exzeptionelle Stellung bei der Muskel- tätigkeit nicht zukommt; daß die für die Muskel- tätigkeit notwendige Jinergie ihre Quelle sehr wohl in den E'ctten und Kohlehydraten der Nahrung haben kann. In der Tat hat auch die praktische Prüfung ergeben, daß Kohlehydrate und Fette (z. B. Würfelzucker, Chokolade) die Leistungs- fähigkeit bedeutend erhöhen können. Der Energie- wert, der mit Leichtigkeit auf diese Weise zuge- führt werden kann, ist sehr bedeutend. Ein ein- ziges Stück Würfelzucker von etwa 5 g Gewicht repräsentiert 5 X 4 = 20 Kai. oder 8480 mkg, repräsentiert also einen Energiewert, der ausreichen würde, um einen Menschen von 84 kg um 100 m zu heben. Da die Kohlehydrate an die Ver- dauungslätigkeit nur sehr geringe Anforderungen stellen und leicht und rasch resorbiert werden, also an die Stelle des Bedarfs gelangen, so sind dieselben bei forcierten Leistungen die wertvollste Energiequelle für den arbeitenden Organismus. Natürlich gehört zu einer vollen Ausnutzung der PLnergie auch ein stetiger Verbrauch von Eiweiß, der durch die Nahrung gedeckt werden muß, wenn der Organismus nicht leiden soll, aber gerade bei vorübergehenden Leistungen , denen eine ent- sprechende Ruhe mit eiweißreicher Nahrung folgt, leisten die stickstoffreien Nährstoffe die besten Dienste. M ') Das Manuskript dieses Aufsatzes ist schon vor Jahres- frist der Redaktion zugegangen. Daraus erklärt es sich, daß einige neuere Arbeiten unerwähnt geblieben sind. D. Verf. Kleinere Mitteilungen. K. A. V. Zittel, Der Altmeister der Paläonto- logie. — Mit dem am 5. Januar dieses Jahres in München verschiedenen K a r 1 A 1 f r e d v. Z i 1 1 e 1 ist ein seltener Mann zu Grabe getragen worden, selten durch Vorzüge seiner persönlichen Eigenschaften — er verband mit einer impulsiven Energie eine stets liebenswürdige Rücksicht auf andere — selten durch die Erfolge seines Lebensganges — er war mit 23 Jahren Dozent, mit 27 Ordinarius und in relativ jungen Jahren Präsident der bairischen Akademie der Wissenschaften — selten auch durch das Maß seiner Leistungen als akademischer Lehrer, als Direktor der durch ihn enorm erhobenen palä- ontologischen Sammlung, sowie durch seine wissen- 36o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 23 schafthchen Pubhkationen im Gebiet der Geologie und Paläontologie. In diesem letzteren Fache, der Lehre von den Organismen vergangener Erd- perioden, nahm und nimmt für alle Zeit der Ver- storbene eine Stellung ein, die auch über einen Nachruf hinaus eine besondere Betrachtung recht- fertigt. Nur in einer jungen Wissenschaft kann ein einzelner zu einer so internationalen Bedeutung ansteigen, wie dies hier der Fall war, und die Paläontologie ist unter den deskriptiven Natur Wissenschaften die jüngste, und noch bis in das Ende des letzten Jahrhunderts hinein ein schlecht genährtes Sorgenkind der Entwicklungsgeschichte des organischen Lebens gewesen. Bis um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts auch von Gebildeten noch zumeist als lusus naturae oder Zeugen der Sintflut betrachtet, gewannen die Versteinerungen plötzlich dadurch Bedeutung, daß sie als Leitfossilien in der Geologie praktische Ver- wertung fanden. Die Möglichkeit aus ihrem Vor- kommen an sich vulkanische und neptunische Ge- steine zu unterscheiden, aus den fossilen Formen einstige Meeres- und Landablagerungen als solche zu erkennen, und vor allem durch ihre Verschieden- heiten das relative Alter der einzelnen Erdschichten bestimmen zu können, mußte naturgemäß zur Folge haben, daß man auf lange Zeit hinaus die geologische Bedeutung der Versteinerungen sehr hoch anschlug, und erklärt, daß man darüber ihre eigene innere Bedeutung als Dokumente der, or- ganischen Entwicklungsgeschichte fast übersah. Den Geologen genügte im allgemeinen eine Feststellung der äufJeren Form, die eine Wieder- erkennung ähnlicher oder eine Unterscheidung verschiedener Formen ermöglichte. Dazu war eine planmäßige Untersuchungsmethode der Fos- silien nicht erforderlich. Dazu kam, daß die Seltenheit der meisten Funde eine Untersuchung nur insoweit gerechtfertigt erscheinen ließ, als an den Objekten selbst keinerlei Zerstörungen vorge- nommen werden durften. So erklärt sich, daß die Versteinerungen in der Regel so abgebildet wurden, wie man sie zufällig aus dem Gestein heraus- geschlagen hatte, daß oft selbst die geringste Mühe gescheut wurde, das Fossil von aufsitzendem Gesteinsmaterial auch nur oberflächlich zu säubern. Jenachdem nun ein komplizierterer Organismus hier diese und dort jene Teile erkennen ließ, wurde die Vergleichung der beschriebenen Funde fast überall sehr schwierig und nicht selten zur Unmöglichkeit. Auch die sehr viel selteneren, von organischem Interesse geleiteten, spezifisch palä- ontologischen Untersuchungen litten teils unter der Ungunst der Erhaltung fossiler P"ormen, teils unter der mangelhaften Beachtung zoologischer oder botanischer Gesichtspunkte. Daf3 daneben einzelne Autoren mit mustergültiger Gründlichkeit ausge- zeichnete und für alle Zeit grundlegende Arbeiten ge- schaffen hatten, soll dabei natürlich durchaus nicht verschwiegen und unterschätzt werden, aber als all- gemeiner Stand ergab sich eine ganz außerordent- liche Verschiedenheit in dem wissenschaftlichen Wissen der paläontologischen F"eststellungen, und daraus etwa noch in den 80 er Jahren eine uns heute kaum noch verständliche Unsicherheit in der Verwertbarkeit des paläontologischen Materials. Auf der anderen Seite war der Paläontologie durch die Deszendenzlehre gerade in dieser Zeit eine Bedeutung erwachsen, die den Wert der ein- zelnen Funde weit höher stellte, als den einer neu gefundenen Form der Gegenwart. Denn jede derselben stellte ein unbestreitbares Dokument für den historischen Entwicklungsgang des betreffenden Tier- oder Pflanzentypus dar, und erregte den Wunsch, durch Aneinanderreihung geologisch auf- einanderfolgender F"ormen eines Verwandtschafts- kreises den heißersehnten Stammbaum desselben zu ermitteln. Indem nun die Anhänger der neuen Lehre überall Stammbäume zu rekonstruieren suchten, stellten sie an das paläontologische Material Anforderungen, die dieses damals noch nicht be- friedigen konnte. Aus diesem Mißverhältnis des hohen organischen Wertes der Versteinerungen und ihrer meist recht unvollständigen Kenntnis ergab sich ein höchst unerquicklicher Zustand, der dem klaren Blick hervorragender Paläontologen jener Zeit nicht entgehen konnte, aber bei diesen sehr verschiedene Reaktionen hervorrief Das war in großen Zügen der Zustand der Paläontologie, als die Tätigkeit Zittels einsetzte. Seine Sporen hatte er sich mit Spezialarbeiten verdient, in denen er gründlichste Untersuchungs- methoden mit umfassender Vergleichung verband und die Schwierigkeiten ermessen lernte, die sich der exakten Forschung sowohl in dem Studium der Objekte, als in dem verschiedenen und zumeist unkontrollierbaren Wert des subjektiven Wissensmaterials entgegenstellten. Die Unter- suchungen bald nach diesen bald nach jenen Ge- sichtspunkten, hier gründlich dort oberflächlich angestellt, ließen nur hier und da festen Boden unter den Füßen fühlen, aber nicht gleichmäßig auf Bestehendem weiter bauen. Zittel erkannie, daß hier nur eine gründliche kritische Durchsicht des gesamten bisher vor- liegenden Materials an Funden und Schriften Ab- hilfe schaffen konnte, und er verband wie kein anderer die Fähigkeiten hierzu : einen klaren morpho- logischen Blick und eine unermüdliche Arbeits- kraft; aber erst nach zehnjährigem Bedenken unter- nahm er die Riesenarbeit, die uns nun in seinem fünf bändigen Handbuch der Paläontologie vorliegt.^) Das ist sein Hauptwerk, das Ergebnis seiner eigen- artig glücklichen Begabung, eine Leistung, die ihm wohl kein einzelner nachgemacht hätte. Seine Erkenntnis, daß eine Kritik des vorliegenden Ma- terials die wichtigste Grundlage seines Werkes sein müsse, und eine solche nur durch gründ- lichste Sachkenntnis auch der lebenden Formen zu erzielen war, ließ ihn von vornherein davon absehen, obwohl er ein recht guter Pflanzenkenner ') Verlag von R. Oldenburg, München, 1876—91. N. F. m. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 361 war, die Paläophytologie selbst zu bearbeiten. In- dem er für diese zunächst Schimper und nach dessen Tode Schenk gewann, sicherte er auch diesem Teil den Wert der originellen Kritik und sich selbst größere Bewegungsfreiheit in seinem eigenen Gebiet der Paläozoologie. Der ungleiche Stand des damaligen Wissens in den Einzelgebieten der Paläozoologie zwang zu einer vollkommen neuen Bearbeitung zahlreicher Abteilungen, wie der F'oraminiferen und Spongien, der Crinoiden, Cephalopoden, Trilobiten, P'ische, Reptilien und Säugetiere. Wie Zittel in allen Teilen seines Faches mit einer fast mühelos und instinktiv erscheinenden Sicherheit zuverlässige und unsichere Daten zu scheiden wui-5te, und nur das Gute als Baustein auswählte, so wußte er auch zu seiner Unterstützung in einzelnen Spezialgebieten die ge- eignetsten Kräfte heranzuziehen. IVIännern wie C. Schwager, v. Suttner, M. Schlosser wird es immer ein Ruhmestitel sein, daß sie in ihren ein- zelnen Spezialgebieten Zittel ihr Bestes an die Hand geben durften. Sein Handbuch war kleiner angelegt, aber es wuchs ihm unter den Händen und nahm schon vom ersten Teil ab eine feste Form an, die man als eine äußerst geschickte Lösung der Schwierigkeiten betrachten darf. Kr be- schränkte sich darauf, die Gattungen zu revidieren und von Arten nur die wichtigsten Leitfossilien dem Namen, Alter und Fundort nach anzuführen. Da- durch war der ganzen Paläontologie eine gleich- mäßige Revision gesichert, der gegenüber der bis- herigen Ungleichheit und sonst üblichen eklek- tischen Bevorzugung spezieller Formen oder ein- zelner Abteilungen den größten Vorzug des Zittel- schen Handbuches bildet. Es muß eine unerschöpf- liche Geduld dazu gehört haben, die ganze so un- endlich verschiedenartige Literatur daraufhin durch- zuarbeiten, um jede Form schließlich am richtigen Platz einzureihen. Hieraus ergab sich auf Schritt und Tritt die Notwendigkeit neuer Einteilungen, der er mit bewundernswerter Sachlichkeit nach- kam. Wenn_ er durch diese überall von einer subjektiven Überwertung seiner Kombinationskraft bewahrt blieb, so hat er doch bei aller Zurück- haltung darin soviel selbständige und glückliche Kritik bewiesen , daß seine Einteilungen zum größten Teile auch von den Spezialisten anerkannt wurden. Auf der anderen Seite hieß es vorwärts, und nicht in Einzelheiten stecken bleiben. Seine Lehrtätigkeit, die ihn jedes Semester in das ganze Gebiet hineindrängte , mag ihm als treibender Faktor dabei zu statten gekommen sein. Jeden- falls rückte das Werk nach einer zweijährigen Pause zwischen dem ersten und zweiten Heft mit staunenswerter Konsequenz vor, aber wir, seine Schüler, die damals in München unter ihm arbeiteten, wissen, welchen eisernen Fleiß er dazu entfalten mußte. Dabei hat er sein Herzblut hingegeben. 1876 begonnen lagen die fünf stattlichen Bände 1891 abgeschlossen vor. Diese 15 Jahre Zittel'scher Arbeit sind für unsere Wissenschaft die läuternde und erziehende Schule geworden, deren sie dringend bedurfte, um neben ihren älteren Geschwistern im Kreis bio- logischer Wissenschaften Sitz und Stimme zu er- langen. Was Linne für die Botanik und Zoologie, das ist Zittel für die Paläontologie geworden, er hat Ordnung und System in sein Fach gebracht, und das hat auch der ganze internationale Kreis seiner Fachgenossen dankbar anerkannt. Von Ch. Barrois ins Französische, von Lahusen ins Russische übersetzt, schließlich von Ch. R. East- mann und anderen amerikanischen und englischen Autoren auch in englischer Bearbeitung herausge- geben, ist Zittel'sHandbuch der eiserneBestand jeder, auch der kleinsten paläontologischen Bibliothek geworden, die Grundlage jeder Lehrtätigkeit und jeder weiteren Forschung. Alle sonstigen Hand- und Lehrbücher, auch seine eigenen Grundzüge der Paläontologie fußen auf der unerläßlichen Vor- arbeit von Zittel's großem Handbuche, und wären ohne diese Grundlage nicht denkbar gewesen. Das war ein Werk, das Karl Alfred v. Zittel ,aere perennius' überleben wird, und seinen Namen als des Altmeisters der Paläontologie für alle Zeit in den Annalen dieser Wissenschaft festgelegt hat. Wir aber wollen uns auch als Deutsche freuen, daß dieser Mann unser war, und es ihm noch besonders zu Dank anrechnen, daß er für den internationalen friedlichen Kampf der Wissenschaften dem deutschen Vaterlande ein vortreffliches Ar- senal geschaften hat. Das paläontologische Museum in München, das wesentlich sein Werk ist, darf ietzt neben den klassischen Museen von London und Paris und dem neuentstehenden Museum in New - York den ersten Rang in der Welt be- anspruchen. Prof. Dr. Otto Jaekel. Beiträge zur Erforschung der Vererbung und Auslese beim Menschen. — Eine Schrift von Dr. Emil Wettstein, worin Forschungs- ergebnisse aus einem Teile Graubündens mit- geteilt werden, verdient mehr Aufmerksamkeit, als ihr bescheidener Umfang vermuten läßt.') Sie enthält nicht nur wertvolle Materialien zur anthropo- logischen und ethnologischen Kennzeichnung einer bestimmten t )rtlichkeit , sondern sie bietet will- kommenen Anlaß, einige Probleme der neue- ren Anthropologie zu erörtern. Dr. Wett- stein hat sich zum Arbeitsfeld den Kreis Disentis (sprich Disentis) im Gebiet des Vorderrheins aus- gesucht und er hat so ziemlich alles Wissens- werte und Erreichbare, bis auf einen weiter unten namhaft zu machenden Punkt, zusammengetragen. Außer einigen Messungen an Lebenden hat er zahlreiche Schädelmessungen ausgeführt. Die Bein- häuser in den Gemeinden jenes Kreises lieferten ihm 252 wohlerhaltene Schädel, die aus den letzten 4^ — 6 Jahrhunderten stammen und an denen Länge, Breite und Höhe, ferner die Maße des Gesichts, ') Dr. Emil Wettstein, Zur Anthropologie und Ethnographie des Kreises Disentis (Graubünden). Zürich, Ed. Rascher's Erben, 1902. 181 S. 8". Mit mehreren .Abbildungen und Tafeln. 36- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 23 der Augenhöhlen, der Nase, des Gaumens und noch andere, im ganzen 36 Maße, erhoben werden konnten. Nur bei einigen Spezialitäten mußten Schädel in geringer Zahl ausgelassen werden. Außerdem durfte Dr. Wettstein 78 Schädel mit- nehmen, um sie im anthropologischen Institut der Universität Zürich eingehender zu untersuchen. Bei einer mittleren Länge von 173,5 mm, schwanken die Einzelmaße der 252 Schädel von 160 — 199 mm, und bei einer mittleren Breite von 148,1 die Einzel- maße von 139 — 159 mm. Die Indices verteilen sich auf 21 Einheiten von 75 — 95; der mittlere Index ist 85,4. Die Disentiser sind also hyper- brachycephal ; nur 4 Schädel kamen auf den Index 75, 2 auf den Index 76; bei 78 ist nur i Schädel vorhanden, dann steigt die Verteilungskurve bis Index 84 mit 39 Schädeln an und hat im ab- steigenden Ast einen Höcker bei Index 87 mit 30 Schädeln, während es bei dem vorhergehenden nur 18 sind. Bei Index 95 endigt die Kurve mit I Schädel. Die 4 Schädel mit dem Index 75 fanden sich in Danis und gehören nach Wettstein einem anderen Typus an als die übrigen, dem Sion-Typus nach His. Von den 78 näher unter- suchten brachycephalen Schädeln wurden 16 als weiblich bestimmt mit einer Kapazität von 1200 bis 1445 ccm, durchschnittlich 1333 ccm, 62 als männlich mit einer Kapazität von ii;o — 1760 ccm, durchschnittlich 1429 ccm. Eine genaue Vergleichung der Durchschnitts- maße ergibt die nahe Übereinstimmung der von Wettstein gemessenen brachycephalen Schädel mit dem von His aufgestellten „Disentis- Typus". Wettstein nimmt an, daß sie in der Tat dem Disentis-Typus angehören und eine gewisse Ähnlich- keit mit den brachycephalen Typen der Pfahl- bauten aufzeigen, von denen sie aber durch ge- ringere Brachycephalie unterschieden und zeitlich durch eine mcso- und dolichocephale Einwande- rung getrennt sind. Die Brachycephalen der neueren Steinzeit wären also zuerst in einer meso- und dolichocephalen Einwanderung aufgegangen, dann wären die Disentiser gekommen, deren Brachy- cephalie weit ausgesprochener ist als die der Neo- lithiker, und die Disentiser hätten ihrerseits jene langköpfigere Bevölkerung in sich aufgenommen. Zur Unterstützung dieser Annahme wird auf die nahe Übereinstimmung vieler Merkmale der Disen- tiser mit denen der Brachycephalen in der übrigen Schweiz, im Schwarzwald, Bayern und Württem- berg hingewiesen. Veröffentlichungen wie die Wettstein's erfüllen ihren Zweck nur dann, wenn sie zu einer Prüfung und Erörterung führen. Deswegen möchte ich mir erlauben, einen Standpunkt zu vertreten, der von dem Wettstein's abweicht, aber durch Wett- stein's tatsächliche Angaben eine Unterstützung erhält. Ich bestreite, daß die eingewanderte Rasse dem Disentis-Typus angehörte und daß sie eine so hochgradige Brach_vcephalie besaß, wie sie diesem Typus heute eigen ist. Vielmehr sehe ich die Nester einer hochgradigen Brachycephalie, wie sie sich im Vorderrheintal, in Tirol, in gewissen Tälern der französischen und italienischen Alpen, im deut- schen und französischen Mittelgebirge da und dort vorfinden, für das Erzeugnis einer seit langer Zeit wirkenden Selektion an. Der Vorgang ist nur dadurch zu verstehen, daß man die Rass e n p sy ch ol ogi e zu Hilfe ruft. Wenn eine dolichocephale und eine brachy- cephale Rasse von verschiedener Herkunft sich kreuzen, so entstehen Mischlinge', die von jeder der beiden Rassen einzelne körperliche Merkmale und einzelne Seelenanlagen erben. Je länger der Kreuzungsprozeß dauert, desto mannigfaltiger werden die Kombinationen, zu denen die körper- lichen und seelischen Anlagen sich vereinigen. Wenn die dolichocephale Rasse diejenige des Homo europaeus ist, so geht von ihr der Wander- trieb, der Drang, günstigere Lebensbe- dingungenaufzusuchen,aufdie dem dolicho- cephalen Pol näher stehenden M ischlinge über. Die brachycephalen Mischlinge bleiben häufiger an der Scholle haften, während die mehr zur Dolichocephalie neigenden, also auch die Meso- cephalen auswandern. Sind die Reihen der echten Dolicho- und Mesocephalen gelichtet, so ergreift dieAuswanderungauch die seh wach brachycephalen, nach und nach auch die stärker brachycephalen Elemente, und die Folge ist, daß der zurück- bleibende Rest immerstärkerbrachycephal wird. Zugleich geht die Wirkung dieser un- bewußten Auslese dahin, daß für die Fortpflanzung der Bevölkerung an Ort und Stelle gleichartigere Individuen in Betracht kommen, daß also die in- dividuellen Schwankungen immer näher zusammen- gehen. Das Ende vom Lied ist, daß die Bevölke- rung einen Rassetypus vortäuscht, und daß man sehr aufpassen muß, um sie nicht für eine wirk- liche Rasse zu halten, während sie nur das Über- bleibsel einer negativen Selektion, wenn man will, eine örtlich angepaßte Varietät ist. Erst bei genauer Untersuchung stellt sich heraus, daß die Individuen in ihren wesentlichen Merkmalen sehr ungleich kombiniert sind und immer noch in Einzelheiten die frühere Anwesen- heit der dolichocephalen Komponente verraten. Gerade letzteres hat Wettstein mit be- sonderer Gründlichkeit erwiesen. Die Durchschniltsmaße der Disentiser stimmen wohl mit denen des His'schen Disentis-Typus überein. Aber schon wenn man die Längen- Breiten-Indices mit den Breiten-Höhen-Indices und den Gesichtsformen kombiniert, geht die Einheit- lichkeit des „Typus" in die Brüche. Nehmen wir 3 Klassen von jedem Merkmal: Meso-, Brachy- und Ilyperbrachycephale, dazu Hypsi-, Ortho- und Chamäcephale, endlich Lepto-, Meso- und Chamä- prosope, so ergeben sich theoretisch 3 X 3 X 3 "= ^7 mögliche Kombinationen, von denen unter den 252 Schädeln Wettstein's nicht weniger als 23 wirklich vorhanden sind (S. 19). Die am häufigsten vorkommende Kombination, chamä- prosophypsi-hyperbrachycephal, macht 17,6 Pro- N. F. m. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 363 zent aus, die zweithäufigste mesoprosop - hypsi- liyperbrachycephal 16,4 Prozent, dann geht es bei der mesoprosop-ortho-brachyceplialen Kombination auf 11,2 Prozent herunter. Die übrigen Kom- binationen bewegen sich zwischen 9,6 und 0,4 Prozent. Wo bleibt da der Typus? Das ist aber noch nichts. Wettstein hat mit höchst an- erkennenswertem Fleiß auch noch die Kombina- tionen der 3 Gesichtsformen mit den Formen der Augenhöhlen, der Nase und des Gaumens, nämlich mit Hypsi-, Meso- und Chamäkonchie mit Lepto-, Meso- und Platyrrhinie, mit Lepto-, Meso- und Brachystaphilinie nach ihrer Häufigkeit untersucht (S. 38 ff.). Theoretisch gibt es, wenn man mit Wettstein die Kopfformen hier ausläßt, 81 mög- liche Kombinationen, und von diesen kommen 64 wirklich vor, obwohl es sich bloß um 237 Schädel handelt. Mit Recht fügt VVettstein bei, daß bei größerem Material sich die Zahl der Kom- binationen noch vermehren würde. Nur 5 Kom- binationen umfassen mehr als 10 Schädel. Die höchste Zahl entfällt auf Mesoprosopie-Hypsi- konchie-Leptorrhinie-Leptostaphilinie mit 22 .Schä- deln oder 9,3 l^rozent. Dann folgen Kombina- tionen mit 13, 12, zweimal II, alle folgenden be- wegen sich zwischen 8 und i Schädel = 0,4 Prozent. Diese Zersplitterung beweist, daß der Disentis- Typus ein bloßer Durchschnittsbegriff ist und daf3 in den einzelnen Schädeln noch Merkmale der dolichocephalen, leptoprosopen, hypsikonchen, lep- torrhinen und leptostaphilinen Rasse von ehemals mit den Merkmalen einer brach)'cephalen etc. Rasse in den wunderlichsten Zusammenfügungen vorhanden sind. Für diese Feststellungen muß man Wettstein dankbar sein. Sie bestätigen die Beobachtungen über Ver- erbung und .\uslese, die unter ähnlichen Vor- aussetzungen anderwärts abgeleitet wurden. Die einzelnen Merkmale eines jeden Erzeugers werden zunächst in größeren Gruppen auf das Kind über- tragen. Aber mit jeder Generation werden diese Gruppen mehr zerteilt, d. h. die Merkmale, die sich auf das Kind vererben, vereinzeln sich und werden mit ebenso vereinzelten Merkmalen des andern Erzeugers in der willkürlichsten, d. h. ledig- lich durch die Zufälligkeiten bei der Befruchtung bedingten Weise mosaikartig verbunden. So bleiben bei der Rasse nkreuzung mehrere Merkmale einer jeden Rasse in dem Mischling vereinigt, aber mit fortschreitender Mischung können immer auf- fallender widersprechende Merkmale in einem In- dividuum kombiniert werden, so z. B. Brachy- cephalie mit l^eptoprosopie, diese mit Platyrrhinie usw. Hiervon legen Wettstein's obige 23 und 64 Kombinationen sprechendes Zeugnis ab. Bei der durch die Seelenanlagen verursachten Auslese, die als Abwanderung der tätigeren Volkselemente in die Erscheinung tritt, wird zwar die Kopfform in Mitleidenschaft gezogen, die Merkmale des Gesichts etc. erleiden jedoch keine merkliche Beeinflussung. Es ist ganz gut zu be- greifen, daß die Rassenanlagen des Gehirns in naher Wechselbeziehung zu denen der Kopfform stehen, daß sie jedoch mit der Gesichts-, Nasen- und Gaumeiiform wenig oder nichts zu Schäften haben. Sonst wäre es unmöglich, daß so vielfach Gesichts , Nasen- und Gaumenform etc. der Rasse Homo europaeus in der Disentiser Bevölkerung übrig ge- blieben sind, während die langen Kopfformen durch Auswanderung vermindert wurden, und daß nun- mehr jede Gesichts-, Nasen- und Gaumenform mit jedem Grad von Brachycephalie vereinigt vor- kommt. Die Abwanderung der Langköpfe ist, wie schon gesagt, in verschiedenen Gebirgstälern nach- gewiesen worden, wo enge Lebensbedingungen herrschen und der Geburtenüberschuß gezwungen ist, sich draußen in der Welt Verdienst zu suchen. Daß Vermögens- , Erziehungs- , Familienverhält- nisse im weitesten Sinn einen Einfluß auf die Auswahl der Wegziehenden üben, soll keineswegs bestritten werden. Trotzdem wandern mehr zur Dolichocephalie neigende Individuen aus und bleiben mehr zur Brachycephalie neigende zu Hause. Wäre es nicht durch den unbestechlichen Maßstab ermittelt, so könnte man an eine Selbst- täuschung glauben ; aber es ist eine objektive Tat- sache. Neuerdings ist ein recht belehrendes Bei- spiel hinzugekommen. ."Xuf den Halligen, den vom Untergang durch die Wogen der Nordsee bedrohten Inseln an der Westküste Schleswigs, zeigt sich der gleiche Selektionsvorgang, der durch Auswanderung der regsamsten Individuen die zurück- bleibenden, von dem ursprünglich langköpfigen Friesenstamm beeinflußten Mischlinge immer rundköpfiger macht. Die Verhältnisse jener Inseln sind im einzelnen gewiß so verschieden von denen des Vorderrheintals wie nur denkbar: aber eines stimmt, das Motiv der Auswanderung, die Un- möglichkeit, den Bevölkerungsüberschuß zu er- nähren. Gleiche Ursachen, gleiche Wirkungen. Die Frage ist nur noch: Hat der Kreis Disentis wirklich eine solche Auswanderung und ist bei den .'\uswandernden der durchschnittliche Index kleiner als bei den Zurückbleibenden? Das hat Wettstein gar nicht geprüft, daher hat er auch kein Material geliefert, das die Frage entscheiden könnte, wie ich für unsere Schwarzwaldbevölkerung getan habe. In dem ethnographischen Teil gibt Wettstein zwar die Zahl der Heiraten und der Todesfälle, merkwürdigerweise aber nicht die der Geburten, und das ist der im Eingang berührte Mangel. Man kann vermuten, aber man weiß nicht bestimmt, daß ein Geburtenüberschuß vor- handen ist. Daß jedoch eine starke Auswanderung stattfindet, beweist die Tabelle der Einwohner- zahlen von 1803 bis 1900 (S. 99). Zu derselben bemerkt Wettstein : „Der Vergleich obiger Zahlen zeigt für den Kreis Disentis eine starke Bevölke- rungsabnahme seit den ersten sicheren Er- hebungen um die Mitte des Jahrhunderts. Fragt man nach der Ursache derselben so kommt man zuletzt auf die ungünstige Lage der Land- wirtschaft. So sind nach dem Bündner Monats- 364 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 23 blatt im Jahr 1854 allein aus dem Kreise Disentis 145 Personen ausgewandert." Wüßte man, wie groß der alljährliche Geburtenüberschuß ist, so würde sich die Auswanderung wahrscheinlich noch größer, dauernder und eingreifender darstellen, als in der Bevölkerungsabnahme von 6503 Köpfen im Jahr 1850 auf 59C4 Köpfe am Ende des Jahr- hunderts. Man irrt wohl nicht, wenn man voraussetzt, daß solche Dezimierungen der Bevölkerung im Vorderrheintal von jeher stattgefunden haben werden. Die Enge des wenig fruchtbaren Gebietes, die Nähe einer durchgehenden Verkehrsstraße mußten in diesem Sinn wirken. Dabei ist es nicht nötig, an eine ununterbrochen und gleichmäßig fort- dauernde Abwanderung zu denken. Es genügt für unsere Erklärung, wenn die Abwanderung periodisch eingetreten ist, denn in den Zwischen- zeiten wuchs die Bevölkerung ohne merkliche Ver- änderung ihrer anthropologischen Durchschnitts- beschaffenheit wieder stärker an, um dann, wenn sie die Grenzen der Ernährungsmöglichkeit er- reicht hatte, oder wenn anderwärts Gelegenheit zu leichterem Fortkommen winkte, einen neuen Schwall mit einer im Vergleich zu den Daheim- bleibenden etwas größeren Langköpfigkeit hinaus- zusenden. Auf diese Art kam hier, wie ander- wärts, das im Eingang beschriebene Ergebnis heraus. Daß ich mit meiner grundsätzlichen Auffassung nicht allein stehe, beweist eine Arbeit von Lucien Chalumeau „Les Races et la population Suisse", Bern, 1896. Dieser Landsmann Wettstein's er- klärt die Großwüchsigkeit der Graubündner im Kreis Maloja und den kleinen Wuchs der Leute im Innkreis damit, daß eine starke Auswande- rung von diesem Kreis in jenen, und zwar eine Auswanderung der größeren Leute stattfindet, also derer, die der Rasse Homo europaeus näher stehen. Chalumeau sagt ferner (S. 5): „13onc dans les deux cas, dans l'immigration actuelle comme dans l'an- cienne, c'est l'element germanique qui a apporte les hautes tailles en meme temps que la langue allemande. La oü l'italien est parle seul, c'est-ä- dire lä oü il n'y a pas eu de colonies de Valser ou d'immigration actuelle, la taille est au mini- mum: Bernina, Moesa; lä ou le romanche est seul parle, la taille est moyenne: Vorder-Rhein." Diese Winke geben ganz guten Aufschluß über die .Selektionsvorgänge, und was von der Körper- größe des Homo europaeus gilt, darf mit noch größerem Recht von seiner Schädelkapsel gesagt werden, die das Seelenorgan einschließt. Auch hier ist Selektion wirksam. Die Disentiser sind ein nach Herausnahme der mehr dem dolicho- cephalen Pol der Mischlinge nahestehenden Ele- mente übrig gebliebener Rest, dessen einzelne Individuen infolge der Inzucht eine gewisse Ähnlich- keit miteinander aufweisen, im einzelnen aber doch recht verschieden voneinander sind und die Spuren der dolichocephalen Rassenkomponente noch be- wahren. Eine Rasse von der hohen Brachycephalie der jetzigen Disentiser ist niemals einge- wandert, wahrscheinlich hat es eine so brachy- cephale Rasse nie gegeben. Der Disentis-Typus ist überhaupt keine Rasse, nicht einmal ein Typus, sondern ein Gemengsei von allen mög- lichen Kopf-, Gesichts-, Nasen- und Gaumenformen, die durch Kreuzung von Homo europaeus mit der ursprünglich schwach rundköpfigen Rasse, dem Homo alpinus entstehen konnten. Im übrigen enthält der ethnographische Teil der Wettstein'schen Schrift viele nach neuen Ge- sichtspunkten ausgewählte Materialen, Sprachliches, Familiennamen, Taufnamen, Flurnamen, Märchen, Wetterregeln, .Sprichwörter, Aberglauben, Haus- und Tierzeichen und noch mehr derartiger Dinge, die einen guten Anfang geben und ihren wahren Wert erst erhalten werden, wenn ähnliche Mono- graphien für andere Gegenden vorliegen und man zu Vergleichungen und Folgerungen schreiten kann. Die Anerkennung, die Wettsteins mühevolle Arbeit verdient, wird dadurch, daß ich einige seiner theo- retischen Ansichten bestreite, nicht verringert. Otto Ammon-Karlsruhe. Der veränderliche Stern W- Aurigae ist von Parkhurst genauer untersucht worden, und zwar auf Grund sowohl photographischer wie visueller Beobachtungen. Der Stern, dessen Ver- änderlichkeit im Jahre 1898 von Frau Ceraski auf Photographien von Blajko entdeckt worden ist, hat für 1900,0 die Koordinaten a ■-= s^ 20™ 8,6^ d = -|- 36" 48' 53" und schwankt in seiner Helligkeit ziemlich regelmäßig zwischen der 9,3. und 13,8. Größe in einer Periode von 276 Tagen, jedoch so, daß die Zwischenzeit zwischen einem Maximum und dem nächsten Minimum 163 Tage dauert, während dann in 113 Tagen wieder das Maximum erreicht wird. Die Epochen der Maxima lassen sich berechnen nach der Formel M = 1898 Dez. 24 + 286 E, worin für E ganze Zahlen einzusetzen sind. Kbr. Das Fluoreszenz- und Absorptionsspektrum des Natriumdampfes. Daß der Natriumdampf eine schöne, grüne Fluoreszenz zeigt, wenn er durch einen hellen, weißen Strahlenkegel erleuchtet wird, wurde im Jahre 1896 von Wiedemann und Schmidt entdeckt. Neuerdings haben nun Wood und Moore mit Hilfe einer eigenartigen V'ersuchs- anordnung das Spektrum dieses Fluoreszenzlichtes unmittelbar neben dem .'\bsorptionsspektrum des- selben Dampfes photographiert (Astrophys. Jour- nal, Sept. 1903), wobei sich ergeben hat, daß das eine Spektrum die genaue Umkehrung des ande- ren ist, indem helle Bänder und Linien im Fluores- zenzspektrum genau an denjenigen Stellen sich zeigen , die im Absorptionsspektrum dunkel sind. F. Kbr. Eine experimentelle Untersuchung über die TemperaturdifFerenzen in auf- und ab- N. F. III. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 365 steigenden Luftströmen hat S. Löwenherz auf Veranlassung von Prof. Richarz ausgeführt, worüber der letztere im 10. Bande der Annalen der Physik (S. S63 f.) referierte. Zur Ausführung der Versuche diente ein drehbares Röhrenrechteck, in welchem mit Hilfe eines Ventilators eine dauernde Luftzirkulation hervorgerufen werden konnte. In zwei gegenüberliegenden , der Um- drehungsachse parallelen Röhren des Rechtecks befanden sich Bolometerdrähte , die mit Hilfe eines hochempfindlichen Galvanometers eine äußerst genaue Temperaturvergleichung der in den Röhren fließenden L.uft ermöglichten. Indem nun das Galvanometer abwechselnd bei horizontaler und vertikaler Lage des Röhrenvierecks beobachtet wurde, ließ sich die Wirkung der Expansion der aufsteigenden Luft in einer Temperaturerniedrigung erkennen, die trotz der geringen Höhendifferenz der beiden Rohre (1,21 m) ziemlich gut mit dem theoretisch berechneten Werte (0,009g" ^"f ein Meter) übereinstimmte. Der Mittelwert der Be- obachtungen war um 5% gegenüber der Berech- nung zu klein, eine Abweichung, die sich leicht aus der Schichtung der Luft im umgebenden Räume und der trotz der Tuchumhüllung nicht gänzlich zu beseitigenden Wärmeleitung durch die Röhren erklärt. Kbr. Eine neue Methode der Eisgewinnung schlägt A. Kirschmann (Physik. Zeitschr. I\', Nr. 27) vor. Da die Natur wegen des Dichte- maximums des Wassers bei 4" C bekanntlich nur verhältnismäßig dünne Eisschichten an der Ober- fläche der Gewässer zustande kommen läßt, deren Gewinnung und Transport mühsam und kostspielig ist und deren Schmelzung wegen ihrer großen Oberfläche ziemlich rasch von statten geht, könnte man leicht, am besten in eigens dazu angelegten und nach Art der Eiskeller mit Wärmeschutz ver- sehenen Gruben, bei winterlichem Frostwetter große Eisblöckc herstellen, indem man zunächst eine dünne Wasserschicht gefrieren läßt und diese dann durch Aufspritzen möglichst gekühlten Wassers mehr und mehr verstärkt. Da die zum Schmelzen erforderliche Zeit unter sonst gleichen Verhältnissen der linearen Dimension eines Eis- würfels mindestens proportional ist , weil die Oberfläche mit dem Quadrat, das Volumen aber mit der dritten Potenz der Kantenlänge wächst, so müßte es nach Kirschmann leicht sein, selbst in milden Wintern innerhalb einer Frostperiode Eismassen zu erzeugen, die sich den ganzen Sommer hindurch halten würden und den Eis- bedarf einer großen Zahl von Haushaltungen decken könnten. Nach K.'s Ansicht dürfte der größere Arbeitsaufwand beim sommerlichen Ab- bau dieses Eises durch die Ersparnis an Arbeits- kräften bei der winterlichen Gewinnung des Eises mindestens ausgeglichen werden und durch Ver- wendung guten, filtrierten Wassers würde das nach dem neuen Verfahren erzeugte Eis vom hygeini- schen Standpunkt aus sicherlich den Vorzug ver- dienen. K. glaubt sogar, daß ein ähnliches Verfahren es leicht möglich machen würde , in geeigneten Gebirgen, z. B. dem Riesengebirge, mit geringer Mühe künstliche Gletscher zu erzeugen, die die Bestimmung haben würden , als nützliche Regu- latoren des Wasserabflusses zu dienen. Ob die von K. in Fluß gebrachten Vorschläge, die ja' eigentlich so nahe Hegen, daß man sich wundert sie bis jetzt noch nicht in die Praxis um- gesetzt zu sehen , wirklich von nationalökonomi- schem Vorteil sein werden, läßt sich natürlich vor ihrer praktischen Erprobung nicht voraussagen; jedenfalls aber ist theoretisch gegen die Richtig- keit der angeführten Gedanken nichts einzuwenden. F. Kbr. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Der Abiturient, der von der Schule mit ihren absoluten Vorschriften zur Universität mit ihren Freiheiten kommt, die es jedem überläfit sich den besten Studienweg selbst zu wählen, verliert oft Zeit, da es ihm gewöhnlich nicht gelingt, diesen besten Weg von vorn herein einzuschlagen. Unter dem Titel ,, Ratschläge für die Kandidaten des höherenLehramtesin Mathematik undPhysik an der Universität Jena" ist nun eine kleine Schrift er- schienen, die zeigt, wie hier eine Wandlung zum Besseren möglich ist, indem sie speziell den Studierenden der mathe- matisch-physikalischen Disziplinen ein Wegweiser sein will für eine zweckmäßige Einrichtung^ ihrer 'Studien. Von den Professoren der Mathematik und Physik der Universität Jena verfaßt, wird die Schrift von der Direktion des Mathematischen Instituts daselbst an Interessenten kostenlos abgegeben. So- eben ist ein Neudruck fertiggestellt worden, der gegen früher fast den doppelten Umfang besitzt. Diese Erweiterung hat sich als notwendig erwiesen in Hinblick auf die zahlreichen neuen Einrichtungen und Institute, welche während der letzten Jahre auf dem Gebiete der reinen und angewandten Mathe- matik, der reinen' und technischen Physik, der Astronomie, Geodäsie, Geophysik usw. in Jena entstanden sind. Es seien nur das neue physikalische Institut, das Institut für technische Physik und angewandte Mathematik, die Erweiterung der Sternwarte, die geophysikalischen Einriclitungen unter der Erde zum Zweck der Bestimmung der .Änderungen der Lotrichtung und der mikroseismischen Bodenbewegungen-usw." erwähnt. Zweifellos wird die kleine Schrift die Studierenden der Mathematik und Physik , welche^ der " Natur der Sache nach über das Feld ihrer .Studien meistens keine Übersicht besitzen, vor mancher Enttäuschung und schwerem Zeitverlust bewahren. Ferienkurse in Jena fürDamen und Herren im August 1904. — I. Naturwissenschaftliche Kurse vom 4. — 17. August: Botanik, Physik, Astronomie, Chemie, Anatomie, Phy- siologie. II. Pädagogische Kurse teils vom 4. — 10., teils vom II. — 17. August: Geschichte der Pädagogik, AUg.! Didaktik, Spez. Didaktik, Religions Unterricht, Hodegetik, Pädagogische Pathologie, Psychologie des Kindes, Hilfsschulwesen. III. Kurse aus dem Gebiete der Frauenbildung: Frauenfrage und Mädchen- bildung, Höhere Mädchenschule, Fröbels Pädagogik. IV. Theo- logische, geschichtliche und philosophische Kurse vom 4. — 17. August: Religionsgeschichte, Babel- und Bibel - Forschung, Deutsche Literatur-Geschichte, Deutsche Kulturgeschichte, Ein- leitung in die Philosophie der Gegenwart, Geschichte der Philosophie, Psychologie. V. Kurse aus dem Gebiete der Kunst vom 4. — 17. August: Antike Kunst und'Kultur, Die Kunst im Haus und im ötfentlichen Leben^der Gegenwart. VI. Sprachkurse vom 4.— 17. und vom 4. — 24. August: I. Deutsche Sprache: Sprach-Kurse für Anfänger ' und für Fortgeschrittene; 2. Englische Sprache: Elemcntar-Kursus und Englische Literatur; 3. Französische Sprache: Grammatisch^ 366 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 23 Kurse, Französische Literatur. — Anmeldungen nimmt entgegen und nähere Auskunft erteilt das Sekretariat Frau Dr. Schnetger in Jena, Gartenstraße 2, vom 3. August ab: Volkshaus am Carl Zeiß-Platz. Bücherbesprechungen. Emil Fromm, Die chemischen Schutzmittel des Tierkörpers bei Vergiftungen. Stiaß- burg, Verlag v. Trübner, 1Q03. — Preis i Mk. Die in bemerkenswerter Kürze und Klarheit ge- schriebene Broschüre versucht ein Bild des chemischen Rüstzeuges zu geben, dessen sich der Tierkörper bei denjenigen Vergiftungen bedient, deren Verlauf man chemisch verfolgen kann. Es sind vorwiegend nur vier hier in Betracht kommende Schutzreaktionen: nämlich Oxydation oder Anlagerung von Sauer- stoff, so bei Phosphor, Schwefel und den meisten or- ganischen Stoßen, ferner Reduktion oder Anlage- rung von Wasserstoft" z. B. bei den Chloraten ; Hydra- tation oder Anlagerung von Wasser und endlich Deshydratation oder Abspaltung von Wasser. Als Schutzstoffe kennen wir: das Alkali des Blutes, das organisierte Eiweiß, Schwefelwasserstoff Schwefel- säure, Glykokoll, Harnstoff, Cystein und Cholsäure ; Glykuronsäure und Essigsäure. Alle diese sind Pro- dukte des normalen Stoffwechsels, die wir aus den gewöhnlichsten Nahrungsmitteln (Eiweißen und Kohlen- hydraten) ableiten können. — Keiner dieser Schutz- stoffe ist ein Spezifikum gegen ein bestimmtes Gift. Die Zahl der Gifte, die durch Paarung an einzelne dieser Schutzstoffe unschädlich gemacht werden, ist jedesmal außerordentlich groß. Verfasser stellt sich hier in Widerspruch zur modernen Bakteriologie, nach welcher die im Kampfe gegen die Giftstoffe organi- scher Schädlinge von unserem Körper erzeugten Schutzstofie jedesmal oder doch oft Spezifika gegen bestimmte Bakteriengifte sein sollen. H. Kbr. Dr. C. Veiten, Sitten und Gebräuche der Suaheli, nebst einem Anhang über Rechts- gewohnheiten der Suaheli. Göttingen, Vandenhoek u. Ruprecht. 1903. 423 S. 8^'. — Preis brosch. 8 Mk., geb. 9 Mk. Der Verf , Lehrer des Suaheli am Berliner Seminar für orientalische Sprachen, hat die vorstehend ge- nannte Schrift zuerst in Kisuaheli erscheinen lassen und gibt jetzt eine deutsche Übersetzung. Der Wert der Schrift besteht in ihrer Vollständigkeit und Zuver- lässigkeit, denn sie ist von dem derzeitigen Lektor am Orientalischen Seminar, Mtoro bin Mwenyi Bakari aus Bagamoyo, durchgeprüft und nach seinen Angaben ergänzt worden. Die Rechtsanschauungen im Anhang stammen von dem verstorbenen Mw'allimu Baraka bin Shomari aus Kondutschi, der sie 1895 im Auftrag des Verf niederschrieb. Das Buch enthält nur Tat- sachen, kein Raisonnement. Manche von den ge- schilderten Sitten und Gebräuchen mögen auf uralte Zeiten des afrikanischen Stammes zurückgehen, andere verraten auf den ersten Blick den arabischen bzw. mohammedanischen Einfluß. Wie die verschiedenen Anschauungen noch jetzt miteinander im Kampf liegen, zeigt z. B. die Erzählung Mtoros aus seiner eigenen Jugendzeit auf S. iSof: Der eingeborene Zauber- doktor erklärt den Knaben für vom Pepo (bösen Geist) besessen und verbietet ihm, Schaffleisch zu essen. Der Pepo soll ihm ausgetrieben werden. Als der arabische Lehrer davon erfährt, untersagt er die Austreibung und sagt: „Schämst du dich denn gar nicht?" Trotzdem der Zauberdoktor sein Verbot wiederholt und die Mutter sich sehr ängstigt, ent- schließt sich Mtoro nach reiflichem Nachdenken, dem Araber zu folgen und ißt Schaffleisch auf das Zu- reden : „Vertraue auf Gott, es gibt keinen Pepo, das ist Unsinn!" Die Erzählung schließt: „Als ich nach Hause kam und sagte, daß ich Hammelfleisch ge- gessen, war meine Mutter aufs äußerste erschrocken und sagte zu mir: „Warum hast du das getan, hast du dein Leben denn gar nicht gern?" Ich wartete 5, 6 Tage, ohne auch nur die geringsten Schmerzen im Kopf oder Fuß zu verspüren und lebe heute noch, und zwar hier in Berlin. — Das Buch wird nicht nur für die Ethnologen Wert haben, sondern auch allen sich auf den Kolonialdienst vorbereitenden Kaufleuten, Beamten usw. ein Mittel an die Hand geben, unsere Schutzbefohlenen von vornherein besser zu verstehen und danach zu behandeln. Otto Ammon-Karlsruhe. Chipart, La theorie gyrostatique de la lu- miere. Paris, Gauthier- Villars. 190J. — 192 p. — Prix 6,50 frcs. Die gyrostatische Theorie des Lichts wurde im Jahre 1890 von Lord Kelvin auf der Grundanschau- ung fundiert, daß der Äther als ein Medium auf- gefaßt wird, welches von elastischer Starrheit frei ist, falls keine Drehungen erfolgen, während Drehungen gegenüber vollkommene Elastizität besteht. Diese Theorie, der übrigens bereits die 1839 von Mac Cullagh angewendeten Gleichungen entsprechen, enthüllt nach den Ausführungen des Verf den Mechanismus der Transversalität des Lichts, den man seit mehr als einem halben Jahrhundert vergeblich gesucht hatte, und ist den gegen die elastische Theorie erhobenen Einwänden nicht ausgesetzt. Die im vorliegenden Buche gegebene Entwicklung der gyrostatischen Theorie ist naturgemäß eine rein theoretische und erfordert zum Verständnis die Vertrautheit mit den Prinzipien der mathematischen Physik. Kbr. Literatur. Bottazzi, Prof. Dr. Phüipp: Physiologische Chemie f. Studie- rende u. Ärzte. Deutsch v. Priv.-Doz. Prof. Dr. H. Borutta. 8. (Schlufi-)Lfg. (VI u. S. 241—330 m. Abbiklgn., I färb. Taf. u. 1 Bl. Erklärgn.) gr. 8». Wien '04, F. Deuticke. — 2 Mk. Heumann's, Karl, Anleitung zum Experimentieren bei Vor- lesungen üb. anorganische Chemie zum Gebrauch an Uni- versitäten, technischen Hochschulen u. höheren Lehranstalten V. Prof. Dr. O. Kühling. 3. Aufl. (XIX, 818 S. m. 404 Abbildungen), gr. 8". Braunschweig '04, F. Vieweg & Sohn. — 19 Mk.; geb. in Leinw. 20 Mk. Potonie, Prof. H., et Ch. Bernard, DD. ; Flore devonienne de l'ctage H. de Barrande. Suite de l'ouvrage: Systeme silurien du centrc de la Boheme par Joach. Barrande edite aux frais du fonds Barrande. (68 S. m. 156 Fig.) gr. 4°. ffag '03. Leipzig, R. Gerhard in Komm. — Geb. in Leinw. 16 Mk. N. F. III. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 367 Briefkasten. Herrn A. in Hamburg. — i) Die dunkle Farbe der Ober- seite ist bei vielen Tieren zweifellos eine Schutzeinrichtung. Man braucht nur an manche Fische, z. B. an die Plattfische, zu denken, die, wenn man sie auf eine anders gefärbte Unter- lage bringt, in kurzer Zeit die Farbe dieser neuen Unterlage annehmen und dann schwer zu sehen sind. Freilich ist die dunkle Farbe der Oberseite nicht immer eine nachah mende Farbenanpassung. Man denke nur an die schwarze, in andern Gegenden rotbraune Wegschnecke. Es Hegt auf der Hand, daß die Farbe dieser Schnecke sich gerade besonders schart von der Farbe der Umgebung abhebt. Immerhin kann es sich auch hier um eine Schutzeinrichtung handeln. Aber darüber demnächst an anderer .Stelle. — Physikalisch (optisch) läßt sich die genannte Farbenverteilung kaum erklären. Lassen Sie eine Maus ganz im Dunkeln aufwachsen , so werden Sie sehen, daß trotzdem die Oberseite dunkel, die Unterseite hell wird. Man hat auch keinen Anhalt dafür, daß es anders wird, wenn die Zucht im Dunkeln mehrere Generationen hindurch fortdauert. Wir müssen dem Problem also wohl von einer anderen .Seite näher treten, wenn wir eine Erklärung zu finden wünschen. — Die dunkle Farbe der Oberseite ist, wie gesagt, als Schulz- farbe aufzufassen. Wenn die Unterseite nicht dunkel ist, so läßt sich diese Abweicliung sehr wohl auf das Prinzip der Sparsamkeit, das wir überall in der organischen Welt be- obachten können , zurückführen. Die Erzeugung von dunklem Pigment hängt nämlich für den Körper mit einer Ausgabe zusammen. Wo die Ausgabe unnötig ist, d. i. an der Unterseite des Körpers, da wird sie von der Natur ge- spart. Ist man Anhänger der Selektionstheorie und findet in dem ersten Entstehen einer nützlichen Eigenschaft keine Schwierigkeit, so ist damit die Erklärung gegeben. Die nütz- liche Eigenschaft, die sich im Kampf ums Dasein immer mehr steigern kann, weil das Erhaltungsmäßigere immer mehr Aus- sicht hat, zur Fortpflanzung zu gelangen, ist hier das Sparen einer unnötigen Ausgabe. — Die helle Farbe der Unterseite ist gewöhnlich eine negative Eigenschaft, d. h ein Fehlen des dunkeln Pigmentes. An diese negative Eigenschaft kann eine positive anknüpfen. F'ische, die am Grunde im Wasser leben, sind an der Unterseite mehr oder weniger weiß. Fische, die frei schwimmen, oder gar pelagisch, d. h. nahe der Oberfläche leben und zugleich viele Feinde haben , wie der Häring, besitzen unten schönen Silberglanz. Es tritt hier eine Masse, die man wohl zu künstlichen Perlen verwendet hat, an die Stelle des Fehlens von Pigment. Man nimmt wohl mit Recht an, daß der Silberglanz der Unterseite bei den Fischen wieder eine Schutzeinrichtung ist: Die Oberfläche des Wassers er- scheint von unten gesehen wie ein Spiegel und der nahe der <_)berfläche schwimmende Fisch mit silberglänzender Unterseite wird sich infolge dieser Farbe oft den Augen eines in den untern Wasserschichten beutesuchend dahinstreifenden Feindes entziehen. 2) Eine gute Übersicht des zoologischen Systems, die lediglich eine Übersicht ist und zugleich etymologische Erklärungen der Namen gibt, ist uns nicht bekannt. — Eine kurze Übersicht des Systems mit den nötigen anato- mischen Abbildungen bietet Ihnen E. Selenka, Zoologisches Taschenbuch (2 Hefte, 4. Aufl., Leipzig 1897, Preis 5 Mk.) und eine etymologische Erklärung aller Namen finden Sie in J. Leunis, Synopsis des Tierreichs, 3. Aufl. von H. Lud- wig (2 Bde., Hannover, 1S83— 86, Preis 21,50 Mk.). Die wichtigsten Namen finden Sie auch in J. G. Paust, Tierkunde (6. Aufl. Breslau, 1900, Preis: 4 Mk.) erklärt. Dahl. Herrn E. K. in Görbersdorf. — Das beste Werk über die Vögel Deutschlands ist trotz seines Alters und trotz mancher Irrtümer immer noch J. A. und J. F. Naumann, Naturgeschichte der Vögel Deutschlands (13 Bde. 8° mit 396 kol. Kpft. Leipzig und Stuttgart 1820 — 60, Preis 636 Mk., antiquarisch bei Friedländer & Sohn 320 Mk.). — Eine neue Ausgabe dieses Werkes, herausgegeben von C. R. H e nn i c k e unter Mitwirkung verschiedener Autoren erscheint seit 1897 in Folioformat (Gera, bis jetzt Bd. 2 — 10 und I2, Preis geb. ca. 170 Mk.). Das Werk wird 12 Bände stark werden und ca. 400 Tafeln enthalten. Es soll dasselbe zum Teil gut, zum Teil weniger gut, die Abbildungen brauchbar sein. — Ein billigeres Tafelwerk ist C. G. Friderich, Naturgeschichte der deutschen Vögel (4. Aufl. mit 50 kol. Kpft. Stuttgart 1891, Preis 25 Mk.). — Bei der Bestimmung der Vögel, na- mentlich der Singvögel wird der Anfänger mit Abbildungen allein kaum auskommen. Er muß vielmehr auf die charakte- ristischen Merkmale ausdrücklich hingewiesen werden und dies geschieht in der geeignetsten Form durcli Bestimmungs- tabellen. Bestimniungstabellen der Vögel Deutschlands liefert A. Reich enow. Die Kennzeichen der Vögel Deutschlands. (2. Aufl. m. 8 Taf., Neudamm 1902, Preis 3 Mk.). — In manchen Singvogelgruppen, z. B. in der Gattung der Rohrsänger, lassen die unterscheidenden Form- und Farbenmerkmale oft mehr oder weniger im Stiche. Natürlich werden die Vögel selbst ihre eigene .\rt stets von anderen Arten unterscheiden können und was der Vogel kann, wird der Mensch auch wohl können. Der bei manchen Tieren so hochentwickelte Geruchssinn kann ja bei den Vögeln nicht in Frage kommen. Zweifel- los tritt bei ihnen in erster Linie der Gehörssinn in Anwendung und die Laute, beim Männchen der Gesang, dienen als sichere Erkennungsmerkmale. Ein Buch , welches eine Bestimmung nach der Stimme herbeizuführen sucht, ist A. Voigt, E.\kur- sionsbuch zum Studium der Vogelstimmen (2. Aufl. Dresden 1902, Preis geb. 3 Mk.). Dahl. Frage: Welches sind die neuesten .Arbeiten über die Leitungsbabnen der Kohlenhydrate und Eiweißstoffe im Pflanzon- körper ? Antwort: Wille: Beiträge zur physiologischen Anato- mie der Laminariaceen. Christiania, 1897. Pfeffer: Pflan- zenphysiologie Bd. 1, 1897. § 106: Wanderung der organi- schen Nährstoff'e. Treub: Sur la localisation , le Iransport et röle de l'acide cyanhydrique dans le Pangium edule. Ann. du Jardin Bot. de Buitenzorg Xlll, 1896. Molisch: Studien über den Milchsaft und .Schleimsaft der Pflanzen. Jena, 1901. Mayer, A. : Lehrbuch der Agrikulturchemie. V. Auflage. 1901/02. Bd. L Ferner sind nachzusehen : Die neuesten Bände vom Botan. Zentralblatt, der Botan. Zeitung, von Just: Bot. Jahresbericht, Wochenbericht des internal, bibliogr. Instituts, sowie dessen Hauptwerk : Scientifical International Catalogue. Prof. Kolkwitz. Frage: Auf welche Weise prüft man einfach und sicher Trinkwasser auf organische Stoffe , von Kaliumpermanganat abgesehen ? Wie wird das Riegler'sche Reagens auf Nitrite (Pulverf) und das Gries'sche Reagens zur Feststellung von Nitriten im Wasser angewendet? W. W. in Styrum. Antwort: Die Prüfung von Trinkwasser auf organische Stoffe geschieht, wenn von der Bestimmung mit Kaliumpermanganat abgesehen werden soll, am einfachsten und auch wohl am besten durch Glühen des Abdampfrück- standes. Die Differenz beider gibt die ungefähre Menge des Wassers an organischen Substanzen an. Letztere lassen sich beim Glühen leicht durch die Bräunung resp. Schwärzung des Rückstandes erkennen. Tritt gleichzeitig der Geruch nach brennenden Haaren oder auch nach verbranntem Hörn auf, so sind stickstoffhaltige organische Stoffe zugegen. Riegler's Naphtionsäure-Reagens auf salpetrige .Säure im Wasser — Zeitschr. f. anal. Chem. 35, 677 — wird, wie folgt, angewendet: Etwas kristallisierte Naphtionsäure fügt man zu ca. 10 ccm Wasser, versetzt das Gemisch mit einigen Tropfen konzentrierter Salzsäure und schüttelt gut durch. Schichtet man über diese Mischung vorsichtig ungefähr 30 Tropfen Salmiakgeist, so ent- steht bei Gegenwart von salpetriger Säure ein schön rosa gefärbter Ring, der beim Umschütteln verschwindet und das Wasser alsdann rosa bis dunkelrot je nach der Menge von N,,03 färbt. Gries' Reagens auf salpetrige Säure im Wasser hat folgende Zusammensetzung — Berl. Ber. II, 624 u. Zeitschr. f. anal. Chem. 17, 369; 18, 127: 0,5 g m-Phenylcndiamin — Schm. : 63" — wird in 100 ccm destilliertem Wasser unter Zusatz von verdünnter Schwefel- säure, bis zur stark sauren Reaktion, gelöst. Das Reagens ist vor Lieht geschützt aufzubewahren. Etwa gelb oder gelb- braun geworden , ist die Lösung durch Tierkohle zum Ge- brauche zu entfärben. 368 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. in. Nr. 23 Eine Probe des auf salpetrige Säure zu untersuchenden Wassers wird mit verdünnter Schwefelsäure angesäuert und mit etwa I ccm des obigen aber farblosen Reagens versetzt. Das Eintreten einer gelben bis braungelben Färbung zeigt salpetrige Säure an. Die Färbung beruht auf der Bildung von Bismarckbraun oder -Triamidoazobenzol. Dr. Kent. Herrn Prof. Dr. K. in Freiburg (Schweiz). — i. Die geologische Wandkarte der Erde von J. Marcou (l. Aufl. 1862, 2. Aufl. i.**75) ist bereits etwas veraltet, doch gibt es eine neuere derartige Karte meines Wissens nicht. Gut ge- eignet für Demonstrationen bei Vorlesungen ist der geologische Erdglobus von 34 cm Durchmesser, entworfen von W. Dames. Im Verlage von Dietrich Reimer (Ernst Vohsen) Berlin. Für ein gröläeres Auditorium dürfte es sich empfehlen , die Toula'sche geologische Karte der Erde (in F. Toula, Lehrbuch der Geologie , Alfred Holder in Wien) in eine Wandkarte in Mercators Projektion zu übertragen. — 2. Eine tabellarische Übersicht über die Formationen und ihre Abteilungen läßt sich als Wandtafel am besten hand- schriftlich herstellen unter Zugrundelegung der in Crcdner's Elementen der Geologie (W. Engelmann in Leipzig) oder in Kayser's Lehrbuch der Geologie (Ferdinand Enke in Stuttgart) gegebenen Einteilungen, Geh. Bergrat Prof. Dr. F. Wahnschaffe. Herrn F. in Mainz. — Man ist, da in Rabenhorst's Krypto- gamenflora die Süßwasseralgen immer noch nicht erscheinen, auf Hansgirg's Prodromus der Algenflora von Böhmen (Prag 1886 — 1893) als die vollständigste Zusammenstellung ange- wiesen. .\uch sie ist aber veraltet und enthält die Diatomeen nicht. Meine ,, Mikroskopische Pflanzenwelt des Süßwassers. 2. Aufl. Braunschweig 1891" ist nach den zahlreichen neueren Plankton-Forschungen auch nicht mehr auf der Höhe der Zeit, meines Wissens übrigens vergriffen. Recht empfehlens- wert ist : ,,Eyferth's Einfachste Lebensformen des Tier- und Pflanzenreiches. 3. Aufl. neu bearbeitet von Schönichen u. Kalber- lah. Braunschweig (^Benno Goeritz) 1900." Es ist die vollständigste Zusammenstellung der Gattungen der Süßwasseralgen , enthält aber von den Arten nur eine Auswalil der wichtigsten, und berücksichtigt auch die Protozoen und Rotatorien. Endlich ist zu erwähnen: R. Chodat, Algues vertes de la Suisse. Pleurococcoides — Chroolepides. Bern 1902. Es ist eine vorzügliche Bearbeitung, enthält aber außer einer Darstellung der Morphologie und Biologie der grünen Süßwasseralgen nur einen kleinen Teil dieser Klasse, ist also weit davon entfernt, eine Flora der Süßwasseralgen zu sein. O. Kirchner. Herrn Prof. J. — ■ Jawohl, die Pflanze, an der die Juden in der babylonischen Gefangenschaft ihre Harfen aufhingen (Psalm 137. 2, 2), die in der Luther'schen Übersetzung als Weide angegeben ist, ist eine Pappel nämlich Populus euphratica. Sie hat in der Jugend weidenartige Blätter und führt im Hebräischen den Namen ,,Garab". Herrn J. in Brunn. — Frage: ,,Wie können fossile Knochen am besten präpariert und konserviert werden?" Antwort: Über die Präparation fossiler Knochen ließe sich ein Buch schreiben. Hier nur soviel, daß man Knochen in der Regel in so porösem und mürbem Zustand findet, daß man sie vor allem mit Leimwasser tränken soll, das so dünn sein muß, daß es ganz in den Knochen einziehen kann. Bei kleinen Objekten genügt verdünntes Gummi arabicum. Knochen, die in losem Slaterial liegen, können dann herausgelöst und von den angebackenen Staubteilen befreit werden. Knochen, die in festerem Gestein liegen , müssen mit feinen Meißeln und kleinem Hammer allmählich so präpariert werden, daß ihre Oberfläche schrittweise freigelegt und sofort getränkt wird. Eine besondere Konservierung ist dann unnötig. Jaekel. Neue botanische Werke ans dem Verlage von ßustav Fischer in Jena. Das kleine pflanzenphysiologische Praktikum. Anleitung zu ptlauzeupbysiolOKischen Ex- perimenten. Kür Studierende und Lehrer der NaturwisBenschaften. Von Dr. W. Detmer, frof. an der Universität in Jena. Mit 163 Abbildungen. 1903. Preis: brosch. 5 Mark fiO Pf., geb. 6 Mark 50 Pf. Vorlesungen über Pflanzenphysiologie '^üd^r' Jost, a. 0. Prof. an der Universität SlraOburg. Mit 172 Abbildungen. Preis: 13 Maik, geb. 15 Mark. Bisher erschien Heft 1 — 8 (die erste Reihe) der Vegetationsbilder. y°° .p-:- g- Karsten, P'of. an " der Universität büdu, und Dr. H. Schenk , Prof. an der Technischen Hochschule Darnistadt. Der Preis für das Heft von 6 Tafeln ist auf 2,50 Marli festgesetzt worden unter der Voraus- setzung, dass alle Lieferungen bezogen werden. Einzelne Hefte werden mit 4 Marli berechnet. Ueber die Organisation und Physiologie der Cyanophyceenzelle und die mitotische Teilung ihres Kernes ^^"; ^'- *'• V' ^^f^' "r-; m'"*i '^''' Botanik an der Universität Marburg. Mit 10 litho^iraphischen Tafeln. Preis: 20 Mark. Botanische Practica. "• .t<'/i- Pi^K-ticum <["' \l- tanischcn Baliterienkunde. Einführung in die Methoden der botanischen Unter- suchung und Bestimmung der Bakterienspezies. Von Dr. Arthur Meyer, 0. Prof. der Botanik an der Univers. Marburg. Mit einer farbigen Tafel und 31 Textab- bildungen. 1903. Preis : 4 Mark 50 Pf, geb. 5 Mark 20 Pf. Über Erblichkeit in Populationen und in reinen Linien •'^"^ Beitrag zur Frage schwebender Selektions- 1 fragen. Von W. Johannsen, Professor der Pflanzenpliysiologie an der kgl. dänischen landw. Hoch- schule in Kopenhagen. Preis : 1 Mark 50 Pf. In halt: Zweck der Untersuc.liung, S. 1. Samengröße der Bohnen, S. l,i. Die relative Breite der Bolinen, S. 40. Schartigkeit der Gerste, S. 'il. Zusammenfassung und Rückblick, S. ö7. Dendrologische Winterstudien. cjrundiegendeVor- 2 arbeiten lur eine eingehende Beschreibung der Unterscheidungsmerkmale der in Mitteleuropa heimisch, und angepflanzt sommer- grünen Gehölze im blattlosen Zustand. Von CaniilloEarl Schneider, Mit 224 Textabb. Preis: 7 Mark 50 Pf. Streifzüge an der Riviera ''"'?. E'i"«rd strasimi-gcr, 2 o. o. Protessor der Botanik au der Universität Bonn. Illustriert von Louise Reusch. Zweite, gänzlich umgearbeitete Auflage. Preis: 10 Mark, geb. 12 Mark. Lehrbuch der Botanik für Hochschulen. ^'™^^;j strasburger, o. ö. Prof. an der Universität Honn, Dr. Fritz Xoll, Prof an der Landw. Akad. Poppeisdorf, a. o. Prof an der Universität Bonn, Dr. Heinrich Schenck, Prof. an der Technischen Hochschule Darm- stadt, Dr. George Karsten, a o. Prof an der Uni- versität Bonn. Sechste, umgearbeitete Auflage. Mit 741 zum Teil farbigen Abbildungen. Preis: 7 Mark 50 Pf., geb. 8 Mark .50 Pf. Inhalt: Prof. Dr. Fr. N. Schulz: Über die Quelle der Muskelkraft. — Kleinere Mitteilungen: Prof. Dr. O tto Jaekel : K. A. V. Zittel, Der Altmeister der Paläontologie. — Dr. Emil Wettstein: Beiträge zur Erforschung der Vererbung und Auslese beim Menschen. — Park hurst: Der veränderliche Stern W-Aurigae. — Moore: Das Fluoreszenz- und Absorptionsspektrum des Natriumdampfes. — S. Löwenherz: Eine experimentelle Untersuchung über die Temperatur- differenzen in auf- und absteigenden Luftströmen. — .X. Kirschmann: Eine neue Methode der Eisgewinnung. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Bücherbesprechungen: Emil Fromm: Die chemischen Schutzmittel des Tierkörpers bei Vergiftungen. — Dr. C. Veiten: Sitten und Gebräuche der Suaheli. — Chipart: La theorie gyro- statique de la lumiere. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lictiterfelde-West b. Berlin. Druclc von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „Die NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 13. März 1904. Nr. 24. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegcld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Xr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabalt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Über die Einschaltung des Blattes in das Verzweigungssystem der Pflanze. [Nachdruck verboten.] Von L. Kny. Zu den charakteristischen Eigenschaften der höheren Pflanzen gegenüber den höheren Tieren gehört das Vermögen, aus einzelnen Zellen oder Zellgruppen, solange dieselben ihre Teilungsfähig- keit noch nicht eingebüßt haben, neue Sprosse zu erzeugen. Lösen sich solche ,, Adventivsprosse" vom mütterlichen Organismus ab, so bewirken sie die Vermehrung der Art auf ungeschlechtlichem Wege. Sie stellen aber nicht das einzige Mittel hierzu dar; denn auch „Xormalsprosse", welche unter der fortwachsenden Stammspitze hervor- getreten waren, können sich bei zahlreichen Pflanzen- arten früher oder später vom mütterlichen Or- ganismus ablösen und selbständig werden. Auf diese Weise erklärt sich die rasche Vermehrung vieler der häufigsten Unkräuter, wie des Acker- schachtelhalmes (Equisetum arvense), des Quecken- grases (Triticum repens), der Schafgarbe (Achillea Millefolium) u. a. m. Nicht an allen Teilen des Pflanzenstockes kommen Adventivsprosse in gleicher Häufigkeit vor. Am bekanntesten ist ihre Bildung an oberirdischen Sproßachsen gewisser Holzgewächse. An den Stämmen alter Linden findet man sehr gewöhn- lich unregelmäßige Anschwellungen, welche von zahlreichen, im Frühjahr austreibenden Knospen besetzt sind. Werden dieselben entfernt, so er- neuern sie sich im Laufe des Sommers aus dem Fortbildungsgewebe des Stammes. Die Anlegung dieser Adventivsprosse verursacht, wenn sie in rei- chem Maße erfolgt, im Mutterstamme große Unregel- mäl3igkeit im Verlaufe der Holzelemente und führt zur „Maserbildung". Gemasertes Holz gewisser Bäume, wie z. B. des Nußbaumes, wird seiner auf- fallenden Zeichnungen wegen bei der Möbel- F"abrikation sehr geschätzt. In diesen und vielen anderen Fällen treten die stammbürtigen Adventivknospen ohne äußere Ein- grifie des Menschen ganz spontan aus dem Stamme hervor. Nicht selten spielen sie im Entwicklungs- gange der betreffenden Art eine wichtige Rolle. Es gibt Blütenpflanzen, deren aus dem Samen hervorgegangener Hauptsproß nebst seinen nor- malen Auszweigungen es niemals zur Blütenbildung bringt. Es gilt dies von Euphorbia Cyparissias,') der verbreitetsten der einheimischen Wolfsmilch- Thilo Irmisch, Bot. Zeitung 1857, p 470. 370 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 24 arten und von der in botanisclien Gärten nicht seltenen Testudinaria Elephantipes (L.). Der Haupt- sproß dieser aus Südafrika stammenden Pflanze schwillt zu einer Knolle an, die sich von Jahr zu Jahr erheblich verdickt. In jedem Frühjahr brechen aus der Rinde Adventivknospen hervor, welche zu langen, windenden Sprossen heranwachsen und allein Blüten und Früchte tragen.') Ohne sie würde diese Pflanze sich auf die Dauer nicht er- halten können. Bei den VVolfsmilcharten treten Adventivsprosse schon unterhalb der Samenblätter (Cotyledonen) aus den jungen Sproßachsen hervor. Mit den aus den Wurzeln hervorbrechenden Ad- ventivsprossen tragen sie bei Euphorbia Cyparissias ausschließlich , bei anderen Arten dieser Gattung vorzugsweise die Blüten. Auf den Wurzeln kommen Adventivknospen nicht minder häufig vor, wenn sie auch begreif- licherweise hier weniger in die Augen fallen. Sieht man auf Landwegen in der Nähe von Pappeln junge Sprosse derselben reihenweise aus dem Boden hervortreten, so ist dies ein Anzeichen für deren Anlegung auf horizontal verlaufenden Wurzeln. Bei manchen Unkräutern, wie bei der Ackerdistel (Cirsium arvense) und bei der Ackerwinde (Con- volvulus arvensis) spielt diese Art der Vermehrung ') H. von Molil, Vermiscbte Schriften botanischen Inhaltes (1845), p. 188. eine wichtige Rolle. Bei der letztgenannten Art bringen es meist nur die Wurzel-Adventivsprosse zur Blüten- und Fruchtbildung; die aus dem Samen hervorgewachsenen Hauptsprosse gehen frühzeitig zu Grunde.') Wenn Adventivknospen aus Stammgliedern oder Wurzeln hervorgehen, so berührt uns dies viel weniger fremdartig, als wenn sie auf Blatt- spreite n oder Blattstielen erscheinen. Bilden doch Stamm und Wurzel zusammen das Gerüst der Pflanzen, dem sich die Adventivsprosse natur- gemäß anfügen. Die Blätter aber sind seitliche Ausgliederungen der Sproßachsen, deren Lebens- dauer meist eine sehr geringe ist. Es erscheint deshalb fast widernatürlich, daß ein Blatt, wie es bei spontanem Auftreten von Adventivsprossen auf demselben der Fall ist, in das Verzweigungs- System von Achsenorganen eingeschaltet ist. Unter den bisher bekannt gewordenen, nicht sehr zahlreichen Fällen \-on blattbürtigen Adventiv- knospen sollen hier nur wenige der lehrreichsten hervorgehoben werden. Von den Farnkräutern sind es unter anderen besonders die in den Gewächshäusern sehr ver- breiteten Asplenium bulbiferum (Fig. i, d u. e) und A. Belangeri, welche an der Oberseite der Wedel oft mit zahlreichen jungen Sprossen besetzt sind. ') Th.' Irraisch, Bot. Zeitung 1S57, p. 435. Fig. I. Adventivknospenbildung an Laubblättern, d) u. e) an den Wedelabschnitten von Asplenium bulbiferum; f) am Rande der Uiattabschnitte von Bryophyllum calycinum ; c) an den Laubblättern von Cardamine uliginosa; a) am Rande der Laub- blälter von Mala.\is paludosa; b) zwei Knospen am Rande eines Laubblattes von Malaxis paludosa. Figg. a, c, d, I in natürlicher Größe; Fig. e 2 fach, Fig. b 20 fach vergrößert. (Nach Kerner von Marilaun, Pflanzenleben). N. F. III. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 371 Ihre weitere Entwicklung zu kräftigen Pflanzen findet erst statt, wenn sie künstlich abgetrennt und in Boden gepflanzt wurden, oder wenn sie im Verlaufe der natürlichen Entwicklung durch Senken des Wedels den Boden erreichen. Bei der Farn- faniilie der Marattiaceen dienen die dickfleischigen Nebenblätter ganz vorzugsweise der Vermehrung der Art sowohl unter natürlichen Verhältnissen, als in der Hand des Gärtners. Im Bereiche der Monocotyledonen bietet die in Fig. i, a abge- bildete kleine Erdorchidee Malaxis paludosa ein sehr bekanntes Beispiel von Brutknospenbildung am Rande der Laubblätter. Von einheimischen Dicotyledonen ist z. B. der als ,, Insektenfresser" bekannte Sonnentau (Droserarotundifolia)zu nennen, dessen Blattspreite zuweilen mit einem oder mehreren kleinen Pfiänzchen besetzt ist. Ferner das Wiesen- schaumkraut (Cardamtne pratensis) und mehrere ihrer Verwandten, wie die in Fig. i, c abgebildete Cardamine uliginosa. .Am reichlichsten und in regelmäßigster Anordnung aber finden wir blatt- bürtige Adventivsprosse bei dem in den Tropen der alten Welt heimischen Bryophyllum calycinum. In den Einkerbungen des Blattrandes sind die Stellen vorgebildet, an welchen die jungen Pflänz- chen einzeln entstehen. Schon zur Zeit, wo die Blätter noch mit dem Stamme der Mutterpflanze im Zusammenhang stehen, köimen diese .Adventiv- sprosse, falls die sie umgebende Luft genügend feucht ist, Wurzeln treiben, und die ersten Stadien der Entwicklung zurücklegen; ein ausgiebiges Wachstum erfolgt aber erst nach Ablösung des Blattes von dem Mutterstocke.') Während die stamm- und wurzelbürtigen .Ad- ventivknospen meist im Innern des Mutterorganes sich bilden und bei ihrer weiteren Entwicklung dessen Rinde durchbrechen müssen, sind die bis- her genauer untersuchten blattbürtigen Adventiv- knollen exogenen Ursprunges, d. h. an ihrem Aufbau beteiligt sich die Oberhaut des Mutter- organes samt den sich ihr anschließenden Zell- schichten. Den spontan hervortretenden Adventivknos- pen stehen diejenigen gegenüber, welche erst nach vorangegangener Verletzung entstehen. Ein scharfer Unterschied ist zwischen beiden freilich nicht vor- handen; beiderlei Sprosse können auf derselben Pflanze gebildet werden. Bei den meisten unserer einheimischen Holz- gewächse entsteht, wenn bei günstiger Jahres- zeit die Krone oder ein Teil derselben abgetrennt wird, ein Wundgewebe (Kallus), dem sehr bald eine oder mehrere xAdventivknospen entsprießen. Diese haben die Aufgabe, für die verloren gegangenen Teile des Verzweigungssystems Ersatz zu leisten. Ohne vorausgegangene Verletzung wären sie aus der betreffenden Stelle nicht hervorgebrochen. Trennt man Blätter der allbekannten Begonien (Schiefblätter) von ihren Sproßachsen ab, befestigt sie, die Blattoberseite nach oben gekehrt , auf feuchter Erde und durchschneidet einige ihrer Hauptnerven in querer Richtung, so treten an der kallösen Wucherung, welche sich an dem oberen Wundrande hervorwölbt, an der Oberseite .Adventivsprosse, an der Unterseite .Adventivwurzeln hervor (Fig. 2). Durch Abfaulen der Blatt- -^ Fig. 2. Blattspreile von Begonia Rex, nach Abtrennung vom zugehörigen Stiele auf feuchte Erde gelegt und an den kräf- tigeren Blattnerven durch Einstiche verletzt. Oberhalb der Insertionsstelle des Blattstieles und an den stielwärts gekehrten Wundrändern sind an mehreren Stellen Adventivsprosse her- vorgetreten. (Halbe natürl. Größe). Klitzing del. spreite werden die kleinen Pflänzchen frei und entwickeln sich unter günstigen Bedingungen zu kräftigen Exemplaren. Die Gartenkunst wendet diese Vermehrungsmethode nicht nur bei den Begonien, sondern auch bei Gloxinien und anderen Arten an. Auch bei Wurzeln kann Verwundung in sehr vielen Fällen zu reichlicher Produktion von Adventivknospen Veranlassung geben, be- sonders dann, wenn sie vorher reichlich Reserve- stoffe gespeichert hatten. Wird ein kräftiges Exemplar des bekannten Löwenzahns (Taraxacum officinale) seiner Blattrosette samt dem unmittel- bar darunter liegenden Teile der Wurzel beraubt, so wuchern aus dem Wundrande des im Boden zurückgebliebenen Wurzelstumpfes, einer Hydra gleich, zahlreiche neue Blattrosetten hervor.') Will man das gefürchtete Unkraut vertilgen, so muß man die Wurzel bis zu voller Tiefe ausstechen. ') Vgl. Göbel, r.otan. Zentralbl., 1902, p. 423. ') Vgl. Caspary in den Schriften der physikal-ökonomischen Gesellschaft in Kö'nigslierg, Bd. 14 (1873), p. ti2. 3/2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 24 Bei Adventivsprossen, welche auf Blättern ent- stehen, drängen sich zwei wichtige Fragen auf, von denen die eine das Gebiet der Morphologie, die andere das Gebiet der Anatomie berührt. 1. Läi5t sich ein Blatt oder ein Teil desselben für längere Dauer, mindestens bis zu einmaliger Blüten- und Fruchtbildung, in ein Verzweigungs- system von Achsen einschalten ? 2. Welchen Einfluß übt eine solche Einschaltung, falls sie möglich ist, auf die Gewebebildung des eingeschalteten Blattes aus ? Nehmen Leitbündel desselben, welche unter normalen Verhältnissen ihre Entwicklung abgeschlossen hätten, das Dicken- wachstum von neuem auf? Vermögen die periphe- rischen Leitbündel des Blattstieles sich, gleich denen des Stammes, zu einem Gefäßbündelringe mit interfascikularem Kambium zusammenzuschließen ? Die erste Frage ist schon von älteren F"orschern in positivem Sinne beantwortet worden. So sagt Meißner') von Begonia pinnata, von der er ge- trocknete Exemplare von der Insel Penang unter- sucht hatte: „Man bemerkt an denselben auf der Basis der herzförmigen Blattfläche ein halbkugeliges, braunes Höckerchen von der Größe eines Hirse- kornes bis zu der eines Pfefferkornes, welches an vielen Blättern noch als unentwickelte Knospe er- scheint, an anderen aber schon ein gestieltes Blatt, ja oft sogar einen Blumenstiel entwickelt hat. Die aus jenen Blattknöilchen entsprungenen Blätter tragen gewöhnlich selbst bereits wieder ein gleiches KnöUchen, welches oft ebenfalls schon ein junges Pflänzchen getrieben hat, so daß oft drei bis vier Generationen, teils blühend, teils schon mit reifen Früchten, aufeinandersitzen." Duchartre') sah bei zwei Varietäten der Tomate (Lycopersicum esculentum) besonders schön bei der Tomate cerise mit gelben Früchten, auf dem mittleren Teile der unregelmäßig gefiederten Blattspreiten (seltener nahe ihrem Grunde) häufig I — 4 Adventivknospen auftreten, welche nicht nur kräftige Blätter entwickelten, sondern es auch zur Blütenbildung brachten. Wären die Blüten nicht durch Herbstfröste getötet worden, so würden sie zweifellos normale Früchte erzeugt haben. Bei der nordamerikanischen, zu den Saxi- fragaceen gehörigen Tolmieia Menziesii (siehe F'g- 3) bildet Kerner von Marilaun'-) Ad- ventivsprosse ab, welche oberhalb des Blattstieles aus der Spreite entspringen und von denen einer bereits zahlreiche Blätter gebildet hat. Ob er bis zur Blütenbildung gelangt ist, wird nicht gesagt. BeiToreniaasiatica, einer in Ostindien heimischen Scrophulariacee, sah Hans Winkler-') die auf ') Linnaea 1838, p. 15 des Literalurbericlits (zitiert nach Göbel, Biolog. Zentralbl., 1902, p. 427). ') Ann. du sc. nat. (Bot.) 3 me seric, t. 19, (1853), p. 241. -) Pflanzenleben, 2. Aufl., 11, pag. 38. ') Ber. d. deutsch. Botan. Ges. 1903, p. 100. Fig. 3. Entwicklung blattbüitiger Knospen von Tolmieia Menziesii. 1) Ein im Abslerben begrififenes Blatt, welches an der Basis der Spreite ein schon weitentwickeltes Pflänzchen trägt. 2) Blattbürtiger .'\dventivsproß, weniger weit entwickelt. 3) Derselbe ist vor kurzem erst angelegt worden. 4 — 6) Blätter der Adventivsprosse in ihrer AJtersfolge. (Nach Kerner von Marilaun, Pflanzenleben). \T. V. III. Nr. -4 XaturwisscMscliaftliche Wochensclirift. 37: den Spreiten abgetrennter und in Gartenerde ge- pflanzter Blätter sich bildenden Adventivsprosse Fig. 4. lUaltslcckling von Torenia asiatica. Der eine, ein wenig seillich vom Haupt- nerven entstandene Sproß ist nacli Bildung nur eines einzigen Vorblattes unmittel- bar zur Bildung einer Blüte übergegangen, .^n der Basis des .'Stieles befinden sich mehrere vegetative .Sprosse. (Nach Hans \V i n k 1 e r in den Ber. d. deutsch, botan. Ges. 1903, p. 99). Kig. 5- Adveiitivsproß \on Begonia Re.\, von Herrn (jarten- inspektor Lindemuth erzogen und photographiert. I Iberhalli des in Erde geptlanztcn Blattstieles (B) ist aus der Basis der nun schon abgewelkten, im Bild nicht sichtbaren Spreite ein Adventivsproß entstanden, wxlcher 5 Blätter und einen Blüten- zweig (Bl) trägt. Der Blattstiel (B) ist später der anatomischen Untersuchung geopfert worden. Etwas verkleinert. häufig und frühzeitig zur Bliitenbildung schreiten (Fig. 4). ^ Herr Garteninspektor L i n d e m u t li hatte die Getälligkeit , im hiesigen Universitätsgarten eine größere Zahl von Versuchen mit kräftigen Blättern von Begonia Rex für mich anzustellen, welche Gelegenheit geben sollten, die oben aufgeworfene zweite Frage zu beantworten, wie die zwischen Adventivsprossen und Adventivwurzeln eingeschal- teten Leitbündel des Blattstieles samt dem sie umgebenden Grundgewebe sich verhalten. Die Blätter wurden mit dem unteren Teile des Stieles in Gartenerde eingepflanzt und im VVarmhause sorgfältig gepflegt. Fbenso wie bei der vorstehend abgebildeten Tolmieia Menziesii treten Adventiv- sprosse aus der Basis der Spreite oberhalb der Insertionsstelle des Blattstieles hervor. Außerdem a- — ^ a Fig. 6. Drei peripherische Bündel eines (Juerschoittes durch den oberen Teil des auf Fig. 5 dargestellten Blattstieles (B) von Begonia Re.x. Die im Grundgewebe bei a sichtbaren Tangentiallcilungen, welche mit dem in radialer Richtung stattgefundenen Wachstum der Lcitbündel in Zusammenhang stehen, stellen wahrscheinlich den Beginn der Anlegung eines interfascikularen Kambiums dar. (Nach einer Photogr. von W. Magnus.) erschienen sehr gewöhnlich noch ein bis mehrere Sprosse an der Basis des Blattstieles. Falls letztere rechtzeitig entfernt wurden , blieben die oberen Sprosse mehrere Monate am Leben, produzierten, besonders wenn eine die andere in der Entwick- lung zurückdrängte, eine größere Zahl Laubblätter und aus deren Achseln Blütenstände. Von den Früchten brachten es einzelne bis nahe zur Reife (Fig. 5). Nach mehrmonatlicher Kulttir wtirden mehrere der eingepflanzten Blattstiele, welche am oberen Ende einen Adventivprozeß mit kräftiger Achse und 2 bis 5 Blättern und mehreren darunter be- findlichen Blattnarben trugen, in 3 verschiedenen Höhen untersucht. Der Vergleich mit Blattstielen, welche unmittelbar von einem normalen Exem- plare abgetrennt waren und keine .Adventivsprosse 374 Natiirwissensrliaftliclie Wochenschrift. N. F. III. Nr. 24 trugen, zeigte, daß infolge der Entwicklung der Adventivsprosse die Leitbündel durchschnittlich sehr erheblich an Umfang zugenommen hatten. Das Kambium hatte weit über das Maß hinaus, wie es die Leitbündel im Stiele erwachsener Blätter zeigen, seine Teilungen fortgesetzt und war noch fortdauernd in Tätigkeit. Holz- und Bastteil hatten erheblich an Umfang zugenommen. Ebenso war das benachbarte Grundgewebe zu ent- sprechendem Wachstum und zu Teilungen ange- regt worden. Von besonderem Interesse wai' es, daß die neuen Teilungswände zwischen benach- barten peripherischen Leitbündeln des Blattstieles vorwiegend parallel der Außenfläche des Blatt- stieles gerichtet waren (Fig. 6). Es machte ganz den Eindruck, daß hiermit der Beginn der Anlegung eines interfascikularen Kam- biums gegeben war, das bei weiterer ungestörter Fortbildung die peripherischen Bündel zu einem Kreise zusammengeschlossen haben würde. Bei der vorliegenden Art müßte die Anlegung eines geschlossenen Kambiumringes ein um so größeres Interesse beanspruchen, als ich ein solches in nor- malen, in Erde fortwachsenden Rhizomen nicht beobachten konnte. Auch die peripherischen Leit- bündel fand ich hier zum größeren Teile isoliert. Sollte es gelingen , auch bei Holzgewächsen von langer Lebensdauer Adventivsprosse aus der Spreite von Blättern zu erziehen, deren Stiele sich, ähnlich wie bei Begonia Rex, am unteren Ende im Boden bewurzelt haben, so dürften sich letztere zu fortdauerndem Dickenwachstum an- regen und zu einem vollen Ersätze für die fehlende primäre Keimachse umbilden lassen. Wanderungen durch Heide, Urwald und Moor. [Nachdruck verboten,; Von Dr. pliil. Max Grüner. Alexander von Humboldt hat in seinen ,, An- sichten der Natur" einmal in hochpoetischer Sprache die Verschiedenheiten der Pflanzengebiete der Erde mit folgenden Worten geschildert: ,, Ungleich ist der Teppich gewebt, den die blütenreiche Flora über den nackten Erdboden breitet: dichter, wo die Sonne höher an dem nie bewölkten Himmel empor- steigt ; lockerer gegen die trägen Pole hin, wo der wiederkehrende Frost bald die entwickelte Knospe tötet, bald die reifende Frucht erhascht." Eine solche Verschiedenheit im Pflanzenkleide unseres Planeten finden wir nun nicht nur beim Vergleich weit voneinander entfernter Länder- strecken, sondern auch schon kleinerer Gebiete, auch schon in unserem deutschen Vaterlande. Das gilt namentlich von jenen, auch heute noch ge- waltigen Heide- und Moorgebieten, die im Nord- westen unserer Heimat dem Landschaftsbilde ein ganz charakteristisches Gepräge verleihen. Die ausgedehntesten Heideflächen finden sich zurzeit noch in der dem Namen nach ja wohl allbekannten Lüneburger Heide, während das Großlierzogtum Oldenburg und die preußische Provinz Ostfriesland die umfangreichsten Moorflächen aufweisen. Im Oldenburgischen haben sich endlich an zwei Stellen (Hasbruch bei Bremen, Neuenburg bei Varel) Reste des alten Waldbestandes erhalten, der einst in weiter Ausdehnung ganz Norddeutschland über- klcidete. Was die Natur hier in grauen Tagen der Vergangenheit unbeeinflußt durch die Hand des Menschen grünen und sprießen ließ in däm- merndem Waldesdunkel, das hat sich infolge freund- licher Schicksalsfügung durch die Stürme der Ver- gangenheit bis in unsere Zeitepoche herübergerettet, und wird als ehrwürdige Reliquie pietätvoll er- halten. Was ist nun zunächst die Lüneburger Heide in geographischer Hinsicht? Ein Hochplateau, das sich zwischen den Orten Göhrde und Bremen einer- seits, den Flüssen Elbe und Aller andererseits, in einer Entfernung von ca. 90 km erstreckt. Diese Hochebene fällt nach Norden, also Hamburg, zu steil ab, während sie sich nach Süden gegen die Aller unmerklich in die weiten Hochmoorgebiete an ihren Ufern abflacht. Am zweckmäßigsten tritt man Heidewanderungen von der alten Heide- zentralstadt Soltau an, einem freundlichen, auch gewerblich recht regsamen Ort am lieblichen Böhme- flüßchen. Auf den üppigen Wiesen und fetten Weide- triften, die seine Ufer kränzen, erinnert den Wan- derer noch nichts an den düsteren Ernst der Heide. Doch nicht lange und der Charakter der Landschaft ändert sich. Graugrünes, langes Gras säumt den Pfad, ab und zu erhebt sich am Wege einer oder der andere jener stummen Wächter der Heide: ein Wacholder- oder Machandelbaum. Da- zwischen streckt der Beesenstrauch seine dürren Zweige in die Luft. Einige gelbe veispätete Blüten geben eine Vorstellung von der Schönheit dieses Gewächses im blütenbesetzten Hochzcitskleide. Immer steppenartiger wird der Charakter der Land- schaft. Da und dort ein Trupp von Machandeln, und dahinter schweift der Blick über die rot- blühende Pracht des Heidekrauts weit, weit hinaus in duftige Fernen. Immer enger wird der Heide- pfad. Vom Sturmwind zerzauste struppige Birken begleiten ihn in gemessenen Zwischenräumen, rechts und links einsame Heide! Eine feierliche Ruhe, nur die Stimme der Natur spricht zu dem dafür empfänglichen Wanderer. Schwere Wolken haben sich zusammengeballt, und fern grollt leise der Donner. Und noch ein anderer Ton liegt in der Luft: Ein vieltausendfältiges feines Summen: die fleißigen Honigsammlerinnen sind an der Arbeit, die der Heitjer züchtet, um ihren süßen Honig aus den purpurnen Kelchen des Heidekrautes zu sammeln. Noch anderes kleines Insektcn\'olk K. F. m. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 375 läßt sich belauschen. Große Heuschrecken mit wunderschönen blauen und roten Flügeln setzen mit Ausdauer ihre Fiedelbogen in Tätigkeit, in kleinen Sandlöchern steigt die L,arve des Sandlauf- käfers auf und ab und lauert auf vorwitzige kleinere Stammesgenossen, hi prächtigem Schwebefluge gleitet der Trauermantel, der erste Bote des nahen- den Herbstes, iaber die Blüten des Heidekrautes und das zitternde Birkenlaub. Der Mensch stört selten mit schnöder Alltags- beschäftigung das gezeichnete Heideidyll und die Ruhe der Toten, die im nahen Hünengrabe (Falling- bostel!) zum ewigen Schlummer gebettet sind. Das Fallingbosteler „Steingrab" besteht aus 7 plattigen Gesteinsblöcken, die die Wände einer halb ober- irdischen Kammer mit vorderem Hingang bilden. Über ihr ruht eine gewaltige Granitplatte als Decke. In diesen Steingräbern wurden die Toten (wohl Ede- linge bzw. Fürsten) jenes unbekannten Steinzeit- volkes bestattet, das sich vom inneren Rußland durch ganz Europa bis nach Afrika in ihnen ein monumentum aere perennius gesetzt hat. Außer den halb oberirdischen „Steingräbern" finden sich noch einzeln oder in Gruppen sog. „Hügelgräber", von den Steingräbern durch den Erdaüfwurf unter- schieden. Vielleicht, daß ein innerer Zusammen- hang mit den Steingräbern darin besteht, daß sie von demselben Steinzeit- oder einem bronzezeit- lichen X'olke errichtet wurden, nachdem sämtliciies brauchbare Steinmaterial für die („megalithischen") Steingräber verbraucht worden war. Der Heitjer der Gegenwart macht sich wenig Kopfzerbrechen um die alten Steine; wo er sie findet, da werden sie frisch, fromm, fröhlich, frei in seine Wirtschaftsgebäude eingebaut oder helfen sein meist von prächtigen alten Eichen (Schweine- mast!) umstandenes, meist einzeln gelegenes An- wesen einzufrieden. Weniges hat der Fiskus vor der Zerstörung bewahrt. Der Landwirtschafts- betrieb des Heitjers beruht immer noch vielfach auf der altererbten Plaggenwirtschaft, d. h. auf der Verwendung von Heidekrautstücken (den „Plaggen") alsViehstreu bzw. Düngematerial. DiesesWirtschafts- system, das allerdings neuerdings schon in großem Umfang durch rationellere Verfahren (Anwendung künstlicher Düngemittel, Gründüngung, Frucht- wechsel statt des ewigen Roggenbaues) ersetzt ist, stellt eine Art Raubbaues dar, da mit den Plaggen zwar etwas Nährstoff' dem Felde zugebracht wird, dieser der Heide jedoch nicht zurückerstattet wird. Der ganze auf der Plaggengewinnung aufgebaute Wirtschaftsbetrieb ist aber obendrein unrentabel, da fast die Hälfte aller Gespannarbeit bei der Plaggengewinnung in Beschlag genommen wird. Immer mehr werden die großen Heidestrecken neuerdings durch Kiefernanpflanzungen in regel- mäßiger Schachbrettanordnung der Stämme ersetzt. Dem landschaftlichen Reiz der Heide geschieht dadurch freilich arger Abbruch ! Fiskus wie Private forsten in immer steigendem Maße ihre Heide- strecken an. In einigen Menschenaltern werden wir hier die größte zusammenhängende Waldfläche ganz Norddeutschlands haben. Schon jetzt sind die Heideforsten von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit als Lieferanten wohlschmeckender Waldbeeren (Blau-, Preißel-, Erdbeeren), die von hier in Massen in die Großstädte ausgeführt werden. Ebenso wichtig als die pflanzlichen Produkte der Heide sind die dem Tierreiche entstammenden. Wer kennt nicht — um von dem freilebenden jagdbaren Getier der Heide, z. B. dem Birkhuhn, abzusehen — das genügsame Heidschnuckenschaf? Sommer und Winter geht es, von kurzen Äsungen auf Stoppelfeld und Brache („Ledgen") abgesehen, auf der Heide seiner kargen Nahrung nach, bis es im Herbst den Weg allen Fleisches geht, um die verwöhnten Gaumen städtischer Gourmands zu reizen. Mit der Schafzucht geht's übrigens in der Heide von Jahr zu Jahr mehr bergab. Leute sind schwer zu haben, die Wollpreise niedrig, das Fleischerträgnis quantitativ unbefriedigend, vorallem genügen die dem einzelnen Hofbesitzer bei der Teilung des Gemeindelandes zugefallenen Heide- strecken, zumal in ihrem herabgekommenen Zu- stande, nicht mehr zum Unterhalt erheblicherer Herden. Als die Gemeindemitglieder auf die weite Heideallmende treiben durften, ging's an ; jetzt, wo jeder seine Parzelle hat, langt's nicht. Man hat leider zu spät eingesehen, daß die Aufteilung dieser Gemeindeländer auch nach anderer Richtung hin — zumal für die kleinen Leute — von den ver- hängnisvollsten Wirkungen begleitet gewesen ist. Sie waren bisher berechtigt gewesen, ein oder einige Stück Vieh auf die Gemeindeweide zu treiben und sich dadurch in Verbindung mit dem sonstigen Erträgnis ihrer Hände Arbeit eine be- scheidene Existenz zu ermöglichen. Bei der Auf- teilung gingen sie meist leer aus; fast über Nacht waren aus Hunderttausenden kleiner aber fest im heimatlichen Boden wurzelnder und urgesunder Existenzen land- und heimatlose Proletarier ge- worden. Sie wanderten in die Großstädte, zumal deren emporblühende Industrien reichlichen Ver- dienst, reichlicheren als auf dem Lande zu ver- sprechen schienen. Es war ein „Schein". Hier vermehrten sie sich und schufen in den großen Städten das Problem, das unserer Zeit den Stempel aufdrückt. So enthüllen die hunderte verfallender Schafställe in der einsamen Heide dem Wissenden eine mit der materiellen Verbesserung einzelner zu teuer erkaufte Wirtschaftsentwicklung! Trotz der überaus dürftigen Bodenbeschaften- heit der Lüneburger Heide und der darauf be- ruhenden schwachen Bevölkerungsziffer hat sich doch schon seit alten Zeiten hier die bislang höchste Form menschlicher Kultur, die städtische, entwickeln können. Nur eines solchen alten Kultur- zentrums sei gedacht, der alten Salzstadt Lüneburg. Schon in uralten Zeiten hatten in der Nähe der alten Kalkfelsen, an dessen P"uße Lüneburg liegt, An- siedlungen bestanden, aber erst nach der Zerstörung Bardowieks, der mächtigen Handelskonkurrentin, durch Heinrich den Löwen im Jahre 11 8g, konnte sich aus ihnen das mächtige Gemeinwesen ent- 37Ö Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. 111. Nr. 24 wickeln, das im Prälatenkriege Kaiser und Papst die Stirn zu bieten wagte und — noch mehr — sich ihnen gegenüber durchsetzte. Die Quelle der Macht Lüneburgs ist — wie allbekannt — die Sülze, d. h. die reiche Solquelle gewesen, die aus großen Tiefen eine sehr reine Salzlösung herauf- bringt, die, in groiSen Kesseln eingesotten, ein wert- volles Speisesalz lieferte und noch gegenwärtig liefert. Zur Zeit der Blüte der Lüneburger Salz- industrie gab es daselbst 54 Sudhäuser mit je 4 Pfannen, die jährlich ä 1000 Zentner Kochsalz ca. liefern konnten. Der Holzverbrauch belief sich auf ca. 100 000 Raummeter pro anno. Ursprüng- lich herzoglich war die Sülze allmählich an ver- schiedene Klöster und Adlige verpfändet worden, die den technischen Betrieb an Pächter vergaben, die sog. Sulfmeister, meist Söhne altangesessener Patrizierfamilien. Die Sulfmeister hatten die Hälfte der BruttoEinnahmen für die gesamte Produk- tion bis zu 400 Zentner an den Sulzbegüterten abzuführen, von der übrigen Hälfte wurden Be- triebskosten bestritten. Das Erträgnis einer größeren jährlichen Produktion als 400 Zentner kam unge- schmälert dem Sulfmeister zugute. Die Sulz- begüterten hatten erst 2 5''/o ihrer Einnahmen an den Stadtsäckel abzuführen, und als die Schulden der Stadt auf Grund ihrer Aufwendungen für Kriege im Interesse der Sulzbegüterten immer mehr wuchsen, sollte die Abgabe sogar 50% betragen. Die Betroffenen wandten sich nach Rom und an den Kaiser, aber trotzdem der Papst 1450 den Bann und der Kaiser 1454 die Reichsacht über Lüneburg verhängte, setzte der Rat, wenn auch nach gefährlichen inneren Kämpfen, seinen Willen durch. Mit dem Niedergang der Hansa, der Ver- änderung der Handelswege, dem Aufkommen von Konkurrenz auf dem Gebiete der Salzindustrie und auf Grund der immer größeren Schwierigkeit, das Brennmaterial für die Sülze herbeizuschaffen, ver- fiel Lüneburg, um sich erst neuerdings empor- zuraffen. Mit diesem neuerlichen Aufschwung geht leider ein ziemlich rasches Verschwinden der bis vor kurzem ganz mittelalterlichen Physiognomie Lüneburgs Hand in Hand. Immerhin ist auch zurzeit noch für einen Freund mittelalterlicher Städtebilder, für den Historiker und Architekten hier vieles Interessante zu sehen. Da sind die alten Giebel am Sande in einem fremdartigen, aus einer Verschmelzung von gotischen und ro- manischen Elementen zustande gekommenen Bau- stile, mit seltsam verschnörkelten Windfahnen und Eisenverzierungen , da ist das alte Rathaus mit seiner prächtigen Gerichtslaube und der wunder- bar traulichen Körkammer, einem wundervoll er- haltenen Gemache aus dem frühen Mittelalter, da sind die alten Kirchen und noch vieles andere. Sah es nun immer so aus in der Heide des nordwestlichen Deutschland, wie sie sich zur- zeit noch auf weite Erstreckungen hin präsentiert als heidekrautbedeckte Steppe ? Keineswegs ! Es gab eine Zeit, da ein großer Teil von ungeheuren Wäldern bedeckt war. Menschlicher Unverstand hat diese Wälderpracht, ohne auf Ersatz des Aus- geholzten bedacht zu sein, bis auf ein Minimum zugrunde gerichtet. Viel hat wohl besonders die Lüneburger Sülze mit ihrem Holzverbrauch von jährlich etwa 100 000 Raummetern, ein Ver- brauch, der etwa looo Jahre anhielt, zur Ver- nichtung der norddeutschen Waldbestände bei- getragen. Das Wenige, was sich bis zum Anfang des vorigen Jahrhundert erhalten hatte, wurde nach der französischen Invasion niedergeschlagen, als die unter der Last der französischen Kontributionen finanziell zusammengebrochenen Gemeinden ge- nötigt waren, ihr letztes Gemeindevermögen, den Wald, flüssig zu machen. Die kleinen Ausschluß- forste Hasbruch bei Bremen und Neuenburg bei Varel sind die letzten Reste jener alten Wald- bedeckung, während in der Heide selbst nur einige alte knorrige Bauniriesen von entschwundener Wälderpracht ein stummes Zeugnis ablegen. In diesen Ausschlußforsten, die jeder Natur- freund besichtigen sollte, der einmal den echten deutschen Wald kennen lernen will und der sich von deutscher Waldespoesie, wie sie in unseren nach modernen und forstwissenschaftlichen Grund- sätzen gepflegten Wäldern immer seltener wird, umhauchen lassen will, sind Axt und Säge ver- pönte Instrumente. Was die Schöpfungskraft der Natur hier zur Entwicklung bringt, das darf sich ohne menschliche Korrektur entfalten, was von den alten Eichenriesen, vom Blitz getroffen oder vom Sturm zerschmettert oder im Kampf mit mörderischen Baumpilzen oder den Buchen als glück- licheren Rivalinnen unterlegen, in den schwarzen Boden gesunken ist, das modert an Ort und Stelle im Urwalddunkel. Der Flfeu klettert mit mannsschenkelstarken Trieben hinauf in das knorrige Geäst, zierliche Farne kriechen an den geneigten Stämmen bis hinauf in die Wipfel. Unter ihnen wuchern in düsterem Gewirr die stachelige Hülse (Stechpalme !), Kreuzdorn, Faulbaum, Hasel, Rose und Brombeere, überzogen von den Ranken herrlich duftenden Jasmins, und mitleidig umkleiden sie die alten Baumleichen mit freundlichem Grün. Meister Grim- bart, der Dachs, legt mit Vorliebe an solchen Stellen seine Bauten an, unbehelligt durch den Forstmann, Pouchs und Marder schleichen abends durchs Ge- büsch, wenn das Käuzchen sich mit klagendem Rufe zum Ausfluge rüstet. In den Astfächern der ehr- würdigen Baumpatriarchen nistet der alte deutsche Waldvogel, der geschwätzige Staar. Nur das Hoch- wild fehlt! Noch eines Geschwisterkindes der Heide haben wir zu gedenken: des Moors. Wo sich an tief gelegenen .Stellen Wasseransammlungen bildeten, da siedelten sich die genügsamen Torfmoose an; höher und immer höher wuchsen ihre Rasen, unten starben die Stengel ab, moderten und erzeugten den braunen wassergetränkten Pflanzenfilz des Torfes, oben wuchsen ihre weißgrünen Stengel nach. Andere Liebhaber von Feuchtigkeit fanden bei ihnen Unterschlupf, Ried- und Wollgräser, N. F. in. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 377 Sumpfporst, Sonnentau, auch das rotbUlhende Heide- kraut, oder noch eher die großblütige Dopplieide mengten sich unter sie. Ein ernstes Landschaftsbild, solch ein Hochmoor! Weit, unendlich weit dehnt sich die braune Fläche, hier und da schwarze Moorlachen. Klagend streicht der Wind darüber, zaust in den dürren Stengeln des Haidekrautcs und treibt unruhiges graues Gewölk über das Himmelszelt. Warum heißt's eigentlich „Hochmoor", könnte man fragen. Aus zwei Gründen: einmal ist das Hochmoor ziemlich hoch , jedenfalls über dem Wasserspiegel gelegen, besonders aber weil das Hochmoor in der Mitte höher als an den Rändern ist, in der Mitte somit eine etwa uhrglasförmige Wölbung aufweist. Im Gegensatz zu den Hoch- mooren ist die Unterlage der Niederungsnioore entweder vom Wasser bedeckt oder häufigen Über- schwemmungen ausgesetzt und erscheint in der Mitte nicht gewölbt. Groß ist der Unterschied hinsichtlich der landwirtschaftlichen Ausnutzungs- möglichkeit. Das Hochmoor ist im rohen Zustand unfruchtbar und gibt erst im entwässerten Zu- stande und gedüngt befriedigende Erträge, da es selbst so gut wie keine pflanzlichen Nährstoffe besitzt. Dagegen genügt eine einfache Entwässe- rung der Niederuiigsmoore, um diese in üppige Wiesen und Weiden zu verwandeln. Die große Mehrzahl aller nordwestdeutschen Moore sind Hoch- moore. Auf ihnen erfolgte und erfolgt auch noch zurzeit durch den Staat die Ansiedelung deutscher Kolonisten in sog. Moorkolonien. Preußen und das Großherzogtum (Oldenburg stehen zurzeit an der Spitze der diesen Zweig der Kolonisation pflegenden deutschen Staaten. Das erste Erfordernis der Anlage einer Moor- kolonie ist die Entwässerung der landwirtschaftlich zu nutzenden Moorflächen durch einen mit einem größeren Flußlauf in Verbindung stehenden Kanal; dieser soll zugleich die Verbindung der Kolonie mit größeren Verkehrszentren ermöglichen, in denen der Kolonist seine Erzeugnisse: Torfund landwirtschaft- liche Produkte absetzen kann und zugleich soll er den leichteren Transport solcher Produkte auf beque- mem Wege gestatten, die der Kolonist benötigt: Bauholz, Bausteine, Muscheln zum Kalkbrennen, Schlick und Fäkaldünger zum Düngen der Felder usw. Ist die Entwässerung des Moores in genügen- dem Maße erfolgt , so ist der Moorboden genau ebenso gut kultivierbar wie jeder andere Acker- boden und das Wohnen auf ihm zugleich genau ebenso gesund wie auf festem Sandboden. Eine der größten dieser Moorkolonien ist wohl die oldenburgische Kolonie Elisabethfehn. Sie liegt am 41 km langen, die Hunte mit der Ems verbindenden Hunte - Ems - Kanal und wies 1900 165 Kolonatc auf, deren Größe zwischen 4,5 und 6,5 ha (a 4 Morgen ca.) schwankt. Die PVont der 6,5 ha großen Kolonate ist am Kanal 90 m breit und erstreckt sich 930 m nach hinten. Der Oldenburgische Fiskus ließ sich den ha mit 300 Mk. bezahlen. Er erhebt außerdem für die Kanalbenutzung einen jährlichen Kanon von 6 Mk. pro ha, jederzeit mit dem 30 fachen ablösbar und ein Torfgeld von 3 — 6 Pfg. pro (]m abgetorfter Fläche je nach Mächtigkeit des Moores. Der Zahlungsmodus ist neuerdings ein derartiger, daß ohne Zahlung eines Kaufgeldes oder Kanons eine 3 '/■2 °/" ig^ jährliche Rente des taxierten Wertes des Kolonates gezahlt wird. Zugleich gewährt der Fiskus dem Kolonisten eine lojährige Be- freiung von Grund- und Gebäudesteuer. Das Torfgeld bleibt bestehen. Die Rente beträgt meinen Informationen zufolge durchschnittlich 67 — 70 Mk. Allerdings müssen auch noch die Zinsen für Hypotheken zum Bau des Hauses, zur An- schaffung von Düngemitteln, Saatgut und Vieh aufgebracht werden. Verfolgen wir nun die Ent- wicklung eines Kolonates. Um das Haus, das an der sich neben dem Kanal hinziehenden Straße liegt, wird ein kleiner Gemüsegarten angelegt. Bald aber beginnt auch die landwirtschaftliche Nutzung des Moors. Seine Oberfläche wird „gebrannt" und das gebrannte Moor mit Buchweizen bestellt, eine Kulturart, die allerdings nur solange ausübbar ist, als noch eine Humusdecke existiert, die sog. Bunkerde. Zugleich mit der Brandkultur des Buchweizens beginnt der Kolonist mit der Torfstecherei , die ihn in den ersten Jahren fast völlig zu erhalten hat und er- halten kann, da der Torf namentlich in den großen Weserstädten stets zu guten Preisen Absatz findet. Für den Transport auf dem Kanal bedient sich der Kolonist eines Torfschiffes, das eine Trag- fähigkeit von etwa 10 — 20 Tonnen k loookg be- sitzt und ca. 1500 Mk. kostet. Als Rückfracht nimmt der Kolonist gern Seeschlick zur Verbesse- rung seiner Felder. Diese legt er in der Weise an, daß er auf das abgetorfte Land die Bunkerde- schicht wirft und die obersten 10 cm mit Schlick und P'äkaldünger versieht. Schlahnstetter Roggen, schwarzer Moorhafer, Kartoffeln und Peluschken- wicken wachsen auf diesen Feldern vorzüglich. Aber auch vortrefifliches Vieh gedeiht auf den Weiden, die er auf dem Moor angelegt hat. Daß es vorwärts geht in den Kolonien, das lehrt schon ein Blick in die freundlichen Backstein- häuser mit ihren blütenweißen Gardinen, wohl- gefüllten Glasschränken, stattlichen mit Delfter Kacheln ausgekleideten Feuerstellen. Man kann überhaupt die volkswirtschaftliche Bedeutung dieser Moorkolonien meines Erachtens nicht hoch genug veranschlagen; hunderttausende von deutschen Bauernfamilien könnten hier noch angesiedelt wer- den, Königreiche sind hier noch in friedlicher Arbeit mit Spaten und Pflug zu erobern. 378 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. 111. Nr. 24 Kleinere Mitteilungen. Ein Beispiel hervorragender tierischer Intelligenz. — Dal.^ die geistige Betätigung der Tierwelt weit über das Instinktive liinausgeht, darin 'stimmen wohl gegenwärtig alle vorurteils- losen Beobachter überein ; wohl aber wird noch lange ein Gegenstand der Kontroverse die Frage bleiben, inwieweit sich der tierische Geist dem menschlichen nähert, und welchen Geschöpfen hierin der Vorrang gebührt. Jeder Spezialforscher der Lebewelt macht in dieser Beziehung so über- raschende Wahrnehmungen, daß er gern geneigt ist , gerade den Geschöpfen eine hervorragende Stellung auf dem Gebiete geistiger Befähigung zuzusprechen, deren Intellekt er näher kennen zu lernen Gelegenheit hatte, und so ist es schon ge- kommen, daß man den einzelnen Abteilungen der Insekten, die durch ihre Mannigfaltigkeit und Ab- sonderlichkeit besonders viele und recht verschieden beanlagte Beobachter auf sich gezogen haben, einen so hohen Rang einzuräumen bestrebt ge- wesen ist, daß selbst die der menschlichen Orga- nisation sich mehr nähernden Wirbeltiere dagegen in den Hintergrund gedrängt wurden. Ohne weiteres kann man aber wohl erwarten, daß je mehr instinktive Gabe dem Geschöpf verliehen worden ist, wie das besonders beim Stamme der Insekten der Fall ist, um so weniger Verstand zur Erhaltung und Fortpflanzung der Art nötig sein wird, und ferner, daß die auch in körperlicher Beziehung dem Menschen nähergerückten Vertebraten, nament- lich deren oberste Klassen , soweit es die dem menschlichen Geiste qualitativ ähnlichen Kräfte angeht, auch hierin vor allen Tieren bevorzugt sein werden. Und von diesen sind es wohl wieder diejenigen, die den schwersten Kampf ums Dasein kämpfen müssen und deswegen schon geistige Überlegenheit nötig haben und sodann diejenigen, die der Mensch, nicht um sie bei seiner Ernährung zu verwerten, wie verschiedene Haustiere, sondern in der Absicht auswählte und an sich heranzog, um sie zu seiner Unterstützung, als Mitarbeiter, als Helfer, oder vielleicht gar als Gesellschafter um sich zu haben. Wenn wir nun aber auch besonders bei letzteren eine hervorragende geistige Beanlagung erwarten dürfen, so wolle man nicht außer acht lassen, daß sie unserer Beurteilung nicht mehr unterliegen als wilde , noch in ihrem ehemaligen Zustande verharrende Geschöpfe, son- dern als solche, deren ursprüngliche geistige Kraft von den Menschen sorglich weiter gebildet worden ist, und die sich uns nun mit den seit ungezählten Generationen von den Alten auf die Jungen ver- erbten Fortschritten präsentieren. Kann es aber nicht noch Tiere geben, die dem Menschen zwar ferner geblieben sind, und zu deren geistiger Weiterbildung er noch nichts beigetragen hat, die aber schon ihrer ursprünglichen Beanlagung nach auch den intelligentesten Haustieren überlegen sein können? Der ganzen Körperkonstitution nach stehen uns weder der Hund, dessen geistige Bevorzugung besonders oft betont wird, noch andere in nähere Beziehung zum Menschen getretene Tiere , wie Pferd, Elefant, Kameel usw. so nahe, daß wir Veranlassung hätten zu behaupten , sie müßten auch betreffs des Geistes unmittelbar hinter dem Menschen rangieren. Dem Körperbau nach sind ja viel mehr menschenähnlich die Affen und be- sonders diejenigen von ihnen, die wir geradezu als anthropoid bezeichnen. In dieser, wenn auch nur auf körperlichen Merkmalen fußenden Ähn- lichkeit eine Verwandtschaft auch hinsichtlich des Geistes zu vermuten, ist jedenfalls keine Un- gereimtheit. Wenn man dem entgegen halten kann, daß, wenn diese Tiere dem Menschen je als geistig ausgezeichnet erschienen wären, er sie auch längst als geistig sich verwandt erkannt und an sich heran gezogen haben würde, so wolle man bedenken, daß die Naturvölker gerade der Zone, in welcher diese Tierspezies heimisch ist, von anderen Gefühlen geleitet werden als wir, und sie diese Tiere vielleicht eben wegen ihrer hohen geistigen Potenz mehr gefürchtet und bekämpft, als sie an sich heranzuziehen Bedürfnis gefühlt haben. Zu einer näheren Prüfung der Intelligenz der anthropoiden Affen ist es eigentlich auch erst ge- kommen, seitdem Kulturvölker mit ihnen in Be- rührung getreten sind, und besonders, seitdem sie selbst zu uns gebracht werden, und wir in den zoologischen Gärten Gelegenheit haben , uns mit ihnen zu beschäftigen. Das gilt vor allem für den früher sehr wenig bekannten Schimpansen. Der zoologische Garten in Dresden kam 1S72 zum erstenmal in den Besitz eines solchen Tieres und bot 4 Jahre lang Gelegenheit, das unter dem Namen Focke höchst interessante Tier kennen zu lernen. Der Unterzeichnete, dem der Erwerb des- selben schnell bekannt gegeben worden war, be- eilte sich , ihm so bald als möglich einen Besuch zu machen und erlaubt sich hier mitzuteilen, was er damals gesehen. Focke war im Winterhause untergebracht in einem leidlich großen Räume, an dessen Wänden Sitzbretter liefen. Er saß bei meiner Ankunft auf einem derselben, sah sich, was er schon stundenlang getan, höchst verwundert seine neue Wohnstätte an und blickte dabei mehr auf- als abwärts. Endlich prüfte er die im Wohnräume befindlichen Gegenstände und besonders einen Krug mit Wasser. Dabei entdeckte er ein Ast- loch in der Diele. Er kam demselben näher und stierte nun vor ihm kauernd mit einem Auge längere Zeit in dasselbe hinein. Er mochte wohl vor allem seine Tiefe haben ergründen wollen, denn als die Betrachtung zu keinem Ziele führte, steckte er den Zeigefinger, so tief er konnte, in das Loch und schien höchst verwundert , als er auch auf diese Weise den Boden nicht erreichte. Jetzt fing er nach einiger Zeit der Überlegung an, in das Loch zu spucken und sorglich allen daneben kommenden Speichel mit den Ungern in dasselbe zu dirigieren. Die Flüssigkeit aber reichte nicht N. F. III. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 379 aus, es zu füllen, da die Diele mehrere Zentimeter über den unebenen Grund gelegt war, und so das kleine Loch in den großen Zwischenraum über- ging. Nun iiolte er den Wasserkrug und goß seinen ganzen Inhalt in die so merkwürdige Öffnung. Aber alles Wasser verlief, ohne den erwünschten Aufschluß zu geben. Da setzte er langsam den Krug wieder an seinen früheren Platz, ging auf sein Brett, setzte sich ruhig nieder, sah zuweilen noch auf das Loch herunter, schien aber sehr be- troffen zu sein. In den folgenden Tagen soll er noch oft Versuche gemacht haben, sich über die Tiefe des L,oches Gewißheit zu verschaffen, bis er endlich die Resultatlosigkeit seiner Bemühungen einsah und das Loch keines Blickes mehr würdigte. Bei Beurteilung der Intelligenz dieses Tieres ist wohl besonders beachtenswert, daß sie sich in einer Richtung betätigte, die mit den mate- riellen Bedürfnissen seines Trägers in keinem Zu- sammenhang stand. Es war eine rein theoretische Frage, für die sich Focke interessierte, und deren Lösung sonst für Tiere wohl kaum Interesse haben dürfte. Und wie suchte er dieselbe zu lösen. Die vier Mittel, die ihm hierzu allein zu Gebote standen , hat er sämtlich erkannt und in einer Reihenfolge benutzt, vom nächstliegenden zum entfernteren übergehend, wie sie auch die menschliche Intelligenz nicht besser hätte anordnen können. Zu welcher Höhe würden derartig geistig begabte Tiere gebracht worden sein, wenn sie seit Tausenden von Generationen systematisch er- zogen worden wären ! Dr. Robert Ebcrt, Dresden. Die Besonderheit der Flora zwischen Mainz und Ingelheim. — Westlich von Mainz erstreckt sich bis gegen Ingelheim ein Gebiet mit eigen- tümlicher Vegetation. Den Nordabhang des leicht w^elligen, im allgemeinen etwa 200 m hohen frucht- baren (jaues bedeckt Kiefernwald, welcher sich in die hier am Südufer nur 2 km breite, 86 bis lOO m hohe Rheinebene hineinzieht (Rheinspiegel bei Mittelwasser 82 m über N.N.). Streckenweise ist Eichenniederwald eingeschoben. Gegen den Fluß zu wird der Waldbestand mehr und mehr durch Spargelfelder und Obstgärten unterbrochen. Forst- lich vernachlässigte Waldstreifen sind hier meist reich an Unterholz von Schwarzdorn, während in den geschlossenen Beständen öfter Wacholder- sträucher angetroffen werden. Wo nicht gar zu viel Streu gerecht wurde, bedeckt den Waldboden neben Gräsern und Kräutern oft Heidekraut, Gamander und Quendel. Diesem für die wärmeren Lagen Westdeutschlands durchaus ungewöhnlichen Vegetationsbilde entspricht eine besondere Boden- formation, der Flugsand. Denselben treffen wir von Straßburg nordwärts nicht selten strichweise am Oberrhein, und wo Buchten des Gebirges sich gegen die Ebene öffnen, ist er streckenweise in größerer Menge angehäuft, besonders im Hagenauer Forst, dem Bienwald und südwestlich von Darm- stadt. Überall wächst auf diesen crrößcrcn oder kleineren Sandflächen Kiefernwald. Hagenauer Forst und Bienwald liegen auf dem Hochstaden, nicht in der Ebene des Flusses, ihre Flora ist im wesentlichen dieselbe wie die der niedrigen Lagen der Nordvogesen. der Hardt und des Saarkohlen- gebirges. Die Wälder sind von Mooren unter- brochen, Königsfarn, Lungenenzian (Pneumonanthe), Zwerglein (Radiolai, Kriechweide, Sonnentau u. dgl. erinnern an die moorreichen Sandgebiete des Nord- seeküstenlandes. Anders ist die Flora im Sand- gebiete von Mainz, welches dem Flusse näher und dem Gebirge ferner liegt. Hier fehlt die Neigung zur Moorbildung, vielleicht wegen der niedrigeren, wärmeren Lage und des kalkreichen Untergrundes. Der leichte Boden wird im Frühling schnell trocken und warm, im Sommer dafür übermäßig dürr. Dementsprechend haben wir eine reiche und schöne P'rühlingsflora , während im Sommer genügsame Arten blühen und fruchten, welche auf reicherem Boden neben üppigeren Mitbewerbern keinen Platz finden. Diese Verhältnisse des Bodens genügen zur Erklärung der floristischen Eigentümlichkeit des Mainzer, wie auch des ähnlichen Darmstädter Sandgebietes. Sie machen es auch begreiflich, weshalb wir die Frühlingsblumen des Sandes an anderen Orten sowohl auf dürrem steinigem Grunde als auch auf feinkörnigem Kalk (Lößl finden, während die Sommer- und Herbstblumen zum Teil auf den im Frühjahr feuchten, später desto mehr ausdörrenden Salzfeldern wiederkehren. Als Alfred Nehring: die hochwichtige Entdeckung gemacht hatte, daß im Braunschweiger Löß Knochen des Springhasen (Alactaga), des tatarischen Murmel- tiers (Boback) und anderer Nagetiere liegen, welche sommerdürre Felder bewohnen, entstand die zu vielerlei Mißverständnis führende Steppentheorie. Man übersah, daß diese Nagetiere ihr eigentliches Wohngebiet auf den hochgelegenen Steppen Asiens haben inmitten einer Flora, welche sich mit der- jenigen vergleichen läßt, welche die Wohnungen des Alpenmurmeltiers umgibt. Hätte man dies zur rechten Zeit erkannt, so schob sich die sub- glaziale Springhasen- und Murmeltierzeit zwischen die glaziale Lemming- und die boreale Eich- hörnchenzeit ebenso zwanglos ein, wie die Periode der Birken- und Weidengesträuche zwischen die der Tundra und des Waldes. Aber der von Nehring niclit ganz glücklich gewählte Ausdruck „Steppen- tiere" rief in vielen Forschern den Irrtum hervor, zwischen Eiszeit und Gegenwart müsse eine Zeit- lang bei uns ein Klima und eine Vegetation ge- herrscht haben, ähnlich wie wir sie jetzt in der nördlichen Umgebung des Schwarzen Meeres sehen. Wesentlich erleichtert wurde die Aufnahme dieser Theorie durch die auch jetzt noch in Deutschland verbreitete, in Rußland von den Kennern und Er- forschern des Landes schon seit 30 Jahren über- wundene Meinung, daß die Vegetation der süd- russischen Steppen, insbesondere ihre Baumlosig- keit, eine Folge des Klimas sei. — Nicht das Klima hält dort den Baumwuchs auf, sondern die chemische Zusammensetzung des Bodens. Und 38o Naturwissenschaftliche VVochcnsclirift. N. I-. III. Nr. 24 die Tiere, welche am meisten für Deutschlands ehemalige „Steppen" charakteristisch waren, Spring- hase und tatarisches Murmeltier, leben dort nur an wenigen Stellen als Relikte oder infolge neuerer Anpassung als Schädlinge der menschlichen Kul- turen. Diese Steppentheorie, oder genauer gesagt, pontische Steppentheorie verfehlte nicht, auch die Auffassung der Mainzer Sandflora zu beeinflussen. Eine Zusammenstellung derCharakterpflanzendieser Flora ergab,') daß die meisten in Südosteuropa vor- kommen; es war gar keine Frage, daß einst die ganze oberrheinische Ebene eine Steppe gewesen, und die Sandflora von Darmstadt und Mainz deren Überbleibsel war. Der Urheber dieser Theorie hat gewiß nie eine Steppe gesehen. Flugsand, mit Kiefern be- wachsen, darunter ein Filz, in welchem strecken- weise das Heidekraut überwiegt, das ist von der Steppe so verschieden, wie die Marsch von der Geest im nordwestdeutschen Tieflande. Freilich gibt es in Südrußland überall an dem linken Ufer der Flüsse Anhäufungen von Flugsand, und stellen- weise treten auch Kiefernwälder auf, aber diese Formation wird dann als „Vorposten des Waldes" aufgefaßt, von der Plateausteppe ist sie grund- verschieden. Man könnte ja sagen, auf dem (xau bei Mainz ist die Steppenflora der Kultur erlegen, nur diejenigen Steppenpflanzen, welche sich in das Dünengebiet des Uferabhanges retten konnten, blieben hier erhalten. Aber der Florencharakter des Mainzer Sand- gebietes ist gar kein pontischer. Die Kiefer ist in Südrußland selten, der Wacholder geht kaum über das Gouvernement Kiew hinaus, das Heidekraut ist eine Charakterpflanze Nordwesteuropas. Dem eigentlichen Steppengebiete fremd ist auch eines der häufigsten Gräser unseres Sandgebietes (Cory- nephorus Weingärtneria oder Aira canescens) sowie das Tripmadam (Sedum reflexum). Ja unter den für unser Gebiet vom pflanzengeographischen Stand- punkt wichtigsten Arten, d. h. denen, die hier mehr oder weniger isolierte Standorte haben, ist nicht eine rein pontische, während zwei rein west- liche darunter sind: ein dem Timothee ähnliches kleines Gras (Phleum arenarium) und die wegerich- blättrige Unterart der Grasnelke (Statice armeria plantaginea). Ein anderes charakteristisches Gras ( I'oa alpina badensis) gehört der Hochgebirgsflora an. Am meisten isoliert ist wohl eine Boraginee, die Lotwurz (Onosma arenarium), deren zusammen- hängendes Wohngebiet sich von Südosteuropa einerseits bis Osterreich und Mähren, andererseits um den Südabliang der Alpen herum bis Süd- frankreich und ins obere Rhonetal erstreckt. Noch manche andere Charakterpflanzen des Mainzer Sandes haben ähnliche Wohngebiete: eine große Verbreitung im Südosten, zerstreute Standorte bis ins Ostseegebiet und an den Harz, sodann eine ') Jännicke, Die Sandflora von Mainz, ein Relil;t aus der Steppenzeit. Frankfurt (ohne Jalir, aber nach 1S89). Reihe von Vorkommnissen durch das .Alpengebiet bis Südfrankreich und weiter zum Oberrhein. So verhält es sich u. a. mit der schönsten Frühlings- blume, einem gelben Adonisröschen (Adonis ver- nalis), welches vor Jahrhunderten als Ingelheimer Nieswurz weit bekannt war. Diese Arten können den Mainzer Sand ebensowohl von Süden her als von Osten erreicht haben. Einzelne Arten sind freilich rein östlich. Dahin gehört der Sandflohsame (Plantago arenaria), ein Gattungsgenosse der Wegericharten. Dieser ist am Oberrhein erst seit 1812 aufgehoben, und die Vermutung liegt nahe, daß die Truppenbewegungen der napoleonischen Zeit die Ursache seiner Aus- breitung waren. Auch das im Mainzer Sande so häufige Salzkraut (Salsola kali), dasselbe welches als russische Distel in Amerika neuerdings zum lästigen Unkraut geworden ist, erschien am Ober- rhein erst in jener Zeit, 18 12 wurde es von Schwetzingen als Einwanderer gemeldet, 18 14 für Mainz festgestellt. Noch später wurde die oben erwähnte Boraginee Onosma arenarium entdeckt. Angesichts dieser Tatsachen muß der Pflanzen- geograph sich fragen, ob nicht vielleicht noch mehr charakteristische Bestandteile der Mainzer Sandflora durch den V'erkehr der Menschen dort- hin geführt sind. Seit der römischen Kaiserzeit ist Mainz ein verkehrsreicher und vielumstrittener Platz gewesen, vor dem Heere aus Süden, Westen, Osten und Norden wiederholt gelegen haben. Das oben erwähnte Alpengras (Poa alpina) wurde neuerdings zuweilen in Mittel- und Norddeutsch- land eingeschleppt. Eine der Mainzer nahe ver- wandte andere Unterart der Grasnelke (Statice armeria elongata) wird gegenwärtig als Einwanderer von Osten her im Saargebiet beobachtet. Das kleine Timotheegras (Phleum arenarium), welches hauptsächlich die Küsten bewohnt, wird neuer- dings zuweilen durch Schiffsverkehr verschleppt, kann es nicht durch solchen früher rheinaufwärts gebracht sein? Am Niederrhein ist es \'erbreitet. Ich glaube, dies sind der botanischen Einzelheiten genug, um zu beweisen, wie verkehrt die Be- hauptung Jännicke's war, der Florencharakter des Mainzer Sandgebiets würde auch ohne Nehring's Knochenfunde zur Annahme einer ehemaligen Steppenperiode nötigen. Das Mainzer Sandgebiet gewährt durch die Eigentümlichkeit seines Bodens einer von der Umgegend ab- weichenden Flora Schutz. Da wir ander- weit wissen, daß der Gegenwart eine kältere und wohl wenigstens zeitweise trocknere Periode vorausging, so ist es nicht unwahrscheinlich, d a ß m a n c h e jetzigen C h arak t er p f la n ze n des Sandes damals im oberrheinischen Gebiet ver- breitet waren, während sie jetzt auf schwererem Boden nicht mehr mit den inzwischen eingewanderten anspruchs- volleren Arten konkurrieren können. Der lebhafte mensch liclic \^crkchr gab N. F. III. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 381 Gelegenheit zur Einbürgerung für manche Arten, denen die dortigen Verhält nisse günstig sind, welche aber sonst keine Mittel zur Einwanderung gehabt hatten. — Das ist nach meiner Ansicht alles, was man aus dem heutigen Bestände der Flora und ihrer neuesten Geschichte schließen kann. Von großem Interesse wäre es, Nachrichten zu finden über das Aussehen dieses Sandgebietes in früherer Zeit. Vielleicht zeigt ein Historiker den Weg zu ein- schlägigen Quellen ; in den Mainzer Chroniken konnte ich nichts finden. Ernst H. L. Krause. Über organische Ablagerungen am Grunde der Tiefsee. — Können sich organische Sub- stanzen auf dem Roden der Tiefsee anhäufen ? Diese Frage wurde mir vor einiger Zeit vor- gelegt mit der Bitte, sie in den Spalten der Naturwissenschaftl. Wochenchrift zu beantworten. Auf den ersten Blick erscheint es unbedenklich die Frage zu bejahen, im Hinblick auf die be- kannten Funde von Agassiz im karaibischen Meere und im Stillen Ozean zwischen Kalifornien und den Galapagos. Dieser Forscher erhielt näm- lich auf Dretschzügen in 1800 bis 3000 m Tiefe große Massen von Zweigen, Blättern und anderen Pflanzenteilen; eine andere Frage ist es jedoch, ob es hier wirklich zur Bildung von organischen Ablagerungen kommt. Es ist sehr wohl denkbar, daß diese Pflanzenreste am Boden der Tiefsee verwesen , ebenso wie auf dem Lande die abge- storbenen Pflanzenteile in vielen tropischen Ge- bieten, ohne auch nur eine Spur von organischem Sediment zu bilden. Sollte sich aber in den von Agassiz beobachteten Fällen wirklich organische Substanz am Grunde der Tiefsee anhäufen , so wird es sich doch nur um einen ganz speziellen Fall handeln, der nicht ohne weiteres auf die großen land fernen Ablagerungen der Tiefsee übertragen werden kann. Versuchen wir also die Lösung der gestellten Frage auf allgemeinerer Grundlage I Wenn wir absehen von dem Material , das von der Küste her verschleppt ist, so wird organische Substanz, die sich am Boden der Tiefsee ansammelt , im wesentlichen von dem in höheren Wasserschichten und speziell in der Nähe der Oberfläche treibenden Plankton stammen ; Nekton und Renthos sind be- kanntlich für den Aufbau der Tiefseeablagerungen ohne Bedeutung. Man wird also sagen dürfen, daß von vornherein dort die Aussichten für eine Sedimentierung organischer Substanz am günstig- sten liegen müssen, wo das reichste Planktonleben zu beobachten ist. Man wird aber dabei im Auge behalten müssen, daß der weitaus größte Teil der absterbenden organischen Substanz wiederum zur Ernährung der planktonischen oder nektonischen Tiere dient, also gar nicht auf den Meeresboden gelangt. Immerhin mag ein, wenn auch kleiner, Prozentsatz von Tier- und Pflanzenleichen den Meeresboden erreichen. Auch von diesem wird noch immer ein ge- wisser Teil von dem Benthos der Tiefsee ver- arbeitet werden. Der Rest aber könnte sich dann zu organischen Ablagerungen anhäufen — wenn er nicht verweste. Die Verwesung ist bekanntlich ein Oxydationsprozeß; ist also im Meereswasser der Tiefsee noch genügend freier Sauerstoff vor- handen , um die zugeführte organische Substanz zu oxydieren , so wird nie eine Anhäufung der- selben stattfinden können, mit einer Ausnahme allerdings; wenn nämlich die Sedimentablagerung anorganischer Substanzen , z. B. von Ton oder Kalk, so rasch vor sich geht, daß die niedersinkende organische Substanz rasch eingehüllt und damit der oxydierenden Wirkung des Seewassers ent- zogen wird. Das sauerstoffreiche Wasser der Tiefsee stammt, wie bekannt, von der Oberfläche und ist dank seiner tieferen Temperatur oder dem höheren Salzgehalte allmählich zu Boden gesunken. In den Weltmeeren ist die Quelle des Tiefenwassers in den Polargebieten , speziell im Südpolargebiet zu suchen. Wo eine derartige absteigende Wasser- zirkulation fehlt, wie z. B. im Schwarzen Meere, ist der Sauerstoff des Tiefenwassers ungenügend zur Oxydation der organischen Substanz, es findet eine Reduktion der Sulfate zu Sulfiden statt, durch welche das Tiefenwasser mit Schwefelwasserstoff imprägniert wird. Theoretisch wird man also eine Anhäufung von organischer Substanz am Boden der Tiefsee dort erwarten dürfen, wo das planktonische Tier- und Pflanzenleben der Oberflächenschichten sehr reich ist und wo entweder das Tiefenwasser arm an Sauerstoff ist oder dem Meeresboden sehr reichlich anorganisches Sedimentmaterial zugeführt wird. Sehen wir nun, wie sich mit diesen Forde- rungen die Erfahrungen der Tiefsee-Expeditionen vereinigen lassen. In seiner klassischen Bearbeitung der ,, Tiefsee- ablagerungen, welche vom Challenger erlotet wur- den", gibt John Murra\' an, daß sich Spuren von organischer Substanz in nahezu allen Grundproben der Tiefsee fanden. In den roten Tonen und anderen rein pelagischen Sedimenten ist jedoch die Menge der organischen Substanz sehr viel geringer als in den terrigenen, wie z. B. im blauen Schlick. Jedoch kommt es auch bei den land- nahen Tiefseeablagerungen zu keiner irgendwie nennenswerten Anreicherung von organischer Sub- stanz, wie aus den Analysen zu ersehen ist. Wichtigere Aufschlüsse gibt uns der zu früh verstorbene Conrad Natterer in einer Reihe sehr gehaltvoller Berichte über die Chemie des öst- lichen Mittelmeeres, des Marmara- und des Roten Meeres. Er sagt darüber: „Man könnte erwarten — , daß im Meer ein Gleichgewicht zwischen Bildung und Zerstörung organischer Substanz besteht. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der unleugbare Verbrauch von freiem Sauerstoff in den Meeres- tiefen hat nicht eine entsprechende Vermehrung der Kohlensäure zur Folge, vielmehr dient dieser Sauerstoff hauptsächlich zur Bildung von Zwischen- 38: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 24 Produkten der Oxydation organischer Substanzen, welche Zwischenprodukte ebenso wie die sonstigen organischen Reste von Pflanzen und Tieren nur zum geringsten Teil in Lösung sind oder in Lösung gehen, sondern zum größten Teil auf dem Meeres- grunde abgelagert werden. Es bilden also im östlichen Mittelmeere und wahrscheinlich auch in weiten Gebieten der Ozeane die Meerespflanzen eine bedeutend größere Menge organischer Substanzen, als gleichzeitig bis zur vollständigen Zerstörung oxydiert wird." Zu einer besonders starken Anreicherung von organischer Substanz konmit es nach Natterer an dem unterseeischen Abhang der Küsten von Syrien und Palästina. Dadurch wird eine Reduk- tion der schwefelsauren Salze und Bildung von Schwefeleisen bewirkt, es bildet sich aber auch, was von besonderem Interesse ist, Petroleum, das in Spuren im Tiefen.schlamm und in dem darüber stehenden Wasser nachgewiesen werden konnte. Ahnlich liegen die Verhältnisse am Aus- gange des Golfes von Suez, wo ebenfalls das Schlammwasser Spuren von Petroleum enthielt. Natterer meint sogar, daß das Petroleumvorkom- men auf der benachbarten afrikanischen Küste (am Djebel Zeit) durch kapillares Aufsteigen des im Tiefenschlamme sich bildenden Petroleums zu erklären wäre. In ähnlicher Weise findet sich Petroleum an der syrischen Küste bei Alexandrette in der Nähe des petroleumhaltigen Meeres- schlammes. Im allgemeinen dürfte sich die Frage nach theoretischen Betrachtungen und unter Zugrunde- legung der leider noch sehr spärlichen praktischen Erfahrungen wohl dahin beantworten lassen, daß organische Substanz sich wohl nie am Grunde der küsten fernen, wohl aber im Gebiete der küstennahen Tiefsee anreichern kann. Beson- ders bevorzugt erscheinen in dieser Hinsicht Binnenmeere, im Weltmeere die Mündungsgebiete grof.Jer Ströme. Nach dem heutigen Stande un- serer Kenntnisse werden aber derartige submarin abgelagerte Massen von organischer Substanz eher gasförmige oder flüssige, als feste Kohlenstoff- verbindungen hinterlassen. E. l'hilippi. tation des Gestirns zurückführbar sein. Die Formel zur Berechnung der Minima lautet: Min. = 1902 Okt. 6 + 161 E, wo für E die Reihe der natürlichen Zahlen einzu- setzen ist. F. Kbr. Der veränderliche Stern X-Aurigae ist kürzlich von K. Graff eingehend auf Grund des zahlreichen , vorliegenden Beobachtungsmaterials untersucht worden. Es hat sich dabei ergeben, daß der Stern einem sehr regelmäßigen Licht- wechsel zwischen der 8,7. und 1 1,7. Größenklasse in einem Cyklus von 161 Tagen unterworfen ist. Von konstanter Helligkeit ist der Stern niemals, vielmehr steigt er etwas schneller zum Maximum an, als er wieder zum Minimum zurückkehrt. Letzteres ist von sehr kurzer Dauer, die Licht- kurve^ biegt scharf von dem absteigenden Aste in den aufsteigenden um, während die Helligkeits- änderung im Maximum weniger plötzlich verläuft. Der Licht Wechsel dürfte vermutlich auf eine Ro- Bücherbesprechungen. Prof. P. Bachmetjew, E.xperimen t eil e ento- mologische Studien vom physikalisch- chemischen Standpunkte aus. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. August Weismann. Erster Band , Temperaturverhältnisse bei Insekten. Mit 7 Figuren im Text. Leipzig , Verlag von Wilhelm Engelmann. 1901. 160 Seiten. Den Untersuchungen über den Einfluß verschie- dener Temperaturen auf die Natur der Insekten kommt es zugute, wenn der Entomologe zugleich ein geübter Ph\siker ist. Der Verfasser dieses Buches ist unter derartigen günstigen Umständen zu bemer- kenswerten Resultaten gelangt. Er ist der erste, welcher für die bekannte auffallende Widerstands- fähigkeit vieler Insekten gegen Kälte eine wissen- schaftliche Erklärung abgibt. Es ist vielen Entomo- logen bekannt, daß Schmetterlingsraupen im Eis ein- frieren können , ohne zu sterben , und daß auch andere Entwicklungszustände , namentlich entwickelte Insekten unter Umständen längere Zeit eine Tempe- ratur aushalten, die erheblich unter Null liegt. Dieses Verhalten ist augenscheinlich eine sehr zweckmäßige Einrichtung der Natur, weil dadurch die Überwinterung, die nicht immer an geschützten Stellen stattfindet, zur Erhaltung der Art beiträgt. Aber der Grund dieser zweckmäßigen Einrichtung war bisher rätsel- haft. Eine Anpassung einzelner Arten kann es nicht sein, da die Erscheinung in weit ausgedehnten geo- graphischen Gebieten maßgebend ist. Auch sind in zahlreichen Fällen von vielen Entomologen Experi- mente durch Anwendung von Kältegraden mit Lepi- dopterenpuppen angestellt worden, welche nicht über-' wintern, also höheren Kältegraden nicht angepaßt sind. Der Verfasser schließt aus dem \'erhaUen der frostfesten Insekten oder deren Entwicklungsformen, daß , wie bei frostharten Pflanzen , der Grund ihrer Widerstandsfähigkeit in einer Unterkühlung zu suchen ist. Die Entdeckung der Unterkühlungserscheinungen der Säfte ist geeignet, den mit Temperaturverhält- nissen zusammenhängenden biologischen Forschungen der Entomologen, aber auch aller Zoologen neuen Aufschwung zu geben. Den Physiologen sind hiermit neue Bahnen gewiesen. Der Verfasser nennt denjenigen Temperaturgrad, bis zu welchem die Insekten- und Pflanzensäfte sich unterkühlen können, den k ri tis chen P unkt. Dies ist derjenige Temperaturgrad , welcher erreicht wird, bevor die Säfte zu erstarren beginnen, und von wel- chem an die Temperatur des Insekts bis zum n o r - m a 1 e n Erstarrungspunkte der Insektensäfte wieder steigt. Ein lebender Schmetterling, S at u r n i a p y r i ^^ wurde in Eis gelegt. Bei — 2,5" C bewegte er sich nicht mehr; er war nach 15 Minuten bis auf — 9,4" N. F. III. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 383 abgekühlt, zeigte dann aber plützlicli einen Temperatur- sprung auf — 1,4", wonach seine Temperatur wälirend II Minuten konstant blieb. Die Temperatur — 9,4" C ist in diesem Falle der kritische Punkt, und — 1,4" der normale Erstarrungspunkt. Bei — 2,2" wurde der Schmetterling aus dem kalten Luftbade herausgenommen, bei — 1,7 bis -|-5,o" bewegte er sich noch nicht, aber nach i Stunde und 10 Minuten lebte er bei Zimmertemperatur wieder auf und legte am folgenden Tage viele Eier. Auf S. 138 tt". ist die Methode mitgeteilt, nach welcher der Verfasser bei seinen Untersuchungen die Temperatur der In- sekten gemessen hat. In dem Buche sind noch zahl- reiche derartige Experimente beschrieben. Jetzt wissen wir, daß manche biologische Fragen, /.. B. die rätselhafte Anabiose, die Widerstandsfähigkeit der Tiere und Pflanzen gegen Kälte und andere verwandte Erscheinungen sich wirklich erklären lassen und in ganz anderem Lichte erscheinen als früher. H. Kolbe. S. Levy's Anleitung zur Darstellung orga- n i sc li • c h e misch e r Präparate. Vierte, ver- besserte und erweiterte .Auflage. Herausgegeben von Dr. A. Bistrzycki, o. Professor der Cliemie an der Universität Freiburg in der Schweiz. Mit 40 in den Text gedruckten Holzschnitten. Stuttgart. Verlag \'on Ferdinand Enke. 1902. Preis 4,20 Mk. Das treffliche Buch verfolgt einen vornehmlich didaktischen Zweck , indem es den Anfänger an der Hand von Beispielen in die organische Chemie ein- führen will. Der Verfasser hat eine Reihe von zweck- mäßigen Präparaten ausgewählt, unter denen ziemlich alle Klassen der organischen Verbindungen als Haupttypen vertreten sind. Zahlreiche Abbildungen erleichtern das Verständnis, und für denjenigen, der das Buch zum Selbstunterricht benutzt, ist eine kurze Einleitung, die einige allgemeine Ratschläge enthält, vorangestellt. Diese Einleitung bietet nicht das , was in dem allge- meinen Teil des ausgezeichneten Gattermann'schen Werkes zu finden ist, und was gerade für .\nfänger und beim Selbstunterricht von so grotSer Bedeutung ist. Der Verfasser macht zwar darauf aufmerksam, daß der Lernende sich stets Rechenschaft geben soll von den Vorgängen, die bei den betreffenden Synthesen zu beachten sind und hat jeder einzelnen Präparaten- vorschrift eine Anmerkung über den sich dabei ab- spielenden chemischen Vorgang vorangestellt. Aber nach meiner Ansicht hätte er doch die theoretische Seite der organischen Synthese mehr hervorkehren und die betreffenden Angaben nicht nur in der Form von Rezepten geben sollen. Denn wenn ein Lernender beim Selbstunterricht — um ein Beispiel herauszu- greifen — die Synthese von Äthylbromid auf Grund der gegebenen Anleitung vornimmt, so mag er wohl die Vorgänge, die sich dabei abspielen, kennen, ohne sich jedoch^der Hauptsache bewußt zu sein : daß er nämlich den Ersatz einer alkoholischen Hydroxyl- gruppe durch Halogen vorgenommen hat, und daß dieses Beispiel typisch ist für alle derartigen Synthesen ; dies ist doch eben der Schwerpunkt der Operation. Der Anfänger wird z. B. ferner auch nicht darauf aufmerksam gemacht, daß er vom 31. Präparat an plötzlich die Synthese von Kohlenstoffringen in An- griff nimmt. Alles dies, meine ich, hätte auch äußer- lich etwas mehr zur Geltung kommen können. — Doch von alledem abgesehen, ist das Levy'sche Ruch längst in weitesten Kreisen als ein ganz vorzügliches Werk anerkannt und geschätzt worden. Was ihm u. a. besonderen Wert verleiht, sind die Angaben zur Prüfung auf Reinheit und über das chemische Ver- halten der angefertigten Präparate. Gerade dieses pädagogisch wichtige Moment ist wieder in dem Gatter- mann'schen Werke nicht genügend berücksichtigt und es ist erfreulich, daß der Herausgeber der Levy'schen Anleitung hierauf besonderen Wert gelegt hat. Die vierte Auflage ist durch persönliche Erfahrungen des Prof Bistrzycki und durch Privatmitteilungen seiner Fachgenossen wesentlich verbessert worden. Jede einzelne Präparatenvorschrift ist eingeteilt in i. Lite- ratur, 2. chemischer Vorgang (zumeist in chemischen Formeln ausgedrückt), 3. Darstellung, 4. Eigenschaften. Der Bestimmung des Schmelz- und Siedepunktes wurde in der Neuauflage besondere Berücksichtigung zuteil. Neu aufgenommen wurde außerdem die „Dar- stellung des Formaldehyds nach Ullmann" in Genl und die „Titrierung des Formaldehyds", auch ein Beispiel für die Kenzoylierung nach Schotten-Baumann u. a. Das Buch kann unbedingt jedem aufs wärmste empfohlen werden, der sich mit der Darstellungsweise organischer Präparate vertraut machen will. Dr. R. Loebe. Literatur. Bruder, Gymn.-Prof. Geo.: Geologische Skizzen aus der Um- gebung .\ussigs. Eine Anleitg. zur selbständ. Naturbeobachtg. Mit 16 Orig.-Lichtdr.-Taf. u. 17 .-Vbbildgn. im Text. Progr. (68 .S.) gr. 8°. .'Aussig '04, A. Beclier. — 3 Mk. Hesse-Wartegg, Ernst v. : Korea. Eine Sommerreise nach dem Lande der Morgenruhe 1894. Mit zahlreichen Abbild. u. e. Spezialkarte Koreas m. den angrenz. Ländern. 2. verm. Ausg. (V, 239 S.) 4". Dresden '04, C. Reißner. — 5 Mk. ; geb. 6 Mk. Lauterer, Dr. Jos.: Japan. Das Land der aufgeh. Sonne einst u. jetzt. Nach seinen Reisen u. Studien geschildert. Mit 100 Abbildgn. nach Japan. Orignalen sowie nach photo- graph. Xaturaufnahmcn. (V, 407 S.) gr. 8". Leipzig ('04), U. Spamer. — 7 Mk. ; geb. in Leinw. 8,50 Mk. Moissan, Prof. Henri: Einteilung der Elemente. Deutsch v. Dr. Th. Zettel. (58 S.) gr. 8». Berlin '04, M. Krayn. — 2 Mk. Waiden, P. : Wilhelm Ostwald. Mit 2 Heliogravüren u. e. Bibliographie. (Vll, 120S.) gr. 8". Leipzig '04, W.Engel. mann. — 4 Mk. Walker, Prof. Dr. James: Einführung in die physikalische Chemie. Nach der 2. Aufl. des Originals unter Mitwirkg. des Verf. übers, u. hrsg. von Assist. Dr. H. v. Steinwehr. |X , 428 S. m. 48 Abbildgn.) gr. 8". Braunschweig '04, K. Vieweg & Sohn. — 6 Mk. ; geb. in Leinw. 7 Mk. Briefkasten. Herrn L. — Frage: Wann sind Speziesnamen, die ihre Herkunft von Eigennamen herleiten, durch Anhängung von US resp. ius zu latinisieren .• Antwort: Nach dem mir vorliegenden .Material zu ur- teilen, hat sich der .Sprachgebrauch offenbar so entwickelt, daß man im allgemeinen Eigennamen, welche nicht schon eine lateinische Endung haben, wie Cornelius, .Andreas usw. 384 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 24 durch Anliängung eines ius hitinisicit , also Lindemuthius. Dagegen erhalten Eigennamen auf er regelmäßig bloß us, was aus Arabis Halleri , Care-x Oederi , Conioselinum Fischeri, Dianthus Wimmeri , Hieracium Engleri zu ersehen ist. Auch auf en, in und un ausgehende Namen haben gewöhnlich nur US. So nennen sich die Berliner Professoren Mommsen und Vahlen in ihren lateinischen Schriften Momrasenus und Vahlenus, und botanische Namen wie Artemisia Baunigarteni, Galiura Bauhini, Festuca Brinkmanni erweisen dasselbe. Daß diese Regel aber nicht streng innegehalten wird, zeigt Plantago Wulfenii. Auch ursprüngliche Vornamen behalten us, vgl. Amarantus Berchtoldi, Arabis Gcrardi, Carex Gebhardi. Ein e wird durch aeus wiedergegeben, also Linnaeus, Potoniaeus. Bei der englischen Namensendung -son schwankt der Gebrauch, vgl. Carex Marssoni, Clcrodcndron Thompsonae neben Sper- gula Morisonii. — Über diese nicht unwichtige p'ormfrage sollte, falls es nicht schon geschehen ist, eine internationale Einigung unter den Gelehrten herbeigeführt werden. F. Matthias. Herrn J. H. in lUans. — Sie haben einen Calathus mit vier Reihen eingestochener Punkte gefunden und wünschen dessen Namen zu wissen. — Ihre Angaben sind zu unbestimmt, als daß man Ihnen ganz sichere .Auskunft geben könnte. — Von Calathus cisteloides ■ — der ältere und deshalb richtige Name ist C. fuscipcs Goeze 1777 (vgl. G. .Seid- litz, Fauna Baltica, Die Käfer, 2. Aufl. Königsberg, 1891, S. 32) — heißt es in der sorgfältigen Beschreibung von Erichson (Naturgesch. der Insekten Deutschlands, Band i, S. 391, Berlin 1860); „Außer der gewöhnlichen Reihe größerer Punkte am achten Streifen steht eine Reihe von Punkten am fünften Streifen und eine andere am dritten Zwischenraum, in der vorderen Hälfte der Flügeldecken nahe am dritten, in der hinteren gewöhnlich nahe am zweiten Streifen." Gyllenhal stellt die letztere Reihe geradezu als zwei Reihen dar (Insecta Suecica T. I pars 2 p. 126, Scaris 1810): ,,juxta striam se- cundam a satura, posterius, puncta majora plerumque sex, in tertia anterius itidem sex." — Erichson fügt seiner Be- schreibung hinzu, daß „die Zahl und Stärke dieser Punkte manchen Abänderungen unterliege". Nach Dejean (Species general des Coleopteres Tom. 3 p. 67, Paris 1828) können die Punktreihen sogar ganz schwinden. — Calathus fus- cipes veranschaulicht also eine Tatsache, die jedem erfahre- nen Systematiker zur Genüge bekannt ist, daß nämlich gute Artmerkmale , ja sogar Gattungsmcrkmale in einzelnen ano- malen Fällen im Stiche lassen. Die Diagnose oder kurze Beschreibung darf mit seltenen Anomalien nicht belastet wer- den. Man würde z. B. vom Menschen niemals in einer kurzen Beschreibung sagen, daß er 5 — 6 Finger besitze, obgleich ein sechster Finger gar nicht so sehr selten vorkommt. — Klar- heit verschafft sich der Sammler stets, wenn er an derselben Örtlichkeit weiter sammelt und zahlreiche Exemplare zu be- kommen sucht. Wo ein Stück einer Art vorkommt, da sind meist auch mehrere zu finden. Dahl. Herrn R. in G. — Als besonders brauchbares und zu- gleich erschöpfendes Werk über chemische Kristallo- graphie und Mineralogie empfehle ich Ihnen Brauns, R. , Chemische Mineralogie, Leipzig, Chr. Herm. Tauchnitz, 1896. Sie finden darin die Lehren der chemischen Kristallo- graphie und Mineralogie unter Berücksichtigung der neueren Forschungen im Zusammenhange eingehend dargestellt. .Außer- dem wäre noch die ,, Physikalische Kristallographie mit Ein- leitung in die kristallographische Kenntnis der wichtigsten Substanzen" von P. Groth. 3. Aufl. Leipzig, 1895, Verlag von Wilhelm Engelmann, zu nennen. Der Zweck dieses umfang- reichen , vorzüglichen Werkes ist, unter ,, Voraussetzung der allgemeinen Experimentalchemie und -physik, aber ohne weitere mathematische Kenntnisse, als sie die Mittelschule zu liefern im Stande ist, den Studierenden nicht nur in das Verständnis der Gesetzmäßigkeiten, denen die kristallischen Stoffe unterworfen sind, einzuführen, sondern ihn auch zu befähigen, die Metho- den dieser Wissenschaft praktisch anzuwenden". Das von Ihnen genannte Buch von A. Fock ist als Einleitung in die chemische Kristallographie ebenfalls gut brauchbar. — Des ferneren fragen Sie nach einem ,,schr tiefgehenden, dabei aber mit gelehrtem Stoff nicht überladenen" Werke über organische Chemie. .An Büchern über dieses Gebiet ist kein Mangel, und umso schwieriger ein einzelnes besonders zu empfehlen. Bekannt sind die Lehrbücher von Roscoe-Schor- lemmer, Graham-Otto, und das kürzere Werk von Bernthsen, auch die ,, Chemie der Kohlenstoffverbindungen" von Richter ist ein vorzügliches Werk. .Als ganz besonders brauchbar möchte ich Ihnen aber das ,, Lehrbuch der organischen Chemie" von Victor Meyer und Paul Jacobson in zwei Bänden nennen. (Leipzig, 1893. Veit & Co.) Dieses Werk ist in erster Linie zur Lektüre bestimmt. Es will den Leser durch eine ausführliche Darlegung des heutigen Standes der organi- schen Chemie mit dem bisher Erreichten vertraut machen und ihn belähigen, der weiteren Entwicklung unserer Wissenschaft zu folgen. Es hält sich von dem Lapidarstil der kürzeren Kom- pendien fern, vermeidet die störende Beladung des Textes mit Zahlen und legt auch (iewicht auf zuverlässige Literatur- angaben. Ob nach dem Tode Victor Meyer's eine Neuauflage besorgt worden, ist mir nicht bekannt. Dr. R. Lb. Herrn E. K. in Reihersdorf — Ich habe eine große An- zahl mikroskopischer Präparate aufbewahrt in einem Tropfen Glycerin , einfach bedeckt mit dem Deckgläschen ohne das- selbe ringsum mit Lack abzuschließen. Auch über 20 Jahre alte Präparate haben sich so derartig gut erhalten, daß sie nichts zu wünschen übrig lassen. Das ist die einfachste, nicht zeitraubende Aufbewahrungsmethode, die sich für die meisten Präparate bewährt, wenn es sich nicht gerade um Bakterien oder sehr zarte, weiche tierische Objekte handelt. P. Herrn Dr. P. G. in Riedlingen (Württemberg). — Zum Studium der Entstehungsbedingungen von Varietäten nehmen Sie de Vries , Mutationstheorie, in welchem Werk Sie auch Auskünfte über Bastardierung finden (Bd. II betitelt sich ,, Elementare Bastardlehre" 1903, Leipzig, Veit & Co.). Im übrigen sind zu benutzen C. Correns : Die Ergebnisse der neuesten Bastardforschungen (Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft, Berlin 1901). Der Aufsatz: Die Mendel'schen Regeln , ihre ursprüngliche Fassung und ihre modernen Er- gänzungen (Biologisches Zentralblatt 1902) ist eine gute ein- führende Darstellung. Herrn R. in Friedenau. — Murray und Renard (Deep Sea Deposits, Challenger Report) verstehen unter ,,Mud" die terrigenen, schlammigen .Absätze der Tiefsee, d. h. diejenigen Tiefseeablagerungen , welche ihr Material größtenteils vom Lande beziehen. Sie unterscheiden einen blauen, roten, grünen, vulkanischen und Korallen-, ,Mud". Der Gehalt an organischer Substanz ist in allen ,,Muds" nach den vorliegenden Analysen gering, aber beträchtlicher, als in den landfernen Tiefsee- ablagerungen. Man übersetzt ,,Mud" wohl am besten mit Schlick, da sich die Zusammensetzung, besonders die des am meisten verbreiteten blauen ,,Muds" der des Schlicks unserer Wattenmeere nähert. Unter ,,Ooze" verstehen die Engländer die organogenen küstenfernen Tiefseebildungen(Pteropoden-, Globigerinen-, Diatomeen-, Radiolarien-Ooze), man gebraucht für ,,Ooze" wohl am besten die Bezeichnung Schlamm. Red clay = roter Ton ist das anorganische Sediment der größten, landfernen Tiefen. Privatdoz. Dr. E. Philippi. Inhalt: L. Kny: Über die Einschaltung des Blattes in das Verzweigungssystem der Pflanze. — Dr. phil. Max Grüner: Wanderungen durch Heide, Urwald und Moor. — Kleinere Mitteilungen: Dr. Robert Ebert: Ein Beispiel hervor- ragender tierischer Intelligenz. — Ernst H. L. Krause: Die Besonderheit der Flora zwischen Mainz und Ingelheim. — E. Philippi: Über organische Ablagerungen am Grunde der Tiefsee. — K. Graff: Der veränderliche Stern X-Aurigae. — Bücherbesprechungen: Prof. P. Bachmetjcw: Experimentelle entomologische Studien vom physika- lisch-chemischen Standpunkte aus. — S. Levy's Anleitung zur Darstellung organisch-chemischer Präparate. — Lite- ratur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-^A^est bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 20. März 1904. Nr. 25. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren .Vufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstrafie 46, Buchhändlcrinserate durch die Verlagshandlung erbeten. [Nachdruck verboten.] Riesen und Zwerge spielen in den Mythen, Sagen und Märchen vieler Völker eine große Rolle.') Zweifellos sind Riesen und Zwerge zu allen Zeiten vorgekommen und haben die Auf- merksamkeit der Zeitgenossen von gewöhnlichem Wüchse erregt, wie auch heutzutage die Menge sich drängt, um solche Naturwunder anzustaunen. Wenn ihnen auch nicht die außerordentliche Größe oder Kleinheit zukommt, wenn sie auch nicht die übernatürlichen Eigenschaften besitzen, womit die schöpferische Phantasie des Volkes und der Dichter sie ausgestattet hat, so erregen sie dennoch all- gemeines Interesse. Auch die moderne Wissen- schaft hat sich mit ihnen vielfach beschäftigt. Mythen und Sagen, Märchen und sonstige Dich- tungen, die von Riesen und Zwergen handeln, sind öfters der Gegenstand sprachwissenschaftlicher und ethnographischer Untersuchungen geworden, und die körperlichen und geistigen Eigenschaften ') Dieser Aufsatz ist der zweite Teil eines Vortrages über Riesen und Zwerge. Sein erster Teil, der einen Über- blick über die Riesen und Zwerge behandelnden Mythen, Sagen und Märchen der verschiedenen Völker gab, ist hier weggeblieben. Riesen und Zwerge. Von Professor I >r. Richard Zander. zahlreicher Riesen und Zwerge sind neuerdings von Ärzten und Naturforschern häufig studiert worden. W'ie die Naturwissenschaft die Riesen und Zwerge auffaßt, was sie von ihren Eigenschaften erkundet hat, wie sie ihre Entstehung erklärt, soll Gegenstand dieser Mitteilung sein. Riesen nennen wir Menschen, die ihre Mit- menschen an Körpergröße sehr bedeutend über- ragen. Zwerge sind Menschen, die sich durch Auffallen erregende Kleinheit auszeichnen. Jeder weiß, daß die Körpergröße der Menschen in sehr weiten Grenzen schwankt; jeder kennt ungewöhn- lich große und kleine Leute, die auffallen, doch aber nicht als Riesen und Zwerge angesehen werden. Die Frage, wie groß ein Mensch sein muß, um als Riese zu gelten, wie groß, um die Bezeichnung Zwerg zu verdienen, kann nicht ohne weiteres beantwonet werden, weil das Durchschnittsmaß der verschiedenen Völker sehr erhebliche Unter- schiede zeigt. So sind z. B. die Patagonier im Mittel 180 cm groß, die Nordamerikaner des Westens 177, die Engländer 173, die Norddeutschen 168, die Südfranzosen 163, die Italiener 162, die 386 Naturwissenschaftliche VVochenschriit. N. F. III. Nr. 2^ Lappländer 152, die sogenannten Zwergvölker Afrikas') 130 — 140 cm. Eine Körpergröße, die bei den Buschmännern, die zu den afrikanischen Zwergvölkern gehören , schon riesenhaft wäre, würde bei den Patagoniern und den Nordameri- kanern des Westens es noch lange nicht sein. Und umgekehrt würde eine Person, die in einem großgewachsenen Volke zwerghaft erscheint, diesen Eindruck in einem Volke von kleiner Statur nicht machen. Den im allgemeinen kleinen Römern erschienen die Germanen riesenhaft. Uns erscheinen die Lappländer und die Buschmänner als Zwerg- völker. Ferner ist zu berücksichtigen, daß Frauen im Durchschnitt kleiner als Männer sind — bei Deutschen und Engländern um 10 cm — , und daß Frauen, die das gewöhnliche Männermaß über- schreiten, darum stark auffallen. Für die Feststellung der Grenzen des Riesen- und Zwergwuchses ist demnach die mittlere Größe des Volksstammes zugrunde zu legen. In Europa erscheinen uns Leute von 190 cm und mehr Körper- länge als „übergroß". Für Riesen erklären wir aber erst Männer von über 200 cm Körpergröße. Für Frauen rechnet man schon über 180 cm die Riesengröße. Personen unter 140 cm Körperhöhe erscheinen uns zwerghaft; als echte Zwerge pflegt man nur solche Individuen zu bezeichnen, die weniger als 105 cm (Bollinger) groß sind. Nach Brissaud sind Riesen viel seltener als Zwerge. Es ist natürlich nicht möglich festzustellen, wie viel Riesen und Zwerge augenblicklich leben; doch darf diese Behauptung als richtig angesehen werden, weil in der organischen Natur ein Zurück- bleiben der ganzen Organismen oder ihrer Teile hinter der Norm \'iel häufiger vorkommt als das I linauswachsen über dieselbe. V. Luschan hat behauptet , daß unter wirklichen Riesen weibliche sehr selten sind, fand unter 41 Riesen nur 4 Frauen. Unter Zwergen herrscht das umgekehrte Verhältnis: den Er den hier stark überwiegen die weiblichen Individuen sehr über die männlichen. Genaue Angaben über die Größe von Riesen und Zwergen besitzen wir recht w^enige. Alle Angaben, die nicht von Ärzten und Anthropologen herstammen, müssen mit großer Vorsicht aufge- faßt werden, weil sie in der Regel ganz unzuver- lässig, oft absichtlich gefälscht sind. Besonders gilt dies für jene Individuen, welche behufs ma- terieller Ausbeutung zu öffentlichen Schaustellungen benutzt werden. Es gelingt nicht immer, eine wissenschaftliche, genaue Untersuchung derselben vorzunehmen; die Untersucher sind, falls über- haupt eine Untersuchung gestattet wird, meistens genötigt, ihre Arbeit übereilt und ohne die nötigen Vorsichtsmaßregeln auszuführen. Bisweilen ist ein zweiter Untersucher glücklicher und vermag seine Beobachtungen genauer anzustellen. So erklärt es sich, daß über einzelne Riesen oder Zwerge ab- weichende Angaben vorliegen. Weiterhin ist aber ') ^S'- "leinen Aufsatz über Zwergvölker in dieser Zeitschr. auch ZU berücksichtigen, daf3 Untersuchungen, die zu verschiedener Zeit ausgeführt wurden, darum ein verschiedenes Ergebnis hatten, weil die Unter- suchten inzwischen wirkliche Veränderungen der Größe erfahren hatten, weil sie älter geworden waren oder andere Beeinflussungen der Größe er- litten hatten. Riesen werden kleiner, wenn ihr Körper verkrümmt, was gar nichts Ungewöhnliches ist. Zwerge werden größer, weil sie oft noch in einem recht späten Alter zu wachsen beginnen. Es ist wiederholt vorgekommen, daß das Alter \'on zur Schau gestellten Zwergen zu hoch, von Riesen zu niedrig angegeben wurde, um die Körper- größe noch auffälliger erscheinen zu lassen, als sie schon ist. Selbstverständlich ist es noch sehr viel schwieriger, das Alter festzustellen als die Körpergröße. Die in den letzten Jahrzehnten von zuverlässigen Beobachtern gemessenen Riesen hatten eine Körper- größe bis 255 cm. V. Luschan hält den 238 cm großen Russen Feodor Machnow für den größten lebenden Riesen. Karl Langer erwähnt, daß ein im Jahre 1553 angeblich „gerecht", d. h. natur- getreu gemalter Bauer, dessen Bild im Schlosse Ambras in Tyrol sich befindet, 270 cm groß war. Der französische Anthropologe Topinard führt unter den größten Riesen als den allergrößten den Finnländer Cajanus mit 283 cm auf. Die vier Riesinnen, von denen nach meiner Kenntnis das Längenmaß festgestellt ist, maßen 204 bis 255 cm. So bedeutend diese Größen auch sind, so er- scheinen sie doch geringfügig im Vergleich mit jenen, die die Mythen und Sagen, Märchen und Dichtwerke schildern. Daß ehemals erheblich größere Riesen existierten, ist nicht wahrscheinlich. Jene Schilderungen kennzeichnen sich ohne weiteres als Übertreibungen der dichtenden Phantasie. Zwerghafte Personen kommen recht häufig vor. Wirkliche Zwerge mit einer Größe unter 105 cm sind dagegen immerhin eine Seltenheit. Eine große Schwierigkeit bei der Beurteilung der Zwerg- größe macht die Feststellung des Alters. Eine große Anzahl der als Zwerge zur Schau gestellten kleinen Wesen befindet sich noch im kindlichen Alter und erfährt später noch eine mehr oder minder erhebliche Größenzunahme. Die Größe der Zwerge muß immer in bezug auf ilir Alter beurteilt werden. Der seinerzeit kleinste Mann der amerikanischen Armee, der nach Gould eine Körpergröße von nur 101,6 cm hatte, war 24 Jahre alt; seine Größe entspricht der eines fünf- bis sechsjährigen Kindes. Einer der birmesischen Zwerge, die in den Jahren 1896 bis 1899 in Berlin sich aufhielten, der 14jährige Knabe Smaün, maß mit seinen 60 cm weniger als ein halbjähriges Kind. Und der von Topi- nard erwähnte 37jährige Zwerg von 43,3 cm Körperlänge hatte eine geringere Größe als ein neugeborenes Kind. Zwerge von einer solchen Kleinheit, wie sie in den Sagen und Märchen vorkommen, die nur N. F. III. Nr. 2 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 3Ö7 eine Spanne oder gar nur einen Daumen lang waren, haben in der Wirklichkeit nicht existiert. Nicht ohne Interesse ist die Geschichte des Wachstums der Riesen und Zwerge. Von mehreren Riesen ist bekannt, daß sie in den Kinderjahren von normalem Wüchse waren. Dann stellte sich in verschiedenem Alter das starke Wachsen ein und hielt bei einzelnen bis zur Be- endigung des Wachstums an, bei anderen wurde es durch einen einmaligen oder öfteren Stillstand unterbrochen. Daß die Riesen schon bei der Geburt auffallig groß gewesen, habe ich nicht er- wähnt gefunden. In einem Teil der Fälle voll- zieht sich das Wachstum langsam, in einem anderen sehr rasch, und solche schnell wachsenden Riesen pflegen nur ein sehr kurzes Leben zu haben. Mehr- fach ist bei Riesen eine nachträgliche Abnahme der Größe infolge von Verkrümmungen der Wirbel- .säule und der Beine beobachtet worden. Zwerge werden meistens sehr klein geboren. Einige wachsen dann abnorm langsam aber stetig bis zu der Zeit, wo auch bei normalen Menschen das Wachstum aufhört. Andere wachsen anfangs ganz normal wie andere Kinder; dann tritt früh- zeitig ein Stillstand im Wachstum ein, nicht immer für den ganzen Körper, sondern nur für einzelne Teile. Die Liliputaner, die in Deutschland längere Zeit ihre Vorstellungen gaben, hörten nach den Untersuchungen von Joachimsthal alle zwischen dem 3. und 10. Jahre zu wachsen auf. Bei vielen Zwergen tritt im vorgeschrittenen Alter, zu einer Zeit, wenn bei normalen Menschen das Wachs- tum längst beendet ist, von neuem ein bald stär- keres, bald schwächeres Wachstum auf. Von dem englischen Zwerg Jeffery Hudson, von dem man erzählt, daß die Herzogin von Buckingham gegen das Ende eines Gastmahles ihn in einer Pastete der Königin Henriette Maria von Frankreich über- reichen ließ, berichtet Geoffroi St. Hilaire, daß er mit 18 Jahren 18 englische Zoll (54,90 cm) hoch war und eine Reihe von Jahren in dieser Größe verblieb, dann aber mit 30 Jahren plötzlich zu wachsen angefangen und nach kurzer Zeit eine Höhe von 45 englische Zoll ( 1 37,2 5 cm) erreicht habe. Sind Riesen und Zwerge, abgesehen von der charakteristischen Größe als normale Menschen anzusehen? Unter den Leuten, die eine riesenhafte Größe besitzen, kommen zweifellos solche vor, die sonst in jeder Beziehung völlig normal sind. Der größte Soldat der Münchener Garnison im Jahre 1 897, der mit 22 Jahren 209 cm maß, war wohl pro- portioniert und breitbrustig. Er machte die großen Kaisermanöver, die als außerordentlich anstrengend gelten, mit, ohne je auszutreten oder krank zu werden. Ein 209,5 cm großer Leutnant in dem amerikanischen Heere, mit Namen Buskirk, war nach dem Zeugnis seines Generals ein tapferer Mann, der die Strapazen des Marsches so gut wie die meisten Männer gewöhnlicher Größe ertrug. Vier andere Riesen der amerikanischen Armee (einer von 205,7, '^wei von 204,5 und einer von von 203,2 cm Höhe) waren weniger leistungsfähig als die Leute von mittlerer Größe. Namentlich waren sie weniger ausdauernd im Marschieren und standen häufiger auf der Krankenliste. Einer der bei- den riesigen preußischen Gardisten, deren Skelette im Berliner anatomischen Museum aufgehoben werden (219,66 cm groß) erreichte ein Alter von 86 Jahren und hielt sich noch im Greisenalter stramm auf- recht, wie zur Zeit, da er als Flügelmann diente. Einzelne Riesen zeichnen sich durch eine be- sondere Körperkraft aus. Von Kaiser Maximinus, dem Thracier, der über 250 cm groß gewesen sein soll, wird berichtet, daß er einen in der Fahrt begriffenen Wagen mit der Hand festhalten und den Kiefer eines Pferdes mit einem Faustschlage zerschmettern konnte. Von dem englischen Riesen Tony Payne, der mit 21 Jahren 222,6 cm maß, wird erzählt, daß er einen Esel samt seiner Last auf der Schulter trug. Wilhelm Otte, der Riese von Freiwaldau, der im Jahre 1887 von Buschan gemessen wurde, und damals im Alter von 29 Jahren 214 cm groß war, konnte 100 Pfund mit den Armen 3 mal geradeaus strecken, 1 50 Pfund 6 bis 7 mal in die Höhe strecken und mit 150 Pfund tiefe Kniebeuge machen. Solche Fälle haben wohl die dichtende Phantasie angeregt zu Erzählungen von Riesen, die Berge aufeinander türmten, Felsen zerrissen und gewaltige Felsblöcke weithin schleu- derten. In der Regel aber sind die Riesen schwach, so daß die Erzählung, daß am kaiserlichen Hofe zu Wien Riesen durch Zwerge besiegt wurden, nicht unglaubwürdig erscheint. Die Maße und Leistungsfähigkeit der Muskeln halten nicht Schritt mit dem Anwachsen der Höhe. Die Riesen ver- brauchen ihre ganze Kraft, um den schweren Körper zu tragen. Auch bei Riesen, die eine auffallende Körperkraft besitzen, pflegt die körperliche Leistungs- fähigkeit bald nachzulassen. Die Mehrzahl der Riesen erscheint schwerfällig und ihre Glieder haben etwas Schlotteriges. Von einzelnen Riesen wird eine auffällige Ge- fräßigkeiterwähnt. Kaiser Maximin soll oft 40 Pfund, nach Cord US 60 Pfund Fleisch an einem Tage verzehrt und mehr als einmal am Tage einen kapitolinischen Krug, der fast 26 Liter enthielt, geleert haben. Hasler aus Gemund am Tegernsee, der nach dem Bericht v. B u h 1' s bis zum 9. Lebens- jahre sich normal entwickelte, dann aber unge- heuerlich zu wachsen begann und mit 25 Jahren eine Länge von 235 cm erreichte, aß während des starken Wachstums sehr viel, vorzugsweise Butter und anderes Fett. Auch Marie Emme Bataillard aus Villeserine im Departement du Jura, die im Alter von 1 5 7j Jahren 217cm groß war, soll ein sehr großes Nahrungsbedürfnis gehabt haben. Die Gefräßigkeit der Riesen spielt in Sagen und Märchen eine sehr große Rolle. Polyphem verschlang sechs Genossen des Odysseus, und Gargantua, dem, wie dem heiligen Christoph schon zehn Ammen gegeben werden mußten, trank, sich niederbeugend, einen ganzen Pluß aus. Sehr oft zeigen die Riesen ein wirklich patho- 388 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 25 logisches, krankhaftes Verhalten und gehen früh- zeitig zugrunde. Die Knochen der Riesen sind häufig sehr brüchig, teilweise verdickt, verbogen, mißgestaltet. Verkrümmungen der Wirbelsäule, der Kniee (Genu valgum) werden oft erwähnt. Bei vielen Riesen sind Verdickungen und un- förmige Vergrößerungen der Endteile der Glied- maßen, an den Händen und Füßen, bisweilen auch an den Unterarmen und Unterschenkeln, ferner an dem Unterkiefer, der weit vorspringt, beobachtet worden. Neben der Knochenverdickung findet sich bisweilen auch eine Schwellung der Haut an diesen Teilen. Die Nase erscheint plump, ver- dickt und verlängert. Die Lippen sind wulstig, gewöhnlich ist auch die Zunge veigrößert. Diese Erscheinungen hat Pierre Marie in Paris im Jahre 1886 als eine besondere Krankheit bei Leuten gewöhnlicher Größe erkannt und als Akromegalie beschrieben. In neuester Zeit mehren sich die Nachrichten, daß die Akromegalie bei Riesen auf- tritt, nachdem das Größenwachstum ein Ende ge- funden. Nach Brissaud findet sich dies in der Hälfte der Fälle, nach Hutchinson in 40 bis 60%. Durch dieses Leiden werden sehr auf- fällige Entstellungen hervorgerufen, die so charakte- ristisch sind, daß v. L u s c h a n die damit be- hafteten Riesen von den anderen Riesen trennt. Wenn man von den gelegentlich vorkommenden Verkrümmungen der Wirbelsäule und der Beine absieht, erscheinen die Riesen im allgemeinen pro- portioniert gebaut. Langer hat darauf hinge- wiesen, daß der Kopf der Riesen, so groß er auch absolut ist, doch relativ klein ist. Das Körper- maß des Riesen setzt sich erst aus 9,7 Kopflängen zusammen, das von Normalgroßen aus 7 bis 7,5. Im übrigen zeigt der Riesenwuchs im wesent- lichen dieselben Proportionen wie der Normalwuchs, dasselbe Verhältnis zwischen Ober- und Unter- körper, zwischen Stamm und Gliedmaßen. Auch beim Riesenwuchs lassen sich schlanke und unter- setzte Formen unterscheiden. Die hochgewachsenen Personen, die zwischen dem Normal- und Riesen- wuchs stehen, wie die „langen Leute" der Garde, sind unproportioniert gebaut : der Rumpf ist meist schmal und schlank, die Beine sind zu lang. Ebenso wie unter den Riesen kommen unter den Zwergen Individuen vor, die in jeder Hin- sicht normal sind. Ein nur 101,6 cm hoher vier- undzwanzigjähriger Soldat in dem nordamerikani- schen Heere wurde nach der Versicherung seines Oberst in Ertragung der Strapazen von keinem Soldaten übertroffen. In der Regel sind aber Zwerge schwächlich und ihre Muskelkraft ist sehr gering. Auch sind sie wenig widerstandsfähig gegen äußere Einflüsse. Nur ausnahmsweise er- freuen sie sich einer guten Gesundheit und er- reichen ein höheres Alter. Meistens altern sie sehr frühzeitig, und dieses alte Aussehen gab wohl die Veranlassung dazu, daß die Sagen und Märchen die Zwerge so häufig als uralte Männchen mit eisgrauen Barten dargestellt haben. Es ist durchaus berechtigt, die schwächlichen echten Zwerge im Gegensatz zu den durch ihre geringe Körperhöhe ausgezeichneten, durchaus kräftigen Rassenzwergen oder Pygmäen als Kümmerzwerge zu bezeichnen. Interessant ist, daß Zwerge, geradeso wie kleine Tiere, verhältnismäßig viel mehr Nahrung ge- brauchen als Normalgroße. Ranke's und Voit's Versuche an dem sog. General Mite, einem 19 Jahre alten 80,7 cm großen Zwerg aus New York mit Namen Francis G. Flym ergaben, daß die vier- undzwanzigstündige Nahrungsaufnahme von 414 g mit 135 g festen {Bestandteilen, so gering sie auch ist, doch die eines normalen Mannes, auf gleiches Körpergewicht berechnet, erheblich übertrifft. Während ein Arbeiter pro i kg Körpergewicht 1,7 g Eiweiß und 8,9 g stickstofTfreie Substanzen verbrauchte, verbrauchte General Mite 2,9 g Ei- weiß und 20,7 g stickstoftfreie Substanzen und ein Kind von entsprechender Größe wie der Zwerg verbrauchte 4 g Eiweiß und 14,9 g stickstofffreie Substanzen. Die durch diese Stoffe gelieferten Wärmeeinheiten betrugen beim Arbeiter 47, beim Kinde 64, beim Zwerg 104. Wie bei den Riesen finden sich auch bei den Zwergen sehr häufig deutliche Veränderungen an den Knochen. Diese zeigen trotz ihrer kinder- artigen Kleinheit mächtig entwickelte Muskelleisten und -höcker in großer Anzahl, durch die die Ober- fläche sehr charakteristisch gestaltet wird. Mittels der Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen fand J o a c h i m s t h a 1 die Knorpelfugen in den Knochen, die bei normalen Menschen nur in der Jugend vor- kommen und als Wachstumsstellen der Knochen von größter Bedeutung sind, bei 6 unter 8 Zwergen noch erhalten in einem Alter, wo sie bei nor- malen Menschen längst verschwunden sind. Diese Knorpclfugen sind von anderen F"orschern an den Skeletten von Zwergen gesehen worden, die ein Alter von 39, bzw. 49 und 61 Jahren erreicht hatten. Aus dieser Tatsache erklärt es sich, daß Zwerge gelegentlich in Jahren, in denen normaler- weise das Wachstum längst beendet ist, von neuem zu wachsen beginnen. Ein großer Teil der Zwerge hat verbogene oder verkrümmte Gliedmaßen, zeigt Rückgratver- krümmungen und Mißstaltungen des Brustkorbes, kurz, ist mehr oder weniger hochgradig verkrüppelt. Während in der Regel der Kopf der Zwerge im Verhältnis zum übrigen Körper zu groß er- scheint, kommen recht selten Zwerge vor, die durch eine geringe Größe des Kopfes ausgezeichnet sind. Virchow hat diese Fälle als Nanocephalie bezeichnet. Sie bilden den Übergang zur Mikro- cephalie, der krankhaften Kleinheit des Hirnschädels, die in der Regel ebenfalls mit abnormer Kleinheit des ganzen Körpers verbunden ist, und wegen der geringen Größe des Hirnschädels und des mangelhaft ausgebildeten Großhirns Blödsinn im Gefolge hat. Es zeigen die Zwerge also eine sehr verschiedene Gestalt: Ein Teil von ihnen ist hochgradig ver- krüppelt. Andere zeigen gnomenhafte, schlecht proportionierte Formen : während Kopf und Rumpf N. I'. III. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 389 naheicu oder ganz normal entwickelt sind, sind die Beine verkrümmt, oder sowohl die Beine als auch die Arme sind außerordentlich kurz, was man als Mikromelie bezeichnet. Szombathy bezeichnet diese Art des Zwergwuchses als gnomenhaften Niedervvuciis, Birkner als partiellen Zwergwuchs. Eine dritte Art von Zwergen ist dadurch ausge- zeichnet, daß ihr Körper wohl proportioniert ist. Bei ihnen ist freilich der Kopf verhältnismäßig zu groß, wenn man einen Vergleich mit normalen Erwachsenen anstellt. Während beim normalen Erwachsenen die Körperhöhe 7 bis 7,5 mal so groß als die Kopfhöhe ist, hat Ouetelet bei einer 33 jährigen 91,8 cm großen Zwergin sie 5,9 mal so groß gefunden. So erklärt es sich, daß die gut proportionierten Zwerge einen kind- lichen Habitus haben. Sie sehen nicht wie ver- kleinerte Erwachsene, sondern wie Kinder aus. Diese Art des Zwergwuchses bezeichnet Szom- bathy als echte Zwerghaftigkeit oder totalen Kleinwuchs, Birkner als totalen Zwergwuchs. Wie der Riesen- und Zwergwuchs zustande kommen, ist nur zum Teil aufgeklärt. Sicherlich handelt es sich in den ausgesprochenen Fällen beider um krankhafte Vorgänge. Beim Riesenwuchs handelt es sich um ein übermäßiges Wachstum des ganzen Körpers, dessen Ursache ganz dunkel ist. Vorher wurde erwähnt, daß ein großer Teil der Riesen nach Beendigung des Wachstums an Akromegalie erkrankt. Während ein Teil der Arzte annimmt, daß Riesenwuchs und Akromegalie ganz verschiedenartige patho- logische Zustände sind, die nur häufig bei dem- selben Individuum vorkommen, ist von anderen in neuerer Zeit die Meinung ausgesprochen worden, daß Riesenwuchs und Akromegalie dieselbe Krank- heit sind, oder wenigstens die gleiche Ursache haben. Diese Ursache erzeugt nach der Ansicht von E. Brissaud und Henry Meige, wenn sie ein im Wachstum begriffenes Individuum betrifft, Riesenwuchs, bei einer Person, die bereits ausge- wachsen ist , aber Akromegalie. Die Krankheit kann zum Stillstand kommen. Geschieht dies jedoch nicht, so wird an den Riesenwuchs beim Abschluß des Wachstums sich die Akromegalie anschließen. Bei der Sektion von Personen, die an Akromegalie zugrunde gegangen waren, hat man fast immer eine Verkümmerung der Schild- drüse, in mehreren Fällen auch eine Wucherung der Hypophysis, des Hirnanhanges, gefunden und die P'olgerung gezogen, daß die Erkrankung dieser beiden Organe die Akromegalie verschuldet hat. Dana hat bei 12 Sektionen von Riesen diese Wucherung des Hirnanhanges gefunden. Es ist darum nicht unmöglich, daß die Erkrankung dieses Organs die Ursache für das abnorme riesenhafte oder akromegalische Wachstum ist. Ob diese Vermutung sich bestätigen wird, muß abgewartet werden. Zwergwuchs kann als F'olge der Rachitis oder englischen Krankheit, die in der frühesten Jugend auftritt, entstehen. Der rachitische Zwergwuchs kennzeichnet sich durch charakteristische Difformi- täten der Knochen , vor allem durch die Ver- krümmungen der Beine. Die rachitischen Zwerge sind gewöhnlich nicht besonders klein. Ein großer Teil der auffallend kleinen, aber doch mehr als 105 cm messenden Personen verdankt der Rachitis die geringe Größe. Ein ganz anderes Resultat liefert eine Krankheit, die schon vor der Geburt sich abspielt, die fötale Rachitis oder Chondrodystro- phia foetalis oder Achondroplasie. Der Zwerg- wuchs, der auf dieses Leiden zurückzuführen ist, ist dadurch gekennzeichnet, daß im Verhältnis zu dem Kopf und Rumpf die Gliedmaßen stark ver- kürzt sind. Als Ursache des Zwergwuchses ist ferner die pathologische Kleinheit des Kopfes, die mit Blödsinn verbundene Mikrocephalie anzusehen. Auch bei Cretinismus, einer in manchen Gegenden epidemisch vorkommenden Krankheit, die auf eine abnorme Funktion der Schilddrüse zurückgeführt wird, kommt Zwergwuchs vor. Wenn die Schild- drüse operativ völlig entfernt wird, oder wenn sie durch Krankheit zugrunde geht und nun ihre Tätigkeit ganz ausfällt, so stellen sich sehr merk- würdige Krankheitserscheinungen ein, die man als Myxödem bezeichnet hat. Manche Zwerge zeigen diese Erscheinungen sehr deutlich, und man nimmt an, daß der Zwergwuchs eine Folge dieser Krank- heit und des Ausfalles der Schilddrüsentätigkeit sei. Für einen großen Teil der Zwerge, und ge- rade für diejenigen, welche wegen ihres gut pro- portionierten Baues als echte Zwerge bezeichnet werden, ist festgestellt worden, daß die Knorpel- fugen, in denen das Knochenwachstum stattfindet, oft bis ins hohe Alter hinein weich bleiben. Warum dies aber geschieht, wissen wir nicht. Verletzungen des Kopfes sind für manche Fälle von Riesenwuchs, aber auch von Zwerg- wuchs als Ursache angegeben, indes steht diese Behauptung auf sehr schwachen Füßen. Ganz ausgeschlossen ist, daß die Vererbung, die für die meisten körperlichen und geistigen Eigenschaften von so großer Bedeutung ist, bei dem Riesen- und Zwergwuchs eine Rolle spielt. Riesen und Zwerge stammen von normal großen Menschen ab. In der Regel sind auch ihre etwaigen Geschwister von gewöhnlicher Größe. Doch sind hiervon nicht wenige Ausnahmen bekannt. So waren von den 1 1 Geschwistern des sogenannten Vogelkopfmenschen Dobos Janos, der mit 22 Jahren 114,5 cm maß und wohlproportioniert war, drei Zwerge. Die französische Riesin Marie Emme Bataillard, die Tochter eines Holzhauers, hatte 14 Geschwister, von denen 13 normale Größe hatten , eine zwanzigjährige Schwester aber nur 3' 2", also etwa 105 cm, maß. Vor allem aber spricht gegen den Einfluß der Erblichkeit die Tat- sache, daß Riesen und Zwerge nicht fortpflanzungs- fähig sind. Freilich erwähnte Lucas Cham- ponniere in der Academie de medecine zu Paris im Mai 1899 bei Vorstellung eines sieben- undzwanzigjährigen 203 cm großen Mannes, daß dessen 223 cm großer Vater nicht weniger 390 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. 111. Nr. 25 als 12 Kinder hatte. Doch ist dieser Fall sicher nur eine Ausnahme. Bekannt ist, daß Katharina von Medici, die Gemahlin des Kurfürsten Joachim Friedrich von Brandenburg, und Peter der Große Zwerghochzeiten veranstalteten. Indes hat man von Nachkommen dieser Zwerge niemals etwas zu hören bekommen. Handelt es sich aber nicht um echten Zwergwuchs, sondern bloß um abnorm kleine Personen, so fehlt diesen keineswegs immer die Fortpflanzungsfähigkeit. Noch weniger sicher als über die körperlicJien Eigenschaften der Riesen und Zwerge sind unsere Kenntnisse über ihre geistigen und Charakter- eigenschaften. Von einzelnen Riesen wird als etwas Besonderes angeführt, daß ihre geistigen Eigenschaften gut entwickelt waren. So erwähnt Bollinger, daß der 37 Jahre alte 230 cm große Riese I)rasal vier Sprachen sprechen konnte, und von dem englischen Riesen Albert Brough wird erzählt, daß er als liebenswürdiger Erzähler in Gesellschaften gern gesehen war. Im allgemeinen aber erweisen sich die Riesen geistig ebenso minderwertig als körper- lich. Die Kleinheit des Hirnvolumens bedingt Energielosigkeit und geringfügige geistige Fähig- keiten, die oft unter das Normale heruntergehen. Auch in der Volkssage werden von den Riesen nur magere und einförmige Geschichten erzählt. Unter den Zwergen sind die Mikrocephalen und Cretins blödsinnig; die anderen Formen haben meistens ein gut entwickeltes Gehirn. Dem ent- sprechend haben die Zwerge meistens ein im all- gemeinen normales geistiges Verhalten, nament- lich werden bei ihnen oft rasche Auffassungsgabe und Mutterwitz beobachtet. Darum wurden sie auch früher soviel an den Fürstenhöfen zur Unter- haltung gehalten. Wenn man den Zwergen Nei- gung zum Zorn, Bosheit und Eifersucht nach- erzählt, so darf man sich nicht wundern, daß solche übele Eigenschaften bei Leuten entstehen, die von Jugend auf immer angestaunt, verhöhnt und ver- spottet wurden. Während die Riesen in den Sagen und Mär- chen im allgemeinen als dumm geschildert werden, erscheinen die Zwerge meistens als klug und zu allerlei Verrichtung geschickt, bald sind sie den Menschen freundlich gesonnen, bald necken sie dieselben, sind ihnen feindselig und voller Tücke. Nach allem, was bisher über Riesen und Zwerge festgestellt werden konnte, sind sie anormale Wesen, denen die Vorzüge, mit denen die dichtende Phan- tasie sie ausgestattet hat, nicht eigen sind, die vielmehr fast ausnahmslos in körperlicher und geistiger Hinsicht minderwertig sind. Das Ansehen der Zwerge bei ihren Mitmenschen war von jeher gering. Die Riesen dagegen haben immer imponiert , weil man annahm , daß die Leistungsfähigkeit der Körperlänge entspräche. So erklärt es sich, daß Friedrich Wilhelm I. ein Regi- ment von Riesen zusammenstellte und durch ent- sprechende Frauen, die er ihnen zuführte, ein Riesengeschlecht zu züchten versuchte. Vor eini- gen Jahren hat ein sonderbarer Menschenfreund der Stadt Ronen ein Legat von 2 Millionen Francs vermacht mit der Bestimmung, jedes Jahr ein Ehepaar von Riesen mit 100 000 Francs zu prä- miieren. Er wollte so die französische Nation ver- bessern. Durch die Feststellung der Minderwertig- keit der Riesen in körperlicher und geistiger Hin- sicht ist jeder Versuch , ein Riesengeschlecht zu erzeugen, verurteilt. Die immerhin noch recht spärlichen Unter- suchungen über die Riesen und die Zwerge lehren, daß alles, was für sie charakteristisch und ihnen eigentümlich ist, sich in Mythe und Sage wieder- findet, wenn auch ausgeschmückt und übertrieben. Das deutet darauf hin , daß das , was Sage und Mythe künden, nicht alles allein der dichtenden Phantasie entsprang, sondern eine reale Grundlage hat. Kleinere Mitteilungen. Die Wurmkrankheit. — Im Jahre 1880 zeig- ten sich bei Arbeitern, die beim Bau des St. Gott- hardtunnels beschäftigt waren , Krankheitserschei- nungen , die sich in Blutarmut und Verdauungs- störungen äußerten. Bei der Untersuchung der Fäces der an der sogenannten „Tunnelkrankheit" leidenden Arbeiter erkannte man dann , daß es sich um schwere Fälle der Wurmkrankheit handelte. Auch neuerdings ist die Aufmerksamkeit weiterer Kreise durch die Verhandlungen im Deutschen Reichstag auf diese eigenartige Krankheit gelenkt worden. Eine große Zahl von ,, Würmern" im weiteren Sinne leben bekanntlich als Parasiten im Darm- kanal und in anderen Organen der meisten Tiere und auch des Menschen. Ich erinnere hier nur an die Bandwürmer (Cestodes) , die Leberegel (Trematodes) und andere. Speziell aus der Gruppe der Nematoden oder Fadenwürmer gehören zu den bekanntesten Parasiten des Menschen der Spul- wurm (Ascaris), der Spring- oder Madenwurm (Oxyuris), die Trichine und schließlich derjenige Parasit, welcher die Ursache der Wurmkrankheit ist : Ankylostoma duodenale. Die systematische Stellung von Ankylostoma, zu den Strongyliden gehörig, ist aus der folgenden tfbersicht zu er- kennen. Kotatoria — Rädertiere Vermalia Rund Anguillulidcn Ascariden Strongyliden Trichotracheüdcn Filariden. Strongylaria Würmer Prosopygia — Buscliwürmer Frontonia — Rüsselwürmer Entdeckt wurde dieser Wurm im Jahre 1838 in Italien von Dr. Dubini. Wegen seiner geringen Größe war der Parasit jedenfalls früher übersehen worden. Denn bald nach seiner Entdeckung wurde er auch an anderen Orten ziemlich häufig als N. F. III. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 39 1 Parasit des menschlichen Darmkanals gefunden. Sicher nachgewiesen wurde er z. B. in Ägypten 1847, in Wien 1872, bei Arbeitern des Gotthard- tunnels 1880, in Ungarn 1881. Interessant ist es auch, daß die Krankheit schon den alten Ägyptern bekannt war; der Wurm, der sie verursachte, hieß heltu. Überhaupt ist die Wurmkrankheit in Ägypten sehr verbreitet. Nach Looß mußten 1892 in Oberägypten 3,3 ",„, in Unterägypten 6,2"/,, und an einem Orte sogar 1 3,9 % der Gestellungs- pflichtigen wegen der durch lAnkylostoma verur- sachten Blutarmut zurückgewiesen werden. In Deutschland ist die Wurmkrankheit in den letzten 20 Jahren des öfteren beobachtet worden und zwar stets an solchen Orten, wo sich die für Fig. I. Eier von Ankylostoma in vcrscliiuilcncn Furcliungs- stadicn.' (Nach W. SchulthcÜ.) Fig. Kopf von .'Vnkylosloma, 9, vom Rücken her gesehen. (Nach W. Schultheß.J fälle und der menschlichen Fäkalien. Der dritte zur günstigen Entwicklung notwendige Faktor ist schließlich die feuchte Wärme in allen diesen unter- irdischen Betrieben. Das Zusammenwirken aller drei Umstände erschwert die Beseitigung des schäd- lichen Parasiten so sehr. Untersucht man die Fäkalien eines an der Wurmkrankheit leidenden Menschen mit dem Mikro- skop, so sieht man in den meisten Fällen keine ausgebildeten Würmer, sondern nur die Eier der- selben in verschiedenen P'urchungsstadien, Fig. i. Fig. 3. Männchen (oben) und^Wcibchen von Ankylo- stoma in nat. Größe. (Nach W. Schultheü.) -d. Fig. 5. Schema von Ankylo- stoma 9. (Nach W. Schult- hcß.) a Mundkapsel, b Oeso- phagus, c Darm, d Vaginal- schenkel, e Eiröhren. die Entwicklung des Wurmes und für die Ver- breitung der Krankheit notwendigen Bedingungen finden. Meist ist er bei uns durch italienische Arbeiter, die bei Tunnelbauten, in Ziegeleien und in Bergwerken beschäftigt waren, einge- schleppt worden. Betrachten wir einmal die Verhältnisse, unter denen die Arbeiter in diesen Betrieben leben. Das Arbeiten im Bergwerk ist ein beständiges Kämpfen gegen das Wasser; in den Ziegeleien, bei den Tunnelbauten, überall ist Wasser in reichlicher Menge vorhanden. Und P'euchtigkeit ist der wichtigste Faktor für die Ent- wicklung dieses Parasiten. Dazu kommt die Un- sauberkeit, die ungenügende Beseitigung der Ab- Haben nun die Eier den menschlichen Darm mit den Exkrementen verlassen und treffen sie die für ihre weitere Entwicklung günstigen Bedingungen an, d. h. schmutziges Wasser und eine Temperatur von 20—25'' C, so entwickeln sie sich in wenigen Tagen zu einer kleinen, winzigen, o,2i mm langen, beweglichen Larve. Diese macht mehrere Häutungen durch und wächst schnell heran (bis zu einer Länge von 0,5 — 0,6 mm); alsdann ist sie auch gegen reines Wasser sowie gegen einen gewissen Grad von Trockenheit nicht mehr allzu empfindlich. Werden nun solche Larven mit dem Trinkwasser oder durch Berührung des Mundes mit den erde- beschmutzten Händen in das Innere des Menschen j92 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 25 aufgenommen, so machen sie, wie Looß durch Infektion von Hunden und Katzen festgestellt hat, eine Art Metamorphose durch. Sie gelangen durch den Magen in den Darm, nehmen aber zunächst wenig an Größe zu. Am siebenten Tage tritt Fig. 4. Miiiinclicn von Ankylostoma duodenale. 50 mal ver- größert. (Nach W. Schultheß.) a Mundkapsel, b Oesophagus, c Darm, d Halsdrüsen, e Hodcnkanal, f Vesicula seminalis, g Ductus ejacvdatorius, h Haut, i Muskelschicht, k Penis, 1 Anal- drüscn, m Bursa. nochmals eine Häutung ein, und dadurch erhalten die Tiere die eigentümliche, unten näher zu be- schreibende Mundkapsel. Dann nehmen sie auch an Größe zu und nach 4 — 5 Wochen sind sie ge- schlechtsreif. Zur Anheftung an den Wänden der Darm- schleimhaut sind diese Würmer, wie schon er- wähnt, mit einem wirksamen Haftapparat ver- sehen. In der Mundhöhle stehen auf der Bauch- seite vier hakenförmige, nach hinten gerichtete, auf der Rückenseite zwei nach vorn gerichtete Zähne, Fig. 2. Außerdem findet sich im Grunde der Mundhöhle ein nach vorn gerichteter Zahn und zwei blattartige Chitinlamellen. Das ent- wickelte Männchen ist 8 — lo mm lang und 0,4 bis 0,5 mm breit. Das Weibchen ist etwas größer, 12 — 18 mm lang, Fig. 3. Den feineren inneren Bau des Männchens von Ankylostoma duodenale zeigt F"ig. 4. Auf die mit den Haftzähnen be- wehrte Mundkapsel (a) folgt der Schlund (b), der in den Darm mündet (c). Im vorderen Teil des Körpers liegen zu beiden Seiten des Darmes die zwei Halsdrüsen (d), die jedenfalls eine sekretorische Funktion haben. Dann folgen die Geschlechts- organe (e, f, g). Recht kompliziert ist das Schwanz- ende des Männchens gebaut. Um nämlich das Weibchen bei der Begattung festzuhalten, ist das hintere Ende des Männchens mit einem Klammer- organ, der sogenannten Bursa versehen (m). Die langen Geißeln am Hinterende des Körpers sind die äußeren Geschlechtsorgane des Männ- chens (k). Den Bau des Weibchens, besonders die Verteilung und Ausmündung der Eiröhren zeigt im Schema Fig. 5 (auf S. 391). Der ganze Bau dieser Würmer ist eine An- passung an ihre Lebensweise als Darmparasiten. Mit den Zähnen und Haken der Mundkapsel heften sie sich an die Darmwand ihres Wirtes an und saugen Blut. Besonders schädlich werden sie in dieser Beziehung dadurch, daß sie ihren Anheftungs- punkt öfters wechseln und dann Nachblutungen der Wunden veranlassen. Dazu kommt, dafS natür- lich die Funktion des Darmes als Verdauungs- organ durch diese Verletzungen wesentlich zu Un- gunsten des Patienten beeinflußt wird. Vielleicht kommen dazu noch Giftwirkungen von selten des Parasiten, so daß die Wurmkrankheit bei längerer Dauer und bei starker Ansammlung der Schäd- linge im Duodenum nicht ohne Gefahr für das Leben der davon befallenen Patienten ist. Neuer- dings will Looß (1901) gefunden haben, daß die Infektion des Menschen nicht nur durch den Mund, sondern auch durch die Haut stattfinden kann. Bringt man einen Tropfen Wasser, in dem Larven von Ankylostoma enthalten sind, auf die Haut- oberfläche, so dringen dieselben durch die Haar- bälge in die Lederhaut ein und finden von da den Weg in das Innere des Darmes. Doch ist diese Annahme noch nicht ganz sicher bewiesen. Die Krankheitssymptome bei leichteren Fällen von Wurmkrankheit werden als ägyptische Bleich- sucht (Chlorosis aegyptiaca) bezeichnet. Die Ab- N. F. 111. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 393 treibiing der Würmer erfolgt durch die bekannten Wurmmittel (Extract. fil. mar.), die auch bei der Wurmkrankheit mit PIrfolg angewendet werden. Das energischste Mittel jedoch, um das weitere Umsichgreifen dieser Krankheit in Deutschland zu verhindern, ist: größte Sauberkeit und genügende Beseitigung der menschlichen Exkremente in allen unterirdischen Betrieben. Nur durch die Ver- nachlässigung dieser Maßregeln ist ein solches An- wachsen der Wurmkrankheit, wie wir es z. B. in den Ruhrgebieten und in Oberschlesiens Kohlen- distrikten erlebt haben, zu erklären. Anmerkung. Zur weiteren Orientierung seien .lus der reicblialtigen Literatur erwähnt: Wilhelm Schultheß, Beiträge zur Anatomie von .\nkylos- toma duodenale (Rubini) in : Zeitschrift f. wiss. Zoologie. XXXVII. 1882. Braun, Die Parasiten des Menschen. Neueste .\uf läge. 1903. H. Goldmann, Die Hygiene des Bergmannes, seine Berufs- krankheiten , erste Hilfeleistung und die Wurmkrankheit (Ankylostomiasis). Halle 1903. Ernst Röhler. Der Zustand des Eisens im Erdinnern. — Bekanntlich wird daraus, daß das spezifische Ge- wicht des Erdganzen etwa doppelt so groß ist als das der äußeren Erdrinde, geschlossen, daß das Erdinnere hauptsächlich aus Schwermetallen, insbesondere Eisen, besteht. Auf den Zustand, in welchem sich letzteres da befinden müßte, hat G. Tammann ein interessantes Streiflicht fallen lassen in einer Diskussion „über den Einfluß des Druckes auf die Umwandlungstemperaturen des Eisens", die er in der Zeitschr. f. anorgan. Chemie, Band 37, veröffentlicht hat. Von dem Eisen nimmt man jetzt 3 allotropi- sche Zustände an. Bei Erhitzung des reinen Eisens absorbiert dieses bei 770" eine erhebliche Wärmemenge, ohne sein Volumen merklich zu ändern und verliert die Fähigkeit, sich magneti- sieren zu lassen, fast vollständig; das bei gewöhn- licher Temperatur beständige «-Eisen wandelt sich also in /S-Eisen um. Bei weiterer Temperatur- steigerung absorbiert das /:?-Eisen bei 890*' noch- mals Wärme, dieses Mal jedoch unter nicht uner- heblicher Volumenminderung, indem es sich in das bis zum Schmelzpunkte beständige y-Eisen umwandelt. Diese Umwandlungen sind reversibel, sie treten bei der Abkühlung im entgegengesetzten Sinne wieder ein und wird also bei dem Über- gänge von y-Eisen in /i- oder «-Eisen infolge der Abkühlung eine Volumenvermehrung stattfinden. Die Temperatur der Umwandlung wird durch steigenden Druck sowie durch Zusatz anderer Elemente, so insbesondere von Kohlenstoff oder Nickel u. a. , erniedrigt (vom Nickel wurde über- dies ermittelt, daß sich durch Zusatz von bis zu 30 "/„ Nickel der Umwandlungspunkt und hiermit der Verlust der Magnetisierbarkeit unter deutlicher Verkürzung bis auf Zimmertemperatur erniedrigen lasse, diese Umwandlung jedoch nicht bei gleicher Temperatur reversibel ist, sondern bei der Ab- kühlung die Verlängerung zusammen mit der Wiederkehr der Magnetisierbarkeit erst bei einer bis um 400" niedrigeren Temperatur eintritt; wo- gegen Zusätze von 40 bis 100 % Nickel zur Folge haben, daß der wiederum reversibele Verlust der Magnetisierbarkeit ohne merkliche X'olumenände- rung erfolgt). Infolge dieser Abhängigkeit vom Druck und von Beimengungen wird sich das Eisen in der Erde schon in nicht erheblicher Tiefe im y-Zustande befinden. Das in Tiefen über ^/j^,,, Erdradius (bei über 16000 kg Druck und über 600'' Temperatur) in der Erde vorkommende Eisen, welches wohl nickel- und kohlenstoffhaltig ist, könnte sich nur im y-Zustande befinden, in dem es nur schwach magnetisierbar ist. Bei sin- kender Temperatur der Erde würde dann das Eisen unter Volumenvergrößerung in den stärker magnetisierbaren Zustand übergehen. O. L. Elektrische Entladungen in der Luft. — In einer Arbeit, die in der letzten Versamm- lung der „Association fran<;aise pour l'avancement des Sciences" zu Angers vorgetragen und in Nr. 50 von l'Eclairage Electrique im Auszuge wieder- gegeben ist, beschreibt Prof. de Kowalski die Versuche, die er gemeinsam mit Herrn Moscicki über die chemische Wirkung von Hochfrequenz- Entladungen in Gasgemischen ausgeführt hat. Bei einer gewissen Frequenz nimmt, wie der Verfasser feststellt, die Entladung in einem gasförmigen Mittel einen eigenartigen Charakter an , der im übrigen noch von der aufgewandten elektrischen Energie abhängig ist. Die chemischen Wirkungen sind bei einer derartigen Entladung von großer Wichtigkeit für praktische Anwendungen ; es bilden sich in der Luft salpetrigsaure Dämpfe in großer Menge; in einem Gemisch von Kohlensäure und Stickstoft' bilden sich salpetrigsaure Dämpfe und Kohlenoxyd; mit einem Gemisch von Benzin- dämpfen und Stickstoff erhält man schließlich Wa.sserstofi" und Cyan. Wegen der Wichtigkeit, welche die Frage für die Praxis besitzt, haben sich die Verfasser besonders mit der Erzeugung von salpetrigsauren Dämpfen beschäftigt, aus denen man wieder Salpetersäure gewinnt. Es lassen sich bis 44 Gramm Salpetersäure pro Kilowatt- stunde erzielen; aus den Berechnungen ergibt es sich , daß der Kostenpreis von i Kilogramm Kalziumnitrat nicht viel höher als 10 Pf. sein würde. Im weiteren beschreibt de Kowalski seine Versuche über elektrische Entladungen an der Oberfläche von Isolatoren. Wenn die eine Seite einer isolierenden Platte mit einer leitenden Schicht überdeckt wird, während man auf der anderen Seite Entladungen hervorruft, so erhält man Funken, die weit länger sind, als die ohne leitende Schicht erzielten. Die vom Verfasser vorgezeigten Photo- graphien zeigen, daß die Funken genau den Weg verfolgen, welcher von einer leitenden Schicht auf der gegenüberliegenden Seite der Platte vorge- zeichnet ist: man kann auf diese Weise Funken in dreieckiger, quadratischer und Zickzackform er- halten. Zum Schlüsse weist der Verfasser auf die 394 Naturwissenschaftliche Wochenschrirt. N. F. III. Nr. 25 Analogien zwischen diesen Entladungen und den beim Gewitter in der Atmosphäre stattfindenden elektrischen Entladungen hin. A. Gr. Ein einfacher Apparat zur Trisektion eines Winkels. — Es ist GC = HD; ferner CD = CB = BA =-- GH. F ist ein Griff. Bei A be- findet sich ein Stift, der an aa entlang gleitet. Der Apparat wird mit dem Winkelpunkt D und den Schenkeln DH und DC auf den gegebenen Winkel eingestellt. Dann wird der P'ührungsgrifi' A so weit an aa hin- und hergeführt , daß das freie Lineal E den Winkeldrehpunkt D gerade berührt. Dann ist der Winkel triseziert nach folgender h'igur: Eine erdmagnetische Vermessung von Württemberg und Hohenzollern ist kürzlich unter der Oberleitung von Prof. A. Schmidt durch Prof. K. H a u ß m a n n zum Abschluß ge- bracht worden. Damit ist nun auch in Süddeutsch- land eine systematische, magnetische Landesauf- nahme im Anschluß an die in Preußen und fast allen Deutschland umgebenden Staaten neuerdings durchgeführten .'\rbeiten begonnen worden. Als Stützpunkt diente eine Basisstation in Kornthal bei Stuttgart, die durch sorgfältige Vergleichs- messungen an das Potsdamer erdmagnetische Obser- vatorium angeschlossen wurde. 65 Beobachtungs- stationen, die durchschnittlich 20 km voneinander entfernt waren, wurden unter möglichster Um- gehung der sehr zahlreichen Elektrizitätswerke sowie der 125 schwäbischen Vulkanembryonen unter den versteinten Punkten der Landestriangu- lierung ausgewählt und alle Feldbeobachtungen vom 2. August bis 6. Oktober 1900 erledigt. Diese Zeit war im allgemeinen magnetisch ruhig, so daß wesentliche Fehler durch zeitliche Stö- rungen als ausgeschlossen gelten können. Als F"ormel für die Säkularvariation der Deklination er- gab sich durch Verbindung mit älteren Messungen : D = D.goi.o — n. 5',o -f n^ . o',03, wenn n die Zahl der seit 1901,0 verflossenen Jahre bedeutet. Dem offiziellen Bericht (Die erdmagn. Elemente von Württ. u. Hohenz., v. K. Haußmann, Stuttgart 1903) sind fünf magnetische Karten bei- gefügt, aus denen ersichtlich ist, daß das durch vulkanische Gesteine und Erzvorkommen am stärk- sten gestörte Gebiet dasjenige zwischen Geislingen, Heidenheim, Neresheim und .'^alen ist. Die spe- zielle Untersuchung der Störungsgebiete bleibt einer besonderen Arbeit vorbehalten. F. Kbr. ^ CDB = ^ CBD = 2 -<:? GAB = 2 ^ ADH; -.4 HDA = \ -4 HDC. Reichart. Die Beziehungen zwischen den Sonnen- flecken und dem Erdmagnetismus bespricht Deslandres in den Comptes rendus vom 23. No- vember. So klar der Zusammenhang beider Er- scheinungsgruppen durch die allgemeine Periodizi- tät von übereinstimmendem Rhythmus festgestellt ist, so strittig und ungeklärt ist dagegen die Frage im einzelnen. Bis jetzt kann z. B. noch nicht ent- schieden werden, ob magnetische Störungen durch die Passage einer größeren Flecken- oder P'ackel- gruppe durch den Mittel meridian der Sonne bedingt werden, wie Marchand 1887 gefunden zu haben glaubte, oder ob die gleichzeitig von Veeder ausgesprochene Hypothese das richtige trifft, nach welcher die Flecken und Fackeln am nordöst- lichen Rande der Sonne für magnetische Störun- gen maßgebend sind. Auch die letzte, große mag- netische Störung vom 3 I.Oktober könnte zugunsten jeder dieser beiden Ansichten ausgenützt werden. Es ist aber durchaus nicht unwahrsclieinlich, dafS vielleicht weniger die formalen Abnormitäten der Sonnenoberfläche, als die in deren Gebiet sich abspielenden, aber bis jetzt noch sehr unzureichend beobachteten Bewegungsvorgänge das Ausschlag- N. F. III. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 395 gebende sind, hat doch z. B. Fowler am 31. Ok- tober 1903 in London eine sehr starke Verschiebung der C-Linie im Spektrum der mittleren Flecken- gruppe festgestellt. Leider hat diese Beobachtung erst drei Stunden nach Beginn der magnetischen Störung stattgefunden und wolkiges Wetter ver- eitelte die weitere Verfolgung der Erscheinung. Diejenige solare Erscheinung, die in ihrer Intensität den erdmagnetischen Störungen parallel geht, ist also jedenfalls noch nicht sicher gefunden. Zur Herbeiführung einer baldigen Förderung dieses Problems plaidiert Deslandres mit Wärme für die Einrichtung einer fortlaufenden, von mehreren Punkten der Erde aus auszuführenden Registrierung aller Sonnenphänomene, im besonderen auch der auf Bewegungsvorgänge hinweisenden Spektral- linienverschiebungen. Auch sollten auf Stern- warten Einrichtungen getroffen werden, die beim Auftreten einer magnetischen Störung die Astro- nomen sofort selbsttätig alarmieren, damit diese zu rechter Zeit mit allen verfügbaren Mitteln die V'orgänee auf der Sonne verfolgen können. ^ ^ I-. Kbr. Wetter-Monatsübersicht. Während des diesjährigen Februar herrschte in Deutsch- land größtenteils trübes Wetter mit milden südwestlichen Winden und zahlreichen Niederschlägen. Die Temperaturen wiesen viel geringere Schwankungen auf, als sonst, besonders in einem Wintermonat, vorzukommen pflegen. Ihre Minima, die die beistehende Zeichnung von verschiedenen Orten wiedcr- jempera/ur-^Hinima einiger öj^e im KtJruar 1907. Wftferbureau. das Thermometer in Memel bis auf — 13", in München bis auf — 12» C. Im Monatsmittel aber blieben die Temperaturen über ihren normalen Werten, die sie in Norddeutschland durchschnittlich um einen, in Süddeutschland um zwei Grad überschritten. Die im Winter an und für sich schon so spärliche Sonnen- strahlung ist in diesem Jahre noch viel mehr als gewöhnlich durch dicke Wolken beeinträchtigt worden. Im letzten Februar hat beispielsweise in Berlin nur an 30 Stunden die Sonne ge- schienen, während wir im Durchschnitte der früheren Februar- monate hier [66 'Sonnenscheinstunden hatten. Desto größer waren die Regen- und Schnccmengen, die sich, wie die neben- stehende Zeichnung ersehen läßt, besonders zwischen dem 6. gibt, lagen im allgemeinen einen oder ein paar Grade über, seltener unter dem Gefrierpunkte, die Ma.xima überschritten nur in Süddeutschland an einzelnen Tagen um Mitte des Monats lo''.C. Strenger Frost trat in den ersten Februartagen allein in den Provinzen Westpreußen und nanuntlich Ostpreufsen aul, wo es Gumbinnen und Marggrabowa auf 16" C Kälte brachten. Seit dem 23. Februar fand allgemein eine ziem- lich empfindliche Abkühlung statt, in der Nacht zum 28. sank T?ie(ler^tj(ag5^'6J^cn im Jetruar 1904. MittlcrerWert für Deutschland. MonatssumineimFebr. IWl. 03. 02 Ot. 00. 1833 BclinerWtlTfrburtau. und 23. Februar ziemlich gleichmäßig über ganz Deutscliland ergossen. Während dieser Zeit wuchsen an der Küste sowie im westlichen Binnenlande die Südwest- und Westwinde häufig zu Stürmen an, in deren Begleitung sich einzelne Gewitter entluden und wiederholentlich Hagelschauer vorkamen. Durch die täglich sich erneuernden Niederscldäge wurden, da auch der alte Schnee auf den Bergen schmolz und der neue fast nirgends liegen blieb, seit dem 12. Februar im Ge- biete des Rheins, der Ems und Weser ebenso wie der Donau und ihrer Nebenflüsse weite Länderstrecken überschwemmt. Nach kurzem Rückgange der Hochwasser traten sie seit dem 18. in noch stärkerem Maße auf und dehnten sich bald danach auch auf die Oder und Warthe aus. Allein in den drei Tagen vom 20. bis 23. morgens fielen zu Uslar 59, zu Chem- nitz 38 mm Regen und Schnee. Dann ließen die Nieder- schläge zwar an Stärke bedeutend nach, doch setzten sie sich fast überall bis zum Schlüsse des Monats in leichten Schnee- fällen fort, die auch eine neue Schneedecke bildeten. Der gesamte Ertrag der Niederschläge belief sich für den Durch- schnitt der berichtenden Stationen auf 62,9 mm und ist seit Beginn des vorigen Jahrzehntes nur im Februar 18S8 und 1893 noch übertroffen worden. .außerordentlich groß war die Zahl der tiefen barometri- schen Minima, die im Laufe des Februar vom .\tlantischen Ozean in Europa erschienen. Anfänglich mußten sie hier ihre Herrschaft im wesentlichen auf die britischen Inseln, Frank- reich und Italien beschränken, da ein Hochdruckgebiet fast ganz Rußland bedeckte und sich bis Mitteleuropa ausdehnte. Nach und nach wurde jedoch das Maximum aus dem euro- päischen Rußland nach Sibirien gedrängt; nur ein kleineres Hochdruckgebiet blieb gewöhnlich in Nordrußland und er- zeugte daselbst durch Bodenausstrahlung äußerst strenge Kälte, die in Ust-Tsylma an der Petschora schon am 2. Februar — 37° C erreichte und sich später am 16. bis — 43° C steigerte. Die atlantischen Depressionen rückten darauf teils nach 396 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 25 tjstcn, teils iiLicli Nordosten vor. Achtuiiil j^clangtcn Minima, deren tiefster Barometerstand unter 745 mm herabging, fünf darunter mit Harometerständen unter 735 mm, mit stürmischen Winden und starken Niederschlägen in das Gebiet der Nord- see und Ostsee. Ihre rasche Aufeinanderfolge, ihre häutige Teilung an der einen und Wiedervereinigung an der anderen Stelle gaben der Witterung in ganz West- und Mitteleuropa einen sehr unbeständigen Charakter. Erst als am 23. Februar sich ein neues Hochdruckgebiet vom nördlichen Eismeer über die skandinavische Halbinsel ausbreitete, drehten sich die Winde nach Nordost und wurde das Wetter in Mitteleuropa gleichmäßiger und kälter. Doch herrschte bis zum Ende des ^lonats bedeckter Himmel und die Neigung zu Schneefällen vor, da ein über dem mittelländischen Meere lagerndes De- pressionsgebiet einzelne, obschon sehr flache Teilminima nach Norden entsandte. Dr. E. Leß. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Das Museum von Meisterwerken d e r N a t u r - Wissenschaft und Technik (vgl. Naturw. Wochenschr. Nr. 20 vom 14. Februar 1904, p. 317) beabsichtigt neben seinen .Sammlungen historischer Maschinen usw. auch eine große wissensehaltlich-tcchnische Bibliothek einzurichten. Im Anschluß an diese Bibliothek soll ein Hauptgewicht auf den Ausbau einer systematischen Plansammlung für alle im Museum vertretenen Gebiete gelegt werden. Zu diesem Zwecke werden lehrreiche Pläne und Zeichnungen aus früherer und neuerer Zeit gesammelt , in einer für einen bequemen und häufigen Gebrauch sicheren Weise in Leinwand gebunden, und in der bisher nur für Bücher üblichen Weise genau nach Gruppen katalogisiert und aufbewahrt. Die Einrichtung soll es ermöglichen , daß die Besucher der Plansammlung I die sich für irgend ein Gebiet, seien es Bauten, Maschinenanlagen oder sonstige Einrichtungen, inter- essieren, die betreflenden Pläne und Zeichnungen im Museum genau studieren können. Wenn auch die Auswahl der Pläne so erfolgt, daß hier- durch kein spezielles Fabrikgeheimnis preisgegeben zu werden braucht, so wird diese Plansammlung doch nicht nur den Besuchern des Museums eine überaus wertvolle Belehrung bieten, sondern auch die Interessen der Unternehmer, Fabriken und Konstrukteure fördern, indem auch Schöpfungen derselben, die sich nicht im Original oder Modell aufstellen lassen, durch die Plansammlung und deren Kataloge den weitesten Kreisen der Bevölkerung bekannt werden. Das Museum glaubt, bei richtiger Organisation in seiner Plansammlung eine Einrichtung zu schaffen , welche für die gesamte Technik ebenso wertvoll werden dürfte, wie es die Bibliotheken für die verschiedenen Wissenszweige geworden sind, und es ergeht daher an staatliche und städtische Be- hörden, an Unternehmungen, Fabriken, Zivilingenieure usw. die freundliche Aufforderung, die ihnen geeignet erscheinenden Pläne dem Museum zur Verfügung zu stellen. Bücherbesprechungen. H. von Buttel-Reepen, Sind die Bienen Re- flexmascli in en ? Experimentelle Beiträge zur Biologie der Honigbiene. Leipzig , Verlag von Arthur Georgi, 1900. 82 S. — Preis 1,20 Mk. Albrecht Ret he hat vor einigen Jahren in seiner Abhandlung „Dürfen wir Ameisen und Bienen psychische Qualitäten zuschreiben ?" (Arch. f. d. ge- samte Physiologie, Bd. 70, i8g8.) die Ansicht aus- gesprochen, daß Ameisen und Bienen über keine Sinne, über keine Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und danach ihr Handeln abzuändern, ver- fügen, daß alle Reize unter der Schwelle der sinn- lichen Empfindung und Wahrnehmung bleiben, und daß diese Tiere rein mechanisch alle die oft so vernunftmäßig erscheinenden Tätigkeiten ausüben. V. Buttel-Reepen weist nach, daß Bethe irrt, und daß die Bienen im tiegenteil psychisch hoch entwickelt sind, daß von ihnen neben den ererbten Trieben itn individuellen Leben viele Fähigkeiten er- worben werden, und daß \ie\e Vorgänge auf Erfahrung, Gedächtnis, Lernvermögen, Assoziationsvermögen usw. beruhen. Nach Bethe ist das Mitteilungsvermögen der ge- nannten Insekten auf chemische Einflüsse zurück- zuführen. Der Herr Verfasser kennt jedoch zahl- reiche Tatsachen, welche dieser Ansicht sich nicht fügen. Wenn einem Bienenvolk die Königin ge- nommen wird, d. h. wenn es entweiselt wird, so ist sogleich oder später eine auffallende Veränderung an seinem Verhalten wahrzunehmen ; die sogenannte „Weiselunruhe" bricht aus. Der behaglich summende Ton des Volkes verwandelt sich in einen tieferen, langgezogenen, klagenden. Der Imker sagt dann, daß die Bienen „heulen". Die Bienen werden unruhig und stechlustig. Augenscheinlich ist den Bienen die Abwesenheit der Königin zum „Bewußtsein" gekommen. Das geschieht nach Bethe durch chemische Reize ; wir würden sagen ,, Geruchsreflexe", deren fehlen von den Bienen bemerkt wird. Aber bei der Abwesenheit der Königin müßte ihr Nestgeruch, von dem man doch nur annehmen kann, daß er sich überallhin durch den Bienenstock verbreitet, in letzterem ver- blieben sein. v. B. jedoch zweifelt im Gegensatz zu Bethe nicht daran, daß die Bienen sich durch Töne verständigen und daß bei den Klagetönen einzelner bald auch alle übrigen Bienen instinktmäßig in Klage- töne verfallen. Noch andere Beobachtungen machen es wahrscheinlich, daß das Mitteilungsvermögen auf Tonperzeptionen beruht. Kurz vor dem Ausschwärtnen des Volkes drängen sich einzelne aus dem Flugloche hervorkommende Bienen unruhig in die vorlagernde, oft wie ein „Bart" vom Flugbrette herabhängende Bienenmasse. Lind plötzlich löst sich dann der „Bart" auf, die Bienen ziehen schnell zum Flugloche wieder hinein und fallen über die Honigvorräte her; sie füllen gewissermaßen ihren Wandersack, ebenso auch die übrigen Schwarmlustigen des Stockes, und dann bricht der Schwartu hervor, um hinauszufliegen. Es ist kaum zu bezweifeln, daß es sich hier um Mit- teilungen handelt. Für die bekaimte Erscheinung, daß die ausge- flogenen Bienen eines Stockes den Weg zu diesem wieder zurückfinden, nimmt Bethe eine „unbekannte Kraft" an. Dies sei eine Kraft, welche nicht dem Bienenstocke selbst anhafte; sie führe die Bienen auch nicht zu dem Bienenstocke, sondern zu der Stelle im Räume, an der sich der Bienenstock ge- wöhnlich befinde. Die Grenze des Wirkungskreises dieser Kraft sei auf etwa 3 km anzunehmen. Dieser Annahme einer „unbekannten Kraft" tritt v. Büttel- Reepe n entgegen ; er weist mit Recht darauf hin, daß die Bienen ein Ortsgedächtnis haben. Nach einem mitgeteilten Beispiel flogen ausgeflogene junge Bienen, die bei der Rückkehr ihren Stock nicht wiederfinden konnten, in andere Stöcke, und zwar in solche, welche durch eine Farbe kenntlich gemacht waren und ihrem eigenen Stocke glichen. Sie wurden N. F. III. Nr. 2; Naturwissenschaftliche Woclienschrift. 397 hier allerdings unfreundlich empfangen und von den Bewohnerinnen der fremden Stöcke getötet. Das inhaltreiche Buch birgt zahlreiche interessante und viele neue oder wenig bekannte Beobachtungen an Bienen, namentlich solche, welche sich auf das Mitteilungsvermögen und das Ortsgedächtnis derselben beziehen. Der Herr Verf. weist darauf hin, daß in manchen zoologischen und entomologischen Handbüchern viel Falsches über die Bienen mitgeteilt ist, obgleich in Bienenzeitungen und Zeitschriften und in Büchern der Bienenkunde viele biologische Kenntnisse über Apis mellifica niederlegt sind, die aber in die wissenschaftliche Welt wenig Eingang gefunden haben und seltsamerweise wenig beachtet seien. Kolbe. Sammlung chemischer und chemisch-technischer Vorträge. Herausgegeben von Prof 1 )r. Felix B. A h r e n s in Breslau. Stuttgart , Verlag von Ferdinand Enke. Jährlich 12 Hefte. Preis im .\bonnement 12 Mk. ; einzelne Hefte 1,20 Mk. i) Chemische Affinität und Energieprinzip. Von Dr. Joseph Siegrist in Zürich. (VII. Band, 5. Heft.) 2) Chemische Verwandtschaftslehre. Die Lehre von den Gleichgewichten in homogenen und hete- rogenen Systemen und von der Reaktionsgeschwin- digkeit. Von Dr. W. Herz, Privatdozent der Chemie an der Universität Breslau. (VIII. Band, 10. Heft.) 3) Der gegenwärtige Stand der Schwefelsäure- industrie von Dr. Gustav Rauter, Charlotten- burg. (VIII. Band, S. Heft.) 4) Die Santoningruppe von Privatdozent Dr. E. Wedekind, Tübingen. (VlII. Band, 9. Heft.) 5) Die Nitrosoverbindungen. Von Dr. Julius Schmidt, Privatdozent an der Technischen Hoch- schule zu Stuttgart. (VIII. Band, 11. Heft.) 6) Über Racemie. Von Dr. A. Ladenburg, o. Professor an der Universität zu Breslau. Mit einer Abbildung. 7) Von den Hydraten in wässriger Lösung. Von Dr. Emil Baur, Privatdozent an der Technischen Hochschule zu München. Mit 6 Abbildungen. (7. und 8. im VIIL Band, 12. Heft.i 8) Die Lichtabsorption in Lösungen vom Stand- punkte der Dissociationstheorie. Von Dr. George Rudorf, B. Sc. London. Mit einer .■\bbildung. (L\. Band, i. u. 2. Heft, 9) Die Theorie der elektrolytischen Dissociation von Professor Dr. R. Abegg, Breslau. (VIII. Band, 5. 7. Heft.) 10) Das Gärungsproblem. Von Prof. Dr. Felix B. Ahrens, Breslau. (VII. Band, 12. Heft.) Es erscheint mir als eine dankbare Aufgabe, den Blick weiterer Kreise unserer Zeitschrift auf diese Ahrens'sche Sammlung chemischer und chemisch- technischer Vorträge hinzulenken , die bereits im 8. Jahrgang erscheint. Sie hat schon eine stattliche Zahl guter Schriften der Oflentlichkeit übergeben, und die Namen des Herausgebers und der Mitarbeiter, von denen ich nur Abegg-Breslau, Bod- länder -Braunschweig, Buchka, van 'tHoff und Liebermann-Berlin, Gatter mann-Frei- burg, Ladenburg-Breslau, Lunge-Zürich und Wi n kl er -F re iber g nenne, bürgen schon an sich für die Vorzüglichkeit des Inhalts. Wenn auch die meisten bisher erschienenen Hefte der beliebten Sammlung rein wissenschaftliche Probleme behandeln, und daher viele der Vorträge nur das spezielle Inte- resse von Chemikern wachrufen können , so findet auch der Nichtfachmann zahlreiche hochinteressante und belehrende Schrillen darunter, und es kann die Anschaffung einzelner Hefte auch ihm aufs wärmste empfohlen werden. W'as den Iniialt der vorstehend angeführten Schriften betrifft, so stellt zunächst i), der bereits im VII. Bande erschienene Vortrag von Siegrist, einen gemeinver- ständlichen Überblick über den Entwicklungsgang der Affinitäts- oder Verwandtschaftslehre dar. Seitdem Robert Boyle mit den alchymistischen .Anschauungen gebrochen und mit der Lehre von den vier Grund- stoffen aufgeräumt hatte, begann erst die Chemie in wissenschaftliche Bahnen einzulenken, und von da ab kann auch erst von einer eigentlichen Entwicklung der Lehre von der chemischen Affinität und dem Erfor- schen eines Energieprinzips die Rede sein. Von hier ausgehend, entrollt der Verfasser an der Hand größerer historischer Werke ein anschauliches Bild über den Gang dieser Entwicklung und zeigt , wie nur langsam Stein zum Stein gefügt werden konnte, um das Gebäude der heute geltenden Theorien aufzu- führen. Er verbreitet sich aber zu lange über die ältere Geschichte und hat die moderne Affinitäts- lehre zu wenig eingehend behandelt. .-Auch ist es zu verwundern, daß er die bei solcher Zusammen- stellung ganz unentbehrlichen Werke eines van 'tHoff und Nernst nicht zur Literatur herangezogen hat. Doch ist die Darstellung selbst äußerst klar, und das reiche Material geschickt zusammengefaßt, so daß auch der Nichtfachmann aus der 22 Seiten fassenden Arbeit Belehrung schöpfen kann. Ein richtiges und volles Verständnis der heutigen thermodynamischen Affinitätslehre wird er durch sie allein aber schwer- lich gewinnen können. 2) Herz gibt in seiner Abhandlung über die Lehre von den Gleichgewichten in homo- genen und heterogenen Systemen und von der Reaktionsgeschwindigkeit eine bemer- kenswerte Monographie der chemischen Verwandt- schaftslehre nach den heule geltenden Anschauungen, die das Massen wirkungsgesetz als dieGrund- lage aller Erscheinungen der chemischen Mechanik hinstellen. In knapper Form der Darstellung schildert der Verfasser die wiclitigsten Forschungsergeb- nisse der physikalischen Chemie, die uns zu dieser Er- kenntnis geführt haben. Und er zeigt an den Erfolgen dieses Gesetzes, wie vieles durch die Überlegungen und Methoden der physikalischen Chemie geschaften ist , und daß vieles noch zu erwarten steht. Das Heft bildet im wesentlichen den Inhalt eines Kollegs über chemische Verwandtschaftslehre, das der Ver- fasser im Sommersemester 1902 an der Universität 398 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 2 5 Breslau hielt. Seine Ausführungen lehnen sich an die größeren Werke von van 'tHoff und Ostwald, besonders an das von Nernst an ; und die Absicht des Verfassers, „durch Erwähnung nur der allerwichtig- sten Forschungsergebnisse eine so große Einfachheit der Darstellung zu erreichen , daß die Monographie den weitesten Kreisen der Chemiker verständlich ist," dürfte als völlig gelungen zu betrachten sein. 3) Die Darstellungsweise der Schwefel- säure nach dem Bleikammerprozeß hat im großen und ganzen gegen frülier wenig Änderungen erfahren, und auch diese betreffen nur Einzelheiten im Betriebe. Aber nachdem ihm in dem sogenannten katalytischen oder Kontaktverfahren ein Mitbewerber entstanden ist, muß man heute eine Monographie der Schwefelsäure- fabrikation, wie sie uns G. R a u t e r in dem vorliegenden Hefte liefert, mit Freuden begrüßen. Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht, nur einen allgemein skizzierten Gang der Fabrikation zu geben, ohne ein bestimmtes Verfahren zugrunde zu legen, ohne eine erschöpfende Geschichte der Schwefelsäure- darstellung schreiben oder auch ihren Betrieb in allen Einzelheiten schildern zu wollen. Er beschreibt zu- nächst das „Kammerverfahren", behandelt auch die wichtigen „Nebenbetriebe des Schwefelsäure- kammerverfahrens" , schildert die Herstellung von „Schwefelsäure in Türmen'' und verbreitet sich end- lich weiterhin über das in neuerer Zeit so wichtige ,,Schvvefelsäureanhydritverfahren". Der Verfasser hat seine Aufgabe glücklich gelöst. Der Stoff ist gut behandelt und das Heft von jedermann mit großem Interesse zu lesen, der sich ein Bild von der heutigen Lage der Schwefelsäurefabrikation machen will. 4) Das Santonin, welches das wirksame Prinzip des Wurmsamens darstellt, besitzt eine eigentümliche Umwandlungsfähigkeit, die zu einer ganzen Reihe von Isomeren und Derivaten geführt hat. Seitdem man dies erkannt, nimmt auch diese Muttersubstanz der Santoningruppe ein erhöhtes Interesse der chemischen Forschung für sich in Anspruch, wie so viele andere natürlich vorkommende Stoffe , z. B. der Pflanzen- alkaloide, vor ihr. Die zumeist in italienischen Zeit- schriften hierüber veröffentlichten Arbeiten sind in dem Hefte W e d e k i n d ' s zusammenhängend dargestellt. Und dies konnte mit um so mehr Berechtigung unternom- men werden, weil gerade auf diesem Gebiete und beson- ders über die Wirkungsweise des Sonnen- lichts auf das Santonin in neuester Zeit be- merkenswerte Entdeckungen gemacht worden sind, obgleich die Konstitutionserforschung der Santonin- stoffe noch nicht als abgeschlossen gelten kann. Eine kurze Übersicht über die Geschichte, Darstellung, sowie einige allgemeine Angaben über die physika- lischen, chemischen und physiologischen Eigenschaften dieses Pflanzenstoffes ist der Schrift vorausgeschickt, die im übrigen den Charakter einer rein wissenschaft- lichen Abhandlung wahrt. 6) Laden bürg liefert einen bemerkenswerten, wissenschaftlichen Beitrag zur Kenntnis der racemischen Körper, d. h. solcher Substanzen, die der Traubensäure (acidum racemicum) analog konstituiert sind. In Kürze deutet er eingehends auf die wichtigsten historischen Tat- sachen hin, um sich dann über die Frage ; wie und unter welchen Umständen der Racem- körper in seine optischen Komponenten zerfällt, zu verbreiten. Er bespricht fünf Metho- den: I. die dilatometrische Methode, II. die tentri- metrische Methode, III. elektrische Bestimmung der Umwandlungstemperatur, IV. Bestimmung der Um- wandlungstemperatur durch Löslichkeitsbestimmungen, V. die thermometrische Methode. 7) Baur behandelt in seiner Schrift gewisse Verbindungen gelöster Stoße mit dem Lösungsmittel. Auf die Existenz solcher Verbindungen lassen be- kanntlich verschiedene Eigentümlichkeiten wässriger Lösungen schließen, die unsere Kenntnis über die Konstitution der Lösungen zu bereichern geeignet sind. Solche Verbindungen treten gegenwärtig in den Vordergrund des chemischen Interesses. Der Verfasser hat es unternommen , alles das zusammen- fassend darzustellen und an Versuchen und Beispielen durch die lonentheorie wissenschaftlich zu begründen, was wir heute über die Hydrate in Lösung wissen und vermuten. Der äußerst interessante Stoff ist übersichtlich und die Form gewandt. Die Baur'sche Schrift ist sehr geeignet, zur Anregung und Belehrung über diesen Gegenstand beizutragen. 8J In folgenden Abschnitten: Grundanschauungen der Theorie ; — Die Beweg- lichkeit der Ionen; ■ — • Gleichgewichte zwischen Ionen ; — Dissociationskonstante ; — Gleichgewichte zwischen mehreren Elektrolyten ; — Hydrolyte ; — Avidität ; — Indikatoren ; — Heterogene elektrolytische Gleichgewichte ; — Anomalie der starken Elektrolyte ; — Druck und Temperatureinfluß auf die Dissociation ; Nichtwässrige Lösungen; — Chemische Natur und lonenbildungstendenz der Elemente gibt G. R u d o r f einen Ü b e r b 1 i c k ü b e r den heutigen Stand der Lehre von der elektrolytischen Dissociation. Der reiche Inhalt der interessanten Schrift umfaßt zwei Hefte der Sammlung und bietet zum tieferen Ein- dringen in das Wesen der lonentheorie eine reiche Quelle der Belehrung. Es ist in dem Werke in geschickter Weise alles das zusammengestellt , was für die Er- kenntnis der elektrochemischen und chemischen Vorgänge überhaupt von größter Wichtigkeit ist, und mit dessen Hilfe die bedeutendsten und letzten Fragen der Chemie, das Wesen der Valenz und der Ver- wandtschaftskräfte, gelöst zu werden versprechen. Bei dem heutigen Stande der Theorie von Arrhenius, die in schneller Folge durch zahlreiche neuere Arbeiten gefestigt und ausgebaut wurde, ist es doppelt erfreulich, wenn uns von so berufener Feder, wie es hier der Fall ist , eine solch wertvolle Zusammenstellung ge- boten wird. Und was dem Buche seinen besonderen Wert verleiht, ist besonders die Berücksichtigung auch der neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse. ()) Der bekannte Verfasser, Prof. Abegg in Bres- lau, hat sich in dem vorliegenden Werke die Aufgabe gestellt, die Li chtabsorpt ion im wesentlichen nur insoweit zu betrachten, als sie mit der I) issociations th eorie von Arrhenius ver- k n ü p f t i s t, ohne das ganze Gebiet der Spektralanalyse N. F. III. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 399 von Lösungen durchstreifen zu wollen. Die Schrift ist mit besonderer Freude zu begrüßen , da sie einem längst empfundenen Bedürfnisse nach einer einheit- lichen Zusammenfassung der über das Thema vor- handenen Literatur und einer kritischen Iktrachtung derselben entspricht. Und der Verfasser hofft nicht zu Unrecht, daß eine solche Zusammenstellung den Weg zu neuer Untersuchung andeuten kann. Der Inhalt gliedert sich in folgende Abschnitte: I. Ein- leitung. II, Allgemeines über Lichtabsorption und mathematische Behandlung. III. Die Anwendung der Dissociationstheorie auf die Lichtabsorption. IV. Ge- schichtliches: a) betreffs des Beer'schen Gesetzes, b) betreffs der Dissociationstheorie. V. Einfluß des Aggregatzustandes auf die Absorption. VI. Einfluß des Lösungsmittels auf die Absorption. VII. Einfluß der Temperatur auf die Absorption. VIII. Kurze Zusammenstellung des Vorhergehenden. IX. Schluß- bemerkungen. Der Stoff, der auf 2 Hefte der Sammlung verteilt ist, erfreut sich einer sehr gewissenhaften Behandlung, und mit gutem Verständnis sind nur die brauchbaren Literaturangaben ausgewählt , während die minder wichtigen unberücksichtigt blieben. 10) Das Heft über die Gärung von Felix B. Ahrens bietet eine bequeme und gute Zusammen- stellung zum Gegenstande in seiner Begründung des Resultates : „Die Gärung ist ein chemischer Prozeß." R. Lb. Literatur. Becker, Elektrochem. H. : Die Elektrometallurgie der .\lkali- metalle. Mit 83 Fig. u. 3 Tab. im Text. (VIII , 135 S.) Halle '03, \V. Knapp. — 6 Mk. Curie, Mme S. : Untersuchungen üb. die radioaktiven Sub- stanzen. Übers, u. m. Literaturergänzgn. versehen von W. Kaufmann. Mit eingedr. Abbildgn. (VllI, 132 S.) Braun- schweig '04, F. Vieweg & Sohn. — 3 Mk.; geb. 3,80 Mk. Hertwig, Prof. Dir. Ose. : Die Elemente der Entwicklungslehre des Menschen und der Wirbeltiere. Anleitung und Repi- torium f. Studierende u. Arzte. 2. Aufl. (VI, 420 S. mit 373 Abbildgn.) gr. 8". Jena '04, G. Fischer. — 8 Mk. ; geb. 9 Mk. Knuth, weil. Oberrealsch.-Prof. Dr. Paul: Handbuch der Blütenbiologic. Begründet v. K. III. Bd. Die bisher in auüercurop. Gebieten gemachten blütenbiolog. Beobachtgn. Unter Mitwirkg. v. Reg.-R. Dr. Otto Appel, bearb. u. hrsg. V. Realgymn.-Prof. Dr. Ernst Loew. I. Tl.: Cycadaceae bis Cornaceae. Mit 141 Abbildungen und dem Portr. Paul Knuth's. (VII, 570 S.) gr. 8». Leipzig '04, W. Engelmann. — 17 Mk.; geb. in Halbfrz. 20 Mk. Remsen, Prof. Dr. Ira: Einleitung in das Studium der Chemie. Deutsche Ausg. Bearb. v. Prof. Dr. Karl Seubert. 3., neu- bearb. Aufl. (XVI, 462 S. m. 44 Abbildgn. u. 2 Taf.) gr. 8°. Tübingen '04, H. Laupp. — 6 Mk. ; geb. 7 Mk. Briefkasten. Herrn S. in U. — Über Kultur und Zubereitung der Bananen äußert sich z. B. Johann Maria Hilde- brandt in der Monatsschrift des Vereins zur Beförderung des Gartenbaues, Berlin 1881, p. 425 ff. Die Kultur ist in Ostafrika höchst einfach : Man nimmt ein Stück von einem Ausläufer und steckt es in die Erde. Besonders pflanzt man die Bananen in der Nähe der Hütten an, denn sie geben einen hübschen Schatten, da meist sechs, oft zehn bis zwölf Stämme aus einem Wurzelstocke hervortreten. Gewöhnlich tragen sie im zweiten Jahre schon Früchte, selbst ganz kleine Ausläufer entwickeln zu der Zeit einen Fruchtstand. Man schneidet die Früchte meistens bereits etwas vor der Reife ab, da bei völliger Reife nicht nur die Menschen , sondern ganz besonders auch die Affen und andere Tiere sehr lüstern danach sind. Ganz eigentümlich ist die Art, wie man sie nachreifen läßt. Man macht zu dem Zweck eine Grube, ähnlich wie eine Kartofi'el- miete, hängt die Fruchtstände an einem darin angebrachten Gestell auf und bedeckt sie mit Laub oder mit Erde. Sind sie so allmählich nachgereift, so werden sie zu Markt gebracht. — Man kann die Bananen auch grün vor der Reife verwen- den. Sie werden dann entweder einfach in ein Kohlenfeuer gelegt und geröstet, was sehr schnell von statten geht und in ihnen einen außerordentlich süßen Geschmack entwickelt, oder sie werden, wenn sie noch jünger sind, auch wohl in Stücke geschnitten, dann getrocknet oder halb geröstet und nachher zerrieben. Die zerriebene Substanz wird dann als eine Art rohes Mehl benutzt. Am besten schmecken die Früchte, wenn man sie abschält, mit Eierkuchenteig umwickelt und leicht bratet. Aus den Bananen läßt sich auch ein angenehmes Ge- tränk bereiten. Wenn die Früchte recht reif und die Schale schon schwarz geworden, zieht man die letztere ab, zerquetscht die Frucht, tut sie in ein Gefäß mit Wasser und läßt es drei bis vier Tage stehen, worauf die Flüssigkeit einen sehr ange- nehmen Geschmack angenommen. Will man dies Getränk berauschend machen, so tut man einen Gärungserreger (Blätter f) von Kigelia africana oder Rinde von einer Rhamnusart oder Blätter von R. pauciflorus hinein. Alle diese Bemerkungen bezichen sich auf Musa paradisiaca, die .A.rt mit kleineren Früchten. Die Früchte von Musa sapientum (Plantain der Engländer) sind größer und haben eine sehr zähe Schale; sie werden nicht roh gegessen, sondern meist geröstet oder zu Mehl ver- arbeitet. Oft erreichen sie eine Länge von '/j m ; sie sind etwas sichelförmig und führen wegen ihrer Form auch den Namen ,,Elephantenrüssel". Aus der Asche der Blütenstandsachse bereitet man ein ziemlich scharfes Salz, welches man zum Würzen der Speisen verwendet, auch an Schnupftabak tut. Der Stengel oder Stamm der Pflanze wird an Ziegen und Schafe verfüttert. Auch auf den SchilTen füttert man das Vieh mit den in Stücke zer- schnittenen Bananenstengeln ; dieses Futter hält sich ziemlich lange. Mit den Blättern werden zuweilen die Dächer gedeckt, doch nicht häufig, da die Blätter nicht lange dauern. Mehr verwendet man sie zu Schattendecken. Auch als Ruhelager sind die Bananen wegen ihrer großen Blätter sehr gut ver- wendbar: zwei Bananenstämme (mit den Blättern) werden der Länge nach hingelegt, oben ein dritter quer als Kopfkissen — dann ist das Lager fertig. Herrn cand. prob. F. N. in Heiligenstadt. — I. Das umfassendste systematische Spezialwerk über Kolibris ist J. Gould, The Trochilidae or Humming Birds (fol. mit 360 kol. Tfln., London 1849 — 61) nebst Suppl. von R. B. Sharpe (mit 60 kol. Tfln., 1880—87; Gesamtpreis: 1900 Mk.). — Ein weniger umfangreiches französisches Tafelwerk ist Mulsant et Verreaux, Hist. nat. des Oiseaux- Mouches ou Colibris (4 vols. 40 mit 120 kol. Tfln., Lyon 1874 — 79; Preis: 340 fr. bei R. Friedländer & Sohn antiqu. 175 Mk.). — Die neueste Zusammenfassung aller bis zum Jahre 1900 beschriebenen sicheren Arten mit bis auf die Art fortgesetzten Besümmungs- tabellen, kurzen Beschreibungen und Hinweisen auf die wich- tigsten Beschreibungen und Abbildungen der einzelnen Arten ist E. Hartert, Trochilidae (Das Tierreich, 9. Lief., 8», Berlin 1900, Preis: 16 Mk.). 2. Über das Aufweichen der Kolibribälge sagt Martin, der Meister in der Taxidermie (P. L. Martin, Die Pra.Kis der Naturgeschichte, I. Teil, Taxidermie, 4. Aufl., Weimar 1898, p. 107). ,, Vögel von lebhaftem Glanz eignen sich für das Einlegen in feuchten Sand nicht, da manche derselben, wie z. B. Trochilus moschitus , durch das Feuchtwerden an ihrem Feuerglanze Schaden nehmen, ich rate daher, bei sol- chen Bälgen die Füße , durch Umhüllen mit feuchtem Werg, zuerst einzuweichen. Ist dieses, unter Schonung des Gefieders, nach einigen Stunden oder höchstens in einer Nacht erfolgt, so nimmt man den Balg behutsam aus , indem man ihn am Flügelbug faßt, damit die Flügel nicht abbrechen und feuchtet ihn hierauf mit Gift innerlich an, wonach man in der Regel bald zum Ausstopfen schreiten kann. Ist aber die Haut eines 4bo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 25 tJlanzvugels durchlöcliLTt uiul Ijcslclit die Gefalii', daß briiii Einstreichen Giftlösung nach außen ins Gefieder dringt, so weicht man den Balg in einem verschlossenen Giase ein, dessen Luft durch einen angenetzten Wattebausch feucht ge- halten wird." Dahl. Herrn J. H. in Bentheim. — Wir empfehlen Ihnen Drcssel's ,, elementares Lehrbuch der Physik", Freiburg i. B., Herdcr'scher Verlag. 2. Aufl. igoo. 1036 Seiten mit 589 Abb. Preis 15 Mk. Noch neuer und gleichfalls günstig be- urteilt (vgl. N. W. Bd. 111, S. 79) ist A. Berliner's ,, Lehrbuch der Experimentalphysik in elementarer Darstellung" (Jena 1903, G. Fischer. 857 Seiten. Preis 14 Mk.) Herrn W. F. in Mannheim. — I. Eine neue Auflage von Reichenow's Vögel der zool. Gärten gibt es nicht. Die Nomenklatur ist alt und die Namen daher meist unrichtig. 2. Ähnliche, die ganze Vogelwelt umfassende Werke gibt es nicht. 3. Über den Fang der Vögel finden Sie z. B. eine Zusammenstellung in C. G. Friderich , Naturgeschichte der deutschen Vögel (Julius Hoffmann in Stuttgart, 1891). Herrn H. F. in Dresden. — Frage: Bei meinen photo- graphischen Platten hatten die Kanten, auf denen ein schmaler Streifen Papier zur Trennung von der nächsten Platte liegt, nicht eine schwarze Färbung angenommen, wie Prof Blaas in dem Artikel der Naturw. Wochenschr. sagt, sondern waren ganz weiß geblieben. Ich dachte zuerst, das Papier habe die Schicht eingesogen ; doch das ist ja schon deshalb ausge- schlossen, weil die Verpackung trocken geschieht. Außerdem sind diese Stellen vor der Entwicklung durch nichts ausge- zeichnet vor den anderen Teilen der Platte. Nach diesem Prozesse sind sie vollständig weiß und fi.\ieren dann klar aus. Antwort: Warum die mit weißem Papier getrennten Ränder der erwähnten Platten nicht lichtempfindlich sind, kann ich nicht angeben ; mir ist eine solche Erscheinung bisher nicht untergekommen. Die in meinem Aufsatze erwähnte Schwärzung der Platte tritt dann ein, wenn das zwischengelegte Papier holzstoffhaltig ist und wenn die Streifen vor dem Ein- legen im Licht lagen. Es ist daher leicht erklärlich, daß im einen Fall eine photechische Wirkung vorhanden ist, im an- deren nicht (wenn nämlich diese Voraussetzung nicht erfüllt ist). Prof. Blaas-lnnsbruck. Herrn A. K. in Leipzig. — Nehmen Sie Garcke's Flora von Deutschland (Paul Parey in Berlin) oder Potonie's Illu- strierte Flora von Nord- und Mitteldeutschland (Julius Springer in Berlin). Wer sich in die Floristik vertiefen will , kann .Ascherson und Graebner's Synopsis der mitteleuropäischen Flora l^W. Engelmann in Leipzig) nicht entbehren. Herrn P. Bl. und G. St. in Magdeburg. — Die Etymo- logie der griechischen und lateinischen Bezeichnungen für Pflanzen und Tiere ist treftlich in den noch von Lennis selbst herausgegebenen Auflagen seiner Synopsis der drei Natur- reiche angegeben. Sie finden dort das Wesentlichste. Das Werk ist antiquarisch öfter zu haben. Ein neuzeitliches Lexikon aller wissenschaftlichen Termini gibt es leider nicht; es wäre recht zweckdienlich, wenn ein solches geschaffen würde. Herrn W. E. in Jena. — Vielleicht genügen Ihnen die in ,,Peter's astronomischen Tafeln und Formeln" (Hamburg, Mauke, 1871, ca. 10 Mk.) S. 19S — 202 enthaltenen Vergleichs- tabellen. Für Thermometer bietet auch das Pariser „Annuairc pour 1904" (Gauthier- Villars, 1,50 Fr.) p. 389 eine Tabelle, die für jeden Fahrenheitsgrad den entsprechenden Celsiusgrad (bis auf hundertel) angibt. Altere Jahrgänge des Annuaire (2. B. 1900) enthalten auch eine Tabelle zur Verwandlung der englischen Barometerangaben (um Zehntel Zoll fortschreitend) in Millimeter (bis auf hundertel). licrrn Fr. K. in lleeßen. — Mechaniker kann man nur werden, indem man bei einem tüchtigen Meister in die Lehre geht und dieses schwierige Handwerk durch persönliche Unter- weisung erlernt. Die Instrumente allein nützen nichts, wenn man sie nicht zu handhaben versteht. Herrn W. B. in Stuttgart. — Bei der Verdunstung des Seewassers entweicht nur reiner Wasserdampf in die Luft, während alle Salze zurückbleiben. Der Salzgehalt der Seeluft ist gleichwohl vorhanden , erklärt sich aber durch das Zer- stäuben des Wassers an den Wellenkämmen und durch die Benetzung des Strandes mit .Salzwasser. Nach Verdunstung des Wassers bleiben die Salzleilchen als mikroskopische Stäubchen in der Luft bzw. an den benetzt gewesenen Kör- pern und werden nun vom Winde auch in das Binnenland getragen. Daß auch der binnenländische Staub salzhaltig ist, erkennen Sie durch das gelegentliche, gelbe Aufleuchten der Bunsenflamme, das sich im Spektralapparat als Natriumlicht zu erkennen gibt. Besonders hell wird diese Gelbfärbung der Bunsenflamme, wenn man mit der Hand auf den Tisch schlägt oder sonstwie in der Nähe der Flamme den Staub aufwirbelt. Ohne Spektralapparat können Sie die Natur dieses Lichts im Dunkeln daran erkennen, daß bunte Papierblätter bei dieser Beleuchtung nur noch hell und dunkel erscheinen. Flerrn Z. in Pr. — Mädler's .\stronomie muß heute als veraltet bezeichnet werden. Klein's Himmelsbeschreibung ist eine sehr gründliche Zusammenfassung der kosraographischen Kenntnisse an der Jahrhundertwende, die besonders für be- obachtende Himmelsfreunde wertvoll ist. Meyer's Weltgebäude ist schwungvoll geschrieben und prächtig ausgestattet , daher als Lektüre mehr zu empfehlen. Herrn F. in Popelau. — Das Gewicht der Erde wird durch die Verbrennung der Steinkohlen natürlich nicht ge- ändert, da die gasförmigen Verbrennungsprodukte in der Atmosphäre bleiben und zum größten Teil (durch die Assimila- tionstätigkeit der Pflanzen) gelegentlich wieder in feste Ver- bindungen übergeführt werden. Daß Gase an der Grenze der .•Xtuiosphäre von der Erde entweichen könnten, ist eine unbe- wiesene Hypothese, jedenfalls käme diesem etwaigen Masse- verlust gegenüber der Massenzuwachs durch aufstürzende Meteore in Betracht, so daß sich gar nicht absehen läßt, welche von beiden h'rscheinungen überwiegen mag. Die Astronomie hat vorläufig durchaus noch keine Veranl.assung gefunden, die Mas.se der Erde als eine veränderliche Größe anzusehen, da die Änderungen für unsere jetzigen Beobachtungsmittel unwahr- nehmbar klein sind. Herrn U. in PI. — Als Erfinder der drahtlosen Tele- phonie ist der Physiker Simon zu bezeichnen, auch Ruhmer iiat Vervollkommnungen der Apparate ersonnen. Hierüber sowie über P'rage 2 lesen Sie am besten nach in Kighi Dessau „Die Telegraphie ohne Draht" (Braunschweig, F. Vieweg, bespr. Bd. II, S. 431) oder auch in Ruhmer ,,Das Selen etc." (Berlin 1902, Preis 2,40 Mk., bespr. Bd. II, S. 168). Herrn R. K. in Wien. — Bezüglich der Literatur über pflanzliche Elektrizität ist nachzusehen: I.Pfeffer, Pflanzen- physiologie I. Aufl. Bd. 2 ; Pflanzenphysiologie II. .Aufl. Bd. 2, S. 122. 2. Ewart, On the physics and physiology ofprolo- plasmic Streaming in plants, Oxfort (At the Clarendon Preß) 1903. Enthält zahlreiche einschlägige Literaturangaben. 3. Just, Botanischer Jahresbericht unter: Physikalische Phy- siologie. In diesem Abschnitt ist die gewünschte Literatur sehr leicht aufzufinden. Prof. Dr. Kolkwitz. Herrn F. in Popelau. — Die Kadaver der Tiere werden meist sofort von anderen aufgefressen: dies der Grund, warum man so selten welche findet. Inhalt: Prof Dr. Richard Zander: Riesen und Zwerge. — Kleinere Mitteilungen : Ernst Röhler: Die Wurmkrank- heit. — G. Tammann: Der Zustand des Eisens im Erdinnern. — Prof. de Kowalski und Mosel cki: Elektrische Entladungen in der Luft. — Reichert: Ein einfacher Apparat zur Trisektion eines Winkels. — A. Schmidt und K. Haußmann: Eine erdmagnetische Vermessung von Württemberg und Hohenzollern. — Deslandres: Die Be- ziehungen zwischen den Sonnenflecken und dem Erdmagnetismus. — Wetter-Monatsübersicht. — Aus dem wissen- schaftlichen Leben. — Bücherbesprechungen; H. von But tel - R ee p cn: Sind die Bienen Rcflexmasehinen.- — Sammlung chemischer und chemisch-technischer Vorträge. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs.Lichterfclde-West b. Berlii Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. JimuikL V'i Einschliefslich der Zeitschrift „DiC NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge 111. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 27. März 1904. Kr. 26. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Posl 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate : Die zweigespaltcnc Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinscrate durch die Verlagshandlung erbeten. Das Wüsten-Laboratorium zu Tucson in Arizona. [Nactidruck verboten.] \ un Hugo Die Westamerikanischen Wüsten bieten so eigen- tümliche Verhältnisse und eine so besondere Pflanzen- welt, daß sie in vielen Hinsichten zu einem näheren Studium auffordern. Der Einfluß extremer klima- tischer Umstände und hier und dort sehr ab- weichende chemische Zusammensetzungen des Bodens lassen sich nirgendwo so klar und in so großer Ausdehnung dem Versuch zugänglich machen als dort. Sie bilden einen auffallenden Gegensatz zu den tropischen Lebensbedingungen, wo die Feuchtigkeit neben der Wärme der Hauptfaktor ist, und die ganze lebende Natur beherrscht. Der tropischen Üppigkeit gerade entgegengesetzt ist die Dürre der VVüsten, und das ganze Gepräge der Pflanzen deutet auf Wassermangel als die alles beherrschende Ursache. Aber arm ist deshalb die Wüstenflora keineswegs. Ohne Zweifel gribt es einige wenige Gattungen und Arten, welche in zahllosen Individuen ausgedehnte Gegenden über- decken. Aber diese Arten wechseln je nach den Bodenverhältnissen, und je nach dem Klima der einzelnen Länder. Und neben jenen vorwiegend strauchartigen Sorten mit kleinen ledrigen Blättern und sehr langen Wurzeln g-ibt es eine solche de Vries. Fülle der Formen kleinerer und zum Teil ein- jähriger Gewächse, daß in der Zahl der Arten die Wüstenflora gegenüber dem Pflanzenschatz irgend eines anderen Landes, mit Ausnahme gerade der Tropen, gar nicht merklich zurücksteht. Verspricht das Studium einer tropischen Lebens- lage auf vielen Punkten höchst wichtige Auf- schlüsse für die Forschung, so ist das nicht weniger der Fall mit der extremen VVasserarmut dieser Gegenden. Auch praktische Rücksichten gesellen sich dieser Hoffnung, denn die Mittel des Wasser- transportes dehnen sich rasch und gewaltig aus, und manche Gegend, welche bis vor Jahrzehnten noch Wüste war, wird jetzt allmählich für die Landwirtschaft geöffnet. Ausgehend von derartigen Überlegungen hat die Carnegie-Institution zu Washington den Beschluß gefaßt, inmitten der Wüstengegend ein botanisches Laboratorium zu stiften, dieses mit allen Hilfsmitteln der jetzigen Forschung auszu- statten, einen Botaniker mit der Leitung dieser Untersuchungen zu beauftragen, und es ferner für den Besuch und die F"orschungsarbeiten aller Inter- essenten offen zu stellen. Als Sitz wurde Tucson 402 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. III. Nr. 26 gewählt, welches in den verschiedensten Hinsichten eine zentrale Lage hat. Es ist eine Station der Southern Pacific - Eisenbahn , in vier Tagen von New-York und in 30 Stunden von San Franzisco mit den Haupt - Schnellzügen zu erreichen. Es liegt an einer der größeren Handelsrouten, welclie von den südlichen Staaten nach Mexiko füiiren, ziemlich nahe an der Grenze. Es ist zwar nur ein kleiner Ort, mit etwa 10 000 Einwohnern, ent- wickelt seinen Handel und seine Industrie aber sehr rasch, besitzt eine Universität, eine landwirt- schaftliche Versuchsstation und mehrere andere Anstalten. Auch das Klima kann als zentral be- trachtet werden; der Regenfall ist ein mittlerer (etwa 12 inches), die extreme Hitze, welche in anderen Wüsten alles Arbeiten zeitlich unmöglich machen würde, kommt hier nicht vor, und die Landschaft bietet auf Ebenen, Hügeln und Berg- zügen einen größeren Reichtum des Pflanzenlebens als in manchen melir eintönig ebenen Wüsten. Der Boden ist nicht unfruchtbar, nur trocken, und nicht durch die sonst vorkommenden alkalinischen und anderen schädlichen Bestandteilen dem Pflanzen- leben ungünstig. Dagegen führen verschiedene Eisenbahnlinien zu den meisten umliegenden Wüsten, und sind von dort aus in bequemer Weise zu erreichen. Der Gedanke zu der Errichtung dieses Labora- toriums ist ausgegangen von F. V. Coville in Washington und D. T. Mac Dougal in New- York, zwei bekannten Botanikern , welche sich durch viele Reisen in den westamerikanischen Wüsten mit diesen Gegenden seit mehr als zwölf Jahren durchaus vertraut gemacht, und grund- legende Beschreibungen ihres botanischen Reich- tums veröfientlicht haben. Auf Vorschlag des ersteren wurde der Beschluß zu der Gründung gefaßt ; beide Herren wurden zum Ausschuß er- wählt, und zunächst mit einer Inspektionsreise be- auftragt, um die verschiedenen Orter, welche neben Tucson zur Wahl geeignet schienen, zu besuchen und endgültig zu beurteilen. Sie untersuchten die Wüsten von Texas, die Chihuahua-Gegend in Mexiko, den Tularosa-desert, New Mexiko und Arizona, die Guaymas-Wüste, welche sich an der Mündung des Colorado-Flusses bis ans Meer er- streckt, und der sogar einige Inseln im Golf von Kalifornien angehören, und schließlich auch den etwas nördlicher in Kalifornien gelegenen Mohave- desert. Sie wählten schließlich Tucson. Die Veröfi'entlichungen der Carnegie-In- stitutions enthalten in Nr. 6 einen ausführlichen Bericht über diese Reise, mit einigen Karten und mit etwa dreißig größeren photographischen Auf- nahmen, welche ein klares Bild dieser ganzen merkwürdigen Gegend geben, und sehr zum Be- such auffordern. Letzterer wird jetzt durch die Gründung des Laboratoriums in hohem Maße er- leichtert. Als Leiter, mit dem Titel Resident Investigator, wurde Dr. W. A. Cannon aus New-York ernannt, der gerne bereit ist, Bo- tanikern und anderen Forschern zur Hilfe zu sein und ihren Aufenthalt so fruchtbringend wie nur möglich zu machen. Die städtischen Behörden von Tucson haben dem neuen Institute eine kräftige Hilfe verliehen. Namentlich haben Herr Adams, der Präsident der Universität, und Professor R. H. Forbes, der Leiter der Agricultural Experiment Station vieles zu dem anfänglichen Erfolg beigetragen. Die Stadt selbst hat, auf Veranlassung des Herrn Manning, President of the Chamber of Com- merce, das erforderliche Terrain für den Bau ge- schenkt, mit ausgedehnten Besitzungen, in denen die Wüstenflora auch bei etwaiger Ausdehnung der Landwirtschaft und namentlich der Industrie in dieser Richtung frei und unverändert erhalten werden kann. Denn das Institut liegt in einer Entfernung von etwa zwei Meilen von der Stadt, auf dem Rücken einer mit niedrigen Sträuchern und Riesen- Kakteen (Cereus giganteus) bewachsenen Hügel- reihe. In den Löchern der oft 40 Fuß hohen, ge- raden und wenig verzweigten Stämme dieser Wüstenriesen nisten die Vögel. Wasser gibt es selbstverständlich nicht, und die Stadt hat nicht nur eine Straße und eine Wasserleitung, sondern auch elektrische Leitung für Licht und Kraft bis zum Laboratorium herstellen lassen. Dieses wird telephonisch mit dem Post- und Telegraphenamt verbunden. Ganz isoliert ist man dort inmitten der Wüste nicht. Tucson gehörte bis etwa 1850 zu Mexiko, und ging dann durch Kauf an die Vereinigten Staaten über. Bis zu jener Zeit war es eine Ansiedlung der Papago Indianer, und war gegen die Streif- züge der Apachen mit Mauern umwallt. Die Papago Indianer trieben dort eine Art Landwirt- schaft, welche dem dürren Klima in hohem Grade angepaßt war. Sie bauten in der Regenzeit nament- lich Bohnen und Mais, und zogen während des Sommers, als nichts mehr wachsen konnte, nach Süden auf die Jagd. Sie haben im Laufe vieler Jahrhunderte dort gewohnt, und zur Ausbildung der landwirtschaftlichen Gewächse und der Me- thode des Baues in diesem trockenen, regenarmen Klima sehr bedeutend beigetragen. Ihre Erfahrungen harren des wissenschaftlichen Studiums, um eine wichtige Basis für ferneren P'ortschritt zu werden. Die Hügel, auf denen das Laboratorium er- richtet worden ist, sind namentlich mit lockerem Gebüsch bedeckt. Sie erheben sich bis etwa 2400 Fuß über dem Meeresspiegel, während das benachbarte Santa-Catalina-Gebirge noch 6000 Fuß höher hinansteigt. Den Hauptbestand des Gehölzes bildet der in den meisten amerikanischen Wüsten überwiegende Kreosotstrauch (Co vi 11 ea tridentata), zwischen dem mehrere Arten von Opuntia mit zumeist zylindrischen Stämmen wachsen. Hier findet man Ephedra trifurca und den großen Faß-Kaktus (Echinocactus), dessen Kopf die In- dianer abhauen, um das Mark zu einem Brei zu rühren und zu trinken. Prosopis und Acacia Greggi wachsen in den tieferen undetwas feuchteren N. F. III. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 403 Einschnitten. Auch die Riesen-Kakteen sieht man überall aus dem niederen Gebüsch hoch empor- ragen. Zwei Arten von Palo Verde (Pakin - sonia niicrophylla und P. t o r r e y a n a), Oco- tillo (Fouquieria splendens), zwei Arten von Lycium und eine Reihe anderer holziger Gewächse stellen ferner das Gebüsch zusammen. Die ein- zelnen Sträucher sind groß und weit verzweigt, jeder bildet einen eigenen Busch, und zwischen diesen ist der Boden teils mit kleineren peren- nierenden Gewächsen bedeckt, großenteils aber nackt. Denn gerade dieses ist der Charakter der Wüste: die Pflanzen erreichen nie eine so große Zahl oder eine so große Ausdehnung, daß sie den ganzen Boden bedecken. Mehr als die Hälfte, oft noch weit größere Teile, bleiben frei, und der austrocknenden und verpulvernden Hitze der Sonnen- strahlen, sowie dem Spiel der Winde überlassen. Und die Winde greifen kräftig ein. Hier häufen sie Hügel und Dünen von Sand an, dort führen sie den Sand in horizontaler Richtung mit großer Geschwindigkeit und Kraft weit über die ausge- dehnten Ebenen. Was dem Winde im Wege steht, wird von ihm poliert und geritzt, und so tief reibt der Sand in Rinde und Holz hinein, daß die Telegraphenträger an der Eisenbahnlinie mehrfach am Boden so stark zerstört wurden, daß der Wind sie umstürzen konnte. Man sieht sie jetzt überall bis zu einer Höhe von Vo — i ni mit lockeren Steinen umgeben, um dieser Abreibung vorzubeugen. Sanddünen schreiten selbstverständlich lang- sam vor, sie erfüllen die Räume zwischen den Zweigen der Sträucher und es entsteht ein ganz merkwürdiger Streit zwischen dem emporwachsen- den Strauch und dem sich anhäufenden Sande. In unseren Dünen kämpfen in dieser Weise die Birken, dort sind es die Yucca und andere bei uns nur als Ziergewächse bekannte Arten. Die Flora der Wüsten ist stellenweise eine außerordentlich reiche. Im Colorado-desert liegt eine Hügelreihe, deren Regenwasser zuerst über eine Lehmschicht fließt, bevor es sich im Sand verliert. Hier wachsen haushohe Palmen in kleinen Gruppen in den Einschnitten (Neo was hing- ton ia filifera). Überall sieht man von weitem die dunklen Gruppen am Fuß der Hügelreihe. So an den San Bernardino-Bergen in der Nähe von Indio, wo sich diese Gruppen über eine Linie von vielen Meilen erstrecken. Fast reiner Gipsboden, oder ein überwiegender Gehalt an schwefelsauren Salzen bedingen wiederum einen ganz anderen Pflanzenwuchs, und die Frage, welcher Art diese Bedingung ist, läßt sich gewiß hier besser als irgendwo sonst studieren. Sind die Pflanzen an Ort und Stelle durch den Boden und durch das Klima umgewandelt worden, wie man gewöhnlich annimmt, oder sind aus der Flora der umliegen- den Gegenden nur solche Arten zur Verbreitung in die Wüste gelangt, als gerade bereits die dazu erforderlichen Eigenschaften besaßen ? Die Frage ist teils auf dem Wege des Experiments, teils durch floristische und statistische Studien zu be- antworten, und die Aussicht auf Erfolg ist wohl nirgends so groß als gerade im neuen Labora- torium zu Tucson. Die Beziehungen des Regenfalles zu der Flora harren gleichfalls des näheren Studiums, und diese Aufgabe steht in erster Linie auf dem Programm der Versuchsstation. Ist der spärliche Regen ziem- lich gleichmäßig über das ganze Jahr verteilt, so bedingt dieses eine sogenannte xerophytische Vege- tation; fällt er dagegen periodisch in größeren Mengen, so pflegen die Pflanzen dieses Wasser aufzusaugen und in sich anzuhäufen, um den Be- darf der trockeneren Jahreszeiten daraus bestreiten zu können. Die xerophytischen Gewächse sind dürr und dünn, holzig und trocken, mit kleinen lederigen, oft zusammengerollten Blättern und meist sehr langen Wurzeln. Wasseranhäufung da- gegen führt zum Typus der Kakteen. Sehr wichtig ist ferner ein vergleichendes Studium der westamerikanischen Wüsten mit denen der alten Welt. Vieles ist ähnlich, manches ist anders. Um dieses Studium anzubahnen, hat der Leiter des Laboratoriums, Cannon, zunächst eine möglichst vollständige Bibliographie der Wüsten zusammengebracht, und im Berichte über die Stiftung veröffentlicht. Sie enthält über 200 Nummern, teils dem Klima, dem Boden und dem Wasser gewidmet , hauptsächlich aber die bio- logischen Verhältnisse berücksichtigend. Neben den Arbeiten von Gray, Merriam, Coville und anderen amerikanischen Forschern findet man hier diejenigen von Warming, Schimper, Volkens, Wiesner und vielen anderen zu- sammengestellt. Alles deutet im Laboratorium zu Tucson auf großartige Auffassung der zu behandelnden Pro- bleme, und auf den Wunsch nach internationalen Beziehungen im Interesse der Wissenschaft und des Landes. Amerika ist reich an persönlichen Stiftungen im allgemeinen Interesse, und diese jüngste Gabe wird nicht nur ihrem Mäcenas, Herrn Carnegie, sondern auch ihren wissenschaftlichen Gründern, den Herren Coville und MacDougal, gewiß zur hohen Ehre werden. Mögen auch viele t^uropäer sich an ihrer Blüte beteiligen 1 — Der Winterschlaf. [Nachdruck verboten.] Von Dr. med. Ludwig Reinhardt. Unerschöpflich wie die Natur selbst sind die halten. Wenn bei uns der frostige Winter mit mancherlei Mittel, welche sie anwendet, um das seinen kurzen Tagen und seinem Nahrungsmangel Leben da, wo es gefährdet sein könnte, zu er- einkehrt, ebenso wenn in den Tropen die Sonne 404 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 26 ihre Herrschaft angetreten und alle Vegetation zum Ersterben gebracht hat, indem völlige Trocken- heit eingetreten ist, so müssen viele Lebewesen, die aus Mangel an Fortbewegungsorganen der Un- gunst der betreffenden Jahreszeit nicht entfliehen können, um nicht zugrunde zu gehen ihren Stoff- wechsel dermaßen einschränken, daß sie in einen schlafähnlichen Zustand verfallen. Weil in unseren Breiten dieser Sparschlaf, wenn wir uns so aus- drücken dürfen, in den Winter fällt, so nennen wir ihn deshalb Winterschlaf, aber da er in warmen, aus Regenmangel zu einer Trockenheit führenden Landstrichen in den Sommer fällt, so ist leicht einzusehen, daß nicht der Winter, also die Kälte an sich, etwa durch Erstarrung diesen Schlaf- zustand bedingt, sondern daß einzig nur der Mangel an Subsistenzmitteln, sei es Nahrung oder sei es Wasser, diese Einschränkung der Lebenserschei- nungen aus Sparsamkeitsgründen hervorbringt. Alle Tiere, die sich dieser schlimmen Jahreszeit nicht entziehen können, die nicht etwa wie die leicht beschwingten Vögel, sich vor dem Hunger durch Auswanderung flüchten, schränken vorüber- gehend ihren Stoffwechsel über diese Zeit ein, um dann später bei eintretenden günstigeren Bedin- gungen um so intensiver ihre Lebensfunktionen zu entfalten. Bei den wechselwarmen Tieren, bei denen die Temperatur des Blutes mit der Temperatur der sie umgebenden äußeren Luft steigt und fällt, sieht man die Intensität aller Lebensfunktionen mit der Temperatur zu- und abnehmen. Wie die Eidechse am heißen Sommertage auf der von Wärme durchglühten Felsenwand blitzschnell dahin- schießt, so träge bewegt sie sich an kalten Tagen, um im Winter gar in lethargischem Schlafe zu erstarren. Und wie sie treiben es alle wechsel- warmen Tiere, die nicht ihre Bluttemperatur un- abhängig von der sie umgebenden Luft oder dem Wasser zu erhalten vermögen. So energisch ihre Lebensäußerungen auch in der Wärme sein können, so träge und apathisch werden sie in der Kälte, um über den Winter sich in irgend welchen Schlupf- winkeln, in die sie sich verkrochen, in förmlichem Scheintod der Wiederkehr des Frühlings und der Wärme entgegenzuschlummern. Die warmblütigen Tiere , die unabhängig von der Temperatur des sie umgebenden Mediums konstante Bluttemperatur erreicht haben , sind dadurch nicht nur über die kalte Jahreszeit besser gestellt, sondern haben durch diese Fähigkeit der Unabhängigkeit von der Außen- welt in erster Linie die höchste Stufe der vitalen Energie und intellektuellen Fähigkeiten erlangt, wodurch sie sich weit über die wechselwarme Tierwelt erheben konnten. Aber unter dieser bessersituierten Tierwelt der Warmblüter gibt es minder Begünstigte, die aus äußeren Gründen des Nahrungsmangels von dieser Höhe vitaler Energie vorübergehend aus Zweck- mäßigkeit heruntersteigen und sich der eisernen Notwendigkeit fügen, um kürzere oder längere Zeiten des Hungers zu verschlafen. Wir nennen sie Winterschläfer, weil sie bei uns den Winter verschlafen, wie beispielsweise das Murmel- tier, der Hamster, der Siebenschläfer, der Ziesel, die Haselmaus, die Fledermaus, der Bär, der Igel u. a. m. Der wesentliche Unterschied zwischen einem winterschlafenden und einem schlafenden Säuge- tier ist nun der, daß beim schlafenden nur die Gehirnfunktionen auffallend herabgesetzt sind, weil das hochstehende Organ intellektueller Tätigkeit periodischer Ruhe zu seiner Erholung bedarf, während beim winterschlafenden Tier, das nicht sowohl ausruht als in höchster Sparsamkeit sich über eine Periode des F"uttermangels hinweghilft, alle Lebensfunktionen auf ein Minimum reduziert sind, so weit, daß es von einem toten Tiere kaum zu unterscheiden ist. Die Körpertemperatur kann bei ihm unter o" sinken. Dr. Alexander Horvarth in Straßburg maß 1875 sogar eine Mastdarmtemperatur von — 0,2" C bei einem winterschlafenden Ziesel, das keineswegs tot war, vielmehr einige Zeit darauf erwachte und völlig munter wurde. Die Blutzirkulation und Atmung sind während des Winterschlafes sehr herabgesetzt; der Blut- kreislauf stockt bisweilen in ganzen Gefäßbezirken und die Atmung kann sogar völlig still stehen. Der französische Arzt Dr. Jean-Antoine Saissy in L_\-on (1756— 1822), dem wir die wertvollsten Versuche über den Winterschlaf aus älterer Zeit verdanken, konnte schlafende Murmeltiere in giftige Gase bringen oder unter Wasser tauchen, ohne daß sie umkamen. Es ist aber nicht bloß die äußere Atmung hochgradig herabgesetzt, sondern damit einhergehend auch die innere Atmung, worunter wir die Verbrennung von Sauerstoff und die Spaltungsprozesse in den Geweben verstehen; denn das Blut bleibt arteriell, das heißt es behält einen Überschuß an gebundenem Sauerstoff, trotz der verlangsamten Zirkulation. Gemäß der auf ein Minimum reduzierten Lebenstätigkeit scheiden auch die Drüsen fast nichts ab. Die Harnaus- scheidung ist minimal, ebenso die Absonderungen der Leber und des Darmkanals; das Tier entleert sich erst nach Monaten, wenn es erwacht ist. Die ganze Zeit über lebt es von dem in den voraus- gegangenen, günstigeren Monaten in seinen Körper- geweben aufgespeicherten Reservematerial , wie besonders Fett, dann auch etwas Eiweiß. Die Reflexerregbarkeit ist gemäß seinem eingeschränkten Leben sehr herabgesetzt, bisweilen sogar völlig aufgehoben. Durch den größten Lärm kann man es niclit aufwecken, es scheint völlig taub zu sein. Fragen wir nach den Bedingungen des Eintrittes dieser auf Lebenseinschränkung beruhenden Le- thargie, so können wir uns leicht überzeugen, daß es nicht, wie man gewöhnlich annimmt, die Kälte ist, welche sie verursacht; denn manche der so- genannten Winterschläfer schlafen gerade in der wärmsten Jahreszeit, wo eine mit Futtermangel einhergehende Trockenperiode zu überwinden ist. N. V. III. Nr. 26 Naturwisscnschaftliclie Wochenschrift. 405 Wie die Krokodile, Schlangen und auch einige Fische der heißen Himmelsstriche während der Zeit der Dürre unter einer Schlammdecke ver- borgen ihr reduziertes Leben führen, bis neue, durch Regengüsse herbeigeführte bessere Lebens- bedingungen ihnen eine Auferstehung ermöglichen, so verkriecht sich beispielsweise der Tanrek auf Madagaskar, ein igelartiger Insektenfresser, während der trockenen Jahreszeit in seine unterirdischen Höhlen und Gänge und verfällt in tiefen „Winter- schlaf". Daß auch bei den Winterschläfern unserer Breiten nicht die Kälte, sondern die Nahrungsenthaltung die primäre Ursache des Winterschlafes ist, bedarf keines Beweises mehr. Um nur eine Tatsache anzuführen, hat der italienische Forscher Albini ein Murmeltier bei guter Ernährung zuerst bis in den Anfang Januar wach erhalten. Als er so dann das Tier einige Tage fasten ließ, verfiel es innerhalb von vier Tagen in tiefen Schlaf, der so lange anhielt, bis das Tierchen durch fortgesetztes Elektrisieren und künstliche Erwärmung aufge- weckt wurde. Es erwachte nach zwölf Tagen und machte sich sofort über die Kastanien und den Honig her, die man ihm in den Käfig gelegt hatte. Nunmehr brachte man das Murmeltier wieder in einen kalten Raum, aber es blieb wach und warm und zeigte gar keine Lust, sich der Nahrung zu enthalten. Schließlich wurde ihm sogar das Heu aus dem Käfig genommen, so daß es mit dem harten und kalten Zink seines Ge- fängnisses in direkter Berührung blieb; trotzdem zeigte sich bei ihm auch nicht einmal eine An- wandlung von Schläfrigkeit, während das Thermo- meter Mitte Februar jenes Jahres in Neapel bis auf fünf Grad unter den Gefrierpunkt sank und die Fenster zu der Behausung des Murmeltieres ofifen standen. Als die Temperatur wieder stieg, schien es eine Anwandlung von Schlafbedürfnis zu haben, aber sie ging wieder vorüber. Auch beim Ziesel tritt nach dem schon er- wähnten Forscher AI. Horvarth der Winterschlaf keineswegs mit der kalten Jahreszeit ein. In Süd- rußland wimmelt es auf vielen Feldern von Zieseln ; sie sind dort eine Landplage, und es bleiben frucht- bare Felder ihretwegen unbebaut. Ein Gutsbesitzer ließ deren in einem Jahre 40 000 auf seinen Feldern töten. Diese Tiere erfüllen im Sommer mit den pfeifenden Tönen, die sie ausstoßen, die Luft. Aber im August wird es plötzlich still, obgleich die Temperatur noch bis 30" C beträgt, — die Ziesel haben sich in ihre Schlupflöcher verzogen, die senkrecht ein bis vier Meter tief sich erstrecken. Dort beträgt die Temperatur konstant etwa 15" C und sinkt auch im Winter kaum tiefer herab. Aber da die Ziesel nach Einsammeln ihres F"utters draußen nichts mehr finden, so ziehen sie sich in ihre Schlupfwinkel zurück, um zu schlafen, zwischen hinein wohl auch aufzuwachen und von den ein- gesammelten Vorräten zu verzehren. Gefangene Ziesel sah Horvarth schon bei 17" und 18" C einschlafen und fand, daß die für ihren Winterschlaf günstigste Temperatur 10 bis 13" C beträgt. Viele Winterschläfer, die gewöhnlich in der kalten Jahreszeit schlafen, sieht man bisweilen auch in der warmen Jahreszeit in tiefe Lethargie ver- sunken. Es scheint, daß dieses eintritt, wenn sie sich gemästet haben. Prof. E. Forel, der be- kannte Ps\'chiater und Ameisenforscher, hielt sich zwei Siebenschläfer und sah sie, nachdem sie den Winter über im warmen Zimmer mit Nüssen sich aufgemästet hatten, im Mai in Winterschlaf ver- fallen. Doch ist es unmöglich, Winterschläfer im Sommer durch Kälte in den Winterschlaf zu ver- setzen. Dabei zeigte es sich , daß die Winter- schläfer sich ganz anders verhalten als die übrigen Säugetiere. Die Winterschläfer überlebten wieder- holte Abkühlungen auf 4" bis 1,2" C, während die übrigen Säugetiere bei 19" bereits umkamen. Man kann diese letzteren, wenn ihr Körper bis zur angegebenen Temperatur abgekühlt ist, nicht mehr durch Erwärmen wiederbeleben, es sei denn, daß künstliche Atmung zu Hilfe kommt. Junge nicht winterschlafende Tiere dagegen, wie Hunde, konnte Horvarth bis auf 5" C abkühlen, ohne daß der Tod eintrat. Das Erwachen aus dem Winterschlafe erfolgt nicht bloß durch das Steigen der Temperatur in der L^igebung, sondern ebenso durch allzu große Kälte. Verschiedene Forscher sahen winter- schlafende Tiere durch strenge Kälte, wie Tempera- turen unter o", geweckt werden und sich wärmere Orte suchen. Wenn Winterschläfer erwachen, so ist zunächst das rasche Steigen der Körpertemperatur merk- würdig. Es ist dies ein Zeichen, daf.5 die redu- zierten vitalen Vorgänge wieder eine Steigerung erfahren und die Maschine, die Arbeit verrichten soll, wieder geheizt wird. Ein winterschlafendes Murmeltier von 5" C Eigenwärme in ein Zimmer von 24" C gebracht, erwachte, nach Saissy, nach 5 Stunden, wobei es eine Körpertemperatur von 16" C hatte. Nach 9 Stunden schon hatte es seine normale Körpertemperatur von 35" C erreicht, wie vor dem Einschlafen. Igel erreichen das Maximum ihrer Temperatur in 5 — 6, Fleder- mäuse in 3 — 4, Haselmäuse schon in 2 Stunden. Ein Ziesel braucht nach Horvarth zum völligen Erwachen aus dem Winterschlafe 2 — 3 Stunden und dabei kann die Körpertemperatur von 8" auf 32" C, in den letzten 40 Minuten von 21" auf 32" C steigen! Dabei ist die Atemfrequenz nicht einmal über die Norm gesteigert. Es ist dies sehr merkwürdig, daß sich der aus 70 Prozent Wasser von hoher spezifischer Wärme bestehende Tierkörper in 40 Minuten um 11'^ C erwärmen kann, ohne die Atmung zu steigern, was doch bei der intensiv gesteigerten inneren Verbrennung zu erwarten wäre. Die Tat- sache erklärt sich daraus, daß das Tier während seines Winterschlafes einen Überschuß von Sauer- stoff, den es bei dein hochgradig herabgesetzten Leben nicht verbrennt, in lockerer Bindung in den 406 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 26 Geweben aufspeichert und dann im Moment des Erwachens unter stärkerer Wärmeentwicklung rasch verbrennt. Wenn auch die Ursache, welche zum Winter- schlafe führte, nicht überall die gleiche war, so können wir doch mit Bestimmtheit sagen, daß in unseren Breiten die letztenEiszeiten ihn hervor- gerufen haben. Sie waren es, welche die in den Zwischeneiszeiten in diese Gebiete eingewanderten Tiere zwangen, wenn sie nicht der Kälte und dem durch sie bedingten Nahrungsmangel zum Opfer fallen wollten, solche Schutzeinrichtungen zu treffen, welche ihnen über Zeiten der Not und des Mangels hinweghalfen. Die leichtbeschwingten Vögel, deren große vitale Energie ihnen nicht erlaubt in Lethar- gie zu verfallen, wurden durch sie zur Auswande- rung über den Winter, d. h. zum Wanderfluge ge- zwungen, während die minder beweglichen kleine- ren Säugetiere den Sparschlaf zur Erhaltung ihres Lebens sich aneigneten. Ein jedes Tier hilft sich eben so, wie es ihm seine Organisation erlaubt. Während die Natur für ihre hilflosen Geschöpfe aufs beste gesorgt hat, sich über eine Zeit der Not schlafend hindurchzufasten, hat es der Mensch weniger gut. Die soziale Frage wäre zum größten Teile gelöst, wenn wir die vielen Beschäftigungs- losen, die den Winter über frierend sich hindurch- hungern müssen, auf ähnliche Weise bis zum Früh- jahr bei minimalem Leben versorgen könnten. Die überaus armen russischen Bauern versuchen in Hung-erwintern, wie sie bei ihnen nicht gerade selten sind, auf einem Haufen zusammenliegend, um sich gegenseitig zu wärmen, und möglichst beständig schlafend, um die die Nahrungszufuhr erheischende innere Verbrennung möglichst ein- zuschränken, sich bis zum Anbruch der wärmeren Jahreszeit hindurch am Leben zu erhalten. Höch- stens einmal im Tag wird eine kleine Mahlzeit gehalten, die zu einem mit irgend welcher Arbeit verbundenen Leben ungenügend wäre. Aber für diese Art zu vegetieren, genügt das bischen Speise gerade, um die armen Schlucker vor dem Ver- hungern und Erfrieren zu schützen. Weiter in der Kunst wie die Winterschläfer scheintot ohne Lebensäußerungen eine kürzere oder längere Zeit zu überdauern ohne doch zu sterben, haben es die indischen Fakire, die sogenannten Yogi, gebracht, die nach jahre- langen Übungen und Vorbereitungen nach Ent- leerung und vollständiger Reinigung des Magens und der Gedärme langsam, durch eine Art Selbst- h3.'pnose, Herzschlag und Atmung aussetzen und in eine Art Scheintod verfallen, in dem sie ohne Nachteil mehrere Wochen selbst in luftdichtem Behälter eingeschlossen es aushalten können, bis man sie durch gewisse Manipulationen zu neuem Leben erweckt. Ungläubig werden wohl manche unter den Lesern diese Tatsache aufnehmen. Und in der Tat ist mit diesem zum Zweck gewisser religiöser Übungen der Hindu in Szene gesetzten künstlichen Schein- tod von profanen Schwindlern teils in Indien selbst. teils in Europa, wie beispielsweise bei Gelegenheit der Millenniumausstellung in Budapest, schlimm betrogen worden, wodurch die jedenfalls biologisch sehr interessante Tatsache bei vielen diskreditiert und zum Humbug degradiert wurde. Aber aus den Berichten mehrerer vollkommen glaubwürdiger europäischer Augenzeugen wissen wir, daß in Indien von Zeit zu Zeit solche in strengster Askese lebende Anhänger der Yogaphilosophie, die sich den Yoga, das heißt die mystische Vereinigung mit der Gott- heit zum Ziele gesetzt haben, auftreten und solche uns Abendländern vollkommen unverständliche Beweise eines selbst Wochen hindurch geführten latenten Lebens geben, daß wir wenigstens die Möglichkeit solchen Tuns ohne Vorbehalt zugeben müssen. Durch lange fortgesetzte Kasteiungen, wobei diese Adepten sich durch Autosuggestion in immer länger anhaltenden Schlaf versetzen, bereiten sie sich für Erlangung der höheren Stufe der Gottähnlichkeit, wie sie glauben, jahrelang vor. Nach diesen Vorübungen, bei denen sie sich in eine enge unterirdische Zelle einschließen , in welcher eine möglichst gleichmäßige Temperatur herrscht, beginnen sie nach Durchschneiden des Zungenbändchens ihre Zunge zu verschlucken, um so den Eingang in die Lunge zu verlegen, halten dann Atmung und Herzschlag willkürlich an und wenn dies auch anfänglich nur für kurze Zeit ge- lingt, so bringen sie durch Übung und fortdauernde Selbsthypnose oder Autosuggestion durch Fixieren der eigenen Nasenspitze oder der Stelle zwischen den Augenbrauen es bald dahin , daß sie will- kürlich in Scheintod verfallen können. Dieser künstliche Scheintod, während dessen die Yogi sich sogar haben begraben lassen, ist in Indien selbst von vorurteilsfreien Beobachtern gesehen worden und müssen wir uns unter die für unsere Vorstellungen allerdings unerklärliche Tatsache beugen. Was winterschlafende Tiere aus Not er- reicht haben, hat der Mensch aus einem irre- geleiteten religiösen Bedürfnis zu erreichen ge- sucht. Allerdings muß man schon ein indolenter, in beschaulichem Vegetieren die höchste Befriedi- gung fühlender Hindu sein, um sich solchem sonder- baren Sporte hinzugeben. Da derselbe aber ein integrierender Bestandteil der religiösen Anschau- ungen dieser fanatischen Yogasekte ist, so wird sich nie ein solcher Scheintodkünstler gegen Geld öffentlich zeigen. Das wäre in ihren Augen Pro- fanation. Deshalb ist es so schwer, über diese überaus interessante biologische Erscheinung des freiwilligen Reduzierens aller Lebenserscheinungen, die wir unfreiwillig beim Tiere beobachten, auch beim Menschen wissenschaftlich gesicherte Be- obachtungen anzustellen. ') Hier sind unserem Wissen, so wie wir es heute besitzen, Grenzen gezogen, die zu überschreiten uns unmöglich ist. Aber damit ist noch lange ') Im letzten Winter hielt sich übrigens einer dieser sonder- baren Heiligen eine Zeitlang in Berlin auf und überzeugte mehrfach Zeitungsreporter von seiner Fähigkeit, das Herz für einige Minuten zum Stillstand zu bringen. Anm. d. Red. N. F. III. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 407 nicht gesagt, daß nicht künftige, weiter im Natur- erkennen und damit auch im Naturbeherrschen gekommene Generationen dieses Rätsel, das uns in den mancherlei Erscheinungen des Lebens ent- gegentritt, ganz oder teilweise lösen werden. Wir stehen erst am Anfang einer langen Entwicklung. Ein Naturerkennen und damit einhergehend ein Naturbeherrschen, das unseren Urgroßeltern noch undenkbar, selbst unmöglich erschien, ist heute auf manchen Gebieten der Naturwissenschaft er- reicht und technisch so ausgebildet worden, daß es Gemeingut der heutigen Menschheit ist. Und nach uns werden erleuchtetere Geschlechter Kleinere Mitteilungen. Einen interessanten Fall von Synästhesie teilt Dr. Helene Friederike Stclzner im Archiv für Ophthalmologie, LV. Bd., 3. Heft, mit. Unter Synästhesie versteht man die durch Er- regung eines Sinnesorganes hervorgerufene, sekun- däre Empfindung in einem anderen Sinnesorgane, und zwar sind folgende Kombinationen bis jetzt beobachtet worden: i. Sehen von Tönen : primäre Beteiligung des Gehörs-, sekundäre des Gesichts- sinnes; 2. Hören von Farben: primäre Beteiligung des Gesichts-, sekundäre des Gehörssinnes; 3. Sehen der Geschmäcke: primäre Beteiligung des Ge- schmacks-, sekundäre des Gesichtssinnes; analog 4. Sehen der Gerüche, 5. Sehen der Schmerzen. Der mitgeteilte Fall gehört zur ersten Kategorie und ist deshalb besonders interessant, weil er eine Selbstbeobachtung darstellt und frei von den bei solchen Fällen gern vorhandenen phantastischen Übertreibungen ist. Dr. St. hat, seit ihrer Kind- heit unverändert, beim Hören jedes Vokales oder Diphthongs eine Farbenempfindung, „während die Konsonanten gewissermaßen nur als graue bis schwarze Dämpfer dazwischen sitzen", und zwar erwecken die einzelnen Vokale folgende Farben- empfindungen: A = Grau, je nachdem der Vokal heller oder dunkler gesprochen wird, von Silber- farbe bis Bleigrau; E = Schneeweiß; J = hartes leuchtendes Rot; O = Braun, etwa Schokolade- farbe; U ^= Tiefschwarz; A = eine Mischung von Grau, Gelb und Weiß, wie Küstensand etwa; Ei = Gelb; Eu = Blau wie Preußischblau; Au ^ Himmelblau ; 0 = Hellbraun ; Ü = Purpur- rot. Ebenso werden durch musikalische Klänge, Töne und Akkorde, bestimmte Farbenempfindungen geweckt. Bei einem Teile der solche Synästhesien aufweisenden Personen, zu dem auch Dr. St. ge- hört, werden die Farben im Gehirne empfunden, etwa wie eine bengalische Beleuchtung des Schädel- innern, während sie von dem größeren Teile der- selben nach außen projiziert werden und dabei z. T. bestimmte Konturen und Formen annehmen. Diese letzteren, sowie allerhand z. T. komplizierte Licht- und Farbenvorstellungen und -bilder, die gelegentlich als durch bestimmte Musikstücke, Namen von Personen und ganz abstrakte Begriffe hervorgerufen beschrieben sind, sind allerdings kommen, die die Natur in noch ganz anderer Weise erkennen und beherrschen werden, denen wird so manches, das uns Anfängern und Stümpern in der Erkenntnis ein unlösbares Rätsel erschien, als ganz einfach und selbstverständlich vorkommen. Die hier ansetzende Entwicklung können wir mit unserem schwachen Geiste nur vermuten. Aber weit über unsere Vermutungen und heißesten Wünsche hinaus wird sie die Menschheit führen auf eine Höhe der Erkenntnis und des Beherrschens der ihn umgebenden Natur, voii der wir kurzlebigen Menschen uns heute keine Vorstellung machen können. sehr zweifelhaft und wohl so zu erklären, daß eine lebhafte Phantasie poetisch-bildliche Ausdrücke mit wirklichen Sinneserregungen verwechselt hat. Das beschriebene Sehen von Tönen tritt ausge- sprochen erblich und familienweise auf, in dem Falle der Verfasserin unter den Geschwistern und Geschwisterkindern nur bei den weiblichen Familien- gliedern. Nach den bis jetzt vorliegenden, nur sehr wenigen statistischen Zusammenstellungen soll das Phänomen bei 8 — lo, ja bei über 12 "/o aller Menschen , allerdings meist nur in sehr ge- ringer Intensität, vorhanden sein. Zur Erklärung der optisch -akustischen Synästhesie nimmt man abnorme Faserverbindungen zwischen den optischen und akustischen Zentren der Hirnrinde oder an- derer Hirnteile an, ohne jedoch einen Beweis für diese H\-pothese erbringen zu können , da anato- mische Untersuchungen darüber noch nicht vor- liegen. Dr. Weinhold. Über die Wirkung der Labyrinthe und des Thalamus opticus auf die Zugkurve des Frosches berichtet Gustav Emanuel in Pflüger's Archiv f. d. ges. Phys. (99. Bd., 7. und 8. Heft), indem er den Einfluß der Labyrinthe und der Sehhügel auf den Muskeltonus bei Rana esculenta zum Gegenstande seiner Untersuchung macht. Das Vorhandensein eines derartigen Zu- sammenhanges ist seit den Erörterungen Ewald 's über die durch den \^estibularis vermittelten Gleichgewichtsstörungen und durch die sich daran schließenden zahlreichen Untersuchungen unzweifel- haft dargetan. Der Anteil, welcher dem Thalamus opticus an der Erregung des Muskeltonus zukommt, bildet den Gegenstand der obengenannten Arbeit. Dieselbe stützt sich auf im Jahre 1893 von Ewald angestellte Experimente und beweist den Zu- sammenhang zwischen dem Labyrinthtonus und der „Zugkurve" der Froschbeinmuskulatur. Wird ein Frosch in vertikaler Stellung derart befestigt, daß die Beine senkrecht herunterhängen, und an der Mittelzehe jedes Fußes je ein mit einem Kymographion verbundener Hebel befestigt, so werden die durch ein Gewicht beschwerten Beine infolge eines kurzen Zuges oder Druckes nach unten gezogen, um sich sogleich nach oben zu heben und nach mehreren pendeiförmigen Auf- und Niederschwankungen zur Ruhe zu kom- 4o8 Naturwissenschaft liehe Wochenschrift. N. F. III. Nr. 26 men. Die so entstandenen Lageänderungen werden durch die Hebel auf das Kymographion übertragen und in Gestalt einer charakteristischen Kurve wiedergegeben, welche sich von den durch Zuk- kungen oder Tetanus entstandenen Kurven wesent- lich unterscheidet. Von besonderer Bedeutung ist nun der Umstand , daß sich diese Zugkurve in charakteristischer Weise ändert, sobald das Labyrinth zerstört worden ist, so daß man aus der Gestalt der Kurve auf das Fehlen bzw. Vorhandensein eines oder beider Labyrinthe zu schließen im- stande ist. Beim unverletzten Frosche senkt sich nämlich die Tonuskurve durch das Herabziehen des Beines unter die Abszissenachse und erhebt sich dann endgültig über dieselbe, um nach mehreren Höhenschwankungen allmählich abzuflachen, ohne die Abszissenachse wieder zu berühren; die Kurve bleibt also nach dem ersten Abstiege dauernd über der Abszisse. Ihr von der ersten Schwingung abweichender weiterer Verlauf beweist also, daß es sich nicht um den einfachen Ausdruck eines schwingenden elastischen Körpers handelt. Im Gegensatze zu dieser Tonuskurve steht die ,,Le ich en kurve", welche bei derselben Versuchsanordnung entsteht, sobald das Gehirn oder das Rückenmark des Frosches verletzt ist. Auch in diesem Falle senkt sich die Kurve zwar zunächst unter die Abszisse und steigt alsdann, entsprechend der Hebung des Beines, ebenfalls über dieselbe; allein der fernere Verlauf derselben zeigt deutlich , daß die Schwankungen auf die Schwingungen der elastischen Muskelbänder zu- rückzuführen sind. Denn die Kurve steigt alsbald wieder unter die Abszisse hinab und pendelt wiederholt mit abnehmen- der Amplitude in gleichem Abstände oberhalb und unterhalb der Abszissen- achse. Da die Kurve der Ausdruck reiner Elastizitätsschwingungen ist, so liegen auch ihre entsprechenden Phasen in gleicher Entfernung voneinander, im Gegensatze zu den Tonus- kurven, die infolge der allmählich eintretenden Verzögerung der Umkehrpunkte einen gestreckte- ren Verlauf zeigen. Die Leichenkurve tritt nicht nur nach mecha- nischer Zerstörung der Labyrinthe, sondern auch bei Anwendung von Giften auf, welche eine Funktionsstörung der nervösen Zentralorgane zur Folge haben , also z. B. nach Kurarevergiftung, ferner nach Aufhebung des Zusammenhanges zwischen Rückenmark und Beinmuskulatur, sowie endlich nach Durchschneidung der sensibeln Wurzeln des Rückenmarkes. Durch diese letzte Beobachtung wird bewiesen, daß die Tonus- kurve auf reflektorischem Wege unter Einfluß sensibler Reize zustande kommt, welche durch das Herabfallen des Beines ausgeübt werden. — Andererseits ist für die Entstehung des reflek- torisch ausgelösten Tonus die funktionelle Unver- sehrtheit des Labyrinthes maßgebend , da nach Entfernung beider Labyrinthe beim Frosche die typische Leichenkurve auftritt. Die Entfernung der Augen sowie die Durchschneidung der Seh- nerven bewirkt ebensowenig wie die schichten- weise Abtragung des Großhirns eine Verminde- rung des Tonus, ausgenommen die Exstir- pation der Sehhügel, welche das Auf- treten der typischen Leichenkurve zur Folge hat. In gleicher Weise ergibt die Durch- trennung aller unterhalb der Thalami optici ge- legenen Rückenmarksteile dasselbe Resultat , was daraus hervorgeht , daß durch eine derartige Unterbrechung der Leitungsbahnen die abwärts gelegenen Ganglienkomplexe der Funktion der Sehhügel entzogen werden. Aus dem Angeführten geht hervor, daß die Tonuskurve durch die in den Extremi- täten ausgelösten Reize entsteht; daß aber das Zustandekommen dieses Re- flexes durch die Funktion der Laby- rinthe sowie der Thalami optici mit- bedingt ist. Diese Abhängigkeit der Muskel- bewegungen und der Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes von der Funktion der Sehhügel macht den Verlauf des Nervus octavus durch die Thalami optici höchst wahrscheinlich, so daß die letzteren als eine Zentralstation für die vom Ohr nach dem Rückenmarke und den Augenmuskel- kernen verlaufenden Leitungsbahnen aufzufassen sind. Wegener. Das Sammeln von Rindenresten in der Steinkohlenformation. — Unter den fossilen Pflanzenresten in der Steinkohlenformation sind Rindenteile der Schuppen- und Siegelbäume (Lepidodendren und Sigillarienj recht häufig zu finden. Besonders die Sigillarien kann man zu den wichtigsten Charakterpflanzen der Stein- kohlenformation rechnen, auf die sie im wesent- lichen beschränkt sind. Trotzdem sind diese Rinden- reste noch in so geringem Maße genau bekannt, daß sie bisher nur wenig zur Charakterisierung der einzelnen Schichten verwandt werden konnten, und doch sollen die Pflanzen , wie manche Paläobotaniker meinen, besser zu diesem Zweck geeignet sein, als die im allgemeinen von den Geologen dazu verwandten Meerestiere, da die Pflanzen empfindlicher auf alle klimatischen und geologischen Veränderungen reagieren als diese. \^oraussetzung dabei ist aber, daß sie ge- nügend bekannt sind, daß man weiß, welche For- men in den einzelnen Schichten vorkommen und welche Teile zu derselben Pflanze gehören. Gerade bei den Sigillarien sind noch recht schwierige Fragen zu lösen. Dazu ist es sehr erwünscht, daß recht viele, denen gelegentlich solche Reste in die Hände fallen, sie sammeln und der wissen- schaftlichen Bearbeitung zugänglich machen. Doch kann dies nur dann von größerem Nutzen sein, wenn der Sammler einen Begriff davon hat, worauf es ankommt. Was von Sigillarienstämmen gewöhnlich er- N. F. III. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 409 halten ist, ist nur die äußere Rindenschicht, die in Schlamm eingebettet wurde und allmählich verkohlte, während der Schlamm zu fester Gesteins- masse wurde. Auf der Oberfläche der Rinden- schicht sind die Blattnarben zu sehen, die Ab- bruchsstellen der Blätter. Diese Blattnarben sind viel größer als bei den meisten lebenden Pflanzen, wie die F"iguren zeigen. Sehr häufig kommt es vor, daß die kohlige Rinde mit derjenigen Seite, die die Blattnarben trägt, auf dem Gestein aufliegt. Fig. I in 2'. Gerippte Sigillarie, linl B. N Fig. 2. Rezente Blattnarbe (B. N.) einer Tanne"(Abies bracliy phylla) 15 fach vergrößert, gezeichnet vom Verfasser.') ') Die seitlichen Höckcrchcn, die die Figur rechts und links neben der in der Blattnarbe zentral gelegenen Leit- bündelspur zeigt, konnte Verfasser bei einer Anzahl von Spezies von Abies erkennen, Ijcsonders gut bei A. brachy- phylla, balsamea und Nordmanniana. Die Bedeutung ist noch unbekannt. Verfasser beabsichtigt, darauf noch einmal zurückzukommen. Fig. 3. Zwei verschiedene Blattnarbcn von ein und demselben Rindenstück einer Sigillaria des Saargebietes ((_icgenortschacht bei Dudweiler). Doppelt vergrößert, gezeichnet vom Verfasser. Am meisten fallen dem Laien solche Sigil- larien in die Augen, bei denen die Oberfläche durch parallele Furchen in Rippen geteilt sind (Fig. i). Solche wellblechähnlichen Stücke sieht man auf den Halden oft schon viele Meter weit. Es hat aber nur dann Zweck sie mitzunehmen, wenn sie deutlich erhaltene Blattnarben auf den Rippen tragen. Überhaupt wird ein kundiger Sammler auch unscheinbaren Stücken seine Auf- merksamkeit zuwenden. Ein kleines Stückchen, das wenige aber ringsum scharf kenntliche Blatt- narben besitzt, kann zur Konstatierung der Art 4IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 26 in einer Schiclit ausreichen. Bei J wohlerhaltenen großen Stücken tut man gut, darauf zu achten, ob die Blattnarben und sonstigen Verzierungen überall gleich sind, oder ob in ihrer Form, Ent- fernung usw. Verschiedenheiten vorkommen, was gar nicht selten ist (vgl. Fig. 3). In solchen Fällen lohnt es sich, auch große schwere Stücke l#^^W^ sechseckigen Polstern; da sie häufig sehr klein sind, können sie leicht übersehen werden, be- sonders wenn auch großnarbige Stücke am selben Fundort vorkommen. Eine andere Gruppe von Sigillarien, die aber nur im jüngsten Karbon und Rotliegenden vor- kommt und sich daher in manchen Gebieten, am -w* 'auf ^' ^W'*^ •— "^ ,^' ^ ^. ^ «/^"^^^ Fig. 4. Eine Sigillaria mit ziemlich großen Blattnarben. Nat. Größe. Abdruck im Gestein. Bei K noch von kohlig er- haltener Rinde bedeckt. Aus der Magerkohlenpartie West- Fig. 5. Eine Sigillaric mit Zickzackfurchen und kleinen Blattnarben, mit Querreihen falens (Zeche Ringeltaube bei Annen). von Blütennarben (B). Innenseite der kohligen Rinde, unter der die Abdrücke derl Blattnarben zum Vorschein kommen. Aus der Magerkohlenpartie Westfalens (Fran- ziska Tiefbau bei Witten). Nat. Größe ganz mitzunehmen. Abgesehen davon, daß sie als Schaustücke die Sammlungen zieren, dienen sie dem Fachmann dazu , die Zusammengehörigkeit verschiedener Formen zur selben Art zu erkennen. Außer auf die Sigillarien mit Längsfurchen ist aber auch auf solche mit Zickzackfurchen zu achten (Fig. 4 u. 5). Hier stehen die Blattnarben meist auf z. B. dem Ruhr-Revier, nicht findet, hat entweder rhombische Polster, oder es stehen die Blattnarben einfach auf der glatten Stammoberfläche. Es ist immer gut, am selben Fundort möglichst viel zu sammeln; denn daraus kann der Fachmann wichtige Schlüsse über die Zusammengehörigkeit verschiedener Teile einer Pflanze, z. B. von Stäm- N. F. m. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 411 men und Zweigen etc., oder von verschieden skulp- turierten Rindenstücken, ziehen. Audi ist darauf zu achten, ob noch Blätter oder gar Blüten an den Stücken ansitzen (Abbruchsstellen der Blüten siehe Fig. 5). Eine möglichst genaue Angabe des Fundortes und besonders auch des Horizonts, z. B. zwischen welchen Leitflözen, ist auch nötig. Mit dem .Sammeln von Schuppenbäumen (Lepi- dodendren) verhält es sich ähnlich. Auch bei diesen ist häufig eine kohlig erhaltene Rinden- schicht erhalten und von der Außen- oder Innen- seite sichtbar. Doch kommen hier häufiger auch noch andere Erhaltungszustände vor, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Natürlich können gesammelte .Stücke nur dann Wert haben, wenn sie fachmännischer Bearbeitung zugänglich gemacht werden. Die Freude an dem schönen Anblick pflegt bei dem Sammler bald nachzulassen. Er selbst kann sie auch unmöglich bestimmen. Dazu ist eine Literatur erforderlich, wie sie nur in wenigen größeren Bibliotheken, z. B. in Berlin, vorhanden ist. Daher können die Samm- lungen nur dann für die Wissenschaft nutzbar gemacht werden, wenn sie einem großen Museum zugehen. Das geologische Landesmuseum ') hat für jede Sendung nach den angegebenen Gesichts- punkten gesammelter Sigillarien beste Verwendung. Wer lieber einem Provinzialmuseum etwas zu- kommen lassen will, möge aber, da dort die Sachen sonst leicht unbearbeitet bleiben, wenigstens ver- anlassen, daß sie leihweise dem Landesmuseum zur Untersuchung überlassen werden. Manches, was tüchtige Sammler zusammengebracht haben, hat Bereicherungen unserer Kenntnisse veranlaßt. Wenn sie recht viele Nachfolger finden, wird es möglich sein, die Sigillarien für die Gliederung des Karbons vielfach ebenso wie bisher die Farne zu benutzen. W. Koehne. wäre, falls sich Wendell's Beobachtung bestätigt der erste Planetoid, bei welchem die Nachweisung einer Rotation geglückt ist. Kbr. ^) Adr. : Paläohotanische .'\hteilung der Kgl. geolog. Landcs- anstalt. Hcrlin X 4, Invalidcnslr. 44. Astronomische Breitenbestimmungen hat Schwarzschild kürzlich mit einem sehr ein- fachen Apparat ausgeführt. Er benutzte nämlich eine von Erschütterungen möglichst frei aufgehängte Zenith-Camera, auf deren Platte die in der Nähe des Zeniths kulminierenden Sterne ihre Spuren hinterließen. Die geographische Breite — gleich der Deklination eines genau im Zenith kulminie- renden Sterns — konnte auf diesem Wege mit verhältnismäßig geringer Mühe in bis auf die Bogensekunde genauer Übereinstimmung mit dem Ergebnis der Meridiankreisbeobachtungen abge- leitet werden. F. Kbr. Der Planetoid Iris (Nr. 7) soll nach einer telegraphischen Meldung von Wen d eil (Astr. Nachr. Nr. 3925) einen sechsstündigen Helligkeits- wechsel im Betrage einer Viertelgrößenklasse zeigen, der auf eine in diesem Zeitraum sich voll- ziehende Rotation schließen lassen würde. Iris Über einige Erscheinungen an Quecksilber- Lichtbögen. — In einer kürzlichen Mitteilung an die Französische Akademie der Wissenschaften berichtet deValbreuze über einige Versuche, die er an Ouecksilberlichtbögen in mit einer Sprengei- schen Pumpe verbundenen U-Röhren ausgeführt hat. Wenn der Druck in der kalten Röhre zwi- schen 0,004 "T^ 0,002 mm Quecksilber lag, be- obachtete er folgende Erscheinung: Sobald der Bogen angelassen wurde, bildete die Anode eine größere oder kleinere, gleichmäßig helle Fläche, welche sich später mit kleinen, sehr hellen Sternchen bedeckte, die regelmäßige geo- metrische Figuren bildeten. Diese Sternchen lagen häufig in den Ecken und im Mittelpunkte eines durchaus regelmäßigen Fünf- oder Sechsecks. Ein anderes Mal wieder waren sie in großer An- zahl vorhanden, von sehr kleinen Dimensionen und äußerst beweglich ; in diesem Falle waren sie auf konzentrischen Kreislinien verteilt. Dieses ver- schiedenartige Aussehen ließ sich im allgemeinen abwechselnd beobachten ; die beiden Phasen traten äußerst schnell auf, und verschwanden ebenso schnell. Wenn die Elektrode warm wurde, nahmen die Sterne an Größe zu ; sie sahen dann aus wie helle kugelförmige Perlen, die auf dem Queck- silber aufsaßen. Späterhin bildeten sie Gruppen, ketteten sich aneinander, so daß eine Scheibe im Mittelpunkt und ein oder mehrere helle Ringe entstanden, die von dunkeln Ringen getrennt waren. Schließlich verschwanden die dunkeln Ringe und nahm die Anode ihr gewöhnliches Aussehen wieder an , nämlich das einer gleich- mäßigen Fläche. Um diese Erscheinung zu erklären, nimmt der Verfasser das Vorhandensein einer Oberflächen- membran an der Quecksilberoberfläche an ; diese Membran würde für den Strom mehr oder weniger durchlässig sein, und durch ihren Schwingungs- zustand die regelmäßige Form der beobachteten F'iguren bedingen. Im zweiten Teil seiner Mitteilung behandelt der Verfasser einige das Anlassen von Quecksilber- lichtbögen betreft'ende Eigentümlichkeiten. Nach der allgemeinen Anschauung ist zum Anlassen von Vakuumröhren mit einer oder zw^ei Queck- silberelektroden eine Potentialdifl'erenz von einigen Tausend Volt erforderlich ; dann findet der nor- male Stromdurchgang mit einem Potentialabfall von nur 1 5 Volt statt. Wenn man an die Röhren eine Potentialdifferenz von 550 Volt anlegt, so beobachtet man ein spontanes Anlassen unter folgenden Bedingungen: Wenn die Anodenröhre aus Eisen und die Kathode aus Quecksilber besteht , so beobachtet man eine schöne violette Lichterscheinung ober- halb der Kathode, welche den ganzen Querschnitt der Röhre bei einem inneren Drucke von 0,006 412 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 26 bis 0,015 mm Quecksilber ausfüllt; ein schwach grünliches Licht ist am Rande der Anode zu be- obachten, während der Rest dunkel bleibt. Der die Röhre durchfließende Strom liegt zwischen 0,01 und 0,02 Amp. Der normale Lichtbogen setzt meistens nach einigen Minuten ganz selbst- tätig ein. Wenn andererseits der Druck bis auf 0,006 mm heruntergeht, so treten zwar dieselben Erscheinungen auf, jedoch muß die Röhre etwas erwärmt werden; meistens ist zum Anlassen des Bogens ein leichtes Schütteln erforderlich. Wenn andererseits beide Elektroden aus Queck- silber sind, so tritt das selbsttätige Anlassen weit seltener auf und erfordert stets ein Erhitzen der Elektrode und leichtes Schütteln. Häufig beobachtet man Schichtenbildung in der Röhre ; die Schichten sind abwechselnd violett und grünlich. Da durch Schütteln der Quecksilberfläche die Schwierigkeiten , denen man beim Anlassen be- gegnet, bedeutend vermindert werden , so nimmt Verfasser an, daß auch hier Oberflächenmembranen eine Rolle spielen , deren Widerstand besonders im kalten Zustande hoch ist. A. Gr. Himmelserscheinungen im April 1904. Von den Planeten ist nur Merkur des Abends zuletzt fast eine Stunde lang im NW. siclitbar; Saturn fängt an am Morgenhimmel sichtbar zu werden, während die übrigen Pla- neten gänzlich unsiclitbar bleiben. Sternbedeckung: Der Stern o Leonis wird am Abend des 21. durch den Mond für Berlin um 9 Uhr 57,4 Min. M.E.Z. bedeckt und tritt um 10 Uhr 38,2 Min. am südwest- lichen Rande wieder hervor. Algol-Minima lassen sich im April wegen der Sonnen- nähe des Algol niclit beobachten. Vereinswesen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde. — Am Freitag, den 4. Dezember, abends 8 Uhr, hielt im Hörsaal der alten Urania Herr Privatdozent Dr. L. D i e 1 s einen Projektions- vortrag: „Reiseskizzen aus Neuseeland". Neuseeland, so führte der Herr Vortragende aus, in seiner einsamen Lage inmitten der Weiten des Stillen Ozeans stellt den Rest eines einst größeren Landes dar, und ist wiederum zerborsten in drei Stücke: die Nordinsel, die Südinsel und Stewart- Island. Die Südinsel wird durchzogen von einer mäch- tigen Gebirgskette, die als Wetterscheide die nasse steile Westküste von den Ebenen der Ostseite trennt. Das Gebirge ist rauh und schwer zu- gänglich. Auf der Ostseite wird es von Quer- tälern durchzogen, die z. T. von präalpinen Seen eingenommen sind. Die Hänge tragen eine nur kärgliche Vegetation; stellenweise machen sie einen steppenartig dürftigen Eindruck. Viele Stege sind bis zum Gipfel mit mächtigem Geröll be- deckt und von 2000 m an schon völlig vege- tationslos. Die Westseite bietet dazu einen starken Gegen- satz. Die von Nordwest kommenden Regenwinde verschwenden in Fülle ihre Niederschläge (300 cm pro Jahr) dort. Die Täler und unteren Hänge bekleidet eine Pflanzenwelt von tropisch anmuten- der Üppigkeit und reizvoller Schönheit. Die Masse des Laubes, die Mannigfaltigkeit der Farne und der allgegenwärtigen Moose wird nur in wenigen der gemäßigten Gegenden der Erde annähernd erreicht. Auch in den höheren Regionen bewahrt der grüne Teppich seine Frische und erinnert äußerlich mehr an Schweizer Matten als an die kahlen Hänge der Ostseite. Die Feuchtigkeit des Klimas, der Wechsel von steilem Gebirge und engen Tälern erhält sich auf der ganzen West- seite. In der Südhälfte ist vielfach das Meer ein- gedrungen und hat Fjordlandschaften von roman- tischer Großartigkeit geschaffen. Noch zeigen sich diese westlichen Gebirgs- gegenden fast ungeändert in ihrem ursprünglichen Zustande und stehen insofern in lebhaftem Kon- trast zu den Ebenen des Ostens. Hier hat die Kultur rasch die eingeborene Pflanzenwelt zurück- gedrängt und das Antlitz des Landes gründlich umgestaltet. Ergiebige Viehzucht blüht in diesen Distrikten, und an der Küste liegen ansehnliche Städte, wie das schottische Dunedin und das englische Christchurch. Die N o r d i n s e 1 gehört geologisch eng mit dem Süden zusammen. Aber die Gebirgsachse ist viel niedriger, so daß keine klimatische Trennung von ihr ausgeht, sondern die feuchten Winde zum ganzen Lande gleichmäßigen Zutritt haben. Daher mag einst ein wenig unterbrochener Urwald die Insel bedeckt haben. Heute hat ihn die Siedelung oft weithin eingeschränkt. Das Hauptinteresse für den Touristen und den Naturfreund bietet das Thermalgebiet der Nord- insel, das etwa im Zentrum des Landes gelegen ist. Hier drängen sich in überraschender Fülle die Erscheinungen des Vulkanismus: der fast er- loschene Ruapehu mit seiner Schneekrone, die aschen- und lavareiche Umgebung des Taupo-Sees, das Sprudel- und Geysergebiet von Rotorua. Die Menge der Quellen, die Mannigfaltigkeit der Sinter- absätze, das Spiel der Geyserfontänen haben auf der Erde kaum ihresgleichen, wenn auch das Prunk- stück des Ganzen, die Terrassen von Rotomahana, seit der furchtbaren Eruption von 1886 für immer verloren ist. Im Thermalgebiet gewinnt auch der Fremde noch am leichtesten den Einblick in Leben und Gesittung der Maoris, die vor der britischen Annektion über Neuseeland herrschten. Sie ge- hören der polynesischen Rasse an, scheinen aber trotz ihrer trefflichen Qualitäten in schnellem Niedergang begriften. Viel rascher aber wächst die tatkräftige weiße Bevölkerung an, die heute schon über 800000 Seelen zählt und Ritter's Wort wahr zu machen scheint, daß Neuseeland „vor anderen Ländern berufen scheine, eine Mutter zivilisierter Menschengeschlechter zu werden." — Um die Mitte des Monats folgte eine größere Anzahl von Mitgliedern einer freundlichen Ein- ladung des Herrn Otto Beyrodt in Marienfelde N. F. ni. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 413 zur Besichtigung seiner weltberühmten Orchideen- züchtereien. In zwei Gruppen wurden die Teil- nehmer der Exkursion am Sonnabend, den 12. De- zember, nachmittags 2 Uhr, sowie am darauf- folgenden Sonntag, vormittags ^,'.,10 Uhr, von Herrn Beyrodt und einigen seiner Herren Beamten durch die teilweise in herrlichster Blütenpracht stehenden Kulturen hindurchgeführt, wobei manches belehrende Wort über die mühsame und gefahr- volle Tätigkeit der Sammler in den tropischen Urwäldern, über Versand, Pflege und Marktwert jener reizvollen Kinder Floras den Besuchern zuteil wurde. Am Mittwoch, den 30. Dezember, hielt im großen Hörsaal der Königl. Landwirtschaftlichen Hoch- schule Herr Geh. Reg.Rat Prof Dr. Wittmack seinen angekündigten Vortrag : „Z u r G e s c h i c h t e der wichtigsten Kulturpflanzen". Nachdem der Herr Vortragende daran erinnert, daß viele unserer gewöhnlichsten Pflanzen erst nach der Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Ostindien , ja selbst z. T. noch viel später eingeführt seien, ging er näher auf die Geschichte des Getreides ein. Als älteste Getreideart muß wahrscheinlich die Gerste angesehen werden, ihr nahe kommt der Weizen, der sowohl in Ägypten um 4000 Jahre vor Christo wie in China um 3000 Jahre vor Christo schon gebaut wurde. Die Funde von Weizen in Ägypten stellen aber nicht immer ge- wöhnlichen nackten Weizen, Triticum vulgare im engeren Sinne, dar, d. h. Weizen dessen Körner aus den Spelzen herausfallen, sondern oftmals eine Art des bespelzten Weizens, und zwar Emmer oder Zweikorn, Triticum dicoccum. Bei diesem zerbrechen die .Ähren (wie beim Spelz und Ein- korn) in Stücke, in Ahrchen, und in diesen .\hr- chen bleiben die Körner fest von den Spelzen um- geben sitzen. Das Vaterland der Gerste ist sicherlich Vorder- asien, für den Vk'eizen nahm man das bisher auch an; Graf Solms Laubach hat aber in seiner Schrift: „Weizen und Tulpe", Leipzig 1899, darauf hin- gewiesen, daß eher vielleicht Zentralasien die Heimat des Weizens sein möchte, und daß er von da schon in alter Zeit nach China einerseits und nach Kleinasien und Ägypten andererseits gekommen sein dürfte. In Troja (Hissarlik) ist von Virchow und Schlie- mann nur wenig gewöhnlicher Weizen gefunden, dafür aber sehr viel Einkorn , Triticum mono- coccum, eine Getreideart, die man noch im wilden Zustande in Südosteuropa und in Vorderasien als Triticum aegilopodioides kennt. Heute wird Ein- korn bei uns nur wenig gebaut, höchstens in einigen Gebirgsgegenden; in Spanien aber dient es als Pferdefutter. In Pompeji ist nach den von dem Herrn Vor- tragenden angestellten Untersuchungen nur ge- wöhnlicher Weizen vorhanden. In dem verkohlten Zustande, in welchem sich dort alle Samen be- finden, ist es wenigstens nicht möglich zu ent- scheiden, ob es statt gewöhnlichen Weizens viel- leicht Hartweizen ist. Dieser wird jetzt in Süd- italien viel gebaut, weil er sich wegen seines hohen Eiweißgehaltes (Klebergehaltes) besonders zur Herstellung von Makkaroni eignet. Es scheint aber, als wenn die alten Römer noch gar keine Makkaroni gegessen haben. Die Alten aßen nur Grütze oder Brei aus grob gestoßener Gerste oder Weizen. Das nannten sie Polenta. Heute wird die Polenta fast nur aus Maisgries bereitet. Auffallend ist, daß gar kein Spelz aus vor- geschichtlicher oder selbst aus etwas späterer Zeit bekannt ist. Die alten Griechen und Römer scheinen nur den Emmer gekannt zu haben, da- gegen ist wahrscheinlich der Dinkel (Spelz) ebenso wie der Roggen und der Hafer zuerst von nord- alpinen, keltischen und germanischen Völkern in Kultur genommen und erst durch die Germanen auch den Römern bekannt geworden. Speziell in Südwestdeutschland und der Ost- schweiz, fast den einzigen Gegenden, wo heute der Dinkel die Hauptbrotfrucht ist, ist der Dinkel- bau mit den Alamannen eingewandert, hat sich mit ihnen weiter verbreitet und sich seither inner- halb ihres Stammgebietes dauernd behauptet. Weiter ist er aber auch nie verbreitet gewesen; sein heutiges beschränktes Anbaugebiet ist nicht etwa der letzte Rest einer früher allgemeineren Verbreitung. Der Dinkel ist also die Charakter- pflanze der Alamannen (Gradmann, Württemb. Jahrb. 19OI, I, 103). Von Hülsenfrüchten sind im Altertum be- sonders viel Saubohnen, Vicia Faba, gebaut worden, teils als Nahrungsmittel, teils als Gründünger; weiße Bohnen, überhaupt sog. Gartenbohnen, Brech- bohnen und Schneidebohnen, Phaseolus vulgaris, hatte man nicht. Die sind erst, wie die Funde in den peruanischen Gräbern lehren, aus Amerika zu uns gekommen. Höchstens hatte man eine ähnliche Gattung: Dolichos, die Langbohne, doch sind Samen davon bis jetzt nicht gefunden. — Wohl aber hatte man im .-Altertum schon vielfach Erbsen, Wicken, Platterbsen, Lupinen und eine mit den Erbsen verwandte Pflanze, die Erve. Ausführlicher besprach der Herr Vortragende die von ihm im April 1903 untersuchten Samen von Pompeji, die im Museo nazionale in Neapel aufgestellt sind. Eine kleinere Sammlung findet sich in Pompeji selbst. Die auf den herrlichen Wandgemälden vorkommenden Pflanzen sind von Prof. Comes in Portici eingehend beschrieben, dagegen ist den verkohlten vegetabilischen Funden, den Samen und Früchten etc., bisheJ wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Nur der dänische Pflanzengeograph Schouw hat schon darauf hingewiesen, daß Italien damals noch nicht das Land war, „wo die Zitronen blühn, im dunklen Laub die Goldorangen glühn." Denn die Zitronen und Pomeranzen kamen erst viel später, wahr- scheinlich erst durch die Araber nach Europa; die Apfelsinen erst nach 1500, und zwar durch die Portugiesen, welche sie von China heimbrachten 414 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 26 (Apfel aus Sina, Portogallo im römischen Dialekt). Nur die dickschaligen Cedraten dürften schon i bis iV., Jahrhundert vor Plinius eingeführt sein. Plinius selbst sagt freilich, daß man sich vergebens bemüiit habe, den „medischen Apfel" (Scliouw sieht darin den „Cedrat") nach Europa zu ver- pflanzen. Schouw glaubt, der Cedrat sei erst im 3. Jahrhundert nach Christus in Italien angebaut. — Die „goldenen Äpfel der Hesperiden" sind nach Ansicht des Vortragenden vielleicht Quitten ge- wesen, da man diese auch cydonische Apfel nannte und eine Sorte nach Plinius als „Gold- quitten" unterschied. Quitten wurden auch ge- wissermaßen als Opfergaben benutzt, sie wurden in den Schlafzimmern vor den Darstellungen der Schutzgötter niedergelegt. Redner bestimmte die im Museo nazionale zu Neapel untersuchten pflanzlichen Reste als fol- gende : Weizen, Gerste (kleine), Rispenhirse, Kolben- hirse, Saubohnen, Linsen, Erbsen, Platterbsen oder Lupinen, Raps oder Rübsen, Koriander (oder Hanf?), Piniensamen (mit Schale), P'eigen, Mandeln, Walnüsse, Haselnüsse, Oliven, Weinbeeren, Kirschen, Kastanien, Johannisbrot, ein Pfirsichstein (scheint modern), Datteln, Zwiebeln, Knoblauch (?), Einge- machtes, Teig oder Sauerteig und ganze Brote, ferner Gewebe, Stroh, Netze, Taue, Wollen (?)Zeug, ein Knäuel Garn, Rest eines Besens, Körbchen, Harz, Holz, Sandalen, Kork. Das Interessanteste sind die ganzen Brote. Sie sind zwar verkohlt, aber sonst sehr wohl erhalten. Die meisten Brote haben die Form eines Baretts; sie sind kreisrund und haben ca. 16 — 20 cm Durch- messer. Ein viel kleineres Brot zeigt deutlich noch den Stempel des Bäckers. Auffallend ist ferner die große Menge Datteln, die ihrer Größe nach zu urteilen von besonders schöner Qualität gewesen sein müssen. Sie sind sicher aus Ägypten oder Nordafrika auf dem Wege des Handels nach Italien gekommen , denn die Dattelpalmen brachten damals so wenig wie heute in Italien genießbare P'rüchte hervor. Die Datteln sind also ein sicherer Beweis für einen ausgedehnten Handel. Die von dem Vortragenden als Koriander an- gesprochenen Samen wurden bisher für Hanf ge- halten; eine erneute, möglichst auch eine mikro- skopische Untersuchung ist nötig, um die Sache sicher festzustellen. Auch die Frage der Zwiebeln und des Knoblauchs muß noch näher geprüft werden. Sodann ging der Redner auf die Kulturpflanzen der neuen Welt über und hob hier außer Mais und Gartenbohnen besonders die Kartoffel hervor. Er zeigte u. a. eine getreue Kopie der ersten far- bigen Abbildung der Kartoffel, die Clusius, bei dem sie in Wien 1576 blühte, hatte machen lassen. Die Kartoffel Ist augenscheinlich auf zwei Wegen nach Europa gelangt, einmal durch die Spanier, zweitens durch die Engländer. Von Spanien kau. sie nach Italien und erhielt dort wegen ihrer Ähnlichkeit mit Trüffeln den Namen „tartuffoli", woraus unser Wort Kartoffeln geworden ist. Zum Schluß wurden frische Knollen der neuer- dings wieder eingeführten Sumpf kartoffel, Solanum Commersonii, deren Heimat Südbrasilien, Uruguay und Argentinien ist, vorgelegt. Der Vortragende verdankt dieselben der Freundlichkeit des Herrn Prof Hecke), Direktor des Botanischen Gartens in Marseille. I. .\.: Dr. W. Greif, I- Schriftführer, SO l6| Köpenickerslraße 142. Bücherbesprechungen. Prof. Dr. Conwentz, Die Heimatkunde in der Schule. Berlin 1904, Gebr. Bornträger. 139 S. — Preis geb. 2,40 Mk. Durch sorgfältiges Studium der Lehrpläne , der eingeführten Schulbücher und der vorhandenen Lehr- mittel zahlreicher Schulen ist Verf. zu der Überzeugung gelangt , daß die Heimatkunde im gegenwärtigen Schulunterricht — sowohl an höheren wie an niederen Schulen — zu kurz kommt. Gewiß gibt es auch in unserem Vaterlande Himmelsstriche , die von Natur in so geringem Grade mit Schönheiten ausgestattet sind, daß es begreiflich ist, wenn sich der Blick der Bewohner mit Sehnsucht in die Ferne wendet, die immer wieder in den herrlichsten Farben geschildert wird. Aber gerade darum fällt doch sicherlich der Schule die Aufgabe zu , dem kindlichen Gemüte zu- nächst die nirgends fehlenden Reize der engeren Heimat zum Bewußtsein zu bringen , ihm das Ver- ständnis zu erschließen für Land und Leute der nächsten Umgebung und so in der Liebe zur Heimat die kräftigste Wurzel der Vaterlandsliebe erstarken zu lassen. Ganz besonders für Stadtkinder muß es von unvergleichlichem Werte sein , wenn sie in die Eigenart derjenigen Landesteile gründlicher eingeweiht werden, die sie auf kleinen , bei den heutigen Ver- kehrsmitteln auch dem ärmeren mögliche Ausflüge durch eigene Anschauung kennen lernen können, wenn sie die Tier- und Pflanzenwelt der engsten Heimat vor allem zu beobachten Anleitung erhalten, anstatt nur von der Pracht tropischer L^rwälder und der Eigenart fremder Tierformen zu hören. Freilich muß dann der Unterricht in der Heimatkunde mit besonderer Liebe auch in den fortgeschritteneren Klassen ergänzt werden , die Lehrmittel müssen vor allem den lokalen Verhältnissen angepaßt sein und Anschauungsbiider , die in der Schweiz am Platze sind, dürfen nicht , wie das vielfach noch heute ge- schieht, in der norddeutschen Ebene dem Unterricht zugrunde gelegt werden. Verf. bietet in seiner sorg- fältig gearbeiteten Schrift zahlreiche, recht beherzigens- werte Winke mit Bezug auf diejenigen Punkte, wo in dem angegebenen Sinne Wandel geschaffen werden sollte und müßte. Selbstverständlich soll die allge- meine Erdkunde, deren Bedeutung für moderne Bil- dung von Tag zu Tage wächst , durch solche Be- strebungen nicht zurückgedrängt werden, es wird sich vielmehr nur dauim handeln, neben dem Unterricht über fremde Erdgebiete den Sinn für die Heimat vor N. F. m. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 415 Verkümmerung zu schützen und das zur Erzielung eines richtigen Weltbildes nötige Gleichgewicht zwischen den Interessen am Nahen und Femen zu wahren. F. Kbr. Prof. J. C. Kapteyn, Skew frequency curves in biology and statistics."" — Publ.^by the astrono- mical Laboratory at Groningen. 45 S. P. Noord- hoflf, Groningen. Bessel hatte in Bd. 15 der astronomischen Nach- richten gezeigt , daß bei großer Individuenzahl die biologischen oder statistischen Häufigkeitskurven nor- mal, d. h. symmetrisch verlaufen, sofern die Variations- ursachen sehr zahlreich, voneinander unabhängig und so beschaffen sind, daß die Wirkung jeder einzelnen im Vergleich mit der summarischen Wirkung aller klein ist. Gleichwohl bilden schiefe Häufigkeitskurven in der Natur durchaus nicht eine Ausnahme, sondern sogar die Regel. Dieselben werden, wie Verf dartut, durch Ursachen erzeugt, deren Wirkung von der Größe der Individuen abhängt. Daher werden in der Natur die meisten Kurven schief sein, aber sich docii meist von normalen Kurven nur wenig unterscheiden. Deutlich schiefe Kurven treten aber z. B. bei Schwellen- wertsbestimmungen von Sinneswahrnehmungen auf, da hier die Beobachtungsfehler im Vergleich mit den zu messenden Größen nicht klein sind. Verf. be- schreibt nun eine Maschine zur Demonstration der Entstehung schiefer Kurven , die ähnlich konstruiert ist wie Galton's Apparat für normale Kurven, und gibt dann die mathematische Theorie des allgemeinen Problems. Eine Anzahl von Beispielen wird dann im einzelnen behandelt und durch Figuren zur Dar- stellung gebracht. Für Variationsstatistiker ist die Publikation sicherlich von hohem Interesse und Wert. F. Kbr. Astronomischer Kalender für 1904. Heraus- gegeben von der k. k. Sternwarte zu Wien. Wien, K. Gerold's Sohn. — Preis geb. 2,40 Mk. Als Anhang zu dem astronomischen Kalendarium mit den üblichen Angaben bringt der heurige 66. Jahr- gang des altbewährten Kalenders eine verdienstliche Originalarbeit von Dr. Holetschek „über den Hellig- keitseindruck einiger Nebelflecke und Sternhaufen". Im Anschluß an seine Untersuchungen über Kometen- helligkeiten hat der Verf. dieses Aufsatzes für 213 Sternhaufen und Nebel durch eigene Beobachtungen an einem 6-Zöller und dem dazu gehörigen Sucher die Größenklasse derjenigen Fixsterne festgelegt , die ebenso leicht gesehen werden können wie jene diffu- seren Objekte. Für Liebhaber der Himmelsbeobach- tung, welche mit kleineren Instrumenten die interes- santeren Nebelgebilde und Sternhaufen selbst aufsuchen wollen, werden die hier gegebenen Zahlen von hohem Nutzen sein, da sie ein bisher vermißtes Maß für die Schwierigkeit der Wahrnehmung der betreffenden Objekte darstellen. — Aus der von Prof. Weiß ge- gebenen Zusammenstellung der im verflossenen Jahre neu entdeckten Planeten und Kometen sei hier her- vorgehoben, daß im Zeitraum 1901 — 1903 in Heidel- berg 140, anderwärts dagegen nur 8 neue Planeten entdeckt wurden. Die fabelhafte Ergiebigkeit der von M. Wolf ausgebildeten, photographischen Methode der Aufsuchung neuer Planeten entlockt den beobachten- den und rechnenden Astronomen begreiflicherweise gar oft die Seufzer des Goethe'schen Zauberlehrlings, da die gewissenhafte Verfolgung all dieser ans Licht gezogenen Planetoidchen eine kaum mehr zu bewäl- tigende und nicht eben dankbare Aufgabe darstellt. F. Kbr. Prof J Liznar, Die barometrische Höhen- messung. Leipzig u. Wien, 1904, F. Deuticke. 48 Seiten. — Preis 2 Mk. Verf. leitet zunächst die ausführliche barometrische Höhenformel theoretisch ab und zwar in einer Form, die von der gewöhnlich gegebenen etwas abweicht. Bei der praktischen Anwendung dieser Formel be- nutzt man gewöhnlich die durch Logarithmierung entstehende Gleichung, so daß man bei der Berech- nung von Höhenunterschieden Logarithmentafeln braucht und außerdem keinen Lberblick über die Größen der verschiedenen Korrektionsglieder hat. \'erf. gibt deshalb der Formel lieber eine andere Gestalt, in der die Korrektionen direkt in Metern auftreten. Die der Abhandlung angefügten, neuen Tafeln ermöglichen es, die meisten Korrektionen ohne Rechnung zu entnehmen und den Höhenunterschied also ohne Benutzung von Logarithmen zu gewinnen. Mit der Behandlung einiger Beispiele schließt die Abhandlung. F. Kbr. Prof. Dr. G. Mie, Die neueren Forschungen über Ionen und Elektronen. Mit 4 Abb. (Samm- lung elektrotechnischer Vorträge IV, 2). Stuttgart, F. Enke, 1902. 94 S. — Preis 1,20 Mk. In drei Vorträgen behandelt Verf das Gebiet. Ausgehend von einem Exkurs über den Äther (i. Vor- trag) werden im zweiten Vortrag die Elektrolyse und elektrisch leitenden Gase, im dritten die Entladung in Gasen besprochen. Als zusammenfassende Über- sicht der neueren Vorstellungen über Ionen , Elek- tronen etc. mag die Schrift von Wert sein, dem noch Uneingeweihten wird sie dagegen kaum einen klaren Einblick in die wohl an sich noch gar sehr der Ab- klärung bedürftigen Anschauungen gewähren können, fast möchte man im Gegenteil fürchten, daß die allzu frühe Popularisierung der neueren Ansichten unserer Spezialforscher in den Köpfen der physikalisch inter- essierten Laien eher Konfusion und das Gefühl des Faust'schen Schülers erzeugen könnte. Kbr. Literatur. Ostwald, Willi.: Grundlinien der anorganiscben Chemie. 2., verb. Aufl. (5. bis 8. Taus.) (XX, 808 S. m. 126 Fig.) gr. 8". Leipzig '04, W. Engelmann. — Geb. in Leinw. 16 Mk. Reiche!, Prof. Dr. Otto : Vorstufen der höheren Analysis und analytischen Geometrie. (X , 1 11 S. m. 30 Fig.) gr. 8". Leipzig '04, B. G. Teubner. — (leb. in Leinw. 2,40 Mk. Rofs, Kust. Dr. H. : Die Gallenbildungen (Cecidien) der Pflanzen, deren Ursachen, Entwicklung, Bau u. Gestalt. Ein Kapitel aus der Biologie der Pflanzen. Mit 52 Fig. im Text u. auf e. Taf. (40 S.) gr. 8". Stuttgart '04, E. Ulmer. — 2 Mk. 4i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 26 Schilling, Dr. Johs. : Das Vorkommen der „seltenen Erden" im Miner.ilreiclie. (VllI, 115 S.) gr. 4". München '04, R. Oldenbourg. — 12 Mk. Briefkasten. Herrn Prof. P. in B. — Sie fragen : Sind Ökologie und Ethologie begrifflich dasselbe? — Das Wort Ökologie stammt von E. Haeckel her. Haeckcl selbst hat drei Definitionen gegeben. Nach der ersten, die sich in der „Generellen Morphologie" (Bd. 2, i866, p. 235) findet, erscheint der Begriff am umfassendsten. Sie lautet: ,,Die Lehre vom Na t u r h a u s h a 1 1." t^twas befremden muß es freilieh, wenn Haeckel hinzufügt, „ein Teil der Physio- logie". Nach allgemeiner Auffassung dürfte der Naturhaushalt doch alle chemischen, physikalisclien und physiologischen Tatsachen einschließen. — Gut ist es also, wenn Haeckel auf der nächsten Seite noch eine zweite Definition gibt. Nach dieser neuen Definition ist die Ökologie ,,die Wissenschaft von den Wechselbeziehungen der Organismen unterein- ander." Diese Definition ist weit enger und man darf die Ökologie nach dieser neuen Auffassung sehr wohl mit Haeckel der ,, Physiologie der Ernährung" und der ,, Physiologie der Fortpflanzung" gegenüberstellen. Später, in der ,, Natür- lichen Schöpfungsgeschichte" (z. B. 8. .Aufl., 1889, p. 777) wird der Begriff wieder etwas erweitert und die Ökologie als ,,die Lehre von den Beziehungen der Organismen zur um- gebenden Außenwelt" definiert. Diese letzte Definition ist diejenige, welche in botanische Werke übergegangen ist. Man vergleiche z. B. E. Warming, Lehrbuch der ökologi- schen Pflanzengeographie (2. Aufl. von P. Graebncr, Berlin 1902). — Der Name Ökologie ist leider von der jetzt allge- mein aufgegebenen ersten Definition Haeckel 's hergenom- men. Er soll jedenfalls nichts anderes sein als eine Abkürzung von (Jkonomologie [oiy.oro/iin Hauswirtschaft und i.üyoi Lehre). Die Abkürzung ist freilich ebenso unglücklich wie die Herleitung des Wortes und man darf sich deshalb als Zoologe wohl denjenigen anschließen, welche den Haeck ei- schen Namen in seiner eigentlichen Bedeutung verwenden und unter Ökologie (nly.oi Haus, Wohnung und loyos Lehre) ,,die Lehre von den Wohnstätten oder dem Aufenthalt der Tiere" verstehen. (Vgl. F. Dahl in: Verhandl. d. Deutsch, zoolog. Gesellsch., Jahrg. 1898, p. 122 und E. Was mann in: Biolog. Zentralbl. Bd. 21, 1901 , p. 392.) Was Haeckel in seiner Schöpfungsgeschichte und nach ihm Warming Ökologie nennt, ist die ,, Biologie" vieler .Autoren, wenn man eine Biologie im engeren Sinne der Biologie im weiteren Sinne, d. i. der „Lehre von den Lebewesen" überhaupt gegenüberstellt. Dieser Auffassung pflichtet u. a. K. Möbius bei, der die „Beziehungen", die Haeckel im Auge hat, in seiner Schrift „Die Austern und die Austernwirtschaft" (Berlin 1877, p. 72—87) in einem konkreten Fall zur Darstellung bringt. Er nennt die zusammen an einem Orte vorkommenden Organis- men eine „Biocönose". Will man das Wort Biologie im engeren Sinne und das Wort Ökologie im weiteren Sinne ver- meiden , indem man letzteres im oben genannten engeren Sinne anwendet, so kann man die Ökologie im späteren Ha e ekel 'sehen Sinne etwa „Biocönotik" nennen. Ethologie (f&oi Gewohnheit und koyos Lehre) ist die Lehre von den gesamten Lebensgewohnheiten der Tiere. Diese Lebensgewohnheiten beziehen sich teils auf die Selbsterhaltung, teils auf die Erhaltung der Art, die ersteren teils auf die Nahrungsaufnahme, teils auf den Schutz vor den Feinden, die letzteren teils auf die Paarung, teils auf die Brutpflege. Die Ethologie ist also ein Teil der Ökologie im weiteren Sinne. Die Ökologie im engeren, zoologischen Sinne, d.i. die Lehre von dem Aufenthalt der Tiere ist dagegen ein Teil der Ethologie und zwar ein Grenzgebiet, da der Aufenthalt häufig nicht von den Be- wegungen des Tieres allein abhängig ist, die Lebensgewohn- heiten also häufig nicht allein den Aufenthalt des Tieres be- stimmen. Immerhin empfiehlt es sich, die ökologischen Tatsachen im engeren Sinne als Ganzes der Ethologie anzugliedern. — Die Ethologie wird übrigens auch ihrerseits von manchen Autoren Biologie im engeren Sinne genannt (Man vgl. F. Dahl in : Silzungsber. d. Akad. d. Wiss. , Berlin 1896, p. I7fi'. , in; Biolog. Zentralbl. Bd. 21, p. 675 ff. und in: Verh. d. 5. inter- nation. Zoologcnkongr. Berlin 1901, p. 296ff., E. Wasmann in: Biolog. Zentralbl. Bd. 21, p. 3916'. und W. M. Wheeler in: Science, N. S. Vol. 15, 1902, p. 971 ff.). Das Wort ,,Biologie" hat also jetzt bei den verschiedenen Autoren eine vierfache Bedeutung. Es ist I. „die Lehre von den Lebe- wesen" (= Zoologie -\- Botanik), 2. ,,die Lehre von den Be- ziehungen der Lebewesen zur -Außenwelt" (= Biocönotik), 3. „die Lehre von den Lebensgewohnheiten der Tiere" {= Ethologie) und 4. ,,die Lehre von den Lebensvorgängen in der Zelle" (= Cytologie). Die erste und älteste Bedeutung dürfte am meisten berechtigt sein. Dahl. Herrn H. in Zw. — Fragen: a) Sind bittere Mandeln wirklich geeignet, die Gesundheit eines Menschen ernstlich zu gefährden, b) Ist es möglich , daß süße Mandeln bitter wer- den nach längerem Liegen, durch schlechte Aufbewahrung usw.? Antwort: a) Bittere Mandeln sind, wenn in größerer Menge genossen, geeignet, die menschliche Gesundheit zu ge- fährden. Die Giftwirkung der bitteren Mandeln beruht darauf, daß das darin zu 1 ',,2 bis 2 % vorkommende Glykosid Amyg- dalin durch das Ferment Emulsin bei Gegenwart von Feuchtig- keit unter Bildung von Benzaldehyd (Bittermandelöl) , Zucker und Blausäure gespalten wird. 100 g bittere Mandeln ver- mögen ca. o, I g Blausäure zu bilden. Über die Giftigkeit der Blausäure äußert sich L. Lewin in seiner Trikologie wie folgt: Für Menschen beträgt die tödliche Dosis an Blausäure 0,05 g, doch wurde Wiederherstellung in seltenen Fällen noch nach 0,1 g, ja sogar nach I g beobachtet. Hiernach ist es ver- ständlich , daß nach dem Genuß von bitteren Mandeln sich schwere Vergiftungen ereignen können. Aus der Literatur mögen die folgenden Fälle angeführt sein: Die bitteren Man- deln löten besonders schnell Vögel; ein Hund verendete durch 20 g. Bei Kindern erzeugten lo Stück schwere Vergiftung, 45 — 70 g bei Erwachsenen den Tod. b) Daß süße Mandeln infolge längeren Liegens oder in- folge schlechter Aufbewahrung bitter werden, also Amygdalin bilden, ist bisher nicht beobachtet worden. Prof. Thoms. Herrn W. in A. — Durch Einwirkung von Schwefelsäure auf Kaliumchlorat entsteht nach der Formel 3 KCIO3 -j- 3 HoSOi = 3 KHSO4 -|- HClOi + 2 CIO.2 + HjO das gelblichgrüne Chlordioxydgas (oder Cl.jOj Chlortetroxyd, was dasselbe ist). Dieses ist sehr unbeständig und zersetzt sich im Sonnenlichte allmählich , plötzlich bei 60 — 63" unter Explosion nach der Formel CLOj ^ Cl., -\- 2 O2 in Chlor und Sauerstoff. Wenn man wenig Schwefelsäure zu einigen KCIO3- Kristallen gibt, so kann man schon durch Berühren des Reak- tionsgemisches mit einem Holzspahn (Vorsicht!!) momentane Explosion unter heftigem Knall herbeiführen. In Gegenwart oxy- dierbarer Körper erfolgt die Explosion unterFlammenerscheinung. Hat man Zucker im Gemisch, so wird ihm das Wasser, welches er in molekularen Mengen chemisch gebunden enthält, durch die Schwefelsäure gleichzeitig entzogen, es hinterbleibt Kohle, und diese wird durch den bei der Zersetzung des Chlordioxyds frei- werdenden Sauerstoft' oxydiert. Hierdurch wird die Flammen- erscheinung bedingt. Bei den Versuchen ist allergrößte Vor- sicht anzuraten! Der .Ausdruck ,,Zuckerräucherung" ist wissen- schaftlich nicht gebräuchlich. Es ist nicht einzusehen, welchen Prozeß derselbe hierbei andeuten sollte. Und daher ist auch Ihre zweite Frage nicht zu beantworten. Dr. Lb. Inhalt: HugodeVries; Das Wüsten-Laboratorium zu Tucson in -Arizona. — Dr. med. Lu dwig Reinhard t: Der Winter- schlaf. — Kleinere Mitteilungen: Dr. Helene Friederike Stelzner: Ein interessanter Fall von Synästhesie. — Gustav Eraanuel: Über die Wirkung der Labyrinthe und des Thalamus opticus auf die Zugkurve des Frosches. — W. Koehne: Das Sammeln von Rindenresten in der Steinkohlenformation. — Schwarzschild: Astronomische Breitenbestimmungen. — Wen d eil: Der Planetoid Iris. — de Valbreuze: Über einige Erscheinungen an Queck- silber-Lichtbögen. — Himmelserscheinungen im April 1904. — Vereinswresen. — Bücherbesprechungen: Prof. Dr. Conwentz: Die Heimatkunde in der Schule. — Prof. J. C. Kapteyn: Skcw frequency curves. — Astronomischer Kalender für 1904. — Prof. J. Liznar: Die barometrische Höhenmessung. — Prof. Dr. G. Mie: Ionen und Elek- tronen. — Literatur: Liste. — Briefkasten. VcrantwortJicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-Wcsl b. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Biichdr.), Naumburg a. S. Berlin Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. F. Koerber Nene Folge 111. Baad; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 3. April 1904. Nr. 27. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringcgcld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate : Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren .\ufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Über Zw^ergvölker. ^) [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. R. Zand Die durchschnittliche Körperlänge der ver- schiedenen Völkerschaften zeigt sehr erhebliche Unterschiede. Für die Patagonier wird sie auf 170 — 180 cm angegeben, für die Buschmänner auf 130 — •140 cm. Merkwürdigerweise kommen in allen Erdteilen große und kleine Stämme vor, bisweilen n.ichbarlich nebeneinander, wodurch die Größen- unteischiede um so auffälliger werden. So wohnen in Europa die kleinen Lappen neben den großen Norwegern , in .Afrika die kleinen Buschmänner neben den großen Kafifern. Im Vergleich mit den großen Stämmen erscheinen die kleinen zwerghaft. Man spricht von Zwergvölkern, wenn die Er- wachsenen eine Durchscimittsgröße von 150 cm und weniger haben. Leute von 1 50 cm Höhe sind keine eigentlichen Zwerge. Man stellt sie bei uns noch in die Handwerkerabteilungen des Militärs ein. Als Zwerge sind nach Bollinger und A. Schmidt solche Menschen zu bezeichnen, die im Verhältnis zu ihrem Alter allzu erheblich unter dem Minimalmaß ihrer Rasse oder ihres Stammes bleiben und dadurch auffallen. Die Grenze für den Beginn des Zwergwuchses ist nicht für alle Völker gleich, weil ihre Durchschnittsgröße er (Königsberg i. F.). SO verschieden ist. Für die Bewohner Mitteleuropas dürfte eine Höhe von etwas über i m (1&5 cm) als Grenze gelten, unterhalb der das Zwergtum beginnt. Die Zwerge, die in Schaustellungen dem Publi- kum wegen ihrer ganz außerordentlichen Klein- heit vorgeführt werden, sind in der Regel nicht als normal anzusehen. Zum Teil sind sie Krüppel, zum Teil weisen sie grobe VVachstumsstörungen auf und zeigen infolgedessen stark abweichende Proportionsverhältiiisse, wie auffallende Größe des Kopfes und starke V'erkürzung der Beine. Aber auch die wohl proportionierten Zwerge sind, wie die Untersuchung mittels der Durchleuchtung durch Röntgenstrahlen ergibt, inmitten des Wachstums stehen geblieben. Die Epiphj'senknorpel — die Teile der Knochen, in denen das Längenwachstum stattfindet — pflegen bei ihnen noch erhalten zu sein in einem Alter, wo sie bei normalen Menschen längst geschwunden sind. Derartige Zwerge kommen überall gelegentlich ') Nach einem Vortrage, gehalten in der physikalisch- ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg i, Pr. 4iS Naturwissenschaftliche VVocheiisclirift. N. F. III. Nr. 27 vor. Wegen ihrer Seltenheit fallen sie so sehr auf. Ihre Kleinheit ist krankhaft. Bei den Zwergvölkern ist die geringe Körpergröße eine rassenhafte Eigen- tümlichkeit. Sie ist nicht eine seltene Ausnahme, sondern kommt allen Individuen des Stammes zu. Bei diesen „Rassenzwergen" ist die Körpergröße niemals so gering wie bei den infolge von krank- haften Störungen im Wachstum zurückgebliebenen „Kümmerzwergen". Sie hält sich in Grenzen, wie sie auch Angehörige großer Volksstämme ver- einzelt zeigen. Unsere Kenntnisse von Zwergvölkern haben erst in der neueren Zeit eine gewisse Sicherheit gewonnen, wo Forschungsreisende in die abge- schlossensten Winkel der Erde vordrangen. Die ersten Nachrichten über Zwergvölker stam- men aus dem Altertum. Man hat ihnen wenig Glauben geschenkt und erst jetzt beginnt all- mählich die Meinung, daß es sich nicht um bloße Phantasiegebilde handelte, sondern daß jenen Schil- derungen Beobachtungen zugrunde lagen, durch- zudringen. Homer spricht von einem kleinen Geschlecht der Pygmäen an des Okeanos strömenden Fluten, die im Frühjahr mit den Kranichen heftige Kämpfe aufführen. AuchHesiod erwähnt die Pygmäen. Der griechische Geschichtsschreiber Megasthenes, der 295 v. Chr. als Gesandter des Seleucus Nicator an den König Sandrocottus nach Indien ging, schildert Menschen von drei und fünf Spannen Länge, die naselos wären und nur Löcher zum Atmen über dem Munde hätten. Mit den Drei- spannigen führten die Kraniche Krieg. Die Drei- spannigen vernichteten die Eier der Kraniche, die dort brüteten. Der Geograph Strabo meinte, daß Homer und Hesiod des Vergnügens und der Ergötzung wegen von den Pygmäen gefabelt hätten und Megasthenes schenkt er keinen Glauben, weil alle, die über Indien geschrieben hätten, in hohem Grade Lügner wären. Die erste genauere Kunde von dem Vorhanden- sein kleinerer Menschen im inneren Afrika gibt uns Herodot. Im II. Buche der Geschichten er- zählt er, daß 5 junge nasamomische Männer (die Nasamomen, ein libysches Volk, wohnten an der Syrte und südlich davon), nachdem sie die libysche Wüste in südlicher Richtung durchquert hatten, auf kleine Männer, noch unter Mittelgröße, gestoßen seien und von diesen angegriffen und ge- fangen nach einer Stadt geführt worden wären, wo alle -Leute ebenso klein und schwarz von Farbe waren. Und bei der Stadt floß ein großer Strom, und floß von Abend nach Sonnenaufgang, und waren Krokodile in demselben zu sehen. Aristoteles erwähnt in seiner Tierkunde, daß die Kraniche aus den skythischen Ebenen in die südlich von Ägypten liegenden Sümpfe, von wo der Nil herkommt, ziehen, wo sie nach der Sage die Pygmäen bekriegen sollen. Die Pygmäen hält er nicht für fabelhafte Wesen, sondern er glaubt der Erzählung, daß es dort einen Schlag kleiner Menschen gäbe, die Höhlenbewohner sind. Der Geograph Pomponius Mela versetzte die P)'gmäen nach Arabien, Ktesia.s, der grie- chische Leibarzt des Artaxerxes, beschrieb ungefähr 400 v. Chr. mitten in Indien schwarze Menschen, die sehr klein sind. Sie werden Pyg- mäen genannt, sind stülpnasig und häßlich, gehen ganz nackt und hüllen sich in ihre sehr langen Haare. Sie sind sehr rechtlich und ausgezeichnete Bogenschützen. Plinius erwähnte mehrfach Zwerg- völker in Afrika und Indien. Aus dem Mittelalter sind nur wenige Nach- richten über Zwergvölker auf uns gekommen. In einem dem Bischof I'alladius von Heleno- polis in Biihynien vielleicht fälschlich zugeschrie- benen Werke, das die Reise eines Mannes von Theben in Ägypten nach Ceylon schildert, werden die Bithsades (was wohl eine verstümmelte Form von VVeddas ist) als das kleinste Volk der Insel erwähnt, das in Felsenhöhlen wohnt, sehr geschickt im Klettern über Abhänge ist und durch schwarze Farbe der Haut sich auszeichnet. Der chinesische Geograph Hiuen Thsang, der im 7. Jahr- hundert unserer Zeitrechnung Indien bereiste, be- richtet von dem X'orkommen und der Verbreitung der zwerghaften Yakkhos in der Südostecke von Ceylon. Leo Africanus (eigentlich Alhassan- Ibn-Mohammed Alwazzan) lernte auf seinen Reisen in Nordafrika, die er von 1492 ab aus- führte, in Südmarokko Zwergvölker kennen. Im Id. Jahrhundert brachten portugiesische See- fahrer Nachrichten von Zwergvölkern an der Loango- küste (zwischen Äquator und Kongo). Im 17. Jahr- hundert wurden im äquatorialen Afrika dieDongo angetroffen. In der Mitte des 17. Jahrhunderts erwähnte EtiennedeFlacourt, Direktor der Französisch- Ost-Indischen Kompagnie und Statthalter von Mada- gaskar, in seiner „Histoire de la grande ilc de Madagaskar", daß er die allgemein geglaubten Er- zählungen von dem Vorhandensein von Riesen und Pygmäen auf der Insel für Fabeln halte. Mehr als ICO Jahre später berichtete de Commerson, der Botaniker der Bougainvilleschen Expedition, über das Vorkommen eines Zwergvolkes auf Mada- gaskar, das er Quimos nennt. Er konnte eine etwa 30 Jahre alte Frau dieses Stammes unter- suchen. Sie war 119 cm hoch. Ihre herabhängen- den Arme reichten bis zur Kniescheibe. Sie war heller gefärbt als die gewöhnlichen Neger. Ihre Haare waren kurz und wollig. Die Quimos be- wohnen die höchsten Berge der Insel. Sie gelten als die klügsten, tätigsten und kriegerischsten Völker der Insel. Ihr Mut ist doppelt so groß als ihr Wuchs. Niemais gelang es ihren Nach- barn, sie zu unterdrücken, obgleich sie ihnen durch ihre Zahl und durch den Besitz von F'euerwaffen überlegen sind. Ergänzt wird dieser Bericht durch eine Mitteilung des Gouverneurs de Modave un- gefälir aus derselben Zeit, der eine Expedition zur Entdeckung des Pygmäenlandes unternahm, die freilich erfolglos blieb, ihm jedoch die Überzeugung brachte, daß es auf Madagaskar wirklich ein Zwerg- N. F. III. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 419 volk, das Quimos heißt, gibt. Die Männer sind durchschnittlich iio cm groß, die Frauen noch kleiner. Sie sind dick und untersetzt. Ihre Haut- farbe ist weniger schwarzbraun als die der übrigen Insulaner. Ihre Haare sind kurz und wollig. Diese Berichte über die Quimos und andere Zwergvölker Afrikas wurden mit großem Miß- trauen aufgenommen und fanden wenig Beachtung, denn sie alle stützten sich nicht auf Selbstgesehenes. Seit 1867, wo du Chaillu auf Grund eigener Beobachtungen und Untersuchungen das Zwerg- volk der O b o n g o beschrieb, haben wir sichere Kenntnisse von einer ganzen Anzahl von afrika- nischen Zwergvölkern erhalten. Die anfangs an- gezweifelte Existenz der Obongo wurde durch die Mitglieder der deutschen Loangoexpedi- tion, sowie durch Lenz bestätigt. Schwein- furth verdanken wir die Entdeckung der Akka im Ouellgebiet des Nil. Am Hofe des Königs M u n s a von Monbutta traf er Leute dieses Volkes. Seine Beobachtungen wurden später durch Long, Felkin, Emin Pascha, Casatti, Stanley und S t u h 1 m a n n bestätigt. Die Akka werden von ihren verschiedenen Nachbarn auch Ewe, Tiki-Tiki, Wambutti, Wassumba genannt. Junker traf Zwerge in den Gebieten der Mabode und Momfü, Stuhlmann am Issango und Ituri. Serpa Pinto fand am oberen Kuando die Mucassi quere; Stanley, Wolf und Wiß- mann sahen zwischen den Zuflüssen des Kongo die Batua oder Watwa, Frangois und Gren- feU am Kongo selber die Bapoto, Kund die Bojaeli im Hinterland von Kamerun, Crampel die Bayago nördlich am Ogowe, Bau mann die Watwa in Urundi. Diese Zwergvölker im Innern des zentral- afrikanischen Waldgebietes sowohl, wie im Osten und Westen des Erdteils lehnen sich in ihren körperlichen Eigenschaften eng an die Buschmänner an. Sie alle unterscheiden sich von den umgeben- den Völkerschaften durch eine auffallend geringe Körpergröße. W iß mann maß 40 Batua in den Wäldern östlich des Sankorn und erhielt eine Durchschnittsgröße von 140cm. Frangois fand am oberen Tschuappa die Männer 140, die Frauen 120 cm groß. Stuhlmann beobachtete bei den Akka oder Ewe des oberen Ituri eine Körper- größe von 124 — 150 cm, meint jedoch, daß In- dividuen von mehr als 140 cm nicht als von reiner Rasse anzusehen seien. Lenz fand beiden Abongo die ausgewachsenen Männer 132 — 142 cm groß, die Frauen erheblich kleiner. Nach der Ansicht von Emin Pascha dürfte eine Körpergröße zwischen 130 und 140 cm für die afrikanischen Zwergvölker typisch sein. In den Proportionen macht sich meistens ein Überwiegen des Rumpfes gegenüber den Beinen bemerkbar. Merkwürdig ist die Dünnheit der Gliedmaßen, die im Ver- hältnis zum großen Kopf zu klein erscheinen. Die Körperfarbe ist hellbraun mit stark gelblichröt- lichem Grundton. Die Haare sind spiralig-wollig, meistens etwas bräunlich, selten rein schwarz. Ein zartes Pflaumhaar bedeckt die ganze Haut, die eine auffallende Neigung zur Faltenbildung zeigt. Körperlich sind die Zwergvölker geschickt und von großer Sinnesschärfe. Stuhlmann nennt sie „scheue, hinterlistige und rachsüchtige Wald- kobolde". Alle Zwergvölker sind nomadisierende Jäger, die nur provisorische Hütten bauen. Überall sucht man sie zu verjagen, weil man vor ihren Diebereien nicht sicher ist. Wie sehr sie deshalb von ihren großen Nachbarn gehaßt und gefürchtet werden , schildert sehr hübsch ein Bericht von Dr. K a n d t. Derselbe lautet folgendermaßen : „Im Juli i8g8 befand ich mich auf einem Ring-IVIarsche vom Zusammenfluß des Mkunga und des Nyavarongo um die großen Vulkane herum zum Nord-Kiwu und von dort wieder zurück zum Nyav-arongo. Als ich zwischen der Karissimbi- Gruppe und dem von Götzen bestiegenen Vulkan ein pori passirte, stieß ich auf zwei offene Hütten, d. h. eigentlich nur ein paar Bretter mit Stroh- dach, unter denen noch frische Feuer waren, dicht am Wege, der über den Paß führte. Bevor ich sie sah, bemerkte ich, daß mein Mruanda-Führer, der etwa 50 m vor mir ging, mit geballter Faust einige Schimpfworte ausstieß, nach der betreffen- den Richtung gewandt. Ich fragte nach der Lh-- sachc seines Zornes und erhielt zur Antwort, daß hier Räuber Tag und Nacht lauerten, um einsame Wanderer zu überfallen und zu berauben, Männer zu töten, Weiber und Kinder in Gefangenschaft zu schleppen. Diese Geschichte klang mir natür- lich wie ein Märchen. Indes war aber die Nach- hut erschienen, die, immer von einer größeren Zahl Wanyarunda begleitet, die Lebensmittel zum \'erkauf ins nächste Lager brachten. Ich fragte noch einmal — die gleiche Antwort I ,Was sind diese Räuber für Leute ?' „Watwa". — ,Was sind Watwa?' „Böse Menschen; so groß" — und dabei hielt ein himmellanger Mann seine Hand dicht über den Fußboden. Der Inhalt der weiteren Mitteilungen war dies: „Es gibt zweierlei Watwa, gute und böse. Die guten leben wie die übrige Bevölkerung, sind ansässig, bestellen ihre Felder, betreiben Töpferei usw. ; die bösen nomadisieren im pori, sind Jäger, haben keine Felder, sondern stehlen des Nachts ihren Bedarf. Mit gewissen Dörfern stecken sie unter einer Decke, indem diese sich loskaufen und dafür von ihnen verschont werden." ,Warum sie die Watwa nicht vernichten ?' Allgemeines Entsetzen — fast hätte ich geschrieben Bekreuzigen. „„Die Watwa könne man nicht be- kriegen , sie seien zu böse", und dann folgten einige Schauergeschichten ..." Kandt suchte die Watwa auf Ihre Hütten standen in einer Lichtung des Urwaldes; sie besaßen keine Felder und kein Vieh; er fand aber bei ihnen viele ge- stohlene Lebensmittel und Geräte. Zu den Zwergvölkern sind auch die Busch- männer zu rechnen, denn sie haben eine durch- schnittliche Größe von 130 — 140 cm. Gustav Fritsch, der sie gelegentlich seiner Reise in Südafrika 1863 — 1866 sehr genau studiert hat. 420 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 27 fand bei 6 erwachsenen Männern, die er maß, nicht mehr als 144,4 cm. Das Ausbreitungsgebiet der Busclimänner umfaßte früher so ziemlich den ganzen Südwesten Afrikas und ihre Stämme breiteten sich weit nach Norden und Osten aus. Jetzt aber sind sie in die Gebirge und Wüsten zurückgedrängt. Ihr Hauptsitz ist die Kalahari. Zerstreut finden sie sich noch im Westen des Kaplandes, im Nama- land und bei den Ovambo; in der Gegend des Ngamisees reichen sie bis 17" nordwärts. Neben der geringen Körpergröße fällt am meisten ihre außerordentliche Magerkeit auf. Ihre Glied- maßen sind schlank und dürr. Selbst ihre Kinder zeigen nicht die runden Formen sonstiger Menschen- kinder. Die Muskeln treten unter der rötlich gelben, schlaffen, faltigen Haut deutlich hervor, was den Eindruck des Mumienhaften macht. Ihre Muskeln sind nicht dick, aber äußerst leistungsfähig. Die Buschmänner sind so ausgezeichnete Läufer, daß sie durch ihre Ausdauer und Schnelligkeit das W'ild zu Tode hetzen. Überhaupt sind sie im- stande große Strapazen auszuhalten und leisten im Ertragen von Hunger und Durst Erstaunliches. Die Sinnesorgane sind bei ihnen äußerst scharf entwickelt. Sie führen ein unstätes Jägerleben, ziehen dem Wilde nach, und Frauen und Kinder müssen mit ihnen wandern. Freiheitsliebe, Mut, aber auch Grausamkeit und Rachsucht sind ihre hervorstechendsten Charakter - Eigentümlichkeiten. Sehr auffallend ist ihre Begabung für bildende Kunst, die durch zahlreiche Felsmalereien und Felsskulpturen im Wohngebiete der Buschmänner erwiesen wird. Sie haben auch eine große Vor- liebe für Musik und treten selbst produzierend auf indem sie das schreckliche Instrument, die Gorra, in nervenerschütternder Weise malträtieren. Es liegen mancherlei Tatsachen vor, die dafür sprechen, daß die Buschmänner und die Zwerg- völker früher ein viel größeres Ausbreitungsgebiet in Afrika hatten. So sind vor kurzem in Abydos in Oberägypten bei den Ausgrabungen, die die englische Gesellschaft für die Erforschung Ägyptens unter Leitung von F. Petrie ausführen läßt, neben Schädeln und Abkömmlingen der großen Rassen Afrikas auch solche von Pygmäen aufgefunden worden. 20 Prozent der Schädel gehörten Pygmäen an. Die Schädel stammen aus der Steinzeit Ober- ägyptens und der Metallzeit der ersten Dynastien, also aus der Zeit 4000 — 6000 v. Chr. K o 1 1 m a n n hält es demnach für im hohen Grade wahrschein- lich, ja fast gewiß, daß Homer, Hesiod, Aristo- teles und andere Schriftsteller des Altertums zu- treffende Kunde von diesen Rassenzwergen hatten. An den alten Nachrichten über Pygmäen an den Quellen des Nil ist sicher ein wahrer Kern. Die Zwergvölker sind keine Eigentümlichkeit Afrikas. Sie sind auch in den anderen Erdteilen bekannt geworden. In Indien wurden sie, wie vorher mitgeteilt wurde, schon im Altertum er- wähnt. Eine Reihe von typischen Zwergvölkern ist hier nachgewiesen z.B. in den Nilgiris, wo sie wohlverbürgten Nachrichten zufolge früher eine weit stärkere Ausbreitung hatten, auf Ceylon, in den Gebirgen des mittleren Dekhar, in Ben- galen, auf den Andamanen, auf der Halb- insel Malakka. Zu den Zwergvölkern gehören auch dieNegritos auf den Philippinen, den Suluinseln, Sumatra, Java, Borneo, Flo- res, Timor, Djilolo. Am eingehendsten sind von diesen untersucht die Weddas auf Ceylon von Dr. PaulSarasin und Dr. Fritz Sarasin aus Basel. Aus ihrem ausgezeichneten Werk, das den Titel führt : „Die Weddas von Ceylon und die sie umgebenden Völkerschaften, ein Versuch, die in der Phylogenie des Menschen ruhenden Rätsel der Lösung näher zu bringen," mögen hier einige Angaben mitge- teilt werden. Die Weddas von Ceylon stellen eine der ältesten und tiefststehenden Rassen des Menschen- geschlechts dar, „eine Menschenvarietät, welche an Alter ihre Nachbarstämme weit übertrifft". Diese uralte, kleine und schwarzbraune Rasse lebte in \^orderindien in einer ,,weddaischen Periode", viele Jahrhunderte vor Budda und Christus; andere spär- liche, weniger rein erhaltene Überreste derselben stellen die kleinen peninsularen Weddastämme dar, die einsam und zerstreut in entlegenen Ge- birgswäldern Vorderindiens leben, die Kurum- bas in den Nilgiri Gebirgen, die Kanikaren in den West-Ghats, die Juangs und andere soge- nannte „schwarze Hindustämm e". Alle diese peninsularen Weddastämme gleichen den Weddas auf Ceylon in folgenden Merkmalen : der Wuchs ist klein, die Hautfarbe dunkelbraun, das Kopfhaar lockig oder wellig, der Bartwuchs spärlich, die Nase tief eingesattelt mit breiten F"lügeln, die Gliedmaßen lang und mager, das Skelett zierlich, der Schädel lang und schmal mit niedriger Stirn und kleiner Hirnkapsel. Die mittlere Höhe be- trägt beim Manne 153 cm, beim Weibe 147 cm. Die Kleinheit des Kopfes harmoniert mit der Kleinheit des Körpers, während bei den afrika- nischen Zwergvölkern und den Buschmännern der Kopf etwas zu groß ist, wodurch der zwerghafte Eindruck noch gesteigert wird. Die Weddas bewohnen das Waldland des östlichen Ceylon, das sie als unstätes Jägervölkchen durchziehen. Zum größten Teil haben sie sich bereits ihren kul- tivierten Nachbarn angeschlossen und dürften in absehbarer Zeit völlig unter ihnen aufgehen. Die Zahl der „wilden Weddas" beträgt kaum mehr 300. In Neu-Guinea sind Zwergvölker durch Lauterbach, Kersting und Tappenbeck in einem Teil des Inneren des östlichen Abschnittes der Insel festgestellt. W e u 1 e berichtete im vorigen Jahre über Pygmäen, die er im Stromgebiet des mittleren Ramu antraf Nach Wilhelm Krause gibt es in Australien ebenfalls eine auf weit niedrigerer Kulturstufe als die bisher sogenannten Eingeborenen stehende, kleinere, primitive Urrasse. Auch in Europa sind Pygmäen nachgewiesen N. F. III. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 421 worden. Der seinerzeit hochberühmte, weit- gereiste österreichische Diplomat Herbertstain erwähnt in dem Bericht über seine Reisen nach Moskau in den Jahren 1516 — 15 18 und 1528, daß in dem südlichsten Teil Samogithiens, des heutigen Gouvernements K o w n o, Zwerge neben großen Leuten lebten. Diese Nachricht ist indes sehr unsicher. Sichere Beobachtungen aber sind in neuerer Zeit gemacht worden. In der Schweiz sind an drei verschiedenen Orten Pygmäenknochen in Gräbern der neolithischen Zeit zwischen Knochen großgewachsener Europäer aufgefunden worden. Die in Schweizersbild bei Schaff h ause n aufgefundenen Knochen ließen auf eine Körper- höhe von 135,5, I41A 142,4, 150 cm schließen. Ebenso sind an drei Stellen in Frankreich Skelett- reste von P\-gmäen zusammen mit solchen von großen Personen nachgewiesen worden, die eben- falls der neolithischen Periode angehören. In der neolithischen Station, genannt aux Fees bei Brueil (Departement Seine et Oise\ betrug die Zahl der Pygmäenknochen g",,. In Deutschland sind der gleichen Zeit angehörende P)'gmäenknochen jüngst am Rhein bei Worms und Egisheim gefunden. Der Hocker im Museum zu Worms hatte eine Größe von 144,5 cm; für die Pyg- mäen von Egisheim wird eine Größe von 1 20, 125, 150, 152 cm angenommen. Im vorigen Jahre berichtete T h i 1 e n i u s über prähistorische Pyg- mäen in Schlesien. Die prähistorischen Skelett- reste im Museum schlesischer Altertümer in Bres- lau, die aus der fruchtbarsten Gegend Schlesiens zwischen Breslau und dem Zobten staiimicn, gehören verschiedenen Perioden an, die bei Rot- schloß gefundenen stammen aus der ersten Pe- riode der Bronzezeit, die bei Jordansmühl auf- gedeckten aus römischer- Zeit, die bei S c h w a n o - witz gefundenen aus der slavischen Zeit. Aus der Länge der Oberschenkelknochen wurde für die Pygmäen von Rotschloß eine mittlere Länge 149,6 cm bzw. (für die einer anderen Fundstelle 1 152,3, für die von Jordansmühl von 150,6 cm, für die von Schwanowitz von 142,9 cm be- rechnet. Neben den Oberschenkeln waren ein- zelne Schädel und andere Knochen vorhanden. Die Körperhöhe, die aus diesen berechnet wurde, wich nicht wesentlich ab. Auch in Schlesien finden sich neben den kleinen Individuen \"er- treter einer großen Varietät, allerdings nicht neben- einander wie in der Schweiz und am Rhein. Alle Funde zeigen schlanke, gut geformte, von allen pathologischen Erscheinungen freie Knochen, so daß von Kümmerzwergen nicht die Rede sein kann. Damit ist der Nachweis geführt, da(3 Pygmäen in Europa von den Urzeiten her bis in verhältnis- mäßig neue Zeit vorkamen. Ja sie existieren auch gegenwärtig noch. Sergi und Mantia haben unzweifelhaft festgestellt, daß noch heute in S i z i 1 i e n, namentlich in der Provinz Girgenti Pygmäen leben. N i c e f o r o und O n u i s wiesen lebende Pygmäen auf S a rd i n i e n nach, Leute mit kleinen Schädeln und einer Körpergröße von 1 50 cm im Mittel für Männer (98 Messungen) und 146 cm im Mittel für Frauen (6 Messungen). Auch in einigen östlichen Gouvernements Rußlands ist eine auffallend große Zahl von kleinsten Leuten, von Rassenzwergen, beobachtet worden. Ihrer geringen Körpergröße wegen könnten auch die Lappen hierhin gerechnet werden. V i r c h o w fand bei drei Männern der ersten Gruppe, die er zu untersuchen Gelegenheit fand, eine Durchschnittsgröße von 138 cm. Von einer zweiten Gruppe maß der erste Mann 144,6 cm, der zweite 144, der dritte, der als ,,der kleinste Mann Lapplands" bezeichnet wurde, nur 126 cm. Die P'rau hatte eine Größe von 144,5 cm. Rechnet man alle Größen, die gemessen sind, zusammen, so ergibt sich ein Mittel, daß unter dem aller übrigen europäischen Rassen steht. Wegen des überaus schlechten Ernährungszustandes, der für die Lappen charakteristisch ist, und wegen der starken Runzelbildung der Gesichtshaut, die jüngere Personen alt erscheinen läßt, erinnern sie sehr an die afrikanischen Buschmänner. In Amerika sind von den amerikanischen Anthropologen bisher noch keine Pygmäen nach- gewiesen. Die Angaben von A. v. Humboldt, Martius u. a. über Pygmäen hat Brinton als Fabeln bezeichnet, aber doch wohl mit Unrecht, denn die Gräber in den Ruinen von Pachanamäo und auf dem altberühmten Totenfelde von Ancon enthalten neben Schädeln und Skeletten von großen Leuten auch solche von Pygmäen. Prinzessin Therese von Bayern hat hier eine Anzahl von Schädeln gesammelt und nach Europa ge- bracht. Sie haJDen eine Kapazität von nur 1060 bis I [92 ccm und damit dieselbe Kleinheit wie die Schädel der Weddas, der Negritos, der Andamanen, der Buschmänner und der Pygmäen Europas. Zwei Oberschenkelknochen völlig ausgewachsener Individuen , die mit den Schädeln zusammen den Grabstätten entnommen wurden, ermöglichten die Berechnung der Körper- höhe von 1 16,1 resp. 146,3 cm. Unter den Schädeln der Peruaner sind vielfach sehr kleine Schädel gefunden worden. Pygmäenhafte Schädel sind auch in Chile, West Venezuela und Nevada be- obachtet worden. Lebende Zwergvölker sind in British -Honduras nachgewiesen. Ehren- reich traf unter denBotokuden lebende Pyg- mäen. Porte sah in diesem Volke Leute von 185 cm Größe, daneben aber auch kleine Männer und PVauen, die nur 116— 135 cm hoch waren. Auch auf der Santa-Cruz-Insel und in K a 1 i - f o r n 1 e n ist noch in jüngster Zeit das Zusammen- leben großer Rassen mit Zwergrassen beobachtet. Dr. von W e i k h a m m e r lenkte vor wenigen Jahren die Aufmerksamkeit der Ethnologen und Anthropologen auf die Guayaquf, die mitten in Paraguay noch heute ohne Gebrauch der Metalle leben und als ein Zwergstamm gelten. Sie führen ein unstätes Wanderdasein in den Wäldern der -Serra Maracayü und sind äußerst scheu — 422 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 2; um so mehr als sie in den letzten Jahren ein anthropologisch und ethnographisch begehrtes Ob- jekt und das Ziel auf guten Verkauf spekulieren- der Kopfjäger und Schädel-Spekulanten geworden sind. Der Paraguayer hält sie für Affen oder Schwanzmenschen und umgibt sie mit den üb- lichen Grusellegenden. Von den Kolonisten werden sie gehaßt und verfolgt, weil sie gelegentlich auf Vieh , früher nur Pferde und Maultiere , die sie sehr gerne essen , heute auch auf Rinder Jagd machen. Es kommen und kamen also in allen Erd- teilen Zwergvölker neben großen Rassen vor. Wie sind diese Zwergvölker aufzufassen ? Es stehen sich zwei Ansichten gegenüber. Ein Teil der Anthropologen und Ethnographen betrachtet die Zwergvölker als Rassen, die durch ungünstige äußere Lebensbedingungen herabgekommen sind, und bezeichnet sie geradezu als „Kümmerformen der Menschheit". Der Ausdruck „Kümmerformen" ist bei den Tierzüchtern für Tiere, die in der Größenentwicklung zurückbleiben, gang und gäbe. Veranlassung zu dieser Auffassung gab wohl Virchow. Er wandte sich gegen die Ansicht, daß die sogenannten niederen Rassen in der Ent- wicklung stehen geblieben und zu weiterer Ent- wicklung nicht fähig wären. Er wies nach, daß sie gewöhnlich nichts an sich haben, was dafür spräche, daß sie vielmehr im Gegenteil etwas Greisenhaftes an sich hätten. Er führt dies zurück auf mangelhafte Ernährung, die im Laufe der Jahrhunderte auf die ganze Konstitution einen solchen Einfluß ausgeübt habe, daß sie in ge- wissem Sinne als pathologische Rassen bezeichnet werden könnten. Die Lappen und Busch- männer, die V i r c h o w als pathologische Rassen ansieht, erscheinen uns wegen ihrer außerordent- lichen Magerkeit, wegen der starken Runzelung der Haut, die auch jungen Personen ein greisen- iiaftes Aussehen verleiht, als herabgekommen, als degeneriert. Zugunsten dieser Ansicht spricht die Beobachtung von Euro paus, einem ausgezeich- neten Kenner der Lappen, daß diese unter ver- besserten Lebensbedingungen, wenn sie ansässig und ackerbautreibend geworden sind und sich kräftiger ernähren, im Laufe von ein bis zwei (lenerationen an Größe zunelimen und die über- mäßige Magerkeit verlieren. Neben der schlechten und unzureichenden Ernährung würden auch andere ungünstige Umstände in Frage kommen, so die Anstrengungen und Verfolgungen, die ein Stamm im Laufe der Zeit zu erdulden hat durch das un- aufhörliche Vorwärtsdrängen anderer, stärkerer Vr.lker. K o 1 1 m a n n bezeichnet die Degenerationshypo- these als eine „voreilige Entscheidung" über die Zwergvölker, die unter dem Eindruck der patho- logischen Kümmerzwerge entstanden ist. Alle Be- obachter, die ganz objektiv urteilen, vor allem aber alle, die mit den Zwergvölkern persönlich in Be- rührung gekommen sind, und die ihre Lebens- gewohnheiten studiert haben, sind Gegner der Ansicht, daß die Zwergvölker degeneriert wären. Die Buschmänner werden uns als ganz außer- ordentlich ausdauernde Läufer geschildert. Fritsch sagt in seinem bekannten Werk über ,,die Ein- geborenen Südafrikas"; ,,Der trainierte, sehnige Körper, dessen Muskelkraft beträchtlicher ist, als man meint, macht es ihnen möglich, nicht nur durch andauerndes Laufen wie die Kaffern sich hervorzutun, sondern sie erreichen dabei auch eine verhältnismäßig große Durchschnittsgeschwindig- keit. Sie hetzen zuweilen zu Fuß die Arten des Wildes, welche nicht sehr andauernd zu laufen vermögen." Lloyd und Jo h n st o n betonen, daß die Zwergvölker Afrikas kräftig gebaut und mit gut entwickelter Muskulatur ausgerüstet sind. Von den Nachbarvölkern werden sie, wie gezeigt wurde, gehaßt und gefürchtet. Stuhlmann, der die A k k a oder E w e des oberen Ituri auf der Reise mit E m i n Pascha genauer studierte, glaubt nicht, daß die Zwerge durch Degeneration entstanden seien. Nach Rütimeyer sind die Natur- weddas in ihrer Weise für die Lebensaufgaben vollkommen ausgerüstet, kräftig und gesund, und aus den Schilderungen der Vettern Sarasin geht mit Bestimmtheit hervor, daß dieWeddas nicht degeneriert sind. Kollmann fand an den Knochen- resten von Pjgmäen, die er untersuchen konnte, niemals Degenerationserscheinungen. Sein Beob- achtungsmaterial war ein recht reichhaltiges. Es umfaßte die Skelette der Schweizer Pygmäen, zahl- reiche Skelette aus dem Sarasin'schen Besitz, ein Andamanenskelett, zwei von Emin Pascha nach London gesandte Skelette von afrikanischen Pygmäen, ferner Schädel von Pygmäen aus Sizilien, Afrika, Indien und Amerika. Sokolowsky, ein Anhänger der Degenerationshypothese, bemerkt sehr richtig, daß der ungünstige Einfluß der äußeren Verhältnisse nicht die alleinige Ursache der kümmer- lichen Ausbildung der Zwergvölker sein könne, weil sie oft rings umgeben sind von Volksstämmen, die trotz der gleichen Lebensbedingungen doch die volle Ausbildung aufweisen. Die Degenerations- h\-pothese erscheint unhaltbar. Immer mehr gewinnt die Ansicht an Ver- breitung, daß die Pygmäen nicht verkümmerte Ab- kömmlinge der großen Rassen sind, sondern ge- sunde und wohl entwickelte, jedoch kleine Ab- arten des Menschengeschlechts. Sie stellen eine Urra.sse dar. Aus allen Reiseberichten geht her- vor, daß die Zwergvölker in ihrer Erscheinung etwas Primitives, etwas Ursprüngliches im Vergleich mit den hohen Stämmen haben. Wenn die Annahme, daß die kleinen Rassen durch Degeneration aus den großen sich ent- wickelt haben, unhaltbar ist, so bleibt nur die Möglichkeit übrig, daß die großen Rassen von den kleinen abstammen, denn vom naturwissenschaft- lichen Standpunkt aus kann nicht angenommen werden, daß beide Arten unabhängig voneinander auftreten. Die Annahme, daß die großen Rassen von den kleinen abstammen, steht mit der allgemeinen Er- N. F. III. Nr. 2-] Natui wissenschaftliche Wociiciischrift. 423 fahriing im Kiiiklant^^, daß die großen l'llaiizen und die großen Tiere immer später auftraten als die kleinen. Wie die Riesenamphibien, die Riesen- saurier, die Riesenvögel, die großen Raubtiere, Huftiere und Wiederkäuer sich allmählich aus kleinen Formen entwickelt haben, so sind auch die großen Menschenrassen aus den Pygmäen her- vorgegangen. „Unter den jetzt noch lebenden Menschen- Spezies stehen", wie Ernst Haeckel in seinem Vortrage über den Ursprung des Menschen be- tonte, „nach unseren jetzigen anthropologischen Kenntnissen zwei Pygmäenarten der gemeinsamen längst ausgestorbenen Stammform des Menschen- geschlechts . . . am nächsten. E^s sind dies die W e d d a s auf Ceylon und die A k k a s in Zentral-Afri ka." Kollmann hat neuerdings den X'ersuch ge- macht, einen Stammbaum der Menschheit zu ent- werfen, der von Pygmäen ausgeht. Von einer Urhorde von Pygmäen, die in der Urzeit, wohl schon im Tertiär aufgetreten ist, und die aus gleichartigen Individuen bestand, gingen Abarten von Pygmäen hervor, die durch Haar, Hautfarbe und Form des Schädels voneinander sich unter- scheiden. Es entstand eine Pygmäenart mit wel- ligem Haar (cymotriche), eine wollhaarige (ulotriche) und eine straffhaarige (lissotriche). Diese An- nahme scheint berechtigt, weil es noch gegen- wärtig wellhaarige, wollhaarige und straffhaarige P)-gmäen gibt. Zu den wellhaarigen gehören die Weddas und die indischen Pygmäen, zu den wollhaarigen die afrikanischen Zwergvölker und zu den straft haarigen die amerikanischen Pygmäen. Diese Abarten gelangten durch Wanderung in die verschiedenen Kontinente und hier wandelte sich ein Teil der Pygmäen durch Mutation in einigen Generationen in große Rassen um, die nun neben den kleinen fortbestanden. Das Menschengeschlecht gewann so eine große Mannigfaltigkeit. Es gab nun cymotriche, ulotriche und lissotriche große und kleine Rassen. Um die Diluvialperiode herum traten dann weitere Differenzierungen auf Wir kennen aus dieser Periode Lang- und Kurzgesichter, Lang-, Kurz- und Mittelschädel unter den großen Rassen. Beobachtungen an Pygmäen sind freilich nicht vorhanden. In der Periode, in der wir uns noch gegenwärtig befinden, hat die Gliederung unter den großen Rassen zugenommen; es haben sich Lokalvarietäten gebildet. Es scheint, daß damit die Mutationsperiode einen Abschluß fand, denn seit mehr als loooo Jahren sind keine Ände- rungen mehr aufgetreten. Die Knochenreste aus der paläolithischen und ncolithischen Periode be- weisen dies. Auch für die Pygmäen ist, wie die Funde in den Gräbern zu Abydos in Ober- ägypten, in der Schweiz, in Frankreich und in Schlesien und die lebenden Zwergvölker beweisen, seit der Urzeit keine Veränderung mehr eingetreten. Die Kol Iman n'sche Hypothese erklärt in ungezwungener Weise die Tatsache, daß die wollhaarigen Neger neben wollhaarigen Zwerg- völkern leben, die wellhaarigen Inder und Europäer wellhaarige Pygmäen umschließen, und die glatt- haarigen Indianer und glatthaarigen Pygmäen auf demselben Gebiete vorkommen. Kleinere Mitteilungen. Über die Schutzimpfung gegen Cholera teilt N. Murata, Regierungsarzt in Japan, im Zentralblatt für Bakteriologie (Jena, G. Fischer, Februar 1904) folgendes mit: Die Schutzimpfung gegen Cholera ist von Haffkine in Indien seit 1892 in großem Maßstabe durchgeführt. Haffkine verwendet dazu lebende Cholerabouillonkultur. Danach hat im Jahre 1897 Kolle diese Schutz- impfung in wissenschaftlich exakter Weise studiert. Japan wurde schon oftmals von Choleraepidemien heimgesucht. Jedesmal wurde der Cholerakeim von Ausländern eingeschleppt. So hat das vor- letzte Mal im Jahre 1896 eine große Epidemie in Japan geherrscht; seitdem war Japan mehrere Jahre lang ganz frei von Cholera geblieben. Es wurde im Jahre 1902 nochmals von Cholera heimgesucht. Diese Epidemie war so fürchterlich verheerend , daß fast ganz Süd- und Mitteljapan von ihr beherrscht wurde. Es war das Zahlen- verhältnis der Erkrankten zu den Cieimpften nur 6 ; lOOOO, während das zu den Nichtgeimpften 13 : lOOOO war. Die Mortalität unter den Ge- impften betrug nur 42,5 Proz., während sie unter den Nichtgeimpften 75,0 Proz. ausmachte. Was die Reaktion der Impfung anbetrifft , so war sie niemals von unangenehmen, gefährlichen Erschei- nungen begleitet. H. Kbr. Aus dem Leben der Schlupfwespen. — Es dürfte nicht allgemein bekannt sein, daß auch den „Schlupfwespen", diesen tätigsten Helfern des Menschen im Kampfe gegen die tierischen Feinde seiner Nutzgewächse, die F'ähigkeit zukommt, durch ihren Stich allein schon auf die Beute einzuwirken. Daher seien hier zwei interessante Beobachtungen registriert, die eine solche Einwirkung zu beweisen vermögen. Die eine entnehme ich dem Bericht des Agrikulturentomologen F.. Dwight Sander- son über einige schädliche Raupen (Bull. Nr. 56 vom 20. Juni 1902 der Delaware College Agri- cultural Experiment Station). Hcmcrocampa Icii- cosligina S. u. A., ein Spinner mit stummelflügligen Weibchen, ähnlich unserer Gattung Orygia, tritt in Nordamerika stark schädlich auf Er wird namentlich in Schranken gehalten durch die Schlupfvvespe Piuipla i)iquisitor. Diese legt ihre Eier ab auf die vollerwachsene Hcincrocampa- Raupe, wenn diese sich schon eingesponnen hat. Vorher aber sticht sie nach Sanderson gewöhn- lich mehrmals auf die Raupe ein, „und lähmt sie 4-4 NnlLir wissenschaftliche Wochcnsciirift. N. F. III. Nr. 2; so" („thus benumbing ii"). ECs wäre das also ein ganz ähnliches Vorgehen , wie wir es von den Sphegiden oder Raubwespen her allgemein kennen, die ihre Eier mit einem Vorrat durch Stich ge- lähmter, aber lebender Insekten, Raupen, Fliegen u. dgl. umgeben. .'\uch diese /-"//«//«-Larven zehren nun von außen her an der Raupe oder Puppe! Daß die Waffe der Schlupfwespe, ihr Stachel, auch in ernsthaftestem Kampfe oft dringend ge- braucht werden kann, dafür bietet die zweite Be- obachtung ein höchst anziehendes Beispiel. Pro- fessor Habermehl in Worms hat uns diese Beobachtung, in einem sonst wesentlich systema- tischen Aufsatz ,,über Ichneumoniden" (Zeitschr. f. systematische Hymenopterologie und Diptero- logie, Juli-Heft 1903) versteckt, mitgeteilt. Er erzählt: ,,Am 21. Juni 1900, abends 6'/., Uhr, bei bedecktem Himmel, sah ich im sog. Rosengarten bei Worms, wie sich ein $ der Pimpla ociilatoria F. von den von einem Ulmenblatt herabhängenden Spinnfäden durch heftig zerrende Bewegungen zu befreien suchte, was dem Tierchen auch nach einiger Zeit gelang. Zu meiner großen Über- raschung flog die Schlupfwespe jedoch sofort wieder auf das Ulmenblatt zurück, wo sie aber in demselben Augenblick von einer kleinen Spinne mit weit^gelbem Hinterleib ( Thcridiitiu lincatiiiii] wütend angefallen wurde. Bei näherem Zusehen entdeckte ich dann auf der Unterseite des Blattes die in einem lockeren Gespinste befindlichen Eier der Spinne, auf welche es die SchJupfvvespe offenbar abgesehen hatte. Es entspann sich nun zwischen der ihre Eier bewachenden Spinne imd der offenbar von Legenot getriebenen Schlupf- wespe ein höchst dramatischer Kampf, bei dem ich die Ausdauer der Kämpfenden bewunderte. Unablässig suchte die Spinne ihre Giftklauen in die Wespe einzuschlagen, während diese mit ihrem Legebohrer auf die Spinne einstach. Dabei konnte ich deutlich beobachten, wie die Stiche der Wespe häufig fehl gingen und das Blatt durchbohrten. Immer wieder versuchte die Spinne ihren Gegner durch kräftige Bisse und durch Umwickeln mit Spinnfäden unschädlich zu machen, aber jedesmal gelang es der Schlupfwespe , sich wieder zu be- freien. Endlich , nach etwa viertelstündigem er- bittertem Kampfe schien die Spinne ermattet zu sein. Während sich diese nun nach dem abwärts umgebogenen Rande des Blattes zurückzog, eilte die Schlupfwespe blitzschnell in das Gespinst auf der Unterseite des Blattes und stieß mehr- mals rasch hintereinander den Legebohrer in die Eier der Spinne hinein." Auch hier also eine Punpla , die sich ihres Stachels mindestens zur Wehr bedient, oder auch daneben noch, wie dort, zu einer wirklichen Lähmung der Beute. Es wäre interessant, darüber noch genauere Beobachtungen zu hören. Dr. P. Speiser (Bischofsburg). suchungen wurde von mehreren Seiten, vor allem von H. d e V r i e s hingewiesen ; von großer Wichtig- keit wäre es nun, längere Zeit hindurch unter denselben Lebensbedingungen die Variationskur\-en eines Organismus zu studieren. Von diesem Standpunkt ausgehend studierte ich durch zwei Jahre, und zwar Anfang August bis Mitte September in den beiden bezüglich ihrer Witterungsverhält- nisse ziemlich gleichen Sommern 1901 und 1902, im Böhmerwald bei Karlsdorf die Variation der Randblüten der Centaurea jacea L. und zwar auf zwei Standorten. Der eine Standort, der mit dem Namen ,, schlechte Lebensbedingungen" charak- terisiert sein mag, war eine sandige an einer Stelle nasse Waldwiese in einem schlechten Kieferwald, die im Frühjahr ziemlich lange abgeweidet wurde; das andere Gebiet der variationsstatistischen Unter- suchungen waren mehrere Feldraine guter in der Ebene liegender Felder, auf denen Korn, Hafer und Kartoffeln angebaut wurde. S 9 (O « iZ 13 l'ir /5 (fc il 1» ig ec Zi ZZ iaoj 10 0 iä i.i (ir i5 IC 1^ IS 11) zc m ZU Gute Lebensbedingungen 7902 Variationskurven der Centaurea jacea L. Auf die Bcdcutunw variationsstatistischer Unter- Von den kümmerlich vegetierenden Pflanzen wurden 1901 294 Blüten, 1902 295 Blüten, von den Pflanzen vom guten Standort 1901 251 Blüten, 1902 139 Blüten untersucht. Unter den guten Lebensbedingungen bildeten 1901 die Blüten mit 15 Randblüten das Maximum, 1902 die mit iS Randblüten. Blüten , die von dem schlechten Boden entstammten, besaßen 19OT bei 13, 1902 bei 14 das Maximum. In beiden Fällen erlitt vom Sommer 19OI auf 1902 das Maximum eine Ver- N. 1''. III. Nl. 27 Naiurwissciischaft liehe Wochenschrift. 425 Schiebung nach rechts, die Maxima unterschieden sich, wie aus der Betrachtung der Kurven hervor- geht, auch voneinander. Leider mußte ich aus äußeren^Gründen diese Untersuchungen, die doch hier mitgeteilt werden mögen, aufgeben. S. Prowazek. Über die Sexualität bei den Ascomyceten hat 1'. Dangeard 'j Nachuntersuchungen der von R. Harper beobachteten Vorgänge angestellt, die zu wesentlich verschiedenen Resultaten führen und die Sexualität in ganz anderem Lichte er- scheinen lassen. Bekanntlich wurde schon von De Bary die Behauptung aufgestellt, daß bei Sphaerotheca und ähnlichen Formen eine Befruchtung der Ascogon- zelle statthabe. Von mancher Seite, namentlich vonBrefeld, wurde die Tatsache bestritten, ohne daß aber ein vollgültiger Beweis für und gegen die Sexualität geführt werden konnte. Noch eigentümlicher verhielt sich Pyronema, bei dem die Ascogone trichogynartige Fortsätze tragen, die an das Pollinodium (Antheridium) anwachsen. Trotz genauester Untersuchung konnte Kihl- m a n n eine Durchbrechung der Wandung zwischen Trichogyn und Pollinod nicht auffinden. Infolge- dessen blieb der sexuelle Vorgang bei Pyronema noch mehr in DuuKel gehüllt. Diese beiden viel umstrittenen Objekte waren nun von R. Harper zum Gegenstand der Unter- suchung gemacht worden , die mit allen neueren Hilfsmitteln der Mikrotom- und Färbetechnik durchgeführt wurde. Er wies aus seinen Präpa- raten für Sphaerotheca nach, daß eine offene Vqt- bindung zwischen Ascogon und Pollinod eine kurze Zeit besteht und daß der männliche Kern in das Ascogon hinüberwandert. Es findet dann Vereinigung der Kerne im Ascogon statt, wodurch der sexuelle Vorgang über allen Zweifel gestellt ist. F"ür Pyronema wies er nach , daß das Tri- chogyn in offene Kommunikation mit dem Pollinod tritt, daß aus diesem zahlreiche Kerne in das Ascogon treten und hier nun paarweise Vereinigung der Kerne stattfindet. Also auch hier eine klare und sichere Sexualität! Die Anhänger der Sexualiiätslehre waren natürlich von diesen Resul- taten hochbefriedigt und glaubten damit die Lehre von der Geschlechtslosigkeit der höheren I^ilze endgültig beseitigt zu haben. Zwar hatte A. Möller bereits darauf hinge- wiesen, daß der Jubel verfrüht sei und die Lhiter- suchungen H a r p e r ' s noch keineswegs so fest begründet seien, um die Vernichtung der wohl- begründeten NichtSexualität herbeizuführen. In- dessen fanden seine Ausführungen nicht die nötige Pieachtung, da Beobachtungen fehlten, welche L'n- richtigkeiten in Harper's Beweisführung dar- legten. Allerdings hatte P. Dangeard schon vorher darauf hingewiesen, daß eine offene Ver- bindung zwischen Ascogon und Pollinod bei Sphaerotheca nicht.besteht, aber seine Ausführungen waren von den Sexualisten totgeschwiegen oder höchstens mit Fragezeichen zitiert worden. Nun kommt aber Dangeard mit neuen Untersuchungen der von Harper bearbeiteten Pilze. Trotzdem erst eine \^orläufige Mitteilung vorliegt und die mit Abbildungen versehene Ar- beit noch in Aussicht steht, kann jetzt schon als sicheres Resultat seiner Untersuchungen hingestellt werden, daß eine Sexualität bei den genannten Pilzen nicht vorhanden ist. D a n g e a r d weist in erster Linie nach, daß eine offene Verbindung zwischen Ascogon und Pollinod zu keiner Zeit existiert. Es kann natürlich auch kein Übertritt von Kernen stattfinden, wodurch jede X'orbedingung einer Sexualität fällt. Die von Harper behaupteten Kernvereini- guiigen im Ascogon finden statt, aber wie bei jedem anderen .Ascus als völlig normaler Vorgang. Im jungen Ascus finden sich nämlich stets zu einer gewissen Zeit zwei Kerne vor, die sich erst vereinigen und dann wieder zum Zwecke der Sporenbildung teilen. Den eigentlichen geschlecht- lichen Akt erblickt Dangeard in der Vereinigung dieser beiden Ascuskerne. Ob dieser Vorgang als Sexualität aufzufasseti ist , läßt sich vor der Hand nicht entscheiden und es würde auch für die bisher behauptete Art der Sexualität bei den Ascomyceten belanglos sein , wenn diese Kern- verschmelzung wirklich als geschlechtlicher \'or- gang erwiesen würde. Die Frage der Sexualität bei den Ascomyceten liegt also jetzt wieder so, daß bisher keine einzige Tatsache bekannt ist, die dafür spricht, daß aber alle scheinbar dafür sprechenden Tatsachen als irrtümlich erwiesen worden sind. Harper's Beobachtungen sind damit ein für allemal abgetan und zeigen nur wieder , wie außerordentlich vor- sichtig man bei der Ausdeutung von Mikrotom schnitten sein muf-5. (i. Lindau. ') Le Botanistc 9. ser. Httl I. 1903 (hier dit.- Lilriatur). Über die beiden Eisrücken auf der West- seite des Gaufsberges. — Die deutsche Südpolar- cxpedition hat, neben umfangreichen anderen Materialien von hohem wissenschaftlichen Werte, auch treffliche Photographien mitgebracht, welche z. T. Aufschlüsse über eigenartige Erscheinungen gewähren. Unter den im Januarheft der Zeit- schrift der Gesellschaft für Erdkunde \ervielfältigtcn Bildern ist besonders bemerkenswert die photo- graphische Ansicht des Gaußberges von der West- seite. Dieser Berg — der einzige Punkt anstehen- den Gesteins, welchen die Expedition in ihrem l^berwinterungsgebiete gefunden hat — besteht aus vulkanischem Gestein von verhältnismäßig jugendlichem Aussehen und ragt, auf drei Seiten vom Inlandeise umgeben, nach vorläufiger Messung S66 m über das an seine Nordseite stoßende Meereis. An seiner Westseite liegen zwei moränenartig gestaltete Eisrücken , welche in der Nähe des Felsgipfels beginnen und in der Richtung; des stärksten Gefälles sich bis zum all- 426 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 27 gemeinen Eishorizonte herabziehen. Dr. I^hilippi, welchem wir dieses schöne Bild verdanken, hat in der Sitzung der deutschen Geologischen Gesell- schaft vom 3. Februar d. J. die Vermutung aus- gesprochen, daß in der Gegend dieser Eisrücken einst eine allgemeine Inlandeisdecke lag, welche bis zu dieser erheblichen Meereshöhe den Gaußberg umflutet habe. Wäre diese Vermutung zutreffend, so würde sie von hohem Interesse für die allge- meine Erdkunde sein, weil ja dann bewiesen wäre, daß am Südpol, insbesondere am Kaiser Wilhelm II.- Land, die Vereisung erheblich zurückgegangen wäre, woraus sich ein Festpunkt für die wechsel- seitigen Klimabeziehungen beider Hemisphären ergäbe. In der Tat darf diese Vermutung als sehr wohl begründet gelten, weil sich am Berges- S?3 N tj SJ C/? . :=.■ 3 o So ?^ ■ 03 ^ < N. F. III. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 427 hang Terras.sen finden, deren Einebung auf Inland- eis zurückgeführt werden kann, und insbesondere weil ebendort sich Geschiebe älterer, von dem vulkanischen Material des Gaußberges völlig ver- schiedenen Gesteine finden, deren Herkunft dort nun einem Transport durch Inlandeis zugeschrieben werden darf Für den mit Dünenbildungen Ver- trauten besteht indes kaum ein Zweifel'), daß beide auf der Photographie so deutlich her\-or- tretende Rücken nicht Reste solchen alten Inland- eises sind, sondern daß dieselben ihre Anhäufung, ihre besondere Lage am Bergeshang und ihre eigenartige Gestalt dem Winde verdanken. Sie sind als Schneedünen zu betrachten, deren Schnee durch Druck und eingesickertes Schmelz- wasser vereist sein mag, deren äußere Gestalt mit ihren schmalen Kämmen aber noch in jüngster Zeit durch Winderosion bedingt sein muß. Sie sind somit geologisch jünger als der einstige Hochstand des Inlandeises, welcher die Terrassen des Gaußberges mit erratischen Geschieben be- streute. Bei dem hohen Interesse, welches dem (laußberg und den Entdeckungen der deutschen Südpolarexpedition mit Recht zukommt, glaubte Verf. mit obiger kurzen Bemerkung nicht zurück- halten zu sollen. Prof Dr. Alfred Jentzsch. ') Man betrachte zum Vergleich die Bilder im Handbuch des deutschen Dünenbaues, Berlin 1900, und die darin vom Verf. niedergelegten Bemerkungen über Winderosion , z. B. S. 77 ff- • Namengebung für die Formen des Meeres- bodens. — Der 7. Internat. Geographenkongreß hat im Jahre 1899 bei seiner Berliner Tagung neben anderen Beschlüssen auch den gefaßt, „der Kongreß wolle eine intern. Kommission für die subozeanische Nomenklatur einsetzen mit dem Auftrag, spätestens bis zum Zusammentritt des nächsten Kongresses die Ausarbeitung und Ver- öffentlichung einer berichtigten Tiefseekarte des Weltmeeres zu veranlassen". Der nächste Kongreß wird im Jahre 1904 zu Washington tagen. Des- halb war es Zeit, daß kürzlich die Kommission mit den Veröffentlichungen der vereinbarten Namen für die I'ormen des Meeresbodens hervortrat. Die deutschen Bezeichnungen hat Prof. S u p a n in Peterm. Mitteil. (Bd. 43, S. 151) veröffentlicht; Urheber der französischen Namen ist Lapparent , der eng- lischen Murray. Der Teil des F'estlandsockels, der sich von der Grenze dauernder Meeresbedeckung allmählich bis zur Tiefe von 200 m (100 Faden) senkt, bei wel- cher der Steilabfall zu beginnen pflegt, heißt Schelf, z. B. Britischer Schelf Die Vertiefungen des Meeresgrundes sind Becken, wenn ihre Ge- stalt rundlich ist, dagegen Mulden, wenn sie sich lang hinstrecken, ziemlich breit sind und die Ränder langsam ansteigen lassen, und Gräben, falls sie bei langer Erstreckung schmal sind und steile Ränder besitzen, von denen der an der I'^estlandseite höher sein wird als der, welcher nach dem Meerestrog hin liegt. Dringen Aus- läufer von Becken, Mulden, Gräben in P'estländer oder unterseeische Erhebungen ein , so entstehen Buchten, wenn die Gestalt der Gebilde breit, rundlich oder dreieckförmig ist, oder Rinnen, falls diese Vertiefungen sich lang hinstrecken. Man wird also von der ostaustralischen Bucht, aber von der norwegischen Rinne sprechen. Die Erhebungen des Meeresgrundes, welche unter mäßigen Böschungswinkeln ansteigend bald breit, bald schmal sind und ganz verschiedene Höhenentwicklung zeigen können, heißen stets Schwellen. Sie vor allem gliedern den Boden der Meere, fallen aber ihrer langsamen, flachen Entwicklung halber weniger auf als die Rücken, welche energischer geböscht aber schmaler sind als Schwellen. Steigt eine Bodenerhöhung steil auf, entwickelt sich aber auf der Fläche zu einiger .Ausdehnung, so daß die Breite der Länge gleich- kommt, so handelt es sich um ein Plateau, gleichgültig, ob es rings von Meerestiefen umgeben ist oder sich einem Rücken oder einer Schwelle angliedert, vielleicht ihr aufgesetzt ist. Die höch- sten selbständigen Teile der Erhebungen heißen, falls sie nicht zum Sockel von Inseln oder Fest- land gehören. Höh als Gegensatz zum Tief, welches den eingesenktesten Teil der Vertiefimgen am Meeresboden darstellt. Neben diesen Großformen der unterseeischen Bodengliederung stehen noch Kleinformen : Riffe oder Gründe liegen bis zu 11 m tief dicht unterm Wasserspiegel, Bänke zwischen 11 und 200 m. Kuppen sind Einzelhöhen des Meeres- grundes mit kleiner Grundfläche und steiler Böschung. Der Ausdruck Rücken kehrt noch- mals wieder, insofern er auch für kleine langge- streckte, schmale Erhebungen von unruhiger Ober- fläche verwertet werden soll. Steileinstürze des Meeresbodens von geringer Ausdehnung sollen Kessel heißen, dagegen kanalartige Einschnitte, die senkrecht oder in irgend einem Winkel gegen den Festlandrand sich neigen, Furchen. Dr. F. Lampe. Der veränderliche Stern i Aurigae, dessen Duplizität im vorigen Jahre von H. C. Vogel auf spektrographischem Wege erkannt wurde (vgl. Bd. II, S. 358), ist kürzlich von Ludendorff ein- gehend untersucht worden (Astr. Nachr. Nr. 3918 bis 20), wobei sich die höchst interessante Tat- sache herausgestellt hat, daß der Stern, der bis- her als unregelmäßig veränderlich galt, eine regel- mäßige, aber außergewöhnlich lange Periode von 27,12 Jahren besitzt, was übrigens mit Vogel's auf den spektralanalytischen Befund gestützten Ver- mutungen übereinstimmt. Aus der großen Zahl von Beobachtungen des Sterns, die im vergangenen Jahrhundert durch Argelander, Heis, Oudemans, Schönfeld, Schwab, Plaßmann, Sawyer, Luizet, V. Prittwitz und andere angestellt wurden, konnte Ludendorff mit ziemlicher Sicherheit ermitteln, daß der Stern 25,13 Jahre lang in unveränderter Helligkeit (3,35. Größe) leuchtet. Nach Ablauf 428 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 27 dieser Zeit beginnt das Licht abzunehmen, wird nach etwa 207 Tagen mit 4,08™ wieder für 313 Tage konstant und steigt dann wiederum wäh- rend eines Zeitraumes von 207 Tagen auf die normale Helligkeit an. Die ganze Dauer der L.icht- änderung beträgt demnach rund 2 Jahre. Da die Mitte des letzten Minimums auf den 31. März 1902 fiel, so wird demnach der Stern voraussichtlich erst wieder im Jahre 1928 eine Helligkeitsschwan- kung erfahren. Aus den obigen Angaben folgt, daß die Licht- kurve von 4 Aurigae ihrer Gestalt nach genau dem Algoltypus entspricht, nur übertrifft die Dauer der ganzen Periode sowohl , wie auch die der Ver- finsterung bei weitem die bisher bekannten Fälle regelmäßig veränderlicher Sterne. Es ist bemerkens- wert, daß in letzter Zeit der Bereich, innerhalb dessen die Periodenlängen bekannter, veränder- licher Sterne eingeschlossen sind , nach beiden Seiten hin erheblich erweitert werden konnte (vgl. Bd. II, S. 309), so daß man gegenwärtig Perioden von 4 Stunden aufwärts bis zu 27 Jahren kennt. F. Kbr. E. R a e h 1 m a n n, Ultramikroskopische Unter- suchungen über Farbstoffe und Farbstoff- mischungen und deren physikalisch-ph)-siologische Bedeutung. (V^ortrag, gehalten am 23. September 1903 auf der 75. Naturforscherversammlung zu Kassel). In Nr. 43 N. F". II (S. 515, 26. Juli 1903) dieser Zeitschrift ist darüber berichtet worden, wie die durch die Natur des Lichtes den Mikroskopen gesetzte Grenze, die es ausschließt, Gegenstände von weniger als o,ooo2 mm Durchmesser im Mikroskop scharf zu sehen, von Sieden topf und Zsigmondy bei der Ausnutzung des Mikro- skops dadurch beseitigt worden ist, daß sie auf die Betrachtung eines scharfen Bildes verzichten und das Beugungsscheibchen studieren, das bei so kleinen Gegenständen im Mikroskop sich zeigt. Abstand und I'arbe bleiben ja, also läßt sich das Mikroskop immer noch ausnutzen. Dort handelte es sich um das Studium kleinster Goldteilchen im Rubinglase; Raehlmann, der über seine Unter- suchungen der Naturforscherversammlung in Kassel berichtet hat (abgedruckt in der phys. Zeitschrift 4. Jahrgang, Nr. 30, S. 884 ff., 15. Dez. 1903), hat als Objekt für dieselbe mikroskopische Methode Farbstoffe und Farbstoffmischungen gewählt. Ein erster Vorzug der neuen Mikroskopier- methode zeigt sich darin , daß Farbteilchen , die man bei scharfer Einstellung als ungefärbte, mehr oder weniger dunkle Körper im Wasser schwimmen sieht, bei der neuen Methode, wo sie nicht im durchscheinenden Lichte, sondern im seitlich auf- fallenden betrachtet werden, in ihrer eigenen Farbe leuchten. Man kann also bei der Untersuchung von Farbstoffen auf ihre Reinheit mit der neuen Mikroskopiermethode viel weiter kommen als mit der alten. Bei anderen F"arbstoffen , die auch bisher für rein und einfach galten, wirbelten drei, vier oder noch mehr verschiedenfarbige Teilchen durch- einander. Bei allen bisher üblichen Methoden der Betrachtung haben sie sich wegen ihrer großen Nähe auf demselben Netzhautzäpfchen abgebildet und den Eindruck der Mischfarben hervorgerufen, während man sie jetzt auf verschiedenen Zäpfchen abbilden und dadurch Farbe und Bewegune studieren kann. Die Größe dieser Teilchen geht herunter bis 5 oder 10 /.ifi (d. h. 0,000005 nim oder 0,000010 mm), das ist etwa 0,02 der Wellen- länge des gelben Lichtes; man hat es also mit Körpern zu tun, die Komplexe von nur wenigen Molekülen sein können. Eine fernere Erscheinung, die Raehlmann stu- diert hat , ist das Auftreten einer Mischfarbe ; er hat Grün aus Gelb und Blau gewählt. Daß das Grün nicht dadurch zustande kommt , daß der gelbe und blaue Farbstoff für sich schon ein grünes Element enthalten, das bei der Mischung allein übrig bleibt , während gelb und blau sich zu Weiß ergänzen, folgt daraus, daß solche h'arben wie Preufiischblau und Naphtholgelb u. a. nur einfarbige kleinste Teilchen haben. Während dann bei einigen Farbenmischungen das Mikroskop die gelben und blauen Teilchen noch erkennen läßt, das Grün also erst aus dem Reiz eines Netzhaut- zäpfchens durch die beiden Teile herrührt, gibt es andere Farben, deren Teilchen beim Mischen ihre Farbe ändern , z. B. Preußischblau und Naphthol- gelb. Die Teilchen des Preußischblau sehen ent- sprechend der Verdünnung der Lösung blau, blau- violett oder rotviolett aus, die des Naphtholgelb immer messinggelb. Mischt man nun zwei Lösungen der Farbstoffe, so daß die Mischung deutlich grün erscheint , so erscheinen die violetten Teile des Preußischblau gelbrot und die messinggelbeii des Naphtholgelb grün. Diese beiden Elemente, gelb- rot und grün, geben dann wieder durch Reizung desselben Netzhautzäpfchens den Eindruck der grünen P'arbe. Das physiologische Element der Mischfarbe, der Mischeindruck aus zwei verschie- denen Farben bleibt also auch hier: aber die Farbenänderung der Teilchen bleibt noch zu er- klären. Raehlmann stellt über die Parbenänderung die Theorie auf, daß jedes Teilchen einer Farbe sich mit einer Hülle von Teilchen der anderen P'arbe umgibt, und daß die I-'arbe des Kernes, die durcli die Hülle hindurchscheint, die Mischfarbe gibt; ein Verhalten also ähnlich wie bei den Lasuren in der Malerei, wo die Farbe des Grundes durch eine Oberhaut hindurchscheint. Die Kräfte, die die Peilchen zu dieser Grup- pierung nötigen, mögen elektrisch sein. Bekannt- lich bildet ja das Wasser aus vielen Stoffen, die sich in ihm lösen, Ionen, d. h. elektrisch geladene Atomkomplexe. Dem Wasser also die Kraft zu- zuschreiben, Moleküle elektrisch zu laden, ist nichts Neues, das ist die Grundlage der neuen P-Iektro- Ph)-sik und -Chemie. Um nachzuweisen , daß in N. F. III. Nr. 2 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 429 der Tat hier elektrische Ladungen auftreten , zer- setzte Raehlmann die einfachen Lösungen von Preußischblau und Naphtholgelb und ihre Mischung durch den elektrischen Strom. Dabei zeigte sich, daß der Strom die grüne Mischflüssigkeit am negativen Pol gelb, am positiven grün färbt, außer- dem Wasser zersetzt. Die gelbe Flüssigkeit zeigte unter dem Mikroskop Naphtholgelb fast ganz ohne Beimengung von Preußischblau , aber die gelben Naphtholteile zum Teil zu Ketten und Haufen geballt. Die grüne Polflüssigkeit zeigte über- wiegend gelbrote Teilchen (des Preußischblau mit der NaphtholhüUe). Bei der Elektrolyse einer Lösung von Preußisch- blau sammelten sich die Farbteilchen am positiven Pol an , die Flüssigkeit am negativen Pol wurde farblos. Bei der Elektrolyse einer Lösung von Naphtholgelb trat keine .\nderung der Farbe ein. Hieraus folgt, daß Naphtholgelb ein Leiter der Elektrizität ist, daß die Teile des Preußischblau negativ geladen sind, und daß in der Mischung die Teile des Naphtholgelb positiv elektrisch werden. Also sind alle Unterlagen tatsächlich vorhanden für die Theorie, daß die Mischfarbe durch LTmlagerung der Teile des einen Farbstoffs durch die des anderen zustande kommt. Wenn nun damit die vorliegende Untersuchung zu einem Abschluß geführt ist, so weist sie doch auf viele neue PVagen, die ihrer Erledigung harren. Z. B. wenn bei der Untersuchung von organischen Präparaten gefärbt wird , lagert da der Farbstoff passiv im Gewebe oder wirkt er auf Teile des Gewebes ein ? Wenn eine Mischfarbe dadurch zustande kommt, daß verschieden gefärbte Teile sich auf demselben Netzhautzäpfchen abbilden, welchen Einfluß hat das auf die alte Theorie des Farbensehens, nach der die Farbe dadurch zu- standekommt, daß von je drei zusammengehörigen Zäpfchen das eine oder andere stärker gereizt wird , während gleichmäßige Reizung weiß gibt ? Wenn man hier die Farbteilchen umherwirbeln sieht, überblicken wir da schon lonenwanderungen, oder was ist die Ursache der Bewegungen ? — Man sieht, daß die neue Methode, das Mikroskop zu benutzen, uns noch außerordentliches leisten kann, daß sie eine Tragweite haben kann, die bei den ersten Anfängen nicht zu übersehen war. A. S. Aus dem wissenschaftlichen Leben. /weite Zusammenkunft der freien Vereinigung der systematischen Botaniker und Pflanzen- geographen zu Stuttgart vom 4. — 7. August 1904. — Es findet ein Ausflug nach Hohenheim statt (Besichtigung der interessanten biologischen Anlagen der dortigen landwirt- schaftlichen Hochschule und des Instituts für Pflanzenschutz), ferner eine Besichtigung des botanischen Gartens der Kgl. technischen Hochschule, ein Ausflug nach dem Hohen-Neufi'en und Urach, zwei Glanzpunkten der schwäbischen Alb, ein Ausflug nach Tübingen (Besteigung des Österberges, mit pracht- voller Aussicht auf die Alb , das Neckartal und Tübingen. Hierauf Besichtigung des botanischen Gartens). Zu den Vorträgen mit Lichtbildern , den Besichtigungen, sowie zu den Ausflügen sind auch Damen willkommen. Herren haben zu den Vorträgen nur als Mitglieder Zutritt. Diejenigen Mitglieder, welche für 1904 ihren Jahresbeitrag von 3 Mark bis zum 15. Mai an den Kassenführer, Prof. Dr. Potonic in Groß-Lichteri'elde-West bei Berlin, eingesandt haben, erhalten im Juni das definitive Programm der Zusammenkunft, im Dezember 1904 den Bericht über dieselbe. Vorträge für die Zusammenkunft wolle man möglichst bis I. Juni bei dem Kgl. Botanischen Garten Berlin W, (Irunewaldstr. 6,7 anmelden. An denselben mögen sich auch diejenigen Botaniker und Kreundc der Botanik wenden, welche die .Satzungen der „Freien Ver- einigung" zu erhalten und Mitglied derselben zu werden wün- schen. Nach § s der Satzungen kann jeder Botaniker Milglied werden, welcher von zwei Mitgliedern der Vereinigung vorge- schlagen und vom Vorstand angenommen wird. Bücherbesprechungen. Eduard Strasburger, o. ö. Professor der Botanik a. d. Universität Bonn, Streifzüge an der Ri- viera. iMit 87 farbigen Abb. Zweite gänzlich umgearbeitete Auflage. Illustriert von Louise Reusch. Verlag von (lustav Fischer. Tena 1904. — Preis 10 Mk. Der starke Wechsel von Winter und .Sommer macht uns den Frühling besonders anziehend, bringt uns eindringlich seine Herrlichkeit zum Bewußtsein. Wer's kann, der eilt ihm gern entgegen, um ihn wo anders schon zu einer Zeit zu genießen, in der die rauhere Natur unseres Nordens uns noch in winter- liche Fesseln hält. Und wie schön ist überdies die Riviera: diese Zuflucht des friihlings-Vtedürftigen Men- schen! Ein voller (lenuß ist aber nur möglich, wenn auch der Verstand mitwirken kann ; deshalb vergesse keiner das Buch mitzunehmen, dessen Titel wir oben anzeigen. Es ist so recht dem Erholungsbedürftigen angepaßt. Nicht um schwere Lektüre handelt es sich, sondern um liebenswürdige, leichte Fingerzeige, die jeder, der etwas Neues sieht und Vergleiche mit bereits Bekanntem anzustellen liebt, gern empfängt und aufsucht. Auch ein Führer ist das pi ächtig aus- gestattete Buch Strasburger's, das auf manchen Winkel und Flecken an der Riviera aufmerksam macht, an dem der Wanderer wohl sonst achtlos vorljeigegangen wäre. Daß die Betrachtung der Pflanzenwelt im Vordergrunde steht, kann bei dem Beruf des Ver- fassers nicht AVunder nehmen, aber die Pflanzenwelt zieht auch an der Riviera unwiderstehlich die Blicke und die . . . Neugierde auf sich und man wird dem Verfasser für die Aufschlüsse und die Belehrung, die er in der angenehmsten Form gibt, dankbar sein. Die bunten Abbildungen, die die 2. Auflage schmticken, sind ganz trefflich: eine Verschönerung des Buches und, da es sich vorwiegend um Pflanzen- bilder handelt, eine Erleichterung für das Verständnis derselben. — Das Format des Buches ist so gewählt, daß es unterwegs bequem mitgenommen werden kann. P. Felix Rosen, Die Natur in derKunst. Studien eines Naturfreundes zur (leschichte der Malerei. Mit 120 Abbildungen nach Zeichnungen von Erwin Süß und Photographien des Verfassers.' >. Leipzig (B. G. Teubner) 1903. — Preis geb. 12 M. Verfasser versucht die Verhältnisse der Künstler 430 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 27 zur Natur für einige Hauptepochen der Malerei auf- zudecken und zwar geschieht dies mit derjenigen naturwissenschaftlichen Vorbildung, die hierzu uner- läßlich ist, ohne die ernstlich eine sachgemäße Be- handlung des Gegenstandes Blendwerk bleiben würde. Wir sind überzeugt , daß der unvoreingenommene, wahre Künstler das anerkennen wird. Das Buch Rosen's ist eins, das auch der Naturforscher mit Be- friedigung lesen wird, da die naturwissenschaftliche, d. h. kritische Methodik überall durchgreift: es sind keine oberflächlichen Meinungen, die einem entgegentreten , sondern durch eingehende Unter- suchung und logische Verarbeitung des Tatsäch- lichen erreichte Resultate , die nun auf demselben Wege eventuell zu bekämpfen oder zu bestätigen sind. Auf die in den Kunstwerken dargestellte Natur weist uns Rosen hin : auf die allmähliche Entwicklung des Verständnisses für die Naturbeobachtung. Jeder, der mit Kunstsinn begabt ist, wird sich gern führen lassen und mit Zuhilfenahme der vielen gebotenen, guten .Abbildungen mit Interesse verfolgen, wieviel Zeit und Versuche dazu gehört haben, um die Naturgegen- stände, Pflanzen, das Wasser usw. so darzustellen, wie wir es heute von den Malern gewöhnt sind, wie es der Natur am nächsten kommt : in der „naturalistischen" Darstellung. Der Künstler und der Naturforscher (ins- besondere der Botaniker) werden aus dem Buch An- regung empfangen. P. i) Dr. Richard Hertwig, o. ö. Prof. d. Zool. u. vergl. Anatomie a. d. Univ. München, Lehrbuch der Zoologie. Mit 579 Abb. 6. umgearb. Aufl. (Sustav Fischer in Jena 1903. — Preis ii,5oMk. 2) E. Ray Lankester, A treatise of zoology. Part I. Introduction and Protozoa. Se- cond fascicle. London (Adam u. Charles Black) 1903. — 12 S. 6 p. 3) C.Claus' Lehrbuch der Zoologie, neubearb. von Dr. Karl Grobben, o. ö. Prof. d. Zool. a. d. Univ. Wien. L Hälfte (Bogen i — 30). Mit 507 Fig. Marburg in Hessen (N. G. Elwert) 1904. — Preis 8,50 Mk. 4) Dr. C. Matzdorff, Oberlehrer, Tierkunde f. d. Unterricht an höheren Lehranstalten. Ausgabe für Realanstalten. 5. Teil: Lehrstofi' der Ober-Tertia. Mit 49 Abb. u. i farbigen Karte. 6. Teil: Lehrstoff der Unter-Sekunda. Mit 85 Abb. u. I farbigen Karte. Breslau (Ferdinand Hirt) 1903. — Preis geb. 1,50 und 1,30 Mk. 5) Samuel Schilling's Grundriß der Natur- geschichte. I. Das Tierreich. Zwanzigste Bearbeitung von Professor Dr. H. Rei che n bach, Oberlehrer. Mit 550 teilweise farbigen .A.bbildungen im Text, sowie einer Karte und drei Tafeln in F'aibendruck. Breslau (Ferd. Hut) 1903. — (icb. 4,20 Mk. 6) Pokorny's Naturgeschichte des Tier- reiches für höhere Lehranstalten. Neu bearbeitet von Dr. Robert Latzel. Mit 73 far- bigen Tierbildern auf 24 Tafeln von W. Kuhnert und H. Morin und 283 Abbildungen im Text und I Erdkarte. Sechsundzwanzigste, nach biologischen Gesichtspunkten umgearbeitete Auflage. G. Freytag (Leipzig) 1903. — Preis geb. 4 Mk. Die Werke 1 — 3 sind Lehrbücher zum Studium der Zoologie, 4 — 6 Schulbücher. i) Das Buch von Hertwig hat sich seit 1891, dem Erscheinen der i. Aufl., schnell Freunde erworben und das nicht nur wegen seiner sehr zweckdienlichen textlichen Gestaltung, sondern auch wegen seines sehr billigen Preises und der dabei trefflichen Ausstattung. Es ist so recht ein Buch für jeden, der zoologische Kennt- nisse gebraucht aber nicht in gar zu spezielle Einzel- heiten eingeführt zu werden wünscht. Das Wesent- liche tritt durch das Buch bequem hervor und doch bietet es wieder nicht zu wenig , so daß es durchaus auch für denjenigen als Einführung genügt, der die Zoologie zu seinem F'achstudium erwählt hat. Es haben auch in der vorliegenden Auflage Verbesserungen und zeitgemäße Veränderungen stattgefunden. 2) Eine andere Absicht verfolgt das Lankester'sche Werk. Es will ein umfangreiches, weit ins Spezielle hinausgehende Kompendium der Zoologie werden und wird namentlich da gute Dienste leisten, wo das Bedürfnis nach einem Ersatz einer umfangreichen zoologischen Bibliothek vorhanden ist. Der vor- liegende Teil wurde bearbeitet von J. B. Farmer, J. j. Lister, E. A. Minchin und S. J. Hickson. lüne ganze Reihe von Mitarbeitern ist also an dem auf eine Reihe Bände geplanten Lhiternehmen tätig. 3) Obwohl ebenfalls nur erst zum Teil vorliegend, wollen wir doch die Gelegenheit benutzen, die 1. Hälfte des neubearbeiteten bekannten Claus'schen Lehrbuches anzuzeigen. Es tritt uns in dem jetzigen Gewände textlich stellenweise sehr verändert entgegen. Das Buch ist viel umfangreicher als das Hertwig'sche und dementsprechend teurer. Wir haben vielleicht Gelegenheit, wenn es fertiggestellt sein wird, noch einmal näher auf das Werk zurückzukommen. 4) Die Matzdorff'schen Schulbücher sind gewissen- haft ausgearbeitet. Der V. Teil beschäftigt sich mit einer vergleichenden Beschreibung von Wirbellosen ohne gegliederte Anliänge und bietet eine Übersicht über ihre Verwandtschaft. F'erner ist die Verbreitung der gesamten Tierwelt behandelt. Das Buch ist dis- poniert in die Abschnitte i. Tierbeschreibungen, 2. Erläuterungen und Zusammenfassungen und 3. Tier- verbreitung. Der VI. Teil behandelt den Bau, die Lebenseinrichtungen und die Gesundheitspflege des menschlichen Körpers sowie die Verbreitung des Menschen. 5) Die neue Auflage von Schilling's Tierreich ist im wesentlichen unverändert geblieben ; Reichenbach war aber bestrebt, den sprachlichen Ausdruck mehr und mehr zu verbessern, insbesondere die aus frühe- ren Auflagen herrührende, abgekürzte Darstellungs- weise möglichst zu beseitigen. Auch die übrigen wenig bedeutenden Veränderungen entsprechen zum grüi.5ten Teil ausgesprochenen Wünschen und den \'orschlägen von F'achgelehrten , so die Änderungen in der systematischen .(Xuordnung bei den Pflanzen- tieren, den LTrtieren u. a. Von den älteren Abbil- dungen wurde eine Anzahl durch neue ersetzt. Das Buch bemüht sich ebenfalls die Neuzeit zu Wort N. F. III. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 431 kommen zu lassen, so fanden die immer mehr ücdeu- tung gewinnenden protozoischen Krankheitserreger (der Tsetseparasit nebst der zugehörigen Fliege und der Entwicklungskreis des Malariaparasiten nach Schaudinn) Aufnahme. 6) Wie bei den Matzdorff'schen Büchern, so tritt die Biologie (im engeren Sinne) — besser Ökologie — auch in dem vom Gymnasialdirektor Latzel neu herausgegebenen Pokorny'schen Buch in den Vorder- grund. Der innige Zusammenhang zwischen der Ge- stalt des Tieres und seiner Lebensweise, seiner Färbung und seinem Wohnort etc. wird also bei jeder Gelegenheit hervorgehoben ; Fragen und Hinweise sind eingestreut, um den Schüler zu selbständigem Denken anzuregen. Dr. Karl Scheid, Professor an der Oberrealschule zu Freiburg i. H. , approb. Chemiker, Chemisches E.xperimen tierbuch für Knaben. Mit 78 Abbildungen im Text. Verlag von B. G. Teubner in Leipzig. — Preis geb. 2,80 M. Spielend soll der Knabe eine Anzahl wichtiger Vorgänge aus dem täglichen Leben untersuchen und in fröhlicher Beschäftigung die Grundgesetze der chemischen Wissenschaft erfahren. Die .Anordnung und Auswahl der Versuche ist so getroffen, daß nichts als bekannt vorausgesetzt wird. Vom Leichten zum Schwierigen aufsteigend, werden die in Versuchen gewonnenen Kenntnisse immer wieder von neuem verwertet und vertieft. Dem Sinn und Wunsch der Jugend ist tunlichst durch Auswahl auf- fallender Versuche Rechnung getragen. Beschränkung mußte diesem Streben dadurch auferlegt werden, daß Versuche von zugleich einfacher, belehrender und eleganter Art nicht immer die billigsten und harm- losesten sind. Als Ersatz dafür sind vielfach .An- deutungen gegeben, wie sich einzelne Experimente für harmlose Scherze ausgestalten lassen ; solche Kunst- stückchen finden aber stets sachgemäße Erklärung. Bei der Auswahl der Chemikalien wurde stets auch auf den Preis Rücksicht genommen. Da außerdem teure Gerätschaften sich in der überwiegenden Mehr- zahl der Fälle durch billige Hausgeräte ersetzen lassen, dürfte auch dem Wenigerbemittelten die Gelegenheit zu experimentieren gegeben sein. Das Büchelchen ist als Geschenk für Knaben sehr geeignet. Dr. Julius Schmidt, Privatdozent an der k. tech- nischen Hochschule zu Stuttgart. Die Alkaloid- chemie in den Jahren 1900 bis 1904. Stutt- gart, Verlag von Ferdinand Enke. 1904. Das vorliegende Buch ist als eine Ergänzung und Fortsetzung des im Februar 1900 vom Verfasser er- schienenen Werkes „Über die Erforschung der Kon- stitution und die Versuche zur Synthese wichtiger Pflanzenalkaloide" aufzufassen, stellt aber gleichwohl ein in sich geschlossenes Ganzes dar. — Es ist be- zeichnend für die Bienenarbeit chemischer F'orschung, daß es nicht nur als lohnende Aufgabe gilt, sondern sich geradezu als notwendig herausgestellt hat, die Fortschritte der Chemie in ihren einzelnen Spezial- zweigen während eines relativ kurzen Zeitraums der Entwicklung festzuhalten und von Zeit zu Zeit eine übersichtliche Zusammenfassung zu geben. Lhid dies geschieht denn auch mit umsomehr Berechtigung, als uns heute durch die zahlreichen Publikationen in den verschiedensten, mehr oder weniger leicht zugänglichen Zeitschriften jeder Überblick über ein Spezialgebiet verloren geht. So ist denn auch das vorliegemle Heft Schmidts mit Freuden zu begrüßen, indem es der Verfasser verstanden hat, alle auf die Chemie der Alkaloide bezüglichen neuen Entdeckungen während der letzten vier Jahre (es muß in dem Titel richtiger heißen ,,in den Jahren igoo bis 1903") mit Fleiß zusammen- zutragen, mit Geschick nur das Wesentliche aus der vorhandenen Literatur auszuwählen und gut zu ordnen. Er deutet zunächst an, daß zwar relativ viele der wichtigen Pflanzenalkaloide bezüglich ihrer Struktur noch nicht mit genügender Sicherheit erkannt worden sind, wenn man auch bei einigen, wie den Opium- alkaloiden Morphin , Kodein und Thebain und den Chinaalkaloiden der vollständigen Erkenntnis ihres mole- kularen Baues ziemlich nahe gekommen ist. Bei eini- gen anderen dagegen, wie Nikotin, Atropin und Kokain, Konydrin, Narkotin usw. war es in der neuesten Zeit möglich, die letzten Fragen nach ihrer Konstitution zu beantworten. An der Hand der einschlägigen Literatur bespricht der Verfasser sodann die Fort- schritte in der Erforschung der einzelnen Alkaloide, die er mit Rücksicht auf ihre basischen Bestandteile folgendermaßen klassifiziert ; 1. Alkaloide der Pyridingruppe : Conydrin und Pseudoconydrin, Nikotin, neue Alkaloide des Tabaks. II. Alkaloide der Pyrrolidingruppe : Hyoscin und Atroscin , Atropin und Cocain. Synthesen der Tropingruppe. III. Alkaloide der Chinolingruppe: Chinin und Cinchon, Lupinin, Strychnin und Brucin. IV. Alkaloide der Isochinolingruppe : Papaverin, Laudanosin und Laudanin, Narkotin. V. Alkoloide der Morpholin (?) -Phenanthren- gruppe: Morphin und Codein, Isomorphin und Isocodein, Apomorphin und Apocodein, Thebain. VI. Alkaloide der Puringruppe. Synthese des Theobrorains und Kofteins. Das Buch dürfte auch in weiteren Kreisen einer guten Aufnahme sicher sein , da nicht allein der Chemiker, sondern auch die Vertreter anderer Berufe, wie der Arzt, der Pharmakolog, der Pharmazeut und der Pflanzenphysiologe dem Kapitel der Alkaloid- chemie ihr Interesse entgegenbringen. R. Lb. Briefkasten. Herrn E. K. in Kcibersdorf. — I-'rage: Kann man un- sere deutschen Tritonarten (bes. Tr. vulgaris und alpestris) zur Neotenie veranlassen und wie? — Antwort: Seit den Be- obachtungen von V, Seh rei be rs (Isis, Jahrg. 1833, p. 527fif.) weil3 man, daß .\mphibienlarven über die normale Entwicklungs- dauer hinaus im Larvenzustande verharren können, und um- gekehrt weiß man seit den Beobachtungen von Dumeril am 432 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 27 Axülotl (Ann. Scienc. nat. 5- s«. Zool. v. 7, 1867, p. 229 IT- 1, daß Amphibien, die gewöhnlich die Kiemen dauernd behalten, diese gelegentlich verlieren können, um sich in die sog. Am- blvstomaforra zu verwandeln. Die Larven der ersteren Gruppe erreichen oft eine sehr bedeutende Größe. Besonders häufig scheinen derartige große, überwinterte oder gar mehrjährige Larven bei der Knoblauchskröte vorzukommen (vgl. l'tluger in; PflUgci's Archiv f. d. ges. Physiol. v. 31 p. I34tf l^S>3j- doch kennt man sie jetzt auch von den meisten andern Frosch- lurchen Bei den Schwanzlurchen wird die kiementragcnde Larvenform gelegentlich sogar geschlechtsreif. Unter den heimischen Arten hat man das letztere zuerst {i 861) und am häufigsten bei Molge (Triton) alpestris beobachtet (vgl. de Filippi in: Zeitschr. f. wiss. Zoologie v. 28 p. 73 ff- "nd Camerano in: Atti Acad. Sc. Torino v. 19, 1883, p. 84 f^-) und man darf nach den bis jetzt vorliegenden Beobach- tungen (vc»l. Wolterstorff in: Zool. Garten v. 37, 1896, n 327 ff.) schließen, daß er bei allen Molge - Arten ge- legentlich vorkommt. - Das „Festhalten der jugendlichen FOTra" ist von Kell mann (Zool. Anz v. 7, p. 26b, lb«4) Neotenie genannt und zwar wird eine totale Neotenie , die sich bis zur Geschlechtsreife ausdehnt und eine partielle Neo- tenie die auch bei Froschlurchcn vorkommt und mehrere fahre dauern kann, ohne zur Geschlechtsreife zu führen, unterschieden. - Aus Ihrer Frage ist nicht zu ersehen, ob Sie die totale oder die partielle Neotenie meinen. — Die totale Neotenie ist bei Molge-Arten bisher experimentell nicht erreicht worden. Dennoch liegt kein Grund vor, daran zu zweifeln, daß sie erreichbar ist. Man darf wohl annehmen, daß dieselben Faktoren, welche die Entwicklung verzögern, welche also die partielle Neotenie bewirken, auch zur totalen Neoteme fuhren können. — Was nun die verzögernden und befordernden Fak- toren anbetrifft, so kam Weis mann zu dem Schluß, „daß die meisten AxolotUarven sich in die Amblystomaform um- wandeln, wenn sie im Alter von 6-9 Monaten in so seichtes Wasser gebracht werden, daß sie vorwiegend mit den Lungen atmen müssen" (Zeitschr. f. wiss. Zool. v. 25, Suppl. 1S75, p 302). Bar für th kam an der Hand umfassender txperi- mente, teils in Bestätigung früherer Untersuchungen, zu folgen- dem Resultat: 1) Niedrige Temperatur verlangsamt die Ver- wandlung 21 Mechanische Erschütterungen, wie sie z. B. da- durch hervorgerufen werden, daß zahlreiche Tiere sich in deni- selben Gefäße befinden, verzögern die Verwandlung. 3) Di« letzten Stadien der Verwandlung werden durch Hunger abge- kürzt (Arch. f. mikr. Anat., v. 29, 1887, p. I ff. u. Biol. Zen- tralbl, v. 6, p. 612 ff.). In früheren Entwicklungsstadien wirkt Mangel an Nahrung umgekehrt gerade verzögernd auf die Entwickung ein (vgl. Wolterstorff 1. c. p. 328). — Von einem Amerikaner J. H. Powers wurde in jüngster Zeit unab- hängig (er kannte nämlich die betreffende Literatur nicht) bei Amblystoma tigrinum der Barfurth'sche Punkt 3) be- stätin nannten die Ägypter jene Stadt, die Griechen sagten Heliopolis, die Araber hießen sie Quell des Lichts und wir müssen übersetzen mit Sonnen- stadt. Hier wurde im heiligen Tempel des Osiris im feierlichen Halbdunkel der mächtigen Säulen- grotten wenigen Auserwählten wundersame Weis- lieit gelehrt, die ihren Anfang hatte und ihr Ende in der ewigen Sonne, die alles Irdische bescheint : was ist, das existiert durch sie, was lebt, lebt durch ihr Licht. Und was damals jene klugen und weisen Priester lehrten, das lehren uns heute nach 5 Jahrtausenden die großen Meister der mo- dernen Naturwissenschaft. Auch sie verherrlichen die Allmacht des Lichts, auch ihre Lehre lautet: die Sonne ist der Urquell alles Seins auf Erden. Daß die Sonne Leben verleiht, das zeigt ja jede Pflanze, welche ein trauriges Ge- schick an einen Ort verschlagen, den das Licht der Sonne nicht erreicht, z. B. der Keim einer Kartoffel im dunklen Keller, oder eine dort ver- gessene Tulpen- oder Hyazinthenzwiebel , welche Blätter getrieben hat. Schon die bleiche, gelbliche Farbe des Laubes zeigt Kränklich- keit an , und der sichere Tod tritt selbst bei 434 Naturwissenschaftliche Wochensclirift. N. F. III. Nr. 28 guter Erde und hinreichender Feuchtigkeit bald ein, wenn das belebende Licht keinen Zutritt er- hält. Geschieht dies jedoch, so läßt das Mikro- skop schon nach wenigen Minuten die Entstehung des grünen Farbstoffes in Blatt und Stengel er- kennen. Und erst mit Hilfe dieser ganz, ganz kleinen Körnchen (Blattgrün genannt) ist die Pflanze im- stande, die ihr nötige Nahrung aus der Luft auf- zunehmen. Und bedeckt man auch die üppigste Pflanze vom prächtigsten Grün mit einer undurch- sichtigen Hülle, — bald stellt sich Bleichsucht ein, sie siecht dahin, und wenn die Verdunklung an- hält, stirbt sie den Lichthungertod. Das macht sich übrigens der Mensch zu nutze. Beim Städtchen Elche in Spanien zieht man auf diese Weise elfenbein- weiße Palmwedel , welche in manchen Ländern sehr geschätzt werden. Hier existiert ein Wald von Dattelpalmen, der fast 100 000 Bäume zählt. Moawiah, ein arabischer Feldherr, der sich manchen Lorbeer errungen, pflanzte vor 1200 Jahren die erste Dattel dort in Spanien zur Erinnerung an seine palmenumkränzte Heimatstadt Damaskus. Es bietet das allerdings keinen sehr schönen An- blick, wenn so der zehnte Teil sämtlicher Kronen zu einer gewissen Zeit im Jahre mit dichten Matten umhüllt ist. Hierdurch werden aber jähr- lich Tausende von Wedeln gewonnen, die zu Ostern nach Frankreich, besonders aber nach Italien exportiert werden : denn im Vatikan be- dient man sich Palmsonntags echter Palmen. Aber nicht nur die grünen Teile der Pflanzen sind vom Lichte abhängig : auch manche Samen entwickeln die Keime nur, wenn sie durch das Licht dazu geweckt werden. Das ist bei vielen Gräsern der Fall, z. B. auch bei denen, welche zur Anlage von Rasenplätzen benutzt werden, ferner bei der Mistel, welche auf Bäumen, z. B. Pappeln, Kiefern wächst, und auch die Sporen von Moosen und Farnen keimen nur im Lichte. Aber auch künstliches Licht — nur muß dasselbe intensiv genug sein — bewirkt die Entwicklung der Pflanze. Schon im Jahre 1843 wurden Pflanzen im elektrischen Licht gezogen. Zu jener Zeit bereits stellte Siemens eine Reihe von Ver- suchen an, die er später wiederholt und erwei- tert hat. Es zeigte sich, daß durch direkte Bestrahlung die Blätter welken, daß sie ge- tötet werden, daß das Licht aber, wenn es nur durch eine gewöhnliche Glasscheibe gegangen — welche gewisse, dem elektrischen Licht eigen- tümliche (ultraviolette) Strahlenarten zurückhält — vorteilhaft wirkt. Zwei Gewächshäuser wurden vom Abend bis zum Morgen elektrisch erleuchtet, und das Wachstum wurde bedeutend beschleunigt. Erbsen z. B. hatten schon in 2 Monaten reife Früchte entwickelt, und der Weinstock brauchte vom Ausschlagen bis zur Vollreife nur wenige Tage mehr als 2 Monate. Dabei war die Farbe der Blumen, mit denen experimentiert wurde, eine viel gesättigtere, das Aroma der Früchte soll ein feineres gewesen sein , nur der Zuckergehalt war geringer. Jules V^erne, der phantastische Schriftsteller, er- zählt in einem seiner naturwissenschaftlichen Ro- mane von riesigen Champignons, welche im Innern der Erde dichte Wälder bilden, ein sicherer Aufent- haltsort für gewaltig große Elefanten und mäch- tige Nashörner. Wie überall in seinen Romanen ist Wahrheit mit Dichtung innig vermengt, wo- durch ja diese Schriften auf Laien so verwirrend wirken können, da sie nicht immer die Grenze zwischen abenteuerlicher Phantasie und realer Wirk- lichkeit zu ziehen wissen. Falsch ist, daß Cham- pignons solch kolossale Dimensionen annehmen, richtig: daß sie unter der Erde, fern vom Licht der Sonne existieren können. Keine bessere An- wendung konnte man von den verlassenen Kalk- brüchen bei Paris und den unbenutzten Stollen mancher Kohlenbergwerke Oberschlesiens machen, als daß man Champignonplantagen darin anlegte, welche Winter und Sommer große Mengen dieser geschätzten Pilze liefern. Aber wie fügt sich diese Tatsache der Lehre: Ohne Licht kein Leben? Wollen Sie nur sich er- innern an die Ihnen bekannten Pilze, denken Sie an den hellgelben Champignon, den dottergelben Pfefferling, den roten Fliegenpilz, die dunkelbraune Trüffel, den weißen Überzug des Schimmelpilzes auf Brot, Kartoffeln, Früchten. Und wir kommen der Lösung des Rätsels schon näher: den Pilzen fehlt der grüne Farbstoff, welcher bei allen anderen Pflanzen das Auge so wohltuend berührt, fehlt das Chloro- phyll, wie der Botaniker sagt, welches — durch das Licht angeregt — die Nahrung aus der Luft aufnimmt. Und der Widerspruch mit jenem Naturgesetz ist völlig beseitigt, wenn Sie die Lebensweise der Pilze beachten. Sie wissen, daß die Bakterien, die einfachsten der Pilze, in anderen Organismen leben : die Cholerabakterien im Menschen, die Milzbrand- bakterien im Rinde, ein anderer Pilz bringt an der Kartoffelpflanze, ein anderer an den Getreidearten sehr gefürchtete Krankheiten hervor; und von der Trüffel wissen Sie, daß sie an dem Wurzel- geflecht der Eichen wuchert. Parasitisch nennt man Pilze von dieser Lebensweise. Und bei anderen Pilzen wieder haben Sie bemerkt , daß dieselben in besonders schwarzer Humuserde vor- kommen, welche reich ist an vermodernden Pflanzen- und Tierstoffen. Saprophytisch nennt man solche. Es sind die Pilze also unselbständige Or- ganismen, welche die Existenz anderer voraus- setzen, von den Stoffen sich ernähren, welche jene durch eigene Tätigkeit am Licht gebildet. Ebenso wie die Tiere sind sie schließlich von der übrigen, der chlorophyllhaltigen Pflanzenwelt ab- hängig. Geradezu Lichtfeinde sind manche dieser Wesen; und darauf beruht eine ganz moderne Heil- methode, die der Sonnen- oder Lichtbäder. Das überaus starke Licht, welches mittels gewisser Vor- richtungen auf bestimmte Hautstellen geworfen wird, tötet die pilzartigen Orgainsmen, welche dar- unter wuchern. .So also erklärt es sich, daß trotz des Gesetzes von der Allmacht des Lichts eine Flora der N. F. III. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 435 Dunkelheit existieren kann und wirklich existiert. Ich würde heute gar nicht fertig werden, wenn ich Ihnen alle Pflanzen und alle Tiere aufzählen wollte, welche der lichten Herrschaft des leuch- tenden Helios entzogen, unter Pluto's finsteres Szepter gebannt sind. Denn den lichtscheuen Pflanzen folgen die Tiere in das Reich der Finsternis. Auch sie tragen dann , so wie die Pilze, gewisse Abzeichen der düsteren Heimat an sich. Fast alle sind sie von trüber und dunkler Färbung, die Augen in der Regel bis zur Blindheit verkümmert , oder doch fast unbrauchbar. So rächt sich die Vernachlässigung eines Organs, so endet der Mangel an Übung in Verkümmerung. Sicherer vor Feinden, weniger gefährdet im Kampfe aller gegen alle sind in dunkler Abgeschiedenheit diese Tiere, aber die Welt des Lichts und der P'arbenpracht setzen sie dagegen ein. Allein in einer einzigen Höhle, der Mammuthöhle Kentuckys, die allerdings eine ganz bedeutende Ausdehnung besitzt — man hat sie bis auf eine Länge von 30 km durchforscht, 200 Verzweigungen hat man da ge- funden, 5 domartige Erweiterungen, 8 Wasserfälle — allein hier fand man eine reiche Fauna blinder Fische und Krebse, blinder Spiimen und Insekten, blinder Würmer, Muscheln und Schnecken; als Ausnahme allerdings einige mit ganz nutzlosen, überflüssigen Augen ; von einer Käferart war nur das Männchen sehend , das Weibchen blind. Für die unterirdi- schen Flüsse des Karstgebirges ist der augenlose, blaßgefärbte Olm das charakteristische Tier, in den tiefen Brunnen Münchens lebt eine völlig blinde Schneckenart und in den Höhlen der ost- asiatischen Inseln fand man sogar blinde Heu- schrecken. Aber wenn auch diese Kinder der Nacht sich der Herrschaft des Lichts zu entziehen suchen, um so sehnsüchtiger streben die Wesen des Tages dem belebenden Lichtstrahl zu. Der schlanke Stengel der Zimmerpflanze wendet sich dem Fenster, der Lichtquelle zu, und immer wieder geschieht das, wie oft auch die Stellung des Blumentopfes geändert wird. Heliotropismus hat die Botanik diese Eigenschaft der Pflanzen genannt. Und alle Pflanzen streben dem Lichte zu, der verholzende Stamm der mächtigen Tanne und der knorrigen Eiche ebenso, wie der schlanke Stengel der Lilie oder der Hyazinthe. Und ist er selbst zu schwach dazu, seine Sehnsucht nach dem Lichte zu stillen, so windet, rankt, klimmt oder klettert er an anderen in die Höhe. So klettern viele Rosenarten mit ihren Stacheln, der Hopfen klimmt mit seiner starren Behaarung, der Efeu mit kleinen Wurzeln, welche an der Rinde des Baumes oder den Ziegeln derMauer festhaften, Kletterwurzeln heißen sie. In den düstern Lirwäldern Mittel- amerikas ringt sich die Vanillenpflanze mit Luft- wurzeln, welche fast ^2 ^n lang werden, an den Baumriesen in die Höhe, um ihren Laubblättern das nötige Licht zu verschaff'en. Das Philodendron, das dort ebenfalls seine Heimat hat, die bekannte Zimmerpflanze mit den eigentümlich durchlöcherten Blättern, klettert mit Luftwurzeln, welche viele Meter lang werden können, dem belebenden Lichte zu. Der edle und der wilde Wein gebraucht Ranken zu diesem Zweck, deren Enden durch einen sehr zähen Klebstoff' sich an der Mauer oder dem Spalier festkitten, mit solcher Kraft, daß eine Ranke, die schon 10 Jahre lang dem Wind und dem Wetter getrotzt, noch 5 kg zu tragen ver- mochte, ohne abzureißen. Die Passionsblume, der Kürbis und sehr viele andere schwache Pflanzen senden Ranken aus, welche sich stetig im Kreise drehen, so daß sie eine Stütze finden, manchmal mit einer Schnelligkeit, daß die Spitze in i Stunde mehr als ';., m dabei zurücklegt. Die leiseste Be- rührung veranlaßt die Ranke sich zu krümmen, also den berührten Gegenstand festzuhalten. Darwin hat z. B. mit den Ranken der Passionsblume ex- perimentiert; er fand, daß das sehr geringe Ge- wicht eines feinen Drahtes, das darauf gehängt wurde, schon nach 30 Sekunden die Ranke zur Biegung veranlaßte, und während zweier Tage reizte er 20 mal dieselbe Ranke, ohne daß sie auch nur ein einziges Mal den Reiz unbeantwortet gelassen hätte. Merkwürdig ist hierbei, daß der Druck, den die Ranken aufeinander ausüben, nicht vom geringsten Einfluß ist, und daß auch fallende Wassertropfen völlig wirkungslos sind, wodurch die Pflanzen jedenfalls vor vielen Irrtümern und unnötiger Arbeit bewahrt werden. Die Bewegungen der Pflanze werden ja meist so durch das Licht beeinflußt, daß die Pflanzen- teile sich der Lichtquelle zustrecken , manchmal aber auch in der Weise, daß sie sich vom Licht abwenden : negativ nennt der Botaniker diese Art des Heliotropismus. Der Wein sendet seine Ranken der dunklen Seite des Spaliers zu, als ob er wüßte, daß er nur hier die gesuchte Stütze finden könnte, aber auch auf einem Weinberge recken sich die meisten Ranken nach Norden hin. Auch die Unterseite seines Blattes ist negativ licht- empfindlich. Wird es mit Gewalt umgedreht, so wendet es sich in höchstens zwei Tagen in seine normale Lage zurück, um mit der chlorophyll- reichen Oberfläche das belebende Licht aufzu- fangen. Schlafstellung nennt man es, wenn die Blätter in der Dunkelheit der Nacht eine andere Stellung annehmen als am Tage, was Plinius schon vor 1800 Jahren beobachtet hat, und für den Klee :. B. und die Mimose erwähnt. Auch die feinen 'oren in der Blattfläche, die Spaltöfihungen, welche in außerordentlicher Anzahl die Oberhaut durchsetzen, um der Luft und dem Wasserdampf die Zirkulation zu verstatten, haben Schlafstellung, d. h. sie schliel3en sich in der Nacht mehr oder minder vollständig. Hierdurch wird das Ver- dunsten des Wassers fast ganz aufgehoben. Zu welch bedeutender Leistung dieses im Tages- lichte anwachsen kann, ergibt sich z. B. daraus, daß ein kleines Stückchen Buchenwald von nur i ha Aus- dehnung, dessen aneinandergelegte Blattflächen etwa 8 ha einnehmen würden , während eines 436 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. V. III. Nr. 28 Sommers 3 Millionen kg Wasser aushaucht, eine Wassermasse, welche den Boden des Waldes 30 cm hoch bedecken würde. Bei anderen Pflanzen ist das Aufsaugen des Wassers und die Transpiration noch bedeutender. So kultiviert man in Rußland Sonnenblumen und pflanzt in Italien Eukalyptus- bäume an, um Moräste auszutrocknen. Die Schlafstellung der Blätter hat für dieselben ganz besondere Vorteile. Denn es haben die Blätter nicht nur u m die Sonnenstrahlen, sondern auch gegen dieselben zu kämpfen. Während bei ge- wöhnlichem Tageslicht das Blattgrün für den Or- ganismus der Pflanze nützlich und vorteilhaft wirkt, die Baustoffe und die Nahrung bereitet, so wirkt das grelle, ungeschwächte Sonnenlicht schädlich, dies baut nicht auf, es reißt nieder, es zerstört. Von den einheimischen Bäumen ist es die Robinie, sie wird hierzulande fälschlicherweise immer Akazie genannt, bei der die Schlafstellung ihrer Blättchen am auffallendsten ist. Die wohl- tätigen, nicht zu starken Strahlen der Morgen- sonne treffen die während der Nacht abwärts gerichteten Blättchen des zusammengesetzten Laub- blattes senkrecht; allmählich heben sich die Blättchen, so daß die hohe Mittagssonne sie nur sehr schräg, also mit schwacher Wirkung trifft; mit dem sinkenden Tage senken auch sie sich wieder, so daß sie noch zum vollen Genuß der nun wieder senkrecht auffallenden Strahlen der milden Abendsonne gelangen. Hindert man die Blättchen jene Schutzbewegung auszuführen, so ist es zu ihrem Verderben, sie welken. Auch niedere, ganz einfach gebaute Pflanzen zeigen solche schützenden Bewegungen. Bei einer Algenart, welche als grüne Fäden im Wasser lebt, bildet das Chlorophyll im Innern des röhren- förmigen Körpers ein spiraliges Band. Sowie ein Strahl Sonnenlicht die Pflanze trifft, zieht sich das Chlorophyllband knäuelförmig zusammen, um bei verminderter Bestrahlung sogleich sich wieder aus- zudehnen. Besonders in der Jugend ist das Chlorophyll der Pflanzen, wie Experimente ergeben , gegen ungeschwächtes Sonnenlicht sehr empfindlich. Da- her ist es für die jungen Blätter ein großer Vorteil, daß sie eingerollt sind, wie bei vielen Gräsern, oder daß sie aufrecht stehen, beim Krokus, der Tulpe z. B., oder daß sie mit einer starken schützen- den Haar- oder Wollschicht bedeckt sind, oder daß sie ihr Blattgrün mit einem rotbraunen Farb- stoff umhüllen — denken Sie nur an das junge Laub der Pappeln und des Ahorns. In sehr merkwürdiger Weise suchen die Blätter mancher besonders empfindlichen Pflanzen der über- mäßigen Bestrahlung auszuweichen, sie stellen sich senkrecht, d. h. so, daß ihre Flächen nicht nach oben und unten, sondern nach links und rechts gerichtet sind. Wir könnten sie einer Wetterfahne ver- gleichen, in Stellung und Bewegung: wie diese den Weg des Windstromes anzeigt, geben jene die Richtung des stärksten Lichtstromes an. Da dieser nun von Süden nach Norden zieht, so sind auch die Blätter in nordsüdlicher Richtung gestellt. Kompaßpflanzen nennt man sie sehr bezeichnend. In den endlosen Prärien Nordamerikas ist eine der Sonnenblume ähnliche, doch kleinere Pflanze, Silphium heißt sie, Jägern und Nomaden bei be- decktem Himmel ein sicherer Wegweiser. Aber auch die einheimische Flora weist eine Pflanze auf, es ist das eine Verwandte des bekannten Gartensalats: Lactuca scariola, welche ihre Blätter ebenfalls senkrecht stellt und sie von Norden nach Süden orientiert. Stets gibt sie genau die Himmels- gegenden an, wenn sie an einem vollkommen freien Standorte wächst; doch die Nähe eines Baumes, eines nahen Strauches schon, kann durch den Schatten die Exaktheit der Erscheinung stören. Für das Chlorophyll und seine wichtige Leistung im Lichte — hängt von ihm doch die Existenz der gesamten Pflanzen- und Tierwelt ab — ist nun Ihre Aufmerksamkeit so vielfach in Anspruch ge- nommen, daß es wohl erlaubt wäre, Ihr Interesse einer Frage zuzuwenden, welche für Botaniker wie Zoologen von gleicher Bedeutung ist. Nämlich : kommt Chlorophyll auch in Tieren vor? Die höheren Tiere sind hierbei natürlich nicht gemeint ; es handelt sich um kleine, schleimige Wasser- bewohner. Hätten Sie vor einigen Jahrzehnten einen Naturforscher hiernach gefragt, so würden Sie die Antwort erhalten haben: das ist eine all- bekannte Sache, Blattgrün findet sich in niederen Tieren; und er hätte Ihnen eine ganze Reihe Chlorophylltiere aufgezählt. In neuerer Zeit jedoch entdeckte man, daß die kleinen grünen Körnchen in vielen Süß- und Salzwassertieren kleine Pflänz- chen sind, richtige, wirkliche Pflänzchen : Algen sind es; und lustig und vergnügt leben Algen und Tiere in einem Organismus zusammen, ohne daß sie sich hierbei gegenseitig im geringsten inkommo- dieren. Die Algen werden nicht verdaut, das Tier stirbt nicht an einer Infektionskrankheit. Im Gegen- teil! Diese Kombination aus Pflanzen- und Tier- reich gedeiht viel besser, als wenn beide Organismen- arten getrennt lebten. Denn die Kohlensäure, welche das Tier absondert, machen sich die Algen mit ihrem Chloroph\']l sogleich zunutze, während der von ihnen ausgeatmete Sauerstoff direkt dem Tiere wieder zugute kommt. Symbiose nennt die Naturwissenschaft dieses Zusammenleben. Wenn aber, wie wir gesehen, Stengel und Blätter der Pflanze durch das Licht zu Bewegungen angeregt werden, so ist dies noch viel auffallender bei den Blüten; eine Erscheinung, welche schon seit alter Zeit bekannt ist. Clytia, so erzählt nämlich Ovid, Clytia war eine niedliche Nymphe ; die hegte heiße und innige Liebe zum Sonnengotte. Doch der stolze Helios wandte sich ab von ihr. Da brach der Armen das Herz ; aber gütige Götter verwandelten sie in eine zierliche Blume. Die nannten die Menschen später Heliotropium. Aber noch nach der Verwandlung blieb ihr die Liebe, und täglich schaut sie mit ihren Blüten dem Geliebten nach auf seiner hohen Bahn. So er- klärt uns Ovid die Lichtsehnsucht der Blumen. N. F. III. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 437 Plinius, der kühlere Naturforscher, macht auf die belebende Kraft des Lichts aufmerksam und gibt die Bewegung der Blüten für eine Anzahl von Pflanzen an. Schon ^Theophrast, der würdigste Schüler des großen Aristoteles, erzählt \'on der Lotosblume: Auf den Wellen des Euphrat prangen des Lotos herrlich gefärbte Blüten. Beim ersten Strahle der Morgensonne taucht der Kelch aus der Wasserfläche empor und erhebt sich, wenn die Sonne hoch steht, über die Wellen ; dann neigt sich die Blume wieder, und, gegen Westen ge- wendet, sinkt sie mit scheidender Sonne zurück in die Flut. Es ist also, nach Theophrast dem Naturforscher, nicht richtig, wenn der Dichter sagt: die Lotosblume fürchtet sich vor der Sonne Pracht und mit gesenktem Haupte erwartet sie träumend die Nacht. Aber schön klingt das doch. Und das ganze Altertum kannte den Lotos als Licht- blume und als Symbol des Lebens. Lakschmi, die Lebensgöttin der Inder, taucht aus dem Milch- meere auf, eine Lotosblume in der Hand. Homer läßt die ewigen Götter in den lichten Höhen, auf Krokus und Lotosblumen gelagert, ihren seeligen Freuden sich hingeben, und die Ägypter zierten die Tempel ihrer unsterblichen Götter mit Lotos- bildern und Lotosskulpturen; ist doch auch eines der alten Schriftzeichen, der Hieroglyphen, mit denen die damaligen Ägypter ihr Land bezeich- neten, ein Lotoszweig mit 5 Blumen. Und wie viele solcher Lichtblumen ließen sich noch nennen: die blaue Cichorie des Herbstes, die Wegwarte, der gelbe Löwenzahn des Frühlings, vor allen die Sonnenblume selbst : die sich be- ständig in suchender Sehnsucht zur Sonne hin- wendet und selbst ihr Bild ist. Mirabilis, die Wunder- same, heißt eine tropische Pflanze, weil ihre Blumen- blätter am Abend sich so kraus verzerren, daß die Blüte verwelkt aussieht; der erste Morgenstrahl gibt ihr die Jugendfrische zurück. Eine andere Pflanze zieht am Abend Blätter und Blüten so dicht an den Stamm, daß sie einem Stück trockenen Holzes ähnlich sieht. Regenblume heißt eine andere, weil jede Wolke, welche die Sonne ver- dunkelt, sie sofort zum Schließen veranlaßt. Manche aber schlafen so leise, daß selbst schwaches Licht fähig ist, ihren Schlaf zu stören, wie den Krokus Lampenlicht schon erweckt. Andere Blumen deuten auch durch Farbenänderung ihren Schlummer an. So färbt eine Art Nachtkerze dann ihre sonst weiße Blume tiefrot; vielleicht träumt sie jetzt von dem schimmernden Falter, der sie im .Sonnen- schein so oft besuchte, um süßen Nektar zu schlürfen. Doch es gibt auch lichtscheue Blüten. Diese entfalten sich dann in der Nacht und strömen ihr starkes Aroma nur während der Dunkelheit aus. Selten sind sie bunt, meist weiß, grünlich oder trüb von Farbe, und — gleich und gleich gesellt sich gern — ihre Freunde sind die auch meist trüb gefärbten Nachtfalter, welche den Blütenstaub von Blüte zu Blüte übertragen. Andere dieser Sonnenfeinde kriechen sogar unter die Erde. Bei der Erdmandel erreichen die Blumen ihr Ziel, indem die Blütenstiele durch spiraliges Aufrollen sich mehr und mehr verkürzen, und nur diejenigen reifen Samen, denen das Eindringen in die Erde gelungen. Manche Pflanzen haben zweierlei Blüten : große, farbige, oberirdische, welche vielfach un- fruchtbar bleiben, und kleine fruchtbare, welche unter der Erde blühen und Samen entwickeln. Aber nicht nur einzelne Teile der Pflanzen werden durch das Licht zu Bewegungen angeregt. So gibt es ein winziges stäbchenartiges Pilzchen, ein Bakterium , von dem mehrere Tausend der Länge nach zusammengelegt erst i cm ergeben. Wird das Gläschen, auf dem man es in einem Wassertropfen unter dem Mikroskop untersucht, verdunkelt, so macht es wie verdutzt sofort in seiner gleitenden Bewegung halt, es verfällt in Dunkelstarre. Ein schwacher Lichtstrahl, den man auffallen läßt, belebt es wieder, je mehr Licht, um so schneller gleitet es weiter. Und der geringste, dem Auge kaum merkbare Lichtwechsel ändert die Schnelligkeit seiner Bewegung sofort, daher der Name: „Bacterium photometricum, das Licht- messende". Und wie dieses, so werden auch andere kleine Pflanzen, sogar niedere Tiere, In- fusionstiere besonders, durch die Bestrahlung zur Fortbewegung veranlaßt, und nach der Seite des Aquariums hingezogen, welche der Lichtquelle am nächsten. So spendet überall in der Natur Licht : Leben ; doch auch das Umgekehrte gilt: es bewirkt Leben Licht. Plinius erzählt in seiner Naturgeschichte, welche aus 37 Büchern besteht, daß manche Muscheln mit solchem Lichte glänzen, daß im Finstern Feuertropfen aus dem Munde derjenigen herauszuträufeln scheinen, welche sie essen. Er erzählt, daß ein einziges Exemplar der Bohr- muschel *4 Pfund Milch, in welche es gebracht wird, so hell aufleuchten läßt, daß die Gesichter der Umstehenden im dunkeln Zimmer deutlich sichtbar werden. Schon Aristoteles, der geniale Grieche, hatte solche Erscheinungen mehrfach be- obachtet; er gibt ganz richtig an, daß Fisch- schuppen, Augen und Köpfe von Fischen, faulen- des Holz und Hörn stark leuchten. Linne be- hauptete, daß auch Eulenfett leuchtet; und über das Leuchten von Fleischarten, welche in der Küche V^erwendung finden, liegen Abhandlungen seit 300 Jahren vor. Besonders häufig wurde das Licht an Fischfleisch bemerkt, welches manchmal fast 8 Tage in unverändertem Glänze strahlte. Die Ursache beruht, wie das Mikroskop offenbart, auf der Vegetation von Bakterien, die sich ja trotz ihrer Kleinheit überall bemerkbar machen. Das Leuchten läßt sich auch auf andere Fleischstücke überimpfen, die Erscheinung ist also ansteckend — der Gesundheit übrigens gar nicht schädlich. Cucujo heißt ein Käfer Mittelamerikas, der auf seinem Rücken 2 Flecke besitzt, die bei der Dunkelheit ein so starkes Licht ausstrahlen, daß man Geschriebenes dabei bequem lesen kann. Die Indianer sollen sich, wie Reisende erzählen, was aber jedenfalls in das Reich der Fabel zu 438 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 28 verweisen ist, die Käfer an die Füße binden, um in der Nacht den Fußpfad durch das Walddickicht erkennen zu können ; aber amerikanische Damen nähen die Käfer in feinmaschigen Tüll und schmücken sich damit zu nächtlichen Gartenfesten. Sogar von leuchtenden Ufern und lichtstrahlenden Quellen erzählen römische Dichter (Ausonius und Martial), und wenn es auch heißt: Märchen noch so wunderbar, Dichterkünste machens wahr — es ist dies kein Phantasiegebilde, keine dichterische Überschwenglichkeit. In der Grafschaft Aosta in Oberitalien existierte eine solche Quelle, deren Ufer bei jeder Berührung durch einen Fußtritt, einen Spatenstich in der Nacht mit überraschen- der Helligkeit aufleuchteten, was natürlich auf das Vorhandensein kleiner lichterzeugender Organismen beruhte. Wenn auch schon aus früherer Zeit einige un- klare Andeutungen vorliegen über die glänzendste Lichterscheinung lebender Organismen, welche die Erde bietet, so war es doch zuerst der berühmte Abenteurer Amerigo Vespucci, dem ja Amerika seinen Namen verdanken soll, der das Meerleuchten genauer beobachtet und beschrieben hat. Ver- geblich bemühte man sich diese Erscheinung zu erklären, sogar kosmische Ursachen, d. h. die Ge- stirne, zog man zu Hilfe. Erst vor wenig mehr als 100 Jahren erkannte man, daß das Licht dem Leben im Ozean entstammt, denn eine große Anzahl Meertiere besitzt Leuchtvermögen. Die Sajpen z. B., fast durchsichtige, schleimige Tiere, deren merkwürdige Entwicklung zuerst Chamisso er- kannt hat, dann sind es Medusen, Polypen, In- fusorien, welche einzeln wenig leuchtend, aber zu vielen Milliarden zusammenlebend das Meer grün, blau, rötlich funkeln lassen, besonders da, wo es an Felsen und Klippen sich bricht, wo es an die Wände des Schiffes schäumt — und einen langen feurigen Streifen hinterläßt der Kiel, der die leuchtenden Wogen furcht. Wenn das klassische Altertum die volle tropische Pracht dieses Phä- nomens gekannt, wie ganz anders hätte dann Hesiod in seiner Götterschöpfung die Aphrodite dem Meeresschaum entsteigen lassen. Aber, was ist alles Licht der erwähnten Leucht- tiere gegen den Glanz der Feuerwalze, Pyrosoma, deren i^/., m langer Körper Funken zu speien scheint, wenn er berührt wird. Auf dem schon leuchtenden Körper hebt sich in strahlendem Lichte ein Namenszug ab, den der Finger sanft überstreichend beschreibt. Schon in alter Zeit muß man solche feuersprühenden Tiere gekannt haben; sagt doch der Dichter des Buches Hiob vom Liviathan: Seine Nüstern strahlen Licht und seine Augen gleichen des Frührots Wimpern, aus seinem Rachen gehen Fackeln, Feuerfunken sprühen hervor. Die Märchen erzählen uns von dem wunder- baren Reiche der Undinen, welches sich tief unten auf dem Meeresgrunde ausdehnt, bevölkert mit Wesen von ganz besonderer Natur. Solch ein wunderbares Reich erschloß sich dem Forscher, als er seine Untersuchungen bis zu des Meeres Quellen ausdehnte und das Innere der Tiefen durchspähte. Vor wenigen Jahrzehnten noch hielt man die Abgründe des Ozeans für tot, jedes Lebens entblößt. Da wurde 1872 die Challengerexpedition für Tiefseeforschung ausgerüstet, und 4 Jahre lang durchkreuzte sie die Ozeane. Eine neue Welt wurde entdeckt. Aber die Arbeit war auch eine außerordentlich schwierige. Ein einziger Zug mit dem Schleppnetz nahm bei 6 km Tiefe einen ganzen Tag, vom frühesten Morgen bis späten Abend, in Anspruch, und dann hatte man doch vielleicht nichts anderes als Schlamm gefischt; und die winzigen zarten Tiere wurden, noch unsicherer, durch beschwerte Büschel von Hanffäden an das Licht befördert. So fand man aber, daß das Leben nach der Tiefe wohl abnimmt, daß es aber, selbst in Meerestiefen von mehr als 8 km, nirgends fehlt. Viele dieser Tiere sind blind und ersetzen den mangelnden Sinn durch mächtig lange Fühlfäden. Bei einigen sind die Augen, man sieht wie merk- würdig die Natur manchmal scherzt, in lange Stacheln umgewandelt. Manche haben im Gegen- satz dazu kolossal entwickelte Augen : den dritten Teil der Körperfläche nehmen sie bei einigen Fischen ein. Diese Organe sind in diesen Abgründen, wo vollkommene Finsternis herrschen sollte, aber nicht unbrauchbar, denn Licht liefern die ver- schiedensten Wesen der Tiefsee. Manche haben merkwürdige Anhängsel am Kopfe, oben auf dem Scheitel, welche hell phosphoreszieren, oder lange leuchtende Bänder gehen von ihren Mundseiten aus und ziehen hinter ihnen her wie der Schweif eines Kometen. Manche leuchten in hellen Seiten- streifen, bei anderen, z. B. einigen Tiefseehaien, ist die Haut mit zahlreichen glänzenden Flecken bedeckt. Bei anderen wieder leuchtet die ganze Oberfläche gelb, grün, blau, weiß, violett. Brisinga nannte ein skandinavischer Forscher einen See- stern, der in unbeschreiblicli schönem orangefarbe- nem Lichte flammte, er nannte ihn so nach dem in der Sage gepriesenen Edelsteingeschmeide der Schönheitsgöttin Freia. Und diese ganze Tierwelt der Tiefsee ernährt sich nur von den Brosamen, welche aus der be- gnadeten Welt des Lichts herabfallen in diese ewig dunkle Einöde, wie Manna in der Wüste. Allerdings nimmt es eine ziemliche Zeit in Anspruch, ehe die Speise den weiten Weg von der Oberwelt zurücklegt. So dauert es mehr als 4 Tage, ehe der tote Körper einer Salpe von der Größe eines kleinen Fingers 4 km herabsinkt, aber er sinkt doch herab. Bei Australien fand man in der Tiefe von 8 km einen lebenden Seeigel, dessen Magen reichlich mit Seegras angefüllt war, und aus einer anderen tiefen Meeresgegend holte man mehrere Palmenfrüchte heraus, welche von Krebsen stark angenagt waren. Das belebende Licht der Sonne war in ihnen verkörpert, und in ihnen senkte es sich herab in die düstern Abgründe des Ozeans, auch hier Leben wirkend, auch in diesen trost- N. F. III. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 439 losen Tiefen Haß und Liebe erweckend. Die Sonne leuchtet auf dem Ozean — und er lebt, sagt Oken, der berühmte Naturforscher. Und schwerer Undankbarkeit würden wir uns schuldig machen, wenn wir uns nicht dieser un- endlichen Quelle alles Lichtes, der erhabenen, leben- wirkenden Sonne zuwendeten. „Wir verlangen des Lichtes, ersehnen die Sonne mit dem Andrang des Adlers, doch ach, unser Auge blendet der Lichtblick, des wir begehren, und weh, durch die Wolken dringen wir nie" so klagt verzweifelnd Odhin , der höchste der Götter. Aber Teleskop, Spektroskop und wie die Apparate alle heißen mögen, geben uns Auskunft über diesen lichtspendenden Himmelskörper, denn Licht ist die Sprache der Sterne. Wenn uns die Astronomen sagen , die Sonne ist über 20 Millionen Meilen entfernt, wie können wir uns davon eine Vorstellung machen? Aber ein tüch- tiger Fußgänger , der sich nicht unnötig auf- hält, würde sie von der Erde aus in 6800 Jalnren erreichen, ein schneller Eisenbahnzug schon in 300 Jahren, das Geschoß eines Geschützes sogar in 9 Jahren, aber erst 5 Jahre später würde der Knall des Schusses auf der Sonne erdröhnen. Hätte ein Kind, ein allerdings etwas paradoxes Beispiel, einen so langen Arm, daß es die Sonne berühren könnte, so würde es im höchsten Greisenalter sterben, ohne zu ahnen, daß es sich in frühester Jugend die Hand an jenem entfernten Fixstern verbrannt; die Nerven hätten noch nicht Zeit ge- habt, den Schmerz nach dem Gehirn zu leiten. Der Sonnenkörper selbst ist eine glühende Kugel, welche aus Stoffen besteht, die auch den Erdkörper bilden : Eisen, Nickel, Kalzium z. B. Die Oberfläche dieser Glutmasse nennt man Photosphäre. Auf ihr heben sich viele noch heller leuchtende Stellen ab — Sonnenfackeln nennt man sie, welche übrigens schon in alten chinesischen Rüchern er- wähnt werden. Sie bedecken manchmal Strecken, viel größer als ein irdischer Kontinent und be- sitzen eine Geschwindigkeit, welche sie 200 Meilen in I Sekunde fortführt. Sind dies helllodernde Stellen der Sonnenfläche, so gibt es auch dunklere, die allbekannten, oft genannten Sonnenflecke, welche man seit etwa 300 Jahren beobachtet. Solch ein Fleck, manchmal in einer Breite von 18 Erddurch- messern, bleibt mitunter 2 auch 3lVIonatesichtbar, und rotiert mit der Photosphäre um die Sonnenachse. Manchmal sind sie in bedeutender Zahl und Größe vorhanden, dann verschwinden sie wieder. Diese Periodizität wiederholt sich in einer Zeit von etwa 1 1 Jahren. Man macht die Sonnenflecke ver- antwortlich für vieles, was auf unserem heimat- lichen Planeten passiert. Das Nordlicht, der Ozon- gehalt der Luft, Überschwemmungen, Dürre und Mißwachs sollen damit zusammenhängen, ferner das Auftreten von Epidemien, und ein Professor wollte sogar beweisen, daß ein Zusammenhang besteht zwischen Sonnenflecken und Börsenkrachen. Diesen Sonnenkörper nun umhüllen 2 Atmo- sphären. Die untere ist die Chromosphäre, aus der fortwährend gewaltige Flammenströme von glühen- dem Wasserstoff, die Protuberanzen, in die obere, die Corona hineinschießen, und mit einer Ge- schwindigkeit, welche die des schnellsten Ge- schosses weit übertrifft, zuweilen eine Höhe von 70000 Meilen erreichen. Die Corona, die äußerste Hülle, macht sich bei totaler Sonnenfinsternis als perlgrauer Hof bemerkbar, den übrigens schon die Astronomen des Altertums gekannt haben, über dessen Natur unsere Physiker aber noch ebenso im unklaren sind, wie die P'orscher, welche einst auf den Sternwarten von Heliopolis und Babylon die Gestirne beobachteten. Aber das wissen wir, daß die Lichtmasse dieses Zentralkörpers noch bedeutender ist, als die vieler Milliarden der vorzüglichsten Gasflammen, und daß die Helligkeit seiner Oberfläche die Glut einer der höchsten künstlichen Hitze ausgesetzten Eisen- masse um das 5000 fache übertrifft. Um die Kräfte aber, welche die Sonne ausstrahlt, durch künst- liche Verbrennung hervorzubringen, müßte stünd- lich von der besten Steinkohle eine Masse ver- brennen, welche die ganze Oberfläche der Sonne 5 m hoch bedeckt. Bestände aber der ganze Sonnen- körper aus jener vorzüglichsten Kohle, so würde er doch — wenn er dasselbe an Wirkung leisten sollte — in 6000 Jahren schon völlig ausgebrannt sein, und die Sonne wäre tot und kalt. Und doch läßt sich nach den genauesten Untersuchungen auch nicht im geringsten eine Abnahme an Licht oder Wärme wahrnehmen. Wir stehen da wieder einmal vor einem der vielen Rätsel, die die Naturwissenschaft noch überall findet, die sich zunächst nicht besser beantworten lassen, als durch den Refrain eines Liedes, welches einst auf der Naturforscherversamm- lung zu Freiburg gedichtet wurde. Er lautet : „Wir finden nicht die Gleichung lösend x Und sagen nescimus — wir wissen nix." Aber diese Unermeßlichkeit der Sonne, diese ewig sich verjüngende Kraft, diese Unendlichkeit des Lichts und der Wärme, sie haben von je ge- waltig den Geist des Menschen bewegt, seinen Blick mächtig jenem Lebensquell zugewendet : jene hochwaltende Himmelsmacht zu preisen und zu verehren als die höchste der Gottheiten. Die Hieroglyphe für Osiris, den Himmelsgott, den Ver- treter des neu erwachenden Lebens im frucht- baren Niltale, besteht aus einem Auge, dem Himmels- auge, der Sonne, und aus einem hochragenden Thron. Die Perser verehrten den lichten Gott des Guten, den Ahuramazda, unter der Gestalt eines Auges, aus dem ein Bogen mit gefiederten Pfeilen hervorragt: die Sonne ist es und ihre Strahlen. Im Namen des Bei, des höchsten Gottes der Baby- lonier, steckt die Sprachwurzel il ^^^ leuchten, und eine Wurzel desselben Sinnes in Assur, und des- selben Stammes wie Bei, der leuchtende, ist Apollo und Baidur, der Frühlingsgott der deutschen Götter- sage. Was ist Siegfried anders als der lichte. 440 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 28 die Erde zu neuem Leben erweckende Sonnen- gott, dem das Dunkel des Winters, als Hagen personifiziert, entgegentritt. „Dann sieh zur Sonne, wird sie zur Sichel, so besieg auch den Sohn des Königs Siegmund," so zischt die Schlange aus dem Dunkel der Höhle dem finstern Hagen zu; und warnend singt die Drossel: „O Siegfried, Sieg- fried, bald siegt ja die Sonne, nur ein Weilchen warte, ein kleines Weilchen; der Helfer entschleiert sein strahlendes Haupt und die Hölle wird macht- los." Und in der Dornröschensage wieder ist der zauberlösende Kuß des Ritters der wiederkehren- den Sonne Lebensblick, welcher die Erde aus Wintersfesseln zu neuer, schaffender Tätigkeit er- weckt. Auch von Sitten und Gebräuchen erinnert noch so manches an einen uralten Sonnen- und Lichtkultus. Das Julfest zur Winter-Sonnenwende mit dem hoch lodernden Holzstoß, dessen Flamme im Lichterglanze des Weihnachtsbaumes eine so liebliche Erinnerung gefunden; dann die Johannis- feier zur Sommer-Sonnenwende, ja auch die runde Form der Brote, wie sie zu gewissen Zeiten in vielen deutschen Gauen gebacken wurden. Auch in der keltischen Sage vom Gral liegt verborgen ein Kultus des Lichts, welches Leben spendet: Die Königin Repense de Schoie, so heißt es im Parcifal, ,,Trug des Paradieses Fülle So den Kern wie die Hülle, Das war ein Ding, das hieß der Gral: Irdschen Segens vollster Strahl." Lebenbringend wirkt der lichte Edelstein auf den unglücklichen König Anfortas: „Dem Tod auch könnt er nicht entgehn. Doch ließen sie den Gral ihn sehn — Da fristet ihn des Grales Kraft." Doch was sind der Beweise mehr nötig dafür, daß das Bewußtsein von des Lichtes Allgewalt tief in der Seele der Völker wurzelt. Finden wir doch am Anfang des Buches, welches wie kein anderes ein Gemeingut ist der ganzen Kulturwelt, gleichsam als eine Pforte, durch welche alles, was ist, hat eingehen müssen in die Welt des Seienden, die lebenverkündenden Worte : Und Gott sprach: es werde Licht und es ward Licht. Kleinere Mitteilungen. Menschen- und Rindertuberkulose. — Die wichtigen Beziehungen der Rindertuberkulose zur Tuberkulose des Menschen haben in letzter Zeit auf Kongressen und in Fachschriften eine so breite Erörterung gefunden , daß auch weitere natur- wissenschaftliche Kreise eine knappe übersichtliche Zusammenstellung dieser heut im wesentlichen klargestellten Verhältnisse vielleicht interessieren mag. Seit etwa 80 Jahren ist die große Bedeutung der Perlsucht der Haustiere, insbesondere des Rindes, für menschliche Hygiene erkannt, aber erst in den letzten Jahrzehnten die lang vermutete Identität der Entstehung und des Wesens dieser Krankheit bei Mensch und Rind bewiesen. An die ersten von Villemin (1865) vorgenommenen Überimpfungsversuche von Mensch zu Tier reiht sich bis auf den heutigen Tag eine ununterbrochene Kette sorgfältig beobachteter Experimente, deren Ergebnis stets eine zum mindesten außer- ordentlich große Artähnlichkeit beider Krankheits- prozesse feststellte. Der evidente Nachweis der Identität ließ sich erst durch Robert Koch's Ent- deckung des Tuberkelbazillus erbringen. Koch hat beim tuberkulösen Rind in den Wandungen von krankhaften Lungenaushöhlungen (Kavernen), im Zwerchfell , Bauchfell und den Darmdrüsen immer dieses spezifische Agens finden können. Nach heutigem streng bakteriologischen Stand- punkt müssen beide Tuberkulosen wegen der Identität der sie bedingenden Parasiten für iden- tisch gehalten werden, obgleich das anatomische Verhalten wie auch der klinische Verlauf beider nicht unbeträchtlich voneinander differiert. Die Frage der experimentellen Übertragbarkeit der menschlichen Tuberkulose auf Rinder ist nun- mehr endgültig im bejahenden Sinne gelöst. Erst jüngst hat Dr. Karlinski, ein bosnischer Forscher, in der „Zeitschrift für Tiermedizin" (VIII. Band, Jena bei Fischer, 1904) seine diesbezüglichen Ver- suche veröffentlicht. Das Verfahren ist folgendes : Es wird nur nach- weislich gesundes Rindermaterial verwendet, wel- ches auf vorhergegangene Probeinjektion von Tuberkulin nicht mit Fieber reagierte, also als von Tuberkulose frei angesehen werden kann; alsdann werden wenige Milligramm einer aus menschlichem Auswurf gezüchteten Tuberkulosekultur (Reinkultur von Tuberkelbazillen in Rinderblutserum aufgelöst) dem Versuchstier unter die Haut des Halses, oder in das Bauchfell oder in die Halsvene eingespritzt. Weit virulenter gestaltet sich zuweilen der Injek- tionsstoff, wenn man ihn vorher durch den Körper von ein oder mehreren Meerschweinchen hindurch- passieren läßt. Als abschließendes Ergebnis berichtet Dr. Karlinski : „Daß unter 14 Versuchen die Übertragung auf Rinder dreizehnmal positiv möglich war, daß Tuberkelbazillen, obwohl menschlicher Provenienz, sobald sie den Rinderorganismus passiert haben, bedeutend an Virulenz gegen- über andern Rindern gewinnen und daß die gewonnenen Veränderungen gar nicht hinter N. F. m. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 441 den Erscheinungen, die man bei spontaner Perlsucht vorfindet, zurückbleiben ;" „daß ferner die Infektion hauptsächlich die Lymphbahnen befällt, daß jedoch auch die Allgemein Verseuchung des Körpers, wie dies bei Perlsucht der Fall ist, gelingt und somit von Unterschieden zwischen mensch- licher und der Rindertuberkulose keinesfalls gesprochen werden darf" Tritt nun zu dieser Identität noch derselbe oder ein ähnlicher Grad von Infektiosität — der aller- dings noch sehr verschieden geschätzt wird — so liegt die Frage nahe, ob nicht durch den Ge- nuß von Fleisch oder Milch eines perlsüchtigen Rindes die Tuberkulose auf den Menschen über- tragen wird. Schon im Jahre 1875 hat Gerlach durch Ver fütterung mit erkrankten Lymphdrüsen , mit ge- kochten Perlknoten und mit dem Fleisch erkrankter Tiere bei verschiedenen Tieren Tuberkulose er- zielt und hält diese Erfahrung für so überzeugend, daß ein Rückschluß auf den Menschen im gleichen Sinne berechtigt ist. Seitdem haben sich staatliche Behörden , tier- ärztliche und hygienische Kongresse mit dem Gegenstand mannigfach beschäftigt, aber zu einem von allen Seiten gleicherweise akzeptierten Stand- punkt ist man bis heute noch nicht gekommen. Robert Koch verhält sich in der Frage der Genießbarkeit des Fleisches perlsüchtiger Rinder nicht absolut ablehnend. Da die kranken Tiere keine Sputa produzieren, so können von diesen während des Lebens Tuberkelbazilien nicht ins Freie geliefert werden und eine Ansteckung auf solche Weise erscheint nicht möglich. Eine In- fektion kann also nur nach dem Tode stattfinden und, wenn man von den seltenen Phallen einer unmittelbaren Infektion beim Verkehr mit tuber- kulösen Fleischteilen, welche bei kleinen Wunden und Hautabschürfungen, z. B. bei Fleischern, von außen her erfolgen kann , absieht , nur vom Verdauungsapparat aus. Die Krankheits- erscheinungen müßten sich also hier imm.er zuerst zeigen; da aber die primäre Tuberkulose des Darmes beim Menschen eine gar nicht häufige, im Verhältnis zur Lungentuberkulose sogar seltene Afilsktion ist, so ist daraus zu schließen, daß die gedachte Infektion durch Pleischgenuß nicht oft vorkommt. Sie würde wahrscheinlich häufiger sein, wenn die sichtbar kranken Fleischteile (Lunge, Leber usw.) nicht stets vor dem Verkauf beseitigt und das Fleisch in nicht gekochtem Zustande ge- nossen würde. In Übereinstimmung hiermit ging Virchow's Ansicht dahin, ,,daß das Fleisch perlsüchtiger Tiere zur menschlichen Nahrung erst zu verbieten sei, wenn überhaupt eine Übertragung der Krankheit von Tier zu Tier durch eine nicht selbst mit Perlknoten durchsetzte Nahrung erfolge. Bisher sei dieser Beweis noch nicht erbracht." Trotzdem ist für das Königreich Preußen — und mit Recht — verfügt : „daß auch das von Perlknoten freie Fleisch perlsüchtiger Tiere dann vom Genuß durch Menschen ausgeschlossen sein solle" : „wenn meh- rere Organe des Körpers erkrankt befunden werden oder das Tier abgemagert ist" (Minist. - Erlaß vom 27. Juni 1885). Eine gewiß viel größere Bedeutung als dem Fleische kommt der Milch perlsüchtiger Tiere zu ; man übersehe nicht, daß die Kühe „die Ammen fast aller Großstadtkinder" sind. Cohnheim be- zeichnete schon 1881 die Milch gradezu als Haupt- quelle für das bei kleinen Kindern häufige Vor- kommen der Darmtuberkulose , der sogenannten Phthisis meseraica. Es ist mehrfach statistisch nachgewiesen , daß die Sterblichkeit der Kinder unter 2 Jahren in solchen Ortsbezirken am größten ist, wo nach Ausweis des Fleischschauregisters sich die meisten tuberkulösen Rinder finden. Auf dem vierten Internat, tierärztlichen Kongreß zu Brüssel (1883) wurde die Resolution angenommen: ,,daß die Milch evident perlsüchtiger Kühe weder für Menschen noch für Tiere als Nahrung zulässig sei und daß die Milch von Tieren , die der An- steckung verdächtig sind, nur nach vorherigem Kochen gebraucht werden soll". Robert Koch erklärt noch heute, daß eine Milch nur dann eine Infektion verursachen kann, wenn sie Tuberkelbazillen enthält. Dies scheint aber, wie er ausführt, nur dann der Fall zu sein, wenn die Milchdrüsen selbst tuberkulös erkrankt sind. Da aber Perlsuchtknoten im Euter nicht sehr oft vorkommen, so wird auch die Milch perl- süchtiger Kühe häufig keine infektiösen Eigen- schaften besitzen. Auch Virchow hebt hervor, daß Milch aus einem erkrankten Euter in jedem Fall zu ver- werfen sei. „Es sind wahrscheinlich zweierlei Arten von Milch zu unterscheiden ; dort wo das Euter selbst perlsüchtig erkrankt, wo die Wandungen der Milchdrüsen mit Perlknoten durchsetzt sind oder wo das nicht resp. noch nicht der Fall." Wie die Milch aus tuberkulösem Euter wirkt auch die Milch tuberkulöser Kühe, wenn sie an generalisierter, an akuter Miliartuberkulose leiden, ein Zustand, der am lebenden Tier schon durch seine auffallende Abmagerung erkenntlich wird. Seit den Untersuchungen Sormanis (1884) ist der Wert der Siedhitze für die Zerstörung des Virus in der tuberkulösen Milch erkannt. Er setzte gewöhnlicher Milch etwas tuberkulöse Materie zu, erhitzte jene 20 Minuten bis 70 — 80" und injizierte sie Meerschweinchen. Nach 41 Tagen wurden sämtliche Tiere tuberkulös befunden; dasselbe geschah , wenn die Milch nur eine Minute zum Sieden gebracht war. Als er aber fünf Minuten das Sieden fortgesetzt und die abgekühlte Milch verimpfte, blieben alle Tiere gesund. In allerletzter Zeit ist V. Behring wieder auf die eminente Bedeutung der Milch perlsüchtiger Kühe zurück- gekommen ; er hat sogar seine Theorie von der Entstehung der Tuberkulose im Menschen ledig- lich hierauf begründet; eine Anschauung, mit der er auf der I. internationalen Tuberkulosekonferenz 442 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 28 sowie auf der letzten Naturforscherversammlung zu Kassel (1903) ein allgemein bekanntes Aufsehen erregte, v. Behring leugnet den bisher als gültig angenommenen Infektionsweg durch Einatmung der Bazillen oder bazillenhaltigen Stoffe. Seiner Ansicht nach nimmt die Tuberkulose von den Darmwänden ihren Ausgang und sie ist im wesent- lichen eine Krankheit des kindlichen, des Säuglings- alters. Die Darmschleimhaut des Säuglings ent- behre noch eines schützenden Decküberzuges, der im erwachsenen Alter schädliche Ingesta leichter vernichtet. Vom Darm aus verbreitet sich die Krankheit auf dem Umwege über die Skrophulose durch die Lymphbahnen, um schließlich, meist erst nach vielen Jahren, die bekannten Lungenspitzen- und andere Affektionen herbeizuführen. Es gelte also vor allem die Bazilleneinfuhr in den Mund des Säuglings durch einwandfreie Milch zu verhindern und, da dies nicht immer gesichert erscheint, antibakterielle Körper mit der Milch zuzuführen. Um diesen Anforderungen am besten gerecht zu werden, empfiehlt er einen Formalin- zusatz I ; 5000 bis loooo zur Säuglingsnahrung. Ein näheres Eingehen auf diese neue Theorie V. Behring's muß an dieser Stelle unterbleiben ; es ließe sich gar vieles zugunsten der durch sie zweifellos unterschätzten Inhalationstuberkulose sagen. — Das „Zentralblatt für Bakteriologie und Parasiten- kunde" (Jena bei G. Fischer) bringt in Nr. 8/9 vom Dezember 1903 aus der Feder von Dr. Lydia Rabinowitsch eine zusammenfassende Übersicht der neueren Forschungen der Infektiosität der Milch tuberkulöser Kühe. Es niag genügen nähere Interessenten auf diese Arbeit hinzuweisen und aus ihr hier nur die Schlußfolgerungen eingehender Untersuchungen des amerikanischen Forschers Mohler anzuführen : i) Tuberkelbazillen können in der Milch tuber- kulöser Kühe nachgewiesen werden, selbst wenn das Euter weder eine makroskopisch noch mikro- skopisch wahrnehmbare Erkrankung darbietet. 2) Von einem solchen Euter können Tuberkel- bazilien in genügender Anzahl ausgeschieden wer- den, um sowohl durch Fütterung wie Impfung Tuberkulose bei den Versuchstieren hervorzurufen. 3) Bei Kühen, die an Tuberkulose leiden, kann das Euter jederzeit befallen werden. 4) Das Vorkommen von Tuberkelbazillen in der Milch tuberkulöser Kühe ist nicht konstant; es variiert von Tag zu Tag. 5) Kühe, welche tuberkelbazillenhaltige Milch ausscheiden, können in so geringem Grade von Tuberkulose befallen sein, daß die Erkrankung nur durch die Tuberkulinreaktion nachgewiesen werden kann. 6) Die physikalische Untersuchung oder das Allgemeinbefinden der Tiere läßt keinen Rück- schluß auf die Infektiosität der Milch zu. 7) Die Milch sämtlicher auf Tuberkulin reagie- renden Kühe muß als verdächtig angesehen und vor ihrer Verwendung sterilisiert werden. 8) Noch besser wäre es, wenn tuberkulöse Kühe überhaupt von der Verwendung für milch- wirtschaftliche Zwecke ausgeschlossen würden. In diesen Mohler'schen Ergebnissen ist zugleich deutlich der Weg gewiesen, den eine zielbewußte Hygiene zu gehen haben wird. Es muß eine ständige Überwachung und Kontrolle aller, auch der kleinen privaten Viehbestände, eine Isolierung und womöglich Ausmerzung tuberkulös erkrankter Tiere, eine fortlaufende Nachprüfung der Gesund- heit durch die Probe der Tuberkulineinspritzung und eine sorgfältige Begutachtung aller zur Ver- wendung, nicht nur der zu Markt kommender, Milch angestrebt werden. Forderungen , welche bei der großen Schwierigkeit ihrer exakten Durch- führung vorläufig noch ,, ideale" genannt werden müssen. — — Dr. Heinrich Koerber. Zu den Tierformen, die als ursprünglich typische Landbewohner einem Aufenthalte im Wasser sich angepaßt haben, gehören gewiß als einige der auffallendsten Erscheinungen marine Myriopoden, über die C. Hennings im 23. Bande des Biolo- gischen Zentralblattes eine Reihe neuer Beobach- tungen anführt. Es handelt sich um die beiden Arten Scolioplanes viaritiutus und Scliendyla sub- inarina , die sich , vielleicht auf der Flucht vor den sie auf dem Lande bedrohenden Feinden, in die Gezeilenzone zurückgezogen haben, bei jeder Flut also von Wasser bedeckt werden und so gleichsam eine amphibische Lebensweise ange- nommen haben. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich über die Küsten von Schweden, Norwegen, Dänemark, Deutschland, England und Frankreich. Die Beobachtungen von Hennings beziehen sich auf Scolioplanes maritimiis. T^vl 10 — 20 in einem Knäuel unter Steinen liegend erwarten diese Tiere die Flut und lassen sie über sich hinweggehen. An den Stigmen sowie an Mund- und Afteröffnung treten kleine Luftbläschen aus, die sich lange erhalten können, wenn die Tiere ruhig und fast ohne jede Bewegung liegen bleiben. Kriechen sie langsam umher, was indessen nur selten geschieht, so vermindern sich die Luft- bläschen schnell an Umfang. Ist die Flut abge- laufen , so kehrt bald die gewöhnliche Gewandt- heit und Schnelligkeit zurück und die Fühler führen die gewohnten lebhaften Bewegungen aus. Werden einzelne Scolioplanes von der Flut außer- halb eines Schlupfwinkels überrascht, so schwimmen sie infolge ihres geringen spez. Gewichtes unter eigentümlichen, schlängelnden Bewegungen auf der Oberfläche des Wassers, oder sie verharren hier unbeweglich, den Körper in Bretzelform zusammen- legend, bis die ablaufende Flut sie wieder aufs Trockene setzt. Experimente über die mögliche Dauer eines Aufenthaltes unter Wasser ergaben, daß nach 12 Stunden Aufenthalt im Seewasser die ersten Spuren einer Betäubung sich einstellten, nachdem die oben erwähnten lAiftbläschen an den Körperöffiiungen geschwunden waren, nach 24 Stunden nimmt die Betäubung zu, nach 30 Stunden N. F. m. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 443 dauert dieselbe auch nach dem Zurüclibringen an die Luft längere Zeit an, zwischen 30 und 40 Stunden tritt der Tod ein. Im Süßwasser dagegen vermögen sie bis zu 70 und 80 Stunden auszu- halten. Auch gegen den Aufenthalt in anderen Flüssigkeiten erweisen sie sich sehr widerstands- fähig, so vermögen sie in einer gesättigten wäß- rigen Lösung von Magnesiumsulfat bis zu 5 Stun- den auszuhalten , in 5 "/,, wäßriger Lösung von Chloralhydrat trotz schnell eintretender Betäubung bis fast eine Stunde. Auch in 70 "/^ Alkohol können sie verhältnismäßig sehr lange leben. Die ersten 10 Minuten suchen sie unter lebhaftem Schlängeln und Kriechen zu entkommen , dann werden sie schnell matter, nach 15 Minuten sind sie betäubt, nach 20 Minuten tritt der Tod ein. Formol wird am wenigsten gut vertragen, schon ein Aufenthalt von 5 Minuten in demselben zieht den Tod des betreffenden In- dividuums nach sich. J. Meisenheimer. wiegend durch die Tätigkeit v-on Bakterien aus dem Stickstoff der Luft gewonnen werde, vor jeder anderen Hypothese der Stickstoffernährung der Wasserorganismen den Vorzug. Se. Der Asphalt hat im letzten Jahrzehnt so große wirtschaftliche Bedeutung gewonnen, daß wir gerne die Gelegenheit benutzen, unseren Lesern einige Bilder über Asphaltvorkommen und -gewinnung in Italien vorzuführen.') Bekanntlich kommt der Asphalt in zwei äußerlich recht verschiedenen Arten in der Natur vor. Wenn das Tote Meer im späteren Altertum als Asphaltitis bezeichnet wird, so lag der Grund in den Asphaltschollen, die auf seinem salzigen Wasser treiben und hin und wieder ans Ufer geworfen werden. In diesem reinen Zustande stellt der Asphalt eine schwarze, beim Erwärmen erweichende, in der Kälte aber Fig. 1. J. R e i n k e , Symbiose von Volvox und Azotobacter. (Ber. d. Dtsch. Botan. Gesellsch , Bd. 21, 1903, S. 481.) Verf kultivierte in einer sterilisierten, stickstoffreien Nährlösung Ku- geln von Volvox Globator. Die Lösung enthielt auf 200 ccm Wasser: 4,0 g Mannit, 0,1 g Kaliumphosphat, 0,05 g Mag- nesiumphosphat, 0,3 g Calcium- karbonat. Nach etwa zehn- wöchentlichem Stehen ergab sich unter reichlicher Entwick- lung des Spaltpilzes Azotobac- ter ein Gewinn von 11,6 mg an gebundenem Stickstoff in der Lösung. Dieser konnte nur auf die Assimilation des im Wasser absorbierten Luftstick- stoffs zurückgeführt werden. Die Infektion der sterilen Nährlösung mit Azoto- bacter konnte wohl deswegen stattfinden, weil an der Oberfläche der Alge anhaftende Bakterien in die umgebende Flüssigkeit gelangten. Das wechsel- seitige Ernährungsverhältnis zwischen Alge und Bakterium ist aller Wahrscheinlichkeit nach der- artig, daß letzteres durch die grünen Zellen der Alge mit organischen Kohlenstoffverbindungen versorgt wird und dafür seinerseits an die Alge, in und auf deren Oberfläche es lebt, Stickstoff in gebundener Form abgibt. Für im Meere (Ostsee) lebende Algen ist ein solches Symbioseverhältnis mit Azotobacter bereits bekannt. — Es sei hier an das analoge Verhältnis zwischen Leguminosen- wurzeln und Knöilchenbakterien erinnert. Nach den Beobachtungen des V^erfassers ver- dient die Hypothese, daß der in den Pflanzen und Tieren des Salz- und Süßwassers gegebene Vorrat von Stickstoff in Gestalt von Eiweiß über- Das Majella kalke), im V ■Gebirge in Millelilalien vun >.\V aus gesellen (Gebiet der .\s|ihaU- ordergrunde das Dorf Roccamorice über dem Cusanotal. ziemlich feste Masse dar, für die, auch der che- mischen Zusammensetzung nach, der alte deutsche Name „Erdpech" recht bezeichnend erscheint. Das weitaus bedeutendste Vorkommen solchen Asphaltes ist der berühmte Asphaltsee auf Trinidad, dessen Oberfläche ganz aus Erdpech besteht. Auch auf dem benachbarten Cuba und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika findet sich reiner Asphalt, und zwar gewöhnlich gangförmig auf Klüften der verschiedensten Gesteine. Seine heutige Bedeutung hat der Asphalt jedoch in einer anderen Form erlangt, nämlich als Asphalt- kalk. Es sind das Kalksteine, die vollständig mit Asphalt oder dem etwas weniger festen „Bergteer" durchtränkt sind. Zu feinem braunem Pulver zer- mahlen bilden sie den sog. Stampfasphalt, der, auf ') Wir verdanken die Abbildungen der Liebenswürdigkeit der Firma Adolf Reh u. Co. in Berlin. 444 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 28 N. F. III. Nr. 28 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. 445 fester Retonunterlage ausgebreitet und durch ober- flächliche Erwärmung zu einer rasch erstarrenden, zäh-festen Masse verbunden das immer beliebter werdende Asphaltpflaster unserer Großstädte ergibt. Seine steigende wirtschaftliche Bedeutung hat auch den Eifer im Suchen nach Asphaltkalklagern erhöht, und so kennen wir bereits eine ganze Anzahl den verschiedensten geologischen Forma- tionen angehörige Lagerstätten, von denen hier nur aus Deutschland die jurassischen Asphaltkalke von Limmer und Vorwohle bei Hannover genannt seien, aus der Schweiz die von Neuenburg, die lange Zeit die bekanntesten waren. Reich an Asphaltkalken ist Nordamerika, und fast überall, wo Petroleum auftritt, findet sich auch Asphalt als Imprägnation in Gesteinen. Doch ist die Zahl der technisch brauchbaren Asphaltkalke immer- hin recht beschränkt. Das in unseren Bildern dar- Fig. 5. Asphaltwerk San Valentio in Mittelitalien (im Hintergrunde der Abfall des Plateaus, das den Vordergrund in Fig. I bildet). gestellte Vorkommen von San Valentino in Mittel- italien liegt an dem terrassenartigen Nordwest- abfall des Majella ■ Gebirges (Fig. i und 5), das sich als nordöstlicher Ausläufer der Abbruzzen südlich von Chieti unweit des Adriatischen Meeres, kahl wie alle Kalkgebirge Italiens, bis zu 2800 m Meereshöhe erhebt. Die Gesteine des Majella - Gebirges gehören wesentlich dem Tertiär an, Tertiärkalke sind es, die wegen ihres Asphalt- bzw. Bitumengehalts von 9 — 30% bergbauliche Bedeutung gewinnen. In einem Gebiet von etwa 50 qkm treten 3 Zonen von Asphaltkalken auf, die durch Tagebau oder ein- fachen StollenbetrietD abgebaut werden. Die oberste dieser Zonen zeigt Fig 2, auf der rechten Seite tritt sie deutlich als dunkle Gesteinspartie hervor. Eine Wechsellagerung zwischen hellen asphaltarmen und dunklen asphaltreichen Lagen ist auf Fig. 3 sichtbar. Der wechselnde Bitumengehalt hängt in erster Linie von der Beschaffenheit des impräg- nierten Gesteins ab, nur zwischen 9 und 12"^ macht er das Gestein zu Stampfasphalt geeignet, das reichere ebenso wie das ärmere Gestein werden auf Bitumen verarbeitet, das man an der Grube in einfachen Ofen (Fig. 4) austreibt, um es in dem nahen Asphaltwerk (Fig 5), wo auch die Mühlen zur Herstellung des Stampfasphalts stehen, zu raffinieren. Großen Schwierigkeiten begegnet heute noch der Versuch, die Entstehung des Asphaltes zu erklären. Sehr wechselnd und deshalb nicht scharf zu charakterisieren ist seine chemische Zusammen- setzung. Mehr vom technischen Standpunkte trennt man den zähflüssigen Bergteer von dem festeren Asphalt. Geologisch gesprochen muß man alle Bitumenarten der Natur anscheinend unter gemein- samen genetischen Gesichtspunkten betrachten, Petroleum ebenso wie Naphta, Ozokerit, Bergteer und Asphalt. So sieht man denn den Asphalt gewöhnlich als ein Oxydationsprodukt des Petro- leums an. Sein Auftreten nahe der Oberfläche und in feinporigen (xesteinen, in denen durch die feine Verteilung eine ausgedehnte Berührung mit oxydierenden ."^gentien gefördert wurde, ebenso wie die aus dem nordwestdeut- schen Erdölgebiet bekannte Er- scheinung, dafS die oberen Petro- leumschichten wesentlich dick- flüssiger sind als die tieferen, spricht für die ^Auffassung, daß das Bitumen in Form leichtflüssiger Stoffe aus der Tiefe aufstieg, um in höheren Horizonten durch Be- rührung mit lufthaltigen Wässern oder anderen atmosphärischen Einwirkungen mehr und mehr oxydiert zu werden bis zur Kon- sistenz des Asphaltes. Indem dieser die Poren des Gesteins ver- stopft, in dem er entstanden ist, schließt er die oxydierenden Einflüsse ab und bildet somit das Endglied des Prozesses. Aber damit ist die Frage nach der Entstehung nur vom Asphalt auf das Petroleum verschoben, und es kann nicht die Absicht dieser Zeilen sein, das noch keineswegs spruchreife Problem hier weiter zu verfolgen. Wir lassen es dahingestellt, ob die bituminösen Stoffe letzten Grundes vul- kanischen Lirsprungs sind oder, wie es noch immer glaubhafter erscheint, aus der Zersetzung organischer Reste hervorgegangen sind, und begnügen uns mit dem Ergebnis, daß der .Asphalt im allgemeinen ein Fremdling ist da, wo er sich findet, zugewandert in Form naphtaartiger Stoffe aus Schichten, die wnr nicht kennen. Das Tote Meer zeigt uns diesen Entstehungsprozeß mit greifbarer Deutlichkeit; denn hier dringt das Bitumen als zähflüssige Masse aus Spalten des Nebengesteins hervor, und erst 446 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 28 auf der Oberfläche des Sees erhärten die Schollen allmählich zu Asphalt, — Söhne der Tiefe, die vom Tageslicht getroffen, zu Stein erstarren. Die doppelte Umkehrung von Spektral- linien, d. h. das Auftreten einer hellen Linie im Innern einer dunkeln Absorptionslinie, wird häufig im Spektrum der Sonnenfackeln beobachtet, konnte aber experimentell bisher nicht mit Sicherheit nachgeahmt werden , sondern war nur äußerst selten im Laboratorium zur Wahrnehmung ge- langt. Kürzlich ist es nunHuniphreys (Astro- phys. Journal, Okt. 1903) gelungen, bei einer ganzen Reihe von Linien verschiedener Elemente die doppelte Umkehrung sowohl visuell zu be- obachten, als auch photographisch zu fixieren. Der von ihm angewandte Kunstgriff, der stets mit Sicherheit von Erfolg war, besteht darin, daß er zwei hintereinander geschaltete Bogenlampen so aufstellte, daß das Licht der einen nur durch den Lichtbogen der zweiten hindurch den Spalt des Spektroskops erreichen konnte. Die dem Spalt zunächst befindlichen Kohlen dürfen dabei nur mit einer geringen Menge der betreffenden Substanz beschickt werden , während die etwa 5 cm weiter entfernten Kohlen eine reichliche Menge derselben erhalten. „Die doppelt umge- kehrten Linien in den Spektren der Sonnenfackeln können daher angesehen werden als bedingt durch zwei völlig getrennte Lichtquellen :^die^eine liegt tief in der Sonnenatmosphäre in einer Schicht, wo das betreffende Material reichlicli vorhanden ist und daher breite, dunkle Umkehrungslinien erzeugt; und darüber schwebt mehr oder minder abgesondert eine selbstleuchtende, nur verhältnis- mäßig wenig von der Substanz enthaltende Wolke." Kbr. Sekundäre Röntgenstrahlen. — Röntgen- aufnahmen von großen Objekten, wie es der Rumpf eines Menschen ist, sind nur schwer zu er- halten, weil scharfe Umrisse fehlen und alles ver- waschen erscheint. Man hat den Vorschlag ge- maclit, durch einen Metallring, den man bei Auf- nahmen des Unterleibes auf den Leib preßt, die zu durchstrahlende Masse zu komprimieren und somit schmaler zu 'machen. Nicht immer mit Erfolg. Der Grund liegt nach einer Arbeit von Dessauer und Wiesner (Phys. Zeitschrift V, 2. 1904) in den schon länger bekannten sekundären Strahlen, den S-Strahlen. Wasserhaltige, fettreiche Objekte, also z. B. Leibesteile, Knochenbrüche mit starkem Bluterguß, erzeugen starke S-Strahlen, Metalle, besonders Blei, nur wenig. Wenn man nun einen Metallcylinder vor das zu durchstrahlende Objekt legt, so erzeugen die X-Strahlen an der Cylinder- wand starke S-Strahlen, die diffus verlaufen und das Bild verderben. Nach dem Vorschlage der genannten Verfasser teilt man den Cylinder in 2 Ringe, zwischen denen die im oberen Teil ge- bildeten S-Strahlen entweichen. Eine beigegebene Abbildung zeigt ein deutliches Bild der Wirbel- säule und läßt ahnen, wie sehr dadurch die Klar- heit der Bilder gewinnt. In der Zeitschrift für Elektrotherapie (1902, 11 u. 12) haben die \'er- fasser weitere Einzelheiten über ihre Methode mitgeteilt, die bereits von vielen Kliniken mit Erfolg angewendet wird. A. S. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Der VI. Internationale Zoologenkongreß findet in Bern vom 14. — 19. August 1904 statt. Dr. Th. Studer, Professor an der Universität Bern, ist Präsident derselben. Die Kongreßteilnehmer werden eingeladen , nach Schluß des Kongresses einen Ausflug nach Genf zu machen, wo Samstag, den 20. August, ein Empfang stattfinden wird. Für die über Basel oder Zürich reisenden Kongreßmitglieder stehen am Samstag, den 13. August, die zoologischen Museen und Institute dieser Städte offen. Es werden die dortigen Zoologen, in Basel Direktor Dr. Fritz Sarasin, in Zürich Direktor Prof. Dr. A. Lang, an welche man sich zu wenden bittet, oder deren Stellvertreter die Führung übernehmen. Der Preis der Mitgliederkarte ist auf 25 Fr. (20 Mk.) festgesetzt. Alle Zoologen und Freunde der Naturwissen- schaften erlangen durch Lösung einer Karte das Recht, sich am Kongreß zu beteiligen und die gedruckten Verhandlungen zu beziehen. Die Damen können sich unter den gleichen Be- dingungen am Kongreß beteiligen, oder aber besondere Karten (Damenkartenl zum Preise von 10 Fr. lösen. Diejenigen Kongreßmitglieder, welche die für Schweizer Bahnen und Seerouten ausgegebenen Generalabonnements für zwei oder vier Wochen wünschen, erhalten die ausführlichen Bestimmungen darüber vom Organisationskomitee. Die Anmeldungen zur Teilnahme am Kongreß, sowie alle den Kongreß betreffenden .anfragen sind zu richten an den Präsidenten des VI. internationalen Zoologenkongresses, Natur- historisches Museum, Waisenhausstraße, Bern. — Geldsendungen sind zu richten an Herrn Eugen von Büren-von Salis, p. a. Eug. von Büren & Cie., Bern. Bücherbesprechungen. Dr. Georg Hartmann, Die Zukunft Deutsch- Süd we st afr i kas. Beitrag zur Besiedlungs- und Eingebornenfrage. 31 Seiten. kl. 8". Berlin, 1904. E. S. Mittler u. Sohn. — Preis 75 Pf. Wie der Titel sagt, ist die Aufgabe des Büchleins eine volkswirtschaftliche, keine naturwissenschaftliche. Wenn trotzdem in dieser Zeitschrift die kleine Schrift selbst denen warm empfohlen sei , denen die prak- tischen Vorschläge des Verfassers zu gewagt erscheinen werden, so geschieht es deswegen, weil der Verfasser durch den Vergleich mit den recht ertragreichen „Steppenkolonien" anderer Völker klar beweist, wie die Mißachtung der natürlichen Eigenart des Gebiets der Hauptgrund für die geringe Entwicklung der Kolonie gewesen ist. Mit besonderer Deutlichkeit zeigt dies Beispiel, wie wertvolle Dienste die vertiefte physische Erdkunde dem nationalen Aufschwünge leisten kann — wenn sie gehört wird. F. S. Prof. Dr. Kobert, Beiträge zur Kenntnis der Sap on in Substanz en. Stuttgart, \'erlag von Enke. 1904. 7 Bogen. Nach einleitenden Erörterungen über die physi- kalischen, chemischen und physiologischen Eigen- schaften und über den Ort des Vorkommens im Pflanzenkörper bespricht der bekannte Rostocker Pharmakologe das Verhalten der Saponinsubstanzen N. F. III. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 447 zu Ammonsulfat und einigen FarbstofFen. Im An- schluß hieran gibt er die Resultate einer großen Reihe von Experimenten bekannt, die er namentlich mit dem (Juillajagift am tierischen Organismus, vor allem an Seetieren angestellt hat. Bei der relativ hohen Giftigkeit der Sapotoxine sollten nach Verf. die Behörden ein wachsameres Auge den im Handel, z. B. in den BrauseUmonaden, Verwendung findenden alkoholischen Saponinlösungen zuwenden. Am ge- bräuchlichsten ist die Herstellung solcher Schaum- präparate aus der offiziellen Quillajarinde. Kobert macht mehrere Vorschläge, um solche Toxine zu be- seitigen resp. zu ersetzen, so z. B. durch ein durch vielmaliges Eindampfen mit Baryumhydroxyd ent- giftetes Sapotoxin. — Ein ausführliches Autoren- und ."Sachregister beschließt die mit großer Klarheit und Elindringliclilieit geschriebene Arbeit. H. Kbr. Hartinger'sche Wandtafeln für den naturge- schichtlichen Anschauungsunterricht. Karl ( jerold's Sohn Verlag, Wien. — Preis pro Taf. 1,60 Mk. Um die Tafeln den modernen Anforderungen an- zupassen und sie nach Möglichkeit zu verschönern, läßt der Verlag für alle Tafeln, deren Vorräte zu Ende gehen, von Künstlern entweder neue Originale anfertigen oder die bisherigen — wenn es sich als zweckmäßig erweist — durch Fachmänner verbessern. Fünf solche nach neuen Originalen hergestellte, in zweiter Auflage erschienene Tafeln liegen uns vor. Die dargestellten Tiere und Bäume sind naturgetreu und gut ausgeführt. Dr. Johannes Schilling, Das Vorkommen der „seit ene n Er den" i m Mi n er aireiche. Mün- chen und Berlin, Druck und Verlag von R. Olden- bourg 1904. VIII u. 115 Seiten. 4". — Preis 12 Mk. Auf das Vorkommen der sogenannten seltenen Erden, einer Anzahl schwer reduzierbarer Oxyde mit nur geringen Unterschieden der chemischen und physi- kalischen Eigenschaften, wurde seit der Erfindung des Gasglühlichtes die besondere Aufmerksamkeit sowohl der Mineralogen wie Chemiker gerichtet. Im rein chemischen Sinne sind als seltene Erden eigentlich nur die Cerit- und Yttererden aufzufassen, zu denen der Verf aus praktischen Gesichtspunkten die Thor- und Zirkonerden hinzuzieht. Die Literatur über das Auftreten dieser Erden in den einzelnen Mineralien ist außerordentlich zerstreut. Verf. unternimmt es, die Literaturangaben und die analyti- schen Belege des Gehalts an Cerit-, Ytter-, Thor- und Zirkonerden in tabellarischer Form zusammenzu- stellen, wobei eine große Zahl von neuen Analysen des Verf verwertet wird. Dazu wird eine kurze Charakteristik jedes einzelnen der in Betracht kommen- den Mineralien gegeben. Die verschiedenen Fund- punkte werden kurz, geographisch geordnet, in ziem- lich großer Vollständigkeit aufgeführt. Von einer getrennten Aufzählung der einzelnen Oxyde der Cerit- und Vttererde-Gruppe mußte wegen des geringen Analysenmateriales Abstand genommen werden. Die Ordnung folgt der Groth 'sehen tabellarischen t'bersicht der Mineralien. Man findet in dem Buche die Angaben über 1 1 5 -Mineralien und einige Gesteine. Wie in jeder derartigen bibliographischen Zusammenstellung kann man bei eifrigem Studium Fehler in den Literatur- und Analysenangaben finden, die aber in dem vorliegen- den Buche auf ein geringstes Maß gebracht zu sein scheinen. Dem Verfasser müssen für diese Zusammenstellung, die als sehr wichtiges Ergänzungswerk zu den vor- handenen mineralogischen und mineralchemischen Handbüchern zu betrachten ist, nicht nur Geologen und Mineralogen, sondern auch Chemiker und speziellere Interessenten der Glühlichtindustrie zu Dank verpflichtet sein. E. Kaiser. H. J. Phillips, F. I, C, F. C. S. , Chimiste conseil du „Great Kastern Railway", Les combustibles solides, liquides, gazeux. Analyse, dt5ter- mination du pouvoir calorifique. Ouvrage traduit de l'anglais d'apres la troisieme edition par Joseph Rosset, Ingenieur civil des mines. Librairie Gauthier- Villars, Paris, 6'^. 19. — Prix 2,75 fr. Dieses kleine Werkchen , welches aus dem Eng- lischen ins Französische übersetzt ist , stellt eine ele- mentare Brennstofflehre dar. Für deutsche Verhält- nisse hat es im allgemeinen wenig Bedeutung , wir haben keinen Mangel an mindestens ebenso guten Werken auf diesem Gebiete. Interessant ist es als Probe für die Behandlung des technischen Gegen- standes in unsern Nachbarländern, da es dort an- scheinend ein empfundenes Bedürfnis deckte ; unter Umständen wird auch die Zusammenstellung von Analysen und Brennwertsbestimmungen im letzten Kapitel, weil sie sich hauptsächlich auf englische und französische Materialien bezieht, als Quelle dienlich sein. Das folgende ausführliche Inhaltsverzeichnis informiert hinlänglich über das von dem Schriftchen Gebotene. Preface du Traducteur. Introduction. — Chap. I. Poids specifique des combustibles solides, Hquides et gazeux. Poids specifique de la houille, du coke, des combustibles liquides. — Point d'inflammation des combustibles liquides. Systeme Holden pour l'emploi des combustibles liquides sur les locomotives et dans les chaudiferes fixes. Poids specifitiue des combusti- bles gazeux. Methode du docteur Letheby. Balance de Lux. Tirage des chemindes. Tuyaux k tirage variable. — Chap. II. Analyse des combustibles soli- des et liquides. Dosage de l'humidite et des cendres dans les combustibles solides. Dosage du coke et des matieres volatiles. Classification des houilles. Dosage du soufre. Methode de Hundershagen. Do- sage de l'azote, du carbone, de l'hydrogene, de l'oxy- giine. — Chap. III. Analyse des combustibles gazeux. Analyse des gaz combustibles. Appareil d'Elliot. Dosage de lacide carbonique, des carbures d'hydro- gtoe, de l'oxygene, de Toxyde de carbone, de l'hydro- gene, de l'azote. Analyse eudiometrique. Dosage du soufre. — Chap. IV. Pouvoir calorifique des com- bustibles solides et liquides. Determination du pou- voir calorifique des combustions solides et liquides 448 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 28 par le calorimetre de Thompson. Calcul du pouvoh' calorjfique theorique des combustibles solides et liqui- des d'apres l'analyse chimique. Valeur theorique des combustibles liquides. — Chap. V. Pouvoir calorifique des combustibles gazeux. Pouvoir calorifique des gaz combustibles. Chaleur de rombustion. Comparaison de la valeur calorifique d'un gaz avec la valeur calo- rifique d'une houille. Calorimetre de Hartley. — Chap. VI. Analyse des cendres des combustibles. Analyse des cendres. Dosage de la silice, de l'acide sulfurique, de l'oxyde de fer, de la chaux, de la mag- nesie, de l'acide phosphorique, de la potasse, de la soude, de l'acide carbonique. — Chap. VII. Tableaux legt sind, so werden auch diese Teile geladen. Dadurch wird aber die Ladung der Hammerteile geschwächt, also auch die lonen- brücke und die Bahn für den Extrastrom. Dieser erlischt schneller, ebenso erlischt der Wagnetismus des Kernes schneller und dieser schnell erlöschende Magnetismus ruft einen kräftigen Induktionsstrom in der sekundären Spule hervor. Beim Gebrauch der Flüssigkeitsunterbrecher nach Wehnelt oder Simon geht der Extrastrom durch die Gasschicht, die sich an der Platinspitze (Wehnelt) oder in der Öffnung des Porzellanrohres (Simon) bildet, ruft die Explosion des dort gebildeten Knallgases hervor und erlischt dadurch. Der Kon- densator ist daher bei Flüssigkeitsunterbrechern überflüssig. A. S. Herrn E. M. in Sarstedt. — Das von Ihnen genannte Werk ist zum Privatstudium zu speziell. Versuchen Sie's mit j ,' T.,,'"~",.',;-7,'„J 7f H'Qnalvc;»»«' TnHpv alnhi- Strasburger, NoU etc., Lehrb. d. Botanik 6. Aufl. (G. Fischer de resultats piatiques et d analyses^ index alplia j_^ j^,^^ ^^^j^ 8_^„ Mk , „d,, ,^ij den der Schwendener'sehen hetinue. iJr. H. Mehnei. Schule angehörigen Elementen der Botanik von Potonie (3. Aufl. ]ulius Springer in Berlin. Preis ca. 3 Mk.) Zum Bestimmen betique. Literatur. Bardeleben, Karl v. , u. Dir. Heinr. Haeckel, Proft'. DD.: Atlas der topographischen Anatomie des Menschen. Für Studierende u. Ärzte. 3. völlig umgearb. u. verm. Aufl. 8. — 10. TaUs. Enth. 204 größtenteils mehrfarb. Holzschn., I lith. Doppeltaf. u. erläut. Text. Hrsg. unter Mitwirkg. V. Volontärassist. Dr. Fritz Frohse. Mit Beiträgen v. Prof. Dr. Thdr. Ziehen. (VIll, 166 S.) Lex. 8°. Jena '04, G. Fischer. — 20 Mk. ; geb. 22 Mk. Credner, Herm. : Der vogtländische Erdbebenschwarm vom 13. U. bis zum 18. V. 1903 u. seine Registrierung durch das Wiechert'sche Pendelseismometer in Leipzig. Mit 26 Seis- mogrammen als Texlfig. u. I Karte. (107 S.) Leipzig '04, B. G, Teubner. — 5 Mk. Chwolson, Prof. O. D. ; Lehrbuch der Physik. Ubers. von Oberlehrer H. Pflaum. 2. Band. gr. 8". Braunschweig, F. Vieweg & Sohn. DallaTorre, Prof. Dr. K. W. v., u. Ludw. Graf v. Sarnthein: Flora der gefürsteten Grafsch. Tirol, des Landes Vorarlberg u. des Fürstent. Liechtenstein. Nach eigenen und fremden Beobachtgn. , Sammlgn. u. den Literaturquellen bearbeitet. 5. Bd. Die Moose (Bryophyta) v. Tirol, Vorarlberg und Liechtenstein. Mit dem Bildnisse H. Ganders. (LIV, 671S.) gr. 8". Innsbruck '04, Wagner. — 22 Mk. Dupr^, Laborat. -Verst. Dr. F.; Leitfaden der qualitativen Analyse. (VII, 104 S.) 8». Cöthen '04, (O. Schütze). — Geb. in Leinw. 2,50 Mk. Fiedler, Dr. Wilh. ; Die darstellende Geometrie in organischer Verbindung mit der Geometrie der Lage. 4. Aufl. I. Tl. gr. 8°. Leipzig, B. G. Teubner. der Pflanzen „aus der heißen Zone" gibt es kein Werk. Bis zu sämtlichen Gattungen der Erde und den wichtigeren Arten finden Sie Auskunft in den von Engler herausgegebenen Natürlichen Pflanzenfamilien (Wilhelm Engelmann in Leipzig). In diesem Werk finden sie dann weitere Literatur. Preis mehrere Hun- dert Mark. Mit Bezug auf das Wort „Mud" (vgl. Briefkasten S. 384) teilt uns Herr wiss. Lehrer Müller in Schmalkalden freund- lichst mit, daß dieses Wort auch in der deutschen Sprache vorkommt und zwar im Nassauischen der Umgegend von Frankfurt für den feinen Bodensatz, der sich in der Kaffee- tasse bildet, wenn der Kaffee durch ein nicht genügend feines Sieb gegossen worden ist. Herrn M. L. in Halle. — Vermutlich meinen Sie das Kapitel „Das nächtliche Tierleben im Urwalde" in den ,, An- sichten der Natur" (S. 193 der Meyer'schen Ausgabe). Briefkasten. Herrn A. S. in Wien. — Zur Erklärung des Kondensators bei Funkeninduktoren diene folgendes: In dem Augenblick, in dem der Wagner'sche Hammer den primären Strom des Funkeninduk- tors unterbricht und der Magnetkern seinen Magnetismus ver- liert, entsteht in den Windungen der primären Spule ein Induktionsstrom, der Extrastrom, der dem primären gleich- gerichtet ist und ihn also unterstützt. Dieser Extrastrom lädt die beiden schon getrennten Teile des Wagner'schen Hammers so stark, daß in der dazwischenliegenden Luftstrecke sich Ionen bilden, die dem Strom einen Weg bieten, so daß der Eisenkern nur langsam seinen Magnetismus verliert. Wenn nun aber an die Teile des Hammers die beiden Teile eines Kondensators (Leydener Flasche, Franklin'schen Tafel oder der ' ■ ' oder Glimmer getrennten Staniolblätter) ange- Herrn A. C. in Wien. — ,,Wie kann man die Ein- bettung pflanzlicher Objekte in Paraffin, ohne Zuhilfenahme eines Paraffinofens vornehmen, so daß die Objekte vom Einbettungsmedium hin- reichend durchtränk t wer den, und gute möglichst dünne Mikrotomschnitte liefern?" Man benutzt zu dem Verfahren: a) ein Gestell, etwa einen eisernen Dreifuß; b) eine ca. 2—3 mm dicke Kupferplatte, welche an einem Ende spitz zuläuft. Unter die Spitze stelle man d) den Bunsenbrenner mit kleiner regulierter Flamme, .^uf die Kupferplatte setzt man das aus Blech gefertigte Paraffin- kästchen, in das man Paraffin vom Schmelzpunkt 52" hinein- bringt. Selbstverständlich wird an der dem Bunsenbrenner zugekehrten Seite das Paraffin im Blechbehälter zuerst schmel- zen. Die Verflüssigung geht dann mit zunehmender Erwärmung der Kupferplatte weiter und dehnt sich über den ganzen In- halt des Behälters aus; indes muß die Flamme derart reguliert werden, daß an der vom Bunsenbrenner entferntestenVVand das Paraffin zwischen seinem Erstarrungs- und Verflüssigungs- punkt schwankt. Bei genauer Beobachtung dieser Angaben wird man eine Temperatur stets zwischen 52—55" C erhalten. Das Objekt bringe man dann in die MiUe des Paraffinbehälters. Dr. L. Bayer, Assistent am botan. Institut d. Univ. Bonn. Berictitigung: Die auf Seite 412 versehentlich für den 21. April angekündigte Sternbedeckung findet erst am 21. Mai statt. durch Ölpapier o Inhalt: Prof. Dr. Pfuhl: Die Allmacht des Lichts. - Kleinere Mitteilungen: Dr. H. Koerber: Menschen- und Rinder 1. Reinke: Symbiose von Volvox und .Azotobacter. Spektrallinien. — Dessauer und Wies- tuberkulose. — C. Hennings: Marine Myriopoden. F. Solger: Der Asphalt. — Humphrey: Die doppelte Umkehrung von bpe ^ . ^r Crnra ner: Sekundäre Röntgenstrahlen. - Aus dem wissenschaftlichen Leben - B"<='^"t'"P^"''""|^" .^'.^,'' °!„^ Hartmann: Die Zukunft Deutsch-Südwestafrikas. - Prof. Dr. Robert: Beitrage zur Kenntnis der Sabonmsubstanzen. — Hartinger'sche Wandtafeln für den naturgeschichtlichen Anschauungsunterricht. - ^r Jo h annes bcii in n Das Vorkommen der „seltenen Erden" im Mineralreiche. - H. J. Phillips: Les combustibles solides, liquides, ga- zeux. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC JNa.tUr (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge 111. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 17. April 1904. Nr. 29. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltenc Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren .Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahnie durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserale durch die Verlagshandlung erbeten. Der Lamsberg bei Gudensberg. [Nachdruck verboten.] Von Otto Bekanntlich haben unsere berühmten geologi- schen Bahnbrecher Leopold von Buch und Alexander von Humboldt die schon früher herrschende Lehre, daß die vulcanische Tätigkeit nur aufbauend wirke durch Anhäufung von Aschen, Schlacken und Lavamassen, dagegen die Lagerungs- weise des Untergrundes durchaus nicht störe, ver- geblich durch eine Theorie zu verdrängen ver- sucht, welche als die der Erhebungs-Kratere be- zeichnet wird. Zum Hauptcharakter eines Vulcans gehört, wie im Kosmos IV, d dargelegt wird, sein Gerüst, das er sich durch Hebung und Auftreibung des Bodens schafft. „Die vulcanische Tätigkeit wirkt formgebend, gestaltend durch Erhebung des Bodens; nicht, wie man ehemals allgemein und ausschließend glaubte, aufstauend durch An- häufung von Schlacken und sich überlagernde neue Lavaschichten. Der Widerstand, welchen die in allzu großer Menge gegen die Oberfläche ge- drängten feuerflüssigen Massen in dem Ausbruch- kanal finden , veranlaßt die Vermehrung der hebenden Kraft. Es entsteht eine ,,blasenförmige Auftreibung des Bodens", wie dies durch die regelmäßige, nach außen gekehrte Abfallsrichtung Lang. der gehobenen Bodenschichten bezeichnet wird : Eine minenartige Explosion, die Sprengung des mittleren und höchsten Teils der konvexen Auf- treibung des Bodens, erzeugt bald allein das, was Leop. V. Buch einen Erhebungs-Krater ge- nannt hat, d. h. eine kraterförmige, runde oder ovale Einsenkung, von einem Erhebungs- zirkus, einer ringförmigen, meist steilenweise eingerissenen Umwallung, begrenzt, bald in der Mitte des Erhebungs-Kraters zugleich einen dom- oder kegelförmigen Berg." Rücksichtlich dieser längst überwundenen Theo- rie der Erhebungs-Kratere ist schon wiederholt die Vermutung geäußert worden, daß ihr dennoch ein Kern von Wahrheit innewohne, weil die für sie als Beweisgrund angeführte regelmäßige, nach außen gekelirte Abfallsrichtung tatsächlich an den Bodenschichten einiger Vulcane beobachtet wurde. Sehr gewichtige LJrsache zu Zweifeln an der Voll- gültigkeit der herrschenden Lehre von dem Un- vermögen der vulcanischen Tätigkeit zu mecha- nischen Umlagerungen gibt ferner die Erwägung, daß sie ihre Wahrscheinlichkeit verliert bei den unterhalb der Erdoberfläche, in der Tiefe erstarrten 4SO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 29 Eruptivgesteinsmassen , welche man früher als „Massive" bezeichnete und für die der in Amerika erfundene Name „Lakkolithe" in die Mode ge- kommen ist; denn daß die von ihnen jetzt er- füllten Räume ohne ihr Zutun entstanden wären, erscheint ganz unmöglich schon deshalb, weil sie als Hohlräume der nötigen Stabilität entbehrt haben würden und zusammengebrochen sein müßten. Da nun diese „Tiefengesteine" ihre Emporführung aus größeren Tiefen doch wohl derselben vul- canischen „Kraft" verdanken wie die Eruptivgesteine der Oberfläche, dürfte diese Kraft auch hier das- selbe Vermögen zu mechanischer Betätigung be- sessen haben wie in jenen Fällen. Art geliefert worden zu sein, vielmehr wird man in diesem Falle die Atmosphäre dafür haftbar zu machen haben. Die beiden anderen Aufschlüsse, die in etwas größerem Maßstabe noch gesondert (in Fig. 2 u. 3) dargestellt sind, werden von den Eingangswegen geliefert, welche in die am öst- lichen und westlichen Abhänge bisher betriebenen Steinbrüche führen und etwa 70 m unterhalb der Kuppe und in etwa je 300 m seitlicher Entfernung von ihr gelegen sind. In beiden Aufschlüssen, von denen der westliche inzwischen schon wieder teilweise verschüttet wurde, finden sich nun auf- fälligerweise Schichtensättel durchschnitten, die aus den liegenden tertiären Sanden und san- — - 00 \ -"— o o O', "-": o o O' ;--- o o o gänzung und Erweiterung und vor allen Dingen eine wissenschaftliche Vertiefung auf der Grundlage der einschlägigen Werke von Naumann, Reichenow, Berlepsch u. a. erhalten. Das Werk ist dadurch auch für den Ornithologen von Fach wertvoll geworden. Diesem mehr wissenschaft- lichen Inhalte entspricht die vornehme Ausstattung des Buches in Papier, Druck und Format, sowie der beigegel)enen Tafeln und Bilder, deren einige den in kolorierten .\bbildungen von Pflanzen und Tieren so häufig bemerkten Fehler einer allzu lebhaften, das Natürliche überschreitenden Färbung allerdings eben- falls tragen. Dr. Boettger. J. E. Schoute, Assistent am botanischen Institut der Reichsuniversität Groningen, Die Stelär-Theorie. Gustav Fischer in Jena u. P. Noordhofif in Groningen. — Preis 3 Mk. van Tieghem zergliedert die pflanzlichen Organe der Pteridophyten und Phanerogamen histologisch- topographisch in Epidermis, Rinde und Zentralzylinder. Epidermis faßt er im alten Sinne als einzellschichtig. Die Rinde scheidet sich in die innerste Lage, die Endo- dermis, und auch die äußerste Rindenlage ist oft be- sonders ausgebildet (Exodermis Vuillemin's). Der Zentral- zylinder besitzt außen den Pericykel : eine ein- bis mehrschichtige Gewebezone , von der manche Neu- bildungen (Kork, Nebenwurzeln, Adventivknospen) aus- gehen. Konjonktiv nennt v. T. das aus Pericykel, Markverbindungen und Mark gebildete Gewebe. „Astel'' sind Organe mit ,, zerrissenem" Zentralzylinder : die Leitbündel sind Je von einer besonderen Endodermis und einem pericykelartigen (iewebe umgeben, das hier aber ,,Peridesm" heißt. „Polystele" Organe be- sitzen viele (konzentrisch gebaute) Zentralzylinder usw. Verfasser erläutert so die von van Tieghem ein- geführten Termini und den V'orteil, den sie haben. Seine Arbeit liegt in der Richtung der alten ,, morpho- logischen" Schule, wie sie auf anatomischem Gebiet insbesondere Hanstein gepflegt hat. Schoute sucht aber die van Tieghem'sche ,, Stelär-Theorie" gegen- über der bekannten Hanstein'schen Einteilung zu ver- teidigen. Friedr. Wickert, Der Rhein und sein Ver- kehr, mit besonderer Berücksichtigung der Ab- hängigkeit von den natürlichen Verhältnissen. Forschungen zur deutschen Landes- und Volks- kunde. Herausgeg. von A. Kirchhoft'. XV. Band. Stuttgart, J. Engelhorn, 1003. — 12 Mk. An der Hand der natürlichen Stromverhältnisse des Rheines, der Beschaffenheit seiner Ufer, seines Bettes, seines ( lefälles, der Wassermengen und -höhen untersucht der Verfasser die Entwicklung des Verkehrs auf dem Hauptstrom und den Nebenflüssen. Die Wirkung und Bedeutung der Korrektionen, der Kanalisationen, der Häfen, der Einfluß der verschiedenen Arten der Tiiebkräfte auf die Fahrzeuge werden untersucht und durch zahlreiche statistische Angaben belegt. Ein Triumph der Technik, dem weitere nachfolgen sollten. Die Schiffahrt ist abhängig von dem Wasserstand des Flusses. Ihr größtes Hindernis bildet das Nieder- wasser, auf den Kan.Tlen das Eis. Mit Hilfe der Technik sind Main und Neckar wieder schiffbar ge- macht worden, der Rheinverkehr hat ihr seinen ge- waltigen Aufschwung zu verdanken. Hätte sie uns nicht die Mittel gegeben, um Korrektionen, Regulie- rungen, Kanalisationen auszuführen, hätte sie uns nicht mit Dampfschiften, insbesondere mit Tauern (Main und Neckar) und starken Schleppern beschenkt, so würde der Verkehr auf dem Rhein auch heute noch mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, und seine Abhängigkeit vom Wasserstand wäre noch viel größer. Leppla. i) Prof. Dr. Wilh. Schmidt, Astronomische Erdkunde. (Teil VI der „Erdkunde", herausgeg. von M. Klar.) Mit 81 Holzschnitten und 3 lith. Tafeln. 231 Seiten. Leipzig u. Wien, F. Deu- ticke, 1903. — Preis 7 Mk. 2) Dr. Kurt Geilster, Anschauliche Grund- lagen der mathematischen I> d k u n d e. Mit 52 Figuren. 199 Seiten. Leipzig, B. (;. Teubner. 1904. — • Preis geb. 3 Mk. Nr. I ist ein mit großer Sorgfalt didaktisch aus- gearbeitetes Lehrbuch, das an vielen Stellen die lang- jährige pädagogische Erfahrung des Verf erkennen läljt und den Text durch viele, originelle Zeichnungen und Figuren zu klarem Verständnis zu bringen sucht. Besonders glücklich erscheint Ref. die Benutzung der orthogographischen Projektion der Himmels- und Erd- kugel zur einfachen Herstellung der in den Figuren 24, 25 und 29, 45, 46 dargestellten scheibenförmigen Apparate, die für die Erläuterung des Jahreszeiten- wechsels und für Ablesung der Tagbögen etc. fast genau ebensoviel leisten wie ein Himmelsglobus bzw. Tellurium. Auch der Apparat zur Demonstration der in allen Azimuten gleich großen Azimutänderung der Gestirne am Horizont (Fig. 48) ist recht brauchbar 464 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 29 und es ist nur zu billigen, daß das Foucault'sche Pendel und die Ablenkung der Winde auf diese Weise erklärt werden. Im ganzen ist das Buch in erster Linie für Lehrer zur Vertiefung ihrer Vorbe- reitung auf den Unterricht berechnet, dem entspricht ein umfangreicher Schluljteil „Zum LTnterricht der astronomischen Erdkunde an Mittelschulen" (S. 174 bis 219). Für Anfänger würde wohl auch der Text hin und wieder nicht durchsichtig genug und die Figuren vielfach nicht recht verständlich sein. Auf- fallend kurz ist die Sonnenuhr behandelt. Bei dem Bestreben des Verf. nach Anschaulichkeit läge es doch nahe, die vom Endpunkt des Schattens eines vertikalen Stabes beschriebenen Kegelschnitte genauer zu be- schreiben und ein mit ihrer Hilfe zu fertigendes, zur gleichzeitigen Bestimmung der Tages- und Jahreszeit Martin, Prof. Dr. Paul: Lehrbuch der Anatomie der Haus- tiere. (An Stelle der IV. Aufl. des Franck'schen Hand- buches der Anatomie der Haustiere.) 13. (Schlurs-)Lfg. II. Bd.: Beschreibende Anatomie der einzelnen Ilaustier- arten. Mit S33 Textfig. (XI u. S. 961 — 1217.) gr. 8». .Stuttgart '04, Schickhardt & Ebner. — 7 Mk. (2. Bd. 3iMk. ; geb. in Halbfrz. 34 Mk.) Stratz, Dr. C. H. : Die Entwicklung der menschlichen Keim- blase. (32 S. m. 14 teils färb. Abbildgn. u. 3 färb. Taf.) gr. 8". Stuttgart '04, F. Enke. — 3 Mk. Briefkasten. Herrn G. in B. — Frage: Welche Tiere bilden die Pusleln auf der Apfelsinenschale und ähnliche auf andern Früchten? — Antwort: Die kleinen braunen Pusteln, die man so häufig auf Apfelsinen findet, sind nicht etwa gallen- artige Umbildungen des Pflanzenkörpers, wie Sie anzunehmen scheinen, sondern die Rückenschilde weiblicher Schildläuse. Es sind das eigentümliche Bildungen, die zuerst bei der Larve dienendes Solarium nach Art des von AugUStUS im als getrennte Wachsfäden auftreten um sich später zu einer alten Rom errichteten zu behandeln. 2) Das Geißler'sche Buch ist mehr zum Selbst- studium bestimmt. Sehr viel (Gewicht wird auf Übun- gen, d. h. unbeantwortete Fragen, gelegt. Der vom Verf. benutzte, aus Spielreifen herzustellende „Zonen- apparat" scheint Ref weniger praktisch als die An- schauungsmittel, die in dem Werke von Schmidt be- schrieben werden. Die Erklärung der Ebbe und Flut im Anschluß an die vorangegangene , nicht recht be- friedigende Besprechung der Evektion des Mondes festen Schale zu verdichten. Bei der Häutung wird der jetzt neugebildete Schild durch die abgestreifte Haut verstärkt. Diese definitiven Schilde bestehen nur zum geringeren Teile aus Wachs, da sie weder an der Flamme schmelzen, noch sich in Chloroform etc. lösen. (Reh in: Zool. Anz. v. 23, 1900, p. 502 u. Biol. Zentralbl. v. 20, 1900, p. 743). Die einge- sandte Art, welche die Form einer Miesmuschel (Mytilus) im kleinen wiedergibt, man könnte sie auch kommaförmig nennen, gehört zur Gattung M y ti 1 asp is (Syn. : Lepidosaphes) und zwar ist es die auf Orangen häufigste Art M. citricola (Pack) (Syn.; L. bcckii Newm.). Außer dieser etwa 2 mm langen und an der breitesten Stelle etwa ^4 "i™ breiten Form Ijommt gelegentlich noch eine gestrecktere, zartere Art der- scheint dem Ref. ein verfehlter Versuch zu sein, hier selben Gattung (ca. 272 mm lang und V3 mm breit) M. glo (Pack) und eine schwarze, fast viereckige kleine Form (ca. l'/jmm lang und '/a mm breit) Parlatoria zizyphus (H.Luc.), in größerer Zahl seltener auch Parlatoria per- gandii Comst. und P. proteus Curt. auf Apfelsinen vor (vgl. Reh in; Illustr. Zeitschr. f. Entom. v. 5, 1900, p. 161 u. Biol. Zentralbl. 1. c). — Dünnschalige Früchte der ver- schiedenen Art findet man weit seltener mit Schildläusen be- setzt. Auf einheimischen Früchten fand man bi.sher Myti- laspis pomorum Bche (Lepidosaphes ulmi L.) und Aspi- diotus ostreaeformis Curt. (Reh in: Illustr. Zeitschr. f. Entom. V. 4, 1899, p. 361). — Zu den Schildläusen, die gelegentlich auf Apfel und Birnen gehen, gehört auch die be- rüchtigte San -Jose -Schildlaus. Es mußte deshalb bei dem ersten so verheerenden Auftreten dieses Tieres in Amerika auch die Gefahr der Einschleppung auf Früchten in Erwägung gezogen werden (vgl. Reh in: Mitt. naturh. Mus. Hamb. v. 16, 1899, p. 123). Die San-Jose-Schildlaus, Aspidi otus perni- ciosus Comst., unterscheidet sich von den oben genannten Orangeschildläusen und von den meisten bei uns heimischen Schildlausartcn durch ihre kreisförmige Gestalt und durch ihre graue, am mittleren Buckel rötlichgelbe Farbe. Ihr Durch- messer ist 1 — 1,4 mm. Die einzige schwer, nur bei etwa 300 facher Vergrößerung sicher, von dieser unterscheidbare ein- heimische Art ist Asp. ostreaeformis (vgl. Frank und Krüger, Schildlausbuch, Berlin 1900). In der Schausamm- lung des Berliner zoologischen Museums (Insektensaal, Mittel- schrank) hat Herr Dr. Kuhlgatz alle hier genannten Ob- jekte aufgestellt. — Die Larven der Schildläusc sind beweg- lich. Sie suchen einen zum Ansaugen geeigneten Punkt auf und nun tritt bei ihnen eine sehr weitgehende Umwandlung, eine Rückbildung der Beine und die Entwicklung des großen Rückenschildes ein. Der von jetzt ab unbewegliche Körper wird, ebenso wie nach dem Tode des Tieres die Eier, durch den Schild geschützt. Dahl. Inhalt: Otto Lang: Der Lamsberg bei Gudensberg. — Kleinere Mitteilungen: Dr. H. E. Schmidt: Die Entwicklung der Lichttherapie und ihre Bedeutung für die Behandlung der Hautlciden. — S. P. Verner: Über einen hellfarbigen Typus unter den liantunegern. — L. Rabin owitsch und W. Kemper: Durch Trypanosomen erregte Krankheiten. — Meyer: Über Totwasser. — Stebbins; Die Spektra von o Ceti und x Cvgni. — M. von Rohr: Verant. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Bücherbesprechungen: L. Darapsky: Altes und Neues von der Wün- schelrute. — Dr. Karl Ruß; Einheimische Stubenvögel. — J. E. Schonte: Die Stelär-Theorie. — Friedr. Wickert: Der Rhein und sein Verkehr. — 1) Prof Dr. Wilh. Schmidt: Astronomische Erdkunde. 2) Dr. Kurt Gcißlcr: Anschauliche Grundlagen der mathematischen Erdkunde. — Literatur: Liste. — Briefkasten. soll das näher liegende aus der durch eigene Be- obachtung doch sicherlich nicht bekannt gewordenen, also rein theoretisch gelehrten und fernliegenden Tat- sache einer Unregelmäßigkeit der Mondbewegung erläutert vv^erden. Auch mit dem Bestreben des Verf , in den Unterricht dieses Faches Reimregeln einzu- führen, können wir uns nicht einverstanden erklären. Im sprachlichen Unterricht, wo es sich vielfach um rein gedächtnismäßige Aneignung der Geschlechter etc. handelt, sind Reimregeln gewiß am Platze, aber in der inathematischen Geographie, wo alles nur auf das anschauliche Verständnis ankommt, können sie nur schädlich wirken. Wenn der Schüler den Vers lernt: „Westlich ist noch nicht so weit Wie im Ost die Sonnenzeit", so wird er nur gar zu gern die anschau- liche Begründung dieser Tatsache vergessen , anstatt sie durch beständige Übung der Anschauung zu festi- gen. Übrigens ist das Buch nur als ein erweiterter Abdruck der vor einigen Jahren in der „Sammlung Göschen" erschienenen mathematischen Geographie desselben Verfassers zu bezeichnen. F. Kbr. Literatur. Gray, Prof Andrew: Lehrbuch der Physik. Deutsch v. Prof. Dr. Fei. Auerbach. I. Bd. Allgemeine u. spezielle Meclianik. (XXIV, 838 S. m. 400 Abbildgn.) gr. 8°. Braunschweig '04, F. Vieweg & Sohn. — 20 Mk. ; geb. in Leinw. 2 1 Mk. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichtcrfelde-West b. Berlin. Druclc von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buclidr.), Naumburg a. S. Einschlierslich der Zeitschrift „DlC NatUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge 111. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 24. April 1904. Nr. 30. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis isv M. 1.50. Hringegeld bei der Post 1| 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446- Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren .Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlcrinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Konjugation und natürlicher Tod. rNachdruck verboten. Von G. So unerbittlich wahr und selbstverständlich uns die Tatsache erscheint, daß alles Lebendige dem Tode verfallen ist, die Wissenschaft hat bis heute noch keine befriedigende Deutung der physio- logischen Ursachen des natürlichen Todes gefunden. Der Erkenntnis des Lebens und seiner Entstehung sind wir durch die gewaltigen Fortschritte der Biologie näher gekommen. Darum dürfte es mög- lich sein, mit dem Material, das diese Wissenschaft uns an die Hand gibt, auch die Frage, warum das entstehende Leben den Todeskeim in sich trägt, kurz, das Geheimnis des natürlichen Todes in ein helleres Licht zu rücken. Von diesem Ge- sichtspunkte aus wollen wir untersuchen, welcher Kausalnexus zwischen dem Leben und speziell seinem erhaltenden Prinzipe, der Fortpflanzung, und seinem Negativ, dem Tode, bei niedersten einzelligen und höheren mehrzelligen Lebewesen besteht, um uns ein Bild von den in der Natur der Organismen begründeten Ursachen des Todes machen zu können. Wenn ein einzelliges Infusor oder ein Bakte- rium sich fortpflanzt, so zerfällt es, ganz äußerlich betrachtet, in zwei Hälften, die für sich wieder Heilig. neue Lebewesen bilden. Die Mutterzelle stirbt als Individuum. Die Tochterzcllen pflanzen sich, wenn man die günstigsten Bedingungen annimmt, auf dieselbe Weise fort, und so ergibt sich eine kontinuierliche Kette von Organismen. Theoretisch könnte man die Fortsetzung dieser ungeschlecht- lichen Fortpflanzung ad infinitum annehmen, da die Tochterzellen, was sie durch die „Geburt" im Verhältnis zur Mutterzelle an Größe und Stoff- reichtum eingebüßt haben, durch Wachstum er- setzen. Nun haben aber die Beobachtungen von ausgezeichneten Forschern wie Bütschli, Engel- mann, Gruber, R. Hertwig und besonders Maupas den Nachweis erbracht, daß nach einer gewissen Zeit ungeschlechtlicher Fortpflanzung eine typisch geschlechtliche eintritt, eine Konjugation, deren Prinzip das Verschinelzen der auf die Hälfte re- duzierten Kernsubstanzeti zweier Zellen ist. Be- sonders bei den hochentwickelten Infusorien hat Maupas Vorgänge nachgewiesen, die fast bis auf Einzelheiten in den Befruchtungsvorgängen bei höheren Metazoen ihre Analoga finden. Es be- steht bei ihnen sozusagen schon ein Fortpflanzungs- organ, der Mikronucleus. In unendlich einfacherer 466 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 30 Form ist die Konjugation bei Baciliariaceen be- obachtet worden. Hier verschmelzen sclieinbar zwei Individuen mit ihrem ganzen Soma zu einem, — allerdings wissen wir nicht, ob die von ihnen behauptete Kernlosigkeit nicht auf Rechnung unserer mangelhaften Instrumente zu setzen ist. Die Kon- jugation tritt nun mit einer gewissen Periodizität auf. Nacli einer solchen Konjugalionsperiode können wieder eine Reihe von Generationen auf uhgesclilcclnlichem Wege durch Teilung entstehen, und zwar scheint gerade nach der Konjugation die Fortpflanzungsfähigkeit auf dem Wege der Teilung ganz enorm gesteigert zu sein. Nach Maupas' Untersuchungen tritt im Falle der Ver- hinderung der Konjugation eine Degeneration der zum Versuche dienenden Infusorienkolonie ein. Am Zellkörper und Kern gehen Veränderungen vor sich, die Wimpern verkümmern, so daß die Fähigkeit der Bewegung und genügenden Nahrungs- aufnahme verringert wird, kurz, es tritt der Tod durch Marasmus ein. Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß die periodische Konjugation eine Lebens- bedingung der Infusorien ist. Maupas geht sogar so weit, daß er darin eine Art von Verjüngungs- prozeß erblickt; indessen sind die konjugierenden Zellen und Zellelemente entschieden äquivalent, ebenso wie die gewöhnlich als männlich und weib- lich unterschiedenen Geschlechtszellen der Meta- zoen, und von einer Verjüngung im eigentlichen Sinne kann man nicht reden. Vor allem hat Weis- mann gegen diese Auffassung Maupas' verschiedent- lich Front gemacht. Doch dürfte er nach der anderen Seite hin zu weit gehen, wenn er den Gedanken an eine Auffrischung der lebenzeugen- den p'ortpflanzungsfähigkeit durch die Konjugation im Prinzip verwirft und den Einzelligen unsterb- liches Leben als in ihrer Natur begründet zuspricht. Er weist die Folgerung, dal3 die Monoplastiden die Unsterblichkeit ihrer Art durch die Konjugation erhalten, d. h. an sich sterblich sind, zurück') und meint, man könne dann ebenso gut die Nahrungs- aufnahme als die Ursache ihrer Unsterblichkeit ansehen, vergilbt aber dabei, die scharfe Unter- scheidung von Art und Individuum zu machen. Die Nahrungsaufnahme erhält das Leben des In- dividuums — bis zu einem gewissen Zeitpunkt; warum nicht auf ewig, werden wir weiter unten sehen. Die Konjugation erhält das Leben der Art und sichert ihr, aber zusammen mit der Nahrungsaufnahme, dem Stoffwechsel der Indivi- duen, die LTnsterblichkeit. Diese selbst sind sterb- lich wie schließlich jede Einzelerscheinung des Universums, verglichen mit einer anderen Einzel- erscheinung höherer, beziehungsweise niedererer Ordnung. Wie jede Art ihr Leben durch Kon- jugation der Geschlechtszellen zweier Individuen erhält, sei es nun innerhalb jeder Generation oder erst nach einer Reihe von ungeschlechtlichen Generationen, so ist auch für die Infusorien von ') Weismann, Bemerkungen zu einigen Tagesproblcmen. Erlangen iSgo. Zeit zu Zeit die Notwendigkeit gegeben, durch Konjugation die Fortdauer des Lebens ihrer Art in gewissem Sinne auf ewig zu sichern, während die Individuen selbst sterblich sind, — auf ewig, d. h. auf Zeiträume, innerhalb deren sich das Leben oder genauer das Leben ihrer Art den Existenz- bedingungen der Erde anzupassen vermag. Es ließe sich wohl eine Parallele ziehen zwischen den oben angedeuteten Degenerationserscheinungen an einer Infusorienkolonie bei ausbleibender Kon- jugation und solchen, wie sie bei Iiöheren Ord- nungen durch dauernden Inzest zutage treten; von Interesse dürfte es dabei sein, den Einfluß der mehr oder weniger nahen Verwandtschaft oder gar Ge- schwisterschaft zu untersuchen. Welche Ursachen ließen sich nun für jene empirisch gefundene Notwendigkeit der Konjuga- tion anführen? Wir können uns denken, daß die jeder Zelle inhärierenden, von der Mutterzelle er- erbten Eigenschaften und unter diesen vor allem die Fortpflanzungsfähigkeit durch die fortgesetzte Teilung sich allmählich so verringern, „verdünnen", daß sie schließlich gleich null werden. Da die Naturwissenschaft für gewisse fundamentale Natur- erscheinungen als Erklärung die Wellenbewegung gefunden hat, so dürfen wir wohl auch für die fundamentalen Lebenserscheinungen eine solche Molekularbewegung annehmen. Damit knüpfen wir an Haeckel's Perigenesistheorie von der Wellen- zeugung der Plastidule an. Die in einem Medium von weniger dichtem Aggregatzustande schwim- mend gedachten Plasmamoleküle oder Plastidule sind die Träger der Vererbung, insofern als bei der Fortpflanzung die Tochterzelle nach rein mecha- nischen Gesetzen dieselbe charakteristische Plastidul- bewegung überkommt, wie sie die Mutterzelle be- sessen. Da diese Bewegung aber nicht ohne Reibung der Plastidule aneinander oder an dem sie umhüllenden Medium vorstellbar ist, so kann sie nicht bis ins Unendliche fortgepflanzt werden. Es müssen daher mit dem Aufhören der charakte- ristischen Plastidulschwingungen auch die ererbten P'ähigkeitcn bei den Zellen nach einer Anzahl von Teilungsgenerationen erlöschen, unter ihnen die P'ortpflanzungs- und damit überhaupt die Lebens- fähigkeit. Nun haben wir aber den bedeutsamen Faktor der Anpassung bis jetzt unberücksichtigt gelassen. Nach der Perigenesistheorie ist die Vererbung Übertragung einer bestimmten, konstanten, wenn auch sicher sehr komplizierten Plastidulwellen- bewegung, mithin die Anpassung eine Abänderung derselben. Wenn nun durch Anpassung der Zelle an äußere Verhältnisse oder Vorgänge (durch Nahrungsaufnahme) eine neue Plastidulbewegung in die ererbte hineingetragen wird, so entsteht eine Variationsbewegung der letzteren, d. h. eine neue, deren Schwingungen nun wieder eine Zeit lang, dem Trägheitsgesetz gehorchend, der Reibung widerstehen können. So ließe sich denken, daß durch die ständige Wechselwirkung von Vererbung und Anpassung oder, physikalisch ausgedrückt. N. F. III. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 467 durch das fortwährende Entstehen neuer, eine ge- wisse Zeit „lebcns'Tähiger Plastidulschwingungcn die Summe aller ererbten und erworbenen Fähig- keiten, das Leben überhaupt und in ihm begriffen die Fähigkeit der Fortpflanzung durch Teilung ewig und ungeschwächt durch alle Generationen getragen werden müßte. Dagegen ist jedoch zu sagen, daß bei der ungeheuren Schnelligkeit, mit der sich die einzelligen Protisten vermehren, und den überaus kleinen Zeiträumen, die zwischen der Entstehung der einzelnen Generationen liegen, die Anjiassung der Vererbung gegenüber kaum ins Gewicht fällt, daß also die Variierung der Plastidul- bewegung durch Anpassung und damit — sit venia verbo — ihre Auffrischung und regenerative Umbildung verschwindend klein ist. Das Haupt- moment der Anpassung, die Nahrungsaufnahme, dient wohl dazu, den Verfall hintanzuhalten, doch ganz verhindern kann sie ihn nicht. Kurz, weil die Erwerbung neuer Eigenschaften durch An- passung nicht mit der Vererbung gleichen Schritt halten kann, d. h. die Konstanz der Plastidul- bewegung so gut wie gar keine oder eine, um bedeutsam variierend und regenerierend zu wirken, zu geringe Einbuße erleidet, erstirbt schließlich jene Moleknlarbcwegung, die Trägerin aller Eebens- erscheinungen, und m,it ihr die Fähigkeit der Fort- pflanzung, das Leben überhaupt, — wenn nicht ein neues belebendes Moment auftritt und neue, anders kombinierte Schwingungen und Wellen der Plastidule hervorruft, und dieses Moment ist in der Konjugation gegeben. Wir geben zu, daß dieser Erklärungsversuch nur ein Versuch ist und manche bedenklichen Lücken aufweist; mag man ihn fallen lassen, für unsere weiteren Betrachtangen bedürfen wir nur der so gut wie nachgewiesenen Tatsache einer für die Erhaltung des kontinuierlichen Lebens not- wendigen Konjugation bei den Protisten. Von Bedeutung ist dabei, daß bei ihnen das Leben der Gattung an die ganzen Individuen gebunden ist: die Mutterzelle teilt sich in ihrem ganzen Umfange, um zwei neue Lebewesen, organisiert wie sie, an ihrer Stelle entstehen zu lassen. Ganz anders und viel komplizierter liegen die Verhältnisse bei den mehrzelligen Gewebeorganismen , den Histoncn, oder, da wir ans Tierreich und speziell an den Menschen denken, den Metazoen. Hier fällt die Aufgabe der Fortpflanzung nur einer im Vergleich mit den übrigen verschwindend kleinen Zellgruppe zu, den Geschlechtszellen. Alle anderen, die Soma- zellen, sind zwar auch Vermehrungsprodukte der zur Stammzelle (cytula) verschmolzenen elterlichen Geschlechtszellen, haben aber die Fähigkeit, das Leben der Gattung zu erhalten, verloren. Zwar vermehren sie sich auch ungeschlechtlich durch Teilung, doch hat dies für den Zellenstaat, für das Individuum, nur die Bedeutung des Wachs- tums oder der Neubildung von Gewebe. Aus dem oben Erörterten ergab sich, daß zur Erhaltung der Plastidulbewegung zeitweise die Bildung von Kombinationsbewegungen durch Konjugation nötig sei, oder allgemeiner, daß die Lebens- und Fort- pflanzungsfähigkeit der Zellen zu ihrer Erhaltung die zeitweise Konjugation unmöglich entbehren kann. Bei den Zellenstaaten vor allem der höheren Metazoen zeigt sich, daß nur die Geschlechtszellen zu konjugieren und damit das Leben durch Fort- pflanzung ungeschwächt zu erhalten imstande sind. Weil aber bei den Gewebetieren das Individuum als solches nach vollendeter Entwicklung nur durch die Somazellen begriffen wird, so kann es selbst nur solange lebensfähig bleiben, als die eigene Lebenskraft der Somazellen — das ominöse Wort in rein mechanischem Sinne gebraucht — aus- reicht, da sie ja die Fähigkeit der Kon- jugation und damit der Bildung neuer, wieder eine Zeitlang existenzfähiger Plastidulschwingungen verloren haben: darum ist das Individuum dem Tode oder besser dem Absterben verfallen. Das allmähliche Erlahmen der Plastidulschwin- gungen ist in diesem Sinne die Ursache der In- volutionserscheinungen des Alters. Nach den hier entwickelten Anschauungen er- scheint uns der individuelle natürliche Tod als eine in der Natur der Organismen begründete Notwendigkeit. Weismann sieht in ihm lediglich eine sekundäre Anpassungserscheinung.^) Auf eine gewisse Anpassung mag man allerdings insofern schließen können, als vielleicht die Somazellen der Metazoen sich phylogenetisch allmählich eine längere Lebensdauer erworben haben als die Geschlechts- zellen zum Ersatz für die Konjugation, die allein die letzteren behielten. Weil diese konjugieren können, sterben sie auch früher als die Gewebs- zellen, während noch bei niederen Tieren oft die Gewebszellen, das Soma nicht die Geschlechts- zellen und ihre Konjugation überdauert. Indessen abgesehen von dem bereits Erörterten ließe sich auch aus rein philosophischen Gründen gegen Weismann's Auffassung vom Tode als einer er- worbenen .'\npassungserscheinung einwenden, daß die Protisten eine ganz unbegreifliche Sonder- stellung im Universum einnehmen würden, wenn sie allein von allen Lebewesen, ja allein von allen Einzelerscheinungen unsterblich wären. Die In- dividuen sind vergänglich, doch die Art ist un- sterblich; wenigstens wird sie durch jene umgeben mit einem „Scheine von Unsterblichkeit", wie Johannes Müller sagt. Denn im Vergleich mit der Lebewelt ist auch ihr ein Ziel gesetzt, sei es, daß sie ausstirbt oder sich im Laufe endloser Zeiten von Grund aus umwandelt. Und auch die Lebewelt als solche ist nur eine vergängliche, sich wandelnde Erscheinungsform des Alls. Unsterb- lich, d. h. in ewiger Bewegung, in ewiger Syn- these und Diathese begriffen, ist nur eins, das Universum, und die Daseinsformen sind alle nur kräuselnde Wellen im endlosen Ozean. ') Weismann, Über die Dauer des Lebens. Ein Vortrag. Jena 1882. — U. a. a. O. 468 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. in. Nr. 30 Zur lateinischen Terminologie der elementaren Arithmetik. I. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. Max C. P. Schmidt in Berlin. Die Termini der Zahlenkunde sind, von Ein- zelheiten abgesehen, der lateinischen Sprache ent- lehnt. Wir reden von den vier Spezies, von Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division, von Posten, Summanden, Summe, Fazit, Resultat, von Subtrahendus, Mi- nuend us, Differenz, von Multiplikator, Multiplikand US, Faktoren, Produkt, von Divisor, Dividend us, Quotient. Wir reden auch, um ein wenig höher zu steigen, von Null und Primzahlen, von plus, minus, positiv, negativ, von reell, inkommensurabel, irrational, imaginär, komplex, von P e r - mutationen und Kombinationen, von P o - tenz, Radix, Effizient. Über die griechischen Wörter ,, Arithmetik, dekadisch, Basis", über die künstliche Bildung , .Logarithmus", über die arabische Bezeichnung ,, Algebra" ist bereits in dieser Wochen- schrift ') gehandelt worden. Über die deutschen Ausdrücke der „Bruch"rechnung endlich reden wir im Zusammenhange ein andermal. Hier handelt es sich also um die lateinische Terminologie. Und es erhebt sich die doppelte Frage; I. VVie kommt es, daß diese Ausdrücke nicht, wie die Termini der Geometrie, griechisch sind ? II. Wie und wann sind diese Ausdrücke innerhalb der lateinischen Sprache entstanden oder gebildet worden ? I. Auf zwei Gebieten machen altgriechische Lehrbücher einen völlig anderen Eindruck, als ihr Titel nach unserem Sprachgebrauch vermuten läßt, auf den Gebieten der Musik und der Arithmetik. In den musikalischen Büchern der Griechen findet man so gut wie nichts von Harmonielehre, Formenlehre, Kompositionslehre, von Akkorden, Stimmführung, Kontrapunkt, von Vokal- und In- strumentalmusik ; es ist nur von Tönen, Tonleitern, Tongeschlechtern, sozusagen von den technischen, akustischen, mathematischen Elementen der Ton- kunst die Rede. Ähnlich täuschen uns die Titel der arithmetischen Bücher. Sie handeln gar nicht von ,, Arithmetik" in unserem Sinne. Die Lehre von der Algebra ist den Alten unbekannt. Die Lehre von den Gleichungen steckt demnach in den Kinderschuhen und ist sehr jung. Diophant lebte nach -)- 300 ; seine „Arithmetik" behandelt nicht die „Diophantischen", sondern sehr einfache Formen von Gleichungen, in die er den Begriff der Unbekannten einführte und diese durch das Zeichen eines Schlußsigma andeutete. Auch die Lehre von Potenzen und Wurzeln steckt noch in den Anfängen. Von Brüchen kennt Euclid und mit ihm fast das ganze Altertum eingehender nur die Stammbrüche, aber auch diese ohne die mo- derne Form der Bezeichnung und die daran an- geschlossenen Regeln der Rechnung. Die Loga- rithmen endlich sind erst 161 1 erfunden und so benannt worden. Es bleiben die vier Spezies mit ganzen Zahlen. Und gerade von diesen ist in den „Arithmetiken" der Alten keine Rede. Bekanntlich unterscheidet man heute niedere und höhere Zahlenlehre. Jene (A) heißt Arithmetik und um- faßt die Lehre vom Rechnen, also a) die 4 Spezies, b) die Bruchrechnung, c) das Potenzieren und Radizieren, d) die Proportionen, e) die Logarith- men. Diese (B) heißt Zahlentheorie und umfaßt die Lehre von den Zahlen, also a) die Prim- und Sekundärzahlen, b) die Quadrat- und Kubikzahlen, c) die Zerlegung in h'aktoren, und so weiter. A nennen die Griechen, soweit sie ihnen bekannt ist, also besonders das elementare Rechnen mit ganzen, unbenannten Zahlen, „Logistik" = Rechcn- lehre. B dagegen nennen sie „Arithmetik" = Zahlen- lehre. Wer mithin in einer griechischen „Arith- metik" die Regeln der Multiplikation oder das Verfahren und die Schreibweise der Division sucht, verfehlt das Ziel, weil er A gleich B setzt, d. h. „Logistik" mit „Arithmetik" vermengt. Über A gab es nun, soweit wir wissen, im griechischen Altertum überhaupt keine Regelbücher und keine Literatur. Man besaß wohl gewisse praktische Kunstgriffe, manipulierte mit Rechen- brettern und Rechensteinchen, übte sich im Zählen und Rechnen mit Fingern und Armen, aber man schrieb nicht Elementarbücher über das Rechnen wie bei uns. Es gab in Altgriechenland keinen Adam Riese, kein Einmaleins, keinen Stellenwert, keine Nomenklatur. Man rechnete mühsam, un- geschickt, mechanisch. Noch Diophant ') empfiehlt denen, die seine Gleichungen kennen lernen wollen, flotte Übung im Elementarrechnen, eine F'orde- rung, die man bei uns als selbstverständlich und bereits erfüllt voraussetzen würde. So ist denn die Terminologie i. unfertig, 2. unsicher, 3. un- vollständig; die Termini sind i. nicht klar, 2. nicht einlieitlich, 3. nicht ausreichend, i. Man unter- scheidet Eins (Monade) und Zahl (Arithmos); die Monade ist keine Zahl, die Zahl ist aus Monaden zusammengesetzt. Geht eine kleinere Zahl in einer größeren ohne Rest auf, so „mißt" sie dieselbe, ist ihr „Teil"; sie heißt aber „Teile" (im Plural), wenn sie es nicht tut.-) 2. Addieren heißt bald „zuzählen", bald ,, hinzusetzen", bald ,, zusammen- stellen", bald „summieren". Ist nur von zwei ') Jahrgang igoi. Bd. XVII 103: Zur Tcirminologie der elementaren Mathematik. ') Ausg. Tannery I 14: ■■<'i?.o>i exei evctQXofieroi' (indem man geht an) ti-s TTQayfiarcins (die Behandlung, erg. der Gleichungen) ovr&ioei. y.ni n^ihoeoEL y.al Tin'/.knTilaotaiiiiols (Addition, Subtraktion, Multiplikation) }'iyl^/J^'äa!)^al■. ^) Euclid. VII init. : ^Io^'n^ soTti'^ aai)'' ?^v taiunov rwr ofTcof 'ir /.lyernt. 'Agiitfios ät ro ex fioräScor ovyy.ei- /xsrot' 7r/.r;d'os. Miooi toilf äotd'/nos ni'ii)'fior v ilätJatoi/ Tot' ftel^ot'Oi, uTttr yina/uTol toi' ^ei^oi'ft. Meojj Se, oznr /.ilj y.aTauETtjl. Beispiel: 2 ist /jejjos (weil '/r. Stammbruch) von lo, aber 4 ist f^eoi (weil %) von 10. N. F. III. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 469 Zahlen die Rede, so sagt man auch „beide zu- sammen".-Subtrahieren heißt bald„herunternehmen", bald „fortnehmen". Gelegentlich heilot Subtraktion einmal „Herabnahme". 3. Technische Ausdrücke für „Summanden" und „Faktoren", „Produkt" und ,, Quotient" fehlen völlig. Für ,, Differenz" gibt's einen Ausdruck: „Überschuß". Man hilft sich aber oft mit der Bezeichnung „das Übrige".') So hat die allgemeine Umgangs- und Literatursprache die ihr begreiflicherweise anhaftende Unsachlichkeit und Ungründlichkeit an die Stelle einer wohl- durchdachten und wohldurchsiebten Kunstsprache da gebracht , wo die letztere nicht ausgebildet war. Dergleichen existiert auch bei uns. Auch wir ersetzen das Wort „addieren" gelegentlich durch ,, zusammenzählen", wie das Wort „subtrahieren" durch ,, abziehen". Bei uns aber tut das die ge- wöhnliche Sprache neben, nicht statt der tech- nischen. Diese ist klar und konstant. Tritt auch einmal das aufdringliche Französisch in Form von „Posten" und „Rest" in die wissenschaftliche Ter- minologie ein, solche Fälle sind vereinzelt und erfolglos und verdrängen weder die „Summanden" noch die ,, Differenz". Die griechische Sprache des Elementarrechnens aber konnte den Forde- derungen einer mathematischen Fachsprache nicht genügen. Dazu war sie der großartigen Einfach- heit, Eindeutigkeit und Vollständigkeit der geo- metrischen Terminologie des Euclid nicht eben- bürtig genug. So ist diese noch heute herrschend, jene aber abgestorben. Damit erledigt sich die erste jener beiden Fragen. II. DielateinischenFremdwörterunsererSprache zerfallen in zwei Arten, Klassische und Nach- klassische. Die letzteren wiederum sind: Spät- lateinische oder Moderne Bildungen. Jene lassen sich wieder nach Altertum (a Silberlatein, ß Spät- lateinj und Mittelalter unterscheiden. Unsere Ein- leitung ergibt also drei Sorten lateinischer PVemd- wörter: A. Klassische Vokabeln, d. h. Wörter, die in derselben Bedeutung schon im guten Latein bis zur Regierung des Augustus üblich gewesen sind. B. Spätlateinische Vokabeln, d. h. Wörter, die in dieser Form oder in diesem Sinn zwar nach der Periode des goldenen Lateins, aber a) noch im Altertum vor dem Absterben des leben- den Lateins (-|-550). oder b) erst im Mittelalter im Latein der Kirche, Klöster und Scholastik ge- bildet oder gebraucht sind. C. Moderne Vo- kabeln, d. h. Wörter, die in Wissenschaft, Industrie und Handel in den letzten Jahrhunderten a) neu- gebildet oder b) umgedeutet worden sind. Bei- spiele für diese Schichten sind : A. Konsul, Offizin, importieren ; Ba. Kombination , Kreatur , trivial ; Bb. Messe, Transsubstantiation, Kloster ; Ca. Egois- mus, Mimose, Magnesium; Cb. Datum, liberal, Akkumulator. *) J/oosaoii^u£li\ TTOoarid'h'iiij ovvrid'evat^ ovyy.stfnhttovi', aui'n^(f6Ts^ot. '^(fatoEti'f aifatoett', xaTaXtjipis. Ti> Xoirröi' (der Rest), /) VTieoox'j (»'. vTTSoey^etv überragen). Nun ist klar: i. daß überall da, wo eine Kultur- erscheinung oder Institution vom Altertum an ohne Unterbrechung weiterläuft, auch die Vokabeln weiterlaufen werden (A und B); 2. daß überall da, wo eine Kulturerscheinung am Schluß des Alter- tums abbricht, auch die lateinische Vokabel ver- schwinden und eventuell später ersetzt werden muß (C). Beispiele für Fall i: Der Titel „Konsul" wurde allmählich in der Kaiserzeit der Ausdruck für die obersten städtischen Beamten ; solche gab es überall, auch nach der Völkerwande- rung; so ging der Titel ohne Unterbrechung an die städtischen Bürgermeister im Frankenreiche über. „Den Arzt bezahlen" hieß Iwnorein dare medico , woraus das Wort „Honorar" entstand; die medizinische Tätigkeit ist natürlich nie unter- brochen worden, so daß wir noch heute dem Arzte ein „Honorar" zahlen. Gewisse Gehälter wurden in der Kaiserzeit in Geld statt wie vorher in Salz gezahlt und hießen darum ,, Salzgelder"; daß solche Gehaltszahlungen nie abreißen, weil es stets Be- amte gibt, ist natürlich; so zahlt man noch heute ,,Salair". Beispiel für Fall 2: Die Schau- spieler erhielten von den Kaisern Gehälter, zur Zahlung war die Forstkasse angewiesen; darum hieß dies Gehalt liicar (v. hicus = Forst) ; in den Wirren der Völkerwanderung und durch den Über- gang der römischen Kultur auf germanische Völker starb begreiflicherweise das antike Theaterwesen ab, sonst erhielten vielleicht noch heute die Schau- spieler, jenem „Salair" entsprechend, ihr „Lucair". In welche Kategorie gehören nun jene Termini der Rechenkunde.' Haben wir hier auch die Arten A, B, C und die Fälle i und 2 zu unter- scheiden ? Was man nach dem Gesagten erwarten sollte, ist folgendes. Ausfallen muß so gut wie ganz die Art C und der Fall 2. Gerechnet hat man natürlich ohne LInterbrechung, auch in den schlimmsten Zeiten der Völkerwanderung. Noch kurz vor Geiserichs Ankunft (429) war Martia- nus Capeila in Afrika Anwalt, ein Jahrhundert später (525) ließ Theodorich der Große den Boetius hinrichten, ein Jahr danach (526) ging Theodorich's Geheimschreiber Cassiodor ins Kloster. Alle drei schrieben über .Arithmetik. Des Cassiodor Werk aber ging direkt als Lehrbuch in die mittelalterlichen Klosterschulen über. Danach bleibt nur der Fall i mit den Arten A und B übrig. Wir vermuten also, daß die Fremdwörter der arithmetischen Kunstsprache teils dem goldenen Latein (A), teils dem silbernen und späteren Latein (Ba) angehören , aber im ganzen vor dem Zu- sammenbruch des Römischen Imperiums vollständig vorliegen, daß dagegen das Klosterlatein und die Gelehrtensprache des Mittelalters (Bb) ebensowenig wie die moderne Kunstsprache (C) etwas Wesent- liches wird hinzugefügt haben. Wir erwarten, unr es anders auszudrücken, in der technischen -Sprache unserer Arithmetik lebendiges , nicht aber totes Latein. Liegt die Sache wirklich so? 470 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 30 Kleinere Mitteilungen. Die Fette im Haushalt der Natur und des Menschen , sowie ihre Beziehung zur Atmung (Sammelreferat). — In allen natürlichen Fetten sind zwei Anteile zu unterscheiden: der Glyzerin- anteil oder das Glyzeryl und der Fettsäurerest. Als Säurereste treten am häufigsten die Reste der Ölsäure, Stearin und Palmitinsäure auf. Behandelt man die Fette mit überhitztem Wasserdampf, so vereinigt sich ein Teil des im Wasser enthaltenen Wasserstoffs mit den Säureresten zu Fettsäuren, der Wasserrest bildet mit dem Glyzeryl Glyzerin. Ein ähnlicher Vorgang ist die V e r s e i f u n g. Ätznatron besteht bekanntlich aus Natrium und einem Wasser- rest: deshalb setzen sich die Fette, wenn sie mit Ätznatron gekocht werden, derartig um, daß das Natrium an Stelle des Glyzerinanteils tritt, der sich seinerseits mit dem Wasserrest zu Glyzerin ver- bindet. Das durch den Zusammentritt von Fett- säure und Natrium gebildete fettsaure Natrium ist die Seife. Verseifungen oder verseifungsähnliche Prozesse scheinen nun nach den neuesten Untersuchungen überall da sich abzuspielen, wo in der Natur die Fette in den Stoffwechsel eintreten. Die Fette scheinen als solche die Zellwand nicht passieren zu können. Um sie wanderungsfähig zu machen, werden sie vor dem Transport in Glyzerin und Fettsäuren oder fettsaure Salze gespalten. Das geschieht z. B. in den Samen gewisser Pflanzen des Mohns, des Rizinus, des Hanfs, der Sonnen- blume u. a. Hier spielt das Fett die Rolle eines Reserve Stoffs. Soll es im Frühling zur Er- nährung des Keimlings dienstbar gemacht werden, SO wird es durch gewisse „Fermente", welche eigens zu diesem Zweck um diese Zeit in den ölreichen Samen auftreten, auf die oben erwähnte Weise verflüssigt. Aus Glyzerin und Fettsäure kann die Pflanze leicht Zellmaterial, Zucker usw. aufbauen oder Fette zurückbilden. Die Technik macht nach einem neuerdings patentierten Verfahren Gebrauch hiervon bei der Seifenfabrikation. Anstatt, wie dies bisher üblich war, die Fette zuerst durch Ätznatron in P'ett- säure und Glyzerin zu spalten, um erstere dann durch Behandlung mit Soda (kohlensaurem Natrium) zu verseifen, zerlegt man sie mit den Fermenten der sonst wertlosen Rizinusölpreßkuchen. Auch im D a r m d e r T i e r e u n d M e n s c h c n spielt die Verseifung, wie jetzt festgestellt ist, eine große Rolle. Durch verseifende Fermente — Li- pasen — werden die aufgenommenen P'ette im Darmkanal verdaulich gemacht, d. h. in gelöste F'orm übergeführt, so daß sie durch die Wände des Dünndarms bzw. der Darmzotten in die Lymph- gefäße aufgesogen werden können. Die abge- spaltenen Fettsäuren oder an Natrium gebundenen Fettsäurereste vereinigen sich nach dem Übertritt in den Lymphgefäßen mit dem Glyzerin wieder zu Fetten, die dann veratmet oder abgelagert werden können , also Heizstoffe oder Reserve- material abgeben. Die Wiedervereinigung der Fettanteile in der Lymphe ist übrigens, wie Ben- jamin Moore ganz neuerdings (Procedings of the Royal Society 1903 vol. LXXII, p. 134— 151) nachgewiesen hat, ausschließlich Eigenschaft des lebenden Bluts. Das kreisende Blut schafft hier, in Form chemischer Spannkraft, die Energie her- bei, die nachher bei der „Verbrennung", d. i. Ver- atmung der Fette, wieder als Wärme frei wird. In letzter Linie erscheinen also die Fette in unserem Körper als Träger bzw. Binder und Entbinder von Energie. Verseifungen von Fetten bzw. Zerlegung in Fettsäuren und Glyzerin scheinen aber im Stoff- wechsel noch allgemeiner zu sein. Wenigstens läßt sich angesichts der neuesten Forschungen über die tierische und pflanzliche Atmung von Stoklasa, Jelinek, Vitek (Beiträge zur chep. Phys. und Path. 1903, Bd. III, S. 460 — 509) und Simäcek (Zentralbl. für Physiol. 1903, XVII, S. 3) ohne eine derartige Annahme eine einheitliche Atmungstheorie nicht mehr aufstellen. Die genannten Forscher haben nämlich die anaerobe Atmung, die man früher als intra- molekulare bezeichnete, in größerer Verbreitung nachgewiesen, z. B. für die Runkelrübe, für den Schweinepankreas usw. Das Wesen dieser Atmung besteht, kurz gesagt, darin, daß bei Sauerstoff- abschluß Zucker durch gewisse ,, Enzyme" in Kohlendioxyd und Alkohol zerlegt wird. Die Enzyme behalten die zerlegende Kraft auch außer- halb der lebenden Zelle. Für die Hefe ist die anaerobe Atmung die normale. Will man nun nicht annehmen, daß ein so fundamentaler Lebens- prozeß wie die Atmung bei verschiedenen Or- ganismen in ganz verschiedenartiger Form verläuft, so muß man die anaerobe Atmung als die primäre ansprechen, die unter allen Umständen in jeder lebenden Zelle eintritt. Die alte Dissoziationstheorie nahm einen fortwährenden Zerfall der Eiweißstoffe an und betrachtete diesen als den Ausgangspunkt der Atmung. Vermutlich führt dieser Zerfall zu steter Neubildung von Cymasen, die gewisser- maßen den Zerfall auf den Zucker übertragen. Die normale Atmung soll, so nimmt man an, sich derart an die intramolekulare anschlielden, daß bei Sauerstoffzutritt der Alkohol zur Neubildung von Bestandteilen des lebenden Protoplasmas ver- wandt wird. Chemisch steht er ja nach Fischer's Untersuchungen den Kohlenhydraten nahe. Viel- leicht wird er also in neuen Zucker umgewandelt. Die Atmung hat hiernach den Zweck, die chemische Spannkraft in lebendige Energie umzuwandeln. Die Atmung der Fette paßt in diese Atmungs- theorie nicht ohne weiteres hinein. Bisher glaubte man doch, daß die Fette direkt zu Kohlenoxyd und Wasser oxydiert werden. Will man die Ein- heitlichkeit der Atmungsvorgänge aufrecht er- halten, so muß man für alle Fälle eine Zerlegung von Zucker in Alkohol und Kohlendioxyd als den grundlegenden Prozeß für die Atmung festhalten. Es liegt nun nahe, meine ich, hier an Zusammen- N. F. III. Nr. -,o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 471 w i r k e n V o n L i p a s e n und C y m a s e n zu denken. Dabei würden zunächst die Fette in Fettsäure und Glyzerin gespalten. Letzteres kann, wie Fischer gezeigt hat, durch Oxydation in Glyzerinaldehyd und dieses durch Polymerisation in Traubenzucker übergeführt werden. Der Traubenzucker würde durch Cyniase in Alkohol und Kohlendioxyd ge- spalten. Dr. Gustav Meyer, Oberlehrer in .Siegen. Vor einigen Jahren wurden die ersten Mit- teilungen über eigentümliche Leuchtorgane australischer Prachtfinken veröffentlicht, aus denen hervorging, daß die blauen Schnabelpapillen der Nestjungen von rocphila Gouldiac im Dunkeln leuchteten. Weitere sich teils widersprechende, teils unvollständige Angaben folgten nach, bis es nunmehr C. Chun gelungen ist, durch die Unter- suchung eines 6 Tage alten, lebenden Nestjungen die vorliegenden Verhältnisse näher aufzuklären.') Die blauen Papillen , die zu je zweien am Mund- winkel, dicht an dem hochgelb gefärbten Schnabel- wulst liegen, leuchteten tatsächlich in der Dunkel- kammer mit eigentümlichem Glühen, aber nur dann, wenn der Laden der Dunkelkammer nicht völlig geschlossen war, also im Halbdunkel. War die Dunkelkammer völlig verdunkelt, so war keine Spur von dem Leuchten zu beobachten, welches indessen bei Zutritt von etwas Licht sofort wieder in typischer Form auftrat. Es handelt sich also hier nicht um eine wahre Phosphoreszenz, sondern nur um eine durch ein Tapetum veranlaßte Reflex- erscheinung. Und daraufhin weist auch der feinere histologische .Aufbau. Es sind nämlich die halb- kugelig sich vorwölbenden , an ihrer Basis von einem schwarzen Pigmentring umgebenen blauen Papillen in ihrem Inneren von einem Bindegewebs- polster ausgefüllt , das in zwei Lagen zerfällt, zwischen denen sich sternförmig verästelte Pigment- zellen zur Bildung eines Tapetums einschieben. Eigentliche Leuchtzellen fehlen also gänzlich ; worauf der intensiv blaue Glanz beruht , bedarf noch der näheren Untersuchung. Die biologische Bedeutung dieser lebhaft ge- färbten und im Halbdunkel leuchtenden Papillen ist zweifelsohne darin zu suchen, daß sie der fütternden Mutter im dunkeln Nest den Weg zum Schnabel des Jungen weisen , womit in Einklang steht, daß die Papillen bei flügge gewordenen Prachtfinken schwinden. Die gleiche biologische Aufgabe kommt übrigens auch ganz im allgemeinen den auffällig hellgefärbten Schnabelwülsten junger Vögel zu, die außerdem noch mit ihren zahlreichen Tastkörperchen reflektorisch bei der Berührung ein Offnen des Schnabels herbeiführen. J. Meisenheimer. ') Zoolog. Anteiger. 27. Bd. 1903. Tiere und Alkohol. — Obwohl auch heute noch vielfach die .Ansicht vertreten wird, daß der Alkohol , mäßig genossen , doch einen gewissen, wenigstens indirekten Nährwert besitze, so ist man doch seit alters von der Schädlichkeit sowohl des zeitweiligen wie gewohnheitsmäßigen Übermaßes im Alkoholgenuß allgemein überzeugt ; und immer- mehr gewinnt die Überzeugung an Boden, daß er selbst in den kleinsten Quantitäten für den mensch- lichen Organismus ein höchst schädliches Gift dar- stelle. Trotz dieser Einsicht ist die Zahl seiner Anhänger auch heute noch eine sehr große. Aber nicht bloß der Mensch zeigt eine mehr oder minder starke Vorliebe für dies berauschende Gift, auch im Tierreiche finden sich zahlreiche Anhänger desselben. Ist es doch eine bekannte Erscheinung, daß sich die Wespe an dem gegorenen Safte faulender Früchte, besonders Kirschen, berauscht, bis sie steif und unbeholfen, kaum imstande zu kriechen, geschweige zu fliegen, auf der F"rucht sitzen bleibt, bis der Rausch verflogen ist. Im vorigen Sommer setzte ich ein Wespennest mit einer Königin und zwei Wespen in eine mit einer Glas- platte bedeckte Zigarrenkiste, um Beobachtungen an den Tieren anzustellen. Sie wurden mit Zucker- wasser gefüttert, gediehen prächtig, und bald zählten die Insassen meines Kastens 20 — 30 Stück. Da überrasche ich eines Tages einen Freund da- bei, wie er, um mir einen Streich zu spielen, in meiner Abwesenheit eine Dosis Spiritus in das Zuckerwasser tröpfelte. Ich war neugierig, was geschehen würde. Wir stellten den I'utternapf, eine kleine sehr flache Porzellanschale, ein, und nun ereignete sich folgendes; Sämtliche Wespen, die Königin nicht ausgenommen, eilten zu dem Futternapf, während sonst höchstens drei oder vier sich gleichzeitig dort befanden, und verzehrten mit Heißhunger den Inhalt, und bald lagen alle steif und schwer berauscht um das leckere Mal und einige in demselben. Letztere rettete ich von dem Ertrinkungstode, lüftete den Kasten, reinigte den Futterteller, und nach etwa drei Stunden erholte sich die schwerkranke Gesell- schaft, und alle gingen nach und nach, allerdings äußerst langsam und träge, an ihre gewohnte Be- schäftigung. Ob unsere Fledermäuse ebenfalls auf geistige Getränke reagieren, weiß ich nicht. Von einer indischen aber, dem Fliegenden Hund, ist bekannt, daß er mit Vorliebe die von den Eingeborenen zum Auffangen des Palmweines an die Bäume ge- hängten Schalen nächtlicherweile aufsucht. Nicht selten findet man ihn am Morgen sinnlos berauscht in diesen Gefäßen , und wenn dieselben gefüllt waren, ist er öfters schon ertrunken. Der Haushahn verzehrt Brot, welches in Schnaps eingeweicht ist, mit dem größten Appetit, und bald zeigt sein unaufhörliches Krähen und Flügel- schlagen sowie sein mutiges, herausforderndes Be- nehmen , daß ihm tatsächlich „der Kamm ge- schwollen" ist. Ich verlebte meine Jugend in einem Dorfe, und da gab's in jedem Frühjahr ge- waltige Hahnenkämpfe, bis die Herren Harems- besitzer sich über die Herrschaft geeinigt hatten und dem Stärkeren für den kommenden Sommer willig das Feld und die Schönen überließen. Wir 472 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. ^o Jungen setzten unseren Stolz darein, daß unser Hahn dem der Nachbaren „über" sein sollte. Da habe ich denn auf den Rat eines alten, pfiffigen Onkels gar oft unserem Gockel, wenn er geschlagen die Flucht ergrift", auf obige Weise Schnaps eingeflößt. Der Erfolg zeigte sich darin, daß er alsbald wieder todesmutig auf den Kampfplatz eilte und stets Sieger blieb. Oft kämpfte er gegen viel stärkere Gegner und achtete dabei weder auf seine Wunden noch auf ausgerissene Federn, setzte sogar einmal den Kampf noch fort, als ihm sein Gegner ein Auge ausgebissen hatte. Nur in einem einzigen Falle versagte mein Mittel. Ich hatte nämlich die Dosis zu stark bemessen, und der Gockel legte sich schreiend und flügelschlagend auf die Seite, taumelte ein paar Schritte, war aber nicht im- stande, sich auf den Beinen zu halten, und mußte ins Haus getragen werden, wo er sich bis zum nächsten Tage von seiner Trunkenheit erholte. Zum Alkoholgegner war er aber nicht geworden, denn er verzehrte sofort wieder seine jetzt aller- dings vorsichtiger abgemessene Portion. Unter den Hunden gibt es solche, die man geradezu als Alkoholiker bezeichnen könnte. Mancher Studiosus hat seinen vierfüßigen Freund durch Übung und gutes Beispiel in der Kunst des Biervertilgens zu einer staunenswerten Leistungs- fähigkeit gebracht. Auch Schnaps und Cognac lieben viele Hunde, wie mancher Jäger weiß. Sie husten und niesen zwar beim Genüsse derselben, verzehren sie aber trotzdem und kommen immer wieder, um ein paar Tropfen zu erhalten. In meinen Flegeljahren gab ich einmal dem Spitz- hunde eines Nachbars ein Quantum Branntwein, in Brot und Kartoffeln gemischt. Erst probierte er die Mischung mißtrauisch, fraß aber dann desto begieriger alles bis auf das letzte Krümelchen auf Er wurde nun bald äußerst rege, sprang wie be- sessen im Kreise herum und bellte wütend, ob- gleich kein Fremder in der Nähe war. Nach einiger Zeit zeigte er große Mattigkeit, es trat Er- brechen ein, und dann kroch er schwankend in seine Hütte, aus der er während des ganzen Tages nicht wieder hervorkam. Der Spitz hatte ent- schieden mehr als einen „Spitz" abbekommen. Wie sehr Pferde den Alkohol besonders in Form von Bier und Wein lieben, davon weiß jeder Besucher eines Hippodroms oder Rennplatzes zu berichten. Einer meiner Verwandten, der als Kavallerist 1870 den Feldzug in Frankreich mit- gemacht hat, erzählte mir dazu folgendes Erlebnis : „Wir hatten auf einem von seinen Bewohnern verlassenen französischen Gute Quartier genommen und unsere Pferde zum Teil in einer großen Scheune untergebracht. Da entdeckten einige Kameraden im anstoßenden Garten eine frisch um- gegrabene Stelle, gruben nach und förderten ein Fäßchen Wein zutage. In Ermangelung der nötigen Gerätschaften wurde, nachdem der Fund in die dunkelste Ecke der Scheune transportiert war, der obere Boden ausgeschlagen, und wir schöpften aus dem Vollen und ließen uns den köstlichen Trank munden, ohne daß natürlich die in den Wohn- räumen einquartierten Offiziere etwas merken durften. Auch der am Abend aufziehenden Stall- wache wurde, um eine übergroße Beteiligung zu verhüten, nichts mitgeteilt, vielmehr das Fäßchen mit Stroh lose bedeckt, und wir begaben uns zur Ruhe. Am anderen Morgen hörten wir zwei Schüsse fallen und sahen bei Hinzueilen zwei Pferde erschossen am Boden liegen. Die Pferde hatten sich losgerissen und wie besessen gebärdet. Beißend und schlagend hatten sie die größte Ver- wirrung angerichtet und die Scheune durchtobt. Als es endlich gelungen, sie einzufangen, waren alle Beruhigungsmittel fehlgeschlagen , und man hatte sie auf höhere Anordnung erschossen. Unser im Stroh verstecktes Weinfäßchen aber war leer bis auf den Boden." Offenbar hatten sich die Tiere unbemerkt losgerissen und den Inhalt des Fäßchens vertilgt. Ihr ganzes Benehmen war also nur das Zeichen eines starken Rausches. Andere Haustiere, z. B. Rinder, Schafe, Ziegen usw. fressen sehr gern frische Weintrester und Abfälle der Brauereien und Brennereien und be- rauschen sich daran, wenn sie zufällig das nötige Quantum haben können, mehr oder minder schwer. Auch bei ihnen zeigt sich dann der Rausch mit seinen anfänglich erhöhten Lebensäußerungen und der nachfolgenden Erschlaffung ganz wie beim Menschen. Besonders soll sich in- diesem Falle das Schwein seines Namens würdig zeigen. Der unersättlichste Trinker im Reiche der Tiere aber soll der Bär sein, und zwar liebt er besonders den Branntwein in starker und stärkster Form. Ich sah einmal, wie ein Bärenführer seinem Petz das noch zur Hälfte mit Schnaps gefüllte Schoppenglas vorhielt, welches derselbe mit allen Zeichen des Behagens sofort leerte. Wie in seiner Gestalt, so kommt auch im Trinken der Affe dem Menschen am nächsten, indem er den Alkohol in jeder Form liebt und sich, wenn er des Guten zu- viel getan, so beträgt, daß die Redensart „einen Affen haben" darin ihre gute Begründung findet. Der größte Trinker — wenigstens körperlich größte — im Tierreiche aber ist der Elefant. Er bevor- zugt, wie auch die Großen der Menschheit, den Wein. Diesen trinkt er mit Geschick und viel Behagen, wovon sich jeder im zoologischen Garten oder in Menagerien leicht überzeugen kann. Wie der Rausch dieses Dickhäuters aussieht, vermag ich nicht zu sagen. Der Versuch ist mir bei seinen weitläufigen Magenverhältnissen ein wenig zu kost- spielig. Neben solchen Trinkern hat das Tierreich auch seine Abstinenzler, und zwar gehört dazu das ganze Geschlecht der Katzen, ein Beweis, daß Fleisch - nahrung nicht immer zum Alkoholismus füiirt. Bietet man der Hauskatze Alkohol in irgendeiner Form, so zeigt sie den größten Abscheu vor diesem „Teufelstrank", und bei ihren kleineren und gröf5eren Verwandten ist es nicht anders. Mit Recht bezeichnet man also den auf übermäßigen Alkoholgenuß folgenden Zustand des Menschen, N. F. III. Nr. 30 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. 473 in dem er — Trunkenbolde ausgenommen — alles „geistige" \-erabscheut, mit dem Worte „Kater". F. W. Brinkmann. Durchtränkung des Sandes. — Zu der von der Belgischen geologischen Gesellschaft in Brüssel angeregten Verhandlung über das Wesen des Schwimmsandes hat auch Prof. Spring in Lüt- tich einen Beitrag beigesteuert (Mem. XVII I3 — 33), der auf experimenteller Grundlage beruht und von großem Gewichte für die behandelte Haupt- frage ist, zugleich aber noch andere interessante Verhältnisse, wie Osmose, Adsorption u. a. be- rührt. Als Versuchsmaterial diente ein aus Lehm (limon de Hesbaye) durch chemische Auflösung der übrigen Bestandteile gewonnener und ausge- waschener, darnach noch gebeutelter Sand von der mittleren Korngröße von 5 bis 10 //. Bei fester Zusammenpackung nimmt solcher trockener Sand so lange Flüssigkeit auf, bis die von dieser zwischen den Körnern ausgetriebene Luft einen gewissen Druck erreicht, dessen Größe abhängt wesentlich von der Kapillarkonstante der Flüssig- keit und der Feinheit des Sandes; jedoch ver- hindert der Einhalt in der Durchtränkung nicht die Anfeuchtung sämtlicher Sandkörner. Ein überraschendes Ergebnis stellte sich ein , als in einer Tierblase eingeschlossener Sand der Durch- tränkung mit Wasser ausgesetzt wurde, indem er sich da zu einer kompakten Masse verfestigte, welche sich mit dem Messer in Scheiben von 1 mm Dicke schneiden ließ; diese Scheiben sind nicht biegsam, sondern zerbrechlich, und lösen sich ins Wasser geworfen zu Schlamm auf; auch schon, wenn man sie nur in randliche Berührung mit einem Wassertropfen bringt, tritt ihr schritt- weiser Zerfall ein und w^ird der Sand ,, schwim- mend". Das Gewicht des von diesem gefesteten Sand (der sich nach einer an anderer Stelle ge- gebenen Mitteilung auch mittels der Luftpumpe aus dem frei durchtränkten Zustande erzielen läßt) aufgenommenen Wassers entspricht ziemlich genau der Berechnung, wenn man annimmt, daß das Wasser alle Hohlräume eines aus vollkommen sphärischen Körnern aufgebauten Sandagglomerates ausfülle; das von der Größe der sphärischen Kör- per nach Van Aubel und Cuvelier ganz unab- hängige Volumen dieser Hohlräume beträgt näm- lich 26 "/„ des Gesamtvolumens. Diese Erfahrung führte zu dem Lehrsatz , daß eine Masse aus trockenem und losem Sande bei der Durchtränkung mit Wasser ein Festigkeitsmaximum erreicht bei einem nicht stabilen Gleichgewichtszustande, in welchem die geringste Hinzufügung oder Ent- ziehung von Flüssigkeit sofort eine Umlagerung zur Folge hat, aber der Sand selber in feine, ihren Zusammenhalt wahrende Scheiben zerschnitten werden kann. Das Ausmaaß der einer Sandmasse das Festigkeitsmaximum erteilenden Durchtränkung steht in physischem Gleichgewichte mit dem- jenigen der freien Wasseraufnahme von tierischen Membranen. — Sand schlägt sich in sciiließlich gleicher Aufschüttungsdichte nieder, ganz unab- hängig von der chemischen Natur der Flüssigkeit, in welcher der Niederschlag erfolgt , auch unab- hängig von deren Kapillarkonstanten oder Mole- kulargrößen; jedoch variiert die Niederschlags- geschwindigkeit in ziemlichem Umfange, ohne daß eine einfache Beziehung zu den physikalischen Konstanten der Flüssigkeiten in die Augen fiele. Innerhalb von Gasen ist das Niederschlagsverhalten im wesentlichen dasselbe wie innerhalb von Flüssigkeiten, insbesondere auch unabhängig von deren chemischer Natur und der Gasdichte. — Sand zerstört den Zustand der Übersättigung und sogar der Sättigung in einer wässerigen Gaslösung; er adsorbiert das Gas um seine Körner herum dermaßen , daß er eine beträchtliche Menge des- selben befreit. Die um die Sandkörner entstan- denen Gashüllen bilden ein Hindernis für den Niederschlag, das jedoch allmählich an Kraft ver- liert und schließlich verschwindet, weil die Gas- hüllen keinen stabilen Gleichgewichtszustand be- sitzen. — Wenn man eine Lösung von zwei Flüssigkeiten, welche für einander keine allzugroße Affinität (wie etwa Wasser und Alkohol) besitzen, mit Sand umrührt, so läßt sich ein Wechsel in der Zusammensetzung der Lösung nachweisen, in- dem der Sand diejenige Flüssigkeit um sich kon- zentriert, zu welcher er größere Affinität besitzt, während sich mit der anderen die vom Sande entfernte Flüssigkeitspartie anreichert. Eine größere Dichte als wie reines Wasser besitzt dasjenige Wasser, in welchem Sand suspendiert ist und zwar kann diese Differenz lO "/o überschreiten. Ein Gemisch von Sand und Wasser verhält sich wie eine besondere Flüssigkeit; ohne erheblichen Verlust kann dasselbe sogar durch reines Wasser hindurchgeschüttet werden. Wie die in den Flüssigkeiten gelösten Gase den schnellen Nieder- schlag von Sand hindern, tun dies auch, wenn- gleich in geringerem Maße, die den Sandkörnern anhaftenden Flüssigkeitshüllen und zwar um so eher, je feinkörniger der Niederschlag ist, ohne Zweifel deshalb, weil seine Festigkeit mit seinem Volumenverluste wächst. — Sand, welcher in seine Zwischenräume, unter Vertreibung der Luft aus ihnen, Wasser aufnimmt, schwillt nicht auf, wenn das Niveau des Durchtränkungswassers in gleicher Höhe oder niedriger als die freie Sandoberflächc liegt. Dringt dagegen ' das Wasser in den Sand unter einem gewissen, wenn auch schwachen Drucke ein, so findet Aufschwellung statt; vom Wasser hängt es also ab, ob sich die Masse von Sand und Wasser, die als einheitlicher Körper funktioniert und deren Dichte diejenige von reinem Wasser übertrifft, im Gleichgewichte befindet oder an- schwillt. O. L. Eine Art künstlichen Kometenschweifs wurde von N i c h o 1 s und Hüll im Anschluß an ihre neuerlichen, sehr sorgfältigen Versuche über den durch Lichtstrahlung ausgeübten Druck inso- fern erzeugt, als es gelang die abstoßende Wirkung 474 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 30 eines Kegels konzentrierten Lichts auf herabfallende feinste Stäubchen zu demonstrieren (Astrophys. Journal, Juni 1903). Die genannten Forscher be- nutzten ein sanduhrähnliches Glasgefäß, pumpten es unter Erhitzung bis an die Grenze der Er- weichung des Glases aufs sorgfältigste luftleer, saugten dann die Dämpfe siedenden Quecksilbers eine Stunde lang hindurch, um möglichst alle Reste von permanenten Gasen zu entfernen, und beseitigten schließlich den Quecksilberdampf fast völlig, indem sie nach dem Abschmelzen des Ge- fäßes von der Luftpumpe das damit noch kom- munizierende Ouecksilbergefäß in eine Mischung von Äther und fester Kohlensäure eintauchten. Nachdem diese Kältemischung von — 80" C etwa eine Stunde lang die Kondensation und Erstarrung des Quecksilbers besorgt hatte, wurde die Ver- bindung mit dem Quecksilbergefäß gleichfalls durch Abschmelzen unterbrochen, so daß nunmehr neben einer zuvor eingebrachten Staubfüllung nur noch ein sicherlich äußerst geringer Gasrest in der Sanduhr vorhanden war. Die Staubfüllung bestand aus einer Mischung von feinem Schmirgel- pulver mit verkohlten Sporen einer Bovistart (Lycoperdum), welche letzteren im Durchschnitt nur 2 Mikrons (o,o02 mm) Durchmesser hatten und sehr gleichartig waren. Brachte man nun durch leichtes Klopfen die Sanduhr zum Laufen und lenkte einen durch eine Linse konzentrierten Strahlenkegel intensivsten Bogenlampenlichts dicht unter die Einschnürung, so wurden die verkohlten Sporen aufs deutlichste nach der gegenüberliegenden Glaswand abgelenkt, während das Schmirgelpulver ungestört senkrecht herabfiel. Durch Rechnung wurde nun allerdings festgestellt , daß diese abstoßende Wirkung des Lichts viel zu stark war, um sie auf den Strahlungs- druck allein zurückzuführen. Da nun die Wirkung radiometrischer Kräfte bei der sorgfältigen Ent- fernung des Gasinhalts wohl ausgeschlossen ist, so meinen Nichols und HuU, daß die Hauptursache der Ablenkung im vorliegenden Falle eine raketen- artige Wirkung von Gasen sein mag, die sich infolge der Bestrahlung aus den Kohlenstäubchen entwickeln. Jedenfalls hat die hier besprochene Iirscheinung eine außerordentlich große Ähnlichkeit mit der abstoßenden Wirkung der Sonnenstrahlen auf die Teilchen der Kometenschweife. Die Wirkung der Erdanziehung im oben beschriebenen Experiment war nun freilich mehr als 1600 mal so groß als die Sonnengravitation im Abstände der Erde, also hätte beim Versuch der Lichtkegel 1600 mal so hell sein müssen als Sonnenlicht, um kometarische Wirkungsbedingungen zu realisieren. Es kann uns daher nicht wundern, wenn in jener Sanduhr neben dem Strahlungsdruck noch andere Kräfte mitwirken mußten, um die starke Ablenkung der fallenden Sporen zustande zu bringen. Ob nun bei den Kometen der Strahlungsdruck allein aus- reicht, um im Sinne von Arrhenius (vgl. N. F. Bd. I, S. Ii4f) die Schweifbildung zu bewirken. oder ob auch bei der Bildung der Kometenschweife radiometrische oder gar raketenähnliche Wirkungen mit im Spiele sind , das vermögen wir zurzeit nicht zu entscheiden. Interessant ist aber, daß wir gegenwärtig, weit entfernt davon, wie früher die Abstoßung der Kometenschweife als eine kaum erklärbare Erscheinung bezeichnen zu müssen, eher durch die Mannigfaltigkeit der uns zur Ver- fügung stehenden Erklärungsmöglichkeiten in Ver- legenheit kommen. F. Kbr. Über die Cellulose. (Ein Sammelreferat über die neueren Arbeiten auf diesem Gebiete). — Der Sonne, der Spenderin alles organischen Lebens, unter deren Einfluß die Pflanze imstande ist aus unorganischen Stoffen die kompliziertesten organischen Veibindungen aufzubauen, verdankt auch die Cellulose ihre Entstehung. So unerschö])f- lich auch dieser Vorrat an Cellulose, namentlich in unseren Waldungen, von der Natur gebildet sich vorfindet und so uralt die Verwendung des Holzes ist, so ist doch erst in neuester Zeit durch eingehendere Forschungen das innere Wesen, d. h. der Chemismus der Holzsubstanz unserem Ver- ständnis näher gerückt worden. Die chemische Technologie der Holzfaser beschränkte sich auf die Herstellung von Kohlen, Kienruß, Teer, Pott- asche etc. und auf die Produkte, welche bei der trockenen Destillation des Holzes entstehen, wie Leuchtgas, Holzessig, Holzgeist, Aceton, Kreosot etc. Erst die Herstellung des Holzschliffs durch Keller 1840 und die allgemeine Verwendung desselben als Lumpensurrogat, ferner die Entdeckung der Schießbaumwolle von Schönbein und Bot t- ger im Jahre 1846 brachten neue Anregungen. Der Holzstoff besteht aus der in Wasser un- löslichen Masse des Holzes, die durch mechanische Mittel in kurze Fasern zerteilt wurde. Die so er- zeugte F"aser ist aber starr und unbiegsam, was durch die in den Zellwänden eingelagerte in- krustierende Substanz verursacht wird. Es war daher von großer Bedeutung, als es im Anfange der 70er Jahre gelang, die reine Holzfaser, die Cellulose, aus dem Holze abzuscheiden und so auf chemischem Wege der Papierfabrikation ein Material zugänglich zu machen, welches als eben- bürtiges Ersatzmittel des Hadernstofifs angesehen werden muß. Dieser neue Industriezweig hat sich in kurzer Zeit zu einer außerordentlichen technischen Voll- kommenheit entwickelt, so daß es jetzt möglich ist, aus der rohen Holzfaser ein Material herzu- stellen, das an Reinheit und Weichheit der Baum- wolle kaum nachsteht. Zu dem älteren Natron- verfahren und dem hauptsächlich von A. Mitscher- lich ausgearbeiteten und auf seine jetzige, hohe Entwicklungsstufe gebrachten Sulfitverfahren sind neuerdings noch die Verfahren von C. Kellner und P i c t e t getreten. Kellner verwendet solche Chemikalien, welche in dampfförmigem Zustande eine hydrolytische oder oxydierende Wirkung auf die inkrustierenden Substanzen ausüben. Das N. F. III. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 475 Holz wird z. B. unter Durchleiten des elek- trischen Stromes mit einer Kochsalzlösung erhitzt. Das entstehende Chlor und die unterchlorige Säure bilden Salzsäure, die mit Natronlauge sich wieder zu Kochsalz vereinigt, so daß also ein Kreislauf stattfindet und die P'lüssigkeit lauge Zeit dienen kann. Während man bei dem Sulfitzellstoffver- fahren die zur Verwendung kommende schweflige Säure durch Kalk absorbieren läßt, verwendet Pictet eine Lösung von schwefliger Säure bei niederer Temperatur. Der Stoff fällt jedoch etwas weniger weiß aus, weil sich ein Teil der schwef- ligen Säure leicht zu Schwefelsäure oxydiert, die bräunend auf die Cellulose einwirkt. Außerdem ist der hohe Druck, unter dem gearbeitet wird, nicht unbedenklich. Welche Rolle eine Verwertung oder Unschäd- lichmachung der bei der Zellstoffabrikation ab- fallenden Laugen spielt, geht aus folgenden, dem Werke von Schubert über die Cellulose-Fabri- kation entnommenen Daten hervor. Nach Schubert sind in i Liter Ablauge ca. 90 g organische Be- standteile, in I cbm daher 90 kg und in 60 cbm, d. h. einer Kocherfüllung, die kolossale Menge von 5400 kg organische Bestandteile! Dies Re- sultat erklärt sich, wenn man bedenkt, daß zu 100 kg fertiger Cellulose beinahe 300 kg absolut trockenes Holz erforderlich sind. Diese großen Mengen nutzlos wegfließender organischer Stoffe stellen natürlich, von national- ökonomischem Standpunkte betrachtet, einen er- heblichen Verlust dar. Sie sind aber auch die Ursache der Verunreinigung und Verseuchung vieler Flußläufe geworden, so daß sogar manche Fabriken gezwungen wurden, ihren Betrieb ganz einzustellen. Eine große Anzahl von Verfahren sind in den letzten Jahren ausgearbeitet worden, welche die Verwertung resp. Unschädlichmachung dieser Abfallauge zum Gegenstand haben. Man kann aber nicht sagen, daß diese wichtige Frage bis jetzt eine wirklich befriedigende Lösung ge- funden hätte, obgleich von selten einiger Fabriken zum Teil sehr hohe Geldpreise ausgesetzt worden sind. Von diesen Verfahren seien hier nur einige erwähnt. So gewinnt Mitscherlich aus der Ablauge einen billigen Klebstoff und einen Gerb- stoff, Eckmann das sog. Dextron, welches zum Beizen oder Schlichten von Textilstoffen verwendet werden soll. Nach Frank soll jedoch das Be- streben nur darauf gerichtet sein, die den Fluß- läufen wirklich schädlichen Bestandteile der Lauge zu entfernen , also schweflige Säure und deren gelöste Verbindungen, die in der Lauge enthalte- nen Aldehyde, welche ebenfalls Sauerstoff ent- ziehend wirken, ferner die stickstoffhaltigen Pro- dukte, welche die Gärung und Algenbildung fördern, endlich die gelösten Harze, die bei späterer Ausscheidung den Fischen und Pflanzen durch Abschluß der Luft Nachteile bringen. Dagegen sollen die anderen Bestandteile, wie Zucker, sowie Amyloide, ferner die Aschenbestandteile der Hölzer als unschädlich unberücksichtigt bleiben. Auf die Chemie der Cellulose und auf die neueren Arbeiten auf diesem Gebiete kann, bei dem mir hier zur Verfügung stehenden Räume, natürlich nur kurz eingegangen werden. Die Cellulose bildet sich wahrscheinlich aus den im Protoplasma vorhandenen Kohlenhydraten, welche ihrerseits aus der Kohlensäure der Luft durch Assimilation entstehen. Die Bildung der Cellulose muß durch einen Fermentationsprozeß des Zuckers in der Pflanze vor sich gehen. Bringt man Baumwolle in eine Rohrzuckerlösung, so findet eine weitere Bildung von Cellulose statt. E. D u r i n , von dem diese Versuche herrühren, will in dieser Weise durch Diastase lösliche Cellulose erhalten haben. Brownund Morris haben Beobachtungen gemacht über eine Bakterienart, die Cellulose zu bilden imstande ist. Reinkulturen dieses Bacterium xylinum vermehrten sich in Lösungen von Lävulose, Dextrose etc. unter Bildung von Cellulose. Diese Versuche bedürfen alle noch der Bestätigung. Immerhin scheinen die nahen Beziehungen, die für Zucker und Stärke nachgewiesen sind, auch zwischen Zucker und Cellulose vorhanden zu sein. Pasteur erhielt bei der Vergärung von Zucker mit Bierhefe unter anderem auch etwas Cellulose. Umgekehrt ist die Zuckerbildung aus Cellulose schon lange bekannt. Lindsey und Tollens stellten aus Tannenholz durch längeres Erhitzen mit Schwefelsäure unter Druck mehrere Prozente reinen Traubenzuckers dar. Ferner soll Schieß- baumwolle beim Stehen im Sonnenlicht, oder beim Erwärmen, bis zu 14 "„ Zucker liefern. Begreif- licherweise würden diese und ähnliche Reaktionen, welche eine technische Gewinnung von Zucker aus Holz ermöglichten, eine außerordliche national- ökonomische Bedeutung besitzen, aber bis jetzt sind die Versuche im großen noch immer an der zu geringen Ausbeute gescheitert. Vor kurzem ist es Gilson gelungen, die Cellu- lose kristallisiert zu erhalten, indem er reine Cellu- lose in Schweizers Reagenz langsam verdunsten ließ. Die Eigenschaft der Gelatinierung der Cellulose in Schweizers Reagenz hat auch eine wichtige in- dustrielle Verwendung gefunden. Vegetabilische Faser durch ein Bad von solchem Kupferoxyd- Ammoniak gezogen, wird mit einem feinen Über- zug gelatinierter Cellulose versehen , die beim Trocknen Kupferoxyd zurückhält. Hierdurch werden die Poren der Stoffe geschlossen und das Zeug wasserdicht. Die Gegenwart von Kupfer ver- hindert zugleich das Eindringen der Motten. In dem gelatinierten Zustande lassen sich auch die Cellulose- fasern in beliebige Formen pressen. Diese Fabrikate werden nach den Patenten von Scoffern und Wright hergestellt. Ähnliche gelatinierte Cellulose erhält man nach Cross und Bevan durch Einwirkung von Schwefel- kohlenstoff auf mercerisierte, d. h. mit Alkalien be- handelte, Baumwolle. Diese Alkali-Cellulose-Xan- thate sind vollständig löslich in Wasser. Die be- merkenswerteste Eigenschaft der Cellulose-Xan- thate ist ihre leichte Zersetzlichkeit in Cellulose, 476 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 30 Alkali und Schwefelkohlenstoff. Beim Eintrocknen hinterbleibt die Cellulose und stellt eine homo- gene farblose Haut von großer Zähigkeit und Elastizität dar. Die regenerierte Cellulose unter- scheidet sich in verschiedenen Punkten von der gewöhnlichen Cellulose. Ihr Wassergehalt ist größer; die Hydroxylgruppen sind reaktionsfähiger; sie läßt sich leicht acetylieren und hat größere Verwandtschaft zu Farbstoffen. Wegen ihrer Fähig- keit äußerst schleimige Lösungen zu bilden, be- zeichnen die Erfinder dieses interessante Produkt mit dem Namen Vi sc ose. Dieselbe ist einer mannigfachen technischen Anwendung fähig; als Ersatz des Collodiums und des Celluloids, als Appretur- und Dichtungsmaterial, als teilweiser Ersatz der Harzleimung in der Papierfabrikatioii etc. Die aus der Lösung in Schwefelkohlenstoff re- generierte Cellulose reagiert direkt mit Essigsäure- anhydrid. Bei 120" C wird das entstehende Pro- dukt zu einer Flüssigkeit von großer Viskosität gelöst, die zur Herstellung von Films für photo- graphische Zwecke dienen soll. Nach der Ana- lyse scheint es ein Tetracetat zu sein. Aus der Lösung in Chloroform erhält man das Tetracetat in Form durchsichtiger Häutchen, die als Ersatz des Collodiums verwendet werden sollen. Von den Verbindungen der Cellulose sind bis jetzt die Nitro- cellulosen die wichtigsten, von denen bekanntlich die höheren Nitrate als Explosivstoffe und zu rauchschwachenPulvern verarbeitet werden, während die niederen unter den Namen Collodium, C e 1 1 u 1 o i d , X y 1 o n i t etc. zu den mannigfaltigsten Zwecken Verwendung finden. Der Aufsehen er- regende Prozeß, der im Jahre 1894 in England über die wichtigsten rauchlosen Pulver Balli- st it und Cordit stattfand, hat gezeigt, daß unsere Kenntnisse der Nitrocellulosen noch sehr mangel- haft sind. Als noch nicht ganz beseitigter Übel- stand der rauchlosen Pulver, die in raschem Sieges- lauf das alte Schwarzpulver verdrängt haben, müssen die stark elektrischen Eigenschaften, die Schwierig- keit der Herstellung in Körnerform und die noch nicht genau studierte chemische Veränderung bei längerem Lagern angesehen werden. Die Bemühungen, den Holzzellstoff als Roh- material für die Darstellung von Nitrocellulosen zu verwenden, dauern fort. Die nach einem solchen verbesserten Verfahren von der Fabrik Wald- hof in den Handel gebrachte wollartig feine Cellulose ist aber noch etwas hoch im Preis. Was das C e 1 1 u 1 o i d , bekanntlich eine Mischung aus Nitrocellulose und Kampfer, anbetrifft, so hat seit der Entdeckung desselben durch Hyatt die P"abrikation außerordentliche Fortschritte gemacht. Das Bestreben , die anfangs stark übertriebene Feuergefährlichkeit des Celluloid herabzusetzen, hat zu verschiedenen Produkten geführt, die als Vegatalln oder Celluloid-Ersatz in den Handel kommen. Den teueren Kampfer hat man ganz neuerdings auch mit Erfolg durch andere Körper ersetzt. Die vielseitige Verwendung des Cellu- loids ist zu bekannt, um hier darauf einzugehen. Eine neuere technische Anwendung ist die zur Vervielfältigung von Holzschnitten. Eine weitere sehr interessante Verwendung haben die Nitrocellulosen in der Darstellung künst- licher Seide gefunden. Während nach dem Verfahren von C h a r d o n n e t , V i v i e r und Leh- ner mehr oder weniger nitrierte Sulfit- oder Baum- wollcellulose verwendet wird, sucht Langhans durch Behandlung der Cellulose mit Schwefelsäure zu einem geeigneten Grundstoff zu gelangen. Die nitrierte Cellulose läßt man, in einer Alkohol- Athermischung gelöst, aus einer feinen Öffnung unter Druck ausfließen. Äther und Alkohol ver- flüchtigen sich und ein der Seide ähnlicher, ja dieselbe an Glanz noch übertreffender Faden bleibt zurück, der an Festigkeit der natürlichen aller- dings nachsteht. Um der künstlichen Seide ihre allzuleichte Entzündlichkeit zu nehmen, muß die- selbe denitriert werden. In dieser Denitrierung hat man jetzt so große Fortschritte gemacht, daß sie kaum noch leichter verbrennlich ist als Baum- wolle. Eine Gefahr bei der Fabrikation bilden die großen Äthermassen. So braucht man zur Herstellung von 1200 kg Seide nicht weniger als 6000 kg Äther- Alkohol. Werfen wir einen Rückblick auf das Vor- stehende, so muß es auffallen, daß ein so großes Gebiet wie die Chemie der Cellulose solange un- bearbeitet blieb und zwar noch zu einer Zeit, als die Chemie auf allen anderen Gebieten die raschesten Fortschritte machte. Der Grund liegt darin, daß die Cellulose sich gegen die meisten chemischen Reagentien indifferent verhält. Da es aber jetzt gelungen ist, lösliche und leichter angreifbare Cellu- loseverbindungen zu erhalten, welche wir haupt- sächlich den Arbeiten von Cross und Bevan ver- danken, so werden jedenfalls auch neue inter- essante Entdeckungen sich häufen. Bildet doch die Holzsubstanz ein Rohmaterial, dem sich, an Reichhaltigkeitderdarin vorkommenden chemischen Verbindungen, höchstens der Steinkohlenteer an die Seite setzen läßt. Unterstützt durch eine genaue Kenntnis des Rohmaterials ist die Industrie der Cellulose zu ihrer jetzigen großen Bedeutung herangewachsen. Wenn früher die Praxis der wissenschaftlichen Forschung weit vorausgeeilt war, so hat diese jetzt mit Riesenschritten das Versäumte nach- geholt und die zukünftigen Fortschritte dieser In- dustrie gehen Hand in Hand mit den Fortschritten, welche auf wissenschaftlichem Gebiete gemacht werden. Dr. Edgar Odernheimer. Wetter-Monatsübersicht. Innerhalb des vergangenen März wechselte die Witterung in Deutschland mehrmals ihren Charakter, jedoch herrschte trockenes, ziemlich heiteres und mildes Wetter, namentlich im Osten, entschieden vor. Der Monat begann überall mit Frost, der in Norddeutschland , wie die beistehende Zeichnung er- sehen läßt, etwa bis zum 7. an Strenge zunahm, während im Süden von Anfang an eine ziemlich gleichmäßige Erwärmung N. F. III. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 477 stattfand. Am kältesten war es in der Provinz Ostpreußen, wo in der Naclit zum 7. März in Königsberg mit — 18" C die tiefste Temperatur dieses Winters erreicht wurde. Aber schon zwei Tage später hatte dort das Thermometer den Gefrierpunlit um 4 Grade überschritten, im ganzen deut- schen Binnenlande stieg es am 9. nachmittags auf mindestens 10", zu Fricdricbshafcn auf 17° C. AliWcj's'Tertip^raturcti- einiger 0rte im Sßiin j901 BrriinprWefffTbureau Längere Zeit hindurch ging die Erwärmung dann nicht weiter vorwärts , vielfach sogar ein wenig zurück. Um die Mitte des Monats traten neuerdings in den meisten Landes- teilcn Nachtfröste auf, die den schneefreien Saaten in Ost- preußen, Schlesien und einzelnen Gegenden Süddeutschlands mehr oder minder erheblichen Schaden brachten. Erst seit dem 20. März gab es wieder sehr schöne, sonnige Frühlings- tage , am 28. ging die Temperatur in Frankfurt a. M. und Bamberg bis ig" C in die Höhe, jedoch kamen dazwischen und n.ichher noch recht kalte Nächte und auch einige ziem- lich kühle Tage vor. Im Monatsmittel lagen die Temperaturen Nordwest- und Süddeutschlands ungefähr einen Grad unter ihren normalen Werten, die hingegen nordöstlich der Elbe uro einen halben Grad oder etwas mehr übertroffen wurden. Nach einer längeren Reihe zu trüber Monate zeichnete sich der März in einzelnen MiitltrtrWerl tur Deuföchland MünalssummcpMar: ». (II Oi Ol 00 1899 ^ BgHiner Wetlartrmvau. ^ Gegenden wieder durch einen kleinen Überschuß an Sonnen- strahlung aus. In Berlin betrug die Dauer des Sonnenscheins im diesjährigen März 104 Stunden und kam dem Durchschnitte der letzten 12 Märzmonate gerade gleich. Ziemlich ungleich waren , sowohl auf die einzelnen Ab- schnitte des Monats als auch auf die verschiedenen Gegenden Deutschlands die Niederschläge verteilt, die in der ersten Märzwoche fast nur als Schnee, später mehr als Regen fielen. Am geringsten waren sie, wie aus der nebenstehenden Dar- stellung hervorgeht, im allgemeinen während der Zeit vom 13. bis 21. März, doch kamen auch am Anfang und besonders gegen Ende des Monats zwischen den Schnee- und Regen- tagen mehrere trockene Tage vor. Die am weitesten verbrei- teten und stärksten Regeniälle fanden am 29. und 30. März statt. Sehr heftige, teilweise stürmische Südostwinde gingen ihnen voran, und sie wurden in vielen Gegenden von Hagcl- oder Graupelschauern, in einzelnen auch von Gewittern be- gleitet. Die gesamte Nicdcrschlagshöhe des Monats betrug für den Durchschnitt aller Stationen 33,4 mm, fast 13 mm weniger als im Mittel der Märzmonate seit Heginn des vorigen Jahrzehnts. Am wenigsten Niederschläge, durchschnittlich nur 22 mm, sind östlich der Elbe gefallen, etwas mehr als doppelt so viel in Suddeutschland. In der allgemeinen Anordnung des Luftdruckes traten im Laufe des März gewohnlich nur langsame .Änderungen und mehrfache Wiederholungen ein. Meistens lag ein sehr um- fangreiches barometrisches Maximum im Innern Rußlands, das dort am Anfang und gegen Ende des Monats 7^5 mm Höhe überschritt, während sich Minima teils in der Nähe der Briti- schen Inseln, teils auf dem Mittelländischen Meere aufhielten. Für Mitteleuropa hatte diese Druckverteilung ein starkes Vorherrschen östlicher Winde zur Folge , die bald kalte, bald milde Luft mitbrachten, je nachdem das Maximum nörd- licher oder südlicher gelegen war und die Minima uns fern blieben oder etwas näher heranrückten. In Deutschland selbst drangen in den ersten Märztagen von der Mittelmecrdepression, später von den westlichen Depressionen einzelne Teilminima ein und führten meist kurz vorübergehendes trübes, nasses Wetter herbei. Ihnen folgte fast jedesmal ein neues Maximum vom Atlantischen Ozean nach, das schnell ostwärts oder nord- ostwärts weiterzog und dann längere Zeit in Rußland verblieb. Das tiefste barometrische Minimum trat erst am 29. März bei Schottland auf und breitete alsbald sein Gebiet über die ganze westliche Hälfte Europas aus. Die Niederschläge waren daher jetzt allgemeiner und in den meisten Gegenden reich- licher als bisher. Namentlich kamen in Italien, wo der Monat mit starken Schneefällen im Norden und heftigen Gewitter- regen im Süden begonnen hatte , neuerdings furchtbare Un- wetter vor, durch die die Ortschaften am Po und seinen Ncbenllüssen vielfach überschwemmt wurden. Dr. E. Leß. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Der 8. Internationale Geographenkongreß findet vom 8. September 1904 ab in Washington, D. C, U. S. A., statt. — Adresse ist: The eighth international Geographie Congress Hubbard Memorial Hall, Washington, D. C, U. S. A. Bücherbesprechungen. Franz Krasan, Cyinnasialprofessor in Graz, An- sichten und Ci es p räche über die indi- viduelle und spezielle Gestaltung in der Natur. Leipzig, Verlag von VV. Engelmann. 1903. 280 Seilen. — Preis 6 Mk. Der nicht nur in seiner Spezialwissenschaft , der Botanik, sondern auch in Mineralogie, Geologie und Paläophytologie sehr gut orientierte Verfasser bietet uns im vorliegenden Werke eine ganze Reihe ein- gehender Betrachtungen über die unendliche Zahl der Möglichkeiten und tatsächlichen Komplikationen 478 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 30 im Reich der individuellen und spezifischen Variation der Lebewelt. Zuweilen setzen seine Ausführungen sehr breit und mit scheinbar trivialen, selbstverständ- lichen Betrachtungen ein , dennoch erweist es sich meist als lohnend , den weit ausholenden Gedanken- gängen zu folgen , da sie sehr geeignet sind , den Leser auf die unerwartet große Komplikation und die Fülle oft unlösbarer — Schwierigkeiten hinzuweisen, welche das Variationsproblem bietet, ob man nun von der phylogenetischen oder auch nur von der systematischen Seite herantritt. So warnen diese Be- trachtungen den Systematiker und Biologen vor einer ganzen Reihe versteckter Fallgruben , welche die iNIaterie birgt, und zeigen, wie hier jeder Schritt sorg- fältig geprüft und überlegt werden muß , wenn man sich vor voreiligen Schlüssen und ungenauen Vor- stellungen hüten will. Auch viele Bemerkungen, die nicht neu , aber in Spezialwerken verstreut sind, erhalten durch eine solche zusammenfassende Behand- lung größeres Gewicht und die Grenzen ihrer Be- deutung lassen sich klarer beurteilen. Eine INIenge realer Beispiele und Beobachtungen verleiht den rein theoretischen Erörterungen Plastik. Recht lebendig und eigenartig wird das Buch dadurch , daß der größte Teil in Dialogform geschrieben, gleichsam eine Reihe ungezwungener, wissenschaftlicher Collo(iuia darstellt. Dr. E. Meyer. i) Dr. Crüger's Grundzüge der Physik. Aus- gabe B. 28. Aufl., bearb. von Dr. Hildebrand. Mit 371 Abbildgn. und einem farbigen Spektrum. Leipzig, Amelang. 1903. 242 Seiten. — Preis geb. 2,50 !\lk. 2) Dr. Rosenberg, Lehrbuch der Physik für die oberen Klassen der Mittelschulen. Mit 615 Fig. und einer Spektraltafel, ^\'ien und Leipzig, A. Holder. 1904. 488 Seiten. — Preis geb. 5,20 Mk. 3) K. Fufs und G. Hensold, Lehrbuch der Physik. Mit 422 Abb. und Spektraltafel. 5. Aufl. Freiburg i. B. , Herder. 1903. 542 Seiten. — Preis geb. 5,75 Mk. 4) Prof. L. Pfaundler, Die Physik des täg- lichen Lebens. Mit 464 Abbild. Stuttgart u. Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt. 1904. 420 S. — Preis geb. 7,50 .Mk. 5) Schläpfer, N a t u r w i s s e n s c h a f 1 1 i c h e s R e p e- titorium. 2. Aufl. Davos, H. Richter. 1903. 290 Seiten. — Preis geb. ^,40 Mk. Nr. I ist eine verkürzte Ausgabe des Bd. I, S. 3S4 besprochenen Lehrbuchs desselben Verfassers. Die dort gemachten Ausstellungen sind in der vorliegen- den Ausgabe berücksichtigt. Das Buch dürfte für den Anfangsunterricht recht brauchbar sein. Nr. 2 ist eine bedeutsame Neuerscheinung auf dem Gebiete der Schulbuchliteratur. Der Stoft' ent- S].)richt den Vorschriften der österreichischen Gym- nasien und umfaßt daher neben der eigentlichen Physik auch Chemie und mathematische Geographie. Die Darstellung ist durchweg gründlich durchgearbeitet und angenehm lesbar, besonderer Wert wird auf die Erreichung voller Sicherheit in den Grundbegriften gelegt. So ist z. B. der Begriff des elektrischen Potentials und des Potentialgefälles bei einem Strom meisterhaft behandelt. Die zahlreichen Figuren zeich- nen sich durch Klarheit aus. In der Benutzung mathematischer Entwicklungen hat sich der Verf eine angemessene Beschränkung auf das Notwendigste auf- erlegt. Die den einzelnen Kapiteln angefügten Auf- gaben sind zumeist ohne längere Rechnung lösbar. Unkorrekt ist die Seite 231 über Passate und die Buys-Bollot'sche Regel eingefügte Bemerkung, da die Deviation der Winde bei ostwestlicher Richtung nicht Null, sondern in jedem Azimut gleich groß ist. Nr. 3 ist die den Fortschritten der Wissenschaft angepaßte und zugleich auch didaktisch weiter ver- vollkommnete Neuauflage eines bewährten, vorwiegend die Bedürfnisse der Lehrerseminarien berücksichtigen- den Lehrbuchs. Besondere Erweiterung haben in der vorliegenden Ausgabe die Aufgaben erfahren, denen die Ergebnisse durchweg beigefügt sind. " Nr. 4 entspricht dem Titel insofern nicht ganz, als die Bezugnahme auf das tägliche Leben kaum stärker hervortritt als in irgend einem physikalischen Sciiulbuch. Natürlich ist die Darstellung eine mehr erzählende. Es liest sich in dem Buche recht ange- nehm, so daß es als Geschenk für die Jugend sicher zu empfehlen ist. Nur hätte unseres Erachtens manches, z. B. die Dynamomaschine, der Prony'sche Bremszaum etc., wegbleiben können , um für die Er- scheinungen des täglichen Lebens mehr Raum zu gewinnen. In der Mechanik wird auf die bei der Eisenbahn und dem Fahrrad zu machenden Beobach- tungen zu wenig Bezug genommen, das Kugellager wird nicht erwähnt. Bei der Kapillarität werden niedliche Kunststücke besprochen, die aber dem Leser ganz unverständlich bleiben, während vom Lampen- docht, dem Löschblatt, der Porosität der Mauersteine etc. mit keinem Wort gesprochen wird. Vom Gas- glühlicht ist in dem Buche nichts zu finden. Bei der Besprechung der Öfen fehlt die Berücksichtigung der jetzt so verbreiteten Dauerbrenner und ihre Beein- flussung der Luftfeuchtigkeit. Auch wird eine Haus- frau vergeblich zu erfahren suchen, warum der nasse Koks besser anbrennt als trockener usw. Kurz, bei einer zweiten Auflage könnte das Buch in vieler Hinsicht seiner Bestimmung besser angepaßt werden. Nr. 5 ist eine gedrängte Zusammenstellung der wichtigsten Tatsachen sowohl der beschreibenden Naturwissenschaften, als auch der Physik und Chemie. Bei Repetitionen für Prüfungen wird das Buch gute Dienste leisten können. F. Kbr. Dr. R. Schweitzer, Die Energie und Entropie der Naturkräfte. Köln a. Rh., J. P. Bachern. Ohne Jahreszahl. — Preis 1,20 Mk. Die wichtigsten Tatsachen zur Begründung des Energiegesetzes und der Entropielehre werden in an- regender, gemeinverständlicher Darstellung auseinander- gesetzt. Im Schlußkapitel benutzt Verl', den nach dem Entroi)iesatz zu postulierenden Anfangs- and Endzustand des Weltlaufs zur Begründung eines Scftöpferbeweises , der fiü- solche Naturen, die sich j nicht mit der Erkenntnis des Seienden bescheiden ,/ N. F. III. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 479 wollen, sympathisch sein mag. Unseres Erachtens hat die Erfahrungswissenschaft mit den mystischen Nei- gungen des Menschen nichts zu tun, ihre Lehren lassen sich weder für, noch gegen den Atheismus ins Feld führen. F. Kbr. i) Dr. Georg Hauberrifser, Wie erlangt man brillante Negative und schöne Abdrücke. 13., vollst, umgearbeitete und vermehrte Auflage. Mit 17 Abbildungen und 5 Tafeln. Leipzig 1904. Ed. Liesegangs Verlag (M. Eger). 2) Photographischer Almanach für das Jahr 1904. 24. Jahrgang. Begründet von Dr. P. E. Liese- gan g. Herausgegeben von Joh. Gaedicke, Redakteur des Photographischen Wochenblattes. Leipzig 1904. Ed. Liesegangs Verlag (M. Eger). — Preis M. i, geb.i. M. 1,25. 3) Dr. J. M. Eder, Die Praxis der Photo- graphie mit Gelatine-Emulsionen. Aus- führliches Handlmch der Photographie. X. Heft. (III. Bandes 2. Heft.) 5. vermehrte und verbesserte Auflage. Mit 206 Abbildungen. Halle a. S. 1903. Wilh. Knapp. — Mk. 8. (Einzeln käuflich.) 4) Dr. J. M. Eder, Die Photograi)hie mit Chlors i ll)e r- Gelati ne. Ausführliches Handbuch der Photographie. XI. Heft. (UI. Bandes 3. Heft.) 5. vermehrte und verbesserte Auflage. Mit 20 Ab- bildungen. Halle a. S. 1903. Wilh. Knapp. (Ein- zeln kauflich.) 5) G. Pizzighelli, Die photographischen Pro- zesse. Dargestellt für Amateure und Touristen. Handbuch der Photographie. Band II. 3. ver- besserte Auflage, bearbeitet von Gurt Mischewski, früher langjährigem ersten Assistenten am photo- chemischen Laboratorium der kgl. Technischen Hochschule zu Berlin. Mit 221 Abbildungen im Te.xt. Halle a. S. 1903. Wilh. Knapp. — Mk. S. 6) Arthur Frhr. v. Hübl, Die Ozotypie. Ein Verfahren zur Herstellung von Pigmentkoi)ien ohne Übertragung. Encyklopädie der Photographie. Heft 47. Halle a. S. 1903. Wilh. Knapp. — Mk. 2. 7) Dr. F. Stolze, Chemie für Photographen. Unter l)es()nderer Berücksichtigung des photographi- schen Fachunterrichts. Encyklopädie der Photographie. Heft 46. Halle a. S. 1903. Wilh. Knapp. — Mk. 4. i) Der Liesegang'sche Verlag bringt in ■ dem Hauberrißer'schen Büchlein eine vorzügliche Anleitung auf den Markt, die auf den nur 54 Seiten mit über- raschender Klarheit die zum Gelingen guter Bilder zusammenwirkenden Faktoren und die Mittel zur Ver- hütung \on Mil.5erfolgen darlegt. Für den Anfänger auf dem Gebiete der Amateur-Photographie dürfte es kaum einen zweckmäßigeren Leitfaden geben. 2) Der Photographische Almanach bietet neben der reichen bildlichen Ausstattung, von der nur ein Porträt des Hofrats Prof. Eder in Heliogravüre er- wähnt sei, einen überaus mannigfachen Inhalt. Neben dankenswerten photographisch-technischen Hinweisen, wie die auf das Janas- und Doropapier, finden sich auch Aufsätze von großem allgemeinem Interesse. So behandelt J. Gaedicke das Gärtner'sche Verfahren der Farbenphotographie, dessen zwar einigermaljen be- schränkte aber verhältnismäßig bequeme Ausführung ihm für den Amateur besondere Bedeutung geben. Hervorgehoben seien noch ein Artikel \on E. Ruhmer über Selenzündapparate und von A. Parzer-Mühlbacher über das Poulsen'sche Telegraphen. 3) und 4) Das Eder'sche Handbuch ist so be- kannt, daß ein kurzer Hinweis auf das Erscheinen der beiden oben genannten Abschnitte in nunmehr fünfter Auflage genügt. Die rasche Folge der Auf- lagen hat es ermöglicht, in diesen beiden wichtigsten Gebieten der Photographie dem Werke seinen Wert als ausführliches Nachschlagebuch auch für die neuesten Phasen der Entwicklung zu bewahren. Eingehende Behandlung finden auch die Filmtechnik und die orthochromatische Photographie, die dem photo- graphierenden Naturwissenschaftler besonders nahe liegen. Das zweite der angezeigten Hefte enthält übrigens viel mehr als sein Titel besagt, so u. a. den wichtigen Abschnitt über die Fehler beim Emulsions- \erfahren, und einen sehr inhaltreichen Nachtrag. 5) Während das Eder'sche Werk schon seines großen Umfanges wegen mehr für den Fachphoto- graphen in Betracht kommt, ist das Pizzighelli'sche Buch gerade für den Naturwissenschaftler, der sich bis zum Umfange eines Handbuches in die Photo- graphie vertiefen will, besonders empfehlenswert, zu- mal in der Neubearbeitung die Leistungsfähigkeit der Sensibilisatoren und die Chemie der Entwickler trotz der notwendigen Kürze zu gebührender Geltung kommen. Sehr ausführlich sind neben dem Silber- druckverfahren die Koi)ierprozesse mit Platinsalzen, der Pigmentdruck, der Gummidruck und die unten noch zu erwähnende Ozotypie sowie die üblichen Lichtpausverfahren beschrieben. Wenn diese Ab- schnitte für den Naturwissenschaftler bei seiner photo- graphischen Tätigkeit weniger in Betracht kommen, da er mit einem einzigen .Silberdruckverfahren meistens auskommt, so ist um so wichtiger für ihn der letzte Abschnitt über die Bestimmung der Belichtungsdauer, in der doch immer der Kernpunkt aller Schwierig- keiten liegt. 6) Die Ozotypie, die Frhr. v. Hübl in einem 44 Seiten zählenden Büchlein weiteren Kreisen em- pfiehlt , ist eine Abänderung des Pigmentdrucks, die dessen Ausführung wesentlich vereinfacht. Die doppelte tJbertragung des Pigmentbildes fällt fort, und die Haltbarkeit der dazu verwandten präparierten Papiere gibt die Möglichkeit, daß der Pigmentdruck sich in dieser Form in Anbetracht seiner unnachahmlichen Effekte auch in Amateurkreisen einbürgert. Jedenfalls verdient das Verfahren das weitgehendste Interesse. 7 ) Das Stolze'sche Buch ist eine kurz gefaßte Chemie, in die eine eingehendere Behandlung der in der Photographie zur Verwendung kommenden Stoffe je- weilig eingefügt ist. In erster Linie ist es demgemäß, wie auch der Titel besagt, ein Buch für den pholo- graphischen Fachunterricht und für diesen gewiß sehr geeignet. Bei der nachgerade unübersehbaren Menge von verschiedenartigen Körpern, die die Photographie sich mit der Zeit dienstbar gemacht hat, nniß das nur 1 7 1 Seiten starke Bändchen sich natürlich meist mit kurzen Bemerkungen über jeden begnügen. Deshalb 48o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. h\ m. Nr. 30 wird der Naturforscher, der sich beim Photographieren über die chemiscfie Natur seiner Materialien infor- mieren will, besser zu einem Lehrbuche der Chemie und einem der oben genannten Handbücher greifen. F. S. Literatur. Pfeffer, Prof. Dr. W. : Pflanzenphysiologie. Ein Handbuch der Lehre vom Stoffwechsel u. Kraftwechsel in der Pflanze. 2. völlig umgearb. Aufl. II. Bd. Kraftwechsel. 2. Hälfte. (XI u. S. 353 — 986 m. 60 Abbildgn.) gr. 8°. Leipzig '04, W. Engelmann, — ig Mk. (II. Bd.: 30 Mk.; geb. in Halb- frz. 33 Mk.) Philippson, Alfr. : Das Mittelmecrgebiet, seine geographische 11. kulturelle Eigenart. Mit 9 Fig. im Te.vt , 13 Ansichten u. 10 Karten auf ]5 Taf (VIII, 266 S.) gr. 8". Leipzig '04, B. G. Teubner. — 6 Mk. ; geb. in Leinw. 7 Mk. Schenck, Prof F., u. A. Gürber, DD.: Leitfaden der Phy- siologie des Menschen f. Studierende der Medizin. 3. Aufl. (VIII, 290 S. ra. 46 Abbildgn.) gr. 8". Stuttgart '04, F. Enke. — 5,40 Mk. ; geb. in Leinw. 6,40 Mk. Briefkasten. Wir können nur solche Fr.agen behandeln , von denen vorauszusetzen ist, daß ihre Beantwortung vom Fragesteller nicht leicht durch selbständiges Nachsehen usw. zu erreichen ist. Red. Herrn M. L. in Luxemburg. — Literatur über die Geologie der Ei fei ist die folgende. Monographien: J. Steininger: Geognostische Beschrei- bung der Eifel. Trier 1853. v. Dechen: Erläuterungen der geolog. Karte der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen. Kd. 11. Bonn 1884. R. Lepsius: Geologie von Deutsch- land. 1. Stuttgart 1887 — 92. Zeitschrift der deutsch, geol. (Jesellschaft: 1855. Bd. VII. F. Roemer. p. 377. — 1871. Bd. XXIll. E. Kayser. p. 289ff. Jahrbuch der Kgl. preuß. geolog. Landesanstalt: 1882/83 E. Schulz, Eifelkalkmulde v. Hillesheim. — Verhandlungen des naturhistor. Vereins der preuß. Rhein- lande und Westfalens. (Bonn); 1852. I.X. v. Dechen p. 289. — 1853. X. Weber p. 409. — 1861. XVIIl. v. Dechen p. 1. — 1865. XXII. V. Dechen p. 141. — 1870. XXVII. E. K.ayser, Corresp. -Blatt p. 61. — 1874. XXXI. v. Dechen p. 170 (.Sitz.- Ber.) — 1883. XL. E. Holzapfel p. 397. — 1884. XLI. E. Holzapfel p. 400. Lassaulx. — 1891. XLVllI. Schulte p. 174. Follmann p. 117. — 1882. XXXIX. FoUmann p. 129. Palaeontographica III. Schnur. Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie etc. 1894. II. Bd. F. Sandberger. p. 90. — 1855. F. Roemer. p. 321. Dr. Alex. Fuchs. Anfrage: Was ist ,,B enoidg as". Die Redaktion kennt den Namen nicht. Vielleicht kann einer der Leser Auskunft geben. Herrn Gartendirektor G. in Aachen. — Sie fragen nach Lexicon generum Phanerogamarum von T. von Post und (I)tto Kuntze. Darüber ist sehr schwer etwas kurz und bündig zu sagen. Solange man das Buch, wie auch die früheren Bücher O. Kuntze's, lediglich als Nachschlagewerk benutzt , um sich über Datum der Veroftentlichung etc. zu orientieren , ist es sehr brauchbar. .Allerdings muß man über die einzelnen zitierten .Tutoren auch einigermaßen Bescheid wissen , denn aus den Büchern ist oft nicht zu ersehen, wie ein solcher ,,Name" ursprünglich angewandt ist, außerdem sind natürlich, wie immer bei solchen Namenmassen, ebenso wie bei den von Kuntze so angegriffenen Autoren, Irrtümer und Abschreib- fehler untergelaufen. — Die Hauptsache, die es für irgend- welche praktischen Zwecke für jeden, der sich nicht speziell mit systematischen Fragen beschäftigt, unbrauchbar macht, ist die auch von Ihnen hervorgehobene höchst ur zweckmäßige Nomenklatur. O. Kuntze will den ältesten Gattungsnamen bis 1735 zurück gelten lassen gleichviel wo, wie oder von wem er publiziert ist, also zurück bis zu einer Zeit, wo die größte Mehrzahl der Schriftsteller noch gar nicht den Begriff der ,, Gattung" in unserem Sinne hatte. Findet er eine erste Beschreibung einer Pflanze, die mit irgendeinem eine Eigen- schaft derselben bezeichnenden Worte anfängt, ist dies Wort für ihn ,,Gattungs"name. Alle ganz obscuren z. T. seit über hundert Jahren gern vergessenen Namen und Bezeichnungen werden als ,, Namen" ausgegraben und werden mit einer oft großen Willkür an Stelle alter bekannter, seit Linne's Zeiten über die ganze Erde bekannter Namen gesetzt. Diese Willkür und seine Emendationen nennt Kuntze ,, legal" und trotz der mangelnden Anerkennung seine Nomenklatur ,, inter- national". Er vergißt ganz, daß die Nomenklatur einschließ- lich der Prioritätsfragen lediglich eine Frage der Zweck- mäßigkeit zur internationalen Verständigung, nicht eine Rechtsfrage ist. Die Umtaufungen Kuntze's, die auch Ihnen unangenehm aufgefallen sind, werden sich nie Eingang verschaffen. Richten Sie sich nur weiter nach Eng- ler's Syllabus und wollen Sic ein Buch haben, welches in einer vernünftigen Nomenklatur gleichfalls alle Phanerogamen- gattungen (in der Reihenfolge des Syllabusl aufführt, so kaufen Sie das von Kuntze so geschmähte, deshalb aber doch ganz vorzügliche Buch von Dalla Torre und Harms Genera Siphonogamarum (Leipzig, Wilh. Engelmann). P. Gractmer. Herrn P. D. in Forst (Lausitz). — Sie wollen eine Ex- kursionsflora für Thüringen, speziell für das Schwarza- tal, Rudolstadt, Ilmenau und die angrenzende Gegend haben. Da ist schwer zu raten , denn neuere Floren gibts da nicht, am besten sind noch Leonhard, Flora von Jena und Vogel, Flora von Thüringen, letztere enthält aber nur Stand- orte. Reiche, Flora des Saalkreises umfaßt dieses Gebiet nicht mit. — Am besten scheint es noch eine neue Auflage von Garcke's Flora von Deutschland, zur Hand zu nehmen, wenn auch keine speziellen Standorte darin stehen, findet man doch alles wichtige. P. Graebner. Herrn Oberlehrer G. S. in Großenhain (Sachsen). — l) Der Fehler bei der .Aussaat der Eq uisetumsporen (wenn sie ganz frisch waren) dürfte darin liegen , daß Sie das Sub- strat, also den Boden und d.as feuchte Papier, nicht sterilisiert h.aben. Die Sporen erliegen dann meist den sich ansiedeln- den Bakterien. Ist das Erziehen von Vorkeimen dieser Pflan- zen schon einigermaßen schwierig, so ist das Heranwachsen der entwickelten Pflanzen noch viel schwerer, da die jungen Gebilde in der feuchten Luft oder auf dem feuchten Substrat zu leicht verfaulen. Im Freien herrschen ganz andere Ver- hältnisse und auch da kommt nur ein Minimum der reifenden Sporen zur Entwicklung. 2) Arachis hypogaea wächst im Warmhause sehr leicht und willig und, wenn sie lockeren, luftigen, humoscn Boden hat, setzt sie reichlich Früchte an, die in schweren Boden nicht gut eindringen. Am besten tun Sie, die Pflanzen nebeneinander in einen tieferen Handkasten setzen zu lassen. — .Auch im Mistbeetkasten gedeiht die Pflanze leicht, nur fürs Freie ist es nichts, die Temperatur unserer Sommer reicht nicht aus, die Pflanze bleibt ganz klein, blüht zwar hin und wieder etwas, setzt aber kaum Frucht an. Dr. P. Graebner, Gr.-Lichterfelde-West (Berlin) Viktoriastr. 8. Inhalt; G. Heilig: Konjugation und natürlicher Tod. — Prof Dr. Max C. P. Schmidt: Zur lateinischen Terminologie der elementaren Arithmetik. I. — Kleinere Mitteilungen: Dr. Gustav Meyer: Die Fette im Haushalt der Natur und des Menschen. — C. C h u n : Leuchtorgane australischer Praclitfinken. — F. W. Brinkmann: Tiere und .\lkohol. — Prof Spring: Durchtränkung des Sandes. — Nichols und Hüll: Eine Art künstlichen Kometen- schweifs. — Dr. Edgar Odern heim er: Über die Cellulose. — Wetter-Monatsübersicht. — Aus dem wissen- schaftlicfien Leben. — Bücherbesprechungen: Franz Krasan: Ansichten und Gespräche über die individuelle und spezielle Gestaltung in der Natur. — Crüger, Rosenberg etc. : Physikalische Lehrbücher. — Dr. R. Schweitzer: Die Energie und Entropie. — Dr. Georg Hauberrißer, Dr. F. Stolze etc.: Sammcl-Referat über Photographie. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur ; Prof. Dr. H. P o t o n i c , Grofs-Lichterfelde- West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschlierslich der Zeitschrift „Dl6 NstUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 1. Mai 1904. Nr. 31. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Meeresstudien und ihre Bedeutung für den Geologen. [Nachdruck verboten. 1 Von Dr. W. Koert, Geologen an der Im folgenden soll versucht werden, die Studien- ergebnisse zusammenzustellen, welche an verschie- denen Meeren von einem Geologen gewonnen wurden. In erster Linie interessiert den Geologen das Meer als Bildungsstätte von Sedimenten. Der Charakter eines Sediments hängt ja in der Haupt- sache von folgenden Faktoren ab : 1. von den in der benachbarten Abrasionszone bereits zerstörten oder in der Zerstörung be- griffenen Gesteinen. 2. von dem durch Flüsse oder durch Strömungen von weiter her zugeführtem Material, 3. von organischen Neubildungen, 4. von chemischen Prozessen. Ferner gilt im allgemeinen, daß die Körnung eines Sediments von dem Grade der Wasser- bewegung bedingt wird. Von diesen Gesichts- punkten aus wollen wir die Sedimentbildung in einigen Meeren betrachten und mit Helgoland be- ginnen, wo die Biologisclie Anstalt dank dem Entgegenkommen ihres Leiters, des Herrn Prof Heincke, dem Geologen Meeresstudien in jeder Weise ermöglicht. Kgl. Preuß. Geologischen Landesanstalt. Die Insel Helgoland mit iiiren Klippenzügen stellt bekanntlich einen Horst dar, an dessen Auf- bau sich Schichten des Zechstein, der Trias und der Kreide beteiligen. Wohl alle diese Schichten waren zur Diluvialzeit vom Landeis bedeckt, denn noch liegen auf dem Oberlande in den „Saps- kuhlen" nordische Blöcke. An der Westseite der Insel, da, wo die Brandung am heftigsten arbeitet, kommt am Strande wenig Material zum Absatz, denn hier wird nur zerstört. Wohl schon ein jeder hat Abbildungen dieses Inselteils mit seinen Abrasions- höhlen und den isolierten Felspfeilern gesehen. Man beobachtet hier auch, daß die Zerstörung besonders da Fortschritte macht, wo Querbrüche das Gestein etwas gelockert haben. An der östlichen Insel- seite dagegen weist der Strand an einigen Stellen schöne Terrassen auf, hauptsächlich aufgebaut aus platten Gerollen von Gesteinen des Inselfelsens, aus oft kugelrund abgeschliffenen Feuersteinen und massenhaften Tanganhäufungen. Von Konchylien trifft man höchstens ein beschädigtes Buccinum undatum oder eine Austernschale an, zartere Dinge werden eben stets zermalmt. Die erwähnten kugelrunden Feuersteine gleichen durchaus den 402 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 31 von Meyn (Zeitschr. d. deutsch, geol. Ges. Bd. 26 S. 51) beschriebenen Wallsteinen und beweisen, daß in der Brandung sehr wohl Feuersteine rund geschliffen werden können , ohne zu zerbrechen, was Meyn glaubte bestreiten zu müssen. Jenseits der Schorre, wie J. Walther den bei Ebbe freiliegenden Teil des Strandes genannt hat, wird die Abrasion auf Helgoland durch Organismen wirksam unterstützt, vor allem durch bohrende Mollusken, wie die Pholasarten und Zirphaea cris- pata, dann aber auch, so sonderbar es klingt, durch manche Tange. Die mehrere Meter langen Lami- nariatange namentlich , welche mit ihrem Haft- organ auf dem anstehenden Felsen oder auf Blöcken aufgewachsen sind, rütteln, wenn die Wogen ihren ausgebreiteten Thallus heben und senken , be- ständig an ihrer Felsunterlage, bis der Block nach- gibt und in die Zone des bewegteren Wassers ge- worfen wird, wo die weitere Zerkleinerung vor sich gehen kann. An der östlichen Inselseite findet man denn auch nach Stürmen nicht selten schwere Gerolle mit noch aufsitzender L.aminaria. Die bohrenden Mollusken vergrößern einmal, wie leicht verständlich ist, die Angriffsfläche, auf welche der Wogendruck sich äußern kann, andererseits ver- iTiindern sie die Festigkeit des Gesteins. Auch in diesem Falle also besteht das Schlußergebnis im Losbrechen und in der weiteren Zerstörung des Gesteins. Welche Stoßkraft übrigens selbst dem tieferen Wasser der Nordsee bei Helgoland zu- kommt, dafür gibt uns Heincke (Wissenschaftl. Meeresuntersuchungen, Neue Folge Bd. i S. 139) einen schönen Beleg. Nach ihm kann man aus Tiefen von 10 und mehr Metern Steine im Gewicht von 2 kg und mehr herautholen, die allseitig mit Pflanzenrinden, Bryozoen und Serpein, umkrüstet sind, die also mehrfach durch die Gewalt des be- wegten Wassers umgewendet sein müssen. Da die einzelnen Gesteinschichten bei Helgo- land von ganz verschiedener Härte sind, so ist hiernach leicht einzusehen , warum die härteren Gesteine noch bei Niedrigwaser als Klippen empor- ragen können oder doch nur wenige Meter tief liegen, während die weicheren bis zu ganz erheb- lichen Tiefen hinab zerstört werden. Auf die Schorre folgt also nach außen, wie wir sahen, eine Region, die sich durch ihren Reich- tum an Pflanzen auszeichnet. Den Geologen interessiert besonders, daß im Sediment dieser Zone, von Kalkalgen (Lithoderma) umkrustete Gerolle, ferner von bohrenden Organismen durch- löcherte Gesteine und schließlicli lose Fossilien vorkommen, welche aus älteren Schichten ausge- waschen sind, sich also auf sekundärer Lagerstätte be- finden. Von solchen Fossilien sind Austern und Belemniten zu nennen, welche den Kreideschichten entstammen, ferner an gewissen Stellen des Nord- hafens ziemlich wohl erhaltene Süßwasserschnecken (Valvata , Bitliynia , Planorbis) , welche in einer Schicht des dort lagernden diluvialen „Töcks", reichlich vorkommen. Nordische Geschiebe sind in dieser Zone ebenfalls recht häufig. Die hier lebenden Mollusken werden z. T. weiter unten be- sprochen werden. Das zu äußerst verbreitete Sediment auf dem submarinen Felsplateau von Helgoland ist von Heincke') als die ,,Zone der pflanze n- leeren Kiese und Gerolle" bezeichnet wor- den, weil dies Sediment beständigen Verschiebungen durch die Wellen unterliegt und deshalb das Auf- kommen von Pflanzenkeimlingen verhindert. Gleich- zeitig ist die Molluskenfauna recht spärlich. Ein kalkreiches Sediment dieser Region stellt ein Bruch- schill dar, welcher sich im Südhafen in 9 m Tiefe vorfindet und fast ausschließlich aus Kreidebröck- chen, Resten rezenter Seeigel, zertrümmerten Ser- pularöhren , Balaniden und Muschelgrus besteht mit verhältnismäßig spärlichen , wohlerhaltenen Schalen lebender Schnecken (Trochus cinerarius, Tr. zizyphinus, Nassa incrassata). Über die Ent- stehung dieses Bruchschills wird weiter unten Näheres mitgeteilt werden. An das submarine Felsplateau legt sich im N, O bis nach SSO die Sand faci es mit Wasser- tiefen von 10 — 35 m an. Da diese Zone sich nach N in die Sand- und Riffgründe fortsetzt, welche die schleswigsche Küste umsäumen, so liegt die Annahme nahe, daß sie aus der Zer- störung diluvialer Schichten hervorgegangen ist, von denen uns ja auf S^'lt, Amrum usw. noch Reste erhalten sind. Entsprechend der dihnialen Herkunft variiert die Bodenbeschaft'enheit dieser ,, Sandzone" von sehr steinigen Riffgründen bis zum feinen Sand. Im NNW, W bis nach S schmiegt sich an das submarine Helgoländer Felsplateau die Schlick- facies an, und zwar in Übergängen von Sand zum Schlick oder als reiner Schlick. Es ist diese Facies wesentlich die Ausfüllung der Helgoländer Rinne, welche sich als ein .Ausläufer der tiefen Nordsee mit Tiefen bis zu 55 m nach Helgoland erstreckt. An der Bildung dieses Schlicks mögen einmal die feinsten Abrasionsprodukte, dann die durch Elbe und Weser, namentlich durch den Ebbestrom her- beigeführten tonigen Teilchen und schließlich noch die verschiedenen kalk- und kieselschaligen Mikroorganismen, wie I-'oraminiferen, Bacillariaceen und Radiolarien, beteiligt sein. Zum Niederfallen des tonigen Sedimentes bedarf es also, wie das Beispiel der Helgoländer Rinne zeigt, oft nur einer Einsenkung des Seebodens um einige Meter. Ein eigentümliches Sediment in der Helgolander Rinne ist der „Pümpgrund", wie der Helgolander Fischer den Grund nennt, auf welchem Kolonien der Sabellaria alveolata, eines Röhrenwurms, ihre Sandröhren bauen. Der Pümpgrund ist auch die molluskenreichste Region bei Helgoland und da- her von gewissen Grundfischen besonders gern aufgesucht. Es ist das Verdienst von Heincke, nachdrücklich auf die Rolle hingewiesen zu haben, welche diese Fische bei der Bildung gewisser Schalen- oder Schaltrümmersedimente spielen. Nach ') 1. c. S. 142. N. F. III. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 483 Heiiicke zermalmen Schollen, Seewolf und Rochen ihre Molluskennahrung, während Schellfisch und Seezunge in Ermangelung eines kräftigen Gebisses die Mollusken ganz verschlucken. Die Exkremente der Msche häufen sich , von Grundströmungen transportiert, an gewissen Stellen zu „Schill" an. Diese Schillager kommen übrigens in sämtlichen Sedimenten bei Helgoland vor, weiter oben wurde bereits Bruchschill aus der Zone der pflanzenleeren Kiese erwähnt. Daß auch in der Vorzeit Schill sich auf die erwähnte Weise bildete, hat Verfasser an einem oberoligocänen Sedimente nachzuweisen versucht. ^) Weit einfacher als bei Helgoland liegen die Sedimentationsverhältnisse in der Umgebung von Rovigno in Istrien, wo das Berliner Aquarium eine zoologische Station unterhält. Auch hier erfreute der Verfasser sich bei seinen Meeresstudien der weitgehendsten Unterstützung des Direktors der Station, des Herrn Dr. Hermes. Das Felsufer der Gegend von Rovigno besteht aus kretaceischen Kalken; Flüsse und Strömungen, welche von weiter her Sediment herbeiführen könnten, kommen hier nicht in Betracht. Der Kalk des Ufers wird im Bereiche der Brandung durch die im Meerwasser enthaltene Kohlensäure augenscheinlich stark korrodiert, er bietet uns hier eben solche zackige Oberfläche dar, wie sie die Fig. 3 von einem älteren Rift'kalk an der ost- afrikanischen Küste zeigt. An manchen Stellen beobachtet man modellhaft schöne Karren- bildungen auf der Gesteinsoberfiäche. Der Küste sind zahlreiche Abrasionsinseln (Scoglien genannt) vorgelagert, eine große Anzahl solcher Inseln ist aber bereits der Abrasion zum Opfer gefallen und gibt sich in zahlreichen Untiefen und Bänken zu erkennen. Die Scoglien wie die Küste werden an vielen Stellen von einem aus Blöcken und Ge- röll gebildeten Sediment umgürtet, welches der heftigen Brandung seine Entstehung verdankt, denn an dieser Küste steht, zumal wenn der Scirocco weht, eine gewaltige Brandung. Auch hier wird wie in der Nordsee die Abrasion durch bohrende Organismen (Lithodomus, eine Bohrmuschel, und Vioa, einen Bohrschwamm) gefördert. Auf den Block- und Geröllstrand folgt nach außen eine Zone von Schalengrus, der wohl mit dem Schill der Nordsee zu vergleichen ist und wie dieser auf die Tätigkeit von Fischen, aber außerdem noch von Krebsen und Seesternen zu- rückgeführt werden kann. Es besteht dies Sedi- ment vor allem aus Schaltrümmern, dann aber auch aus zahlreichen unversehrten Schalen von pflanzenfressenden Schneckchen, Kalkalgen, der Koralle Cladocora caespitosa und Foraminiieren. Während auf dem Blockstrand die Tange vor- herrschen, wird die Schalengruszone vom See- gras bevorzugt. Wie in diese littoralen Sedimente auch Land- schnecken in großer Zahl geraten können, dafür bot sich auf der Rovigno benachbarten Insel Bagnole ein schönes Beispiel dar. Hier lebt, wie so häufig auf Kalkgestein, eine Menge von Land- schnecken (Stenogyra decoUata, Cyclostoma elegans u. a. m.), und zwar so reichlich, daß jede Hand- voll Erde in einer Vertiefung oder in einer Fels- spalte mit Gehäusen durchsetzt ist. Der Regen schon genügt, um viele Schalen ins Meer zu spülen, wo sie dem Littoralsediment beigemengt werden. Angesichts dieser Verhältnisse wird der Geologe doch an die bekannten Landschneckenkalke von Hochheim a. Main erinnert, wo in marinen Schichten, die sich durch ihren Reichtum an Cerithien usw. als littorale Bildungen zu erkennen geben, ganz ähnliche Landschnecken (Cyclostoma, Stropho- stoma, Zonites) in Menge eingelagert sind. Die Schalengruszone geht im allgemeinen in größeren Tiefen durch Aufnahme von Schlick in einen schlickigen Kalksand bis sandigen Schlick über, ein Sediment, welches in der Adria von Ro\'igno bis Pola und von da quer über den Ouarnero auf die Insel Sansego zu ganz vorherr- schend verbreitet ist und dessen besonderer Cha- rakter durch das Vorwiegen von Resten der einen oder der anderen Organismengattung bestimmt wird. So gibt es z. B. in der Umgebung der Insel S. Giovanni in Pelago in 30 — 40 m Tiefe ein schlickiges Sediment, welches so reich an Bryozoen- bäumchen (Myriozoum truncatum, Eschara) ist, daß man hier von einer Bryozoenbank sprechen kann. Eine andere Abart des Kalksand-Schlicksedimentes zeichnet sich durch den hohen Gehalt an Kalk- algen (Lithothamnium und Lithophyllum) aus. Die Kalkalgen treten geradezu gesteinsbildend auf den oben erwähnten felsigen Bänken und Untiefen auf und zwar mit einer reichen Fauna von Krebsen, Mollusken, Echinodermen und Bryozoen. Es liegen also die Verhältnisse bei Rovigno in dieser Hin- sicht ähnlich, wie im Golf von Neapel, von wo J. Walther Kalkalgenlager auf submarinen Klippen ausführlich beschrieben hat. ') Der so weit verbreitete Kalksand der Adria besteht in der Hauptsache aus zerbrochenen kalkigen Organismen. Außer gewissen Fischen, unter denen die mit Pflasterzähnen ausgerüstete Goldbrasse (Chrysophrys aurata) besonders beteiligt sein dürfte, tragen sicher noch die Krebse sehr zur Bildung des Kalksandes bei, während die zahl- reichen Seesterne wie manche Fische die Schalen ihrer Molluskenbeute unversehrt herausgeben. Wir kommen demnach für diesen Teil der Adria dazu, gewissen Tierklassen eine ähnliche Bedeutung für die Sedimentbildung zuzuschreiben, wie das Verrill -) für das Gebiet des Golfstroms an den Küsten von Neu-England und Heincke (1. c.) für die Nordsee getan haben. In dem Schlick des besprochenen Gebietes hat man im wesentlichen wohl die feinsten tonigen Abrasionsprodukte zu erblicken, denen natürlich ') Jahrb. d. kgl. prcuü. gcül. Landcsanstalt 1900 S. 197. ') Zeitschr. d. deutsch, geol. Ges. Bd. 37 S. 229. ^) American Journ. of sciencc Bd. XXIV S. 450. 484 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 31 noch, wie bereits vom SchUck der Nordsee er- wähnt wurde, die Reste der verschiedensten kalk- und kieselschaligen Organismen beigemengt sind. Es könnte zunächst auffällig erscheinen, daß eine hauptsächlich aus Kalken bestehende Küste auch tonige Abrasionsprodukte liefern soll. Der Augen- schein lehrt uns aber, daß selbst solche rein er- scheinenden Kalke, wie die in der Gegend von Pola bis Rovigno, noch einen beträchtlichen Tongehalt haben müssen, denn ihr Verwitterungsboden ist ein fetter roter Ton. In ähnlicher Weise geht auch durch Korrosion der Kalke in der Brandungs- zone ein toniger Rückstand hervor. Wo die Möglichkeit gegeben ist, daß der tonige Ver- witterungsboden in erheblicher Menge ins Meer geführt wird, da kann sich am Seeboden die reine Schlick facies bilden. Hierfür bietet der nördlich von Rovigno sich tief ins Land er- streckende Caoal di Leme ein schönes Beispiel dar. Dieser schmale, von dünn bewaldeten Fels- hängen eingefaßte Kanal ist in seiner ganzen Daressalam einige Mitteilungen folgen, weil daraus die Bedeutung von Meeresstudien für den Geo- logen, welcher sich ein Bild von der Entstehutig eines fossilen Schichtenkomplexes machen will, so recht zu ersehen ist. Das nebenstehende Profil soll zeigen, daß sich der Ozean in einen älteren Riffkalk, der sich nach dem Ozean zu auf der Leuchtturminsel bis 12 m heraushebt, eine Brandungsterrasse hineingearbeitet hat, aus welcher Abrasionsreste in Gestalt von Inseln (hier die Leuchtturminsel Makatumbe) her- vorragen. Die folgenden Bilder (Fig. 2 u. 3) mögen eine Vorstellung von der Brandungsterrasse und der eigentümlichen Gestalt der zahlreichen kleinen, weiter nördlich belegenen Abrasionsreste liefern. Fig. 3 läßt gleichzeitig die corrodierende Wirkung der Brandung durch die rauhe zackige Oberfläche des Felsens erraten. An der Südspitze der Insel Ulenge bei Tanga hat die Brandung sogar ein schönes Felsthor durch den älteren Riffkalk durch- gebrochen (Fig. 4).^) Dem älteren Riffkalke sitzt, Rds Tshokin Leuchrtupm/nset Mäkdfumbe A/iedri^iv35sePspie^eL Fig. I. Profil durch die Randlagunc nurdösllich Daressalam. älterer Kiffkalk. b = ältere Lagunenbildungcn (Kunkurschichten). c = rezente Lagunenbildungen. d =^ rezentes Korallenriff. Länge und von über 30 m Wassertiefe an der Mün- dung bis zu wenigen Metern Tiefe an seinem Ende mit einem zähen Schlicke ausgefüllt, dessen graublaue Farbe nach dem Ende zu in eine rotbraune über- geht. Hier können wir also verfolgen, wie der rote Verwitterungsboden der Karstkalke, sei es nun durch Regenwasser, sei es durch einen unter- irdischen Wasserlauf (wie solche ja im Karst nichts Seltenes sind), in den Kanal eingeschwemmt wird und wie die rote Eisenoxydfarbe durch die redu- cierende Wirkung organischer Substanz allmählich in die blaugraue Färbung, die Eisenoxydulverbin- dungen eigen ist, übergeht. Da die Brandung in den engen Kanal nicht eindringen kann, so stößt diese Schlickfacies unvermittelt an die F"elswände an. Von der hier lebenden typischen Schlainm- fauna sind die Mollusken gekennzeichnet durch düime, meist weißliche Schalen. Es mögen jetzt noch über die Flachseesedi- mente an der. deutsch-ostafrikanischen Küste bei wie das Profil (Fig. 1) ferner zeigt, am Abfalle zur Tiefsee das recente Saumriff auf, welches in seiner Eigenschaft als Wellenbrecher auch die Ursache dafür ist, daß die Brandung die Terrasse nach dem Ozean zu nicht erheblich vertiefen kann. Nach dem F'estlande zu begrenzt die Brandungs- terrasse eine Randlagune, durch welche auch als Fortsetzung des Daressalamer Krieks eine tiefere Rinne ihren Weg in den Ozean nimmt. Das Ge- biet dieser Lagune fällt bei Niedrigwasser, wie man aus dem Profile sieht, mit Ausnahme jener tieferen Rinne auf große Strecken trocken, gehört also zum großen Teile zur Schorre. In der Hauptsache besteht das Sediment in der Lagune aus einem schlammigen, an Schalen und Schaltrümmern reichen Sande, der nur in den zahlreichen Rinnsalen, ') Die Photographien, welche den Fig. 2, 3, 5 zugrunde liegen, verdanke ich Herrn Prof. Dr. Uhlig in Daressalam, die Aufnahme zu Fig. 4 ist von Herrn Landmesser Woelke in Tanga freundlichst zur Verfügung gestellt. N. F. III. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 485 wo Ebbe- und Plutstrom ihn schlämmen, oder an Stellen mit bewegterem Wasser als schlammfreier Sand entwickelt ist. Seegraswiesen und die Kalk- alge Halimeda Opuntia bedecken weite Flächen dieses Sediments. Die sandisjen und schlammigen durch das einmündende Flußwasser in die Lagune transportiert wird. Auf dem Schorregebiet voll- ziehen sich gegenwärtig infolge chemischer Prozesse Bildungen von gewissen festen kalkigen Schichten, Der reinere Sand wird nämlich oft zu einem Kalk- Fig. 2. Abrasionsreste von allerem Riff kalk auf der Brandungsterrasse bei Niedrigwasser. Gruppe nordwestlich der Leuchtturminsel Makatumbe bei Daressalam. Fig- 3- Allerer Riffkalk mit Branduiigskrhle und Korrosionserscheinungen. Makatumbe bei Daressalam. Nordwestlich von Bestandteile des Lagunensedimentes dürften einmal von der Zerstörung des Steilufers am F"estland herrühren — • von dem Betrage dieser Zerstörung möge die Abbildung eines Teils vom Ras Rongoni (Fig. 5) eine Idee geben — dann aber auch von dem Sciilamme, der aus dem I lafen Sandstein verkittet, der nach der See zu einfällt und bisweilen von der Brandung wieder karren- artig ausgefurcht wird. Solcher Kalksandstein findet sich anscheinend nur in dem Schorregebiet. Im schlammigen Sand dagegen kommt es zur Bildung \on Konkretionen, die aus einem sehr harten 486 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 31 strukturlosen, einzelne Sandkörner einschließenden, dichten Kalk bestehen. Mit einem Ausdrucke der indischen Geologen möchte ich diese Kalkkonkre- tionen Kunkur') benennen und bemerke, daß solche Kunkurschichten eine bedeutende Rolle im Schichtenaufbau der dortigen Küste spielen. Die zur Entstehung der erwähnten festen Kalkbildungen führenden chemischen Prozesse sind vielleicht nach Analogie der von J. Walther -) für die Bildung ge- wisser strukturloser Kalke gegebenen Erklärung so zu denken, daß sich aus der Zersetzung der in den Kalkalgen und Seegräsern ja reichlich vorhandenen organischen Substanz Kohlensäure entwickelt, welche vom Bodenwasser aufgenommen wird und Kalkdetritus autlöst. Aus der Lösung von doppeltkohlensaurem Kalk vermag sich da, wo der Kohlensäure Gelegenheit zum Entweichen geboten wird, also im Schorregebiet, welches ja zweimal am Tage trocken fällt, der einfach kohlen- saure Kalk auszuscheiden in Gestalt eines Binde- mittels oder von Konkretionen. Die selbst bei Niedrigwasser nicht leerlaufenden Rinnen und Lachen der Lagune führen auch kleinere Korallen- stöcke und Einzelkorallen (Galaxea, Pocillopora, Porites, Fungia uswf.) und zwar um so reichlicher, je mehr man sich dem Außenrande der Lagune nähert. Hier macht die Sandfacies der Lagune dem Rift'kalk Platz und gleichzeitig geht die Sand- fauna in die Rififauna über. In vieler Hinsicht ähnlich müssen die Sedi- mentationsverhältnisse in älterer pleistocäner Zeit gewesen sein, als sich bei einem höheren Meeres- stande die im Profile und in den Abbildungen als älterer Riffkalk und als Kunkurschichten bezeich- neten Gesteine bildeten, und ich trage kein Be- denken, in den Kunkurschichten, die bisweilen auch durch gesteigerte Konkretionsbildung in förmliche Knollenkalke übergehen können, Lagunenbildungen der oben geschilderten Art zu erblicken. E. Werth, welcher diese Kunkurschichten als einen „oberen Rift'kalk beschrieb,'') hat offenbar dem Vorkommen von Korallen zuviel Gewicht beigemessen, während doch z. B. am Ras Tshokir die in den Kunkur- schichten eingeschlossene reichhaltige Fauna den Charakter einer Sand- bis Schlammsandfauna trägt, wie sie wohl der Lagune, aber nicht dem Riffe eigen ist. In mannigfacher Hinsicht bemerkenswert für den Geologen sind noch die Ablagerungen welche sich an sandigen Stranden in der Hoch- wasserlinie bei Daressalam finden, so z. B. an zahl- reichen Stellen im Hafen von Daressalam. Hier häuft sich das planktonische Material an, und zwar schön blaue Schalen der Janthina (einer an der Meeresoberflächeschwimmenden Schnecke), Schalen von Bulla, Spirula und ganz selten auch wohl von Nautilus, daneben Kopal , ein subfossiles Harz, welches aus den Lehm- und Sandschichten der Küste ') Medlicott & Blanford : Manual of Ihe geology of India Part. I p. 381. ') Zeitschr. d. deutsch, geol. (leselisch. 37 S. 22g. ') Zeitschr. d. deutsch, geol. (k-sellsch. Bd. 53 S. 587. ausgespült ist, und schließlich in großer Menge Bimstein. Dieser Bimstein dürfte von dem Aus- bruche des Krakatau herrühren, wie auch Bau- mann (Die Insel Mafia S. 10) und Bornhardt (Zur Oberflächengestaltung und Geologie Deutsch-Ost- afrikas S. 234) annehmen. Danach hätten die Bimsteinauswürflinge einen Weg von ungefähr 7200 km, in gerader Linie gemessen, zurückgelegt, ehe sie hier an den Strand geworfen wurden. Bei der Besprechung der Sedimentbildungen in verschiedenen Meeren liel3 es sich schon nicht umgehen, gelegentlich biologische Beobachtungen einzuflechten. Um aber die Wechselbeziehungen zwischen Organismen und Bodenfacies noch deut- licher hervortreten zu lassen, möchte ich der bio- logischen Seite der Meeresstudien eine etwas ein- gehendere Darstellung widmen und an den be- schälten, bodenlebenden Mollusken auszuführen versuchen, in welcher Weise ihnen von jeder Bodenfacies Schutz und Nahrung, diese beiden un- erläl.51ichen Lebensbedingungen, gewährt werden. Es wird sich dabei auch herausstellen, bis zu welchem Grade die Molluskenschale, welche ja wegen ihrer Erhaltungsfähigkeit dem Geologen besonders wichtig ist, als eine Funktion der Boden- facies zu betrachten ist. P"elsküste und Blockstrand bilden eine biologische Einheit, indem an beiden die stärkste Wasserbewegung herrscht und beide im allgemeinen sich durch den Reichtum an Algen vor den übrigen Regionen auszeichnen. Sonach ist leicht verständ- lich, daß in dieser Region die pflanzenfressenden Schnecken überwiegen, ohne damit sagen zu wollen, daß fleischfressende fehlen. Betrachten wir erst einmal diejenigen Schnecken , welche auf den Algen selbst leben. Wir finden bald, daß ihnen allen kleine, oft zarte Schalen eigen sind, die ihnen für den Aufenthalt auf flottierenden Tangen natür- lich am zweckdienlichsten sind. Zu solchen Tang- bewohnern gehörte jene den littoralen Schalen- grus der Adria zu einem beträchtlichen Teile zu- sammensetzende Mikrofauna, wie das Cerithium reticulatum , Triforis perversus , Xeritina viridis, Phasianella pulla, die zahlreichen Arten von Rissoa, von kleinen Trochiden und Patelliden. In dieser Re- gion bieten sich ganz besonders augenfällige Beispiele für eine Schutzfärbung der Mollusken dar, da ihnen gegen ihre Feinde andere Hilfsmittel versagt sind. Die kleine Patellide, Helcion pellucidus, welche auf den Laminarien bei Helgoland lebt, hat z. B. eine braune, mit schön blauen Punkten verzierte Schale und ist dadurch von den braunen, unter Wasser oft opalisierenden Laminarien nicht zu unterscheiden. Pline andere Patellide bei Helgo- land, die Acmaea virginea, welche die pfirsichblüt- roten Kalkalgenkrusten abweidet, hat ihrem Aufent- haltsorte entsprechend eine weißliche , rosa ge- tüpfelte Schale. Eine weitere Klasse pflanzenfressender Schnecken in dieser Region nährt sich von den zarten Algen auf dem Gestein und ist deshalb mit kräftigen Schalen ausgerüstet, welche dem Wogenprall stand- N. F. III. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 487 halten müssen. Dahin gehören in der Nordsee der Nordsee anzuführen Purpura lapillus, aus dem u. a. die Littorina-Arten und Trochus cinerarius, im Mittelmeer Conus mediterraneus, Murex brandaris Mittelmeer der Trochus turbinatus, das Calcar und trunculus, Cassidaria echinophora, aus dern rugosum, das große Ceriihium vulgatum, die Pa- indischen Ozean jene schönen und zahlreichen Fig. 4. Abrasionstor in älterem Riffkalk. Ulcnge bei Tanga. ^'^m ■^*^lw^' Fig. 5. .\brasionssteilufer am Ras Rongoni bei Daressalam. Das Profil zeigt zu oberst roten Lehm, der durch Verwitterung aus den darunter liegenden Kunkurschichten hervorgegangen ist. In letzteren Brandungskehle und Abrasionshöhlen. Die freigelegten Baumwurzeln deuten auf den großen Betrag der Abrasion in jüngster Zeit. teilen, im indischen Ozean die Gattungen Nerita, Arten von Conus, Cypraea, Tritonium, Cassis, Cerithium, Pterocera, Strombus. Von fleischfressen- Murex, welche namentlich auf den Riffen leben, den Schnecken dieser Region, welche sich eben- Mannigfach sind die Einrichtungen, mit deren falls durch starke Gehäuse auszeichnen, sind aus Hilfe die Muscheln in dieser Region den Wogen- 488 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 31 prall überwinden. Einige von ihnen bohren sich in das Gestein ein, wie Lithodomus und Pholas, andere heften sich mittels eines Byssus an, wie die Tridacna auf den Riffen, schließen sich auch wohl vielfach zu förmlichen Kolonien, mittels des Byssusgeflechts zusammen, so Mytilus edulis in der Nordsee. Endlich wachsen manche Muscheln dem Gestein auf, z. B. Chama, Spondylus, Ostrea. Alle Muscheln sind natürlich auf die im See- wasser flottierenden Nahrungsstofife angewiesen, ebenso, wie gewisse sessile oder nahezu sessile Schnecken (Calyptraeiden und Vermetus). Die Sand- und Kiesgründe sind dadurch gekennzeichnet, daß auf ihnen die Algenflora er- heblich zurücktritt, und daß sie bis zu einer ge- wissen Wassertiefe höchstens noch von Seegräsern durchsetzt sind. Auf den Seegräsern vermag des- halb noch eine Anzahl der oben erwähnten pflanzenfressenden Schneckchen fortzukommen, und groß war meine Überraschung, als ich an den See- gräsern beiDaressalam eine kleine grünliche Neritina fand, die lebhaft an die im Mittelmeer unter ganz ähnlichen Bedingungen lebende Neritina viridis erinnerte. Gegenüber dem Felsstrand bietet dieSand- facies den Mollusken ein neues Schutzmoment, näm- lich die Möglichkeit sich einzugraben und im Sande zu kriechen. Von der ersteren Möglichkeit machen die meisten Muscheln auf dem Sandboden Gebrauch, und da Sandgründe meist noch starken Verschie- bungen durch die Wasserbewegung unterliegen, so treffen wir hier, wie Heincke's Untersuchungen in der Nordsee ergeben haben, vorzugsweise Muscheln an, welche die längsten Siphonen besitzen, von den Verschiebungen also in ihren l,ebensfunktionen nicht gestört werden, hierher gehören die Telli- niden, Mactriden, Soleniden und Anatiniden. Den eingegrabenen Muscheln stellt nun eine Reihe fleisch- fressender Schnecken nach, die, um an ihre Beute zu gelangen, die Fähigkeit besitzen müssen, im Sande zu kriechen. Dabei ist ihnen eine eiförmige glatte Schale am dienlichsten , weil diese beim Kriechen durch den Sand den geringsten Reibungs- widerstand erfährt. Natica, Oliva und Ancillaria, auch Cypraea, sind Beispiele für solche grabenden Raubschnecken. Während die Muscheln des Sandbodens durch- weg eine derbe Schale aufweisen, sind den Muscheln der Schlamm facies dünne Schalen so recht eigen, denn mit schweren Schalen ausgerüstet würden sie bald in dem weichen Sediment so tief versinken, daß ihnen das Leben unmöglich würde. Heincke *) macht darauf aufmerksam, daß auf den Schlickgründen der Nordsee Zweischaler ohne oder mit nur kurzen Siphonen die Hauptrolle spielen, naturgemäß, da über diesen Gründen ja, wie wir sahen, verhältnismäßig ruhiges Wasser steht und demnach keine erhebliche Sedimentverschiebung die Lebensfunktionen der Muscheln störend be- einflußt. Von charakteristischen Schlammuscheln, wie sie z. B. im Canal di Leme bei Rovigno vor- kommen, seien Corbula gibba, Cuspidaria cuspidata, Axinus flexuosus, Cultellus pellucidus genannt. Auf den Schlammbänken in den Astuaren der deutsch ostafrikanischen Küste sitzen Austern und eine Pernaart den Mangrovenwurzeln und Stämmen auf; wo Mangroven fehlen, schließt sich die Perna mittelst ihres Byssus zu ausgebreiteten Kolonien zusammen und liegt so dem Schlamme auf, ohne einzusinken. Zum Schlüsse möge zusammengefaßt werden, welche Bedeutung Meeresstudien wie die obigen für den Geologen besitzen. Man wird zugeben, daß durch die gewonnene Anschauung ein viel klareres Bild von der zerstörenden und neubildenden Tätig- keit des Meeres und von ihren Gesetzen erzielt wird, eine Kenntnis, die für manche stratigraphisch- geologische oder topographisch-geologische Ar- beiten doch unbedingt vorausgesetzt werden muß, wo es gilt, sich ein Bild von den Meeren der Vor- zeit zu machen. Der durch Meeresstudien ge- schulte Geologe wird sich stets eine Meinung davon zu bilden suchen, woher das Material einer ihm vorliegenden Schicht stammt, und kann viel- leicht aus unbedeutenden Anzeichen wichtige Schlüsse ziehen, er wird ferner, wenn er aus Meeres- studien nach der biologischen Richtung die Be- ziehungen der Molluskenfauna zum Sediment er- kannt hat, versuchen, die jeder Facies in jeder Erdepoche eigentümlichen Mollusken und ihre Lebensbedingungen festzustellen und dadurch oft in den Stand gesetzt, schärfere Kritik an dem Fossilinhalt einer Schicht zu üben, namentlich ob nicht ein Teil der Fossilien auf sekundärer Lager- stätte liegt, ein Fall, der häufiger zu sein scheint, als man bisher geglaubt hat. Für diese Art, aus Sediment und Fossilinhalt auf Grund von Meeres- studien zu schließen, hat uns J. Walther ein schönes Vorbild geliefert, als er aus dem Vorkommen der schwerschaligen Megalodonten im Dachsteinkalk folgerte, daß diese Muscheln in bewegtem Wasser auf einer harten Unterlage gelebt haben müßten und weiter, daß diese Unterlage im wesentlichen von Kalkalgen gebildet wäre.') So stellen die Meeresstudien dem Geologen zwar neue Aufgaben, zeigen ihm gleichzeitig aber auch die Wege zur Lösung mancher alten Probleme. ') 1. c. S. 144. 1) Zeitschr. d. deutsch, geol. Ges. 37 Bd. S. 253—255. Kleinere Mitteilungen. Aufforstungen in Tsingtau. — „Kahle Berge und üppiger Anbau in Tälern und Ebenen, das ist jetzt der Charakter von Schantung." ^) Die Witterungsverhältnisse würden dichten Pflanzen- ') Fr. Rieh thofen, Schantung. Berlin 1898. Im übrigen sind zu vergleichen die Denkschriften betreffend die Ent- wicklung des Kiautschou-Gebietes 189g — 1904, herausgeg. v. Reichsmarineamt, erhältlich bei D. Reimer (E. Vohsen), Berlin. N. F. m. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 4S9 wuchs bis zu den Kämmen der Gebirge gestatten ; denn im Sommer, wenn die Pflanzen des Wassers bedürfen, herrscht feuchter Seewind, weil im Innern des asiatischen Festlandes über den Steppen- und Wüstenflächen sich ein Minimum des Luftdrucks ausbildet. Im Winter allerdings wehen trockene Winde aus dem Binnenland heraus ; dann ist die Ausstrahlung des pflanzenarmen Bodens im inneren Asien so stark, daß ein Maximum dort lagert im Gegensatz zu dem geringeren Luftdruck über dem Meer. Dann bedürfen aber die Pflanzen in ihrer Winterruhe am wenigsten der Feuchtigkeit. Die prächtigen Tempelhaine und das, was an Wald noch in Schantung besteht, ist Zeuge, daß in der Tat frühere Jahrhunderte hier wie in anderen Gegenden von China reichlichen Waldwuchs ge- kannt haben. Der Mensch hat jedoch die Bäume sorglos verbraucht und, als es keine mehr gab, auch die Sträucher vernichtet, sogar die Wurzeln ausgegraben. Mit Harken aus Bambusstäbchen, deren Enden krallenförmig abwärts gebogen sind, werden selbst Gräser und Kräuter zur Feuerung aus dem Boden gekratzt. Ob jemals in Schantung ein geregelter Forstbetrieb bestanden hat, der dem Brennholzbedürfnis der Gemeinden entsprach, ist nicht mehr feststellbar. Eine Art von Waldpflege gibt es auf Boden, der für Ackerwirtschaft durch- aus unbrauchbar ist, noch jetzt, und zwar handelt es sich um Nadelholzpflanzungen in regelmäßigem, doch viel zu weitem Verbände ohne Nachbesse- rung. Die Bestände sind lückenhaft und zeigen krüppeligen Wuchs, weil die Bäume schon im 5. Jahre ihre unteren Zweige hergeben müssen. Im 20. Jahre pflegt die lebensmüde Forstung ab- geholzt und erneut zu werden. Für die dichte Bevölkerung reicht dieser Betrieb nicht einmal zur Beschaffung von Kochfeuerung aus. Im euro- päischen Mittelmcergebiet , das im wesentlichen zur Winterszeit Niederschläge, im Sommer da- gegen, wenn die Pflanzen des Wassers benötigen, Trockenheit besitzt, ist die Neuanforstung großen- teils ein Ding der Unmöglichkeit, und traurige Karstlandschaften kennzeichnen in der Gegenwart die Waldzerstörung der Vergangenheit. In China aber ist Anpflanzung wohl möglich, und die erste umfassende Unternehmung zur Aufforstung ist durch die deutsche Verwaltung in Tsingtau, dem neu erblühenden Hafenorte des deutschen Kiau- tschougebietes, mit Umsicht und anscheinend recht gutem Erfolg bereits durchgeführt worden. Mehrere Gründe veranlaßten die Verwaltung, sofort nach der Festsetzung an der Kiautschou- Bucht für die Anpflanzung eines Waldgebietes Sorge zu tragen. Aus dem von sehr alter Kultur durchtränkten Boden ist in China nur in Aus- nahmefällen gesundes Wasser zu entnehmen. Um keine Krankheitsherde entstehen zu lassen, galt es also, eine Trinkwasserleitung von einem der nahen Berge nach Tsingtau zu führen , an ihm aber die Quellbildung und die Wasserführung der Bäche durch Schaßung von Waldbedeckung zu regeln. Der Wechsel von Trocken- und Regen- zeit macht die mechanische und chemische Boden Zersetzung und Gehängeabspülung an den kahlen Bergen sehr groß. Die Flüsse schwinden im Winter zu unansehnlichen Wasserfäden in breiten Geröllbetten zusammen und nehmen während der Regenmonate unter gewaltsamen Hochwasser- erscheinungen Wildbachnatur an. Von ihnen war eine unwillkommene Versandung der Küste zu erwarten. Ins Gelände reißt das abstürzende Wasser in kurzer Zeit tiefe Risse, durch die es dem Meer zueilt und den angrenzenden Boden- teilen die Feuchtigkeit entzieht. Viele Erdrutsche sind die Folge. Um allen diesen Übelständen zu begegnen, hat der Chinese die Gehänge terrassiert, so daß die Geschwindigkeit des Wassers beim Fall zur nächst tieferen Terrasse auf Null gebracht wird. Doch nur durch Waldbedeckung, die schon den fallenden Regen durch Verzögerung des Nieder- gehens in den Blättern und durch Moosbedeckung des Bodens regelt, den Boden dann durch das Wurzelwerk der Bäume festigt, ferner durch alles dieses den Grundwasserstand beeinflußt, kann eine Linderung der Übelstände erzielt werden. Wirklich sind in dem bereits angeforsteten Ge- biete, wo noch 1901 die Niederschlagsmengen in 10 bis 12 Stunden abliefen, im Jahre 1903 4 bis 5 Tage vergangen, ehe der Boden trocken wurde, obschon der Regenfall stärker war als zuvor. Be- schaffung von gutem Brennholz nicht nur für die europäische Niederlassung und die angrenzenden chinesischen Gemeinden, sondern auch zum Ver- handeln an der holzarmen Küste ließ von vorn- herein auf leidlichen Ertrag der zunächst kost- spieligen Anpflanzungen in der Zukunft rechnen, und man bedachte auch , daß gute Gerbstoffe einem lederbedürftigen Lande wie Nordchina, das zugleich bisher ein ganz besonders schlechtes Leder besessen hat, sehr not täten. In jedem Falle bot der zu schaffende Wald dereinst eine reiche Arbeits- gelegenheit für die arme chinesische Bevölkerung, und für die ansässigen Europäer eine willkommene .Stätte der Erholung, ein in Ostasien sonst ver- mißtes Element landschaftlicher Schönheit, das auf das Gedeihen der deutschen .Ansiedlung in- sofern nicht ohne beachtenswerten Einfluß sein wird, als mit steigendem Wohlbefinden der An- siedler die Arbeitsfreudigkeit wächst. Tsingtau ist bereits auf dem Wege, ein Sommeraufenthalt und Badeort für Ostasien zu werden. Der Wald wirkt dazu mit, Gäste heranzuziehen. Anfänglich war die Aufforstung auf die Höhen bei Tsingtau selbst beschränkt. Seit 2 Jahren ist man aber dabei, die Auguste -Viktoria- Bai, an welcher der Badestrand liegt und jetzt ein eigenes Badehotel für Sommergäste erbaut wird, mit Wald zu umgeben, und steigt mit den Anpflanzungen ins Quellgebiet der Flüsse hinauf, besonders in das des Haipo, der für die Wasserleitung wichtig ist. Das Forstgebiet , zunächst auf 500 ha be- rechnet, ist jetzt 850 ha groß und wird bereits im Jahre 1907 soweit sicher gestellt sein, daß größere Nachbesserungen nicht mehr nötig sind. 49° Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 31 Der Boden in diesen neuen Waldungen besteht aus feldspathaltigem Granit mit zahlreichen Vor- kommnissen von Porphyr und einigen schmalen Basaltspalten. Häufig liegt der nackte Fels bloß; sonst ist er mit grobkörnigem Grus bedeckt, aus dem die feinen Nährbodenteile ausgeschlämmt sind. So wünschenswert und in den verschiedensten Richtungen notwendig die Aufforstung bei Tsingtau von vornherein erschien, so schwierig ist sie doch in mancher Hinsicht gewesen. Die Witterung, das Gelände mit seinen Bodenverhältnissen, die vorhandene Insektenwelt, die chinesische Bevölke- rung, sie alle wollten nicht so einfach den Ein- griff in den seit Jahrhunderten bestehenden Zu- stand zugeben, und den deutschen Förstern und Gärtnern standen nur beschränkte örtliche Er- fahrungen zu Gebote; beispielsweise war bei der Auswahl der anzupflanzenden Waldbäume erst manche Probe zu bestehen, und man ist auch von der einen oder anderen Hoffnung zurückgekommen. So hatte man mit Recht angenommen, daß die zunehmende Dürre der entwaldeten Berge die einst wahrscheinlich weit verbreitete Pflege des Eichenspinners eingeschränkt habe; aber nahe der Küste wird sich, nach den inzwischen gemachten Beobachtungen, diese Seidengewinnung doch wohl nicht einbürgern lassen. Der Salzgehalt der sommer- lichen Winde beeinträchtigt sie. Die Witterung hat gerade bei den jungen An- pflanzungen mancherlei Schwierigkeiten bereitet. Zunächst wirkte die Dürre doch recht hinderlich. Im Jahre 19C3 setzten die Niederschläge erst am 15. Juli ein, also viel zu spät für die Pflanzen. Man muß für künstliche Bewässerung Vorsorgen und hat in der Tat von vornherein in den Tal- gerinnen kleine Stauweiher geschaffen. Schon im Jahre 1900 wurden die jungen Schonungen während des F"rühjahrs emsig begossen, indem eine Schar von Kulis mit mehreren hundert leeren Petroleum- kannen des Gouvernements Wasser herantrugen. Nach der Trockenzeit beginnt dann der Regen oft mit ungemeiner Heftigkeit. Vom 15. bis 18. Juli 1903 fielen 209,6 mm, in der Nacht vom I. zum 2. August in 6 Stunden 105 mm, am II. August in 7'.j Stunden 107 mm. Im ganzen gingen in 23 kürzeren oder längeren Regenfällen bis zum 16. September 621,9 rnni Niederschlag nieder, also mehr als der Durchschnitt des Jahres in Berlin beträgt (584 mml Doch nicht nur der gesamte Witterungscharakter entbehrt der Mäßi- gung und Ausgeglichenheit. Es treten einzelne Stürme von verheerender Wirkung auf Schantung wird von einer Taifun-Zugstraße berührt. So hat einmal ein Taifun durch hygroskopische Wirkung des Salzes Blätter und Nadeln der jungen Bäume so stark welken lassen, daß im \'erein mit einer damals gerade besonders frühzeitig eintretenden Spätsommerdürre 150 ha der Schonungen zugrunde gingen. Ein anderes Mal hat ein Taifun, der durch stark herabströmende Güsse den Boden völlig durchweichte, die Bäume in Mengen umgelegt. Während der Trockenzeit schädigen Staubstürme durch Uberschüttung des Laubes mit feinen Sand- massen. Beispielsweise vernichtete ein Staubsturm im Mai 1903 das frische Grün der Laubhölzer. Doch gewöhnen diese sich daran , ihre Blätter mindestens dreimal im Jahre zu erneuern. Vor allem galt es, das für die Aufforstungen bestimmte Gelände vor den Wirkungen der Boden- abspülung zu schützen. Wasserrisse wurden durch Steinwälle verbaut und da, wo die Grundverhält- nisse es erlaubten, künstliche V\'asserstaubecken erzielt, die im Winter zur Gewinnung von Natur- eis für Krankenhäuser und Brauereien in Tsingtau, im Frühjahr für die Bewässerung der Schonungen Nutzen bringen und zugleich die Fortschlemmung des Bodens verhüten sollten. Anfänglich wurde durch das einlaufende Wasser hier und da solch Staubecken sehr schnell zugeschwemmt, so daß es wieder ausgebaggert werden mußte. Eine ganze Reihe von großen und kleinen Stauweihern sind jetzt im Betrieb; an anderen Stellen wünschte man die Aufschlemmung, und als sie vollzogen war, wurde die an Stelle des Abhangs getretene ebene Fläche durch Weidenstecklinge gesichert, während die Kraft des strömenden Wassers in ihr und durch sie herabgemindert wnr. Steindämme und Trockenmauern setzte man jedoch nicht bloß in die einzelnen Abflußrinnen, damit das Gefall durch einen Wechsel von kleinen ebenen Plächen und Stürzen abgetreppt und möglichst unschädlich ge- machtwurde, sondern man zog sie auch an geeigneten Abhängen entlang, so daß zwar das abrinnende Wasser durch die Fugen sickerte, die erdigen Bestandteile jedoch zurückgehalten wurden. Diese Steindämme haben sich gut bewährt, indem sie auch Pflanzen hielten, die sonst aus ihren Löchern geschwemmt wären. Vornehmlich aber diente zur Bindung der Hangflächen ein Belag mit Gras- streifen in etwa I m Entfernung voneinander, parallel zu den Höhenkurven. Diese Grasplaggen hielten das abrieselnde Wasser auf, zwangen es in die Bodenrisse zu sickern und dort durch mechanische Zertrümmerung und chemische Zer- setzung, die besonders im feldspatreichen Granit- fels schnell vor sich geht, zur I3odenbildung bei- zutragen. Zugleich hielten die Grasstreifen das Erdreich der Gehängeabspülung fest. Der Plaggen- belag hatte in 4 bis 5 Jahren seine Schuldigkeit getan; schon im Jahre 1902 konnte man mehr und mehr auf ihn verzichten. Auf dem durch ihn verfestigten oder geschaffenen Boden gedieh sofort Eichensaat und Schonung zweijähriger Kiefern. Man wandte jedoch auch andere Pflanzen an, um das Erdreich zu binden, an steilen Böschungen beispielsweise Akazien, deren Wurzeln sich weit- hin verzweigen, an sandigen Stellen kalifornisches Pampasgras , das aus übersandeten Internodien immer neue Wurzeln treibt, und vor allem eine Bohnenart, Pueraria Thurnbergii, welche die Bö- schungen mit zähem, schönblättrigem Rankennetz überspinnt. Freilich, so freundlich ihr blüten- reiches Gewebe den Boden kleidet, dem auf- wachsenden Forst wird ihre Üppigkeit leicht ge- N. F. m-. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 491 fährlich; hat die Bohne ihre Schuldigkeit bei der Bodenbindung getan, muß sie deshalb weichen, wird jedoch als Kulturpflanze weiter gehegt werden. In Japan gewinnt man aus dem W'urzelstock Stärke, eine geringere Art, die vom armen Volke mit Buchweizenmehl vermischt zu Klößen verkocht wird, und eine bessere Sorte, die zur Kuchen- bäckerei, Makkaroni- Verarbeitung und als Bei- mischung zum Reisbrei benutzt wird, aber auch als Kleister und getrocknet mit Fett als weiße Schminke brauchbar ist. Die Ranken dienen schon jetzt in China der Strickanfertigung. — Schließlich bietet der Boden hier und da noch eine Gefahr für den jungen Wald. Er hat sich stellenweis und zeitweis als undurchlässig erwiesen. Dann treten Pilzkrankheiten in den Baumschulen auf. Starke Auf|)ackungen von Gras und geeigneten Kräutern bewirkten bei ihrer Verwesung dann eine starke Oxydation, welche den zu festen Untergrund rascher verwittern ließ. Schwer ist für den neuen Wald von Tsingtau die Gefahr durch lebende Waldfeinde. Insekten gibt es von einer Größe und Gefräßigkeit, zugleich in einer Massenliaftigkeit, wie sie in der deutschen Heimat nirgends bekannt ist. Vor allem stürzt sich der Kiefernspinner aus den dürftigen chine- sischen Schonungen mit wahrer Wollust auf den jungen Forst. Die frischen Bestände können zur Abwehr noch nicht geleimt werden, und die Ein- lieferung von 6 Millionen Raupen im verflossenen Jahre nützte gar nichts, da aus den chinesischen Ge- meinden stets neue Falterschwärme herüberkommen. Die Gemeinden wurden zwar auch zum Raupen- sammeln angewiesen, vermochten ihre Aufgabe aber nicht befriedigend zu lösen. Auch fand man keine Unterstützung bei Insektenfeinden in der Tierwelt; denn da größerer Wald bisher fehlte, ist ihre Zahl beschränkt. Nur eine schwarzgraue Drosselart stellte sich bald ein, ganz vereinzelt auch der Kuckuck. Die in China sonst sehr häufige Elster war nirgends zu erblicken. .Schlupf- wespen (Ichneumonidae) und die Puppenräuber und Raupenjäger (Calosama sycophanta und inquisitor) waren nicht vorhanden. Es war klar, daß schon aus dem Grunde des Falterfluges eine weise Mischung der Baumarten im Forstgelände ein- treten mußte, die den Tieren das Auffinden der gesuchten Hölzer erschwert, daß vor allem die Nadelholzbestände durch einen Schutzmantel von Laubhölzern zu decken waren. Nistkästen und strengster Vogelschutz werden hoffentlich die Vögel allmählich in die jungen Schonungen ziehen, und mit der Zeit stellen sich schon jetzt Raupen ver- tilgende Insekten ein, die bei der überreichen Nahrung sich rasch vermehren werden. Am meisten sind bisher die ameisenartigen Buntkäfer (Cleridae) aufgetreten ; doch auch Calosamen sind neuer- dings schon vielfach beobachtet, und mit Genug- tuung wurde eine Art der den Schlupfwespen ver- wandten Kleinbauchwespen, Microgaster globulus, begrüßt, die den Kiefernspinner-Raupen zu Leibe geht. Der Daseinskampf im deutsch-chinesischen Walde hat begonnen. Es lebt in ihm auch schon von Wild. Die neu aufgezogene Bodendecke gibt mancherlei Schutz, beispielsweise der Wachtel, die im Winter von igo2 auf 1903 zum ersten Male in der Kiautschou-Gegend überwintert hat, und zwar im deutschen Forstgelände. Waldschnepfe, Bekassine und andere Zugvögel treffen zeitweise in Mengen ein, und Sumpf- und Wasservögel er- freuen sich des Wildschutzes. Hasen gab es von je viele in Schantung, trotzdem der Chinese ihnen mit Fallen und Falken nachstellt, auch wildernde Hunde sie verfolgen. Fuchs und Dachs finden trefflichen Unterschlupf, da sie in ihren Felsbauten nicht aufzustöbern sind, und nur Eisen und Treib- jagd ihren Fang ermöglicht. Das Jagdrecht wird nur durch die Behörden oder wenigstens nur unter ihrer Aufsicht ausgeübt werden dürfen. Zu den Waldfeinden gehörte auch der Chinese. Anfänglich verleitete der Holzmangel zu fort- währendem Diebstahl, zumal der Bevölkerung die rechte Einsicht in das Wesen einer sorgsamen Aufforstung abgeht. Es bedurfte strenger Maß- nahmen und größerer Razzias, um einigermafSen erzieherisch einzuwirken. Auch das Verbot des Betretens der Schonung findet bereits Verständnis. Die Zerstörung der Grasplaggen und Steindämme durch unvorsichtigen Gang quer waldein ist zu sichtbarlich nachteilig für den ganzen Betrieb, als daß nicht auch der Chinese die Notwendigkeit einsieht, sich auf den Wegen zu halten. Schwie- riger ist es, ihm die Leichtfertigkeit abzugewöhnen, mit der er das Feuer behandelt. Er raucht leiden- schaftlich seine ungedeckte kleine Pfeife und kennt die Gefahr des Waldbrandes nicht, weil in den chinesischen lichten Beständen der Boden durch- aus rein gehalten wird. Im Jahre 1903 fanden an einem Tage 9 Waldbrände im deutschen Forst statt; wäre nicht gerade eine Truppenabteilung von der Felddienstübung vorübergezogen, so wären die Förster und Gärtner nicht imstande gewesen, Unheil zu verhüten. Die starke Dürre unterstützt natürlich die Feuersgefahr. Bei der Auswahl der anzupflanzenden Hölzer muß in erster Hinsicht natürlich auf die Lebens- fähigkeit und Nutzbarkeit der Bäume Rücksicht genommen werden, in zweiter auf ihre Verwert- barkeit zur Bodenfestigung, zum Gehängeschutz, kurz für alle die Zwecke, welche die Aufforstung geboten haben, in dritter auf das gefällige Aus- sehen der Laubmischungen, der Baumformen, also auf die Waldschönheit. Man hat 5 Eichenarten ausgeprobt. Quercus serrata und dentata sind heimisch und wachsen sicher, jene langsam, diese rasch; jene gibt schlechtes, diese gutes Holz. Man wird also q. dentata bevorzugen. Die in der Mandschurei gedeihende q. mongolica würde für die Eichenspinnerzucht wichtig sein; doch wächst sie träge, und der Same ist schwer zu beschaffen. Auch auf die schnellwüchsige, prächtig gedeihende q. rubra aus Amerika wird man verzichten müssen, weil mehrfach der Same auf dem Seewege ver- dorben ist. Die Versuche mit der japanischen 492 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III, Nr. ^i q. cuspidata sind noch zu jung, um ein Urteil zu erlauben. Die Edelkastanie wuchs schon vor der Inangriffnahme der deutschen Forstarbeiten in Schantung, verlangt aber geschützte Standorte und wird nur als eingesprengte Holzart, nicht in größeren Beständen aufgezogen. Versuche mit japanischem Samen sind fehlgeschlagen. Dagegen gedeiht auf frischem, gutem Boden trefflich die japanische Zelkowa keaki, die in Form und Be- laubung schön ist und vorzügliches Nutzholz bietet. Leider verbietet sich die Anpflanzung in großen Beständen wegen der Abhängigkeit des Baumes vom Erdreich. Ebenfalls aus Japan hat man 2 Weißerleii bezogen, Alnus japonica, die feuchte Stellen liebt, und A. incana, die auch auf trockenem Boden wächst und zur Unterbrechung der Nadel- holzbestände brauchbar ist, da sie sich gegen Winde als unempfindlich bewährt hat. Nur macht auch hier der Bezug der Pflanzen Schwierigkeiten. Deutsche Roterle ist ebenfalls angepflanzt. Schnell wächst die einheimische Sterculia platanifolia an, gibt aber nur mäßiges Holz und beansprucht Windschutz. Vorzüglich gedeiht die gleichfalls ortsansässige Ailanthus glandulosa, die prächtig aufschießt, doch auch nur minderwertiges Holz gibt. In Japan ist die in Ostasien heimische Paulownia imperialis aus der F"amilie der Scrophu- lariaceen wegen des Holzes, der Schnellwüchsig- keit und der zur Lackherstellung verwerteten Früchte sehr beliebt. Man hat im Tsingtau-Wald jedoch erfahren, daß sie nur als Parkbaum brauch- bar ist, weil sie zeitweise des Schutzes vor freier Luft bedarf. Die japanische Esche Fraxinus pubi- nervis gibt sehr gutes Holz und wächst auch sicher an, nur sehr langsam und nur auf frischen Stellen, dient also gleichfalls als Einsprengung. Unter allen Laubhölzern erwies sich am dank- barsten die aus deutschem Samen aufgezogene Akazie, die auf leidlich tiefgründigem Boden schon nach 2 Jahren 5 bis 6 m hoch aufgeschossen ist, sich aber selbst mit schlechtem abfindet. Sie wird flächenweise angebaut und auch zu Nach- besserungen im Nadelwald verwertet. Da ihr Holz leicht bricht, darf sie freilich nicht an Sturmseiten der Gehänge stehen. — Unter den Nadelhölzern hat man auf die Tanne bereits verzichtet. Trotz drei Jahre lang wiederholter Versuche, Abies firma aus Samen zu ziehen, blickte man nur auf Miß- erfolge. Auch zeigt in Japan die Tanne ein so schlechtes Holz, daß man für die chinesische Küste nicht auf ein besseres zu hoffen wagt. Anschei- nend wird die Pinie (Pinus pinca) gut gedeihen, auch die verwandte Pinus insignis. Die Keime gingen zu hoher Prozentzahl auf, und die Pflanzen wuchsen schnell auf; nur bleibt es fraglich, ob sie winterfest genug sind. Am sichersten ist bisher Pinus Thumbergii fortgekommen. Thuja-Anpflan- zungen sind nur streckenweise gelungen. Die wichtigsten Erfahrungen und Proben hat man nicht gleich im Forstgelände, sondern im Pflanzgarten gemacht, der sich an Gehängen, die nach Süden und nach Westen abdachen, von 25 bis 95 m Höhenlage hinaufzieht und 2 große und 4 kleine Stauweiher besitzt. Der Hauptgarten am Iltisberg sollte nicht nur für den Wald, sondern auch für Straßenbepflanzung und öffentliche An- lagen Bäume und Sträucher ziehen, weil der Be- zug von Samen und Pflanzen sich als kostspielig und unsicher herausgestellt hatte. Neben ihm be- stehen verstreute Saat-, Pflanz- und Baumschulen in der unmittelbaren Nähe des Waldes oder in ihm. Ist man sich über die Verwertbarkeit der einzelnen Pflanzen klar und sind die wesentlichen Ansprüche auf Baumlieferungen, die vorläufig noch eine ständige Vergrößerung des Pflanzgartens er- fordern, dereinst gedeckt, dann soll er in einen botanischen Garten umgewandelt werden; deshalb behält man jetzt schon von jeder erzogenen Pflanzen- art in ihm Proben zurück. In den Baumschulen von Tsingtau wird natürlich auch auf Obstzucht Wert gelegt. Der Chinese mit seinem Fleiße und seiner zähen Geduld ist der geborene Gärtner, treibt deshalb auch viel Obstbau. Kronenerziehung der Bäume und Okulierung sind in seinen Gärten schlechthin musterhaft. Nur fehlt es ihm an edlen Sorten und veredelnden Reisern. Die Forstver- waltung versorgt daher umliegende Dörfer mit Edelreisern. Anfänglich sträubten sich die Chinesen gegen die Annahme; denn es war ihnen kaum begreifbar zu machen, daß die Okulierung ihrer Bäume durch deutsche Reiser nicht eine Besitz- ergreifung ihres Eigentums durch die Deutschen bedeuten sollte. Die europäischen Ansiedlungen in Ostasien verbrauchen viel Edelobst, und aus Tschifu wird dank der Bemühungen eines ameri- kanischen Missionars bereits massenhaft eine durch kalifornische Reiser veredelte Birne ausgeführt. Man wünscht nun auch Tsingtau zum Obstausfuhr- platz zu machen. Das Baumobst gedeiht so gut, daß durch die gezogenen Reiser sich jährlich etwa 5000 Stämmchen in den verschiedenen Gärten in und um Tsingtau veredeln lassen. Johannisbeeren kommen vorzüglich fort, Stachel- und Himbeeren jedoch verkümmern. Die Obst- lehrschule von Geisenheim am Rhein hat Steck- linge heimischer deutscher Reben entsendet, die reichen Ertrag gebracht haben. Von 75 Proben steht es bei 15 bereits fest, daß sie einen trink- baren Wein ergeben. Auch bei Tschifu gibt es eine Weinbaugesellschaft. Allerdings wird man mit Reblaus und vielen Insektenschädlingen zu rechnen haben. Auch verlangen Wein- wie Obstgärten geschützte Lagen. Insbesondere schädigt der sommerliche Oststurm. Der Wind scheint die Gewebeschichten zu zerdrücken und dann Saft zu entziehen ; außerdem wirkt der starke Salzgehalt dieser übers Meer kommenden Ostwinde nach- teilig. Auch Maulbeer- und Eichenspinnerzucht scheint in Seenähe nicht möglich, weil die salz- haltige Luft das Laub in einer Weise beeinflußt, die den Raupen nicht zusagt. Der Obst- und Wein- anbau muß die Westabhänge aufsuchen. Versuche mit anderen Nutzpflanzen haben ergeben, dal5 Ramie sich im I'^reien kräftig entwickelt, ohne von N. F. III. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 493 der Winterkälte zu leiden, Tabak, der bereits viel- fach in Schantung angebaut wird, freilich in recht schlechten Sorten, sich unter Zuhilfenahme japa- nischer Erfahrung gut veredeln läßt, daß die Lu- pine das Klima nicht verträgt, Wicken sich aber bewähren, daß Spargelanbau außerordentlich lohnt und eine reiche Ernte feinschmeckender Pflanzen ergibt. Auch Artischocken gedeihen trefl"lich. Merk- würdigerweise entartet fast jedes Gemüse rasch, so daß häufiger Bezug deutschen Samens not- wendig wird. Am besten hat sich bisher die Kartoffel eingebürgert. Es ist möglich, zweimal jährlich zu ernten, und der Ertrag schwankt je nach der Sorte bei i Zentner Aussaat zwischen 6 bis 14 Zentner Ernte. Die Chinesen haben den Wert des Kartoffelanbaues sofort begriffen. Sie versorgen bereits die Garnison mit ihrer Ernte. Eine erstaunliche Menge von Tatkraft und Um- sicht steckt in allen diesen Versuchen. Sie ver- ändern rasch das Landschaftsbild , die Lebens- bedingungen, zum Teil auch das Räderwerk der ineinander greifenden Naturvorgänge in der Um- gebung der deutschen Niederlassung von Tsingtau. Der Anbau in den Tälern wird noch reicher, wenn nicht an Masse so doch an Wert der Aufzucht, und die Berge bedecken sich mit dem liebens- würdigen Kleide nutzbarer Bäume, unter denen ein bewegteres Tierleben sich abspielt, als seit Jahr- tausenden die Provinz Schantung es gesehen hat. Wieviel Ertrag aus diesen Unternehmungen dem wirtschaftlichen Gedeihen des Schutzgebietes, vielleicht gar dem deutschen Mutterlande erblühen wird, das wird die Zukunft lehren. Dr. F. Lampe. Die Dysenterie in Konstantinopel. — Ätio- logische, experimentelle und anatomische Studien von Prof. Dr. D e y c k e und Assistenzarzt R e s c h a d E f f e n d i in Rieder Pascha : Für die Türkei, Selbst- gelebtes und Gewolltes. Jena 1904, G. Fischer. p. 183-315. Bd. II. Die Verfasser kommen an der Hand von 87 in den letzten 4 Jahren im Krankenhause Gülhane, Konstantinopel , genau untersuchten Fällen von Dysenterie zu beachtenswerten Resultaten, indem sie der Ätiologie nach 3 verschiedene Formen unterscheiden konnten, 2 stark abweichende ba- zilläre und eine durch Amöben hervorgerufene. Das lokale Gepräge der Erkrankungen äußerte sich einmal darin, daß bei der selteneren 3. Form überraschenderweise die ausschließlich Amöben enthaltenden Stühle sich als nicht katzenpathogen erwiesen, dann ferner in der Auffindung eines bis- her unbekannten kulturell und biologisch wohl charakterisierten Erregers, welcher zur Typhus- Coli-Gruppe zu stellen ist. Dieser Bazillus, mit Recht als „Typus Deycke" bezeichnet, erscheint als kurzes Stäbchen, das sich gegen das Bacterium coli durch seine Unbeweglichkeit, sein Unvermögen Milch zu koagulieren und durch fehlende oder äußerst geringe Säurebildung, gegen die echten Shiga (-Kruse) 'sehen Ruhrbazillen jedoch durch sein Gärvermögen, Indolbildung .sowie die Art des Oberflächenwachstums auf Gelatine scharf abgrenzt. Als besonders charakteristisch ist noch seine Katzenpathogenität zu erwähnen, welche es auch bei der konstatierten Gleichheit des patho- logischanatomischen Prozesses im Dickdarm von Katze und Mensch ermöglichte, die genaue Stufen- folge in der Entwicklung der lokalen Veränderungen festzulegen. Diese mehr sporadisch auftretende Form der Dysenterie ist eine prognostisch ernst zu nehmende Erkrankung, welche zu häufiger Wiederkehr neigt und dann schwere Störungen im Allgemeinbefinden zur Folge hat. Neben der ebengenannten findet sich eine fast stets akut und epidemisch verlaufende, dabei einen durchweg benignen Charakter tragende Form, deren Erreger mit dem Flexner'schen Ruhrbazillus der Philippinen identifiziert werden konnte. Dagegen kam die bekannteste durch den Shiga- Kruse'schen Bazillus verursachte Dysenterie nicht zur Beobachtung. Als Infektionsmodus mußte auch hier oft Kon- taktwirkung angenommen werden , doch konnte noch vor Abschluß der Untersuchungen eine t Übertragung durch infizierte Wasserleitung bakte- riologisch exakt bewiesen werden. Die Kürze des Referates verbietet es auf die F'ülle von Einzelheiten einzugehen , so auf die hygienisch interessante Erörterung der Wasser- versorgungs- und Kanalisationsverhältnisse Kon- stantinopels und dahin gehörige auch zur Ver- hütung der Ruhr dienende Reformvorschläge, ferner die speziellen Serum- und Toxinversuche mit dem neuen Erreger. Erwähnt mag noch sein, daß der Arbeit eine eingehende historische und kritische Würdigung der Literatur voraufgeht. Als wichtigstes Resultat der Untersuchungen erscheint es, die schon anerkannte Dualität der unter ähnlichen pathologischen und klinischen Erscheinungen verlaufenden Dysenterieerkrankun- gen noch weiterhin und zwar durch Beobachtungen an einer Lokalität, in eine Multip lizität auf- gelöst und damit neue Gesichtspunkte in der Be- urteilung der Unität eines Krankheitsbildes eröffnet zu haben. Möglicherweise wird es bei den bazillären For- men allerdings auf die endgültige Festlegung eines Erregers hinauskommen, dessen Rassen sich entsprechend biologisch, bakteriologisch und klinisch als wechselnd abweichend erweisen. Vorliegendes Referat ist der an die Türkei gerichteten Denkschrift entnommen, in der es als Spezialabschnitt zur Wiedergabe gelangte. Das eine F'ülle von Einzeltatsachen, Vorschlägen und Fortschritten enthaltende, zweibändige Werk legt Zeugnis von der Bedeutung deutscher und speziell eingehender ärztlicher Tätigkeit und Kulturarbeit im Auslande ab. Dr. med. W. v. Gößnitz, Jena. Über höchst eigentümliche sog. Ameisengärten aus dem Urwaldgebiet des Amazonas berichtet 494 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 31 E. Ule. ^) Verf. machte nämlich die Beobachtung, daß zahlreiche, auf Bäumen angelegte Ameisen- nester stets von einigen epiphytischen Pflanzen bewachsen waren, die hauptsächlich aus Brome- liaceen, Gesneriaceen und einer Peperonia, seltener aus Araceen und anderen sich zusammensetzen. Dabei befanden sich gewöhnlich mehrere dieser verschiedenen Epiphyten zugleich auf demselben Nest und zwar in allen Entwicklungsstadien von der jungen Keimpflanze bis zum völlig ausgebil- deten Gewächse. Auffallend ist nun zunächst, daß eine ganze Anzahl dieser Pflanzen ausschließ- lich auf diesen Ameisennestern vorkommt, und daß sie zugleich durch allen gemeinsame Merk- male in Wurzelbildung und Belaubung ihre Ab- hängigkeit von dem künstlichen Humusboden, den die Ameisennester ihnen darbieten, erkennen lassen. Das merkwürdigste aber ist, daß sogar die Ameisen selbst die alleinigen Verbreiter und Pfleger dieser Pflanzen sind, daß sie dieselben künstlich züchten, ihnen durch die Humusansammlung ihres Nestes die notwendigen Existenzbedingungen schaffen. Sie schleppen die Samen ein, umgeben die zarten, keimenden Würzelchen sofort mit Erde und ver- größern ihrNest mit dem Heranwachsen derPflanzen. Von der großen Zahl der auf jedem Nest einge- pflanzten Epiphj'ten geht zwar ein beträchtlicher Teil ein, der Rest jedoch gedeiht vortrefflich. Der Vorteil, den die Ameisen von dieser Aus- pflanzung haben, beruht einmal darauf, daß die Wurzeln und Zweige der Epiphyten den Erdnestern einen festen Halt gegen Regengüsse verleihen, und weiter darauf, daß ihre Blätter Schutz gegen die glühenden Strahlen der Tropensonne gewähren. Selbst auf abgestorbenen Bäumen und Asten können diese Epiphytenpflanzungen noch lange weiter gedeihen. Das ganze Verhältnis zwischen Ameisen und Pflanzen ist hier wohl eher als eine Raumsymbiose, nicht als eine Schutzsymbiose aufzufassen. J. Meisenheimer. ') E. Ule, Ameisengärten im Aniazonasgebiet. In: Botan. Jahrb. für Systematik etc. 30. Bd. Beiblatt Nr. 68. iqoi. Die biologische Bedeutung der Drüsen- haare von Dipsacus silvestris hat Dr. R. Ro- stock untersucht. Dipsacus silvestris hat gegen- ständige Blätter, welche infolge der Verwachsung ihres Grundes tiefe Tröge bilden, die oft mit Regenwasser gefüllt sind. In dem Becken und auf anderen Teilen der Blätter finden sich zwei Arten von Drüsenhaaren, Köpfchendrüsen und langgestreckte Drüsen vor; Fr. Darwin und Cohn haben bereits Untersuchungen über diese Gebilde angestellt. Die gereiften Drüsen zeigen gelbbraune Färbung. Die Köpfchendrüsen unterscheiden sich von den anderen dadurch, daß sie imstande sind, ein schleimartiges Plasma auszuscheiden. 'Die Bedeutung der Drüsen und ihrer Sekrete bringt der Verf. in Zusammenhang mit der Bedeutung der Wasseransammlung. Die interessanten Ex- perimente Rostock's ergaben in bezug auf den letzten Punkt, daß die Wasseransammlung nicht dazu dient, ins Innere der Pflanze aufgenommen zu werden. Zahlreiche Versuche im Freien führten vielmehr zu dem Krgebnis, daß die Wasseransamm- lung in den Trögen als ein Schutzmittel für die ganze Pflanze (nicht nur für die Blüte, wie Kerner meinte) gegen Schnecken- und Raupenfraß anzu- sehen ist, ein Schutz, dessen Bedeutung aus dem Standort und der saftigen Beschaffenheit der Pflanze leicht erklärlich erscheint. Häufig fanden sich Käfer, tote Raupen und Schnecken in der Trogflüssigkeit. Biologisch interessant ist hierbei, daß schon nach geringer Befeuchtung die Ober- fläche der Blätter sehr glatt wird und so das Hinabrutschen der Tiere in das mit Wasser ge- füllte Becken begünstigt. Von der biologischen Bedeutung der Wasserbecken ausgehend , unter- sucht der V^erf. die Aufgabe der Drüsen und ihrer Sekrete. Auf Grund angestellter Fütterungs- versuche bezeichnet R. die Vermutung Fr. Dar- win's, ^daß die Drüsen ähnlich wie bei Drosera, im Dienste der Nahrungsaufnahme stünden, als nicht zutreffend; vielmehr glaubt er durch zahl- reiche Versuche erwiesen zu haben, daß die eigen- tümlichen Drüsensekrete (Ballen, Klümpchen) die Verdunstung des der Pflanze so nützlichen Trog- wassers erheblich verlangsamen. Die in den Wasserbehältern aufgehäuften Zerfallprodukte der ertrunkenen Insekten haben sicher für die Pflanze den V^orteil, daß sie durch das überlaufende Wasser dem Boden und den Wurzeln als stickstoffhaltige Nahrung zugeführt werden. F. Schleichert. Kristallisierter Portlandzement. — Nach einem Vortrag des Direktors Grauer in dem Verein deutscher Portlandzementfabriken ist es Dr.Schmidt undingenieur U nger in der Portland- zementfabrik Lauffen am Neckar gelungen einen kristallisierten Portlandzement zu erhalten. Die Hauptschwierigkeit lag nach dem Vortragen- den in der Konstruktion eines Ofens, der im elek- trischen Lichtbogen kein Calciumcarbid liefert. Nachdem es gelungen war einen brauchbaren Ofen zu bauen, der einen genügend großen Schmelzraum besaß, waren die Versuche von Er- folg gekrönt. Ein Zement mit 60 v. H. Ätzkalk schmolz zu einer glänzenden Masse zusammen; von 62 v. H. Ätzkalk an zeigten sich im Innern dieser Masse Kristalldrusen und bei 66 v. H. hatte das ganze Schmelzprodukt ein kristallinisches Gefüge. Die größten Kristalle gehörten dem hexagonalen System an und verhielten sich optisch anormal. Sie enthielten Kalk und Kieselsäure im \'erhältnis 3 zu I, aufäerdem aber noch Tonerde und Eisen- oxydul; tonerdefreie wurden niemals gefunden. Die praktische Bedeutung der Versuche liegt in dem Nachweis, daß hochkalkige Zemente durch Schmelzen besser werden, die tonerdereichen zeigen dagegen gesintert günstigere Eigenschaften. Zunächst haben die Versuche vorwiegend theo- retisches Interesse. Der gewöhnliche Zement ist ungleichförmig, der kristallisierte soll gleichmäßig N. F. m. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 495 sein und da es gelang Gemische zu erhalten , die nur aus Kristallen bestanden , wurde der Name „kristallisierter Portlandzement" gewählt. Natür- lich soll damit nicht gesagt sein, daß es sich um eine einheitliche Verbindung handelt, wie von anderer Seite irrtümlicherweise diese interessanten Versuche mißdeutet worden sind. Dr. Odernheimer. Himmelserscheinungen im Mai 1904. Stellung der Planeten: Nur Saturn ist am Morgen- himmel I bis I '/.> Stunden lang sichtbar. Sternbedeckung: Am 21. findet eine Bedeckung von o Leonis durcli den Mond statt. Der Eintritt erfolgt für Berlin um 9 Uhr 57,4 Min. abends, der Austritt um lo tJhr 38,2 Min. Algol -Minima lassen sich im Mai wegen der Sonnen- nähe des Sterns niclit beobachten. Ende Februar 1906 die unterzeichnete Direktion auf Vorschlag einer von ihr noch zu ernennenden Prüfungskommission. Frankfurt a. M., den I. April 1904. Die Direktion der Senckenbergiscben Naturforschenden Gesellschaft. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Die 76. Versammlung der (Gesellschaft Deut- scher Naturforscher und Arzte wird vom 18. bis 24. September 1904 in Breslau stattfinden. Die auf der Versammlung in Hamburg durchgeführte Vereinigung mehrerer verwandter Fächer wurde auch in diesem Jahre beibehalten. Die Gestaltung der Versammlung erfährt nur dadurch eine geringe Änderung, daß nach dem Beschlüsse des Vorstands der Gesellschaft die Abteilung für AgrikuUur- chemie und landwirtschaftliches Versuchswesen wieder herge- stellt werden wird. Es ergeben sich hiernach 14 Abteilungen in der naturwissenschaftlichen und 1 7 in der medizinischen Hauptgruppe. — Die allgemeinen Sitzungen der diesjährigen Tagung sollen am 19. und 23. September abgehalten und in denselben Gegenstände von allgemeinem Interesse behandelt werden. — Für den 22. September vormittags ist eine Gesamt- sitzung der beiden wissenschaftlichen Hauptgruppen geplant. Es soll in derselben die Frage des mathematisch-naturwissen- schaftlichen Unterrichts auf den höheren Lehranstalten ein- gehend erörtert werden. — Für den 22. September nach- mittags sind für jede der beiden Hauptgruppen gemeinsame Sitzungen vorgesehen. Für die medizinische Hauptgruppe sind die Themata noch nicht fest bestimmt. In der naturwissen- schaftlichen Hauptgruppe sollen sich die Vorträge und die Verhandlungen auf die Eiszeit in den Gebirgen der Erde be- ziehen. — Die Abteilungssitzungen sollen am ig. .September nachmittags, am 20. und 21. September vor- und nachmittags, sowie evtl. am 23. September nachmittags abgehalten werden. Geheimer Medizinalrat Prof. Dr. Uhthoff ist I. Geschäfts- führer, Geheimer Regierungsrat Prof. Dr. Ladenburg 2. Ge- schäftsführer. — Die Geschäftsstelle befindet sich in Breslau X Matthiasplatz 8 111. V. Reinach -Preis für Paläontologie. — Ein Preis von 500 Mk. soll der besten Arbeit zuerkannt werden , die einen Teil der Paläontologie des Gebietes zwischen Aschaffen- burg, Heppenheim, Alzei, Kreuznach, Koblenz, Ems, Gießen und Büdingen behandelt; nur wenn es der Zusammenhang er- fordert, dürfen andere Landesteile in die Arbeit einbezogen werden. Die Arbeiten, deren Ergebnisse noch nicht anderweitig veröffentlicht sein dürfen, sind bis zum I. Oktober 1905 in versiegeltem Umschlage, mit Motto versehen, an die unter- zeichnete Stelle einzureichen. Der Name des Verfassers ist in einem mit gleichem Motto versehenen zweiten Umschlage beizufügen. Die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft hat die Berechtigung diejenige Arbeit, der der Preis zuerkannt wird, ohne weiteres Entgelt in ihren Schriften zu veröffent- lichen, kann aber auch dem Autor das freie Verfügungsrecht überlassen. Nicht preisgekrönte .'\rbeiten werden den Ver- fassern zurückgesandt. Über die Zuerteilung des Preises entscheidet bis spätestens CaUandrean und P e r r o t i n f. In den letzten Wochen liat Frankreich zwei namhafte Astronomen durch den Tod verloren. Am 13. Februar starb O. CaUandrean, Professor der Astronomie an der Ecole polytechnique und Titularastro- nom der Pariser Sternwarte. Er hat sich in gleicher Weise alt gewissenhafter Beobachter wie als bedeutender Theoretiker einen Namen erworben. — Henry Per rotin, der im März starb, war seit mehr als zwanzig Jaliren der Leiter der groß- artig nach seinen Plänen angelegten , vom Bankier Bischofs- heim gestifteten Sternwarte auf dem Mont Gros bei Nizza. An den zahlreichen, wichtigen Entdeckungen, die von hier ausgingen, hat Perrotin meist persönlichen Anteil gehabt. Neben theoretischen Studien über die Ungleichheiten der Bewegung der Vesta hat Perrotin namentlich Hervorragendes in der Erforschung der Planetcnoberflächen geleistet; eine seiner letzten, größeren Arbeiten war die Neubestimmung der Geschwindigkeit des Lichts nach Fizeau's Methode (vgl. I!d. II, S. 226). Bücherbesprechungen. Waldemar v. Wasielewski , Goetlie und die Descendenzlehre. (Frankfurt a. M. Literar. .^nstah Rütten & Loening, 1904). — Preis 1,80 Mk. Obwohl sich die bisher über Goethe's Stellung zur Descendenzlehre von Haeckel , Cohn , Kalischer, Potonie, Wiesner, Sachs und anderen Autoren ge- äußerten Anschauungen in eine fast vollständige Reihe bringen lassen, die von unbedingter Bejahung bis zur reserviertesten bloßen Andeutung reicht; ob- wohl demnach auch das im allgemeinen zutreffende Urteil bereits ausgesprochen worden sein muß, gab es doch mancherlei (Gründe dafür, die Frage auf Grund des umfassenden Materiales der Weimarer .\usgabe einmal detailliert zu behandeln. Einmal ist sie über das bloße naturwissenschaft- liche Interesse hinaus von Bedeutung für einen Teil von Goethe's Weltanschauung. Sodann reizten die Widersprüche der bisherigen Ansichten zu dem Ver- such, die allmähliche Entwicklung der Ideen Goethe's über die Abstammung der Arten zu ver- folgen unter Berücksichtigung aller von innen wie von außen wirksamen Faktoren. Diese historisch - psychologische Behandlungsweise verlegt freilich den Schwerpunkt von einem kurz aus- zusprechenden Schlußresultat weg und zielt vielmehr darauf ab, „das Spiel der geistigen Kräfte zu be- trachten", wie der Verfasser es am Schluß ausdrückt, vom ersten Aufleuchten der Vorstellung einer Des- cendenz bis hinan zu ihren letzten Entfaltungen. Danach tritt die Idee kurz nach i 790 zum ersten Male bei Goethe deutlich hervor, scheint um 1795 zu einem gewissen Abschluß gebracht, über den für Goethe wissenschafdich kaum hinauszukommen war, da seine Vorstellung gesonderter Typen sich nicht mit der- jenigen einer schrankenlosen Descendenz vereinigen ließ. Es beginnt nunmehr ein eigenartiges Wechsel- spiel zwischen der vordrängenden Idee und der noch allzu unvollständigen, daher stets widerstrebenden Er- fahrung. Dies erklärt die zum Teil sehr merkwürdigen späteren Auslassungen Goethe''s über diese Dinge, er- 496 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 31 klärt vor allem, warum dieselben äußerlich, jedoch nicht innerlich , einander bisweilen widersprechen. Die P^inzelheiten hiervon müssen im Original nach- gelesen werden. Die Arbeit gliedert sich in drei Kapitel, von denen das zweite die eigentliche Abhandlung bildet. Das erste ist einer Aufzählung und Diskussion der früher über die Frage geäußerten Ansichten gewidmet ; das dritte bringt Beiträge zu Goethe's Stellung zur Theorie überhaupt, soweit dieselben an diesem Ort zu weiterer Klärung erwtinscht sein konnten. Sodann findet sich dort noch ein Abschnitt über solche Stellen in Goethe's naturwissenschaftlichen Schriften , die nach der An- schauung des Verfassers in descendenztheoretischem Sinne mißverstanden werden können. Eine derselben, die von bedeutendem Interesse ist und von R. Steiner zu einem Beweise für Goethe's bejahende Stellung zur Descendenzlehre benutzt worden ist, erfährt dabei eine genauere Analyse. (x.) Literatur. Rudorf, Dr. George: Das periodische System, s. Geschichte u. Bedeutung f. die chemische Systematik. Vermehrte und vom Verf. vollständig umgearb. deutsche Ausg. Die Über- setzung unter Mitwirkung von Assist. Dr. Hans Ricsenfeld. (XV, 370 S. m. II Fig.) gr. 8". Hamburg '04, L. Voß. — 10 Mk. Volz, Wilh.: Zur Geologie v. Sumatra. Beobachtungen und Studien. Mit 12 Taf., 3 Karten u. 45 Abbildgn. im Te.xt. (112 S.) Jena '04, G. Fischer. — 36 Mk. Wundt, Wilh.: Einleitung in die Philosophie. 3. .\uH. .Mit e. Anh. tabellar. Übersichten zur Geschichte der Philosophie u. ihrer Hauptrichtgn. (XVIII, 471 S.) gr. 8". Leipzig '04, W. Engelmann. — Geb. in Leinw. 9 Mk. , Grundriß der Psychologie. 6. verb. .Aufl. (XVI, 408 S. m. 22 Fig.) gr. 8". Leipzig '04, W. Engelmann. — Geb. in Leinw. 7 Mk. Briefkasten. Herrn Prof. A. in Lausanne. — Lehrbücher über Metallo- graphic sind die folgenden: v. Jüptner, Siderologie, 2 Bde. thöfieres Nachschlagewerk über die Metallographie des Eisens. K. Heyn, Die Metallographie im Dienste der Hüttenkunde, Ciaz & Gerlach , Freiberg i. S. Preis i Mk. Zu empfehlen für diejenigen, die sich rasch mit dem Geist der Sache ver- traut machen wollen. Sauveur&Whiting, Boston, Testing l.aboratory. Brieflicher Unterrichtskursus (Englisch u. Deutsch). Im übrigen ist die Literatur in Zeitschriften verstreut. E. Heyn, Professor. Herrn M. Str. in J. luantwortet. Anonyme Anfragen bleiben un- Herrn Prof F. — .Skioptikon-Diapositive, auch solche zur bcilanischen .\natomie, erhalten Sie bei der Firma Romain 'i'albot in Berlin, Kaiser Wilhelmstr. 46. Herrn H. — Über das Vorkommen des echten ILiusschwammes an lebenden Bäumen schreibt Prof P. Hennings-Berlin: Bereits im Jahre 1889 habe ich mit- geteilt, daß ich im Februar 1885 reife Fruchtkürpcr des Merulius lacrymans {= Serpula 1.), am Grunde und an Wurzeln eines lebenden Kiefernstammes im Grunewald bei Berlin beobachtet hatte. Infolge dieser Beobachtung, sowie auf praktische Erfahrungen gestützt, fühlte ich mich veranlaßt, die Ansicht auszusprechen, daß das Mycel des Schwammes die Stämme bewohnt und mit dem frischen Bauholze aus dem Walde in Neubauten eingeschleppt wird. Von R. Hartig und Göppert war kurz vorher die Ansicht ausgesprochen und in die verschiedensten Lehrbücher und Zeitschriften übergegangen, daß der Hausschwamm eine Kulturpflanze sei, die zur Jetzt- zeit nur noch in Gebäuden vorkomme und durch Sporen von Haus zu Haus weiter verbreitet werde. Diese Annahme wird von C. v. Tubeuf noch uneingeschränkt in der 1902 erschiene- nen zweiten .Auflage von R. Hartig ,,Der echte Hausschwamm" vertreten und es wird von ihm besonders bestritten , daß das Mvcel des Schwammes parasitisch in lebenden Waldbäumen vorkomme und mit dem frischen Bauholz seine Verbreitung linde. Während der letzten Jahre sind nun aber bei uns noch weitere Fälle von Hausschwamm an lebenden Stämmen be- kannt geworden. Bereits früher wurde der Hausschwamm an lebenden Nadelholzstämmen von Prof Ludwig in Greiz be- obachtet, dann berichtet Prof. Rostrup, daß er Fruchtkörper am lebenden Stamme einer echten Kastanie bei Charlottenlund auf Seeland gefunden hat; ferner wurden von mir Frucht- körper in Kiefernwurzeln im Grunewald gesammelt. Hiermit war nun zwar immer noch nicht der e.xaktc Beweis geliefert, daß das Mycel auch im lebenden Stamme vorkommt , denn die Fruchtkörper vermögen sich nur aus dem von dem Mycel bereits völlig zerstörten Holze zu entwickeln. Anfang Novem- ber v. J. erhielt ich von Prof Möller in Eberswalde die Mit- teilung, daß daselbst am Abhang eines Hügels zahlreiche lebende und abgestorbene Kiefern- und Buchenwurzeln mit reifen Fruchtkörpern des Hausschwammes reich bewachsen seien, und daß er an dieser Stelle sich sehr weit ausgebreitet häUe. Gleichzeitig erhielt ich von ihm eine Kiste mit Wurzel- stücken von Kiefern und Buchen zugesandt, teils lebend, teils abgestorben, die teilweise mit prächtigen Fruchtkörpern be- haftet waren. Frische Wurzclstücke , die keine Fruchtkörper zeigten, wurden von mir in Kultur genommen. Aus dem Rande der Schnittfläche eines anscheinend gesunden Wurzel- stUckcs einer Buche, sowie aus den Seiten mehrerer Kiefern- wurzelstücken entwickelten sich im Kulturglase schon binnen zwei Tagen sehr feine weißliche, filzige Mycelräschen. Die mikroskopische Untersuchung dieser ergab , daß sie aus farb- losen, mit Schnallenbildungen und Aussprossungen versehenen Hyphcn bestehen. Letztere sind nach Hartig und Tubeuf das liezeichnende Merkmal des Hausschwamm - Mycels. Hiermit dürfte denn wohl der sichere Beweis gegeben sein, daß das Mycel von Merulius lacrymans auch in dem Holze lebender ver- schiedenartiger Bäume vorkommt. Durch mikroskopische Untersuchung lebenden Holzes ist das Mycel jedenfalls schwer und unsicher im Innern des Holzes nachweisbar, wohl aber leicht durch Kultur zu entwickeln. In allen Fällen , wo der Hausschwamm an lebenden Bäumen beobachtet worden ist, treten seine Fruchtkörper aus den Wurzeln oder aus der Slammbasis hervor. Es ist demnach anzunehmen, daß das Mycel des Schwammes den Waldboden durchwuchert, von hier aus in schadhafte Stellen der Wurzeln und schließlich von diesen in den Stamm eindringt. Der lebende Stamm vermag den Angriffen entsprechenden Widerstand entgegen- zusetzen, aber es dürften sich zumal bei älteren Stämmen doch immer Teile finden, die, in irgend einer Weise ange- griffen , weniger widerstandsfähig sind und von denen sich schließlich das Mycel weiter auszubreiten vermag. Wird nun ein solcher Stamm gefällt, so erlischt jeder Widerstand und das Mycel vermag sich alsdann , besonders unter günstigen Umständen , so bei geschlossener Luft und Feuchtigkeit in Neubauten , unbehindert auszubreiten und das Holz zu zer- stören, (x.) Snhalt: Dr. W. Koert: Meeresstudien und ihre Bedeutung Aufforstungen in Tsingtau. — Prof. Dr. Deycke und tinopel. — E. Ule: Ameisengärten. — Dr. R. Rosto silvestris. — (irauer: Kristallisierter Portlandzement. schaftlictien Leben. — Bücherbesprechungen: Wa — Literatur: Liste. — Briefkasten. für den Geologen. — Kleinere Mitteilungen: Dr. F. Lampe: Assistenzarzt Reschad Effcndi: Die Dysenterie in Konstan- ck: Die biologische Bedeutung der Drüsenhaare von Dipsacus — Himmelserscheinungen im Mai 1904. — Aus dem wissen- Idemar v. Wasielewski: Goethe und die Descendenzlehre. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Päti'sche Ttuchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „1316 JNatUr' (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. F. Koerber Neue Folge 111. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 8. Mai 1904. Nr. 32. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 544Ö- Inserate : Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Zur lateinischen Terminologie der elementaren Arithmetik. IL [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. Max C. Unsere PIrwartung erfälirt eine ganz auffallende Enttäuschung. Was die Sprache des \'erkehrs an lateinischen Ausdrücken geschaffen hat, das ent- zieht zieh zwar streng genommen unserer Kennt- nis, muß aber doch am Ende irgendwo und irgend- wann einmal auch in der Literatur zum Vor- scliein kommen. Was aber diese Sprache der Literatur betrifft, so hat sie unserer arith- metischen Terminologie wohl vorgebildet, sie aber in den seltensten Eällen wirklich ausgebildet. Wir haben zunächst die einzelnen Fälle an Bei- spielen vorzuführen, dann die Resultate zu- sammenzufassen, um endlich für die Tatsachen eine Erklärung zu suchen. Eine absolute Vollständig- keit kann natürlich hier nicht erreicht werden. Beispiele: I. Das Wort species heißt bei Boetius nicht die Species, sondern wie überall „Art" oder ,,Form". So spricht er von den ver- schiedenen ,, Arten" der Ungleichheit {de speciebus maioris qiiantitatis et minoris) oder vom Vielfachen und seinen , .Formen" {de imdüplici eixisque specie- bus). So nennt er Gerade und Ungerade zwei „Formen" der Zahl {utrasque species nunieri). Aber nie heißt es „Rechnungsart". Cassiodor nennt das P. Schmidt in Berlin. Wort nicht. — 2. Das Wort Summe {suinmd) bedeutete zuerst „die oberste Reihe", bekam aber bereits im klassischen Latein die Bedeutung der auf die oberste Reihe gestellten „Summe", so daß selbst Wendungen wie „eine Summe vermehren" oder „ziehen" (siiiiwiam aiigcre, siibditcere) leben- diges Latein sind. Boetius redet sogar von einer „verkleinerten Summe" {demimtta summa), so daß die Grundbedeutung des Wortes bereits im Munde der alten Römer verblaßt war.^) — 3. Die Aus- drücke Addition und addieren sind im Latei- nischen freilich vorgebildet, aber nicht zu tech- nischen Ausdrücken erstarrt. Man kann zu jeder Menge, z. B. von Körnern, Wörtern, Tagen, einige hinzulegen, also auch eine Sunmie addendo ver- größern.-) Dem entsprechend heißt eine jede Zu- fügung „Addition"; selbst der Körper des Menschen bekommt so einen Zuwachs {corpori fit additio). ') Über Herkunft und Grundbedeutung des Wortes „Summe" vgl. diese Wochenschrift, N. V. II 193 ff. (1903). ''■) Cicero (de off. I 59) sagt, wir müßten in allen Fragen der Pflicht Feinfühligkeit erwerben, ut boni raliocinatores (Rech- ner) offic'wnim ase fossbiius et addendo dediiceiidoijiie videre, (juiii reliijui (des Restes) summa ßat. 498 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. l\ III. Nr. 32 Aber das „Summieren" oder „Addieren" wird auch auf andere Weise bezeichnet; es werden bei Boetius zwei Zahlen auch einmal „in eine zusammen- gefaßt" (in iinuin colligantur) oder „verbunden" {iuiiguiitiir) oder „gesellt" (congregantiir), „ange- gliedert" [adgregaiitur), „angefügt" {adiciuntitr), eine auf die andere „draufgesetzt" [sv.perpominiur). — 4. Die übrigen Ausdrücke der Addition, zu- nächst Posten und Summanden, sind völlig unklassisch. Sie heißen einfach ,, Zahlen" {numeri), das Fazit „Summe" {suinind). Das Wort ,, Posten" (von positiis) ist in leiser Vorahnung angedeutet, wenn Boetius die zu addierenden Zahlen ,,über (einander) setzt" [siiper-positcro). Der Ausdruck „Summand" aber kommt von einem Verbum „summieren" [sunnnare) her, das seinerseits, vom „Kompositum consuiitniare" abgesehen, nur aus einer einzigen Stelle der sogenannten Scholia Bo- biensia zu Cicero's Reden zitiert ist, also aus nach- klassischen , vielleicht sehr späten Kommentaren zu jenen Reden stammt. — 5. Die Ausdrücke Subtraktion, Subtrahendus, Minuend us, Differenz sind wieder im Lateinischen nicht ge- läufig, zum Teil kaum vorhanden. Das häufige Verbum „subtrahieren" [subtraliere) heißt sonst soviel wie ,, unten (leise, heimlich) fortziehen, ent- ziehen, weglassen"; Boetius freilich gebraucht es in seiner Musik (soviel wir sehen, nicht in seiner Arithmetik) auch für „abziehen" in arithmetischer Beziehung. Das davon abgeleitete Gerundivum {subtrahendus) kommt in der modernen Bedeutung nie vor. Das Substantivum aber [subtractio) wird nur einmal aus der Vulgata (nach -|- 400) in un- mathematischer Bedeutung zitiert ; kommt aber auch einmal bei Boetius, freilich neben synonymen Vokabeln [retractio, detractio) in mathematischem Sinne vor. Das Verbum „vermindern" (ininuere) wird von jeder Art der Verkleinerung oder Ver- ringerung, aber ganz vereinzelt und neben anderen Ausdrücken [detralii tuinniquc) für unser „abziehen" gebraucht. Endlich bedeutet ,, Differenz" [dijfercn- tia) jede Form der „Unterscheidung" oder „Ab- stufung". Die gewöhnlichen Wendungen aber für „subtrahieren" sind im Lateinischen: „fortnehmen" (aufcrre de^ex), „herabziehen" (detralicre de ^^ ex, deduccre), „herunternehmen" {deuiere de^=ex)\ die für „Difterenz" dagegen: „das Übrige" (reli- quum), „was übrig bleibt" {qiiod relinqiiitur), „Rest- summe" {siuiima reliqui). — 6. Sehr häufig ist das Verbum multiplizieren (tmdtiplicare) und das Substantivum Multiplikation {niultipUcaüo). Schon der Architekt Vitruv (um — 14) spricht von Zahlen, die sich durch Multiplikation («/«/- üplicationibiis) nicht herausbringen lassen; 14 mit sich selber multipliziert {mulüplicati) sei 196; die Größenverhältnisse der Wurfmaschinen knüpfen an einfache geometrische Konstruktionen und be- kannte Multiplikationen {multiplicationes) an. So sagt auch der agrarische Schriftsteller Columella (um -|- 65), der Schritt als Maß sei das \^ielfache des Fußes {multiplieatus pes) ; die beiden Summen 240 und 120 multipliziert {uiter se midtiplicatae) ergeben 28 800 ; der Flächeninhalt eines Quadrats sei, wenn man das Maß der Seite mit sich selbst multipliziere {vudliplicantur in se), die aus^dieser Multiplikation entstehende Summe {summa ex niul- tiplicatione). Einmal multipliziert er gar eine Zahl ,,mit" einer anderen {inu/ti/>licare latitudinem cum basi), ein andermal soll eine Summe „11 mal" ge- nommen werden {hanc siimmam imdecies multipli- cato). — 7. Auch andere Formen des Verbums „multiplizieren" finden sich {multiplicatis, multipli- cando, midtiplicato etc.), besonders zahlreich bei Boetius. So mag denn auch irgendwo einmal die Form des Gerundivums multiplicandns zu lesen sein. In technischem Sinne aber gibt's bei den Alten kaum einen Multiplikandus oder Mul- tiplikator, sicher keine Faktoren oder Pro- dukt e. Für multiplicandus kennen wir keine Stelle. Der Ausdruck multiplicalor wird aus den Briefen des Paulinus, des Bischofs von Nola (nach + 400), zitiert. Er begegnet uns noch einmal in der Musik des Boetius, wo es heißt, daß Zahlen, mit 3 multipliziert, dasselbe Verhältnis zueinander bewahren, wie sie es hatten, ehe der nndtiplicator 3 hinzutrat. Er findet sich endlich wiederholt in der Geometrie des Boetius, die aber im Mittel- alter mindestens interpoliert, wo nicht ganz ver- faßt ist, da sie die sogenannten Arabischen Ziffern enthält. Das Wort factor bedeutet einen Arbeiter, der etwas herstellt oder handhabt. Das Parti- zipium productus heißt „in die Länge gezogen, ausgedehnt, verlängert", sein Verbum producere bedeutet „weiterführen, fördern, langziehen". Beide Begriffe schillern in den verschiedensten Bedeu- tungen. Für das Wort „Produkt" aber sagt der Lateiner „Summe". — 8. Nicht viel anders liegt die Sache mit den Wörtern Dividieren, Divi- sion, Divisor, Dividendus. Wieder darf die unechte Geometrie des Boetius nicht heran- gezogen werden, die in dem Kapitel de divisioni- bus sowohl den divisor wie den dividendus nennt. Das lebende Latein kennt das Verbum dividere und das Substantivum divisio in allen möglichen Bedeutungen. Im technischen Sinne scheint es aber erst in spätester Kaiserzeit vorzukommen. Bei Vitruv (um — 14) wird freilich einmal „in 5 Teile geteilt", aber eine räumliche Länge. Boetius gebraucht beide Wörter absolut in dem Sinne „halbieren" und „Halbierung". Aus Augustinus (um + 390) zitiert man das Exempel „150 in 3 zerlegen" {in tria oder itt tres partes dividere). Im Capella aber (vor + 429) finden sich wohl Wendungen, wie „9 in 5 und 4 zerlegen" oder „in 2 Teile zerlegte Zahlen", aber keine Stelle für unsere moderne Bedeutung. — 9. Die Adjektiva positiv und negativ sind im lebendigen Latein nicht vorhanden, weil den Alten die diesen Worten zugrunde liegenden Begriffe fehlten. Die Aus- drücke Fazit, Rest, Resultat, Quotient, reell sind schon aus sprachlichen Gründen un- möglich. Jene drei sind nicht Substantiva, sondern Verbalformen (3. Pers. Sing.), die letzten beiden haben rar eine unlateinische Endung. — 10. Das N. F. III. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 499 Wort Exempel ist freilich altes Latein, doch bedeutet exemplum jedes „Beispiel", nur nicht ein Rechenexempel. Unsere Permutationen und Kombinationen sind den Alten ebenso un- bekannt wie die Begriffe imaginär, irratio- nal, komplex; im Lateinischen bedeutet /«-;;/«- tatio jeden , .Wechsel" oder ,, Tausch", coiithiuatio „Vereinigung", irrationalis „vernunftwidrig" oder „vernunftlos", imaginarhis jeden, der „ein Bild ent- wirft" oder „einen Schein erweckt", complexus endlich ,, umfassend" oder ,,in sich schließend". Auch die Begriffe der Adverbien plus und minus sind dem Lateiner fremd; plus und niiniis sind Komparative und bedeuten ,,mehr" und „weniger". — II. Zwei Adjektiva bleiben noch übrig, die lebendes Latein sind: kommensurabel oder inkommensurabel und der erste Bestandteil des Wortes P r i m zahl. Griechen wie Römer kennen die Zahlen, die sich in keinerlei Faktoren zerlegen lassen, und nennen sie priini nuuuri (nQwioi dytd-f(oi) weil diese die ursprünglichen Bestandteile der anderen seien ; sie sind also die Entdecker der Primzahlen. Größen aber, insbe- sondere Zahlen, die „im Verhältnis zueinander Primzahlen sind" d. h. kein gemeinsames Maß, keinen gemeinsamen F'aktor haben, heißen bei ihnen inconimcnsurabiles (üavtifiiT()oi). Und schon Aristoteles (f — 322) nennt Seite und Diagonale des Quadrats ') als ein Beispiel. Also ist das Wort „inkommensurabel" mit nichten neulateinisch, wie man öfter zu lesen bekommt. — 12. Die \'erba p ot e nzi ere n und rad izieren erweisen sich schon durch ihre Endung als unlateinisch. Ihre Stammwörter Potenz und Radix sind im Lateinischen vorhanden. Potenzen nennt der Grieche dvvdfitii;; die Lateiner des Mittelalters übersetzen das Wort mit potentiae. Die Pythagoreer bezeich- neten die Anfangsglieder gewisser Zahlreihen, also deren Grundzahlen, als nvO-ftirtg oder giCai ; die Lateiner griffen das Wort auf und übersetzten es mit radiccs. Hier liegt also der singulare Fall vor, daß einmal arithmetische Termini mittel- alterliche Übersetzungen aus dem Griechischen sind. Das Wort Effizient ist das Partizipium des Verbums efßcerc, das die Klassiker für die Wendung „das Resultat ergeben" gebrauchen. Eine Null kennt das Altertum nicht. Das Wort stammt aus nullus = keiner. Vorgebildet ist der Begriff, wenn z. B. Boetius die Aufgabe o -(- o so aus- drückt: si nihil uulli iungas. Resultate: A. Gutlateinische Wörter, die schon bei Cicero vorkommen, gibt es in der ge- samten Nomenklatur nicht, außer S u m m e. Vor- gebildet und neben manchen anderen Wörtern in Gebrauch ist das Verbum addieren. Alle übrigen Rechnungen werden als Additionen betrachtet, ihr Resultat steht immer wieder auf der obersten Reihe, ist also wiederum eine suiiuna. So finden sich die Zusammenstellungen summa rcliqui = Rest, numeri viultiplicantur in summain und numeri viulliplicati faciunt suminam. — Ba. Spätlateinische Wörter der Kaiserzeit sind multiplizieren, Multiplikation, Multiplikator, kommen- surabel, inkommensurabel, Primzahl. Vorgebildet sind mit einer gewissen Deutlichkeit die Wörter Addition, subtrahieren, Sub- traktion, dividieren, Division. Man sieht, wie brüchig die zufällige Überlieferung oder der wirkliche Bestand der Terminologie ist. Vermutlich ist der Tatbestand, nicht bloß die Ungunst der Tradi- tion daran schuld, wie das Folgende deutlich machen wird. — Bb und C. Alles Übrige vom Sum- mandus, Subtrahendus, Minuendus,Mul- tiplikandus, Dividendus an, die Diffe- renz und der Rest, das Produkt und der Quotient, die Potenz und die Radix, die Faktoren und die Posten, selbst die Spezies und das t^xempel, sowie alle die anderen Aus- drücke unseres modernen Rechnens mit Reihen und Gleichungen, mit positiven und negativen Zahlen, mit Null und Unendlich, all das ist nach dem Zusammenbruch des Römerreiches gebildet worden. Wieviel davon im Mittelalter, wieviel in der Neu- zeit entstanden ist, was die katholischen Klöster, was die weltlichen Gelehrten geschaffen haben, das festzustellen geht über den Rahmen unserer Untersuchung hinaus. Erklärung: I. Bei den Römern war es wie bei den Griechen. Ihre Rechenkunst {Loyiamä]) war äußerst simpel. Sie rechneten mit dem Rechen- brett. Sie schoben und zählten die Steinchen. Daher gab es keine eigentlichen Rechenregeln oder Rechenbücher. Man kannte eben nur ein- zelne Rechensteinchen {calculi), fügte zu vorhan- denen neue hinzu {addcre), nahm gelegentlich welche wieder herunter {demere) und setzte das Resultat auf die oberste Linie {summa). So gibt's eigentlich bloß ein Zufügen und Herunternehmen, das Fazit ist immer eine „Summe", auch das der Substraktion {summa reliqui), selbst das der Multiplikation (summa multiplicationis). — II. Was aber ihre Zahlenlehre (aiJtO-firjitxti) betrifft, so ist sie völlig von den Griechen abhängig und oft nach griechischen Originalen verflacht. Den Nico- machos (um -|- 140) übersetzt zuerst Apuleius V. Madaura (nach -j- 160), dann Martianus Capeila (vor -j- 4291, dann Boetius (vor -|- 525), bis endlich Cassiodor ') (nach + 526) einen dürftigen Auszug, eine trockene Aufzählung von Definitionen daraus macht. Diese Arbeiten würden aber wohl auch dann, wenn es eine feste Terminologie gegeben hätte, sie uns kaum klar und schlicht überliefern. Denn diese Schriften sind nicht technischer, sondern literarischer Natur. Sie sind nicht Werke der wissenschaftlichen, sondern der schönen Literatur. Sie folgen darum nicht den Gesetzen der Kunst- ') Cassiodor de artibus ac discipl. lib. litt. cp. 4 fin. : ') Arist. eth. Nicom. III 5* ^soi t^v ^t.rti.thToov y.ui t^*; arithmeticanj npiid Graecos Nicomachits dlligcnter exposiiit. Nunc tzXevou'^, Vit dovftiiF-tooi. Andere Größen aber sind (nach prhintni i\]atUjurensis Apule'ms^ deinde viagnificits vir BoHius Boet. aritlim, I 18): aliijtiü iiiensuru commensurabiUs. lat'mo sermcme translatum Romanis conlulit lectitandiim. 500 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 32 spräche, sondern denen der Sprachkunst. Jene fordert eine Festigkeit der Terminologie, diese einen Wechsel im Ausdruck. Jene, verlangt Klar- heit, diese verlangt Schönheit. Jene strebt es an, für jeden Begriff möglichst nur ein Wort und für jedes Wort möglichst nur eine Bedeutung fest- zulegen, um jedes Mißverständnis auszuschließen. Diese strebt dahin, für jede Vorstellung eine reiche Fülle von Worten zu schaffen und zu benutzen, um jede Langeweile auszuschließen. Jene belehrt, diese ergötzt. Ist z. B. auch das Gewand, in das Martianus Capeila seine Arbeit kleidet , die „Hochzeit der Philologie und des Mercur", außer- ordentlich geschmacklos, so ist doch des Verfassers Absicht eine künstlerische und sein Stil folgt rheto- rischen Gesetzen. So wird mit dem Ausdruck gewechselt und dieselbe Rechenoperation in dem- selben Kapitel oft mit vier oder fünf Namen be- zeichnet. — Nach alledem wird den Philologen, der die klassische Literatur und ihre Eigenart kennt, das Resultat, zu dem die Untersuchung geführt hat, nicht allzu sehr in Erstaunen ver- setzen. Den Mathematiker aber, der sich beim Gebrauche seiner lateinischen Termini ihrer latei- nischen Abkunft bewußt geblieben ist, wird es geradezu verblüffen. Kleinere Mitteilungen, Über „Duftapparate bei Käfern" berichtet Dr. G. Brandes (Halle) in Band 72 der Zeitschrift für Naturwissenschaften (Stuttgart 1899). Die Duftorgane der Insekten waren zuerst durch Fritz Müller bei den Schmetterlingen bekannt geworden. Von späteren Autoren , die sich mit den Duft- organen der Lepidopteren genauer beschäftigten, sind besonders Bertkau, Weißmann und Dalla Torre zu nennen. Immerhin sind die genaueren Verhältnisse noch keineswegs hinreichend geklärt. Außer bei Schmetterlingen sind auch bei Phryganiden und Blattlden Duftapparate beschrie- ben worden. Bei den Käfern dagegen war man über die Funktion gewisser Borstenflecke völlig unklar. G. v. Seidlitz machte dann darauf auf- merksam , daß diese Haarbüschel ausschließlich den Männchen zukommen und verglich sie mit den Duftapparaten der Lepidopteren. An einem Mäimchen von Blaps mortisaga stellte der Verf. seine Untersuchung des Borstenfieckes an. Die Haarborsten liegen in der Mittellinie zwischen dem ersten und zweiten Abdominal- segmente. Eine Bewegung der Büschel wurde nicht beobachtet. Bei mikroskopischer Unter- suchung einiger abgetrennter Haare zeigte es sich, daß sie feine Kapillarröhrchen vorstellten, die nach außen münden und in ihrem Lumen winzige Tröpf- chen einer anscheinend ölartigen Flüssigkeit ent- halten. Auch außen _ an den Haaren fanden sich Massen, die man für Überreste der ausgeflossenen Substanz halten konnte. Diese Haare oder Borsten sind nun die Ausführungsgänge der im Innern des Insektenkörpers gelegenen Drüsen ; die Zotten der letzteren sind jedoch nicht als stark ent- wickelte Hautdrüsen anzusehen, sondern vielmehr als beutelartige Einstülpungen, deren innerer Wand die einzelnen Drüsenzellen aufsitzen. Die ganze Anlage dieser Drüsen erinnert an die Analdrüsen von Blaps, die Gilson als „glandes odoriferes" oder „Stinkdrüsen" bezeichnet. Jedoch wird bei diesen Stinkdrüsen das Drüsensekret durch einen gemeinsamen großen Porus nach außen entleert, und außerdem sind zwei geräumige Säck- chen zur Ansammlung der Flüssigkeit vorhanden. Der Verf. nimmt an, daß Analdrüsen und Duft- organe dasgleicheDrüsenprodukt enthalten. Wenden wir die etwas anthropomorphische Vorstellung an, daß wohlriechende Stoffe in konzentrierter Form unangenehm riechen können, so dürfen wir wohl annehmen, daß das Drüsensekret in der feinen Verteilung, die es durch die Borstenkapillaren erfährt, für die Käfer wohlriechend ist. Damit ist auch eine Erklärung für die Ausbildung des Duft- apparates als männlicher Sexualcharakter möglich, ,,da ja das Ausgangsmaterial, die das riechende Sekret produzierenden Drüsenzellen, in beiden Ge- schlechtern als Mittel zum Schutze des Indivi- duums schon vor der Ausbildung des besprochenen Sexualcharakters vorhanden war." Ernst Röhler. Degenerieren Varietäten von Kultur- pflanzen? — Diese schon vielfach behandelte Frage wird durch einen Artikel in „The Gardeners' Chronicle" vom 26. Sept. v. J. neu angeschnitten. Bei dem regen Interesse, welches diesem Thema zumal seitens der Vertreter der angewandten Bo- tanik entgegengebracht wird, halten wir es nicht für unpassend, die Darlegungen des (ungenannten) englischen Autors hier möglichst getreu wieder- zugeben und durch diverse Hinweise aus der über diese Frage bereits bestehenden Literatur zu er- gänzen. „Die Meinung, so lesen wir im Chronicle, daß Varietäten von Pflanzen, welche fortgesetzt un- geschlechtlich durch Veredlung oder Stecklinge vermehrt werden, im Laufe der Zeit degenerieren müssen, ist sehr allgemein, obgleich es nicht immer leicht ist, einen Beweis dafür zu erbringen. Die angenommene Degeneration soll zuweilen eine qualitative sein — indem etwa eine Blume an Größe oder charakteristischen Eigentümlichkeiten verliert, oder der Wohlgeschmack einer Frucht nach- läßt ; doch die häufigere Ansicht geht dahin, daß die Konstitution der Rasse sich schwächt, die Sorte zärtlicher und für Krankheiten empfänglicher wird. Unter Gärtnern wird als eines der ge- wöhnlichsten Beispiele der Apfel „Ribston Pippin" genannt, der heutzutage nachweisbar auf jedem, außer dem allergünstigsten Boden, krebskrank wird ; N. F. ni. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 501 des weiteren sollen die westindischen Zuckerrohr- varietäten infolge der beständigen Vermehrung durch Schößlinge empfänglicher für Pilzkrankheiten und weniger produktiv geworden sein." „Der Erste, welcher die Ansicht ausgesprochen hat, daß Varietäten mit der Zeit degenerieren, scheint T. A. Knight ') gewesen zu sein; erfand eine Schwierigkeit darin, gesunde Pflanzen ver- schiedener Apfelsorten, die er als alte Bäume in den Obstgärten zu Herefordshire antraf, zu ver- jüngen, selbst wenn er sie auf frische Pflanzen pfropfte. Infolgedessen kam er zu dem Schlüsse, daß die betreffenden Sorten gealtert und abge- nutzt wären. Da alle die ungeschlechtlich ver- mehrten Exemplare einer gegebenen Varietät nur als Teile der Originalsamenpflanze betrachtet werden dürften, vermutete Knight, daß jedes Individuum eine Altersgrenze (begrenzte Lebensdauer) hat und daß die einzelnen Teile davon, wie sie auch immer vermehrt und verbreitet wurden, diese Grenze zur selben Zeit erreichen." Daß diese Ansicht nicht zutrifft, werden wir später noch eingehend erörtern, lassen wir zu- nächst dem englischen Autor weiter das Wort. Er fährt fort: „Man hat oft auf Darwin hingewiesen, daß er durch das Gewicht seines Urteils diese Idee unter- stützt habe, allein die einzige Stelle,-) welche wir finden konnten, rechtfertigt dies kaum — Mehrere ausgezeichnete Botaniker und gute Praktikerglauben, daß eine lange fortgesetzte Vermehrung durch Stecklinge, Ausläufer, Brutzwiebeln etc., unab- hängig von einer üppigen Entwicklung dieser Teile, die Ursache ist, daß einige Pflanzen im Blühen nachlassen oder nur sterile Blumen bringen — es ist als wenn sie die geschlechtliche P"ortpflanzungs- fähigkeit eingebüßt hätten. Daß viele Pflanzen bei einer solchen Vermehrung steril sind, darüber kann kein Zweifel sein, aber darüber ob gerade die lange Dauer dieser Art der Vermehrung die wirkliche Ursache ihrer Sterilität ist, möchte ich, aus Mangel an genügenden Beweisen, eine Mei- nung nicht auszusprechen wagen« — ." „Viel früher schon, im Jahre 1845, hat Lind- ley dieselbe Annahme erörtert und sich gegen Knight's Ansicht ausgesprochen. Aber da die Sache von beträchtlicher praktischer Bedeutung ist, dürfte es gut sein, das jetzt gültige Urteil zu prüfen, besonders um Leute mit langer P>fahrung über bestimmte Pflanzen anzuregen, andere Fälle, die ihnen bekannt geworden, mitzuteilen und so Material für eine sichere Entscheidung beizubringen." „Gleich von Anfang an sollte daran erinnert werden, daß kein Grund gefunden werden kann für das Verschwinden von Varietäten, die zu ihrer ') Im Jahre 1831, in einer Abhandlung „Über die Mittel, die Dauer schätzbarer Obstsorten zu verlängern" ; nach Dr. C. F. W. Jessen, in seiner 1855 erschienenen Preisschrift; „Über die Lebensdauer der Gewächse" (Verh. d. kais. Leop.- Karol. Ak. d. Naturf. Bd. XXV, I. 63— 24S). ') In dem Buche : Variation of Animals and Plauts under Domestication, 2. ed., 1885, Vol. II, p. 153. Zeit berühmt waren, aus unseren Ausstellungen und Katalogen. Der Forschritt des Gartenbaues ist in jeder Hinsicht ein so rapider gewesen, daß eine alte Varietät bald ausgemerzt und durch eine Neuausführung ersetzt wurde, die in gewisser Hin- sicht ,,a »beat« upon the old favourite" ist. In- dessen kann auch eine alte Varietät, die genügende Qualitäten besitzt, unübertroffen von ihren neuen Rivalen bleiben. Das hängt eben davon ab, ob die alte Varietät, während ihr Charakter in Frucht oder Blüte unvermindert bleibt, ihre kräftige Kon- stitution behält oder verliert." „Ferner müssen wir von unserer Betrachtung ausschließen die allbekannte Wuchskraft und Üppigkeit, die alle Sämlinge, speziell Hybriden und »wide cross-breeds« während des ersten oder auch noch des zweiten Jahres ihrer Existenz zeigen. In anderer Hinsicht erscheint ein Sämling etwas unbeständig und zeigt nicht immer von Anfang an seine wahren Eigenschaften. Die PVage ist aber, ob ein Sämling, wenn er erst seine nor- male Beschaffenheit erlangt hat, diese Charaktere unbeeinträchtigt durch Alter und ungeschlechtliche Vermehrung bewahren kann." „Der Fall mit dem „Ribston Pippin" wurde bereits zitiert; zweifellos besitzt diese Varietät heutzutage eine mittelmäßige Konstitution; aber war dies jemals anders ? Die frühesten Notizen, die wir über den „Ribston Pippin" haben aus- findig machen können, alle sagen sie, daß er am Krebs leide und auf vielen Bodenarten nicht fort wolle. Knight nennt den Apfel „Golden Pippin" als einen, der schwächlich geworden sei und den er durch Veredlung auf junge Unter- lagen nicht wieder kräftigen konnte, allein Lind- ley erklärte 1845, daß der „Golden Pippin" von Frankreich nach England in üppiger Beschaffen- heit zurückgebracht wurde; ebensowenig würde es schwer halten, diesen Apfel gegenwärtig in Westengland in gutem Gedeihen zu finden. Und weiter werden heute noch Apfelsorten gezogen, wie „Old Nonpareil" und „Catshead", deren Ur- sprung bis zu Elisabeth's Zeiten zurückgeht, so- weit wenigstens als man nach Beschreibungen und Namen in den ältesten Büchern über Obst es nach- weisen kann. Unter den Reben sind nicht nur manche unserer heutigen Sorten von hohem Alter, sondern es scheinen einige Weinsorten seit der alten Römer Zeit bis zur Gegenwart ununter- brochen in Kultur zu sein, ist doch Columella's Vitis praecox mit der Sorte ,,Morillon noir hätif oder „early black July" als identisch bestimmt. Rosen waren größerem Wechsel unterworfen ; die beständige Einführung neuerer Varietäten hat die alten fortgeschwemmt ; doch müssen alle Banksia- rosen abgeleitet werden von Kerr's und For- tune's Einführungen in den Jahren 1807 und 1824, und die kupfrig und gelb blühenden Sträucher wurden 1596 durch Gerard importiert. Apfel, Reben und Rosen sind indes langlebige Indivi- duen, so daß der Prozeß der Generation der Rasse äußerst langsam verlaufen mag. Aber kann ein 502 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 32 anderes Ergebnis von krautigen Perennen abge- leitet werden, deren Lebensdauer wahrscheinlich kürzer ist? Lindley bespricht den Fall der Jerusalem-Artischocke, welche, da sie hierzulande niemals Samen reift, seit dem Jahre ihrer Ein- führung, 161 7, durch Knollen vermehrt worden sein muß." „Unter den Blütenpflanzen besitzt die Tulpe vielleicht die weitest zurückreichende beglaubigte Geschichte, und wir finden in unseren Sammlungen mehrere Sorten, die sicher über 100 Jahre alt sind. „La Vandicken" erscheint in einem Kataloge von 1772 und wurde in diesem Jahre in guter Qualität auf der „Northern Tulip Show" gezeigt. Sie ist gewiß ein schwacher Wachser, aber dies scheint ihr Charakter von Anfang an gewesen zu sein. „San Josef" und „Heroine" oder „Triomphe Royale" waren 1798 gut bekannt und sind heute noch wüchsig und schön, obgleich B e n 1 1 e y in seinem beschreibenden Kataloge ausführt: »das Alterscheint sich bemerkbar zu machen und gute Exemplare werden mit jedem Jahre rarer«. „Count" oder „Comte de Vergennes" ist in England seit mehr als 130 Jahren in Kultur und zeigt noch heute sich als unverwüstlicher Wachser, trotz der Mängel, die sie immer besessen hat. Aber ungeachtet dieser und anderer Beispiele von Langlebigkeit, welche erwähnt werden könnten, geht doch die allgemeine Annahme dahin, daß Tulpen eventuell in der Qualität zurückgehen. So sagt Bentley an anderer Stelle: Wie so manche andere alte Sache, scheint es seine Feinheiten eingebüßt zu haben und bleibt in „a muddled flamed condi- tion".« „Unter den F"antasie-Nelken hat, wie nachge- wiesen, die Sorte „Admiral Curzon" (Scarlet Bi- . zarre) das erste Mal 1844 geblüht, und obgleich sie niemals ein besonders üppiger Wachser ge- wesen, hat sie in der Tat sich an der Spitze ihrer Klasse all die 50 Jahre hindurch erhalten und hat selbst jetzt nur einen Mitbewerber um den ersten Platz in „Robert Houlgrave". In diesem Falle ist also weder qualitativ noch in der Wuchskraft ein Rückgang nachweisbar. — Es gibt ein oder zwei Aurikel, deren Geschichte sogar noch weiter zurück- reicht; Page's ,, Champion" wurde in Sweet 's Florist's Guide von 1 827 abgebildet und in H o g g ' s Manual 1824 erwähnt. Sie ist heute eine der besten unter den ,,green - edges", obgleich ein schwacher Wachser, was sie immer gewesen zu sein scheint. Lancashire's „Hero" ist ein anderer Blüher, der jetzt noch zu sehen. Diese Sorte stand an der Spitze ihrer Klasse in den 40 er Jahren und bei ihr ist keine Spur von De- generation oder Schwächung der Konstitution nachweisbar. Andere Blütenpflanzen, wie Chrysan- themen, sind einer so rapiden Verbesserung unter- worfen worden, daß den älteren Varietäten keine Chance zum Überleben blieb; das gleiche mag von den Dahlien gelten." ,,In der Kartoffel besitzen wir ein ausgezeich- netes Beispiel von einer Pflanze, die in sehr großem Maßstabe ungeschlechtlich vermehrt wird, des- gleichen von einer solchen, bei der aus Gründen des Geschäftes auf kräftigen Wuchs und Qualität der Varietäten sorglich geachtet wird; und hier können wir deutlich die Degeneration mit dem Alter nachweisen. Wir zitieren aus W. J. Mal- den's Artikel über „Kartoffel-Züchtung" in dem , .Journal of the Board of Agriculture" von März 1903: »Eine Varietät mag ihre Laufbahn mit einem hohen Maße aller Qualitäten beginnen, es werden doch im Laufe der Jahre eine oder alle dieser Qualitäten degenerieren, so daß es nicht länger profitabel ist, sie zu ziehen .... Die De- generation aller Varietäten macht es notwendig, daß neue Varietäten eingeführt werden .... Eine schlechte Eigenschaft vieler dieser erschöpften Varietäten ist, daß sie leicht Krankheiten erliegen. Somit ist die nutzbringende Laufbahn einer Kar- toffel von kurzer Dauer . . . >." „Wir sind indes nach sorglicher Prüfung ge- neigt zu glauben, daß die Qualitäten, welche eine neue Kartoffelsorte charakterisieren und sie für den Marktzüchter nur für einige wenige Jahre so brauchbar machen, in nichts anderem bestehen, als in der Wuchskraft, meist verbunden mit einer gewissen Unbeständigkeit und Neigung zur Sport- bildung, die wir bereits als zu den Eigenschaften jedes Sämlings gehörend erwähnten. Nach einer bestimmten Zeit reduzieren sich diese Eigenschaften auf ein bestimmtes Maß und dann erleidet die Varietät, wie an vielen wirklich alten Sorten, die noch in Gärten gezüchtet werden, gezeigt werden kann, keine weitere Degeneration, anders denn die Neigung zur Aufspeicherung von Krankheits- keimen, welche eine so empfängliche Pflanze wie die Kartoffel zu besitzen scheint, schreitet fort, bis es schwer hält, gesunde Knollen überhaupt zu erhalten." „Wenn wir nochmals das ganze uns zur Ver- fügung stehende Material überblicken, so wird das Endresultat der Meinung entgegengesetzt er- scheinen, daß Varietäten mit der Zeit degenerieren und abgewirtschaftet werden ; können doch so viele positive Fälle für ihre Beständigkeit, selbst bei kurzlebigen Pflanzen, nachgewiesen werden, wo- gegen das beständige Verschwinden alter Sorten durch das allmähliche Verdrängtwerden durch neue Einführungen erklärt werden mag, die in Qualität oder in Wuchskraft ihnen überlegen sind. Aber es bleibt sehr wünschenswert, daß Leute, die lange Zeit hindurch über besondere Pflanzen Erfahrungen gesammelt haben, dazu angeregt werden, einige entscheidende Fälle vorzubringen." Soweit der englische Autor. Seine Darlegungen haben, wie wir noch zeigen wollen, die Kenntnis der Dinge nicht wesentlich gefördert. Bleibt er doch zum Schluß dabei stehen, daß es der Zu- kunft vorbehalten ist, das Rätsel endgültig zu lösen, wenngleich er dahin neigt, die Frage der Degene- ration zu verneinen. Diese Frage muß auch in der Tat ver- neint werden. Wir werden dies durch die N. F. m. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 503 folgenden Mitteilungen begründen und dabei manches oben Gesagte nochmals kurz beleuchten und er- gänzen. Wir stützen uns dabei in der Hauptsache auf die Angaben, welche Professor M. M ö b i u s ') im zweiten Kapitel der zitierten Schrift über die Folgen von beständiger vegetativer Vermehrung der Pflanzen zusammengestellt hat. Zunächst sei noch ein spezieller Fall besprochen, der in den letzten Jahren wiederholt die Auf- merksamkeit der Botaniker und Gärtner auf sich gelenkt. Wir meinen, das „Absterben der Pyra- midenpappeln." Graf von Schwerin hat über dies Thema auf der vorletzten Jahresversammlung der deutschen dendrologischen Gesellschaft einen interessanten Vortrag gehalten. Dieser ist in den „Mitteilungen" der Gesellschaft 1902 erschienen und gibt uns genauen Aufschluß, wie es um die angebliche „Altersschwäche" der Populus nigra italica steht. Man hat seit Jahren die Beob- achtung gemacht, daß — wenigstens in bestimmten Gegenden Deutschlands — diese Pappelform ab- zusterben beginnt. Referent dieses hatte selbst Gelegenheit, diese Tatsache zu beobachten, konnte aber gleichzeitig auch feststellen, daß von einem allgemeinen Eingehen der in Mittel- und Nord- europa stehenden Pappeln nicht die Rede sein kann. Man hatte nun nichts Eiligeres zu tun, als das Siechtum der italienischen Pappeln auf eine De- generation infolge fortgesetzter ungeschlechtlicher Vermehrung zurückzuführen. Es ist Tatsache, daß alle diese Pappeln aus Stecklingen erzogen werden. Wie nachgewiesen, wurde Populus italica — so sei sie kurz genannt — 1758 nach England eingeführt.'') In Deutschland ist sie vielleicht noch länger in Kultur, denn nach Schwerin dürfte der ursprünglich älteste, jetzt nicht mehr vor- handene Baum in Wörlitz schon vor 1745 an- gepflanzt worden sein. Von diesem Exemplar sollen die meisten bei uns kultivierten Pyramiden- pappeln abstammen. Wenn wir nun der, wie oben zitiert, zuerst von Knight geäußerten Ansicht beipflichten, daß ein Steckling auch nach seiner Selbständigwerdung noch als ein Teil der Mutter- pflanze anzusehen sei, und wenn wir dabei im Auge behalten, daß eine Pappel normalerweise nicht über etwa 150 Jahre alt zu werden pflegt, so ist das allgemeine Aussterben infolge von Altersschwäche leicht erklärt. Man muß sich dabei eben vorstellen, „daß — um mit Möbius zu sprechen — eine aus einem Keime, bei den Blütenpflanzen also aus dem Samen, entstehende Pflanze ein mit frischen Kräften ausgestattetes In- dividuum sei und daß, wenn die Vermehrung durch Samen erfolge, die Art in jeder neuen ') Möbius, Beiträge zur Lelire von der Fortptlanzung der Gewächse. Jena. 1S97. ') Diese Pappelform stammt walirsclieinlicli aus dem Himalaya, ist aber schon seit sehr langer Zeit in Südeuropa eingebürgert und daher auch zuerst mit dem — eigentlich unpassenden — Namen italica belegt worden. Pflanze sich wieder verjünge und sich so unge- schwächt forterhalten könne. Dagegen erfolge bei der vegetativen Vermehrung keine Verjüngung, sie sei nur eine Verlängerung des individuellen Lebens und, wie das Leben des Individuums be- schränkt sei, so müsse auch hier eine Grenze der Weiterentwicklung bestehen." Demgegenüber „ist daran zu erinnern, daß dasjenige, was als lebens- fähig von einem Individuum zum anderen über- geht, die embryonale Substanz ist, daß auf dieser die Erhaltung der Art beruht. Dieselbe ist aber nicht bloß in dem wirklichen Embryo vorhanden, wie er, aus dem Ei hervorgegangen, in dem Samen eingeschlossen ist, sondern auch in den Knospen, zum mindesten in den Vegetationspunkten. Denn zur vegetativen Vermehrung können eben nur solche Pflanzenteile dienen, welche einen Vege- tationspunkt enthalten , oder doch wenigstens lebendige Zellen, die einen solchen bilden können, wie die Blätter der Farne, auf denen sich Ad- ventivsprosse entwickeln. Wenn aber in den Knospen ebensogut wie in den Keimen embryo- nale Substanz, die nicht der Vergänglichkeit des Individuums unterworfen ist, enthalten, so braucht bei der Vermehrung durch Knospen nicht eher eine Altersschwäche einzutreten als bei der durch Keime." Von einer Degeneration der Varietäten infolge vegetativer Vermehrung kann also nicht wohl die Rede sein. Demgemäß muß auch das Siechtum der Pyramidenpappeln in anderer Weise sich er- klären lassen. „Welches sind nun aber die wirk- lichen Ursachen des Absterbens unserer Pappeln ?" fragt Schwerin. Seine Antwort lautet im wesent- lichen wie folgt. Wir müssen zwischen verein- zeltem Absterben und allgemeinem Hinsiechen in ganzen Gebieten unterscheiden. Im ersten F"alle „wird man oft den Untergrund verantwortlich machen können. Wo die Wurzeln bald auf Felsen, undurchlässige Letten- oder Tonschichten treffen, da ist auch anderen Pflanzen als den Pappeln ein kürzeres Leben beschieden, als sonst. Kommt nun noch ein außerordentlich dürrer Sommer hin- zu, so ist ein frühzeitiges Absterben erklärlich." Vielfach wird es sich auch um w i r k 1 i c h e A 1 1 e r s- sch wache handeln. Wir wiesen bereits darauf hin, daß die Pappeln kaum über 150 Jahre alt zu werden flegen. Da sie nun in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gerade massenhaft angepflanzt wurden, ihr Habitus paßte zum Ge- schmack der damaligen Gartenkunst, „so ist es sehr wohl möglich, daß bei einem oder dem anderen alten Exemplare schon die Altersschwäche eine Rolle zu spielen beginnt." „P'ür das allgemeine Absterben aller älteren und der exponiert stehenden jüngeren Exemplare kann der einzig wahre Grund nur im Auftreten starker und später Frühlings froste gefunden werden. Für die Temperaturgrade strengster deutscher Winter ist unsere Pflanze nicht ge- eignet" .... „und die Erscheinungen, die erst anfangs der 80 er Jahre in Zeitschriften häufig be- S04 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 32 handelt wurden, wodurch Pocke ^) a. a. O. an- nehmen zu müssen glaubt, daß sie sich damals zum ersten Male gezeigt haben, werden auch schon früher hier und da aufgetreten sein. Das ist denn auch wirklich der Fall gewesen, denn schon 1787 bezeichnet Burgsdorf unsere Pappel als »zärtlich«." „Dennoch kommt für uns in geringerem Grade die wirkliche Winterkälte in Betracht" In den weitaus meisten Fällen werden aber die späten und heftigen Prühjahrsfröste eine schädliche Wir- kung ausgeübt haben, ja mehr als das — für das strichweise allgemeine Absterben sind sie die richtige und einzige Ursache!" Wir brauchen hier kaum darauf hinzuweisen, daß es zahlreiche „wilde Pflanzen" gibt, die sich ausschließlich oder vorwiegend ungeschlechtlich fortpflanzen. Wie etwa Poa stricta Lindb., Acorus calamus L., Vinca minor L., Ra- nunculusficariaL., Phragmites commu- nis L., Elodea canadensis Rieh. u. s. w. — Möbius hat a. a. O. daüber eingehend Be- richt erstattet. Wir wollen ferner nur kurz be- merken , daß eine ganze Anzahl von wichtigen Kulturpflanzen ,,seit einem sehr langen Zeitraum vegetativ vermehrt worden sind, ohne dabei ein Zeichen von Altersschwäche zu geben." Der eben zitierte Autor nennt unter anderen: Musa sa- p i e n t i u m L. (Banane), Phoenix dactylifera L. (Dattelpalme), Dioscorea batatas Dcne. (Yamswurzel) und Ficus carica L. (Feige). Aber es gibt eben auch Pflanzen, die a n - scheinend degenerieren. Die Pappeln nannten wir schon. Das Rätsel ihres Dahinsiechens scheint gelöst. Wir brauchen auch nicht, was bei Möbius noch als am wahrscheinlichsten bezeichnet wird, eine Pilzkrankheit anzunehmen. In anderen Fällen jedoch sind tatsächlich gewisse Parasiten die Ur- sache. Und wir wollen zum Schluß unseres Re- ferates noch den Fall der „Kartoffel" an der Hand des von Möbius gesammelten Materials beleuchten, da ihn auch der englische Autor in den Rahmen seiner Betrachtung gezogen. Um so mehr, als Maiden in dem oben zitierten Artikel die Frage der Degeneration bei den Kartoffeln zu bejahen scheint. Möbius liefert zunächst den Nachweis, daß es nicht wahr ist • — wie Jessen u. a. behaupteten — daß die Kartoffel infolge unausgesetzter Ver- mehrung durch Knollen für Pilzangriffe prädispo- niert wird. Man hat experimentell gezeigt, daß „Samenpflanzen der Krankheit -) ebenso erliegen, wie aus Knollen gezogene Stöcke: es ist in ihrer Widerstandsfähigkeit oder Hinfälligkeit kein Unter- schied zu bemerken. Hierin dürfen wir wohl den direkten Beweis für die Unhaltbarkeit der Ansicht von der Prädisposition aus Altersschwäche sehen" . . . Das einzige Mittel zur Verhütung der Krankheit ist die Verwendung völlig pilzfreien Saatgutes. Und de Bary, der dieser Krankheit 1861 eine besondere Schrift gewidmet hat, sagt darin aus- drücklich : „Wie man sich auch umsehen mag, man findet immer nur Beweise dafür, daß durch das Befallenwerden von Parasiten keinerlei Ent- artung der Kartoffel oder einer anderen Kultur- pflanze angezeigt wird, man muß daher, für unseren Fall wenigstens, jene trostlose Annahme als aus der Luft gegriffen zurückweisen." Möbius schließt sein unserem Thema ge- widmetes Kapitel mit folgenden Worten, die wohl im wesentlichen das Richtige treffen , wodurch alles , was nach dem englischen Autor noch zweifelhaft scheint, beantwortet wird : ,,Daß die Altersschwäche der auf geschlechts- losem Wege vermehrten Pflanzen nur in der Ein- bildung gewisser Autoren und Züchter besteht, aber nicht mit Notwendigkeit aus der Beschaffen- heit der zur vegetativen Vermehrung dienenden Organe hervorgeht, haben wir aus theoretischen Gründen zu beweisen versucht. Wir bestritten, daß die ganze ,, Sorte" als ein fortgesetztes Indivi- duum zu betrachten ist und daß die Vermehrung durch Stecklinge, Ableger, Knollen etc. eine un- natürliche ist. Bei der Besprechung der unsere Ansicht bestätigenden Verhältnisse haben wir zuerst gezeigt, daß auch in der Natur viele Pflanzen auf die Dauer sich vegetativ vermehren , ohne daß sich nachweisen läßt, daß das Fehlen der sexuellen Reproduktion eine minder kräftige Entwicklung der Pflanzen bewirkt. Ferner wurde angeführt, daß es Kulturpflanzen gibt, die seit sehr langer Zeit ausschließlich vegetativ vermehrt werden und einige, die nur so vermehrt werden können, nichts- destoweniger aber noch vollkommen gesund und kräftig sind. Von den kultivierten und vegetativ fortgepflanzten Gewächsen aber , die von epi- demischen Krankheiten zu leiden haben, konnten wir fast überall den Nachweis liefern , daß die Krankheit durch äußere Ursachen, meistens durch Parasiten, hervorgerufen wird und daß wir diesen Pflanzen auch keine Prädisposition zu Krankheiten zuzuschreiben brauchen. Es wurde sodann darauf hingewiesen , daß auf dieselbe Weise wie die soeben angeführten Pflanzen auch die fortwährend aus Samen gezogenen Kulturpflanzen von Krank- heiten befallen werden und daß Epidemien selbst bei wildwachsenden Pflanzen, einjährigen wie mehr- jährigen , auftreten können. Demnach sind die Erkrankungen der durch Knollen, Stecklinge etc. vermehrten Kulturgewächse keine diesen eigen- tümlichen Erscheinungen, sie treten nur aus leicht begreiflichen Gründen bei ihnen auffallender her- vor und verbreiten sich schneller." C. K. Schneider. Die vorläufigen Ergebnisse der Südpolar- Expedition.') — Die deutsche Südpolar-Expedition ') In GartenzeiUmg 1883, S. 389. ^) Hervorgerufen durch den Pilz Phytophthora infestans. ') Die folgenden Mitteilungen sind dem Berichte des Herrn Prof. von Drygalski über die Expedition (Zeitschr. d. des. f. Erdk. 1904, Nr. l) und einem Vortrage des Herrn Dr. Philippi in der Februarsitzung der Deutschen Geologischen N. F. m. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 50s hat durch die Entdeckung von Kaiser Wilhelm II.- Land die Frage, ob zwischen dem 60." und 100." östlicher Länge von Greenwich ein weit nach Süden , gegen den Pol zu reichendes Meer be- stehe, oder, wie die Amerikaner auf Grund von Wilke's Beobachtungen annahmen, eine geschlossene Landmasse etwa in der Höhe des südlichen Polar- kreises existiere, zugunsten der letzteren Ansicht entschieden. Es ist hierdurch wahrscheinlich ge- macht, daß zwischen Knox-Land unter etwa 104'^ östlicher Länge und Kemp-Land unter 60" öst- licher Länge (beide in der Höhe des Polarkreises) eine ununterbrochene Landverbindung besteht, wo- (2280 m) bis nahe an 3000 m (2890 m) abstürzt. Weiter gegen Norden hatte die Expedition Tiefen von 4078 m (am 13. Februar igo2) und gegen Nordwesten solche von 3789 m (am 10. April 1903) und noch später 398G m gelotet. Das Meer, welches diese antarktischen Gebiete von den großen Kontinenten scheidet , zeichnet sich durch seine häufigen, langandauernden, schweren Stürme, die sämtlich aus westlicher Richtung wehen, aus. Die Expedition hat nun festgestellt, daß weiter nach Süden diese Westwinde allmählich abflauen und in der Nähe der Landmassen von östlichen Winden abgelöst werden. Dieser Einfluß Fig. I. Umgebung des Gaußberges. von Kaiser Wilhelm II.-Land ein Teilstück ist. Die Ausdehnung dieses neuentdeckten Landes ist etwa 10 Längengrade weit verfolgt worden, seine Küste hat einen annähernd ostwestlichen Verlauf und hält sich in dem beobachteten Stücke annähernd auf der Höhe des Polarkreises. Die Küste be- gleitet ein mehr oder weniger breiter Flachsee- saum (in dem Tiefen von 241 bis 690 m gelotet wurden), dessen Boden gegen das Meer ziemlich unvermittelt zu gewaltigen Tiefen von über 2000 Gesellschaft entnommen. Herr Prof. von Drygalski und der Vorstand der Ges. f. Erdkunde zu Berlin hatten die große Liebenswürdigkeit, uns die Verwendung der Klisches für die obigen Abbildungen zu gestatten, wofür an dieser Stelle ver- bindlichster Dank abgestattet sei. auf die Richtung der Luftbewegungen spricht mit für die Größe des neuentdeckten Landes. Und dieser neuentdeckte Kontinent ist von einem gewaltigen Eismantel überkleidet, vielleicht dem gewaltigsten Inlandeise, das zurzeit existiert. Vom Lande selbst sah die Expedition vom Schiffe aus nichts, alles war unter Eis begraben; „doch daß es Land war, ließen die P'ormen des Eises zur Gewißheit erkennen. Denn gegen die Küste hin sah man die einförmigen Flächen, die sich in weiten flachen Wellen von Süden her hinabsenkten, sich teilen und in Eisströme formen, welche von den Formen einer festen Unterlage abhängig sind." (Siehe Figur i.) Die Küste wurde von einer senk- rechten, an Höhe wechselnden Eismauer gebildet, ^&^-^^^H^^^ Fig. 2. Oberfläche des Inlandeises westlich vom Gaußbeig (^Pliiliiijii pl Fig. 3. Eisberg mit Stauzone an dem Ostrand des Scliollenfcldes, in wclclicni der GaiilS cingesclilosscn war (10. Olvtober 1902) (Pliilippi phot."!. N. F. III. Nr. 32 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. 507 an der ein Landen unmöglich war. Weit im Osten die höchstwahrscheinlich über die Untiefen der erhob sich das Inlandeis zu bedeutender Höhe Flachseezone nicht hinweg können; zwischen ihnen „und stürzte in wilden Eiskaskaden zum Meere dehnen sich gewaltige festliegende Scholleneisfelder hinab". Vor der Küste liegen, besonders nach aus, in deren nördlichem Teil der Gauß für ein Westen zu, dichte Ketten riesiger alter Eisberge, Jahr eingeschlossen festlag (Fig. 2). Fig. 4. Stauione des Mccrciscs an licm Ostraiul des Feldes, in welciiem tlei* .Gauü eingeschlossen war (lo. Oktober 1902) (Pliilippi pliot.). Fig. 5. Schwimmender Eisberg (Pliili|ipi phot.). 5o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 32 Im Osten grenzte an dieses festliegende Eis das offene Meer mit seinem beweglichen Schollen- eis und seinen Eisbergen. Die Grenzzone beider Gebiete war der Schauplatz gewaltiger Stauungen, wie sie die Figuren 3 und 4 veranschaulichen. Der einzige eisfreie Punkt des ganzen Gebietes wurde im März 1902 auf einer von Dr. Philippi, dem zweiten Offizier R. Vahsel und dem Matrosen Johannsen unternommenen Schlittenreise 90 Kilo- meter südlich vom Winterlager des Gauß entdeckt, es ist der 366 m hohe Gaußberg (s. S. 426), eine jungvulkanische Kuppe, die auf dem Rande des neuentdeckten Festlandes liegt. Der Gaußberg ist ein aus jungvulkanischem, feinkörnigem bis glasigem, blasenreichem Leucitbasalt aufgebauter Kegel, in dessen Untergrund, nach Einschlüssen der Laven zu urteilen, Gneiße und Granite anstehen müssen. Terrassenspuren und Ausmodellierungen härterer Teile sprechen dafür. Merkwürdig sind zwei schmale Eisrücken, die hoch an der Westseite des Berges emporreichen. (Vgl, S. 506.) ■ Über seine Beobachtungen am Eise machte Dr. Philippi in der oben genannten Sitzung der Deutschen Geologischen Gesellschaft folgende Mit- teilungen: Vom Inlandeise erstreckt sich wenige Kilometer westlich vom Gaußberge eine breite Eis- fläche weit nach Norden hin, die zum Unterschiede als Westeis bezeichnet wurde. Während nun das Eis am Gaußberge sich durch seine, wenn auch geringe Bewegung, durch die Erzeugung von Eisbergen und durch seinen Steilabsturz gegen das Meereis als echtes Inlandeis erweist, zeigt das Westeis ab- weichenden Charakter: es ist abgestorben, d. h. Fig. 6. Teil eines Eisberges mit deutlicher Schichtung, nördlich vom Winterlager des Gauü. (Philipp phot.). Tuffe und andere Auswurfsprodukte fehlen; auf Solfatarentätigkeit deuten die Schwefelauskleidungen vieler Hohlräume der Lava. An dem steilen Nord- hang zeigt die Lava in großen Dimensionen eine mauersteinartige Absonderung, jeder Absonderungs- klotz wieder einen radialen Aufbau. Die steile Nordseite des Berges stößt unmittelbar an das Meereis, auf den anderen Seiten ist er vom In- landeise umgeben und wird hier von Moränen- wällen begleitet. Das Material derselben besteht meist aus archäischen Gesteinen und mischt sich auf der Ost- und Südseite mit dem Schutte des Gaußberges. Auf der Westseite des Berges fehlt das archäische Material. Erratisches Material findet sich an allen Gehängen des Berges und deutet darauf hin, daß die Vereisung früher minde- stens um 350 m mächtiger gewesen ist. Auch die an den Berghängen mehrfach vorhandenen bewegungslos, erzeugt keine Eisberge und dacht sich ganz allmählich zum Meereise ab. Höchst- wahrscheinlich schwimmt bereits ein großer Teil dieses Westeises. Unter den Eisbergen lassen sich zwei Typen unterscheiden: die ursprünglichen, tafelförmigen Berge von oft riesigen Dimensionen und die ge- wälzten Eisberge. Die ersteren zeigten meist deut- liche Firnschichtung und erwiesen sich, soweit be- obachtet werden konnte, frei von Schuttmaterial (Fig. 5 und 6). Die gewälzten Eisberge zeigten dagegen oft Ansammlungen von Schuttmaterial (Gesteinstrümmer aller Größen, bis zu mächtigen Dimensionen), das in parallelen Bändern ange- ordnet war, die bald mehr oder weniger gerad- linig verliefen, bald merkwürdig gefaltet und ge- bogen waren (Fig. 7). Schmilzt das schuttbeladene Eis ab, so sammeln sich die Geschiebe oft in N. F. III. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 509 großen Haufen in Mulden des Eisberges oder an seinem Fuße an. Man kann aus diesen beobach- teten Vorgängen auf manche Erscheinungen in unserem Diluvium schließen , die sich mit Hilfe jener leicht erklären lassen, z. B. die lokalen An- sammlungen von Moränenschutt oder einzelnen Blöcken auf oder in Bildungen, die ihrer Entstehung nach geschiebefrei zu sein pflegen. Unter den in den Eisbergen enthaltenen Ge- schieben herrscht Gneis vor; nicht weniger häufig wird auch Granit gefunden und nicht selten ein schön braunvioletter Gabbro; von Sedimentär- gesteinen kommt nur ein roter Ouarzit vor; da- gegen scheinen versteinerungsführende und jung- vulkanische Gesteine darunter zu fehlen. Einen eigentümlichen Gegensatz zu den uns geläufigen Geschieben aus dem Diluvium zeigen die Ein- schlüsse der Eisberge. Während unsere diluvialen Geschiebe doch sehr häufig allseitig abgeschliffen und geschranmit sind, beschränkt sich diese Er- scheinung bei den antarktischen nur auf wenige F'lächen ; öfters wurden Kanten- und nicht selten schöne Fazettengeschiebe gefunden. Das erratische Gesteinsmaterial am Gaußberge Fig. 7. Teil eines Eisberges mit deutlicher t'irnscliiclitung (Philippi pliut.] 510 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 32 unterscheidet sich petrographisch nicht von den Einschlüssen der Eisberge und ist größtenteils ebenfalls archäisch. Dr. Kaunhowen. Versuch einer Erklärung des magnetischen Sturms vom 31. 10. 1903 durch elektrische Ströme. — Dr. H. Maurer schreibt in den „Annalen der Hydrographie und maritimen Meteo- rologie" im Anschluß an eine ausführliche Dar- legung des Verlaufs der großen magnetischen Störung vom 31. 10. 03 nach den Beobachtungen zu Potsdam, Bochum und üccle: „Macht man den Versuch, diese Störungen durch elektrische Ströme sich hervorgerufen zu denken, so kommen hierfür rein vertikal gerichtete Elektrizitätsbahnen in Be- tracht, für deren Existenz uns die Nordlichter einen Anhalt geben, und horizontal in der Erd- rinde verlaufende Erdströme, die ebenfalls bereits vielfach, besonders in Zusammenhang mit der Telegraphie konstatiert worden sind. Vertikale Ströme können die Deklinationsnadel beeinflussen, wenn sie nicht symmetrisch zur vertikalen mag- netischen Ost- Westebene verteilt sind; auf die Vertikalintensität sind sie nicht von Einfluß. Von den horizontalen Erdströmen wirken, soweit es sich um breite über ausgedehnte Gebiete in glei- cher Richtung und gleicher Stärke verlaufende Strömungen handelt , die magnetisch nordsüdlich gerichteten Komponenten auf die Deklinations- nadel, die magnetisch ostwestlich gerichteten auf die Horizontalintensitätsnadel. Auf das Vertikal- instrument sind auch diese nicht von Einfluß. Wohl aber wirken auf dies Instrument und auf die anderen ebenfalls horizontale Erdströme, die sich nicht durch eine Vertikalebene durch den Beobachtungsort in 2 symmetrische Hälften zer- legen lassen. Mit diesen Betrachtungen stimmen die Tat- sachen gut überein, daß die Deklinations und Horizontalintensitätskurven , die von den großen vertikalen und horizontalen Strömungen beeinflußt werden, für weiter voneinander liegende Stationen leichter identifizierbar sind als die Vertikalinten- sitätskurven, die von jenen großzügigen Strömungen weniger, dagegen stärker von den unregelmäßigen horizontalen Lokalströmen beeinflußt werden. Denken wir uns z. B. , um die Vorstellung zu fixieren , positive Elektrizität besonders in der Zone des Maximums der Nordlichter und dort wieder am stärksten auf dem der Sonne zugewen- deten Erdmeridian niedersteigend und von jenem Aktionszentrum radial in der Erdrinde nach allen Seiten abströmend, so würden solche Ströme am Vormittag, wo dies Aktionszentrum im Nordosten läge, die Deklinationsnadel nach Westen ablenken und auf die Horizontalintensitätsnadel wie eine Verminderung der Horizontalintensität wirken, während sie das Vertikalintensitätsinstrument un- beeinflußt ließen. Solches Verhalten der drei Instrumente finden wir in der Tat bei den großen Schwankungen vonD und H ') um 7*^ Vorm. und 10'' Vorm. bei gleichzeitigerRuhe des dritten Instruments vor. Erst mit dem Nachmittag beginnen sich stärkere Störungen von V zu zeigen, und zwar ein Anwachsen von V zugleich mit Anwachsen von H und D, welch letzteres genau um Mittag verhältnismäßig geringere Schwankungen ausführt. Es ließe sich dies wiederum durch nunmehr haupt- sächlich im Nordwesten niedersteigende und von dort in der Erdrinde verlaufende Strömungen er- klären, wenn wir dazu annehmen, daß diese von Nordwest nach Südost gerichteten Ströme nördlich von der Station stärker als südlich von ihr wären, was ja für den frühen Nachmittag plausibel er- scheint. Erst nach weiterem Wandern des Aktions- zentrums nach Westen werden diese Ströme süd- westlich von der Station stärker als nordöstlich von ihr sein , wodurch dann ein Abnehmen der Vertikalintensität eintritt. Es ist sehr interessant, daß in dem Moment, 2'' 30™'" Nachm., von dem an die Vertikalintensität nach erreichtem Maximum fallende Tendenz erhält, der in der Telegraphenleitung von Antwerpen nach Paris beobachtete Strom seine Richtung umgekehrt hat, und Analoges findet auf der Brüsseler Nordlinie um i^" 30™'" Nm. und 2'' Nm. statt. In den Strömen in den isolierten Kabeln werden zum Teil auch Induktionswirkungen zum Ausdruck kommen, die in ihrer Richtung und Stärke nicht von den Erdströmen selbst, sondern von deren Stärkeschwankungen abhängen. Und in der Tat finden wir die heftigsten Leitungsströme zu Zeiten angegeben , wo die Schwankungen in den Intensitätskurven, hauptsächlich der Vertikal- intensität, am stärksten waren. In Antwerpen z. B. nach „Gel et Terre" 1903 S. 421 um i'' N, 2h jo™'"! N zwischen s"" N und ö*" N; sie fehlen dort nach 7^ N. Selbstverständlich macht dieser Erklärungs- versuch keinen Anspruch darauf, wirklich das Wesen der Erscheinung wiederzugeben; er soll nur noch zeigen, welcherlei Wirkungsweisen in der buntesten Mannigfaltigkeit übereinander ge- lagert ein solches Phänomen zustande bringen könnten." 1) D = Deklination, Vertikalintcnsität. H Horizontalintensität, V = Bücherbesprechungen. Dr. Fr. N. Schulz, a. o. Professor an der Universität Jena, Die ( 1 r ö ß e des E i w e i ß m o 1 e k ü 1 s. Jena. Verlag von Gustav Fischer. 1903. — Preis 2,50 Mk. Die vorliegende Schrift bildet das zweite Heft einer Sammlung von Monographien, betitelt , .Studien zur Chemie der Eiweißstoffe'' von Fr. N. Schulz, deren erstes Heft über „die Kristallisation von Eiweißstoffen" ebenfalls im Jahre 1903 erschienen ist. Die Frage nach der Größe des Moleküls erregt bei den F'.iweiIJstofton deshalb besonderes Interesse, weil das Eiweißmolekül bedeutend größer sein muß N. F. III. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 511 als dasjenige irgend eines anderen bisher zur Unter- suchung gelangten Stoffe?. Ein Beweis dafür ist vor allem die große Mannigfaltigkeit seiner Verbindungen. Zudem beruht auch die biologische Wirkung der Eiweißstoffe größtenteils auf den durch die .Molekular- größe bedingten Eigenschaften und auch unsere mangelhafte Kenntnis bezüglich der bei der Erfor- schung der Größe des Eiweißmoleküls auftretenden Schwierigkeiten mag in dessen Größe ihre Erklärung finden. Das Heft enthält eine ausfuhrliche, kritische Dar- stellung und Siclitung der bisher über dieses Kapitel vorliegenden Literatur und der Stoff ist klar und an- schaulich behandelt. Der Verfasser gedenkt in gleicher Weise wie die beiden erschienenen Monographien auch andere Haupt- kapitel der Eiweißchemie in zwanglosen Heften er- scheinen zu lassen. Mit Spannung dürfte man diesen weiteren Publikationen entgegensehen. R. Lb. Sektionen des Alpenvereins, 1 1 weitere Korporationen (botanische und touristische Vereine) zu seinen Mit- gliedern. Er erhielt bisher jährlich 1000 Mk. Sub- vention vom Alpenverein. Mitglied des Vereins können auch dem Alpenvereine nicht angehörige Personen bei einem Jahresbeiträge von nur 1,50 Mk. werden. (N.) I., 2., 3 Bericht des Vereins zum Schutze und zur Pflege der Alpenpflanzen (E. V.) Bamberg 1901, 1902, 1903. Der Verein zum Schutze und zur Pflege der Alpen- pflanzen (Fl. V.), dessen Gründung im Jahre 1900 in Bamberg erfolgte, versendet jährliche Berichte über seine Tätigkeit. Dieselben (I.-III.) geben ein an- schauliches Bild über die vielseitige Tätigkeit des Vereins und beweisen , daß das ideale Unternehmen des Vereins auch in weiteren Kreisen Anklang ge- funden hat. Die Ziele des Vereins dürften besonders jetzt zeitgemäße genannt werden, nachdem die Be- wegung zum Schutze der Naturdenkmäler, und zu denen gehören die Alpenpflanzen zweifelsohne, sowohl in Deutschland, als in Österreich begeisterte Fürsprecher und tatkräftige Förderer gefunden. Die Berichte des Vereins enthalten die Jahresberichte , Protokolle der Generalversammlungen, Verwaltungsangelegenheiten, aber auch wissenschaftliche Abhandlungen aus der Feder berufener Botaniker: u. a. Prof v. Wettstein (Wien) „Über die wissenschafüichen Ergebnisse des alpinen Versnchsgartens an der Bremer Hütte im Gschnitzfale" ; Prof G ö b e 1 (München) „Bericht über den Schachengarten"; Prof. von Dalla Torre (Inns- bruck) „Zur Genus-Nomenklatur der Alpenpflanzen". Ferner finden sich Notizen über die Blütezeiten der Alpinen ; Berichte über die vom Verein subventionierten Alpenpflanzengärten am Schachen , auf der Ra.xalpe, auf der Neureuth und an der Bremer Hütte. Ferner enthalten die Berichte Zusammenstellungen über die Flora bestimmter Gebiete: des Kaisergebirges von Hofer, des Schachens von Ohr ist, der Umgebung der Freiburger Hütte von Neumann, der ITmgebung der Schlüterhütte im Vilnößtale von Ostermeyer. Einen schweren Verlust hatte der Verein im Jahre 1903 zu beklagen durch den Tod des Mitbegründers und begeisterten Förderers des Vereins, Herrn Direktor Sacher in Krems. Einen Nachruf an den verstorbenen Freund enthält der IIL Bericht vom Vorstande des Vereins Apotheker Schmolz in Bamberg. Der Verein zählt z. Z. 400 Einzelmitglieder, 76 Dr. Hermann Popig, Die Stellung der Süd- ostlausitz im Gebirgsbau Deutschlands und ihre individuelle Ausgestaltung in Orographle und Landschaft. F'orschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde , Bd. XV, Heft 2. Stuttgart 1903. ). Engelhurn. 88 Seiten. — 7 Mk. Das Buch behandelt die Zittauer Bucht und ihre südwestliche Begrenzung, das Lausitzer und Jeschken- gebirge ; sein Hauptwert besteht in sehr zahlreichen Tabellen über Talrichtungen, Höhen, Boschungswinkel u. dgl. m. Wenn man aber dem Titel nach gehofft hat, eine eingehendere Darlegung über die Rolle dieses ( Gebietes in der mitteldeutschen Tektonik zu finden, so wird man das Buch enttäuscht fortlegen : denn man erfahrt im Grunde nur, daß die Südostlausitz zu den Sude- ten gehöre. Der Verfasser drängt die Betrachtungen über die Beziehungen zum übrigen Deutschland und Mittel- europa auf die ersten i 2 Seiten zusammen, und wenn er dabei nur die Lage in der geographischen Länge und Breite unterscheidet , so läßt sich der Reichtum unserer allgemeinen Mittelgebirgsgeographie allerdings nicht auf ein solches Linienkreuz nageln. Auch die Landschaftsbeschreibung leidet durch Schematismus etwas, mehr durch eine Reihe störender Zitate, deren Poesie wesentlich hinter der des Lausitzer Berglandes zurücksteht. F. S. Prof Dr. W. Ule, Niederschlag und Abfluß in Mitteleuropa. Mit 12 Figuren. Forschun- gen zur deutschen Landes- und Volkskunde. Bd. XIV. Heft 5. Stuttgart, J. pjigelhorn. 1903. 82 Seiten. — Preis 4,80 Mk. Professor Ule hat hier den Forschungen von Ruvarac und Penck u. a. über das gleiche Problem eine sehr bemerkenswerte Arbeit hinzugefügt , in der er auf Grund zwanzigjähriger Beobachtungen im Saale- gebiet die Niederschlags- und Abflußverhältnisse dieses Flußgebietes und im Anschluß daran diejenigen Mitteleuropas überhaupt einer eingehenden Unter- suchung unterzieht. Die Frage, um die es sich dabei handelt, bietet ein außerordentlich vielseitiges Inter- esse, teils theoretisch für den Meteorologen und Geo- logen , wie überhaupt für unser Verständnis des Wasserkreislaufs in der Natur, teils rein praktisch für den Wasserbautechniker u. a. ; andererseits ist die Aufgabe, die die Bearbeitung dem Theoretiker stellt, sachlich so verwickelt und versuchstechnisch so schwierig , daß der Ref. das , was er zu dem Buche zu sagen hat, nicht im Rahmen eines kurzen Referates begründen kann. Die Ule'schen Untersuchungen und die daran geknüpften Folgerungen werden deshalb demnächst eingehender in den Spalten der „Naturw. Wochenschr." behandelt werden. F. S. 5i: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 32 Literatur. Behrendt, Dr. Emil C, u. Waldem. Krühn: Kompendium d. qualitativen Analyse. (132 S.) 8". Berlin '04, S. Calvary & Co. — Geb. in Leinw. 3 Mk. Dühring, Dr. E. : Robert Mayer, der Galilei des 19. jahrh., u. die Gelehrtenunt.atcn gegen bahnbrechende Wissenschafts- größen. I. Tl.: Einführung in Leistgn. u. Schicksale. Nebst Portr. in .Stahlst. 2., verb. u. venu. Aufl. (X, 267 S.) gr. S'\ Leipzig '04, C. G. Naumann. — 4 Mk. ; geb. 5 Mk. Jahresberichte über die Fortschritte der Anatomie und Ent- wicklungsgeschichte. Hrsg. V. Prof. Dir. Dr. G. Schwalbe. Neue Folge. 8. Bd. Literatur 1902. 3 Abtlgn. (2^6, 304, 928 u. Will S.) gr. 8». Jena '03, G. Fischer. — Einzel- preis 62 Mk. ; Subskr.-Pr. 50 Wk. Briefkasten. Fräulein St. E. in Pr. — Für Liebhaber der Astronomie, die selbst beobachten wollen, empfehlen sich die Zeitschriften: Mitteilungen der Vereinigung von Freunden der .Astronomie und kosmischen Physik, redigiert von Prof. Dr. W. Förster (Berlin, Ferd. Dümniler. Jährlich 10-12 Hefte für 6 Mk., für Mitglieder der ,, Vereinigung" kostenlos). — Sirius, heraus- gegeben von Dr. H. J. Klein (Leipzig, E. H. Mayer). — Das Weltall, redigiert von F. S. Archenhold (Berlin, P. Zacharias, jährlich 24 Hefte für 8 Mk.) Herrn Prof. Ph. — Eine ausgezeichnete Zusammenstellung der Gestaltungen, die die Erdoberfläche bietet, finden Sie in Peuck's ,, Morphologie der Erdoberfläche" (J. Engelhorn in ■Stuttgart, 1894). Es werden in dem Werk sowohl die ge- staltenden Kräfte in ihrer Wirksamkeit als auch die einzelnen Formenkomplexe nach ihrer Entstehung betrachtet. Das Werk zerfällt in 3 ,, Bücher": 1. Allgemeine Morphologie, 11. Die Landoberfläche, III. Das Meer. Herrn Dr. H. in Bonn und Herrn C. N; in Ödernitz. — Gute elementare Geologien sind: Fr aas, Geologie (Samm- lung Göschen in Leipzig), Haas, Geologie, (Weber's illustr. Katechismen in Leipzig"), umfangreich (2 starke, schön illustr. Bände) ist Neuniayr's Erdgeschichte p5ibliographisches Institut in Leipzig). Herrn Professor A. S. in R. — i. Sie fragen nach einem Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der. Wirbeltiere (und wenn möglich auch der Wirbellosen) für die Prima einer (lateinlosen) (.>berrealschule. Schmeil's Lehrbuch genügt Ihnen für Ihren Zweck nicht. — Es scheint' als ob ein Lehr- buch der genannten Art bisher nicht erschienen ist. Sie wer- den sich also wohl nach einem geeigneten- Ersatz umsehen müssen. — Um Ihnen und zugleich andern. Lehrern, welche ein für sie geeignetes Lehrbuch suchen , diese Aufgabe zu er- leichtern soll in einer der nächsten Nummern eine Übersicht fast aller deutschen Lehrbücher, die für 'höhere Schulen in Betracht kommen' können , gegeben werden. — Die meisten vergleichend - anatomischen .Abbildungen gibt Matzdorff. Außerdem könnten für Sie die Bücher' von Dalitzsch, Kraepelin, Oels, Reichenbach, Vogel, Woldrich und Zwick in Frage kommen. Das Nähere erfahren Sie aus der zu gebenden Übersicht. 2. Sie wünschen ein Buch zu Ihrer Vorbereitung , eine kurze vergleichende Anatomie, oder falls eine solche nicht existiert, eine geeignete Zoologie. — Die Bücher von Claus, Hertwig und Gegenbaur besitzen Sie. — Für diesen Zweck kann Ihnen R. Wiedcrsheim, Vergleichende Ana- tomie der Wirbeltiere, 5. Aufl. des Grundrisses der vergleichen- den Anatomie, Jena 1902 (ca. 700 S. mit 379 z. T. farbigen Te.xtbildern und einer Tafel, Preis l6 Mk.) empfohlen werden. — .Äußerst wichtig für jeden Lehrer, aber leider vcrgriften, i.=t C. Bergmann und R. Leuckart, Anatomisch-physiolo- gische Übersicht des Tierreichs. Vergleichende .Anatomie und Physiologie, Stuttgart 1855 (690 S. mit 438 Tc.xtbildern). Dahl. Zu dem in der .\. W N. F. III. Nr. 28 S. 448 erwähnten Worte ,,mud" erlaube ich mir zu bemerken: Das Wort ,,mud" kommt, wie Herr Müller-Schmalkalden schreibt, nicht nur im Deutschen (und zwar im Nass;iuischen) vor, sondern ist ein urdeutsches Wort, das sich, vom Nieder- deutschen ausgehend, auch im oberdeutschen Sprachgebiet findet. Es ist zwar für die Etymologen ein recht „böses" Wort, denn die ,, Urgeschichte" desselben ist noch immer dunkel. Als älteste Form wird ssk. migh. = beträufeln, (It. mingere), fgr. d)iii;-(], ssk. mighara = Nebel, Wolke, Dunst angenom- men. Got. maihstus hat u. a. die Bedeutung von Mist. Je- doch außer dieser Grundbedeutung erscheinen noch andere sehr wahrscheinlich. Eine Reihe von Stämmen mit andern Vokalen und auslautenden Konsonanten schließen sich an. Einige derselben sind : mud, mut, smut (vapor, mucor, limus) ; gael: smod (nebula, humida); altn. : möda (pulvis), mod (quis- quiliae) mnd. : modder, mode, modde, mudde, moddich, mud- dich ; niederl. ; modder, moder, moyer, raorc, moer (lt. limus, coenum, mollius, lutum, volutabrum, faeces) ; engl, mud, mother. Die Form ,, moder" tritt zuerst im 14. Jahrhundert auf in der Bedeutung von Kot, späterhin Sumpfland, Moor. Die hochdeutsche Form ist moter, motter; im 17. Jahrhundert und später in der Bedeutung von Schleim, Kot auf der Straße. Nachher tritt dazu der Begriff des ,, Faulenden". Es sei liier an unser nhd. „Essigmutter" erinnert. (Vgl. gr. /ivSw" = Aas). Engl. ,, mother" = Mutter, Bodensatz, Hefe erklärt sich wohl durch folgendes. Ir. muimme (mudmjä) = Amme, muad = Wolke, kelt. mend = netzen, saugen; gr. /uväo; = Nässe, Moder; m'^eir = saugen; It. mulier; lett. mudet = schimmelig werden. Über den allgemeinen Gebrauch von ,,mud" vergleiche man Grimm D. W. VI. 2442 — 45, 2600 — Ol. Was den Ge- brauch des Wortes in andern germanischen Sprachen angeht, sei hingewiesen auf: engl, to mud im Schlamme begraben. dän.-schwed. mudder Schlamm, Morast, Kot, Moder. dän. mudderagtig morastig, kotig. dän. mudderfisk Moderfisch. engl, muddle trübe machen. schwed. muddra ausschlämmen etc. Fritz Reuter sagt: ,,As en Moorbir utseihn" = wie ein Schmutzfink aussehen. Modd' (Moor') = Moder, Morast, Schmutz. Bir = Eber. engl. ,,mud" in naturwissenschaftlicher Bedeutung = aus abgestorbener Pflanzensubstanz entstandene Ablagerungen im Meere. Mudlumps = kleine Schlammrücken an der Mündung des Mississippi. C. Nellen, Seminarlehrer, Münstereifcl. In Bezug auf die Erörterungen über „Mud", vgl. Nr. 29, Briefkasten, ist vielleicht folgendes noch von Interesse. Hier und in der näheren und ferneren Umgebung Hannovers, so- weit sie mir bekannt, sind die Wörter: Die Mudde, Adj. muddig allgemein im Gebrauch für feinen, in einer Flüssig- keit schwebenden, Schlamm, nicht allein für den Kaffeesatz. Man macht ausdrücklich den Unterschied von dem festen, abgelagerten Schlamm , Schlick , den man auch wohl , aber selten, Modder nennt. Auch dies Wort scheint etymologisch mit dem Stamme Mud zusammenzuhängen. Das in Frage kommende Wort wird also wohl ziemlich allgemein in einem großen Teile des niederdeutschen Sprachgebietes verbreitet sein. Wilh. Meyer. Inhalt: Prof. Dr. M a .X C. P. Schmidt: Zur lateinischen Terminologie der elementaren Arithmetik. II. — Kleinere Mitteilung'en : Dr. G. Brandes: Über ,, Duftapparate bei Käfern." — C.K.Schneider: Degenerieren Varietäten von Kulturpflanzen? — Dr. Kaunhowen: Die vorläufigen Ergebnisse der Südpolar-Expedition. — Dr. H. Maurer: Versuch einer Erklärung des magnetischen Sturms vom 31. 10. 1903 durch elektrische Ströme. — Bücherbesprechungen: Dr. Fr. N. Schulz: Die Größe des Eiweißmoleküls. — I., 2., 3. Bericht des Vereins zum Schutze und zur Pflege der Alpenpflanzen. — Dr. Hermann Popig: Die Stellung der Südostlausitz im Gebirgsbau Deutschlands und ihre indi- viduelle Ausgestaltung in Urographie und Landschaft. — Prof. Dr. W. Ule: Niederschlag und .Abfluß in Mitteleuropa. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redaltteur: i. V. Dr. F. Koerber, Grofs-Lichterfelde-We«! b. Berlin. Druck von Lippert & Co, (G. Pätz'sche Ruchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DiC NatUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin, Redaktion: Professor Dr. H. Potoniö und Oberlehrer Dr. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. F. Koerber Neue Folge 111. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 15. Mai 1904. Nr. 33. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5440- Inserate: Die zweigespaltenc Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren .Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Die Neotenie bei den Amphibien. [Nachdruck verboten.] Das Wort Neotenie hat Kollmann eingeführt und bezeichnet die Tatsache, daß einzehie oder mehrere Organe eines Tieres auf einem frühen Entwicklungsstadium stehen bleiben l<önnen, also ihre volle .'\usbildung nicht erreichen. Es per- sistieren Charaktere, die am erwachsenen Tiere nicht vorkommen, dagegen in Jugendstadien auf- treten (Kollmann, das Überwintern von europäischen Frosch- und Tritonlarven. Verhdl. naturf Ges. Basel. VII. 1883). Wenn dagegen ein Tier vor dem Abschluß seiner Entwicklung geschlechtsreif wird, später dann sich normal ausbildet, so kann nicht von Neotenie gesprochen werden (Boas, Über Neotenie, 1896). Diese Erscheinung ist im Tier- reich weit verbreitet, am ausgeprägtesten tritt sie jedoch bei den Amphibien auf Sie bietet auch soviel Interesse, daß es sich wohl der Mühe ver- lohnt, über die einschlägigen Tatsachen und die Erklärungsversuche, welche sich daran knüpften, zusammenfassend zu referieren. In „Reproduction des Axolotl, Batraciens uro- deles abranchies persistantes de Mexico, qui n'avaient encore jamais ete vus vivants en Europe" (Compt. rend. 1865) teilt Dumeril mit, daß Axolotl, die Von Dr. K. Bratscher. im Pariser Akklimatisations-Garten schon i Jahr in Gefangenschaft gewesen waren, Eier legten und das Weibchen hierbei gerade wie die Tritonen diese an festen Körpern, Pflanzen und Steinen, anheftete. 1867 gibt er ausführliche Mitteilungen über seine weiteren Beobachtungen (Metamorphoses des Batraciens urodeles . . . dits Axolotl, Ann. des scienc. nat. Ser. 5. 1867. 7). Danach hat er noch oft die Eiablage beobachten können. Dagegen fiel ihm ein Exemplar der Nachkommenschaft da- durch auf, daß es seine Kiemen, den Hautsaum an Rücken und Schwanz verlor, die Kopfform änderte und ein anderes Farbenkleid erhielt. Die Untersuchung ergab dann ferner, daß zu diesen äußeren Umwandlungen innere sich gesellt hatten: die 3 hinteren Kiemenbogen gingen ein, nur der vorderste blieb erhalten , die früheren Gaumen- zähne verschwanden und neue traten an ihre Stelle; die Konkavität der Wirbelkörper wurde geringer, alles Veränderungen, wie sie bei der Metamorphose der Urodelen schon längst bekannt waren. Dem Beispiel dieses ersten folgten bald eine Reihe anderer Individuen. Diese Beobachtung mußte um so mehr Be- 514 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 33 achtung verdienen, als viele Zoologen den Axolotl — es handelte sich um Siredon mexicanus — als fertig entwickeltes Tier aufgefaßt hatten, sich dagegen jetzt ergab, daß es nur als ein Jugend- stadium von Amblystoma, als eine Larve, zu be- trachten sei, welche beide Formen bisher getrennt aufgeführt worden waren. In der Tat verursachte die Feststellung von Dumeril bei den Zoologen größtes Aufsehen. Schon dieser Beobachter hatte versucht fest- zustellen, ob und von welchen äußeren Umständen der Übergang vom Larvenzustand in die Ambly- stoma-Form abhängig sei. Zu diesem Zwecke schnitt er mehreren Axolotln die Kiemen ab; sie regenerierten sich mehrfach wieder. Auf 9 am- putierte Individuen zählte er 3 Verwandlungen, ein \'erhältnis, das ihm zu zeigen schien, daß der Verlust der Kiemen günstig auf die Auslösung der Metamorphose einwirkte; doch hielt er selber weitere Untersuchungen über diese Frage für not- wendig. Fräulein v. Chauvin konstatierte (Weismann, Über die Umwandlung des mexikanischen Axolotl in ein Amblystoma. Z. f w. Zool. 25. Suppl. 1875), daß die Verwandlung 12 — 14 Tage beanspruchte und bei den einzelnen Individuen in verschiedenem Alter erfolgte. Ferner tritt fast bei allen die Metamorphose ein, wenn die 6—9 Monate alten Larven in seichtes Wasser gebracht werden. Ge- nauer verfolgte auch Weismann die Umgestal- tungen des Körpers bei diesem Vorgang und er fand, daß außer den bereits erwähnten ferner die Kiemenspalten sich schließen, die Hautdrüsen un- deutlich, die Augen vorstehend und die Pupillen eng werden ; zudem erscheinen Lider, welche die Augen ganz decken , während sie beim Axolotl nur als schmale Ringfalte ausgebildet sind; die Zehen werden schmäler und verlieren die Schwimm- häute; im Unterkiefer verschwinden die Zähne der Larve. Die Veränderung ist also, abgesehen vom Auftreten von Lungen, derart, daß sie nicht als bloße Wirkung der neuen Verhältnisse, des Luft- lebens, und als Folgeerscheinung dieser neuen Anpassung aufgefaßt werden können. Da nun nach dem damaligen Stand der Kenntnis eine Reihe anderer Arten regelmäßige Verwandlung zeigen und nach dieser geschlechtsreif werden, diese aber bei S. mexicanus nicht erfolgen sollte, so faßte er sie als eine atavistische Form auf, die auf der ph)'logenetischen Vorstufe des perenni- branchiaten Stadiums stehen geblieben war. Nach ihm früher wirkliche Ambl>-stoma, haben sie aber nunmehr auf die Durchführung ihrer ganzen Entwicklung verzichtet. Es sind nämlich Bewohner der mexikanischen Seen, die sich durch ihren flachen Boden auszeichnen und von einem ausgedehnten Sumpfgebiet umgeben sind. So hatten es nach de Saussure die Axolotl vielleicht schwer, das Trockene zu gewinnen; ferner wird gerade der Teil des Sees, in dem sie am häufigsten vorkommen, durch Winde trocken gelegt und würde dann den Amblystomen vi^eder Schlupf- winkel noch Nahrung bieten, da der Boden salzig und steril ist; dazu kommt die niedrige Tempe- ratur des mexikanischen Winters. Noch wichtiger erscheint Weismann die große Trockenheit der Luft; sie namentlich hat die Axolotl genötigt, dem andauernden Wasserleben sich anzupassen und die Metamorphose einzustellen ; als in früheren Zeiten die Seen größer, die Gegenden reicher bewaldet waren, herrschten Verhältnisse, die ihnen ihre volle Entwicklung gestatteten. So erweist sich der Rückschlag als eine Anpassung an die allmählich eingetretenen veränderten Existenzbedingungen. Der Standpunkt von Weismann fand eine weitere Stütze in dem Umstände, daß die in Europa aufgetretenen Amblj'stoma nie in ge- schlechtsreifem Zustand sich zeigten. Als dann aber Spengel (Beobachtungen über das Leben des Axolotl in Mexiko; Biol. Zentralbl. 1882. 2) nach dem mexikanischen Naturforscher Velasco mitteilen konnte, daß diese Tiere daselbst regelmäßig sich verwandeln, sobald das Wasser anfängt abzunehmen und man später alle als Amblystoma am Lande findet, konnte die Weis- mann'sche Erklärung nicht mehr aufrecht erhalten werden. Hatte vorher die Frage gelautet; „Unter welchen Umständen kann die Verwandlung er- folgen?", so lautete sie jetzt: „Welche Umstände verhindern sie?" Tatsache bleibt dagegen, daß der Axolotl in der Gefangenschaft nur ausnahms- weise die Metamorphose eingeht, auch in Mexiko im Axolotl- bzw. Siredon-Stadium sich fortpflanzt und nach Velasco's Ansicht die Amblystomen eben- falls geschlechtsreif werden. So findet Spengel, es liege hier ein ausgesprochener Fall von Paedogenesis vor, also eine Entwicklung der Geschlechtsorgane auf einem Larven- resp. auf einem frühen Entwicklungsstadium, wie sie bei Mücken bereits bekannt war. Da handelt es sich allerdings um eine Fortpflanzung durch unbe- fruchtete Eier, während Siredon geschlechtlich differenziert ist. Gleichzeitig konstatierte Velasco, daß der Axolotl in anderen Seen heimisch sei, als de Saussure mitgeteilt hatte, womit dann auch die an jene Fundorte sich knüpfenden Folgerungen hinfällig wurden. Im Zool. Anz. 6, 1883 (Über die Fortpflanzung von Amblystoma) machte Frl. v. Chauvin bekannt, daß es ihr gelungen sei, 4 Axolotl während 3 Jahren und 2 Monaten auf einer Zwischenstufe zwischen Froschmolch und Amblj'stoma zu erhalten, indem ihre Lungen genügend entwickelt waren, daß die Tiere auch auf dem Lande hätten leben können. 2 wurden wieder zu vollständigen Axolotln um- gebildet, I zur Amblystoma weiter geführt (das vierte Objekt ging zugrunde), so daß diesen Tieren eine merkwürdige P'ähigkeit innewohnt, sich den jeweiligen Lebensbedingungen anzupassen. Gleichzeitig mit den mitgeteilten Beobachtungen über den berühmten Axolotl erfolgten diejenigen über die Urodelen unserer europäischen Fauna. Schon Schreibers hatte (Isis 1833) bemerkt, daß die Larven des gefleckten Salamanders nicht nur N. F. m. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 51S im Freien als solche überwintern, sondern auch ins zweite Jahr hinein in diesem Zustand ver- bleiben, trotzdem die Metamorphose gewöhnlich in 2 — 3 Monaten sich abspielt. So hatte er neben- einander aus der gleichen Brut Larven und ent- wickelte Tiere, jene 2 — 3 mal größer als diese und gleich ihnen geschlechtlich differenziert. Es gelang ihm oft, den Übergang aus dem Quappenzustand in jenen des vollkommenen Tieres gewaltsam zu verschieben. De Filippi beobachtete 1861 in einem Tümpel im Formazzatal (Oberitalien) viele Triton alpestris in verschiedenen Stadien der Entwicklung. Auf 50 ausgewachsene traf er aber nur 2 kiemenlose, während die anderen neben ihren larvalen At- mungsorganen auch wohl entwickelte Geschlechts- organe besaßen. Neben den Kiemen waren auch die Lungen in Tätigkeit. Von anatomischen Merk- malen ist zu erwähnen, daß die Wirbelkörper in der Mitte eingeschnürt und wie bei Axolotl von einem gleichmäßigen Chordastrang durchzogen waren. Da er keiner älteren Exemplare habhaft werden konnte, glaubt er, diese hätten sich zur Überwinterung schon in den Schlamm verkrochen und er zieht aus seiner Feststellung den Schluß, daß bei den Amphibien die Geschlechtsreife nicht durchaus als Kennzeichen des erwachsenen Zu- standes gelten könne, wie sonst gewöhnlich an- genommen wurde (Sulla larva del T. alpestris; Archivio per la Zoologia 1861, übersetzt von Siebold in Z. f. w. Zool. 28. 1877, wo er auf diese Ausführungen besonders aufmerksam macht). 1869 fand Jullien bei Paris (Observations des tetards de Lissotriton punctatus; C. r. Ac. sc.) 4 Larven von Triton taeniatus mit völliger Entwicklung der Geschlechtsorgane; die Weibchen besaßen wohl- ausgebildete Eier, die Männchen dagegen waren erst bis zur Bildung der Spermamutterzellen vor- geschritten ; Spermatozoiden fehlten. Kurz nach- her traf er solche Larven am Legen von Eiern ; sie trugen noch die Kiemen und den Rückensaum, wie auch der Kopf und die Füße noch Larven- charakter aufwiesen. 1862 traf Fatio (Faune des vertebres de la Suisse 1872 . . .) am Gotthardt überwinterte Tr. alpestris-Ouappen, die jedoch nicht Geschlechts- reife erlangt hatten. Über Salamandra atra hat sodann wiederum Frl. von Chauvin Versuche angestellt. Bekanntlich ist diese Art lebendig gebärend. Sie entnahm eine noch nicht völlig entwickelte Larve dem mütterlichen Leibe und setzte diese ins Wasser. Nun wurden die großen, fein gegliederten Kiemen fallen gelassen und durch 3 Paar neue von un- regelmäßiger, blasiger Form ersetzt. Während die Altersgenossen dieses Tieres schon völlig ausge- wachsen waren, verblieb es durch 14 Wochen im Wasser und schickte sich dann endlich zur Meta- morphose an, indem es zur Lungenatmung über- ging, die Kiemen resorbierte, die charakteristische runzliche Haut und einen gerundeten Schwanz er- hielt. Also auch hier eine bedeutende Verlänge- rung des Larvenlebens (Über das Anpassungsver- mögen der Larve von S. atra; Z. f. w. Zool. 1877. 29). Dasselbe konstatierte von Ebner an Triton cristatus (Über einen Tr. cristatus mit bleibenden Kiemen; Mitteil, naturwiss. Ver. Steiermark 1877). Schon 186g war ihm eine Gruppe dieser Art mit äußeren Kiemen und wohlentwickelten Hoden mit reichlichen Spermatozoiden zu Gesicht gekommen. Jetzt stieß er wiederum auf überwinterte Exem- plare, die allerdings dann sich verwandelten. Im Gegensatze zum Befunde von de Filippi, der gö^/j, geschlechtlich entwickelte Quappen getroffen, han- delte es sich hier nur um einzelne Tiere mit den abnormen Verhältnissen. In einem 2150m hoch- gelegenen See Tirols begegnete er noch spät, wie jener, T. alpestris-Larven von normaler Größe und Färbung, wiederum noch die Kiemen tragend. Wenn diese Art also geneigt ist, in alpinen Wasser- becken die äul3eren Atmungsorgane lange beizu- behalten, so findet er nicht direkt in der Höhen- lage den .Anlaß zum Aufschub der Metamorphose, sondern er scheint ihm vielmehr eine Anpassung an das Wasserleben zu sein, das für die Tritonen hier von Vorteil ist. Auch darf der bloße Aufent- halt im Wasser nicht als Hindernis der Meta- morphose aufgefaßt werden, denn von einer An- zahl Quappen des gefleckten Salamanders gingen alle ein, weil ihre Verwandlung im Wasser er- folgte und er sie nicht an die Oberfläche hatte kommen lassen. Allerdings trat sie zu sehr ver- schiedener Zeit auf: Objekte von der gleichen Eiablage brauchten 9 — 120 Tage. Immerhin will V. Ebner die Frage noch offen behalten, ob nicht doch direkt äußere Einflüsse bei diesen Erschei- nungen wirksam sind. Gegen die Auffassung Weismann's, der in den Abnormitäten im Larvenleben der Schwanzlurche einen Rückschlag erblickt, wendet er ein, daß eine dauernde Hemmung eines embryonalen Entwick- lungsstadiums nicht als solcher, sondern vielmehr als eine Bildungshemmung zu bezeichnen sei. Mit jenem Ausdruck werden nur solche Erscheinungen belegt, die in der ontogenetischen Entwicklung vorkommen ; geschlechtsreife , kiementragende Schwanzlurche müßten also eine phylogenetische Vorstufe der heutigen Urodelen bilden, was ihm nicht wahrscheinlich vorkommt. Da beim Axolotl der ganze Organismus mit Ausnahme der Ge- schlechtsorgane von der Bildungshemmung be- troffen ist, so spielen~gewiß noch korrelative Ein- flüsse mit, die ebenfalls den Charakter jener tragen. Hamann (Über kiementragende Tritonen; Jena- ische Zeitschr. 14. 1S80) hat ebenfalls kiemen- tragende T. cristatus gefunden, deren Geschlechts- organe noch nicht völlig entwickelt waren. Die Lungen hatten normale Größe, waren mit Luft erfüllt, daneben aber noch deutliche Kiemen vor- handen. Die Gaumen- und Zahnbildung trug Larvencharakter. Auch Westhoff beobachtete eine Quappe von T. taeniatus (Geschlechtsreife Larve von T. taeniatus; 516 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 33 Zool. Anz. 1893), welche die doppelte Größe der normalen erlangt hatte, geschlechtlich differenziert war und allerdings kleine äußere Kiemen besaß. Ähnliche Beobachtungen machte ferner Dürigen (Deutschlands Amphibien 1897). Auch bei den Anuren kommen Verzögerungen in der individuellen Entwicklung vor. Schon Fatio sind Larven von Rana temporaria und esculenta durch ihre Größe aufgefallen. Sie besaßen noch keine Gliedmaßen, trotzdem in anderen Tümpeln kleinere Quappen schon im Begriffe standen, ihre Metamorphose abzuschließen. Solche große Larven scheinen ihm in stehenden und warmen Gewässern häufiger aufzutreten als in kalten und fließenden. Doch ist er nicht sicher, ob solche in ihrer Ent- wicklung rückständigen Tiere von späteren Ei- ablagen herrühren möchten. Die Riesenlarven von R. esculenta, von denen Bruch (Der zoolog. Garten, 1864) berichtet, sind nicht hier einzureihen , da er nur von abnormen Größenverhältnissen spricht und keine zeitlichen Verschiebungen in der Entwicklung erwähnt. 1878 sodann berichtet Wiedersheim (Über zwei- jährige Alytes-Larven , Zool. Anz. l. 1878), daß ihm Quappen der Geburtshelferkröte zukamen, die im Mai 1876 das Ei verlassen hatten und bis zum März 1877 im Wasser gehalten werden konnten. Auch jetzt noch trugen sie den für die Larven charakteristischen Hornschnabel, den Ruderschwanz, den spiralig gerollten Darm und fand die Atmung durch Kiemen statt, trotzdem sie bereits eine Länge von 6 cm erreicht hatten. Ihm scheint hier eine Entwicklungshemmung vorzuliegen. Auf dem gleichen Standpunkt steht Brunk (Ein neuer Fall von Entwicklungshemmung der Geburtshelferkröte, Zool. Anz. V. 1882), der sogar über 2V., Jahre alte Larven von fast 8 cm Größe erhielt. Sie besaßen den Hornschnabel, wohl- entwickelte Lungen, machten aber von der Ge- legenheit, ans Land zu gehen, keinen Gebrauch. Auch bei Pelobates fuscus verläuft die Ent- wicklung ganz ungleich rasch, denn Pflüger (Das Überwintern der Knoblauchkröte, Arch. f. Physiol. 31. 1883), traf noch im Februar unter dem Eise kräftige Larven dieser Art, so daß ein Teil der Kröten aus solchen überwinterten Quappen her- hervorgeht. Als Ursachen, die eine Verzögerung der Metamorphose herbeirufen können, führt er schlechte Verhältnisse der Ernährung und des Aufenthaltes, ferner aber auch mechanische Er- schütterungen an. In einem Referat über eine ausführliche Arbeit, die in Atti Acad. Torino 1883/4 erschienen, kommt Camerano (Ricerche intorno alla vita branchiale degli Anfibi, Zool. Anz. 6. 1883) zu Sätzen, die nach ihrem Inhalt kurz wiedergegeben werden mögen. Die größte Verkürzung im Kiemenleben der Amphibien zeigt die lebendig gebärende Sala- mandra atra, die größte V^erlängerung Proteus, Axolotl , Triton , indem beim ersten die Kiemen immer und zeitlebens, beim letzten oft auch im alten Tiere erhalten bleiben. In der Verlänge- rung des Wasserlebens verhalten sich die Anuren und Urodelen verschieden: jene vollziehen die Metamorphose in der nächsten schönen Jahreszeit, es handelt sich also um eine einfache Verzöge- rung, oder diese erstreckt sich auf mehrere Jahre, wobei das Skelett, das Nervensystem und die At- mungsorgane der Form des entwickelten Tieres wenigstens sich nähern, Geschlechtsorgane aber nicht zur Ausbildung gelangen. Bei den Urodelen hingegen tritt oft eine Anpassung an das Wasser- leben ein, indem das Tier in diesem Medium ge- schlechtsreif wird, so daß als Folge hiervon ein Polymorphismus zur Geltung kommt: eine ge- schlechtlich entwickelte Wasser- neben einer eben- solchen Landform. Er würde also beide, ohne Rücksicht darauf, ob Kiemen- oder Lungenatmung vorliegt, als erwachsen bezeichnen. Die Tendenz, die erstere beizubehalten, macht sich bei den ver- schiedenen Gruppen der Amphibien in absteigen- dem Maße geltend; bei Triton alpestris ist die Lungenform noch die Regel , bei Axolotl bloß häufig, während sie Proteus ganz aufgegeben hat. 1883 erschien die eingangs erwähnte Arbeit von Kollmann (auch 1884: Hivernage des gre- nouilles, Recueil zoolog. suisse), in der wieder neue Gesichtspunkte geltend gemacht werden. Auch er beobachtete an Pelobates fuscus die Ver- längerung des Larvenlebens und bezeichnet die Erscheinung als Neotenie, weil sie als eine eigen- artige ähnlichen bisher bekannten gegenübergestellt werden muß. Es kann hier weder von Rück- schlag, noch auch von Entwicklungshemmung die Rede sein, weil dieser eine pathologische Ursache zugrunde liegt und sie sich nur auf einzelne Or- gane oder Bildungen, wie Hasenscharte, Wolfs- rachen und ähnliches erstreckt. Bei der Neotenie dagegen handelt es sich um ein dauernd gewordenes Entwicklungsstadium , das in einer der Larven- form entsprechenden Richtung sich weiter um- gestaltet. Man hat also wohl zu unterscheiden zwischen dem ungeschlechtlichen Axolotl- und dem geschlechtlichen Siredon-Stadium. Die ursprüng- liche ontogenetische Entwicklung geht von jenem zur lungenatmenden Amblystomaform und erst nachträglich ist als Anpassung an äußere und innere Umstände die Siredonstufe aufgetreten. Auch die Tatsache, daß die innere Organisation der äußeren in der Entwicklung vorauseilt, muß gegen die Auffassung der Erscheinung als Entwicklungs- hemmung ins Gewicht fallen. Die Anuren-Larven, die überwintert haben, aber als solche nicht ge- schlechtsreif werden, zeigen die Neotenie nur teil- weise, bei den Urodelen dagegen liegt sie voll- ständigTund^ausgesprochen vor, denn sie erstreckt sich nicht nur auf die äußere Körperform, sondern auf die gesamte innere Organisation, die Musku- latur, den Darm, die Schädelbildung usw. In „Die Anpassungsbreite der Batrachier und die Korrelation der Organe" (Zool. Anz. 7. 1884) be- tont der gleiche' Autor, daß nicht die Geschlechts- organe den größten Einfluß auf die Ausgestaltung des Körpers besitzen, denn bei ihrer Anwesenheit N. F. III. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. 51; behält Siredon die jugendliche Axolotlform bei. Ferner tragen die überwinterten Riesenlarven der Anuren schon wohlentwickelte Lungen, die allerdings zur Atmung noch nicht ausreichen. Solange also Kiemenatmung besteht, verharrt der Körper auf einer jugendlichen Entwicklungsstufe. Sobald aber die Lungen wirklich in Funktion treten, ändert sich die Sache sofort, indem eine Umgestaltung der Muskulatur, der Knochen, das Darmes daran sich knüpft: die volle physiologische Entwicklung der Lungen hat alle diese — korrelativen — Ver- änderungen im Gefolge. Dürigen konstatiert seinerseits (Deutschlands Amphibien und Reptilien, 1897), daß ungünstige Herbstwitterung und früiizeitiger Winter, Mangel an Licht und Wärme, Wasser- und Nahrungs- mangel die Entwicklung und Metamorphose der Amphibienlarven verzögern und hemmen. Gleichen Einfluß haben auch steile Ufer und Einfassungen, welche die Quappen zum Verbleiben im Wasser nötigen. Die Neotenie „geht so weit, daß der Organismus dieser Wesen einige der jugendlichen Merkmale sogar mit in das Landleben hinüber nimmt, wie sich überhaupt die verschiedensten Zusammenstellungen ergeben. Bald ist es der Darm, bald die Lungen oder Kiemen, bald die Körper- form, die Färbung, die Haut und der Schädel, bald mehrere von diesen Dingen , welche das frühere Gepräge beibehalten." In 2 Arbeiten kommt auch Boas auf die Am- phibien und die neotenischen Erscheinungen zu sprechen. Seine Untersuchungen „Über den Conus arteriosus und die Arterienbogen der Amphibien" (Morphol. Jahrbuch. 7. 1882) führen ihn zu dem Schlüsse, daß die Perennibranchiaten Larvenformen darstellen, welche die Fähigkeit der Umwandlung verloren haben, folglich keine primitiven, sondern abgeleitete Arten und neueren Datums sind. So stellt er sich in geraden Gegensatz zu der ge- wöhnlichen Auffassung, derzufolge jene die niederste Stufe der Amphibien bilden würden. In der zweiten Arbeit „Über Neotenie", 1896, betont er seinen Standpunkt neuerdings und weist zugleich nach, daß ,,die Persistenz einzelner oder mehrerer Charak- tere, die bei Formen, von denen die betreffenden Tiere abstammen, im jugendlichen Zustande, nicht aber bei erwachsenen, geschlechtsreifen Tieren vor- handen waren" eine im Tierreich weit verbreitete, bisher allerdings wenig beachtete Erscheinung ist. Plate endlich (Deszendenztheor. Streitfragen, Biolog. Zentralblatt 1903) will nicht wie Boas die Bezeichnung Neotenie auf alle Fälle angewendet wissen, in denen einzelne Merkmale zur Zeit der Geschlechtsreife noch den embryonalen Charakter bewahren, sondern schränkt ihn wie Kollmann auf diejenigen ein, der die Geschlechtsorgane allen übrigen in ihrer Entwicklung vorausgehen, diese also die jugendliche Form beibehalten; sie ist eine besondere Form von Hemmungsbildung, welche das Vorkommen fortpflanzungsfähiger Larven in sich begreift. Bei den Anuren im geringsten Maße auftretend, steigern sich sonach in der Klasse der Amphibien die neotenischen Erscheinungen bei den euro- päischen Urodelen und noch mehr bei den ameri- kanischen Amblystomen, um in der Unterordnung der Perennibranchiaten endlich zu Formen zu führen, die ihre definitive Plntwicklung gar nicht mehr erreichen, sondern ausnahmslos auf einem Jugendstadium, als Fischmolche, geschlechtsreif werden und auf diesem stehen bleiben. Dieses Stadium wäre demgemäß nicht als eine phylo- genetische Vorstufe in der Entwicklung der Am- phibien, sondern ähnlich den Insektenlarven in An- passung an bestimmte Lebensbedingungen als palimgenetische Formen aufzufassen. Kleinere Mitteilungen. Was sind Juden.' — Dr. C. H. St ratz hat sich die Beantwortung dieser Frage durch eine ethnographisch - anthropologische Studie zur Aufgabe gemacht. Verfasser hat die Juden nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Weltteilen kennen gelernt. Die Urteile der verschiedenen Autoren über die Juden gehen außerordentlich weit auseinander, die meisten begnügen sich mit einer negativen Behauptung, indem sie den Juden den Charakter einer Rasse und den eines Volkes überhaupt ab- sprechen, ohne zu beweisen, was die Juden denn eigentlich sind. Nach der Meinung von St ratz wird die große Verschwommenheit der Definition über die Juden in den wissenschaftlichen Büchern hauptsächlich dadurch hervorgerufen, daß der ethnographische und der anthropologische Stand- punkt der Beurteiler nicht streng genug geschieden wird. Wir wissen vom ethnographischen Stand- punkte aus, daß es vor 2000 Jahren ein jüdisches Volk gab, das seine eigene Sprache und Kultur hatte und als wichtigster Träger des monotheisti- schen Gottesgedankens einen tiefgreifenden Einfluß auf die geistige Entwicklung der heute am höchsten stehenden Kulturvölker Europas ausgeübt hat. Vom anthropologischen Standpunkt haben wir Europäer uns einen bestimmten körperlichen Typus zurecht gemacht, der mit Vorliebe der semitische ge- nannt und in schroffen Gegensatz zum ger- manischen Typus gebracht wird. Als Volk haben die Juden vor etwa 2000 Jahren ihre kulturgeschichtliche Mission erfüllt und dann aufgehört zu bestehen. Alle späteren Stufen der Entwicklung europäischer Völker fußen auf dem alten Kulturschatz der Juden, den diese nach der Zerstörung ihres Reiches in alle Länder hinaus- trugen. Christentum und Islam sind entwicklungs- geschichtlich begründete Umbildungen des jüdischen 5i8 Naturwissenschaftliche Woclieiischrift. N. F. III. Nr. 33 Glaubens, indem die jüdische Bibel immer noch die Grundlage aller herrschenden theologischen Begriffe ist. Wenn ein Jude daher seinen Glauben mit dem christlichen oder muhammedanischen vertauscht, so tritt er dadurch kaum aus seiner eigenen Sphäre heraus. Da er in der neuen Umgebung dieselben leitenden Gedanken wiederfindet, die seine Väter dereinst beseelten, wird es „ihm leicht", sich dem Volke anzuschließen, in dessen Mitte er lebt, ein Erbe unter Erben seiner eigenen Vergangenheit. Vom kulturhistorischen Standpunkt sind dem- nach die Juden ein Volk gewesen. Ihr Kultur- besitz ist heutzutage in die Hände der höchst- entwickelten Völker übergegangen ; ihre Nach- kommen haben sich zum Teil in diesen Völkern aufgelöst, zum Teil innerhalb derselben ihre alte Kultur in der ursprünglichen Form bewahrt. Heut- zutage ist ein Jude kein Jude mehr, sondern ein Deutscher, ein Franzose, ein Engländer oder Portu- giese mosaischer Konfession. Hieraus ergibt sich, daß der Glaube allein heutzutage zur Definition der Juden nicht genügt. Betrachten wir die Juden vom anthropologischen Standpunkt aus, so ge- hören sie ihrer Abstammung nach der mittel- ländischen, weißen, früher indogermanisch, kau- kasisch oder arisch genannten Rasse an. Von den asiatisch-indischen Stammsitzen aus hat sich diese Rasse in drei Zweigen über die westlich gelegenen Länder verbreitet, der nordische über Nordeuropa, der romanische über die europäischen Mittelmeer- länder und der dritte über die afrikanischen Mittel- meerländer. Zu diesem dritten, nordafrikanischen Zweige zählen auch die Juden. Bei ihrem Auf- treten in der Geschichte waren sie bereits ein sehr hochstehendes Kulturvolk, bildeten demnach wie alle Kulturvölker keine reine Rasse im strengen Sinne des Wortes, sondern ein Gemisch der ver- schiedenen in ihnen aufgegangenen Urvölker. Was das für Urvölker waren, ist ebensowenig bei den Juden auszumachen, als bei der weißen Rasse überhaupt. Was in Europa als Judentypus angesehen wird, ist im Grunde genommen nichts anderes, als der Typus jenes dritten, nordafrikanischen Zweiges der großen, weißen Rasse, von dem die Juden die einzigen Vertreter innerhalb der anderen Rassen- zweige geworden sind. Charakteristisch für diesen Typus sind nament- lich die etwas wulstigen Lippen, die von der nigritischen Beimischung herrühren, ein mulatten- hafter Zug und die großen, meist dunkeln Augen mit stark entwickeltem oberen Augenlid. Diese körperlichen Eigenschaften sind aber, wie unser Autor durch eigene Anschauung betont, keines- wegs ausschließlich jüdische. Dieses ergibt sich sofort, wenn man von Europa aus in Gegenden kommt, die in größerem Maße oder vorwiegend vom dritten weißen Zweige bevölkert sind. So finden sich in Spanien, im Norden Afrikas, im Osten Europas auf der Balkanhalbinsel, in Klein- asicn zahlreiche „jüdische" und ,, judenähnliche" Gesichter. Bei den europäischen Juden kommen die Merk- male der weißen Rasse in ganz besonders scharfer Weise zum Ausdruck. Neben schlanken Gestalten finden sich zahlreiche andere, bei denen alles plump, kurz, dick ist, welche Zweiteilung sich wahrscheinlich bei allen Kulturrassen nachweisen läßt. Die europäischen Juden zeichnen sich aber nicht nur durch einen stärker ausgesprochenen Charakter der weißen Rasse im dritten Zweige aus, sondern auch durch einen größeren Prozent- satz von körperlich fehlerhaften Individuen sowohl vor dem Volke, in dem sie leben, als auch vor den nichteuropäischen Juden. AuI3er krummen Beinen, platten Füßen, runden Rücken, flachen Brustkasten finden sich bei ihnen erbliche kon- stitutionelle Krankheiten, wie Gicht, Zuckerharn- ruhr, rheumatische Leiden u. a. weit häufiger ver- treten. Im Gegensatz hierzu sind ihre geistigen Anlagen in ungewöhnlichem Maße entwickelt und übertreffen im Prozentsatz weit diejenigen ihrer Umgebung. Kranke und häßliche Juden sieht man häufig, dumme fast nie. Dieses läßt sich nach St ratz ungezwungen aus den sozialen Umständen erklären, in denen die Juden seit Jahrhunderten verkehrten. Durch eigenen Willen und durch äußeren Zwang nahmen sie eine isolierte Stellung unter den sie umgebenden Völkern ein, und waren daher auf stärkere Inzucht angewiesen, die ein immer stärkeres erblich werdendes Hervortreten der individuellen Charaktere zur Folge hatte. Viele Erwerbscjuellen, die einen kräftigen Körper ver- langen, so namentlich Jagd, Landbau und Kriegsdienst, waren ihnen verschlossen, so daß sich ihre Zuchtwahl mehr und mehr auf Vervoll- kommnung geistiger Eigenschaften verlegen mußte. So hat sich im Laufe der Zeiten der eigentüm- liche jüdische Typus gebildet, der in Europa als für den Juden charakteristisch angesehen wird. Es sind aber nicht nur Juden, die so aussehen, vielmehr ist es Tatsache, daß sich der jüdische Typus unter allen Rassen der Erde bei einzelnen Individuen und P'amilien findet. Baelz fand u. a. den semitischen Typus bei den Japanern, D e n i k e r unter den in starker Inzucht lebenden Todas, von den Steinen bei den Bakairi und St ratz selbst bei nordamerikanischen Indianern, z. B. den Creeks und Choctaws und bei den Indonesiern. Bei den Papuas und bei den Kaffern ist ebenfalls semitischer Typus konstatiert worden. Auch die alten Inkas haben häufig den „jüdischen" Typus besessen. St ratz kann aus eigener Erfahrung bezeugen, daß er edle jüdische Gesichter nicht nur in java- nischen F"ürstenfamilien, sondern auch in allen ur- deutschen und urfranzösischen Aristokratenfamilien sah und ebenso in alten niederländischen Familien. Der eigentliche rein jüdische Typus unter- scheidet sich demnach im wesentlichen nicht von dem des nordafrikanischen Zweiges der mittel- ländischen Rasse. Der in Europa als kennzeichnend N. F. m. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 519 aufgefaßte Judentypus ist keine Eigentümhchkeit der Juden allein, sondern findet sich mehr oder weniger häufig unter sämtlichen Rassen der Erde. Er ist weder ein Stammes- noch ein Rassen- charakter, sondern lediglich eine durch starke jahr- hundertelange Inzucht erblich gewordene Anhäufung von individuellen Abweichungen, eine stärkere Hervorhebung der Individualität im Gegensatz zu den allgemeinen Rassenmerkmalen. Dr. Alexander Sokolowsky. Gigantische Spermien beschreibt Ballowitz (Arch. f. mikrosk. Anatomie u. Entwicklungsgesch.). Sie stammen von Discoglossus pictus Otth., einem Batrachier, dessen Familie den Raniden ver- wandt ist. Die Samenfäden haben eine durch- schnittliche Länge von 2,5 mm, sind also etwa 50 mal so groß, wie die des Menschen. Aber das merkwürdigste an ihnen ist doch ihre Gestalt. Sie haben einen langgestreckten fadenförmigen Bau und sind über ihre ganze Eänge spiralig ge- dreht. Die vordere Hälfte gehört dem Kopf, die hintere dem Schwanz oder Geißelfaden an. Letz- terer ist stärker gedreht wie das Kopfstück und ist umgeben von einem im gleichen Sinne spiralig herumgewundenen Membranblatt, dessen Anhef- tungslinie den Achsenfaden in flachen Spiralen umläuft. Die freie Kante der Membran ist zu einem Randfaden verdickt, der seinerseits gewisser- maßen zu lang ist und dadurch die Membran wie eine Krause gefältelt erscheinen läßt. Am hinteren Ende des Samenfadens wird die Membran niedriger und der Randfaden verschmilzt schließlich mit dem Achsenfaden. Dagegen sind am vorderen Ende des Samenfadens die Windungen des Kopfes kürzer und höher und zugleich ist die Spitze des- selben von harter, brüchiger Konsistenz, ausge- zeichnet geeignet, um die Oberfläche des Eies zu durchbohren. Aber mit dieser komplizierten Spiraligkeit noch nicht genug! Am Verlötungs- punkte des Schwanzes mit dem Kopfe befindet sich ein dickeres \'erbindungsstück. ."^uch dieses zeigt noch spiralige Anordnung. Es legt sich um die Verbindungsstelle in i '/., bis 2 Windungen herum. Die Verbindungsstelle zwischen Schwanz und Kopf zeigt ebenfalls ein eigenartiges Ver- halten. Das vordere Ende des Schwanzes ist zu einem konischen Zapfen zugespitzt und in den Kopf hineingesteckt, etwa wie die einzelnen Teile einer Zeltstange ineinandergesteckt werden. Leider sind wir noch sehr weit davon entfernt, den Sinn aller dieser Vorrichtungen zu begreifen. Denn nach dem Prinzip, daß die Natur ihre Ziele auf die sparsamste Weise erreicht, muß jede ihrer Erscheinungsformen im letzten Ende entweder durch die Tätigkeit oder die Entwicklungsgeschichte derselben bedingt sein. Ernst Rüge. Blattformen von Quercus Hex L. — Wäh rend bei zahlreichen Pflanzen die Blätter außer- ordentlich einförmig und regelmäßig in der ihnen eigentümlichen Art ausgebildet werden und nur Größe und Dicke der Spreite einer gewissen Variabilität unterworfen ist, gibt es wieder andere, bei denen kein Blatt dem andern gleicht und tausenderlei Modifikationen des Grundplans dem aufmerksamen Beobachter entgegentreten. Be- kaimt ist diese letztere Erschei- nung ja in erster Linie vom Epheu. Hier unterscheiden sich zunächst die Blätter der freistehen- den blütentragenden Zweige durch ihre einfache Form von den gelapp- ten Blättern der kletternden Äste. Wenn man aber unter diesen beiden Hauptgruppen weitere Ver- gleiche anstellt, so sieht man, daß dieselben nicht scharf gesondert sind, sondern durch zahlreiche Mittelglieder ineinander übergehen. Können wir auch als Ursache des einfachen Dimorphismus die Ver- schiedenheit der Beleuchtung resp. der durch sie hervorgerufenen Transpiration er- kennen, so scheint uns dieses Erklärungsprinzip im Stiche zu lassen, wenn wir den Polymorphis- mus ins Auge fassen. Ein zweites Beispiel solcher Formenmannig- Fig. I. Normal- blatt von Qu. Hex L. Montpellier. Fig. la. Fig. 2 a. Fig- 3 a- Fig. 1 b. Fig. 2 b. Sonnenblätter von Qu. Hex L. la — 3a von sonnigem Standort. Ib-2b schattigem Standort. 520 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 33 fahigkeit liefern gewisse Eichen, besonders die in den Mittelmeerländern heimische Steineiche, Qucr- cus Hex L. An den beigefügten Bildern ist er- sichtlich, welchen Grad hier die Abweichungen erreichen können. Wer nicht wüßte, daß wir es hier mit ein und derselben Art, teilweise sogar mit Blättern desselben Baumes zu tun haben, untenstehende Sammlung sei im Jahr 120000 aus einer fossilführenden quartären Schicht ausgegraben worden und harre nun der wissenschaftlichen Gruppierung und Benennung. Der gelehrte For- scher wird die Abbildungen aller bekannten Eichen — denn daß es Eichen seien , habe er glücklich herausgefunden — aufschlagen und die ähnlichsten Fig. 4 .1 c/. Fig. 4a/5. Fig. 5 a ff. Fig. 5 a/?. Fig. 3 b. Fig. 4 b. Fig. 5 b. SchattenbläUer von Qu. Hex L. 4a — ja von sonnigem Standort Fig. 6. 3b — 5b und 6 von schattigem Standort. der würde hier eine ganze Sammlung verschiedener Spezies vermuten müssen. Das Normalblatt, wie es sich zumeist in Büchern und in den Köpfen der Systematiker der „guten Arten" festgesetzt hat, ist etwa das in der ersten Figur abgebildete. Jeder Kenner der Eichen würde dasselbe sofort richtig bestimmen. Nun stellen wir uns aber einmal vor, die ganze Formen heraussuchen. Er wird hierbei ungefähr zu folgendem Resultat kommen : 1 a dürfte Qu. Oajacana Liebm. aus Mexiko sein, oder Qu. reticulata H. u. B., eine auf den Bergen von Arizona, Neu-Mex. , u. Mex. wachsende Art. I b hat am meisten Ähnlichkeit mit Qu. cus- pidata Thg., die in der zweitwärmsten Zone Japans zu Hause ist. N. F. III. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 521 2 a kann Qu. arizonica Sarg, aus Neu Mex. od. dysophylla aus Mex. sein. 2 b hat etwelche .Ähnlichkeit mit gewissen Formen von Qu. virens Ait; die von Costa Rica bis N. Carolina in der Nähe der Küste gedeiht; oder auch mit dilatata Lindl. aus dem östlichen Himalaya. 3 a erinnert stark an Qu. Griesebachii Ky. aus Albanien und an phillyreoides aus Japan. 3 b dürfte Qu. sclerophylla Lindl. aus N. -China oder inversa aus N.-China, Hongkong und Japan, xanthoclada aus Tonkin oder endlich glaberrima Bl. aus Afghanistan sein. Auch Qu. hypoleuca Englm. aus dem mexikanischen Gebirge u. Jung- 5 3/9 kann Qu. Aegilops L. aus Epirus, glabres- cens Benth. von Orizaba, lusitanica Webb. vom Libanon, oder segoviensis Liebm. aus Guatemala sein. 5 b erinnert ebenfalls an Formen von Qu. Aegi- lops aus Cilicien u. Syrien, oder an persica Ky. aus Kurdistan u. .Sadleriana R. Br. aus dem Staate Oregon. 6 endlich ist Qu. brachystachys Benth. aus Guatemala, dilatata Lindl. aus Afghanistan, oder eine Form von agrifolia Nee aus Californien oder auch von semecarpifolia Wall, aus dem Himalaya. Der gelehrte Forscher stände also vor der schwierigen Frage, wie er ca. 35 Namen unter 13 Fig. 7- Blätter eines Baumes von Qu. falcata Mchx. a Sonnenblatt Schattenblatt. huhnii aus Java kommen dieser Form sehr nahe. 4a« ist unzweifelhaft die in Cypern endemische Qu. alnifolia Poech. 4a/i? hat als nächste Verwandte: Qu. faginea A. DC. aus Spanien, macedonica A. DC. aus Mace- donien u. Dalmatien, incana Roxb. aus Kumaon u. Nepal, Karduchorum Ky. aus dem Taurus u. glandulifera Bl. aus den Bergen Japans. 4 b erinnert noch stark an 3 b und dürfte daher ebenfalls als Qu. sclerophylla zu bestimmen sein. 5 a a entspricht am besten Qu. dumosa Nutt. aus Californien, coccifera L. aus dem Mittelmeer- gebiet, semecarpifolia Sm. aus der Baumgrenze des Himalaya (Nepal, Kumaon), spinosa A. David aus der chinesischen Provinz Hupeh, und chrysolepis Liebm. aus der Küstenkette des westlichen Nord- amerika. Bewerber verteilen soll, denn ich fürchte, auch wenn er der Übermensch in höchst eigenster Person wäre, würde er schwerlich auf den allein richtigen Ausweg verfallen. Wir können uns daher glück- lich schätzen, nicht selber in diese Klemme ge- raten zu sein, sondern alles als Qu. Hex L. be- stimmen zu dürfen; denn daß auch 5aa und alle übrigen sicher daher stammen, habe ich entweder mit eigenen Augen gesehen, oder es wird mir eben so sicher verbürgt durch den Namen von Herrn Dr. H. Christ, der mir einen großen Teil derselben zusandte. Nun ergibt sich aber aus dem Überblick über alle Möglichkeiten der Benennung, daß hier einzig solche Arten in Frage gekommen sind, die ein dem mediterranen mehr oder weniger klimatisch entsprechendes Gebiet bewohnen. Immer kehren die Standorte Mexico, südl. Ver. Staaten, 522 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 33 Kalifornien, Kleinasien, Persien, Afghanistan, Teile des Himalaya und Chinas, hie und da auch Japan wieder. Dies kommt nun nicht etwa daher, weil die Formen des Eichenblattes mit den hier an- geführten wenigen Arten erschöpft wären, — die 200 übrigen weisen noch ganz andere Gestalten auf — , aber diese letzteren bewohnen zum grötiten Teil auch ganz andere Gebiete. Wir sehen also daraus, daß das Klima den Spielraum der Variation der Blattgestalt festlegt, und daß ein bestimmtes Klima in einer gewissen Pflanzengruppe eine ganz bestimmte Normalform erzeugt hat, welche die verschiedensten Arten dieser Gruppe hier zu ver- wirklichen streben. Nun sind aber an ein und demselben Ort die klimatischen Faktoren manchen Schwankungen unterworfen und es muß daher, wenn der obige Satz richtig ist, von vornherein zu erwarten sein, daf5 die kleineren Abweichungen der Form auch diesen Klimaschwankungen parallel gehen werden. Dies ist nun in der Tat bei Qu. Hex in auffallender Weise der Fall. Der Serie A unserer Abbildungen stellt Pflanzen von sonnigen, die Serie B solche von schattigen Standorten, also aus dichteren Beständen dar. i a — 3 a, sowie i b bis 2 b sind .Sonnenblätter, 4 a — 5 a und 3 b — 6 Schattenblätter dieser Reihen. Was die Serie A von B unterscheidet ist hauptsächlich die geringere Größe der ersteren, die offenbar mit dem geringeren Wassergehalt des Bodens und der erhöhten Trans- spiration zusammenhängt. In beiden Serien sehen wir aber mit dem Übergang vom Sonnen- zum Schattenblatt zahlreiche Zähne oder kurze Lappen, Stacheln und fadenartige Verlängerungen der Sekundärnerven erscheinen. Die verminderte Wasser- abgabe im Schatten, resp. der die Verdunstung überwiegende Wasserandrang treibt die Sekundär- nerven über den Rand des Blattumfanges heraus. Am schattigen Standort vermag auch das zwischen den Sekundärnerven gelegene Gewebe diesem Wachstum zu folgen, während am sonnigen Stand- ort hier doch die Transpiration die Entwicklung hemmt, daher dort Fadenlappen, hier Zahnbuchten entstehen. Dementsprechend sehen wir auch bei den zur Vergleichung herbeigezogenen Arten die Herkunft: Himalaya, China oder nördlichere Ge- biete Amerikas besonders bei den Schattenblättern ähnlichen Typen wiederkehren, was darauf hin- weist, daß bei der Entstehung dieser Formen die- selben physikalischen Ursachen wirksam gewesen sein müssen wie hier. Ich habe in einer früheren Arbeit den genaueren Vorgang dieser Lappen- und Buchtenbildung an Hand von Experimenten be- schrieben (Flora 1902). Qu. Hex ist nicht die einzige Eichenart, die diese Einflüsse klimatischer Faktoren auf die Blatt- gestalt so schön studieren läßt. Ganz in gleicher Weise reagieren auch die Blätter von Qu. chryso- lepis Libm., dumosa Nutt., dilatata Lindl., seme- carpifolia Sm. und spinosa A. David. Die Ver- änderungen der Form entsprechen bei diesen Arten ganz genau denjenigen von Qu. Hex und auch hier gehen sie in gleicher Weise den Transpira- tionsbedingungen parallel. Daß sich die nördlichen Arten in Beziehung auf den Einfluß gesteigerter Verdunstung in ge- wissem Sinne umgekehrt verhalten, habe ich in der oben erwähnten Arbeit schon gezeigt. Da ich jedoch gerade ein sehr instruktives Beispiel dieser Art von Herrn Prof Dr. R. E. B. Mc Kenney in Washington erhalten habe, sei dies noch beigefügt. Bei Qu. falcata Mchx. (Fig. 7) wird, wie bei allen gelappten und fadenlappigen Formen, durch die gesteigerte Transpiration die Ausbildung der Blatt- substanz zwischen den hier weiter auseinander- liegenden Sekundärnerven gehemmt und es ent- stehen am Sonnenblatt die tiefen Buchten. Beide Blätter stammen von demselben Baum. Dr. W. Brenner. Zur Systematik der Erdkunde. — Kürzlich hat I"'. V. Richthofen in einer gedankenvollen Rektoratsrede über „Triebkräfte und Richtungen der Erdkunde im 19. Jahrhundert" von neuem daraufhingewiesen, daß die Anfänge der Geographie ungeschrieben sind, weil sie schon in vorgeschicht- licher Zeit liegen. ,,Früh wendet sich der Geist großer Denker dem höchsten Probleme des Wesens der Dinge, der Anordnung des Universums und der Gestalt der Erde zu ; .... aber auf den meisten Gebieten der Erdkunde, zu denen auch der Gesamtbereich der physischen Geographie ge- hört, konnte wissenschaftliche Behandlung nur wenig vor Beginn des 19. Jahrhunderts eintreten; denn erst mußten andere grundlegende Wissen- schaften derselben fähig sein." So ist die neuere P>dkunde erst im verflossenen Jahrhundert an der Berührungsstelle völkerkundlicher, geschichtlicher, Staats- und volkswirtschaftlicher Wissensgebiete mit fast der ganzen Reihe der Naturwissenschaften erwachsen, und wie stets bei jungen Wissenschaften, welche die Grenzen ihrer Forschung erst abstecken, zeigt trotz des ehrwürdigen Alters der Erdkunde die geographische Auffassung und Methode viel subjektive Eigenart der Forscher, ein weites Aus- einandergreifen der leitenden Gesichtspunkte, unter denen die Tatsachen angeschaut werden. Diese lebensvolle Mannigfaltigkeit derRichtun- gen bei der Erkenntnis erdkundlicher Gegen- stände ist von höchstem Reiz; aber es ist auch notwendig, in der Gesamtheit der Forschungen sich immer wieder der Einheitlichkeit der geographischen Wissenschaft zu erinnern. Des- halb ist jeder Versuch einer brauchbaren S>'Ste- matik mit Dank zu begrüßen. Das neue umfang- reiche Verzeichnis des großen Bücherbesitzes der Berliner Gesellschaft für Erdkunde bietet solche Systematik der Erdkunde. Sie ist vom Bibliotheks- assistenten Herrn Dr. Dinse entworfen. Selbstverständlich ist vor allem die „Allge- meine Erdkunde" von der „Länderkunde" geschieden. Hat diese es mit der Summe aller Erscheinungen zu tun, welche die Eigenart eines örtlich umgrenzten Gebietes ausmachen , so ver- folgt jene unter sich gleichbleibenden Gesichts- punkten gewisse Kräftewirkungen oder tatsächliche Zustände über den ganzen Erdball hin, greift auch N. F. III. Nr. 33 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. 523 wohl über ihn hinaus ins Weltall. — Die Literatur, welche sich mit allgemeiner Erdkunde beschäftigt, teilt Dr. Dinse, wenn man von der Bibliographie, den Sammel- und Festschriften, den Arbeiten über Onomatologie absieht, in 8 Gruppen. Die ersten beiden befassen sicii mit der Geschichte der Erdkunde und mit der der Kartendarstellungen. Die Unterabteilungen der Geschichte der Erdkunde halten die Einteilung in Vorgeschichte (iVIythen), Altertum, Mittelalter, Zeit der Entdeckungen, Neuere Zeit (16. — 18. Jahrh.) und Gegenwart fest; doch wird im einzelnen nicht rein zeitlich, sondern auch sachlich angeordnet, beispielsweise im Ab- schnitt ,, Zeitalter der Entdeckungen" der Weg nach Süd und Ust \'on dem nach West und dem nach Südwest geschieden. Die Geschichte der Kartographie ist natürlich in Gruppen zerlegt, die denen der Geschichte der Erdkunde entsprechen; denn die zeichnerische Wiedergabe geographischer Tatsachen ist zunächst an dieEntwicklung der Kennt- nisse von ihnen gebunden. Was man unter die tech- nischen und mathematisch-wissenschaftlichen F'ort- schritte der Kartographie zu rechnen hat, gehört einem anderen Abschnitt an. Die 3. und 4. Gruppe befaßt sich mit Methodologie, zu der auch der Unterricht gehört, und Enzyklopädie. Vom überquellenden Reichtum erdkundlicher F^or- schungen geben nun aber die folgenden 3 Haupt- gruppen Zeugnis : Physische Geographie , Biogeo- graphie, Anthropogeographie. Die physische Geographie umfaßt Kosmologie, mathematische Geographie mit ihren Unterabteilungen wie der Ortsbestimmung, Geodäsie und Gradmessung, Kartenkunde, ferner die physikalische Geographie (Geophysik) mit ihren Untersuchungen über Rotation, Schwere, Wärme der Erde und Magne- tismus nebst Polarlichtern. Dann folgt nach den Aggregatszuständen geordnet die Lehre von der Atmosphäre, also Meteorologie und Klimatologie, die von den Wassermassen (Ozeanologie) und die von den Gesteinen (Geologie). Freilich wirken Wind und Wasser gemeinsam oder für sich auf die Gesteine und erzeugen gerade dadurch die geographischen Formen. Deshalb reiht sich als umfassendste Unterabteilung der physischen Geo- graphie noch die Geomorphologie an mit sehr ansprechender Systematik ■ im einzelnen. Hier sind unterschieden die erdbildenden Kräfte von der Zuständlichkeit der durch sie erzeugten Er- scheinungen. Die Kräfte gruppieren sich in endo- gene (Vulkanismus, Erdbeben, Gebirgsbildung) und exogene (chemische und mechanische V^erwitterung, Wirkung des fließenden Wassers, des festen Wassers [Gletscher!], des Windes). Die beschreibende Be- handlung der Formen auf der Erdoberfläche ist dagegen Morphographie, die wieder viele Unter- abteilungen aufweist: Potamologie, Limnologie, Speleologie u.a.m. Einfacher zu überblicken ist die Biogeographie; denn für den Geographen kommt bei der Betrachtung des Tier- und Pflanzen- lebens in Betracht außer der Paläontologie nur die Scheidung der Tier- und Pflanzenwelt einer- seits in die F'ormen auf dem festen Lande, anderer- seits in die Meeresorganismen. Verwickelter zu überschauen ist dagegen die Anthropogeogra- phie. Hier stehen neben der allgemeinen und vergleichenden Urgeschichte, Anthropologie und Ethnologie die Lehren von der Bevölkerungsdichte nebst der Siedelungskunde, die Wirtschaftsgeogra- phie, zu der die Produktenkunde, Behandlung der Wirtschaftsformen, Betrachtung der Kulturpflanzen und Haustiere, Lehre vom Gewinn der Mineralien und von der geographischen Verteilung der Indu- strien und Gewerbe gehören, und schließlich die wichtigen .•\bschnitte über Geographie des Handels, politische Geographie, Kolonisation und medizini- sche Geographie. Den Schluß bildet die ,, Geo- graphie der politischen und wirtschaftlichen Völker- geschichte, ein Zweig der allgemeinen Erdkunde, der wie manche andere in den letzten beiden Gruppen erst eben anfängt, wirklich wissenschaft- liche Früchte zu tragen, obschon man sich, so- lange es eine Geschichtsbeschreibung gibt , mit dem geographischen Zustande von Ländern und X^ölkern in vergangenen Zeiten beschäftigt hat. Die Literatur, welche sich mit der Länder- kunde befaßt, wird natürlich nach den Einzel- gebieten eingeteilt. Die .•\bgrenzung der Erdräume voneinander erfolgt im Bücherverzeichnis nach politischen Grenzen, weil diese linear am schärf- sten, zudem am wenigsten umstritten trennen und zusammenfassen. Die wissenschaftliche Erdkunde pflegt die Erdoberfläche im Anschluß an die Leit- linien ihres Aufbaues nach den natürlichen Land- schaften in kleinere und kleinste Einheiten zu zer- legen, die mit den politischen Grenzen meist wenig gemein haben ; aber viele Übergänge zwi- schen diesen natürlichen Landschaftseinheiten sind verwischt, erfolgen sehr allmählich und lassen subjektiver Auffassung der Beobachter weiten Spiel- raum. Dieser Teil der Arbeit von Dr. Dinse hat mehr für Bibliothekare als nachahmungswerter Anordnungsplan für Bücheraufstellungen Wert als für eine allgemeine Systematik der erdkundlichen Wissenschaft. Dr. F. Lampe. Vereinswesen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde. — In dem großen Hörsaale der Urania in der Taubenstraße hielt im /auftrage der Gesellschaft am Freitag, den 8. Januar, abends 8 Uhr, der ständige Assistent an der kgl. Tech- nischen Hochschule, Herr Dr. G. Naß, einen prächtig ausgestatteten Experimentalvortrag über „Die Entwicklung des Beleuchtungswesens". Aus- gehend von der primitivsten Lichtquelle, mit der Jahrtausende hindurch die Menschheit sich mühte, das Dunkel zu erhellen, dem noch bis zum heutigen Tage in den Bauernhütten des Sternberger Kreises vielfach anzutreffenden Kienspan, streifte der Herr Vortragende die im klassischen Altertum erschei- nende Öllampe, neben der in den ersten nachchrist- lichen Jahrhunderten die Wachskerze und geraume 524 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 33 Zeit später die Talgkerze auftaucht. Viele Jahr- hunderte ruhte nun die Erfindertätigkeit, bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts auf Grund der verdienstvollen Untersuchungen des französischen Chemikers Chevreul über die Natur der Fettsäuren dadurch ein großer Umschwung in der Kerzen- beleuchtung eintrat, daß die natürlichen F'ette durch nach besonderenVerfahren gereinigte ersetzt wurden. De Milly in Paris war es, der in den dreißiger Jahren die ersten Stearinkerzen fabrikmäßig herstellte. Aber inzwischen war ein anderer gewaltiger Fortschritt im Beleuchtungswesen erzielt worden. Im Jahre 1808 erschien zum erstenmal das Gas als Be- leuchtungsmittel in den Straßen Londons, das Fhilosophenlicht, wie es spottweise genannt wurde. Paris folgte 181 5, Berlin 1826 und noch später Städte wie Leipzig, Dresden, Frankfurt a. M. u. a., ja PVankfurt a. O. erst 1859. Eine nicht minder wichtige Erfindung ging voraus, der Lampen- zylinder, dessen Prinzip, erhöhte und gleichmäßige Luftzufuhr und dadurch bewirkte vollständigere Ver- brennung, bereits Leonardo da Vinci richtig er- kannt hatte; erhöht wurde diese Wirkung noch durch die Einführung des Argand'schen Rund- brenners an Stelle des einfachen Schnittbrenners. Allein die bedeutenden Herstellungskosten und Vorurteile mannigfacher Art verhinderten anfäng- lich die ausgedehntere Verwendung von Leucht- gas zu Beleuchtungszwecken, so daß es in den meisten Haushaltungen bei der Verwendung von Öllampen, zumal nach dem allgemeinen Ersatz der bis dahin üblichen Brennöle durch Petroleum in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, sein Bewenden hatte. Und auch die Technik legte die Hände in den Schoß, obwohl vereinzelte Versuche gezeigt hatten, in welcher Weise die durch ge- eignete Luftzufuhr zwar heißer, aber wegen der vollständigeren Verbrennung der glühenden Kohlen- teilchen um so schwächer leuchtend gewordene Flamme (Bunsenbrenner) zur Erzielung einer hohen Leuchtkraft konnte verwertet werden. Man brauchte in ihr nur gewisse Substanzen zur Weiß- glut zu bringen, um ein intensives Licht zu er- halten. So erfand Drummond das nach ihm be- nannte Kalklicht; auch wurde 1848 bereits in Leipzig ein Patent darauf genommen, durch Ein- führung eines mit einer Mischung von Kalk und Kreide überzogenen Gewebes in eine Spiritus- flamme einen, allerdings nur recht schwachen Lichteffekt zu erzielen. Allein es blieb bei diesen vereinzelten Versuchen. Da kam mit Anfang der achtziger Jahre das elektrische Bogenlicht und bald darauf das Edison'sche Glühlicht. Nun schien die Technik wie aus einem Schlaf zu er- wachen. Erst tauchte 1885 der stärkste Konkurrent des elektrischen Glühlichts, das Gasglühlicht des Wiener Gelehrten Dr. Karl Auer Ritter von Wels- bach auf, vorher schon kamen die bedeutenden Verbesserungen der Gasbrenner, die Regenerativ- brenner von Schülke und Friedrich Siemens, bei denen nicht nur die zur Verbrennung dienende Luft, sondern auch das zur Verbrennung kom- mende Gas vorgewärmt wird und die bis zu 2000 Kerzen Leuchtkraft haben. Das Prinzip des Glühstrumpfes beruht darauf, daß in der sehr heißen, aber nicht leuchtenden Gasflamme ein feinmaschiges Netz, welches aus sog. Erden, im wesentlichen Thorerde, gebildet wird, zur Weißglut erhitzt wird. Um solches Glühlicht auch Orten zugänglich zu machen, die über Gas nicht ver- fügen, hat man neuerdings mit Erfolg Spiritus- und Petroleumglühlichtlampen hergestellt. Dabei ist die Gasglühlichttechnik auch in der Ausstattung und Anbringung der Lampenkörper genau den Wegen der elektrischen Glühlichtbeleuchtung ge- folgt und hat darin großartige Effekte erzielt. Es sei hier nur der Gasglühlichtkerze von Spinn & Sohn und des hängenden Glühlichts von Ehrich & Grätz, Berlin, gedacht. Als neuer Konkurrent aller Lichtarten erschien das Acetylengas, welches sich bildet, wenn Calciumkarbid, durch Vereinigung von Kalk und Kohle im elektrischen Lichtbogen gewonnen, mit Wasser in Verbindung tritt. Das starke Rußen der Flamme wird durch entsprechend konstruierte Brenner beseitigt. Ein besonders hoher Lichteffekt kam zustande, als Acetylengas durch einen Bunsenbrenner geleitet, einen Auerstrumpf ins Glühen brachte. Mit Erfolg hat man sich eines Gemisches von 3 Teilen F"ettgas und i Teil Acetylengas zur Beleuchtung von Eisenbahnwagen bedient. Den Beschluß des durch zahlreiche Experi- mente und durch Vorführung einer großen An- zahl seitens der verschiedensten Firmen freund- lichst zur Verfügung gestellter Beleuchtungssysteme reich illustrierten Vortrags bildete die Demon- stration der verschiedenen Fernzünder, wobei be- sonders die elektrischen Apparate der Firma Schäffer u. Walcker Aufsehen erregten. Am Dienstag, den 19. Januar, hielt im Bürger- saale des Rathauses der kaiserl. Reg.-Rat Herr Prof. Dr. Kossei einen Vortrag über ,, Serum- therapie und Serumforschung". Dem großen Aufschwung, so führte der Herr Vortragende aus, den die Bakteriologie durch die Entdeckungen Robert Kochs genommen hat, ist es zu verdanken, daß es heute eine Serumtherapie und Serumforschung gibt, war es doch Koch, der vor etwa 20 Jahren durch die Entdeckung ge- eigneter Methoden für die Beobachtung und Züch- tung von Bakterien das genauere Studium dieser Krankheitserreger ermöglichte. Seit jener Zeit sind von ihm selbst und seinen Schülern die meisten der zu den Bakterien gehörenden Erreger der ansteckenden Krankheiten bei Menschen und Tieren als solche erkannt und in ihren Eigenschaften eingehend studiert worden. Die Züchtung auf den von Koch angegebenen Nährböden und nach dem von ihm angegebenen Verfahren gestattete erst den Nachweis, ob und welche Bakterien in einem bestimmten Medium in lebensfähigem Zustand vor- handen sind, und gab damit erst die Möglichkeit festzustellen, ob gewissen Stoßen eine Einwirkung auf die Bakterien zukommt, ob sie imstande sind N. F. m. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 525 Bakterien abzutöten (zu desinfizieren) bzw. sie in ihrer Entwicklung zu hemmen, oder ob sie sonst Bakterien zu beeinflussen vermögen. Um zu ergründen, worauf die Unempfänglichkeit gewisser Tiere gegen manche Bakterien beruht, begann man nun bald auch die Körperflüssigkeiten von Tieren zu jenen Untersuchungen heranzuziehen. Gerade durch das Studium der natürlichen Im- munität konnte man hoffen der Natur ihr Ge- heimnis abzulauschen und eine Immunität auf künstlichem Wege zu erzielen, ein Weg, der be- reits von dem großen französischen Gelehrten Pasteur mit Erfolg beschritten worden war. Zunächst fragte man sich, wie es kommt, daß im Gegensatz zu den krankheitserregenden oder „pathogenen" Bakterien gewisse andere Bakterien, die man als „saproph\'tische" bezeichnet, Tieren in die Blutbahn eingespritzt werden können, ohne daß diese krank werden und ohne daß bei einer späteren Untersuchung des Blutes irgendeine Spur von den eingespritzten Keimen sich finden läßt. Der Versuch nach der Koch'schen Methode lehrte, daß die beim Gerinnen aus dem Blut sich abscheidende Blutflüssigkeit, das Blutserum, auf manche Bakterien eine abtötende Wirkung ausübt. Nach den verdienstvollen Arbeiten des verstorbenen Münchener Hygienikers Buchner nahm Behring, damals Assistent von Koch, der als Entdecker des Diphtherieheilserums in aller Welt bekannte For- scher, diese Untersuchungen mit Nachdruck auf. In erster Linie suchte er festzustellen, ob das Blut von Tieren, die gegen Bakterien, welche bei anderen Tieren Krankheiten erzeugen, von Natur immun sind, diesen Bakterien gegenüber eine abtötende Wirkung erkennen läßt. In der Tat zeigte sich in gewissen F"ällen ein solches Verhalten. Nun hatte man gelernt, daß eine Immunität gegen Krankheitserreger auch von einem Individuum erworben werden kann, daß Tiere, die eine Infektion mit einem pathogenen Bakterium durchgemacht hatten, ohne Schädigung ihrer Gesundheit eine zweite Infektion mit demselben Bakterium -überstanden, eine Er- fahrung, die man ja auch bei gewissen Krank- heiten des Menschen hatte machen können. Auch hier konnte Behring nachweisen, daß das Blut- serum des immun gewordenen Tieres bakterien- tötende Eigenschaften, die es vorher nicht besaß, aber immer nur der betreffenden Bakterienart gegenüber, annehmen kann. Nun gelang Behring auch der weitere Versuch, durch Übertragung des Blutserums von einem immun gemachten Tiere auf ein anderes dieses letztere gegen die in Betracht kommende Bakterienart zu immunisieren. Damit war die Grundlage gegeben für die Schutz- impfung mittels Serum und die Serumtherapie, welche eine so große Bedeutung für die Medizin gewinnen sollte. Die ersten Krankheiten, bei denen Behring und seine Mitarbeiter die schützende Wirkung des Blutserums immunisierter Tiere feststellen konnten, waren der Wundstarrkrampf und die Diphtherie. In beiden Fällen erzeugen die in den Körper ge- langten Keime ein Gift, gegen welches sich das Blutserum eines Tieres, das die entsprechende Krankheit überstanden hat, als wirksames Gegen- gift erweist. Ein Serum , welches derartige Gegengifte enthält , nennt man ein a n t i t o x i - seh es Serum. Allein es bedurfte noch vieler und mühsamer Arbeit, ehe es gelang, die durch den Tierversuch gewonnenen Erfahrungen zum Nutzen der leidenden Menschheit zu ver- werten. Daß diese xArbeit schließlich von so schönem Erfolg gekrönt wurde, ist zum erheb- lichen Teil ein Verdienst Paul Ehrlichs, der bei Untersuchungen über das Ricin, das Gift der Ricinussamen, und das .^brin, das Gift der Je- quiritybohne, gefunden hatte, daß Tiere gegen diese Gifte immunisiert werden können, wenn man sie mit langsam steigenden Mengen behandelt, und daß mit der Giftfestigkeit der Tiere in ihrem Blute in immer steigenden Mengen Gegengifte in glei- cher Weise wie beim Tetanus- und Diphtheriegift auftreten. .Auf dieser Beobachtung beruht die noch jetzt vorwiegend gebräuchliche Methode der Gewinnung des Diphtherieserums von Pferden. Das von einem in seiner Giftfestigkeit hochge- triebenen Pferde gewonnene Serum besitzt sowohl schützende als auch heilende Eigenschaften, und schon seit etwa 9 Jahren wird überall in der ganzen Welt die Einspritzung solchen antitoxischen Diphtherieserums mit glänzendem Erfolg ausgeübt. Freilich ist eine sorgfältige Kontrolle des Serums, bevor es an die Apotheken abgegeben wird, not- wendig, und diesem Zwecke dient das unter Ehr- lichs Leitung stehende kgl. preußische Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt a. M. Auch kann nicht genug betont werden, daß man bei Diphtherie nicht zu lange mit der Anwendung des Serums zaudern soll, damit nicht die Vergiftung des Körpers zu weit vorgeschritten ist. Nicht bei allen Infektionskrankheiten liegen die Verhältnisse so günstig wie bei den eben er- wähnten, indem es nicht immer gelingt, die spe- zifischen Gifte in genügender Menge zu gewinnen, um Antitoxine in dem Blute der Impftiere zu er- zeugen. Bei gewissen Infektionskeimen kommt es zur Bildung von nur schützenden, nicht aber heilen- den Stoffen im Blutserum, indem wohl die krank- heitserregenden Bakterien abgetötet, nicht aber die von ihnen bereits abgesonderten oder in der Bakterienzelle noch sitzenden Gifte aufgehoben werden. Solche Sera, welche als bakterizide von den antitoxischen wohl zu unterscheiden sind, wirken also schützend, wenn sie vor der Infektion oder allenfalls in den ersten Stadien der Infektion in den Körper aufgenommen werden. Derartige Sera hat man mit Erfolg angewandt bei manchen Tierkranheiten , wie Schweinerotlauf, und durch das von dem Leiter des hessischen Veterinär- wesens Lorenz besonders ausgebildete Verfahren der Schutzimpfung der Schweinebestände ist die Landwirtschaft schon vor großem Schaden bewahrt worden; auch bei anderen Tierkrankheiten, wie Schweineseuche, Geflügelcholera, sowie dem Milz- 526 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 33 brand der Rinder werden neuerdings ähnliche Methoden empfohlen. Ebenso scheint man gegen die Beulenpest ein wirksames Schutzmittel ge- funden zu haben; dagegen sind mit dem Cholera- und dem Typhusserum, eben wegen des Mangels an antitoxischen Stoffen, besondere Heilerfolge noch nicht erzielt worden. Wohl aber besitzen diese Sera sehr wichtige Eigenschaften, die sich bei der Bekämpfung dieser Krankheiten verwerten lassen. Mit der Bildung von Antitoxinen und bakteri- ziden Stoffen sind nämlich die Mittel, durch die sich der Tierkörper gegen eine Bakterieninvasion zu schützen sucht, noch nicht erschöpft. Gibt man einem Tropfen einer Kultur der sehr lebhaft beweglichen Typhusbazillen eine Spur von Typhus- serum bei, so sieht man in kurzer Zeit die Bakterien ihre Beweglichkeit verlieren und sich zu Haufen zusammenballen. Man nennt diese Erscheinung Agglutination, und ein Serum, welches eine solche Wirkung ausübt, ein agglutinierendes Serum. Da wie bei den Wirkungen der antitoxischen und der bakteriziden Sera auch bei den agglutinieren- den eine strenge Spezifität herrscht, so liegt ihre Bedeutung für die Diagnose am Krankenbett auf der Hand, spielt doch die bakteriologische Diagnose bei der von Robert Koch eingeführten Methode der Bekämpfung der Volkskrankheiten eine wesent- liche Rolle. Aber nicht nur gegenüber Bakterien, sondern auch gegenüber einer ganzen Reihe anderer dem Tierkörper eingespritzten Stoffe bilden sich im Blute Gegenstoffe; so gibt es Serumantitoxine gegen das bereits erwähnte Ricin und .Abrin, des- gleichen gegen Schlangengift und auch gegen alle möglichen anderen Stoffe, sofern diese selbst Ei- weißkörper oder nahe verwandte Stoffe sind, denn gegen anorganische Gifte und gegen Alkaloide kommt es merkwürdigerweise nicht zur Antitoxin- bildung im Tierkörper. Von den eiweißartigen Giften haben diejenigen eine große Bedeutung für die Serumforschung gewonnen , welche im- stande sind, rote Blutkörperchen aufzulösen, weil man mit ihnen Versuche im Reagenzglas an- stellen kann. Nicht nur eine groi5e Zahl chemi- scher und thermischer Einflüsse macht das Blut lackfarben, sondern auch eine ganze Reihe von Bakterien erzeugen derartige Hämolysine, ebenso wirken Drüsensekrete von Tieren, wie Schlangen- gift, Gift der Kreuzspinne hämolytisch, .^ber auch das Blutserum mancher Tierarten übt auf die roten Blutkörper anderer Tierarten eine solche hämo- lytische Wirkung aus, so z. B. löst das Blutserum eines mit Kaninchenblut injizierten Meerschwein- chens die roten Blutkörper im Kaninchenblut auf, aber auch nur diese, oder allgemeiner ausgedrückt : Blut von einer Spezies A, welches mit^roten^Blut- körperchen einer Spezies B vorbehandelt ist, er- hält die Fähigkeit, die roten^BlutkörperchenJder Spezies B aufzulösen. Wir haben also analog dem bakteriolytischen hier ein hämolytisches Serum. In ähnlicher Weise kann man Sera gewinnen, welche auf andere Körperzellen tötend wirken. Diese zellentötenden Stoffe des Blutserums werden alsCytotoxine bezeichnet. So kann man Sera herstellen, die gegen Flimmerepithelien wirken, ferner solche, die Spermatozoen beeinflussen, andere wieder gegen Leukozyten, gegen Nierenepithelien, gegen Leberzellen usw. Man hat sogar auf diese Weise auf die Zellen bösartiger Neubildungen bei Krebskranken abtötend einzuwirken versucht. Bei den Versuchen im Reagenzglas hat man noch eine andere Eigenschaft des Serums von Tieren entdeckt, die mit Eiweif^stoffen vorbehandelt sind. Es vermag Niederschläge in den Lösungen der betreffenden Eiweißkörper hervorzurufen. Ein solches Serum nennt man ein präzipitieren- des Serum. Diese spezifisch eiweißfällende Eigen- schaft stellt sich nun auch bei dem Blutserum eines Tieres, z. B. eines Kaninchens ein, wenn man diesem Bluteiweiß vom Menschen einspritzt. Durch Zusatz dieses Serums zu einer selbst sehr stark verdünnten Lösung von menschlichem Bluteiweiß wird ein Niederschlag hervorgerufen, aber nicht in Lösungen von tierischem Bluteiweiß. Diese Tatsache ist von einer außerordentlichen Bedeutung für die gerichtliche Medizin geworden , denn selbst ganz alte, angetrocknete Blutflecken lassen durch jene Methode ihre Herkunft erkennen. Eine Vergleichung des Verhaltens der durch Injektion von Bluteiweiß von verschiedenen Tierarten ge- wonnenen Blutsera hat dabei zu der Feststellung von allgemein naturwissenschaftlichem Interesse geführt, daß die Eiweißkörper des Affen denen des Menschen am nächsten stehen. — Eine große Anzahl von Mitgliedern hatte sich am Sonntag, den 31. Januar, im kgl. Museum für Naturkunde eingefunden , wo der Kustos , Herr Prof Dr. Tornier, biologische Demonstrationen in der anatomischen und Kriechtiersammlung vor- nahm. — In den Räumen der kgl. Landwirtschaftlichen Hochschule hielt in der Zeit vom 11. Januar bis 15. Februar für die Mitglieder der Gesellschaft Herr Prof Dr. Börnstein einen Zyklus von sechs Vorträgen über „Das Wetter und seine Vor- hersage". I. A.: Dr. W. Greif, I. Schriftführer. Berlin SO 16, Köpenickerstraße 142. Bücherbesprechungen. Meyers Grofses Konversations- Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auflage, ^lit mehr als 1 1 000 Abbildungen, Karten und Plänen im Text und auf über 1400 Illustrations- tafeln (darunter etwa 190 Farbendrucktafeln und 300 selbständige Kartenbeilagen) sowie 130 Text- beilagen. 6. Band (Erdessen bis Franzen). (Verlag des Bibliographischen Instituts in Leipzig und Wien.) 1904. — Preis geb. 10 Mk. Einen großen Raum nehmen in dem vorliegenden N. F. m. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 527 Bande die Artikel aus dem Gebiete der Elektrizität : „Fernmeldeapparat", „Fernsprecher", „Fernphotograph", ein. Unter dem Stichwort „Feuer" und den an- schließenden Artikeln: „Feuerlöschmittel", „Feuer- schutz" etc., sind die gegen Feuersgefahr vorhandenen Schutzmittel ausführlich behandelt und durch mehrere Tafeln veranschaulicht. .»^us dem Gebiete des .Ma- schinenwesens greifen wir nur die Artikel ,,l''ahrrad", „Faßbaumaschinen" , „Feldeisenbahn" , „Feuerluft- maschinen", „Filterpresse", „Fördermaschinen" heraus. Von weiteren Artikeln der Technik erwähnen wir: „Ergograph", „Estrich", „Feder", „Festigkeit", „Feue- rungsanlagen", „Filtrieren", „Flaschenzug", „Flußver- messung". Die Naturwissenschaft ist wieder weitgeliends berücksichtigt ; wir führen nur die Artikel : „Erd- früchtler", „Erle", „Erzlagerstätten", „Esche", „Euca- lyptus", „Eulen", „Euphorbiazeen", „Farne", „Fichte", „Fische", „Flechten", „Fledermäuse", „Fortpflanzung" an. In das Gebiet der Physik und Chemie, Geologie und ^Mineralogie greifen die Artikel : „Erdgas", „Erd- strom", „Erz", „Erzlagerstätten", ,,?>ssig", „Essigsäure", „Fette", „Fluor", „Fluoreszenz", „Flußspat", „Foucault". Die Länder- und Völkerkunde ist durch die Artikel : „Erdkunde", „Eskimo", „Esthland", „Finnland", „Flan- dern", „?'lorenz", „Florida", „Frankfurt a. M." sowie die Sammelaitikel ,, Europa" u. „Frankreich" vertreten. Besondere Beachtung verdienen die Tafeln , deren Anzahl gegen die frühere Auflage eine bedeutende Vermehrung erfahren hat. Wir führen namentlich die farbigen Tafeln: „Euphorbiazeen", „Farne", „Fasanen", „Prachtfische der südlichen Meere", „Flaggen", „Flech- ten", „Fliegen- und Schneckenblumen", „Forstinsekten", auf. Eine besondere Textbeilage: ,,Die wichtigsten Erfindungen" wird in zweifelhaften Fällen gute Dienste leisten. Die Entwicklung des iederrheinisch - West- fälischen Steinkohlenbergbaus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bd. I. Geolo- gie, Markscheidewesen. Berlin, Julius Springer, 1903. Der vorliegende i. Band des literarischen Sammel- werkes über den Ruhrkohlenbergbau behandelt in seinem umfangreicheren ersten Abschnitt die geologi- schen Verhältnisse des Gebietes , im zweiten die Markscheiderei. An der Bearbeitung waren der verstorbene berggewerkschaftliche Geologe, Dr. Leo C r e m e r , dessen Nachfolger Bergassessor Hans M e n t z e 1 und Professor Dr. B r o o c k m a n n sowie Älarkscheider Lenz beteiligt. Auf eine allgemeine geographische und geologi- sche Übersicht sowie einen kurzen Tgeschichtlichen Rückblick auf die Fortschritte der geologischen Forschung im Ruhrbezirk folgt zunächst eine Be- sprechung der liegenden Schichten , des Devons, Unterkarbons und flötzleeren Sandsteins. Den Haupt- teil bildet naturgemäß die Beschreibung des flotz- führenden Kohlengebirges, seiner Begrenzung und stratigraphischen Gliederung, sowie seiner durch Fal- tung, Überschiebungen und Sprünge bedingten gegen- wärtigen Lagerungsverhältnisse. Ein ferneres Kapitel ist dem Deckgebirge gewid- met, das aus den erst vor wenigen Jahren festgestellten Schichten der Dyas und Trias, vorwiegend jedoch aus Gliedern der oberen Kreideformation, dem „Mer- gel" des Ruhrkohlenbergraanns , und schließlich auch stellenweise aus Tertiär sowie Diluvium besteht. Mit Rücksicht auf die schon seit langem behaup- tete Fortsetzung der karbonischen Sprünge in süd- licher Richtung, wo sie im Kulm, Kohlenkalk und Devon als Erzgänge auftreten , werden die einzelnen ^lineralvorkommen , besonders die Erze und Gang- arten der Sprünge, in einem Kapitel zusammengestellt. In erster Linie den praktischen Zwecken des Bergbaues sollen die über die Wasserführung und die Gasausbrüche im Ruhrkohlengebirge gesammelten No- tizen dienen. Zur Chemie der Steinkohle wird in einer Studie über die einzelnen Gärungsvorgänge aus der Feder von Prof Dr. Broockmann eingegangen. Den Schluß des geologischen Abschnittes bildet eine zeitlich geordnete Literaturzusammenstellung. Der Abschnitt über Markscheidewesen be- handelt die Entwicklung des Kartenwesens im Ruhr- bezirk, die hier gebräuchlichen Instrumente und Meß- methoden sowie die Hilfsmittel zur Beobachtung der Deklinationsschwankungen. Außer zahlreichen Textfiguren sind dem Bande iS mehrfarbige Tafeln beigegeben worden. (x.) Briefkasten. Herrn K. in Dresden. — Lobolitlicn sind sphaeroidi- sche bis unregelmäßig knollige Körper., deren äußere Ober- riäche mit zahllosen polygonalen Kalktäfelchen bedeckt ist. Im Inneren sind sie durcli Scheidewände, welche sich äußer- lich durch Einschnürungen (Loben! erkennen lassen, in mehrere unregelmäßige Kammern abgeteilt und besitzen auf der Unter- seite eine Wurzel, welche mit einem bis meterlangen, geglie- derten Süele (= Crinoidenstiel) zusammenhängt. Die Form und die Beschaffenheit der Täfelchen, der Wurzel und des Stieles , sowie der Umstand , daß sämtliche feste Skeletteile der Lobolithen aus Kalkspath bestehen , spricht ganz ent- schieden dafür, daß die I.obolithen zu den Echinodermen ge- hören und sich insbesondere an die Crinoiden eng anschließen. Die Lobolithen gehören zu den häutigsten Fossilien des mittelböhmischen Obersilur und kommen dort gemeinschaft- lich mit den Crinoiden (namentlich mit .Scyphocrinus) ins- besondere in den Übergangsschichten zwischen den Stufen e, und e, (nach meiner Bezeichnung e, ji) vor. Der Name Lobolithus wurde von Barrande in Bigsby's „Thesaurus siluricus" aufgestellt (1867?). Barrande hat die Lobolithen für fossile Repräsentanten einer eigenen Familie der Echinodermen gehalten. James Hall hat 1880 Lobolithen aus dem amerikanischen Lower Helderberg group [= Unterdevon) unter dem Namen Camarocrinus beschrieben. Er hielt sie für modifizierte Cri- noidenwurzeln und sprach die Vermutung aus, daß sie im lebendigen Zustande in Form von gekammerten Blasen als Schwiramapparate für Crinoidenkolonien gedient haben. Fr. Frech führt Camarocrinus als das einzige in dem grauen Plattenkalke am Wolayer Thörl in den Karnischen Alpen gefundene Fossil an, also aus demselben Horizonte (untere Grenze des Obersilur), in dem die Lobolithen im mittelböhmischen Silur so häufig vorkommen. Auch in dem oslböhmischen Paläozoikum (Eisengebirge) kommt Lobolithus in demselben Horizonte (cj (^) vor. Der Verfasser dieser Zeilen bearbeitet soeijen die Lobo- lithen aus dem mittelböhmischen Silur, für die Fortsetzung des Karrande'schen Werkes. Auf Grund des ihm vorliegenden, reichhaltigen Materiales schließt er sich der morphologischen Deutung Hall's an, die Lobolithen seien eine blasenförmige 528 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 33 Modifikation der Crinoidenwurzcln. Was aber die pliysiologi- sche Funktion anbelangt , welche die Lobolithen ausgeübt haben dürften , weicht seine Ansicht von der Hall'schen wesentlich ab. Der Verfasser glaubt nämlich nicht, daß diese Blasen etwa ähnlich wie bei den rezenten Medusen als Schwimmapparate den Crinoidenkolonien zu dienen vermochten ; dazu wäre das feste Kalkskelett der Lobolithen zu schwer, dagegen ihre Luftkammern zu klein. Aus gewissen Erschei- nungen, die er an dem ihm vorliegenden Materiale beobachtet hat, die er aber — um seiner oben genannten Publikation nicht vorzugreifen — heute weiter noch nicht auszuführen ge- denkt, glaubt der Verfasser der vorliegenden Zeilen eher darauf schließen zu dürfen, daß diese blasenförmig modifizierten Wurzeln gewissen Crinoiden als Brutbehälter gedient haben. Prof. J. J. Jahn in Brunn. Herrn Prof. Dr. F. S. in T. — Frage: Gibt es Bücher, welche über F'arbeinjektioncn des Gefäßsystems, besonders bei niederen Tieren unterrichten, resp. welche Masse nimmt man dazu? — Eine, freilich schon etwas ältere, Anleitung zur Her- stellung zootomischer Präparate, welche in ausgedehntem Maße das Injizieren behandelt und dabei überall praktische Erfahrungen des Verfassers verrät, ist: H. Dewitz, Anleitung zur Anfertigung und Aufbewahrung zootomischer Präparate für Studierende und Lehrer (96 S. mit 12 Taf. Berlin, 1886. Preis: 5 Mk.). Dewitz beschreibt in sehr ausführlicher Weise auch die Herstellung der von ihm benutzten Injektionsflüssig- keiten (1. c. p. 13 f.). Besonders benutzte er eine Gelatine- lösung und eine Wachsmasse. Die Herstellung der ersteren ist kurz folgende : Karmin wird in Salmiakgeist bis zur Sätti- gung gelöst, dann Essigsäure hinzugefügt, bis eine Umfärbung der ganzen Masse in Ziegelrot erfolgt ist, hierauf wird etwas Wasser und dann im kochenden Wasserbade so viel weiße Gelatine hinzugefügt als sich löst. Endlich wird die Masse haltbar gemacht, indem man noch '/^ des vorhandenen Volu- mens Glyzerin hinzusetzt. — Die Wachsmasse wird hergestellt, indem man dem Wachs '/i des Volumens Terpentinöl zusetzt und dann mit Mennige und Zinnober rot färbt. — In neuerer Zeit benutzt man nach A. B. Lee und Paul Mayer (Grund- züge der mikroskopischen Technik, Berlin 1898), bei der In- jektion von Arachniden und Krustaceen auch lithographische Tusche. Außerdem ist verwendet worden eine Lösung von Gummi arabicum, der man eine Aquarellfarbe hinzufügte (vgl. L. Jammes, Zologie pratique, Paris 1904, Preis: geb. 14,40 Mk.). Dahl. Herrn Dr. K. in G. — Frage: Welche umfangreichere Bearbeitung der Anatomie und Physiologie des Menschen ev. mit Einschluß der Gesundheitslehre ist zur Vorbereitung des Leh- rers, welcher über Anthropologie in der Untersekunda von Realanstalten unterrichtet, empfehlenswert.' Selbstverständlich meine ich weder rein medizinische Werke , noch solche , die, wie F. Schmidt „Unser Körper", für Turner etc. bestimmt sind. — Ein umfangreicheres Buch für die Hand des Lehrers, welches zugleich die Anatomie, Physiologie, Gesund- heitslehre, Ethnologie etc. behandelt, dürfte in neuerer Zeit nicht erschienen sein. Am nächsten kommt einem solchen Buche viel- leicht G. Broesike, der menschliche Körper, sein Bau, seine Verrichtungen und seine Pflege nebst einem Anhang, die erste Hilfe bei plötzlichen Unfällen mit besonderer Berücksichtigung des Turnens gemeinfaßlich dargestellt (2. Aufl. 470 S. mit z. T. färb. Abb. Berlin 1899, Preis: 8 Mk., geb. 9 Mk.) Doch kenne ich dieses Buch dem Inhalte nach nicht. .^Is noch kleineres Buch, aber doch speziell für die Hand des Lehrers bestimmt, könnte noch genannt werden die Ausgabe A von A. Fiedler und E. Hoelemann, Der Bau des mensch- lichen Körpers. Kurzgefaßte Anatomie mit physiologischen Erläuterungen für den Schulunterricht (8. Aufl. 156 S. mit 81 anat. Abb. im Text und den verkleinerten anatomischen Wand- tafeln T — V in Farbendruck, Dresden 1903, Preis: geb. 1,75 Mk.). Sollten Ihnen diese Bücher zu wenig bieten, so müßten Sic schon die .\natomie und die Physiologie getrennt nehmen. Als Handbuch der Anatomie scheint mir für den Lehrer an höheren Schulen sehr geeignet: C. Gegenbaur, Lehrbuch der Anatomie des Menschen (7. Aufl. 2 Bde. 1898 — 99 resp. 1903, 496 u. 668 S. m. 734 z. T. farbigen Holzschn. Preis: 25 Mk. , geb. 30 Mk.). Die -Abbildungen sind in diesem Buche äußerst klar, die Namen der Muskeln etc. den Figuren unmittelbar eingefügt, überall sind kurze vergleichend-anato- mische Ausblicke gegeben und am Schluß findet sich ein sehr ausführliches Register. Namentlich das letztere scheint mir für den Lehrer beim Nachschlagen unentbehrlich. Als Hand- buch der Physiologie glaube ich Ihnen L. Hermann, Lehr- buch der Physiologie (12. Aufl., Berlin 1900, mit 175 Abb., Preis: 14 Mk.) empfehlen zu können. Dahl. Herrn J. U. in Düsseldorf — Zur Bestimmung westdeutscher Moose gibt es kein Werk. Wenn Sie sich in die Mooswelt einarbeiten wollen , so sei Ihnen das kleine Werk von Kummer, Der Führer in die Mooskunde, (Berlin, J. Springer) empfohlen, sowie für Lebermoose die Werke von demselben Verfasser oder von P. Sydow. In- dessen genügen diese Bücher den Ansprüchen von F'ortge- schritteneren nicht mehr. Wir verweisen Sie auf das grund- legende, allerdings teure, dreibändige Werk von Limpricht, Die Moose Deutschlands in Rabenhorst's Kryptogamcnflora (nur Laubmoose) (Leipzig, P. Kummer). Besondere Beachtung verdient, weil sie auch für Westdeutschland in den meisten Fällen ausreichend ist, die Kryptogamcnflora der Mark Branden- burg, von der der i. Band (bearbeitet von C. Warnstorf, Berlin, Gebr. Borntraeger) die Leber- und Torfmoose bringt. Der 2. Band mit den Laubmoosen erscheint im Laufe dieses Jahres. Zahlreiche instruktive Abbildungen unterstützen in diesem Werke das Verständnis. G. Lindau. Herrn C. B. in Hann.-Münden. — Der Kefir entsteht, wenn Milch durch die in den sogenannten Kefirkörnern ent- haltenen Mikroorganismen vergoren wird. v. Freudenreich hat in diesen Körnern 4 Arten von Organismen nachgewiesen: eine echte Hefe (Saccharomyces kefir), einen Bazillus (Bacillus caucasicus) und zwei Streptococcusarten. Keiner der 4 Orga- nismen kann allein eine typische Kefirgärung erzeugen, nur wenn alle oder wenigstens die Hefe und die Streptococcen vorhanden sind, entsteht Kefir. Der in der Milch enthaltene Zucker wird durch die Gärtätigkeit der Milch nur zum Teil verändert und zu Alkohol und Milchsäure vergoren. Dagegen bleibt der größte Teil der Nährstoffe der Milch unverändert. Daraus erklärt sich der hohe , an Milch streifende Nährwert des Präparates und gleichzeitig, durch die Säure und den Alkohol, der frische prickelnde Geschmack. Eine Erhöhung des Nährwertes der Milch findet natürlich nicht statt, aber durch die Verbesserung des Geschmackes ist der Kefir ange- nehmer zu trinken als Milch. G. Lindau. Herrn Prof B. — Die Frage, welche einzellige Alge die Aquariumwände überzieht, läßt sich, ohne die Alge selbst ge- sehen zu haben, nicht eindeutig beantworten. In vielen Fällen werden es Arten von Scenedesmus (S. quadricaudatus) sein; sie zeigen meist vier nebeneinanderliegende spindelförmige grüne Zellen, von denen die beiden äußeren an beiden Enden eine hyaline Borste tragen. Außer diesen Formen könnten aber auch kuglige Protococcusarten oder gar blaugrüne Phyco- chromaceen (z. B. Nostoc , Rivularia , Gloeocapsa etc.) in Frage kommen. Ohne mikroskopische Untersuchung läßt sich die Art nicht bestimmen. G. Lindau. Inhalt; Dr. K. Bretscher: Die Neotenie bei den Amphibien. — Kleinere Mitteilungen: Dr. C. H. Stratz: Was sind Juden? — Ballowitz: Gigantische Spermien. — Dr. W. B r en n e r : Hlattformen von Quercus Ile.\ L. — Dr. Dinse: Zur Systematik der Erdkunde. — Vereinswesen. — Bücherbesprechungen : Meyers Großes Konversations-Lexikon. — Die Entwicklung des Niederrheinisch- Westfälischen Steinkohlenbergbaus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Päu'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion : Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-'West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge 111. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 22. Mai 1904. Nr. 34. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. [Nachdruck verboten,] Über die Konstitution der Materie. Von Dr. A. Becker in Kiel. Als das erste und nächstliegende Ziel aller Naturforschung muß wohl dasjenige gelten, die zahllosen Vorgänge in der Natur nicht nur einzeln möglichst umfassend kennen zu lernen und sie als Beispiele einer ungeheuren Mannigfaltigkeit auf- zufassen, sondern sie alle in einen gewissen inneren Zusammenhang miteinander zubringen, sie gewissen allgemeingültigen Sätzen unterzuordnen , um so nicht allein zu einer Kenntnis aller Vorgänge sondern zu einer Erkenntnis der sie beherrschen- den Gesetze zu gelangen. Ein Prinzip der Natur- erklärung zu finden war schon die gemeinsame Tendenz der vorsokratischen Philosophie. Die Natur, das Sinnenfällige, Greif liehe war es, was den Forschungsgeist zuerst reizte. Daß ihren wechselnden Formen, ihren mannigfaltigen Er- scheinungen ein erstes im Wechsel verharrendes Prinzig zugrunde liegen müsse, vermutete man, und die Beantwortung der Frage: welches ist der Urgrund der Dinge? oder welches ist das Grund- element ? bildete das Problem jener Naturphilo- sophen. Wenn der eine das Wasser, der andere die Luft oder ein dritter einen chaotischen Urstoff dafür ansah, so kann das bei dem Mangel an irgendwelchen Kenntnissen der Naturvorgänge in jener Zeit nicht verwundern. Von Bedeutung ist demgegenüber die Anschauung der Atomistiker, die nicht wie Empedokles alle Bestimmtheit der Erscheinungen von einer kleinen Zahl (qualitativ bestimmter und voneinander unterschiedener Ur- stoffe sondern aus einer ursprünglichen Unendlich- keit der Qualität nach gleichartiger, der Gestalt nach ungleichartiger Grundbestandteile ableiteten. Diese ihre Atome sind unveränderliche, zwar aus- gedehnte, aber unteilbare, nur der Größe nach be- stimmte, zufolge ihrer Kleinheit nicht sinnlich wahr- nehmbare Stoffteilchen, die durch den leeren Raum gegenseitig abgegrenzt sind, und die Mannigfaltig- keit der Erscheinungswelt ist nur aus der ver- schiedenen Gestalt, Ordnung und Stellung der zu Komplexionen verbundenen Atome zu erklären. Weder die Erfahrungen der Zeitgenossen Demo- krits noch die E.^iperimente der folgenden Jahr- hunderte vermochten irgend etwas Wichtiges für oder gegen diese Hypothese beizubringen. Erst nach langen vergeblichen Bemühungen hat in der Chemie die Analyse zur Überzeugung geführt, daß man bei der Zerlegung aller in der Natur vor- 530 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 34 kommenden Stoffe stets zu einer Anzahl weiter nicht zerlegbarer, der sog. Elemente, gelangt, deren man bisher hat etwa 75 isolieren können. Jeder Versuch einer weiteren Zerlegung derselben schei- terte bisher, während sich umgekehrt aus ihnen durch geeignete Operationen viele uns bekannten Stoffe synthetisch herstellen lassen. Die neuere Chemie gelangt so im Gegensatz zu der Auf- fassung der alten Atomistiker zu einer Vielheit qualitativ voneinander verschiedener Elemente; aber die Übertragung der alten Atomhypothese auf diese Elemente durch Dalton und Wollaston ist am Anfang des letzten Jahrhunderts von größter Bedeutung geworden zur anschaulichen Erfassung nicht nur chemischer, sondern auch vieler physi- kalischer Vorgänge. Im Sinne dieser Hypothese erfüllt ein stoffliches Aggregat den von ihm ein- genommenen Gesamtraum nicht kontinuierlich in allen seinen Punkten, sondern es setzt sich zu- sammen aus zwar sehr kleinen , aber endlichen Massenteilchen , die mehr oder weniger vonein- ander entfernt sind und Moleküle genannt werden. Ein jedes Molekül wieder besteht aus einer vari- ablen Anzahl von Atomen mit kleinen Zwischen- räumen. — Wenn trotz der grollen Fruchtbarkeit dieser Anschauungen die Versuche nie aufgehört haben, in den Atomen der Elemente selbst noch Kom- plexe von Teilen einer allgemeinen Grundsubstanz zu sehen, so waren dafür besonders 3 Gründe maßgebend. Zunächst blieb es für manche sehr schwer, sich mit dem Gedankea zu versöhnen, daß die Zahl der Grundstoffe eine so große sein sollte, was mit den Anschauungen des Monismus in offenbarem Kontrast zu stehen schien. Des weiteren wurde aber auch eine Reihe von Ge- setzmäßigkeiten aufgefunden, denen die bekannten Elemente unterworfen sind, und die kaum ver- ständlich sind, wenn man nicht eine gewisse Ver- wandtschaft der Elemente untereinander, herrührend von allen gemeinsamen Bestandteilen , annimmt, Gesetzmäßigkeiten, wie sie z. B. von Dulong und Petit für die Atomwärme und von Mendelejeff und Lothar Meyer im periodischen System der Elemente festgestellt sind. Diese beiden Gründe mögen die Veranlassung gegeben haben, daß bald nach Bekanntwerden der Dalton'schen Gesetze Prout (18 15) die Atome der verschiedenen Elemente aus Wasserstoffatomen bestehend lehren wollte, daß später Marignac diese Einheit halbierte, Dumas sie durch vier teilte und Zängerle (1882) noch ^/looo des Wasserstoffatoms als Uratom betrachtete. Der dritte und wichtigste Grund, der die An- sicht über die Konstitution der Materie, daß die verschiedenen Atome aufgebaut seien aus einerlei Bestandteilen in verschiedener Zahl, besonders in allerneuester Zeit nahelegte, ist durch die be- deutenden, überwiegend physikalischen Forschungen gegeben, die in der Tat intramolekulare Vorgänge behandeln und dadurch gewisse sichere Schlüsse über die Konstitution des Atoms selbst zu ziehen gestatten. Es sind dies die Untersuchungen der Spektren der Elemente und die neuesten Beob- achtungen über Kathodenstrahlen. Da es keinem Zweifel unterliegen kann, daß das Emissionsspektrum auf das innigste mit der Konfiguration und dem Schwingungszustand der Moleküle und Atome einer leuchtenden Substanz zusammenhängt, so darf man von einem Einblick in die Gesetze, nach welchen einerseits bei einem Element die Linien im Spektrum sich verteilen, und andererseits diese Verteilung von Stoff zu Stoff variiert, einen Aufschluß über die Fragen nach der Beschaffenheit und dem Bewegungs- zustand der Atome erhoffen. Bis jetzt ist man auf diesem Gebiete allerdings erst zur Auffindung einiger wichtiger Gesetzmäßigkeiten gelangt, ohne daraus schon Schlüsse über die Atomkonstitution ziehen zu können. Demgegenüber hat in allerneuester Zeit das Studium der Kathodenstrahlen durch Prof. Lenard besonders diesen zu Vorstellungen über die Kon- stitution der Materie geführt, die mit Zuhilfenahme der allereinfachsten Grundannahmen nicht nur alle auf einer Wechselwirkung von Materie und Elek- trizität beruhenden Erscheinungen erklären, sondern auch für eine Ausdehnung auf die übrige Erfahrung geeignet erscheinen. Schon im Jahre 1897 hat J. J. Thomsen ver- sucht, die teilweise von ihm und teilweise von anderen Beobachtern gefundenen Tatsachen, daß die Kathodenstrahlen von der Kathode einer Ent- ladungsröhre fortgeschleuderte negative Elektrizi- tätsteilchen sind, daß ihre Geschwindigkeit und das Verhältnis von Ladung zur Masse derselben von dem Medium, in dem sie sich bewegen, un- abhängig ist und daß die Absorption, die sie beim Durchgang durch beliebige Körper erleiden, weder vom Aggregatzustand noch von der chemischen Beschaffenheit, sondern nur von der Masse oder Dichte derselben abhängt, mit der Annahme zu erklären, daß die Atome der verschiedenen che- mischen Elemente verschiedene Komplexe von Atomen einer ursprünglichen Substanz x wären, die er Korpuskeln nennt. In der Nähe der Kathode würden die Moleküle des Gases dissoziiert in Kor- puskeln, die sich elektrisch laden und deshalb fort- geschleudert würden. Würde man zwischen den einzelnen Korpuskeln große Zwischenräume an- nehmen, so könnte die Absorption als Kollision eines fortfliegenden Korpuskels mit einem anderen ruhenden eines Moleküls aufgefaßt werden, und es würde deshalb die Zahl der Zusammenstöße nicht der Zahl der Moleküle sondern der Zahl Korpuskeln im Molekül , d. h. der Dichte , pro- portional sein. Daß eine solche Hypothese nicht geeignet sein kann, unser Verständnis für den Bau der Atome zu erhöhen, ist begreiflich, da dieselben Schwierig- keiten, die zuvor mit der Vorstellung eines Atoms verbunden waren, jetzt auf die Korpuskeln über- tragen wären. Insbesondere wäre das Bild von der Absorption der Kathodenstrahlen nach wie vor ein unklares. Und gerade diese Erscheinungen N. F. III. Nr. 34 Naiurwissenschaftliche Wochenschrift. 531 sind es, welche am ehesten eine Handhabe für eine verständliche Hypothese der Atomkonstitution bieten. Ehe auf die Vorstellungen von Prof. I.enard eingegangen werde, seien kurz die Beobachtungen erwähnt, welche zu jenen führten, und wie sie in VVied. Ann. 56, 1895 und Ann. d. Phys. 12, 1903 mitgeteilt sind. In der älteren Arbeit wurde ge- zeigt, daß Kathodenstrahlen von etwa ^/g Licht- geschwindigkeit beim Durchgang durch materielle Medien eine Absorption erleiden , deren Größe nahezu proportional ist der Dichte der betr. Medien und gegeben ist durch den Koeffizienten a in der Gleichung i = i„e ^ ""', worin i die Intensität der eine Schichtdicke d verlassenden Kathodenstrahlen von der ursprünglichen Intensität i,, ist. Es hatte sich dabei schon gezeigt, daß die Größe der Ab- sorption in sehr hohem Maße von der Strahl- geschwindigkeit abhängig ist, indem eine Abnahme der Geschwindigkeit um 2",, ihres Wertes die Größe der Absorption um etwa lo"/,, erhöhte. Die neuere Arbeit bildet eine Ergänzung des Bisherigen, indem sie diese Abhängigkeit des Ab- sorptionskoeffizienten bis zu den allergeringsten verfolgbaren Strahlgeschwindigkeiten untersucht und andererseits die äußerst schnellen, fast mit voller Lichtgeschwindigkeit sich bewegenden Strahlen , wie sie von Radiumverbindungen aus- gehen, heranzieht, so daß sie eine vollständige Übersicht über den Gang der Absorption mit der Strahlgeschwindigkeit gibt. In beistehender Tabelle sind die aus den Messungen für Wasserstoff, Luft, Argon und Kohlensäure erhaltenen spezifischen Absorptionsvermögen (Absorptionskoefhzienten für den Druck i mm Quecksilber) zusammengestellt, wo unter v die Strahlgeschwindigkeit in Bruch- teilen der Lichtgeschwindigkeit ausgedrückt ist. V Wasserstoff Luft Argon Kohlensäure ca. '/.„o 44 30 2S 34 „ V.20 '4,6 27 26 32 „ % 6,0 1 21 20 28 „ V20 1.2 3.9 4.2 7 ., Vio °.'9 0,85 1,3 2 „ '/a 0,00062 0.0050 — 0,0067 ,, I 0,0000006 0,00000g 0,00001 0,00001 Es ergibt sich hieraus, daß für alle 4 unter- suchten Körper die Absorption beim Fortschreiten von den größten zu immer kleineren Strahlge- schwindigkeiten wächst und zwar zunächst in immer steigendem Maße. Sinkt die Geschwindig- keit von der des Lichts auf ein Hundertstel der- selben herab, so erhöht dies die Absorptionsver- mögen auf mehr als das Millionenfache. Diese Zunahme geht aber nicht über alle Grenzen hin- aus, wenn die Geschwindigkeit sich der Null nähert, sondern es tritt zuvor ein Wendepunkt ein, worauf die Absorptionsvermögen gewissen Grenzwerten zustreben. Das Gesetz der Massenproportionalität bleibt bis zu etwa ^l„„ Lichtgeschwindigkeit annähernd bestätigt, indes nehmen die Abweichungen davon mit abnehmender (ieschwindigkeit rasch zu, und das individuelle X'erhalten verschiedener Materie tritt mehr und mehr hervor. Besonders Wasser- stoff zeigt seine Abweichung in solcher Vergröße- rung, daß zuletzt sein Absorptionsvermögen das der anderen Gase sogar übersteigt, obgleich er das dünnste Gas ist. Auch Argon und Luft wechseln bei den geringeren Geschwindigkeiten ihre Plätze. So ist die Masse des Mediums, welche bei großen Geschwindigkeiten in erster Annäherung allein bestimmend ist für das Absorptionsvermögen, bei kleinen Geschwindigkeiten nicht mehr maß- gebend für dasselbe ; vielmehr scheint es dann die vorhandene Molekülzahl zu sein, da sich die ver- schiedenen Gase von gleichem Druck dabei nahe einander gleich verhalten. Wir schreiten nunmehr zur Wiedergabe der auf die vorliegenden Erfahrungstatsachen gegrün- deten Hypothese Lenard's, die nicht nur den ein- fachen Gesetzmäßigkeiten, wie sie für schnelle Strahlen erkannt sind, sondern auch den zuletzt erwähnten Abweichungen soweit gerecht werden muß, daß eine quantitative Verwertung der Mes- sungsresultate berechtigt und aussichtsvoll erscheint. Die vorliegende Hypothese besteht in der Annahme, daß die verschiedenen Atome aller Materie auf- gebaut seien aus einerlei Bestandteilen in ver- schiedener Zahl , welche Lenard D y n a m i d e n nennt und im folgenden mit gewissen, aus der Erfahrung abstrahierten Eigenschaften begabt. Jedes materielle Atom, dessen absolute Größe einem Durchmesser zwischen iO~' und ic'^ cm ent- spricht, ist danach aus einer seinem Gewicht pro- portionalen Zahl gleich schwerer Dynamiden zu- sammengesetzt, und auch jeder materielle Körper besteht aus einer seinem Gewicht proportionalen Zahl von Dynamiden, so daß zwei gleich schwere Körper sich ausschließlich durch die verschiedene Gruppierung der in gleicher Zahl in ihnen vor- handenen Dynamiden unterscheiden, gleichgültig ob die betreffenden Körper chemisch einfach oder beliebig zusammengesetzt sind. Hiermit ist das Massengesetz ohne weiteres verständlich. Da es indes nur angenäherte Gültigkeit hat, wird es not- wendig sein, die gemachten Annahmen weiter auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Zunächst muß angenommen werden, daß die Dynamiden viele freie Zwischenräume zwischen sich lassen, weil ein genügend schnell bewegtes Strahlquantum, d. h. ein Elementarteilchen reiner negativer Elektrizität, als welches man jetzt all- gemein ein Kathodenstrahlteilchen anzusehen hat, frei Tausende von Atomen durchqueren kann, ohne daß seine Geschwindigkeit nach Größe und Rich- tung sich wesentlich änderte. Da dennoch bei diesem Hindurchfahren durch die Materie jedes- mal ein bestimmter Bruchteil der Quanten an Atome festgelegt wird, so ist jeder Dynamide ein gewisser absorbierender Querschnitt zuzuschreiben, derart, daß die auf einen solchen Querschnitt fallenden Quanten zurückgehalten, die neben ihm vorbeigehenden mit nahezu unveränderter Ge- schwindigkeit durchgelassen werden. Aus der kinetischen Gastheorie folgt nun, daß der Bruch- 532 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 34 teil der Zahl sehr kleiner bewegter Teilchen, welcher durch eine d cm dicke Schicht anderer, unregel- mäßig angeordneter Teilchen, hier der Dynamiden, hindurchdringt, ohne angestoßen zu haben , e"""' ist, wenn a die auf die Volumeneinheit bezogene Querschnittsumme jener Schichtteilchen darstellt. Der Vergleich dieses Ausdrucks mit unserer früher aufgestellten Gleichung zeii;t, daß die oben ver- zeichneten spezifischen Absorptionsvermögen die Summen der absorbierenden Querschnitte der in I ccm der betreffenden Gase bei i mm Druck vorhandenen Dynamiden in Quadratzentimetern angeben. Man sieht, daß sonach der absorbierende Querschnitt jeder einzelnen Dynamide in der Weise von der Geschwindigkeit der Quanten abhängig ist, daß größerer Geschwindigkeit ein kleinerer Querschnitt entspricht. — Es wird dies begreif- lich , wenn die Dynamiden als elektrische Kraft- felder gedeutet werden, deren absorbierender Quer- schnitt gerade der Querschnitt desjenigen Teiles des Dynamidenfeldes wäre, in welchem die elek- trischen Kräfte genügend groß sind, Quanten der betreffenden Geschwindigkeit festzuhalten. Der Wegfall der Massenproportionalität beim Übergang zu den geringsten Geschwindigkeiten und das damit zusammentreffende, verringerte An- wachsen der Absorption kann dahin verstanden werden, daß die mitabnehmender Strahlgeschwindig- keit anwachsenden Dynamidensphären alsdann zu gegenseitiger Deckung kommen. In den gemein- samen Räumen mehrerer sich deckender Sphären muß teilweise Vernichtung der sich geometrisch addierenden Kräfte eintreten, so daß durch solche Deckung absorbierender Querschnitt verloren geht. Da die Deckung aber bei verschiedenen Atom- sorten in verschiedenem Grade stattfinden muß, je nach der Größe des Raumes, der für je eine Dynamide im Atom zur Verfügung steht, so ist die Abweichung von der Massenproportionalität durch das Verhältnis zwischen Molekularvolumen und Molekulargewicht der Substanzen gegeben. Will man den elektrischen Kraftfeldern be- sondere, mit undurchdringlichem Eigenvolumen versehene Zentren zuschreiben, so wäre der Quer- durchschnitt der letzteren jedenfalls kleiner als der kleinste experimentell gefundene absorbierende Querschnitt, d. h. sein Radius kleiner als 0,3 >; iO~" cm, so daß sich das Volumen aller in einem Atom befindlichen Dynamiden zum \'olumen des Atoms wie I : I09 verhalten würde. In diesem Sinne ist beispielsweise der Raum, in welchem ein Kubik- meter festes Gold sich findet, leer in der Weise wie etwa der von Licht durchzogene Himmels- raum, bis auf höchstenfalls i Kubikmillimeter als gesamtes, wahres Dynamidenvolumen. Die Erscheinungen der Absorption werden nun am leichtesten verständlich, wenn als Zentren der Kraftfelder elektrische Quanten angenommen wer- den, so daß die einfachste Vorstellung einer Dyna- mide die eines elektrischen Doppelpunkts wäre, bestehend aus einem positiven und einem nega- gativen Elementarquantum, deren gegenseitiger Abstand für die verschiedenen Stoffe als variabel angenommen werden könnte, wodurch spezifische Verschiedenheiten unter den Dynamiden bestimmt wären. Auf diese Weise ist die Dynamide als Ganzes elektrisch neutral, und die Absorption eines negativen Kathodenstrahlteilchens geht derart vor sich, daß dasselbe beim Eintritt in das Kraftfeld der Dynamide vom negativen Punkt abgestoßen und zum positiven hingezogen wird. Dabei ist nun zunächst anzunehmen , daß jedes Quant des Doppelpunkts in äußerst schneller Rotation um seine eigene Achse begriffen ist (nach Lenard z. B. etwa io-° Umläufe pro Sekunde), weil sonst un- verständlich bliebe, daß sich die beiden entgegen- gesetzt sehr stark geladenen Quanten in kleinem Abstand voneinander halten könnten. Desgleichen wird wohl jedes vom Kraftfeld festgehaltene Ka- thodenstrahlteilchen schnelle Umläufe um den posi- tiven Punkt ausführen oder Bahnen beschreiben, deren Kenntnis von einer noch zu findenden Lösung des Dreikörperproblems, das nicht nur anziehende sondern auch abstoßende Kräfte berücksichtigt, zu erwarten wäre. In allerneuester Zeit hat Prof. Warburg ver- sucht , die Erscheinungen der Absorption durch Metalle durch eine eigene Theorie darzustellen, welcher er die Annahme zugrunde legt, daß alle Körperteilchen aus gewissen mit Masse belegten Kraftzentren beständen, welche auf die Kathoden- strahlteilchen abstoßend wirkten mit einer Kraft, welche einer Potenz der Entfernung umgekehrt proportional wäre. Es ist diese Vorstellung, die also von der Existenz eines negativen und posi- tiven Kraftpunktes absieht und nur den ersteren als bestehend annimmt, zwar leichter der theo- retischen Durcharbeitung zugänglich ; aber die Re- sultate der Rechnung lassen sich in manchen Fällen nicht in Einklang bringen mit den Tatsachen der Erfahrung, was zu berechtigtem Zweifel an der Richtigkeit der Grundvorstellungen führt. Demgegenüber waren die Vorstellungen von der Existenz des elektrischen Doppelpunktes voll- ständig geeignet, alle Resultate der Beobachtung nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ in einfacher Weise zusammenzufassen, und es ist von einem weiteren Studium der Absorption der Kathodenstrahlen zu erwarten, daß es uns noch weitere Mittel an die Hand geben werde, die ge- zeichneten Kraftfelder noch näher kennen zu lernen. Kleinere Mitteilungen. Über Rassenverschmelzung. — L. F. Ward bringt im „American Journal of Sociology" ') einen Aufsatz, in welchem er seiner Ansicht über die fortschreitende Verschmelzung der Menschenrassen ') „American Journal of Sociology", vol. 8 p. 721 u. li. N. F. III. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 533 Ausdruck verleiht. Nachdem in vergangenen Hnt- wicklungsperioden des Menschengeschlechts, zu- gleich mit dem Bestreben desselben, sich nach allen Richtungen auszudehnen, die Tendenz zu einer weitgehenden Differentiation der Rassen ob- waltete, leben wir gegenwärtig in einer Periode der Rassenverschmelzung. Die Tatsache der fort- dauernden Verschmelzung der einzelnen Rassen ei n er Rassengruppe ist allgemein bekannt. Ward nimmt noch weiter an, daß auch eine Veredelung der niederen Rassen durch sukzessive Verschmel- zung mit den höheren, namentlich homo europaeus, eintreten werde. Wie energisch auch eine superiore Rasse dieser Tendenz widerstreben mag, so kann doch dadurch der Verschmelzungsprozeß nur zeit- lich ausgedehnt, nicht aber vollständig vermieden werden. Es ist bekannt, daß die mittelländische Rasse sich gern mit allen andern Rassen mischt, mit welchen sie in Kontakt kommt ; die Revölke- rung der spanisch-amerikanischen Republiken ist eines von vielen Beispielen. Die nordeuropäische Rasse hat bisher im allgemeinen bis zu einem gewissen Grade der Verschmelzung mit Rassen einer anderen als der europäischen Gruppe erfolg- reich Widerstand geleistet, allerdings nicht voll- kommen. Die amerikanischen Indianer, welche in denselben Gebieten verblieben, die von Europäern besiedelt wurden, sind nun durchwegs mit den letzteren vermischt. So weist auch C. v. Ujfalvy ') auf den Umstand hin, daß gewisse bartlose und knochige Yankeegesichter viel mehr an Rothäute als an die Söhne Albions erinnern. Obwohl die Folgen derartiger Rassenmischungen in den Ver- einigten Staaten wenig hervortreten, da die An- gehörigen der europäischen Rasse bei weitem in der Überzahl sind, so ist doch bereits ein Teil der Indianerbevölkerung in dem europäischen Ele- ment aufgegangen. Auch in den Indianerreser- vationen, in welchen sich in letzter Zeit eine be- deutende Anzahl europäischer Ansiedler nieder- gelassen hat, geht eine rasche Blutmischung vor sich. Den indianischen Bewohnern der \'ereinigten Staaten ist durch Gesetz eine jährliche Rente in bestimmter Höhe pro Person zugesichert; dies ist oft die Veranlassung zu Mischehen, da aus dem genannten Grunde indianische Frauen bei der unteren Klasse der Ansiedler gesucht sind. Die Mischung der europäischen Rasse mit den Negern wird in den Vereinigten Staaten mit allen Mitteln zu hindern versucht, jedoch nur mit teil- weisem Erfolg. I{in Effekt der Sklaverei ist je- weils die Mischung der freien mit der Sklaven- bevölkerung; dies war auch in Amerika der Fall, ungeachtet des Umstandes, daß die Sklaven einer anderen Rassengruppe angehörten. Noch ehe die Sklaverei abgeschafft wurde, war eine zahlreiche Mischlingsbevölkerung vorhanden. Die Abschaffung der Sklaverei hat den Mischungsprozeß zwar ver- langsamt, aber nicht gänzlich unterbunden. In Hinsicht auf die mongolischen Rassen — außer den Indianern — scheint weniger Aussicht auf eine Vermischung derselben mit Europäern vorhanden. Obwohl in Asien eine Verschmelzung der mongoHschen mit arischen und semitischen Elementen vor sich ging, ist ein ähnlicher Vor- gang in Amerika bisher nicht beobachtet worden, trotzdem die mongolische Einwanderung in die Vereinigten Staaten in den letzten Jahrzehnten nicht unbedeutend war. Ward meint, daß, wie groß auch die Hinder- nisse, die sich der Rassenverschmelzung entgegen- stellen, in manchen Fällen sein mögen, dennoch dieser Prozeß so lange fortschreiten wird, bis alle gegenwärtigen Menschenrassen in eine einzige Rasse umgebildet sind. Das scheint etwas zu weit gegangen ; seit der Kolonisation fremder Erdteile mit Ansiedlern der nordeuropäischen Rasse ist nur ein geringer Teil der eingeborenen Rassen durch Verschmelzung in den neuen Ansiedlern aufge- gangen; der größte Teil der früheren Einwohner sowohl der Vereinigten Staaten wie Australiens ist ausgestorben. Ein Beweis dafür, daß Mischlings- völker die aus verschiedenen Rassengruppen her- vorgingen, in der Entwicklung weit zurückbleiben, sind die zentral- und südamerikanischen Re- publiken,') sowie auch die Südstaaten der Union, in welchen die Zahl der Mischlinge eine sehr große ist. Fehlinger. ') Man vergleiche : „Ethnic Factors in Latin America" in ,, Annais of thc .American Academy of Social and Pol. Science", Sept. 1903. ') „Politisch-anthropologische Revue", II, pag. 794. Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale gibt Gustav Guldberg im 23. Bande des Biologischen Zentralblattes eine ein- gehendere Darstellung. Neben ihrer weiten Ver- breitung über alle Weltmeere lassen die Wale sehr ausgeprägte, durch das Nahrungsbedürfnis und den Fortpflanzungstrieb hervorgerufene Wan- derungen erkennen. Nach den neueren Forschungen sind die Wale im allgemeinen als Küstenbewohner anzusehen ; die reiche, aus Planktonorganismen und Ufertieren sich zusammensetzende Nahrung lockt sie hierher. Ganze Tierschwärme häufen sich in der Nähe der Küsten an und diesen folgen nun in ihrem Hin- und Herströmen, ihrem periodischen, jahreszeitlichen Auftreten die Wale auf ganz be- stimmten Wegen. Weiter suchen die Weibchen zur Zeit des Wurfes ruhige, seichte Gewässer auf, auch dies vollzieht sich in regelmäßigen Wande- rungen. Der Grönlandwal (Balaena mysticetus), welcher ausschließlich das arktische Polarmeer bewohnt, zieht sich im Sommer in die Gewässer des höch- sten Nordens zurück, während er im Winter an der Ostseite Grönlands bis zum 65." n. Br. , an der Westseite bis zum 58." nach Süden geht, sich stets dabei am Südrande der Eisfelder aufhaltend, wo seine aus Pteropoden und niederen Krebsen bestehende Nahrung massenweise anzutreffen ist. An der asiatischen Küste geht er im Winter 534 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 34 bis zum 53." n. Br. nach Süden, um im Sommer weit nach Norden bis in das an die Beringstraße angrenzende Eismeer zurück zu wandern. Ge- legentlich gelangten ganze Scharen solcher wan- dernder Wale zur Beobachtung, der Walfischfang hat heuzutage indessen sehr stark unter ihnen aufgeräumt. Auch der Nordkaper (Eubalaena glacialis) weist derartige jahreszeitliche Wanderungen auf, im Winter besucht er die wärmeren Küsten des biskayischen Meerbusens, im Sommer ist er an den Küsten Islands, des nördlichen Nor- wegens und Amerikas anzutreffen. Er geht südlich bis zu den Azoren und Bermudas Inseln, nördlich bis zu den Bäreninseln. In der nördlichen Hälfte des pacifischen Ozeans wird er durch eine nahe verwandte Form, den Japan- wal (Eubalaena japanica), vertreten, der ganz entsprechende Wanderungen unter- nimmt. Und der gemäßigten Zone der südlichen Hemisphäre endlich ge- hört der Kapwal (Balaena australis) an, die wärmere Jahreszeit treibt ihn nach Süden in die antarktischen Meere, die kältere nach den wärmeren Meeren im Norden. Einer anderen Familie gehört der Grauwal (Rachianectes glaucus Cope) an , der den Stillen Ozean nördlich vom Äquator als echter Küstenbewohner des nordamerikaiiischen Kontinentes bevölkert. Von November bis Mai hält er sich an den Küsten Kaliforniens auf wo die Weibchen in stillen Buchten ihre Jungen werfen , mit Anfang Sommers begeben sich dann Männchen, Weibchen und Junge auf die Reise nach Norden, meist nahe der Küste entlang schwim- mend, und sammeln sich schließlich in der Beringsee und im Ochotskischen Meere in Scharen an. J. Meisenheimer. Griffel von außerordentlicher Länge. Bei der mir eingelieferten Pflanze zeigte die Anordnung der Blüten wesentliche Abweichungen. Staubblatt- und Fruchtblattblüten waren beide gipfelständig und saßen an einer gemeinsamen Achse. Die zahl- reichen Staubblattbüten befanden sich an dem unteren Teil, die in geringerer Anzahl vorhande- Eine abnorme Blütenbildung beim Mais. — Im September v. J. wurde mir von einem meiner Schüler eine Maispflanze gebracht, die eine sonderbare Abweichung von der gewöhnlichen Blütenbildung zeigte. Wie bekannt, ist der Mais im Gegensatze zu unseren einheimischen, ange- bauten Gräsern ein einhäusiges Gewächs. Die zahlreichen Staubblattblüten sind, zu einer Rispe angeordnet, endgipfelständig; die Stempelblüten, gleichfalls in zahlreicher Menge vorhanden, finden sich weiter unten am Stengel in den Blattachseln vor. Sie stehen dicht gedrängt um die fleischig verdickte Blütenachse, den Kolben, herum und sind zu ihrem Schutze von mehreren Hüllblättern umgeben, die sich in zarter Längslage um die Fruchtblattblüten legen. Da der Mais nun zu den windblütigen Pflanzen gehört und aus diesem Grunde die Narben freiliegen müssen, so sind die 1 ^K^ H 11 Hf Sr flU ll^^H k^F *rj^ ^U HBa 1* rH Huiii n ^^^^^■^^ff^^v^^."*^ H ^^K^-v /'^ 1 ■ ^M ^^VM I^IH Wt^M ^^^^H^ n 7'^^M 1 1 ^H'l 1 I II Abnorme Maispflanze. nen P'ruchtblattblüten anschließend darüber. Die Blütenachse war in der Region der letzteren etwas verdickt, die Griffel standen in bezug auf Länge hinter derjenigen normaler Pflanzen zurück. Die Hüllblätter fehlten und waren nicht einmal ansatz- weise vorhanden. Eine genauere LIntersuchung ergab, daß bereits eine Befruchtung stattgefunden hatte, was in der Abbildung 2 deutlich zutage tritt. An einzelnen Blütenständen war der P'rucht- ansatz bereits so weit vorgeschritten, daß man die Anlage schon mit unbewaffnetem Auge deutlich erkennen konnte. Obwohl ich mir, einmal auf- merksam gemacht , redlich Mühe gegeben habe, in den hier zahlreichen kleineren Maisfeldern eine ähnliche Abnormität zu entdecken, so ist es mir dennoch nicht gelungen. Es wäre von Interesse gewesen, festzustellen, ob einige der Fruchtansätze zur vollen Entwicklung gekommen wären, ob die Samen keimfähig gewesen wären und ob die Nach- saat eine Prädisposition zu derartigen Abweichungen in der Blütenbildung auf Grund der Vererbungs- N. F. III. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 535 kraft gezeigt hätten. Vielleicht kann jemand der Leser diesbezügliche Beobachtungen mitteilen.') Schulz- Herford i. W. ') Die schwammige , diclie Achse des weiblichen Mais- kolbens ist vielleicht eine durch die Kultur gefestigte Bildungs- abweichung, während die Vorfahren des Mais (die Pflanze ist nur im kultivierten Zusande bekannt und stammt wohl aus dem tropischen Amerika) dünnere Achsen besessen haben dürften wie die obige „Abnormität", die daher zum Teil wohl atavistische Momente enthält. Von der einen Maissorte, dem ,, Balgmais" sagt Haeckel (in den Natürlichen Pflanzenfamilien II. 2, Leipzig 1887, p. 20), daß sie sich u. a. in Bezug auf ,,die seltene .Auflösung des Kolbens in mehr oder weniger getrennte Ähren mit Andeutung von Gliederung in Bezug auf den Blütenstand der Stammform" nähern dürfte. — P. Ein Übergang zwischen Kreide und Tertiär. — Die (irenzen, die wir zwischen zwei geologi- schen Formationen zu ziehen pflegen, haben nur eine beschränkte Bedeutung. Die Abschnitte, in welche durch sie die Erdgeschichte zerlegt wird, stehen untereinander nicht ohne Verbindung da. Als man im Beginn der geologischen Forschung glaubte, daß die Tierwelt eines jeden Schichten- systems ihr Dasein einem besonderen Schöpfungs- akt verdankte und später durch katastrophenartige Ereignisse ganz und gar vernichtet sei, mußte man jede Information als eine Einheit betrachten, die durch keine Übergänge mit anderen verknüpft sei. In der Tat sind diese Grenzen zwischen den For- mationen und Systemen dort, wo man sie zuerst zog, vielfach so scharf ausgeprägt, daß sie gerade- zu von der Xatur gegeben scheinen. Daß man z. B. bei uns mit den marinen Ablagerungen des untersten Lias, die sich auf die terrestrischen Bil- dungen des Keupers legen, eine neue, die Jura- formation, beginnen ließ, war eine durchaus be- rechtigte Einteilung. Man darf nur nicht ver- gessen, daß der Schnitt , der hier in der Erdge- schichte zu liegen scheint, keine allgemeine, sondern nur eine lokale Bedeutung hat. Je mehr sich die Kenntnis der geologischen Beschaffenheit der Erde erweitert hat, desto mehr Übergänge zwischen den Formationen sind aufgefunden. Theoretisch muß man diese Übergänge für die ganze Erd- geschichte erwarten, seitdem es zur Gewißheit ge- worden ist, daß diese ebenso unter dem Zeichen der allmählichen Entwicklung steht, wie die Ge- schichte der Organismen. Die geologische Wissen- schaft gebraucht jetzt die Namen der Formationen, Perioden usw. mit dem Bewußtsein, daß dieselben konventionellen, aber nicht natürlichen Abschnitten der Entwicklungsgeschichte unseres Planeten ent- sprechen, deren man aber nicht entraten kann, um das Buch dieser Geschichte zuzuschreiben. Die Methode, welche die Geschichtsschreibung der Menschheit anwendet, ist ja ganz dieselbe. Wenn wir also auch nicht daran zweifeln, daß sich ununterbrochen im Meer Absätze gebildet haben, die die Tierformen ihrer Bildungszeit ein- schlössen, so wissen wir doch andererseits, daß diese Sedimentation nicht an einer einzelnen Stelle der Erde ohne Unterbrechung vor sich gegangen ist. Zwar haben wir die Erfahrungen, auf die wir uns bei diesen Behauptungen stützen, nur auf dem festen Lande gemacht. Was der heutige Meeres- grund an Gesteinen aus früheren Zeiten birgt, wird unserem Wissen wohl für immer verborgen bleiben. Von dem uns zugänglichen Teil der Erd- kruste wissen wir aber, daß kein Punkt immer Land oder immer Meer gewesen ist. Die beiden Elemente haben sich vielmehr in beständigem Kampfe die Gebiete ihrer Herrschaft streitig ge- macht und erorbert und wieder eingeräumt. Nur die marinen Ablagerungen sind aber die für die Erdgeschichtsschreibung brauchbaren Dokumente. War nun zu irgend einer Zeit aus einem Gebiet, das heute Land ist, damals aber von Wasser be- deckt war, das Meer in eine Region, die auch heute vom Meer bedeckt ist, zurückgewichen, so sind die Schichten, die sich damals bildeten, der Erforschung nicht zugänglich. Es klafft also jetzt, wenn das Meer nun wieder in das verlassene Ge- biet eindrang, eine der Epoche der Trockenlegung entsprechende Lücke zwischen zwei Meeresabsätzen. Es hat eine Unterbrechung in der Sedimentation stattgefunden, und hat sie lange gedauert, so können während derselben Veränderungen der Lebewelt stattgefunden haben, die durch die Fos- silien der Ablagerungen kund werden. Bis vor kurzer Zeit war z. B. die Lücke zwischen Perm und Trias unüberbrückt. Erst in neuerer Zeit hat man in Vorderindien Schichten kennen gelernt, die einen ganz allmählichen Übergang zwischen diesen beiden Formationen und demnach zwischen Paläozoikum und Mesozoikum darstellen, so daß es Schwierigkeiten macht, eine Grenze zwischen ihnen zu ziehen. Ferner geht z. B. in manchen Teilen der Alpen die Juraformation in der ,,Tithon-Stufe" in geologischer und faunistischer Hinsicht so allmählich in die Kreide über, daß das Problem, wo die Grenze gelegt werden muß, kaum zu lösen ist. Eine Lücke gab es aber immer noch, die sich nicht schließen wollte; es ist die zwischen Meso- zoikum und Tertiär. Schichten, die einen Über- gang aus der Kreide ins Eocän darstellen, sind bisher noch nicht gefunden. Früher glaubte man wohl, solche zu kennen. So galt die „Chico-Tejon- P'ormation" in Kalifornien als eine solche Ab- lagerung. Die genaue Prüfung der wenigen Be- weise, die für diese Behauptung beigebracht waren, hat aber gezeigt, daß die Chico- und die Tejon- Gruppe durch eine Diskordanz voneinander ge- trennt sind. Erstere gehört der Kreide, letztere dem Eocän an. Das P'ehlen dieser Übergangs- schichten ist wohl so zu erklären, daß das Ver- hältnis zwischen Festland und Meer beim Beginn der Tertiärzeit dem heutigen sehr ähnlich war. Von den ältesten Zuständen der Erde ausgehend, finden wir, je mehr wir uns der Gegenwart nähern, die Verschiebungen zwischen Wasser und Land immer geriifsfer werden, und immer weniger treffen wir Ablagerungen des tiefen Meeres an. Aus der Tertiärzeit kennen wir fast ausschließlich Bildungen 536 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 34 des seichten Wassers, die durch unbedeutende Niveauveränderungen über die Meeresoberfläche herausgehoben und in Land verwandelt werden konnten. In Süßwasserablagerungen kommt der Übergang aus dem Mesozoikum ins Tertiär dagegen vor, so in der Laramie- Group Nordamerikas. Da ja auch nur ein Bruchteil der zugänglichen Erdober- fläche geologisch erforscht ist, so darf man die Hoff- nung nicht aufgeben, daß spätere Entdeckungen diese Lücke in der Erdgeschichte schließen werden. Jüngst hat Noetling hierzu einen Beitrag geliefert (Zentralbl. f. Min., Geol., Pal. 1903 Nr. 16). Er be- schreibt aus den Marri Hills im östlichen Balu- tschistan eine Schichtenfolge, die aus der Kreide ins Eocän hinüberführt. Das von ihm mitgeteilte Profil zeigt gleichmäßig übereinander lagernde Schichten, die eine schwache Aufrichtung erfahren haben. Über sehr mächtigen, weichen, blaugrauen, fossilleeren Tonen folgen dunkle Kalke und Tone in reicher Wechsellagerung, welche sämtlich durch das Vorkommen von Gryphaea vesicularis als Senon (obere Abteilung der ob. Kreide) gekenn- zeichnet werden. Auch die darüber folgenden Schichten, die nach oben vielfach braune und rote Farben annehmen, müssen noch zur Kreide gerechnet werden, da in ihnen ein Ammonit, IndocerasBelutschistanensis, gefunden wird. (Dieser Ammonit — vielleicht der jüngste Vertreter dieser Molluskenordnung — gehört zu den „Kreidecera- titen", sogenannt, weil diese Formen ebensolche gezackte Loben haben wie die Gattung Ceratltes des Muschelkalks , ^) mit der sie aber nicht zu- sammenhängen.) Über einer Bank von Kalksand- stein, deren Fauna leider eine Altersbestimmung nicht zuläßt, folgen dann dunkelschwarze Schiefer- tone von etwa 100' Mächtigkeit, die nach oben fester werden und in einer Kalkbank endigen, die u. a. zahlreiche kleine Nummuliten und Alveolinen enthält. Durch diese P'oraminiferen wird das ter- tiäre Alter der Schicht bekundet. Darüber liegen noch mitteleocäne Tone und Knollenkalke mit vielen Nummuliten. Die Mächtigkeit der Ablage- rungen von unsicherem xAlter zwischen zweifelloser Kreide und zweifellosem Tertiär beträgt nur 1 50' engl. (= etwa 45 m). Leider fehlen also gerade in den Übergangs- schichten deutliche Versteinerungen, und selbst, wenn wirklich an dieser Stelle von der Kreide- in die Tertiärzeit hinein ununterbrochen Sedimen- tation stattgefunden hat — der ersehnte Übergang von Mesozoikum ins Tertiär ist diese Schichten- folge doch noch nicht. Denn von diesem erhoffen wir vor allem eine reiche Fauna, die uns Auskunft über die Art und Weise gibt, wie die z. T. so be- deutenden Veränderungen der Lebewelt vor sich gegangen sind, die uns mit dem Beginn des Ter- tiärs entgegentreten. Was ist z. B. aus den Am- moniten geworden? Was wird aus diesen im Mesozoikum so überreich entwickelten Tierformen mit dem Schluß der Kreidezeit? Warum finden wir von ihnen in tertiären Ablagerungen keine Spur? Diese Fragen sind noch nie befriedigend beantwortet. ^) Anhaltspunkte für die Beantwortung könnte man wohl arn ersten aus der Untersuchung einer Fauna von Übergangsschichten zwischen Kreide und Tertiär zu finden erwarten. Das Vor- kommen in Balutschistan läßt also noch viele Fragen offen ; aber dieser Fund erweckt von neuem die Hoffnung, daß doch noch eines Tages durch eine glückliche Entdeckung der Riß zwischen Mesozoikum und Tertiär geschlossen werden wird. Dr. Otto Wilckens. ') Vgl. auch den Aufsalz von Solger. Nat. Wocb. N. F. Bd. I pag. 94. ') Die Abbildung einer solchen Lobenlinie findet man Nat. Woch. N. F. Bd. 1 pag. 93 Fig. 11. Über den Dopplereffekt im elektrischen Funken. — Es ist bekannt, daß beim Überschlagen des elektrischen Funkens zwischen zwei Elektroden Teilchen von letzteren losgerissen und zum Leuch- ten gebracht werden, so daß die prismatische Zer- legung des Funkenbildes die Spektrallinien des Elektrodenmaterials liefert. Zur Feststellung der Geschwindigkeit dieser leuchtenden Partikel, deren Größe für die Kenntnis der komplizierten Vor- gänge im Funken von Wichtigkeit ist , wurden schon einige Untersuchungen angestellt, die aber je nach der angewandten Methode mehr oder weniger voneinander abweichende Resultate liefer- ten. Schuster und Hemsalech ließen (1900) den Funken längs des Spalts eines Spektralapparats springen, während sie die die Spektrallinien auf- fangende photügraphische Platte am Ende des Beobachtungsfernrohrs rasch senkrecht zur Spalt- richtung bewegten. Dann wurden die Spektral- linien keine Geraden sondern Kurven, und die Gestalt derselben ergab unter Berücksichtigung der Geschwindigkeit der Platte für die Geschwin- digkeit der leuchtenden Teilchen Zahlen von einigen Hundert Metern bis 2000 ™'sec. Schenk hat (1901) die Geschwindigkeit des abgeschleuder- ten Metalldampfs annähernd berechnet, indem er bei seinen Versuchen die Periode der Funken- entladung zu io~^ sec. bestimmte. Da nun in dieser Zeit der Metalldampf schon bis über die Mitte der P'unkenstrecke leuchtet, so muß man schließen, daß in dieser Zeit von den Elektroden Metalldampf bis dorthin geschleudert worden ist. Nimmt man für diese Strecke etwa 0,5 cm an, so ergibt sich eine Geschwindigkeit von 5000 "/sec. Eine andere Bestimmungsmethode ist durch die Benutzung des Doppler'schen Prinzips gegeben, das sowohl in der Akustik als auch in der Astro- physik zur Bestimmung von Sterngeschwindig- keiten im Visionsradius vielfach verwandt wird. D o p pl er^machte nämlich schon im Jahre 1841 darauf aufmerksam', daß die Höhe eines Tones oder die Farbe eines Lichteindrucks sich erhöhen oder erniedrigen müsse, wenn der tönende oder leuchtende Körper sich dem Beobachter nähert oder sich von ihm entfernt. Im ersteren Falle N. F. III. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 537 wird nämlich das Sinnesorgan innerhalb einer Sekunde von einer größeren, im letzteren Falle von einer kleineren Anzahl Wellen getroffen, als wenn die Ton- oder Lichtquelle stillsteht. Stellen wir uns nun vor, daß wir in der Richtung eines elektrischen Funkens blicken , in dem leuchtende Teilchen von der einen Elektrode gegen die andere hinfliegen, so müßte das von ihnen ausgesandte Licht entweder mit etwas größerer oder kleinerer Schwingungszahl ins Auge gelangen und infolge- dessen durch ein Prisma stärker oder schwächer gebrochen werden als das von ruhenden Teilchen ausgesandte; die Spektrallinien des Elektroden- metalls müßten also verschoben sein. Angström war (1855) der erste, welcher das Doppler'sche Prinzip auf die Vorgänge bei elektrischen Entladungen anwandte. Aber weder er noch andere Beobacliter konnten eine Bewegung der leuchtenden Gasteilchen nachweisen. Später (1902) stellte Mohler eine Funkenstrecke senk- recht gegen den Spalt eines Spektralapparats und photographierte deren Spektrum mit einem Konkav- gitter; dann drehte er den Funken um 180" und photographierte auf dieselbe Platte. Die Ver- schiebungen entsprachen dann der doppelten Ge- schwindigkeit der leuchtenden Partikel und ergaben hierfür etwa 740 ™/sec. Diese Methode hat neuer- dings Hagenbach (Ann. d. Phys. 13, 1904) in der Weise vervollkommnet, daß er gleichzeitig zwei Funkenstrecken übereinander aufstellte, welche beide nach dem Spalt hingerichtet waren. Beide wurden vom selben Induktionsapparat gespeist, so daß der Strom durch die Funkenstrecken nacheinander, aber im entgegengesetzten Sinn, ging. Dadurch waren kleine Verschiebungen infolge zu- fälliger Erschütterungen bei den langen Expositionszeiten unschädlich gemacht. Die spektrale Zerlegung erfolgte ein- mal mit einem Stufen- , das andere Mal mit einem Konkavgitter. Die sorg- fältigen .Ausmessungen der photographischen Auf- nahmen ergaben eine äußerst minimale Verschie- bung der Spektrallinien gegeneinander, und es kann der Schluß gezogen werden, daß die obere Grenze für die möglichen Geschwindigkeiten der leuchtenden Gasteilchen im Funken nicht weit über 280 "/sec liegen kann. Daß dieser Wert bedeutend kleiner ist als er sich besonders aus der oben mitgeteilten Rech- nung ergibt, läßt die Annahme berechtigt erscheinen, daß der Metalldampf wohl mit großer Geschwin- digkeit in die Funkenstrecke geschleudert wird, daß er aber erst dann unter den Oszillationen energisch zum Leuchten gebracht wird, ohne weitere wesentliche mechanische Verschiebung zu erleiden. Dann aber ist jede optische Methode zur Geschwindigkeitsbestimmung der Metallteilchen ungeeignet. Dr. A. Becker. Zum Rüstzeug des Naturforschers und Naturfreundes gehören nicht in letzter Linie gute Einschlag- resp. T a s c h e n 1 u p e n. Merkwürdigerweise war es damit — wenigstens soweit stärkere Vergrößerungen in Frage kamen — in bezug auf deutsches Fabrikat nicht zum Besten bestellt. Wie die Firma Carl Zeiß, Jena, hinsichtlich der Mikroskope bahnbrechend vorge- gangen , so hat sie nunmehr auf Anregung hin bereitwilligst die weitestgehenden Wünsche betreffs tadelloser und auch in der Fassung praktischer Lupen befriedigt. Während die früheren aplana- tischen Zeiß'schen Lupen von 10 facher Vergröße- rung namentlich in der nebenstehenden, besonders Fig. a. Niit. Größe. für Entomologen praktischen Fassung (Fig. a) im wesentlichen nach dem Steinheil'schen Typus ge- baut waren und daher aus drei Linsen bestanden, weist die neue Doppellupe von 16- und 27 facher Vergrößerung einen ganz anderen aus vier Linsen bestehenden Typus auf (Fig. b). Trotz der starken Vergrößerung ist das Sehfeld vollständig astig- matisch korrigiert, so daß die Lupen als an- astigmatische zu bezeichnen sind. Die Brenn- weite der 16;- Lupe ist ca. 15 mm, die der 27X ca. 9 mm. Ich habe diese neue Lupe, die auch mit 20X27 facher Vergrößerung geliefert wird, einer gründlichen Prüfung unterzogen und finde alle meine Erwartungen übertroffen. Überraschend groß ist der freie Objektabstand. Die zugespitzte Fassung ermöglicht ein nahes Heranbringen mit großer Sicherheit. Während früher sehr oft das Mikroskop in Tätigkeit gesetzt wurde, um feinere Einzelheiten klar zu legen, ist die Klarstellung jetzt sofort event. schon auf der Exkursion er- ledigt. Das Sehfeld ist ein auffällig großes und von hervorragender Lichtfülle. Die Fassung be- steht aus Neusilber, so daß das Unansehnlich- werden, wie es bei den vernickelten Lupen nach längerem Tragen stets eintritt, vermieden wird. Dr. v. Büttel. 538 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 34 Wetter-Monatsübersicht. Der diesjährige April \var_am Anfang und Ende in ganz Deutschland kühl und weit überwiegend trübe, während sich die Mitte des Monats durch sehr^ freundliches , warmes Früh- lingswetter auszeichnete. Bis [zum 12. hielten sich, wie die beistehende Zeichnung ersehen'läßt, die mittleren Temperaturen meist in der Nähe von 5 "_ C. Während der ersten Nächte ^ifffcrcTcmpcrafuren sima«rÖrfcim.?IpriI 190'^. 1. April - - - - * Eerliner Welterbure^u . gab es in vielen Gegenden leichten Frost. Dann aber riefen trockene Südostwinde und heller Sonnenschein in Nordwest- und Süddeutschland eine außerordentlich starke Erwärmung hervor. Am Nachmittag des 14. wurden zum erstenmal in diesem Jahre im Binnenlande 25" C überschritten, an den fol- genden Nachmittagen an einzelnen Orten, z. B. in Cassel, Karlsruhe, Stuttgart 29" C erreicht, und auch in den Nächten dazwischen kühlte sich dort die Luft nicht unter 10" ab. Nordöstlich der Oder stiegen die Temperaturen erst etwas später und weniger bedeutend an , namentlich waren die Nachtfröste in den Provinzen Ostpreufsen, Pommern und Schlesien noch sehr häufig. Hier schritt daher auch die Vegetation verhältnismäßig langsam vorwärts, während im übrigen Deutschland um Mitte April die meisten Obstbäume schon in voller Blüte standen. Jedoch in der zweiten Hälfte des Monats trat auch im Nordwesten und Süden eine neue Abkühlung ein , und erst in seinen letzten Tagen wurde es wieder wärmer. Die Durchschnittstemperaturen des .April übertrafen in Norddeutsch- land um einige Zehntelgrade ihre normalen Werte, die sie in Süddeutschland knapp erreichten. Ebenso wich die .Sonnen- strahlung nicht sehr erheblich von ihrer gewöhnlichen Dauer ab; beispielsweise wurden zu Berlin im letzten April 155 Stunden mit Sonnenschein verzeichnet und 169 Stunden im Mittel der 12 vorangegangenen Aprilmonate. Die Niederschläge waren, der nachstehenden Darstellung zufolge, bis zum 12. April in allen Teilen Deutschlands recht ergiebig. In West- und Mitteldeutschland führte sich der Monat mit einzelnen Gewittern und Hagelfällen ein, die sich dann während der ganzen Osterwoche sehr häufig wiederholten. Auch der Regen fiel gewöhnlich in .Schauern, zwischen denen sich der Himmel immer wieder für kurze Zeit aufklärte , so daß das Wetter sehr auffällig den unbeständigen Charakter zeigte, wie er dem Monat .Xpril eigentümlich ist. .'\m 6. und 7. April herrschten äußerst heftige West- und Nordwest- stürme, die an vielen Stellen, besonders der Nordseeküste, unheilvolle Sturmfluten zur Folge hatten. Weniger schwere Stürme schlössen einige Tage später diese Zeit der raschen Witterungswechsel ab. S b 1-S-s g-3 ä| d.s • Hig^.S 3:U)£2cz2c< «sozSoim SsiTLtm^ 1. bis 12. April. illiiliuiu II Deutschland. ^onalssumnienimÄpril I90t 03.02. Ol. 00.1899, ^ BeHintfWetlerbiffwu Vom 13. bis 21. April herrschte im allgemeinen trockenes Wetter vor, wurde jedoch mehrmals, besonders am 17. und 18. in Süd- und Mitteldeutschland, durch starke Gewitterregen unterbrochen. Gegen Ende des Monats fanden wieder häufi- gere und länger anhaltende Regenfälle statt, die aber nur in Nordostdcutschland , Bayern und Württemberg große Wasser- mengen lieferten. Sein Gesamtertrag an Niederschlägen belief sich für den Durchschnitt aller Stationen auf 52 Millimeter, 5 Millimeter mehr, als die Aprilmonate seit Beginn des vorigen Jahrzehntes im Mittel ergeben haben. Obwohl im Laufe des April mehrere sehr tiefe barometri- sche Minima vom atlantischen Ozean nach Europa gelangten, so vermochten sie doch nur unter bedeutender Verflachung in den Kontinent einzudringen, da der größte Teil von Rußland, wie schon im März, gewöhnlich von einem widerstandskräftigen Hochdruckgebiete bedeckt wurde. Die erste tiefe Barometer- depression gebrauchte beinahe den halben Monat, um über das europäische Nordmeer, Skandinavien und Finland bis zum weißen Meere vorzurücken, entsandte dabei jedoch zahlreiche Teilminima weit nach Süden hin. Nachdem dazwischen ein enger begrenztes Maximum von Südwest nach Mitteleuropa geschritten war, trat am 13. .^pril ein neues Minimum bei Irland auf, das das erste noch an Tiefe übertraf. Bei seiner Annäherung stiegen die Temperaturen in Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland äußerst rasch empor, bis ein Teil- minimum mit zahlreichen Gewittern im Norden vorüberzog. In der zweiten Hälfte des Monats führte ein flacheres Barometerminimum, das längere Zeit auf dem mittelländischen Meere verweilte, in Mitteleuropa feuchte, kühle Nordostwinde herbei. Doch seit dem 22. April rückten gleichzeitig ein um- fangreiches Hochdruckgebiet vom biskayischen Meer und eine mäßig tiefe Depression von Schottland mehr und mehr nord- ostwärts vor und breiteten allmählich über die ganze westliche Hälfte Europas eine wärmere Südwestströmung [aus, so daß der Monat mit ziemlich freundlichem, mildem Wetter endigte. Dr. E. Leß. Vereinswesen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde. — Unter Führung des Herrn Prof. Dr. L. Plate wurde am Sonntag, den J.Februar, vormittags 11 Uhr, dem Berliner Aquarium ein Besuch abgestattet. Am Mittwoch, den 17. Februar, hielt im Rat- haussaale Herr Prof. Dr. Z u n t z einen durch Wand- N. F. m. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 539 tafeln veranschaulichten Vortrag über den „Blut- kreislauf und die Ernährung der Organe". Der Vortragende, welcher eine gewisse Kennt- nis des Kreislaufs und der Herztätigkeit als be- kannt voraussetzt, erläutert zunächst die Methoden, mit Hilfe deren die Spannung des Blutes in den Abteilungen des Herzens, im Arterien- und Venen- system gemessen wird, ferner die Methoden zur Messung der Stromgeschwindigkeit des Blutes in den einzelnen Gefäßprovinzen. Es wird dargelegt, wie sich aus dem Geschwindigkeitsunterschiede in den großen Arterien und in den Kapillaren ab- leiten läßt, daß der Gesamtquerschnitt der Kapil- laren etwa 400— 500 mal größer ist als der der Aorta. Hieraus und aus dem bekannten Durch- messer der einzelnen Kapillare wird die Zahl der Kapillaren im menschlichen Körper auf 2 Milliarden, ihre gesamte Oberfläche auf über 300 Quadrat- meter berechnet. Aus dieser gewaltigen Ober- flächenentwicklung erklärt sich die enorme Schnelligkeit, mit der sich alle Konzentrations- difFerenzen, alle Ungleichlieiten der chemischen Zusammensetzung auf dem Wege des osmotischen Stoffaustausches zwischen Blut und Geweben aus- gleichen. — Als Beispiel wird erwähnt, daß die Aufnahme des Sauerstoffs ins Venenblut bis zum vollen Ausgleich der Spannungen beim Passieren der Lungenkapillaren in einer Sekunde erfolgt, während dazu beim heftigsten Schütteln von Blut mit Luft Minuten gehören. Das kommt daher, daß die Tropfen, in welche die Flüssigkeit beim Schütteln zerstäubt, immer noch sehr geringe Oberfläche bieten im Vergleich zu der Feinheit der Verteilung des Blutes im Kapillarstrom. Im letzteren liegen die Blutkörperchen einzeln aufgereiht hintereinander; im Radius eines beim Schütteln entstehenden kleinen Tropfens haben wir noch eine Schicht von 400 — 500 von der Oberfläche bis zum Mittelpunkt. Es wird dargetan, daß ge- rade das Bedürfnis der Zellen nach Sauerstoff und die Notwendigkeit der Ausscheidung der im Stoff- wechsel gebildeten Kohlensäure die beim Säuge- tier vorhandene, schnelle Zirkulation des Blutes nötig macht; den übrigen Bedürfnissen der Er- nährung würde auch ein sehr viel langsamerer Umlauf der Nährflüssigkeit genügen. Dies zeigt das Verhalten der durch Tracheen den Zellen direkt Luft zuführenden Gliedertiere, deren Stoff- wechsel ebenso lebhaft ist wie der der Säugetiere, die aber trotzdem mit einer geringen Menge träge umlaufenden farblosen Blutes auskommen. — Zum Schlüsse wird noch die dem Bedürfnisse an- gepaßte Regulation der jeweiligen Blutzufuhr zu den einzelnen Organen besprochen und die Bedeutung der Ringmuskeln der Arterien und des sie beherrschenden Nervensystems für diese Regu- lation an einigen Beispielen erläutert. — In der an den Vortrag sich anschließenden Diskussion kommt auf Anregung des Vorsitzenden die Bedeutung der weißen Blutkörperchen als „Freßzellen" kurz zur Darlegung. — Am Freitag, den 26. Februar, sprach im Theatersaal der alten Urania Herr Privatdozent Dr. E. P h i 1 i p p i unter Vorführung zahlreicher Lichtbilder über seine „Erlebnisse auf der deut- schen Südpolarexpedition." Nachdem der Herr Vortragende kurz die Fahrt von Kiel bis Kapstadt gestreift hatte, auf der man ein größeres ozeanographisches Programm zur Ausführung brachte, beschäftigte er sich zunächst mit den drei subantarktischen Inseln des süd- indischen Ozeans (Possession-Insel aus der Crozet- Gruppe, Kerguelen und Heard-Insel), welche die Expedition auf der Ausreise berührte. Die Inseln sind sämtlich vulkanischen Ursprungs, basaltische Gesteine wiegen vor. Die ältesten Eruptivgesteine scheinen auf Kerguelen vorzukommen, wo Basalt- laven mächtige und sehr ausgedehnte Decken bilden, die jüngsten vulkanischen Erscheinungen weist die Heard-Insel auf. Die Possession-Insel ist wahrscheinlich nie vergletschert gewesen , auf Kerguelen dagegen begegnet man allenthalben den Spuren einer früheren, alles bedeckenden Vergletscherung, während sich die heutigen Eis- ströme ins Innere der Insel zurückgezogen haben; auf der Heard-Insel endlich erreichen die Gletscher des etwa 2000 m hohen Kaiser Wilhelm - Berges bereits die Küste. Die Fauna und P'lora ist auf allen drei Inseln nahezu die gleiche. Besonders auf der Heard-Insel traf man große Herden der riesigen Elefantenrobbe und unzählige Esels- und Lockenhaarpinguine. Auf den Kerguelen ist der berühmte antiskorbutische Kerguelenkohl durch die Kaninchen, die die „Challenger"-Expedition aussetzte, fast vernichtet; die häufigsten Blüten- pflanzen sind dort die rasenbildende Umbellifere Azorella und die kleine Rosaceen-Staude Acaena. Am I4. Februar 1902, also genau ein halbes Jahr nach seiner Abreise aus den heimischen Gewässern, erreichte der „Gauß" den Packeisrand. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es, zwischen dem 18. und 20. Februar den Packeis- gürtel zu durchbrechen, und am 21. Februar stand man vor der langgestreckten Eismauer des völlig von Inlandeis überdeckten „Kaiser Wilhelm II.-Land". Leider wurde bereits in der folgenden Nacht der „Gauß" in einem heftigen Schneesturme vom Pack- eis eingeschlossen und blieb nahezu für ein Jahr dort gefangen. Das Eis, in welchem der Gauß lag, war völlig bewegungslos und erlaubte daher die Anlage einer wissenschaftlichen Station, mit deren Aufbau sehr bald nach dem Einfrieren be- gonnen wurde, ebenso wie auf festem Lande. Auch wurden bereits im Südherbste 1902 Schlittenreisen unternommen, auf denen das etwa 80 km ent- fernte Inlandeis erreicht und die basaltische Kuppe des „Gaußberges" entdeckt wurde. Leider blieb der „Gaußberg" der einzige eisfreie Punkt. Der Winter verging ohne Unfall, brachte aber durch seine fortgesetzten Schneestürme viele Beschwerden. Leider ging die Hoffnung, bereits Anfang des Sommers freizukommen, nicht in Erfüllung; der Sommer verging, ohne daß das Eis aufbrach. Endlich, am 8. Februar, als man bereits alle Hoff- 540 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 34 nung auf Befreiung aufgegeben hatte, brach das Eis. Nun trieb der „Gauß" noch zwei volle Monate im losen Packeise, meist nach Nordwesten. Wieder- holte Versuche, eine zweite Überwinterung zu er- zwingen, scheiterten, weil sich das stets von der Dünung bewegte Eis nicht zusammenschließen wollte. Am 8. April wurde die Rückfahrt ange- treten, nicht wegen Mangels an Proviant oder wegen des Zustandes von Schiff und Mannschaft, sondern lediglich weil eine Überwinterung an dem Außenrande des Packeises unmöglich erschien. Auf der Rückfahrt wurden noch die unbewohnten Inseln St. Paul und Amsterdam angelaufen, am 31. Mai 1903 traf der Gauß auf der Reede von Durban ein. Vom Kaplande aus wurde die Er- laubnis, den ,,Gauß" noch einmal in die antark- tischen Gewässer zurückzuführen, erbeten, aber leider nicht gewährt. Die Resultate der Expedition liegen haupt- sächlich auf rein wissenschaftlichem Gebiete und werden ganz erst nach der Bearbeitung des um- fangreichen Materials zu überblicken sein. — Für die Mitglieder der Gesellschaft wurde in der Zeit vom 18. Februar bis zum 22. März ein Vortrags- kursus über die Leichtmetalle in dem chemischen Hörsaal des Dorotheenstädtischen Realgymnasiums durch Herrn Prof Dr. H. Böttger abgehalten. Am Sonntag, den 6. März, nachmittags i Uhr, wurde der ständigen Ausstellung für Arbeiter- wohlfahrt in Charlottenburg ein Besuch abgestattet. Die Führung hatte in liebenswürdigster Weise der Direktor der Anstah, Herr Prof Dr. Albrecht, übernommen. In der .Aula des Lette -Vereins sprach am Mittwoch , den 9. März , der Direktor der photo- graphischen Lehranstalt des genannten Instituts, Herr Schultz- Hencke, über das Thema: „Die Photographie, experimentelle Erläuterung der photographischen Prozesse." Der nächste Vortragsabend fand statt am Mittwoch, den 23. März, im großen Hörsaale der Königl. Landwirtschaftlichen Hochschule. Zu Be- ginn der Sitzung gedachte der Vorsitzende, Herr Geh. -Rat Kny, mit warmen Worten des am Tage vorher nach schmerzvoller Krankheit verschiedenen langjährigen Ausschußmitgliedes der Gesellschaft, des Kustos am Königl. Botanischen Museum, Herrn Prof. Dr. Karl Schumann, der sich der Inter- essen der Gesellschaft stets aufs wärmste ange- nommen und noch im verflossenen November einen Vortragscyklus über das System der Blüten- pflanzen gehalten hatte. Um das Andenken des Verstorbenen zu ehren, erhoben sich die Anwesen- den von ihren Sitzen. Hierauf nahm Herr Prof Dr. Scheibe das Wort zu dem von ihm angekündigten Vortrag über: „Natürliche und künstliche Edelsteine". Diamant, .Smaragd, Rubin, Saphir, Spinell, so führte er aus, sind kostbare Edelsteine, deren hoher materieller Wert die Versuche ihrer künst- lichen Darstellung eben so sehr immer von neuem angeregt hat wie das rein wissenschaftliche Streben, iiire Bildung in der Natur klar zu stellen. Wie und unter welchen Umständen gewisse Minerale entstanden sein mögen, ob unsere Anschauung von der Entstehung eines Minerals, die wir uns aus seinem'jVorkommen, aus geologischen Gründen gebildet haben, richtig ist, diese Fragen sind es, die man durch künstliche Darstellung von Mine- ralien mit zu beantworten hofft. Wir erwarten vom Experiment eine Aufklärung über geologische Vorgänge. Bei den Edelsteinen kommt die Aus- sicht auf materiellen Gewinn hinzu, den die künst- liche Darstellung verspricht , wobei diese nicht etwa als Nachahmung in Glas oder irgend einer Substanz gedacht ist, die nur den Eindruck der Echtheit erwecken, sondern das Mineral mit all den Eigenschaften , die uns das freie natürliche Gebilde zeigt, liefern soll, mit der gleichen Farbe, Härte, Schwere, Lichtbrechung, Beständigkeit und stoftlichen Zusammensetzung. Bei den Versuchen der künstlichen Darstellung von Mineralien wird uns aber umgekehrt wieder das genaue Studium ihres Vorkommens am ehe- sten den Weg andeuten können, auf dem wir bei der Nachbildung erfolgreich sein werden. Daß wir ihn oft nicht und meist nicht genau einhalten können, ist erklärlich, da uns nur ein Laboratorium und unsere menschlichen Kräfte, nicht die so viel großartigeren der freien Natur zur Verfügung stehen und — was ins Gewicht fällt — alle die Nebenumstände, die in der Natur die Bildung be- einflussen, von uns nicht nachgeahmt werden können. An deren Wirkung, an dem charakte- ristischen Gepräge, das sie dem Mineral aufdrücken, sind wir aber gerade oft imstande zu entscheiden, ob der fertige, vielleicht schon geschliffene Edel- stein natürliches oder künstliches Ergebnis ist. Es sind feinere Strukturformen, Einschlüsse und dergl., um die es sich handelt. An den gewählten Beispielen würde das zu erläutern sein. Vom Diamant schildert Vortragender die Eigenschaften und das natürliche Vorkommen an primärer Lagerstätte im blue ground Südafrikas. Er weist auf die Versuche seiner Nachbildung hin, die in der Regel problematisch waren, bis Moissan zuerst Erfolge erzielte. Ihm gelang es, aus flüssi- gem Eisen , in dem bei sehr hoher Temperatur Kohle gelöst worden war, durch schnelle Abküh- lung die Abscheidung des Kohlenstoffs wenigstens z. T. in Form von Diamantkörnchen zu erzielen. Ihn hatte das Vorkommen von Diamant in dem meteorischen Eisen von Canon Diablo angeregt. Nach kritischen Bemerkungen über die behaupteten Nachweise von Diamant in Stahl- und Eisensorten gewisser Herkunft wurden die interessanten Ver- suche Ludwigs erwähnt, denen zufolge Kohlenstoff bei sehr hoher Temperatur und genügend hohem Druck (wenigstens etwa 1 500 Atm.) vor der Ver- flüchtigung schmelze und sich dabei in Diamant umwandle, der allerdings leicht wieder in Graphit übergehe. Auf das natürliche Vorkommen in Olivinfelsen nehmen die \'ersuche B. Friedländer's Rücksicht, N. F. in. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 541 der zeigte, daß geschmolzener Olivin Kohle auf- löst und beim Erstarren sie z. T. in Form winzig- ster (Viooo — Vioo "^"^ großer) trüber Diamant- kriställchen wieder ausscheidet. Endlich stellte neuerdings v. Haßlinger Dia- manten dar. In einer mittels des Thermitver- fahrens erzeugten Schmelze, deren Bestandteile denen des südafrikanischen Muttergesteins (blue ground) im wesentlichen entsprechen und in der etwas Kohlenstoff aufgelöst worden war, hatten sich beim Erstarren klare Diamantoktaeder von '/21, mm Größe ausgeschieden. Der künstlich dargestellte Diamant ist bisher in zu kleinen Individuen und unter zu großen Kosten hergestellt worden, als daß er praktische Bedeutung erlangen könnte. Anders ist das beim Rubin. Seine Heimat sind kontaktmetamorphe Kalke und Dolomite in Slam , Birma u. a. Orten , z. B. kommt er ent- sprechend auch in dem metamorphen Dolomit des Campolungopasses im Kanton Tessin vor. Mit der Art des Vorkommens wurden die Methoden der künstlichen Darstellung verglichen. Rubin ist oft künstlich dargestellt worden (von Gaudin, Senarmont, Ebelmen, St. Claire-Deville, Debray, Hautefeuille und anderen P"orschern). Die schön- sten Ergebnisse erzielte Fremy, als er in porösen Chamottetiegeln ein Gemisch von Tonerde und Fluorbaryum (oder Fluorcalcium) mit etwas kohlen- saurem Kali und ein wenig chromsaurem Kali bis auf 1500" erhitzte und 8 Tage lang auf dieser Temperatur erhielt , während feuchte Ofengase dauernd zum Inhalt des Tiegels Zutritt hatten. Aus den erhaltenen Rubinkristallen konnten über millimetergroße Schmucksteine geschliffen werden. Durch Paquier in Paris und andere Fabrikanten werden , wohl nach dem Fremy'schen Verfahren, wenn auch vielleicht mit kleinen geheim gehaltenen Abänderungen, jetzt über erbsengroße Rubine her- gestellt, die geschliffen prachtvolle Steine geben, welche in allen Eigenschaften den natürlichen nicht nachstehen. An ihrer Strukturlosigkeit und den Gasbläschen, die sie führen, sind sie von den natürlichen Rubinen aber noch zu unterscheiden, da diese fast nie völlig rein sind, regellos verteilte oder gesetzmäßig gereihte Einschlüsse und dergl., deren Natur wenig bekannt ist, aufweisen. Kurz wurde dann Saphir und Spinell be- rührt, deren künstliche Darstellung praktisch we- niger von Bedeutung ist, eingehender "wieder der Smaragd behandelt. Smaragd kommt u. a. in Glimmerschiefer im Ural, Südägypten, auch im Pinzgau , in Kalken in Colombien vor. Seine künstliche Darstellung durch Ebelmen aus Beryllpulver, das er mit Bor- säure und etwas chromsaurem Kali lange bei sehr hoher Temperatur geschmolzen erhielt , wie die durch Hautefeuille, der die Bestandteile des Berylls mit Überschuß eines Schmelzmittels (saurem molybdänsaurem Kali) und etwas Chromoxyd schmolz, bieten keine Beziehungen zu dem natür- lichen Vorkommen dar. Die natürlichen Smaragde sind gleich den Rubinen in der Regel unrein. Neben unregelmäßig gestalteten Einschlüssen ver- schiedener Art, aber kaum bekannter Natur, ent- halten sie regelmäßig Reihen von Flüssigkeits- einschlüssen, in denen Gasbläschen und z. T. würfelige Kriställchen eingeschlossen sind. Durch eine Reihe von Projektionsbildern wur- den die Einschlüsse und die Strukturformen des natürlichen Rubins und Smaragds und die Gas- blasen eines künstlichen Rubins demonstriert. In aufgestellten Mikroskopen waren die hauptsäch- lichsten Originalpräparate dazu zu sehen. Eine größere Anzahl von Mineralschaustücken, rohen und geschliffenen Edelsteinen, dienten zur Veran- schaulichung des Vorkommens und der Eigen- schaften der behandelten Edelsteine. I. A. : Dr. W. Greif, I. Schriftführer, SO 16, Köpeaickerstraße 142. Bücherbesprechungen. Natur und Staat, Beiträge zur naturwissenschaftlichen Gesellschaftslehre. IV. ^) Natur und Gesell- schaft, eine kritische Untersuchung der Bedeutung der Deszendenztheorie für das soziale Leben von Dr. jur. et phil. Albert Hesse, Privatdozenten der Nationalökonomie an der Universität Halle a. S. Verlag von (iustav Fischer in Jena, 1904. 234 S. 8". Mit dieser Schrift befinden sich nunmehr außer der mit dem ersten Preis gekrönten Schallmeyer'schen Abhandlung alle drei mit zweiten Preisen ausgezeich- neten .Arbeiten in den Händen der Leser. Die Lehr- sätze, zu denen Hesse gelangt, bestehen in der Hauptsache darin . daß die Deszendenztheorie nicht die Bedeutung eines das soziale Leben beherrschen- den Naturgesetzes habe, da das soziale Leben auf menschlichen Willensäußerungen beruhe, die sich nicht unter den Begriff gesetzmäßiger Kausalität bringen lassen, daß aber trotzdem die Deszendenztheorie eine große Bedeutung für das soziale Leben besitze. An- derer Ansicht ist bekanntlich H. Matzat in seiner ..Philosophie der Anpassung" , die ebenfalls einen zweiten Preis erhielt. Nach ?ilatzat ist einfach alles .\npassung. Wie aus Obigem hervorgeht, arbeitet Hesse mit der Kant 'sehen Erkenntnistheorie. Kaum, Zeit und Kausalität sind ihm a priori gegebene Kate- gorien, wie das Sittengesetz in uns ebenfalls a priori gegeben ist. Das war vor 100 Jahren modern, heut- zutage ehrt man aber Kant am meisten , wenn man annimmt , er würde , wenn er nach Darwin gelebt hätte, seine Lehre mit der Deszendenztheorie in Ein- klang gebracht haben. Raum , Zeit und Kausalität müssen wir doch anders auffassen, als Kant tat und tun durfte. In der kürzlich erschienenen Abhandlung von Prof. H. E. Ziegler (Jena) ,, Entwicklungslehre oder Apriorismus? Haeckel oder Kant?" ist die naturwissenschaftliche, auf der Lehre Darwin's be- ruhende Auffassung im Gegensatz zu dem Kant'schen Apriorismus klar dargestellt , jedoch möchte ich mir ') Bericht über I., II. und IIl. siehe Nr. 3 und 14 der Naturw. Wochenschr. 542 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 34 die Bemerkung erlauben , daß Ziegler den ersten Autor, der den Gegensatz richtig erfaßt hat, über- sehen zu haben scheint. Er nennt Haeckel und Bütschli, deren bezügliche Äußerungen nicht weiter als bis 1899 zurückgehen. H. Potonie hat aber schon 1891, und zwar in Nr. 15 dieser Zeitschrift vom 12. April, das Problem in seinen Grundzügen ganz richtig hingezeichnet. Hier seien nur einige Sätze Potoniö's aneinandergereiht : „Die Prinzipien des Darwinismus gelten nicht nur für die körperliche, sondern auch für die geistige Entwicklung der Organismen.. . Die sämtlichen Denkformen sind ebenso entstanden im Kampfe ums Dasein wie die Formen der organischen Wesen. . . Was man aprio- ristische Anschauungen nennt, sind ererbte, schon von den denkenden Urorganismen notwendig ge- brauchte , uns daher jetzt zwar ohne weiteres in der Anlage gegebene, aber dennoch ursprünglich aus der Erfahrung gewonnene. Ohne Erkenntnis von Raum und Zeit z. B. ist keine Handlung möglich , daher die Vorstellung von ihnen wohl die älteste, also b e- sonders aprioristisch erscheinende ist. . . Wenn die Autoren die Logik behandeln , nehmen sie den Inhalt derselben stets als gegeben an : sie untersuchen nur die jetzt gegebenen Formen des Denkens , ohne nach ihrer Herkunft, nach dem Werden derselben zu fragen." Potonie hatte Recht zu sagen, diese Wahr- heiten brauchten bloß ausgesprochen zu werden, um die Zustimmung der Naturforscher zu finden. Solche ist ihm auch reichüch zuteil geworden , aber merk- würdigerweise hat die Philosophie wenig Notiz von jener Abhandlung genommen, die wieder in Ver- gessenheit geriet. Heute erregt es kein bedauerndes Achselzucken, wenn ein Verf. mit dem aprioristischen Charakter der Denkformen schweres Geschütz aufzu- fahren glaubt , um die Deszendenztheorie in engere Schranken zurückzutreiben ; er operiert ahnungslos mit Erzeugnissen der Naturzüchtung, um die Naturzüchtung zu widerlegen ! Man wundert sich auch nicht, wenn solche Bücher Preise bekommen , und zwar zweite, während eine Abhandlung wie die Woltman n 'sehe, der man keine solche Rückständigkeit nachsagen kann, mit einem dritten Preis bedacht wurde. Hesse's Arbeit ist zum größten Teil angefüllt mit erkenntnis- theoretischen und methodologischen Erörterungen, und es begreift sich , daß diese nicht sehr anziehend auf den Leser wirken, der mit der Grundlage nicht ein- verstanden ist ; der Stil ist zwar klar, aber fesselnd ist er auch nicht. Der naturwisjenschaftliche Teil mußte etwas zurücktreten, doch enthält er eine ausreichende und richtige Darstellung der Befruchtungs- und Ver- erbungstatsachen und der darauf gegründeten Lehren. Hesse handelt auch von dem An- und Abschwellen der höheren Begabung in mehreren Geschlechter- folgen einer Familie ; leider vermißt man in diesem scheinbaren Rätsel das erlösende Wort , das nur im Anschluß an die Wahrscheinhchkeitstheorie von Gauß gesprochen werden könnte. Immer ge- winnt bei Hesse die Flaumacherei die Oberhand : es kann so sein, es kann aber auch anders sein. Damit kommt man nicht weit; das ist kritisch, aber nicht schöpferisch. Von der bloßen Kritik haben wir schon mehr als genug. Deswegen dürfte das Hesse- sche Buch der Sozialwissenschaft nicht die Dienste leisten, die der Stifter des Jenaischen Preisbewerbs hat anregen wollen. Um Gerechtigkeit zu üben, sei betont, daß einige Abschnitte immerhin von Wert sind, z. B. im großen und ganzen die Hervorhebung der Unterschiede zwischen dem Kampf ums Dasein und dem sozialen Wettbewerb innerhalb der Gesell- schaft, wozu jedoch zu bemerken wäre, daß alles soziale Geschehen aus natürlichen Ursachen entspringt, also auch die Einschränkungen des Wettbewerbs durch ethische Beweggründe und Gesetze ihre natürlichen Wurzeln haben. Daß der Wettbewerb eine soziale Schichtung der Individuen nach dem Überwiegen der einen oder der andern Rassenbegabung hervorbringt, wird von Hesse nicht erwähnt, und nach der ganzen Art seines Buches würde er die Richtigkeit einer solchen Behauptung schwerlich zugeben. Überhaupt : ,,Rasse"! Was ist ihm Rasse! Ebensowenig wie einige seiner Mitbewerber und die Mehrheit der Preis- richter legt der Verf. der Verschiedenheit der Seelen- anlagen von Germanen, Semiten, Mongolen, Negern, Indianern, Papuas usw. irgend welche Bedeutung für das soziale Leben bei, obwohl die Tatsachen sozu- sagen in die Augen springen. Es ist fast tragikomisch, daß Hesse's Abgott, Kant selbst, in seinem Ausspruch über „das Sittengesetz in uns" sich bewußt oder un- bewußt auf den Rassenstandpunkt gestellt hat, denn kein anderes Sittengesetz hat er gemeint, als dasjenige, das der Indogermane in sich trägt. Wie man früher geozentrisch und anthropozentrisch dachte, so denkt man (sit venia verbo!) auch ariozentrisch, und dieses mit gutem thund, denn der Arier war überall der Schöpfer und Bringer der höheren Kultur und der höheren Ethik. Soviel zur Theorie. Wie man auf ver- schiedenen Wegen das nämliche Ziel erreichen kann, so sind trotz obiger Ausstellungen die praktischen Folgerungen Hesse's nicht zu verwerfen : „Ein Staats- wesen, in dem jedem der Arbeitsplatz zugewiesen ist, der seinen Fähigkeiten entspricht, es ist ein Ideal, und keinem goldenen Zeitalter wird es beschieden sein, es zur vollen Wirklichkeit zu gestalten So muß denn die Rücksicht auf die Allgemeinheit jeden einzelnen dazu führen , dem Platz sich anzu- passen, auf den ihn das Leben gestellt hat. ¥,s darf die Frage, ob er am richtigen Platze stehe, ihn nicht abhalten, die Aufgaben, die ihm zugewiesen sind, nach bestem Vermögen zu erfüllen, und es muß die Mei- nung, daß eine andere Stelle im sozialen Leben ihm gebühre (die oft eine bloße Einbildung ist! Ref.), zurücktreten hinter dem (?) Pflichtbewußtsein: tue mit deiner ganzen Kraft, was deine Hand zu tun findet." Das sind gesunde Lebensregeln, zu denen man auch auf anderem V\'ege gelangen kann, die aber jeden- falls freudig begrüßt zu werden verdienen. Otto Ammon-Karlsruhe. Albert I., Fürst von Monaco , Eine See- manns- Laufbahn. Autorisierte Übersetzung aus dem Französischen von Alfred H. Fried. Boll und Pickardt, Berlin. — Preis 6 Mk. Es handelt sich um Schilderungen seemännischer N. F. III. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 543 Erlebnisse des Verfassers, der bekanntlich der zoo- logischen Meeresforschung ein so groläes Interesse entgegenbringt, daß er sich selbst mit seiner Yacht in den Dienst dieser Forschung stellt. In dem vor- liegenden Buch läßt der Verfasser in einzelnen Bil- dern sein Leben an uns vorüberziehen. Er beschreibt seine erste Seemannszeit in der spanischen Marine. Ihr folgt die Erwerbung einer eigenen Yacht, auf der er seine Reisen zunächst nur seiner großen Liebe zum Meere wegen unternimmt; und erst allmählich, besonders nach Anschaffung der neuen , gröl3eren Yacht „Princesse Alice", tritt die reine Meeresforschung mehr und mehr in den Vordergrund, der er dann einen Hauptteil seines Lebens widmet. Schwierigkeiten , lehrt Vorsicht und — — — Be- scheidenheit. Ein sehr sorgfältiges Verzeichnis der Publikationen Schleiden's, das dem Buch angehängt ist , wird dem Botaniker gelegen sein. Prof Andrew Gray, Lehrbucli der Physik. Autorisierte deutsche Ausgabe von Prof Dr. F. Auerbach. I. Bd. Allgemeine und spezielle Mechanik. 837 Seiten mit 400 Abbild. Braun- schweig, F. Vieweg u. Sohn. 1 904. — Preis geb. 21 Mk. Das groß angelegte Werk des -Amtsnachfolgers des Lord Kelvin, dessen erster Band hiermit in guter Übersetzung vorliegt, wird sicherlich auch beim deut- schen Gelehrtenpublikum die gebührende Beachtung finden, vermag es doch durch die spezifisch englisciie Methodik auch denjenigen in hohem Grade zu fesseln, der bereits ähnliche Werke deutscher Autoren studiert hat. Besonderes Gewicht wird vom Verf auf die Anwendungen der Mechanik gelegt. Die Kreisel- theorie und im .Anschluß daran die Präzession, sowie die gyrostatischen Wirkungen bei Maschinen werden breit dargestellt, auch die Mondtheorie elementar an- gedeutet. Besondere Kapitel sind ferner gewidmet der graphischen Statik, der Gravitation und Potential- theorie, der astronomischen Dynamik, der Bestimmung der Gravitationskonstante und Erddichte, den Gezeiten, der Elastizität, Kapillarität und schließlich den Mes- sungen und Meßinstrumenten. Die Reichhaltigkeit des Inhalts ist, wie hieraus hervorgeht, eine außerordent- liche und neben den theoretischen Entwicklungen ist auch der beschreibenden Darstellung in ausreichender Weise Raum gelassen. Den ferneren Bänden des Werkes darf demnach mit Spannung entgegengesehen werden. F. Kbr. M. Möbius, Matthias Jacob Schieiden. Zu seinem 100. Geburtstage. Mit einem Bildnis Schlei- dens und zwei Abbildungen im Text. Wilhelm Engelmann in Leipzig. 1904. — Preis 2,50 Mk. Die vorliegende , sehr gut ausgestattete Schrift beschäftigt sich vorwiegend mit der Vorführung von Schleiden's wissenschaftlichen Leistungen, der Lebens- abriß nimmt nur wenige Seiten (p. 2 — 10) ein. Schieiden gehört zu denjenigen, die die Bahn für die heutige Naturforschung mit haben frei machen helfen, und das Interesse an seiner Person und seinen Taten ist daher verständlich. Es ist für jeden ratsam , der sich an der Weiterentwicklung der Naturwissenschaft beteiligt, gelegentlich einen Blick rückwärts zu tun: er hebt besser hervor was geleistet ist , zeigt die Literatur. Andrae, .\lb. : Hilfsmittel zu e. allgemeinen Theorie der line- aren elliptischen Differentialgleichung 2. Ordnung. Diss. (ill S.) gr. 8". GöUingen '03, (Vandenhocck & Ruprecht). — 2,40 Mk. Beck, Heinr., und Ilerm. Vetters, DD.: Zur Geologie der kleinen Karpaten. Eine stratigraphisch.-lekton. Studie. Mit I geolog. Karte, 2 Profiltaf. u. 40 Te-xtfig. [Ans: „Beiträge z. Paläontologie u. Geologie".] (106 .S.) Imp. 4". Wien '04, W. Braumüller. — 12 Mk. Benedikt, I'rof. Dr. Mor. : Kristallisation u. Morphogenesis. Biomechanische Studie. (68 S.) gr. 8". Wien '04, M. Perles. — 2 Mk. Brafs, Kmil : Nutzbare Tiere Ostasiens. Pelz- und Jagdticre, Haustiere, Seetiere. (VIII, 130 S.) gr. 8". Neudamm '04, J. Neumann. — 5 Mk. ; geb. in Leinw. 6 Mk. Conwentz, Prof. Dr. : Die Heimatkunde in der Schule. Grund- lagen und Vorschläge zur Förderg. der naturgeschichtl. u. geograph. Heimatkunde in der Schule. (X, 139 S.| gr. 8". Berlin '04, Gebr. Borntraeger. — Geb. in Leinw. 2,40 Mk. Dabl, Prof. Dr. Frdr. : Kurze Anleitung zum wissenschaftl. Sammeln u. zum Konservieren v. Tieren. (59 S. m. 17 Ab- bildgn.l gr. 8". Jena '04, G. Fischer. — 1 Mk. Freidenfelt, T. : Der anatomische Bau der Wurzel in seinem Zusammenhange m. dem Wassergehalt des Bodens. (Studien üb. die Wurzeln kraut. Pflanzen II.) (IV, 118 S. m. 7 Fig. u. 5 Taf.) gr. 4". Stuttgart '04, E. Nägele. — 20 Mk. Hess, Gymn.-Prof. Dr. Hans: Die Gletscher. Mit 8 Voll- bildern, zahlreichen .\bbildgn. im Te.xt u. 4 Karten. (XI, 426 S.) gr. 8". Braunschweig '04, F. Vieweg & Sohn. — 15 Mk. ; geb. in Leinw. 16 Mk. Sohns, Frz.: Unsere Pflanzen. Ihre Namenserkiärg. u. ihre Stetig, in der Mythologie u. im Volksaberglauben. 3. Aufl. m. Buchschmuck v. J. V. Cissarz. (\T, 178 S. ) 8". Leipzig 'ü4, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. 2,60 Mk. Briefkasten. Herrn H. H. in Bonn. — Plaßniann's „Himmelskunde" haben wir bereits mehrfach als ein vorzüglich zum Erwerb gründlichen Verständnisses der Himmelskunde geeignetes und zugleich sehr reich und gut illustriertes Werk empfohlen. Benoidgas ist ein durch künstlich angefachte Ver- dunstung von Petroleumdestillaten (Pentan und Hexan) er- zeugtes, brennbares ,, Luftgas'', das die gleiche Verwendung wie Leuchtgas zuläßt und mit Hilfe kleiner Apparate mit Gewichtsantrieb an jedem beliebigen Orte auf gefahrlose Weise hergestellt werden kann. In Orten ohne Gasanstalt (Land- häusern etc.) hat sich die Verwendung des Benoidgases wegen der Einfachheit der Bedienung der Apparate , sowie auch wegen der billigen Betrieb.Ltre- mität. Wegen seiner centralen Lage zwischen den beiden Knochenreihen nannte man ihn Os centrale. Cuvier glaubte, daß sich das Centrale vom Capitatum {= Os carpale = Os magnum) abgliedere (demembrer). Nachdem man aber er- kannt hatte, daß das Centrale bei fast allen höheren Wirbel- tieren und beim Menschen während des embryonalen Lebens als Knorpel angelegt wird und oft auch beim erwachsenen Menschen erhalten bleibt, wurde man auf seine höhere phylo- genetische Bedeutung aufmerksam. Man fand , daß ursprüng- lich nicht nur einer, sondern sogar zwei Knochen angelegt werden können, die aber niemals beide sich erhalten (vgl. Gegenbaur, Vergl. Anatomie der Wirbeltiere, Bd. I, Leipzig 1898, S. 520 ff.). Über den Verbleib des Centrale beim Menschen sind verschiedene Ansichten ausgesprochen. Der Franzose Leboucq schließt sich in einer sehr eingehenden Arbeit (Archives Biologie Tome 5, 1876, p. 78) Owen an und behauptet, daß das Centrale mit dem Scaphoid (oder Radiale) verwachse. Wiedersheim (Grundriß der Vergl. Anatomie der Wirbeltiere, 3. Aufl., Jena 1893), der sich gleich- falls dieser Auffassung anschließt, faßt, wie seine Figur 161 zeigt, u. a. den Kopf des Capitatum als das 2. Centrale auf und diese Auffassung hat vielleicht den Anlaß zu der von Ihnen genannten Angabe gegeben. Gegenbaur spricht übrigens (Lehrbuch d. Anatomie d. Menschen, 4. Aufl., i.Bd., Leipzig 1890, S. 275) von einer Rückbildung und nicht von einer Verwachsung. Es scheint also, als ob die Forscher, die auf diesem Gebiete als erste Autoritäten gelten können, über den Verbleib auch jetzt noch nicht völlig einig sind. — Nachträg- lich möchte ich noch auf ein soeben bei G. Fischer in Jena erschienenes Werk von M. Weber ,,Die Säugetiere" ver- weisen, in welchem Sie auf S. 102 f. ausführliche Angaben über das Centrale finden. Dahl. Inhalt; Dr. A. Becker: Über die Konstitution der Materie. — Kleinere Mitteilungen: L. F. Ward; Über Rassenver- schmelzung. — Gustav Guldberg: Wanderungen verschiedener Bartenwale. — Schulz: Eine abnorme Blüten- bildung beim Mais. — Noetling: Ein Übergang zwischen Kreide und Tertiär. — Schuster, Hemsalech und Hagenbach: Über den Dopplereffekt im elektrischen F'unken. — Dr. v. Büttel: Zum Rüstzeug des Naturforschers und Naturfreundes. — Wetter-Monatsübersicht. — Vereinsviresen. — Bücherbesprechungen: Albert Hesse: Natur und Gesellschaft. — Albert I., Fürst von Monaco: Eine Seemanns-Laufbahn. — Prof Andrew Gray: Lehrbuch der Physik. — M. Möbius: Matthias Jacob Schieiden. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,DiC NatUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Koerber Nene Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 29. Mai 1904. Nr. 35. Abonnement: M.in abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringcgeld bei der Post 15 I'fg. extra. Postzeitungsliste Nr. 544*^- Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren .Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstrafle 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. [Nachdruck verboten. Die Entstehung der Gliederung des Tierkörpers. Von Dr. Karl Camillo Schneider, Privatdozent a. d. Universität Wien. Die Frage nach der Entstehung der Gliederung des Tierkörpers hat in den letzten zwanzig Jahren die Zoologen stark beschäftigt, ohne bis jetzt zum Abschluß gelangt zu sein. Mannigfache andere Fragen von großer Bedeutung verknüpfen sich mit ihr, so daß einer uinfassenden Darstellung wohl auch allgemeineres Interesse entgegengebracht werden dürfte. Gerade in letzter Zeit ist von dem bekannten vergleichenden Anatoin Arnold Lang neuerlich Stellung zu dem Problem genommen und in dankenswerter Weise das vorliegende Material an Befunden und Ansichten zusammengestellt und kritisch gesichtet worden. Wesentlich neue Ge- sichtspunkte wurden von ihm nicht vorgebracht. Er hat sich, unter Aufgabe eines früheren eigenen Standpunkts, der jetzt beliebtesten Anschauung an- geschlossen und sie im einzelnen weiter ausge- arbeitet. Ich habe mich bereits im vorvorigen Jahre in meinem Lehrbuch der vergleichenden Histologie der Tiere gegen diese Anschauung ausgesprochen und muß auch heute bei einer ablehnenden Stellung- nahme verharren. Man wird sehen, daß es an Gründen dafür nicht mangelt; es wird zugleich aber auch ein Punkt hervorgehoben werden, dessen Bedeutung weit über die hier zu behandelnde Spezialfrage hinausgeht. Es handelt sich um einen Einwand gegen die ganze Art und Weise, wie heutzutage, unter dem Einflüsse der physiologischen Entwicklungslehre, morphologische Probleme an- gefaßt und beurteilt werden, eine Art und Weise, die als unzulängliche und irreführende bezeichnet werden muß. Betreffs der Entstehung der Gliederung des Tierkörpers gibt es zwei Theorien. Die eine nimmt an, daß gegliederte Formen aus Tierstöcken hervorgegangen sind (Kormentheorie, Kor- mus = Tierstock), die zweite behauptet die Abstam- mung von ungegliederten Formen durch sekun- däre Segmentation (Segmentationstheorie). Man hat die Kormentheorie nicht so zu verstehen, daß ursprünglich getrennte Individuen einer Art sich zu einem geineinsamen Ganzen zusammen- gefügt hätten ; in dieser Weise kommt auch kein Tierstock, an dem die Individualität aller Teile deutlich erkennbar ist, zustande. Vielmehr ent- steht ein Kormus durch Knospung und unvoll- ständige Teilung aus einem einzigen, durch ge- schlechtliche oder ungeschlechtliche P'ortpflanzung 546 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 35 entstandenen Individuum und die Knospen wachsen zu ganzen Personen aus, die aber den Zusammen- hang nicht aufgeben und meist auch nicht sämt- lich völlig gleichwertig gebaut, sondern an diffe- rente Funktionen angepaßt sind. Die Kormen- theorie nimmt nun an, daß die Segmente einer gegliederten Form z. B. eines Regenwurms, eines Flußkrebses oder eines Fisches, ebenfalls nichts anderes als sehr unvollständige Einzelpersonen sind, während die Segmentationstheorie in der Segmentation eine sekundäre Gliederung ursprüng- lich einheitlicher Organismen erkennt und daher die gegliederten Tiere von den Tierstöcken aufs schärfste unterscheidet. Eine Fülle von Fragen sind zu berücksichtigen, wenn wir jetzt prüfen wollen, welche von beiden Theorien die berechtigte ist. Zunächst erscheint es nötig, einige Tierstöcke genauer kennen zu lernen, damit die Möglichkeit eines eingehenden Vergleichs überhaupt gegeben ist. Stockbildung finden wir besonders bei festsitzenden Tierformen. Die Schwämme bilden sehr häufig Stöcke, bei denen es meist überhaupt nicht möglich ist, die einzelnen Individuen scharf gegeneinander abzu- grenzen. Das gelingt dagegen ohne weiteres bei den Polypen, wo zahlreiche Polyppersonen ent- weder von einem gemeinsamen Wurzelwerk oder Stamme entspringen. Bei der bekannten Hydra, dem Süßwasserpolyp, knospen junge Tiere direkt am Polypkörper, geben aber rasch den Zusammen- hang auf, der dagegen bei den marinen Formen gewahrt wird und eben die Stockbildung ver- mittelt. Hier beobachten wir auch Arbeitsteilung zwischen den Stockpersonen, indem die einen, die eigentlichen Polypen, die Ernährung versorgen (Nährtiere), während die anderen Geschlechtszellen entwickeln, also wesentlich zur Erhaltung der Art beitragen (Geschlechtstiere). Sie lösen sich ent- weder als Medusen (üuallen) los, vermögen dann sich selbst zu ernähren und erscheinen so als völlig selbständige Individuen , deren Lokomotion die Ausbreitung der Geschlechtszellen über ein mög- lichst großes Territorium vermittelt, oder siebleiben am .Stocke haften, entbehren des Mundes und sind nichts weiter als Behälter der Geschlechtszellen, die durch die Polypen ernährt werden (rudimen- täre Geschlechtspersonen). Bei einzelnen Stöcken gibt es auch Schutztiere, die reich an Nesselzellen sind und gleichfalls des Mundes entbehren. Von den Polypenstöcken leiten sich ferner ab die frei- schwimmenden Siphonophoren, diese wunderbaren, Guirlanden vergleichbaren Tierstöcke, an denen die Arbeitsteilung außerordentlich weit vorgeschritten ist. Man unterscheidet Nährtiere (Polypen), Ge- schlechtstiere (bald Medusen, bald rudimentär) Schutztiere von höchst kompliziertem Bau (Nessel- knöpfe), Taster, Deckstücke, Schwimmglocken und Schwimmblasen (Pneumatophoren). In den Siphono- phoren finden wir eins der wenigen Beispiele frei- beweglicher Kormen ; ein anderes sind gewisse Tunikaten (Manteltiere), z. B. die Salpenketten und Feuerwalzen (Pyrosomen). Für beide ist die phylo- genetische Ableitung von festsitzenden Stöcken offenkundig; dagegen kennen wir keine Stöcke, die bei primär freilebenden Formen sich entwickelt hätten. Während in den genannten Beispielen, zu denen noch die Korallen- und Bryozoenstöcke hinzu- kommen, die Gleichwertigkeit der Personen meist leicht ersichtlich ist, da alle selbständig neben- einander, entweder nur in ziemlich loser Verbin- dung (Salpenketten) oder an einem gemeinsamen Tragapparat (Rhizom, Stamm) befestigt vorkommen, liegen die Verhältnisse wesentlich anders bei anderen Stöcken, nämlich bei den Schirmquallen und bei den Bandwürmern. Die Schirmquallen sind von den erwähnten Medusen oder Saumquallen scharf zu unterscheiden; sie nehmen eine Mittelstellung zu den Korallentieren ein. Man beobachtet bei ihnen eine eigentümliche ungeschlechtliche Fort- pflanzung, die nur vorübergehend zur Stockbildung führt. Aus dem Ei entsteht eine polypenartige sterile Form, die sich mit dem Scheitelpole fest- heftet, für gewöhnlich nur ein Rhizom und andere Polypen, zu gewissen Zeiten aber auch am freien Mundpole durch Quergliederung einen Satz von jungen Quallen, sog. Ephyren, entwickelt, von denen die distalste die älteste ist. Diese lösen sich sukzessive los und wachsen zu großen Schirm- quallen, welche die Geschlechtsprodukte bilden, heran. Man bezeichnet den Polypen mit den jungen Ephyren als Strobila und den Vorgang der Ephyrenabstoßung als S t r o b i 1 a t i o n. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Band- würmern. Aus dem Ei entwickelt sich direkt oder durch Vermittlung der Finne ein oder viele sterile Hafttiere (Scolices), die mit dem einen Pole sich im Darm des Wirtes, unter Entwicklung von Sauggruben, Saugnäpfen und Haken anheften und am anderen Pole die Bandwurmglieder (Pro- glottiden), die als Geschlechtstiere den Quallen vergleichbar sind, durch Knospung erzeugen. Auch hier sind die distalsten Proglottiden die ältesten, lösen sich los, vermögen sich selbständig zu be- wegen und nicht selten noch längere Zeit zu leben. Sie entbehren ebenso wie die Scolices eines Mundes und Darmes, doch erscheint dieser Unterschied gegenüber der Strobila von nebensächlicher Be- deutung, da die Nahrung im Darm des Wirts durch die gesamte Haut resorbiert wird. Von Bedeutung erscheint nur folgendes Moment. Man nimmt in Rücksicht auf verwandte Wurmformen (Saugwürmer oder Trematoden) an, daß der Haftpol des Scolcx dem rudimentär gewordenen Munde entspricht; es würde demnach die Knospung, die zur Stock- bildung führt, beim Bandwurm am Hinterende des Scolex, bei der Strobila aber am Vorderende statt- finden. Indessen muß, wie aus verschiedenen hier nicht näher zu diskutierenden Befunden (siehe jedoch die spätere speziellere Besprechung der Wurmorgane) hervorgeht, der Mund der Strobila als Urmund nicht allein einem eventuell am Haft- pol rückgebildeten sekundären Mund des Scolex, sondern überhaupt dessen einer ganzen Längsfläche, N. F. III. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 547 die als Bauchfläche (Urmundfläche) zu bezeichnen wäre, gleichgesetzt werden. Der Unterschied zur Strobila bestünde dann nur darin, daß bei dieser der Urmund realiter ganz dem sich ablösenden Quallentier, beim Bandwurm aber allen Personen des Stockes virtuell zukäme. Der Scheitelpol der Strobila wäre beim Scolex dicht am \'^orderende zu suchen und auch bei der Strobila selbst als Vorderende zu bezeichnen; die Knospung würde also in beiden Fällen am Hinterende stattfinden. über die Auffassung des Bandwurms als Stock oder Person ist schon viel gestritten worden. Für die Personennatur spricht zunächst der Gegensatz zwischen Kopf (Scolex) und Gliedern (Proglottiden), der die Einzelstücke zu Organen zu stempeln scheint. Auch an der Strobila ist das Muttertier von den sich ablösenden Quallen verschieden ge- baut, aber die vorliegenden Unterschiede sind doch keine wesentlichen und wir kennen einerseits Schirmquallen, die gleich den Polypen sich fest- zuheften vermögen (Lucernarien), andererseits ist die Qualle hoch differenziert und zu selbständiger Ernährung befähigt, so da(3 sie unmöglich als frei- gewordenes, nur die geschlechtliche Fortpflanzung besorgendes Organ gedeutet werden kann. Zwischen Scolex und Proglottis sind die Differenzen viel er- heblicher. Zwar kann auch, wie schon bemerkt, die Proglottis durch längere Zeit sich selbständig lebend erhalten, ja sie löst sich in manchen Fällen noch vor der Geschlechtsreife ab und vermag sich sogar im Wasser schwimmend fortzubewegen ; aber im wesentlichen ist sie doch nur äußerst niedrig differenziert und nichts anderes als ein Geschlechts- zellbehälter, was sich jedoch auf ihre parasitische Lebensweise zurückführen läßt. Übrigens hat Luhe in Haifischen (Acanthias) einen Bandwurm (Urogonoporus armatus) gefunden, der nur aus einzelnen Proglottiden besteht, welche aber am Vorderende einen beweglichen, mit kräftigen Stacheln besetzten Haftlappen tragen, mittels dessen sie sich festzusetzen vermögen. Diese Form zeigt also Scolexcharaktere am Geschlechtstier, die ver- mutlich durch Regeneration, nach Ablösung von einem echten Scolex, entstanden sind und würde dadurch die bloße Organnatur der Proglottis schlagend widerlegen. Ein zweiter Grund für die Personalität des Bandwurms wird darin gesehen, daß es Formen gibt, die äußerlich nur undeutlich (Triaeno- p h o r u s) oder gar nicht ( L i g u 1 a ) gegliedert sind, bei denen sich nur die Geschlechtsorgane im Innern regelmäßig wiederholen. Die Amphiliniden und Caryophyllaeiden sind auch innerlich unge- gliedert, erscheinen daher ganz wie einfache Per- sonen. Indessen dürfen wir, in Hinsicht auf die bei Saug- und Bandwürmern (z. B. Entstehung zahlreicher Scolices in den Finnenblasen bei Taeiiia coenurus und e c h i n o c o c c u s) so verbreitete ungeschlechtliche Vermehrung, die als Anpassung an die parasitäre Lebensweise zu betrachten ist, wohl eher auf eine sekundäre Verschmelzung schließen und hätten von diesem Gesichtspunkt aus die Personennatur der L i g u 1 a und des C a r y o - phyllaeus nur als eine scheinbare aufzufassen, ebenso wie bei Siphonophoren auch sekundäre innige Verschmelzungen differenter Individuen vor- kommen, die deren Personalität stark oder völlig verwischen. Man wird daher, welche Ansicht ja auch die verbreitetste ist, den Bandwurm als eine Tierkette oder einen Tierstock (Kormusj aufzu- fassen haben. Strobila und Bandwurm erscheinen als Kormen von ganz anderer Natur als die früher erwähnten Polypen- , Korallen- , Bryozoen-, Ascidien- und -Salpenkolonien, nämlich nur als vorübergehende Zustände, denen immer, außer bei Ligula und ver- wandten Formen (siehe oben), ein Zerfall in die Einzeltiere folgt. Die Stockbildung dient hier aus- schließlich der ungeschlechtlichen Fortpflanzung; sie begünstigt die Ernährung der zahlreich und fast gleichzeitig entstehenden, sich geschlechtlich differenzierenden Individuen, ist demnach nur ein Mittel zum Zweck, nicht Selbstzweck, was da- gegen für die ersterwähnten Kolonien mit zahl- reichen Nährtieren gilt. Noch schärfer tritt dies Moment bei anderen ungeschlechtlich sich fort- pflanzenden Formen hervor. So gibt es Würmer des Meeres (Syllideen) und des Süßwassers (Micro- stoma, Naideen u. a.), die sich regelmäßig unge- schlechtlich vermehren, indem sie an einer oder mehreren Stellen des Körpers Regenerationszonen entwickeln und von diesen aus die entsprechen- den Stücke des Wurmes zu ganzen Tieren er- gänzen. Bei Microstoma regeneriert die ge- nannte in der Einzahl vorhandene Zone am vorderen Körperteil ein Hinterende, am hinteren Körperteil ein Vorderende, das mit Gehirn und Augen aus- gestattet ist. Ehe beide neuen Tiere sich trennen, treten an ihnen bereits wieder neue Regenerations- zonen auf, was sich mehrfach wiederholen kann, so daß Ketten von mehr als 8 Individuen ent- stehen können. Später erfolgt aber immer eine Trennung und das gleiche gilt für alle Fälle der- artiger Regenerationen, die in mannigfacher Hin- sicht variieren können. Wird nur am vorderen Peilstück ein Hinterende regeneriert, so dient das reigewordene , des Kopfes entbehrende hintere Feilstück nur der Ausbreitung der Geschlechts- organe, die in ihm zur Entwicklung kommen (z. B. beim Palolowurm: Eunice viridis, bei Haplosyllis unter den .Syllideen, bei Clisto- mastus unter den Capitelliden); der Fall erinnert also einigermaßen an die Proglottidenbildung, nur ist das hintere Teilstück segmentiert gebaut. Die Regeneration von Köpfen erscheint an den Mangel der Geschlechtsreife gebunden ; sie kann stark ver- zögert sein und ein Wurm sich simultan oder fast ;;imultan in eine Anzahl von regenerationsfähigen Stücken teilen, deren mittlere weder einen Kopf noch auch ein Schwanzstück besitzen und bis- weilen scheinbar nur aus einem Segment bestehen. Bei Autolytus und Myrianida sind, wie bei einer Strobila, die hinteren Teilstücke die ältesten und lösen sich erst nach vollendeter Regeneration S48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 35 und bei Geschlechtsreife ab, während vorn immer neue Tiere entstehen. Teilen sich dagegen die hinteren Teiistücke auch wieder, so kommen Ketten gleichalter Tiere zustande, die sich spontan von- einander trennen. Von großem Interesse ist das Verhalten von Ctenodrilus pardalis, dessen Regenerationszonen segmental auftreten, so daß aus einzelnen Segmenten des Muttertieres Tochter- tiere hervorgehen. Ein Tier mit 14 Segmenten kann 6 Regenerationszonen aufweisen ; hier er- scheint die ungeschlechtliche Vermehrung der Segmentbildung sehr eng verwandt, indessen ist sogleich zu erwähnen, daß die Regenerationszonen nicht an den .Segmentgrenzen, sondern im Seg- ment, dessen Vorderrand genähert, liegen, also ein Teilstück zwar nur segmentlang, aber nicht identisch mit einem Segment ist. Nachdem wir derart uns über die ungeschlecht- liche Fortpflanzung unterrichtet haben, kann nun an die Beurteilung des Gliederungsproblems heran- getreten werden. Man bezeichnet die Ouergliede- rung eines langgestreckten Körpers als Meta- merie, im Gegensatz zur Längsgliederung, welche bei den niederen Tieren sehr verbreitet ist und neuerdings von Lang als Cyclomerie be- zeichnet wurde. Cyclomerie finden wir bei radial- strahlig gebauten Tieren und sie bedeutet, daß sich im Umkreis der Längsachse identische Stücke mehrfach wiederholen, so z. B. die Tentakel und Septen bei den Polypen und Korallen, die Arme bei einem Seestern. Metamerie kommt nur den bilateralsymmetrischen Tieren mit Rücken- und Bauchfläche, mit Vorder- und Hinterende zu und hat sich aus der Cyclomerie durch ungleiche Aus- bildung der Nebenachsen des Körpers, unter be- sonderer Begünstigung der einen, die zur Haupt- und Längsachse des langgestreckten Körpers wird, entwickelt. So ist z. B. eine Wurmlarve zunächst radialsymmetrisch gebaut; aber indem die ür- mundfläche zur Bauchfläche wird und in die Länge wächst, wird die ursprüngliche Längsachse unter- drückt und eine neue entwickelt sich, längs welcher die Ouergliederung eintritt. Diese metamere Gliede- rung ist entweder nur eine innere oder zugleich auch eine äußere; das letztere trifft zu für die Gliederwürmer (Anneliden), die Gliederfüßer (Ar- thropoden) und für die Wirbeltiere (Vertebraten). Wir werden uns hier nur mit der Metamerie der ersteren Gruppen beschäftigen, da hinsichtlich der Wirbeltiere Eigentümlichkeiten bestehen, die die Beurteilung ihrer Metamerie wesentlich erschweren. Bei den Anneliden ist die Metamerie eine gleich- artige (homonome), insofern der Rumpf aus über- einstimmend beschaffenen Segmenten besteht. Bei den Gliederfüßern ist sie dagegen heteronom (un- gleichartig), wodurch es zur Bildung differenter Körperregionen kommt. Indessen völlig homonom ist auch die Gliederung der Würmer, selbst in den einfachsten P"ällen, nicht; immer ist ein kurzes vorderes Stück (Prosoma) und ein kurzes hinteres (Endsegment) vom mittleren (MetasomaoderRumpf) fundamental verschieden. Das erstere, auch Kopf- segment genannt, enthält dorsal das Gehirn und ventral den Mund, das letztere dagegen, auch Py- gidium genannt, den After. Die Segmente des Rumpfes entbehren aller drei Gebilde; in ihnen finden sich dagegen der Darm (aus Schlund, Mittel- darm und Enddarm bestehend), die Leibeshöhle (Cölom), die in jedem Segment zwei selbständige paarige Kammern bildet, die Längsmuskulatur, welche die schlängelnde Lokomotion vermittelt, das nervöse Bauchmark, das vorn im Umkreis des Schlundes mit dem Gehirn durch die Schlund- konnektive zusammenhängt; die segmental und paarig geordneten, die Cölomkammern mit der Außenwelt verbindenden Nierenkanäle (Segmental- organe) und die Geschlechtsprodukte, die in der Wandung des Cöloms entstehen. Die Blutgefäße sind allen drei Abschnitten gemeinsam ; ein Paar Nierenkanälchen kommt übrigens auch dem Kopfe zu (Kopfniere) und sekundär erstreckt sich auch das Cölom in den Kopf, während es dem Pygidium selbständig zukommt. Die borstentragenden Ruder- füße der marinen Anneliden (Chaetopoden) sind auf den Rumpf beschränkt und finden sich zu je einem Paar an jedem Segment; andere Anhänge (Taster, Cirren , Fühler) finden sich dagegen viel- fach auch am Kopfe und gelegentlich auch am Pygidium. Die Kormentheorie nimmt nun an, daß auch die Gliederung des Annelidenkörpers (von der sich phylogenetisch die der Arthropoden ableitet, so daß wir sie hier nicht weiter zu berücksichtigen brauchen) durch ungeschlechtliche Fortpflanzung mit unterdrückter Teilung und stark eingeschränkter Regeneration entstanden sei. Jedes Körpersegment soll einem ganzen Tier eines beliebigen Kormus der Anlage nach gleichwertig (homolog) sein ; doch haben diese vom primären, aus dem Ei hervor- gegangenen Individuum durch Knospung gebildeten sekundären Individuen nicht das Vermögen sich abzulösen und selbständig zu existieren ; es sind stark reduzierte Geschlechtstiere, die auch durch andere wichtige Differenzierungen dem Gesamt- körper (Kormus) von Wichtigkeit sind, so vor allem durch ihre Längsmuskulatur, Ruderfüße und durch das Bauchmark. Als Primärindividuum be- trachtet man die aus dem Ei entstehende Larve, die zum Kopf des Wurmes wird. Diese Larve ist von sehr charakteristischem Baue und wird, nach Hatschek's Vorgang, weil sie mit Wimper- ringen vor und hinter dem Munde ausgestattet ist, als Trochophora (Trochus^ Wimperring) be- zeichnet. Sie zeigt auffallende Verwandtschaft zu den Rädertieren (Rotatorien), besonders zu einer bestimmten Form derselben, der Trochosphära; man betrachtet daher die Rotatorien als Stamm- form der Anneliden, die in der Larve (Trocho- phora) rekapituliert wird und nimmt an, daß am Hinterende dieser Stammform das eigentliche Anne- lid (Rumpf desselben) durch Knospung entstanden sei. Entsprechend dieser Hypothese spricht man N. F. m. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 549 auch von einer Trochophoratheorie, um die ver- mutliche Abstammung der Anneliden von einer ungegliederten Form, durch ungeschlechtliche Ver- mehrung derselben, bei Wahrung des Zusammen- hangs aller Teilstücke anzudeuten. Die Trocho- phoratheorie ist also mit der Kormentherie iden- tisch, spezialisiert sie nur in Hinsicht auf bestimmte, jetzt noch lebende Vorfahren, die Rotatorien. Unstreitig handelt es sich um eine äußerst geistvolle Hypothese, die viele Freunde, auch noch in neuester Zeit, gefunden hat. Sie besticht da- durch, daß es ja, wie wir gesehen haben, Tier- stöcke gibt, die aus ungleichen Personen bestehen ; wie der Bandwurm bereits im ganzen als Indivi- duum erscheint und ja auch von manchen Autoren als solches aufgefaßt wird, so soll sich in den Anneliden eine noch höhere Stufe der Einheitlich- keit ausprägen, die die Abstoßung von als Ge- schlechtsträger funktionierenden Körperteilen ganz unterdrückt zeigt. Wie ferner die Bandwurm- proglottis, bei ihrer Deutung als Person, in allen oder fast allen Fällen (siehe oben) unvermögend ist einen Scolex zu regenerieren, so vermag auch in keinem P'alle ein Rumpfmetamer der Anneliden den Kopf neu zu bilden. In dieser Hinsicht sind die erwähnten Befunde ungeschlechtlicher P"ort- pflanzung bei Anneliden sehr bedeutungsvoll und wurden deswegen hier auch ausführlich besprochen; sie lehren daß em Rumpfsegment nicht gleich- wertig einem zwischen zwei Regenerationszonen gelegenen Rumpfstück ist, selbst wenn es nur segmentale Länge besitzt (siehe oben das Beispiel von Ctenodrilus). Ein Metamer ist ein regene- rationsunfähiges Individuum ; neue Rumpfsegmente zu bilden vermag nur eine einzige Stelle des Körpers, wie beim Bandwurm nur eine Stelle neue Glieder treibt. In der Regenerationsfähigkeit, wie wir sie bei vielen Würmern neben der allen Formen gemeinsamen Segmentbildung beobachten, zeigt sich uns nur eine Steigerung des ungeschlecht- lichen Fortpflanzungsvermögens im allgemeinen. Oder man kann auch sagen : die ungeschlechtliche Fortpflanzung ist das umfassende Grundphänomen, aus dem sich die Metamerenbildung als spezieller Fall herausentwickelt hat, dessen ursprüngliche Form aber bei vielen Würmern außerdem noch bestehen blieb und sich ferner auch im Regene- rationsvermögen bei Verletzungen des Körpers, das allen Würmern in hohem Maße zukommt, erhielt. Indessen ist die Kormentheorie in keiner Weise aufrecht zu erhalten. Ungeschlechtliche Fortpflan- zung und Metamerenbildung haben nur das eine gemeinsam, daß sie Wachstumserscheinungen sind; im übrigen sind sie ganz unvergleichbare Pro- zesse. Das lehrt zunächst schon folgende Be- trachtung. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Würmer und Schirmquallen (Strobilation) dient in letzterlnstanz überhaupt nicht der Kormenbildung, wie es z. B. für die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Polypen, Siphonophoren, Korallen, Bryozoen, Ascidien und Salpen gilt, sondern allein der indivi- duellen Vermehrung, und die bei dieser Gelegen- heit auftretenden linearen Stöcke sind nur vor- übergehende (Strobila) oder durch besonders gün- stige Ernährungsbedingungen (vor allem Band- würmer) bedingte Bildungen, in denen sich eine Verzögerung des Ablösungsprozesses oder eine überschnelle P'ortpflanzung dokumentiert. Wie Lang mit Recht betont, wären lineare Stöcke auch die denkbar ungünstigst geformten, da sie nur einen Mund aufweisen, der die ganze Kolonie speisen muß. Bei Parasiten, die überhaupt des Mundes nicht bedürfen, kann sich ein solcher Kettenstock dauernd behaupten und bedeutet so- gar einen Vorteil gegenüber zahlreichen Einzel- individuen oder nur zwei- bis dreigliedrigen For- men (Taenia echinococcus), da an sterilen Haftindividuen (Scolices) gespart wird und die für die Arterhaltung wichtigeren Geschlechtsindividuen (Proglottiden) begünstigt erscheinen. In den Fällen echter Stockbildung ist aber in erster Linie die Zahl der Nährindividuen begünstigt, da von ihnen die Erhaltung des Kormus abhängt; zugleich ver- mögen die Geschlechtstiere bei weitem nicht in allen Fällen sich abzulösen und selbständig zu existieren, ein Zustand, in dem die Anstrebung einer höheren Individualität angebahnt erscheint. Wie mächtig hier die Interessen der Gesamtheit über die der Individuen überwiegen, das zeigen am deutlichsten die Siphonophoren mit ihrer aufs höchste gesteigerten mannigfaltigen Differenzierung der Personen und deren Anpassung aneinander. Während es bei den niedrigeren Formen noch zu einer Ablösung der ältesten Stammgruppen kommt, welche als Eudoxien frei zu existieren vermögen und gewissermaßen eine kompliziertere Art von Geschlechtstieren repräsentieren, entfällt diese Er- scheinung bei den höheren Formen vollständig (ausgenommen Velella und Porpita) und die Einheitlichkeit des Gesamtbauplans tritt immer deutlicher hervor. Ferner erscheint speziell die Ableitung des ge- gliederten Wurmkörpers von den ungegliederten Rotatorien durch Knospung an deren Hinterende durchaus unhaltbar. Mit Lang muß man den Gedanken , daß eine leicht bewegliche winzige Tierform, wie es die Rotatorien sind, durch un- geschlechtliche Fortpflanzung sich mit dem langen Rumpfe eines Gliederwurms belastet haben sollte, zurückweisen, besonders da die heute lebenden Formen auch nicht die Spur solch terminalen Wachstums, das sie zum Schwimmen unvermögend gemacht hätte, zeigen. Es gibt zwar gewisse Anneliden, die sich im Wasser freischwimmend, durch Schlängelung des Körpers ziemlich schnell bewegen können (Alciopiden), aber ganz im all- gemeinen sind die Würmer Bewohner des Grundes und in sehr vielen Fällen wühlen sie im Sand und Schlamme, oder hausen gar in selbst produ- zierten Röhren. Man denke vor allem an die Regenwürmer und an die seßhaften Röhrenwürmer des Meeres (Spir ograph is u. a.). Gegen diese Argumentation wird eingewendet, daß ja tatsäch- 550 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 35 lieh an der freischwimmenden Wurmlarve (Trocho- phora), die einem Rotator gleicht, der lange ge- gliederte Wurmkörper entsteht. Aber erstens ist dieser ontogenetische Vorgang gar nicht für die Phylogenese beweisend und zweitens handelt es sich, wie wir gleich sehen werden, dabei gar nicht um eine Fortpflanzung, sondern um ein eigen- artiges Wachstum. Die Gegner der Kormen- theorie haben aus dem ontogenetischen Vorgang gerade das Gegenteil geschlossen wie die Anhänger derselben. Sie sagen: nicht die Trochophora re- kapituliert die uralte Rotatorienstammform , an welcher einst durch eine Laune des Zufalls das Annelid sproßte, vielmehr sind die Rotatorien von der freischwimmenden Larvenform, die sich selbständig, wie wir das bei Larven so häufig sehen, einer besonderen Lebensweise anpaßte, ab- zuleiten und stellen nichts anderes als geschlechts- reif gewordene Wurmlarven vor. Dieser ketzerische Gedanke, der doch der einzig berechtigte ist, macht aus dem uralten Feudaladel, welchen die Rotatorien bei den Kormentheoretikern repräsen- tieren sollten, plötzlich ein modernes Parvenu- gesindel (Lang); die Ahnen des großen Glieder- tiertypus werden zu „neotenischen" (Kollmann) Abkömmlingen demselben. In diesem Sinne sprechen, außer den vorgetragenen Erwägungen, die Befunde an gewissen Wurniformen, die aus wenigen Seg- menten bestehen, geschlechtsreif werden und dabei vollen Larvencharakter bewahren, der sich vor allem im Persistieren des Wimperkranzes (Tro- chus), beziehentlich sogar in segmentaler Wie- derholung desselben ausdrückt (Dinophilus, Ophryotrocha). Die Rädertiere mit ihrem komplizierten Wimperapparat entbehren jeder Spur einer inneren segmentalen Gliederung; sie knüpfen daher direkt an die noch ungegliederte junge Trochophora an, an die sie sich auch in Hinsicht auf den Darm und die nur lokal bewimperte Haut viel enger anschließen als an die niederen unge- gliederten Strudelwürmer (Turbellarien), von denen man sie sonst ableitet. Nun kommen wir aber zu weit schwerer wiegen- den Einwänden gegen die Kormentheorie. Es handelt sich um den genaueren Vergleich erstens der Metamerenbildung mit der oben geschilderten ungeschlechtlichen Fortpflanzung, zweitens der Metameren selbst mit der Trochophora, an der sie entstehen. Die Metamerenbildung zeigt einen auf- fallenden Unterschied zur Fortpflanzung. Bei letzterer liegt die Regenerationszone, falls sie über- haupt eine einheitliche ist, am Hinterende des knospenden Muttertieres, also beim Bandwurm am Hinterende des Scolex und bei der Strobila dicht am Munde, den wir, wie schon erwähnt, nicht als Vorderende auffassen dürfen. Im Ver- hältnis zu den knospenden Individuen liegt die Zone aber vorn. Auch bei den ungeschlechtlich sich fortpflanzenden Anneliden liefert vor allem die vordere Körperregion die Regenerationszonen, womit auch im Einklang steht, daß bei Ver- letzungen die vordere Region immer reparations- fähiger ist als die hintere; die letztere pflanzt sich nur fort oder regeneriert nur, wenn sie noch nicht geschlechtlich ausgereift ist. Doch sind letztere Tatsachen für unsere Frage viel weniger wichtig als das Verhalten bei der Strobila und dem Band- wurm, das ja für die Knospung von Metameren am Rotatorienkörper vorbildlich erscheinen muß. Indessen sehen wir die Bildungsstätte der Meta- meren nicht vorn am Kopf des Annelids gelegen, sondern im Gegenteil hinten, dicht vor dem After, an der Grenze von Rumpf und Pygidium. Hier geht aus undifferenziertem Materiale während des Anne- lidenwachstums die Anlage des Rumpfes hervor, die sich von vorn nach hinten zu sukzessive gliedert, was bedeutet, daß die vordersten, hinter dem Kopf gelegenen Segmente, die ältesten und die hinter- sten, an der Bildungszone gelegenen, die jüngsten sind. Dieser Gegensatz zur Strobila ist in die Augen springend. Berücksichtigen wir ferner, daß das Pygidium den Larvenafter enthält, also sich direkt vom Larvenkörper ableitet, so ergibt sich sehr bezeichnend, daß von einer terminalen Knos- pung bei der Metamerenbildung gar nicht die Rede sein kann, es sich vielmehr nur um einen Wachstumsprozeß im Bereiche des Larvenkörpers selbst handelt, der in seiner spezifischen Art un- vergleichbar mit der ungeschlechtlichen P'ortpflan- zung ist. Daß dies der Fall ist, lehrt ferner ein Ver- gleich der Rumpfsegmente mit dem Kopfe, d. h. mit dem eigentlichen Larvenkörper. Wenn es auch nicht als notwendig angesehen werden muß, daß Kopf und Metameren, abgesehen von Sterilität und geschlechtlicher P'ruchtbarkeit, identisch gebaut sind, da uns ja auch die Strobila und der Band- wurm bedeutende Differenzen im Bau des Mutter- tieres und der Tochtertiere zeigen, so muß docli wenigstens die Rückführung beider Arten von Körperabschnitten auf eine Grundform möglich sein. Kopf und Metamer sind aber gänzlich un- vergleichbar. Verständlich ist der Mangel der Gonade im Kopf, ferner der Mangel des Mundes an den Metameren; in Hinsicht auf das Cölom, die Muskulatur und Nephridien liegen überhaupt keine wesentlichen Differenzen vor und auch die Ausbildung differenter äußerer Anhänge und von Sinnesorganen am Kopf kann, bei dessen Bedeutung als Leittier des Wurms, nicht befremden. Voll- kommen unverständlich bleibt aber, wie Lang mit Recht betont, der Unterschied in der Aus- bildung des Nervensystems. Dem Kopf kommt das dorsal gelegene Gehirn, den Rumpfmetameren das ventral gelegene Bauchmark zu; wie dieser Unterschied sich bei morphologisch primär gleich- artigen Individuen entwickelt haben soll , dafür fehlt jede Spur einer Erklärung. Betreffs des Hauchmarks hat man allerdings eine Erklärung versucht. Man hat das vorderste Bauchmarkganglion, das sog. untere Schlundganglion, zum Kopfe ge- rechnet und bei den Rotatorien, die des Bauch- marks entbehren, nach einem Äquivalent desselben gesucht. In der Tat fand Zelinka bei dem N. F. m. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 551 Rädertiere Discopus ein unter dem Schkind gelegenes Ganghon, dessen Nervenfasern die Schlund- muskulatur innervieren. Indessen geht aus diesem Innervationsbefund die Unvergleichbarkeit des ge- nannten Ganglions mit dem Unterschlundganglion hervor, da letzteres bei den Anneliden den Schlund nicht innerviert, dieser vielmehr seine Nerven vom Gehirn oder von den Schlundkonnektiven oder von besonderen , vom Gehirn sich ableitenden Pharyngealganglien erhält. Das unter dem Schlund gelegene Ganglion von Discopus ist also gar kein Unterschlundganglion, sondern ein sekundär gesondertes Phar_\-ngealganglion. Da nun auch das Unterschlundganglion nicht zum Kopfe, sondern zum Rumpfe gerechnet werden muß, so besteht völlige Unvergleichbarkeit von Kopf und Meta- meren schon in Hinsicht auf das Bauchmark, noch viel ausgesprochener aber in Hinsicht auf das Ge- hirn, das einen uralten, ererbten Wurmcharakter bildet und von dem deslialb irgend welche Reste in den Metameren, wenigstens in einzelnen Fällen, angetroffen werden müßten, was jedoch nirgends der Fall ist. Gegen die Kormentheorie S[)rechen noch ge- wisse gelegentliche Befunde abnormer einseitiger Vermehrung der Metameren. C o r i und M o r g a n zeigten, daß nicht selten bei Anneliden einem Segment der einen Körperscite zwei der anderen Seite entsprechen, und sie erklärten diese Ano- malie mit Recht aus einseitiger Verdoppelung der- jenigen Anlagen, welche für die Ausbildung der Segmente bestimmend sind (vor allem Cölomanlage). Man wird an einen Zustand unregelmäßiger Gliede- rung erinnert, wie wir ihn noch, als Ausgangs- punkt der Annelidmetamerie, zu besprechen haben werden. Gegen diese Beweiskraft des Cori-Mor- gan'schen Befundes wurde eingewendet, daß auch bei Bandwürmern ähnliche Anomalien vorkommen, man z. B. einseitig anscheinend halbe Glieder in die Kette eingekeilt oder auch Glieder mit dop- pelten Geschlechtsöffnungen findet. Immer aber handelt es sich bei diesen Abnormitäten um mehr oder weniger starke Verkünnnerung einzelner ganzer Glieder, die auch von anderen unvollständig gesondert erscheinen können; nicht aber sind es Gliedhälften, vergleichbar den Segmenthälften der Anneliden, und demnach sind die Befunde auch nicht für die Kormentheorie verwertbar. (Schluß folgt.) Kleinere Mitteilungen. Automatismus. — In der Nr. I vom 4. Ok- tober 1903 der Naturwissenschaftlichen Wochen- schrift hat mir Prof H. J. Kolbc vorgeworfen, ich hätte einen Irrtum begangen , hidem ich die In- stinkte als Automatismen bezeichnet hätte. Da dieser Vorwurf, wie es scheint, weiter abgedruckt wird, fühle ich mich zu folgenden Erläuterungen veranlaßt. Automatismus kommt von ßcrdf'ftTOC (spontan). Unter Automat versteht man eine durch Federn bewegte Maschine, deren einander folgende Be- wegungen ein lebendes Wesen nachmachen und umgekehrt auch ein lebendes Wesen, dessen Be- wegungen maschinenartig, wie von einer Feder ausgelöst, immer in der gleichen Weise vor sich gehen. Der Ausdruck automatisch oder Auto- matismus bezieht sich somit rein auf die starre, unabänderliche Art, wie eine Kette von Bewegungen oder Handlungen vor sich geht, also auf die Art ihres Geschehens und nicht auf die tiefere Ursache oder Genese der Sache. Das tierische Nervensystem zeigt nun in seiner Tätigkeit zwei, zwar genetisch grundverschiedene, in ihrer Erscheinung jedoch ungeheuer ähnliche F"ormen automatischer Tätigkeiten, den Instinkt und die Gewohnheit. Beide unterscheiden sich gemeinschaftlich von den plastischen Gehirntätig- keiten eben durch die zwangsmäßige, starr ma- schinenmäf3ige Art ihres Geschehens. Wenn auf die Feder gedrückt wird , geht die ganze Kette immer in gleicher Weise , wie mechanisch , vor sich. Dieses ist sogar beim Instinkt noch ausge- sprochener, als bei der Gewohnheit. Im Gegen- satz dazu habe ich als plastisch diejenigen Handlungen bezeichnet, die, mehr oder weniger leicht, modifizierbar sich den äußeren Umständen anschmiegen, oder auch durch innere Reibungen und Kombinationen der Hirnkräfte in der Form neuer, ungewohnter Zusammenstellungen auftreten. Ich habe dabei stets betont, daß viele Über- gangs formen zwischen Automatismen und plastischen Tätigkeiten vorkommen, und daß beide sich mannigfach in unseren Handlungen kom- binieren und mischen. Der Unterschied zwischen Instinkt und Ge- wohnheit ist sehr einfach; Die Instinkte sind er- erbte Automatismen, deren Tätigkeitsbahnen (Neurokymbahnen) in den Keimesenergien bereits vorgezeichnet sind. Die Gewohnheiten dagegen sind die Folgen im Leben häufig wiederholter plasti- scher Tätigkeiten. Die häufige Wiederholung einer jeden Nerventätigkeit pflegt ihre Nervenbahnen zu schleifen und daher jene Tätigkeit progressiv immer automatischer, d. h. immer gleichmäßiger wieder- holt, zu gestalten. Daher hat man mit vollem Recht die Instinkte als primäre oder erbliche, die Gewohnheiten dagegen, als sekundäre Automatis- men bezeichnet. Darwin und die ersten Darwinisten, die noch an eine ziemlich naiv aufgefaßte Epigenese glaubten, meinten, die Instinkte seien ererbte Gewohnheiten. Dieser Standpunkt ist durch weitere Forschungen unhaltbar geworden. Wir müssen vielmehr an- nehmen , daß in den phylogenetischen Trans- formationsprozessen der Arten die Anlage des Nervensystems in kumulativer Art, sei es selek- 552 Naturwissenschaftlich e Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 35 lorisch, sei es auf sonst noch unbekannte Weise, die molekularen Energien zu vorgezeichneten, automatischen Tätigkeiten, bald in dieser, bald in jener Detailrichtung ausbildet. Statt darüber halt- lose Hypothesen aufzustellen, begnügen wir uns am besten damit, die Tatsache zu konstatieren und auszudrücken, bis unsere Kenntnisse uns weiter bringen. Wir sollen unumwunden gestehen, daß die Phylogenese des histinkts noch rätselhaft ist. Das alles hindert uns aber keineswegs, den Ausdruck Automatismus, als Bezeichnung für die maschinenartigen, zwangs- und gesetzmäßig erfol- genden Ketten von Nerventätigkeiten zu gebrauchen, die in zeitlichen Reihen einander folgen, gleich- viel, ob sie instinktiv ererbt oder durch Gewohn- heit erworben worden sind. Es wird im Gegen- teil durch die Unterscheidung zwischen primären (ererbten) Automatismen oder Instinkten und sekundären (erworbenen) Automatismen oder Gewohnheiten, die ganze Sachlage recht klar vor Augen geführt, indem einerseits die Identität des Geschehnisses und anderseits die Grundverschie- denheit der Entstehungsart vor Augen gefüiirt werden. Ein alter .Spruch sagt: „die Gewohnheit ist eine zweite Natur", das heißt so viel, wie: ,,die Gewohnheit ist ein zweiter Instinkt." Denn unter „Natur" versteht man eben in diesem Falle die Gesamtheit der ererbten oder instinktiven .'\nlagen. Freilich gibt es beim Menschen wenig fertige Instinkte, um so mehr jedoch dafür erbliche An- lagen. Eine erbliche Anlage ist aber nichts ande- res, als ein unfertiger, nur teilweise ausgebildeter Instinkt. Durch etwas Übung des betreffenden Individuums schlüpft er dann rasch heraus und wird nunmehr viel leichter automatisch, als solche Dinge, für die wir nicht veranlagt sind. Man sieht also, wie die Gewohnheit den unfertigen Instinkt ergänzt und wie beide Formen der automatischen Nerventätigkeit sich in uns kombinieren. Umge- kehrt können plastische Modifikationen, (sogenannte intelligente Anpassungen), sowohl die Abwicklung einer Instinktkette etwas modifizieren oder stören, als auch den Gang alter Gewohnheiten teilweise wieder abändern. Die Plastik hat immer etwas primäres, reibungs- oder schokartiges an sich. Sie ist die neue Resultante simultan einander teilweise entgegenwirkender Kräfte. Sie bildet die Initiative im Gegensatz zur schlendrianartigen Wiederholung des Automatismus. Im Verlauf der in unserem Einzelleben erworbenen geistigen Fähigkeiten und Tätigkeiten ist dieser Prozeß leicht zu erkennen. Schwieriger dagegen gestaltet sich die Sache für die dunkle Geschichte der Phylogenese. Ich glaube jedoch, daß auch hier die erbliche Angliederung von Energien, die den Instinkten zugrunde liegt, ein sekundäres Produkt ist und daß ihr primär plastische Geschehnisse im Protoplasma zugrunde liegen. Letzteres glaube ich freilich, ohne es beweisen zu können. Unter plastischen Tätigkeiten verstehe ich natürlich so- wohl die elementaren geistigen (nervösen) An- passungen niederer Organismen als die kom[)li- zierten Anpassungen der menschlichen Intelligenz und Piiantasie. Grad- und Komplikationsunter- schiede sind keine prinzipiellen Unterschiede. Ich meine, jetzt müsse doch jedem Kinde klar sein, daß der Irrtum nicht auf meiner Seite, son- dern auf derjenigen meines verelirten Kritikers liegt, und, daß ich vollauf berechtigt bin, den Ausdruck Automatismus für den Instinkt zu ge- brauchen. Prof Kolbe bringt seinerseits irrtümlicherweise den Begrift" des Bewußtseins, d. h. der rein subjek- tiven Introspektion in diese Frage. Ich kann hier nicht auf das Detail eingehen und verweise auf meine diesbezüglichen Arbeiten: Die psychi- schen Fähigkeiten der Ameisen, München, E. Reinhard, 1901 und der Hypnotismus, 4. Aufl., Stuttgart, Enke, 1902. — So viel jedoch sei hier bemerkt, daß ein alter Schlendrian, ohne den Schatten eines Beweises, mit dem Wort ,,u n - bewußt" das Bewußtsein, d.h. die Introspektion, allen denjenigen Nerventätigkeiten abspricht , die wir nicht mit der apperceptiven Kette unserer Großhirntätigkeit (Oberbewußtseinsinhalt) asso- ziieren oder, die wir sofort wieder „vergessen", d. h. zu wenig assoziiert haben. Diese Konfusion, der ich in den genannten Arbeiten entgegengetreten bin, hat in der Psychologie und der Psychophysio- logie ungeheuer viel Verwirrung gestiftet. Dr. A. Forel, vorm. Prof in Zürich. Der Blitz als Waldverderber. — In dem beträchtlichen Verlustinventar, das die deutsclie Forstwirtschaft trotz ihres rationellen Betriebes nicht vermeiden kann, nahm bisher die Wald- zerstörung durch Blitzschlag eine ganz nebensäch- liche Stelle ein. Ist auch die Beschädigung von Bäumen durch Blitz eine so auffällige Erscheinung, daß sie wohl jedem geläufig ist, so ereignet sie sich doch relativ so selten, daß der Blitzschlag gegenüber den sechsfüßigen oder mikroskoiiischen Waldverderbern fast gar nicht in Betracht kommt. Dies scheint jedoch nach neuesten Untersuchungen nicht ganz richtig zu sein. Wenigstens hat man im vergangenen Jahre in der Umgebung von München , ebenso in einzelnen Teilen Frankens, hauptsächlich bei Fichten, Kiefern und Lärchen ein sehr auffälliges Abdorren der Baumwipfel in ausgedehntem Maße beobachtet, wodurch die baj-rischen Privat- und Staatswaldungen in sehr empfindlicher Weise geschädigt wurden ; die Ur- sache dieser Gipfeldürre blieb längere Zeit unbe- kannt, bis sich endlich herausstellte, daß ausge- dehnte , sogenannte „Flächenblitze" diese gefähr- liche Nadelholzerkrankung hervorrufen. In diesen Blättern wurde zwar bereits gleich nach Veröffentlichung der ersten Nachrichten über diese merkwürdige Erscheinung eine kurze Notiz gebracht.') In jenem ersten Stadium der Unter- suchungen war es noch zweifelhaft, ob diese ') In Nr. 44 des XVIII. Bandes der Naturw. Wochenschr. N. F. III. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 553 Gipfeldürre in Bayern durch Borkenkäfer oder elektrische Kntladungen verursacht wurde; da je- doch seitdem die F'orschungen über diese Frage bereits zu einem befriedigenden Abschluß gelangt sind, wobei viele , in mehrfacher Beziehung inter- essante Tatsachen aufgedeckt wurden , dürfte es wohl angebracht sein, hier nochmals auf diese in forstwirtschaftlichen Kreisen Aufsehen erregenden Untersuchungen etwas eingehender zurückzu- kommen. Die Gipfeldürre kommt im bayrischen Hoch- lande gewöhnlich an freistehenden Pichten, aber auch an anderen Nadelhölzern, wenn auch seltener, vor; an Laubbäumen wurde sie noch nicht be- obachtet. Ein derartig beschädigter Baum ge- währt folgenden Anblick (Fig. i): Gewöhnlich Fig. I. Durch Flächenblitze gipfeldürr gewordene Fichte in der Umgebung Münchens. (Nach der Natur). ist das oberste Drittel der Krone getötet, gebräunt und dürr geworden. Untersucht man den Stamm, so findet man an demselben noch einige Meter unterhalb des abgedorrten Kronenteiles Spuren von Verletzungen, zahlreiche Risse in der Rinde, und stellenweise abgestorbene Rinden- und Kam- biumteile. Im sonstigen sind die grünen Aste vollkommen gesund, ebenso wie der untere Teil des Stammes und die Wurzel. Da sich die Knos- pen an dem dürren Gipfel stets noch im Winter- zustande befanden , konnte daraus geschlossen werden, daß die Beschädigung noch im Laufe des Winters erfolgt war. Prof v. T u b e u f , welcher die in Rede stehende Erscheinung auf das ein- gehendste studierte ',) , folgerte aus allen diesen Anzeichen, namentlich aber aus der Übereinstim- mung der Rindenrisse mit den von dem berühmten Forstbotaniker Hart ig seinerzeit festgestellten „Blitzspuren", daß auch in diesem Fall, die merk- würdige Gipfeldürre eine Folge von elektrischen Ausgleichungen zwischen den Baumgipfeln und den Wolken sei. Es macht keine Schwierigkeiten, solche elektrische Entladungen auch für den Winter anzunehmen, da wir ja oft genug Wintergewitter beobachten können. Gerade diese bestehen eben zumeist aus Flächenblitzen, welche sich als bloßes Aufleuchten kundgeben und eine schwächere Form der elektrisclien Entladung darstellen, die etwa zwischen dem P.;imsfeuer und dem wirklichen „groben Blitz" rangiert, welch letzterer, wenn er einen Baum trifft, die Äste abreißt, die Rinde zer- fetzt oder gar den Stamm zersplittert. Sehr zu- gunsten der .Annahme, daß Flächenblitze diese ausgedehnten Waldbeschädigungen verursachen, spricht auch, daß besonders exponierte Bäume an Felskuppen, Gratrücken, wetterscitigen Hängen dieser Gipfeldürre ausgesetzt sind, ebenso wie im geschlossenen Waldbestande stets nur die höheren Bäume von ihr befallen werden. Diese Untersuchungen Tubeuf's erregten in weiten Kreisen Interesse, aber auch Widerspruch. So hatte namentlich J. M ö 1 1 e r in der L^mgebung Münchens die Gipfeldürre der Fichten ebenfalls studiert und war zu dem Resultat gekommen, daß dieselbe durch den Fraß der Raupe des Fichten- rindenwicklers (G r a p h o 1 i t h a p a c t o 1 a n a) her- vorgerufen wurde, da er diese Raupen an den kranken Fichtengipfeln fand. Dies veranlaßte nun Tuben f, durch Experimente festzustellen, ob ein, auf junge Fichten und Kiefern wirkender elektrischer Funken- strom ähnliche Erscheinungen wie die Gipfeldürre zum Gefolge hat, was ja den überzeugendsten Beweis für die Richtigkeit seiner Anschauungen liefern konnte. Und dieser Beweis wurde tat- sächlich erbracht.'-) Auf sinnreiche Weise wurden die eingetopften Versuchspflanzen durch einen Induktor während einiger Sekunden mit zahl- reichen, schwachen Funken überschüttet und da- durch die Wirkung eines schwachen Flächenblitzes nachgeahmt. Binnen einigen Wochen machten sich bereits die Folgen bemerkbar. Fig. 2 stellt den Gipfel einer solchen Versuchspflanze dar und liefert dadurch den Beleg für eine künstlich durch ') C. V. Tubeuf, Die Gipfeldürre der Fichten. (Natur- wiss. Zeitschrift für Land- u. Forstwirtschaft, 1903) und: Über den anatomisch-pathologischen Befund bei gipfeldürren Nadel- hölzern. (Ebendort). ^) C. V. Tubeuf und Zclindcr, Über die pathologische Wirkung künstlich erzeugter elektrischer Funkenströme auf Leben und Gesundheit der Nadelhölzer. (Mit 2 Tafeln.) (Naturwissenschaftl. Zeitschrift für Land- und Forstwirtschaft. 1903). 554 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 35 Elektrizität erzeugte Gipfeldürre, deren Symptome, sowohl äußerlich als auch anatomisch, genau mit den in der Natur erhaltenen Befunden überein- stimmten. Der Gipfel war von oben herab voll- ständig abgestorben und im VVinterzustande ver- blieben. Es zeigten sich sowohl die Rindenrisse, als die charakteristischen toten Kambium- und Rindenstellen. Damit war in befriedigender Weise der Nach- weis erbracht , daß schwache Blitze den Bäumen ebenfalls in empfindlicher Weise schaden können und das Vorhandensein der Mottenräupchen und Borkenkäfer in den dürren Gipfeln erklärte sich nun ungezwungen durch späteren Befall. P2s war Fig. 2. Gipfel einer jungen Ficlile , un welcher durch elek- trische Entladungen künstlich die ,, Gipfeldürre" hervorgerufen wurde. (Nach Tubeuf). ja schon von früher her bekannt, daß an Nadel- hölzern, die nur leicht vom Blitz gestreift wurden und keinerlei äußere Verwundung aufwiesen, den- noch stets Terpentintropfen austreten und deren Geruch lockt Borkenkäfer und sonstige Baum- schädlinge von fernher an. Es ist kein Zweifel, daß nach dem Bekannt- werden dieser interessanten Tatsachen die Art von Gipfeldürre der Nadelhölzer nun an inehreren Orten konstatiert werden wird und damit wird in zahl- losen Fällen der Schlüssel des Verständnisses für ein bis dahin unbegreifliches Dahinsiechen vieler, gerade der schönsten Waldriesen gegeben sein, dem wir aber bei diesem Sachverhalt natür- lich machtlos gegenüberstehen. R. France. Wasserdurchlässigkeit von Sand, Lehm und Ton. — Über diese Verhältnisse, welche hauptsächlich für die Geologen von größter Be- deutung sind, deren Kenntnis, insbesondere die- jenige der Durchlaßgeschwindigkeit, aber auch der Techniker nicht entbehren kann , hat der durch den Nachweis der Zusammenschweißbarkeit starrer Mineralpulver berühmt gewordene Lütticher Prof. W. Spring eine große Reihe systematisch ge- ordneter Versuche ausgeführt, deren Ergebnisse er im 28. und 29. Bande der Ann. d. geol. Gesellsch. für Belgien in Lüttich mitteilte. Für den Hin- weis, daß die hierbei berührten Fragen auch noch andere Wissenschaftszweige angehen und allge- meines Interesse verdienen, dürfte die Erinnerung genügen , daß die Ernährung der unterirdischen und quellenspeisenden Wasseransammlungen durch von der Erdoberfläche aus hinzusickerndes atmo- sphärisches Wasser sehr ernstlich und auf Grund anscheinend exakter Versuche bestritten worden ist. Für die Durchlässigkeit kommt natürlicher- weise zunächst der Sand in Betracht, dessen Durch- laßgeschwindigkeit sowohl in horizontaler als auch in senkrechter Richtung geprüft wurde. Zu den benutzten Apparaten dienten hauptsächlich Glas- röhren von 2 cm lichter Weite; der Sand, der zu den in den Röhren aufgeschütteten Plltern ge- nommen wurde , war zuvor mit Salzsäure ge- waschen worden und wurde dann, um den Ein- schluß störender Gasblasen zu vermeiden, in Ge- stalt eines mit kochendem Wasser hergestellten Schlammes in die Röhren eingeführt. Das Er- gebnis mehrerer Versuchsreihen für die horizontale Durchlässigkeit war, daß das Wasser nicht mit einer zur Breite (horiz. Länge) des Filters umge- kehrt und dem motorischen Drucke direkt ent- sprechenden Geschwindigkeit verläuft. In sehr breiten Filtern verwischt sich die Wirkung des Druckes mehr und mehr und das Wasser rückt nur im Wege der Durchtränkung (Imbibition) vor. Die von Poiseuille für das Gesetz des Flüssigkeit- ausflusses aus Kapillarröhren aufgestellte Formel zeigt sich nicht brauchbar für den Fall von quer durch erheblich breite Sandmassen hindurchdringen- dem Wasser. Verstärkt man den Bewegungsdruck, so tritt die Verringerung der Filtriergeschwindig- keit mit zunehmender Ulterbreitc noch deutlich hervor, doch erlischt die Wirkung des Druckes bald und setzt das Wasser seinen Lauf fort, als ob seine Bewegung vom Druck ganz unabhängig wäre. Der in einer gegebenen Gegend innerhalb einer Sandschicht herrschende Druck wird mithin eine merkliche Wirkung (auf die Filtriergeschwindig- keit) nur bis auf einen kaum in Betracht zu ziehen- den Abstand hin äußern können. Bei der senkrechten F"ilterung erhält man über- einstimmende Ergebnisse nur in dem Falle, daß die Sandkörner gleich groß sind. P^nthält der Sand verschieden große Körner und daneben vielleicht auch noch Glimmerblättchen, so bewirkt das durch- sickernde Wasser nach und nach eine (classierende) Umlagerung, indem die groben Sandkörner in die N. F. m. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 555 Tiefe dringen und die feineren (mit dem Glimmer) an der Oberfläche zurücklassen ; obwohl letztere nur eine ganz dünne Schicht bilden, stören sie doch die Filtergeschwindigkeit. Diese Beobachtung ist entschieden von geologischem Interesse, indem sie einmal lehrt, daß in der Natur, wo reiner, aus ganz gleich großen Körnern bestehender Sand äußerst selten, oder man darf wohl sagen gar nicht, vorkommt, das Durchsickern des Wassers keinem einfachen , in einer mathematischen Formel aus- drückbaren Gesetze folgen kann, andererseits das Versinken der gröberen Konstituenten in losen Materialablagerungen und dafür die Anhäufung der feinkörnigen an der Oberfläche als eine sekundäre, vom Sickerwasser bewirkte, nicht durch die Ent- stehung der xAblagerung bedingte Erscheinung auf- zufassen ist; den Wasserleitungs-Technikern aber wird es interessant sein zu erfahren, daß sich ihr „rationelles Filter" also in gewissem Maße auto- matisch bildet. — Daraufhin wurden die Versuche mit Sand fortgesetzt, dessen Körner von gleicher Größe und Art waren. — Dabei zeigte sich nun als zunächst störender Umstand die verschiedene Ablagerungsdichte (tassement), welchem Einflüsse man am ehesten dadurch begegnet, daß man die Sandfüllung, anstatt auf einmal, in nur einigen Zentimeter Höhe entsprechenden Partien nach- einander in die Röhren einführt; in diesem Falle allein zeigten die vertikalen F'ilter eine im um- gekehrten Verhältnisse zu ihrer Dickenzunahme abnehmende Durchlässigkeit; im übrigen gilt das Gesetz von Poiseuille über die Ausflußgeschwindig- keit aus Kapillarröhren nur für dünne Filter. Einen anderen störenden Faktor stellt der in der Natur wohl stets vorhandene Gasgehalt des Sickerwassers dar; bei einem Versuche mit von erkennbaren Luftblasen freiem Wasser, das durch Sand in einer 4 m hohen Glasröhre sickerte, trat nach einigen Stunden eine Verlangsamung des Wasserabflusses ein, und zeigte sich zu gleicher Zeit die Flüssig- keitssäule in halber Höhe unterbrochen, indem sich um gewisse Sandkörner Gasblasen gebildet hatten ; durch diese Unterbrechung war der nutz- bare Filterquerschnitt eingeschränkt worden. — Die unter Vermeidung der angeführten störenden Umstände ausgeführten Versuche ergaben, dal3 die Ergiebigkeit eines senkrechten Filters nur dann (umgekehrt) proportional zur P^ilterdicke zu stehen scheint, wenn der das Wasser bewegende Druck eine gewisse (nahezu einer Wassersäulenhöhe von I m entsprechende) Grenze überschreitet; bei schwächerem Drucke dagegen nimmt die Er- giebigkeit mit der Mächtigkeit des Filters zu (bei 0,005 ni Wasserdruck z. B. erhielt man mit einem 0,085 m mächtigen Filter in derselben Zeit nur iOi33 g Wasser, in welcher ein 1,800 m mäch- tiges 14,10 g gab), weil da das Gewicht der Wasser- säule zur vorwiegenden Geltung gelangt. Die Ge- schwindigkeit des Versickerns von Oberflächen- wasser wird also nicht notwendig durch die Mächtig- keit der zu durchsickernden Schicht vermindert. Dies hatte schon Biot durch ein Experiment zu zeigen versucht , indem er ein mit Wasser ge- sättigtes Sandfilter vorführte, das freiwillig an seinem unteren Ende kein Wasser mehr entließ; ließ er aber einen Tropfen auf die freie Ober- fläche des Sandes fallen, so tropfte sofort auch ein solcher vom unteren Ende ab. Eine Wiederholung dieses Experimentes lehrte aber, daß es nur bei dünnen Sandschichten von weniger als 30 bis 40 cm Mächtigkeit gelingt, weil bei mächtigeren .Schichten der Wasserablauf nicht gleich aufhört, sobald der Wasserspiegel bis zur Sandoberfläche gesunken ist; die Wassersäule sinkt da vielmehr unter ihrem eigenen Gewicht noch tiefer ein ; fügt man als- dann oben Wasser zu, so tropft unten nicht eben- soviel ab, weil aus den Zwischenräumen der Sand- körner in den oberen Schichten das Wasser zuvor schon wieder von der Luft verdrängt worden war, welche das neu eindringende Wasser hemmt. Bei solchem frei gesättigtem Filter aus gewöhn- lichem Sande ließ sich das Volumen des in den Zwischenräumen der Sandkörner enthaltenen Was- sers auf 49,29 " ij des Gesamtvolumens berechnen ; durch Austrocknung reduziert sich jenes auf 28,074 '7„ für den feuchten Sand, kommt also dann dem für die Zwischenräume von aus gleich großen, sphärischen Körpern aufgebauten Aggregate be- rechneten (von 26"/||) ziemlich nahe. Diese Volumen- dififerenzen legen, insoweit sie nicht durch die Un- regelmäßigkeiten in den Gestalten der Sandkörner erklärt werden können, die Annahme nahe, daß bei einem frei mit Wasser gesättigten Sande die Körner von einander durch Wasserwände getrennt werden , deren Dicke für die ganze Masse nicht ohne Belang ist, und die auch auf seine Beweg- lichkeit großen Einfluß ausüben müssen. Es ist also wohl zu unterscheiden zwischen mit Wasser frei gesättigtem und nur feuchtem Sande, welcher letztere das Wasser nur auf den gegebenen Hohlräumen, nicht überdies noch welches durch Flächenadhäsion oder Kapillarität festhält und sich deshalb auch fester erweist als jener. Diese Unter- schiede steigern sich noch mit der Feinheit der Sandkörner, denn während ein aus feinen Körnern von 5 bis 10 fi Korngröße bestehender feuchter Sand durch die in seinen Hohlräumen einge- schlossene Feuchtigkeit zu einer mit dem Messer schneidbaren und mit dem Spatel modellierbaren Masse wird, in welcher das Wasservolumen nach obigem Gesetze auch nicht viel mehr als 26 "/o des Gesamtvolumens bildet, beträgt jenes bei der freien Wasserdurchtränkung 52,28%, weil eben die kleinen Körner eine viel größere Flächen- entwicklung besitzen als die größeren, also auch stärkere Adhäsionskräfte entwickeln können (wes- halb auch aus feinerem Sande bestehende Schichten schwieriger auszutrocknen gehen als solche aus gröberem ; jene werden auch leichter ins Schwimmen kommen als diese). Von wie großer Bedeutung die Menge des durchtränkenden Wassers ist, führt insbesondere folgendes Experiment vor Augen: Aus einer senk- rechten, an ihrem unteren Ende mit Mltersieb ver- S56 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 35 sehenen und mit im Wasser ausgewaschenen Sande gefüllten Röhre läßt man den Überschuß von Wasser austropfen und entfernt darnach das am unteren Ende angebrachte Sieb, das dem Sande während des Filterns zum Hak diente; alsdann bleibt die über i m hohe Sandschicht in der Röhre haften und selbst ein auf deren Oberfläche aus- geübter Druck von mehreren Kilogramm vermag nicht, sie zur Röhre unten hinauszuführen, wohl aber und binnen wenigen Augenblicken vermag solches die Zugabe von ein wenig Wasser. Die Einwirkung der Temperatur auf die Filter- geschwindigkeit wurde mittels eines Thermostaten in Intervallen zwischen 19 und 60" (bei weiterer Temperatursteigerung wirkte die Entwicklung von Luftblasen störend ein, welche den Sand zerteilen und eine Verzögerung bewirken) untersucht; es ergab sich, daß Temperatursteigerung den P'ilter- ausfluß steigert in gleichem Maße, als sie die innere Reibung der Flüssigkeit verringert. Der Filterausfluß ist der doppelte bei einer um etwa 30" gesteigerten Temperatur. Damit wird die Annahme vieler Geologen gefestigt, daß auf die Versickerungsgeschwindigkeit des Oberflächen- wassers die Temperatur einen großen Einfluß aus- übe; für der Erdoberfläche nahe Schichten kann man also mit einer Beschleunigung der Versicke- rung in der Tiefe rechnen. Die Wasserdurchlässigkeit des Lehms ist ein geologisch sehr wichtiger, aber auch heftig be- strittener Punkt in Anbetracht der weit ausge- dehnten Lehmdecken. Wer den Lehm für un- durchlässig erklärt, ist zu der Behauptung ge- zwungen, daß das unterhalb der Lehmdecken an- getroffene Wasser, insoweit es nicht etwa auf bis zur Erdoberfläche reichenden Gebirgsspalten ver- sunken wäre, von außerhalb der Lehmdecke liegen- den Landstrichen seitlich hinzugetreten ist oder aber, wie einige Geologen wollen, aus „Bergfeuchtig- keit" (deren Gegenwart noch besonders zu erklären wäre) zum tropfbarflüssigen Zustande kondensiert worden sei. Und diese Undurchlässigkeit schien gar nicht mehr eriaubt anzuzweifeln einerseits in Rücksicht eines Experimentes, bei welchem das in eine 12 cm weite und 85 cm hohe Röhre ge- füllte Gemenge von Gartenerde und zuvor an der Sonne getrocknetem Ziegelton von oben mit einer die jährliche Niederschlagsmenge in der Gegend (für den Röhrenquerschnitt berechnet) weit über- ragenden Quantität von Wasser angenäßt wurde, von welchem nichts bis in das untergestellte Ge- fäß gelangte, und andererseits der während jeder Jahreszeit anzustellenden Beobachtung, das selbst nach anhaltenden Niederschlägen sich das Wasser in Wald- oder Feldboden im allgemeinen nur bis zu unbeträchtlicher Tiefe eingesickert findet. Dabei ist aber übersehen worden, daß dem tieferen Ein- dringen in den Boden nur die in den Zwischen- räumen der Mineralteilchen befindliche Luft ent- gegenwirkt, weshalb bei Füllung eines frischen Bohdoches mit Wasser in diesem zahlreiche Luft- blasen aufsteigen. Sorgt man dagegen, wie bei den von Spring mit Lehm (oberem Limon de la Hesbaye) in bis zu 8 m langen Röhren aus- geführten Versuchen geschehen ist, daß weder die im Lehm noch die im Wasser enthaltene Luft störend einwirkt, so erweist sich auch der Lehm durchlässig und zwar bis auf vermutlich 8 m über- steigende Tiefe. Diese Durchlässigkeit zeigte bei den Versuchen eine sich bald bemerkbar machende Abnahme, infolge deren sogar das Abtropfen am unteren Ende zum Stillstand kam; da aber am oberen Ende der Lehmsäule trotzdem zu beobachten war, daß täglich je nach der Temperatur noch eine (gegen Verdunstung geschützte) Wassersäule von 12 bis 15 mm Höhe (gegen Ende einer zwei- monatigen Beobachtungszeit noch 5 bis 6 mm) verschluckt wurde, muß man annehmen, daß die Versickerung auch dann noch andauert, aber der- maßen veriangsamt, daß es nicht mehr zur Tropfen- bildung am unteren freien Ende kommt, sondern das Wasser daselbst verdunstet. Dieses andauernde Verschlucken von Wasser ist trotz der geringen Menge des letzteren von wenigen Millimeter Höhe in 24 Stunden, für die Frage der Ouellenbildungen nicht ohne Belang, denn es ist zu bedenken, daß schon bei nur i mm Höhe der verschluckten Wassersäule für jedes Hektar 10 cbm Wasser dem L^ntergrunde zugeführt werden. Mit der Durchlässigkeit des Tones hat sich Spring zu wiederholten Malen beschäftigt. Eine auf ein Sandfilter in einer vertikalen Röhre auf- gebrachte 6 cm dicke Schicht aus mit Wasser gesättigtem Ton ließ das Wasser andauernd hin- durchsickern, trotzdem der Versuch über einen Monat ausgedehnt wurde; allerdings geschah solches ungemein langsam, etwa 680 mal langsamer als im Sand, hörte aber doch nie völlig auf; ließ man nun auf die durchlässige Tonschicht, noch während die Röhre voll Wasser stand, einen Druck von 1,033 kg/qcm von oben wirken, was durch Her- stellung eines luftleeren Raumes am unteren Röhren- ende erzielt wurde, so trat zunächst zwar eine Beschleunigung des Filterausflusses ein, welcher jedoch mit der eintretenden Verdichtung der Ton- schicht bald nachließ und nach einigen Stunden ganz aufhörte; die in ihrem oberen Teile noch schlammige Tonmasse war dabei nach unten zu immer dichter geworden, so daß die dem Sande aufruhende Schicht mit dem Wasser zerschneidbar war. Durch eine Reihe anderer Versuche zeigte Spring, daß der Ton nur Wasser aufnimmt und zugleich für Wasser durchlässig ist, wenn er sich frei ausdehnen kann. Wenn eine Substanz bei ihrer Auflösung in Wasser oder auch nur, wie dies beim Ton der Fall ist, bei ihrer mechanischen Wasseraufnahme an Volumen zunimmt, so muß jene Auflösung oder diese Durchtränkung unter- bleiben, sobald es der Substanz an dem dazu nötigen Räume fehlt. Es liegen da osmotische Erscheinungen vor. Ein Tonlager im Gebirgs- verbande, das um so mehr beengt ist, eine je größere Last von übergelagerten Schichten es zu tragen hat, wird also nur bis zu einer beschränkten N. F. III. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 5S7 Tiefe Wasser in sein Inneres eintreten lassen, bis nämlich durch das Anschwellen und Aufquellen des vom Wasser berührten Tones aller verfügbare Raum erfüllt ist. Die Aufquellkraft des mit Wasser in Berührung gebrachten Tones ist schwer zu be- stimmen und wird geringer als 2 kg/qcm geschätzt ; nimmt man die Dichte des Tones je nach seiner Austrocknung zu 2,6 bis 2,o an, so wird in ein von Spalten nicht durchsetztes Tonlager das Wasser nicht tiefer als etwa 0,4 oder höchstens I m ein- dringen können. Die Ergebnisse seiner Versuche faßt Spring schließlich dahin zusammen , daß das Versickern des meteorischen Wassers im Boden nicht regel- mäßig und entsprechend dem Aufbau aus einander im allgemeinen parallelen Schichten erfolgen kann. Die im Boden eingeschlossene Luft, welche dem Wasser zunächst Platz machen muß, bedingt, daß das Versickern nur an beschränkten Stellen statt- findet, während die übrigen als Kanäle für die entweichende Luft dienen. Im übrigen wird ein erhebliches Versickern nur in denjenigen Land- strichen vor sich gehen, wo die Oberfläche in ge- nügender Mächtigkeit von fließendem oder rieseln- dem Wasser, von einer ruhenden Wasserschicht oder schmelzendem Schnee bedeckt ist. Gelingt es dann aber dem Wasser, sich einen Weg zur Tiefe zu bahnen, so wird sein Versinken um so rascher erfolgen, je größere Höhen seine, in ge- wissem Maße von der Mächtigkeit der Schichten bestimmte Säule erreicht. Das Wasser wirkt dabei vorzugsweise durch sein Gewicht; hiermit führt es eine wirkliche Austrocknung der oberen Schichten herbei, infolge deren letztere von Wasser bis auf die durch Kapillarkräfte gefesselte Feuchtigkeit entleert werden. O. L. Neues vom Pupin'schen System zur Ver- besserung der telephonischen Fernleitungen. — In Nr. 19 dieser Zeitschrift vom 8. Februar 1903 (N. F. II pag. 226) wurde über die außer- ordentliche Bedeutung der Erfindung des Professors Michael J. Pupin in New- York berichtet, wel- che für das System des Telephotiierens auf weite Entfernungen eine vollständig neue Epoche herauf- zuführen schien. Durch Erhöhung der Selbst- induktion der Leitungen vermittelst eingeschalteter Selbstinduktionsspulen kann man sowohl die Strecken, auf welche ein Fernsprechen überhaupt möglich ist, auf die 4- bis 5-fache Entfernung gegenüber der älteren , bisher üblichen Methode vergrößern, als auch die Kosten einer neugeplanten Anlage bei gegebener Entfernung außerordentlich stark verringern. Indem in bezug auf Einzelheiten der hochbedeutsamen Erfindung auf den älteren Artikel verwiesen wird, sei heut kurz auf die Fortschritte des Systems im Laufe des letzten Jahres hingewiesen. Die hohen Erwartungen, welche der Erfinder und die mit ihm liierte Firma Siemens & H a 1 s k e , die Besitzerin seiner außeramerikanischen Patente, an die Erfolge der neuen Pupin-Tele- phonie knüpften, haben sich in jeder Beziehung vollauf erfüllt; konnte vor einem Jahr nur von einer Kabellinie mit Pupin- Ausrüstung, Berlin — Potsdam, und einer ebensolchen Freileitungslinie, Berlin — Magdeburg, berichtet werden, so sind jetzt innerhalb Deutschlands verschiedene neue Linien hinzugekommen oder in Aussicht genommen, von denen bisher Berlin — Stralsund und besonders Berlin — Frankfurt a. M. am wichtigsten sind. Weitere noch größere Linien dürften im Laufe des Jahres 1904 hinzukommen. Auch im .Ausland regt sich das Interesse für die neue Erfindung kräftig. Sind auch bisher nur zwei kürzere Strecken wirklich mit Pupinspulen bereits ausgerüstet und fertiggestellt worden, näm- lich eine Freileitung Lissabon — Oporto und ein Kabel Merida — Progreso (Yucatan), so sind doch die Staatsbehörden nahezu sämtlicher Kulturstaaten eifrig bestrebt, die Vorteile der neuen Erfindung demnächst praktisch zu erproben , und daß die Resultate überall dazu führen werden, daß im Gebiete der Ferntelephonie das neue Pupinsystem nach und nach die Alleinherrschaft erlangen wird, kann kaum einem Zweifel unterliegen. Wie außerordentlich überlegen die Ausrüstung einer Linie mit Pupinspulen gegenüber allen anderen Methoden zur Verbesserung der F"ernsprechleitun- gen ist, geht besonders klar aus einem neueren Aufsatz hervor, den die Herren Dr. Dolezalek und Dr. Ebeling in Nr. 38 der „Elektrotech- nischen Zeitschrift" veröffentlicht haben. Unter den bisherigen Methoden, die Selbstinduktion eines Kabels merklich zu erhöhen, war die weitaus wirksamste die Umhüllung der Kupferleiter mit Eisenhüllen in Form von Eisenrohren oder von spiralförmig herumgewickelten Eisendrahtspiralen ; doch wurde dabei der erzielte Gewinn durch die gleichzeitig unvermeidliche Erhöhung der Kapazität im technischen Endergebnis wieder stark getrübt, und die praktisch erreichbare Selbstinduktion be- trug daher selbst im günstigsten Falle nur die Hälfte der theoretisch berechneten. Die Verfasser zeigen nun auf theoretischem und rechnerischem Wege in eingehender Darlegung, daß auch diese günstigste unter den bisher bekannten Methoden zur Erhöhung der Selbstinduktion und zur Ver- besserung der Sprechwirkung durch das neue Pupinsystem an Güte mindestens um das Dreifache übertroffen wird. Gleichzeitig mit dieser außerordentlichen technischen Vervollkomm- nung werden aber durch die Einschaltung der Selbstinduktionsspulen der Aufwand an Material und demnach auch die Kosten sehr bedeutend verringert. In einem bestimmten Falle, den die Verfasser näher berechnen, bedarf die bisher beste Methode der Eisenumhüllung unter günstigsten Umständen pro Kilometer Doppelleitung 38 kg Eisendraht, während das Pupinsystem auf die gleiche Leitung nur 0,7 kg Eisen und 0,4 kg Kupfer gebraucht, um ein vierfach besseres Resultat zu erzielen ! Dieses Resultat ist verblüffend genug, um jeden 558 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 35 Zweifel zu beseitigen , daß dem Pupinsystem die Ferntelephonie der Zukunft gehören muß. Nach- dem obendrein der hitzige Patentstreit, der um das besonders wichtige deutsche Pupinpatent entbrannt war, kürzlich beigelegt ist und mit einer Erteilung des nachgesuchten Patentes in vollem Umfange definitiv geendet hat , ist zu erwarten , daß die Segnungen des neuen Systems sich jetzt , nach Erledigung der formalen Vorfragen, erst zur vollen Blüte entfalten werden und daß die Zukunft noch oft und viel von großartigen Erfolgen des „Pupin- systems" berichten wird. H. Die Wertigkeit der Elemente. — In unseren Lehrbüchern der Chemie findet sich vielfach die Ansicht vertreten, daß gewisse Elemente in ver- schiedenen Verbindungen verschiedene Wertigkeit besitzen, daß z. B. Stickstoff drei- und fünfwertig, ja sogar ein- und vierwertig auftrete. Ein und demselben Elemente verschiedene Wertigkeit zu- zuschreiben, widerspricht aber den Grundsätzen von der Unveränderlichkeit der Atome und von der absoluten Gleichheit aller Atome jedes ein- zelnen Elements. In einer der letzterschienenen Nummern der Chemiker -Zeitung diskutierte A. Pfannen stiel diesen Widerspruch und erörtert dabei die Frage, ob wir auf Grund der Erfahrungstat- sachen überhaupt berechtigt sind, von einer Wertig- keit der Elemente und zwar in dem einzig mög- lichen Sinn einer unwandelbaren Valenz, zu sprechen, oder ob wir den Begriff der Wertigkeit fallen lassen müssen. Ohne Zweifel wird man die Frage im ersteren Sinne bejahen müssen. Denn wenn wir keine Verbindungen KCU, KSO^ und CaCl, Ca2S04, sondern nur die Verbindungen KCl, K„S04 und CaCU, CaSO^ kennen, so muß man annehmen, daß diese Eigentümlichkeit in der Natur der Atome begründet ist, und füglich können wir dieses ver- schiedene Verhalten von K und Ca als Eigen- schaften der Elemente selbst ansehen. Wir sagen also K ist einwertig, Ca zweiwertig. Wie in diesen Beispielen, so können wir auch bei den übrigen Elementen eine jedem eigentümliche und un- wandelbare Wertigkeit annehmen, und dem- gemäß die Wertigkeit der Elemente folgender- maßen definieren : Ein Element ist n-wertig, wenn sein Atom die Kraft besitzt, n Atome Wasserstoff oder eines ihm gleichwertigen Elementes zu binden. Es entscheidet also über die Wertigkeit eines Elements die höchste Zahl der Atome ein- wertiger Elemente, die in den uns bekannten Sub- stanzen mit dem Atom jedes Elementes zu einer bestimmten Verbindung vereinigt sind. Es erscheint nun durchaus nicht notwendig, die Wertigkeit eines Elements irgend welcher Ver- bindung niedriger anzunehmen, als man aus einer anderen gezwungen war. So nennen wir das Eisen drei-, den Kohlen- stoff vierwertig, weil wir keine Verbindungen kennen, in denen ein Atom Eisen mit mehr als 3 Atomen eines einwertigen Elements, oder ein Atom Kohlenstoff mit mehr als 4 Atomen Wasser- stoff verbunden ist. Und doch kann die Ver- bindung F"eCl, von dem bezeichneten Standpunkt aus die Dreiwertigkeit des Eisens nicht in Frage stellen, wenn wir uns in ihr eine ungesättigte Verbindung vorstellen, eine Verbindung also, bei der die gesamte Bindekraft eines Atoms fremden Atomen gegenüber nicht völlig erschöpft ist. Solche ungesättigten Verbindungen, deren wir namentlich in der organischen Chemie ja eine ungezählte Menge kennen, zeichnen sich vor den gesättigten durch ihre Unbeständigkeit aus. Sie zeigen das Bestreben , leicht in Verbindungen überzugehen, in denen die Bindekraft des Atoms erschöpft ist. Wenn aber Pfannenstiel diese Tatsache allein schon als eine Warnung vor der Annahme einer wech- selnden Wertigkeit gewisser Elemente angesehen wissen will, so dürfte dies etwas weit gegriffen sein. Über die Konstitution solcher ungesät- tigter Verbindungen kann man sich zwei Vorstellungen bilden. Man kann entweder an- nehmen, daß die nicht gebundenen Affini- tätseinheiten einfach noch vakant sind, aber leicht durch hinzutretende Atome vertreten werden können, wie sich etwa beim Eisenoxydul durch die Formel : — Fe = O ausdrücken ließe. Die Annahme würde durch das Verhalten des künstlich unter besonderen Vorsichtsmaßregeln dargestellten Eisenoxyduls, welches bereits an der atmosphärischen Luft unter Feuererscheinung und unter Bildung von Eisenoxyd Sauerstoff aufninunt, gerechtfertigt. Lind diese gesättigte Verbindung Fe = O Eisenoxyd der Formel O <^ p^ ^ q ist nunmehr beständig. Eine so große Unbeständigkeit wie dieses Eisen- oxydul zeigen jedoch nur wenige der ungesättigten Verbindungen. Schon in dem Eisenoxyduloxyd Fe.;04 (Hammerschlag, Magneteisenstein) haben wir einen durchaus beständigen derartigen Körper. \'om Standpunkte der Lehre von der unveränder- lichen Valenz würde diese Verbindung etwa nach O A c , T7 / O - Fe d ;m Schema — r e < q p O aufgebaut sein und ihre Konstanz wäre dadurch zu erklären, daß zwei solcher Molekeln sich unter gewöhn- lichen Verhältnissen zu Doppel molekeln ver- einigt haben: 0 = Fe — 0^„ „ ^O — Fe==0 O = Fe - O > f^e - Fe < o - Fe = O Solchergestalt würde man sich eine Sättigung möglich denken können. Diese zweite Hypothese von der Konstitution ungesättigter Verbindungen hat bereits in der Chemie der Kohlenstoffverbindungen Aufnahme gefunden. Also warum sollte man ihre Anwendung nicht auch auf das Gebiet der anorganischen Chemie ausdehnen? Sie läßt sich vollkommen auf Kosten der ersten Annahme halten, und auch das sehr aktive Eisenoxydul könnte man nach ihr als Doppelmolekel O : - Fe — Fe = O auffassen. Das Bestreben des Doppelmolekels, mehr oder weniger N. F. m. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 559 leicht an der schwachen Stelle gesprengt zu werden, wäre dann eben als bei den verschiedenen Ver- bindungen verschieden groß anzusehen. Es besteht sonach kein Grund, die Wertigkeit eines Elements niedriger anzunehmen, als man aus einer bestimmten Verbindung zu schließen berechtigt ist. Wie steht es aber mit dem Gegenteile ? In der Regel pflegt man den Stickstoff als drei- und f ü n f wertig zu bezeichnen. Die Verbindung NH^Cl ist kein Gemenge von Ammoniak und Salzsäure, sondern eine wohlcharakterisierte einheitliche che- mische Verbindung. Sie vermag demgemäß die Fünfwertigkeit des Stickstoffs darzutun. Denn wie wäre eine Verkettung von N = Hg und H — Cl möglich, wenn man ihn als dreiwertig auffassen wollte ? Es ist sonach ungezwungen das Einfachste, den Stickstoff als fünfvvertig, und deshalb das Ammoniak als ungesättigte Verbindung anzu- nehmen. Spricht doch sein ganzes Verlialten dafür, z. B. sein begieriges Verschlucken von Wasser unter Bildung von NH^(OH), wie selbst Spuren davon mit Salzsäure Salmiaknebel erzeugen. Und daß es trotzdem selbständig existieren kann, wider- spricht unserer Annahme durchaus nicht, wenn wir es als aus Doppelatomen zusammgesetzt be- trachten von der Formal Hg II N = N I^ Hg. So wäre es also eine „provisorische, ungesättigte Ver- bindung", ausgezeichnet durch eine gewisse Be- ständigkeit. Selbst dem Avogadro'schen Gesetze würde eine solche Hypothese nicht widersprechen, können sich doch Doppelatome bezüglich des Volumens wie zwei einfache Molekeln von halber Größe verhalten. Wollte man aber auch in An- sehung der zuerst dargelegten Annahme NHg einfach als ungesättigte Verbindung ansehen, so könnte man von ihm doch noch nicht ein Recht ableiten, den Stickstoff als dreiwertig zu bezeichnen. — Ob es Pfannenstiel gelingen wird, durch seine Abhandlung die bisherigen Anschauungen über die Möglichkeit verschiedener Wenigkeiten bei einem und demselben Elemente zu verdrängen , mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls aber haben meines Erachtens seine Ausführungen Anspruch beachtet zu werden. Solange aber die Lehre von der Valenz der Atome noch Hypothese, und solange sie nicht zum unumstößlichen Naturgesetze herangereift ist, wird man sich nach Gutdünken der oder jener Anschauung zuwenden müssen. Dr. R. Loebe. Himmelserscheinungen im Juni 1904. Stellung der Planeten : Von den Planeten sind nur Jupiter und Saturn am Morgenhimmel sichtbar, und zwar am Schluß des Monats ersterer 1^/4 Stunden lang, letzterer bereits während s'/j Stunden. Algol -Minima lassen sich im Juni wegen der Sonnen- nähe des Algol nicht beobachten. Ein neuer Komet wurde am 16. April von Brooks im Herkules entdeckt. Derselbe glich am 17. April einem Stern 8. — 9. Größe und bewegt sich nach dem Drachen. Da seine Helligkeit jedoch nach Fayet's provisorischer Ephemeride be- reits im Abnehmen begriffen ist, unterlassen wir es, hier ge- nauere Positionen anzugeben. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Prof. Dr. J. H. van't Ilofl iiat das ihm zukommende Redaktionshonorar für den Band 46 (Jubelband für W. Ost- wald) der Zeitschrift für physikalische Chemie zur Stellung folgender Preisaufgaben bestimmt: ,,Es soll die Literatur über katalytische Erscheinungen in möglichster Vollständigkeit ge- sammelt und systematisch geordnet werden." Die zur Be- werbung bestimmten Arbeiten sind bis zum 30. Juni 1905 bei der Redaktion der Zeitschrift für pliysikalische (Chemie, Leip- zig, Linnestrefie 2, in der üblichen Form (mit dem Kennwort und dem Namen des Verfassers in verschlossenem Umschlag) unter der Aufschrift ,,Zur Preisbewerbung" einzureichen. Der Preis beträgt 1200 Mark und wird ganz oder gefeilt vergeben werden. Preisrichter sind die Professoren Dr. J. H. van't Hoff, Dr. S. Arrhenius, Dr. W. Ostwald. Die mathematisch-naturwissenschaftliche Sektion der Fürstl. Jablonowskischen Gesellschaft in Leipzig hat für die Jahre 1904 — 1907 folgende Preisaufgaben gestellt; 1. Für das Jahr 1904: Kritische Erörterungen über die bisherigen Versuche, die Vorgänge bei der chemischen Diffe- renzierung der Gesteinsmagmen zu erklären , sowie weitere Untersuchungen, welche geeignet sind , unter Berücksichtigung der natürlichen Vorkommnisse die mannigfachen, auf diesem Gebiete noch offen stehenden Fragen ihrer Lösung näher zu führen. 2. Für das Jahr 1905 : Eine kritische Untersuchung über die Ursachen , die Mechanik und die Bedeutung der Plasma- strömung in den Pflanzenzellen. 3. F'ür das Jahr 1906: Eine Untersuchung der den Ber- noullischen Zahlen analogen Zahlen, namenÜicli im Gebiete der elliptischen Funktionen , welche die komplexe Multipli- kation zulassen. 4. Für das Jahr 1907 : Eingehende und einwandfreie ex- perimentelle Untersuchungen , die einen wesentlichen Beifrag zur Feststellung der Gesetze der lichtelektrischen Ströme liefern. Der Jahresbericht , der ausführlichere Mitleilungen über die gestellten Preisaufgaben enthält , ist durch den Sekretär der Gesellschaft, Geh. Hofrat Prof. Dr. Wilhelm Scheibner in Leipzig, Schlefterstraße 8, zu beziehen. Der Preis für jede gekrönte Abhandlung beträgt 1000 Mk. Bücherbesprechungen. Prof. R. Neumeister, Dr. med. et phil., Betrach- tungen über das Wesen der Lebens- erscheinungen. Ein Beitrag zum Begriff des Protoplasmas. 107 S. Jena 1903, G. Fischer. — Preis 2 Mk. Verf. vertritt den Neo-Vitalismus, nach welchem die Lebenserscheinungen nur durch Mitwirkung von transzendenten, außerhalb des Gesetzes von der Er- haltung der Energie stehenden Kräften und Vorgängen zu erklären seien. Allen Lebewesen kommen psy- chische Funktionen zu, die allerdings an dasselbe ge- bunden sind, denn es ist „kein seelischer Prozeß denkbar ohne einen ihm entsprechenden physio- logischen Vorgang". Damit ist aber ein Studium des „Wesens der Lebenserscheinungen" als unmöglich erklärt und wir beschränken uns daher auf diese kurze Bemerkung. Privatdozent Dr. Georg Kampffmeyer, Halle, Marokko. Gr.-Oktav 8 Bg. mit einer Karten- beiiage. 2,20 Mk. (Zugleich 7. und 8. Heft der „Angewandten Geographie" und kostet für deren Abonnenten 2 Mk.) Gebauer-Schwetschke, Druckerei und Verlag m. b. H., Halle a. S. 1903. Auf HO Seiten bietet das Kampffmeyer 'sehe 560 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 35 Buch eine trotz der großen Tatsachenfülle sehr wohl- gelungene Übersicht über die natürlichen und politi- schen Verhältnisse Marokkos. Bei dem Mangel zu- sammenfassender kürzerer Darstellungen dieses Gebietes, das trotz Hereroaufstand und japanischem Krieg noch immer im höchsten Maße gerade in Deutschland das allgemeine Interesse verdient, werden alle diejenigen, denen die Zeit zum Durchlesen großer Reisewerke fehlt, gern zu dem Büchlein greifen, das sich teils auf gründliches Literaturstudium, teils auf eine in Theobald Fisch er 's Gesellschaft gewonnene, per- sönliche Kenntnis des Landes stützt, und auch über die eingehendere Literatur eine sehr gut orientierende Übersicht gibt. Eine Angabe des Hauptinhalts ist hier nicht möglich, denn schon das Buch selbst sagt kein Wort zmäel. Besonders bemerkenswert ist der Abschnitt über das Atlas vo rland, das mit seinen überaus günstigen klimatischen Bedingungen, besonders in seinem südlichen Teil, zusammen mit dem Süs- Gebiet (dem Küstengebiet südlich des Hochatlas) in erster Linie für eine Ausdehnung der schon jetzt nicht unbedeutenden deutschen Interessen in Betracht kommt (in Saft sind 40 7„ der Ausfuhr in deutschen Händen, in Mogador 27 7o)- "^^^ können der Schrift nur weiteste Verbreitung wünschen. F. S. Dr. Edgar Dacqu6, Der Deszendenzgedanke und seine Geschichte vom Altertum bis zur Neuzeit. Ernst Reinhardt in München 1903. — Preis 2 Mk. Wieder eine Schrift zur Geschichte der Deszendenz- lehre! Und zwar diesmal eine, die vollständig sein, wenigstens das Wesentlichste aus der Gesamtgeschichte des Gegenstandes vorführen möchte. Freihch gereift sind alle Schriften derart immer noch nicht. Denn wenn auch in sonstigen Gebieten der Forschung die Berücksichtigung der Gesamtliteratur sehr schwierig ist und man es bei der Überhäufung schriftstelle- rischer Produktionen nicht mehr übel nehmen kann, wenn ein Forscher, der wirklich etwas Neues oder Zweckdienliches vorzubringen hat, dies und das un- absichtlich übersieht, so verlangt man doch von dem Historiker, dessen Studien ja doch gerade literarische sein müssen, eine so gut wie vollständige Kenntnis der Literatur seines Gegenstandes. Verfasser hat das leider nicht hinreichend beherzigt, so hat er z. B. die eingegangene, von dem verstorbenen naturwissen- schaftlichen Schriftsteher Ernst Krause (Carus Sterne) herausgegebene Zeitschrift „Kosmos", die speziell dem Darwinismus gewidmet war, nicht ausgenutzt. Eben- sowenig andere Zeitschriften, die wichtige Nachrichten zur Geschichte des Gegenstandes bringen, unter denen z. B. nur die Österreichische botanische Zeitschrift ge- nannt sei, die in einem ihrer Bände vor wohl ca. 15 bis 20 Jahren eine lange Liste von „Vorgängern Darwins" bringt usw. Wer sich aber ungefähr über die Gedanken zur Deszendenztheorie und Selektions- theorie (:= Darwinismus) orientieren will, der wird durch die Zusammenstellung Dacque's im ganzen einen richtigen Eindruck erhalten. Literatur. Hübner, Oberstleutn. z. D. Ma.\: Eine Pforte zum schwarzen Erdteil. Die Gestade, Steppen u. Wüsten Französisch-Nord- afrikas. Moderne Wanderziele zwischen Marokkos Ost- grenze u. Tripolitanien. Mit 42 (meist Orig.-)Photographien S. I Karle im Text, 8 färb. Bildertaf. u. I Orig.-Karlen- skizze des Gesamtgebietes. (VII, 313 S.) gr. 8». Halle '04, Gebauer-Schwelschke. — Geb. in Leinw. 7 Mk. Kolbe, Oberlehr. Bruno: Einführung in die Elektrizitätslehre. I. s'taüsche Elektrizität. 2. verb. Aufl. (VIII, 164 S. mit 76 Fig.) gr. 8». Berlin '04, J. Springer. — 2,40 Mk. ; geb. in Leinw. 3,20 Mk. Lübsen, H. B.: Ausführliches Lehrbuch der ebenen u. sphä- rischen Trigonometrie. Zum Selbstunterricht m. Rücksicht auf die Zwecke des prakt. Lebens bearb. 18. Aufl., neu bearb. v. Prof. Dr. A. Donadt. (V, 146 S. m. 64 Fig.) gr. 8». Leipzig '04, F. Brandstetter. — 2,40 Mk.; geb. 2,90 Mk. Meyer, Prof. Dr. Hans: Anleitung zur quantitaüven Bestim- mung der organischen Atomgruppen. 2., verm. u. umgearb. Aufl. (XI, 202 S. m. Fig.) gr. 8». Berlin '04, J. Springer. — Geb. in Leinw. c, Mk. Möbius, M. : MaUhias'jacob Schieiden. Zu seinem 100. Ge- burtstage. Mit I Bildnis Schleidens u. 2 Abbildgn. mi Text. (III, 106 S.) gr. 8". Leipzig '04, W. Engelmann. — 2,50 Mk. Paulsen, Prof. Frdr. : Einleitung in die Philosophie. 11, Aufl. (XVIII, 466 S.) gr. 8°. StuUgart '04, J. G. Cotia Nachf. — 4,50 Mk. , geb. in Leinw. 5,50 Mk. ; in Halbfrz. 6 Mk. Perkins, Dr. I.: Frai;menta florae Philippinae. Contributions of the florä of the Philippine islends. Fase. I. (IV, 66 S.) gr. 8°. Leipzig '04, Gebr. Borntraeger. — 4 Mk. Runge Prof. Dr. C. : Theorie und Praxis der Reihen. Mit S Fig. (2C6 S.) 8». Leipzig '04, G. J. Göschen. — Geb. in Leinw. 7 Mk. Briefkasten. Das Wort „Mud" kommt in der Schreibweise „Moth" auch in der deutschen naturwissenschaftlichen Literatur vor. Rohr gebraucht in der 1732 von ihm herausgegebenen 2 Auflage der „Sylvicultura oeconoinica" des Hans Carl von Carlowitz (Teil I, Kap. XI, S. loo, § 7) Moth im Sinne von Holzerde. Er sagt: „Man findet in denen Wäldern gantze Flecke gute Erde und Moth, so von Holtz sich gesammlet, und dahero Holtz-Erde genennet wird, weil für alters Brüche Idurch Wind etc.] daselbst geschehen, daß das Holtz über- einander gefallen, und also verfaulet . . .". v. Carlowitz starb als Oberberghauptmann in Freiberg, J. B. v. Rohr war Land- kammerrat in Merseburg und starb 1742 in Leipzig. Weiteres über dieses sächsische „Moth" (Muthworf für Maulwurf im Erz- gebirge u a. m.) kann an der bereits im Briefkasten S. 512 zitierten Stelle in Grimms Deutsch. Wörterb. 6, 2600 nach- gesehen werden. Prof. Dr. Fr. Thomas in Ohrdruf. Schließlich sei noch erwähnt, daß der Berliner von mu- digen Birnen spricht, für solche, die im Beginn der Zersetzung begriffen, teigig geworden sind. f- ,„ha.t: Dr. Karl Camillo Schneider: Die Entsteh^g der Gliederung cles ^^^f^^^i^^^^^^^^ ""'■ S 'd°i:hm u"n7TÖr- Mich ae JPupin Neu s v^, Pupin'schen System z'ur Verbesserung der telephoni- von Sand, Lehm und Ton. Michael . ^ P Elemente. - Himmelserscheinungen im Juni 1904. - sehen F"°l".t"°g'="- -,^•^^'^7°'°'''' BücLrbesnrechuneen: Prof R. N eumeister: Betrachtungen über das Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Bucherbesprecnungen . MTmkkn — Dr Ed^ar Dacque: Wesen der Lebenserscheinungen. - Privatdozent Dr. ^e or g Kam p ff m e y er . Maiokko /^'l_^ ^^^ J^^^j J_ Der Deszendenzgedanke und seine Geschichte vom Altertum bis zur Neuheit. - Literatur: Liste. Briefkasten. VerantwortUcherRedakt=ur: Prof. Dr. H. Potonie^, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippen S Co. (H . Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,Die NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliehe Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge 111. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 5. Juni 1904. Nr. 36. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringcgeld bei der Post 15 l'fg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate : Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender R.ibalt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinseratc durch die Verlagshandlung erbeten. Die Entstehung der Gliederung des Tierkörpers. Von Dr. Karl Camillo Schneider, Privatdozent a. d. Universität Wien. [Nachdruck v»rboteQ.j (Schl Da die Kormentheorie unhaltbar ist, haben wir nun zu untersuchen, ob die Segmentations- t h e o r i e bessere Dienste zur Erklärung der Meta- merie leistet. Die Segmentationstheorie, die von A. Lang stammt, nimmt an, daß der gegliederte Annelidkörper aus dem ungegliederten Körper niederer Würmer, speziell der Strudelwürmer (Tur- bellarien), hervorgegangen sei. Wir treffen bei gewissen Turbellarien eine vielfache Wiederholung innerer Organe, die in einzelnen Fällen, vor allem bei Gunda segmentata, zur äußerst regel- mäßigen wird und direkt als innere Metamerie bezeichnet werden kann. Die Form von Gunda ist eine lang gestreckte, bandförmige, ohne jede Spur äußerer Gliederung. Für die innere Gliede- rung kommen in Betracht Darm, Gonade, Niere und Nervensystem. Der aus drei Schenkeln — einem vorderen und zwei hinteren, die vom in der Mitte der Bauchfläche gelegenen Schlund aus- gehen — bestehende Darm zeigt eine regelmäßige Abzweigung von Seitendivertikeln, die bis gegen den Rand des Tieres hin verlaufen. Zwischen zwei Divertikel jeder Seite schiebt sich ein Hoden- uß) bläschen und ein Abschnitt des Dotterstocks, der zur weiblichen Gonade gehört ; die Ovarien kommen nur in einem Paar vor und liegen ganz vorn hinter dem Gehirn. Die vom Gehirn nach hinten laufen- den zwei Hauptnerven des Tieres geben, ent- sprechend den Darmdivertikein, in regelmäßiger Weise Seitenzweige ab und stehen auch, im gleichen Niveau dieser Zweige, untereinander durch Kom- missuren in Verbindung. Die Nieren sind ver- zweigte Kanäle, welche sich vorwiegend in den Seitenregionen des Körpers ausbreiten, innen blind mit eigenartigen Wimperzellen (Terminalzellen) beginnen und durch eine Anzahl von dorsal, paarig und segmental, d. h. entsprechend den Darm- divertikein gelegenen Öffnungen (Nephroporen) nach außen ausmünden. In Abhängigkeit von den Darmdivertikein ist auch die vom Rücken zum Bauch verlaufende, sog. dorsoventrale Muskulatur querseptenartig angeordnet, da sie nur zwischen den Divertikeln Raum zur Entfaltung hat. Wir haben nun im einzelnen zu prüfen, wie der geschilderte Zustand einer inneren Metamerie bei Gunda segmentata zur inneren und äußeren 562 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. in. Nr. 36 Metamerle der AnneUden in Beziehung gebracht werden kann. Wenn wir das charakteristische Moment der Annelidgliederung hervorsuchen, ist als bestimmender Faktor wohl in erster Linie die Ausbildung des Cöloms (Leibeshöhle) in Form von paari'Ten segmentalen Kammern in Betracht zu ziehen. Das Cölom entsteht typischerweise an der Trochophora aus paarigen Zellstreifen (Meso- dermstreifen), die vor dem After in zwei großen Polzellen (Teloblasten) beginnen, nach vorn zu an Volumen zunehmen und sich nach und nach in einzelne Abschnitte (Somiten) gliedern, deren je einer eine Cölomkammer mitsamt den zugehörigen Orcranen liefert. Ein Paar solcher Kammern ent- spricht einem Segment; die Kammern erweitern sich zu selten des Darmes und treten in mehr oder weniger innige Berührung miteinander, so daß sie zuletzt nur durch eine zarte doppelwandige Lamelle über und unter dem Darme (dorsales und ventrales Mesenterium) geschieden sind. Vom vor- ausgehenden und folgenden Kammerpaar trennt sie eine derbere, gleichfalls doppelwandige Lamelle, ein Dissepiment (Querseptum). Somit ist das Körperinnere vorwiegend Hohlraum, nämlich Darm im Zentrum und in dessen Umgebung Leibes- höhle. Während die innere, zarte Colomwand, die sich dem Darm anschmiegt (viscerales Blatt) nur schwache Muskulatur (Darmmuskeln) liefert, ist die äußere (parietales Blatt), die sich der Haut anlegt, Bildungsstätte der starken Langsmusku- latur des Körpers, welche die Bewegung in erster Linie vermittelt. Sie entsteht, entsprechend den Cölomkammern, segmental, sondert sich aber rasch von den Kammern und durchläuft nun den Korper der Länge nach ohne Rücksicht auf dessen Gliede- runo- Die Colomwand erscheint nach Abgabe der Muskulatur als dünnes Epithel (Peritoneum), aus dem lokal die Nierenkanälchen, die Genitalzellen und Lymphzellen hervorgehen. Gesonderte Ge- schlechtsorgane fehlen; die im Perhoneum ent- stehenden Genitalzellen reifen in der Leibeshohle und gelangen nach außen entweder durch Ruptur der Körperwand oder durch besondere Genital- kanäle, die bei der Geschlechtsreife auftreten, oder auch durch die Nierenkanäle. Unabhängig von der Cölomanlage entsteht das Bauchmark aus dem ventralen Epithel der Larve in Form einer medianen, gegen innen zu vor- springenden Längsleiste, der außen ein Wimper- streifen entspricht (Bauchwimperung). Die Leiste ist paariger Anlage und liefert zwei meist dicht nebeneinander gelegene Nervenstränge, welche seg- mentweise gangliöse Anschwellungen (Bauchgan- glien) zeigen; die Hälften eines Ganglions stehen durch Kommissuren in Verbindung und geben außerdem Seitennerven ab. Bald liegt das Bauch- mark dauernd dem Körperepithel an, bald sinkt es in den Hautmuskelschlauch ein oder kommt bei den Regenwürmern sogar frei in die Leibes- höhle zu liegen, natürlich von dessen Peritoneum umkleidet. — Unabhängig von der Cölomanlage ist auch die Entstehung der segmentalen äußeren Ruderfüße, die, als Borstenträger (Chätopodien), gleichfalls Differenzierungen der Haut sind und um so selbständiger erscheinen, als die Langs- muskulatur gar keine Beziehungen zu ihnen hat, wogegen die in sie eintretende und an den Borsten sich Tn mannigfaltiger Weise anheftende Ring- muskulatur wahrscheinlich nicht von der Colom- wand stammt, sondern von der Haut wahrend der larvalen Entwicklung, in noch wenig genau erforschter Weise, gebildet wird. Vergleichen wir dies Organisationsbild mit dem der Turbellarien, so liegen bedeutungsvolle Unter- schiede vor, die der Reihe nach diskutiert werden sollen. Zunächst sei die Haut berücksichtigt. Völlig neue Bildungen sind die Ruderfüße der Anne- liden mit ihren Borsten; mit ihnen erscheint ein wichtiger Komplex von Organen eingeführt, dem sich die allgemeine Cu ticular Isieru ng des Körperepithels, die Umhüllung mit einer oft derben Membran, anschließt. Die Borsten sind nichts anderes als spezifische Cuticularbildungen. Bei den Arthropoden steigert sich dieser Charakter zur Entwicklung eines dicken, manchmal (viele Krebse) verkalkten Chitinpanzers, dem starre hohle Borsten und Stacheln ansitzen. Bei den Turbellarien finden wir dagegen ein weiches Flimmerepithel am ganzen Körper, welcher Charakter bei den Anneliden nur der Larve und auch dieser nur lokal (Wimperringe, Bauchwimperung) zukommt. — Ein weiterer neuer Charakter ist das Bauch mark. Indessen besteht über die phylogenetische Entstehung des Bauchmarks Meinungsverschiedenheit. Wahrend die meisten Trochophoratheoretiker es als völlige Neubildung bei der angenommenen Knospung des Annelids an der ungegliederten Rotatonenstamm- form entstehen lassen, führen die Segmentations- theoretiker es auf die erwähnten Hauptnerven der Gunda segmentata und aller Turbellarien überhaupt zurück. An diesen verteilen sich die Nervenzellen gleichmäßig über die ganze Nerven- länge, es fehlen also gesonderte Ganglien, die tur das Bauchmark bezeichnend sind. Indessen gibt es bei niederen Anneliden auch eine gleichmäßige Zellverteilung am Bauchmark (Poly gordius), zweitens können beide Bauchmarkanlagen weit voneinander getrennt verlaufen (Saccocirrus, Spiro- graphis z. B.)' und drittens erscheint bei einzelnen Turbellarien (Planarien z. B.) die Ganglienbildung durch reichere Anhäufung der Nervenzellen an den Abcrangsstellen der Kommissuren und Nerven an- gebahnt. Wichtiger ist der Unterschied in der Anlache. Die Hauptnerven der Turbellarien wachsen vom "Gehirn nach rückwärts aus, das Bauchmark entsteht aber in situ in der Haut des Rumpfes. Auch sollen den Hauptnerven der Turbellarien an der Trochophoralarve stark entwickelte, zum After ziehende Zweige des Gehirns entsprechen, so daß also tatsächlich das Bauchmark etwas ganz Neues wäre. Aber auch diese Beweise lassen sich entkräften. Die Natur des Larvennervensystems ist noch nicht genau genugfestgestellt, um die erwähnten Nerven den Hauptnerven der Turbellarien homo- N. F. in. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 563 logisieren zu können; wenn wir bedenken, daß bei den niederen Würmern noch andere Längs- nerven (bei Bandwürmern bis zu 8) außerdem vor- handen sind, so erscheint Vorsicht in der Beurteilung geboten. Ferner ist nach Lang die Anlage der Hauptnerven bei den Turbellarien zunächst vom Gehirn gesondert und verschmilzt mit diesem erst sekundär, wobei sie jedoch immer eine dorsale Anlage bleibt. Vollständig gesondert entstellen jedoch die Ilauptnerven der Nemertinen (Schnur- würmer), die, wie wir sehen werden, auch in anderer Hinsicht den Übergang von den Tur- bellarien zu den Anneliden vermitteln. Hier ist die Verwandtschaft zum Bauchmark um so deut- licher, als auch die Regeneration der Hauptnerven (Seitenstämme), nach Verletzungen, an Ort und Stelle von der Haut aus erfolgt. Übrigens ist interessant, daß bei Gehirnentnahme bei Regen- würmern die Regeneration desselben vom Bauch- mark aus konstatiert werden konnte. Somit er- scheint die am jungen Annelid vom Gehirn völlig unabhängige Entstehung des Bauchmarks niciit als prinzipieller Unterschied zur Entstehung der Haupt- nerven bei den Turbellarien und beider Homolo- gie wohl möglich. Man hat den Unterschied vielleicht in Be- ziehung zur differenten Entwicklung der Bauch- fläche zu bringen. Die niederen Würmer (Plathel- mintlien) entbehren bekanntlich eines Afters. Bei ihnen kann der Mund an jeder beliebigen Stelle des Bauches liegen, bald ganz vorn (Saugwürmer), bald meist in der Mitte oder auch hinter derselben, beziehentlich dicht vor dem Hinterende (Turbel- larien). Somit erscheint die ganze Bauchfläche als Mundfläche; in diesem Sinne ist sie aber noch weit schärfer bei den Anneliden aufzufassen. Ein eklatantes Beispiel liefert die Entwicklung des Peripatus, einer Übergangsform von den Anne- liden zu den Arthropoden, bei der sich der Ur- mund des Keimes lang schlitzförmig beim Wachs- tum des Tieres auszieht, und bis auf eine vordere (Mund) und hintere (After) Öffnung nahtförmig verwächst. Wenn auch in keinem anderen Falle derart aus dem Urmunde Mund, After und Bauch- fläche direkt hervorgehen , vielmehr der After sekundär selbständig entsteht, so läßt sich doch die erwähnte Bauchwimperung, längs welcher die beiden Bauchmarkhälften des Annelids an der Larve entstehen, als Rudiment eines schlitzförmigen Urmundes auffassen und wir können ganz im all- gemeinen sagen, daß die Bauchfläche der Glieder- tiere aus den Seitenrändern des Urmundes hervor- gegangen ist. In dieser vom Urmund abhängigen Entstehung der Bauchfläche bei den Anneliden, die bei den Turbellarien nicht vorzuliegen scheint, ist vermutlich die Ursache für die neuartige Bil- dung des hinter dem Gehirn gelegenen Teils des Nervensystems zu suchen. Betrachten wir nun die inneren Organe. Am wenigsten Zweifel kann über die phylogenetische Ableitung der Nierenkanäle der Anneliden von denen der Turbellarien bestehen. Bei vielen Pla- thelminthen (Saug- und Bandwürmer, sowie bei manchen Turbellarien) wird die Niere von zwei verzweigten Längskanälen gebildet, die gemeinsam hinten oder vorn oder an anderer Stelle ausmünden. Bei Gunda und anderen Turbellarien (Planarien z. B.) fehlt eine gemeinsame Ausmündung und es finden sich zahlreiche Nepliroporen, die sich bei Gunda sogar segmental verteilen. Bei den Anne- liden besitzt jedoch jedes Segment ein paar selbst- ständig entstehender Kanäle, die immer getrennt nach außen münden. Dieser Selbständigkeit hat man früher große Bedeutung zugeschrieben, weil sie mit einem anderen Charakter gepaart erschien ; während nämlich, wie schon erwälint, die Kanäl- chen der Turbellarien innen blind in wimpernde Terminalzellen auslaufen, öffnen sich die Segmental- organe der Anneliden in die Leibeshöhle durch sog. Nephrostomen (Nierentrichter). Nur am Larven- körper treten Nieren mit Terminalzellen, die sog. Kopfnieren, auf, die später verschwinden. Indessen hat sich gezeigt, daß Nieren vom Typus der Kopfnieren auch bei ausgebildeten Anneliden sehr verbreitet sind und die Beziehung zur Leibeshöhle eine sekundäre Erscheinung ist. Ferner fand man bei Oligochaeten Zusammenhänge zwischen den Kanälen der verschiedenen Segmente, die zwar als sekundäre Verschmelzungen erscheinen, da aber die Entstehung des Kanalsystems bei den Turbellarien noch nicht bekannt ist, vielleicht doch auf Beziehungen zu diesen hinweisen. Die Leibeshöhle der Anneliden fehlt den Turbellarien gänzlich. Trotzdem sie somit als völlig neue Anlage erscheint, hat man sich doch schon seit langem bemüht, sie von Organen der Turbellarien abzuleiten. Zuerst hielt man sie für gesonderte Teile des Darmsystems (Lang), dessen zahlreiche seitliche Divertikel (siehe oben bei Gunda) den Cölomkammern verglichen wurden. Diese Anschauung erwies sich als gänzlich unhalt- bar, da die von Lang behauptete Ausmündung der Divertikel durch die Nierenkanäle nach außen auf einer irrtümlichen Beobachtung beruhte, und da ferner bei den Anneliden die Anlage des Cöloms gar nichts mit dem Darme zu tun hat. Eine andere Anschauung sucht in der Leibeshöhle eine akzessorische Bildung der Nierenkanäle zu erkennen. Man beobachtet nämlich bei Peripatus, bei den Krebsen und bei Mollusken, angegliedert an die innere OfTnung der Nierenkanäle ein geschlossenes Bläschen, dessen Epithel für die Exkretion von Wichtigkeit ist. Dies Bläschen ist sicher als ein gesonderter Leibeshöhlenraum aufzufassen und man schloß daraus, daß auch die gesamte Leibeshöhle bei ihrem ersten Auftreten bei den Anneliden exkretorischer Funktion sei und sich deshalb vom Nierensystem der niederen Würmer ableiten lasse. Indessen ist diese Anschauung gleichfalls gänzlich unhaltbar. Denn wenn aucii das Annelidencölom lokal exkretorisch funktionierende Epitiielstrecken entwickeln kann, so handelt es sich doch eben nur um eine lokale Erscheinung, die ohne weiteres die Ablösung kleiner Cölomabschnitte und deren 564 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 36 direkte Angliederung an die Nierenkanäle ver- ständlicli macht, aber in keiner Weise das Auf- treten der Leibeshöhle im allgemeinen mit ihrer Beziehung zur Gonade und zur Muskulatur zu er- klären vermag. Am meisten beliebt ist neuerdings die von Hatschek zuerst aufgestellte und dann besonders von E. Meyer und R. ßergh ausgearbeitete Hypothese einer Ableitung der Cölomkammern von den (ionadenbläschen der Turbellarien. Wir sahen oben bei Besprechung des Baues von Gunda segmentata, daß die Hodenbläschen und Dotter- stockabschnitte, entsprechend den Darmdivertikeln, ziemlich regelmäßig segmental angeordnet sind, was für andere Turbellarien nicht gilt. Diese Gonadenbläschen sollen sich nun ausgeweitet und außer dem Vermögen der Genitalzellbildung auch das der Muskelbildung gewonnen haben. Sie sollen zu den Nierenkanälen in Beziehung getreten sein und sich lokal zu exkretorischen Organen differen- ziert haben. Man sieht , diese Hypothese tritt kühn genug auf. Sie stützt sich auf Befunde an den bereits erwähnten Nemertinen, welche regel- mäßig segmental geordnete Genitalkammern zwischen seitlichen, kurzen Darmdivertikeln besitzen. Diese Kammern gleichen den Gonadenbläschen der Turbellarien insofern, als sie von geringer Größe sind und keine Muskulatur entwickeln, aber auch den Cölomkammern der Anneliden, insofern sie nicht, wie bei den Turbellarien, durch gemein- same Gänge, sondern segmental und gesondert nach außen ausmünden und auch in vielen Fällen bestehen, wenn keine Genitalzellen gebildet werden, was für die Turbellariengonaden nicht gilt. Nun kann es meiner Ansicht nach allerdings keinem Zweifel unterliegen, daß die Gonadenbläschen der Turbellarien und die Genitalkammern der Nemer- tinen in gewissem Sinne Vorläufer der Cölom- kammern der Anneliden sind, da sie eben im Mesoderm auftretende und teilweis identisch funk- tionierende Hohlräume sind. Indessen lehrt die Beziehung der Cölomkammern zu den Nieren- kanälen und zur Muskelbildung, sowie ihre Per- sistenz ganz unabhängig von Exkretion, Genital- zell- und Muskelbildung, daß es sich hier um ein besonderes Organsystem handelt, dem eine ganz selbständige Bedeutung zukommt. Das beweisen vor allem die Arthropoden, wo die Gonaden und Nieren völlig von der Leibeshöhle gesondert sind. Die Gonocoeltheorie, wie der Ableitungs- versuch der Leibeshöhle von den Gonaden ge- nannt wird, stützt sich vor allem auf ontogene- tische Befunde. Wie schon bemerkt, gehen die Cölomkammern mit ihren Derivaten hervor aus den Mesodermstreifen, die sich wieder von zwei Polzellen dicht vor dem After der Larve ableiten. Diese Polzellen hat bereits Hatschek als Ur- genitalzellen gedeutet, die bei vielen Tierformen sehr früh in der Entwicklung gesondert auftreten (Nematoden, Sagitta, gewisse Arthropoden). Man betrachtet es als eine besondere Eigenschaft der Anneliden, daß diese Urgenitalzellen hier nicht nur die eigentlichen Genitalzellen (Gonade), sondern auch noch andere Organe zur Entwicklung bringen. Lang hat sich darüber näher ausgesprochen. Er setzt auseinander, daß Fortpflanzungs- und Körper- zellen Verwandte sind, unter denen aber immer die ersteren „alle Rechte und Privilegien der Erst- geburt" wahren. Von den Genitalzellen lassen sich nach ihm die Abortiveier, die Dotterzellen, Follikelzellen, Lymphzellen und schließlich auch die Muskelzellen ableiten, so daß die mannigfache Differenzierung der Gonocoelwand nichts Befrem- dendes an sich hätte. Schließlich versteigt er sich, im Anschluß an Galton und Weismann, zu der Behauptung, daß das Heer der somatischen Zellen (alle Köriierzellen mit Ausnahme der Ge- schlechtszellen) „nur eine temporäre, schützende und verproviantierende Eskorte ist, welche die Keimzellen eine Strecke weit begleitet, um nach- her zurückzubleiben und durch eine andere ersetzt zu werden" (bei der Fortpflanzung). „Die Kom- plikation der Organisation, ihre .Anpassung an die verschiedenen Existenzbedingungen, die höchste Leistungsfähigkeit des Soma nach den verschieden- sten Richtungen hin, sie sind unter dem Gesichts- winkel der verbesserten und den Umständen an- gepaßten Organisation, Verwaltung, Leitung, Ver- proviantierung etc. der Keimzelleneskorte zu be- trachten. Alles dreht sich um die Sorge für die Nachkommenschaft." Wer so paradoxe Behauptungen aufstellt, muß erwarten, daß man ihm energisch widerspricht. Es heißt geradezu ein Spiel treiben, wenn man die Organisationsdifferenzen der Tiere nur als differente Mittel für die Erhaltung der Geschlechts- zellen auffaßt; die einzig richtige Beurteilung ist doch die, daß die Geschlechtszellen zur Erhaltung der bestimmten Organisation, also der Art, dienen. Wie sehr wären die Organismen zu bedauern, die an sich gar nichts bedeuten, sondern nur wegen ihrer Geschlechtszellen einigen Wert besitzen und daher auch nur für diese zu leben und zu sterben haben ! Unsere geistige Befähigung wäre nur aus dem Gesichtswinkel unseres Geschlechts- lebens zu beurteilen und somit erschiene volle Hingabe an die Gedankenwelt, die „leider" so oft unserer Genitalzellen uns vergessen läßt, nicht als etwas Anstrebenswertes, sondern direkt als Selbst- mordversuch, und man sollte alle Menschen streng bestrafen, die nicht fortwährend an die Fort- pflanzungsgeschäfte denken. Welch ein niedriger philosophischer Standpunkt und auch welch eine kurzsichtige Beurteilung biologischer Probleme spricht aus den oben mitgeteilten Sätzen ! Daß sie in Hinsicht auf die Ableitung des Mesoderms von den Genitalzellen falsch sind, das ergibt sich ohne weiteres. Denn mit demselben Recht, wie man die mannigfaltigsten Gewebsarten auf früh- zeitig gesonderte Genitalzellen zurückführt, kann man sie auch auf das Ei selbst, aus dem der ganze Keim entsteht, zurückführen, denn das Ei ist ja auch eine Genitalzelle. Was hat man aber da- durch erreicht? Nichts anderes als eine Um- N. F. m. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 565 Schreibung der Tatsache, daß sich der Organismus überhaupt aus einer Genitalzelle entwickelt ! Sobald aber diese Entwicklung beginnt, hört die Genital- zelle eben auf eine Genitalzelle zu sein und wird Mutterzelie des Keims; sondern sich nun während der Ontogenese zeitig die Genitalzellen des in Entwicklung begriffenen Tieres, so ist das ein interessanter Spezialfall, nicht aber kann man in die Ontogenese eine zweite Ontogenese einschachteln, wie das die Gonocoeltheoretiker tun, da außerdem die Urgenitalzellen als solche gar nicht zur mannig- fach differenzierenden Vermehrung betähigt sind, sondern eben nur Genitalzellen und höchstens noch Dotter- und Follikelzellen liefern. Die Polzellen der Mesodermstreifen enthalten zwar die Urgenital- zellen, sind diese aber nicht selbst; es sind viel- mehr äußerst reich veranlagte Keimzellen, wie wir sie z. B. bei Hirudineen in mehrfacher Zahl und als Ausgangspunkte des Mesoderms, des Bauch- marks und sogar der Haut vorfinden, und es dokumentiert sich in ihrem Auftreten nur das Streben nach Vereinfachung der Ontogenese. Die Gonocoeltheorie ist daher vollkommen un- haltbar, was sich auch schon daraus ergibt, daß z. B. bei den Arthropoden , wo das Mesoderm, mit Cölom und Niere, aus gesonderten Polzellen oder wenigstens aus einheitlichen Mesodermstreifen hervorgeht, die Gonade selbständig zu entstehen vermag und dann erst sekundär zum Mesoderm in Beziehung tritt. Die genetische Beziehung der Gonade zur Cölomwand bei den Anneliden gilt z. B. auch für die eng verwandten Mollusken nicht. Ebenso als Besonderlieit der Anneliden (und Ar- thropoden) ist die Beziehung der Längsniuskulatur und Niere zum Cölom anzusehen. Es ist zu be- tonen, daß sich die übrige Körpermuskulatur der Anneliden nach E. Meyer, mindestens in vielen Fällen, unabhängig vom Cölom und von den Meso- dermstreifen überhaupt, wie es scheint vom Epithel der jungen Larve aus, entwickelt, in einer Art, die an die Bildung der Muskulatur bei den Turbel- larien erinnert. Die teilweise Übertragung der Muskelbildung an die Cölomwand ist übrigens ohne weiteres verständlich. Denn wenn wir einen Querschnitt durch ein Annelid mit dem durch ein Turbellar vergleichen, so ergibt sich folgende Betrachtung. Das lymphhaltige Cölom entspricht dem lockeren parenchymatösen Bindegewebe, das sich bei den Turbellarien im Umkreis des Darms befindet und vielfach schon Neigung zur Entwick- lung flüssigkeitshaltiger Lückenräume zeigt. Bei den Nemertinen sind die als Vorstufe des Cöloms zu deutenden Genitalkammern , die auch bei Mangel an Genitalzellen persistieren, noch vom Parenchym umgeben ; indem dieses bei den Anne- liden ganz schwindet und das Cölom sich mächtig ausdehnt, schließt sich seine äußere Wand innig an den Hautmuskelschlauch an und übernimmt nun auch bei der Entwicklung das Material zum Teil, aus dem er hervorgeht. — In dem erwähnten Parenchym liegen bei den Turbellarien die Gonaden, deren Eingliederung in die Cölomwand daher auch nichts Überraschendes bietet und bereits bei den Nemertinen gegeben ist. Das Cölom selbst ist aber in erster Linie nichts anderes als Hohlraum, der aus dem Parenchym der niederen Würmer hervorgegangen und jedenfalls auch pli_\'siologisch, nämlich in Hinsicht auf die Lokomotionsfähigkeit des Körpers, von großer selbständiger Bedeutung ist. Ich habe die Leibeshöhle in meinem Lehr- buch der vergleichenden Histologie der Tiere direkt als L o k o m o t i o n s h ö h 1 e funktionell charakteri- siert, denn es unterliegt wohl keinem Zweifel und ergibt sich ja auch aus der vergleichenden Be- obachtung, daß ein hohler, nur von leicht ver- schiebbarer Flüssigkeit erfüllter Körper bewegungs- fähiger ist, als ein solider, parenchymatöser Körper. Diesen Hinweis auf die physiologische Be- deutung des Cöloms gebe ich nur beiläufig und lege Gewicht allein auf den morphologischen Ab- leitungsversuch, der, wie mir scheint, der einzig haltbare ist. Mit physiologischen Erklärungsver- suchen kann man gar nicht vorsichtig genug sein. Wenn man z. B. bei E. Meyer liest, daß es die schlängelnden Schwimmbewegungen der turbel- larienartigen Vorfahren der Anneliden gewesen sind, die zur Umbildung der Gonaden und zur Ent- wicklung der Körpergliederung geführt haben sollen, so wundert man sich nur über das eine, warum es überhaupt noch sich schlängelnde Turbellarien gibt, da sie doch alle sich zu Anneliden hätten entwickeln müssen. Immer und überall begegnet man dem unglückseligen Bestreben, die in der Phylogenese nachweisbare fortschreitende Differen- zierung des Körpers rein funktionell erklären zu wollen, was doch ganz aussichtslos ist, da eben ein Organismus nur die Funktionen verrichtet, denen er auf Grund seines Baues angepaßt und gewachsen ist. Damit ein Fortschritt sich voll- ziehen kann, muß zuerst der Körper neue morpho- logische Qualitäten entwickeln, denen untrennbar auch eine besondere P\mktionsweise entspricht. In diesem Sinne ist es völlig verfehlt, alle Organe höherer Tiere auf bereits vorhandene niederer zurückführen zu wollen, also eben das Cölom auf Gonaden oder auf Nierenteile. Man übersieht ganz die Möglichkeit, daß etwas völlig Neues in der Phylogenese hervortreten kann, und wird zu künst- lichen Umdeutungen gezwungen, die früher oder später sicher über den Haufen geworfen werden. Andererseits verfällt man aber auch in den ent- gegengesetzten Fehler, den Wald vor Bäumen nicht zu sehen, und bestreitet Homologien aus ganz un- haltbaren Gründen. So hinsichtlich des Nerven- systems und der Muskulatur. Weil das Bauch- mark und die Längsmuskulatur der Anneliden anderer Entstehung sind als die Haupilängsnerven und die Längsmuskulatur der Turbellarien, werden sie für unvergleichbare Bildungen erklärt, in Über- schätzung der Bedeutung von Entwicklungsstadien, die ja auch zu solch unhaltbarer Anschauung, als es die Kormentheorie ist, Veranlassung gegeben hat. Hier, wo sich die funktionelle Gleich- wertigkeit ohne weiteres aufdrängt, wird docJi 566 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 36 eine morphologische Gleichwertigkeit bestritten, weil der veränderte Entwicklungsmodus der höheren Form seine eigenen Wege einschlägt, die jedoch ohne Schwierigkeit als sekundäre Anpassungen, sogar als Vereinfachungen (einheitliche Entstehung des Mesoderms aus den Polzellen), gedeutet werden können. Es ließen sich zahlreiche Beispiele an- führen, in denen aus ungleicher Entstehung auf morphologische Unvergleichbarkeit geschlossen wird; doch ist hier nicht der Platz zur weiteren Diskussion dieser Fragen. Zum Schluß bleibt noch die Entstehung des Blutgefäßsystems der Anneliden zu be- sprechen. Den Turbellarien fehlen Blutgefäße ganz. Man hat nun neuerdings den Versuch gemacht (Lang), den Blutgefäßen gewissermaßen über- haupt jeden morphologischen Wert abzusprechen. Lang erklärt sie als Lücken, die zwischen der Cölom- und Darmwand, bzw. zwischen den beiden Cölomlamellen der Mesenterien und Dissepimente, durch Ansammlung von Lymphe auftreten und jeder eigenen Wandung entbehren. Die an den Hauptgefäßen nachweisbare Muskulatur, die ja be- sonders für das Herz so charakteristisch ist und die Blutzirkulation vermittelt, soll Bildung der Cölomwand sein, sich also auch von den Tur- bellariengonaden ableiten. Um diese Hypothese aufrecht erhalten zu können, muß Lang erstens alle Befunde einer endothelialen Auskleidung der Gefäße als unrichtige erklären und zweitens die E. Meyer'schen wichtigen Befunde, nach denen die Muskulatur des Darms, der Dissepimente und Mesenterien, sowie der Ringmuskulatur des Haut- muskelschlauches niclit von derCölomwand, sondern von der Haut aus selbständig entsteht, in Zweifel ziehen. Indessen vermag er doch nicht die Endo- thelien der Wirbeltiergefäße in Abrede zu stellen und hält daher die Gefäße der Vertebraten für morphologisch unvergleichbar mit denen der Everte- braten. Aber die Hypothese wird sofort entwurzelt durch die Befunde an den Nemertinen, bei denen das Blutgefäßsystem in der Tierreihe zum ersten Mal auftritt. Hier stehen die im Parenchym ver- laufenden Blutgefäße in gar keiner Beziehung zur Wand der Genitalkammern, von der sie also ihre Muskulatur nicht beziehen können, und besitzen andererseits ein leicht nachweisbares Endothel. Ferner lehrt genaues Studium der Anneliden, daß ein Endothel weit verbreiteter ist als man im all- gemeinen annimmt; es kommt ferner auch den Gefäßen der Mollusken zum großen Teil zu und fehlt nur den Arthropoden vollständig. Daran ist aber weiter kein Anstoß zu nehmen, denn epi- theliale Auskleidung kann auch in anderen hohlen Organen, so z. B. in der Leibeshöhle und zwar speziell auch bei den Arthropoden, sekundär ver- schwinden. Aus zahlreichen Befunden über den Bau der Blutgefäße bei Wirbellosen geht hervor, daß typischerweise alle Gefäße aus einer doppelten Wandung bestehen, daß also die von Lang be- •strittene eigene Wandung gerade in hervorragender Weise vorhanden ist. Die äußere Wandung ist die Muskelschicht, deren Zellen aber an den feinsten Kapillargefäßen der Muskelfasern entbehren und hier nur plattenförmig, als einfache, undifferenzierte, dicht aneinander schließende Wandungszellen ent- wickelt sind. Die innere Endothelschicht kann lokal fehlen und zeigt überhaupt eine lockere Aus- bildung. Typischen Epithelcharakter besitzt sie nur bei den WirbeltiergefäfSen, die aber auch, ent- gegen früheren Angaben, selbst an den feinsten Kapillaren, der äußeren Wandungsschicht nirgends entbehren. Somit sehen wir in den Blutgefäßen Organe durchaus selbständiger Natur, die sich, wie die Nemertinen lehren, aus dem parenchymatösen, von Muskelfasern durchsetzten Bindegewebe der Turbellarien ebenso selbständig herausdifferenziert haben wie das Cölom. Überblicken wir das hier Mitgeteilte, so er- kennen wir einen Versuch, die phylogenetischen Beziehungen zweier verwandten, aber ungleich hoch differenzierten Gruppen möglichst genau dar- zustellen. Daß ein solcher Versuch in hohem Maße lehrreich ist, leuchtet von selbst ein, wenn er auch noch weit entfernt davon ist, als ein ab- schließender gelten zu dürfen. Nichts ist für das Verständnis der Tierorganisationen wichtiger als die klare Erfassung der einzelnen morphologischen Charaktere und Charakterkomplexe. Nur wenn wir genau erkennen, was sich in der Phj-logenese wiederholt, was Neues hinzukommt und altes ver- schwindet, gewinnen wir eine sichere Grundlage zur Erforschung der Ursachen, welche die phylo- genetische Entwicklung anregen. In dieser Weise ist bis jetzt noch viel zu wenig exakt gearbeitet worden. Man hat den ontogenetischen Befunden und kühnen physiologischen Hypothesen größeren Wert eingeräumt als einer rationellen Morpholo- gie und ist dadurch zu so unhaltbaren Anschau- ungen gekommen, wie sie sich in der Kormen- theorie und in der Gonocoeltheorie so sprechend ofil'enbaren. Kleinere Mitteilungen. Eine Schilderung des gröfsten fliegenden Lebewesens gibt S. P. Langley') und E. A. Lucas") Veranlassung zu einigen allgemeineren Betrachtungen über das Wesen des Flugvermögens überhaupt, denen wir im folgenden etwas ein- gehender folgen wollen , um sodann am Schlüsse jenen gewaltigsten aller fliegenden Organismen, einen Pterodactylen der Kreidezeit (Or nit ho- st oma), gleichfalls näher kennen zu lernen. Um fliegende Gegenstände, Flugmaschinen wie ') S. P. Langley, Tlie greatest Hying creaturc. Aniuial Rep. Smitlionian Institution for 1901. Wasliington 1902. -) ¥. A. Lucas, Tlie greatest tlying creature, tlie great Pteroilactyl Ornithostoma. Ebenda. N. F. ra. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 567 lebende Organismen , miteinander vergleichen zu können, ist es nötig, dreierlei festzustellen, einmal den Iniialt der tragenden Fläche, zweitens das Gewicht des getragenen Körpers und drittens die Anzahl Pferdekräfte, welche die Bewegung hervor- bringen. Letztere gewinnen wir annähernd bei den fliegenden Organismen durch die Annahme, daß sie ungefähr in direkt proportionalem Ver- hältnis zur Ansatzfläche der Flugmuskeln stehen. Vergleichen wir nun an der Hand des beigefügten Schemas etwas näher eine F'lugmaschine und eine Reihe fliegender Organismen hinsichtlich des Ver- hältnisses dieser drei Größen miteinander. Eine auf die drei Rechtecke der zweiten Reihe zeigt uns sofort, wie außerordentlich viel sparsamer die Natur zu arbeiten vermag, eine beträchtlich ge- ringere Flugfläche und ein sehr bedeutend geringerer Kraftaufwand ist nötig, um das gleiche Gewicht zu tragen. Gehen wir weiter zu dem größten lebenden Organismus, dem Kondor, die Werte sind hier für die Flugfläche 10 Quadratfuß, für das Gewicht 17 Pfund, für die Pferdekräfte fast 0,05, also im ganzen genommen, ein etwas un- günstigeres Verhältnis als bei Ornithostoma. Diese beiden Organismen gehören zu den fliegenden Formen, welche sich in schwebendem oder segeln- Tragflächc in Quadrcitfuß I QuadratzoU = 25 Quadratfuß Gewicht in Pfund 1 Quadratzoll = 15 Pfund Pferdekraft I Quadratzoll = 0,75 Pferdekräfte. 54 30 1.5 Flugniaschine. 0,036 < »rnithos oma. 0,043 Kondor. 2,65 |o,026| Wildgans Taube. Flugmaschine aus Stahl , die '4 bis ^/, Meile zurücklegen konnte, besaß eine tragende Fläche von 54 Quadratfuß, ein Gewicht von 30 Pfund, und entwickelte i '/., Pferdekräfte. Diese drei Größen sind nach ihrem Verhältnis durch die drei Rechtecke der ersten Reihe gekennzeichnet. Als zweites Beispiel nehmen wir Ornithostoma. Die Oberfläche seiner Flügel mag 25 Quadratfuß be- tragen haben, sein Gewicht schätzt man auf etwa 30 Pfund, die treibende Kraft dagegen berechnet sich noch nicht auf 0,04 Pfeidekräfte. Ein Blick dem Fluge fast ohne Flügelschlag in der Luft zu halten vermögen, wir wollen nun noch einige Ver- treter desjenigen Typus hinzufügen , der seinen Flug unter unablässigem Schlagen der F"lügel aus- führt. Hierher gehört z. B. die Wildgans (Bernicla canadensis), die drei Werte sind für sie 2,7 Quadrat- fuß Tragfläche, 9 Pfund Gewicht und 0,026 Pferde- kräfte, und weiter sei noch angeführt die Taube mit den Werten 0,7 Quadratfuß, i Pfund und 0,012 Pferdekräfte. Letztere Beispiele weisen einen verhältnismäßig größeren Kraftverbrauch auf als 568 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. in. Nr. 36 die segelnden Formen, wie es namentlich bei der Taube recht deutlich hervortritt. Berechnet man nun vergleichend, wieviel in den genannten Fällen eine Pferdekraft tragen würde, so erhalten wir unter der Voraussetzung, daß das Verhältnis von Tragfläche zu Gewicht bei den einzelnen Formen konstant sei, folgende Werte : während also im ersten Falle auf i Pfund i Quadrat- fuß Fläche kam, ist es jetzt nur noch '/o Ouadrat- fuß für je I Pfund. Es müßte also nach diesem Gesetz sehr bald die Grenze erreicht sein, über die hinaus die Größe eines fliegenden Wesens nicht anwachsen kann. Nun finden wir aber in der Natur das oben genannte Gesetz nur insofern bestätigt, als tatsächlich dem größeren Vogel nur Es vermag zu tragen : Pferdekraft bei einer Flugfläche von Es kommen Pfund ' mithin auf I Pfund an Quadratfuß bei der Flugmaschine bei der Wildgans bei der Taube I I I 36 Quadratfuß 10 1 Ouadratfuß 58 Quadratfuß 20 346 83 h7S 0,29 0,7 Aus den beiden letzten Beispielen würde dann weiter zu folgern sein, daß, je größer ein Organis- mus ist, er eine um so kleinere relative Tragfläche und bewegende Kraft nötig habe zum Erheben seines Gewichtes. Nun gilt indessen das mathemati- sche Gesetz, daß die Oberfläche eines Körpers im Quadrate, sein Gewicht aber im Kubus zunimmt, OrnUhostoma eine geringere Flugfläche zur Verfügung steht, aber diese geringere Mugfläche genügt nichtsdesto- weniger in der vollkommensten Weise, und daraus geht hervor, daß hier noch mancherlei nicht ge- nügend aufgeklärte Verhältnisse mit hinein spielen. Die größten Flieger unter den Vögeln stellen wohl Kondor und Albatroß dar, sie wurden auch und es ergibt sich daraus ohne weiteres, daß, je größer ein fliegender Organismus oder eine Flug- maschine ist, eine um so kleinere relative Trag- fläche er besitzt. Nimmt ein segelnder Vogel von 2 Pfund Gewicht und mit 2 Quadratfuß Plugfläche um das Doppelte zu, so würde er nun 16 Pfund wiegen und nur 8 Ouadratfuß Flugfläche besitzen, Kondor während der vergangenen Erdperioden kaum von ihresgleichen übertroffen, wohl aber von fossilen fliegenden Reptilien, von Pterodactylen, die wäh- rend der Kreidezeit die Küsten des Golfes von Mexiko, das Mississippital und die nordwestlich davon gelegenen Gebiete bis Kansas hin bewohn- ten. Der größte derselben ist Ornithostoma N. F. m. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 569 i n g e n s , zum Vergleiche ist sein Skelett auf der nebenstehenden Figur neben dasjenige eines Kon- dors gestellt. Seine Schwingen waren je 9 Fuß lang, die Hinterextremitäten dagegen waren nur schwach entwickelt und dienten lediglich als Stützen der Flughaut. Die Haut war wahrschein- lich nackt oder höchstens mit kleinen Schuppen bedeckt. Auffallend ist vor allem die Kleinheit des Körpers, der nur 25 — 30 Pfund wog, im Ver- hältnis zu den langen Schwingen, dagegen besaß der Kopf die beträchtliche Länge von 4 Fuß. Er lief nach vorn in einen zahnlosen Schnabel aus, an dessen Grunde sich wahrscheinlich eine kleine Tasche wie bei unseren Kormoranen befand, um Fische, welche wohl ihre Hauptnahrung waren, darin aufzunehmen. Die Art des Fluges war ein Segelflug, wie es die langen, schmalen Flügel und das schwach entwickelte Brustbein wahrscheinlich machen. Sehr erleichtert wurde Ornithostoma das Fliegen durch sein im Verhältnis zur Größe außer- ordentlich geringes Gewicht, seine Knochen waren noch leichter als Vogelknochen , von einer fast papierartigen Konsistenz. Und so haben wir in diesen ausgestorbenen Wesen wohl die speziali- siertesten Vertreter der fliegenden Organismen aller Zeiten vor uns. J. Meisenheimer. B. Schröder, Über den Schleim und seine biologische Bedeutung. — Biologisches Zentral- blatt, Bd. XXIII. Die Mehrzahl der im Wasser oder in feuchter Luft lebenden Organismen ist auf ihrer Körperoberfläche ganz oder teilweise mit Schleim überzogen. Auch bei echten Land- pflanzen und -tieren kommt, allerdings mehr im Innern des Körpers, Schleimbildung vor, wie z. B. bei den Liliaceen, den Knollen der Orchideen u. a., wo schleimführende Schläuche vorhanden sind, oder wie bei den Beeren der Mistel , der Quitte usw.; bei den Wirbeltieren sind, wie bekannt, be- sonders die Körperhöhlen mit Schleim absondern- der Haut ausgekleidet , die Mundhöhle , die Luft- kanäle , der Darmtraktus usw. Bisher hat man dem Schleim geringe Beachtung geschenkt, mit Ausnahme von demjenigen der Speicheldrüsen ; daher ist über seine physikalischen und chemischen Eigenschaften noch wenig bekannt. Die Schleime zeigen zumeist hyaline Beschaffen- heit, sind bisweilen aber auch milchweiß oder opaleszieren oder sind durch Metallox-yde ver- schieden gefärbt. Häufig sind sie, besonders bei Mikroorganismen , so durchsichtig , daß sie nicht ohne weiteres wahrgenommen werden können. Durch Einlegen in ein Medium von anderem Brechungskoeffizienten, als ihn das Wasser besitzt, oder durch Zusatz geeigneter Färbungsmittel läßt sich der Schleim in solchen Fällen aber mehr oder weniger leicht sichtbar machen. Gewöhnlich besitzt er halbflüssige, klebrige oder fadenziehende Beschaffenheit, erstarrt an der Luft und in älteren Stadien und wird zähe bis knorpelig. In letzterem Zustande wird er auch als Gallerte bezeichnet. Er enthält stets sehr viel Wasser und wenig (oft nur V-2 bis V.-j "/o) organi- sche Substanz. Seine Ouellbarkeit ist aui3erordent- lich groß, wenn er, frisch sezerniert, mit Wasser in Berührung kommt. In chemischer Hinsicht, woraufhin namentlich der von den Schnecken abgesonderte und andere tierische Schleime sowie der Schleim aus Dios- corea-Knollen untersucht wurden , enthalten die Schleime außer anderen organischen Verbindungen Eiweiß und Kohlenhydrate. Die Analyse ergibt meist einen Gehalt an Schwefel von 17 "/„ und einen solchen an Stickstoff von 13,5 "/n- Der Schleim kann auf zweifache Weise ent- stehen, entweder durch Absonderung aus dem Plasma oder von der Membran der Zellen. Der vom Protoplasma sezernierte Schleim gelangt durch Poren in der Membran nach außen ; bei den Mem- branschleimen wird die Zellwand teilweise oder gänzlich in Schleim umgewandelt. Als Beispiel für plasmatischen Schleim sei die Schleimbildung bei den Desmidiaceen genannt. Der Schleim wird in wasserfreiem Zustande abgeschieden und ver- quillt an der Oberfläche der Zelle unter Wasser- aufnahme zu Schleimhüllen oder -Stielen. Auch die Absonderung des Schleimes aus Drüsen und durch Schleimhäute, wie sie im Tierreich sehr verbreitet ist, gehört hierher. Die Bildung der Membranschleime kommt bei Pflanzen ungleich häufiger vor als bei Tieren. So zeigen viele Algen (Ulothrix, Conferven u. a.) diese Art der Schleimbildung; auch das bekannte Ver- schleimen der Samenschale von Linum und von Salvia hormium beruht hierauf. Unter den Meeres- algen besitzen vor allem die Fucaceen Schleim- membranen. Die collenchymatischen Verdickungen derZellhaut in den Sprossen höhererPflanzen gehören gleichfalls zu den membranschleimartigen Bildungen. Die biologische Bedeutung der Schleime ist eine sehr verschiedene. In erster Linie stellen sie Schutzeinrichtungen gegen das Austrocknen und gegen Verletzung durch Druck und Stoß dar. Dieses Resultat ergaben z. B. Untersuchungen, die an Froschlaich angestellt wurden. Hier zeigt sich der Schleim auch noch als Schutzmittel gegen das Gefressenwerden durch größere Tiere, wie Fische und Krebse. Außerdem wirkt die Gallerthülle der Froscheier auch noch wie eine Sammellinse, die die Sonnenstrahlen und die durch diese zuge- führte Wärme konzentriert. Demnach ist sie einem kleinen Treibhause oder einem Brutapparate zu vergleichen, in dem die Eier zu rascherer Ent- wicklung gelangen. Starke Schleimhüllen finden sich ferner bei Bakterien, Flagellaten, Algen usw., die im Wasser leben, und dienen hauptsächlich zum Schutze gegen chemische oder physikalische Änderungen des sie umgebenden Mediums. Besonders bei der Algen- kultur tritt häufig ihre große Empfindlichkeit gegen Veränderungen der Nährlösung zutage. So können z. B. Diatomeen durch Wassermangel und die da- durch hervorgerufene Konzentration der im Wasser 570 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 36 gelösten Nährstoffe leicht zur Bildung von Gallert- hüllen gezwungen werden. Die Schleimhüllen erschweren die Diffusion gewisser giftiger Stoffe oder machen sie gänzlich unmöglich, wie an Zygnema nachgewiesen wurde, bei welcher sich im Wasser gelöste anorganische Gifte im Schleim ablagerten , ohne die Alge zu schädigen. Besonders kommt dieser Schutz in Betracht, wenn Protoplasma aus den Zellen in das umgebende Wasser hinaustritt, wie dies bei dem Kopulationsakte der Diatomeen oder der Des- midiaceen oder bei der Auxosporenbildung der ersteren der Fall ist; hier wird das austretende Protoplasma durch Schleimhüllen vor der unmittel- baren Berührung mit dem Wasser geschützt. Der Schleim der an der Luft lebenden Bakte- rien und Algen hat vielfach die Fähigkeit, Wasser aufzusaugen, das bei Regen oder bei Überrieselung mit ihm in Berührung kommt. So kann man öfter das kolossale Aufquellen der Nostoc-Alge während eines längeren Landregens beobachten. Die Schleimhülle bildet hier also gleichsam ein Wasserreservoir, das die dem Luftleben angepaßten Mikroorganismen vor zu starker Transpiration oder vor dem Austrocknen bewahrt. In der gleichen Weise sind ja bekanntlich die Amphibien und Schnecken geschützt , deren mit Schleim über- zogene Epidermis sie dauernd gleichsam in eine Wasserschicht einhüllt. Außer als Schutzmittel dient der Schleim ferner auch zur Befestigung. So schließen sich viele einzellige Organismen, Schizophyceen, Conjugaten u. a. durcli Schleimhüllen zu faden- oder flächen- artigen Verbänden aneinander. Andere heften sich mittels Schleimfäden, -Stielen oder Polstern an eine Unterlage an; so z. B. manche Diatomeen und Infusorien. Gewisse Algen und Pilz- und Flechtensporen verbreiten sich auf die Weise, in- dem sie sich an Wasserinsekten anheften. Auch den Schnecken dient der Schleim als Haftmittel, besonders an senkrechten Gegenständen. Die mit Haftscheiben versehenen Zehen des Laubfrosches sondern ebenfalls Schleim ab, der dem gleichen Zwecke dient. Mittels Schleimfäden befestigen sich auch die Spinnen, manche Raupen und eine Schneckenart (Helix nigrocinerea) an hohen, frei- hängenden Gegenständen und vermögen sich daran herabzulassen. Mit Schleim kitten die Insekten auch ihre Kokons zusammen, verkleben die Schwal- ben allerlei Körper (Strohhalme usw.) beim Bau ihres Nestes. Die sogenannten eßbaren Schwalben- nester der an den steilen Felsenküsten auf den Sundainseln und Molukken nistenden Salanganen bestehen aus schleimigen Meeresalgen , die mit Speichel durchsetzt an die Felsen geheftet werden. Unter Umständen kann die Schleimbildung auch zur Fortbewegung der Organismen, z. B. bei den Desmidiaceen , dienen (vgl. Naturw. Wochenschr. vorig. Jahrg. S. 480). Als ein die Ortsbewegung förderndes Mittel kommt der Sclileim auch bei Regenwürmern, Schnecken und Fischen in Betracht, bei denen der Reibungskoeffizient ihres Körpers mit dem Substrat oder umgebenden Wasser durch die Schleimbildung in den viel geringeren Koeffi- zienten des Körpers mit dem Schleime umgewan- delt wird. Bei den Wirbeltieren ist der Verdauungs- traktus mit Schleim ausgekleidet, damit der Darm- inhalt leicht hindurchgleiten kann. Endlich dient die Schleimbildung vielen im Wasser freischwimmenden Mikroorganismen , den sogen. Planktonorganismen , zur Erhöhung der Schwebefähigkeit. Se. Über leuchtende Hutpilze. — Bereits in früherer Zeit sind Pilze, welche im Dunkeln ein phosphorisches Leuchten verbreiten, mehrfach be- kannt geworden und kennen wir jetzt besonders aus tropischen Gebieten eine große Anzahl der- selben. Plinius erwähnt (Histor. natur. XVI, 8, 13) schon einen in der Dunkelheit leuchtenden Baumschwamm , welcher wahrscheinlich der in Südeuropa verbreitete Pleurotus olearius sein dürfte, dessen phosphoreszierende Eigenschaft be- kannt ist. Von Rumphius wird ein leuchtender Agaricus igneus von der Insel Amboina be- schrieben. Gardner entdeckte einen Hutpilz in Goyaz (Brasilien) auf abgestorbenen Palmen- blättern , den Pleurotus Gardner i Berk., welcher dort als „Flor de Coco" bekannt, von den Kindern abends als Laterne herumgetragen wird. Die vonGardner ins Zimmer gebrachten Exemplare leuchteten so stark, daß er bei ihrem Lichte zu lesen vermochte. Auch bei uns sind derartig leuchtende Pilze mehrfach bekannt ge- worden, doch sind es hier meist die Mycelien oder Sclerotien , welche phosphoreszieren. Die be- kannten Rhizomorphen des Hallimasch (Armillaria mellea) verbreiten im Dunkeln an den jungen farblosen Mycelspitzen ein weißliches Licht. Die Phosphoreszenz derselben wurde nach A. v. H u m - boldt zuerst von Freyesleben 1796 in Berg- schächten bei Freiberg beobachtet. Wenn man derartige Rhizomorphen in einem Glase kurze Zeit kultiviert, so daß aus diesen junge Triebe und weiße Fadenbüschel hervorwachsen, so zeigt sich an diesen im Dunkeln das Leuchten. Dieses ist auch bei den Rhizomorphen der an Baumstümpfen sehr häufigen Xylaria Hypo- xylon der Fall, ebenso leuchtet das mit den My- celien des Pilzes durchsetzte morsche Holz mit gelbgrünlichem Licht. Die Sclerotien einzelner heimischer Collybien-Arten, so: C. tuberosa, C. cirrhata, phosphoreszieren im Dunkeln. Von Professor V o 1 k e n s wurde bei seiner An- wesenheit auf J a V a 1 892 im botanischen Garten von Buitenzorg auf Rotangpalmen ein selbstleuchten- der Hutpilz beobachtet und mitgebracht, welcher gruppenweise hoch oben an den Stämmen sitzt und bei Nacht in einem zauberhaften, grünlichen Lichte erstrahlt. Die Stämme erschienen wie mit Kerzen bedeckt. Die ins Laboratorium gebrachten und zerschnittenen Pilze leuchteten unter dem Mikroskop noch so hell, daß man deutlich die Umrisse ihres Baues erkennen konnte. Die zwi- N. F. III. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochensclirift. 571 sehen den Fingern zerriebenen Pilze übertrugen das phosphorische Leuchten auf diese. Erst etwa 10 Minuten nach dem Zertjuetschen der Hüte ver- schwand das Licht. Die frischen Hüte sind auf der Oberseite mit einem klaren Schleim über- zogen, von dem das Leuchten ausgeht. Der Pilz ist eine zu den Agaricineen gehörende My cena-Art, die ich als M. illuminans be- schrieben habe. Der etwa 5 — 13 mm breite, ge- wölbte, in der Mitte etwas genabelte Hut ist weiiälich , nach dem Scheitel zu bräunlich , radial gestreift und gefurcht, frisch mit farblosem Schleim überzogen. Der Stiel ist röhrig, gekrümmt, blaß, S — 12 mm lang, kaum I cm dick, an der Basis scheibenförmig aufsitzend, verdickt. Die blassen Lamellen sind buchtig angeheftet, in der Mitte bauchig, nach den Enden zu verschmälert. Die Sporen sind kugelig, farblos. Ein ebenfalls leuchtender kleiner Hutpilz, den ich früher als Omphalia Martensii be.schrie- ben habe, wurde von Prof E. v. Martens auf der preuß. Expedition nach Ostasien im März 1863 an der Westküste Borneos bei Bcngkajang, im Flußgebiet des Sambas auf Wurzeln gesammelt. Der Pilz machte sich durch sein phosphorisches Leuchten im Dunkeln sehr bemerkbar. Von den Gebr. Sa ras in wurde aufCelebes bei Tomahon im Juli 1894 auf altem Holze ein zierlicher Hutpilz gesammelt, den ich als Locel- lina illuminans beschrieben habe. Der Pilz leuchtet prachtvoll grün, so hell, daß man die Uhr danach ablesen kann, wie Herr Sarasin schreibt. Das Leuchten scheint von den Lamellen auszugehen. Wenn man den Pilz von oben be- trachtet, sieht man den Stiel als schwarzen Kreis im leuchtenden Felde, er selber leuchtet nicht. Wie der verstorbene L Kärnbach mir erzählte, so beobachtete er bei Finschhafen auf Neu-Guinea auf dem Waldboden einen kleinen Pilz, wahr- scheinlich eine Marasmius-Art, welcher abends ein so starkes Licht verbreitete, daß der Boden wie mit Kerzen beleuchtet erschien. Außerdem sind zahlreiche Leuchtpilze aus den subtropischen Ländern bekannt geworden, meist verschiedenartige Agaricineen, so Pleurotus noctilucens Lev. von Manila, PI. Prometheus Berk. von Hong- kong, PL illuminans Müll, et Berk., PL Lam- pas Berk., PL nidiformis Berk., PL phos- phorus Berk. aus Australien. Bei Clitocybe illudens Schwein, aus Nordamerika soll nach Prof Atkinson das Hymenium phosphoreszieren. Von V. Lager heim wurde ein Polyporus noctilucens aus Angola als Leuchtpilz beschrieben. Von mehreren Seiten ist die Ansicht geäußert worden, daß durch das Leuchten die Insekten aus der P"erne herbeigezogen werden sollen, um durch Übertragung der Sporen für die Ausbreitung der Art zu sorgen. — Bisher ist durch Untersuchung über die Leuchtstoffe der betreffenden Pilze nichts Sicheres bekannt geworden, möglicherweise beruht die Phophoreszenz bei verschiedenen Arten auf verschiedenen Ursachen, jedoch nicht auf Anwesen- heit von Leuchtbakterien. P. Hennings. Das Problem früheren Landzusammen- hanges auf der südlichen Erdhälfte. — Zu interessanten paläogeographischen Itrgebnissen, welche die Beachtung weiterer Kreise \erdienen, ist auf Grund mehrjähriger L'ntersuchungen in den chilenischen Anden der schweizer Geologe Dr. Karl Burckhardt gelangt. Er hat seine Be- obachtungen in einer Reihe wissenschaftlicher Ar- beiten niedergelegt, von denen hier seine „Traces geologiques d'un ancien continent paci- fique" (Rev. Mus. de La Plata, 1900) sowie seine „Beiträge zur Kenntnis der Jura- und Kreide formation der Kor diller e" (Palä- ontographica, 1903) namentlich genannt seien. Die Ansicht, daß auf der südlichen Erdhälfte in alter Zeit, jedenfalls bis weit ins Mesozoische hinein, größere Landmassen bestanden haben, ist keines- wegs neu. Bereits Neumayr hat einen brasil o- äthiopischen Kontinent angenommen, der zur Jurazeit das östliche Südamerika mit Afrika ver- band, und wiederholt ist sowohl von paläonto- logischer, als auch von zoologischer und botanischer Seite die Ansicht laut geworden, daß ehemals auch ein ausgedehnter südpazifischer Kontinent be- standen haben müsse. Das Verdienst Burckhardt's ist es nun, die geologischen Belege hierfür er- bracht zu haben. Zunächst haben die Untersuchungen Burck- hardt's eine bedeutende P'aziesverschiedenheit der westlichen und östlichen Kordillere ergeben. Während im oberen Lias und unteren Dogger die westliche Zone durch ammonitenreiche Kalke und Tonschiefer, also durch küstenferne Ablagerungen gebildet wird, treten in der östlichen Zone klastische Gesteine, namentlich bivalvenreiche , zum Teil sogar Landpflanzen führende Sandsteine auf. Diese Faziesunterschiede bestätigen uns in schönster Weise die auf anderen Erwägungen beruhende Annahme Neumayr's, daß das andine Jurameer im Osten durch einen brasilo-äthiopischen Kontinent begrenzt gewesen sei. Denn es ist wohl unzweifel- haft, daß wir in diesen bivalvenreichen und Land- pflanzen führenden Ablagerungen eine Litoralzone, die Ostküste des andinen Jurameeres vor uns haben. Und das überaus interessante, durch Kurtz nachgewiesene Vorkommen liassischer Landpflanzen am Atuel und bei Piedra pintada gestattet uns sogar, diese Ostküste ^mit ziemlicher Genauigkeit festzulegen. Sie fiel offenbar mit dem heutigen Ostrand der Kordillere zusammen und lag etwas östlich vom 70. Längengrad. Ferner haben die Untersuchungen Burckhardt's gezeigt, daß die fossilführenden Doggerschichten fast durchweg von Gypsen überlagert werden. Über diesen Gypsen nun türmen sich in den westlichen und zentralen Teilen der Kordillere ungeheure -Massen von Por- phyritkonglomeraten auf, überlagert von ammo- nitenreichen Kalken des obersten Kimeridgien und unteren Portlandien. Trotzdem diese Konglomerate 572 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 36 im wesenthchen aus vulkanischem Material be- stehen, sind sie doch sicherlich sedimentären Ur- sprungs, da sich in ihnen marine Fossilien einge- schlossen finden. Burckhardt ist der Ansicht, daß diese Konglomerate nur in einer Uferzone gebildet worden sein können, da sie aus sehr groben und gut gerundeten Gerollen bestehen und kohlige Schichten und fossile Baumstämme enthalten. Je weiter man sich nach Osten entfernt, desto mehr nimmt die Mächtigkeit der Konglomeratmassen ab, bis sie schließlich in den östlichen Teilen der Kordillere ganz aufhören und bunte, vorwiegend rote und grüne Sandsteine und wenig mächtige Mergelschichten an ihre Stelle treten, welche ihrer- seits wiederum von den ammonitenreichen Kalken des Kimeridgien und Portlandien überlagert werden. Aus dieser Verteilung der Sedimente schließt Burckhardt, daß das andine Jurameer auch im Westen von einer Küstenlinie begrenzt war, die annähernd mit der heutigen Ostküste des pazi- fischen Ozeans zusammenfiel, daß sich hier also ein Festland, eben jener südpazifische Kontinent, nach Westen zu , vielleicht gar bis nach Neu- seeland und Australien hin erstreckte. Seit wann bestand dieser Kontinent? Die Tatsache, daß in den westlichen und zentralen Teilen der Kor- dillere die Porphyritkonglomerate, wenn auch in geringerer Mächtigkeit , so doch bereits an der Basis der Gypse auftreten, scheint dafür zu sprechen, daß der südpazifische Kontinent bis in die obere Doggerzeit hinabgereicht habe, daß somit bereits zur Doggerzeit das andine Meer zu einem schmalen Golf, ungefähr von der Breite der heutigen Kor- dillere, reduziert und sowohl im Osten als auch im Westen von großen Landmassen begrenzt war. Augenscheinlich ist dann zu Beginn der Ober- juraperiode der andine Meeresarm durch tektonische Vorgänge für kurze Zeit zum Festland erhoben worden. In den zurückgebliebenen Binnenseen konnten sich unter der Herrschaft eines Wüsten- klimas mächtige Gypsmassen niederschlagen. Aber vermutlich nur relativ kurze Zeit währte diese Festlandsperiode, denn nirgends kam es zur Stein- salzbildung und schon die mächtigen Porphyrit- konglomerate, noch mehr aber die im Hangenden auftretenden Kimeridgekalke sprechen dafür, daß sehr bald ein neuer Einbruch des andinen Meeres erfolgt sein muß, offenbar begleitet von gewaltigen unterseeischen Eruptionen, welche die Anhäufung so mächtiger Konglomeratschichten ermöglichten. E)s ist überaus interessant, daß diese paläo- geographischen Ergebnisse Burckhardt's durch seine faunistischen Ergebnisse vollauf bestätigt werden. In der argentinisch chilenischen Jura- und unteren Kreideformation lassen sich nämlich, von einigen spezifisch südamerikanischen oder allge- mein verbreiteten Typen abgesehen, drei Faunen- elemente unterscheiden und zwar: das west- europäische Faunenelement, mitteleuropäische und alpin-mediterrane Formen umfassend, das süd- afrikanische Faunenelement, in der unteren Kreide durch nahe Verwandte mehrerer charakte- ristischer Trigonienarten Südafrikas vertreten, und schließlich das russisch -asiatische Faunen- element, durch Macrocephalen im Callovien, die Beziehungen zu indischen Formen erkennen lassen, ferner durch die sehr interessanten, zum ersten- mal in der Kordillere nachgewiesenen russischen Virgaten, sowie durch zentralasiatische Spitiformen repräsentiert. Die faunistischen Beziehungen zwischen dem südamerikanischen und westeuropäischen Lias und Dogger lassen sich nur durch die Annahme erklären, daß das andine Meer zur Lias- und Dogger- zeit mit einem atlantischen Äquatorialmeer in offener Verbindung stand, in welchem längs der Nordküste eines brasilo - äthiopischen Kontinents ein reger faunistischer Austausch zwischen Süd- amerika und Westeuropa stattfinden konnte, und das südafrikanische Faunenelement spricht dafür, daß das andine Meer zu Beginn der Kreidezeit auch mit einem südatlantischen Meer in offener Verbindung stand, welches sich längs der Süd- küste eines brasilo-äthiopischen Kontinents hinzog und Meerestieren als Wanderstraße gedient hat. Somit muß auch aus faunistischen (iründen zur Lias-Doggerzeit und zur Neokomzeit die Existenz eines brasilo-äthiopischen Kontinents angenommen werden, dessen Küsten im Süden von einem süd- atlantischen Meer, im Norden von einem atlan- tischen Äquatorialmeer bespült wurden. Dieses Letztere scheint jedoch zur Oberjurazeit nicht mehr existiert oder wenigstens in keiner Verbindung mit dem andinen Golf gestanden zu haben, da sich nicht nur sehr wenige westeuropäische Arten im oberen Jura der argentinisch-chilenischen Kor- dillere wiederfinden, sondern die reiche Tithonfauna von Andalusien der andinen Tithonfauna sogar ganz fremd gegenübersteht. Vielmehr führen uns die nahen Beziehungen zwischen andinen Oberjura- fossilien und Formen der russischen Virgaten- schichten, des Rjasanhorizonts und der Spiti shales zu der Annahme, daß eine direkte Meeresverbin- dung zwischen dem andinen Golf und dem russisch- asiatischen Oberjurameer bestanden haben muß, daß sich also ein oberjurassisches, pazifisches Äquatorialmeer an der Nordküste eines südpazi- fischen Kontinents hinzog, längs welcher der rege faunistische Austausch zwischen Südamerika einer- seits, Zentralasien und Rußland andererseits be- werkstelligt wurde. Mit Burckhardt gelangen wir somit auf zwei ganz verschiedenen Wegen in über- raschendster Weise zu demselben Ergebnis. Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, daß verschiedentlich auch Stimmen gegen die Ansichten Burckhardt's laut geworden sind, die sich nament- lich gegen die weite westliche Ausdehnung des südpazifischen Kontinents gewandt haben. So z. B. hat gegen diese Annahme Burckhardt's der be- kannte australische Malakologe Charles Hedley die zoogeographische Tatsache ins Feld geführt, daß zwischen der heutigen Fauna des Zentral- pazifik und der Westküste Südamerikas keine oder nur wenig Beziehungen erkannt werden können. Aber wir werden wohl Burckhardt Recht geben N. F. III. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. 573 müssen, wenn er darauf erwidert, daß man von Kontinentalmassen, die, wie der südpazifische Kon- tinent, wahrscheinlich bereits in der Kreidezeit wieder untergesunken sind, kaum einen Einflui.3 auf die geographische Verbreitung rezenter, wohl aber auf die Verbreitung fossiler, etwa jurassischer Meeresfaunen erwarten dürfe. Und daß solche in der Tat vorhanden sind, das haben uns die inter- essanten Untersuchungen Burckhardt's gezeigt. Egon P"r. Kirschstein. Neuerdings in der Sahara gefundene Nitrat- lager. — In den letzten Jahren sind durch fran- zösische Gelehrte und französische Offiziere sehr wesentliche I<"ortschritte in der Erforschung der Sahara gemacht worden, die sich ganz besonders auf die Gegenden der vor zwei Jahren von der Republik in Besitz genommenen, sogenannten Süd- oasen Tuat, Gurara und Tidikelt beziehen. Zunächst glückte es dem Kommandanten Laquicre , der als Chef des affaires indigenes der Kolonne des Generals Servieres angehörte und der mit dieser im Jahre igoi im Tidikelt und Tuat stand, wichtige Salpeterlager bei der kleinen, auf dem Wege von Adrar über Deldoul nach Timimun gelegenen Oase Guerara aufzufinden. Nach den vom Chemiker Trapet in Algier ange- stellten Untersuchungen der eingeschickten Proben soll es sich um abbauwürdige Lager handeln, wie denn dieselben auch schon seither von den Ein- geborenen zur Salpetergewinnung für die Schieß- pulverfabrikation ausgenutzt wurden. Der Name Guerara dürfte eine Zusammenziehung aus den arabischen Worten Gueraa und Hamra sein , von denen ersteres ein tief gelegenes Gelände, letzteres aber ,,rot" bezeichnet. Es liegt um so näher, an die Bezeichnung des ,, Rotliegenden" zu denken, als in der Nähe der der devonischen Schicht an- gehörenden Fundstätte aller Wahrscheinlichkeit nach auch Steinkohlenformationen zutage treten. Bis zum Auffinden dieser Lager kannte man nach den Berichten des obengenannten Chemikers nur kleinere Fundstätten von Salpeter in Algerien, nämlich bei Ksar el Baroud in der Nähe von Messad und bei (^ulad en Nahe in der Nachbarschaft von Sebdou. Neuerdings nun hat der Kommandant Deleuze von den saharischen Tirailleuren, dessen Arbeiten auch die in der beigefügten Skizze angegebenen Höhenzahlen in Metern zu verdanken sind, weitere Stellen, an denen Salpeter gewonnen wird, ge- funden und es unterliegt keinem Zweifel, daß die hauptsächlichsten derselben , die bei der ostsüd- östlich von Timimun gelegenen Oase Feggaguira — dem Foggara-el-Out des deutschen Reisenden Gerhard Rohlfs — bemerkt wurde, mit der Fund- stätte des Kommandanten La(|uiere zusammen den von Südwesten nach Nordosten gerichteten Ver- lauf eines großen devonischen Lagers kennzeichnen, dessen volle Ausdehnung durch Sondierungen noch festzustellen bleibt. Mit den bezüglichen Arbeiten ist der Professor der Geologie Flamand, bekannt als wissenschaftlicher Begleiter des Hauptmanns Pein auf der Expedition nach Insalah, zur Zeit beschäftigt, wie der genannte Gelehrte auch der Frage näher getreten ist, welche Beziehungen zwischen den im Nordwesten der Sebkha von Timimun bei Oulad Said aufgefundenen Salpeter- lagern und den der Steinkohlenformation ange- hörenden Schichten bei Igli und an der Zousfana bestehen. Auf das Vorkommen der letzteren wurde besonders durcii Leutnant Barthelemy, Major Barthal und den Militärarzt Dr. Romary aufmerksam gemacht. Man glaubt , daß man es bei Feggaguira mit einer mitteldevonischen Schicht zu tun hat, für die das Vorkommen von Spiriferen, von Atrypa reticularis usw. spricht, während man i l ^f S-« Tateitleja. bei Oulad Said allem Anschein nach auf eine ältere, unterdevonischc, der Steinkohlenformation näher liegende Schicht gestoßen sein dürfte. Die höchst wichtigen l'unde sind aber durch- aus nicht unerwartete, denn schon durch frühere Reisende, so durch Overweg, de Bary, Duveyrier, Oskar Lenz, Roche und Flatters ist auf die Wahr- scheinlichkeit des Vorkommens ausgedehnter de- vonischer Schichten in jenen Teilen der Sahara aufmerksam gemacht worden. Die Sahara selbst verliert immer mehr ihren früheren Charakter eines unüberwindlichen Hinder- nisses, das sich tretmend zwischen nord- und zentralafrikanische Besitzungen Afrikas legte und immer mehr und mehr gestaltet sie sich zu einem Bindeglied zwischen diesen schönen und reichen 574 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 36 Uberseebesitzungen der französischen Republik aus. Um die neugefundenen mächtigen Lager nutz- bringend abbauen zu können, wird man vor allen Dingen für ihre Verbindung mit dem Norden Algeriens , für ihren Eisenbahnanschluß an einen Hafen des Mittelmeeres sorgen müssen. Im Hin- blick auf den bereits weit vorgeschrittenen Bau der von Oran über Saida, Ain Sefra, Zoubia- Duveyrier, Djenan el Dar führenden Trans Senegal- bahn, die ich im Vorjahr bis in die uiimittelbaie Nachbarschaft der Oase Figig bereiste, wird dies nicht schwierig sein. Es wird voraussichtlich keine großen Schwierigkeiten machen, von dieser nach den neuen F"undstätten abzukreuzen , jeden- falls wird man letztere über Igli am Zusammen- fluß von Zousfana und Guir zur Saoura leichter als etwa quer durch den Erg über Tabelkoza er- reichen. Letzterer Weg ist vollständig wasserlos und hat den Franzosen in früheren Zeiten, als sie auf ihm ihre Kolonnen noch zum Süden führten, jederzeit sehr große Schwierigkeiten bereitet. Die Trans-Senegalbahn gewinnt somit für P'rankreich, im besonderen aber für dessen Nordafrikakolonie, eine erhöhte Bedeutung und mit doppeltem Eifer wird man für die endliche Beruhigung der Linie Zoubia — Igli, für vollständige Niederwerfung der aufständigen Stämme der Oulad Djerir, der Beni Gull und der Doui Menia Sorge tragen müssen, man wird bestrebt sein bei Kenadsa und Bechar eine nach Norden vorgeschobene Stellung zu ge- winnen, die das Übergreifen jener Stämme nach der Linie der Trans-Senegalbahn in Zukunft aus- schließt und unmöglich macht. — Die französische Regierung wird es sich aber angelegen sein lassen müssen , einer Überproduktion vorzubeugen , wie sie zur Zeit bezüglich der reichen Phosphatlager bei Gafsa festzustellen ist: für diese hat man in den letzten Jahren bei Gafsa, bei Metlaoui, bei Tebessa, dem römischen Theveste und am Kalaat el Senam zu viele Konzessionen erteilt, so daß die Produktion nicht mehr dem Markt, der zu klein blieb, entspricht. Infolgedessen hat nicht mehr Tunesien die Vorteile von jenen reichen Bodenschätzen, sondern lediglich der fremde Kauf- mann, hauptsächlich Engländer und Italiener, ge- nießen dieselben. — Die weitere Erforschung der Südoasen nach den Nitratlagern verspricht die günstigsten Resul- tate für Algerien, die Berichte über dieselben, die vor allem der geographischen Gesellschaft von Algier zu verdanken sind , werden mit Interesse aufzunehmen sein. Oberstleutnant z. D. Hübner. Braunkohlenhölze;r. Zwar gelingt es auch häufig bei der nötigen Übung und Geschicklichkeit (von der Schleifmethode sehe ich hier ganz ab), von versteinten (verkieselten oder verkalkten) Hölzern durch Absplittern für das Mikroskop einigermaßen brauchbare Präparate zu erlangen, jedoch haben diese, schon wegen ihrer meist ganz geringen Größe nur einen sehr fragmentarischen Wert ; über- dies ist, um gute Splitter zu bekommen, eine Beschaffenheit des versteinten Holzes notwendig, welche die Natur der Versteinerung durchaus nicht so oft mitgibt, und die Beurteilung eines Stückes darauf hin, ob es die Splittermethode erfolgreich erscheinen läßt, ist rein Sache der Erfahrung; überdies bedürfen selbst die erhaltenen Splitter oft noch einer weiteren Präparation, je nach der Be- schaffenheit des Materials. Weit besser kommt man mit Braunkohlen- hölzern zum Ziel , und hier insbesondere daim, wenn es sich (wie in den allermeisten Fällen) um Gymnospermenhölzer handelt, die infolge der großen Gleichheit der Holzelemente, der Hydrostereiden, die zugleich Festigungs- und Leitungselemente darstellen, eine im ganzen Holz relativ gleich- mäßige Zersetzung und Vermoderung erfahren, während die dicotylen Hölzer • — wenn sie nicht echt versteinert werden — infolge der Ungleich- heit der Holzelemente, die z. T. gar nicht, z. I'. recht widerstandsfähig gegen den Vermoderungs- prozeß sind, dementsprechend auch mit ungleicher Schnelligkeit zersetzt werden, so daß die am längsten sich haltenden Bast(-Libriform)-Elemente sehr bald infolge des Schwindens der sie ver- bindenden Parenchymelemente den Zusammenhang verlieren und nun ebenfalls um so leichter der Zerstörung anheimfallen. Man findet daher auch nur verschwindend wenige dicotyle Hölzer braim- kohlig erhalten, obwohl ihre Zahl, wie die Blatt- reste lehren, sicher recht groß gewesen sein muß.') Von den Gymnospermenhölzern lassen sich mit Hilfe des Rasiermessers Radial- und Tangen- tialschnitte oder wenigstens einer von diesen meist ohne weiteres erlangen.'-) Man braucht das Holz nur ordentlich mit Wasser zu durchtränken und die Schnittfläche recht feucht zu halten; man bekommt dann auf die ge- Über die Präparation von Braunkohlen- hölzern zur mikroskopischen Untersuchung. — Für denjenigen, der die Struktur fossiler Hölzer mikroskopisch studieren will, bieten die geeignetsten, weil am leichtesten und schnellsten herzurichten- den Objekte die in der Braunkohlenformation aller Länder der Erde in unzähliger Menge gefundenen ') Es ist daher ein Trugscliluß, behaupten zu wollen, daß nur, oder größtenteils Coniferenhölzer an der Zusammensetzung der Braunkohle beteiligt seien, wenn man keine Laubhölzer findet. Diesem Trugschluß sind z. B. Kobbe (foss. Holz. d. Meckl. Braunkohle, 1887 p. 54) und noch mehr Gell hörn (Die Braunkohlenhölzer i. d. Mark Brandenburg 1894 p. 7) erlegen. Letzterer glaubt nachgewiesen zu haben, ,,daß die Braunkohlen im nördl. Teile der Mark Brandenburg nur aus Nadelhölzern gebildet sind." -) Zur Untersuchung von Hölzern stellt man bekanntlicli .Schnitte in drei aufeinander senkrechten Richtungen her. Der für die Gymnospermenhölzer wichtigste Radialschnitt geht vertikal durch das Stammzentrum und läuft den Markstrahlen parallel, der Tan ge n t i alschnitt steht senkrecht auf dem vorigen und wird ebenfalls vertikal geführt, der Querschnitt oder Horizontalschnitt steht senkrecht auf den beiden vorigen, durchschneidet das Holz wagerecht; er dient u. a. auch zur Erkennung der Verhältnisse der Jahrringe. N. F. m. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 575 wöhnliclie Weise mit dem Rasiermesser meist schon brauchbare Präparate. Eine gänzliche Durch- tränkung des Holzes mit Wasser ist darum nötig, weil die Hölzer das Wasser meist sehr begierig einsaugen und man ohne diese Vorsichtsmaßregel kaum imstande ist, die Schnittfläche genügend lange feucht zu halten. Nicht so bequem ist die Sache für den (Quer- schnitt. Bei fast allen Braunkohlenhölzern, die ich bisher zu untersuchen hatte, zerfällt der Ouer- schnitt, wenn man ihn in der obigen Art des Radial- (bzw. Tangential-) Schnittes herzustellen sucht, in ganz kleine Teile, oft direkt zu Pulver, das unter dem Mikroskop entweder gar nichts, oder höchstens einige zusammenhängende Zellen erkennen läßt, die zu einer genaueren Untersuchung von gar keinem Nutzen sind. Am schlimm- sten ist es in dieser Beziehung mit dem Holz aus der Wurzel oder den unteren Stammpartien bestellt, bei denen die weitlumigen, dünnwandigen Frühzellen unvermittelt an dieradial-plattgedrückten, dickwandigen Sommerholzzellen ') anstoßen, indem beim Schneiden, selbst mit einem scharfen Messer, an der Grenze zwischen F'rüh- und Sommerholz der Schnitt regelmäßig zerreißt. Die Zellen des P'rühholzes zerfallen übrigens beim Schneiden fast regelmäßig zu Pulver, und wenn dann, wie so un- geheuer häufig, die Mittellamelle (Interzellular- substanz) der Holzzellen auch noch mehr oder weniger zerstört ist, so erhält man nicht einmal die Sommcrzellen in Zusammenhang. So bequem also häufig von Braunkohlenhölzern Radial- und Tangentialschnitte herzustellen sind, so schwierig ist dies beim Querschnitt. Diese Schwierigkeit ist schon oft von denjenigen em- pfunden worden, die sich mit dem Studium von Braunkolilenhölzern befaßten. J. Schmalhausen ') empfahl zum Erhalten brauchbarer Querschnitte, das Holz mehrere Tage in Gummilösung zu legen, zu der Glyzerin zugesetzt war. Es gelang ihm so einigermaßen, das Gewünschte zu erreichen, jedoch bemerkt er ausdrücklich, daß die erhaltenen Querschnitte „übrigens doch sehr leicht ausein- ander fielen." Die Schnitte wurden mit dem Rasiermesser hergestellt. Die Methode beansprucht offenbar ziemlich viel Zeit, zumal da das Trocknen der durchtränkten Stücke infolge der wasser- anziehenden Eigenschaften des Glyzerins sicher auch noch wieder einige Tage dauert. Eine andere Methode, die sicher gute Resultate liefert, wurde von R. Triebel'*) befolgt, der die Stücke mit Kanadabalsam durchtränkte , diesen erhärten ließ und dann Dünnschliffe davon her- ') Den oft gcfbrauchtcn Ausdruck Herbstholzzcllen ver- meide ich wegen seiner Inkonsequenz, da die letzten Zellen des Jahrringes im allgemeinen bereits im Spätsommer (Ende August) vom Kambium abgesondert werden (H u r g e r s t ei n ' s ,, Spätholz"). *) Tertiäre Pllanzen der Insel Neusibirien in Mcm. de l'Acad. Imper. des Sciences de St. Petcrsbourg 1890. Vll" Serie. T. X.X.WII. No. 5, p. 18. ') Siehe diese Zeitschrift 1889. Band IV', p. 245. Stellte. Die Notwendigkeit des Dünnschleifens allein schon macht diese Methode sehr zeitraubend und umständlich. Beide Verfahren habe ich darum nicht angewandt. Da ich vielfach Untersuchungen von Braun- kohlenhölzern auszuführen habe , so suchte ich schon lange nach einer anderen brauchbaren und schnell zum Ziel führenden Methode, und ich will nun im folgenden eine solche mitteilen, die mir bisher selbst in den verzweifeltsten Fällen die ausgezeichnetsten Dienste geleistet hat und zudem durch die Einfachheit der Anwendungsich empfiehlt. Man schneidet sich für die Untersuchung ein kleineres Stück von dem Holz ab, das natürlich wenigstens mehrere Jahrringe umfassen muß. Das Ende, von dem man den Querschnitt abzunehmen wünscht, taucht man einige Zeit (ca. 2 — 4 Minuten) in ab- soluten Alkohol, der es bald vollständig durch- tränkt, und stellt nun zunächst mit einem scharfen Messer eine glatte Schnittfläche her. Hierauf bringt man das Stück mit dem alkoholgetränkten Ende unmittelbar aus dem .Mkohol in geschmolzenes Bienenwachs und beläßt es längere Zeit (ca. 5 Mi- nuten) in diesem unter stetem, gelindem Weiter- erwärmen. Der Alkohol entweicht nebst der Luft unter Brausen aus dem Holz und dieses wird mit dem Wachs durchtränkt. Die Durchtränkung braucht nicht eine sehr tiefe zu sein, da man ja doch meist nur einige Schnitte von der Oberfläche abnimmt. Man stellt nun das Erhitzen ein und läßt das Holz in dem Wachs erkalten; erst sobald dieses so fest geworden ist, daß beim Heraus- nehmen des Holzes eine dünne Wachsschicht daran haften bleibt (also ungefähr bei Butterweiche), darf man es herausnehmen. Nach kurzer weiterer Ab- kühlung ist das Holz schnittfertig (die ganze Prozedur erfordert also nur ca. 1 5 Minuten). Man nimmt mit dem Rasiermesser ohne weitere Be- feuchtung die gewünschten Schnitte ab; dieselben rollen sich zwar ziemlich stark, doch gleicht man dies beim Aufbewahren des Präparats aus. Man bringt die Schnitte auf dem Objektträger in Glyzerin, dem man etwas Alkohol zusetzt; den Rest der Aufrollung beseitigt man durch An- drücken des Deckglases. Auf diese Weise erhält man sehr leicht Quer- schnitte, die sich über mehrere Jahrringe erstrecken und deren Beurteilung in ausreichendem Maße er- lauben. Selbst bei Hölzern, bei denen die Zellen bis zur Unkenntlichkeit zerstört sind, hält das ge- schmeidige Wachs das Ganze in genügender Weise zusammen, man darf nur das Holz nicht zu früh aus dem Wachs herausnehmen. Ist die Zerstörung des Holzes so stark, daß auch nach gewöhnlicher Methode keine Radial- und Tangentialschnitte mehr erhalten werden können, so ist man auch für diese auf diese Methode angewiesen. Es mag noch hinzugefügt werden, daß diese auch bei der Untersuchung rezenter, in stark vermodertem Zu- stande befindlicher Hölzer dieselben guten Dienste leistet. Walter Gothan. 576 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 36 Bücherbesprechungen. Prof. Dr. Friedr. Dahl, Kurze Anleitung zum wissenschaftlichen Sammeln und zum Konservieren von Tieren, mit 17 Abb. im Text, Jena, G. Fischer, 1904, 59 Seiten. — Preis I Mk. Die kleine Schrift verfolgt den Zweck, dem Natur- freunde und Forscher in möglichster Kürze das für ein wissenschaftliches Sammeln Unentbehrliche zu bieten. Ganz besonders wichtig erschien eine über- sichtliche Darstellung der Fundorte der verschiedenen Tiere, mit andern Worten , eine Übersicht der zahl- reichen Lebensgemeinschaften oder Biokönosen, da die Berücksichtigung der Fundorte bei einem gründlichen Sammeln unbedingt erforderlich ist. Eine eingehende Übersicht derselben war um so mehr erwünscht, da selbst umfangreiche Sammelanleitungen diesen wich- tigen Punkt völlig vernachlässigen. In zweiter Linie wird gezeigt, wie und mit welchen Geräten Tiere der verschiedenen Gruppen an den genannten Ortlich- keiten erbeutet werden können. An dritter Stelle gelangen dann die Präparations- und Konservierungs- methoden zur Besprechung. — Um den Umfang des Buches nicht zu sehr anschwellen zu lassen, sind nur diejenigen Geräte und Methoden genannt , welche dem Verfasser bei seiner langjährigen Sammeltätigkeit teils in Deutschland, teils auf Reisen in den Tropen als die brauchbarsten erschienen. Die Schrift dürfte nicht nur dem Sammler, sondern auch dem Lehrer, der bei seinen Exkursionen dem Schüler möglichst Verschiedenartiges zeigen will , ein geeigneter Leit- faden sein. Dahl. Max Eyth, Im Strom unserer Zeit. Aus Briefen eines Ingenieurs, i. Band: Lehrjahre. 3. neu bearb. Aufl. des Wanderbuchs eines Ingenieurs. — Preis 5 Mk. — 2. Band: Wan derjahre. 3. neu bearb. Auti. des Wanderbuchs eines Ingenieurs. — Preis 5 Mk. Carl Winters Universitätsbuchhand- lung Heidelberg. 1904. Das angenehm lesbare Werk ist mit schwarzen und farbigen Bildern nach Zeichnungen des Verfassers geschmückt. Schon 1869 ist das „Wanderbuch eines Ingenieurs" erschienen, dessen Neubearbeitung das vor- liegende Werk ist. Es hat nicht nur geschichtliches Interesse, da das frisch, von einem kenntnisreichen Mann mit offenem und weitem Blick geschriebene Werk nicht allein eine Anschauung von dem Werden der deutschen Technik gibt, sondern auch auf Vieles auf interessanten Reisen Begegnende an- regend einzugehen versteht. Verfasser selbst nennt seine Aufzeichnungen ein „Stimmungsbild", „eine Aus- wahl von Skizzen aus seinem Wanderbuch". G. Coym, Geometrie der Ebene. 2 Teile. 67 -f- 62 Seiten. Leipzig, 1903/4. F. Schneider. — Preis geb. je i Mk. Der Verf beabsichtigt, in der vorliegenden Schrift ein Hilfsmittel zu bieten, um Volksschüler in einem zweijährigen Lehrkursus mit den wichtigsten plani- metrischen Tatsachen bekannt zu machen und sie zu einiger Fertigkeit im Konstruieren zu bringen. Im ersten Teil, dem Anschauungskursus, werden keine Beweise gegeben , die Eigenschaften der Dreiecke und Vierecke werden vielmehr durch Messung an selbstkonstruierten Figuren ermittelt , wie man dies wohl allgemein im vorbereitenden, den Gebrauch von Zirkel und Lineal einübenden Lehrgang tut. Der zweite Teil beginnt mit den Kongruenzsätzen und leitet daraus die wichtigsten Eigenschaften der Drei- ecke und Vierecke, sowie einiges vom Kreise in kurzen Beweisen ab. Die sehr zahlreichen Figuren sind über- aus klar und lassen alle Hilfsbögen etc. deutlich er- kennen. Im Interesse der logischen Schulung muß allerdings bedauert werden, daß die scharfe Hervor- hebung der Voraussetzung und Behauptung vermißt wird, wie denn überhaupt der strenge Aufbau des mathematischen Wissens nach dem althergebrachten Verfahren bei systematischem Unterricht sicherlich jedem Experimentieren mit neuen Methoden vorzu- ziehen sein dürfte. F. Kbr. Dr. E. Dennert, Das chemische Praktikum. 2. Aufl. 58 Seiten mit Schreibpapier durchschossen. Hamburg und Leipzig, L. Voß, 1903. — Preis geb. I Mk. Der Leitfaden enthält kurzgefaßte Anweisungen zu chemischen Schülerversuchen und hat sich bei den praktischen Übungen am Pädagogium in Godesberg seit einer Reihe von Jahren trefflich bewährt. In drei Jahreskursen sollen die Übungen bei wöchent- lich I — 2 Stunden leicht zu absolvieren sein. Der erste Kursus gibt in 135 Versuchen die übliche pro- pädeutische , allgemeine Orientierung. Der zweite Kursus bereitet durch die Vorführung der Erkennungs- reaktionen auf die (jualitative Analyse einfacher Ver- bindungen vor, die den Gegenstand des dritten Kursus bildet. Die Versuche sind nach Angabe des Verf. sämtlich mit den einfachsten Mitteln ohne Gefahr ausführbar. Beim Selbstunterricht ist die nebenher- gehende Benutzung eines methodischen Lehrbuchs nötig; Verf. lehnt sich an die bekannten Arendt'schen Leitfäden an. Kbr. Literatur. Schlesinger, Prof. Dr. Ludw. : Einführung in die Theorie der Ditfcrenüalglcichungen m. e. unabhängigen Variabcln. 2., rev. .\ufl. (320 S.) 8". Leipzig '04, G. J. Göschen. — Geb. in Lcinw. 8 Ml;. Inhalt: Dr. Karl CamiUo Schneider: Die Entstehung der Gliederung des Tierkörpers. (.Schluj3.) — Kleinere Mitteilungen: S. P. Langley und F. A. Lucas: Größtes fliegendes Lebewesen. — B. Schröder; Über den Schleim und seine biologische Bedeutung. — Hennings: Über leuchtende Hutpilze. — Karl Burckhardt: Das Problem früheren Landzusammenh.angcs auf der südlichen Erdhälfte. — Hübner: Neuerdings in der Sah.ara gefundene Nitrat- lager. — W. Gothan: Über die Präparation von Braunkohlenhölzcrn zur mikroskopischen Untersuchung. — Bücher- besprechungen: Prof. Dr. Friedr. Dahl: Kurze Anleitung zum wissenschaftlichen Sammeln und zum Konservieren von Tieren. — Max Eyth: Im Strom unserer Zeit. — G. Coym: Geometrie der Ebene. — Dr. E. Dennert: Das chemische Praktikum. — Literatur: Liste. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,t)ie NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge 111. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 12. Juni 1904. Nr. 37. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg- extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate : Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei gröl3ercii Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Goblis, Bluraenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Das Mammut in der Vergangenheit Sibiriens. Vortrag, gehalten im Verein für Erdkunde zu Dresden am 28. Februar 1902. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Richard Pohle. Wenn ich in dieser Besprechung den Versuch mache, das Wichtigste aus unserem jetzigen Stande der Kenntnis über ein ausgestorbenes Riesensäuge- tier in Sibirien mitzuteilen, so geschieht dasein der Überzeugung, daß der Schleier des Rätsel- haften, der solange über der Mammutfrage hin- gebreitet war, heute geschwimden ist. Es existiert in der Tat eine gewaltige Literatur über dieses eine Tier; es hat eine ganze Zeitlang die Gemüter osteuropäischer Gelehrten gewaltig erregt. Viel Papier und Druckerschwärze sind verbraucht und die widersprechendsten Hypothesen darüber aufgestellt worden, in welcher Weise eine Elefantenart in die eisigen Gefilde Nordsibiriens gelangt sein könnte. Wenn wir die Mammutfrage jetzt als in ihrem Kerne gelöst betrachten können, so ist das eine Eolgeerscheinung der Fortschritte hauptsächlich der Geologie und Pflanzengeographie; nicht zum wenigsten fällt dabei ins Gewicht, daß die in Europa bei intensivem Studium des Glazialphä- nomens der jüngst vergangenen Erdperiode ge- wonnenen Gesichtspunkte in folgerichtiger Weise bei der Erforschung des nördlichen Sibiriens zur Anwendung kamen. Und so verdanken wir denn jenen Forschern, die, versehen mit umfassender naturwissenschaftlicher Schulung, in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts unter Müh- salen und Strapazen, zuweilen in Lebensgefahr die Lagerstätten ausgestorbener diluvialer Säugetiere untersuchten, Licht und Aufklärung über die Exi- stenzbedingungen der gigantischen Dickhäuter. Von der ganzen Frage liefert eigentlich nur noch der zoologische Teil Probleme; nach dieser Seite hin ist sie der weiteren Aufklärung bedürftig. Es kann sich also noch darum handeln , genauere Kenntnis über die Einzelheiten der äußeren und inneren Organisation der Mammute zu erlangen ; mit dem Fortschritte der Kultur in Sibirien, mit der Vervollkommnung des Transport- und Nach- richtenwesens werden sich in Zukunft Mitteilungen über Funde wohlerhaltener Kadaver leichter den Zentren der Wissenschaft übermitteln lassen; ent- sprechend leichter werden die mit der Bergung beauftragten Gelehrten ihre Beute in Sicherheit bringen können. 578 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 3; Zum Schlüsse dieser einleitenden Worte wollen wir daran erinnern, daß uns unser Thema gerade jetzt recht zeitgemäß erscheint, wo in allen Tage- blättern davon die Rede ist, daß es Otto Herz, Konservator des zoologischen Museums der Aka- demie in Petersburg, gelungen, ein zum größten Teile wohlerhaltenes Exemplar in Ostsibirien zum Transport nach Petersburg abzufertigen.') Wir werden am Ende des Vortrages noch einmal auf diesen Gegenstand eingehen; nur wollen wir nicht unterlassen , schon hier zu betonen , wie dieser neueste und vollständigste Fund die bisher müh- selig gewonnenen grundlegenden Anschauungen in der Mammutfrage mit einem Schlage aufs glän- zendste bestätigt. Es sei uns nun gestattet, einiges Feststehende über die ,, Person" des Mammut zu sagen — und es dürfte erlaubt sein, sich dieses Ausdruckes bei einem so ,, berühmten großen Tiere" zu bedienen — denn es ist uns ja besser als irgend ein anderes ausgestorbenes Tier in historischer Treue als Eis- mumie durch Jahrtausende im Eisboden Sibiriens überliefert. In dieser „ewig gefrorenen" Erde er- scheinen die Kadaver, wenn sie bloßgelegt werden, so frisch erhalten, daß das Fleisch noch blutet, dann aber, wie stets gefroren gewesenes Fleisch, schnell in Fäulnis übergeht. Weithin verpestet der Verwesungsgeruch die Luft und lockt Eisbären, Wölfe, Füchse und X^ielfraße zum leckeren Mahle an reich gedecktem Tische. Das Mammut, Elephas primigenius Blumb., lebte in der Postpliocänzeit oder Diluvialperiode — auch Quartär- oder Eiszeit genannt — als wanderndes Herdentier weitverbreitet über Nord- und Mittel- europa, Sibirien, Nordwestamerika. (Pliocän, von pleion = mehr und kainos = neu, = jüngster Ab- schnitt der Tertiärzeit. Postpliocän = Posttertiär ^= Quartär.) Wir wissen, dal3 es damals zusammen mit dem Ren ebensowohl an der Stelle des heutigen Zürich, wie auf den jetzigen neusibirischen Inseln, wie auch auf Alaska am Fuße der Gletscher seiner Nahrung nachging — eine Elefantenart, versehen mit einer dicken subkutanen Fettschicht und dichtem Pelze, angepaßt einem kalten Klima und imstande, Ouecksilbergefrierfröste zu ertragen. Dem indischen Elefanten nahe verwandt, unterscheidet sich das Mammut durch bedeutendere Größenverhältnisse.Be- haarung, stark gewundene Stoßzähne und schmälere Schmelzjoche der Backenzähne. Die Behaarung, von rostbrauner bis beinahe schwarzer Farbe, be- stand in 5 bis 10 cm langem Wollhaar, sowie in Borsten, stärker als Roßhaar, die Fußlänge und noch mehr erreichten. Von der Schulter wallte eine lange Mähne herab. Die Stoßzähne wurden 10 bis 15 Fuß lang bei einem Gewichte bis zu 250 Pfund. Auch über die Nahrung können wir uns ein Bild machen. Die bisher in Zahnhöhlen und in den F"alten der Backenzähne gefundenen ') Wie bekannt sein dürfte, ist das Mammut bereits seil einiger Zeit am Bestimmungsort eingetroffen und man ist eifrig beschäftigt, die einzelnen Teile zu präparieren. Speisereste sind von Brandt und Tscherski mikro- skopisch untersucht worden. (Joh. Friedr. v. Brandt, Zoologe, Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Petersburg, gestorben daselbst 1879. — J. D. Tscherski, Geologe, machte viele Reisen in Sibirien, gestorben 1892 auf einer Reise in Ostsibirien.) Es waren Zweige von Nadelhölzern, hauptsächlich Lärchen, ferner von Birken, Ellern und Weiden. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß das Mammut etwa in der Art wie der Elch in der Hauptsache im Sommer von saftigem Laube, im Winter von Zweigen und Rinde der erwähnten Hölzer äste. Wenn nun auch bis in die neueste Zeit in Nordsibirien Naturforscher fast immer zu spät kamen, wo es sich um die Rettung wohl- erhaltener Tiere handelte, so liegt dieses in der Natur und Kultur des Landes begründet. Von nomadisierenden Wilden dünn bevölkert, bietet es in seinen ungeheuren Sümpfen und Einöden, in seinen Gebirgen zu viele Verkehrshindernisse. Wenn dennoch eine verhältnismäßig große Zahl von Mammutfunden vorliegt — im Vergleich zu den anderen diluvialen Säugern — so ist der Grund in dem Umstände zu suchen, daß das Elfenbein eine so wichtige Handelsware bildet. Man nimmt nämlich an, daß in den letzten zwei Jahrhunderten durchschnittlich im Jahre die Stoßzähne von 200 Individuen auf den Markt gelangten. Es wird nun meine Aufgabe sein, des weiteren die wichtigsten Funde mit den daran geknüpften Schlußfolgerungen in chronologischer Reihenfolge bekannt zu geben. Zuvor muß ich aber noch kurz abschweifen, in- dem ich einige notwendige Erläuterungen über den Terminus Eisboden mitteile. Unter Eisboden versteht man den bis zu einer gewissen Tiefe gefrorenen Boden , der auch im Sommer gefroren bleibt. Die Tiefe der gefrorenen Schicht ist verschieden und dürfte lOO m kaum überschreiten ; das Maß des Auftauens an der Oberfläche im Sommer ist einerseits von der Sommerwärme und deren Dauer, andererseits von der Bodenbeschaffenheit abhängig. Sand erwärmt sich am meisten , Torf sehr wenig (kaum über 20 cm Tiefe). In Beresow am Ob wird das Erd- reich im Mittel i bis l '/a m tief erweicht , in Jakutsk höchstens einen Meter. Die Südgrenze des Eisbodens in Europa und Sibirien bildet eine gebrochene Linie; sie beginnt — von Westen nach Osten gerechnet — bei Mesen in der Provinz Archangel und senkt sich allmählich nach Südost, erreicht nach mehrmaligem Auf und Nieder ihren tiefsten Stand östlich vom Baikalsee unter 47 Grad nördlicher Breite und erhebt sich sodann in nord- östlicher Richtung, bis sie die Küste des ochots- kischen Meeres in der Bucht von Ajan (57 Grad nördlicher Breite) trifift. Im Jahre 1799 entdeckte ein Tunguse an der Küste des Eismeeres, östlich vom Lenadelta, auf der Halbinsel Bj'kow unter 72 Grad nördlicher Breite und 130 Grad östlicher Länge ein mit Haut und Haaren und allen Weichteilen erhaltenes Mammut. Erst 7 Jahre später, 1806, konnte man N. F. m. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 579 zu seiner Bergung schreiten. Als die Akademie in Petersburg den Naturforscher Adams, Professor der Botanik, zu diesem Zweck an die Lenamündung sandte, traf derselbe allerdings einen schon arg verstümmelten Körper an ; die Jakuten hatten ihre Hunde mit dem Fleische gefüttert und Raubtiere waren über den Kadaver hergefallen. Es war ein männliches Exemplar mit langer Mähne. Der Kopf war noch mit trockener Haut bedeckt; ein Ohr, die Augen und das Gehirn zeigten sich er- halten; die Füße konnten noch ihre Sohlen auf- weisen. Drei Viertel von der Haut des Leibes, mit rötlichen Haaren und schwarzen Borsten be- setzt, wurden nach Petersburg gebracht, doch gingen auf der langen Reise alle Haare verloren. Zum Glück war das Skelett bis auf den einen Vorderfuß vollständig vorhanden. Es ist im zoo- logischen Museum in Petersburg aufgestellt. Mit seinen riesenhaften Dimensionen erfüllt es den Be- schauer mit Bewunderung und andächtigem Staunen. Adams Beute lag, 60 Schritte vom Meere ent- fernt, inmitten gefrorener Lehmschichten, die wiederum von mächtigen Eisblöcken umgeben waren. Die Schlüsse, die er selbst aus seinen Untersuchungen gezogen hat, sind nun folgende: Die Eisblöcke entstammten seiner Ansicht nach dem Meere und das Mammut sollte von den Wogen auf das Eis hinaufgespült sein, nachdem eine den ganzen Norden beherrschende Flut den Untergang des Tieres verursacht und den Körper nach langem Hin- und Hertreiben an der Küste der Halbinsel Bykow zum Stranden gebracht hatte. Dabei machte ihn allerdings die Behaarung stutzig. Folgerichtig schloß er aus derselben, daß die Tiere auch im Norden gelebt haben könnten, doch war er seiner Sache nicht sicher und konnte zu keiner fest ab- gegrenzten Meinung gelangen. Die vorstehende Deutung des Falles kann uns nicht weiter wundernehmen; sie entspricht eben völlig dem damaligen Stande der Naturwissen- schaften. Leider aber war der Bericht über die tatsächlichen Verhältnisse der Lagerung, das Bild von der Stratigraphie der Schichten und Hori- zonte sehr unklar gehalten; er trug dem Bericht- erstatter lebhaften Tadel ein und dessen Prestige hat in der Folge sehr gelitten. Auf Grund des Berichtes entspann sich ein hitziger Streit der Meinungen, besonders inmitten der Glieder der Akademie der Wissenschaften in Petersburg. Der Kampf hat Jahrzehnte hindurch fortgedauert und Männer wie Karl Ernst von Baer und Middendorft haben großen Anteil an demselben genommen. Eine Klärung in der Frage der Lagerung hat aber erst die neuere Zeit gebracht. Nachdem Dr. Bunge 1883 die Halbinsel Bykow einer genaueren Be- obachtung unterworfen hatte, konnte Baron Toll an der Hand von dessen Schilderung endlich in entscheidender Weise aussprechen, daß jene Eis- blöcke Steineis, und zwar fossile Gletscher seien. Den Terminus Steineis, das ist fossiles Eis als Felsenmasse, hat Toll in die Wissenschaft ein- geführt. Wir werden später noch mehrfach der fossilen Gletschergebilde zu erwähnen haben. (K. E. V. Baer, Zoologe mit umfassenden Kennt- nissen und weitem Blick für die gesamte Natur- wissenschaft. Professor der Zootomie und Mit- glied der Akademie der Wissenschaften in Peters- burg, der bedeutendste Naturforscher Rußlands; gestorben 1876 zu Dorpat. A. Th. von Middendorft' Dr. med., Zoologe, Mitglied der Akademie in Petersburg; berühmter Sibirienreisender, Verfasser eines grundlegenden Reisewerkes über Natur und Bevölkerung von Nord- und Ostsibirien; gestorben 1894 in Nord- livland. Alexander Bunge, Dr. med., Marinestabs- arzt in Kronstadt, reiste im polaren Sibirien und nahm teil an mehreren Expeditionen nach Spitz- bergen. 1882 bis 1884 stationiert als wissenschaft- licher Beobachter zu Sagastyr im Lenadelta. Baron Eduard Toll, Geologe, machte mehrere Reisen im polaren Sibirien, befindet sich zurzeit als Leiter einer Polarexpedition an der Küste von Nordsibirien.) An dem Gedanken, daß die Kadaver auf dem Wasser nach Nordsibirien transportiert seien, hat man noch lange festgehalten, bis Friedrich Schmidt (Geologe und Botaniker, Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Petersburg) ihm zu Anfang der siebziger Jahre ein P^nde bereitete. Midden- dorff's Anschauung ging z. B. dahin , daß die Mammute die sibirischen Ströme hinabgeschifft und im Mündungsgebiete an sekundärer Lager- stätte eingeschwemmt worden wären. In der Tat waren die Reste, die er auf seiner großen Reise im Taimyrlande gesehen hatte, durch Wasser eine Strecke weit fortgebracht worden ; sie lagen auch an einer Stelle, die früher Meeresboden gewesen war, denn das Eismeer hat sich im älteren Quartär weit ins Land hinein erstreckt. Nun hatte man in der Zeit, als Middendorff jener Ansicht Raum gab, noch keinen positiven Nachweis über die Veränderung der nordischen Flora seit der jüngst vergangenen Erdperiode, aus der die Möglichkeit der Ernährung der Mammute im Hochnorden hätte begründet werden können. Auch war damals die Kenntnis des Landes östlich der Lena allzu gering. Die „Schwemmtheorie" konnte überhaupt nur für die F'lußgebiete des Jenissei, der Anabara, Chatanga und Lena geltend gemacht werden, die teils nach Süden, teils nach Südwesten offen sind; das Gebiet der Jana hin- gegen ist im Westen, Süden und Osten von hohen Gebirgen abgeschlossen und die weiter östlich dem Eismeere zufließenden Ströme wie Chroma, Indigirka, Alaseja, Kolyma, sind im Süden von Gebirgen begrenzt. Im Februar des Jahres 1866 sandte die Aka- demie in Petersburg den Mag. Fr. Schmidt in das untere Jenisseiland, wo ein Kadaver in der Gyda- tundra am Nelgatosee unter 707.1 Grad nördlicher Breite liegen sollte. Schmidt fand nur noch Reste vor, aber jedenfalls in ursprünglicher Lagerung. Der größte Teil des Körpers war bereits aus der 5 So Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 37 Wand einer Schlucht in den See gestürzt. Es konnten jedoch die Knochen eines Vorderbeines, ein Schulterblatt, ein Unterkiefer und mehrere Hautfetzen gehoben werden, zudem eine so große Menge Haare, daß man, nach dem Bericht, alle europäischen Museen damit hätte versorgen können. Die Knochen waren in vortrefiflichem Erhaltungs- zustande und wie frisch, stellenweise noch mit Spuren von Bändern versehen. Das Lager war nun so beschaffen, daß zu unterst mariner Ton mit arktischen Meermuscheln (Yoldia arctica z. B.) die Sohle bildete, auf der Süßwasserablagerungen, bestehend aus sandigem Lehm mit den Knochen- und Vegetationsresten, Wurzeln der Lärche (Larix sibirica), Zweigen der Zwergbirke (Betula nana), von Weidenarten, Wassermoose (Hypnum), ab- gesetzt waren. Schmidt sprach auf Grund sehr genauer stratigraphischer Untersuchungen und einer guten Kenntnis der Umgebung seine Meinung dahin aus, daß der Körper in schon ziemlich auf- gelöstem Zustande am Ufer eines Tundrasees ge- legen habe und dort mit Sand, Lehm und Vege- tationsresten eingeschwemmt worden sei, und zwar durch eines der kleinen in den Tundrasee mün- denden Rinnsale. Ein Transport durch L'lüsse war ausgeschlossen, weil der See von allen Seiten mit marinen Ablagerungen, die die Höhe der Tundra einnehmen, umgeben ist, während die mit Mammut- resten versehenen Süßwasserschichten in Einsen- kungen auftreten. Wenn wir nun noch hinzufügen, daß Schmidt untrügliche Beweise dafür erbrachte, daß der Nelgato früher noch innerhalb der Wald- grenze belegen war (durch Auffinden von Stämmen der Fichte, Picea excelsa Link, mit Zapfen in den Mooren der Tundra u. a. Anzeichen), so verstehen wir vollkommen, daß er seine Folgerungen nur so aussprechen konnte, wie ich sie im Wortlaute — aus den Denkschriften d. Akad. d. Wiss. VII. Serie, Teil XVIII, Nr. i. Petersburg 1872 — hier an- führe: „Ich nehme an, daß bei solchen günstigen Verhältnissen die Mammute, wenn nicht ständig im hohen Norden lebten, so doch sommerliche Wanderungen dahin unternahmen, wie noch jetzt die Rentiere, und ich glaube, daß in solchem Falle neben den Nadelhölzern die saftigen Weiden- gebüsche an den See- und Flußufern ihnen eine zusagende Nahrung geboten haben . . ." „Die Ansicht, daß das Mammut wirklich im Norden gelebt habe, wird noch bestärkt dadurch, daß wir wissen, daß vielfach Knochen, namentlich Hörner, vom Bison und Moschusochsen unter gleichen Umständen in Nordsibirien gefunden wurden, wie Mammutstoßzähne" . . . „Ob die Mammute in früherer Zeit wirklich bis auf die neusibirischen Inseln vorgedrungen sind, das kann nur eine er- neute Lokaluntersuchung nachweisen. Finden sich auch dort Spuren einer Baum- und Strauchvege- tation und zugleich vollständige Skelette unter ähnlichen Umständen, wie das meinige, so müßten wir wahrscheinlich eine frühere Verbindung dieser Inseln mit dem Festlande annehmen, und die Mammute sind dann bis auf die jetzigen Inseln vorgedrungen." Seine in den beiden letzten Sätzen zitierten Vermutungen sind durch die Resultate der Reise von Bunge und Toll in den Jahren 1885 und 1886 Wort für Wort bestätigt worden. Wir wenden uns nun zu dem östlich der Lena liegenden Teile von Nordsibirien und betrachten zunächst einige Untersuchungen, die Toll im Jana- lande ausführen konnte. Und zwar handelt es sich im ersteren Falle um die Lagerstätte eines Nashornes, Rhinoceros tichorhinus, das, gleichfalls behaart, in Sibirien als steter Begleiter des Mammut auftritt. Das Nashorn wurde 1877 im Bassin des Bytantei, eines linken Nebenflusses der Jana, am Ufer eines kleinen Zuflusses Chalbui, etwa unter 68^/., Grad nördlicher Breite von Jakuten entdeckt. Während der Rumpf liegen blieb, um, leider!, von den Frühjahrsfluten des folgenden Jahres fort- geschwemmt zu werden, wurde der Kopf von den Findern abgehauen und blieb der Wissenschaft erhalten. Dieser Kopf weist noch vollständige Behaarung auf; die Farbe ist rotbraun und weiß gescheckt. Eine Abbildung desselben ist in mehreren populären Werken, u. a. in Neumayr's Erdgeschichte (II. Band), wiedergegeben. Das Lager wurde von Toll im Jahre 1885 auf die Schichtenfolge und Zusammensetzung der einschlemmenden Substanzen genau untersucht, indem ein Augenzeuge, der Sohn des Entdeckers, den Führer machte. Es konnte zuverlässig festgestellt werden , daß der Kadaver auf dem Eise eines „Aufeistales" gelegen hatte und sodann von wechsellagernden sandigen Allu- vionen und Eisschichten eingehüllt worden war. Auch in dem zweiten Falle, von dem uns Toll Kunde gibt, handelt es sich bei der Lagerung um ein Aufeistal (von den Eistalbildungen Sibiriens wird später noch die Rede sein). Der Fundort liegt, östlich von der Jana, im Bereich des Tschen- doksystemes, das nach Süden durch ein von meso- zoischen (der Triasformation angehörigen) Schichten aufgebautes Gebirge abgeschlossen ist. Die Lokali- tät, wo 23 Jahre vor der Besichtigung ein alter Tunguse ein Paar Mammutstoßzähne mit einem Teile des wohlerhaltenen Kopfes aus dem ge- frorenen Erdreich hervorragen sah, wird von Allu- vionen des Flüßchens Bor-üräch gebildet. Hier ließ Toll nachgraben, und es gelang ihm, eine Anzahl von Knochen in so frischem Zustande zutage zu fördern, daß die erhaltenen Sehnenfasern den Appetit eines arbeitenden Lamuten beständig reizten. Dieser konnte sich nicht enthalten, ab und zu daran zu naschen, wie denn überhaupt bei allen nordasiatischen Völkern rohe Sehnen, nament- lich vom Rentier, zu den gesuchtesten Lecker- bissen gehören. Außer den Knochen waren Haare und vertrocknete Fleischreste in der Uferböschung eingebettet. Sie lagen innerhalb von Schichten, die aus Sand, Lehm und dünnen Eislagen zusamm.en- gesetzt waren. Das Mammut war, so sagt Toll, auf die Eisdecke eines Eistales zu liegen gekommen und dann durch Hochwasser in gefrierende Sand- und Lehmmassen eingeschlemmt worden. Als interessanteste und wissenschaftlich wich- N. F. m. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 581 tigste Fundstätte der Reste diluvialer Säugetiere ist nun die unter dem Namen Neusibirien be- kannte, im Norden des Janalandes gelegene Insel- gruppe hervorzuheben. Und wir wollen gleich, weil sie zu dem wertvollen Material die reichste Ausbeute') geliefert hat, die südlichste der Inseln, GroßLjächow, in allererster Linie nennen. In dem Berichte des Landmessergehilfen Chwoinow aus Jakutsk, der 1775 mit der Aufnahme einer Karte der Insel beauftragt war, heißt es: ,,Die ganze Insel besteht, drei bis vier unbedeutende Fels- massen ausgenommen, aus Sand und Eis, und sowie die Sonne das Eis an den Küsten auftaut, entdeckt man Mammutknochen in Menge". Die in diesen wenigen Worten enthaltenen wahrheits- getreuen Angaben nach den Forschungsresultaten der beiden Reisenden näher auszuführen, wird nun unsere Aufgabe sein. In der Tat wußte man bis zum Jahre 1886 wenig mehr über Neusibirien zu sagen, als daß dort Mammulstoßzähne und Knochen in Menge zu finden seien. Diese Nachricht konnte man Jahr für Jahr von den professionellen Elfenbein- sammlern, meist Jakuten, bestätigen hören. Die Reisenden beobachteten nun auf der großen Ljächow- Insel ganz kolossale Eismassen von einer Mächtig- keit, wie man sie weder vorher noch nachher in Sibirien gesehen hat. Besonders an der Süd- küste hatte die Erosion des Meeres schöne Profile biosgelegt; dort stiegen Eiswände senkrecht empor, stellenweise bis zu 70 Fuß Höhe anwachsend. Von dieser homogenen Eismasse konnte leider das Liegende, d. h. die darunter befindliche ältere Schichtenfolge, nicht beobachtet werden, weil von oben hinabstürzende Erdmassen sich unten an- böschen und die Sohle verbergen. Das Hangende jedoch, nämlich die überlagernden jüngeren Schich- ten, bestand aus gefrorenen Süßwasserablagerungen, Sanden, Lehmen und dünnen Eisschichten, nach oben durch eine dünne Torflage und die jetzige Vegetationsdecke abgeschlossen. Dieser obere Horizont überdeckt nicht nur das Eis, sondern füllt auch die Spalten, Klüfte und Höhlungen im Eise aus. Er ist reichlich durchsetzt mit vege- tabilischen und animalischen Resten von Flora und Fauna der jüngeren Ouartärzeit. Im Laufe des Sommers tauen die Profile teilweise ab, P>dmassen fallen von oben hinunter oder fließen als dicker Brei, einem Lavastrome gleich, dem Meere zu und Bäche von Schmelzwasser spülen sie weiter. Zu- weilen ist intensiver Fäulnisgeruch bemerkbar, es treten nicht nur Knochen und Elfenbein, sondern auch Weichteile quartärer Säugetiere zutage. Tritt nun bei Ostwind niedriger Wasserstand ein , so kommt der Meeresboden in großer Ausdehnung zum Vorschein und die Elfenbeinsammler halten reiche Ernte. Diese fällt noch ganz besonders gut aus, wenn sich das Meer in einem günstigen ') Die von Bunge und Toll von der Lenamündung, dem Janalande und den neusibirischen Inseln heimgebrachte Samm- lung, bestehend in Schädeln, Knochen, Hörnern, Haaren, Haut- fragmenten und Weichteilen, zählt 2518 Nummern. Sommer ganz vom Eise befreit und einem niedrigen Wasserstande bei Ostwind ein hoher Stand bei Westwind und starkem Wellengang vorangegaogen ist, der den Einsturz der Ufer beschleijnigt und die Knochen auswäscht. Baron Toll gelangte sehr bald zu der Über- zeugung, daß es sich bei den Eismassen der Ljächow Insel nur um eine Äußerung des glacialen Phänomens handeln konnte. Und tatsächlich ist bis jetzt kein P^all beobachtet worden, der in so klarer Weise Zeugnis für eine ehemalige Ver- gletscherung eines Teiles von Nordsibirien ablegen konnte, wie jene hohen Eiswände. Es sind Stein- eismassen, tote Gletscher, Reste einer Decke von Inlandeis, die durch überlagernde Erdschichten vor schnellem .Abschinelzen bewahrt werden. Doch noch weiter führen uns die Berichte der Expedition. In dem gefrorenen Erdreich, das, aus süßem Wasser abgelagert, Spalten und Hohlräume des alten Gletschers anfüllt, fand man mit Süß- wasserkonchylien und den Überbleibseln der großen Säuger auch Reste von Birken, Weiden und Ellern. Und zwar ist von besonderem Werte die sibirische Grünerle, Alnaster fruticosus Ledb., ein Hoch- strauch, der von Westgrönland über Nordamerika durch das nördliche Sibirien bis an das Ostufer des weißen Meeres verbreitet, in den Alpen durch eine sehr nahe verwandte Art, Alnus viridis DC, vertreten ist. Während letztere einen niederen Strauch vorstellt, erreicht die sibirische Art in ihrem Bereich normalen Wachstums über 6 m Höhe. Und Exemplare v-on dieser Größe fand Toll auf den neusibirischen Inseln fossil, aber mit Wurzeln und Früchten völlig erhalten — als un- abweisbare Zeugen einer früheren reicheren Vege- tation über den Gletschern, wo heute nur arktische Pflanzen mit Mühe dem rauhen Klima stand halten, wo von strauchartigen Gewächsen nur Zwergbirken und arktische Weiden, auf dem Boden hinkriechend, kümmerlich gedeihen. Die sibirische Grünerle aber erreicht ihre Nordgrenze zurzeit unter 70 Grad nördlicher Breite, also um vier Breitengrade süd- licher als in der Mammutzeit, wo sie im Bereiche der Gletscher in dichten Buschwaldungen die jetzt verödete Natur Neusibiriens belebte. Daß eine üppige Vegetation über dem Gletschereise vor- handen war, braucht uns nicht in Erstaunen zu setzen. Dafür finden sich in jetziger Zeit lebende Beispiele in Alaska. So gibt es , um nur eins herauszuheben, in der Umgebung des Kotzebue- Sundes am Kowak River (ungefähr 66 Grad nörd- licher Breite) „Eisklippen", d. h. fossiles Eis, von 38 bis 46 m Höhe, mit 2 bis 3 m Erde bedeckt und reich bewachsen mit Büschen und hoch- stämmigen VValdbäumen. Wenn wir nun noch hinzufügen, daß als weiteres Resultat jener wichtigen Reisen unweigerlich an- zunehmen ist, daß eine Hebung Neusibiriens in der vergangenen jüngsten Epoche nicht zu ver- zeichnen, daß im Gegenteil der jetzige Archipelagus damals einen Teil des nordasiatischen Festlandes bildete, so haben wir damit die Bewahrheitung S82 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 37 der früher erwähnten Vorhersage Pr. Schmidt's ausdrückhch festgestellt. Und nun wollen wir gemäß den bisher auf- gezählten wichtigsten Tatsachen die notwendigen Schlußfolgerungen in einigen kurzen Sätzen zu- sammenfassen, in ähnlicher Weise wie das Baron Toll in seinem Werke: „Die fossilen Eislager und ihre Beziehungen zu den Mammutleichen" (Denk- schriften d. Akad. d. Wiss. VII. Serie, Teil XLII, Nr. 13. Petersburg 1895) getan hat. Das Mammut hat dort gelebt, wo seine Reste gefunden werden ; es ist infolge physikalisch-geographischer Verände- rungen seines Wohngebietes allmählich umge- kommen. Die Leichen der ohne Katastrophe zu- grunde gegangenen Tiere sind teils auf Fluß- terrassen (Aufeistäler 1), teils an Ufern von Seen oder auf Gletschern bei niedrigen Temperaturen aufgelagert und eingeschlemmt worden; ihre Eis- mumien konnten sich, dank der ausdauernden und zunehmenden Kälte, bis heute im gefrorenen Erd- reich erhalten. Das Mammut lebte in einem milderen Klima, so zwar, daß die Baumgrenze bis an die Küste des Eismeeres reichte und hohe Sträucher bis 74 Grad nördlicher Breite gedeihen konnten — und doch schon in einer Zeit des Eisbodens und der Aufeistäler. Von den wichtigeren Zeitgenossen des Mam- muts ist das behaarte Nashorn gleichfalls ausge- storben , der Moschusochse ist aus Sibirien ver- schwunden und in seinem Vorkommen auf Grinel- land und Teile Grönlands beschränkt, während das Ren noch große Flächen der nördlichen Hemi- sphäre bewohnt. Wir gehen nun dazu über, eine Beschreibung und Erklärung der Aufeistäler zu geben und folgen dabei in der Hauptsache der meisterhaften Schilde- rung in Middendorff's großem Werke über seine sibirische Reise. Aufeistäler kommen nur im Be- reiche des Eisbodens vor und es besteht eine ganz feste Relation insofern, als die Hauptbedingung zur Entstehung eine Bodentemperatur ist, die dem Gefrierpunkte nahe steht. Ferner ist strenge Winterkälte nötig, Quecksilber- Gefrierfröste und andauernde Wasserzufuhr, die voraussetzt, daß. der Fluß von im Winter offenen Quellen oder einem See gespeist wird. Wenn der Wasserzufluß unter der Eisdecke zu stark, oder aber der Abfluß zu sehr behindert ist (durch Grundeiswälle, ange- häufte Baumstämme, Felsenmassen), so wird das Eis zum Bersten gebracht oder es birst, indem ein Teil der Decke unter der Last angehäufter Schneemengen zusammenbricht. Dann breitet sich das Wasser über der Talsohle aus, gefriert und bildet eine neue Eisdecke, bedeckt sich wieder mit Aufwasser und gefriert wieder; auch Sand-, Lehm- und Grusschichten werden auf dem Eise abgesetzt. Es entstehen immer wieder offene Stellen und neue Eismassen, die Schichten über- höhen sich und eine jede dringt vom Flusse in horizontaler Richtung weiter landeinwärts. Durch breite .Spalten dringen Wasserströme an die Ober- fläche und ziehen als geschlängelte Bäche über die Eisdecke hin , in dem sie ihrerseits wieder Eis an ihren Ufern absetzen, dieselben verengen und erhöhen. Lagernde Schneemassen werden durch solche Bäche unter einer schnell sich bil- denden Kruste verhüllt und bleiben erhalten. Wenn schwächere Strahlen durch engere Spalten hinauf- gedrückt werden , so bilden sich um den Spalt Ringwülste, die allmählich zu wirklichen Eiskrateren auswachsen und dann Eishügel bis zu 2 m Höhe darstellen. Eine Möglichkeit der steten Berieselung gewähren Winterquellen, die namentlich an den Uferwänden im Gebirge hervortreten. Sie werden durch Schnee- und Eismassen vor der Einwirkung des Frostes geschützt, d. h. diesen F.isschutz bilden sie beim Hinausdringen kontinuierlich von selbst; es ist klar, daß sie Aufeis erzeugen müssen, wenn sie das Eistal beständig überrieseln. Middendorft sagt, er habe die Oberfläche mancher Eistäler stellenweise schlüpfrig gefunden bei Temperaturen, die vom Quecksilber-Thermometer nicht mehr an- gezeigt wurden. In der Weise wachsen die Eismassen zu immer größerer Mäciitigkeit an und greifen an manchen Stellen weit in die Wälder ein, so daß oft alte Nadelbäume tief im Eise stecken. Dieses zeigt natürlich große Ähnlichkeit mit geschichtetem Gestein; Schichten blauen, klaren Eises wechsel- lagern mit .Schnee, Sand, Lehm und Grus und Lagen körnigen, trüben Eises. Eistäler gedeihen nie zur Reife und kommen auch nie dazu, sich miteinander zu vereinigen, sondern sie sind in ihrer Erscheinung immer an eine bestimmte, passende Lokalität gebunden, wo gerade alle Entstehungsbedingungen erfüllt werden. Die meisten Aufeistäler verschwinden im Sommer; wo aber die Eisscholle dem Boden fest aufge- froren ist, so daß sie von unten her nicht abtauen kann, da ist die Möglichkeit der Erhaltung ge- geben, wenn sie, von Sand und Grus überdeckt, der Sonnenwirkung entzogen wird. Toll beschreibt uns aus dem Janalande ein Eistal des Flusses Dodoma. Dasselbe befand sich zur Zeit seines Besuches bereits im Rückgang, hatte aber früher größere Mächtigkeit besessen. So ließen sich alte Eismarken an den Lärclicnbäumen der Uferböschung 30 Fuß über dem heutigen Flußspiegel konstatieren. Der notwendige Wasserdruck kam dadurch zu- stande, daß das Wasser durch eine plötzliche Win- dung des Flusses an einer hervorragenden, 50 Fuß hohen Felswand Widerstand fand und wie an einem Wehr aufgestaut wurde. Das Aufeistal heißt im Jakutischen Taryn, ein Wort, das in den Namen mancher Flüsse und Bäche wiederkehrt. Wir hoffen damit eine genügende Erklärung dafür gegeben zu haben, wie es möglich war, daß sich Kadaver in Flußterrassen Jahrtausende hin- durch erhalten konnten. Es erübrigt nun noch, so gut das eben mög- lich ist, etwas über das relative Alter der Mam- mutperiode zu sagen; das absolute Alter läßt sich mit Sicherheit nicht feststellen, doch dürfte es kaum weniger als 6000 Jahre zählen. N. F. III. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 583 Daß die Mammutreste in Sibirien dem jüngeren Postglazial angehören, wurde schon bemerkt. Lang- sam ist die Erkenntnis des Glazialphänomens von Westen nach Osten vorgedrungen. Während für einen Teil Europas mehrere Glazial- und Inter- glazialzeiten (entsprechend dem Vorrücken und Zurückweichen des Inlandeises) anzunehmen sind, lagen die Verhältnisse in Nordostrußland ganz anders. In den Becken der Dwina und Petschora hatte man glaziale Geschiebe (Bruchstücke von Gestein, von Gletschern transportiert), in marinem Ton eingeschlossen gefunden und wußte lange nicht, was damit anzufangen. Erst in dem letzten Viertel des verflossenen Jahrhunderts brach sich die Erkenntnis Bahn , daß das postpliocäne Eis- meer sich weit nach Ostrußland hinein erstreckt hatte und bei dieser Transgression die Moränen zerstört, die Geschiebe ausgewaschen und von neuem eingebettet hatte. Ganz analoge Verhält- nisse herrschen in Westsibirien , wo Middendorff und Schmidt in Taimyrland und Jenisseitundra Geschiebe entdeckt hatten. Auch in diesem Falle wurde der richtige Sachverhalt erst spät erkannt. Toll konnte nun beim Vergleich der Horizonte nachweisen, daß die marinen Tone des Jenissei- landes gleichen Alters mit dem Steineise Neu- sibiriens und dem älteren Postglazial zuzurechnen seien. Demgemäß bestände das jüngere Post- glazial in der Jenisseitundra aus den Süßwasser- schichten und Wassermoosen, Larix- und Mammut- resten, auf den neusibirischen Inseln aber ent- sprechend aus Süßwasserablagerungen mit Erlen, Birken und Weiden und Knochen diluvialer Säuge- tiere. Während in Sibirien östlich der Lena von einer Meerestransgression nichts zu bemerken ist, haben sich dagegen die Anzeichen einer ehemaligen Ver- gletscherung beinahe von Jahr zu Jahr vermehrt. Toll entdeckte eine Moräne am Anabarbusen, Tscherski kurz vor seinem Tode Gletscherspuren auf der Wasserscheide zwischen Indigirka und Kolyma. P'ossile Gletscher fand Baron Maydell zwischen Indigirka und Alaseja; wir wissen heute, daß die von Wrangel seinerzeit am Anjui ge- sehenen Eismassen Reste von Inlandeis sind; ja dieselben greifen sogar nach Alaska bis zum Kotzebue-Sund und der Eschholtzbai hinüber. (Baron Gerhard Maydell unternahm im Auf- trage der Regierung und der Kais. Geogr. Gesell- schaft mehrere Reisen in Ostsibirien , deren Er- gebnisse in dem Werke: „Reisen und P'orschungen im Jakutskischen Gebiet Ostsibiriens", Beitr. zur Kenntn. des Russ. Reiches, Petersburg 1893 und 1 896, niedergelegt sind ; gestorben 1894 in Bad Ems. Baron Ferdinand Wrangeil nahm teil an mehreren Reisen um die Welt und untersuchte die Eismeer- küste von Ostsibirien auf Schlittenreisen, war dann eine Zeit Generalgouverneur von Russisch-Amerika und später Verweser des Marineministeriums; ge- storben 1870 zu Dorpat.) Kleinere Mitteilungen. Beiträge zur Frage nach dem wirtschaft- lichen Werte der Vögel bringt G. Rörig in Band IV, Heft i, 1903 der „Arbeiten aus der Biologischen Abteilung für Land- und Forstwirt- schaft am Kaiserl. Gesundheitsamte". Zwei um- fangreiche Arbeiten veröffentlicht der Verfasser darin: I. Studium über die wirtschaftliche Be- deutung der insektenfressenden Vögel. 2. Unter- suchungen über die Nahrung unserer heimischen Vögel, mit besonderer Berücksichtigung der Tag- und Nachtraubvögel; ferner noch: Über den Nahrungsverbrauch einer Spitzmaus. In einer lehrreich geschriebenen Einleitung gibt der Verfasser seinen Standpunkt zu der viel- umstrittenen Frage nach der sogenannten „Nütz- lichkeit" oder „Schädlichkeit" der Tiere kund. Er warnt mit Recht eindrücklichst davor, etwa aus Einzelbeobachtungen voreilige Schlüsse auf die Gesamtheit zu ziehen, sowie die lokale wirt- schaftliche Bedeutung eines Tieres in falscher Interessenpolitik als maßgebend hinzustellen. Zur richtigen Beurteilung irgend einer Vogel- oder sonstigen Tierart ist es notwendig „ihr ganzes Verhalten, die Lebensäußerungen in ihrer Gesamt- heit" kennen zu lernen; sonst verlieren wir uns in Einzelheiten. Nachdem hierauf die Bedeutung der nützlichen Insekten und ihre Bedrohung durch die Vögel behandelt worden ist, kommt der Verfasser zu dem wichtigsten und interessantesten Teile der ganzen Broschüre, zu dem Berichte über die mit größter Gründlichkeit und Sachkenntnis angestellten Fütterungsversuche. In der richtigen Voraus- setzung, daß der um die wirtschaftliche Bedeutung unserer insektenfressenden Vögel entbrannte Streit nicht durch die „Häufigkeit der Wiederholung von Behauptungen, sondern durch neue Tatsachen bei- gelegt werden kann", bringt der Verfasser Tat- sachen, und zwar solche, denen man nicht mit irgend einer in der Natur gemachten Einzel- beobachtung widersprechen darf, sondern die man hinnehmen muß als erworben und festgestellt durch eingehende lange Versuche und zwar vor- genommen unter Bedingungen, die den natürlichen Verhältnissen möglichst entsprechen. Zunächst werden die Versuchsgerätschaften, nämlich die auf dem Versuchsfelde Dahlem höchst praktisch eingerichteten Flugkäfige , sowie die Futterapparate und Futtermittel näher beschrieben. Es soll nicht versäumt werden, die Vogelwirte auf diesen Abschnitt, aus dem sie vieles lernen können, besonders hinzuweisen. Durch die Ver- suche will der Verfasser fürs erste feststellen, ob die Vögel durch ihre Nahrungsaufnahme überhaupt imstande sind, einen merkbaren Einfluß auf den vorhandenen Insektenbestand auszuüben. Es wird 584 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 37 also zunächst die Frage aufgeworfen: Wieviel verzehren die insektenfressenden Vögel } Wir müssen erstaunt sein über die Futtermengen, die ein so kleiner Organismus, wie ihn etwa eine Meise darstellt , verarbeitet. Der Verfasser gibt nicht die Nahrungsmasse an sich an , sondern deren Trockensubstanzgehalt, den er wiederum in Beziehung zum Körpergewicht des Vogels stellt, so daß wir eine klare Übersicht gewinnen und leicht Vergleiche anstellen können. Das vom Verfasser schon früher aufgestellte Gesetz, daß ein Vogel um so mehr Nahrung aufnimmt, je kleiner er ist, wird wiederum bestätigt und weiter ge- funden, daß der Nahrungsverbrauch im Sommer viel stärker ist wie in den kurzen Wintertagen. So gebraucht z. B. ein Rotkehlchen im .Sommer 20,0 % seines Körpergewichtes an Trockensubstanz, im Winter nur 13,4"/',,, oder ein Schwarzblättchen im Sommer 19,2 "/o, im Winter 10,0%; ein Wald- kauz dagegen nur 5 */„ , eine winzige Spitzmaus aber 20%. — Kurz, die Versuche liefern den Beweis, daß wir an den insektenfressenden Vögeln höchst wichtige , ja unentbehrliche Beschützer unserer Kulturpflanzen haben , denn wenn auf Seite 34 der vorliegenden Broschüre angegeben wird, daß 20 Meisen, das ist etwa i Paar mit seiner Nachkommenschaft, jährlich etwa einen halben Zentner Trockensubstanz, also wenigstens I */., Zentner lebende Insekten, deren Eier, Larven oder Puppen verbrauchen, so kann gewiß niemand leugnen, daß diese respektable Leistung im I laus- halte der Natur merklich mitspricht. Wie interessant sind ferner die Versuche, die der Verfasser mit dem Verfüttern von schädlichen Insekten selbst anstellt. Da werden Eier, Raupen oder Puppen unserer gefürchtetsten Forst- und Gartenschädlinge in die mit Meisen und Gold- hähnchen bevölkerten Flugkäfige gebracht und hier den Vögeln in möglichst natürlicher Weise dargeboten. Wenn wir dann lesen , mit welcher Gier die gefiederten Waldpolizisten über diese ihnen wohlbekannte Nahrung in den meisten Fällen herfallen und welche Unmengen sie davon in kurzer Zelt vertilgen, so müssen die berechtigten Schlüsse, die wir daraus für die freie Natur ziehen dürfen , gewiß günstig für die insektenfressende Vogelwelt ausfallen. Recht instruktive Abbildun- gen verdeutlichen das von den geschickten Meisen an den infizierten Stämmen oder Zweigen vorge- nommene Zerstörungswerk. Die zweite Arbeit bildet die Fortsetzung von bereits früher über diesen Punkt vom Verfasser veröffentlichten Berichten. Es handelt sich um Magen- und GewöUuntersuchungen. Mit recht stattlichen Zahlen wird uns teilweise aufgewartet. Vom Mäusebussard liegen z. B. 784 Einzelbeobach- tungen vor, vom Turmfalken 362. Die unbedingte Nützlichkeit dieser beiden Mäusevertilger wird durch die ausgeführten Untersuchungen wieder schlagend bewiesen, und ihr Schutz allen Jägern und Landwirten ans Herz gelegt. Mit Bussard, Turmfalk, Waldkauz und Steinkauz wurden auch Fütterungsversuche angestellt, die manche inter- essanten Aufschlüsse über die Menge der aufge- nommenen Nahrung sowie über Gewöllbildung und -Ausstoßung zutage förderten. Diese letztere hält mit dem Kröpfen nicht gleichen Schritt, son- dern kann zuweilen recht lange auf sich warten lassen. Hervorgehoben soll noch werden, daß es dem Verfasser bei seinen Magen- bzw. GewöU- studien durch Auffindung der betreffenden Schädel gelungen ist, wieder drei neue Fundorte für die in Deutschland sehr seltene nordische Wühlratte (Arvicola ratticeps) nachzuweisen. Dieselben ver- teilen sich auf Ostpreußen, Pommern und Mecklen- burg. Die Arbeiten Rörigs bedeuten einen willkom- menen Fortschritt auf dem Gebiete der Erforschung des wirtschaftlichen Wertes der heimischen Vogel- welt. J. Thienemann, Leiter der Vogelwarte Rossitten. Über den Einflufs der Nahrung auf die Länge des Darmkanals teilt Edw. Babak im Biologischen Zentralblatt (23. Bd. 1903) interessante Experimente mit. Es ist allgemein bekannt, daß die Länge des Darmes in erster Linie von der Qualität der Nahrung abhängt, insofern wir bei den Pflanzenfressern den längsten Darmtractus antreffen, bei den F"leischfressern den kürzesten, während die Omnivoren in der Mitte zwischen beiden Extremen stehen. So beträgt beispiels- weise die Länge des Darmes bei Schaf und Ziege 27 Körperlängen, beim Rind 20, beim Schwein 14 — 15, beim Kaninchen 10, beim Hund 6 und bei der Katze nur 4. Diesen tatsächlichen Be- funden der vergleichenden Morphologie steht nun nur eine geringe Zahl von Beobachtungen und Experimenten gegenüber, die einen direkten Ein- {\uß der Art der Nahrung auf die Beschaffenheit des Darmkanals zu erweisen suchen, und zudem sind die meisten derselben mehr oder minder stark angezweifelt worden. Am vorteilhaftesten werden derartige Versuche mit Omnivoren ange- stellt, da bei ihnen ein Wechsel von Pflanzen- und Fleischnahrung auf die geringsten Schwierigkeiten stößt, und Verf wählte deshalb zu seinen Expe- rimenten Kaulquappen von Fröschen, die sowohl tierische wie pflanzliche Nahrung zu sich nehmen und am besten bei gemischter Nahrung bestehen. Einseitige Ernährung hatte nun höchst bemerkens- werte Modifikationen des Darmkanals zur F'olsre. a Schemutische Darstellung des Darmknäuels von Froschlarven. a bei Pflanzennahrung, d bei Fleischnahrung. N. F. III. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 585 Wurden die Larven mit Fleisch genährt, so wies der Darm nur einige wenige Spiraltouren auf, wurde dagegen Pflanzennahrung gereicht, so wuchs die Zahl der Windungen ganz beträchtlich , und während weiter das Gesamtvolumen des Darm- knäuels im wesentlichen bei beiden das gleiche blieb, war der Durchmesser des Darmes bei den Pflanzenfressern um das 2 — 3 fache geringer als bei den Fleischfressern. (Vgl. Fig. a und b.) Bei gemischter Nahrung bildete sich im wesentlichen der Typus der Pflanzenfresser aus, nur war der Durchmesser des Darmes etwas größer. Die Länge des Darmtractus (von Speiseröhre bis After gemessen) betrug vor der Metamorphose bei den Pflanzenfressern sieben Körperlängen , bei den Fleischfressern 4,4 Körperlängen, und diese Unter- schiede blieben während der ganzen Larvenperiode bestehen. Erst gegen das Ende der IVIetamorphose verkürzt sich der Darmtractus sehr bedeutend, und zwar ungleich schneller und beträchtlicher bei den Pflanzenfressern als bei den Pleischfressern, so daß der jung ausgebildete Frosch stets die gleiche Darmlänge von i — 2 Körperlängen be- sitzt, gleichviel ob er bei reiner Pflanzen- oder reiner Fleischnahrung seine Metamorphose durch- machte. Erwähnt sei noch , daß bei frei in der Natur aufgewachsenen Kaulquappen eine Darm- länge von nicht weniger als 16 Körperlängen fest- gestellt werden konnte, wäiirend dieselbe bei den mit reiner Pflanzenkost in Gefangenschaft aufge- zogenen Individuen im Maximum nur 8,4 erreichte. Unterschiede in der Beschaffenheit des Darmtractus bei pflanzlicher und tierischer Nahrung ergab weiter noch die mikroskopische LIntersuchung, insofern bei l'leischfressern die Muskellagen der Darm Wandung stark verdickt erscheinen, bei den Pflanzenfressern sich dagegen auf eine äußerst zarte und dünne Schicht reduzieren. Aus den oben angegebenen Dimensionen des Darmtractus geht ferner hervor, daß die Verdauungsfläche im Verhältnis zum kubischen Inhalt des Darmes bei den Pflanzenfressern ungefähr zweimal so groß ist wie bei den Fleischfressern , wie es die geringe Ausgiebigkeit der Pflanzenkost notwendig macht. Über das kausale Verhältnis zwischen Nahrung und Beschaffenheit des Darmkanals lassen sich nur Ver- mutungen äußern, es könnten in Betracht kommen einmal mechanische Einwirkungen der Pflanzennah- rung, sei es infolge ihrer voluminöseren Beschaffen- heit oder infolge der Reibung ihrer einzelnen härteren Teilchen, und dann chemische Reize, veranlaßt durch den verschiedenen Gehalt an Proteinstoff'en, an Kohlehydraten und an anorganischen Stoffen. J. Meisenheimer. Überzählige organische Bildungen. — Schon seit alter Zeit haben überzählige Bildungen das Inter- esse weiterer Kreise erregt. Meist wurden sie als Miß- bildungen oder „Difformitäten" gesammelt und be- schrieben ; doch konnte ihr gelegentliches, seltenes Auftreten bislang zu einer befriedigenden Erklärung kaum führen, da die Untersuchungen auf einzelne oder nur wenige Stücke beschränkt blieben. Auf Grund eines nach dieser Richtung hin äußerst umfang- reichen und mannigfaltigen Materials aus deii Reihen der Wirbellosen und besonders der Wirbeltiere hat jetzt Prof. Tornier das Entstehen solcher überzähligen Bildungen nach einheitlichen Ge- sichtspunkten zu erklären versucht. Er behandelt die Bildung überzähliger Schwanzspitzen bei Eid- echsen, überzählige Gebilde an den Gliedmaßen, überzählige Wirbelpartien und Doppelköpfe, Doppel- gesichter und Zwillingsbildungen. Die Untersuchungen zeigten überall, daß „über- zählige Bildungen nur aus Wunden durch falsche Verwendung der Regenerationskraft des Organis- mus" entstehen. Solche Wunden entstehen aber durch technische Kräfte wie Druck, Zug, Ver- biegung und Knickbeanspruchung, so daß nach ihrer Einwirkung ganz charakteristische Verbil- dungen entstehen, aus denen noch im Alter des Tieres zu erkennen ist, wie sie entstanden sind. Die Richtigkeit seiner Ansichten konnte Tornier experimentell für eine Anzahl der in der Natur vorkommenden überzähligen Bildungen beweisen. Die zwei- und dreizinkingen Gabelschwänze der Eidechsen entstehen durch Einwirkung biegen- der Kräfte. Triftt dabei der Scheitel der Ver- biegung mit der Stelle zusammen, an der zwei Wirbel sich berühren , so entsteht dort an der Zugseite eine klaffende Rißwunde im Schwänze, die zwei Wundflächen zeigt, während an der An- griffsstelle der biegenden Kraft der Schwanz ab- bricht und bald eine Ersatzspitze regeneriert. Das Verhalten der beiden Scheitelwundflächen aber ist davon abhängig, ob sie dicht aneinander liegen oder auseinanderklaffen. Im ersten Fall wird eine überzählige Schwanzspitze angelegt , die jedoch unentwickelt bleibt, im anderen Falle werden je nach der Breite des Risses eine oder zwei Skelett- röhren gebildet, so daß eine zwei- bzw. dreiteilige Schwanzwirbelsäule entsteht. Letzteres braucht äußerlich nicht hervorzutreten; denn meist wachsen die beiden Skelettröhren parallel nebeneinander und werden von einer gemeinsamen Hauthülle um- geben (vgl. Fig. I u. 2). — Eine Zusatzspitze Fig. I. Überzählige Schwanzspitze mit einer Skelcttröhre (jj). 2s Zugscheitcl , a/i Schvanzwirbelsäule, ts WirbelteilsteUe, J> Richtung der biegenden Kraft, es Ersatzspitze, 586 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 37 kann ferner am Anfange eines Schwanzregenerates oder aus einem solchen heraus entstehen. Auch an den Gliedmaßen können überzählige Bildungen auftreten (Poly- oder Hypermelie). Einige Hauptformen sollen kurz angeführt werden : Fig. 2. Überzählige Schwanzspitze mit zwei Skclctlröhrcn (ss' u. ss^) aus einer sehr weitklaffenden Wunde entstanden. Buchstabenbezeichnung wie in Fig. I. Bei Schweinen treten an der Gliedmaßen- innenseite ein oder zwei überzählige Zehen auf Ihr Entstehen muß auf ein Zersprengen des inneren Fußwurzelknochens der unteren Reihe, des bei den Schweinen vorhandenen Carpale i, zurück- geführt werden (Fig. 3). Klafft die Wunde sehr M', D-, D, D, Fig. 3. Fuß des Schweines mit überzähliger Zehe. {D\ A/4). C Carpale, N Hamatum. M Metacarpale, D Finger. weit, so entstehen zwei überzählige Zehen; bei geringerer Entfernung der Wundränder entsteht nur eine. — Ähnlich verhält es sich bei den Cerviden. Hier ist es das Carpale 3, das bei Zersprengung zur Bildung überzähliger Zehen führen kann. Doch können auch Doppelhufe sich ausbilden, ohne daß die zu dem Hufe gehörigen Knochen beteiligt sind. Hervorgerufen werden solche Verbildungen im embryonalen Leben des Tieres durch mechanische Einwirkung des Amnions, was gerade an dem erwähnten Doppelhufe des Rehes von Tornier klar und überzeugend nach- gewiesen ist. Das Entstehen gegabelter Gliedmaßen, das in der Natur besonders bei Laufkäfern beobachtet ist, wird auch in analoger Weise durch Verbiegung erklärt: aus einer durch Biegung hervorgerufenen Scheitelwunde bildet sich ein einzelner (oder bei weit klaffender Wunde zwei) Gliedmaßenabschnitt heraus. Durch Bruch des Ober oder Unterschenkels entstehen — genau wie bei den Käfern — auch bei den Wirbeltieren in der Embryonal- oder Jugend- zeit überzählige Gliedmaßenabschnitte. Derartig verbildete Gliedmaßen wurden von Tornier an Larven von Triton cristatus und Axolotl experimentell hervorgerufen. Ganze überzählige Gliedmaßen sind bei Fröschen, Enten und Hühnern beobachtet; sie entstehen aus Wunden, die ein Schulter- oder Beckengürtel durch Verbiegung einzelner seiner Partien erhält. Ein Exemplar Rana esculanta besaß an der rechten Körperhälfte 3 Gliedmaßen, von denen also zwei überzählig waren. In der frühesten Jugend des Tieres war das Schulterblatt in seinem Halse durchbrochen, und da weit getrermte Wundflächen auf diese Weise entstanden waren, so hatte jede ,,den von der Wunde peripher liegenden Teil des Schultergürtels mit der zugehörigen Gliedmaße su]ierregenetisch ausgebildet." Hühner und Enten mit überzähligen Gliedmaßen besaßen außer letzteren noch ein bis zwei Blinddärme mehr als sie nor- malerweise besitzen, ja, noch mehr; ihr Darm gabelte sich vor seinem Ende in zwei Kloaken, von denen jede für sich in einem After endete. Auch hier lag eine Sprengiuig des Beckengürtels dem Auftreten der überzähligen Gebilde zugrunde. Überzählige Wirbelpartien entstehen dann, wenn bei einem Embryo die Wirbelsäule bzw. ein Teil derselben über ein bestimmtes Maß verbogen wird, ohne daß dabei Haut- oder Weichteileinrisse entstehen. Tritt aber letzteres ein, so entsteht eine weit bedeutendere Regeneration: zwei Köpfe bilden sich bei einem Risse in die Weichteile des Halses und die Halsvvirbelsäule, zwei Gesichter bei einem Längsrisse durch die Weichteile einer Gesichtshälfte und der Gesichtsknochenanlagen, Zwillingsformen bei Rissen in den Steißabschnitt oder die Brustregion der Embryonalanlagen. Bezüglich der Ausbildung der Regenerate fand Tornier, daß ,,ein Regenerat von seiner Nachbar- schaft derart beeinflußt wird, daß diese den Sym- metriecharakter bestimmt, den das Regenerat an- nehmen muß", da sie es zwingt, mit ihm ein Synimetrieverhältnis einzugehen (Zupassungs- oder Symmetriegesetz). Tornier sucht also die Art und Weise zu er- klären, nacii der ein Organismus sich nach physi- kalisch-technischen Gesetzen aufbaut, und zu er- forschen, welche Fähigkeiten er im Anschluß daran entwickelt. Er nennt diese Lehre — analog zu dem schon früher aufgestellten Ausdrucke „Bio- chemie" — ,, Biotechnik"; denn „jeder lebende Organismus ist ein Organismus, der sich selbst aufbaut und zwar durch chemische Prozesse und nach den Gesetzen der menschlichen Technik." Ein Grundgesetz der Biotechnik (durch Zug wird N. F. m. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 587 das Gewebe im Wachsen gefördert) ilkistriert Tor- nier folgendermaßen: Reibung — eine aus Zug und Drucl< kombinierte Bewegung, in welcher stets der Zug überwiegt — muß an der Stelle, wo sie auf den Organismus einwirkt, eine Gewebswuche- rung hervorrufen, woraus dann weiter folgt, daß z. B. Schwimniliäute am Körper dort entstehen, wo die Luft oder das Wasser beim Vorbeistreifen am stärksten reibt, d. h. an den Seiten der Finger und des Körpers. Dr. Rabes. Die Forschungen über die Spezialisierung der Rostpilze liaben in den letzten Jahren eine solclie Fülle von neuen Tatsachen ergeben, daß es nicht überflüssig erscheint, darüber einen kurzen Überblick zu geben.') Die älteren Pilzsj'Stematiker unterscheiden die einzelnen Arten der Rostpilze nach ihren morpho- logischen Merkmalen. Waren also zwei Uredinecn in ihrer äußeren Gestalt gleich, so wurden sie zu einer Art verbunden, selbst wenn sie verschiedene Nährpflanzen bewohnten. Diese Anschauungen wurden aber seit der Zeit erschüttert, wo der Wirtswechsel gewisser Uredineen bekannt wurde und der Nachweis gelang, daß von zwei morpho- logisch gleichen Aecidien auf ein und derselben Nälirpflanze das eine nur diese, das andere nur iene Pflanze zu infizieren vermag. Alle Bemühungen, die Infektion wechselseitig zu machen, schlugen fehl und so wurde man mit Folgerichtigkeit darauf geführt, daß zu zwei verschiedenen Teleutosporen- pilzen zwei morphologisch nicht unterscheidbare Aecidien gehören können. Damit war für die Unter- scheidung der Arten der wirtswechselnden Rost- pilze ein neues Prinzip an die Stelle der rein morphologischen Unterscheidung gesetzt. Als erstes Beispiel für zwei derartige Pilze wurde durch de Bary Aecidium abietinum auf Fichten bekannt. Dieser Autor hatte nachgewiesen, daß zu dem Aecidium im Hochgebirge Chryso- myxa rhododendri auf Rhododendron gehört. Auffällig erschien ihm nun, daß das Aecidium im Tieflande auftritt, wo der Zwischenwirt Rhodo- dendron nicht vorhanden ist. Da gelang es, die zu dem Tiefland-Aecidium gehörige Teleutosporen- form in Chrysomyxa ledi nachzuweisen. Erst nach dieser Erkenntnis wurde es dann möglich, einige ganz geringe morphologische Unterschiede zwischen den beiden Aecidien aufzufinden, die aber kaum wahrnehmbar sind. Ganz ähnlich, aber ungleich verwickelter liegen die Verhältnisse bei den Blasenrosten der Kiefer (Peridermium pini). Diese äußerlich kaum zu unter- scheidenden Formen vermögen sehr verschiedene Nährpflanzen zu infizieren. So lassen sich nach den Teleutosporenwirten unterscheiden : Coleo- sporium senecionis auf Arten von Senecio, C. sonchi auf Sonchus- Arten, C. inulae auf Inula- Arten, C. tussilaginis auf Tussilago farfara, C. petasitis auf Petasites officinalis, C. campanulae auf Campanula- Arten (wahrscheinlich mehrere .Arten), C. euphrasiae auf Alectorolophus und Euphrasia officinalis, C. melampyri auf Melampyrum, C. pulsatillae auf Pulsatilla vulgaris und pratensis. Werden also Sporen von einem Peridermium auf Kiefernadeln auf die genannten Nährpflanzen übertragen, so ent- steht nur bei einer eine Infektion und erst aus diesem Erfolge läßt sich beurteilen, mit welcher Peridermium-Art man es zuerst zu tun hatte. Diese Beispiele ließen sich noch beliebig ver- mehren, indessen genügen die angeführten, um die behaupteten Tatsachen zu zeigen. Man hat nun diese sich lediglicli durch die Wahl des Wirtes unterscheidenden Pilze als speziali- sierte Formen mit Eriksson bezeichnet. Ursprüng- lich sollte diese Bezeichnung derartige P'ormen in Gegensatz zu morphologisch unterscheidbaren Arten bringen, sie sollte anzeigen, daß die Unterscheidung nur nach biologischen Gesichtspunkten möglich sei. Diese Grenzen hat man nicht immer ein- halten köimen, und es wird darum jetzt eine große Zahl von spezialisierten P'ormen als wirkliche Arten angesehen. Gegen diese Vermehrung der Arten ließe sich kaum etwas einwenden — denn daß bei zunehmen- der Kenntnis der Einzelheiten die Arten immer mehr gespalten werden müssen, ist selbstverständ- lich — aber es schließen sich doch daran viele Fragen an, von deren Lösung die eigentliche Be- antwortung des Problems, ob die spezialisierten Arten Formen oder wirkliche .Arten sind , ab- hängig ist. Man kennt nämlich aus der Natur und aus zahlreichen Kultur\crsuchen mehrere Arten, welche in ihrer Spezialisierung schwankend sind, sei es, daß sie in der einen Gegend sich diese, in der anderen sich jene Wirtspflanze auswählten, sei es, daß sie in der Kultur bei der Infektion der ein- zelnen Pflanzen sich launisch zeigen. Ein glänzen- des Beispiel dafür bilden die Puccinien auf Phalaris, zu denen Aecidien auf Polygonatum, Convallaria, Majanthemum und Orchisarten gehören. Während es bisweilen nur gelingt, einen einzigen Aecidien- wirt mit den Teleutosporen zu infizieren, werden oft wieder auf sämtlichen möglichen Wirten In- fektionen erzeugt. Klebahn hat nun gezeigt, daß bei sehr langer Kultur von Phalarispuccinien mit dem alleinigen Zwischenwirt Polygonatum die Fähigkeit, die übrigen .Aecidienwirte zu in- fizieren , allmählich abnimmt oder ganz erlischt. Dieses eine Beispiel gibt uns den Schlüssel für das Verständnis der sehr verwickelten Verhältnisse. Wir müssen nämlich annehmen, daß die Rost- pilze zuerst plurivor ') waren, d. h. daß sie bei Auswahl ihrer Wirte nicht wählerisch waren. All- mählich aber beschränkten sie sich im Laufe der ') Die nachfolgenden Zeilen gründen sich auf das soeben erschienene vortreffliche Buch von H. Klebahn: Uie wirls- wechselnden Rostpilze. Berlin (Uebr. Bornträgerj. Preis 20 Mk. ') Auf die sich an diese .'\nschauung Ed. Fisch er's an- schließenden Hypothesen und Bedenken kann hier nicht ein- gegangen werden. 588 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 37 phylogenetischen Entwicklung auf einzelne Wirts- pflanzen , also ursprünglich . weite Formenkreise spalteten sich in viele einzelne Arten, die sich auch morphologisch different gestalteten. Dieser Prozeß der Spaltung der Arten ist noch nicht ab- geschlossen, sondern dauert auch in der Gegen- wart noch fort, ohne daß bereits in jedem F'alle rnorphologische Differenzierungen stattgefunden haben. Jetzt wird auch das Verhalten der Phalaris- puccinien deutlicli. Wir haben hier einen P'ormeii- kreis vor uns, dessen auseinandergehende Formen biologisch noch nicht gehörig gefestigt, noch nicht genügend spezialisiert sind, um als wirkliche Arten zu imponieren. Wir werden uns bei solchen Pilzen mit der Bezeichnung „spezialisierte Formen" oder „Gewohnheitsrassen" begnügen müssen. K 1 e b a h n sagt in seinem Buche von diesen Formen sehr richtig, so daß man seinen Worten nichts hinzu- setzen kann : ,,Dem guten Takt des Beobachters wird es in vielen Fällen überlassen bleiben müssen, die Grenzen zwischen Art und Form zu ziehen. Weitere Untersuchung wird daran noch manches ändern, bald Zusammenziehungen, bald weitere Zersplitterungen für notwendig erweisen. Man sollte sich zwar tunlichst bemühen, die zersplitterten Formen in Gruppen zusammenzufassen, aber darum doch die Zersplitterung selbst nicht scheuen, denn sie ist fast überall mit der wachsenden Erkenntnis verknüpft gewesen und der beste Beweis für die genauere Untersuchung der betreffenden Pilze." G. Lindau. Der geologische Bau der Hohen Tauern. — Als Material tler ,, kristallinen Zentralzone" der Alpen, die das Gebirge wie ein Rückgrat seiner ganzen Länge nach durchzieht, werden auf unsern geologischen Übersichtskarten außer Granit meist kurz ,,Gneiß und Glimmerschiefer" angegeben. Mit diesem Ausdruck werden aber ganz heterogene Dinge zusammengefaßt. Die Erforschung der Zentralzone befindet sich noch in ihrem Anfangs- stadium, und zwar aus verschiedenen Gründen. Einmal ist die Petrographie, die wichtigste dabei in Betracht kommende Hilfswissenschaft, wenig- stens in ihren modernen , verfeinerten Unter- suchungsmethoden, noch sehr jung. Die Gesteine der kristallinen Massive befinden sich durchgehend nicht mehr in ihrem ursprünglichen, sondern in einem sehr veränderten Zustande, und es ist klar, daß die Wissenschaft erst in der Kenntnis der normalen Gesteine Erfahrungen gesammelt haben mußte, ehe sie an die Untersuchung der veränder- ten mit Erfolg herantreten konnte. Ferner ist die Zahl der petrographisch ausgebildeten Geologen keine große. Die durch ihre Fossilführung der Altersbestimmung und damit auch der Erklärung ihrer Tektonik leichter zugänglichen Schichtgesteine der nördlichen und südlichen Kalkalpen haben eine größere Anzahl von Forschern angelockt, als die Gesteine der kristallinen Zentralzone. Wenn man endlich daran denkt, welche Schwierigkeiten dem Geologen in der wilden Hochgebirgswelt entgegentreten, wie kurz die Sommermonate sind, in denen das Arbeiten in jenen Höhen über- haupt nur möglich ist, so versteht man leicht, daß für uns in den geologischen Verhältnissen der Zentralmassive noch viel Rätselhaftes liegt. Nur an einige der Fragen , die sich bei der Unter- suchung der kristallinen Zone der Alpen aufdrängen, sei hier erinnert, vor allem an das schwierige Problem der Gesteinsmetamorphose, an die geo- logisclie Erscheinungsform der Tiefengesteine, an die Lakkolithenfrage, die Entstehung der Fächer- struktur in manchen Massiven und schließlich an das Problem, ob die granilischen Massen der Zentralalpen aktiv oder passiv an der Erhebung des Gebirges teilgenommen haben. Auch hier bestätigt sich aber immer wieder die Erfahrung, daß eine sorgfältige Detailuntersuchung der einzige Weg ist, um die Lösung dieser zunächst fast un- lösbar erscheinenden Probleme erfolgreich anzu- bahnen. In der Geologie hat die peinlich genaue Durchforschung eines kleinen Gebietes stets dauern- dere (wenn auch nicht momentan glänzendere) Resultate gezeitigt, als kühne Profilentwürfe über weite Strecken, die nur im Fluge durcheilt wurden. Zweifellos sind verschiedene Stücke der Zentral- zone von sehr verschiedenem Aufbau. Im folgen- den wollen wir ein solches, das auf den Übersichts- karten auch als „Gneiß und Glimmerschiefer" er- scheint, ein wenig näher betrachten, nämlich den westlichen Abschnitt der Hohen Tauern, von dem der ,, Führer für die Exkursionen im westlichen und mittleren Abschnitt der Hohen Tauern" von Becke und Löwl eine Beschreibung gibt. (Führer für die Exkursionen in Österreich, herausgegeben vom Organisationskomitee des IX. Intern. Geol.- Kongr. Wien. 1903. Nr. VIII und IX.) Die Hohen Tauern grenzen im Norden längs einer O — W streichenden Störungslinie an die Zone einförmiger PhylHte, die sich vom Unterinn- tal bis an die Enns erstreckt. Die eigentlichen Tauern bestehen aus schiefrigen Gesteinen , in welche granitische Massengesteine eingedrungen sind. Man hat diese „Zentralgneiß", jene die „Schieferhülle" genannt. Die granitischen Gesteine treten in Form von Kernen auf, um die sich die Schiefer herum- schmiegen. Fünf solche Kerne lassen sich in den Tauern unterscheiden , die man nach den Haupt- gipfeln, die in ihrem Gebiet liegen, als Hochalm-, Rathaus-, Sonnblick-, Granatspitz- und Venediger- kern bezeichnet hat. Das Gestein ist vorwiegend Granit, zum Teil aber auch Tonalit (d. i. ein Ouarzdiorit, dessen Gemengteile Plagioklas, dunkel- grünlich schwarze Hornblende, brauner Biotit und reichlicher (Juarz sind). Meist ist es aber so stark geflasert und geschiefert, daß es seinem Äußeren nach den Namen Gneiß verdient. In seinen rand- lichen Partien ist das Gestein des Venedigerkernes aplitisch, d. h. die farbigen Gemengteile treten gegen Feldspat und Quarz stark zurück. Man findet diese Erscheinung oft am Rande intrusiver Massen und sie ist somit beweisend für die intru- N. F. III. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 589 sive Natur des Venedigergesteines. Diese wird auch noch durch andere Merkmale angezeigt, von denen das Auftreten aplitischer Gänge in der Schiefer- hülle erwähnt sein mag. Der „Zentralgneiß" führt eine Reihe von Mineralien, die sich als Neubildun- gen kundtun und ein Resultat chemischer Um- wandlungen in dem Gesteine sind. ' So finden sich Calcit, Epidot, Granat u. a. X. Höchst bemerkenswert ist es, daß an den drei großen streichenden Dislokationen, nämlich den beiden Grenzlinien der Tauerngesteine und der Pustertaler Verwerfung, SciiolJen von mesozoi- schen Gesteinen in Grabenbrüchen eingeklemmt sind. Es sind Glanzschiefer, Dolomite, Kalke, z. T. mit Fossilien, welche die Altersbestimmung er- möglichen , sowie Gips. Da diese vorwiegend gr.-initischc, resp. tonalitische Intrusionen \ „SchieferhüUe" j Pinzgauer _und Pustertaler Phyllite archäischer Glimmerschiefer Tauerngesteine Dislokationen, z. Teil mit einge- klemmten Schol- len mesozoischer Gesteine. Schematisches Profil durch die Hohen Tauern, nach den Angaben und der Karte von Becke und Löwl. Die Schieferhülle hat eine sehr mannigfaltige Zusammensetzung. Unten liegen Glimmerschiefer, Ouarzite, Hornblendeschiefer und einzelne Kalk- lager; darüber folgt eine Wechsellagerung von Kalkphylliten und kalkarmen Schiefern, die aus tonigen und mergeligen Sedimenten hervorgegangen sind. Besonders diese obere Abteilung ist reich an Einlagerungen von Chloritschiefern (umgewandel- ten basischen Eruptivgesteinen) ; auch Serpentin- stöcke mit prachtvollen Kontakterscheinungen (von Weinschenk beschrieben!) kommen darin vor. — Die Kristallinität dieser Schiefergesteine erreicht ihren höchsten Grad in der Nähe der Granitkerne, besonders wo diese, wie das am Ost- und Westende des Venedigerkernes der Fall ist, Ausläufer in die Schieferhülle hineinschicken, zwischen denen dann Keile der letzteren sitzen. Nach Becke darf aber gleichwohl eine plutonische Kontaktmetamorphose wegen des h'ehlens der charakteristischen Kontaktmineralien für den heu- tigen Zustand der Gesteine erst in zweiter Linie verantwortlich gemacht werden. Derselbe ist viel- mehr im wesentlichen durch allgemeine Metamor- phose verursacht. Südlich von dem Gebiet der Tauerngesteine und von ihm durch eine Dislokation getrennt, liegt eine Zone archäischen Glimmerschiefers von großer Einförmigkeit, der vielerwärts auf die Kalkphyllite der Tauern hinaufgeschoben ist. Einige Intrusiv- massen tonalitischer Gesteine und alter Granit- gneiße kommen in diesen Glimmerschiefern vor. Nördlich vom Pustertal zieht sich die Grenze dieser Zone in westöstlicher Richtung dahin und südlich schließen sich an sie den Pinzgauern ähn- liche Phyllite an. Auch diese Grenze ist eine Störungslinie. triadischen Ablagerungen auch in ungleichför- miger Lagerung auf der Schieferhülle liegen, so ist das vortriadische Alter dieser letzteren zweifel- los. Andererseits sind die Tauernschiefer wahr- scheinlich jünger als die Pinzgauer Phyllite, die z. T. dem Öbersilur angehören. Sie dürften dem- nach ziemlich sicher paläozoisch sein. Die Intrusion der Granite und Tonalite ist vielleicht während der Carbonzeit erfolgt, einer Epoche, in welcher gebirgsbildende Vorgänge und Intrusionen in be- sonders hohem Maße stattfanden. Ein in Nord-Süd Richtung durch die Hohen Tauern gelegtes Profil, das aber ganz schema- tisch gehalten ist, möge die verschiedenen Zonen verdeutlichen. Man sieht daraus, daß die eigent- lichen Hohen Tauern einen Graben darstellen. So paradox es klingt — der höchste Kamm deS Gebirges mit den höchsten Gipfeln gehört einem versenkten Teil der Erdkruste an. Dr. Otto Wilckens. Kristallisierter Portlandzement. — Den Ausführungen des Herrn Dr. Odernheimer in Nr. 31 (S. 494) über kristallisierten Portlandzement ist entgegenzuhalten, daß den Versuchen von Dr. Schmidt und Ingenieur Unger nicht der Wert bei- gemessen werden darf, den ihnen Herr Dr. Odern- heimer gern beilegen möchte. Der sogenannte kristallisierte Portlandzement der Genannten be- steht, wie die Analysen deutlich ergeben haben, aus weiter nichts als verunreinigtem Tricalcium- silikat oder einer Verbindung, die dem Tricalcium- silikat mindestens sehr nahe steht und etwa der von Toernebohm aufgestellten Formel entspricht. Dies ist ganz natürlich , da das Tricalciumsilikat oder die ihm nahestehende Verbindung der Haupt- 590 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 37 bestandteil des Portlandzementes ist und natürlich aus der geschmolzenen Masse herauskristallisiert, geradeso wie etwa F"eldspatkristalle in Hohlräumen im Granit auskristallisieren. Von kristallisiertem Portlandzement kann ebensowenig die Rede sein wie von kristallisiertem Granit oder dgl. , und weim Herr Dr. Odernheimer meint, daß die Ver- suche von anderer Seite irrtümlich mißdeutet worden sind, so geht daraus nur hervor, daß ihm die Antwort auf die Frage , warum es kristalli- siertes Portlandzement überhaupt nicht geben kann, trotz ihrer Einfachheit bisher noch nicht klar ge- worden ist. Hätte Herr Dr. Odernheimer die Ein- wände in der Literatur gegen die Bezeichnung „kristallisierter Portlandzement" mit Verständnis ge- lesen, so würde er nicht zu seinem Schlußsatze haben kommen können. Dr. Fiebelkorn. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Natur liistorisc he Museen in den Vereinigten Staaten. — Das New -Yorker Staatsmuseum hat eben eine Publikation herausgegeben (Natural History Museums in the United States and Canada. New York State Museum Bulletin Nr. 62. Albany, 1903. 233 Seiten), in welcher alle in den Vereinigten Staaten und Canada bestehenden naturhistorischen Museen verzeichnet sind. Es wird hierin Auskunft geboten über den Sitz und die leitenden Persönlichkeiten dieser Insti- tute, die Art und den Umfang der wissenschaftlichen Arbeiten sowie der Sammlungen usw. — Ende Juli 1903 bestanden in den Vereinigten Staaten insgesamt 243 naturhistorische Museen, in Canada, einschließlich Neutundland, deren 22. Die größte Anzahl davon weist der Staat New-York auf (27), weiters folgen Pennsylvanien (17), Illinois (13) und Massachusetts (12). Viele dieser Museen sind den verschiedenen Staats- und Privat- universitäten und anderen Hochschulen angeschlossen. — Von den bedeutendsten Instituten sind zu nennen: das American Museum of Natural History in New-York, das Vereinigte Staaten Nationalmuseum in Washington , das Field Columbian Museum in Chicago, das Harvard-Universitätsmuseum in Cam- bridge (Massachusetts) etc. Das Buch wird jenen, die sich über die naturwissenschaftlichen Museen und Sammlungen in Nordamerika orientieren wollen , sicherlich von Nutzen sein. Fehlinger. Bücherbesprechungen. Meyer's Historisch-Geographischer Kalender für 1904. VIll. Jahrgang. Mit 12 Planetentafeln und 354 Landschafts- und Städteansichten, Porträten, kulturhistorischen und kunstgeschichtlichen Dar- stellungen, sowie einer Jahresübersicht (auf dem Rückdeckel). Zum Aufhängen als Abreißkalender eingerichtet. \'erlag des Bibliographischen Instituts in Leipzig und Wien. — Preis 1,75 Mk. Historische und geographische Bilder aus allen Landen, Völkertypen, Landschaften, Werke der Natur und Kunst, Reproduktionen alter schöner Holzschnitte und anderer Kunstblätter und moderner Photographien ziehen , mit Begleitworten versehen, an uns vorüber. Planetentafeln geben Aufschluß über die Erscheinungen des Himmels. Wilhelm Bölsche, Die Abstammung des Menschen. Mit zahlreichen Abbildungen von Willy Planck. S". (104 Seiten.) Stuttgart. Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde. — Preis i Mk. W^er eine kurze, gut geschriebene Darstellung über die wichtigsten Punkte zu lesen wünscht, die in der Frage zur Abstammung des Menschen , soweit die Naturwissenschaft Antwort gibt, in Betracht kommen, dem kann Bölsche's Schrift durchaus empfohlen wer- den. Er sagt im Vorwort zutreffend : „!\Iag man den Wert dieser Dinge anzweifeln — vor allem muß man sie kennen ; ohne das ist jede Diskussion unnütz." Verfasser hat sich mit Erfolg bemüht, den Gegenstand in volkstümlicher Sprache vorzubringen. Die Annales mycologici (editi in notitiam .'>cientiae myculogicae universalis) redigiert von H. Sydow (Berlin, Kommissionsverlag Friedländer u. Sohn), haben sich die Aufgabe gestellt, eine Übersicht zu gewähren über sämtliche Erscheinungen auf dem Ge- biet der Mykologie. Bei dem enormen und noch fortwährend wachsenden Umfang der mykologischen Literatur ist ein derartiges Organ gewiß zu begrüßen. Der vorliegende erste Band der A. m. (bestehend aus 6 Heften) Jahrgang 1903, 570 S. und 11 Tafeln, zeigt , in welcher Weise der Herausgeber dem Ziel, welches er sich gesteckt hat, gerecht zu werden sucht. Einen sehr bedeutenden Raum nehmen Original arbeiten ein (in deutscher, französischer, italienischer und englischer Sprache) , unter welchen wieder die meisten die Systematik der Pilze zum Gegenstand haben. Aber auch .Arbeiten morphologi- schen, entwicklungsgeschichtlichen und pathologischen Inhalts sind vertreten. Die meisten haben speziell mykologisches Interesse. Hier sei nur auf die Haupt- ergebnisse einiger weniger Untersuchungen von all- gemeinerer Bedeutung hingewiesen : Van Hall beschreibt die Ursache des Absterbens der Stöcke von Johannes- und Stachelbeeren, welche in der \\'irkung eines parasitischen Pilzes C y t o - sporin a Ribis zu suchen ist (die Krankheit tritt besonders in Nordholland, stellenweise aber auch in Norddeutschland auf), Matruchot beschreibt eine nur Conidien bildende Mucorinee aus dem französi- schen Sudan (sinnreich ist die Methode des Verf., trotz des Mangels höherer Fruktifikationsorgane die systematische Stellung des Pilzes zu ermitteln. Er fand nämlich, daß auf diesem Pilz eine andere Muco- rinee: Pipto cephalis Thieghemiana schma- rotzt; da diese aber gewissermaßen als Reaktion auf bestimmte Unterabteilungen der INIucorineen gelten kann , so schließt Verf. aus dem Auftreten dieses Parasiten auf die systematische Zugehörigkeit des nur Conidien bildenden Pilzes). H. und P. Sydow weisen nach , daß die sogen. Mikrosporen des Lebermooses Anthoceros dichotomus nichts anderes sind als die Spuren eines parasitisch auf dieser Pllanze lebenden Brandpilzes (Tille tia). Wehner beschreibt den bei der Hanfröste tätigen Schimmelpilz (Mucor hiemalis), Marsha'l Ward macht Mitteilungen über die Spezialisierung des Parasitismus der auf B r o m u s arten lebenden P u c c i n i a formen usw. Etwa gleichen Raum wie die Originalarbeiten nehmen die Referate und kritischen Besprechungen ein. Ein besonderes Gewicht ist hier darauf gelegt, N. F. m. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 591 den Leser über die umfangreiche ausländische (bes. französische, englische und italienische) mykologische Literatur zu orientieren. Wertvoll ist ferner der Ab- schnitt „neue Literatur". Endlich sei bemerkt , daß auch die Flechten berücksichtigt werden, was bei der weiten Verstreuung der lichenologischen Literatur recht zu begrüßen ist. Möchten sich die Annales Mycologici , welche heute schon für jeden, der sich mit dem Studium der Pilze und Flechten beschäftigt, unentbehrlich sind , in der begonnenen Weise weiter entwickeln und sich neue Freunde erwerben ! Neger (Eisenach). Dr. Richard Lepsius, Prof etc. in Darmstadt, G e o- logie \on Deutschland und den angren- zenden Gebieten. 2. Teil : Das östliche und nördliche Deutschland. Lief I (Bogen I — 16). Mit den Profilen i — 58. Wilhelm Engel- mann in Leipzig 1903. — Preis 8 Mk. Die Lieferung bespricht den Ostteil des hercyni- schen Gebirgssystems Nord- und Mitteldeutschlands und zwar zunächst in einer generellen Übersicht, um sodann auf das Erzgebirgssystem , das Fichtelgebirge, das sächsische Granulitgebirge, das Eibsandsteingebirge und die Lausitzer Granitplatte und das ostthüringische Schiefergebirge näher einzugehen. Dr. Alfred Grund, Die Karsthy drographi e. Studien aus Westbosnien, (.^bh. VII. 3.) Mit 14 Abbildungen im Text und auf 3 Tafeln. (200 S.) gr. 8. Geographische .'\bhandlungen herausgegeben von Prof Dr. Albrecht Penck in Wien. B. G. Teubner in Leipzig, 1903. — Preis 6,80 Mk. Der Verfasser versucht es in dieser Arbeit, der Gesetzmäßigkeit der Karsthydrographie nachzuspüren, um für die verwirrende Zahl von Einzelerscheinungen ein einfaches einheitliches Gesetz aufzustellen, in wel- chem alle Erscheinungen Platz finden. Er bietet hierfür reiches Beobachtungsmaterial aus dem west- bosnischen Karst, den er bei mehrmaliger Bereisung kennen lernte und über den er zahlreiche neue geo- logische Beobachtungen mitteilt. Nicht der „Fluß", sondern die „Quelle" ist nach dem Verf die Ursache der eigentümlichen Erschei- nungen der Karstländer. Die im Karst beobachteten Überschwemmungen sind nicht Flußüberschwemmungen mit unzureichendem Abfluß, sondern leiten sich von Grundwasserschwankungen ab. Leo Frobenius, G e o g r a p h i s c h e K u 1 1 u r k u n d e. Eine Darstellung der Beziehungen zwischen der Erde und der Kultur nach älteren und neueren Reiseberichten zur Belebung des geogra[)hischen Unterrichts. 4 Teile; Afrika, Ozeanien, Ame- rika und Asien. XIV und 919 Seiten, mit iS Tafeln Abbildungen und 42 Kartenskizzen. Leipzig, Friedrich Brandstetter, 1904." — Preis für jeden Teil 2.50 Mk. Es ist eine gute Idee, Leseproben aus berühmten und auch minder bekannten Reisewerken zu geben. und die vorliegende Ausführung dieser Idee ist als erster Versuch in der Richtung recht brauchbar und wird um so leichter Beachtung finden, als die ein- zelnen Lieferungen durch den wirklich billigen Preis von nur 2,50 Mark für jeden Teil von je über 200 Seiten Stärke die Anschaftung sehr erleichtern. Vor- wiegend handelt es sich um wesentlich ethnographische Abschnitte aus den Werken der Reisenden, die Fro- benius durch eingeschaltete Kapitel und durch die Einleitung miteinander zu verknüpfen bemüht ist. Literatur. Berthold, Prof. Dir. Dr. G. : Untersuchungen zur Physiologie der ptlanzlichen Organisation. 11. Tl. I.Hälfte. (IV, 257 S.) gr. 8". Leipzig '04, W. Engelmann. — 6 Mk. Gutberiet, Dr. Const. : Lehrbuch der Philosophie. (3. Bd.) Die Psychologie. 4., verm. u. verb. .'\utl. (XIV, 383 S.) gr. 8". Münster '04, Theissing. — 4 Mk. Haller, Prof. B. : Lehrbuch der vergleichenden Anatomie. 2. Lfg. (VIll u. S. 425-914 m. 466 Abbildgn.) gr. &<>. Jena '04, G. Fischer. — 12 Mk. Klaatsch, Prof. Dr. Herrn.: Grundzüge der Lehre Darwin's. Allgemein verstandlich dargestellt. 3. durchgesehene .Aufl. (175 S. m. I Bildnis.) 8°. Mannheim '04, J. Bensheimer's Verlag, — 1 Mk. ; geb. 1,50 Mk. Penzig, (>., und P. Saccardo: Icuues fungorum javanicorum. Mit 80, z. T. kolor. Taf. in Photozinkotypie. (VI, 1 24 -S.) gr. 8". Leiden '04, Buchh. u. Druckerei vorm. C. [, Brill. — 48 Mk. Pelz, Alfr. : Geologie des Königr. Sachsen in gemeinverständ- liclier Darlegung. (VII, 152 S. m. 121 Fig. u. 1 Karte.) gr. 8". Leipzig '04, E. Wunderlich. — 3 Mk. ; geb. 3,60 Mk. Röhmann, Prof. Dr. F. : .\nleilung zum chemischen .arbeiten f. Mediziner. 2. Aufl. (VI, 98 S. m. 32 Abbildgn.) gr. 8». Berlin '04, S. Karger. — Geb. in Leinw. 4 Mk. Schwalbe, Prof. Dr. Jul.: Grundriß der praktischen Medizin. Mit Einschluß der Gynäkologie (bearb. v. Dr. A. Czempin), der Haut- u. Geschlechtskrankheiten (bearb. v. Dr. M. Jo- seph). Für Studierende u. Arzte. 3., verm. Aufl. (XIX, 570 S. m. 65 Abbildgn.) gr. 8". Stuttgart '04, F. Enke. — 8 Mk. ; geb. in Leinw. 9 Mk. Schmidt, Prof. G. C. : Die Kathodenstrahlcn. Mit 50 eingedr. Abbildgn. (VII, 120 S.) Braunschweig '04, F. Vieweg & Sühn. — 3 Mk. ; geb. 3,60 Mk. Weber, Prof. Dr. Ma.\ : Die Säugetiere. Einführung in die .Anatomie u. Systematik der rezenten u. fossilen Mammalia. (XII, 866 S. m. 567 Abbildgn.) gr. 8». Jena '04, G. Fischer. — 20 Mk. ; geb. 22,50 Mk. Briefkasten. Herrn M. G. — Ein treffliches Buch über Blütenökologie ist gerade im Erscheinen begriffen, nämlich: Kirchner, Loew und Schröter: Lebensgeschichte der Blütenpflanzen Mittel- europas (Eugen Ulmer in Stuttgart). Die andere Frage bitte zu wiederholen. Herrn E. — Über „Schwarzwässer" linden Sie Auskunft in Josef Reindl ,,üie schwarzen Flüsse Südamerikas" (Theodor Ackermann in München 1903). In einer der nächsten Num- mern der Naturw. Wochenschr. soll infolge Ihrer Frage eine Auseinandersetzung über diese Wässer mit Bezugnahme auf das genannte Buch erfolgen. Herrn K. B. in Hildesheim. — Es sind in dem Satz Schwendener's die Ansichten gemeint, die nicht auf natur- wissenschaftlichem Boden gewachsen sind. Ein besonderes Werk, das alle Theorien und Ansichten wiedergibt, die die Natur rein ethisch und spekulativ-philosophisch betrachten, gibt es nicht; am besten ist eine Geschichte der Philosophie, 592 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 37 insbesondere das Kapitel über Schelling und Hegel einzusehen, z. B. in Zeller's Geschichte der deutschen Philosophie. Herrn E. B. in Einbeck. — Literatur zum Bestimmen von Käfern finden Sie in der Naturwiss. Wochenschrift vom 6. Sept. 1903 p. 588. Herrn C. G. in Neuwied (Rhein). — Unter Drahtwurm versteht man die „drahtförmige" Larve des Käfers Agriotes segetis, die an verschiedenen Kulturpflanzen Schaden anrichtet. Als wirksames Gegenmittel empfiehlt man u. a. das Kalken; 36 — 72 Ztr. Kalk pro Hektar mit der Saat untergeeggt, be- wirkte, daß diese Felder 5 — 6 Jahre vom Drahtwurm ver- schont blieben. Ebenso hat der im Boden frisch und fein verteilte Kalk Steckrüben , Kopfkohl und Runkelrüben vom Wurm freigehalten. — Vergl. Sie im übrigen das Büchclchen : ,, Pflanzenschutz" von Frank und Sorauer. Herrn R. in Brüssel. — In Deutschland durch Hermann Paetel, Berlin W 30, zu beziehen: International Catalogue of Scientific Literaturc. Preis des Jahrganges: £ 18. Der erste Jahrgang enthält folgende Bände : A) Mathematik I ^ Sh., B) Mechanik 10,6 Sh., C) Physik, L Teil 21 Sh., IL Teil 15 Sh., D) Chemie, I. Teil 21 Sh., IL Teil 18 Sh., E) Astro- nomie 21 Sh., F) Meteorologie 15 Sh., G) Mineralogie 15 Sh., H) Geologie 15 Sh., 1) Geographie 15 Sh., K) Paläontologie 10,6 Sh., L) Allgemeine Biologie 10,6 Sh., M) Botanik, 1. Teil 21 Sh., IL Teil 18 Sh., N) Zoologie 37,6 Sh., O) Anatomie des Menschen 10,6 Sh., P) Physische Anthropologie 10,6 Sh , Ql Physiologie, I. Teil 21 Sh., IL Teil iS Sh., R) Bakterio- logie 21 Sh. Zu dem Preise der Bände kommt noch das Porto für die Zustellung. Außerdem erscheint ein Band , der die Titel der Zeitschriften und periodischen Erscheinungen enthält, die im Kataloge bearbeitet sind. Preis; 10,6 Sh. nebst Porto. .Subskribenten auf den vollständigen ersten Jahr- gang (Band A— R) sind zum unentgeltlichen Bezüge dieser Zeitschriftenliste berechtigt, welche übrigens auch allein zu haben ist. Herrn Prof. G. — Über die Kultur der Pflanzen- zwerg formen der Japaner gibt O. Drude in der Garlenflora-Berlin (1889 p. 594 — 595) die folgende Auskunft: Um dem japanischen Geschmack mit seiner Vorliebe für ganz klein gehaltene und dabei im Wuchs verdrehte Pflanzen zu entsprechen, für welchen die Nadelhölzer Juniperus sinen- sis, Thujopsis dolabrata , Chamaccyparis obtusa , Cupressus Corneyana, Pinus japonica und densiflora, Podocarpus nageia und macrophylla, Gingko, dann von Laubhölzern die Apo- cynee Trachelospermum jasminoides, die Pomacee OstcOmeles anthyllidifolia, die Berberidee Nandina domestica, das bekannte Pittosporum Tobira , Ternstroemia japonica, und die Ahorn- arien Acer palmatum und japonicum hauptsächlich (und am meisten die Nadelhölzer) in Verwendung kommen, werden in möglichst kleinen Töpfen sehr alte E.xemplare gehalten, denen in steter Obhut und Pflege eine veränderte Wuchsform erteilt wird. Unter den ausgestellten Wachholdern hatten einige ein Alter von 130 Jahren, waren unter I m hoch und kosteten bis 600 Fr. Unter den Laubhölzern besitzen dagegen viele nur dicke, stummelartige Stämme und Pfropfäste. Das Verfahren der Japaner zur Erzielung einer solchen — wie die Franzosen es nennen — ,,Nanisation" ist kurz folgendes: Die Hauptsache ist die Kultur in äußerst geringen Mengen von Erde. Die jungen Pflanzen schon werden in so kleinen Töpfen erzogen, daß ihre Wurzeln bald das ganze Erdreich erfüllen, und, nach weiterer Nahrung suchend, oberflächlich austreten ; dann erhalten die Pflanzen etwas größere Töpfe, in welchen sich aber alsbald dasselbe Bild des Nahrungsmangels wiederholt, und so fort ihr ganzes Leben hindurch. Zu die- sem geringen Quantum Erdreich gibt man den Pflanzen außer- dem gerade nur so viel Wasser, als sie zum Bestehen durch- aus nötig haben. Dabei verkümmert sogleich die Pfahlwurzel, und auch die Seitenwurzeln entwickeln sich weder genügend schnell noch genügend zahlreich für ein kräftiges Wachstum der Pflanze, so daß das ganze Leben sehr verlani^samt wird ; verschnitten werden übrigens die Wurzeln nicht. Durch das Hervorbrechen derselben nach oben wird der dicke und un- förmlich kurze Stamm allmählich in die Höhe gehoben und erscheint wie auf Luftwurzeln gestützt. Die andere Seite der Kultur liegt im Verändern des natürlichen Wuchses durch Zweigunterdrückung. Die Japaner verknüpfen frühzeitig die Aste unter sich oder mit dem Stamm in einer möglichst verkrümmten und zickzackförmigen Weise und bedienen sich dabei zum Anbinden der Bambusfasern. Dadurch wird eine das Wachstum in sicli selbst unterdrückende Form erzielt, so daß der Stamm nacli 50 — 100 Jahren erst 4 — 7 cm Durchmesser und die zehnfache Höhe besitzt. Wo ein verkrUmmter Ast abstirbt, wird er abgeschnitten und durch einen unterhalb des Schnittes hervorsprießenden neuen Ast ersetzt ; dadurch wird oft der Anschein eines künstlichen Zu- schnittes hervorgerufen. Die Koniferen ertragen dies Nanisations -Verfahren viel leichter als die Dicotyledonen , welche durch ihre unverwüst- liche Kraft, Seitenknospen anzulegen und austreiben zu lassen, die ganze Geduld selbst eines japanischen Gärtners heraus- fordern ; denn alle jungen Zweige müssen in gleicher Weise verkrümmt und angebunden werden. Dabei bringt man den Hauptstamm öfter durch Anbringen an Stammstücke von einem Baumfarn (Cyathea) oder an Stücke eines tuft'artigen Gesteins oder Korallenstücke dahin, sich um diese herum in kurzen Bogen zu winden oder an ihnen entlang zu krümmen. Sterben alle verkrümmten Äste ab , so werden neue auf den Stamm aufgepfropft, so bei den Nandina-E-xemplaren. Herrn L. R. in Moskau. — Zu dem Ausdruck ,, experi- mentelle Morphologie" schreibt uns Herr Prof. Dahl : Den Ausdruck ,, experimentelle Morphologie" habe ich genau so in zoologischen Schriften nicht finden können, will aber damit nicht sagen, daß er nicht trotzdem oft so gebraucht worden ist. Roux spricht in der Einleitung des ersten Bandes der von ihm redigierten Zeitschrift für Entwicklungsmechanik (1895) von einer kausalen Morphologie , die er seiner Entwicklungs- mechanik gleichstellt. Bei der Methodik dieses Gebietes nennt Roux an erster Stelle das Experiment. Hier handelt es sich also offenbar um denselben Gegenstand. Auch von einer ,, experimentellen Physiologie" spricht Roux in jener Einleitung. Tornier , dessen Hauptarbcitsfeld gerade dieser Zweig der zoologischen Wissenschaft ist, wußte auch nichts Bestimmtes über jenen Ausdruck anzugeben, hielt ihn auch für recht un- glücklich. Es hat wenig Wert, die Literatur daraufhin durclizusehcn, wer den Ausdruck experimentelle Morphologie zuerst gebraucht hat. Zu diesem Gegenstande vergleichen Sie Goebel's ,,Or- ganographie" und Potonie's Schrift ,,Ein Blick in die Ge- schichte der botanischen Morphologie" (beides bei G. Fischer in Jena erschienen). Herrn P. W. in Jerusalem. — Auf die .Anfrage erwidere ich, daß es eine deutsch oder französisch geschriebene Flora von Palästina meines Wissens nicht gibt, ebensowenig eine Flora der Mittelmeerländer. Wohl aber gibt es eine englisch geschriebene Flora of Syria , Palestine and Sinai von George Post M. D. in Beirut, die allerdings einen ziemlich hohen Preis hat (ich glaube 22 Mk.), aber sehr wohl empfohlen werden kann, da sie das Gebiet viel eingehender behandelt als Boissier's 5- (oder mit dem .Sup]ilement 6-) bändige Flora Orientalis und durch 441 eingedruckte Abbildungen die Bestimmung erleichtert. P. Ascherson. Inhalt: Richard Fohle; Das Mammut in der Vergangenheit Sibiriens. — Kleinere Mitteilungen: G. Rörig: Beiträge zur Frage nach dem wirtschaftlichen Werte der Vögel. — Edw. Babak: Über den Einfluß der Nahrung auf die Länge des Darmkanals. — Tornier: Überzählige Bildungen. -=- G. Lindau: Die Forschungen über die Spezialisierung der Roslpilze. — Dr. Otto Wilckens: Der geologische Bau der Hohen Tauern. — Dr. Fiebelkorn: Kristallisierter Portlandzemcnt. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Bücherbesprechungen: Meyer's Historisch-Geographischer Kalender. — Wilhelm Bö Ische; Die Abstammung des Menschen. — H. Sydow: Annales mycologici. — Dr. Richard Lepsius; Geologie von Deutschland und den angrenzenden Gebieten. — Dr. Alfred Grund: Die Karsthydrographie. — Leo Frobenius: Geographische Naturkunde. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonic, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,Die NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge 111. Band; der ganzen Reibe XIX. Band. Sonntag, den 19. Juni 1904. Nr. 38. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringcgeld bei der Post 15 Pfg. e.\tra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einliunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. [Nachdruck verboten.] Natürliche und künstliche Erzeugnisse. Von Georg Heuser, Köln. In folgenden Beispielen möge ."Xnmerkungen zu einer „Philosophie der Technik" Raum gegönnt werden, wie sie Kapp vor 25 Jahren begann und andere in einigen anderen Schriften fortsetzten.^) In Figur i sei als natürliches Erzeugnis eine Blattfläehe mit der Verzweigung ihrer vortretenden Rippen dargestellt. Wie das Knochengerüst den Tieren den Halt gibt und die Adern das nährende Blut fördern, so dienen die Rippen zur Absteifung des Blattes und zugleich als Leitungsbahn des für das Wachsen der Pflanze erforderlichen Wassers und Baustoftes. Die Hauptrippen sind durch feinere, sich ver- ästelnde Seitenadern miteinander verbunden, welche das zwischen ihnen sich ausdehnende Zellengewebe zum Auffangen des Sonnenlichts durchgehends ver- spannen und ernähren. Dem öfter von Naturforschern gemachten Ver- gleiche folgend, betrachtet Kapp das riesige Netz der Schienenwege, welches die Erde zunehmend ') Zur philosophischen Begründung der Technik. K. v. Engel- raeyer. Dingler, polytechn. Journal 1899 — 1900. Natur und Technik. Über den Bautrieb. G. Heuser. Zeilschr. Die Natur 1900 u. 1901. umspannt, als ein Abbild der Blutaderverzweigung des menschlichen Körpers, ebenso wie die Tele- graphenlinien als eine künstliche Nachbildung, eine „Organprojektion", des Nervensystems anzusehen sind. Hier ist beizufügen, daß viele zweckmäßige Vorrichtungen auch bei der Pflanze ihr natürliches Vorbild finden und die in einer Ebene sich ver- breitenden Leitstränge eines Baumblattes gleichen jedenfalls ebenso wie das Adernetz des Tieres der Verästelung der verschiedenen Rohrleitungen und Eisenbahnstränge, welche der Menschheit gleich der Pflanze zur Zufuhr der Subsistenzmittel dienen. Figur 2 gibt ein Beispiel der oft wunderbar künstlichen Erzeugnisse der Insekten. Hier werden durch die Fäden einer Spinnraupe zwei Blätter zusammen gehalten, um für das Puppenkleid eine schützende Hülle zu gewinnen. Die vorhin be- schriebenen Verbindungsadern des Blattes ent- standen durch die Triebkraft von Pflanzenzellen; allerdings zu viel weiteren Zwecken und inner- halb einer vollen Fläche. Hier sind es die Drüsen- zellen eines Tieres, welche für die frei gespannten Fäden den Baustoff liefern. Das Zellen bildende S94 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 3 g Plasma besitzt eine erstaunliche Anpassungsfähig- keit an äußere Lebensbedingungen. Durch Ab- sonderung der umschließenden Haut dient es or- ganischen Wesen in mannigfaltiger Weise. Sie wächst als Haar- oder I'ederkleid , Stachel- und Schuppenpanzer, als Hörn- und Kalkgehäuse vielen Tieren auf den Leib. Andere haben besondere Zellen, durch deren Sekrete eine Wohnung oft mit größtem praktischen Geschick hergestellt wird, so von vielen Raupenarten und Spinnen. Die Technik nimmt in der Natur ihren Anfang unter den verschiedensten Formen und es erscheint oft zweifelhaft , wo der Übergang stattfindet von den natürlichen zu den künstlichen Erzeugnissen, von den Organen zu ihren Projektionen. Im Tierreich beginnt die Technik vielfach bei unmittelbarer Mitwirkung des Protoplasma, mit der als Naturtrieb bezeichneten Tätigkeit. Gleiche Zwecke werden erfüllt mit und ohne Muskelarbeit das Plasma sogar der Kammer der Wurzel- Naturgeschichte der Technik und durch Hilfe von Sekreten sowohl wie mit anderweitigen Baustoffen. Bei einzelligen Lebe- wesen schon bedient sich Fremdkörper, so bei der füßer. Wer sich mit der befaßt, darf den eigentlichen Träger des Lebens, das bauende Plasma, nicht außer acht lassen. Zu der Zeit, da das Buch von Kapp erschien, hatte die mikroskopische Forschung noch nicht die Fülle \'on Beobachtungen gemacht und so findet das Plasma darin keine Erwähnung. Gleich einer Naht frei gezogene F'äden, wie hier bei dem Machwerk der Spinnraupe, sind uns in der Pflanzenwelt und auch allgemein als natürliches Produkt, als Teil eines Organismus unbekannt, während absteifende und zugleich leitende Verbindungslinien wie am Baumblatte vielfach sichtbar sind. Vielleicht aber findet man auch Nähte als Naturprodukt, ebenso wie von Meyer die Zug- und Drucklinien von Eisenbahnkonstruktionen im Knochengewebe ent- deckte und Schwendener hh förmige und Bogen- versteifungen bei den Rippen der Pflanzen. Verspannende Verbindungslinien wie die Blatt- rippe findet man auch an den Flügeln der In- sekten. Eine auffallende Ähnlichkeit mit Blättern gewinnen durch Mimikry die aneinander liegen- den Flügel des „wandelnden Blattes", einer ost- indischen Gespenstschrecke. H. Potonie hat in seinen „Paläophytologischen Notizen" (Naturw. Wochenschr. 1903 Nr. 37) die fortschreitende Entwicklung von der Fächeraderung der Blätter zu der zweckmäßigeren Maschenaderung in lehrreicher Weise erörtert. Wie er das bei Blättern vorgenommen , so würde es auch sehr interessant sein, einmal in Flügelspreiten lebender Insekten Einschnitte zu machen , um den ver- schiedenen Wert der Rippensysteme in bezug auf Ernährung und Versteifung kennen zu lernen. Mit den Leitungen der Blätter und Flügel und ebenso den Adern tierischer Körper vergleichbar erzeugen verschiedene Tiere Systeme von Rohr- gängen sogar als technisches Produkt. So sind es die Termiten , welche aus ihrem Sekret Röhren zusammenkitten, um unter ihrem Schutz der Nah- rung nachgehen zu können. Wie durchgehends die Insekten, so folgen auch die Raupen besonders wechselnden Trieben. Manche verpuppen sich nur durch Häutung, viele befestigen dabei, mit technischer Tätigkeit beginnend, die Puppe durch einige Spinnfäden, wie in unserer Abbildung. Bei manchen Arten findet die Häutung eine Ergänzung durch allerlei Fremdkörper, wie PIrde, Holz und Haare, viele aber spinnen aus ihrem Sekret ein schützendes Gehäuse, wie die Seiden-, Kiefern- und Schwammspinner. Bei dem hier gezeichneten Machwerk der Spinn- raupe lassen sich drei Teile unterscheiden. Es besteht aus dem Fremdkörper, den umschließenden Blättern, aus der Verbindungskonstruktion und der eigentlichen Hülle. Blätter und Hülle sind Er- gänzungen, Organprojektionen der Haut und dienen N. F. III. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 595 wie diese als ein Schutzmittel gegen äußere Einflüsse. Das Tier übt bei dieser einer Örtlichkeit sich an- fügenden Vorrichtung eine technische Arbeit. Es zieht zunächst die Blätter zusammen und ordnet sodann seine Spinnfäden in Schlangenwindungen zu seiner eiförmigen Wohnung. Durch Figur 3 sei das Nest des Schneider- vogels zur Anschauung gebracht, der, wie Brehm berichtet, mit einem „selbstgedrehten" oder auf- frefundenen Faden näht. i-'ig- 3- Hier ist es also nicht mehr Plasma-Ausscheidung mit welcher das Tier arbeitet, vielmehr wählt und holt es die nötigen Baustoffe, macht vorher Bind- fäden sogar zum Gebrauch geeignet und benutzt den Schnabel als Werkzeug. Das Nest besteht aus äußerer Wand und innerem Ausbau ; es wird mit Baumwolle, Wolle und Pferdehaaren dicht aus- gefüttert. Ein Produkt der Plasmatätigkeit sind die Hüllen des Inhalts unseres Nestes, die Schalen der Eier, welche gleich dem Kokon der Raupe das sich entwickelnde Leben schützen. Die Membran, welche die Zellen in vielartiger Zusammensetzung und Festigkeit ausscheiden, gestaltet sich bei den auszubrütenden Eiern zu einer widerstandsfähigen Schale. Es sei daran erinnert, daß indische Schwalben- arten auch iiire eßbaren Nester ganz aus Drüsen- absonderung bereiten und die einheimischen kleben bekanntlich mit iiircm Speichel Erde zu haltbarem Wandmörtel zusammen. So geht bei den Vögeln wie auch bei den Insekten die Bauart aus Zellen- sekret vielfach über zu der mannigfaltigen mit Hilfe von Fremdkörpern. Kapp will es „über sich gewinnen", alle den Tieren beigelegten Eigenschaften und Geschicklich- keiten zuzugeben, aber er führt keine Beispiele an, in denen sie ihre Organe durch künstliche Werk- zeuge projizieren , ergänzen und unterstützen. Solche benutzen sie allerdings zur Bautätigkeit sehr selten. Die Ameisenbären jedoch schleudern Sand auf ihre Opfer, auch die Affen benutzen ver- schiedene Wurfgeschosse und lernen in der Ge- fangenschaft manches „Hand"- Werkzeug gebrauchen. Sinnreiche Einrichtungen, wie die Falltür der Minierspinne zum Einfangen der Beute, oder das schwimmende Blatt mit dem Gehäuse für die Eier des Wasserkäfers kann man wohl als Werk- zeuge bezeichnen. Zwar ist kein Fall bekannt, daß ein Tier vorher Instrumente herstellt, um sich die Ausführung solcher Baukonstruktionen zu er- leichtern ; indessen dreht doch der Schneidervogel zunächst den F"aden zurecht, um ihn nachher zum Bau seines Nestes zu verwenden. — In Figur 4 ist eine Verschnürung mit säumen- den Ziernähten zur Anschauung gebracht, wie man sie in wechselnder Form in ethnographischen Wer- ken abgebildet findet. l-'ig- 4- Auch der Mensch hat sich beim Spinnen von Fäden und Seilen ehedem nicht selten des Drüsen- sekrets, seines Mundspeichels, bedient, während gegenwärtig Garn und Naht sogar ohne Zutun der Hände mit höchster Sciinelligkeit durch Maschinen- technik angefertigt werden. Bei der Drehung des Fadens durch Bewegung unserer leiblichen Organe, der Fingergelenke, fanden diese zuerst durch ein einfaches Werkzeug, die Handspindel eine tech- nische Ergänzung, dann folgte das Spinnrad, welches sich später zu großen Spinnmaschinen, den Sei- faktors, erweiterte. Die Fülle solcher und anderer Arbeitsmaschinen wurde erst möglich, als Menschen und Wasserrad durch weitere Motoren und namentlich die Dampf- maschine ersetzt wurden. Diese ist nicht nur be- 596 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 38 wunderungswürdig durch die vielen Projektionen or- ganischer Gelenkverbindungen, der metallenen üreh- flächen, Arme, Hämmer, Hebel und Kolben, sondern ebenso wunderbar ist auch , wie Kapp hervorhebt : „dieSpeisungderMaschine,dieUmsetzungderBrenn- stoffe in Wärme und Bewegung, kurz der eigen- tümlich dämonische Schein selbsteigener Arbeits- leistung". Die Stoffe indessen, welche wir technisch so vollkommen für unser Kleid spinnen, sind doch immer ein Produkt der Plasmatätigkeit. Die Zellulose der Pflanze und das Chitin oder Protein der Tier- zellen schützen in Form von Flachs, Baumwolle und Wolle unseren Körper vor äußeren Einflüssen, und das kostbarste Gewand, welches der Mensch trägt, webt er aus den F"äden, welche die mikro- skopisch kleine organische Spinnmaschine liefert, die Spinndrüse der sorgsam gezüchteten Seiden- raupe. Man behandelt dieselbe gleich einer Be- triebseinrichtung, welche zur Erzeugung eines ge- wünschten Fabrikats als Rohmaterial eine ent- sprechende Menge geeigneter Maulbeerblätter be- darf. — Nicht nur bei Kulturmenschen, sondern selbst bei vorgeschichtlichen und wilden Völkerscliaften geht die notwendige Naht bald in eine freie Kunst- form über. In seinem berühmten Werk über den Stil in den technischen und tektonischen Künsten widmet Semper der Naht ein besonderes Kapitel. Das Gesetz, aus der Not eine Tugend zu machen, tritt bald auch bei der Naht auf, und aus dem Flickwerk wird dann ein geschmackvolles Stick- werk. So werden Verbindungssclmüre, wie sie die Seidenraupe oder der Schneidervogel nur in not- dürftiger Weise herstellen, an der Brust von Männer- und PVauengewändern wie auch an der Fuß- bekleidung in allen Ländern durch sorgfältige An- ordnung zu einem Gegenstand des Schmuckes ähnlich dem hier dargestellten. — Überblickt man nunmehr die besprochenen Beispiele, so ist in der Tat zu erkennen, daß eine einfache Konstruktion , wie die von einem zum andern Angriffspunkt gehenden Adern und Fäden sowohl durch das Wachstum der Pflanze wie durch die Tätigkeit des Tieres erzeugt werden, daß man bei der Pflanze die Entstehung der mechanisch wirksamen, oft mit den Leitbündeln verbundenen Skelettstränge nur auf den Bautrieb des Proto- plasma zurückführen kann, während bei Tieren Übergänge von der Sekretausscheidung zu tech- nischer Arbeit stattfinden. Bei dem Schneider- vogel beginnt sogar eine höhere Bautätigkeit mit Hilfe herbeigeholter und vorbereiteter Fremdstoffe. Der Mensch gestaltet aus der Zweckform der Naht eine Zierform; das technische Erzeugnis wird zum künstlerischen. Es kann demnach zwischen Natur und Technik, zwischen Technik und Kunst eine scharfe Grenze nicht gezogen werden. — Kapp behandelte keine Machwerke wie die hier aufgezeichneten, deren sich zu einer „Philo- sophie der Teclinik" noch manche zusammen- stellen ließen. Dieselbe wird eine ganz andere Behandlung erfahren durch Verfasser, die durchaus auf dem Standpunkte des Monismus stehen. Er gelangte nicht dazu. Pflanze, Tier und Mensch ein- heitlich zu betrachten und hat nur Organprojek- tioiien beleuchtet, welche der Mensch hervorbringt, lediglich im Hinblick auf künstliche Nachbildungen unserer eigenen Leibesbeschaffenheit. Ist es auch schwierig, seine Ausführungen stets in Übereinstimmung zu bringen, so muß man doch anerkennen, daß er grundlegend und sehr gewissen- haft viele zugehörige Arbeit zusammengetragen hat. Gleich iiim wird jeder, der seiner Neigung folgt, über die Natur der Dinge zu philosophieren, bald durch Rätsel in Verlegenheit gesetzt werden und kann in anderer Richtung zu Irrtümern ge- langen. So mag auch dieser kleine Beitrag zu seinem Buche nicht bei jedem Leser Zustimmung finden, zumal Gegenstände so verschiedener Fächer in Betracht zu ziehen waren. Das Verhalten der Vorkerne nach der Befruchtung. [Nachdruck verboten.] Von K. Kliem. Bereits im Jahre 1895 erschien eine Unter- suchung Rückert's,') die sich mit der Frage beschäftigte : Wie verhalten sich die Substanzen von Ei- und Samenkern nach erfolgter Befruchtung innerhalb der Kerne des sich entwickelnden Eies? Rücke rt führt aus, daß man naturgemäß der Frage bis zu dem Zeitpunkte keine Beachtung ge- schenkt hatte, wo die Ansicht herrschend war, daß Ei- und Samenkern zu einem ruhenden „ersten ') J. Rückert, Über das Selbsländigbleiben der väterlicheu und mütterlichen Kernsubstanz während der ersten Entwicklung des befruchteten Cvclops-Eies. Archiv für mikroskop. Ana- tomie. Bd. XLV, 1895. Furchungskern" konfluieren, und somit keine Ana- lyse möglich war. Sobald aber van Beneden für Ascaris me- galocephala nachgewiesen hatte, daß Ei- und Samen- kern, ohne zu verschmelzen, sich in die Chromo- somen der ersten Furchungsspindel verwandeln, und eine Vermengung des väterlichen und mütter- lichen Chromatins vor Ablauf der ersten Furchungs- teilung nicht stattfindet, war die oben aufgestellte Frage aktuell geworden. Rückert studierte darauf- hin die ersten Entwicklungsstadien der Eier von Cyclops strenuus. Figur I zeigt den ersten Furchungskern in Teilung. Die den Vorkernen entsprechenden Hälften der Tochterplatten sind durch einen Spalt ge- N. F. m. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 597 trennt. Beim IJbergang zur Ruhepause verwandeln sich die Furchungskerne in eine Anzahl heller Bläschen, in deren Wand das Chromatin verteilt liegt. \w Fig. I. Durch Verschmelzung katin schliel.Mich ein Ruhekern mit einigen vereinzelten Einkerbungen entstehen. Die oben genannten Bläschen sind um- gewandelte Chromosomen. Rückert denkt sich Fig. 2. diese Umwandlung folgendermaßen. Die Chroniatin- schleifen biegen sich ringförmig zusammen, und dieser Ring sendet feine, miteinander anastomo- sierende Fortsätze ins Innere. Sobald sich diese Fi" Ausläufer nicht auf die Ebene des Ringes be- schränken, ist die Anlage eines körperlichen Ge- bildes gegeben. Die Hauptmasse des Chromatins liegt an der Oberfläche (chromatische Kernmem- bran\ Figur 2 zeigt einen Tochterkern der ersten Furchungsteilung in Rekonstruktion. Die den 2 Vorkernen entsprechenden .Abteilungen sind als getrennte Stücke wahrnehmbar. Der Doppelbau ist am klarsten bei nahezu vollendeter Verschmelzung (Fig. 3). In dem läng- lichen Kern beobachtet man eine durch einen Teil des Chromatingerüstes gebildete Scheidewand. Fig. 4- Durch eine doppelte oder einfache Einkerbung erscheint der Kern zuweilen biskuit- oder bohnen- förmig. Mgur 4 zeigt das Spiremstadium der zweiten Furchungsteilung. Der Doppelbau zeigt sich in der Trennung des Knäuels in zwei Hälften. Um in die definitive Lage zu kommen , müssen die Kerne eine Einksdrchung ausführen, h'igur 5 zeigt die vollendete Drehung. Im weiteren Verlauf der Furchung nehmen die Fig- 5- zweiteiligen Chromatinfiguren ab. Der Doppelbau ist in diesen Stadien nur im Ruhezustand deutlich (Fig. 6), läßt sich aber bis zur Zeit der Keimblätter- bildung verfolgen. Das Ergebnisseiner Untersuchungen faßtRückert dahin zusammen; DieVermengungder väter- lichen und mütterlichen Kernhälfte findet in der ersten Entwicklungszeit mindestens bei einem Teil der Kerne nicht statt und ist daher für die nor- male Entwicklung nicht nötig. S98 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 38 Eine zweite Abhandlung, die die obige Frage behandelt, ließ Haecker^)in demselben Jahre er- scheinen. Da der Verfasser auf diese Verhältnisse in einer kürzlich erschienenen Untersuchung noch- mals ganz speziell eingeht, kann ich mich darauf beschränken, auf die oben genannte Untersuchung hinzuweisen. Ich wende mich daher sofort der neuesten Untersuchung H a e c k e r ' s -) zu. Fig. 6. Haecker geht davon aus, daß vor der weiter- gehenden theoretischen Verwertung der in den früheren Schriften mitgeteilten Befunde 3 Fragen näher untersucht werden mußten: 1. Dauert die Doppelkernigkeit bis ins Keim- bläschenstadium fort? (Rückert). S. Anat. Anz. XX, 1902. 2. Wie verhalten sich die elterlichen Kern- anteile unmittelbar vor der Befruchtung? 3. Handelt es sich um sporadische Vorkomm- nisse oder um eine allgemeine Erscheinung im Tier- und l'flanzenreich ? Mit der Beantwortung dieser Fragen beschäftigt sich die vorliegende Arbeit. I. Untersuchungsmaterial. Das Untersuchungsmaterial waren die pela- gischen Copepoden des Titisees: Cyclops strenuus J Cyclopiden Heterocope saliens Diaptomus laciiiiatus denticornis Centropagiden (Calaniden). IL Zur Entwicklungsgeschichte der Centropagiden. Die Entwicklung der Eier von: Diaptomus denticornis schließt sich an die des Cyclopseies an. ') V. Haecker, Über die Selbständigkeit der väterliclien und müUerliclien Kernbestandteile während der Embryonal- entwicklung von Cyclops. Archiv für mikroskop. Anatomie Bd. XLVl. 1895. ^) V. Haecker, Über das Schicksal der elterlichen und großelterlichen Kernanteile. Verlag v. G. Fischer, Jena. Zwei Punkte sind jedoch genauer hervorzu- heben : 1. Die Bildung von Dauereiern, 2. die histologische Differenzierung der Keim- bahnzellcn. Die Bildung von Dan er eiern. In der Geschwindigkeit der Entwicklung zeigen die beiden Diaptomusarten einen wesentlichen Unterschied. D. lacinatus hat seine Fortpflanzungszeit vom März bis Mai. Schon Ende Juli treten die geschlechtlich differenzierten Jungen auf, die dann langsam während des Herbstes und Winters zur vollen Reife heranwachsen. Die Hauptvermehrung von : D. denticornis fällt in den August. Ge- schlechtlich differenzierte Junge treten aber erst im folgenden Juni (nach 10 Monaten) auf; es er- folgt dann eine rasche Entwicklung zur vollen Reife innerhalb zweier Monate. Es fragt sich, in welchem Stadium die Denti- cornis-Brut überwintert. Im Anfang der Ver- mehrungszeit findet man in den Eisäcken wesent- lich die älteren Embryonalphasen (Nauplius), wenige Wochen später fast nur Furchungs- und Gastrulationsstadien. Die Erklärung ist folgende: D. denticornis produziert zweierlei Eier: I. Subitaneier, im ersten Teil der Ver- mehrungsperiode. Diese entwickeln sich im Eisack bis zum Naupliusstadium. Fig. 7. D. d. Stadium IV — VIII. Die Keimbahnzelle ist in der Teilung um einen Schritt zurück hinter den übrigen Zellen (Phasendifferenz). Körnchenabscheidung in der somatischen Tochterzelle. 2. Daiiereier, im zweiten Teil der V'er- mehrungsperiode. Diese entwickeln sich zunächst nur bis zu einem von einer dop- peltenChitinkapsel umgebenen Dauerstadium (Fig- 15)- Histologische Differenzierung der K e i m b a h n z e 1 1 e n. ' ) Die Keimbahn (d. h. die vom befruchteten Ei bis zur Gonadenanlage führende Zellenfolge) ist durch folgende Merkmale ausgezeichnet: I. Durch die Autonomie (Selbständigkeit) der Kernhälften (s. später), ') In den Figuren durch dunklere Färbung angedeutet. N. F. III. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 599 3- durch die zunehmende Verlangsamung der Teilungsgeschwindigkeit (zunehmende Phasendifferenz) (Fig. 7), durch das Auftreten von Außeiikörn- c h e n (Ectosomenj. Fig. 8. D. d. Stadium XVI— XXXII. Ektosomale Abscliei- dungen an einem Pole des Keimbahnkernes. Die Außenkörnchen treten zuerst bei der Dia- kinese als einseitig dem einen Kernpol aufgelagerte Masse hervor (Fig. 8). Sie rücken dann in Gestalt kleiner Körnchen in die Umgebung des Spindel- pols (Fig. 9) und liegen zu Beginn des Ruhe- Fig. 9. D. d. Stadium XVI — XXXII. a, i, c aufeinander folgende Ph.isen in der Anordnung der Nukleolen. B Fig. 10. D. d. Stadium (XXX -f- A + B) — (LX -j- A -[- B). A Stammzellc , B Schwesterzelle der Slammzelle mit reichlicher, dem Kern angelagerter ektosomalcr Substanz. Die Blastodermkerne zeigen den sechsten Teilungsschritt. Die Dyaster links und rechts zeigen den gonomeren, die Tochter- kerne oben den idiomeren Zustand. Stadiums als wurstähnliche Masse dem Kern an (Fig. 10). Verfasser hält sie für temporäre, nicht struk- turierte Abscheidungen oder Zwischenprodukte des Kern-Zellestoft'wechsels. Die Außenkörnchen werden nicht in die neue Keimbahnzelle (Boveri's „Stammzelle"), sondern in die kleine fast rudimentär erscheinende Schvvester- zelle (B) aufgenommen, um hier während des Kernruhestadiums aufgelöst zu werden. III. Die Autonomie der Kernhälften während der Furchung und Gastrulation. (Diaptomus, Cj-clops, Crepidula.) Beim Cyclopsei ist die Trennung der Kern- hälften nicht nur im Ruhestadium, sondern auch während der Teilung (Knäuelstadium, Dyaster, Rekonstitution der Tochterkerne) zu beobachten. Entsprechend sind die Verhältnisse bei Dia- ptomus. Besonders hervorzuheben sind Astern in Polansicht, deren Chromosome sich durch einen Durchmesser in 2 Gruppen von je 16 Chromo- somen zerlegen lassen. (F'ig. 11). Fig. II. D. d. Polansicht der Asteren des Stadiums IV bis VIII. Die 32 Chromosomen lassen sich durch einen Durch- messer ohne Rest in zwei Gruppen voTi 16 teilen. Verfasser nimmt eine membranartige Scheide- wand an, die bei der angewandten Konservierung allerdings unsichtbar bleibt. Verhalten der Kerne während R u h e s t a d i u m s. des Während des Übergangs dazu wandeln sich die an die Pole gerückten Chromosome in chromo- somale Teilbläschen (Idiome ren) um. Diese verschmelzen bald zu 2 gleichgroßen, dicht nebeneinander geschmiegten Bläschen (Gono- m e r e n), die zweifellos der väterlichen und mütter- lichen Kernhälfte entsprechen. Die Idiomeren sind helle Bläschen, deren färbbare Substanz der Innenfläche der Wand an- gelagert ist (Fig. 12). Die Gonomeren zeigen ein fadenförmiges Gerüstwerk ohne deutliche nukleoläre und chromo- somale Differenzierungen (Fig. 8, rechts). Beim Cyclopsei ist der Doppelbau (G o n o- m e r i e) der Kerne während des Ruhestadiums persistierend; bei Diaptomus bildet er nur eine Übergangsperiode, indem beide Gonomeren zu einem zunächst ovoiden, später kugeligen Kern verschmelzen. 6oo Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. N. F. in. Nr. 38 Der Doppelbau der Kerne ist dann nur noch an einer Symmetrie der Nukleolarsubstanz erkennbar. Nacli der Verschmelzung der Gonomeren treten an dem dem Spindelreste zunächst gelegenen Pole 2 symmetrische, anfänglich gleichgroße Nukleolen auf (Fig. 9 a). Sic rücken ins Kerninnere (Fig. 9 b), legen sich aneinander (Fig. 9c) und können schließ- lich verschmelzen. \ l\ ¥ Fig. 12. D. d. Stadium I — II. Idiomerie der Tochtcrkernc. Körnclienabscheidung in der somatisclien Zelle. Zwischen den beiden Zellen der zweite Richtungskörper. Bei älteren Furch ungsstadien zeigt sich ein etwas anderes Verhalten. Beim Rücken der Nukleolen ins Innere bildet sich ein erheblicher Größenunterschied aus , der sich vor der Verschmelzung wieder ausgleicht. Das Nukleolenpaar zeigen am schönsten: a) die S t a m m z e 1 1 e n und ihre Schwester- zellen (Fig. 10), b) später die sekundären Ur-| g e n i t a 1 z e 1 1 e n , I ^'f^ c) die zentralen Entodermzellen. J 14. Bedeutung dieser Symmetrie. Das Nächstliegende ist, anzunehmen, daß die Symmetrie der Nukleolarsubstanz im Zusammen- hang mit der vorher beobachteten Autono- mie der elterlichen Kernhälften steht. Eine Ergänzung und Stütze erhält dieser Satz durch die Beobachtungen bei : Cyclo ps brevicornis und Crepidula plana (Conklin). Zusammenfassung der Resultate : I. Cyclo ps, jüngste Furchungsstadien. In den Idiomeren treten vor der Vereini- gung zu Gonomeren zahlreiche kleine Nukle- olen auf. II. Cyclo ps, mittlere Furchungsstadien. Nach Bildung des gonomeren Kernzustandes überwiegt in jedem Gonomer ein Nukle- olus an Größe, diesem schließen sich die früher und später gebildeten an. III. Cyclops, spätere Furchungsstadien und Crepidula. Nach Eintreten des gonomeren Kernzu- standes bildet sich sofort in jeder Kern- hälfte je ein primärer Nukleolü-s. . Dazu können noch „adventive" Nukle- olen kommen, oder die beiden primären können zu einem sekundären ver- schmelzen. IV. Diaptomus. Erst nach Verschmelzung der Gonomeren treten die beiden primären Nukleolen hervor. Häufig tritt Verschmelzung zu einem sekundären ein. Wir sehen, daß die Symmetrie der Nukleolar- substanz von Stufe zu Stufe schärfer hervortritt. Fig. 13. D. d. Stadium (CXXVIII— CCLVI). Die achte Teilung ist im Ablauf begriffen. Nur die großkernigen Ento- dermzellen (£) machen noch keine Anstalt zur Teilung. Im Zentrum des Eies die primäre Urgenitalzelle (dunkel). Dm Dotter- mcmbram, CA, erste Chitinkapsel. IV. Die Autonomie der Kernhälften bis zur Bildung der Keimmutterzellen. (Diaptomus, Heterocope.) handelt sich jetzt um die Beantwortung der Einleitung aufgeworfenen ersten TVage: „Ist eine Weiterverfolgung der Auto- nomie der Kernhälften bis zur Bildung der Fortpflanzungszellen (also von den Es der in Fig. 14. U. d. Die Blastodermkernc haben großenteils den neunten, die Entodermkerne den achten Teilungschritt voll- endet. Die primäre Urgenitalzelle hat sich in die beiden sekundären Urgenitalzellen (dunkel) geteilt. jOw Dottermembran. C/;,, Ch^ erste, E zweite Chitinkapsel. N. F. in. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 601 Großeltern bis zur En k el ge n era t io n) m ö g 1 i c h r" Schon während der Furchung und Gastrulation zeichnen sich die Keiiiibahnzellen durch die Sym- metrie der Nukleolen aus (Fig. 10). Auch die primäre Urgenitalzelle (Fig. 13) und die 2 sekundären (definitiven) Urgenitalzellen (Fig. 14) zeigen dasNukleolenpaar. Im Dauerstadium (Fig. 15) verschmelzen die Nukleolen. Fig. 15. D. d. Dauerstadiura des Di.ipto mus-Eies. Beide Cliitinkapseln und eine innerhalb derselben gelegene zarte Membran haben sich vom Ei abgehoben. Die Blasto- dermkerne sind nach innen gerückt. Im Innern des Eies liegen die eine kompakte Masse bildenden entodermalen und geni- talen Elemente. Erst bei der G o n a d c n b i 1 d u n g tritt der Doppelbau wieder hervor. Bei jungen Diaptomus- larven liegt die Gonadenanlage zwischen Ver- dauungstraktus und Herz. Bei der Larve mit 2 Schwimmfuß- paaren liegen die 2 sekundären Urgenitalzellen symmetrisch nebeneinander (Fig. 16). Der Außen- fläche liegen einzelne, linsenförmige Zellen auf, während an der Kernmembran Brocken einer amorphen Substanz zu beobachten sind. In den Kernen liegt je ein gioßer Nukleolus. Die G() nadenbild u n g erfolgt im Stadium mit 3 S c h wi m m f u ß p aa r e n. Erst teilt sich eine der beiden Urgenitalzellen, und die eine oder beide Tochterzellen setzen sich vor die ungeteilte (Fig. 17). Die Tochterkerne besitzen 2 symmetrisch gelagerte Nukleolen. Die- selbe Beobachtung kann man in den folgenden Stadien machen : Junge Kerne enthalten 2 kleinere Nukleolen, ältere, schon länger in Ruhe befindliche, einen einzigen großen. Fig. 17. D. 1. Zwei Schnitte durch die dreizellige Gonaden- anlage. Dieselben Erscheinungen treten auch nach er- folgter geschlechtlich er Differenzierung zutage. Die männliche Gonade zeigt eine größere Zahl und gleichmäßigere Beschaffenheit der Keim- zellen. Die weibliche Gonade charakterisiert sich durch frühzeitiges Auftreten typischer Keim- bläschen (Fig. 19 kb). Tt-t^Ji^Px:^ •7 b Fig. 16. D. 1. Querschnitt durch eine Larve mit 2 Schwimm- fußpaaren. Zwischen Herz /( und Darm m die beiden sekun- dären Urgenitalzellen i^g). Fig. 18«,^. D.I. Zwei Querschnitte durch eine junge Hodcnanlage. F"igur 18 zeigt Querschnitte durch eine ganz junge Hodenanlage von Diapt. lacin. i8a in den 2 älteren Kernen je ein Nukleolus, in dem jüngeren 2 kleinere. i8b zeigt Biskuitform. Kerne mit regelmäßig verteilten Nukleolen. Während der Entwicklungs pause (An- fang Oktober) findet man ausschliel31ich Kerne mit 6o2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 38 einem Nukleolus, beim Beginn der Ausreifung der Hoden und ISildung der Spermatozoen (An- fang Januar) finden sich in den sich rascli ver- mehrenden Ursamenzeilen 2 gleich große Nukleolen. Ergebnis: Die Spuren des Doppelbaues der Kerne lassen sich also in den jungen Hoden bis zu den jungen Samenmutterzellen verfolgen. Fig. 19. D. 1. Teil einer ganz jungen Ovarialanhigc. kb- Fig. 20. D. 1. Frontalschnitt durch ein junges Ovarium. kb Keimbläschen. Fig H. s. Zwei Schnitte durch den Anfangsteil der Verwandlungszone des Hodens. Ältere Hoden zeigen diese Verhältnisse wegen langsamerer Vermehrung der Ursamenzeilen weniger deutlich. Dasselbe gilt von den Ovarien, da die Teilung der Ureiz eilen nicht so simultan stattfindet, wie bei den Ursamenzeilen. Doch zeigen sowohl die jungen Ureizellen (Fig. 19, unten) als auch die Keimbläschen (Fig. 20) noch den Doppelbau, der sich also auch hier bis zu den Ei m u 1 1 e rzel 1 e n verfolgen läßt. V. Das Verhalten der elterlichen Kernbestandteile während der Reifungsteilungen. a) Verhältnisse im männlichen Geschlecht. Hoden von jungen Heterocope-Männchen. Figur 21 zeigt ganz junge, eben aus der 2. Reifungsteilung hervorgegangene Samenzellen(sp), sie weisen ein fädiges Gerüst und mehrere Nukleolen auf, die die Tendenz zur Ansamm- lung an 2 Punkten haben und schließlich zu je einem großen Nukleolus verschmelzen. Figur 21 sp' zeigt ältere Samenzellen, mit häufig 2 gleich großen Nukleolen, die schließlich zu einem fast den ganzen Kernraum erfüllenden Kernkörper verschmelzen. b) E i b i 1 d u n g. Cyclops brevicornis. I . R i c h t u n g s t e i 1 u n g. I. Hauptphase: Gegenüberstellung der Vierergruppen. Die Ovidukteier unmittelbar vor ihrem Austritt zeigen in der Mitte die „provisorische Teilungs- figur". Die 12 Chromatinelemente sind zu je 6 in 2 parallelen Ebenen angeordnet. a b LO Figur 22 Fig. 22. C. b. Zentral gelegene ,,p roviso r isc h e Teilungs- figur" im Oviduktei. Gegenüberstellung der Vierergruppen, a Seitenansicht, b Polansicht der einen Gruppe von Vierer- gruppen. Außer den Vierergruppen findet sich noch ein Düppelpünktchen unbekannter Herkunft. a) Seitenansicht, b) Polansicht. Außerdem ein ab- seits gelegenes Doppelpünktchen, dessen Bedeutung unklar ist. Jedes Element hat, wie wir sehen werden, den Wert einer ganzen Vierergruppe. a b M l>' Etwas älteres Stadium. Figur 23 zeigt ein ausgetretenes, besamtes Ei. An der Peripherie liegt ein linsenförmiges Bläs- chen mit einer Membran (,,sek u n däres Keim- bläschen"). Längsdurchmesser parallel der Ei- N. F. m. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 603 Oberfläche. Die 6 Chromatinelemente liegen zu beiden Seiten einer L ä n g s s c h e i d e w a n d. Jedes ist durch eine Querkerbe halbiert und durch einen Längsspalt geteilt (Fig. 23 b). Die Scheidewand ist zwischen 2 einander opponierten Chromatinelementen in 2 Lamellen gespalten (vielleicht Reagentienwirkung wie die hellen Höfe in 22 a). Außerdem beobachtet man polwärts ziehende Streifen und zwar; Einfache Linien zwischen Pol und einge- kerbter Mitte der Chromatinelemente, und Doppellinien von Fol zu Pol zwischen den benachbarten Chromosomen. Das sekundäre Keimbläschen erscheint dadurch in eine den Chromosomen entsprechende Zahl von Keilen (oder vielmehr Halbkeilen) zerlegt, die in 2 Kränzen übereinander angeordnet sind. Figur 24. Späteres Stadium, zeigt den Beginn Fig. 24. C. b. Umwandlung zur definitiven ersten Richtungs- figur. der Spindelanlage; die Streifung ist dichter, Scheidewand undeutlicher geworden. (Schluß folgt.) die Kleinere Mitteilungen. Zahlenmäfsige Bestimmung der Holzhärte. — Unter den technischen Ligenschaften der Hölzer spielt neben der F'estigkeit, Elastizität, Biegsamkeit, Schwere und anderen die Härte eine große Rolle, d. h. der Widerstand, welchen ein Holz dem Ein- dringen in seine Oberfläche entgegensetzt. Von ihr hängt es zum großen Teil ab, ob ein Holz schwerer oder leichter mit Messer und Säge zu bearbeiten ist. Die Praxis hat daher ein erheb- liches Interesse an der genaueren Erforschung der Härte der einzelnen Holzarten und es existiert eine Reihe von Zusammenstellungen der letzteren nach der Härte, wie sie sich aus ihrem Verhalten bei der Bearbeitung in der praktischen Erfahrung ergeben hat. Alle diese Zusammenstellungen haben indessen den Mangel, daß sie keine zahlenmäßige Vor- stellung von den vorhandenen Härteunterschieden geben. Um wieviel, um z. B. Nördlinger's Aus- drücke für die Härte zu gebrauchen, „steinharte" Hölzer härter sind als ,, beinharte", ,, etwas harte", „weiche" oder „sehr weiche", darüber sagen sie uns nichts. Eine Anfrage aus der Praxis gab mir Anlaß zu einem Versuch, diese Lücke auszufüllen. Ich benutzte dazu einen an anderer Stelle (Ztschr. f Forst- u. Jagdwesen) abzubildenden Apparat, der es ermöglichte, durch Gewichte eine etwa 5 mm lange Slahlnadel ohne jeden Stoß ganz allmählich in Holz einzutreiben. Die Nadel trug in einer Entfernung von 2 mm von der Spitze eine Marke und es wurde nun untersucht, wie viel Gramm Belastung nötig seien, um die Nadel bis zur Marke, also 2 mm tief, in verschiedene Hölzer einzustechen. Diese Belastung konnte dann als Maß für die Härte benutzt werden. Allerdings ist dabei ein Umstand zu beachten. Holz ist keine homogene Substanz wie etwa ein Metall, sondern besteht aus sehr verschiedenartigen Elementarteilen, die der eindringenden Nadel einen sehr ungleichen Wider- stand entgegensetzen. Eichenholz z. B. läßt auf dem Querschnitt schon mit bloßem Auge die von großen Gefäßen erfüllte Anfangszone der Jahres- ringe, das aus kompakten Fasergruppen nebst sehr engen Gefäßen bestehende Spätholz und die breiten Markstrahlen unterscheiden. In jede dieser Partien wird die Nadel bei gleichbleibender Belastung ver- schieden tief eindringen. Es muß also jede der- selben für sich untersucht werden. Dann aber kann man unter Berücksichtigung des Anteils, den i. die großen Gefäße, 2. die Fasermassen mit den kleinen Gefäßen und 3. die Markstrahlen an dem Eichenholz inne haben, eine mittlere Belastung angeben, die als Maßstab für die Härte des untersuchten Eichenholzes verwend- bar ist. In der Regel genügt es, durch oft wieder- holtes Einstechen eine Minimalzahl und eine Maxi- malzahl zu ermitteln, durch deren Kombination, wenn dies erwünscht erscheint, eine Mittelzahl ge- wonnen werden kann. Extreme Minima und Maxima sind dabei zu vernachlässigen. Auf die beschriebene Weise wurde eine größere Anzahl lufttrockener Holzproben aus der Samm- lung der Forstakademie in Hann. Münden auf ihre Härte untersucht. Außer dem Querschnitt prüften wir jedesmal einen bald mehr bald weniger radial oder tangential verlaufenden Längsschnitt, wobei dieser in den meisten F'ällen dem Plindringen einen größeren Widerstand entgegensetzte als jener. Aus den gewonnenen Zahlen sind im folgenden einige mitgeteilt. Eine ausführliche Darstellung der ganzen Untersuchung, die sich auf über 200 Holzarten erstreckte, erscheint in der Zeitschrift für Forst- und Jagdwesen (Berlin, J. Springer). Als Ausdruck für die mittlere Härte ist in der kleinen Tabelle die mittlere Querschnittshärte, um bequemere Zahlen zu erhalten durch loo geteilt, angegeben. Die weiten Lücken zwischen den Zahlen der obigen Skala werden z. T. durch ausländische Holzarten ausgefüllt. Namentlich die wärmeren Länder liefern eine große Anzahl von Hölzern der höheren Härtegrade. Will man aus obigen Zahlen 6o4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 38 Name der Holzart Sali.\ alba Pirrus strobus Picea excelsa Populus nigra Tilia grandifolia Pinus silvestris Alnus glulinosa Ulmus campestris var. vulg. Betula alba Eiche Pirus communis Fraxinus excelsior Acer pseudoplatanus (Bergahorn) Fagus silvatica Prunus domestica Robinia pseudacacia Juglans regia Carpinus betulus Cornus sanguinea (Hartriegel) Buxus sempervirens Eisenholz Pockholz (Guajacum sp.) Quebrachoholz Afrikan. Grenadillaholz (Dalbergia melano- xylon) Querschnittshärte Min. u. Maxim. Langsschnittharte Mm. u. ,,■.., ^ 1 •.. 1 ■■ . '^ nT • Mittlere Ouerschnittshartc Maxim. ^ 300—500 700 — 900 4 400 — 900 1000—2500 6,S 400 — 900 1000 — 2500 6,q 700 — 900 1000 — 1900 8 900 — 1 000 1000— 1400 9,5 300 — 1 900 600 — 2700 II 1000 — 2000 1900 — 2000 15 900—2400 2800 16,5 1500 — 1900 2500—3000 17 (400 — )iooo — 3000 3000 — 6000 20 2000 — 2500 2500 — 3000 22,5 2500—3500 2500—4000 30 3000 — 4000 4000 — 4500 35 3000 — 4000 5000 35 3000 — 4700 4000 — 5000 38,5 looo — 7000 6000 — 7000 40 4000—5000 5000 — 6000 45 5000 7000 — 8000 50 5000 — 6000 6000 — 6500 55 8000 — 80 7000 — lOOOO ca. 12000 85 9000 10500 90 1 1000 (Kern) I 1000 — 12000 110 14000 (Splint 5000) 7000 (Splint) — 16000 (Kern) 140 arte I sehr weich ') „ II weich „ III etwas hart „ IV ziemlich hart V hart >. VI sehr hart „ VII beinhart „ VIII steinhart SO könnte dies I — 10 unserer Skala. -20 eine einfache Härteslola bilden , etwa so geschehen : Härtegrade I- II- 21—30 31—40 41—50 51—60 61—70 ,, über 70 ,, ,, Es ist selbstverständlich, daß die bei unseren Versuchen gefundenen Zahlen zunächst nur für die untersuchten Holzproben gelten. Man weiß, daß verschiedene Individuen einer Holzart je nach ihrer Wachstumsweise ganz verschiedene Härten zeigen können. Auch wird die Härte in den verschiedenen Teilen des Baumes verschieden sein. Im großen und ganzen entsprechen die Zahlen in- dessen den durch anderweitige Erfahrungen ge- wonnenen Vorstellungen von der Härte der Hölzer, was genügen mag, die Anwendbarkeit der Methode darzutun. M. Büsgen (Hann. -Münden). ') Vgl. Nördlinger, Eigenschaften der Hölzer, p. 235. Konjugation und natürlicher Tod. — Nacli- dem ein Aufsatz von G. Heilig in Nr. 30 der „Naturw. Wochenschr." dieses Thema behandelt hat, dürfte es die Leser vielleicht interessieren, die Errungenschaften der Wissenschaft der letzten Jahre auf diesem Gebiete kennen zu lernen, die Heilig offenbar unbekannt geblieben sind. Es handelt sich hauptsächlich um Arbeiten von Calkins und Richard Hertwig. Heilig's Ausführungen stützen sich hauptsäch- lich auf die Arbeiten Maupas', der auf Grund seiner Züchtungsversuche der Lehre Weismann's von der Unsterblichkeit der Protozoen entgegentrat mit der Behauptung, auch die Protozoen seien, ebenso wie die vielzelligen Tiere, dem Alter und dem Tode verfallen, und nur ein „Rajeunissement karyoga- mique", eine Verjüngung der Zelle durch Kon- jugation, könne die gealterten Tiere vor dem .'ab- sterben und damit die Art vor dem Untergange retten. Calkins wies nun an Paramaecium cau- datum zunächst nach, daß die von Maupas be- schriebene Degeneration der Infusorien nach einer Reihe von Generationen nicht, wie dieser meinte, gleich zum Untergange der Kultur führen müsse, wenn nicht Konjugation eintrete. Diese Degeneration oder „Depression", wie Calkins den Zustand nennt, der sich durch Ab- nahme resp. Aufhören der Nahrungsaufnahme und Vermehrung kennzeichnet, tritt nicht, wie Maupas meinte, einmal nach so und so viel Generationen in einer Kultur ein, als ein definitives, nur durch ,, Verjüngung" wieder zu behebendes Altwerden der Zellen. Die Depressionen treten wiederholt in schwankenden Zwischenräumen auf und werden durcli innere Kräfte der Zelle, ohne äußere Ein- wirkung, wieder gehoben. Dabei werden im Laufe der Zeit diese Depressionen immer intensiver, folgen in kürzeren Pausen aufeinander und führen schließ- lich, wenn nicht auf irgend einem Wege Abhilfe erfolgt, zum Untergange der Kultur. Der Lebens- lauf einer Protozoenkultur läßt sich also nach Calkins, wie auch Hertwig bestätigt hat, graphisch durch eine aufsteigende, dann wellenförmig ab- steigende Linie darstellen, wobei die Wellentäler, die die einzelnen Depressionen anzeigen, immer tiefer werden. Eine Rettung der Tiere vor diesem Schicksal, eine „Verjüngung" kann nun auf ver- schiedenem Wege erreicht werden. Einmal durch Encystierung, die immer mit einer intensiven Re- organisation des Kernapparates verbunden ist, ferner durch hinreichend frühzeitige Konjugation zweier Individuen (Austausch von Teilen der Ge- N. F. III. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 605 schlechts- oder Nebenkerne).' Ferner auch, wie Calkins gezeigt hat, durch chemische Einflüsse (Gebrauch von F"leischextrakt als Nährboden statt der Heuinfusionj oder mechanische Reize , zum Beispiel anhaltende, starke Erschütterung. (Eine in Depression befindliche Kultur Calkins' erholte sich vollkommen durch eine längere Eisenbahn- fahrt.) Was ist nun die Ursache dieser Depressionen, dieser Zustände von Funktionsunfähigkeit der Zelle, die, wenn sie nicht behoben werden, schließlich zum natürlichen Tode des Protozoons führen? Nach den letzten Untersuchungen von Hertwig liegt der Grund dieser F>scheinungen in einer Verschiebung des normalen, fest bestimmten Massen- verhältnisses zwischen Kern und Plasma der Zelle. Jede I'^unktion der Zelle ist verbunden mit einer Größenzunahme des Zellkerns, der die Tätigkeit der Zelle dadurch ermöglicht, daß er ihr bestimmte Substanzen entzieht. Hierauf entzieht nun seiner- seits der Zelleib wieder dem Kern Substanzmengen und stellt so das normale Mengenverhältnis beider Teile wieder her. Die einzelnen Depressionen der Protozoen sind also verursacht durch die mit der vorhergehenden Funktion der Zellen Hand in Hand gehende Vergrößerung der Kerne ; sie werden auf- gehoben durch die Vorgänge der Kernresorption, die während der Zeit geringer Zellfunktion statt- findet. Tatsächlich fand auch Hertwig bei Para- maecien, die sich im Depressionszustand befanden, den Kern bedeutend vergrößert. Mit der Etic)'stie- rung gehen beträchtliche Resorptionen der Kern- masse durch das Protoplasma Hand in Hand. (Nach R. Hertwig werden bei der Encystierung des vielkernigen Actinosphaerium Eichhorn! ca. 95% der Kerne aufgelöst.) Ebenso wird bei der Konjugation der Infusorien der weitaus größte Teil des Kernapparates, der Hauptkern oder so- matische Kern, rückgebildet. Es ist nun Hertwig gelungen, einige Protozoen, das Sonnentierchen Actinosphaerium Eichhorni und das Infusor Dileptus Gigas, unter Verhinderung der „Verjüngung" durch Konjugation oder En- cystierung zu züchten bei fortgesetzter starker Funktion (durch übermäßige Fütterung). Die I'olge stand ganz im Einklang mit den oben auseinander- gesetzten Anschauungen. Die Kerne der Tiere nahmen an Masse immer mehr zu. Unter den Symptomen der Depression '^(zeitweise herab- gesetzte Zellfunktion verbunden mit Resorption eines Teiles des Kernapparates), wurde das nor- male Verhältnis zwischen Kern und Zelleib wieder hergestellt; jedoch erwies sich auf die Dauer die kernresorbierende Kraft des Plasmas als unge- nügend und die Tiere gingen unter Bildung von verhältnismäßig ungeheuer großen Kernen (bei Actinosphaerium Vergrößerung der Kerne bis auf das 3000 fache!) zugrunde. Es ist also im Grunde genommen die Funktion der Zelle, die die Zelle zugrunde richtet. Das Leben enthält, für Protozoen ebenso wie für Meta- zoen, den Keim des Todes, und der einzige Unter- schied ist, daß die Protozoen Mittel besitzen, durch eine Verjüngung der Zelle sozusagen das Leben wieder von vorne zu beginnen, wenn es sich durch seine Tätigkeit erschöpft hat. Dr. E. Neresheimer. ') Die Konjugation oder Befruchtung der Protozoen be- deutet übrigens nicht, wie Heilig meint, eine ,, typisch-ge- schlechtliche Furtpflanzung". Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Befruchtung und Fortpflanzung besteht nicht. ,,Bei den ciliatcn Infusorien ist die Konjugation nicht ein Vor- läufer, sondern die Folgeerscheinung lebhafter Teilungsprozesse" (R. Hertwig). N. G a i d u k o V teilt interessante Untersuch- ungen über den Einflufs farbigen Lichtes auf die Färbung der Oscillarien mit (Ber. d. Dtsch. Botan. Gesellsch., Bd. 21, 1903, S. 484) und er- gänzt damit frühere, über denselben Gegenstand von ihm angestellte Versuche (Sitz.-Ber. d. Kgl. Akad. d. Wiss. zu Berlin, 1902). Er hatte fest- gestellt, daß unter dem Einflüsse farbigen Lichtes die blaugrüne Farbe der Zellen (die Oscillarien gehören zu den Blaualgen) sich allmählich ändert, und zwar in der Weise, daß die ursprüngliche Farbe mehr und mehr in die Komplementärfarbe der des einwirkenden Lichtes übergeht (Gesetz der komplementären chromatischen Adaptation). Dieses Verhalten des Oscillarienfarbstoffes unter- scheidet sich wesentlich von allen bis dahin be- kannten Wirkungen farbigen Lichtes auf körper- liche Farben. Bei diesen wird die Farbe des be- leuchteten Körpers zu der des einwirkenden Lichtes nicht mehr oder weniger komplementär, sondern vielmehr ähnlicher oder gleich (chromatische Assimilation), wobei es gleichgültig ist, ob die Farbe einem lebenden oder leblosen Körper an- gehört. Der Vorgang der komplementären chro- matischen Adaptation bei Oscillaria ist nun insofern bemerkenswert, als es sich hier um einen physio- logischen Prozeß handelt, der der Vermittlung des Protoplasmas lebender Zellen bedarf Die unter dem Plinflusse farbigen Lichtes einmal hervor- gerufene neue Färbung kann sich nach der Rück- versetzung der Oscillarien in weißes Licht monate- lang erhalten. Die Untersuchungen des Verfassers erstrecken sich vorwiegend auf zwei Arten der Gattung Oscillaria, nämlich auf O. sancta und O. caldario- rum. Die Resultate sind bei beiden im wesent- lichen gleiche. Die Farbe der ersteren ist mehr violett, die der letzteren spangrün. In rotem oder gelbem Lichte kultiviert , zeigt O. sancta eine Farbenänderung von violett über blaugrün zu spangrün, um die roten und orangefarbigen Strahlen stärker zu absorbieren. Gerade entgegengesetzt verläuft der Farbenwechsel bei O. caldariorum, wenn diese Alge in grünem Lichte gezogen wird. Hier werden die spangrünen Zellen allmählich grauviolett, intensivviolett und schließlich braun und gelbbraun. Werden beide Spezies zusammen in grünem Lichte gehalten, so siegt O. sancta über O. caldariorum, was sich daraus erklärt, daß 6o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 38 die erstere ihre von Natur violette Färbung nur in gelbbraun oder braun zu verändern braucht, während die spangrüne Färbung der letztgenannten Art sich erst auf dem Umwege über graugrün, hellviolett und violett in braun umwandelt. In rotem, violettem und gelbbraunem Lichte siegt dagegen O. caldariorum und behält die ursprüng- liche blaugrüne Farbe, durch welche die orange- farbenen und roten Strahlen am stärksten absor- biert werden. In blauem Lichte wächst O. caldariorum fast gar nicht, da diese Beleuchtung für sie zu un- günstig ist. Se. Über das Erdölvorkommen in Norddeutsch- land. — Da die Produktion von Erdöl in Deutsch- land immer mehr an Bedeutung gewinnt, so ist es nicht uninteressant durch den Gesetzentwurf, welcher kürzlich dem Herrenhaus zugegangen ist, etwas Näheres und Zuverlässiges über den heutigen Stand dieser Industrie zu erfahren. Das Vorkommen von Erdöl an verschiedenen Orten des preußischen Staates ist zwar schon seit langer Zeit bekannt, von größerer Bedeutung ist indessen nur das Vorkommen bei Oelheim in der Provinz Hannover gewesen, das in den 80 er Jahren des vorigen Jahrhunderts Anlaß zu einer schnell aufblühenden, aber bald wieder sinkenden Industrie gegeben hat. Seit Ende des vorigen Jahrhunderts sind indessen in der Gegend zwischen Celle und Schwarmstedt Provinz Hannover, namentlich bei Wietze und Steinförde, .'Xrbeiten zur Gewinnung von Erdöl betrieben und mit stetig fortschreiten- dem Erfolge weitergefülnt worden. Es sind dort allmählich mehrere hundert Bohrlöcher nieder- gebracht worden und zurzeit sind 17 Gesell- schaften mit der Aufsuchung und Gewinnung von Erdöl beschäftigt. Um einem Raubbau entgegen- zuwirken, hat die preußische Regierung beschlossen, die Aufsuchung und Gewinnung von Erdöl dem Berggesetz zu unterstellen. In dem Jahre 1903, für welches die genauen Zahlen noch nicht vorliegen, betrug die Produktion der Werke zu Wietze und Steinförde über 40000 Tonnen im Werte von über 3 Millionen. Was die Beschaffenheit des zu Wietze gewonnenen Erdöls betrifft, so ist zwischen dem bisher fast ausschließlich geförderten Öle der sogenannten „oberen ülzone" und demjenigen der erst in neuester Zeit erbohrten „zweiten Ölzone" zu unter- scheiden. Über die technische Verwendung ist zu bemerken, daß das obere Öl, nach Abtreibung des Benzins und des Leuchtöls, fast ausschließlich als Waggonschmieröl gebraucht worden ist; für die leichteren und erheblich leuchtölreichcren Öle der zweiten Zone sind die erforderlichen Ein- richtungen der Raffinerien noch nicht fertiggestellt. Neben den Aufschlüssen bei Wietze und Stein- förde ist nun noch an zahlreichen anderen Orten des Herzogtums Braunschweig, sowie an mehreren Stellen der Provinz Schleswig-Holstein Erdöl in größeren oder geringeren Mengen festgestellt worden. Weitere Erdölvorkommen sind in den Provinzen Sachsen und Westfalen an verschiedenen Orten bekannt geworden. Die Entstehung des Erdöls ist bekanntlich noch eine vielumstrittene Frage. Früher hielt man das- selbe allgemein für vegetabilischen Ursprungs und brachte dasselbe in Zusammenhang mit der Bildung der Stein- und Braunkohle. Jetzt neigt man mehr zu der Ansicht, daß es dem Fette verendeter See- tiere seine Entstehung verdankt. Ebensowenig sind die geologischen Schichten, in welchen das Erdöl vorkommt , genau festgestellt. Immerhin scheint für das nordvvestdeutsche Vorkommen festzustehen , daß der L'rsprung des Erdöls in Schichten zu suchen ist, die älter sind als unterer Lias, und daß das Petroleum in allen diesen näher bekannten Gebieten zugleich mit Salzwasser empor- steigt und die angrenzenden Schichten imprägniert. Dieselben Beobachtungen hat man bekanntlich bei der galizischen und rumänischen Erdölindustrie gemacht. Jedenfalls hat es keinen Zweck, wie das jetzt in Deutschland an verschiedensten Orten geschieht, einfach auf gut Glück nach Petroleum zu bohren, ohne daß auch nur eine Wahrschein- lichkeit für dessen Vorkommen vorhanden ist. Ferner muß man berücksichtigen, daß wohl bei fast allen Petroleumlagern, welche man durch Bohrungen aufgeschlossen hat, an irgend einer dieser Stellen Anzeigen seines Vorkommens an der Oberfläche sich bemerkbar machten, sei es durch Auftreten von Asphalt, von Gasausströmungen, oder von geringeren oder größeren Mengen von Öl an der Oberfläche der auf diesem Gebiete zu- tage tretenden Gewässer und in den oberen Erd- schichten. Sandsteine, Schiefer und Tone zeigen sich oft in solcher Weise mit Ol imprägniert. Allerdings ist die Menge oft so gering, daß das Ol weder mit dem Auge, noch durch den Geruch wahrnehmbar ist. Namentlich die Tone zeigen eine große .A.ufsaugekraft für Öle und Fette, so daß man diesen Tonen in den fraglichen Gebieten seine besondere Aufmerksamkeit zuwenden muß. So hat Schreiber dieser Zeilen eine größere An- zahl Tone untersucht und bei der Destillation in verschiedenen Proben deutliche Spuren von Öl nachgewiesen. Die Zusammenstellung der Resul- tate dieser Untersuchungen finden sich in Dingler's Polyt. Journal Bd. 311 S. 67 f. Von 43 unter- suchten Proben , welche aus Anhalt stammten, zeigten sich 21 ölhaltig. Bei dieser Gelegenheit sei auf das interessante Vorkommen von Insekten- resten in einem diluvialen Tone des Erdölgebietes von Boryslaw hingewiesen. Lomnicki beschreibt ;6 Arten Coleopteren, 4 Hemipteren, je i Ortho- ptere und Lepitoptere, ferner 2 Dipteren. Das Vorkommen erklärt sich durch Annahme eines diluvialen Erdöltümpels über dem .'\usgehenden der Spalten, dessen spiegelnde Oberfläche die in der Dämmerung oder nachts umherschwirrenden Insekten anlockte. Die Tiere verendeten in dem Öl und wurden in dem sich am Grunde des Tümpels absetzenden ölgetränkten Schlamm ein- N. F. m. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 607 gebettet, wodurch sich ihr vorzüglicher Erhaltungs- zustand erklärt. Die kleinsten Einzelheiten in dem Relief des Chitinpanzers, ja sogar teilweise die Farben sind erhalten. Wenn man auch fast überall die Erdöllager dadurch gefunden hat, daß man die sog. Ölausbissc, d. h. solche Stellen, an denen das Öl zutage tritt, verfolgt, so ist damit natürlich noch nicht gesagt, daß man dort immer ausbeutewürdige Lager findet. Wir kennen viele solcher Gegenden, wo das Auf- treten von Ol schon seit Jahrhunderten bekannt ist, so z. B. bei Tegernsee, ohne daß die Bohrun- gen wirkliche Lager aufschließen konnten. Die Gesamtmenge ist eben zu gering. Ich will hier noch zum .Schlüsse erwähnen, daß auch schon ausgelaufene Petroleumfässer zu umfassenden Nach- forschungen Veranlassung gegeben haben, obgleich der gereinigte Zustand des Öles sofort auf seinen Ursprung hinweist. Ferner ist mir eine Gegend auf dem Westerwald bekannt geworden, welche mit dem Namen „Ölwog" oder „in der Ölbach" bezeichnet wird und man findet auch bei den Bauern der betreffenden Gemeinde die Ansicht, daß an diesen .Stellen in der Tiefe Petroleum vor- komme. Unterstützt wird dieser Glaube schein bar durch einen in Regenbogenfarben schillernden feinen Überzug, welchen die sumpfigen Stellen der Wiesen auf den Wasserlachen und den kleineren Bächen zeigen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß man es nicht mit einer Olschicht, sondern mit einem feinen irisierenden ffäutchcn von Eisenoxyd zu tun hat, welches sich aus dem stark eisenhaltigen Wasser abgeschieden hat. Dr. Edgar Odernhcimer. Die Schmelzwärme des Eises ist jüngst von A. Smith nach einer elektrischen Methode neu bestimmt worden (Ztschr. f Instrumentenkundc, März 1904). Die Schmelzung einer genau ge- messenen Eismenge bewirkte derselbe nämlicli durch einen vom Strom durchflosscnen Heizdraht und maß die dabei verbrauchte elektrische Energie, indem Stromstärke und Spannungsabfall sorgfältig ermittelt wurden. Das Resultat ergab für die Schmelzwärme des Eises den Wert von 324,21 Joule + 0,08, was 79,896 mittleren g- Kalorien entspricht. Kbr. Bücherbesprechungen. Dr. G. Haberlandt, o. ö. Prof. d. Bot. etc. in Graz, Physiologische P fla n ze n anato niie. 3. neubearb. u. verni. Aufl. Mit 264 .Abb. im Text. Wilhelm Engelmann in Leipzig, 1904. — Preis 18 Mk. Eins vun den trefflichen Büchern , die in einer besseren biologischen Bibliothek kaum fehlen dürfen ! Es handelt sich in dem Buch um die zweifellos der- zeitig beste Pflanzenanatomie , die wir überhaupt be- sitzen. Wir sagen absichtlich schlechtweg Pflanzen- anatomie und lassen den Zusatz „physiologische" weg, denn in Zukunft wird die Pflanzenanatomie eben nur mit Rücksicht auf die Bedeutung der Bauverhältnisse zum Leben getrieben werden, so wie es in der zoo- logischen Anatomie schon längst der Fall ist. Die Pflanzenanatomie ist nur dann eine Wissenschaft und kann nur dann fortschreiten, wenn die Aufdeckung der Beziehungen des Baues zur Firnktion der Gewebe und Organe der leitende Gesichtspunkt weiterer Forschung ist. Die bloße Beschreibung des Formalen muß zwar vielfach vorausgehen: das Ziel ist aber stets die Erkenntnis der Bedeutung der Baueigentüm- lichkeiten für das Leben, jedenfalls eine bibeziehung- setzung der entgegentretenden Formen zur Umgebung. Das ist gewiß recht selbstverständlich : und doch sind wir noch immer — trotz der Arbeiten Schwendener's und seiner Schüler , unter denen Haberlandt zu den hervorragendsten geholt — in der Übergangsperiode begriffen, insofern als noch viele heutige botanische Arbeiten selbst die schon 1874 erschienene .Schrift Schwendener's über das mechanische Prinzip im ana- tomischen Bau der Monokotylen nicht hinreichend würdigen. Auch in der Wissenschaft dauert es oft lange, ehe das Bessere voll zum Durchbruch kommt. Bei der lebhaften Arbeit, die sich immerhin auf dem Gebiet der physiologischen Pflanzenanatomie betätigt, bei dem vielen Neuen , das hier noch zu tun ist, ist e-i begreiflich, daß die neue Auflage des Haberlandt'schen Buches stark verbessert und ver- mehrt erscheint. So finden wir — um nur ein sehr interessantes Kapitel herauszugreifen — in der 3. Aufl. die Statiilithenlehre gebührend behandelt. Der frühere Abschnitt ...Ajjparate und (iewebe für besondere Leistungen'' zerfällt denn auch in der vorliegenden Auflage in 3 eigene Abschnitte, nämlich in einen über das Bewegungssystem , einen über die Sinnes- organe und einen über „Einrichtungen für die Reiz- leitung". Die Abbildungen sind von 235 der 2. .^ufl. auf 264 vermehrt worden. P. Dr. Johannes Tropf ke, Geschichte der Ele- mentarmathematik in systematischer rjars t e 1 lu ng. Zweiter Band. Geometrie. Loga- rithmen. P^bene Trigonometrie. Sphärik und sphärische Trigonometrie. Reihen. Zinseszins- rechnung. Kombinatorik und ^Vahrscheinlichkeits- lechnung. Kettenbrüche. Stereometrie. Analyti- sche (leometrie. Ivegelschnitte. Maxima und Minima. Mit Fig. im Text. Veit iS; Co., Leipzig 1903. 496 S. 12 Mk. Dem ersten Bande , der vor einem Jahre in dieser Zeitschrift (N. F. Bd. II, S. 167, Nr. 14) an- gezeigt ist, hat der Verfasser sehr bald den zweiten folgen lassen , der das Werk abschließt. Schon die Aufzählung der behandelten Gebiete auf dem Titel- blatt zeigt , daß beim zweiten Bande eine größere Mannigfaltigkeit des Stoffes vorlag als beim ersten, deren Bewältigung wohl mitunter zur Kürze zwingen mochte. So dankbar aber auch jeder, der das Buch zur Hand nimmt, dem Verfasser sein wird für die schnelle Erledigung der Aufgabe, die er sich gestellt hatte, so wird doch mancher beim zweiten Bande die weiteren Grenzen vermissen , die der erste in bezug auf Form und Inhalt zeigt, und die Bitte unterstützen, 6o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III Nr. 38 bei der neuen Auflage den vorliegenden Band in der Ausführlichkeit dem ersten ähnlich zu machen und ihn zu teilen. Sowohl bei den arithmetrischen als bei den geometrischen Abschnitten führt teils der Schulunterricht, teils die tägliche Umgebung gelegent- lich auf Fragen, bei denen man für eingehendere Be- lehrung sehr dankbar wäre; z. B. seien die Fragen der Versicherungsmalhematik genannt, die Brocard- schen Gebilde u. a. A. S. Oberlehrer B. Kolbe, Einführung in die Elek- trizität slehr e. I. Statische Elektrizität. 2. Aufl. mit 76 Fig. Berlin, J. Springer, 1904. 164 S. — Preis 2,40 Mk., geb. 3,20 Mk. Als vur mehr als 10 Jahren die erste Auflage dieser Vorträge erschienen war, fand dieselbe alsbald ungeteilte Anerkennung bei allen Fachgenossen und man kann sagen, daß die klare und überaus anschau- liche Darstellungsweise Kolbe's in Verbindung mit den von ihm vielfach in zweckmäßigster Weise ab- geänderten oder auch neu ersonnenen Demonstrations- mitteln vorbildlich und ungemein anregend gewirkt hat. Es ist daher sehr erfreulich, daß nunmehr eine Neuauflage der Schrift vorliegt, die alle inzwischen herausgefundenen Vervollkommnungen der Apparate, sowie das Ergebnis der durch die erste Auflage ver- anlaßten Diskussion verwertet. Das am Schluß an- gefügte Preisverzeichnis der benutzten Apparate wird vielen willkommen sein, zeigt aber leider auch, daß Schulen mit beschränkten Mitteln die Anschaffung der vorzüglich instruktiven Lehrmittel nur sehr all- mählich werden bewirken können. Kbr. Literatur. Friedmann, Dr. Herrn.: Die Konvergenz der Organismen. Eine cmpirüscli begründete Theorie als Ersatz f. die Ab- stammungslclire. (242 S.) gr. S". Berlin '04. Gebr. Paetel. — 1; Mk. ; geb. in Ilalbleinw. bar 6 Mk. Geinitz, E. : Das Quartär v. Nordeuropa. Mit e. Einlcitg. : Die Hora u. Fauna des Quartärs v. Fr. Frech m. Beiträgen V. E. Geinitz. Mit 2 Lichtdr.-Taf , 4 Karlen, 12 Te.xttaf., 6 Beilagen, 163 Abbildgn., Fig., Diagrammen u. Karten u. zahlreichen Tab. im Text. [Aus: ,,Lethaea geognostiea".] (X, 430 S. m. 2 S. Erklärgn.) Lex. 8". Stuttgart '04. E. Schweizerbart. — 58 Mk. Lemmermann, E. : Das Plankton schwedischer Gewässer. [Aus : „.«\rkif f. botanik".] (209 S. m. 2 Tat.) gr. 8". StocUholm '04. (Herlin, R. Fricdländer & Sohn.) — 6.60 Mk. Pompeckj, Prof. Dr. J. F.: Karl Alfred v. Zittel, 25. IX. 1839 — 5. I. 1904. Ein Nachruf. [Aus: „Palaeontographica".] {28 S. mit I Bildnis.) 4». Stuttgart '04. E. Schweizer- bart. — 3 Mk. Briefkasten. Herrn U. in P. — Ein l'.estimmungswerk der Pilze Mittel- europas gibt es nicht, wenn Sie die F'loren von Raben hörst und Wünsche ausnehmen. Es e.tistieren wohl noch einige populäre kleinere Bücher (z. B. Kummer, Der Führer in die Pilzkunde), welche einzelne Gruppen des Pilzreiches in mehr oder weniger umfassender Weise behandeln, aber vollständige Floren gibt es nicht. Vielleicht wird diese Lücke einigcrmalSen ausgefüllt werden durcli : Migula, Kryptogamenflora, in Tho- raes Flora von Deutschland. Band V (Gera, F. v. Zezschwitz). Dieses Werk bringt vorzügliche .\bbildungcn und genaue Be- slimmungstabellen aller .\rlen. Es wird allerdings noch einige Zeit dauern, che die Pilze zu erscheinen anfangen. G. Lindau. Herrn Dr. G. S. in Reval. — Weder international noch für den Umfang des deutschen Sprachgebietes besteht eine Übereinkunft in der Namengebung für Einzelformen der Küsten- gliederung. Gewählt werden einfach die charakteristischen Bezeichnungen für örtliche Sonderfälle, wie sie landesüblich sind, nötigenfalls also die ausländischen Benennungen oder die von einzelnen Forschern aufgestellten Typenbezeichnungen, wie man sie bei F. v. Richthofcn im Führer für Forschungs- reisende S. 304 ff., in Penck's Morphologie der Erdoberfläche 11, 582 und andernorts verstreut, in Fr. Hahn's Abhandlung über Verkehrsgeographie (Zeitschrift f. wisscnsch. Geogr. Bd. V), bei Ratzet und anderen findet. Diese Namenvorschläge sind natürlich nicht in gleicher Weise durchgedrungen. F. Lampe. F. L- K. — Eine klare und eingehende Darstellung der Micellarthcorie sowie der Sie besonders interessierenden Fragen finden Sie in Nägeli und Seh wendener. Das Mikro- skop, Leipzig, Wilhelm Engelmann, 2. Aull. 1877, auf S. 426, 427, 430, besonders S. 427. Herrn S. Seh. in Halle a. S. — Bei der von Ihnen ge- nannten F'irma, an die Sie sich vertrauensvoll wenden können , erhalten Sie eine treffliche Taschenlupe zu dem an- gegebenen Preise. Herrn Prof W. Seh. in M. — Über Drumlins vgl. Sie Wahnschaffe, Die Ursachen der Oberflächengestaltung des nord- deutschen Flachlandes. StuUgart (J. Engelhorn). 2. Aufl. 1901. .S. 128 ff. Herrn Dr. Bl in P. — Sehr zu empfehlen ist Ascherson, Graebner und Beyer: Norddeutsche Schulflora (Gebrüder Born- traeger in Berlin 1902), sonst ist auch I^ackowitz, Flora von Berlin, brauchbar. Beide Bücher sind sehr handlich für die E.xkursion. Herrn A. S. in Königsberg i. Pr. — Moderne Lehrbücher der anorganischen Chemie sind ; Dammer, Handb. d. anorg. Chemie 1892— 1903 (110 Mk.). Erdmann, Lehrb. d. anorg. Chemie 1902 (12.50 Mk.). Gmelin-Kraut, Handb. d. anorg. Chemie 1872—97 (i5oMk.). Heuniann, Anl. z. F.xperimentieren (20 Mk.). Kleyer, Anorganische Experimentalchemie (34 Mk.). Richter, Lehrb. d. anorg. Chemie 1900 (9 Mk.j. Für technische Chemie : Dammer, Handb. d. Technologie (85 Mk.). Muspratt, Anwendung d. Chemie auf Kunst und Gewerbe (210 Mk.). Für organische Chemie; Ricliter-Anschülz, Lehrb. d. org. Chemie 1901 (25 Mk.). Meyer -Jacobson, Lehrb. d. org. Chemie 1893 — 1902 (80 Mk.). Ferner : Roscoe-Schorlemmer, Ausführt. Lehrbuch für die ges. Chemie 18S2— 190a (206 Mk.). H. Wölbling. Inhalt: Georg Heuser: Natürliche und liünstliche Erzeugnisse. — K. Kliem: Das Verhalten der Vorkernc nach der Befruchtung. — Kleinere Mitteilungen: M. Büsgen: ZahlenmäUige Bestimmung der Holzluirte. — Dr. E. Neres- heimer: Konjugation und natürlicher Tod. — N. Gaidukov: Untersuchungen über den Einfluß farbigen Lichtes auf die Färbung der OsciUaricn. — Dr. Edgar Odern heimer: Über das Erdölvorkommen in Norddeutschland. — A. Smith: Schmelzwärme des Eises. — Bücherbesprechungen: Dr. G. Haberlandt: Physiologische Pflanzen- anatomie. — Dr. Johannes Tropfke: Geschichte der Elementarmathematik in systematischer Darstellung. — Ober- lehrer B. Kolbe: Einführung in die Elektrizitätslehre. - i ■•»— -»t"-- ' ■»»» — R.-i»ft»<=f»r, Literatur: Liste. Briefkasten. Ver.-intwortlicher Eedalttcur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfclde-West b. Berlin. Druclc von Lippert & Co. (G. Pätz'sclie Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,Die NatUT" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge IIl. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 26. Juni 1904. Nr. 39. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Das Verhalten der Vorkerne nach der Befruchtung. [Nachdruck verboten.] Von K. Kliem. (Schluß.) 2. Hauptphase: Discentrische Wanderung und Paarung der Spalt half ten. Die Spalthälften wandern nun an die Pole und bilden den i. Richtungskörper. In diesen und den Eikern sind je 12 einfache Schleifen eingegangen (Äquationsteilung) (Fig. 25). Nach vorübergehender Verkürzung legen sich je 2 Schleifen zu einer X-förmigen Figur zusammen (Fig. 26). Der Eikern streckt sich jetzt senkrecht der Eiobeifläche und zeigt die Streifung wie das sekundäre Keimbläschen. Bei der discentrischen Wanderung der Spalt- hälften schwindet die Scheidewand, und wir haben statt der früher erwähnten 12 halbkeilförmigen iMguren 6 ganze von Pol zu Pol sich erstreckende Keile (Fig. 27). Es erscheint nahezu sicher, daß die sich paarenden Spalthälften je 2 im sekundären Keimbläschen opponierten Vierergruppen ange- hören (s. später). fm ^; ^> x^ir\ o Q_o C -0 .1 Seitenansicht, b (Querschnitt durch die Chromosomengruppen. tungskörpcrs. Fig. 26. C. b. Paarung der Spalthülften. li-förmiger Figuren. Bildung X- und 6io Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 39 2. Richtungsteilung. 3. Hauptphase: Um Ordnung der Einzel- chromosomen. Die gepaarten Spalthälften a b und n o sind bivalent. Diese x-förmigen Cliromosomenpaare stellen sich, wie gesagt, allmählich senkrecht zur Streifung ein (Fig. 26 a). a n Äquatorebene 'G- Sodann brechen die bivalenten Paarlinge in der Mitte durch und zerlegen sich in Einzelchromo- somen (Fig. 27), je ein Einzelchromosom des einen Paarlings tritt mit der auf der gleichen Äquator- seite gelegenen Hälfte des anderen in Beziehung (z. B. a mit n). a n /\ b o Nochmalige Verfolgung der Vorgänge an der Hand seh em atischer Figuren. I. Richtungsteilung. In die Tochterkerne gelangen, wie bei jeder anderen Kernteilung, je 6 väterliche und mütter- liche Elemente. Ihrer Aufstellung in 2 Fronten entsprechend müssen die väterlichen und mülter- lichen Elemente zvvischeneinander durchtreten, während sie an die Pole wandern (Fig. 30 b). Mit größter Wahrscheinlichkeit ergab sich, daß bei der folgenden Paarung der Spalthälflen die Paarlinge 2 im sekundären Keimbläschen einander opponierten Vierergruppen angehören. Bei der Paarung erfolgt die Vereinigung je einer väterlichen mit einer mütterlichen Spalthälfte. Die erste Richtungsteilung leitet also die Durch mischung der elterlichen Anteile ein. rh - {^ '•/-, -i# C. b. Zweite Riclilungsspindel. Mctakinese der zweiten Kichtungsspindel. 4. Hauptphase : D i s c e n t r i s c h e Wanderung der neuformierten Elemente. Die nebeneinander liegenden Chromosomen rücken enger zusammen und bilden beim all- mählichen Auseinanderrücken DoppelV (Fig. 28). P'igur 29a zeigt das Dyasterstadium, aus den V-ähnlichen Plguren sind hufeisenförmige Schleifen geworden. Figur 29 b, Polansicht, zeigt, daß im 2. Rich- tungskörper und Eikern je 6 Schleifen vorhanden sind (reduzierte Chromosomenzahl). Wie sind diese Komplikationen des Red uktions Vorganges aufzufassen? Diese Vorgänge werden in ein neues Licht ge- rückt, wenn man die Annahme macht, daß zwischen ihnen und dem in der ganzen Keimbahn beob- achteten autonomen Zustand der elterlichen Kern- hälften ein Zusammenhang besteht. Bei Cyclops brevicornis tritt der Doppelbau des „sekundären Keimbläschens" wieder hervor. Daher scheint die Annahme berechtigt, daß dieser die Fortsetzung der bei der P'urchung und Gonaden- bildung beobachteten Anordnung ist. Dann wären die Vierergruppen auf der einen Seite der Scheidewand väterlichen, die auf der anderen mütterlichen Ursprungs. " O ^ Fig. 29. C. b. Dyaster der zweiten Riclilungsspindel und erster Kichtungskürper (r/!',). .1 Seitenansicht, b Qucrsclinitt durch die Chromosomengruppen. 2. Richtungsteilung. Durchführung der D u rch m ischu ng. Es erfolgt eine Auswechslung der Einzel- chromosomen je zweier gepaarter Spalthälften. Je ein väterliches und mütterliches Chromosom treten zusammen (Fig. 30 c). Die 12 bivalenten Elemente werden durch den Reduktionsakt auf den 2. Richtungskörper und den Eikern verteilt. Der Eikern enthält also 6 Misch- linge, die sich je aus einer väterlichen und mütter- lichen oder, da die reife Eizelle bereits eine neue Generation repräsentiert, besser gesagt, aus einer großväterlichen und großmütterliche 11 Hälfte zusammensetzen (Fig. 30 d). Die gleichmäßige Verteilung der elterlichen Anteile erfolgt also : 1. durch Gegenüberstellung der väterliclien und mütterlichen Elemente; 2. durch Paarung der Spalthälften; 3. durch Auswechslung der Kinzelchromo- some. N. F. III. Nr. 30 Naturwisseiiscliaftliche Wochenschrift. 6ii VI. Über die Verbreitung des gonomeren Kern- zustandes im Tier- und Pflanzenreich. Kriterien des gonomeren Kernzustandes: Doppelte Knäuelfiguren; Doppelastern in Polansicht (Fig. ii); Doppeldyastern im Querschnitt; Doppeldyastern in Seitenansicht (Fig. lo); ruhende Doppelkerne mit zahlreichen Nukle- olen; 6. ruhende Doppelkerne mit je einem Nukle- olus in jeder Kernhälfte; junge, kugelige Tochterkerne mit 2 sym- metrisch gelagerten Nukleolen ; zweiteilige Keimbläschen mit symmetrisch gelagerten Chromosomen (Fig. 23). Die Feststellung der Autonomie der Kern- liälften wird für die Vererbungslehre von größerem Interesse sein, wenn es sich nicht um ein ver- einzeltes, dcnCopepoden eigentümliches Vorkomm- nis, sondern um eine Erscheinung von allgemeiner Verbreitung liandelt. I. 2. 3- 4- 5- 7- 8. Nun sind tatsächlich in der ganzen Organismen- reihe bis zum Menschen hinauf ähnliche Verhält- nisse beobachtet worden. Ich muß es mir ver- sagen, speziell darauf einzugehen und will nur das Endergebnis der genannten Beobachtungen hier mitteilen, nämlich, daß der gonomereKern- zustand eine weite, wenn nicht allge- meine Verbreitung bei den amphigon erzeugten tierischen und pflanzlichen Organismen besitzt und besonders in den sexualen und epithelialen Zellen zum Vorschein kommt. VII. Allgemeiner Teil. A. Wesen der Befruchtung. Seit Feststellung der Befruchtungsvorgänge ist das Wesen der Befruchtung als die Verschmel- zung zweier Zellen und ihrer Kerne angegeben worden. Der Ausdruck „Kern\erschmclzung" ist nach OOo Fig. 30. Verlauf der Reifungsteilungen bei Cyclops brevicornis. a Gegenüberstellung der Vierergruppen, b Bildung des ersten Richtungskörpers: im Eikern Paarung der Spalthälften. c Zweite Richtungsspindel: Auswechselung der Einzelchrorao- somen. d Bildung des zweiten Kichtungskörpers. 6l2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 39 obigen Untersuchungen nicht ganz mit den neueren Befunden in Einklang zu bringen. „Verschmelzung", bildlich gebraucht, bedeutet ein Aufgeben der Selbständigkeit der Partner, die Herstellung einer Einheit statt einer Zweiheit. Die Befunde bei Copepoden zeigen aber gerade das Gegenteil. Nach der Ansicht Haecker's, wenn sich die Er- gebnisse bei Copepoden verallgemeinern lassen, ist das Wesentliche des Befruchtungsvor- ganges die Paarung zweier Kerne zwei- elterlicher Abkunft in einer einzigen Zelle. B. Konkurrenz der Kernhälften. Gemischte Vererbung. Wir haben früher gesehen, daß die Kernhälften zuweilen in physiologisch differenzierter Verfassung sind. Dies deutet auf \'erschiedenh eit der Wechselwirkung zwischen jeder der beiden Chromatingruppen einerseits und dem Zellplasma andererseits. Es wäre also denkbar, daß die beiden Kernhälften in einer Art von Konkurrenz hin- sichtlich der Beeinflussung des Zellenlebens stehen. Auf diese Weise kämen wir einer Erklärung für die Erscheinung der gemischten Ver- erbung näher. Die beiden Kernhälften würden sich dann in ihrer Wirkung auf die Zelle bald summieren, bald gegenseitig ausschließen. C. Mischung der großelterlicheii Elemente. Affinität der Chromosomen. Die Paarung der Spaltiiälften und die Um- wechslung der Einzelchromosomen bei der Reifungs- teilung von Cyclops brevicornis weisen darauf hin, daß zwischen den väterlichen und mütterlichen Chromosomen Affinitäten bestehen, die den gleich- namigen Chromatinclementen fehlen. Ahnliche Affinitäten sind anzunehmen: I. Zwischen Ei- und Samenzellen. (Sexuelle Cytotaxis.) Darunter verstehen wir mit O. Hertwig ,, Wechsel- wirkungen zwischen befruchtungsbedürftigen Zellen verwandter Art in der Weise, daß sie, in be- stimmte Nähe gebracht, sich anziehen und ver- binden." II. Zwischen den Geschlechtskernen. (Sexuelle Karyotaxis.) Die Tatsache, daß bei physiologischer Poly- spermie nur ein Spermakern zur Konjugation zu- gelassen wird, hat Fick zum ersten Male auf Sätti- gung der „Affinität" des Eikerns zurückgeführt. Rück er t fügte der positiven Affinität die negative hinzu, indem er aus der gleichmäßigen Verteilung der Spermakerne in der Keimscheibe zu zeigen versuchte, daß die Spermakerne das Vermögen besäßen, von einer gewissen Entfernung an sich gegenseitig abzustoßen. III. Affinität zwischen den elterlichen Chromosomen. (Sexuelle Chromotaxis.) Diese tritt, wie wir sahen, erst am Schluß der ganzen Entwicklung (Schluß der Kindergeneration) auf. Bei Annahme der Verallgemeinerungsfähigkeit der Befunde bei Copepoden würden einige Er- scheinungen der Bastardbefruchtung ihre Erklärung finden. Bekanntlich weisen die Kreuzungsversuche ver- schiedener, in näherem verwandtschaftlichen Ver- hältnis stehender Arten verschiedene Erfolge auf: 1. Jede Affinität zwischen Sperma und Ei fehlt. Der Befruchtungsprozeß wird nicht angebahnt. 2. Es ist Affinität zwischen den Fort- pflanzungszellen, aber nicht zwischen den Geschlechtskernen vorhanden. 3. Die Affinität zwischen Fortpflan- zungszellen und Geschlechts kern ist ausreichend. Resultat : a) Befruchtung mit abnormer Embryonal- entwicklung; b) Erzeugung unfruchtbarer Bastarde; c) Erzeugung fruchtbarer Bastarde. Der unter 3, b genannte Fall ist die Regel. Es wäre nun denkbar, daß die gewissermaßen gröberen Affinitäten zwischen den Fortpflanzungszellen und den Geschlechtskernen ausreichend sind, um eine erfolgreiche Befruchtung und Bildung lebensfähiger Bastarde zu bewirken, daß aber die feinere Affini- tät zwischen den elterlichen Chromosomen in nicht genügendem Maße vorhanden ist, um jene kom- plizierten Umordnungsprozesse und damit die voll- kommene Reife der Eiizellen herbeizuführen. So würde auch die weitere Tatsache verständlich sein, daß eine Rückkreuzung der Bastarde mit den Stammformen häufig erfolgreicher ist als die Paarung der Bastarde unter sich. D. Individualität der Chromosome. Die Untersuchungen bei Copepoden ergeben zunächst nur eine Fortdauer der Individualität der Gonomeren. Unter dem Gesichtspunkt, daß der gonomere Kernzustand nun gewissermaßen ein spezieller Fall des idiomeren ist, ist man be- rechtigt, die Fortdauer des gonomeren Zustandes während der ganzen Entwicklung als einen in- direkten Beweis für die latente Fortdauer eines idiomeren Zustandes, d. h. für die Persistenz der Individualität der Chromosomen heranzuziehen. E. G e s c h 1 e c h t s b e s t i m m u n g. Bezüglich des Zeitpunktes der Ge- schlechtsbestimmung existieren 3 Möglich- keiten. Die geschlechtlichen Unterschiede werden ausgeprägt : I. Im Ei schon vor der Befruchtung (ovariale oder progame Geschlechtsbestimmung); N. F. III. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 613 2. bei der Befruchtung durcli das Spermatozoon (syngame G.) ; 3. nach erfolgter Befruchtung (epigame G.). Wie hat sich aus dem primären Hermaphro- ditismus (Volvox u. a.) der getrennt geschlecht- liche Zustand entwickelt? 3 Hauptfälle sind denkbar. A. Die Anlagen zu den beiden Geschlechtern (Eierstock- und Hodendeterminanten, VVcis- mann) sind so verteilt, daß sowohl Eizellen als Samenzellen beide Determinanten er- hielten. B. Die Eizellen übernehmen die Anlage zum weiblichen, die Samenzellen die zum männ- lichen Geschlecht. C. Umkehrung von B. A. Beard schreibt den Mctazoen ursprünglich 4 Kategorien von Gameten zu, nämlich VVeibchen- und Männcheneier und zwei Arten von Samen- zellen, deren eine Reihe (Paludina) nicht zur h^ink- tion gelangt. Hier handelt es sich also um progame Ge- sell 1 e c h t s b e s t i m m u n g. B. Ist im Tierreich nicht verwirklicht. C. Auf den 3. Fall, daß die Fortpflanzungszellen in reziproker Weise die Anlagen zum entgegen- gesetzten Geschlecht in sich schließen, weisen die Verhältnisse bei Bienen, Wespen und Blattwespen hin. Wir haben hier den h'all der syngamen Geschlechtsbestimmung. Ilaecker verspricht sich gerade von Untersuchungen in dieser Rich- tung eine Förderung unserer Kenntnisse, glaubt aber auch die Möglichkeit, bei gewissen Organis- men durch äußere Faktoren eine epigame Ge- schlechtsbestimmung herbeizuführen, nicht be- streiten zu dürfen. Auf einem wesentlich anderen Standpunkt be- züglich der Zeit der Geschlechtsbestimmung steht M. V. Lenhossek (Das Problem der geschlechts- bestimmenden Ursachen). Seine Ausführungen sind die folgenden: Wissenschaftlich trat man dem Problem der geschlechtsbestimmenden Ursachen erst im 19. Jahrhundert nahe, und zwar tut dies zuerst die Statistik. Sie wies einen männlichen Ge- burtenüberschuß nach {106 S ■ 100$). Der Frauen- überschuß ist bedingt durch größere Sterblichkeit der J Individuen. Wichtige Aufschlüsse brachte die Biologie. D i n o p h i 1 u s zeigt einen auffallenden Ge- schlechtsdimorphismus {'} 1,2 mm, S 0,04 mm). Dieser ist bedingt durch einen Größenunterschied der Eier. Korscheit wies nach, daß aus den großen Eiern weibliche, aus den kleinen männliche Individuen hervorgehen. Das Geschlecht muß also vor der Befruch- tung schon festgestellt sein. Es fragt sich, ob sich dieser Satz verallgemeinern läßt. Auch die Erscheinungen der Parthenogenese weisen darauf hin, daß das Geschlecht schon im Ei bestimmt sein muß, namentlich dort, wo aus unbefruchteten Eiern Männchen und Weibchen hervorgehen. Eine 2. Möglichkeit ist die: a) Parthenogenetische Entwicklung erzeugt weibliche Tiere, befruchtete Eier erzeugen beide Geschlechter. Beispiele: Psyche, Solenobia, Apus productus und cancriformis. b) Die umgekehrte Erscheinung findet statt bei Hydatina und den Aphiden. Eine 3. Tiergruppe zeigt folgende Erscheinung: unbefruchtete Eier erzeugen Männchen, befruchtete Eier erzeugen Weibchen. Beispiele: Bienen und einige Wespengattungen. Die einfachste Erklärung ist die, daß durch den Eintritt oder durch das Ausbleiben der Be- fruchtung das Geschlecht entschieden wird (herr- schende Ansicht). v. Lenhossek glaubt, daß auch eine andere Ansicht möglich sei, nämlich die, daß das Hinzu- treten oder Fernbleiben der Samenfäden niclit die Ursache sondern die I'olge der Geschlechtsdifferenz ist. Schon unter den unbefruchteten Eiern gibt es nach seiner Meinung männliche und weibliche Eier. Beim Austreten eines weiblichen Eies hin- dert die Königin das Hinzutreten des Spermas nicht, da diese Eier auf Befruchtung angelegt sind. Beim männlichen Ei wird durch einen Reflex- mechanismus der Zutritt des Spermas verhindert. Pflüger 's Beobachtungen an Fröschen und der Umstand , das eineiige menschliche Zwillinge gleichgeschlechtig sind, sprechen weiter für die progame Geschlechtsbestimmung; ebenso ist es bei Eiern, die unbefruchtet abgelegt werden und sich unter gleichen Bedingungen entwickeln, bei denen also Einfluß des mütter- lichen Organismus und äußerer Faktoren (Tem- peratur) nicht in Frage kommen können. Heape's Versuche an Kaninchen zeigen, daß Rasseneigentümlichkeiten dem befruchteten Ei schon inne wolinen, dies muß, nach Lenhossek's Meinung, auch für eine so fundamentale Eigen- schaft des Embryos, wie das Gesclilecht, gelten. Rückblick. Der verschiedene Geschlechtscharakter des Eies (als Bestandteil des mütterlichen Organismus) ist ein Strukturverhältnis des weiblichen Körpers, ja, da die neuen Organismen gewissermaßen los- gelöste Bestandteile des mütterlichen Organismus sind, kann man sagen, daß die Geschlechts- proportion der entwickelten Individuen ein morphologischer Zug des weib- lichen Organismus der betreffenden Gattungist. Vererbung und Geschlechtsbestimmung. Bekanntlich zeigen die Nachkommen die Mischung der Charaktere beider Eltern. Man kann also sagen: 6i4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 39 Die Vererbung des Geschlechts erfolgt durch die Mutter, die Vererbung der übrigen Eigenschaften durch beide Eltern. Die parthenogenetische Entwicklung und die Loeb'schen Versuche zeigen, daß das Wesen der Spezies im Ei vollkommen enthalten ist, und daß das Spermatozoon nur zur Beseitigung einer unter- geordneten Entwicklungshemmung dient (Boveri). Zeitpunkt der Geschlechtscntstehung. Angenommen, daß das Geschlecht ovarial be- stimmt sei, entsteht die P>age nach dem Zeit- punkt der Geschlechtsbestimmung. Eine gewisse Wahrscheinlichkfeit spricht dafür, daß diese schon sehr früh erfolgt. Hier wäre auf die frühe Differenzierung der Keimzellen hinzuweisen, wie sie Boveri für Äscaris schon in den ersten Furchungsstadien und Haecker in seiner letzten Abhandlung für Diaptomus denticornis festgestellt hat (Kontinuität des Keimplasmas). Ernährung und Geschlechtsbestimmung bei niederen Tieren. Es handelt sich hier um Einwirkung durch die Ernährung auf den mütterlichen Organismus zur Zeit der Bildung und Ausreifung der Eier, nicht um eine solche auf den sicii ent- wickelnden Embryo. Kyber's Versuche an Blattläusen. 1813. Bei reichlicher Nahrung vermehrten sie sich p a r t h e n o g e n e t i s c h , und es wurden nur Weib- chen erzeugt, bei spärlicher Nahrung treten Männ- chen auf. Leydig (1865) knüpfte an diese Versuche wieder an, und Weismann wies für die Daph- n i d e n folgenden F"ortpflaiizungsmodus nach ; Frühjahr. Herbst. Nur Weibchen. Männchen aus der Durch parthenogenet. letzten Serie der par- Entwicklung der Som- thenogenet. Eier. Be- mereier wieder Weib- fruchtung der Weibchen, chen. Dauereier. Als Grund sah man die niedere Tempe- ratur an, jedoch nur indirekt, insofern damit un- günstigere Ernährungsbedingungen eintreten. Experimentelle Beweise zeigten die Rich- tigkeit dieser Anschauung (Konzentration des Salz- wassers ebenfalls die Ernährung herabsetzend). (Daphnia, Moina.) Nußbaum's Versuche an H\-datina senta. Entwicklung: A.Parthenogenetisch B. Getrennt- (Sommereier). geschlechtlich Jedes Weibchen nur (Dauereier). Eier eines Geschlechts. Bei reichlicher Nahrung erfolgte die Produktion weiblicher Eier, bei mangelhafter diejenige männlicher. ErnährungundGeschlechtsbestimmung bei höheren Tieren. Die bei niederen Tieren gewonnenen Resultate lassen sich nicht ohne weiteres auf die höheren übertragen. Bloss (1858) entwickelte die Anschauung, daß bei Säugetieren und beim Menschen eine Beein- flussung des Geschlechts durch die Ernährung möglich sei. (Nicht in dem früher angenommenen Sinne, da er die Frucht auf frühen Stadien für geschlechtslos hielt). Er suchte an der Hand statistischen Materials nachzuweisen, daß in schlech- ten Erntejahren und damit verbundener Steigerung der Lebensmittelpreise, bei großen Seuchen, Kriegen usw. ein tJberschuß an Knabengeburten zu ver- zeichnen sei, während unter umgekehrten Ver- hältnissen die Mädchengeburten überwiegen sollten. Seinen Beobachtungen stehen jedoch andere gegen- über, die das direkte Gegenteil beweisen. Ähnliche Ergebnisse zeigen die Untersuchungen von Wilkens (1886) an Haussäugetieren, die sich auf nicht genügend großes Untersuchungsmaterial stützen. Wilkens gab selbst zu, daß die Ernährung nicht der einzige geschlechtsbestimmende Faktor sein könne. Bei einem solchen Stand der Dinge wird man die Schenk'sche Theorie von vornherein mit einer gewissen Skepsis entgegennehmen. Schenk entnahm die Grundlagen seiner Theorie der vorhergehenden Literatur: i. Die Ansicht von der ovarialen Bestimmung des Geschlechts und 2. diejenige des geschlechtsbestimmenden Ein- flusses der Ernährung während der Eibildung und Reifung. Einer Inkonsequenz hat er sich allerdings dadurch schuldig gemacht, daß er trotz der An- nahme der ovarialen Geschlechtsbestimmung un- vermittelt an einer Stelle seiner ersten Publikation die Geschlechtsdifferenzierung des Embryos in den dritten Schwangerschaftsmonat verlegt. Wir müssen zwei Veröffentlichungen Schenk's unterscheiden. I. Veröffentlichung. 1898. An einer an der Zuckerruhr erkrankten Frau, die früher 5 Knaben geboren hatte, beobachtete er, daß sie während der Krankheit 2 Mädchen hervorbrachte. Als er noch weitere ähnliche Fälle beobachtete, gründete er darauf die Theorie, daß die Zuckerausscheidung die Ausbildung der Ei- zellen zum „höheren männlichen Typus" verhindere. Sollte also ein Knabe geboren werden, so war es nach seiner Ansicht nötig, die Zuckerausscheidung zum Schwinden zu bringen. Die Behandlung der Frauen, die Knaben wünschen, ist daher genau die des Diabetikers. Er verabfolgt eiweißhhaltige Nahrung (Fleisch) und Fett, entzieht aber möglichst die Kohlehydrate (Zucker, Obst, Mehlspeisen, Alkohol). Die Behandlung beginnt 2 — 3 Monate vor der Befruchtung und reicht bis zum 3. Monat der N. F. III. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 615 Schwangerschaft (Widerspruch, da das Geschlecht schon anatomisch nachweisbar ist. Siehe oben). Schenk setzt sich dadurch in Gegensatz zu den P>gebnissen der Biologie, da er durch möglichst nahrhafte Kost die Erzeugung männ- licher Nachkommenschaft befördern will. Abgesehen von sonstigen Einwänden ist ein besonders schwerwiegender Schenk nicht zu er- sparen, nämlich der, daß seine beiden Voraus- setzungen falsch sind. Es hat sich heraus- gestellt : 1. daß zuckerkranke F'Vauen sowohl Knaben als auch Mädchen hervorbrachten, 2. daß F'rauen, die zur Hervorbringung von Mädchen neigten, in ihren Ausscheidungen nicht immer Zucker erkennen ließen. 2. Veröffentlichung. 1901. Von Zuckerausscheidung und Herabminderung derselben ist jetzt keine Rede mehr. Er legt jetzt das Hauptgewicht auf den richtigen Eiweißumsatz, d. h. auf vollständige Verarbeitung des in den Nahrungsmitteln aufgenommenen Eiweißes, sowie des Organeiweißes. Er wendet jetzt eine Ab- magerungskur an und verabreicht namentlich eiweißhaltige Nahrung (Pleiscli), entzieht aber das Fett. Eine derartige Umkehr der Schenk'schen Lehre in dem kurzen Zeitraum von 3 Jahren ist nicht dazu angetan, das Vertrauen in ihre Richtig- keit zu erhöhen. Diese Betrachtungen zeigen, daß die wissenschaft- liche Forschung sich vorläufig daran genügen lassen muß, mit großer Wahrscheinlichkeit die Er- kenntnis einer grundlegenden Tatsache gezeitigt zuhaben, der Tatsache, daß die Bestimmung des Geschlechts ein Vorrecht des müt- terlichen Organismus ist und daß diese Bestimmung schon vor der Befruchtung im Ei vollzogen erscheint. Kleinere Mitteilungen. Beiträge zur Kenntnis der spontanen Ge- rinnung der Milch, von Korpsstabsapotheker Utz, Würzburg. Aus der Einleitung seiner im „Zentralblatt für Bakteriologie", XI. Band, Nr. 2022 (Jena, Gustav Fischer) veröffentlichten interessanten und ein- gehenden Arbeit über chemische und bakteriolo- gische Studien der spontanen Milchgerinnung bringen wir folgende allgemein interessierende Daten : Die Milchsäuregärung ist bekanntlich ein phy- siologischer Prozeß, dessen Einzelheiten in noch tieferes Dunkel gehüllt sind als diejenigen der etwas besser gekannten weinigen Gärung. Die Kenntnis von der Gerinnung der Milch unter Bildung von Säure ist uralt; bei verschiedenen Hirtenvölkern finden wir diese Prozesse sogar bis zu einer gewissen technischen Fertigkeit ausge- arbeitet. Schon im Jahre 1780 schied Scheele die Milchsäure als besondere Säure aus der sauren Milch ab, aus deren Geschmack man vordem auf die Anwesenheit von Essigsäure geschlossen hatte. Lavoisier sprach von „unvollkommener" Essig- säure, andere Beobachter von „maskierter" Essig- säure. Berzelius wies 1807 die Milchsäure auch in tierischen Substanzen nach und schied zuerst streng zwischen Essigsäure und Milchsäure. Spontan wird Milchsäure am häufigsten be- obachtet beim Sauerwerden der Milch. Die Zu- sammensetzung der Milchsäure stellten 1832 Mit- scherlich und Lieb ig fest. Es war Pasteur (Compt. rend. T. XL. 1857. p. 913), welcher als erster nachwies, daß die Milchsäuregärung ebenso wie die alkoholische Gärung unter dem Einflüsse gewisser organisierter, belebter Erreger zustande kommt. Die bei diesem Vorgange wirksamen und für diese Art der Gärung charakteristischen Organismen bezeichnete er als „ferment" oder „levure lacti(iue"; Reinkulturen hatte Pasteur nicht zur Verfügung. Später gelang es dann List er, aus saurer Milch ein Bakterium in Rein- kultur zu gewinnen, das er Bacterium lactis nannte. Seit dieser Zeit ist durch vielfache weitere Forschungen eine große Schar Mikroorganismen sowohl aus der Gruppe der Stäbchen- wie der Kugelbakterien entdeckt worden, welche ebenfalls den Milchzucker unter Bildung von Milchsäure zu spalten vermögen ; jedoch treten die Mikrokokken hinter den Bazillen bedeutend zurück. Hueppe (1884) isolierte mit Hilfe der von der Koch 'sehen Schule verbesserten Apparate einen stäbchenförmigen Mikroorganismus, den er in morphologischer und biologischer Richtung genau untersuchte und als den allgemeinen Erreger der spontanen Milchgerinnung bezeichnete. Im Jahre 1885 fand Escherich im Darm- kanal mit Milch genährter Tiere und Menschen neben anderen zum Teil damals schon bekannten Mikroorganismen eine neue Art , welche er als Bacterium lactis aerogenes oder „Darm- milchsäurebazillus" charakterisierte. Grotenfeld züchtete aus finländischer Milch außer anderen Mikroorganismen einen Milchsäure bildenden anaeroben „Streptococcus acidi lactici". Außer diesen Bakterienarten ist uns eine ganze Reihe anderer bekannt, welche durch die Untersuchungen von Kayser, Leichmann, Günther und Thierfelder und von Freuden- reich festgestellt und beschrieben worden sind. So beschrieb Kayser 15 teils bekannte, teils neu entdeckte Organismen, welche sehr verschie- dene Eigenschaften besitzen und sich auch haupt- sächlich durch die Temperaturen, bzw. Zeiten unterscheiden, innerhalb welcher sie die Milch gerinnen machen. Jedoch vermögen alle diese Organismen das Zuckermolekül unter Bildung von 6i6 Naturvvissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 39 Milchsäure zu spähen und finden sich hauptsäch- lich in Milch oder deren Produkten. Der Hueppe- sche Bazillus ist als der wichtigste und häufigste Erreger der spontanen Milchsäuregärung zu be- trachten. Es finden sich in frischer Kuhmilch stets außerordentliche Mengen der inannigfaltigsten Keime vor, zwischen denen ein lebhafter Wett- kampf zunächst beginnt, in welchem die Erreger der Milchsäuregärung zum Schlüsse die Oberhand gewinnen, weil die gesamten Wachstumsbedingun- gen für dieselben am günstigsten sind und häupt- sächlich die gebildete Milchsäure an und für sich das fernere Gedeihen der übrigen Mikroorganismen verhindert. Die Ureinwohner der britischen Inseln. — Dr. John Beddoe, Vizepräsident des Anthro- pologischen Instituts von Großbritannien, tritt in der „Polit. Anthropol. Rev." (Bd. 3, p. 26—38) der u. a. von Boyd Dawkins ausgesprochenen Meinung entgegen, daß jene Rasse, welche in der paläolithischen Periode die britischen Inseln be- wohnte, ausstarb oder auswanderte, ohne Nach- kommen zu hinterlassen. Es ist anzunehmen, daß es ursprünglich zwei oder drei paläolithische Typen gab; eine davon hatte ziemlich deutlichen mongoloiden Charakter, welcher heute noch, und zwar meistens in Wales, manchmal auch in ande- ren Gebieten gefunden wird. Dieser mongoloide Typus herrscht, wie bekannt, auch in der Bretagne stark vor. Von Gestalt sind diese Individuen klein, dick und schwerfällig. Auch die Schädelform des sogenannten Riverbed-Typus, der aus sehr früher Zeit stammt, kommt heute noch zahlreich in Ir- land vor. Der eigentliche neolithische Typus in Groß- britannien , der wohl über das ganze Gebiet der Inseln verbreitet war, ist mit dem hiberischen, wenn schon nicht identisch, so doch nahe ver- wandt; der Mensch der neueren Steinzeit war klein, oder von mittlerer Statur, wohlgebaut, aber nicht besonders stark, der Kopf ausgeprägt dolicho- cephal, mit einem länglichen Gesicht, fast senk- rechter Stirn und vorspringendem Hinterhaupt. Dieser Rassentypus bildet heute noch einen sehr wichtigen Bestandteil der Bevölkerung der briti- schen Inseln. In der Bronzeperiode drang eine andere Rasse ein, von großem und kräftigem Körperbau, breitem und rundem Kopf; der Schädelindex derselben betrug etwa 80 und darüber. Es kann mit Gewiß- heit angenommen werden , daß wir es hier mit einer ausgesprochen brachycephalen Rasse zu tun haben. Bisher ist es noch strittig, welcher Rasse die Menschen der Bronzeperiode in Großbritannien angehörten. Beddoe nimmt an, daß sie eine Mischrasse aus dem kleinen untersetzten Homo alpinus und dem großen blonden Homo europaeus bildeten. Die Sprachkunde ergibt, daß in diesem Zeitabschnitt drei aufeinanderfolgende Wogen kel- tisch sprechender Völker die Inseln überfluteten, nämlich die Galen, Kymri oder Brythonen und die Gauls, die zur Zeit Cäsars in Südbritannien sehr mächtig waren. — Der Verf bespricht im weiteren noch die Periode der römischen Koloni- sation, durch welche der anthropologische Typus der Briten nur wenig verändert wurde, die später folgende Einwanderung und Ansiedlung der Sachsen und anderer germanischer Völker, sowie endlich die normannische Eroberung, über welche schon viel geschrieben wurde. Fehlinger. Über die allmähliche Ausbreitung des Gir- litzes (Serinus serinus) in Deutschland be- richtet W. Schuster im 15. Jahrgang des Orni- thologischen Jahrbuches. In früherer Zeit scheint das Verbreitungsgebiet dieses Vogels nicht über Süddeutschland jenseits der Maingrenze hinaus- gegrift'en zu haben; vor ca. 340 Jahren wird er zum ersten Male von Conrad Geßner, und zwar aus der Umgebung von Frankfurt a. Main , erwähnt, häufiger werden die Nachrichten über ihn erst im 19. Jahrhundert, und aus diesen geht seine weite Verbreitung in Süddeutschland unzweifelhaft her- vor. Auf verschiedenen Wegen begann er nun in der zweiten Plälfte des vergangenen Jahrhunderts nach Norddeutschland vorzudringen. Den einen dieser Wege bildete das Rheintal, 1854 brütete er zwischen Coblenz und Bonn, in den achtziger Jahren in der Eifel, bei Aachen, Barmen u. s. f. Ein Seitenweg führte von Mainz aus nach Osten in die Wetterau, in das Lahn- und Dilltal, nach Cassel und schließlich bis zum Harz. Das zweite große Einbruchsgebiet liegt in Ostdeutschland und verfolgt die Linie Donau-, March-, Elbe- bzw. Odertal. Schon seit Jahrhunderten war er häufig im südlicheren Österreich-Ungarn, in Böhmen trat er erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf und fand dort bald allgemeine Verbreitung, ebenso in Schlesien in den achtziger Jahren. Etwas später (siebziger Jahre) vollzog sich die dauernde Be- siedlung Sachsens und Ost-Thüringens durch das Elbetal, während das westliche Thüringen wohl zum Teile wenigstens von dem erstgenannten Aus- breitungsgebiete aus erreicht wurde. Der Vogel hat somit nun überall das mitteldeutsche Gebirge durchbrochen und breitet sich nach allen Seiten hin in der norddeutschen Tiefebene aus. Ende der siebziger Jahre schon wurde er bei Berlin und in der Mark beobachtet, 1890 traf man ihn bereits in Königsberg an, 1899 in VVestpreußen und Pommern, 1902 wurde er brütend in Mecklenburg festgestellt. Und einzelne Vorzügler sind gar schon bis Dänemark und Südschweden vorgedrungen, so daß seine Ausbreitung über das gesamte Deutsch- land nur noch eine I-'rage kurzer Zeit sein wird. Diese intensiv starke Verbreitung des Girlitzes beruht wohl auf der starken Vermehrung des Vogels (bis zu drei Brüten pro Jahr), auf den ge- ringen Ansprüchen, die er an Nistgelegenheiten stellt, auf der Vorsicht des Vogels bei der Nest- anlage, beim Brüten und beim Füttern, so daß er Feinden leichter zu entgehen vermag. J. Meisenheimer. N. F. in. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 617 Über den Zusammenhang zwischen dem Barometerstand und den Niederschlägen sucht J. V. n offmann in einem „einige Ursachen und Folgen senkrechter Luftbewegungen" betitelten Aufsatz (Gerland's Beiträge zur Geophysik, VI, Heft 4) neue Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen. Die Grundlage der Hoffmann'schen An- sichten bildet die in der neuesten Zeit besonders von Fr. König verfochtene Notwendigkeit, neben der oberirdischen Atmosphäre auch die in den kapillaren Hohlräumen des Erdbodens enthaltene, an VVasserdampf besonders reiche Luft als eine Art unterirdischer Atmosphäre mit in Betracht zu ziehen. Nach Hoffmann muß ein Sinken des Luftdrucks den Austritt nicht unbeträchtlicher Luftmassen aus dem Erdboden zur Folge haben, deren mitgebrachte Wasserdämpfe infolge ihrer Leichtigkeit nach oben steigen und daher infolge der Abkühlung bald zur Wolken- und Nieder- schlagsbildung führen. Bei steigendem Barometer wird dagegen umgekehrt ein Eintritt von Luft in den Untergrund erfolgen müssen, wodurch die in den untersten Schichten angesammelten Wasser- dämpfe mechanisch mitgenommen werden, so daß sich dadurch die Neigung zur Niederschlagsbildung verringert. In der bekannten Tatsache, daß sich senkende Nebel auf gutes Wetter schließen lassen, während in die Höhe steigender Nebel eine schlechte Vorbedeutung hat, erblickt Hoffmann den sicht- baren Ausdruck dieser Wechselwirkung zwischen der oberirdischen und unterirdischen Atmosphäre. Auch die elektrischen Phänomene der Atmosphäre glaubt H. durch ähnliche Betrachtungen , auf die wir hier nicht weiter eingehen wollen , erklären zu können. Daß in der Tat ein periodischer Ausgleich zwischen der im Boden enthaltenen Luft und der freien Atmosphäre statthaben und auch qualitativ in der oben angedeuteten Weise einen gewissen Einflute auf die meteorologischen Verhältnisse aus- üben muß, wird wohl kaum bestritten werden, dagegen scheint es uns sehr unwahrscheinlich, daß diese am Grunde des Luftozeans sich ab- spielenden Vorgänge quantitativ eine irgend er- hebliche Wirkung ausüben könnten Die in Cy- clonen und Anticyclonen herrschenden , nach aerodynamischen Gesetzen zustande kommenden, vertikalen Luftbewegungen dürften sicherlich auch in Zukunft als die wichtigste und vornehmlich in Betracht zu ziehende Ursache der meteorologischen Vorgänge in der freien Atmosphäre anzusehen sein. F. Kbr. Quantitativer Nachweis von Atropin, Blau- säure und Schwefelwasserstoff im Rauche von Strammonium-Zigarretten. — In einer vor- jährigen Notiz der „Wiener Klinischen Wochen- schrift" (1903 Nr. 20) erbrachten Natolitzky und R. Hirn den Nachweis von Atropin, Blausäure und Schwefelwasserstoff im Rauche von Stram- monium-Zigarretten. Neuerdings teilt R. Hirn seine Resultate über die quantitative Bestimmung der drei Körper in den Rauchgasen dieses bekannten Asthmamittels in der Zeitschrift des Allgemeinen Osterreichischen Apothekervereins (1903. Nr. 52) mit. Zur Untersuchung gelangten Zigarretten , die aus 0,14 "11 Alkaloid haltenden lufUrocknen Blättern von Datura Strammonium gestopft waren ; der Rauch wurde zur Absorption des Atropins durch Gefäße gesaugt, die mit verdünnter Schwefelsäure gefüllt waren. Nach Beendigung des Rauchprozesses wurde die braungefärbte, saure Flüssigkeit zur Ent- färbung mit Äther ausgeschüttelt, dieses nach Zu- satz von Kaliumcarbonat wiederholt und dem Ätherauszug durch angesäuertes Wasser wiederum das Atropin entzogen. Indem Hirn diese Operation wiederholte, er- hielt er stets waclisende Mengen ausziehbarer Bestandteile, und zwar eine Gewichtszunahme, welche den im Rauche möglichen Atropinmengen keineswegs entsprach. Ebenso versagten ver- schiedene andere Methoden. Audi durch Titration des abgedampften Atherauszugs mit Salzsäure von bekanntem Gehalt konnte er unmöglich rich- tige Werte erhalten, wenn er die verbrauchte Menge Salzsäure auf Atropin umrechnete. Deim wie Hirn selbst zugibt, werden auf diese Weise außer Atropin auch noch andere Basen mittitriert. Sonach ist es nicht zu verwundern, wenn er ganz unmögliche Zahlen wie 0,5616 und 1,1277 g Atropin in 100 g Strammoniumblättern fand. Um aber dennoch ein annäherndes Bild von der vor- handenen Atropinmenge zu geben, gelangte Hirn auf physiologischem Wege zu einem einigermaßen brauchbareren Resultate. Das Atropin ruft bei einer X'erdünnung von i : 130000 noch Pupillen- erweiterung im Auge hervor. Indem er nun einen wie oben hergestellten, das Atropin enthaltenden Ätherauszug abdami^fte und mit schwach salz- säurehaltigem Wasser aufnahm , stellte er durch Verdünnen je eines Kubikzentimeters der Lösung mit Wasser eine Lösung her, die eben noch myri- adisch wirkte. So hatte er eine ungefähr i : 130GOO entsprechende Verdünnung erreicht, und aus dem X'erbrauch wurde das Atropin berechnet. Auf 100 g angewandter Blätter bezogen, fand er so im Rauche des Strammonium 0,0046 bis 0,0096 g Atropin. Da die Strammoniumblätter selbst etwa 0,2 bis 0,3 "/„ Atropin enthalten, so muß man anneiimen, dafj der weitaus größere Teil der im Blatte enthaltenen Atropinmenge während des Rauchprozesses durch die Hitze zersetzt worden ist. Die Blausäure sammelte Hirn in mit KaUiauge gefüllten Vorlagen und bestimmte sie daraus ge- wichtsanalytisch. Er fand im Rauche von 100 g Strammoniumblättern 0,0208 bis 0,0474 g Blau- säure. Diese Zahlen bewegen sich übrigens in ähnlichen Grenzen, wie die für Blausäure im Rauche der Fol. Nicotiana tabac. von Le Bon, Habermann, Kipling und Vogel gefundenen. Im Tabaksrauch von 100 g Tabaksblättern wurden von ihnen ein Minimum 0,0030 bis 0,0690, ein Maximum von 0,0080 bis 0,0960 g Blausäure nachgewiesen. 6i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ra. Nr. 39 Auch mit der quantitativen Bestimmung des Schwefelwasserstoftgases in den Rauchgasen dieser Zigarrette befaßte sich Hirn. Das Gas fing er in mit Chlorammonium und Zinlis zum 12. Mai kamen in allen Teilen Deutschlands sehr häutig Niederschläge vor, die im Küstengebiete, besonders an der östlichen Ostsee, wie die beistehende Darstellung zeigt, etwas größere Summen als im llinnenland ergaben. Nur über picdeiis'c^fa^^ö^cn im/Rai 1904. i-g-3 S-5 ä g ij e. n -^ ■ 5 3t5 t3- Deutschland. _^onatssuinmenim Mai 1904.03,02. Ol. 00.1899. der Stadt Berlin und ihrer weiten Umgebung enllud sich am 1. abends ein lieftiges Gewitter mit wolkenbruchartigem Regen und Hagelschlägen, die an den blühenden Bäumen großen Schaden anricliteten. Am gleichen Tage wurde auch im Werratal durch ein schweres Hagelwetter die Obstblüte größtenteils vernichtet. Während die Tage vom 13. bis 18. Mai der Küste wenig und dem Binnenland fast gar keine Nieder- schläge brachten, wechselte in der späteren Zeit außerordent- lich trockenes Wetter mit starken Gewitterregen, die verschie- N. F. m. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 619 dentlich von Hagel begleitet waren, mehrmals ab. Die ge- waltigsten Regengüsse kamen am 23. Mai in Bayern und Württemberg, am 27. bis 29. in ganz Süd- und Mitteldeutsch- land vor; beispielsweise fielen in Chemnitz vom 28. bis 2g. abends nicht weniger als 99 Millimeter Regen. In Württemberg und Baden führten die let/Jen Wolkenbrüche große Überschwemmungen und zahlreiche Dammbrüchc herbei, durch die der Eisenbahnbetrieb bedeutende .Störungen erlitt, auch wurden dort viele Felder durch Hagelschläge ver- wüstet. Dagegen blieben in dieser ganzen Zeit nennenswerte Niederschläge in Nordostdcutschland aus, und auch an der Nordseeküste waren sie sehr selten. Der gesamte Betrag der Niederschläge, der im Süden Deutschlands diesmal viel größer als im Norden war, belief sich für den Durchschnitt aller Stationen auf 59,5 Millimeter, zwei Millimeter mehr , als die gleichen Stationen im Mittel der Maimonate seit Beginn des vorigen Jahrzehntes ergeben haben. In den ersten Tagen des Monats zog ein ziemlich tiefes barometrisches Minimum von Schottland über Südskandinavien und Finland nach dem weißen Meere hin. Verschiedene ihm folgende Minima, die alle vom atlantischen Ozean herkamen, schlugen die Straße nach der Nordsee und Ostsee ein. Sie wurden zwar flacher und flacher, zogen aber in immer größerer Nähe an uns vorüber, so daß in ganz Deutsch- land längere Zeit hindurch eine lebhafte, mit Wasserdämpfen erfüllte Südwestströmung herrschte. Erst als am 12. Mai ein Hochdruckgebiet von der iberischen Halbinsel r.asch nach Mitteleuropa vordrang, blieben uns die Minima eine Zeitlang fern, und es trat daher trockenes Wetter, zunächst mit sehr kühlen Nordwestwinden, ein. Gegen Mitte des Monats erschien wieder eine tiefere De- pression auf dem atlantisclien Ozean, die, nach Nordosten fort- schreitend , das Maximum langsam südostwärts verschob und daher in Deutschland eine Drehung der Winde nach Süden mit rascher Erwärmung bewirkte. Einige Tage später folgte ihr ein neues, etwas höheres Maximum nach , das zunächst über die britischen Inseln nach Norddeutschland gelangte, sich aber von hier bald nach der skandinavischen Halbinsel begab, während die Depression jetzt mit sehr kühlen, feuchten Nord- westwinden Rußland durchzog und zugleich mehrere flache Minima um die Zeit des Pfingstfestes durch Mittel- nach Süd- europa wanderten. Auch in der letzten Maiwoche traten auf dem allantischen Ozean, dem europäischen Nordmeer und dem biskayischen Meere noch verschiedene Minima und Maxima auf, die in der Herrschaft über die Witterungsverhältnisse West- und Mitteleuropas einander rasch ablösten, so daß hier Wind und Wetter überall sehr häufige Wechsel erlitten. Dr. E. Leß. Bücherbesprechungen. i) Erich V. Drygalski, Allgemeiner Bericht über den Verlauf der Deutschen Süd- polar-Expedition. Mit Vorbemerkungen von Ferd. Freiherrn v. Richthofe n und einem Anhang: Bericht über die .•\rbeiten der Kerguelen- Station von K a r 1 L u y k e n. E. S. Mittler &: Sohn, Königliche Hofbuchhandlung, Berlin 1903. — Preis 1,20 Mk. 2) Erich V. Drygalski, Deutsche Südpolar- Expedition auf dem Schiff „G auß". Be- richt über die wissenschafthchen Arbeiten seit der Abfahrt von Kerguelen bis zur Rückkehr nach Kapstadt und die Tätigkeit auf der Kerguelen- Station. — Veröffentlichungen des Instituts für Meereskunde und des Geographischen Instituts an der Universität Berlin. Heft V, Oktober 1903. Ernst Siegfried Mittler & Sohn, Berlin 1903. 8". 181 S. Mit 6 Abbildungen und 3 Beilagen in Steindruck. Wir haben wiederholt auf die Resultate der D. Südpolar-Expedition Bezug genommen. Näheres über dieselben und den Verlauf der Expedition findet sich in den beiden oben genannten Veröffentlichungen. Nr. I knüpft unmittelbar an die Berichte an, die in den beiden ersten Heften der von Freiherrn V. Richthofen herausgegebenen „Veröffentlichungen des Instituts für Meereskunde" enthalten sind und die Ereignisse und Arbeiten seit der am 11. August 1901 erfolgten Ausreise der Expedition bis 2. Januar 1902 sowie die Tätigkeit auf der Kerguelen -Station bis 2. April schildern. Auf zwei Jahre war die Expedition geplant, davon sollte das eine auf fortlaufende wissen- schaftliche Beobachtungen an einem festen Punkt im antarktischen Eis verwandt werden. Glücklich hat die Expedition ihre Aufgabe erfüllt. Dem vorliegen- den Bericht ist zu entnehmen, daß das wesentliche Ziel so vollkommen erreicht worden ist , wie man angesichts des unwirtlichen Charakters der Antarktis zu hoffen wagen durfte. Alle geplanten Beobachtungen konnten durchgeführt und reiches Material gesammelt werden. Ein tragisches Geschick waltete bekanntlich über der Kerguelen-Station. Zwei der drei Stations- mitglieder wurden von der tückischen Beri-Beri be- fallen, der nach qualvollen Leiden Dr. Enzensperger erlegen ist, ein Musterbild von frischem Unterneh- mungsgeist und männlicher Kraft. Der hier ver- öffentlichte Luyken'sche Bericht von den Kerguelen- Inseln zeichnet ein Bild der furchtbaren Krankheit und schildert ihren Verlauf in seinen erschreckenden Einzelheiten. Um so mehr ist es erhebend, daß die, welche die deutsche Flagge im Dienst der Wissen- schaft in das antarktische Eis getragen haben, nach getaner Pflicht ohne Verlust von dort entronnen sind, und daß es ihnen vergönnt ist , die Ergebnisse ihrer Tätigkeit nach der Heimat zurückzubringen. Die Berichte geben Zeugnis von der Einmütigkeit und dem harmonischen Zusammenwirken der Mitglieder der Expedition, von ihrem Wagemut, ihrem Taten- drang und der alle beseelenden Zuversicht auf Erfolg; ihre Lektüre sei allen, die dem Zwecke, den Vorbe- reitungen, den Arbeiten und dem Ausgang des kühnen Unternehmens ihr Interesse geschenkt haben, bestens empfohlen. Nr. 2 ist der 3. Bericht über die Expedition, die in Veröfif. d. Inst. f. Meereskunde erschienen ist. Er enthält den allgemeinen Bericht von Erich v. Dry- galski; den Bericht über die Rekognoszierungs- Schlittenreise nach dem Rand des Inlandeises und über die Auffindung des Gaußberges von Richard Vahsel ; den Gesundheitsbericht von Hans Gazert und den allgemeinen Bericht über die Tätigkeit der Ker- guelen-Station von Karl Luyken. — Der 2. Teil gibt die Berichte über die wissenschaftliche Tätigkeit, und zwar über die geographischen Arbeiten von Erich V. Drygalski, den Bericht über die erdmagnetischen Arbeiten von Friedrich Bidlingmaier, den meteorolo- gischen Bericht von Hans Gazert, den geologischen und chemischen Bericht von Emil Philippi, den bio- logischen Bericht von Ernst Vanhöffen und den bak- teriologischen Bericht von Hans Gazert. . — Den 3. Teil stellen die technischen Berichte über Schiff, 620 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 39 Seefahrt und Ballonaufstiege dar ; der Abschnitt über Seefahrt und Schiffsarbeiten ist von Hans Ruser, der Bericht über die Ballonaufstiege von Albert Stehr verfaßt. Sven V. Hedin, Im Herzen von Asien. Zehn- tausend Kilometer auf unbekannten Pfaden. Mit 407 Abbildungen. 2 Bände. Leipzig, F. A. Brock- haus. 1903. - — Preis geb. 20 Mk. Den deutschen Studiengenossen hat Sven v. Hedin die deutsche Ausgabe seines zweiten großen Reise- werkes gewidmet, wie die des ersten „durch Asiens Wüsten" seinem Universitätslehrer Ferdinand Freiherrn V. Richthofen. In Anhänglichkeit ist er also seinen deutschen Beziehungen , denen er für seine wissen- schaftliche Ausbildung viel verdankt , treu geblieben, mögen auch seine Erfolge ihm einen für sein Lebens- alter ungewöhnlichen, internationalen Ruhm eingetragen haben. Er hat auf seiner zweiten großen Reise die Kühnheit der selbstgestellten Aufgaben nicht gemindert, die zielbewußte Bedachtsamkeit und Energie bei ihrer Durchführung dagegen vermehrt , so daß die Ergeb- nisse noch gesicherter, dabei erlittene Verluste nicht durch Unvorsichtigkeit hervorgerufen erscheinen wie bei der Durchquerung der Takla -makan- Wüste im Jahre 1S95: aber seine Persönlichkeit ist trotz der gesteigerten Sicherheit des Auftretens und der noch ge- wachsenen Energie nach wie vor umgeben von dem Reize liebenswürdiger Natürlichkeit , gemütvoller Frische des Wesens. Der eigentümliche Zauber, der von dem neuen Reisevverke über die Fahrten der Jahre 1899 bis 1902 durch das Becken des Tarim und die (lebirgsvvelt von Tibet ausgeht, beruht vor- nehmlich darin , daß aus jeder Zeile nicht nur die geschilderte Landschaft, das beschriebene Leben von Einzelmenschen, von Völkern, von Tieren mit seltener Anschaulichkeit spricht , sondern vor allem auch die anziehende Persönlichkeit des Reisenden selbst mit seinen Stimmungen, Hoffnungen, Neigungen, ohne daß er doch Je mit seinem Selbst posiert. Über die Summe der wissenschaftlichen Ergebnisse zu sprechen ist erst Zeit,^) wenn die umfangreichen Bearbeitungen der Beobachtungen und die Kartenaufnahmen er- schienen sein werden; doch ist schon im vorliegenden Reiseberichte viel feine Charakteristik enthalten, durch welche auf die unbekannten wie die bereits bekannteren Gegenden, die Sven v. Hedin bereist hat, ein neues Licht fällt. Als Beispiel und an Stelle eingehenderer Besprechung des ungemein lesenswerten Buches sei hier zusammengestellt , was der Reisende über den Fluß Tarim an verschiedenen Stellen der Reisebe- schreibung berichtet. Er hat ihn von Mitte September bis ."Anfang Dezember 1899 von Lailik im Südwesten von Kaschgar bis zum Lopsee rund 2000 km weit, also auf eine Strecke, länger wie Rhein und Weser zusammengenommen, mit selbstgebauter Fähre be- fahren und dabei kartiert. (S. 52) „Wenn der Leser fragt, weshalb ich eigent- ') Vgl. aucli den ersten Überblick, den die N,aturwiss. Wochenschr. am 22. März 1903 gebracht hat. Neue Folge Bd. 2, Heft 25. lieh die Flußreise unternahm , so antworte ich , daß dies erstens der einzige Weg durch ganz Ostturkestan war , den ich noch nicht kannte und daß zweitens noch nie eine Karte vom Laufe des Tarim aufge- nommen war. Die Wege und Stege, die dem Flusse folgen , berühren nur hin und wieder seine Krüm- mungen, als wären sie zwischen den äußersten Kurven der Flußbiegungen gezogen worden. Durch sie erhält man keinen Begriff von den Eigentümlichkeiten des Flusses." (S. 112) „Man glaube nicht , daß ich die Reise einförmig gefunden hätte. Ich lebte das Leben des Flusses mit und beobachtete seine ersterbenden Pulsschläge und seinen launenhaften Lauf durch Innerasiens innerstes Tiefland. Es machte mir Ver- gnügen, den Gang der Instrumente zu verfolgen, und die Karte entwickelte sich Blatt um Blatt." (S. 70) „Während der Hochwasserperiode wäre es mit großen Schwierigkeiten verbunden gewesen, die Flußreise zu machen. Die Fähre wäre mit der heftigen Strömung getrieben und in den Biegungen mit solcher Wucht angeprallt, daß die Kisten vom Deck herabgeglitten wären. Ein anderer Nachteil während der früheren Jahreszeit wäre die Hitze gewesen und vor allem die Mücken. Wir hatten die günstigste Jahreszeit gewählt." (S. 56) „Der Tarim macht die tollsten Krüm- mungen, nach Nordwesten , Südosten , Norden und Nordosten. Schon lange Strecken vorher sieht man an den Grenzlinien des Waldes, wo sich der Flußlauf seinen Weg im Terrain gesucht hat." (S. 60) „In den Gegenden , in denen wir uns zuerst befanden, war der Lauf noch einigermaßen gerade, und ich machte in 2 5 Minuten nur i Peilung; aber bald änderten sich die Verhältnisse, und die Pausen zwi- schen den Peilungen überstiegen selten 3 oder 4 Minuten. Im großen betrachtet geht der Jarkent- Darja nach Nordosten." (S. 57) „In den konkaven Kurven ist die Uferterrasse bis zu 3 m hoch , und oft fallen große Lehm- und Sandklumpen plumpsend herunter." (S. 58) „Manchmal klatscht es, als wäre ein Krokodil ins Wasser gegangen ; aber solche Tiere gibt es im Tarim glücklicherweise nicht. Die Mücken waren lästig." (S. 59) „Der große Fluß ist anfangs recht einförmig. Nur wenn man an den steilen Ufern (Jar oder Kasch = Strandterrasse, vgl. Jarkent, Kaschgar) vorbeistreicht , die mit jungen Pappeln, Gesträuch und Hagedurnhecken bekleidet sind, deren Wurzeln aus dem Uferwalle herauswachsen und ins Wasser hinabhängen, kann man manchmal recht hübsche Partien passieren." (S. 60) „Der Fluß war jetzt so bedeutend gefallen, daß die noch vorhandene Wassermenge nur die eigentliche Erosionsfurche des Flusses füllte , die überall dicht am konkaven Ufer hinläuft , d. h. zu alleräußerst in allen Krümmungen, wodurch die Länge des Weges größer wird. Für eine genaue Kartenaufnahme des Tarim war jedoch dieser Umstand von Vorteil ; denn man bekam einen deutlichen Begriff von der Plastik des Bettes. Der Fluß fällt nicfit regelmäßig , sondern ruckweise , so daß um die Schlamminsehi und Halbinseln herum scharf markierte Erosionsränder entstehen. Doch so- wie der Schlamm getrocknet ist, fällt er ab." (S. 106) ,,Je weiter wir kamen, desto schmaler, tiefer und N. F. III. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 621 langsamer wurde der Fluß , und nicht selten betrug seine Breite nur 15 m." (S. loS) „Es gilt als Regel, daß der Fluß da, wo er Bogen macht , auch schmal, tief und langsam ist, da aber, wo er eine gerade Richtung einhält, seicht, schnell und breit wird; das Gefälle ist hier größer." (S. 106) ,,In scharfen Biegungen verliert die Wassermasse durch die Reibung und den Druck gegen das Jarufer einen guten Teil ihrer Geschwindigkeit, welche Kraft in andere Arbeit, die Auswaschung des Ufers umgesetzt wird." (S. 108) „Eine Windung wurde zurückgelegt , die sich einem vollständigen Kreise näherte und deren Landzunge nur 20 Klafter breit war. Ohne Zweifel wird das nächste Hochwasser sie durchbrechen. Die Wand und an den Ufern nicht alt werden kann. Die äußer- sten Pappeln stehen wie wartend da, bis die Reihe zu fallen an sie kommt, wenn die Jarwand unter ihnen abrutscht." Streckenweise sind die Ufer aber doch mit dichtem Wald von Pappeln besetzt." (S. 78) „Die Leute von Lailik hatten noch nie einen solchen Wald gesehen und machten ihrem Erstaunen und Entzücken Luft. Sie hatten recht. Es war ein Ge- nuß für das Auge, diesem farbenprächtigen Uferschmuck zu begegnen und in dem lautlosen Schweigen konnte man glauben , in einem Triumphwagen von unsicht- baren Nixen und Elfen auf einer Straße von Saphiren und Kristall durch einen verzauberten Wald gezogen zu werden. Feierlich standen die Pappeln in zahl- Landung an der Mündung des Aksu-darja. wird von beiden Seiten unterwaschen , so daß sie schließlich einstürzt und der Fluß dann die Windung verläßt , die wie ein toter Schmarotzer liegen bleibt. Derartige tote Krümmungen kamen häufig vor." (S. 109) „Die Tendenz des Flusses, seine Windungen oft aus- zugleichen, ist in der Beschaffenheit des Bodens be- gründet. Dieser besteht aus Sand, und in dem losen, leicht niederstürzenden Material fiüirt das Wasser ohne sonderlichen Widerstand seine Unterminierungsarbeit aus. Auf die Veränderlichkeit des Flusses gründet sich wieder der Umstand, daß der Wald spärlich ist reichen Reihen, aufrecht wie Könige und spiegelten ihre Kronen aus falbem Herbstgold im lebenspenden- den Flusse, der Nährmutter der Wälder, der Herden und Hirsche und des Königstigers, dem größten Gegensatze des Wüstenmeeres. Da stehen sie in einer dunklen Mauer, würdevoll und still, als lauschten sie einer Hymne, die zwischen den Ufern zum Lobe des Allmächtigen leise erklingt, einer Hymne, die auch Wanderer und Reisende vernehmen können, wenn nur ihr Gemüt für das CJroße der Natur emp- fänglich ist. Sie huldigen dem Tarim , ohne den 622 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 39 ganz Ostturkestan eine einzige ununterbrochene Wüste sein würde." Durch Kanäle ist dem Fluß viel Wasser für die Felder entzogen. Die Ufer selbst sind im allgemeinen (S. 77) „unbewohnt und still; doch sahen wir Hirtenhütten, die gewöhnlich nur aus einem Dach auf 4 Stangen bestehen und mit Reisig und Zweigen bedeckt sind. Sie ließen darauf schließen, daß die Gegend zu gewissen Zeiten von Menschen aufgesucht wird, die wieder fortziehen, sobald die Weide knapp wird." (S. 85) „Bisweilen waren beide Ufer gleich hoch ohne eine Spur von Anschwemmungen ; dies war natürlich nur an geraden Stellen der Fall. Wir glitten dann wie in einem Korridor dahin, ohne viel von der umgebenden Landschaft zu sehen." da an meistens Tarim genannt wird , obwohl bis in die Lop-nor-Gegend noch der Name Jarkent-darja vorkommt, wendet sich nachher nach Osten. Der Aksu-darja ist hinsichtlich der Richtung der bestim- mende und nach Aussage der Eingeborenen auch zu allen Jahreszeiten der wasserreichere der beiden Flüsse." (S. 120) „30. Oktober. Ich spähte gespannt nach rechts, nach Süden, um mir die Mündung des Chotan- darja nicht entgehen zu lassen. Endlich zeigte sich in dem jungen Walde eine breite Gasse, ein flaches, ein paar Meter über dem Spiegel des Aksu-darja liegendes Bett, das jetzt ganz trocken und leer war. Während der kurzen Zeit , in welcher der Chotan- darja Wasser führt, soll er ein gewaltiger Fluß sein. Nordufer des Sees Kara-koschun. (S. 114) „Am 22. Oktober passierten wir den Punkt, wo der Kaschgar-darja sich in zwei engen, größtenteils von Sand, Schlamm und Vegetation ver- stopften Armen in den Jarkent-darja ergießt , wobei er ihm nur einen geringen Zuschuß von Wasser zu- führt." (S. 116) „Am 27. war ein interessanter Tag; denn wir wußten, daß wir an die Mündung des Aksu- darja gelangen würden." (S. iiS) „Merkwürdiger- weise biegt der Jarkent-darja gerade beim Zusammen- flüsse nach Nordwesten ab. Der Aksu-darja kommt von Nordnordwest, und der vereinigte Fluß, der von und tatsächlich wird der Aksu-darja unterhalb dieser Einmündung viel breiter und reich an Anschwemmun- gen ; doch die Richtung des Hauptflusses wird durch den Nebenfluß nicht im geringsten beeinflußt. Die Landschaft ist in dieser Gegend einförmig, often und flach ; alles ist groß angelegt : die Wasserflächen sind ausgedehnt, das Schwemmland endlos, die Ufer etwa einen Kilometer auseinander." (S. 124) „Vor uns am Horizont schien die Wasserfläche direkt in den Himmel überzugehen. Wahrend der letzten Tage hatten wir bemerkt , daß der Fluß ein wenig stieg. N. F. m. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 623 was davon kam, daß die Kanäle für dieses Jahr ge- sperrt worden waren und nun dem Flusse den Rest der Anleihe zurückzahlten." Eine Strecke weiter ab- wärts ('S. 127) „hat sich der Fluß seit 3 Jahren ein neues Bett gegraben. Das alte bleibt trocken und verlassen zur Linken liegen, mit ihm auch der Wald. In dem neuen Stromlaufe veränderte sich auf einmal der Charakter des Flusses. Er wurde schmal und gerade, und man sah alle Kennzeichen , daß er von der Erosion des Wassers noch nicht genug ausge- arbeitet war. Die Landschaft war öde. Das Bett ist außerordentlich scharf markiert , und von den hohen L'fern stürzen Massen von Sand und ganze Blöcke in den Fluß, so daß es aussieht, als steige am Wasserrande Rauch auf." (S. 132) „Der Tarim ändert also seine Lage, aber nur auf kurzen Strecken seines Laufes, und es ist interessant zu beobachten, daß wir die verlassenen Flußbettstücke beinahe immer nach Norden liegen lassen, daß der Fluß nach rechts wandert. Daß an dem neuen Flußbett kein Pappel- wald steht, ist natürlich; denn er hat noch nicht auf- Tokkus-kum, das Nordufer der Sandwüste. sprießen können. Doch an den verlassenen Strecken steht er dicht und üppig, obgleich er dort gewöhnlich zum Untergange verdammt ist, wenn das Wasser sich zurückgezogen hat." (S. 1 36) „In der Gegend von Gädschis mündet links ein Arm des Schah-jar-daija (Musart), der vom Chan-tengri kommt. Er ist an der Mündung 29 m breit. Das Bett war mit stillstehen- dem Wasser von 78 cm Durchsichtigkeit gefüllt, wäh- rend das des Tarim nur bis 4 cm durchsichtig war. Die Grenze war ziemlich scharf" Schließlich umgibt die Steppe und Wüste den Strom. (S. 148) „Der Fluß, der von hier ab Jumalak-darja genannt wird, zieht sich nach Südosten und gleicht einem schmalen Bande zwischen Schilffeldern. Wir passierten eine Reihe Uferseen , und es ist ein charakteristisches Zeichen des Tarim, daß diese immer zahlreicher wer- den, je mehr man sich dem Lop-nor nähert." (S. 150) „Links gähnt ein mächtiges, mit Schlamm gefiilltes Bett. Ich erfuhr , daß dieses Bett der frühere Lauf des Tarim gewesen und der Fluß darin mindestens 50 Jahre geströmt habe, da die Greise es schon in ihrer Kindheit gekannt hätten. Vor 4 Jahren habe der Fluß dieses alte Bett so vollständig verlassen, daß nicht einmal während der Hochwasserperiode ein Tropfen dort hineinlaufe. Der neue Lauf zieht sich durch öde Gegenden, wo es früher nur Uferseen ge- geben hatte. Wenn der Fluß schließlich im Lop-nor- Gebiete in völlig ebenes Terrain übergeht , hört alle Ordnung auf Flüsse wie Seen verändern hier ihre Lage und Wassermenge von Jahr zu Jahr , und der- jenige, welcher den Lauf des Flusses bis zu seiner Auflösung und Vernichtung mitgelebt hat , versteht, daß auch sein Endpunkt, der Lop-nor, ein wandern- der See sein muß, ganz wie das Messinggewicht am Ende eines schwingenden Pendels. Das Pendel hier ist der Tarim. Es mag sein, daß die Perioden ein paar hundert Jahre lang sind ; aber in der Geschichte der Erde verschwinden sie wie die Schwing- ungen des Sekundenpendels." (S. 151) „Die Richtung des Bettes ist unbestimmt. Große, abgerundete Bogen gibt es nicht, wohl aber kleine, die sozusagen nach dem einzuschlagen- den Kurse (unhersuchen und tasten." (S. 152) „Die Dünen rücken auf beiden Seiten immer näher, und der Vegetationsgürtel schrumpft plötzlich zusammen." (S. 153) „Dann und wann passieren wir eine einsame Pappel, während die Tamarisken , diese Kinder des Wüstensandes, recht zahlreich auftreten, und schmale Kamischbänder sich meistens an bei- den LTern hinziehen. Es ist merkw^ürdig, daß die Dünen eine so feste Basis haben können , daß sie aus der Wasserfläche als ganz senkrechte Wand emporsteigen können. Dies kommt daher , weil sie unten feucht sind. Höher hinauf ist der Sand ebenso lose wie gewöhnlich. Er rieselt in kleinen Furchen an der Düne herunter und bildet da, wo die senkrechte Wand anfängt, kleine Kaskaden und fährt so lange fort zu rinnen, als er von oben herab Zufuhr erhält; läuft aber das Stundenglas ab , so ist die Düne tot und von Wind und Wellen fortgetragen. Doch unter an- deren Formen wird sie auferstehen und ihre rastlose Wanderung fortsetzen. Auch das Wüstenmeer hat sein Leben, das hier ebenso gesetzmäßig pulsiert wie im Schatten der Palmen. Wir sind von Friedhofstille umgeben. Kein Gruß dringt aus der Tiefe der Wüste zu uns. Nur die Strömung singt im Sande ihr mur- melndes Lied." (S. 162) „Die Dünen waren hier ungefähr 60 m hoch. Die Männer oben auf dem Kamm erschienen verschwindend klein. Die Aussicht über den Fluß war großartig." (S. 174) „Mir wurde mitgeteilt, daß der Strom in diesen Gegenden von Anfang Dezember bis Anfang März zugefroren und dann noch einen halben Monat mit porösem Eise bedeckt sei. Das Hochwasser erreiche diese von den Quellen so weit entfernten Gegenden erst Anfang 024 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 39 August und stehe Ende September oder Anfang Ok- tober am höchsten. Nachher falle der Wasserstand täghch. Wenn der Fluß zugefroren sei , steige das Wasser, was seinen Grund darin haben solle, daß das Treibeis sich nach der Mündung zusammenpacke und zu einer Art Damm aufstaue." — Schließhch endet der Tarim im Kara-Koschun. (S. 146) „Im großen und ganzen ist meine Karte über den Fluß eine Augenblicksphotographie ; denn kein Jalir vergeht, ohne daß neue Arme entstehen, alte Krümmungen verlassen werden und Uferlagunen sich bilden." Dr. F. Lampe. Briefkasten. Herrn K. in B. — Sie fragen : Wenn bei d e m Z e r f a 1 1 des Biogen moleküls (vgl. Naturw. Wochenschr. p. 358) Energie frei wird, wo wird dann dieselbe her- genommen für den Wiederaufbau des Moleküls, da doch zweifellos dieser Wiederaufbau nur unter Arbeitsleistung erfolgen kann? Ich antworte: In der Verworn'schen Studie ,,die Biogenhypothese" (Jena, Gustav Fischer 1903), ist die hier aufgeworfene Frage nicht näher behandelt. Verworn widmet zwar der ,, Regeneration des Biogenrestes" ein besonderes Kapitel (S. 40—46), in dem- selben wird aber nur erörtert, welche Eigenschaften das Ersatz- material für die Schließung der beim Zerfall des Biogenmole- küls entstehenden Lücken voraussichtlich hat, und woher dieses Ersatzmaterial stammt. Über die Quelle der Kraft, welche dieses Ersatzmaterial wieder mit dem Biogenrest ver- einigt, äußert sich Verworn nicht. Auch wenn, wie die Biogenhypothese annimmt, eine Haupteigenschaft der Biogen- moleküle das Bestreben der Biogenreste sich zu neuen Biogen- molekülen zu regenerieren ist, so ist damit die energetische Seite, die in obiger Frage enthalten ist, nicht berührt. Zur Beantwortung müßten zunächst Analogien aus dem tierischen Stoffwechsel herangezogen werden , also Vorgänge, bei denen es sich um Synthesen organischer Verbindungen handelt. Synthetische Vorgänge spielen sich in großem Maßstab im tierischen Organismus ab. Ich erinnere an die Synthese der Hippursäure aus GlykokoU und Benzoesäure, das erste genauer studierte Beispiel einer Synthese im Tierkörper, ferner an die Harnstofifbildung, die nach den neueren Anschauungen auch auf einer Synthese im wesentlichen beruht; ferner an die Regeneration von Neutralfetten aus Fettsäuren und Glyzerin, die anscheinend bei der Fettresorption den normalen Vorgang darstellt; endlich an die Synthese von echten Eiweißstoffen aus den durch die Verdauung erzeugten einfachen Spaltungs- produkten , die normalerweise in früher nicht geahntem Um- fange stattfindet. Alle diese chemischen Prozesse, deren Reihe noch durch zahlreiche andere Beispiele erweitert werden könnte, erfordern die Zuführung von Energie. Diese Energie kann der Organismus nur durch die Zersetzung der organischen Stoffe, die ihm überhaupt als Energiequelle dienen , also der Eiweiße, der Fette und der Kohlehydrate gewinnen. Genaue- res über diese Kraftverschiebung, um die es sich ja handelt, da die Kraft, die vorher in den genannten energieliefernden Stoffen steckte, nach Vollziehung der Synthese in der neu entstehenden Verbindung wieder vorhanden ist, ist nicht be- kannt, insbesondere nicht darüber, welche von den erwähnten Gruppen von Energie liefernden Stoften vorzugsweise oder aussciiließlich für diesen Chemismus in Betracht kommt. Der Wiederaufbau des Biogenmoleküls ist, vorausgesetzt, daß die Biogenhypothese den wirklichen Verhältnissen ent- spricht, mit den erwähnten Synthesen in eine Klasse zu setzen. Demnach wäre die gestellte Frage dahin zu beantworten ? Die zur Regeneration des Biogenmolekuls , aus den Biogenresten einerseits und den accessorischen Gruppen anderseits, erfor- derliche Energie, muß sich der Organismus dadurch ver- schaffen, daß er entsprechende Mengen anderer Energie liefern- der Stoffe (Eiweiß, Fett, Kohlehydrate) zersetzt. Daß der Organismus auf diese Weise einen Umweg macht, allerdings ohne notwendigen Energieverlust, würde seinen Grund darin haben, daß bestimmte Funktionen an bestimmte Energiequellen geknüpft sind , für welche andere Energiequellen nicht vi- karierend eintreten können. Es ist wohl zu beachten, daß nach der Biogenhypothese der Zerfall des Biogenmoleküls in zweierlei Weise dem Organismus Energie liefert. Einmal da- durch, daß der Zerfall in Biogenrest und accessorische Grup- pen erfolgt; sodann aber zweitens auch durch den weiteren Zerfall der accessorischen Gruppen. Für die Regeneration des Biogenmoleküls ist aber nur die erstgenannte Menge von Energie erforderlich ; der Aufbau der accessorischen Gruppen wird von der Pflanze besorgt, die dem Tiere die Nahrung liefert. Zum Schluß sei noch besonders hervorgehoben, daß die Biogenhypothese noch ihrer weiteren Begründung harrt, daß es sich vorläufig, wie Verworn ausdrücklich hervorhebt, um eine reine Hypothese handelt, deren Hauptzweck es ist zu weiteren Fragestellungen anzuregen. Eine solche Frage ist z. B. die hier im vorstehenden erörterte. Fr. N. Schulz-Jena. Herrn E. in Ehrbeck. — Die eingesandten Moose und Flechten gehören häufigen .^rtcn an mit Ausnahme von Nr. 8. Die Namen sind: I. Hylocomium triquetrum. 3. Hyp- num crista-castrensis. 4. Dicranum undulatum. 5- Hypnum Schreberi. 6. Hypnum Kneiffii. 8. Sphagnum papillosum var. normale. 9. Webera nutans var. caespitosa. II. Dicra- num scoparium. 12. Mnium hornum 15. Hylocomium squar- rosum. 16. Hypnum cuprcssiforne var. 17. Parmelia physo- des. 18. Parmelia tiliacea. 20. Lepra. Anfluge einer Cla- donia. 21. Cladonia py.xidata. 22. Cladonia rangiferina. 24. Cladonia gracilis. — Die mit roter Tinte aufgeschriebenen Nummern sind leider nicht mit wünschenswerter Deutlichkeit lesbar gewesen, es empfiehlt sich daher bei nicht ganz trocke- nen Pflanzenproben die Notizen stets mit Bleistift zu machen. G. Lindau. Herrn K. in Peine. — Sie vermuteten richtig, wenn Sie für die Schädigungen der übersandten Kiefcrnnadeln Ure- dinecn verantwortlich machten. Der Pilz ist die Art, die man früher als Sammelspezies Peridermium pini nannte. Diese Aecidienform wird jetzt in eine Reihe von Arten zerlegt, deren jede einen anderen Teleutosporenwirl hat. Die Teleu- tosporenform gehört dem Genus Coleosporium an und findet sich auf Tussilago, Senecio, Melampyrum, Campanula ctc , wo- nach dann die einzelnen Arten unterschieden und benannt werden. Sie finden nähere Einzelheiten darüber in dem un- längst erschienenen Buche von Klcbahn, Die wirtswechselnden Rostpilze (Berlin, Gebr. Bornträger). Eine Besprechung des- selben hat die Nummer 37 der Naturwissensch. Wochenschr. gebracht. G. Lindau. Herrn H. S. in Altona. — Um so einfache Schnitte lier- zustellen, wie Sie solche nötig haben, bedient man sich sicher am besten nur eines gewöhnlichen Rasiermessers. Alle sonstigen Vorrichtungen sind überflüssig und unpraktisch. Als Wand- tafeln ist hinzuweisen auf diejenigen von Kny und Frank. In der Volksschule braucht man ja wenige .-\bbildungen ; sie müssen aber sehr groß und deutlich gezeichnet sein. Der Lehrer tut am besten , die Zeichnungen von einem guten Zeichner nach Abbildungen in botanischen Lehrbüchern her- stellen zu lassen. Er kommt auf diesem Wege am billigsten zu seinem Ziel. W. Detmer-Jena. Inhalt: K. Kliem: Das Verhalten der Vorkerne nach der Befruchtung. (Schluß.) — Kleinere Mitteilungen: Utz: Bei- träge zur Kenntnis der spontanen Gerinnung der Milch. — Dr. J o h n Bcddoe: Die Ureinwohner der britischen Inseln. — W. Schuster: Über die allmähliche Ausbreitung des Girlitzes (Serinus serinus) in Deutschland. — J. F. lloft- mann: Über den Zusammenhang zwischen dem Barometerstand und den Niederschlägen. — Natolitzky: Quanti- tativer Nachweis von Atropin, Blausäure und Schwefelwasserstoff im Rauche von Strammonium-Zigarrcttcn. — Himmels- erscheinungen im Juli 1904. — Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: Erich v. Drygalski: All- gemeiner Bericht über den Verlauf der Deutschen Südpolar-Expedition. — Sven v. Hed in: Im Herzen von Asien. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von T.ippert & Co. (G. Pätz'sche Biichdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „Die NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 3. Juli 1904. Nr. 40. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabalt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Das Wesen des Begriffs der Gewohnheit.') [Nachdruck verboteo,] Von Hr. Paul Graebke-Berlin. Die moderne Entwicklungslehre hat bei ihrer deduktiven Verwertung für die Deutung der iins um- gebenden Erscheinungen besonders deswegen 7,ur Klärung der vitalen und psychischen Vorgänge so wesentlich beigetragen, weil sie in Verbindung mit dem Gesetz der Erhaltung der Kraft und des Stoffes sich der weitgehendsten Anwendung fähig erwies. Wir erkennen heute die Macht des Träg- heitsgesetzes oder des Beharrungsprinzips als die ursprüngliche Form des Gesetzes der Erhaltung der Kraft und des Stoffes nicht nur in den Er- scheinungen der unbelebten Natur, sondern wir finden alle Lebensvorgänge vom Trägheitsgesetz beherrscht und entdecken seine Macht auch in den Ganglienzellen des Gehirns. Neben vielen entwicklungsgeschichtlich verwandten Vorgängen spiegelt sich die Macht des Beharrungsprinzips besonders deutlich in der Macht der Gewohnheit. Wir sehen vorläufig davon ab, daß der Begriff der Gewohnheit an das Individuum gebunden ist und besonders individuell erworbene Eigentümlich- keiten der Lebensführung umfaßt, vielmehr wenden wir unsere Betrachtung der Wirkung des Behar- rungsprinzips zu, die ganz allgemein, unbekümmert um die individuellen Lebenserscheinungen, in der unbelebten und belebten Natur zu erkennen ist. Die Tendenz des physikalischen Gesetzes der Träg- heit drückt sich in der Tatsache aus, daß die Ein- wirkung irgend welcher Kräfte nicht plötzlich er- lahmt und daß eine Bewegung noch eine gewisse Zeit hindurch weiter fließt oder schwingt, wenn die bewirkenden Ursachen bereits entschwunden sind. Aber gerade weil die verschiedenen Be- harrungskräfte im Räume sich einengen und an- einander stoßen, entsteht ein beständiges Spiel mechanischer Kräfte, die einen immerwährenden Wechsel erzeugen im Gebiete der Zeit. Die aus dem Kampfe mehrerer Beharrungskräfte hervor- gegangene und daher nach einer bestimmten Richtung prädestinierte Bewegung ist natürlich auch wieder von der Seele der Beharrung erfüllt, und so in endlosem Wechsel der Zersplitterung oder Anhäufung der Kräfte behauptet doch immer das Trägheitsgesetz seine elementare und ursprüng- ') Vgl. auch Prof. Dr. H. Potonie; ,, Plauderei über die Macht der Gewohnheit". Naturw. Wochenschrift. Neue Folge, 111. Band Nr. I vom 4. Okiober 1903, S. 7. 626 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. III. Nr. 40 liehe Macht. Je mehr sich die Bewegungen zu Massen verdichten und schließhch im unend-- liehen Räume auslaufen, in dem sie nicht von anderen Beharrungskräften gestört werden, desto ruhiger gestaltet sich der Bewegungsstrom, und es ist kein Zufall, daß in den Bewegungen der Himmelskörper das Gesetz der Trägheit sich am deutlichsten spiegelt. In der Mechanik des Kos- mos muß unter der Herrschaft des Beharrungs- prinzips jede Plötzlichkeit in der Entstehung neuer Einflüsse so gut wie ausgeschlossen sein, und die Bewegung aller Himmelskörper die Regelmäßig- keit eines Schwunges an sich tragen. Die Welt- körper kreisen in ziemlich regelmäßigen Bahnen, so daß ihre Drehungen sogar als die genauesten Maßeinheiten fiar Zeitmessungen gelten können und für die Zeiteinteilung in der Völkergeschichte maßgebend sind. Die Tatsache, daß eine unter ziemlich gleichen Spannungsver- hältnissen stehende Bewegung in gleich- mäßigem Schwünge dahin läuft, ist für die Beurteilung des Gewohnheitscharak- ters von Bedeutung. Die scheinbar unveränderliche Regelmäßigkeit in den kosmischen Vorgängen steht nun in ur- sächlichem Zusammenhange mit den Erscheinungen, die das organische Leben bedingen und die des- halb allgemein mit der Bezeichnung ,, Lebens- bedingungen" belegt werden. Es ist daher eine durchaus selbstverständliche Tatsache, daß auch die Vorgänge der Lebensbedingungen besonders deutlich den Charakter der Beharrung an sich tragen und unter dieser Eigenschaft das organische Leben beeinflussen. In dem Verhältnis der Lebens- bedingungen zum organischen Leben findet sich deutlich die allgemeine Gesetzmäßigkeit ausge- prägt, daß jeder Entwicklungsvorgang ein mehr oder minder kleines Glied innerhalb einer größeren und daher langsamer verlaufenden Entwicklung darstellt, und daß sich ferner innerhalb jedes Ent- wicklungsvorganges auch eine Reihe weiterer und schnell verlaufender Entwicklungen vollzieht. So bewegt sich das organische Leben außerordentlich lebhaft innerhalb der langsam dahingleitenden Ent- wicklung der Lebensbedingungen, aber es steht dennoch immer unter der Macht des Beharrungs- prinzips. In diesem Zusammenhange verdienen Darwins Äußerungen') Beachtung: „Sofern ich es nach langer Beobachtung des Gegenstandes be- urteilen kann, äußern sich die Lebensbedingungen in zweierlei Weisen: direkt auf die ganze Organi- sation oder nur auf einen bestimmten Teil, und indirekt durch Einwirkung auf das Reproduktions- system. Hinsichtlich der direkten Tätigkeit dürfen wir nicht außer acht lassen, wie Professor Weis- mann jüngst ausdrücklich erklärte, und auch ich gelegentlich in meinem Werke : „Variation under Domestication" bemerkte, daß es da zwei Fak- toren gibt: Die Natur des Wesens und die Natur ') Darwin: Entstehung der Arten. I. Kap. Abänderung im Zustand der Domestikation, 2. Abschnitt. der Lebensbedingungen. Der erstcre scheint der bedeutend wichtigere zu sein usw." Was Darwin hier unter Natur des Wesens und Natur der Lebens- bedingungen versteht, ist ein Ausdruck des Ge- setzes der Trägheit. Wie eine rollende Kugel in diesem Zustande zu verharren strebt und einen kurzen Stoß in dauernde Bewegung umsetzt, so ist auch der Einfluß der jeweilig herrschenden Lebensbedingungen auf das organische Leben von der Tendenz einer Dauerwirkung beherrscht. Bild- lich gesprochen leben alle Wesen unter der mecha- nischen Annahme, daß die äußeren Verhältnisse oder Lebensbedingungen unwandelbar sind und daß sie ihre Anpassung an diese vollendet haben. Diese mechanische Voraussetzung des Lebens als Ausdruck des Beharrungs- prinzips ist eine elementare Eigenschaft und zugleich eine primitive Entwick- lungsstufe der Gewohnheit. In diesem Zusammenhange gleicht die Ursprüng- lich keit der Gewohnheit einer Anpas- sung des organisierten Lebens an ver- meintlich unveränderliche Lebensbe- dingungen. Wie das Gesetz der Trägheit beständig alle Naturkörper beherrscht, so sind auch alle innerhalb der Protoplasmamasse eingeleiteten Bewegungen auf das Ziel der Beharrung und Starrheit gerichtet. Sie streben in dem Flußbett einer festen Form, eines Schemas oder Systems dahinzufließen und können für sich allein keine weitere Bedeutung beanspruchen als Unveränderlichkeit und Einfluß- losigkeit. Aber wie wir jede mechanische Be- wegung aus dem Beharrungsprinzip in Verbindung mit dem beschränkt gegebenen Raum ableiten konnten, so muß noch in weit stärkerem Maße in dem festen Gefüge einer Lebensorganisation eine Reibung der verschiedensten Bewegungen er- folgen und die elementare Einflußlosigkeit zu be- ständigem Einfluß sich wandeln. So schöpft das organische Leben aus der gegenseitigen Berührung und Spannung der beharrlichen Prinzipien der Unveränderlichkeit seine wechselvolle Veränder- lichkeit, die Entstehung der Mannigfaltigkeit seiner Formen, seinen Ursprung sowie überhaupt sein eigentliches Wesen und Sein. Wir haben da- her vollen Grund zu der Annahme, daß die elementare Ursprünglichkeit der Gewohnheit ein notwendiger Faktor jeder Lebensbewegung ist und eine grundlegende Bedeutung beansprucht für die Kette der Lebensäußerungen des Protoplasmas. Betrachten wir nun die Ursprünglichkeit der Gewohnheit unter der Annahme eines fertig ge- schaffenen Lebens, das von konstanten Kräften bewegt und unterhalten wird, und sehen wir ab von der Tatsache eines vom Werden abzuleitenden Seins, so würde das Beharrungsprinzip alle Lebens- bewegungen weiter fortzuführen suchen und sie in ewiger Gleichheit der Formen dahinfließen lassen. Unter immer crleichen äußeren Einflüssen wäre N. F. III. Nr. 40 Naturwissciischaftliclie Woclienschrift. eine Veränderung- der Lebensformen im Sinne des Fortschritts nicht denkbar, und es würden keine mannigfachen Lebensvorgänge aus einfachen ent- stehen können. In festen Formen würde das or- ganische Leben erstarren, und als naturgemäßes Ziel, aber naturwidriges Ende der Wirkung des Beharrungsprinzips im Gebiete der Lebensvorgänge würden die jeder weiteren Entwicklung unfähigen Lebensbewegungen eine Gleichförmigkeit aufweisen, die als die Tendenz der Ursprünglichkeit der Ge- wohnheit aufgefaßt werden kann. Es ist daher für die Beurteilung des Gewohnheitscharakters sehr bedeutsam, daß unter seiner unbeschränkten Herr- schaft das organische Leben keine weitere An- passungsfähigkeit hätte ausbilden können. Unter konstanten Lebensbedingungen würden die Bewegungen des Lebens in gleichem Fluß dahinströmen und den gänzlichen Mangel an A npassungsfäh igkeit und Be- weg ungs frei heit solange nicht empfin- den oder mit eigener Vernichtung büßen, als nicht die geringste Veränderung der Lebensverhältnisse eintreten würde. Aber mit der kleinsten Verschiebung innerhalb der Lebensbedingungen wäre das ganze organische Leben mit einem Schlage vernichtet. Diese Tatsache ist für die moderne Auffassung über das Wesen der Gewohnheit von großer Wichtig- keit. Denn wir haben hinreichend Grund zu der An- nahme, daß der uns geläufige Begriff der Gewohn- heit nur stufenweise verschieden ist von den Lebensäußerungen der Pflanzen und Tiere, und daß die Gewohnheit nicht nur in der mensch- lichen Lebensführung einen wesentlichen Bestand- teil bildet, sondern auch in den ihr zugrunde liegenden Prinzipien bereits bei den niedersten Tieren, den Urtieren, Infusorien und Rhizopoden erkannt werden kann. Was man allerdings im gewöhnlichen Leben unter Gewohnheit versteht, ist meistens ein psychischer Vorgang, der als Folge des Einflusses einer längeren Gleichheit äußerer Bedingungen auf das Individuum ent- standen ist und aus regelmäßig wiederkehrenden Schwingungen in den Ganglienzellen des Gehirns besteht. Bei dieser Auffassung des Begriffs der Gewohnheit können wir ihn daher nur in Ver- bindung mit tierischen und menschlichen Hand- lungen unter Beschränkung auf das Individuum zur Anwendung bringen ; es ist aber wohl zu be- achten, daß sich die Gewohnheit lediglich graduell, aber keineswegs in ihrem Wesen, von allen anderen Naturerscheinungen unterscheidet, in denen das Beharrungsprinzip einen deutlichen Ausdruck ge- funden hat. Wenn wir so die Gewohnheit als Ausdruck des Beharrungsprinzips, aber als eine hoch ent- wickelte, mit der Entstehung und Weiterbildung des organischen Lebens sich immer komplizierter gestaltende Form dieses Ausdrucks auffassen, dann setzen wir mit dieser Auffassung allerdings die Tatsache voraus, daß Gewohnheiten vererbt werden können. Aber die ganze moderne Entwicklungs- lehre beruht ja auf der Lehre von der Vererbung erworbener Eigenschaften, und auch jede Gewohn- heit ist eine individuell erworbene Eigenschaft. Man kann zwar niemals mit Bestimmtheit voraus- sagen, daß sich diese oder jene erworbene F'ähig- keit eines Tieres auch wirklich sicher vererben wird, aber die Tatsache der Vererbung erworbener Eigenschaften steht unumstößlich fest, und ohne sie wäre seitens des Menschen eine Tier- und Pflanzenzüchtung unmöglich. Jeder Tierzüchter weiß, daß (z. B. bei unseren Pferden) die Dressur zum Instinkt geworden ist, und eine Dressur ist nichts weiter als eine durch den Menschen er- zwungene Gewohnheit. Man wird nun nicht ohne weiteres behaupten können, daß alle Instinkte auf Gewohnheiten zurückzuführen seien, aber jedenfalls spielt bei der Entwicklung der meisten Instinkte die Gewohnheit eine bedeutsame Rolle, und das Beharrungsprinzip äußert sich in allen Trieben, Bedürfnissen und überhaupt- in allen Lebensäuße- rnngen der Pflanzen und Tiere. Nun haben wir es bereits in jeder einfachen mechanischen Bewegung mit einem Dualismus der Erscheinungen zu tun , und dieses dualistische Prinzip kann durch die Fassung verdeutlicht werden, daß sich erstens nur die Materie (ein t^twas) be- wegen kann, und daß zweitens dieser Bewegung die Eigenschaft der Beharrungstendenz zukommt. Monistisch ist das Ding, dualistisch dagegen die Erscheinung, und wo immer wir in der Natur Vorgänge beobachten , erkennen wir in diesem Dualismus die Einheit von Kraft und Stoff. Es beruht hierauf der innige Zusammenhang und die Wechselbeziehungen zwischen dem organischen Leben und den Lebensbedingungen , zwischen Funktion und Organ, zwischen Gewohnheiten und deren Bedingungen. Es scheint allerdings ein flüchtiger Vergleich der Lebensäußerungen der niedersten Tiere mit den Gewohnheiten besonders der Menschen die Auffassung keineswegs zu recht- fertigen, daß beide gleichen Wesens und die Ge- wohnheiten nur höhere Entwicklungsstufen in der Kette der Lebensäußerungen seien, denn wir be- obachten bei menschlichen Gewohnheiten statt des betonten Dualismus der Erscheinungen ganz entschieden einen Pluralismus. Um diese Be- hauptung an einem rohen Beispiel zu illustrieren, mag die Betrachtung irgendeiner Gewohnheit, etwa die des Ruderns, hier Platz finden, an der man folgende vier Grunderscheinungen in enger Verknüpfung wahrnehmen kann : 1. die regelmäßig wiederholte Tätigkeit des Ruderns; 2. die damit verbundene mechanisch-physio- logische Wirkung (Stärkung der Muskeln, Erhärtung der Haut); 3. der psychische Einfluß, der sich in dem Bedürfnis zu regelmäßiger Ausübung dieser Tätig- keit äußert; 4. der Einfluß auf das Seelenorgan in Gestalt 628 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 40 eines besonderen Abdrucks in den Ganglienzellen des Gehirns. Aber dieser Pluralismus ist nur eine im Laufe des organischen Bildungsprozesses hervortretende Kombination des ursprünglichen Dualismus aller Erscheinungen, und in dem Maße, in dem sich für die psychischen Funktionen bestimmte Organe entwickeln, entsteht in ganz allmählichem Werde- gang jene besondere Form der Äußerung des Be- harrungsprinzips, die wir mit Gewohnheit bezeich- nen und die bei Annahme eines erblichen Charak- ters als „Instinkt" oder ,, natürliche Anlage" phylo- genetisch begründet wird. Die Gewohnheiten, als besondere Zweige der Lebensäußerungen und Lebensentwicklung aufge- faßt, besitzen als solche natürlich ihre eigenen Be- dingungen, unter denen sie entstanden sind und unter deren Einfluß sie sich allein zu halten ver- mögen. Die Gewohnheitsbedingungen sind der engere Begriff innerhalb der gesamten Lebens- bedingungen, durch ihr Verschwinden wird die Existenz des Lebens in der Regel nicht in Frage gestellt, sondern nur die Beseitigung einiger Ge- wohnheiten herbeigeführt. Zwischen Gewohnheit und Gewohnheitsbedingung besteht dasselbe Ver- hältnis wie zwischen Leben und Lebensbedingung. Wie die Lebewesen morphologisch und funktionell eine Anpassungserscheinung an die Lebensbedin- gungen darstellen, so ist auch die Gewohnheit sowohl hinsichtlich ihrer Äußerung als auch mit Rücksicht auf ihren Ausdruck in den Ganglien- zellen des Gehirns eine Anpassungserscheinung an die Gewohnheitsbedingungen. Eine Änderung der Lebensbedingungen irgendeines Lebewesens stellt dessen Anpassungsfähigkeit ebenso auf die Probe, wie eine Änderung der Gewohnheitsbedingungen die Fähigkeit der Tiere und Menschen verrät, alte Gewohnheiten gegen neue einzutauschen. Erinnern wir uns in diesem Zusammenhange der Tatsache, daß in der freien Natur das Be- harrungsprinzip seine Tendenz nur in beschränktem Grade auf die Entwicklung des Lebens zur Durch- führung bringen kann, weil ja doch einem etwa herbeigeführten Verlust der Anpassungsfähigkeit der Lebewesen deren Untergang früher oder später folgen muß. Denn die natürliche Zuchtwahl bindet den fortlaufenden Lebensstrom in der Natur an solche Lebewesen, die immer weiterer Anpassungs- fähigkeit Raum lassen und scheidet alle übrigen Wesen aus der fortlaufenden Entwicklung des Lebens aus. Aber dennoch strebt naturgemäß jede Gewohnheit entsprechend der Tendenz des Be- harrungsprinzips nach weitgehendster Entfaltung, und indem die Macht der Gewohnheit sich häufig gegen die Interessen des eigenen Subjekts wendet und dessen Leben gefährdet, können die Bedin- dingungen der Gewohnheiten den Bedingungen des Lebens direkt entgegenwirken (gewohnheits- mäßiger Alkoholgenuß). Unter dem Einfluß solcher Gewohnheiten kann die individuelle Lebensorgani- sation so verwandelt werden, daß die damit ver- bundene Verflachung der Lebenstätigkeit die Fähig- keit innerer Spannungsverschiebungen erlahmen und besonders das Anpassungsvermögen an ver- änderte Bedingungen Schwinden läßt. Ebenso aber können die Gewohnheitsbedingungen den Charakter wirklicher Lebensbedingungen annehmen und ganz darin aufgehen, wenn irgendeine Gewohnheit das Leben eines Individuums dermaßen unter ihre Herrschaft gebracht hat, daß ein plötzliches Auf- geben dieser Gewohnheit — wie es zuweilen selbst beim Menschen vorkommt — den Tod des In- dividuums zur Folge hat. Auch in diesem Falle hat eine zu weite Ausbreitung der Gewohnheit jene Anpassungsfähigkeit zum Schwinden gebracht, ohne die das organische Leben den unvermeid- lichen Wechsel äußerer Bedingungen nicht über- stehen kann. Ein Beispiel dafür, daß die Gewohnheitsbedin- gungen den Charakter wirklicher Lebensbedingungen mit der Zeit annehmen können, bietet in gewisser Beziehung die Zucht unserer Haustiere. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Haltung und Pflege dieser Tiere ursprünglich lediglich den Charakter von Gewohnheitsbedingungen besaßen, und daß unter ihrem Einfluß die Anpassungsfähig- keit und Widerstandsfähigkeit dieser Tiere mehr und mehr nachließ und schwand. Es zeigt sich jene Verweichlichung des Organismus, die den wechselnden Einflüssen des Klimas wenig Kraft entgegenzusetzen vermag , und jene Unfähigkeit der Lebewesen, in der freien Natur selbsttätig Nahrung und Schutz zu suchen. Unsere durch Gewöhnung, d. h. Haltung und Pflege hochgezüch- teten Schweinerassen z. B. würden, plötzlich unter die Bedingungen ihrer wilden Stammeltern ver- setzt, ohne Ausnahme dem Tode in sehr kurzer Zeit verfallen sein. Indem wir uns nun dem rein psychischen Charakter der Gewohnheit zuwenden, betrachten wir die individuelle Lebenshaltung unter dem Gesichtswinkel des überall herrschenden Beharrungs- prinzips. Die Beobachtung unserer;'' Haustiere, namentlich der Pferde und Hunde, zeigt, daß der vom Menschen erzwungene Wechsel der Gewohn- heiten die Tiere in ihrem geistigen Vermögen be- reichert. Allerdings wirkt bei unseren Haustieren ein gewisses Maß verstandesmäßiger Erfahrung mit und beschleunigt die Annahme günstiger Gewohnheiten. Aber bei den tiefstehenden Lebewesen, bei denen wir jede Spur verstandesmäßiger Vorgänge noch vergeblich suchen, und überhaupt in den ersten Anfängen der Entwicklung des Lebens können neue Gewoiinheiten nur auf mechanischem Wege sich der tierischen Wesen bemächtigt haben. Dennoch aber kann die Beobachtung unserer Haus- tiere die Erkennung der Tatsache erleichtern, daß infolge des Verdrängens alter Gewohnheiten durch neue ein Wachstum der geistigen Vorgänge herbei- geführt wird. Denn es findet kein reines Ver- tauschen oder bloßes Wechseln mit den Gewohn- heiten statt, sondern das Beharrungsprinzip läßt eine Summierung der Bewegungen eintreten. Es mögen unendlich lange Zeit- N. F. III. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 629 räume erforderlich gewesen sein, bis diese An- reicherung so weit entwickelt war, daß allmählich Erfahrungen gesammelt und verwertet werden konnten. Aber mit der Entstehung dieser Fähig- keit, mit dem Aufkeimen des Verstandes, konnte dann eine viel lebhaftere Entwickhing geistiger Vorgänge eintreten, und zunächst durch Nach- ahmung, dann durch verstandesmäßige Überlegung und Übung oder durch spekulatives Suchen des Denkvermögens eine fortschreitende Entwicklung der Geistestätigkeit herbeigeführt werden. Wenn bei der Bildung des menschlichen Geistes nur flüchtige Anregungen und Mitteilungen durch Lek- türe, Unterhaltung oder anderweitige Sinncsanspan- nung eine innere Bereicherung oder Erweiterung entstehen lassen, ohne daß diese Anregungen ge- wohnheitsmechanisch fixiert werden, so liegt dies an der menschlichen Verstandes- und Willenstätig- keit, die als höhere Entwicklungsstufe innerhalb des Erkenntnisvermögens aufzufassen ist. Aber in den ersten Anfängen geistiger Entwicklung kann nur durch Aufnahme neuer Gewohnheiten eine psy- chische Weiterbildung eintreten, und die Schnellig- keit des Verlaufs dieser Geistesentwicklung findet ihren Maßstab in der Schnelligkeit der Entstehung, Wiederverdrängung und überhaupt des eintreten- den Wechsels der Gewohnheiten. Die günstigsten Bedingungen für die mechanische Geistesentwick- lung sind Bewegungen, deren Regelmäßigkeit und Beharrlichkeit gerade zu einem gewohnheitsmecha- nischen Abdruck noch hinreicht, die aber doch in so wechselvollem Verlauf dahinfließen, daii soeben entstandene Gewohnheiten wieder durch andere verdrängt werden. Der Mensch führt oft scheinbar überlegte Handlungen aus, ohne in dem Augenblick des Vollbringens sich der Gründe ihrer Zweckmäßigkeit bewußt zu sein. Es sind dies durch Übung mechanisch gewordene Gedanken- verbindungen, die wir mit Gewohnheit bezeichnen und die vielfach fälschlich als instinktmäßige Hand- lungen angesehen werden. Ihre mechanische Be- festigung oder ihre Entwicklung zur Gewohnheit ist dadurch möglich geworden, daß wirklich vor- her mehrfach analoge Überlegungen in ihren ein- zelnen Gedankenverbindungen durchgeführt worden sind. Je weniger bei den Handlungen der Menschen der leitende und überwachende Verstand mitwirkt, um so deutlicher treten die gewohnheitsmäßigen Gedankenverbindungen hervor. Andererseits aber sind die gewohnheitsmechaiüschen Handlungen auch von einer gewaltigen Macht beseelt gegen- über der Erkenntnis des menschlichen Verstandes. Sowohl der Lebensberuf mit seinen Anforderungen wird dem Träger durch die Macht der Gewohn- heit erleichtert, als auch die täglichen Genüsse verfallen ihrer Herrschaft und zeigen häufig mit unverkennbarer Deutlichkeit, wie wenig die viel betonte Macht der Vernunft über die gewohnheits- mechanischen Handlungen zu triumphieren ver- mag. Alle Leidenschaften des Menschen, soweit sie nicht auf Vererbung beruhen, gehören auch in das Gebiet der Gewohnheit, und es ist für die bei weitem größte Mehrheit der Menschen leichter, die Handlungen anderer Menschen mit kühler Ob- jektivität vernünftig zu kritisieren oder zu leiten, als die eigenen Tätigkeiten alle unter das Joch der Vernunft zu stellen und sie dem Einfluß aller subjektiven Gewohnheiten zu entwinden. Die Macht der Gewohnheit ist eben häufig viel stärker als der von der Vernunft des Menschen geleitete eigene Wille. Sogar der Verstand mit seiner Denktätigkeit unterliegt dem Einfluß der Gewohn- heit und kann durcii Übung zu größerer Leistungs- fähigkeit herangebildet werden. Wenn wir den Ausdruck „Gewohnheitsbedin- gungen" in ein bestimmtes Verhältnis zur mensch- lichen Lebensführung zu bringen suchen, dann können wir leicht einsehen, daß sich dieser Be- griff in dem ganzen Umfange seines Inhalts un- gefähr mit den Vorstellungen deckt, die wir mit dem Ausdruck „Lebens\erhältnisse" zusammen- fassen. Zugleich eröffnet sich uns das Verständnis für das Wesen und die Entwicklung menschlicher Bedürfnisse, denn im Uranfang der Lebensentwick- lung, in dem Gewohnheit und Lebensäußerung noch zu einem Ganzen verschmolzen waren, be- saßen natürlich nur die Lebensbedingungen für alle Lebensformen den Rang von Bedürfnissen. Nun stehen die Mittel zur Befriedigung der Lebens- bedürfnisse nicht in unbeschränktem Maße den Lebewesen zur Verfügung, und daher entbrennt um deren Besitz ein Kampf, den Darwin mit „Kampf ums Dasein" bezeichnet hat. Da nun das organische Leben immer innerhalb des Daseins- kampfes dahinschweben muß, und besonders die- jenigen Lebewesen die weitere Entwicklung an sich reißen, die den Kampf ums Dasein siegreich bestehen, so ist es nicht zu verwundern, daß auch der Kampf ums Dasein zur Gewohnheitsbedingung wird und Gewohnheiten zeitigt, die einen festen Abdruck in der Lebensorganisation hervorrufen müssen. Gewohnheitsbedingungen oder Lebens- verhältnisse, von denen wir bereits wissen, daß sie sich zu wirklichen Lebensbedingungen ent- wickeln können, erzeugen in Verbindung mit dem organisclien Leben beständig neue Gewohnheiten, aus neuen Gewohnheiten entstehen wieder neue Lebensverhältnisse, und so in endlosem Wechsel der Spannung treiben sich Gewohnheiten und Ge- wohnheitsbedingungen (Lebensverhältnisse) in ihrer Entwicklung fortlaufend an. Und wenn wir die Lebensbedingungen als Bedürfnisse des organischen Lebens ansahen, so müssen wir die Gewohnheits- bedingungen oder Lebensverhältnisse als Bedürf- nisse der Lebensführung ') bezeichnen. Die wirt- schaftliche Dringlichkeit der Bedürfnisse, mit der die Volkswirtschaftslehre rechnen muß, ergibt sich aus dem Verhältnis der Gewohnheitsbedingungen ') Beim Menschen sind z. B. die verschiedenen gesellschaft- lichen Zustände, die sich mit der Zeit herausgebildet haben, Lebensverhältnisse, Bedingungen für gewisse Gewohnheiten, Bedürfnisse unserer Lebensführung. Auch die geistigen Be- durfnisse und feineren Genüsse sind von diesem Gesichtspunkt aus zu beurteilen. 630 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 40 (Lebensverhältnisse) zu den Lebensbedingungen, und auch alle rechtlichen Anschauungen des Menschen sind die Ergebnisse der Einwirkung ge- wisser Gewohnheitsbedingungen auf das erkennende und empfindende Subjekt. Aus dem primitiven Kampf ums Dasein, aus dem Ringen um die Mittel zur Befriedigung der notwendigen Lebensbedürf- nisse, aus der Betätigung des Selbsterhaltungs- triebes der Lebewesen, ja aus dem Beharrungs- prinzip in Verbindung mit dem Leben des Menschen hat sich einerseits der von Ihering so genannte „Kampf ums Recht" entwickelt, und andererseits jene planmäßige Tätigkeit 7Air Befriedigung mensch- licher Bedürfnisse, die wir mit der Bezeichnung „Wirtschaft" belegen. So ist also kein prinzipieller Unterschied zwischen dem „Kampf ums Dasein" in der Natur und dem Wirtschaftskampf der Menschen zu erkennen, und nur entwicklungsgeschichtlich sind beide verschie- den. Die heutige Kulturmenschheit hat allerdings den Zustand des Kampfes um das nackte Dasein fast völlig überwunden, und es gehört immerhin zu den Seltenheiten, daß auf den Stätten euro- päischer Kultur Hunger oder Kälte die Menschen dahinrafift. Die Allgemeinheit tritt für die Erwerbs unfähigen ein und mildert gewaltig den Ernst des Kampfes ums Dasein in des Wortes engster Be- deutung. Aber die enge Verwandtschaft von Ge- wohnheit und Dasein, unsere Auffassung von dem Wesen und von der Entwicklung der Bedürfnisse, die aus der wechselvollen Spannung der Gewohn- heitsbedingungen herausgetriebene Weiterentwick- lung der Formen menschlicher Lebensführung be- lehren uns, daß wir für „Kampf ums Dasein" nur den Ausdruck „Kampf um die Mittel zur Befriedi- gung der Bedürfnisse" zu wählen brauchen , um mit dieser Bezeichnung sowohl den Daseinskampf der Lebewesen, als auch den Wirtschaftskampf der Menschen zu treffen. Es handelt sich im Wirt- schaftsgetriebe der Menschheit nicht einfach um den Kampf ums Dasein, sondern um den Kampf um die Art des Daseins und um die Sicherstellung der Art der Lebensführung für die Zukunft. Der Mensch strebt danach , seine Stellung innerhalb gegebener Lebensverhältnisse zu behaupten, neue Gewohnheitsbedingungen zu erlangen und sich in ihnen bedürfnisreicher zu bewegen. Der Haupt- gegensatz zwischen Daseinskampf und Wirtschafts- kampf besteht darin, daß jener lediglich von dem notwendigsten Bedürfnis der Gegenwart unter- halten wird, während dieser die Bedürfnisse der Zukunft berücksichtigt ') und die Mittel erstrebt, sie im reichsten Maße befriedigen zu können. Aber wie der Daseinskampf, so wird auch der Wirt- schaftskampf zur Gewohnheit und erfährt nicht nur in den Ganglienzellen des Gehirns einen be- stimmten Ausdruck, sondern prägt sich auch in der ganzen Haltung und im Exterieur des Men- schen aus. Ob jemand seine Verfügungen schreibt und ein anderer diese ausführt; ob der Arbeiter im Schweiße seines Angesichts seinen Lebens- unterhalt erwerben muß oder der Betriebsleiter, der Beamte, der Gelehrte bei sitzender Lebens- weise an das Zimmer gebunden ist; ob der be- güterte Kapitalist sein Vermögen selbst verwaltet, oder ein anderer Mensch gegen Entschädigung mit dessen Verwaltung beauftragt ist; ob man ein tätiges oder ruhiges Leben führt, immer er- scheint wegen der Macht des Beharrungsprinzips die erzwungene oder selbst gewählte Lebensführung des Menschen als eine mehr oder minder reiche Fülle von Gewohnheitsbedingungen. Lind diese bilden Gewohnheiten heraus, die sowohl die Last der Arbeit zu überwinden helfen, den Druck der Verhältnisse mit der Zeit mindern, als auch die Trägheit der Ruhe je länger desto mehr befestigen und unsere Meinungen und Stimmungen gefangen nehmen. So haben wir also in den menschlichen Gewohnheiten nicht nur eine höhere Entwicklung der organischen Lebenstätigkeit vor uns, sondern zugleich auch Entwicklungsstadien oder F"ormen eines mehr oder minder fülilbaren „Kampfes ums Dasein". ') Der Unterschied zwischen Daseinsk.impf und Wirt- schaftskampf beruht auf dem Unterschied zwischen natürlicher und künstlicher Selektion. Wie die künstliche Züchtung von einer Idee getragen wird, so ist auch die wirtschaftliche Tätigkeit von einer Idee erfüllt und trifft nach Maßgabe dieser Idee die Auswahl unter den möglichen wirtschaftlichen Maß- nahmen. Kleinere Mitteilungen. Menschen- und Rindertuberkulose. — Der in Nr. 28 dieser Zeitschrift erschienene Aufsatz über vorstehendes Thema veranlaßt mich zu einigen Bemerkungen, da sich bezüglich eines Punktes ein kleiner Irrtum in die Ausführungen des Herrn Verfassers eingeschlichen hat. Derselbe ist an- scheinend der Meinung, daß der zitierte Ministerial- erlaß für das Königreich Preußen vom 27. Juni 1885 auch heute noch in Kraft sei. Dies ist nicht richtig, da im Jahre 1S92 eine neue diesbezügliche Verordnung erschien. .-Mlein auch diese besitzt heute keine Gültigkeit mehr, denn seit i. April 1903 erfolgt die Beurteilung tuberkulöser Schlacht- tiere einheitlich nach den Grundsätzen des Reichs- fleischschaugesetzes vom 3. Juni 1900 und den dazu gehörigen Ausführungsbestimmungen des Bundesrats vom 30. Mai 1902. Mit Bezug auf diese Mitteilung sei es mir ge- stattet, kurz über die Ansichten zu berichten, die zu verschiedenen Zeiten betreffs der Genießbarkeit des F"leisches tuberkulöser Tiere herrschten, und im Anschluß daran die heutigen Grundsätze dar- zulegen. Als Robert Koch im Jalire 1882 den Tuberkel- bazillus entdeckte imd kurz nachher den Satz aus- sprach, daß Menschen- und Rindertuberkulose N. F. III. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. 631 identische Krankheiten seien, da war es erklärlich, daß man nun das Fleisch tuberkulöser Tiere als für den Menschen höchst gefährlich ansah. Diese Auffassung prägt sich in dem erwähnten Erlaß vom Jahre 1885 aus, welcher die für unsere heutigen Begriffe äußerst rigorose Norm aufstellte, daß das Fleisch tuberkulöser Tiere bei Erkrankung mehrerer Organe oder bei Abmagerung als gesundheits- schädlich zu betrachten sei. Mittlerweile hatte aber die Wissenschaft ver- sucht, auf Grund präziser Experimente die hier in Betracht kommenden Verhältnisse klarzulegen. Es ergab sich dabei die bemerkenswerte Tatsache, daß das Fleisch in der angegebenen Weise er- krankter Tiere nur in den seltensten Fällen ge- eignet war, die Versuchstiere tuberkulös zu in- fizieren. Nur wenn der Tuberkelbazillus von einem bereits bestehenden Tuberkel aus in die Blutbahn eingebrochen war und so in den verschiedensten Teilen des Körpers krankhafte Prozesse hervor- gerufen hatte, erwies sich die Muskulatur der be- fallenen Tiere dem lebenden Organismus gegen- über als krankheitserregend, aber auch nur dann, wenn jenes Eindringen in die Blutbahn erst vor ganz kurzer Zeit erfolgte, und aus diesem Grunde die entstandenen tuberkulösen Herde noch sehr frisch waren. In gleicher Weise infektiös erwies sich das I""leisch außerdem, wenn die Tiere in größerem Umfange solche tuberkulöse Herde be- herbergten, die durch Hinzutreten von Eitererregern in den sogenannten erweichten Zustand übergeführt waren. Endlich wies Nocard nach, daß auch das Blut nur in den seltensten Fällen Träger des An- steckungsstoffes sei, da bei intravenöser Injektion von lebenden Tuberkelbazillen diese sämtlich spätestens am 6. Tage im Blute zugrunde gingen. Auf Grund dieser Versuche waren die Be- stimmungen des preußischen Erlasses vom 26. März 1892 ganz erheblich milder. Es war hier ausge- sprochen, daß eine gesundheitsschädliche Beschaffen- heit des Fleisches von tuberkulösem Rindvieh in der Regel nur anzunehmen sei bei Vorhandensein von tuberkulösen Veränderungen in der Musku- latur selbst, oder wenn das betreffende sonst an der Krankheit leidende Tier einen schlechten Nähr- zustand aufweise. Bei gut genährten Tieren sei das Fleisch auch bei Tuberkulose eines oder mehrerer Organe derselben Körperhöhle in den freien Verkehr zu geben. Bei weiterer Ausbreitung der Krankheit im Tierkörper überläßt die angezogene Verordnung die Entscheidung dem Urteil der Sachverständigen. Da aber die Anschauungen der letzteren zu jener Zeit ungefähr die gleichen waren wie heutzutage, so sei es mir, um Wiederholungen zu vermeiden, gestattet, nunmehr auf die Grundsätze des Reichs- fleischschaugesetzes näher einzugehen. Dieselben unterscheiden zunächst Tuberkulose eines und mehrer er Organe. Im ersteren Falle ist das Fleisch nach Entfernung des erkrankten Teils im allgemeinen genußtauglich ohne Ein- schränkung. Einzelne Organe sind auch dann als ungenießbar zu erklären, wenn nur die zugehörigen Lymphdrüsen tuberkulös infiziert sind. Bei Ab- magerung infolge der Krankheit ist das Fleisch in jedem Falle als genußuntauglich dem Konsum zu entziehen. Bei Tuberkulose mehrerer Organe ist zu unter- scheiden, ob die Verbreitung des Krankheitserregers auf dem Wege des grol3en Blutkreislaufes erfolgt ist oder nicht. Trifft letzteres zu, so ist das Fleisch bei geringer Ausdehnung der tuberkulösen Ver- änderungen überhaupt freizugeben, bei stärkerer Ausdehnung aber als minderwertig auf die Frei- bank zu verweisen. Finden sich dagegen die oben erwähnten Erweichungsherde vor, so ist das Tier als bedingt tauglich zu erklären, d. h. dasselbe darf nur nach Sterilisation als nicht bankwürdig in den Verkehr gebracht werden. Hat sich die Tuberkulose auf dem Wege des großen Blutkreislaufes im Körper ausgebreitet, so kommt es darauf an, ob die Blutinfektion erst vor kurzem erfolgte, oder ob schon längere Zeit seit dem Eintritt derselben verflossen ist, eine Frage, die durch makroskopische Untersuchung der vor- gefundenen tuberkulösen Herde entschieden werden kann. Außerdem ist darauf zu achten, ob die krankhaften Veränderungen neueren oder älteren Datums sich lediglich in den Eingeweiden und im Euter vorfinden, oder ob dieselben auch in der Muskulatur resp. den dazu gehörigen Fleischlymph- drüsen sich etabliert haben. Bei frischer Blutinfektion und Beschränkung der dadurch entstandenen sogenannten miliaren Tuberkel auf die Eingeweide incl. Euter sind diese zu entfernen und das F"leisch sterilisiert unter Deklaration zu verwerten. Sind in gleicher Weise die Muskulatur oder die dazu gehörigen Lymph- drüsen erkrankt, so ist sämtliches Fleisch zu ver- nichten. Fehlen die Erscheinungen einer frischen Blut- infektion, so ist wie vorhin festzustellen, ob die Tuberkulose die Eingeweide und das Euter oder das Fleisch und seine L)'mphdrüsen ergriffen hat. Ergibt die Untersuchung des betr. Schlachttieres den ersteren Befund, so darf das Fleisch desselben bei gutem Nährzustand und bei geringer Aus- dehnung des Krankheitsprozesses an den einzelnen Organen zum Genuß ohne jede Einschränkung zugelassen werden, bei größerem Umfang der tuberkulösen Herde aber ist dasselbe auf der Frei- bank zu verkaufen. Sind zu gleicher Zeit ausge- dehnte Erweichungsherde vorhanden, so ist das ganze Tier nach Entfernung der Organe als be- dingt tauglich zu sterilisieren. Hat sich endlich die Krankheit in den Fleischlymphdrüsen festge- setzt, so ist das dazugehörige Fleischviertel nur in sterilisiertem Zustande zum Genuß zuzulassen, während die übrigen Teile als minderwertig unter dieser Bezeichnung in den Verkehr gebracht werden dürfen. Diese Bestimmungen des Reichs-Fleischschau- gesetzes sind als sehr zweckentsprechend zu be- zeichnen. Denn sie leisten einerseits den hygie- 632 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. III. Nr. 40 nischen Anforderungen Genüge, andererseits suchen sie aber auch das in unseren Tierbeständen an- gelegte Nationalvermögen so viel wie möglich vor der Entwertung zu schützen. Dr. Carl (Karlsruhe). Alkohol liebende Tiere. — In der „Natur- wissensch. VVochenschr." (N. F. III. Bd. 1904 Nr. 30) macht F. VV. Brinkmann unter dem Titel „Tiere und Alkohol" auf S. 472 die Mitteilung, daß viele Tiere, von der Wespe bis zum Affen, den Alkohol lieben, daß aber manche Tiere Abstinenzler seien, und daß zu diesen Abstinenzlern das ganze Geschlecht der Katzen gehöre. Wenn man diese Behauptung für unumstößlich richtig halten soll, so wird man dem Katzengeschlechte allzuviel Ehre erweisen ; denn dieser den Katzen so wohlwollende Ausspruch ist nicht aufrecht zu erhalten. Schon Maximilian Perty schreibt in seinem Buche „Seelenleben der Tiere", S. 23, daß nach Mantegazza die Katzen gern Baldrian und Teucrium Marum genießen, um sich zu be- rauschen. Namentlich vom Baldrian ist dies sehr bekannt. Der gemeine Baldrian (Valeriana officinalis L.) heißt wohl deshalb auch Katzen- baldrian oder Katzenwurz. Er ist offizineil und liefert aus seinem Wurzelstocke einige Arzneimittel; die Wurzel ist namentlich durch ihren reichen Gehalt an ätherischen Ölen ausgezeichnet. Die Pflanze duftet nach dem Zerreiben ihres Stengels und ihrer Blätter intensiv aromatisch. Wohl dieser- halb übt die Pflanze auf Katzen eine Anziehungs- kraft aus. Das „Katzenkraut", Teucrium Marum L., ist über Südeuropa und Vorderasien verbreitet ; es duftet aromatisch kampferartig und wird gleich- falls von den Katzen gern aufgesucht. Wie Kampfer, bekanntlich ein Produkt des Kampferbaumes (Cam- p h o r a officinalis Nees), auf das Nervensystem wirkt, so enthalten auch Baldrian und die genannte Teucrium- Art ähnlich wirkende Stimulantien. Diese locken die nur stumpf riechende Katze an, während sich der mit einer feiner organisierten Nase begabte Hund von nervenerregenden Düften abwendet. Dagegen werden die Geschmacksnerven der Katze auch von alkoholischen Getränken gereizt, worin sie mit dem Hunde übereinstimmt. Es ist nicht einmal im allgemeinen richtig, was F. W. Brinkmann schreibt, daß nämlich die Haus- katze, sowie ihre kleineren und größeren Ver- wandten den größten Abscheu vor Alko- hol in jeglicher P'orm zeigen, wenn ihnen dieser geboten wird. Daß die Katzen einen guten Tropfen zu schätzen wissen , beweist eine dieses erhärtende Mitteilung von M. Kossak in seinem Aufsatze „Trunksüchtige Tiere" (Danziger Neueste Nachrichten, Nr. 89, 16. April 1904). „Einem Kater, der mir gehört", so schreibt dieser Ge- währsmann, ,, wurde vom Tierarzt infolge einer Er- krankung täglich dreimal ein Teelöft'el voll Port- wein verordnet. Er ist ein sehr sanftes Tier und nahm den Wein daher auch, wenn auch freilich ohne Enthusiasmus. Seine junge Gattin, die sein Logis teilt, erhielt jedoch einmal zum Scherz auch einen Löffel Portwein. Von der Zeit an drängte sie sich stets, wenn ihr Schatz mit saurer Miene den Trank schluckte, dazu und schmeichelte, bis sie davon zu kosten bekam. Wenn man zur be- stimmten Stunde zu den beiden Katzen ging, saß sie schon immer vor der Tür und wartete auf ihren Wein. Der Kater dagegen hat sich nicht daran gewöhnt ; obwohl er wiederholt längere Zeit hindurch Portwein bekommen hat, fügt er sich bis zu dieser Stunde mit der Miene eines Verurteilten in das Unvermeidliche. Dieser wunder- schöne Tigerkater besitzt eine Neigung zu Lungen- krankheiten und muß aus diesem Grunde zeitweise inhalieren ; es macht ihm das wahrhaftig kein Vergnügen, aber er zieht das Inhalieren immer noch dem Weintrinken vor. Wenn einer von uns in seiner Gegenwart sagt: „wir müssen ihm doch wieder Portwein geben," so kneift er den Schwanz ein und schleicht wie ein armer Sünder hinter den Ofen." Auch eine in der „Unterhaltungs-Beilage" des Berliner Lokal- Anzeigers Nr. 100 vom 29. April 1904 enthaltene , .Zuschrift" enthält eine Beob- achtung über einen einschlägigen P'all, der aber bekannte schlimmere Eolgen nach sich zog. Es heißt dort: „Sie erheben in der Mittwochsnummer Ihrer Zeitung') . . . gegen das Katzengeschlecht einen Vorwurf, von dem ich als fleißiger stud. cerev. es befreien will. Katzen sind durchaus keine Abstinenzler, es fehlt iiinen nur an Gelegenheit. In meiner Familie haben wir für Katzen eine große Vorliebe. Nun, bei besonderen Anlässen pflegt man bei uns nach englischer Art einen großen Pudding aufzutragen, mit gutem Rum tüchtig zu durchnässen und dann anzuzünden. Es bleibt dann eine Art Syrup aus Rum und Zucker. Unsere Katzen nehmen immer an unseren Feier- lichkeiten teil: gerade diese Art Pudding geht ihnen über alles. Sie betteln solange, bis sie ein Stück davon erhalten, und verlangen dann immer mehr. Die Wirkung bleibt natürlich nicht aus, und in tollsten Spielen und Sprüngen geben sie dann ihre „feuchtfröhliche Stimmung" kund. Endlich schlafen sie ein und sind am folgenden Morgen recht niedergeschlagen. Die armen Katzen leiden offenbar an einem entsetzlichen „Kater"." Es mangelt eben nur an Mitteilungen von Be- obachtungen, wenn ex cathedra solche Aussprüche, wie der zu Anfang unseres Aufsatzes mitgeteilte, getan werden. Tages- und Wochenblätter ent- halten indes manche beachtenswerte Zuschriften über Beobachtungen an Tieren, die in manchen Fällen wertvoll sind und mehr Berücksichtigung finden sollten, als es tatsächlich geschieht. Des weiteren schreibt in gleichem Sinne Dr. Th. Zell in der „Leipziger Illustrierten Zeitung" ') In einem Referate über den Brinkmann'schcn Artikel in der Naturw. Wochenschrift, worin, wie im Eingange unseres Aufsatzes mitgeteilt wird, den Katzen Neigung zu Alkohol ab- gesprochen wird. N. F. m. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 633 (Nr. 3097, 6. November 1902), daß sich Katzen und Hirsche, die zufällig den Biergenuß kennen gelernt hatten, das Trinken angewöhnt haben. Man sieht daraus, wie lüstern Tiere nach be- rauschenden Mitteln werden können, genau so wie viele Menschen. Das hat man übrigens schon im Altertum gewußt, denn der bekannte rö- mische Geschichtsschreiber Ap planus, der im 2. Jahrhundert v. Chr. lebte, erzählt in diesem Sinne nachstehendes: „In Afrika fangt man die Panther in folgender Weise. Man sucht in der Sandwüste eine schwache Quelle, die, ohne weiter zu fließen, ein kleines Becken bildet, an das die Panther täglich zur Tränke gehen. Dorthin tragen die Jäger zwanzig Krüge starken Weines, gießen diesen ins Wasser und verbergen sich dann in der Nähe. Steht die Sonne hoch und glühend am Himmel, so kommen die Raubtiere, vom Durst gepeinigt und von dem lieblichen Dufte gelockt, und schlürfen mit Begierde den Labetrunk. So- dann hüpfen und tanzen sie lustig herum, legen sich später taumelnd nieder, senken das Haupt und schlafen endlich, wie wenn sie tot wären. In diesem Zustande werden sie leicht von den Jägern gefesselt". (Nach Zell.) Es ist daher erklär- lich, daß die römischen Künstler in ihren Dar- stellungen des Bacchus (Dionysus) dem Gotte des Weines das Bild eines Panthers zugesellt haben. Wie leicht also Katzen und ihre Verwandten dem Genüsse von Spirituosen zugänglich sind, geht aus diesen wenigen Mitteilungen schon zur Genüge hervor. Sie haben eine ähnliche Schwäche gegen berauschende Getränke wie andere Tiere und wie der Mensch und sind nichts besser als dieser. Auch Mäuse können dem Alkoholgenusse er- geben sein. Dr. Th. Zell macht darüber einige Mitteilungen. Nach ihm berichtet Lenz über folgenden seltenen Fall dieser Art: „Eine seiner Schwestern hörte abends im Keller ein eigenes, singendes Piepen, suchte mit der Laterne und fand eine Waldmaus, die neben einer Flasche Malaga saß, der hereinkommenden Dame freundlich und ohne Scheu ins Gesicht sah und sich in ihrem Gesänge dabei gar nicht stören ließ. Die junge Dame ging fort, holte Hilfe, und es wurde mit Heeresmacht in den Keller gezogen. Die Maus war mit ihrem Liedchen noch nicht fertig, blieb ruhig sitzen und war sehr verwundert, als sie mit einer eisernen Zange beim Schöpfe gefaßt wurde. Bei weiterer Untersuchung fand sich nun, daß die Flasche etwas auslief, und daß um den Fleck, wo die Tropfen herausliefen, ein ganzer Kranz von Mäusemist lag, woraus der Schluß gezogen wurde, daß die hier als Trunkenbold verhaftete Maus schon länger ihr Gelage gefeiert haben mochte." — Eine ähnliche Geschichte von einer alkoholfreudigen Maus erzählt I'örster Block: ,, Einmal wurde ich beim Schreiben durch ein Geräusch gestört und erblickte eine Maus, die an den glatten Füßen eines Tischchens emporkletterte. Bald war sie oben und suchte emsig nach den Brosamen, die auf dem Frühstücksteller lagen. In der Mitte des Tellers stand ein ganz leichtes, glockenförmiges Schnapsgläschen, zur Hälfte mit Kümmel gefüllt. Mit einem Sprung saß das Mäuschen oben auf dem Glase, bog sich vorn über, leckte eifrig und sprang sodann herunter, nahm aber noch eine Gabe von dem süßen Gift zu sich. Durch ein Geräusch meinerseits gestört, sprang sie mit einem Satz vom Tisch herab und verschwand hinter einem Glasschrank. Jetzt mochte der Geist über sie kommen, denn gleich darauf war sie wieder da und führte die spaßhaftesten Bewegungen aus, ver- suchte auch, obwohl vergeblich, den Tisch noch- mals zu ersteigen. Ich stand auf und ging auf sie zu, behelligte sie aber nicht; ich holte eine Katze herbei, die Maus lief auf einen Augenblick davon, war aber gleich wieder da. Von meinem Arm herab sprang die Katze zu, und das trunkene Mäuschen hing an den Krallen ihrer Tatze". Es war ein Opfer seines Lasters geworden. Alkohol verdirbt gute Charaktere nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Haustieren. Kossak (1. c.) kannte einen großen weißen Pudel, der regelmäßig täglich i '/., Seidel Bier trank. Dieser Hund gehörte einem Studenten, von dem er mit in die Kneipe genommen und systematisch an den Biergenuß gewöhnt worden war. Wenn er einen Tag kein Bier bekam, war er das un- leidlichste Geschöpf von der Welt, kläffte und knurrte fortwährend und suchte seine üble Laune auf jede Weise zu zeigen. Übrigens lehrt gerade das Beispiel dieses Pudels, daß den Hunden be- rauschende Getränke nicht zuträglich sind. Während er früher einen gutmütigen und anhänglichen Charakter besessen hatte, war er, nachdem er sich an den Biergenuß gewöhnt, zänkisch und bösartig geworden, und zwar in einer sonderbaren launischen Art. Er schnappte nicht nur nach Fremden, sondern auch nach seinem Herrn, bellte ganz unmotiviert und rannte manchmal wie besessen im Zimmer umher. Wenn das Tier ein Mensch gewesen wäre, würde man gesagt haben, er sei nicht geistig normal. Zusehends magerte der Hund auch ab, was freilich kein Wunder war, da er nur außer- ordentlich wenig und überhaupt nur in ange- trunkenem Zustande fraß. Schließlich verlor sein Herr jede Freude an dem Tiere und verschenkte es. Was aus ihm geworden, weiß der Gewährsmann nicht zu sagen. Bemerkenswert ist der Einfluß des Alkohols auf ganz abweichend organisierte Tiere anderer Tierklassen. Z. B. bei Insekten (Wespen) nimmt man wahr, daß sie nach Alkoholgenuß steif und unbeholfen werden, kaum noch kriechen und noch viel weniger fortfliegen können. Aber nach und nach, anfangs sehr langsam, erholen sie sich wieder. Bei allen Tieren sind es allerdings die Nerven, welche durch Alkoholgenuß afflziert werden. Einen höheren Grad von Affektion der Nerven, als die bloße Ab- stumpfung der letzteren bei den Wespen, zeigen Säugetiere und Vögel. Der Genuß von Alkohol veranlaßt sie oft zu einem eigenartigen Gebahren, welches sie sonst nicht zeigen, macht also ihre 634 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 40 Gehirnfunlvtionen wirr und unstät. Andere Tiere werden bhnd gegen Gefahren. Wir sehen in dem ähnlichen Alkoholreize und der ähnlichen Alkoholwirkung eine große Über- einstimmung zwischen Menschen und Tieren, zu- mal Affen. Es ist schon manches über betrunkene Affen und ihr Gebahren während des Katzen- jammers geschrieben. Darwin wurde hierdurch veranlaßt, zu schreiben : „Diese Tatsachen beweisen, wie ähnlich die Geschmacksnerven bei den Men- schen und Affen sein müssen und in wie ähnlicher Weise ihr ganzes Nervensystem affiziert wird." Beim Menschen tritt die Wirkung nur noch häufiger , mannigfaltiger und stärker in die Er- scheinung; wir sehen sie hier in ihren schlimmsten Äußerungen. Das hängt nur mit ihrem mehr an- dauernden und raffinierteren Genüsse des Alkohols zusammen. Mißbrauch alkoholischer Getränke gibt aber auch bei Tieren Anlaß zu großen Disharmonien im Nervens\'stem und zur Entstehung häßlicher Pligenschaften der Seele. Der Genuß von Alkohol hat wie bei den Menschen, so auch bei Tieren Störungen des Gleichgewichts in der Betätigung der Körperorganisation, des Verstandes, des Geistes und der Seele im (iefolge. Die Störungen zeigen sich anfangs wohl noch in angenehmen Formen (in subjektiver und objektiver Beziehung, wie beim Menschen); aber eine temporäre Erschlaffung der Nerven und Muskeln bleibt auch in leichten Fällen nicht aus, wie aus dem übereinstimmenden Ge- bahren bei Menschen und Tieren hervorgeht. Wie die Nachkommen unter den vererbten Folgen der Trunksucht ihrer Eltern leiden, ob sie krankhaft beanlagt oder entartet sind oder an sonstigen Defekten leiden (Erscheinungen, die beim Menschen in überaus vielen Fällen festgestellt sind),^) das scheint bei den Tieren noch nicht be- obachtet zu sein, da es sich bei diesen stets nur um individuelle und meist nur momentane oder temporäre Vorkonminisse handelt, \on denen selbst schwerere Fälle wohl niemals bei den Nachkommen verfolgt worden sind. Alkoholgenuß bewirkt auch bei Tieren ebenso wie beim Menschen, daß natürliche und sonst selbstverständliche Instinkte nicht mehr genügend zur Geltung kommen. Wie ein betrunkener Mensch Gefahren nicht immer leicht aus dem Wege geht und auch manche Vorsicht außer Acht läßt, so setzten sich auch die oben erwähnten angeheiterten Mäuse über alle notwendige Achtsamkeit hinweg, die ihnen sonst der instinktive Selbsterhaltungs- trieb und verständige Einsicht vorschreiben. Sie wurden daher Opfer ihrer Unachtsamkeit. Auch der infolge des andauernden Biergenusses entartete Pudel, der oben charakterisiert wurde, ist das getreue Abbild eines menschlichen Säufers, der sich gegen seine Nächsten schlecht beträgt. ') Vgl. z. B. F. d u a r (1 R c i c h , Beiträge z u r A n t h r o - pologie und I'sychologie, mit Anwendungen auf das Leben der Gesellschaft. Braunschweig 1877. S. 219—226. In anderen Fällen hat der Alkoholgenuß momen- tan praktische, günstige Folgen. F. W. Brink- mann schildert in dieser Beziehung (1. c.) in inter- essanter Weise, wie bei Hahnenkämpfen der bereits von seinem Gegner in die Flucht geschlagene Hahn nach dem mäßigen Genüsse von Schnaps, den man ihm, in Brot gemischt, mit Erfolg ge- boten hatte, todesmutig von neuem den Kampf aufnahm und stets Sieger blieb. In ähnlicher Weise trinkt auch mancher Mensch sich Mut an. Nichtsdestoweniger folgt in solchen Fällen gleich- falls auf die Erregung eine Erschlaffung der Nerven. Bei häufiger Wiederholung solcher Erregungsmittel machen sich dauernd nachteilige Folgen bemerk- bar. Über die Schädlichkeit des gelegentlichen mäßigen Genusses oder des andauernd geringen Genusses sind die Ansichten noch nicht geklärt. Der strenge Hygieniker hält selbst den Genuß kleiner Quantitäten Alkohol für schädlich. Der Mediziner schreibt in geeigneten Fällen dem Leiden- den oder Genesenden den Genuß bestimmter kleiner Mengen von Wein oder Bier für eine bestimmte Zeit geradezu vor. Aber es ist bezeichnend, daß der Psychiater Forel zugleich auch Antialko- holiker ist. Brinkmann leitet die Bezeichnung „Kater" von jenem Zustande des betrunkenen Menschen ab, in welchem er den Alkoholgenuß ebenso ver- abscheut, wie es nach seiner Meinung die Katzen überhaupt tun (Naturw. Wochenschr. N. F. III. Nr. 30, S. 472). Diese Erklärung kann natürlich nicht stimmen , weil Katzen den Alkohol nicht verabscheuen. Dagegen finde ich, daß Andresen den „Kater" in seinem Buche „Deutsche Volks- etymologie" (6. Aufl. 1899, S. 318) dadurch viel plausibler erklärt, daß er ihn von dem aus dem Griechischen stammenden Worte „Katarrh" ab- leitet. Prof. H. Kolbe. Leuchtorgane bei Vögeln. — Während bei den Meerestieren das Leuchtvermögen sehr ver- breitet ist und sich in den verschiedensten Tier- gruppen , von den Protozoen hinauf bis zu den Fischen vorfindet, ist dasselbe bei Landbewohnern relativ selten. Einige Myriopoden (Tausendfüßler), hauptsächlich aber Insekten wie: Lampyris (unser Johanniskäferchen), Phosphaenus, Luciola etc. be- sitzen die P'ähigkeit zu leuchten. Dagegen ist es noch immer zweifelhaft, ob es auch höhere Wirbel- tiere gibt, denen das Vermögen, Licht hervorzu- bringen, zukommt. Es liegen in dieser Richtung nur wenige und ganz ungewisse Beobachtungen vor. In seinem Buche „Die leuchtenden Tiere und Pflanzen" erwähnt Gadeau de Kerville eine surinaniische Kröte, die im Innern des Maules leuchten soll. Leuchtvermögen sollen ferner der Nachtreiher (Ardea nj-cticorax und der blaue Reiher Ardea coerulea) besitzen. — Solange keine genaueren Beobachtungen hierüber angestellt sind, wird man wohl Kerville Recht geben müssen, der das Leuchten im Maule der Kröte damit erklärt, daß dieselbe ein leuchtendes Insekt verspeiste, N. F. m. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 635 das Leuchten der Reiher auf atmosphärische Ein- flüsse zurückführt. Auf elektrische Ursachen führt man auch das Leuchten der Haare vieler Säuger im Dunkeln zurück. Daß Kadaver leuchten ist eine bekannte Tatsache, die aber durch den Nach- weis leuchtender Bakterien genügend erklärt ist. Endlich rührt das Leuchten der Augen vieler Säuger, wie des Hirsches oder katzenartiger Raub- tiere, die der Jäger im Dunkeln an den „Lichtern" erkennt, wahrscheinlich von der Ausstrahlung des tagsüber absorbierten Sonnenlichtes her. Von Interesse ist nun eine Leuchterscheinung bei einer Vogelart, von der ziemlich genaue und verbürgte Nachrichten vorliegen. Es ist dies die Gould-Amandine (I^hoephila Gouldiae) ein austra- lischer Vogel , der von vielen Liebhabern wegen seines schönen Federkleides, aber nicht zum min- desten wegen einer Phosphoreszenzerscheinung gezüchtet wird. Dieser Prachtfink besitzt an den beiden Mundwinkeln ziemlich große auffallend blaugefärbte Papillen, denen man das Leuchtver- mögen zuschrieb, doch war es zweifelhaft, ob hier ein selbständiges Leuchtvermögen oder aber nur ein Lichtreflex vorliege. Professor Chun in Leipzig hat sich nun der Aufgabe unterzogen, diese Leucht- organe genauer zu untersuchen (Zoolog. Anzeiger Band 27 , Nr. 2). Chun brachte einen jungen Prachtfinken in die photographische Dunkelkammer. Im Halbdunkel glühten die Organe sehr stark, sobald jedoch die Dunkelkammer völlig verfinstert wurde, verschwand das Leuchten vollständig. So- dann ließ der Forscher wieder Licht durch einen schmalen Spalt eindringen und konnte nun den charakteristischen Reflex beobachten. Damit ist deutlich nachgewiesen, daß es sich hier nicht um eine selbständige Phosphoreszenz, sondern um eine Reflexerscheinung handelt. Die genauere histologische LIntersuchung er- gab, daß die blauen Tuberkel aus zwei Schichten von Bindegewebe bestehen, zwischen denen große sternförmige Pigmentzellen von bräunlich-gelber Farbe liegen. Diese Pigmentzellen fungieren als Reflektor, ähnlich wie es in den Leuchtorganen der Lampyriden die Kristalle von harnsaurem Ammoniak tun, die hinter der leuchtenden Schichte gelagert sind. Eine Erklärung für die blaue Fär- bung der Papillen gibt Chun nicht. — Es scheint nicht ausgeschlossen, daß dieselbe dadurch hervor- gerufen wird, daß das Licht zuerst durch ein trübes Medium (Bindegewebe) geht und dann auf den dunklen Hintergrund , die Pigmentzellen, fällt. So erklärt man sich auch die blaue Färbung der Iris im menschlichen Auge. Als biologischen Zweck der blauen Papillen gibt der ausgezeichnete Leipziger P'orscher in Über- einstimmung mit früheren Autoren an, daß sie der das P\itter bringenden Mutter im dunkeln Nest den Weg zu den hungrigen Schnäbeln der Jungen weisen sollen. Die Prachtfinken bauen nämlich Nester, die bis auf ein kleines Flugloch ganz geschlossen sind. G. Stiasny. Ein permisches Riesentier aus dem nörd- lichen Rufsland. — In den Erörterungen über die Abstammung der Säugetiere beansprucht die zu den Reptilien gehörige Gruppe der Thero- morpha insofern eine hervorragende Stelle, als diese Tiere gewisse Merkmale der Reptilien, Am- phibien und Säugetiere in sich vereinigten. Die Gliedmaßen der Landbewohner wurden gestützt durch die feste Verbindung der Brustgürtelknochen und durch ein nach Art der Säugetiere aus der Verschmelzung des Os Ischium mit dem Os Pubis gebildetes Becken ; auch Zähne, Schädel usw. zeigen bemerkenswerte Abweichungen von den übrigen Reptilien. Perm und Trias Europas, Amerikas und Ost- indiens haben Reste dieser Gruppe geliefert; die meisten und mannigfaltigsten Reste aber liefert die der gleichen geologischen Zeit entstammende Karooformation Südafrikas. Von dort besitzt das Britische Museum ein fast vollständiges Skelett eines Pareiosaurus von 2,5 m Länge. Ebendort fanden sich allein von der Gattung Dicynodon mehr als 12 meist große Arten, ferner noch die Gattungen Galesaurus, Cynochampsa, Cynosuchus, Lycosuchus, Tigrisuchus, Cynodraco, Gorgonops, Oudenodon, Ptychognatus u. a. Schon die bloße Aufzählung dieser Namen genügt, um ein beredtes Zeugnis abzulegen von dem Formenreichtum der höheren Wirbeltierwelt, welche in jenen entlegenen Zeiten weite Flächen Südafrikas belebte. Neuerdings hat sich gezeigt, daß wir auch in PJuropa damals Ähnliches besaßen. Die Perm- formation, welche bekanntlich ihren Namen nach dem Gouvernement Perm erhalten hat, erstreckt sich von dort über weite Flächenräume, und ent- hält Schichten, welche nach Flora, Fauna und Gesteinsbeschaffenheit sich als kontinentale Bil- dungen erweisen. Auch vorher und nachher war dort wiederholt P"estland in Zeiten westeuropäischer Meeresbedeckungen. Wir dürfen mithin gerade im östlichen Teile des europäischen Rußlands Funde erwarten, welche auf die Entwicklungsgeschichte der Landtiere und -Pflanzen Licht verbreiten. Perm und Permotrias finden sich teils ober- flächlich, teils unter Bedeckung jüngerer Schichten, von Orenburg bis zum Ural und nordwärts bis zum Weißen Meer und treten auch an der mitt- leren und oberen Wolga bei Nishni- Novgorod, Kostroma, Mologa usw. hervor. Nachdem schon früher wiederholt Knochen- funde aus diesen Schichten bekannt geworden waren, begann im Jahre 1899 Prof. Amalitzky in Warschau mit Unterstützung der Kaiserlichen Natur- forscher-Gesellschaft in St. Petersburg planmäßige Ausgrabungen, welche zu umfangreichen P\mden ganzer Skelette führten. Bisweilen lagen sogar 2 oder 3 Skelette nebeneinander. Der Haupt- fundort liegt bei dem kleinen Orte Sokolki am rechten Talgehänge der Dwina unweit des Dorfes Jefimowskaja, Kreis Vetlojow, Distrikt Ustjug, mit- hin unter ungefähr 61" n. Br., zwischen den Mün- dungen der rechtsseitigen Nebenflüsse Jug und 636 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 40 Wytschegda. Die reptilienführende Gesteinsbank ist etwa 12 m mächtig und besteht aus rotbraunen und grauen, durch Kalkkarbonat und Gips schwach verkitteten Sauden, in welchen Konkretionen die einzelnen Knochen umhüllen. Neben Reptilien finden sich auch Amphibien (Melanerpoten und Metopias), sowie Anthrakosien und Farne; letztere gehören der nach ihrer vertikalen und horizon- talen Verbreitung, wie nach ihren Beziehungen zur permischen Eiszeit vielbesprochenen Gattung Glossopteris an, der Charakterpflanze der „Glosso- pterisflora". Die gefundenen Reptilien sind zumeist Thero- morphen aus den merkwürdigen Gruppen der Pareiosaurier, Anomodontier und Deuterosaurier; sie sind teils von mittlerer Größe mit Schädeln von kaum 30 cm Länge, teils riesenhaft, von 4 bis 5 ni Länge mit einem Schädel von i m Länge und 66 cm Breite. Prof Ama- litzky, unterdes- sen liebenswür- diger und lehr- reicher Fülirung wir im Jahre 1899 einige Perm- Auf- schlüsse an der Wolga besuchen durften , hatte die I'reundlich- keit , uns die Photographie eines nunmehr aufgestellten Pareiosaurus n. sp. zu senden, nach welcher unsere Abbildung hergestellt wurde. In der über dem Original sichtbaren kleineren Abbildung er- kennen wir unschwer diejenige des in London aufgestellten Pareiosaurus Baini Seely aus der Karooformation von Tambor Fontain, Kapkolonie, welche in vielen Lehrbüchern wiedergegeben ist. Wir sehen, wie das russische Skelett sich u. a. durch eine Anzahl wohlerhaltener Zähne, Rippen und Dornfortsätze auszeichnet , und dürfen von der eingehenden osteologischeii Untersuchung der russischen Stücke gewiß viele interessante Auf- schlüsse erwarten. Das russische Permgebiet er- scheint uns nun als Kern eines für die Entwick- lungsgeschichte der landbewohnenden Tier- und Pflanzenwelt wichtigen Festlandes, welches zeit- weise seine Ausläufer nach iVIittel- und West- europa vorstreckte und hier (u. a. im Rheinland, Tliüringen, Sachsen, Böhmen usw.) mancherlei merk- würdige, wenngleich nicht so riesenhafte Tiere bereits geliefert hat. Alfred Jentzsch. Über neuere Ergebnisse der internationalen Meeresforschung hielt Prof Brandt aus Kiel im P'rühjahr am Institut für Meereskunde einen Vortrag, aus dessen Inhalt hier einiges wieder- gegeben sei. Das deutsche Laboratorium für internationale Meeresforschung in Kiel besteht seit dem April 1902. Im Mai des gleichen Jahres be- gannen die regelmäßigen Fahrten des für diese Zwecke erbauten Dampfers „Poseidon", der sich als recht praktisch eingerichtet bewährt hat. Die sogenannten Terminfahrten dieses Schiffes finden alljährlich im Februar, Mai, August und November statt, die sich bei etwa dreiwöchentlicher Dauer zunächst durch den Kaiser Wilhelms-Kanal nach der Nordsee (bis Egersund) erstrecken, und dann bis Memel die Ostsee durchqueren. An diesen F"ahrten nehmen zwei Hydrographen und vier Biologen teil. Da zu den gleichen Zeiten auch von Seiten Rußlands und der anderen an der internationalen Vereinbarung beteiligten Staaten entsprechende Reisen nach anderen Gebieten der nordeuropäischen Meere unternommen werden, so finden demnach seit 1902 in je- dem \'ierteljahr sehr gründliche, planmäßige Durchforschun- gen dieser Mee- resteile statt, von derendefinitiver \^erarbeitung für Praxis und Wissenschaft gleich großer Gewinn in Aus- sicht steht. Von Kiel aus wer- den übrigens außer jenen Terminfahrten noch an etwa 50 Tagen des Jahres unter Professor Heinke's Leitung besondere Fahrten zur Ergrün- dung des Fischereiverhältnisse ausgeführt. Auf Grund der bis jetzt gewonnenen Ergeb- nissen behandelte Prof Brandt in seinem Vortrage nur die Lehre vom Plankton. Als Planktonpflanzen haben wir nur einzellige Algen anzusehen : Diato- meen, Peridineen (besonders wichtig die Ceratien) und Spaltalgen (namentlich Nodularia). Dies sind die einzigen Produzenten des freien Wassers, welche die organische Substanz produzieren. Sie sind wie feine Staubteilchen ziemlich gleichmäßig durch die oberen, vom Licht durchstrahlten Schichten des Wassers (bis etwa 200 bis 300 m Tiefe) ver- teilt und dienen mannigfachen Weidetieren als Nahrung, deren Hauptvertreter die Copepoden (in der westlichen Ostsee hauptsächlich aus der Gat- tung Eutona) sind. Da die Planktonpflanzen das ins Wasser ein- dringende Licht am vollkommensten ausnützen können, wenn sie sich gleichmäßig im Wasser verteilen, und da an weniger dicht bevölkerten Stellen eine stärkere Vermehrung einsetzen kann, während an dichteren Stellen auch eine stärkere N. F. III. Nr. 4<: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 637 Abweidung durch Tiere eintreten wird, so ist im allgemeinen das Plankton recht gleichmäßig ver- teilt, wofern man nur nicht allein die Oberfläche, sondern die gesamte, vom Licht erhellte Wasser- säule in Betracht zieht. Im seichteren Wasser ist die Menge des Plankton wegen der größeren Menge von Nährstoffen größer als in den tieferen Meeresteilen. Im tiefen Ozean können die in der Tiefe vorhandenen , aus dem Boden stammenden Nährstoffe von den nahe der Oberfläche lebenden Pflanzen nicht ausgenutzt werden, jedoch führen die Strömungen auch der Hochsee noch Nährstoffe zu. Am ärmsten an Plankton zeigt sich die stille, von Meeresströmungen nur umkreiste Sargassosee. Auffallend ist nun, daß die warmen Meere durchaus nicht mehr, sondern eher weniger Plank- ton enthalten als die kalten Gebiete. Der Grund dafür dürfte in der seit kurzem erkannten Tatsache liegen, daß die warmen Meere ärmer an Stickstoff- verbindungen sind, was durch das bessere Gedeihen der denitrifizierenden Bakterien im warmen Wasser zu erklären ist. In Meeren mit im Laufe des Jahres veränderlicher Wassertemperatur schwankt auch die Planktonmenge und zwar fällt das Mini- mum in der Ostsee gegen Ende Februar und An- fang März. Alsdann findet jedoch eine sehr starke Vermehrung der Chaetocerasarten statt, so daß das Wasser der westlichen Ostsee trüb hellgrün wird und man bald in einem Kubikmeter Wasser bis zu einer Milliarde dieser Algen findet, so daß in jedem Tropfen (i cbm = 30 Millionen Tropfen) jetzt auf mehrere Diatomeen zu rechnen ist. Dieses bereits Ende März und Anfang April eintretende Jahresmaximum hält aber nicht lange an, da die Chaetocerasformen zu Boden sinkende Dauer- zustände bilden. Im Juni und Juli ist die mittels des Planktonnetzes feststellbare Planktonmenge gering, während die allerkleinsten Pflänzchen, welche durch das feine, aus Müllergaze bestehende Netz doch noch hindurchgehen, vielleicht jetzt in größerer Zahl vorhanden sind. Im August und September stellt sich eine neue Vermehrungs- periode der Diatomeen ein, die nun aber bald durch sehr starke Wucherung der Peridineen ab- gelöst werden. An dem Herbstmaximum der Dia- tomeen sind hauptsächlich die Rhizosolenien be- teiligt und infolge des Hinzutretens vieler Ceratien wird im Herbst in der Kieler Föhrde oft ein schwaches Meeresleuchten beobachtet. Bei Beginn des Winters nimmt dann das Pflanzenleben mehr und mehr ab. Schwierig zu erklären ist das schnelle Ansteigen der Häufigkeitskurve vom Jahresminimum zum Maximum. Wahrscheinlich ist die Erklärung hier- für sowie für den Rückgang im Sommer darin zu suchen, daß sich die Nährstoffe im Winter ange- sammelt haben und eine starke Wucherung beim Eintritt stärkerer Belichtung ermöglichen. Dadurch wird aber der Nahrungsvorrat schnell aufgebraucht und die Menge der Algen muß daher nun wieder zurückgehen. Sicher nachgewiesen ist eine solche Schwankung am Kieselsäuregehalt des Wassers. Ganz unerklärt dagegen ist bis jetzt das Herbst- maximum, das sich aber ebenso wie das Frühlings- maximum sogar auch in Binnenseen konstatieren läßt. Besonders ist die Armut des Meeres an Plankton während der hellsten Zeit des Jahres recht wunderbar. Man muß annehmen, daß die Tiere infolge ihrer schnellen Vermehrung in dieser Zeit die neu sich bildenden Pflanzen schnell weg- fressen und dadurch Nahrungsmangel bewirken. Zum Schluß seines Vortrags behandelte Prof. Brandt die örtlichen Verschiedenheiten in der Ver- teilung und Zusammensetzung des Planktons, die sich im Kaiser Wilhelm-Kanal, in den verschiede- nen Teilen der Ostsee und an der Odermündung haben feststellen lassen. Wir müssen es uns ver- sagen, hier diese mehr ein spezielles Interesse voraussetzenden Forschungen eingehender zu be- spreciien. F. Kbr. Der spektroskopische Doppelstern j^ Aurigae ist kürzlich von Prof H. C. Vogel eingehend untersucht worden (Sitzungsberichte der kgl. preuß. Akademie, 1904, XIV), wobei es gelungen ist, die vordem noch nicht völlig klargestellten Verhält- nisse dieses Systems durchaus aufzuhellen. Die Duplizität von ß Aurigae wurde 1890 durch Pickering's Aufnahmen mit dem Objektivprisma erkannt und als Periode fand dieser 3 Tage 23 Stunden 37 Min. Später glaubte Rambaut diese Zahl um 23 Min. verkleinern zu müssen, während Miss Maury noch 1898 die Pickering'sche Periodendauer durch Untersuchung der K- Linien bestätigen zu können meinte. Außer gelegent- lichen, in Potsdam ausgeführten Aufnahmen des Spektrums von ß Aurigae wurden dann in den Jahren 1902 und 1903 eine größere Anzahl von Spektrogrammen desselben Sterns durch Belopolski hergestellt, deren sorgfältige Ausmessung durch Tikhoff zu sehr eigentümlichen Ergebnissen führte. Tikhoff fand nämlich erstens die Periode um 6 Minuten kürzer als seinerzeit Pickering, mußte aber außerdem, um eine befriedigende Darstellung der Beobachtungen zu gewinnen, der die Ge- schwindigkeiten darstellenden Kurve eine sehr komplizierte Gestalt mit mehreren sekundären Einbuchtungen geben. Tikhoff vermutete daher, daß es sich hier nicht um einen doppelten, son- dern um einen vierfachen Stern handle. Um die Frage nach der Realität dieser kom- plizierten Verhältnisse zu entscheiden , nahm H. C. Vogel im letzten Winter von neuem die regel- mäßige Beobachtung des Gestirns auf Nachdem die ungünstigen Witterungsverhältnisse des Dezem- ber und Januar nur wenige und vereinzelte Auf- nahmen durch Eberhardt und Ludendorff ermög- licht hatten, gelangen in der Nacht des 27. Januar 17 aufeinander folgende Beobachtungen und noch zwei Aufnahmen in der darauf folgenden Nacht. Durch diesen günstigen Umstand wurde es mög- lich, die Zeit der Deckung beider Spektra (1904, Jan. 27,750 M.E.Z.) mit einer außerordentlichen Sicherheit festzulegen und nunmehr die sämtlichen 638 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 40 Beobachtungen, allerdings mit der wesentlich ver- kürzten Periodenlänge von 3 Tagen 23 Stunden 2,3 M i n., in sehr gute Übereinstimmung zu bringen. Auch die Tikhoff'schen Messungen schlössen sich nunmehr einer schlichten Sinuskurve vorzüglich an. Das Maximum der relativen Geschwindigkeit beider Komponenten beläuft sich auf 222 km. Die 85 im ganzen vorliegenden, sich über 1400 Perioden verteilenden Beobachtungen erstrecken sich über alle Teile der einfachen Geschwindig- keitskurve, die Periodenlänge dürfte nur um 5 Se- kunden unsicher sein. Die Gesamtmasse des Doppelsternsystems würde unter der Voraus- setzung, daß die Ebene der Bahn genau durch die Sonne ginge, gleich dem 4'/2 fachen der Sonnenmasse sein und der gegenseitige Abstand der beiden Gestirne 12 Millionen Kilometer be- tragen. Da die obige Voraussetzung indessen wegen der Abwesenheit einer Helligkeitsschwan- kung des Gestirns infolge gegenseitiger Bedeckung sicherlich nicht erfüllt ist, müssen die wahren Werte jener Zahlen als noch größer angenommen werden. Die einzige Erscheinung an ß Aurigae, die nach H. C. Vogel noch weiterer Aufklärung be- darf, stellen die zeitweisen Veränderungen im Aus- sehen gewisser Linien dar, deren Auftreten ganz unregelmäßig zu erfolgen scheint. Eine Entschei- dung über die Ursache dieser Veränderungen, die übrigens in ähnlicher Weise auch bei L Ursae majoris bemerkbar sind, könnte nur durch Spektral- aufnahmen auf mötrlichst feinkörnig-en Platten bei sehr starker Dispersion zu erhoffen sein. F. Kbr. Bücherbesprechungen. J. Petzoldt, Einfuhrung in die Philosophie der reinen Erfahrung. Leipzig, B. G. Teub- ner; I. Bd. 1900, IL Bd. 1904. — Preis geb. 16 Mk. Schon wiederholt hat die Naturwissenschaftliche Wochenschrift ihre Leser auf die Bedeutung einer rein auf Erfahrung beruhenden , metaphysikfreien Philosophie und auf deren größten Vertreter, Richard Avenarius, aufmerksam gemacht. Nunmehr liegt in Petzoldt's ,, Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung'' ein Werk vor, das nicht nur eine Einführung in die Lehre des großen Philosophen, sondern weit mehr noch eine Vertiefung und Weiterführung derselben bedeutet. Der erste Band sucht zunächst die Lehre vom psychophysischen Parallelismus über jeden Zweifel zu stellen , um als- dann die Zuordnung der psychischen Vorgänge zu physischen eingehend zu behandeln. Die hin und wieder auftauchende Meinung, daß sich ein psychischer Vor- gang in einen physischen oder in eine Reihe physi- .=cher Vorgänge einzuschalten vermöge , scheitert an der beredten Wucht der physikalischen Tatsachen oder an einer unlogischen Verallgemeinerung des Energieprinzipes. Einen geistigen Akt als Wirkung körperlicher Ursachen aufzufassen , ist längst als unvollziehbar erwiesen ; es bliebe daher nur noch übrig, ihn als eine Wirkung geistiger Ursachen zu verstehen. Aber schon die Analyse einfacher physi- kalischer Vorgänge lehrt, daß die Begriffe „Ursache und Wirkung" zu einer wissenschaftlichen Beschreibung völlig untauglich sind. Das dem sogenannten Kausa- litätsgesetze zugrunde liegende Tatsächliche for- muliert Petzoldt in seinem ,,Prinzipe der Ein- deutigkeit des Geschehens" folgendermaßen: „Für jeden Vorgang lassen sich Bestimmungsmittel — Raum- und Zeitgrößen , Massen , Geschwindigkeiten, Beschleunigungen, Wärmemengen, Temperaturen, elek- trische Potentiale, Stromintensitäten, Widerstände, Atomgewichte, Schmelzpunkte, Valenzen usw. — auf- finden, durch die er eindeutig bestimmt ist, der- art, daß man zu jeder Variation dieses Vorgangs, die man durch dieselben Mittel bestimmt denken wollte, mindestens noch eine finden könnte , die dann in gleicher Weise bestimmt, ihr somit gleichwertig wäre und also gleichsam dasselbe Recht auf Verwirklichung hätte wie jene." Sucht man nun nach einem Ana- logen auf rein psychischem Gebiete, so ergibt sich, daß kein psychischer Akt sich durch irgendwelche psychische Bestimraungsmittel als eindeutig bestimmt auffassen läßt. Sollen aber die seelischen Vorgänge einer wissenschaftlichen I'>klärung zugänglich sein, so bleibt nichts anderes übrig, als die Eindeutigkeit der- selben zu fordern. Und wir müssen sie fordern, wollen wir nicht unser Denken als Wahnsinn und als zu jeder wissenschaftlichen Forschung untauglich preis- geben. Die reichen Ergebnisse der Nervenphysiologie und Psychophysik lassen es nun außer Zweifel , daß jedem auch noch so unbedeutenden geistigen Vor- gange eine physische Parallele im Zentralnervensystem zuzuordnen ist. — Avenarius hatte in seiner „Kritik der reinen Erfahrung" zuerst gefunden, daß alles psy- chische Geschehen sich in Reihen abspiele, die ge- meinsame Züge aufweisen. Diesen Reihen entspricht ein einfacher nervöser Grundprozeß, die unabhän- gige Vital reihe. Eine solche unabhängige Vital- reihe wird veranlaßt , wenn irgendwelche Abschnitte eines nervösen Teilsystems eine Störung erleiden, wenn sie durch äußere Reize oder durch Ernährungs- vorgänge in ihrem momentanen, der Erhaltung günstigsten Zustande bedroht werden. Mit der Auf- hebung einer derartigen Störung, einer Vitaldiffe- renz, wird die unabhängige Vitalreihe und damit auch die parallel dazu verlaufende rein psychische Reihe , die abhängige Vitalreihe, zum Ab- schlüsse gebracht. Nachdem ferner Avenarius die psychischen Grundgebilde in 2 Gruppen eingeteilt hatte, in die Elemente, die etwa alles das um- fassen, was die bisherige Philosophie Empfindungen nennt, und in die Charaktere, die eine außer- ordentliche Verallgemeinerung der Gefühle bedeuten und nicht nur diese begreifen, sondern auch alles, was gewisse Inhalte charakterisiert, was ihnen eine gewisse, durchaus wandelbare Färbung verleiht , versuchte er für beide die physiologischen Unterlagen festzustellen. Petzoldt gibt uns nun einen klaren Einblick in diese interessanten Untersuchungen und gelangt namentlich infolge einer sorgfähigen Analyse der Abhebung N. F. ra. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 639 psychischer Werte und der logischen, und einer eingehenden Untersuchung der ästhetischen und ethischen Charal:tere dahin , die Charaktere etwas anders einzuteilen und ihre Abhängigkeit von den physiologischen Grundlagen mehr oder weniger ab- weichend zu bestimmen. Er gelangt hierbei zu dem fruchtbaren Begrift'e des 13 e s t a n d e s. So umfaßt z. B. der logische Bestand alle die Gedanken- komple.xe, die in der Gegenüberstellung mit abweichen- den Werten als wahre gekennzeichnet werden; als seine physische Grundlage ist ein umfassendes ner- vöses Teilsystem anzunehmen, dessen Teile in mehr oder weniger enger und vielseitiger Verbindung mit- einander stehen. Neben dem logischen Bestände unterscheidet er einen ästhetischen, einen ethi- schen und einen existenzialen Bestand. Im weiteren Verlaufe untersucht Petzoldt die gegenseitigen Beziehungen der Bestände, analysiert dann ganz be- sonders die begriffliche Charakterisierung über- haupt, die Abhängigkeit derselben von der Vorbereitung des Zentralnervensystems und die Art und Weise, wie sich dieses bei einer Vitalreihenkonkurrenz einzu- stellen pflegt, und schließlich die Entwicklung der Begriffe, speziell die Annäherung der Begrift'e an konstante Werte. Von Interesse ist hierbei die Ent- deckung, daß Enge und Einheit des Bewußtseins der psychische Ausdruck sind für die bis an die Grenzen des Möglichen gesteigerte Fähigkeit des nor- malen Zentralnervensystems, unter Umständen in jedem Falle einer Bedrohung alle seine Kräfte in den Dienst seiner Behauptung stellen zu können. Im letzten Kapitel hebt Petzoldt die Bedeutung der „Kritik der reinen Erfahrung" hervor und macht vor allen Dingen darauf aufmerksam, daß die .Annahme einer funktio- nellen Verknüpfung von Physischem und Psychischem völlig tmabhängig von jeder besonderen Welt- anschauung sei, daß sie nichts anderes bedeute als die Konstatier ung eines bestehenden Verhältnisses. Im 2. Bande wendet sich Petzoldt der Tatsache zu, daß zahlreiche Entwicklungen in Zustände über- gehen, die einen mehr oder weniger stabilen Cha- rakter zeigen. Schon die Untersuchung der begriff- lichen Charakteristik hatte ergeben , daß die psychi- schen Bestände und damit ihre physiologischen Unter- lagen nicht nur im individuellen Leben, sondern sogar im Leben menschlicher Gemeinschaften, ja der Menschheit selbst, festen Formen sich annähern. In der F'ülle von psychischen Regelmäßigkeiten erkennen wir überall unveränderliche Formen, die uns nur als Entwicklungser folge verständlich sind. Was wir aber auf geistigem Gebiete beobachten , das ist höchstwahrscheinlich eine F^igenschaft aller ungestört verlaufenden Entwicklungen. ,, Jedes sich selbst über- lassene, in Entwicklung begriffene System mündet schließlich in einen mehr oder weniger vollkommenen Dauerzustand aus oder doch in einen Zustand, der in sich selbst entweder überhaupt keine Bedingungen für eine weitere Änderung mehr trägt, oder solche wenigstens eine geraume Zeit hindurch nur noch in geringfügigem Grade enthält." Dieser in anderer Form zuerst von G. Th. Fechner ausgesprochene und als „Prinzip der Tendenz zur Stabilität" bezeichnete Satz findet auf physikalischem Gebiete seine Hauptstütze in der Tatsache, daß in einem ge- schlossenen Systeme alle bestehenden Differenzen oder besser die Summe der bestehenden Differenzen (Niveau-, Druck-, Temperatur-, Potential-, chemischer Differenzen) abnehmen. Da nun das menschliche Gehirn ein in lebhafter Entwicklung begriffenes Organ ist, so dürfen wir, solange nicht die kosmischen Ver- hältnisse sich in unerwarteter Weise ändern und die Umgebung des Menschen auffallend umgestalten, auch von i h m erwarten, daß es sich einer Dauerform an- näliere und daß seine Funktionen einen immer stabi- leren Charakter annehmen werden ; nicht in dem Sinne, als ob wir einem Zustande geistiger Erstarrung entgegengingen, sondern vielmehr einem solchen , in dem gewisse Komponenten oder Seiten der seelischen Akte, die begrifflichen Charaktere, zu festen F'ormen werden, einem Zustande, in dem es uns ermöglicht sein wird, auf alle logi seh berech ti gt e n Fragen eine befriedigende Antwort zu erhalten , einem Zu- stande, in welchem das System der Wissenschaft die Mittel zur Lösung der wichtigsten Probleme enthält. Die Tatsache nun, daß wir feste ethische, ästhetische und logische Dauerbestände zu erwarten haben, kann nicht ohne Einfluß auf unser gegenwärtiges Verhalten sein. Ich übergehe die Konsequenzen, die Petzoldt für Ethik und Ästhetik zieht, und wende mich kurz dem logischen Dauerzustande zu, der uns zur Zeit, wo uns erkenntnistheoretische Fragen wieder in be- sonderer Weise beschäftigen, hauptsäclilich interessiert. Auf die Frage: Was ist Wahrheit? werden wir die Antwort geben dürfen : Das , was man im einstigen Dauerzustande dafür halten wird , also der zu erwar- tende logische Dauerbestand der Menschheit, der ab- hängig zu denken ist von dem in seiner Entwicklung zum Abschlüsse gelangten menschlichen Groß- hirne. Die zu erwartende Weltanschauung wird als eine allgemeine und dauerhafte nicht Teile oder Seiten enthalten dürfen, die mit gleichem Rechte durch andere ersetzt werden dürften. „Denn sie würden alle der Auffassung des Wirklichen den- selben Dienst leisten , man wüßte also nicht , für welche man sich zu entscheiden hätte. In solcher Lage aber befänden wir uns allen Lehren gegenüber, die prinzipiell unerfahrbare Bestandteile enthielten. Damit schließen wir jede Art von Metaphysik als grundsätzlich unhaltbar aus. Alleinige Erkenntnis- ([uelle und einziger Prüfstein für irgendwelche Theorien ist zuletzt nur die Erfahrung, das Vorgefun- den e." Damit werden auch die materialistischen und idealistischen Auffassungen des Seienden fallen, die in ihren Substanzen, in ihrer Materie, F^nergie, Psyche, in dem über alle Grenzen verallge- meinerten Ich Begriffe enthalten , die wegen eines fehlenden Gegenbegriffes unvollziehbar, unlogisch sind. Es wird dann auch kein W e 1 1 p r o b 1 e m mehr geben können, denn nach der Welt als einem Ganzen zu fragen ist unlogisch, eine Kennzeichnung der Ge- samtheit des Gegebenen läßt sich nicht ausführen, da auch hier ein Gegenbegriff" fehlt. Das VVelt- rätsel wäre genau ebenso ausgeschaltet wie jetzt 640 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 40 etwa das Problem der Quadratur des Kreises oder des Perpetuum mobile. — Dies eine Reihe der wich- tigsten Ergebnisse des inhaltsreichen, klar geschriebe- nen Werkes, das auch denjenigen reiche Anregungen geben wird, die mit Bedenken an das Studium heran- treten. In Anbetracht des bedeutsamen Inhaltes ge- denken wir später einige wichtigere Abschnitte der Schrift in ausführlicherem Auszuge unseren Lesern zu bringen. Angersbach (Weilburg a. d. Lahn). 1) Hans Mayer, Die neueren Strahlungen. Mähr. - 0.strau, R. Papauschek. 1904. 65 Seiten. — Preis 1,50 Mk. 2) Besson, Le radium et la radioactvite. Paris, Gauthier -Villars. 1904. 170 p. avec 23 figures. — Prix 2,75 fr. 3) Blondlot, Rayons N. Paris, Gauthier- Villars. 1904. 78 p. avec 3 flg., 2 planches et un ecran phosphorescent. — Prix 2 fr. Nr. I gibt eine kurze Zusammenstellung der Forschungsergebnisse über Kathoden-, Kanal-, Röntgen- und Becquerelstrahlen mit reichlicher Quellenangabe. Nicht richtig will es Ref erscheinen, daß die ersten 19 Seiten der Schrift die hypothetischen Vorstellungen über die Konstitution der Materie behandeln , statt die beobachteten Phänomene an die Spitze zu stellen. Das mit einem Vorwort von A. d'Arsonval ein- geführte Besson'sche Büchlein (Nr. 2) behandelt das scharf umgrenzte Gebiet der Radioaktivität namentlich unter Berücksichtigung französischer Untersuchungen. Besonders für Ärzte dürfte die Schrift von hohem Interesse sein, da das Kapitel V über die physiologi- schen und therapeutischen ^^'irkungen nicht weniger als 40 Seiten umfaßt. Über die Blondlot'schen N-Strahlen ist das Urteil der wissenschaftlichen Welt noch immer nicht fest- stehend. Unter diesen Umständen wird für viele sicherlich die in Nr. 3 gebotene Zusammenstellung der zahlreichen , in den Comptes rendus zerstreuten Mitteilungen des namhaften Physikers , denen noch ergänzende Noten angefügt sind, von hohem W^ert sein. Bei der Einfachheit der in Frage stehenden Experimente ist nunmehr jeder Interessent in den Stand gesetzt, sich ein eigenes Urteil über die For- schungen von Nancy zu bilden, zumal dem Büchlein ein gut wirkender Leuchtschirm beigegeben ist , mit dessen Hilfe Ref allerdings ebensowenig Resultate erzielte , als früher (vgl. Naturwiss. Wochenschr. II, S. 268). F. Kbr. G. Mahler, Prof am Gymn. in Ulm, Physikalische Formelsammlung. Leipzig, Göschen, 1903. Zweite verbesserte Auflage. Schon zwei Jahre nach dem Erscheinen der ersten Auflage liegt die zweite vor, an vielen Stellen ge- bessert und ergänzt. Besonders ^57 (Der Regen- bogen), ^ 65 (Feldstärke eines Magnetstabes), J^ 66 (Lamellarmagnete) sind neu hinzugekommen ; aber auch bei der Lehre von der drehenden Bewegung und den Trägheitsmomenten und der Zusammen- drückbarkeit der Flüssigkeiten finden sich Erweite- rungen, während an anderen Stellen dafür gekürzt ist. Im ganzen ist das Buch um 1 2 Seiten kürzer ge- worden ; sehr erfreulich bei einem Buch, das zum Nachschlagen, aber nicht zum Studium dienen soll. A. S. Briefkasten. Herrn K. R. in Frankfurt a. M. ■ — Eine Anleitung zur Herstellung von SchniUcn und Dauerpräparaten , sowie die gebräuchlicheren Färbemclhoden finden Sie in B. Rawitz, Leit- faden für histiologische Untersuchungen, 2. Aufl., Jena 1895, 160 S. Preis 3 Mk-. Dahl. Herrn H. in Retterode. — Über aufgefundene Tiere kann nur dann Auskunft erteilt werden, wenn dieselben eingeschickt werden, da die Zeichnung und Beschreibung des Laien selten die wichtigeren Merkmale berühren. In Ihrem Falle scheint es sich um eine Dipterenlarve zu handeln. Dahl. Herrn K. in Lorch. — Reptilien für Ihr Terrarium liefert Ihnen, auch per Post, H. Matte rn, Berlin N, Choriner- straße 72 III, der dem Berliner wegen der ihm wiederholt zugefalle- nen Prämien aus den Zeitungen bekannte, geschickte Kreuzottern- fänger. Über die Nahrung der Ringelnatter und der glatten Natter macht B. Du r igen (Deutschlands Amphibien und Reptilien, Magdeburg 1897) folgende Angaben: S. 291: Die Ringelnatter nährt sich von Fröschen , Kröten , Kaulquappen und jungen Fischen. Grasfrösche sind ihr lieber als grüne Wasserfrösche und Kröten. Ferner S. 335 : Die glatte Natter nährt sich von Eidechsen und Blindschleichen. Selten und ausnahmsweise werden auch Mäuse und Spitzmäuse , sowie kleine Schlangen verzehrt. Im Terrarium hat man beobachtet, daß sich ihre Raubgelüste namentlich gegen frisch eingesetzte Art-, Gattungs- und Ordnungsverwandte richten. Junge Tiere würgen bereits einige Wochen nach der Geburt gleichgroße Geschwister hinab. — Daraus ergibt sich für Sie, daß Sie nur verhältnismäßig große Ringelnattern mit glatten Nattern zu- sammenbringen dürfen. Dahl. Herrn Lehrer K. in Rastenburg. — Für den genannten Zweck wird jedes neuere Schulbuch genügen, deren Zahl Legion ist. Wir nennen hier nur: Spieker, Lehrbuch der ebenen Geometrie. Potsdam, A. Stein, sowie Fenkner, Lehr- buch der Geometrie 1. Berlin, O. Salle. 4. Aufl. 1903. Herr L. R. in Moskau (Briefkasten von Nr. 37 (12. VI. 1904)) wird sich über den Inhalt des Ausdrucks ,, experimen- telle Morphologie' erschöpfend unterrichten können aus Ch. B. Davenport (Harvard Univ.), ,,Experimental Morphology", 2 vols., New York u. London, Macmillan & Co., 1897. Priv.-Doz. Dr. E. Sommer. Berichtigung. In meinem Artikel ,,Über die Bedeutung von Eruptiv-Breccien als erdgeschichtliche Urkunden" in Nr. 2 dieses Bandes der Naturw. Wochenschr. habe ich gesagt, der Ausdruck ,,Vul kan embry o" stamme von L. v. Buch. Das ist ein Irrtum. Das Wort ist von Branco geprägt und in die geologische Literatur eingeführt. Dr. Wilckens. Inhalt: Dr. Paul Graebke: Das Wesen des Begriffs der Gewohnheit. — Kleinere Mitteilungen: Dr. Carl: Menschen- und Rindertuberkulose. — F. W. Brinkmann: Alkohol liebende Tiere. — G. Stiasny: Leuchtorgane bei Vögeln. — Alfred Jentzsch: Ein permisches Riesentier aus dem nördlichen Rußland. — Prof. Brandt: Über neuere Er- gebnisse der internationalen Meeresforschung. — H. C. Vogel: Der spektroskopische Doppelstern /S .Aurigae. — Bücherbesprechungen: J. Petzoldt: Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung. — i) Hans Mayer: Die neueren Strahlungen. 2) Besson: Le radium et la radioactivite. 3) Blondlot: Rayons N. — G. Mahl er: Physikalische Formelsammlung. — Briefkasten. Verantwortliclier Redatcteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lictlterfelde-West b. Berlin. Druck voD Lippert & Co. (G. Pätz'sctie Buchdr.), Naumburg a. S. Einychliefslich der Zeitschrift ,,Die NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. F. Koerber Neue Folge HI. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 10. Juli 1904, Nr. 41. Abonnement; Man .ibonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringcgeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate : Die zweigcspaltcne Pclitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. [Nachdruck verboten.] Die pliysikalisclie Forschung steht gegenwärtig im Zeiclien neuer Strahlen. Die Röntgen-, Becquerel-, Kathoden- und N-Strahlen halten das wissenschaft- liche und vielfach auch das große Publikum in Atem. Jeder Tag kann neue ungeahnte Über- raschungen bringen. Unter solchen Verhältnissen darf es nicht wundernehmen, daß die Biologen auch ihrerseits den von Pflanzen und Tieren aus- gesendeten Strahlungen neue Aufmerksamkeit zu- wenden , insbesondere aber das von gewissen Pflanzen ausströmende Licht und seine Entwick- lung einem erneuten Studium unterwerfen. Bald werden bereits loo Jahre vergangen sein, seitdem Placidus Heinrich sein an genauen und interessanten Beobachtungen reiches Werk: „Die Phosphorenz der Körper" veröfi'entlicht hat und schon ist ein halbes Jahrhundert dahin, daP". Heller, wie ich erst vor kurzem zeigen konnte, das Leuchten des Holzes und toter Fische als einen biologischen Vorgang erkannt hatte. Seit dieser Zeit haben Hand in Hand mit der Rakterienkunde zahlreiche P'orscher, allen voran Pflüger, Beijerinck, F". Ludwig und R. D u b o i s die Lehre von dem Leuchten der Pflanzen in hohem Grade gefördert, aber Leuchtende Pflanzen. Von Prof Dr. Hans Molisch. niemand hat sich bisher gefunden, der die ge- wonnenen Tatsachen von neuem übersichtlich von einheitlichen Gesichtspunkten aus gruppiert und gleichzeitig die vorhandenen Lücken in der For- schung auf Grund ausgedehnter experimenteller Arbeit auszufüllen sich bemüht hätte, um so eine Art monographischer Behandlung unseres nach so verschiedenen Richtiuigen interessanten Problems zu liefern. Eine derartige Studie zu bieten, ist der Zweck eines kleinen Buches, betitelt: „Leuchtende Pflanzen", das soeben in dem bekannten Verlage von G. Fischer in Jena von mir erschienen ist.') Ich komme gerne einer an mich gerichteten Ein- ladung nach, um den Leser an dieser Stelle mit dem Inhalt meines Buches kurz bekannt zu machen. Aus einer, wenn auch nur kurzen Andeutung der behandelten Gegenstände und Fragen wird am besten hervorgehen, nach wie verschiedenen Rich- tungen der behandelte Stoff zu interessieren ver- ^) Leuchtende Pflanzen. Eine physiologische Studie von Prof. Dr. Hans Molisch, Direktor des pflanzenphysio- logischen Instituts der k. k. deutschen Universität Prag. Mit 14 Te.\ttiguren und 2 Tafeln. Jena 1904. Verlag v. G. Fischer. 8", 168 Seiten. 642 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 41 mag. Denn nicht bloß der Botaniker, sondern auch der Zoologe, Tierphysiologe, Bakteriologe, ja auch der l'hysiker und Photograph sowie jeder Naturfreund wird in dem Buche wegen der Viel- seitigkeit und Eigenartigkeit des Stoffs Neues und Interessantes finden. Der Lihalt gliedert sich in folgende Kapitel: I. Gibt es leuchtende Algen ? 2. Über das Leuchten der Peridineen. 3. Das Leuchten der Pilze. 4. Das Leuchten und die Entwicklung der Leuchtbakterien in Abhängigkeit von verschiedenen Salzen und der Temperatur. 5. Ernährung, Leuchten und Wachs- tum. 6. Über das Wesen des Leuchtprozesses bei den Pflanzen. 7. Die Eigenschaften des Pilzlichtes. 8. Über angebliche Lichterscheinungen bei Phanero- gamen. Die Zahl der bisher bekannt gewordenen Pflanzen, die selbständig Licht zu erregen ver- mögen, ist keine große. Einige Peridineen, etwa 25 Bakterienarten und etwa 14 höhere Pilze pro- duzieren Licht. Aber da einige dieser Pflanzen in der Natur sehr verbreitet sind, so ist es niclit schwer, sich leuchtende Pflanzen zu verschaffen. So haben die im Plankton des Meeres so weit verbreiteten Peridineen, die man ihrer braunen, mit Chlorophyll versehenen Farbstoffkörper wegen zu den Algen stellt, einen hervorragenden Anteil an dem Meeresleuchten. Im Hafen von Triest wird zur Sommerszeit das Meereslcucliten vornehmlich durch das hier so verbreitete Peridinium divergens bedingt. Hingegen geht den Süßvvasserperidineen mehrfachen Angaben entgegen das Leuchten ganz ab. Und wer hätte gedacht, daß im Walde leuchtendes Laub eine so häufige Erschei- nung ist? Gleich bei meinen ersten nächtlichen Spaziergängen in der Nähe von Buitenzorg auf Java fand ich zu meiner Überraschung leuchtende verwesende Blätter von Bambusa, Nephelium, Aglaia und anderen. Tulasne hatte schon früher dasselbe an Eichenblättern in Europa beobachtet. Ausgerüstet mit meinen in den Tropen gesammelten Erfahrungen habe ich später nach meiner Rück- kehr nach Europa die geschilderte Art der Licht- produktion auch für andere Blätter feststellen können, so für die Eiche, Rotbuche, Hainbuche und den Ahorn. Jetzt, da ich die Erschei- nung seit 5 Jahren kenne und ihre weite Verbreitung konstatiert habe, kann ich, ohne Gefahr zu laufen, der Übertreibung geziehen zu werden, sagen, daß in einem Eichen- oder Buchenwald ein nicht eerineer Bruchteil des abgefallenen Laubes sich im Zustande des Leuchtens befindet und der Waldboden allenthalben von dem Lichte verwesenden Laubes be- strahlt wird. Die Ursache des Leuchtens ver- wesender Blätter ist ein vorläufig noch unbekannter Pilz. Pilze höherer Art verursachen bekanntlich auch das Leuchten des faulen Holzes. Merkwürdiger- weise hat man bisher fast gar keine Versuche ge- macht, aus dem leuchtenden Holze die Pilze rein herauszuzüchten und für sich rein zu kultivieren. Hat man den leuchtenden Pilz einmal rein in Händen, dann steht er immer zu Gebote, die Lichtentwicklung kann dann in ihrer Abhängigkeit von der Nahrung und anderen Einflüssen geprüft und zahlreiche neuere Fragen können unter solchen Verhältnissen einer exakten Lösung entgegen- geführt werden. Der Hallimasch, Agaricus melleus, dessen Rhizomorphen (strangartige Mvzelien) wun- derschön leuchten, konnte bis zum P'ruchtkörper im Laboratorium gezogen werden, inid aus leuch- tendem Holz konnte ich ein nicht fruk- ti fixierendes Mycelium herauszüchten, das für das Studium der Lichtentwick- lung in der Pflanze ein ausgezeichnetes Demonstrationsobjekt darstellt, weil Kulturen davon nicht etwa nurTageoder Wochen, sondern bei genügendem Nähr- material I bis I 7.2 Jahre andauernd Licht entwickeln. Die geprüften Xylariaarten leuchten, wie Reinkulturen ergeben haben, der herrschenden Ansicht entgegen, nicht. Von dem durcli andauern- des Licht ausgezeichneten Leuchten des Holzes ist das von mir entdeckte ,, Blitzen" des Holzes wohl zu unterscheiden. Im Herbste 1901 sammelte ich im kaiserlichen Tiergarten ,, Stern" bei Prag ein Stück Holz, welches ich in eine Kristallschale legte und von Zeit zu Zeit auf Lichtentwicklung prüfte. In den ersten 2 Wociien blieb alles dunkel. Als ich aber hierauf die Schale im F'instern schüttelte, blitzte zu meiner großen Überraschung das Holz an mehreren Stellen in winzig kleinen Pünktchen auf, um nach mehreren Sekunden bis einer halben Minute wieder zu verlöschen. Nach mehrfachen Bemühungen glückte der Nachweis, daß das Liclit von einem zu den Springschwänzen geiiörigen In- sekt, der Neanura muscorum Templeton, ausging, das überall unter Blumentöpfen, Steinen, also meistenteils an dunklen Orten lebt und hier ein improvisiertes Höhlenleben führt. Ein großer Teil des Buches ist dem Leuchten der Bakterien gewidmet, dem Leuchten des Pleisches toter Schlachttiere, der Würste, menschlicher Leichen, toter Fische und anderer Seetiere, dem Leuchten von Kartoffeln, Rüben, Harn und endlich der Lichtentwicklung lebender Tiere, soweit sie durch Infektion mit Leuchtbakterien bedingt wird. Eine wesentliche Förderung meiner Aufgabe schaffte ich mir durch den Nachweis, daf^ das Leuchten des Fleisches toter Schlachttiere nicht, wie man bisher anzunehmen geneigt war, etwas Seltenes ist, sondern fast mit der Sicherheit eines physikalischen Experimentes hervorgerufen werden kann. Es genügt zu diesem Zwecke das vom Metzger zum Hausgebrauche gelieferte Rindfleisch in eine 3"/oige Kochsalzlösung zu tauchen und dann bei relativ niederer Zimmertemperatur darin so liegen zu lassen, daß die obere Hälfte in die Luft ragt. Nach 1—3 Tagen leuchtet dann das Fleisch, als ob es mit Sternen besäet wäre. Als Ursache der Lichtentwicklung entpuppte sich hier sowie auch beim Leuchten des Pferde-, Kalb- N. F. m. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 643 Schweine-, Gänsefleisches und der Würste stets das Bacterium phosphoreum (Cohn) Mohsch. Es gehört demnach dieser Spaltpilz in unserer Umgebung zu den verbreitetsten Bakterien. Er findet sich auf dem Fleisch der Eiskeller, der Schlachthäuser, der Markthallen und in den Küchen, wo Heisch von Schlachttieren und Geflügel regelmäßig Ein- gang findet. Ebenso wie das Leuchten des Fleisches toter Schlachttiere eine, wie wir nun wissen, gewöhn- liche Erscheinung darstellt, so auch das Leuchten toter mariner Fische. Der Leser wird davon eine deutliche Vot Stellung gewinnen, wenn er mich in die Fischkeller von Triest begleitet. Das Schau- spiel, welches sich mir hier darbot, war über- raschend und wird mir in dauernder Erinnerung bleiben. In zahlreichen Körben, in welchen viele hunderte große und kleine Fische der verschieden- sten Arten angehäuft waren, tauchten auf der Oberfläche der Frische gleich Sternen am nächt- lichen Himmel zahllose Liclitpunkte auf, die, sobald das Auge sich an die Finsternis gewöhnt und für kleine Helligkeiten große Empfindlichkeit erhalten hatte, immer deutlicher wurden, zu silberweißen Flecken zusammenflössen und den Fisch nicht selten an seiner ganzen Oberfläche leuchtend er- scheinen ließen. Die vielen Körbe strahlten ein eigentümliches, magisch erscheinendes, der Mond- beleuchtung vergleichbares Licht aus und verliehen der ganzen L^mgebung etwas Phantastisches und Geisterhaftes, das nun noch gesteigert wurde, als die um mich herumstehenden Knaben ihre F"inger durch Berührung mit den Fischen leuchtend machten und unter staunender Bewunderung mit den leuch tenden Fingerspitzen in der Luft herumfuhren. Alle diese leuchtenden Frische, die ich hier im Keller gesehen hatte, waren kurz vorher gegen 7 Uhr abends, als der Fischmarkt gesperrt wurde, eben aus der Verkaufsstelle in den Keller gebracht worden und wurden den nächsten Morgen wieder auf dem Markt zum Verkaufe ausgeboten. Ich kann daher sagen, daß wenigstens in der warmen Jahres- zeit ein großer Teil der Fische im leuchtenden Zustande zum Genüsse verkauft wird, ohne daß der Käufer eine Ahnung davon hat. Derartige Fische sind sozusagen noch frisch, haben keinen unangenehmen Geruch und befinden sich noch nicht im Stadium stinkender Fäulnis. Sowie das Leuchten des Fleisches toter Schlachttiere sich gewöhnlich vor dieser einstellt und das Fleisch, vorausgesetzt daß das Leuchten nicht schon zu lange angedauert hat, dabei noch genußfähig bleibt, genau so verhalten sich auch leuchtende tote Fische. Im Gegensatz zu marinen Fisclien leuchten hingegen Süßwasserfische gewöhnlich nicht, die Ausnahmen beziehen sicli auf Fälle, in welchen eine Ansteckung durch marine Bakterien der Seefische erfolgt war. Es ist begreiflich, daß in meiner Schrift die Natur des Leuchtprozesses einer genaueren Ana- lyse unterzogen wurde, die Ergebnisse, zu denen ich dabei gelangte, lassen sich in folgende Punkte zusammenfassen: 1. Das Leuchten der Pflanze vollzieht sich nur bei Gegenwart von freiem Sauerstoff, der Leucht- prozeß beruht auf einer Ox\-dation. Schon außer- ordentlich minimale Mengen von Sauerstoff ver- mögen das Leuchten zu unterhalten. 2. Vorläufig liegt kein zwingender Grund vor, von einer direkten Beziehung zwischen Atmung und Lichtentwicklung, geschweige denn von einer Lichtentwicklung durch .'Xtmung zu sprechen. 3. Das Leuchten beruht höchstwahrscheinlich darauf, daß die lebende Zelle eine Substanz, das Photogen, erzeugt, das bei Gegenwart von Wasser und freiem Sauerstoff zu leuchten vermag. Es ist unrichtig, daß bei den Leuchtbakterien und höheren Leuchtpilzen das Photogen ausgeschieden wird und außerhalb der Zelle leuchtet, sondern die Lichtentwicklung findet hier intrazellular statt. Die Entstehung des Photogens ist vom Leben der Zelle abhängig, doch damit soll nicht gesagt sein , daß das entstandene Photogen nicht auch unabhängig von der lebenden Substanz leuchten kön'nte. Da ich die verschiedensten Leuchtbakterien und darunter die am intensivsten leuchtenden und ebenso höhere Leuchtpilze in Reinkulturen stets zur Verfügung hatte, war es mir möglich, die Natur des Pilzlichtes nach verschiedenen Seiten gründlicher zu erforschen als dies bisher möglich war: seine Farbe, die Art des Leuchtens, sein Spektrum, seine photographische Wirkung, sein Verhalten gegenüber undurchsichtigen Körpern, seine physiologischen Wirkungen usw. Bezüglich der Farbe des Bakterienlichts sei gleich auf einen Umstand aufmerksam gemacht, der von Bedeutung ist. Wenn man gut leuch- tende Kulturen von Bacterium phosphoreum mit nicht ausgeruhtem Auge betrachtet, etwa indem man aus dem Tageslicht unmittelbar in die Dunkel- kammer eintritt, so erscheint das Licht bläulich- grün oder geradezu smaragdgrün. Erwacht man aber in der Nacht, nachdem man einige Stunden geschlafen, und betrachtet man jetzt mit voll- ständig ausgeruhter Netzhaut im Finstern dieselben Kulturen, so erscheint das Licht nicht mehr blau- grün sondern geblich weiß. Auch vom Substrate ist die Lichtfarbe abhängig. Bezüglich der Art des Leuchtens wurde ein bemerkenswerter Unterschied zwischen Tier und Pflanze erkannt. Von den Peridineen abgesehen, leuchten die Pflanzen stets andauernd. Während die Tiere gewöhnlich Licht nur ganz kurze Zeit entwickeln, blitzartig, e.xplosionsartig, leuchten die Bakterien und höheren Pilze tage-, wochen-, monate- ja unter bestimmten Bedingungen sogar über ein Jahr lang ohne Unterbrechung Tag und Nacht. Ein nächstes Kapitel beschäftigt sich mit der Anfertigung von Bakterienlampen und der Mög- lichkeit ihrer praktischen Verwendung. Auch die spektrale Zusammensetzung des Pilzlichts wurde studiert. In der Regel erstreckten sich die Spektra kontinuierlich zwischen Gelb und Violett, 644 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 41 wegen ihrer geringen Intensität erschienen sie matthell, gewöhnlich ohne Farben. Nur bei dem von mir entdeckten Bacillus lucifer, welcher zu den am stärksten leuchtenden Bakterien gehört, die derzeit bekannt sind , sah ich ein Spektrum mit Farben, man konnte mit ausgeruhtem Auge ganz deutlich Grün, Blau und etwas Violett unterscheiden. Es ist dies der erste beobachtete Fall, daß im Spek- trum eines Pilzlichts Farben gesehen wurden. Die dem Werke beigefügten 2 Tafeln geben einen deutlichen Begriff von der photographischen Wirkung des Pilzlichts auf die empfindliche Platte. Nicht bloß Photographien der Bakterien erzeugt in ihrem eigenen Lichte, sondern auch Photographien von anderen Gegenständen im Bakterienlichte finden sich hier vor: eine Schillerbüste, ein Thermometer und die Photographie einer Buchdruckprobe, die an Schärfe wohl nichts zu wünschen übrig lassen. Daß das Bakterienlicht, wie behauptet wurde, un- durchsichtige Körper wie Plolz, Karton oder Metall- platten durchdringe, hat sich als ein Lrtum heraus- gestellt, denn das Pilzlicht beeinflußt wie Tages- licht die photographische Platte und vermag' un- durchsichtige Körper nicht zu durchdringen. Das- selbe dürfte für das Johanniskäferlicht gelten, von welchem man gleichfalls behauptet, daß es ganz rätselhalfte Eigenschaften besitze. Das relativ intensive Licht einiger Bakterien ruft bei verschiedenen lichtempfindlichen Keim- lingen und Pilzen deutlichen positiven Heliotropis- mus hervor, doch werden Phanerogamenkeimlinge im Pilzlichte, weil es zu schwach ist, nicht grün. Das Schlußkapitel beschäftigt sich fast aus- schließlich mit dem sogenannten Blitzen der Blüten, das keinen biologischen , sondern einen physi- kalischen Prozeß, wie er sicli beim St. Elmsfeuer auch an den verschiedensten leblosen Gegenständen offenbaren kann, darstellen dürfte. Diese gedrängte Übersicht soll dem Leser nur ein ungefähres Bild von dem Lihalt des durch den Herrn Verleger trefflich ausgestatteten Buches geben. Überall, wo bei der Behandlung unseres Problems Zweifel aufstiegen, habe ich objektiv geprüft, wo eine Lücke war, mit eigenen Versuchen eingesetzt, und wo Tatsachen fehlten, neue herbei- zuschaffen versucht, um die Lehre von der Licht- entwicklung zu fördern. Bei der Verwertung der gefundenen Tatsachen ließ ich es an der nötigen Vorsicht und Reserve nicht fehlen — stets ein- gedenk des Ausspruches eines berühmten Natur- forschers : „Es ist schwer, genau und fein zu beobachten, aber noch schwerer, aus dem Beobachteten nicht mehr zu folgern als es enthält." Kleinere Mitteilungen. Über Bodentiere in den Schweizer Alpen. — In dem Jahrbuch der .St. Gallischen Natur- wissenschaftlichen Gesellschaft für das Vereinsjahr 1901/02, 1903 erschienen, findet sich eine längere Arbeit von K o n r. D i e m , „Untersuchungen über die Bodenfauna in den Alpen", deren Inhalt auch für manche Leser dieser Zeitschrift von Interesse sein dürfte. Diese Untersuchungen wurden in dem östlichen Teil der Schweiz von Appenzell über das Ober- land von St. Gallen und verschiedene Gebiete von Graubünden bis zum Bergeil im Königreich Italien in Höhen von 1300 — 2700 m in systematischer Weise ausgeführt. Zuerst gibt der Verfasser eine Definition von dem, was er hier unter „Boden" versteht, näm- lich „die lose gefügte Masse, in welcher größere und kleinere Gesteinstrümmer mit Mineralsalzen, Humussubstanzen, Wasser, Luft, pflanzHchen und tierischen Lebewesen zu einem in sich beweg- lichen und veränderlichen Ganzen vereinigt sind." Die Mächtigkeit des Bodens in diesem .Sinne ist in den höheren alpinen Regionen in der Regel nur etwa 30 cm stark. Bodentiere in engerem Sinne sind solche, deren Existenz dauernd mit dem Boden verknüpft ist, mögen dieselben nun zufällig oder zeitweise regelmäßig zur Erfüllung einer physiologischen Funktion an die Oberfläche kommen, wie z. B. Regenwürmer und manche Tausendfüßler, oder mögen sie normalerweise nur innerhalb des Bodens leben, wie die Blumentopf- würmer (Enchytraeus), manche Fadenwürmer (Nematoden) und Bakterien; ferner gehören dazu auch solche , deren ganze Entwicklung sich ge- wöhnlich im Boden vollzieht, welche aber doch auch an anderen Standorten zu leben vermögen, wie z. B. unter Baumrinde und in faulendem Holze, wie manche regenwurmartige Tiere. In weiterem Sinne gehören zur Bodenfauna aber auch solche Tiere, welche während einer bestimmten Periode ihrer Entwicklung den Aufenthalt inner- lialb des Bodens notwendig haben, so die Land- schnecken im Eizustande, viele Insekten im Larven- zustande. Die Bodentiere sind im allgemeinen seßhaft, indem sie nur geringe aktive Wanderungsfähig- keit besitzen, und sie vermögen daher ungünstigen äußeren Verhältnissen weniger zu entfliehen, als die Oberflächentiere, können sich aber auch unter günstigen \'erhältnissen in holiem Grade anhäufen. Es ist daher von Interesse, auf die Verschieden- heiten der physikalischen Beschaffenheit des Bo- dens in den höheren Regionen einzugehen, wie dieselbe, zwar zum Teil a priori erschließbar, dem Verfasser bei seinen zahlreichen Messungen sich bestätigt hat. Dichter Boden ist bei anhaltender Trockenheit trockener, bei kälterem feuchtem Wetter f e u c h t e r als lockerer Boden. Der Wassergehalt ist bei Süd- Exposition (Südseite einer Erhebung) am geringsten, da hier der Sonnen- schein mehr senkrecht auffällt und so am stärk- sten wirkt, bei Nord - Exposition am größten ; er N. F. m. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 645 nimmt ab mit dem Grade der Neigung, da dadurch das Gefälle ein größeres wird, am stärksten bei bewachsenem Boden. Die Temperatur nimmt von der Oberfläche zur Tiefe im Winterhalbjahr (Oktober bis März) zu, im Sommerhalbjahr ab; die täglichen Temperaturschwankungen der Ober- fläche dringen höchstens bis 30 cm in die Tiefe. Bei anhaltend hoher Lufttemperatur ist Sand wärmer als Ton und Ton wärmer als Humus, umgekehrt bei niedriger Lufttemperatur. An heißen Tagen kann der Temperaturunterschied zwischen verschiedenen Bodenarten in 5 cm Tiefe bis 8,3 " C gehen. Bei Südexposition sind die Temperaturschwankungen stärker als bei anderen Expositionen, eben wegen der stärkeren Wirkung der Sonnenstrahlen, namentlich im Sommerhalb- jahr die Temperatur höher, im Winterhalbjahr aber niedriger als bei Nordexposition, da bei letz- terer der Schutz durch eine Schneedecke stärker ins Gewicht fällt. Bewachsener Boden (Wald) zeigt geringere Temperaturschwankungen, aber auch ein geringeres Jahresmittel der Temperatur als Freiland, da die Einwirkung der Sonnenstrahlen auf den Boden eine geringere und die Wärme- bindung durch Verdunsten eine größere ist. Das Jahresmittel der Bodentemperatur nimmt mit der absoluten Höhe über dem Meer weniger ab, als die Lufttemperatur, doch kommen bei Sils im Ober-Engadin, i8iim u.d.M., noch bei 120 cm Tiefe Temperaturen unter dem Gefrierpunkt vor, im Flachland selten tiefer als 60 cm; ebendaselbst im Juni bis September vorübergehend ein tägliche Schwankung bis zum Gefrierpunkt in 30 cm Tiefe. Das Temperaturminimum des Bodens fällt ebenda bei Sils in 120 cm Tiefe in die Monate Februar bis Mai, eine Temperaturüberlegenheit der oberen Schichten (5 — 30 cm) über die tieferen findet nur im Juni und Juli daselbst statt. Das methodische Verfahren des Ver- fassers bei Einsammeln der Bodentiere besteht nun darin, daß in der Regel eine Flächenmasse von 25 cm Länge und Breite (= Vic Quadratmeter) ausgehoben wird und zwar parallel zur tatsächlichen Ober- fläche des Bodens, nicht zum Horizont; die Mäch- tigkeit (Tiefe) des ausgehobenen Stückes wechselt zwischen 4^2 und loo cm, je nach der Ört- lichkeit. Nach Entfernung der größeren Steine, Pflanzenteile und etwaiger größerer Tiere (Regen- würmer) wird das übrige mittels eines Drahtsiebs von I mm Maschenweite durchgesiebt zu einem dünnen Beleg auf schwarzem Wachstuch und dann Tabaksrauch darüber geblasen, wodurch die vor- handenen Würmer, Poduriden, Milben und Insek- tenlarven , die sonst schwer zu bemerken wären, sich durch Krümmung und sonstige Bewegung verraten ; der Rückstand im Sieb wird noch be- sonders untersucht. Alle aufgefundenen Tiere werden zuerst in verdünntem Alkohol, sodann in solchem von 70 — 90" aufbewahrt, gezählt und der Art nach bestimmt. Auf Untersuchung der rein mikroskopischen Protozoen (Amöben u. dgl.) mußte verzichtet werden. Bei der Bestimmung der Würmer durfte sich der Verfasser der Hilfe der Spezialisten Dr. Bretscher und Ribaucourt, bei Tausendfüßlern derjenigen von Dr. H. Rothen- bühler, bei den Poduriden derjenigen von Dr. J. Carl erfreuen. So ist die stattliche Anzahl von 86 einzelnen Fundberichten aus ebensoviel Fundorten vom Säntis bis zum Engadin und Bergell entstanden, jj Druckseiten S. 253 — 329 einnehmend, jeder mit Angabe der Meereshöhe, der physikalischen und mineralogischen Bodenbeschaffenheit, der vor- herrschenden Pflanzen und der Individuenzahl der aufgefundenen und bestimmten Tierarten. Dann folgt ein systematisches Verzeichnis dieser Tierarten, mit Angabe der wichtigsten Synonyme und der bisher bekannten Verbreitung in der Schweiz, S. 330 — 362; es sind Lumbriciden 8 8 Glomeris 2 Polydesimiden i Cruspedosoma 2 Chordosoma 2 Juliden 7 Lithobiiden 2 Scolopendriden 8 Scolopendrelliden 3 Collembolen (Poduriden usw.) Vitrina i Hyalina 4 Pupa inkl. Vertigo 9 Clausilia 3 Cionella i Arion 2 Helix 7 Carychium 2 Acme I Myriopoden 27 24 Landschnecken 30 zusammen 89 Arten eine statistische Verteilung der Endlich folgt Funde nach den Kategorien : Wiese, Weide, Wald und Planggen (Plänklerrasen), S. 363 — 367. Aus diesen Listen mögen einige der höchsten Funde für die einzelnen Tierformen hier angeführt werden : Landschnecken: Hyalina pura, 2250 m, Grasland und Weide im Alpstein. Helix rupestris, 1797 m, Grasland, Calfensertal. Helix arbustorum, 2250 m, Weide im Bergell. Pupa (Torquilla) avenacea, 1855 m, Grasland im Bergell. Pupa (Pupilla) muscorum, 2150 m, Magerweide, Alpstein. Pupa (Edentulina) edentula, 2410 m, Magerweide im Aversgebiet. Clausilia parvula, 1797 m, Grasland, Calfensertal. Clausilia sp., 2150 m, Magerweide, Alpstein. Cionella lubrica, 2250 m, Grasland und Weide im Bergell. Collembolen (Poduriden) : Isotoma tigrina, 2584 m, Magerweide, Aversgebiet. Isotoma palustris, 2694 m, Magerweide, Fextal. 646 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 41 Lepidocyrtus cyaneus, 2700 m, Mager weide, Avers. Tausendfüßler: Glomeris hexasticha, 1800 m, Grasland, Calfensertal. Craspedosoma Canestrinii, 2250 m, Weide, Bergell. Julus zinalensis (rhaeticus), Ebendaselbst. ' Geophilus sp., 1980 m, Weide, Bergell. Scolopendrella notacantha, 2010 m, Lärchengruppe, Bergell. Regenwürmer: Elsinia rosea, 1930 m, Streuwiese, Fextal. Helodritus octaedrus, 2150 m, Magerweide, Alp- stein. Lumbricus rubellus, 2160 m, Magerweide, Alpstein und 2430 m, Magerweide, Bergell. In einer schließlichen Zusammenfassung, S. 399 bis 407, hebt der Verfasser hervor, daß das Vor- kommen an zahlreichen Fundorten und die größere Individuenzahl an einem Fundorte wohl für die einzelnen Arten im allgemeinen übereinstimmen, nicht aber immer an den einzelnen Fundorten die Anzahl der gefundenen Individuen und die der Arten. Für beides, Arten und Individuenzahl, am meisten entscheidend ist die Feuchtigkeit und der Gehalt an frischen oder verwesenden organischen Stoffen; demgegenüber tritt die geologische Be- schaffenheit, die Temperatur und die Exposition mehr zurück, und dementsprechend sind auch die Tiere zahlreicher in der oberen humosen Decke als in den tieferen Schichten. Mit steigender Meeres- höhe nahmen die Tausendfüßler und die Land- schnecken stark ab, die Regenwürmer mehr durch allgemeine Verschlechterung des Bodens, während Enchytraeiden, Nematoden, Poduriden und Milben bis zur oberen Grenze der subnivalen Region, 2700 m, zahlreich sein können und wahrscheinlich noch höher, soweit überhaupt „Boden" im oben angegebenen Sinne vorhanden (S. 406). Daher ist an höher gelegenen Fundorten die Bodentierwelt öfters nicht weniger reich an Tierindividuen, aber immer einförmiger als in der unteren alpinen und in der subalpinen Region. Die gefundenen Boden- tiere zeigen ausgesprochenen alpin-nordischen oder auch kosmopolitischen Charakter (S. 401); ende- mische thermophile Arten fehlen dagegen selbst an trockenen stark geneigten Südhängen mit zeit- weise starker Erwärmung. Die meisten Bodentiere dürften eine Verschie- bung der Begattung auf mehr als ein Jahr ertragen können, ähnlich wie die Alpenpflanzen nicht für jedes Jahr auf Samenreife rechnen dürfen. Die Regenwürmer mögen sich vielleicht auch unter- irdisch begatten, da selbst die Sommernächte dafür zu kalt sind; sie halten einen Kälteschlaf und können gefrieren und am Leben bleiben, wenn sie nur langsam auftauen (S. 406, 407). Betreffs der E i n w i r k u n g , welche die Boden- tiere auf die Beschaffenheit des Bodens ausüben, hebt der Verfasser hervor, daß die- selben durch Verzehren frischer Pflanzenstoffe und Wiederabgabe derselben in einfacheren Verbindu ngen als Exkremente zur Humusbildung beitragen, einic^e namentlich die Regenwürmer und Juliden, au'^ch durch schwachsaure Ausscheidungen die chemische Verwitterung des Bodens befördern, die erde- fressenden auch die Bodenbestandteile verkleinern, wodurch dieselben allerdings auch leichter wegge- schwemmt werden, so daß dadurch der Denudatfon des Bodens Vorschub geleistet wird. Die Röhren der Regenwürmer bewirken eine Durchlüftung und damit Wasserabnahme im Boden, die eindringende Kohlensäure befördert die chemische Verwitterung und die feineren Wurzeln folgen gern den Röhren der Würmer, so daß die Wurzelbildung und da- durch die Ernährung der Pflanzen durch die Boden- tiere gefördert wird. Räuber sind selten unter diesen Tieren, die verwesenden Leichen trao-en zur Humusbildung bei. Indem nun die Bod^en- tiere im allgemeinen luftleeren, wasserreiclien Boden lieben, dient ihre Anwesenheit zur Auflockerung und rascheren Verwitterung, wodurch freilich auch der Boden für sie selbst ungünstiger wird, während an sich schon trockene und lockere Stellen, die jenes weniger nötig haben, auch ärmer an Boden- tieren sind. £. y. Martens. Von G. Dreyer liegen neue Untersuchungen über „Die Einwirkung des Lichtes auf Amöben" vor. [Mitteilung aus Plnsens Medicinske Lys- institut in Kopenhagen. 4. Heft.] Verf. benutzte zu seinen Versuchen eine aus stillstehendem schlammigem Süßwasser reingezüch- tete Amöbenart, welche auf einem besonders zu- bereiteten Nährboden — 3 "/„ Heuinfus +1,5 »j^ Agar — sowohl bei Stubentemperatur als auch bei 37" gut wächst, die Entwicklung von der Cyste zur Amöbe aber bei der letztgenannten Tem- peratur schneller — durchschnittlich im Laufe von 24 Stunden — durchmacht. Die Amöbe encystiert sich wieder nach 3—4 Tagen. Um die Versuche nur mit dem amöboiden oder nur mit dem encystierten Stadium anstellen zu können, bedurfte es einer vorherigen Trennung beider Stadien. Zu diesem Zweck wurde von einer 24 Stunden alten Amöbenkultur eine Aufschwem- mung in sterilem Heuinfus gemacht und diese ca. 2p Minuten hingestellt. In dieser Zeit waren die Cysten zu Boden gesunken und es konnten nun die an der Oberfläche befindlichen Amöben allein mit Kapillaren entnommen werden. Die Versuche wurden mit weißem, blauem und rotem Lichte angestellt, wobei in den zwei letzten Fällen das Licht der Lichtquelle durch blaues und rotes Glas geleitet wurde. Es wurde nun geprüft: I. die Einwirkung des Lichtes auf die Beweglichkeit. Die Amöbe wurde nach einem 20 Minuten dauernden Aufenthalt im Halbdunkel 5 Minuten dem weißen Lichte ausgesetzt und nun 9 Mi- nuten hindurch beobachtet. Dabei zeigte sich, daß die Amöbe sich besonders zu Anfang lebhaft bewegt und Pseudopodien ausstößt und einzieht, während nach Verlauf von 6 Minuten die Formveränderungen N. F. III. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 647 schwächer sind, indem geradezu eine Tendenz für Abrundung und Einziehung der Pseudopodien hervortritt. ,„■ » Nun wurde die Amöbe wieder für 20 Mniuten ins Halbdunkel gebracht, darauf 5 Minuten lang mit blauem Lichte belichtet und dann be- obachtet. Es stellte sich heraus, daß die Be- wegungen im blauen Lichte ebenso lebhaft und eher noch etwas lebhafter als im weißen Lichte geschahen, wobei jedoch als besonders bemerkenswert bei dem zweiten Versuch die Tat- sache bezeichnet werden muß, daß hier eine Ab- nahme der Lebhaftigkeit der Bewegung erst nach 9— 10 Minuten, aber auch noch sehr viel schwächer wie bei dem ersten Versuche, eintrat. Nachdem die Amöbe nun wiederum 20 Minu- ten im Halbdunkel zugebracht hatte, wurde sie 5 Minuten lang dem roten Lichte ausgesetzt und darauf beobachtet. Im roten Lichte waren alle Bewegungen sehr träge und lang- sam und standen insofern in großem Gegensatze zu den nach der Einwirkung blauen Lichtes ge- machten Beobachtungen. Die Amöbe ver- änderte während einer Beobachtungsdauer von 14 Minuten ihre Form nicht und zeigte kaum die Neigung, Pseudopodien auszuschicken. Als die Amöbe nach einem darauf folgenden nochmaligen 20 Minuten langen Aufenthalt im Halbdunkel wiederum für 5 Minuten dem weißen licht ausgesetzt und nun beobachtet wurde, da fand sich, daß jetzt die Bewegungen, wenn sie auch noch lebhafter als im roten Lichte waren, doch lange nicht so lebhaft wie im blauen Lichte oder im weißen Lichte zu Beginn des Versuches waren. Diese Erscheinung dürfte als eine Folge der inzwischen eingetretenen Übermüdung aufzu- fassen sein. Ein Vergleich der bei den einzelnen Versuchs- reihen gefundenen Formveränderungen zeigte, daß die Amöbe nach 6 Minuten langer Beobachtung im weißen Lichte eine Form angenommen hatte, welche der unter Einwirkung des roten Lichtes entstandenen sehr ähnlich war. Es scheint diese Form im ersten Fall dadurch zustande gekommen zu sein, daß das zunächst als Reiz wirkende weiße Licht schließlich schädlich wirkt, wogegen sich die Amöbe durch eine beginnende Kontrak- tion zu schützen sucht, während in dem zweiten Fall die Sache wohl so liegt, daß rotes Licht von der hier angewandten Intensität nicht als Reiz gegenüber der Beweglichkeit der Amöbe wirkt. Weitere Untersuchungen bezogen sich auf die Fähigkeit des Lichtes, Amöben und Cysten zu töten. Als Lichtquelle diente eine elektrische Bogenlampe, deren Licht mit einem Einsen - Konzentrationsapparate mit Linsen von Bergkristall konzentriert wurde. Das Versuchs- objekt bildete die in der ersten Versuchsreihe verwandte Amöbenform, von welcher eine Auf- schwemmung in sterilem Heuinfus als hängender Tropfen in einer besonders konstruierten feuchten Kammer, zu der der Sauerstoff der Atmosphäre freien Zutritt hatte, zur Beobachtung kam. Die Belichtung begann erst eine halbe Stunde nach Anbringung des hängenden Tropfens. Es wurden Sonderversuche mit dem amöboiden und dem encystierten Stadium angestellt. Die Resultate der Versuche mit den Amöben waren folgende : • , 1 Bei Belichtung durch Bergkristall betrug die Tötungszeit 45 — 50 Sekunden, bei Belichtung durch klares Glas 10—12 Mi- nuten, durch blaues Glas ca. 15 Minuten, d. h. die Tötung ging bei Belichtung durch Berg- kristall 13—14 mal schneller vor sich als bei Be- lichtung durch klares Glas, und 18—20 mal schneller als bei Belichtung durch blaues Glas. Für die Cysten ergab sich, daß die Tötungs- zeit bei Belichtung durch Bergkristall sich auf ca. 25 Minuten, durch klares Glas auf ca. 60—70 Minuten und durch blaues Glas auf ca. 70-80 Minuten belief, daß also die Tötung bei Belichtung durch Bergkristall 2^1^— 3 mal so schnell eintrat wie durch klares Glas und 3—3'/, mal so schnell wie durch blaues Glas. Bei einem Vergleich der für Amöben und Cysten gefundenen Tötungszeiten zeigt sich,_ daß die Cysten bei weitem wid e rsta ndsfähiger sind als die Amöben, daß die Cysten bei Be- lichtung durch Bergkristall 30—33 mal, bei Be- lichtung durch klares Glas 5Y2-6 mal, durch blaues Glas 5 mal so resistent sind als die Amöben. Dr. A. Liedke. Über das natürliche Vorkommen von Salizyl- säure in Erdbeeren und Himbeeren. — Die Salizylsäure oder Orthooxybenzoesaure CgH^ (UMj COOH findet sich, wie längst bekannt ist, frei oder in Verbindungen in verschiedenen Pflanzen. So kommt sie frei in der Gattung Viola, neben Salizyldehyd C,U, (OH) CHO in dem aus den Blüten verschiedener Spiraeaarten, spez. der Spiraea Ulmaria L., gewonnenen ätherischen Öle vor (nachgewiesen 1840 von Loewig und Weidmann). Der Methylester der Salizylsäure, CoH, I cOOCH ist, wie bereits I 8 4 3 C a h o u r s gezeigt hat, ein wesentlicher Bestandteil des sog. Wintergreenöls, welches aus den Drusen- sekreten der Gaultheria procumbens dar- gestellt und in der Parfümerie verwandt wird, er findet sich ferner in der Monotropa Hypo- pitys, einer auf den Wurzeln von Fichten als Schmarotzer lebenden Erikazee des nördlichen Europa, in der Andromeda Leschenaul t_i, einer in Indien heimischen Erikazee, wie auch m der in Nordamerika einheimischen Betula lenta. Bis in die 60 er Jahre des verflossenen Jahrhunderts hinein wurde die Salizylsäure aus dem Winter- greenöl und dem Salizin, einem in der Rinde ver- schiedener Weiden- und Pappelarten enthaltenen Glukosid gewonnen. Erst seit Anfang der 70er lahre, nachdem Kolbe und Lautemann ihr synthetisches Darstellungsverfahren angegeben 648 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 41 hatten, nahm die Fabrikation der Salizylsäure einen Aufschwung. Kolbe 's Verdienst ist es auch, darauf hingewiesen zu haben, daß die Salizylsäure' die Vorgänge der Fäulnis und Gärung zu verhindern bzw. zu vernichten imstande sei, und in der Gegenwart findet die Salizylsäure nicht nur als Medikament, sondern auch als Konservierungsmittel für Nahrungs- und Genußmittel in ausgedehntem Maße Verwendung und zwar sowohl im Haushalt als auch im Gewerbe. Des näheren kann hier auf die Gesundheitsschädlichkeit der als Konser- vierungsmittel dem menschlichen Organismus ein- verleibten Salizylsäure nicht eingegangen werden, es mag der Hinweis geniigen, daß, wenn schon die gelegentliche seltene Zuführung der Säure in entsprechender Verdünnung von keinem bemerkens- werten nachteiligen Einfluß sein sollte, die chro- nische Aufnahme in Nahrungs- und Genußmitteln doch als gesundheitsschädlich anzusehen ist. Der Zusatz von Konservierungsmittel hat aber oft nicht den Zweck, gute Nahrungsmittel zu konservieren, sondern den, minderwertigen Lebens- mitteln ein besseres Aussehen zu verleihen, also den Käufer über die Güte der Ware zu täuschen. Hieraus erklärt es sich, wenn bei der Untersuchung von Nahrungs- und Genußmitteln stets auch auf etwaige Zusätze von zur Konservierung dienenden Chemikalien Rücksicht genommen wird. Im Laufe der Zeit hat sich dann herausgestellt, daß manch- mal auch dort Reaktionen, welche für das eine oder andere Konservierungsmittel charakteristisch sind, auftraten, wo tatsächlich von einem Zusatz derartiger Substanzen nicht die Rede sein konnte. Das mußte im Hinblick auf die gesetzlichen Vor- schriften und die für Zuwiderhandlungen vorge- sehenen Strafen Bedenken erregen, führte zur Nachprüfung und dem Resultat, daß der gefundene Stoff normalerweise in dem betreffenden Nah- rungs- und Genußmittel enthalten ist. So fand unter anderen Hefelmann bei Ge- legenheit der Prüfung von Fruchtsäften auf Salizyl- säure, daß einige Himbeersäfte Salizylsäure- Teaktionen geben, ohne daß man ihnen dieses Konservierungsmittel zugesetzt hatte. Er konnte auch feststellen, daß diese „salizylsäureähnliche Substanz" destillierbar ist und aus den Himbeer- kernen stammt, dagegen dieselbe nicht isolieren und ihre Identität mit Salizylsäure beweisen. Ähn- liche Befunde erhielten 1901 Truchon und Martin-Claude, welche eine große Menge Obst- sorten auf Salizylsäure untersuchten, für die Erd- b e e r e und daraus hergestellte Erzeugnisse. L. P o r t e s und A. Demoulieres prüften bald danach zehn Sorten E r d b e e r e n auf die Gegenwart von Salizyl- säure und bekamen in allen Fällen deutliche und kräftige Salizylsäurereaktionen. 1902 hat dann Windisch eine Anzahl von Obstfrüchten untersucht, darunter ebenfalls Erd- und Himbeeren (Zeitschr. f. Untersuchung d. Nahrungs- und Genußmittel. 6. Jahrg. Heft 10. 1903) und kam zu dem Resultate, daß von den sämtlichen geprüften Obst- und Beerenarten nur die Himbeeren und Erdbeeren eine deut- liche direkte Salizylsäure -Reaktion geben, alle anderen aber auch nicht eine An- deutung der Reaktion. Da die verseiften Fruchtsäfte stets eine stärkere Reaktion lieferten, als die direkt behandelten Säfte, so ist anzunehmen, daß ein großer Teil der Salizyl- säure in gebundener Form, etwa als F.ster, in den Früchten enthalten ist. Es wurden verschiedene Varietäten Erdbeeren und Himbeeren untersucht, alle Proben enthielten Salizylsäure und zwar die im Garten gezüchteten Beeren mehr als die wild gewachsenen Walderdbeeren und Waldhimbeeren. Die Erdbeeren enthielten stets mehr von der Säure als die Himbeeren. Verf kommt zu dem Resultat, „daß die Erdbeeren und Himbeeren und die aus diesen Beeren- früchten hergestellten Erzeugnisse (Wein, Sirup, Gelee, Marmelade usw.) einen ge- ringen natürlichen Gehalt an Salizylsäure enthalten", daß nun durch weitere Untersuch- ungen der Nachweis zu liefern sein wird, ob die Salizylsäure in der Tat ein normaler Bestand- teil der genannten Beerenfrüchte ist, und daß in diesem Fall die Nahrungsmittel-Kontrolle fortan die aus Erd- und Himbeeren hergesteUten Erzeugnisse wegen eines geringen Salizylsäuregehaltes nicht einfach wird beanstanden dürfen, sondern daß man wird versuchen müssen festzustellen, ob die Salizyl- säure zugesetzt worden ist. Das kann durch die quantitative Bestimmung der Säure ge- schehen, da der natürHche Gehalt der Erd- und Himbeeren an Salizylsäure ein sehr geringer ist, ein zur Konservierung gemachter Zusatz der Säure dagegen erheblich größer sein muß, wenn eine Wirkung nach dieser Richtung hin erzielt werden soll. Dr. A. Liedke. Ein neuer veränderlicher Stern von sehr kurzer Periode ist von Ceraski auf photogra- phischem Wege im Schwan (a = 20'' 1,3", ö ^= -f 58° 40') entdeckt worden. Die Helligkeft schwankt zwar nur zwischen den Größen 10,7 — 11,7, aber die Kürze der Periode, welche nur 3,2 Stunden umfaßt, macht das Objekt zu einem hoch- interessanten. Der vor einem Jahre durch Müller und Kempf entdeckte Stern von 4stündiger Periode (vgl. Bd. II, Seite 309) wird durch Ceraski's Stern um fast eine Stunde geschlagen, was man bei den notwendig anzunehmenden Dimensionen dieser Gestirne kaum hätte für möglich halten sollen. Vom Algoltypus weicht auch Ceraski's Stern in- sofern ab, als die maximale Helligkeit ebensowenig wie bei dem 4stündig Veränderlichen längere Zeit andauert. Kbr. Eine Verminderung der Intensität der Sonnenstrahlung ist durch aktinometrische Mes- sungen in den Jahren 1902 und 1903 von ver- schiedenen Seiten festgestellt worden. Einem von Gorczynski in den „Comptes rendus" vom I. Februar 1904 hierüber veröffentlichten Bericht N. F. III. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 649 zufolge ist diese Erscheinung von Dufour in Lausanne und Ciarens, von Gockel und M. Wolf in Heidelberg, von I.angley in Washington und von Gorczynski in Warschau beobachtet worden. Alle diese Beobachter verlegen die Ursache natür- lich nicht in die Sonne, sondern erblicken dieselbe in einer Trübung der Erdatmosphäre, die nach den Warschauer IVIessungen im Mai 1902, nach Dufour dagegen erst im Dezember dieses Jahres sich bemerklich zu machen anfing und im Früh- ling 1903 ihren Höhepunkt erreichte. Die ent- ferntere Ursache der in Frage stehenden atmo- sphärischen Trübung läßt sich noch nicht mit Sicherheit angeben; sie kann in den vulkanischen Ereignissen auf Martinii]ue vermutet werden, je- doch könnte man andererseits die in den letzten Jahren wiederholt in Europa beobachteten Staub- fälle damit in Zusammenhang zu bringen geneigt sein. F. Kbr. Eine Übersicht über unsere Kenntnis von den physikalischen Eigenschaften der strom- führenden Materie. — In einer in der New- Yorker Electrical Review (2. April 1904) abge- druckten Arbeit untersucht Dr. P. R. Heyl die Veränderungen, welche die Materie beim Durch- gange des elektrisches Stromes erfährt. Was zunächst die Frage anbelangt , ob der Stromdurchgang von einer Längenveränderung (und natürlich auch von einer entsprechenden Än- derung des Querschnittes) begleitet ist, so ist diese von vielen Forschern behandelt worden. Nach den von Streintz angestellten Versuchen scheint der Strom eine schwache Ausdehnung hervor- zurufen; ähnliche Ergebnisse wurden auch von Edlund und Exner gefunden. Die Frage wurde durch Blondlot endgültig entschieden (Comptes rendus 87, p. 206, 1878) der vermittelst einer sinn- reichen Vorrichtung imstande war, die Wärme- ausdehnung von einer eventuellen Längsausdehnung durch den Strom zu trennen. Bei der Längs- ausdehnung eines leitenden Bleches findet zwar keine Veränderung des Querschnittes statt, doch erfährt jede auf die Oberfläche gezeichnete Figur eine Verzerrung, und im besonderen muß ein vom Strom durchflossener Winkel eine Größenverände- rung erleiden. Durch wiederholtes Zusammen- falten eines Messingstreifens war Blondlot in der Lage, die durch die Vergrößerung des Winkels hervorgebrachte Entfernung der beiden Enden beliebig zu steigern. Da nun bei einer Versuchs- anordnung, mit der man eine Längsausdehnung von 0,00025 rnri'' hätte feststellen müssen, keinerlei Einwirkung zu konstatieren war, so erscheint das Vorhandensein einer Längsausdehnung durch den Strom als endgültig widerlegt; die beobachteten Erscheinungen kamen ohne Zweifel auf Rechnung einer Wärmewirkung. Wertheim untersuchte die etwaigen Elastizitäts- veränderungen eines stromdurchflossenen Leiters und glaubte eine kleine Verminderung des Elastizi- täts-Koeffizienten feststellen zu können: wie spätere Versuche jedoch gezeigt haben, verdienen diese Ergebnisse keinen Glauben. Streintz hat Versuche über den Torsionsmodul von mit Stearin über- zogenen Drähten ausgeführt. Da die Schwingungs- zeit solcher Drähte dieselbe ist, gleichviel ob sie mit oder ohne den elektrischen Strom erwärmt werden, so ist das Vorhandensein einer derartigen Einwirkung gleichfalls widerlegt. Ähnlich scheint es nach den Untersuchungen von M. C. Noyes (Physical Review, II, p. 277, 1895 und 3. p. 432, 1896J mit dem Young'schen Modul sich zu ver- halten. Weiterhin ist auch die Kohäsion von Peltier untersucht worden, welcher eine Reihe von Tagen lang Kupfer- und Eisendrähte von elektrischen .Strömen durchfließen ließ und sie dann nach Aus- schaltung des Stromes zerbrach; durch diese Be- handlung schien Kupfer gestärkt und Eisen ge- schwächt zu werden. Doch läßt sich gegen diese Versuche mancherlei einwenden, und zwar erstens die andauernde Wärmewirkung, und dann der Um- stand, daß verschiedene Drahtstücke auch von der- selben Spule um mehrere Prozent verschiedene Spannungswiderstände zeigen können. Wider- sprechende Resultate wurden in dieser Richtung von Wertheim erzielt. Der Verfasser hat sich gleichfalls mit der Frage beschäftigt, und wenn auch seine Ergebnisse zu einer Veröffentlichung noch nicht reif sind, so glaubt er doch schon jetzt versichern zu können, daß die Resulte negativ sind. Man hat immer angenommen, ohne daß dies durch den Versuch hinreichend erwiesen wäre, daß das Gewicht eines stromführenden Leiters un- verändert bleibt. Faraday hielt es der Mühe wert, die Frage zu prüfen, brachte jedoch seine darauf bezüglichen Untersuchungen, da er durch neue Entdeckungen abgelenkt wurde, in dieser Richtung nicht zum Abschluß. Wie der Verfasser jedoch bemerkt, ist die Wahrheit des obigen Satzes wenigstens bis auf ein Tausendstel des Gesamt- gewichts durch Versuche mit der Stromwage in- direkt bewiesen. Der elektrische Widerstand eines Leiters könnte ferner bei wechselnden Stromstärken Verände- rungen erfahren; und in diesem Falle würde das Ohm'sche Gesetz nicht genau gelten ; ähnliche Vermutungen wurden in England durch Schuster ausgesprochen, so daß die British Association zur Entscheidung der Frage einen Ausschuß ernannte, zu dem Maxwell gehörte. Das Ergebnis der Tätigkeit dieses Ausschusses läßt sich dahin zu- sammenfassen, daß beim Anwachsen des elek- trischen Stromes von einem verschwindend kleinen Werte bis auf i Amp. pro qcm der Widerstand nicht einmal eine Veränderung von i : lo'- erfährt. Man kennt zum mindesten zwei Substanzen, nämlich Quecksilber und Kohle, bei denen die spezifische Wärme beim Durchgang des elektrischen Stromes keine nennenswerte Veränderung erfährt. Während auf diese Weise alle bisher betrachteten Wirkungen des elektrischen Stromes auf die Eigen- schaften des stromdurchflossenen Leiters negativ 650 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 41 sind, lassen sich doch einige wenige positive Wir- kungen anführen. In erster Reilie kämen hier die bekannten magnetischen Wirkungen und die drei Wärmewitkungen in Betracht, die man bzw. mit den Namen ihrer Entdecker Joule , Peltier und Thomson unterscheidet; ferner hat Faraday eine Veränderung der Oberflächenspannung einer leiten- den Flüssigkeit festgestellt. Auch scheint die Reibung zwischen zwei Flächen , durch die ein Strom hindurchgeht, sich zu ändern, eine Er- scheinung, die wohl demEdison'schenMotographen zugrunde liegt. Roiti, Zecher und Rayleigh haben die etwaige Veränderung der Geschwindigkeit des Lichts in in einem stromdurchflossenen Elektrolyten unter- sucht und negative Ergebnisse gefunden. Anderer- seits haben Gladstone und andere (Nature 36, 524) gezeigt, daß verzögerte chemische Reaktionen durch elektrische Ströme beschleunigt werden, und wie Barus feststellt, befördert der elektrische Strom auch den Niederschlag von suspendierter Materie, hiteressante Ergebnisse über die Spannungsver- hältnisse von elektrisch-niedergeschlagenen Metallen je nach der Stromstärke sind von Mills und Bouty gefunden worden. Der Verfasser des eingangs genannten Aufsatzes beschäftigt sich weiter mit allen in diese Richtung schlagenden Fragen und fordert die Leser seiner Arbeit auf, ihn durch Zu- sendung etwaiger Ergänzungen (an die Central High School in Philadelphia) zu unterstützen. A. Gr. Die Farbe der Seen war der Gegenstand einer neuen Untersuchung durch Frhr. v. Aufseß (Annalen der Physik 1904, Nr. 4). Derselbe be- obachtete mit Hilfe eines Spektralphotometers einerseits im Laboratorium die Absorption des reinen, des künstlich getrübten und des durch ver- schiedene aufgelöste Stofi'e verunreinigten Wassers und verglich mit den Ergebnissen dieser Versuche die Wahrnehmungen, die er in der Natur am Wasser einer Reihe von verschieden gefärbten Seen machen konnte. Die Feststellungen, die da- bei erzielt wurden , bestätigen die schon früher von verschiedenen Seiten geäußerten Ansichten und gipfeln darin , daß alle Abweichungen vom Blau des reinen Wassers durch Anwesenheit von fremden Körpern verursacht werden. Jedoch kann die Wasserfärbung nicht nach der Dififraktions- theorie als die Farbe eines trüben Mediums auf- gefaßt werden , sondern es sind einzig und allein die aufgelösten Substanzen, die die spezifische Färbung bedingen. Großer Kalkgehalt verleiht dem Wasser einen grünen Ton, während gelöste organische Stoffe durch völlige Absorption des Blau die Farbe ins Gelbe und Bräunliche über- gehen lassen. Die Farbe der Seen hängt daher wesentlich von der geologischen Beschaffenheit ihres Beckens und ihrer Umgebung ab. Von den durch v. Aufseß untersuchten Seen nähert sich der Achensee am meisten der Farbe des reinen Wassers. Die tief- grünen Seen (Kochelsee, Walchensee, Eibsee, Königsee) kommen auf reinem Kalkboden vor. Die Vorlandseen (Würmsee) zeigen infolge der Nachbarschaft von Mooren ein gelbliches Grün, und die gelbbraunen (Staffelsee) bis kastanien- braunen Seen (Arbersee im bayrischen Wald) treffen wir in solchen Gegenden, wo mächtige, verwesende Pflanzenmassen sich finden, es sind entweder aus- gesprochene Moorwässer, oder ihr Zuflußgebiet ist reich an Humusbildung ermöglichenden Verwitte- rungsprodukten, wie dies im Urgebirge (bayr. Wald) so deutlich zutage tritt. Kbr. Neues über die N-Strahlen. — In einem in der Aprilnummer des Journal de Physique (sowie in Comptes rendus vom 22. F"ebruar 1904) er- schienenen Aufsatz teilt Prof Blondlot inter- essante neue Erscheinungen mit, die er an N- Strahlen beobachtet hat. Unter anderen bespricht er die photographische Aufzeichnung der durch die N-Strahlen auf ein elektrisches Fünkchen aus- geübten Einwirkung. Bekanntlich üben ja die N-Strahlen selbst keine photographische Wirkung aus; wie aber Blondlot schon im Mai vor. J. an- gegeben hat, kann man indirekt die Wirkung der Strahlen nachweisen, wenn man eine kleine Licht- quelle eine bestimmte Zeitlang auf eine photo- graphische Platte einwirken läßt, während diese Lichtquelle von N-Strahlen getroffen wird und dann denselben Versuch während derselben Zeit unter denselben Bedingungen wiederholt, nachdem die N-Strahlen ausgeschaltet sind; in diesem Falle ist der Eindruck bedeutend schwächer als bei P^in- wirkung der N Strahlen. Diese Methode ist nun neuerdings erheblich vervollkommnet worden. Der bei den Versuchen angewandte Apparat ist in Fig. 1 wiedergegeben: AB ist eine 13 cm breite ^N \N- \0 0 Rg. / \D G E H F J o ng.z photographische Platte; E ist der in einer nur nach der Platte hin offenen Kartonschachtel FGHI eingeschlossene Funke ; CD ist ein mit angefeuch- tetem Papier bekleideter Bleischirm, aus einem Stück mit dem die Platte enthaltenden Rahmen. N. F. m. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 651 Die NStrahlen kommen von einer beüebigen Quelle her und bilden ein Bündel von der Richtung des Pfeiles NN'. Bei dieser Anordnung werden die N-Strahlen von dem Schirm CD aufgehalten und ist der Funken vor den N-Strahlen geschützt, während er auf die Hälfte EB der Platte einwirkt. Wenn nun der Rahmen mit der Platte um die Hälfte ihrer Breite nach rechts verschoben wird (Fig. 2), so kommt die Plattenhälfte AO auf die früher von OB innegehabte Stelle, und diesmal liegt der Schirm CD nicht mehr auf dem Wege der N-Strahlen ; daher ist die Plattenhälfte AO der Einwirkung des elektrischen P^unkens ausgesetzt, auf den die N-Strahlen ungehindert auffallen. Die Versuche wurden nun in der Weise aus- geführt, daß die Platte zunächst 5 Sekunden lang in der ersten und dann weitere 5 Sekunden lang in der zweiten Stellung belassen wurde; hierauf wurde sie auf die erste Stellung zurückgebracht und dieses Hin- und Herschieben eine gewisse Anzahl von Malen fortgesetzt. Nachdem ein ge- rades Vielfaches von 5 Sekunden, z. B. 100 Se- kunden verlaufen war, war jede Plattenhälfte gleich oft exponiert worden. Wie die von Blondlot veröffentlichten Ab- bildungen in markantester Weise zeigen, ist die photographische Einwirkung, wenn der Funken von den N-Strahlen beeinflußt wird, ganz außer- ordentlich stärker; dieses Ergebnis ließ sich gleich- mäßig bei etwa 40 verschiedenen Versuchen mit N-Strahlen verschiedener Herkunft feststellen. Blondlot bemerkt ferner, daß die von einer Crookes'schen Röhre ausgehenden N-Strahlen polari- siert sind ; wenn die Längsrichtung des elektrischen Funkens senkrecht zur Röhrenachse steht, so ist das photographische Bild des Funkens ganz schwach, während es bei Parallelrichtung die größte Intensi- tät zeigt. Schließlich bespricht Blondlot eine neue Art von N-Strahlen, zu deren Beobachtung er durch einen Versuch des Herrn Dr. Th. Guilloz gebracht wurde; diese neuen Strahlen zeichnen sich da- durch aus, daß sie den Glanz einer schwachen Lichtquelle nicht erhöhen, sondern im Gegenteil abschwächen. Da Blondlot bei früherer Gelegen- heit das von einer Nernstlampe ausgesandte N- Strahlenbündel vermittels eines Aluminium-Prismas spektral zerlegt hatte, war es ihm ein leichtes, aus den voneinander abgesonderten Strahlungen diejenigen herauszufinden, welche dieses entgegen- gesetzte Verhalten zeigten; sie liegen sämtlich in dem am wenigsten abgelenkten Spektralbereich, und Blondlot nennt sie Nj -Strahlen. Von Inter- esse ist es, daß die Kurve, welche die Abhängig- keit des Brechungsindex von der Wellenlänge dar- stellt, für beide Strahlensorten dieselbe zu sein scheint. Eine Beobachtung, die Blondlot zum Schlüsse mitteilt, dürfte auf die vielfachen Widersprüche, welche die Versuche einzelner Forscher zeigen, einiges Licht werfen. Wenn man eine schwach beleuchtete Fläche, z. B. einen Phosphoreszenz- schirm, senkrecht betrachtet, so findet man eine aufhellende Wirkung der N-Strahlen ; wenn man die Fläche hingegen sehr schräg, fast tangential, ansieht, so findet man, daß sie unter der Ein- wirkung der N-Strahlen schwächer leuchtend wird, diese Strahlen erhöhen also die senkrecht emit- tierte Lichtmenge und vermindern die in sehr schräger Richtung ausgesandte Menge Lichtes. Natürlich gibt es auch eine Zwischenstellung, bei der überhaupt keine Wirkung zu beobachten ist. LImgekehrt ist die Wirkung der eben besprochenen Ni-Strahlen. A. Gr. Zusatz der Redaktion : Die obigen Mitteilungen glaubten wir mit Rücksicht auf die vielfach ge- äußerten Zweifel an der Realität der bisher nur subjektiv beobachtbar gewesenen N-Strahlen unseren Lesern nicht vorenthalten zu sollen. Im übrigen müssen wir Interessenten dieser Erscheinungsgruppe auf das eigene Studium der „Comptes rendus" verweisen, die in der letzten Zeit in jedem Hefte irgendwelche neue Beobachtungen über N-Strahlen gebracht haben, ohne daß bisher von der Bestäti- gung aller dieser Entdeckungen seitens ausländischer Gelehrter irgendetwas bekannt geworden ist. Ehe wir weiter über die Forschungen der Gelehrten von Nancy berichten, müssen wir die offizielle Anerkennung der N-Strahlen seitens der Mehrzahl der Physiker abwarten. Ein neuer Detektor für elektrische Wellen. — Professor J. A. E w i n g und Herr L. H. Walter haben dem „Electrical Engineer" zufolge (15. April 1904) einen neuen magnetischen Detektor für elektrische Wellen konstruiert. Die Wellen rufen eine Veränderung der Hysterese eines magnetischen Metalles hervor, welches vermittels eines rotieren- den Magnetfeldes magnetischen Kreisprozessen unterworfen wird. Die Hysterese hat zur Folge, daß das magnetische Metall vom rotierenden Felde mitgezogen wird, und diesem Mitziehen wirkt eine P"eder entgegen, so daß man eine wohldefinierte Ablenkung des Metalls erhält, welche aber durch die das Metall durchquerenden elektrischen Wellen plötzlich verändert wird ; auf diese Weise wird ein telegraphisches Zeichen angegeben. Die Ver- änderung besteht in einer Verminderung der Ab- lenkung, wenn jedoch das magnetische Metall guter, isolierter Stahldraht ist, so findet ein be- deutender Zuwachs der Ablenkung statt. Das rotierende Feld wird durch einen Elektromagneten erzeugt, der mit keilförmigen Polstücken versehen ist, zwischen denen eine lange Spule Stahldraht rotieren kann, so daß der magnetische Zug danach strebt, sie um ihre Achse zur Rotation zu bringen. Durch eine Feder wird sie reguliert, und die Ab- lenkung wird vermittels eines Spiegels abgelesen. Die Spule ist induktionslos mit hartgezogenem Stahldraht gewunden, der mit in Öl eintauchender Seide isoliert ist. Die Erfinder schreiben das Ergebnis einem Zuwachs der Magnetisierung und 6S2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 41 Hysterese des Stahldrahtes durch das oscillierende kreisförmige Feld zu. — Besonderen Wert gewinnt der neue Detektor dadurch, daß er eine ijuantitative Messung der Wellenintensität gestattet. A. Gr. Einflufs der Temperatur auf die elektri- sche Leitfähigkeit des Kaliums.' — In einer kürzlich im Nuovo Cimento veröffentlichten Arbeit über den Einfluß der Temperatur auf die elektri- sche Leitfähigkeit des Natriums hatte Dr. A. Ber- nini darauf hingewiesen, daß er sich mit ähnlichen Versuchen über Kalium beschäftigte. In der November-Dezember-Nummer derselben Zeitschrift berichtet er nun des näheren über diese Versuche. Nach Matthiessen erfährt die Leitfähigkeits- verminderung des Kaliums, die sowohl im festen als im flüssigen Aggregatzustand zur Temperatur- erhöhung fast proportional verläuft, beim Über- gang von einem Aggregatzustand zum andern nicht wie beim Natrium eine plötzliche Verände- rung, sondern variiert allmählich innerhalb der Temperaturen 46,8 und 56,8 ". Dieses verschiedene Verhalten erklärte Matthiessen dadurch, daß Na- trium zwar seinen Aggregatzustand plötzlich ver- ändere, daß aber beim Kalium der Übergang ein allmählicher sei. Da jedoch diese Ergebnisse mit den Resultaten von Gay Lussac und Thenard über den Schmelzpunkt des Metalles im Widerspruch standen und heutzutage nach den Versuchen von Bunsen, Vicentini und Omodei noch unwahrschein- licher geworden sind, hielt es der Verfasser für angezeigt , die Frage aufs neue zu untersuchen. Eine Röhre, deren Widerstand 0,880393 Ohm betrug, wenn sie Quecksilber von der Temperatur o" enthielt, wurde mit Metall angefüllt. Während dieses noch flüssig war, wurde die Röhre schnell aus dem Heizbade herausgezogen und bei ab- nehmender Temperatur der Widerstand wiederholt gemessen. Aus den Versuchen ergibt sich, daß Kalium zu den besten Elektrizitätsleitern gehört; seine Leitfähigkeit nimmt bei wachsender Tempe- ratur innerhalb der Versuchsgrenzen proportional zum Temperaturzuwachs ab, und zwar ist der Temperaturkoeffizient im flüssigen Zustande größer als im festen Zustande. Die Widerstandsverände- rung beim Übergang zwischen den beiden Aggregat- zuständen, der bei 62,040" liegt, erfolgt mit schnellem Sprunge, wenn auch etwas weniger plötzlich als beim Natrium; das Verhältnis der Widerstände an dieser Sprungstelle ist i : 1,392. A. Gr. Ein Fortschritt in der farbigen Photographie liegt in einem Kopierverfahren vor, das der öster- reichische Oberleutnant von Slavik erfunden hat. Im Januarheft der „Photographischen Rundschau" macht Dr. Neuhauß eine hierauf bezügliche Mit- teilung. Die nach dem Slavik'schen, verblüffend ein- fachen Verfahren hergestellten Papierbilder machen einen recht angenehmen Eindruck. Besonders merkwürdig ist, daß bei diesem neuen, farbigen Kopierverfahren ein mit gewöhnlicher Platte auf- genommenes Negativ den Ausgangspunkt bildet. Der verschiedene Deckungsgrad , den die ver- schiedenen Farben auf einer gewöhnlichen Platte bewirken , wird von v. Slavik nämlich mit Hilfe eines Pigmentpapiers ausgenützt, das eine Anzahl übereinander geschichteter, verschieden gefärbter Gelatineschichten enthält. Die rote Schicht liegt zu Unterst, und da nun die roten Objekten ent- sprechenden Stellen des Negativs die geringste Deckung haben, so wird beim Kopieren hier so viel Licht von der Platte durchgelassen, daß alle Schichten der Gelatine unlöslich werden und daher die Kopie nach einer Übertragung der Schichten auf einen neuen Träger an dieser Stelle rot erscheint, da alsdann die rote Schicht zu oberst liegt. P"ehlt dagegen im abgebildeten Gegenstand das Rot, dann wird das Negativ mehr gedeckt sein , das kopierende Licht erreicht die rote Schicht nicht mehr und diese schwimmt daher bei der Behandlung in warmem Wasser ab. Es wird dann durch die bleibenden, unlöslich gewordenen Schichten eine andere Farbe der Kopie bedingt werden. Nähere Einzelheiten lassen sich vorläufig noch nicht angeben, natürlich kann allerdings die Wirkung ungleicher Helligkeit von derjenigen ungleich wirksamer Farben nicht sicher gesondert werden. Die vorliegenden Ergebnisse der in mehreren Staaten zum Patent angemeldeten Erfindung beweisen aber jedenfalls, daß die Her- stellung reizvoller farbiger Photographien durch v. Slavik auf überraschend einfache Art jedem Liebhaber möglich gemacht worden ist. Kbr. Eine neue Methode physiologischer For- schung. — Dem gleichen Gesetze der Entwick- lung folgend, hat nun auch die Physiologie — so wie schon vor langem die Anatomie und die Pathologie — jenes Stadium erreicht, in welchem ihr ein wesentlicher Fortschritt nur mehr durch das Studium der Ouelle aller Lebenserscheinungen, das heißt der Zelle ermöglicht scheint. Diese Er- kenntnis dringt in der neueren Physiologie immer mehr durch. Es macht sogar vielfach den Ein- druck, als ob die bisherigen Forschungsmethoden das erschöpft hätten, was durch sie über das Wesen des Lebens zu erlangen war, denn man geht jetzt vielfach daran, neue Betrachtungsstandpunkte und vor allem neue Arbeitsmethoden zu suchen, um den alten Problemen näher kommen zu können. Einen solchen neuen Betrachtungsstandpunkt nimmt auch die „Cellularphysiologie" ein, wie sie seit einigen Jahren besonders von selten der Botaniker betrieben wurde. Das unmittelbare Studium der Zelle bietet uns aber auch so viele der wertvollsten, grundlegenden Tatsachen und Erfahrungen über die Lebensvorgänge im allgemeinen, daß heute der Satz unbestreitbar feststeht: Die Lebenspro- bleme sind Zellprobleme und auch die höchsten Lebensvorgänge wurzeln in Phänomenen, die in den einfachsten Lebewesen zu beobachten sind. Ja gerade deren Studium bietet viel mehr Aussichten, als das Iixperiment mit den kom- plizierteren Tieren oder Pflanzen, da bei diesen N. F. ni. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 653 alle Erscheinungen schon in hohem Grade speziali- siert sind, sich bereits in der vcrwickcltesten Form zeigen und auf Wirkungen beruhen, von denen nur das Endresultat einer langen Kette von Vor- gängen wahrnehmbar ist. Iintsprcchcnd diesem neuen Standpunkte der Physiologie werden jedoch auch neue Arbeits- methoden nötig, um so mehr als die Biochemie, dieses vornehmlichste Hilfsmittel des modernen Lebensforschers, gerade vor der Zelle Halt zu machen gezwungen scheint. In den höchsten wie in den niedrigsten Lebewesen sind die intimsten Lebensvorgäiige untrennbar mit der lebendigen Substanz der Zelle verknüpft. Was wissen wir aber von diesen Vorgängen r Verschwindend wenig. Mit unseren histologischen Methoden können wir nur den groben Bau der Lebenswerkstätte fest- stellen, mit den chemischen Untersuchungen nur die Produkte des Lebens, die aus dieser Werkstatt hinausgelangen, d. h. von den Zellen abgeschieden werden. Von der chemisch - physikalischen Or- ganisation der Zelle, in die wir vorläufig das Rätsel des Lebens verlegen, können wir auf diese Weise nichts erfahren. Denn die gewöhnlichen Arbeitsmethoden ändern und vernichten diese Or- ganisation. Wir müssen die Zelle zuerst abtöten, bevor wir ihrem chemischen Bau nähertreten können und dies geschieht durch chemische Mittel, die diesen Bau total verändern. Um diesem unglück- lichen Zirkel zu entgehen, bedarf es offenbar einer anderen Arbeitstechnik, die den modifizierenden Einfluß äußerer Agentien auf die Zelle und ihre Produkte auf ein Minimum reduziert, wenn sie ihn schon nicht ganz vermeiden kann. Des weiteren müßte ein Mittel gewonnen werden, wodurch die intracellularen Bestandteile isoliert werden könnten von den Produkten der Lebenstätigkeit. Der Er- füllung dieser solange aussichtslos erscheinenden Wünsche sind wir nun um ein bedeutendes Stück näher gerückt. Und zwar ist es Prof. H. Buchner, dessen berühmt gewordene Zymaseversuche auch einen prinzipiellen F"ortschritt der physiologischen Forschungsweise bedeuteten. Dieser merkwürdige Hefepreßsaft, den B u c h n e r als Zymase bezeichnete, war, abgesehen von seiner praktischen Bedeutung, auch für die Wissen- schaft von großem Werte, konnte er doch in zuckerhaltigen Substanzen alkoholische Gärung, also einen Vorgang einleiten, den wir als einen „Lebensvorgang" betrachten mußten, weil er ja nur an die Lebenstätigkeit der Hefepilze gebunden zu sein schien und chemisch nicht nachgeahmt werden konnte. Es war der erste Fall, in dem ein intracellularer Vorgang außerhalb der Zelle chemisch untersucht werden konnte. Etwas von dem obigen Wunsche war schon erreicht und das Studium der enzyniartigen Prozesse der lebenden Zelle nahm dadurch einen ungeahnten Aufschwung. Wie gelangten aber B u c h n e r und seine Schüler zu diesem wertvollen Resultat? Auf ziem- lich einfache Weise, durch den glücklichen Ge- danken, daß sie annahmen, eine mechanische Methode zur Isolierung des lebendigen Zellinhalts werde den Charakter und die Eigenschaften des Zellplasmas, auf dessen Studium es ja ankommt, viel weniger modifizieren als irgend eine der ge- bräuchlichen chemischen Methoden. Als solche „mechanische Methode" wählten sie das Zerreiben lebender Hefezellen mit reinem Sand, wodurch ein ausgiebiges Zertrümmern der Zellen bewerk- stelligt wurde. Der so entstandene Brei wurde unter Druck durch Kieselgur filtriert. Das Filtrat war die „Zymase", der reine, chemisch unver- änderte Saft der Zellen, der noch den ,, Stempel des Lebens" an sich trug, daher auch noch Gärungen einleiten konnte. Auf dieser so einfachen — eigentlich so eine Art „Kolumbusei" darstellenden — Entdeckung beruht eine neue Art physiologischer Forschung, welche auf der letzten Versammlung der Natur- forscher und .\rzte im Herbst 1903 zum ersten- mal unter großem Beifall demonstriert und nun in der „Zeitschrift für allgemeine Physiologie" von Prof Macfadyen eingehender geschildert wurde.') Macfadyen sagte sich, daß das Zerquetschen lebender Zellen mit Sand doch seine schädlichen Wirkungen auf die Lebenstätigkeiten des Zell- plasmas haben muß, daß diese aber vielleicht ver- mieden werden können, vi'enn man die Zellen zuerst hart frieren läßt, da sie in diesem Zustande zerkleinert werden können, ohne daß die immer- hin nicht unbedenkliche Mischung mit Sand nötig wäre. Durch ältere Versuche weiß man doch bereits, daß die meisten tierischen und pflanzlichen Gewebe einfrieren können, ohne ihre Lebensfähig- keit einzubüßen. Auf dieser Erfahrung beruht ja z. B. der Transport von lebenden, in Eis einge- frorenen Fischen, mit dem man neuestens gute Erfahrungen machte. Die Schwierigkeit lag nur darin, eine Erwärmung des Materials während der Zerkleinerung zu vermeiden, aber auch sie wurde durch Anwendung von „flüssiger Luft" leicht über- wunden, indem man nur den ganzen Zerkleinerungs- apparat während der Prozedur in einen Behälter mit flüssiger Luft einzutauchen brauchte, um das Versuchsmaterial auf eine Temperatur von— 190" C zu bringen. Durch besondere Versuche wurde festgestellt, daß diese Temperatur der flüssigen Luft den meisten Zellarten ebenso wie ihren Produkten unschädlich ist und daß die dadurch nur sistierten Lebens- vorgänge nach vorsichtigem Auftauen wieder ihren Fortgang nehmen. Es ergab sich sogar, daß Bakterienzellen ihre volle Lebensfähigkeit auch dann bewahrten, als sie ununterbrochen 6 Monate hindurch in flüssiger Luft aufbewahrt wurden ! Diese Temperatur schaltete nicht nur alle che- mischen \'eränderungen in dem Materiale aus, sondern erleichterte sogar die Zerkleinerung in so hohem Grade, daß sie binnen 2 — 3 Stunden eine völlig genügende war. ') A. Macfadyen, Über das Vorkommen und den Nachweis von intracellularen Toxinen (Zeitschrift für allge- meine Physiologie. 111. Bd. 3. Heft). 654 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 41 Macfadyen konstruierte nach diesen Er- fahrungen einen Apparat, welcher nun die Mög- lichkeit gewährt, die Phänomene der Biochemie in ganz anderer Weise zu studieren, als dies bisher möglich war. Die beistehende Abbildung gibt eine Skizze desselben. Im wesentlichen besteht er aus einem sehr rasch rotierenden Metallstößer (A), der die in ein wohl verschließbares Metallgefäß (Bj gebrachten Zellen oder Gewebe zu einem feinen, gefrorenen Pulver zertrümmert. Dieses Gefäß wird während der Prozedur in den Behälter C einge- senkt, der flüssige Luft enthält. Nach dem Zer- Macfad y c n 's Apparat zur Zerkleinerung von Zellen bei Tem- peratur von flüssiger Luft. kleinern wird die Masse, nachdem sie aufgetaut ist, mit physiologischer Kochsalzlösung versetzt und schließlich zentrifugiert, bis sie von suspen- dierten Bestandteilen frei ist. Es ist in dieser Weise möglich, durch genügend langes Zentri- fugieren vollkommen sterile „Zellsäfte" zu erhalten, welche alle intracellularen Bestandteile der be- treffenden Zellen enthalten, die in Salzlösung lös- lich sind. Quantitativ ist dies oft der ganze Zell- inhalt. Man wird nun leicht verstehen, welcher be- deutsamen Erleichterung der physiologischen For- schung wir durch die Methode gegenüber stehen. Die physiologischen Eigenschaften und Wirkungen des Zellplasmas können nun experimentell geprüft werden. Die so rätselhaften, jedoch für das Ver- ständnis des Stoffwechsels so wichtigen Enzyme sind uns dadurch in der bequemsten Form in die Hand gegeben. Nicht minder kann sich die Patho- logie, speziell die Lehre von den Toxinen von der Methode das Beste erhoffen. Wirkung und Stoff- wechsel der pathogenen Bakterien wird nun leicht zu studieren sein, da sich zeigte, daß auch diese winzigen Zellen in gefrorenem und zerbrechlichem Zustande zerkleinert werden konnten und I^lasma- extrakte lieferten, die Macfadyen, der als Leiter des Londoner Jenner-Instituts gerade in dieser Be- ziehung die neue Methode selbst für seine For- schungen dienstbar macht, bereits zu überraschen- den Ergebnissen führten. Es war vor allem die Frage der sogenannten intracellularen Toxine, die nun rasch ihre befriedigende Lösung fand. Viele wichtige pathogene Organismen erzeugen bekanntlich keine nachweisbaren Giftstoffe, sondern wirken durch ihre bloße Anwesenheit giftig, so daß man annehmen mußte, dieselben produzierten ein intracellulares Toxin, das auch innerhalb der Zelle wirkt. Dies war der Fall z. B. bei dem Typhusbazillus, oder bei den Eitererregern, den pyogenen Staphj'lokokken und Streptokokken. Macfadyen wies nun diese solange gesuchten intracellularen Toxine im vollen Sinne des Wortes „handgreiflich" nach , da die Lösung der intra- cellularen Bestandteile des virulenten Typhus- bazillus sich stets akut giftig erwies. Die Weiter- führung dieser Versuche ergab sogar das inter- essante Resultat, daß sich durch Impfversuche mit diesen intracellularen Toxinen an Affen, Kanin- chen und Ziegen ein Heilserum gewinnen ließ. Zugleich zeigte sich, daß bei Einspritzungen mit diesen „Bakteriensäften" die unangenehmen Lokal- reaktionen unterblieben, die normalerweise sich bei Impfungen einzustellen pflegen. Das hat eine praktische Bedeutung überall da, wo es sich um Bakterienimpfstoffe handelt, bei denen, wie sich nun mit ziemlicher Gewißheit vermuten läßt, der „Ballast der toten Bakterienleiber" die lokalen Fieber- und Entzündungserscheinungen hervorruft. Aber auch abgesehen von diesem kleinen Ex- kurs auf das Gebiet der Serumtherapie, der wohl zur- Genüge zeigt, welch bedeutsame Perspektiven die neue Methode eröffnet, hat schon eine flüchtige Reihe von allgemein-physiologischen Versuchen ergeben, daß sie sehr fruchtbar zu werden ver- spricht. So bericlitet Macfadyen, daß es ihm gelang, durch Zerkleinern des infizierten Nervensystems tollwütiger Hunde den Giftstoff der Tollwut völlig zu vernichten. Dies beweist unwiderleglich, daß dieser so vielstudierte, aber noch immer rätselhafte Giftstoff organisiert, also doch an Mikroorganismen gebunden sein müsse, wodurch also die Hypothese Recht erhält, die annimmt, der Erreger der Toll- wut sei so klein, daß er sich unseren Mikroskopen und Filtern entziehe. Man wird wohl nun nicht verfehlen, auch das Virus der Klauenseuche und der sog. Mosaikkrankheit des Tabakes in ähnlicher N. F. ra. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 655 Weise zu pr\.ifen, da bezüglicli beider die oben erwähnte Hypothese ebenfalls aufgestellt wurde. Von anderen Versuchen zur Erprobung seiner Methode erwähnt Mac fadye n beiläufig, daß das l.euchtvermögen der neuerdings so vielbesprochenen LeuclUbakterien durch deren Zerkleinerung in flüssiger Luft ebenfalls zerstört wird. Er schließt daraus, daß die Leuchteigenschaft wahrscheinlich eine Funktion der lebendigen Zelle und ihre Ent- stehung von deren intakter Organisation abhängig sei. Es ist nach all dem wolil kein Zweifel, daß diese neue Methode wieder eine der Mauern sprengt, hinter denen sich das Geheimnis des Lebens so hartnäckig verbirgt. Aber leider ist es durchaus nicht die letzte. Merkwürdigerweise haben uns alle die rastlosen I'orschungen der letzten 30 Jahre und die vielen Fortschritte auf physiologischem Gebiete immer wieder nur das gezeigt, daß das Problem des Lebens unendlich mehr verwickelt und schwierig ist, als man es früher glaubte. Stehen wir doch heute dort, daß eine immer wachsende Zahl von Gelehrten und darunter nicht die Unbedeutendsten zu der Überzeugung gelangt sind, daß sich das Rätsel des Lebens überhaupt nicht ausschließlich in chemische und mechanische Lh-- sachen auflösen läßt. R. France. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Der Astronom A. Brcdichin, Direktor der Sternsvarte in Pulkowa, ist im .\ller von 73 Jahren gestorben. Das Haupt- feld der wissenscliafilichcn .\rbcit B.'s bildeten die Kometen und insbesondere die Bestimmung der Abstoßungskraft, die von der Sonne auf die Schweifteilchen ausgeübt werden muß, damit die beobachtete Richtung der Schweife im Sinne der Bessel-Zöllner'schcn Theorie erklärbar wird. B. glaubte die Kometenschweife nach der Gröflc jener Kraft in drei Typen einordnen zu können, denen vermutlich chemisch ver- schiedene Schweifmaterialien entsprechen dürften. Eine große Reihe von Publikationen B.'s hat die nähere Behandlung der meisten mit Schweif erschienenen Kometen zum Gegenstand. Der VI. internationale Physiologen-Kongreß wird vom 30. August bis 3. September in Brüssel unter dem Vorsitz von Professor Paul Heger abgehalten werden. Bücherbesprechungen. Anton Balawelder, M a t h e m a t i s c h e A b I e i t u n g der Naturerscheinungen vom empirischen reinen Räume. Wien, Herold, 1903. 109 S. 8». 4 Mk. Der Verfasser sieht die Welt durch seine Brille; was er aber von ihr erzählt, weicht von dem, was die Naturwissenschaft lehrt, soweit ab, daß man für das Verständnis des Gegenstandes dieser Wissen- schaften aus dem vorliegenden Buch kaum Nutzen ziehen dürfte. A. S. Johann G. Hagen S. J., Synopsis der höheren Mathematik. Dritter Band: Differential- und Integralrechnung. Lieferung 3 und 4. ä 5 Mk. Berlin, Dames, 1900. 17. — 32. Bogen. 4". Die vorliegenden beiden Lieferungen des Werkes enthalten in der Hauptsache die Differentialgleichungen. Wie schon der Titel Synopsis besagt, werden kurze Angaben über die das Gebiet betreft'enden Arbeiten gemacht, die zur Orientierung über das betreffende Gebiet gute Dienste leisten können. Über Plan und Ausdtiiiuing des Werkes enthält das N'orliegende nichts. A. S. Andre Broca, La telegraphie sans fils. Deuxieme edition revue et augmentec. Paris 1904. (Sauthier-Viilars. 54 S. 4 Fr. Vor 4 Jahren hat der Verfasser einen kurzen Abriß über die drahtlose Telegraphie herausgegeben, der jetzt in zweiter Auflage vorliegt. Entsprechend den Fortschritten, die in dem abgelaufenen Zeitraum gemacht worden sind, ist das Buch auch an einigen Stellen ergänzt, im ganzen aber ist es das alte ge- blieben. Von der gewöhnlichen elektrischen Tele- graphie ausgehend, führt der Verfasser den Leser, der in der mathematischen Physik sich zu bewegen wissen muß, zu der drahtlosen Telegraphie. A. S. Briefkasten. Herrn K. in Oberkreihilz. Das Krgebnis Ihrer Überlegun- gen „Die Schwerkraft hat ihr Maxiraum an der Krdoberfiäche" ist richtig und in der Mechanik ein allgemein anerkannter Satz, auf den sich die Airy'sche Methode der Bestimmung der mittleren Erddichte gründet, wie Sie in jedem größeren Lehr- buche (z. B. Wüllner, Lehrb. d. Experimentalphysik 1, § 45) nachlesen können. Ihre Betrachtungen sind allerdings insofern nicht zweckentsprechend , als Sie Segmente ins Auge fassen, statt durch den betrachteten Punkt im Innern der Erde eine Kugel zu legen. Tut man das letztere, so heben sich die An- ziehungswirkungen derjenigen Massen auf, die in der den Punkt umschließenden Kugelschale eingeschlossen sind, die .Schwere entspricht also nur noch der Masse der inneren Vollkugel und wird daher im Erdmittelpunkte gleich Null, weil dann jene Vollkugel zu einem Punkt zusammensclirumpft. — Durch welche Erscheinungen nach Ihrer Meinung eine Zunahme der Schwere nach dem Erdmittelpunkte hin auch im Innern des Erdkörpers erwiesen sein soll , können wir nicht ergründen. Pendclbeobachtungen in Bergwerken haben im Gegenteil die Theorie bestätigt , wie denn überhaupt auf diesem Gebiete eine völlig lückenlose und einwandf"rcie theoretische Dar- stellung der beobachteten Erscheinungen vorliegt, deren volles Verständnis freilich Kenntnisse der höheren Mathematik vor- aussetzt. Herrn M. Str. in München. — Holzkästen für .Aufnahme von Akkumulatoren säurediclit zu machen , dürfte kaum mög- lich sein. Vielleicht erhalten Sie darüber Auskunft bei der Farbenfabrik für Elektrotechnik von Payc , Berlin NW, Kais. Augusta-Allee 14. Es würde sich in Ihrem Falle wohl die .'Inwcndung von Trockenelementen empfehlen. .Akkumulatoren baut man am besten in Hartgummikästen ein, die aber natür- lich teuer sind. Herrn W. B. in Duisburg. — Frage I : Welches ist der gegenwärtige wissenschaftliche Standpunkt in bezug auf die Fortpflanzung des Flußaales? — Die Aalfrage ist in der letzten Zeit von verschiedenen Autoren behandelt worden. Die eingehendste zusammenfassende Abhandlung über den Gegenstand dürfte vonLinstow in der Zeitschrift für Natur- wissenschaft in Halle (Bd. 72, 1900, S. 317 — 330) gegeben haben. Da die Frage weitere Kreise interessiert, gebe ich in Anlehnung an diese Arbeit einen kurzen Überblick. — Schon wiederholt glaubte man entdeckt zu haben, daß der Aal, ebenso wie die Aalmutter (Zoarces), lebendige Junge zur Welt bringe, aber immer handelte es sich um andere Tiere, die zufallig in die Leibeshöhle des Aales gelangt waren. Beson- ders waren es parasitische Würmer, die entweder äußerlich 656 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 41 am Darm, also in der Leibeshöhle selbst gelebt hatten (Ich- thyonema sanguineum), oder die durch Verletzung des Darmes aus diesem in die Leibeshöhle gelangt waren (Ascaris labiata). Unreife weibliche Geschlechtsorgane wurden schon im Jahre 1838 von Rathkc entdeckt. Sie stellen sich dar als zwei langgestreckte, leicht gekräuselte Bänder und enthalten nach Be necke mehrere Millionen Eier von 0,1 mm Durchmesser. Die unreifen männlichen Organe, die eine ähnliche Form, aber eine geringere Größe besitzen, wurden erst im Jahre 1874 von Syrski entdeckt. — Schon seit Redi (1667) wußte man, daß die jungen Aale, 50 — 120 mm lang und 2 — 3 mm dick, im Frühling in den Flüssen aufsteigen. Dennoch konnte man sich lange Zeit nicht an den Gedanken gewöhnen, daß der Aal im Gegensatz zum Lachs, Maitisch, Neunauge, Stör etc. zum Laichen nicht vom Meer in die Flüsse, sondern umge- kehrt aus den Flüssen ins Meer wandern sollte. Jetzt kennt man die Zeit des Wanderns ganz genau. Sie ist für ver- schiedene Länder und auch dem Geschlechte nach verschieden. In Dänemark wandern nach Feddersen die weiblichen Aale von Mitte .August bis Ende September. Einzelne, erst im November ins Meer gelangende Aale besitzen Eier von bereits doppelter Größe. .Auch die Männchen wandern und bleiben nicht, wie man anfangs glaubte, dauernd im Meere. Ihre Wanderzeit liegt aber einige Monate früher. Sie dauert in Dänemark von Mitte Mai bis Mitte Juli. — Vier bis fünf Jahre lebt der Aal im Süßwasser. Dann stellt sich der Wander- trieb ein. Ebenso wie beim Lachs verliert sich die Freßlust. Der sogen. Fettaal kann deshalb nicht mit Angeln gefangen werden. Man fängt ihn vielmehr auf seiner Wanderung mit Netzen, den sogen. Aalkörben, besonders in dunklen stürmischen Nächten. Nach Petersen legt der Aal, ebenso wie viele andere Fische zur Fortpflanzung ein Hochzeitskleid an. Die gelbliche Farbe verändert sich in eine silberne und die graue Brustflosse wird schwärzlich. Die von den Fischern längst unterschiedenen Varietäten sind auf diese Farbenänderung so- wie auf Geschlechtsunterschiede zurückzuführen. Aus dem östlichen Teil der Ostsee wandern die Aale nach Westen und gehen dann durch die Bcltc und den Sund. Wenn die Donau keine Aale enthält, so führt man dies jetzt darauf zurück, daß das schwarze Meer keinen genügenden Salzgehalt für die Fortpflanzung besitzt. Da der Aal in größere Tiefen, wenig- stens 500m, hinabgehen muß, also in Teile mit geringerer Helligkeit gelangt, werden die Augen zur Fortpflanzungszeit größer. — Kein .^al kehrt nach der Fortpflanzung in die Flüsse zurück. Wahrscheinlich gehen alle bald nachher zu- grunde. — Ganz geschlcchtsreife .Aale hat man bisher nicht gefangen. Hier belindet sich also noch eine kleine Lücke in der Beobachtung. Man weiß aber , daß der Aal Eier ablegt und nicht lebendige Junge zur Welt bringt. Die Eier von etwa 2,7 mm Durchmesser sind nämlich, zuerst von Raffaele, im Golf von Neapel gefunden worden. Wahrscheinlich waren diese Eier durch besondere Strömungen aus der Tiefe an die Oberfläche geführt. Grassi und Calandruccio haben im Seewasser-Aquarium aus derartigen Eiern Aallarven gezogen und aus den Aallarven kleine Aale. Die Larve war längst unter dem Namen Leptocephalus brevirostris bekannt. Sie ist bandförmig flach zusammengedrückt, 5 — lo cm lang und völlig durchsichtig, so daß man durcli den Körper hindurch Buch- staben lesen kann. Auch Blut und Galle sind bei ihnen farb- los. Nur die Augen sind im Wasser erkennbar. Frage 2 : Welches ist das Verbreitungsgebiet der Kreuz- otter in Rheinland und Westfalen? — Über die Verbreitung der Kreuzotter in Deutschland liegt eine umfangreiche Lite- ratur vor. Eine gute Zusammenfassung finden Sie in B. Dü- rigen, Deutschlands .Amphibien und Reptilien (2. Aufl., Magdeburg 1897, Preis I7,5oMk.). In bezug auf Einzelheiten muß ich auf dieses Werk (S. 346) verweisen. — In der Rhein- provinz fehlt die Kreuzotter dem ganzen Süden, dem Gebiete des Hunsrück , der Eifel und des Siebengebirges. Im mitt- leren Teile ist sie vereinzelt gefunden und in den moorigen Teilen des nordöstlichen Zipfels wird sie sogar häufig. In Westfalen ist sie nach Westhoff ruhraufwärts ins Sauerland eingewandert. Sie fehlt dem Haarstrang, dem Eggegebirge, dem Tculoburgcr Walde und dem Wiehengebirge, überhaupt dem ganzen nordöstlichen Teile. — Das Vorkommen der Kreuzotter hängt, wie das aller anderen Tiere, in erster Linie von dem Vorhandensein geeigneter Lebensbedingungen ab. Wo sich ein geeignetes trockenmooriges, nicht zu hoch und kalt liegendes Gelände findet, wird sie meist nicht fehlen. Dahl. Herrn A. F. in Lesum. — Frage I : Ich bitte um Angabe von Monographien aus dem Gebiete der Pediculinen, Puliciden und .\carinen oder um Angabe eines Lehr- buches, welches diese Tiere eingehender behandelt. — Über Pediculinen sind zu nennen : C. Giebel, Insecta Epizoa; die auf Säugetieren und Vögeln schmarotzenden Insekten, Leipzig 1874, fol., mit 20 kol. Taf., Preis lio Mk. E. Piaget, Les Pediculines, Leide 1880 — 85, 4°, mit 73 Taf., Preis 115 Mk. Über Puliciden: O. Taschenberg, Die Flöhe, Halle 1880, S», mit 4 Taf., Preis 7 Mk. Über Acarinen : A. B erlese, Acari hucusque in Italia reperta, Padova 1882 bis 1897, 8°, mit ca. 800 Taf., Preis ca. 350 Mk. R. Piersig, Deutschlands Hydrachniden. Stuttgart 1S97 — 1900, 4" mit 51 Taf., Preis 132 Mk. R. Piersig und H. Lohmann, Ilydrachnidae und Hala- caridae (Das Tierreich, Heft 131, Berlin 1901 , 8°, Preis 21 Mk. A. D. Michael, British Oribatidae, London 1884-88, 8», mit 60 Taf., Preis 62 Mk. A. D. Michael, Oribatidae (das Tierreich, Heft 3), Berlin 189S, 8», Preis 6,80 Mk. M. H. Fürstenberg, Die Krätzmilben des Menschen und der Tiere, Leipzig 1861, fol., mit 15 Taf., Preis bei Fried- länder & Sohn statt 48 Mk. jetzt 20 Mk. G. Canestrini und P. Kram er, Demodicidae und Sarcop- tidae (Das Tierreich, Heft 7), Berlin 1899, 8", Preis 12 Mk. A. D. Michael, British Tyroglyphidae, London 1901 — 1903, 8», mit 42 Taf., Preis 57 Mk. A. Nalepa, Eriophyidac (Phytoptidae) (Das Tierreich, Heft 4), Berlin 1898, 8", Preis 5 Mk. G. Neumann, Revision de la Familie des I.^iodides in: Me- moires de la Societe zoologique de France, Annee 1901, P- 249—372. Als Lehrbücher der gewünschten .'\rt sind zu nennen: P. Megnin, Les Parasites articules chez l'homme et chez les animau.x, 2. ed. Paris 1895, 8", mit 26 Taf, Preis 16,50 Mk. F. A. Zürn, Die tierischen Parasiten auf und in dem Körper der Haussäugetiere, 2. Aufl., Weimar 1882, 8", Preis 6 Mk. Frage 2: Mit welchen Spezialforschern könnte ich in Verbindung treten? — Die Adressen der Spezialforscher auf den genannten Gebieten entnehmen Sie aus dem ,, Zoologischen Adreßbuch" herausgegeben von Friedländer & Sohn (Berlin 1895, Preis 10 Mk. und dem Nachtrag dazu, Berlin 1901, Preis 6 Mk.). Im Register dieser Bücher finden Sie unter anderem eine Übersicht der sämtlichen Forscher der Erde nach ihren Hauptarbeitsgebieten. Dahl. Inhalt; Prof. Dr. Hans Molisch: Leuchtende Pflanzen. — Kleinere Mitteilungen: Konr. Diera: Über Bodentiere in den Schweizer Alpen. — G. Dreyer: Die Einwirkung des Lichtes auf Amöben. — Hefelmann und Wind isch: Über das natürliche Vorkommen von Salizylsäure in Erdbeeren und Himbeeren. — Ceraski: Ein neuer veränderlicher Stern von sehr kurzer Periode. — Gorczynski: Verminderung der Intensität der Sonnenstrahlung. — Dr. P. R. Heyl: Übersicht über unsere Kenntnis von den physikalischen Eigenschaften der stromführenden Materie. — F'rhr. v. Au fseß: Die Farbe der Seen. — Prof. Blond lot: Neues über die N-Strahlen. — Prof. J. A. Ewing und L. H. Walter: Ein neuer Detektor für elektrische Wellen. — Dr. A. Bernini: Einfluß der Temperatur auf die elektrische Leitfähig- keit des Kaliums. — v. Slavik: Fortschritt in der farbigen l'hotograiihic. — Macfadyen: Eine neue Methode phy- siologischer F'orschung. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Bücherbesprechungen: Anton Balawelder: Mathematische Ableitung der Naturerscheinungen vom empirischen reinen Räume. — Johann G. Hagen S. J. : Synopsis der höheren Mathematik. — Andre Broca: La telegraphie sans his. — Briefkasten, Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 17. Juli 1904. Nr. 42. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld hei der Post '& 15 PIg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltenc Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren m. Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- M einkunft. Inseratcnannalinie durch Max Gelsdorf, Leipzig- i^l Gohlis, lUumenstraße 46, Huchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Die Inselsberglandschaften im tropischen Afrika. [Nachdruck verboten.] Von Dr. S. Vielleicht die merkwürdigste L.andschaftsform, die den Charakter weiter Gebiete Afrikas bedingt, ist die Inselsberglandschaft, wie Born- hardt ') sie genannt hat. Wie Inseln aus dem Meere, ragen aus ebenen Flächen isolierte Berge und Gebirgsstöcke auf. Oft dehnen sich die h'.bencn meilenweit aus, ohne jede Erhebung, ohne wesentliche Einsenkungen, nur hier und dort, oft 20—30—40 und mehr Kilometer voneinander ge- trennt, oft aber auch dichter gedrängt, stehen die isolierten Berge, kleine Kuppen von hundert und viel weniger Meter Höhe bis zu Massiven von der Größe des Harzes und größer. Der Übergang von der Ebene zu den Bergen ist oft ab- solut scharf und unvermittelt. Die Ebene tritt an das steil aufsteigende Gehänge heran, höchstens vermittelt eine schmale Böschung von Blockschutt und Grus, der vom Gehänge stammt, den Übergang zwischen beiden. In anderen Fällen werden die Gebirgsstöcke von einem alluvialen Mantel umgeben, die aus den Gebirgen heraus- Passarge. geschwemmt und auf den primär vorhandenen Ebenen zur Ablagerung gelangt sind. Der Charakter der Ebene bleibt darum immer erhalten. Die Verbreitung der Inselsbergland- schaften im tropischen Afrika. Zwei Zonen lassen sich unterscheiden. «) Die Sudanzone beginnt am Roten Meer zwischen Abesslnien und Suakin und zieht über Sennaar, Kordofan, Darfur und Wadai nach Dar Runga, Dar Fertit nnd Dar Banda. Im zentralen Sudan sind Inselsberge wahrscheinlich sehr ver- breitet, aber noch nicht genügend beschrieben worden. Auf der Ostseite des Mandaragebirges habe ich sie direkt beobachtet, auf der Westseite treten sie in den Zeichnungen Bart h 's \) deutlich hervor. In den Bautschi- und Haussaländern sind sie anscheinend sehr verbreitet, ebenso im Berg- land von Air. Auf weite Strecken hin beherrscht die Inselsberglandschaft die Oberflächenformen des Westsudan, im Bereich des Nigerbogens und Sene- gal, z. B. in dem Goldlande Bambuk. ') Bernhard t, Zur Oberfiächengestallung Deutsch-Ost- ') Barth, Reisen und Entdeckungen in Nord- und afrikas. Berlin 1900. S. 37. Centralafrika. Gotha 1857. Bd. 2. 658 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 42 ß) Die südafrikanische Zone beginnt mit der Massaihochsteppe in Deutsch-Ostafrika. Im Küstengebiet zieht sie sich nördlich und süd- lich des Rovuma bis zum Schirehochland hin und wurde dort von Bornhardt studiert. Matabelc- hochland und Betschuanenland setzen sich zum großen Teil aus Ebenen mit vereinzelten Bergen zusammen. Sehen wir von den Ebenen und Tafel- bergen der Karro ab, so ist die Inselsbergland- schaft unter Zurücktreten der Berge und Vor- herrschen der Ebenen in der Kalahari entwickelt. Sie beherrscht in typischer Ausbildung den Abfall des Damarahochlandes zum Meer. Das „westliche Steppenland" Dove's ') ist im wesentlichen ein Inselsberggebiet. Das gilt selbst für das eigent- liche Hochland, z. B. für die Windhucker Gegend, wie mir Stabsarzt Dr. Sander persönlich mitteilte. Auf der Gürich'schen Karte -) tritt der Charakter der Inselsberglandschaft deutlich hervor und diese dürfte auch das Kaokofeld nach Hartmann's ") Darstellungen beherrschen. Von dem landschaftlichen Aussehen der In- selsberglandschaften geben die prachtvollen instruk- tiven Panoramen Marno's^) aus dem Sudan und Bornhardt's aus Ostafrika, sowie auch meine Skizzen aus dem Betschuanenland ") und der Kalahariberge, die in einer größeren Arbeit über die Kalahari veröffentlicht werden sollen, eine Anschauung. Durch Zusammentreten der Berge können Ge- birgsländer entstehen und durch Zerschneiden der Ebenen durch Mußbetten Hügelländer. Beim Über- gang der Inselsbergländer zu Gebirgsländern dürften derartige Übergänge nicht selten vorkommen, z. B. im nordwestlichen Abessinicn, im Matabele- und Damarahochland, in Adamaua, Bautschi und in den Bergländern des Westsudan. Die Entstehung von Inselsberg- landschaften. Rein theoretisch betrachtet können Inselsberg- landschaften auf sehr verschiedene Weise ent- stehen. Dabei müssen wir notwendigerweise einen Unterschied machen zwischen der Entstehung der Ebenen und der Berge, a) Die Berge können: a) vulkanischen Ursprungs sein, also Vulkan- berge in einer primären Ebene; ß) durch gebirgsbildende Kräfte entstanden sein, stehengebliebene Horste oder auf- gerichte Schollen oder Falten sein; y) durch Erosion aus weniger widerstands- fähigem Gestein herauspräparierte Massen sein. ') Dove, Pctermann's Mitteil. 1S94. S. 62. -) Gürich, Mitteil. d. Geogr. Ges. Hamburg 1891 — 92. ^) Hartmann, Beiträge zur Kolonialpolitik. 1902. ■*) Marno, Rei.se in der ägyptischen Aquatorial-I'rovinz und in Kordofan. Wien 1878. ^) Zeitschrift d. Ges. für Erdkunde. 1901. Fig. i ist eine verkleinerte Reproduktion einiger der Panoramen dieser Arbeit. b) Die Ebenen können sein : a) tektonischen Ursprungs durch Absinken von Schollen; ß) Abrasionsflächen der Brandungswelle bei Transgression des Meeres; y) Abschüttungsflächen, bedeckt mit marinen, alluvialen oder äolischen Ablagerungen ; ö) durch Abtragung entstandene Erosions- flächen. Die Ebenen können auch mehreren Prozessen ihre Entstehung verdanken, z. B. mit Alhivien be- deckte tektonische Ebenen, mit Meeressedimenten bedeckte Abrasionsflächen u. a. sein. Wir haben, wenn wir die Entstehung der Ebenen und Berge kombinieren, also im wesent- lichen vier Formen der Inselsberglandschaften zu unterscheiden: die tektonische — marine — vulkanische — und die Erosions-Insels- berglandschaft. Der Charakter der afrikanischen Inselsberglandschaften. Welche dieser P'ormen ist in Afrika zu finden? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir zunächst über den geologischen Aufbau der verschiedenen Typen von Inselsberglandschaften orientiert sein. 1. Betschuana-Typus. Die Berge ') bestehen aus massigen und schwer zerstörbaren Gesteinen, wie massigen Graniten, Ouarzporphyren, Diabasen und Gabbros, Oiiarz- und Chalcedonstöcken, Ouarzit- und Eisenquarzit- schiefern, die Ebenen dagegen aus schiefrigen kristallinen und leicht zerstörbaren klastischen Ge- steinen, wie dünnbankigen und schiefrigen Gneißen, Glimmer- und anderen kristallinen Schiefern, Grauwacken, Schiefertonen, Sandsteinen und Sand- steinschiefern, Kalksteinen, Mergeln usw. In dieser geologischen Zusammensetzung findet sich die inselsberglandschaft im Damaraland, in der Kala- hari, im Betschuanen- und Matabeleland, sodann in Ostafrika in der Massaisteppe.-) Der Charakter des Betschuana-Typus wird nun aber nicht allein durch solche geologische Beschaffenheit bestimmt, sondern vor allem durch die Beschaffenheit der Ebene und ihr Verhältnis zu den Bergen. Die Ebene ist nämlich eine wirkliche Ebene mit so geringen Niveaudifferenzen, daß sie von einem mäßig hohen Standpunkt aus betrachtet, den Eindruck einer Meeresfläche mit Inseln macht. Die ebene Beschaffenheit wird aber nicht etwa durch lose sekundäre Ablagerungen, als vielmehr durch die ebene Oberfläche der Gesteine bedingt. Gewiß fehlen Decksande, aus eluvialem und ver- waschenem Lehm, Sand, Kies, Quarzgeröll be- stehend, nicht. Allein diese haben tuir geringe ') Vgl. Tafel 8 — 10 in Zeitschr. d. G.es. f. Krdkunde 1901. -) Nach den Darstellungen von Dantz, Sluhlmann, Bau- mann und W'erther. N. F. III. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 659 1? '■Jf; i-.fc 5 ■■' "Vil '%n d T3 O n -TD bii -^ O -9 in 3 3 c £•= bÄ I 3 D >- bfl — "^ t! ti w - o S g c M M.il r^ 2i t; :3 ^ O i; " jd c r S S .o- »^ O |v^ W ■ä .- ?. a G G ;S C 3 n 3 0 rt ■53 i~. Tr CQ c -n OJ c c .s 5 ■- i-^ .y rh bi:-^ mittelung anderer Stoffe, wie z. B. Ammoniak, salpetriger und Salpeter-Säure eine entsprechende Beurteilung ermöglicht wird. Die zweite Methode ist die bakteriologische, welche Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts durch Robert Koch für Zwecke der Wasseruntersuchung erdacht und ausgearbeitet wurde. Sie ist in ihrer Handhabung sehr einfach und wird deshalb vielfach geübt. Charakteristisch für sie ist im Gegensatz zur erstgenannten Me- thode, daß sie nicht das Wasser an sich prüft, sondern etwas, das darin lebt, nämlich die Bak- terien. Sind diese im ccm zu mehreren Millionen vorhanden, so handelt es sich um ein Abwasser, finden sich dagegen nur wenige im ccm, etwa 20 bis 100, so liegt ein trinkbares, gutes Wasser vor. Fälle, in denen sich mehrere hundert oder mehrere tausend Bakterienkeime im ccm finden. 670 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 42 kann im allgemeinen nur der F'achmann korrekt beurteilen. Die dritte Methode endlich ist die biologische, welche in ihrer heutigen Gestalt erst neueren Datums ist. Sie beschränkt sich nicht auf die Untersuchung der im Wasser lebenden Bakterien, sondern zieht zur Beurteilung die gesamten im Wasser zu beobachtenden Lebensgemein- schaften nach Möglichkeit heran, also niedere Pflanzen und höhere Pflanzen, niedere Tiere und höhere Tiere. Dabei werden nicht bloß die im Wasser freischwebenden Organismen, das Plankton, untersucht, sondern auch die an den Uferhängen festsitzenden und die im Schlamm am Boden der Gewässer eingebetteten. Die zum Erbeuten dieser Organismen vor allem nötigen Apparate sind, soweit es sich nicht um [-"ischfang handelt : das Planktonnetz, der Pfahlkratzer, die Dretschc und das Schlammsieb. Diese dritte Methode gewährt zugleich einen tieferen Einblick in diejenigen Faktoren, welche bei der biologischen Selbstreinigung der Gewässer, al^o dem Akt der Mineralisierung der Schmutz- stoffe, eine Rolle spielen. Jede dieser Methoden wird man natürlich da anwenden, wo sie besonders wertvolle Dienste zu leisten vermag, die jeweilig ihre Eigenart mit sich bringt. Aus dem vorstehend Gesagten ergibt sich klar, daß eine prinzipiell wesentliche Erweiterung der Wasseranalyse in Zukunft nicht mehr zu erwarten sein wird, da die jetzigen Methoden schon alles umfassen, was der chemischen (bei Durchsichtig- keits- und F'arbenbestimmungen auch der physi- kalischen) und biologischen Analyse zugänglich ist. — Im Bürgersaale des Rathauses sprach am Diens- tag, den 19. April, unter Vorfülirung zahlreicher Lichtbilder Herr Privatdozent Dr. A. Marcuse über das Thema: ,, Eine astronomische Wanderung durch unser Sonnensystem". In einer kurzen Einleitung schilderte der Vor- tragende zunächst die ideale und praktische Be- deutung der Astronomie, indem er hervorhob, daß die Beschäftigung mit den Grundlehren und Er- gebnissen der Himmelskunde einen erhebenden, vertiefenden und allgemein erzieherischen Wert habe. Anknüpfend an den bekannten Ausspruch Kant's von der Erhabenheit des gestirnten Himmels über uns und der moralischen Welt in uns wurde auch der Beziehungen zwischen der Astronomie und der physiologischen Psychologie gedacht, da ja erst durch astronomische Präzisionsmessungen räumlicher und zeitlicher Intervalle die Erkenntnis unserer gesamten Denk- und Empfindungsapparate, welche niemals schnell und selten richtig arbeiten, erschlossen wurde. Die praktische Bedeutung der Astronomie liegt in der Verwertung ihrer Me- thoden und Ergebnisse für die geographische Orts- bestimmung bei Landreisen, Seereisen und Dauer- fahrten im Luftballon, deren Sicherung nur durch astronomische Orientierungen gegeben wird. Ferner beruhen die für das praktische Leben so wichtigen Gebiete des Zeitdienstes und der Zeit- oder Kalender- rechnung ebenfalls ausschließlich auf astronomischen Messungen. Nunmehr schilderte der Vortragende an der Hand einer großen Reihe von Projektionsbildern, welche nach photographischen Originalaufnahmen in den größten Fernrohren der Erde hergestellt sind, die Welt der Fixsterne, Nebelflecke, Stern- haufen und vor allen Dingen die Körper unseres Sonnensystems. Beginnend mit der Sonne und dem sonnennächsten Planeten Merkur werden die großen Planeten Venus, Mars, Jupiter und Saturn in Wort und Bild vorgeführt. Daran schloß sich die große Reihe der kleinen Planeten, deren photo- graphische Entdeckungsweise erörtert wurde, ferner die Welt der Kometen und Meteore, die in ihren charakteristischen Eigenschaften zur Beschreibung gelangte. Zum Schluß kam der Mond, dessen topographische Beschaffenheit an der Hand zahl- reicher Abbildungen ausführlich erörtert wurde. Der Vortrag schloß mit einer kurzen Betrachtung über die mathematische Erfassung der Bewegungen in der Natur, wie sie am klassischsten in der Himmelsmechanik zum Ausdruck kommt. — Unter Führung des Herrn Geh. Bergrats Prof. Dr. Wahnschaffe wurde am Sonntag, den 24. April, von einer Anzahl von Mitgliedern ein Ausflug nach dem Gifhorner Hochmoor unter- nommen. — Am Freitag, den 29. April, sprach im Theater- saal der alten Urania, der sich bis zum letzten Platz gefüllt hatte, der Afrikareisende Herr C. G. Schillings über ,,Neue F"orschungen in der ost- äquatorialen Wildnis" unter Vorführung seiner neuesten Tag- und Nachtaufnahmen afrikanischer Tiere in Freiheit. Die Aufgabe, in deren Dienst sich schon seit Jahren Herr Schillings mit so aus- gezeichnetem Erfolge gestellt hat, das vielgestaltige Tierleben unserer ostafrikanischen Kolonie durch Momentaufnahmen auf der photographischen Platte festzuhalten, muß für die Wissenschaft um so wert- voller und wichtiger erscheinen, als durch die un- aufhaltsam fortschreitende Kultur die reiche und gewaltige Fauna einer immer schnelleren Ver- nichtung anheimfällt. So manche Tierart ist schon durch das unvernünftige Eingreifen des Menschen vom Erdboden verschwunden , und trotz aller Gegenmaßregeln hält die unvernünftige Ausrottung der Tiere in den Kolonien an. Es wird vielleicht nicht allzulange mehr dauern, so wird auch der afrikanische Elefant, der alljährlich des bischen Elfenbeins wegen zu vielen Tausenden hingemordet wird — im Laufe eines Jahres wurden nicht weniger als 18 500 von diesen Tieren nachweislich erlegt — durch die unersättliche Habgier des Menschen dem gleichen Schicksal zum Opfer gefallen sein. In wechselvollen prächtigen Bildern zog während des Vortrages das Tierleben der ostafrikanischen Wildnis vor den Augen der Zuhörer vorüber. Zuerst die Vogelwelt der Steppe, deren Sümpfe von Un- massen von Flamingos, Fischreihern, Pelikanen, N. F. ni. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 671 Marabuts, Störchen und Kranichen belebt sind, dann die größeren Säugetiere, bald in idyllischer Ruhe zu Rudeln vereint und vergesellschaftet oder wie jene beiden riesigen alten Elefantenbullen mit ihrem unzertrennlichen Freunde, einer riesigen männlichen Giraffe, an den Abhängen des Kili- mandscharo ein Einsiedlerleben führend, bald mit allen Anzeichen der Erregung, sei es vor dem ver- folgenden Feinde fliehend, oder die einen ängstlich und scheu, die andern gierig und lauernd zur Tränke schleichend. Gerade die Wiedergabe der nächtlichen Szenen an den Wasserstellen, zu denen meilenweit die Tiere zusammenströmen, um ihren Durst zu stillen, und an denen die großen Raub- tiere mit Vorliebe ihrer Beute nachgehen, waren wohl das Vollendetste, was die Geschicklichkeit und Kunst des kühnen Photographen zuwege ge- bracht hat. Nicht enden wollender Beifall belohnte Herrn Schillings für den genußreichen Abend, den er den Mitgliedern der Gesellschaft geboten hatte. 1. A.: Dr. Vf. Greif, I. Schriftführer, SO 16, Köpeaickerstraße 142. Verlag des Kolonial- Berlin 1903. — Preis und nicht im Jahre Bücherbesprechungen. „Kunene-Sambesi-Expedition. H. Baum 1903". — Im Auftrag des Kolonial-Wirtschaftlichen Ko- mitees herausgegeben von Prof. Dr. O. \V a r b u r g. Mit einem Buntdruck, 12 Tafeln, i Karte und 108 Abbildungen im Text. Wirtschaftlichen Komitees. 20 Mk. Als im Jahre 1899 — 1903, wie man aus der wunderlichen Titelbildung schließen könnte ! — die Companhia de Mossa- medes eine Expedition zur Untersuchung des süd- lichen Angola unter der Leitung des Herrn Pieter van der Kellen entsandte, vereinigten sich das Kolo- nial-Wirtschaftliche Komitee in Berlin und die South West-Afrika Company in London zu gemeinsamer Beteiligung, indem eine Aufforderung in die deut- schen Lande erging, der zufolge ein deutscher Bota- niker von genannten beiden Organisationen ausge- rüstet werden sollte , so daß derselbe ohne eigene Kosten und unter sonstigen günstigen Bedingungen diese Untersuchungsexpedition begleiten konnte. Es ist kein besonders gutes Zeichen für unsere junge Gelehrtenwelt, daß sich nur zwei Bewerber meldeten, von denen der Gärtner H. Baum gewählt wurde. Dieser Mann hat nun seine nächste Aufgabe voll und ganz gelöst. Das Ergebnis seiner Arbeiten, wel- ches hier in einem ca. 150 Seiten langen Reisebericht und in einer ca. 250 Seiten umfassenden eingehenden Bearbeitung der botanischen Ergebnisse durch eine große Anzahl von Fachgelehrten vorliegt , hat auf dem Gebiete der Pflanzenkunde in Zukunft einen ehrenvollen Platz zu beanspruchen. Auch der frag- mentarische Anhang, eine ca. 50 Seiten umfassende Charakterisierung der Antilopenarten, Lepidopteren und Ameisen ist erwähnenswert, tritt aber stark in den Hintergrund. Der Reisebericht verrät durchgehend den Botaniker. Es ist zu bedauern, daß den botani- schen Resultaten gegenüber alle anderen Disziphnen so außerordentlich stark zurücktreten. Man sollte annehmen, daß eine für ein Kolonial-Wirtschaftliches Komitee ausgeführte Reise auch auf anderen wirt- schaftlich wichtigen Gebieten Resultate mit heim- bringen muß. Die eigentlich wirtschaftliche Betrach- tung des Landes, weiche auf 3 Seiten beschränkt ist, muß jedoch als allzu oberflächlich bezeichnet werden, um überhaupt von Wert zu sein. Schon die ange- fügte Kartenskizze, die keinerlei Terrainbildung er- kennen läßt, die in ihrer rohen Konturenzeichnung stark an Sekundanerleistungen erinnert und in idealer Selbständigkeit jedes ältere Material ignoriert, muß uns stutzig machen. Es ist keineswegs meine Absicht, mit diesen Worten die Leistung des Herrn Baum, der als sammelnder Botaniker Hervorragendes geleistet hat , herabzusetzen. Die Ergebnisse einer solchen Arbeit des Sammeins und des späteren Be- stimmens hätten aber genau gerade so gut und mit viel mehr Recht in den Veröftentlichungen einer Akademie Platz gefunden. Die eigentlich geographi- sche Reisebeschreibung konnte in konzentrierter Form gerade so gut etwa im Globus aufgenommen werden. Wozu nun dieses Buch? Nachdem ich das Werk mehrmals durchgearbeitet habe , bin ich zu dem SchlulJ gekommen , daß lediglich die ausgezeichnete Studie von Prof. O. Warburg über die pflanzengeo- graphischen Ergebnisse im Umfange von 35 Seiten dies Buch rechtfertigen. Ich betone nochmals, daß die botanischen Er- gebnisse und Arbeiten ganz ausgezeichnete sind, daß ich dieselben nur als zu spezialwissenschaftlich er- achte, um ein derartiges „Reisewerk'' zu berechtigen. Wir sollten doch mit den dem deutschen Volke und der geographischen Wissenschaft vorgelegten Büchern etwas vorsichtiger sein. Jeden Freund unserer Kolo- nien, jeden Geographen und speziell Wirtschafts- und Kulturgeographen muß es nachgerade mit einer ge- wissen Bangigkeit erfüllen , daß im Laufe der letzten Jahre die entsprechende Literatur, man möchte fast sagen, abgestorben ist. Wo sind die Leute gehlieben, die wie Schweinfurth, Bartli, Nachtigall, Junker, Wolfif, Baumann, Stuhlmann, Lenz, Rohlfs, Pogge etc. einen weiten Blick für die Gesamtheit der Natur- und Kulturverhältnisse neu zu erschließender Länder hatten. Die Arbeiten von Passarge, Hutter, Klose liegen wie einzelne Oasen in einer absolut toten Periode. Hunderte von gebildeten Deutschen durch- ziehen heute die afrikanischen Länder und wenn das Volk heute weitere geographische Anregungen wie sie ein Kolonialwirtschaft treibendes Volk ver- langt , sucht , so muß es nach alten Werken greifen. Gewiß freut sich der Fachmann über ein Werk wie dieses von H. Baum, des tüchtigen Obergärtners zur Zeit am botanischen Garten in Rostock. Aber indem wir gerade dieses Werk in die Hand nehmen , fällt uns das Traurige im Gesamttypus unserer derzeitigen geographischen Afrikaliteratur auf. Ich habe mir die Frage vorgelegt, worauf der charakterisierte Mangel zurückzuführen ist. Wenn nur mancher Kollege und mancher Beamte unserer Kolonial- regierung hierauf geantwortet hat , daß wir heute 6/2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 42 nicht mehr in der Zeit der epochemachenden Er- schließungsreisen stehen und daß heutzutage die Auf- gaben andere geworden sind, daß wir z. B. einerseits die spezialwissenschaitlichen Untersuchungen und andererseits die pral:tischen wirtschaftlichen Studien zu fördern hätten, so bin ich vollständig bereit, mich auch über diese Spezialisierung und über diese prak- tische Geschäftsführung zu freuen, kann aber nicht umhin, trotzdem unseren maßgebenden Instanzen und auch dem sehr verehrten und in vieler Hinsicht er- sprießlich wirkenden Kolonial-Wirtschaftlichen Komitee ein videant consules zuzurufen. Gewiß : videant con- sules! Das deutsche Volk ist ein eigenartiges Volk und will nach seiner Eigenart auch behandelt sein. Um etwa ein englisches Volk zur Beteiligung an der Kolonisationstätigkeit anzuregen, wird es oftmals ge- nügen, fröhliche Jagdbücher und Räubereigeschichten zu verbreiten. Dem angeregten Jäger folgt dann bei den Engländern stets der Kolonisator. Für ein fran- zösisches Volk mag es genügen , von der gloire der französischen Vorherrschaft in Afrika zu reden, um Kapitalien für die Kolonisation flüssig zu machen. Ganz anders das deutsche Volk. Es ist falsch, wenn man etwa glaubt, daß Berichte über eine speziell botanische Expedition oder auch die Aussendung spezieller Baumwolle.xpeditionen etc. die Volksseele so packen, daß sie mitempfindet. Das deutsche Volk ist zu seiner Kolonisationsarbeit durch Männer ange- regt worden, die wie ein Humboldt, ein Schweinfurth, ein Nachtigall usw. Gesamtbilder des organischen und anorganischen Werdens in fremden Ländern schufen. Das war in diesem Sinne Volksnahrung. Noch heute greift der Gebildete Deutschlands zu diesen Büchern. Das uns hier interessierende Buch wird der Deutsche, wie ich ihn kenne, liegen lassen. Demnach also mögen die maßgebenden Körperschaften dafür Sorge tragen, daß der Strom dieser Volksunterhaltung nicht versiege. Werke wie die von H. Baum sind dankens- wert , wenn neben ihnen größere , weitschauendere Geister von fernem Land und Leuten erzählen. Sie wirken aber tötend , wenn sie allein und ohne eine lebendigere Begleitmannschaft in die Volksliteratur einwandern. Man schaue, daß man nicht nur prak- tisch und nicht nur spezialwissenschaftlich predige. Der Gärtner H. Baum hat als Gärtner geradezu Her- vorragendes geleistet. Das Kolonial-Wirtschaftliche Ko- mitee hätte sich aber bei Aufwendung gleicher Mittel noch größeren Dank vom deutschen Volke verdienen können : meldete sich nicht ein auch in weiterem Sinne entsprechend wissenschaftlich vorgebildeter Bo- taniker , so hätte das Komitee einen Naturwissen- schaftler anderer Disziplin, etwa einen Wirtschafts- geographen hinaussenden sollen , der die botanische Sammelarbeit ebenfalls erledigen konnte und dabei mehr sah. Videant consules! Leo Frobenius. Briefkasten. Herrn Oberrcallehrer K. in L. — Kristallnctze zum Selbst- anfertigen von Modellen erhalten Sie im Verlag von A. Pich- ler's Witwe & Sohn, Wien, Margaretenplatz 2. Dort sind erschienen i. von Prof. Dr. Gerstendörfer, Große Kristall- formennelze zum Schulgebrauche. 32 isometrische Netze auf 10 Kartontafeln. Die Hauptachse 16 cm lang. — Format 46 : 64 cm. Preis 6 K. ; 2. von Realschuldirektor Ludwig Rothe, Kristallnetze zur Verfertigung der beim mineralogischen Anschauungsunterricht vorkommenden, wichtigsten Kristall- gestalten. 3 Tafeln mit erläuterndem Text. 9. Aufl. Preis 60 h. ; 8 Tafeln, enthaltend 52 Netze auf Karton, mit er- läuterndem Te-Kt. Preis in Mappe 1,50 K. Harbordt. Herrn W. F. E. in Berlin. — Frage 1 : Durch welche Kraft, resp. aus welcher Ursache vollführen die Embryonen des A-xclotTs (Amblystoma tigrinum) im Ei langsame Drehungen? — Die Bewegungen, die zuerst von Joly bc- obaclitet wurden (Revue des Sciences naturelles T. 1, p. 23, 1872) und diesem Forscher meist als Drehungen von links nach rechts erschienen, nach van Bambe ke's Beobachtungen dagegen kopfüber erfolgen (Archives de Biologie, T. I, p. 327, 1880) und nach Stieda sehr häufig auch ganz ausbleiben (Silzungsber. d. Dorpater Naturf.-Ges. 1875, S. 11), sollen nach Robin durch schwingende Cilien bewirkt werden (Journal de FAnatomie et de la Physiologie 1874, p. 385). Frage 2 ; Wie kommt es, dai3 die Eier des Axolotl's an der Oberseite, die später den Rücken des Tieres liefert, schwarz, unten dagegen weiß sind ? Macht die erblich gewordene Hautfärbung sich, im Gegensatz zu den Fischen, hier schon im Ei bemerkbar oder handelt es sicli auch beim Ei um eine Schutzfärbung? — Die dunkle Färbung des Amphibieneies dürfte weder physiologisch noch morphologisch mit der Fär- bung des ausgebildeten Tieres in Verbindung zu bringen sein. — E)ie Amphibien sind, ganz allgemein gesprochen, im Gegensatz zu den Fischen, die Bewohner der kleinen, leicht austrocknenden Gewässer. Die Eier müssen sich also schnell entwickeln, sogar in der kühlen Jahreszeit unter den äußerst ungünstigen Bedingungen, welche die wechsclwarmen Tümpel bieten und deshalb müssen Einrichtungen vorhanden sein, welche die Sonnenwärme in erhöhtem Maße binden und zur Wirkung kommen lassen. Als eine solche Einrichtung stellt sich zweifellos die dunkle Färbung dar. Ich erinnere nur an das bekannte Experiment: Ein schwarzes und ein weißes Stück Tuch wird bei Sonnenschein auf den Schnee gelegt. Das schwarze sinkt ein, das weiße nicht. Um eine Schutz- färbung kann es sich sicher nicht handeln: Gerade bei den- jenigen Arten, welche im allerersten Frühling ihren Laich in ganz flachen Gewässern ablegen, sind die Eier am dunkelsten. Der Laich ragt hier oft teilweise aus dem Wasser vor und fällt dann ganz außerordentlich in die Augen. Eine Schutz- einrichtung ist freilich vorhanden, dieselbe ist aber in der dicken (iailerthülle zu suchen, welche nicht nur die Wirkung der Nachtfröste abhält, sondern auch den Nährwert des Eies im Verhältnis zur Masse stark herabsetzt, so daß der Laich von wenigen Tieren gefressen wird. — Daß die Pigment- körner des Eies mit den Pigmentzellen der Larve morpho- logisch nicht im Zusammenhang stehen, sclieint allgemein an- erkannt zu sein. Van Bambeke sagt, daß die Masse des Pigmentes sich im Ei nicht vermehre, sondern zerteile (Bulle- tins de l'Academie des Sciences des Lettres et des Beaux-Arts de Belgic|ue, 66. annee (3 ser. T. 31) 1896 p. 40). Aus der Tafel XII, welche derselbe Autor in den Archives de Biologie (T. I, 1880) von der Entwicklung des Axolotl's gibt, ist das Schwinden oder eigentlich die Verteilung des Pigments im Ei und das Neuauftreten der Pigmentzellen beim l^mbryo klar ersichtlich. Wo die Pigmentzellen beim Embryo entstehen, ob in der Epidermis oder in der Cutis, darüber sind die An- sichten der Forscher freilich noch geteilt. (Vgl. Rabl in Anatom, .'\nzeiger Bd. 10, p. 12 — 17, 1895.) Dahl. Inhalt: Dr. S. l'assarge: Die Inselsberglandschaften im tropischen Afrika. — Kleinere Mitteilungen: R. Dodgc: Über Einwirkungen der Wüstenzustände auf den Menschen. — K. Guenther: Über Nervenendigungen auf dem Schmetterlingsflügel. — K. Moebius: Die Formen, Farben und Bewegungen der Vögel, ästhetisch betrachtet. — Franz Buchenau: Entwicklung von Staubblättern im Innern von Fruchtknoten bei Melandryum rubrum (iarcke. — J. Weckbecker: Darstellung von Graphit aus Holzkohle und Ton. — Vereinswesen. — Bücherbesprechungen: „Kunene-Sambesi-Expedition. H. Baum 1903". — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur; Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfeldc-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,Di6 NatUT" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 24. Juli 1904. Nr. 43. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der l'ost 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate : Die zweigespaltene Pclitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Heilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Wumenstraße 46, Buchhändlerinscrate durch die Verlagshandlung erbeten. Vergleichende Betrachtungen über die ältesten ägyptischen Darstellungen von Volkstypen. [Nachdruck verboten,] Vom Geheimen Medi/.in.ilrat Prof. l)r, G. Fritsch. I. Die in den vorliegenden Blättern niedergelegten Vergleichungen beziehen sich auf Ägypten, das „Wunderland", wie es mit einem ehrenden Bei- worte häufig genannt wird. Und in der Tat, stets neue Überraschungen gebiert dieser scheinbar un- erschöpfliche Boden, noch heute gilt das vor mehr als tausend Jahren geprägte Wort: „Semper aliquid novi ex Africal" Aus der Fülle wichtiger Ent- hüllungen, welche die ägyptische F'orschung im Laufe der Zeiten lieferte, schöpfen mancherlei Wissenschaften ihr Beobachtungsmaterial ; darunter interessiert an dieser Stelle besonders die Ver- wertung gewisser, daselbst festgestellter Tatsachen für die Abstammungslehre. Die Möglichkeit bestimmte Tierformen, z. B. den bekannten heiligen Ibis Ägyptens, mit Hilfe der aufgespeicherten Reste in ihrer Entwicklung durch Jahrtausende zu verfolgen, führte zu der Erkenntnis, daß die körperlichen Merkmale in so verhältnismäßig langen Zeiträumen sich merk- würdig treu geblieben sind, und diese als „Kon- stanz der Charaktere" bezeichnete P^rscheinung wurde vielfach als ein wichtiger Beweis gegen die Umwandlung der .'\rten überhaupt verwertet. Offen- bar war solche Schlußfolgerung, wie schon Ch. Darwin ausführte, voreilig; denn abgesehen davon, daß die Tatsache selbst bei der Unsicherheit der Mumienvergleichung mit den lebenden Formen kaum genügend sichergestellt ist, und der alt- ägyplische Ibis in Wirklichkeit robuster gewesen sein dürfte als der jetzige, so würde dieselbe nur beweisen, daß die Existenzbedingungen für diese Tierform in den Hauptzügen durch die Jahrtausende dieselben geblieben sind, und somit auch keine Veranlassung zu tiefgreifenden Abänderungen ge- geben war. Es kann allerdings nur gesagt werden : ,,in den Hauptzügen"; denn je mehr wir jetzt durch die neu erschlossenen Dokumente in die Erkenntnis des Urzustandes eindringen, um so mehr müssen wir einsehen lernen, daß auch der natürliche Charakter des Landes selbst in wesentlichen Punkten während dieser Periode einschneidende Umgestal- tungen erfahren hat. Unzweifelhaft baute der Fluß erst in diesen Jahrtausenden einen größeren 6/4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 43 Teil seines Delta auf, und der gänzlich unregulierte Verlauf der gewaltigen Wassermassen schuf an den Ufern seiner verzweigten Kanäle ausgedehnte, schilfbewachsene Niederungen und Sumpfland, welche dem mannigfachsten wilden Getier eine sichere Zuflucht darboten. Hier werden sich alle auf das Wasser angewiesene Formen in besonderer Üppigkeit entwickelt haben, und damit würde die oben angeführte Beobachtung am Ibis, wenn sie sich als konstant herausstellte, in vortrefflicher Übereinstimmung sein. Aber es wird auch immer unzweifelhafter, daß sich zu dem wilden Getier auch wilde Menschen gesellten, die Trümmer einer wenig widerstands- fähigen Urbevölkerung, welche vor feindlichen Ein- dringlingen in diese unzugänglichen Schlupfwinkel auswich. Solche Zustände werden durch die hiero- glyphischen Darstellungen noch für Zeiten be- stätigt, welche wir jetzt schon berechtigt sind den wirklich historischen zuzurechnen. So wichen noch unter den Ramessiden, also in der Zeit des neuen Reiches, geschlagene lybische Stämme, um der Vernichtung zu entgehen, in die unzugänglichen Sümpfe des Delta aus, wie z. B. nach den blutigen Kämpfen des Pharao Minephtah (1330) gegen diese Stämme und selbst viel später (733), als der Äthiopier Schabak das unterägyptische Reich unter dem Pharao Bokenranf zerstörte.') Solche kriegerischen Ereignisse waren verhält- nismäßig bedeutungsvoll und wurden mit der be- kannten Ruhmredigkeit auf den Denkmälern ver- ewigt, aber die unscheinbare Existenz harmloser Bewohner des Landes war nicht der Mühe wert von dem Hierogrammaten berücksichtigt zu werden. Wir müssen uns, um ihre Existenz zu erweisen, damit begnügen, daß beiläufig hier und da auf solche niedrig siehenden Bevölkerungsklassen hin- gewiesen wird, und es ist bezeichnend,-) daß sie unter der Bezeichnung „Sumpfleute" angeführt sind. In diese dunklen Zeiten der ägyptischen Urgeschichte werfen nun unerwartet neuere Entdeckungen grelle Schlaglichter, wodurch trotz mancher dabei noch bestehen bleibender Rätsel doch eine Basis der Beobachtung ge- wonnen worden ist, auf der es sich wohl lohnt weiter zu bauen. Die berühmten Ausgrabungen der Herren Flinders Petrie und Morgan, sowie unseres hochverehrten Schweinfurth haben ein so reiches Material an das Tageslicht gebracht, daß dadurch eine ganze Periode der Urgeschichte jener Gegenden in rohen Umrissen umgrenzt werden konnte, welche nach den bei dem Ort Negada gefundenen Gräbern durch Flinders Petrie als „Negada-Periode" bezeichnet wurde.'') Es erscheint erforderlich einen kurzen Abriß der Ergebnisse dieser Untersuchungen zu geben, um festzustellen, welche Elemente wir von den ältesten Zeiten her in der ägyptischen Bevölkerung etwa annehmen dürfen. Die Forscher waren sehr bald zu der Über- zeugung gekommen, daß die gemachten Funde der Vorgeschichte zuzuweisen wären ; es wurde ein Königsgrab als dasjenige des bisher vollständig als mythisch betrachteten Königs Menes erkannt, und der genannte Herrscher somit der geschicht- lichen Zeit angegliedert. An dieser Stelle inter- essieren aber weniger die Gräber der vornehmen Leute, sondern die massenhaft aufgedeckten Gräber von Personen aus dem Volke, welche in zusammen- gekauerter Stellung als sogenannte, .liegende Hocker" begraben waren. Die Art der Bestattung, die Beigaben, sowie die leider bei der mangelnden Einbalsamierung spärlichen körperlichen Reste sind von dem spe- zifisch ägyptischen Typus so abweichend, daß Herr F' linders Petrie die Leutchen als „die Rasse der P"remden", Herr Morgan als die „neue Rasse" ansprach,') Bezeichnungen, welche fast wehmütig stimmen, wenn man bedenkt, daß diese „P'remden" offenbar Jahrhunderte oder selbst Jahrtausende in den Ürtlichkeiten gelebt haben, wo sie auch be- graben liegen, daß die „neue Rasse" als lucus a non lucendo die älteste darstellt, welche bisher in Ägypten gefunden wurde. Die Autoren sind in die Erscheinungsformen des späteren Kulturvolkes, welche ihnen ganz ge- läufig sind, so eingewöhnt, daß ihnen alles fremd und neu erscheint, was sich noch nicht dabei unter- bringen läßt. Gleichwohl wird zweifellos der Fort- schritt unserer Erkenntnis zu der Überzeugung führen, daß in diesen Funden sich Reste von Ur- bevölkerungen kund geben, welche in die späteren Ägypter verschmolzen sind, wie bereits von ver- schiedenen Seiten zu beweisen versucht wurde. Dazu ist vor allen Dingen erforderlich, daß man sich bemüht, eine Anschauung davon zu schaffen, wie diese Menschen etwa ausgesehen haben, so schwierig dies unter den angedeuteten Verhält- nissen auch erscheinen muß. Von den körper- lichen Resten sind Haarproben von hervorragen- der Bedeutung, welche sich als abgeschnittene Beigaben auf rohgeformten irdenen Tellern viel- fach in den Gräbern fanden. Bekanntlich hat unser unvergeßlicher R. Vir- chow'-j in seiner Abhandlung über die ethno- logische Stellung der prähistorischen und proto- historischen Ägypter eingehende Untersuchungen über die Beschaffenheit dieser Haarfunde veröffent- licht. Dabei war er wesentlich von dem Gesichts- punkte geleitet festzustellen, ob, wie von anderer Seite (F'linders Petrie) behauptet wurde, die Proben den Beweis für die Zugehörigkeit ihrer einstigen ') Maspero: L'histoirc aiicienne des peuples de l'Orient classique II. '') Erman I, 293. ') Flinders Petrie: Negada. ') de Morgan: Über die .\usgrabungen bei Negada. Ref. in Verhandl. d. Berliner Gesellsch. für Anthropologie usw. 1897. S. 207. ") K. Vircliow: Über die ethnologische Stellung der prä- historischen und protohistorisclien Ägypter. Berlin 1S9S. Ver- lag d. Königl. Akad. d. Wissensch. N. F. m. Nr. 43 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. 675 Träger zu einer blondhaarigen, vermuthch blau- äugigen Rasse ergeben. Gewiß mit Recht bestreitet Virchow, daß dieser Beweis erbracht sei, indem er auf die er- sichtlich posthume Verfärbung der ursprünglich vermutlich braunen Haare hinweist. Indessen hat er dabei utiberücksichtigt gelassen oder übersehen, Fig. I. Libyer nach Rosellini ; Monum. stör. [I. PI. CLVI. daß auch die altägyptischen Völkerdarstellungen, wie sie im Anfang des verflossenen Jahrhunderts durch Champollion, Lepsius und Rosellini niedergelegt wurden, die als Temenhu oder Libu bezeichneten Stämme, um welche es sich hier gerade handeln könnte, bei ganz heller Hautfarbe und blauen Augen mit braunen, lockigen Haaren abgebildet sind. Die beistehende Figur zeigt eine ' '• > I. 1 ' ' ' iT" Fig. 2. Neger nach Rosellini ; Monum. stör. II. PI. CLVI. Anzahl solcher Figuren nach einer Tafel Rosellini's, welche im Original farbig ausgeführt wurde und dunkle Tattauierungen auf der weißlichen Haut der Arme und Beine erkennen läßt, während der ganze Körper in mantelartig verarbeitete, bunte Felle gehüllt ist; darunter stehen vier Figuren echter Neger, welche die charakteristischen Züge von solchen in vortrefflicher Ausführung erkennen lassen. Ebenso sind die von kurzen Vollbärten umzogenen Gesichter der Temenhu mit den fein geschnittenen „europäischen" Profilen höchst auf- fallend. Es ergibt sich, daß Virchow, was die Haar- tracht anlangt, den wesentlich negativen Stand- punkt in der zitierten Abhandlung nicht einzu- nehmen brauchte; der Charakter der aufgefundenen Proben paßt zu demjenigen der auf den Denk- mälern dargestellten hellfarbigen Volkstypen durch das Lockige der Gruppierung recht gut, auch fand sich eine 18 cm lange, dunkle Locke in einem der Negada-Gräber, welche Virchow (1. c. S. 7) mit der sogenannten „Jugendlocke" späterer ägyptischer Typen (z. B. des Horuskindes) vergleicht. Wie die Abbildung zeigt, ist diese einseitige „Jugendlocke" ein regelmäßiges Attribut der Libyer auf den Wandmalereien, was Virchow entgangen zu sein scheint. Die dabei gefundenen Schädel der drei iiaupt- .sächlichsten Fundorte (Negada, Gebel Silsileii, Aby- dos) erwiesen sich als meist dolichocephal mit ge- legentlicher Hinneigung zur Mesocephalie, was also gewiß kein Grund wäre, ihre Zugehörigkeit zu einer libyschen Rasse abzulehnen. Außer den soeben angeführten Darstellungen finden sich vereinzelt noch andere mit ebenfalls ziemlich heller Pfautfarbe, blauen Augen, mit langem, flockigen, durch ein Stirnband zurück- gehaltenem Haar, welches ebenso wie der ziemlich starke Vollbart von dunkler, ins Fuchsige fallender Farbe ist. Leider sind die Angaben in diesen älteren Werken wegen des noch mangelhaften Verständnisses der hieroglyphischen Inschriften recht dürftig; ich möchte es daher um so weniger unterlassen, hier eine 'I'afel von Rosellini') zu reproduzieren, aufder die hauptsächlichsten fremden Bevölkerungstypen vergleichsweise zusammenge- stellt wurden : in der Mitte der Neger, rechts semitische Asiaten von gelbbräunlicher Hautfarbe, links die eben beschriebenen hellfarbigen Rassen, von denen der untere Kopf das typische Bild des Temenhu mit dem I.ockenhaar und darin befestigten Straußenfedern zeigt. Das Vordringen solcher libyscher Stämme von Westen her gegen die ägyptischen Reiche führt ims weit hinein in die historische Zeit und ist daher begreiflicherweise meist überhaupt in diese Zeit verlegt worden, aber es mehren sich ersicht- lich die Vertreter der Anschauung, dal3 schon in den prähistorischen Perioden solche Bevölkerungs- elemente im Lande vorhanden waren und zwar nicht nur in den nördlichen Gebieten, sondern daß sie selbst im Süden schon sehr früh nach- weisbar sind, vor der Besiedelung derselben durch Negervölker.-) Wo dieselben herstammen? Welchen Rassen sie am nächsten verwandt sind ? wird wohl immer eine offene Frage bleiben, die Meinungen darüber ») Rosellini II, CLX. ^) Wiedemann : Urzeit -Ägyptens. ,, Umschau". 189g. Wiede- niann : Die neuesten Entdeckungen in .Ägypten und die älteste Geschichte des Landes. Jahrg. I. Nr. 32 u. 33. 6-]6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 43 sind von aUers her geteilt; während Champollion sie direkt als „Europäer" ansprach, sah B r u g s c h sen. in ihnen „Afrikaner" und Deveria') betont mit Recht, daß diese beiden Anschauungen nicht durch- aus unvereinbar sind, da es sich doch offenbar um wandernde Stämme handelt. Wie dem auch sei, es ist nicht ersichtlich, daß gerade diese Bevölkerungselemente einen dauernden Einfluß auf die Gestaltung des ägyptischen Kultur- volkes gewonnen haben, obwohl ihrer Vermischung mit den anderen nachweislich keinerlei Schwierig- keiten in den Weg gelegt wurden. Es bewährte sich also auch hier die alte Erfahrung, daß die hellfarbigen Rassen in den heißen Zonen im Kampi ums Dasein unterliegen. werden die ,, beiden Länder" genannt und einzelnen Personen der Ehrentitel ,, Großer von Buto" bei- gelegt, was jedenfalls auf bedeutende politische Selbständigkeit schließen läßt. Somit steht es mit den tatsächlichen Befunden nicht im Einklang in Oberägypten, etwa bei Abydos, ein hypo- thetisches Zentrurn der Kulturentwicklung an- zunehmen, von dem aus die Kultur nach ganz Äg)'pten ausgestrahlt wäre. Weitere Ausgrabungen, von denen besonders die durch Herrn Ouibell bei Kom-el-ahmar und El-kab ausgeführten wichtige Erfolge aufweisen, die ebenfalls der Negada - Periode zugesprochen wurden, deuten in betreff der hypothetischen Rasse in eine andere Richtung, welche mehr Wahrschein- Fig. 3. Völkertypen altägyptischer Wandgemälde. Rosellini M. st. II. CIX. Auch wenn Herrn Wiedemann's Angabe, daß die Libyer sich schon in frühester Zeit im Süden Ägyptens nachweisen lassen, als zutreffend angenommen wird, so lag das „Strahlungszentrum" dieser Schwärme doch unzweifelhaft im Nordwesten des Landes und daher empfand auch Unterägypten den Druck derselben am stärksten. Es ist für die nachfolgenden Erörterungen von hoher Bedeutung festzustellen, daß nachweislich schon in proto- historischer Zeit sich die „beiden Länder", d. h. Ober- und Unterägypten scharf abgegrenzt hatten und vielfach selbständig ihre Geschichte durch- machten, wie sich deutlich aus dem Quellen- studium ergibt. Unterägypten hatte als Schutzgöttin die schlangen- köpfige Buto, Oberägypten die geierförmige Neche- bit, und schon auf Denkmälern der vierten Dynastie lichkeit für sich hat und die auch von Herrn Schweinfurth verfolgt wurde. Wir sind durch jene Ausgrabungen auf der Stätte des alten Hieraconpolis in den Besitz von Talkschieferplatten gekommen, auf denen sich, wie man annimmt, die ältesten bisher bekannt ge- wordenen Darstellungen von menschlichen Ge- stalten befinden, da die Natur der Beigaben dazu zwingt, die Negadafunde in die neolithische Periode zu verweisen. Die beistehenden, nach Herrn Quibell's Ver- öftentlichung ') wiedergegebenen Abbildungen sind für die hier behandelten Fragen von hervorragender Bedeutung. Die Sonderung der „beiden Länder" kommt auch hier zum Ausdruck, indem auf der einen Darstellung der Pharao die Krone von Ober- ägypten, auf der anderen die von Unterägypten trägt; Tracht und Haltung zeigt archaischen ^) Deveria : La race supposee protoceltique est eile figuree dans les nionuments egyptiens? 1864. Revue archeologique 2™= Serie, t. IX, p. 38 — 43. ') J. E. Quibcll: Slate palette from Hieraconpolis. Zeit- schrift für ägyptische Sprache. Bd. XXXVI. N. F. m. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ^n Charakter, schüeßt sich im allgemeinen aber an die Figuren an, welche mehrere Tausend Jahre später im Gebrauch waren. Der Pharao schmettert den am Schopf ergriffenen Feind mit dem Streit- kolben nieder, oder begibt sich in feierlichem Zuge auf das Schlachtfeld, um die enthaupteten Feinde in Augenschein zu nehmen, welche einen ganz fremdartigen Habitus zeigen. Abgesehen von dem untersten Kopf der inneren Reihe tragen sämtliche anderen eine Bekleidung, die offenbar aus der Kopfhaut eines Tieres hergestellt wurde und durch die beiden wie Ohren oder Hörner vor- springenden Zipfel in auffallender Weise an die Das ziemlich lange Haar scheint eine mehr flockige Beschaffenheit, nicht eigentliche Locken anzudeuten und ist gelegentlich durch ein Stirn- band zusammengehalten ; überall fehlt eigentüm- licherweise den Gesichtern ein Schnauzbart, während sie im übrigen von einem kurzen Vollbart um- rahmt sind. Die Figur des Pharao trägt auf beiden Abbildungen schon den künstlichen Kinnbart an dem glattrasierten Gesicht. Sehr merkwürdig war für mich in Rücksicht auf frühere Studien, daß auf beiden Plattenseiten, und zwar auf der einen zwiefach, die Figur des Zitterwelses erscheint, der also schon in so früher \7^^^ Slülc imlctlo {Vv^in Hloravonpulis Fig. 4. a) Schicferplattc von Ilierancopolis n.^cli Quibell. Fig. 4. b) Sclüeferplatte von Hieraconpolis nach Quibell. Tracht urgermanischer Stämme erinnert, wozu auch der angedeutete Vollbart beiträgt. Sie weisen jedenfalls auf einen nicht afrikanischen, vermutlich östlichen Ursprung hin, ebenso wie die auf der gleichen Plattenseite dargestellten fabelhaften Tiere in Gestalt von Panthern aber mit langen Schlangen- hälsen, eine Form, welche an babylonische Dar- stellungen erinnert. Sie werden durch Schlingen um den Hals von Figuren gehalten, wie sie auf der anderen Seite der Platte als Feinde dargestellt sind, die aber weder in dem einen, noch dem anderen Falle mit den Abbildungen der Temenhu zusammengebracht werden können. Zeit eine besondere Berücksichtigung fand, was zweifellos auf seine elektrischen Eigenschaften zurückzuführen ist. Herr Quibell glaubte die Figur dieses Fisches auf eine ganz gleichgültige gemeine Welsart des Nil, den Heterobranchus anguillaris deuten zu sollen; aber abgesehen von der unverkennbar an den Malopterurus erinnernden Gestalt des Fisches, hat der Hiero- grammat getreulich die nur dem letzteren eigene kleine Fettflosse des Rückens angedeutet, wo- durch jeder Zweifel an der Deutung schwinden muß. Die bekannte Darstellung des Zitterwelses auf 678 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ffl. Nr. 43 der Fischereiszene aus dem Ti-Grabe ist also nicht mehr die älteste dieses merkwürdigen Fisches. Außer der soeben besprochenen Schieferplatte von Hieraconpolis erscheint es wichtig, auf einen anderen wertvollen Fund in Gestalt eines kleinen Elfenbeintäfelchens hinzuweisen, welchen Herr Ame- lineau in einem Grabe von Abydos machte. Auf ?:-m Fig. 5. Elfenbeinläfelchen aus einem Grabe von Abydos nach Amelineau. Fig. 6. Elfenbeinschnitzereien von Eileithyaspolis nach Schweinfurlh. diesem schon in geflicktem Zustande aufgefun- denen, offenbar der ältesten Zeit angehörenden Täfelchen findet sich ebenfalls die so unzählig oft wiederholte Kampfszene, wo der Pharao den am Schopf gefaßten Feind mit dem Streitkolben bedroht; auch hier handelt es sich um einen mit langem, wallenden Haar und Bart ausgestatteten Mann, dessen Gesichtszüge nach Asien zu deuten scheinen.^) Sehr wichtig für die hier zu behandelnden Fragen sind Mitteilungen, welche unser hochver- ehrter Seh wein furth der Berliner Gesellschaft für Anthropologie im Jahre 1898, gestützt auf die neuen Ausgrabungen und eigene Untersuchungen an Ort und Stelle machte, wenn ich ihm auch nicht in allen Punkten beistimmen möchte. Es kann keinem Zweifel unterliegen, wie der erfahrene Afrikaforscher gewiß mit Recht betont, daß in den neolithischen Kalksteinfiguren und Elfenbeinschnitzereien, welche tief im alten Erd- reich steckend bei Hieraconpolis und dem gegen- über liegenden Eileithyiaspolis gefunden wurden, zwei verschiedene Menschenrassen zum Ausdruck gebracht sind, von denen er die schmalköpfigen, mit langen Barten ausgestatteten Personen geneigt ist den Libyern zuzuweisen. Im Hinblick auf die vorstehend angegebenen Figuren der Temenhu glaube ich diese Vermutung ablehnen zu sollen, weil weder der Schnitt des Gesichts, noch Haar und Barttracht genügende Übereinstimmung zeigen. Zur Vergleichung gebe ich die von Herrn Schwein- furth'-j gezeichneten Skizzen anbei wieder. Schon der vom Autor für seine Mitteilung ge- wählte Titel mit dem Hinweis auf die östlichen Wüstenstämme, die Bega, zeigt, daß er sich die Libyer ganz anders denkt, als die Überlieferung, lehrt. Die Wüstenstämme hat doch noch niemand als blauäugig und lockenhaarig beschrieben, das Profil des von ihm gezeichneten Kopfes macht in der Tat einen durchaus beduinenhaften Eindruck (rechts unten). Es kommt hinzu, daß die ganz verwandten Darstellungen des durch Amelineau aufgefun- denen Elfenbeintäfelchens auf ähnliche Namen und Zeichen hinweisen, welche von der Sinaihalbinsel beschrieben wurden und Herr Spiegelberg sagt am angeführten Orte ganz ausdrücklich „zweifellos ist ein Beduine dieser Gegend (der Sinaihalbinsel) dargestellt". Hier erscheint es nun unerläßlich, um die in gewissen Beziehungen herrschende Begriffsver- wirrung nicht noch zu vergrößern, sondern die von Herrn Schwein furth erhoffte Klärung unserer Anschauungen zu fördern, die Berechtigung zweier Völkernamen Ägyptens etwas näher zu be- leuchten, deren willkürliche Verwendung außer- ordentlich viel zu der so oft bedauerten Verwirrung beigetragen hat, nämlich die Bezeichnungen „Ha- miten" und „Nubier". Es ist leicht nachzuweisen, daß die verschiedenen Autoren sich unter diesen Namen die denkbar verschiedensten Völkertypen Ägyptens vorstellen , so daß man sich scheuen ') Vgl. Wilhelm Spiegelberg: Ein neues Denkmal aus der Frühzeit der ägyptischen Kunst. Auszug aus der Zeitschr. f. ägyptische .Sprache. Bd. XXXV. ^) Schweinfurlh: Die neuesten Gräberfunde in Ober- ägypten und die Stellung der noch lebenden Wüstenstämme zu der altägyptischen Bevölkerung. Verhandl. d. Berliner anthropolog. Gesellsch. Sitz, vom 30. April 189S. N. F. III. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 679 muß, dieselben zu gebrauchen, weil man sicher mißverstanden wird. Herr Schweinfurth sieht in den soeben erwähnten, schmalköpfigen Typen ebenso wie in den Bega-Stämmen unzweifelhaft „Hamiten", in den gleich zu erwähnenden breitköpfigen „die durch- schnittlichen Ägypter"; hat er dann später diese Meinung auch, und zwar mit Recht, fallen gelassen, so wird er doch gewiß die abgebildeten Köpfe nicht mit den Kopten zusammenstellen wollen. V i r c h o w ') sah dagegen tatsächlich in den Kopten, welche man ganz allgemein wegen der geringeren Vermischung mit den späteren Eindringlingen als die reinsten Nachkommen der typischen Ägypter ansieht, Abkömmlinge der „Hamiten", also gerade das Gegenteil der Anschauung S c h w e i n f u r t h ' s. Andere Autoren sprechen wiederum die Nubier, noch andere die sonst als „äthiopische Stämme" bezeichnete Völkergruppe als ,, Hamiten" an. Wie kann auch ein Name Klärung in das bunte ägyptische Völkergemisch bringen, der auf so un- sicherer Grundlage aufgebaut ist wie die Legende der drei Söhne Noah's. Nach dieser Legende müßten alle dunkelpigmentierten Menschen, also auch die Neger, zu den Hamiten gerechnet werden.-) Entbehrt der Name „Semiten" selbstverständ- lich in gleicher Weise einer sicheren Unterlage, so ist hier doch ein einheitlicher, physischer Charakter festgelegt worden, der es ermöglicht zu sagen, der oder jener Stamm trägt einen semitischen Habitus; so nehme ich keinen Anstand den ab- gebildeten Kopf seinem Aussehen nach als semitisch zu bezeichnen, und diejenigen Autoren, welche in seinem Träger einen Beduinen sehen, wie solche seit den Urzeiten die Sinaihalbinsel durchstreiften, werden mir vermutlich beipflichten. Es wird an anderer Stelle auf diese Verhältnisse zurückzu- kommen sein, ebenso über die Abgrenzung des Begriffes „Nubier".'') Zunächst wollen wir noch einen Blick auf die andere, linksstehende Figur werfen, welche Herr Schweinfurth mit zwei anderen verglichen wissen will, welche hier eben- falls folgen. Der ganze Habitus der drei Figuren, von denen zwei aus demselben P'undort wie die langbärtigen Köpfe, nämlich aus Hieraconpolis stammen, ist ') V i r c h o w : Die Mumien der Könige im Museum von Bulag. ^) Als besten Beweis, dalj die Legende der drei Söhne Noah's als der Stammväter des ganzen Menschengeschlechts nicht nur in der Bibel spukt, möchte ich auf den .Anfang von Makrizi's, eines arabischen Schriftstellers, Geschichte der Kopten verweisen, wo es wörtlich heißt : ,,."^116, die sich zu einer der durch die Propheten geofl'enbarten Religionen be- kennen, Moslimen, Juden und Christen, stimmen darin überein, daß Nuh (Noah) der zweite Vater des Menschengeschlechts sei, .... und Gott aus ihm alle .^dams- kinder habe hervorgehen lassen, daß es also keineSöhne Adam's gäbe, außer den von den Kindern Noah's entsprossenen. M. Gesch. d. Gopten, deutsch von Wüsten - feld. S. 8. ') Dabei ist an das kürzlich erschienene Werk : ,, Ägypti- sche Volkstypen der Jetztzeit" gedacht, welches mit Unter- stützung der königl. Akademie der Wissenschaften in Krei- del's Verlag, Wiesbaden, herausgegeben wird (Verf.). ein so durchaus verschiedener, daß jeder Herrn Schweinfurth gern beistimmen wird, es handele sich bei ihnen um eine durchaus abweichende Rasse, ausgezeichnet durch größere Kurzköpfig- keit, breite Gesichter und durchaus andere Haar- tracht. Die eine ist wiedergegeben nach der Ab- bildung eines schon von Herrn de Morgan dar- gestellten Fundes im ägyptischen Museum zu Kairo. Es wurde alsbald darauf aufmerksam gemacht, besonders durch Virchow, daß die drei Figuren sich in auffallender Weise an andere aus dem alten Reich anschließen, z. B. an die berühmte Holz- figur des sogenannten „Dorfschulzen" sowie eine andere, welche wohl als die F'rau des Schulzen bezeichnet wird; Virchow fand die letztere der von Herrn Schweinfurth gezeichneten so ähn- lich, da(3 die eine direkt als eine Kopie der anderen gelten könnte. Den Kopf des Dorfschulzen sowie der Frau bringe ich anbei nochmals nach den in Hirth, Der schöne Mensch, reproduzierten Photo- graphien in Erinnerung, da meine eigenen Auf- nahmen der I*"iguren weniger gut ausgefallen sind. Fig. 7. a) und b) Altägyptische Typen nach de Morgan und Schweinfurth. Auch andere Autoren haben neuerdings die Aufmerksamkeit auf solche archaische Figuren ge- richtet, darunter der verdienstvolle Agyptologe Herr Wiedemann.^) Auch an diesen fand der Autor, „daß die kurze gedrungene Gestalt, der schmale, gerade Mund, der breite Nasenrücken, die starken Augenbrauen usw. dem Bildwerke einen ganz anderen Typus geben, als man ihn sonst bei ägyptischen Statuen zu sehen gewohnt ist." Auch die Haartracht erinnert in auffallender Weise an die- jenige der oben dargestellten Köpfe. Herr Wiede- mann sagt sehr treffend: „zu sehen gewohnt sind"; denn gefunden waren ja schon verschiedene sehr viel früher, wie die obige von de Morgan ab- gebildete Nummer i des Kairiner Museums und der Schechel-beled, aber sie fanden die Beachtung nicht, welche sie gerade in anthropologischer Hin- sicht verdienen. Auf dem Gräberfeld des alten Memphis, also in Unterägypten, wo der Schech- ') A. W i e d e m a n n : Zwei ägyptische Statuen des Museums zu Leiden. Orientalistische Literatur-Ztg. I. Jahrg. Nr. 9. 1898. 68o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 43 el-beled dem Boden wieder entrissen wurde, fanden sich i86S, als ich daselbst mit der archäologischen photographischen Expedition, welche wir im Auf- trage Seiner Majestät des Königs Wilhelm aus- führten, längere Zeit als Gast Mariette-Pascha's verweilte, damals noch zahlreiche, meist unvoll- ständige Schädel nur mangelhaft einbalsamierter Leichen von ähnlichem Typus wie der Dorfschulze. Nach der unvollkommenen Einbalsamierung und der einfachen Art der Beisetzung mußte man an- nehmen, daß sie dem gewöhnlichen Volke zu- gehörten, in welchem sie zur Zeit der ersten K o 1 1 m a n n ^) positiv genug gegeben worden ; nach meiner Überzeugung, so gern ich ihm auch beipflichten möchte, zu positiv, da die archäo- logischen Tatsachen, welche für eine Blutbeimischung zur ägyptischen Bevölkerung von „Pygmäen" bis- her vorgebracht wurden, äußerst unbefriedigend sind, obwohl der Autor sogar den Prozentsatz dieser Beimischung glaubt bestimmen zu können. ') Kollmann: Die Gräber von Abydos. Bericht über die allgemeine Versammlung der deutschen anthropologischen Gcsellsch. zu Dortmund. S. 125. ^jarx. W IT V JUP^^^^^ \ -■■>»'" \ \ Fig. 8. a) und b) Der „Schech-el-beled", Holzfigur aus Sagara nach Hirth; Der schöne Mensch. Dynastien noch einen bemerkenswert abweichenden Typus darstellten. Herr Schweinfurth betont daher gewiß mit Recht in dem erwähnten Vortrag (S. 185): „An der Zusammensetzung der frühesten Ägypter, als eines Kulturvolkes, beteiligten sich gewiß mehr als zwei Rassenelemente", ein Ausspruch, dem ich mich aus vollster Überzeugung anschließe. Drei derselben wurden ja bereits andeutungsweise kennt- lich gemacht : die alten Libyer, die östlichen Be- duinen und die letzterwähnte, uralte, „neue" Rasse. Es kann kaum zweifelhaft sein, daß gerade in ihnen sich Reste einer alten, auf niedriger Kultur- stufe stehender Urbevölkerung geltend machen, die allmählich von den Kulturträgern aufgesaugt wurde, aber in den frühesten Zeiten sich immer noch im Aussehen der Bevölkerung durch Rück- schlag geltend machte. Die Frage w^ird unvermeidlich, ob sich denn sonst in Afrika mit ihnen etwa verwandte Stämme nachweisen lassen, wie man solche unter der An- nahme echt afrikanischer Abkunft doch vermuten sollte. Die Antwort liegt nahe und ist von Herrn Fig. 9. Weibliche Holzfigur aus Sagora, nacli Hirth^: Der schöne Mensch. N. F. m. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 68 1 Fig. 10. Seit meinen ersten dreijährigen Reisen im süd- lichen Afrika bin ich für die Uberzeuijung ein- getreten, daß eine dünngesäte, protomorphe Ur- bevölkerung von zwerghaftem Wuchs, deren süd- lichste Vertreter die Buschmänner darstellen, einst durch ganz Afrika verbreitet war, also wohl auch bis nach Ägypten gelangt sein kann, f^in zwerghaf- ter Wuchs der soeben erwähn- ten, urtümlichen Bevölkerungs- elemente ist nir- gends angedeutet und höchst un- wahrscheinlich ; die Behauptung einer Beimisch- ung von Pygmäen zu der altägypti- schen Bevölke- rung stützt sich wesentlich auf das Vorkommen von auffallend kleinen „nano- cephalen" Schä- deln unter einer größeren Anzahl neuerdings von Herrn Maclver') gesammelten und beschriebenen, wie sie sich nach Herrn Kqll- m a n n ' s Über- zeugung nur bei Pygmäen finden, von den zugehö- rigen Extremi- tätenknochen ist nichts erhalten. Soviel wir bis- her über afrikani- sche Zwergvölker wissen, sei es daß man die Akka des Nor- dens oder die unzweifelhaft zu- sammengehören- den Busch- männer Südafrikas'-) vergleicht, nirgends finden ') Maclver, David: The earlicsl inhabitants ot .\bydos, a craniological study. C>.xford 1901. Maclve r, David : Recent antliropometrical work in Egypt. J. of the anthropol. Inst, of Great Britain and Ireland. Vol. XXX 1900. ^1 Vgl. F r i t s c h : Die Eingeborenen Südafrikas (Tafel XXXV u. XXXVI) sowie Stuhlmann's Abbildung der Akka- mädchen nach meiner photographischen Aufnahme. a) und b) Archaische Figur aus dem Museum zu Leiden, nach Wiedcmann. Fig wir die Schädel dieser Leutchen bemerkenswert klein, im Gegenteil eher relativ groß, während der augenblicklich in Berlin befindliche, 26g cm große Riese den relativ kleinsten Schädel hat. Auf ein gelegentliches Erscheinen kleiner Schädel die Existenz einer Pygmäenbevöl- kerung zu grün- den, erscheint unzulässig. Daß zuweilen zu be- obachtende, figür- liche Darstellun- gen mißgestalte- ter Zwerge, die offenbar als Ku- riositäten gehal- ten wurden, nicht als Beweis für eine ganze Pyg- mäenbevölke- rung gelten kön- nen, hat Herr K o 1 1 m a n n selbst betont. Ich muß daher leider die Exi- stenz einer aus- gedehnten Pyg- mäenbevölke- rung bis jetzt als zweifelhaft be- trachten und meineniBedauern Ausdruck geben, daß wir über die ethnographische Stellung der nied- rig stehenden ägyptischen Ur- rasse nichts Be- stimmtes aus- sagen können. Auf den an- geführten älte- sten Denkmälern erscheint ja stets schon eine fort- geschrittenere Rasse als Kultur- träger und als aggressives Ele- ment denanderen Bevölkerungsele- menten gegen- über. Es hat sich also bereits etwaöooojahre v.Chr. dort durch Verschmelzung von verschiedenen, nach- weislich etwa vier Volkstypen ein einheitliches Volk gebildet, wie es auch Herr Kollmann aus- drücklich betont, und Herr Schweinfurth eben- falls annimmt, d. h. außer den Libyern, semitischen asiatischen Einwanderern, der rohen Urbevölke- a) und b) .archaische Figur aus dem Museum zu Leiden, nach Wiedemann. 682 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 42 rung, sind noch höher stehende afrikanische Be- völkerungselemente hinzugetreten , die ich mit I^epsius') als hamitische Kuschiten bezeichnen möchte, oder nach obigen Einwänden gegen die Abgrenzung der Hamiten nur als „Kuschiten" im weiteren Sinne, deren Verwandte Lepsius aller- dings auch in Asien bis hinein nach Baby- lon feststellt Hier ist der Ort, um Verwahrung dagegen ein- zulegen, diese kuschitischen Elemente als „Nubier" zu bezeichnen, wodurch eine heillose Verwirrung in der ägyptischen Ethnographie angerichtet worden ist. Sowohl durch ihre körperliche Entwicklung als auch durch ihre Sprache, die sie selbst ,,Nuba" nennen, setzen sich die Nubier in direkten Gegen- satz zu den typischen Ägyptern, den ,,Retu" (auct.) „Romen" (Erman), „Reme" (Kollmann). Ihre Sprache wird von Lepsius bei den „urafrikanischen Negersprachen" untergebracht, während das altägyptische Koptische und Lybische bei ihm die Gruppe der „hamitischen Sprachen" bildet, denen sich als dritte Unterabteilung die „kuschitischen Sprachen" anschließen. Herr K o 1 1 m a n n sagt, im Bestreben eine Ver- ständigung mit den Angaben des Herrn Brugsch über die Rassenverhältnisse Ägyptens herzustellen, mit dürren Worten : „Meine Nubier entsprechen den hamitischen Kusch, die Reme oder Rem der Ägypter" (S. 124). Diese Nubier hat er aller- dings nahezu allein; denn die heutigen Nubier lehnen sich trotz der vieltausendjährigen Ver- mischung immer noch viel enger an die Neger als die Ägypter an, ja Lepsius, der die „hami- tischen Kuschiten" den Nubiern entgegenstellt, weist ausdrücklich auf einen Stamm der Nubier in der Nähe von Kordofan hin, der von sogenannten „echten" Negern nicht zu unterscheiden wäre. Auf ') Die Völker und Sprachen Afrikas. Lc psius: Einleitung zur nubischen Grammatik. Berlin 1880. die Frage wird bei Beschreibung der heutigen Bevölkerung an anderem Orte zurückzukommen sein. Die besonderen Anschauungen über die Be- deutung spezifisch afrikanischer Elemente für die äg\'ptische Kulturentwicklung, welche die Herrn Flinders Petrie, de Morgan, Maclvor und Fouquet im Anschluß an ihre verdienst- vollen Ausgrabungen aufgestellt haben, fanden nicht nur bei Herrn Kollmann, sondern auch sonst viel Zustimmung , obwohl sie mit längst fest- gestellten, neuerdings durch die babylonisch-assy- rischen Forschungen mehr und mehr bestätigten Tatsachen, die den asiatischen Einfluß außer Frage stellen, in schneidendem Widerspruch stehen. Nach Meinung der genannten Herren hat die heiße, afrikanische Sonne, wie sie ein im Sande verscharrtes Krokodilei ausbrütet, in dem engen Bezirk von Abydos unter Mitwirkung lediglich der oben bezeichneten Bevölkerungselemente die ganze Kultur ausgebrütet, welche bestimmt war die alte Welt zu beglücken, indem sie von dort nach Unterägypten, den Mittelmeerländern und Europa vordrang. Bei allem Respekt vor den Verdiensten der genannten Herren als Entdecker hochbedeutender Altertümer, dürften sie vor der anthropologischen Wissenschaft mit derartig kühnen Hypothesen hoffentlich allgemeinere Anerkennung nicht finden. Gewiß fand zur Entwicklung der wunderbaren Kultur ein Zusammenwirken mannigfacher Ele- mente statt, wie es mit Recht als notwendig be- zeichnet wird, aber das bezeichnete enge Gebiet eines von unfruchtbaren Hügelketten eingeengten Flußlaufes konnte doch unmöglich für sich allein die erforderlichen, ungeheuren Anregungen hervor- bringen; dazu waren unzweifelhaft weit nach anderen Gebieten, besonders nach Asien reichende Beziehungen notwendig, welche stets Neues herzu- brachten, und den geistigen Besitzstand anwachsen ließen. (Schluß folgt.) Kleinere Mitteilungen. Über die Fischereiverhältnisse in Rufsland macht neuerdings N. A. Bor od in in der ,, Voll- ständigen Enzyklopädie der russischen Landwirt- schaft" interessante Mitteilungen. Erst seit kurzem kann man in Rußland von einer wirklichen Fischzucht reden, und der Fischbestand des Kaspischen, Asowsclien, Schwarzen und Baltischen Meeres und der großen Süßwasserseen ist durch die bis dahin vorwaltende Raubfischerei arg dezi- miert worden. Diese Gewässer decken haupt- sächlich den Fischbedarf Rußlands. Das Nörd- liche Eismeer und der Stille Ozean kommen hier- für fast gar nicht in Betracht, da sie noch gar zu dürftig durch geeignete Transportwege erschlossen sind. Immerhin erreicht der Fischfang in Rußland jährlich das respektable Maß von 11 20 Millionen Kilogramm. Allein das Kaspische Meer mit seinen Zuflüssen liefert 19,04 Millionen Kilogramm, Baltisches und Weißes Meer, die Murman-Küste und die" großen Seen zusammen geben 34,72 Millionen Kilogramm, das Schwarze und Asow- sche Meer 16,80 Millionen, das Nördliche Eismeer und der Stille Ozean dagegen aus dem angegebenen Grunde nur 6,32 Millionen Kilogramm. Die Fischerei am Amur produziert 6,4 — 8 Millionen, Sachalin und Kamtschatka zusammen 7,2 Millionen, der Aralsee 4,8 Millionen Kilogramm. Volkswirtschaftlich und biologisch interessant ist die verschiedene Beteiligung der einzelnen Fischarten an diesen Ziffern. Die russische Fischerei gibt jährlich 33,6 Millionen Kilogramm Störe, 44,8 Millionen Kilogramm Lachse, 752 Millionen Kilogramm Karpfen und Barsche, dagegen nur 152 Millionen Kilogramm Heringe. Dazu kommen noch von verschiedenen Seefischen 40 Millionen N. F. m. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 683 Kilogramm und 64 Millionen Kilogramm von ver- schiedenen Arten von Süßwasserfischen. Dr. Wolff (Berlin). Über den Einflufs der Kinderheiraten auf die körperliche Beschaffenheit der Bevölke- rung Indiens bringt der „General Report'' über den dortigen Zensus von 1901 (XXV und 582 S., London 1904) einige bemerkenswerte Daten. Jene Form der Kinderehe , wie sie in Nordindien , na- mentlich im Panjab, existiert, hat keinerlei dege- nerierende Wirkung auf die Bevölkerung. Es findet nämlich da nur die religiöse Zeremonie im Kindesalter statt, während das eheliche Zu- sammenleben erst relativ spät nach erlangter Ge- schlechtsreife des Weibes beginnt. Bei den Rajputs hingegen kommen Heiraten zumeist im 15. — 16. Lebensjahre vor; die körperliche Entwicklung der- selben ist eine etwas weniger gute als bei den Jats von Panjab. Im Südosten dieser mehr oder weniger gebirgigen Landstriche, besonders in den Ebenen des Ganges, treffen wir jedoch ganz andere Verhältnisse; schon in den vereinigten Provinzen Agra und Oudh ist es bei den drei höchsten Kasten (Brähman, Räjput und Käyasth) Gepflogen- heit, daß die Braut sofort nach der Hochzeits- zeremonie in das Heim ihres Gatten gesandt wird, ganz ohne Berücksichtigung des Alters derselben. In noch ausgedehnterem Maße finden wir diese Gewohnheit in Bengalen, wo in der Regel das eheliche Leben der weiblichen Personen bei den höheren Kasten mit dem neunten Jahre beginnt. Im letzten Jahrhundert hat diese Unsitte immer mehr um sich gegriffen, namentlich auch bei den unteren Volksschichten. Die physische Beschaffen- heit der Bevölkerung ist in diesen Regionen durchaus als keine gute zu bezeichnen ; frühzeitiger Eintritt der Geschlechtsreife, schwache Körper- gestalt und auch Mangel an geistiger Energie sind allgemein anzutreffen. Am fneisten gilt dies von den Hindus , doch in mehr oder weniger hohem Maße auch von den Angehörigen anderer religiöser Bekenntnisse. — Um die degenerierenden Wir- kungen der Kinderehen zu vermindern, haben die Clans von Rajputana die Bestimmung getroften, daß kein Mädchen unter 14 Jahren verheiratet werden dürfe; auch in anderen Teilen Indiens ist man daran gegangen, ähnliche Maßregeln zu er- greifen. Es wird in dem erwähnten amtlichen Bericht der Erwartung Ausdruck verliehen , daß dann, wenn diese dem Einfluß der europäischen Kultur zuzuschreibenden Bestrebungen mehr an Boden gewonnen haben werden, auch der Degene- ration weiter Kreise der indischen Bevölkerung ein Ende bereitet sein dürfte. P'ehlinger. men gesunden Exemplaren vorgenommen. Das Resultat wird von S. Seh. in der Naturw. Wochen- schrift, N. F. II, Nr. 15, S. 177, mitgeteilt. Diese Stelle kommt mir, durch LImstände, erst heute zu Gesicht. Ich erlaube mir ebenfalls Versuche mitzuteilen, die ich mit Mauerseglern unternahm; sie ergaben positive Resultate. Ungefähr 1882 wohnte ich in Utrecht. Das elterliche Haus hatte einen sehr geräumigen Dach- boden, der mir oft Gelegenheit bot, die Brut von Sperlingen und Staren zu beobachten. Zweimal nun fand ich dort einen vollkommen gesunden Mauersegler auf dem Boden neben dem geschlos- senen Fenster sitzen. Er ließ sich unter furcht- barem Geschrei leicht mit der Hand fangen. Ich öffnete das Fenster und setzte in einer möglichst großen Entfernung davon den Segler auf den Boden, wobei er laut protestierte. Der Vogel blieb zunächst ganz ruhig sitzen ; aber nachdem ich ihn mit dem Finger reizte, begann er sozu- sagen auf dem Boden zu fliegen , gerade nach dem Fenster zu. Die Schnelligkeit vermehrte sich allmählich, und der Segler segelte in einer ganz seichten Kurve vom Boden zum Fenster hinaus! Auch mit dem zweiten Versuchtiere gelang die Probe vollkommen. Arnhem. Dr. A. C. Oudemans. Die Frage, ob sich der Mauersegler, Cypselus (Micropus) apus L., vom Erdboden aus in die Luft erheben kann, hatRaspail (Bull. Soc. Zool. France XXVII, 1902, S. 72 — •]■]) gemeint ent- schieden mit Nein beantworten zu müssen, und zwar nachdem er zwei Experimente mit vollkom- Über abnorme Kirschblüten. — Im Mai dieses Jahres brachte mir ein Schüler aus Marien- burg bei Köln abnorme Kirschblüten, die mir so interessant erschienen, daß ich um einiges Material zur Untersuchung bat und die Resultate meiner Prüfung veröffentlichen möchte. Es handelt sich um ein ungefähr zehnjähriges, stark mannshohes Bäumchen, dessen Blüten gefüllt sind, in diesem Jahre aber alle die zu beschreibenden Abnor- mitäten zeigten. Wenigstens versicherte mir dies der Schüler, und für die mir mitgebrachten sechs Zweige (etwa 30 cm lang) mit im ganzen 29 Blüten trifft es tatsächlich zu. Ob die Mißbildungen schon in früheren Jahren aufgetreten sind, dessen erinnern sich die Eltern des Schülers nicht. Bekanntlich ist eine Kirschblüte so aufgebaut, daß am Rande eines becherförmigen Blütenbodens fünf zurückgeschlagene Kelchblätter, fünf weiße Blumenkronblätter und zahlreiche Staubblätter sitzen, während in der Mitte des Bechers frei ein Stempel steht. Bei den vorliegenden Blüten waren die meisten Staubblätter, wie nicht selten, in Blumenkron- blätter umgewandelt, die Blüten waren also gefüllt; außerdem zeigten sie aber folgende Abweichungen vom normalen Bau. Durchgängig war die Achse, anstatt einen Stempel zu bilden, weiter gewachsen, trat aus dem hohlen Becher heraus und trug eine neue, allerdings mehr oder minder unvollkommene Blüte. In einem P"alle wiederholte sich der be- schriebene Vorgang an der sekundären Blüte deut- lich noch einmal. Die den Stempel vertretende sekundäre Blüte hatte gewönlich 2 nicht zurück- 684 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 43 geschlagene Kelchblätter, nur einmal 2 -)- i und ein halb grünes, halb weißes Gebilde, und einmal 2 Kelchblätter -|- 2 Blumenkronblätter mit grünen Flecken. Hierzu traten in wenigen Fällen nur I oder 2 Blumenkronblätter. Meistens waren deren mehrere bis viele vorhanden, und es traten dann mehr oder minder viele Staubblätter und ein, allerdings öfter vergrünter Stempel hinzu; diese Blüte zeigte die Becherbildung gar nicht oder un- vollkommen. Eine solche Sekundärblüte bestand z. B. aus 3 grünen und i halbgrünen Kelchblatt (siehe oben), zahlreichen Blumenkronblättern, etwa 20 Staubblättern und einem vergrünten Stempel (offenem Fruchtblatt, dessen schmale Blattflächen- hälften nach derselben Seite geneigt waren, aber parallel gerichtet blieben, und dessen Spitze eine zweilappige Narbe trug); der neue Blütenboden war etwas becherförmig. Eine andere, voll auf- geblüte Sekundärblüte bestand aus 2 Kelchblättern, vielen Blumenkronblättern, mehreren Staubblättern und einer verkümmerten tertiären Blüte, die ihrer- seits nur 2 Kelchblätter und i Blumenkronblatt aufwies. Wenn nun schon auffallend ist, daß die sekundären Blüten einen nach der Zweizahl auf- gebauten Kelch besaßen, so überraschte mich nicht weniger, daß in einem Falle auch 2 ver- grünte Stempel statt eines normalen vorhanden waren. Sollten die letzteren vielleicht der Ansatz zu einer Tertiärblüte sein, so daß überhaupt dann, wenn 2 vergrünte Stempel auftraten, diese zum Kelch einer neuen Blüte wurden ? Hierfür spricht der Umstand, daß die 2 Kelchblätter der Sekun- därblüten, die, wie schon erwähnt, keine Neigung zeigten sich zurückzukrümmen, an der Spitze viel- fach so aussahen, als hätten sie vertrocknete Nar- ben getragen. Auch fand ich in der Mitte einer Sekundärblüte einmal einen vergrünten und einen normalen Stempel und zwischen ihnen ein Blumen- kronblatt. Eine andere Merkwürdigkeit der untersuchten Kirschblüten bestand darin , daß bei vielen von ihnen am Rande des becherförmigen Blütenbodens der primären Blüte eine oder mehrere, in einem Fall sogar 7 neue Blüten, nennen wir sie „Rand- blüten", auftraten. Diese waren allerdings vielfach verkümmert. So bestand eine solche nur aus einem Zylinder, der oben einige Staubbeutel und einen kleinen, sonst aber normalen Stempel trug. Andere setzten sich aber aus innen stehenden Blumenkronblättern, außen sitzenden Staubblättern und einem Stempel, der zuweilen vergrünt war, zusammen. Bei manchen kamen noch 2 Kelch- blätter hinzu, die alsdann auch stets auf der Innen- seite des Bechers saßen. Der Blütenboden dieser Randblüten war nie becherförmig, vielmehr war die Achse ein mehr oder minder langer, ziemlich dicker Stiel, mit dem die Blütenteile, die übrigens (abgesehen von den Staubblättern) nie in größerer Zahl sich fanden, vielfach etwas verwachsen waren. Wenn mehrere solcher Randblüten vorhanden waren, war die zentrale Sekundärblüte verkümmert. Zahl und Ausbildung der Randblüten standen im umgekehrten Verhältnis zur Ausbildung der Zen- tralblüte. Abgesehen davon , daß diese Randblüten mit Sicherheit dartun, daß das becherförmige Gebilde der normalen Kirschblüte als Achsengebilde auf- zufassen ist, und abgesehen von dem eigentüm- lichen Durchwachsen der Achse durch die Primär- blüte, sind die beschriebenen Blüten schon deshalb interessant, weil sie alle möglichen Umbildungen nebeneinander zeigen. Kommen doch in Blätter rückverwandelte Stempel (aber mit Narbe !) , in Blumenkronblätter umgewandelte Staubblätter, in Kelchblätter übergehende Blumenkronblätter, viel- leicht sogar zu Kelchblättern gewordene Frucht- blätter, nebeneinander vor. Die Fruchtbildung ist übrigens nicht ausgeschlossen, denn ich ent- deckte an einem der vorliegenden Zweige eine junge Frucht. Oberlehrer Dr. Schlickum. Über die Reste der Eiszeitfauna in mittel- rheinischen Gebirgsbächen macht W. Voigt Mitteilungen (Vortrag, gehalten auf dem 14. deut- schen Geographentag in Köln im Jahre 1903. In: Verhandig. d. 14. Geographentages Köln 1903. p. 216 — 224. 5 Abbildgn. im Text). Seine Be- obachtungen gründen sich darauf daß die einzigen deutschen Winterlaicher, Lota vulgaris (der ein- zige Süßwasserschellfisch) sowie die Salmoniden, und zwei Planarien, Planaria alpina und Polycelis cornuta, in Deutschland genau gleichzeitig laichen. Nun macht es die paläontologische Vorgeschichte und die heutige geographische Verbreitung dieser Fische sehr wahrscheinlich, daß sie erst in der Eiszeit aus dem hohen Norden nach Süden ge- wandert sind. Die gleiche Herkunft darf daher nach dem Gesagten auch für die beiden Planarien angenommen werden, die, beide über dieselben Gebiete verbreitet, beide an die engen Rinnsale fließender Gewässer gebunden, sehr schön wahr- nehmen lassen, wie ihre Verbreitung in enger Beziehung mit der zunehmenden Temperatur er- folgte, wenn auch die Wirkung des Kampfes mit der postglacial in ihre Wohngewässer eingedrunge- nen Planaria gonocephala nicht außer acht ge- lassen werden darf Wie schon Fuhrmann beobachtete, steigen die beiden Planarien nur im Winter in die größeren Gewässer hinab, während sie im Sommer sich in die kalten Quellbäche zurückziehen. Der Verschiebung des Temperaturoptimums entsprechend ist mit Eintritt der Glazialzeit Pla- naria alpina infolge der fortschreitenden Verglet- scherung aus ihrer Heimat, den Hochalpen, in die eisfrei bleibenden Flüsse und Bäche der Ebene zurückgewichen. Polycelis cornuta ist wahrschein- lich aus dem hohen Norden durch Wasservögel in die Gewässer des deutschen Tieflandes während der Eiszeit verschleppt worden, wo sie sich dann mit der dort ansässig gewordenen Planaria alpina gemeinschaftlich angesiedelt hat. Planaria gono- cephala wird wahrscheinlich postglacial vom Süden her eingewandert sein, infolge ihrer vergleichsweise N. F. m. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 685 höheren EmpfindUchkeit gegen niedrige Tempe- raturen aber nur innerhalb bestimmter klimatischer Grenzen siegreich die schwächere alpine Form verdrängt haben. Um einen direkten Kampf ums Dasein handelt es sich übrigens bei diesen Strudelwürmern nicht, obwohl die schwächere Planaria alpina der über- legenen Planaria gonocephala mit sichtlicher Scheu airsweicht. Dagegen läßt sich experimentell fest- stellen, daß bei dauerndem Verlassen des Tempe- raturoptimums vom umgebenden Wasser die Planarien allmählich schlaff, lässig in der Nahrungs- aufnahme und zugleich, wohl infolge der schlechten Ernährung immer weniger fortpflanzungsfähig werden. Hier ersetzt also zweifellos das Milieu den direkten Kampf ums Dasein; die Beschaffen- heit des Milieus dezimiert die „zurückweichende", produziert — ich darf es wohl ganz direkt so bezeichnen — die „siegende" Art. Und .so empfindlich fand Voigt diese Plananen als Reagens auf Temperaturveränderungen , daß ihre Verbreitung direkte Schlüsse auf die ehe- malige Bewaldung der Gegend zuläßt. Dr. Wolff (Berlin). langsam fortsetzte. Selbst mittags wurden seit dem 23. nicht immer 15" C erreicht, und in der Nacht zum 29. sank die Temperatur in Aachen bis auf 5" C, in der folgenden Nacht ging sie zu Cassel bis auf 3, zu Uslar sogar bis auf einen Grad herab. Auch die Mitteltempcraturen des Monats blieben in ganz Deutschland hinter ihren normalen Werten zurück, zwar im Nordosten nur etwa um einen halben, im Süden aber um einen vollen Grad und im Nordwesten um I '/2 Grade. Ebenso war die Dauer des Sonnenscheins, die z. B. in Berlin 249 Stunden betrug, etwas geringer, als sie im Monat mit den längsten Tagen zu sein pflegt. Die Mengen der Niederschläge waren, wie unsere zweite Zeichnung ersehen läßt, im Norden und Süden des Reiches anfänglich sehr verschieden groß. Über Süddeutschland cnt- Wetter-Monatsübersicht. In der ersten Hälfte des vergangenen Juni herrschte in Deutschland trockenes und ziemlich heiteres, in der zweiten hingegen trübes, regnerisches Wetter ^or, während die Tem- peraturen überall bedeutende Schwankungen aufwiesen. Ihre in der beistehenden Zeichnung wiedergegebenen Tagesmaxima Tjmncrafur^Alaxima eiiiii^crÖrfcimöuiii 190^ 13' '3 f. 28* i r»,i ^A "Breslau.' %,' ;; — ?f*'i «• -rranKFurHi"' waren am Anfang des Monats im Osten merklich hoher als im Westen. Auf die heißen Tage folgten dort aber auch be- sonders kalte Nächte; um den 5. kamen im ganzen Lande nordöstlich der Oder wiederholentlich Nachtfröste vor, durch die namentlich die Kartoffelfelder stark geschädigt wurden. Die heißeste Zeit fiel mit der Mitte des Juni fast zusam- men, in Süddeutschland und im nordöstlichen Binnenlandc überschritt das Thermometer mehrfach 30» C. Dann aber trat überall eine starke Abkühlung ein, die sich, wenn auch mit einigen Unterbrechungen, bis gegen Ende des Monats » Oi HioCcfsc^^^fö^cn im 3uni 1904. .i4 fva ^ilHererWertrür Deufschland. ^o^a^ssumme^il^Juni m03.02.fll.00,«99 CD C rEiniEtö^:^: -So^umCD Si^CtCfcooS 'I [ I I M lfl.bis30.Juni. . ■ÜH C.A.3 BerlmrWettei-bunau luden sich an mehreren Tagen außerordentlich starke Ge- witter, die in einzelnen Gegenden Badens mit verderblichen Hagelschlägen verbunden waren. Am i. Juni wurde zu Karlsruhe eine Niederschlagshöhe von 47 mm, am 5. zu Mün- chen eine solche von 44 mm gemessen. Gleichzeitig herrschte in Norddeutschland Dürre, die bis zum 9. im Westen, wah- rend der folgenden S Tage im Osten am empfindlichsten war. Da auch in der zweiten Hälfte des Mai sehr wenig Nieder- schläge gefallen waren, wurden durch diesen lange anhalten- den Regenmangel und die den Erdboden noch mehr aus- dörrenden trockenen Nordostwinde, besonders für die Somraer- früchte und Futtergewächse, die Ernteaussichten wesentlich vermindert. Zwischen dem 17. und 18. Juni brachen auch über dem gröfsten Teile Norddeutschlands heftige Gewitter aus, die in Nordwest- und Mitteldeutschland von Stürmen und star- ken Hagelschlägen begleitet waren und besonders in der Kheinprovinz, Westfalen ; und Braunschweig großen Schaden anrichteten. Im Eifelgebict und in der Gegend von Seesen wurden strichweise die gesamten FeldfrUchte vernichtet. Seit- dem wiederholten sich in Norddeutschland die Regenfälle bis zum Ende des Monats ziemlich häufig, waren aber im allge- meinen wenig ergiebig. Süddeutschland hatte in dieser Zeit eine Reihe ganz trockener Tage, nur am 25. und 26. fanden überall in Deutschland bei stürmischen Westwinden starke Regcnfälle statt. Die gesamte Regenmenge des Monats betrug für" den Durchschnitt aller berichtenden Stationen 53,8 mm, während dieselben im Mittel der letzten dreizehn Junimonate 66 mm Niederschlag geliefert haben. Seit dem Jahre 1900 ist in jedem Juni etwas weniger Regen als im Juni vorher gefallen. In der allgemeinen Anordnung des Luftdruckes vollzogen sich die Änderungen von einem Tage zum andern gewöhnlich 686 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 43 nur langsam. Zu Beginn des Monats begab sich ein umfang- reiches barometrisches Maximum vom hiscayischen Meere über England nach dem europäischen Nordmeer hin. Hier ver- weilte es bis fast zur Mitte des Juni, während Südwesteuropa von einzelnen, zwar sehr flachen Depressionen durchzogen wurde, die aber in Spanien, Frankreich und Norditalien lurchtbare Unwetter herbeiführten. Für Mitteleuropa wurde durch diese Luftdruckverteilung eine trockene, ziemlich warme Nordostströmung bedingt, wogegen durch Rußland einzelne tiefe Barometerminima mit kalten, dampfgesättigten Nordwest- winden wanderten. Am 13. Juni erschien ein tiefes barometrisches Minimum auf dem atlantischen Ozean bei Irland und drang mit weit verbreiteten Regenfällen allmählich mehr und mehr nordost- wärts vor, so daß sich in Deutschland und ganz Mitteleuropa die Winde nach Südwesten, später, als ein neues Hochdruck- gebiet nach England gelangt war, vollends nach Westen drehten und eine starke Abkühlung herbeiführten. Ein eben- falls recht tiefes Barometerminimum eilte vom 24. — 26. Juni vom atlantischen Ozean über die Nordsee nach der Ostsee hin, von wo es seinen Weg mit viel geringerer Geschwindig- keit und abnehmender, später jedoch wieder zunehmender Tiefe ostwärts fortsetzte. Für Deutschland hatte es eine längere Zeit mit kühler und, namentlich im Norden, trüber, feuchter Witterung zur Folge, die erst kurz vor Schluß: des Monats ihr Ende fand, nachdem das durch das Minimum zurückgedrängte Hochdruckgebiet sich von neuem über Mittel- europa ausgebreitet hatte. Dr. E. Leß. Bücherbesprechungen. Ernst Ruhmer, Konstiuktion, Bau und Beltieb von Funkeninduktoren und deren Anwendung, mit besonderer Berücksichtigung der Röntgen- strahlentechnik. Nebst einem Anhang: Röntgen- technik des Arztes, von Dr. Schürmayer. Mit 338 Abb. und 4 Tafeln. 312 Seiten. Leipzig, Hach- meister und Thal, 1904. — Preis geh. 7,50 Mk. Das Buch gibt an der Hand zahlreicher Abbil- dungen der von den verschiedensten Firmen in den Handel gebrachten Apparate eine ausführliche Be- schreibung der Konstruktion der Induktionsapparate und zwar sowohl der kleinen, für Faradisierung be- nutzten Rollen, wie auch der gewaltigen Funken- erzeuger, die in den letzten Jahren durch rationellere Disposition eine außerordentliche Vervollkommnung erfahren haben. In besonderen Kapiteln werden dann die zahlreichen Arten der Unterbrecher, die Stromquellen, Nebenapparate und Schaltungsweisen behandelt. Das zehnte bis dreizehnte Kapitel sind den Röntgenstrahlen gewidmet, die dann noch im .'Anhang vom medizinischen Standpunkte aus beson- ders gewürdigt werden. Die Schlußkapitel führen den Leser noch in das an überraschenden Experimenten so reiche und auch für die Heilkunde sicherlich be- deutungsvolle Gebiet der Teslaströme und der durch Oudin, Seibt und Slaby ausgebildeten Resonanz- phänomene ein. Der Inhalt des Buches umfaßt so- nacli gerade diejenigen Zweige der Elektrotechnik, die das Interesse weiterer Kreise und namentlich der Ärzte besonders auf sich gelenkt haben und man kann allen, die auf diesem Gebiet selbst arbeiten wollen , das Studium des knapp gefaßten , alle un- nötigen Abschweifungen vermeidenden Buches nur empfehlen. F. Kbr. Dr. J. Classen, Theorie der Elektrizität und des Magnetismus. I. Band: Elektrostatik und Elektro- kinetik. Mit 21 Figuren. Leipzig, Göschen 1903. 184 S. — Geb. 5 Mk. Sammlung Schubert XLI. Auf die von demselben Verfasser gelieferte Optik aus der Sammlung Schubert folgt hier die erste Hälfte der Theorie der Elektrizität. Ihr erster Teil, die Theorie der Elektrostatik, faßt zunächst die Haupt- sachen der experimentellen Elektrostatik zusammen und bespricht dann in einem Vergleich aus der Hvdro- dynamik Niveauflächen , Induktionslinien etc. Dann folgen die mathematischen Prinzipien der Elektrostatik und das Maßsystem, darauf die Bestätigung der Theorie durch die Erfahrung, die Weiterentwicklung der Theorie, die Energie eines Systems von Leitern und elektrostatische Messtmgen. Ziemlich genau parallel dieser Entwicklung ver- läuft dann im zweiten Teil , der Elektrokinetik , die Theorie der strömenden Elektrizität : Beobachtungen, das Bild aus der Hydrodynamik, Theorie, Bestätigung durch die Erfahrung, Elektrochemie und Thermo- elektrizität sind die Gebiete, die in den einzelnen .\bschnitten behandelt werden. Die Darstellung wird so gegeben, daß ein Leser, dem die Anfänge der höheren Mathematik und die der Vektorrechnung nicht unbekannt sind, sich durch den vorliegenden Leitfaden in das Studium der Theorie der Elektrizität gut einführen lassen kann. A. S. Literatur. Forster, Assist. Dr. A. : Das Muskelsystem eines männlichen Papua-Neugeborenen. (Beitrag zur vergleich, menschlichen Anatomie.) Mit 3 Taf. (140 S.) Leipzig '04, W. Engel- mann in Komm. — 15 Mk. Fraas, Prof Dr. E. ; Neue Zeuglodonten aus dem unteren Mitteleocän vom Mokattam bei Cairo. Mit 3 Taf. (24 .S. m. 3 Bl. Erklärgn.) Jena '04, G. Fischer. — 6 Mk. Fritsch, Prof. Dr. Ant. : Paläozoische Arachniden. (86 S. m. Abbildgn., 15 Taf. u. 15 Bl. Erklärgn.) 4". Prag '04, F. Rivuäc in Komm. — Geb. in Leinw. 40 Mk. Haberlandt, Prof Dr. G. : Physiologische Pflanzenanatomie. 3., neubearb. u. verm. Autl. (XVI, 616 S. m. 264 Abb.) Lex. 8°. Leipzig '04, W. Engelmann. — 18 Mk. ; geb. in Halbfrz. 21 Mk. Hansgirg, Prof Dr. Ant.: PHanzenbiologische Untersuchungen nebst algologischen Schlußbemerkungen. (VTII , 240 S.) Le.x. S". Wien '04, A. Holder. — 6,So Mk. Hollemann, Prof Dr. A. F'. : Lehrbuch der Chemie. Deut- sche Ausg. Organischer Teil. Für Studierende an Univer- sitäten u. techn. Hochschulen. 3., verb. .Aufl. (X, 490 S. m. Abbildgn.) gr. 8". Leipzig '04, Veit & Co. — Geb. in Leinw. 10 Mk. Lippmann, Dir. Prof Dr. Edm. O. v, : Die Chemie der Zuckerarten. 3. völlig umgearb. Aufl. der vom Vereine f. die Rübenzucker-Industrie des Deutschen Reiches m. dem I. Preise gekrönten Schrift: Die Zuckerarten u. ihre Deri- vate. 2 Halbbde. (XXXVIII, 2003 S.) gr. 8°. Braun- schweig '04, F. Vieweg & Sohn. — 30 Mk. ; geb. in Halb- franz. 34 Mk. Marshall, Prof Dr. W. : Die Tiere der Erde. Eine volks- tüml. Übersicht üb. die Naturgeschichte der Tiere. 2. Bd. Mit 285 Abbildgn. u. 8 färb. Taf nach dem Leben. (Die Erde in Einzeldarstellgn. II. Abtlg. 2. Bd.) (V, 325 S.) gr. 4". Stuttgart ('04), Deutsche Verlagsanstalt. — Geb. in Leinw. 12 Mk. Wundt, Wilh. : Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze v. Sprache, Mythus u. Sitte. I. Band. Die Sprache. 2., umgearb. Aufl. i. Tl. (XV, 667 S. m. 40 Abbildungen.) gr. 8". Leipzig '04, W. Engelmann. — 14 Mk. ; geb. in Halbfrz. 17 Mk, N. F. III. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 687 Briefkasten. Pflanzensagen. — Auf Veranlassung des Herrn Prof. Dr. P. .\scherson habe ich versucht, einer ihm von der Redaktion der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift" über- wiesenen Anfrage, Pflanzensagen betreffend, näher zu treten. Es sei zunächst jene l'ragc hier wiedergegeben. Herr Lehrer M. Gerstmeyr (in Unteringingen bei Nördlingen) schreibt an Herrn Prof. Dr. Potonie: ,, Legst du das Kraut (Drosera) in ein Glas mit Wein, da ein Gift vermischt ist, alsbald zerbricht es das Glas. Ist aber das Gefäß steinern oder aus Alabaster, so wird der Wein also stark siedend, als wäre ein gewaltig Feuer darunter, daß auch der Wein heraus- springt. — An diese Volkssage in Sohns ,, Unsere Pflanzen" wurde ich erinnert, als ich im Oktoberheft des ,, Türmer" (Greiner & Pfeilifer, Stuttgart) den kurzen Aufsatz las: Eine verschwundene wunderbare Pflanze. Es wird dort allen Ernstes behauptet, es hätte frühy eine Pflanze gegeben, welche die Eigenschaft gehabt habe, Wasser, selbst kochendes, zu jeder Jahreszeit in Eis zu verwandeln. Der Verfasser jenes Auf- sätzchens zitiert dann einen Schriftsteller Prätorius aus dem 17. Jahrhundert in folgenden Worten : Es zeigte mir einstmals ein Mann aus dem Ragnitschen ein Kraut, das halte einen schwarzen Stempel und krauselichte, eingezackte runde Blätter; sagte, er wolle ein Wasser, das da kochte, in kleiner Weile nicht nur kalt, sondern auch gar frierend und zu Eis machen. Um die Probe zu sehen, ließ ich Wasser beisetzen und auf- sieden. In dem Sieden warf er etwas von dem Kraut hinein. Das Wasser ließ nicht allein von dem Sieden nach, sondern auch nach einer kleinen Weile setzte es eine Borke, als ein Eis, auf welchem Eise zu sehen war die Gestalt des Krautes. — Am Schlüsse des Aufsatzes stellt der .^utor die Frage: Was sagen die Botaniker und Chemiker zu dieser Pflanze? — Und als Leser Ihrer Wochenschrift gestatte ich mir die Frage: Was sagt die ,,Naturwiss. Wochenschr." zu dieser Pflanze?" Was die erwähnte .\rbcit von Sohns') anbelangt, so ist ein kleiner Irrtum dazugekommen, indem dort von Alche- milla vulgaris L. die Rede ist. Die betreffende Stelle (S. 18 f.) lautet: ,,Auch ,, Unserer lieben Frauen Mantel" fehlt in der Natur nicht. Es ist die Alchemilla. Poetischer Sinn verglich ihre mantelarlig zusammengefalteten Blätter mit dem Mantel der Maria, der, wie man auf alten Bildwerken häufig wahr- nimmt, alle zu ihren Füßen Betenden mit einhüllt. Im übrigen ist ein sehr gebräuchlicher Name der Pflanze ,,Sinau", den noch Camerarius richtiger ,,Sinnau" schreibt. Das Wort ist entstanden aus der Assimilation von sin - tau (schlesisch noch heute ,,Sindau") in sinnau , würde also bei Ableitung seines ersten Bestandteils von altd. sin (= immer, andauernd ; — vgl. altd. sinlif = ewiges Leben und die bekannte sinfluot, die schon lange vor Luther sich in unsere Sündflut ver- wandelte) etwa Immertau bedeuten, und die Pflanze ist so genannt,- weil ihre Blätter stets eine tropfenartige Ausschwitzung der Haardrüsen zeigen, deren Ursprung man früher dem Tau zuschrieb und die man in nordischer Sage die Tränen der Frija nannte, die sie ihrem zu fernen Völkern gezogenen Gemahl Odin nachweinte. Diese Tröpfchen, über deren Ent- stehung man nie völlig ins Klare kommen konnte, denen da- her stets ein geheimnisvoller Zauber anhaftete, sind im Mittel- alter viel umfabelt worden. Die Alchimisten' (Alchemilla soll die Pflanze von den Alchimisten genannt sein) suchten in dem Tau den Grundstoff zu ihrer Goldtinktur und den Un- sterblichkeit wirkenden Trank. Einer von ihnen bereitete aus ihnen ein Getränk, das er Goldwasser nannte, das gegen alle Krankheiten (besonders gegen Schwindsucht) helfen sollte und das tatsächlich in Italien noch heute bereitet und genossen wird. Auch Gift wollte man mittels der Pflanze erkennen. So behauptet Kimrath: Legst du das Kraut in ein Glas mit Wein, da ein Gift vermischt ist, alsbald zerbricht das Glas. Ist aber das Gefäß steinern oder aus Alabaster, so wird der Wein also stark siedend, als wäre ein gewaltig Feuer darunter, daß auch der W^ein herausspringt." (Für Entdecken und Erkennen von Gift hatte man im Volksglauben verschiedene Mittel. In seiner Chronik sagt Nicols: ,,So wird auch vom Saphir gemeldet / daß er dem Gifft dermaßen zu wider sey / daß so er in ein Glaß mit einer Spinne geleget / oder oben auff das Glaß da die Spinne innen ist gelegt wird / so werde die Spinne geschwinde sterben." Gleiche Dienste taten Diamant Rubin und Sma- ragd.) Reling und Bohn hörst, Unsere Pflanzen, 2. Aufl. (1889) S. 99, führen für Alchemilla v. die Namen Sinau, Sin- nau, Sindau, mittelhochdeutsch sintuwe d. h. Sin = tau, gleich Immertau (vgl. Singrün) an. „Weil die Tautropfen in den breitlappigen Blättern auch bei Sonnenschein stehen bleiben ; daher auch der Name Sonnentau. Die Pflanze wurde früher gegen Wunden usw. gebraucht und stand besonders bei den Alchimisten in hohem .Ansehen; sie bedienten sich derselben zur Auffindung des Steins der Weisen, des Lapis philoso- phorum, und beim Goldmachen. Von dieser Verwendung rührt der Name Alchimistenkraut her." S. 388 heißt es ebenda : ,,Der Sonnentau Drosera rotun- difolia. Der lang anhaltende ,,Tau" hatte auch die .Augen der Alchimisten und Destillatoren auf sich gezogen ; sie sehen in dieser Abweichung vom Gewöhnlichen ein „groß miraculuni Dei" und wußten ihn mitsamt der Pflanze bei iüren geheimnis- vollen Arbeiten zu verwenden. Kimrath [bei Ritter V. Perger, Pflanzensagen — 1864 — steht Kunrath] be- richtet hierüber" — [es folgt die schon zweimal wiederge- gebene Stelle „Legst du das Kraut" usw.] „.Auch Arzeneien wurden aus den betauten Blättern der pflanze bereitet, welche Linderung und Heilung gegen Kopfschmerz, Stiche des Herzens usw. gewähren sollten." Montan US, Die deutschen Volksfeste, Volksbräuche und deutscher Volksglaube usw. (1854) IV, S. 146: ,, Drosera rotundifolia, ros solis, auch früher sponsa solis genannt. Der Landmann wundert sich über den in brennender Sonnenglut dort haftenden Tau, während die Hitze denselben sonst überall /erdunstet, und hält deshalb die Pflanze für eine durch höhere riuld begünstigte." — (S. 154: ,,Mit dem auf Erlenblättern klebenden Honigtau wurde mancherlei Zauberwerk getrieben.") Alchemilla und Drosera erfuhren also gleiche Schätzung. Doch die .Alchimisten legten auch noch anderen Pflanzen ge- heimnisvolle Kräfte bei. Ritter v. Perger, S. 157, be- richtet, daß zu der sogenannten ,, Pflanzenauferstehung" auch die Nessel dienen mußte. ,,Sie wurde von den .Alchimisten verbrannt, aus ihrer .Asche eine Lauge bereitet und diese der Kälte ausgesetzt. In diesem Eise sah man leibhaftige Nesseln mit ihren Stengeln und Blättern und allem Zuge- hörigen." Kehren wir zu den Nachrichten über zertrümmerte Becher zurück! Da spielte auch das Bilsenkraut eine Rolle. O. Rosenkranz, Die Pflanzen im Volksaberglauben (1893) S. 276 f. : ,,Das schwarze Bilsenkraut. Hyoscyamus niger. Das Bilsenkraut mit Hermodactylen (Wurzeln der syrischen Zeitlose, Colchium lUyricum, nach Tournefort aber die der Iris tuberosa) und Realgar (rotem Arsenik) gemischt und einem wütenden Hunde gegeben, so vergehet er alsbald, was freilich einem gesunden auch geschehen würde. Aber mit diesen Dingen den Saft des Bilsenkrautes in einen silbernen Becher getan, bricht den Becher in kleine Stücke. (Bech stein, Mythe, Sage usw. 1854, 1, 112.)" Reling und Bohnhorst, S. 167 f.: „Die alten Arzte gaben einen Weinaufguß der Blätter [des Bilsenkrauts] gegen das Fieber." Beim Fieber angelangt, möchten wir jetzt den Punkt er- reicht haben, von dem aus mehr oder minder gewaltsam eine Verbindung zu dem so zauberschnell zu Eis gewordenen kochenden Wasser gesucht werden kann, d. h. wir haben, wenn wir uns der Meinung des Herrn Hofrat Dr. M. Hoefler (in Tölz) anschließen, es in der Hauptsache mit Sprachbildern zu tun. Der genannte Forscher schreibt mir: ,,Eine giftver- treibende und auch Heißes in Kaltes verwandelnde Pflanze ist Nymphaea alba L. = Nenufar, deren Verwechslung mit der Lotosblume der Indier ') durch die Araber vermittelt wurde. .Als Verkörperung der ,, Nymphen" oder Wasser - Tocken (Puppen) schließt sie elbische Kräfte ein. [Alpdrücken ; böse, aufregende Träume.] Die bei Eugene Rolland, Flore populaire I (1896) S. 155, angegebenen Eigenschaften von Nymphaea stimmen genau dazu; sie verändert heiße Liebe in 1897) ^) Franz Sohns, Unsere Pflanzen (Teubner , Leipzig ') Nelumbium speciosum. 688 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 43 Kälte; etc. etc. Die Pflanze ist ein Klostermittel. — Man müßte nunmehr die Übersetzungen der Eigenschaften der Lotos- blume auf die Nymphaca verfolgen. Das Kloster Tegernsee hat dieses Mönchskraut im Wappen. Es heißt auch Seeblatt, Seerose, Wasscrtockclein [usw.] Vgl. auch Grimm, Mythol. 2, p. 620. I147; Allgem. Ztg. 20. Dez. 1S42; Beilage p. 2825. — Jedenfalls ist der ganze Nymphaea-Mytho^ aus orientalischer bzw. arabischer Quelle. Der orientalische Nimbus wurde auf europäischem Boden zur Veranlassung weiterer Ausschmückun- gen. [Die Blume war inzwischen zur Heilpflanze geworden.] In der Volksmedizin (l6Sr) külilt sie das Herz und die Leber, ist köstlich für das Fieber [usw.], also deutlich eine Weiter- führung der kaltmaclienden Eigenschaft der Pflanze. — Die orientalische Auffassung wurde durch die Araberschulen den Mönchen vermittelt , welche dann das Ganze ins Sagenhafte umzusetzen verstanden. Manche Heilkraft einer Pflanze begründet sich auf den Mythos, und die- ser wieder entsprang dem Glauben an elbische Wesen, die in Pflanzen verkörpert sein sollten. Das Unverständliche wurde durch die Volks- phantasie metaphorisch umgedeutet. So kann also aus dem volks medizinischen Glauben auch als Metapher eine Pflanze erscheinen, welche heißes Wasser zum Gefrieren bringt; immer aber steckt irgend ein Kern hinter solchen Sagen." — Als Nachtrag sendet Herr Hofrat Hoefler noch die Mit- teilung, daß in Zimmern's „Keilinschriften" S. 364, 366 (3. Aufl.) ,.im Babylonischen bereits „in Feuer und Wasser halten" der terminus tcchnicus für Fieberhitze und Schüttel- frost ist. — Pflanzennamen und Pflanzensagen entsprangen dem Bedürfnis nach Heilmitteln." E. Lemke. Nachschrift. Die Prätorius'sche F.ispflanze ist bereits 1888 auf der Versammlung des Westpreußischen Botan. -Zoologischen Vereins in Danzig ') von unserem unvergeßlichen, auf dem Gebiet des Folklore so erfahrenen Freunde A. Treichel besprochen worden, welcher mit Recht die Deutung des ,, schwarzen Stempels" als der in der botanischen Termino- logie so bezeichnete Fruchtknoten oder Griffel ablehnt und die Vermutung ausspricht, daß damit eine schwarze (oder dunkle) Zeichnung des Blattes gemeint sein könne. Wenn wir von dieser zweifelhaften Bestimmung absehen, so könnte man wohl an die im vorstehenden genannte Alchimilla vul- garis denken, deren Blätter in der Tat ,, krauselicht, eingezackt und rund" sind. Warum sollte im Volksglauben nicht eine Pflanze, die kalte Flüssigkeiten ins Sieden bringt, auch siedende zum Gefrieren bringen können? Was übrigens die Autorität des Matthäus Prätorius als angeblicher Augenzeuge des ihm von einem litauischen „Zauberer" vorgemachten Experiments, über das er in seiner „Preußischen Scliaubühne" S. 45 berichtet, betrifl't, so ist sie nach Mitteilung meines verehrten , in der heimatkundlichen Literatur von Ost- und Westpreußen so bewanderten Kollegen Abromeit eben nicht hoch anzuschlagen, da dieser Mann sich des übelsten Rufes ,, erfreut". Seines Amtes als protestantischer Geistlicher wegen sittlicher Verfehlungen ent- setzt , flüchtete er nach Polen , trat dort zum Katholizismus über und wurde der heftigste Gegner seines früheren Glaubens. Etwas Jägerlatein wäre also das Geringste, was ihm vorzu- werfen wäre. Schon Kolberg hat übrigens, wie Treichel erwähnt, in seiner Abhandlung-) über den Besuch des Angelsachsen Wulfstan in Preußen die Prätorius'sche Eispflanze mit der Nachricht dieses Zeitgenossen von König Alfred, daß die .An- wohner der Weichselmündungcn im Winter wie im Sommer nach Belieben Eis zu bereiten verständen, in Verbindung ge- bracht. Die von dem Einsender der Notiz im ,, Türmer" über- nommene Frage ,,Was sagen die Botaniker und Chemiker" etc. rührt von Kolberg her. Der angelsächsische Reisende spricht indes nicht von einem Kraute ; da ich mit der Geschichte der künstlichen Eisbereitung nicht vertraut bin , überlasse ich an- deren festzustellen, ob die Kenntnis der betreffenden Eigen- schaften des Kochsalzes schon in dieser Zeit vorausgesetzt werden darf P. Ascherson. Herrn P. F. in Leipzig. — Herr Landesgeologe Dr. Dathe gibt freundlichst die Auskunft, daß für das eigentliche Riesengebirge in Betracht kommen bei geolog. ■ mineralog. Exkursionen: H.Traube: Die Minerale Schlesiens. Breslau 1888; Gürich: Führer in das Riesengebirge; J. Roth: Erläuterungen zur geognostischen Karte von Niederschlesien. Herrn F. M. in Schöneberg. — Die buntblättrigen Hol- lunder (Sambucus nigra) sind Gartenzüchtungen. Die einge- sandte Züchtung heißt S. n. fol. argenteo-marginalis (vgl. Sie Dippel's Laubholzkunde (P. Parey in Berlin) 1 (1889) p. 168 bis 169). Herrn E. E. in Reichenberg. — l) Physikalische Zeit- schrift, herausg. von E. Riecke und H. Th. Simon. Verlag von S. Hirzel in Leipzig. Monatlich 2 Hefte für vierteljähr- lich 5 Mk. 2) Meteorologische Zeitschrift, herausg. von Hann. Wien. 3) Meyer, Die Naturkräfte. Leipzig, Bibliogr. Inst. 1903. Preis geb. 17 Mk. (vgl. Besprechung Naturw. Wochen- schrift Bd. 11, S. 564). Darin ist auch das Licht behandelt. Herrn M. L. in Winterthur. — Sie finden die gewünschte Auskunft in den Provinzlisten im zweiten Teil von Kunze's Kalender für das höhere Schulwesen in Preußen (Breslau, Preuß & Jünger). Über Berechtigungen der höheren Sclmlen gibt ausführlich Auskunft: A. Beier, Die Berufsausbildung in Preußen. Halle a. S., Buchh. d. Waisenhauses. 1903. Herrn H. in Charloltenburg. — Wir empfehlen Ihnen zu I. und 2. die in Kleyer's Enzyklopädie (Verlag von J. Maier in Stuttgart) erschienenen, diesbezüglichen Bände von Kleyer (Körperberechnungen, 4 + 9 Mk. ; ebene Trigonometrie 18 Mk.). Zu 4. beachten Sie Ostwald, Die Schule der Chemie. ') Schriften der naturf Ges. Danzig VII, Heft 2, S. 251. '■') Ermländische Zeitschrift VI, S. 59. Herrn Dr. O., Arnhem (Holland). — Für Ihren Zweck kämen vor allen zwei kleinere Werke in Betracht, die eine Bestimmung der Hölzer mit einer guten Lupe ermög- lichen. Es sind dies: l) Robert Hartig, Die anatomischen Unterscheidungsmerkmale der wichtigeren in Deutschland wachsenden Hölzer. 3. Auflage. 22 Holzschnitte. München 1890 (Rieger'sche Universitätsbuchhandlung). Preis 1 Mk. — 2) Nördlinger, Anatomische Merkmale der wichtigsten deutschen Wald- und Gartenholzarten (Stuttgart 1881. Cotta- sche Buchhandlung), das Sie wohl zweckmäßig neben den Querschnitten benutzen können. Preis ungefähr gleich dem vorigen. Sehr praktisch würde für .Sie sein : B u r k a r t ' s Samm- lung der wichtigsten europäischen Nutzhölzer in charakteristi- schen Schnitten. Mit erläuterndem Text. Brunn. l88o. Ver- lag von Burkhart's Buchdruckerei. Dieses Werk enthält 40 Holzarten in je einem Quer-, Radial- und Tangentialschnitt und gehört zu den vom technologischen Gewerbemuseum in Wien herausgegebenen Lehrmitteln. Der Text nimmt ein- gehend auf die technischen Eigenschaften der Hölzer Bezug. An anderen Werken kämen in Betracht: H. Mayr, Die Waldungen von Nordamerika (18 Mk.) ; Möller, Jos., Bei- träge zur vergleiclienden Anatomie des Holzes. Denkschr. d. Akad. in Wien. Bd. 36. 1876, das jedoch für die Koniferen- hölzer unbrauchbar ist, und Solereder, Systematische Ana- tomie der Üicotyledonen 1899 (36 Mk.j ; die drei letztge- nannten Werke setzen allgemeine Kenntnisse in der mikro- skopischen Anatomie voraus. W. G. Inhalt: Prof. Dr. G. Fritsch: Vergleichende Betrachtungen über die ältesten ägyptischen Darstellungen von Vi>lkstypen. — Kleinere Mitteilungen: N. A. Borodin: Über die Fischcreiverhältnisse in Rußland. — Einfluß der Kinder- heiraten auf die körperliche Beschaffenheit der Bevölkerung Indiens. — Oudemans: Mauersegler, Cvpselus (Micro- pus) apus L. — Dr. Schlickum: Über abnorme Kirschblüten. — W. V o i g t : Über die Reste der Eiszeilfauna in mittelrheinischen Gebirgsbächen. — Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: Ernst Rulimer: Funken- induktoren. — Dr. J. C lassen: Theorie der Elektrizität und des Magnetismus. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-Wcst b. Berlin. Druck vnn Lippen & Cu. (G. P.Htz'sche P.uchnrc a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,Die NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion : Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-\Vest bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge III. Band; der ganzen Reibe XIX. Band. Sonntag, den 31. Juli 1904. Nr. 44. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen - und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der i Vierteljabrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Vergleichende Betrachtungen über die ältesten ägyptischen Darstellungen von Volkstypen. [Nachdruck verboten.] Vom Geheimen Medizinalrat Prof. Dr. G Fritsch. (Schluß.) II. So sehen wir aus den Urzeiten durch glück- hche Vereinigung mehrerer sehr ungleicher Ele- mente ein hochbegabtes Kulturvolk entstehen, welches uns in der ältesten Geschichte des Landes bereits als ein einheitliches Ganze entgegentritt. Wie bereits angedeutet, waren auch dann, d. h. etwa im Beginn des mittleren Reiches bei ge- nauerer Betrachtung immer noch Anklänge an die Verschiedenlieit der Wurzeln des Volkes in den auftretenden Typen bemerkbar, wenn sie auch den archäischen Charakter abgestreift hatten. Herr Wiedemann hat in der zweiten, oben . abgebildeten sitzenden Figur aus guten Gründen einen Übergang von der Friihkunst zu der rein ägyptischen erkannt und betont ausdrücklich, daß die Gesichtszüge nunmehr rein ägyptisch geworden seien, worin ich ihm vollkommen beistimmen möchte. Einen ähnlichen Übergang scheint der jeden- falls tief in das alte Reich zurückzudatierende große Sphinx zu Gizeh darzustellen, dessen Nase leider zu sehr zerstört ist, um das Gesicht richtig be- urteilen zu können, doch gibt die vorspringende Kieferpartie mit dem breiten Mund bei nur mäßig aufgeworfenen Lippen immer noch einen rohen, wenig edlen Charakter. Die Figur soll bekannt- lich einem Pharao Hor-em-chu gewidmet sein, be- ziehungsweise die Züge desselben tragen und weit vor den Erbauer der benachbarten Pyramide, Chefren, seiner Entstehung nach zurückdatieren.') Die in mehreren Exemplaren vorhandene Statue des Chefren selbst gibt alsdann den besten Anhalt für den nunmehr auftretenden kräftigen, oder selbst massiven Schnitt des Gesichts, welcher gleichwohl edler Verhältnisse nicht entbehrt, wie sie sich auch in der ganzen Figur und Haltung geltend machen. Mit der sechsten Dynastie verliert sich aber die Geschichte des Landes und seiner Herrscher- familien nochmals in ein geheimnisvolles Dunkel, um erst mit der als die zwölfte gezählten Dynastie wieder in einem hellen, aber vorübergehenden Glänze zu erstrahlen. ') Eine Anzahl moderner .'\gyptologen ist bekanntlich geneigt, das ersichtlich hohe Alter der Sphinx als „Imitation" anzusprechen, wofür es an genügendem Anhalt zu fehlen scheint. 690 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 44 Leider haben wir bisher, von den hervorragen- den Pharaonen der sechsten Dynastie, Pepi I. und IL, keine sicheren Porträtdarstellungen, erst von den ruhmvollen Begründern der zwölften Dynastie (um 2500 V. Chr. beginnend), die abwechselnd die Fig. 12. Der Sphinx von Clizcli, nacli eigener Pliot. in einer Schrift, betitelt : Ameneml.ia III et les Sphinx de „San" (1893), welcher die beistehende Re]jroduktion entlehnt ist. Der Autor ist geneigt, eine Anzahl anderer Bildwerke als vermutlich diesem Pharao ursprüng- tig 14. Amencmha III. Nach Golenischeff. Fifi Fig. 13. Clicfren, nach eigener Pliot. Kolossalfigur mil der Karlouclic des R.iniscs, Rulak.-iSluseum, nach eign. Phot. Namen Amenemhat und Usertesen trugen, be- sonders von dem Pharao Amenemhat III., scheinen mehrere sichergestellt, welche sich im Berliner Museum und in der P>emitage zu St. Petersburg befinden. Dieselben haben durch Herrn Goleni- scheff eine eingehendere Würdigung gefunden lieh zugehörig zu betrachten, obwohl er sich selbst über die großen Unterschiede der Gesichtsbildung nicht hat täuschen können. Es liegt allerdings ein gemeinsamer Typus zugrunde, und hat z. R. eine andere Kolossalfigur, welche sich im Museum von Gizeh befindet und offenbar erst später mit N. F. in. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 691 der Kartouche von Ramses II. versehen wurde, wie beistehende Figur beweisen dürfte, auch einige Ähnlichkeit mit derjenigen der Petersburger Ere- mitage. Sie wird in dieser Hinsicht freilich durch eine andere Statuette im Besitz des Herrn Goleni- scheff übertroffen, welche der Autor wohl mit Recht geneigt ist, ebenfalls dem Pharao AmenemhS zuzusprechen. An dieser Stelle kommt es mir indessen nur darauf an zu beweisen, wie noch im Anfang des mittleren Reiches ein Typus unter den Herrschergeschlechtern verbreitet war, der sich an denjenigen des Cheiren aus dem alten Reich trotz der dazwischen liegenden tausend Jahre noch eng anschließt. Hier hat sich also tatsächlich die vielgerühmte ägyptische Konstanz der Charaktere wirklich be- währt. nisse der Hyksos gerichtet, aber wie dem auch sei, ihr fremdländischer Charakter ist außer Zweifel und es erscheint doch viel weniger wunder- bar, daß von irgendeinem ägyptischen Herrscher nur einzelne Porträtstatuen übrig geblieben sind, als daß ein ganzes Volk, welches Jahrhunderte lang in Unterägypten geherrscht hat, absolut keine figürlichen Darstellungen seiner Herrscher sollte hinterlassen haben. Die am besten erhaltene Sphinxfigur, deren Profil ganz besonders charakteristisch erscheint, findet sich verhältnismäßig selten abgebildet im Vergleich mit der kleineren, etwas beschädigten, vielleicht wegen der örtlichen Schwierigkeiten der Aufnahme, welche eine harte Beleuchtung be- wirken; das Profil wird dadurch aber nicht ge- stört. Ich gebe anbei Vorder- und Seitenansicht Fig. l6. Hyksos-Sphinx von Tanis aus dem i'.ulak-Muscimi, nach cign. Fhot. Herr Golenischeff geht aber noch viel weiter, indem er auch die Sphinxe von San im Delta, welche man lange gewöhnt war, im An- schluß an die von Mariette-Pascha ausgehende Auffassung, dem Hirtenvolke der Hyksos zuzu- sprechen, als vermutlich ebenfalls auf den Pharao Amenembä III. bezügliche Bildwerke zu erklären. Die ganz enorme Verschiedenheit der Gesichts- bildung, deren fremdländischen Charakter der Autor als eine bisher unerklärte Tatsache zugeben muß, mit den Zügen der anerkannten Porträtstatuen des Amenemhä glaubt er auf eine spätere Überarbeitung der letzteren zurückführen zu können, als der Pharao Merenptalj sie für seine eigene Person her- richten ließ, was sachlich unzulässig erscheint. Offenbar ist die Meinung eines großen Teils der modernen Agyptologcn gegen Mariette's Deutung der Sphinxe, der sich auch de Rouge und Deveria angeschlossen hatten, als Erzeug- nach eigener Photographie, sowie den Vorderteil einer unvollständigen Königsfigur mit ähnlichen Gesichtszügen. Den Kopf des Sphinx durch Über- arbeitung aus dem Porträt des Amenemljä III. zu machen, erscheint gänzlich ausgeschlossen. Die große Breite des Gesichts mit den vor- springenden Backenknochen, der kräftige aber nicht negerhafte Mund und der Schnitt der Augen weisen unzweifelhaft nach Asien hinüber und finden sich bis auf den heutigen Tag unter den turanischen Nationen vertreten. Das platte Gesicht ist eine Eigentümlichkeit, welche bekanntlich unter den westasiatischen Stämmen sehr häufig auftritt; daß durch Abmeißeln solches Gesicht nicht vortretender werden kann, sollte wohl von selbst einleuchten. Der gleiche Charakter prägt sich in dem Vorder- teil der im Fayum gefundenen Kolossalfigur aus, welche von Mariette-Pascha im alten Museum von Bulak neben die Sphinxe von San als zu 692 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 44 ihnen gehörig gestellt wurde, obwohl sie mit keiner Löwenmähne, sondern mit einer Perücke ausgestattet ist, die ganz an die Mode des alten Reiches erinnert. Auch die Tracht, besonders die eigentümlichen, an den Seiten des Halses auf die Brust herablaufenden Gehänge sind sehr un- gewöhnlich. Die Berühmtheiten des leider etwas dunklen, sogenannten „kleinen Hyksos-Saales" im alten Museum von Bulak wurden durch zwei neben- einander an Opfertischen stehende merkwürdige Figuren aus schwarzem Basalt vervollständigt, mit Fisch- und Vogelemblemen reich verziert, deren Gesichtszüge leider sehr verstümmelt sind; man konnte nur sagen, daß auch diese einen durchaus fremdartigen, unägyptischen Typus trugen. Fig. 17. Büste eines Königs, Bulak-Museum. Nach eign. Phot. Herr Golenischeff hat sich das Verdienst er- worben, in der angeführten Schrift auch eine kleine Sphinxfigur des Turiner Museums zur Abbildung zu bringen, welche mit der gleichen Löwenmähne wie die Sphinxe von San ausgestattet ist und dabei ein Gewicht trägt, welches ein behäbiger Bierwirt in den Straßen von München ohne auf- zufallen spazieren führen könnte. Es zeigt dies Beispiel, wie unzulässig es ist, von einem „nubischen" Typus der Sphinxe zu sprechen, wo doch ein ein- heitlicher Typus überhaupt nicht vorliegt. Mögen nun auch die Sphinxe von San und andere mit verwandten Gesichtszügen ausgestattete Bildwerke Hyksos darstellen oder nicht, wesentlich bleibt, daß sie auf ein den eigentlichen Ägyptern fremdes Volk hinweisen, welches sich ihnen bei- gemischt hat. Aber auch sie konnten ebensowenig wie die hellfarbigen Libyer ihre Rassenmerkmale im Kampf ums Dasein dauernd zur Geltung bringen; während wir bis auf den heutigen Tag unter der jetzt lebenden Bevölkerung Anklänge an den Pharaonen- typus des alten Reiches antreften, vermißt man Rückschläge in den bezeichneten Typus der Sphinxe von San. Allerdings hat unser leider zu früh ver- storbener Ebers,') ein ausgezeichneter Kenner .Ägyptens, der sich in der Hyksosfrage ebenfalls Mariette angeschlossen hatte, behauptet, daß sich tatsächlich im Gebiet des alten Tanis, der Umgebung des heutigen Menzaleh-Sees, der be- schriebene Typus unter der Landbevölkerung bis auf den heutigen Tag mit großer Zähigkeit er- halten habe. Mir sind leider bei meinem längeren Aufenthalt gerade in dieser Gegend solche Ge- sichtsbildungen nicht aufgefallen. Der wünschenswerten Vergleichung wegen möge hier auch die Figur des Turiner Sphinxes nach Gol en isc h eff's Abbildung einen Platz finden. Die außerordentliche Verschiedenheit der Gesichts- bildung wird sich dadurch ohne weiteres ergeben. Auch dieser Typus scheint wieder vollständig verschwunden zu sein. Somit verliert sich die langsam fortschreitende Fixierung des typischen, ägyptischen Volkes, wie es uns später im Fellah entgegentritt, für ein weiteres Jahrtausend im geheimnisvollen Dunkel für das Land offenbar sehr trüber Zeiten, in denen die langsam errungene Kultur im höchsten Maße gefährdet war. III. Mit dem Eintreten einer besseren, ruhmreicheren Zeit erscheint der Volksbildungsprozeß bereits definitiv abgeschlossen, die rotbraunen Männer mit dem nicht unschönen, aber meist ausdruckslosen Gesicht, dem trainierten, sehnigen Gliederbau bei auffallend breiten Schultern und schlanker Taille, wie sie dem Nigritier und darunter auch dem „Nubier" keineswegs zukommen, treten uns als die autochthonen Bewohner des Landes entgegen, da der Werdegang längst vergessen ist. Obwohl der eigentliche Fellal.i, der Bebauer des flachen Landes weiter unter dem Jahrtausende alten Druck ein kümmerliches und trotz seiner Mühe und Qual zufriedenes Dasein führte, müssen doch breitere Schichten der Bevölkerung an der verhältnismäßig hohen Kultur teilgenommen haben, wie sich aus den massenhaften Schrift- stücken auf Papyrus ergibt, die Aufklärung über das private Leben auch der tiefer stehenden Klassen gewähren. Daß die urtümlichen Elemente, aus denen sich die Rasse aufbaute, vielfach durch eine ziemlich helle Hautfarbe ausgezeichnet waren, ergibt sich noch aus der üblichen Darstellung des durch- schnittlich weniger der Sonne ausgesetzten weib- lichen Geschlechts, wo der Hautton als Regel viel heller angelegt ist als bei den Männern. Natürlicher Bart war verpönt und galt als ein Merkmal der Barbaren, auch der Kopf war viel- fach rasiert und nach Stand und Sitte durch künst- ') Ebers: Ägypten in Wort und Bild. I. S. 108. N. F. m. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 693 liehe Perücken geziert, beim gemeinen Mann scheint eine wohl künstlich beförderte Kräuselung des ziemlich kurz gehaltenen Haares üblich ge- wesen zu sein. Indem auf diese Weise beim Aufblühen des neuen Reiches unter der achtzehnten und neunzehnten Dynastie die „Ro- men" als wohl charakterisierte Rasse dem Forscher entgegen- treten, sondern sich dieselben um so auffallender von den fremdartigen Elementen, die in immer dichteren Massen in das Land eindringen und nicht alle so spurlos an dem physi- schen Volkscharakter vorüber- gingen als manche der früheren Eindringlinge. Noch einmal tritt der Typus der alten Pharaonen, wenn auch in viel unsichererer, schwanken- der Gestaltung in den Herr- schern der achtzehnten Dy- nastie, den Amenljotep und Thutmosis, in die Erscheinung. Ihre Gesichtszüge bekunden Kraft und Energie wie zur Zeit des altertümlichen Chefren und zwar nicht nur in den Bild- werken , sondern auch den Mumien selbst, welche ein wunderbares Verhäng- nis bekanntlich bis auf unsere Zeit gebracht hat. Die Standbilder und sonstigen Darstellungen dieser Pharaonen, unter denen wohl der im British Museum befindliche Kolossalkopf Thutmosis III., bedeckt mit dem Pschent, der Doppelkrone von Ober- und Unterägypten, das Berühmteste ist, stimmen mit den Zügen der Mumien sehr schlecht Fi". iS. i-lphinx aus tkni Turincr Museum. Nach Golenisclieff. ^^^'' ^EÜ^R^ f 1 Ja 1 -^ M^^^ 1 mm^ ■ Fig. 19. Kulossalkopf von Thutmosis III. Londoner Museum. überein, wobei allerdings der senile Charakter der in hohem Alter Verstorbenen in Rechnung gestellt werden muß. Nach der letzteren zu schließen, müßte die Mundpartie Thutmosis III. eine ziemlich edle gewesen sein, während der Kolassalkopf stark aufgeworfene, fast negerhafte Lippen trägt; hier tritt zum ersten Male eine Bildung des Gesichts auf, welche an „nubische" Formen erinnert, ohne daß indessen die Quellen in dieser Richtung einen positiven Anhalt für die Annahme einer Kreuzung ergeben. Die eingehendste Untersuchung der Königs- mumien, welche in der Felsenspalte von Deir-el- babri aufgefunden wurden, ist bekanntlich in den Sitzungsberichten derKönigl. Akademie der Wissen- schaften zu Berlin durch R. Virchow gegeben worden, welcher durch sorgfältige Messungen und nach den Photographien entworfene Figuren die Schädel und Gesichtsbildung der berühmtesten dar- unter in volles Licht gesetzt hat. Er konnte nicht umhin, dabei die prinzipielle Frage zu erörtern, ob wir überhaupt annehmen dürfen, daß die bildlichen Darstellungen, welche uns überkommen sind, Anspruch darauf erheben können, als Porträts bestimmter Personen ange- sehen zu werden. Mit der ihm eigenen kühlen Abwägung der Tatsachen kommt er zu der Über- zeugung, daß eine solche Auffassung der Darstel- lungen meist zweifelhaft, in manchen Fällen positiv abzulehnen sei. Er scheute sich nicht damit gleich- sam die Axt an die Wurzel unseres bisherigen 694 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 44 Baumes der Erkenntnis altägyptischer Volksstämme zu legen und macht offenkundige, ziemlich schroffe Opposition gegen die Schriftsteller, welche für den Porträtcharakter eingetreten sind. Unter diesen Schriftstellern war ich selbst mit inbegriffen, da ich fünf Jahre vor der Publikation über die Königsmumien Mitteilungen über den Gegenstand vor der Berliner anthropologischen Gesellschaft unter Vorlage von eigenen photo- graphischen Aufnahmen gemacht hatte. ^) In diesem Vortrage hatte ich darauf hingewiesen, daß bei der Beurteilung zwei ganz verschiedene Dinge zu- sammengeworfen werden, nämlich ob ein auf- gefundenes altägyptisches Bildwerk auch wirklich d i e Person darstellen soll, für welche es nach den begleitenden Umständen, wie F"undstätte, In- schriften, Beigaben usw. bestimmt schien, p 1^^ ^^^^^^^^^^^1 ||[bII Fig. 20. Mumienkopf von Tliulmosis III., nach Maspero. oder ob es Porträtcharaktere trage, gleich- viel welcher Person dieselben entlehnt sein mochten. Aus mancherlei Gründen, besonders aus der iJberzeugung, daß die Gewöhnung und das Ge- dächtnis für seine tägliche Umgebung damals so wie heute die Hand des ausführenden Künstlers geleitet haben wird, neigte ich der letzteren Auf- fassung zu und glaube, daß als Resultat dieses psychologischen Momentes wir selbst da eine Hin- neigung zur Wiedergabe selbst erkundeter Porträt- charaktere erwarten dürfen, wo der einreißende Schematismus alles Individuelle auszulöschen drohte. In der Tat steht, wie bereits oben ausgeführt wurde, die ganze neuere Richtung der Forscher wesentlich auf dem nämlichen Standpunkt und R. \^irchow selbst hat ja in der oben angeführten, später (1898) veröffentlichten Schrift über die ethnologische Stellung des prähistorischen und protohistorischen Ägypters eine entschieden mildere Fig. 21. Soli I., K.ilksteinrelicf iu .\byJoä. ') Über Porträtcharaktcre allägyptischer Denkmäler. Zeit- schrift d. Berliner Ges. für Anthropologie usw. Verhandl. 17. Febr. 1883. Fig. 22. Ramscs IL, Relief ,,en creux", Louvre Paris. Auffassung der Frage vertreten, wozu das reiche von Herrn Fouquet (Kairo) gesammelte Material nicht unwesentlich beigetragen haben dürfte. Er mußte sich überzeugen, daß tatsächlich von Urzeiten an sehr abweichende Typen in die ägyp- N. F. m. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 695 tische Bevölkerung eingeschmolzen worden sind, und konnte sich somit auch der Möglichkeit des Wiederersclieinens eines vom Durchschnitt sich entfernenden Typus in bildlicher Darstellung oder selbst im Leben nicht wohl verschließen. Daraus ergibt sich unmittelbar, daß auch abweichend dar- gestellte Formen sehr wohl lebenden Modellen entlehnt sein konnten, freilich ohne eine Garantie dafür zu bieten, daß sie der gerade darzustellenden Person eigentümlich waren. Der wunderbare Fund der Königsmumien hat der wissenschaftlichen Frage ein Material unter- breitet, welches eine viel bestimmtere Entscheidung gestattet, als je vermutet werden durfte. Es wurde bereits vorstehend vermerkt, daß das als Porträt- kopf des Thutmosis III. bezeichnete Bildwerk des British Museum durchaus andere Züge trägt, als uns die Mumie, deren nach der Photographie ent- worfene Abbildung hier daneben gestellt wurde, darbietet. Die kräftige, aber edel geformte Nase war mäßig aquilin, die Nasenflügel nicht breit angesetzt, der Mund breit, die Lippen aber wenig aufge- worfen, das energische Kinn sprang ziemlich stark vor. Die Kiefer zeigen keinen auffallenden Pro- gnathismus, doch ist das Gesicht keinesfalls flach zu nennen, die Jochbogen springen wenig vor, die Stirn ist hoch, etwas zurückweichend, die Ohren klein, zierlich. Dagegen zeigt der Kolossalkopf eine plumpe, fast gerade Nase mit breitem Nasenrücken, etwas breit angesetzte Nasenflügel, großen Mund mit aufgeworfenen Lippen, volle, kräftig angelegte Wangen, kurze Oberlippe und wenig vortretendes Kinn, so wie es der abgebrochene, künstliche Bart zu beurteilen erlaubt. Am ähnlichsten mit der Mumie dürfte der eigentümliche Schnitt der Augen, die mandelförmige Gestalt, gewesen sein. Anderer- seits befindet sich das durchaus abweichend ge- staltete Reliefbild des Pharao Seti L, welches im Tempel von Abydos die Wand schmückt, mit den Zügen der Mumie selbst, wenn man die Einflüsse des Mumifizierens berücksichtigt, in erfreulicher Übereinstimmung, wie auch Virchow in der mehr- fach zitierten Schrift an F"iguren erläutert.') Da Thutmosis der XVIII., Seti der XIX. Dynastie an- gehört, so ist die Anschauung, daß gerade von dieser Dynastie an ein Versinken der Kunst in reinen Schematismus die Porträtcharaktere aus- gelöscht habe, nicht von allgemeiner Gültigkeit. Verwirrend mußte dabei auch die schon aus früheren Zeiten stammende, auf die religiösen An- schauungen zurückzuführende Unsitte wirken, mög- lichst viele Darstellungen der eigenen Person zu hinterlassen und daher anderen Herrschern ge- widmete Bildwerke durch Fälschung der Namens- inschrift für sich zu annektieren. Allerdings tragen viele Bildwerke auch die Kartouche von Ramses IL, welche, wie schon Virchow hervorhebt, mit den Merkmalen der Mumie unvereinbar sind. Es existieren aber auch Darstellungen eben dieses Herrschers, z. B. das Relief en creux, den noch jugendlichen Mann dar- stellend, dessen Züge, abgesehen von der etwas idealisierten, weniger aquilin angelegten Nase, auf die Züge der Mumie des etwa neunzigjährig Ver- storbenen sehr wohl zurückgeführt werden können. Die Familie der Ramessiden stellt ersichtlich einen neu zur Geltung gekommenen Bevölkerungstypus dar, über dessen Entstehung mancherlei Ver- mutungen aufgetaucht sind; Virchow ist offen- bar vollkommen im Recht, wenn er erklärt, daß auch nicht ein Merkmal der Mumien für die Beimischung von Negerblut spreche, dagegen er- scheint mir die ebenfalls bereits behauptete Bei- mischung von semitischem Blut nicht von der Hand zu weisen. ^^^■/^ -^ ^3i3 m /''^^jK^^^ m^ '^/^ffip' ') Königsmumien S. 6. Fig. 23. Mumienkopf Ramses [I. Weder die Ramsesstatue im Tempel von Luksor, noch die Kolossalfigur des Tempels von Abu- Simbel, welche seinen Namen tragen, können den Anspruch auf Porträtähnlichkeit mit der Mumie erheben. Dagegen stimmt es mit der von mir vertretenen Anschauung sehr gut überein, daß diese an Ort und Stelle ausgeführten Bildwerke offenbar n u b i s c h e n Charakter tragen. Die aus- führenden Künstler standen eben bewußt oder un- bewußt unter dem Einfluß der Bevölkerungstypen, welche ihre tägliche Umgebung bildeten. Bekanntlich hatte sich in dieser Zeit das jüdische Element der Bevölkerung stark ausgebreitet, und wenn auch die große Masse des Volkes in eine untergeordnete Stellung gedrängt wurde, so er- hoben sich gewiß einzelne durch besondere Ver- anlagung aus der Menge und konnten zu Macht und Ansehen gelangen, wie es in der Bibel be- richtet wird. Damit war auch die Möglichkeit 696 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 44 einer engeren Verbindung mit vornehmen Kreisen durch Verheiratung gegeben. Wenn aucli unter seinem Naclifolger und Sohn Minephtah der sogenannte Auszug der Juden statt- fand, so blieben doch jedenfalls noch zahlreiche Individuen im Lande zurück und doch gewann der Ramsestypus oder der jüdische Typus überhaupt unter der Bevölkerung keine nennenswerte Ver- breitung. Der Verfall des Reiches gab sich immer deutlicher zu erkennen, wenn auch die XX. Dy- nastie besonders durch den Ramses II. nachahmen- den Ramses III. (Rampsinit der Griechen) noch eine kurze Zeit des Glanzes sah. Es trat nunmehr jene Periode des Reiches ein, welche für das Land eine dauernde werden sollte, wo in kaleidoskopartigem Wechsel eine Fremd- herrschaft die andere ablöste, und nur ganz vor- übergehend die Herrschaft des Landes in einer Hand ruhte. Für die hier zu behandelnden Fragen ist sie von besonderer Wichtigkeit, weil die aus- einander weichenden Bevölkerungselemente mit Nachbargebieten Fühlung suchten und fanden, um so die Bildung metamorpher Nationen, besonders der äthiopischen Völker in mächtiger Weise zu befördern. Schon zur Zeit Ramses III. gelangten die unter äthiopischem Einfluß stehenden Ammonspriester von Theben zu großer Macht und Selbständigkeit, so daß die in Tanis residierende XXI. Dynastie Llnter- ägyptens Veranlassung nahm, die thebanischen Priesterkönige nach Äthiopien zu verbannen. Dar- aus ergibt sich ein dauernd stärker werdendes Aus- strahlen spezifisch ägyptischer Elemente, da auch die folgenden, zumal der aus libyschem Blute stammende Pharao Scheschonk der XXII. Dynastie weiter in gleichem Sinne wirkten. Die Priesterkönige hatten in Äthiopien ein selbständiges Reich mit der Hauptstadt Napata geschaffen, welches unter den angedeuteten Ver- hältnissen so erstarkte, daß nunmehr endlich das „elende Kusch", wie es die älteren Hieroglyphen gewöhnlich bezeichnen, imstande war, ein gewichtiges Wort in den Geschicken des Landes zu sprechen. Jetzt allerdings verzeichnet die Geschichte auch nu bische Herrscher, welche größere Teile des Reiches unter ihre Gewalt bekamen. So der Äthiopierkönig Pianchi und dessen Nachfolger Schabak, welcher als der Begründer der XXV. Dy- nastie genannt wird, und aus dieser hervorgehend Taharka, welcher selbst mit den Generalen des Assyrers Sanherib erfolgreich die Waffen kreuzte. Kleinere Mitteilungen. Die Verbreitung der Lepra im indischen Reich. — Die gelegentlich des indischen Census vom Jahre 1901 vorgenommenen Erhebungen zeigen, daß die Lepra im Laufe des letzten Jahr- zehnts in Indien nicht unerheblich zurückging; im Jahre 1881 wurde die Zahl der Leprakranken mit 131 968, im Jahre 1891 mit 126244 und in 1901 mit 97 340 festgestellt. Während der Rück- gang von 1881 — 1891 nur etwa 4 "/,, betrug und hauptsächlich auf Difterenzen in der Erhebung zurückzuführen war, hat die Abnahme der Zahl der Kranken um 23 "/n in den letzten zehn Jahren zu einem guten Teil in der Besserung der sani- tären Verhältnisse ihre Ursache. Freilich ist auch in Betracht zu ziehen, daß infolge der Hungersnot, welche der Zählung vorherging, die Sterblichkeit im indischen Reich eine ganz besonders hohe gewesen ist; dieser Umstand war auf den Rückgang der Zahl der Leprakranken von Einfluß, da diesel- ben von der Hungersnot ganz besonders zu leiden hatten. Auf je 100 000 Personen jedes Geschlechts entfielen im Jahre 1901 48 männliche und 17 weibliche Leprakranke; wie bei früheren Plrhebun- gen , so ist auch diesmal anzunehmen , daß die weiblichen Behafteten nicht in allen Fällen er- mittelt werden konnten. Die größte Proportion wurde bei beiden Geschlechtern in der Alters- stufe 20 — 40 Jahre angetroffen. Von allen Ge- bieten Indiens weist Berar die weiteste Verbreitung dieser Krankheit auf; ferner folgen Bengalen, Assam, die Zentralprovinzen, Birma, Madras und Bombay. Die geographischen und klimatischen Eigenheiten der Landesteile, wo Lepra mit besonderer Heftig- keit auftritt, sind weit voneinander verschieden. West-Bengalen, wo in gewissen Distrikten unter 1000 Einwohnern 19 bis 37 Leprakranke ange- troffen wurden, ist hügelig, das Klima trocken; Goalpara (21 Kranke per 1 000 Einwohner) ist ein vollkommen ebener Landstrich zwischen den Bhotan- Hügeln und dem Brahmaputra, mit beträchtlichem Regenfall und sehr heißem Klima; ähnlich sind die Verhältnisse in West-Berar. Doch tritt die Lepra auch in gebirgigen Gegenden mit gemäßigtem Klima verheerend auf, wie z. B. in der Himalaja- region des Punjab und der vereinigten Provinzen (16 bis 17 Kranke per lOOO Einwohner). Es geht aus dem Censusbericht (General Report of the Census of India, 1901 ; London 1904) mit ziemlicher Bestimmtheit hervor, daß Lepra be- sonders dort häufig vorkommt, wo Fische ein Haupt- Nahrungsmittel bilden, namentlich werde die In- fektionsgefahr durch Genuß fauler Fische in hohem Maße heraufbeschworen ; damit würde sich die Ansicht rechtfertigen lassen, daß der Bazillus auf dem Wege des Verdauungssystems in den mensch- lichen Körper gelange; diese wird von mehreren indi.schen Gelehrten verfochten. — Dagegen hat die internationale Leprakommission von 1897 angenommen, daß die Infektion durch die Nasen- schleimhaut erfolge. Allerdings ist es noch un- möglich zu sagen, welche Anschauung die richtige ist, da es bisher nicht gelang, den typischen Lepra- bazillus anderswo als im menschlichen Körper festzustellen. Fehlinger. N. F. ni. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 697 Oscar Schnitze. Zur Frage nach den geschlechtsbildenden Ursachen. (Arch. mikrosk. Anatomie. Bd. 63. 1903.) Ausgedehnte, über mehrere Jahre sich er- streckende Experimente an weißen Mäusen geben Verf. die Grundlage ab zu einer kritischen Be- sprechung der bisherigen Theorien über die Bil- dung des Geschlechts. Was zunächst den Ein- fluß des Zustandes der Zeugenden auf das Ge- schlecht angeht, so scheint es zwar genügend be- wiesen zu sein, daß Frauen in reiferem Alter oder bald nach Eintritt der Geschlechtsreife einen Über- schuß an Knabengeburten aufweisen, die zahl- reichen, vom Verf nach dieser Richtung hin an weißen Mäusen angestellten Experimente gaben indessen keinerlei Anhaltspunkte für eine Bevor- zugung des einen oder anderen Geschlechts bei frühzeitiger oder verspäteter Befruchtung. Gegen die Ansicht, daß das Alter der Geschlechtsprodukte bis zum Augenblicke ihrer Vereinigung oder ver- minderte bzw. erhöhte geschlechtliche Inanspruch- nahme des einen oder beider zeugenden Eltern von Einfluß auf das Geschlecht des Kindes sei, sprechen an sich schon eine Reihe gewichtiger Gründe, in spezieller Berücksichtigung des letzteren Punktes konnte Verf experimentell an seinen Ver- suchstieren nachweisen, daß selbst bei sehr starker Inanspruchnahme des Weibchens von einer kon- stanten Beziehung zur reichlicheren Erzeugung weiblicher Nachkommen keine Rede sein könne. Ebenso negativ waren endlich die Resultate des Verfassers über irgend einen Einfluß von Inzucht und Inzestzucht auf das Geschlecht. Weiter wendet sich Verf. nun den Ursachen der Geschlechtsbestimmung oder der Geschlechts- bildung zu. Zunächst ist auf die durch zahlreiche Experimente erhärtete Tatsache hinzuweisen, daß man die Prothallien der Farne, die bekanntlich zunächst aus den Sporen hervorgehen, und die in der Regel dann die männlichen und weiblichen Geschlechtsprodukte hervorbringen, zur Erzeugung nur eines Geschlechts veranlassen kann, wenn man sie auf besonderen Nährboden bringt. Ist der letztere nämlich stickstofffrei, so entstehen nur männliche Produkte, ist er stickstofireich, so bilden sich auch weibliche aus, oder sogar nur weibliche. Allgemeiner ausgedrückt entstehen also bei reich- licher Ernährung weibliche Geschlechtsprodukte, bei spärlicher dagegen männliche, d. h. also in ersterem Falle wird der Pflanze ein weiblicher Charakter, in letzterem ein männlicher verliehen. Und ganz das gleiche gilt auch für eine Reihe anderer Kryptogamen, wo ebenfalls die Produktion weiblicher Geschlechtszellen einen besseren Er- nährungszustand der Pflanze voraussetzt. Auch bei Monocotylen (Mais) wirken schlechte Ernährungs- verhältnisse schädigend auf die Entwicklung der weiblichen Geschlechtsverhältnisse ein, und selbst bei Dicotylen sind einzelne hierher gehörige Fälle beobachtet worden, aber nur bei monoecischen Pflanzen, bei dioecischen ist es bis jetzt in keinem einzigen Falle gelungen, eine Beeinflussung des Geschlechts auf experimentellem Wege hervor- zurufen, schon der Samenkern muß also die be- stimmte Geschlechtsanlage in sich enthalten. Bei Tieren konnte ein bestimmender Einfluß äußerer Verhältnisse zunächst bei dem herm- aphroditischen Süßwasserpolypen (Hydra) nach- gewiesen werden, indem man fand, daß derselbe bei reichlichem P'utter nur weibliche Geschlechts- produkte erzeugte, also rein weiblichen Geschlechts- charakter annahm. Noch bedeutsamer ist die Be- obachtung an einem getrennt geschlechtliclien Or- ganismus, an einem Rädertier (Hydatina senta), daß hier bei guter Ernährung nur Weibchen, bei schlechter nur Männchen auftreten. Indessen ist dieser äußere Eingriff in die Bestimmung des Ge- schlechts nur zu einer ganz kurzen und ganz be- stimmten Zeit während der Ausbildung der Geschlechtszellen innerhalb der Geschlechts- drüsen wirksam, das bereits gelegte Ei ist in keiner Weise seinem sexuellen Charakter nach mehr zu verändern. Ahnliche V^erhältnisse scheinen auch für eine ganze Reihe anderer Tierformen (Aphiden und Daphniden vor allem) zu bestehen. Alle Ver- suche, bei Wirbeltieren bis zum Menschen hinauf durch die Art der Ernährung die Geschlechts- bildung zu beeinflussen, sind dagegen bisher ganz wie bei den diözischen Angiospermen fehlge- schlagen, und hier setzen nun wieder die Experi- mente des Verfassers an weißen Mäusen ein. P^ine Reihe von Hungerversuchen wurde auf die Weise angestellt, daß man jungen Mäusen, in einem sehr jugendlichen Alter beginnend, eine nur aus Wasser und Hafer (von letzterem pro Tag wenige Gramm) bestehende Nahrung reichte und dieses mehrere Monate lang ununterbrochen fortsetzte. Die Tiere blieben an Größe und Gewicht bedeutend hinter ihren gleichaltrigen, aber gut genährten Genossen zurück. Die Hungerkur wurde dann unterbrochen oder gemildert, um die Tiere für eine Schwanger- schaft zu stärken, es erfolgte Begattung und Wurf, das Resultat aber war ein völlig negatives, insofern sich keinerlei Einfluß der schlechteren Ernährungs- verhältnisse auf das Geschlecht der Jungen nach- weisen ließ. Um nun die Geschlechtsdrüse mög- lichst frühzeitig und schon während ihrer Bildung zu beeinflussen, wurde der Hungerversuch auf zwei Generationen ausgedehnt, gleichfalls ohne positives Ergebnis. Da man weiter bisher glaubte, daß aus der Paarung schlecht genährter Männchen mit gut genährten Weibchen vorwiegend männ- liche Nachkommen hervorgingen, und ferner, daß schlechte Ernährung der Frucht gleichfalls das Entstehen des männlichen Geschlechts begünstige, so kombinierte Verfasser in seinen Experimenten diese beiden Bedingungen an den gleichen Ver- suchstieren — mit negativem Erfolge. Und end- lich eine Ausdehnung der Fütterungsversuche auf eiweißarme und eiweißreiche Nahrung ließ gleich- falls keinerlei Andeutung einer Beeinflussung des Geschlechts erkennen. Im allgemeinen läßt sich also bis jetzt nur sagen, daß in einer Reihe von Fällen bei Pflanzen 698 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. in. Nr. 44 und Wirbellosen der Nachweis g^elungen, daß die Produktion der männlichen Fortpflanzungszellen eine geringere Leistung des Organismus insofern darstellt, als die Bildung der Eier einen besseren Ernährungszustand erfordert, wie Verf nochmals zusammenfassend an den entsprechenden Verhält- nissen bei Daphniden, Aphiden und sozialen In- sekten näher erörtert. Beeinflußt wird davon nur die Eizelle, in ihr wird also das Geschlecht bereits vorbestimmt, ohne daß der Befruchtung durch die männliche Samenzelle noch irgend ein Einfluß zu- zuschreiben wäre. Wiederholt ist deshalb auch in neuerer Zeit die Anschauung- einer Zweigeschlecht- lichkeit der Eier ausgesprochen worden, der sich Verf. vollständig anschließt. Daß das Sperma- tozoon hierbei eine wichtige Rolle spiele, schloß man hauptsächlich aus den Beobachtungen an Bienen, wo bekanntlich aus befruchteten Eiern Weibchen, aus unbefruchteten Männchen hervor- gehen. Diese Tatsache ist zweifellos richtig, wie Verf. gegen die Ansichten Dickel's scharf hervor- hebt, aber falsch ist nach ihm dabei der Schluß, daß das Spermatozoon das Geschlecht bestimme. In Wirklichkeit ist auch hier das Geschlecht schon in der Eizelle vorbestimmt, nur bedarf das weib- lich vorgebildete zu seiner weiteren Entwicklung der Befruchtung durch das Spermatozoon, das männliche dagegen nicht. Zum Schlüsse faßt 0. Schulte seine Ergebnisse dahin zusammen, daß in keiner Weise irgend ein Ein- fluß der Befruchtung auf die Geschlechtsbildung nachzuweisen sei, daß vielmehr in derOvogenesedie Lösung des ganzen Problems gesucht werden müsse. Wenn in der sich ausbildenden Eizelle alle Charaktere des späteren Organismus angelegt werden, wird in ihr auch schon das zukünftige Geschlecht des betreffenden Organismus vorbereitet und fixiert. J. Meisenheimer. Über den Einflufs von Licht und Dunkel auf das Längenwachstum der Adventiv- wurzeln bei Wasserpflanzen betitelt sich ein x\ufsatz (Ber. d. Deutsch. Botan. Gesellsch. Bd. 21, 1903, S. 508—517) von Hugo Iltis. Die Experimente des Verfassers ergänzen die Untersuchungen Kny's, über die s. Zt. in dieser Zeitschrift (N. F. Bd. II, S. 308 f.) berichtet wurde. Bei den von ihm untersuchten Wasserpflanzen (Myriophyllum, Lysimachia, Ranunculus aquatilis, Elodea) zeigte sich das Wachstum der Wurzeln durch die Dunkelheit außerordentlich beschleunigt, zum Teil sogar im Verhältnis 7,5 (Dunkelwurzeln) ; I (Lichtwurzeln). Die Wachstumsbeschleunigung dieser untersuchten Wasserpflanzen ist also eine noch bei weitem größere als bei den von Kny studierten Erd wurzeln. Bei den meisten der Pflanzen traten die größten Unterschiede in den Längen der im Dunkeln ge- wachsenen Wurzeln gegenüber denen der im Licht gezogenen nach 12 — 25 Tagen hervor, während in den ersten Tagen ein Lhiterschied nur in ge- ringem Maße vorhanden war. Das umgekehrte Verhalten wies Elodea canadensis auf, bei der sich die größten Wachstumsdififerenzen gerade in den ersten Tagen geltend machten. Bei der ebenfalls untersuchten Glyceria fluitans und bei Tradescantia virginica war die Wachstums- beschleunigung erheblich geringer — ca. 1,3 (Dun- kelwurzeln) : I (Lichtwurzeln) — ein Ergebnis, das etwa mit den von Kny für Bodenwurzeln festge- stellten Resultaten übereinstimmt. Se. Die Ausscheidung von Quarz in Eruptiv- gesteinen. — Die Bedingungen, unter denen es in einem Eruptivgesteine zur Ausscheidung von Quarz , der bekannten hexagonaten Individuali- sationsform der Kieselsäure kommt, sind bisher nicht sicher zu bestimmen gewesen, indem darauf hinzielende, von Fouque und Michel-Levy ausgeführte Schmelz- und Erstarrungsversuche miß- langen; sie zu kennen und die mehr oder weniger wahrscheinlichen Annahmen hierüber durch Hin- weise auf Tatsachen zu ersetzen ist aber wegen der großen Verbreitung quarzhaltiger Eruptiv- gesteine, insbesondere des Granits, von ungemeiner Wichtigkeit, da sich naturgemäß aus den für die Bildung dieses Gemengteiles nötigen Umständen Schlüsse auf die Erstarrungsverhältnisse des Ge- steinsganzen ergeben müssen. Deshalb wird man die freudige Genugtuung begreifen und mitfühlen, mit welcher A. Lacroix in den Comptes rendus (vom 28. III. 04) der Pariser Akademie mitteilen konnte, daß es ihm gelungen sei, bei der Unter- suchung der vor seinen Augen entstandenen Aus- würflinge des Mont Pele auf Martinique die Be- dingungen der Ouarzausscheidung zu bestimmen und daß es ihm mithin vergönnt gewesen sei, diese Mineralbildung gewissermaßen zu über- wachen. Bekanntlich vermochte Lacroix die verschie- denen Entwicklungszustände des in der alten Cal- dera der Montagne Pelee sich schnell aufstauenden, ungeheuren Lavadomes bis in Einzelheiten zu ver- folgen. Die durch die oberflächliche Erstarrung dieser Schmelzmasse gebildete feste Panzerschale spaltete sich fortwährend unter dem zweifachen Einflüsse der Abkühlung und der Andauer des inneren Druckes; alsdann drängte die teigige Lava des Berginnern nach außen, anfangs nach allen Seiten, später an bestimmten Stellen. Vom Ok- tober 1902 bis zum Juli 1903 erfolgte dieses An- wachsen des Domes hauptsächlich in der (jestalt der sonderbaren Felsnadel, deren Formwechsel be- schrieben wurde; nachdem dieselbe vollständig eingestürzt ist, dauert das Wachstum der Dom- masse unter weniger örtlicher Beschränkung auf ihre Gipfelteile an, welche heute eine ziemlich regelmäßige Kegelgestalt besitzen. Dieser Dom ist unbesteigbar geblieben, doch war es möglich, eine große Anzahl Proben von den Materialien zu untersuchen, aus denen er besteht, da solche auf dreierlei Weise in den Bereich der Forscher ge- langten, nämlich einmal durch die heftigen Ex- plosions-Ausbrüche, welche nicht nur Aschen und N. F. m. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 699 Lapilii in die Ferne sandten, sondern auch die Kraterränder mit Bomben und erstarrten Blöcken von allen Dimensionen bedeckten, dann durch die „feurigen Wolken", welche bei Sprengung der Domschale eine ungeheure Masse festen Gesteins auf die südlichen und südwestlichen Berggehänge fortrissen, und drittens durch die ruhigen Ab- stürze vom Dome, die andauernd vor sich gehen und zur Ausfüllung des Hochtales der Riviere Blanche beitragen. Diese festen Materialien zeigen alle möglichen Ausbildungsformen eines Andesits: glasige Stücke von splittrigem Bruch, leichte, auf dem Wasser schwimmende Bimssteine, Mittelglieder, welche schrittweise vom Bimsstein zu porösen Andesiten überführen, und endlich kompakte Andesite von unregelmäßigem Bruche. Diese Strukturwechsel entsprechen keiner sj'stematischen Änderung des chemischen Bestandes; die Verschiedenheiten im Bestände von zwei Bruchstücken desselben Blockes sind der Art nach solche, wie sie Lacroix unter den Probestücken vom Beginn der Eruption, aus ihrer Mitte und aus der gegenwärtigen Periode fand und eingehend zu beschreiben noch be- absichtigt. Trotz ihres verschiedenen Aussehens ist allen diesen Gesteinsstücken ein Charakterzug gemeinsam: sie sind gleicherweise reich an Ein- sprengungen, Kristallen von scharfen Formen, die hauptsächlich aus Plagioklasen mit im höchsten Grade entwickeltem Zonenbau bestehen; in den Zonen zeigt sich eine Wechsellagerung von Feld- spattypen, von denen der herrschende 50 "/o, die anderen bis zu 95 "q Anorthitsubstanz enthalten. Die Plagioklase sind in konstanter Weise mit Hypersthen vergesellschaftet, mit sehr wenig Titano- magnetit und mit noch weniger Ilmenit; einige andere Mineralien, nämlich Olivin, Hornblende und Augit, treten nur akzessorisch auf und fehlen oft. Diese Konstanz in der Art, in den Formen und in der übergroßen Menge der Einsprengunge beweist, daß dieselben von ausschließlich intra- tellurischer Bildung sind, ihr Wachstum hat nicht merklich angedauert nach ihrer Ankunft an der Oberfläche, weil sie sich nicht von der Abkühlung beeinflußt zeigen, welche dagegen die Verände- rungen im Mineralbestande und in der Struktur der Grundmasse bestimmt hat. Die Grundmasse zeigt nämlich erhebliche Ver- schiedenheiten ihrer Ausbildung. In den glas- reichsten Partien sind die Einsprengunge mit- einander durch ein von anderen kristallinischen Produkten fast ganz entblößtes Glas verkittet, das im Dünnschliff farblos oder bräunlich erscheint. Meist finden sich jedoch in demselben faden- förmige Hypersthenkristallite und einige Titano- magnetitkörner; das ist nämlich in den zum Ob- sidiantypus gehörigen Partien und in der Mehrzahl der Bimssteine der Fall. In den einfach porösen oder den Halbbimssteintypen werden die Kristal- liten oder Mikrolithen von Hypersthen ungemein zahlreich und in einem noch weiter vorgeschrittenen Kristallisationszustande haben sich überdies Feld- spatmikrolithe von mittlerem Säuregehalte, seltener Sphärolithe gebildet. In den Gesteinsmassen, welche von den großen Glutvvolken zu Beginn des Winters 1902 — 1903 verschleppt wurden, waren diese Mikro- lithe durch Glas verkittet, welches im allgemeinen nur wenig Tridymit enthielt; nach und nach trat aber dieses Mineral in größerer Menge auf und in den im Januar 1904 gesammelten Proben ist Tri- dymit reichlich genug enthalten, um trotz seiner schwachen Doppelbrechung auch im parallelen polarisierten Lichte deutlich erkannt zu werden. Diese Zunahme in der Tridymitmenge fällt noch mehr in die Augen beim gewöhnlichen Typus von homogenen, halbkristallinischen Lavaeinschlüssen ; in ihnen, die von an Tridymit reichem Andesit umschlossen werden, bildet dieses Mineral zu- sammenhängende, mehrere Ouadratmillimeter große Säume um Plagioklase herum, ähnlich wie die Granit-Quarze Feldspate einhüllen. In den Schlacken-Breccien endlich, deren am 30. August ausgeworfene Blöcke Lacroix zu Anfang des Oktober 1902 auf den Kraterrändern gesammelt hatte, und in den Lapillis, welche neuerdings aus dem Hochtale der Riviere Blanche gebracht wurden, sieht man allmählich kristallisierten Quarz er- scheinen (und an Stelle des Trids'mit treten); wo er reichlich vorhanden ist, bildet er inmitten des Glases regelmäßig begrenzte, oft polysynthetische Kristalle, die bis 0,05 mm Größe erreichen ; häufiger jedoch findet er sich in viel kleineren gegen- einander gedrängten Kristallen von äußerst sauberen rhomboedrischen Formen mit scharfen Kanten; endlich zeigt er sich manchmal in Haufen schwamm- förmig (als quartz globulaire) im Gemenge mit F"eldspatmikrolithen. In vielen Dünnschliffen sind beide kristallinische Modifikationen der Kieselsäure, Tridymit und Quarz, zugleich vorhanden; letzterer scheint sich da in gewissen Phallen auf Kosten des Tridymit gebildet zu haben ; das Gestein ent- hält dann häufig auch noch Glas, oft jedoch ist es holokristallinisch. Während die P'eldspat - Mikrolithen Glasein- schlüsse mit Bläschen enthalten, ist der Quarz frei davon, dagegen verkittet er, welches auch seine Form sein möge, in bunter Mannigfaltigkeit alle kristallinischen Grundmassenbestandteile (von Hy- persthen und Magnetit) sowie überdies angenagte Lamellen, welche zu klein sind, um bestimmen zu können, ob sie aus Tridymit oder aus Glas bestehen. Die Kristallisation des Quarzes ist dem- nach zu allerletzt im Gestein erfolgt; sie trat ein, als dieses schon fast vollständig oder wahrschein- lich sogar ganz vollständig fest geworden war, jedoch sicherlich noch hinreichend hohe Temperatur besaß, da die Blöcke und Lapilii in weißglühendem Zustande ausgeworfen wurden. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, daß im Laufe der gegenwärtigen Eruption in einem an der Bodenoberfläche gebildeten Gesteinsdome Ge- steine mit quarzhaltiger, halb- oder völlig kristal- linischer Grundmasse entstehen, welche die ver- schiedenen Strukturtj'pen aufweisen, die von Rhyo- 700 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 44 Hten, MikrogranuHten, sowie auch von holokristal- Hnisclien Dacit-Lakkolithen bekannt sind. Die Frage, in welchem Teile des Domes, der eruptiven Quellkuppe, die Ouarzkristallisationen ihren Anfang nehmen, läßt sich nur durch eine kritische Betrachtung der Quarz führenden Ge- steinsstücke lösen. Diejenigen, welche in den am 30. August ausgeworfenen Blöcken von glühender Schlackenbreccie eingehüllt waren, sind notwendiger- weise in einer Region des Domes entstanden, wohin das im Aufsteigen begriffene Magma in einem genügend flüssigen Zustand gelangte, um schon erstarrte Gesteinsbruchstücke miteinander verkitten zu können; übrigens darf man nicht an- nehmen, daß es sich da um aus dem Untergrunde gerissne Trümmer älterer vulcanischer Gesteine handle, denn sie sind tatsächlich frisch und unter- scheiden sich in nichts von dem glasigen Andesite, welcher sie umhüllt, außer durch die Struktur ihrer Quarz enthaltenden Grundmasse. Die Lapilli aus dem Hochtale der Riviere Blanche aber, die ganz an dessen Oberfläche gesammelt wurden, können nur von jüngst erfolgten Abstürzen des Domes oder von den letzten gegen Ende des September 1903 erfolgten unbedeutenden Glut- wolken herrühren, weshalb für sie im Gegensatz zu den vorbetrachteten Stücken, die größte Wahr- scheinlichkeit gilt, daß sie von ganz oberflächlichen Teilen der Domschale (des Schlackenpanzers) stammen. Den Kristallisationsvorgang des Quarzes er- klärt Lacroix nun in folgender Weise. Während die Bauschanalyse des Andesits einen Kieselsäure- gehalt von 60—63 "/„ angibt, enthält das Gesteins- glas, zufolge der mit ihm ausgeführten Partial- analyse, 73 "/n davon; nun sind 60 "z,, von dieser im Glas nachgewiesenen Kieselsäuremenge nötig, um in der Form von Feldspat und Hypersthen die Tonerde, Alkalien, Kalk, Eisen und Magnesia zu sättigen, während gegen 40 "/o frei bleiben. Bei hinreichend langsamer Erkaltung der Lava muß also das Glas diese Feldspate und den Hyper- sthen hervorgehen lassen und ein wesentlich aus Kieselsäure bestehender Rückstand verbleiben, auf dessen Kosten entweder Quarz oder Tridymit entsteht. Die wahrscheinliche Art der Kristallisation dieser Mineralien erklärt sich nun nach Lacroix aus den Beobachtungen der Eruptionsvorgänge. Seit dem Ausbruch vom 30. August 1902 zeigt der Eruptivdom keine bleibende Öffnung. Die wiederholten kleinen Explosionen und die Pro- duktion von Glutwolken lehren jedoch, daß eine große Masse von Wasserdampf fortfährt, sich ge- waltsam aus dem Magma zu entwickeln. Die feste Schale des Domes und die von ihr bedeckte, noch zähflüssige Lava sind also der andauernden liinwirkung dieses Dampfes ausgesetzt, dessen Tension allmählich zunimmt, bis sie genügt, um sich einen, wenn auch sogleich wieder verstopften Ausweg zu schaffen, wobei ein Teil der Domschale fällt und fortgerissen wird. Dem vom Wasser- dampfe ausgeübten Drucke ist als weitere Wir- kung nun auch die Kristallisation des Kieselsäure- rückstandes der Lava zuzuschreiben, wobei die Entstehung von Tridymit oder von Quarz von der Temperatur abhängen muß, bei welcher sie erfolgt. Man kann diesen Vorgang demnach als eine Variante der wohlbekannten Versuche von Senarmont, Daubree, Friedel und Sarrasin betrachten, der jedoch wahrscheinlich eine viel höhere Tem- peratur erfordert. Als wichtigste Schlußfolgerung darf man ferner- hin aussprechen, daß unsere Gesteine mit Quarz enthaltender Grundmasse entstanden sind unter der Verbindung von zwei verschiedenen Umständen, indem der reine Schmelzfluß bei der Bildung der Einsprengunge und eines Teiles der Mikrolithen die Hauptrolle spielte, während die mineralbildende Wirkung des Wasserdampfes sich in einem zweiten Stadium geltend machte, um den glasigen Rück- stand bei einer unterhalb des Schmelzpunktes ge- legenen Temperatur kristallisieren zu lassen. Die Kristallisation des Quarzes in einem Eruptivge- stein erfordert aber für ihren Vorgang nicht not- wendig eine große Tiefe unterhalb der Oberfläche, wie man geneigt war bisher zu behaupten, da die Bedingungen des Druckes, die unvermeidlich er- scheinen für den Fall, daß der Wasserdampf seine mineralbildende Rolle zu spielen vermag, auch nahe an der Oberfläche inmitten einer im Aus- bruch befindlichen, an Kieselsäure reichen Gesteins- masse, wie im Dome des Mont Pele, verwirklicht sein können. O. L. Die Dampfturbine als SchifFsmaschine. — Eine interessante Arbeit über die Benutzung von Dampfturbinen als Schiffsmaschinen wurde von Professor A. Rateau vor der Britischen Schiffs- baugesellschaft am 25. März vorgetragen. (Siehe Electrical Review N. Y. Nr. 18, 1904.) Bisher sind zwei Schiffe, nämlich ein französisches und ein britisches Torpedoboot mit der Rateau'schen Dampfturbine ausgerüstet worden. Besonders empfiehlt sich die Turbine deswegen, weil sie jede Erschütterung ausschließt, weit weniger wiegt und weniger Raum einnimmt als eine Kolben- dampfmaschine von derselben Leistung, weil sie sich ferner leicht behandeln läßt und wenig ab- nutzt. Andererseits bieten sich doch mancherlei Schwierigkeiten bei der Verwendung von Turbinen als Schiffsmaschinen dar, und zwar bestehen diese in der Konstruktion und Anordnung von Propellern für Schnellrotation und dem niedrigen Nutzeffekt langsam gehender Turbinen, sowie schließlich in der Schwierigkeit des Umkehrens und Manö- vrierens. Wenn es nicht auf eine bestimmte Ro- tationsgeschwindigkeit ankommt, so läßt sich ohne Zweifel ein hoher Nutzeffekt erzielen, welcher den der besten Kolbenmaschine übertrifft. Leider ist aber die vorteilhafteste Turbinengeschwindigkeit für Schraubenpropeller bedeutend zu hoch. Bei Schnelldampfern läßt sich zwar — allerdings mit Mühe — eine geeignete Einrichtung treffen ; die Tur- N. F. m. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 701 bine muß dabei in verschiedene in Serie geschal- tete Abteilungen geteilt werden, und ferner ist es nötig, die Propeller entweder einzeln, zu Paaren oder zu je dreien auf verschiedenen Wellen anzu- bringen, um ihre Oberfläche zu vergrößern; der größte äußere Durchmesser muß größer sein als die Ganghöhe etc. , und all dies trägt dazu bei, den Gesamtnutzeffekt von Maschine und Propeller zu verkleinern. Während die Turbine der Theorie nach der Kolbenmaschine überlegen ist, ist es daher durch- aus nicht erwiesen, daß die vereinigte Nutzwirkung von Maschine und Propeller auch wirklich besser oder überhaupt nur gut ist. Außerdem nehmen mit abnehmender Geschwindigkeit die praktischen Schwierigkeiten zu. Wie der Verfasser annimmt, ist die Anwendung der Dampfturbine auf Ge- schwindigkeiten von mindestens zwanzig Knoten beschränkt. Wenn die Dampfturbine bei der größten Kraftentwicklung gute Resultate liefert, so sind dieselben ganz ohne Zweifel bei vermin- derter Geschwindigkeit unbefriedigend, und zwar mehr infolge der verminderten Krafteniwicklung als wegen der verminderten Rotationsgeschwindigkeit, womit eine Verminderung der sogenannten hydrau- lischen Nutzwirkung der Turbine Hand in Hand geht. Dieser Übelstand hat bei Handclsschiflen, welche ihre Maximalgeschwindigkeit beibehalten, nichts zu bedeuten, während er bei Kriegsschiffen, die selten mit voller Kraftentwicklung arbeiten, eine sehr erhebliche Rolle spielt. Teilweise läßt sich ihm, wie Parsons vorgeschlagen hat, durch Anbringen einer Hilfsturbine zum Kreuzen abhelfen; hierdurch wird jedoch der hj'draulische Nutzeffekt der Turbine nicht verbessert und der Dampfver- brauch bleibt ein bedeutender. Der Verfasser nimmt an, daß die einzige befriedigende Lösung darin bestehen würde, daß man eine Kolben- maschine von größerer oder kleinerer Kraftent- wicklung in Verbindung mit der Turbine benützte ; dann ließen sich wirtschaftliche Ergebnisse bei jeder Geschwindigkeit erzielen. Verschiedene Erfinder haben danach gestrebt, die Dampfturbine vermittels besonderer Schaufeln umzukehren, diese Versuche scheinen jedoch nicht dazu berufen zu sein, wertvolle Ergebnisse zu liefern, da sich die Umkehrbarkeit nur mit erheb- lichem Verlust an Nutzeffekt bei der Vorwärts- bewegung erzielen läßt. Daher muß man zum Rückwärtsfahren die Turbine durch besondere Maschinen ergänzen. Prof. Rateau erzielt dies durch Hinzufügen einer kleinen innerhalb der Hauptturbine auf der Niederdruckseite angebrachten Turbine, welche daher keinen weiteren Raum ein- nimmt. Bei freier Rotation bieten die Ringe für Rückwärtslauf, wenn die Hauptturbine arbeitet, keinen nennenswerten Widerstand dar. Je nach- dem man ein oder zwei I.aufräder benutzt, kann man eine Rückwärtsgeschwindigkeit von 40 — 50 Prozent der Geschwindigkeit bei Vorwärtsbewegung erzielen. Ein schnelles Anhalten läßt sich nur schwer mit Turbinen erzielen. Nach Prof Rateau's Meinung kommt es ganz besonders bei Kriegs- schiffen auf hohe Manövrierfähigkeit an, weswegen in diesem Falle mit Kolbenmaschinen kombinierte Turbinen . anzuwenden wären. In diesem Falle verbindet man am besten beide Mascliinen mit unabhängigen Wellen, da ihre Geschwindigkeiten so verschieden sind. Die Nutzleistung der Kolben- maschine soll nicht weniger als ein Sechstel des Gesamtnutzeffektes betragen; die Leistung läßt sich aber sehr gut auch bis auf ein Drittel oder sogar die Hälfte der Maximallcistung steigern. Man kann bei Anwendung des kombinierten Sy- stems schon bei Geschwindigkeiten von 15 Knoten, und vielleicht noch weniger, Dampfturbinen ver- wenden. A. Gr. Himmelserscheinungen im August 1904. Stellung der Planeten: Merkur bleibt unsichtbar, \' c n u s wird Endo des Monats als Abcndslern für kurze Zeit sichtbar, Mars kann morgens I '/., Stunden lang im NO ge- sehen werden, Jupiter und Saturn sind fast die ganze Nacht hindurch zu sehen. Saturn steht am lo. bei — 16" Deklination in Opposition zur Sonne, kulminiert also tief im Süden um Mitternaclit, lupiter steht nordöstlich von Saturn und kommt erst gegen Morgen in den Meridian. Verfinsterungen der Jupitermonde: .^m g. um 11 Ulir 40 Min. 3S Sek. abends Eintritt des II., am 19. um II Ulir 32 Min. 18 Sek. abends l-'intritt des 1. Trabanten in den Schatten. Algol-Minima ; Am 17. um 9 Uhr 10 Min. abends. Vereinsw^esen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde. — Am ii. Mai liielt im Hörsaal des Königl. Kunstgewerbemuseums Herr Prof Dr. F. Ratligen, Chemiker an den Kgl. Museen, einen Vortrag über das Thema: „Zerfall und Erhaltung von A 1 1 e r t u m s f u n d e n , Ch em isch- Technisc h es aus dem Labo- ratorium der Königlichen Musee n." Die Ursache des allmählichen Zerfalls von Altertums- funden aus Kalkstein (z. B. äg)'ptische Grabkammern) und gebranntem Ton (z. B. ägyptische Tonscherben, sog. Ostraka) besteht fast immer in einem Gehalt von wasserlöslichen Salzen (Chlornatrium, schwefel- saurem Natrium, Magnesiumsalze usw.), die seiner- zeit zu den im Erdboden lagernden Gegenständen in Wasser gelöst herangetreten sind. In unserem Klima mit seinen schwankenden Temperaturen und dem häufigen Wechsel des Feuchtigkeits- gehalts der atmosphärischen Luft kristallisieren die Salze das eine Mal aus, das andere Mal lösen sie sich wieder, und durch die fortwährende Wieder- holung dieser Vorgänge tritt eine Lockerung der Oberfläche ein, finden Absplitterungen kleinerer imd größerer Stücke statt. Das Mittel der Er- haltung solch salzhaltiger Funde ist die Etitfernung der Salze durch sj'stematisches Auslaugen. Alt- sachen, die die Behandlung mit Wasser nicht ver- tragen, müssen getränkt werden. Als Tränkungs- mittel, die übrigens auch bei ausgelaugten Sachen oft zweckmäßig angewendet werden, dienen ver- schiedene Substanzen, insbesondere Harz- und Firnislösungen. Um Gegenstände aus ungebranntem 702 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 44 oder schwach gebranntem Ton (z. B. babylonische Tontafeln) der Wasserbehandlung zugänglich zu machen, sowie auch, um sie von den häufig vor- kommenden Auflagerungen von Gips, kohlensaurem Kalk usw. zu befreien, werden sie im Muffelofen gebrannt und nach dem allmählichen Erkalten mit Wasser oder, wenn nötig, auch mit zwei- prozentiger Salzsäure behandelt. Nach dem Aus- laugen und Trocknen ist auch hier eine Tränkung angebracht (z. B. mit Zapon, mit erwärmtem Paraffin usw.). Der Zerfall von Altsachen aus Eisen und Bronze beruht auf der chemischen Einwirkung der im Erdboden befindlichen Salze, welche das Rosten des Eisens beschleunigen und oft zu starken De- formationen des Metalls Anlaß geben ; bei der Bronze entsteht statt der geschätzten Edelpatina (Verbindungen des Kupfers mit Kohlenstoff, Sauer- stoff und Wasserstoff) die sog. wilde Patina (ba- sische Chloride des Kupfers). Sind MetallsacJien völlig oder zum größeren Teil in Metallverbin- dungen umgewandelt, so sind bei ihnen Tränkungen verschiedener Art üblich, ist aber noch genug un- zersetztes Metall vorhanden, so empfiehlt sich die Reduktion des Gegenstandes auf elektrischem Wege nach dem Finkcner'schen oder nach dem Krefling- schen Verfahren. Im ersten Falle benutzt man galvanische Elemente zur Reduktion des im Cyan- kaliumbade befindlichen Objekts, im anderen legt man die mit Zinkblechstreifen umwickelte Alt- sache in verdünnte Natronlauge; in beiden Fällen entsteht am Eisen oder an der Bronze Wasser- stoff, der die Reduktion der Metallverbindungen bewirkt. Nachher ist für gutes Auslaugen, Trocknen und eine zweckmäßige Tränkung zu sorgen. Der Vortragende, welcher auch noch die Konservierung anderer Gegenstände, z. B. solcher aus Holz be- rührte, zeigte durch zahlreiche Projektionsbilder sowohl die Ausführung der betreffenden \'erfahren als auch eine größere Anzahl von Altertumsfunden vor und nach der Behandlung. So zeigten baby- lonische Tontafeln , welche bei der Einlieferung durch Auflagerungen gänzlich unleserlich waren, nach der Behandlung jedes einzelne Keilschrift- zeichen aufs deutlichste, so wurden Eisen- und Bronzefunde im Bilde vorgeführt, bei denen die Re- duktion außer der Schaffung schärferer Konturen oft Zeichnungen und Einlagen sichtbar machte, die man vorher nicht vermutet hatte. — Unter Führung des Herrn Dr. P. Graebner wurde am Sonntag, den 15. Mai, vormittags eine Exkursion durch die Moore des Grunewaldes veranstaltet, wobei sich Gelegenheit fand, die charakteristischen Unterschiede der Moor-Typen durch Anschauung kennen zu lernen. — Eine Besichtigung der städtischen Gasanstalt in Schmargendorf fand am Montag, den 30. Mai, nachmittags, unter Führung des Dirigenten, Herrn E vers, statt. — Der Monat Juni war ausschließlich Exkursionen und Besichtigungen gewidmet. Am 2. Juni nach- mittags wurde den Anlagen der Gesellschaft für Markt- und Kühlhallen ein Besuch abge- stattet. — Am Donnerstag, den 16. Juni, fand unter Führung des Herrn Prof. Dr. K o 1 k w i t z mit einem von der Gesellschaft gecharterten Sterndampfer eine wasserbiologische Exkursion nach dem Rummelsburger See, der Oberspree und dem Müggelsee statt, um die Teilnehmer mit den für die Selbstreinigung der Flüsse und Seen wichtigen Wasserorganismen bekannt zu machen. Um die kleinen, im Wasser frei schwebenden Organismen, das Plankton, zu fangen, wurde das Wasser mit einem aus dicht und regelmäßig ge- webtem Seidenstoff hergestellten Netz durchfischt. Die erbeutete Masse war von trübbrauner Farbe und ähnelte aufgewirbeltem Schlamm. Unter dem Mikroskop, welches in der Kajüte aufgestellt war, ließ sich aber erkennen, daß zwar einzelne Schlamm- partikel vorhanden waren , die Hauptmasse aber aus lebenden, kleinen Organismen bestand, teils pflanzlicher, teils tierischer Natur. Die Hauptmasse bildeten zierliche Kieselalgen, Rädertiere und kleine, im ausgewachsenen Zustande etwa i mm große Krebschen. Ein sehr zierliches Bild gewährte ein trompetenförmiges Wimpertierchen von der Gattung Stentor, welches sich mit Hilfe seines Wimpern- kranzes kleine Algen zustrudelte, die dann als grüne und braune Körnchen im Leibe des durch- siciitigcn Tieres erkennbar blieben. Neben diesen winzigen Bewohnern des freien Wassers wurden auch Organismen des Grundes erbeutet, vor allem die Wandermuschel, auch Schafklaumuschel genannt (Dreissenia polymorpha), welche nur in reinen Gewässern gedeihen kann. Ihre ursprüngliche Heimat ist das Schwarze und Kaspische Meer, von wo sie, an Schiffen und Floß- hölzern festsitzend, in die Flüsse gelangt ist. Ferner seien die Sumpfschnecke (Paludina vivipara) und der Süßwasserschwamm (Spongilla fluviatilis) ge- nannt. Das Einfangen dieser Grundorganismen geschah mittels eines mit schwerem Eisenrahmen versehenen Netzes, der Dretsche. An untergetauchten, nahe am Ufer wachsen- den Pflanzen wurden das Pfeilkraut (Sagittaria sagittifolia) mit bandförmigen Wasserblättern und die Wasserpest (Elodea canadensis) erbeutet. Plankton-, Grund- und Uferorganismen bilden die drei Gruppen, welche für jeden Fluß und See in hohem Maße charakteristisch sind. Sie bevölkern unsere Gewässer ebenso, wie die Pflanzen und Tiere des Landes die Wälder, Wiesen und Sandflächen bevölkern. Sie stehen auch ebenso wie die Organismen des Landes in einer gewissen Wechselbeziehungzueinander, da vielfach dergrößere Organismus von dem kleineren sich nährt und seinerseits wiederum den Fischen zur Nahrung dient. Die organischen Stoffe des Wassers, welche diesem aus Städten und manchen Fabriken zu- geführt werden , können auf diese Weise der Fäulnis entzogen und z. T. in Fischfleisch umge- wandelt werden, womit einer der am leichtesten N. F. m. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 703 verständHchen Faktoren der Selbstreinigung der Gewässer gekennzeichnet wäre. — Den Beschluß der sommerlichen Veranstaltungen bildete am Sonntag, den 26. Juni, vormittags ein Besuch des Zoologischen Gartens unter F'ührung des Herrn Dr. O. Heinroth. Während der Monate Juli, August und Sep- tember finden gemäß den Satzungen der Gesell- schaft keine Veranstaltungen statt. I. A. : Dr. W. Greif, I. Schriftführer. Berlin SO l6, Köpenickerstr.-iße 142. Bücherbesprechungen. Sammlung Göschen. Leipzig, G. J. Göschensche Verlagshandlung. — Preis pro Bändchen gebunden 80 Pfg. 1) Paläontologie von Dr. R.Hoernes, Professor an der Universität Graz. 206 Seiten mit 87 Ab- bildungen. Zweite, verbesserte Auflage. 2) Physische Meereskunde von Dr. C; e r h a r d Schott, Abteilungsvorsteher bei der Deutschen Seewarte in Hamburg. Mit 28 Abbildungen im Text und 8 Tafeln. 3) Landeskunde des Königreichs Bayern von Dr. Wilhelm Götz, Professor an der Kgl. Techn. Hochschule München. 4) LandeskundedesKönigreichs\\'ürttem- berg von Dr. Kurt Hassert, Professor der Geo- graphie an der Handelshochschule in Köln. Mit 16 \'ol]bild. u. I Karte. 5) Landeskunde des Großherzogtums Baden von Dr. O. K i e n i t z in Karlsruhe. 6) Kristallographie von Dr. W. Bruhns, a. o. Professor an der Universität Straßburg. Mit 190 .Abbildungen. 7) Chemie. Organischer Teil von Dr. Jos. Klein. 2. verb. u. verm. Aufl. 3. Abdruck. 8) Stereochemie von Dr. E. Wedekind, a. o. Prof an der Universität Tiibingen. Mit 34 Figuren im Text. 9) Technisch -chemische Analyse von Dr. G. Lunge, Professor an der Eidgenöss. Poly- technischen Schule in Zürich. Mit 16 Abbildungen. IG) Elektrotechnik. Einführung in die moderne Gleich- und Wechselstromtechnik von J. H e r r - mann, Professor der Elektrotechnik an der Kgl. Technischen Hochschule in Stuttgart. Erster Teil : Die physikalischen Grundlagen. Mit 47 Abbildungen. — Zweiter Teil : DieGleichstrom- technik. Mit 74 Abbildungen. — Dritter Teil: Die Wechselstromtechnik. Mit 108 Abbil- dungen. Die in der Sammlung Göschen herausgegebenen kleinen, billigen Büchelchen sind durchweg von guten Autoren verfaßt, von Fachleuten, die wohl geeignet sind, einen Einblick in die behandelten Gegenstände zu bieten. Einzelne der Hefte sind geradezu Muster. Bei der Fülle dessen, was der Naturforscher heut- zutage übersehen soll , sind solche kurzen Darstel- lungen , die eine schnell und nicht zu zeit- raubende Orientierung gestatten, nicht allein für den Anfänger von Wert, der die Elemente einer Disziplin kennen zu lernen wünscht, sondern auch für den Fachgelehrten, der hier und da in die Xebendisziplinen hinüberzuschauen wünscht. i) Die Anordnung und Behandlung des Stoffes von der unter i) aufgeführten Schrift hat im großen und ganzen keine Veränderung erfahren, doch wurde Unwesentliches und Nebensächliches weggelassen und der dadurch ersparte Raum für Beigabe eines Re- gisters verwendet, welches bei der ersten .\uflage ver- mißt wurde und nunmehr die Benutzung des Buches wesentlich erleichtert. Die neueren Resultate palä- ontologischer Forschung fanden, soweit dies in einer auf so engen Rahmen beschränkten übersichtlichen Darstellung des gesamten Tier- und Pflanzenreichs der Vorwclt möglich war, Berücksichtigung, so die neueren Untersuchungen über I'ithecanthropus und über die Reste des der Neandertal-Rasse angehörigen dilu- vialen Menschen von Krapina in Kroatien. 2) Das vorliegende Bändchen {2) soll auf die wichtigsten F'ragen der physischen Meereskunde eine allgemein verständliche, aber doch immer streng wissen- schaftliche Antwort geben ; die Lehre von der Pflanzen- und Tierwelt des Meeres konnte dabei nicht berück- sichtigt werden. Dem Verfasser, welcher selbst mehrjährige See- reisen auf Dampf- und Segelschiffen in den verschie- denen Ozeanen der Erde ausgeführt hat, kam es bei der Abfassung des Büchleins weniger darauf an, Voll- ständigkeit zu erreichen — wie sie z. B. ein Lehr- buch anstreben muß — , als vielmehr darauf, die wich- tigsten F'aktoren hervorzuheben, diese aber möglichst gründlich zu behandeln. Die Textfiguren und ganz besonders die farbigen Tafeln, unter denen Fig. 18 (Ozeanische Vertikalzirkulation) und 30 (Ebbe und Flut im Englichen Kanal) hervorgehoben sein mögen, werden das Verständnis wesentlich erleichtern. IMehr- fach sind auch die Methoden des Forschens, die Tief- seeinstrumente u. a. m. besprochen. 3, 4 u. 5) Die Landeskunden sind als ,, Heimat- kunden" nicht nur für den Unterricht sehr empfehlens- wert, sondern z. B. auch meist den Reisebüchelchen vorzuziehen, sofern man etwas mehr Vertiefung über das bereiste Land sucht, als sie durch die letztgenannten Führer geboten werden kann. Stets werden u. a. auch die geologischen Verhältnisse berücksichtigt. 6) Das Bändchen über Kristallographie will dem naturwissenschaftlich gebildeten Laien einen leicht verständlichen Überblick über die Hauptlehren der Disziplin geben und womöglich zu eingehenderem Studium dieser interessanten Wissenschaft anlegen. Es werden zunächst einige allgemeine Verhältnisse erörtert und dann die wichtigsten Kristallformen unter Berücksichtigung der neueren Einteilung auf Grund der Symmetrieverhältnisse beschrieben. Ein 3. Ab- schnitt bringt ausgewählte Kapitel aus der physi- kalischen Kristallographie, und zwar werden darin im wesentlichen solche Erscheinungen geschildert, welche verhältnismäßig leicht zu beobachten und zu verstehen sind und besonders geeignet ersch.einen, den Zusammen- hang der physikalischen und geometrischen Eigen- schaften deutlich hervortreten zu lassen. 704 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 44 7) Die organische Chemie ist eine brauchbare, auf neuem Standpunkte stehende Übersicht der Haupt- verbindungen und ihre Zusammenhänge. 8) Das Bändchen über Stereochemie ist inhahlich ziemlich ausgedehnt. Verfasser geht ziemlich weit in der Darlegung der wissenschaftlichen Grundlagen der Stereochemie. Das ist um so angebrachter, als seit IG Jahren kein Lehrbuch der Raumchemie in erneuter Auflage herausgegeben worden ist ; neu hinzugekommen sind inzwischen u. a. die Stereoisomerie der Di.Tzo- körper, die stcrcochemischen Untersuchungen über den funfwertigen Stickstoff und die Beobachtungen von Stcreoisomeiie bei unorganischen Verbindungen. Auch die neueren Forschungsresultate auf dem Gebiete der optischen Isomcrie des Kohlenstoffes sind in einem besonderen Abschnitt besprochen worden. Das Schrift- chen, welches mit großen, übersichtlichen Figuren und Modellprojektionen ausgestattet ist, wird also nicht nur den vorgerückten Studierenden von Nutzen sein, sondern es wird auch praktischen und akademischen Chemikern eine willkommene Übersicht über den derzeitigen Stand der stereochemischen Forschung bieten. 9) Die chemisch-technische Analyse kann in den meisten Fällen nur von einem wirklichen Chemiker ausgeübt werden, und ihre Behandlung, vor allem in so engem Rahmen wie hier, kann und muß nicht nur Vorkenntnisse in der Chemie überhaupt, sondern auch in der analytischen Chemie voraussetzen. Insbesondere gilt dies von der Maßanalyse, die in einem anderen Bändchen dieser Sammlung für sich behandelt wird, während die Grundzüge der technischen Gasanalyse im vorliegenden Bändchen Aufnahme gefunden haben. Die hier angeführten Methoden sind, soweit es angeht, so ausführlich beschrieben, daß der ausübende Chemiker einen genügenden Anhalt für ihre praktische Durch- führung findet. Dieses Schriftchen w-ird also nicht nur für den Studierenden, sondern in einfacheren Fällen auch für die in Fabriken täligen Chemiker ein Leit- faden sein. 10) In dem ersten Bändchen der Elektro- technik ist beabsichtigt, diejenigen physikalischen Er- scheinungen und Gesetze, welche in der modernen Elektrotechnik in so glänzender Weise zur jiraktischen Verwertung gekommen sind, in einfacher, übersicht- licher Weise darzustellen. Dabei mußte, dem engen Rahmen entsprechend, manches mit Andeutungen ab- Cjefunden werden. Das Ziel war : einem Studierenden, der in das Studiinn der modernen Elektrotechnik ein- tritt, ein gutes Repetitorium des entsprechenden Teils der Physik zu geben, einem gebildeten Laien, der die Wunder der F.lektrotechnik mit einigem Ver- ständnis genießen möchte, in kurzem Überblick die physikalischen Grundlagen der Elektrotechnik vor- zuführen. Einige mathematische und physikalische Kenntnisse sind selbstverständliche Voraussetzung; eine Reihe von einfachen schematischen Figuren sowie mehrere gute Kraftlinienbilder werden das Verständnis wesentlich erleichtern. Das zweite Bändchen hat den Zweck, zu zeigen, wie die im I. Bändchen dargestellten physikalischen Erscheinungen in der modernen Gleichstromtechnik Anwendung gefunden haben. Im dritten Bändchen wird das schwierige Gebiet der Wechselstromtechnik einschließlich des sog. Dreh- stroms gründlich behandelt. Natürlich können die Gesetze des Wechselstroms und die Begriffe der Reaktanz und Impedanz nicht ohne Benutzung mathe- matischer Ausdrücke klargestellt werden. Vielfach werden auch Vektordiagramme bei der Besprechung der (jeneratoren , Transformatoren und Motoren be- nutzt, wie denn überhaupt das Bändchen sich durch den Reichtum an Figuren und Abbildungen auszeichnet. Literatur. Ostwald's Klassiker der exakten Wissenschaften. .\r. 14 u. 23. 8". Leipzig, W. Engelmann. Kart. 14. Gau ß, C. F. : Die vier Beweise f. die Zerlegung ganzer algebraischer Funktionen in reelle Faktoren I. od. 2. Grades. (1799 — 1849.) Hrsg. v. E. Netto. 2. Aufl. (82 S. m. I Taf.) '04. 1,50 Mk. — Hittorf, W.: Über die Wanderungen der Ionen während der Elektro- lyse. Abhandlungen. (1853 — 1859.) 2. Tl. Mit 1 Taf. Hrsg. V. W. Oslwald. 2., durchgesehene Aufl. (141 S.) '04. 1,50 Mk. Briefkasten. Herrn C. G. in Neuwied (Rhein) (zu S. 592 der Naturw. Wochenschr.). — .\griotes segctis Bjerk. ist ein jetzt ganz ver- worfenes Synonym für Agriotes lineatus L. Da der letztere Name weit älter ist, ist er allgemein angenommen (vgl. z. B. G. Seidlilz, Fauna Baltica. Die Käfer, S. 175). Drahtwürmer nennt man nicht nur die Larve von .-Xgriotes lineatus, sondern die Larven von sämtlichen Schnellkäfern (Elateridae). Eine grö)3ere Zahl von ihnen ist schädlich und zwar den verschiedenen Pflanzen verschiedene Arten. J. R. Bos (Tierische Schädlinge und Nülzlinge, Berlin 1891, S. 277 bis 285) nennt 7 schädliche Arten, .-V. B. Frank (Die tierpara- sitischen Krankheiten der Pflanzen, Breslau 1896, S. 256), deren zehn. Bos sagt über diese schädlichen Arten folgendes: ,,Die Larven von Sericosomus marginatus, Athous subfuscus und bisweilen von Lacon murinus nagen an den Wurzeln mehrerer Waldbäume (Eichen, Buchen, Birken), die von Lacon murinus fressen öfters an den Wurzeln der Obstbäume, der Rosen- stöcke und verschiedener Gartensträucher, namentlich auch an Gemüsen, wie Salat, Kohlartcn, Topinambur, Zwiebeln, Möhren und an Gewächsen des Blumengartens, wie Georginen, Lobe- lien, Nelken, Irisarten und Canna. Überhaupt findet man die Drahlwürmer von Lacon murinus gewöhnlicli im Humusboden. Weiter schaden in Blumengärten nebst den letztgenannten Larven auch diejenigen von Alhous haemorrhoidalis, während in Gemüsegärten die Larven von Agriotes sputator und Agriotes oliscurus nebst denen von Lacon murinus die Hauptfrevler sind. Die Drahtwürmer, welche auf den .Ackern, zwar im allgemeinen den verschiedensten Kulturgewächsen, hauptsächlich aber den Getreidearten schädlich werden und dem Wiesenbau großen Nachteil bringen, gehören, wenn sie verhältnismäßig klein und fast unbehaart sind, dem Agriotes lineatus und .\griotes obscurus. wenn sie größer und mehr behaart sind, dem Athous haemorrhoidalis an." Dahl. Inhalt: Prof. Dr. G. Fritsch: Vergleichende Betrachtungen über die ältesten ägyptischen Darstellungen von Volkstypen. (Schluß.) — Kleinere Mitteilungen: Fehlinger: Die Verbreitung der Lepra im indischen Reich. — Oscar Schnitze: Zur Frage nach den gesclilechtsbildenden Ursachen. — Hugo Iltis: Über den Einfluß von Licht und Dunkel auf das Längenwachstum der Adventivwurzeln bei Wasserpflanzen. — Lacroix: Die .Ausscheidung von Quarz in Eruptivgesteinen. — A. Rateau: Die Dampfturbine als Schiftsmaschine. — Himmelserscheinungen im .August 1904. — Vereinswesen. — Bücherbesprechungen: Sammlung Göschen. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantworllicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschlierslich der Zeitschrift „DlC NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstünnliehe Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 7. August 1904. Nr. 45. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Kxpedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltcne Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahrae durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Kosmologie als Ziel der Meeresforschung. Rede beim Antiilt des Rektorats der Universität zu Creifswald gehalten am 16. Mai 1904 [Nachdruck verboten.] von Professor Dr. Hochansehnliche Versammlung ! „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser". Dieses für politische Verhältnisse geprägte Wort unseres Kaisers hat auch für einen nicht unbeträchtlichen Teil der wissenschaftlichen Forschung Gültigkeit. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die Meeres forschung aus kleinen Anfängen zu einer weitverzweigten wissenschaftlichen Disziplin entwickelt, der ein großer Stab von Gelehrten aller Nationen seine Kräfte weiht. Da auch mein Arbeitsfeld auf diesem Gebiete liegt, so bitte ich, mir zu gestatten, auf die Entwicklung und die Ziele der Meeres forschung für einige Minuten Ihre Aufmerksamkeit zu lenken. Jeder, der einmal die Hochsee befahren hat, bringt einen großen Reichtum von Eindrücken mit nach Hause; insbesondere sind es die Parben des Wassers, welche die Aufmerksamkeit in hohem Grade fesseln. Je nach der Meeresstelle und je nach der Tages- und Jahreszeit können wir das Meer in allen denkbaren Farben zwischen strahlen- dem Weiß und undurchdringlichem Schwarz vor uns liegen sehen. Franz Schutt. In das Chaos der Farbeneindrücke eine Regel hineinzubringen, hat kein Geringerer als Alexander von Humboldt gelegentlich einer Reise in die Tropen sich bemüht. Seine Art der Untersuchung ist typisch für die frühere Meeresforschung; sie bestand darin, daß einzelne Gelehrte die Gelegen- heit einer Meeresfahrt benutzten, um unsere Kennt- nisse zu bereichern. Die aus solchen gelegentlichen Untersuchungen gewonnene Erkenntnis würde nur ein sehr lücken- haftes Bild gegeben haben, wenn nicht die Be- dingungen des praktischen Lebens selbst auf eine systematischere Erforschung des Meeres hinge- drängt hätten. Den Grund dazu legte die Schiffahrt, in deren Interesse nicht nur die horizontale Ausdehnung sondern auch die vertikale Gestaltung der Küsten- linien aufgenommen werden mußte. An diese Bestimmungen schlössen sich zahl- reiche andere an, von denen ich hier nur einige anführen möchte. Die Wellenbildungen und die Strömungen im Meere, sowohl an der Oberfläche wie auch in den Tiefen, wurden zum OI>jekt aus- 7o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 45 gedehnter Untersuchungen gemacht. Die Druck- verhältnisse im Wasser, Durchsichtigkeit, Färbung des Wassers, Temperatur, spezifisches Gewicht, Salzgehalt und Zusammensetzung der Lösung, das sind Kapitel, von denen jedes ausgedehnte Unter- suchungen forderte. Man kann alle diese Forschungsrichtungen zu einer Gruppe zusammenfassen, die das gemein- same Ziel hat, die morphologischen, physikalischen und chemischen Eigenschaften des Meeres zu er- forschen. Die Gesamtheit, die dabei herauskommt, pflegt man als Ozeanographie zu bezeichnen. Dieser Forschungsrichtung, der unorganischen, können wir eine andere, die biologische, gegen- überstellen, die sich mit den organisierten Körpern abgibt. Bevor man sich noch für Tiefe, spezifisches Gewicht und Salzgehalt des Meeres interessierte, strebte man schon eifrig den lebenden Produkten des Meeres nach. Allerdings gilt dies nur für wenige von den vielen Produkten des Meeres. Für den echten Binnenländer ist der Massenvagabund des Meeres, der Hering, so ziemlich das einzige organisierte Wesen, das er kennt, und für das er Interesse hat. Wer aber einmal Gelegenheit gehabt hat einen Fischmarkt einer größeren Seestadt zu betreten, der hat sein blaues Wunder erleben können. Freilich weniger in unseren kühlen Gegenden. Der spröde Nordländer nimmt nur Weniges von den Produkten des Meeres an, aber der weniger wähle- rische .Südländer, der es nicht verschmäht, außer Fischen und Krebstieren auch Tintenfische, See- igel, Seenelken und anderes Getier in seinem Magen verschwinden zu lassen, bringt eine reichere Ausbeute an hVüchten des Meeres -auf den Markt. Dieser Mschmarkt hat bis tief in das vorige Jahr- hundert hinein die Hauptquelle für die biologische Erforschung des Meeres gebildet. Er lockte auch die Forscher des Binnenlandes an das Meer. Bald gingen diese dann auch selber auf den Fang aus und studierten die selbstgefundene 1 ier- und Pflanzen- welt. Es wurde dabei eine recht beträchtliche Summe von morphologischen und syste- matischen Kenntnissen über die Lebewelt des Meeres gewonnen. Die dabei gewonnenen Kenntnisse erstreckten sich natürlich fast ausschließlich auf h'auna und Flora der Küsten. Die großen Lotungsexpeditionen, die im Inter- esse der Vorbereitung der Tiefseekabellegung um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ausgerüstet wurden, gaben der biologischen Forschung einen mächtigen Antrieb, das Forschungsgebiet auch auf die Tiefsee auszudehnen. Bald wurden auch Expeditionen ausgerüstet, die sogar vorwiegend dem Studium der Organis- men gewidmet waren, während die vorher imVorder- grunde stehenden unorganischen Forschungsrich- tungen nur als Zugabe betrieben wurden. Diese Expeditionen waren vorwiegend zoologischer Natur; botanische kamen wenig in Betracht aus einem einfachen Grunde : an den Küsten entfaltet sich ein reiches Pflanzenleben, welches sich fast nur aus der Gruppe der Algen oder Tange rekrutiert. In den obersten, am meisten vom Licht durch- fluteten Schichten finden wit vorwiegend die freudig grünen Pflanzen angesiedelt, weiter nach unten mehren sich Algen von brauner Farbe und bis in größere Tiefen wagen sich Algen, die sich durch ihre rote Farbe vor allen übrigen Pflanzen auszeichnen. Schon wenige hundert Meter unter dem Meeresspiegel herrscht ewige Finsternis. Die Pflanzen aber sind Kinder des Lichts, im dunklen Reich der liefe würden sie elendiglich zugrunde gehen. Die meisten dieser Pflanzen überziehen den Boden nur in sehr dünner .Schicht, unseren Gräsern vergleichbar, nur wenige Vertreter erheben sich zu beträchtlicheren Höhen, wie z. B. der Birnen- tang der südatlantischen Küsten, der von seinen Haftklammern am felsigen Boden bis zu den Schwimmblasen bis zu 300 Meter Länge erreicht. Doch was sind 300 m im Vergleich zu den ozea- nischen Tiefen? Die Botanik fand also auf der Hochsee nur Anwendung zur Feststellung einzelner treibender Tangmassen, die als Überreste von Küstenpflanzen dort ihr Leben fristen, wie z. B. das Sargassum- kraut des mittleren atlantischen Ozeans, das, zu ganzen Massen zusammengeballt, zur Bildung der berülmiten Tangwiesen Veranlassung gibt, die bei der Entdeckungsfahrt des Kolumbus eine geschicht- liche Berühmtheit erlangt haben. Erst die verbesserten Fangmethoden der letzten Jahrzehnte, die sich allerfeinster Seidenstofte als Netze bedienten, lehrten, daß auch auf der Hoch- see das Pflanzenleben keineswegs gegenüber dem Tierleben zurücktritt. Freilich sind diese Pflanzen so klein, daß sie nur mit dem Mikroskop wahr- genommen werden können. Darum ahnt sie der I^aie nicht, und der .Schiffer glaubt nicht an sie. Ich habe es selbst erlebt, daß ein Matrose auf einer Expedition kopfschüttelnd dem Fang der Mikroflora beiwohnte und erklärte : „Dat's all dumm Tüg. Da is niks in as luter klar Water". Als ich ihm dann unter dem Mikroskop die Hochsee- pflanzen zeigte, war er doch nur halb überzeugt, denn diese Pflanzen sahen den Tulpen und Nelken so wenig ähnlich, daß er nichts damit anzufangen wußte. Der feine Seidenstoff fängt schon sehr kleine Wesen. Die allcrkleinsten, wozu namentlich die Bakterien gehören, gehen auch hier noch durch die Maschen. Dafür mußten noch andere Methoden ersonnen werden und durch diese wurde auch die Bakteriologie in das Gebiet der Meeresforschung hineingezogen. Küstenstudium und Hochseestudium lehrten eine große Anzahl von Pflanzen und Tieren kennen, mit deren Bestimmung und Beschreibung Botaniker N. F. m. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 707 und Zoologen reichlich zu tun hatten und noch für längere Zeit Beschäftigung finden werden. I-'ür die meisten Laien ijflegt der Begriff der IVIeeresforschung hiermit erschöpft 7,u sein, aber nun fängt das Interessanteste eigentlich erst an, denn so interessant auch die Formen selbst .sein mögen, so ist doch deren Festlegung schließlich nur Materialsamnilung, die an Interesse hinter dem Verarbeiten des gesammelten Materials unter all- gemeine Gesichtspunkte zurücktreten muß. So wie wir diese Schwelle überschritten haben, so tut sich hier eine große Mannigfaltigkeit von neuen Forschungsrichtungen auf, von denen wir hier nur einige Wenige kurz andeuten können. Um diese bewältigen zu können, wurde ein neues Hilfsmittel für das Studium geschaffen, dem die Forschung die allergrößten Dienste verdankt. Die Expeditionen konnten immer nur vereinzelt sein und sie konnten immer nur wenigen Forschern und auch diesen nur für kurze Zeit Gelegenlieit geben, mit den lebenden Wesen in direkte Be- rührung zu kommen. Für den Privatmann war das Studium an den Küsten stets mit großen Opfern und oft mit unübersteigbarcn Hindernissen verknüpft. Da trat der persönliche Wagemut eines genialen (3rganisators in die Bresche. Anton Dohrn setzte seine eigene Existenz aufs .Spiel und gründete der Forschung ein festes Heim, die zoologische Station in Neapel, die seitdem zu einem groß- artigen Hilfsmittel für die wissenschaftliche Meeres- forschung, nicht bloß für die Zoologie, auswuchs, und die das unerreichte Vorbild für eine ganze Reihe anderer biologischer .Stationen geworden ist. Diese Stationen ermöglichten eine große An- zahl wichtigster Fragen zu lösen, die ohne sie kaum lösbar gewesen wären. Das Nächstliegende, was sich an das Studium der äußeren P>scheinung der Pflanzen und Tiere, das den Ausgangspunkt gebildet hatte, anschloß, war das Studium des inneren Baues von Pflanzen und Tieren. .Ana- tomie und Histologie reihten sich unter die Disziplinen der Meeresforschung und erhielten darin ein schier unerschöpfliches P'eld. Dasselbe gilt für die vergleichende .Anatomie. Der Pflanzenanatom, der seiner Zeit den ge- wöhnlichen Blasentang, der auch an unseren Ost- seeküsten vorkommt, unter das Messer nahm, um seine inneren Organe zu studieren, fand in den zitzenförmig angeschwollenen Zweigenden kugel- runde Zellen, die sich von allen übrigen Zellen der Pflanze wesentlich unterschieden. Eine rein beschreibende Wissenschaft würde sich mit der P'eststellung der Tatsachen begnügt haben. Die Anatomie hatte aber schon aufgehört, eine rein beschreibende Wissenschaft zu sein. Sie er- hielt einen tieferen Gehalt, indem sie auch nach dem Zweck des beschriebenen Organs fragte, und untersuchte , inwiefern die Form dem Zweck entsprechend sei. Besagter Anatom hatte Glück. Er sah , wie die Hülle der kleinen Kugeln platzte, und wie die nun nackten Zellen durch kleine Öffnungen ins freie Wasser ausgestoßen wurden. Dort trieben sie willenlos herum und gingen schließlich zu- grunde. r^as wäre nun freilich zwecklos und sinnlos gewesen; aber der Forscher hatte weiter Glück. In anderen Zitzen fand er den Kugeln entsprechende, aber anders geformte, etwa zapfenförmige Zellen, die auch nackt ins Wasser hinausgestoßen wurden. Diese verhielten sich dort aber anders als die Kugeln; sie ließen sich nicht passiv im Wasser treiben, sondern in lebhaftem Gewimmel, einem Bienenschwarm vergleichbar, schwärmten sie in dem Wassertropfen, den ihnen der Forscher statt des Meeres geboten, herum. Der erste Forscher, der dieses Schwärmen ge- wahrte, war davon auf das Äußerste überrascht. Er glaubte nichts Geringeres, als daß die Pflanze hier im Begriff sei, sich in ein Tier zu verwandeln, und manchem Laien würde es auch heute noch nicht viel anders ergehen, weil er glaubt, daß es zum Wesen der Pflanze gehöre, daß sie bewegungs- los an ihren Ort gefesselt sei; der Kundige weiß aber, daß auch festsitzende Pflanzen, die das Ur- bild der .Sitt.samkeit sind, doch in der Jugendzeit eine Periode haben, wo sie wild herumschwärmen, um sich erst nach dieser Wanderzeit dauernd zu etablieren. Die erwähnten kleinen .Schwärmer ermatteten nach und nach und gingen dann zugrunde. Sie hatten ihren Lebenszweck verfehlt. Brachte er aber in ihren Wassertropfen eine der vorhin erwähntCTi Kugeln, so bot sich ein neues überraschendes Bild: Die Schwärmer, die vorher ziellos im Wasser herumjagten, als suchten sie etwas, ohne es zu finden, sie scheinen jetzt alle mit einem Male von demselben Gedanken beseelt zu sein. Wie von magischer Gewalt getrieben, steuern sie auf die Kugel zu und nun beginnt ein wilder taumelnder Tanz, der selbst die ruhende Kugel in die kreisende Bewegung hineinreißt. Endlich gelingt es einem Schwärmer einen Vor- sprung vor seinen Rivalen zu gewinnen. Wir sehen, wie vor unseren Augen die schwärmende, aktiv bewegliche, männliche Zelle, das Sperma- tozoid, mit der passiven, ruhenden, weiblichen Zelle zu einem einheitlichen Körper verschmilzt. Mit dem Moment des Eintritts in die Ehe ist es auch für die männliche Zelle mit der Schwärm- zeit vorbei, sie wird seßhaft. Das Verschmelzungs- produkt sehen wir vor unseren Augen erst gegen die übrige Welt sich durch ein festes Haus ab- schließen, und dann auswachsen, sich ausgestalten, bis schließlich der mit der Brandungswelle erfolg- reich ringende Blasentang daraus wird. Dem mit dem Mikroskop bewaffneten Auge enthüllten sich hier Geheimnisse, welche die Natur bei den Landpflanzen und Tieren mit einem dichten Schleier zu umhüllen strebt. Was wir dabei aber sahen, es war nicht mehr allein Form und Ge- stalt, es war Leben, Entwicklung. Die Entwicklungsgeschichte, eine neue 7o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 45 Disziplin, ist aus der Anatomie hervorgewachsen und sie enthüllt dem Forscher, der dem Meere seine Geheimnisse zu entreißen sucht, Wunder über Wunder. Ist aber der Forschergeist erst einmal bis zur Entwicklungsgeschichte vorgeschritten, so bleibt er nicht bei der Entwicklung des Individuums stehen. Er fragt sich: Hat nicht das Pflanzenreich als Ganzes, hat nicht das Tierreich als solches auch einen Entwicklungsgang durchgemacht ? Ein kühner Geist hat vor mehr als lOO Jahren diesen Ge- danken ausgesprochen und zu beweisen gesucht. Ein heißer Kampf ist darum entbrannt. Aber wie ist so etwas zu beweisen ? wie ist es zu widerlegen ? Viele, viele Tausende, ja Millionen von Jahren mußten ver- fließen, bevor ein solcher Entwicklungsgang sich abspielen konnte. Er fällt in Zeiten, als das menschliche Gehirn, das als Schlußstein und Krönung dieses Gebäudes angesehen wird, noch nicht war, und darum auch noch nicht Zeugnis dafür ablegen konnte. Durch kühnen Aufbau von Schluß auf Schluß hat die Stammesgeschichte oder Phylogenie langsam ihr Gebäude auf- gebaut, und die Bausteine dazu hat sie nicht zum geringsten Teile aus der Erforschung der Meeres Organismen gewonnen. Das Leben selbst war es, dessen geheimste Vorgänge sich bei der Betrachtung der Schwärmer vor den Augen des Forschers enthüllten. Durch innere Triebe geleitet, unbekümmert durch die Verhältnisse der Außenwelt, sahen wir Zelle zu Zelle sich finden. Sie scheinen gänzlich unab- hängig von der Außenwelt zu sein, und doch, ein einziger Regentropfen belehrt uns eines Besseren. Setzen wir ihn dem Tropfen Seewasser zu, in dem sich die Schwärmer befinden, so sterben sie ab, als wenn wir ihnen ein starkes Gift gegeben hätten, und doch haben wir nichts getan als den Salz- gehalt des Wassers um einige Prozent verringert. Dies zeigt uns, wie enorm abhängig die Lebe- wesen von den Verhältnissen der Außenwelt sind. Diese Abhängigkeit zeigen aber nicht bloß die nackten Schwärmer, sondern selbst die mit einem festen Kieselpanzer umgürteten Pflanzenzellchen der Hochsee. Auch sie können eine plötzliche Verringerung des Salzgehaltes nicht vertragen und ein tropischer Regenguß, der, wenn auch nur auf kurze Zeit, die allerobersten Schichten des Wassers stark verdünnt, könnte die ganze Vegetation ver- nichten, wenn diese sich in den obersten Schichten aufhielte. Um dieses zu vermeiden, dürfen die Pflänzchen sich nicht nach oben zu einer ebenen Schicht, ähnlich den Gräsern einer Wiese, zusammen- drängen. Sie müssen sich aber auch hüten in die Tiefe zu sinken, denn schon in Haustiefe befinden sie sich im Dämmerlicht und in wenigen hundert Metern Tiefe herrscht ewige Finsternis, in der sie elendiglich verhungern müßten ; sie müssen sich also dauernd in der oberen durchleuchteten Schicht schwebend erhalten. Ähnliche Bedingungen würde ein Luftballon zu erfüllen haben, dem die Aufgabe gestellt wäre, dauernd in geringer Entfernung über dem Erd- boden zu schweben. Bei beiden muß das spezifische Gewicht genau im Gleichgewicht gehalten werden mit dem der Umgebung, im einen Fall mit dem der Luft, im anderen mit dem des Wassers. Dieses Gleichgewicht ist aber außerordentlich labil. Das der pflanze wird durch jede Stoffumsetzung in der Zelle verändert. Jeder Sonnenstrahl, jede Wolke, die vor die Sonne tritt, kurz jeder Wechsel in der Beleuchtung, der den Stofifwechselvorgang verändert, stört das gewonnene Gleichgewicht, bringt die Zelle zum Steigen oder Sinken und führt sie dabei dem Verderben entgegen. Sie kann sich also nicht, wie jede andere im Boden wurzelnde Pflanze, darauf beschränken, die Sonnen- strahlen, wie sie gerade gegeben werden, mög- lichst vollkommen auszunützen, sondern sie muß noch nach einer anderen Richtung hin fortwälirend aktiv tätig sein. Sobald der Stoftwechselprozeß ihr spezifisches Gewicht verändert und sie dadurch in einer Richtung, sei es nach oben oder nach unten, in Bewegung setzt, so muß sie der un- erwünschten Bewegungstendenz eine umgekehrte entgegensetzen. Der LuftschifFer bewirkt diesen Effekt durch Auswerfen von Ballast oder durch Auslassen oder Zusammendrücken von Gas. Der Zelle steht hierfür nur wieder der Stoffwechsel selbst zur Verfügung. Den Stoffwechsel Vorgang, der nach oben oder unten trieb, selbst aufzuheben steht nicht in ihrer Macht, da er direkt von der Umgebung eingeleitet wird, es wäre auch un- erwünscht, da er zumeist aus zwei unentbehrlichen Lebenstätigkeiten, Assimilation und Atmung, be- steht, deren Aufhebung das Leben selbst auf- heben hieße. Es bleibt ihr also nichts weiter übrig, als neben der von außen eingeleiteten StoftVer- änderung eine zweite, nebenherlaufende, aktiv ein- zuleiten, die die erste selbst zwar nicht aufhebt, wohl aber in bezug auf das spezifische Gewicht der Produkte umgekehrt wirkt. Wenn also der passive von außen induzierte Prozeß das spezifische Gewicht verringert, so muß der aktive, von Innen lieraus regulatorisch wirkende, dasselbe vergrößern und umgekehrt. Die kleine einzellige Kieselalge der Hochsee wird also durch die Bedingungen ihrer LImgebung gezwungen, andauernd statische Probleme zu lösen, deren Lösung unsere Luftschiffahrt zwar erstrebt, aber trotz Zeppelin und seinen Nachfolgern bisher noch nicht befriedigend zu lösen vermocht hat. In dem Bau ihrer Fahrzeuge könnten die mo- dernen Luftschifter viel von kleinen Schwebepflanzen lernen. In der Tat sehen wir, dai3 das Zeppe- lin'sche Luftschiff fast wie eine vergrößerte Kopie einer Rhizosolenia aussieht, obwohl sein Erfinder dies Hochseepflänzchen vermutlich niemals ge- sehen hat, und nur durch theoretische Konstruk- tionsprinzipien zur Annahme der Form bestimmt worden ist. Die Erfindungskraft der Natur ist aber größer als die des Menschengehirns, sie hat N. F. m. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 709 statt der einen Lösung ihres Problems gleich deren tausend gefunden. Doch die Ähnlichkeit in den Beziehungen des Luftschiffes und der Hochseepflanze zur Außen- welt geht noch weiter. Gelingt es dem Luft- schiffer mit den erwähnten Mitteln nicht die ge- wünschte Stellung zu erhalten, so hat er für den Augenblick der Gefahr noch ein paar Notbehelfe, den Fallschirm und die Schleppleine, die beide dahin wirken, durch starke Vergrößerung der Oberfläche eine unerwünscht starke Geschwindig- keit der Bewegung zu verringern. Auch dem Hochseepflänzchen mag es nicht immer gelingen die bei plötzlicherBeleuchtungsänderung einsetzende Bewegung zu hemmen. Da sehen wir es genau dasselbe Prinzip wie ein Luftschiffer zur Erreichung desselben Zweckes anwenden, aber auch hier sehen wir wieder den Reichtum der Natur. Es hat gleich tausend Lösungen auch dieses Problems an der Hand, die uns alle als Vorbilder dienen können, und hier wie überall werden wir das Vorbild, das uns die Natur liefert, nicht erreichen. Die voll- kommenste Maschine, die der genialste Erfinder erdenken mag, bleibt doch nur ein Stümperwerk im Vergleich zur Feinheit der Abstimmung von Organisation und Funktion , womit selbst das kleinste Hochseepflänzchen sich die Lebensmöglich- keit innerhalb der sie umgebenden feindlichen Ge- walten schafft. Solcher Probleme, welche die Beziehungen zwischen dem Leben der Pflanzen und zwischen der Außenwelt behandeln, bietet das Meer eine unendliche Mannigfaltigkeit. So hat auch die B i o 1 o g i e in engerem Sinne in der Meeresforschung ein ergiebiges Arbeitsfeld. Kehren wir noch einmal zu dem vorhin er- wähnten Beispiel von der Beziehung der Schwärm- zelle zum Ei zurück. Wir verfolgten die Schwärmer in ihrer Bewegung, wir sahen sie mit Sicherheit dem Ei zustreben. So interessant der Vorgang auch an sich ist, so bleiben wir doch nicht bei der einzelnen Erscheinung kleben, wir fragen nach Grund und Ursachen. Woher weiß der Schwärmer, daß wir ein Ei in seinen Wassertropfen getan haben ? Er hat weder Augen noch Ohren, weder Nase noch Mund, weder Arm noch Bein, weder Hirn noch Nerven. Er ist ebenso wie das Ei, ein kleines Schleimklümpchen, und doch sehen wir, wie er nicht nur sofort die Sachlage erkennt, sondern auch wie er sofort ziel- und zweckbewußt vorgeht. Ist es eine höhere Gewalt, die ihn leitet ? ist es ein übersinnlicher Trieb, vor dessen uner- forschlichem Walten wir in Resignation die Knie beugen müssen ? oder ist diese Frage doch unserem Forschungsdrang zugänglich ? Wenn wir die Frage nach der Ursache lösen wollen, so müssen wir uns wieder in eine neue Kammer unseres Gebäudes der Wissenschaft be- geben. Aus demZimmerderEntwicklungsgeschichte in das der Physiologie, die der Frage mit dem Experiment zu Leibe rückt. Warnend erhebt zwar der Dichter die Stimme : „Geheimnisvoll am lichten Tag Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben. Und was sie Dir nicht offenbaren mag. Das zwingst Du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben." Doch wir lassen uns nicht abschrecken. Wir haben schon so manches Zipfelchen des geheimnis- vollen Schleiers gelüftet, und so manches Stück- chen von der Wahrheit erspäht; das Messer und das Mikroskop haben uns schon so viel gute Dienste getan, warum sollten wir es nicht auch mit Wage und Retorte einmal versuchen? Und siehe da! es gelingt. Die Natur baut wunderbarste Wir- kungen auf einfachste Mittel. Pfeffer hat uns gezeigt, daß eine Kleinigkeit eines süßen Stoffes, einer Säure oder einer anderen chemischen Verbindung, welche das Weibchen be- reitet und in die Umgebung ausstrahlen läßt, als Richtungsreiz auf die Spermatozoiden wirkt und diese zwingt, sich in den durch die Stellung des Eies vorgeschriebenen Bahnen zu bewegen. Eine unmeßbar geringe Menge dieses Stoffes genügt, das Verhältnis der Geschlechter umzukehren, das aktive in das passive und das passive in das be- stimmende umzuwandeln, genügt, um das schein- bar wehr-, willen- und waffenlos herumtreibende Ei zum Herrn der Situation zu machen; genügt, um die in männlich freier Ungebundenheit umher- schwärmenden Spermatozoiden des freien Willens zu berauben und in sklavischer Gebundenheit an die Spuren des Eies zu zwingen. Und das alles, ohne daß das Ei sich irgendwie zu bemühen scheint, ohne daß es auch nur die allergeringste Bewegung auszuführen braucht. Das wunderbare Spiel der Kräfte, die hier in- einander greifen, zu enthüllen, war Aufgabe der Physiologie. Sie hat das mystische Dunkel, welches über dem Vorgange früher lastete, erhellt ; sie hat mit Hebeln und mit Schrauben der Natur schon so manches Geheimnis abgelockt, so daß es nun doch am lichten Tage für die Weiterforschung bereit liegt. Aber noch sind wir nicht am Ende damit, noch manches Problem harrt selbst bei diesem einen Objekt der Lösung und unendlich viel mehr Probleme tun sich auf, wenn wir die Masse der anderen Pflanzen und Tiere ins Auge fassen. Ein schier unermeßliches Arbeitsfeld findet also auch die Physiologie in der Meeres- forschung. Wenn der vorhin erwähnte Schwärmer durch das Wasser schwamm, so brauchte er dazu eine Kraft. Indem er die entgegenstehenden Wasser- massen zerteilte , leistete er eine Arbeit. Die Fähigkeit Arbeit zu leisten nennen wir Energie. Energie läßt sich ebensowenig schaffen wie Stoft". Ein gewisser Energievorrat steckt in jedem leben- den Wesen; dieser wird durch die Lebenstätigkeit nach und nach ausgegeben. Tritt kein Ersatz ein, so hört die Fähigkeit Arbeit zu leisten, das Leben, 7IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 45 auf. Es muß also eine Ergänzung des Energie- vorrates eintreten. Wir Menschen nehmen diese von Tieren , die wir verspeisen, die Tiere von Pflanzen und die Pflanzen direkt von der Sonne. Die Sonne strahlt jahraus, jahrein ungeheure Mengen von Energie in den Weltraum hinaus. Die Pflanze hat das Vermögen, das uns und allen Tieren abgeht, einen Teil davon abzufangen und dem eigenen Energie- vorrat zuzufügen. Damit nun das Leben nicht stillzustehen braucht, sobald die Sonne untergeht, so legt sie sich zur Zeit des Überflusses einen Vorrat von Energie an. Dies geschieht in be- sonderen Organen der Pflanzenzelle, und wir können diese bei den kleinen Meerespflanzen direkt während der Arbeit beobachten. Das Hilfsmittel der Kraft- aufspeicherung ist eine Stoffveränderung. Die Zelle nimmt 2 Stoffe, die ihr überall in Menge geboten sind, Kohlensäure und Wasser, und schmiedet sie zu 2 anderen Körpern, Kohlenhydrat und Sauer- stoff, um. In diese beiden letzten wandert dann der von der Sonne genommene Energievorrat hin- ein. Das Kohlenhydrat bewahrt die Pflanze auf, und kann nun durch Zurückverwandlung desselben in Kohlensäure und Wasser die eingefangeneSonnen- energie jederzeit wieder frei machen. Das Hilfs- mittel, die Lebensenergie zu gewinnen und stets zur Verfügung zu haben, ist also eine Stoffumsetzung, ein Stoffw echsel. Die Stoffwcchselprozesse zu verfolgen ist eine der wichtigsten Aufgaben der Physiologie, sowohl im Meere wie auf dem Lande. Sind wir aber einmal soweit gediehen, so ist die Versuchung zu groß, die eigentliche Grenze der Physiologie, die in der Erklärung der Lebens- vorgänge der einzelnen Wesen ihr Arbeitsfeld hat, zu überschreiten, und nach noch allgemeineren Be- ziehungen zu forschen. Wie verläuft nun der an den Stoffwechsel ge- bundene Lebensvorgang, wenn wir nicht nur die Einzelpflanze, sondern das ganze große Heer der Lebewesen zusammengenommen in die Rechnung hineinziehen ? Jede Pflanze arbeitet selbstverständlich nur für sich selbst. Aber. sie ist nicht all ei n in der Welt, darum ist ihre Existenz von den mitlebenden Wesen abhängig. Da gibt es nun Lebensgenossen, die nicht gern selbst arbeiten, und die es darum aufgegeben haben, Sonnenenergie in feste Form einzuschmieden, Energievorräte zu produzieren , die sich lieber darauf verlassen, anderen Genossen die mühsam erarbeiteten Vorräte abzunehmen. Diese ,, Nichtsals- konsumenten" (gleichviel ob sie Pilz, Tier oder Menschen heißen) tragen alle das Kainszeichen der bleichen, das heißt in diesem Sinne so viel wie „nicht grünen" P'ärbung. Denn nur den echten Produzenten der Lebensenergie ist als ehrendes Abzeichen ihrer Tätigkeit das grüne Kleid re- serviert. Das Heer der mikroskopisch kleinen Schwebe- pflanzen der Hochsee, das zu diesen gehört, ar- beitet selbständig, nimmt Kohlensäure und Wasser und schmiedet Energie der Sonnenstrahlen hinein. Da naht nun ein ganz kleines Krebschen, nicht so groß wie ein Stecknadelkopf, frißt das Pflänz- chen und verleibt die in ihm enthaltene Sonnen- energie seinem eigenen Leibe ein. Schon kommt ein Hering geschwommen und frißt das Krebs- chen. Der Hering wird vom Hai gefressen. Der aber stirbt und von seinem Leibe ergreifen Bak- terien Besitz und verbrennen die energiegefüllten Moleküle seines Leibes wieder zu dem Ausgangs- punkt, Kohlensäure und Wasser. Dies kann dann wieder von den Pflanzen aufgenommen werden. Wir haben einen vollständigen Kreislauf des Stoffes vor uns. Es ist ein Stoffwechsel, aber er spielt sich nicht, wie der von der Physiologie be- trachtete in einem einzelnen Organismus ab, sondern alle Lebewesen des Meeres zusammen werden in diesen Stoffwechsel hineingezogen. Die Gesamt- heit der Organismen des Meeres bildet gewisser- massen einen Organismus mit einem ihm eigentümlichen Stoffwechsel. Die Wissenschaft, die sich hiermit zu beschäftigen hat, geht über den Rahmen der Physiologie hinaus, denn das ganze Meer ist der Organismus. Ozeanographie ist es nicht mehr, was wir hier treiben, denn es handelt sich nicht mehr um eine beschreibende Wissenschaft, sondern um eine exakte Forschung. Ozeanologie können wir dies nennen. Gehen wir nun noch einen Schritt weiter in der Ausdehnung unseres Forschungsgebietes. Be- trachten wir ein anderes kleines Krebschen, welches ein Hochseepflänzchen gefressen und sich dessen Energievorrat angeeignet hat. Dieses wird von einem kleinen Fischchen gefressen, dieses Fisch- chen dient einem großen Dorsch zur Nahrung. Nun tritt aber der Mensch auf den Plan. Er fängt den Dorsch, schneidet ihm die Leber heraus und preßt Tran daraus. Dieser wandert, in Flaschen gefüllt, tief ins Binnenland und wird dort, vielleicht erst nach Jahren, von einer sorglichen Mutter ihrem Sprößling zur Stärkung eingeflößt. Was tun wir nun in letzter Instanz, wenn wir unserem Kinde einen Löffel Lebertran geben ? Nichts anderes, als daß wir ihm ein gewisses Quantum Sonnenenergie einflößen ; und wenn das Lebensfünkchen unseres Kindes dann lebhafter glimmt, so verdanken wir dies den Sonnenstrahlen, die vielleicht vor lo Jahren mitten in den atlan- tischen Ozean drangen und dort von kleinen Algen aufgefangen wurden. Damit sind wir aber schon aus dem Rahmen der reinen Meeresforschung herausgetreten. Wasser und Land sind in Wechselwirkung getreten. Die Stoffe wandern hinüber und herüber, und dabei spielen auch die Kräfte herüber und hinüber, vom Wasser aufs Land und vom Lande auf das Wasser. Es findet auch hier ein Stoffwechsel statt, der be- stimmten Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist. N. F. III. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 711 Wollen wir diese erforschen, so treten wir aus dem Rahmen der einfachen Ozeanologie heraus: Unsere Wissenschaft muU die Gesetzmäßigkeiten in der Wechselwirkung von Meer und Land zu- sammenfassen, ja es gehört noch mehr dazu : Die Kräfte des ganzen Sonnensystems, ja des ganzen Weltalls, spielen mit hinein und müssen berück- sichtigt werden. Gehen wir in diesem Sinne forscliend weiter, so wird schließlich das ganze Weltall, als gesetz- mäßig geordnetes Ganzes, als Kosmos, das Ziel unserer Forschung und unsere Meeresforschung wächst sich damit zur Kosmologie aus. Diese umschließt dann alle die erwähnten Disziplinen, und noch einige mehr, als Teile. Eines der wichtigsten Kapitel der Kosmologie ist das vom Stoffwechsel des Kosmos. Der Stoff- wechsel eines Organismus kann nicht aus den Tiefen des menschlichen Gehirns durch Speku- lation erschlossen werden, daraus würden nur Hirngespinste ohne beweisende Kraft entstehen, sondern dazu bedarf es der (juantitativen Analyse. Ein Jahrhundert der Arbeit hat der Physiologie die Methoden gebracht und vervollkommnet, die zur Untersuchung des Stoffwechsels nötig waren. Untersuchungen über Stoffwechsel des Meeres hängen ebenso in der Luft, wie die eines lebenden Organismus, solange wir keine quantitativ ana- lytischen Methoden haben, welche gestatten, auch die Massenverhältnisse der Lebewesen im Ozean in Rechnung zu bringen, wie die eines einzelnen Tieres. Der Physiologe Hensen in Kiel hat diese PVagen zuerst in Angriff genommen. Sein Weitblick hat damit der Wissenschaft eine große neue Provinz erobert, und seine zähe .Ausdauer hat auch zu- gleich die Grundlage für die ([uantitativ analytischen Methoden geschaffen, durch die das neue Gebiet beackert und nutzbar gemacht werden kann. Galt es früher zu erforschen was für Lebe- wesen im Meere vorkommen, und wie sich ihr Leben abspielt, so ist nun weiter zu ermitteln, wie viele von jeder Art vorhanden sind, um dar- aus zu bestimmen, welchen Faktor sie in dem ganzen Rechenexempel des Zusammenlebens aller Lebewesen bilden. Es wurden nun nach den strengen Grundsätzen der quantitativen Analyse Stichproben aus den ver- schiedensten Meeresabschnitten, von dem Eismeere bis in die Tropen genommen, und daraus wurde bestimmt, nicht nur welche Organismen in jedem Abschnitt vorhanden sind, sondern auch wie viele von jeder Art in jedem Kubikmeter Meereswasser. Dabei stellte sich heraus, daß zwar überall auf der Hochsee nicht nur Tierleben sondern auch Pflanzenwuchs zu finden ist, daß aber nicht, wie man früher meist vermutet hatte, in den Tropen ein besonders großer Reichtum an lebender Sub- stanz zu finden ist, sondern im Gegenteil, daß dort eine auffallende Armut der Masse herrscht. Das war um so mehr überraschend, als doch die Tropensonne auf dem Lande eine viel größere Menge lebender Substanz hervorbringt als das schwache Licht der kalten Gebiete. Man sollte vermuten, daß auch im Wasser, dort, wo die meiste Sonnenenergie eingestrahlt wird, auch die meiste chemische Energie in P"orm von lebenden Wesen aufgestapelt werde. Wenn das nicht ge- schieht, so ist eine Unregelmäßigkeit in dem Stoff- wechsel zu vermuten, dessen Erklärung ein inter- essantes Problem der Meeresforschung bietet. Als Ursache war ein Stoffmangel zu vermuten. Von den vielen chemischen Grundstoffen, die die Pflanzen aufzunehmen vermögen, brauchen sie in Wirklichkeit nur sehr wenige. Diese Wenigen aber sind ihnen so unentbehrlich, daß, wenn nur eins derselben fehlt, der Mangel nicht durch Über- fluß aller übrigen ausgeglichen werden kann. Das Gedeihen richtet sich bei einem Mangel immer nur nach der vorhandenen Menge des im relativen Minimum vorhandenen -Stoffes. Gewöhnlich ist auf dem Lande der Gehalt des Bodens an Stick- stoffverbindungen, besonders an Salpeter, bestim- mend für das Gedeihen der Pflanzen. Diese Stick- stoftverbindungen werden vorwiegend gebraucht zur Herstellung der Eiweißkörper, aus denen die eigentlich lebenden und arbeitenden Teile der Pflanze vorwiegend bestehen. Wenn wir der Pflanze den Stickstoff vorenthalten, so berauben wir sie der Möglichkeit, die nötige Menge arbeitender Substanz auszubilden. Mangel an Arbeitern gibt Mangel an Arbeitsprodukten, selbst wenn wir ihr alle übrigen Stoffe im Überfluß zuführen. Wenn wir einer Pflanze Kohlensäure, Wasser, Sonnen- energie und alle übrigen Stoffe im Überfluß zur Verfügung stellen, aber ihr nicht die nötige Menge Stickstoffverbindungen geben, so befindet sie sich in einer ähnlichen Lage, wie eine Brauerei in die wir Gerste, Wasser, Kohlen im Überfluß hinein- schaffen, aber in die wir nicht zugleich die nötige Menge Arbeiter, die auch hier zumeist aus stick- stoffhaltigem Eiweiß bestehen, hineinschicken. Die eine produziert kein Bier, die andere keine Kohle- hydrate. Die ganzen Apparate und Vorräte liegen brach und können nur in dem Maße ausgenützt werden, als wir die Zahl der nötigen Arbeiter ver- mehren. Dieses Gesetz des Minimums gilt auch für das Gesamtleben des Meeres. Hensen hat vermutet, daß auch bei der unerwartet geringen Produktion des Tropenmeeres Stickst off mangel der aus- schlaggebende Faktor sei, und Brandt in Kiel, der diese Fragen neuerdings in hervorragender Wei.se bearbeitet , hat auch schon eine Erklärung für diesen Mangel gegeben, die einen interessanten Blick in die vielfachen Wechselwirkungen, die sich im Zusammenleben der Organismen abspielen, tun läßt. Daß die Pflanzen Mangel an Stickstoff leiden können, klingt sonderbar, da ja doch die ganze Atmosphäre zu ^ '.-, aus Stickstoff besteht. In dieser gasförmigen Gestalt vermag ihn die Pflanze aber nicht aufzunehmen, sondern nur wenn er schon in 712 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 45 Verbindung mit anderen Stoffen sich befindet. Der Stickstoff ist aber ein sehr spröder Geselle, der gar wenig Neigung hat, eine Verbindung einzu- gehen. Die Natur muß schon ihre schärfsten Mittel anwenden, um ihn zu beugen. Wenn der Blitzstrahl durch die Luft fährt, so werden kleine Mengen von Stickstoffverbindungen erzeugt. Diese gehen in den Boden über, werden von den Pflanzen aufgenommen, wandern mit diesen in die Tiere, gehen von diesen wieder in den Boden zurück, um wieder von Pflanzen aufgenommen zu wer- den. Durch die sich stetig wiederholenden Gewitter müßte allmählich eine Anreicherung des Bodens an Stickstoffverbindungen bewirkt werden. Dem wirkt die Löslichkeit der Stickstoffverbindungen entgegen. Sie wandern mit dem Regen zum Teil in das Grundwasser, dann in die Flüsse und schließ- lich in das Meer. Die Menge des Stickstoffs, der durch die Flüsse ins Meer geführt wird , ist nach Brandt so kolossal , daß trotz der Gewitter eine Ver- armung des Bodens, und damit Hunger, Elend, Tod für Pflanzen, Tiere und Menschen unvermeid- lich wäre, wenn nicht unter den vielen Pflanzen einige Wenige (es sind ein paar Bakterien, man nennt sie stickstoffbindende) imstande wären , elemen- taren Stickstoff in Verbindung überzuführen. Diese, die namentlich an den Wurzeln der I^eguminosen vorkommen und dort kleine knollenartige Ge- schwülste verursachen, sorgen für den Ersatz der durch die Ströme ins Meer geführten Stickstoff- verbindungen, und retten uns damit vor dem Hungertode. Das Meer müßte durch die stetige durch die Jahrtausende andauernde Stickstoffzufuhr für Pflan- zenwuchs schon unbrauchbar geworden sein, denn die Pflanze ist das Urbild der Mäßigkeit, eher er- trägt sie Hunger als Überfluß. Übermaß an Nähr- stoff ist ihr geradezu Gift. Dieser Vergiftung des Meeres durch Übermaß arbeiten nun wieder andere Bakterien entgegen, welche Stickstoffverbindungen aufnehmen und diese so weit zersetzen, daß elementarer Stickstoff wieder frei wird, der sich der Luft wieder beimischen kann. Diese Bakterien, man nennt sie denitrifi- zierende, sind nach Brandt die Ursache, daß trotz der steten Zufuhr im Meere doch nur geringe Spuren von Stickstoffverbindungen zu finden sind. Wenn nun, wie Brandt gefunden hat, die deni- trifizierenden Bakterien bei höherer Temperatur eine lebhaftere Tätigkeit entfalten als in niedrigerer, so erklärt dies ungezwungen den geringeren Ge- halt der wärmeren Meere an gebundenem Stick- stoff; es erklärt uns weiter, daß die Pflanzen, deren (Tcdeihen sich nach dem im Minimum vorhandenen Stickstoff richtet, in den wärmeren Meeren nur in geringerer Menge gedeihen können als in den kalten, wo die Tätigkeit dieser Bakterien geringer ist. Da nun auf dem Pflanzenwuchs alles tierische Leben beruht, so erklärt sich aus dieser Sache auch die geringere Masse an lebender Substanz überhaupt. Wir sind hiermit zu dem neuesten Gebiete der Meeresforschung auf kosmologischer Basis fort- geschritten. Noch wird dieses Problem heiß um- stritten, und schon öffnen sich neue Gesichtspunkte für die Erklärung von Erscheinungen, die ganz ab- seits davon zu liegen scheinen. Die Farbe des Meeres, von der wir in unserer Betrachtung ausgingen, schwankt, abgesehen von Fällen, die besonders zu betrachten sind, zwischen blauen und grünen Nuancen. Alle Versuche diese Schwankungen auf Salzgehalt usw. des Meerwassers zurückzuführen, haben bisher noch nicht zu be- friedigenden Resultaten geführt. Erst die Be- trachtung der Massenverhältnisse der Hochsee- pflanzen gaben mir den Weg zur Erklärung. Die Pflanzen sind ausgezeichnet durch grünen Farb- stoff. Nun war es ein einfacher Schluß, daß dort, wo viele der mikroskopisch kleinen Pflanzen dem an sich blauen Meerwasser beigemengt sind, die Farbe des Meeres von blau nach grün abändern muß und zwar in um so höherem Grade, als von diesen Pflanzen beigemengt sind. Unter Zugrundelegung der nach den Hensen- schen Methoden gewonnenen Meeresproben konnte ich nun rechnungsmäßig feststellen, daß dort, wo die größeren Pflanzenmengen gefunden wurden, auch zugleich die größeren Abweichungen der Farbe von blau nach grün sich zeigten, daß also die Farbe des Meeres unter anderen auch eine Funktion der Massen der darin enthaltenen mikro- skopisch kleinen Pflanzen ist. Wenn Brandts Ansicht von Wirkung und Wich- tigkeit der Bakterien im Meere richtig ist, so können wir jetzt weiter sagen, daß auch die blaue Farbe des tropischen gegenüber der grünlicheren des nordischen Meeres eine P^olge des besseren Gedeihens der denitrifizierenden Bakterien bei höherer Temperatur ist, oder mit anderen Worten, daß die Farbe des Meeres nicht nur eine Funktion des Chlorophyllgehalts, sondern auch der Tätig- keit der denitrifizierenden Bakterien ist, und weiter, daß sie abhängt, von dem Temperaturoptimum dieser Bakterien. Bei der Betrachtung dieser Verhältnisse sahen wir, daß eine Unmenge von Faktoren hier zu- sammenspielt, daß die verschiedenen Kräfte in buntem Gewirre hinüber und herüberwirken, und wieder hier und da verknüpft sind wie die Fäden eines kunstvollen Gewebes. Sonnenstrahlen , Ge- witter, Regenmenge, Menge der Leguminosen und ihrer Wurzelknöllchen auf dem Lande , Entwick- lungsgeschichte und physiologische Lebensbedin- gungen nicht nur der stickstoffbindenden und stickstoffentwickelnden Bakterien und des ganzen Heeres von Land- und Wasserpflanzen und Tieren, Salzgehalt und Farbe des Wassers sind unter sich und kreuzweise so oft und so innig miteinander verknüpft und voneinander abhängig, daß nur N. F. m. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 713 ein Glied aus der vielgestaltigen Kette gelöst zu werden braucht, um das ganze Aussehen unseres Planeten wesentlich umzugestalten. Wenn wir dann weiter sehen, daß trotz dieser tausendfach verknüpften, in stetem labilem Gleich- gewicht befindlichen Zustände dennoch das Aus- sehen und das Leben der Erde sich Jahr für Jahr in gleichen Grenzen bewegt, so ist dies nur mög- lich durch eine über alle Wunder gehende F'ein- heit der Abstimmung aller Faktoren des Weltalls zu einem harmonischen, stets wechselnden und doch stets sich erneuernden Ganzen, einem wirklichen Kosmos, in den wir nun nicht bloß die großen Weltkörper, Sonne, Mond, Erde und die unorganische Natur, sondern auch das unendlich verwickelte und vielgestaltete Leben des ganzen Landes und des ganzen Meeres mit hineinziehen müssen. Und diesen Kosmos in seinen großen Ge- setzen zu erforschen, dazu ist die Meeresforschung in hervorragendem Maße berufen, sie wird da- durch ein Teil der größten, umfassendsten Wissen- schaft, der Kosmologie. Kleinere Mitteilungen. Noch einmal die Mainzer Sandflora. — In Nr. 1 2 dieses Jahrganges wendet sich Ernst H. L. Krause gegen die von Jännicke aufgestellte Ansicht, daß die Flora des Mainzer .Sandgebietes als ein Relikt aus jener warmen und trockenen Periode im Leben unseres Planeten aufzufassen sei, die man nach Nehring's Vorgange die Steppenzeit nennt. Seine Besprechung der einzelnen Punkte, die er für seine gegenteilige Meinung anführt, scheint mir jedoch nicht derart überzeugend, daß sie diese Auffassung über den Haufen werfen könnte. Bei der großen Anzahl der östlichen Arten, die selbst noch im unteren und mittleren Teile des Nahegebietes in Menge vorkommen, muß doch diese Gegend zweifellos als letzte westliche Aus- strahlung der pontischen Flora angesehen werden. Und wenn nun gerade in der regenarmen Mainzer Sandgegend so viele notorische Steppenpflanzen des Südostens und der ungarischen Ebene „im charakteristischen Verbände" zusammenstehen, so war wohl nach den eingehenden Studien von I^öw und Drude der Gedanke an einen ehemaligen Zusammenhang mit jenen Gebieten gewiß nicht allzu fernliegend. Wenn nun Jännicke in der Auf- zählung der Arten auch zwei aus dem Südwesten mit untergelaufen sind [Seduin reflexuin und Wein- gärtneria canescens), so kann das doch wohl kaum die ganze Sache erschüttern, zumal dieselben auch dort, letztere auch in Ungarn, als Steppenpflanzen auftreten. Daß Jännicke's Meinung durch die Ver- öffentlichungen von Nehring gefestigt wurde, ist wohl ohne weiteres klar, zumal ja auch der be- kannte Frankfurter Entomologe v. Heyden rezente Käfer der südosteuropäischen Steppenfauna in der Mainzer Sandgegend nachgewiesen hat. Da nun endlich auch noch die Richthofen'sche Theorie der Lößbildung auf den ehemaligen Steppencharakter der Gegend hinweist, so sind das gewiß der Tat- sachen so viele, daß sich kaum noch an der Richtig- keit der Steppentheorie zweifeln läßt. Wenn wir nun das, was Krause dagegen'anführt, im einzelnen ansehen, so ist nicht zu verkennen, daß manches auf den ersten Blick geeignet sein kann, Zweifel daran zu erregen. Zunächst ist es das dortige Vorkommen der Kiefer, die Krause nicht als Steppenpflanze gelten lassen will. Aber wo hat Jännicke das behauptet? Er zählt sie ja unter den Charakterpflanzen der Steppe überhaupt nicht auf! Wie von anderen Florengebieten aus Ein- wanderungen stattgehabt haben, so kann doch dieser Baum auch in späterer Zeit hierher ge- kommen sein. Kiefernwälder hat es zwar schon in ältester historischer Zeit in der rheinischen Ebene gegeben;^) bekannt aber ist es, daß diese sich erst im letzten Jahrhundert beträchtlich aus- gedehnt haben. Unmöglich ist es auch nicht, daß der Mensch diesen genügsamen Baum hierher ge- bracht hat, worauf doch immerhin seine forstliche, wenn auch „vernachlässigte" Kultur hinweist. Daß auch hier die Kiefer nicht in das eigentliche „Steppengebiet" gehört, sondern es nur einengt und umrahmt, dafür folgende Tatsache. Onosina, von der stets weiter fortschreitenden Bodenkultur immer weiter zurückgedrängt, findet sich meist nur noch an den Rändern der Waldparzellen, seltener im eigentlichen Walde, wo sie auch fast nie zum Blühen kommt. Nur wenn durch Holzschlag einmal eine Stelle darin frei wird, dann taucht die Pflanze da oft in Menge auf und hält sich eine Zeit lang. Wie mit der Kiefer steht es auch mit der von Krause besprochenen Poa alpina ; auch diese Pflanze erwähnt Jännicke überhaupt nicht. Bei einigen der aufgeführten Arten kann ja auch noch eine andere Herkunft denkbar sein, das braucht gar nicht in Abrede gestellt zu werden ; aber auch das kann das Ergebnis im großen und ganzen wohl kaum ändern. f.' Aber wie steht es denn nun mit den „aller- dings rein östlichen" Arten, deren uraltes Vor- handensein Krause bezweifelt und auf neuere Ein- wanderung durch den Verkehr zu gründen sucht. Von Planiago arenaria gibt er 18 12 als Jahr des ersten Auftretens an, von Salsola kali 1814, und bemerkt dazu, daß Oiiosma noch später entdeckt worden sei. Krause's Vermutung, die Truppen- bewegungen der napoleonischen Zeit könnten die Pflanzen dorthin gebracht haben, kann ja richtig sein, ihr Bekanntwerden erst um diese Zeit kaim aber auch darauf beruhen, daß sie bis dahin über- sehen worden sind. Zweifellos irrtümlich aber ist eine Angabe über Onosma, denn diese Pflanze gibt ') Karl der Grofie hat im ,,Foraha" (Föhrenwald) zwischen Trebur und Darmstadt Jagden abgehalten. 714 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 45 Borkhausen bereits 1794 „satis copiose in arenosis praesertim pineti ') inter Moguntium et pagum Mom- bach" an. Die anderen Arten sind meist solche, die durch Unscheinbarkeit ihrer Blüten leicht über- sehen werden konnten, zumal in jenen Zeiten, wo man nicht so eifrig wie heut die Lokalfloren durch- forschte, womit man bekanntlich erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts begonnen hatte. Für die be- nachbarte Pfalz hat Pollich schon 1776 das grund- legende Pflanzeninventarium aufgestellt, eine Flora für das uns hier interessierende Gebiet ist erst viel später erschienen, und so sind wir dafür nur auf gelegentliche Nachrichten angewiesen. Daß dabei unscheinbare Florenbürger schlecht wegkommen, ist klar, während natürlich ein so auffallender wie Adonis 'oernalis nicht übersehen werden konnte, der darum auch schon vor Jahrhunderten in den Kräuter- büchern beschrieben und abgebildet worden ist. Von dem Nichterwähnen einer Pflanze für eine gewisse Gegend aber einen Schluß auf ihr Nicht- vorkommen daselbst machen zu wollen, das halte ich für durchaus falsch, zumal die größeren bo- tanischen Werke des 18. Jahrhunderts vereinzelte Vorkommen fast nie erwähnen. Dazu kommt, daß selbst in gut durchforschten Gebieten noch viel später sogar weit verbreitete und gut unter- scheidbare Arten von namhaften Botanikern über- sehen worden sind. Als Beispiel möchte ich Pastinaca opaca anführen. 1884 in wenigen Stöcken von mir bei Kreuznach gefunden, habe ich die statt- liche Pflanze später im unteren und mittleren Nahegebiet in großer Menge nachgewiesen. Daß sie erst seit dieser Zeit hier wachse, wird wohl kaum behauptet werden können. Ist es nun da zu verwundern, wenn die unbedeutenden Gestalten des Sandgebietes erst im Anfange des 19. Jahr- hunderts die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.? Übrigens ist eine derselben schon früher aus dieser Gegend bekannt geworden , nämlich Kochia arenaria Rotit. Pollich hatte sie dort ge- funden, sie aber für Cainpliorosnia monspeliaca L. gehalten; von H. Märklin wurde sie im I. Bande der Schriften der Regensburger botanischen Ge- sellschaft 1792 als Sa/sola arenaria beschrieben und später noch hat sie Roth (1800) im Journal für die Botanik, herausgegeben von Schrader, als Kochia arenaria zum Vertreter einer eigenen Gattung erhoben. Mit dem Krause'schen Schlußworte, daß es von großem Interesse wäre, Nachrichten über das Aus- sehen des Sandgebietes in früherer Zeit zu finden, schließe auch ich meine Ausführungen, allerdings in der Hoffnung, durch dieselben die von Jännicke aufgestellte Steppenreliktstheorie bestätigt zu sehen. L. Geisenheyner. ') Das widerspricht allerdings meiner obigen .-Angabe. Aber die von mir beobachtete Tatsache haben mir auch genaue Kenner der heutigen Sandgegend bestätigt. sehen Verhältnisse gibt unsHolmgren in einem Aufsatze der Zoolog. Jahrbücher. Die meisten Insekten legen Eier, Viviparität findet sich nur ausnahmsweise, und wenn sie auftritt, so hat sie bestimmte Veränderungen im inneren Bau der Ge- schlechtsorgane zur Folge. So können wir be- merken, daß die parthenogenetisch sich vermehren- den Sommergenerationen der Blattläuse, deren Eier also nicht befruchtet werden und deren Junge ihre Entwicklung direkt in den Eiröhren durch- machen, keine Samentasche besitzen, welche den im Herbste auftretenden befruchtungsfähigen und eierlegenden Weibchen sehr wohl zukommt. Unter den Netzflüglern ist nur eine einzige vivipare Form bekannt, zahlreicher sind solche dagegen unter den Blattiden, welche dann die von den Oviparen Arten in der Genitalöffnung herumgetragenen Eikapseln in der gewaltig aufgetriebenen Scheide bis zur Beendigung der Embryonalentwicklung behalten. Vivipare Käfer finden sich nur in den Familien der Staph)'linideii und Chrysomeliden, und auch hier kann, wie beispielsweise bei viviparen Chryso- mela-Arten, die Samentasche fehlen. Befruchtung und Embryonalentwicklung erfolgt in dem unteren Abschnitt der Eiröhren. Und das gleiche findet bei den viviparen Cocciden (Hemipteren) statt, doch ist hier eine, wenn auch großenteils funk- tionslose Samentasche noch vorhanden. Weit häufiger als in den bisher genannten Gruppen ist Viviparität bei den Fliegen, sie findet sich neben Oviparität bei Oestriden, Tachiniden, Dexiiden, Sarcophagiden und Museiden, ausschließlich ferner bei den Pupiparen. Bei allen ist die Scheide zu einer Art Uterus, zu einem Brutsack umgewandelt, wie es sehr typisch beispielsweise Sarcophaga carnaria zeigt. Die spindelförmige Scheide besitzt hier neben drei von Sperma erfüllten Samenkapseln und einigen Anhangsdrüsen einen mächtigen Blind- sack, der sich mit einer länglichen Öffnung in die Scheide öffnet und die Eier nach ihrer Be- Ovarien Samenkapsel] Anhangs- drüsen ■- Seh Eine Übersicht der viviparen Insekten unter besonderer Beachtung der vergleichend -anatomi- Brutsack Fig. I. Weibliche Geschlechtsorgane von Sarcophaga carnaria. N. F. m. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 715 fruchtung aufnimmt. Hier schlüpfen aucii die Larven aus und dehnen bei ihrem allmählichen Heranwachsen die Wände des Bliiidsackes mächtig aus, bis sie endlich an faulende Substanzen ab- gesetzt werden. In einer anderen Weise wird bei Tachina grossa die Scheide zum Uterus umge- wandelt, insofern sie zwei bis drei Spiraltouren be- schreibt, in welchen eine größere Zahl von Eiern dann Ovarium Brutsack Fig. 2. \Veil)liche Geschlechtsorgane von Tachina grossa. Platz findet. Bei den Oviparen Tachinen ist da- gegen die Scheide nur kurz. Bei den Fliegen tritt auch die eigentümliche P>scheinung der gelegent- lichen Viviparität auf, so namentlich bei Musca vomitoria. Wenn nämlich das Weibchen hier beim Eierlegen gestört wird, so behält es das Ei in dem hinteren Scheidenabschnitt bei sich, und bei der rapiden Entwicklung der Fliegeneier kann es dann vorkommen, daß die junge Larve hier schon ausgekrochen ist, ehe die definitive Ablage erfolgt. Und bei den Pupiparen (Melophagus) endlich ist es sogar zu einer intrauterinen Er- nährung der Larve gekommen. Auch hier ist ein Teil der Scheide zum Uterus umgewandelt, in welchem die ausgeschlüpfte Larve liegt; sie berührt mit ihrer Mundöfi'nung die Mündung einiger be- sonderen Drüsengebilde (umgewandelter Samen- taschen), welche Nahrungsstoffe für die Larve ab- sondern. — \'on Schmetterlingen wird eine brasili- anische Motte als vivipar beschrieben, und von sonstigen Insekten wären als vivipare P'ormen nur noch die auf Bienen und Wespen schmarotzenden Fächerflügler (Strepsipteren) zu erwähnen. Als Ausgangspunkt ist für die Erwerbung der Viviparität die gelegentliche Viviparität anzunehmen, wie sie bei Musca vomitoria besteht. .Stets kann hier nur eine Larve geboren werden, da die kurze Scheide inehrere derselben nicht zu fassen vermag. Allmählich bildete sich dann unter Verlängerung oder Erweiterung der Scheide ein Brutsack aus, der nunmehr eine größere Zahl von Jungen gleich- zeitig enthalten konnte. Und damit war die Mög- keit gegeben, eine größere Zahl völlig ausgebildeter Larven schnell und sicher an günstigen Orten ab- zusetzen, was sowohl für die Alutter wie vor allem für die Larven in mancherlei Hinsicht von Vorteil war. Dies gilt wenigstens für die Fliegen, während für die Viviparität mancher anderen Formen, bei- spielsweise der ChrysoiTieliden und Cocciden, ein plausibler Grund zurzeit kaum aufzufinden ist. J. Meisenheimer. Ein auffallendes Beispiel der Anpassung einer Pflanze an veränderte Bodenverhält- nisse bieten das Schneeglöckchen und die Knotenblume (Märzglöckchen) Galanthus ni- valis und Leucojum vernum. — Erstere Pflanze habe ich nicht wildwachsend angetroffen, dagegen kannte ich seit meiner Jugendzeit zwei Stellen, an denen Leucojum vernum wuchs. Ein sumpfiger Erlenbruch scheint der einzig geeignete Boden zu sein , auf welchem die Pflanze sich dauernd be- haupten kann, denn an den beiden erwähnten Stellen ist nach Einebnung und Entwässerung des Grundes die beliebte Frühlingspflanze mit den Erlen verschwunden. Vor zwei Jahren nun bekam ich Kenntnis' von einem noch ausgedehnten Erlengrund an der Chaussee zwischen Stadthagen und Rodenberg, wo die Pflanze massenhaft gedeiht. Im voraus- gegangenen und im letzten Frühjahre gruben ein Kollege und ich uns dort Pflanzen aus, um sie in unsere Gärten zu versetzen. In beiden Jahren fanden wir Zwiebeln , die sich in eigentümlicher Weise den Bodenverhältnissen angepaßt hatten. In den von der Pflanze bewohnten Erlenbrüchen bieten die sonstige Bodenbeschaflenheit und die reichlich sich dort an der Erde ansammelnden trockenen Zweige der Erlen so recht die Gelegen- heit , daß ein stärkerer Gewitterregen oder die Schmelzwasser des Schnees hier oder dort einen Damm bauen , welcher veranlaßt , daß oberhalb desselben sich eine neue Erd- und Schlammschicht ablagert. So wird leicht der Fall eintreten , daß die Zwiebeln der dort wachsenden Märzglöckchen zu hoch mit Erde bedeckt werden. Doch die Pflanze weiß sich in eigener Weise zu helfen. Um für kommende Jahre den für das Durchwachsen einer so tiefen Bodenschicht erforderlichen un- nützen Kraftaufwand und die Gefahr des Erstickens und Faulens zu vermeiden, bildet sie in entspre- chender Höhe über der alten Zwiebel eine neue. Derartige Neubildungen von Zwiebeln haben wir in größerer Zahl dort in beiden Jahren be- obachtet. Der auffälligste Fall ist in ' ., der natür- lichen Größe in der Figur nachgezeichnet. Die alte Mutterzwiebel a war wohl bei einer der oben an- gegebenen Veranlassung mit dem Kopfende nach unten zu tief in den Boden geraten. Der aus ihr entsprossene , im Bogen zum Licht auf- strebende Trieb bildete darum bei b eine neue Zwiebel; da jedoch auch diese noch zu tief im Boden lagerte, vielleicht auch bei einer neuen Katastrophe noch einmal von Schlamm überlagert wurde, so mußte noch einmal eine neue Zwiebel bei c gebildet werden. Als ich die Pflanze aus- grub waren die Schalen der Zwiebel a schon welk und kraftlos, während b und c gesund er- 7i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 45 schienen. Jetzt, einige Monate nachher, ist bei der getrockneten Pflanze auch die Zwiebel b welk, während c hart geblieben ist. Auffällig war mir dabei noch, daß an dem Stengelteil zwischen a und b die Gefäßbündel sich direkt in Wurzel- fasern umgebildet zu haben scheinen. Ob eine derartige Umbildung vorkommt, weiß ich nicht, dem Äußeren nach war es so. Selbstverständlich bewahrte ich das betreffende Exemplar auf. Die kleinen Nebenzeichnungen stellen ähnliche Neubildungen von Zwiebeln oberhalb der alten dar, welche ich vor Jahren in meinem Garten in Gollnow bei Galanthus nivalis (gefüllte Varietät) beobachtete. Nach der Vegetationszeit hob ich einen starken Busch dieser Pflanze aus einem Beete aus, welches im Herbst vorher durch eine Aufschüttung um etwa lo cm erhöht worden war. Die Mehrzahl der Zwiebeln jenes Busches zeigte eine Neubildung von Zwiebeln, wie sie in der Nebenzeichnung nachgebildet ist, die ich nach Zwiebeln gezeichnet habe, die in den Sammlungen des Bückeburger Gymnasiums aufbewahrt sind. ') Im Anschluß hieran möchte ich noch einen Fall staunenswerter Widerstandsfähigkeit eines Zwiebelgewächses bei Verletzungen erwähnen. Beim Lockern eines Rosenbeetes durchstach ich mit scharfem Spatenstich eine sehr kräftige, über fauststarke Zwiebel von Hyacinthus candicans, ') Eingehend behandelt wurde der obige Gegenstand von Massart, ,,Comment les plantes vivaees maintiennent leur niveau souterrain." (Bull. Jard. Bot. Bruxelles 1903.) — Red. welche unter der Erde schon einen 5 — /cm langen, fingerdicken Trieb angesetzt hatte, in fast horizon- taler Richtung etwa in der Mitte. Zu einem Zu- schauer , der sein Bedauern aussprach , sagte ich mehr im Scherz als im Ernst, ,,das schadet nichts, das heilt alles wieder an", legte die Zwiebelteile wieder aufeinander und ebnete den Boden ein. Ich war dann erstaunt, als an der betreffenden Stelle e i n kräftiger Schaft bis zu i ^/^ m Höhe hervorwuchs und glaubte, es würde eine zweite Zwiebel an der Stelle im Boden gelegen haben. Im Herbst aber stellte ich fest, daß tatsächlich die verletzte Zwiebel den kräftigen Trieb hervor- gebracht hatte. Die Heilung war ganz glatt er- folgt, nur die alleräußersten Zwiebelblätter waren nicht verheilt und zeigten deutlich die alte Schnitt- ebene. Die betreffende Zwiebel ist mir leider abhanden gekommen. Max Ballerstedt. Bekanntlich wirft der Weberknecht (Phalan- gium opilio L.), wenn er an einem seiner langen Beine gefaßt wird, dies ab, um so der Gefangen- schaft und dem Tode entgehen zu können. In- dem ich hieran dachte, als ich am 6. September 1903 zu Winningen a. Mosel an einer Wand un- gewöhnlich viele Weberknechte bemerkte , kam mir der Gedanke, einmal zu zählen, wie viele dieser Tiere ihre normale Beinzahl noch besäßen. Da zeigte sich , daß unter den 1 3 vorhandenen Exemplaren 5 nur je 7 Beine hatten. 38,5 <''„ der beobachteten Individuen waren also bereits in der Lage gewesen, ein Bein abwerfen zu müssen, um das Leben zu retten. Hieraus geht hervor, daß die Selbstverstümmelung bei Phalangium opilio eine wesentliche Rolle spielt. Bemerkt sei , daß das in Frage stehende Haus im allgemeinen nur von Erwachsenen bewohnt wird, eine mutwillige Verstümmelung der Tiere durch Kinder also un- wahrscheinlich ist. Oberlehrer Dr. Schlickum. Von der täglichen Sonnenscheindauer, deren Kenntnis nicht nur an sich, sondern auch für die Frage der Einwirkung der klimatischen Verhält- nisse auf die Verbreitung von Krankheiten von Interesse ist, haben wir bisher noch wenig zu- sammenfassende LIntersuchungen zu verzeichnen. Pfarrer Aug. Eichhorn in Taupadel bei Jena hat nun in einer Dissertation über die Sonnen- scheindauer in Europa, insbesondere in Deutsch- land, geschrieben und eine Sonnenscheindauer- karte entworfen. Er ist sich durchaus klar dar- über, daß das bisher von den Heliographenstationen gelieferte Material für die Herstellung einer un- bedingt richtigen Isohelien-Karte durchaus noch nicht genügt und daß an den von ihm gezeich- neten Kurven noch bedeutende Berichtigungen mit der Zeit nötig werden dürften, immerhin aber ist der Versuch bei der Sorgfalt, mit der der Verf. zu Werke geht, bedeutend genug, um in seinen Ergebnissen Beachtung zu finden. Er benutzt die Aufzeichnungen der 39 heliograpliischen Stationen, die sich mit Ausnahme von Bayern, N. F. m. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 717 das noch keine Station aufzuweisen hat, über ganz Deutschland verteilen. Bemerkt sei auch, daß alle CaiTi[)bell-Stokes'schen Apparate, mit denen die Stationen arbeiten, nur die Dauer, nicht die Intensität der Sonnenscheinbelichtung angeben ; auch beginnt der Apparat meist erst einige Zeit nach Sonnenaufgang seine Aufzeichnungen und hört einige Zeit vor Sonnenuntergang auf, auch kurze Sonnenscheindauer inmitten des Tages wird oft nicht deutlich genug aufgezeichnet, um abgelesen werden zu können. Nach dem bisher vorliegenden Material sind die Unterschiede zwischen verschiedenen Jahren recht beträchtlich, z. B. sind in Chemnitz schon Unterschiede von 440,8, in Jena von 577,7 Stunden bemerkt worden, in IVIeldorf dagegen nur von 216,9 Stunden. Erst eine noch längere Reihe von Beobachtungsjahren wird also unanfechtbare Ver- gleichsziffern bringen, f^ine Grundlage aber ist jetzt gegeben, auf der weiter gebaut werden kann, eine Grundlage, die durch Beobachtungen belegte Tat- sachen der weiteren Nachprüfung zurVerfügung stellt und auf annähernde Richtigkeit wohl Anspruch machen darf. In Deutschland finden wir drei Insola- tionszentren, die von besonders langer Sonnenschein- dauer begünstigt sind; es ist dies ein großer Land- strich, der sich von Kolbergermünde nach Samter hinzieht, ein Gebiet umLeobschützinOberschlesien, und das Saaltalgebiet um Jena. Diese Gebiete stehen mit einer durchschnittlichen Tagesdauer von 4,8 -Stunden obenan ; es folgen ein langgezogener Strich im Rheintal von Rastatt bis Wiesbaden und einer im Nordwesten von Celle nach Meldorf mit 4,7 Stunden täglicher Sonnenscheindauer. Die Gegenden mit dem spärlichsten Sonnenschein liegen um Aachen, um Chemnitz und um Cassel mit 4,2 Stunden, ja um den Inselsberg mit nur 4,0 Stunden täglich, abgesehen von einigen Großstädten wie Hamburg (3,5) und Stuttgart (3,6), für die, wie wir gleich sehen werden, besondere Verhältnisse vorliegen. Denn weniger die allgemeinen Ver- hältnisse der Lage als ganz besondere Gründe sind es, die für die Sonnenscheindauer von Bedeutung sind. So haben Großstädte sowie industriereiche Gegenden ein bedeutendes Minus an Insolations- dauer schon allein wegen der Staub- und Ruß- entwicklung, die eine Verdunkelung bis zu 75 % ausmachen können. Es ist berechnet worden, daß sich in der Luft über dem Atlantischen Ozean 72 Staubkörperchen auf ; ccm fanden, 381 in den Alpen, 500 auf dem Lande bei klarer Luft, bei dicker Luft bis zu 5000, während Paris 160 000 bis 210000, London 1 16000 bis 480000 aufwies. Da Steinkohlenpartikelchen hier ganz besonders mitsprechen, so erklärt sich leicht die Lichtver- deckung in dem Industrie- und schififsverkehrreichen Hamburg, in Chemnitz usw. Die geringe Sonnen- scheindauer am Inselsberg wie überhaupt in der Nähe aller Gebirge, beruhte naturgemäß auf der reicheren Wolkenbildung vor den Höhenzügen ; auch ungünstige Lage der Beobachtungsstation (Stuttgart; denn das nahe gelegene Hohenheim hat die Durchschnittsziffer von 4,4) fällt ins Ge- wicht. Abgesehen von diesen besonderen Gründen aber ist die allgemeine Meinung von dem trüben Norden und dem sonnigen Süden zutreffend ; denn während England und Dänemark Durchschnitts- ziffern von 3,3 aufweisen und in Deutschland, wie wir sahen, Grenzwerte von 4,2 bis 4,8 gelten, zeigt die Schweiz schon 4,7 (Basel) bis 6,1 (Lugano), Italien 5,6 (Padua) bis 7,6 (Pola) und das Maximum in Europa hat Madrid mit 8,0 Stunden täglicher Durchschnittssonnenscheindauer. Daneben zeigt sich nach Osten zu auch bei gleicher nordsüdlicher Höhe eine kleine Zunahme der Sonnenscheindauer. Auch für den Winter hat Eichhorn eine Karte entworfen, und hier stehen wieder die Rheinebene von Poppeisdorf bis Basel, die Gebiete um Leobschütz und Jena als sonnenreichste Gegenden obenan, während zwei große Minima sich im ostpreußischen Seengebiet und in Mecklenburg bis Hamburg zeigen. Der Grund hierfür ist leicht in dem Vorherrschen der Nebeltage zu finden. Die Untersuchungen sind für die Kenntnis von dem Reichtum der Luft an pathogenen Keimen und für die Wahl von Gegenden für Lungenheilstätten von großer Be- deutung. A. Elster. Ein Fortschritt im Bau des Kinemato- graphen. — Die nicht berufsmäßig geübte Photo- graphie, die sogenannte Amateur- oder Liebhaber- photographie hat in den letzten Jahrzehnten einen außerordentlich großen Aufschwung genommen, sie ist zu einem Werte — auch für die Wissen- schaft — gelangt, den man ihr in früheren Jahren vorhersagen zu können nie geglaubt haben würde. Wie das Experiment im allgemeinen alle jene Wissenschaften , die sich seiner bedienen können, gewaltigen V^orsprung gewinnen ließ gegen die Disziplinen, denen die Anwendung desselben verschlossen ist, wie ferner jedwede wissenschaft- liche .Auseinandersetzung durch die Demonstration ad oculos hervorragenden Wert erhält, so ist ganz im besonderen die Länder- und Völkerkunde an der Nutzbarmachung der Photographie interessiert. Seit langem schon bildet für alle Zweige der geographischen Wissenschaft neben der Karte die photographische Aufnahme ein Anschauungsmittel, dessen man nicht mehr entbehren kann. Und dieses Anschauungsmittel erfährt fast täglich wert- volle Bereicherungen , denn kaum noch geht ein Reisender in ferne Länder, der nicht des Photo- graphierens mächtig ist, der nicht irgend eine Camera mit sich führt. Dieses jüngste Hilfsmittel der geographischen Wissenschaft ist gerade um deswillen so ergebnisreich, weil bei seiner Anwen- dung die Notwendigkeit wissenschaftlicher Vor- bildung, die Voraussetzung eines geschulten Blickes für das, was erforderlich, nicht absolute Bedingung ist. Während für den Entwurf einer Karte es notwendig ist, daß der Entwerfende sowohl, wie derjenige, der die für den Entwurf erforder- lichen Einzelheiten sammelt, gewisse kartographi- sche Kenntnisse besitzen, daß dieselben mit den Regeln und Gesetzen der Geländedarstellung, der 715 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 45 Wiedergabe der Situation vertraut sind, wird man ohne weiteres annehmen können , daß ein nur halbwegs mit Verständnis für das von der Natur und den Verhältnissen Gebotene reisender Tourist sicher unter lOO photographischen Aufnahmen etwa 75 mit heimbringt, die neue Aufschlüsse über Geländekonfiguration, über Vegetation, über die Bewohner oder über die Tierwelt der be- treffenden Gegend zu geben imstande sind. Kaum nocli wird ein Vortrag über Forschungs- reisen geboten, der nicht durch das Bild illustriert ist und selbst der Vergnügungsreisende und Tourist ist bestrebt, seinen Berichten durch die bildhche Vorführung der zu schildernden Natur, der zu be- sprechenden Volkstypen ein Leben zu verleihen, das den der Bilder entbehrenden Berichten abgeht. Wie das gesprochene Wort sich vor dem toten auszeichnet, wie die mündliche Erzählung sich vor dem sciiriftlichen Bericht auszeichnet, so etwa stellt sich der von Bildern begleitete Vortrag zu demjenigen, der auf diese verzichten muß. Es ist nun aber wohl als gewiß anzunehmen, daß ein das Leben in der Bewegung wiedergeben- des Bild noch bei weitem anregender, fesselnder wirken muß, als ein solches, das nur Augenblicke, nur Momente zur Darstellung bringt, es ist klar, daf5 einer kinematographischen Aufnahme bei weitem mehr Wert innewohnt, als einer Moment- aufnahme, die den Gegenstand in so kurzer Zeit der Bewegung festhält, daß diese dem Ruhezustand gleichkommt. Kinematographische Aufnahmen haben denn auch seit der Erfindung des Kinematographen in der Erforschung gewisser wissenschaftlicher Vor- gänge, gewisser physikalischer und physiologischer Erscheinungen eine außerordentliche Umwälzung hervorgebracht, haben die betreffenden Unter- suchungen in hervorragender Weise gefördert, haben die Behandlung derselben im hohen Grade erleichtert. Aber die Anwendung des Kinemato- graphen war bislier eine nur sehr beschränkte. Der große Umfang, die komplizierte Einrichtung und der hohe Preis schlössen ihn von der Ver- wendung durch „Liebhaberphotographen" fast vollständig aus. Erst in neuester Zeit ist es einer Dresdner Fabrik, und zwar der des Herrn Erne- mann, gelungen, einen kinematographischen Appa- rat herzustellen, der sich auch für den Gebraucli nicht berufsmäßig gebildeter Photographen eignet. Für wissenschaftliche P'orschungen und Demon- strationen, soweit sie nicht auf das Gebiet der Länder- und Völkerkunde entfallen , wird selbst- verständlich nach wie vor der von der Hand des Fachmannes geleitete Apparat verwendet werden müssen; für den Reisenden aber, der aus über- seeischen Gebieten, aus den Kolonien namentlich Bilder mitbringt, wird der neukonstruierte Apparat ebenso wichtige Dienste leisten , wie für den Touristen , der sich innerhalb Europas bevi'egt. Namentlich für die Darstellung von wildbewegten Religionsübungen, von Ratsversammlungen usw. fremder Völkerschaften ist er ebenso von Wert, wie für die Aufnahme von Gegenden, in denen sich auch nur einigermaßen Leben bemerkbar macht. Der neue aus der Camerafabrik des Herrn Ernemann stammende Apparat, der in den letzten Wochen überall da, wo er vorgeführt wurde, ein ganz be- sonderes Bemerken für sich in Anspruch zu neh- men wußte, wird in absehbarer Zeit bei keinem Vortrag über Gegenstände der geographischen Wissenschaften mehr fehlen dürfen , wie er nicht minder sich auch bald als Unterrichtsmittel in der .Schule eine hervorragende Stellung erwerben dürfte. Oberstleutnant Hübner. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Der VI. internationale Physiologen-Kongreß wird vom 30. ."^ug. bis 3. Sept. in Brüssel unter dem Vorsitz von Professor Paul Heger abgehalten werden. Der VIII. internationale Ge o gr a p h en- K o ngr eß wird vom 8. — lo. Sept. 1904 in Washington stattfinden. Am 12. findet eine Sitzung in Philadelphia statt, am 13. — 1 S- werden die Verhandlungen in New-\'ork fortgesetzt. .\m 16. erfolgt der Besuch des Niagarafalles; am 17. ist eine Fest- sitzung in Chicago und am 19. und 20. werden die Verhand- lungen im Anschluß an den Kongreß für Kunst und Wissen- schaft auf der Weltausstellung in St. Louis geschlossen. Wenn sich genügend Teilnehmer finden, wird ein Ausflug nach dem Fernen Westen über jMe.\ico , Santa Fe, Grand Canyon des Colorado nach S. Francisco unternommen werden, von wo die Rückkehr auf beliebiger Route erfolgen kann. Das Komitee bemüht sich, sowohl für die Überfahrt nach Amerika, wie auch für den Aufenthalt und die Bahnfahrten in den Vereinigten Staaten A'orzugsbedingungen zu erreichen. Der Kongreß gliedert sich in 9 Sektionen: I. Physikalische Geo- graphie; 2. Mathematische Geographie; 3. Biogeographie; 4. Anthropogeographie; j. Beschreibende Erdkunde mit Ein- schluß von Reisen und Vermessungen ; 6. Geographische Technologie mit Einschluß von Kartographie, Bibliographie ; 7. Wirtschaftsgeographie; 8. Geschichte der Geographie; 9. Geographischer Unterricht. Die Mitgliedskarte kostet 20 Mark. Der Sitz des Komitees, von dem die näheren Mit- teilungen, Programme usw. zu beziehen sind , ist Washington O. C, Hubbard Memorial Hall. (Nach der Leopoldina.) Bücherbesprechungen. 1) Carl Detto, Dr. i)hil. , Assist, am bot;in. Institut d. Univ. Jena, Die Theorie der direkten Anpassung und ihre Bedeutung für das Anpassungs- und Deszendenzprobleni. Versuch einer methodologischen Kritik des Erklä- rungsprinzipes und der botanischen Tatsachen des Lamarekismus. Mit 17 Abb. Gustav Fischer in Jena, 1904. — Preis 4 Mk. 2) Hermann Friedmann, D i e K ( i ii v e r g e n z der Organismen. Eine empirisch begründete Theorie als Eisatz für die Abstammungslelne. Berlin (Ge- hrüder Paetel) 1904. — Preis 5 Mk. 3) Alfred Giard, Controverses Transfor- mistes. Avec 23 figures. C. Naud, t-diteur ä 1904. — Prix 7 franCS. 4) W. Johannsen, Professor der Pflanzeilphysiologie an der kgl. dänischen landwirtschaftliclien Hoch- schule in Kopenhagen, Über Erblichkeit in Populationen und in reinen Linien. Ein Beitrag zur Beleuchtung schwebender Selektions- N. F. ni. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 719 fragen. Verlag von Gustav Fischer in Jena 1903. — Preis 1,50 Mk. i) Detto versucht die Unzulässigkeit des Lamar- ckismus zu erweisen, also jener Theorie, die aus einer direkten Anpassung der Organismen an eine verän- derte Umgebung die Entstehung der Arten annimmt. Es ist gewiß gut , daß Verf. sich zunächst bemüht, seine für den Ciegenstand grundlegenden philosophi- schen Anschauungen darzulegen , allein diese sind stark anfechtbar und zwar — was das wichtigste ist — durch diejenige philosophische Richtung, die Verf selbst zu Hilfe nimmt: durch den Erapiiiokritizismus von Avenarius, Mach, Petzoldt usw. Nur ein wich- tiges Beispiel. Von dem Begriff des „Erklärens" sagt D. , daß die Definition , nach der man ,. unter Erklären die Zurückführung einer Erscheinung auf „ „Bekanntes" " versteht", zu unbestimmt und zu eng sei. Er meint, daß das Bekannte selbst der Erklärung bedürfe , daß aber eine Erscheinung als erklärt gelten könne, „wenn sie als Grundtatsache erkannt wird, die einer weiteren Zurückführung überhaupt nicht fähig" sei. Diese „Grundtatsachen" sind nun aber weiter nichts als die uns bekanntesten Erscheinungen, deshalb sind es eben für uns „Grundtatsachen". Auch die anderen für uns in Frage kommenden wichtigen Begriffe , wie der der Kausalität , des Zweckes usw. wendet Verf. in unzureichender Vertiefung an. Es ist daher begreiflich, daß seine .Schlußfolgerungen, die auf den von ihm gegebenen Definitionen in der philosophischen Grundlegung basieren, keine zwingen- den sind. Seine bequeme Zusammenstellung wichtiger Tatsachen, die als solche direkter Anpassung angesehen wurden, wird der Deszendenztheoretiker gern benutzen. (Ref. vermißt diesbezüglich den schönen, von Haber- landt mitgeteilten Fall von Coccoloba, die nach dem Verstopfen ihrer normalen Transpirationsüfthungen sofort ganz neue von einfacherem Bau bildete.) 2) Friedmann will die Abstammungslehre über- haupt durch eine andere Theorie ersetzen. Knüpfen wir an die unter i) gegebene Definition des Begriftes „erklären" an. Die Herleitung aller Organismen durch Blutsverwandtschaft war geboten und ist geboten durch die bekannten Tatsachen, daß eine solche Blutsverwandtschaft zwischen vielen Organismen vor- handen ist und daß die durch diese Verwandtschaft zusammenhängenden Organismen trotzdem in ihrer äußeren Erscheinung voneinander unteischeidbar ab- weichen oder abweichen können. Der Schluß war also notwendig , die Herkunft aller Organismen auf dieses Bekannte zurückzuführen, mit anderen Worten ; ihre Herkunft damit zu „erklären". Verf. meint nun u. a. , daß jeder Tierart eine durchaus spezifische Ontogenie zukomme, also ontogenetisch die Ähnlich- keiten nicht ausreichen , daß vielmehr die in der I )eszendenzreihe sich forterbenden Übereinstimmungen artgemäße seien, um die als um Konstanten die individuellen Eigenschaften schwankten. Als Tatsache sei nur die individuelle Variation vorhanden. Verf kommt zu einem Prinzip der Homologie, auf deren Basis sich ein zweites Prinzip, die Analogie, entfalte, womit nur eine ideelle (nicht genealogische) Ver- wandtschaft angenommen wird. „Aber, indem das ideelle Moment in ein der höchsten, mathematischen Erkenntnisform zugängliches Grundgesetz verlegt wird, wird es zu deutlicher theoretischer Bestimmtheit er- hoben — während die vermeintlich „reale" genealo- gische Verwandtschaft aus dem unanschaulichen Nebel einer Allgemeinvorstellung nicht herauskommt." Dank übereinstimmender (gleichwirkender) Bedingungen konvergieren die Wesen, die verschiedenen „„Architypen"" angehören. Diese Konvergenz dürfte dann jedoch — wenn wir ganz „exakt", d. h. bei den einfachsten Erfahrungen stehen bleiben wollen — nur in den Grenzen angenommen werden , die wir bis jetzt als Variabilitätsgrenzen der Arten kennen gelernt haben ; dabei können aber die weitgehenden Kon- vergenzen, die gemeint sind, nicht zustande kommen. Man siebt, es wird für den einzelnen ganz darauf ankommen, ob er von den ihm bekannten Tat- sachen der Blutsverwandtschaft ausgehen will und damit die Verschiedenheit der gesamten Organismen erklären will, oder ob ihm die ideelle Verwandt- schaft — wie sie bei Kristallen vorhanden ist — besser in succum et sanguinem übergegangen ist (mehr Eindruck macht), ihm also diese besser bekannt ist, um damit die Organismenreihen zu erklären. Prinzipiell ist das eine so logisch wie das andere ; es fragt sich nur wofür sprechen die meisten allge- mein bekannten Tatsachen, welche auf diese gegrün- dete Theorie ist Rihiger interindividuell zu werden ? Dem Referenten scheint es immer noch , daß dies die Deszendenztheorie ist; Kristalle variieren nicht, Organismen aber sind dazu fähig. — U. a. sind es Tat- sachen der physiologischen Chemie, die dem Verf. unvereinbar erscheinen mit der Annahme der De- szendenz. 3) Das Buch Giard's bringt eine Reihe von Auf- sätzen des Verfassers, die sich auf Streitfragen zum Lamarckismus und Darwinismus beziehen; es sind die folgenden: I. Histoire du transformisme. II. L'em- bryologie des Ascidies et l'origine des Vertebres. III. Les faux principes biologiques et leurs conse- (|uences en taxonomie. IV. Les facteurs de l'evolu- tion. V. Le principe de Lamarck et l'heredite des modifications somatic[ues. VI. La convergence des types par la vie pclagi(|ue. VII. Sur la pleurostase et les animaux dysdipleures. Giard ist durchaus Deszendenztheoretiker. 4) Mit „Populationen" meint der Autor das, was man sonst unter Rasse, Individuengruppe gleicher Art oder dgl. versteht und unter reinen Linien ver- steht er Pflanzenindividuen, welche von einem einzel- nen, selbstbefruchtenden Individuum abstammen. Verf. kommt zu dem Resultat, daß das Galton'sche Rückschlagsgesetz richtig ist. Dieses besagt, daß (vollständig entwickelte, erwachsene) Kinder, im gan- zen genommen, in derselben Richtung wie die Eltern vom Typus der gegebenen Population abweichen, jedoch in geringerem Grade. Das Heft ist besonders wertvoll durch die Experimente, die Verf zur Be- gründung dieses Satzes angestellt hat. H. Potonie. Geographen -Kalender. In Verbindung mit Dr. Wilh. Blankenburg, Prof. Paul Langhans, Prof. Paul 720 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 45 Lehmann und Hugo Wichmann herausgegeben von Dr. Herm. Haak, 2. Jahrg., 1904/5, XII, 206 u. 360 S. 8". Gotha, Justus Perthes. — Preis: geb. 4 M. Der zweite Jahrgang des Geographen- Kalenders präsentiert sich , wie sein Vorgänger, als ein recht nützliches l-iuch. Im ersten Teile bringt derselbe außer dem Kalendarium für 1904 — 5, dem astronomischen Ortsverzeichnis und den Tabellen der Erddimensionen eine kurze Revue der Weltbegebenheiten, sowie eine zusammenfassende Darstellung der geographischen Forschungsreisen und der wichtigsten geographischen Literatur des Jahres 1903. Wenn von der geogra- phischen Literatur nur die wichtigsten Neuerscheinungen berücksichtigt wurden, so hat dies wohl in Raumrück- sichten seine Begründung. Den Schluß der ersten Abteilung bildet die Totenliste. — Von besonderem Interesse ist der zweite Teil des Kalenders, welcher ein geographisches Adreßbuch, bearbeitet von Dr. H. Haak und H. Wichmann, darstellt. Hier wird in erster Linie ein Verzeichnis der Lehrstühle, geogra- phischen, naturwissenschaftlichen und ähnlichen An- stalten und Gesellschaften geboten, und zwar zuerst nach Ländern und Wissenschaften und sodann nach Orten geordnet ; diesem folgt eine Zeitschriftenliste. Außer der eigentlichen geographischen Wissenschaft sind besonders die Naturwissenschaften berücksichtigt und wurden die einschlägigen Institute und Publikationen aller Länder in großer Zahl verzeichnet. Wenn das Adreßbuch auch nicht als lückenlos gelten kann, da die entsprechenden Auskünfte — besonders im Aus- land — oft schwer zu erlangen sind, so stellt es doch ein Nachschlagebuch dar, welches den interessierten Kreisen willkommen sein wird. — Dem Kalender ist ein Bildnis Sir Clemens Markham's, des Präsidenten der Londoner Geographischen Gesellschaft, beigegeben. Fehlinger. Literatur. Bunsen, Rob. : Gesammelte Abhandlungen. Im Auftrage der deutschen Bunsen-Gesellschaft f. angew. physikal. Chemie hrsg. V. Prof. Wilh. Ostwald u. Priv.-Doz. Max Bodenstein. 3 Bde. (CXXVI, 536 S. m. 67 Fig. ; VI, 660 S. m. 93 Fig. u. 2 Taf. u. VI , 637 S. m. 109 Fig. u. 10 Taf.) gr. 8". Leipzig '04, \V. Engelmann. — 50 Mk. ; geb. in Leinw. 54 Mk. Fischer, Emil: Taschenbuch f. Schmetterlingssammler. 5. Aufl. Mit 14 Farbendr. -Taf. u. vielen Holzschn. (Bibliothek nützl. Taschenbücher. Hrsg. von Osk. Leiner und Emil Fischer.) (XI, 253 u. XXV S. ra. 14 Bl. Erklärgn.) kl. 8». Leipzig '04, O. Leiner. — Geb. in Leinw. 4 Mk. Graetz, Prof. Dr. L. : Die FTektrizität u. ihre Anwendungen. II. Aufl. (34. — 39. Taus.) XVI, 652 S. m. 574 Abbildgn.) gr. 8". Stuttgart '04, J. Engelhorn. — 7 Mk. ; geb. in Leinw. 8 Mk. Lommel, weil. Prof. Dr. E. v.: Lehrbuch der Experimental- physik. IG. u. II., neubearb. Aufl., hrsg. v. Prof. Dr. Walt. König. Mit 424 Fig. im Text u. i (färb.) Spektraltaf. (X, 596 S.) gr. 8". Leipzig '04, J. A. Barth. — 6,40 Mk.; geb. in Leinw. 7,20 Mk. Netto , Prof. Dr. Eug. : Elementare Algebra. Akademische Vorlesgn. f. Studierende der ersten Semester. (VIII, 200 S. m. 19 Fig.) gr. 8". Leipzig '04, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. 4,40 Mk. Poincare, Henri ; Wissenschaft u. Hypothese. Autoris. deut- sclie .Ausg. m. erläut. Anmerkgn. v. F. u. L. Lindemann. (XVI, 342 S.) 8". Leipzig '04, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. 4,80 Mk. Rettigf, Insp. Ernst: Ameisenpflanzen — Pflanzenameisen, Ein Beitrag zur Kenntnis der v. Ameisen bewohnten Pflanzen u. der Beziehgn. zwischen beiden. (II, 34 S.) gr. 8". Jena '04, G. Fischer. — 80 Pf. Weule, Prof. Dr. Karl: Geschichte der Erdkenntnis und der geographischen Forschung, zugleich Versuch u. Würdigung beider in ihrer Bedeutg. f. die Kulturentwicklg. d. Mensch- heit. Mit 40 Taf u. Karten in Farbendr. u. igo .Abbildgn. und Karten im Text. 2 Tic. in I Bde. [.Aus: ,, Krämer, Weltall und Menschheil".] (XII, 180 u. 256 S.) Lex. 8". Berlin '04, Deutsches Verlagshaus Bong & Co. — 25 Mk. Briefkasten. Herrn O. — Ganz trefllich als Einleitung in das Studium der Mollusken ist das Buch: ,,Die Weich- und Schalliere" gemeinfaBIich dargestellt von Prof. Ed. v. Martens. Leip- zig und Prag, bei G. Freytag und F. Tempsky. 1883. kl. 8°. 327 Seiten mit eingedruckten Bildern. Eine kürzere Dar- stellung des Wissenswürdigsten über Bau und Leben der Mollusken hat v. Martens in Heck's Tierreich Bd. I, S. 555 bis 664 geboten. Berlin bei Pauli's Nachfolger (H. Jerosch) 1894. Diese Bearbeitung enthält aber mehr das Allgemeine, als spezielle .Systematik. Herrn P. Seh. — Nehmen Sie Klaatsch ,, Entstehung und Entwicklung des Menschengeschlechtes" in ,, Wellall und Menschheit" II. Bd. Berlin bei Bong & Co. Herrn Prof. K. in Luxemburg. — Falls Sie Biologie im engeren Sinne meinen, ist für Botanik Ludwig's Lehrbuch d. Biol. derPfl., Stuttgart (F. Enke) 1895, ^" nennen, für Zoologie Schmeil's Lehrbuch der Zoologie, Stuttgart (Erwin Nägele); jedoch finden Sie auch vieles in dem trefflichen Lehrbuch der Zoologie von H e r t w i g (G. Fischer in Jena). — Über Experimental-Psychologie empfiehlt Ihnen Herr Privat- dozent und Oberlehrer Dr. J. Petzoldt vor allem: James, Psychology (leider deutsch nicht vorhanden). Dann Ebbing- haus, GrundzUge der Psychologie (vorläufig nur I Band). Sehr gut auch zur Einführung Ilöfler, Psychologie. Klei- ner: Ziehen, Leitfaden der physiologischen Psychologie. Herrn Dr. K. in Gießen. — Nehmen Sie Schleicher!, Anleitung /u botan. Beobachtungen u. pflanzenphysiologischen Experimenten. Hermann Beyer & .Sühne (Langensalza) 4. Aufl. 1901, oder das Werk von Detmer, Das kleine pflanzen- physiol. Praktikum. Jena (G. Fischer). Herrn J. Seh. in Marienbad. — Bestimmte Mineralien und Preisverzeichnisse erhalten Sie von folgenden .Spezial- firmen : 1) Rheinisches Mineralienkontor von Dr. F. Krantz, Bonn a. Rh. 2) Mincralienhaus Droop, Dresden-PIauen. 3) Harzer Mineralienkontor von .Armbster, Goslar a. H. 4) Mineralienhandlung von Kohl, München. 5) Mineralienniederlage der Königlichen Bergakademie zu Freiberg i. S. 6) Comptoir mineralogique par Alex. Stuer, Paris. 7) Comptoir mineralogique par Foote, Paris. Für Schulzwecke werden Sie sich am besten nach Frei- lierg oder Bonn wenden. Ilarbort. Inhalt; Prof. Dr. Franz Schutt: Kosmologie als Ziel der Mecresforschung. — Kleinere Mitteilungen: L. Geisen- heyner: Noch einmal die Mainzer Sandflora. — Holmgren: Übersicht der viviparen Insekten. — Max Bai 1er- stedl: Ein auffallendes Beispiel der Anpassung einer Pflanze an veränderte Bodenverhältnisse. — Dr. .Schlick um: Weberknecht. — Aug. Eichborn: .Sonnenscheindauer. — Hübner: Ein Fortschritt im Bau des Kinematographen. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Bücherbesprechungen: Detto, Friedmann, Giard, Johannsen: Descendenz-Theoretisches. — Geographen-Kalender. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Ltchterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band- Sonntag, den 14. August 1904. Nr. 46. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate : Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Goblis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Über Entstehung und Besiedelung der Tiefseebecken. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. Johan Das Weltmeer bedeckt ■^ 3 der Erdoberfläche.') Fünf Kontinente und zahllose Inseln ragen aus demselben empor und gliedern den Ozean in ein- zelne Teile, aber nirgends findet sich eine Schranke, welche den Austausch der Gewässer auf die Dauer hindern könnte. Das immer bewegte und ruhelos durcheinandergemischte Meerwasser zeigt daher eine ganz auffallende Übereinstimmung in seiner chemischen Zusammensetzung. Am Pol wie am Äquator, an der Oberfläche wie am Grunde des Meeres beträgt der Salzgehalt etwa 3,5 *"„ und das Verhältnis der Chloride, Sulphate und Karbonate bleibt selbst in brackischen Neben- meeren oder im Mündungsgebiet großer Flüsse durclischnittlich dasselbe. Es ist bekannt, daß die astronomische Stellung der Erde zur Sonne bestimmte Klimazonen be- dingt, welche in nahezu parallelen Gürteln senk- recht zur Erdachse angeordnet sind, und wir be- obachten auf dem Festland eine beständige Ab- nahme des organischen Lebens in dem Maße, wie ') Wir geben der Einfachheit halber im folgenden nur abgerundete Zahlen an. nes Walther-Jena. wir von dem warmen Äquatorialgebiet nach dem kalten Polarkreis vordringen. Auch die Oberfläche des Meeres wird von Klimazonen umgürtet, die, den festländischen Wärmegürteln entsprechend, von einer Küste zur anderen reichen. Im Äquatorialgebiet ist das Wasser 30 " warm, nach den Polen zu sinkt seine Temperatur, und da das Salzwasser erst bei — 3" friert, werden die polaren Küsten von sehr kaltem Wasser bespült. Man sollte nun glauben, daß, Hand in Hand mit dieser Temperaturabnahme eine Verminderung des organischen Lebens im Meere beobachtet würde, allein fast das Gegenteil ist der Fall. In den polaren Meeren füllt sich das Planktonnetz mit einem wahren Brei von schwebenden Pflanzen und Tieren, welche den zahllosen Fischschwärmen und den riesigen Walen zur Nahrung dienen, und wenn der Naturforscher dort das Schleppnetz über den Meeresgrund ge- zogen hat, dann ist es erfüllt mit ungeheuren Mengen vonEchinodermen, Mollusken und Krebsen. Um diese auffallende Tatsache zu verstehen, müssen wir uns klar werden, daß fast alle Meeres- tiere zu den Wechselblütern gehören, deren Eigen- 722 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 46 wärme in dem Maße sich ändert, als die Tempe- ratur ihrer Umgebung wechselt. Pecten islandicus gedeiht ebenso bei einer Meerestemperatur von o" wie Pecten jacobaeus bei 10" oder wie der tropische Pecten sanguinolentus das 25 " warme Wasser der Korallenmeere vorzieht. Infolgedessen ist die absolute Höhe der Temperatur von keinem Einfluß auf den Formenreichtum der Meeresfauna. Wir wissen, daß das Klima eines Festlandes unter der gleichen geographischen Breite sehr be- trächtliche Änderungen erleidet , wenn das Land zu Gebirgen aufgetürmt wird. Der Kilimandscharo liegt in der Tropenzone und doch wird sein Gipfel von ewigem Schnee und „polaren" Gletschern bedeckt. In derselben Weise, wie das Klima des Fest- landes mit steigender topographischer Höhe dem Polarklima immer ähnlicher wird, so beobachten wir im Meere mit zunehmender Tiefe eine beständige Erniedrigung der Tempe- ratur. Schon in 120 m hören die täglichen und jährlichen Schwankungen der Wasserwärme in der Regel auf, und unter dem bis 30" warmen Oberflächenwasser der Aquatorialgebiete treffen wir schon in 200 m eine Temperatur von 12", bei 1200 m eine solche von 5". Und von hier bis zum Grunde herrscht eine unveränderliche Temperatur von o bis 5", die im südlichen At- lantik sogar auf —2'* sinkt. Aber während auf dem Festland die kälteren Regionen nur geringe Räume einnehmen, herrscht am Meeresgrunde das umgekehrte Verhältnis. Denn selbst in den Äquatorialregionen ist das warme Wasser auf ganz schmale, der Küste pa- rallele Zonen beschränkt, und die ganze Breite der eigentlichen Tiefseebecken wird von eiskaltem Bodenwasser bedeckt. Ein riesiger, aber unmeßbar langsamer Strom kalten Südpolarwassers dringt gegen die Äquatorial- gebiete in der Tiefe vorwärts und projiziert die thermischen Eigenschaften des südlichen Eis- meeres nach dem Tiefseeboden. Bei Betrachtung einer Weltkarte gewinnen wir nicht den richtigen Eindruck von den Verhält- nissen des Meeres zu den Kontinenten , weil die Randgebiete der kontinentalen Sockel vom Meere überspült sind und infolgedessen um fast alle Küsten eine breite Flachwasserzone zieht , deren Tiefe ganz langsam bis zu zwei- oder dreihundert Metern sinkt. So gehört die ganze Nordsee, die irische See und das Meer bis 300 km westlich von Irland zu dieser sogenannten Kontinentalstufe und erst jenseits derselben sinkt der Meeresboden rasch zu 4000 m hinab. Aber selbst wenn wir die Kontinentalstufe als den wasserüberspülten Rand der Kontinente be- trachten, so gehört doch noch immer die Hälfte der gesamten Erdoberfläche zum Areal der Tief- see mit einer durchschnittlichen Wassertiefe von 4000 m und maximalen Tiefen von 8 — 10 km. Dieses ungeheure, die Hälfte unseres Erdballes umspannende Gebiet ist für die Naturgeschichte der heutigen Erde so bedeutungsvoll, daß man wohl verstehen kann , welche Rolle es auch in der geologischen Vergangenheit gespielt hat. Aber um die Vorgeschichte der Tiefsee beurteilen zu können, müssen wir noch einige wichtige Eigen- schaften des heutigen Tiefseebodens kennzeichnen. Wellen und Meeresströmungen werden durch vorübergehende oder periodische Winde erzeugt und setzen nur die obersten Wasserschichten in Bewegung. In looo m Tiefe ist selbst der Golf- strom kaum mehr zu bemerken und weiter hinab hören alle meßbaren Wasserbewegungen auf Nur unmerklich langsame Diffusionsströme mischen die Wasser beständig durcheinander. Gerade so wie die Sonnen wärme nur die obersten Wasserschichten zu erwärmen vermag, so dringt auch das Sonnenlicht selbst im klaren Wasser nur etwa 400 m tief. Photographische Platten, die man bei Nizza in solchen Tiefen ex- ponierte , zeigten keine Lichtwirkung. Nur das zarte Schimmern phosphoreszierender Tiere er- leuchtet die dunkeln Abgründe. Die für das Leben der Pflanzen so maßgebende Kohlensäureassimilation ist nur im Sonnenlichte möglich; deshalb dürfen wir uns nicht wundern, daß die Tiefsee keine einzige Pflanze beherbergt, und mit der Pflanzenwelt fehlen auch alle pflanzen- fressenden Tiere. Prassen wir die bisher besprochenen Eigen- schaften der abyssalen Gebiete zusammen, so müssen wir sagen : Eine gleichmäßig niedere Temperatur, ein ruhiges, durch keine meßbaren Bewegungen ge- störtes Wasser von normalem Salzgehalt, kein Sonnenlicht und kein Pflanzenleben — das sind die bionomisch wichtigen Charaktere der Tiefsee. Diese Existenzbedingungen sind nun ganz un- veränderlich über ungeheuere Räume verbreitet und bedingen die weltweite Verteilung der meisten Tiefseebewohner. Die Fauna der Tiefsee ist un- zweifelhaft ärmer , als diejenige der flacheren Meeresteile, aber wenn wir erwägen, daß alle lichthungrigen und alle pflanzenfressenden Tiere darunter ebenso fehlen , wie alle Bewohner des bewegten und des warmen Meerwassers, so muß uns doch die Tierwelt jener Abgründe geradezu in Erstaunen setzen. Denn jedes Schleppnetz brachte noch Tiefseetiere herauf und selbst die kleine Grundprobe der Lotungsmaschine hat aus den größten Tiefen von mehr als 9000 m Spuren organischen Lebens mit heraufgefördert. Vor 10 Jahren hat Sir John Murraj- die Er- fahrungen früherer Tiefseeexpeditionen zusammen- gefaßt und dabei festgestellt, daß bis zu 200 m Tiefe etwa 4200 .\rten bodenbewolin. Tiere leben ,, 2000 ,, ,, ,, 600 ,, bei 4000 „ ,, ,, 400 „ über 5000 ,, ,, ,, 150 ,, Dazu kommt die große Schar der in den tieferen Wasserschichten schwebenden und schwim- menden Tiere. Aber während in flachem Wasser gleichzeitig eine große Anzahl von Individuen der- N. F. m. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 723 selben Art in jedem Netzzug erbeutet wurden, sind die tieferen Wasserschichten reich an Arten, aber arm an Individuen. Ein Schleppnetzzug in 1000 m Tiefe ergab noch 100 Exemplare von demselben Tier; aber in größeren Tiefen waren oftmals in einem Netz nur je 2 Exemplare von 10 verschiedenen Arten. Es ist schwer, eine treffende Charakteristik der bisher bekannten Tiefseetiere ohne speziellere Schilderung einzelner Formen zu geben. Aber man darf wohl betonen, daß sie meist ganz weiche Gewebe besitzen. Kalkige Skelette sind selten oder sehr dünn. Die einen sind blind, andere durch teleskopische Augen oder selt- same Hohlspiegel ausgezeichnet. Viele leben von moderigem Tiefseeschlamm und haben daher ihre Organe'^zum Zerkleinern der Nahrung eingebüßt, andere sind furchtbare Raubtiere mit stark ent- wickeltem Gebiß. Viele Formen zeigen wunder- bare Einrichtungen der Brutpflege, andere Schemen sich ungemein rasch zu vermehren — aber fast alle sind mit phosphoreszierenden Leuchtorganen ausgestattet, die geeignet sind, mit ihrem bunten, zarren Licht, das man in einelnen Fällen noch nach dem Fang photographieren konnte, die dunkeln Tiefen wie einen Zaubergarten zu er- hellen. Wenn wir nun nach den Existenzbedingungen dieser formenreichen Tierwelt fragen, so erhebt sich ein eigenartiges Problem: Wir wissen, daß sich das organische Leben nur dadurch erhält, daß immer wieder anorganische Verbindungen in den Kreislauf des Lebens eingeführt werden, und die Macht, welche allein im größten Maße imstande ist, das organische Leben zu erhalten, ist die Kohlensäureassimilation der Pflanzen. Nur wenn Sonnenlicht auf buntgefärbte Pflanzen- teile fällt, werden Kohlensäure und Wasser in ihre Elemente zerlegt und aus denselben das komplizierte Frotoplasmamolekül aufgebaut. Wo Sonnenlicht und grüne Pflanzen fehlen, da kann kein Leben neu entstehen, und kein organisches Leben sich halten. So könnte sich auch das Tierleben in der heutigen Tiefsee nicht erhalten, wenn nicht beständig ein Strom kalten Südpolar- wassers Sauerstoff und Nahrung in die abyssalen Abgründe hinabtrüge. Die Tiefsee gleicht, nationalökonomisch ge- sprochen, einem reinen Industriestaat ohne Land- wirtschaft, der in seiner ganzen Existenz von Acker- bau und Viehzucht treibenden Ländern abhängig ist. Daraus ergibt sich als notwendige Folgerung, daß die Fauna der Tiefsee dort nicht entstanden sein kann, sondern von lichteren, pflanzenreichen Wasserschichten in die dunkle Tiefe hinabgewandert sein muß. Sobald wir uns diese unbestreitbare Tatsache klar gemacht haben, tritt uns ein sehr bedeut- sames, geologisches Problem entgegen. Wir fragen: wann ist die Tiefsee besiedelt worden ? und wann entstanden die Tiefseebecken? Um diese Fragen untersuchen zu können, müssen wir noch mit einigen Worten die Sedimente der heutigen Tiefsee besprechen, denn nur wenn wir diese genau kennen, ist es möglich ein älteres Gestein nach seiner Entstehungsgeschichte zu prüfen. .Alle Ablagerungen des Küstengebietes und der flachen Kontinentalstufe stammen vom Festland oder vom Kontinentalgebiet. Die Gerolle am felsigen Ufer, der Sand der Dünenregionen und der blaue oder grüne Schlamm der Flachsee ist durch die Meereswellen vom Strande abgespült oder durch Flüsse in den Ozean getragen worden. Die mächtigen Deltakegel des Nil, Ganges oder Mississippi legen Zeugnis davon ab, welche unge- heuren Massen festländischen Schlammes nach dem Meere verfrachtet werden. Aber das salzhaltige Meerwasser hat die selt- same Eigenschaft, trübes Flußwasser in kurzer Zeit zu klären und allen Schlamm zu Boden zu schlagen. So wird also alle Plußtrübe im Gebiet der Flach- see abgelagert und kein Quarzsplitter erreicht die Abgründe der Tiefsee. Sir John Murray hat nach Abschluß der Challenger-Reise alle bis dahin be- kannten Tiefseegrundproben untersucht und ge- zeigt, daß in jenen Abgründen Sedimente von ganz besonderem Charakter entstehen. Die wichtigste Rolle bei deren Bildung spielen die schwebenden Organismen des Meeres. Die kalkigen Schalen zierlicher Globigerinen setzen die Haupt- masse des sogenannten Globigerinenschlickes zu- sammen, der etwa die Hälfte des gesamten Tiefsee- bodens bedeckt. Dieser im frischen Zustande rahm- fgelbe, weiche, flüssige Kalkschlamm ist durch Über- gänge mit dem Kontinentalschlamm der Küstenzone verbunden und geht durch Abnahme seines Kalk- gehalts in den sogenannten roten Tiefseeton über, der etwa Vs '^^^ Erdoberfläche überzieht. Ihm sind eingefügt einzelne Gebiete, die ganz mit den zierlichen mikroskopischen Kieselhüllen von Radio- larien übersät sind. Der rote Tiefseeton entstand aus umgewandelten vulkanischen Aschen und aus dem Lösungsrückstand von organischen Kalk- skeletten. Von gewissen Ausnahmen abgesehen sind die genannten Tiefseesedimente sowie die mit ihnen verbundenen anderen Ablagerungen des Tief- seebodens durch folgende Eigenschaften ausge- zeichnet : 1. Sie enthalten weder Quarz noch andere Bruchstücke festländischer Gesteine; 2. sie enthalten keinen Pflanzenmoder, der sie braun oder schwarz färbte; 3. sie sind horizontal geschichtet und über un- geheure Räume unverändert ausgebreitet; 4. sie enthalten keine Überreste von Flachsee- tieren oder Pflanzenfressern; 5. sie sind durch sehr langsame und allmähliche Übergänge mit anders gearteten Sedimenten des flacheren Wassers verbunden. Die geologische Untersuchung der festländischen Erdrinde hat das bemerkenswerte Resultat ergeben, daß seit den ältesten Zeiten der Erdgeschichte bis zum heutigen Tage fast jede§ Stück Festland wieder- 724 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 46 holt Meeresgrund war. Die heutige Lage und die jetzigen Grenzen des Ozeanes sind eine vorüber- gehende Erscheinung, und während man früher glaubte, nach dem festen Niveau des Meeresspiegels die Höhen des Landes messen und nivellieren zu können, hat man seit etwa 25 Jahren erkannt, daß das Meeresniveau veränderlich ist und bezieht die Nivellements auf willkürliche Nullpunkte an Sternwarten oder anderen festen Punkten. Wenn nun jeder Teil des gegenwärtig trockenen Landes einmal oder mehrere Male Meeresgrund war, so müssen wir zuerst fragen, ob wir in der Erdrinde Ablagerungen kennen, die nach ihren lithologischen und faunistischen Charakteren als ehemaliger Tief- seeboden betrachtet werden müssen ? Ich habe mich viel mit rezenten Tiefseesedi- menten beschäftigt, habe die Sedimente der Chal- lengerexpedition studiert und bei meinen geo- logischen Studien immer wieder darauf geachtet, ob irgend ein fossiles Gestein abyssale Eigenschaften besitzen möchte — und kann versichern, daß mir weder aus paläozoischen noch mesozoischen Ab- lagerungen irgend ein Gestein begegnet ist, das nach seiner Struktur und Lagerungsform mit den heutigen Sedimenten der Tiefsee übereinstimmte. Selbst die durch Dr. Rüst's mühevolle Unter- suchungen bekannt gewordenen Radiolariengesteine halten einen Vergleich mit dem Radiolarienschlick der heutigen Tiefsee nicht aus. Ihr Kohlenreich- tum , die Menge terrigenen Materials und ihre stratigraphische Verbindung mit zweifellos litoralen Sedimenten läßt es unmöglich erscheinen, in ihnen Ablagerungen der Tiefsee zu erblicken. Wir werden vielmehr an den miocänen Tripel von Sizilien er- innert und an die ozeanographischen Verhältnisse in der Meerenge von Messina. Hier dringt ein mächtiger Strom kalten Tiefseewassers empor, bringt Tiefseefische, Krebse und Radiolarien bis an die Meeresoberfläche, wo sie gemischt mit den Bewohnern der oberen Wasserschichten den allen Zoologen bekannten Reichtum der Meeresfauna bedingen. John Murray war zu ganz denselben Resultaten gekommen, als er sich an eine Anzahl Geologen gewandt hatte mit der Bitte, ihm fossile „Tiefseegesteine" zu senden. Die mikroskopische Untersuchung ergab, daß nur auf einigen kleinen Inseln wie Malta, Barbados und Christmas-Island echter tertiärer Tiefseeschlick vorkommt und die lokale Verbreitung desselben spricht mit Sicher- heit dafür, daß lokale Hebungen ehemaligen Tief- seebodens den Kern dieser Inseln bildeten. Trotz- dem also fast die gesamte Fläche der heutigen Kontinente seit dem Cambrium zu wiederholten Malen ganz oder teilweise vom Ozean überflutet war, so finden wir auf denselben nur solche Ab- lagerungen, welche in der Flachsee oder in mitt- leren Tiefen von i — 2000 m gebildet worden sind. Damit bestätigen wir durch geologische Be- weisführung eine Ansicht, welche auf Grund theo- retischer Erwägungen schon lange aufgestellt worden ist, und die in dem Satze gipfelt : daß die heutige Tiefsee schon seit langen Perioden Tief- see war, und daß sie ihren Platz auf der Erdkugel seit ihrer Entstehung nicht wesentlich verschoben habe. Die Tiefseebecken erscheinen uns als die großen Ouellgebiete des Ozeans, aus denen das Meer bisweilen weit transgredierende Vorstöße gegen die Kontinente unternimmt, um sich dann wieder in dem riesigen Sammelbecken zu ver- einigen. Es läßt sich nun geologisch mit aller Sicher- heit zeigen, daß ehemalige Festländer Tiefseeboden geworden sind. So finden wir aus der Devonzeit auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans, in Nord- amerika und Spitzbergen wie in Schottland und Rußland Ablagerungen großer Süßwasserbecken mit einer ganz charakteristischen Fischfauna. In der Steinkohlenzeit wie der Jura- und Kreide- periode leben dieselben Pflanzen- und Landtiere in Nordamerika wie in Nordeuropa. Alles drängt zu dem Schluß, daß während dieser langen Perioden eine atlantische Landverbindung zwischen beiden Kontinenten bestand, die heute Tiefseeboden ist. Ähnliche Tatsachen zwingen zu der Annahme, daß der heutige Indische Ozean lange Perioden hindurch von Afrika bis Indien und Australien festländische Brücken besaß. Wie kann man end- lich das Vorkommen ganzer Skelette von Nilpferd und afrikanischen Elefanten in uralten Knochen- höhlen bei Palermo anders erklären, als durch die Annahme, daß SiziHen einst landfest mit Afrika ver- bunden war, obwohl jetzt ein tiefes Meer zwischen beiden Küsten wogt. Denn an einen passiven Trans- port dieser riesigen Tiere ist nicht zu denken. Neben einigen lokalen x'\usnahmen, wo Tiefsee- boden wieder landfest geworden ist, gibt es also zahlreiche Fälle aus allen Teilen der Erde, wo wir nachweisen können, daß durch Senkung große Stücke der festen Erdrinde in Tiefseeboden ver- wandelt worden sind. Mit anderen Worten: Die Tiefsee hat sich auf Kosten der Flach- see und des Festlandes beständig ver- größert. Das große Interesse der Geologen für die Erforschung der Tiefsee begann sich' zum ersten- mal zu regen, als der ältere Sars an den Lofoten in einer Tiefe von 1000 m eine kleine Seelilie, den Rhizocrina lofotensis, entdeckte. Die gestielten Seelilien hielt man bis dahin für eine vollkommen ausgestorbene Gruppe, die in der geologischen Vergangenheit eine große Bedeutung besaß, in Hunderten von Gattungen die älteren Meere belebte, dann aber untergegangen war. Jetzt zog man ein solches uraltes Tier lebend aus der Tiefsee heraus und sofort regte sich die Hoffnung, auch andere, bis dahin für ausgestorben gehaltene Tiergruppen durch eine methodische Erforschung des Tiefsee- bodens zu erbeuten. Es war eine der wichtigsten Aufgaben der Challengerexpedition, nach solchen uralten Typen zu fahnden. Nachdem eine Reihe von Expeditionen den Boden der Tiefsee untersucht haben, kennen wir die systematische Zusammensetzung der heutigen Tiefseefauna und ihre durch Anpassung an die N. F. m. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 725 eigentümhchen Existenzbedingungen erworbenen Eigenschaften recht gut; und es erscheint als eine dankbare Aufgabe, das geologische Alter dieser Fauna zu prüfen, so wie der Paläontolog das Alter einer ausgestorbenen Fauna be- stimmt. Es ist ja bekannt, daß in jeder Periode der Erdgeschichte andere Meerestiere lebten; ver- gleichen wir also die heutige Tiefseefauna mit den chronologisch geordneten Faunen der Vergangen- heit. Da müssen wir zuerst feststellen, daß kein einziges bezeichnendes paläozoisches Tier in der heutigen Tiefsee gefunden worden ist. Die Archae- ocyathiden , Tetracorallen , Tabulaten , Stromato- poriden, Spiriferiden , Graptolithen , Cystideen, Blastoideen, Palaeocrinoiden, Orthoceratiten, Trilo- biten fehlen vollständig. Man konnte nun vielleicht vermuten, daß überhaupt keine paläozoischen P'ormen mehr leben. Deshalb müssen wir darauf hinweisen, daß tatsächlich in der heutigen Flach- see eine Anzahl ungemein lebenszäher, paläozoi- scher Gattungen gefunden werden: von Brachiopoden: Lingula, Rhyncho- n e 1 1 a ; von Muscheln: Area Avicula, Astarte, Leda, Mytilus; von Schnecken :Capulus,Pleurotomaria; von Cephalopoden: Nautilus; von Würmern: Serpula; von Seesternen: Astropecten. Limulus, der letzte Vertreter silurischer Schwertschwänze, ist ein Küstenbewohner, und der im Devon wurzelnde Ceratodus lebt sogar in australischen Flüssen. Wir müssen dazu noch eine Anzahl skelett- loser Formen rechnen, die phylogenetisch sehr alt sind und der vorcambrischen Fauna zugeteilt werden müssen. Hydra und Amphioxus ebenso wie die Askonen, Planarien und Holothurien sind meist Bewohner ganz ge- ringer Wassertiefen und alle diese Formen reichen in die älteste V.ergangenheit der Erdgeschichte hinab. Nur die cambrische Gattung Discina, einige silurische Muscheln wie Area Nucula, Schnecken wie Dentalium und die devonische Terebratula sind in die Tiefsee hinabgestiegen, doch ist es natürlich sehr leicht denkbar, daß sie erst später diese Wanderung angetreten haben. Mustern wir nun die übrigen unterhalb 2000 m lebenden skelett- bildenden Tiere und suchen wir uns ihre palä- ontologische Stellung klar zu machen, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die ältesten Gat- tungen aus der Trias und Juraperiode stammen. Die Euretiden unter den 6 strahligen Kiesel- schwämmen ; die Turbinoliden unter den Korallen; Pentacrinen unter den Seelilien; Ophioglypha und A s t e r i a s unter den See- sternen ; Echinus unter den Seeigeln; Penaeus unter den Krebsen sind Formen, deren älteste Verwandte dem meso- zoischen Zeitalter angehören. Ihre Einwanderung in die Tiefsee kann also frühestens zur Triaszeit erfolgt sein. Sehr eng sind die Beziehungen der heutigen Tiefseefauna zu der Tierwelt der Jura- und Kreidezeit. Die deutsche Valdiviaexpedition fand die nächsten Verwandten des oberjurassischen Eryon in den charakteristischen Tiefseekrebsen Pentacheles, Willemoesia und Pplycheles wieder. Agassiz hat nachgewiesen, daß die meisten Tief- seeigel mit Kreidegattungen verwandt sind. Die Tiefseekorallen gehören fast sämtlich zu Kreidegattungen. Bemerkenswert ist ferner, daß bezeichnende tertiäre Formen in der Tiefsee sehr selten sind. Die Einwanderung muß also in der Tertiärzeit im großen und ganzen beendet gewesen sein. Würde die heutige Tiefseefauna einem Palä- ontologen ,,ohne h'undortsangabe" vorgelegt, so müßte er sie ihrer ganzen Verwandtschaft nach als mesozoisch betrachten und würde die Mehr- zahl ihrer Formen auf cretaceische und jurassische, eine Anzahl Gattungen auf triassische Formen zurückführen müssen. Die vereinzelten, in allen Wassertiefen verbreiteten paläozoischen Gattungen würden dabei keine Bedeutung gewinnen können, weil alle spezifischen P'ormen des paläozoischen Zeitalters in der Tiefsee fehlen, und andererseits viele Vertreter derselben in der heutigen Flach- see wohlbekannt sind. Allgemeine Betrachtungen über den Lebens- haushalt der Tiefsee hatten uns zu der Überzeugung geführt, daß ihre Fauna aus der Flachsee einge- wandert sein muß — der Vergleich der Tiefsee- fauna mit den fossilen P'aunen hatte uns gezeigt, daß sie einen mesozoischen Charakter hat — , es ergibt sich daraus mit Notwendigkeit der Schluß, daß die Besiedelung der Tiefsee frühestens zur Triaszeit erfolgt sein kann. Die Tiefseebecken stellen die größten Uneben- heiten der Erdrinde dar. Während die mittlere Höhe der Festländer nur 700 m beträgt, ist die mittlere Tiefe des Weltmeeres 3500 m, die mittlere Tiefe der Tiefseebecken aber mag etwa 5000 m betragen. Nur das tibetanische Hochland ragt um diesen Betrag über das Festland empor, um den sich die Hälfte der gesamten Erdoberfläche nach unten biegt. Deutlich können wir in den verschiedenen Perioden der Erdgeschichte verfolgen, wie große Landflächen unter den Meeresspiegel hinabgesunken sind, um sich der Tiefsee anzugliedern, und gleich- zeitig erkennen wir, wie immer größere Land- flächen von den mesozoischen und tertiären Meeren verlassen werden. Seit der Jurazeit verlandet Europa und Nordamerika, und selbst in Asien sehen wir beständig das Land auf Kosten des Meeres wachsen. Die intensive Entwicklung der Säugetiere, Vögel und Insekten seit dem Eocän steht damit im engsten ursächlichen Zusammen- hang. 726 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 46 Die in allen großen Meeresbecken wieder- kehrende Tatsache, daß die allergrößten Tiefen in der nächsten Nähe der Küste auftreten, läßt sich nur durch die Annahme erklären, dal,5 diese tiefen Rinnen lokale Ubertiefungen eines allgemeinen Senkungsvorganges sein müssen. Durch das Studium neuerer und älterer Ge- birge hat sich nun ergeben, daß Hand in Hand mit den gehobenen Gebirgsketten ausgedehnte Senkungen eingetreten sind. Die Alpenfaltung setzt sich in die Einsenkung der lombardischen Tiefebene ebenso fort, wie die Ketten des Himalaya mit der bengalischen Senkung verknüpft sind, und die südamerikanische Cordillere findet in dem Boden des Stillen Ozeans ihre nach unten ge- richtete Ergänzung. Mit der Hebung von Schwarz- wald und Vogesen sank die Ebene des Rheintales in die Tiefe, und der Auftürmung des Libanon entspricht die Senke des Toten Meeres. Wir müssen also auch die erste Anlage jener ungeheuren Senkungsräume in Zusammenhang mit starken Äußerungen des Gebirgsbildungsprozesses erwarten und haben also zu untersuchen, ob sich erdgeschichtlich eine gesteigerte Verschiebung der festen Erdrinde am Schluß des paläozoischen Zeit- alters erkennen läßt. Jeder, der nur einigermaßen mit den Ereignissen jener Epoche vertraut ist, weiß, daß keine Periode auch nur annähernd so ausgedehnte und groß- artige Kettengebirge entstehen sah, wie die Zeit zwischen Carbon- und Triasperiode. Ein riesiges Faltengebirge läßt sich von Irland durch ganz Frankreich bis zum Rhoneufer verfolgen, ein zweites Gebirge zog vom Rhein in NO-Richtung durch Deutschland hindurch bis nach den Karpathen. Die östlichen Alpen waren Gebirgsland und auch in der Schweiz sind deutliche Spuren einer Ge- birgsruine zu erkennen. In derselben Epoche ent- stand der Ural, und gleichzeitig wurden in Nord- amerika die Appalachen zusammen geschoben. Wahrscheinlich entstand im Sudan ein Faltengebirge mit großen Granitstöcken an der Wende des paläo- zoischen Zeitalters und in Südafrika ist das per- mische Alter großer Gebirgsfalten sichergestellt! Ja selbst in dem östlichen Asien haben kühne Forschungsreisende eine permische Faltungsperiode von China bis Japan, und durch Hinterindien bis nach Sumatra verfolgen können. — Wo aber sind die komplementären nach dem Erdmittelpunkt gerichteten Bewegungen dieser selben Zeit zu suchen? Eine Antwort auf diese Frage kann uns nicht schwer fallen. Denn wenn die heutige Tiefsee- fauna vorwiegend mesozoische Typen enthält und ihrem ganzen Wesen nach als eine Einwanderung aus der Flachsee betrachtet werden muß, wenn darin fast alle paläozoischen Elemente fehlen, ob- wohl solche in der heutigen Flachsee ziemlich zahlreich vertreten sind, dann kann die Tiefsee erst am Schluß des paläozoischen Zeitalters an- gelegt worden sein. Und wenn wir in diesem selben Zeitabschnitt fast überall auf der Erde mächtige Gebirge ent- stehen sehen, dann liegt es nahe, auch die Sen- kung der Tiefseebecken in Zusammenhang mit diesen Faltungsprozessen zu bringen. Allgemein biologische Gründe, die strati- graphische .Stellung der heutigen Tiefseefauna ebenso wie tektonische Untersuchungen drängen uns also die Überzeugung auf, daß die Tiefsee als Lebensbezirk keine primitive Eigenschaft der Erde aus den ältesten Perioden ist, und daß ihre erste Anlage in dieselbe Zeit fällt, wo in allen Teilen der jetzigen Kontinente tektonische Faltungsbe- wegungen einsetzten und das Relief der Erdober- fläche so wesentlich umgestalteten. Kleinere Mitteilungen. Kelling's Versuche über die Ursache der Krebsgeschwülste. — Wie wenig unsere Er- kenntnis der den Krebsgeschwülsten zugrunde liegenden Ursache geklärt ist, zeigt die Begrün- dung einer besonderen Zeitschrift zum Zwecke der Krebsforschung. Bei der Unzahl der Publikationen auf diesem Gebiete, die den Fernerstehenden verwirren, ist es wohl am Platze auf besonders beachtenswerte Ergebnisse hinzuweisen. Unter diesen scheinen die zielbewußten Ver- suche Kelling's in Dresden von weittragen- der Bedeutung. Die Krebsgeschwülste (Carcinome und Sar- - ^) Über die Ätiologie der bösartigen Gesciiwülste von Dr. Georg Kelling in Dresden. Münch. Med. Wochenschrilt. 51. Jahrgang. 1904, Nr. 24, p. 1047— 1050. II. Mitteilung. Mit 4 Textfiguren. kome) entstehen in Körperregionen, die in engster Beziehung zur Außenwelt stehen und auch Reizen am leichtesten zugänglich sind. Ihre Zellzüge schreiten unaufhaltsam vorwärts. Sichere neuere Mitteilungen zeigten, daß hierbei niemals Über- gänge von normalen Gewebszellen in Geschwulst- zellen nachweisbar sind. Während C o h n h e i m im letzteren körperfremde Zellen und zwar ver- sprengte Embryonalkeime des eigenen Körpers erblickt, gingen andere weiter und behaupteten direkt einen Parasitismus hete- rogener Zellen. Diese zweite Auffassung fand Bestätigung in einigen Tierversuchen, welche die Übertragbarkeit des menschlichen Krebses be- wiesen. Die entstehende Geschwulst ging dann stets von den übertragenen Krebszellen aus, nicht war etwa das eigene Epithel zur Wucherung an- geregt worden. In Beantwortung der PVage, wo- her stammen nun aber diese verderbenbringenden Zellen, wurden mit mehr oder weniger großem Mißgeschick Protozoen als Erreger beschrieben. N. F. III. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 727 Die Versuche Kelling's selbst suchten diese Zellen auf weiterem Felde. Theoretisch wies er auf die großen biologischen Unterschiede zwischen den Krebs- und Körper- zellen hin. Die Krebszellen z. B. erliegen schneller einer Röntgenbestrahlung, sie besitzen einen an- deren osmotischen Druck als die Körperzellen. Die ersten Versuche (Mitteilung 1903) richtete er auf die normalen Zellen niederer Tiere. Er spritzte diese den Versuchstieren (Hunden) ein und es gelang ihm auch wirklich bei einigen ge- schwächten Exemplaren Bindegewebskrebse zu erzeugen, deren Zellen mit denen des Aus- gangsmateriales zu identifizieren waren. Der zweiten Mitteilung zufolge verwendete Kelling dann embryonale Zellen von Wirbel- tieren. Da von vornherein ungewiß war, welche Zellen spezifisch und an welchen Körperstellen sie sich niederlassen würden, so zerschnitt er die Embryonen angebrüteter Hühnereier. Diese Teile wurden in physiologischer Koch- salzlösung aufgeschwemmt und damit Stichimpfun- gen im Organe oder Injektionen in Venen vor- genommen. Hierbei befolgte er einige Cautclen, indem er erstens durch vorhergehende Unter- suchung etwa vorhandene Krebse ausschloß, dann ältere Tiere auswählte und drittens die Dosis be- schränkte, um eine Antitoxinbildung zu verhindern. Von 7 Hunden , weiche nach 3 Wochen ge- tötet wurden, zeigten 5 entweder in den direkt angestochenen Organen (Leber, Hoden) oder in regionären Gebieten Geschwülste, die mikro- skopisch z. B. als Bindegewebs- oder Epithel- krebse erkannt wurden und die Eigenschaften des Ausgangsmaterials besaßen. F"erner griff Kelling das Thema von selten der biochemischen Methode an. Bekannt- lich haben die Eiweiße der verschiedenen Tier- klassen auch entsprechende Unterschiede. Man kann nämlich ein Tier durch Einspritzung des Blutserums einer fremden Gattung zur Bildung eines sogenannten Schutzpräzipitins anregen. Das Tier ist in Zukunft immun gegen derartiges Serum imd fällt dies Eiweiß bei erneuter Injektion. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend verarbeitete Kelling die Masse eines Magenkrebses, welcher den Tod einer Frau verursacht hatte. Das hier- mit durch Einspritzung in ein Kaninchen bereitete Präcipitinserum fällte neben dem zugehörigen Carcinomsafte und Menscheneiweiß noch Hühner- eiweiß. Die Frau hatte vorher, als sie an Magengeschwür erkrankt war, mit der üblichen Kost auch rohe Eier genossen ! Hierzu bemerkt Kelling in fast abenteuerlicher Weise : die Frau habe pfundweise embryonales Hühnerfleisch mit sich herumgetragen. Einen gleichen Nachweis erbrachte er in einem zweiten Falle von Krebstod. Aus seinen Versuchen zieht Kelling den Schluß, daß embryonale Zellen allerlei Art bei einem fremden Organismus die uns als Krebs be- kannten Geschwülste hervorrufen ; nur einige leichte Krebsformen könnten allenfalls von eigenen Gewebselementen herstammen. Sollte diese Auffassung weite und ausgebreitete Bestätigung und Anerkennung finden, so wäre eine gewaltige Umwälzung unserer Prophylaxe dieser furchtbaren Krankheit gegenüber sowie der diätetischen Grundlehren zu erwarten. v. Gößnitz. Die Cladoceren der Krummen Lanke. — Im Laufe des Jahres 1903 suchte ich in der Krummen Lanke (im Grunewald bei Berlin) in der Zeit vom 22. 2. bis zum 18. 9. zwölfmal nach den in ihr lebenden Cladoceren. Ich fischte nur littoral, und zwar am Nordwestufer an möglichst vielen und verschieden- artigen Stellen. Der See ist 1200 m lang und etwa 100 m breit und kann also, da er nur eine geringe Tiefe besitzt *), eine eigentliche pelagische Fauna wohl kaum haben. Leider war ich ver- hindert, während der letzten Monate des Jahres diese Untersuchungen fortzusetzen, so daß ich mich über die Zeit des Auftretens der Männchen von den monocyklischen Cladoceren nicht informieren konnte. Unter den 32 gefundenen Arten möchte ich besonders aufmerksam machen auf Drepanothrix dendata Euren, Leydigia acantlwceredides (Fischer), Chydorus gihbus Lilljeborg und Anchistropus emargieatus G. O. Sars, die erst an wenigen Orten oder überhaupt noch nicht in der Mark gefunden sind. Es folgen die von mir gefundenen 32 Spezies: I. Sida crystallina (O. F. Müller). Ich fand die Art vom 15. 4. an in jedem Fange ziemlich häufig. 2. DapJuua longispina O. F. Müller. Ich fand diese sonst sehr häufige Daphnide, die zur eigentlichen Fauna unserer Seen nicht ge- hört, nur in fünf Stücken zwischen April und August. 3. Daphnia [Hyalodaphnia) cucullata (G. O. Sars). Außer am 14. 6. fand ich diese Spezies nur in wenigen Stücken. Sie variierte zwischen Schöd- lers berolinensis und kahlhcrgicnsis. Im freien Wasser wird sie wohl häufiger sein. 4. Scaplioleberis mucronata (O. F. Müller). Dieser Krebs ist in der Krummen Lanke außer- ordentlich häufig. Bis zum Juni fand ich nur typische Vertreter der var. cornuta mit sehr gut entwickeltem Hörn. Am 28. 8. war das Hörn nur noch bei wenigen Stücken so gut ausgebildet wie vorher, während die var. viucronata s. str. in über- wiegender Menge vorhanden war. In diesem Ma- terial fand ich außerdem sämtliche Übergangs- formen zwischen den beiden Varietäten: völlig ausgewachsene Stücke mit ganz kleinem, oft kaum angedeutetem Hörn. Am 18. 9. war die Form ohne Hörn allein vorhanden. Variationen in der Läng-e der Schalenstachel habe ich nicht beobachtet. •) Herr Dr, Samter ist so gütig gewesen, mir mitzuteilen, d.iß er an verschiedenen Stellen des Sees gelotet und überall weniger als 10 m gefunden hat. Den Boden fand er voll- ständig bewachsen. 728 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 46 5. Siniocephalus vetulus Schoedler. Vom 17. 6. an fand ich die Spezies mehrmals in wenigen Stücken. Der Augenfleck war bald langgestreckt, bald rhomboidisch. 6. Ceriodaphnia reticulata (Jurine). Die Art ist nicht so häufig in der Krummen Lanke wie die folgende. Bis zum 28. 8. ver- wechselte ich sie mit dieser. Dann fand ich sie ziemlich häufig im Materiale. 7. Ceriodaphnia pulcliclla G. O. Sars. Diese Wachsdaphnie fand ich vom April an außerordentlich häufig. 8. Ceriodaphnia quadrangida (O. F. Müller). Von dieser Art fand ich nur ein Stück am 28. 8. Eine genaue Bestimmung ermöglichte die schlechte Beschaffenheit des Kxemplares nicht. Doch machte die rote Farbe und die Form des Postabdomens es mir wahrscheinlich, daß es dieser Art angehöre. Sie ist auch sonst fast immer nur ver- einzelt, meist in Gesellschaft anderer Arten der Gattung angetroffen. 9. Bosniina longirostris (O. F. Müller). Dieser Rüsselkrebs ist die häufigste Cladocere der Krummen Lanke. Schon am 22. 2. fand ich eine Kopfhaut der var. cornuta, obwohl der See zum Teil noch mit Eis bedeckt war. In den fol- genden Monaten war er immer in sehr großer Zahl vertreten. Die var. longirostris s. str. war auch vom April an in großer Menge vorhanden, doch überwog stets die var. cornuta. Das Männ- chen fand ich schon am 17. 5. (i Stück) und am 3. 6. (2 Stück). Die Art scheint also in der Krummen Lanke zwei Sexualperioden zu haben. 10. Iliocryptiis sordidus (Lievin). Am 18. 9. 03 fing ich ein J dieser Art. Hartwig hat am 20. 7. und 4. 10. 98 mehrere Stücke davon am Nordende der Krummen Lanke zwischen Stratiotes gefischt. Außerdem fand er die Spezies noch an folgenden Stellen : ^) 1. ■ Schwielowsee 2 Stücke 10. 6. 96 2. Havel b. Werder 5 „ 9. 7. 96 3. Dahme b. Schmöckwitz 2 „ 7. 7. 96 4. Havel b. Alt Geltow 2 „ 22. 7. 96 5. Kremmener See 4 „ 8. 6. 97 6. Pechteich (b. Marienwerder) mehrere 9. 8. 99 Dazu fand er noch ein Stück in dem Materiale, das der Präparator Protz im Oktober 89 in Treptow gesammelt hat. Demnach ist die Art in der Mark keineswegs selten. II. Drepanothrix dentata (H. A. Euren). In dem am 5. 5. 03 gesammelten Materiale fand ich ein Stück dieser Spezies; es war das erste, das in Deutschland gefangen ist. Später gelang es mir, die Art in mehreren Stücken zu bekommen, und zwar fand ich am 28. 8. einzelne und am 18. 9. zwölf Exemplare. Daß sie in vielen unserer Seen so häufig ist, ist kaum anzunehmen; ') Nach einer handschriftlichen Notiz in dem Hand- exemplare seines Verzeichnisses von 1893. Auch einige der folgenden Angaben über seine Beobachtungen entnahm ich handschriftlichen Bemerkungen am Rande seiner Arbeiten. sie wäre dann Hartwig sicherlich nicht entgangen. Jedenfalls aber hat sie in der Krummen Lanke eine für eine Lyncodaphnide ungewöhnliche Häufig- keit. 12. Eurycercus lamellatus O. F. Müller. Vom 10. 4. an fing ich hin und wieder Stücke dieser großen Lynceide; mitunter fand ich sie häufiger, doch niemals in großer Menge. 13. Caniptoccrcus rcctirostris Schoedler. Von dieser Art fand ich am 14. 6. ein Stück, ebenso am 28. 8.; am 18. 9. fand ich 2 Stücke. Hartwig hat schon am 17. 6. 99 die Spezies für die Krumme Lanke festgestellt. Außerdem fand er sie noch an acht Stellen in der Mark. 14. Acroperiis liarpae Baird. Die Art — in der Literatur über die deutsche Fauna unter dem Namen A. lencoccplialus be- kannt — hat, so viel ich feststellen konnte, in der Krummen Lanke ihre größte Häufigkeit im April. Schon am 22. 2. fand ich sie in ziemlicher Menge vor, trotzdem der „See" — eigentlich Teich — zum Teil noch mit Eis bedeckt war. Dagegen war sie schon Mitte Mai seltener, und in den Sommermonaten konnte ich nur einige Stücke be- kommen. 15. Lynceiis affinis Leydig. Die häufigste unter den Lynceusarten. Ich fand sie vom April an in ziemlicher Menge. 16. Lyncciis costatus (G. O. Sars). Die Art fand ich schon im April; in den Sommermonaten war sie ziemlich häufig. 17. Lynceus rostratus Koch. Am 17. 5. fing ich ein Stück dieser Spezies; in den folgenden Monaten fand ich sie häufig. 1 8. Leptorhynchiis falcatiis (G. O. Sars). Zuerst fing ich am 26. 4. ein Stück der Art; vom Juli an fand ich sie in zunehmender Häufig- keit; zuletzt in ziemlicher Menge. 19. Leydigia acanthocercoides (Fischer). Von dieser seltenen Art fand ich am 28. 8. und 18. 9. je ein Stück. Die Krumme Lanke ist in der Mark die 5. Fundstelle; Hartwig fand sie an folgenden 4 Stellen: 1. I Stück am 28. 6. 94 in Königswusterhausen, 2. I „ „ 9. 9. 96 in Wublitz bei Werder, 3. I „ „ 5. 8. 97 im Kremmener See, 4. I „ „ I. 4. 99 im Grunewaldsee. Sie lebt ebenso wie Iliocryptiis sordidus am Grunde der Gewässer im Schlamm und kommt auch in größeren Tiefen fern vom Ufer vor. 20. Graptoleberis tcstiidinaria (S. Fischer). Die Vermutung, daß diese Lynceide keines- wegs selten ist, hat Hartwig schon 1893 ausge- sprochen. Spätere Funde haben dies bestätigt. Ich fand sie zuerst am 10. 4. in einem Stück, dann am 17. 5. acht Stück, zuletzt am 28. 8. 21. Alonella exigua (Lilljeborg). Am 10. 4. fing ich zwei Alonellen; leider gingen mir die Stücke verloren, bevor ich be- stimmt hatte, ob es cxcisa oder exigua waren. Am 18. 9. fing ich dann eine A. exigua. N. F. m. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 729 22. Alonella nana (Baird; Morman & Brady). Dies winzige Krebschen fand ich am 10. 4. in einem Stück und am 28. 8. in zwei Exemplaren. Es kommt übrigens in dem nicht weit entfernten Sumpf zwischen Paulsborn und Onkel Toms Hütte ziemlich häufig vor. 23. Pcratcaniha intncata (O. I*". Müller). Diese Spezies fand ich vom April an in ziem- lich großer Menge vor. 24. Plciiroxus trigonelbis (O. F. Müller). Am 28. 8. und 18. 9. fand ich je drei Stück der Art. Da sie aber in vielen Fällen von /'. ad- iinciis nur sehr schwer zu unterscheiden ist (nur die Männchen geben sichere Unterscheidungsmerk- male), ist es wahrscheinlich, daß ich sie mehrmals mit dieser Spezies, die ich im Juni fand, ver- wechselt habe. 25. Plciiroxus uncinatus Haird. Von dieser Art fand ich im Juni wenige, am 28. 8. neun Stück; sie variierten in der P'orm des Rostrums in sehr weiten Grenzen, so daß sie mit- unter von den anderen Arten der Gattung nur schwer zu unterscheiden waren. 26. Pleuroxiis adiinais (Jurine). Diese sonst so häufige Art fand ich nur am 14. und 21. Juni, an letzterem Tage recht zahl- reich. Später begegnete sie mir nicht mehr. 27. Cliydorus globosus Baird. Diese Art fand ich in ziemlich großer Menge am 28. 8.; ich konnte aus dem Materiale in kurzer Zeit 25 Exemplare herauslesen. Vor dem 21.6. fand ich sie nicht. 28. Cliydorus sphaericus (O. F. Müller). Diese häufigste unserer Lynceiden fand ich be- sonders in den ersten Frühjahrsmonaten in großer Menge. Im Mai und Juni fand ich nur wenige, später wieder mehr. 29. Chydorus gibbus Lilljeborg. Diese Spezies ist, soviel mir bekannt, in Deutsch- land noch nicht gefunden. Ich fing am 21.6. vier Stücke und am 28. 8. eins, die dem in Lilljeborg's „Clad. Suec." auf Tab. LXXVIII, Fig. 19 abge- bildeten Exemplare fast völlig gleichen. Später fand ich noch (am 5. 10. 03) ein Stück in der Havel bei Potsdam. Außerhalb Deutschlands ist sie aus Skandinavien, Rußland (Kardien) und den Vereinigten Staaten Nordamerikas bekannt. 30. JMoHospilns dispar G. O. Sars. Von der Art fand Hartwig schon am 5. 8. 98 in der Krummen l.anke Schalen. Ich fand sie vom 14. 6. an in mehreren Stücken; am häufigsten trat sie am 18. 9. auf. Ein Stück dieses Materials, das ich für ein Männchen hielt, ging mir verloren, bevor ich es genau gesehen hatte, l-ber die Zeit des Auftretens der Männchen bei uns finde ich keine Angaben. In Schweden findet es sich nach Lilljeborg im September bis November, nur aus- nahmsweise im August. 31. Anchistropus emarginatus G. O. Sars. Von diesem auffälligen Chydoriden fand ich am 14. 6., 28. 8. und 18. 9. je ein Weibchen. Dieser Fundort ist der vierte in der Mark; außer im Müggelsee, in dem er ziemlich häufig zu sein scheint, fand ihn Hartwig im Schwielowsee und im Plessower See bei Werder. Außerdem gelang es mir noch am 5. 10. 03 eins der sehr seltenen Männchen in der Havel unterhalb Potsdams zu fangen. 32. Polypheniits pedkulns (Linne). Dieser Krebs ist ungewöhnlich häufig in der Krummen Lanke. Ich fand ihn vom 15. 4. an; seine größte Häufigkeit erreicht er im Juli. Außer diesen 32 Arten hat Hartwig noch fol- gende in der Krummen Lanke gefunden: 1. Diaplianosouia brachyiiniin, 2. Pleuroxus laevis {= P. hostatus). Das äußerst hyaline Diaphanosoma ist mir wohl nur deshalb entgangen , weil ich nur lebendes Material auslas. Es kann kaum selten in der Krummen Lanke sein. Sehr viel mehr wundert es mich, daß ich den Pleuroxus nicht gefunden habe. Hartwig fand am 14. 10. 98 einige Stücke davon ; er kann also damals nicht selten gewesen sein. Sein völliges Fehlen in meinem 1903 unter- suchten Materiale kann ich mir nur so erklären, daß er in den einzelnen Seen in Perioden häufiger auftritt, was auch für einige andere Cladoceren wahrscheinlich ist. Außer diesen 34 Cladoceren kann ich noch zwei Z,/«f««-Spezies wahrscheinliche Bewohner der Krummen Lanke nennen: 1. Lynceus tenuicaudis (G. O. Sars), 2. Lynceus rcticulaius (Baird). L. tenuicaudis fand ich im August in großer Menge {$$ u. J?) in einem Aquarium, in das ich mehrmals einen Teil des lebend mitgebrachten Materials geschüttet hatte. Da aber auch aus mehreren Tümpeln, in denen die Art auch vor- kommen kann, lebende Tiere in dies Gefäß kamen, ist es nicht völlig sicher, daß sie der Krummen Lanke entstammen. Am 28. 8. fing ich einen Lynceus in mehreren Stücken, den ich nach oberflächlicher Untersuchung für L. reticulatus hielt. Leider gingen mir die Stücke verloren, ehe ich sie genau bestimmt hatte; sie sind jedenfalls mit keiner der anderen genannten Arten identisch. Da Schoedler L. reticulatus auch im Grunewald gefunden hat, wird die Wahrscheinlich- keit noch erhöht, daß es diese Spezies ist. Es ist nach Hartwig (1893) unsere kleinste Cladocere (kaum 0,20 mm lang). L. Keilhack. Der Aufschwung des deutschen Garten- baues. — Jene gewaltige Flutwelle naturwissen- schaftlicher Bildung, welche sich seit etwa den 50 er Jahren des vorigen Säkulums über Deutsch- land ergoß , hat so außerordentlich auf das deut- sche Denken gewirkt, daß eine Geschichte der Popularisierung der Naturwissenschaften in Deutsch- land zugleich eine Geschichte der schönsten Blüten deutscher Kultur darstellen würde. Sie hat es nicht nur ermöglicht, daß der deutsche Natur- forscher unbestritten an der Spitze der Forschung 730 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 46 überhaupt steht, sondern sie hat auch, indem sie die Liebe zur Natur wiedererweckte und sie mit dem Verständnis ergänzte, eine segensvolle Be- reicherung und Verschönerung deutschen Bodens im Gefolge gehabt. Gerade auf diesen letzteren Punkt ist noch viel zu wenig hingedeutet worden, trotzdem die unmittelbaren Folgen der gesteiger- ten „Liebe zur Natur" in der wirtschaftlichen Bilanz eine bedeutende Rolle zu spielen beginnen. Der großartige Aufschwung, welchen Gartenwesen, Blumenzucht und Obstbau genommen haben, steht in direktem Zusammenhange mit der Fülle biolo- gischer Erkenntnisse, welche endlich in das Volk gedrungen sind. Und so mag es allen denen, die durch eigenes Lernen und Belehren anderer selbst daran mitarbeiten, zur freudigen Genugtuung ge- reichen, auch einmal einen Blick auf den großen Aufschwung der „angewandten Botanik" zu wer- fen, den vor kurzem Prof. W i 1 1 m a c k im Auf- trage des Reichskommissar für die Weltausstellung in St. Louis in dankenswerter Weise zusammen- fassend dargestellt hat.^) Eine der erfreulichsten Partien in dem sich darbietenden Bilde ist die gewaltige Zunahme der Naturliebhaberei auch in solchen Kreisen des Volkes, die bisher wahrlich nicht an Gartenpflege und Blumen als Genossen ihrer Ruhestunden dachten. Um alle unsere Städte schlingt sich jetzt ein Kranz von Villen, deren Gärten, abge- sehen davon, daß sie unerschöpfliche Reservoire guter Luft für die Stadt darstellen , in Tausenden von Besitzern und Pflegern die Liebe zur Natur stets wacherhalten. Dem Berliner und Leipziger Muster folgend, legen unsere Großstädte der Reihe nach „Laubenkolonien" an , Grundstücke , die in kleinsten Parzellen vermietet auch den Unbe- mittelten gestatten, in ihren Feierstunden sich die Freuden eines Gärtchens zu gönnen, das, wie die Erfahrung zeigt, nicht so sehr der Gewinnsucht, (durch Gemüse und Obstbau) als vielmehr der F"reude an dem Schönen , der Blumenliebhaberei in Dienst gestellt wird. Ein weiterer Beweis, daß diese zugenommen , sind die zahllosen Blumen- balkons (besonders in Nordwestdeutschland) , die nun auch die kahlen Fronten der Mietskasernen schmücken, was in einigen unserer Großstädte sogar in sehr nachahmenswerter Weise durch Prämiierungen gefördert wird. Nicht minder zeigt sich dies in der erfreulichen Zunahme des Blumen- schmucks der Gräber, sowie in der in den letzten Jahren rapid zunehmenden Blumenpflege durch Schulkinder, welche als Belebung des botanischen Unterrichtes unschätzbar ist zur Heranziehung einer Generation , welche der Naturwissenschaft noch mehr Wertschätzung entgegenbringen wird, als wir. Dieses großartige Umsichgreifen edler Natur- liebhaberei macht es freilich erklärlich , daß der ') L. Wittmack, Der Gartenbau im deutschen Reiche und seine Beziehungen zu Amerika. (Gartenflora , Zeitschrift für Garten- und Blumenkunde. 53. Jahrgang, 1904. Heft 4). berufsmäßige Gartenbau einen kolossalen Auf- schwung nehmen konnte, besonders in dem Königreich Sachsen , dessen Bevölkerung schon seit langem den Ruf besonderer Naturfreunde genießt. Nur so verstehen wir , wohin die i ' ., Millionen Azaleen gelangen, die nach den letzten statistischen Ausweisen in Dresden und Umgebung gezogen werden , wozu die fabelhaften Mengen von Blumensamen in Erfurt und Quedlinburg, den weltberühmten Zentren des Samenhandels gezogen werden. So liefert z. B. Erfurt jährlich 7 — 9 Mil- lionen Levkoyen , etwa lOoooo Topfnelken, in Quedlinburg dagegen eine einzige Firma 300000 Töpfe Sommerlevkoyen, von einer einzigen Primula chinensis fimbriata 60 — 80000 Töpfe. In Qued- linburg werden von dieser Firma mit Astern 30 Hektar bebaut, mit Reseden 12 — 18 ha, mit Viola tricolor 5 — 7 ha. Welche Summen aber hierbei in Betracht kommen, geht daraus hervor, daß 100 g Primelsamen bis 300 Mk. kosten, ein- zelne Varietäten sogar 600 Mk., 100 g Gloxinien- samen 600 — 2000 Mk., 100 g Samen von gefüllten Begonien sogar bis 8000 Mk. Dem entspricht es auch, daß nun bereits eine ganze Reihe von Städten ihre Pflanzenzuchts- spezialitäten besitzen, welche in ganz Europa Ruf genießen. So ist z. B. Dresden berühmt durch seine Rhododendren und Azaleen, Erfurt und Quedlinburg durch ihre Levkoyen , Leipzig und Hamburg durch Palmen und Farne, Berlin durch seine Cyclamen, Blattpflanzen und Orchideen, Trier durch seine Rosen, Stuttgart durch Canna und Calla, Darmstadt durch Wasserrosen usw. Dem entspricht es ferner, daß sich neuestens besondere Vereinigungen um eine Lieblingsblume scharen, um deren Verbreitung und Vervollkommnung zu befördern, wie z. B. die deutsche Dahlien- Gesell- schaft, oder der Hamburger Verein der Chrysan- themumfreunde. Ein nicht minder bemerkenswertes Symptom für den Aufschwung, den die liebevolle Freude an der Natur genommen hat, ist das Bedürfnis nach großen Baumschulen, um die Bedürfnisse der Privatgärten zu decken. Deutschland verfügt nun über Baumschulen, die zu den ersten der Welt gehören. Es gibt darunter solche , deren Areal hunderte von Hektaren bedeckt und die an 600 Arbeiter beschäftigen. Sie besitzen eigene Reisende in Nordamerika und Japan, durch die sie mit Neuheiten und seltenen Gehölzen versorgt werden. Mit Freude können wir auch konstatieren, wie sehr der .Sinn für das Pflanzen von Alleebäumen und Schmuckgehölzen zugenommen hat. Nicht ganz hierher gehört vielleicht die große Ausbreitung des deutschen Obstbaues, denn sie entspringt mehr praktischen Erwägungen als der bloßen Freude an der Natur. Aber immerhin leistete auch hier die Naturwissenschaft den Auf- klärungsdienst, um unseren Landwirten die großen Vorteile der Obstkultur einleuchtend zu machen. Gegenwärtig wetteifern Regierungen und Ge- meinden, landwirtschaftliche und gärtnerische Ver- N. F. m. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 731 einigungen, nicht minder auch Private, den Obst- bau noch immer mehr auszudehnen. Es dürfte da wohl interessieren, welche Ergebnisse die erste allgemeine Zählung der Obstbäume im deutschen Reiche aus dem Jahre 1900 aufzuweisen hatte. Insgesamt wurden in Deutschland 168388S53 Obstbäume gezählt, von denen über 52 Millionen Apfelbäume, 25 Millionen Birnbäume, 69 Millionen Pflaumenbäume und 21' Millionen Kirschbäumewaren. Von größter volks- wirtschaftlicher Be- deutung ist der Apfelbau und hierin steht Württemberg an der Spitze mit 4 '/., Millionen er- tragsfähigen Apfel- bäumen. Nichts illustriert übrigens die Bedeutung eines „schlechten" Obst- jahres und die Wich- tigkeit rationeller Pflanzenschutzbe- strebungen besser, als diese trockenen Zahlen der Statistik. Ob wir einen kalten oder warmen Früh- ling haben, ver- schiebt schon allein durch den Obster- trag die Bilanz des deutschen Reiches um viele Millionen. Als Beweis diene die Angabe Witt- mack's, daß der Gesamtgeldwert des Obstertrages in Württemberg im Jahre 1900 19 182 146 Mk. be- trug, im darauffol- genden schlechten Obstjahre dagegen nur 4369639 Mk. Schon dieser flüchtige Überblick genügt, um uns zu überzeugen, daß wir hier vor einer ganz neuen Erscheinung deutscher Kultur stehen, denn abgesehen von der alten Obstkultur in Süddeutsch- land, war Blumenpflege und Gartenwesen Jahr- hunderte hindurch fast ausschließlich das Privileg der reicheren Landbevölkerung gewesen. Und es kann kein Zweifel sein, daß diese Wandlung in erster Linie ein Verdienst der Popularisierung der Naturwissenschaften ist. Verständnis und Liebe der Natur sind in steter Wechselwirkung, deshalb können wir auch diese kleine Betrachtung mit der Genugtuung darüber schließen, daß wir endlich sichere Beweise besitzen, daß der hohe Stand der Naturwissenschaften auf unser Volk nicht ohne tiefe Wirkungen bleibt, ja daß wir im Begriffe sind, durch Naturerkenntnis die so vielbeklagte, noch immer mittelalterlich-scholastische Richtung der „öffentlichen Bildung" zu über- winden. Die wieder- erweckte Liebe zur Natur scheint der erste Schritt dazu zu sein. R. France. Ein versteiner- ter Wald in der Farbenwüste von Arizona. — hi dem an wunderbaren und grotesken Land- schaftsbildern so reichenNordamerika ist eine der merk- würdigsten Gegen- den jener mächtige ^'^' '■ Einschnitt des Colo- rado-River, der unter dem Namen „Grand Canon of Colorado" allgemein bekannt ist. Nicht weit ab- seits von diesem Punkte liegt ein an- deres Gebiet, das nicht minder groß- artige und seltsame Naturschauspiele dem Auge des Be- suchers darbietet. Es ist dies die Far- benwüste (Pain- ted Desert) von Ari- zona mit ihren ver- steinerten Wäldern. Die Farbenwüste nimmt etwa das Flußgebiet des „klei- Fig. 2. nen Colorado", eines linksseitigen Neben- flusses desColorado- River, ein. Ihren Namen verdient sie mit vollem Rechte : denn die Sandsteine, Schiefertone und Let- ten, welche hier das Gestein zusammensetzen, sind durch prächtige rote, blaue, gelbe oder grüne Färbung ausgezeichnet, so daß das ganze Gebiet namentlich im hellen Sonnenscheine ein in zahl- losen, herrlichen Nuancen gemaltes Bild darbietet. Seltsamerweise werden diese fast einzig dastehen- 732 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 46 den Naturschönheiten bislang kaum gewürdigt; denn während man in dem Yellowstone - Park jährlich über 3000 Besucher zählt, wird die Farben- wüste jährlich kaum von einem Dutzend Menschen aufgesucht. Wie bereits erwähnt, gesellt sich zu der wun- derbaren Farbenpracht der Painted Desert noch eine zweite Erscheinung, die jenem Gebiete noch einen besonderen Reiz verleiht. Es ist dies ein ver- steinerter Wald. Der kleine Colorado empfängt seinerseits wieder einen links- seitigen Zufluß in Gestalt einer dürf- tigen Wasserader, die den Namen „Rio Puerco" führt. Ganz in der Nähe dieses Flüßchens ist die Stätte jenes verstei- nerten Waldes. Dem Besucher dieses Ge- bietes zeigen sich die ersten Spuren von fossilen Höl- zern, wenn er den Rio Puerco von Nor- den her passiert hat, in der Gestalt von prächtig rot oder gelb gefärbten Stük- ken von Achat und Chaicedon, die die typische Struktur von Baumrinde auf- weisen. Teile von Baumstämmen, die ebenfalls in Achat, Jaspis oder Chaice- don umgewandelt sind, treten dem Besucher bald da- rauf entgegen. So zahlreich sind der- artige Reste über ein Gebiet von meh- reren Morgen ver- streut, daß die Land- schaft eine gewisse Ähnlichkeit mit der von Säulentrommeln überdeckten Trümmerstätte eines antiken Tem- pels hat. Nur sehr wenige' Baumstämme sind nämlich ganz geblieben. Vielmehr sind fast ausschließlich nur einzelne Stamm stücke vorhanden. Die Bruchflächen dieser Stücke besitzen meist eine wunderbare rote, gelbe oder mattblaue Färbung. Die bedeutenderen Stammteile weisen eine Stärke Fig- 3- - -^«H*^ 1 r M 1"^/ ^'// ' ■ Ä i JIH Flg. 4. von etwa 1,3 m und eine Länge von 3 — 4 m auf. (Siehe Fig. i und 2.) Zweige oder Aste finden sich niemals daran. Zahllose kleine Stücke aber, die in ihrem Durchmesser zwischen ein paar Zentimetern und einem Fuß schwanken , sind offenbar als die Überreste des Gezweiges zu deuten. Alle Stämme liegen ferner auf der Seite. Carter, dessen Bericht im Journal of the Franklin Insti- tute wir diese An- gaben entlehnen, konnte bei seinem Besuche der Farben- wüste keinen ein- zigen aufrecht ste- henden, versteiner- ten Stamm entdek- ken. Dagegen be- schreibt er einen Baum, der in noch fast vollständiger Er- haltung vorgefunden wurde. Dieser maß nicht weniger als 1,3 m an seinem dicksten Teile und besaß eine Länge von insgesamt 35 m. Es ist dieser Stamm besonders merkwür- dig noch deshalb, weil er über einen Hohlweg von 14 m Breite gleichsam eine natürliche Brük- ke bildet (Fig. 3). Freilich besitzt diese eigenartige Brücke in der Mitte eine Anzahl von Sprün- gen , so daß die Passage ziemlich ge- fährlich sein dürfte. Abgesehen von den frei umherlie- genden Stämmen finden sich hier und da auch Stücke, die noch in das Gestein eingebettet sind. So verschwindet auch der soeben erwähn- te, mächtige Stamm mit seinem einen Ende in einer Sandsteinschicht, so daß also die ange- gebene Länge von 35 m nur den sichtbaren Teil des Riesen umfaßt. Das geologische Alter dieser Sand- steine und Schiefertone, in denen der versteinerte Wald ursprünglich eingebettet war, ist mit Sicherheit noch nicht bekannt, namentlich ist noch nicht ent- schieden, ob man in ihnen jurassische oder kreta- zeische Bildungen zu sehen hat. Wie dem aber N. F. m. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 733 auch sei, sicher sind die Stämme in diesen Schich- ten zunächst im unzerstückelten Zustande eingelagert gewesen. Hier hat des weiteren auch ihre Versteinerung stattgefunden und zwar dadurcli, daß gelöste Silikate, die ihren Ursprung aus dem als Bindemittel der dortigen Sandsteine fungieren- den Feldspat nahmen, die organischen Gewebe der Baumriesen imprägnierten. So haben die Stämme eine Zeitlang gelegen , bis dann in der Tertiärzeit das gesamte Gelände einer beträcht- lichen Hebung unterworfen wurde, wobei eine Knickung der Stämme unvermeidlich war. Nun- mehr setzte die Tätigkeit der Erosion ein. Ihr gelang es zunächst das Einbettungsmaterial fort zuwaschen, während die verkieselten Stämme der Zerstörung widerstanden, da ja Kieselsäure weder in kaltem Wasser noch in Mineralsäuren löslich ist. Nur hier und da blieb ein Rest von dem Gestein mit den eingeschlossenen Fossilien stehen, und das sind die Stellen , an denen man heute noch die Baumstämme im Gefels eingebettet findet. Naturgemäß sind diese Punkte höher gelegen als das Niveau, auf dem die losen Baumreste umher- liegen. Unsere Fig. 4 zeigt einen Baumstumpf, der durch die Erosion gerade freigelegt ist und nun die Spitze des Felsens krönt, in dessen Ge- stein er bis kurz vorher eingelagert war. Was endlich die systematische Zugehörigkeit jener merkwürdigen versteinerten Baumriesen an- geht , so scheint man die Mehrzahl davon einer araucarienartigen Koniferenspezies zuzählen zu müssen. Manche Stücke indessen zeigen eine gewisse Ähnlichkeit mit der virginischen Zeder (Juniperus Virginianus). W. Seh. Energiemessungen im Ultraviolett sind kürzlich durch A. Pflüge r mit Hilfe der Thermo- säule an den Funkenspektren der Metalle ausge- führt worden (Annalen der Physik, 1904. XIII, S. 890). Daß die meisten Metallspektren im Ultraviolett helle Linien besitzen, ist auf Grund der photographischen und fluoreszenzerregenden Wirkungen jener Lichtarten längst bekannt, jedoch hielt man die Energie dieser Strahlen bisher für zu gering, um nachweisbare Wärmewirkungen für möglich zu halten. Pflüger hat nun aber doch mit Hilfe der sehr empfindlichen, in ein Vacuum eingeschlossenen Rubens'schen Thermosäule und unter Benutzung von Flußspatprismen sehr starke Ausschläge des Galvanometers durch ultraviolette Metallinien er- halten, ja durch Untersuchung des gesamten Spektralbereiches von 186 ,«|(t bis 2250 ;«/< konnte er für die meisten Metalle sogar feststellen , daß die energiereichsten Linien unter 260 /er- lin 28,4" C betrug, ist innerhalb der letzten 56 Jahre hier nur zweimal übertreffen worden. Bald darauf erfolgte überall eine starke Abkühlung, in der Nacht zum 20., wie schon vor- her am 13., bildete sich an einzelnen Stellen in Ostpreufsen, Westpreufsen, Schlesien und Hannover Reif. Aber um den 24. und ebenso in den letzten Tagen des Monats herrschte wieder allgemein sehr heißes und schwüles Wetter. Weil die Hitze in Norddeutschland an den meisten Tagen nur wenige Stunden anhielt, wurde im Monatsmittel die Normaltemperatur nur im Süden wesentlich übertroffen. Dagegen war das Über- maß an Sonnenstrahlung allgemein sehr groß. Beispielsweise hat in Berlin die Sonne an 330 Stunden geschienen, durch- schnittlich an jedem Tage 3 Stunden länger als im Durch- schnitt der letzten 12 Julimonate. Tßmperaftirj/VVaxima sinigor Orfc im 3ufi 190^ . t.Juli ' 6. II. 16.*' i\- ^ "• ....Breslau.,...' y I •'. "' l..-.-' 27' Bwliner Werterbureau. Das hervorstechendste Merkmal des vergangenen Juli war sein beispielloser, äufserst folgenschwerer Mangel an Regen. Zwar die ersten 6 Tage des Monats brachten , wie unsere zweite Zeichnung ersehen läßt, wenigstens dem mittle- ren Küstengebiete ziemlich ergiebige Regenfälle, die dort, wie C CT) 'fKie<{ci:öc^fa^'^ö^cn im Sufi 1904. "s>S A 4 ! .= '§-S = 3 C . ^1 feig- ~ CDi:x:=:coaÄ«ca:2omcDE=c:CtctmS tinii I I 1 I I — I I I 1 I I 1 I >l I I I 20 ■=■- Ibis 6. Juli. MonatssummeirnJulf 03.02.01. 00.1839. e^ ßerlinerWclterbureau.. in Thüringen und Süddeutschland, von einzelnen Hagelschlägen begleitet waren. Aber in der langen Zeit vom 7. bis 24. Juli gab es nur seltene Gewitterregen, und auch deren Wasser- mengen waren an den meisten Orten nicht groß. Der schon in den Monaten vorher ungenügend durchfeuchtete Erdboden dörrte mehr und mehr aus. Alles Wachstum geriet in Still- stand, Sommergetreide, Hackfrüchte und Gemüse litten stark, Wiesen brannten völlig aus, so daß eine immer größere Futters- not entstand. Zu diesen schweren Schädigungen auf dem N. F. m. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 751 Lande, durch die der Viehbestand am meisten in Schlesien gefährdet zu sein scheint , kam eine auUerordentliche i'>nie- drigung des Wasserstandes aller Flüsse hinzu. Die Mittelelbe und Saale waren schon um Mitte des Monats auf den nie- drigsten Stand seit 1811 gesunken, so daß ein regelmäßiger Schiffahrtsverkelir sicli nicht mehr aufrecht erhalten ließ. Auch die stärkeren Regenfälle der letzten Juliwoche, die durcli einen orkanartigen Sturm in Südwestdeutschland am 24. eingeleitet wurden, konnten nicht mehr viel verbessern, zumal da sie durch zu viele Stunden mit klarem Himmel unterbrochen wurden und noch vor Schluß des Monats gänz- lich aufhörten. Die gesamte Menge der Niederschläge betrug für den Durchschnitt der berichtenden Stationen 29 mm, wäh- rend die gleiclien Stationen im Mittel der letzten dreizehn Julimonate 81 '/2 mm ergeben haben. Selbst der bisher trockenste Juli, der des Jahres 1892, hat inmier noch 50 mm Hegen geliefert. * Wie es bei anhaltender Trockenheit gewöhnlich ist, wur- den die Witterungsverhältnisse auch im letzten Juli im all- gemeinen durch barometrische Maxima beherrscht. Ein Maximum , das am Anfang des Monats in Südfrankreich er- schien , drang langsam nach Mitteleuropa vor. Gleichzeitig wurde der Norden von mäßig tiefen Barometerdepressionen durchzogen, so daß bei uns ziemlich schwache, aber feuchte Südwest- und Westwinde wehten. Gegen Mitte des Juli rückte der höchste Luftdruck weiter nach Osten. Damit gleichzeitig gingen auch die Winde iu Deutschland, wie in ganz Mittel- europa, nach Osten über und trugen durch ihre ungemeine Trockenheit viel zur Steigerung der Hitze bei. Durch ein am 17. Juli in Nordskandinavien erschienenes, tieferes Minimum, das mit weit verbreiteten Regenfällen lang- sam durch Rußland hindurchschritt, wurde das Hochdruck- gebiet nach Westen zurückgedrängt. Die Winde drehten sich bei uns nach Nordwest, und es trat eine allgemeine Abkühlung ein. Aber seit dem 23. befand sich der höchste Luftdruck wiederum gewöhnlich in Mitteleuropa. Durch England und die Umgebung der Nordsee wanderten flache Depressionen, so daß das frühere heiße, wenn auch nicht mehr ganz so trockene Wetter bald zurückkehrte. Dr. E. Leß. Bücherbesprechungen. Prof. Dr. M. Delbrück, Geh. Regierungsrat und Dr. A. Schrohe, Regierungsrat. Hefe, Gärung und Fäulnis. Eine Sammlung der grundlegenden Arbeiten von Schwann, Cagniard Latour und K ü t z i n g , sowie von Aufsätzen zur Geschichte der Theorie der Gärung und der Technologie der Gärungsgewerbe. Mit 14 Textabb. u. 6 Porträts. Berlin (Paul Parey) 1904. Preis: 6 M. Die vorstehende Sammlung ist sehr verdienstlich. Bei der Fülle der Literatur und dem Ineinandergreifen der Disziplinen, das es erforderlich macht auch ge- wisse Veröftentlichungen zu kennen, die nicht zum Spezialfach gehören, sind Zusammenstellungen wich- tiger Mitteilungen über ein bestimmtes Gebiet sehr willkommen. An den Quellen zu schöpfen ist für jeden Forschenden unerläßlich und die von Delbrück und Schrohe gebotenen Quellen zum Gegenstande sind gut ausgewählt. Es wäre gewiß vielen, die das Buch benutzen werden, wünschenswert gewesen, auch eine Zusammenfassung über den Gegenstand aus der Feder der Herausgeber zu haben, die kurz die wesent- lichen Resultate wiedergibt; die einleitenden Bemer- kungen zu den abgedruckten Aufsätzen sind immer- hin ein gewisser Anfang dazu. P. der Feuerberge im Lichte der neueren Anschauungen, für die Gebildeten aller Stände in gemeinfaßlicher Weise dargestellt. Berlin, Verlagsbuchhandlung von Alfr. Schall. Die Ursachen für die gewaltigen Phänomene des Viükanismus im weitesten Sinne haben wir in den Tiefen des Erdinnein zu suchen. Nun sind uns aber von den 6377 km des Erdhalbmessers in dem tiefsten Bohrloch nur 2 km, d. h. kaum mehr als die Erd- oberfläche, aus eigener Anschauung bekannt. Wir können zwar das spez. Gewicht der Erde bestimmen und die Wärmemengen messen, die zu uns herauf- dringen, aber die Schlußfolgerungen, die wir daraus ziehen, und die Vorstellungen, die wir uns vom Erd- innern und seinen Beziehungen zu den vulkanischen Erscheinungen der Oberfläche zu machen suchen, sind doch nur mehr oder minder wahrscheinliche Vermu- tungen und Hypothesen. Der Verf. stellt nun in seinem Werke das überreiche Material an dahingehenden Hypothesen, E.xperimenten und Beobachtungen in über- sichtlicher Anordnung zusammen und gibt so einen klaren Überblick über den gegenwärtigen Stand unseres Wissens und Glaubens auf diesem Gebiete. Das Schlußkapitel ist den jüngsten Ereignissen auf den Antillen und ihren Ergebnissen für die Forschung ge- widmet. Die Verteilung der zahlreichen Photographien und schematischen Abbildungen entspricht leider nicht der Anordnung des Te.\tes. Edw. Hennig. Frederick A. Cook, Die erste Polarnacht 1898 — 1899. Kösel, Kempten 1903. Cook war Arzt der belgischen Südpolar-Expedition, welche , halb unfreiwillig , zum ersten Male in der Antarktis überwinterte. Sein Reisewerk, dessen eng- lisches Original mir manche Stunde auf dem „Gauß" vertrieben hat , liegt nun auch in deutscher Über- setzung vor. Das Buch hat mich stets erfreut durch seinen frischen Humor und durch seine Wahrhaftig- keit , die nicht mit rosa Farbentönen wiederzugeben sucht, was grau in grau war. Und daß dieser erste Pülarwinter für die Männer auf der „Belgica", die für ihn nur ungenügend vorbereitet waren, die von Krank- heit und Tod heimgesucht wurden, oft hart genug war, das dürfen wir dem Verfasser gern glauben. Um so höher ist es anzuerkennen, daß die Gelehrten der belgischen Südpolar-Expedition trotz aller Hinder- nisse ein großes wissenschaftliches Programm durch- geführt haben, über das sie am Schlüsse des Werkes im Auszuge berichten. Zahlreiche, meist recht gute Abbildungen , auf denen auch die eigenartige Fauna des Südpolar - Gebietes vortrefflich dargestellt ist, schmücken das Werk. Dr. E. Philippi. Dr. phil. Hippolyt Haas, Prof. a. d. Hochschule zu Kiel; „Der Vulkan", die Natur und das Wesen Literatur. Eder, Hofr. Dir. Dr. J. M., u. L. Valenta, Proff. : Beiträge zur Photochemie u. Spektralanalyse. Enth. 5 Teile mit 93 lUustr. im Texte u. 60 Taf. (Xlll, 425; 174, 167, 30 und 51 S.) 4°. Wien, R. Lechner's Sorl. in Komm. — Halle '04, W. Knapp in Komm. — Geb. in Leinw. 25 Mk. Eleutheropulos, Priv.-Doz. Dr. A. : Soziologie. (XI\^, 196 S.) Jena '04, G. Fischer. — Subskr.-Pr. 2,60 Mk. ; Einzelpr. 3,25 Mk. ; Einbd. i Mk. 752 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 47 Fritsch, Prof. Dr. Karl: Die Keimpflanzen der Gesneriaccen m. besond. Berücksicht. v. Streptocarpus , nebst vergleich. Studien üb. die Morphologie dieser Familie. (IV, 188 S. m. 38 Abbildgn.) gr. 8". Jena '04, G. Fischer. — 4,50 Mk. Michaelis, Curt: Prinzipien der natürlichen u. sozialen Ent- wicklungsgeschichte des Menschen. Anthropologisch-ethno- log. Studien. (XI, 211 S.) Jena '04, G.Fischer. — Subskr.- Preis 2,80 Mk, ; Einzelpr. 3,50 Mk. ; Einbd. I Mk. Molisch, Dir. Prof. Dr. Hans: Leuchtende Pflanzen. Eine physiol. Studie. (IX, 168 S. m. 14 Fig., 2 Taf. u. i Bl. Erklärgn.) gr. 8°. Jena '04, G. Fischer. — 6 Mk. Nieuwenhuis, Dr. A. W. : Quer durch Borneo. Ergebnisse seiner Reisen in den J. 1894, 1896 — 1897 und 1898— 1900. Unter Mitarbeit von Dr. M. Nieuwenhuis — von U.xküll- Güldenbandt. (2 Tle.) i. Tl. Mit 97 Taf. in Lichtdr. u. 2 Karten. (XV, 495 S.) Le,\. 8°. Leiden '04, Buchh. u. Druckerei vorm. E. J. Brill. — F"ür vollständig geb. in Leinw. 42 Mk. Reling, Präpar.-Anst.-Vorst. H. , und Gymn.-Lehr. J. Bohn- horst: Unsere Pflanzen nach ihren deutschen Volksnamcn, ihrer Stellung in Mythologie u. Volksglauben , in Sitte und Sage, in Geschichte u. Literatur. Beiträge zur Belebg. des botan. Unterrichts u. zur Pflege sinn. Freude in und an der Natur, f. Schule u. Haus gesammelt u. hrsg. 4., verm. .\ufl. (XVI, 416 S. 8». Gotha '04, E. F. Thienemann. — 4,60 Mk. ; geb. 5,50 Mk. Wettstein, Dr. Rieh. R. v. : Vegetationsbilder aus Südbrasilien. Mit 58 Taf. in Lichtdr., 4 färb. Taf. u. 6 Textbildern. (55 S.) Lex. 8". Wien '04, F. Deuticke. — In Mappe 24 Mk. Briefkasten. Herrn E. K. in Reibersdorf. — Die von Ihnen einge- sandten, im Wasser eines Schweinetroges gefundenen Tiere sind sogenannte Rattenschwanzlarven oder Mäuschen. Sie kommen nach J. R. Schiner (Fauna .austriaca; Die Fliegen, Bd. 1, S. 332, Wien 1862), ,,in verwesenden vege- tabilischen und animalischen Stoffen, in schmutzigen Wässern, im Schlamme, in Senkgruben und dgl. Orten" vor. Die große madenformige, mit einem- langen dünnen Schwanzanhang versehene Larve verwandelt sich nach kurzer Puppenruhe in eine sogenannte S c h 1 a m m f 1 i e g c [Erislalis). Schlammfliegen findet man das ganze Jahr hindurch, besonders aber im Spät- sommer, teils auf Blüten, teils vor den Fenstern der Viehställe. Der Laie hält sie gewöhnlich für Bienen und in der Tat sind sie nicht nur infolge ihrer kurzen braunen Behaarung und ihrer dicken Hinterbeine, sondern auch in ihren Bewegungen und in ihren eigenartigen Brummtönen einer Biene zum Verwech- seln ähnlich. Der Kundige erkennt freilich leicht, daß er Fliegen vor sich hat, da nur zwei Flügel vorhanden und die Fühler kurz und wenigglicdrig sind, während die Bienen vier Flügel und vielgliedrige, geknietc Fühler besitzen, wie ihre abweichende Lebensweise es verlangt. In der Schlammfliege haben wir einen der auffallendsten Fälle von Mimikry vor uns und man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß nicht nur Menschen, sondern auch manche Insektenfresser ge- legentlich durch die Ähnlichkeit mit der stachelbewehrten Biene getäuscht werden und daß den Schlammflicgen aus dieser Ähnlichkeit also ein gewisser Vorteil erwächst. Natürlich ist der Schutz, den eine solche .Ähnlichkeit gewährt, kein absoluter. Werden doch auch die Bienen selbst von manchen Insekten- fressern gefressen. — Was die eigenartige Bildung des schwanz- artigen Anhanges bei der Larve anbetriftt, so handelt es sich um ein Atmungsrohr. Den Endteil dieses am hinteren Körper- ende befindlichen .•\nhanges sieht man aus der Flüssigkeit hervorragen, während gleichzeitig das Vorderende des Körpers in den tieferen Schichten derselben reichliche Nahrung findet. Man erkennt also den Vorteil, den die Lage der Atmungs- organe am hintern Köperende gewährt. Eine Atmung durch Kiemen oder Tracheenkiemen ist bei Tieren, die in schmutzi- gem, sauerstoffarmen Gewässer leben, ausgeschlossen. Die P u p p e trägt ihre Atmungsorgane, in Form von zwei ohrartigen Anhängen, am vorderen Körperende. Nahrungsaufnahme findet im Puppenstadium nicht mehr statt ; jener .\nderung der Lage steht also von dieser Seite aus nichts im Wege. Ande- rerseits ist der Übergang der ausschlüpfenden Fliege in die Luft im hohen Grade erleichtert, wenn die Puppe mit dem Vorderende nach oben in den mehr oder weniger aus- getrockneten Teilen der Schlammmasse ruht. Eine ähnliche Wanderung der Atmungsorgane während des Überganges aus dem Larven- in das Puppenstadium ist auch bei andern Zwei- flüglern leicht zu beobachten. Der Grund ist überall derselbe. Der Beobachtung besonders leicht zugänglich ist die Verwand- lung der Stechmücke (Culex), da hier auch die Puppe beweg- lich ist und sich frei an der Oberfläche des Wassers aufhält. (Vgl. F. D a h 1 , Das Tierleben im deutschen Walde nach Beobachtungen im Grunewalde, Jena 1902, S. 33.) Dahl. Herrn stud. rcr. nat. M. S. in München. — Frage; Wie erklärt sich die Bräunung der Hautfarbe im Sommer? — Durch den Einfluß des intensiveren Lichtes und in geringerem Maße auch unter dem Einfluß der Wärme bildet sich im Corium und in der Epidermis ein dunkles Pig- ment. Dasselbe wird teils und in erster Linie von den Zellen bereitet, teils ist es ein Umwandlungsprodukt des Hämoglobins. Es hat wahrscheinlich die Aufgabe, einen Lichtschirm gegen allzustarke Beleuchtung der inneren Organe zu bilden. — Frage: Entsteht die Bräunung nur bei Einwirkung von direk- tem Sonnenlicht oder auch bei diffusem Lichte? — Das Pig- ment bildet sich bei jedem intensiven Lichte, wenn dasselbe blaue und violette Strahlen enthält, auch bei elektrischem Lichte. — Frage: Wie kommt es, daß manche Menschen mehr dafür empfänglich sind als andere? — Teils handelt es sich um individuelle Variationen, die bekanntlich fast in jeder Beziehung bei allen Organismen vorkommen ; teils liegen Rassenunterschiede vor, die wahrscheinlich durch die Lebens- bedingungen in der ursprünglichen Heimat hervorgerufen sind. — Frage: Wie läßt sich die Bräunung am besten verhindern ? — Dadurch, daß man intensives Licht, namentlich aber die wirksamen Strahlen durch Schirme , Schleier etc. abzuhalten sucht. — Frage: Ist die Bräunung, wie man gewöhnlich sagt, ein Zeichen von guter Gesundheit? — Wenn das der Fall wäre, müßten die Südländer durchgehends gesunder sein als die Nordländer. Die Sommerbräunung hängt mit der Gesundheit nur insofern zusammen, als die gesunden Menschen meist mehr hinauskommen. Gewisse Bräunungen sind sogar pathologische Erscheinungen. Häufig handelt es sich dann um Gallenfarbstoffe, doch keineswegs immer. Andererseits deuten aber auch Gallenfarbstoffe in der Haut keineswegs immer auf einen krankhaften Zustand hin. So nimmt man z. B. an, daß die gelbe Hautfarbe der Chinesen etc. auf Gallen- farbstoffe zurückzuführen sei. — Frage: Gibt es ein sicher wirkendes, medizinisches oder kosmetisches Mittel zur Beseiti- gung der allzu auffallenden Bräunung? — Die Beantwortung dieser Frage fällt außerhalb des Rahmens einer naturwissen- schaftlichen Zeitschrift. — Frage: Könnten Sie mir ein Buch oder eine Abhandlung angeben, in welcher die gestell- ten Fragen ausführlich und vom wissenschaftliclien Stand- punkte aus behandelt sind? — Ein Aufsatz von H. Man- doul: Recherches sur les colorations tegumentaires in den Annales des sciences naturelles, 8. ser. Zool. T. 18 p. 225 bis 468, Paris 1903, behandelt den Stoff sehr vielseitig und gibt am Schluß ein Verzeichnis der wichtigsten Literatur. Dahl. Inhalt: Dr. Berthold Weiß: Entwicklung. — Kleinere Mitteilungen: R. du Bois-Reymond: Zur Physiologie des Schwimmens. — Richard Credner: Die Fauna des Baikalsees. — L. Kathariner: Orientierungsvermögen der Honigbiene. — H. Jansen: Über die Widerstandsfähigkeit der Bakteriensporen gegenüber dem Lichte. — Dr. Odern- heimer; Kristallisierter Portlandzement. — Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: Prof. Dr. M. Del- brück: Hefe, Gärung und Fäulnis. — Dr. phil. Ilippolyl Haas: Der Vulkan. — Frederick A.Cook: Die erste Polarnacht. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pälz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,Di6 NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 28. August 1904. Nr. 48. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Kringcgeld bei der l'ost 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene l'efitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Ueilagen nach Übci- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- (I Gohlis, Blumenslraße 46, Buchhändlcrinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Einiges über die Pilze im Dienste von Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Bok Wenn auch nur wenige Pilze eigens gezüchtet werden behufs technischer Verwendung, und diese erst seit relativ kurzer Zeit, so sind sie docli von der allergrößten Bedeutung für verscjiiedene wichtige Erzeugnisse menschlicher Tätigkeit und dienen dem Menschen, ohne daß dieser es wußte, seit Jahrtausenden bei der Herstellung der wich- tigsten Nahrungs- und Genußmittel. Wir können uns kurz fassen bezüglich der all- gemein bekannten Anwendung der Hefe zur Bier- fabiikation und in der Bäckerei. Es gibt Bierhefe und Getreidehefe ; beide weiden im gepreßten Zustande mit einem Wassergehalt von ca. 70% sls Preß- oder Pfundhefe in den Handel gebracht. Erstere fällt als Nebenprodukt ab bei der Bereitung des Bieres, sie wird aus den Gärbottichen, nachdein die Gärung beendigt und das junge Bier abgezogen ist, herausgeschöpft und nach einigem Waschen und Zusatz von Kartoffel- stärke gepreßt und zu Pfundstücken geschnitten. Die Getreidehefe aber wird in dem Extrakt ge- keimter Getreidefrüchte (Malz- und Roggenschrot) gezogen, wobei die Gewinnung der Hefe Haupt- zweck ist, wiewohl die Gärung nicht aus'ge- orny, Münclien. schlössen werden kann. Man maischt Gersten- malzschrot und Roggenschrot mit Wasser, erwärmt auf 60 "und läßt zur völligen Verzuckerung durch die Gerstendiastase I Stunde lang stehen. Dann öffnet man das Gefäß und läßt so das in jeder Brauerei vorhandene Milciisäureferment hineinge- langeii. Nach 24 Stunden ist genug Milchsäure (i — i.S",',,) da, um gewisse schädliche Bakterien auszuschließen; dann versetzt man mit Hefe und läßt gären (bei 18 — 20"). Nach Beendigung der Gärung und nach- dem die Hefe sich stark vermehrt hat, nimmt man diese heraus und preßt sie. 100 kg Roggenschrot geben 15 — 16 kg fertige Preßhefe. Die IBrauereihefe ist ausgezeichnet durch ihre rasche Vergärung zuckerhaltiger Nährsubstrate; die Getreidehefe vergärt langsamer. Erstere ist ferner wesentlich billiger, sie kostet nur 30 Pfennige pro Pfiuid im Detailverkauf, letztere i Mk. Welche von beiden angewendet wird, das hängt von den besonderen Zwecken ab, die man verfolgt. Die Bierbrauereien ziehen sich ihre Hefe selbst oder beziehen sie von Hefereinzuchtstationen. Die sogenannte Stellhefe, welche in die Würze ge- 754 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 48 bracht wird, um rasch eine kräftige Gärung her- vorzurufen und Infektionen möglichst zu vermeiden, soll frei von schädlichen Bakterien sein und auch von ,, wilden" Hefen; von Zeit zu Zeit muß des- wegen eine reingezüchtete Hefe angewendet werden, die möglichst nur aus einer solchen 1-iasse von Hefe bestehen sollte, welche sich in der betreffenden Brauerei am meisten bewährt hat. Die „wilden" Hefen rufen oft Krankheiten des Bieres hervor; von den Bakterien könnten Säuren wie die Butter- säure, Milchsäure in solcher Menge erzeugt werden, daß das Bier hierdurch einen unangenehmen Ge- schmack erhält. Da beim Gärungsprozeß im Gärbottich eine starke Vermehrung der Hefe stattfindet, so wird nur ein Teil dieser Hefe als Stellhefe weiter ver- wendet, und auch dies nur dann, wenn sie sich als genügend rein erweist; der größere Teil wird in der Weißbäckerei, Hauswirtschaft, Branntwein- brennerei etc. gebraucht. Die Bäckerei schließt wohl eine der ältesten Anwendungen der Hefe in sich. Seit Jahrtausenden macht man von dem Gärvermögen und einigen anderen Eigenschaften der Hefe Gebrauch zur Her- stellung eines genießbaren porösen Brotes aus Getreidemehl. Nach dem großen Erfinder wird man vergebens fragen. Durch Vergärung von Kohlehydraten entsteht — neben Alkohol und geringen Mengen wohl- riechender ätherischer Stoffe — Kohlensäure, eine Luftart, welche den Teig auftreibt und Tausende kleinerer und größerer Poren hervorruft, die nach- her beim Backen verbleiben. Aber auch andere Kräfte der Hefe kommen in Betracht. Durch die eiweißspaltenden Enzyme z. B. werden die Eiweißstoffe des Mehles zum Teil in Albumose und andere nicht genauer bekannte, durch starken Geschmack ausgezeichnete Stoffe übergeführt. Auch sind in der Hefe von Haus aus schon dem E'leischextrakt ähnlich schmeckende Stoffe vorhanden, welche beim Backen (infolge des Ab- sterbens der Hefe durch die Backhitze) aus den Hefezellen heraustreten und zum Wohlgeschmack des Gebäcks beitragen. Solange die Hefe nicht in den Handel kam und wo dieser Pilz jetzt noch nicht fabrikmäßig erzeugt wird, war und ist der einzige Weg ge- gorenes Brot herzustellen der, daß man einen Bruchteil des in Gärung begriffenen Teiges als „Sauerteig" von einer Backzeit bis zur anderen aufbewahrt und dann dem frischen Teig zusetzt. Er besteht aus einem Gemenge von Mehl und Wasser, in welchem ein Teil des Stärkemehls unter dem Einfluß der Hefe und der auch in großer Zahl anwesenden Milchsäurebakterien zum Teil in Traubenzucker übergegangen und dann zum Teil der geistigen Gärung, zum Teil der Milchsäure- gärung verfallen ist; auch die Essiggärung tritt auf Der Sauerteig wirkt in dem Teige gärungs- fortpflanzend und auf dieselbe Weise wie gärende Würze auf frische Würze, d. h. wie Hefe. Eine besondere Art von Gärungserreger ist der Weinhefe pilz; er wird dem Traubensaft (Most) meist nicht absichtlich zugesetzt, sondern gelangt zufällig aus der Luft und den außen auf den Weinbeeren aufsitzenden Stäubchen in den Saft. Darum tritt hier die Gärung langsam ein. Erst in neuester Zeit ist man bestrebt, die Liefe zur Weinbereitung zu züchten; mit vollem Recht, da die verschiedenen Heferassen verschieden wirken und der Charakter des Weines davon zum Teil abhängt. Auch gelingt es dann eher, ,, Krank- heiten" des Weines auszuschließen. Wie sehr die Hefe maßgebend ist, geht u. a. auch daraus hervor, daß man die schweren Süd- weine (namentlich spanische) vor kurzem nach- ahmte, indem man Hefe aus den südlichen Wein- kellereien zu einem ganz anderen Saft als Trauben- saft, nämlich zu Gerstensaft, hinzufügte und die Flüssigkeit der Gärung überließ; das sind die M a 1 1 o n w e i n e. Schiller-7 ietz sagt hierüber (in „Neue Wege der Gärkunde und die Maltonweine", Hamburg 1898, aus der Sammlung gemeinwissensch. Vor- träge von R. Virchow) : ,,Wir sind zwar in unserem erfindungsreichen Zeitalter an Überraschungen aller Art gewöhnt, daß man aber aus unserer Gerste, ohne irgend welchen anderen Zusatz als Hefe, auch Wein be- reiten kann — könnte auf den ersten Blick min- destens befremdlich erscheinen. Und doch hat die Gärungstechnik dieses Problem gelöst durch ein sinnreiches, fast an den mephistophelischen Wein- zauber in Auerbach's Keller erinnerndes Verfahren: Ein tiefer Blicli in die Natur ! Hier ist ein Wunder, glaubet nur ! belehrt noch Mephisto die weindurstigen Zech- brüder, während uns heute ein tiefer Blick in die Natur den Wunderglauben in einfache Natur- erkenntnis auflöst und das Wunder als ganz natur- gemäße Vorgänge erkennen läßt. Lediglich durch (tärung, also durch genau denselben Prozeß, durch welchen der Traubenmost in Wein und die Malz- würze in Bier verwandelt wird, kann man heute unter bester Benutzung der von der Natur ge- gebenen Bedingungen aus der Gersten-Malzwürze auch Wein bereiten. Der Gärungsprozeß ist im großen und ganzen derselbe, die Endprodukte jedoch sind so grundverschieden, daß die Malton- weine mit Fug und Recht als vollständig neue und eigenartige Produkte eines wohldurchdachten und auf streng wissenschaftlicher Grundlage be- ruhenden Gärungsverfahrens angesehen werden müssen." Aus dem Gerstenmalz wird zuerst in der ge- wöhnlichen Weise Würze hergestellt. Die Stamm- würzen für die Maltonweine können bis zu ig";,^ Extrakt zeigen, im Gegensatz zur Bierbrauerei, wo selbst bei guten Lagerbieren die Würze ge- wölmlich nicht über 16% zeigt. Dann wird dem Wein die nötige organische Säure verliehen, und zwar durch Einleitung einer natürlichen Milchsäuregärung. Wenn 0,6— o,8"/„ N. F. III. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 755 Säuregehalt erreicht ist, wird die Würze durch P>wärmen auf 70 — 75" steril gemacht. Hierauf wird die alkoholische Gärung „durch Zusatz der in besonderer Arbeit herangezüchteten Südweinedelhefen aus besten Weinlagen eingeleitet." „Der Kernpunkt des praktischen Ergebnisses langjähriger Versuchsreihen zur Herstellung von Weinen aus Malz gipfelt in der Auswahl und Rein- zucht von Edelhefcn hervorragender Weinlagen südlicher Weinbaugebiete, welche — da sie ur- sprünglich auf Trauben von besonders hohem Zuckergehalt sproßten — allein den gewünschten hohen Vergärungsgrad der zuckerreichen Malz- würze zu bewirken vermögen." „Die im Gärbottiche von 6 — 7000 Litern in Form von gärender Würze in der Zahl von bei- läufig mehreren Billionen eingesäten Hefepflänzchen, die infolge langjähriger Aufzüchtuiig in Malzwürze stofflich in keinem Atom mehr etwas mit Trauben- wein zu tun haben, beginnen in derselben ein scheinbar stilles, aber dabei doch innerlich sehr reges Leben stärkster Vermehrung, eine Art In- kubationszeit von nur drei Stunden Dauer, worauf mit der vermehrten Zahl der Hefezellen auch die sichtbaren Erscheinungen ihrer Einwirkung auf den Maltonmost hervortreten: Ein leichter Schaum kräuselt die Oberfläche, eine dichte, schneeweiße Decke überzieht die gärende Flüssigkeit, und unter hörbarem Brausen und Wallen setzt sehr energisch die sogenannte ,, stürmische Gärung" ein." Bezüglich des weiteren V^erlaufes der Fabrikation sei auf die obengenannte Schrift verwiesen. Ob man sich, wie Schiller-Tietz glaubt, seitens des Weinhandels mit der Erweiterung des Be- griffes ,,Wein" nun vertraut machen wird, und ob namentlich das konsumierende Publikum solchen Wein anerkennen wird, erscheint zweifelhaft. Ebenso abwartend darf man sich wohl den sonstigen vom Verfasser eröffneten Aussichten gegenüber verhalten. Seite 84 der genannten Schrift heißt es; „Das sind in großen Zügen die Probleme ') unserer heutigen Gärungstechnik, deren Bestre- bungen einerseits auf die Vervollkommnung und den Ausbau der schon seit Jahrtausenden empirisch betriebenen Gärungsgewerbe gerichtet sind, anderer- seits aber auch zur Begründung neuer gärungs- technischer Betriebe führen werden. So ist z. B. alle Aussicht vorhanden, daß sich nach demselben Prinzip, nach welchem die Darstellung der Malton- weine erfolgt, noch andere neue Zweige der Gärungsindustrie aufbauen werden. Ist es doch sehr wahrscheinlich, daß es auch gelingen wird, den Erreger der Rumgärung, sowie den des Araks, der sich in Indien in dem von selbst in Gärung geratenen Safte der Palmen entwickelt und zur Raismaische getan wird, ebenso zu züchten wie die Sherry-, Madeira- und Tokayerhefe. Gelingt ') Es ist vorher die Rede von der Einführung reiner edler Hefen in anderen Wirtschaftszweigen, z. B. in der Milch- wirtschaft. dies aber, so können wir aus der Melasse des Rübenzuckers auch Rum brennen, und aus Malz Arak, worauf die vielen mit chemischen Essenzen und Extrakten hergestellten Spritmischungen, die als Fassonrum und Fassonarak heute reißenden Absatz finden, den neuen Naturprodukten weichen würden und viel Kopfschmerz weniger die Mensch- heit quälte!" Man fragt sich da unwillkürlich : Warum hat man es denn in der Bierbrauerei, in welcher die Hefezucht am längsten betrieben wird, nicht er- reicht, daß an jedem beliebigen Punkt der Erde bestes Münchener Bier hergestellt werden kann — vorausgesetzt , daß wohlausgebildete Brauer, an denen kein Mangel ist, hier wie dort tätig sind? Die Fortzüchtung der Heferassen scheint doch ihre Schwierigkeiten zu haben ! Das Klima und die einheimischen Konkinrenten unter den Pilzen scheinen da einen beherrschenden Einfluß zu üben. Jedenfalls sind die hier angedeuteten Bestre- bungen der Gärungstechnik von Interesse. Ein besonderes Gärungsvermögen, nämlich das Vermögen, Milchzucker zu vergären, der für gewöhnliche Hefe unangreifbar ist, besitzen die Milchzuckerhefen, welche im Kumiß und Kefir enthalten sind. Kumiß wird hauptsächlich in den Steppen des südwestlichen Sibiriens und den angrenzenden Ländern aus Stutenmilch hergestellt. Die Hefe wird nicht gesondert beliandelt und gezüchtet, sondern es wird etwas alter hefehaltiger Kumiß mit frischer Milch gemischt, gewöhnlich im Ver- hältnis I ; 10; in kleinen, mit Rührwerk versehenen Fässern wird die Gärung durchgeführt. Schließlich wird die F'lüssigkeit auf Maschen gefüllt, diese gut verkorkt und verschmiert. Durch Weitergärung in den Flaschen entsteht ein moussierendes Ge- tränk. Während die Milch etwa 5,5% Milchzucker enthält, hat Kumiß nur i,3"/o Zucker, l,6'7„ Alko- hol und fast i"/„ Milchsäure und Kohlensäure; die Eiweißstoffe werden peptonisiert und um ca. O,i"/o vermindert. Kefir wird aus Kuhmilch durch Gärung be- reitet und in den Kaukasusländern viel getrunken. Die Kefirhefe besteht aus Sproßhefe, welche mit einigen Bakterien vergesellschaftet ist; sie bildet gelatinöse Klumpen. Die Milch wird bei 18—19" auf dem Gärgefäß mit dem Organismus versetzt, unter Bewegung der Flüssigkeit. Nach 24 Stunden ist die Gärung bereits soweit vollendet, daß das Getränk auf Flaschen abgezogen werden kann, wo es langsam weiter gärt. Der Zuckergehalt der Milch wird durch die Gärung von 4 auf 2",, ver- mindert, ebenso der Fettgehalt, die Eiweißstofife betragen nur mehr -'/j der ursprünglichen Menge. Der Alkohol erreicht den Betrag von 1%, Milch- säure entsteht in etwas größerer Menge. Ähnlich mit der Kefirhefe ist der Pilzorganis- mus des Ingwerbieres, welches in mancher Beziehung dem Kefir des Kaukasus ähnelt ; es wird in manchen ländlichen Bezirken Englands erzeugt. 1,5 kg 'S6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 48 Zucker werden mit 1 5 1 Wasser gekocht und mit dem Weißen eines Eies geklärt; zugleich werden 30 g Ingwer mit 2 1 Wasser eine Stunde gekocht, durch- geseiht, zu dem anderen gegossen. 4 g reine Weinsäure werden dem Ganzen noch zugefügt. Die Masse wird dann mit jenem Pilz gären ge- lassen etc. etc. Geistige Getränke werden übrigens von den Chinesen seit uralter Zeit mittels gärkräftiger Schimmelpilze erzeugt. Die mit dem Namen „Taka- Koji" belegte, aus Eurotium (Aspergillus Oryzae) bestehende Masse dient zur Herstellung eines geistigen Getränkes aus Reis. Zuerst züchtet man den Pilz auf gedämpftem Reis, indem man Sporen des Pilzes daraufstreut. Nach einigen Tagen ist die „Koji" gebrauchsfertig. Der Pilz enthält ein stärkeverzuckerndes und ein vergärendes Enzym. Die Javaner bereiten den Arak aus Reis mittels ,,Raggi", hier ist aber neben dem Schimmelpilz ein wahrer Sproßhefepilz, Sacharomyces Vorder- rnanni, nachzuweisen. hiteressant an den letzteren Getränken ist, daß wir darin Schimmelpilze als Erreger der geistigen Gärung erblicken, während man früher die geistige Gärung als eine spezielle Sproßhefe- wirkung ansah. Freilich erreicht die Gärung durch Schimmel- pilze niemals den hohen Grad wie diejenige durch Sproß - Hefe. Weniger bekannt als die auf dem Gärvermögen beruhenden Anwendungen der Hefe dürften einige neuere Verwendungsarten sein. Wer hat vor 20 Jahren gewußt, daß man aus Hefe eine fleisch extraktähnliche Masse gewinnen könne? Nach dem deutschen Reichspatent 120 3 56, 53 i, 1901 ist L. Aubry ein Verfahren zur „Ge- winnung eines dem Fleischextrakt geschmack- ähnlichen Extraktes aus Bier, Hefe, Preßhefe oder Weinhefe ohneSelbstgärung", zugesprochen worden. Diese wohlschmeckenden Stoffe werden mit Kochsalzlösung ausgezogen, die Lösung wird nach dem Erhitzen und Koagulieren der Eiweißstoffe eingedampft. Da die Hefe reich an Proteinstoffen ist, so ver- sucht man in neuester Zeit, Eiweißstoffe aus Hefe zu gewinnen, z. B. nach deutschem Reichspatent 124985, 1901 , nachdem sie zuvor teilweise in Peptonzustand übergeführt wurden. Die Hefe wird vorsichtig getrocknet, dann mit lauwarmem Wasser ausgezogen, der Extrakt mit einer Spur Essigsäure versetzt und gekocht. Nach Ent- fernung der geronnenen Eiweißstoffe wird die Lösung eingedampft bis zur Pastenkonsistenz. Die fertige Paste enthält i i,6o",(| Peptone, 47,12"/,, Albumosen, '7>i57n Amidoderivate etc. H. Buchner und M. Gruber (1902) wollen sogar das ,, Protoplasma" aus der Hefe gewinnnen. Wahr- scheinlich handelt es sich dabei auch wieder um die Eiweißstoffe. Daß die vorsichtig getrocknete, noch mit ak- tiven Enzymen ausgerüstete Brauerei-Abfall h e f e in neuester Zeit auch medizinische Anwen- dung findet (zur Bekämpfung von Bakterien) sei nur kurz erwähnt. Das Gärvermögen muß darin erhalten sein, ebenso die anderen fermentativen Fähigkeiten, die übrigens selbstverständlich noch da sind , wenn das empfindlichste aller Enzyme, das Gärungs- enzym, intakt geblieben ist. Die Enzyme sind das medizinisch Wirk- same an der Hefe. Durch Enzyme bekämpft ein Bakterium das andere, ein lebender Organismus den anderen. So soll auch hier mit den Enzymen der bereits abgetöteten Hefe gegen einige dem menschlichen Organismus schädliche Bakterien angekämpft werden; es sind hierbei besonders die in den Höhlungen des Körpers auftretenden schäd- lichen Bakterien ins Auge gefaßt worden. Zum Abtöten der Hefe verwendet der Erfinder Aceton, welches bei kurzer Einwirkung nur das Protoplasma tötet, die Enzyme aber unangetastet läßt. Da von dem Milch säure pilz schon wieder- holt die Rede war, sei nun zunächst auf dessen große technische Bedeutung etwas eingegangen. Wir haben gesehen, daß ein gewisses Maß von Milchsäuregärung, welche darin besteht, daß Zucker in Milchsäure verwandelt wird, bei der Hefege- winnung absichtlich herbeigeführt wird, um die Hefe leichter vor Infektion schützen zu können. Insbesondere hat sich gezeigt, daß der so unan- genehme Buttersäurepilz dadurch an der Entwick- lung gehindert wird. Die Milchsäuregärung hat aber auch sonst manche wichtige und z. T. sehr alte Anwendung gefunden. Sie kann durch eine ziemlich große Anzahl von Bakterien hervorgerufen werden, hat man doch aus der Milch allein schon mehr als ein halbes Dutzend Milchsäurebildner isoliert. Die Milch verfällt beim Stehen bekanntlich einer spontanen Säuerung, dabei gerinnt sie, sobald die Säure eine gewisse Höhe erreicht hat. So sehr wir nun auch frische Milch der ge- säuerten beim Genüsse vorziehen, so ist es doch wieder ein Glück zu nennen, daß die Milch gerade diesem Säure erzeugenden Gärungserreger zunächst verfällt. Denn durch die Milchsäurebildung wird die Milch nicht ungenießbar, ist aber doch damit vorerst gegen andere Bakteriengärungen, welche unangenehm schmeckende und sogar giftige Pro- dukte bilden würden , geschützt. Wir brauchen dabei gar nicht einmal an die in der Luft überall vorhandenen Fäulnisbakterien zu denken. Denn in der Milch selbst sind schon unmittelbar nach dem Melken zahlreiche und verschiedene Bakterien enthalten, womit nicht gesagt sein soll, daß in der Milch schon von ihrer Bildungsstätte in den Milch- drüsen her Bakterien enthalten seien, es müßte denn die Milch von einer kranken Kuh stammen ; bei der Operation des Melkens mischen sich der Milch Bakterien bei, welche in der betreffenden Stallung verbreitet sind, darunter auch Milchsäure- bakterien. N. F. m. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 757 Für die Zwecke der Käsebereitung wird übrigens die Milch absichtUch bis zum Sauer- werden und Gerinnen stehen gelassen, wenigstens für gewisse Sorten von Käse ; andere werden da- durch bereitet, daß man mit dem Labferment des Kälbermagens die Gerinnung bewirkt. Im weiteren Verlaufe der Käsegewinnung haben dann die Milch- säurebakterien und wahrscheinlich noch andere (auch Schimmelpilze) die Aufgabe, eine Reifung des Käses durch proteolytische d. i. eiweißum- wandelnde Tätigkeit herbeizuführen; es wird dabei der Käsestoff des Käses allmählich peptonisiert unter gleichzeitiger Bildung von spezifischen, für die Käsearten charakteristischen Geschmacksstoften. Auch scheint den Milchsäurebakterien bei der Käse- reife die Rolle zuzufallen, daß sie den Boden für andere Bakterienarten bereiten. Auch die saure Beschaftenheit des Sauerkrautes rührt von M i 1 c h s ä u r e g ä r u n g her ; diese findet also zur Gemüsebereitung ebenfalls Anwen- dung. Das Sauerkraut enthält über l"/,, Milch- säure; wahrscheinlich aber spielen sich neben der Milchsäurebildung noch andere kompliziertere Pro- zesse ab, vielleicht kommt auch gewissen Hefe- arten eine Bedeutung zu. Beim Einsäuern der Gurken werden die ganzen Früchte mit einer Kochsalzlösung bedeckt und in Fässern oder dergleichen der freiwilligen Gärung überlassen. Die produzierte Säure beträgt etwa 0,5— 0,8 "/o- Gras, Klee, Rübenblätter, Schnitzel und ähn- liche landwirtschaftliche Fu tt er st off e führt man, wenn sie nicht im frischen Zustande Verwendung finden können, in sogenanntes Sauerfutter über. Zu dem Zwecke kommen sie in bedeckte Gruben, wo sich rasch eine Gärung unter Milchsäure- bildung einstellt. Auch hier spielt also ein Er- reger der Milchsäuregärung eine Rolle. Welch wichtigen Dienst tut uns ferner der Essigpilz (Bacterium aceti, B. acetigcnum etc.), indem er durch eine rasch verlaufende Oxydations- gärung den Alkohol in Essigsäure verwandelt ? Bei der Schnellessigfabrikation läßt man verdünnten Spiritus langsam über eine große Ober- fläche laufen, wobei er der Einwirkung der Bak- terien ausgesetzt wird. Man stellt die große Ober- fläche mittels lockenförmig gedrehter Buchenholz- späne her, welche sich in geeigneten Kübeln be- finden und mit Essigbakterien besät sind, während durch Ventilationsvorrichtungen für beständigen Luftzug gesorgt wird. Mit Vorliebe wählt man die Späne der Rotbuche, wahrscheinlich weil sich auf ihnen die Essigbakterien (infolge der porösen Beschaffenheit) besser ansiedeln können. In Frankreich verwendet man zur Essigbereitung Wein und verwandelt diesen durch das sogenannte Orleans-Verfahren in Weinessig. Man stellt mehrere Reihen von Fässern übereinander, welche im oberen Teile der Vorderseite zwei Löcher besitzen, eins zum Füllen mit Wein und Abziehen des fertigen Essigs, das andere zum Eintritt der Luft. Das Faß wird zunächst zum kleineren Teile mit .starkem Essig gefüllt, dann wird nach und nach Wein dazugegeben, bis das Faß etwa halb voll ist, wo- nach ein Teil des Essigs abgezogen wird. Dieses Nachfüllen und Abziehen vollzieht sich nun kon- tinuierlich. Die auf der Oberfläche des Weines sich rasch bildende Haut von Essigbakterien be- wirkt die Essiggärung (nach Emerling, Die Zer- setzung stickstoffhaltiger organischer Substanzen durch Bakterien, F. Vieweg, Braunschweig 1902). Wie sehr die Pilze auch in die landwirt- schaftliche Produktion fördernd eingreifen, dafür legen die neueren Forschungen über die Bodenbakterien Zeugnis ab. Es ist längst bekannt, daß die Kulturpflanzen wie auch viele andere das Ammoniak und seine Verbindungen weniger gut als Stickstoffquelle zu verwenden vermögen alsdie salpetersauren Salze oder Nitrate, von denen hauptsächlich der Kalksalpeter, Kalium- und Natriumsalpeter in Betracht kommen. Nun entsteht aber im Boden durch die bak- terielle Zersetzung stickstoffhaltiger organischer Reste immer zuerst Ammoniak; letzteres ist das stickstoffhaltige h^äulnisprodukt der Eiweißstoffe. Der gedüngte Boden enthielte also eine Stick- stoffquelle, welche den Pflanzen wenig zusagt, wenn nicht „nitrifizi erend e Bakterien" dafür sorgen würden, daß das Ammoniak in salpeter- saure Salze verwandelt wird — unter Mitwirkung der Basen des Bodens wie Kalkkarbonat, Natrium- und Kaliumkarbonat. Diese Bakterien präparieren also die Stickstoffquelle des Bodens in einer den Kulturpflanzen zusagenden Weise ! Eine Errungenschaft heißer wissenschaftlicher Arbeit der letzten Zeit ist es auch, daß man weiß, daß gewisse Pflanzen den atmosphärischen, elemen- taren Stickstoff unter Mitwirkung von Pilzen zu assimilieren vermögen. Die zahlreichen Unter- suchungen eifriger Forscher, besonders Hellriegel's, haben gezeigt, daß der Wurzelpil z der Legumi- nosen, welcher mit den Wurzeln der letzteren die sogenannten Wurzelknöllchen bildet, eine Lebens- gemeinschaft zwischen Pilz und Wurzel, gewisse Pflanzen, besonders die Lupinen, der Notwendigkeit, Nitrate im Boden vorzufinden, bis zu einem ge- wissen Grade enthebt, eine in ökonomischer Be- ziehung außerordentlich wichtige Tatsache! Wie viele Millionen sind gewonnen, wenn Kulturböden die teure Nitratdüngung nicht brauchen, weil sie ihren Stickstoff aus dem ungeheuren Vorrat der Luft beziehen. Indem diese Pflanzen den Luft- stickstoff assimilieren, bilden sie Eiweiß, das zum Teil in den Bestand der oberirdischen einzuerntenden Teile der Pflanzen übergeht, zum Teil in den dem Boden verbleibenden Wurzelteilen aufgespeichert wird und dort nach dem Absterben der Wurzeln den oben angedeuteten L'mwandlungsprozeß Ei- weil.5- Ammoniak-Nitrat erleidet. Die vor kurzem gemachten Versuche, Kulturen solcher Bodenpilze fabrikmäßig herzustellen (die Produkte wurden Nitragin, Alinit genannt), beweisen, welche Aufmerksamkeit dieser wichtigen Sache jetzt in weiten Kreisen geschenkt wird. 758 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 48 [Nachdruck verboten.] Die deutsche Ostseeküste — zumal ihr östlicher Teil — erhält durch ihre Beschaffenheit als Dünen- landschaft manchen eigenartigen Reiz, sie hat aber dadurch noch manche anderen Eigenschaften ge- wonnen, die zwar ebenso eigenartig, aber doch weniger angenehm sind, so ihre landwirtschaftliche Armut. Die Nehrungslandschaften Ostpreußens sind in dieser Hinsicht an vielen Stellen geradezu trostlos und die Kurische Nehrung geht ja auch unter dem Namen „Preußische Wüste", mit gutem Recht, denn wenn jetzt auch der wirkliche Wüsten- strich nur noch klein ist, so kann man doch auf dieser Nehrung Stellen finden, wo sich zwischen See und Haff nichts als Flugsand ausbreitet, der, von der See ausgeworfen und vom Seewind ge- trieben, in unaufhörlich rieselnder Bewegung alles Lebende vor, unter und hinter sich verweht, zer- drückt, begraben hat, um schließlich selbst im Haff sein Grab zu finden. Nichts als Sand, kahle bleiche Wanderdüne, nur in der Ferne winkt übers Haff herüber das F'est- landsufer und dort hinten auf der Nehrung liegt der Strand schwarz, da ist Wald ! Ja, halbver- wehter Föhrenwald und Palwe (Ödland), am Haff- strand ein paar Segelboote, ein Häufchen dürftige Fischerkaten zwischen kleinen Kartoffeläckern und — wahrhaftig! — auch ein paar Kühe! Sie sind zwar mager und trocken wie ihre Weide, aber sie geben doch etwas Milch und Butter zu Kartoffel und Ei oder Fisch. Was will der Mensch mehr.?! Etwa Abwechslung auf dem Mittagstisch ? Nun, die müßte er sich vom F"estland holen ! — Und doch sind einige Küstenbewohner, die vor ihren Stammesgenossen durch Findigkeit und Vor- urteilslosigkeit hervorragten oder auch mehr vom Hunger bedrängt wurden, darauf gekommen, sich etwas Wildbret auf der Nehrung zu verschaffen. Natürlich nicht das jagdgerechte, — denn auch in dieser dürren Gegend werden die paar Hasen und Enten mit argwöhnischen Augen bewacht, — nein, auf die vogelfreien Krähen und Möven haben sie's abgesehen, einen sonst zwar unbekannten und un- beliebten, von ihnen aber docli gerne gegessenen Braten. Möwen fliegen überall an der Ostseeküste und auch Krähen sind überall häufige Standvögel. Zu gewissen Jahreszeiten aber, im Frühjahr und Herbst, streichen die Krähen, z. B. die Nebelkrähen, die aus den Wäldern Rußlands und Ostpreußens kommen, in besonderer Menge längs der Küste hin, wo sie reichliche Nahrung finden. Hiernach gibt es auch in den betreffenden Gegenden zwei Hauptfang- zeiten; einzelne Fänger, z. ß. viele auf der Kurischen Nehrung, haben aber fast das ganze Jahr hindurch ihre Fangplätze im Betrieb. Wenn du nun den Krähenfang kennen lernen willst, lieber Leser, komm mit mir auf die Kurische Nehrung! Freilich mußt du dich nicht vor „schlech- tem" Wetter scheuen, auch die Wirtshäuser sind Der Krähenfang an der Ostseeküste, Von Dr. med. Arthur Luerssen. selten und noch dazu recht bescheiden eingerichtet, — aber dafür wirst du reichlich belohnt werden durch die eigenartige Schönheit der Landschaft und vielleicht noch mehr durch die Merkwürdig- keit der Naturerscheinungen dieser Landzunge. Also — fahren wir an einem Märzmorgen nach Cranz, dem bekannten samländischen Badeort, in dem jährlich Tausende verkehren, ohne je das Verlangen zu verspüren, die Schönheiten, die hinter der „Plantage" liegen, einmal kennen zu lernen ! Lassen wir seinen ausgestorbenen Strand und die stille Plantage links liegen und wandern wir nach Norden, in die Sarkauer Forst! PIs ist zwar kein „Krähenwetter", aber wir werden sicher Krähen- fänger treffen, — vorläufig wollen wir den Vor- frühling genießen. Ja, es war ein milder Winter und jetzt will es schon Frühling werden. Die Morgenluft liegt wenig kalt und beinah windstill unter dem silbergrau bezogenen Himmel, rings feucht duftender knos- pender Wald mit Drossel- und I'inkenschlag, — nur das zerfressene, in den Buchten gestaute Treib- eis des Haffs und einzelne verspätete Schneeflocken erinnern noch an den Winter. Hin und wieder sehen wir eine Krähe oder eine Möwe vom Fest- land herüberkommen und draußen auf dem offenen Haff zanken sich Haubentaucher mit ewigem Ge- schrei um die Brutplätze. — Da hinten am Haff- strande liegt Sarkau, ein kleines Plscherdorf, und hinter ihm lugen unheimlich die bleichen Wander- dünen durch die Lücken des spärlichen Gehölzes zu uns herüber. Hier am Haffufer scheinen keine Krähenhütten zu sein, — gut, — schlagen wir uns durch den etwas moorigen Wald nach der Seeseite durch ! — Jetzt hören wir schon die Brandung und — richtig ! — dort ist ein Fangplatz, dort auf dem sandigen Fußweg, der über die Vordüne führt, wo die Krähen sitzen, die zwar nach uns äugen, aber nicht davonfliegen, — das werden Lockvögel sein ! Wie wir näher kommen, taucht hinter einem Haufen grüner Kiefernzweige eine Gestalt auf, ein grobknochiger, gutmütig aussehender Kure im Schafspelz. „Guten Morgen ! — Na, haben sie schon etwas ?" ,, „Guten Mo-ergen, — i-e, bloß zwei-e,"" ant- wortet er in seiner gedehnten, singenden Sprache. ,,Der Zug ist wohl nicht besonders ?" „ „Nei-e, aber " " Der Mann ist ein wenig unbeholfen, er meint: ,, „aber was soll ich zu Hause ! ?" " Und da hat er ganz Recht, zu Hause könnte er in dieser Jahres- zeit doch nur stumpfsinnig am Ofen brüten oder im Krug ,,Lukodeike" oder ,,Kornus" (Branntwein) trinken und mit anderen seinesgleichen Weisheit austauschen; na, das ist doch so mühsam und hier kann er doch ebenso schön faulenzen und noch dazu etwas verdienen ! Da es der Mann nicht übel nimmt, besehen wir N. F. ni. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 759 uns seinen Fangplatz näher. Der tiefsandige Weg, den er sich dazu ausgewählt hat, führt aus dem dunklen Wald die kümmerlich mit Strandgräsern, Krüppelkiefern und Weidengestrüpp bestandene Vordüne hinauf und dann zur See hinab, die wir nur hören. Das ist so der gewöhnliche Fangplatz, man findet aber auch Krähenhütten am Haffstrandc oder mitten im Wald auf sandigen Wegen oder auch auf den Wanderdünen, wo sie .schon aus weiter Ferne zu sehen sind und dem uneinge- weihten Wanderer manches Kopfzerbrechen machen. Am Rande des Weges bei einem Gebüsch steht auf ebener Erde die Krähenhütte, die korbartig aus frischen Fichten- und Kiefernästen zusammen- gesteckt ist. Sie sieht klein und, was wir vorhin ja auch glaubten, wie ein gewöhnlicher Haufen abgehauener Äste aus, es haben aber bequem drei Menschen in ihr Platz, wenn sie gut zusammen- hocken. In den Sandboden der Hütte ist ein dicker Knüppel, auf der nebenstehenden Skizze Zum Fang wird das Netz in Spannstellung ge- bracht, auf und um das Viereck f g i' h' Lockvögel angepflockt und wertlose Fische als Köder aus- gestreut und dann Netz, Seil und Pflöcke lose mit Sand oder Schnee bedeckt. Als Lockvögel dienen lebende Krähen, die von früheren Fängen auf- bewahrt worden sind, es sollen aber auch manch- mal für den Anfang schwarze Hühner benutzt werden. Sie sind an einem Bein mit einer festen Schnur im Sand angepflockt und außerdem sind ihre Schwungfedern da, wo sie sich bei anliegen- den Flügeln kreuzen, zu.sammengebunden, damit die Vögel nicht herumflattern und sich losreißen können. So, — nun wollen wir in die Hütte kriechen und mal eine Krähe zu fangen suchen. Es ist ganz behaglich darin, wir hocken uns zurecht, machen Lücken in das Gezweig und beobachten. — Die Krähen sitzen herum und hacken an der Fessel oder am Köder, sonst alles ruhig, — es Kig. I. Krähenschlagnctz der Kurischen Nehrung, Aufstellungsplan. Fig. 2. Spannung des Krähcnschlagnctzes, Vcrtikalschnilt. mit a bezeichnet, eingerammt, von dem aus zu ebener Erde ein Seil nach dem Köderplatz zu ge- spannt ist, aber bald im Sande verschwindet. Beim Bloßlegen sehen wir, daß es dort an einem anderen Pfahl c befestigt ist. Das etwa 20 m lange Seil wird nun, wie die Skizze zeigt, winklig in der Stellung a b c durch ein schräg in den Sand ge- grabenes Holz b d festgehalten, das sich bei d gegen ein ebenfalls schief im Sand steckendes Brettchen so anstemmt, daß das Holz und das durch dasselbe gespannte Seil die Neigung haben, aufzukippen. Vorläufig wird aber das Holz durch den Pflock e in seiner Stellung festgehalten. Zwischen f und g ist nun ein Netz von etwa 6 m Länge und 2 m Breite angepflockt, das gefaltet und mit dem gegenüberliegenden Rande am Seil von h bis i befestigt ist. — Wird nun an dem Seil ge- zogen, so kippt das Holz b d, nachdem es den kleinen Widerstand des Pflockes e überwunden hat, auf, das Seil fliegt in die gerade Lage a h' i' c und spannt das Netz zwischen f g und h' i' aus. — sieht wirklich so aus, als wäre da eine Schar Krähen gemütlich beim Schmause. Da, — zwei Krähen über dem Wald 1 — — Sie fliegen vorüber. Ja, das Warten muß man mit in den Kauf nehmen ! Jetzt kommt noch eine? — Aha, die fliegt näher, — sie äugt und „fällt", trippelt auf einen Fisch in der Mitte ihrer Genossinnen zu und — schwupp — der Kure hat am Seil gezogen. Man hat nur etwas sich bewegen gesehen, jetzt liegt das Netz über der zappelnden Krähe ausgebreitet, die erschreckten Lockvögel zerren an ihren Fesseln. Inzwischen ist aber schon unser Krähenfänger hinaus, hat den krächzenden Vogel hervorgeholt, ihn mit beiden Händen, an Schnabel und Leib, gepackt und ihm den Schädel eingebissen. Dieses Schädeleinbeißen ist die eigentümliche Tötungsart auf der Kurischen Nehrung, weswegen auch ihre Bewohner von den Litauern des Festlandes den Ulknamen „Kroh- bieters" erhalten haben, es erregt auch bei den Fremden, obwohl es doch die einfachste und schnellste Tötungsart ist, gewöhnlich Entsetzen und moralische Entrüstung. — Der toten Krähe wird noch gewöhnlich der Kopf abgerissen und den Lockkrähen als Futter vorgeworfen. So geht es nun weiter. Eine Krähe nach der anderen wird gefangen, manchmal, wenn sie gut „fallen", was namentlich im Frühjahr bei Südost- winden, im Herbst bei Nordwinden und außerdem bei bedecktem Himmel und nach Schneefall ge- 76o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 48 schiebt, gleich mehrere auf einmal und ein Schock am Tag. Auch andere Vögel werden oft mit dem Schlagnetz gefangen, es stoßen Raubvögel nach den angebundenen Krähen und Möwen werden durch die Lockfische angezogen. Dieser Möwen- und Krähenfang ist für die Kurische Nehrung von volkswirtschaftlicher Be- deutung. Das Land ist, wie schon erwähnt, so arm, daß viele Lebensmittel eingeführt werden müssen, und der Fischfang und die Fischausfuhr wären auch gerade ergiebig genug, um die Ein- fuhr zu decken, — es haben aber nicht alle Be- wohner Boote und Netze, so daß der Krähenfang kein bloßer Nebenerwerb ist. Lohnend wird er dadurch, daß keine Pacht bezahlt zu werden braucht und der Marktpreis der ungerupften Krähe etwa 1 5 Pfennig beträgt. Benutzt werden die Federn und das Fleisch, früher auch das Fett als Leucht- stoff für die Lampen, wie Bock erzählt (Bock, Versuch einer wirtschaftlichen Naturgeschichte von Ost- und Westpreußen, 1782 — 1785). Das recht schmackhafte Fleisch der Krähen wird tüchtig gekocht und zur Suppe gegessen oder nach dem Kochen noch gebraten. Sind viele Krähen gefangen worden, werden sie auch ein- gesalzen und angeräuchert und für später aufbe- wahrt. Ausgeführt werden sie nicht, man erzählt sich aber, daß die auf den Cranzer Tafeln prangen- den Tauben oft „Nehrungstauben" sein sollen. Wenn dies auch wahr sein sollte, so wäre es zwar immerhin ein Betrug, aber doch noch kein Un- glück, denn viele, auch der Verfasser, ziehen die Krähen ihres ausgeprägteren Geschmacks wegen den Tauben vor, — es gibt auch genug Anekdoten, nach denen den ahnungslosen Gästen eines Nehrungs- freundes die mitgebrachten „Tauben" vortrefflich mundeten, obwohl sie sich nicht genug darüber wundern und ekeln konnten, daß man so etwas Abscheuliches tun könne wie Krähen essen. — Ja, ja, so etwas bringen nur ganz rohe und un- gebildete, jedenfalls aber unvernünftige Leute fertig! — Früher sollen Krähen auf der Kurischen Nehrung auch zur Pfarrkaiende gehört haben, auch auf der Halbinsel Heia, wie mir erzählt wurde. Auch die Möwen werden gegessen, zumal, wenn sie den größeren Arten angehören, die kleineren deshalb ungern, weil sie sehr tranig schmecken. Aus diesem Grunde werden die Möwen auch für gewöhnlich vor der Zubereitung, die sonst wie die der Krähen ist, abgehäutet, da der unerwünschte Tran hauptsächlich im Hautfettgewebe sitzt. Die gelegentlich gefangenen Raubvögel werden gerupft oder an die Vogelwarte der Kurischen Nehrung — in Rossitten — verkauft, sonst wohl auch hin und wieder gegessen. Der Krähen- und Möwenfang wird aber nicht nur von den Kuren betrieben, die Litauer auf dem Festlande haben es ihnen abgesehen und auch auf der Frischen Nehrung gibt es vereinzelte Krähenfänger, diese sind aber meistens Fischer, die von der Kurischen Nehrung stammen. Auch an anderen Küstenorten der Ostsee wird den Krähen und Möwen nachgestellt, zumal auf Heia, wie schon erwähnt, aber auf eine ganz andere, eigenartige Weise. Hier werden die Vögel einzeln am Strande mit äußerst findig ersonnenen Schlingen, den „Klepsen", gefangen, ein gutes Beispiel dafür, wie der Menschenwitz dasselbe Ziel auf verschiedenen Wegen gleich gut erreichen kann. Man kann beobachten, daß Krähen und Möwen beim Futtersuchen längs der Schälung gehen oder fliegen und nach angespülten Fischen, Krabben u. clgl. spähen. Die Helaer Fischer stellen nun dieser Beobachtung zufolge in ein bis zwei Schritt Entfernung von der Schälung die mit einem Fisch beköderten Klepsen auf und rechnen damit, daß eine vorüberkommende Krähe oder Möwe oder überhaupt ein Strandvogel den Köder aufnehmen will und sich dabei in der Klepse fängt. Fig. 3. Helaer Klepse. An der Kreuzungsstelle muß die weiße Schnur über der schwarzen liegen. Fig. 4. Helaer Klepse, Vcrtikalschnitt. Die Klepse beruht auf dem (irundgedanken, dem nach dem Köder stoßenden Vogel eine Schlinge überzuwerfen, sie ist demnach folgendermaßen zu- sammengestellt: Eine aus einem Fichtenzweig ge- schnitzte Gabel ist wie das Spannholz einer Säge durch einen Flitzbogen mit doppelter Schnur so gespannt und an ihn angelegt, daß sie, losgelassen, durch die sich aufdrehende Schnur des Bogens auf dessen andere Seite geschnellt wird, auf der beistehenden Skizze 3 also dem Be- schauer entgegen. In der Spannstelluiig wird diese Gabel am Bogen durch eine Holzklammer fest- gehalten, die gleichzeitig einen Dorn für den Köder trägt und somit als Abzug dient. Über der Gabel, die für diesen Zweck Kerben hat, liegt eine Schlinge aus glatter, fester Schnur, die an einem Ende des Bogens befestigt ist. Außerdem trägt N. F. III. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 761 der Bogen noch einen kleinen Anker aus einem Fichtenzweig, der tief in den Sand gegraben wird und das etwaige Losreißen der Klepse durch den gefangenen Vogel verhindern soll. Die Klepse oder vielmehr gleich mehrere werden nun am Strand, halb in den Sand vergraben und mit Fisch beködert, aufgestelt, so daß die Öffnung des Bogens nach dem Wasser zeigt, die der Gabel nach der Düne. Dann werden sie sorgfältig mit Sand oder Schnee verdeckt und nur der Köder freigelassen. Kommt nun ein Vogel von der Schälung her, was auch das Gewöhnliche ist, und will den Fisch aufnehmen, so stößt oder zieht er den locker sitzenden Abzug ab und die aufsprin- gende Gabel wirft ihm regelrecht die Schlinge über, die natürlich von dem zurückschreckenden Vogel zugezogen wird. Unterdessen kommt schon der Fänger, der hinter der Düne auf der Trauer lag, heran, um den Vogel aus der Schlinge zu nehmen. Übrigens ist es bemerkenswert, daß die Vögel die Schlinge nie ganz zuziehen, so daß sie etwa erwürgt werden, sondern ziemlich stillsitzen und daher ebenso wie die im Schlagnetz ge- fangenen ganz unversehrt bleiben. Auf diese Weise werden im Laufe des Tages und Jahres eine hübsche Anzahl von Krähen und Möwen gefangen, von denen die Helenser denselben Gebrauch machen wie die Leute der Kurischen Nehrung, die Möwen werden jedoch nur von den ärmsten Fischern ge- gessen. Interessante Beispiele dies, wie man sich zu helfen weiß! Nicht wahr? Jetzt aber zum Schluß noch einige allgemeine Bemerkungen ! — Ist es dir nicht aufgefallen, was für ein gutes Beispiel diese unbedeutenden Leute uns eigentlich geben? Oder hast du nicht etwa öfters beim Lesen die Nase gerümpft ? — Wenn nicht, so verzeihe mir diesen Argwohn, ich habe recht traurige Erfahrungen. Ja, traurige Erfahrungen, denn traurig ist es, wenn man so die „gebildeten" Leute über Dinge reden hört, die zu erproben ihnen natürlich nie einfiel ; „Das weiß man doch schon so !" — Wie- viel kommt nicht auf der Welt allein durch unsere abergläubische Beschränktheit und mangelhafte Schlußfolgerung um ? Und dabei hören wir so oft von Notstand, Teuerung und Dürftigkeit ! Wie- viel Wild wird nicht niedergeknallt und liegen gelassen? — ,,Ja, solches unjagdgerechte Zeug ge- genießt man doch nicht !" Und doch ! Es kommt nur auf Vorurteilslosigkeit an — und die Zube- reitung! Das merken wir so recht, wenn wir hören, wie Reisende ferner und naher Länder mit Entzücken reden von allerlei Gerichten der Wildnis, von gebratener Reiher- und Schwanenbrust, Schlangenschnitten, Rattenfrikassee, Haifischkote- letts, Zebrafilet, Affenbraten, geschmortem Pinguin, — und andere wieder mit dem größten Abscheu. Wir brauchen aber gar nicht so weit zu gehen : Seit unseren Vorfahren wegen der mit der Schlach- tung verbundenen heidnischen Gebräuche das Pferde- fleisch von der Geistlichkeit verboten und ver- ekelt wurde, ist es mit einem Male ,, widerlich", „ungesund" und was nicht alles ! Auch dem Hunde-, Katzen- und Ziegenfleisch geht es nicht besser, und doch hat wohl ein jeder, der nicht sein eigener Schlächter und Koch ist, eins oder das andere schon unter einem beliebteren Namen ge- gessen, — geschmeckt hat's ihm und gestorben ist er auch nicht dran, — aber — wenn er's wüßte ! I Dabei werden die sonderbarsten Dinge mit den höchsten Preisen bezahlt und gierig genossen, man denke nur an Salanganennester, Schnepfendreck u. dgl. Und wenn es sich, wie bei den letzten beiden, nur um nebensächliche Genüsse handelte, das wäre ja noch zu verwinden, aber nein, dieses Vorurteil, — um nicht stärkere Ausdrücke zu ge- brauchen — , weicht nicht einmal der Not ! Man stößt immer wieder auf das „Lieber verhungern als ein liebes Vorurteil aufgeben", — ja, der Spötter sagt lachend vom Ungebildeten : „Wat de Buer nich kennt, dat frät hei nich", -- er merkt aber nicht, daß er sich selbst damit trifft. Kleinere Mitteilungen. J. Bernstein, Elektrische Eigenschaften der Zellen und ihre Bedeutung (Nat. Rundschau XIX, Xr. 16, 21. IV. 1904). Durch E. d u B o i s - R e y m o n d in erster Linie haben wir einen Einblick in elektrische Vorgänge an den Muskeln und Nerven erhalten , ohne daß aber nach dem damaligen Stand der Wissenschaft die Frage nach dem Ursprung dieser Elektrizität hätte beantwortet werden können. Durch neuere Untersuchungen von Ostwald, Bernstein u. a., die auf der neueren Anschauung von der Theorie der Elektrizität beruhen, ist diese Untersuchung ein großes Stück gefördert worden , und Bern- stein hat über seine und fremde Arbeiten a.a.O. zusammenfassend berichtet. Durch Traube und Pfeffer kennen wir Membranen, die wie Siebe einige Moleküle hindurch- lassen, andere nicht. So läßt z. B. eine Haut von Ferrocyankupfer Wasser , aber nicht Zucker hin- durch, ferner Chlorkalium, aber nicht Chlorbaryum, nicht Kaliumsulfat, nicht das SO^-Ion, nicht das Cu-Ion usw. Wenn nun eine solche Haut die Lösung eines Elektrolyten umschließt, so können unter Um- ständen die Ionen der einen Art durch ihre Poren hilldurchtreten, die der anderen nicht. Dann muß aber die Haut auf der einen .Seite positiv, auf der anderen negativ geladen werden, und wenn eine Verbindung zwischen den beiden Schichten her- gestellt wird, muß ein Strom auftreten. Bernstein hat nun in folgender Weise ge- prüft, ob die vorstehende Theorie des Muskel- 762 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 48 Stroms richtig ist. Nacli ihr ist das elektrische Organ des Körpers als sogenannte Konzentrations- kette aufzufassen, wie man sie sich z. B. dadurch herstellen kann, daß man ein U-rohr mit Zink- sulfatlösung füllt , Zinkstäbe in die beiden Enden taucht und auf der einen Seite der Lösung stärker verdünnt als auf der andern. Für solche galvani- schen Ketten, in denen keine chemischen Um- setzungen stattfinden, gilt der Satz, daß die Elek- trizitätsspannung der absoluten Temperatur (Null- punkt bei — 273" C) proportional ist, und Bern- stein hat nun gezeigt, daß in gewissen Temperatur- grenzen , an die man ja bei Untersuchungen am Tierkörper gebunden ist, in der Tat die elektro- motorische Kraft der Muskel- und Nervenströme in der angegebenen Weise mit der Temperatur wächst. Am besten mußte sich für diese Untersuchungen das elektrische Organ des Zitterrochens (Torpedo) eignen, den Bernstein in Gemeinschaft mit Tschermak im Frühjahr 1903 in Neapel unter- sucht hat. Dieses Organ besteht aus sehr vielen platten Zellen, die je aus drei Schichten, einer Nerven-, Zwischen- und Gallertschicht gebildet sind. Da es wie eine Serie von kleinen galvani- schen Elementen gebaut ist, so ist die Stärke des Stromes nicht zu verwundern , auch wenn man annimmt, daß die Ladung an jeder einzelnen Schicht nicht stärker ist, als bei jedem Tier sonst. Auch hier ergaben die Untersuchungen Bern- steins, daß zwischen 3" und 30" C das elektri- sche Organ als Konzentrationskette aufzufassen ist; die Abweichungen über diese Temperatur- grenzen hinaus sind dadurch zu erklären , daß dort das Organ selbst durch die zu tiefe oder zu hohe Temperatur leidet. Diese Durchlässigkeit (Permeabilität) der Häute im Körper ist auch in anderer Beziehung wichtig. Aus Pflanzenzellen läßt die Zellmembran den Zucker nicht austreten, aus den Blutkörperchen das Hämoglobin, aus den Nierenzellen das Eiweiß u. a. LTnd daß ein Nervenreiz imstande ist, die Permeabilität der Zellhaut zu ändern, sehen wir z. B. an den Einwirkungen von Schreck, Furcht u. a. auf viele Organe unseres Körpers. Es har- moniert also mit Beobachtungen, wenn angenom- men wird, daß ein vom Nerven ausgehender Reiz imstande ist, die Permeabilität der Zellhaut so zu ändern, daß die Ionen in größerer Zahl hindurch- treten und den Strom hervorrufen können. A. S. Das Staatswesen der Ameisen setzt sich aus Männchen , Weibchen und Arbeitern zusammen, die beiden ersteren erfüllen allein die Funktionen der F~ortpflanzung, die letzteren übernehmen die eigentliche Arbeit im Stock, Nestbau, Aufzucht der Jungen, Verteidigung etc. Morphologisch sind die Arbeiter als reduzierte Weibchen aufzufassen, wobei die Reduktion sich in erster Linie auf die Geschlechtsorgane erstreckt. Indessen weiß man schon seit längerer Zeit, daß die Ovarien der Arbeiter keineswegs immer derart stark reduziert sind, daß sie nicht unter bestimmten Umständen noch Eier zu produzieren vermöchten. Als Kenn- zeichen einer echten Königin hat man deshalb das Vorhandensein eines Receptaculum seminis, einer Tasche am weiblichen Geschlechtsausführ- gang, welche den bei der Begattung empfangenen Samen zur Befruchtung der Eier aufbewahrt, als ausschlaggebendes Moment in den Vordergrund gestellt. Von diesen Gesichtspunkten ausgehend stellte nunMargaretHolliday') systematische Unter- suchungen über die Reduktion des Genital- apparates der Arbeiter verschiedener Ameisen- familien an. Es ergab sich, daß von den Pone- rinen, der am niedrigsten stehenden Ameisengruppe, Leptogenys elongata, Pachycondyla harpax und Odontomachus clarus neben typischen Weibchen Arbeiter aufweisen, die wohlausgebildete kleine Eiröhren und ein normal entwickeltes Recepta- culum seminis besaßen, also wohl in jeder Hin- sicht die Geschlechtsfunktionen eines echten Weib- ciiens erfüllen können, während sie äußerlich in nichts sich von einem gewöhnlichen Arbeiter unterscheiden. Bei den Ponerinen ist nun an sich schon der morphologische Unterschied zwischen Weibchen und Arbeiter nur gering, weit stärker ausgeprägt ist er bei den Myrmicinen, aber auch hier fanden sich bei einer Form, bei Leptothorax emersoni, welche allerdings zahlreiche Ubergangs- formen zwischen Weibchen und Arbeitern besitzt, die gleichen Verhältnisse vor, insofern unter lOOO Ameisen neben 1 1 1 Männchen nicht weniger als 887 Individuen auftraten, die Ovarien und ein Receptaculum seminis aufwiesen. Ein sehr großer Teil der äußerlich als Arbeiter gekennzeichneten Formen zeigte somit innerlich eine typisch weib- liche Organisation. Erst bei den am höchsten stehenden Ameisen, bei Camponotinen und Dory- linen , sind die Gegensätze zwischen der Organi- sation von Arbeiter und Weibchen schärfer aus- geprägt. So ist bei dem Weibchen von Eciton schmitti das Ovarium sowie Receptaculum seminis sehr stark entwickelt, während bei den Arbeitern beide äußerst rudimentär und kaum aufzufinden sind. Ahnliche Verhältnisse weist Camponotus marginatus auf, wo die Arbeiter nur einige wenige Eiröhren, nie aber ein Receptaculum besitzen. Indessen stets fehlt auch in diesen Gruppen das Receptaculum nicht, es fand sich bei einigen Ar- beitern von Camponotus fumides var. festinatus noch vor. Die Arbeiter vieler Ameisen sind also nicht ohne weiteres als sterile Formen aufzufassen , sie können noch durchaus funktionsfähige Ovarien besitzen, sie können sogar unter Umständen noch ein wohl entwickeltes Receptaculum seminis auf- weisen, und nichts steht der Annahme entgegen, daß diese Individuen dann in jeder Hinsicht die •) Marg. Holliday, A study of some ergatogynic ants, Zoolog. Jahrb. Abt. f. Syst. 1903. N. F. m. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 763 physiologische Rolle eines typischen Weibchens spielen können. Es ist dies ein höchst bemerkens- wertes Resultat, dessen Verwertung uns vielleicht in manchen noch unklaren oder rätselhaften Er- scheinungen des Ameisenlebens Aufklärung zu bringen vermag. J. Meisenheimer. Die Schutzmittel der Flechten gegen Tier- frafs. — Über diesen Gegenstand veröffentlicht Prof E. Stahl in der Festschrift zum 70. Geburts- tage E. Haeckel's (Jena, Fischer, 1904) auf Grund experimenteller Arbeiten eine eingehende und höchst interessante Studie. Vorarbeiten über diese Frage finden sich bei Bachmann „Über nicht kristalli- sierbare Flechtenfarbstofife", ferner bei Zukal „Mor- pholog. und biolog. Untersuchungen über die Flechten", in den Sitzungsber. der Akad. d. Wissen- schaft in Wien 1895, endlich in einer Abhandlung von Zopf ,, Zur biologischen Bedeutung der Flechten- säure." (Biol. Zentralbl. Bd. 14, 1896). Bei Beurteilung des Wertes der Schutzmittel für die damit ausgerüsteten Pflanzen ist die zuerst von Stahl in seiner bekannten Schrift „Pflanzen und Schnecken" (Jen. Ztschr. f. Naturw.) gemachte Unterscheidung der Tiere in Omnivoren und Spezialisten von Bedeutung. Die Omnivoren Schnecken fressen mit Vorliebe süße Pflanzenteile (Früchte, süße Wurzel- oder Rhizomteile), einige nehmen zuweilen auch tierische Kost zu sich. Doch da sie nur selten in die Lage kommen, derartige ihnen zusagende Pflanzenteile zu finden, so nehmen sie auch allerdings nur geringe Mengen solcher Pflanzen zu sich, die ihnen sonst nicht sympathisch sind. Nur dürfen dieselben nicht zu hart und auch nicht durch besondere Geschmacks- eigcnschaften ausgezeichnet sein. Die Spezia- listen nähren sich im F'reien hauptsächlich von Pilzen. Wichtig ist die Tatsache, daß die Om- nivoren die Fruchtkörper verschiedener Pilze ver- schmähen , aber im ausgelaugten Zustande gern fressen, während die Spezialisten begierig nur die frischen Pilze angreifen. Jedenfalls sind es die- selben chemischen Substanzen , welche die Om- nivoren Schnecken abstoßen, die Spezialisten da- gegen anziehen. Stahl stellte zunächst Versuche mit Flechten und Spezialisten an und fand bei mehreren Arten von Schmetterlingsraupen , die sich vorwiegend von Krustenflechten ernähren, folgendes: Frische Flechten wurden von ihnen bevorzugt vor solchen, bei denen gewisse chemische Stofte durch Aus- laugen entfernt worden waren. Dasselbe Verhalten zeigte eine Milbenspezies. Die Schädigungen der Flechten durch Spezialisten sind jedoch immerhin selten, und da Fraßspuren überhaupt an Flechten nicht häufig vorkommen, so darf man mit Recht vermuten , daß sie auch gegen omnivore Tiere geschützt sein müssen. Nur durch vergleichende Versuche kann eine befriedigende Lösung der Frage erwartet werden. Stahl's experimentelle Untersuchungen führten zu folgenden Ergebnissen : In der i. Versuchsreihe wurden lebende Flechten in Verbindung mit solchen, bei denen etwa in Wasser lösliche Stoffe (Bitterstoffe, Gerbsäure, Alkaloide) ausgelaugt waren, hungrigen Schnecken und Asseln vorgelegt. Bei den geringen Fraß- spuren, die sich zeigten, war ein Unterschied zwischen toten ausgelaugten und frischen Flechten nicht zu erkennen. Dagegen konnte nachgewiesen werden, daß solche Flechten, bei denen man die in verdünnter Soda löslichen Stoffe entfernt hatte, dadurch für omnivore Tiere (Schnecken) genieß- bar wurden. Nach diesen LTntersuchungen be hauptet Stahl, daß es Flechtenspezialisten, d. h. in ihrer Ernährung auf Flechten angewiesene Schnecken überhaupt nicht gibt. Während die Versuche mit Omnivoren Gehäuseschnecken, sowie mit der Mauerassel (Oniscus murarius) und dem Ohrwurm (Forficula auricularia) zeigten , daß die zur Nahrung vorgelegten Hechten durch gewisse in verdünnter Sodalösung lösliche Körper gegen die genannten Tiere geschützt sind, in ausgelaug- tem Zustande aber gern gefressen werden, so er- gaben die Experimente mit der sonst so gefräßigen Ackerschnecke (Limax agrestis) eine auffällige Abweichung, indem sie die ausgelaugten Flechten kaum berührte. , Der Grund dieser Erscheinung lag, wie weitere Untersuchungen ergaben, darin, daß die Flechte bei ihrem sehr geringen Zucker- gehalt die zuckergierige Ackerschnecke nicht zum Genuß reizt; der Mangel an Zucker kann dem- nach hier sehr wohl als Schutzmittel gedeutet werden. Wurde die Flechte durchtränkt mit Zuckerwasser oder dem süßen Saft von Daucus carota, so wurde sie ohne Zögern von der L. agrestis aufgenommen. Bezüglich der Natur und der Eigenschaften der Flechtenschutzstoffe ließ sich im allgemeinen feststellen, daß sie Flechtensäuren sind, deren Natur auch bei zahlreichen Flechtenarten sicher ermittelt ist; so enthält Evernia prunastrl z. B. Atranorsäure, Evernsäure, Usninsäure, die alle in kohlensauren Alkalien löslich sind. Eine besondere Bedeutung als Schutzmittel kommt der bittern Vulpinsäure zu. Für gewisse Flechtensäuren hat sich ergeben, daß sie in Wasser so gut wie un- löslich oder nur schwer löslich sind; und das ist biologisch wichtig; denn die Stoffe sind nicht im Innern des Flechtenorganismus, sondern auf oder in den Membranen abgelagert und würden so bei Befeuchtung z. B. durch Regen oder Tau in Ge- fahr kommen , ausgewaschen zu werden. Sollen die Flechtensäuren als Schutzstoft'e in Wirksam- keit treten, so müssen sie in den Mundteilen der benagenden Tiere löslich sein. Von besonderem Interesse war daher die Untersuchung der Schleim- absonderungen im vorderen Teile des Darmrohres und in der gesamten Körperoberfläche des Tieres. Stahl's Versuche mit Limax agrestis und Helix hortensis ergaben aufs deutlichste, daß der äußere und innere Schneckenschleim alkalische Reaktion zeigt, also befähigt ist, die Flechtensäuren in Lösung zu bringen. Lackmus- und Curcuma- papierstückchen, mit Zuckerwasser getränkt, wur- 764 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 48 den von den Tieren als Speise aufgenommen und zeigten selbst durch die helle Körperoberfläche des unverletzten Tieres hindurch die charakte- ristische alkalische Reaktionsfärbung. Bezüglich des von der Körperoberfläche abgesonderten Schleimes kann man die alkalische Reaktion leicht beobachten, wenn man z. B. Helix pomatia über rotes Lackmuspapier kriechen läßt. Durch Be- rührung mit der alkalisch reagierenden Körper- flüssigkeit der fressenden Tiere können die Flechten- sauren also erst zu ihrer Wirkung als Schutzmittel gelangen. Menschenspeichel enthält im Mittel 0,08 "'(, Natriumkarbonat, reagiert also alkalisch und übt daher auch eine lösende Wirkung auf die Schutz- stoffe der Flechten aus. Man kaim dieselbe leicht z. B. an Variolaria amara, Imbricaria caperata, Evernia prunastri u. a. beobachten, wenn man Thallusstücke auf der Zunge hin- und herschiebt. Es tritt bald die für die Flechtenbitterstoffe cha- rakteristische Geschmacksempfindung hervor. Da sich die Schutzstoffe vieler Flechten durch Speichel extrahieren lassen, so war eine einfache Methode gegeben, um nochmals ihre Wirkung auf omnivore Tiere zu prüfen. Mauerasseln , Helix hortensia, Limax agrestis bevorzugten die mit Speichel extra- hierten Flechtenstücke. Mit dem ebenfalls alkalisch reagierenden Schneckenspeichel, der in gröl3eren Mengen Verwendung fand, ließen sich die gleichen Wirkungen feststellen. Stahl erblickt in diesen Tatsachen einen Hinweis darauf, daß die in Wasser (mit dem sie zufolge der Organisation der Flech- ten leicht in Berührung kommen) unlöslichen, aber in alkalischen Sekreten der fressenden Tiere lös- lichen Schutzstoffe sich unter dem züchtenden Einfluß pflanzenfressender Tiere entwickelt haben und hebt als theoretisch wichtiges Ergebnis dieser Untersuchungen hervor, daß auch der Chemismus der Pflanze, nicht nur die Formbeschaffenheit der Anpassung unterliegt. Für diese Anschauung sprechen überzeugend die vergleichenden Unter- suchungen an Gallertflechten (Collemaceen). Bei ihnen fehlen die Flechtensäuren; denn hier konn- ten sie als Schutzstoffe nicht wirken, da diese Abteilung der Flechten , wie Versuche zeigten, wegen ihrer gallertigen Beschaffenheit weder von Asseln noch von Schnecken geschädigt werden können. Die Flechtensäuren haben aber wohl nicht allein darin ihre Aufgabe, für ihren Träger ein Schutzmittel gegen pflanzenfressende Tiere zu sein; vielmehr geht aus vorläufigen Orientierungsver- suchen Stahl's hervor, daß sie den Flechtenorganis- mus auch vor der Zerstörung durch Bakterien zu bewahren imstande sind, eine Frage, die der ein- gehenden Bearbeitung noch harrt. Jena. F. Schleichert. Neubildung von Steinkohle. — Eine Be- obachtung wurde in der letzten Sitzung der geo- graphischen Gesellschaft in Manchester mitgeteilt. Es handelt sich um die Umwandlung von Kohlen- staub in feste Kohle während einer Zeit von 2 — 3 Jahren. Aus einer Kohlengrube hatte man vor einigen Jahren Wasser in die Höhe gewunden und in einen hölzernen Trog gegossen, der im Boden ein Loch hatte, so daß sich das Wasser in der Erde verlor. Es stellte sich nun heraus, daß sich im Laufe der Zeit an den senkrechten Stellen des Troges ein winziges Kohlenflötz aus harter kristalli- sierter Kohle entwickelt hatte, das in seiner Be- schaffenheit ganz einer natürlichen Bildung glich. Diese kleine Beobachtung gibt insofern zu denken, als man für die Bildung eines Kohlenflölzes bisher einen Zeitraum von Millionen Jahren unter gleich- zeitiger Wirkung von Hitze und Druck für not- wendig angenommen hat. Vielleicht ist hier ein Weg gezeigt, um durch Versuche zu einer besse- ren Aufklärung der Entstehung von Kohlenlagern zu gelangen, als man sie bisher hat geben können. So interessant auch diese Mitteilung ist, so kann von einer Neubildung von Steinkohle natür- lich gar nicht die Rede sein, da ja die Steinkohle, wenn auch in Staubform , schon vorhanden war. Es handelt sich also nur um eine Zusammenkittung dieses Kohlenstaubes. Wahrscheinlich haben die im Wasser gelösten Salze , bei der jahrelangen Durcktränkung und Wiederverdunstung des Wassers, den Kitt für die feinen .Staubteilchen abgegeben. Man hat es offenbar mit einer den Tongesteinen (Tonschiefern etc.) ähnlichen Bildung zu tun; hier ist es Ton- dort Kohlenschlamm, welcher zu fester Masse erhärtet. Immerhin ist auch so diese Be- obachtung noch beachtenswert genug, weil man zur Bildung solcher harter Massen aus weichem Material , wie in dem Bericht hervorgehoben ist, meistens große Zeiträume voraussetzte, unter gleichzeitiger Einwirkung von starkem Druck und Hitze. Dr. Odernheimer. Schon wieder eine neue Art Ausstrahlung glaubt Blondlot mit Hilfe des phosphores- zierenden Schwefelcalciumschirmes entdeckt zu haben (Comptes rendus vom 13. Juni 1904). Hält man nämlich senkrecht über den leuchtenden Schirm eine Münze (z. B. ein Zweifrankstück), so soll die Phosphoreszenz deutlich gesteigert werden, und dies sogar bei einer Höhe der Münze von mehreren Metern, wofern sie nur genau senkrecht über dem Schirm gehalten wird.*) Jede seitliche Verschiebung oder Neigung bedingt dagegen so- fortiges Aufhören der Wirkung und wenn die Münze unter den Schirm gehalten wird, so wirkt sie nur auf wenige Zentimeter Entfernung. Blond- lot nimmt daher das Vorhandensein einer bestän- digen und nach allen Richtungen erfolgenden Ausströmung eines materiellen Stoffes an, der der Schwere gehorcht und die Phosphoreszenz des Schwefelcalciums beim Auftreffen zu steigern be- fähigt ist. Die Experimente sollen außer mit Silber auch mit Kupfer, Zink, Blei und befeuch- 1) Die Wiederholung des Versuches geUing dem Referenten bei Benutzung eines Zweimarkstückes nicht. N. F. m. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 765 tetem Karton gelungen sein, während Gold, Platin, Glas und trockener Karton wirkungslos blieben. Orientiert man die Münze in vertikaler Stellung, so findet man Wirkung auf zwei Kurven , die zwar keine genauen Parabeln zu sein scheinen, aber sonst mit langsam nach beiden Seiten aus- fließenden Flüssigkeitsstrahlen Ähnlichkeit haben. Verschiedene Kontrollversuche (mit sich begegnen- den, schrägen Strahlen etc.) sollen durchweg die vorgetragene Auffassung bestätigt haben. Papier und Karton werden von der Ausströmung durch- drungen, Glas dagegen niclit; von letzterem prallt dieselbe zurück wie ein Wasserstrahl. — So sehr uns auch dieser neuesten Entdeckung gegenüber dieselbe Skepsis am Platze erscheint wie bei den N-Strahlen, glaubten wir sie unseren Lesern doch nicht vorenthalten zu dürfen. Nach einer Mit- teilung vom 26. Juni ist die in Rede stellende Emanation vom Magneten ablenkbar und zwar erklären sich Blondlot's Beobachtungen durch die Annahme, daß von der Münze sowohl unelektri- sche, als auch positiv und negativ geladene Teil- chen ausströmen. Dementsprechend wirken auch elektrisch geladene Körper ablenkend auf die Emanation ein. Ein Luftstrom führt übrigens gleichfalls die Emanation mit sich fort. Ferner hat auch Bichat am phosphores- zierenden Schirm eine Anzahl merkwürdiger Helligkeitssclnvankungen, die z. B. durch die Nähe gewisser Gase hervorgerufen werden, bei völlig ausgeruhtem Auge beobachtet (Comptes rendus vom 24. Mai), die ihn zu dem Ausspruch führen: „Alle diese Tatsachen zeigen, daß die Helligkeits Schwankungen eines phosphoreszierenden Schirmes mit großer Empfindlichkeit alle Veränderungen anzeigen, welche sich in einem Körper infolge der verschiedensten physikalischen , chemischen oder physiologischen Einwirkungen vollziehen. I'. Kbr. Himmelserscheinungen im September 1904. Stellung der Planeten: Merkur ist in der zweiten Hälfte des Monats bis Yi Stunden lang als Morgenstern sicht- bar, Venus ist nur für wenige Minuten abends siebtbar, Mars kann morgens 2'/.> Stunden lang im Löwen gesehen werden, während Jupiter und Saturn ziemlich die ganze Nacht hindurch beobachtbar sind, ersterer in den Fischen, letzterer im Steinbock. Verfinsterungen der Jupitermonde: 4. Sept. 9 Uhr 49 Min. 34 Sek. M.E.Z. ab., Eintr. d, I.Trab. 10. „ II „ 17 „ 29 „ „ „ „ „ II. „ 11. „ II „ 24 „ 5 .. n .. .. " I- .. 17- ., 8 .. 56 „ 17 „ „ ,. n .. IIl- .. 17- ., 10 .. 51 .> 4 M .. ,. Austr. „ 111. „ 27. „ 10 „ 2 „ 13 „ „ „ Eintr. ,. 1. „ Sternbedeckung : Am 29. wird der Stern ;■ Tauri durch den Mond bedeckt. Für Berlin tritt der Stern um 10 Uhr 15,4 Min. M.E.Z. abends in den östlichen Mondrand ein und kommt um 1 1 Uhr 8,8 Min. am westlichen Kandc wieder hervor. Eine in Europa unsichtbare , totale Sonnenfinsternis ereignet sieh am Abend des 9. Die Totalitätszonc läuft von Neu-Guinea nach Chile, Algol-Minima-. Am 6. um 10 Uhr 53 Min. abends, am 9. um 7 Uhr 42 Min. abends und am 29. um 9 Uhr 22 Min. abends. Bücherbesprechungen. Dr. Hans Hefs, königl. GymnasialProfessor in Ans- bach, Die Gletscher. Braunschweig, 1904. Vieweg & Sohn. — Preis geh. 15 Mk. Die letzte zusammenfassende Darstellung der Gletscherkunde gibt uns Heim's bekanntes Handbuch aus dem Jahre 1885. Seitdem haben zahlreiche und sehr wertvolle Arbeiten sowohl in den Hochgebirgen wie in den Polargebieten unser Wissen von den Glet- schern außerordentlich vermehrt und die Gletscher- forschung auf eine ganz veränderte Basis gestellt. Der durch seine Arbeiten an ostalpinen Gletschern rühmlichst bekannte Verfasser hat sich nun der schwie- rigen und dankenswerten Aufgabe unterzogen, eine Gletscherkunde nach heutigen Gesichtspunkten zu schreiben. Schon beim Durcliblättern des Buches fällt ein Faktor ins Auge : Die Fülle von exakten Daten. Wohl die meisten äußeren Erscheinungen, die wir an Glet- schern wahrnehmen können, sind schon den vortreff- lichen Beobachtern aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, den Hugi, Agassiz, Forbes und zuletzt Tyndall bekannt gewesen. Aber für vieles hat erst die messende Tätigkeit der letzten Jahrzehnte die rechnerischen Belege, die mathematische Begründung gebracht. hl vielen theoretischen Fragen schließt sich Heß an Finsterwalder an und entfernt sich von Heim und seinen Anhängern. Im Gegensatz zu dem Züricher Forscher sieht er im Gletscher ein Erosionsinstrument von gewaltigster Wirkung. Nach seinen Versuchen würde die Gletscherzunge des Hintereisferners jährlich etwa 2 cm von ihrem Felsuntergrunde abtragen. In der Bänderung der Gletscherzunge erblickt der Ver- fasser nicht, wie Heim, eine Druckerscheinung, die der Schieferung entspricht , sondern lediglich die ursprüngliche F'irnschichtung, bei der Bewegung des Gletschers spielt nicht die Regelation , sondern die dem Eise innewohnende Plastizität die Hauptrolle. Besonders interessiert hat mich der Abschnitt über die Innenmoränen ; ich habe diesen Typus , auf den man erst in neuerer Zeit aufmerksam geworden ist, in großer Verbreitung auch an antarktischen Eisbergen beobachten können. Am wenigsten hat mir der letzte .\bschnitt des Buches gefallen , der von den Erscheinungen der diluvialen Eiszeit handelt. Gegenüber den Diluvial- erscheinungen in den Alpen, die doch schließlich nur einen räumlich beschränkten Spezialfall darstellen, kommt die große allgemeine Vereisung Nordeuropas und Nordamerikas zu kurz. Man kann unmöglich die gesamten Diluvialerscheinungen Norddeutschlands in einen Raum von zwei Seiten zusammenpressen, ohne da oder dort arge Lücken zu lassen. So ist z. B. von den für die glaciale Hydrographie so wichtigen Uistromtälern gar nichts erwähnt und ebenso fehlt z. B. bei Noidamerika der Hinweis auf die merk- würdige „driftless area." Daß man bei der Verglet- scherung des schwäbischen Juras, die in letzter Zeit so oft diskutiert worden ist, sich nicht lediglich mit einer Berufung auf Oskar Fraas begnügen darf, unter- 766 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 48 liegt wohl keinem Zweifel. Stand dem Verfasser für einen weiteren Ausbau dieses Kapitels nicht mehr Raum zur Verfügung , so wäre wohl ein Verzeichnis der einschlägigen Literatur von größerem Nutzen ge- wesen, als eine allzu knappe Darstellung. Dem Buche sind 4 Karten , eine Übersichtskarte der Gletscher und Schneehöhen auf der ganzen Erde, je eine Spezialkarte eines Gletschergebietes aus dem zentralen Kaukasus und des Justedals Bräen und eine Rekonstruktion des eiszeitlichen Oglio-Gletschers, bei- gegeben. Neben zahlreichen Zeichnungen schmücken 8 sehr instruktive Vollbilder, nach ausgezeichneten Photographien, das Werk und man muß es nur be- dauern , daß nicht auch die verschiedenen Moränen- formen und die Erscheinungen der Gletscheroberfläche, wie Gletschertische, Sandpyramiden etc., in gleicher Weise zur Darstellung gelangt sind. Wenn auch vielleicht nicht jeder Gletscherforscher mit den Anschauungen des Verfassers übereinstimmt, so wird er ihm doch für das überaus nützliche Buch, mit dem Heß die deutsche Literatur bereichert hat, seinen Dank wissen. Dr. E. Philippi. Kapitän O. Sverdrup , Neues Land. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1903. 2 Bände mit 225 Ab- bildungen und 9 Karten. Es war im September 1896. „Fram" war soeben von ihrer glorreichen ersten Fahrt zurückgekehrt und löschte ihre Ladung im Christiania-Fjord. Da erhielt ihr trefflicher Kapitän die Anfrage, ob er bereit wäre, eine neue Reise nach Norden zu unternehmen. Wohl wenige hätten in seiner Lage mit ja geantwortet. Sverdrup jedoch willigte ohne Zaudern ein und damit war die Expedition beschlossen , über deren erfolg- reichen Verlauf ihr mutiger Führer nunmehr in einem zweibändigen Werke berichtet. Die Anregung und Finanzierung ging aus von dem Konsul Axel Heiberg und den Gebrüdern Ringnes. Bereitwillig lieh die norwegische Regierung die „Fram" und trug die Kosten für die notwendigen Veränderungen. Der Plan war , durch den Smith-Sund längs der Nordküste von Grönland möglichst weit vorzudringen und wenn möglich , an der grönländischen Ostküste zurückzukehren. Vom Vorstoß gegen den Nordpol war nicht die Rede. Am 24. Juni 1898 verließ die „Fram", vorzüglich ausgerüstet und mit einem tüchtigen wissenschaftlichen Stabe an Bord, den Heimatshafen. Zunächst wurden verschiedene Punkte in Westgrönland angelaufen, um Hunde und Kohlen an Bord zu nehmen. Am 5. August verließ man LTpernivik. Die Melville-Bay erwies sich als gut passierbar, im Smith-Sund wurde jedoch jeder weitere Fortschritt durch geschlossen andrängendes Packeis vereitelt. Ende August bezog „Fram" ihr erstes Winterlager in der Rice- Straße, zwischen der kleinen Pim-Insel und EUesmere-Land. Noch während des Herbstes wurde durch mehrere Schlittenreisen die Grenze von Ellesmere- und Grinnell-Land aufgeklärt. Es stellte sich heraus, daß der Hayes-Sund nicht, wie man bisher vermutete, beide Länder trennt, sondern ein sich nach Westen verzweigender Fjord ist. Je- doch schneiden seine Äste so tief in das Land ein, daß es im Frühjahr gelang, hier das EUesmere-Land zu durchqueren und einen Fjord der Westseite, den Bay-Fjord, zu erreichen. Der erste Winter verlief ohne Zwischenfälle, allein bei einer kurzen, sommer- lichen Schlittenfahrt fand der Arzt der Expedition, Dr. Svendsen, seinen Tod. Frisches Fleisch war stets reichlich vorhanden, da das Ellesmere Land große Herden von Moschusochsen beherbergte. Einige Tagereisen nördlich von der „Fram" lag Peary's Windward, dem die Framleute im Frühjahr einen Besuch abstatteten. Sie selbst erfreuten sich am Ende des Winters häufig des Besuches von Eskimos, welche von der grönländischen Seite des Smith-Sundes herüber- kamen. Am 24. Juli 1899 konnte „Fram" wiederum die Anker lichten, allein auch in diesem Sommer waren die Eisverhältnisse im Smith-Sunde so ungünstig, daß jedes weitere Vordringen nach Norden ausgeschlossen erschien. Es blieb nichts anderes übrig, als zurück- zugehen und südlich vom Ellesmere-Lande neue Auf- gaben zu suchen. Am i. September 1899 bezog Fram ihr zweites Winterquartier im Hafenfjord auf der Nordseite des Jones-Sundes, an der Südküste des Ellesmere-Landes. Noch im Herbst wurde auf kleineren Schlitten- reisen die Südküste des südwestlichen Ellesmere- Landes, das die Framleute König Oskar-Land tauften, erforscht. In dieser Zeit starb auf der „Fram" der Heizer Braskerud, der zweite Todesfall. Im Frühjahr 1900 lernte man auf großen und teilweise sehr schwierigen Schlittenreisen auch die Ostküste des König Oskar- Landes bis zum 80. Grad kennen. Wäh- rend Sverdrup auf einer Fahrt nach Norden begriffen war, brach auf dem Oberdeck der „Fram" ein sehr gefährlicher Brand aus, dessen jedoch die Mannschaft nach hartem Kampfe Herr wurde. Auch in diesem Jahre brach das Eis sjiät auf Erst am 9. August 1900 konnte „Fram" ihr zweites ■Winterquartier im Hafenfjord verlassen und steuerte durch den Jones-Sund nach Westen. Im Belcher Kanal wurde Fram gegen Ende .August vom Eise besetzt, kam aber Mitte September wieder frei und kehrte durch die Cardigan-Straße nach dem Jones- Sunde zurück, um im „Gänsefjord" an der Südkuste des Köni (VcJhagen et- Kliisin(/). 262 S., Preis: geb. 2,20 Mk. Außer den 35 Bildern vom Menschen enthält es 55 biocönotische, 65 ethologische, 50 ökologische, 30 physiologische, 3 paläontologische, 30 onto- genetische, 80 systematische und 4.0 anatomische .-\bbildungen. In der Ausgabe A enthält Kursus I (30 S.) Vertreter aller Wirbelticrklassen und der Insekten, Kursus II {50 S.) außer- dem Vertreter der Mollusken, Arachniden, Krebse und Würmer, Kursus III (130 S.) das ganze System. Dann folgen die Menschenrassen (2 S. mit 5 Fig.), der Bau des Menschen (24 S. mit 30 Fig.), die Frnährung des Menschen (3 S.) und die Tiergeographie (10 S. mit 6 Abbildungen und einer Karte). Mit ausführlichem Register. Dr. C. Baenitz, Leitfaden Ailia. Dielfgesamte Torfschicht hat hier nur noch eine Mächtigkeit von 5,5 m. Bei Arnoldshof wurden die Wagen verlassen und nach einer kurzen Wanderung durch nasse Wiesen ein noch im Urzustände befindlicher kleiner Bruchwald besucht, in welchem die abgestorbenen Stammreste von mächtigen Moosbulten überzogen werden. An den mehr trockenen Stellen findet man hauptsächlich Hypnum und Polytrichum, an den nasseren Sphagnumarten. Dabei enthält der zum Teil gelichtete Bruchwald die für ihn charakte- ristischen Pflanzen. Am Rande fanden wir das helllila blühende Moorveilchen (Viola palustris) mit seinen nierenförmigen Blättern. Auf den Sphag- numbulten im Walde blühte bereits Andromeda polüfolia (s. Fig. 8), ein zierlicher, kleiner, gerad- aufsteigender Strauch mit glockenförmigen rosa Blüten und schmalen umgerollten, unterseits weiß- lichen Blättern. Daneben fand sich Vaccinium uliginosum, die Rauschbeere, ein etwas größerer Strauch als die Heidelbeere mit elliptischen, unter- seits blaugrünen Blättern und einer ähnlichen Frucht wie bei der Heidelbeere. Auch die Moosbeere (Vaccinium oxycoccos (s. Hg. 9)) mit ihren lang- kriechenden, fadendünnen Stengeln und den kleinen spitzen, etwas zurückgerollten Blättern wurde ge- funden, daneben Empetrum nigrum, die Krähen- beere, ein kleiner niederliegender buschiger Strauch mit schwarzen Beeren und ebenso noch manche charakteristische Pflanze der mit Heide bedeckten Sphagnummoose. Auch der würzig duftende Gagel (Myrica Gale) mit seinen kleinen lanzett- lichen, etwas gesägten Blättern ist ein in den westdeutschen Hochmooren häufig vorkommender kleiner Strauch. Er vertritt hier den im Westen fehlenden Porst (Ledum palustre). Auf der Straße durch den langgedehnten Ort Platendorf fuhren wir zurück. Die Gehöfte und Fig. 9. Vaccinium oxycoccos. P'elder beiderseits der Straße liegen auf abgetorften Plächen, während die Straße auf einem stehen- gebliebenen Damme des Hochmoors angelegt worden ist, der mit Sand beschüttet und gepflastert wurde. Infolge dessen ist diese Straße immer- währender Verbesserungen bedürftig. Eigentüm- lich berührt der Umstand, daß man die Eisenbahn- 7,üge nördlich von Platendorf in einem durch das Hochmoor geführten Einschnitte verschwinden sieht. Nach der Rückkehr nahmen die Exkursionsteil- nehmer im ,, Braunschweiger Hof" ein einfaches, aber gutes Mittagsessen ein, bei dem verschiedene Reden gehalten wurden, und begaben sich von dort zum Bahnhofe Triangel, um mit dem Abend- schnellzuge über Isenbüttel nach Berlin zurückzu- kehren. Alle hatten die Empfindung, ein sehr interessantes Hochmoorgebiet kennen gelernt zu haben, dessen Ausbeutung und Kultivierung ihnen in gelungenster Weise das Zusammenwirken von Industrie und Landwirtschaft vor Augen geführt hatte. N. F. m. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 793 Kleinere Mitteilungen. Weshalb pflegen unsere Musikstücke mit herabgehenden Noten zu schlieTsen? — Auf die vorstehende Frage kam ich gelegentlicli einer gemeinverständlichen physikalischen Krörterung über Wellen und Strahlen, und versuchte die folgende Antwort zu geben: Von einer fernen Musik hören wir vorzugsweise die tiefen Töne. Sollte da nicht der übliche Schluß der Musik- stücke eine unbewußte Nachahmung derjenigen Gehörsempfindungen sein, welche wir haben, wenn eine Musik in der Ferne verklingt? Dabei würde derjenige Vorgang in Betracht kommen, welcher unter dem Namen „Beugung" in der Physik längst bekannt ist. Zwischen dem tönenden Körper, welcher Schallwellen aussendet, und dem Ohr, das die Wellen empfängt, befinde sich eine Anzahl von Gegenständen, die den Schall nicht hindurchlassen, z. B. Bäume. Die Schallwellen können dann nicht geradlinig zum Ohre gelangen; dennoch werden sie empfunden, und zwar, weil sie auf gekrümmten Bahnen um die Hindernisse herumgehen, gebeugt werden. Um davon eine Anschauung zu gewinnen, erinnern wir uns, daß die Schallwellen Erschütterungen der Luft sind, und daß jede einzelne Stelle der Luft, an welche eine solche Erschütterung gelangt, da- durch selbst befähigt wird, wiederum Erschütte- rungen nach allen Seiten auszusenden. Danach ist es begreiflich, wenn Schallwellen durch solche Räume hindurchdringen können , in welchen Bäume, Häuser und sonstige für die Wellen un- durchdringliche Gegenstände eine geradlinige Fort- pflanzung unmöglich machen. Zu den Eigen- schaften der Beugung gehört es nun, daß sie für lange Wellen stärker als für kurze in Betracht kommt. Dies folgt nicht nur aus theoretischen Erwägungen, auf die wir hier nicht eingehen kön- nen, sondern auch aus der Erfahrung, nämlich so. In der Musik haben die hohen Töne kurze Wellen, die tiefen Töne lange. Bei dem Klavier z. B. beträgt die Wellenlänge der höchsten Töne we- niger als 10 cm, diejenige der tiefsten Töne etwa 12,5 m. Wenn wir nun eine Musik hören, deren Schall durch einen mit Hindernissen erfüllten Raum, z. B. durch einen Wald zu uns dringt, so können wir die stärkere Beugung der langen Wellen am deutlicheren Hervortreten der tiefen Töne bemerken. Besser noch erkennen wir das Gleiche, wenn die Musiker sich allmählich ent- fernen, und zunächst die hohen, nachher erst die tiefen Töne unhörbar werden. Das hat Weber im „Freischütz" sehr schön nachgeahmt, indem er den Walzer zuerst auf der Bühne spielen und dann beim Abziehen der Musikanten verklingen läßt : zuerst beginnt die Oberstimme zu verschwin- den, ihre Melodie kehrt in mittlerer Lage noch einmal wieder, und schließlich sind nur die tiefen Töne der Begleitung übrig. Nun scheint mir der Gedanke nicht eben fern zu liegen, daß der gleiche Vorgang hergebrachter- maßen auch am Schluß der Musikstücke darge- stellt und den letzten Noten eine Gruppierung gegeben wird, als ob die Musik in der Ferne ver- klingt. Die allgemeine Verbreitung solcher Schluß- weise läßt uns vermuten , daß sie sehr alt und daß ihre ursprüngliche Entstehungsweise längst vergessen ist. Die Zuverlässigkeit der hier ver- suchten Erklärung sei den berufenen Fachleuten zur Erwägung empfohlen. R. Börnstein. Über die systematische Stellung von Gor- dius schafft eine Arbeit von M. Rauther Klar- heit (Zool. Anz. Bd. XXVII, Nr. 19). Das merk- würdige Vermal hat den Systematikern von jeher arge Kopfschmerzen bereitet, so oft auch die Forschung ihm ihre Aufmerksamkeit zugewendet hat. Als ältesten Zeugen seiner Existenz möchte ich hier den alten G e ß n e r zitieren, der in seiner Naturgeschichte (1557) folgendes vom „Vermis aquaticus" oder „Wasserkalb" zu berichten weiß : „Das Wasserkalb ist bey uns bekannt, wirt in faulen brunnenwassern gefunden, bedunckt sich dahär genennt seyn, daß solche vnd manches mal von den Kelbern gesoffen werdend, von welchen sy nach und nach abnemmend vnn sterbend. Sy wachsend auch auff dem kraut : sy vergleychend sich gentzlich einem wyssen Rossshaar; beduncked sich auch ein Rossshaar seyn , wo sy sich mit bewegtind: synd hart, also dass sy nit mögend zerknütschet werden. So sy von einem menschen gesoffen werdend, so serbet er ab und stirbt. Artzney ist Tausend gülden kraut in weyn ge- sotten vnn gesoffen, darauff sich wol erbrächen. Sy bewegend sich wunderbarlich, vnd flächten sich in vil zweifelstrick. Etlich habend vermeint sy wachsind auss dem Rossshaar, welches in sol- chen wassern gelegt, beweglichkeit vnd laben an sich nemmen sol. Ist doch endtlich nit zu glau- ben." In der Tat kann man sich über den Ver- gleich mit einem Roßhaar und über die beim damaligen Stande der LIntersuchungsmittel daraus fast mit Notwendigkeit folgende Identifizierung des Wurmes nicht sonderlich wundern , erreicht dieser doch, kaum einen Millimeter dick, unter Umständen eine Länge von 80 cm. Schon C u V i e r stellte den Wurm provisorisch in seinem Regne animal an das Ende des Anne- lidenstammes. Aber auch die gleichgerichteten Versuche späterer Autoren mußten bis zum heu- tigen Tage sehr skeptisch angesehen werden, da es keinem gelungen war, die Existenz eines Cere- bralganglions und einer Schlundkommissur, einer sekundären Leibeshöhle und von Segmentalorganen zu erweisen, was allein zu einem solchen Vor- gehen berechtigt hätte. Diese Lücke füllt die Rautlier'sche Unter- suchung aus, und zwar gelangt ihr Autor zu dem sehr wichtigen Resultat, daß Gordius „im Bauplan wie in der feineren Struktur aller Organsysteme bemerkenswerte Beziehungen zu den Archianne- liden offenbart." Rauther findet ein mächtiges Cerebralganglion, daß hier noch, ganz ähnlich wie 794 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. so bei den höheren Coelenteraten, die Achse des Oesophagusrudimentes kreisförmig umgibt und nach hinten durch mächtige, den eigentUchen Schlundring darstellende Kommissuren mit dem primitiv gebauten Bauchmark sich verbindet. Die Scheidung der Leibeshöhle von Polygordius in eine Intestinal- und Podialkammer findet ihr Homologoii bei Gordius in dem ganz gleiche Lagebezieh- ungen aufweisenden Ovariallängsgang und dem Ovarialdivertikel. Hier wie dort entstehen die Geschlechtszellen an der lateralen Wand der Intestinalkammer. Und endlich erinnern die mit einem flimmernden Trichter frei ins Lumen des Samensackes ragenden Gonodukte an die im Prinzip ganz ähnlichen Segmentalorgane der Poly- chaeten, und sind wohl gleich diesen funktionell an die Stelle von improvisierten oder auch prä- formierten Gonoporen getreten. Dr. Wolfif (Berlin). hl seiner Arbeit „Über normale und intra- molekulare Atmung der einzelligen Alge Chlo- rothecium saccharophilum" ist W. Pal lad in zu folgenden Schlüssen gekommen (Zentralbl. f. Bäkteriolog. II. Abt. XI. Bd. 1903 Nr. 4/5): 1. Die Alge Chlorothecium saccharo- philum erscheint als eine typische Aerobe. Ihr Atmungskoeffizient ist kleiner als die Plinheit j— -^ <^ I j. Das Wachstum ist nur bei Anwesen- heit von Sauerstoff möglich. 2. Ungeachtet des Unterbrechens der Ver- mehrung in einer saue rstof freien Atmo- sphäre, fahren die Algen fort, Kohlen- säure auszuscheiden. Die Menge der in sauerstoffreier »Atmosphäre ausgeatmeten Kohlen- säure fällt sehr schnell. Glykose und Saccharose verursachen ein langsameres Sinken als Raffinose und Mannit. 3. Nach längerem Aufenthalt in sauer- stoffreier Atmosphäre hört dieKohlen- säureerzeugung vollständig auf, nicht aber die Lebensfähigkeit der Alge; in die Luft versetzt, beginnt sie wieder, stark Kohlensäure auszuatmen. 4. Wird Wasserstoff wieder von Luft ersetzt, so steigert sich nicht nur die Kohlensäureausscheidung, sondern sie übersteigt sogar bedeutend (einige Mal bis viermal, ja mehr noch als viermal) die normale Kohlensäureausscheidung in der Luft. Besonders starke Erhöhung der Atmungsintensität bei diesen Bedingungen nimmt man auf der Raffi- nose wahr. 5. Diese erhöhte Kohlensäureaus- scheidung dauert nicht lange, sie fängt all- mählich an zu sinken, bis sie schließlich fast den normalen Grad erreicht. 6. Die in der Luft eintretende, nach vor- herigem Verweilen in einer sauerstoffreien Atmo- sphäre sehr erhöhte Kohlensäureausschei- dung zeigt sich als sehr interessant zur Erklärung eines Zusammenhanges zwischen Atmungs- und Gärungsprozessen. Die in der Luft hervorgehen- den Oxydationsprozesse hören mit Entfernung des Sauerstoffes auf und es treten die für die Gä- rungen charakteristischen Zertsetzungs- prozesse zusammengesetzter organischer Ver- bindungen ein. Erhalten die Algen wieder Sauer- stoff, so beginnt ein erhöhtes Verbrennen der ge- bildeten Zersetzungsprodukte. Es könnte sein, daß diese Zersetzungsprodukte nicht nur als Brenn- material erscheinen, sondern gleichzeitig auch stark die Oxydationsprozesse stimulieren. Sind die Zersetzungsprodukte oxydiert, so fällt die Atmungsenergie sehr stark, bis sie die anfängliche Größe erreicht. Die Kohlensäureausscheidung in einer sauerstoffreien Atmosphäre bei der Alge Chlorothecium saccharophilum kann nicht als typische Gärung, sondern als intra- molekulare Atmung angesehen werden. Dr. Liedke. Zwei neue fossile Vertebraten, einen Ba- trachier und ein Reptil, aus der Trias von Arizona beschreibt FredericAugustusLucas, Kurator der Abteilung für fossile Wirbeltiere am U. S. National-Museum zu Washington, in den „Proceed. U. S. Nat.-Mus." Bd. XXVII, 1904, S. 193- 195 (mit Taf. 3 und 4). Der nach dem Stuttgarter Paläontologen benannte Batrachier Metoposaurus fraasi Luc. gehört zu den großen Labyrinthodonten, die bis jetzt nur von Europa bekannt sind. Das Fundstück ist ein recht gut erhaltenes, 43 cm langes und 30 cm breites Episternum, das charak- teristisch ist durch die grobe Skulptur und durch die Längsfurchen, in welche die unregelmäßigen Gruben der Mitte des Knochens nach den Rän- dern hin auslaufen und die namentlich an der Vorderseite scharf ausgebildet sind. Die neue Art steht dem Metop.diagnosticus von Meyer nahe; während aber bei diesem der postero - internale Winkel des Schlüsselbeins eckig ist, ist derselbe hier gerundet. Zu diesem Episternum gehört vielleicht der vordere Teil einer linken Mandibel, der an derselben Stelle gefunden wurde. Dieses etwas verwitterte Stück ist an der äußeren Seite grob skulptiert und weist die Spuren von 2 großen Zähnen und hinter diesen 15 kleine Zähne auf. Das neue Reptil Placerias hesternus Luc, für das eine neue Gattung aufgestellt werden mußte, gehört zu den Cotylosauriern. Von demselben wurde ein etwas defekter rechter Humerus ge- funden, dessen Länge 398 mm beträgt. Charak- teristisch für diese Gattung und Art ist die starke und plötzliche Verbreiterung des Deltoidteils, die Kontraktion des Humerus in dessen Mitte und die scharfe Differenzierung des Radial- und Ulnar- gelenkes. Die bisher bekannten nordamerikani- schen Cotylosaurier stammen aus dem Perm, und die neue triassische Spezies hat etwa die Größe N. F. m. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 795 des permischen Pariasaurus, in dessen Verwandt- schaft sie scheinbar gehört. S. S. Mit Bezug auf den von uns in Nr. 29 (S. 459) teilweise abgedruckten Artikel von Kapitän H. Meyer über ,, Totwasser" äußert sich Fr. Nansen in den „Annalen der Hydrographie" (1904, VII) folgendermaßen : „Die Abhandlung „Totwasser" von Kapitän 11. Meyer („Ann. d. Hydr. etc." 1904, S. 20) habe ich mit großem Interesse gelesen; denn fürs erste sind darin mehrere sehr schöne Fälle von Tot- wasser in Gegenden beschrieben , von denen bis jetzt nur vereinzelte Fälle bekannt geworden sind, und fürs andere ist diese Abhandlung eine sehr lehrreiche Warnung, wie man, nur von Spekula- tionen ausgehend , leicht ein ganzes System von scheinbar sehr plausiblen Schlüssen aufbauen kann, die aber auf falschem Grunde ruhen. Zwar ist es so, daß durch Verschiedenheit der Stromrich- tung in den verschiedenen Wasserschichten Wir- kungen hervorgerufen werden können, die mit Totwasser eine gewisse Ähnlichkeit haben, trotz- dem ist aber dieses ein davon ganz verschiedenes Phänomen. Daß z. B. die Fälle von Totwasser während der „Fram"-Expedition mit den Strom- richtungen oder Stromgeschwindigkeiten der oberen Wasserschichten nichts zu tun hatten, wäre schon daraus zu schließen, daß die „Fram" Tot- wasser hatte, in welcher Richtung sie sich auch bewegte, was ja in meiner Beschreibung erwähnt ist. In dem Taimür-Sund war zu der Zeit bei- nahe kein Strom, weder in der Oberflächenschicht, noch in der unteren Salzwasserschicht. Auf die Veranlassung von Prof. Vilhelm Bjerknes und dem Verfasser hat Dr. V. Walfried Ekman eine eingehende Untersuchung, mit Experimenten, von dem Totwasser gemacht. Seine Ergebnisse werden jetzt in einer umfangreichen Abhandlung gedruckt, die in „The Norwegian North-Polar Expedition 1893 — 96, Scientific Results, Band V" (Brockhaus, Leipzig), bald erscheinen wird. Ich finde es daher nicht zweckmäßig, auf dieses Thema hier näher einzugehen; nur so viel kann ich sagen, daß das Totwasser auf einem den Physikern bis- her ganz unbekannt gebliebenen Phänomen be- ruht. Durch Ekman's zahlreiche Experimente hat es sich gezeigt, daß, wenn eine Schicht von verhältnismäßig leichtem Wasser (warmem oder salzarmem Wasser) auf schwererem Wasser ruht, und wenn ein Schiff (oder im Laboratorium ein kleines Schiffsmodell) sich durch die obere Schicht bewegt, auf der Oberfläche des schwereren Wassers hinter dem Schiffe eine große Welle auf Kosten der Bewegungsenergie des Schiffes sich bildet. Solche Wellen können sich, je nach ihrer Wellen- länge mit einer jeden Geschwindigkeit, doch nicht über einer gewissen maximalen Geschwindigkeit bewegen. Nur wenn das Schiff sich mit einer geringeren Geschwindigkeit bewegt, wird es diese Wellen bilden, wobei seine Geschwindigkeit bis auf ein Fünftel reduziert werden kann. Daher erklärt sich leicht, warum Segelschiffe mehr als die öfters schnelleren Dampfschiffe dem Totwasser ausgesetzt sind. Es erklärt sich hierdurch auch leicht, warum die Segelschiffe dem Totwasser be- sonders ausgesetzt sind, wenn sie durch den Wind wenden sollen, denn eben dann mag die F'ahrt genügend reduziert sein. An vielen Stellen, wie z. B. an der Mündung von Glommen (Fredrikstad), ist das Totwasser ein beträchtliches Hindernis der Seefahrt, besonders für bugsierte Schiffe und Segel- schiffe; eine genaue Kenntnis des Phänomens und der Art und Weise, wie ihm zu entgehen ist, mag auch von praktischer Bedeutung sein. Es würde von Interesse sein, so viele Erfahrungen in dieser Beziehung wie möglich von den verschie- denen Gegenden zu sammeln. Von den norwegi- schen Küsten haben wir jetzt ein ziemlich reich- haltiges Material, aber von anderen Weltteilen liegt noch sehr wenig vor. Lysaker, 15. März 1904. Fridtjof Nansen." Über den Einflufs des Mondes auf die Niederschläge. — Die Frage, ob die verschiede- nen Mondstellungen auf die Niederschläge Einfluß haben oder nicht, ist nicht bloß in Laienkreisen, sondern auch noch in der wissenschaftlichen Wetterkunde unentschieden, obgleich sie von jeder Stelle, welche die nötigen Beobaclitungsreihen zur Hand hat, binnen kurzem erledigt werden könnte. Jedenfalls wird es aber vielen erwünscht sein, darauf hinzielende Untersuchungen kennen zu ler- nen und so gestatte ich mir hier ein Ergeb- nis meiner Berechnungen vorzulegen. Der Mond durchläuft seine elliptische Bahn um die Erde durchschnittlich in 27,55 Tagen; man bestimmt seine Stellung in der Ellipse durch den Winkel, den die Richtung nach dem augen- blicklichen Mondort mit der großen Achse der Ellipse macht, indem man diesen Winkel von der Richtung der letzten Erdnähe ab zählt. Dieser Richtungsunterschied heißt Anomalie und danach die Zeit von 27,55 Tagen zwischen zwei aufein- anderfolgenden Erdnähen der anomalistische Monat. Unterdessen vollendet die Erde mit dem Monde etwa Vis ihres Laufes um die Sonne, infolgedessen ist die Zeit zwischen zwei benachbarten Neumon- den, der synodische Monat, fast genau zwei Tage länger, nämlich 29,53 Tage. Den Winkel im synodischen Monat, vom Neumond ab gerechnet, nennt man die Phase. So kommt es, daß die Erdnähe des Mondes, das Perigäum , den synodischen Monat rückwärts durchläuft ; fällt die Erdnähe zu irgendeiner Zeit auf den Neumond, so verschiebt sie sich auf das letzte Viertel, dann auf den Vollmond usw. Fol- gende dem Kalender entnommene Zahlen machen dies noch deutlicher: Erdnähe Neumond Unterschied 1904. 26. April 15. April 11 Tage 22. Mai 15. Mai 7 „ 17. Juni 13. Juni 4 „ 796 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 50 Erdnähe Neumond Unterschied 15. JuH 13. Juli 2 Tage 12. August II. August I „ 9. September 9. September o „ Am 22. Mai 1904 fällt die Erdnähe auf das erste Viertel, am 9. September auf den Neumond. Untersucht man den Einfluß der synodischen Bewegung des Mondes auf das Wetter, oder den der anomalistischen getrennt für sich, so findet er sich im Durchschnitte der Jahrzehnte gleich Null 1 Dagegen zeigt er sich über Erwarten groß, wenn man die Neumonde und Vollmonde trennt, je nachdem sie mit der Erdnähe zusammenfallen oder nicht. Um irgendwelche monatliche Wetter- beobachtungen nach dieser zusammengesetzten Periode zu gruppieren, habe ich die einzelnen Stellungen des Mondes in jedem dieser Kreisläufe nach Hundertsteln ausgedrückt und dann für den Anfang des Monats ihren Unterschied gebildet. Es wurden alsdann die Beobachtungen geordnet nach Zehnteln der Differenz: Mittlere Anomalie (d. i. der Winkel Erde — Mond in der elüptischen Mondbahn von der Erdnähe ab gezählt) weniger Mittlere Phase (Winkel Erde— Mond von der Rich- tung Erde — Sonne ab gemessen). Bei 0,00 dieser Periode fällt also die Erdnähe auf den Neumond, bei 0,25 auf das letzte Viertel, bei 0,50 auf den Vollmond, bei 0,75 auf das erste Viertel. Die Dauer dieser Doppelperiode beträgt 41 1,79 Tage. Ich benutzte nun die monatlichen Niederschlags- summen i) von 40 norddeutschen Stationen in den 38 Jahren von 1857 bis 1894 und 2) von durchschnittlich 98 Stationen auf Java und Madeira in den 24 Jahren von 1879 bis 1902. Diese niederländischen Beobachtungen umfassen die un- geheure Niederschlagssumme von 5900 Metern ! In jeder Monatsreihe wurde endlich die halbe Anzahl mit den größten Summen als naß, die andere Hälfte als trocken bezeichnet, um den Einfluß der Jahreszeiten möglichst auszuschalten. Das Ergebnis ist folgendes: Zehntel der Mondperiode 3. 4. 5. 6. 7. Norddeutschland ; Zahl Vollmond-Erdnähe der trocknen Monate 23 21 20 19 15 „ nassen „ 23 26 22 26 32 Java : trockne ,, 8. 9. 10. I. 2. Neumond- Erdnähe 26 27 34 23 20 19 18 U 22 16 15 13 10 13 10 13 15 18 21 16 16 18 17 16 19 15 13 11 8 II Die Zahlen besagen folgendes : In Norddeutsch- land wie auf Java ist abgesehen von anderen Ur- sachen Trockenheit zu erwarten , wenn die Erd- nähe des Mondes dem Neumond näher liegt als dem Vollmond (Nordd. 10. Zehntel der Tabelle 34 : 14, Java i. Zehntel 21 : 8), umgekehrt Nässe, wenn die Erdnähe dem Vollmonde näher fällt als dem Neumonde (4. bis 7. Zehntel der Tabelle: Nordd. 75 : 106, Java 46 : 70). Diese Regel gilt für alle Länder, wo der meiste Regen beim höch- sten Sonnenstande fällt. Ferner ist deutlich zu erkennen, warum man keinen Einfluß des Mondes auf den Niederschlag feststellen kann, wenn man nur den synodischen. oder nur den anomalistischen Monat allein unter- sucht, denn die Stellung Vollmond — Erdnähe [=: Neumond — Erdferne) erzeugt im Mittel mehr Niederschlag, die Stellung Vollmond — Erdferne (= Neumond — Erdnähe) mehr Trockenheit, und das gleicht sich gerade aus, wenn man diese von mir getrennten Stellungen nicht unterscheidet. Für Anfang Juli und August 1904 sind die Differenzen Mittl. Anomalie weniger Mittl. Phase gleich 0,84 und 0,91, der Juli fällt also auf das neunte, der August auf das zehnte Zehntel in obiger Tabelle, und das ist gerade der Abschnitt in unserer Periode, für welchen Trockenheit wahr- scheinlicher ist als Nässe. Es spricht übrigens noch die Stellung des Mondes zum Äquator in dieser Zeit dafür, daß sich in Norddeutschland der heurige Juli und August durch trocknes und warmes Wetter auszeichnen werden. Guido Lamprecht in Bautzen. Anmerkungen: i) Es ist wohl zu beachten, daß es sich in unserer Untersuchung nicht um einzelne Tage, etwa Vollmonds- oder Neumonds- tage , sondern immer um ganze Monate handelt. 2) Die Namen der 40 norddeutschen , meist preußischen Stationen sind folgende : Tilsit, Klaußen, Königsberg, Konitz, Köslin, Stettin, Regenwalde, Putbus, Rostock, Berlin, Prenzlau, Frankfurt a. O., Posen, Bromberg, Breslau, Eichberg, Görlitz, Torgau, Halle, Erfurt, Heiligenstadt, Göttingen, Klausthal, Eutin, Otterndorf Lüneburg, Hannover, Olden- burg, Jever, Emden, Löningen, Lingen, Münster, Gütersloh, Kleve, Köln, Trier, Birkenfeld, Frank- furt a. M., Darmstadt. 3) Die Niederländisch-Indischen Beobachtungen finden sich in den „Regenwaarnemingen in Neder- landsch-Indie. Vier en twintigste Jaargang 1902. Batavia 1903. Seite 504 und 505. Tabel IX: Gemiddelte maandelijksche regenval in millimeters." Aus dem wissenschaftlichen Leben. Der Lecomte-Preis von 50000 Fr. ist seitens der Pariser Akademie der Wissenschaften dem Prof. Blondlot für seine Untersuchungen über die N-Strahlen verliehen worden. Es starben : Jules Etienne Marey, der vorzugsweise durch seine Untersuchungen bewegter Objekte mit Hilfe der Augenblicks- photographie berühmt gewordene Forscher, zu Paris am 16. Mai d. J. im Alter von 74 Jahren (geb. 5. 3. 1830). Friedrich Siemens folgte am 26. Mai seinen be- rühmten Brüdern Werner und Wilhelm im Alter von 78 Jah- ren in den Tod. Er hat sich durch die Erfindung der sog. Regenerativfeuerung, bei welcher durch Ausnutzung der Wärme der Verbrennungsgase zur Vorwärmung des Brennstoffs und der Lult ein wesentlich höherer ElTekt erzielt wird, große Verdienste um die Technik erworben. Seine Erfindungen ver- wirklichte er zunächst in den von ihm geleiteten Glashütten in Dresden , doch wirkten dieselben auch für andere Zweige der Technik umwälzend und Siemens selbst übertrug das Regenerativprinzip noch auf Gasheizungsapparate und Lampen. Der Astronom Isaac Roberts, der sich namentlich durch hervorragend gute photographische Aufnahmen von Nebelflecken (Entdeckung der spiraligen Struktur des Andro- medanebels) verdient gemacht hat, starb am 1 7. Juli in Crow- borough (Busses) im Alter von 75 Jahren. N. F. III. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 797 Bücherbesprechungen. W. F. Wislicenus, Astronomischer Jahres- bericht. V. Band, enthaUend die Literatur des Jahres 1903. Berhn 1904, G. Reimer. 660 S. — Preis 20 Mk. Der vorHegende, pünkthch erschienene Jahrgang des in der astronomischen Welt bereits aufs vorteil- hafteste eingeführten Nachschlagewerkes enthält 2582, wiederum zum bei weitem größten Teile aus der Feder des Herausgebers stammende Referate und ist daher wieder etwas umfangreicher als der vorige Band. Nach einer vom Herausgeber angestellten Untersuchung ist dieser Umstand, der bei dem Mangel einer außer- gewöhnlichen Himmelserscheinung im Jahre 1903 auffallen könnte, durch das Zusammenwirken ver- schiedener, die beobachtende und publizierende Tätigkeit der Astronomen anregender Erscheinungen bedingt, von denen wir nur die gut beobachteten Mondfinsternisse, die günstigen Mars- und Jupiter- oppositionen, das Erscheinen weißer Flecke auf dem Saturn, die Sichtbarkeit hellerer, photometrisch und spektralanalytisch sorgfältig beobachteter Kometen und das Aufleuchten der Nova Geminorum erwähnen wollen. Das Studium des Bandes gestaltet sich in- folge dieser stofflichen Reichhaltigkeit recht anregend. — Die beigegebenen Druckfehlerverzeichnisse der früheren Bände sind recht kurz und geben erfreu- liches Zeugnis von der sorgfältigen Behandlung, die auch der typographischen Seite des Werkes zuteil wird. F. Kbr. Jacques Danne, Das Radium. Mit einem Vor- wort von Ch Lauth. Mit 35 Figuren. Leipzig 1904, Veit & Co. 84 Seiten. — Preis 2,40 Mk. Der Verfasser, der als Privatassistent von Pierre Curie Gelegenheit hatte, seine Kenntnisse über das Radium aus erster Quelle zu schöpfen, gibt in der vorliegenden Schrift eine außerordentlich übersicht- liche und durch die zahlreichen Figuren anschaulich gemachte Zusammenstellung der gegenwärtigen Kennt- nisse über die Radioaktivität. Die Darstellung zeich- net sich durch gleichmäßige Berücksichtigung aller an der Erforschung dieses modernsten Gebietes der Physik beteiligten Forscher aus. Das vollständige Literaturverzeichnis am Schluß wird allen denen von hohem Wert sein , die über Einzelheiten noch die Originalpublikationen nachlesen wollen. F. Kbr. Monographien über angewandte Elektrochemie. Herausgegeben von Victor Engelhardt, Oberingenieur und Chefchemiker der Siemens & Halske A.-G., Wien. — • Halle a. S. Wilhelm Knapp. Diese „Monographien" erscheinen unter Mitwirkung zahlreicher Autoritäten aus Wissenschaft und Praxis in zwanglosen Heften. Sie behandeln die verschiedensten Zweige der gesamten Elektrochemie und haben in der kurzen Zeit ihres Erscheinens bereits eine sehr günstige .Aufnahme gefunden. I ) II. Band. Die Gewinnung des Alumi- niums und dessen Bedeutung für Handel und Industrie von Adolphe Minet, Officier de rinstruction Publique, Herausgeber der Zeitschrift „L'Electrochimie" in Paris. Ins Deutsche übertragen von Dr. Emil Abel, Chemiker der Siemens & Halske A.-G., Wien. Mit 57 Figuren und 10 Tabellen im Text. — 1902. — Preis broschiert 7 Mk. 2) IV. Band. Einrichtungen von elektro- lytischen Laboratorien unter besonderer Berücksichtigung derBedürfnisse für die Hüttenpraxis von H. Nissenson, Direktor des Zentrallaboratoriums der Aktiengesellschaft zu Stolberg und in Westfalen. Mit 32 in den Te.\t gedruckten Abbildungen. — 1903. — Preis broschiert 2,40 Mk. 3) VI. Band. Elektrometallurgie des Nickels von Dr. W. Borchers, o. Professor und Vor- stand des Laboratoriums für iNIetallhüttenwesen und Elektrometallurgie an der Königl. Technischen Hoch- schule zu Aachen. Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. — 1903. — Preis broschiert 1.50 Mk. 4) VIL Band. Cy an idpro zesse zur Gold- gewinnung. Nach einschlägigen (Quellen bearbeitet von Manuel von Uslar, dipl. Hütteningenieur, unter Mitwirkung von Dr. Georg Erlwein, Vorstand der elektrochemischen Abteilung der Siemens & Halske A.-G., Berlin. Mit 30 Figuren im Texte und 3 Tafeln. — 1903. — Preis broschiert 4. — Mk. 5) IX. Band. Die Elektrometallurgie der Alkalimetalle von H. Becker, Herausgeber von „L'Industrie Electrochimiciue" Paris, Elektrochemiker. Mit 83 Figuren und 3 Tabellen im Text. — 1903- — Preis broschiert 6. — Mk. 6) X. Band. Die elektrolytische Raffi- nation des Kupfers von Titus Ulke, M. E., Kon- sultierender Elektrochemiker, Mitglied der Americ. El. Chem. Soc. und Americ. Inst. Min. Engeneers. — Ins Deutsche übertragen von Victor Engelhardt, Ober- ingenier und Chefchemiker der Siemens & Halske A.-G., Wien. Mit 86 Figuren und 23 Tabellen im Text. — 1904. Preis broschiert 8. — Mk. i) Der Verfasser entrollt in dem ersten Teile der Broschüre ein fesselndes Bild von der Gewinnung des Aluminiums. Er bespricht zuerst die chemi- schen Verfahren, unter denen vornehmlich jene beiden wichtigsten Methoden eingehendere Berück- sichtigung fanden, deren eine auf der Reduktion mit Natrium beruht, deren andere die Verwendung von Natrium ausschließt. Besonders interessant sind aber die heute am meisten angewandten elektrochemi- schen Methoden zur ( lewinnung des weißen Metalls. Sowohl die el e k t ro th ermisch en Verfahren mit den dazu erforderlichen Ofen, wie auch die elektro- ly tischen Verfahren sind eingehend behandeU. Es ist hierbei nur auffallend, daß sich die eigenen Versuche des Verfassers ziemlich in den Vordergrund drängen, während einige andere, besonders wichtige Verfahren, wie das von Heroult, das weitaus die meiste Verbreitung gefunden hat, nicht in entsprechen- der Weise gewürdigt werden. — Der zweite Teil des Buches ist dem Aluminium und seinen Legierungen, seinen Bearbeitungs- und Verwendungsarten einge- räumt. So ist es u. a. von Interesse, den gewaltigen Aufschwung der Aluminiumproduktion in einem Zeit- raum weniger Jahre und die damit verbundene be- 798 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 50 trächtliche Preisabnahme zu verfolgen. In dem Ab- schnitte über das Aluminium und seine Legierungen hätte manches eingehender besprochen werden können. So hat der Verfasser nicht einmal des ,,Magnaliums" dem Namen nach Erwähnung getan, obgleich heute jedermann diese neue .Muminium-Magnesium-Legierung kennt. Auch hätten m. E. die Untersuchungen berück- sichtigt werden können, die über die Verwendbarkeit des Aluminiums zu Kochgeschirren u. a. vorgenommen worden sind.^) In gleicher Weise ist die Anwendung des Metalls in Handel und Gewerbe in nur wenigen Zeilen erledigt worden. Als wichtiger hat er die Ver- wendung in der (Großindustrie, in der Chemie und Metallurgie hervorgehoben. Ein interessanter Ab- schnitt über die wichtigen Entdeckungen der Alu- minothermie beschließt das Buch. Jedenfalls überwiegt der Wert des ersten Teils den des zweiten, und der Verfasser, ein in der Praxis stehender Mann, der selbst wesentlich an den Fortschritten der .«Mu- niiniumfnbrikation beteiligt ist, hat seine umfang- reichen Fachkenntnisse auf diesem Gebiete in äußerst geschickter Weise verwertet. 2) Die Analyse durch Elektrolyse wird selbst in den Kreisen , die den meisten Gewinn daraus ziehen könnten, noch vielfach verkannt. Darum will der Verfasser in der vorliegenden Arbeit das Inter- esse an der elektrolytischen Analyse wecken und fördern, und da es zugleich und vor allem dem gebildeten Laien ein Wegweiser sein soll zum Ver- ständnis der Sache, so hat er gut getan, nach einer kurzen Einleitung den Zweck und Wert der Elektro- lyse, dann aber auch die Fundamentalbegriffe und Leitungsberechnung in kurzem zu besprechen. Er wirft anschließend einen kurzen Blick auf die Bestand- teile der Elektrolyseneinrichtung und der Stromquellen, Meßinstrumente, Stromregulatoren, Leitungen, Schalt- tafeln, Arbeitsräume usw., um im zweiten Teile seiner Arbeit die Einrichtungen der elektrochemischen Hoch- schullaboratorien in Aachen, Breslau, Clausthal, Darm- stadt, Freiberg i. S., Gießen, Königsberg, Leoben, München, Pennsylvania und dreier industrieller Labo- ratorien, der lediglich praktischen Zwecken dienenden Anlagen der Usine de Desargentation in Hoboken bei Antwerpen, des Zentrallaboratoriums eines Großhütten- werks von Dumont Freres in Lüttich und des Zentral- laboratoriums der Aktiengesellschaft zu Stolberg und in Westfalen in Stolberg, Rheinland, zu beschreiben, welch letzteres unter der Leitung des Verfassers steht. — Die Broschüre dürfte vor allem jüngeren Kollegen, die meist nur e i n System von Laboratorien und Labo- ratoriumseinrichtungen auf der Universität kennen lernen, zur Information über die verschiedenen bestehenden Systeme willkommen sein. Aber auch weitere Kreise, wie kaufmännische Leiter von Erzgruben, Hütten usw. und andere nichtfachmännische Vorgesetzte werden sich durch die Lektüre dieser Schrift wenigstens soweit ein Bild von der Sache machen können, daß sie den berechtigten Forderungen und Bestrebungen ihrer ') Dem Verf. liütte hierfür die Arbeit von R. Köhler über Darstellung und Verwendbarkeit des Aluminiums gute Dienste geleistet. Chemiker dann ein besseres Verständnis entgegen- bringen, als dies oft der Fall ist. 3) Nach einer einleitenden Betrachtung über das Nickel vorkommen und seiner bei der Verhüttung resultierenden, nutzbaren Abfall- und Zwischenprodukte gibt Borchers im ersten Teile des vorliegenden Heftes einen historischen Überblick über die zahlreichen Unter- suchungen undVorschläge zur elektrochemischen Nickel- fällung, um sodann mehrere Verfahren der Aufbereitung und Verarbeitung der Nickelerze eingehender Be- sprechung zu würdigen. So schildert der Verf. das Verfahren der Zugutemachung nickelhaltiger Erze, Hütten- und Abfallprodukte, zunächst ohne Rücksicht auf die Scheidung etwa vorhandenen Kupfers vom Nickel während der Schmelzarbeiten, in den einzelnen Stadien seiner Durchführung. Aber auch die Scheidung von Kupfer und Nickel durch Steinkonzentrationsarbeiten ist eingehend besprochen, und unter diesen beiden Hauptabschnitten zugleich die einzelnen .Stadien der Aufbereitung, die .\nreicherungsarbeiten, die Rohinetall- arbeit und die Scheidearbeit zur Gewinnung von Rein- kupfer, Reinnickel und eventuell vorhandenen Edel- metalle behandelt. Zürn Schluß findet noch das Aus- bringen des Nickels mit Hilfe flüssiger Lösungsmittel und das Ausbringen des Nickels mit Hilfe von gas- förmigen Lösungsmitteln kurze Berücksichtigung. Das Buch ist hochinteressant und jedem zu empfehlen, der sich über die elektrometallurgische Gewinnung des Nickels orientieren will. 4) Das Buch ist in erster Linie für den praktischen Chemiker bestimmt. Aber auch der dem Spezialfach der elektrolytischen Goldgewinnung Fernerstehende findet Anregung indem aus der Praxis hervorgegangenen Buche. Vor allem dürfte sich das Interesse daran insoweit rechtfertigen, als, abgesehen von der Ver- hüttung des Eisens, kaum eine andere metallurgische Methode so große Umwälzungen auf hüttenmännischem Gebiete bewirkt hat, als die Cyanidprozesse der Gold- gewinnung. Bekanntlich ist das Prinzip der Cyanid- prozesse das, metallisches Gold durch Cyankalium in wässriger Lösung in das Doppelsalz AuKCy.,, Kalium- goldcynid, überzuführen und dieses in Lösung zu er- halten. Hiervon ausgehend, entwirft der Verfasser ein Bild von der Extraktion des Goldes aus den mannig- faltigsten .\ufbereitungsprodukten nach verschiedenen Methoden, und die darauffolgende Fällung des Metalls aus jenen Cyanidlaugen auf chemischem und elektro- chemischem Wege wird eingehend besprochen. Das erste Kapitel befaßt sich mit dem Betrieb nach dem sog. Siemens-Prozeß, d. h. der elektrolytischen Ab- scheidung des Goldes, nnd einer andern Methode, nach der die Cyanidlaugen durch Einwirkung von Zinkspänen entgoldet werden. Das zweite Kapitel bringt Beispiele aus der Praxis und bespricht die Kosten der Prozesse. Den der Praxis Fernstehenden wird die im 3. Kapitel abgehandelte „Chemie des Prozesses" namentlich inter- essieren, wenn dieser Abschnitt auch, z. B. bezüglich einiger Formeln, einige Unklarheiten aufweist. Den Modifikationen des Cyanidprozesses ist das sehr um- fangreiche 4. Kapitel eingeräumt. Das Buch ist mit zahlreichen Abbildungen versehen, auch Arbeitsschemata erläutern den Text, und maimigfache wertvolle Bei- N. F. m. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 799 spiele aus der Praxis erhöhen den Wert desselben. Freilich hätte der Verf., um den Erfordernissen einer „Monographie" vollauf zu genügen, den Inhalt seiner Schrift noch auf mancherlei andere Tatsachen auf diesem Gebiete ausdehnen können. 5) Das Buch bringt eine ausgezeichnete Darstellung der verschiedenen Methoden zur Gewinnung der Alkali- metalle, und zwar hauptsächlich der in der Natur am weitesten verbreiteten: Natrium, Kalium und Lithium. Die Zahl der zur Gewinnung erfundenen Verfahren ist zwar groß, doch haben nur wenige Eingang in dielndustrie gefunden, die aber der Verfasser um so eingehender behandelt. Er gliedert diese Methoden in rein chemi- sche und elektrochemische und behandelt von letzteren sowohl die elektrolytischen wie elektrothermischen Ver- fahren in ihrer ganzen Ausführlichkeit. Besondere Berücksichtigung ist auch der zur (Gewinnung erforder- lichen Apparatur zuteil geworden, und auch die Dar- stellung von Legierungen der Alkalimetalle wird be- sprochen. Im Schlußkapitel sind Versuche und Apparate für Laboratorien beschrieben, und ein Anhang bringt eine tabellarische Übersicht über die besprochenen i) elektro- lytischen Verfahren für die Darstellung von Natrium, 2) elektrolytischen Verfahren für die Darstellung von Natriumlegierungen und 3) elektrothermischen Verfahren für die Darstellung von Natrium. — Die Übersichtlichkeit des ganzen Buches wird durch Angabe der Disposition am Rande wesentlich erhöht, und zahlreiche gute Ab- bildungen erläutern den Text. 6) Der Verf. hat Gelegenheit gehabt, zahlreiche wichtige elektrolytische Kupferanlagen persönlich zu besichtigen, in die sonst Sachverständige oder Bericht- erstatter nur schwer eindringen können, und ist in mehreren derselben selbst tätig gewesen. Er ist deshalb in den Stand gesetzt, über bisher nicht ver- öffentlichte Einzelheiten genaue Mitteilungen zu geben. .So ist denn das Buch aus der Praxis hervorgegangen und für den Praktiker, wenn es auch in erster Linie dem Kupferhüttenchemiker von Wert ist , bestimmt. Aber es bietet doch für jeden eine reiche Fundgrube, der sich mit dem Wesen der elektrolytischen Raffi- nation des Kupfers vertraut machen will. Der Verf hat jede elektrolytische Kupferanlage, die gegenwärtig in Europa, wie in Amerika auf industrieller Grundlage im Betrieb ist, in die umfangreiche Arbeit aufgenom- men. Auch sind die Ausbeuten der einzelnen Werke, ihre Lage, die Anordnung der Elektroden genau be- zeichnet und viele Illustrationen dem Te.xte beigegeben. Der erste Teil behandelt die Entwicklung, Verfahren und Einrichtungen der elektrolytischen Kupferraffination, ein zweiterbringt eine Beschreibung der elektrolytischen Kupferhütten , und im Schlußkapitel gibt der Verf. den Anlage- und Betriebskostenüberschlag einer elektro- lytischen Kupfer- und Nickelhütte amerikanischen Systems samt zugehörigen generellen und Detailplänen. In einem Anhange sind schließlich ein chronologisches Verzeichnis der wichtigsten Patente, und .\ngaben der über die elektrolytische Kupferraffinalion vorhan- denen Literatur zusammengestellt. Dr. R. Loebe. Abb. 41 Seiten. Leipzig, B. G. Teubner. — Preis 80 Pf Verf glaubt eine Verbesserung und Vereinheit- lichung des naturwissenschaftlichen Unterrichts dadurch anstreben zu sollen, daß überall von den bei der gegenwärtigen Methodik im Vordergrund stehenden „Prozessen" zu den diese beherrschenden „Kräften" vorgeschritten wird. In breiter Ausführung legt Verf. diesen Gedanken näher dar und gelangt dabei zu einer neuen Gruppierung des Lehrstoffs. Für das erste Jahr denkt er sich als Pensum einen propädeutischen, dynamologischen (d. h. physikalisch-chemischen) Vor- kursus und die Meteorologie, welch letzterer er eine ganz außergewöhnlich zentrale Stellung im Unterricht anweist. Die folgenden vier Jahre würden dann parallel gehend resp. abwechselnd im Sommer und Winter die Biologie und Technik zu absolvieren haben, wobei unter Technik das verstanden wird, was von der heutigen Physik und Chemie übrig bleibt, wenn die allgemeine Kräftelehre (also auch die elemen- tarsten Erscheinungen der Wärme, des Lichts etc.) vorweggenommen ist. Diese Vorschläge erscheinen uns in mancher Hinsicht diskutierbar und beachtenswert, es fragt sich nur, ob das, was aus der Kräftelehre und Meteorologie zum Verständnis der Lebewesen nötig ist, nicht -im biologischen Unterrichte selbst mit gegeben werden kann, wie es gewiß schon Jetzt viel- fach geschieht, so daß eine Umkehrung des heutigen Lehrplans gar nicht nötig wäre. Höchst bedenklich erscheint uns aber des Verfassers Geringschätzung der Systematik und damit auch der Entwicklungs- lehre , die ihn so weit führt , das System nicht mehr als Einteilungsprinzip gebrauchen zu wollen und direkt einer „Ablehnung des Darwinismus" das Wort zu reden. Dies entspricht dem in der Einleitung ausgeführten Gedanken, daß die Schule den Fort- schritten der Wissenschaft zu folgen habe, gar wenig. Das natürliche System ist doch zweifellos ein mit vieler Mühe errungenes Ergebnis strengster Forschung und ebenso wird niemand leugnen, daß gerade die gegen- wärtige Biologie direkt auf dem Entwicklungsprinzip sich aufbaut. So trocken und öde ein nur formal be- schreibender, ,, systematischer" Unterricht sein kann, sind doch andererseits gerade die Hauptlinien des Systems der Tiere und Pflanzen die Grundlage, von der aus allein aus dem Chaos der dem Kinde ent- gegentretenden Lebewesen ein harmonisch gegliederter Kosmos entwickelt werden kann. F. Kbr. K. Remus, Das dynamologische Prinzip. Bd. I, Heft 8 der Sammlung naturw.-pädagogischer Literatur. Gewecke, Herrn. : Neue l-varte des Sternhimmels. SO'SXS'^iS ^"^■ Mit Text auf der Rückseite. Berlin ('04), D. Keimer. — ."Vuf Pappe m. Gradmesser 2 Mk. Herrmann. Oberförst. E. : Tabellen zum Bestimmen der wich- tigsten Holzgewächse des deutschen Waldes u. v. einigen ausländischen angebauten Gehölzen nach Blättern u. Knos- pen, Holz u. Sämereien. (31 S.) qu. 4". Neudamm '04, J. Neumann. — 2,40 Mk. Nernst, W. , und A. Schönflies, Proff. : Einführung in die mathematische Behandlung der Naturwissenschaften. Kurz- gefaßtes Lehrbuch der Differential- u. Integralrechnung mit besond. Berücksicht. der Chemie. 4. Aufl. (XII, 370 S. m. 69 Fig.) Le.x. 8". München '04 , R. Oldenbourg. — u Mk. ; geb. 12,50 Mk. 8oo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 50 Briefkasten. Herrn P. F. in Leipzig. — Das v. Slavik'schc Papier zur Herstellung farbiger Kopien nach gewöhnlichen Negativen wird unter dem Namen „Multico-Papier" durch die Firma Dr. A. Hesekiel & Co., Berlin W , Lützowstr. 2, in den Handel gebracht. Auf die Seite 335 dieses Jahrgangs gestellte Anfrage der Redaktion der Naturwiss. Wochenschrift nach einem Werke über praktische l'hysik teilt ein Leser freundlichst mit, dafl es ein sehr praktisches Werk gibt in der Amerikanischen Zeitschrift Scientific American und zwar in deren Supplementen, welche alle einzeln zu haben sind zum Preise von 20 — 22 Americ. Cents, also 80— go Pf. Darin wird, mit sehr vielen Figuren erläutert, die Konstruktion von Elektrisier-, Dynamo- maschinen, Tele- und Mikrophonen, Gas-, Heiflluftmotoren etc. etc. behandelt. Für den Käufer hat dieses noch das An- genehme, daß er, wenn er sich nur für die eine oder andere Kategorie interessiert, nicht alles übrige in den Kauf zu neh- men hat. Man läßt sich am besten eine Inhaltsübersicht vor- legen und wählt dann die betreffenden Nummern aus. Zwar ist hier vorausgesetzt, daß der betreffende Käufer der eng- lischen Sprache mächtig sein muß. Von anderer Seite werden wir für den gleichen Zweck auf das im Verlage von A. Holder (Wien) 1S98 — 1900 in drei Teilen erschienene ,,E.'cperimentierbuch für den Unter- richt in der Naturlehre" von Dr. Karl Rosenberg (Preis geb. jeder Teil 2 Kronen) aufmerksam gemacht, das in Deutsch- land viel Anklang gefunden hat. Herrn W. S. in Kaaden. — Das Zöppritz'sche Buch: Gedanken über die Eiszeiten etc. ist seiner Zeit in diesem Blatte nicht besprochen worden, weil es keinen wissenschaft- lich brauchbaren Gedanken enthält. Es ist auch schwer, den leider ganz unhaltbaren Grundgedanken aus der Fülle der harmloseren Einzelirrtümer (wohin z. B. die Annahme gehört, daß die Alpen erst nach der letzten Eiszeit gefaltet wären) herauszuschälen. Er ist in der Hauptsache der folgende: Ein Planet nach dem anderen ist von der Sonne fortgeschleudert worden, bei jedem Fortschleudern verringerte sich die Sonnen- masse, ihre Anziehung auf die älteren Planeten wurde geringer, diese wurden etwas weiter in den Weltraum hinausgeschleudert. Beim Fortfliegen eines solchen Planeten, z. B. der Erde, blieb ein Teil seiner Masse zurück und bildete einen Mond. Der dadurch bedingte Substanzverlust wurde von den Polen her ergänzt und erzeugte deren Abplattung. Gleich- zeitig soll dies Hinausfliegen in den Weltraum die Eiszeiten bedingt haben. Die .\tmosphäre konnte nicht so schnell mit, und die ,, vorübergehende Entblößung von den schützenden Luftschichten" führte zu einer starken Abkühlung der Erd- oberfläche (Zöppritz S. 36). — Begnügen wir uns mit diesem Teil der Dichtung! Schon ihre astronomischen Grundanschau- ungen sind irrig. Ich will aber nur ailf die falschen geologi- schen F'olgerungen hinweisen: Denken wir uns einmal ein solches Hinausrücken der Planeten, so ist gar nicht einzusehen, warum dabei ein Teil der Planetenmasse unterwegs verloren werden soll. Das erinnert an einen Mann, der bei eiligem Aulbruch sein Gepäck nicht mitnehmen kann. In Wirklich- keit würde eine plötzliche Verminderung der Sonnenanziehung, wenn sie möglich wäre, auf alle Teile des Planetenkörpers einschließlich dessen Atmosphäre gleich wirken und sie im ganzen forttreiben, aber weder zur Mondbildung noch zur ,, Entblößung von den schützenden Luftschichten" führen. Im Vorbeigehen sei übrigens noch folgendes bemerkt : Zur Zeit, wenn die Venus zwischen Sonne und Erde steht, sich also in ,, Konjunktion" befindet, ist die Anziehung von Sonne und Venus zusammen auf die Erde sicher noch größer, als wenn die Venusmasse mit der Sonncnmassc vereinigt wäre, d. h. wir haben dann mindestens solche Anziehungsverhältnisse, wie sie nach Zöpp- ritz vor der ersten Eiszeit herrschten, und in den wenigen Jahren bis zur nächsten Venuskonjunktiou müßte die Erdbahn ebenso große , wenn auch nicht so plötzliche Störungen er- leiden , wie sie nach unserem Autor zur Abgrenzung des Mondes geführt haben. Solche Absurditäten sind fast immer die Folge, wenn astronomische ,, Theorien" von Persönlich- keiten aufgestellt werden, die nicht imstande sind , sie rech- nerisch zu prüfen. Wie phantastisch aber überhaupt der Ge- danke an das plötzliche Eintreten so ungeheurer Katastrophen ist, das fühlt man am klarsten, wenn man sich das fressend von der Eiszeit überraschte Rhinozeros (Zöppritz S. 23) einmal genauer vorstellt: Eben noch fraß es, da ist es schon stehend eingefroren, etwa wie zur Zeit des Schwarzen Todes, wo man gesund zu Bett ging und plötzlich als Leiche aufwachte. — Es ist mir unmöglich, noch weiter ernsthaft über das Buch zu schreiben. F. Solger. Herrn v. L. in B. — Frage: Die sogenannte August- milbe tritt in manchen Sommerfrischen so massenhaft auf, daß der Aufenthalt an diesen Orten von Ende Juli ab gerade- zu unmöglich wird. Bei Kindern kommt zu dem unerträg- lichen Jucken oft noch Fieber hinzu, so daß auch der Schul- besuch sehr erheblich beeinträchtigt wird. Wie gelangen diese Tiere auf den Menschen und wie schützt man sich vor ihnen? — Die Ernte- oder Grasmilbe, französisch ,,rou- get" genannt, wurde früher für eine besondere Milbenart ge- halten und deshalb mit einem besonderen lateinischen Namen Leptiis autuinualis belegt. Nachdem man aber erkannt hatte, daß die sechsbeinigen Milben Larven anderer, achtbeiniger Formen sind, mußte auch Leptus zu den Larven gestellt wer- den. Man glaubte anfangs, daß es die Larve der Spinnmilbe [7'elranychiis telariiis) st\. Als aber die Verwandlung von Tetra- iiychiis genau erforscht war, erkannte man auch diese Annahme als einen Irrtum (vgl. R. v. Hanstein in: Zeitschr. f. wissensch. Zoologie Bd. 70, 1901 , S. 58 — 108). Von H. Henking war inzwischen festgestellt, daß eine sehr ähnliche Larve von Trombidiiiin fiili^'inosiim auf Blattläusen schmarotzt (Zeitschr. f. wissensch. Zoologie Bd. 37, 1882, S. 553 — 663). Die An- nahme, daß auch die Parasiten des Menschen, der Säugetiere, der Mücken, Weberknechte etc. die Larven von Trombidien seien, lag also nahe. Es scheint jetzt fest zu stehen, daß in den verschiedenen Ländern die Larven verschiedener Troin- b!iliuin-hx\en auf dem Menschen vorkommen und daß es bei uns namentlich die Larve der schönroten Erdmilbe ist, welche man im ersten Frühling so häufig auf frisch umgegrabener Garten- erde findet, von 'rrombidiiitn hohsericeuin (vgl. Br ucker, S. Jourdain und P. Megnin in: Comptes rendus de l'.Academie des Sciences de Paris T. 125, 1897, p. 879, 965 und 967). Nach F. Brand is, der die neueste und sorg- fältigste Arbeit über den Gegenstand geschrieben hat (Fest- schrift anläßlich des fünfzigjährigen Bestehens der Provinzial- Irrcnanstalt zu Nietleben, Leipzig 1897, S. 416 — 429), befinden sich die Larven ursprünglich an der Erde. Sie erklettern kleine Steinchen, Halme und Kräuter und gelangen von diesen aus, vielleicht aber auch von abgeschnittenen Blumen etc. auf Säugetiere und auf den Menschen. .An Hautstellen, die wenig behaart sind, saugen sie sich an. Der Rüssel dringt tief in die Haut ein und bewirkt in seiner Umgebung eine eigen- tümliche Umwandlung der Gewcbeteile. Medizinisch nennt man die Krankheitserscheinung H e r bs t- Er y t h em. Wird das Tier abgekratzt, so bleibt der Rüssel in der Haut stecken und das unangenehme Jucken dauert fort. Spätestens nach 48 Stunden ist das Tier vollgesogen und fällt ab. Seine Nahrung besteht, wie der Mageninhalt zeigt, nicht in Blut, sondern in Fett und Gewebeteilen. Brandis empfiehlt, zur Verhütung der Infektion, Unterarm und Unterschenkel mit Vasclin einzureiben. Es wird dadurch den Milben ein schwer zu überwindendes Hindernis entgegengestellt. Gegen das Jucken empfiehlt er Betupfen mit ganz schwacher Karbol- lösung oder mit .\ther. Dahl. Inhalt; Prof. Dr. F. VVahnsc li af fe ; Das Gifhorner Hochmoor bei Triangel. — Kleinere Mitteilungen: R. B ö r n s t e i n : Weshalb pflegen unsere Musikstücke mit hcrabgehenden Noten zu schließen.' — M. Rauther: Über die systematische Stellung von Gordius. — W. Pallad in: Über normale und intramolekulare Atmung der einzelligen Alge Chlorothe- cium saccharophilum. — F'rederic Augustus Lucas: Zwei neue fossile Vertebraten. — Fridtjof Nansen: l'ot- wasser. — Guido Lamprecht: Über den Einfluß des Mondes auf die Niederschläge. — Aus dem wissenschaft- lichen Leben. — Bücherbesprechungen: W. P\ Wisli cenus : Astronomischer Jahresbericht. — Jacques Danne: Das Radium. — Dr. R. Loel)e: Monographien über angewandte Elektrochemie. — K. Remus: Das dynamologische Prinzip. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von I.ippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DIC NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 18. September 1904. Nr. 51. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größereu Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blutnenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. fNachtlruck verboten. ^ Der Schlaf. Von Dr. L. Reinhardt. Unter den vielen Rätseln des Lebens, an welche sich die Menschheit wie an etwas Selbstverständ- liches gewöhnt hat, und über das sie sich des- halb auch für gewöhnlich keinerlei Rechenschaft zu geben pflegt, nimmt eine hervorragende Stelle das periodische Schwinden der höheren Geistes- tätigkeit ein, das wir mit dem Worte Schlaf zu bezeichnen pflegen. Ein jeder von uns weiß zwar aus Erfahrung, was der Schlaf bedeutet; aber was für Vorgänge ihn einleiten und erzeugen, welche psycho - physiologischen Prozesse sich dabei ab- wickeln, das einmal kennen zu lernen dürfte sich der Mühe wohl lohnen, da das Wissen darüber nicht so allgemein ist, als es der Fall sein könnte. Mit dieser für uns alltäglichen Erscheinung haben sich Jahrtausende hindurch die hervorragendsten Denker beschäftigt, ohne daß sie eine Lösung des geheimnisvollen Rätsels auch nur annähernd ge- funden hätten. Erst die letzten Jahrzehnte haben einiges Licht in das Dunkel gebracht, und wenn auch heute die Wissenschaft noch nicht auf alle die hier in Frage kommenden Vorgänge eine be- friedigende Antwort zu geben vermag, so können wir doch mit einiger Förderung für unser Wissen über uns selber, ein Wissen, das schon der griechische Philosoph als das erste Erfordernis unseres Strebens nach Erkenntnis überhaupt auf- gestellt hat, diesen interessanten Erscheinungen nachgehen. Beginnen wir zunächst, die Bedeutung des Schlafes und die damit einhergehenden Erschei- nungen zu betrachten. Der Schlaf tritt ein, wenn das Gehirn, das Organ der geistigen Tätigkeit, seine Funktionen einstellt und zur Ruhe gelangt. Für ein so hochorganisiertes und angestrengt ar- beitendes Organ ist diese periodisch eintretende Ruhe von der größten Wichtigkeit, wichtiger noch als die Nahrungszufuhr; denn ohne Nahrung kann ein Mensch, wenn es sein muß, einen Monat und noch länger leben; aber wenn wir ihm den Schlaf nähmen, so ginge er mit aller Bestimmtheit schon nach wenigen Tagen zugrunde. Tatsächlicli hat man diesen Versuch am Menschen begreiflicher- weise noch nie gemacht. Auch ist es bewiesener- maßen falsch, daß es in China eine Art Todes- strafe gäbe, wonach der Verbrecher dadurch um- gebracht würde, daß man ihn nicht einschlafen läßt. Aber nach Tierversuchen an jungen Hunden, 8o2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 51 über die eine Frau, Marie von Manassein, auf dem internationalen medizinischen Kongresse in Rom im Jahre 1894 berichtete, wissen wir, daß die Tiere an Schlaflosigkeit weit rascher zugrunde gehen als an Hunger. Wurden diese jungen Hunde nur 4 — 5 Tage des Schlafes beraubt, so gingen sie in der Folge rettungslos verloren, wenn man ihnen dabei auch die beste Pflege angedeihen ließ. Das Körpergewicht hatte zwar bei ihrem Tode nur 5 — 13 Prozent seines Gewichts verloren, während ein hungernder Hund bis zu 50 Prozent seines Körpergewichts verliert, ehe er an Entkräftung stirbt. Dabei gingen die jüngeren Tiere rascher zugrunde als die älteren. Nun ist allerdings ein junger Hund ein schlaf- bedürftigeres Wesen als der Mensch, wie über- haupt die Hunde mehr Schlafbedürfnis haben als die Menschen. Aber wenn wir auch nicht wissen, wie bald ein Mensch an Schlaflosigkeit zugrunde geht, so wissen wir aus Erfahrung, daß er schneller daran zugrunde ginge, als am Hunger. Das Schlafbedürfnis richtet sich zunächst nach dem Maße der geistigen Arbeit und nach der Höhe der intellektuellen Entwicklung. Die größere Hirnarbeit erfordert auch mehr Ruhe. Danach sollte der Mensch ein größeres Schlafbedürfnis haben als der Hund. Demgegenüber ist aber zu bedenken, daß die Größe des Schlafbedürfnisses nicht nur nach der Zeit des Schlafes zu bemessen ist, sondern vor allem auch nach der Tiefe des Schlafes. Die Tiefe des Schlafes messen wir nach der Stärke der Sinnesreize, die zum Wecken er- forderlich sind. Diese sind beim Hunde bekannt- lich sehr gering. Der Hund hat einen sehr flachen Schlaf, er ist sehr wachsam und durch die ge- ringsten Geräusche zu wecken, während der Mensch auffallend tief schläft, tiefer als alle Tiere. „Es scheint", sagt Prof. G. v. Bunge in seinem Lehrbuch der Physiologie des Menschen, „daß diese verschiedene Art des Schlafes wesentlich dazu bei- getragen hat, den treuen Freundschaftsbund von Mensch und Hund zu stiften, welcher älter ist als die Geschichte der Menschheit. Soweit die Spuren des Menschen sich zurückverfolgen lassen, ist der Hund sein steter Begleiter. Es scheint, daß der Mensch nur mit Hilfe des Hundes aus dem Natur- zustande zur Kultur sich hat durchringen können. Die hohe Intelligenz gewährte dem Menschen einen gewaltigen Vorsprung im Kampf ums Dasein; das mit der hohen Intelligenz zusammenhängende Be- dürfnis nach tiefem Schlaf dagegen einen schweren Nachteil , insbesondere den großen Raubtieren gegenüber. Die treue Freundschaft des wachsamen Hundes überwand diesen Nachteil. Die Freund- schaft erwies sich ferner für beide Teile vorteil- haft auf der Jagd: der Spürsinn des Hundes im Bunde mit der Intelligenz des Menschen über- listete alle anderen Tiere. Es scheint fast, als wenn die Freundschaft von Mensch und Hund eine Erscheinungsform der Symbiose, d. h. des Zusammenlebens zum Zweck gegenseitigen Vor- teils ist, welche unbewußt die Natur zustande ge- bracht hat und nicht die bewußte Überlegung des Menschen." Das Großhirn, als der Sitz der Geistesarbeit, bedarf des langen und tiefen Schlafes zu seiner Erholung und zwar wissen wir nach den inter- essanten Beobachtungen der schon genannten PVau von Manassein, einer Russin, daß die linke Groß- hirnhälfte, die bei uns vorzugsweise tätig ist, auch in tieferen Schlaf versinkt als die rechte. Wir arbeiten nämlich nicht mit beiden Großhirnhälften gleicherweise, sondern vorzugsweise mit der einen, während die andere in Reserve steht. Und zwar, da alle Gehirnnerven sich kreuzen, arbeitet bei allen normalen rechtshändigen Menschen die linke Hirnhälfte fast ausschließlich ; wir sind mit anderen Worten linkshirnige Sprecher, Denker und Ar- beiter, ebenso wie alle linkshändigen Menschen rechtshirnig arbeiten. Die am meisten arbeitenden Teile des Gehirnes versinken folgerichtig zu ihrer Erholung in den tiefsten Schlaf. Frau von Ma- nassem hat nun an 50 Personen jeden Alters und Geschlechts, an Kindern von 3 Jahren bis zu Männern und Frauen von 65 Jahren, diese Ver- hältnisse studiert und gefunden, daß die normalen rechtshändig arbeitenden Menschen während der zweiten Stunde des Schlafens mit einer Feder am Gesicht gekitzelt, stets mit dem linken Arme Ab- wehrbewegungen machten , selbst wenn sie auf der linken Seite lagen, also auf den Reiz deS Kitzeins reflektorisch durch die weniger tief schlafende Hirnhälfte antworteten, während um- gekehrt einzig die Linkhänder — 8 an der Zahl — sich dadurch als solche verrieten, daß sie im Schlafe alle Abwehrbewegungen mit der rechten vornahmen. Es war bei diesen Versuchen gleichgültig, welche Seite des Gesichts gekitzelt wurde. Was die Tiefe des Schlafes anbetrifft, die durch die Stärke des Reizes gemessen wird, welcher zum Wecken des betreffenden Schläfers nötig ist, so hat schon Kohlschütter im Jahre 1S63 durch Versuche festgestellt, daß eine Stunde nach dem Einschlafen der Schlaf weitaus am tiefsten ist, etwa 6- bis /mal tiefer als eine Stunde später; daß um die letztere Zeit er wieder weniger tief wird und sich bis zum Erwachen am Morgen immer mehr abflacht. Da wir nun aber durch zweistündigen Schlaf nicht ebenso gestärkt sind, als wie durch achtstündigen, so geht daraus her- vor, daß die Festigkeit oder Tiefe des Schlafes nicht identisch ist mit der Stärkung, der Erquickung durch den Schlaf. Um einen Menschen zu wecken, kommt es aber nicht nur auf die Intensität eines Schalles oder Geräusches an, sondern darauf, ob der Schall ein gewohnter oder ungewohnter ist. „Manche sorgsame Mutter", sagt Prof. Aug. F'orel in seinem Werk über den Hypnotismus, „wird durch das leiseste Geräusch ihres Kindes geweckt, während sie beim Schnarchen ihres Ehemannes oder sonstigem gewohnten Lärm durchaus nicht erwacht." Ein- tönige Geräusche machen bekanntlich sogar schläfrig, wie das Plätschern eines Brunnens, das Rauschen N. F. m. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 803 eines Wasserfalles oder der Brandung, eintöniges Vorlesen und dergleichen. Aufhören des Ge- räusches kann dann umgekehrt auch wecken, wie z. B. der Müller erwacht, sobald der für ihn ge- wohnte Lärm des Mühlwerks aufhört. Eine Abweichung vom gewöhnlichen normalen Schlafe zeigen die in bezug auf iiir Nervensystem geschwächten Menschen, die sogenannten Neur- astheniker, die nach der regulären Verflachung des Schlafes gegen Morgen wieder eine Vertiefung zeigen. Diese Menschen wachen oft des Morgens zu früh auf und sind nur dann für den folgenden Tag er(]uickt, wenn sie noch ein zweites Mal ein- schlafen. Da der Schlaf hauptsächlich zum Ausruhen des Geistes dient, so ist das Schlafbedürfnis bei dem mehr geistig arbeitenden Städter ein größeres als bei der mehr körperlich sich abmühenden Land- bevölkerung. Kinder bedürfen ihrerseits eines längeren Schlafes als Erwachsene, und diese wieder- um eines längeren als Greise. Je jünger das In- dividuum, um so tiefer ist auch der Schlaf, desto größere Reize sind auch nötig es zu wecken. IJbrigens ist das Schlafbedürfnis je nach Gewohn- heit und Temperament verschieden. Wohlbeleibte Menschen schlafen in der Regel mehr als magere. Dauer und Tiefe des Schlafes nehmen meist zu, wenn größere körperliche und geistige Anstren- gungen vorausgegangen sind. Indessen tritt bei körperlicher Übermüdung sowohl als bei solchen geistigen Anstrengungen, die eine nachhaltige Er- regung der Phantasie bewirken, nicht selten das Gegenteil ein. Die erste und bekannteste Bedingung zum Ein- schlafen ist eine Herabsetzung aller Sinneseindrücke; wir schlafen am raschesten ein im Dunkeln, in der Stille, wenn uns nichts drückt, wenn es weder zu kalt noch zu warm ist. Daß wir in der Tat nur durch beständige .Sinneseindrücke wach erhalten wer- den, geht aus dem in medizinischen Kreisen bekann- ten Versuche Prof Strümpells in Erlangen (jetzt in Breslau) hervor, der während seiner Lehrtätigkeit an der Klinik zu Leipzig einen 1 5jährigen Schuhmacher- lehrling längere Zeit zu beobachten Gelegenheit fand, bei dem durch ein nervöses Leiden allmäh- lich alle Hautempfindung, sowohl Temperatur-, Tast- und Schmerzempfindung als Muskelsinn und Ermüdungsgefühl an der ganzen Körperoberfläche vollkommen schwand. Der Patient verlor ferner den Geruchs- und Geschmackssinn, sowie die Emp- findungen des Stuhl- und Harndranges. Schließ- lich trat Erblindung des linken Auges und Taub- heit des rechten Ohres ein. Wurde nun diesem Kranken sein sehendes Auge verbunden und sein hörendes Ohr mit Watte verstopft, so machte der Kranke einige Äußerungen der Verwunderung, versuchte vergeblich sich durch Schlagen mit der Hand Gehörseindrücke zu verschaffen. Nach wenigen, etwa 2 — 3 Minuten ließen diese Be- wegungen schon nach. Puls und Atmung wurden ruhiger, letzterer gleichmäßiger, tiefer. Man konnte jetzt die Binde von den Augen entfernen. Die- selben waren geschlossen; der Kranke lag da in festem Schlaf Überließ man den am Tage künst- lich in Schlaf versetzten Kranken sich selbst, so dauerte der Schlaf unter günstigen äußeren Be- dingungen mehrere Stunden lang fort. Erst dann erfolgte ein Erwachen, sei es bei der jedenfalls zunehmenden Erregbarkeit des Gehirns durch ge- ringe äußere, nicht zu vermeidende Reize, sei es durch sogenannte „innere Reize". Wollte man den Schlafenden künstlich wecken, so war dies nur möglich durch einen Reiz auf sein hörendes Ohr oder durch einen in sein sehendes .-Xuge fallenden Lichtreiz. Stechen, Kneifen der Haut, Rütteln und Schütteln des ganzen Körpers blieben erfolg- los. „Ich habe", sagt Strümpell, „den Kranken oft nachts, wenn alles im tiefsten Schlafe lag, be- sucht, habe ihn aus dem Bette gehoben, ihn auf die kalte Erde gelegt, ihn an den Haaren gerissen usw. — er schlief ruhig weiter. Wenn aber sein rechtes Auge geöffnet und ein brennendes Licht davor gehalten wurde, oder wenn man ihm seinen Namen wiederholt ins linke Ohr hineinrief, dann wachte er langsam auf" Zwei ähnliche Fälle dieser Art wurden später auf der v. Ziemssen'schen Klinik in München be- obachtet. Aus allen diesen Beobachtungen können wir mit Sicherheit schließen, daß die Vermeidung von Sinneseindrücken die wichtigste Bedingung des Einschlafens ist. Sie ist aber nicht die einzige. Strümpell bemerkt zu seinem Versuche, daß ein Gebildeter wohl nicht so rasch eingeschlafen wäre, wie dieser Junge, dessen Intelligenz übrigens zur Zeit vor der Erkrankung eine normale gewesen war. „Wer einen großen Vorrat an Erinnerungs- bilden! und Kenntnissen in seinem Hirn aufge- speichert hat", sagt Prof. G. v. Bunge in Basel, „zehrt unwillkürlich von diesem Vorrate. Die Gedankenarbeit kommt nicht so leicht zur Ruhe. Das ist der Grund, warum kenntnisreiche und denkende Menschen mit lebhaftem Interesse oft so schwer einschlafen. Karl Ernst von Baer sagt in einer seiner berühmten Reden, wenn ein junger Mann sich der akademischen Lehrtätigkeit widmen wolle, so pflege man durch ein Examen sein Wissen zu prüfen ; man sollte lieber festzustellen suchen, ob er schon Nächte durchwacht hat, um über eine Frage ins klare zu kommen." Was von der Geistesarbeit gilt, das gilt aber noch mehr von allen leidenschaftlichen Erregungen des Gemütes. Auch diese müssen zur Ruhe kommen, damit das Einschlafen möglich wird. Es kommen aber noch alle möglichen anderen psy- chischen Bedingungen hinzu, die erfüllt sein müssen, um das Einschlafen zustande zu bringen. Bei vielen Personen ist das Einschlafen durch bestimmte Gewohnheiten bedingt. Jede Unter- brechung derselben hat bei sensiblen Naturen eine schlaflose Nacht zur Folge. Bei solchen Naturen gilt es als selbstverständlich, daß sie an einem fremden Orte, in einem neuen Bette die erste Nacht schlecht schlafen. Versäumen sie es zur 8o4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 51 gewohnten Zeit ins Bett zu gehen, so tritt gleich- falls Schlaflosigkeit ein. Wiederholen sich solche Unregelmäßigkeiten, so kann bleibende Schlaf- losigkeit die Folge sein. Eine Hauptursache der Schlaflosigkeit ist die Furcht vor der Schlaflosigkeit. Der bloße Ge- danke, man werde nicht zur rechten Zeit ein- schlafen, quält und verfolgt die Patienten und macht einen regelmäßigen und anhaltenden Schlaf unmöglich. Hier hat die ärztliche Tätigkeit ein dankbares Feld, um diese krankhafte Autosuggestion durch verständiges Erklären der Ursache der Störung zu bekämpfen. Auch sollen solche Leute, die an Schlaflosigkeit leiden, sich mehr wie bis dahin körperlich anstrengen und viel in frischer Luft spazieren gehen ; dann wird sich ein gesunder Schlaf von selbst wieder einstellen. Zu den Bedingungen des Einschlafens scheint ferner die Blutleere des Gehirns und des ganzen Kopfes zu gehören. Jeder kann es an sich selbst beobachten, daß, wenn der Kopf blutreich ist, — was wir am leichtesten daran erkennen, daß die Ohren gerötet sind und sich warm anfühlen — man nicht gut einschläft. Wenn man schläfrig ist sind die Ohren kalt und blaß. Deshalb schläft man besser in einem kühlen Zimmer, als in einem sehr warmen, schläft auch besser auf einer harten Kopfunterlage als auf einem weichen Kissen, in das der Kopf stark einsinkt und sich infolgedessen nicht abkühlen kann. Möglichst horizontale Lage des Oberkörpers und Körpers überhaupt ist die angenehmste und beste Schlafstellung. Daß das Gehirn im Schlafe blutleer wird und das Blut, das aus dem Gehirne abströmt, sich über den übrigen Körper verbreitet, sieht man an Leuten, die durch Unfall sich einen Defekt der Schädel- decke zugezogen haben. Mißt man den Blutdruck an dieser Stelle im wachen Zustande und wieder im Schlafe, so kann man mit Leichtigkeit fest- stellen, daß der Blutdruck während des Schlafes abnimmt, als Zeichen dafür, daß weniger Blut als- dann zum Gehirn strömt. Umgekehrt werden wir auch nach einer reichlichen Mahlzeit leicht schläfrig, indem das Blut in Menge in die Verdauungsorgane strömt und das Hirn dadurch blutarmer wird. Eine auffallende Beobachtung, die jeder macht, der einen Schnupfen hat, ist die, daß während des Schlafes die Absonderung der Nasenschleimhaut aufhört. Diese Tatsache erklärt sich am unge- zwungensten gleichfalls aus der Blutleere des ganzen Kopfes während des Schlafes. Ist die Blutleere des Gehirnes eine Bedingung des tiefen Schlafes, so erscheint es zweckmäßig, daß der Hirnteil, der am meisten gearbeitet hat, auch am blutärmsten wird während des Schlafes. Dieser Hirnteil ist bei den meisten Menschen, bei allen Rechtshändern, wie schon gesagt, die linke Hemisphäre des Großhirns. Damit hängt es offen- bar zusammen, daß die meisten Menschen instinktiv auf der rechten Seite liegend schlafen. Die linke Kopf- hälfte wird dabei kühler. Ein zweiter Grund auf der rechten Seite zu liegen, ist der, daß das Herz dabei ruhiger, ungehinderter arbeitet. Bei den Linkshändern tritt in dieser Beziehung eine Kollision ein. Zur Abkühlung der rechten Kopfhälfte sollten sie auf der linken Seite schlafen, um dem Herzen bei seiner Arbeit nicht entgegen zu wirken auf der rechten. Deshalb schlafen nicht alle Linkshänder auf der linken Seite, wohl aber die Mehrzahl derselben. Ein Teil der Linkshänder macht dem Herzen die Konzession auf der rechten Seite zu schlafen. Ein anderer Teil schließt instinktiv ein Kompromiß und schläft auf denr Rücken. Dr. Fr. Lueddeckens hat im vorletzten Jahre eine Statistik darüber an- gestellt und gefunden, daß von 62 Linkshändern 35 auf der linken Seite schliefen, 19 auf der rechten und 8 auf dem Rücken. Studieren wir nun etwas die Art und Weise, wie wir einschlafen. Wenn auch Kinder und müde Erwachsene in der Regel schnell einschlafen, so vergeht doch eine merkliche Zeit, bis vollständige Bewußtlosigkeit eintritt. .Stets geht dem Ein- schlafen ein überaus wohliges Empfinden voraus, daß sich die müden Glieder ausruhen und der schlafbedürftige Kopf sich der erwünschten Ruhe hingeben darf, im Bewußtsein dann neu gestärkt zu erwachen. In der uns umgebenden Stille und Dunkelheit, verbunden mit dem Aufhören aller den Tag über auf uns einstürmenden Sinnesein- drücke, fallen uns unsere Augendeckel von selbst zu, unsere Sinne werden einer nach dem anderen aus ihrer Tätigkeit ausgeschaltet. Zuerst verlassen uns das Geschmacksvermögen, dann das Gesicht, bald auch das Tastvermögen. Von allen Sinnes- organen arbeitet am längsten noch das Gehör. Bevor es noch verschwindet, haben die erschlafften Glieder des Schlafenden sich gelöst, sie liegen in halber Beugung, so wie es dem Körper behagt ; die Muskeln entspannen sich, sie gehorchen nicht mehr dem Willen. Man könnte noch erwachen, wenn man möchte, der Wille und das Geistesver- mögen wachen noch einige Zeit, aber gradweise wie die Sensation erlöschen auch sie, unsere Ge- danken werden unzusammenhängend und das Be- wußtsein ist bald völlig geschwunden, — wir schlafen. Aber die Fähigkeit Gedanken zu bilden hat das im Schlafe ruhende Gehirn nicht ganz ver- loren. Es erzeugt fortwährend Bilder, die wir als Träume empfinden. Aber diese Traumbilder sind nicht durch logisches Denken und Überlegen ge- zügelt und kontrolliert, sie sind unlogisch und meist zusammenhanglos, sind Erinnerungsbilder teils angenehmer, teils unangenehmer Art und erschrecken in letzterem Falle oft dermaßen den vom Schlafe umfangenen Geist des Schlafenden, der ja, wenn auch gelähmt, so doch nicht ganz außer Tätigkeit gesetzt ist, daß der übrige Körper aufwacht und der Schlafende oft mit Entsetzen in die Höhe fährt. Wenn auch der Wille sein Regiment scheinbar aufgegeben hat, so ist er trotzdem nicht ganz gelähmt und ausgeschaltet; denn wenn wir uns vornehmen, zu einer bestimmten Zeit zu erwachen, so kann dieser Wille bewirken, N. F. III. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. So 5 daß wir oft mit größter Präzision zu gewollter Zeit aufwachen, ohne daß wir uns doch im be- wußtlosen Zustande des Schlafes über die Länge des Schlafes und die absolute Zeit orientieren können. „Einen Anhaltspunkt für die Beurteilung der Tiefe des Schlafes können wir vielleicht aucJi ge- winnen an der Art der Träume", sagt Prof. G. V. Bunge. „Viele Personen behaupten", fährt er fort, „häufig gar nicht zu träumen; sie könnten, wenn man sie wecke, sich manchmal durchaus keines Traumbildes entsinnen. An mir selbst habe ich dieses trotz vielfacher Bemühungen niemals beobachten können ; man mag mich wecken, zu welcher Zeit nach dem Einschlafen man wolle, stets habe ich lebhafte Träume gehabt. Dagegen beobachtete ich folgenden Unterschied. Träume ich von Dingen, die ich vor langer Zeit erlebt habe, so habe ich ruhig und fest geschlafen, denn ich fühle mich gestärkt. Träume ich dagegen von den Erlebnissen der letzten Tage, so habe ich unruhig geschlafen : ich bleibe müde und ab- gespannt. In meinen jungen Jahren bin ich ein leidenschaftlicher Jäger gewesen, habe jetzt aber seit 20 Jahren keine Flinte mehr in die Hand ge- nommen. Wenn ich nun träume, daß ich auf der Jagd bin — was immer noch sehr häufig vor- kommt — , so fühle ich mich stets durch den Schlaf für den ganzen kommenden Tag erquickt und gestärkt. Die Hirnteile, die zuletzt am ange- strengtesten tätig waren, ruhen im tief- sten Schlafe; ihre Funktionen erlöschen und machen alten Erinnerungsbildern Platz. Hieraus ergibt sich eine wichtige diätetische Regel: wem der traumlose Schlaf nicht vergönnt ist, der sollte wenigstens das Ziel sich setzen, die Bedingungen des Schlafes so zu wählen, daß er im Traume sich zurückversetzt finde in die glück- lichen Jugendjahre, in die selige Kinderzeit. Wenn wir dieses nicht erreichen können, wenn die Sorgen und Mühen des letzten Tages uns in den Traum verfolgen, so beweist das, daß Störungen in unseren Funktionen eingetreten sind, und wir sollen nicht eher ruhen, als bis wir die Ursachen dieser Stö- rungen erkannt und beseitigt haben." Einige Personen geben an, daß sie in den ersten Stunden nach dem Einschlafen gar nicht träumen, darauf von alten Zeiten und erst kurz vor dem Erwachen von den zeitlich jüngeren und jüngsten Erlebnissen. Dieses stimmt zu dem von uns zu Beginn geschilderten Verlaufe des normalen Schlafes. Dr. A. Pilcz, Assistenzarzt an der Irrenanstalt in Wien, teilt in der Wiener klinischen Rundsciiau 1898 mit, er werde als Assistenzart häufig in der Nacht geweckt. Ein oder anderthalb Stunden nach dem Einschlafen habe er „recht häufig" gar keine Traumerinnerungen oder Träume, welche „längst- vergangene Situationen zum Gegenstande hatten". ,,In dem Maße," so fährt er fort, „als der Augen- blick des plötzlichen, unerwarteten Gewecktwerdens sich der Zeit nähert, da ich spontan zu erwachen pflege, tauchen neuere, später gewonnene Vor- stellungsbilder und Ideenkomplexe auf in dem Spiele der Assoziationen." Auf den Inhalt der Träume ist die Lage des .Schlafenden, sind körperhche relative Vorgänge überhaupt von großer Bedeutung. So bewirkt eine unbequeme Lage oder ein körperlicher Schmerz einen Traum, in dem man glaubt angegriffen oder gefesselt zu sein, ein brenzlicher Geruch erregt Träume von Feuersgefahr. Plötzliches Ausstrecken im Schlafe erzeugt das bekannte meist mit Er- wachen verknüpfte Gefühl eines Ausgleitens von einer Treppe oder eines tiefen sonstigen Sturzes. Wenn der Schlaf gegen Morgen an Tiefe nach- läßt, werden Töne und Geräusche aller Art, in der Nähe gesprochene Worte und dergleichen mit wunderbarer Schlagfertigkeit zu einem Traume ausgesponnen , indem das ruhende Großhirn im Halbschlummer anfängt am Traumdenken sich zu beteiligen. Diese Morgenträume werden dann logischer und deutlicher in der Erinnerung haftend. Innere Empfindungen oder krankhafte Zustände spiegeln sich häufig in Träumen wieder. So träumen an Atmungsbeschwerden Leidende von einem bedrückenden Gespenst und spricht man dann von Albdrücken. Die Erklärung des Namens ist sehr einfach. Unter Alben oder Elfen ver- standen unsere heidnischen germanischen Vorfahren koboldische Wesen , die sich nach dem Volks- glauben auf die atmende Brust des Schläfers werfen sollten und so das Albdrücken hervorriefen. Bei zu starker Anfüllung des Magens nach opulentem Mahl, wobei ebenfalls die Zvverchfellbewegung und damit das Atmen gehemmt ist, träumt man etwa an der Brust gefaßt zu werden, oder in Menschen- gedränge zu geraten. LIerzleidende haben oft be- ängstigende Träume. Vergebliche Anläufe die Willensvorstellungen auszuführen, etwa um Hilfe zu rufen oder sich anzukleiden und davonzulaufen, bringen die sogenannten Hindernisträume hervor. Abgesehen von solch äußeren .A.nregungen be- steht der Inhalt der Träume meist aus Wieder- belebung und Verbindung von Erinnerungsbildern, wobei frische Erinnerungen, Dinge, mit denen man sich zurzeit stark beschäftigt, oder an die man in der Stunde vor dem Einschlafen lebhaft erinnert wurde, den Vordergrund einnehmen. Die dramatische Lebendigkeit der Traumbilder, welche den Träumer verleitet, sie für wirklich Erlebtes zu halten und zu glauben, daß er seinen Traum mit offenen Sinnen erlebt habe, erklärt sich hinlänglicli durch die Abwesenheit der Sinneskontrolle und des wachen Urteils, vor denen im wachen Zu- stand alle solche inneren Bilder erblassen; deshalb sind die Träume meist so unsinnig und zusammen- hanglos. Unkontrolliert von der Kritik des logischen Denkens im Wachen folgen die Ideen und Bilder einfach den Gesetzen der Ideenassoziation, d. h. die Empfindungen und Vorstellungen sind willkürlich miteinander verknüpft. Selbst das Erinnerungs- 8o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 51 vermögen ist so unsicher, daß verstorbene Per- sonen lebend erscheinen, daß die Einheit des Ortes nicht beachtet wird, jedes Zeitmaß schwindet und sogar die einheitliche Persönlichkeit des Träumen- den sich in ihren Urteilen und Handlungen oft- mals in mehrere Personen spaltet. Es werden nie Dinge, die man voll ausgedacht hat, zu Traumerregern, sondern immer nur solche, die einem unfertig im Sinne liegen, oder die den Geist flüchtig streifen. Wenn jemand beispiels- weise mit einer Erfindung beschäftigt ist, die sein ganzes Denken in Anspruch nimmt, mithin neben dem im Geiste sich klar Ausgestaltenden eine Masse unfertiger, unreifer Gedanken in ihm ent- stehen läßt, träumt er Nacht für Nacht davon. Ist ihm seine Erfindung gelungen, hat er seine Auf- gabe gelöst, so ist es mit seinem Träumen über den Gegenstand in der Regel zu Ende. Unzweifelhaft haben die Blinden Träume wie sehende Menschen; die Frage aber, ob sie in ihren Träumen sehen, wurde von einer wissenschaftlichen Gesellschaft, die 200 Blinde darüber ausforschte, dahin beantwortet, daß Blindgeborene oder solche, die das Augenlicht vor dem fünften Jahre ver- loren, auch in ihren Träumen niemals sehend sind. Von denjenigen, die zwischen dem fünften und siebenten Jahre erblindeten, war ein Teil im Traume sehend, der andere nicht. Die erst nach dem siebenten Jahre Erblindeten sahen stets, wenn sie träumten. Ein bedeutendes Licht auf dieses abnorme Seelenleben im Traume wird durch das Studium des Hypnotismus und die Möglichkeit einer Sug- gestion auf den Träumenden geworfen. Unter Hypnotismus versteht man , wie allgemein be- kannt sein dürfte, jenen schlafähnlichen Zustand, in den man durch die suggestive Einwirkung, durch Beredung von seilen eines anderen gerät, der seinen Willen einem aufzwingt. In diesem hypnotischen Zustand, in den alle geistig gesunden Menschen gebracht werden können, vorausgesetzt natürlich, daß sie sich hypnotisieren lassen wollen, ist die Tätigkeit des bewui3ten Denkens und Willens eingeschläfert, während die Sinnesorgane weiter funktionieren. Der Hypnotisierte ist Sklave eines fremden Willens, vollführt blindlings, was man ihn heißt, und wäre es noch so töricht und wider- sinnig, zeigt sehr großen Nachahmungstrieb, ist mit einem Wort: ein Automat, von fremdem Willen geleitet. Nicht nur in der ärztlichen Praxis, auch im gewöhnlichen Leben spielt die Suggestion eine größere Rolle, als man gemeinhin glaubt. In unseren Gewohnheiten sind wir Menschen alle autosuggeriert , das heißt wir suggerieren , reden uns das betreffende ein. Wenn ein Mensch gähnt, so gähnen diejenigen, die ihm zusehen, unwillkür- lich auch mit, das ist Suggestion. Die Gewohn- heit zu einer bestimmten Zeit einzuschlafen, ruft in uns gewöhnlich eine große Schläfrigkeit zu der betreffenden Zeit hervor. „Eine bestimmter Ort," sagt Prof A. F o r e 1, der berühmte Irrenarzt und Er- forscher der Hypnose, „die Stimme einer be- stimmten Person, das Liegen in einem gewissen Lehnstuhl, wo man gewöhnlich einschläft, das An- hören einer Predigt, das Liegen in einer bestimmten Körperstellung, beim Hans eine Roßhaar-, beim Jakob eine Federmatratze usw. usw., vor allem noch der Lidschluß sind sehr gewöhnliche schlaf- erzeugende Mittel." Warum das? — Man hat es bisher Gewohnheit, assoziierte Angewöhnung ge- nannt. Wir müssen aber anerkennen, daß diese Tatsachen einer unbewußten Autosuggestion (d. h. Selbsthypnose) völlig gleichkommen. — „Mein zweites Söhnchen", schreibt Prof. Forel weiter, „hatte sich angewöhnt, mit einem Taschentuch in der rechten Hand, am Gesicht angelegt, einzuschlafen. Als wir es ihm wegnahmen, konnte er lange Zeit nicht mehr einschlafen. Bei gewissen Leuten müssen sogar gewisse Handlungen dem. Schlafe vorangehen, damit er erfolgen kann, wie Lektüre, Aufziehen der Uhr usw. Die kräftigste aller jener Assoziationen ist aber die Schwere der Augenlider, ihr unwiderstehliches F'allen. Daher ist dieses die beste Suggestion des Schlafes." Wollen wir jemand hypnotisieren, so sugge- rieren wir ihm, daß seine Augenlider schwer werden und zufallen und alsbald hält ihn schon, ohne daß er es merkt, der hypnotische Schlaf umfangen. Nun können wir ihm alles Mögliche suggerieren, d. h. eingeben, er wird uns willenlos in allem ge- horchen. Und wenn wir ihn zu der von uns ge- wünschten Zeit aufwachen lassen, so weiß er von allem, was inzwischen mit ihm vorging, nichts. Die hypnotischen Suggestionen sind wie die Traum- eindrücke gewöhnlich so schwach, daß sie nach dem Erwachen mehr oder weniger vollständig aus dem Gedächtnis verschwunden sind. Nur wenn man mitten in einem Traume geweckt wird, pflegt eine genauere Erinnerung an denselben zurück- zubleiben. Wie ein Hypnotisierter willenlos am Gängel- band des Willens eines Fremden einhergeht, so kann unter bestimmten Körperbedingungen das Daniederliegen der Urteilskraft im gewöhnliclien Schlafe den Schläfer weiterträumend nachtwandeln lassen, so daß er wie ein Hypnotisierter im Schlafe weite Strecken oft unter den gefährlichsten Um- ständen zurücklegt, gewöhnlich sich dabei sehr zweckmäßig benimmt, vom obersten Stock in den untersten geht und sich wie ein Wacher, ohne sich in der Dunkelheit anzustoßen, in ein anderes Bett legt oder andere ähnliche Dinge vornimmt. Was ließen sich da nicht für merkwürdige Ge- schichten vom Schlaf- oder Traumwandeln er- zählen ! Doch können wir uns nicht länger mit dem psychologisch für jeden denkenden Menschen so überaus interessanten Traumleben beschäftigen, über das schon ganze Bücher geschrieben worden sind. Es genüge an dieser Stelle zu bemerken, daß das Traumleben nicht nur höchst merkwürdige Seelen- zustände wiederspiegelt, sondern geschichtlich und kulturjiistorisch eine höchst wiciitige Rolle ge- N. F. III. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 807 spielt hat und bei vielen tiefer wie wir in der Kultur stehenden Völkern noch spielt. Die Völker- psychologie muß zur Erklärung so vieler religiöser Vorstellungen bei allen Volksstämmen der Erde immer wieder zu den Tatsachen und Erfahrungen des Traumlebens zurückgreifen; denn sozusagen ausschließlich aus ihnen haben alle diese Völker den Glauben an übernatürliche, den Schranken der Leiblichkeit , der Zeit und des Raumes entrückte Wesen, ein Fortleben nach dem Tode, die soge- nannte Unsterblichkeit der Seele geschöpft. Der Naturmensch nimmt eben kritiklos,wiederSchlafende, das Geträumte für Wirklichkeit, er glaubt im Traume von seinen verstorbenen Vorfahren und Freunden, von seinen Göttern besucht zu werden und meint, daß sein Ich, seine lebende Seele, wenn er von fremden Orten träumt, sich vorübergehend aus dem im Schlafe ruhenden Körper gelöst, hier und dort, wie es der phantastische Traum mit sich bringt, frei von aller Körperlichkeit uniher- geschwärmt und alles Mögliche und Unmögliche erlebt habe. Wie heute noch bei allen Völkern auf relativ niedriger Kulturstufe, so war auch ehe- mals bei unseren Vorfahren als eine logische Weiterentwicklung dieses Gedankens der unum- stößliche Glaubenssatz allgemein verbreitet, daß der Traum das natürliche Verbindungsmittel mit der übersinnlichen Welt sei und daß die im Traume im Jenseits wandelnde Seele beim Verkehr mit verstorbenen Menschen und Göttern von ihnen Ratschläge und Winke für die Zukunft in einer Art Bildersprache erhalte. Um diese Traumbilder zu deuten hielten sich die mächtigen Könige des Altertums besondere Gelehrte, die Traumdeuter, die den in den Träumen kundgegebenen Willen der Gottheit deuten mußten, und ob ihrer wich- tigen Stellung am Hofe sehr geehrt waren. Er- langten doch Josef und Daniel beispielsweise nur als Traumdeuter ihren großen Einfluß. Bei den meisten Naturvölkern übernimmt der sogenannte Medizinmann oder Schamane gegen Bezahlung den .'\uftrag, sich durch erprobte Mittel in Traumzustände zu versetzen und dann die Götter oder Vorfahren über das Schicksal einer Person zu befragen. Diese Traum- oder Totenorakel be- standen noch bei Griechen und Römern. Die peruanischen Priester bedienten sich einer scharf narkotischen Nachtschattenart, der Datura san- guinea, um Götter- und Ahnenerscheinungen zu haben. In Assyrien befand sich auf der Plattform der Stufenpyramiden das Gemach, in welchem die babylonische Sybille den nächtlichen Besuch des Orakelgottes empfing, und das Amt Daniels bei dem assyrischen Könige Nebukadnezar finden wir schon im altbabylonischen Heldengedicht von Izdubar, dem sein Traumausleger Eabani als steter Begleiter zur Seite steht. Die Ägypter übten zu solchen Zwecken die Hypnotisierung durch Anschauen glänzender Gegen- stände. Bei den Griechen und Römern fanden Traumorakel, außer an den Stätten der Toten- orakel, in den Tempeln des Heilgottes Aesculap statt. Hier streckten sich die Kranken oder an ihrer Stelle manchmal auch die Priester des Gottes auf den Fellen frisch geopferter Widder nieder, schliefen ein und erwarteten im Traume von dem Heilgotte zu erfahren, mit welchen Mitteln sie sollten behandelt werden um Heilung zu finden. Aus der Art ihres Traumes wurde dann das ein- zuschlagende Heilverfahren, wenn es nicht deutlich zu erkennen war, von den Priestern gedeutet. Für die Kreise des Volkes dienten früh schon Traumbücher, die Aufzeichnungen über die an- gebliche Bedeutung der einzelnen Träume ent- hielten. Das älteste derselben hat man bruch- stückweise auf gebrannten Ziegelsteinen in der Bibliothek des alten Ninive gefunden. Im klassischen Altertum genoß dann des höchsten Ansehens da ausführliche und von relativ vernünftigen Grund- sätzen ausgehende Traumbuch des Artemidoros, welches bald nach Erfindung der Bruchdrucker- kunst auch in lateinischer und deutscher Über- setzung erschien. Gerade das Studium der Hypnose, die mit dem Schlafe so nahe verwandt ist, ist geeignet über die merkwürdigsten und geheimsten Vorgänge des Seelenlebens uns die wertvollsten Aufschlüsse zu geben. Wenn auch der Hypnotisierte, wie der Schläfer, sich alles dessen, was er in der Hypnose gehört, gesprochen, getan und erlebt hat, nicht mehr erinnert, so erinnert er sich oftmals dessen in der nächsten Hypnose und zwar auch dann noch, wenn zwischen der ersten und zweiten Hy- pnose Jahre verflossen sind. Dr. Albert Moll gibt in seinem Buche „Der Hypnotismus" an, daß selbst nach 13 Jahren in der Hypnose die Erinnerung an das in einer früheren Hypnose Erlebte mög- lich sei. Bei dem Versuche, diese interessante Erschei- nung zu erklären, stößt man auf analoge Zustände beim spontanen Somnambulismus, wo im schlaf- ähnlichen Zustand ungewöhnliche, wenn auch nicht, wie manche gerne glauben möchten, übernatürliche körperliche und geistige Handlungen ausgeführt, auch Dinge und Ereignisse wahrgenommen werden, die mittels wacher, gesunder Sinne nicht wahr- genommen werden. Es ist dies das sogenannte Hellsehen, das schon vielfach von Ärzten be- obachtet und studiert wurde. Am bekanntesten ist hier die von dem Arzt und Dichter Justinus Kerner in Weinsberg geschriebene Geschichte der ,, Seherin von Prevorst", die in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts viel Staub aufwarf. Ist auch der Somnambulismus Gegenstand vieler absichtlicher und unabsichtlicher Täuschungen ge- wesen, bei dem hysterische und geisteskranke Per- sonen eine oft bedenkliche Rolle gespielt haben, so kann doch in manchen reellen Eällen aus ihm und den Erscheinungen des sogenannten Doppel- ichs, wo die Persönlichkeit in zwei verschiedene Persönlichkeiten gespalten wird, manches Wichtige für psychologische und psychiatrische Forschungen geschlossen werden. 8o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 51 Leider müssen wir es uns aus Mangel an Raum versagen, auf diese höchst interessanten Gebiete, über die in letzter Zeit viel geforscht wurde, näher einzutreten, da es uns zu weit von dem vorgenommenen Thema abseits führen würde. Kehren wir nunmehr zum eigentlichen Schlafe zurück und überlegen wir uns, worauf eigentlich der Schlaf, also der gesunde, normale Schlaf zurückzuführen ist. Von all den zahlreichen Er- klärungsversuchen, die hier zutage gefördert wur- den, sind nur zwei erwähnenswert. Die eine, und zwar die ältere, gab der Jenaer Prof. W. P r e y e r, der das Eintreten des Schlafes durch eine An- häufung von Ermüdungsstoffen im Gehirn erklärte, die in um so größerer Menge dort und im Körper überhaupt entstehen, je intensiver die Sinnestätig- keit und je größer die vorausgegangene körper- liche Anstrengung war. Diese Erzeugnisse der Gehirn- und Muskeltätigkeit erscheinen leicht säurebildend und reißen bei genügendem Vor- handensein im Gehirn, sobald Reize fehlen, den Sauerstoff des Blutes an sich, um sich selbst da- mit zu oxydieren, also zu verbrennen, was wäh- rend der Ruhe und zumeist im tiefen Schlafe ge- schieht. Ist die Oxydation und damit die Besei- tigung der Ermüdungsstoffe weit fortgeschritten, so genügen schon schwache Reize, den Sauerstoff des Blutes der Ganglienzelle, dem eigentlichen Organ der Psyche , wieder zuzuwenden , weil er nichts mehr zu oxydieren vorfindet. Häufen sich jene Stoffe wäiirend des Wachseins wieder an, so nimmt die Erregbarkeit des Gehirns ab, die Be- wußtseinsschwelle steigt, es wird immer schwerer die Aufmerksamkeit anzuspannen, es tritt Ermüdung und Schlaf ein, wenn nicht starke Reize den Sauerstoff verhindern, die Ermüdungsstoffe zu ver- brennen, indem sie ihn selbst benötigen. Denn im wachen Zustande ist es eben dieser Sauerstoff, welcher für die Imganghaltung der geistigen Vor- gänge sowohl wie der willkürlichen Muskel- bewegungen verbraucht wird. An die Anwesen- heit von Sauerstoff ist alles Leben gebunden; ohne Sauerstoff kein Leben , keine organische Tätigkeit. Diese früher fast allgemein angenommene Hypothese, die heute nur noch wenig Anhänger zählt, hat einer neueren und, wie wir gleichzeitig auch sagen können, besseren Erklärung weichen müssen, welche im Anschluß an die moderne Lehre von den Neuronen ausgebildet wurde. Zuerst wurde sie von Johann E. Purkinje formuliert und später von Mathias Duval, Professor der Gewebelehre an der Faculte de medecine in Paris, nach den Resul- taten der neuesten Gehirnforschung modifiziert. Sie nimmt an, daß die Verbindung der letzten Nervenverzweigungen im Gehirn teilweise unter- brochen wird, indem die sogenannten Endbäum- chen ihre Fäserchen, die beweglich sind und nach Belieben ausgestreckt und eingezogen werden können, zurückziehen. Diese Leitungsunterbrechung erstreckt sich beim Schlafe nur auf gewisse Hirn- teile; denn andere — man denke nur an das Atemzentrum im verlängerten Mark — arbeiten ununterbrochen weiter. Auch in den Großhirn- hälften scheint die Unterbrechung immer nur eine teilweise zu sein, wenigstens bei den Personen, die keinen traumlosen Schlaf haben. Wie im Wachen alle Nervenketten verbunden sind, durch die vorausgegangenen Erfahrungen des ganzen Lebens geordnet und richtig funktionierend, so sind beim Träumenden nur ein Teil der Ketten verbunden. Die Vorstellungsreihen des Träumen- den sind deshalb weit bildsamer als die des Wachenden ; sie lassen sich leicht zu neuen Ketten zusammenfügen, deren Bildung beim Wachenden durch vorgebildete feste Ketten verhindert wird. Ähnlich verhält sich der Hypnotisierte. Deshalb ist er suggestibel, kann man ihm alles Mögliche einreden und er wird es kritiklos glauben. Es bilden sich bei ihm leicht neue Vorstellungsketten, weil die alten gelockert sind. Gleicherweise lassen sich krankhafte Autosuggestionen überwinden. Durch diese letztere Hypothese finden wir auch eine glaubhafte Erklärung für die Wirkung des künstlichen Schlafes durch Schlafmittel ; ebenso erklärt sie uns ganz befriedigend die so auffallende Erscheinung des plötzlichen Auftretens und Ver- schwindens von motorischen und sensiblen Läh- mungen bei Hysterischen. Doch bleibt hier der Forschung noch ein unendlich großes Feld offen, um die dunkeln Gebiete des Seelenlebens unserer Erkenntnis näher zu bringen. Kleinere Mitteilungen. Bewegungen an Zellen während der Tei- lung. — Die meisten Metazoen teilen sich auf mitotischem Wege, d. h. durch Ausbildung eines komplizierten Spindelapparates, der eine fibrilläre Dlffenzierung annimmt und durch dessen Bewegun- gen und Verkürzungen die in besonderer Weise angeordneten, färbbaren Kernsubstanzen (Chromo- somen) im Sinne der beiden Tochterzellen nach zwei entgegengesetzten Seiten transportiert werden. Die Spitzen dieser Spindelfigur krönen mehr oder we- niger deutlich entwickelte, selbst wiederum kompli- ziert differenzierte Gebilde — die Centrosomen, die eigentlich Schwesterkerne des großen Kernes sind, die bei der Erbschaft nur mit anderen Gütern bedacht wurden. Den Centrosomen wird bei der Zellteilung im allgemeinen eine aktive Rolle zu- geschrieben. Nach zahlreichen, neueren cytologischen Unter- suchungen bleibt nach vollzogener Zellteilung das Centrosoma oder Zentralkörperchen nicht in seiner ursprünglichen Lage liegen , sondern ver- läßt die Achsenrichtung der Teilungsfigur und führt zuerst um den Kern meist eine Bewegung um 90" herum aus. Derartige Bewegungen kann man N. I'. ni. Nr. --,1 Nalurwisseiischaftliche Wochenschrift. 809 während des Lebens an den pigmenthaltigen Epithelzellen der jungen Salanianderlarve (Textfig.) beobachten. Von den Zentralkörpern laufen näm- lich sogen. Strahlen nach allen Richtungen aus, die nach bestimmten physikalischen Gesetzen, die besonders R h u m b 1 e r genau studiert hat , das schwarze, bewegliche Pigment gegen den Äquator der Zelle treiben, so daß an den Polen pigment- freie, helle Stellen entstehen, in denen eben die Zentralkörper mit ihren Sphären ruhen. Durch die nach der eigentlichen Teilung im Äquator sich ausbildende Trennungsfurche werden auch die Pigmentmassen geteilt und in entsprechender Weise auf die beiden so entstandenen Tochter- zellen verteilt (um 5 Uhr 39 Min.). Nach diesem Prozeß bemerkt man , daß plötzlich die hellen Sphären um 90" um den Kern zu wandern beginnen, denn sie erscheinen jetzt über dem Kern und das Pigment nimmt ihren früheren Platz ein (um 6 Uhr der Beobachtung, x ^ Pig- ment. — Früherer Ort des Centrosoms). Schließlich nehmen in den Epithelzellen die Centrosomen eine oberflächliche Lagerung ein; auf diese haben Zimmermann, Cohn und Ballowitz bereits hingewiesen. Der letztere Autor nimmt auch an , daß sie imstande sind, äußere Reizeinflüsse zu perzipieren und auf das Zellprotoplasma zu übertragen, — sie sind gleich- sam sensitive , zentrale Primitivorgane der Zelle, eine Vorstellung, die der \'on K. C. Schneider nahe kommt, der die Zentralkörner für Positions- reize empfindlich sein läßt, wodurch ihre Ein- stellung in der Zelle bedingt wird ; nach ihm löst sich der ganze Entwicklungsgang des Organismus in Arbeitsleistungen dieser sensiblen Zentren auf. — Für das Differenzierungsproblem ist die Tat- sache wichtig, daß alle Centrosomen des Organis- mus von dem Spermacentrosom , das auch redu- ziert wurde, abstammen, nur daß sie im Laufe der Entwicklung gleichsam heterodynam wurden, — sie werden nicht in allen Zellen gleichzeitig tätig, Vorgänge, die bei den Blepharoplasten der Protozoenzelle eine Analogie finden, nur daß sich hier alles dies innerhalb einer Zelle abspielt und zu anderen Dift'erenzierungen den Anstoß gibt (Trypanosomen, Herpetomonaden). Auf postmitotische Wanderungen der Centro- somen und ihrer Sphären haben in den Embryonal- zellen Jennings, Conklin, zur Strassen (Ascaris) hingewiesen. Aber auch die Kerne beteiligen sich an einer solchen Rotation, wie man sehr gut bei der Sper- matogenese des Flußkrebses und der Weinberg- schnecke beobachten kann. Strassen kommt zu dem Schluß, daß diejenigen Kerne, die von der Mitose an eine polardifferenzierte Gestalt be- sitzen , an postmitotischen Verschiebungen im gleichen Maße wie die Cytozentren teilnehmen; die eigenartige Centrosomstellung wäre auf eine ererbte Polarität der Zelle (Hatschek, Rabl) zurückzuführen. Freie Zellen (z. B. hlagellaten- zellen, Polytoma) führen aber überhaupt solche Rotationen aus, während Zellen eines Epithel- verbandes durch einen überwiegenden Cj'totropis- mus und die ausgebildeten Intercellularbrücken an solchen Bewegungen wohl gehindert werden. Zum Teil werden sie aber noch ausgeführt, sobald einzelne Zellen z. B. aus einer Seeigelblastula künstlich herausgesprengt wurden und sich her- nach doch unter Umständen aneinanderfügen, da sie ganz bestimmte Bewegungen und Rotationen ausführen. Zum Teil spielt dabei der von R o u x entdeckte Cytotropismus eine Rolle. Alles Mo- mente, die bei der Analyse des Problems der Epithelbildung nicht zu unterschätzen sind. Aus allen diesen Beobachtungen geht aber hervor, daß dem zweiten Kern , dem Centrosom, bei der Formenbildung nicht bloß bei den Protozoen wie Heliozoen, Flagellaten etc., sondern auch bei der Metazoenentwicklung sehr wichtige Aufgaben zufallen. S. Prowazek. Über den Pilz des Taumellolchs hat soeben G. Lindau') eine interessante Beobachtung ver- öffentlicht. Bekanntlich wurde im Jahre 1898 zuerst von Vogl darauf hingewiesen, daß in den Samen von Lolium temulentum sich ein Pilzmycel befindet. Noch in demselben Jahre wies dann Nest 1er nach, daß das Mycel aus dem Samen in die junge Pflanze übergeht und sie durchwächst, bis es wieder im Samen zur Aus- bildung des Hyphenlagers schreitet. Der Pilz ist außerordentlich weit verbreitet und findet sich mit geringen Ausnahmen in jedem Samen vor. In europäischen Samen wurde er überall nach- gewiesen, gleichzeitig konnte auch in anderen Lolium -Arten ein ähnliches Mycel aufgefunden werden. Obwohl es nun wahrscheinlich war, daß auch in orientalischen Samen das Mycel sich finden würde, konnte doch bisher niemand derartige Untersuchungen aus Mangel an Material anstellen. Eine Lücke in unseren Kenntnissen konnte des- halb Lindau durch Untersuchung von Samen des Taumellolchs ausfüllen, die Prof. Seh wein - furth aus Ägypten mitgebracht hatte. Doch nicht bloß rezente, sondern auch altägyptische Samen konnten untersucht werden. Sie stammten aus Gräbern des mittleren Reiches (ca. 2000 v. Chr.), wo die Ahrchen des (jrases zusammen mit Spreu von Emmer (Triticum dicoccum) in großer Menge gefunden wurden, hi beiden Arten von Samen 1) Sitz.-Ber. der k. Preuß. Akad. d. Wiss. Berlin. S. 1033. Hier die Literatur über den Pilz. 1904. JIO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 51 fand sich das Pilzmycel in schönster Ausbildung vor. Damit ist also bewiesen, daß der Pilz auch außerhalb Europas vorkommt und daß er bereits vor etwa 4000 Jahren unter genau denselben äußeren Verhältnissen in Ägypten gelebt hat wie in heutiger Zeit. Die altägyptischen Samen konnten ohne jede Präparation mit dem Rasiermesser geschnitten werden und lieferten Präparate, die Schnitten von von rezenten Samen in nichts nachgaben. Es liegt hier also der bisher einzig dastehende Fall vor, daß ein Pilz von so hohem Alter noch so unmittelbar der Präparation zugänglich ist. Auf Grund dieses Befundes lohnte es sich, auch die übrigen altägyptischen Gräberfunde einmal auf Pilze zu untersuchen ; vielleicht lassen sich da noch manche interessante Funde machen. G. Lindau. Lehmgerölle.') — Herr Lehrer Gust. Schaafif im Schmalfelderhof in der bayerischen Pfalz sandte mir im Juli 1903 ,,Lehmkugcln", die er „öfters aufwiesen in großer Zahl vor den Erdlöchern" gefunden hatte. Unsere Fig. i gibt dieselben in natürlicher Größe wie- der. Daß es sich in den in Rede stehenden Gebilden •■"«>. sich in diesem Falle um Putzwolle, jedenfalls um ein P'adengewirr irgend eines künstlichen Stoffes, dessen einzelne Fäden wie Perlen mit Kugeln aus Braunkohlenpulver besetzt sind. An einzelnen Fäden (Fig. 2 a u. b) konnte man beobachten, daß sie von der braunkohligen Masse so umgeben waren ivv xr Fig. 2. Fig. I. um „eine mechanische Naturbildung" handle, hielt der Genannte für ausgeschlossen „schon wegen der kartoffelähnlichen Form". Diese Form ent- spricht aber durchaus dem, was wir von Gerollen her kennen, die durch bewegtes Wasser anein- ander gerieben schließlich die Kieselsteinform an- nehmen. Bemerkenswert war für mich an den Lehmkörpern, die, in Wasser getan, leicht zergehen und zerfallen, nur das Vorhandensein von Malen, punktförmigen oder etwas anders gestalteten Ein- drücken, die in 2- oder 3-Zahl in regelloser Ver- teilung oder zwei derselben ungefähr wie Pole einer Kugel gegenüber gelegen stets deutlich markiert waren. Die Körper in Fig. i zeigen diese Male (Marken) in auffälliger Weise. Diese Körper brachten mir ein Pseudofossil in Erinnerung, das der Kgl. Geologischen Landes- anstalt in Berlin zugegangen war, Fig. 2, und dessen Erklärung keine Schwierigkeit bereitete. Es handelt wie etwa ein Lichtdocht von Stearin. Das Fadengewirr hat offenbar in stark durch Braunkohlenpulver getrübtem Wasser oder Schlamm von solchem Pul- ver gelegen, so daß sich Partikel des Pulver an die Pfaden ansetzten. Bei Bewegung brachen dann die lichtartigen Bekleidungen durch und bei weiterer Bewegung wurden die einzelnen Stücke aneinander- gerieben und wie Geschiebe (Kiesel u. dergl.) ab- gerollt, wodurch die Perlenketten zustande kommen. Dieselbe Erscheinung spielt sich an den Schwänzen von Kühen ab, die in schmutzigen Ställen gehalten, den Schwanz durch die halbflüssigen Exkremente hin- und herbewegen, wodurch die Schwanzquaste stark besudelt wird und schließlich mehr oder minder große Klunkern trägt: Fig. 3. Die Male an den in Fig. I abgebildeten Lelim- körpern deuten offenbar die Ein- und Austrittsstellen von Wurzeln an, die wohl ähnlich wie die Putz- wollefäden in dem Fall Fig. 2 gewirkt haben. Übrigens gibt es auch Gerolle aus Lehm. Herr Prof. C. Schröter, dem ich die von Herrn Prof. O. Kirchner in Hohenheim angefertigte Photo- graphie verdanke, die in Autotypie in unserer Fig. 4 wiedergegeben ist, schildert das Entstehen dieser Lehmgerölle in der folgenden Weise : ') Als er im Oktober 1894 das Nordwestufer des „Rohrspitz" am Bodensee beging, „wütete gerade ') Obiges ist die Beantwortung einer Frage aus dem Leserkreise. ') Schröter und Kirchner, Die Vegetation des Bodensees. Teil. Lindau i. B. 1902, p. 35. N. F. m. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 811 ein starker VVeststurm, der mächtig die Wellen gegen das Land trieb. Brüllend stürzten sich die gischtgekrönten Wogen unter die unterhöhlten Lehmterrassen, der Boden zitterte von ihrem An- sturm und sie rissen große Lehmblöcke aus der Böschung heraus". — Diese Blöcke gaben Ver- anlassung zu den Lehmgeröllen, Fig. 4. „Sie werden durch den Wellenschlag gerollt, kleinere rings umher, so daß sie kugelige und ellipsoidische Ge- stalt annehmen: größere erhalten durch das Zer- schellen der Wogen auf ihrem Haupt eine ge- rundete Oberfläche. Ihr Zusammenhalt wird ver- stärkt durch das sie durchziehende Wurzelgeflecht des Schilfs, dessen F'asern anfänglich herausragen, bald aber abgenagt werden". 4. 0.20"" heller Sand; 3. 0.50™ brauner, gebänderter, sandiger Lehm; 2. 0.70™ heller Sand, darin Lehmbänder mit kleinen Geschieben ; I. 0.40™ grober Sand mit einzelnen größeren Geschieben. In der untersten, ältesten Schicht i nun „lagen zu Hunderten Lehmgerölle der verschiedensten Größe und Gestalt . . . Alle bestehen aus dem gelben Lehm, wie er die Bänder der Schicht 2 zusammensetzt, und sind umkrustet von einer dünnen Sandschicht". „Die Bildung dieser Lehmgerölle erklärt sich ungezwungen — sagt Kissling — durch die An- nahme eines Wasserlaufes, der Stücke von Lehm- bändern abgerissen, auf dem Transport gerollt und dann deponiert hat, ein Vorgang, der heute noch in gewissen Wildbachgebieten beobachtet werden kann." H. Potonie. / Fig. Fig. 4. ,,Sclicingcröllc" aus Lehm am Westufer des Rohrspitz am Bodensee etc. Ich selbst habe öfters an Ostsee-Steilküsten aus Geschiebe-Mergel, der von der Brandung auf- gearbeitet wurde, schnell vergängliche Scheingerölle beobachtet. Auch fossil oder subfossil ~ wenn man so sagen will — sind Lehmgerölle bekannt. E. Kiss- ling beschreibt solche') in einem Profil, das bei einem Bau auf der Rutti bei Zollikofen bloßgelegt wurde. Das Profil zeigte: 7. 0.20"" „Humus" (wohl Ackerboden, humoser Boden gemeint (P.)); 6. 0.20'" heller Sand; 5. 0.40"" brauner, gebänderter, sandiger Lehm; ') Lehmgerölle in Huvioglazialem Sand (Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft in Bern igoi. Bern 1902, p. 81. Der tägliche Gang des Luftdrucks in Berlin ist auf Grund 20jähriger Registrierbeobachtungen von Prof. ßörnstein untersucht worden (Sitz.- Ber. der Wiener Akad. v. 13. Mai 1904). Die Zahlen der für das Jahr, sowie für die verschiede- nen Monate erhaltenen Tabellen lassen die be- kannten zwei Schwankungen verschiedener Größe erkennen, im Jahresmittel ein Hauptmaximum um 10 Uhr vorm., Hauptminimum um 5 Uhr nachm., zweites Maximum um II Uhr abends, zweites Minimum um 4 Uhr morgens. Mit Eintritt der warmen Jahreszelt entfernen sich die Extreme von der Mittagszeit, um für die kältere Jahreshälfte von beiden Seiten wieder gegen Mittag hinzu- rücken. Die Größe der Tagesschwankung liegt zwischen 0,576 (November) und 0,929 mm (Mai) 8l2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. Si und beträgt im Jahresdurchschnitt 0,6414 mm. — Zur näheren Untersuchung des täglichen Ganges des Luftdrucks wurde der Barometerstand y, der der Tageszeit x entspricht, durch eine Sinusreihe von folgender Form dargestellt: y = 3-1 sin (Aj -f- x) -^ a., sin (A., -j- 2 x) -(- 33 sin (A.5 + 3x) -f a/ sin (A/ + 4x), d. h. es wurde also angenommen, daß der Ver- lauf der Barometerkurve zustande komme durch Übereinanderlagerung einer ganztägigen Schwingung von der Amplitude a^ , die zur Zeit Aj einsetzt und je einer halbtägigen, drittel- und vierteltägigen Schwingung, für welche a., A,,, a.j A,, und a^ A4 die entsprechende Bedeutung haben. Es ergab sich dabei in Übereinstimmung mit älteren, ähn- lichen Arbeiten von Hann, daß die Amplitude a, der ganztägigen Schwankung sehr ähnlich verläuft wie die Lufttemperatur, daß dagegen die halb- tägige Amplitude a^, zweimal im Jahre schwankt und ihre Maxima zur Zeit der Nachtgleichen hat. Interessant ist nun ein Vergleich mit den ent- sprechenden harmonischen Konstituenten der Temperaturkurve. Die Amplituden aj zeigen näm- lich bei Druck und Temperatur ähnlichen Gang, ein Maximum im Sommer und ein Minimum im Winter. Auch die Amplituden a.. haben nahezu gleichzeitig eintretende Extreme, während aber beim Luftdruck a., im Jahresmittel doppelt so groß ist wie a^, ist bei der Temperatur a.j durch- gängig viel kleiner und beträgt im Mittel nur etwa ein Sechstel von a,. Fragt man nach einer Erklärung der beschrie- benen Tatsaciien, so ist gewiß die tägliche Druck- welle als eine Wirkung der täglichen Temperatur- welle aufzufassen. Bei der halbtägigen Weile könnte es wegen der viel höheren Werte von a., beim Luftdruck unwahrscheinlich erscheinen, dal3 die Druckschwankung durch die halbtägige Tem- peraturwelle verursacht ist. Jedoch hat Margules rechnungsmäßig gezeigt, daß die Dauer einer freien atmosphärischen Schwingung mit Berück- sichtigung der Erddrehung und Luftreibung nahezu 12 Stunden beträgt und es erklärt sich daher leicht, daß gerade die halbtägige Druckwelle durch Resonanz erheblich verstärkt auftritt. Auch die Unabhängigkeit von örtlichen Zuständen , welche in der Größe und Eintrittszeit der halbtägigen Druckschwankung festgestellt ist , kann als eine Bestätigung der Auffassung dienen , welche jene Schwankung als eine von der ganzen Atmosphäre ausgeführte und den Erdball regelmäßig um- kreisende Schwingungsbewegung ansieht. F. Kbr. Einen Kreiselversuch zur Messung der Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde hat A. Föppl in München ausgeführt (Sitz.-Ber. d. bair. Akademie der Wiss., 1904 H. ij. Wiewohl derartige Versuche bereits von Foucault und an- deren insceniert worden waren, ließ doch die Genauigkeit dieser älteren Versuche sehr zu wünschen übrig. Durch Benutzung eines trifilar aufgehängten, elektrisch betriebenen Kreisels mit horizontaler Achse, dessen Schwungräder bei 50 cm Durchmesser und je 30 kg Gewicht bis zu 2400 Umdrehungen in der Minute machen konnten, gelang es Föppl jedoch eine Genauigkeit zu er- zielen, welche selbst die des Foucault'schen Pendel- versuchs erheblich übertrifft. Die anfängliche Hoffnung P'öppl's, einen deutlichen Unterschied zwischen der aus genauen Messungen an irdischen Bewegungsvorgängen zu erschließenden Um- dreliungsgeschwindigkeit der Erde und jener gegen- über dem Mxsternhimmel nachweisen zu können, hat sich nicht erfüllt. Bis auf etwa 2 Prozent wenigstens ist durch die Münchener Versuche Übereinstimmung mit den unter Zugrundelegung der astronomischen Umdrehungszeit berechneten AblenkuntTswerten erzielt worden. F. Kbr. Vergleichende Versuche mit Gleich- und Wechselstrom bei 70000 Volt. Die Frage der Kraftübertragung auf große Entfernungen wird mit der zunehmenden Verbreitung elektrischer Be- förderungs- und Beleuchtungsanlagen immer drin- gender, zumal die in der Nähe des Verbrauchsortes verfügbare Kraft mehr und mehr aufgebraucht wird. So ist in der Schweiz die Stadt Zürich zurzeit mit dem Studium eines umfangreichen Projektes beschäftigt, bei dem es sich um die Nutzbarmachung von Wasserkräften handelt, die nicht weniger als 130 Kilometer vom Verbrauchszentrum entfernt sind, während man in Frankreich sogar ernstlich daran denkt, für die Stadt Paris Wasserkräfte in einer P^ntfernung von 400 Kilometern nutzbar zu machen. Wenn man vielfach auf die Ausnutzung ganz enormer Wasserkräfte hat verzicliten müssen (wie z. B. in Ägypten, wo im Nildelta allein für landwirtschaftliche Zwecke 30000 Pferdekräfte be- nutzt werden, die aber nicht entfernt dem wirk- lichen Bedürfnis entsprechen, während man anderer- seits die ungeheuren Kräfte des oberen Nils gänz- lich unbenutzt läßt), so liegt dies nur daran, daß die Elektrotechnik mit den Mitteln, über die sie zurzeit verfügt, noch nicht imstande war, die großen in P'rage kommenden Entfernungen zu überbrücken ; man müßte dazu Ströme von ganz ungeheuren Spannungen anwenden, von Spannungen, die bei Gleichstrom noch nicht dem Versuche unterworfen worden sind, während man sie bei Benutzung von Wechselstrom als zu hoch erkannt hat. Folgende Zahlen mögen einen Begriff von den zur Kraftübertragung auf große Entfernung er- forderlichen Potentialdifferenzen geben : Wenn man einen Kraft verlust von io"/„ auf der Linie und ein Kupfergewicht von 30 Kilogramm pro über- tragene elektrische Pferdekraft annimmt, so muß man bei Gleichstrom eine Anfangsspannung von 4200 Volt pro 10 Kilometer Entfernung anwenden, die sich jedoch bei 100 Kilometer Entfernung auf 42000 und bei looo Kilometer auf 420000 Volt erhöhen würde. Wenn man die Erde zur Rück- leitung oder zur statischen Spannungsbegrenzung benutzt, so kann man allerdings bei gleichei' N. F. m. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 813 Spannung, gleichem Verlust und demselben Kupfer- gevvicht diese Entfernungen auf das Doppelte treiben oder aber bei gleicher Entfernung die Spannung auf die Hälfte reduzieren. Andererseits stellen sich die Entfernungen bei Wechselstrom infolge der in der Leitung auftretenden Sekundär- erscheinungen erheblich kleiner. Aus dem eben Gesagten erhellt die Wichtigkeit von Versuchen, aus denen man das Verhalten von Gleichstrom bei sehr hoher Spannung ersehen könnte: Über 25000 Volt hinaus bestehen keine glaubwürdigen Versuche, so daß die Erwartung nicht ungerechtfertigt erscheint, es könnten bei doppelten oder dreifachen Spannungsdifferenzen Verhältnisse auftreten, mit denen man bisher noch nicht gerechnet hat, so daß man weit früher, als man dies bisher vermutet hat, auf einen kritischen, nicht zu überschreitenden Punkt käme. Aus diesem Grunde nehmen wir mit großem Interesse von den Versuchen Kenntnis, welche die Compagnie de l'Industrie Electrique et Mecanique in Genf in ihren Laboratorien an sehr hoch ge- spanntem Gleichstrom angestellt hat. Es wurden drei Gleichstromdynamos, von denen die eine 20000 und die beiden anderen je 2 5 000\'olt mit Leichtigkeit geben konnten, in Serie geschaltet, so daß sich eine Gleichstromspannung von bis 70000 Volt erzielen ließ. Da jede der drei Dynamos im Maximum i Ampere geben konnte, so verfügte man über eine Energiemenge von 60 — 70 Kilowatt, was für den fraglichen Zweck mehr als aus- reichend war. Man hatte bei den Versuchen besonders das Verhalten der Isolatoren gegenüber Gleichstrom und Wechselstrom im Auge. Da zurzeit zahl- reiche praktische Daten mit Bezug auf Wechsel- strom vorhanden sind, hat es Interesse, einen \'er- gleich zwischen beiden Stromgattungen anzustellen und im einzelnen zu bestimmen, welche Gleich- stromspannung einer gegebenen Wechselstrom- spannung mit Bezug auf die Isolierfähigkeit der Isolatoren entspricht, und welche Übertragungs- entfernungen bei beiden Systemen dieselbe .Sicher- heit gewähren und dieselben \'erluste mit sich bringen. Da der vom Genfer städtischen Elektrizitäts- werkgelieferte Wechselstrom infolge des \'erhaltens seiner Potentialkurve, sowie wegen des wechseln- den Betriebes zahlreicher sjnchroner und asyn- chroner Motoren sehr veränderliche Werte ergab, so mußte man eine besondere Wechselstrom([uelle benutzen, und verwandte zu diesem Zwecke eine Maschine von 75 Kilowatt mit rotierendem Anker; der feststehende Induktor besaß 6 Pole und die Geschwindigkeit des Ankers wurde regelmäßig auf 1000 Umdrehungen erhalten, was eine Frequenz von 50 Perioden pro Sekunde ergibt. Der Anker war ein glatter Trommelanker mit 12 Halbspulen, die einfach mit Hilfe von Neusilberbändern an die Außenfläche angelegt waren. Die Induktorpole umfaßten -j.^ des Umfanges, während die Anker- spulen etwas weniger als die Hälfte des Ankcr^ umfanges einnahmen. In Figur I ist die Kurve der elektromotorischen Kräfte des Generators aufgetragen; wie man sieht, ist diese Kurve stark abgeplattet, so daß die maximale e. m. K. nicht }2 mal soviel wie die wirksame e. m. K. (was einem sinusförmigen \'er- laufe entsprechen würde), sondern nur 1,255 dieses Wertes ausmacht. Infolge dieser eigentümlichen Form der Kurve sind die Isolationsverhältnisse bei dem benutzten Wechselstrom ganz besonders günstig; da die Schlagweiten auf ein Minimum reduziert werden, können die Isolatoren den hohen Spannungen einen weit besseren Widerstand leisten, als dies bei gewöhnlichem in der Praxis benutzten :s: X 5 ^ ^ -y t Wechselstrom der Fall ist. Dies wurde durch be- sondere Versuche bestätigt, indem man in den Stromkreis eine Kapazität einbrachte, wodurch die Kurve eine Deformation erfuhr; dann wurden die Schlagweiten ganz außerordentlich höher. Andererseits lagen bei dem zu den Versuchen benutzten Gleichstrom die Verhältnisse insofern ungünstig, als infolge der Anordnung der Anker- spulen in den Rinnen eines Paccinotti'schen Ringes die Selbstinduktion erhöht und Stromschwingungen erzeugt wurden ; außerdem ist zu bedenken, daß die Kollektoren aus 96 Sektoren bestanden. Wenn auch die Rolle der auf diese Weise entstehenden Stromschwingungen nicht sehr erheblich sein konnte, so stellen sie doch einen gewissen Nachteil dar, während die Verhältnisse beim Wechselstrom weit günstiger als in der Praxis waren. Trotzdem sprechen die Ergebnisse der Versuche ganz ent- schieden zugunsten von Gleichstrom. Alle Isolatoren halaen ohne Ausnahme bei Gleichstrom weit höhere Spannungen als bei Wechselstrom ausgehalten. Dasselbe gilt von den isolierenden Substanzen, die man Durchschlagsversuchen unter- zog. Außerdem war bei den der Einwirkung von Gleichstrom ausgesetzten Isolatoren niemals ein erheblicher Wärmeefifekt zu beobachten, ganz im Gegensatz zu ihren X'erhalten bei Wechselstrom; hieran ist wohl das Nichtvorhandensein von Kapa- zitätswirkungen bei Gleichstrom Schuld. Isolatoren, die man mit Wechselstrom durchschlagen hatte, $14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 51 konnten im Laboratorium noch recht bedeutenden Gleichstromspannungen Widerstand leisten, während bei Regenwetter die Grenzspannungen begreif- licherweise um etwa die Hälfte vermindert wurden. Bei Gleichstrom tritt mit der Annäherung an die Grenzspannung, die der Isolator aushalten kann, kein erhebliches prasselndes Geräusch auf, wie dies bei Wechselstrom der Fall ist. Ebenso tritt erst in der nächsten Nähe der Entladungsweite ein Glimmlicht auf. Zwischen 50 cm voneinander entfernten Drähten sieht man selbst bei 60000 Volt Gleichstromspannung keine Leuchterscheinung. Scharfe Spitzen hingegen zeigen ein leichtes Glimm- büschel, welches dem Funken vorausgeht; diese Erscheinungen zwischen Spitzen sind jedoch so unregelmäßig, daß sie sich nicht genau mit dem Experiment verfolgen ließen. Einfache Isolatoren, wie man sie für Telegraphen- zwecke anwendet, und auch solche, die man seit Jahren schon bei gewissen Kraftübertragungen auf mäßige Entfernung benutzt, ließen sich selbst bei 65 OOo\'olt Gleichstromspannung nicht durchbohren. Das Porzellan muß nur recht gut verglast und homogen sein, während es auf die Dicke wenig ankommt. Glas ist mit Gleichstrom sehr schwer zu durchbohren; gewöhnliches weißes Glas von 0,3 Millimeter leistet bei 25000 Volt noch gut Widerstand und wird erst dann durchschlagen, wenn man die Entladung durch Einschaltung eines Kondensators zum Oscillieren bringt. Eine Scheibe Fensterglas hält 50000 und wohl noch mehr \'olt Gleichstromspannung aus. Die \'ersuche bestätigen also vollauf das, was nach den Kraftübertragungsversuchen zwischen St. Maurice und Lausanne (60 Kilometer, 5000 Pferde- kräfte, 22 000 Volt Gleichstrom) zu erwarten war. Dort hatte man nämlich selbst bei Nebel nur ganz geringfügige Verluste durch Isolationsfehler bei der Spannung von 22 000 \'olt (0,02 Watt pro Isolator) beobachtet, so daß eine ganz bedeutende Erhöhung der Spannung vorauszusehen war, bevor diese Ver- luste sich in nennenswerter Weise fühlbar machen würden. Es scheint also festzustehen, daß die Grenzspannung, die man mit den zurzeit verfüg- baren Mitteln nicht überschreiten darf, weit hinter 70000 \^olt zwischen Leitung und Erde bei Gleich- strom liegt. Wenn die Isolatoren im Laboratorium unter- sucht werden, wo sie gegen Wind und Wetter geschützt waren, konnte man die Grenzspannung im Durchschnitt 1,65 mal weiter treiben, als im PVeien nach 24 stündigem, feinen Regen. Es empfiehlt sich daher, die modernen, weitausge- bauchten Mehrfachglocken-Isolatoren zu benutzen, bei denen selbst dann, wenn sie ganz durchnäßt sind, kein erheblicher Isolationsfehler eintritt. Man kann demnach in industriellem Maßstabe und auf durchaus ökonomische Weise mit Gleich- strom mehr als 2 mal so große Entfernungen über- brücken, als dies bisher nur noch notdürftig mit Drehstrom der Fall gewesen ist; es ließen sich daher schon jetzt 335 Kilometer mit nur 10 «/(, Verlust und 30 Kilogramm Kupfergewicht für jede übertragene Pferdekraft überwinden, während bei 1000 Kilometern dasselbe Kupfergewicht und etwas weniger als j,o'% \'erlust in Rechnung zu ziehen wäre. Um die Bedeutung der eben beschriebenen Versuche begreiflich zu maclien, möge nur er- wähnt werden, daß die kleine Schweiz jährlich mehr als 14 Millionen Francs an das Ausland für die für ihre Lokomotiven notwendige Kohle zahlt, während sie bei Verwendung von elektrischer Kraftübertragung diese ganze Summe und noch weit höhere Beträge sparen könnte. A. Gradenwitz. Wetter-Monatsübersicht. Das trockene, sonnige Wetter dieses Sommers gab auch dem August in ganz Deutschland sein Gepräge , wenngleich viel weniger deutlich als dem vorausgegangenen Juli. In den ersten Augusttagen steigerte sich die Hitze nochmals in unge- wöhnlich hohem Grade. Wie aus der beistehenden Zeichnung ersichtlich ist, wurden am 5. im größten Teile des Binnen- UmperafurjViaxima eingcpOrf^im ^UÄnSfl90^ ^6. 3t. v.--^ BEflinErWzIftrburBau, Uindcs 30" C überschritten , Magdeburg und Cöthen sowie Brauweiler bei Cöln brachten es bis auf 36" C. Dann trat überall eine merkliche .Abkühlung ein, die bis gegen Mitte des Monats anliielt. Um den 15. erhob sich die Tem- peratur wiederum an vielen Orten auf 30" C oder darüber. In der zweiten Hälfte des August aber, namentlich zwischen dem 20. und 26., war es oft schon empfindlich kühl ; während der Nächte ging das Thermometer vielfach auf 6° herab, und am 25. stieg es in München auch am Tage nur bis auf 11" C. Die mittleren Temperaturen des Monats waren in Nord- west- und Süddcutschland um etwa einen Grad zu niedrig, während nordöstlich der Elbe die normalen .Augusttempera- turen ungefähr erreicht wurden. Doch an den meisten Orten gab es mehr Sonnenschein als gewöhnlich ; in Berlin z. B. betrug die Dauer der Sonnenstrahlung 276 Stunden, dagegen nur 228 Stunden im Mittel der letzten 12 .Augustmonate. Die Niederschläge blieben, der nachstehenden Zeichnung zufolge , während der ersten fünf Tage des August im größten Teile Norddeutschlands völlig aus und waren auch in Süddeutschland wenig ergiebig. Infolge der anhal- N. F. m. Nr. ;i Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 815 tenden Dürre trat bei Weizen und Hafer vorzeitige Reife ein, der Futtermangi?l nahm zu, und ebenso erlitt der Schiff- lahrtsvcrkehr immer größere Störungen, da z. B. die Oder bei Breslau den niedrigsten, bisher überhaupt beobach- teten Wasserstand erreichte. I">st vom 6. bis 8. August gingin weit verbreitete Gewitterregen hernieder, die am Nachmittag des 5. an einzelnen Orten Schleswig-Holsteins sowie in Lüdenscheid von schweren Hagelschlägen ein- geleitet wurden. Dann wiederholten sich die Gewitter an der Küste bei starken, oftmals stürmischen Westwinden bis zum 21. sehr häufig, so daß der Erdboden dort nach und nach genügend durchfeuchtet wurde, wogegen im gröfsten Teile des Binnenlandes, namentlich in Süd- und Mittel- deutschland, die trockene Witterung bald wiederkehrte. Am 22. August stellten sich endlicli in Sclilcsirn und f^ ' ^iltleperWerffür Deufschiand. ^onalssumme m Augusl J9m.03. 02.01. 00.1839. 20 nun 60 t.bisS.Augusf 1 ""1 10 — 00 — äo- M — 70- 60- 50- -- - - - ■ jmaL . 1 II.U 1 LI IL! 1 1 ■ 1 6.bis2l.AugusF. ~ " - wm 1 ll.1^ 1 f i lllllll 1 1 JllHid IhhH. FnDt 4(1 20 2G ZZ.bisZe.Au^sh ■ 1 1 ■ 1 1 ■ 1 ■. - ■ H Imii 1 ■ _■ 1 j r 27.bis31.August. ■ .■_■' 'J II. ■ 1 IL- _ Ber inerWelfe rbu auj Süddeutschland starke Regengüsse ein , die bis zum 26. an- hielten ; am 24. wurden zu Breslau 31 , am folgenden Tage zu Metz 37 Millimeter Regen gemessen. In den letzten fünf Tagen des Monats herrschte abermals trockenes Wetter vor. Während des ganzen August betrug die Niederschlags- höhe für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen nicht mehr als 4^,9 Millimeter; seit Beginn des vorigen Jahrzehntes hat nur der August 1899 noch weniger Regen geliefert. Am Anfang des Monats wurde der größte Teil des euro- päischen Festlandes von einem Hochdruckgebiet eingenommen, während Minima von mäßiger Tiefe auf dem atlantischen Ozean und dem Nordpolarmecre lagen. Allmählich schritt das atlantische Minimum in nordöstlicher Richtung vorwärts, wobei die bisherige, außerordentlich trockene Ostströmung in etwas feuchtere Südwest- und Westwinde überging, die dann in ganz Deutschland bis Ende August vorherrschten. Dem ersten Minimum folgten nämlich weitere vom atlantischen Ozean nach. Fast gleichzeitig mit jedem Minimum drang aber vom biscayischen Meer oder der iberischen Halbinsel ein neues Maximum vor, so daß die Depressionen ihr Gebiet meist nur auf die britischen Inseln und Skandinavien oder die Umgebung der Nordsee und Ostsee ausdehnen konnten, ehe sie in Rußland einrückten. Nur vom 21. bis 23. August wurden auch Mittel- und Südeuropa von ausgedehnteren De- pressionsgebieten durchzogen, die in Österreich-Ungarn, der Schweiz und Italien sowie in einzelnen Gegenden Süd- deutschlands starke Wolkenbrüche herbeiführten. Dr. E. Leß. Bücherbesprechungen. F. V. Bellingshausen's Forschungsfahrten im südliciien Eismeer 1819 — 1821. Auf Grund des russischen Originalwerks herausgegeben vom Verein ftir Erdkunde zu Dresden. Leipzig, S. Hirzel, 1902. — Preis geb. 5 Mk. Bellingshausen's Werk lag bisher nur im russischen Originalte.xt vor und war deswegen für die Mehrzahl der Interessenten unverständlich. Auf Veranlassung des Vereins für Erdkunde zu Dresden hat sich Pro- fessor Graveliiis der äußerst dankenswerten Aufgabe unterzogen, das wichtige Reisewerk ins Deutsche zu übertragen und dabei eine wohl recht notwendige Kürzung des Originals vorzunehmen. Uellingshausen verließ bekannthch Kronstadt im Juli 1819 mit den Schiffen „Wostok" und „Mirnyj". Er suchte im ersten Sommer die Meere östlich von der Südspitze Südamerikas auf, umfuhr Südgeorgien an der Südseite und entdeckte nördlich von den be- reits Cook bekannten Süd-Sandwich-Inseln drei neue Eilande, die Traversey-Inseln, deren eine, Sawodowskij, einen tätigen Vulkan trägt. Am 21. Januar 1820 wurde 69" 25' s. Br. auf i^ii'w. L. erreicht, nahezu dieselbe Breite (69" 6' s. Br.) am 6. Februar auf 15" 51' ö. L. Nun wandte sich Bellingshausen der Eis- kante folgend nach Osten und lief Ende Mäiz 1820 Port Jackson (Sydney) an. Den Südwinter 1820 füllte ein Besuch von Neu- seeland, den Paumotu- und Gesellschaftsinseln aus, wobei eine Reihe von bisher unbekannten Inseln ent- deckt wurde. Ende Oktober 1820 ging Bellingshausen von Port Jackson wieder nach Süden in See. Nach einer kurzen Landung auf der Macquarie-Insel wurde bei 62" 18' s. Br. und 164" 13' ö. L. die Eiskante erreicht und bei der weiteren Fortsetzung der Reise nicht weniger als viermal der Polarkreis gekreuzt. Das wichtigste Ergebnis dieser zweiten antarktischen Fahrt war die Entdeckung der Insel Peters I. unter 68'^ 57' s. Br., 90^46' w. L., und des Kaiser Alexander- Lan- des, das wahrscheinlich schon dem südpolaren Kon- tinente angehört. Darauf wurden die kurz zuvor ent- deckten Südshetlands- Inseln besucht und aufgenommen. Im Juni 1821 kehrte Bellingshausen nach Kronstadt zurück. Sein Reisewerk ist auch heute noch deswegen für die Südpolar- Forschung von größter Wichtigkeit, weil es für viele der von ihm entdeckten Inseln bisher die einzige Quelle geblieben ist. Dr. E. Philippi. Prof Dr. A. Winkelmann, Handbuch der Phy- sik. 2. Aufl. VL Band, i. Hälfte. Optik L Mit 170 Abb. 432 Seiten. Leipzig 1904, J. A. Barth. — Preis 14 Mk. Der vorliegende Teil des großen Handbuchs der Physik stammt fast vollständig aus der Feder von S. Czapski , dem derzeitigen Leiter der Zeiß-Werk- stätten in Jena, und behandelt in meisterhafter Weise die geometrische Optik und die Theorie der opti- schen Instrumente nach den von E. Abbe an der Jenaer Universität gehaltenen Vorlesungen. Da Abbe 8i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 51 selbst eine zusammenfassende Darstellung seiner epoche- machenden , von ganz neuen , allgemeinen Gesichts- punkten (lediglich Annahme der collinearen Verwandt- schaft von Objekt- und Bildraum) ausgehenden Theorie der optischen Abljildung noch nicht gegeben hat, so ist die Czapski'sche Bearbeitung das wichtigste Quellen- werk für das Studium dieser Arbeiten. Außer Czapski haben sich noch M. v. Rohr und O. Eppenstein an der Ausarbeitung des vorliegenden Halbbandes be- teiligt. Von ersterem sind die Kapitel über das Sehen, das photographische Objektiv und die Brillen verfaßt , während Eppenstein die Kapitel über die Blende, über vergrößernde Projektionssysteme und Beleuchtungssysteme bearbeitet hat. Die Literatur ist durchweg mit wohl lückenloser Vollständigkeit angegeben und die Darstellung bleibt selbst bei der Behandlung schwieriger Materien von wohltuender Klarheit. So sind wir überzeugt , daß das Studium der Optik mit Hilfe dieses Werkes für jeden ernst- haft Arbeitenden höchst genußreich sein wird. F. Kbr. H. Poincarö, La theorie de Maxwell et les oscillations Hertziennes. La Telegra- phie Sans fil. Nr. 23 der Sammlung „Scientia". Paris 1904, C. Naud. 110 p. — Prix 2 frcs. Mit Meisterschaft setzt der berühmte Pariser Theoretiker im vorliegenden Büchlein die Grundlagen der Maxwell'schen Theorie, der Hertz'schen Schwing- ungen und der drahtlosen Telegraphie in einer durch- aus leicht verständlichen und klaren Sprache ausein- ander. Durch die Einteilung in 15 Kapitel, deren jedes sich wieder in eine Anzahl besonders über- schriebener Paragraphen gliedert, gewinnt die Schrift große Übersichtlichkeit, so daß sie als erste Einfüh- rung in das Gebiet bestens empfohlen werden kann. F. Kbr. A. Rieh! , H. y. H e 1 m h o 1 1 z in seinem Ver- hältnis zu Kant. Berlin, Reuther & Reichard, 1904. 48 Seiten. — Preis 80 Pf. Daß Helmholtz eine durchaus philosophisch an- gelegte Natur war und daß er es war, der die Naturforscher mit Nachdruck wieder auf Kant hin- wies, ist allgemein bekannt. Die Studie Riehl's setzt die Beziehungen der beiden großen Geister in klares Licht und zeigt uns, wie weit Übereinstimmung zwi- schen beiden herrschte und an welchen Punkten Helmholtz die Kant'sche Philosophie nicht akzeptieren konnte. Die Vertiefung in die dabei erörterten, wich- tigen Grundfragen der Erkenntnistheorie kann jedem angehenden Naturforscher nur angelegentlichst ans Herz gelegt werden. F. Kbr. Literatur. Schenck, Prof. Dr. F.: Kleines rraktikum der Physiologie. Anleitung f. Studierende in physiolog. Kursen. (VIII, 78 S. m. 35 Abbildgn.) 8». Stuttgart '04, F. Enke. — i,6oMk. ; geb. in Leinw. 2,20 Mk. Verworn , Max ; Naturwissenschaft u. Weltanschauung. Eine Rede. (48 S.) 8». Leipzig '04. J. A. Barth. — I Mk. Windelband, Prof. Dr. Wilh. : Geschichte u. Naturwissenschaft. Rektoralsrede. 3. unveränd. AuH. (27 S.) gr. 8". Straß- burg '04, J. II. E. Heitz. — 60 Pfg. Zenetti, Lyc.-Prof. Dr. Paul: Der geologische Aufbau des bayerischen Nord-Schwabens u. der angrenzenden Gebiete. Mit einer geolog. Übersichtskarte. (VllI, 143 S.) gr. 8". Augsburg '04, Th. Lampart. — 4 Mk. ; geb. in Leinw. 4,80 Mk. Zograf, Prof. Dr. Nicol. v. : Das unpaare Auge, die Frontal- organe u. das Nackenorgan einiger Branchiopodcn. (44 S. ni. 3 Fig. u. 3 lith. Taf) 4". Berlin '04, R. Friedländer & Sohn. — 8 Mk. ^___ Briefkasten. Herrn A. S. in Wien. — Erklärungen der lateinischen Pflanzennamen bringen die meisten Floren. Für mitteleuro- päische Pflanzen nenne ich: Ascherson , Flora der Provinz Brandenburg; Ascherson und Graebner, Synopsis der mittel- europäischen Flora (im Erscheinen). Für die Gattungsnamen kommen in Betracht: Leunis, Synopsis und vor allem Witt- stein , Etymologisch-botanisches Handwörterbuch (Ansbach 1852). Die volkstümlichen Namen werden behandelt in: Pritzel und Jessen, Volksnamen der Pflanzen (Hannover 1S82), ferner in Ascherson und Graebner, Synopsis. Für einzelne Länder und Bezirke liegt eine reiche folkloristische Literatur vor, die aber sehr zerstreut ist und wohl kaum für Sie in Betracht kommt. G. Lindau. Herrn H. R. in Frankfurt a. M. — Oberirdische Knollen- bildung bei der Kartoffel ist eine nicht seltene Erscheinung. Meist tritt sie auf, wenn die unterirdische Knollenbildung durch irgend einen Zufall behindert oder erschwert wird. Die Literatur über diese teratologische Erscheinung ist außerordent- lich reichhaltig, eine Zusammenstellung findet sich bei I'enzig, Pflanzenteratologie 11, 173. Auch an anderen Pflanzen kommt die Erscheinung gelegentlich vor, so bei Zwiebelgewächsen, wo an den Blättern normale Zwiebeln gebildet werden (von Masters als Displacement bezeichnet). Die Erscheinung, daß die Blüten sich nicht öffnen und durch Selbstbefruchtung trotzdem normale Samen hervor- bringen, nennt man Kleistogamie. Sie findet sich als normale Erscheinung bei sehr vielen Pflanzen, worüber jedes Lehrbuch der Botanik Auskunft gibt, und gelegentlich auch bei sonst normal blühenden Gewächsen. G. Lindau. Herrn N. Sl. in Kaaden. — Der letzte, zusammenfassende Artikel über das Radium ist in Nr. 2 dieses Jahrganges (vom II. 10. 1903) erschienen. Ein weiterer, die Entdeckungen des letzten Jahres zusammenstellender Artikel befindet sich in Vorbereitung. Wir glauben, durch größere Sammelreferale unseren Lesern besser zu dienen als durch allzu häufige, kleine Ergänzungen, die das Interesse leicht erlahmen lassen und verwirrend wirken. Herrn W. Kl. in Wansleben. — Über Blondlotstrahlen finden Sie die ersten Berichte in Bd. II, Seite 370 und 500, sowie III , Seite 268. Im übrigen empfehlen wir Ihnen das Seite 640 dieses Jahrgangs besprochene Büchlein von Blondlot. Inhalt: Dr. L. Reinhardt: Der Schlaf. — Kleinere Mitteilungen: S. Prowazek: Bewegungen an Zellen während der Teilung. — G. Lindau: Über den Pilz des Taumellolchs. — H. Potonie: Lehmgcrölle. — Prof Börnstoin: Der tägliche Gang des Luftdrucks in Berlin. — A. Föppl: Kreiselversuch zur Messung der Umdrehungsgeschwindig- keit der Erde. — A. Graden witz: Vergleichende Versuche mit Gleich- und Wechselstrom bei 70000 Volt. — Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: F. v. Bellingshausen: Forschungsfahrten im südlichen Eismeer 1819— 1821. — Prof Dr. A. Winkelmann: Handbuch der Physik. — H. Poincare: La theorie de Max- well et les oscillations Hertziennes. La Telegraphie sans fil. — A. Riehl: H. v. Helmholtz in seinem Verliältnis zu Kant. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippen & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naombnrg a. S. f"-^ i,-J . 'SiV ■ rt!^ ÄllMÄii .lufwissfnscnaltliL [ Fofsctiuny aulgihr an wellur I la^^enden Ideen und an locke der Gebilden det Phantasie, wird ' reichlich erselil durch den | ' /jQbcr der Wifklichkei 'chöplungen s Sth« Einschlierslich der Zeitschrift „Die NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion : Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge 111. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 25. September 1904. Nr. 52. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei gröfleren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Goblis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Zellverbindungen. [Nachdruck verboten. J Nachdem es im Jahre 1 838 M. J. S c h 1 e i d e n ge- kmgen war, den Nachweis zu führen, daß der Pflanzenkörper aus bestimmten Formelementen, den Zellen, aufgebaut sei und 1839 Th. Schwann das Analoge für den Tierkörper gezeigt hatte, trat die Anatomie der Tiere und Pflanzen in ein neues Stadium. Die Zelle rückte natürlich jetzt in den Mittelpunkt des Interesses der Gelehrten und es entstand die Lehre von der Zelle und den aus ihr sich aufbauenden Geweben, die Histologie. Hand in Hand mit der Vervollkommnung der Unter- suchungsmittel, des Mikroskopes und der histo- logischen Färbemethoden drang die Wissenschaft tiefer in den Bau der organischen Welt ein. Die Kenntnis der Gewebe, der von diesen gebildeten Organe und ihrer Tätigkeit, ihrem Nutzen für das Ganze, den Organismus, gewann nach und nach eine hohe Ausbildung. Allgemein bekannt ist, welche Förderung diese Fortschritte der Morpho- logie auch der Kenntnis von den Krankheiten und ihrer Erkennung zuteil werden ließen, nachdem Virchow in seiner „Cellularpathologie" gezeigt hatte, daß eine Erkrankung des Organismus auf einer Veränderung seiner Elemente, der Zellen, beruhe. Von Dr. Ernst Rüge. Die Beurteilung des Verhältnisses zwischen der Zelle als Baustein und dem Organismus, als dem Ganzen, hat im Laufe der seit der Entdeckung der Zelle dahin gegangenen 65 Jahre mannigfache Phasen erlebt. Ein Tier, eine Pflanze ist ein in sich abge- schlossenes Ganzes mit einem genau begrenzten Körper, einem wohl charakterisierten Stoffwechsel, kurz eine Einheit in morphologischem und physio- logischem Sinne. Ausnahmen, z. B. Kolonie- oder Stockbildungen oder auch Symbiosen, sind sekun- däre Entwicklungserscheinungen. Ebenso steht es aber auch mit den Elenientar- bausteinen des tierischen und pflanzlichen Körpers, den Zellen. Jede derselben ist ein wohlumschrie- benes, mit einer Anzahl von „Zellorganen" (Kern, Centrosom, Vakuolen etc.) ausgerüstetes Gebilde, das seinen Stoffwechsel und seine mehr oder weniger von den Genossen unabhängige Lebens- führung besitzt. Worin besteht das sie zum Or- ganismus vereinigende gemeinsame Band? Für den Körper des höheren Tieres scheint diese Frage leichter zu beantworten. Dort führen von einer Zentrale, dem Gehirn und Rückenmark, un- 8i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 52 zähhge feitie Fäden, die Nerven, in die Peripherie, welche zentrifugal und zentripetal Impulse und Reize leiten und alle Grundelemente unter einer für das Ganze zweckmäßigen Oberhoheit, gewisser- maßen'einer Idee vereinigen. Steigen wir aber in der Reihe der Wirbellosen abwärts, so kommen wir endlich an Organismen, denen ein solches Zeilverbindungsnetz, denen ein Zentralorgan fehlt, und im Pflanzenleibe suchen wir ebenfalls ver- gebens nach einer ähnlichen Einrichtung. Hier wenigstens und in diesem Sinne hinkt jener groß- artige Vergleich des Organismus mit dem Staate. Für den Begründer der Zellenlehre, M. J. Schiei- den, bestand die Pflanze noch aus äußerlich aneinan- der gekitteten Individuen. Jedoch die auf den Vorteil des Ganzen gerichteten Vorgänge, wie z. B. das Wachstum des Vegetationspunktes, vermochten Hofmeister, wiederum die morphologische und physiologische Einheit des Ganzen zu proklamieren ; Sachs erklärte die Pflanze für ein in sich einheit- liches Gesamtprotoplasma, das sich durch den „sekundären Vorgang der Zellteilung" in unter- geordnete Teile- sondere, und Nägel i postulierte geradezu zwischen den Zellen als logische Kon- sequenz „feine Stränge, die überall im Pflanzen- körper die Zellen verbinden". Die Forschung der Folgezeit gab ihm Recht. Schon 1878 sah Bornet bei Florideen einen direkten Zusammenhang des Protoplasmas benachbarter Zellen. Aber erst Tangl brachte 1S80 mit der Entdeckung zahlreicher Ver- bindungsfäden im Endosperm von Strychnus nux vomica den Stein ins Rollen. Seither beschäftigten sich zahlreiche Forscher mit diesen zarten Ge- bilden und den mannigfachen Fragen nach Ent- stehungsweise, Lokalisierung, Funktion und näherer Beschaffenheit der Zellverbindungen oder „Plasmo- desmen" im Pflanzenreich. Für das Studium der Protoplasmaverbindungen empfehlen Rubla und Strasburger besonders Viscum album. Man kann sie sich am bequemsten dadurch deutlich machen, daß man frische Schnitte des zu untersuchenden Objektes möglichst rasch in einprozentige Osmiumsäure einbringt, nach etwa 5 — 7 Minuten in Wasser abspült und 20 — 30 Mi- nuten in Russow's Jodjodkaliumlösung (0,2 "'u Jod und 1,64"/,, Jodkalium) nachbehandelt, sie dann mindestens eine halbe Stunde lang in 25 "/„ iger Schwefelsäure quellen läßt, wo sie bei Gegenwart von Jod und einem Tropfen Meyerscher Pyo- ktaninlösung in Wasser, im Verhältnis von 1:30, in etwa 5 , Minuten die gewünschte Färbung er- halten. Bei dickwandigen Endospermien ruhender Samen gelingt so der Nachweis der Zellverbin- dungen verhältnismäßig leicht. (Strasburger, Jahrb. f. wiss. Bot. 1901.) Die Mehrzahl der Plasmaverbindungen bei Pflanzen geht ausschließlich durch die „Tüpfel", jene verschiedenartig gestalteten Verdünnungen der Zellscheidewände, doch in manchen Fällen auch direkt durch die Membranen, unabhängig von den Tüpfeln. Letzteres Verhalten findet sich z. B. bei der Brechnuß, Strychnus nux vomica, bei Tamus, Dioscorca u. a. Beiderlei Verhalten zugleich findet sich im Endosperm der Palmen Howea und Kentia, von Asperula u. a. (Strasburger 1. c.). Die Zahl der Verbindungen zwischen zwei Zellen schwankt sehr, doch hält sie sich bei demselben Individuum innerhalb gewisser, enger Grenzen. Bei Volvox- arten fand A. Meyer die Sporen und Eizellen im entwickelten Zustande mit ihren Nachbarzellen Fig. I. Umrisse einer Rindenparcnchymzelle des Stammes von Viscum album. Vergr. 1000 (n. Strasburger) pl zalilreiche un- regelmäßig verteilte Plasmodcsmenkanäle, z Zellhöhle. u ,-••■'0 \ 0 a. Fig. 2. Teile von Zellmembranen (nach Strasburger), a zwischen Parenchymzellen des Senkers von Viscum album bei schwacher (JuelluDg. Vergr. looo. b außer Tätigkeit gesetzter Sieb- gefäßc von Kraunhia floribunda, von Callusbildungen befreit. Vergr. 1500. c zwischen Rindcnparenchynizellen von .\bies nobilis. Vergr. 1000. Bei a und b gehen die Kanäle der Plasmodesmen durch die Tüpfel t, bei c ist von Tüpfelbildung kaum etwas zu erkennen („aggregierte" und „soliläre" Plasmo- desmen n. Kohl). zumeist durch besonders zahlreiche Plasmafäden verbunden. Bezüglich der Lage der Zeilverbindungsfäden unterscheidet K ohl zwischen solitären und aggre- gierten Plasmaverbindungen, d. h. solchen, welche einzeln in verhältnismäßig gleichmäßiger Verteilung die Zellmembran durchbohren und solchen, welche, mehr in Gruppen vereinigt, an bevorzugten Stellen, N. F. III. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 819 z. B. den Tüpfehi, liegen. Doch finden sich mannig- fache Übergänge zwischen diesen beiden Anord- nungsweisen, selbst bei derselben Pflanze. Stras- burger bildet (1. c.) Plasmafäden zwischen zwei benachbarten Parenchymzellen der Rinde von Abies nobilis ab, die sich noch annähernd deutlich in Gruppen vereinigt zeigen, wobei sich jedoch diese Gruppen stark genähert haben und von einer Tüpfelbiidung kaum noch die Rede sein kann (s. Fig. 2C).' Als Funktionen der Plasmaverbindungen werden von verschiedenen Autoren vor allem die der Reizleitung (Gardiner, Schmitz, Haber- landt, Russow u. a.) und der Nährstoffwande- rung angesprochen. Reaktion auf Reize aller Art und Fortleitung derselben gehören ja zu den ele- mentaren Eigenschaften des Protoplasmas und da erscheint es natürlich nach dem im Anfang Ge- sagten außerordentlich plausibel, diese Plasmaver- bindungen als die so lange gewünschten Fort- leitungsbahnen für Plasmareize zu deuten. Wenn man bei der Mimosa pudica, der Sinnpflanze, ein einziges Blättchen eines Zweiges durch einen kleinen Schlag reizt, so falten sich nacheinander alle ge- fiederten Blätter nach unten zusammen und die Blattstiele senken sich. Wir haben da ganz un- zweifelhaft eine Reizfortpflanzung vor uns und die Plasmaverbindungen zwischen Zellen bieten uns eine bequeme und einleuchtende Erklärung für die Übertragung des Reizes auf den motorischen Apparat. Ebenso einleuchtend ist die Annahme, daß die Protoplasmafäden zwischen den Zellen den Nähr- stoffverkehr unterhalten, wenigstens soweit es sich um gelöste Nahrungsstofie handelt. „Wenn es sicher wäre — meint A. Meyer (Bot. Zeitg. 1896) sehr vorsichtig — , daß die Siebröhren Leitungs- bahnen für Nährstoffe seien, und wenn es sicher wäre, daß die Plasmaverbindungen der Siebröhren und der übrigen Zellformen gleicher Natur wären, so würde dies eine Stütze für die Ansicht sein, daß die Plasmaverbindungen auch als Leitungs- bahnen für Nährstoffe dienen können." Diese beiden Voraussetzungen sind aber, wenn auch nicht sicher, so doch hochgradig wahrscheinlich. Eine dritte Hypothese für die Funktion der Plasmafäden ist die von Wortmann, Kienitz- Gerloff u. a. vertretene Anschauung, daß sie Wege darstellen für die Wanderung des Proto- plasmas, sogar für ganze Protoplasten, die beim Absterben ihrer Zellen in die zentraler gelegenen sich zurückziehen sollen. Eine eigentliche Proto- plasmabewegung hat man aber in diesen dünnen Protoplasmafäden noch nicht wahrgenommen, was allerdings bei der Feinheit des Objekts kaum zu verwundern ist. Zu der Frage, inweich erLebcnsperiode der Zellen die Plasmodesmen entstehen und wie ihre Entwicklung vor sich geht, hat man sich ver- schieden ausgesprochen. Jedenfalls existieren sie schon bei Zellen, deren Scheidewand noch in den ersten Anfangen ihrer Entwicklung ist. A. IVIeyer sah sie zwischen sich teilenden Zellen sofort bei ihrem Auseinanderrücken am Schluß des Teilungs- vorganges. Damit ist natürlich noch nicht be- wiesen, daß sie bei einer unvollständigen Zellteilung stehen gebliebene Plasmabrücken seien. Vorher war eben die Scheidewand so dünn, daß man über ihr Vorhandensein oder Fehlen nichts er- kennen konnte. Russow (1883) und Gardiner (1900) nehmen an, daß sie ihren Ursprung von dem Kernteilungsvorgang und zwar von den im Bilde derselben so wesentlichen Spindelfasern nehmen. Dagegen spricht nun zunächst ihre Plasma- natur, während doch jene Fasern aus achroma- tischer Substanz bestehen, dann die Tatsache, daß auch Zellen gänzlich verschiedener Herkunft Plasmo- desmen vorweisen und endlich die interessante Erfahrung, die Strasburger mitteilte, daß sie sogar zwischen sekundär zur Verwachsung ge- brachten Pflanzenteilen (bei der Pfropfung von Reisern auf fremdes Holz) ausgebildet werden. Wenn die Plasmodesmen also im allgemeinen wohl schon bei sehr jungen Zellen entstehen, können sie sich auch nachträglich noch ausbilden. (Kienitz- Gerloff, Bot. Zeitg. 1901 ; A. Meyer, Bot. Zeitg. 1896; Strasburger 1901.) In diesem Falle ent- stehen sie durch Aufeinandertreffen und innige Be- rührung der von benachbarten Zellen einander entgegengestreckten Protoplasmafortsätze. Im Tierkörper bieten sich bei dem Studium der Zellverbindungen entsprechend dem kom- plizierteren Aufbau desselben ungleich mannig- faltigere Bilder als im Pflanzenleibe. Und der tief- gehende Unterschied zwischen der Hauptmasse der tierischen von der Mehrzahl der pflanzlichen Zellen macht sich auch hier in hohem Maße geltend. Während eine Zellmembran bei den pflanzlichen Zellen immerhin zu den wesentlichen Bestandteilen der Zelle gehört, fehlt eine solche bei den Grund- elementen des Tieres in der Regel. Während in der erwachsenen pflanzlichen Zelle das Protoplasma bei weitem nicht immer die Hauptmasse des Zell- körpers bildet, ist dies bei der tierischen Zelle wohl fast stets der Fall. Und diese Unterschiede vergrößern sich, je höher entwickelte Spezies beider Reiche wir unter das Mikroskop nehmen, während sie nach unten hin, nach dem Reiche der Pro- tisten zu, sich nach und nach verwischen. Im Körper eines hochorganisierten Metazoon findet sich eine reiche Mannigfaltigkeit von Zell- formen. Kubische, Spindel-, säulen-, kugel-, stern- förmige, kurze, flache, sehr gestreckte oder flächen- haft sehr ausgedehnte wechseln nach bestimmter Anordnung in Geweben und Organen miteinander ab. Entweder liegen sie dicht aneinander ge- schlossen oder voneinander durch Mengen von Kitt- bzw. Grundsubstanz weit getrennt. Durch die außerordentliche Mannigfaltigkeit der gegen- seitigen Beziehungen ergibt sich die oft hohe Kompliziertheit ihrer Verbindungen. Durch ihre meist viel geringere Größe als die mittlerer Pflanzen- zellen wird die oft geringe Sicherheit bezüglich 820 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 52 des Vorhandenseins so zarter Gebilde, wie der Zellverbindungen erklärlich. In folfjender, nur das Allerhauptsächlichste berücksichtigenden Zusammenstellung über die Plasmaverbindungen im Tierkörper folge ich im Knz , Knk Fig. 3. Klcine^Partic aus'dem^Querschnitt eines menschliclien Röhrenknocliens (Original)'. Knie Knochenkanal, knl um diesen konzentrische Knochenlamellen, knz Knochenzellen mit zahl- reichen, zum Knochenkanal senkrecht stehenden, unter ein- ander vielfach kommunizierenden Zellfortsätzen. k — Fig. 4. Hornhautzellen (nach Sobotla's Atlas d. Histologie). Die Zellen hängen durch ihre Fortsätze vielfach miteinander zusammen, k k Kerne. Verbindungen zwischen den Zellen tierischer Organismen sind seit lange bekannt. Die über sie handelnde Literatur ist eine sehr umfang- reiche. Schon Schwann sah im Jahre 1839 die verästehen Ausläufer der Pigmentzellen in der Haut der Froschlarve häufig kommunizieren. Und nach ihm wurde bei den Zellen der verschieden- artigsten Stütz Substanzen, unter die auch die den Farbstoff der Haut tragenden Pigmentzellen gehören, dasselbe konstatiert, zum Beispiel bei Knorpelkörperchen, Knochenzellen (siehe Fig. 3), zwischen den Zellen des gallertigen Gewebes im Nabelstrange und im Embryonenkörper, ferner bei Hornhautkörperchen (siehe Fig. 4) und den Zellen des Unterhautbindegewebes (siehe Fig. 5). Nur in dem sogenannten hyalinen, das heißt durch- scheinenden Knorpel, aus dem z. B. ein Teil des Kehlkopfskeletts und der Nase besteht, ist das ib Fig. 5. Bindegewebszelle aus dem Schwänze der Larve der Geburtshelferkröte (Alytes). Nach A. Meyer. Vergr. 1480 fach. p Zellprotoplasma, k Kern, ib Zellverbindungen. wesentlichen den „Untersuchungen über Zellver- bindungen" von A. Schuberg (Zeitschrift f, wiss, Zool. Bd. 74, 1903). pr. Fig. 6. Netzförmig verbundene sogenannte ,, farblose" Pigment- zellen aus dem Unterhautzellgewebe des A,xolotl (nach Schu- berg). Vergr. 500. k Kern, pr Protoplasma. Fehlen von Zellverbindungen jetzt definitiv ge- sichert, während im übrigen die Verbindung der Zellen des Bindegewebes untereinander feststehende Tatsache ist. Allen den aufgezählten Zellen ist eine stern- förmige Gestalt mit verästelten Ausläufern, die in solche anderer gleicher Zellen übergehen, gemein- sam; zwischen den Zellen und ihren Ausläufern liegt die das betreffende Gewebe charakterisierende „Binde"substanz, also entweder Knochen-, Knorpel-, Gallert-, Hornhaut- oder Fasermasse. Auch bei den Ganglienzellen, die das Substrat der nervösen Funktionen sind, sollte man von vornherein eine weitgehende plasmatische Ver- knüpfung untereinander vermuten. Doch war es bis vor kurzem noch niemandem gelungen, ein Präparat herzustellen, das die Plasmakontinuität N. F. m. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 821 der Zellen überzeugend dartat. Heute stehen sich zwei Gru[)pen von F"orscliern schroff gegenüber. Die einen, welche zum Studium dieser Verhält- nisse die (jolgi'sche Darstellungsmethode an- wenden, verwerfen die Kontinuität der Nerven- zellen, die anderen, die Apathy 's Färbemethode folgen, sind Anhänger der plasmatischen Verbin- dungen zwischen Nervenzellen. Im Gegensatze zu Bindegewebs- und Nerven- zellen sind die E p i t h e 1 z e 1 1 e n , welche als hpithel- gewebe die Außenfläche des 'I'ierkörpers bedecken Fig. 7. Epilhelzelle aus dem Schwänze der Larve der Ge- burtshelferkröte (.Mytes). Nach A. Meyer. Vergr. i48o;fach. p Zcllprotofilasma, k Kern, il) Interzellularbrückeu. kez ib kez ib ez h7. pz. Fig. 8. Aus der Haut des Schwanzes vom Axolotl (n. Schu- berg). Vergr. 1000. ez Epithelzellen, kez deren Kern, bz Bindegewebszellen, kbz deren Kern, ib InterzellularbrUcken zw. d. EpithelzcUen, prv Protoplasmaverbindung zw. Epithel- und Bindegewebszelle, pz Pigmentzellenfragment. und manche Hohlräume (Mundhöhle, Speiseröhre, Darmtractus, Urogenitalapparat u. a.) auskleiden, voneinander nur durch geringe Mengen von Zwischen- substanz getrennt und grenzen, wie die meisten pflanzlichen Gewebselemente, mit einfachen 1-^lächen aneinander. Zwischen ihnen gehören Zellverbin- dungen oder, wie sie hier meist genannt werden, Interzellularbrücken zum gewöhnlichen Befund (siehe Fig. 7). Im Gegensatz dazu stehen die entwick- lungsgeschichtlich vom Epithelgewebe abstammen- den Drüsen (Leber, Keimdrüsen, Speicheldrüsen, Darmdrüsen etc.). Zwischen Zellen des Muskelgewebes hat man ebenfalls Zellbrücken gefunden. Nicht zu verwechseln sind sie mit den sich treffenden, aber nicht konfluierenden, sondern nur durch Kittleisten verlöteten Fortsätzen der Herzmuskelzellen und denen des Insektendarmes. Leydig fand 1885 eigentliche Ouerbrücken bei Muskeln der Hirti- dineen und Kultschit zky (1887) und Barf urt h (1891) dasselbe bei Wirbeltieren. Sie wurden von Schaffer (1899) als irrtümlich erklärt. Diese Angaben beziehen sich nur auf soge- nannte „glatte", nicht auf „quergestreifte" Muskel- zellen. Bei diesen äußerst kompliziert gebauten, langgestreckten Zellen hat man Zellverbindungen bisher nicht ermittelt. Als gesichert erscheinen uns also nur die Verbindungen zwischen Zellen aller möglicher Arten der Bindesubstanzen und die Interzellularbrücken der Epilhelzellen. Bezüglich aller anderen Gewebe schwanken die Angaben hin und her. Ganz umstritten aber sind endlich Verbindungen zwischen Zellen verschiedener Gewebe, während solche im Pflanzenkörper zum gesicherten Besitztum der Wissenschaft zählen. Auch auf diesem Gebiete der tierischen Histologie sind eine große Anzahl von Beobachtungen mit- geteilt worden , doch hat sich die Wissenschaft ihnen gegenüber bisher ablehnend verhalten. Nur eine Art von Verbindungen zwischen Zellen ver- schiedener Art hat eine Zeitlang allgemeine An- erkennung gefunden, die zwischen Epithelzellen und Nervenfasern. Diese letzteren sind aber nichts weiter als sehr lange Fortsätze von Ganglienzellen des Hirns und Rückenmarks, die, zu Bündeln ver- einigt (Nerven) in die verschiedenen Körperregionen verlaufen und an Muskelzellen als motorische, an Epithelzellen als sensible Organe endigen. Diese sensiblen Nervenenden sollten einfach in die Epithel- zellen übergehen, die Nervenfasern also nichts als Zellverbindungen zwischen Muskel- oder Epithel- zelle einerseits und Ganglienzelle andererseits sein. Leider erhoben sich jedoch bald so viele Zweifel an diesen Beobachtungen, daß man jetzt wieder mehr wie je in diesen Dingen vor dem ,,Igno- ramus" steht. Dafür aber hat uns die jüngste Zeit eine hier- her gehörige Untersuchung von Schuberg (1. c.) beschert, die so überaus genau und detailliert durchgeführt ist, daß das Ergebnis überzeugend wirkt. Mit neuen Färbemethoden behandelte er die Haut vom Axolotl, der Larve von Amblystoma tigrinum, und fand in seinen Präparaten sehr deut- liche plasmatische Verbindungen der Bindegewebs- zellen der Lederhaut mit den angrenzenden Epithel- zellen der Epidermis. Figur 8 bringt eine solche Stelle in looofacher Vergrößerung. Zum Schlüsse noch einige VVorte über die Verbindung aller Zellen im tierischen Organis- mus. Während der Annahme einer solchen im Fflanzenleibe sehr viele Erwägungen und Beob- achtungen zur Seite stehen, gibt es in der tierischen Histologie einige feststehende Tatsachen (z. B. das L'elilcn von Verbindungen zwischen Zellen des 822 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 52 hyalinen Knorpels u. v. a.), die der Anwendung eines Parallelschlusses auf das höher organisierte Tier direkt widersprechen. In seinen allerfrühesten Entwicklungsstadien freilich scheint es anders. Sedgwick (1886) glaubte alle Zellen der Gastrula von Peripatus, Kl aa t sc h (1898) die der Gastrula von Ami)hioxus untereinander zusammenhängen zu sehen. Doch blieben solche Angaben verein- zelt. Was die Zukunft bringt, ist abzuwarten. Für heute müssen wir uns mit der Feststellung be- gnügen, daß für die Annahme des Tierkörpers als „Syncytium", also als ein Konglomerat von un- vollständig getrennten Zellen, manche Andeutungen vorliegen , aber selbst nur für einen Wahr- scheiniichkeitsbeweis genügendes Material nicht vorhanden ist. Über den gegenwärtigen Stand der Lehre von der Kurzsichtigkeit. [Nachdruck verboten.] Von Dr. med. Max Weinhold. Ein theoretisches Kapitel aus der Medizin, wie das in der Überschrift genannte, in einer verbreiteten naturwissenschaftlichen Zeitschrift zu besprechen dürfte sich damit rechtfertigen lassen, daß erstens die Medizin als Wissenschaft nichts anderes als ein Zweig der Naturwissenschaften ist, insofern als sie, ein Seitenstück zur Biologie oder Physiologie, den Einfluß abnormer Lebensbedingungen auf Menschen und Tiere und deren Reaktion auf diese abnormen Lebensbedingungen nach rein naturwissenschaft- lichen Grundsätzen untersucht. Zweitens dürfte die außerordentliche praktische Wichtigkeit des genannten Gegenstandes seine Besprechung an dieser Stelle nicht unangebracht erscheinen lassen. Kurzsichtig nennt man bekanntlich ein Auge, das in seiner Ruhelage nur mehr oder minder nahe gelegene Gegenstände deutlich zu erkennen vermag, während alle ferneren Dinge undeutlich und verschwommen gesehen werden. Das kurz- sichtige Auge vermag nur divergente Lichtstrahlen auf seiner Netzhaut zu vereinigen, während parallel aus der Unendlichkeit kommende Strahlen sich vor der Netzhaut schneiden , die Netzhaut also hinter dem Brennpunkte des aus Hornhaut, Kammer- wasser, Linse und Glaskörper gebildeten optischen Systems liegt. Beim normalen Auge dagegen liegt dieser Brennpunkt in der Ebene der Netzhaut, parallel aus der Unendlichkeit kommende Strahlen werden auf ihr zum Bilde vereinigt. Wir sehen also: die Kurzsichtigkeit ist bedingt durch das Mißverhältnis zwischen Brechkraft des optischen S3'stems und Abstand der Netzhaut von demselben; sie ist nicht an absolute Zahlenwerte gebunden, sondern kann durch zu große Brechkraft des Auges oder durch zu großen Abstand der Netzhaut von der Linse bedingt sein. Die zu große Brechkraft kann wieder ihre Ursache haben entweder in zu starker Krümmung der brechenden Medien: Horn- haut und Linse, oder aber in zu hohem Brechungs- index von Hornhaut plus Kammerwasser oder Linse oder in zu geringem Brechungsindex des als Zer- streuungslinse wirkenden Glaskörpers. Die zu starke Krümmung der Hornhaut z. B. kann ange- boren oder erworben vorkommen, bildet aber nur sehr selten die Ursache der Kurzsichtigkeit. Auf Veränderung des Brechungsindex beruht beispiels- weise die gelegentlich als Vorbote der Starbildung auftretende Kurzsichtigkeit, aber auch dies sind nur seltene Fälle. Die weitaus häufigsten sind be- dingt durch zu große Entfernung der Netzhaut von der Linse, verursacht durch Verlängerung des Aug- apfels in seinen hinteren Partien. Diese Ver- längerung muß ein erworbener Zustand sein, da bei Neugeborenen fast gar keine Kurzsichtigkeit vorkommt, mit zunehmendem Alter aber dieselbe an Häufigkeit und Stärke immer mehr zunimmt. Was ist nun die Ursache dieser Verlängerung, mit anderen Worten : Wodurch entsteht Kurzsichtigkeit ? Jedermann weiß : durch Nahearbeit. Bei den sog. wilden Völkern ist die Kurzsichtigkeit unbekannt; je höher ein Volk in seiner geistigen Entwicklung steht, desto häufiger ist diese Krankheit, am häufigsten bekanntlich in Deutschland und be- sonders unter den gelehrten Berufen, deren An- gehörige die meiste Zeit ihres Lebens mit Lesen und Schreiben verbringen. Daß die Nahearbeit die Kurzsichtigkeit hervorruft, oder mindestens steigert, ist eine so allgemeine Erfahrung, daß darüber nicht weiter verhandelt zu werden braucht, aber die Frage, wodurch die Nahearbeit schäd- lich wirkt, ist noch heute nicht endgültig ent- schieden. Es lag nahe, die Akkommodation als das schäd- liche Moment anzusehen. Will ein normales Auge in der Nähe deutlich sehen, so bewirkt es eine stärkere Krümmung der Kristallinse, wie Helm- holtz zuerst einwandfrei nachgewiesen hat, dadurch, daß es den sog. Musculus ciliaris sich zusammen- ziehen läßt. Dieser bewirkt seinerseits eine Er- schlaffung des Strahlenbändchens (Zonula Zinnii), an dem die Linse aufgehängt ist. Dieses Strahlen- bändchen ist in der Ruhelage straff gespannt und hält so die Kristallinse, die ein natürliches Be- streben hat, sich der Kugelform zu nähern, in abgeplatteter Linsenform. Wird durch Zusammen- ziehung des Ziliarmuskels das Strahlenbändchen erschlafft, so kann die Linse ihrem Bestreben nach- geben und nähert sich mehr der Kugelform, die Krümmungsradien der Vorder- und Hinterfläche werden kleiner, die brechende Kraft nimmt zu ; die von einem nahe gelegenen Punkte divergent ausgehenden Strahlen werden durch die Zunahme der Linse an Brechkraft jetzt ebenso auf der Netz- haut vereinigt, wie vorher die parallel aus der Unendlichkeit kommenden. Dieser als Akkommo- dation bekannte Vorgang ist nun bei der Nahe- N. F. III. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 823 arbeit dauernd vorhanden. Da der ZiHarmuskel sich im ganzen Umkreis an der Aderhaut ansetzt, die den Augapfeünhalt umspannt, etwa wie das Netzwerk den Luftballon, so glaubte man, daß bei der Zusammenziehung des Ziliarmuskels und der dadurch bewirkten .Spannung der Aderhaut der Druck im Augeninnern steige und somit eine Aus- dehnung des Augapfels nach hinten verursachen könne. Zunächst ist es schon unwahrscheinlich, daß die normale physiologische Tätigkeit eines Or- ganes dieses schädigen sollte; weiterhin ist aber jetzt einwandfrei nachgewiesen worden, daß bei der reinen Akommodationstätigkeit keine Druck- steigerung im Auge stattfindet. Mit der Akkommo- dation ist nun unlösbar die Konvergenz verbunden. Wenn das betrachtete Objekt dem Gesicht immer mehr genähert wird, müssen die Augen immer mehr nach der Nase zugedreht, die ursprünglich parallelen Blicklinien immer mehr konvergent ge- macht werden; die Konvergenz ist also bei der Nahearbeit dauernd vorhanden, die Augenmuskeln, die die Bewegung des Augapfels hervorbringen, sind dauernd in Tätigkeit. Diese sind aber so angeordnet, daß sie, in der Tiefe der Augenhöhle entspringend, nach vorn verlaufen und den Aug- apfel z. T. umgreifen, auf ihn aufgerollt sind. Folg- lich sind sie, wenigstens mitder aufgerollten Strecke, sehr wohl imstande, bei ihrer Kontraktion einen Druck auf den Augapfel auszuüben, und da sie ihn von oben und unten, von rechts und links umfassen, wird der Augapfel nur in der Richtung von vorn nach hinten nachgeben und sich aus- dehnen können. Besondere Abweichungen des Schädelbaucs und dadurch veränderte Lagebe- ziehungen der Muskeln zu dem Auge sollen diese Druckerhöhungen besonders leicht hervorrufen und dadurch besonders zur Entwicklung von Kurz- sichtigkeit führen können. Der Druck der Muskeln auf die das Auge versorgenden Blutgefäße soll ferner die Blutzufuhr stören und dadurch den Augapfel in seinem hinteren Teile schädigen und in seiner Widerstandsfähigkeit herabsetzen. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, aber haben jedenfalls vieles für sich. Daß eine Dehnung des Augapfels vorliegt, dürfte wohl heute nicht mehr bezweifelt werden, nachdem man die mit dem .'\ugenspiegel bei Kurzsichtigkeit im Augenhintergrunde erkennbaren Veränderungen nicht mehr wie früher als entzündliche, sondern als rein mechanische, durch Dehnung und Zerrung verursachte hat deuten lernen. Mögen nun aber die angeführten Ursachen für die Drucksteigerung im Auge und die dadurch bedingte Dehnung des Auges die einzigen sein oder nicht, sicher ist, daß noch eine individuelle Dispostion zur Kurzsichtig- keit hinzukommen muß. Denn viele Leute, aber durchaus nicht alle, die sich dauernd mit Nahe- arbeit beschäftigen, werden kurzsichtig. Die oben angeführten Anomalien des Schädel- baues würden eine solche Disposition darstellen, wenn sie bei allen Kurzsichtigen und nur bei diesen vorkämen ; das ist aber wohl nicht aus- schließlich der Fall. Daß noch andere Verhält- nisse disponierend mitwirken müssen, dafür spricht, außer der ausgesprochenen Erblichkeit der Kurz- sichtigkeit, folgender Umstand : Vergleicht man gut präparierte kurzsichtige Augen mit normalen, so erscheint auf dem Durchschnitt der hintere Teil der den Augeninhalt umschließenden Leder- haut gedehnt, wie aufgeblasen, und verdünnt gegen- über dem normalen. Daß mit der Dehnung eine Verdünnung Hand in Hand gehen muß, ist natür- lich; aber rechnerische Vergleiche haben ergeben, daß die Verdünnung bedeutend größer ist, als der Ausdehnung entsprechen würde , mit anderen Worten: würde ein normales Auge ebensoweit ausgedehnt, so würde die Lederhaut doch nicht so hochgradig verdünnt werden. Also muß wohl schon, ehe der Dehnungsprozeß einsetzte, eine ab- norme Dünnheit der hinteren Augenwand be- standen haben. Die Richtigkeit dieser Theorie wird sich natürlich kaum beweisen lassen, da es nicht möglich ist, am lebenden Menschen die Dicke der Lederhaut zu messen und vergleichend fest- zustellen, ob etwa Augen mit im hinteren Teile abnorm dünnen Lederhäuten vorkommen und dann im Laufe der Zeit allmählich kurzsichtig werden. Man hat versucht, zwei verschiedene Arten von Kurzsichtigkeit aufzustellen: die gewöhnliche leichte bis mittelschwere Form, durch Nahearbeit bedingt, und die schwere, deletäre F~orm, die gelegentlich selbst bei Personen auftritt, die sich nie in ihrem Leben mit Lesen oder Schreiben beschäftigen, und die zu ganz kolossalen Dehnungen und Verun- staltungen des Augapfels führen kann. Ob diese Unterscheidung gerechtfertigt ist, wird sich nicht entscheiden lassen, ehe man alle Ursachen der Kurzsichtigkeit kennt und zu bewerten vermag. In Kürze noch ein paar Worte über die Be- handlung der Kurzsichtigkeit, die ebenso wie deren Ursachen noch heute zum Teil strittig ist. Rein optisch ist die Frage leicht zu beantworten : durch Vorsetzen eines entsprechenden Konkavglases wer- den die parallel aus der LJnendlichkeit kommenden Strahlen so divergent gemacht, als ob sie aus dem Fernpunkt des Auges herkämen, d. h. aus dem Punkte, auf den das Auge in der Ruhelage ein- gestellt ist und der beim kurzsichtigen Auge in endlicher, mehr oder minder kurzer Entfernung liegt; mit dem Korrektionsglase ist auch das kurz- sichtige Sehorgan imstande, die parallel ankommen- den Strahlen auf seine Netzhaut zu vereinigen. Dieser Weg der Behandlung ist auch von jeher eingeschlagen worden. In den meisten Fällen er- zielt man damit eine volle Sehschärfe, und das Auge verhält sich nun in allen seinen Funktionen wie ein normales. Bei der Nahearbeit macht der korrigierte, d. h. Glas tragende. Kurzsichtige genau dieselbe Akkommodationsanstrengung wie der Normalsichtige, und da mit der Akkommodation die Konvergenz unlösbar verbunden ist, ist jetzt zwischen beiden Funktionen das normale Ver- hältnis wieder hergestellt. Dies Verhältnis ist ge- 824 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 5: stört, wenn, wie es vielfach beliebt wird, der Kurz- sichtige in der Nähe ohne Glas arbeitet, denn dabei muß er einen gewissen Betrag von Kon- vergenz aufbringen, oline daß er zu akkommo- dieren braucht, weil sein Auge schon für die Nähe eingestellt ist; und dieses Mißverhältnis zwischen Akkommodation und Konvergenz ist ge- eignet, allerhand Störungen hervorzurufen, be- sonders Divergenzschielen. Im Alter, wo der Normalsichtige für die Nahearbeit sich eines Kon- vexglases bedienen muß,' da ihm das Vermögen der Akkommodation allmählich verloren gegangen ist, hat der korrigierte Kurzsichtige das einfache Hilfsmittel, sein Konkavglas abzusetzen, aber in jüngeren Jahren empfiehlt es sich, das Glas dauernd zu tragen. Die oft behauptete Schädlichkeit des Tragens von Konkavgläsern hat der kritischen Statistik nicht standhalten können; im Gegenteil hat sich gezeigt, daß die .'\ugen, die ständig und sowohl für die Ferne als für die Nähe das gleiche vollkorrigierende Glas getragen haben, durchschnitt- lich die geringste Zunahme der Kurzsichtigkeit aufzuweisen haben, während bei Vollkorrektion für die P'erne und Unterkorrektion (d. h. Tragen eines schwächeren oder gar keines Glases) für die Nähe die Kurzsichtigkeit durchschnittlich stärker zu- nimmt und bei Mangel jeglicher Korrektion für Ferne und Nähe am meisten steigt. Daß das Tragen zu starker Konkavgläser nicht schadet, be- weisen die zahlreichen Fälle, wo Normalsichtige im Glauben, kurzsichtig zu sein, Konkavgläser, oder Kurzsichtige viel zu starke Konkavgläser jahrelang trugen, ohne irgendwelche Beschwerden und ohne daß ircrend ein Schaden dadurch ang-e- richtet wurde. Theoretisch ist also die ständige und volle Korrektion der Kurzsichtigkeit durch Konkavgläser für Ferne und Näiie zu fordern. Praktisch ist diese Forderung bei jungen Individuen wohl auch immer durchzuführen. Bei älteren Patienten mit höherer Kurzsichtigkeit allerdings erlebt man öfters, daß die Vollkorrektion nicht vertragen wird, sondern Kopfschmerzen und son- stige Beschwerden macht. Daraus ist aber nicht der Schluß zu ziehen, daß die Vollkorrektion an sich schädlich ist, sondern daß sie bereits in der Jugend einsetzen muß, zumal da sie wenigstens mit Wahrscheinlichkeit eine Steigerung der Kurz- sichtigkeit hintanzuhalten imstande ist. Zum Schlüsse sei noch erwähnt, daß die bei höchstgradiger Kurzsichtigkeit angewandte Opera- tion darin besteht, daß man die an und für sich normale Linse aus dem Auge entfernt, dein op- tischen Systeme also einen Teil seines Brechungs- vermögens nimmt, um dadurch das Mißverhältnis zwischen Brechungskraft des optischen Systems und Länge des Augapfels auf Kosten der ersteren wieder der Norm zu nähern. Fehlt die Linse, so werden die das Auge treffenden Strahlen durch das jetzt nur noch aus Hornhaut und Glaskörper bestehende optische System viel schwächer kon- vergent gemacht, so daß sie sich nunmehr wieder auf der durch die Dehnung des Augapfels weit nach hinten verlagerten Netzhaut schneiden. Das Akkommodationsvermögen für die Nähe geht dabei allerdings verloren, aber der ständige Gebrauch der starken und daher sehr schweren, lästigen Konkavgläser, die oft überhaupt nicht vertragen werden, wird damit überflüssig. Kleinere Mitteilungen. Zurückziehung einer Ameisenkolonie durch den Mutterstaat. — Am Sonntag, den 8. Mai il. J., einem herrlichen Frühlingstage, beobachtete ich auf dem Kugelfang des verlassenen Militär- Kchießstandes am Südabhange des Harrl's bei Bückeburg ein auffälliges Treiben von Ameisen. Am oberen Rande des Kugelfanges, über wel- chen der Länge nach ein vielbetretener Pfad zu einem beliebten Aussichtspunkte führt, befand sich unter zwei '^4 "^ voneinander entfernten, etwa 40jährigen Fichten ein nur unterirdischer Bau einer Ameisenart, die der bekannten roten Waldameise Formica rufa so ähnlich erschien, daß ich nicht imstande war, zu entscheiden, ob die den Bau bewohnende Ameise der genannten Art angehörte, wogegen zu sprechen schien, daß ein Oberbau aus Tannennadeln, kleinen Holz- und Harzteilchen usw. dem Neste ganz fehlte, das gut bevölkert zu sein schien. Am genannten Tage sah ich zunächst, wie ein Arbeiter eine Ameise in der Weise trug, daß sich beide von vorne mit den Kiefern verbissen hatten. Die getragene Ameise krümmte ihren Körper ring- förmig zusammen, so daß ihr Hinterleib unter den mächtigen Kopf des Trägers zu liegen kam. In dieser Haltung trug der Träger die gleichgroße getragene Ameise ohne merkliche Anstren- gung. Ich glaubte zunächst, daß es sich um einen Samariterdienst handle, und daß der Träger eine kranke Ameise seiner Art zum Neste zurücktrage. Als ich den Träger aufnahm, ließ er nach i bis 2 Sekunden seine Last los. Gegen Erwarten sah ich nun, daß die bisher getragene Ameise ohne jedes Zeichen von Krankheit oder Schwäche eiligst davonlief. Jetzt bemerkte ich auch, daß gleich- zeitig Dutzende von Trägern tätig waren, andere Ameisen, die sie in gleicher Weise gefaßt hatten, fortzutragen und zwar nicht nach dem beschrie- benen Bau hin, sondern von demselben fort, alle quer über den meterbreiten Pfad nach der anderen Seite des Kugelfanges in eine dichte Tannenschonung hinein, die durch Brombeergestrüpp und am Rande vorgelagertes Gras schwer er- kennen ließ, wohin der Weg der Träger führte. Weiter bemerkte ich, daß die Träger mit ihret Last aus den Ausgängen des unterirdischen Nestes unter den beiden älteren Rottannen hervorkamen. N. F. III. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 825 Diese Ausgänge waren von Ameisen dicht um- lagert, so daß der Bau wohlbevölkert erschien. Die Zahl der an diesem Nachmittage in etwa 2^2 Stunde fortgetragenen Ameisen schätzte ich auf 150 bis 200. In der folgenden Nacht und am anderen Morgen regnete es bis gegen 10 Uhr, zwischen 11 und 12 und am Nachmittage um 4 Uhr war ich wieder am Bau und sah dasselbe Treiben, wie am Tage vorher, wenn auch jetzt viel weniger lebhaft. Hiernach war es naheliegend, daß es sich bei dem beobachteten Vorgang einfach um die Ver- legung des Nestes handelte, zumal die alte Lage wegen des unmittelbar am Bau vorbeiführenden, vielbetretenen Pfades offenbar ungünstig war, und ich suchte deswegen in der dichten Schonung den Neubau ausfindig zu machen, was mir jedoch an dem betreffenden Tage nicht mehr gelang. Da- gegen bot der folgende Tag eine neue Über- raschung. Ich sah, daß die getragenen Ameisen nicht etwa nach einem neuen Bau gleicher Art geschleppt wurden, sondern nach einem etwa 13 m vom alten Nest entfernten, recht stattlichen Bau der roten Waldameise, der als solcher durch seinen mächtigen Oberbau alsbald kenntlich war, und offenbar schon ein Alter von mehreren Jahren aufzuweisen hat, was auch durch Zeugenaussage bestätigt wurde. Am gleichen Tage konnte ich auch noch feststellen , daß Dutzende von Trägern mit ihrer Last bei diesem Baue eintrafen. Vom 8. bis 20. Mai war ich mit Ausnahme eines Tages täglich bei den Bauten. Dasselbe Treiben dauerte die ganze Zeit hindurch fort, und wenn auch an einigen Tagen nur einzelne Ameisen getragen wurden, so fanden doch an 2 oder 3 be- sonders schönen Tagen ebenso massenhafte Ver- schleppungen statt, als am ersten Beobachtungs- tage. Schöne, warme Sonnentage machten sich übrigens nicht nur dadurch geltend, daß die Ver- schleppungen weit zahlreicher und das ganze Treiben an den Bauten viel lebendiger war, sondern es zeigte sich auch sehr auffällig eine gesteigerte Sinnestätigkeit der einzelnen Ameisen in der Weise, daß ich mich an solchen Tagen viel ruhiger und ferner halten mußte, um das Treiben nicht zu stören, als an weniger freundlichen Tagen. Erst am 26. Mai konnte ich dann die Bauten wieder besuchen und fand, daß das alte Treiben nun aufgehört hatte; der zuerst beschriebene Bau schien ausgeräumt und verödet zu sein. Durch die Feststellung, daß sehr zahlreiche Arbeiter des zuerst beschriebenen Nestes — es muß sich dabei jedenfalls um viele Hunderte ge- handelt haben — nach dem Bau der roten Waldameise geschleppt wurden, war mir die Sache sehr rätselhaft geworden, zumal ich wegen der Verschiedenheit der Bauten annahm, es müsse sich um verschiedene Ameisenarten handeln. Ich hatte darum Dutzende von Trägern und Getragenen sorgfältig getrennt aufgesammelt, um die Arten zu bestimmen, konnte aber über dieselben zu keiner Entscheidung kommen. Durch freundliche Vermittelung des Herrn Dr. v. Dalwigk in Marburg übernahm Herr Meisen- heimer daselbst die Bestimmung. Er stellte fest, daß Träger, wie Getragene der Species Formica rufa angehörten, und nimmt an, daß es sich bei den beschriebenen Vorgängen um die Zurück- ziehung einer Kolonie seitens des Mutterstaates gehandelt hat. Das Fehlen eines Oberbaues beim Nest der roten Waldameise soll nach Herrn Meisen- heimer bisweilen vorkommen und möchte wohl durch besondere Boden- und Ortsverhältnisse ver- anlaßt werden. Der verlassene Bau mußte nach seinem Aus- sehen und nach seiner zahlreichen Bevölkerung sicher schon im Vorjahre, wenn nicht schon länger, bestanden haben. Durch Nachfrage konnte ich darüber nichts Sicheres feststellen. Bei den getragenen Ameisen müßte es sich hiernach wohl um Arbeiter gehandelt haben, die nur Innendienst im Bau getan hatten, und die freiwillig ihr altes Heim nicht hatten verlassen wollen. Besonders interessant müßte hiernach der lang- dauernde Zusammenhang zwischen Mutter- und Tochterstaat erscheinen. Zum Schluß möchte ich nicht verfehlen, Herrn Meisenheimer an dieser Stelle meinen verbind- lichsten Dank für die übernommene Mühe und seine freundliche Auskunft auszusprechen. Max Ballerstedt. Das Flugvermögen der Tiere ist wohl ge- eignet, dem Menschen bei seinen Bemühungen, diese Kunst ebenfalls zu erwerben, als Lernstoff zu dienen. Haben wir doch auch das Schwimmen den Fröschen abgeguckt! Wie A. H. K. in Nr. 749 des „Prometheus" mitteilt, sind der Vor- bilder in dieser Beziehung nicht wenige. Denn etwa 62 % aller lebenden Tierarten haben das Flugvermögen vor dem Herrn der Schöpfung vor- aus! Und unsere große Lehrmeisterin Natur hat viele Methoden erprobt, bis sie aus kleinen An- fängen den vollendeten Flug entwickelte. Auf die Arthropodenflügel, die sich als reine Hautgebilde darstellen, geht der erwähnte Aufsatz nicht ein. Bei den Wirbeltieren stützt sich die Flügelbildung auf die Extremitäten und zwar speziell auf die vorderen Gliedmaßen, nur beieiner Eidechsen- art auf Verlängerungen der Rippen. Die ur- sprüngliche Form ist die des „Fallschirms", eine Einrichtung, die es dem fliehenden oder verfolgen- den Tiere ermöglicht, sich von einem erhöhten Standpunkte aus ungefährdet durch die Luft herab- gleiten zu lassen, wobei der Schwanz häufig als Steuer dient. Bei fliegenden Fischen und einer Froschart kommt ein solcher Fallschirm durch bedeutende Vergrößerung der Handfläche zustande, bei den fliegenden Eidechsen und vier Säugetier- gruppen durch eine zwischen Vorder- und Hinter- extremität (bzw. Vorderextremität und Körper) 826 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 52 ausgespannte Flughaut. Den erhöhten Standpunkt erreichen die Tiere durch Emporschnellen aus dem Wasser (Fische), durch Springen (Frosch) oder aber durch Klettern. Daß der echte Flügel der Wirbeltiere, der das Tier selbständig emporzuheben vermag, sich aus dem „Fallschirm" entwickelt hat, erhellt unter anderem auch daraus, daß die drei mit eigent- lichem Flügel begabten Wirbeltier-Gruppen teils das Klettervermögen beibehalten haben , teils Anklänge daran zeigen. Es sind dies die Fledermäuse, die Vögel und die ausgestor- benen Pterodaklylier oder Flugsaurier. Bei den ersteren wird der Flügel durch bedeutende Verlängerung von 3 Fingern , bei den Pterodak- tyliern durch extreme Vergrößerung nur des „kleinen", als dem Körper nächstliegenden Fingers, bei den Vögeln dagegen durch fast völlige Ver- kümmerung der Finger und ihre Ersetzung mittels leichterer, aber gleich leistungsfähiger Schwung- federn hergestellt. Die Fledermäuse behalten zum Klettern einen , die Pterodaktylier 3 Finger frei. Aber bekanntlich besaß auch der Urvogel Archä- opteryx noch drei wohlentwickelte Krallen an den Flügeln, und neuerdings sind sie sogar an Jugend- formen eines brasilianischen Vogels beobachtet worden. Edw. Hennig. Die Biologie unserer Wiesenpflanzen war der (iegenstand eines Vortrages, den Prof. Dr. R. v. Wettstein im Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien im ver- gangenen Winter hielt, und dessen Text in dem soeben erschienenen Jahrbuch des genannten Ver- eins vorliegt. Die Wiesen sind eine Formation der heimischen Flora, an deren Anblick wir von Jugend auf ge- wöhnt sind, und die wir deshalb für weniger inter- essant als manche andere, seltene Formation zu halten geneigt sind. Prüfen wir jedoch die bio- logischen Verhältnisse unserer Wiesen genauer, so ist es geradezu erstaunlich, welche F'ülle von An- Anpassungen der dort lebensfähigen Pflanzen. Andererseits müssen wir in Betracht ziehen, daß die Wiesen eine vom Menschen geschaffene For- mation sind, daher das Entstehen gewisser An- passungen in einen abschätzbaren Zeitraum, vom Beginne der Wiesenkultur nämlich angefangen, fällt. Unter „Wiesen" sind in diesem Falle nur jene Formationen zu verstehen, die dauernd unter dem Einfluß des Menschen stehen, nicht nur von ihm geschaffen, sondern auch erhalten werden. Man darf sich nun die Sache nicht so vorstellen, als hätte der Eingriff des Menschen die Anpas- sungen direkt hervorgerufen; in den meisten Fällen hat der Mensch nur insofern mitgewirkt, als er bestimmte Lebensbedingungen schuf In der Wiesen- formation konnten nur solche Pflanzen gedeihen, die entweder an jene Lebensbedingungen von vorn- herein angepaßt waren, oder aber, wenn sie aus anderen Formationen einwanderten, die der Wiese entsprechenden Eigentümlichkeiten annahmen. — Die Eigenartigkeit der I^ebensbedingungen auf der Wiese wird geschaffen durch das ein- oder mehrmalige Mähen. — Lassen wir den Lebenslauf einer beliebigen Wiesenpflanze an uns vorüber- ziehen. Der Winter wird im Zustand der Vegeta- lionsruhe überdauert, die oberirdischen vegetativen Organe der Pflanze sind fast ganz reduziert. Jeder- mann weiß, daß der Pflanzenwuchs der Wiesen zur Winterszeit sehr gering ist: das ist die Periode des I. Tiefstandes. Im Frühling treiben die Pflanzen aus, es kommt zum i. Hochstande. Imjnni/Juli wird dann gemäht: 2. Tiefstand. Allmählich wachsen die Wiesenpflanzen wieder heran, es kommt zu einem 2. Hochstande, der jedoch an Reichtum der Formen und Höhe der Individuen hinter dem ersten zurückbleibt. Die 2. Mahd schafft dann den 3. Tiefstand. In manchen Gegenden kommt es dann noch zu einem 3. Hochstand und zu einer 3. Mahd, an deren Stelle auch das Weiden des Viehes treten kann. Die folgende Kurve soll den geschilderten Lebenslauf der Wiesenpflanze veranschaulichen. I. Tiefstand I, Hoclistand 2. Tiefstand 2. Hochstand 3. Tiefstand 1 3. Hochstand 4. Tiefstand Winter P'rüliline Sommer Herbst Winter regung wir erhalten. Jede einzelne Pflanzenform stellt sich uns nicht nur als Äußerung eines höchst komplizierten Entwicklungsprozesses, sondern auch als Ergebnis eines ebenso merkwürdigen Anpassungs- vorganges dar. Die Wiesenformation ist in doppelter Hinsicht interessant. Die darin herrschenden eigen- artigen Lebensbedingungen schufen charakteristische Sollen nun die Wiesenpflanzen dauernd er- halten bleiben, zur Fortpflanzung und Vermehrung kommen, so müssen sie sich diesen abnormen Verhältnissen anpassen, denn es ist klar, daß z. B. eine einjährige Pflanze, die während des 2. Tief- standes auf verlängerter Achse blüht und fruchtet, auf einer solchen Wiese undenkbar ist. In bezug auf N. F. m. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 827 Anpassung unterscheidet Prof. Wettstein 4 Pflanzen- typen auf der Wiese. Zum ersten Typus gehören jene Pflanzen, die mit niedrigen ober- und unterirdischen Organen ausdauern und bei günstigen Ver- hältnissen mehrmals austreiben. Diese Pflanzen, z. B. die Gräser, Schafgarbe, Thymian sind noch am wenigsten angepaßt, was daraus hervorgeht, daß sie auch in anderen Formationen gedeihen. Der zweite Typus unterscheidet sich vom ersten nur dadurch, daß die Pflanzen nur einmal ver- längerte Sprosse treiben. Diese Pflanzen schützen sich durch geringe Höhe gegen die Mahd, meist haben sie grundständige Blätter, die während der ganzen Vegetationszeit assimilieren. Es gibt nun Pflanzen dieses Typus, die während eines Hoch- standes sich an der Wiesenbildung beteiligen und solche, die einen Tiefstand benutzen. Im ersten Tiefstand der Wiesen findet man z. B. die Primula acaulis und Viola hirta, während des folgenden ersten Hochstandes die Primula elatior und officinalis, in der Zeit des zweiten Tiefstandes die Eberwurz (Carlina) und Cirsium. Den dritten Typus repräsentieren jene Pflan- zen, die nur während einer Periode blühen, die ganze übrige Zeit unterirdisch ver- bringen. Hierher gehören die meisten Zwiebel- und Knollengewächse: Leucojum, Muscari, Col- chicum, Crocus, Cyclamen. Der vierte Typus endlich ist der interessanteste. „Es kommt hier zur Ausbildung paralleler Arten, von denen je eine einer Wiesenperiode, oder von denen eine einer VViesenperiode, die zweite den Existenzbedingungen an einem anderen Standort entspricht." Man nennt diese Erscheinung Saison- Dimorphismus. Das schönste Beispiel hierfür bietet wohl die Gattung Euphrasia (Äugentrost). Im ersten Hochstand findet man blühende Euphrasien mit langen Stengelgliedern, wenig Blättern und schwacher Verzweigung. Zur Zeit des zweiten Tiefstandes wachsen solche mit kurzen Stengel- gliedern, starker Beblätterung und Verzweigung. Im ersten Falle zeigt sich deutlich die Tendenz möglichst rasch zur Entwicklung zu gelangen, um noch vor Eintreten der Mahd zur Fortpflanzung zu kommen. Sehr interessant sind auch die Ausführungen Wettstein's über die Schutzmittel der Pflanzen gegen Tierfraß. — Die Wiesenpflanzen, die während des ersten Tiefstandes und ersten Hochstandes blühen , bedürfen ihrer nicht , da im Frühling das Vieh nicht auf die Weide getrieben wird. Anders die im Herbst blühenden Pflanzen. Ent- weder sind sie giftig (Colchicum) oder dornig (Carlina). Charakteristisch ist auch der Umstand, daß die im Frühjahr blühende Ononis foetens dornenlos ist, die spätblühende Ononis spinosa scharfe Dornen besitzt. Hiermit sind die Probleme, die uns die an- scheinend so uninteressante Wiesenformation bietet, noch keineswegs erschöpft. — Auch die Tierwelt, vor allem die Insekten, wird sich an die mehr- malige Mahd angepaßt haben. Wie ? ist noch völlig unbekannt. — Dr. G. Stiasny. Ein geophysikalisches Observatorium ist seitens des itaUenischen Alpenvereins mit staat- licher und privater Subvention in 4560 m Meeres- höhe auf dem Monte Rosa errichtet worden. Dieses neue Bergobservatorium ist nächst dem auf dem Montblanc das höchste Europas und soll im Sommer beständig, im Winter zeitweise von einem Assistenten bewohnt werden, der neben den rein meteorologischen auch andere geophysikalische Beobachtungen anstellen wird. Auch ist die Mög- lichkeit vorgesehen , fremde Forscher zu Studien- zwecken vorübergehend aufzunehmen. Elektrische Kraftlinien sind kürzlich von M. Seddig in schöner Weise zur Darstellung gebracht worden (Annalen der Physik, Bd. 11). Während die Darstellung des Verlaufs der mag- netischen Kraftlinien durch Eisenfeilspäne außer- ordentlich leicht gelingt und einen allgemein be- kannten Schulversuch bildet, stellten sich der Sichtbarmachung der elektrischen Kraftlinien er- hebliche Schwierigkeiten in den Weg, die erst nach langem Probieren überwunden wurden. Seddig ist schließlich durch Benutzung feiner, in Terpentinöl suspendierter Teilchen von Glyzerin oder auch Chininsulphat zum Ziele gelangt. Das Kraftfeld wurde zwischen kugelförmigen oder plattenförmi- gen Elektroden erzeugt, die mit den Belegungen einer durch eine Influenzmaschine auf konstanter Ladung erhaltenen Leidener Flaschenbatterie in Verbindung standen. Außer dem regelmäßigen, ungestörten Verlauf der Kraftlinien konnte auch die Störung durch einen genäherten Metallklotz, sowie die Abbiegung nach innen bzw. außen durch zwischen die Elektroden gesetzte Ringe aus Metall oder Hartgummi , sowie die elektrische Schirmwirkung im ersteren Falle deutlich sichtbar gemacht werden. Das Einbiegen bzw. Ausbiegen der Kraftlinien bei Zwischenschaltung von Dielek- trica höherer bzw. niedrigerer Dielektrizitäts- konstante wurde realisiert durch Anwendung einer Glaskugel , die das eine Mal mit Methylalkohol, das andere Mal mit Luft gefüllt war. — Auch geschmolzenes Paraffin mit darin suspendiertem Holzkohlenpulver gestattete die Hervorrufung eines schönen Kraftlinienbildes , das den Vorteil bietet sich beim Erstarren des Paraffins von selbst zu fixieren, während die in Terpentin erzeugten An- ordnungen der Teilchen nur durch Hilfe der Photographie festgehalten werden konnten. Bei Versuchen in Luft mit auf Hartgummi aufgestreutem Sande bildeten sich merkwürdigerweise anstatt der Kraftlinien .die auf diesen senkrecht stehenden Niveauliniensysteme aus, eine Erscheinung, die Seddig nur hypothetisch durch die Wirkung Bjerknes'scher hydrodynamischer Kräfte zu erklären versucht. F. Kbr. 828 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 52 Himmelserscheinungen im Oktober 1904. Stellung der Planeten: Merkur ist nur am AntLing des Monats morgens für kurze Zeit sichtbar. Venus wird als Abendstern siclitbar und kann zuletzt ^/.i Stunde lang ge- sehen werden. Mars stellt im Löwen und kann 2 bis 2'/., Stunden lang vor Beginn der Dämmerung beobachtet werden. Jupiter tritt am iS. in Opposition zur Sonne und strahlt daher die ganze Nacht hindurch, er steht im Walfisch. Sa- turn ist im Steinbock abends tief im S bis SVV zuletzt noch, etwa 5 Stunden lang sichtbar. Verfinsterungen der Jupitermonde: 4. Okt. II Uhr 57 Min. 6 Sek. M.E.Z. ab., Eintr. d. I. 'l'rab 5- >, 8 .. '9 „ 34 „ ,. ,. ,. .. "■ .. 6. „ 6 „ 25 „ 48 „ „ „ „ „ 1. „ 12. „ 10 „ 54 „ 38 „ „ „ „ „ II. „ 13- .1 8 „ 20 „ 40 „ „ „ „ ,, I. „ 22. „ 6 „ 53 „ 39 „ „ „ Austr. „ I. „ 23. „ 6 „ 53 „ 26 „ „ „ „ „ 111. „ 29. „ 8 „ 48 „ 54 „ „ „ „ „ 1. „ 30. „ 7 ., 47 .. n .1 " .. .. " ••■ .. 30- .. 'o " 54 .. 24 „ „ „ „ „ III. „ Algol- Minima finden statt am 19. um II ühr 8 Min. abends, sowie am 22. um 7 Uhr 57 Min. abends. Bücherbesprechungen. Meyer's Grofses Konversations -Lexikon. Ein Nachscliliigewerk des allgemeinen Wissens. 6., gänzlich neubearb. u. venu. Auflage. 7. Band. Franzensbad bis Glashaus. Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut. 1904. — Preis geb. 10 Mk. Der neueste (7.) Band der 6. Auflage von Meyer's Konversations- Le.xikon reiht sich würdig den bisher erschienenen an auch hinsichtlich der Naturhistorie, die gebührend vertreten ist. Wir erwähnen diesbe- züglich die gut illustrierten Artikel Gang, Geiser, Ge- birge, Gewitter, Giftpflanzen, Gemüsepflanzen, Gehirn, Gartenschädlinge, Früchte, Gehör, Geologische For- mationen usw. Geologische Karte von Preufsen und benach- barten Bundesstaaten in I : 25000, herausgegeben von der Königlich Preußischen Geologischen I^andes- anstalt und Bergakademie. Lieferung 107. Blätter: Oliva, Danzig und Weichselmünde (mit Neufahiwasser) bearbeitet durch O. Z e i s e ; Blätter Braust und Trutenau von W. W^olff, Blatt Käsemark von B. Kühn und Blatt Nickelswalde von A. Jentzsch, nebst Erläuterungen. (Vielfach haben die einzelnen Bearbeiter auch Beiträge zu den Erläuterungen der Nachbarblätter geliefert.) Die 7 Blätter umfassen die Umgebung von Dan- zig, und damit ein Stuck Meeresküste der Danziger Bucht, die Nordwestecke des Weichseldeltas und den östlichen Abfall des Danziger Höhenlandes aufwärts bis 160 m Meereshöhe. Die Oberfläche besteht vor- wiegend aus Alluvium und Diluvium ; punktförmig tritt vielorts Miocän zutage ; spärlich und wohl nur als Scholle das Oligocän; durch zahlreiche Bohrungen, deren Profile genau beschrieben werden, sind die Schichtenfolgen dieser 4 Formationen aufgeklärt und als deren Unterlage Kreideformation nachgewiesen. Jede einzelne dieser Formationen bot bemerkenswerte Aufschlüsse. Im Alluvium werden die geschichtlich nach- weisbaren Veränderungen der Meeresküste dargestellt teils durch Auszüge aus Geschichtsquellen und Wieder- gabe älterer Karten, teils durch die neuesten Tiefen- messungen, welche die über- und unterseeische .Aus- gestaltung der 3 Mündungsdeltas erkennen lassen, welche der Weichselstrom baute : das neueste , seit dem künstlichen Durchstich bei Nickelswalde vom Jahre 1895; das seit dem natürlichen Durchbruch von 1840 bei Neufähr aufgebaute, seit 1895 lang- samer Zerstörung anheimfallende Delta; und das noch ältere, seit 1840 nicht mehr wachsende und teilweise dem frischen Küstenabbruche verfallene Delta von Weichselmünde und Neufahrvvasser, dessen Gestaltung durch 9 Kärtchen von 1594 bis 1899 verfolgt wird. Die Küstendünen erreichen bis 34 m Meereshöhe. Sie bilden einen zusaminenhängenden Zug , der sich nordostwärts als „Frische Nehrung" fortsetzt. Der Durchstich derselben in der künstlichen Weichsel- mündung ergab, in Verbindung mit einer Reihe von Bohrungen, das in den Erläuterungen zu Blatt Nickels- walde abgebildete Querprofil. Danach liegen diese Dünen auf diagonal geschichtetem Meeressand , wel- cher von alluvialen Süßwasserschichten unterteuft wird. Neu für das preußische Küstenland sind die che- mischen Analysen des Dünensandes und seiner Ein- lagerungen, nämlich eines Alten Waldbodens, des den letzteren unterteufenden ,,Aschgrauen Sandes", ferner eines in den Küstendünen Ost- und W'estpreußens als dünne Lage weitverbreiteten , auffallend grünlichen Sandes, sowie der Fuchserde und des tief unter letz- terer entnommenen älteren Dünensandes im Vergleich mit frisch aufgeworfenem Meeressand. Die ebenen, inmitten der Niederung emporragen- den Sande, welche auf der älteren i : 100 000 teiligen Geologischen Karte der Provinz, Blatt Danzig durch Berendt, und (demselben folgend) auch auf Blatt Dirschau durch Jentzsch zum altalluvialen „Haide- sand" gestellt wurden , sind nunmehr , den neueren Darlegungen von Jentzsch Rechnung tragend , als jungalluviale, teilweise durch Weichselfluten eingeebnete Dünensande erkannt und dargestellt. In der einge- deichten eigentlichen Niederung zeigen die Karten weite Flächen von Schlick in gesetzmäßiger Verbin- dung mit Sand, Moorerde und Torf. Man überblickt die tiebiete der mit je i oder mehreren, geschicht- lich nachweisbaren Weichseldeichbrüchen verbundenen Übersandungen, deren größte, vom Jahre 1526, bei Schöneberg auf Blatt Käsemark liegt, und ebenso Gebiete , in denen auf weite Erstreckungen Schlick einen jungalluvialen , abbaufähigen Torf überlagert, der also dort gewissermaßen den ersten Schritt zur Kohlewerdung zeigt. Das Alluvium der im Hochsande verteilten Kessel, Talsohlen und Talgehänge zeigt die auch aus anderen ( legenden des norddeutschen Flachlandes be- kannten Typen. Taidiluvium findet sich als Talsand und zumal als Talgrand (,,Kies") in den größeren Tälern. Im dem größten derselben, dem der Radaune, wurde es auf Blatt Praust in 3 Stufen gegliedert. Es erfüllt auch jenes tote (diluviale) Tal, welches am Nordrande des Blattes Oliva die 91 m hohe „Hoch- N. F. III. Nr. 53 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S29 redlauer Kämpe" von dem eigentlichen Hochlande abtrennt, und zieht sich , in 2 Stufen gegliedert, am Rande des Meeres 60 m hoch südwärts bis Danzig. Zeise folgert daraus, daß am Ende der Vereisung, während das Land westlich und südlich bereits eisfrei war, der Weichseltal-Gletscher in der Danziger Bucht und im Deltagebiet noch längere Zeit verharrte, und für eine Strecke wenigstens die östliche Begrenzung des Weichselstromes bildete. Ihre Fortsetzung nach Westen finden diese Stufen in dem Lauenburger Urstromtal, dessen Mangel an gleichsinnigerem Gefälle Jentzsch und nachher Keilhack auf postglaziale Küsten- bewegung zurückzuführen versucht haben. Das Höhendiluvium ist nach der bis zum Jahre 1902 bei den preußischen Aufnahmen maßgebenden Weise gegliedert und abgegrenzt, so daß alle die- jenigen Diluvialbildungen , deren jungglaziales Alter nicht sicher erwiesen werden konnte , einschließlich der Vorschüttungssande der jüngsten Vereisung, dem „Unteren Diluvium" zugerechnet wurden. Sowohl Oberer Geschiebemergel wie Deckton ziehen sich von großen Höhen bis zum Rande des Weichseldeltas hinab, und ragen aus dem Alluvium des letzteren noch in vereinzelten Inseln empor. Unterer Geschiebemergel, dessen Vorhandensein bei Danzig durch Zeise früher bestritten wurde, ist nun- mehr auch dort in mehreren Aufschlüssen nachge- wiesen. Auch haben verschiedene Bohrungen 2, 3, 4 und selbst 6 Geschiebemergelbänke getroffen. Kiese und namentlich Sande treten in verschiedenen Horizonten des Diluviums in großer Mächtigkeit auf, ebenso Tonmergel. Nach Bohrungen ist das Diluvium oft mehr als 100 m mächtig und an einer Stelle (St. Albiecht) mit 140 m Mächtigkeit noch nicht durchsunken ; an einer anderen Stelle (Hochkelpin) erbohrte man sein Liegendes bei 141 m. Es um- schließt große Schollen tertiärer und älterer diluvialer Schichten. An Fauna fanden sich Yoldiaton und im Süß- wasser Sand mit Dreissenia polymorpha und Valvata piscinalis an zwei Stellen des steilen Meeresufers von Adlershorst bei Hochredlau, beide jedoch unter Lage- rungsverhältnissen , über welche eine einstimmige Deutung der Beobachter noch nicht erzielt wurde. Unter den verhältnismäßig spärlichen (vermutlich um- gelagerten) Knochen des Diluviums sind bemerkens- wert die 2 einzigen bekannten Reste des Bos Pallasi Baer, deren Fundschicht leider nicht bekannt ist. M i o c ä n tritt in meist gestörter Lagerang als zahlreiche, im Diluvium eingebettete Schollen punkt- förmig in Gruben und Talgehängen zutage ; als schmaler , wahrscheinlich anstehender Saum unter mächtigem Diluvium am Meeresufer bei Hochredlau und endlich in vielen Tiefbohrungen. Doch fehlt es auch in mehreren Bohrungen, ist mithin nicht ganz gleichartig verbreitet. Es ist kalkfrei und als Braun- kohlenbildung entwickelt ; vorwiegend feine, z. T. glimmerhaltige Quarzsande, ferner gröbere Quarzsande und Kiese, sowie Bänke von Ton, Letten und gering- mächtigen, z. Zt. völlig unbauwürdigen Braunkohlen. Seine senkrechte Mächtigkeit schwankt von o bis 80 m. Die wirkliche Mächtigkeit ist geringer, da die Schichtenlagerung stark gestört ist. Das Streichen ist in den größten Aufschlüssen etwa SW — NO, aber von diluvialen Einwirkungen so stark beeinflußt, daß diese Richtung noch nicht als endgültig festgestellt werden kann, da sich Aufschlüsse mit fast senkrecht dazu liegender Streichrichtung finden. Fallen von o" bis fast go". Erwähnenswert ist das Vorkommen von Braun- kohlenquarziten (Knollensteinen). Solche fanden sich als Diluvialgeschiebe mehrorts bei Danzig, z. T. mit herrlichen Laubblatt-Abdrücken. Ohne letztere, jedoch mit Stengel- und Wurzelabdrücken bilden sie nester- weise feste Bänke im Miocänsande der sogenannten „Braunkohlenschlucht" bei Brentan und des Carls- berges bei Oliva. Auch haben sich verkieselte Hölzer gefunden, insbesondere ein zu Cupressinoxylon ge- höriger, 5 m langer Stamm von 1 m Umfang. Die Oberfläche des Miocäns schwankt bedeutend , z. B. auf dem einen Blatte Danzig zwischen -j-45 m und — 47 m, mithin um 92 m. Von Interesse sind einige neue Analysen tertiärer Schichten , durch welche insbesondere der miocäne Quarzsand von Kladan (Blatt Braust) als hinreichend rein zur Glas- und Porzellanfabrikation befunden wurde , wozu er schon früher durch einen der Geo- logen vorgeschlagen worden war. Das Oligocän ist glaukonitisch und marin. Es enthält feine Grünsande mit Bernstein , grobe Grün- sande mit Haifischzähnen und Phosphoritknollen und endlich glaukonitische Erden und Tone mit Radio- larien, Foraminiferen, Diatomeen und Kieselschwamm- nadeln. Da es sonst zweifellos marin ist und von Miocän überlagert , von Senon unterteuft wird , hat man es dem petrographisch sehr ähnlich entwickelten, in einzelnen Ghedern zum Verwechseln gleichen Unteroligocän des Samlandes zu parallelisieren. Seine Tagesaufschlüsse sind die diluvialen Schollen von Neukau und Schüddelkau ; außerdem ist es mehrfach erbohrt und durchbohrt, aber hier nirgends mehr als 12m mächtig. Die Kreide formation ist vielorts unmittelbar unter Diluvium , Miocän oder Oligocän erbohrt und mit 40 m Mächtigkeit nicht durchsunken. Alle ihre Schichten bestehen aus feinem Quarzsand mit oft höchst zahlreichen Glaukonitkörnchen, und sind durchweg mit Kreidestaub durchmischt , welcher in einzelnen Bänken sich zu kreideähnlichen Gesteinen anhäuft, in denen Knollen von Feuerstein und harter Kreide vorkommen. Die wenigen Versteinerungen entsprechen den petrographisch gleichen , als Mucro- natenstufe nachgewiesenen Kreideschichten von Marienburg und Königsberg. Es sind Foraminiferen, Belemniten, Echiniden, Austern usw., welche aber meist nur in Bruchstücken vorliegen. Bemerkenswert sind die artesischen Quellen, welche in der Niederung fast in jedem Dorfe bei 80 — 100 m Tiefe unter dem Meere in der Kreide erbohrt wurden. Sie sind für die Trinkwasserversorgung des Weichseldeltas von hoher Bedeutung. RüdorfT, Grundriß der Chemie. Ausgabe B. 13. Auflage. Berlin 1904, H. W. Müller. Mit 8-,o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. in. Nr. 52 56 Holzschnitten und i Spektraltafel. 289 Seiten. ■ — Preis geb. 4,50 Mk. Nachdem die 12. Auflage des beliebten Rüdorff- scben Leitfadens unter der Redaktion des inzwischen verstorbenen Dr. Lüpke nach Inhalt und Umfang über den Rahmen des Schulunterrichts hinausgewachsen war, hat sich die Verlagshandlung entschlossen, neben dieser als Ausgabe A geltenden , ausführlichen Be- arbeitung ein kürzeres, dem Unterricht wieder ange- paßtes Lehrbuch als Ausgabe B der Srhule zur Ver- fügung zu stellen. Als Herausgeber dieser Neuauf- lage wurde Prof. Dr. Arthur Krause gewonnen, der sich seiner Aufgabe mit groijer LTmsicht und Sorgfalt entledigt hat, die durchweg den erfahrenen Pädagogen erkennen läßt. In der Anordnung sich wieder mehr dem ursprünglichen, Rüdorft''schen Grundriß an- schließend , hat der Herausgeber innerhalb des Rah- mens elementarer Darstellung die Grundlehren der physikalischen Chemie zur Geltung gebracht und insbesondere auf die thermochemischen Tatsachen mit Nachdruck hingewiesen. In reichem Maße wird auch die chemische Technologie behandelt und die Fabrikationsweise der wichtigsten Erzeugnisse derselben wird an der Hand sehr instruktiver und deutlicher Abbildungen veranschaulicht. Den Abschluß des un- organischen Teils bilden eine Zusammenstellung von 175 stöchiometrischen Aufgaben und einige Zahlen- tabellen. Erst dahinter beginnt der organische Teil, da der unorganische mit Rücksicht auf die Beschrän- kung der Lehrpläne mancher Schulen selbständig käuflich bleiben sollte. Der organische Teil ist von Prof. Krause von Grund aus neu bearbeitet worden. Es wird hier auf einigen sechzig .Seiten eine gedrun- gene Übersicht über das ganze Gebiet gegeben, die sehr wohl geeignet erscheint, im Sinne des Verf. das Verständnis des Zusammenhangs der organischen Stoffe unter Verzicht auf die Darbietung allzuvieler und leicht verwirrender Einzelheiten zu fördern. Mit Recht wird auch in diesem Teil bei den praktisch wichtigen organischen Verbindungen länger verweilt. F. Kbr. Max Verworn, Beiträge zur F' rage des natur- wissenschaftlichen LInterrichts an den höheren Schulen. Jena 1904. G. Fischer. 89 Seiten. Die Schrift ist eine Sammlung selbständiger und voneinander unabhängiger Meinungsäußerungen be- kannter Hochschullehrer und soll neben einer den mathematisch-physikalischen Unterricht im Auge haben- den Schrift von Klein und Riecke das Material für eine auf den 22. September anberaumte Sitzung der diesjährigen Naturforscherversammlung auf etwas brei- terer Grundlage entwickeln. Da an der Festsetzung der neuen, preußischen Lehrpläne nur die Vertreter der Schulen, nicht aber die der Hochschulen beteiligt gewesen sind, so ist es gewiß berechtigt und erwünscht, daß auch diejenigen, denen die Schule das Studenten- material vorbildet, ihre Stimme hören lassen und auf gewisse Mängel der heutigen Schulbildung hinweisen, die sich eben erst auf der Universität fühlbar machen. Indem wir hinsichtlich des näheren Inhalts auf die Schrift selbst verweisen müssen , sei noch bemerkt, daß Prof. Verworn den naturwissenschaftlichen LTnterricht im allgemeinen (S. i — 15) behandelt, Hertwig betrachtet alsdann denselben vom Stand- l)unkt des Zoologen (S. 16 — 30), Detmer von dem des Botanikers (S. 31 — 46), J. Wagner läßt sich über den chemischen Unterricht (S. 47 — 69), VV a 1 1 h e r über die Geologie (S. 70 — 77) und H. Wagner über die Erdkunde im Schulunterricht (S. 78 — 89) ver- nehmen. Wir zweifeln nicht, daß diese gewichtigen, auf eigene Erfahrung gestützten Stimmen die gebüh- rende Beachtung sowohl in den Kreisen der Schul- männer , als auch namentlich an den maßgebenden Stellen finden werden. F. Kbr. Literatur. Bertelsmann, Chcm. Dr. : Der Stickstoff der Steinkohle. [Aus: „Sammig. ehem. u. cheraisch-techn. Vortr."] {86 S.) Lex. 8". Stuttgart '04, F. Enke. — 2,40 Mk. Bloch, Assist. -Arzt Bruno: Die geschichtlichen Grundlagen der Embryologie bis auf Harvey. (120 S.) Leipzig '04, W. Engelmann in Komm. — 6 Mk. Guenther, Priv.-Doz. Dr. Konr. : Der Darwinismus und die Probleme des Lebens. Zugleich e. Einführg. in das ein- heim. Tierleben. 2. Aufl. (XV, 460 S.) gr. 8". Freiburg i. B. '04, F. E. Fehsenfeid, — 5 Mk. ; geb. 6 Mk. Hamberg, H, E. : Die Sommernachtfröste in .Schweden 1S71 bis 1900. [Aus: ,,Svcnska Vctenskaps-Akademiens hand- lingar."] (94 S. m. 4 Taf.) 4". Stockholm '04. Berlin, R. Fricdländer & Sohn in Komm. — 6,90 Mk. Hollös, Oberrealsch. - Prof. Dr. Ladisl. : Die Gasteromyceten Ungarns. Mit 31 zum Tl. kolor. Taf. nach Orig.-Zeichngn. u. Photographien. Deutsche Übersetzg. (278 S.) 42, 5X 31 cm. Leipzig '04, O. Weigel in Komm. — Geb. 80 Mk. Briefkasten. Herrn E. M. in Sarstedt. — Frage i: Welches Werk gibt eine praktische Anleitung zur Planktonforschung? — Das Plankton oder die Gesamtheit der frei im Wasser schwe- benden Organismen bildet mit den beweglicheren, freischwim- menden Tieren, dem ,,Nekton", zusammen eine Biokönose oder Lebensgemeinschaft. Man darf wohl sagen , daß von allen Lebensgemeinschaften gerade diese in ihren Wechsel- beziehungen am eingehendsten erforscht ist. Zahlreiche For- scher haben sich in neuester Zeit dem gleichsam neu er- schlossenen Forschungsgebiete zugewendet und die Methodik hat von Jahr zu Jahr Fortschritte gemacht. Es ist klar, daß bei derartigen Fortschritten jede praktische Anleitung in kürze- ster Zeit veralten müßte. Ein einzelnes Werk, welches den augenblicklichen Stand der Plankton forschung erschöpfend darlegt, dürfte schon deshalb kaum existieren. Wollen Sie sich der Planktonforschung zuwenden, so müssen Sie mehrere Abhandlungen studieren. Ich hebe deren vier besonders hervor. Durch sie werden Sie auf andere, z. T. nicht weniger wichtige Arbeiten hingewiesen; I. V. Henscn, Über die Bestimmung des Planktons in 5. Ber. Komm. wiss. Unters, d. deutsch. Meere, 1887, S. i IT. 2. V. Hensen, Methodik, in Ergebn. der Plankton-Expedition, Bd. 1 B, Kiel 1895. 3. C. Apstcin, Das Süßwasserplankton, Kiel 1896. 4. II. Loh mann, Neue Untersuchungen über den Reichtum des Meeres an Plankton, in Wissenschaftl. Meeresunters., N. F. Abt. Kiel, Bd. 7, 1903, S. i ff. — Unterscheidet man als ,, Auftrieb" oder ,,Pleuston" die Gesamtheit derjenigen Orga- nismen, welche unmittelbar an der Oberfläche des Wassers leben und oft mehr oder weniger aus dem Wasser vorragen, welche also gleichsam treiben (F. Dahl, Kurze Anleitung zum wissenschaftl. Sammeln, Jena 1904, S. 18), so bleibt der Name Plankton dem in verschiedenen Tiefen lebenden sog. zonarischen Plankton und gerade auf dieses zonarischc Plankton beziehen sich die Methoden der Planktonfischerei. Der Auf- trieb im engeren Sinne wird beim Planktonfang meist nicht N. F. III. Nr. -.i Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 831 gelangen, weil er von dem treibenden Scliiffe fortgeschoben wird, wenn man auf der Leeseite fängt. — Man ist jetzt wohl :illgemein einig darin, daß zur Feststellung des Stoffwechsels im Wasser quantitative Untersuchungen gemacht werden müssen. Während aber die früheren Forscher Schätzungen iür ausreichend hielten (E. H aecke 1 , Plankton-Studien, Jena 1890), dürften die neueren ohne Ausnahme eine exaktere Methode, welche Messungen, Zählungen und Wägungen ver- langt, für unbedingt erforderlich halten. — Der Fang wird in verschiedener Weise gewonnen: Hensen verwendete das sogenannte Planktonnetz, liel3 dasselbe bis zu einer ge- messenen Tiefe hinab, um es dann senkrecht aufzuziehen. Der Inhalt an Plankton stammte dann aus der filtrierten Wassersäule von gemessener Größe. Diese Methode, welche sehr bequem ist, gilt nach dem neuesten Stande der Forschung, für bestimmte Zwecke auch jetzt noch als ausreichend , vor- ausgesetzt, daß der Netzstoff nicht geschrumpft und nicht ver- stopft ist und daß das zu untersuchende Wasser klar und ver- hältnismäßig arm an Plankton ist (CD. Marsli in Wisconsin Geol. and Nat. Hist. Survey, Bull. 12, 1903). P'reilich be- kommt man bei dieser Fangmethode nur das sog. mesoskopi- sche Plankton (F. Schutt, Analytische Plankton - Studien, Kiel 1892, S. 2) vollständig. Für das Mikro[ilankton und für planktonreiche Gewässer genügt die Methode nicht, wie zuerst C. A. Kofoid nachgewiesen hat (Science, N. S. Vol. 6, 1897, p. 829 ff.). Deshalb benutzt man jetzt vielfach Pumpe und Schlauch. Ein von Hensen gewonnenes Resultat, daß das Plankton ganz außerordentlich gleichmäßig verteilt ist, hat sich bei neuerer Forschung immer mehr bestätigt. Frülier hatte man sich fälschlich durch Beobachtungen am Auftrieb oder Pleuston dazu verleiten lassen, eine ebenso un- gleichmäßige Verteilung auch beim Plankton anzunehmen. Die gleichmäßige Verteilung läßt für das mikroskopische Plank- ton eine weitere bequeme Methode als zulässig erscheinen. Es dürfte nämlich vielfach schon der Inhalt einer Mey er- sehen Flasche oder eines Krümmel'schen Schöpf- apparats zur Bestimmung des Mikroplanktons ausreichen (Lo hmann a. a. O. S. 22). — Was die Behandlung des Fanges anbetrifft, so werden, um das Wichtigste zuerst zu nennen, Zählungen der einzelnen Formen mittels des sog. Zählmikroskops (Hensen, Methodik S. 145) ausgeführt. Für verhältnismäßig kleine Formen ist oft die Zählung eines kleinen Teiles des Fanges hinreichend. Man nimmt dann mit einer Stempelpipette (Hensen, Methodik S. 144) einen gemessenen Bruchteil zum Zählen heraus. — Ferner bestimmt man das Volumen des Fanges, indem man die Masse ent- weder in einem Meßzylinder sich absetzen läßt, oder indem man zur schnelleren und vollkommeneren Erreichung dieses Zweckes nach C. J. Cori's Vorgang (Zeitschrift für Mikro- skopie Bd. 12, 1896, S. 303) sich einer Zentrifuge bedient, oder indem man erst die Planktonmasse in der sie aufnehmenden Konservierungsflüssigkeit mißt, darauf die Flüssigkeit abfiltriert und mißt und die Differenz feststellt (Verdrängungsmethode, Hensen, Methodik, S. 137), oder endlich indem man das Volumen der einzelnen Organismen berechnet und den Wert mit der im Fange gefundenen Zahl multipliziert (Loh mann a. a. O. S. 71). — Für das Ver- ständnis des Stoffwechsels ist es außerdem sehr wichtig, die chemische Zusammensetzung einzelner Planktonorganismen fest- zustellen, wie dies K. Brandt getan kat (Wissensch. Mecres- unters. N. F. Abt. Kiel, Bd. 3, 1898, S. 45 ff.). Man erkennt dann den Nährwert der einzelnen Formen. — Ebenso wichtig ist es, den Vermehrungskoeffizienten der Formen zu bestimmen, wie dies für einige Peridineen und Diatomeen von Hensen, .\p stein und G.Karsten geschehen ist (Wissensch. Meeres- unters., N. F. Kiel, Bd. 2, 1897, S. 82 ff. und Bd. 3, 1898, S. 6 ff.). — Bei den bis jetzt genannten Methoden bleiben die allerkleinsten Planktonorganismen, die Bakterien, unberück- sichtigt. Ihre Zahl läßt sich nur auf indirektem Wege finden. So fand B. Fischer (Ergebn. d. Plankton-K.\p., Bd. IV g), daß an Bakterien in einem Liter Ozeanwasser 781; 000 Individuen leben. Loh mann fand in der gleichen Wassermenge nach seiner Methode 2500 Meeresorganismen und das Hensen- sche Planktonnetz liefert 120. Man sieht also, daß die Bak- terien der Zahl nach ganz außerordentlich überwiegen und gerade ihnen kommt nach K. Brandt's Untersuchungen zum Teil, wegen ihrer denitrifizierenden Tätigkeit, für den Stoff- wechsel im Meere eine außerordentlich wichtige Bedeutung zu (Wissensch. Meeresunters., N. F. Abt. Kiel, Bd. 6, 1902, S. 46 ff. und Beihefte z. botan. Zentralbl. Bd. 16, 1904, S. 383 ff.). — Bei den vergleichenden Planktonuntersuchungcn handelt es sich eineiseits um die geographische Verbreitung der einzelnen Organismen. Dieselbe richtet sich im Meere in erster Linie nach den Temperaturverhältnissen und nach den Meeresströ- mungen (F. Dahl in Zool. Jahrbücher, Abt. Syst. Bd. 6, 1892, S. 499 ff. und H. H. Gran in Report Norweg., Fishery- and Marine-lnvestigations, Vol. 2 1902, Nr. 5) in den Flußmün- dungen und I3innenmeercn nach dem Salzgehalt (F. Dahl, in Ber. naturf. Ges. Freiburg i. P.. , Bd. 8, 1894, S. lo ff.). Andererseits kommt die vertikale Verbreitung in Betracht. Um festzustellen, was in bestimmten Tiefen vorkommt, kann man entweder an derselben Stelle Stufenfänge von verschiedener Tiefe machen und aus der Differenz der Inhalte erkennen, was aus größerer Tiefe stammt (Schüft a. a. O. S. 35) oder man kann sogenannte Schlieft netze verwenden, die ent- weder mittels nachgeschickter Gewichte (A. Agassiz, Three cruises of the Blake, Vol. I, Washington 1888, p. 37 und W. E. Hoyle in Proc. Liverpool biol. Soc, Vol. i88g, p. 100) oder durch einen an der Mündung angebracliten Mechanismus (Hensen, Methodik S. 103 ff.) geöffnet und nach Durchfischung einer bestimmten Strecke wieder geschlossen werden. Aus geringeren Tiefen kann man kleinere Wasser- mengen auch mit der Mey er 'sehen Schöpfflasche heraufholen. Die Erfahrung hat ergeben, daß nur an wenigen Orten unterhalb 200 m keine pelagischen Organismen mehr vorkommen, daß da- gegen in großen Tiefen (z. B. von 1 300 — 1 500 m) ganz bestimmte Tierarten leben (F. Dahl, in Verh. d. deutsch, zool. Gesell- schaft, Bd. 1894, S. 61 ff.). — Die Lebensgemeinschaften des Planktons zeichnen sich besonders dadurch aus, daß die Pflanzen oder Nahrungsproduzenten ganz außerordentlich klein, die Tiere oder Nahrungskonsumenten z. T. zu den größten Riesen gehören. Beides ist in den Lebensbedingungen be- gründet: Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Ernährung der Pflanze auf Flächenwirkung beruht. Die Mathematik lehrt aber, daß bei zwei ähnlichen Körpern die Oberfläche dem Quadrat des Durchmessers, die Masse dem Kubus des Durchmessers proportional ist. Die Pflanze hat also eine verhältnismäßig um so größere F.rnährungsfläche, je kleiner sie ist. Da bei den im Wasser schwebenden Pflanzen die Gefahr des Eintrocknens nicht besteht, sind die kleinsten am günstig- sten gestellt. Durch die Bewegung des Wassers werden die Pflanzen so gleichmäßig auf die Wassermasse verteilt, daß die kleinen Pflanzenfresser (die Copepoden usw.) einer nur sehr ge- ringen Eigenbewegung zur Erlangung ihrer Nahrung bedürfen. Ein Tier aber, daß sich von Tieren mit einer auch nur ge- ringen Eigenbewegung, wie es jene kleinen Pflanzenfresser sind, nähren muß, ist um so günstiger gestellt, je größer es ist. Die Reibung wächst nämlich mit der Größe der Oberfläche, also im Quadrat des Durchmessers, die Bewegungsenergie da- gegen, die an die Masse gebunden ist, mit dem Kubus des Durchmessers : Ein Stein sinkt z. B. als Ganzes viel rascher im Wasser zu Boden als wenn man ihn zu Pulver zermahlt (F. Dahl in Westermann's illustr. Monatsheften, Jahrg. 1893, S. S34ff.). — Die Pflanzen und die pflanzenfressenden Tiere des Planktons zeichnen sich durch vorzügliche Schwebeein- richtungen aus. Schwebeeinrichtungen sind für sie wichtiger als Bewegungsorgane, da sie keine Ausgaben für den Organis- mus erfordern und doch , ebenso wie Schwimmbewegungen, das Untersinken verhindern (F. Schutt und K. Brandt in Reisebeschreibung der Plankton-Expedition, Kiel 1892, S. 243 ff. und340ff.). — Interessant ist im Plankton das Massenverhältnis zwischen Pflanzen und Tieren. Während auf dem Lande die Tiere den Pflanzen gegenüber, die ihnen zur Nahrung dienen, der Masse nach meist ganz verschwinden, bilden im Plankton, namentlich im Plankton der Tropen, die Tiere einen sehr er- hebliclicn Bruchteil. Auf dem Lande kann nämlich die Zer- störung geringer Teile den Tod einer größeren Pflanze zur Folge haben. Bei den einzelligen Pflanzen des Planktons da- gegen geht nur soviel durch Fraß zugrunde wie unmittelbar gefressen wird und den Pflanzenfressern zugute kommt (D ah 1, in Illustr. Monatsh. , 1892, S. 541). — Eine eigenartige Er- scheinung bei zahlreichen Planktonorganismen ist das perio- dische Auf- und Niedersteigen. Man unterscheidet ein täg- liches Auf- und Absteigen (R. v. Wi 11 em ö es- Suh m, in 832 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 52 Proc. Roy. Soc. Vol. 24, 1S76, p. 5S5 und A. Weismann, Das Tierleben im Bodensee, 1877, S. 13 ff.), das nach neueren Untersuchungen nicht über 18 m zu betragen scheint (T. S c o 1 1 in Trans. Linn. Loc. London 2. Ser , Zool. Vol. 6, 1894, p. I ff.), ein jährliches Auf- und Absteigen, (C. Chun in Bibliotheca Zoologica, Bd. i, 1887, S. 50) und ein ontogene- tisches -Auf- und Absteigen (W. Gi esbre ch t, in Fauna und Flora des Golfes von Neapel, 19. Monogr., 1892, S. 808). Das ontogenetische Auf- und Absteigen kann in einem Auf- wärtssteigen der jungen Tiere bestehen (Gi esbre cht a. a. O.) oder in einem Abwärtssteigen derselben (V. Hensen in 4. Ber. Komm. Unters, d. d. Meere, 1884. S. 299 ff. und Fr. Heincke und E. Ehrenbaum in Wiss. Meeresunters. N. F. Abt. Helgoland, Bd. 3, 1900, S. 131 ff.) bestehen. — Bei dem Auf- und Absteigen muß man den Nutzen, den der Or- ganismus aus demselben zieht, (den Zweck) und die physikali- sche Ursache desselben streng unterscheiden. Den Vorteil der täglichen Wanderung sucht F. A. Forel darin, daß die zarten Organismen bei der Seebrise weniger leicht auf den Strand geworfen werden (Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 30 Suppl., 1878, S. 389), Weismann darin, daß das Nährgebiet erweitert wird. Die Ursache wird von Weismann, T. T. Groom und J. Loeb (Biol. Zentralbl. Bd. 10, 1890, 5. 160) in der Lichtwirkung, von Chun und W. Ostwald (Biol. Zentralbl. Bd. 22, 1902, S. 596 ff.) in der Temperatur- wirkung gesucht. — Damit glaube ich die Hauptgesichts- punkte der Planktonforschung an der Hand eines Teils der Literatur in aller Kürze dargelegt zu haben. Frage 2: Wo erhält man die Geräte für die Plankton- forschung? — Manche der Apparate wird Ihnen der Mecha- niker Zwickert in Kiel liefern. Planktonnetze liefert Ihnen der Diener Hantke am zoologischen Institut in Kiel. Frage 3: Eignen sich die Werke von Haeckel und Bütschli zum Studium? — Wer Zoologie studieren will, muß die Anschauungen aller Forscher auf dem Gebiete kennen lernen und sich danach ein eigenes Urteil zu bilden suchen. Für den Anfänger ist ein gutes Lehrbuch an erster Stelle zu empfehlen und ein Lehrbuch der Zoologie hat meines Wissens weder Haeckel noch Bütschli geschrieben. Dahl. Von Herrn Oberlehrer Caesar in Havelberg gehen uns die nachstehenden Beobachtungen über wahrgenommene Töne am Telephon zu : Hält man das Telephon (Hörer) vor den Sprechtrichter des Mikrophons, so entsteht ein Ton. Dieser Ton wird lauter und springt bei allmählicher Entfernung der Telephonmembran in die höhere Oktave. Etwa 5 cm von dem Schalltrichter erreicht die Tonstärke laut pfeifend das Maximum , um bei weiterer Entfernung ziemlich plötzlich ganz zu verschwinden. Nähert man allmählich die Telephonmembran dem Trichter, so wiederholen sich die Vorgänge in umgekehrter Reihen- folge. Am besten hört man den Ton, wenn die Mitte der Membran genau senkrecht über der Mitte des Trichters liegt. Bei seitlichen Bewegungen, sofern die Membran parallel dem Mikrophonbrettchen bleibt, wird der Ton schwächer und än- dert, wenn auch nur sehr wenig, seine Höhe. Fällt die Pro- jektion der Membran (senkrecht) außerhalb der Trichteröffnung, so verschwindet der Ton. Verschließt man die Trichteröffnung durch ein Stück Schreibpapier und hält die Mitte der Membran vor die Mitte des Trichters, so wird der Ton etwa einen hal- ben Ton tiefer. Dasselbe (d. h. einen Ton, der ca '/s Ton tiefer ist als der ursprüngliche) erreicht man, wenn man die Trichteröffnung etwa zur Hälfte verschließt durch ein Stück Kartonpapier (Postkarte) oder eine Glas- oder Metallscheibe. Wird die Trichteröffnung ganz durch das Kartonpapier oder die Glas- oder Metallscheibe bedeckt, so verschwindet der Ton. Merkwürdigerweise habe ich bisher nur an einem Tele- phon diese Beobachtungen machen können, bei drei .anderen Telephonen war nichts zu hören. Ein Postbeamter, mit dem ich darüber sprach, wußte auch, daß bei einigen Telephonen durch Vorhalten der Membran ein Ton entsteht, bei anderen nicht. Die beschriebenen Vorgänge habe ich versucht , mir auf folgende Weise zu erklären : durch das Abhaken des Hörers geht ein elektrischer Strom durch das Mikrophon und ein anderer Strom durch das Telephon. Die beiden Ströme wirken bei geeigneter Lage des Telephons aufeinander ein und bringen die Luftsäule zwischen Telephon und Mikrophon in Schwingungen. Der entstehende Ton erinnert durch seine Klangfarbe an den einer Orgelpfeife (Lippenpfeife). Durch weitere Entfernung der Membran wird die Einwirkung der beiden Ströme aufeinander stärker und der Grundton geht, wie bei der Lippenpfeife durch stärkeres Anblasen , in die Oktave über. Wie bei der Orgelpfeife durch stärkeres An- blasen die Knoten verschoben werden und die Tonhöhe sich etwas ändert, so wird durch das völlige oder teilweise Ver- schließen der Trichteröffnung die gegenseitige Einwirkung der Ströme geschwächt, es wird eine Verschiebung der Knoten der Luftsäule eintreten und die Tonhöhe ändert sich. Die Telephonmembran schwingt jedenfalls mit, ob diese Schwingungen im Verhältnis zu denen der Luftsäule primär oder sekundär sind, wage ich nicht zu entscheiden. Das Tönen rührt, wie ich an anderen Apparaten feststellte, her von der Membran des Hörers, gleich- gültig, ob die Station mit einer andern verbunden ist oder nicht. Die Stärke der Mikrophonelemente, die durch das .Abhaken des Hörers eingeschaltet werden, ist von großer Wichtigkeit. Bei einem Hörer, der früher laut pfiff, hat die Erscheinung aufgehört, nachdem die Spannung der Elemente um etwa 1 '/2 Volt abgenommen hatte. Wird eine Station mit einer andern verbunden, und hält man auf der einen den Hörer nahe genug an den Schalltrichter des Mikrophons, so tönt auf der andern Station der Hörer mit, wenn er ange- hängt ist, und auch , wenn er abgehakt wird. Infolgedessen haben sich zwei hiesige kaufmännische Geschäfte, die ständig miteinander verbunden sind , wenn sie miteinander sprechen wollten, nicht mehr ,, angeklingelt", sondern ohne Benutzung der Klingel ,, angepfiffen". Soviel ich weiß, ist der Hörer, wenn er angehakt ist, ausgeschaltet und die Klingel eingeschaltet. Darum kann ich mir in diesem Falle das Mittönen nicht erklären. Über die Erscheinung selbst möchte ich auch noch einiges hinzufügen. Wenn die Ränder der beiden Schalltrichter sich berühren, so ist der Ton verhältnismäßig tief und geht, wie ich schon mitteilte, in die höhere Oktave über, wenn man den Hörer entfernter hält. Dies erklärt sich wohl durch die Erscheinung bei der offenen und gedeckten Pfeife. Wie kommt es aber, daß durch eine dazwischen gehaltene Postkarte der Ton aufhört, während dies nicht der Fall ist, wenn man den Schalltrichter durch ein Stück Schreibpapier (dünn) verschließt? Auch das vermag ich nicht zu erklären, woher es kommt, daß der Ton etwa einen halben Ton höher wird, wenn man die Öffnung des Mikrophontrichters teilweise durch eine Glas- oder Metallscheibe verschließt. Bisher habe ich in keiner Zeitschrift oder sonst in einem wissenschaftlichen Werk etwas über das Tönen des Hörers gefunden. Vielleicht lassen sich Fachgenossen veranlassen, die Erscheinungen an Telephonen zu studieren, besonders in größeren Städten, wo ihnen mehr Material zur Verfügung steht. 3ur J^achriebt, — Um die „Naturwissenschaftliche Wochenschrift" mit dem Kalenderjahr in Übereinstimmung zu bringen, schließt der 111. Band der Neuen Folge nicht mit der vorliegenden Nummer ab, sondern wird bis zum 31. Dezember weitergeführt. Es wird also dieser Band nicht 52 , sondern 65 Nummern umfassen. Nr. 53 wird mit Berechnung für die Monate Oktober bis Dezember 1904 geliefert. Inhalt: Dr. Ernst Rüge: Zellverbindungen. — Dr. med. Max Weinhold: Über den gegenwärtigen Stand der Lehre von der Kurzsichtigkeit. — Kleinere Mitteilungen: Max Ballerstedt: Zurückziehung einer Ameisenkolonie durch den Mutterstaat. — Das Flugvermögen der Tiere. — R. v. Wettstein: Die Biologie unserer Wiesenpflanzen. — Ein geophysikalisches Observatorium auf dem Monte Rosa. — M. Seddig: Elektrische Kraftlinien. — Himmelserscheinungen im Oktober 1904. — Bücherbesprechungen: Meyer's Großes Konversations Lexikon. — Geologische Karte von Preußen und benachbarten Bundesstaaten. — Rüdorf f: Grundriß der Chemie. ~- Prof. V e r w o r n : Beiträge zur Frage des naturwissenschaftlichen Unterrichts an höheren Schulen. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: i. V. : Dr. F. Koerber, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 2. Oktober 1904. Nr. 53. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 rig. extra. ro.stzeilungslisle Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- ^^;j§i Gohlis, Blumenstrafle 46, Buchhändlerinseratc durch die Verlagshandlung erbeten. Über den biologischen Arsen-Nachweis.') f Nachdruck verboten. Die Gesundheitsschädlichkeit des Aufenthalts in Räumen, deren Wände mit arsenhaltigen An- strichfarben bzw. Tapeten bekleidet sind, ist schon seit sehr langer Zeit bekannt; so z. B. warnt be- reits 1839 die badische Regierung vor der Ver- wendung arsenhaltiger .'Anstrichfarben und Tapeten; Preußen erließ 1848 ein Verbot der Benutzung arsenhaltiger Kupferfarben für die Herstellung von Tapeten und für Wandanstriche, hob dasselbe aber bereits 1854 wieder teilweise auf, indem es die Fabrikation derartiger Tapeten, wenn auch nicht für das Inland, so doch für das Ausland wieder gestattete; unter diesen Verhältnissen kann es nicht Wunder nehmen, daß trotz dieses Verbotes auch in Preußen sehr viele arsenhaltige Tapeten (bis in die 70 er Jahre) Verwendung fanden. Die in der damaligen Literatur festgelegten Fälle von Arsen- vergiftungen sind daher auch nicht selten. Die Schädlichkeit derartiger Tapeten bzw. Zimmer läßt sich leicht erklären, wenn man berücksichtigt, daß z. B. das sog. Scheele' sehe Grün (CuHAsO..), ') Nach einem im Naturwissenschaftlichen Verein zu I'^lber- feld gehaltenen Vortrage. Von G. Wesenberg-Fiberfeld. welches etwa 2 5 'Vi, arsenige Säure (As.jO.,) enthält, mit Vorliebe direkt alsWasserfarbe bzw. für Tapetendruck Verwendung fand. Durch den Luftzug wurden natür- lich immerfort Teilchen der arsenhaltigen Farbe von der Wand abgelöst und gelangten so in die Atmungsorgane der Bewohner. Sonnenschein schildert in seinem Handbuch der gerichtlichen Chemie (1869), daß er in einem Zimmer, in dem kurz vorher ein Kind unter Zeichen der Arsen- vergiftung gestorben war, einen Tiscli aufstellen ließ und dann das Zimmer einige Tage verschlossen hielt ; nach dieser Zeit war der Tisch mit einem dünnen grünen Anflug bedeckt, welcher von den Wänden stammte und sich als stark arsenhaltig erwies. Sonnenschein war auch wohl der erste, welcher, durch gewisse Krankheitserschei- nungen darauf hingeleitet, in der Luft der- artiger Räume gasförmige Arsenver- bindungen vermutete und auch wirklich nach- wies, indem er die von korpuskularen Elementen in geeigneter Weise befreite Luft im Glasrohr er- hitzte und so einen deutlichen Arsenspiegel er- zielte. Hamberg bestätigte 1875 diesen Befund. Als Ursache dieser Arsenverflüchtigung findet sich 834 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 53 in älteren Arbeiten verschiedentlich die „Fäulnis" bzw. „Zersetzung" des Kleisters angegeben, zumal in solchen Räumen häufig ein knoblauchartiger Geruch, namentlich bei feuchter Witterung waiir- genommen wurde. Die Frage nach der Art der hierbei tätigen Lebewesen konnte erst nach dem Ausbau der exakten Bakteriologie gelöst werden, und zwar war es vor allem der Italiener Go s i o , welcher 1892 seine erste diesbezügliche Mitteilung machte; G. hatte auf arsenhaltigem Kleister alle möglichen Schimmelpilze, Hefen und Bakterien wachsen lassen und gefunden, daß eine Anzahl Schimmelpilze, die er infolgedessen kurz als „Arsen - Schimmel" bezeichnet, befähigt sind aus arsen- haltigen Materialien knoblauchartig riechende flüch- tige Verbindungen zu bilden. Unter den geprüften Schimmelpilzen war es besonders das Penicillium brevicaule, welches sich durch rasches Wachs- tum und starke Geruchsbildung auszeichnete. Als Arsenschimmel können außer dem Peni- cillium brevicaule noch angesehen werden : Mucor mucedo, M. racemosus, Aspergillus glaucus, vires- cens, niger, Sterigmatocystis ochracea, Cephalo- thecium rosaceum. Das zu dem biologischen Arsen- nachweis wegen seiner verschiedenen Vorzüge am meisten gebrauchte, von G o s i o aus verschimmelten Tapeten isolierte Penicillium brevicaule (brevicaule = kurzgestielt) steht dem gemeinsten aller Schimmelpilze, dem grünen Brotschimmel (Penicillium glaucum) am nächsten ; es ent- wickelt ein nur sehr niedriges, weißes, im Alter graugelbes Mycel; an den sehr kurzen Hyphen bilden sich bald die runden Sporen, welche an der Spitze häufig ein wenig ausgezogen und an der Basis verdickt und abgeplattet erscheinen, so daß sie an Gestalt etwa einer Zitrone gleichen. Bringt man zu einer Kultur des Penicillium brevi- caule eine Spur irgend einer Arsenverbindung, so nimmt man nach einigen Stunden bis Tagen einen mehr oder weniger intensiven knoblauchartigen Geruch wahr, der noch bei 0,001 mg As._,Oj (also einem Millionstel Gramm arseniger Säure) meist deutlich zu erkennen ist, bei 0,01 mg tage- lang deutlich anhält und bei größeren Mengen den ganzen Raum damit parfümieren kann (Demonstra- tion von Kulturen, welche von 0,001 mg bis 1,0 mg steigend arsenige Säure enthieltenj. Das Wachs- tum des Pilzes ist am besten bei 25 — 35 " C, findet aber auch, wenn auch langsamer, bei Zimmertem- peratur statt. Zum Arsennachweis in irgendeiner Substanz verfährt man am einfachsten in der von Abel und Buttenberg angegebenen Weise : in kleinen Kölbchen vermischt man getrocknetes und in kleinere Bröckchen zerteiltes Graubrot mit der zu untersuchenden Substanz, befeuchtet ev. schwach mit Wasser und sterilisiert im Dampftopf 2 mal je i Stunde lang, oder i mal im Autoklav bei 1 — i',, Atm. Überdruck '/^ — '., Stunde lang; dann wird mit einer Sporenaufschwemmung des Peni- cillium brevicaule infiziert und im Brutschrank bei etwa 35 " C gehalten; zur Verhütung einer Ver- flüchtigung der entwickelten Geruchsstoffe wird das mit Walte verschlossene Kölbchen am besten noch mit einer Gummikappe überzogen. Diese Methode eignet sich zum Arsennachweis in allen möglichen Objekten, z. B. Haaren und Harn nach medikamen- tösem Arsengebrauch, Magen -Darminhalt , Kot, Leichenteilen bei Arsenvergiftungen, Fellen, Schrot, Papier etc., auch in Arzneistoften , sofern diese nicht die Entwicklung des Pilzes verhindern (Leichen- teilen etwa anhaftender Fäulnisgeruch geht beim Sterilisieren meist verloren). Als Arsenquelle können alle möglichen Arsen- verbindungen in Betracht kommen, da Maggiora, welcher 51 verschiedene Arsenpräparate prüfte, mit allen derselben durch Penicillium brevicaule einen mehr oder weniger intensiven knoblauch- artigen Geruch erzielen konnte. Kobert fand als einzige Verbindungen, welche vom Penicillium brevicaule nicht angegriffen wurden, das (un- giftige) Triphenylarsin und seine Homologen. Die wichtige Frage, ob die Entwicklung des knoblauchartigen Geruches für Arsen spezifisch ist, kann ruhig bejaht werden, da das Tellur, welches einen dem Arsen sehr ähnlichen Geruch ent- wickelt, nur äußerst selten in Betracht kommen dürfte; Selen entwickelt einen mit Arsen nicht zu verwechselnden merkaptanartigen Geruch, ebenso können unter Umständen Schwefel- und phosphor- lialtige Substanzen durch Entwicklung fremder, mit Arsen aber nicht zu verwechselnder Gerüche die Arsenprobe stören. Die Verwechslung des Arsen mit Selen und Tellur kann nach Maaßen noch leicht dadurch ausgeschaltet werden, daß man eine zweite Probe ansetzt unter Benutzung von Schimmelpilzen, welche wohl aus Selen und Tellur flüchtige, riechende \'erbindungen entwickeln, nicht aber aus Arsenverbindungen. Einige Bakterien- arten (Proteus, Coli, Typhus, Bac. caps. Pfeiffer) zersetzen wohl lösliche Selen- und Tellur- Verbindungen, nicht aber Arsenverbindungen. Als riechende Substanz hat Biginelli das Diätliylarsin — AsH (CH,,,).^ — nachgewiesen, welches beim Durchleiten durch Salzsäure Oueck- silberchloridlösung mit diesem ein wohl cliarakleri- siertes Doppelsalz — AsH(CH3),, -f- 2 HgCI.,,— bildet. Die Entstehung des Diäthylarsins denkt sich Biginelli so, daß der von den Pilzen frei gemachte Arsenwasserstoff (AsH^) sich sofort mit dem von den Schimmelpilzen ebenfalls gebildeten Alkohol verbindet; in vitro gelang ihm diese Syn- these aber, nicht. Die Giftigkeit dervonden Arsen kulturen exhalierten Gase steht nach den am Menschen gemachten Erfahrungen wohl aufSer Zweifel ; waren doch eine ganze Reihe von Erkrankungen vorge- kommen in Räumen, in denen eine Vergiftung durch verstäubte Arsenteile vollständig ausge- schlossen war, da die ursprünglich vorhandene Tapete von einer, mitunter sogar von mehreren Lagen arsenfreier Tapete überdeckt war; in diesen Fällen war mit dem neuen Kleister ein guter Nährboden für die verschiedenen Schimmelpilze N. I'. III. Nr. 53 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 835 auf die arsenhaltige Tapete aufgctrafjen worden, auf dem dann die Arsenschimmel ihre gefährlichen chemischen Kunststücke vollführen konnten. Ex- perimentell konnte die Giftigkeit dieser Arsengase noch nicht einwandfrei festgestellt werden; die Befunde Gosio's, welcher Mäuse in Arsenkultur- gläser hineingebracht in wenigen Minuten verenden sah, sind leicht als KohlensäureA^ergiftungen zu erklären, da die Luft in derartigen Kulturen, wie Abel und Buttenberg zeigten, infolge des Lebensprozesses des Pilzes 22,5 bis 33,75 ",, Kohlensäure (CO.,) und dementsprechend nur 4,7 bis 7,5 % Sauerstoff (0.,) enthielt; dagegen blieben Mäuse, welche stundenlang den entsprechend mit Luft verdünnten Gasen ausgesetzt wurden, schein- bar ohne jede Schädigung am Leben; diese Be- obachtung an Tieren kann nicht Wunder nehmen, da die Schädigungen sich beim Menschen auch erst nach oft jahrelanger Benutzung der betreffenden Räumlichkeiten einstellten. Bietet uns nun das Verfahren des biologischen Arsen-Nachweises gegenüber dem chemischen Nachweise wesentliclie Vorteile, welch letzteres doch den unzweifelhaften Vorzug besitzt, daß wir etwas Sichtbares vor Augen bekommen, während wir uns bei dem biologischen Verfahren ausschließ- lich auf die Nase verlassen müssen ? Diese Frage ist in allen den Fällen, in denen es sich um den qualitativen Nachweis von Arsen und in gericht- lichen Fällen um eine „Vorprobe" handelt, zu be- jahen. Als Vorzüge des biologischen Verfahrens seien erwähnt: I. Das V^erfahren ist einfach und ver- hältnismäßig mühelos und ohne wesentlichen Arbeitszeitverlust auszuführen, 2. es werden Chemi- kalien, die so leicht zu Irrtümern Veranlassung geben , ganz vermieden , sofern nicht bei stark sauren oder alkalischen Objekten eine Neutrali- sation erforderlich ist. \'or allem aber ist 3. das biologische Verfahren schärfer als die chemischen, denn mit dem bekannten Ma rsh 'sehen Apparate können wir noch ziemlicli sicher 0,01 mg As.iO., nachweisen , wenn die Arsenverbindung in ge- eigneter Form in Wasser vorliegt, ebensoviel auch nach der Methode von Gutzeit; bedeutend schwieriger aber werden die Verhältnisse , wenn das Arsen in Mischung mit organischen Substan- zen, z. B. Leichenteilen vorliegt, da mit dem not- wendigen Aufschließen der Substanz mehr oder weniger große Arsenverluste wohl unvermeidlich sind. Das biologische Verfahren arbeitet stets prompt, mag das Arsen vorliegen, in welcher Form und Materie es auch sein mag, nur die ein- zige -Voraussetzung besteht, daß das Wachstum des Pilzes unbeeinflußt bleibt; wir können aber mit dem biologischen Verfahren noch stets mit großer Sicherheit Mengen von 0,01 mg, meistens sogar noch bis zu 0,00 1 mg herunter, nachweisen. Mit wenigen Worten sei noch zum Schluß auf eine interessante Frage verwiesen: Das von der französischen Schule be- hauptete Vorkommen von geringen Mengen von Arsen im menschlichen Körper als normalem Bestandteile desselben, (Gauthier, Garrigout), konnte bislang von deutschen Forschern nicht bestätigt werden (Ziemke, Cerny, Hödl- m o s e r) ; der Unterschied zwischen diesen Angaben wird von Ziemke dadurch erklärt, daß in Deutschland ') infolge der sehr strengen Gesetz- gebung ein unbeabsichtigtes Einbringen von Arsen in den Körper mit den Nahrungsmitteln etc. fast völlig ausgeschlossen ist, während im Auslande die entsprechenden Bestimmungen meist nicht derart strenge sind und auch nicht so gewissen- haft befolg-t und kontrolliert werden wie bei uns. ') In Deutschland verbietet z. B. das Reichsgesetz vom 5. Juli 1887 die Herstellung und den Verkauf von Tapeten, Möbelstoffen, Teppichen, StoiTen zu Vorhängen oder Bekleidungs- gcgcnständen, Masken, Kerzen sowie künstlichen Blättern, Blumen und Früchten, mit Farben, welche Arsen enthalten. Dieselben dürfen auch nicht Verwendung finden für Schreib- materialien, Lampen- und Lichtschirme, sowie Lichtmanschetten. — Arsenhaltige Wasser- oder Leimfarben dürfen zur Her- stellung des .-Vnstrichs von Fußböden, Decken, Wänden, Türen, Klappläden oder Vorhängen, von Möbeln und sonstigen häus- lichen Gebrauchsgegenständen nicht verwendet werden. — Die Verwendung von arsenhaltigen Beizen zum Färben oder Be- drucken von Gespinsten oder Geweben ist nur dann gestattet, wenn das fertige Produkt das Arsen in wasserunlöslicher Form und nicht mehr als 2 mg Arsen in loo qcm des ferti- gen Gewebes enthält. Die Tierwelt in der bildenden Kunst. [Nachdruck verboten.] Von Dr. F. Die Darstellung der Tierwelt gehört zu den ältesten Objekten der bildenden Künste, ja man kann sogar behaupten, daß die Nachbildung der Tiere überhaupt die erste künstlerische Betätigung des Menschen war. Schon in ])rähistorischen bild- lichen Darstellungen, die in Rentiergeweihe und Knochen eingeritzt sind, finden wir fast nur Tiere und zwar solche, welche Gegenstand der Jagd waren; in erster Linie Rentier und Mammut, aber auch Wisent, Auerochs, Moschusochs und Pferd. Diese Abbildungen sind sowohl in den Proportionen als auch in den Konturen, wenn man die Kultur- Werner, Wien. Stufe in Betracht zieht, überraschend gut ausge- führt. Ihnen gleich kommen die bekannten Felsen- gravierungen der Buschmänner in Südafrika, auf welchen gleichfalls Jagdtiere die erste Rolle spielen, wie Strauße, Antilopen (verschiedene Arten, nament- lich Oryx), Rhinozeros (besonders gelungen), aber auch Hyänen und Schlangen. Die ersten Haus- tiere in Europa finden sich in alten Grabstätten so- wohl auf Urnen eingraviert, als auch plastisch dar- gestellt; doch ist aus diesen Darstellungen nicht durciiweg zu erkennen, ob diese Tiere schon da- mals domestiziert, oder Gegenstand der Jagd 836 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. III. Nr. 53 waren. Mit einiger Sicherheit läßt sich dies nur für den Hund, der auf Jagdszenen (Hirschjagd, auf einer Urne aus einem Tumulus von Oedenburg, der Hallstattperiode angehörig) und das Pferd (Reiter aus Blei, aus den Tumulis von Frög, Be- zirk Rosegg in Kärnthen) behaupten, während das Rind (Köpfe als Henkel einer Urne aus Gemein- lebarn, Bezirk Herzogenburg in Niederösterreich) und Schaf, sowie das Schwein (welche in kfeinen Bronzeplastiken aus kaukasischen Gräbern bekannt sind) zu dieser Zeit zwar höchst wahrscheinlich, aber nicht notwendigerweise schon Haustiere gewesen sind. In letzteren Gräberstätten (Ko- ban) finden sich auch Hirsch , Steinbock und Bär in ziemlich kenntlichen, plastischen Darstel- lungen. Diesen stehen in künstlerischer Ausfüh- rung nahe die aus Elfenbein u. dgl. geschnitz- ten Figuren nordostasiatischer Völkerschaften; in Naturtreue übertreffen sie aber die Gräberfunde bedeutend und gleichen in diesen Beziehungen den prähistorischen und südafrikanischen Gravierungen; namentlich ist Walroß und Seehund, aber auch der Tiger, der Eisfuchs, ein Wildschaf u. dgl. oft vorzüglich in der Körperstellung wiedergegeben. Bilder aus Jagd (und Fischerei) finden sich noch vielfach in altägyptischen, den älteren grie- chischen und assyrischen Reliefs, bzw. Wand- malereien. Die Wandmalereien in den Gräbern von Sakkara, Theben u.a.O. lassen nicht nur die jagdbaren Tiere Ägyptens, sondern auch viele des tropischen Afrika erkennen, wovon manche freilich damals weit nördlicher gingen als jetzt. Wie viele Fische, manche Reptilien und Insekten aus dem tropischen Afrika noch jetzt in Mittel- und Unterägypten vorkommen, wie das Krokodil noch vor nicht vielen Jahrzehnten, das Nilpferd vor wenigen Jahr- hunderten noch Ägypten bewohnte, so mag dies auch für manche jetzt auf das äquatoriale Afrika beschränkte Arten gelten. Von Säugetieren werden Elefant, Nilpferd, Antilopen, Spitzmaus, Löwe, Ichneumon, Schakal, Pavian, von Vögeln Ibis, Enten, F'cldhühner, Geier, Sperber, Eulen, von Reptilien Krokodil, Hornviper und Kleopatraschlange, von Fischen (namentlich in Sakkara) die charakteristi- schen Welse, ferner die sehr kenntlichen Nilfische Mormyrus, Lates, Tilapia, Alestes u. a. , von Insekten Wespe und Pillendreher (Ateuchus) am häufigsten abgebildet gefunden.^) Unter den Haus- tieren finden sich Rind, Schaf, Hund, Katze be- sonders oft auf bildlichen Darstellungen. Daß der jetzt in Ägypten, namentlich im Delta so überaus häufige Büffel, sowie das Dromedar in diesen alten Darstellungen fehlt, ist leicht daraus zu erklären, daß sie erst viel später eingeführt wurden, und ebenso ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Land- schildkröten und Chamäleons, welche so auffallende Tiere sind, daß sie kaum von den alten Ägyptern unbeachtet geblieben wären, die aber auf allen ') Ob die niclit allzuhäufig abgebildeten Kröten die cir- cummediterrane Art Bufo viridis oder bereits die aus den Tropen nilabwärts gewanderte, jetzt vorherrschende Panther- kröte (B. regularis) vorstellen soll, ist nicht erkennbar. ihren bildlichen Darstellungen fehlen, erst von Syrien und dem Sudan aus später eingewandert sind. Es ist bekannt, daß die Haustiere der alten Ägypter, wie überhaupt alle Tiere, so exakt ab- gebildet sind, das man z. B. noch die Hunderassen, welche damals existierten, unterscheiden kann; und ebenso bekannt ist, daß viele Tiere, die be- sonders auffallend waren, in die Hieroglyphen- schrift als Schriftzeichen Aufnahme fanden, wie Naja haje (die ,, Schlange der Kleopatra" und der „Stab Mosis"), Cerastes cornutus, die Hornviper, ferner verschiedene Vögel (Aasgeier, Sperber, Ibis Schon in Ägypten finden wir eine wichtige Erscheinung in der Entwicklung der Tierdarstellung. Waren die Tiere anfangs als Objekte der Jagd, als Haustiere, oder wegen besonderer Eigentüm- lichkeiten abgebildet worden und zwar in sehr naturgetreuer Darstellung, so finden wir mit dem Auftreten religiöser Begriffe in Verbindung mit der Tierwelt, d. h. mit der Vorstellung der In- karnation von Gottheiten in Form von Tieren oder der symbolischen Darstellung von Göttern in Tier- gestalt die Bilder von Halbtieren auftreten, die sich — allerdings ohne religiöse Bedeutung — bis in die modernste Kunst erhalten haben. Die Götter mit Stier-, Löwen-, Hunde-, Schakal-, Pavian-, Ibis-, Sperber-, Geierköpfen, die das Umgekehrte vertretenden menschenköpfigen, aber Tierleiber be- sitzenden Sphinxe sind die ersten Anfänge einer auf religiösen Prinzipien beruhenden symbolischen Naturverhunzung, welche ein Zeichen der Ent- fernung des Menschen von der Natur und Natur- beobachtung ist und mit welcher auch die „Styli- sierung" der unverändert gebliebenen Tierfiguren (besonders der Naja haje, der ägyptischen Brillen- schlange) Hand in Hand ging. Während also die ältesten bisher besprochenen Darstellungen sich damit begnügten, die bemerkenswertesten und auf- fallendsten Tierformen im Bilde möglichst getreu festzuhalten, so wurden unter dem Einflüsse re- ligiöser und zwar polytheistischer Vorstellungen jene Verschmelzungen von Tier- und Menschen- körpern im Bilde vollzogen, welche dem Zoologen, dem die Werke der Natur noch immer ästhetisch höher stehen, als die schönsten Mißgeburten der Künstlerphantasie, einen entschiedenen Niedergang bedeuten. Diese Halbtiere, welche wir zuerst in der ägyptischen Kunst antreffen, werden auch bei den Babyloniern in Gestalt der geflügelten Löwen und Stiere mit schönbärtigen Königsköpfen, in Griechenland als Centauren, P'aune und Satyrn, als Sirenen, Harpyien u. dgl., wieder gefunden und spinnen sich nicht nur in der modernen Malerei und Plastik (mit Beibehaltung der griechischen Vorbilder), sondern bis zu einem gewissen Grade auch in die religiösen Begriffe der christlichen Völker (Teufel mit Pferdefuß, Schwanz und Bocks- hörnern) fort. Was schon von den älteren ägyptischen Dar- stellungen bemerkt wurde, gilt auch für die älteren griechischen, sowohl auf Vasen, als auch (was N. F. III. Nr. 53 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 837 seltener ist) in plastischer Form. So roh diese Bilder auch sind — manche stehen nur in der Technik, nicht aber in den Konturlinien, über den Buschmanngravierungen — • so sieht man ihnen doch an, dai3 sie möglichst getreue Nachbildungen des Objekts sein sollen. Außer Haustieren (Pferd, Rind, Schaf, Ziege, Hund, Hahn) sind Jagdtiere (Löwe, Wildschwein, ersterer in historischer Zeit, letzteres noch jetzt in Griechenland heimisch) und namentlich, was für die Griechen infolge der großen Küstenentwicklung und der dadurch bedingten Vertrautheit mit dem Meeresgetier charakteristisch ist, Fische sehr häufig dargestellt, freilich die meisten nicht recht wiedererkennbar (nur einen Zitterrochen, Torpedo narce, ferner Barsche, Thun- fische konnte ich identifizieren) ebenso überaus oft Delphine, Schildkröten und Cephalopoden (Tinten- fische). Was die orientalische Kunst anbelangt, so können wir die der mohammedanischen Völker, welchen ihre Religion die Wiedergabe lebender Wesen verbietet, übergehen. Die indische Kunst mit ihrer gelenklosen Plastik hat es in der Dar- stellung von Tieren sehr weit gebracht und ihre heiligen Tiere (Elefant, Krokodil, Zebu, Schild- kröte etc.) präsentieren sich weit besser als die Menschenbilder, ja sie sind teilweise ausgezeichnet und heben sich schon deshalb vorteilhaft von den Götterbildern ab, weil jede der so beliebten symbolischen Verschönerungen durch Vermehrung von Armen, Köpfen etc. vermieden ist, während die griechische Kunst auch hier nicht Halt machte und zum mindesten in der Poesie die Kopfzahl (Cerberus und Hydra) vermehrte. — Beiläufig be- merkt , sind auch moderne vorder- und hinter- indische Holzplastiker äußerst geschickt in der Wiedergabe lebender Tiere, namentlich Schlangen und Eidechsen, die sie auch naturgetreu zu be- malen verstehen. Die japanische und chinesische Kunst haben die Eigentümlichkeit gemeinsam, in ihren bildlichen Darstellungen neben peinlichster Genauigkeit die ausschweifendste Phantasie zu Worte kommen zu lassen. Die japanischen Bronzefiguren von Kröten (Bufo japonicus), Schildkröten (Clemmys japonica), Krabben (Lupa) u. a. sind einfach unübertreft'lich in Naturtreue, und auch bei den meisten Dar- bietungen der japanischen Tiermalerei ist man im- stande, die Art des dem Künstler vorgelegen haben- den Tieres wiederzuerkennen. Ist dies auch nicht mehr Kunst im gewöhnlichen Sinne des Wortes, Lebewesen in derartig peinlich genauer Weise nachzubilden, weil ja der Künstler aus Eigenem, aus seiner Seele heraus etwas hinzutun soll, weil an diesen Darstellungen die schöpferische Phan- tasie vermißt wird , so ergänzt es doch in glück- licher Weise manche Produkte modernster Kunst, in denen außer Stimmung, tiefsinnigen Ideen u. dgl. überhaupt nichts zu sehen ist, was ein normaler Mensch ohne Kommentar verstehen und ohne Katalog erkennen kann. Schlimmer steht es mit den chinesischen Ticr- abbildungen; hier herrscht die Neigung zur Ver- schönerung und Verbesserung der Natur bedeutend und daher erhalten viele Tiere einen fratzenhaften, karrikiertcn Anstrich, der dem Volksgeschmack be- hngt. Ist doch auch der himmlische Drache ein Produkt chinesischer Phantasie, und von der phantasiearmen europäischen Künstlerschaft hat sich noch keiner bei den zahlreichen Gelegenheiten, da Darstellungen von Drachen erforderlich sind, bis auf den heutigen Tag über die chinesischen Drachenbilder erhoben. St. Georg ersticht noch immer den himmlischen Drachen der Chinesen, und jeder Chinese darf sich füglich über diese Verunglimpfung des ihm heiligen Tieres be- schweren. Von den festländischen Kunstprodukten Ost- asiens bis zu denjenigen der indisch-australischen Inselwelt geht der Weg — wenn wir die Tier- darstellung im Sinne haben — stark abwärts. Die Kunst der Inselbewohner leistet zwar in der orna- mentalen Verzierung der Gerätschaften und Waffen Ansehnliches, aber die Bilder des Menschenkörpers, die in dieser Kunst eine große Rolle spielen, werden gegen Osten zu immer scheußlicher, bis sie in den Tanzmasken der papuanischen Völker den Höhepunkt der Plntartung erreicht haben. Wenn die Entfernung \-on der Natur Kunst wäre, so wäre dies die höchste Kunst. An Abbildungen von Tieren kenne ich wenig aus dem ganzen Ge- biete. Eine aus Holz geschnitzte und bemalte Schlange von Pulo Milu läßt sich noch als Python reticulatus, eine sehr idealisierte Schildkröte eben- daher als Chelonc imbricata deuten; bei einem Götzen aus Neu-Irland findet sich eine erträgliche Nachbildung der größten dort heimisciien Eidechse (Varanus Indiens) und auch fliegende Fische, Haie (Salomons-Inseln), Nackenstützen in Krokodilsform (Deutsch-Neuguinea) wären noch zu erwähnen. Auch die einheimische afrikanische Kunst ist mehr Kunstgewerbe; nur in wenigen Fällen finden wir Nachbildungen von Tieren; von Benin kenne ich ein wunderbar ausgeführtes Huhn aus Metall, welches sich ähnlichen P'iguren aus Ostasien würdig an die Seite stellt, sonst aber ist, von einzelnen Schlangennachbildungen abgesehen, unsere Aus- beute an zoologischen Kunstobjekten fast gleich Null. Reich ist dagegen wieder die Kunst der Ur- einwohner Amerika's an zoologischen Motiven. Zwar sind die Gefäße der nordamerikanischen In- dianer in Tierform, obwohl oft bunt bemalt, doch bezüglich der Art des Modells total unkenntlich ; man erkennt eben nur, daß ein Tier vorgestellt werden soll ; dagegen sind die Peruaner in dieser Beziehung viel weiter vorgeschritten und verwenden zu ihren Gefäßen mit Geschick die l'orm von Kröten, Pinguinen, Eulen, Katzen, Springmäusen. Daß das Llama in den plastischen Nachbildungen der Andenbewohner ebensowenig fehlt, wie der Elefant in den indischen , ist leicht einzusehen. Der japanischen Tierbildnerei schließt sich — so grolä der Sprung auch der Zeit und dem Räume 838 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 53 nach sein mag — eng die Tiermalerei der älteren niederländischen Kunst (Jan van Huysum, Elias van den Broek, Roeland Savery, Snyders u. a.) an. Mit peinlicher Sorgfalt und Genauigkeit malten diese alten Holländer Schmetterlinge und Schnecken, Reptilien, Fische, Krebse etc. nach der Natur, sich von ihren ostasiatischen Kunstkollegen jedoch durch die weit mehr vorgeschrittene Technik, speziell durch die Plastik der Darstellung infolge der (bei den Japanern bekanntlich stark vernach- lässigten) Schattengebung und Perspektive unter- scheidend. Auch bei ihnen ist jede Art von Tieren wohl erkennbar und ich erinnere mich lebhaft noch eines im Amsterdamer Reichsmuseum gesehenen Gemäldes, welches den ersten Anstoß zu diesem — erst lange danach begonnenen — Artikel gab und Herakles in der Wiege vorstellt, der die beiden Schlangen erwürgt. Diese waren auf den ersten Blick als getreue Konterfeie der ostindischen Süß- wasserschlange Homalopsis buccata zu erkennen. Dem Fleiß holländischer Maler verdanken wir auch die gegenwärtig noch existierenden Abbildungen eines ausgestorbenen Riesen vogels, desDronte, Dodo oder Walgvogels (D i d u s i n e p t u s), welche in verschiedenen Museen sich finden und nicht nur als alleinige, sondern auch, wie sich aus der völligen Übereinstimmung der vorhandenen Bilder und ihrer peinlich sauberen Ausführung ergibt, als vollkom- men naturgetreue Erinnerungen an dieses durch den Menschen ausgerottete Tier von hohem Werte sind. Nur selten wichen die alten Niederländer von dieser Genauigkeit ab; mir sind, wenn wir von den entsetzlichen Spukgestalten von Bosch und Brueghel absehen, nur zwei im Wiener kunst- historischen Hofmuseum befindliche Ausnahmen bekannt. Die eine ist die bekannte Rubens'sche Tigerin, die viel aus dem Gedächtnis gemalt zu sein scheint, daher auch eine deutliche Schwanz- quaste trägt und drei einfarbig gelbbraune Junge säugt, obwohl der Tiger schon im Fötalzustande die Querstreifung zeigt. Die andere auf einem Bilde von Rubens und Snyders dargestellte, welches ebenfalls sehr bekannt ist und das abgeschlagene Medusenhaupt zeigt, von welchem sich ansonsten sehr wohlgetrofifene einheimische Schlangen (Tropi - donotus natrix und Coronella austriaca) losringeln, und vor welchem ein ebenfalls wohl- getroffener norddeutscher gestreifter Erdmolch, eine Kreuzspinne und ein Skorpion herumkriechen, ist ein Wesen, welches aus miteinander verwachsenen Vorderhälften zweier Eidechsen (anscheinend eine Wühlechse, Ch aleides sepoides) gebildet zu sein scheint. Wenn wir aber bedenken, daß in Cuvier's Regne animal, einem wissenschaftlichen Werke mit sehr exakt ausgeführten Abbildungen auch ein Fisch auftritt, welcher aus zwei ver- schiedenen Gattungen (Vorderhälfte der nordischen Seekatze, Chimaera monstrosa, und Hinter- hälfte der antarktischen Seekatze, Callorhyn- chus) zusammengesetzt ist, so erscheint uns dieser künstlerische Verstoß gegen die Naturtreue nicht mehr so arg. Außer Tierstilleben, welche entweder Blumen- stücke mit tierischer Staffage (Schmetterlinge: Papilio, Pieris, Lycaena, Polyommatus, Pararge, Melitaea, Satyrus, Argynnis, Vanessa, Spilosoma etc.; Raupen; Fliegen: Calliphora, Syrphus; Wespen, Libellen, Käfer, z. B. Trichius, Schnecken wie Helix hortensis, Eidechsen und Nattern : Lacerta agilis und Tropidonotus natrix) oder Fischmärkte (be- sonders Franz Snyders mit zahlreichen Fischen wie Petromyzon, Squatina, Raja, Accipenser, Cyclo- pterus, Trigla, Belone, Cyprinus etc., ferner Schild- kröten tropischer Provenienz: Testudo radiata und tabulata, Wassersäugetieren wie Seehund und Fisch- otter und schließlich Tintenfischen, Pfeilschwanz- krebsen, Krabben und Schnecken) oder endlich Jagdtrophäen (bei welchen der Künstler in der Wiedergabe des Gefieders von Rebhühnern, Fasanen, Pfauen, Truthühnern etc. und des Pelzwerkes von Hasen usw. excellierte) vorstellen, finden wir fast nur Haustiere in Bildern aus dieser und späterer Zeit selten abgebildet ; das Pferd, als notwendiges Requisit des Reiters von jeher mit Vorliebe dargestellt und immer mehr im Detail ausgeführt, wird schließ- lich — in den Gemälden, welche berühmte Renn- pferde darstellen, mit wahrer Porträtähnlichkeit wiedergegeben; Rinder, Ziegen, Schafe, eventuell noch Esel und Schweine und Geflügel finden sich als Staffage für Landschaften oder als Tierstücke für sich, Hunde .und Hirsche bei Jagdszenen, schließlich Katzen und Hunde bei Interieurstücken oder direkt als „Hauptpersonen" auf kleineren Gemälden; eine besondere Kategorie würden noch die bei sym- bolischen Darstellungen vorkommenden Löwen und Adler, sowie die bei Bildern religiösen Inhalts auf- tretenden Tiere (tlsel und Ochs bei der Krippe, die Tiere der Evangelisten, die Schlange im Para- diese, die Kamele der heiligen drei Könige, die von den ausgetriebenen Teufeln in Besitz genom- menen Schweine etc.) bilden. Tiere abzubilden, welche rein zoologisches Interesse besitzen, ist von den alten Malern nur wenigen eingefallen ; so finden wir auf einem Gemälde von Michiel van Coxcie Dianaaffen, Zibethkatzen, bei Roeland Savery außer dem schon erwähnten Dodo Kronenkraniche, Ca- suare, Strauße, Trappen usw. Die Ausbeute an zoologischen Motiven ist in der ganzen übrigen mittelalterlichen und neuzeit- lichen Malerei und Skulptur nicht so reich, als bei den Niederländern; wir finden zumeist in Ver- bindung mit klassischen und mythologischen Motiven Drachen, die so ziemlich rein der Phantasie ent- sprungen sind, Schlangen (Adam und Eva; Kleo- patra), Hunde, Pfauen (Juno), Adler, Fische etc. Nur wenige Künstler, wie Bassano, der auf einem Gemälde Kaninchen, Hasen, Löwen, Füchse, Hunde, Schafe, Hirsche, Hühner, Pfauen, Truthühner und Schildkröten vereinigt, erinnern noch an die alten Arche-Noah's-Stücke der Holländer. Erst der neueren Malerei und Plastik war es vorbehalten , andere zoologische Motive in die Kunst einzuführen. Das Bild „Löwe und Löwin auf der Lauer", welches sich, wenn ich nicht irre. N. F. III. Nr. 53 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 839 in der Berliner Gallerie befindet und durch zahl- reiche Reproduktionen bekannt geworden ist, das vor kurzer Zeit auch in Wien ausgestellte Kuhnert- sche Bild: „Angriff von Löwen auf einen Kap- büffel" sind Beispiele dafür. Solche Kunstwerke, in denen freilebende Tiere in anderen als kon- ventionellen Stellungen erscheinen, sind das Pro- dukt einer erleichterten Naturbeobachtung (durch die modernen zoologischen Gärten, durch Moment- aufnahmen wildlebender Tiere) und der Kombina- tion exakter Wiedergabe des lebenden Objekts mit künstlerischer Behandlung des Stoffes, wodurch sich erst ein derartiges, dramatisch belebtes Bild von einer wissenschaftlichen Abbildung, welche alle zur Erkennung eines Tieres wichtigen Teile in möglichst klarer Weise zeigen soll, unterscheidet. Ein Löwe, der auf seinem Schwanz sitzt, so daß von demselben nur die Schwanzquaste zu sehen ist, ein afrikanischer Elefant, der, dem Beschauer zugewendet , mit ausgebreiteten Ohren dasitzt, so daß Schwanz und Hinterbeine un- sichtbar bleiben, tun dem Auge des Zoologen weh; ihm muß der Löwe, der Elefant voll- ständig, wenn möglich genau von der Seite, gezeigt werden: dadurch unterscheidet sich eine rein künstlerische Tierdarstellung von der wissenschaftlichen: ersterer kommt es auf die Wir- kung, den Eindruck auf den unbefangenen Be- schauer an, letzterer auf die Klarheit, Übersichtlich- keit und Korrektheit der Darstellung. Der Sa- vannen-P^lefant Kuhnert's (Haacke und Kuhnert, Tierleben der Erde, III. Band) ruft in dem Be- schauer sicherlich andere, mit der Zoologie in keinem Zusammenhange stehende Gedanken wach, als dieselbe Art in Normalstellung ohne LJmgebung, welche wieder keinen anderen Gedanken als den an die Artmerkmale des afrikanischen Elefanten aufkommen läßt. Darum ist das Prachtwerk von Haacke und Kuhnert, was die Abbildungen anbelangt, ein Kunst- werk, soweit die von Meister Kuhnert gefertigten Säugetier- und Vogelbilder in Betracht kommen; dagegen vom Range einer besseren Mittelschul- Naturgeschichte in Bezug auf die übrigen Tier- gruppen, aus deren Vertretern der Künstler, sogar Kuhnert oft selbst, ebensowenig, als der Verfasser des mageren und nichts weniger als interessanten Textes etwas zu machen wußte. Die Abbildungen der Säuger und Vögel wird auch der Kenner ihres Freilebens stets wieder mit Vergnügen betrachten, namentlich die farbigen; die der Reptilien und Fische sind im besten Falle recht brave Leistungen, die farbigen dagegen fast ausnahmslos verfehlt in Kolorit oder Zeichnung oder in Beidem, wie die Horn- viper, die indische Pythonschlange, die afrikanischen Fische. Die Abbildungen der niederen Tiere sind recht gute Schulbuchbilder; hier hört die Kunst im höheren Sinne auf; an einer Schnecke lassen sich ohne Karrikierung keine originellen Ideen aus- drücken; man zeichnet sie entweder richtig oder falsch, exakt oder nachlässig. Tiere, die keinen schmiegsamen Körper und nicht einmal einen (wie dies bei den Schlangen trotz ihrer sonstigen Gleich- förmigkeit der Fall ist) spezifischen Gesichtsaus- druck bzw. überhaupt kein „Gesicht" haben, sind für eine rein künstlerische Behandlung unbrauch- bar, einem Hirschkäfer wird kein Künstler ein anderes Aussehen verleihen können, als er in jedem guten Käferbestimmungsbuchc hat, er kann ihn höchstens als Motiv zu einem modernen, Stiefelknecht benutzen. Eine Hauptschwäche der bildenden Künste sind die Schlangen. t~s möge dies nicht allein so auf- gefaßt werden, als ob die Kunst eine besondere Vorliebe für diese Tiere hätte, sondern auch im eigentlichen Sinne des Wortes. Schlangen sind in der Kunst auffallend reich vertreten. Der Künstler, der sich mit dem einst so sehr beliebten Thema des ersten Sündenfalles befaßte, sowie derjenige, welcher die Hygieia, die Sünde, die Kleopatra, das Haupt der Medusa, Grillparzer's ,, Traum ein Leben" oder eine Vase mit Henkeln darstellen will, sie alle brauchen die Schlange, aber noch keiner hat sich eine solche angesehen. Die meisten von ihnen glauben, es genüge, einem schraubenförmigen Ding, welches wie ein Korkzieher oder wie die Sprung- feder eines Springteufels aussieht, den Kopf eines Türklopfers, Wasserspeiers oder chinesischen Drachen aufzusetzen und die Schlange sei fertig. Sie büßt den Sündenfall „in effigie" noch jetzt. Kein Tier wird, sogar in der Heraldik, so ver- hunzt wie sie, da anscheinend jeder Maler und Plastiker glaubt, ein wurmförmiges Tier könne man ohne weiteres und jederzeit aus dem Kopfe zeich- nen und modellieren ; daher sind auch die beiden berühmten .Schlangen der Laokoongruppe zoo- logisch total unmöglich, obwohl ich gerne zugebe, daß der Künstler in dem Dilemma, entweder Schlangen von normalen Dimensionen darzustellen, welche mit ihren Körpern den weitaus größten Teil der schönen Muskulatur der Familie Laokoon verdeckt hätten oder aber der Natur Zwang an- zutun, lieber das letztere tat. Denn die Schlangen waren ihm ja nur Mittel zum Zweck, obwohl die drei Personen mit Schlangen von der vorliegenden Dicke jedenfalls bei einiger Geschicklichkeit leicht hätten fertig werden können, umsomehr als keiner am Atmen verhindert ist. Daß die .Schlange auf dem Wiener Grillparzer- Denkmalrelief vom Kopf an nach hinten allmäh- lich dünner wird, wie ein malayischer Dolch und daß sie ein ganz unmögliches Gesicht schneidet, ist jedem Zoologen ebenso schmerzlich als die Opernschlange, welche in der ,, Zauberflöte" in vertikalen statt horizontalen Wellenlinien über die Bühne kriecht. Daß die Maler der ,, Sünde" etc. den betreffenden Schlangen einfach Smyrnateppiche auf den Leib malen, anstatt sich ein .Spiritus- exemplar einer Boa constrictor in irgendeinem zoologischen Museum anzusehen, will ich gleich- falls noch — aber nicht lobend — hervorheben. Und warum dies alles ? Jeder unbefangen denkende Künstler wird zugeben müssen, daß die Natur ge- rade bei der Schlange weit Ästhetischeres ge- 840 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 53 schaffen hat, als die Künstler aller Zeiten. Weder die harmonischen Körperlinien, noch die Farben- pracht der Haut der Boa, noch auch der bald furchtbar drohende, wütende, bald starre Blick der Vipern kann von den lächerlichen Karrikaturen mit Schnurrbärten, Stoßzähnen und Hörnern, welche von unseren sonst so fein empfindenden Künstlern für dämonisch wirkend angesejien werden, erreicht werden : keinem wird es einfallen, einem Löwen zur Verschönerung ein Hörn auf die Nase zu setzen, oder dem Adler einen Schnurrbart oder ein Paar Hauer wachsen zu lassen; die Schlange glaubt man zur Befriedigung eines gesteigerten „Schön- heits"bedürfnisses stilisieren zu müssen. Die Tierdarstellung in der Plastik hat in der letzten Zeit insofern Fortschritte gemacht, daß nicht nur die vorkommenden Tiere (von den Pferden vielleicht abgesehen, in deren Wiedergabe schon früher eine hohe Vollkommenheit erreicht wurde) naturge- treuer ausgeführt werden (I^öwen), sondern daß auch mancherlei Tierformen, die früher nicht Gegen- stand plastischer Darstellung waren, nun in Be- tracht gezogen werden. Außer den katzenartigen Raubtieren, deren Kampf mit dem Menschen schon frühzeitig die Plastiker reizte, da diese mit eben- mäßigster Körpergestalt gewaltige Muskeltätigkeit hier vereinigt fanden, und die daher auch jetzt noch (wenngleich nur Löwe und ein leoparden- artiger Typus bei dem Umstand, daß die Plastik die Zeichnung des Katzenfelles nicht wiedergibt, unterscheidbar ist) für „(iladiatorenkämpfe" u. dgl. sehr beliebt sind, kommen nun auch Seelöwen (Brunnen in Antwerpen) und für Brunnen nament- lich Frösche, Kröten, Molche, Eidechsen, Schild- kröten (Undine-Brunnen im Kurpark zu Baden bei Wien) und Krokodile (Springbrunnen um das Mariatheresienmonument in Wien) in trefflicher Ausführung zur Wiedergabe. Sind Kriechtiere und Lurche auch schon früher als Brunnenschmuck plastisch zur Verwendung gelangt (Neptunsbrunnen in Schönbrunn bei Wien) so sieht man den neueren Kunstwerken schon an, daß sie nach lebenden Modellen und nicht nach schlechten Bildern oder aus dem Gedächtnis geschaffen wurden. Auch im Kunstgewerbe finden Tierformen mannigfache Anwendung, was uns ja nichts Neues ist, wie wir aus unserer Übersicht zu Anfang gesehen haben; sind doch eigentlich alle seit den ältesten Zeiten zu Gefäßen verwendeten Tierformen, alle auf Gebrauchsgegenstände eingeschnitzten, eingra- vierten und aufgemalten Tierbilder dieser Kategorie zuzuweisen. Heutzutage ist die Verwendung viel- leicht noch allgemeiner und sind Tiere in mannig- fachster Weise, wenn auch oft zu bestimmten Zwecken gedehnt, gezerrt, verdreht und gekrümmt in Bronze und Schmiede- oder Gußeisen als Halter von Glühlampen, Stöcken und Schirmen als Rahmen und Stockgriffe, Kleider- und Huthalter, in Por- zellan und Glas als Vasen und Vasenhenkel im Gebrauch; schließlich auch noch in neuerer Zeit im Buchdruck bei Büchereinbänden, Kopfleisten und Schlußvignetten und zwar nicht nur bei Büchern zoologischen Inhalts. Bekannt ist ja die ,, Zoologie für Setzer", die eine Sammlung von Klichee-Abdrücken der verschiedensten Tiere in Schwarzdruck \7orstellt, die bereits, wie ich ge- sehen habe, in den verschiedensten Druckwerken, namentlich als Schlußvignetlen Aufnahme gefun- den haben. Hier wäre aucli die Stelle, auf Ernst Häckel's monumentales Werk „Die Kunsiformen in der Natur" hinzuweisen, welches in prachtvoll ausgeführten, meist wohlgelungenen (nur auf der Schildkrötentafel, weil ohne Modelle, nur nach rechtmäßigen Abbildungen gemacht, recht schlecht ausgefallenen) farbigen Abbildungen die schönsten Naturgebilde, vor allem aus der Zoologie, vorführt und dem Kunstgewerbe dienstbar macht. Sind wir einmal bei den Büchern , so ist zu den Buchillustrationen nur mehr ein kurzer Weg. Sehen wir uns die Lehrbücher der Naturgeschichte an, aus denen man vor 30 Jahren gelernt, so müssen wir, wenn wir überhaupt Abbildungen darin finden und der Lehrer nicht (wie es auch heute noch mancher sonderbare, mehr bequeme als naturfreundliche Pädagoge tut) die Tierbeschrei- bungen einfach auswendig lernen ließ, gestehen, daß sie teilweise den Vergleich mit den Silhouetten der Setzer- Zoologie nicht aushalten können. Die hölzernen Stellungen der Tiere, die rohe Zeich- nung und schlechte Reproduktion lassen den Ab- stand von den prächtigen Abbildungen jetziger Naturgeschichtsbücher, von denen manche der in Österreich gebräuchlichen Reproduktionen nach Zeichnungen ausgezeicimeter Künstler wie Mercu- liano enthalten, himmelweit erscheinen. Auch in der bekannten Schubert'schen Naturgeschichte, die seinerzeit als ein sehr schön illustriertes Buch galt, sind die Tiere vielfach nicht nach der Natur, sondern nach schlechten Präparaten abgebildet und die P'arben oft schreiend grell, was nament- lich bei den Insekten hervortritt; weit besser sind die Tiere in der ebenfalls allgemein bekannten und verbreiteten Naturgeschichte von Martin. So- gar in dem berühmten Tierleben Brelim's sind die Abbildungen durchaus nicht inmier mustergültig und neben vielen vortrefflichen von Specht und Mützel gibt es — • auch in der neuesten Auflage — noch immer etliche, die verfehlt und ohne Unterschrift nicht erkennbar sind. Es rührt dies offenbar daher, daß einem und demselben Künstler nicht jederlei Art von Tieren gelingt und ein ausgezeichneter Vogelzeichner außer stände sein kann, eine Eidechse oder Schlange richtig darzustellen, während ein vortrefflicher Zeichner von Insekten bei der Abbildung von Säugetieren unrettbar entgleist. Daher haben sich die besten Zeichner für Zoologie immer mehr zu spezialisieren begonnen. Was Kuhnert, Leutemann und Specht für die Säugetiere sind, das ist Keulemans für die Vögel, Konopicky, Green und Peter Smith für Kriechtiere und Fische. Die ausgezeichnetsten Tierzeichner sind es, welche die Abbildungen zu den zoologischen Ab- handlungen der Wiener und Berliner Akademie, N. F. m. Nr. 53 Naturwissenschaftliche Wochenschrift 841 der Zoological Society in London und anderer Vereins- und Zeitschriften ausführen oder die modernen zoologischen Prachtwerke illustrieren, deren namentlich England und das Deutsche Reich so viele aufweist. Die prächtigen Abbildungen zu den englischen Büchern über katzenartige Raub- tiere (Elliot, Monograph ofFcIidae), über Antilopen (Sclater and Thomas, the Book of Antelopes), über das' Wild Indiens, Afrikas und Amerikas, über die Hirsche, die hohlhörnigen Wiederkäuer, alle von Lydekker, ferner die Royal Natural History (der „englische Rrehm") desselben Verfasser, BuUer's Vögel von Neuseeland, Sharp's Monographie der Paradiesvögel, ferner die Biologia Ceiitrali-Ameri- cana, Sinith's Illustrationen zur Zoologie Südafrikas u. a. sind unübertreffliche Beispiele wissenschaft- licher Illustrationskunst. Von deutschen Werken ähnlicher Art wäre außer Brehm und dem bereits öfter hier erwähnten Werke von Haacke und Kuhnert, in welchem namentlich die herrlichen und mit stimmungsvollem landschaftlichem Hinter- grund geschmückten farbigen Tafeln Kuhnert's eine Quelle steten Genusses für den Naturfreund darbieten, ferner das Kobelt'sche Buch „die Ver- breitung der Tiere", die neue Auflage von Nau- manns „Vögel Deutschlands", Haeckel's ,, Kunst- formen der Natur", von französischen Werken Grandidier's und Milne Edwards Naturgeschichte von Madagaskar, die „Expedition Scientifique au Mexii]ue et ä l'Amerique centrale", Guichenot's Zoologie von Algerien u. a. hervorzuheben. Aber schon in früheren Jahrzehnten des ver- flossenen Jahrhunderts und im i8. waren manche zoologische Werke bereits bewunderungswürdig illustriert. Man denke z. B. nur an Ratzeburg's P'orstinsekten, an das „Regne Animal" Cuvier's und die „Organisation du Regne Animal" von Blanchard, Rusconi's Werk über den Erdsala- mander , Rösel's Froschbuch , und die vielen guten alten Insektenbücher (Rösel, Reaumur, Latreille u. a.). Namentlich von den Gliedertieren mit ihrem starren Außenskelett existieren schon viel länger ausgezeichnete Abbildungen als von den Wirbel- tieren ; an ihnen wurde höchstens im Kolorit mit- unter gesündigt, während die letzteren noch viel- fach (Fitzinger's Bilderatlas, Schinz u. a.) in Körper- haltung, Gesichtsausdruck, in den Dimensions- verhältnissen der Gliedmaßen, in Färbung usw. mehr oder weniger verunglückt sind; nament- lich ein gewisser Hang zum Verschönern , zu einer sozusagen „geleckten" Ausführung ist zu be- merken, auf welchen ja auch die Fehler in der — immer zu grellen — Kolorierung zurückzuführen sind. Daß dieses Verschönern und Egalisieren auf Kosten der wissenschaftlichen Genauigkeit ging, ist leicht einzusehen. Wir haben also gesehen, daß zwei Richtungen in der Darstellung der Tierwelt fast von den ersten Anfängen der Kunst an nebeneinander laufen ; Die Darstellung von Tieren , die dem Menschen als Nahrung, oder wegen ihrer Gefähr- lichkeit oder wegen absonderlicher Erscheinung besonders auffielen — sie stellt das erste Stadium der wissenschaftlichen zoologischen Abbildungen vor und geht der zweiten Richtung zeitlich etwas voran — und dieDarstellung von Tieren mit bezugauf religiöse Vorstellungen, entweder unverändert oder stylisiert oder schließlich karrikiert und mit der des menschlichen Körpers verquickt (Vorläuferin der künstlerischen Tierdarstellung ohne Rücksicht auf genaue Wiedergabe der Form und mit mehr oder weniger Beziehung auf Kultus, Mythologie etc.). Eine Mittelstellung nehmen die staffierten Land- schaften ein, auf welchen Tiere, namentlich Haus- und Jagdtiere mehr oder weniger deutlich und genau in den Einzelheiten ausgeführt sind. Je kleiner nun die Tierbilder im Verhältnis zur Land- schaft sind, desto flüchtiger wird natürlich die Aus- führung und die zoologische Abbildung, in der die Tiere Hauptobjekte der Darstellung waren, geht in die staffierte Landschaft über, in der schließlich Farbenflecke sowohl Ganztiere, als auch Faune und Satyrn , Centauren u. dgl. Halbtiere vorstellen. Die Renaissance hat sich in der Schaffung solcher „Halbtiere" nicht schöpferisch erwiesen , sie hat dieselben nur aus der Antike übernommen und bis zum heutigen Tage haben sie sich (siehe Böcklin) nicht mehr verändert. Die Mythologie gibt uns übrigens auch einen Hinweis auf den Grad der Intensität, in dem sich die Völker als solche mit der Tierwelt beschäftigt haben ; solche, die der Natur nahe stehen und gute Naturbeobachter sind , haben gar keine oder nur wenige Mißgestalten in ihrer mythologischen Tier- welt. Die Mitgardschlange und der Wolf Fenrir der Germanen unterscheiden sich durch das Fehlen aller verzerrenden Charaktere sehr vorteilhaft von den mehrköpfigen griechischen Sagengebilden, der Hydra und dem Cerberus; die Japaner haben außer dem himmlischen Drachen, der sicher kein Vorbild in der gegenwärtigen Tierwelt hat und anscheinend absichtlich so verschieden von jedem existierenden Tier konstruiert ist, um seine Nicht- dazugehörigkeit zu dokumentieren, keinerlei kom- biniertes oder karrikiertes Tier; auch in der indi- schen Mythologie fehlen Darstellungen solcher Tiere vollständig; dagegen haben die Ägypter, Babylonier und Griechen die meisten teratologisch aussehenden Tiere in ihrer mythologischenMenagerie, entsprechend ihrer nicht nur hohen, sondern auch großenteils von der Naturbeobachtuiig sich abkehren- den Kultur. Merkwürdig ist es übrigens, daß diese Völkerschaften ihre mythologischen Fratzen so von Grund aus verschieden haben; wie die Spiiinxe und tierköpfigen Götter nur den Ägyptern, so waren die geflügelten, königsköpfigen Löwen und Stiere den Babyloniern , die Centauren , Satyrn, Sirenen u. dgl. den Griechen eigentümlich und die spätere Kunst verhielt sich ihnen gegenüber bloß nachahmend. Die Tierdarstellungen, welche in der frühesten Kunst eine so große Rolle spielten, haben mit der Zunahme der Kunstfertigkeit ihre frühere Bedeutung 842 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 5; in derselben verloren. Im modernen Kunstgewerbe wird zwar die Tiergestalt in der mannigfaltigsten Weise zur Verwendung gebracht, jedoch stets nur als Mittel zum Zweck; in der Kunst im strengeren Sinne hat sie seit den Zeiten der alten Nieder- länder entschieden an Boden eingebüßt. Dagegen hat sie sich aber in den modernen zoologischen Prachtwerken , von denen ja eine nicht geringe Zahl auch der allgemeinen Bildung dienstbar ge- macht ist und eine weite Verbreitung auch in Familienkreisen gefunden hat (Brehm, Chun etc.) ein neues Gebiet erobert , in welchem sie eine große Zukunft noch vor sich hat. Von den gra- vierten Renntierknochen zu den mit allem Raffine- ment der modernen Illustrationstechnik hergestellten Abbildungen bei Haacke und Kuhnert u. a. — welch weiter Weg in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit! Kleinere Mitteilungen. Indische Rassentypen. — Der bekannte eng- lische Gelehrte H. H. Risley, ehemaliger Super- intendent des Census von Indien, hat eben neue Beiträge zur Völkerkunde des indischen Reiches veröffentlicht, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, sie einer Besprechung zu unterziehen. Die Arbeit Risley 's') bietet manches Neue und strittige Fragen der indischen Ethnologie werden in ein neues Licht gerückt; als Grundlage dienten die eigenen anthropometrischen Untersuchungen R.'s, wie jene von Sir William Turner, dem Leiter der ethno- graphischen Aufnahme Südiiidiens, F. H. Hollands, welcher Daten betreffend die Coorgs, Jeruvas etc. lieferte, ferner die Messungen von Leutnant-Colonel Waddell (Assam und Bengalen), sowie die von B. A. Gupte und Rai Sahib Kumud Bchari Samata (Be- lutschistan, Radschputana, Bombay Orissa) usw.-') Es ist wohl nicht schwer, unter der Bevölkerung Indiens gewisse wohlmarkierte Typen zu unter- scheiden; die Schwierigkeiten beginnen erst, wenn man versucht, jene ,,Sub-Typen" zu klassifizieren, welche durch Kreuzung der verschiedenen Rassen entstanden sind. Es war möglich, folgende drei Hauptrassentypen festzustellen: i. die indo arische Rasse; 2. die dravidische Rasse; 3. die mongolische Rasse.'') Diesen fügt Risle}' folgende weitere vier Rassent)'pen hinzu: f .den arisch-dravidischen Typus; 2. den mongoIisch-dravidischenTypus; 3. denskytho- dravidischen Typus und 4. den turko-iranischen Typus.^) Zur Unterscheidung dieser Rassentypen wurden besonders in Betracht gezogen: die Ergebnisse der Messungen der Kopfform, der Nase und der Körper- gestalt. Vor allem ist zu bemerken, daß die an- geführten Rassen, obwohl jede für einen bestimmten Teil Indiens charakteristisch ist, vielfach ineinander verschmelzen, so daß bei der kartographischen •) General Report of the Census of India, 1901, Chap. u, p. 489—557 (1904). '-) Ethnogr. Append. Calcutta 1904. (Nicht im Buch- handel.) ') Die Negritos der Andamanen bleiben außer Betraclit, weil sie die anthropologischen Verhältnisse des Reiches selbst in keiner Weise beeinflußten. ■•) E. Sclimidt (Globus, Bd. LXl, Nr. 2—3) hat nach der Hautfarbe und der Form der Nase vier Typen unterschieden: I. schmalnasige hellhäutige Inder; 2. breitnasige hellhäutige luder; 3. schmalnasige dunkclhäutigc Inder; 4. breitnasige dunkelhäutige lader. Darstellung der ethologischen Verhältnisse die an- gegebenen Grenzen immer bis zu einem gewissen Grade willkürlich gezogen erscheinen. Der indo-arische Typus ist im Pundschab, Radschputana und Kaschmir vertreten. Ange- hörige dieser Rasse sind namentlich die Radsch- puts, Khatris und Jats (.Sikhs). Obwohl mit ver- schiedenen anderen Elementen assoziiert, nament- lich mit Ttirko-Iraniern, können die Indo-Arier von diesen doch leicht unterschieden werden. Die- selben sind immer dolichocephal; der durchschnitt- liche Index variiert von 72,4 bei den Radschputs bis 74,4 bei den Awan ; ebenso ausgesprochen ist die Leptorrhinie ; der mittlere Nasalindex schwankt von 66,9 bei den Gujars bis 75,2 bei den Clnihra; höhere individuelle Indiccs sind selten. Der mitt- lere orbito-nasale Index variiert von 117,9 bei den Radschputs bis 113,1 bei den Khatris. Die Indo- Arier haben unter allen Einwohnern des Reiches die höchste Körpergestalt; der Durchschnitt schwankt von 174,8 bei den Radschputs bis 165,8 bei den Arora; individuelle Maße steigen bis zu 192,4 cm bei den erstgenannten und 190,5 bei den Jats. Innerhalb dieser Gruppe ist die vorherr- schende Farbe der Haut ein sehr leichtes trans- parentes Braun mit einer Tendenz zu dunkleren Scliattierungen bei niedrigen sozialen Schichten. Die Farbe der Haare und Augen ist dunkel, der Bartwuchs reichlich. — Es ist hier zu bemerken, daß Variationen in der Farbe der Haare und Augen sehr selten zu beobachten sind; helleres Haar wurde in manchen Fällen , namentlich bei den hohen Kasten, angetroffen. Die Farbe der Augen ist nahezu immer dunkelbraun; sehr selten wurden graue Augen (und zwar bei den Konkanasth- Brahmanen von Bombay) und die Kombination von blauen Augen, rotbraunen oder blonden Haaren (in den Nordwest-Grenzprovinzen) angetroffen. Blaßblaue und graue Augen traf Thurston aber auch in .Südindien. Wenn man von den Meos und Minas von Radschputana absieht, wo eine Kreuzung mit Bhils anzunehmen ist, so zeigt die indo-arische Rasse keine Zeichen der Modifikation durch Kontakt mit den Dravidas. Sowohl die physischen wie die sozialen PZigenheiten derselben weisen darauf hin, daß sie von der Mischung mit anderen Rassen verhältnismäßig wenig betroffen wurde. Die geo- graphischen Verhältnisse der Wohnsitze dieser Rasse sind solche, daß schon aus dem Grunde N. F. ni. Nr. 53 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 843 eine Mischung mit den dunl;leren Rassen des Südens zum guten Teile verhindert war. In Be- zug auf ihren sozialen Charakter unterscheiden sich die Indo-Arier namentlich dadurch von dem Rest der Bevölkerung Indiens, daß bei ihnen die Bande der Kastenorganisation weniger straff er- scheinen, obwohl sie sich den Einflüssen des Kastensystems keineswegs zu entziehen vermochten. (Risley, a. a. O., p. 508.) Dies gilt auch hinsicht- lich der Bestimmungen betreffend die Eheschließung ; diese ist innerhalb großer Gruppen nach dem Prinzip der Hypergamie geregelt, während bei den anderen Rassentypen vielfach der Kreis, innerhalb dessen Heiraten stattfinden dürfen, ein weit engerer ist. Selbst gegenwärtig kommt es noch vor, daß Radschputs Frauen von den Jats nehmen; diese erhalten aber von den ersteren niemals Frauen, weil es zufolge der Hypergamie ausgeschlossen ist, daß der iMann einer niedrigeren Kaste ange- hören darf als die Frau. Was die Ausnahme heute ist, hat aller Wahrscheinlichkeit nach, meint Risley, früher die Regel gebildet. Es gibt nur zwei Er- klärungsgründe für die Gleichartigkeit der Charakter- merkmale der Indo-Arier: i. daß dieselben im Pundschab einheimisch .sind; 2. daß sie nach Indien in einer kompakten Masse oder in einem kon- tinuierlichen Strom von Familien kamen. Die Theorie, daß der Pundschab die Heimat der arischen Rasse sei — die hauptsächlich auf philologischen Argumenten fußt — , ist nun wohl endgültig- wider- legt; es wird vielmehr als zweifellos betrachtet, daß die Indo-Arier vom Nordwesten her eindrangen. Zur Zelt ihrer Ankunft war das ganze Gebiet Indiens, auch im westlichen Teil der Halbinsel, im Besitze der Dravidas. Die „gelbe Rasse", welche Ujfalvy') (nach Fergusson) mit „Nagas" -) be- zeichnet, und von der er annimmt, daß sie das nordwestliche Indien bewohnte, als die Arier ein- drangen, wird von Risley überhau[it nicht erwähnt. Die relative Einheitlichkeit der physischen Er- scheinung der heutigen Indo-Arier ist nur damit zu erklären, daß diese — als sie sich im Pundschab niederließen — ihre eigenen Frauen mitbrachten, während die folgenden Eindringlinge darauf an- gewiesen waren, unter den Eingeborenen Indiens Frauen zu suchen. Wenn aber die klimatischen und geographischen Zustände des indischen Grenzlandes in jenen Zeit- läufen dieselben gewesen wären als gegenwärtig, so ist es schwer zu erklären, wie die langsame Ein- wanderung in geschlossener Familien- und Stammes- organisation, die in der Okkupation des Pundschab resultierte, möglich war; ein pastorales Volk, das in Clans und Familien organisiert von einer Re- gion mit günstigen klimatischen Verhältnissen aus- wandert, würde in den wüsten Hügeln des indischen Grenzlandes ein Hindernis der weiteren Migration ') Pol.-.\nthrop. Rev., 2. Bd., Nr. lo. '■') Die Bezeichnung ,, Nagas" ist in diesem Falle wenig zutreffend, da dies der Name eines gegenwärtig im äußersten Osten Indiens lebenden Vollies ist. Vgl. Journ. Anthr. Inst., 1902, 2 Hälfte. angetroffen haben, das zu überwinden nur die stärksten Mitglieder der Gemeinschaft in der Lage gewesen wären. Doch ist es gewiß nicht ausge- schlossen, daß im Laufe der letzten drei bis vier Jahrtausende erhebliche klimatische Änderungen Platz griffen. Hierfür gibt es einige Beweise. Schon im Jahre 1873 hat W. F. Blanford die Überzeugung ausgesprochen, das Klima Zentralasiens undPersiens sei in moderner Zeit ein viel trockneres geworden,') was er u. a. mit der Abholzung weiter Landstriche in Verbindung brachte. Damit ist die Kultur und auch die Bevölkerungszahl zurückgegangen. Zu ähnlichen Resultaten gelangte E. Vredenberg. (Mem. Geol. Survey of India, Bd. XXXI, 2.) In den wüsten Tälern von Kharan wurden hunderte von Steinmauern angetroffen, lokal als ,, Gorbands" bekannt, welche die Reste ehemaliger terrassierter Felder darstellen. Niemand würde diese Bauten in einer regenlosen Wildnis aufgeführt haben. Man kann vielmehr den Schluß ziehen , daß diese Terrassenfelder die Ausbreitung einer gedeihenden, ackerbautreibenden Bevölkerung der Ebenen bis in die Berge bedeute. Als nun der Regenfall un- genügend wurde, sah sich diese Bevölkerung ver- anlaßt, ihre bisherigen Wohnsitze nach und nach zu verlassen; sie drang in den Pundschab vor. Das Bild, welches uns Vredenburg von den geologischen Geschehnissen in dem Gebiet vom mittleren Persien bis zur indischen Grenze gibt — wo die Indo- Arier vor ihrer Einwanderung nach Indien an- sässig waren — läßt uns die Besiedelung des nord- westlichen Indiens durch dieselben erklärlich er- scheinen. Diese Wanderbewegung war nach Risley eine sehr langsame; sie hat sich auf einige Jahr- hunderte erstreckt, während welcher Zeit die Ver- schlechterung des Klimas im Westen andauerte. Als der heutige Zustand dort bereits eingetreten war, ist es nur noch Nomaden und kriegerischen Scharen möglich gewesen, vom Nordwesten nach Indien einzudringen. Dies war denn auch der Fall. Aber die Einwanderer, wie mächtig sie auch sein mochten, konnten in keinem Fall eine größere Anzahl Frauen mitbringen; dies ist das bestimm- teste Faktum in der anthropologischen Geschichte Indiens. Jede Welle neuer Eindringlinge, die Griechen, Skythen, Araber etc. wurden mehr oder weniger von der einheimischen Bevölkerung ab- sorbiert und ihre physischen Charaktere sind ver- schwunden. Die zweite selbständige Rasse, die D r a v i d a s , werden von Risley als die Ureinwohner Indiens bezeichnet; mindestens können sie als die älteste bekannte Bevölkerung dieses Landes gelten. Eine Zuwanderung derselben vom Norden ist ausge- schlossen. Dieser Rassentypus ist gegenwärtig hauptsächlich im nördlichen Ceylon, in Madras, Travancore, Mysore, Haiderabad, Berar, den Zentral- provinzen und Zentralindien, sowie in Chota Nag- pur verbreitet. Der Jumna und Ganges bilden die Nordgrenze des Wohngebietes der Dravidas. ') Quart. Journ. of tlie Geol. Soc. (London) 1873. 844 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 53 Die am meisten charakteristischen Repräsentanten dieser Rasse sind die Paniyans von Südindien und die Santals von Chota Nagpur. Die Körpergestalt der Dravidas ist klein, die Kopfform mesocephal, oft aber auch dolichocephal (mittlerer Index 71,7 bei den Badaga bis 76,6 bei den Schanans von Tinnevelly). Die Nase ist in der Regel bedeutend breiter als bei irgend einer anderen indischen Rasse; leptorrhine Individuen werden nur selten getroffen. Der nasale Index beträgt z. B. in Chota Nagpur und Westbengalen bei den Kurmi durch- schnittlich 82,6 bis 94,5 bei den Male (Santal Para- ganas). Auffallend sind die Beziehungen zwischen Körpergröße und der Form der Nase. Es betrug 1^ • ^ die mittlere der mittlere Körpergröße Nasalindcx Agamudaiyan . . . 165,8 74,2 Badoga 164,1 75,6 Tujan 163,7 75,0 Tamil-Brahmanen . 162,5 76,7 Palh 162,5 77,3 Tamil-Paraiyan . . 162,1 80,0 Iruba 159,9 80,4 Kadir 157,7 89,8 Paniyan i57,o 95,1 Die Farbe der Haut, ebenso wie die der Haare und Augen, ist dunkel, fast schwarz. — Man hat früher angenommen , daß die Dravidas in den Australnegern ihre nächsten Verwandten haben ; die kraniologischen Studien Sir William Turners haben jedoch diese Vermutung gar nicht bestätigt. Bisher war es nicht möglich, über die Herkunft der Dra\'idas Befriedigendes festzustellen. Die Mischrasse der Indo- Arier und der Dravidas bezeichnet Risley als den arisch -dravidischen Typus oder die Hindustani. Dieser Typus ist namentlich im Tal des Ganges und Jumma ver- breitet, von der Ostgrenze des Pundschab bis nach Bihar einerseits und von der Grenze Nepals bis südlich des Ganges andererseits. Dieselbe Rasse ist auch im südlichen Ceylon vertreten. Die Hindustani stellen eine ausgesprochene Mischrasse dar, und „niemand würde einen solchen selbst der oberen Klassen für einen Indo-Arier halten können". Die Kopfform ist lang, mit einer Tendenz zu mesocephal, die durchschnittlichen Indices variieren von 72,1 bei den Kachi und Kori von Hindustan bis 76,8 bei den Dosadh von Bihar. Die auffallendste Verschiedenheit gegenüber den Indo- Ariern liegt in der Form der Nase; der durch- schnittliche Index steigt von 73 bei den Bhuinhar von Hindustan bis 86 bei den Hindustani Chamar und 88,7 bei den Musahar von Bihar. Die Nase ist besonders bei den unteren Kasten von erheb- licher Breite. Die Komplexion variiert von licht- bis dunkelbraun. Es wird angenommen, daß der ersten Ein- wanderung arischer Stämme nach Indien eine zweite folgte, veranlaßt sowohl durch den Druck anderer Völker als die Änderung der klimatischen Verhältnisse in den früheren Wohngebieten. Diese zweite arische Invasion drang aber in die Ebene des Ganges vor; hier kamen die Arier in Kontakt mit den Dravidas und es entwickelte sich infolge dieses Zusammenlebens das Kastensystem, ebenso wie die orthodoxen religiösen Riten. Es wird an- genommen, daß dieser zweite Strom arischer Ein- wanderer hauptsächlich aus Männern bestand, die gezwungen waren, sich ihre Ehegenossinnen bei den Dravidas zu suchen. Die physischen Eigen- heiten der Bevölkerung und die Ergebnisse philo- logischer Forscher sprechen für die Annahme Ris- ley's. Der Typus der Bevölkerung des Mittel- landes ist genau jener, den man als das Resultat der Kreuzung von Ariern und Dravidas erwarten kann. Ist man nicht geneigt, einen zweiten, zeit- lich getrennten, Zuzug arischer Einwanderer an- zunehmen, sondern setzt man voraus, daß die am meisten ostwärts vorgedrängten Elemente eines und desselben Einwandererstromes sich mit den Dravidas vermischten, so würde ein Typus mehr in den anderen übergehen, während aber tatsäch- lich ein auffallender Wechsel in der physischen Erscheinung der Bevölkerung etwa in der geo- graphischen Länge von Sirhind eintritt. Die mongolische Rasse ist im indischen Reich in Assam und Birma vertreten; sie ist durch Brachycephalie und Platyrrhinie ausgezeichnet. Charakteristisch für die mongolische Rasse ist der niedrige orbito-nasale Index, durch welchen, im Verein mit der Form der Backenknochen, das Gesicht der Angehörigen dieser Rasse den Aus- druck besonderer Flachheit erhält. Der mittlere orbito-nasale Index beträgt bei den verschiedenen Gruppen (Stämmen oder Kasten) 106,4 bis 109,1. Die P'lachheit des Gesichts bildet eines der haupt- sächlichsten Merkmale, durch welches sich die mongolische Bevölkerung von den übrigen brachy- cephalen Rassen Indiens (in Belutschistan, Bom- bay und Coorg) unterscheidet; sie fällt auch dem zufälligen Beobachter sofort auf. Die Farbe der Haut ist stark geblich braun, der Bartwuchs spär- lich. Die Depression des inneren Augenwinkels ist gleichfalls unverkennbar. Die Gestalt i.st in der Regel klein; das höchste Mittel wurde bei den Gurungs mit 169,8, das geringste bei den Miris mit 1 56,4 festgestellt. Eine Mischrasse der mongolischen Völker des äußersten Ostens und der Dravidas bildet der mongolisch-dravidische Typus oder die Bengali, deren Wohnsitze vom Delta des Ganges bis in den Himalaya reichen, während sie in west- östlicher Richtung sich von Chota Nagpur bis Assam erstrecken. Die Kopfform der Angehörigen des mongolisch- dravidischen Typus ist breit, der mittlere Index variiert von 79 bei den Brahmanen Bengaleiis bis 83 bei den Rajbansi Magh. Die Form der Nase ist zumeist breit ; es wurden mitt- lere Indices bis zu 84,7 registriert. Die mittlere Körpergröße schwankt von 167 bei den Brahmanen Westbengalens bis 1 59 bei den Kochh der sub- N. F. III. Nr. 53 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S45 liimalayischen Region. Die Hautfarbe ist dunkel, der Bartwuchs meist entwickelt. Teils treten die charakteristischen Merkmale der Dravidas, teils jene der Mongolen deutlich hervor. Doch findet man in den höheren Kasten auch Individuen, bei welchen eine Beimischung arischen Blutes wahrscheinlich ist. Als Grund der physischen Degeneration der Bevölkerung Bengalens, die nicht zu leugnen ist, sieht Risley den Einfluß des Klimas und der Er- nährung, weiter aber auch die Kinderheiraten an, die gerade in diesem Teil Indiens der ärgste Schaden des gegenwärtigen Systems sind. Die Bevölkerung der Präsidentschaft Madras, des westlichen Mysore, des westlichen Teiles der Zentralprovinzen etc. bezeichnet Risley als die skytho-dravidische Gruppe, in der Annahme, daß in ihr die Nachkommen der Skythen (Sakas, Yuetschi), welche im 2. Jahrhundert v. Chr. in Indien eindrangen, zu suchen seien, die sich mit den Dravidas vermischten. Ujfalvy sucht hingegen die Nachkommen dieser Skythen (oder Turko- Tartaren) im indischen Nordwestgrenzgebiete und im Pundschab. Es kann hier nicht entschieden werden, welche Annahme die richtige ist,') ob- wohl man derjenigen Ujfalvy's mehr VVahrschein- liclikeit zusprechen kann. Der ,, skytho-dravidische Typus" würde in diesem Falle vielmehr der gelben Rasse Fergusson's entsprechen, über die Risley, wie bemerkt, keinerlei Andeutung macht. Typische Repräsentanten der skytho-dravidischen Gruppe sind die Maratha-Brahmanen, die Kunbis und die Coorgs. Der Kopf ist breit (mittlerer Index bei den Deschasth-Brahmanen 76,9, bei den Nagar- Brahmanen 79,7; maximale Indices von 92 wurden bei den Maratha Kunbis gemessen. Die Nase ist mäßig schmal, aber nie so lang wie bei den Turko- Iraniern, welche dieser Gruppe am nächsten stehen, der mittlere orbitonasale Index schwankt zwischen 113,1 bei den Son Koli bis 120 bei den Coorg. Die Körpergestalt variiert von durchschnittlich 160 bei den Kunbis bis 168,7 bei den Coorgs. Die Skytho Dravidas sind meist kleiner als die Turko- Iranier. Die Hautfarbe ist hell , der Bartwuchs spärlich. Die Turko-Iranier unter welcher Bezeich- nung Risley die Baloh, Brahui und Afghanen zu- sammenfaßt, werden als eine Mischrasse der Turki mit persischen Elementen geschildert; die Kör].ier- gestalt ist zumeist über Mittel (162 bei den Baloch von Makran bis 172 bei den Achakzai Pathan des nördlichen Belutschistan im Durchschnitt), der Kopf breit (mittlere Indices von 80 bis 85), die Nase schmal und sehr lang, die Hautfarbe hell, der Bartwuchs gut entwickelt. In Bezug auf die Kopfform kann Indien, im Gegensatz zum übrigen Asien, als ein Land mit vorherrschend langköpfiger Bevölkerung bezeichnet werden. Dolichocephalie herrscht vor sowohl bei den Indo-Ariern wie auch bei den Dravidas und 1) Vgl. .Arch. f. Anthrop., XXVI. Bd., i. Heft, sowie Pol. Anthr. Rcv., Jan. 1904. der aus diesen beiden Rassen hervorgegangenen Mischrasse der Hindustani. Wenn wir von der Bevölkerung des äußersten Westens sowohl wie des äußersten Ostens absehen, so ist im übrigen Gebiete Indiens nur der skytho dravidische Rassen- typus Risle)''s mit breiter Kopfform zu nennen. Die Form der Nase ist hingegen im Westen des Reiches, bei den indo-arischen, turko-iranischen und skytho-dravidischen Völkern in der Regel schmal, in den übrigen Gebieten breit. Hohe Körper- gestalt treffen wir nur im Nordwesten Indiens allein. In Indien sind die Bewohner mäßiger Höhen kleiner als jene der Ebenen, hingegen die Einwohner gebirgiger Landstriche groß; die letztereErscheinung mag dem Einfluß des rauhen Klimas zuzuschreiben sein, durch welchen nur die besser anpassungs- fähigen Individuen überleben. In den Ebenen dürfte die Malaria eine ähnliche selektorische Wir- kung ausüben. Der Hautfarbe nach bilden die Typen des Westens Indiens, die Indo- Arier, Skytho- Dravidas und Turko-Iranier ebenfalls eine Gruppe, die sich durch lichte Farben auszeichnet; ihr sind die meist dunkeln Typen des östlichen Indien ent- gegenzustellen ; allerdings kommen namentlich in dieser Hinsicht zahlreiche Ubergangsformen vor. H. Fehlinger. Zum Vorkommen von Drepanothrix den- tata. — In Nr. 46 der „Naturwiss. Wochenschr." (14. Aug. 1904) publiziert Herr L. Keilhack einen Aufsatz über die-Cladoceren der sogen. Krummen Lanke (einem Gewässer des Grunewalds bei Ber- lin), worin eine Reihe interessanter Mitteilungen betreffs der Verbreitung niederer Cruslaceen ent- halten sind. Namentlich teilt der Genannte mit, daß er in der Krummen Lanke neben vielen an- deren gewöhnlicheren Krebstieren auch die selte- neren Spezies: Drepanothrix dentata, Leydigiaacan- thocercoides, Chydorus gibbus und Anchistropus emarginatus vorgefunden habe. Hinsichtlich der ersterwähnten Art bemerkt Herr Keilhack, daß sein am 5. Mai 1903 aufgefischtes Exemplar das erste sei , das in Deutscliland gefangen wurde. Diese Behauptung ist irrtümlich , insofern Herr Dr. R. Lauterborn den nämlichen Krebs schon weit früher im Vogelwoog des Pfälzerwaldes ent- deckt hat. Ich selbst konstatierte sein Vorkommen etwa um die gleiche Zeit, wie Herr Keilhack (Sommer 1903), in einem Karpfenweiher der Gör- litzer Haide bei Kohlfurt in Schlesien. \'gl. Plön. Forschungsberichte XI. Bd., 1504. Dr. Otto Zacharias (Plön). Über das Vorkommen von Insektenresten im Zusammenhange mit Petroleum vorkommen. — In Nr. 38 S. 606 f dieser Zeitschrift veröffent- lichte der Unterzeichnete einen Bericht über „das Erdölvorkommen in Norddeutschland". Es wird darin das Vorkommen von Insektenresten in einem diluvialen Tone des Erdölgebietes von Boryslaw erwähnt. Ich erhalte hierzu von M. Stümcke folgende interessante Mitteilung: 846 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 53 In den Beiträgen zur Naturkunde des Herzog- tums Lüneburg, gesammelt von Hofmedikus Johann Taube aus dem Jahre 1769, findet sich pag. 262 folgender Passus: „IVIerkwürdig war es, daß die Teererde sowohl in, als bei dieser alten Grube (es handelt sich um eine verschüttete Tongrube in der Nähe von Sehnde), als auch noch weit unter derselben voll von schwarzen Roßkäfern (Scarabaeus stercorarius) steckte. Etliche Millionen tote, aber nicht so viele lebendige, sah ich aus- graben. Die Fugen zwischen dem harten blauen Ton waren gänzlich damit ausgefüllet. Sie finden sich noch in einer Tiefe von sieben Fuß. Die meisten waren daselbst tot, allein viele, ob sie gleich sozusagen im Teer schwammen, lebendig. Der Geruch desselben mußte ihnen angenehm sein, denn nachdem die Grube fertig, oben aber noch nicht bedeckt war, fand sich dabei beständig eine außerordentliche Menge derselben und es stürzten sich ihrer viele Tausende in den Teer, wo sie endlich ihren Untergang fanden." Während also bei dem von Lomnicki be- schriebenen Vorkommen von Insekten in dem diluvialen Tone des Erdölgebietes von Boryslaw die merkwürdige Anhäufung von wohl erhaltenen Insektenresten durch die anlockende Spiegelung eines diluvialen Erdöltümpels zu erklären gesucht vi'ird — und diese Erklärung hat ja auch viel Wahrscheinlichkeit für sich — , liegt hier die direkte Beobachtung eines Augenzeugen vor, daß der Geruch der teerigen Produkte des Erdöls auf gewisse Insekten anziehend wirkt. Bei dem Scarabaeus stercorarius, zu deutsch Mistkäfer, ist diese Vorliebe für , .starke" Gerüche ja nicht wun- derbar, denn durch den starken Duft seiner Lieb- lingsnahrung angezogen, finden wir ihn oft mehrere Fuß unter der Erdoberfläche eingegraben. Wie die Motte dem verderbenbringenden Lichte ent- gegenflattert, so fand hier unser Scarabaeus, von dem trügerischen Gerüche verleitet, seinen Tod in den teerigen Massen. E. Odernheimer. allen gipfeldürren Fichten, die mir zugängig wur- den, die Grapholitha in einem Maße vertreten war, welches die Gipfeldürre vollständig erklärte. (\'gl. hierzu Naturw. Wochenschr. Nr. 35 (1904). Die wahre Ursache der angeblich durch elektrische Ausgleichungen hervorgerufenen Gipfeldürre der Fichten betitelt sich ein gegen V. Tubeuf gerichteter Aufsatz von A. Möller in der ,, Zeitschrift für Forst- und Jagdwesen" (1904, Heft 8), in welchem er sagt: Ich fand, wie ich seinerzeit mitgeteilt habe, in der Oberförsterei Zehdenick dieselbe Erkrankung der Fichten, welche von Tubeuf geschildert hatte; die Bilder, welche er gab, hätten ebenso gut in Zehdenick gemacht worden sein können; ich überzeugte mich, daß die Raupe der Grapholitha pactolana an den Stämmen fraß, daß die Wipfel genau über dem- jenigen Astquirl abgestorben waren, bei welchem die Zerstörung durch den Raupenfraß einen voll- ständigen Ring um den Stamm schloß. Ich wies auf die Literatur hin, welche mitteilt, daß Grapho- litha pactolana primär angreift und die Gipfel zum Absterben bringen kann. Ich fuhr nach München und überzeugte mich davon , daß an Die radialen Geschwindigkeiten von sechs Plejadensternen sind von W. S. Adams er- mittelt worden (Astrophys. Journal, Juni 1904). Die Untersuchung war wegen des Spektraltypus besonders schwierig, da nur Maja wohldefinierte, kräftige Wasserstofflinien zeigt, während die übri- gen nur recht verwaschene Heliumlinien erkennen lassen. Die Ergebnisse der sich bei jedem Stern auf mindestens drei Platten erstreckenden Messun- gen sind ; Elektra entf. sich von der Sonne pro Sek. um 14 km ^ tiy^^ta ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, 3 ij Merope „ „ „ „ „ „ „ „ 6 „ Alkyone , „ „ „ „ „15 „ Atlas ,, ,, ,, ,, ,, „ ,, ,,13 ij Maja zeigt veränderliche Geschwindigkeit (zwi- schen -|- 21 und — 7 km). Maja und Taj'geta scheinen, nach der BescliafTenhcit ihres Spektrums und der geringen Geschwindigkeit zu schließen, mit den umgebenden Nebeln nicht physisch zu- sammenzuhängen. F. Kbr. Bücherbesprechungen. i) Dr. J. Mooser, Theorie der Entstehung des Sonnensystems. Neue Bearbeitung. St. Gallen, Fehr'sche Buchh. 1904. 39 Seiten. — Preis I Mk. 2) Baurat J. Kubier, Woher kommen die \V el t g ese t zc ? Mit 3 Figuren. Leipzig, B. G. Teubner, 1904. 30 Seiten. 3) Th. Schubert, Die Ursachen aller Be- wegungen der Himmelskörper. Bunzlau, G. Kreuschmer, 1904. 47 Seiten mit 11 Fig. — 1,50 Mk. Der ^lenschengeist hat nun einmal die unausrott- bare Neigung, die seinem Forschen gesteckten Gren- zen zu überschreiten und versucht daher immer wieder von neuem — natürlich vergeblich — zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Diesem Streben sind die oben aufgeführten kleinen Schriften entstanden, die sich die Arbeit insofern recht bequem machen , als sie auf jedes Zurückgehen auf die Er- gebnisse früherer Forscher verzichten und das Welt- rätsel durch einige auf wenige Seiten zusammen- gedrängte, mehr oder minder willkürliche Hypothesen zu lösen glauben. Nr. I ist unter den drei Arbeiten noch diejenige, die am ehesten Beachtung verdient, insofern sie doch wenigstens an die Kant-Laplace'sche Nebularliypothese anknüpft. Allerdings scheint uns die mathematische Behandlung, durch welche das Tiiius'sche Gesetz der Planetenentfernungen abgeleitet werden soll, auf recht hypothetischer Grundlage zu ruhen und die nahe Ubereinstimtnung der erlangten Rechnungsergebnisse mit der doch nur teilweise und ganz roh zutreffenden Titius'schen Reihe nicht beweiskräftig. Im übrigen N. F. m. Nr. 53 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 847 sind all die Schwierigkeiten der Nebularhypothese, die in einer umfangreichen Literatur über dieselbe ausführlich diskutiert worden sind, in der vorliegenden Schrift nicht gestreift.') Nr. 2 ist eine Abhandlung, deren Verständnis dem Referenten nicht hat aufgehen wollen. Nur soviel kann hier verraten werden, daß Verf die ,, Entwick- lung" des Stoffes mit dem goldenen Schnitt in Be- ziehung zu bringen weiß und daß die nähere Aus- führung seiner Ideen mit einigen Integralzeichen, ge- lösten Differentialgleichungen und anderen scliönen Dingen verziert ist. Ref. muß bekennen , tiotz der verheißungsvollen Überschrift das Buch aus der Hand gelegt zu haben , ohne hinter des Pudels Kern ge- kommen zu sein. Auch bei Nr. 3 müßte man erst physikalisch von Grund aus umlernen, um verstehen zu können, was der Verf meint. Als Beweis dafür seien hier die ersten beiden Gesetze über die Bahnbewegungen aller Himmelskörper wiedergegeben , zu denen Verf. am Schluß des ersten Teils gelangt. Sie lauten: „i) Jeder Himmelskörper hat zwei oder mehrere verschiedene Schwerpunkte, die in Kurven mit ungleichen Ge- schwindigkeiten nach verschiedenen Richtungen fort- rücken. 2) Nach jedem dieser Schwerpunkte fällt jeder Himmelskörper in einer gekrümmten Falllinie." Solcher Gesetze folgen dann am Schluß des ersten Teils noch fünf weitere, worauf im zweiten Teil die Rotationen der Gestirne ursächlich erklärt werden. F. Kbr. ') Eine gute Zusammenstellung der hierher gehörigen Probleme bietet eine Abhandlung von F. K. Ginzel im V. Bande von ,, Himmel und Erde", die auch separat als Nr. 21 der Urania-Schriften bei H. Paetel-Berlin (Preis 1,20 Mk.) er- schienen ist. Prof. Paul Gerber, Über den Einfluß der Be- wegung der Körper auf die Fortpflan- zung der Wirkungen im Äther. (Programm- Abhandlung der Realschule in Stargard i. P., 1904). Die Schrift bietet ausführliche Auseinandersetzun- gen über die Vorstellung, die wir uns auf Grund der gegenwärtigen wissenschaftlichen Erfahrungen vom Äther zu machen haben und stellt im Abschnitt III die wichtigsten Untersuchungen zusammen , die seit den Arbeiten von Fresnel und Fizeau über die Wir- kungen der Bewegung von Körpern auf die im Äther sich ausbreitenden Wellensysteme angestellt worden sind. Der Vollständigkeit wegen hätte sich wohl auch eine Erwähnung der experimentellen Prüfung des Doppler'schen Prinzips empfohlen, die Belopolski vor einigen Jahren mit gutem Erfolge durchgeführt hat. F. Kbr. Ernst Bloch, Alfred Werner's Theorie des Kohlenstoffatoms und die Stereochernie der karbocyklischen Verbindungen. 8". IV und 87 Seiten. iVIit 48 Figuren und 3 Tafeln. Wien und Leipzig 1903. Carl Fromme. — 3 Mk. A. Werner hat in einer Abhandlung, die im Jahre 1891 in einer nicht eben leicht zugänglichen Zeit- schrift (Vierteljahrsschrift der naturforschenden Gesell- schaft in Zürich, Bd. 36) erschienen ist, Ansichten über die Wirkungsweise der .Affinität und über die Valenz der Atome entwickelt, die den Ausgangspunkt der von dem Verfasser in der vorliegenden Schrift angestellten theoretischen Betrachtungen bilden. Nach jenem Forscher ist die Affinität eines Atoms eine von seinem Mittelpunkt aus gleichmäßig nach allen Rich- tungen hin wirksame anziehende Kraft und die Valenz lediglich ein empirisch ermitteltes Zahlenverhältnis, dessen Wert nicht allein von dem anziehenden Atom, sondern von der Natur sämtlicher in der Molekel enthaltener Atome abhängt. Zur Bindung eines jeden der letzteren ist ein bestimmter Affinitätsbetrag er- forderlich, welcher einem gewissen Teil der Oberfläche einer Kugel entspricht , wenn man — was am ein- fachsten ist — dem Atom eine kugelförmige Gestalt beilegt. Lagern sich also an ein Kohlenstoffatom vier andere Atome (oder Radikale), so hat man sich dessen Oberfläche in vier Kalotten (Bindeflächen) zerlegt zu denken, die in dem Falle, daß es sich um gleiche Atome (oder Radikale) handelt, von gleicher Größe sind; ist das Kohlenstofifatom dagegen unsym- metrisch, so ist auch die Größe der vier Bindeflächen vollkommen verschieden. In jedem Falle gibt ihr Cirößenverhältnis ein Maß für die Stärke der den einzelnen Atomen oder Radikalen gegenüber ge- äußerten Affinitäten, und die nicht innerhalb der Bindeflächen gelegenen Teile der Kugeloberfläche entsprechen den Residualaffinitäten Armstrong's (1886) oder den im wesentlichen damit identischen Partial- Valenzen J. Thieles (1S991. Eine stabile Lagerung der Atome innerhalb der Molekel tritt ein, wenn die Bindeflächen so groß wie möglich sind, ohne sich, wenn auch nur teilweise, zu decken. Der Verfasser zeigt nun zunächst , wie man auf Grund dieser Vor- stellungen zahlenmäßig die relative Stärke der ein- fachen, doppelten und dreifachen Kohlenstoffbindung in der aliphatischen Reihe ausdrücken kann und führt weiter aus, dal;! die Ergebnisse einer derartigen Rech- nung mit denen übereinstimmen, die J. Thomsen im 4. Bande seiner thermochemischen Untersuchungen veröffentlicht hat, deren Richtigkeit allerdings in neuester Zeit angezweiffit worden ist. Andererseits liefert diese Weiterentwicklung der Werner'schen An- sichten eine wesentliche Ergänzung der oben erwähn- ten Hypothese von J. Thiele und beseitigt die Mängel, die der v. Bayer'schen Spannungstheorie (namentlich hinsichtlich der Polymethylenverbindungen) noch an- haften. Den größten Teil der Schrift nehmen die Er- örterungen über den Benzolkern ein. Der Verfasser unterzieht zunächst auf Grund der Anforderungen, die an eine Benzolformel zu stellen sind, die bisherigen Benzoltheorien einer kritischen Betrachtung, wobei insbesondere auch die stereochemischen Ringformeln eingehender berücksichtigt werden, als dies sonst selbst in größeren Handbüchern der organischen Chemie zu geschehen pflegt. Als die nach dem gegenwärtigen .Stand der chemischen Forschung besten Formeln er- scheinen ihm die von Vaubel (Stereochemische For- schungen I, 12) und von Sachse (Ber. d. ehem. Ges. 21, 2530) aufgestellten, und indem er nun auf beide 848 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 53 die Werner'schen Ansichten anwendet, gelangt er zu dem überraschenden Ergebnis, daß die in beiden Fällen entstehenden Konfigurationen vollkommen identisch sind, so daß das neue Modell die Vorzüge der beiden früheren in sich vereinigt und außerdem wegen der Einfachheit der ihm zugrunde liegenden Werner'schen Kohlenstoffiheorie einen tieferen Ein- blick in die Reaktionen nicht nur des einfachen Benzolkerns, sondern auch der kondensierten Kerne gestattet, wie sie im Naphthalin, Anthrazen, Phenan- thren und Pyren angenommen werden. Auf die Aus- führungen im einzelnen einzugehen ist leider im Rahmen dieser Anzeige der lesenswerten Schrift nicht möglich. Böttger. Literatur. Lehmann, Mfr. : Die Schnecken u. Muscheln Deutschlands. Eine Anleitg. zur Bcstimmg. u. Beobachtg. der deutschen Land- und SüßwasscrmoUusken , sowie zur Anlegung einer Schnecken- u. Muschelsammlg. Mit je I Taf. in Farben- u. Schwarzdr. (VIII, 82 S. m. Abbildgn.) kl. 8". Zwickau '04, Förster & Borries. — Geb. in Leinw. 2 Mk. Briefkasten. Herrn J. Weber in Kassel. — Herr Prof. Precht in Hannover beantwortet die von Ihnen gestellte Frage nach einem monochromatischen, blauen Glase freundlichst folgender- maiSen : Jenaer Blauviolettglas O 3086 (i qdm 17 Mk.) vom Glas- werk Schott u. Genossen läßt durch von 405 bis 480 (voll- kommene Absorption von etwa 490 ab). Dieses ist das beste, was mir bekannt geworden. Ein engerer Blaubezirk läßt sich nur mit Anilinfarben z. B. in Gelaüneschicht auf Glasplatten herstellen. Herrn G. R. in Moskau. — Ein ausführliches Werk über den Einfluß der Naturwissenschaften auf die neuere Philosophie, das gewiß recht wünschenswert wäre, ist uns nicht bekannt. Herrn W. G. in Göhren auf Rügen. — Sie schicken eine kleine Raupe, die in einem pergamentartigen Futteral von 9 mm Länje und 2 mm Dicke steckend auf den grünen Schoten von As/iagai'iis glycypliylliis lebt und möchten Näheres über das Tier erfahren. — Aus der vorliegenden kleinen Raupe entwickelt sich eine Tineide oder Motte Coltophora gallipeiinella Hb., einer jener Kleinschmetterlinge, die durch ihre Lebensweise so interessant sind, aber wegen ihrer Klein- heit so wenig beachtet werden. Wie ihre Verwandten zeich- nen sich die Coleop/wia-ArXen durch schmale Flügel und lange Franzen an den Hinlerflügeln aus. Die Vordtrflügel der vor- liegenden Art sind etwa 7 mm lang und, wie der Thorax, weiß gefärbt, nur in der Mitte der Endhälfte goldbräunlich. Man findet sie im Juli auf der Nährpflanze der Raupe. Die Zucht der Raupe ist schwierig , weil sie überwintert (vgl. H. v. Heinemann, Die Schmetterlinge Deutschlands und der Schweiz; Klein- schmetterlinge Bd. 2, Braunschweig 1876, S. 567 und J. H. Kaltenbach, Die Pflanzenfeinde aus der Klasse der In- sekten, Stuttgart 1874, S. 138). — Interessant ist bei der vor- liegenden .^rt die eigenartige Form der Schutzröhre, in welcher die Raupe steckt. .Am Vorderende ist dieselbe etwas gebogen , so daß sie sich der Länge nach der Schote anlegt und deshalb weniger leicht bemerkt wird. Am Hintcr- ende befinden sich drei Klappen, die sich mit ihren Rändern aneinandcrlegen, die sich aber durch einen sehr leichten Druck von innen zurückbiegen lassen. Der aus der Puppe aus- schlüpfende zarte Schmetterling würde nicht aus der festen Pergamenthülle hervorkommen können , wenn nicht diese Klappentür vorhanden wäre. — Die Raupe frißt nicht die ganze SchotcnhüUe, sondern nur die Samen der Futterpflanze. Um zu diesen zu gelangen, spinnt sie das Vorderende des Futterals an die Schote an, frißt ein rundes Loch durch die Schütenwand und kann nun mit dem größten Teil des Körpers in die Schote hineinsteigen. Bei allen Bewegungen in dem Futteral kommen nur die drei eigentlichen, vorderen Beinpaare und das hinterste Paar der sogenannten Bauchfüße, die Nach- schieber, in Tätigkeit. Die vier mittleren Paare der für die Raupen so charakteristischen, zum Anhaften des langen Körpers dienenden Bauchfüße würden hier nur hinderlich sein und sind deshalb rückgebildet. Sie liegen in Querfalten der Körper- ringe. Nur bei der ganz jungen Raupe unseres Falters, die noch nicht in einem Futteral lebt, sondern sich ganz in die Schote hineinfrißt, kommen alle Füße zur Geltung. — Da A.^hagaliis glycypJiyllus nur auf mergelhaltigem, sandigen Diluvialboden vorkommt und deshalb in manchen Gegenden Deutschlands, z. B. um Berlin, selten vorkommt, nenne ich einen zweiten Kleinschmetterling, dessen Raupe ein sehr ähnliches, nur etwas längeres und dünneres Futteral herstellt. Trotz der .'\hnlich- kei'. der Schulzröhre gehört sie freilich in eine ganz andere Gruppe. Es ist Talaeporia pseudobombycella Hb. (P. C. Z e 1 1 e r in : Lin- naea enioraologica Bd. 7, 1852, S. 341). Die Raupe dieser Motte nährt sich von Flechten und ist an den Kiefernstämmen unserer Wälder zahlreich zu finden. Der Falter fliegt im Mai und Juni. Tote Tiere bemerkt man während dieser Zeit leicht in den Netzen der Spinnen, die am Kiefernstamme ihrer Nah- rung nachgehen (vgl. F. Dahl, Das Tierleben im Deutschen Walde, Jfna 1902, S. 46). Um einer Verwechselung vorzu- beugen, nenne ich noch eine weitere Mottenart, deren Raupe gleichfalls und ebenso häufig an Kiefernstämmen vorkommt, Sokiwb':a piiieti Zell. (P. C. Zell er a. a. O. S. 349). Die Schutzröhre bei dieser Art unterscheidet sich leicht durch anhaftende Nadel- und Rindenstücke. — Von ganz besonde- rem Interesse ist bei den beiden erstgenannten Tieren die Klappeneinrichtung am Hinterende der Larven- hülle. Die Raupe kann, wenn sie die Klappen herstellt, den späteren Zweck derselben unmöglich ahnen und hat niemals Klappen der genannten Art gesehen. Auf den Bau des Raupen- körpers den Bau der Röhre zurückführen zu wollen ist unzu- lässig, da andere Coleophora-hrien, mitsehr ähnlichem Körperbau, eine ganz andere Röhre herstellen (vgl. v. H e i n e m a n n a. a. O. S. 532 ff.). — Die Raupe folgt bei Herstellung der Röhre zweifellos einem arterhaltenden l'riebe, einem Instinkte. — Die Frage ist nun; Ist dieser Instinkt durch Vererbung erwor- bener Eigenschaften zu erklären? Wäre das der Fall, so müßten wir annehmen , daß die Vorfahren unserer Tiere im Klappenbau Erfahrungen machen und sich üben konnten. Ich kann mir jedoch ein Erfahrungmachen bei den Vorfahren ebensowenig vorstellen wie bei unseren jetzt lebenden Raupen. — Durch natürliche Zuchtwahl kann man sich die Röhrenform sehr wohl entstanden denken : Gleichzeitig mit dem Instinkte, eine feste Schutzröhre zu spinnen , entwickelte sich der Instinkt, eine Einrichtung an der Röhre anzubringen, welche der ausschlüpfenden Motte den Ausgang aus derselben möglich machte. Individuen, die einerseits am besten geschützt waren und andererseits beim Ausschlüpfen am bequemsten den .Ausweg fanden , hatten am meisten Aussicht , zur Fort- pflanzung zu gelangen. Dahl. Inhalt; G. Wesenberg: Über den biologischen .Arsen-Nachweis. — Dr. F. Werner: Die Tierwelt in der bildenden Kunst. — Kleinere Mitteilungen: H.H. Risley: Indische Rassentypen. — Dr. Otto Zacharias: Zum Vorkommen von Dre|)anolhrix dentata. — E. Odernheimer: Das Vorkommen von Insektenresten im Zusammenhange mit Petro- leumvorkommcn. — A. Möller: Die wahre Ursache der angeblich durch elektrische Ausgleichungen hervorgerufenen Gipfcldürre der Fichten. — W. S. Adams: Die radialen Geschwindigkeiten von sechs Plejadensternen. — Bücher- besprechungen: i) Dr. J. Mooser: Theorie der Entstehung des Sonnensystems. 2) Baurat J. Kubier: Woher kommen die Weltgcsetze ? 3) Th. Schubert: Die Ursachen aller Bewegungen der Himmelskörper. — Prof. Paul Gerber; Über den Einfluß der Bewegung der Körper auf die Fortpflanzung der Wirkungen im .Äther. — Ernst Bloch: .Mfred Werner's Theorie des Kohlenstoffatoms. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Veranlworllicher Keilalrucl( vnii l.ipperl Ä Co. (C Patz'sclie Itiicli.lr.l, Naiimburt; a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,DiG NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902, Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Band; der ganzen Reibe XIX. Band. Sonntag, den 9. Oktober 1904. Nr. 54. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Die Nesselkapseln der Äolidier. [Nachdruckverboten.] Von Prof. iJr. Zu den merkwürdigsten Gebilden des tierischen Körpers gehören die Nesselkapseln. Sie nehmen auf der einen Seite durch ihre Leistungen sowie durch ihren Bau unser Interesse in Anspruch, auf der anderen muß uns ihre Verbreitung im Tier- reiche auffallen. Als das Gebiet, dem sie in be- sonderer Weise eigen sind, dürfen ohne Zweifel die Cölenteraten gelten, unter denen sie nur den Rippenquallen oder Ctenophoren fehlen, während sie in den übrigen Gruppen derselben so allge- mein und ausnahmslos auftreten, daß man diese danach geradezu als Nesseltiere, Cuidaria, bezeichnet. Sie sind für diese in solchem Maße charakteristisch, daß man in ihrem Mangel bei den Rippenquallen nicht mit Unrecht ein schwerwiegendes Argument gegen die nähere Zusammengehörigkeit dieser Tiere mit den übrigen Cölenteraten erblickt hat. Nun aber ist das Vorkommen der Nesselkapseln nicht auf diesen Tierstamm beschränkt, sondern man kennt solche auch von gewissen Würmern und Mollusken. Unter den ersteren sind es zwei Klassen, in denen sie auftreten, die Turbellarien und die Nemertinen. Zwar kommen sie nicht allen X'ertretern derselben zu, im Gegenteil nur J. W. Spengel. einer beschränkten Zahl; allein diese sind dafür mit so wohl ausgebildeten Nesselkapseln ausge- staltet, daß an deren Deutung und Vergleichbarkeit mit denen der Cölenteraten nicht zu zweifeln ist. Ja, manche Tatsachen sprechen dafür, daß gewisse andere Gebilde, die die nicht mit Nesselkapseln versehenen Turbellarien und Nemertinen ausnahms- los besitzen, die sog. Rhabditen, jenen entsprechende Teile sind. Und man darf wohl sagen, daß die fast allgemein verbreitete Annahme der Ver- wandtschaft der Nemertinen oder Schnurwürmer mit den Turbellarien oder Strudelwürmern in nicht unerheblicher Weise durch die Tatsache des Vor- kommens von Nesselkapseln bzw. Rhabditen bei beiden gestützt wird. In konsequenter Verfolgung dieses Schlusses dürfte man zu der weiteren Annahme kommen, daß verwandtschaftliche Beziehungen dieser beiden Würmergruppen auch zu den Cölenteraten be- stehen, einer Ansicht, für die sich wenigstens hinsicht- lich der Turbellarien auch andere Gründe anführen lassen, während die Nemertinen allerdings wohl sicher nur durch Vermittlung jener, also indirekt, von den Cölenteraten hergeleitet werden können. 850 Naturwissenschaft! i ch e Wochensch rift. N. F. m. Nr. 54 Immerhin hegen die Dinge so, daß es berechtigt erscheint, die Ausstattung des Körpers dieser Würmer mit Nesselkapseln aus deren Abstammung von Cölenteraten zu erklären und insofern zu einem gewissen Verständnis der Verbreitung der Nessel- kapseln auch auf diese zu kommen. Wesentlich anders liegt die Sache mit den Mollusken, bei denen Nesselkapseln vorkommen. Erstens haben die nicht mit Nesselkapseln ver- sehenen Mollusken keine Teile, die diesen, wie bei den genannten Würmern, zu vergleichen sind. Zweitens kommen solche nur in einer im Ver- hältnis zur Größe des ganzen Stammes sehr be- schränkten Weise vor. Und drittens ist für die- jenigen Mollusken, die Nesselkapseln besitzen, eine nähere Verwandtschaft, sei es mit Cölenteraten, sei es mit den erwähnten Würmern, mit Sicher- heit auszuschließen. Sie finden sich nämlich, wenn wir von einem Vorkommen einstweilen einmal ab- sehen wollen, in der verhältnismäßig kleinen Ab- teilung der kladohepatischen Nudibranchier, bei den Äolidiern. Diese bilden eine zwar nicht ganz formenarme , aber doch recht eng geschlossene Gruppe der Opisthobranchier oder Hinterkiemer, einer der beiden großen Hauptabteilungen der Gastropoden oder Schnecken. Von den Hinter- kiemern wissen wir aber so sicher, wie ein Wissen auf diesem Gebiete überhaupt sein kann, daß sie nicht die ursprünglichsten, den Würmern am nächsten verwandten Schnecken sind, sondern durch Formen wie die Aktäoniden und dieBulliden von den Proso- branchiern oder Vorderkiemern abzuleiten sind. Diese besitzen eine hochentwickelte Schale. In ge- wissen Gruppen der Opisthobranchier nun geht diese nach und nach verloren, bis zum vollständigen Schwunde, und solche schließlich schalenlos ge- wordene Tiere sind die Nudibranchier oder Nackt- schnecken, von denen wieder die Äolidier einen Seitenzweig darstellen, dessen Vertreter zu einer vielfach sehr eigenartigen Ausbildung gekommen sind. In dieser Familie nun finden wir, ganz plötz- lich und unvermittelt, sozusagen, die Nesselkapseln, während solche nicht nur den übrigen Opistho- branchiern, sondern ebenso allen Prosobranchiern, d. h. mit dieser Ausnahme allen Schnecken, fehlen. So ist die Frage natürlich sehr berechtigt : wie sollen wir uns das Auftreten der Nesselkapseln auf diesem Punkte des Tierreichs erklären , wo uns die Abstammung von anderen Tieren mit Nesselkapseln augenscheinlich als Erklärungsgrund abgeschnitten ist? Es wird für ihre Beantwortung nicht gleichgültig sein, ob der Befund von Nessel- kapseln bei den Äolidiern unter den Mollusken allein steht oder ob es unter diesen auch andere gibt, welche solche Gebilde besitzen. In diesem Sinne schien es von großer Bedeutung zu sein, daß Troschel im Jahre 1857 bei einem Cephalo- poden, den er Plülonexis imcrostovios nannte, auf den Saugnäpfen durchsichtige Zylinder fand, die mit Nesselkapseln besetzt waren. Zumal da diese Entdeckung durch Joubin im Jahre 1893 be- stätigt wurde, hatte es den Anschein, als sei da- durch der Beweis geliefert, daß Nesselkapseln bei den Mollusken zwar nur vereinzelt vorkommen, aber dennoch zu den typischen Teilen dieser ge- i-.ählt werden müßten, da sie nicht nur bei Opistho- branchiern, sondern auch bei Tintenfischen, wenn auch nur bei der einen Art, nachgewiesen waren. Allein schon im Jahre 1896 wurde diese Be- obachtung an dem Tintenfisch durch Bedot in einer Weise aufgeklärt, welche dieser Schlußfolge- rung den Boden entzog: er zeigte, daß die mit den Nesselkapseln versehenen Zylinder Tentakel von einer Meduse sind. Ihr, wie es scheint, in gewissem Grade regelmäßiges Auftreten auf den Saugnäpfen des Tintenfisches bedarf allerdings noch der Erklärung, ebenso wie die genauere Feststellung der Medusenart, deren Tentakel an einer so eigentümlichen Stelle gefunden werden. So viel steht indessen fest, daß es sich in diesem Falle nicht um Nesselkapseln handelt, die der Tintenfisch in seinen Organen erzeugt hat, sondern um solche eines Cölenteraten, und so stehen die Äolidier unter den Mollusken in dieser Hin- sicht wieder allein da. In der Literatur, in der deren Nesselkapseln beschrieben werden, sind nun wohl da und dort leise Zweifel geäußert worden, ob diese nicht eben- falls von außen in den Körper der Äolidier hin- ein gekommen sein möchten, und wir werden gleich sehen, daß es an Gründen für eine solche Annahme nicht gefehlt hat. Dennoch war bis in die jüngste Zeit die Ansicht allgemein verbreitet, daß wir es hier mit Nesselkapseln zu tun hätten, welche diesen Tieren in demselben Sinne eigen seien wie den Cölenteraten. Was in erster Linie einen Zweifel zu erwecken geeignet war, war die Tatsache, daß sämtliche je bei Äolidiern gefundenen Nesselkapseln in ihrer Größe, ihrer Gestalt und ihrem Bau vollkommen identisch sind mit denen von Cölenteraten und zwar teils von Hydroiden, teils von Actinien oder Seerosen, d. h. mit denen solcher Tiere, von denen viele Äolidier bekanntermaßen sich nähren. Dazu kam dann später der weitere Nachweis, daß nicht jede Aolidierart immer gleichartige Nesselkapseln hat, wie es bei jedem Cölenteraten der Fall ist, der zwar oftmals Nesselkapseln von mehreren ver- schiedenen Formen hat, aber stets dieselben, die für die Art durchaus typisch sind. Statt dessen hat man bei Äolidiern bisweilen Nesselkapseln be- obachtet, die von den bei anderen Individuen der- selben Art gefundenen abweichen. Ehe wir nun in unserer Betrachtung fortfahren, wollen wir sehen, an welchen Stellen des Körpers der Äolidier die Nesselkapseln gelegen sind, und zu diesem Zweck müssen wir uns über den Bau dieser Tiere etwas orientieren. Wie erwähnt, ge- hören dieselben zu den kladohepatischen Nackt- schnecken, d. h. während andere Nacktschnecken wie die meisten Schnecken einige wenige große Drüsen besitzen, welche aus je einer großen An- zahl von Schläuchen bestehen und mit je einem, vielen von ihnen gemeinsamen Ausführungsgang N. F. III. Nr. 54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 851 in den Darmkanal einmünden, gehen von dem Darmkanal der Äolidier zahlreiche Seitenäste ab und in jeden von diesen münden eine Anzahl von isolierten Schläuchen ein (Fig. i). Diese, die in ihrer Gesamtheit die Leber darstellen, sind nun gegen die 2— Fig. I . Darmsystem von Aiolis (nach S o n 1 c y c t , aus L a n g - Hescheler). I Schlund; 2 Magen; 3 Lebergänge mit den Einmündungen von den (abgeschniUcnen) Rückcnpapilien ; 4 After ; 5 Enddarm. Maut dieser Tiere ausgestreckt und ragen, von dieser überkleidet, als eine große Menge von keulenartigen Fortsätzen, Papillen oder Cerata (Hörner) genannt, nach außen hervor, wo sie die ganze Rückenseite bedecken, ein Bild hervorrufend, das an ein ganz kleines Stachelschwein erinnert. Diese Papillen sind oftmals sehr lebhaft gefärbt, während der übrige, ganz darunter verborgene Körper mit dem zum Kriechen dienenden langen schmalen Fuß und der mit I'"ühlern ausgestattete Kopf farblos ist. Sie werden ferner hin und her bewegt und können oftmals bedeutend verlängert und verkürzt werden. nach außen geöffnet ist(ö), andererseits durch einen engen Kanal (P) an seinem Grunde in Verbindung steht mit dem Ende des Leberschlauches {L), der die Papille durchzieht. Es besteht also durch diesen Schlauch hindurch ein Zusammenhang mit dem Darmkanal des Tieres. Es sei endlich noch erwähnt, daß, wie durch einige neuere Beobach- tungen festgestellt ist, diese Nesselsäckchen als kleine Ausstülpungen am Ende der Leberschläuche entstehen und später die Öffnung erhalten, durch die sie nach außen, ins Wasser, ausmünden. Jedes Nesselsäckchen ist von Zellen ausgeklei- det und in diesen liegen die Nesselkapseln und zwar im Ruhezustande ganz so, wie man sie vor ihrer Entladung im Körper der Cölenteraten fin- det, d. h. als rundliche oder längliche Bläschen mit einer ziemlich derben hellen Wand, einer wasserklaren Flüssigkeit und einem feinen, oftmals sehr langen und immer aufgerollten Faden im Innern. Über die Verwendung der Nesselkapseln weiß man, daß diese ausgestoßen werden und dabei wie bei den Cölenteraten sich entladen, indem der Faden aus der Blase hcrvorgeschnellt und die Flüssigkeit dabei, wie anzunehmen, entleert wird. Fig. 2. Aeolis riifiliranchialis , von der rechten Seite ("nach Aid er und Hanweck, aus Lang-Hescheler). a Auge, /> und <■ Tentakel, d After, e Geschlechtsöffnung, /Papillen oder Cerata. Die Nesselkapseln sind nun in den End- abschnitten dieser Papillen angebracht, und zwar finden sie sich dort im Innern von kleinen sog. Nesselsäcken (Fig. 3, A^), deren bei den meisten Äolidiern jede Papille einen besitzt. Von diesen wissen wir durch mehrere Untersuchungen, daß ihr Hohlraum einerseits an der Spitze der Papille Fig. 3. Schnitt durch 3 junge Papillen von .Uo/is papulosa (nach Hecht, aus Lan g-Hcschcl e r). Erklärung der Buchstaben im Text. Diese Beobachtungen enthaUen also keine Tat- sache, welche gegen die Annahme der Entstehung der Nesselkapseln in den Zellen der Wandung der Nesselsäcke sprächen. Dagegen ist eine andere Tatsache bekannt, die wieder geeignet erscheint, den oben erwähnten Zweifel daran zu nähren. Man findet nämlich die Nesselkapseln nicht nur in den besprochenen Ab- schnitten der Papillen, sondern auch, und zwar in großen Mengen, im Darmkanal der Äolidier, wo sie einen großen Teil der Kotmassen bilden. Für diese sind zwei Auffassurigen möglich: ent- weder entstammen sie der Nahrung, welche die Äolidier gefressen, haben, oder sie sind aus den Nesselkapseln auf dem Wege durch die Leber- säckchen dorthin gelangt. Dieser ist sicher offen, aber nach beiden Richtungen hin: die Nessel- 852 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 54 kapseln können a priori sowolil aus dem Darm in die Nesselsäckchen liinein als umgekehrt aus diesen in jenen hineingelangen. Die Natur der Nesselkapseln der Aolidier er- scheint danach unzweifelhaft unklar, aber augen- scheinlich sind die Unklarheiten derart, daß man mit Sicherheit erwarten darf, durch genaue Be- obachtungen ihrer Herr zu werden. Und tatsäch- lich sind schon vor einer langen Reihe von Jahren solche gemacht worden, die im Grunde ausschlag- gebend waren , leider indessen an einem wenig zugänglichen Orte veröftentlicht wurden und des- halb bis in die jüngste Zeit unbeachtet geblieben sind. Es war T. S t r e t h i 11 W r i g h t , der i. J. 1858 der Royal Physical Society zu Edinburgh eine Abhandlung vorlegte, in der er glaubte den Beweis führen zu können , daß die Nesselkapseln der Aolidier den Hydroiden entstammten , von denen jene Tiere lebten. Die Schrift blieb in den weiteren Kreisen der Zoologen unbemerkt, und daran wurde auch dadurch nichts geändert, daß ihr Verfasser ein paar Jahre später einen Auszug derselben im Microscopical Journal erscheinen ließ. Ein späterer amerikanischer Untersucher, der zu dem gleichen , aber auf viel weniger ent- scheidende Beobachtungen gestützten und daher sehr zurückhaltend ausgesprochenen Ergebnisse kam, Glaser, hatte offenbar von der Existenz jener früheren Publikationen keine Kenntnis. Erst ganz kürzlich sind sie durch G. H. Grosvenor in einer der Royal Society zu London vorgelegten Schrift „On the nematocysts of Aeolids" der Ver- gessenheit entzogen worden. Gleichzeitig hat deren Verfasser nicht nur die älteren Beobach- tungen bestätigt und erweitert , sondern er ist an die ganze Frage herangetreten und hat sie so gründlich bearbeitet , daß sie nunmehr wohl als endgültig gelöst betrachtet werden kann. Ich teile nun zunächst die Beobachtungen Wright's mit: ^) 1. Eine Aeolis nana, die in einem Campanu- laria johnstoni enthaltenden Tümpel auf einer mit Hydractinia besetzten Schneckenschale gefunden war, hatte zwei Sorten von Nesselkapseln gleich denen von Hydractinia und ferner große, andere Nesselkapseln gleich denen von Campamilaria johnstoni. 2. Eine auf Coryne eximia gefundene Aeolis coronata enthielt Nesselkapseln gleich denen der letzteren. 3. Eine Aeolis landsbnrgii, die auf Eudendrimn 7'ameum gefunden war, enthielt große bohnen- förmige Nesselkapseln gleich denen im Körper des Hydroiden und sehr kleine, wie sie dieser in seinen Tentakeln hat. 4. Eine Aeolis drnmnwndi , die auf Tidndaria divisa gefunden war, hatte die gleichen vier Sorten von Nesselkapseln wie diese. Nachdem es „lange Zeit" gefastet hatte, wurde dieses Exemplar mit Coryne eximia gefüttert. Am nächsten Morgen ') Nach Grosvenor. waren ihre Papillen und ihr Darmkanal voll von 'pus wird durch „Holilschaber" repräsentiert — Stücke etwa von der Größe, aber nur von der halben Dicke einer Zündholzschachtel. Sie haben unten an der längsten Seite eine Schneide, die ähnlich wie bei einem Meißel in einem der Schabeverrichtung entsprechenden Winkel sich abböscht , so daß auch hier die Be- nutzung durch die rechte Hand sich nachweisen läßt. \"orn haben diese Steine meist einen spitzen Winkel, etwa wie ein Brotmesser, dessen unteren Schenkel die Schneide, dessen oberen eine Fläche bildet, auf die man meist bequem den Zeigefinger legen kann, wenn man den Stein zum Gebrauche bereit in die Hand nimmt. Im vorderen Teil der Schneide hat der Stein eine ebenfalls schräge und etwas schief nach außen abgeböschte Aus- kehlung, die durch Schaben auf einem runden Stabe entstanden zu sein scheint, wie dergleichen auch an einem Glasscherben durch feine Aus- splitterung beim Schaben zustande kommt. Nimmt man diese Steine zum Gebrauche in die Hand, so erweist es sich stets, daß die Aus- kehlungen dann auch an der zur Arbeit geeignet- sten Stelle liegen, auf welche sich der Druck kon- zentriert, und daß die Steine bequem in der Hand liegen. Dr. Hahne stellt sich die Entstehung dieser Fabrikate in der Weise vor, daß man einige größere Feuersteine zertrümmerte und dann hand- hche , geeignete Bruchstücke auswählte , deren Schneide nun fast allein durch den Gebrauch die geeignete Form erhielt. Ist diese Überlegung richtig, so muß auch die Umkehrung der obigen Probe ein Resultat ergeben. Hahne hat eine große Zahl solcher Versuche in der Weise ausgeführt, daß er stets einige der unzweifelhaft bearbeiteten Steine in der Tasche bei sich führte und hier — ohne hinzusehen — ihre bequemste Lage in der Hand ausprobierte. Zog er dann die Hand her- aus, so zeigte es sich stets, daß der .Stein so in der Hand oder zwischen den Fingerspitzen lag, wie er als Werkzeug benutzt werden konnte. Dieses auch von anderen Personen mit Erfolg ausgeführte Experiment gilt auch für die anderen beiden Typen. Zuweilen hatten die Steine meh- rere günstige Lagen imd dann auch meist mehrere Benutzungsstellen. Einige am 19. März vormittags zur Besichtigung eingeladene Geologen, unter denen auch der Schreiber dieser Zeilen sich befand, fanden diesen Sachverhalt durchaus bestätigt — minde- stens ließ sich für jede Gebrauchsstellung auch eine wohl dazu passende Handlage finden. Diese Typen entsprechen den belgischen „Messvinien-Formen" Rutots. Weniger gewiß er- scheint der Gebrauch der roheren Eolithe, die nur zum Klopfen oder dgl. benutzt sein sollen , doch wies Hahne darauf hin, daß hier unter den Tausen- den der an Ort und Stelle in Belgien etc. herum- liegenden Steine nur diejenigen die fragliche Eckenabsplitterung und Abnutzung zeigen, welche 8s6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 54 ihrer Größe und Gestalt nach eine gewisse Hand- lichkeit aufweisen, nie aber die großen, uno-e- schickten Blöcke. ^ Als ganz problematisch erscheinen die als „Eolithe" gedeuteten Steine aus der Umgegend von Berlin (Rüdersdorf), denen gegenüber Keilhack und die anderen anwesenden Geo- logen vorläufig die größte Reserve aufrecht er- halten möchten. Jedenfalls hat durch die V'erhandlungen am 19. März die Eolithenfrage eine große Bedeutung erlangt, da durch sie wohl der Nachweis erbracht ist, daß interglaciale Manufakte des Menschen in Deutsch- land eine große Verbreitung haben und nicht selten sind, während ähnliche oder noch primitivere, aber doch sicherlich benutzte Stücke in Frankreich und Belgien in noch älteren Schichten liegen, deren Zugehörigkeit zur Tertiärzeit mindestens noch nicht widerlegt wurde. Freilich ist es von diesen ältesten Eolithen nicht sicher, ob sie „be- arbeitet", oder nur „benutzt" sind, d. h. ob "der Mensch oder ein Menschenaffe ihnen ihre Form gegeben. Immerhin wäre vielleicht noch eine eingehen- dere Untersuchung darüber wünschenswer^t, ob Formen, wie die beschriebenen, nicht doch auch zufällig durch natürliche (nicht künstliche) Ur- sachen — Rollen in der Brandung, etc. — in größerer Anzahl entstehen können, was man bis- her vermeint hat. Wie ich höre, hat Dr. Hahne neuerdings in Rügen sich solchen Untersuchungen gewidmet, deren Resultat wohl abgewartet werden muß, ehe man ein endgültiges Urteil in der Eolithenfrage fällt. Hoffentlich werden jedenfalls die neuen Funde, besonders von Dr. Hahne, überall im deutschen Lande den Sammeleifer entflammen, und wenn dann erst eine größere Anzahl Stücke mit genügend genau bestimmten Fundorten vorliegt, so wird das zu einem klareren Urteil über Verbreitung und Alter des diluvialen, vielleicht des tertiären Menschen in Deutschland führen. Kleinere Mitteilungen. Der Richtungssinn bei den solitären Wes- pen. — Die Sicherheit, mit der Bienen und Wes- pen das Flugloch ihres Nestes wiederzufinden ver- mögen, muß für jeden Beobachter etwas Frappieren- des haben. Lange Zeit hindurch hat man nach einer Erklärung der einschlägigen Tatsachen in der Tat vergeblich gesucht und sich damit be- gnügt, daß man den betreffenden Tieren einen besonderen mythischen Richtungssinn zu- erkannte, der unabhängig von der Erfahrung und demzufolge auch in hohem Grade unfehlbar den glücklichen Besitzer in den Stand setzen sollte, sich nach einer bestimmten Stelle immer wieder mühelos zurückzufinden. Ihren letzten Triumph ver- dankt diese Theorie vom Richtungssinn der eigent- lich viel zu viel besprochenen .Abhandlung"^ von B e t h e über die psychischen Qualitäten der Ameisen und Bienen. Bekanntlich stellte der genannte Autor die Hypothese auf, die Bienen würden durch eine rätselhafte Kraft, die uns vorläufig völlig un- bekannt sein, und deren Wirkungskreis sich auf ein Gebiet von etwa 3—4 km im Umkreise be- schränken sollte, zu ihrem Stocke zurückgeführt. Welcher Art diese unbekannte Kraft ist, darauf hat bald nach dem Erscheinen der B et he 'sehen Arbeit der berühmte Bienenforscher von Büttel- Reepen eine zutreffende Antwort gegeben. Es gelang ihm, den einwandsfreien Beweis zu liefern, daß die Bienen bei ihren Flügen durch ein Orts- gedächtnis geführt werden, das natürlich nur soweit reicht, wie die Tiere geflogen sind, d. h. etwa 3—4 km. Besonderen Fleiß verwenden die Bienen auf die Einprägung der Lage ihres Stockes, wenn sie diesen das erste Mal verlassen : sie schweben auf und nieder immer den Kopf dem Stocke zu- wendend und umfliegen ihr Heim in kleineren oder größeren Kreisen. Daß ganz ähnliche Verhältnisse auch bei den solitären, d. h. einzeln lebenden, Wespen vor- liegen, dafür enthält das Buch von George und Elisabeth Beckham, das für das Studium der genannten Tiergruppe eine vorzüghche Anleitung darbietet, eine Reihe wertvoller Belege. ^) Wir geben im Nachstehenden einige davon wieder. Zunächst ist es für die Frage nach dem Orien- tierungsvermögen einer Tierart von großer Wichtig- keit, wenn sich diese ihre ganze Lebenszeit oder wenigstens den größten Teil derselben an einer und derselben eng umgrenzten Lokalität aufhält. Ein derartiges Gebundensein an die Scholle treffen wir nun nicht allein bei den landbewohnen- den Tieren, sondern auch bei einer sehr beträcht- lichen Anzahl der Flieger. Der Garten z. B., der den Beckhams als Beobachtungsfeld diente, war bewohnt von einer bestimmten Anzahl bestimmter Wespenspezies, die entweder von Geburt an hier hausten oder den Platz zufällig gefunden und sich dort niedergelassen hatten. Wie sehr die Wespen Gelegenheit haben, mit ihrem Wohngebiet vertraut zu werden, das sei an dem Beispiel einer Sand- wespe {Ammophila uriiaria) erörtert. Von Juni ab fliegen diese Tiere umher, um von den Blüten Honig zu nippen. Im Juli kommt dann die Zeit der Paarung, während der es wiederum von Blüte zu Blüte geht. Dann gilt es, einen geeigneten Platz für die Anlage des Nestes ausfindig zu machen, wobei wiederum ein längeres Umhersuchen un- erläßlich ist. Der erwählte Platz wird dann, noch bevor die Nahrung für die Brut eingetragen wird wiederholt besucht, so daß das Tier mit" der Um- gebung seines Nestes allmählich völlig vertraut werden muß. Nach alledem ist es auch nicht im mindesten wunderbar, wenn die Wespe schließlich ihre Beute, die als Proviant ins Nest gelegt werden ') In Übersetzung erschienen bei P. Parey. Berlin 1904. N. F. III. Nr. 54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 857 soll, in einer nahezu geraden Linie an den Nist- platz zu bringen imstande ist. Durch den langen Aufenthalt auf einem und demselben Gebiete wer- Einzelheiten schließlich der Umgebung unserer den die Tiere mit allen so vertraut, wie wir mit Heimatstadt. Manche der solitären Wespen unternehmen, bevor sie ihre Nester verlassen , übrigens ganz ähnliche Orientierungsflüge, wie sie von Buttel-Reepen bei der Honigbiene beobachtet hat. Interessant sind hier namentlich die Angaben über die große gelbe Grabwespe (S/>/u\v ichncii- vwned). Diese Tiere sind bei der Auswahl ihres Nistplatzes außerordentlich wählerisch : sie fangen oft ein halbes Dutzend von Nestern an, um sie bald darauf wieder zu verlassen. Niemals aber wird bei einem derartigen unvollendet bleibenden Neste ein Orientierungsflug unternommen. Wohl aber geschieht dies bei den wirklich fertiggestellten Bauten , und zwar besteht der Orientierungs- flug in einer Spirallinie, deren Touren sich all- mählich mehr und mehr erweitern, während sich die Wespe gleichzeitig immer höher in die Luft erhebt (Fig. i). Hat das Tier ein derartiges ein- Fig. I. Erster Oricnüerungsllug von Sphex khiictimoiiea. gehendes Studium der Topographie seines Nist- platzes hinter sich, so pflegt es, wenn es sein Heim ein zweites Mal verläßt, weit weniger oder wohl auch gar keine Spiraltouren zu beschreiben (vgl. Fig. 2). In anderer Weise als Sphex ichneuuwnea er- wirbt sich Astata bicolor ihre Lokalkenntnis. Sie fliegt von dem Neste zunächst nach einem nahe- gelegenen Punkte, setzt sich dort einen Augen- blick nieder und kehrt dann entweder zum Neste zurück oder fliegt zu einem Ruhepunkte. So fährt sie eine Zeit lang fort, um endlich mit einem raschen Zickzackflug ihre Studien zu beenden. (Vgl. Fig. 3, auf der die einzelnen Flugstrecken der Reihe nach mit Ziffern bezeichnet sind.) Ähn- lich verfährt die verwandte Astata unicolor: doch läuft sie auf der Erde von einem Ruheplatz zum anderen, ohne dabei das Nest wieder zu be- rühren , erst zum Schluß bedient auch sie sich ihrer Schwingen (vgl. Fig. 4 u. 5). Daß das Resultat solcher Studien in der Tat in einem gewissen Ortsgedächtnis besteht, scheint uns aus den folgenden Beobachtungen hervorzugehen. Ein Nest von Astata unicolor wurde ausgegraben ; die Wespe legte sogleich in einer Entfernung von etwa 10 cm Fig. 2. Späterer Orienticrungsflug von Sphex khiieumonea. Fig. 3. Orientierungsbewegung von Astata bicolot E' ~-y V / \ t 'if h 1 / 1 hsT Fig. 4. Orientierungsbewegung von Astata unicolor. ein neues an. Nachdem dies fertiggestellt war, flog das Tier für 2V4 Stunden fort. Nach der Rückkehr fand die Wespe nicht sogleich das richtige Nest wieder. Zunächst begab sie sich zum alten und begann einige Bauarbeiten daran 858 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 54 vorzunehmen; erst nach einiger Zeit fand sie den richtigen Platz wieder auf. Hier war der Wespe offenbar eine Verwechslung zwischen dem alten und dem neuen Neste untergelaufen. — In Zick- zackflügen, die nur die eine Seite des Nestes halb- Kig. 5. Orientierungsbewegung von Astala iiuicolor. kreisförmig umschließen, gewiimt Cerceris deserta ihre Lokalkenntnis. Erst zum Schluß fliegt sie einige Male rings um das Nest herum (Fig. 6). Ganz ähnlich verfährt die Spezies Cerceris ni- grescens, während C. clypcata gleich mit vollen Kreisfliigen beginnt. Will man trotz der im vorstehenden referierten Beobachtungen bei der Annahme, die Wespen würden von einem besonderen Richtungssinn oder von einer rätselhaften Kraft geleitet, verharren, so müßte diese Kraft sich in der Praxis als unfehl- bar erweisen. Wie wenig dies der Fall ist, be- weist die Gattung Pouipilus. Sie ist dadurch aus- gezeichnet, daß sie ihre Beutetiere bereits einfängt, bevor sie zum Nestbau schreitet. Der Platz, auf dem die Beute deponiert wird, ist von dem Neste bei P. quinquenotatus 0,3—3 m> bei P. fiiscipemtis höchstens 35 cm entfernt. Solange diese Wespen mit dem Graben beschäftigt sind, besuchen sie oftmals ihre Beute. Dabei haben sie oft die größte Mühe, diese aufzufinden. Namentlich zeigte sich dies bei der Beobachtung eines P. fuscipennis, der soeben sein Nest beendet hatte und nun seine Beute aufsuchen wollte. Obwohl diese nur 20 cm vom Neste entfernt und leicht sichtbar war, machte die Wespe einen großen Umweg, ehe sie ihr Ziel erreichte; und als sie hierauf zu ihrem Neste zurückkehren wollte, verfehlte sie zunächst auch dieses (vgl. Fig. 7). Ähnliches konnten die Peck- Fig. 7. Weg ,-on Pompiltis fiiscipcnnh zum Beutelier und zum Neste. Fig. 8. Weg von Tachyies zum Neste. ham's noch an zehn Individuen derselben Spezies feststellen. In einem Falle suchte die Wespe 15 Minuten lang in wilder Hast nach ihrer Beute; dabei entfernte sie sich immer mehr und mehr von ihr, und sie hätte sie wohl überhaupt nicht gefunden, wenn ihr nicht der Beobachter mitleidig zu Hilfe gekommen wäre. Solche Unsicher- heit, wie sie Ponipilus beim Auffinden der Beute und des Nestes zeigt, beweist auf das deutlichste, daß ein unfehlbarer „Richtungssinn" diesen Ge- schöpfen nicht zukommt. Eine ähnliche Unsicher- heit beim Wiederauffinden des Nestes zeigt auch das Genus Pacliytcs, das seine Nester mit jungen Grashüpfern verproviantiert. Die F"iguren 8 und 9 geben die vielfachen Windungen wieder, die ein Individuum der genannten Gattung beim Trans- porte zweier Grashüpfer zum Neste sich leistete. N. F. III. Nr. 54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 859 Daß solitär lebende Wespen sicherlich eine Kenntnis, eine Anschauung von ihrem Nestplatze besitzen, beweist das Benehmen von Aporus fasciatits. Diese Spezies erkannte ihr Nest nicht wieder, wenn das darüber gedeckte Blatt entfernt wurde, während sie es nach Wiederauf- legen des Blattes sogleich wieder auffand. In ähnlicher Weise zeigten alle Angehörigen der Gat- tung Cerceris eine große Unruhe, wenn irgend ein neues Objekt in die Umgebung ihres Nestes gelegt wurde. Animoplüla verließ sofort ihr Nest, nachdem einigre tiefe Furchen in den davorliegen- Fig. g. Weg von Tachyles zum Neste. den Staub eingeschrieben waren. Auch zeigte sie sich in hohem Maße beunruhigt, wenn auf dem Platze, wo sie ihre Beute niedergelegt hatte, irgend eine Veränderung vorgenommen wurde. Mit vollem Rechte kann man aus all diesen Beobachtungen schließen, daß die solitären Wespen die Fähig- keiten zum Erwerb einer Ortskenntnis besitzen, und daß ihnen ein Ortsgedächtnis zugesprochen werden muß. Es stimmen also diese Resultate sehr gut überein mit denen, die von Buttel-Reepen aus dem Studium der sozialen Bienen abgeleitet hat. Dr. Walther Schoenichen. Der gegenwärtige Stand der Mykoplasma- theorie. — Die F"rage nach dem Ursprung und \'erbrcitungswege der Getreiderostpilze hat seit den epochalen Untersuchungen A. De Bary's zwar viele und gewissenhafte Bearbeiter gefunden, aber dennoch stehen wir, wenigstens was den praktischen Teil der Frage, die Bekämpfung des Rostes betrifft, eigentlich dort, wo wir vor De Bary gestanden sind; wir wissen gar nichts Be- stimmtes. 30 Jahre rastloser Forschung haben uns eine Kompliziertheit der Form- und Lebens- verhältnisse dieser Parasiten enthüllt , welche uns wahrhaft in Verwirrung setzt und den einst schein- bar schon abgeklärten Anschauungen über Rost- verbreitung wieder ihre Sicherheit raubt. Diese destruktive Arbeit leistete namentlich Prof. Eriksson, dessen großes Werk über die Getreideroste bei Licht betrachtet uns nur von einer Reihe falscher Meinungen befreite, ohne eigentlich genügenden Ersatz dafür zu bieten. Die Mykoplasmatheorie, welche er an die .Stelle der Alleinherrschaft der De Bary'scheii Zwischenwirts- lehre setzen wollte, konnte niemanden, ihn selbst nicht befriedigen, abgesehen davon, daß sie von den Forschern fast einstimmig abgelehnt wurde. Da seine neuesten Arbeiten jedoch wieder an die Anschauung einer derartigen Symbiose zwischen Pilzkörper und Zellsubstanz anknüpfen, dürfte es angezeigt sein, vorerst in Kürze die Gründe und Tatsachen vorzulegen, welche ihn zur Aufstellung dieser Theorie veranlaßten. D e B ary hatte nachgewiesen, daß der Schwarz- rost (Puccinia graminis Pers.) ein Stadium besitzt, in welchem seine Sporen nur auf den Blättern und Früchten des Berberitzenstrauches (Berberis vulgaris L.) keimen, dort im Früh- jahr die bekannten Becherfrüchtchen (Aecidien) bilden, deren winzige Sporen wieder das Getreide anstecken. Gleiches wies er für den Braunrost (Puccinia rubigo-vera) nach, dessen Zwischen- wirt eine gewöhnliche Wiesenpflanze (Anchusa officinalis L.) ist. Nach dieser Anschauung ge- nügte es also, die Umgebung der Getreidefelder von Berberitzen und Anchusen zu befreien, um dem Rost die Existenzmöglichkeit zu benehmen. An diese allgemein bestätigte Lösung des Rost- problems knüpfte nun Eriksson an. Er wies darauf hin, daß der Krankheitsverlauf sich im ganzen nicht so einfach gestaltet, wie man anfangs glaubte. Vor allem zeigte er, daß die alten 3 Rostarten in Wirklichkeit 18 ph\-siologische F'ormen sind, von denen 8 autoecisch leben , d. h. eines Zwischenwirtes nicht bedürfen. Für diese wird also De Bary's Anschauung von selbst hinfällig. F"erner zeigte er, daß die Wintersporen der neuen P. d isp ersa - Form, welche A n ch u sa als Zwischenwirt besiedelt, bereits im Herbst keimen, so daß sich das Anchusaaecidium schon im Sep- tember entwickelt und mit der Pflanze gegen den Winter zu abstirbt. Die F"rühjahrsansteckung des Getreides kann daher nicht durch die Anchusa- sporen erfolgen, da sich experimentell nachweisen ließ, daß die Acidiosporen nicht überwintern können. Immer fand sich ein Zeitraum von mindestens 6 — 8 Wochen zwischen dem Erlöschen der Winter- generation und dem ersten Auftreten von Rost auf den Getreidepflanzen. Des ferneren machte er geltend, daß sich heteroe- cische d. h. eines Zwischenwirtes bedürfende Rost- formen auch in solchen Ländern finden, wo deren Zwischenwirte überhaupt nicht vorkommen. So verwüstet P. dispersa die Ernten Australiens, Nordamerikas und Indiens, während dort Anchusa noch niemals gefunden wurde. Aber auch bei uns bewährte sich De Bary's Anschauung nicht in genügender Weise, denn es ließ sich experimentell nachweisen, daß die Ansteckung durch Acidio- sporen nur etwa 25 — 26 m weit reicht. Unsere Felder werden alljährlich von Rost befallen, während doch die Zwischenwirtspflanzen ziemlich ausge- rottet sind, sich zumindestens auf kilometerweiten Strecken nicht mehr finden. Durch alles dies wurde die Erklärung der Rostepidemien immer schwieriger. 86o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 54 Die De B a r y ' sehe Hypothese war zerstört, aber positive Anhaltspunkte zu einer neuen Er- klärung wurden nur wenige gefunden. Nur eine Erscheinung gab einen merkwürdigen Fingerzeig. Es ließ sich feststellen, daß der Rost immer zuerst das unterste Blatt der jungen Pflänzchen befällt und dann gewissermaßen mitwächst, indem er sich von Blatt zu Blatt in dem Maße des Wachstums verbreitet. Dadurch aufmerksam gemacht, versuchte Eriksson jede Möglichkeit einer Außeninfektion dadurch zu verhindern, daß er aus Samen Pflanzen in besonders konstruierten Vegetationsschränken kultivierte, welche zwar durch Wattepfropfe mit der Außenluft in Verbindung standen, jedoch trotz- dem vor dem Eindringen von Rostsporen behütet schienen. An solchen abgeschlossen kultivierten Pflanzen traten nach i — 2 Monaten Rostpusteln auf, was Eriksson als Beweis einer inneren Krankheitsursache deutete. Er schritt nun zur Aufstellung einer Theorie, welche die De Bary- sche ersetzen, beziehungsweise ergänzen sollte. Seine Grundidee war, daß das Pilzplasnia imstande sei, mit dem Zellinhalt seiner Wirtspflanzen eine so innige Verbindung einzugehen, daß es für unsere Mikroskope ununterscheidbar sei. In diesem Zu- stand — den er als Mykoplasma bezeichnete — verharre es in dem Samen einer rostkranken Pflanze; erst nach der Keimung unter günstigen Bedingungen trete es aus dem Plasma heraus und beginne dann jenen Entwicklungszyklus, welcher den Pilzforschern bekannt sei. Diese M)-koplasmatheorie entbehrte so ziemlich jeder positiven Grundlage, sie stützte sich vor- nehmlich nur auf die Kritik De Bary's und hatte daher auch nicht viel Glück. Die meisten Bo- taniker lehnten sie als überflüssig und gewagt ab. Und als man die Vegetationsschrankversuche Eriksson's wiederholte, fand man keine Be- stätigung seiner Angaben. Ich stellte in dieser Beziehung drei Jahre lang Kulturversuche an mit Gerstensamen, den Prof. Eriksson dem pflanzen- physiologischen Institute zu Ung.-Altenburg als von „rostkranken Eltern" stammend, zugesendet hatte. Zwei Jahre hindurch hatten die Versuche negativen Erfolg, das dritte Jahr trat auf den isolierten Pflanzen wirklich Gelbrost auf, doch konnte ich damals den Verdacht nicht unter- drücken, daß vielleicht doch eine Außeninfektion möglich war. Ähnlich ging es auch anderen P"or- schern; schließlich einigte man sich dahin, die Eriksso n 'sehen Freilanderfahrungen für nicht genug beweiskräftig und seine Isolierversuche für nicht einwandfrei zu halten. Nur ein Forscher, Prof. Z u k a 1 in Wien, machte eine Ausnahme ; er fand, daß die ganze Getreidepflanze mit den Pilz- fäden infiziert sei, so daß der Rost nicht eine lokale, sondern eine allgemeine Erkrankung dar- stelle, und in einem Privatgespräch versicherte er mich, daß er sich durch Versuche von der Richtig- keit der Eriks so n'schen Anschauungen überzeugt habe. Doch die Veröffentlichung dieser Unter- suchungen unterblieb, daZukal inzwischen starb. So stand die Angelegenheit unentschieden und verworren, bis vor wenigen Monaten eine über- raschende Wendung eintrat. Prof. Eriksson versuchte der Frage nach der Existenz des Mykoplasmas auf mikroskopischem Wege beizukommen. Nach seiner neuesten Ver- öffentlichung ') hatte er hierbei vollen Erfolg. Er untersuchte gemeinsam mit Dr. Tischler aus Heidelberg die Blattgewebe besonders rost- empfänglicher Weizen- und Gerstesorten, sowohl Fig. I. Keimpflanze des Winterweizens, 23 Tage alt, in welcher , .Mykoplasma" gefunden wurde. — Fig. 2. Myko- plasmaführende Zellen aus dem ersten Keimblatt der obigen Pflanze ; 44 Tage nach der Saat. — Fig. 3. Protomycelinm des Gelbrostes, aus einem kranken Bett (mäßig vergrößert). (Nach Eriksson und Tischler.) im Herbst als vom Frühjahr an bis zur vollen Entwicklung der Rostpusteln des Gelbrostes (Uredo glumarum). Vor dem Ende Juni war noch keine Spur der Krankheit zu sehen, ebenso zeigten viele hundert Schnitte, daß kein überwinterndes ') J. Eriksson, Über das vegetative Leben der Ge- treiderostpiize. 1. J. Eriksson und Georg Tischler. — Puccinia glumarum (Schm.) Eriks, und Henn. in der heran- wachsenden Weizenpflanze. (Kungl. Svenska Vetenskaps. Akad. Ilandlingar. Bd. 13, Nr. 6, 1904). — N. F. III. Nr. 54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 86 1 Mycehum da war, sondern dieses trat erst von Anfang Juli ab auf. Dagegen fand sich im Herbst und Frühjahr in vielen (jedoch nicht allen) Zellen des Blatt- parenchyms ein eigentümliches ,, dickes" Plasma, das die Zellen ganz oder zum Teil anfüllte (Fig. 2). Da es nicht in allen Zellen vorhanden war und bei notorisch rostfrei befundenen anderen Gramineen nie vorkommt, mußte es wohl als ein fremder Bestandteil der Zellen angesehen werden und Eriksson hatte mehr als einen Grund, darin sein solange gesuchtes Pilzplasma zu erblicken. Damit boten die Anfänge der Rostkrankheit dasselbe Bild, wie die unter dem Namen ,,la maladie de Cali- fornie" bekannte VVeinstockkrankheit, für die doch bekanntlich Debray ein mit dem Zellplasma zu- sammenlebendes Amöbenplasma, das anfangs mit der übrigen Zellsubstanz innig gemischt ist, nach- wies. Das Voriiandensein solch endocytischer Plasmodien hat übrigens nichts Absonderliches an sich, da derartiges bereits in den verschie- densten Fällen beobachtet wurde. Indem es nun bei den Gramineen in so ungeheurer Verbreitung nachgewiesen wurde, gewinnen alle jene spora- dischen Beobachtungen solcher plasmodienartiger Körper in tierischen Geweben, namentlich die merk- würdigen Untersuchungen Rohde's über das selbständige Leben der Zellsphären , worüber vor kurzem hier berichtet wurde,') einen eigenartigen Hintergrund. Mit dem Auffinden parasitischer Plasmodien waren übrigens Eriksson's neue Erfahrungen noch nicht erschöpft. In späteren Stadien fanden sich interzellulare Plasmabildungen erst ohne, dann mit Zellkernen (F"ig. 3), welche Eriksson als Protomycel bezeichnet. Diese Protomycelien beginnen auch bereits mit der für die Rostpilze charakteristischen Bildung von Saugapparaten, sog. Haustorien. An einem feinen Schlauche senden sie eine Miniaturzelle in die chlorophyllhaltigen Zellen der Blattspreite (Fig. 4), welche alsbald unter dem Einfluß der Haustorien ihren normalen Inhalt verlieren. Die Chlorophyllkörner ballen sich zusammen, schließlich schrumpfen sie samt dem plasmatischen Iniialt zu braunen Resten zu- sammen, wie solche auf Figur 6 sichtbar sind. Zur Zeit der Haustorienbildung beginnt sich das Protomycel durch Scheidewände zu gliedern (Fig. 5) es entsteht durch Querteilungen ein richtiges Pilz- mycel, welches sich an Stelle des fast ganz auf- gezehrten Zellgewebes setzt (Fig. 6) und alsbald auch zur Fruktifikation, d. h. zur Rostpustelbildung schreitet. Soweit reichen die positiven Angaben Eriks- son's. Sie haben uns in der Kenntnis der Her- kunft und Entwicklungsgeschichte des Getreide- rostes um ein wesentliches Stück vorwärts ge- bracht. Aber sie sind noch immer lückenhaft. Namentlich fehlt der Zusammenhang zwischen Mykoplasma und Protomycel und dann ließ sich auch die wichtigste Frage nicht entscheiden : wo- her stammt das M)-koplasma ? Wie gelangt es in die Pflanze ? Da erscheint gerade zu richtiger Zeit ein Be- richt über Untersuchungen des bekannten Ham- burger Pilzforschers O. Klebahn, welcher wenig- stens in dem ersten Punkte wünschenswerte Klar- heit bringt.') Klebahn hatte unabhängig von Eriksson dieselben Tatsachen beobachtet und damit sichergestellt. Er fand sowohl das „dicke Plasma" als auch das Protomycel. Aber er fand in dem dicken Plasma zweierlei Zellkerne — einen, welcher der Wirtszelle zugehört, und mehrere, welche den Pilzzellkernen ,, ähnlich" sahen. Des ferneren wurden in einer Wirtszelle dickes Plasma und Haustorien gefunden, nicht minder in un- Fig. 4. Haustorienbildung aus einem gelbrostkranken Blatt. Fig. 5. Beginn der Mycelbildung von ebendort. — Fig. 6. Pseudoparenchym und Hymeniumstadium des Gelbrostes, aus der unmittelbaren Fortsetzung von Pusteln (müßig vergrößert). Nach Eriksson und Tischler. mittelbarer Nähe des dicken Plasmas auch Zell- fäden des Gelbrostes. Damit war eine weitere Forderung der Myko- plasmatheorie erfüllt, denn wenn das Mykoplasma wirklich eine Mischung darstellt, so mußten in dem Mischplasma auch Pilzkerne gefunden werden ; auch ist die logisch notwendige Kommunikation zwischen Mykoplasma und Hyphen dadurch erwiesen. Die letzte Frage fand freilich noch keine Auf- ') Neue Untersuchungen über den Bau der Zelle. (Natur- wiss. Wochenschrift. 1904. 31. I. Nr. 18.) ') H. Klebahn, Einige Bemerkungen über das Mycel des Gclbrostes und über die neueste Phase der Mykoplasma- hypolhese. (Berichte d. deutsch, botan. Gesellschaft. Bd. XXII. 1904. Heft 4.) 862 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 54 klärung, wir wissen noch immer nichts von dem wichtigsten Verbreitungswege des Getreiderostes, durch welchen das „Mykoplasma" in die jungen Pflänzchen kommt und deshalb hält K 1 eba h n' in etwas übertriebener Vorsicht die Ansicht Eriks - son's noch für eine „kaum glaubliche Hypothese". Jedenfalls ist das eine sicher, daß es noch einen solchen Weg geben muß; die dadurch angeregte Forschung wird uns wohl bald neue Resultate be- scheren, die vielleicht für die Praxis der Rost- bekämpfung wichtig sein können. Aber auch schon jetzt rückt die noch immer so rätselhafte Frage des Parasitismus durch diese Untersuchungen in eine neue Beleuchtung und dadurch wird diese, langsam doch schon '^„glaubhafte" Mykoplasma- theorie zu einem der interessantesten Probleme in der Botanik. r. France. Die Stammesgeschichte der Archäoceten oder Urwale, deren einzige Vertreter bisher die interessanten Zeuglodonten aus dem Eocän dar- stellten, wird durch wichtige ägyptische Funde klargelegt, die Prof Dr. E. Fr aas in den von Koken herausgegebenen „geologischen und palä- ontologischen Abhandlungen" (Neue Folge Bd. VI, Heft 3) ausführlich beschreibt unter dem Titel: „Neue Zeuglodonten aus dem unteren Mitteleocän vom Mokattam bei Kairo". Von einem unter dem Namen Protocetus atavus E. Fraas beschriebenen Exemplar konnte aus dem Kalkstein ein verhältnismäßig gut erhaltenes Skelett bis auf Brust- und Beckengürtel, Extremitäten, Schwanzwirbel und Unterkiefer herauspräpariert werden. Hohes Interesse beansprucht vor allem die Bezahnung, die als „atavistisches Zeuglodonten- gebiß" bezeichnet wird, da sie auf Vorfahren mit vollständig entwickeltem Gebiß hinweist (Formel: nj-j .-)■ In Übereinstimmung mit den Merkmalen des Schädels und dem geologischen Alter macht sie die Kreodontier als Vorfahren der Archäoceten im höchsten Maße wahrscheinlich. Auch die Wirbel- säule trägt durchaus Raubtiercharakter und würde einen Gedanken an Verwandtschaft mit den Zeuglo- donten gar nicht aufkommen lassen, wenn nicht der Bau des Schädels mit dieser Gruppe fast vollständig übereinstimmte. Wir haben also unzweifelhaft ein neues Genus vor uns, das als erster bekannter Meersäuger den Namen Protocetus erhielt, während der Speziesname atavus die sehr deutlichen An- klänge an die Vorfahren zum Ausdruck bringen soll. Zu demselben Genus wären die von Stromer als Zeuglodon Zitteli beschriebenen Reste aus dem oberen Mitteleocän des Fajüm zu rechnen. Besondere Bedeutung gewinnt dieser erste Fund noch durch einen zweiten aus der Grenze vom oberen und unteren Mitteleocän Ägyptens: Unter dem Namen Mesocetus Schweinfurthi macht Fraas zugleich eine weitere Form bekannt, die der Entwicklungsstufe nach zwischen Protocetus und Zeuglodon die Mitte einnimmt und somit die An- passung eines ursprünglich landlebenden Raub- säugers an das Wasserleben noch klarer zur An- schaung bringt. Während das Gebiß noch zum Protocetustypus gehört, zeigt der Rumpf mit seinen langgestreckten Cetaceenwirbeln bereits Anklänge an die Gruppe des Zeuglodon macrospondylus. Diese Art zeichnet sich noch durch außergewöhn- liche Größe aus. Eine engere Verwandtschaft zwischen Archäo- ceten, Walen und Pinnipediern glaubt Fraas leugnen zu müssen. Er erklärt die mannigfachen Ähnlich- keiten zwischen diesen 3 Gruppen vielmehr als „Konvergenzerscheinung, hervorgerufen durch die Anpassung an das Wasserleben". Indessen nimmt er eine gemeinsame Wurzel, die Kreodontier, an. Das Werk erfährt durch drei schöne Tafeln eine vortreffliche Ergänzung. Edw. Hennig. . Bei Untersuchungen über die lichtelektrische Ermüdung hat Hall wachs (Physik. Zeitschrift, V, Nr. i6j beobachtet, daß hochpolierte Kupfer- platten in ihrer lichtelektrischen Empfindlichkeit beim Liegen im Freien sehr bald erheblich (nach 1V2 Stunden bis auf die Hälfte) zurückgingen, während die gleiche Abnahme im Zimmer die doppelte Zeit, in einem großen Glaskasten fast emen vollen Tag und in einer Stöpsel-Literflasche sogar bis zu 20 Tagen erforderte. Als Ursache für die schnelle Ermüdung im Freien wurde bei genauerer Untersuchung das Ozon erkannt, ohne daß es bisher gelungen wäre, die Art der Wirk- samkeit dieses Stoffes näher zu ergründen. Bemerkenswert ist dabei, daß auch die von besonntem Papier und Holz im Dunkeln aus- gehenden photographischen Wirkungen, die Prof. Blaas zuerst in der Naturvv. Wochenschr. (Bd. III, Seite 200 und 316) bekannt gemacht hat, nach neuerdings von ihm in Gemeinschaft mit Czermak angestellten Versuchen ebenfalls dem Ozon zuzu- schreiben dürften (vgl. Physik. Zeitschrift, \', S. 363). Sehr verwandt sind ferner auch die merkwürdigen Strahlungserscheinungen, w^elche Russell 'bei verschiedenen Metallen und organischen Körpern wahrgenommen und auf die Wirkung von Wasser- stoffsuperoxyd (H.jO.,) zurückgeführt hat, und deren Strahlungscharakter des näheren von Graetz untersucht wurde (vgl. Physik. Zeitschr., V, S. 160 und 271). F. Kbr. Bücherbesprechungen. Dr. phil. Franz Strunz, Naturbetrachtung und Naturerkenntnis im Altertum. Eine Ent- wicklungsgeschichte der antiken Naturwissenschaften. Leopold Voß; Hamburg und Leipzig. 1904 — 5 Uk. Gewiß ist es verdienstvoll, die geistige Entwick- lung der antiken Welt zu verfolgen, soweit sie in der Erforschung der Natur zum Ausdruck gekommen ist, und man kann zugeben, daß Str. auf dem knappen Raum seiner Schrift daß einschlägige Material recht gut zusammengefaßt hat. Daß er bei der Darstellung N. F. m. Nr. 54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 863 der theoretischen (Grundlagen großenteils ausgetretenen Spuren folgte, ließ sich nicht vermeiden, und anderer- seits konnte er, ohne den Raum zu überschreiten, die Ijraktische Naturkenntnis der Alten nicht in der wünschenswerten Ausführlichkeit vorführen. Der schwächste Teil ist sicher das 2. Kapitel, wo er „die theoretischen (Grundlagen der Naturbetrachtung der orientalischen Völker" mit großer Anstrengung und nicht ohne Phrasen vergeblich in ein System zu bringen sucht. Bei der Darstellung der klassischen Zeit läßt sich nicht ve:kennen, daß Verf., trotzdem er sich entschieden dagegen verwahrt, doch selbst mehr- fach moderne Ideen in die alte Naturphilosophie hineinlegt. Andererseits wird man einem Plato zweifellos nicht gerecht , wenn man sein System auf naturphilosophische statt auf erkenntnistheoretische Probleme zu gründen versucht. Alles in allem bleibt das Büchlein , auch wegen seiner guten Literaturangaben, besonders zur Einfüh- rung auf dem behandelten Gebiete sehr geeignet. -' Fritz Graebner. Dr. Wilhelm Wächter, Das Feuer in der Natur, im Kultus und Mythus, im Völkerleben. A. Hart- leben. Wien u. Leipzig. 1904. — 4 Mk. Wenn ein Mann mit guter allgemeiner Bildung nach nicht allzu tiefgründiger Lektüre der landläufi- geren völkerkundlichen Schriften über das angegebene Thema schreiben würde, so könnte das Ergebnis etwa dem von W. gebotenen gleichkommen. Besonders das erste Kapitel „Das Feuer in der Natur" geht nur darin über das Maß mittlerer Schulkenntnisse hinaus, daß der Verf. in die urwüchsige Symbolik arischer Mythen die tiefste Erkenntnis neuerer Naturwissen- schaft hineinliest. Die beiden übrigen Kapitel sind wesentlich Kompilationen ohne Vollständigkeit und ohne genauere Kenntnis der einschlägigen I^iteratur. Für die erste Behauptung verweise ich nur auf die Aufzählung der Feuerzeuge. Daß Verf. die Maori noch ohne Skrupel aus Hawaii einwandern läßt, paßt ja gut in sein Thema, zeugt aber ebenso für die Gründlichkeit seiner Literaturbenutzung. Das Bild, das im 3. Kapitel von dem Einfluß des Feuers auf die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft ent- worfen wird, ist reines Phantasieprodukt und als solches vielleicht das beste an der ganzen Schrift. Überhaupt ist das Büchlein flott, mit Wärme und Eifer geschrieben. Nur sollte Verf. nicht den An- spruch der Wissenschaftlichkeit erheben , indem er sein Schriftchen neben die im Vorwort angeführten stellt, die außerdem durchaus nicht, wie er meint, die einzigen über sein Thema handelnden sind. Fritz Graebner. Victor Engelhardt, Hypochlorite und elek- trische Bleiche. Technisch-konstruktiver Teil. Mit 266 Figuren und 64 Tabellen im Text. VIIL Band der Monographien über angewandte Elektro- chemie. Halle a. S. 1903. W. Knapp. XIV und 275 S. — Preis 12 Mk. Die Elektrolyse der Leichtmetallsalze in wässriger Lösung ist ohne Zweifel derjenige Prozeß, der unter den elektrochemischen Vorgängen in der chemischen Technik bis jetzt die größte wirtschaftliche Bedeutung erlangt hat. Namentlich hat die gleichzeitige Ge- winnung von Ätzkali (in zweiter Linie von Ätznatron) und von Chlor mittels der unter geeigneten Bedin- gungen stattfindenden Elektrolyse der Alkalichlorid- lösungen die früheren Darstellungsmethoden dieser Stoffe fast ganz verdrängt und in unserem Vaterlande hinsichriich des für die Textil- und Papierindustrie gleich wichtigen Chlorkalks eine vollständige Um- änderung der friüieren Verhältnisse hervorgerufen. Während Deutschland noch bis in die 90 er Jahre des verflossenen Jahrhunderts hinein einen großen Teil seines Chlorkalks vom Auslande (England) be- ziehen mußte, ist es schon seit etwa einem Jahrzehnt in der Lage, nicht nur den gesteigerten Bedarf an diesem wertvollen Stoff im Inlande zu decken , son- dern auch namhafte IMengen davon auszuführen, so daß beispielsweise im vergangenen Jahre die Ausfuhr an Chlorkalk dessen Einfuhr um mehr als 1500 Tonnen überstieg. Da nun bekanntlich bei der Elek- trolyse der Alkalichloridlösungen Chlor und Alkali gerade in dem Mengenverhältnis gleichzeitig entstehen, in dem sie zur rein chemischen Erzeugung der als Eau de Javelle und Eau de Labarraque bekannten Bleichflüssigkeiten aufeinander wirken müssen, so lag es nahe, die Darstellung von Chlorkalk zu umgehen und statt seiner die durch unmittelbare Einwirkung der erwähnten elektrolytischen Produkte entstehenden Bleichmittel anzuwenden. In der Tat hat sich schon vor 20 Jahren der französische Chemiker Hermite mit der Lösung des in Rede stehenden Problems beschäftigt, und nicht viel jünger sind die Versuche des Österreichers Kellner. Wie viel Fleiß seitdem darauf verwendet worden ist, das nämliche Ziel zu erreichen, lehrt der Inhalt des vorliegenden Werkes, in welchem der Verfasser unter eingehender Berück- sichtigung der deutschen und außerdeutschen Patent- literatur in erschöpfender Weise die konstruktive Ein- richtung der zahlreichen Apparate schildert, die dem genannten Zweck dienen sollen — eine mühsame Arbeit , wenn man bedenkt , daß es sich um einige 90 derartige Apparate handelt, die in den verschie- densten Kulturstaaten patentiert wurden. Für den technischen Elektrochemiker ist damit ein wertvolles Handbuch geschaffen, von dessen reichhaltigem, nach den verschiedensten Richtungen hin Interesse dar- bietenden Inhalt indes auch jeder andere gern Kennt- nis nehmen wird, der sich mit elektrochemischen Fragen beschäftigt. Es wird Gelegenheit sein, nach dem Erscheinen des zweiten Teils, der neben der Ökonomie der Apparate, die sich in der Praxis be- währt haben und der Beschreibung der Untersuchungs- methoden von Rohmaterialien und Faljrikationsproduk- ten auch eine Schilderung der namentlich durch die Untersuchungen von Oertel sowie von Foerster und dessen Schülern aufgeklärten theoretischen Grund- lagen der Chlorkalielektrolyse enthalten soll, nochmals auf dieses Werk zurückzukommen. Berlin. Böttger. 864 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 54 Literatur. Conwentz, H. : Die Gefährdung der Naturdenkmäler u. Vor- schläge zu ihrer Erhaltung. Denkschrift, dem Herrn Minister der geistl., Unterrichts- u. Medizinal-Angelegenliciten über- reicht. (XII, 207 S.) 8". Berlin '04, Gebr. Horntraeger. — Geb. in Leinw. 2 Mk. Stahl, Prof. Ernst: Matthias Jakob Schleidcn. Rede, geh. zur Säkularfeicr seines Geburtstages, nm i8. VI. 1904. Progr. (28 S.) LcK. 8». Jena '04 (G. Neuenhahn. — 1,20 Mk.). Buchen)? Ist er vielleicht als .Schutz gegen zu starke Tran- spiration anzusehen? E. K., Reibersdorf. Der genannte Überzug heißt Honigtau und ist ein Aus- scheidungsprodukt von Pflanzenläusen. Ausführliches in Büsgen's Schrift „Der Honigtau" (Jena, Gustav Fischer). Über den Gegenstand findet sich ein ausführliches Referat in der Naturw. Wochenschr. vom 29. März 1891, p. 130. Briefkasten. Herrn H. in Neunkirchen (Reg. -Bez. Trier). — Zum Studium der phylogen. Entw. d. Thallophyten und Pterido- phyten (sogen. Kryptogamen) ist zu empfehlen v. Wettstein, Handb. d. System. Botanik, Leipzig u. Wien (Franz Deuticke). Herrn F. B. in Brüssel. Apparate zu Versuchen mit Radium dürfte Ihnen jede leistungsfähige Firma für Unter- richtsapparate liefern, sicher z. B. M. Kohl in Chemnitz, Adorfer- straße 20, und Ernecke in Berlin SW, Königgrätzer.'-tr. 112. Das wirksamste Radiumbromid stellt Prof. Giesel in Braun- schweig her. Herren Dr. W. L. und Direktor R. L. in W. — l) Die pflanzenartigen Zeichnungen auf denFugenflächen des übersandten Porphyrs von Rothenbach sind ,,D e n d r i t e n". Dendriten und hiermit verwandte Objekte sind früher allgemein für pflanz- liche Fossilien gehaUen worden. Dendriten sind mineralische Ausscheidungen, oft in Bäumchen- oder Moosform, wonach der Moos-Achat benannt ist, der dendritische Einschlüsse von Mangan- oder Eisenhydroxyd oder von Chlorit enthält. Den- dritische Bildungen treten zwischen zwei Gesteinsschichten oder besser gesagt in einer Gesteinsfuge auf, wie z. B. ein zwischen zwei Papierblätter gequetschter Tintenklecks, der unter Umständen ebenfalls moos- bis strauchbaum- förmige oder blattartige Gestalten bildet. Noch Saporta war in den Fehler verfallen, eine solche Bildung (also ganz anorganischen Ursprungs) für einen Pflanzenrest zu erklären. Er beschreibt und bildet unter dem Namen Eopteris dendri- tische Ablagerungen von Schwefelkies aus dem Mittelsilur ab, die, oberflächlich gesehen Farnwedelreste vortäuschen. Die vermeintliche Spindel mag in der Tat durch einen vollständig durch Verwesung verschwundenen stengeiförmigen Pflanzenteil gebildet worden sein, und kann so die Veranlassung zu einer Rinnenbildung gegeben haben, welche die Infiltrationsflüssig- keit benutzte. Künstliche Dendriten kann man leicht dadurch (f^ür Unterrichtszwecke) darstellen, daß man das eine Ende eines Fadens in Salzwasser taucht und das andere zwischen zwei Glasscheiben führt. Das Salzwasser wird dann durch Aufsaugung seitens des Fadens zwischen die Scheiben geleitet, breitet sich rechts und I' ' . _ . Die Anfrage über Wiesen wachs in Nr. 46 findet aus dem Leserkreise die folgenden Antworten: In meiner Heimat (Miltelschlesien) bezeichnet man mit ,, Wiesewachs" (nicht Wiesenwachs) zuweilen die Wiesen selbst. Man sagt: Zu der Wirtschaft gehören so und soviel Morgen ,, Wiesewachs" (soll heißen: so und soviel Morgen Wiese); oder: Der Wiesewachs ist gut resp. schlecht (gute resp. schlechte Wiesen). Max Rolle, Mittelschullehrer. Vermutlich ist der Ausdruck ,, Wieswachs" gemeint, und darunter versteht man z. B. in Oberschwaben das, was auf der Wiese wächst, oder Wiese schlechthin. Man sagt z. B. : ein Gut hat so und soviel Morgen „Wieswachs", d. h. Morgen Wiesen. In gleicher Weise wird auch das Wort ,, Obstwachs" gebraucht. — Vielleicht genügt diese Antwort. Dr. J. Götz in Ravensburg. In den Gedichten von Wilibald Alexis befindet sich fol- gende Stelle : Ich komme von dem Wiesewachs Da, wo die Biene sammelt Wachs Ich komme aus dem grünen Wald Da, wo sie ihren Honig halt (hält). Der Wiese wachs, so heißt das Wort richtig, steht hier im Gegensatz zu dem ,, grünen Wald" als Kollektivbegriff für die auf den Wiesen wachsenden Kräuter, schließlich für ,, Wiesen" überhaupt, jedenfalls hat das Wort mit dem Stoff , .Wachs" nichts zu tun. Daß Alexis die Biene ,, Wachs" sam- meln läßt, ist eine poetische Freiheit, die er sich wohl erlaubt hat, um auch den zweiten und vierten Vers gegenüberstellen zu können. Also: Wiese und Wald, Wachs und Honig. Ich glaube, daß die Frage damit durch unsern alten märkischen Dichter befriedigend beantwortet ist. Dr. phil. Erich Janke (Gr.-Lichterfelde). Herrn K. in E. — Von Sambucus nigra gibt es Gartenformen mit zerteilten Blättchen, so die Form laci- niata Dippel bis auf die Mittelrippe fiederteilig und line- aris der Gärtner mit meist fast fadenförmig verkümmerter Blattfläche. Herrn Dr. M. in G. — Anfragen, die sich nicht auf die Disziplinen beziehen, die von einem naturwissenschaftlichen Blatt gepflegt werden, können wir nicht beantworten. ■nach der stattfindenden allmählichen Verdunstung des Wassers in pflanzlichen Formen zurück. p. 2) Das übersandte Steinkohlenfossil heißt Syringodendron ; es handelt sich um einen subepidermalen Erhaltungszustand einer Sigillarie (vgl. Potonie, Lehrb. der Pflanzenpaläoatologie p. 247 — 249 und Fig. 233). „ . Herrn Dr. F. in Charlottenburg. — Ich habe zwar von mks von dem Faden aus und bleibt dem Artikel auch anderweitig gehört, habe ihn aber leider ■,llm?,M,V),„„ v.v^„„„,„„„ j„. w „i(,^( jjj jig Hände bekommen, so daß ich die Äußerungen des Autors nicht zu kritisieren in der Lage bin. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß ein näheres Eingehen auf den Gegenstand nur möglich sein würde, wenn genau definiert würde, was unter Braun- und Steinkohle zu verstehen sei. Petrographisch gibt es Steinkohle vom Paläozoikum „ xj ■ D j ^'^ ^""^ Tertiär (also bis zur „Braunkohlen"-Zeil) in allen . , !."° "• '" l^^^yerode. — Wenn auch gewisse Tufte vulka- Formationen, und br.aunkohlige Gesteine gibt es auch im nische Gesteme smd, so können sie doch bei ihrer Entstchungs- Paläozoikum (so in der „Steinkohlen"-Formation). Im all-^e- weise als ausgeworfenes Material , namentlich wenn dasselbe meinen ist die Literatur zum Gegenstande sehr dilettantenhaft, dann vom Wasser zusammengeschwemmt wird, organische jedoch mag die von ihnen zitierte Arbeit einmal eine Aus- -Keste wie solche von Pflanzen enthalten. nähme machen: ich müßte sie sehen. Demnächst werde ich ,„,...,,,,,. .. in der Naturwiss. Wochenschrift einen historischen Überblick Woher rührt der klebrige, glänzende Überzug bieten über die Bemühungen die Genesis der Steinkohle zu latter im Sommer (besonders bei Linden und erkennen. p. der LaubbU Inhalt: Prof. Dr. J. W. Spengel: Die Nesselkapseln der Äolidier. — E. Meyer: Das Eolithcn-Problem. — Kleinere Mitteilungen: Dr. Walther Schoenichen: Der Richtungssinn bei den solitären Wespen. — R France- Der gegenwartige Stand der Mykoplasmatheorie. - Prof. Dr. E. Fr aas: Die Stammesgeschichte der Archäoceten. — Hall- wachs: Über die hchtelektrische Ermüdung. — Bücherbesprechungen: Dr. phil. Franz Strunz: Naturbetrachtuna und Na urerkenntms im Altertum. - Dr. Wilhelm Wach ter: Das Feuer. - Victor Engel hard t : Hvpochlorit? ""° elektrische Bleiche. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-We.it b Berlin Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'.sche Buch.lr.), Nanmburg 3. S. Einschlierslich der Zeitschrift „DlC NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge 111. Band; derfganzen Reihe XIX. Baud. Sonntag, den 16. Oktober 1904. Nr. 55. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagsbandlung erbeten. Die geologischen Linien im Landschaftsbilde Mitteldeutschlands. ,,,.,, , , 1 Von Dr. Hans Stille. [Nachdruck verboten.] Die geologische Karte Mitteldeutschlands lehrt uns, daß ganz bestimmt gerichtete Linien in der Um- grenzung der einzelnen Formationen vorherrschen. So erkennen wir z. B., daß die archäischen und paläozoischen Schichtsysteme des Fichtelgebirges, Franken- und Thüringerwaldes gegen die jüngeren des südlich anschließenden Gebietes an emer scharfen nordwestlich gerichteten Linie ab- schneiden, daß gleichfalls etwa nordwestlich bis westnordwestlich verlaufende Linien den paläo- zoischen Kern des Harzes umgrenzen und weiter- hin im Hannoverschen Berglande so häufig die mesozoischen Formationsglieder voneinander trennen. In dem oft so außerordentlich kom- plizierten geologischen Oberflächenbilde der eben erwähnten, von Nordwestlinien begrenzten paläo- zoisclicn Gebirgsstücke, wie auch im weiten Ge- biete des Rheinischen Schiefergebirges, tritt nun eine andere Richtung, die südwest-nordöst- liche, immer wieder auf; und verfolgen wir schließlich die Ränder des Einbruchgebietes junger Schichten, das in der Verlängerung des oberen Rheintales als die Hessische Senke bezeichnet wird, oder halten wir Umschau in dem geologischen Bilde des südlichen Hannover, so tritt uns die dritte Hauptrichtung, die nord -südliche, ent- gegen. Dieselben Richtungen finden wir auch im Ver- laufe der Gebirge und Talsysteme wieder; wir er- kennen die nordwestliche im Thüringer Walde, im Harze, im Teutoburger Walde, im Wesergebirge und die nordöstliche im Taunus, Hunsrück und anderen Höhenzügen des Rheinischen Schieferge- birges, wie auch in Mitteldeutschland im Fichtel- und Erzgebirge; die Nord-Süd-Richtung endlich begegnet uns weniger im Verlaufe der Höhenzüge, als in derjenigen der Täler, die in Hessen und Hannover das Gebirgsland durchziehen. Diese Übereinstimmung der Hauptrichtungen in geologischem Aufbau und Oberflächengestaltung ist keine zufällige, sondern der Ausdruck der engen Beziehungen, die zwischen beiden bestehen. Zwei Gruppen von Erscheinungen sind es, die das heutige Landschaftsbild zustande gebracht haben. Die dynamischenWirkungeninder Erdrinde schieben die Schichten zusammen oder zerreißen sie zu mächtigen Schollen, und wie unter der Hand des Künstlers der rohe Marmorblock 866 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 55 Gestalt gewinnt, so setzen an den zerrissenen Partien die äußerlich umgestaltendenVor- gänge an, um das wechselvolle Bild der Land- schaft hervorzubringen. Diese äußerlich umgestaltenden Vorgänge, die Erosion des rinnenden Wassers, die Abrasion des bewegten Meeres, die Deflation des Windes und die Exaration des Gletschereises streben dahin, die Hervorragungen des Landes abzutragen und mit dem losgelösten Materiale die Senken auszu- füllen. Das Endziel, der Ausgleich der Höhen und Tiefen, wird jedoch nicht erreicht, da neue Krusten- bewegungen neue Höhendifferenzen schaffen. Aber bei dem Versuche ihn herbeizuführen, erfolgt eine Vermehrung der Unebenheiten des Bodens durch Einreißen von Tälern und Rinnen, und erst hier- vor Ablagerungder permischen Schichten entstanden, die das im niederländischen Sinne gefaltete ältere Paläozoikum diskordant überlagern. Das ganze Gebiet Mitteldeutschlands ist von dieser Faltung ergriffen worden, und so finden wir ihre Spuren in den älteren paläozoischen Schichtensystemen, wo immer sie zutage treten. Dabei zeigt der geologische Grundriß in den Hauptzügen große Ähnlichkeit mit demjenigen unserer heutigen mäch- tigen Faltengebirge, wie der Alpen. Hier haben wir es aber mit den Alpen vergangener geologischer Perioden zu tun, die durch jüngere Abtragung be- seitigt wurden, und heute finden wir nur noch die zerstückelten Rudimente dieses einheitlichen alten Gebirges, das Sueß als das variscische bezeichnet hat. Maßstab I : 300000 durch entsteht der große Formenreichtum des Landschaftsbildes. Den Vorgängen der Abtragung, der Denudation, leisten aber die einzelnen Gesteine der Erdkruste entsprechend ihrer Festigkeit sehr verschiedenen Widerstand, und somit kommt im Wechsel der Oberflächenformen der verschiedene Grad der Angreifbarkeit der Gesteine des Unter- grundes zum Ausdruck. Die Zusammenschiebung und Zerreißung der Schichten des Untergrundes ist in Mitteldeutsch- land namentlich nach drei Systemen erfolgt, die durch die oben hervorgehobenen Hauptrichtungen im geologischen und landschaftlichen Bilde cha- rakterisiert werden. Das älteste ist das südwest-nordöstliche, das sogenannte erzgebirgisc he oder nieder- ländische System ; es ist zur Zeit des Oberkarbon Die tektonischen Verschiebungen in der süd- ost-nordwestlichen, der herzynischen, und der nord-südlichen, der rheinischen Richtung gehören einer jungen Periode der Erd- geschichte, der Tertiärzeit, an. Das ältere von beiden Faltungssystemen ist das herzynische, wie man namentlich daraus folgert, daß die Gebirgs- störungen der rheinischen Richtung die herzynischen Brüche verwerfen oder als Grabenversenkungen oder in der Richtung der Täler in herzynisch zu- sammengeschobenen Gebieten erscheinen. Die Südost-Nordwest- und die Nord-Süd-Brüche in Mitteldeutschland sind aber nur Teile gewaltiger Bruchsysteme, die weite Gebiete unseres Kon- tinents durchsetzen. Die herzynischen Brüche sind etwa vom Vogelsberge im Süden bis zum Rande der Tiefebene überall anzutreffen. Die nördlichsten N. F. III. Nr. 55 Naturwissenschaftliche VVoclienschrift. 867 verschwinden nebst den mesozoischen Schichten, in denen sie aufsetzen, in der Gegend von Osna- brück unter dem Diluvium. Nach Südosten sind sie in ziemlich gradlinigem Verlaufe entlang dem Thüringer Walde, Frankenwalde, P'ichtelgebirge, Bayrischen Walde bis hin nach Linz, also im ganzen auf eine Erstreckung von 900 km, verfolgt worden. Das nord-südliche Bruchsystem verläuft aus dem südlichen Hannover entlang dem Ost- rande des Rheinischen Schiefergebirges bis Frank- furt. Seine unmittelbare Verlängerung ist der Ein- bruch der Oberrheinischen Tiefebene zwischen Frankfurt und Basel, und nach v. Koenen setzt es von hier unter zeitweiliger Annahme einer mehr südwestlichen Richtung entlang dem Schweizer Jura und weiter durch das Saone- und Rhonetal bis zum Mittelmeere fort. Das IVIitteldeutsche Gebirgsland gliedert sich in folgende vier Landschaften : in das Rheinische Schiefergebirge, das Hessische Berg- und Hügelland, die Landschaft Thüringen und das Niedersächsische Hügelland. Rheini- sches Schiefergebirge, Hessisches Berg- und Hügel- land und Thüringen folgen einander von Westen nach Osten. Die Höhen des rheinischen Schiefer- gebirges sind vorwiegend nordöstlich gerichtet, diejenigen Thüringens nordwestlich, also senkrecht zu ihnen, und zwischen beide legt sich mit vor- wiegend nordsüdlich gerichteten Bergzügen und Talungen das Hessische Berg- und Hügelland, ge- wissermaßen als Achse der Symmetrie der nach hier von Osten und Westen konvergierenden Berg- züge. Diese Symmetrie geht aber im nördlichen Teile des Deutschen Mittelgebirges vollständig ver- loren. Die Höhen verlaufen hier, anschließend an die Bergzüge Thüringens, zu denen als nördliches Randgebirge auch der Harz zu zählen ist, vor- wiegend nordwestlich, legen sich dabei im Han- noverschen quer vor die nördlichen Ausläufer des Hessischen Berglandes, und indem sie sich weiter westlich immer mehr vom Nordrande des rheini- schen Schiefergebirges entfernen, schiebt sich da- zwischen eine nach Westen an Breite gewinnende Landmulde, die Münster'sche Bucht, ein. Diese Symmetrie in der Anordnung der ver- schiedenen Erhebungssysteme in den erwähnten drei Gliedern des Mitteldeutschen Gebirges ist keineswegs der Ausdruck einer einheitlichen sym- metrischen Auffaltung , sondern sie ist rein zu- fällig und durch mehrere zeitlich verschiedene Faltungsvorgänge herbeigeführt, die z. T. nur an bestimmte Bezirke gebunden waren oder doch hier nur größere Bedeutung für die Gestaltung der Erdoberfläche erlangten. Nur die älteste Auf- faltung, diejenige im niederländischen Sinne, scheint, wie wir schon sahen, gleichmäßig das ganze Ge- biet Mitteldeutschlands ergriffen zu haben. Im Rheinischen Schiefergebirge kommt diese Faltung im Verlaufe der Bergzüge weithin äußerlich zum Ausdruck; in der Landschaft Thüringen ist sie nur noch in den Kernen des Thüringer Waldes und Harzes, auf die das Auftreten der älteren paläozoischen Schichten beschränkt ist, schwach angedeutet. Im Rheinischen Schiefergebirge sind die sich am höchsten über das Plateau erheben- den nordöstlichen Bergzüge nur in selteneren Fällen auch die Linien höchster Auffaltung, wie das im allgemeinen für unsere jungen Faltungsgebirge zu- trifft; ich erinnere an die Alpen, wo die Zentral- kette die ältesten Schichten enthält und also die höchst aufgefalteten Teile darstellt. Ähnliche Ver- hältnisse haben in Mitteldeutschland wohl auch in präpermischer Zeit geherrscht, als das gewaltige alte Faltengebirge der variscischen Alpen noch bestand, von dem heute im Rheinischen Schiefer- gebirge, Harze und Thüringer Walde nur noch die abgetragenen Kerne vorliegen. Auch dieses Gebirge hat seine aus archäischen Gesteinen be- stehende Zentralkette in den Linien der höchsten Auffaltung besessen. Aber als diese gewaltigen Ketten eingeebnet waren, ist der Kern der Zentral- kette zerrissen und durch Einbrüche junger Schichten unterbrochen und nur aus dem Auftreten archä- ischer Gesteine an drei getrennten, in nord- östlicher Richtung angeordneten Punkten, nämlich bei Asciiaffenburg, im Thüringer Walde bei Ruhla und Brotterode und am Kyffhäuser ist noch die Folgerung zu ziehen, daß hier einstmals eine nord- östlich gerichtete Zentralkette gelegen hat. Die Höhenzüge der heutigen Reste des alten Falten- gebirges, z. B. des Rheinischen Schiefergebirges, sind vorwiegend auf Denudationswirkungen zurück- zuführen. Sie enthalten die härtesten Partien der alten Schichtfolgen , die länger der Abtragung Widerstand leisteten, als die umhüllenden mürben; da aber die Schichtfolgen in niederländischem Sinne eingeschaltet sind, so kommt in den Ober- flächenkonturen des Schiefergebirges zwar nicht der Grad der alten Auffaltung, wohl aber deren Rich- tung zum Ausdrucke. Der Charakter des Schiefergebirges ist mehr der eines von Talrinnen durchfurchten Plateaus, als der einer gegliederten Gebirgslandschaft. Es spielen sich hier, wie überhaupt in den paläo- zoischen Rumpfgebirgen, die vielfach so außer- ordentlich komplizierten Verhältnisse des Unter- grundes im Landschaftsbilde nicht annähernd in dem Maße wieder, wie z. B. im mesozoischen Berg- lande, wo jeder Wechsel des Gesteins, möchte man sagen, jede einigermaßen beträchtliche Störung der Landschaft ihre Spur aufdrückt. Ein Grund hierfür mag darin liegen, daß bis in noch späte Zeit die Plateaus der Kerngebirge von jungen Bil- dungen überdeckt waren, wie auch heute noch hier und da dünnere Decken mesozoischer Ge- steine auf ihnen anzutreffen sind, und daß zunächst diese jungen Bildungen entfernt werden mußten, ehe die Skulpturierung des Kerngebirges beginnen konnte, die deshalb zurzeit noch nicht sehr weit fortgeschritten ist; daß also, mit anderen Worten, in der heutigen Oberfläche in manchen Fällen noch annähernd die alte Abrasionsfläche uns ent- gegentritt, die während langer Zeiträume der Erd- 868 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 55 geschichte unter der Bedeckung jungpaläozoischer, mesozoischer oder tertiärer Bildungen verhüllt lag. Aber ein anderer Umstand kommt noch hinzu. In den mesozoischen Gebieten sind die Wege des rinnenden Wassers in zahllosen Fällen an Ver- werfungslinien oder an das Streichen der mürberen Gesteinslagen gebunden, sie folgen also den durch die Tektonik des Gebirges vorgezeichneten Linien, die vielfach gerade hierdurch einen ganz besonderen Ausdruck in der Physiognomie der Landschaft er- langen; in den paläozoischen Kerngebirgen er- scheinen sie aber in zahllosen Fällen als ein vom Untergrunde unabhängiges F'ormenelement, das in der nunmehr entschwundenen Bedeckung der jungen Schichten vorgebildet war, und bei weiterer Ver- tiefung die dort erhaltene Richtung auch in dem nach ganz anderer Richtung zusammengeschobenen Grundgebirge beibehalten mußte. Ist die innere Struktur des Ganzen und damit die Grundlage der heutigen Ausgestaltung im Rheinischen Schiefergebirge, wie überhaupt in unseren paläozoischen Gebirgskernen, eine uralte, so ist die Umrandung relativ jung; sie ist zwar keine einheitliche, indem die Grenze nach Osten und wahrscheinlich auch nach Süden durch das rheinische System bedingt wird, der Abbruch oder stellenweise auch nur die flache Einsenkung unter jüngere Schichten nach Norden mindestens auf weite Strecken aber mit herzynischen Krusten- bewegungen im Zusammenhange steht. Doch auch am Ostrande stellen sich lokal Begrenzungen in herzynischer Richtung ein und erklären den hier und da zackenartigen Verlauf, der seinen deut- lichsten Ausdruck in der Ausbildung der Franken- berger Bucht zwischen der Hauptmasse des Schiefer- gebirges und dem halbinselartigen Vorsprunge des Kellerwaldes findet. Den nördlichen Rand der Frankenberger Bucht bezeichnen Sprünge der Südost-Nordwest-Richtung, den westlichen solche der Nord-Süd- bis Nordost-Südwest-Richtung. Die Sprünge der Nordwest-Richtung liegen in der Ver- längerung von Störungen, die am Nordrande des Vogelgebirges aufsetzen und in die z. B. bei Lauter- bach Lias eingebrochen ist, und von anderen geologi- schen Gräben , die nach Fulda und weiter durch das Gebiet der Rhön nach Franken hineinführen. Die Nordwest-Brüche am Nordrande der Franken- berger Bucht sind also herzynisch und damit älter, als die rheinischen Nord-Süd- Brüche, gleichzeitig mit denen der Abbruch erfolgte. Aber bei diesem Abbruche sind die älteren herzynischen Sprunglinien benutzt worden, an ihnen setzen die Nord-Süd- Brüche ab, und diese Verhältnisse spiegeln sich aufs allerdeutlichste in den Konturen des Westran- des des Schiefergebirges wieder. Den Aufbau des Hessischen Berg- und Hügellandes bestimmen die Dislokationen der Nord-Süd-Richtung; namentlich im Grabenein- bruche der Hessischen Senke, die den Ostrand des Rheinischen Schiefergebirges begleitet, ist diese rheinische Richtung deutlich ausgeprägt; an ihr erstreckt sich gewissermaßen ein Ausläufer der Oberrheinischen Tiefebene bis hinan an das nieder- sächsische Hügelland. Untergeordnet finden sich auch Gräben herzynischer Richtung, wie z. B. in der Gegend von Fulda, die zum Teil als becken- förmige Einsenkungen in der Landschaft zu er- kennen sind. Die Terraingestaltung des Hessischen Berglandes ist außerordentlich unruhig und schein- bar weithin regellos, und das liegt namentlich in der großen Verbreitung der eruptiven Gebilde begründet, die unabhängig in ihrer Gestalt von der Struktur der Erdkruste, der sie aufsitzen, gewissermaßen als Fremdlinge in der Landschaft auftreten und sich dabei gelegentlich , namentlich in der Rhön und dem Vogelsgebirge, zu gewaltigen Berggruppen zusammenschließen. Die Kuppen der tertiären Eruptivgesteine fehlen auch dem Rheinischen Schiefergebirge nicht, haben im Gegenteil in manchen Bezirken, wie im Westerwalde und der Eifel, eine weitere Verbreitung; ganz besondere Bedeutung als Formenelement der Landschaft gewinnen sie aber im Hessischen Berglande, über das sie nach Norden und Osten kaum hinausgehen. Die ba- saltischen Kuppen sind an die Schichtenstörungen der Tertiärzeit, namentlich diejenigen der rheini- schen Richtung geknüpft, und ihr .Auftreten zeigt im Landschaftsbilde die Ausdehnung der Bruch- zonen an, mag auch nach Untersuchungen der jüngsten Zeit in allen Fällen der unmittelbare Zusammenhang der einzelnen Basaltkuppen mit den tertiären Bruchsystemen nicht zu erweisen sein. Gegenüber dem rheinischen Schiefergebirge zeigt die Landschaft Thüringen eine sehr mannig- faltige Gliederung und doch wieder mancherlei Gesetzmäßigkeiten in der Verbreitung von höherem und niederem Lande. Der Hauptteil Thüringens ist ein flaches Landbecken, das im Norden vom Harze, im Süden vom Thüringer Walde umsäumt wird. Beide sind Horste der paläozoischen Schichten inmitten der jungen mesozoischen Landschaft. Der Harz ist dabei ein Pfeiler für sich, während der Thüringer Wald sich als ein Ausläufer des Böhmi- mischen Massives darstellt, der sich keilförmig zwischen Franken und Thüringen einschiebt. Die innere Struktur dieser Randgebirge wird durch die niederländische Richtung beherrscht, in der hier wie auch im Schiefergebirge die Schichten zusammengeschoben sind. In der Terrainentwick- lung ist sie an dem Verlaufe der harten, wider- standsfähigeren Gesteine zu erkennen, z. B. im Harze in dem breiten Quarzitrücken des Bruch- berges und Acker an der Scheide von Unter- und Oberharz. Die uralte Faltung im nieder- ländischen Sinne tritt aber im Landschaftsbilde gegenüber der mannigfaltigen Gliederung des Lan- des infolge der herzynischen Krustenbewegungen der Tertiärzeit weit zurück. Zunächst ist die Umrandung der Kerngebirge eine herzynische, und das tritt sowohl beim Harze in Erscheinung, als auch im Thüringer Walde, wo dem Ausbiegen, der Knickung oder dem Ab- setzen der randlichen Dislokationslinien jedesmalig eine Änderung in den Konturen des Gebirges ent- N. F. m. Nr. 55 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 869 spricht. Hiner streng nordwestUch gerichteten Linie folgt namentlich der südliche Rand des Thüringer Waldes gegen das fränkische Vorland, der seine geradlinige Hortset/.ung im Abbruche des Frankenwaldes und Fichtelgebirges findet. Topo- graphisch erreicht der Thüringer Wald nach Nord- westen an der Werra in der Gegend von Eisenach seinen Abschluß, nicht aber geologisch ; geologisch ist er ein herzynischer Horst älterer Schichten in der jüngeren Landschaft, in dem nicht überall das altpaläozoische Gebirge zutage tritt, sondern weit- hin, namentlich im nördlichen Teile, durch Rot- liegendschichten überdeckt wird. Unter noch jün- gerer Bedeckung setzt aber der Horst über die Werra hinaus nach Nordwesten fort; da aber hier die überdeckenden Schichten zum Teil viel weniger widerstandsfähig gegen die Verwitterung sind, als die noch jüngeren Schichten , die an den her- cynischen Brüchen in ihr Niveau einsanken, so erscheint bei Sontra die geologische Fortsetzung des Thüringer Waldes als Terrainvertiefung! Es bestimmt also nicht allein der Umstand, daß die Schichten des Thüringer Waldes gegen die Um- gebung relativ gehoben sind den Gebirgscharakter, sondern nicht weniger die Widerstandsfähigkeit seiner Gesteine im V^ergleich zu derjenigen der Schichten des angrenzenden Gebietes. Das l^and zwischen Thüringer Wald und Harz bildet geologisch eine von Verwerfungen vielfach zerrissene Mulde, topographisch ein IBecken. In- mitten des Beckens liegt eine zentrale Partie, die nach Norden, Westen und Süden mit einem aller- dings mehrfach unterbrochenen Steilabsturze ab- fällt; das Material, das den Steilhang zusammen- setzt, ist der Wellenkalk, das tiefste Glied des Muschelkalkes, nach dem diese Landstufe als die „Thüringer Muschelkalkstufe" bezeichnet wird; ihr Verlauf im Hainich, Dün, der Hainleite und der .Schmücke spiegelt die Anordnung der Schichten zu einer flachen Mulde mit herzynischer Achse wieder. Die Mulde ist nicht einheitlich, sondern aus mehreren flachen Wannen und sie trennenden niederen Bergrücken zusammengesetzt, die aber alle die herzynische Richtung erkennen lassen. Die trennenden Rücken enthalten die härteren Schichten des Muschelkalkes, die flachen Wannen die mürberen des Keupers. Die Störungen, die das Becken zwischen Harz und Thüringer Wald, wie auch das fränkische Vorland südlicli des Thüringer Waldes durchsetzen, beeinflussen das Landschaftsbild sehr wesentlich; hier finden sich ältere Schichten horstartig in jüngere eingepreßt, dort durchziehen Streifen jüngerer Gebilde als Gräben die älteren. Die dislozierten Gebilde erscheinen als Bergrücken, wenn sie härteres Material, als Talungen, wenn sie weicheres als ihre Umgebung eiitlialten. So ziehen sich die Einbrüche von Keuper in wechselnder Breite als Täler oder Rinnen durch die Muschel- kalklandschaft, während andererseits die Einbrüche des Muschelkalkes in den mürberen Schichten des Buntsandstein, z. B. am Kleinen Dolmar am Süd- abfalle des Thüringer Waldes, als Bergrücken zu verfolgen sind. Auch hier ist es also nicht dei Senkungsprozeß der Schichten , der den Wechsel von Berg und Tal bestimmt, sondern ihre ver- schiedene Widerstandsfähigkeit gegen die Abtra- gung. Am verwickeisten gestaltet sich der geo- logische Bau und damit auch die orographische Gliederung der Landschaft in der Nähe der Rand- gebirge, also des Harzes und Thüringer Waldes; in der stark gestörten Zone am Südrande des Harzes, von ihm getrennt durch die Goldene Aue, ragt als herzynisch gerichteter Horst archäischer und permischer Schichten das kleine Kyffhäuser- gebirge auf. Die vielgestaltigen Bergzüge, die nördlich des Harzes, des Hessischen Berglandes und des Rhei- nischen Schiefergebirges das Randgebiet gegen die Norddeutsche Tiefebene einnehmen, bilden zu- sammen das Niedersächsische Hügelland. Eine Dreigliederung ist hier möglich, in die öst- liche Partie, das Vorland des Harzes, eine mittlere Partie, das Ostfälischc Hügelland im Norden des Hessischen Berglandes, und eine westliche Partie, das Wesergebirgsland im Norden des Rheinischen Schiefergebirges, von ihm getrennt durch die Münstersche Bucht. Die P'ormen der Oberfläche sind auljerordentlich vielgestaltig; gemeinsam ist allen drei Abteilungen das Vorherrschen der her- zynischen Richtung, die ganz vorwiegend den Verlauf der Bergzüge bestimmt. In enger Beziehung stehen die Dislokationen zu denen der Landschaft Thüringen. Wir fanden das ganze Thüringer Becken von solchen durch- setzt und erkennen deren Fortsetzung im nörd- lichen Hessen und südlichen Hannover; wir fanden aber eine Steigerung an Zahl und Intensität, je- mehr wir uns den Randgebirgen Thüringens, dem Harze und Thüringer Walde näherten und die beträchtlichsten Dislokationen in deren unmittel- baren Nachbarschaft. Diese Hauptstörungszonen der Thüringer Landschaft setzen nun nach Nord- westen fort, diejenige des Harzes durch das Ost- fälischc Hügelland zur Weserkette, dem Grenz- gebirge gegen die Tiefebene , diejenige des Thüringer VValdes quer durch Niederhessen über Kassel und Warburg zum Südende des Teuto- burger Waldes. Indem sie nun hier in die nord- südiiche Richtung einbiegt und dabei den Verlauf des Egge - Gebirges, des südlichen Teiles des Teutoburger Waldes, bestimmt, nähert sie sich der nördlichen Zone, um von Detmold an im nördlichen Teutoburger Walde, im Osning, wieder parallel mit ihr zu verlaufen. Bei weitem am kompliziertesten ist die nördlichste Störungszone, stellenweise sehr einfach gebaut die südliche, und oft sind es nur schmale Grabeneinbrüche, die ihren Weg zwischen dem Teutoburger und Thüringer Walde bezeichnen. Während infolgedessen auch bei der nördlichen die Konturen der Bergzüge den Verlauf der Dislokationssysteme leicht er- kennen lassen, hat es bei der südlichen sehr müh- samer geologischer Untersuchungen bedurft, um den Zusammenhang der Störungszone des süd- 870 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 55 liehen Teutoburger Waldes mit derjenigen des Thüringer Waldes durch das nördliche Hessen zu ermitteln. Es ist also die Nord-Süd-Richtung des Teutoburger Waldes nicht durch rheinische Dis- lokationen bedingt, sondern als lokale Auslenkung des herzynischen Systemes erkannt worden, und es ist dieses ein Beispiel dafür, daß die großen Dislokationssysteme ihre vorherrschende Richtung gelegentlich aufgeben, um auf kürzere Erstreckung einer abweichenden zu folgen. Der östlichste Teil des niedersächsischen Hügel- landes, das Vorland des Harzes, zeigt sowohl in der Oberflächengestaltung als in der Tektonik gewisse Ähnlichkeit mit Thüringen. Gleich diesem ist es ein zwischen zwei paläozoischen Horsten eingesunkener Komplex jüngerer Schichten. Der eine dieser Horste ist der Harz, der andere ist der Flechtinger Höhenzug zwischen Magdeburg und Öbisfelde, der sich nur wenig über das an- grenzende Diluvialgebiet heraushebt. Störungen zerreißen das Gebiet und umgrenzen mehrere Horste von Buntsandstein und Muschelkalk, die im Hug, der Asse und dem Elm als herzynisch ge- richtete Bergzüge über die umliegende, im Unter- grunde namentlich Lias, Kreide und Tertiär ent- haltende Landschaft aufragen. In der Linie Braun- schweig— Wolfenbüttel verschwinden mit den mesozoischen Schichten auch die herzynischen Störungen des nördlichen Harzvorlandes unter der Diluvialbedeckung, sind aber im Fortstreichen in der Gegend von Celle durch Bohrungen auf Petroleum unter dem Diluvium wieder nachge- wiesen worden. ImOstfälischenHügellande, im Gebiete zwischen Weser und Harz, politisch etwa im Ge- biete des südlichen Hannover, sind die Bergzüge dicht geschart und das Relief ist außerordentlich unruhig. Das liegt nicht allein daran, daß sich hier das herzynische Faltungssystem stark zer- splittert, so daß vielfach Spezialmuldungen und Auf- faltungen auftreten, die von Brüchen stark zer- rissen sind, sondern zum großen Teil auch an dem so bunten Wechsel des Gesteinsmaterials, der auch bei ruhigeren Lagerungsverhältnissen eine größere Zahl weit fortreichender Bergzüge zur Folge haben würde. Lher und da bilden die Bergzüge geschlossene, nach außen ihren Steilhang wendende Ellipsen und bringen dadurch eine muldenförmige Anordnung der Schichten im herzynischen Sinne zum Ausdrucke. Als Mittelpunkt einer solchen Ellipse beobachten wir den aus Kreideschichten aufgebauten Hils; um ihn legt sich der allerdings stellenweise unterbrochene Zug der Weißjura- Rücken, deren westlicher Teil als Ith steil zur Weser abbricht; diesen Zug umkränzen niedrigere triadische Höhen. Gleichfafls im allgemeinen nord- westlich gerichtet sind die Bergzüge der Gronauer Kreidemulde und diejenigen der Gegend von Hildesheim. Weiter nordwestlich gewinnen in den Höhen des Osterwaldes, des Deislers, des Süntels und der Bückeberge die Schichten des Wealden große Bedeutung in der Ausgestaltung der Physiognomie der Oberfläche. In den Bücke- bergen tritt inmitten der mesozoischen Landschaft eine Richtung auf, die ihr sonst fremd ist, die nordöstliche. Aber auch dieser Bergzug ist ein nur abweichend streichender Teil des herzynischen Gebirges; er ist der Gegenflügel des nordwestlich gerichteten Deislers, von dessen Nordende ihn eine schmale Senke trennt, und geht nach Westen ganz allmählich unter Verringerung seiner Höhe und Breite in westnordwestlich gerichtete Züge über, die im Harri und der Klus bei Bückeburg als Parallelkette den jurassischen Zug der Weser- berge an seiner Nordseite begleiten. Die Ver- ringerung in Höhe und Breite ist aber die Folge des Zurücktretens der Sandsteinschichten im Wealden gegenüber den Schiefertonen, und noch weiter westlich, jenseits der Weser, verschwin- det der fast ganz aus mürben Schichten zu- sammengesetzte Wealden als Formenelement der Landschaft. Inmitten dieser herzynischen Bergzüge des Ostfälischen Berglandes treten nun die Rheinischen Störungen namentlich als Grabenversenkungen und in der Richtung der Täler in Erscheinung. Sie hängen in vielen Fällen nachweisbar mit den rheinischen Schichtenversenkungen Hessens zu- sammen, die wiederum nach Süden ihre P'ort- setzung im Rheintale finden. Der westlichste Teil des Niedersächsi- schen Hügellandes ist nur recht schmal und wird von zwei scharfen Gebirgskämmen umgrenzt, nach Norden von der Weserkette, nach Süden vom Teutoburger Walde. Geologisch sind Weser- kette und Teutoburger Wald Flügel und Gegen- flügel eines herzynisch gerichteten Sattels, dessen Kern die Keuperschichten in der Landmulde zwischen beiden Gebirgen einnehmen. In der Gegend von Osnabrück verschwindet das schmale vom Teutoburger Walde und Weserketle flankierte Band mesozoischer Schichten samt den in ihm aufsetzenden herzynischen Störungen unter den Diluvialbildungen der Norddeutschen Tiefebene. Kurz vorher kommen aber im Piesberge und der Ibbenbürener Bergplatte bei Osnabrück nochmals die paläozoischen Schichten zutage; auch hier handelt es sich um von jungen Verwerfungen abgeschnittene Horste, die aber der allgemeinen Absenkung des Gebirgslandes nach Nordwesten entsprechend nur verhältnismäßig geringe Er- hebungen bilden. In diesem äußersten Sattel laufen also die beiden Hauptzüge herzynischer Störungen des Mitteldeutschen Gebirgslandes zu- sammen, die, wie wir sahen, weiter östlich stark divergieren und einerseits zum Harze, andererseits zum Thüringer Walde hinführen. Südlich dieses nordwestlichsten Zuges des Mitteldeutschen Ge- birgslandes breitet sich die weite Münstersche Bucht aus; ihre Umrandung ist nach (Jsten und Norden im Teutoburger Walde eine herzynische, nach Westen verschmilzt sie mit der Nieder- rheinischen Tiefebene; nach Süden sie durch- querend gelangen wir zum Sauerlande und damit N. F. III. Nr. 55 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 871 zurück zum Rheinischen Schiefergebirge, von dem wir bei der Verfolgung der Dislokationssysteme an der Hand der Landschaftsformen Mitteldeutsch- lands ausgegangen waren. Kleinere Mitteilungen. Neue experimentelle Untersuchungen über den Gehörsinn der Fische hat H e n r y B. 1! i g e - low angestellt; er berichtet darüber im „American Naturaliste", Bd. 38, Nr. 448, 1904, S. 275—284. (Vgl. dazu das Referat über eine diesbezügliche Arbeit von A. Lang in „Naturwiss. Wochenschr." 1903, Nr. 29.) Aus der Gegenwart innerer Ohren bei den Fischen schloß man einfach auf das Vor- handensein eines Gehörsinnes, und erst Kreidl stellte (189s) an Goldfischen und Forellen experi- mentelle Forschungen über diesen Gegenstand an. Bigelow benutzte zu seinen Untersuchungen den Goldfisch , Carassius auratus L. Zwei Seiten des Acjuariums, in dem die Versuchstiere gehalten wurden, waren aus Glas, die Schmalseiten und der Boden bestanden aus hellem Kiefernholz. Um Erschütterungen des Wassers fern zu halten, stan- den die Füße des Tisches auf mehreren Lagen weichen Papieres, und das Aquarium selbst war durch eine dichte Unterlage von Baumwolle ge- schützt. Später wurden die Glasscheiben mit un- durchsichtigem Papier bedeckt, damit die Fische niciit durch die Glaswände hindurch von außen her gestört werden konnten. Der Schall wurde durch eine elektrische Stimmgabel erzeugt, die 100 Schwingungen in der Sekunde machte und durch eine Batterie in Gang gesetzt werden konnte. Dieser Schallapparat stand auf einem hölzernen Tische, der sich nahe bei dem Aquariumtisch be- fand, ohne ihn jedoch zu berühren, und dessen Füße gleichfalls durch Papierlagen gesichert waren. Die Stimmgabel war so angebracht, daß sie, in Schwingungen versetzt, die eine Holzwand des Aquariums berührte. Die zu den Experimenten verwendeten Goldfische waren zum Teil normal, einer Gruppe war die Haut durch die Durch- schneidung des 5. und/. Nerven, der Seitenlinien- nerven und der Rückensaite unempfindlich ge- macht, und einer dritten Gruppe waren die S.Nerven durchgeschnitten. Bei den normalen Goldfischen waren, wenn die Stimmgabel in Bewegung gesetzt und mit der hölzernen Wand des A(iuariums in Berührung ge- bracht worden war, meist die folgenden Plrschei- nungen wahrzunehmen: eine schnelle Vibration des Schwanzes ohne Lokomotion; plötzliche Schläge des Schwanzes nach seitwärts, oft so kräftig, daß ein kurzer Ruck des Körpers nach vorn erfolgte; normale Lokomotion, vorwärts, rückwärts oder nach der Seite ; eine kräftige Aus- breitung der Brustflossen, falls die Fische sich mit etwas zusammengefalteten Flossen auf dem Boden des Aquariums aufhielten. Jeder Fisch reagierte durch eine oder einige der eben angegebenen Er- scheinungen auf die Vibrationen der Stimmgabel in einer für ihn charakteristischen Weise ; die leb- hafteren Tiere zeigten eine kräftige Lokomotion, die ruhigeren meist nur eine Bewegung des Schwanzes. Im ganzen erhielt Bigelow auf 193 Versuche an 18 normalen Fischen 150 Reaktionen, das sind etwa 78 %. Die Fische der zweiten Gruppe waren so unempfindlich, daß sie auf eine äußere Berührung mit einer Borste oder dgl. gar nicht reagierten. Der Experimentator erhielt hier 52 Reaktionen auf 65 Versuche an 6 Fischen, das sind 80 "/o, also etwa dieselbe Zahl wie bei den normalen Fischen. Zur dritten Gruppe gehörten die Fische, deren Ohren durch Zerschneiden der 8. Nerven auf beiden Seiten unempfindlich ge- macht worden waren. Von 7 Fischen gab bei Jl Versuchen nicht ein einziger eine Antwort auf den Schall. Da diese Resultate in scharfem Widerspruch zu Kreidl's Experimenten stehen, so prüfte Bigelow die Versuche des letzteren nach. Derselbe hatte aus dem Kopfe der Goldfische die halbkreisförmigen Kanäle nebst den daran stoßen- den Teilen des Ohres entfernt. Von 3 Fischen, an denen Bigelow dieselbe Operation vorgenom- men hatte, reagierte einer sehr lebhaft gleich einem normalen Fisch, die beiden anderen in schwächerer, aber doch deutlich wahrnehmbarer Weise auf den Schall. Daraus ergibt sich, daß die Durchschneidung der 8. Nerven eine voll- kommenere Ausschaltung des Gehörsinnes bedingt als die Herausnahme der halbkreisförmigen Kanäle. Bigelow kommt zu dem Schluß, daß Goldfische einen Gehörsinn besitzen und daß der Sitz des- selben der Sack ist, welcher wahrscheinlich dem Sacculus und der Lagena der höheren Wirbeltiere entspricht. S. S. Nachweis der Bastardnatur von Triton blasii. — In Zentral- und Westfrankreich lebt ein Molch, Triton blasii, der seit längerer Zeit schon als keine besondere Spezies, sondern als eine Bastardform zwischen Triton cristatus und marmoratus ange- sehen wird, was um so größeres Interesse be- ansprucht, als diese Form nicht nur konstant in der freien Natur auftritt, sondern sogar fortpflanzungs- fähig ist. Man stützte sich bei dieser Annahme darauf, daß dieser Molch einmal in Körperform und Färbung zwischen den beiden vermuteten Stamm- eltern die Mitte hält, und dann, daß er nur in den Gegenden sich befindet, die von jenen beiden zugleich bewohnt werden. Nunmehr gelang es indessen W. Wolterstor ff) den direkten ex- perimentellen Nachweis für die Bastard- natur des Triton blasii zu erbringen. Die beiden Stammformen haben im allgemeinen äußerlich wenig Ähnlichkeit miteinander. Triton cristatus besitzt auf der Oberseite eine bräunliche Zoolog. Jahrbücher. Abt. für System, ig. Bd. 1904. 8/2 Naturwissenscliaftliche Woclieiischrift. N. F. III. Nr. 55 bis schieferfarbene Grundfärbung, in die runde, scliwarze Flecken eingestreut sind, die Unterseite dagegen ist orangegelb mit schwarzen Flecken. Weiter ist der Rückenkamm des Männchens ge- zackt und einfarbig schwärzlich. Triton marmo- ratus dagegen besitzt auf der Oberseite eine grün- liche Grundiärbung mit schwärzlichen Marmel- flecken oder Schnörkeln, der Bauch ist bräunlich, weiß getüpfelt und hie und da mit dunklen Flecken versehen. Der Rückenkamm des Männchens ist ungezackt, hellbräunlich und dunkel quergestreift. Außerdem ist die Gestalt von Tr. marmoratus ge- drungener und plumper, der Kopf breiter als bei cristatus. Alle diese Eigenschaften besitzt nun Triton blasii in einem eigentümlichen, gemischten Zustande. Die Oberseite ist meist verwaschen grünlich mit dunklen Marmelflecken und schwarzen, runden Stellen, die Färbung der Bauchseite zeigt ein Gemisch von bräunlichen, orangegelben und weißlichen Farbentönen. In der freien Natur wurde nun zwar die Be- gattung zwischen den beiden Stammformen, so- wie zwischen letzteren und dem Rastard beob- achtet, aber nie gelang es, das Kreuzungsprodukt sicher nachzuweisen und auf seine Identität mit Triton blasii zu prüfen. Weiter bietet die Zucht dieser Molche mancherlei Schwierigkeiten dar, und so war es zunächst ein reiner Zufall, daß ein Mit- arbeiter des Verfassers, E. Jacob, kreuzungs- produkte von Triton marmoratus und Triton crista- tus subspec. carnifex erhielt. Ersterer stammte aus Frankreich, letzterer aus Florenz, sie wurden zusammen in demselben Behälter gezüchtet, und die Kreuzung erfolgte wahrscheinlich dadurch, daß das Weibchen von Triton cristatus gelegentlich Spermatophoren von Triton marmoratus aufnahm. Verf experimentierte nun mit den gleichen Formen, von denen marmoratus aus Portugal und Frank- reich, cristatus carnifex aus Neapel stammte, weiter, und nach mancherlei Mißerfolgen gelang es ihm schließlich, aus diesen Tieren eine größere Zahl von Bastardformen zu erziehen. Die durch Kreuzung erzeugten Eier sind nicht hellbräunlich (wie bei cristatus), sondern weißlich-grünlich bis hellgrün, die Larven sind viel kleiner als die typischen carnifex-Larven und gaben nach der Verwandlung aufs deutlichste ihre Bastardnatur unter zahlreichen individuellen Schwankungen der Färbung im ein- zelnen zu erkennen. Und wenn es sich hier auch zunächst nicht um die normalerweise in der Natur zusammenlebenden Formen handelt, da ja die einen aus Italien, die anderen aus Frankreich stammten, so ist dennoch hiermit der Beweis einer möglichen Kreuzung beider Formen durchaus erbracht. Alle Experimente, die mit dem typischen Triton crista- tus angestellt wurden, scheiterten daran, daß dieser Molch in der Gefangenschaft nur sehr schwer zur Fortpflanzung zu bringen ist. J. Meisenheimer. ,,Über die Ausbildung der Jahresringe an der Grenze des Baumwuchses in den Alpen" betitelt sich eine Arbeit von M. R o s e n t h a 1 I Wiss. Beil. z. Jahresber. d. I. Realschule in Berlin. Ostern 1904), deren Resultate hier zunächst kurz mitge- teilt werden sollen; wir werden dann noch einige Bemerkungen daran zu knüpfen haben. — Unter- sucht wurden eine ziemlich große Anzahl dico- tyler und gymnospermer Pflanzen; die Vergleichs- momente wurden gewonnen durch Gegenüber- stellung des Befundes an Exemplaren der genannten alpinen Region und des botanischen Gartens in Dahlem. Hierbei ergab sich für die Jahresring- breite, wie nicht anders zu erwarten, daß diese bei den alpinen Pflanzen bedeutend geringer ist als bei den Exemplaren der Ebene. Eine relative Normalzahl für die Breite läßt sich indes nicht geben, da die klimatischen Bedingungen derartige sind, daß sie manchmal ein relativ erhebliches, in anderen Jahren aber nur ein ungemein schwaches Wachstum zulassen. So wies eine Betula p u b e s c e n s von Samaden (2 1 00 m) (unter AufSer- achtlassung der ersten recht breiten Jahresringe) vom 10. bis 42. Jahresringe Schwankungen von 37—954 ,(( auf. Bei Koniferen treten neben Jahres- ringen von 20 — 30 solche von nur 2 — 3 Zellen Breite auf Es wird hierbei das Spätholz erheb- lich reduziert (V. sagt, zum Teil „vollständig unter- drückt", vgl. hinten), oft auf nur eine ZcUage Breite. Auffallend häufig findet sich auch bei den alpinen Gewächsen ein stark exzentrisches Wachstum des Holzkörpers. Infolge der .Schmalheit der Jahres- ringe und der starken Verdunstung in den Höhen- lagen wird die Pflanze genötigt, möglichst viel von dem gebildeten Holz als Leitungsbahn zu ver- wenden, woraus für die Dicotylen ein abnorm großer Anteil der Gefäße am Jahresringe, für die Koniferen eine starke Entwicklung des Frühholzes auf Kosten des Spätholzcs resultiert. Als Beleg hierfür einige Zahlen: (Siehe die Tabelle auf nächster Seite.) Bemerkenswert ist, daß Pflanzen mit mehr xerophil ausgerüsteten Blättern einen solchen Unter- schied im Gefäßanteil nicht wahrnehmen lassen, namentlich gilt das von den Erikaceen. — Bei den nachfolgenden Bemerkungen sollen die dicot\'len Gewächse ausgeschaltet und nur die Koniferen betrachtet werden, da sich Jahresring- verhältnisse bei diesen wegen der Gleichheit der Elemente bequemer studieren lassen als an Dico- tylen; da physiologisch ja der größere Reichtum an Gefäßen mit einer starken Ausbildung des Frühholzes der Koniferen identisch ist, lassen sich die bei den Koniferen zu besprechenden Verhält- nisse leicht auf die Dicotylen übertragen. Die von Rosenthal unter den genannten Bedingungen gefundene starke Entwicklung des Frühholzes unter gleichzeitiger Reduktion des Spät- holzes ist nur ein Spezialfall eines allgemeinen Gesetzes. Genau genommen wird zunächst nicht so sehr das Spätholz, als vielmehr die Mittelschicht des Jahresringes unterdrückt, sofern man nämlich — wie das Hugo von Mohl (1862) und nach ihm wenigstens die meisten Xylopaläontologen getan haben — den normalen Koniferenjahresring N. F. III. Nr. 55 Name : Salix Lapponum n " Lonicera caerulea Salix serpyllifolia Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 873 Standort: Höhe (m): Dahlem — AUiula 2900 Dahlem — Samaden 2300 Dahlem — ob Scrvenna 2160 als aus drei Schichten bestehend auffaßt : dem Frühholz, dem typischen Spätholz und der Uber- gangsschicht zwischen beiden. Diese Dreiteilung ist berechtigt, insofern nämlich bei normalem Wachstum in Wurzel, Stamm und Ästen sich ein verschiedenes Verhalten dieser 3 Schichten auf- zeigen läl3t. In der Wurzel — als dem für die Wasserleitung am stärksten in Anspruch genom- menen Organ — ist normaler Weise das Frühholz am stärksten ausgebildet, die Mittelschicht fehlt vollständig, das Spätholz ist oft nur eine Zelle breit („Wurzelholzbau"); im Stamm sind alle drei Schichten normal ausgebildet, im Astholz erfährt die Mittelschicht eine entschiedene Bevorzugung, indem hier das typische Frühholz und Spätholz zurücktritt; hiermit hängt die häufige Undeuthch- keit der Jahresringe in Ästen zusammen. Diese anato- mischen Verhältnisse hatten einige Forscher, die sich mit dem Studium der fossilen Hölzer befaßten, bewogen, eine unmögliche Nomenklatur bei diesen einzuführen, derart, daß sie die „Wurzelhölzer" (d. h. die den oben als „Wurzclholzbau" bezeich- neten Jahresringbau besitzen) als „Rhizo . . .", die „Stammhölzer" als „Cormo . . ." und die „Ast- hölzer" als „Clado . . ." mit jeweils angehängtem, passendemGattungsnamenbezeichneten. Inzwischen ist diese Bezeichnungsweise wieder aufgegeben worden, ohne daß indes der eigentliche Grund für ihre Unrichtigkeit klar erfaßt, resp. ausgesprochen worden wäre. Dieser liegt darin, daß die von Mo hl gefundenen Verhähnisse rein topogra- phisch genommen wurden, während sie in Wahr- heit physiologischer Natur sind. Sobald nämlich das Koniferenholz aus irgend welchen Gründen eine Schwächung im Wachstum erleidet, tritt Tendenz zur Bildung von „Wurzel- holzbau" auf (d. h. also, physiologisch gesprochen : Er- weiterung der Leitungsbahnen auf Kosten der übrigen Jahresringschichten, besonders der Mittelschicht). Es mag nun an einigen Beispielen gezeigt werden, wie sich dieser Satz in natura bewahrheitet. Von der Wurzel ist es längst bekannt, daß die Jahres- ringe im Verhältnis zum Stammbaum außerordent- lich schmal sind, so daß man hier auch gewisser- maßen von einem „geschwächten Wachstum" reden kann; dieser „Wurzelholzbau" zieht sich noch eine große Strecke in den Stamm hinauf, wie ich das an Stümpfen von Thuja und sehr schön an den Stammstümpfen der Senftenberger Braunkohlen- gruben sah (nach bisherigem Usus wären diese Hölzer also als Wurzelhölzer bezeichnet worden !). Weiter im Stamm hinauf greift dann der typische Stammholzbau, wo alle 3 Jahresringschichten gut ausgebildet sind, mehr und mehr ein. Dieser Bau erhält sich indes nur bis zu einem gewissen Alter. Anteil d. Gefäße und Tracheid. in "/o^ 16,4 41.9 15,6 (größter Wert: 30,4) 28,7 96,8—60,2 Wie bekannt, werden — bei ganz normalem Wachs- tum — die Jahresringe nach außen immer schmaler, das Wachstum schwächer; da die inneren Stamm- partien keine Nährstoffe leiten, die Leitung viel- mehr dem äußeren Splint obliegt, so tritt hier mehr und mehr eine Ausbildung des Frühholzes und Unterdrückung der anderen beiden Jahresring- schichten (namentlich der Mittelschicht) ein; die Tatsache, daß die äußeren Jahresringe alter Koni- ferenstämme „Wurzelholzbau" zeigen, wie Kny (Anatomie von Pinus silvestris p. 201) ge- funden,^) kann daher schon aus den Wachstums- verbältnissen theoretisch gefunden werden. Daß die Koniferen an der Grenze des Baumwuchses Wurzelholzbau" im Stamme zeigen, kann nun- mehr crar nicht merkwürdig erscheinen ; das gleiche beobachtete ich übrigens an Fichtenstämmen von den Hohneklippen nahe dem Brocken, sowie an Kiüppelkiefern" verschiedener Hochmoore, u. a. desjeni<^cn bei Hundekehle im Grunewald bei Berlin. Sehr interessant ist nun das Verhalten von Kiefern- zweigen , die ich durch Herrn Prof. Potonie von Herrn Forstmeister Düesberg in Groß -Mutzel- burg (südlich des Stettiner Haffs) erhielt. Die- selben stammen von völlig normal gewachsenen Bäumen, waren aber dadurch in ihrem Wachstum verkümmert, daß sie hoch von der Krone des Baumes meteriang zur Erde niederhingen. Die- ses erzwungen geotropische Wachstum hatte eine solche Wachstumsschwächung zur Folge daß z. B. ein Zweig von ca. 40 Jahren nur eine Dicke von 1,5 cm besitzt. ! Untersucht man den Bau der (Fio-ur i), so bemerkt man, daß — "breitesten — Jahresringe „Astholzbau", die nächsten „Stammholzbau", der überwiegend zahl- reichere Rest „Wurzelholzbau" zeigt. Es ist dies so zu verstehen, daß die Zweige zunächst normal aufwärts wuchsen, sich dann aber infolge der eif^enen Schwere immer mehr nach unten wandten. Während der Dauer der Hängeperiode wurde das Wurzelholz" gebildet. Man sieht an diesem Bei- spiel so recht die Unsicherheit der Beurteilung eines ohne Zentrum erhaltenen fossilen Holzes daraufhin, ob es „Wurzelholz, Stammholz oder Astholz" vorstellt. Greifen wir nun zu dem entgegengesetzten Extrem, indem wir Hölzer von Bäumen nehmen. Jahresringe die ersten >) Die Stelle heißt wörtlich: „In einem mir zur Unter- suchung vorliegenden gS-jährigen Stamme (von Pinus sil- vestris) finde ich zwischen den ersten und den letzten lahresringen insofern einen augenfälligen Unterschied, als in den ersten Jahresringen der Übergang vom Frühlings- zum Herbstholze ein mehr allmählicher, in den letzten dagegen ein nahezu unvermittelter ist." 874 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 55 deren Wachstum durch äußere Bedingungen in erhöhter Weise gefördert ist, z. T. im ganzen Jahr keine Unterbrechung erleidet, so finden wir hier, i) daß eine Ausbildung der typischen letzten, radial „plattgedrückten" Spätzellen unterbleibt, 2) daß der Frühholzteil eine schwächere Ausbildung er- fährt, daß mithin die Mittelschicht des Jahrringes dessen größten Teil einnimmt. Diese Verhältnisse findet man vorzüglich bei tropischen oder sub- tropischen Koniferen, deren Anzahl allerdings nicht sehr groß ist. Man braucht sich nur einmal den Querschnitt einer Ceder, eines Dacrydi um oder der leichter zu beschaffenden Araucarien anzusehen, Fig. I. Teil des Querschnitts durch einen Hängezweig von Piiiiis sh'veslris mit Wurzelholzbau in den äußeren Schichten. Vergr. 30 mal. Gothan phot. um das Gesagte bestätigt zu finden. Von den letzteren ist schon lange bekannt, daß ihre „Jahr- ringgrenzen" schlecht ausgeprägt sind; es hat dies, im Lichte unserer Ausführungen besehen, einfach in der starken Entwicklung der Jahresringmittel- schicht seinen Grund, die bei den günstigen Wachs- tumsbedingungen eine Ausbildung typischen Früh- holzes überflüssig macht, andererseits eine Bildung typischer Spätzellen, die stets eine gänzliche Sistie- rung der Kambiumstätigkeit bedeuten, unterbleiben läßt; die scharfe Absetzung der Jahreszuwachse, die bei unseren Koniferen ja durcli den schrofifen Gegensatz der unvermittelt aneinander stoßenden Spätzellen des einen und der Frühzellen des näch- sten Jahresringes erzeugt wird, muß daher fehlen. Zum Schluß noch ein Beispiel, wie empfind- lich die Reaktion der Jahresringschichtenentwick- lung auf äußere Bedingungen ist. Eine Cedrus a 1 1 a n t i c a vom Atlas, also dem natürlichen Stand- punkt, zeigte überwiegende Entwicklung der Mittel- schicht des Jahrringes; eine gleiche, im botanischen Garten in Zürich ') kultiviert, wies jedoch sehr gut entwickeltes Frühholz auf, so daß bei dieser ein scharfer Absatz der Jahreszuwachse ähnlich wie bei anderen Koniferen unserer Breiten resultierte. W. Gothan. ') Beide Exemplare erhielt ich durch die Güte des Herrn Prof. C. S c h r o e t e r in Zürich. Über die Ursache des normalen atmo- sphärischen Potentialgefälles und dernegativen Erdladung hat H. Ebert (Physik. Zeilschr. V, S. 135 f.) eine Theorie aufgestellt, die alsbald in Fachkreisen lebhafte Beachtung gefunden hat und daher in ihren wesentlichsten Zügen auch unseren Lesern bekannt gemacht werden möge. Seit langer Zeit weiß man, daß die Luft im normalen Zustande eine mit der Höhe zunehmende, positive Ladung besitzt, während sich der Erd- körper konstant negativ geladen erweist. Eine zureichende Erklärung für diese Erscheinung wurde aJDcr um so mehr vermißt, als die F"eststeliung einer durch stets vorhandene Gasionen zustande kom- menden Lehfähigkeit der Luft (vgl. Nat. Wochen- schrift N. F. Bd. I, S. 79 f.) diesen Ladungszustand beständig auszugleichen trachten muß, so daß sein Fortbestand nur durch eine dauernde, beständig neue Ionen erzeugende Kraft erklärbar sein konnte. Wohl hatten nun E 1 s t e r und G e i t e 1 vor einigen Jahren versucht, die ungleiche Wanderungsge- schwindigkeit der negativen und positiven Ionen zur Erklärung der negativen Erdladung heranzu- ziehen, indessen konnte dadurch zunächst keine befriedigende Grundlage einer Theorie gewonnen werden, da durch experimentelle Untersuchungen von Simpson und anderen festgestellt wurde, daß isolierte Leiter in ionisierter Luft nicht elektrisiert werden. Ebert glaubt nun, durch eine geringe Mo- difikation des Grundgedankens von Elster und Geitel eine mit Experimenten durchaus im Ein- klang stehende, einfache Erklärung des in Rede stehenden Phänomens erzielen zu können. Er geht dabei von der durch Zeleny und Town- send, sowie von Villari und Simpson fest- gestellten Tatsache aus, daß ionisierte Gase beim Übergang aus Räumen mit höherer in solche mit niederer lonenkonzentration durch enge Kanäle oder Röhren negative Elektrizität abgeben, wenig- stens so lange die Anzahl der positiven Ionen noch nicht allzusehr die der negativen übertrifft. Wir können die weiteren Ebert'schen Überlegun- gen nicht präziser und klarer als mit dessen eigenen Worten wiedergeben. N. F. m. Nr. 55 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 875 Er sagt am angegebenen Orte: „Die neuesten Untersuchungen von Elster und Geitel haben unzweifelhaft erwiesen, daß in dem Erdboden auch an Orten, wo dies früher nicht vermutet werden konnte, radioaktive Sub- stanzen, namentlich Radium in Spuren enthalten ist. Die von diesem dauernd ausgehende ,, Emana- tion" ist es, welche der Bodenluft die auffallend erhöhte Ionisierung erteilt, welche besonders in Kellern und Höhlen der Luft ein abnorm gesteigertes Leitvermögen verleiht. Dringt nun diese stark ionisierte Luft aus dem Erdboden heraus in die freie Atmosphäre, so muß sie bei ihrer Wanderung durch die lirdkapillaren an die Wände derselben vorwiegend negative Ladungen abgeben; Luft mit einem Überschüsse an posi- tiven Ionen tritt aus dem Erdboden her- aus und wird von hier aus durch Winde und auf- steigende Luftströme auch den höheren Schichten der Atmosphäre mitgeteilt. Hierdurch erklärt sich die negativeEigenladungderErde, sowie der Überschuß an freien + Ionen in der Atmosphäre, namentlich in den unteren Schich- ten derselben, welcher durch direkte lonenzählungen in der natürlichen Luft nachgewiesen werden konnte. Damit erklärt sich aber auch die Erscheinung des permanenten Erdfeldes mit nach oben hin posi- tivem Gefälle. Dieses wird nur gestört, wenn Niederschläge oder abnorme elektrische Vertei- lungen den geschilderten Verlauf vorübergehend überdecken. Hiernach wird sich das normale Erdfeld nament- lich dann und dort regenerieren, wann und wo starke Bodenerwärmungen oder barometrische Minima größere Mengen von Bodenluft den Erd- kapillarcn, Spalten, Hohlräumen im Gerolle oder Gestein entsteigen lassen. Bei wachsendem Luft- drucke wird zwar ein Teil der äußeren Luft wieder in den Erdboden hineingetrieben; diese ist aber sehr viel ionenärmer als die Bodenluft. Schon in mäßig großen mit Bodenluft, die nicht einmal aus großen Tiefen genommen ist, erfüllten Räumen erhält man leicht lonenmengen, welche die in den über dem Boden befindlichen Luftschichten ent- haltenen um das Sechzigfache übertreffen.^) Die rückströmende Luft vermag also die Wirkung der aufsteigenden, viel ionenreicheren Luft nur um geringe Beträge zu schwächen, wiewohl sie reicher an -|- Ionen ist; das Verhältnis von -|- Ladungen zu — Ladungen in der Atmosphäre übersteigt aber nur selten den Wert 1,2 — 1,6. In dem Umstände, daß das ionisierende Agens unter dem Erdboden liegt, in der freien Atmosphäre über demselben aber bei weitem der Ionen verbra uch durch Wiedervereinigung den der lonenerzeugung (soweit wenigstens die uns zugänglichen Luftschichten in Betracht kommen) überwiegt, liegt es begründet, daß der Elektrisierungsprozeß nicht umkehrbar ist bei wechselndem Luftdrucke. In dem dauernd strahlenden Radiumvorrate der Erdkruste liegt hiernach deren negative Ladung gegenüber der positiven Lufthülle von Anfang an begründet; der zur Trennung der Elektrizitäten und damit zur Herstellung des Erdfeldes dauernd benötigte Ar- beitsaufwand wird aus dem ungeheuren Energie- vorrate der atmosphärischen Zirkulation mit ge- deckt, stammt also in letzter Instanz von der Sonne her. Mehrfach ist bereits auf den eigentümlichen Parallelismus hingewiesen worden, der zwischen der täglichen Periode des Luftdruckes und derjenigen der Luftelektrizitätan demselben Beobachtungsorte besteht und zwar so- wohl für die einfache wie für die doppelte täg- liche Periode. Dieser Zusammenhang mußte bei allen bisherigen Erklärungsversuchen unverständ- lich bleiben; jetzt werden beide Erscheinungen einfach als Ursache und Wirkung miteinander ver- knüpft. Freilich darf man nicht auf eine voll- kommene zeitliche Koinzidenz der Maxima und Minima der beiden Wellen bzw. Doppelwellen rechnen. Es ist nicht zu vergessen, daß die Luft, wenn sie durch größeren barometrischen Druck in die Erdkapillaren in reichlicherer Menge hinein- gepreßt wird, hier einen großen Widerstand zu überwinden hat. Ebenso wird beim Nachlassen des äußeren Druckes das Zurückströmen der Luft namentlich aus den tieferen, emanationsreicheren Schichten sich um mehrere Stunden verspäten können. Da es aber nach der hier vertretenen Auffassung auf die Strömungsgeschwindig- keit der ionisierten Luft durch die oberen Schich- ten des Bodenmateriales ankommt, so müssen sich Phasendifferenzen zwischen Ursache und Wir- kung, d. h. zwischen Luftdruckkurve und Potential- kurve, ergeben, die je nach den örtlichen Verhält- nissen und der Jahreszeit verschiedene Beträge annehmen können. In der Literatur finden .sich bereits zahlreiche Beispiele hierfür.') Ein Körper, der wegen seines lockeren Gefüges und wegen seiner von Wilson und Allen ent- deckten andauernden, wenn auch schwachen Radio- aktivität das geschilderte Phänomen in besonderem Maße unterstützen muß, ist der Schnee; er kann auch bei gefrorenem Boden selbst als wirksamer Ionisator auftreten ; vielleicht erklären sich hieraus die verhältnismäßig hohen winterlichen Potential- werte unserer Breiten. Natürlich werden andere meteorologische Faktoren modifizierend eingreifen, namentlich der Wasserdampfgehalt der Luft." Prof Ebert beschreibt alsdann noch einige Versuche, durch die er sich davon überzeugte, daß in der Tat die Diffusion ionisierter Luft durch einen von Kapillaren durchzogenen Körper (im Versuch einen Tonzylinder) diesem eine negative ') Vgl. z. B. H. Ebert und P. Ewers, PhysiUal. Zeit- schrift IV, 166, igo2. ') Vgl. ü. a. J. Hann, Meteorolog. Zeitschr. 6, 106, 1889' und 7, 29, 1890, woselbst der Verf. die Tageskurven für beide Elemente einerseits für Kap Tliordsen (auf Grund der Ergebnisse der schwedischen Polarexpedition 1882/83) und andererseits für Kap Hörn (französische Expedition) in Sinusreihen darstellt. 876 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 55 Ladung erteilt und daß die Ionisierung der Boden- luft auch quantitativ ausreicht, um die beobachteten Ladungen der Erde und Luft zu erklären. „Ein große Zahl von Messungen weist darauf hin, daß aller Orten die Bodenluft außerordentlich viel ionenreicher als die Luft der freien Atmosphäre darüber ist. Dies hängt damit zusammen , daß nach den neuesten , schönen Untersuchungen von Elster und Geitel die selbststrahlende Materie überall im Erdboden verteilt ist und gerade im verwitternden Gestein besonders gut aufgeschlossen zu sein scheint. Hier wird die Luft, die dauernd der Becquerelstrahlung der aktiven Substanzen ausgesetzt ist, enorm hohe lonenbeträge annehmen können , deren Ladungen freilich auf dem Wege bis zur Oberfläche, — wenigstens was die nega- tiven anbetrifift — zum allergrößten Teile an die Erde selbst wieder abgegeben werden. So kann man im Gebirge auf alten Schutthalden sehr hohe Beträge an Emanation (also hohe Aktivierungs- zahlen A) erhalten und doch nur normale lonen- führung in der Atmosphäre antreffen. Solche Oberflächenpartien müssen daher besonders viel zur negativen Erdelektrisierung beitragen. Die 39 elektrostatischen Einheiten, die wir pro Tag und Quadratmeter zur Aufrechterhaltung des normalen Erdfeldes benötigen, können in diesen Gegenden von Bruchteilen eines Kubikmeters Bodenluft ge- liefert werden, wie sie aus dem Boden leicht heraustreten können , auch wenn der Barometer- stand während eines Tages nur um einen Milli- meter schwankt. Freilich wird nicht jedes Boden- material für diesen Regenerierungsprozeß geeignet sein; wir werden auf der Erdoberfläche zwischen konsumierenden und zwischen produzie- renden Partien zu unterscheiden haben. An den Berggipfeln und Graten wird infolge des hohen Potentialgefälles, welches viele -\- Ionen sammelt, die negative Erdelektrizität besonders intensiv neutralisiert werden ; in den Tälern, Klüften, Spalten und Höhlen des P'elsgesteins, in den Trümmer- feldern und Schutthalden mit ihren zahlreichen Hohlräumen haben wir die Stätten zu erblicken, von denen aus die negative Ladung besonders reichlich nachgeliefert wird und -|- Elektrizität in die Atmosphäre übertritt. Es ergibt sich also ein Zirkulationsprozeß, bei dem positive Ladungen in den Talpartien in das Luftmeer austreten, auf den Höhengebieten wieder in den Erdkörper eintreten. Es scheint, daß dieser Prozeß unter Umständen im Erd- strome seinen Ausdruck findet, wenn er als Zweigstrom zu dieser Zirkulation auftritt. In der Tat fließt der (positive) Erdstrom ja im allge- meinen vorwiegend von unten nach oben; daher auch der so häufig konstatierte Parallelismus zwischen Erdstrom und luftelektrischen Vor- gängen. Auch die Vegetation wird einen spezifischen Einfluß ausüben können. Hier bieten sich viele neue Fragen. Indessen zeigt schon dieser erste einfache Überschlag, daß auch in quantitativer Be- ziehung der genannte Diffusionsprozeß das Erdfeld dauernd aufrecht zu erhalten vermag." Der im Obigen auseinandergesetzten TJieorie gegenüber sind nun allerdings von Simpson eine Reihe von Bedenken geltend gemacht wor- den (Phys. Zeitschr. V, S. 325), jedoch hat Ebert diese Bedenken sämtlich in einer neueren Publi- kation (Phys. Zeitschr. V, S. 499) zu zerstreuen gewußt. Insbesondere hebt er dabei hervor, daß man durchaus nicht anzunehmen brauche, daß der Erdboden auf der ganzen Erde mit radioaktiver Emanation durchsetzt sei. Da die oberflächlichen Schichten die Elektrizität leiten, so reicht es ja völlig aus, wenn das Hervortreten stark ionisierter Bodenluft und damit die Elektrisierung der Erde vorzugsweise da erfolgt, wo die radioaktiven Bodenbestandteile stark angereichert sind. Auch kann durch vom Winde fortgeführte Luftmassen mit einem Überschüsse an positiven Ionen an Orten, die keine primäre pjdladung besitzen, durch Influenzwirkung ein elektrisches Feld mit normalem Gefälle entstehen. Dem weiteren Einwurf Simp- sons, daß die neue TJieorie das Potentialgefälle über dem Meere niclit zu erklären vermöge, hält Ebert entgegen, daß wir über das elektrische Feld über dem Meere bislang noch keinerlei sichere Kenntnisse haben, daß aber auch, falls ein solches nachgewiesen würde, wiederum die Influenzwirkung der vom Lande her über das Meer strömenden Luft ein solches erklären könnte. Auch dürfte das Meerwasser bei der Löslichkeit aller radioaktiven Emanationen nirgends ganz frei von solchen sein und die Wellenbewegung könnte sehr wohl, ent- sprechend Versuchen mit geschütteltem, Emanation enthaltenden Wasser, ein Überwiegen freier posi- tiver Ionen in der Luft bewirken. Wenn also auch die Ebert'tche Theorie noch manche Schwierigkeit zu überwinden haben wird, ehe sie ganz allgemein akzeptiert werden muß, so regt sie doch auf alle Fälle eine große Reihe neuer Fi agen an , deren Diskussion die Wissen- schaft sicherlich außerordentlich fördern wird. Eine schöne Bestätigung der Ebert'schen Anschau- ungen enthalten übrigens die ersten, von Lüde- ling in Potsdam gewonnenen Registrierkurven der luftelektrischen Zerstreuung (Piiys. Ztschr. V, S. 447). Dieselben zeigen zunächst einen fast genau entgegengesetzten Verlauf wie der tägliche Gang des Potentialgefälles. „Wenn man", sagt Lüdeling, ,,die lonentheorie zur Erklärung der luftelektrischen Phänomene heranzieht, so war dies ja auch anzu- nehmen: Je größer der lonengehalt der Luft, je höher die Leitfähigkeit derselben ist, um so kleinere Spannungsunterschiede wird man zu erwarten haben und umgekehrt." Lüdeling hat aber auch die Luftdruckkurven und die daraus sich ergebende Kurve für die Luftdruckänderung mit den Zer- streuungskurven verglichen und hat, indem er die Luftdruckänderung umgekehrt einzeichnete, einen Parallelismus der Zerstreuungskurven mit denen der Luftdruckänderung zur Anscliauung gebracht, der das Bestehen eines engeren Zusanu:icnhanges N. F. m. Nr. 55 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 877 der beiden Erscheinungen kaum noch zweifelhaft erscheinen läßt. „Auch der von Ebert vermutete Pha'^cnunterschied scheint vorhanden zu sem : Zu- nächst treten die Änderungen im Luftdruck ein, nach hv Mittel 3 Stunden folgen sie in der Zer- streuung.' Lüdeling bringt schließlich als von löchster Bedeutung für die Prüfung der Ebert- schen Theorie die Anlage einer temporaren Be- obachtungsstation für luftelektrische Vorgange auf dem Rote Sand-Leuchtturm in der Wesermundung in Anregung. F. Kbr. Über eine vielleicht reelle Veränderung der Intensität der Sonnenstrahlung ') äußert sich S P. Langley im Juniheft des Astrophysical Journal. Eine Reihe von Bestimmungen der Sonnenstrahlung außerhalb der Atmosphäre (der sog. Sonnenkonstante) ist auf bolometnschem Wege-) unter Langley's Leitung durch Abott vom Oktober 1902 bis zum März 1904 m der Weise ausgeführt worden, daß an besonders klaren Nachmittagen zwischen I und 4 Uhr die bolo- mctrische Intensität bestimmter Spektralgebiete verfolgt wurde, woraus dann auf rechnerischem Wege einigermaßen zuverlässige Werte für die Sonnenkonstante gewonnen werden konnten. Wenngleich eine gewisse Unsicherheit über die Absorption der Strahlungsenergie in der Atmo- sphäre notwendigerweise bestehen blieb, so konnte doch durch verschiedene Methoden die Zuverlässig- keit der Abschätzung der Absorption so weit ge- prüft werden, daß Langley mit ziemlicher Bestimmt- heit aussprechen zu dürfen glaubt, daß die Sonnen- strahlung selbst von Ende März 1903 ab um un- gefähr 10 Prozent abgenommen habe, bis im Februar 1904 dieselbe den normalen Betrag wieder erreichte. Langley kommt auf Grund des Stefan- schcn Strahlungsgesetzes durch Rechnung zu dem Ergebnis, daß, falls eine solche Herabminderung der Sonnenstrahlung wirklich stattgehabt hätte, doch nvr ein Sinken der Temperatur auf der Erdoberfläche um weniger als 7,5 Grad erwartet werden könnte. Indem er nun die im Jahre 1903 an 89 Stationen der nördlichen gemäßigten Zone gemachten Temperaturbeobachtungen mit den vieljährigen Mittelwerten verglich, fand er, daß tatsächlich ein Temperaturdefizit von durchschnitt- lich 2" der Abnahme der Sonnenstrahlung gefolgt ist, während Stationen, die von dem verzögernden Einfluß der Ozeane entfernt liegen, sogar ein er- heblich größeres Zurückgehen der Temperatur unter die normalen Werte zeigten. „Während es schwer einzusehen wäre, welcher nicht solare Einfluß diesen schnellen, gleichzeitigen und dabei lange anhaltenden Temperaturrückgang in der ganzen nördlichen, gemäßigten Zone be- wirkt haben sollte, kann gleichwohl der Nachweis ') Vgl. die erste diesbezügliche Mitteilung auf S. 6+8. ■) Das von Langley erfundene Bolometer gibt durch die elektrische Widerstandsänderung eines bestrahlten Drahtes Aufschluß über die Energie der betreffenden Strahlung. solarer Veränderung noch nicht als zwingend er- wiesen gelten. Nichtsdestoweniger scheint ein solcher Schluß auf Grund der zurzeit vorliegen- den Beobachtungsdaten wohl begründet und eine Fortsetzung dieser holographischen Studien über die Sonnenstrahlung ist von besonderem Interesse mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer Vorher- sage irdischer Klimaschwankungen aus solaren Vorgängen." F- Kbr. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Am 14 August dieses lahres starb nach einem kurzen Leiden der Geheime Regierungsrat Prof. Dr. Eduard von Härtens, zweiter Direktor des Königlichen Zoologischen Museums der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlm. Er war seil vielen Jahren Mitarbeiter an der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift", und manche wertvolle Abhandlung ziert deren verschiedene Jahrgänge. Sein Tod bedeutet einen großen Ver- lust nicht nur für alle, die ihm persönlich nahestanden, sondern namentlich auch für die Wissenschaft, der er durch sein ganzes Leben ergeben war. Am l8. April 1831 in Stuttgart geboren, zeigte er schon als Knabe große Liebe zur Natur, die von seinem Vater, der selbst einer der besten Pflanzen- und Tier- kenner Württembergs war, in weitem Umfange genährt wurde. Schon frühzeitig wandte sich der junge schwärmerische Natur- freund dem Sammeln und Beobachten der Schnecken und Muscheln seiner Heimat zu, eine Spezialneigung, aus der all- mählich seine unerschöpfliche Kenntnis von dieser großen und formenreichen Tiergruppe hervorwuchs. Er galt seit Jahr- zehnten als der beste Kenner und Erforscher der Mollusken aller Erdteile Daneben war er aber auch in allen übrigen Tierordnungen bewandert, der typische Vertreter der Zoologen der älteren Schule. Die wichtigsten der von ihm publizierten Bücher und Abhandlungen sind von Dr. Maximilian Meiss- ner zusammengestellt, als Anhang zu einer vom letzteren ver- verfaßten biographischen Skizze, welche in der zu Ehren des nunmehr Verstorbenen vor 3'/, Jahren von seinen Mitarbeitern am Zoologischen Museum aus Anlaß seines 70. Geburtstages herausgegebenen Festschrift (Berlin 1901, Nicolaische Verlags- buchhandlung) das einleitende Kapitel bildet Aus diesem Verzeichnisse geht hervor, daß die meisten und größten Ab- handlungen aus seiner Feder den Mollusken aller Erdteile galten daß er sich aber auch mit Vögeln, Säugetieren, Rep- tilien Fischen, Echinodermen, Crustaceen usw. beschäftigt hat. Ganz besonders pflegte er die Zoogeographie, und seine Vor- lesungen über die geographische Verbreitung der Tiere an der Berliner Universität waren außerordentlich anregend und lehr- reich Da ich mich vor mehr als 20 Jahren zu seinen Hörern zählen durfte, denke ich noch mit Ehrfurcht für den Vortragen- den dar.m zurück, wie er in diesen Vorträgen mit einfachsten Worten und vielem Wissen eine umfassende Naturanschauung verband, um seine Hörer in die Geheimnisse der Zoogeogra- phie einzuführen. rr . • Eduard von Martens barg in sich endlose Kenntnisse von zoologischen Dingen, ein Kompendium der Zoologie das nun zu Grabe getragen ist ; namentlich war er mit der alteren zoologischen Literatur vertraut. Er war stets aufs Liebens- würdigste bereit, Fragenden aus dem Schatze seiner großen Kenntnisse das Erwünschte mitzuteilen. Rührend war bei alledem seine große Bescheidenheit, die als Vorbild gelten """"Nachdem von Martens im Herbste 1849 die Universität Tübingen bezogen hatte, um daselbst Naturwissenschaften und Medizin zu studieren, und nachdem er, nach Absolvierung seiner Universitätsstudien, kurze Zeit sich in München zu weiterer Ausbildung in seinen Fächern aufgehalten hatte, siedelte er schon l8?5 nach Berlin über, wo er zu J oh ann es M u U e r , Alexande'r Braun, Ehrenberg und anderen bedeutenden Größen unter den Naturforschern jener Zeit in Beziehung trat Von Professor L i c h t e n s t e i n , dem damaligen Direktor des Berliner Zoologischen Museums, wurde er bereits im No- vember l8s5 mit der Ordnung und Aufstellung der Konchyhen- sammlung des Museums beauftragt und als Assistent angestellt. Den Doktorhut hatte er sich schon in Tübingen auf Grund 878 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 55 seiner Dissertation „Über die Verbreitung der europäischen Land- undSüßwassergastropoden" im Frülijahre des Jahres 18^5 aufgesetzt. Er wurde am 11. April 1859 Kustos am zoo- logischen Museum in Berlin, dem er bis zu seinem Hinscheiden ununterbrochen angehörte. Aber bald nach dieser Beförde- rung in seiner Stellung sollte er noch fremde Erdteile kennen lernen, gewiß ein sehnsüchtiger Wunsch, den der junge Zoo- loge wohl längst im geheimen schon gehegt hatte. Er empfing 1860 den ehrenvollen Auftrag, die preußische Expedition nach Ostasien als Naturforscher zu begleiten. Auf dieser Reise sammelte er für das Berliner Zoologische Museum ungeahnte Naturschätze aus allen Gebieten der Zoologie, namentlich in Japan, China, Siam, Celebes, Borneo, Java, Sumatra und auf vielen kleineren Inseln des Indischen Archipels. Ende 1S64 kehrte er mit immensen Kenntnissen und sehr wertvollem Material reichbeladen und hochbefriedigt nach Berlin zurück. Die wissenschaftlichen Ergebnisse dieser Reise, deren Be- arbeitung mehrere Jahre erforderte, sind in dem großen Werke „Die preußische Expedition nach Ostasien" niedergelegt. Am I. Februar 1873 habilitierte sich v. Martens als I'rivatdozent für Zoologie an der Berliner Universität und wurde schon im folgenden Jahre zum außerordentlichen Professor ernannt. Sein langjähriges Wirken am zoologischen Museum bestand in einer sehr ersprießlichen Tätigkeit, welche sich namentlich auf das Ordnen, Durcharbeiten, Determinieren und Katalogisieren des außerordentlich reichen Materials an Mollusken erstreckte. Seine endlos reichen Kenntnisse sind mit dieser Sammlung, soweit sie die Systematik betreffen, dauernd verbunden. Die Museumssammlung enthält die große Fülle der Belegobjekte, welche seinen zahlreichen Publikationen zugrunde gelegen haben. ^ ^ Nach dem Tode des Museumsdirektors Prof. Dr. W. P e t e r s wurde v. Martens im Frühjahre 1883 vom vorgesetzten Ministerium mit der mühevollen und zeitraubenden interimisti- schen Leitung des zoologischen Museums betraut, bis 18S7, als Professor Dr. K. Möbius die Direktion des Museums aus seinen Händen übernahm. E. v. Martens erhielt darauf den Titel ,, Zweiter Direktor des zoologischen Museums" und im August 1898 durch .Mlerhöchstes Patent den Titel „Geheimer Regierungsrat". Den Roten Adlerorden hatte er schon früher erhalten. Nunmehr hat ein arbeitsreiches und für die Wissenschaft und das Berliner Zoologische Museum segensreiches Leben und Wirken seinen Abschluß gefunden Prof. H. J. Kolbe, Kustos am Königl. Zoologischen Museum in Berlin. Bücherbesprechungen. Karl Egli in Zürich, Über die Unfälle beim chemischen Arbeiten. Beilage zum Pro- gramm der Kantonschule Zürich. I.Hälfte 1902; II. Hälfte 1903. — Zürcher & Furrer, Zürich. Der Verf hat es unternommen, über den betreffen- den Gegenstand ein größeres Material zu sammeln und zu verarbeiten. Besonders hat er denjenigen Fällen Rechnung getragen, die sich bei chemischen Arbeiten zu Lehr-, Lern- und Forschungszwecken ereigneten und hat aus der Technik nur diejenigen Fälle sorgsam ausgewählt, die sich im Laboratorium wiederholen können. Der Zweck der Arbeit ist, dem Experimentator, besonders dem Anfänger, eine große Zahl vvirklich vorgekommener Unfälle ohne große theoretische Auseinandersetzungen zu schildern. Seine Sammlung beträgt 475 Fälle. Die Schrift behandelt die Unfälle nach folgenden Richtungen: I. Allgemeiner Teil. Der Verf hebt darin hervor, daß die Ver- letzungen der Experimentatoren im Verhältnis zu den vorkommenden Explosionen und Entwicklungen schäd- licher Gase usw. relativ selten sind. Im II. Speziellen Teil behandelt er zunächst Mechanische Verletzungen sowie Verbrennungen und Verätzungen. Ein beson- ders breiter Rahmen ist ferner auch denjenigen Un- glücksfällen eingeräumt, denen der Chemiker im Laboratorium am meisten ausgesetzt ist: den Vergif- tungen. Das Schlußkapitel befaßt sich mit den Ex- plosionen. Die interessante Arbeit ist leichtfaßlich geschrieben und ist zugleich ein Beitrag zur Statistik der auf chemischem Gebiete vorkommenden Unglücksfälle. Sie beweist aber auch, daß mancher mit übertriebener Sorge auf die chemischen Arbeitsstätten hinblickt, die er als Stätten der Gefahr betrachtet, wo in allen Flaschen und Geräten Gift und Explosion heimtückisch ihres Opfers lauern. r. l^ Karl Schirmeisen, Die Entstehungszeit der germanischen Göttergestalten. Eine mythologisch - prähistorische Studie. Carl Winiker. Brunn. 1904. — 1,44 Mk. Verf. hat den Versuch gemacht, die germanischen Hauptgottheiten, resp. -dämonen nach ihren Attributen, sowie kleinen Charakterzügen in den sie betreffenden Mythen als Produkte der einzelnen Kulturperioden zu erweisen. Der Feuergott ist nach ihm der Gott der paläolithischen Zeit, Ymir der mesolithischen (Fischer- gott), Tyr der frühneolithischen, Thor der spätneoli- thischen, die Wanen der äheren, Odhin der jüngeren Metallzeit. Es ist hier nicht der Ort, näher auf solche kulturhistorische Fragen einzugehen. Hinge- wiesen sei nur auf die Unwahrscheinlichkeit der Voraussetzung, daß in der Erinnerung so später Zeiten, wie die der Edda sind, noch gewisse Mängel uralter Kulturperioden, wie z. B. die Unkenntnis der Schiffahrt bei den Neolithikern , nicht nur bewahrt, sondern sogar mit einer so angesehenen Göttergestalt, wie Thor war, dauernd verknüpft geblieben wäre. Wahrscheinlicher bleibt, daß Thor, Freyr, Wotan Lokalemanationen Tyrs sind ; Ymir ist nie eine Haupt- gottheit gewesen. Im übrigen steht und fällt Schirm- eisens Theorie mit der Lehre von der Abstammung der Arier aus Nordeuropa, und gerade neuerdings haben Cossinna und Much, indem sie diese Lehre zu stützen suchten, entscheidendes Beweismaterial da- gegen beigebracht. Trotz allem verdient die vorliegende Schrift durch- aus ernst aufgefaßt zu werden ; sie zeugt von reichen Kenntnissen , und niemand wird sie ohne Anregung aus der Hand legen. Fritz Graebner. i) Vegetationsbilder, herausgegeben von Dr. G. Karsten, Prof an der Univ. Bonn, und Dr. H. Schenck, Prof an der Technischen Hochschule Darmstadt Jena (Gustav Fischer) 1903 u. 1904. — Preis pro Heft 2,50 Mk. 2) Dr. Richard R. v. Wettstein, Vegetations- bilder aus Südbrasilien. Mit 58 Tafeln in Lichtdruck; 4 farbigen Tafeln und 6 Textbildern. Leipzig u. Wien (Franz Deuticke) 1904. — Preis 24 Mk. Von dem prächtigen und instruktiven unter i) ge- nannten Werk sind seit unserer ersten Anzeige 7 weitere Hefte erschienen, nämlich Heft 3—8 und von der zweiten Reihe Heft 1. Jedes Heft bringt N. F. m. Nr. 55 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 879 6 Tafeln mit Erläuterungen und zwar Heft 3 Tropi- sche Nutzpflanzen (von H. Schenck) , Heft 4 Bilder aus dem mexikanischen Wald der Tropen und Sub- tropen (G. Karsten) , Heft 5 Vegetationsbilder aus Südwest- Afrika (A. Schenck), Heft 6 Monocotylen- bäume (G. Karsten), Heft 7 Bilder der Strandvepietalion Brasiliens (H. Schenck), Heft 8 Mexikanische Kakteen-, Agaven- und Bromeliaceenvegetation (G. Karsten und E. Stahl) und endlich Heft 1 der 2. Reihe Epiphyten des Amazonasgebietes ( E. Ule). Die Abbildungen sind sehr schön und charakteristisch, die Erläuterun- gen zweckdienlich. Das Werk belebt und fördert das Studium der höheren Pflanzensystematik ganz ungemein und wird sicher — namentlich an Lehr- instituten — weiten Anklang finden. Das unter 2 ) zitierte Werk hat sich ebenfalls zum Ziel gesetzt Bilder von Vegetationstypen zu liefern, aber nur solche eines beschränkteren Gebietes : aus Südbrasilien. Während die Bilder des Karsten- Schenck'schen Werkes Quartformat haben, zeigen die V. Wettstein'schen Bilder Gr. - Oktav- Format. Ein 55 Seiten starkes Heft bietet die pflanzengeographische Erläuterung zu den Bildern , die nach Photographien des Verfassers und von F. v. Kerner hergestellt wur- den, abgesehen von den 4 farbigen , die nach Aqua- rellen von F. V. Kerner gefertigt wurden. Es wird durch Werke wie die vorliegenden den- jenigen, die nicht das Glück haben weite Reisen unter- nehmen zu können, bequem gemacht, im Bilde den Habitus der Vegetationen der Erde und einzelner bemerkenswerterer Arten kennen zu lernen , so gut das eben geht, wenn man die Natur selbst nicht vor sich hat. Prof. Dr. B. Schwalbe, Grundriß der Astro- nomie, beendet und herausgegeben von Prof. Dr. H. B ö 1 1 g e r. Mit einem Lebensbild des Verf. von Prof. E. Schwalbe. Mit 170 Abbildungen i'nd 13 Tafeln. 319 Seiten. Braunschweig 1904. F. Vieweg & Sohn. — Preis 6 M. Der als Pädagog in den weitesten Kreisen hoch- geschätzte Verfasser, der mitten aus einem reichen Wirkungskreis heraus durch den Tod abberufen wurde, hat auch dieses Werk, das zugleich den astronomischen Teil von Schödler's Buch der Natur bildete, nicht mehr vollenden können. Die Korrekturbogen waren jedoch schon bei Lebzeiten Schwalbe's vorbanden, so daß der Herausgeber nur wenige Ergänzungen hinzuzufügen nötig hatte. Die wichtigsten astronomischen Tatsachen sind in dem Buche knapp und klar zur Darstellung gebracht, ohne daß auf Hypothesen näher eingegangen wird. Die illustrative Ausstattung kann bei dem niedrigen Preise des Buches als vorzüglich bezeichnet werden, insbesondere gereichen die vortrefflichen Spek- traltafeln nach Erdmann und H. C. Vogel dem Werk zur hohen Zierde. Fehlerhaft ist die Seite 188 ge- machte Angabe, daß Feuerkugeln in i bis 2 Meilen Höhe erscheinen, das Aufleuchten erfolgt vielmehr in der Regel in etwa 200 km und selbst der Hemmungs- punkt liegt kaum jemals tiefer als 20 bis 30 km. Der Abschnitt V (Zusätze, Hilfsmittel, Historisches) ist recht ungleichmäßig bearbeitet, namentlich kommt in der historischen Übersicht die neuere Zeit durchaus zu kurz. Dieser Abschnitt bedarf in einer Neuauflage eine völlige Umarbeitung und Ausgestaltung, wogegen die ausführliche Behandlung der verschiedenen Kalendersysteme, der christlichen Zeitrechnung usw. (Seile 242 — 313), die überdies trotz ihres Umfangs nur als Skizze bezeichnet wird, in Zukunft besser in FortfiU käme, da sie aus dem Rahmen des Werkes, das sonst nur wichtige astronomische Tatsachen bietet, völlig herausfällt. F. Kbr. Literatur. Götz, Prof. Dr. Wilh.: Historische Geographie. Beispiele u. Grundlinien. (IX, 294 S.) Lex. 8". Wien '04, V. Deuticke. — Subskr.-Pr. 9 Mk. ; Einzelpr. 10,50 Mk. Nüescb, Dr. Jak.: Das Keßlerloch, e. Höhle aus paläolithi- scher Zeit. Neue Grabgn. u. Funde. Mit Beiträgen v. DD. Prof. Th. Studer u. Otto Schötensack. [Aus: „Neue Denk- schrift d. allg. Schweiz. Gesellsch. f. d. ges. Naturwiss."] (IV, III, 113 S. m. 6 Kig. u. 34 Taf.) Lex. 8". Basel '04, Georg & Go. in Komm. — 12 Mk. Ostwald, Wilh. : Elemente u. Verbindungn. Faraday-Vorlesg. (48 S.) 8». Leipzig '04, Veit & Co. — 1,20 Mk. Rathsburg, Dr. Alfr. : Geomorphologie des Flöhagebietes im Erzgebirge. Mit 3 Übersichtskarten. (III, 196 S.) gr. 8». Stuttgart '04, J. Engelhorn. — IG Mk. Schumann, weil. Kust. Priv.-Doz. Prof. Dr. Karl: Praktikum f. morphologische u. systematische Botanik. Hilfsbuch bei prakt. Übgn. u. Anleitg. zu selbsländ. Studien in der Mor- phologie u. Systematik der Pflanzenwelt. (VIII, 610 S. m. 154 Abbildgn.) Lex. 8". Jena '04, G.Fischer. — 13 Mk.; geb. 14 Mk. Briefkasten. Frage: In der Naturw. Wochenschr. N. F. III, Nr. 18, S. 273 — 280 werden die lautlosen Sternschnuppen und die detonierenden Meteore in einem Atemzuge genannt und dis- kutiert. Meiner Meinung nach sind die geräuschlosen nur kohlenhydratähnliche Kometenreste , die niemals zu Boden fallen, da sie verbrennen ; während die echten Meteore fast ausschließlich schwerere, Metalle führende Planeten (?) reste zu sein scheinen, die, oft unter Detonation, jedenfalls immer, sei es in der Form von Staub oder von Steinen die Erdoberfläche erreichen müssen. — Ist meine Anschauung denn so veraltet? Dr. O. in A. Herr Prof. Niessl in Brunn erteilt hierauf folgende Ant- wort: Die von dem Herrn Fragesteller vertretene Meinung, daß die Sternschnuppen von den ,, echten Meteoren" durch die chemische Natur des Substrates zu unterscheiden wären, entspricht in solcher .\llgemeinheit durchaus nicht dem Kom- plex unserer Erfahrungen. Die Beobachtungen , aus welchen man einen so weittragenden Schluß auf die Zusammensetzung der Sternschnuppenmaterie ziehen möchte, sind ganz und gar unzulänglich. Übrigens ist auch bei Meteoriten das Vorkom- men von Kohlenwasserstoffen nachgewiesen. Alle erfahrenen Beobachter der sogenannten Sternschnuppen, wie z. B. Schmidt, Heis, Weiß, Denning u. a. sprechen sich dahin aus, daß diese sehr verschiedene , nach den einzelnen Strömen abwei- chende optische Eigentümlichkeiten besitzen, welche auf nicht unwesentliche materielle Verschiedenheiten schließen lassen. Möglicherweise dürften künftige Untersuchungen her- ausstellen, daß es einige Ströme gibt, in denen nur Kohle- hydrate vertreten sind. Gegenwärtig ist man aber weiter als je davon entfernt, etwas ähnliches behaupten zu können. Es ist dagegen eine mehrfach erwiesene Tatsache, daß viele aus- geprägte Sternschnuppenströme uns zugleich auch die großen detonierenden Meteore, sowie Meteoritenfälle liefern. Man lese nur die vielen überzeugenden Nachweisungen bei Denning (General Catalogue of the Radiant-points of the Meteoric- showers and of fireballs and shooting-stars etc. London 1899). Vermutlich umfaßt das mannigfaltige, merkwürdige Phä- nomen der Feuermeteore, wie es sich uns darbietet, Ungleich- 88o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 55 artiges in verscliiedcneii Bezieliungen. Ob jedoch die Gesichts- punkte zur Differenzierung vornehmlich in der Beschaffenheit des Substrates, oder in der Natur der Bahnen , in der kosmi- schen Abkunft, vielleicht auch in bisher ganz unbeachtet ge- bliebenen Umständen zu suchen sind, ist gegenwärtig noch unsicher. Vorläufig läßt sich eben nichts anderes sagen , als daß die Endglieder, die unscheinbaren, geräuschlosen und die mit ungeheuren Licht- und Schallentwicklungen einhergehen- den Meteore, durch eine schwer trennbare Kette allmählicher Übergänge miteinander verbunden sind. Den Verlockungen, auf diese Beziehungen hier näher ein- zugehen, will ich indessen nicht nachgeben, vielmehr auf die Auseinandersetzungen Prof. Schiaparelli's im IX. Kapitel seines ,, Entwurfes einer kosmischen Theorie der Sternschnuppen, 1871" verweisen, welche, in ihrer wunderbaren Klarheit, auch jetzt noch geeignet sind , reichliche Belehrung über diese Fragen zu verbreiten. Bestätigungen, Ergänzungen und Modifikationen, welche spätere Erfahrungen an die Hand gaben, habe ich u. a. in den beiden Abhandlungen: ,,Über die Periheldistanzen etc." 1891 und ,,Über die Rolle der Atmosphäre im Meteorphäno- men" im 63. Jahrgange des ,, Astronomischen Kalenders" der k. k. Wiener Sternwarte, zusammengestellt. Selbstverständlich konnte in einem, insbesondere die geographischen Beziehungen der Erscheinung behandelnden Aufsatze auf alle diese Punkte nicht ausführlich wieder zurückgegriffen werden. Niessl. Herrn E. P. in Rathenow. — Frage: Welches Werk han- delt eingehender über Zelle und Zellkern.' — Die Literatur über die Zelle ist sowohl auf zoologischem als auch auf botanischem Geljiete sehr umfangreich. Vor allem sind da die grundlegenden Arbeiten von E. Straßburger (Zell- bildung und Zellteilung 3. Aufl. Jena 1880) und W. Flem- ming, Zellsubslanz, Kern und Zellteilung, Leipzig 18S2 zu nennen. Auf zoologischem Gebiet mögen außer dem Flem- ming'schen Werke die Arbeiten von E. Korscheit (Beiträge zur Morphologie und Physiologie des Zellkernes in: Zool. Jahrbücher Abt. f. Anatomie Bd. 4, 1891, S. 1 — 154, Taf. i — 6; mit ausführlichem Literaturverzeichnis) und außerdem die- jenige von L. Rhumbler, (Physikalische Analyse von Lebens- erscheinungen der Zelle in : Arch. f. Entwicklungsmechanik der Organismen Bd. 7, 1898, S. 103 — 350, m. 2 Taf.) und von E. Roh de (Untersuchung über den Bau der Zelle; l. Kern und Kernkörper in : Zeitschr. f. wissensch. Zoologie Bd. 73, 1903, S. 497 — 682 mit 9 Taf. I genannt werden, auf botanischem Gel:iicte außer dem Straßburger'schen Buche A. Zimmermann, Die Morphologie und Physiologie des pflanzlichen Zellkernes, Jena l8q6. — Wahrscheinlich wird aber M. Verworn, Allgemeine Physiologie, Jena 1895, in jeder Beziehung Ihren Anforderun_i,''en vollkommen genügen. Dahl. Herrn R. H. in Gotha. — Über die Genesis von Mooren finden Sie Auskunft in Weber's Buch ,,Über die Vegetation und Entstehung des Hochmoors von Augstumal im Memel- delta" (Paul Parey, Berlin 1902) besonders p. 201 — 230. Freilich handelt es sich in dem Buch um die monographische Beschreibung eines bestimmten Moores, jedoch werden Sie in demselben auch Generelles finden. VVenn ich Zeit finde, werde ich in der Naturw. Wochenschr. einen bereits vorbe- reiteten, illustrierten Artikel über die Entstehung der Moore bringen. P. Herrn M. L. in Lu.\emburg. — Ein sehr hübscher ,, Geo- logischer Atlas" ist Aug. Robin's ,,La terre Geologie pitto- resque" (Librairie Larousse in Paris). Der Preis ist uns un- bekannt: er könnte 12 — 20 Frcs. kosten. Herrn K. in E. — Das von Ihnen gemeinte Buch heißt Schmeil u. Fitschen , Flora von Deutschland (Erwin Naegele in Stuttgart. Preis geb. 3,50 Mk.). Herrn W. S. in Prenzlau. — Frage: Wo wird das Auge der Fische ausführlicher als in den Lehrbüchern von Claus, Boas und Hcrtwig behandelt? — Eine etwas eingehendere Darstellung des Fischauges finden Sie in J. Carriere, Die Sehorgane der Tiere, vergleichend dargestellt, München 1885, S. 61 — 6g. An ausfuhrlicheren Arbeiten ist besonders die- jenige von E. Berger, Beiträge zur Anatomie des Seh- organes der Fische: in Morphol. Jahrb. Bd. 8, 1883, S. 97 bis 168 zu nennen; dann auch A. Brauer, Über einige von der Valdivia-Expedition gesammelte Tiefseefische und ihre Augen in: Sitzungsber. d. Ges. z. Beförd. d. ges. Naturw. in Marburg, Jahrg. igoi, S. II5 — 130. Über Spezielle Funk- tionen handeln ferner Harman N. Bishop, The palpebral and oculomotor apparatus in fishes in: Journ. of Anat. and Phys. London, vol. 34, 1899, p. I— 40; T. Beer, Die Ak- kommodation des Fischauges in: Pflüger's Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 58, 1894, S. 523 — 650 und G. A b e 1 s d orf f , Über Sehpurpur und Augenhintergrund bei den Fischen in: Arch. f. Anat. u. Physiol., Physiologische Abt. Jalirg. 1S96, S. 345—47. Dahl. Herrn Dr. E. in Wels. — Als physikalisches Lehrbuch für Knaben im .Alter von 14 — 17 Jahren empfehlen wir Ihnen Weiler's Physikbuch (5 Bändchen zusammen für I2,20 Mk., Eßlingen, Schreiber) oder desselben Verf. physikalisches Ex- perimentierbuch (3 Mk., derselbe Verlag). Recht geeignet Ist auch der zweite Band des Buches der Erfindungen (Leipzig, O. Spamer). Herrn G. D. in Dresden. — Frage i : Welche Arten der Gattung Lumbricus leben in Deutschland? — Nach W. Michaelsen (Oligochaeta , [Das Tierreich, Lief. loj, Berlin 1900, S. 471 (T.) kommen in Deutschland folgende 19 Arten von Regenwürmern {Lumbricus im älteren Sinne) vor: Eiseniella tetraedra (Sav.) [Alliirits /.J , Eisenia foetida (Sav.) [Alhlobof>/wra f.], £. v e n i i a (Rosa) [A.s:ilinili:- ciinda Iwrttnsis], E. rosea (Sav.) \A. mucosa], Helodrilns {Allolobo phora) caliginosus (Sav.) \A. trapezo':dis\ //. {A.) longus (Ude), H. (A.) limicola (Michaelsen), H. (.■/.) chlor oticus (Sav.), H.{Dendr obaeua] >■ keitani (Bretscher), H. (D.) rubidiis (Sav.), [A. subrtdnciinda tyfica], IL (D.) octaidriis (Sav.) \A. boeckii^, H. [^Helodrilns) oculnlus Hoffmstr. [A. htrmanni\, H. (Bimasttts) eiseni (Levins.) [Lumbricus e.], H. (ß.) coii s i r i c/tis (Rosa) \_Allolobophora snlirubicuiida nrborea -)- coiistricla], Octolasium cyaneum (Sav.), 0. lacieum (Orley) \Allolobophora pro/ugii], Lumbri- cus rubellus Hoffmstr., L. castanetts (Sav.), [L. pur- pur eus\ L. tcrrestris Z. , Müll. [Z. herculeus\ — Gattungsnamen sind hier mit großen Anfangsbuchstaben, Art- namen mit kleinen Anfangsbuchstaben gegeben, wie dies in neuerer Zeit immer mehr üblich wird. Die Namen von Unter- gattungen sind in runder Klammer eingefügt. Die Autoren- namen sind nicht kursiv gedruckt; sie sind eingeklammert, wenn der Autor den Arlnamen mit einem andern Gattungs- namen verband. Synonyme sind mit eckiger Klammer ver- sehen. Frage 2 : Gibt es eine neuere Monographie der deutschen Regenwürmer oder wo finden dieselben eingehende Berück- sichtigung? — In dem oben genannten Werke von W. M i c h a e 1 s e n finden Sic ausführliche Beschreibungen, Literatur- angaben und Bestimmungstabellen aller bis zum Jahre 1900 l>eschriebenen Regenwürmer der ganzen Erde. Eine kurze Übersicht der norddeutschen Arten mit Pestimmungstabelle hat derselbe Autor in dem Jahrbuch der Hamburgischen wissensch. Anstalten Bd. 7, 1890, S. I — 19 gegeben. In die- ser Übersicht fehlen von deutschen Arten nur zwei. In dem von mir hier oben gegebenen Verzeichnis sind die in jener Bestimmungstabelle angewendeten damaligen Benennungen, so- weit dieselben von den jetzigen abweichen , in eckiger Klam- mer angefügt. Dahl. Inhalt: Dr. Hans Stille: Die geologischen Linien im Landschaftsbilde Mitteldeutschlands. — Kleinere Mitteilungen: Henry B. Bigelow: Neue experimentelle Untersuchungen über den Gehörsinn der Fische. — W. W o 1 1 e r s t o r f f : Experimenteller Nachweis für die Bastardnatur des Triton blasii. — M. Rosenthal: Über die Ausbildung der Jahres- ringe an der Grenze des Baumwuchses in den Alpen. — II. Ebcrt: Über die Ursache des normalen atmosphärischen Potcntialgefälles und der negativen Erdladung. — S. P. Langley: Über eine Veränderung der Intensität der Sonnen- strahlung. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Bücherbesprechungen: Karl Egli: Über die Unfälle beim chemischen Arbeiten. — Karl Schirmeisen: Die Entstehungszeit der germanischen Göttergestalten. — Karsten und Schenk: Vegetationsbilder. R. v. We tts t ei n: Vegetationsbilder aus Südbrasilien. — Prof. Dr. B.Schwalbe: Grundriß der Astronomie. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur; Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 23. Oktober 1904. | Nr. 56. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- I Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Seiches oder stehende Seespiegelschwankungen. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. W. Halbfafs-Neuhaldensleben. Seen und Meeresteile, die fast von allen Seiten üblich geworden ist und ei"e gewisse internatiotiale von Land eingeschlossen sind und mit dem offenen Prägung bekommen hat. Welches smd die ge Meere nur durch eine relativ schmale Verbindung meinschaftlichen Erschemungsformen de ^e'ches kot^imunkieren, stehen unter dem Einfluß von an den verschiedenen Seen und eingeschlossenen Srewegunge^.welcheuntergünstigenUmständen Meeresteilen, nach welchen physikalischen Cxe- imstande sind, stehende Schwingungen des See- niveaus auszulösen, welche im weiten Weltmeer nicht auftreten können, weil die Reflexionswände, welche die entstandenen Bewegungen der Wasser- oberfläche zurückwerfen und dadurch diese erst zu stehenden, d. h. periodischen machen, zu weit von- einander entfernt sind und weil sie außerdem durch >) Vgl. Forel, Le Leman, tome II, p. 4° ff- i sein Gewährs- mann ist Fatio de DuiUier , Fortifikationsingenieur in Genf, welcher in seinem Werke: Remarques sur l'histoire naturelle du lac de Geneve in Spon, Histoire de Geneve , tome II, p. 463, Geneve 1 730 diesen Ausdruck zuerst erwähnt. In Norwegen werden diese Oscillationen „tloing" genannt (vgl. Holmsen, Seiches i norske indsi0er in Arch. for Math, og Natur videnskab, einander entternt Sina una wen .le 1 über 25 Brienzersee 29,8 5 170 9,8 : f Chiemsee 85 2 204 43,2 28,9 I ; 0,67 30 Eriesee 25 900 ? 960 S40 ? ) ' 398 Gardasee 370 50 346 43 40 22,6 22 I :o,53 1:0,55 7 Genfersee 582 90 000 73 35,5 1 ; 0,48 197 Desgl. Quersciche , — IG 5 1:0,5 Gmundnersec 25,65 2 303 11,7 3 > 23,1 Hakoresee ? ? 15,4 6,75 I : 0,44 Joux, lac de 9,52 160 12,4 } ) Madiisee 36 726 35,6 20,3 I : 0,57 7 Neß, loch 5° p 31,5 15,3 I : 0,49 9 Neuenburgersee 240 14170 ^o 24,3 I : 0,49 II OsensjOen 47 j 18 — 19 } ? 1,5 0ieren ) ?•• 30 ? } 1 ,2 Pavin, lac 0,44 23 0,9 0,45 1 : 0,45 IG Plattensee (Querseiche der nordöstl. Hälfte) 591 1862 117 60 I :o,5i 25 2,8 Randsfjorden 136 ) 24 5 Silfersee 4,16 i 143 4,7 ? > Storsjöen i Rendalen 51.2 f 13—14 ) 2,9 Starnbergersee 57 3034 25,0 15,8 I :o,59 5 Thunersee 48 6 500 '5 7,5 I ;■ 0,5 Trieg, loch 1 ? ? 9,5 ? ) 1,4 Vierwaldstättersee 114 11 820 44,7 24,4 I :o,55 i 24 Desgl. Querseiche — — 18,26 9,27 I :o,5i 17,5 Walensee 23,27 2490 14,5 ? } Zürchersee 88 3900 45,6 23,8 I : 0,52 i 888 Wassersäulen und reichern dadurch das Seewasser mit Sauerstoff an, der letzten Quelle alles or- ganischen Lebens im See.') Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ') Prof. Forel hält in seiner letzten Publikation über Seiches (Ext. Bull. Soc. vaud. Sc. Nat. Vol. 40, 149 3. Febr. N. F. in. Nr. 56 1904) an der Meinung fest, daß gewisse Schwingungen im Bodensee, die sog. Binodalschwingungen im Gardasee, Starn- bcrgersee und Chiemsee Schwingungen der Quinte, also in der Hauptsache Unterschwingungen der Hauptschwingungen seien. Ich kann ihm darin nicht beistimmen, bin vielmehr der Ansicht, daß die sämtlichen angeführten Schwin20 Mk. Dahl. Herrn G. S. in Magdeburg. — Frage: Welches Werk oder welcher Vortrag über Eingeweidewürmer, speziell über Taen'ia- und Distomiim-Arien, ist zu empfehlen 1 — D i e L i t e - ratur über Eingeweidewürmer ist sehr umfangreich. Es fragt sich da, über welche Arten Sie Auskunft wünschen. Ich nehme an, daß es sich für Sie um diejenigen Parasiten handelt, mit denen sich der Mensch und die Haustiere gegen- seitig infizieren und nenne Ihnen an erster Stelle das ein- gehende Werk von R. Leuckart, Die Parasiten des Menschen, 2. Aufl., Bd. I, Leipzig 1879— 1 901, 2.\bt. 1031 u. 938 S. 8» mit 783 Abb.. Preis 45 Mk. Kleinere handliche Bücher sind unter andern M. Braun, Die tierischen Parasiten des Menschen, 2. Aufl., Würzburg 1895, 283 S. 8» m. 147 Abb., Preis 6 Mk. und F. A. Zürn, Die tierischen Parasiten auf und in dem Körper unserer Haussäugetiere, 2. Aufl., Weimar 1S82, 332 S. 8" m. 4 Taf., Preis 6 Mk. Vielleicht genügen Ihnen auch kleinere Bücher wie J. Dewitz, Die Eingeweidewürmer der Haus- säugetiere, Berlin 1892, 180 S. 8" m. 141 Abb., Preis 2,50 Mk. oder C. Claus, Eingeweidewürmer des Menschen, Wien 1894 (Biblioth. d. ges. mediz. Wissensch. Nr. 2), 32 S. 8" ra. 52 Abb., Preis 1,20 Mk. Sehr eingehend und nach allen Seiten hin zusammenfassend behandelt die Bandwürmer M. Braun, Cestodes, Leipzig 1894 — 190O1 '731 S. 8" m. 59 Taf., Preis 93 Mk. (H. G. Bronn's Klassen und Ordnungen des Tierreichs). Eine umfangreichere Arbeit über Distomiim ist .\. Looss, Die Distomen unserer Fische und Frösche, Stuttgart 1894, 296 S. 4° m. 9 Taf., Preis 98 Mk. (Bibliotheca Zoologica Heft 16). Dahl. Inhalt: Prof. Dr. W. Halbfaß: Seiches oder stehende Seespiegelsehwankungen. — Kleinere Mitteilungen: Paul Noel; Die Fliege Chlorops lineata F. — A. T. Drummond: Die Übereinstimmung der Flora Europas und Nordamerikas. — W. Salensky: Unsere Kenntnis vom Mammut auf Grund der Ergebnisse der letzten russischen Mammutexpedition. — J. Klein: Die vulkanischen Bildungen des Mondes. — O. Szlavik: Beobachtung der Bravais'schen Erscheinung. — Holtz: Wer ist der Erfinder der modernen Elektrisiermaschine? — W. Otto: Röntgenstrahlen im Dienste der Kabelfabrikation. — Wetter-Monatsübersictit. — Bücherbesprectiungen: G. Niemann: Das Mikroskop und seine Benutzung im pflanzenanatomischen Unterrichte. — W. H e r z : Über die Lösungen. — S.ammlung Chemischer und Chemisch-technischer Vorträge: Ephraim, Das Vanadin. — Manuel von Uslar: Das Gold. Sein Vorkommen, seine Gewinnung und Bearbeitung. — H. Danneel: Die Elektrochemie und Metallurgie der für die Elektrochemie wichtigen Metalle auf der Industrie- und Gewerbeausstellung in Düsseldorf 1901. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druclc von Lippert & Co. (G. Päti'sctie Buclidr.), Naumliurg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,Di6 JNa,tUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 30. Oktober 1904. Nr. 57. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Kxpedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zwcigespaltcne Pctitzeile 50 Pfg. Hei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt, Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändicrinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Wie sich die Pflanzen das Sonnenlicht dienstbar machen. [Nachdruck verboten.] Von H. Filipp in Lübeck. Von wesentlichem Einfluß auf die Ausbildung wissen Grade der spezifisch pflanzlichen und tierischen Charaktere ist die Art der Ernährung. Während die Tiere zu ihrer Erhaltung organischer Stoffe bedürfen, sind die — meisten — Pflanzen imstande, aus an- oreanischen Substanzen organische herzustellen. Diese Fähigkeit, und zwar in erster Linie die Er- zeugung der Kohlenhydrate, bezeichnet man be- kanntlich als Assimilation. Weil sie das Material zum Wachstum und zur Erzeugung mechanischer und thermischer Energie liefert, ist sie von unge- heurer Bedeutung im Haushalte der Natur. Be- sitzen alle Pflanzen die Fähigkeit der Assimilation ? Und unter welchen Bedingungen findet sie statt? Genauere Untersuchungen, auf die wir hier nicht näher eingehen wollen, haben folgendes ergeben : 1. Organe der Assimilation sind die mitChlorophyll versehenen Zellen, bei den meisten höheren Pflanzen also die Blätter. 2. Die Assimilation findet nur unter Mitwirkung des Sonnenlichts statt. 3. Je stärker das Sonnenlicht ein- wirken kann, um so bedeutender ist die Assimilation — freilich nur bis zu einem ge- worauf wir weiter unten zurück- kominen werden. Diese Tatsachen sind von fundamen- taler Bedeutung für das Verständnis des BauesderPflaiizen. Wenn nämlich das Sonnen- licht unumgänglicli nötig ist, dann müssen die Pflanzen, um dem „Kampfe ums Dasein" gewachsen zu sein, Einrichtungen besitzen, welche es gestatten, das Licht, das ihnen unter normalen Bedingungen zur Verfügung steht, nach Möglichkeit auszunutzen. Welches sind die Einrichtungen? Diese Frage zu beantworten, soll unsere Aufgabe sein. Weil aber die Mittel so mannigfacher Natur sind, ist eine erschöpfende Behandlung des Themas unmöglich. Wir werden uns deshalb darauf beschränken, speziell an Vertretern der heimischen Flora eine Über- sicht über die verbreitetsten Einrichtungen zu geben, welcher sich die Natur bedient , um eine mög- lichst vollkommene Durchleuchtung der Assimila- tionsorgane zu erzielen.') Dabei wollen wir dort, ') Es mag hier bemerkt werden, daß sich die Pflanzen das Sonnenlicht noch zur Erreichung anderer Zwecke (Ver- dunstung etc.) nutzbar machen. . Das lassen wir aber gänzlich außer Betracht. 898 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 57 wo es angebracht und möglich erscheint, mit Hilfe des für die Erforschung des Pflanzenlebens so wichtigen Experimentes ein genaueres Ver- ständnis zu erhalten suchen. Es ist eine allbekannte Erscheinung, daß die Wurzel in den Erdboden hineinwächst, der Stengel mit den Blättern etc. sich von der Erde entfernt. Daß diese Tatsache durchaus nicht etwas Selbst- verständliches oder Zufälliges ist, lehrt ein Versuch. Wird eine Keimpflanze von Phaseolus multiflorus so aufgestellt, daß die vorher vertikal gerichteten Organe horizontal zu liegen kommen, so beginnt schon nach einigen Stunden eine Krümmung der Wurzelspitze nach unten, der Stengelspitze nach oben (Fig. i). Man bezeichnet jene Krümmung bekanntlich als positiv geotropisch, diese als negativ geotropisch. Die biologische Bedeutung dieser Erscheinung liegt klar zutage. Welche Lage der Same in der Erde auch einnehmen mag — immer gelangt der junge Sproß an die Erd- oberfläche, in den Bereich des für ihn unbedingt notwendigen Sonnenlichts. Fig. I. Negativ geotropisch gekrümmtes Epikotyl von Pliascolus multiflorus. Aus Detmer, physiolog. Prakt. P^in eigentümliches geotropisches Verhalten be- obachten wir an den Halmen der Gräser. Nicht selten kommt es vor, daß durch starken Regen oder Hagel das Getreide sich „lagert". Diese Erscheinung birgt eine große Gefahr in sich: da die Pflanzen sich gegenseitig bedecken, ist die Lichtzufuhr gehindert; infolgedessen wird die Assi- milation und damit die Versorgung der Samen mit Reservestoffen wenn nicht aufgehoben so doch stark beeinträchtigt. Nun besitzen die noch nicht ausgewachsenen Halme die P"ähigkeit, sich wieder aufzurichten. Um dieses Verhalten genauer zu studieren, schneiden wir einige in der Mitte mit einem Knotengelenk versehene Stücke von ca. 10 cm Länge aus den Halmen von Hordeum vulgare heraus und stecken sie horizontal mit der Basis in einen kleinen Wall von Sand, der an einer Wand einer Zigarrenkiste aufgehäuft wurde. Nach Verlauf von 48 Stunden ist das freie Ende der Halmstücke emporgerichtet. Wie Figur 2 erkennen läßt, ist die Aufrichtung durch ungleiches Wachs- tum in den Knotengelenken herbeigeführt. Eine Messung dieser Gelenke ergab folgendes Durch- schnittsresultat; Vor der Krümmung: Ober- und Unterseite: 1,5 mm. Nach der Krümmung: Oberseite: 1,5 Unterseite: 4,7 Zuwachs der Unterseite: 3,2 mm. Fig. Halmstück eines Grases, geotropisch gekrümmt. Aus Detmer, kl. physiol. Prakt. Die eigenartige Form, in welcher sich der negative Geotropismus hier äußert, ist bedingt durch das interkalare Wachstum; sie findet sich deshalb bei allen Pflanzen, die in dieser Weise sich entwickeln. Wie die Schwerkraft, so beeinflußt auch das Licht alle Pflanzen in biologisch bedeutsamer Weise. PVagen wir uns zunächst: Wie entwickelt sich eine Pflanze, wenn ihr das Sonnenlicht fehlt? Ein Versuch gibt uns die Antwort. In zwei Blumentöpfen kultivieren wir Cucurbita pepo. Der eine Topf mit etwa 6 Samen wird unter einer Glasglocke ins Freie, der andere unter einen Zink- blechzylinder gestellt. Untersuchen wir z. B. nach 18 Tagen, so finden wir, daß die im Dunkeln gewachsenen Pflanzen lange Stengel und schmale, gelbe Blätter, die im Lichtgenuß befindlichen da- gegen kurze Stengel und breite, grüne Blätter ge- bildet haben. Eine Messung dieser Organe ergab folgende Mittelwerte : Länge des Stengels Länge der Blätter Breite ,, ,, Dunkelpflanze 13,7 cm S.5 .. 3,1 .. Lichtpfianze 5,9 cm 11,3 „ 6,0 ,, Die Pflanzen, denen das Licht entzogen war, haben natürlich nicht assimilieren können. Daß sie trotzdem so rasch gewachsen sind, erklärt sich dadurch, daß sie aus den in den Samen ent- haltenen Reservestofifen große, dünnwandige und wasserreiche Zellen bildeten. Dieses anormale, als Etiolement bezeich- nete Wachstum ist in biologischer Hinsicht von großer Bedeutung. Wenn nämlich ein Same tief in die Erde gerät, so benutzt er fast alles Nähr- material zu einer raschen Streckung des Stengels; ist dieser erst an die Oberfläche gelangt, dann werden auch die Blätter ausgebreitet, damit sie assimilieren und zum weiteren Ausbau beitragen können. Bei Cucurbita streckt sich der unter den Keimblättern befindliche Stengelteil, das Hypokotyl, bei anderen Pflanzen, z. B. Phaseolus, dagegen das über den Keimblättern gelegene Epikotyl. Wie beeinflußt nun das LJcht das Wachstum? N. F. m. Nr. 57 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 899 Um die Einwirkung des Lichtes beobachten zu können, müssen wir dafür Sorge tragen, daß das I.icht nur von einer Seite her auf die Pflanzen gelangt. Zu diesem Zwecke wird eine helio- tropische Kammer (Fig. 3) benutzt. Als Fig- 3 Heliotropische Kammer. Prallt. Aus t>ctmer, kl. jiliysiol» Wasserpflanzen, ähnlich wie diejenigen der meisten Tiere, aus Geweben aufgebaut. In der Anordnung der Zellen macht sich jedoch zwischen Pflanzen- und Tierreich ein eigenartiger Gegen- satz geltend, der erklärt wird durch die Art der Ernährung. Der Körper der Tiere bildet in der Regel eine kompakte Masse und besitzt eine ge- ringe äußere Oberfläche; im Innern dagegen, namentlich in bezug auf die Verdauungsorgane, ist häufig eine sehr bedeutende Flächenaiisbreitung zu erkennen. Anders liegen die Verhältnisse bei den Pflanzen; der Stengel entwickelt sich besonders nach einer Richtung hin, in die Länge; die Blätter, die Ernährungsorgane, sind flächenhaft ausgebreitet und bieten in ihrer Gesamtheit der Außenwelt eine mit Rücksicht auf die Masse Untersuchungsobjekt dienen mehrere Exemplare von Sinapis alba, die unter Ausschluß des Lichts in einem Blumentopfe gezogen wurden. Wenn die oberirdischen Stengelteile eine Länge von 2 bis 3 cm erreicht haben, werden die Pflanzen in der heliotropischen Kammer einseitiger Beleuch- tung ausgesetzt. Bei dem Versuch, der bei 25" C ausgeführt wurde, war nach 2'/... Stunden eine Krümmung der Stengelspitze eingetreten und zwar derart, daß sich der Stengel den einfallenden Sonnenstrahlen parallel gerichtet hatte. Die Krüm- mung ist, wie sich unmittelbar ergibt, durch stär- keres Wachstum der vom Licht abgewendeten Seite herbeigeführt. Und welches ist der Sinn dieser positiv heliotropischen Krümmung? Der Stengel krümmt sich zum Lichte hin und bringt somit die Blätter in eine Lage, in welcher sie möglichst viele Sonnenstrahlen auffangen können. So steht auch diese im Pflanzenreich allgemein verbreitete Erscheinung im Dienste der Assimi- lation. Die Erzeugung der Kohlehydrate findet in den Chlorophyllkörpern statt. Sollen diese ihre Funktion erfüllen, so müssen sie in den Zellen und die Zellen in den Geweben so angeordnet sein, daß sie möglichst vollständig und gleichmäßig vom Lichte getroffen werden. Dieses Ziel wird bei den einzelligen und bei den aus Zellfäden und ein- schichtigen Zellflächen bestehenden Pflanzen in verhältnismäßig einfacher Weise erreicht. Die Chlorophyllkörper liegen im wandständigen Proto- plasma eingebettet, so daß sie sich gegenseitig das Licht nicht rauben (aber nur bis zu einer ge- wissen Lichtintensität). Eine eigentümliche An- ordnung des Chlorophyllapparates, deren biologische Bedeutung ohne weiteres verständlich ist, zeigt die Algengattung Spirogyra (P^ig. 4); die Chloro- phyllkörper bilden je nach der Art ein oder mehrere spiralige, der Zellwand angelagerte Schrauben- bänder. Eine Aneinanderreihung der Zellen nach zwei Richtungen des Raumes ist bei den Pflanzen, welche frei den Witterungseinflüssen ausgesetzt sind, aus mechanischen Gründen unmöglich. In der Tat sind die Organe der höheren Land- und Fig. 4. Zelle von Spirogyra jugalis. eh = Chlorophyllkörpcr. Vergr. 256. Aus „Bonner Lehrbuch". unverhältnismäßig große Oberfläche dar. Worin der Vorzug dieses Baues besteht, wird klar, wenn wir annehmen, die Blätter seien auch nur einige Millimeter dick. Dann würden die außen ge- legenen Zellen das Licht absorbieren, und die im Innern befindlichen könnten für die Assimilation nicht in Betracht kommen. Da aber in Wirklich- keit die Blätter — von besonderen Ausnahmen abgesehen — flächenartig ausgebildet sind und nur eine Dicke von Bruchteilen eines Millimeters be- sitzen, sind sie imstande, eine bedeutende Menge von Lichtstrahlen aufzufangen und der Assimilation dienstbar zu machen — ganz abgesehen davon, welche Bedeutung dieser Bau für die Versorgung der Zellen mit Kohlensäure etc. hat. Untersuchen wir nunmehr, inwiefern der anatomische Bau der Blätter der phy- siologischen Leistung angepaßt ist. Fig. 5') zeigt den Querschnitt eines Blattes von Triticum vulgare. Zwischen der Epidermis der ') Diese und ebenso die übrigen Originalabbildungen sind on Herrn W. Planthafer in Lübeck angefertigt. 900 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. IIl. Nr. 57 Ober- und Unterseite ist das Assimilations- (und Transpirations-)gewebe ausgebreitet. Die ein- zelnen Zellen sind im großen und ganzen gleich- artig ausgebildet, besitzen eine polyedrische Ge- stalt und lassen nur kleine Interzellularen zwischen sich. Der Bau, wie er uns hier entgegentritt, ist typisch für die meisten, allerdings nicht für alle Monokotylen. Fig. 5. Teil des Querschnittes durch ein Blatt von Triticum vulgare. Bei den Dikotylen ist fast immer eine Differen- zierung des Blattgewebes eingetreten. Figur 6 .stellt den Querschnitt eines Blattes von Fagus sil- vatica dar. Die mit Chlorophyll versehenen Zellen lassen einen deutlichen Unterschied erkennen. Der Blattoberseite zugewendet ist eine Schicht von langgestreckten, schlauchförmigen Zellen, die mit ihrem größten Dtirchmesser senkrecht zur Hlatt- dazwischen Schwammgewebe. Das Palisaden- parenchym überwiegt bei Pflanzen an sonnigen, das Schwammparenchym bei solchen an schattigen Standorten. — IVIanche Pflanzen besitzen die sehr nützliclie Fähigkeit, den Hau ihrer Blätter den ver- schiedenen Beleuchtungsbedingungen anzupassen, z. B. die Buche. Bei den Sonnenblättern — so wollen wir der Kürze wegen die im direkten Sonnenlicht entwickelten Blätter nennen — ist fast das ganze Mesophyll als Palisadenparenchym ausgebildet; das Schattenblatt dagegen weist fast nur Schwammgewebe auf. Zwischen beiden E,\- tremen kommen nach Stahl je nach den Stand- orten alle denkbaren Mittelstufen vor (vgl. Fig. 7). Charakteristisch für die verschiedenen Zell- formen ist auch die Lagerung der Chloro- phyllkörner (vgl. Fig. 6). In den Palisaden- zellen liegen sie an den zur Blattfläche senkrecht stehenden Wänden, nehmen also Profilstelluncr ein; in den Zellen des Schwammgewebes finden sie sich an den zur Fläche parallelen Wänden, lagern hier also in Flächenstellung. Fragen wir uns nun : Welche Bedeutung hat die Differenzierung des Blattgewebes und die ver- schiedene Lagerung der Chlorophyllkörper? Die Palisadenzellen der Sonnenblätter erhalten das direkte Licht und absorbieren einen Teil desselben. Weil die Chlorophyllkörner Profilstellung einnehmen, geht ein großer Teil der Strahlen ungehindert hin- Fig. 6. Querschnitt durch das Blatt von Fagus silvatica pl = Palisadenparenchym, sp = Schwammparenchym. Aus ..Bonner Lehrbuch". fläche liegen und fast lückenlos aneinanderstoßen. Darunter befinden sich kleinere, nach allen Rich- tungen des Raumes ziemlich gleichmäßig ent- wickelte Zellen, die große Interzellularen zwischen sich lassen. Man bezeichnet jenes Gewebe als Palisaden-, dieses als Schwammparen- chym. — Der hier gekennzeichnete Bau ist für die meisten Blätter charakteristisch, weist jedoch im einzelnen je nach den Standorten Verschieden- heiten auf. Das Palisadenparenchym liegt an der Oberseite, das Schwammparenchym an der Unter- seite bei solchen Blättern, die von oben her von den Sonnenstrahlen getroffen werden. Die vertikal gerichteten Blätter besitzen meist sowohl an der Ober- wie an der Unterseite Palisadengewebe und Fig. 7. Querschnitte durch Blätter einer Klutbuche. 1 Lichtblatt. II Schattenblatt. Nach Nordhausen aus Jost, Vorl. über Pflanzcnphys. durch, gelangt eventuell zu den nächsten Palisaden- zcllen, durchdringt auch diese und kommt schließ- lich, natürlich etwas abgeschwächt, zu den Zellen des Schwammgewebes. Hier lagern die Chloro- phyllkörner in Flächenstellung und nehmen den größten Teil der Lichstrahlen auf. Bei den Schatten- blättern gelangt das diffuse, schon bedeutend ab- geschwächte Licht zunächst in die schwach ent- wickelten Palisadenzellen, um gleich darauf von N. F. m. Nr. 57 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 901 den in Flächenstellung verharrenden Chlorophyll- körpern des Schwammparenchyms absorbiert zu werden. Der Palisadentypus ist für diese Pflanzen wenig angebracht, weil die Chlorophyllkörner, um ihre Funktion erfüllen zu können, Flächenstellung einnehmen müßten. Somit ist der Palisadentypus das für sonnige, der Schwammtypus das für schat- tige Standorte der Leistung am besten angepaßte Gewebe. Dazu kommt noch ein anderer Umstand : Die Blätter von Pflanzen, welche an son- nigen Orten wachsen, sind kleiner und dicker als diejenigen derselben Art, welche an schattigen Orten gedeihen. An Sambucus nigra ist dieser Unterschied leicht große Menge von Material zum Aufbau der Stiele notwendig. Daß die Modifikationen hinsichtlich der Größe der Blätter in der Tat durch die verschiedenen Beleuchtungsbedingun- gen hervorgerufen werden, zeigt ein Versuch. Wir kultivieren in mehreren Blumentöpfen Pha- seolus multiflorus. Einige Exemplare werden in den Genuß des vollen Sonnenlichts gesetzt; den anderen wird das direkte Licht vorenthalten, in- dem sie vor ein Nordfenster gestellt werden. Nach- dem die Pflanzen eine Höhe von etwa 50 cm er- reicht haben, wird eine Messung vorgenommen. Diese ergab in einem Versuche folgende Mittel- werte (vgl. dazu Elg. 8). Fig. 8. Blätter von Phaseolus multiflorus (schematisch). a und b Schattcnblätter. c und d Sonnenblätter. a und c Primordial-, b und d Fiederblätter. ca. '/.1 "»'• Gr. zu beobachten.') Die Messung einer größeren Zahl von Fiederblättchen hatte folgendes Ergebnis : Sonnenblätter : Länge: 5,4 cm Breite: 3,1 „ Schattenblätter : Länge: 12,8 cm Breite: 5,7 „ Auffallend ist das Verhältnis der Länge zur Breite; es betrug bei den Sonnenblättern: 1,74:1 Schattenblättern: 2,25:1. Wie erklärt sich dieses Verhältnis? Soll die Breite in demselben Verhältnis wie die Länge wachsen, dann müssen die Blättchen, um sich nicht gegenseitig zu bedecken, weit voneinander rücken. Dazu ist aber eine unverhältnismäßig Sonnenpflanze Primordialblatt Fiederblättchen (Endblättchen) Länge; 7,1 cn Breite: 5,6 „ Länge : Breite = 1.27 ■■ ' Länge : $,2 cm Breite: 3,1 „ Länge : Breite = 1,68: I Schattenpflanze Länge : 1 1 ,04 cm Breite : 10,36 ,, Länge : Breite = 1 ,06 : I Länge : 8,0 cm Breite: 3,8 „ Länge : Breite = 2,15 : I ') Von Einfluß sind freilich auch die Feuchtigkeitsverhältnisse. Auch hier zeigt sich die Erscheinung, daß die Zunahme der Breite mit derjenigen der Länge nicht gleichen Schritt hält. Hinsichtlich der Dicke der Blätter ergab sich folgendes: Sonnenblätter: 0,25 mm Schattenblätter: 0,i6 „ Dasselbe, was hier für Phaseolus und Sambucus nachgewiesen ist, gilt für viele andere Pflanzen: an sonnigen Standorten derbe und kleine Blätter, an schattigen Orten dünne und große Blätter. Nach Stahl sind Blattgröße und Blattdicke bis zu einem gewissen Grade umgekehrt proportional. Und welches ist der Sinn dieses Verhaltens? Aus der gleichen Menge von Baumaterial bildet die Sonnenpflanze kleine, aber dicke, die Schatten- pflanze große, jedoch dünne Blätter. Das schwache Licht, welches die Schattenblätter empfangen, wirkt mit genügender Intensität in den nicht tief ge- legenen Zellen. Das stärkere Licht dringt mit Leichtigkeit in die tiefer befindlichen Zellen der Sonnenblätter ein und befähigt somit die Chloro- phyllkörper zur Assimilation. — Zugleich liegt diese Einrichtung im Interesse einer den Verhält- nissen angepaßten Transpiration. Die zarten und großen Blätter ermöglichen eine ausgiebigere Ver- dunstung, die nicht nur ohne Gefahren, sondern häufig sogar notwendig ist; durch die derben und kleinen Blätter wird eine übermäßige Verdunstung welche die betreffenden Pflanzen vermeiden müssen, verhindert. Damit die Blätter ihre Funktion erfüllen können, ist es nötig, daß sie im ausgespannten Zustande dem Lichte dargeboten werden. Diese Festi- 902 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 57 gung- kann ■ — theoretisch — auf verschiedene Weise erreicht werden. Einmal wird sie ermög- licht durch eine Verdickung der Membranen aller Zellen (Stamm !). Dieser Weg ist aber nicht gang- bar, weil die Wände damit undurchlässig für die Lichtstrahlen werden. Die Pflanzen gelangen aut andere Weise zu demselben Ziel: Mit den der Leitung von Nährstofifen bzw. Assimilaten dienen- den Elementen sind andere, der Festigung dienende zu den Gefäßbündeln vereinigt, die vom Stiel aus als „Nerven" die Blätter durchziehen. Die An- ordnung der Nerven ist bekanntlich verschieden und wird systematisch verwertet. Von großer Bedeutung für die Ernährungs- tätigkeit der Pflanze ist eine zweckmäßige Verteilung der Blätter am Stengel. Nach der gegenseitigen Stellung unterscheidet man be- kanntlich quirlständige, gegenständige, kreuzstän- dige, zerstreut stehende Blätter, je nach der Aus- bildung gestielte und sitzende Blätter etc. So mannigfaltig diese Verhältnisse auch sein mögen, immer dienen sie einem und demselben Zwecke ; die Blätter in eine solche Lage zu bringen, daß möglichst alle vom Licht getroffen werden. Ein Beispiel möge das erläutern : Fig. 9 zeigt einen Fig. 9. Teil des oberirdischen Sprosses von Stachys süvatica. '/a nat. Gr. (Die Zalilen bezeichnen cm.) Teil des oberirdischen Sprosses von Stachys sil- vatica. Die Blätter sind dekussiert. Berücksich- tigen wir, daß die Sonnenstrahlen nicht parallel mit dem Stengel, sondern schräg einfallen, so er- gibt sich, daß der größte Teil der Blätter Licht empfängt. Dies wird noch vollkommener erreicht durch die Verschiedenheit der Blattgröße und der Länge der Blattstiele. Von unten nach oben nehmen die Blätter an Größe und die Stiele an Länge ab, wie die in die Figur eingetragenen Zahlen deut- hch erkennen lassen. Die letztgenannte Erschei- nung, daß die Stiele verschieden lang sind, ist in der Pflanzenwelt weit verbreitet; sie ist um so mehr nötig, je größer die Blattflächen (z. B. Wald- pflanzen), um so entbehrlicher, je kleiner die Spreiten sind (Sonnenpflanzen). Bei manchen Pflanzen (Plantago, Taraxacum u. a.) entspringen die Blätter in Form einer Ro- sette gleich über der Oberfläche der Erde. Diese Anordnung ist unzweifelhaft von großem Nutzen, denn die Pflanze spart an Material zum Aufbau des Stengels — ganz abgesehen davon, daß auf diese Weise die X'erdunstung beträchtlich herab- gesetzt wird. Dem Vorteil stellt freilich ein Nach- teil entgegen: die Pflanze kann nur da gedeihen, wo ihr von den umgebenden Gewächsen nicht das Licht geraubt wird, also auf trockenem, dürrem Boden. Die größte Schwierigkeit einer zweckmäßigen Verteilung liegt bei den Bäumen vor; müssen sie doch viele Tausende von Blättern dem Lichte darbieten ! Da in das Innere der Baumkrone nur bedeutend abgeschwächtes Licht eindringt, ist es von großem \'orteil, wenn möglichst viele Blätter an die äußere Oberfläche rücken. In der Tat läßt sich dieses Bestreben an allen unseren Laub- und Nadelbäumen verfolgen. Die unteren Zweige sind länger als die oberen und stehen entweder fast senkrecht vom Hauptstamm ab oder steigen schräg an unter einem Winkel von ca. 45"; auf diese Weise entstehen die so verschiedenen Formen der Baumkrone. Die Nadelbäume lassen die im Innern gelegenen Blätter zugrunde gehen, nicht ohne vor- her die noch brauchbaren Stoffe wenigstens zum Teil aus ihnen herauszuziehen. An den Laub- bäumen und auch an anderen Pflanzen (z. B. Hedera helix) beobachten wir vielfach, daß die Blätter fast in einer Ebene liegen, wobei ein Blatt das andere wenig oder garnicht verdeckt. (Über dieses sog. Blattmosaik vgl. man die trefflichen Abbildungen in Kerner's Pflanzenleben.) Wie aus diesen Beispielen hervorgeht, zeigen die Pflanzen das Bestreben, die Blätter senkrecht zu den einfallenden Strahlen zu stellen. Dieses Ziel wird auf verschiedene Weise erreicht: durch Verlängerung oder Drehung der Blattstiele, durch geotropische und heliotropische Krümmungen etc. Besonderes Interesse verdient die sog. Photoepinastie, wie sie uns z. B. bei Cucurbita pepo entgegentritt. Ein Versuch wird diese Erscheinung am besten erkennen lassen. In einem Blumentopf kultivieren wir bei Lichtabschluß mehrere Pflanzen. Nach 14 Tagen, nachdem die oberirdischen Stengelteile eine Länge von etwa 10 cm erlangt haben, untersuchen wir die Keim- pflanze und beobachten nun, daß die beiden Kotyledonen zusammengeschlagen sind (Fig. lOa). Werden die Pflanzen jetzt im lichten Schatten auf- gestellt, so breiten sich die Blätter innerhalb weniger Stunden aus und stellen sich senkrecht zu den einfallenden Strahlen (Plg. lob). Die Krümmung der Blätter bis zu dieser Lage erfolgt, wie sich N. F. m. Nr. 57 Nat ur wissenschaftlich e Woch enschri fi. 903 unmittelbar ergibt, durch stärkeres Wachstum der Blattoberseite; sie wird infolgedessen als Epinastie, und weil sie durch das Licht hervorgerufen ist, Fig. 10. Oberirdischer Teil einer Keimpflanze von Cucurbita pepo. a etioliert. b und c beleuchtet. (Die Pfeile bezeich- nen die Richtung der einfallenden Strahlen.) als Photoepinastie bezeichnet. Werden die Pflanzen nun horizontal gelegt, nachdem der Stengel, um eine geotropische Krümmung auszuschließen, an einer Stütze befestigt ist, so zeigt sich nach einem Tage, daß die Blätter abermals ihre Lage verändert haben : Beide Keimblätter sind parallel mit dem Sten- gel und senkrecht zu den einfallenden Strah- len ausgebreitet (Fig. lOc). Die Krümmung ist bei einem Blatte durch Epinastie, bei dem anderen durch negativ geotropisches Verhalten des Blatt- stieles veranlaßt. Eine Belichtung wird bei vielen Pflanzen noch auf andere Weise er- zielt. Die Blätter man- cher Gewächse sind bekanntlich geteilt; je nach der Tiefe, bis zu welcher die Teilung fortschreitet, bezeich- net man die Blätter als gelappt, gespalten, geteilt, geschnitten, oder wenn die einzelnen Teile selbständig werden, als zusammengesetzt. Der Sinn dieser verschiedenen Modifikationen ist wieder ein gleicher. Wäre die Blattfläche ungeteilt, dann würde einmal die Gefahr nahe liegen, daß die Ernährungsorgane durch Wind und Regendruck zerrissen; andererseits würden die tieferstehenden Blätter von den darüber befindlichen verdunkelt werden. Beides ist vermieden durch die Teilung der Spreite. Fig. 11 stellt einen Sproß mit den gefiederten Blättern von Rosa canina dar, wie er sich uns, in der Richtung der einfallenden Strahlen gesehen (morgens), darbietet. Wie die Zeichnung erkennen läßt, werden von den oberen Blättern die unten stehenden nur wenig verdunkelt ; die Unvollkommenheit, die immerhin noch besteht, wird zum Teil dadurch ausgeglichen, daß das Sonnenlicht während des Tages immer neue Flächen trifft. Die Teilung der Blattfläche bietet also ganz wesentliche Vorteile; sie gestattet vor allem, daß an den Spitzen der Sprosse große Flächen aus- gebreitet werden können, was ohne die Teilung unmöglich wäre. Dem Stamme oder Stengel kommt neben der Stoffleitung noch die Aufgabe zu, die Ernäh- rungsorgane gegen das Licht auszubreiten. Je nach der Zahl und Größe der Blätter ist die Last, welche der Stamm zu tragen hat, und damit auch seine Stärke verschieden. Es gibt jedoch einige Kräuter, Stauden und Sträucher, deren Stengel so dünn ist, daß er die Blätter nicht zu tragen vermag; infolgedessen müssen diese Ge- wächse am Boden entlang kriechen, wie es tat- Fig. 11. Teil des Sprosses von Rosa canina in der Richtung der einfallenden Strahlen gesehen. 904 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 57 sächlich z. B. bei Lysimachia nummularia der Fall ist. Bestehen können sie aber nur solange, als ihnen von anderen, besser ausgerüsteten Orga- nismen nicht das Licht streitig gemacht wird. Manche Pflanzen besitzen nun die Fähigkeit, sich gegen diese Gefahren mit Erfolg zu behaupten; sie benutzen andere Gewächse, um an ihnen zum Licht emporzuklimmen. Die Mittel, welche zu diesem Zwecke verwandt werden, sind verschieden. Die Schlingpflanzen benutzen meistens eine dünne, aufrecht stehende Stütze und winden sich an derselben mit ihrem Stengel in Form einer Schraubenlinie empor. Der Vorteil, den diese Form des Wachstums hat, besteht darin, daß mit einer geringen Menge Baumaterial rasch eine be- deutende Höhe erreicht wird. Freilich wird der \'or- zug zum Teil wieder ausgeglichen ; denn der win- dende Stengel muß, um zu einer bestimmten Höhe zu gelangen, nicht unbeträchtlich länger sein als ein aufrechter Stamm. F'ig. 12. Teil eines Sprosses von Sicyos angulatus mit einer Ranke, a nicht gereizt, b schwach mit Holzstäbchen gereizt, c mehrfach .berührt. (.'\us Detmer, kl. physiol. Praktikum.) Ein anderes Mittel benutzt der Efeu, Hedera helix. Er ist mit Kletter wurzeln versehen, welche dem Stengel entspringen und in die Un- ebenheiten der Bäume, Mauern etc. eindringen, um so eine Befestigung herbeizuführen. Dasselbe Ziel erreichen andere Pflanzen unter Aufwand einer geringeren Menge von Material mit Hilfe der Ranken. Morphologisch betrachtet sind die Ranken verschiedenwertig; teils sind sie uingewandelte Stengel, teils abgeänderte Blätter. Physiologisch aber sind alle gleichwertig. Blatt- ranken, die als Mittelnerven von Blättern, denen die Spreite fehlt, gedeutet werden, finden sich vielfach bei den Schmetterling.sblütlern. Bei Pisum sativum z. B. sitzen die Ranken da, wo sonst die Fiederblätter sich befinden. Solange die Ranke einen Gegenstand noch nicht berührt hat, ist sie gerade; auf einen Berührungsreiz hin beginnt das freie Ende sich zu krümmen und die Stütze zu umschlingen. Bemerkenswert ist, daß für die Fiederteile die Nebenblätter vikariierend als Assi- milationsorgane eintreten. — Für das Studium der Rankenbewegung eignet sich vorzüglich Sicyos angulatus (Fig. 12). Berührt die Ranke eine in der Nähe aufgestellte Stütze, z. B. einen Draht oder dünnen Holzstab, so wird eine Reizbewegung ausgelöst, und die Ranke beginnt sich zu krüm- men. Dadurch kommen neue Teile der Ranke mit der Stütze in Berührung; der schließliche Er- folg ist ein Umwinden der Stütze (Fig. 1 2, Zweig d). Nach kurzer Zeit bildet der zwischen der Stütze und der Pflanze ausgespannte Rankenteil kork- zieherförmige Einrollungen und an einer Stelle (bei W) einen Wendepunkt. Die Einrollungen sind für die Pflanze von Bedeutung, weil ein Zer- reißen der Ranke infolge der Einwirkung des Windes etc. kaum möglich ist. In ganz eigentümlicher Weise beeinflußt die Beleuchtung die Bewegung derFlagellaten und der Schwärmer. Die Algen der Gattung Clamydomonas (Fig. 13a) sind einzellige, grün gefärbte, mit einem Kern, zwei Cilien und zwei Vakuolen ver- sehene Organismen. Sie finden sich in stehenden Gewässern, nicht benutzten Brunnentrögen häufig in so großer Zahl, daß das Wasser durch sie grün gefärbt und undurch- sichtig erscheint. Um sie in ihrem Verhalten zum Licht kennen zu lernen, bringen wir Wasser, das viele Schwärmer enthält, in eine Kristallisierschale und stellen diese in die Nähe des Fensters. Nach Verlauf einer halben Stunde be- obachten wir, daß sich die größte Zahl der Algen an der dem Fenster am nächsten gelege- nen Seite angesammelt hat. Zur genaueren Untersuchung benutzen Fig. 13. a Clamydomonas. b Feuchte Kammer. Te.xt.) wir das Mikroskop. Um die Schwärmer in der Be- wegung nicht zu hindern, ist es nötig, daß sie im „hängenden Tropfen" untersucht werden.'' Zu dem Zwecke verfertigen wir etwa aus einer \'isitenkarte einen kleinen Rahmen, dessen innerer Raum etwas N. F. m. Nr. 57 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 905 kleiner ist als das zu benutzende Deckglas; der Rahmen wird mit Wasser durchtränkt und aut einen Objektträger gelegt. Nun bringen wir einen Wassertropfen mit Schwärmern auf ein Deckglas, kehren dieses um und legen es so auf den Rah- men, daß der Tropfen frei in der entstandenen , feuchten Kammer" hängt (Fig. 13 b). Beobachten wir jetzt die Schwärmer unter dem Mikroskop, so bemerken wir, daß nach kurzer Zeit sich alle Algen an dem dem Lichte zugewandten Rande des Tropfens angesammelt haben. Daß dies nicht zufällig ist, zeigt sich, wenn wir das Deckglas um l8o" drehen. Mit den Augen läßt sich verfolgen, wie sich die Schwärmer aus der bisher eingehal- tenen Lage entfernen und wieder zum Lichte sich hinbewegen. Das Spiel läßt sich mit demselben Erfolge beliebig lange fortsetzen. - Der Versuch zeigt daß die Lichtstrahlen einen Reiz auf die Schwärmer ausüben , dessen Wirkung dann zum Ausdruck kommt, daß sie sich zum Lichte hin wenden. Die Ortsveränderung, die durch das Licht veranlaßt wird, bezeichnet man als Photo- taxie Als Organ, welches der Perzeption des Reizes dient, wird der rote Augenfleck gedeutet. — Es mag bemerkt werden, daß die Schwärmer das Licht fliehen, sobald dieses eine gewisse Helligkeitsgrenze überschreitet. Welche Bedeutung hat nun die Ihototaxie? Die Schwärmer vermögen je nach den Beleuchtungs- bedingungen den Platz zu wechseln; sie gelangen damit stets an solche Orte, welche - wenigstens in bezug auf die Belichtung - für die Ernährung am günstigsten sind. Zu einer aktiven Orts- bewegung sind natürlich besondere Organe notig; diese sind gegeben in den Geißeln. Die gleichen phototaktischen Bewegungen zei- gen die Flagellaten und die Schwärmsporen sehr vieler Algen. Eine große Zahl der hierher ge- hörigen Organismen pflegt sich an Steinen etc. festzuhaften. Wenn nun ihre Schwarmsporen die Fähiokeit der Phototaxie besitzen, so ist damit die Gewähr gegeben, daß sich die jungen Pflanzen an solchen Orten entwickeln, an denen die Be- leuchtungsverhältnisse günstig sind. Die Erscheinung, daß die Schwärmer bei zu starker Besonnung von der Lichtquelle sich weg- wenden, legt die Vermutung nahe, daß eine zu intensive Beleuchtung schädlich ist. Tatsächlich ist das der Fall , aber nicht nur bei den genannten Organismen, sondern auch bei anderen, höher stehenden Pflanzen. Wenn in einem Walde durch Fallung der Bäume eine Lichtung geschafi"en wird, so beob- achtet man, daß viele der hier wachsenden Pflanzen zu kränkeln beginnen. Die Blätter von Oxalis, Asperula, Pteris aquilina u. a. färben sich nach und nach gelb, und die Gewächse sind vielleicht schon ini darauf folgenden Jahre verschwunden. Wie erklärt sich diese Erscheinung? Da eine Gelbfärbung eingetreten ist, dürfen wir annehmen, daß das Chlorophyll sich verändert hat ; weil ferner nur die Beleuchtungsverhältnisse gewechselt haben, lieat die Annahme nahe, daß das Licht das Ab- ste'^rben veranlaßt hat. - Um das Verhalten des Lichts gegen Chlorophyll kennen zu lernen stellen wir eine alkohohsche Chlorophyll- lösung her. Ein Teil derselben (a) wird in einem verschlossenen Gefäß dem direkten Sonnenlicht, ein anderer Teil (b) dem diff"usen Lichte ausgesetzt; den Rest (c) bewahren wir im Dunkeln auf. Schon nach "/, Stunden ist der grüne Farbstoff" von a zerstört; b zeigt dasselbe, jedoch erst nach drei Ta-^en; c dagegen erhäh sich lange Zeit unver- ändert Der Versuch lehrt, daß das Chloro- phyll durch das Sonnenlicht zerstört wird und zwar um so schneller, je inten- siver das Licht einwirkt. _ Geschieht dasselbe auch in der Natur r Der Anschein spricht dagegen; denn unter normalen Umständen bleiben die Blätter gleichmaßig gtun. Aber die oben mitgeteilte Beobachtung laßt doch daraufschließen, daß auch in der freien Natur eine Zerstörung des Chlorophyllfarb- stoffes durch das Licht erfolgt. Daß unter normalen Verhältnissen die Zerstörung nicht äußer- lich wahrnehmbar wird, ist so zu erklaren, daß Hand in Hand mit derselben eine Regeneration stattfindet. Wenn aber infolge zu intensiver Be- strahlung mehr Farbstoff" zerstört als neu gebildet wird so müssen die Blätter natürlich zu krankein beginnen, und die Pflanzen, welche keine Schutz- mittel gegen diese Gefahren besitzen, werden zu- grunde gehen. . Noch in anderer Hinsicht kann übermäßige Stärke des Lichtes schädlich sein, nämlich insofern, als mit der Absorption der Strahlen eine Er- wärmung verbunden ist. Überschreitet diese eine gewisse Grenze, dann wird der ganze Assi- milationsapparat in seinen Funktionen gestört, und er vermag seiner Tätigkeit nicht mehr voll nach- zukommen. /- r 1 So bircrt eine zu intensive Bestrahlung Getahren in sich Freilich ist der Punkt, bei welchem die zulässige Grenze, das Optimum, überschritten wird für die verschiedenen Pflanzen je nach Ort und Zeit sehr verschieden. Um den Gefahren, denen besonders die an sonnigen Abhängen wachsenden Pflanzen ausgesetzt sind, zu begegnen, sind in der Natur besondere Einrichtungen zu finden, von denen wir die wichtigsten im folgenden betrachten wollen Die Schutzmittel, welche eine große Zahl der an sonnigen Orten vorkommenden Pflanzen zeigen fallen vielfach zusammen mit solchen, die gegen die Gefahren einer übermäßigen Transpiration getroffen sind, so daß es „kaum möglich erscheint zu ent- scheiden, welcher der beiden Gefahren eine be- stimmte Schutzvorrichtung ihren Ursprung ver- dankt" (Schlmper). Dichte Behaarung, stark reflek- tierende Blattoberflächen usw., das sind Einrich- tungen, die sowohl gegen zu intensive Belichtung als ''zu starke Verdunstung schützen. 9o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 57 Manche Gewächse, wie viele Papilionaceen, ferner Geranium sanguineum u. a. stellen unter normalen Umständen ihre Blätter senkrecht zu den einfallenden Sonnenstrahlen, also fast horizontal. Sowie aber die Beleuchtung zu stark wird, ändern die Blätter ihre Lage und stellen sich vertikal, so daß nur ein geringer Teil der Strahlen auf die Blätter trifft. Besonders interessant ist eine Anpassungs- erscheinung, die sich bei den sog. Kompaß- pflanzen findet, z.B. bei Lactuca scariola, über welche Stahl in der „Jenaischen Zeitschrift für Naturwissenschaft" (XV) berichtet. Die Spreite, der an sonnigen Orten wachsenden Pflanzen nimmt Vertikalstellung ein, und zwar derart, daß der eine Seitenrand nach oben, der andere nach unten ge- richtet ist. Ein Teil der Blätter kehrt die Spitze nach Süden, ein anderer Teil nach Norden (Name!). Die nach Osten und Westen am Stengel sitzenden Blätter sind steil aufgerichtet. Daß es sich um eme Eigentümlichkeit handelt, die durch das Licht bedingt ist, geht daraus hervor, daß bei den im Schatten aufgewachsenen Pflanzen die Blätter hori- zontal gestellt sind. Die biologische Bedeutung dieser Blattstellung ist folgende. Die Blätter wer^ den mit ihrer größten Fläche von der aufgehenden und untergehenden Sonne getroffen; zur Mittags- zeit aber, wo die intensivste Bestrahlung erfolgt, ist die getroffene Fläche am kleinsten. „Gering1;r Wasserverlust durch Transpiration, Milderung des zu intensiven Sonnenlichts, das sind die Vorteile, welche der Pflanze aus ihrer eigentümlichen Blatt- onentierung erwachsen" (Stahl). Viel mehr verbreitet, als man vielleicht an- nimmt, ist eine Verschiebung der Chloro- phyllkörper infolge Änderung der fie- le u c h t u n g s b e d i n g u n g e n. Sie läßt sich bei Or- ganen, die — wenigsten zum Teil — nur aus einer Schicht von Zellen bestehen, leicht beob- achten. Zu einem Versuch benutzen wir ein an dunklen, feuchten Orten wachsendes Farnpro- thallium. Bringen wir ein solches unter das Mikroskop, so beobachten wir, daß die Chloro- phyllkörper an der oberen und unteren Wand gleichmäßig verteilt sind. Wir stellen nun den Objektträger mit dem Prothallium ins Sonnenlicht und zwar senkrecht zu den einfallenden Strahlen. Nach einiger Zeit — in dem vorliegenden Fall nach •'/^ Stunden — untersuchen wir abermals und finden nun, daß die Chlorophyllkörper an die seitlichen Membranen gerückt sind. Die Stellung der Chlorophyllkörner bei verschiedener Beleuch- tung ist für Lemna trisulca — analog verhält sich das Farnprothallium — in Fig. 14 dargestellt. Im diffussen Licht liegen sie an den zur Blatt- oberfläche parallelen Wandungen ; sie werden also von den Sonnenstrahlen in Flächenstellung ge- troffen. Sowie aber das direkte Licht einwirkt verandern sie ihre Lage und begeben sich an die zur Flache senkrechten Wände, mithin in Profil- stelung. Wie der Versuch zeigt, besitzen die Chlorophyllkorper die Fähigkeit, dorthin zuwandern wo sie ihre Funktion am besten erfüllen können. Übrigens ist die Bewegung keine aktive, sondern sie erfolgt durch Vermittelung des Protoplasmas. Bei den aus vielen Zellschichten bestehenden Blättern ist die Chlorophyllwanderung mikro- skopisch sehr schwierig zu beobachten; doch makroskopisch ist ein solcher Nachweis wohl zu führen. Zwei Schattenblätter von Sambucus nigra werden kreuzweise übereinander gelegt und 15 Minuten lang dem vollen Sonnenlicht ausgesetzt. Betrachten wir dann das untere Blatt, so finden wir, daß es dort, wo es von den ungeschwächten Strahlen getroffen wurde, heller gefärbt erscheint T t Fig. 14. Querschnitte durch Lemna trisulca. Stellung der Chlorophyllkörner bei T in diffusem Tageslicht, bei "s in Nach Stahl. starker Sonne, bei N in der Nacht. als an den Teilen, die durch das darüber liegende Blatt geschützt waren. Auch dieser Farbenwechsel ist durch Verschiebung der Chlorophyllkörper herbeigeführt; im zerstreuten Licht verharren sie in Flächenstellung, sowie sie aber vom grelleu Licht getroffen werden, rücken sie in Profilstellung. — Eine Verschiebung, wie sie in den bisher be- trachteten Fällen erfolgt, ist bei den aus Zellfäden bestehenden Algen natürlich nicht möglich. Wenn diese vom vollen Sonnenlicht getroffen werden, so wandern die Chlorophyllkörper gegeneinander und bilden einen zusammengeballten Knäuel. Es darf aber nicht unerwähnt bleiben, daß manche Pflanzen, die an einem ganz bestimmten Standorte gedeihen, vielfach die Fähigkeit ver- loren haben, sich an veränderte Lebensbedin- gungen anzupassen. Bei Änderungen der Be- leuchtungsverhältnisse gehen sie infolgedessen zu- N. F. m. Nr. 57 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 907 gründe, wie die vorher genannten Schattenpfianzen Asperula u. a. Am Ende unserer Ausführungen angelangt, werfen wir einen Blick rückwärts! Allen grünen Pflanzen ist eines gemeinsam ; Sie streben danach, das Sonnenlicht, welches ihnen unter normalen Be- dingungen zur Verfügung steht, möglichst voll- kommen auszunutzen. Die Art und Weise aber, wie dieses Ziel erreicht wird, ist außerordentlich mannigfach. Je mehr wir die verschiedenen Pflanzen, ja die Individuen an den verschiedenen Standorten studieren, um so mehr zeigt sich, wie vorteilhaft sie sich meistens den äußeren Bedingungen ange- paßt haben und vielfach noch anzupassen ver- mögen. Die physiologischen Experimente und mikro- skopischen Arbeiten habe ich im Botan. Institut der Universität Jena unter Anleitung von Herrn Professor Dr. Detmer ausgeführt. Ich fühle mich verpflichtet, Herrn Prof Detmer auch an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Literatur : Detmer, Das pflanzenpliysiologische Praktikum. 2. Aufl. 1895. Das kleine pflanzenphysiologische Praktikum. 1903. Gocbel, Beiträge zur Morphologie und Physiologie des Blattes. Botanische Zeitung. 1880. Jost, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. 1904. kerner v. Marilaun, Pflanzenleben. 2. Aufl. 1896,98. Schi m per, Pflanzen-Geographie auf physiologischer Grund- lage. 189S. Schleie hert, Anleitung zu botanischen Beobachtungen und pflanzenphysiologischen Experimenten. 4. Aufl. 1901. Stahl, Über den Einfluß der Lichtintensität auf Struktur und Anordnung des Assimilationsparenchyms. Botan. Zeit. 1880. — Über den Einfluß des sonnigen oder schattigen Stand- ortes auf die Ausbildung der Laubblätter. Jenaische Zeit- schrift für Naturwissenschaft. 18S3. — Über sogenannte Kompaßpflanzen. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft. 1881. — Über den Einfluß von Richtung und Stärke der Be- leuchtung auf einige Bewegungserscheinungen im Pflanzen- reich. Botan. Zeitung. 1881. Strasburger, Noll, Schenck, Schimper. Lehrbuch der Botanik für Hochschulen. 5. Aufl. 1902. (Zitiert als „Bonner Lehrbuch".) Wiesner, Die heliotropischen Erscheinungen im Pflanzen- reiche. Denkschriften d. Kaiserl. Akad. d. Wissenschaften in Wien. 1879 u. 1882. Kleinere Mitteilungen. Den Rückgang der Sterblichkeit in den letzten fünfzig Jahren behandelt A. Abel im Allg. Statist. Archiv (6. Band, 2. Heft, Tübingen 1904). Es handelt sich hierbei in erster Linie darum, die Höhe der Sterblichkeit in verschiede- nen Ländern und zu verschiedenen Zeiten zu be- stimmen und auf Grund der so gewonnenen Ergebnisse die hierauf einwirkenden Faktoren zu ermitteln. Die richtige Eruierung der ersteren ist wesentlich entscheidend dafür, ob die gefolger- ten Schlüsse als wissenschaftliche Tatsachen an- gesehen werden dürfen. Das Gesamtergebnis des Verf ist, daß in sämtlichen in Betracht gezogenen europäischen KuUurstaaten ein zum Teil recht erheblicher Rückgang der Sterblichkeit stattfand, der im allgemeinen beim weiblichen Geschlecht beträchtlicher ist als beim männlichen; derselbe kommt auch weniger dem früheren Kindes- und dem Greisenalter, als vielmehr den mittleren Altersstufen zugute. Es betrug beispielsweise in Preußen in der Periode 1894—1897, gegenüber der Periode 1859— 1864, der Rückgang der Sterb- lichkeit 12,2 "/o bei männlichen und 14,5 "/o bei weiblichen Personen; bis zum 30. Lebensjahr tritt hier nach dem Geschlecht kein auffallender Unter- schied in der Abnahme der Sterblichkeit hervor; derselbe ist erst in den höheren Altersklassen ausgeprägt. — Besonders klar erscheint die ge- ringere Mortalität in England; der Rückgang be- trägt nämlich im Jahrzehnt 1881 — 1890, gegen- über dem Zeltraum 1838— 1854, bei männlichen Personen im Alter bis zu einem Jahr i %, beim weiblichen Geschlecht 2 "/„, und steigt stetig an, so daß er in der Altersklasse 10—15 Jahre beim männlichen Geschlecht 60 «/o , beim weiblichen 66 »/o, ausmacht; hierauf ist die Abnahme wieder eine weniger beträchtliche und in der Altersklasse 45 — 50 Jahre tritt bei männlichen Personen, in jener von 50-55 Jahren auch bei den weiblichen, eine Erhöhung der Sterblichkeit gegenüber der Periode 1838—1854 ein, die in den folgenden Altersstufen ansteigt. — In den einzelnen Staaten wurden allerdings weit voneinander verschiedene Verhähnisse angetroffen, da das in Rede stehende Problem von der physischen Beschaffenheit der Völker, den Sitten derselben, den sanitären Ein- richtungen und manchen anderen Ursachen ab- hängt. Der Rückgang der Sterblichkeit in den jugendlichen und mittleren Altersklassen recht- fertigt keineswegs die Annahme einer gesteigerten Widerstandsfähigkeit der jetzt lebenden Menschen, sondern ist der Ausdruck der Fortschritte der medizinischen Wissenschaft, der langen Friedens- periode, der Hebung der wirtschaftlichen Lage weiter Bevölkerungsschichten etc. Andererseits ist für die ermittelte Steigerung der Sterblichkeit in den höheren Altersklassen bisher keine vöUig befriedigende Erklärung geboten worden. In Ländern, wo die Fabrikindustrie besonders ent- wickelt ist, kann angenommen werden, daß die Erscheinung eine Folge der dort im allgemeinen früher eintretenden Erschöpfung der Lebenskraft ist. Wenn wir z. B. das in der genannten Publi- kation mitgeteilte statistische Material für England mit jenem aus solchen Staaten vergleichen, wo Agrikultur noch in ausgedehntem Maße vorherrscht, so'' scheint diese Ansicht — bis zu einem gewissen Grade mindestens — eine Bestätigung zu finden. Fehlinger. Pelagische Tiefseefischerei der „Maja" in der Umgebung von Capri. — In weiten Kreisen dürfte 9o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. in. Nr. 57 es nicht gebührend bekannt sein, welchen lebhaften Anteil der verstorbene Großindustrielle Krupp an der Erforschung der Meeresorganismen nahm. Von diesem warmen persönlichen Interesse, für das der Verstorbene kein Opfer scheute, zeugt a. a. die Pelagische Tiefseefischerei der „Maja" in der Umgebung von Capri, über welche aus der Feder des Konservators der zoolo- gischen Station in Neapel, Dr. Lo Bianco, auf Veranlassung des Herrn Krupp ein Bericht in Form eines Werkes unter obigem Titel nunmehr auch in deutscher Sprache vorliegt. Dieser Be- richt erschien zuerst im Jahre 1901 im 15. Band 3. Heft in den Mitteilungen der zoologischen Station zu Neapel in italienischer Sprache. Die jetzt auf Veranlassung von Krupp in deutscher Sprache erschienene Publikation wurde von Heinrich Schmidt aus dem Italienischen übersetzt. Sie ist geradezu pompös ausgestattet, indem eine Photogravüre, das Expeditionsschiff „Maja" darstellend, einundvierzig Tafeln in Farben- druck und eine Karte das Werk zieren. Dasselbe ist im Verlage von Gustav Fischer in Jena erschienen, die Tafeln wurden in der Lithographi- schen Anstalt von Werner & Winter in Frankfurt a. M. hergestellt. Krupp begab sich seit mehreren Jahren von Essen aus in den Wintermonaten nach Capri, um sich dort, von der Zoologischen Station in Neapel mit ihren Hilfsmitteln unterstützt, dem Studium der Fauna des Golfes zu widmen. In der Absicht, über das Tiefseeplankton des Golfes von Neapel und dessen Umgebung syste- matische Untersuchungen zu ermöglichen, begann er im Frühjahr 1901 mit der Dampfjacht „Maja", die er zu diesem Zweck aus England kommen ließ, die pelagische Fischerei in großen Tiefen zu betreiben. Die „Maja" ist ein kleines Schiff von 25 m Länge, mit Volldeck und mit einer Wasser- verdrängung von 40 Tonnen. An Bord befand sich eine eiserne Trommel, auf welcher ein 2000 m langes, 6 mm starkes Tau aus Stahldraht aufge- wickelt war, das in 3 — 4 maligen Umgängen um eine massive Messingrolle hef, um so die für das Hinablassen und Einholen der Netze erforderliche Reibung zu erhalten. Diese Rolle war in horizon- taler Lage auf dem Vorderdeck aufgestellt und wurde vermittels eines kleinen Dampfmotors be- wegt. Außer den quantitativen Planktonnetzen von Mensen befanden sich an Bord das von Petersen modifizierte Palumbosche Propeliernetz sowie die Netze und Dredschen, welche in der Zoologischen Station für den gewöhnlichen täg- lichen Fischfang benutzt werden. Außerdem wurde ein großes qualitatives Netz mit großem konischen Sack verwandt, dessen von einem Metallreif um- gebene Eingangsöffnung einen Durchmesser von 95 cm besaß, während seine schmalere Mündungs- weite 20 cm betrug. An dem äußersten Ende dieses 3,60 m langen Sackes, der aus Strickstramin von ca. 0,5 mm Maschenweite bestand. Wurde ein korbähnlicher Recipient befestigt, der aus Kupfer- draht geflochten und mit seidener Müllergace aus- gefüttert war. Die Fischzüge begannen im April 1901 und wurden den ganzen Monat hindurch fortgesetzt. Die verschiedenen Fänge wurden von der Ober- fläche bis zu großen Tiefen ausgeführt; dabei wurde bis zu 1500 m Drahtseil abgelassen. Die Anzahl der Fischzüge belief sich auf 68, unter welchen 17 den besonderen Zweck verfolgten, Tiefseeplankton zu erhalten. Diese Fänge wurden südlich vom Golf von Salerno, von Capri und von der Bocca grande ausgeführt, in einer Entfernung von 3—16 km von der Küste. In dieser Zone, einer der tiefsten in der Nähe des Golfes von Neapel, trifft man Senkungen, die eine Tiefe von über 1000 m erreichen. Da solche Tiefen bis jetzt wenig oder fast gar nicht erforscht waren, so durfte man auf die Re- sultate der Fischzüge gespannt sein. Dieselben übertrafen bei weitem die Erwartungen. Krupp leitete mit großem Interesse und Sachverständnis die Operationen selbst und führte genau Buch über alles, was sich auf die einzelnen Fänge bezog. Mit der Abfassung eines Berichtes über die Resul- tate der 17 Tiefseefänge, die vor allen übrigen von besonderem Interesse sind, betraute er den schon genannten Gelehrten, Dr. Lo Bianco. Die gewonnenen Resultate der „Maja", sowie das 1886 von C h u n gesammelte Material gestatten ein Urteil über den Reichtum und die Mannig- faltigkeit des Tiefseeplanktons im Mittelmeer resp. in einem Teil desselben. Allein 27 Arten wurden von dem von der „Maja" gesammelten Material als neu für das Mittelmeer konstatiert. Hiervon gehören 23 der planktonischen und 4 der benthonischen Fauna an. Mit wenigen Ausnahmen sind die 23 planktoni- schen Arten auch aus dem Atlantischen Ozean bekannt. Es beweist dieses, daß ein großer Teil der planktonischen Formen der Tiefsee des Mittel- meeres mit denen des Atlantischen Ozeans über- emstimmt. Mithin wird die Meinung, daß eine Kommunikation zwischen beiden Meeren schwierig sei, damit ebenso hinfällig, wie das Vorurteil, daß die Organismen des Atlantischen Ozeans im Mittel- meer nicht leben könnten wegen der Temperatur- differenz ihrer Tiefen, weil die Schwelle von Gibraltar dem kühleren Tiefenwasser des Atlanti- schen Ozeans den Zutritt zum Mittelmeer unmög- lich mache und nur den Austausch der oberen Wasserschichten gestatte. Es würde hier zu weit führen, die Resultate der Fänge im einzelnen aufzuführen und zu be- sprechen. Es sei hier namentlich auf die Erbeu- tung eines P:xemplares von Leptocephalus b re vi rostris hingewiesen. Das Tier wurde in einer Entfernung von 9 km von der Küste zum erstenmal hier gefunden. Eis ist diese Tatsache von großer Bedeutung für die Entwicklungs- geschichte des Süßwasser-Aales im Meere, denn es handelt sich hierbei um die Larve unseres Aales. Unter den tischen wurden vier Arten von N. F. ra. Nr. 57 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 909 Scopeliden zum erstenmal in der Umgebung des Golfes von Neapel gefangen. Während über Tun icaten und Mollusken nicht viel zu bemerken ist, lieferten die Crusta- ceen eine Anzahl wichtiger Formen aus der Gruppe der Schizopoden, Isopoden und Hyperiden. Namentlich haben die letzteren unter den Krebsfängen der „Maja" die größte Be- deutung. Unter den 22 erlangten Arten sind nicht weniger als 8 ganz neu für das Mittelmeer. tfnter den Ringel wü rmern ist das Vor- kommen eines sehr schönen pelagischen Pöly- noiden bemerkenswert. Über dieCoelenteraten ist weniges zusagen, auch von den Protozoen liegt nichts Besonderes vor. Am Schluß seiner Fangaufzählungen gibt der Autor in seinem letzten Kapitel „Allgemeine Er- gebnisse" ein anschauliches Bild von den gesamten Resuhaten. Es ist sehr bedauerlich , daß K r u p p das Er- scheinen der reichillustrierten deutschen Über- setzung nicht mehr erlebt hat. Er sowohl, wie der Bearbeiter des Materiales, Dr. Lo Bianco, haben sich durch die Veröffentlichung der Reise- resultate ein dauerndes Denkmal gesetzt und dem Verleger Gustav Fischer gebührt die Ehre, ein nach allen Richtungen hin vornehm ausge- stattetes Werk dem deutschen Buchhandel über- geben zu haben. Dr. Alexander Sokolowsky. Können Erdbeben Regen erzeugen? — In Eidbebengegenden ist vielfach die Meinung ver- breitet, daß Erdbeben Regen erzeugen, ganz be- sonders in Chile, das ja zu den erdbebenreichsten Gebieten gezählt werden muß.^) So berichtet Darwin, der auf seiner Weltreise Chile besuchte, daß er einst in Copiapö erzählte, in Coquimbo habe ein heftiger Erdstoß stattgefunden; darauf haben die Einwohner augenblicklich gerufen: „Welch ein Glück! Sie werden dieses Jahr Weide genug haben." Für diese Leute war also ein Erdbeben ein so sicheres Zeichen für Regen, wie dieser für eine reiche Weide. Tatsächlich folgte dieser Er- schütterung ein heftiger Regenschauer. Auch v. Tschudi betont, daß die Atmosphäre, welche bei Erdbeben meistens ganz ruhig ist, zuweilen hierbei stürmisch bewegt wird, als Vorbote nach- haltiger Veränderungen, so daß in Gebieten, die sonst fast nie Regen haben, häufig nach Erdbeben ausgiebige Regengüsse eintreten. Ebenso bestätigen andere, daß die Chilenen von Erdstößen Regen erwarten. Es sei nur noch angeführt, was ein Augenzeuge derschweren Erdbebenkatastrophe vom 9. Mai 1877 aus Copiapö berichtet; er schreibt: „Ich beobachtete hier wieder, was ich schon öfters bei stärkeren Erdbeben wahrgenommen habe : der vorher heitere Himmel überzog sich plötzlich mit dunklen Wolken." ') Vgl. „Die Erdbeben Chiles" vom gl. Verf., 14. Stück der Münchener Geogr. Studien, Ackermann in München, 1904; dort sind auch Literaturangaben für die folgenden Ausführungen zu finden. Wenn man die vorliegende Frage für Chile richtig würdigen will, so hat man auch das Klima dieses Landes ins Auge zu fassen. Nordchile ge- hört bekanntlich mit dem angrenzenden Peru zu den regenärmsten Gebieten der Erde (Wüste Ata- kama) Es tritt hier eine kalte Meeresströmung (oder aufquellendes Polarwasser?) nahe an die Küste heran, die es in dieser Zone nicht zu einem aut- steigenden Luftstrom kommen läßt, der die Vor- aussetzung für die Kondensation des Wasserdampfes und somit für den Niederschlag wäre. Copiapo (27" s Br.) hat nur 1—2 mal im Jahre einige Tropfen Regen ; nur gelegentlich kommen größere Regengüsse vor, die dann oft Verwüstungen durch Überschwemmung herbeiführen. Noch seltener sind die Regenfälle weiter nördlich, und nur in Perioden von vielen Jahren haben auch die Wusten- gebiete von Nordchile und Peru heftige Regen- Durchmustert man die Aufzeichnungen über die chilenischen Erdbeben, so findet man, daß nach einer ganzen Reihe von heftigeren Erdbeben wirklich Regen eingetreten ist, dabei zu Zeiten, wo er eine viel wunderbarere Erscheinung bildet, als das Erdbeben selbst". Wenn es sich auch in manchen Fällen wohl nur um ein zufälliges Zusammentreffen zweier Ereignisse handelt, so möchte man doch in Versuchung kommen, Dar- win zuzustimmen, wenn er sagt, „daß hier ein Gesetz zu fühlen ist, das in keinem Zusammenhang mit dem gewöhnlichen Verlaufe des Wetters steht". In jüngster Zeit versuchte Prof. Branco in Berlin folc^ende Erklärung für die in Frage stehende Er- scheinung zu geben: „Durch die aus der Tide heraufkommenden Stöße erhält natürlich auch die auf der Erdoberfläche ruhende Luftsaule die Stoße. Über dem ganzen Gebiet, das von dem Beben be- troffen wird, muß also die Luft in die Hohe ge- schleudert werden; und ganz besonders muß das im Epizentrum der Fall sein. Indem die Lutt hier besonders stark in die Höhe geschleudert wird, erleidet sie plötzlich eine entsprechend starke Verdünnung. Damit geht aber eine plötzliche Temperaturerniedrigung Hand in Hand, wenn nun zufällig in höheren Luftschichten viel Wasser- dampf vorhanden ist, so wird dieser sich schnell kondensieren. So läßt es sich erklären, daß der vor dem Beben klare Himmel sich nach dem- selben bisweilen schnell mit Wolken überzieht, aus denen Regen bzw. Hagel herniederfallt." _ Man steht dieser Erklärung vielfach skeptisch gegenüber, weil man bezweifelt, daß die Luft so hoch emporgeschleudert wird, um die angegebetien Folgen eintreten lassen zu können. Es wird aber zugegeben, daß die heftige Bewegung eines größeren Erdrindenstückes der Luft sich mitteilt und sich dann als ein Windstoß, als ein Rauschen oder Sausen u. dgl. äußert.') . Sieberg will nur für Erdbeben mit gleich- 1) Sieberg, Handbuch der Erdbebenkunde, Braunschweig 1904, p. 124. 9IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 57 zeitigen Vulkanausbrüchen Gewitter als Folge- erscheinung der starken, senkrecht aufwärts ge- richteten Luftströmungen zugeben; im übrigen glaubt er als erwiesen ansehen zu dürfen, „daß die Frdbeben die örtliche Witterung nicht beeinflussen" Die chilenischen Erdbeben, welche Regen im Ge- folge hatten, waren tatsächlich mehr oder minder von vulkanischen Ereignissen begleitet. Anderer- seits muß jedoch auch betont werden, daß Erd- beben mit gleichzeitigen heftigen Eruptionen nicht die angegebene Folge hatten. Speziell im Hinblick auf Südamerika will Sie- berg ) noch einen anderen Zusammenhang zwischen Erdbeben und Regen erkennen. Als Resultat der bisherigen Erdbebenforschungen glaubt er annehmen zu können, daß „Luftdruckschwankungen, bzw der barometrische Gradient den Eintritt von Dis- lokationsbeben zu fördern vermögen". Soll sich nun nach einer längeren Trockenperiode, die nur durch hohen und gleichmäßig verteilten Luftdruck bedingt wird, Dauerregen einstellen, „so muß ein barometrisches Tiefdruckgebiet, welches stets von mehr oder minder steilen Gradienten begleitet ist wenigstens die Nachbarschaft des betreffenden Ortes berühren, und die dadurch schon aus der f^erne bedingte Bodenunruhe findet in einem so erdbebenreichen Lande wie Südamerika fast immer genug Spannungen vor, zu deren Auslösung sie beitragen kann". Sowohl Erdbeben als Regen- gusse wären also eine Folge von Luftdruckschwan- kurigen. _Es ist zu hoffen, daß der internationale, mit größter Sorgfalt durchgeführte Erdbebenbeobach- tungsdienst im Zusammengang mit den meteoro- logischen Beobachtungen bald^eine völlig befriedi- gende Beantwortung der obschwebenden Frage ermöglichen wird. Dr. Fr. Goll, München. ') A. a. O. p. 126. Einflufs des elektrischen Feldes auf aus- knstallisierende wäfsrige Salzlösungen. — Die Erwägung, daß sich die Hauptvorgänge der elek- trischen Energie nach Maxwell's Theorie im Di- elektrikum abspielen, ließ die Frage entstehen ob dieses elektrische Feld auf eine kristallisierende wassnge Salzlösung irgend welche Einflüsse aus- üben werde. Diesbezügliche Versuche wurden mit einer FeSO, -Lösung angestellt. Nach einigen Miß- ertolgen zeigte sich folgende Versuchsanordnuncr zweckentsprechend. In ein 130 mm hohes Glas- gefaß von 60 mm Durchmesser wurde ein U-förmicr gebogener, isolierter Kupferdraht eingehänat der im Halse des Gefäßes durch ein entsprechend geschnittenes Korkstück gehalten wurde. Die beiden Leiterenden wurden mit den Polen zweier Fleischer- demente verbunden. Parallel zu den Schenkeln des U-formigen Leiters waren zwischen diesen drei Faden ausgespannt, die unten durch die Ouer- seite des Leiterstückes und oben durch ein~ent- sprechend angebrachtes Querstück gehalten wurden Nun wurde das Gefäß bis zu 90 mm Höhe mit einer warmen (30« C) 15% FeSO.-Lösung (1017,36 ccm) gefüllt, und der Strom geschlossen. Nach 2i,5>>= wurde der Versuch unterbrochen und fol- gendes beobachtet. Am Boden des Gefäßes, so- wie am U-förmigen Leiterelemente hatten 'sich große, sehr schön ausgebildete Kristalle angesetzt, wahrend die Fäden vollständig von ihnen frei waren' Die Wägung der Kristahe ergab folgende Werte: Kristalle am Boden 13,0 g, am Leiter 9,1 g, zu- sammen 22,1 g, also 15,75% des gelösten Fe'sO,. Die Kristalle hatten sich mit 58,82% auf den Boden und mit 41,18% auf den Leiter verteilt. Nun wurde der Versuch unter analogen Verhält- nissen, jedoch ohne Stromdurchgang, wiederholt. Nach 23 stündiger Versuchsdauer war keine be- merkenswerte Kristallbildung eingetreten. Erst nach weiteren 23 Stunden konnten folgende Tat- sachen konstatiert werden: Kristalle am Leiter 3,5 g, an den Fäden 2,7 g, am Boden 7,^ g, zu- sammen 13,9 g, also 9,865% der gelösten FeSO,. Die prozentuale Verteilung war: 55,4% auf den Boden, 25,i87n auf den Leiter, 19,42% auf die Faden. Die Größe der Kristalle war bei dem zweiten Versuche eine ganzbedeutend kleinere. Setzt man die bei beiden Versuchen erhaUenen IVIengen der Kristalle in ein Verhältnis zueinander, so ergibt sich die Zahl 1,59:1, oder, wenn nur die am Leiter angesetzten Kristalle berücksichtigt werden, 2,6: i bei einer Versuchsdauer von 1:2. Mehrere angestellte Kontrollversuche ergaben im wesentlichen dasselbe Resultat. — Das elektrische Feld scheint also durch molekulare Anziehung eine beschleunigte Kristallbildung hervorzurufen, in der Weise, daß sich im Bereiche des Feldes eine starke Konzentrationssphäre bildet, die schnellere und intensivere Kristallbildung zur Folge hat. Die Versuche mit anderen Salzen sind noch nicht be- endet, es scheint jedoch, daß auch dort ähnliche Erscheinungen auftreten. Die obigen Untersuchungen stellen also eine Erweiterung der Versuche von Barus über Beschleunigung des Niederschlages suspendierter Materie bei Gegenwart des elek- trischen Stromes dar, und finden letztere dadurch eine erweiterte, befriedigende Bestätigung. hig. G. Sehenden, Stettin. Himmelserscheinungen im November 1904. Stellung der Planeten: Merkur ist unsiclitbar, Venus ist als Abendstern bis r'/j Stunden lang sichtbar, Mars kann morgens 2'l„ bis 4-7^ Stunden lang vor Beginn der Dämme- rung m der Jungfrau beobaclitet werden. Jupiter steht im Waltisch und ist noch fast die ganze Nacht hindurch sicht- bar, während sich die Sichtbarkeitsdauer des Saturn (im Stembock) bis auf 4 Stunden verringert. Verfinsterungen der Jupitertrabanten: Nov. 10 Uhr 44 .Min. 16 .Sek. M.E.Z. ab,, Austr. d. I. Tr.ab. 10 7 9 10 8 4 59 28 41 33 8 48 46 II. I. I. 1. I. Algol-Minima am 11. Nov. um 9 Uhr 3g Min. abends M.EZ., sowie am 14. Nov. um 6 Uhr 28 Min. abends. N. F. m. Nr. 57 N aturwissenschaftliche Wochenschrift. 911 Bücherbesprechungen. Dr. F. Fittica, Professor der Geschichte der Chemie an der Universität Marburg. Geschichte der Sulfitzellstoff - Fabrikation. Leipzig, S. Hirzel. 1902. — Preis i Mk. Der Verfasser beschreibt auf 47 Seiten Text im wesenthchen das von Micherlich eingeführte Verfahren der Sulfitzellstofl-Fabrikation, das der gesamten heuti- gen Papierfabrikation zugrunde liegt. Das Heft ist aber nicht allein eine Beschreibung des Verfahrens und somit von rein chemischem und technischem Interesse. In ihm werden in erster Linie auch die Begrtmdung, Anerkennung, sowie die Bestreitung und die unberechtigten Zurückverweisungen und Ein- sprüche gegen das Micherlich'sche Verfahren zur Dar- stellung gebracht. Ja, der Verfasser hätte seinem Büchlein getrost den Titel „Erfinderlos" voranstellen können. Denn er schildert zugleich in fesselnder Weise, wie sich an Micherlich's Schicksal die alte Tatsache bewahrheitet, daß oft Neuerungen, seien sie auch noch so unschuldiger Art, nicht ohne Kämpfe, geschweige denn ohne Leiden und Sorgen für den Erfinder ins Leben treten und sich zur Anerkennung endlich durchringen. Hatte doch Micherlich nicht allein mit den Käufern seines Verfahrens die alier- traurigsten Erfahrungen zu machen und gegen sie nicht weniger als dreißig Prozesse durchzufechten, sondern auch von selten der Behörden wurden ihm die denkbar größten Hindernisse in den Weg gelegt. So ist denn die Schrift zugleich ein lehrreicher Beitrag zur Geschichte der Erfindungen und selbst für jeden der Sache noch so Fernstehenden mit Interesse zu lesen. Dr. R. Loebe. i) A. Hausding, Ingenieur, Geheim. Regierungsrat, Handbuch der Torfgewinnung und Torf- verwertung mit besonderer Berücksichtigung der erforderlichen Maschinen und Geräte nebst deren Anlage- und Betriebskosten. Zweite, wesent- lich erweiterte Auflage. Mit 151 Abbildungen. Berlin, Verlagsbuchhandlung Paul Parey (Verlag für Landwirtschaft, Gartenbau und Forstwesen) 1904. — Preis geb. i5 Mk. 2) Dr. Georg Thenius, Die technische Ver- wertung des Torfes und seiner Destil- lation sprodukte. (Chemisch technische Biblio- thek. Band 280.) Mit 78 Abbildungen. A. Hart- leben's Verlag. Wien und Leipzig. — Preis 6, So Mk. Der Wert beider Bücher liegt zwar auf selten der Praxis, allein derjenige, der sich rein wissenschaftüch mit der Moorkunde beschäftigt, wird doch zweck- dienlich auch von der technischen Seite des Gegen- standes Notiz nehmen, die ihm auch für seine ge- lehrten Studien hier und da Winke zu geben im Stande ist. Wer sich zunächst elementar über die Naturgeschichte, die Genesis der Moorbildungen orien- tieren will, wird andere Bücher heranziehen müssen. Man beginnt neuerdings wieder mehr auf die technische Verwertung des Torfes zu achten, und Be- sitzer, die ihre Torfländereien nur untergeordnet oder kaum im Wirtschaftsbetrieb hatten, suchen jetzt Er- fahrungen zu sammeln, um ihren Besitz möglichst nutzbringend zu verwerten. Das Erscheinen der 2. Auflage des Hau s din g' sehen Buches beweist dieses rege Interesse an dem Gegenstande. Bei der vorliegenden Neubearbeitung hat sich Verf. nicht auf die bloße Beschreibung der verschie- denen Verfahren, Maschinen und Einrichtungen be- schränkt, sondern damit in der Regel unter Hinweis auf ihre einzelnen Vorzüge und Nachteile eine sach- liche Würdigung der betreffenden Eigenart verbunden. Hierdurch soll dem Rat oder Belehrung suchenden Leser ermöglicht werden, die fraglichen Vorrichtungen je nach den verschiedenen Erfordernissen sachgemäß zu bewerten und eine falsche Auswahl oder nutzlose Versuche zu vermeiden. Die Entwicklung des Torfwesens sowie die dabei gesammelten Erfahrungen machten teils eine voll- ständige Neubearbeitung, teils eine wesentliche Er- weiterung des früheren Werkes . erforderlich. Die Abschnitte über die Gewinnung und Verwertung von Torfstreu und Torfmull sind neu aufgenommen wor- den. Am Schlüsse jedes Teiles ist in „Merksätzen" kurz auf dasjenige hingewiesen worden, was bei dem heutigen Stande der Torfwirtschaft als grundsätzlich maßgebend oder mindestens beachtenswert anzusehen ist. Das Buch von Thenius ist weniger umfangreich. Es beschäftigt sich neben dem rein Technischen noch besonders mit Betriebsplänen und Rentabilitätsberech- nungen und bietet eine Übersicht über die deutschen Torfmoore und diejenigen Österreich-Ungarns, sowie ganz kurz derjenigen anderer europäischer Staaten (nicht Skandinaviens) etc. Dr. Wilhelm Borchers, Geheimer Regierungsrat, Professor für Metallhüttenkunde und Elektro- metallurgie. Das neue Institut für Metall- hüttenwesen und Elektrometallurgie an der Königlichen Technischen Hoch- schule zu Aachen. Abschnitt: Elektrische Meßinstrumente, bearbeitet von Dr. H. Danncel, Privatdozent für Physikalische Chemie. Halle a. S., Wilhelm Knapp. 1903. — Preis 6 Mk. Im ersten Teile bringt das vorliegende Heft unter dem Kapitel „Entstehungsgeschichte" zugleich eine Reihe wert- voller Versuchsergebnisse aus dem .A-achener Laborato- rium, wie „Erzeugung höherer Temperaturen mittels sauerstoffreicher Gasgemische", „Umwandlung amorphen Kohlenstoffs in Graphit", „Elektrolyse von Zink- lösungen unter Gewinnung von Nebenprodukten", „Verwertung des elektrolytisch gewonnenen Bleisuper- öxydes", „Verarbeitung kupfer- und nickelhaltiger Erze und Hüttenprodukte". Der Verf gibt eine „Übersicht über den modernen amerikanischen Nickelraffinationsprozeß", „Verwertung bisher schwer oder nicht verhüttbarer Zinkerze, zinkhaUiger Zwischenerzeugnisse und Ab- fälle", „Die elektrolytische Gewinnung der Alkali- metalle aus ihren geschmolzenen Chloriden", „Ge- winnung des Calciums", „Elektrolytische Abscheidung des Strontiums", „Gewinnung der Ceritmetalle", „Laugerei sulfidischer Kupfererze mit Ferrisulfat", und „Verarbeitung von Titaneisen". Der zweite Teil ist der Schilderung des Gebäudes und der inneren 912 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 57 Einrichtungen des neuen Institutes für Metallhütten- 7 Taf. und zahlr. Textabb., Neudamm 1897 Prei. geb 7=oMk wesen und Elektrometallurgie gewidmet, wobei auch '•"■'^° Wünschen am meisten entsprechen. Speziell für Vögei die verwendeten Apparate, Instrumente und Öfen ein- ^%^ ..■'^- Reich enow, Die Vögel der zoologischen Gärten, gehend an der Hand trefflicher Zeichnungen und zu n'ennen r'^"-^" f' ^''P''^.'^^/^^4, Preis 18 Mk. Abbildungen beschrieben werden. D.e vorlegende ^"Z^.^^^O-;::'--^^^'^^^^'^::;;:^: Schrift des auf elektrometallurgischem Gebiete so be- gegeben würde, welche im Garten vertreten sind womöglich kannten Verfassers ist anschaulich geschrieben, lehr- "'^'■'^ '"'"■'""■''■'" ->:- =.•..«-.:-.- . . .' - s reich, und dürfte besonders auch da mit Erfolg zurate gezogen werden, wo es sich um Neueinrichtung eines dem beschriebenen ähnlichen Instituts handelt. R. Lb. nach Merkmalen, die äußerlich mehr oder weniger crkennbai sind. Dringend erwünscht ist auch eine Unterscheidung von Arten, wenn sich mehrere in demselben Käfig befinden. Dafür konnte alles, was auf den Schikiern steht, im Führer fehlen. Die Schilder könnten übrigens, ebenso wie in den neueren zoologischen Sammlungen, manche kurze interessante Be- merkung über die Lebensweise und Verbreitung der Tiere enthalten. Dahl. Literatur. Deckeit, Dr. Emil: Nordamerika. 2., gänzlich umgearb. u. erneuerte Aufl. Mit 130 Abbildgn. im Text, 12 Karten u. 21 Taf. in Holzschn., Ätzg. u. Farbendr. v. Rud. Gronau, Ernst Heyn, Osk. Schulz, Olof Winkler usw. (Allgemeine Länderkunde. Hrsg. v. Prof. Dr. Wilh. Sievers.) 12-14 (Schluß-)Heft. (.\1I u. S. 465—608.) Lex. 8». Leipzig '04, Bibliograph. Institut. — Je i Mk. (Vollständig: Geb. in Halbldr. 16 Mk.) Briefkasten. Herrn A. in Hamburg. — Frage I : Gibt es kurze aber doch brauchbare illustrierte Bücher zum Bestimmen der Schmetterlinge und Käfer für Anfänger? — In Nr. 46 auf S. 736 sind Bücher zum Bestimmen der Schmetter- linge und Käfer für Anfänger genannt. Sind Ihnen diese zu umfangreich und teuer, so genügen für den ersten Anfang vielleicht auch H. Rockstroh, Buch der Schmetter- linge und Raupen, 7. Aufl. von E. L. Taschenberg, 135 S. 8» mit 231 Abb. auf 16 Taf, Halle a. S. 1902, Preis eeb Systematische Übersichten der Pflanzenwelt, wie War- mings Handbuch der systematischen Botanik, oder Wettstein's Buch gleichen Namens, sind nicht recht geeignet für das Studium der gerade in einem bestimmten botanischen Garten vorhandenen Arten. Es sind aber so viele der wichtigsten Pflanzen in allen botanischen Gärten vorhanden, daß diese Bucher immerhin als „Führer" Nutzen stiften werden Für den weit Vorgeschrittenen ist Engler's Syllabus d. System. Bot zu empfehlen. p Herrn O. J. in Luckau und H. H. in Halle a. S. — Da A. Karsch, Die Insektenwelt, 2. Aufl. (702 S.), Leipzig 1883 Preis (bei Friedländer & Sohn) geb. 6Mk. Ihnen beim Bestim- men einheimischer Insekten so gute Dienste geleistet hat, sei es neben Schi echten dal und Wünsche, Die Insekten, Preis (bei Friedländer & Sohn) 7,50 Mk. (val Naturw Wochenschr. Nr. 46, S. 736) nachträglich genannt. Beide Bucher verfolgen denselben Zweck. Ich legte früher gelegent- lich beide meinen Schülern vor und fand, daß dieselben mit dem Buche von Schi. u. W. stets schneller und sicherer zum Ziele gelangten als mit dem Buche von K. Deshalb hatte ich das letztere hier nicht genannt. Bestimmungstabellen geben beide Bücher, auch Tabellen zum Bestimmen der Raupen Bei Schi. u. W. führen die Tabellen bis auf die Art- bei K schließen sie bei der Gattung ab. Das Auffinden der Art in 6 Mk. und G. Seh och. Praktische Anleitung zum Bestimmen artenreichen Gattungen erfordert deshalb bei K. viel Geduld, der Käfer Deutschlands und der Schweiz, 183 S. 8° mit 150 ^" ^^hl. u. W. besitzen die Tabellen eine weit übersicht- Abb. auf IG Taf, Stuttgart 1878, Preis 6,50 Mk. Die Ab- ''eliere Form als bei K., sie führen außerdem von der Ord- bildungen der Gattungsvertreter in letzterem Buche sind zwar nicht farbig aber doch recht naturgetreu. — Ein Anfänger, der schon an ein Bestimmen mittels Bestimmungstabellen voii der Botanik her gewöhnt ist, findet in W. v. Fricken, Natur- geschichte der in Deutschland einheimischen Käfer, 4. Aufl nung zunächst auf die Familie und dann erst auf die Gattung wahrend sie bei K. direkt auf die Gattung führen. Bei Schi! u. W. sind manche Bilder, z. B. die Darstellungen der FlUgel- zellen, durch Eintragung von Farben außerordentlich klar Dafür gibt K. bildliche Darstellungen einer größeren Zahl 517 S. 8» mit zahlr. Holzschn., Werl 1885, Preis 4,80 Mk'' ""^ Larven. Beide Bücher geben die deutsche Fauna sehr eine recht gute Anleitung, zumal da die Lebensweise in aus- gedehntem Maße berücksichtigt ist. Frage 2: Gibt es eine handliche Übersicht des Tierreichs, die man beim Studium in zoologischen Gärten verwenden kann? — Die zoologischen Gärten besitzen von den äußerst zahlreichen Wirbeltier-Arten, -Unterarten und -Varietäten nur eine sehr geringe Anzahl. Es sind das nicht immer die- selben Formen, sondern bald diese, bald jene, wie sie der Zufall gerade lebend in die Hände der Reisenden führt. Oft sind es seltene, ja bisweilen sogar unbeschriebene Formen. Nur verhältnismäßig wenige kehren in allen Gärten wieder. Man darf also nicht erwarten, in einem zoologischen Hand- buche alle vorhandenen Formen zu finden. Vielleicht wird L. Heck, P. Matschie etc. Das Tierreich Bd. 2, Wirbel- tiere (Hausschatz des Wissens Bd. 9) 1390 S. 8» mit I Karte, Inhalt: H. Filipp: unvollständig. Namenilich fehlen die Arten von bestimmten Gelandeformen, z. B. vom Meeresstraude, fast gänzlich und ebenso fehlen von kleineren Formen oft die allergemeinsten. Ich könnte da Hunderte von Beispielen nennen. Nur die verbreiteten auffallenderen Arten sind einigermaßen vollständig aufgenommen. Natürlich soll in diesen Bemerkungen meiner- seits kein Tadel liegen. Ein Werk, das alle bekannten deut- schen Arten aufnehmen würde, würde viel zu umfangreich sein und könnte von den meisten Anfängern nicht angeschafft werden. Die Zahl der berücksichtigten Arten ist bei K. etwas großer als bei Seh. u. W., dafür ist die Beschreibung weni-^er ausführlich, so daß beide Bücher fast genau dieselbe Seiten- zahl besitzen. — Die meisten Schmetterlinge wird der Anfänger weder nach dem einen noch nach dem andern Buche bestim- men können. Hier vor allem kann der Anfänger Abbildungen nicht entbehren. j;)_.,i,] Riicl-ann., ,i;/ c;, u, M . P^anzen das Sonnenlicht dienstbar machen. - Kleinere Mitteilungen: A. Abel- Ru.kgang der Sterblichkeit in den letzten fünfzig Jahren. - Lo Bianco: Pelagische Tiefseefischfrei der Maia" in de Umgebung von Capri. - Dr. Fr, Goll: Können Erdbeben Regen erzeugen ?°_ In. G S he, dell- Flnfluß Bücherhe^n H " ' n -^•^t'^^'-^-nde wäßrige Salzlösungen. ^ Himmels'erscheinungen im Nov mbe i90 - Bucherbesprechungen: Dr F. Fittica: Geschichte der Sulfitzellstoff-Fabrikation. - n A, Ha usd i 1 Handbuch n"Ji° !!!'.'°°:;.",^..""'^ To^f^'^/.r.^'-?- -) Dr. GeorgThenius: Die technische Verwrtung des Torffs' und seine Deslillationsprodukte an der Königlichen Technischen Hochule zu Aachen. - Literatur: Liste. - Briefkasten Dr. Wilhelm Borchers: Das neue Institut für Metallhüttenwes~en und Elektrometallurgie Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonii, Grofs-LichterfeUle-West b Berlin Onick von L.ppert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Einschlierslich der Zeitschrift „DlC NatUf" (Halle a. S.) seit x. April 190.. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde m Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. F. Koerber Neue Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 6. November 1904. Nr. 58. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene PctUze.le 50 Pfg. B'=> 8,^°?"«" Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahnie durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Bluraenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Die Jahresringbildung bei den Araucaritenstämmen in Beziehung auf ihr geologisches Alter. r ^. , , . „ , Von Walter [Nachdruck verboten,] Unter dem Sammelnamen der „Araucariten- stämme" fasse ich liier alle diejenigen fossilen, echt versteinerten Hölzer zusammen, die anatomisch mehr oder weniger genau den Bau des Holzes unserer rezenten Araucarieen besitzen (Spezies Araucaria und Dammarä). Die letztgenannten Koniferen sind in der heutigen Pflanzenwelt die einzigen Holzgewächse, die diesen gleich näher zu charakterisierenden Holzbau haben, während in früheren geologischen Epochen eine große Anzahl anderer Holzgewächse, als Calamiten, Cordaiten, Walchien- und Ulmannienbäume und wohl noch andere einen gleich oder ähnlich konstruierten Holzkörper aufwiesen. Der Umstand, daß solche Hölzer in allen Formationen — seit dem Devon bis in die Jetztzeit — vorkommen, läßt sie für eine vergleichende Untersuchung über Verände- rungen, die sie seitdem erlitten haben, trefflich geeignet erscheinen; für uns kommt es hier zwar speziell nur auf die Verhältnisse der Jahresring- bildung an, gleichwohl mögen der Vollständigkeit halber die anatomischen Eigentümlichkeiten dieser Hölzer kurz erläutert werden. Gothan. Wie alle Koniferen, so besitzen auch die Arau- carieen auf den Radialwänden der Hydrostereiden des Holzkörpers behöfte Tüpfel, welche jedoch von denen aller anderen Gymnospermen abgesehen von ihrer Kleinheit (ca. 10 /( vertikale Höhe) dadurch sogleich zu unterscheiden sind, daß sie infolge gedrängter Stellung sich gegenseitig abplatten; wenn sie in einer Reihe stehen, so erfolgt die Ab- plattung oben und unten, stehen sie in mehreren Reihen, so kommt hexagonale Abplattung zustande, die durch die Alternanz der Hoftüpfel (Ouincuncial- stellung) entsteht, welche unter den lebenden Gym- nospermen lediglich den Araucarieen eigen ist; bei anderen Koniferen stehen mehrreihige luptel stets gleich hoch (sind opponiert). (Vgl. Hgg. I u ^, welche das Gesagte sogleich verständlich machen werden.) Von diesem Bau zeigen nun zwar die fossilen Auraucariten z. T. sehr erhebliche Abweichungen , allen gemeinsam ist jedoch d 1 e Alternanz der Hoftüpfel und ihre ge- drängte, zur gegenseitigen Abplattung führende Anordnung. Betreffs der Nomenklatur dieser Holzer sei er- 914 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 58 wähnt, daß unser Name „Araucaritenstämme" von dem Göppert 'sehen Araucarites hergenommen ist; bekannter ist vielleicht der von Kraus (5) P- 370 gegebene Araucarioxylon. Die übrigen © © Fig. 1 . Hydrostereide Fig. 2. einer Araucariee Abielacee Vergr. ca. 230 fach. Synonyma der komplizierten Nomenklatur {Dado- .T//ö« Endlicher (i ) sei noch genannt, unter welchem Namen aus Prioritätsgründen diese Hölzer von Rechts wegen zu gehen haben) interessieren hier nicht weiter. Aus den verschiedenen Formationen sind eine Unzahl von „Spezies" beschrieben worden (über 100), deren spezifischer Wert bei dem relativ so außerordentlich gleichförmigen Bau aller dieser Hölzer zum großen Teil sehr minimal ist. — Wenden wir uns nunmehr unserer eigentlichen Aufgabe zu. Jedem, der sich mit dem Studium der Araucaritenhölzer, überhaupt fossiler Hölzer beschäftigt hat, muß es aufgefallen sein, daß bei den Exemplaren aus den älteren Formationen die Jahresringe — schlechthin gesagt — fehlen. Zwar findet man in den Diagnosen der Autoren oft genug „ligni strata concentrica distincta" angegeben, diese entpuppen sich aber bei näherer Untersuchung (wo eine solche nach den oft sehr mangelhaften Angaben möglich ist) fast durchweg als „Pseudo- Jahresringe". Auf diese Verhältnisse ist zwar schon von verschiedenen Seiten, so von Solms (8) p. 199, Potonie (6) pp. 267, 293 hingewiesen, ohne daß jedoch, wie es scheint, die Bemerkungen dieser Forscher in wünschenswerter Weise durchgedrungen wären. Um überhaupt die Diagnose „Jahresringe vor- handen resp. fehlend" stellen zu können, ist vor allen Dingen eine strikte Definierung des Begriftes „Jahresring" notwendig. Leider haben hierüber — und es ist zum Teil noch so — recht unklare Begriffe geherrscht, wodurch die teilweise so un- zuveriässigen Angaben der Autoren entstanden sind. „Jahresringe" nennen wir bekanntlich die kon- zentrischen, auf dem Querschnitt eines Holzes sichtbaren, periodischen Zuwachsschichten, wel- che dadurch zustande kommen, daß die im Frühjahr, zur Zeit des intensivsten Wachs- tums, vom Kambium gebildeten Holzzellen dünn- wandig und weitlumig, die im Sommer (bis August) gebildeten dagegen dickwandig und englumig radial zusammengedrückt sind (siehe Fig. 3). Das op- tische Resultat des Absetzens der englumigdick- wandigen Spätzellen gegen die weitlumig-dünn- wandigen des nächsten F"rühjahrs sind oft schon mit bloßem Auge erkennbare konzentrische Ringe, eben die „Jahresringe". Es kommt nun bei lebenden, viel häufiger aber bei fossilen Hölzern vor, daß man mit bloßem Auge „Jahresringe", d. h. konzentrische Zonen sieht, während man unter dem Mikroskop von einer Jahresringbildung (Absetzen der Spät- gegen die Frühjahrszellen) keine Spur wahrnimmt; man ist also durch ein optisch verschiedenes Verhalten der Zellmembranen getäuscht worden. Ob dies nun — wie vielfach — von einer bloßen Färbung ') oder von sonstigen optischen Eigenschaften der Zellmembran herrührt, ist zunächst ganz gleich- gültig; es fehlt jedenfalls das, was als das Charakte- ristikum der echten Jahresringe anzusehen ist: das Absetzen der englum ig- dickwan- digen Spätzellen gegen die weitlumig- dünnwandigen Frühjahrszellen. Bei fossilen Hölzern ist eine — wohl meist durch Infiltration entstandene — konzentrische Zonenfärbung etwas ganz Gewöhnliches; bei diesen kommen aber noch andere „Pseudojahresringbil- dungen" vor, die bei oberflächlicher Betrachtung täuschend echten Jahresringen ähneln. Bei der Er- weichung der Zellmembranen im Verlaufe des Ver- wesungsprozesses kommt es vor, daß durch seit- lichen Druck die Zellwände große Strecken weit zusammengeschoben werden (siehe Fig. 3), wo- durch eine Verengung des Lumens und daher makroskopisch dunklere Färbung der betroffenen tfrm- F, Fig. F dünnwandige F"rülilingsze]len, K, zusammengeschobene Frühlingszellcn mit z. T. gequollenen Wänden, S Spätzellen mit verdickten Wänden, m Markstrahl. (Z. T. nach Cramer). Schichten hervorgerufen wird. iVIan kann Hölzer sehen , bei denen — zumal bei schichtweiser Wiederholung desselben Vorganges — die Lupe die Täuschung noch nicht beseitigen kann, während das Mikroskop, das nach dem Vorhergehenden allein Aufschluß über das Vorhandensein echter Jahresringbildung zu geben vermag, sogleich die Druckerscheinungen erkennen läßt. Öfters sind auch streckenweise die Zellmembranen stark ge- quollen, was ebenfalls das bloße Auge konzentrische Schichten sehen läßt, und so gibt es noch manche teils ganz zufällige, teils im optischen Verhalten ') So ist es z. B. bei einem mir vorliegenden Querschnitt einer Dammara (Agathis) ausiralis. N. F. III. Nr. 58 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 915 der Versteinerungsmasse begründete Verhältnisse, die eine Jahresringbildung vortäuschen können. Es ist bereits vorhin auf die Jahresringlosigkeit der fossilen Araucaritenhölzer aus den älteren Formationen hingewiesen. Um nun die Frage nach der Ursache davon beantworten zu können, müssen wir uns klarmachen, durch welche Ver- hältnisse eine Jahresringbildung überhaupt zustande kommt. Nach allem, was wir bislang über diesen Gegenstand wissen, können wir diese Frage kurz dahin beantworten: Eine Jahresringbildung, d. h. also die abwechs el ndeBildungweit- 1 umig- dünn wandiger und englumig-dick- wandiger Holzzellen wird durchgewalt- same zeitweise Sistierung oder Ab- schwächung der Tätigkeit des Kam- biums hervorgerufen. Bei längerer, voll- ständiger Sistierung der kambialen Tätigkeit treten die Jahresringe scharf hervor, bei bloß vorüber- gehender Schwächung wird man eine um so weniger ausgesprochene Ringbildung — in allen Abstufungen bis zum Nichtvorhandensein — wahr- nehmen, je weniger die kambiale Tätigkeit ge- stört war. Die Umstände nun, die eme solche Wachs- tumssistierung verursachen, können sehr verschie- dener Natur sein. Gewöhnlich sind es klimatische Bedingungen; da in unseren Breiten Jahr für Jahr mit dem Wechsel der Jahreszeiten eine Temperatur- erniedrigung eintritt, die ein Wachstum des Holzes unmöglfch macht, so sind die Bäume gezwungen, jedes Jahr die den Schluß der Kambiumtätigkeit dokumentierenden Spätzellen zu bilden, und so kommt eben Jahr für Jahr ein gegen den früheren und folgenden deutlich abgesetzter Holzring zu- wege. Man wird also umgekehrt mit Recht von dem Vorhandensein regelmäßig abgesetzter Zuwachsschichten auf ein periodisch verschie- denes Klima (meist verschieden hohe Temperatur) zu verschiedenen Jahreszeiten schließen können. Es gibt aber noch andere Bedingungen, die das Kambium zur zeitweisen Einstellung seiner Tätigkeit oder doch zu einer Verringerung der- selben nötigen. Es ist dies z. B. anhaltender Wassermangel, bei dem natürlich das Wachstum eine Schwächung erleiden muß; man hat denn auch z. B. am Senegal u. a. O. die Bildung charak- teristisch englumig-dickwandiger Zellen bei längerer Dürre beobachtet ; die hierdurch entstehenden Zonen sind natürlich nicht als „Jahresringe" zu bezeichnen und auch von der echten Jahresringbildung durch ihr unregelmäßiges und eventuell innerhalb der echten Jahreszonen fallendes Auftreten genügend zu unterscheiden. Gewaltsame Entlaubung (z. B. durch Raupen- fraß) bringt ebenfalls eine vorübergehende Ab- scheidung von Spätzellen mit sich, die so lange andauert,') bis die neuen Blätter aus den Knospen ') Die Ursache des verminderten Wachstums ist in diesem Fall in dem Fehlen der assimilierenden Organe, der Blätter, zu suchen, wodurch der ganze Stoffaustausch im Baume naturgemäß eine durchgreifende Störung erleiden muß. Mit hervorbrechen. Diese „Jahresringe" sind auch bei fossilen Hölzern von Conwentz (i) p. 139 be- kannt gemacht worden und zwar an Bernstein- hölzern, was sehr glaubhaft erscheint, da ja der Bernsteinwald mangels jeden forstlichen Schutzes den Feinden der Bäume besonders ausgesetzt war. Diese Art der Zonenbildung ist bei genauer Unter- suchung ebenfalls stets von den echten Jahres- zonen zu unterscheiden, wie ja schon aus dieser Auffindung hervorgeht, zumal die englumigen Zellen meist nicht über den ganzen Holzumkreis gleich- mäßig verfolgt werden können. Wenn wir von der durch zufällige, außerge- wöhnliche, jedenfalls nicht periodisch ein- tretende Verhältnisse hervorgerufenen Zonenbildung absehen, müssen wir als die Ursache der echten periodischen Jahresringbildung klimatische Unter- schiede in den verschiedenen Jahreszeiten bezeich- nen; man kann sich eben schlecht andere Um- stände vorstellen, durch welche eine Periodizität in der Verminderung resp. Sistierung der Kam- biumfunktion stattfinden oder stattgefunden haben könnte, wenn man nicht den Weg des Analogie- schlusses von jetzigen auf frühere Verhältnisse verlassen will. Es braucht kaum noch hervor- gehoben zu werden, daß die eben erläuterten zu- fälligen, anomalen Zonenbildungen der Periodizität ermangeln, also höchstens „Jahresringe" von sehr verschiedener Weite und ganz unregelmäßigem Auftreten erzeugen können. Wir sehen, daß die Jahresringbildung ein ge- treues Bild geben muß von der Gleich mäß^igkeit oder periodischen Ungleichmäßigkeit des Klimas der Epochen, in denen die betreffenden Bäume wuchsen. Daß dies in der Tat so ist, ersehen wir auch aus dem Verhalten der tropischen Holz- gewächse, welche — bei der mehr oder minder großen Temperaturgleichheit während des ganzen Jahres — die regelmäßige Jahresringbildung der Bäume unserer Breiten durchaus vermissen lassen, und gerade von den rezenten Araucarien, welche solche Klimata bevorzugen, ist dies zur Genüge bekannt: Bei ihnen sieht man zwar mit bloßem Auge oft konzentrische Zonen, unter dem — allein maßgebenden — Mikroskop ist jedoch von Jahresringen oft keine Spur aufzufinden. Dies Ver- halten hatte früher sogar Schacht (7) p. 413 dazu verleitet, für Araucaria brasilicnsis, wenigstens das Stammholz, die Jahresringlosigkeit als Charak- teristikum anzunehmen; daß dies nicht statthaft ist, erhellt von selbst. Man nimmt nun bekanntlich an, daß im all- gemeinen in den älteren geologischen Formationen Tungefähr bis zur Trias inkl.) auf der Erde das ganze Jahr hindurch ein gleichmäßiges Klima ge- herrscht habe, das ein ununterbrochenes Wachs- tum der Holzgewächse usw. ermöglichte. Man braucht nicht eine „tropische Hitze" für diese Zeiten anzunehmen; das Schwergewicht liegt für dem Wiedererscheinen der Blätter setzt denn auch das ge- wöhnliche Wachstum wieder ein. gi6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 58 uns in der Gleichmäßigkeit des Klimas wäh- rend des ganzen Jahres. Daß man mit dieser An- nahme nicht fehlgegangen ist, zeigt uns nun die Jahresringlosigkeit der Hölzer aus diesen For- mationen zur Evidenz; in diesen Epochen stellen die Hölzer vom Araucaritenbau das größte Kon- tingent ; erst seit der Trias (häufig erst im Jura) kommen andere Koniferenhölzer vom heutigen Cupressaceen- und Abietaceentypus hinzu.') Für unsere Betrachtungen können wir dieselben zu- nächst außer acht lassen, da wir schon an unseren Araucaritenstämmen, die in allen Formationen vor- kommen, das Erforderliche ersehen können. Ausgesprochen erst in der Juraformation treten Araucaritenstämme mit unzweifelhaft echter Jahres- ringbildung auf; ein Holz — angeblich aus dem Keuper — in der Sammlung der Geologischen Landesanstalt hat zwar, wie es scheint, schon Jahresringe; jedoch lassen diese durch ihre sehr verschiedene Breite auf eine unregelmäßige Periodizität des Wachstums schließen. Da der ganze Holzquerschnitt nicht vorliegt, so vermag man nicht festzustellen, ob dieselben den ganzen Holzumkreis einnehmen; vielleicht verdanken sie auch den erwähnten Anomalien ihre Entstehung. Überhaupt beweist ja ein einzelnes Holz nichts; man muß schon möglichst eine Anzahl derselben von demselben Fundort prüfen, um ein Urteil fällen zu können. Aus dem Jura und der nächst höheren Formation, der Kreide, kennen wir noch Funde aus unseren Breiten, aus letzterer Formation jedoch bereits spärlicher; ein tertiärer Fund eines Araucariten ist aus Deutschland nicht bekannt, ein Zeichen, daß — wie auch die Beobachtungen an den übrigen Tertiärhölzern zeigen — bei uns schon ein relativ kälteres (besser: periodisiertes) Klima herrschte, das die Araucariten — welche in dieser Formation wohl ausschließlich echten Araucarieen (welche seit dem Jura vorkommen) angehört haben — zu einem Rückzug in die tropischen Regionen der Erde bewogen hatte. Die Tatsache, daß man erst seit dem Jura Jahresringe bei den Hölzern findet, steht auch vor- züglich im Einklang mit den von den Geologen im Jura zuerst deutlich konstatierten „Klimazonen"; es ist klar, daß, wenn diese wirklich den Beginn einer klimatischen Differenzierung der Erdober- fläche bedeuten, dies erst recht an dem Wachstum des Holzkörpers der Holzgewächse zum Ausdruck kommen mußte. Nach dem allem ist klar, daß nun auch aus dem Vorhandensein echter Jahresringe ein Schluß auf das geologische Alter unserer Hölzer gemacht Vi'erden darf, wenn auch in sehr weiten Grenzen, aber bislang gewährt die anatomische Struktur an sich fast gar keinen Anhalt für eine Altersbestim- mung,') so daß man z. B. bei Geschiebehölzern ganz im Dunkeln tappt. Bei anderen Koniferen- hölzern sind — wegen ihres an sich jüngeren Alters — die Grenzen von selbst schon enger ge- zogen, bei den Araucariten, die wir seit dem Devon kennen, liegt die Sache ganz anders, zumal bereits im Karbon Hölzer vorkommen, die mit unserem rezenten Araucaritenholz frappante Ähnlichkeit haben. Natürlich kann man nun andererseits aus der Jahresringlosigkeit (siehe oben) eines Holzes nicht ohne weiteres auf vorjurassisches Alter schließen, denn, wie schon gesagt, sind auch die rezenten, tropische Gegenden bewohnenden Bäume mit diesem Holzbau jahrringlos ; unter vorsichtiger Be- rücksichtigung des Fundortes wird auch hier noch mancher Anhalt zu gewinnen sein, im allgemeinen wird jedoch ein Schluß in dieser Richtung immer etwas Gewagtes an sich tragen. An einem Beispiel mag noch gezeigt werden, wie in der Tat unsere Betrachtungen bereits in der Praxis bestätigt worden sind. Aus Sibirien (vom rechten Ufer des Jenessei im Altaigebirge) wurde von G ö p- pert (4) p. 389 ein Araucaritenstamm beschrie- ben {AraucariUs Tchi/iakhe/ßiuins), den er dem Unterkarbon zuwies ; nun besitzt aber dieser Stamm, wie sich jeder an den von Göppert im „Arbo- retum fossile" veröffentlichten Schliffen überzeugen kann, echte Jahresringe. Mithin wird nach unseren Ausführungen der Stamm wahrscheinlich nicht älter als jurassisch sein, und dies hat sich denn auch aus anderen dort aufgefundenen Versteinerun- gen *) als richtig erwiesen : der Stamm ist jurassisch. Aus gleichen Gründen kann man sich mit der Angabe von Felix (3) p. 81, der einen Araucariten mit — nach seiner Angabe — echten Jahresringen [Dadoxylon angustiim aus Australien) dem Kulm zurechnet, nicht einverstanden erklären. — In neuerer Zeit wird bekanntlich für die Perm- formation in südlichen Breiten {Glossopteris-YKLVts) das Vorhandensein einer Eiszeit in Anspruch ge- nommen; es wäre interessant, wenn in jenen Gegenden aus dieser Epoche Hölzer aufgefunden würden, dieselben müßten periodische Jahresring- bildung zeigen, da die Nähe des Eises wahrschein- lich eine unserer heutigen ähnliche Klimapcriodizi- tät erzeugt haben würde; vielleicht könnte durch ■) Aus dem Karbon des Waldenburgischen ist von Göp- pert-Stenzel (l) p. 54 ein Rest dieses Typus beschrieben, auf den ich nachher noch zurückkomme, derselbe besitzt, wie es scheint, echte Jahresringe. ') Der von Felix (Untersuch, üb. d. inneien Bau westf. Karbonpflanzen. Jahrb. der Kgl. geolog. Landesanstalt 1886. Bd. VII, 3, p. 57) gemachte, sonst sehr plausible Vorschlag, die mesozoischen, wohl echten Araucarien (seit Jura) angchörigen -Araucariten Araia-aiioxylon Kraus, die paläozoischen Dado- xylon Endl. zu benennen ist schon aus diesem Grunde nicht an- nehmbar; denn auch unter Berücksichtigung der Jahresring- verhältnisse können wir über das Alter der Hölzer nur meist beim Vorhandensein von Jahresringen etwas aussagen, nicht aber immer beim Fehlen derseltDen, da die heutigen Arau- carien noch oft jahrringlos sind, rcsp. regelmäßige Periodizität in der Jahresringbildung vermissen lassen. ") Durch Seh mal hausen (Beiträge zur Juraflora Ruß- lands 1879), dessen Horizontierung Zeil 1er (1896), der es für Perm hielt, nach Potonie (iu Futterer: Durch Asien, 1903) zu Unrecht anzweifelt. Das in Frage stehende Holz wird von keinem der Autoren ei wähnt. N. F. m. Nr. 58 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 917 das Studium solcher Hölzer noch weitere Klärung in diese Verhältnisse gebracht werden. Zum Schluß will ich nicht unterlassen, auf einen — der Angabe nach karbonischen — Stamm vom Abietaceentypus ^) einzugehen, den Conwentz auf einer Berghalde im Waldenburgischen aufge- funden hat [Pinites Coiiwentziamis Göpp.j. Dieser zeigt, wie olDen bereits bemerkt, wirkliche Jahres- ringe. Dieser Pinit nimmt sich schon an und für sich sehr sonderbar in der karbonischen Flora aus, da er die einzige Art und das einzige Exemplar eines Stammes vom abietoiden Typus ist, das wir aus dem Karbon der ganzen Welt kennen; abie- toide Hölzer im engeren Sinne (mit einfachen Markstrahlen) { Cedroxylon Kx3.\.k) werden seit dem Rhät angegeben ; Stämme mit Harzgängen in den Markstrahlen {Pityoxylon Kraus) kennen wir erst im Tertiär, wenn man von der zweifelhaften Pciice eggensis With. aus der Kreide von den Hebriden absieht; zum letzteren Typus gehört aber nach der Beschreibung Sten zel - Göp pert' s das Holz ') Außerdem findet man in der Literatur noch Pinites H'itlia?m Göpp. aus dem Karbon Englands angegeben; bei diesem felilen Jaliresringe ganz, jedocli sclieint mir nach der Abbildung von Lindley und Hutton (The fossil Flora ol Great-Britain, Vol. 1, t. 23, 24) dieser ein Araucarit zu sein; die Tüpfel alternieren ; daß sie sich nicht gegenseitig berühren, dürfte Folge des Erhaltungszustandes sein (teilweiser Schwund der Tüpfelumrandung), wie man dies auch bei anderen, z. B. Araucariles mediillosris Göpp., .•/. Khodeanus Göpp. ganz ge- wöhnlich findet. ohne Zweifel. Die Lücke vom Karbon bis zum Tertiär dürfte die Zugehörigkeit des Holzes zu ersterer Formation sehr in Frage stellen, zumal das Stück nicht unter Tage, sondern über Tage auf einer Halde gefunden worden ist. Es wird wohl kaum ausgemacht werden können, wie dieses merkwürdige Holz dorthin geraten ist ; nach allem, was wir bislang über das Vorkommen der Typen der fossilen Koniferenhölzer wissen, ist ein Pityoxylon im Karbon eine Unmöglichkeit. Seine Jahresringe können daher gegen unsere vorgängigen Betrachtungen nichts erweisen. Verzeichnis zitierter Literatur. 1) Conwentz, H., Monographie der balt. Bernsteinbäume. Danzig, 1890. 2) Endlicher, St., Synopsis Coniferarum. St. Gallen, 1847. 3) Felix, J., Studien über fossile Hölzer. Leipzig, 1882. 4) Göppert, H. R., Nachträge zur Kenntnis der paläo- zoischen Koniferenhölzer etc. Aus dem Nachlaß von Göppert bearbeitet von G. Stenzel. Abhandl. d. Königl. Preuß. Akad. d. Wissensch. Berlin, 1887. i^) Kraus, Gregor, Bois fossiles de Coniferes in Schimpcr, Traite de Paleontologie veget. T. II, p. 363-3S5. t. 79. 6) Potonie,H., Lehrbuch der Pflanzenpaläontologie. Berlin, 1899. 7) Schacht, H.. Über d. Stamm und die Wurzel von Arau- curia brasilunsis. Bot. Zeitg. 1848. Stück 48/49. 5) Snlms-Laubach, H. Graf zu, Über die in den Kalk- steinen des Kulm von Glätzisch-Frankenberg enthaltenen Struktur bietenden Pflanzenreste. 11. Bot. Zeitg. 1893. p, 197-210. (Über Protopitys Biichiana.) [Nachdruck verboten.] Im und am Wolgadelta. Von F. Rofsmäfsler. Finis coronat opus. — Zu den leider nicht seltenen Fällen, in denen sich das allbekannte Sprichwort nicht bewährt, gehört auch der Ver- lauf des größten Stromes Europas, der Wolga, des vom Russenvolke verehrten „Mütterchens". Wenn auch nicht in allen Beziehungen der ungeheuren Wichtigkeit dieser Hauptpulsader des Zarenreichs, so doch in der als majestätischer Strom und einen Riesenverkehr vermittelnde Wasserstraße ist das letzte Stadium des Wolgagebietes nicht als ein „krönendes Ende" zu bezeichnen, ebenso wie es bei dem größten Strome Ägyptens, dem Nil, und noch vielen anderen der Fall ist. Schon in der Entfernung von 300 km von ihren Mündungen in das Kaspische Meer beginnt durch Abspaltung der Achtuba, die dem linken Ufer des Mutterstroms parallel verlaufend ihren eigenen Weg nimmt, die Zersplitterung der Wolga. Unterhalb Astrachans, der alten Königsstadt eines einst mächtigen Mongolenreichs, wird dann die Zersplitterung eine vollständige. Von hier an zweigen sich von dem bei Astrachan noch über 2 km breiten Strome 8 Haupt- und gegen 200 Nebenarme ab, das Wolgadelta bildend. Diese in ihren hydrographischen und das animalische und vegetabilische Leben betreffenden \'erhältnissen höchst interessante Gegend umfaßt ein in seiner Längsachse einige siebzig und in seiner Spann- weite an der Meeresküste über lOO km messen- des Gebiet, netzartig durchzogen von schmalen und breiten Wasserarmen, zwischen denen unzählige Inseln und Inselchen, mit mächtigen Schilffeldern abwechselnd, ausgebreitet sind, deren Ufer sich teils kaum merkbar, teils nur um einige Fuß über den Wasserspiegel, zur Zeit des normalen Wasser- standes, erheben. Zu wiederholten Malen habe ich das Wolga- delta auf dem flüchtigen Dampfer in seiner ganzen Länge durchreist, oder zu Jagdpartien, Exkursionen und Besuchen der großen Fischereien im von Kalmücken bedienten Ruderboot aufgesucht, und immer habe ich von diesen Ausflügen bleibende Eindrücke des erhabenen Naturbildes heimgebracht. Nicht mehr traurige Einöde, oft fast wüstenartig, wie oberhalb Astrachans, sondern in Überfülle strotzendes Tier- und Pflanzenleben umgibt uns iin Bereiche des Wolgadeltas. Wenn auch während der Dampferfahrt von Astrachan bisBirutschi-Kossa'), an dem westlichsten 1) Nicht unbedeutender Ort, der letzte Posten russischer Kolonisation am rechton Wolgaufer in der Kalmückensteppe. 9i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. S8 und größten Arme der Wolga, das rechte Ufer fast nichts als Hügel , manchmal sogar Berge sterilen Dünensandes erblicken läßt , so wird es doch durch große, in gutem Wohlstand lebende Fischerdörfer abwechslungsreicher gestaltet, als es während der langen Reise von Zarizyn bis Astra- chan in monotoner Weise verlief Ein Blick über die Ufergegend zur Linken genügt, um die lebens- volle Pracht ahnen zu lassen , die sich in dem Labyrinth von Inseln und Wasserläufen birgt und sich schon in den Kronen hoher Silberpappeln, Erlen und auf trockneren Plätzen wachsender Eichen bemerkbar macht. Wenden wir unsere Aufmerksamkeit zuerst der Fauna des Wolgadeltas zu, so sind, wie ja durch die lokalen Bedingungen als selbstverständlich vorauszusetzen ist, die Klassen der Vögel und Fische am reichsten vertreten. Aus der Abteilung der am und auf dem Wasser lebenden Vögel warmer Gegenden fehlt wohl kaum ein Repräsentant, vom kleinen, geschäftig umherlaufenden Strandläufer bis zum stattlichen Pelikan, oder der dem Laufe der Dampfer folgen- den Möve, die mit Blitzesschnelle aus der Luft niederstößt, um mit nie versagender Sicherheit auch den kleinsten aus der Schiffsküche über Bord ge- worfenen Brocken als ersehnte Beute zu entführen. In träger Ruhe treibt der Pelikan auf dem Wasser, mit der größten Gleichgültigkeit läßt er die Dampfer bis in große Nähe an sich herankommen, bevor er seine philosophischen Betrachtungen, in denen er vertieft zu sein scheint, unterbricht und mit schwerfälligen Flügelschlägen dicht über dem Wasser hinfliegt. ') Mit großem Vergnügen habe ich auf meinen Streifereien in diesem Wasserreiche das Gebaren der Pelikane und Cormorane be- obachtet, wenn letztere eine kleine Ufereinbuchtung in dicht geschlossener Kette abschlössen und unter heftigem Flügelschlagen dem Ufer immer näher schwammen, die Fische vor sich hertreibend, aus deren erschreckter Schar die im Kesseltreiben schwimmenden Pelikane sich der leckersten Bissen bemächtigten , ohne dadurch nur im geringsten das Mißvergnügen der dienstbaren Treiber zu er- regen , für deren Notdurft auch genügend Beute übrig blieb. Aber nicht nur im unmittelbaren Bereiche des Wassers spielt sich das vielgestaltige Vogelleben ab, auch andere Vertreter dieser Tierklasse be- wohnen das Wolgadelta, dessen Innenregionen ihnen die ungestörteste Ruhe und reichlichste Nahrung bieten. Viele Raubvögel, unter denen ein weißköpfiger Fischadler der größte ist, ziehen ihre weiten Kreise in der Luft ; unzählige gefiederte ') Ein zweiter in den westeuropäischen Flüssen und Seen nur sehr selten vorkommender, das Wolgadelta jedoch in großer Menge belebender Vogel, ist der Cormoran, auch Seerabe (Graculus carbo) genannt. Der äußerst gesellige und in seinem geistigen Wesen gut entwickelte Schwimmvogel hat ein schwarz- grünes, metallisch glänzendes Gefieder, die Kehle ist weiß, die Gesichtshaut nackt, Iris grün, Schnabel und Füße schwarz. Obwohl der Cormoran durchaus kein gewandter Flieger ist, baut er doch sein Nest mit Vorliebe auf hohen Bäumen. Sänger nisten in den Bäumen und pfeifen und trillern ihre Lieder nach Herzenslust; mit seinem schönen schillernden Farbenschmuck erfreut uns der Bienenfresser und der rosa gezeichnete Wohl- täter hiesiger Gegend, der Heuschreckenvertilger, waltet seines von der Mutter Natur ihm aufge- tragenen Amtes; Schnepfen verschiedenster Art schwirren in den unüberblickbaren Schilffeldern. — Mit einem Worte eine Vielgestaltigkeit des Vogellebens, wie man sie kaum reicher denken kann ! Ihrem enormen Reichtum an Fischen hat die Wolga wohl zum größten Teil den Kosenamen „Mütterchen" (Matuschka) zu verdanken, den ihr das dankbare Volk gibt , für welches diese Fülle an Fischen, die jeden anderen Fluß übertriftt, ein wichtiges Nahrungsmittel ist und Tausenden fleißiger Menschen guten Erwerb gibt. Neben den Fischen, die in jedem anderen europäischen Flusse leben, wie Hecht, Sandart, Brachs, Karpfen, Wels usw. sind es namentlich vier Arten der Knorpelfische, welche den größten Geldwert re- präsentieren. Es sind dies Accipenscr ruthenus der Sterlet, A. stellatus die Sewrjuga, A. Gülden- städtii die Ossetrina und A. huso der Hausen. Diese vier Fischarten, deren Skelett ein knorpeliges ist, welches durch auf der schuppenlosen Haut sitzende Knochenschilder verschiedenartiger Form größere Festigkeit erlangt, haben ein besonders wohlschmeckendes Fleisch, ebenso ist ihr Rogen, der bekannte Caviar, eine Delikatesse; ihre Nah- rung ist eine tierische. Sie werden im Sommer, mit Ausnahme der gesetzlich festgestellten Schon- zeit, mit Netzen, und im Winter mit eisernen Haken gefangen, die an Stangen befestigt sind, welche durch in das Eis gehauene Löcher ein- gestellt werden. Die ungefähre Menge der jähr- lich gefangenen Störe beträgt 2 Millionen Kilo- gramm. Aus der Schwimmblase dieser Fische wird der geschätzte Fischleim, unter dem Namen „Hausenblase" bekannt, bereitet. Die feinsten Sorten dieser wertvollen Fischprodukte liefern die kleinen Störarten, für Caviar besonders der Sterlet. Von der außerordentlichen Bedeutung des Wolga- Fischfangs, dessen ergiebigstes Gebiet in den Hauptarmen des Wolgadeltas und demjenigen Teil der Meeresküste befindlich ist, in welchem sich das süße Wasser aller Wolgaarme wieder zu einer mächtigen Fläche vereinigt, deren Ufer sich dem Auge entziehen, kann nur derjenige einen der Wirklichkeit entsprechenden Begrifl" haben, der die kolossalen Transporte aller möglichen Fischwaren, im frischen, gesalzenen oder nur ge- trockneten Zustande, gesehen hat, die sich wäh- rend der ganzen Zeit des freien Wassers in Schiffen, und zur Winterszeit in langen Schlitten- zügen auf dem Eise der Wolga bewegen. Das Insektenleben ist ein artenarmes und be- schränkt sich auf wenige Schmetterlinge; Heu- schrecken, die Geißel der südlichen Wolgaländereien, kommen wohl vor, aber nicht in den Verwüstung anrichtenden Schwärmen, wie ich sie oberhalb N. F. III. Nr. 58 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 919 Astrachans zu wiederholten Malen und mit Schrek- ken sah. Dafür übernehmen die Mücken die Rolle der Quäler des Menschen, indem sie ihm sein eignes Blut abzapfen, seine Gärten und Felder verschont lassend. Diese langbeinigen, dunkel gefärbten großen Blutsauger schwirren schwarm- weise in der Luft und machen sich namentlich des Abends, wenn man sich nach der sengenden Tageshitze der Nachtkühle erfreuen möchte, in unangenehmster Weise fühlbar, so daß sogar mit Teer getränkte, kleinmaschige Netze, die man vor dem Gesicht trägt, nicht genügend Schutz bieten. Es ist dies eine dem reichen Tierleben eines großen Wassergebietes angehörige Zugabe und nicht zu vermeidende Belästigung, der man sich fügen muß, will man aus dem Nützlichen Vorteil erzielen, oder sich am Anblick des Schönen er- freuen. — Überall wo die Bodenverhältnisse dazu geeignet sind, wo sich das trockene Land um einige Fuß über das Wasser erhebt, wie dies längs der Haupt- arme und auf vielen Inseln der Fall ist, breitet sich ein schöner Baumwuchs in üppiger Fülle aus, in dessen Schatten ein dicht verflochtenes Strauch- werk herrlich gedeiht. Heckenrosen und Brom- beersträucher bilden eine oft undurchdringliche, mit spitzen Stacheln bewaffnete, dafür aber mit großen, äußerst wohlschmeckenden Beeren ge- schmückte, zum Pflücken einladende Wand. Hohe, sich im Luftzuge wiegende Gräser, vermischt mit Blumen, bedecken den Erdboden. Überall wächst, überall blüht es. — Ein ganz anderes Vegetationsbild bieten die- jenigen Stellen, an denen die Trennung von Wasser und Land keine durchgreifende ist, wo das Gebiet ein solches ist, daß das Wasser vor- herrscht, ohne jedoch einen wirklichen Sumpf zu bilden. An solchen Stellen, deren Ausbreitung im Bereiche des Wolgadeltas die vorherrschende ist, dehnen sich unabsehbare Schilffelder aus. Das acht bis zehn Fuß hohe Schilf steht bürstenartig dicht, so daß ein unvorsichtiges Eindringen in dieses Dickicht, — wie ich mir einst zuschulden kommen ließ, um einen im Fluge geschossenen Reiher nicht zu verlieren, der, wie es mir schien ganz nahe am Rande des Schilfes niedergefallen war, — eine verhängnisvolle Verirrung zur Folge haben kann. — Das außerordentlich feste, holzige Schilf wird von den in der Umgebung Astrachans lebenden Tataren als Brenn- und Baumaterial ver- wendet, selbst von mehreren ziemlich großen Ziegeleien zum Brennen der Ziegel, und doch werden noch jährlich in der Herbstzeit Hunderte von Quadratkilometern große Schilffelder ausge- brannt^ um dem Nachwuchs des nächsten Sommers Raum und Düngung zu besserer Entfaltung zu verschaffen. Wochenlang sieht man im Herbst den südlichen Horizont Astrachans während der ganzen Nacht gerötet im Widerschein der brennen- .den Schilffelder. Bis hierher haben wir unsere Betrachtungen im Wolgadelta selbst angestellt, wenden wir nun unsere Aufmerksamkeit den dasselbe im Süden^ Osten und Westen begrenzenden Gebieten zu. In der ersten Himmelsrichtung haben wir es mit einer weiten Wasserfläche zu tun, die trotz der für das Auge unerreichbaren Begrenzung doch noch nicht als dem Kaspischen Meere angehörig bezeichnet werden kann, die mit Fug und Recht für die Schiffahrt als „nichtkrönendes" Ende der Wolga angesehen werden muß. Der im Verlaufe von Jahrtausenden dem Kaspischen Meere von den Fluten der Wolga, namentlich zur Zeit des Hochwassers, zugeführte Sand und Erde hat sich vor den Mündungen in der Gestalt einer fast vollständig horizontal ab- gelagerten Schicht angesammelt, die sich viele Meilen weit in der Richtung nach Süden erstreckt. Diese Schicht ist allmählich so mächtig geworden, daß die ungeheuren Wassermengen des gewaltigen Stromes über derselben sich verteilend, eine Tiefe von nur neun Fuß erreichen. Succesive steigt in der Entfernung von 30 bis 40 km von den Mün- dungen die Tiefe des immer noch süßen Wassers auf zwölf und vierzehn Fuß, und erst dann ver- schwindet das trübe Flußwasser in den tiefblauen Fluten des Kaspischen Meeres. Auf diese weite Wasserfläche übt in bezug auf ihre Tiefe der Wind einen großen Einfluß aus; bei anhaltendem Nordwind verringert sich der Wasserstand bis auf vier, sogar drei Fuß. Diese ungünstigen Verhähnisse, die jeder von Menschenhand versuchten Verbesserung spotten, wirken selbstverständlich sehr erschwerend auf den außerordentlich regen Verkehr zwischen den Schiffen der Wolga und denen des Kaspischen Meeres ein. In der Richtung nach Westen und Osten wird das Wolgadeha von der großen Kalmückensteppe begrenzt. Außer der unbedeutenden Stadt Krasnji- Jar^ an der Mündung eines der östlichsten Wolga- arme gelegen, entbehrt die mächtige Steppe jeder fest angesiedelten Bevölkerung, nur der nomadi- sierende Kalmücke ist ihr Bewohner und wird es wohl auch für unabsehbare Zeit bleiben. In den an das Delta grenzenden Gegenden ist der Boden der Steppe salzig und teilweise mit Dünensand bedeckt. Während einer Landreise von Astrachan nach Baku mußte ich auch den an das Wolgadelta grenzenden Teil der Kalmückensteppe durch- schneiden; ich will es versuchen einen im Be- reiche des Dünensandes erlebten Sturm zu schildern. So weit das Auge reichte erblickte ich nichts als Sand, und zwar in der Gestalt von zehn bis fünfzehn Fuß hohen Wellen, mit dazwischen liegenden Wellentälern. Die Sandwellen schienen sich überschlagen zu wollen, da sie auf der Wind- seite schwach anstiegen, aber in einem scharfen Grat endigten und unterhalb des Windes steil abfielen. Hatten sie eine gewisse Höhe erreicht, so stürzten sie an ihrer steilen Seite zusammen, um sofort durch neu hinzugeführten Flugsand ent- weder an der alten Stelle, oder daneben wieder aufgebaut zu werden. Das Profil des Bodens war 920 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 58 einer fortwährenden abwechslungsvollen Umge- staltung unterworfen, Berge und Täler verschwan- den und entstanden von neuem. Dabei war die ganze Atmosphäre mit feinen Sandteilchen erfüllt, der mir durch die Kleider bis auf die Haut drang. Von irgendeiner Wagenspur, der man in dem undurchsichtigen Dunkel hätte folgen können, war keine Rede, wie denn auch unsere Spur, kaum daß sie von dem bis zur Achse einschneidenden Rade verlassen war, sofort gleich wieder ver- wehte. An den Stellen, an welchen der salzige Boden mit Dünensand bedeckt ist, fehlt natürlich jede Spur einer wenn auch noch so armen Flora, die auch außerhalb des Bereiches der Dünen eine artenarme ist. Auffällig war mir das ziemlich häufige Vorkommen eines in großen Büscheln wachsenden Grases, dessen zierliche Grannen selbst in der Dunkelheit durch ihre weiße Farbe erkenn- bar waren. Dieses schöne Gras bildete eine an- genehme Abwechslung unter den meist farben- armen Gewächsen der Steppenflora, namentlich der Salzsteppe. Von einem Baum oder Strauch ist nicht die Rede, das einzige einigermaßen holz- und strauchartige Gewächs, welches in der Salz- steppe anzutreffen ist, ist eine Tamarixart. Die Steppe hat zahlreiche größere und kleine Wasseransammlungen, die, nebenbei erwähnt, eine Gewinnung von Kochsalz im großen ermöglichen, wozu es nur des Aufbrechens der unter den atmo- sphärischen Einflüssen natürlich entstehenden dicken Verdampfungskruste, wie der Eisdecke eines Teiches zur Winterszeit, bedarf Diese teils see-, teils teich-, teils flußartigen Wasseransammlungen dienen einer Unzahl von Wasser- und Sumpfvögeln zum ungestörten Aufenthalt, und da ihnen hier niemand nachstellt, sind sie so wenig scheu , daß man ihr Tun und Treiben in großer Nähe beobachten kann. Auch hier ist, wenn auch seltener als im Wolga- delta, der Pelikan anzutreffen, er spielt aber hier nicht die Hauptrolle, denn die viel stattlicheren und schöneren Flamingos, Kraniche und prächtigen weißen Reiher, die gravitätisch einher spazieren, stellen seine plumpe, schwerfällige Gestalt in den Schatten. Da schwimmen paarweise Enten der verschiedensten Arten, dort Gänse, Taucher und IVIöven, gar nicht zu reden von der Menge kleineren Geflügels, welches da auf langen und kurzen Beinen unter allerlei Gepfeif und Getön rastlos am Wasser- rand hin und her läuft oder fliegt. — Im höchsten (xrade erstaunt beobachtete ich die an jedem Wassertümpel sich wiederholenden Vogelkolonien, ich hätte niemals in der leblos scheinenden Steppe ein so überaus reges Vogelleben erwartet. — Und welche Menge von Raubvögeln, und ebenfalls ohne Scheu ! Gar nicht selten kam es vor, daß unser Wagen an einem Werstpfahl (das Analogon unserer Meilensteine) vorbeifuhr, den sich ein Adler als Ruheplätzchen auserkoren hatte, ohne daß der Vogel davon flog, der sich vielmehr mit einem un- bedeutenden Heben der Flügel, der Vorbereitung zur Flucht, begnügte. Am meisten erstaunte ich jedoch, auch hier in der öden Steppe Singvögel anzutreffen, von denen man, mit Ausnahme der Lerche, gewöhnt ist, sie nur dort zu hören, wo es Bäume oder wenigstens Sträucher gibt. — Sollte vielleicht die Salzsteppe der Kalmücken dem Ornithologen noch Unbekanntes verbergen.? Aber nicht nur den Vögeln allein bietet die Salzsteppe behaglichen und, durch die sich in ihr nur äußerst spärlich bewegende Frequenz bedingt, ungefährdeten Aufenthalt; noch viele andere Tiere leben in ihr. So aus der Klasse der Säugetiere Wölfe und Füchse, ferner einige Nager. Aller- wärts schlüpfen die niedlichen Sußliks (Perlziesel, Spermophilus citillus) in ihre Löcher, überall findet man die von Murmeltieren aufgeworfenen großen Erdhaufen und allerwärts ahnt man die Gegen- wart der zierlichen Springmaus (Dipus sagitta). Ich sage man „ahnt" sie; denn in Wirklichkeit habe ich sie lebendig nicht zu Gesicht bekommen, weil ihr Lauf, oder vielmehr ihr Sprung, so pfeil- schnell vonstatten geht, daß es unmöglich ist, das Tier mit dem Auge erfassen zu können. Bald hier, bald da huscht ein Schatten vorüber; es ist eine Springmaus. Aus der Klasse der Reptilien gibt es zahllose und verschiedene, teils im schlichten grauen, teils im farbenschillernden bunten Kleid einher laufende Eidechsen, auch Schlangen. Viel gefabelt wird von der Giftigkeit der in der Astrachan- schen Kalmückensteppe lebenden Schlangen, was aber wohl unbegründet ist. Ich habe Schlangen von 4 — 5 Fuß Länge und der Dicke eines Kinder- armes gesehen, aber nie erfahren können, welcher Art sie angehören. Wahrscheinlich sind es nicht giftige Nattern. — Und endlich welcher Reichtum an Insekten ! Freilich, wenn man ihnen nicht als Sammler nachgeht und sich zu dem niederbückt, was da kriecht und an Halmen und Stengeln klettert, sondern als Reisender auf der flüchtigen Teläge (russischer Postwagen) durch die Steppe eilt, dann bemerkt man höchstens Heuschrecken (die Mücken machen sich schon selbst bemerklich), welche nach allen Seiten springen und fliegen und infolge ihrer Größe nicht übersehen werden können. Dem aufmerksamen Beobachter wird sich bald die Erkenntnis aufdrängen, daß es schwer sein dürfte, Gegenden zu finden, wo ein so reiches tierisches Leben herrscht, wie in den wenig be- kannten und wenig beachteten Salzsteppen des Astrachanschen Gouvernements. Ich hatte niemals Gelegenheit oder Veranlassung in die östlich vom Wolgadelta sich ausdehnende Steppe zu gelangen, bin also ohne Kenntnis derselben, glaube aber, daß ihre naturgeschichtlichen Verhältnisse sich kaum von denen der westlichen unterscheiden. N. F. in. Nr. 58 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 921 Kleinere Mitteilungen. Zur Anthropologie Äthiopiens. — Soweit es der l'orschung bisher gelungen ist, die anthro- pologische Geschichte der äthiopischen Hochlande zu ergründen, hat sich ergeben, daß die ersten Bewohner derselben dunkelfarbige Völker mit Negertypus waren. F. J. Bieber vertritt die Ansicht (Pol.- Anthrop. Rev., III., p. 360 ff.), daß die Reste dieser Negerbevölkerung, Schankalla genannt, sich noch in den Niederungen im Westen des Landes er- halten haben, wo sie ein unstetes Jägerleben führen ; auch die Wata oder Wajto in den Tiefebenen von Amhara, am TanaSee, in Kaffa etc. werden als Reste dieser prähistorischen Urbevölkerung ange- sehen. Dieselbe wurde von den aus Arabien ein- dringenden Hamiten, namentlich den Galla und Agau, verdrängt. Schon ein Jahrtausend v. Chr. hatten sich an den äthiopischen Küsten und im Grenzgebiete des Hochlands die Habaschat, Se- miten aus dem südlichen Arabien, festgesetzt. Das Vordringen derselben hatte nach den Mitteilungen Bieber's den Charakter einer kontinuierlichen, wäh- rend mehrerer Jahrhunderte dauernden Einwande- rung, durch welche die Galla nach Süden, die Agau nach Süden und Südwesten geschoben wurden. Die Habaschat bilden den Grundstock der heutigen, ziemlich homogenen Bevölkerung Nordäthiopiens (etwa 4 Millionen), namentlich der Amhara in dem gleichnamigen ehemaligen Teilreiche, welche die herrschende Rasse darstellen; in Schoa und God- scham sind sie stark mit Galla-Elementen ver- mischt. — Die Tigrener hingegen haben den semitischen Typus weniger rein gewahrt als die Amhara; sie sind Nachkommen jemenitischer Araber, vielfach mit hamitischen Elementen ge- mischt. Die Provinzen Agunmeder, Begemeder und Lasta bewohnen die Agau (etwa 2 Millionen), ein intelligenter, schöner Menschenschlag. Zur hamitischen Völkergruppe Nordäthiopiens gehören weiters die Khamir, Kumana, gleichwie die Falascha — die sogenannten abessinischen Juden — , wel- che in den Gebirgen Simens wohnen, und einige andere Stämme. Keilförmig erscheinen die Galla zwischen Amhara und Schoa bis nach Lasta vor- geschoben ; zerstreute Gallastämme sitzen am Ost- rande des nördlichen Hochlandes, zu dessen Be- völkerung auch die hamitischen Afar gehören, die erst seit kurzer Zeit unter äthiopischer Oberhoheit stehen. Von diesen abgesehen haben alle genann- ten Völker Tracht, Sitte, Brauch und — bis auf die Falascha und Agau — die Sprache der herr- schenden Rasse angenommen. Den Grundstock der Bevölkerung des südlichen Teiles des Reiches (etwa 8 von 10 Millionen) bilden die Galla mit ihren zahlreichen Stämmen und Verzweigungen; hier finden wir ferner kleine semitische Völker, wie die Gurage, Harari etc., sowie Mischvölker von Negern und Semiten, im Osten einen Teil des Somalvolkes und am Rudolf- See, in den Niederungen des Sobat, seiner Neben- flüsse usw. reinrassige Neger. Fehlinger. Die Erscheinungen des natürlichen Todes bei Reptilien und Batrachiern bespricht der Herpetologe Dr. Franz Werner, Assistent am Zoologischen Institut der Universität zu Wien, im „Biolog. Centralblatt", Bd. 24, Nr. 10, S. 336—338. Er hat seit einer längeren Reihe von Jahren Be- obachtungen über diesen Gegenstand gemacht, deren Veröffentlichung um so wertvoller ist, als derartige Studien bisher kaum gemacht worden sind. Der Tod der genannten Tiere tritt meistens in den späten Abendstunden bis Mitternacht ein, seltener am Morgen, am seltensten bei Tage. In den meisten Phallen läßt sich der Eintritt des Todes recht schwierig konstatieren, da viele Rep- tilien, die längere Zeit kränklich gewesen sind, in einer Stellung verenden , die sie vorher oft tage- lang eingenommen haben. Baumlebende Formen (Anolis, Chamaeleon, Dryophis) steigen mitunter schon wochenlang vor dem Tode von den Pflanzen herab, unterirdisch lebende (Chalcides, Blanus, Typhlops, Eryx) kommen an die Oberfläche. Bei Tieren mit Farbwechsel (Geckoniden, Agamiden, Iguaniden, Chamäleontiden) zeigt sich eine Auf- hellung der Färbung bis zu Gelb oder Gelblich- weiß und damit ein Aufhören des Farbwechsel- vermögens. Bei Schlangen ist vor dem Tode häufig eine große Unruhe zu bemerken, unauf- hörlich wandern sie im Terrarium lebhaft züngelnd umher; aber allmählich wird das Tier ruhiger, es verlangsamt seine Bewegungen, und schließlich rollt es sich in einer weiten, lockeren Spirale ein, um so gegen Mitternacht sein Leben zu beschließen. Das Hervortreten der Wirbeldornen sowie das Einsinken der oberen Augenlider bis unter das Niveau der Schädeldecke sind keine absolut siche- ren Kennzeichen für Krankheit oder einen bevor- stehenden Tod der Tiere, da dieselben Erschei- nungen auch bei ausgehungerten und sehr durstigen Tieren vorkommen. Ein wirklich sicheres Zeichen hochgradiger Kränklichkeit ist aber in einer Art „hippokratischcn Gesichts" zu finden, welches sich namentlich durch ein sehr starkes Schielen kund- gibt, indem bei den Schlangen die Pupille konstant aus der Augenmitte nach abwärts gerückt ist, so daß man oberhalb von ihr weit mehr von der Iris sieht als gewöhnlich. Ähnliche Erscheinungen finden sich auch am Auge bei Eidechsen, Chamä- leonen, Krokodilen und Schildkröten. Die Lage der Reptilien nach dem Tode ist davon abhängig, ob das Tier ohne oder mit Todeskampf verendete. Im ersteren Falle nehmen die Tiere ihre gewöhn- liche Ruhelage ein. Eidechsen und Krokodile haben den Kopf etwas seitwärts geneigt, die Beine nach hinten an den Körper gelegt; die Schlangen liegen lang ausgestreckt oder in weiten, lockeren Schlingen zusammengerollt. Individuen, welche einen heftigen Todeskampf hatten, liegen meist auf dem Rücken. Bei Schildkröten sind die Vorderbeine nach dem Tode weit vorgestreckt und mit den Unterarmen an den seitlichen Schalen- rand gelegt; bei Landschildkröten ist der Kopf tief eingezogen , so daß er oft kaum aus der 922 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 58 Achselhaut hervorsieht , bei Wasserschildkröten hängt er dagegen weit hervor. Überhaupt haben aber Schildkröten, die auf dem Trockenen ver- enden , immer den Kopf eingezogen , wie ihn solche, die im Wasser sterben , immer lang aus- gestreckt haben. Bei den Lurchen sind die Vorboten und An- zeigen des Todes viel weniger zahlreich als bei den Reptilien. Bei den Ecaudaten findet .sich als S)-mptom des Todes häufig Bleichsucht; Agonie wird nur selten beobachtet. Froschlurche verenden außerhalb des Wassers meist in sitzender Stellung, im Wasser mit an die Brust gedrückten Vorder- und mäßig gebeugten Hinterbeinen. Schwanz- lurche legen die Vorderbeine nach hinten, die Hinterfüße kreuzen sie über der Kloake.. Das „hippokratische Gesicht" ergibt sich bei den Ba- trachiern durch Niederdrücken des oberen Augen- lides, wobei gleichzeitig auch das untere über das Auge gezogen ist. Sg. „Bäume und Wälder" lautet der Titel einer Publikation, welche die Naturwissenschaftliche Ab- teilung der Deutschen Gesellschaft in Posen 1904 hat erscheinen lassen und welche die Holzgewächse der Provinz betrifft (184 S. und 30 Abb.)^). Schon im Frühling 1899 begannen die Vorarbeiten damit, daß eine nicht geringe Anzahl von Fragebogen an die Besitzer größerer Waldungen gesandt wur- de. Doch auch den einzeln stehenden Bäumen in Dörfern und Städten, an Wegen und auf Feldern wurde Aufmerksamkeit geschenkt, soweit dieselben sich hervortaten durch die Mächtigkeit oder Absonderlichkeit des Wuch- ses, durch Alter, .Seltenheit der Art oder durch Sagen, durch geschichtliche Tatsachen, die sich daran knüpfen. Die Publikation führt nach einer orientierenden Einleitung zuerst die Waldungen der Provinz nach Kreisen geordnet auf, hinsichtlich ihrer Ausdehnung und hinsichtlich der Baumarten, die sie bilden. Das sind manch- mal nicht wenig Arten, die in ziemlich gleichem Verhältnis sich zu einem Walde zusammentun. Der 190 ha große Wald von Bendlewoo zeigt folgende 8 Arten : Birke, Buche, Eiche, Erle, Esche, Fichte, Kiefer, Rüster und der Wald von Siemianice sogar 9 Arten auf 500 ha: Ahorn, Birke, Buche, Eiche, Erle, Esche, Kiefer, Fichte, Tanne. Es ist das der südlichste Wald der Pro- vinz Posen. In einer schematischen, die Kreise in ihrer geographischen Lage darstellenden Über- sicht ist für jeden Kreis der Umfang der in Be- tracht kommenden Waldungen, nach Nadel- und Laubwald geschieden, zum Ausdruck gebracht. Der Waldreichtum ist für die verschiedenen Kreise der Provinz sehr verschieden. Für den Kreis Gnesen z. B. ist ein Bestand von 1000 ha Kiefern und 500 ha Laub verzeichnet, für den Kreis Brom- berg 42 000 ha Kiefer mit ganz unbedeutendem Laubwaldbestande, hn ganzen sind über 408 400 ha genaue Angaben zusammengestellt worden, etwa ^4 des gesamten für die Provinz Posen berech- neten Bestandes. Der zweite Abschnitt der Schrift beschäftigt sich mit den einzelnen Baumarten bzw. Holzge- wächsen der Provinz, und beschäftigt sich mit dem Baum als Individum. 82 verschiedene Arten werden aufgezählt. Durch Mächtigkeit des Wuchses tut sich besonders die Sommer- oder Stieleiche hervor, und eine große Anzahl mächtiger Eichen wird für die Provinz individuell bezeichnet. Doch die stärksten Eichen birgt der Kreis Schrimm. Die mächtigste steht im Schloßparke von Rogalin (Fig. i) mit einem Umfang (i m Höhe) von 8,5 m. Sie ist vom Zahn der Zeit schon stark zernagt (ganz links auf dem Bilde), und nur die sorg- fältige Pflege des Besitzers hält sie am Leben. Dicht daneben steht die ihr an Stärke fol- Fig. I. ') Zu beziehen durch die Buchhandlung von Jolowicz, Posen. Die beiden stärksten Eichen der Provinz Posen, im Parke von Rogalin; Kreis Schrimm. gende von 8,35 m Umfang; sie ist kerngesund und kann noch manches Menschengeschlecht kommen und gehen sehen. 8,27 m Umfang hat die Eiche von Mszczyczyn. Sie ist hohl, und ihre Höhlung ist so umfangreich, daß „4 Mann an einem kleinen Tischchen sitzend Skat in derselben gespielt haben". Und in früheren Zeiten, wo die Sitten noch ursprünglicher, die Achtung vor der N. F. m. Nr. 58 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 923 ^. , . , ,,,. ,. ,• ,,...,, I :„rl, .l,.r Prr.vin7 Fig. 4. Uic mächtigere dcr beiden Fcldrüstcrn all dci" kalhoHsclien Fig. 2. Die Linde von Wischin, die stärkste Linde der l/rovmz "& -t & j^jrciie zu Samter. Posen ; Kreis Kolmar. Fig. 3. Die „Napoleonskiefer" von Bobclwitz; Kreis Mescritz. Fig. 5. Die einzige Eibe der Provinz, in Goray; Kreis Schwerin. 924 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 58 Obrigkeit und ihren sakrosankten Sendboten noch nicht so stark ausgeprägt war wie heutzutage, soll die Höhlung ein behebter Versteck gewesen sein für diejenigen, welche Grund hatten sich vor dem Exekutor zu verbergen. Auch an Linden von erheblichem Umfange ist die Provinz reich. Die Linde von Wisch i 11 (Fig. 2) erfreut sich eines Umfanges von 7,25 m. Wie das Experiment ergeben, kann sie 20 ausgewachsene Menschen gastlich in ihrem hohlen Bauche aufnehmen. Einen Umfang von 6 m besitzen z. T. die Bäume der prächtigen Lindenallee von Margonin nach Gollansch, mit welcher sich die berühmte Allee zwischen Danzig und Oliva gar nicht vergleichen läßt. Sie sollen erst 1765 von einem polnischen General gepflanzt Fig. 6. Der släiksle Wacliolderbaum der Pioviiiz, im Höllcn- grunde bei Weii3ensee ; Kreis Meseritz. sein, der durch eine Schwadron seines Ulanen- regiments die jungen Bäume vor Beschädigungen schützen ließ. Die Kiefer tritt an Umfang gegen jene beiden Baumarten sehr zurück — 4 m Umfang zeigt das stärkste Exemplar (Wtelno) — aber die Provinz ist reich an merkwürdigen Exemplaren von diesem ihrem Charakterbaume. Noch heutzutage gibt es in der Provinz sog. Beutkiefern, in deren Höh- lung wilde Bienenschwärme wohnen, oder doch wohnten, deren Honig durch eine besonders an- gebrachte Öffnung ausgebeutet wurde. Die „Na- poleonskiefer" bei Meseritz (Fig. 3), ein alter knorriger Stamm, zeigt 3,7 m Umfang. Unter diesem Baum rastete Napoleon 181 2 mit seinem Stabe — und auf 300 Jahre schätzen Sachverständige das Alter dieser Kiefer. Eine erhebliche Mächtigkeit er- reichen auch die in der Provinz häufig auftreten- den Pappeln. 7,15 m zeigte der Umfang des Stammes einer Schwarzpappel von Nara- morice (war jedoch nur etwa 180 Jahre alt), und die Weißpappel von Chrzonstowo besitzt einen Umfang von 8 m bei 40 m Höhe. Auch die F e 1 d r ü s t e r tut sich hervor durch imponieren- des Wachstum. Die stärkste Rüster der Provinz steht in Samter, an der katholischen Kirche (Fig. 4) ; gegen 9 m beträgt ihr Umfang, und die am Gutshause von Sienno bei Wongrowitz mißt 77.3 m. Von diesen wie von anderen in „Bäume und Wälder" veröffentlichten Abbildungen hat eine Posener Ver- lagsfirma Ansichtskarten herstellen lassen. Von der Eibe existiert in der Provinz nur noch ein ursprünglicher Vertreter dieser Art in Gora im Kreise Schwerin a. W., 2 m besitzt der Umfang des Stammes und auf 400 Jahre ist sein Alter zu schätzen (Fig. 5). Der Wacholder, der als Unterholz in der Provinz so häufig ist, tritt zuweilen baumartig auf. Der stärkste dieser Bäume (Fig. 6) hat 1,4 m Umfang am Erd- boden. Von selteneren Baumarten wären zu erwähnen die Eisbeere, für die noch ziemlich viel Standorte angegeben werden, und dann die Mehl beere mit dem einzigen Standorte bei der Stadt Moschin. Von den Bäumen, an die sich Sagen oder geschichtliche Ereignisse knüpfen, wäre der „historische Kastanienbaum von Filehne" zu nennen (3,3 m Umfang). Er soll der letzte sein von vielen, die mal eine prächtige, dicht belaubte Allee gebildet. Aber sie mußten fallen, wie der Mund des Volkes erzählt, auf Geheiß der Fürstin Sapieha, weil der Schatten der herrlichen Bäume den P"eind Polens, Friedrich den Großen, nicht er- quicken sollte, der zur Besichtigung der neu er- worbenen Ländergebiete heranzog. Ein langes Gedicht, welches 1848, wo die nationalen Wogen so hoch gingen, entstanden ist, gibt diese Sage in ansprechender Form wieder. Der folgende dritte Abschnitt von „Bäume und Wälder" beschäftigt sich mit den Pflanzen, welche in der Provinz Posen den Kieferwald, und welche den Laubwald bewohnen. Er ist für den Botaniker von Fach bestimmt. Der letzte Abschnitt endlich betrifft das Schicksal der Waldungen, d. h. die Tätigkeit der Schneidemühlen in der Provinz. An- zahl und Verteilung dieser den Wald vernichtenden Werke werden aufgezählt, es wird angegeben, welche Holzarten und welche am meisten sie ver- arbeiten, wieviel Prozent davon aus der Provinz Posen stammen, wozu das Holz verarbeitet wird, und wohin die Hauptmasse des Fabrikates geht. So stellte es sich z. B. auch heraus, daß jährlich in der Provinz Posen noch 14000 fm Holz zu Holzkohle, und zwar in Meilern, verarbeitet wer- den. So weicht der Wald, des Hochwaldes Säulen- stämme fallen der harten, rücksichtslosen Industrie zum Opfer. Wir versöhnen uns mit dieser bitteren Tatsache — es ist zum Nutzen, zum Wohle des N. F. m. Nr. 58 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 925 Menschen. Aber den Stolz des Waldes, den Baum, bewahre ein gnädiges Geschick vor der unbarm- herzigen Axt, ihm schenke man Schutz und schone seiner nach Möglichkeit! Wer seine Heimat liebt, der liebt auch den Baum, der ihm als Kind schon gegrünt, den Baum, der mit seinen Wurzeln den- selben Boden umklammert, in dem die Liebe zur Heimat ruht. Mit der Liebe zum Baum eint sich die Liebe zu dem Boden, der seit Menschenge- denken ihn trägt und so wird der Baum ein Sinn- bild der Heimat; darum: Ehret und achtet den Baum , deß' Schatten euch schützend beschirmet. Pfuhl, Posen. Flüssiger Sauerstoff und flüssige Luft. — Allen Versuchen zum Trotz war die Reindarstel- lung flüssigen Sauerstoffs bisher nicht geglückt. Man suchte auf falschem Wege das Ziel zu er- reichen, indem man \-on der sog. ,, flüssigen Luft" ausging und durch fraktionierte Destillation dieses Gemisches flüssiger Gase zum reinen Sauerstoff zu gelangen hoffte. Neuere Versuche von E. Erd- m a n n und z. T. von F. B e d f o r d haben nun wichtige Aufklärung über diesen Gegenstand ge- bracht.^) — Es handelte sich um die Notwendig- keit, reinen flüssigen Sauerstofi" herzustellen zum Zweck der Aichung eines selbstgefertigten Wider- standsthermometers. Erfolglos, wenn auch lehr- reich war zunächst der Versuch, das durch Er- hitzen von chlorsaureni Kali in einer Kupferretorte entwickelte, durch Natronlauge gewaschene und durch Chlorcalcium getrocknete Sauerstoffgas als Ausgangsmaterial zu wählen, dieses Gas nach Sauerstoffs war aber ungenügend, der Siedepunkt in- konstant und das Produkt daher zu dem gedachten Zwecke unbrauchbar. Das Thermometer stieg binnen kurzer Zeit bedeutend, wie aus dem wachsenden Widerstand mit Hilfe der Wheatstone'schen Brücke ermittelt werden konnte - eine Tatsache, die nicht durch Siedepunktsverzögerung erklärt werden kann, die vielmehr einzig in der Verunreinigung des Sauerstoffs ihren Grund haben muß. War dieser Versuch auch nicht von Erfolg begleitet, so war doch der Gedanke, vom gasförmigen Sauer- stoff auszugehen, richtig gewesen. Dies lehrt fol- gendes Experiment. Erdmann und Bedford entwickelten in zwei Kipp'schen Apparaten Kj und K., (Fig. i) gas- förmigen Sauerstoff durch Einwirkung von mit Schwefelsäure angesäuertem Wasserstoffsuperoxyd auf Kaliumbichromat. Die beiden Gasableitungs- rohre vereinigen sich zu einer gemeinsamen Leitung durch das T-stück bei hj und h^. Der in den Kipp'schen Apparaten entwickelte Sauer- stoff tritt nun durch diese hindurch in die erste Waschflasche f, , wo er durch Schwefelsäure streicht, und von da aus in ein zweites Gefäß f,, wo er mittels Phosphorsäureanhydrit vollständig ge- trocknet wird. Zur Manipulation ist absolute Dichtigkeit aller Schliffe und Stopfen unbedingte Notwendigkeit. Ferner muß aus dem Apparaten- system jede Spur von Luft verdrängt sein, was leicht durch Absaugen mit Hilfe einer guten Wasserstrahlpumpe beigeöffnetem Hahn ii geschieht, und darnach mit reinem Sauerstoff ausgespült wer- den. Nun gießt man in das Wcinhold'sche Gefäß V Fig. I. dem Leiten durch eine mit Kältemischung ge- kühlte Glasschlange vorzukühlen und endlich in den Kondensationskolben zu leiten, der in einer mit flüssiger Luft gefüllten Weinhold'schen Vakuum- schale sich befand. Die Qualität des so erhaltenen ') Ernst Erdmann und Fred Bedford: Über Reindarstellung und Eigenschaften des flüssigen Sauerstoffs. Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft. 1904. Heft 5. p. 1 184 ff. käufliche flüssige Luft und läßt einen starken Sauerstoffstrom aus dem einen Kipp'schen .Apparat Kj (der andere K,_> bleibt während des Ganges außer Betrieb und wird durch Schließen des Hahnes hj von der Leitung abgesperrt) nach A übertreten, einem Kolben von ca. 250 ccm Inhalt. Dieser Kolben, der mit einem doppelt durchbohrten Stopfen völlig dicht abgesperrt ist, steht einerseits mit einem Barometerrohr, das in einen mit Oueck- 926 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 58 Silber gefüllten, hohen Glascylinder taucht, in Ver- bindung. Bei seinem Eintritt in den durch die flüssige F^uft gekühlten Kolben wird der Sauerstoff fast momentan verflüssigt. So erhielten die beiden aus 12'/,, 1 Wasserstoffsuperoxyd von 3,18 "/o 285 g Sauerstoff, ein Leiter liefert also 23 g(theoretiscii 30 g) Sauerstoff Der Verlust läßt sich auf Entweichen gasförmigen Sauerstoffs durch das Trichterrohr des Kipp'schen Apparates zurückführen. Auf diese Weise lassen sich in einer Stunde ca. 170 g reiner flüssiger Sauerstoff gewinnen, während der Verbrauch an flüssiger Luft gering ist. Zur Untersuchung wurde der Kolben aus V herausgehoben, der Sauerstoff vergast, im Gasometer aufgefangen und von dem Gase die Probe entnommen. Die Analyse ergab 99,8, 99,9 und 99,7 "/„. In diesem reinen Produkt änderte sich der Widerstand des galvanischen Thermometers während 30 Minuten niciit. Der Siedepunkt wurde durch geaichte Pentanthermo- meter zu — 181,8" ermittelt. Diese Reinheit des Präparates wurde nicht von Anfang der Versuche an erreicht. Es resultierten zuerst Produkte von ca. 97 "/(,. Hieraus glaubten nun Erdmann und Bedford durch P'raktionierung den verunreinigenden Stickstoff (und ev. Argon) entfernen zu können. Allein die erste I'raktion zeigte nach längerem Stehen der in flüssiger Euft aufbewahrten Vorlage im Gegensatz zu dieser An- nahme einen unerwarteten Gehalt von 20 " „ Stick- stoff, die zweite Fraktion noch 5 "/„. Dies war aber nur möglich, wenn der kalte flüssige Sauer- zur Wasscrslralil- pumpe zum Gasometer Fig. 2. Stoff aus der Luft .Stickstoff aufgenommen hatte. Das Experiment bestätigte nun, daß flüssiger Sauerstoff, der unter seinenSiedepunkt abgekühlt ist, äußerst energisch Stick- stoff absorbiert. Leitet man nämlich auf den Boden des mit etwas frisch dargestelltem Sauer- stoff gefüllten Kölbchens a in Fig. 2 einen sehr kräftigen Strom trockenen Stickstoffgases, so wird dieses momentan absorbiert, ohne daß eine Gas- blase aus dem Rohre austritt. Die Untersuchung der so gesättigten Lösung ergab die wichtige Tat- sache, daß flüssiger Sauerstoff bei einer Tem- peratur von — 190,5" das 380 fache seines Volumens oder 4 2 "/„ seines Gewichts Stickstoff gelöst hatte. Unter anderen Be- dingungen fand man, daß der flüssige Sauerstoff bei — 191,5" nach vollständiger Sättigung das 458 fache seines Volumens oder 50,7"/,, seines Gewichts Stickstoff absorbi ert. Naturgemäß sinkt der Siedepunkt des Sauerstoffs mit zunehmender Aufnahme des Stickstofis. Ein bei 192" mit Stickstoff annähernd gesättigter Sauer- stoff hat seinen Siedepunkt bei — -188,8". Trotz- dem sinkt dieser aber auch bei völliger Sätti- gung nicht bis auf die Temperatur des Kühlbades. Denn die Temperatur der flüs- sigen Luft betrug 190,5" 191,5" während der Zusammen- setzung der Lösung nach Baly als Siedepunkt ent- spricht — 188,7" - 189,4" Um die Absorption des Stickstoffs in flüssigem Sauerstoff, die übrigens sehr an das Verhalten der Wasserstoffverbindungen beider Elemente, an die Löslichkeit des Ammoniaks in Wasser erinnert, als Vorlesungsversuch zu zeigen, taucht man ein mit flüssigem Sauerstoff zur Hälfte gefülltes Kölb- chen in flüssige Luft. Bringt man durch ein Glasrohr eine etwas Wasser haltende Waschflasche oder Gasuhr in Verbindung mit dem Kolben, so wird die Luft heftig angesaugt. 15 g flüssigen Sauerstoffs absorbieren bei — 191,5" über 6 Liter reinen Stickstoff, mithin noch mehr Luft, da in diesem Fall auch der Sauerstoff der Luft völlig kondensiert wird. Durch den Versuch bewiesen Erdmann und Bedford ferner, daß auch siedender Sauer- stoff noch Stickstoff absorbiert. An der Luft selbst geschieht dies zwar in so geringem Maße, daß diese Absorption z. B. für die Aichung von Thermometern kein Hindernis ist. Beim Durchleiten aber von Stickstoff durch sieden- den Sauerstoff nimmt dieser von ersterem erhebliche Mengen auf. Vor allem scheint aus den Ver- suchen hervorzugehen, daß die Menge des aufge- nommenen Stickstoffs mit dem Drucke wächst, mit dem letzterer eingepreßt wird. Aus der Absorptionsfähigkeit des siedenden Sauerstoffs erklärt sich also die Tatsache, daß es nicht möglich ist, durch fraktionierte Destillation flüssiger Luft reinen Sauerstoff darzustellen. Denn kleine Mengen einmal absorbierten Stickstoffs hält der flüssige Sauerstoff auch beim Destillieren hart- näckig zurück und gibt ihn nur allmählich und un- vollständig wieder ab. Auch ergibt sich aus dem Absorptionsvermögen des flüssigen Sauerstoffs die Notwendigkeit strikter Befolgung gewisser Vorsichtsmaßregeln, wenn man zur Darstellung chemisch reinen, flüssigen Sauer- N. F. m. Nr. s8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 927 Stoffs schreitet. So ist der Sauerstoff unter sorg- fältigster Fernhaltung von Luft zu bereiten, denn diese gelangt sonst unfehlbar mit zur Kondensation. Auch darf der flüssige Sauerstoff nie im gekühlten, sondern nur im siedenden Zustande mit Luft in Berührung kommen. Endlich nehme man das Ge- fäß vor dem Umfüllen vom Kältebad herunter und warte vor dem Umgießen, bis der Binnendruck auf I Atmosphäre gestiegen ist. Die Eigenschaften des flüssigen Sauerstoffs und die erwähnten Versuche sind besonders für die Zusammensetzung und die Temperatur der „flüssigen I^uft" von Bedeutung, worauf E. Erd- mann neuerdings hinwies. ') So ist die flüssige Luft viel stickstoffreicher, wenn sie kurze Zeit in dem Apparate, den man zu ihrer Darstellung an- wendet, verbleibt, als wenn sie bei geöffnetem Ventil beständig abfließt. Denn der unter seinen Siede- punkt abgekühlte Sauerstoff kann sich umsomehr mit Stickstoff beladen, je länger er in der Maschine mit diesem in Berührung bleibt. Erdmann faßt die Verflüssigung von Gasgemischen folgender- maßen auf: Wird reiner Sauerstoff bei konstantem Atmosphärendruck abgekühlt, so muß er sich zu verflüssigen beginnen in dem Moment, wo die Temperatur — 182 unterschritten wird (bei dieser Temperatur ist die Tension des verflüssigten Sauer- stoffs gleich dem Atmosphärendruck). Bei Gegenwart eines indifferenten Gases (z. B. Helium) wird die Verflüssigung erst dann eintreten, wenn die Ten- sion des flüssigen Sauerstoffs niedriger wird als der Partialdruck , den das Sauerstoffgas in dem Gemisch ausübt. Versuche bestätigten diese An- nahme. Ein Gasgemisch z. B. von 49 "/„ Sauerstoff und 5 1 "/» Helium zeigt den Verflüssigungspunkt bei — 189,3 bei 790 mm B. Er berechnet sich theoretisch zu — 188,35". Analog ist es bei der Luft. Hier ist der Partialdruck 158,8 nmi. Dies ist aber die Tension des Sauerstoffs bei — I 9 S I 5 "• Also erst bei dieser Temperatur kann die Verflüssigung des Luftsauerstoffs eintreten. Nachdem er so bereits unter seinen Siedepunkt abgekühlt ist, vermag er sich mehr oder weniger mit Stickstoff zu sättigen. Dies entspricht auch der Tatsache, daß der Sauerstoff beim bloßen Ein- leiten gasförmiger Luft in einer auf — 193" ab- gekühlten Vorlage nicht verdiclitet wird. Enthält der Kolben aber bereits flüssigen Sauerstoff, so wird die Luft vollständig absorbiert, da durch die Absorption des Stickstoffs der Partialdruck des Sauerstoffs auf i Atmosphäre wächst, und das Gas wird verflüssigt. Die niedrigste von Erdmann beobachtete Temperatur der flüssigen Luft beträgt — 194,5". Die Differenzen der berechneten und gemessenen Temperaturen sind in beiden Fällen relativ gering. Die Zahlen können vielmehr als gut übereinstimmende der obigen Anschauung über die Verflüssigung von Gasgemischen als Stütze dienen. Dr. R. Loebe. Als Antimeridianpflanzen bezeichnet von Janczevvski (Comptes rendus vom 18. Juli 1904) im Gegensatz zu den längst bekannten Meridian- oder Kompaßpflanzen solche Gewächse, deren Blätter sich mit ihrer Oberseite nach Norden wen- den und dadurch die Sonnenstrahlen gegen Mittag entsprechend der zunehmenden Intensität derselben unter einem immer kleiner werdenden Winkel auffangen, während die Unterseite dem südlichen Horizont zugewendet und daher vor der direkten Einwirkung der .Sonne geschützt bleibt. Daß es derartige Pflanzen gibt , hat der an Sonnenschein so reiche, diesjährige Sommer an einigen aus Nordamerika stammenden, in voller Sonne ge- pflanzten Ribessträuchern, die zu der Untergattung Calobotrya gehören, erkennen lassen. Als Anti- meridianpflanze par excellence bezeichnet J. den Strauch Ribes Späthianum , doch tritt die gleich- mäßige Orientierung der Blätter auch bei diesem Gewächs erst in der Mitte des Sommers in die Erscheinung. Bei nahem Herantreten soll aber dann die Eigenart auffallend in die Augen springen, indem man von Norden nur Blattoberseiten, von Süden nur Unterseiten und von Ost oder West nur Blattprofile zu sehen bekommt. ¥. Kbr. ') E. Erdm,inn. Über Zusammensetzung und Temperatur der flüssigen Luft. Berichte der Deutschen Chemischen Ge- sellschaft. 2904. Heft 5. pag. 1 186 ff. DasEmaniumlichtspektrum. — AlsEmanium bezeichnet Giesel einen aus Radiumpräparaten abgeschiedenen PZmanationskörper, der dauernd ein schwaches Licht aussendet. Das Spektrum dieses Lichtes, das aus drei hellen Emissionslinien be- steht , ist mit den lichtstarken Spektralapparaten des Potsdamer Observatoriums von Hart mann genauer untersucht worden (Phys. Zeitschr. V, S. 570)- Dieses Spektrum ist schon dadurch be- sonders interessant, daß hier zum erstenmal ein Fall vorliegt, in welchem ein aus getrennten Linien bestehendes Emissionspektrum nicht von einem glühenden Gase, sondern von einem bei niedriger Temperatur leuchtenden , festen Körper ausgeht. Die Lage der hellsten Linie (i) konnte photographisch recht genau ermittelt werden, ob- gleich es sich nicht um eine feine Linie, sondern um einen gleichmäßig leuchtenden Streifen von 2 fifi Breite handelt. Die beiden anderen Linien konnten nur mit großer Anstrengung optisch be- obachtet werden , so daß ihre Wellenlänge nicht so sicher gefunden wurde. Die Hartmann'schen Ergebnisse sind Linie Intensität k 1 10 488,54 +0,01 /94 9,28 o>39 0,18 118 88 230 216 105 207 261 33° 186 430 200 611 427 J3 Fliegender Fuchs 1380 Pteropus edulis Fasan Phasianus colchicus Silbermöwe \ 1035 Larus argentatus Krähe 595 Corvus cornix Rebhuhn 320 Perdix cinerea Taube 293 Columba livia Turmfalke 260 Falco tinnunculus Lachmöwe 197 Larus ridibundus Drossel 100 Turdus pilaris Segler 33,5 Cypselus apus Spatz 28 Passer domesticus Schwalbe 18 Hirundo rustica Kohlmeise 14,5 Parus major Kleine Fledermaus 3,7 Vespertilio pipistrellus Ligusterschwärmer 1,92 Sphinx ligustri Plattbauch-Libelle 0,6 Libellula depressa Hummel 0,44 Kombus pratorum Schwalbenschwanz 0,34 Papilio podalirius Jungfern-Libelle 0,2 Calopteryx virgo(Weibchen Kohlweißling o,oS Pieris brassicae Biene 0,074 Apis mellifica (Arbeiterin) Stubenfliege 0,01 Musca domestica Mücke Culex pipiens Wenn man diese Tabelle überblickt, so erkennt inan, daß bei den fliegenden Tieren das Verhält- nis der Flügelfläche zum Körpergewicht nicht, wie von vorn herein zu erwarten wäre, ein kon- stantes, sondern ein ungemein schwankendes ist. So hat die Trappe auf i Gramm Körpergewicht nur 62 , der Kohlweißling aber 1 1 600 Quadrat- millimeter Flügelfläche. Wenn man genauer zu- sieht, so findet man, daß diese, in den Unter- schieden der Verhältniszahlen zum Ausdruck 971 2Zl6 234 3294 6970 1 1600 528 1800 kommenden Schwankungen im großen und ganzen zu der Größe (Schwere) der Tiere in Beziehung stehen. Wir sehen nämlich, daß im allgemeinen die Flügel (relativ) um so größer sind, je kleiner und leichter das Tier, dem sie angehören, ist. Es nimmt jedoch, wie aus der Tabelle hervorgeht, diese Verhältniszahl keineswegs regelmäßig und stetig mit abnehmendem Körpergewicht zu. Die Abweichungen von der allgemeinen Regel be- ruhen wohl jedenfalls darauf, daß die Flugart bei verschiedenen Tieren verschieden ist. Einige fliegende Tiere überwinden die Schwerkraft durch rasche Bewegung ihrer Flügel, andere, indem sie die kleinen Strömungen in der Atmosphäre, sowie die bei Beginn eines auf sie geübten Druckes besonders große, latente Widerstandskraft der Luft ausnützen. Die ersteren, zu denen der Spatz und die Biene gehören, können als Flatterflieger, die letzteren, zu denen der Albatroß und der See- adler zu zählen sind, als Segelflieger bezeichnet werden. Die extrem differenzierten Flugarten der genannten Flatter- und Segelflieger werden durch eine ununterbrochene Reihe von fliegenden Tieren verbunden, die nicht so sehr wie jene die eine oder andere von den genannten Flugarten bevorzugen. Naturgemäß haben die Flatterer kleine, von kräftigen Muskeln rasch, die Segler große, von schwächeren Muskeln langsamer bewegte Flügel. Wenn wir vornehmlich flatternde Tiere für sich, und vornehmlich segelnde für sich betrachten, so tritt, wie die folgenden Tabellen zeigen, die Größenzunahme der Flügel mit abnehmendem Körpergewicht rein hervor. hlatterer. Gewicht in Gramm Auf I g Gewicht kommen Quadrat- millimeter Flügel- fläche. Trappe 9600 62 Fasan 1000 88 Rebhuhn 320 105 Spatz 28 200 Hummel 0,44 234 Biene 0,074 528 Fliege 0,01 1800 Mücke 0,003 lOOOO Segler. Albatroß 12000 67 Seeadler 5000 160 Storch 2265 199 Silbermöwe 1035 230 Turmfalke 260 261 Lachmöwe 197 336 Jungfernlibellc 0,2 6970 Zitronenfalter 0,183 28710 954 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 60 Über die Tatsache , daß mit abnehmender Körpergröße die relative Fluggröße zunimmt, kann also kein Zweifel bestehen und es entsteht die Frage, warum das so ist. IVlüllenhoff und andere, die sich mit dieser Frage beschäftigten , haben sie vom morphologischen Standpunkt beantwortet. Von dem von diesem Standpunkte ganz richtigen Grundsatze ausgehend, daß bei zunehmender Größe die linearen Dimensionen in der ersten, die Flächen in der zweiten, und die Volumina und Gewichte in der dritten Potenz wachsen, meinten sie , daß man die Flügelflächen nicht unmittelbar mit den Gewichten vergleichen dürfe, sondern die Quadrat- wurzeln jener Flächen mit den Kubikwurzeln dieser Gewichte in Beziehung bringen müßte, um richtige, zum Zwecke des Vergleichs benutzbare Zahlen zu erlangen. In Wirklichkeit zeigen aber auch die so gewonnenen Verhältniszahlen keine Konstanz, und zwar auch dann nicht, wenn man nur Tiere derselben Flugart miteinander ver- 2 gleicht. So beträgt der Wert I Fläche bei: I Gewicht Rebhuhn 4,03 , beim Spatz 2,86 und bei der Hummel 1,33. Wenn aber auch — was, wie wir sehen, nicht der Fall ist — so eine Konstanz vorhanden wäre, so würde dadurch das Paradoxon, das in dem relativen Größerwerden der Flügel mit abnehmen- dem Körpergewicht liegt, in keiner Weise be- seitigt, denn es handelt sich bei den Flugtieren nicht darum , daß die verschieden großen gleich gestaltet, morphologisch ähnlich sein sollen , son- dern vielmehr darum, daß alle die Arbeit der Überwindung der Schwere gleich gut leisten, also funktionell ähnlich sein sollen. Bei der Überwindung der Schwere kommt es auf die Kraft an, mit der die Flügel nach unten auf die Luft drücken. Diese Kraft hängt aber nicht nur von ihrer Größe, sondern, und zwar im hohen Grade, auch von der Geschwindigkeit ihrer Bewegung der Luft gegenüber ab. Die Flatter- flieger werden daher, wenn wie vorauszusehen der Winkel, in dem sich die Flügel bewegen, immer so ziemlich gleich ist, eine um so größerere hebende Kraft durch die Bewegung derselben er- langen, i) je länger die Flügel sind und 2) je mehr Flügelschläge sie in einer Sekunde machen. Ein Spatz hat ungefähr 10 cm lange Flügel und führt damit etwa 12 Flügelschläge in der Sekunde aus. Eine Biene hat etwa 6,3 mm lange Flügel und macht damit, wie Marey gezeigt hat, etwa 190 Schläge in der Sekunde. 6,3 mal 190 ist ungefähr gleich 100 mal 12. Der langsame Ruderflug, dessen sich die Segler bedienen, wenn sie mit dem bloßen Segeln nicht auskommen, zeigt ähnliches. Der Storch hat 68 cm lange Flügel und macht 1 '■'j^ Flügelschläge in der Sekunde. Die Lachmöwe hat 39 cm lange Flügel und macht 3'/., Flügelschläge in der Sekunde. Auch hier sind die Produkte einander nicht unähnlich. Im allgemeinen kaim man also sagen , daß die Bewegung der Flügel der Luft gegenüber bei ver- schieden großen Fliegern derselben Flugart eine gleich rasche ist und daß dies ebenso für die Flatterflieger, wie für die Segelflieger gilt. Man kann daher die Tatsache , daß die kleineren Tiere relativ größere F'lügel als die großen haben, nicht damit erklären, daß bei ihnen die Bewegung der Flugflächen der Luft gegenüber eine lang- samere wäre. Im Hinblick auf das biologische Grundgesetz der Sparsamkeit, wonach die Organe im allge- meinen nicht größer werden als es zu ihrer Leistungsfähigkeit erforderlich ist, müssen wir unter diesen Umständen annehmen, daß die klei- neren Tiere verhältnismäßig größerer Flügel be- dürfen, um dasselbe, wie die großen und schweren mit ihren relativ kleineren Flügeln leisten zu können. Daß das so ist, daß eine Flügelfläche von 6/ Ouadratmillimeter per Gramm hinreicht den Albatroß in den Stand zu setzen zu segeln, während die Lachmöwe 336 Ouadratmillimeter dazu braucht; und daß die Trappe mit 62 Ouadrat- millimeter per Gramm auskommt , während der Spatz 200 und die Fliege 1 800 Quadratmillimeter dazu braucht, läßt sich nur auf Grund der An- nahme erklären , daß der Widerstand der Luft gegen bewegte Flächen nicht in direkter Propor- tion zu ihrer Größe steht, sondern bei zunehmen- der Flächenausdehnung rascher als die P'läche zunimmt. Wenn wir bedenken, daß die Luft eine gewisse Zeit braucht, um vor einer gegen sie be- wegten Flügelfläche auszuweichen, so können wir uns wohl vorstellen, daß jene Annahme berechtigt ist. Denn es wird eine größere bewegte Fläche die Luft, die nicht Zeit hat seitlich vor ihr aus- zuweichen, zusammendrücken, und bei der Weiter- bewegung auf diese zusammengedrückte Luft, die ihr natürhch einen größeren Widerstand als ge- wöhnliche entgegengesetzt, drücken. Wie dem auch sei, über die Tatsache des relativen Kleinerwerdens der Flügelflächen mit zunehmender Körpergröße kann kein Zweifel be- stehen und wir können daraus interessante Schlüsse auf die Größe der Flügel ziehen , deren ein Mensch bedürfen würde um damit fliegen zu kön- nen. Wenn man die Verhältnisse des Gewichtes zur relativen Flügelgröße mit Hilfe von Koordi- naten graphisch darstellt, die Punkte, die man dabei erhält, durch eine Kurve verbindet und diese Kurve dann über das schwerste Tier hinaus verlängert, so erlangt man eine annähernde Vor- stellung von der Flügelgröße, deren noch schwerere Flieger bedürfen würden. Da die menschliche Muskelkraft keinesfalls zum Flatterfluge ausreicht, kommt hier nur der Segelflug in Betracht. Ich habe eine Kurve für die Segelflieger in der oben angedeuteten Weise gezeichnet. Dieser ist zu entnehmen, daß N. F. m. Nr. 60 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 955 ein 70 Kilogramm schwerer Flieger 32 „ 80 „ „ „31 „100 „ „ „ 29V.2 Quadratmillimeter Flügelfläche per Gramm Ge- wicht brauchen würde. Wenn das Körpergewicht samt dem Gewicht der künstlichen Flügel 90 Kilogramm beträgt, würde demnach der Mensch, um wie ein Albatroß segeln zu können, 90000 mal 30, das ist 2700000 Ouadratmillimeter Flügelfläche, also zwei, zusam- men 2,7 Quadratmeter große Flügel brauchen. Es müßte also jeder Flügel eine Fläche von 1,35 Quadratmeter haben. Wenn er die Form des Älbatroßflügels hätte, wäre er dann beiläufig 3 Meter lang und am Grunde 60 Zentimeter breit, und es betrüge die Flügelspannung bei ö'/j Meter. Flügel von solcher Größe rasch und sicher zu handhaben und schnell genug zu drehen und in ihrer Form zu verändern, um all die kleinen Strömungen der Atmosphäre auszunützen, wird gewiß nicht allzu schwer sein, weshalb kein Grund vorliegt, warum nicht auch der Mensch im stände sein sollte die Kunst des Segelfluges zu erlernen. Kleinere Mitteilungen. über die natürliche Immunität der Vipern und Nattern hat Dr. Cesar Phisalix, Assistent am Naturhistorischen Museum zu Paris, neue Untersuchungen angestellt, über welche er der französischen Akademie der Wissenschaften be- richtet hat (Comptes rendus, Bd. CXXXVII, 1903, S. 270—272). Der Genannte beschäftigt siph schon seit Jahren mit diesem Stoff, und wir haben schon öfters Gelegenheit genommen , über seine Arbeiten zu referieren (vgl^ Naturw. Wochenschr. 1896, S. 480; 1897, S. 523; 1898, S. HO; 1899, S. 108). Bereits der Italiener F. Fontana ließ 1781 Ottern sich gegenseitig beißen, oder er impfte ihnen mit einer Lanzette Viperngift ein; er kam damals schon zu dem Schluß, daß das Gift der Vipern für die eigene Art nicht tödlich wirke. Zu demselben Resultat kamen bei ihren Unter- suchungen Dumeril, Guyon, Viaud-Grand-Marais und Waddell. Andere Forscher, wie Mangili, Cl. Bernard, Weir-Mitchell und Fayrer behaupteten dagegen, daß die Schlangen wohl durch ihr eigenes Gift getötet werden könnten, wenn auch der Tod etwas später einträte. Phisalix löste trockenes Kreuzotterngift in Salz- wasser auf und injizierte die Lösung in allmählich wachsenden Dosen in die Bauchhöhle von Ottern und Nattern. Bis zu einer Dosis von 40 mg be- wirkte das Gift nicht die geringste Störung. Aber von 45 mg an reagierte die vergiftete Schlange weniger auf Reize und wurde in ihren Bewegungen langsamer. Es traten spasmodische Kontraktionen des Rektum und des Anus sowie häufige Urin- abgänge auf. Die Anfälle wurden aber nach und nach schwächer, und nach 4 — 5 Tagen war die Schlange wieder gesund. Um das Tier sicher zu töten, waren immer 100 — 120 mg Gift notwendig. Bei der Autopsie zeigte sich dann ein Bluterguß in die Leber und längs der Aorta, die roten Blut- körperchen waren indessen intakt geblieben, und das Hämatoglobin war nicht zersetzt. Wurde das Gift statt unter die Haut oder in das Abdomen in die Schädelhöhle eingeführt, so genügten schon sehr schwache Dosen, 2 — 4 mg, um den Tod herbeizuführen; bei der Autopsie zeigten sich dann die Hirnhäute stark entzündet, besonders die des Großhirns. Aus den Untersuchungen von Phisalix geht also hervor, daß die natürliche Immunität der Vipern und Nattern keine absolute ist. Eine Viper kann ein Exemplar ihrer Art töten, aber nur, wenn sie in den Schädel beißt, so daß die Gift- zähne in das Gehirn dringen ; dies wird allerdings infolge der harten Schädeldecke der Schlangen sehr selten vorkommen. Sg. Klappert der schwarze Storch? — Die P^rage ist unbedingt zu bejahen. Der verdiente J. Rohweder schreibt zwar neuer- dings : „Während eines Zeitraumes von ungefähr 30 Jahren habe ich alljährlich drei bis fünf Horste zu beobachten Gelegenheit gehabt und es an Zeit und Geduld nicht fehlen lassen, mich mit den Eigen- schaften der Bewohner bekannt zu machen: Nie- mals habe ich sie klappern hören, überhaupt von den Alten nicht einen Laut vernommen. Nicht anders ist es den betreftenden Forstbeamten er- gangen, obgleich sie zum Teil bei ihren Be- schäftigungen im Walde oder auf den angrenzen- den Ländereien fast zu jeder Jahres- und Tageszeit in der Nähe des Nistplatzes sich befanden" („neuer Naumann", VI, 324). Der Niederschrift dieser persönlichen Einzel- erfahrung an maßgebender Stelle hätte es eigent- lich nicht bedurft, da das Klappern des schwarzen Storches doch von zu vielen Beobachtern gehört worden ist. ' Ich selbst habe zwar auch trotz aller meiner Bemühungen Ciconia nigra noch nicht klap- pern hören, weder im Freien noch im Tier- garten. Im Frankfurter Zoologischen Garten z. B., wo ich alle Schreitvögel (Gressores) eingehend beobachtete, blieb der schwarze Storch immer stumm, während der weiße (Ciconia alba), der Marabu (Leptoptilus dubius), der afrikanische Nimmersatt (Tantalus ibis) und der indische Nimmer- satt (Tantalus leucocephalus) recht oft ganz ver- gnüglich klapperten. Das Klappern des schwarzen Storchs wird von den verschiedensten älteren Autoren bezeugt, von denen ich hier nur drei der maßgebendsten an- führe. 956 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 60 J. Fr. Naumann hat oft den schwarzen Storch gefangen gehalten. „Sein Klappern hat einen höheren Ton und tönt nicht so stark (als das des weißen Storches); der Kenner kann es deshalb, aber nur bei vieler Übung, leicht unterscheiden." H. O. Lenz schreibt: „Als Kind habe ich nebst anderen Knaben einen mit Fröschen auf- gezogen, welcher ganz zahm wurde und frei um- herging. Einen PVanzosen, welcher ihn oft neckte, haßte er sehr, klapperte laut, wenn er ihn er- blickte und verfolgte ihn mit Schnabelhieben. Auch Hunde schlug er in die Flucht." Adolf und Karl Müller berichten in „Tiere der Heimat" Ähnliches. „Ihm steht nur das allen Störchen eigentümliche Klappern zu Gebote, jedoch nicht in der Stärke wie seinem weißen Verwandten. Er läßt es gedämpft hauptsächlich nur zur Paar- zeit und vor dem Zuge bei Begegnen und Zu- sammentreten mit anderen hören." Das Ausgeführte berechtigt zu der Schlußfolge- rung: Der schwarze Storch kann klappern, klappert aber nur recht selten. VV. Schuster. Merkwürdige Fossilien im Steinbruche von Pinsdorf bei Gmunden am Traunsee in Oberösterreich. — In unmittelbarer Nähe des Gmundner Bahnhofes, am Fuße des der Flysch- zone angehörenden Pinsdoriberges liegt ein kleiner, erst seit 3 Jahren betriebener Steinbruch. Der erste Anblick der Lagerung und der Mächtigkeit der grauen und gelben Sandsteinbänke ist nicht sehr vielversprechend und läßt nichts weniger als abnorme Fossilien erwarten, da ja doch die Sand- steinbänke der Flyschzone als versteinerungsarm gelten. Der Felsen selbst hat oben eine Decke von Wiesengrund und der Steinbruch zeigt viele, sehr schiefliegende, meterdicke Sandsteinschichten. Zwischen diesen liegen ganz dünne Schichten von bituminösem Mergel und Lehm, die von Sicker- wässern ganz erweicht sind. Diese oberen Sand- .steinschichten enthalten keinerlei V^ersteinerungen. Eine Untersuchung des Gesteins mit der Lupe zeigt lediglich feine Sandkörnchen, vermischt mit Kohlenstückchen. Erst in einer Tiefe von ca. 20 m findet sich eine dicke, graue Sandsteinschicht, die auf einer weichen schwarzgrauen Mergelschicht von ca. 10 cm Mächtigkeit aufliegt. Diese Sand- steinschicht ist die Fundstelle jener bemerkens- werten F"ossilien, welche dem -Steinbruch in kurzer Zeit zu einer gewissen Berühmtheit verholfen haben. Wird diese letzte, meterdicke, sehr harte Sandsteinschicht abgehoben , so zeigt sie an der unteren Seite absonderliche Gebilde, die mit dem Muttergestein auf das innigste verwachsen sind. Zunächst sieht man die verschiedenartigsten Bildungen, von der Art, wie sie Th. Fuchs als „Fließwülste" bezeichnet hat. Es finden sich große, parallele Erhabenheiten, wie dicke Stäbe geformt. Formen, die große Älinlichkeit mit einem sich windenden Wurme besitzen. Manchmal er- scheinen diese wurmförmigen Körper sogar 3 teilig. Viel merkwürdiger sind jedoch Fossilien von I — 2 m Größe, die im ersten Augenblick an die Wirbelsäule eines Vierfüßlers erinnern. Die neben- stehende Abbildung, welche ein vor kurzem auf- gefundenes Exemplar .dieser Gebilde nach photo- Wm graphischer Aufnahme, die mir in liebenswürdig- ster Weise von Herrn Nußbaumer, dem Besitzer des Steinbruchs, zur Verfügung gestellt wurde, wiedergibt, kann leider nur eine annähernde Vor- stellung derselben gewähren. Man würde zunächst an die Wirbelsäule eines Sauriers denken, wenn nicht die „Wirbelfortsätze" wechselständig anstatt gegenständig wären. Es sind jetzt ca. 12 Platten mit solchen Bildungen aufgefunden worden. Einer Arbeit von Eberhard Fugger ') entnehme ich die Angaben, daß jeder dieser „Wirbelfortsätze" etwa 7 cm lang ist und 2 — 4 cm aus der Platte heraus- tritt; die Breite beträgt 2 — 3 cm. Auf einer Platte zeigt diese „Wirbelsäule" einen Fortsatz von 15 cm Länge, der als „Schwanz" gedeutet werden könnte. Den Teilnehmern der von Prof Penck geleiteten Exkursion, die nach dem Wiener Geologenkongresse Gmunden besuchten, wurden diese merkwürdigen Bildungen gezeigt. Die widersprechendsten Mei- nungen wurden geäußert. Prof. Deperet aus Lyon '1 Eberhard Fugger, Die oberösterr. Alpen zwischen Irrsee und Traunsee. Wien 1903. N. F. m. Nr. 60 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 957 glaubte in ihnen Formen wiederzuerkennen , wie er solche in Südfrankreich, allerdings in viel älte- ren Formationen aufgefunden und mit dem Namen „Bilobites" belegt hatte. Der genannte Forscher erklärte die Figuren als Abdrücke der Unterseite einer großen Crustacee; die scheinbaren Wirbel- fortsätze längs der gemeinsamen Mittellinie seien die Spuren der zahlreichen Füßchen des Krebs- tieres. Alle die fraglichen Gebilde bestehen aus demselben Material wie das Muttergestein , keine Spur von Knorpeln, Schuppen, Schalen oder son- stigen organischen Resten ist zu finden. Fugger hat in einer anderen Lokalität, im Steinbruch von Muntigl ein ganz ähnliches Stück gefunden , das er damals „als eine Aneinanderreihung von er- habenen Knollen derart, daß das Ganze einem Stück einer Wirbelsäule nicht unähnlich sieht", beschrieb. Die geschilderten Erhabenheiten be- finden sich auf der Unterseite der Sandsteinschicht, deren Liegendes eine dünne Mergellage ist. Als der Mergel noch weicher Schlamm war, lag das Tier auf demselben und erzeugte einen Abdruck. Der Schlamm erstarrte und in die Vertiefungen setzte sich Sand ab, der seinerseits wieder zu Sandstein wurde und so eine Art Steinkern re- präsentiert. Solange es nicht gelingt durch weiteren Ab- bau des Steinbruchs einmal eine ganz trockene fossilienführende Schicht zu erreichen , die von dem Zersetzungsprozesse verschont und im ursprüng- lichen Zustande erhalten blieb, dürfte eine sichere Diagnose dieser h'ossilien kaum möglich sein. Neuere Untersuchungen haben sich indessen doch für die pflanzliche Natur derselben ausge- sprochen. Prof. Lorenz v. Liburnau hält sie für versteinerte Algen, andere Beobachter, darunter hervorragende Botaniker, sprachen sich dahin aus, daß man es hier mit den Asten einer Rispe einer Palmenart zu tun habe. Tatsächlich zeigt die Abbildung des Blütenstandes der rezenten tropischen Palme Plectocomia elongata, die zur Untergruppe der Lepidocariinae gehört, in der berühmten Historia naturalis palmarum von Dr. Martius eine große Ähnlichkeit mit den Funden. Wir finden dort blütentragende Aste, die an der Basis mit kleinen tutenförmig umfassenden Schei- den bedeckt sind, und diese Tuten zeigen genau dieselbe zweizeilige Anordnung, wie wir sie an den Funden sehen. Dr. Stiasny. diejenigen Stellen des Drahtes, die infolge von Splissung aus mehreren Drahtlagen bestanden, waren nicht bis zur Verbrennung erhitzt worden. Ein ganz ähnlicher Fall hatte sich bereits am 16. April 1903 ereignet, nur daß damals ein heller Funkenregen beobachtet wurde und die niedergefallenen Rückstände des Drahtes in Ge- stalt zahlreicher Hohlkügelchen und Halbkügel- chen aufgefunden werden konnten. Nach diesen Erfahrungen erscheint es nicht ausgeschlossen, daß unter Umständen Gewitter- wolken durch Drachenaufstiege so weit entladen werden könnten, daß ein sich bildendes Gewitter verhindert oder wenigstens in seinem Ausbruch verzögert wird. „Ob und wie weit man eine praktische Anwendung davon wird machen können, bleibt vor der Hand unbestimmt, da es ungewiß ist, in welchem Sinne der Plntladungsschlag die Gewitterwolken beeinflussen wird ; — erfolgver- sprechende Versuche sind in dieser Hinsicht wohl möglich ; zwei Dinge stehen ihnen leider sehr im Wege: die Kostspieligkeit und die nicht ausge- schlossene Gefährlichkeit für den Experimentator." Kbr. Wetter-Monatsübersicht. Während des vergangenen Oktober herrsclite in ganz Deutschland sehr veränderliches, im allgemeinen ziemlich un- freundliches Wetter. Am schönsten und wärmsten war es in den ersten Tagen des Monats, an denen im Osten und Süden noch vielfach 20" C überschritten wurden. Bald fingen je- doch die Temperaturen, wie aus der beistehenden Zeichnung ersichtlich ist, allgemein zu sinken an, und zwiscfien dem jWitirercTcmpsrafurcncinissr ©rfeim ©MoßsrlSOf . Elektrische Entladungen bei Drachenauf- stiegen sind auf der Drachenstation der deutschen Seewarte in Groß-Borstel bei Hamburg wieder- holt an Tagen beobachtet worden, an denen sonst keinerlei Gewittererscheinungen zu verzeichnen waren. Nach einem von Dr. P. Pe rle witz hier- über in den „Annalen der Hydrographie" (1904, S. 469) erstatteten Berichte wurde am 4. Juli 1904 nach dem Vorüberzug einer Böe unter starkem Knall der ganze, fast 300 m lange Drachendraht in einen gelblich-roten Dampfstreifen , das Ver- brennungsprodukt des Gußstahls, verwandelt. Nur 9. und 16. Oktober hatte die Witterung einen sehr rauhen, spätherbstlichen Charakter. Nachtfröste waren in dieser Zeit sehr zahlreich, und auch mittags blieb das Thermo- meter oft unter 10** C. In der zweiten Hälfte des Monats wurde es wieder wär- mer. Im Westen kamen die Temperaturen um den 24. denen zu Beginn des Oktober sogar annäherad gleich. Dann aber trat eine neue empfindliche Abkühlung ein , die fast bis zum Schlüsse fortdauerte. Für die Mittcltemperaturen des Monats 958 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 60 ergab sich aus dieser zweimaligen Schwankung in allen Landesteilen eine gute Übereinstimmung mit ihren normalen Werten. Stunden mit Sonnenschein hingegen , deren Zahl sieb beispielsweise zu Berlin auf 78 belief, gab es etwas weniger, als in den meisten füheren Oktobermonaten aufge- zeichnet worden sind. Die Niederschläge waren im ganzen Monat sehr häufig, ihre Wassermengen aber in seinen ersten fünf Tagen , der nebenstehenden Zeichnung zufolge, nur gering. Zwischen dem r *ßicd!cr^'c^fag;ß'^ö^cii im ©fttoßcr 190^. '"U ' 20, [IhIm bis2i.OKrobep. r~P"25.'bist7T3Ktofier:j 1 1 1 | L'J i.akkbHlFP.EII 2«r 28.bis3i.OKfobep. i 11 i i-U Ui ^ifHererWerffur Deufschland. MonafssummeimOKfbr. imo3.02.oi. oo.im ^ BerlintpWelterburuu. 6. und jg.roktober kamen dagegen an den meisten Tagen, namentlich im Westen, sehr reichliche Regen vor, die vom 7. zum S. zu Frankfurt a. M. 42 mm ergaben. Sie wurden von schweren \A'eststürmen eingeleitet, die auf der Nordsee verschiedene Schiflsunfälle zur Folge hatten. In manchen Gegenden Schlesiens und Posens fanden dabei Gewitter, an der Küste auch verschiedentlich Hagelschauer statt; zu Magdeburg und Uslar fiel am 15. morgens der erste Schnee. Nach fünf trockenen Tagen liegann am 25. Oktober eine neue Regenzeit, die dem Süden einzelne Gewitter brachte, aber nur bis zum 27. anhielt. Am Ende des Monats waren die meßbaren Niederschläge selten, doch blieb das Wetter im all- gemeinen feucht und nebelig. Die Niederschlagshöhe des ganzen Monats war trotz der großen Zahl seiner Regentage kleiner, als dem Durchschnitt entspricht. Im Mittel aus allen berichtenden Stationen wurden nämlich im diesjährigen Ok- tober 50,1 mm gemessen, dagegen 68 mm im Durchschnitte der Oktobermonate seit Beginn des vorigen Jahrzehnts. In der allgemeinen Anordnung des Luftdruckes traten im Laufe des Monats oft sehr rasche Wandlungen ein. Bis zum 13. und dann wieder vom 16. bis 19. Oktober wurde der Norden Europas von zahlreichen Depressionen durchzogen, während sich in den mittleren, bisweilen auch in den niedrigen Breiten lioher Luftdruck, der höchste gewöhnlich in Rußland befand. Das intensivste barometrische Minimum erschien ganz plötzlich am Abend des 5. nordwestlich von Schottland und eilte, von orkanartigen Stürmen begleitet, in vierund- zwanzig Stunden bis zur Südspitze Schwedens hin, von wo es seinen Weg mit abnehmender Geschwindigkeit und Tiefe nordostwärts fortsetzte. Ihm schloß sich unmittelbar ein an- deres Minimum an, das zwar geringere Tiefe besaß , aber in den Kontinent eindrang und in Frankreich, Belgien, West- deutschland, dann in Italien sehr heftige Regengüsse ver- anlaßte. Am 19. Oktober wanderte ein umfangreiches Barometer- maximum von Westen her nach Mitteleuropa und in den nächsten Tagen weiter nach Norden, wo es sich, ebenso wie ein früheres Maximum, das am 14. Oktober nach Skandinavien gelangt war, mit dem über Rußland lagernden Hochdruckgebiet in Verbindung setzte. Während dann vom 25. bis 27. wieder ein tiefes Minimum mit ergiebigen Regenfällen vom europäischen Nordmeerc südwärts weitereiltc, trat ein neues Maximum auf dem atlantischen (.)zean bei Irland auf und begab sich über Norddeutschland langsam nach Nordwestrußland. Mit diesen mannigfaltigen Wanderungen der Hochdruck- und Depressions- gebiete waren zahlreiche Weclisel in den Windrichtungen Mitteleuropas verbunden. Doch herrschten im ganzen während der ersten Tage milde Südwestwinde, später dampfgesättigte Westwinde, in der zweiten Hälfte des Monats etwas trocke- nere östliche Winde vor. Dr. E. Leß. Bücherbesprechungen. Heinrich Marth , Die Trunksucht und ihre Bekämpfung durch die Schule. Wien u. Leipzig, Pichler's Wwe. 1904. — Preis 3 Mk. Der Kampf gegen die Volksschädigung durch den Alkohol ist auf der ganzen Linie entbrannt; er hat über die Kreise der Mediziner und Volkswirtschaftler hinaus in das Lager der Schulmänner übergegriffen. Ein neuer Beweis dafür ist dieses Buch, das in klarer und eindringlicher Form der im Titel gestellten Auf- gabe gerecht wird. Nach einem die physiologischen, pathologischen und sozialen Wirkungen des Alkohols schildernden Teile folgt die Besprechung der zur Abwehr der Trunksucht für die Familie, die Gesell- schaft und die Kirche erstehenden Aufgaben. Daran schließt sich eine beherzigenswerte, manche neue Gesichtspunkte bringende Auseinandersetzung, inwie- fern und inwieweit nun auch die Schule zur Nieder- zwingung des Volksfeindes Alkohol ersprießlichen Anteil zu nehmen berufen ist. Eingehende Details sind im Original nachzulesen. H. Kbr. Dr. Johannes Schubert, Prof an d. Kgl. Forst- akademie Eberswalde, Der Wärmeaustausch im festen Erdboden, in Gewässern und in der Atmosphäre. Mit 9 Tafeln. Julius Springer in Berlin 1904. — Preis geb. 2 Mk. Verf. bietet eine zusammenhängende Darstellung über den periodischen Verlauf der in Form von Wärme in Boden , Luft und Wasser aufgespeicherten Energiemengen. Er beantwortet die Frage : Wie groß sind die täglich oder jährlich umgesetzten Wärmemengen und wie gestaltet sich der periodische Verlauf? Die Veröffentlichung ist nicht nur für den Meteo- rologen von Interesse, sondern auch für den Agrikultur- chemiker, Forstmann, Landwirt u. dgl. Richard Wegner, Die Einheit der Natur- kräfte. Leipzig 1904. Veit & Co. — Preis geh. 4 Mk. — (Selbstanzeige.) Nehmen wir an, der Weltenraum sei nur erfüllt mit allerkleinsten, sagen wir, Ätheratomen von genau gleicher Größe. Die Atome befinden sich in Be- wegung, sie durchfliegen den Weltenraum, aber sie beeinflussen sich gegenseitig durch keinerlei selb- ständige Anziehungs- oder Abstoßungskräfte, ausge- nommen, wenn es unter ihnen zur direkten Berührung, zum Zusammenstoß kommt.- Dann wird endlich ein N. F. m. Nr. Co Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 9S9 Zeitpunkt kommen , so wollen wir mal der Einfach- heit wegen weiter annehmen , in dem sich die Be- wegungen der Atome so ausgeglichen haben, daß sie gleichmäßig im VVeltenraum verteilt mit einer gewissen Älittelgeschwindigkeit hin und her fliegen. Sie fliegen in einer Richtung, bis sie gegen andere anstoßen und setzen ihre Bahn dann in irgendeiner Komponente fort. Durchschnittlich mögen sie also gleichmäßig verteilt sein, also auf jedes Atom möge durchschnilt- lich ein gleicher Anteil des Gesamtwelteniaums kom- men , ein gleicher Bewegungs- oder Atomraum , und durchschnittlich ein gleich großer Anteil an der Gesamt- flugenergie aller Atome, die man wohl mit „kineti- scher Energie" bezeichnet. Außer der Flugenergie werden die Atome auch noch eine Drelienergie be- sitzen, denn sie geraten durch die gegenseitigen An- pralle in Rotation ; diese Energie interessiert uns aber hier nicht. In dieses Atomgewirr setzen wir jetzt mal ein neues Atom ein, dessen Größe von der der anderen, die wir Atheratome nannten, verschieden ist. Es mag doppelt so groß, aber sonst gleichartiger Natur sein. Auf das neue Atum werden nun so lange die anderen in Bewegung befindlichen .Atome aufprallen , bis es ihre Durchschnittsgeschwindigkeit erreicht hat. Nach unseren Voraussetzungen hat dann das neue Atom die doppelte kinetische Elugenergie, als ein Ätheratom, es hat ja die doppelte Masse. Infolgedessen wird es den doppelten Atomraum für sich beanspruchen, denn es vermag doppelt so viel Atome unter sonst gleichen Umständen zurückzudrängen als ein gewöhnliches Atom. Als weitere Folge davon werden die Ather- atome in der Flugrichtung intermittierend unnormal zusammengedrängt, hinter ihm aber in bezug auf die Verteilung intermittierend unnormal auseinander- gezerrt werden. Diese Verteilungsdichteänderungen werden nun alsbald aus den benachbarten Ather- atomen ausgeglichen. Dieser Vorgang hat aber eine Wirkung von weittragender Bedeutung. Wird die Verdichtung oder V^erdünnung aus dem benachbarten Äther paralysiert, so entsteht in der Nachbarschaft momentan eine Verdichtung oder Verdünnung, die wiederum ihr benachbarte Atherpartien in demselben Sinne weiter beeinflußt. Mit anderen Worten, die Verdichtungen und Verdünnungen breiten sich gleich- mäßig als Verdichtungs- oder Verdünnungswellen um unser neues Atom herum im Äther aus, natürlich mit abnehmender Intensität, entsprechend ihrer Gestalt als sich stetig vergrößernde Kugeloberflächen. Um unser neues Atom herum reagieren die es umgeben- den .\theratome durch eine gewisse Reaktionskraft auf die Gleichgewichtsstörung durch einen gewissen Druck, der konzentrisch auf das größere Atom gerichtet ist und der sich mit den Verdichtungs- oder Verdünnungs- wellen, die Niveauflächen darstellen, ausbreitet und entsprechend ihrer Intensität nach außen abnimmt. Wir wollen also festhalten ; „Wenn ein Atom sich mit mehr Energie in einer großen Atommasse be- wegt, als jedes einzelne der Masse im Durchschnitt besitzt , so wird die Masse der letzteren mit sphäri- schen Wellen durchsetzt , die konzentrisch auf das Atom drücken mit einer Kraft, die mit der Ausbrei- tung der Wellen oder der Entfernung vom Atom sich stetig" verkleinert." Bringen wir nun noch ein zweites Atom unter die -Vtheratome, das auch der Masse nach von ihnen ver- schieden ist, sonst aber stoft'lich gleichartig mit ihnen sein kann. Auch um dieses werden sich Wellen- flächen bilden , die konzentrisch auf das Atom mit einer Kraft drücken, die einerseits von der Entfernung eines bestimmten Wellenflächenteils vom Atom und andererseits von der Energie des Atoms abhängig ist, wie wir vorhin gesehen haben. Die Wellen der beiden Atome werden sich mal an irgendeiner Stelle des Weltenraumes treffen , die auf der Verbindungslinie der beiden Atome liegen wird. Da die Kraftrichtungen der betreffenden Wellenflächenstücke , die sich da kreuzen , entgegen- gesetzte sind, so werden sie interferieren, das heißt sich zum Teil oder ganz, entsprechend ihrer algebra- ischen Summe , in bezug auf irgendeine positive Kraftäußerung nach irgendeiner Richtung aufheben. Die Krafiwellen sind aber Kugeloberflächen , wie schon entwickelt, die konzentrisch auf das betreftende Atom drücken. Wird diese Wirkung an einer Stelle der Sphäre ganz oder zum Teil aufgehoben, so resul- tiert von der Stelle der Sphäre , die der ersten auf dem Durchmesser der Kugel gegenüberliegt , eine Schubwirkung auf das Atom in der Richtung des be- treffenden Durchmessers nach der Interferenzstelle zu. Der Durchmesser fällt hier gleichzeitig in die Rich- tung der geraden Verbindungslinie beider Atome , so daß durch die Kraftinterferenz die beiden Atome aufeinanderzu gedrängt werden. Sie bekommen, wie man sich auch ausdrücken kann, relativ eine i)utentielle Energie, oder sie ziehen sich an. Einzig und allein deshalb, weil sie eine andere Energie besitzen als die sie umgebenden Atommassen. Wir verfolgen so die Entstehung einer Anziehungs- kraft zwischen zwei Atomen. Nun existieren, so dürfen wir annehmen, im Weltenraum der Größe nach unendlich verschiedenartige Atome , die etwa vom kleinsten Ätheratom bis zum größten, sagen wir, um einen Namen zu nennen, Uranatom in unendlich kleinen Abstufungen variiert. Dem Stoffe nach sehen wir alle Atome als gleichartig an, weil kein Grund zum Gegenteil vorliegt, und was nicht notwendig, überflüssig ist. Alle diese Atome fliegen oder schwingen nun zunächst durcheinander und umgeben sich mit Wellensphären, die auf die mannigfaltigste Weise interferieren und so zur Entstehung von mannig- faltigen Anziehungserscheinungen Veranlassung wer- den, durch die das Ganze der Atommassen zu che- mischen Elementen mit mittleren Atommassen und chemischen Verbindungen gesichtet wird und durch die sich zahlreiche sekundäre, molekulare und gröber mechanische Wirkungen einstellen , die wir als che- mische, elektrische, magnetische etc. Wirkungen kennen. In dem eingangs erwähnten Buch ; Die Ein- heit der Naturkräfte, ist diese Anschauungsweise weiter und mathematisch durchgeführt. Ich habe darin zu zeigen versucht, daß es also als Urkraft nur die kinetischen Energien bewegter Atome zu geben braucht und daß sich daraus alle anderen 960 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 60 Kraftformen als sekundäre etc. Wirkungen natur- notwendig entwickeln müssen. Zuerst ist die An- ziehungskraft im allgemeinen, die Schwerkraft und das Newtongesetz mathematisch abgeleitet und gezeigt, aus welchen Größen die Konstante des Newton- gesetzes zusammengesetzt ist. Auf Grund der so festgelegten Anziehungskraft, die als das Wesentliche aller Naturkräfte anzusehen ist, sind dann Schritt für Schritt die komplizierteren Äußerungen der chemischen und elektrischen Kräfte in den Bereich der Betrachtungen gezogen und ge- zeigt worden, daß sie sich ohne neue Hypothesen zwanglos in die Interferenztheorie, wie ich die Theorie nannte, einfügen und daß diese Theorie fruchtbar für die Weiterentwicklung dieser Spezialgebiete sein wird. Nicht weniger wichtig, wenn auch für den Laien weniger augenfällig, ist das Ergebnis der Interferenz- theorie, daß nach ihr die eigentlichen Atome un- elastisch sein dürfen und daß doch das Ganze der Atome in bezug auf ein einzelnes Atom die Eigen- schaften der Elastizität hervorbringt. Die Postulate der modernen Naturwissenschaft, daß ein einfaches Atom sowohl elastisch sei als auch in sich selbst eine Anziehungskraft trägt, und mit denen das Vor- stellungsvermögen nichts anfangen kann, will also die Interferenztheorie eliminieren. Sie baut ihr Weltall auf auf bewegte unelastische Atome verschiedener Größe, aber gleichartigen Stoflles, ohne jede andere Hilfshypothese. Ich glaube mit der Interferenztheorie die schwer- wiegendsten Einwände gegen eine Verallgemeinerung der Atomtheorie in das Gebiet der allgemeinen Physik entkräften zu können, denn sie entkleidet die Atom- theorie alles Metaphysischen bis eben auf die Atom- masse , auf ein körperliches Atom , mit dessen Vor- stellbarkeit man sich aber wohl leichter abfinden kann als mit den HilfsStipulationen anderer Theorien. Richard Wegner. Literatur. Müller, Priv.-Doz. Dr. Paul Th. : Vorlesungen über Infektion u. Immunität. (VI, 252 S. m. 16 Abbildgn.) Lex. S". Jena '04, G. Fischer. — 5 Mk. ; geb. 6 Mk. Przibram, Priv.-Doz. Dr. Haus: Einleitung in der experimen- telle Morphologie der Tiere. (Vll, 142 S.) gr. S". Wien '04, F. Deuticke. — 4 Mk. Vegetationsbilder, hrsg. von Profi'. DD. G. Karsten und II. Schenk. II. Reihe. 2. Heft. 4". Jena , G. Fischer. — Subskr.-Pr. 2,50 Mk. ; Einzelpr. 4 Mk. Briefkasten. Herrn J. P. in Mähr.-Schönberg. — Der klebrige glän- zende Überzug der Lindenblätter (Honigtau) rührt meiner Er- fahrung nach immer von Blattläusen her. Er besteht aus den flüssigen Exkrementen dieser Tiere, die sich in trockenen Sommern, in welchen sie nicht immer wieder vom Regen ab- gespült werden, so anhäufen können, daß große Tropfen sich bilden, bei deren Entstehung auch der nächüiche Tau mit- wirken kann. Ein einziges Tier produziert sehr erhebliche Honigtauraengen, wie in meiner Arbeit (Der Honigtau, Jena, Gustav Fischer) näher dargetan ist. Die häufig ausgesprochene .\nsicht, daß der Honigtau infolge der Hitze aus den Blättern ausschwitze , ist ein .\nthropomorphismus , der nur deshalb immer wieder auftritt, weil die Tiere leicht übersehen werden und die Leistungsfähigkeit auch weniger Exemplare unter- schätzt wird. BUsgcn, Mann. -Münden. Herrn G. in Geisa. — Die beste Zusammenfassung unse- ler derzeitigen Kenntnisse über die Tertiärflora bietet Schenk in Schimper-Schenk's Paläophytologie (Zittel's Handbuch der P.iläontologie 11. Abteilung. München und Leipzig 1890). [Fürs Paläozoikum ist der Band nicht recht brauchbar.] Sie finden in diesem Buch auch die Literatur angegeben. Eine den heutigen Ansprüchen auch nur annähernd genügende Be- arbeitung speziell über die Flora des Tertiärs des Rhöngebirges gibt es nicht. Herrn H. S. in .\ltona. — Eine ganz kurze, elementar einführende Schrift zur Descendenztheorie ist Potonie, Ab- stammungslehre und Darwinismus (Ferd. Dümmler's Verlag in Berlin. Preis 80 Pf.) ; sehr eingehend , aber durchaus bei aufmerksamem Studium leicht zu verstehen sind Weismann's Vorträge über Descendenztheorie (Gustav Fischer. Preis 20 Mk.) Eine Besprechung des letztgenannten Werkes finden Sie in der Naturwiss. Wochenschr. N. F. Bd. I (Ed. XVII) p. 550. Herrn Dr. H. in München. — Sie wünschen Literatur über die Vergletscherung der Schwäbischen Alb und der an- grenzenden Gebiete. Ich nenne Ihnen: Koken, Geologische Studien im Schwäbischen Ries. N. Jahrb. f. Min. Beil. Bd. XII. 1899. p. 477. Dcrs., Bewegung großer Schichtmassen durch glacialen Druck. Zentralbl. f. Min. 1900. p. 115. Ders., Beitrag zur Kenntnis des schwäbischen Diluviums. N. Jahrb. f. Min. Beil. Bd. XIV. igoi. p. 120. Ders., Die Glacialerscheinungen im Schönbuch. Zentralbl. f. Min. 1901. p. 10. Ders., Die Schlilfflächen und das geologische Problem im Ries. N. Jahrb. f. Min. 1901. II. p. 1. Ders., Glacialerscheinungen im Schönbuch. N. Jahrbuch für Min. etc. 1S99. II. p. 120. Steinmann, Die Entwicklung des Diluviums in Südwest- deutschland. Zeitschr. d. deutsch, geolog. GescUsch. 1898. p. 83. Ders., Bedeutung der tiefgelegenen Glacialspuren im mittleren Europa. Bericht über die 29. Versamml. d. oberrhein. geolog. Vereins zu Lindenfels 1896. Ders., Die Bildungen der letzten Eiszeit im Bereiche des alten Wutachgebietes. Bericht über die 35. Versammlung des oberrhein. geolog. Vereins. Ders., Die Spuren der letzten Eiszeit im hohen Schwarzwalde. Freiburger Universitäts- Festprogramm zum siebzigsten Geburtstage S. Kgl. Hoheit d. Großherzogs Friedrich. Freiburg 1896. Regelmann, Über Vergletscherungen und Bergformen im nördlichen Schwarzwald. Württemb. Jahrbücher für Statistik u. Landeskunde 1895. Heft I. Weitere Literatur, besonders auch über die Vergletsche- rung von Odenwald und Spessart finden Sie in : Blanc kenh or n , Diluvium der Umgegend von Erlangen. Sitzungsber. d. physik. mediz. Sozietät zu Erlangen 1895 und in der Entgegnung von Klemm, Über die Glacialerscheinungen im Odenwald und Spessart. Notizblatt des Vereins für Erdkunde etc. zu Darmstadt. IV. Folge. Heft 16. Darmstadt 1895. p. 19. Dr. E. Philippi. Inhalt: I>. T. Macdougal: Mutation im Pflanzenreiche. — Robert v. Lendenfeld: Flügelgröße und Körpergewicht. Kleinere Mitteilungen: Dr. Cesar Phisalix: Über die natürliche Immunität der Vipern und Nattern. — W. Schuster: Klappert der schwarze Storch? — Dr. Stiasny: Merkwürdige Fossilien im Steinbruche von Pinsdorf bei (imunden am Traunscc in Oberösterreich. — Dr. P. Perle witz: Elektrische Entladungen bei Drachenaufstiegen. — Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: Heinrich Marth; Die Trunksucht und ihre Bekämpfung durch die Schule. — Dr. Johannes Schubert: Der Wärmeaustausch im festen Erdboden, in Gewässern und in der Atmosphäre. — Richard Wegner: Die Einheit der Naturkräfte. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lictiterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sclie Buchdr.), Naumburg a, S. Einschlierslich der Zeitschrift „DlG NatUf" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge HI. Baad; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den 27. November 1904. Nr. 61. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post I s Ptg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Das Keimgewebe der lebenden Geschöpfe. [Nachdruck verboteo. Von E>r. W. Fuchs. Die Ernährung und Atmung der den mensch- lichen Körper zusammensetzenden Organe und Gewebe wird in der Weise geregelt, daß das in der Lunge fortwährend mit frischem Sauerstoff versorgte, aus den Verdauungsvorgängen im Darme und aus der Lymphe neues Bildungsmaterial be- ziehende Blut unter der regelnden Tätigkeit des Herzens in den sich immer feiner verzweigenden Arterien diesen Geweben und Organen zugeführt wird. Schließlich wird dieses mit Sauerstoff und Bil- dungsmaterial versehene Blut in den Kapillaren, den feinsten, vielfach anastomosierenden, nur aus Endo- thelzellen zusammengesetzten Gefäßen, zwischen den einzelnen Zellengruppen der Gewebe verteilt ; Hüllen von Bindegewebe, welche diese Zellen- gruppen umgeben und verbinden, sind die Träger der Gefäße, in den Spalten dieser faserigen Hüllen sind feine Zellen vorhanden, die Bildungszellen des Bindegewebes. — Wenn das in den Kapillaren überall verteilte Blut seine Bildungsstoffe und den Sauerstoff ab- gegeben hat, wird es in den Venen wieder ge- sammelt, der rechten Herzhälfte und den Lungen zugeführt. Bevor jedoch dies ausgenützte Blut wieder in das Herz und die Lungen gelangt, nimmt dasselbe die in eigenem Gefäßsysteme gesammelten Bestandteile der Lymphe auf, denen die durch die Gefäße des Chylus dem Darme entnommenen Bildungsstoffe beigemengt sind. Die feinsten Wurzeln dieses Gefäßsystems, das in der Rich- tung gegen das Herz seine Gefäße zu immer größeren Stämmen vereinigt, gehen aus dem die Gewebe umhüllenden Bindegewebe hervor. In diesen Gefäßen werden Stoffverbindungen, welche bei dem Stoffwechsel in den Geweben nicht ver- wendet sind, dem Blute wieder zugeführt; in den Lymphgefäßen bewegen sich die Lymphzellen oder weißen Blutkörperchen, die, aus den Spalten des retikulären Bindegewebes hervorgehend, sich in den Lymphgefäßen sammeln und wohl hauptsächlich die Aufgabe haben, solche in Geweben neuent- stehenden Stoffverbindungen in das Protoplasma ihrer Zellen aufzunehmen. Alles zu neuer Blut- bildimg nötige Material wird dem Venenblute wieder zugebracht, bevor dasselbe neuerdings in den Lungen wieder mit Sauerstoff versorgt wird. Die roten Blutzellen, die Erythrocyten, sind es, welche die Aufnahme des Sauerstoffs in der Lunge 962 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 61 übernehmen und in den sich immer weiter verzweigen- den Arterien zusammen mit den Bildungsstoffcn des Blutes in alle Teile der Gewebe gelangen, um daselbst ihren Sauerstoff abzugeben. Bereits in den feinen Arterien findet die Bewegung dieser Zellen in der Weise statt, daß sie den mittleren Teil des Blutstromes einnehmen, den sogenannten Achsenstrom bilden, während peripherisch zu beiden Seiten dieses Stromes in dem Poiseuille'schen Raum das Plasma des Blutes und die weißen Blutkörper- chen sich bewegen, letztere sind im Blute in viel geringerer Zahl vorhanden als die Sauerstoffträger. In den Kapillargefäßen bewegt sich das Blut in gleichmäßiger Strömung, die roten Blutkörperchen nur einzeln hintereinander; die weißen Blutkörper- chen, welche an den Wandungen der Kapillaren, den Endothelzellen, sich hinschieben, bleiben viel- fach an letzteren haften, um dann sich wieder los- zureißen und an den Wänden der Gefäße weiter- zurollen. — Dabei besitzen dieselben jedoch die F'ähigkeit, sich unter Verschmälerung und \'er- längerung ihres Zellenleibes zwischen den Endo- thelzellen aus den Gefäßen herauszuschieben und so in die Spalten des die Kapillaren umgebenden Bindegewebes einzutreten. Diese Fähigkeit be- sitzen die Leukocyten wohl auch bei normaler Zirkulation, in viel höherem Maße aber zeigt sich dieses Auswandern der Leukocyten bei krank- haften mit Erhöhung des Blutdruckes einhergehen- den Zuständen. Dann haben diese in größerer Menge aus den Gefäßen austretenden weißen Blut- zellen wohl die Aufgabe, das erkrankte Gewebe von schädlichen Stoffen und den Resten der in- folge der Erkrankung zerfallenden Gewebsteile zu reinigen. Im gesunden und im kranken Gewebe besteht die Tätigkeit der weißen Blutzellen darin, Stoffe, die an Ort und Stelle nicht verwertet werden, oder neu sich bildende Produkte des Stoff- wechsels in das Protoplasma ihres Zellenleibes auf- zunehmen. — Die mit der Lymphe in das Blut eintretenden weißen Zellen führen solche Produkte dem Blute zu, wo dieselben voraussichtlich mit dem der Verdauung entnommenen Material zur Herstellung neuer Protoplasmavcrbindungen ver- braucht werden ; die aus den Gefäßen auswandern- den Zellen werden vielfach von einer in den Bindegewebsspalten vorhandenen, sehr energischen Zellenart, den Bildungszellen oder fixen Zellen des Bindegewebes, aufgenommen und verwendet. Man hat angenommen, daß infolge des in den Haargefäßen noch vorhandenen , gleichmäßigen, durch die Tätigkeit des Herzens regulierten Blut- druckes die Blutflüssigkeit aus diesen nur aus Endo- thelzellen zusammengesetzten Gefäßen austreten wird, um zunächst in die Spalträume des Binde- gewebes zu gelangen; aus der austretenden Blut- flüssigkeit würden die Zellen der verschiedenen Gewebe und Organe die für die Zellenbildung und Ernährung nötigen Stoffe direkt entnehmen können. Allein der Vorgang ist doch ein anderer. Ge- rade in diesen sternförmigen oder vielgestaltigen, miteinander in Verbindung stehenden Lücken des Bindegewebes liegen die bereits erwähnten fixen Zellen desselben. Diese Zellen füllen die Lücken, in welche die Blutflüssigkeit eintritt, nicht voll- ständig aus; es sind amöboide Zellen, also Zellen, welche die Fähigkeit besitzen, unter Veränderung der Form ihres hüllenlosen Leibes durch Aus- senden von Fortsätzen Stoffe aufzunehmen und wieder unter Kontraktionserscheinungen abzugeben. Die amöboide Bewegungsform dieser Zellen, bei der Stoffaufnaimie und Abgabe unter Veränderung der Gestalt des ZeJlenleibes erfolgt, wird von den Physiologen ausdrücklich hervorgehoben. Wenn die weißen Zellen, welche aus den Gefäßen aus- gewandert sind, nach kürzerem oder längerem Be- stände wieder zerfallen, so können die Bestand- teile des zerfallenden Protoplasma dieser Zellen von den fixen Zellen wieder aufgenommen und weiter verwendet werden, auch ist beobachtet, daß noch erhaltene weiße Zellen von den Bildungs- zellen des Bindegewebes aufgenommen werden. Bildet sich Granulationsgewebe, so wird voraus- sichtlich das Protoplasma der ausgewanderten, zu- erst auf der erkrankten Stelle tätigen Leukocyten weiterhin von den fixen Bildungszellen verwendet. Diese amöboiden, in den Spalten des Binde- gewebes lagernden zelligen Gebilde sind nach den Anschauungen der Physiologen imstande, aus der in diese Spalten eindringenden Blutflüssigkeit Be- standteile aufzunehmen und wieder abzugeben ; die Ausscheidung der Blutflüssigkeit aus den Ge- fäßen geschieht unter Mitwirkung der die Wand der Kapillargefäße bildenden Endothelzellen, denen eine sezernierende Tätigkeit zugeschrieben wird. Es ist die Eigenschaft der amöboiden Zellen, je nach der Zusammensetzung ihres Protoplasma be- stimmte Stoffe mit Vorliebe an sich zu ziehen und aufzunehmen, also eine bestimmte Auswahl unter dem von der umgebenden F"lüssigkeit ge- botenen Bildungsmaterial zu treffen. Korpuskulare Elemente oder Mikroorganismen, welche in den Protoplasmaleib eindringen, werden unter nor- malen Verhältnissen durch erhöhte Tätigkeit der amöboiden Zelle unschädlich gemacht, dabei wird das lösbare dieser festeren Körperchen verwertet, das unlösbare wieder ausgeschieden. Zwischen den feinen Gefäßen und den Zellen, welche die Elemente der verschiedenen Organe und Funktionsgewebe bilden und die bereits bei der Entwicklung des Keimes durch LTmwandlung in Epithelzellen zu den ersten Anlagen dieser Funktionsgewebe werden, ist überall Bindegewebe mit Spalträumen und den in den letzteren fest- sitzenden Zellen vorhanden: solange das Wachs- tum der Funktionsgewebe und Organe im Gange ist, erscheint das anliegende Bitidegewebe mit zahl- reichen, teilweise in Teilung begriffenen derartigen Zellen durchsetzt, während die Ausscheidung der Fasern des Bindegewebes noch eine geringere ist. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß diese amöboiden, der Blutflüssigkeit Bildungs- stoffe entnehmenden Gebilde auch mit den Zellen N. F. III. Nr. 6i Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 963 der Funktionsgevvebe in Verbindung; treten und auch an diese Bestandteile des aufgenommenen Materials abzugeben haben. Je mehr das Wachs- tum der Funktionsgewebe sich dem Ende nähert, desto reicher an Fasern wird das anliegende Binde- gewebe, zwiscJien diesen Fasern erscheinen dann die erwähnten Zellen in verhältnismäßig geringer Zahl, als Bildungszellen des Bindegewebes von un- scheinbarem Aussehen. Das Wachstum der aus der Befruchtung her- vorgegangenen Keime geschieht in der Weise, daß sich das kernhaltige Protoplasma des befruch- teten Eies unter Spaltung aller wichtigen Kern- bestandteile in zwei Hälften zerlegt, welche sich dann durch Aufnahme von Bildungsstoffen, zu- nächst der Dotterstoffe, und Umwertung derselben wieder so ergänzen, daß jede der beiden neuen aus der Teilung hervorgegangenen Zellen den Wert und die Leistungsfähigkeit der ersten Bildungs- anlage besitzt. Die gleichwertige Vervielfältigung dieser Bildungsanlage, des kernhaltigen Protoplasma des befruchteten Eies, geht in geometrischer Pro- gression solange weiter, als Zellen und Gewebs- teile in dem waclisenden Keime zu bilden oder, falls ein Teil derselben zerstört wird, wieder neu herzustellen sind. — Alle die aus der gleichwertigen Vervielfältigung des kernhaltigen Protoplasma des befruchteten Eies hervorgegangenen Teilungsstücke werden als Keimzellen bezeichnet; ein großer Teil derselben wird dann weiterhin zu Epithelzellen umgewandelt, die in Gruppen vereinigt die ersten Anlagen der Organe und Funktionsgewebe herstellen. Während diese Umwandlung stattfindet, lösen sich aber weitere Keimzellen von den in den Keimblättern vereinigten Epithelzellen ab (v. Hertwig), sie be- teiligen sich nicht an der Bildung von Epithel- zellen; diese zwischen den Epithellamellen sich zerstreuenden Keimzellen können nach Art der Wanderzellen amöboide Bewegungen ausführen, sich durch Aufnahme von Dotterresten rasch ver- mehren. Vermöge dieser Eigenschaften dringen diese Keimzellen — von Hertwig als Mesenchym- keime bezeichnet — in alle gröberen und feineren Spalträume zwischen den Organanlagen ein, von gallertiger Masse umhüllt. Dann legen sie sich diesen Organanlagen an, unter Ausscheidung kolla- gener Fasern werden diese amöboiden Zellen zu den Bildungszellen der bindegewebigen Um- hüllungen dieser Organe, die Spalträume des Bindegewebes sind durch die Anwesenheit dieser Zellen entstanden. Innerhalb der gallertigen Masse, welche von diesen Zellen durchsetzt zwischen die Epithelanlagen der Organe und Gewebe eindringt, entstehen die Gefäße und Lymphräume, Blutzellen und Endothelzellen gehen aus einem Teile dieser Keimzellen hervor. Diese Zellen behalten daher auch als Bildungszellen des Bindegewebes den Charakter und die Eigenschaften der Keimzellen bei, von denen sie stammen; sie bilden nie die Elemente höherer Funktionszellen in ihrem Proto- plasma, wohl aber sind sie imstande, gleich den Mesenchymkeimen , unter amöboider Bewegung Stoffe aufzunehmen, unter Abscheidung schleimiger, dann kollagener Substanz wieder Bestandteile ihres Protoplasma abzugeben. Da seitens der Histo- logen konstatiert ist, daß diese amöboiden Binde- gewebszellen F"ortsätze ihres Protoplasma zwischen die weichen hüllenlosen Epithelzellen des Rete Malpighii und zwischen die Zellen der tiefer liegen- den Epithelschichten der Schleimhäute einschieben, um daselbst Pigmente und Stoffwechselprodukte abzugeben, so geht auch daraus hervor, daß diese Zellen den Charakter der Mesenchymkeime bei- behalten, so gut wie diese als embryonale, nicht weiter differenzierte Zellen betrachtet werden dürfen. Die gleichwertige Vervielfältigung der ererbten Bildungsanlage geht also auch nach Bildung der Epithelzellen der Keimblätter noch weiter fort und diese neu entstehenden Keimzellen legen sich in Gestalt der Bindegewebszellen den die Anlagen der Organe und Gewebe bildenden Epithelzellen an. In den Ernährungsmembranen, den binde- gewebigen Umhüllungen der Organe und Gewebe, sind daher noch Teile der Bildungsmasse vor- handen, aus der diese Anlagen selbst hervorge- gangen sind. Als Keimzellen, embryonale Zellen sind diese den Funktionszelleii anliegenden Ge- bilde während der Wachstumszeit in Teilung und Vermehrung begriffen — nach Beendigung des Wachstums sind die Bindegewebszellen voraus- sichtlich bei Fortbildung und Verteilung der Er- nährungsstoffe beteiligt. — Die in den bindegewebigen Umhüllungen der Organe und Gewebe nach Vollendung des Wachs- tums noch vorhandenen Zellen sind zu betrachten als die Reste der embryonalen Bildungsmasse, die, aus der Vervielfältigung des ererbten kernhaltigen Protoplasma hervorgegangen, das Material zur Bil- dung aller Zellen abgibt. Da nun diese amöboiden, aber dauernd in den Spalten des Bindegewebes an bestimmter Stelle verharrenden Keimzellen mit den Endothelzellen der Kapillaren in engster Beziehung stehen, mit Hilfe ihrer amöboiden Bewegungsfähigkeit Bestand- teile der aus den Kapillaren entstehenden Blut- flüssigkeit sowie die aus dem Zerfall der Leuko- cyten hervorgehenden Produkte in ihren Zellenleib aufzunehmen vermögen — so kann diese Verteilung noch nicht differenzierter Keimzellen zwischen Ge- fäßen und Funktionsgewebe doch nur den Zweck haben, daß die aus Blut wie Lymphe austretenden Bestandteile in das Protoplasma der ererbten, bei allen Wachstumsvorgängen in den Geweben sich fortwährend durch Teilung (Mitose) vervielfältigen- den Bildungsmasse aufgenommen werden, um dann weiterhin als Bestandteile dieser noch nicht differen- zierten, noch labilen Bildungsmasse für die Bildung neuer Gewebszellen in den vorhandenen Anlagen verbraucht zu werden. — Bei allen Wachstums- vorgängen im Organismus, bei jedesmaliger Bil- dung neuer Gewebsteile, treten diese fixen Zellen der Bindegewebsspalten in lebhafte Tätigkeit, um durch Aufnahme von Bildungsstoffen aus Blut und 964 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 61 Lymphe den Inhalt der eigenen Zellen zu ver- mehren und Kern und Zelle zu teilen. Weiter- hin sind diese Zellen imstande, Teile ihres Inhalts unter Abscheidung von Fasern (Fibrinausscheidung) an die Anlagen der Gewebe abzugeben und hierdurch die Herstellung neuer Gewebselemente zu ermög- lichen. Diese fibrinbildende Substanz verschwindet teilweise wieder, sobald die fixen Zellen neuer- dings ihr Protoplasma vermehren und Mitose zeigen. Aber auch die Leukocyten erhöhen bei allen Wachs- tums- und Bildungsvorgängen ihre Tätigkeit; in gleicher Weise wie die fi.xen Zellen aus den Mesen- chymkeimen hervorgegangen, wie die fixen Zellen die amöboide Bewegungsform beibehaltend, durch- wandern sie alle Gewebsteile, um nach Aufnahme der dort nicht verwendeten Stoffe in vermehrter Zahl im Blute zu zerfallen, oder in größerer Menge aus den Kapillaren auszutreten, um erst dann sich aufzulösen. Bei allen Bildungsvorgängen, die eine erhöhte Tätigkeit der fixen Zellen bedingen, werden daher auch von diesen Wanderzellen ihre in den Geweben aufgenommenen Protoplasmaprodukte in größerer Menge dem Blute oder den fixen Zellen selbst zugefiihrt. Neubildung von Leukocyten durch Teilung fixer Zellen wird von den Physio- logen angenommen und ist wegen der gleichen Beschaffenheit ihres amöboiden, nicht differenzierten Protoplasma sehr gut möglich. Auch in den Pflanzen finden sich da, wo die Vegetationspunkte auftreten, Komplexe vollkommen gleichartiger Zellen, die bei Bildung neuer Ge- websteile sich durch Teilung vermehren und voll- kommen dem embryonalen Gewebe entsprechen. Da wo neues Wachstum in den Wurzelstöcken, Niederstämmen, Knollen, Zwiebeln sich entwickelt, für dieses vermehrte Wachstum Sauerstoff in größerer Menge verbraucht wird, zur Erhaltung dieser lebhafteren Oxydation die in den grünen Teilen der Pflanze gebildeten Kohlehydrate den tieferen Teilen der Pflanze zugeführt und an Stelle der verbrauchten in die Eiweißverbindungen auf- genommen werden , finden sich zunächst eben solche indifferente Zellen, die sich als embryonale Gebilde durch Teilung vermehren , aber auch während dieser Vermehrung den Charakter der indifferenten Zellen beibehalten, dann weiterhin zur Bildung neuer Anlagen von Sprossen, Zweigen und Blättern verwendet werden. Auch bei Bildung der Jahresringe in den Holzpflanzen sind bei ver- mehrtem Stoff- und Sauerstoffverbrauch in dem sogenatmten „Kambium" solche indifferente, gleich- artige Zellen in lebhafter Vermehrung; weiterhin werden diese embryonalen Zellen des Kambium einerseits zur Bildung neuer Bastzellen, anderer- seits zur Bildung neuer Holzzellen verwendet. Man ist berechtigt anzunehmen, daß überall bei allen lebenden Geschöpfen im ganzen Organismen- reiche zwischen den bestimmten Funktionen dienen- den Zellen und Gewebsteilen indifferente, embryo- nale Zellen erhalten bleiben, welche den Charakter der Keimzellen sich erhalten und bei allen Wachs- tumsvorgängen zunächst unter Kernteilung ihr indifferentes Protoplasma vermehren. Während diese embryonalen Zellen, solange Wachstum und neue Zellenbildung im Organismus stattfindet, sich als solche durch Teilung vermehren, wird in dem Protoplasma der bereits hergestellten Keimzellen das Material zur Bildung von Gewebszellen auf- genommen. Das Wachstum wieder anzuregen vermag nur die noch nicht differenzierte Keim- zelle; sobald dieselbe beginnt, in ihr Protoplasma die zur Herstellung bestimmter Gewebselemente nötigen Bildungsstofie in sich aufzunehmen, kann dieselbe auch nur für das Wachstum dieser Ge- webe verwendet werden. Dies entspricht aber vollkommen dem Charakter der amöboiden Zelle. Wenn das Reis einer Weide durch die ge- schickte Hand eines Gärtners in kleine Stückchen zerschnitten wird, kann aus jedem solchen Stücke wieder ein neuer Weidenbaum sich entwickeln; man hat angenommen, daß jede Gewebszelle einer höher organisierten Pflanze die Fähigkeit besitzt, ein neues Individuum der gleichen Art wieder zu erzeugen. Dies ist jedoch nicht der Fall: Zellen, welche die Elemente eines bestimmten differen- zierten Gewebes herstellen wie Bastzellen, Holz- zellen oder Chlorophyll bildende Zellen sind nicht imstande, wieder aus ihrer Protoplasmaanlage eine neue Pflanze hervorgehen zu lassen. Nur dann, wenn solche embryonale Zellen, wie sie bei Holz- pflanzen in den Schichten des Kambium vorhanden sind , zwischen den zu P'unktionsgewebe umge- wandelten Zellen sich befinden, ist die Entwick- lung einer neuen Pflanze aus den zerschnittenen Teilen des Reises ermöglicht. In der Leibeshöhle der Raupen findet sich eine mit Fett durchsetzte Bindegewebsmasse, deren Zellen wohl auch von Mesenchymkeimen oder von Mesocyten stammen, also den Charakter der noch nicht weiter differenzierten Keimzellen beibehalten. Diese noch indifferenten embryonalen Zellen des Fettkörpers vermehren sich bei der Verpuppung in einer Weise, daß der ganze Puppenkörper mit einer Masse solcher undeutlicher Zellen ausgefüllt ist. Aus diesen undeutlichen, indifferenten Zellen entsteht dann eine neue Bildungsmasse, welche es ermöglicht, daß die noch vorhandenen in der Raupe noch nicht entwickelten Anlagen sich weiter ausbilden können ; dabei werden auch die weichen Reste der früheren Gewebe nach ihrer Auflösung verwertet und mit den im Fettkörper angesammelten Vorratstoffen verbraucht. Welche Bedeutung für Bildung neuer Gewebs- teile die Bildungszellen des Bindegewebes haben, geht auch aus den Beobachtungen hervor, welche bei der Transplantation an den dabei verwendeten Gewebsteilen gemacht worden sind. Wenn die Wunde angefrischt und ein neues Haut- läppchen aufgelegt ist, das noch einen Teil des Papillarkörpers , eine geringe Schicht der Lederhaut, des Bindegewebes unter den eigent- lichen Hautzellen, besitzt, dann geht unter günstigen Bedingungen und bei geeigneter Vereinigung die Heilung in der Weise vor sich, daß von dem an- N. F. III. Nr. 6i Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 965 gefrischten Granulationsgewebe der Wunde aus die Bindegewebszellen an Inhalt und Zahl zu- nehmen'und in die Reste des Papillarkörpers des auf- gelegten Läppchens einwuchern, auch zur Bildung neuer Gefäße kann es zwischen diesen Zellen kommen. Durch die Vereinigung der Bindege- webszellen, Fibroblasten, der Wunde und des Haut- läppchens entsteht eine neue Unterlage für die dem Papillarkörper aufliegenden weichen, membran- losen Epithelzellen des Rete Malpighii; auf dieser die Ernährung vermittelnden Unterlage vermögen die erwähnten weichen Zellen sich durch Teilung zu vermehren und dadurch weiterhin an Stelle der sich ablösenden alten Hornzellen eine neue Epithelschicht zu bilden. Die Erhaltung eines Teiles des Papillarkörpers scheint am aufgelegten Hautläppchen deswegen notwendige Bedingung zu sein, weil die weichen Riffzellen der Oberhaut in einer besonderen Weise mit den direkt anliegenden Bildungszellen des Bindegewebes vereinigt sind. Diese eigenartige Struktur scheint bereits in den frühesten Monaten der Entwicklung zu entstehen, wenn mit dem Ver- schwinden der Basalmembran die Bildungszellen des Papillarkörpers in die weichen Zellen des Rete Malpighii einwachsen ; solche Strukturen, einmal zer- stört, köinien durch die von der zu bedeckenden Wunde ausgehenden Granulationszellen nicht wieder hergestellt werden. Ähnliche Vorgänge finden bei der Okulierung und Pfropfung statt: auch hier werden die leb- haften Gewebswucherungen , welche das aufge- pfropfte Reis mit dem Grundstocke verbinden, dadurch bedingt, daß zunächst die embryonalen zwischen Holz und Bast eingelagerten Zellen die Bildungsstofife der Säfte an sich ziehen und sich dadurch vermehren. Auch hier bildet sich ein Granulationsgewebe aus indifferenten Zellen, welche dann weiterhin zu Holz- und Bastzellen sich um- bilden. Durch diese Wucherung, welche in P'orm eines Kallus auftritt, werden Reis und Grundstock fest vereinigt. Beim Einfügen des Reises auf den Wildling hat man darauf zu sehen, daß so viel als möglich Rinde auf Rinde, Bast auf Bast, Holz auf Holz zu liegen kommen, dann kann die Ver- wachsung zwischen Edelreis und Wildling in der Weise vor sich gehen, daß auch in diesen Fällen die indifferenten, zwischen Bast und Holz liegen- den Zellen des embryonalen Gewebes im Wild- linge mit den gleichen Zellen des Edelreises sich verbinden, daß hieraus eine Wucherung entsteht, aus der weiterhin neue Holzzellen und Bastzellen hervorgehen. Ganz anderer Art als diese Vereinigung durch Bildungszellen und neuentstehende Gewebsteile ist die ebenfalls sehr feste Verbindung, welche para- sitäre Organismen mit ihren Wirten — den Ge- schöpfen, auf denen sie schmarotzen — eingehen können. Parasitäre Organismen vermögen sich nur dann festzusetzen, wenn die als Wirte be- zeichneten Geschöpfe an der Stelle des Eindringens der schützenden Deckzellen entbehren, oder wenn die letzteren infolge von äußeren Schädigungen oder Erkrankungen in schlechter Beschaffenheit sind; verschiedene Parasiten sind mit Apparaten versehen, welche denselben das Eindringen zwischen den Zellen oder durch das Gewebe der Zellen selbst ermöglichen. Im Falle die Schutzzellen der Geschöpfe durch äußere Einflüsse geschädigt, oder infolge von Erkrankung mangelhaft ausge- bildet sind, vermögen die Keime der Parasiten zwischen dieselben zusammen mit Staub, Schmutz und Zersetzungsstofifen verschiedener Art an den geschädigten Stellen einzudringen, in dem unter- liegenden, weicheren Gewebe unter Vermehrung ihrer Zellen, oder wie die höher entwickelten pflanzlichen Parasiten unter Bildung von Wurzeln oder wurzelartigen Fortsätzen sich festzusetzen. Dadurch daß diese weicheren, des Schutzes ihrer Deckzellen entbehrenden Gewebsteile, den ein- dringenden Schädigungen ausgesetzt, sich aufzu- lockern und teilweise zu zersetzen beginnen, werden dieselben zum Nährboden für die Parasiten, welche den weiterhin mehr und mehr zerfallenden Zellen die für das eigene Wachstum geeigneten Stoffe zu entnehmen imstande sind und sich so weit aus- breiten, als es das zum Zerfall neigende kranke und aufgelockerte Gew^ebe gestattet; bei diesem Eindringen der Parasiten können Zersetzungs- stofte verschiedener .Art entstehen, die in die Säfte gelangen und weiterhin schädlich wirken. Dem weiteren Umsichgreifen der Parasiten wird nun gerade dadurch Einhalt getan, daß überall zwischen und unter den Gewebszellen diese oben erwähnten embryonalen Zellen vorhanden sind. Was man von diesen Zellen weiß, spricht dafür, daß dieselben in ihrem Protoplasma eine viel größere Bildu ngsenergie und Widerstandskraft gegen Parasiten besitzen, als sie dem Protoplasma der Gewebszellen eigen sind. Unter dem Epithel des menschlichen Organismus, in den Spalten des Bindegewebes sind solche amöboide Zellen vor- handen, welche mit dem Endothel der Gefäße in nächster Beziehung stehen und zunächst die Bildungsstofife in ihr Protoplasma aufnehmen; bei Zerstörung von Gewebsteilen sind es diese Zellen, welche die Regeneration einzuleiten, zunächst im Granulationsgewebe die Grundlage für Bildung neuer Gewebszellen herzustellen haben. Die Ent- zündung, welche infolge einer Erkrankung oder Schädigung in Geweben eintritt, ist zunächst da- durch bedingt, daß diese amöboider Bewegung fähigen Keimzellen ihre Tätigkeit erhöhen, Bil- dungsstofFe in größerer Menge in ihr Protoplasma aufnehmen. Die vermehrte Blutbewegung, die regere Aufnahme von Sauerstoff, die Veränderungen an den Endothelzellen, die Auswanderung der Leuko- cyten aus den sich erweiternden Gefäßen , alle diese teilweise mit der Wirkung der Gefäßnerven zusammenhängenden Erscheinungen sind doch in erster Linie veranlaßt durch die amöboiden Be- wegungen dieser embryonalen Zellen. Erst wenn diese Zellen sich unter Mitose vermehren, kann das richtige Granulationsgewebe sich bilden, das 966 Natui-wissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 6i die Regeneration in den geschädigten Geweben einzuleiten vermag. Alle diese amöboiden Zellen sind als gleichwertige, nicht differenzierte Teile der ererbten Bildungsmasse zu betrachten, welche aus der Vervielfältigung der ererbten Bildungsanlage des befruchteten Eies unter gleichwertiger Teilung aller wichtigen Kernbestandteile hervorgeht und die sich in Form dieser amöboiden Zellen immer wieder vor Bildung neuer Gewebszellen erneuert: nicht um selbst zu Gewebszellen zu werden, son- dern um den vorhandenen Gewebszellen durch Abgabe von Bildungsstoffen die Teilung und Ver- mehrung zu ermöglichen. Wenn die Wieder- herstellung zerstörter Gewebsteile nicht immer ge- lingt, so liegt die Ursache darin, daß mit den zerstörten Gewebsteilen auch die in unmittelbarer Verbindung mit diesen stehenden Bildungszellen in größerem Umfange zugrunde gegangen sind; dann wird wohl auch das Protoplasma der noch vorhandenen, dem Endothel zunächst liegenden Bildungszellen vermehrt, dasselbe geht aber in kleinzelligem Zerfall wieder verloren, die dabei ausgeschiedenen Fasern verdichten sich zu Narben- ge webe. Die bei Bildung der ersten Gewebs- anlagen hergestellten Strukturen können im Falle ihrer Zerstörung durch die Tätigkeit der Bildungs- zellen nicht wieder ersetzt werden; die Keimzellen des Bindegewebes vermögen nur Bildungsmaterial zu liefern. So müssen auch die durch das Eindringen der Parasiten in die oberflächlichen Gewebsteile ver- anlaßten Schädigungen eine entzündliche Reaktion bedingen, die sich eben dadurch äußert, daß zu- nächst diese amöboiden Bildungszellen unter Er- weiterung der Gefäße und Beschleunigung der Blutbewegung Bildungsstoffe im vermehrten Maße aus der Blutflüssigkeit aufnehmen, ihr eigenes Proto- plasma unter den Erscheinungen der Kernteilung vermehren. Erst dann, wenn dieser Vorgang ein- geleitet, also neues embryonales Gewebe entstanden ist, können die noch erhaltenen tieferen Zellen des von den Parasiten befallenen Gewebes durch Teilungsvorgänge neue Zellen herstellen. So- lange die amöboiden Zellen des Bildungsgewebes sich normal verhalten, in einem kräftigen, gesunden Organismus tätig sind, solange wird nicht nur der von den Parasiten befallene Organismus sein Leben erhalten, es ist auch die Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß die Parasiten zugrunde gehen und die geschädigten Gewebsteile wieder ersetzt werden. Solange die Zellen des Bildungsgewebes in nor- maler Weise" fungieren, ist nur dann Gefahr für das Leben des Geschöpfes vorhanden, wenn die Parasiten Zersetzungsstoffe mit sich führen, die als hochgradige Gifte beim Eindringen in den Körper rasch die Tätigkeit der lebenden Substanz, also auch die amöboide Bewegung der Lymph- zellen und Bildungszellen zu lähmen imstande sind. Zur Bekämpfung der anderen, weniger intensiven Giftstoffe und deren Träger reichen die Schutz- mittel des Organismus aus, welche einesteils eben darin bestehen, daß die unter dem erkrankten Ge- webe tätigen amöboiden Zellen durch Vermehrung ihres Protoplasma einen Damm gegen das Ein- dringen der Parasiten und ihrer Gifte bilden, daß andererseits die Lymphzellen, sowie bestimmte in Blut und Lymphe \-orhandene Protoplasma- verbindungen imstande sind , die Giftstoffe der Parasiten und ihre Träger unschädlich zu machen. Wenn der Hauptstamm oder Ast eines Laub- holzes quer abgeschnitten wird, so entsteht an dem Stummel in der Grenze von Holz und Bast ein Gewebskörper, der sich aufwulstet und die Gestalt eines Ringwalles annimmt. Die durch- schnittenen, bloßliegenden Holzzellen haben nicht die Fähigkeit, sich zu teilen und zu vermehren und den Ausgangspunkt für ein solches Gewebe zu bilden, sie vertrocknen oder faulen und sterben ab. Das Gewebe bildet sich aus den indifferenten Zellen des Kambium, es überwallt das absterbende Holz. — Diese Wucherung wird als Kallus be- zeichnet, mit der Neubildung verglichen, welche bei Verletzung des Knochens sich vom Periost aus bildet. Diese Wucherung geht hier wie dort von den Bildungszellen aus, den embryonalen Zellen, welche sich bei jedem Wachstume zu- nächst vermehren. Den in dem Aste vorhandenen embryonalen Zellen wohnt die Fähigkeit inne, solange sich in Gestalt solcher Zellen durch Teilung weiter zu vermehren, als die Bildung neuer Ge- websteile auf diesem jetzt abgetrennten Aste hätte stattfinden können. Auf der Wucherung der ver- stümmelten Pflanze entstehen daher Bildungsherde für neue Knospen : der sogenannte Stockausschlag. — Der Kallus ist zwischen Bast und Holz einge- keilt, die Neubildung besteht aus indifferenten, parenchymatösen Zellen, zwischen denselben treten aber auch Gefäßbündel auf, welche die organische Verbindung mit dem alten Llolze herstellen. Aus diesem Kallus können Jahre hindurch immer wieder neue .Sprosse sich bilden, solange das abgeschnittene Stück des Baumes oder Astes wachstumsfähig ge- wesen wäre. „Unwillkürlich," sagt Kerner im Pflanzenleben, „wird man bei Betrachtung dieser Ge- bilde, aus deren indifferenten Zellen neue .Sprossen hervorgehen, an die durch Pfropfen veredelten Bäumchen erinnert. Auch die Parallele mit gewissen schmarotzenden Pflanzen drängt sich auf nament- lich mit der Ringelblume (Loranthus), deren Ver- bindung mit dem Wirte dadurch entsteht, daß durch die Tätigkeit der in die Gewebsteile ein- dringenden Senker (wurzelartige Fortsätze) des .Schmarotzers veranlaßt eine Wucherung der zwischen Holz und Bast vorhandenen indifferenten Zellen, ein eingekeiltes, sich später zu Holz und Bast- teilen umwandelndes Gewebe entsteht, welches das weitere Vordringen dieser Senker verhindert, nach der Peripherie zu dieselben immer weiter gegen die Außenfläche hinausschiebt. Durch den Reiz des eindringenden Schmarotzers bedingt werden die embryonalen Zellen dieses Gewebes zu vermehrter Teilung veranlaßt und rufen diese Wucherung des Kallus her\-or; ebenso wie bei Entzündung im menschlichen Organismus die Bil- N. F. in. Nr. 6i Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 967 dungszellen des Bindegewebes zur Vermehrung ihres Protoplasma und weiterhin zu mitotischer Teilung veranlaßt werden. — Die Bildung der sogenannten Markgallen wird durch Insekten, Mücken, Wespen etc. veranlaßt, welche die vorher genau untersuchten Pflanzen- teile anstechen, um ihre Eier daselbst einzulegen. Dieselben werden entweder nur unter die Epi- dermis abgelegt, oder der Stich dringt so weit ein, daß das Ei in die tieferen Gewebsschichten zu liegen kommt; aber auch in dem ersteren Falle beißt sich die dem Ei entschlüpfende Larve bis in die tieferen Teile der Pflanze durch. Die Hohl- räume in den tieferen Schichten, welche dann bis zur Verpuppung diese Larven als Wohnung be- nutzen, die sog. Gallenkammern, sind von festen Schichten umgeben, während im Innern derselben ein Lager sehr zahlreicher, äußerst dünnwandiger Zellen das Ei und die auskriechende Larve um- gibt. Die Bildung dieser Zellen des „Markes" be- ginnt bereits mit der Einlegung des Eies, die aus- kriechende Larve verwendet diese nahrhaften Zellen als Futter, fällt über dieselben her und weidet sie ab; die abgefressenen Zellen ersetzen sich da- durch, daß dieselben wieder durch Teilung sich mehren. Es ist wohl bestimmt anzunehmen, daß auch diese saftreiclien Zellen, zu welchen die Larven sich durchfressen, um Kammern mit hinreichender Nahrung bis zur Verpuppung als Aufenthaltsort zu erreichen, als Wucherungen des indifferenten embryonalen Gewebes zu betrachten sind, das die Gewebsanlage für die Ausbildung des Pflanzengliedes abgibt und das sich solange erneuern kann, bis der betreffende Teil der Pflanze vollkommen aus- gebildet ist. Nun kommt dieses embryonale Gewebe der in demselben schmarotzenden Larve zu gute, der Pflanzenteil, dem der größte Teil der in diesen embryonalen Zellen entlialtenen Nährstoffe für die Ausbildung seiner Zellen und Gewebsteile entzogen wird, verdickt sich und schrumpft (Narbengewebe). Solange die normale Ausbildung des vom In- sektenstich getroffenen Pflanzenteiles gedauert hätte, bilden sich die embryonalen Zellen : solange kann die Larve dieselben als das sich immer erneuernde Futter verwenden ; ist die Zeit um, in welcher der unverletzte Pflanzenteil seine Entwicklung und Ausbildung durchzumachen hat, dann hört die Bil- dung embryonaler Zellen an den Vegetations- punkten dieses Pflanzenteiles auf, auch die Larve wird dann kein Futter mehr beziehen können, und falls sie nicht zur Verpuppung reif die Kammer verlassen hat, geht sie mit dem austrocknenden Pflanzengewebe zugrunde. Die Wucherung (neue Zellenbildung) des Markes wird nicht allein durch den Reiz der eingelagerten Larve bedingt , die Fähigkeit der Pflanze, an dieser Stelle neue em- bryonale Zellen zu bilden, ist begrenzt durch den Umfang der Gewebsanlage, welche hier zu ent- stehen hat, und dauert nur solange, bis die von der Ausbildung der Anlage in Ansprucli genom- mene Zeit vorübergegangen ist. Ist dieser Zeit- raum vorbei, so ist auch an dieser Stelle die Mög- lichkeit neuer Zellenbildung nicht mehr vorhanden. Werden die während dieser Zeit neu durch Teilung entstehenden embryonalen Zellen von der Larve aufgezehrt, so schrumpft die Bildungsanlage des Pflanzemeiles zu festem, faserigem Gewebe zu- sammen. Die Ähnlichkeit mit den Vorgängen der Granulation im menschlichen Organismus ist nicht zu verkennen. Das eierlegende Insekt weiß recht gut, daß seine Larve in der Kammer Nahrung für eine bestimmte Zeit, die Zeit des Wachstums bis zur Puppenreife, bedarf, daß nur Pflanzenteile mit gut entwickelter Anlage die Garantie bieten, das Nahrungsmaterial für diese Zeit zu liefern. Daher werden auch die jungen, noch wachsenden Pflanzenteile bei Ablegung der Eier bevorzugt. Nach dem, was man von den Schutzkräften im lebenden Körper weiß, wird man annehmen dürfen, daß gerade diese unter dem Epithel liegenden, Fortsätze ihres Protoplasma zwischen die tieferen Lagen der Epithelzellen einschiebenden Bildungs- zellen, die bei jeder Schädigung der Gewebe in energische Tätigkeit treten, daß diese amöboiden Zellen in Gemeinschaft mit den Lymphzellen in einem normalen und von gesunden Vorfahren stammenden Organismus imstande sein werden, das weitere Eindringen der in den Schleimhäuten festsitzenden Parasiten zu verhindern, die Erkran- kung der Epithelzellen, welche die Ansiedlung der Parasiten ermöglichte, wieder auszugleichen, durch Bildung neuen Keimgewebes die Herstellung neuer Gewebselemente zu ermöglichen. Es gibt nun eine Reihe von Erkrankungen, bei denen gerade diese Bildungszellen der Sitz der Parasiten werden ; unter diesen Erkrankungen sind besonders Tuberkulose und Skrophulose hervor- zuheben. Bei diesen Erkrankungen sind die wesent- lichsten Herde der Erkrankung und der Tätig- keit der Bazillen vorwiegend in dem Bindegewebe und den Follikeln des retikulären Gewebes, in den Lymphdrüsen zu finden. In den Spalten des Bindegewebes, in denen sonst diese amöboiden Zellen hausen, und bei allen Wachstumsvorgängen der Gewebe zunächst ihre eigene embryonale Zellenmasse vermehren, in diesen Spalten treten bei den erwähnten Erkrankungen kleinzellige Wucherungen auf, zwischen denen große, viel- kernige, entartete Gebilde den Sitz der Mikro- organismen bilden. Gerade diese Bildungszellen, aus denen im normalen Organismus bei Zerstörung von Gewebsteilen die als Granulation bezeichnete Zellenwucherung hervorgeht, die gegen das Ein- dringen der Bazillen immun ist und zur Her- stellung neuer embryonaler Zellen führt, werden bei Tuberkulose unter Einwirkung der Bazillen in einer Weise verändert, welche den Zerfall des Protoplasma zur Folge hat. Das Auftreten von Bazillen in diesen Bildungszellen, welche im nor- malen Organismus durch Erneuerung ihrer embryo- nalen Zellen die Grundlage für alles Wachstum und für die Regeneration zerstörter Gewebsteile 968 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 6i herstellen, spricht doch wohl dafür, daß bei den mit Tuberkulose behafteten Kranken diese Zellen selbst eine verminderte Leistungsfähigkeit besitzen, daß die Keimanlage, aus welcher dieselben her- vorgehen, selbst eine minderwertige ist. Bei einem großen Teile dieser Kranken wird die Annahme dadurch bestätigt, daß deren Eltern oder Vor- eltern tatsächlich an Tuberkulose oder auch anderen, schweren erschöpfenden Erkrankungen gelitten haben; bei vielen anderen ist nachzuweisen, daß dieselben einen großen Teil ihrer Kinderjahre in sehr ungünstigen Lebensverhältnissen, in engen, dicht besetzten, schlecht zu lüftenden Wohnungen bei unzweckmäßiger, nicht ausreichender Ernährung zu verbringen hatten. Gerade während der Zeit des lebhaften Wachstums ist das die Organe und Gewebe umhüllende Bindegewebe noch reicher an Zellen, die Grundsubstanz noch mehr gallertig, mit Fasern weniger durchsetzt ; in einer Lebensperiode, in der also noch fortwährend in Gestalt dieser Zellen neues Keimgewebe entsteht, ist Mangel an Sauerstoff und Bildungsstoften im Blute vorhanden; das Material wird nicht ausreichend geliefert, welches diese Bildungszellen zur Ergänzung ihres noch in- differenten, während der Wachstumszeit der ener- gischen Erneuerung bedürftigen Protoplasma nötig haben. Gerade bei Kindern, welche einen Teil ihrer Jugend unter solchen ungünstigen Verhältnissen verbringen, bilden sich häufig die Krankheits- erscheinungen aus, welche unter dem Namen der Skrofulöse zusammengefaßt werden. Das Charakte- ristische derselben ist, daß nicht allein die Aus- bildung der Gewebszellen überhaupt mangelhaft erscheint, namentlich die Zellen der Schleimhäute und der Epidermis eine große Neigung zum Zerfall zeigen, und dadurch der Sitz sehr hartnäckiger Entzündungsvorgänge werden, sondern daß auch die Heilung eine sehr verzögerte und unvoll- kommene ist. Hier zeigt sich, daß die Bildungszellen des Bindegewebes, welche unter Bildung von Granula- tionsgewebe die Heilung einzuleiten haben, dieses Granulationsgewebe nicht in entsprechender Weise herzustellen vermögen. Die skrofulöse Granula- tion zeigt große Neigung zum Zerfall, die klein- zelligen Wucherungen bestehen lange fort, die Wunden und die durch die vorausgegangene Er- krankung bedingten Substanzverluste heilen in- folge des häufigen Zerfalles der Granulationen nur langsam, festes ausgedehntes Narbengewebe schließt die Wunden. Während der Wachstumszeit der Kinder treten an der inneren, dem Knochenge- webe zunächst liegenden Schicht des Periost, der bindegewebigen Ernährungsmembran, sowie um die gegen das Knochengewebe vordringenden Ge- fäße lebhafte Wucherungen der Bildungszellen auf, es wird hier neues embryonales Gewebe gebildet, aus dem nicht nur neue Knochengewebe, auch neue Knochenzellen entstehen; diese während des Wachstums der Knochen sich andauernd ver- mehrenden Zellen sind bei skrofulösen Kindern vielfach sehr zarter, hinfälliger Natur. Infolge ge- ringer Verletzungen, häufig ohne alle nachweis- bare äußere Einwirkung gehen diese Zellen in Eiterzellen über, oder dieselben entarten in der für Tuberkulose charakteristischen Weise unter der Einwirkung von Bazillen. Dabei ist jedoch zu be- merken, daß die Bazillen bei den skrofulösen Er- krankungen nicht immer aufgefunden werden. Jeden- falls wird man annehmen dürfen, daß infolge der früher erwähnten Umstände bei skrofulösen Kindern die Bildung dieser embryonalen Zellen, des Proto- plasma derselben, nicht wie im normalen Or- ganismus vor sich gehen kann, daß infolgedessen diese, bei allen Wachstumsvorgängen sich neuer- dings durch Teilung vermehrenden Bildungszellen der Schutzkraft gegen Mikroorganismen entbehren, welche unter normalen Bedingungen gerade dem Protoplasma dieser embryonalen Zellen eigen ist. Wenn man die Veränderungen der Gewebsteile bei den verschiedenen skrofulösen Erkrankungen vergleicht, so kommt man zu der Überzeugung, daß das Material zur Ersatzbildung für neue Zellen nicht in ausreichendem Maße geliefert wird, daß infolgedessen die Heilungsvorgänge nur langsam und mit Bildung dichten Narbengewebes vor sich gehen. Immer wird man darauf hingewiesen, daß die Ursache der Erkrankungen in einer mangel- haften Tätigkeit der Bildungszellen zu suchen ist, welche zunächst in den Spalträumen des Zwischen- gewebes die Bildungsstoffe der Blutflüssigkeit ent- nehmen, weiterhin aber sind auch die im retikulären Bindegewebe entstehenden Lymphzellen an der Erkrankung beteiligt. Sowohl die amöboiden Zellen, welche die Bildungsstoffe der Blutflüssigkeit entnehmen, als die Lymphzellen, welche die in den Geweben nicht verwerteten Bestandteile dem Blute wieder zuführen, alle die Zellen, welche aus den Keim- zellen des Mesenchymgewebes hervorgehen und bei allen Wachstumsvorgängen durch Teilung und Vermehrung ihres Protoplasma immer wieder neue Keimzellen herstellen, gerade diese Zellen sind bei diesen Erkrankungen in Zerfall begriffen und von Bazillen durchsetzt. Da diese Zellen bei nor- maler Beschaffenheit gegenüber den Einwirkungen der Mikroorganismen große Immunität zeigen, bei diesen Erkrankungen aber unter dem Einflüsse derselben zugrunde gehen, so ist man wohl be- rechtigt zu der Annahme, daß der Vorgang der Protoplasmabildung, durch den bei den Wachstums- vorgängen immer wieder neue embryonale leistungs- fähige Zellen entstehen sollen , bei Heilungsvor- gängen mit Hilfe der Leukocyten Granulationen zu bilden sind, in diesem Mesenchymgewebe nicht in normaler Weise stattfindet. Die Disposition zur tuberkulösen Erkrankung ist dann dadurch gegeben , daß diese embryonalen, zwischen allen Geweben entstandenen Bildungszellen wie die Leukocyten ihre im gesunden Organismus vorhan- dene Inmiunität und Widerstandskraft gegen die Einwirkung der Bazillen verlieren, dies kann nur dadurch geschehen, daß die Energie und Leistungs- N. F. III. Nr. 6i Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 969 fähigkeil des der amöboiden Bewegung fähigen Protoplasma dieser Zellen vermindert ist. Sobald man zu der Überzeugung gekommen ist, daß diese amöboiden Zellen des Mesenchymgewebes nicht als einfache Gewebszellen zu betrachten sind, daß dieselben ihren Charakter als Keimzellen be- wahren, daher bei ihrer Teilung und Vermehrung immer wieder neue Keimzellen bilden und für das Wachstum der Gewebe immer wieder neues Bildungs- und Ersatzmaterial herstellen, so wird man daraus folgern, daß das Auftreten solcher abnormer, durch die Einwirkung der Bazillen her- vorgerufener Entartung dieser Zellen nur in einer minderwertigen Leistung des Protoplasma dieser Keimzellen Erklärung finden kann. Die Menschen, welche von Tuberkulose befallen werden, erkran- ken nicht allein, weil sie von Bazillen umgeben dem Eindringen dieser Mikroorganismen in ihren Körper ausgesetzt sind , sondern hauptsächlich, weil bei denselben das im normalen Organismus immune Keimgewebe wegen mangelhafter Be- schaffenheit seiner Zellen von den Bazillen ange- griffen und zerstört werden kann. Diese embryonalen Zellen, welche sich zwischen allem Funktionsgewebe erhalten, bei jedem Wachs- tum dieser Gewebe sich durch Teilung vermehren, werden diese verminderte Leistungsfähigkeit und mangelhafte Immunität nur dann zeigen , wenn sie einem Organismus angehören, der entweder von kranken oder durch Erkrankung und Not geschwächten Erzeugern stammt oder welcher selbst infolge ungünstiger Lebensverhältnisse und Gesundheitsstörungen während der Wachstums- periode in seiner Entwicklung gehemmt und be- einträchtigt ist. Wenn man sich nur einmal den Unterschied zwischen den einer bestimmten Funktion dienen- den Gewebszellen und den embryonalen Zellen dieses Keimgewebes klar gemacht hat, die zwischen den Geweben bei jeder neuen Zellenbildung zuerst in Tätigkeit treten, bei Zerstörung von Gewebs- teilen mit Hilfe der Leukocyten Granulationen bilden, gleich den Kambiumzellen beim Eindringen der Schmarotzer in das Pflanzengewebe einen schützenden Damm durch Vermehrung ihrer Zellen gegen das weitere Vordringen der Parasiten her- zustellen vermögen, so wird man der Ansicht werden müssen, daß das abnorme Verhalten dieser embryonalen Zellen bei den tuberkulösen und skrofulösen Erkrankungen mit einer minderwertigen Veranlagung oder mit Störungen der Tätigkeit dieser embryonalen Zellen in Zusammenhang ge- bracht werden muß. Von diesen Anschauungen ausgehend, wird man bei Bekämpfung dieser Erkrankungen nicht allein die Beseitigung oder Vernichtung der Mikroorga- nismen ins Auge zu fassen haben, man wird auch alles tun, um die Blutbildung der Erkrankten oder zur Erkrankung disponierten Menschen zu bessern, den embryonalen Zellen die Aufgabe neues Proto- plasma aus Blut und Lymphe herzustellen möglichst zu erleichtern. Es wird sich darum handeln, bei solchen Kranken die Ernährung in geeigneter, der Individualität angepaßter Weise zu regeln, nament- lich aber den zu dieser Erkrankung disponierten Menschen leicht und gut zu lüftende, geräumige und trockene Wohnungen zu verschaffen , den Aufenthalt in freier Luft soviel als möglich zu empfehlen. Dabei ist jedoch alles zu vermeiden, was Entzündungsvorgänge veranlassen kann , da ja die F"ähigkeit des Keimgewebes, mit Hilfe der auswandernden Leukocyten Granulationen zu bil- den, in diesen Fällen eine beschränkte ist. Besonders ist Sorge zu tragen, daß die mit skrofulösen Erkrankungen behafteten Kinder in geräumigen, leicht zu lüftenden und trockenen Wohnungen untergebracht, dem dichten Zusammen- wohnen möglichst entzogen und in zweckmäßiger Weise ernährt werden. Die skrofulösen Er- krankungen sind der Boden, auf welchem die Tuberkulose sich festsetzen und wuchern kann; bestehen diese Erkrankungen noch nicht zu lange, so kann es gelingen — besonders wo Heredität ausgeschlossen ist — durch Anwendung der ge- eigneten Mittel dieselben zur Heilung zu bringen und die Erkrankten vor dem Auftreten der Tuber- kulose zu bewahren. Kleinere Mitteilungen. Indisches Mittel gegen Vergiftung. — Ein Inder, der mir viele schöne Geschichten erzählte, und mit dem ich mich auch sonst über alles Mögliche unterhielt, so daß ich viel Interessantes erfuhr, sah sinnend auf einen kleinen Hund, der von dem Grase fraß, das den Fuß der Säulen um- wucherte. Wir saßen in einer offenen Halle. Ich störte die Beschaulichkeit meines Gefährten nicht, wußte ich doch aus Erfahrung, daß er von selbst daraus erwachen und durch irgend eine Frage seine Gedanken zur Besprechung Isringen würde; und so geschah es. „Weißt du, was du tun mußt, wenn ein Mensch oder ein Tier vergiftet ist ?" fragte er mich plötzlich. Ich kramte alle meine Kenntnisse hierüber aus, konnte ihn aber durchaus nicht befriedigen. Mit leuchtenden Augen betrachtete er mich. Die innere Freude sprach daraus hervor. Wie immer bei solchen Gelegenheiten, wartete er voller Genug- tuung auf den Augenblick, da ich sagen würde : „Mehr weiß ich nicht." Danach erzählte und erklärte er dann, zum Schlüsse fragend : ,,Ist Tamilweisheit gut ?" — Meine Bejahung war sein schönster und größter Lohn. Nachdem ich auch heute gestand, mit meiner Weisheit zu Ende zu sein, hub er an : 970 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 6i „Du willst gern alles wissen, was indisch ist. Ich will dir sagen, was du tun mußt. In Indien dürfen auf den Marktplatz keine Hunde kommen. Eines Tages fand sich auf dem Markte zu Madras der prachtvolle, große Hund eines Europäers an. Eingeborene hatten ihn be- merkt und brachten ihm heimlich eine Dosis Gift bei. Bald lag das Tier im Sterben. Sein Besitzer war außer sich. Ich traf mit letzterem zusammen und fragte ihn nach der Ursache seines Kummers. Er erzählte mir alles und sagte: „Ja, in zwanzig Minuten wird der Hund tot sein , wenn nicht jemand augenblicklich Hilfe schafft." Ich tröstete ihn und sagte, das könnte ich wohl. Der Herr zog seine Börse heraus, griff hinein und sagte: „Hier ist ein Goldstück. Rette mir den Hund !" Ich verschaffte mir schnell sechs frische Eier und viel gestoßenen Pfeffer, schlug die Eier tüchtig, tat den Pfeffer hinzu und zwang den Hund, die, Portion zu verschlucken. Er war gerettet. Dies Mittel ist auch gut für Menschen. Wenn du hörst, daß jemand sich vergiftet hat, so mußt du ihm dies sobald wie möglich geben, und du wirst ihn retten. „Siehst du," rief er plötzlich aus, „da ist ein Beispiel, daß wir immer alles um uns herum be- obachten müssen und darüber nachdenken; so können wir sehr viel von der Natur lernen. Was siehst du da?" „Einen kleinen Hund?" „Was tut der kleine Hund?" „Er frißt Gras." „Hast du das schon öfter gesehen ?" ,,Ja, schon sehr oft. Seitdem wir hier sitzen, ist dies ja schon der so und sovielte," erwiderte ich lachend. „Hast du auch gesehen, daß Katzen Gras fressen? Weißt du, warum sie das tun?" „Es ist gesund für sie." „Nun, ich sehe, du weißt nichts Bestimmtes darüber. Ich will es dir sagen. Hunde und Katzen leiden zeitweise an einer Art Vergiftung. Das ist sehr leicht erklärlich. Sie suchen bald hier, bald da ihre Nahrung und genießen auf diese Weise häufig etwas, was ihnen schädlich ist. Besonders bei den Katzen kommt das oft vor, nachdem sie Ratten gefressen haben. — Du weißt, Ratten sind gar nicht wählerisch ; sie fressen, worauf sie ge- rade stoßen, ob es nun ein wirkliches Nahrungs- mittel ist oder nicht; das bleibt sich ihnen ganz gleich. Darum ist es aber auch gar nicht selten, daß Ratten giftig sind, und wenn dann eine Katze sie frißt, so vergiftet diese sich auch.^) Die Natur aber sagt den Tieren, wie sie sich heilen können. Darum siehst du Hunde und Katzen von Zeit zu Zeit ein bestimmtes Gras fressen, und du bist dann sicher, daß das ein gutes Gegengift ist, das du auch bei Menschen anwenden kannst. Wenn du hörst, daß jemand sich vergiftet hat, so nimm schnell ungefähr drei Eier, schlage das Weiße gut mit viel gestoßenem Pfeffer vermischt und laß es den Betreffenden hinunterschlucken. Darauf nimm schnell ein Glas voll Wasser und ein Bündel von dem gewissen Grase, wasche es gut und lasse es eine halbe Stunde mit dem Wasser kochen. Den so gewonnenen Trank gib dem Vergifteten zu trinken, und du wirst ihn retten." Mein Pundit — dieser indische Gelehrtentitel kommt ungefähr unserem Doktorgrad gleich, wird vom Europäer häufig dem Dolmetsch beigelegt — erhob sich und forderte mich auf, dasselbe zu tun. Wir betrachteten nun den üppigen Graswuchs, der sich hauptsächlich um den Fuß der Säulen entfaltete. Büschelweise schoß es emjjor. Bis dahin hatte ich weiter nicht darauf geachtet, daß es wenig unterscheidbare, aber verschiedene Sorten waren. Seitdem mein Pundit mich jedoch auf- merksam gemacht hatte, beobachtete ich, daß täglich fast jeder vorübergehende Hund, jede vor- beihuschende Katze bei einem ganz bestimmten Büschel stehen blieb, ein paar Bissen verschluckte und dann weiter lief — Dies immerwährende, eingehende Erforschen der Natur bei den farbigen Völkern ist mir, wo sich mir die Gelegenheit bietet, es zu beobachten, außerordentlich interessant. Oft habe ich erfahren, daß sie sich so auf geradem Wege vieles aneignen, was wir zuweilen nur durch viele Mühe und Arbeit und große Kosten erreichen. Nur sind die Er- rungenschaften des einst so beschaulichen Daseins wohl einen bedeutend langsameren Schritt gegangen als die wissenschaftlichen des heutigen rastlos tätigen Lebens. Paula Karsten. ') In der Tat heiflt es auch bei uns: „Die Katze hat eine Ratte gefressen und sich vergiftet," wenn wir sie so an- haltend, verzweiflungsvoll miauen hören und so jämmerlich dreinblickend umherirren sehen. Ebenso kennen wir die gierige Gefräßigkeit der Hatte. Alles, was sie überhaupt fort- schleppen kann, findet sich in ihrem Schlupfwinkel. Danach muß sie eine erstaunliche Kijrperkraft besitzen, denn selbst Beobachtungen von Nils Ho Imgren in den Sümpfen Lapplands erteilen bestinmiten Ameisen eine wichtige Rolle als Hügelbildner. ') Ein Sumpf jener Gegenden weist in der Regel drei Zonen auf, eine äußere, die Weidezone, welche neben Birke, F"ichte und Kiefer eine stark ent- wickelte LTntervegetation aufweist, eine mittlere, die Zone der Sphagnumhügel, welche hauptsäch- lich von Sphagnumarten und Betula nana be- wachsen ist, und eine innere, die Zone der ero- dierten Sphagnumhügel, welche sehr feucht und moorig ist und den eigentlichen Sumpf darstellt. In allen drei Zonen finden sich nun die Nester der Forviica cxsccta, aber während sie in der Bürsten, Lappen und alle möglichen Gegenstände räubert sie. Ein wie gefährlicher Verschleppcr von ansteckenden Krank- heilen sie ist, wissen wir auch. ') Zool. Jahrbücher. Abteil, für System, etc. Band 20. 1904. N. F. in. Nr. 6i Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 971 Weidezone spärlich und von einer beträchtlichen Höhe (bis zu i m) sind, treten sie in der mittle- ren Zone am zahlreichsten auf, erreichen dafür aber auch hier nur noch eine beschränkte Höhe (bis zu 60 cm), im eigentlichen Moor sind sie dann wieder seltener. Die Größe der Ameisen- haufen in der Weidezone hängt damit zusammen, daß hier die Ameisen reichliches Baumaterial fin- den, welches ihnen in den inneren Zonen weit spärlicher zur Verfügung steht. Sodann aber werden in den letzteren Gebieten die Ameisen- haufen auch noch durch die Invasion von Pflanzen stetig bedroht, welche die Ameisen schließlich zwingt, das alte Nest zu verlassen und neue Kolo- nien anzulegen, woraus sich auch die große Zahl der Nester in der mittleren Region erklärt. Es ist namentlich Polytrichum strictum, welches die Ameisenhaufen, in deren relativ trockenem Boden es die günstigsten Existenzbedingungen findet, be- fällt, und Verf. konnte alle Phasen dieses steten Kampfes zwischen Ameisenkolonie und Pflanzen- invasion beobachten. Stets fällt derselbe zu Un- gunsten der Kolonie aus, und nur in der Weide- zone besitzen die Ameisen genügend Anbaumaterial, um der Invasion wirksam entgegenzutreten. Auf der ersten Stufe hätten wir also eine neu ange- legte, kuppeiförmige Kolonie (Fig. 1), die von sich zur Auswanderung gezwungen sehen. Ein Nest, wie es Fig. 4 im Schnitt darstellt, ist bereits Fig Ameisen reich bevölkert ist. An der einen Seite dieses Nestes beginnt nun der Polj-trichumteppich (P) emporzuwachsen (Pig. 2), er umgibt den unte- ren Teil des Nestes in stetig zunehmendem Maße Fig. 2. und bewirkt so , daß dieser Teil des Nestes von den Ameisen verlassen wird. Und zwar geschieht letzteres aus dem Grunde, weil Polytrichum reich- lich Wasser an sich zieht und festhält, und auf diese Weise die von ihm umschlossenen Teile eine zu hohe Feuchtigkeit für die ."Ameisen be- sitzen. Immer mehr wächst nun das Polytrichum (P) nach oben, da es den Ameisen an Baumaterial fehlt, um sein Vordringen zu bekämpfen, und bald ist ein Stadium erreicht (Fig. 3) , auf dem nur noch der obere Teil des Nestes von Ameisen bewohnbar ist. Wird das Nest noch weiter ' ein- geengt, so beginnt die Bewohnerzahl der Kolonie schnell an Zahl abzunehmen, indem die Ameisen Fig. 3- Fig sehr arm an Ameisen, die sich nur noch auf der obersten Spitze des Hügels zu halten vermögen, und schließlich wird es ganz verlassen und auf- gegeben, wwrauf das Polytrichum (P) alles über- wuchert. Inzwischen hat sich auf dem Hügel eine neue Invasion bemerkbar gemacht, denn auch das Polytrichum wird verdrängt, und seine Stelle durch Sphagnum (Fig. 4, Sph) eingenommen. Und so geht schließlich aus dem Ameisenhaufen als Endprodukt ein Sphagnumhügel hervor, auf dem noch eine ganze Reihe anderer niedriger Pflanzen sich im Laufe der Zeit ansiedeln; es spielen also die Ameisen eine wichtige Rolle bei der Hügel- bildung in diesen Sümpfen, indem ihre Nester als Ansatzpunkt der Moor- und Torfvegetation dienen. J. Meisenheimer. Eine interessante Zwischenform zwischen Meduse und Rippenqualle hat neuerdings C. Dawydoff 'j beschrieben. Um dieselbe zu ver- stehen, müssen wir zunächst kurz auf den Bau dieser beiden F"ormen eingehen. Eine Meduse, und zwar eine craspedote Meduse (Fig. i), be- steht aus einer glockenförmig gestalteten Gallert- scheibe, deren äußere, konvexe Fläche als Exum- brella (exu) und deren innere Wand als Subum- brella (sbu) bezeichnet wird. Vom Rand der Scheibe springt eine dünne, muskulöse Membran gegen die Subumbrellarhöhle vor, das Velum (v), dessen Kontraktionen die Fortbewegung der Me- duse herbeiführen. Am Rand der Scheibe sind weiter die Tentakel (t), sowie besondere Sinnes- organe eingefügt. Von der Mitte der Scheibe ragt in die Subumbrellarhöhle der Mundstiel, das Manubrium (mbu), hinein, welcher an seinem freien ') C. Dawydoff. Hydroctena Salenskii (Etüde mor- pliologique sur un nouveau Coelenlere pelagique. Mein. Acad. imp. Scienc. St. Petersbourg. 1903. 972 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 6i Ende den Mund (m) trägt. Der Mund führt durch genähert, zwei Tentakel (t), die in besondere Taschen den Mundstiel über in den zentral gelegenen der äußeren Haut (ta) zurückgezogen werden können. Magen (ma), von dem radiäre Kanäle (rk) aus- Der Mund führt durch einen langen, schmalen Fio I. Schema einer craspedoten Meduse (nach Parker und Haswell). -ta strahlen , die ihrerseits in einen peripheren Ringkanal (rgk) münden, so daß auf diese Weise die ernährende Flüssigkeit den Randorganen zu- geführt wird. Bedeutend komplizierter stellt sich der Bau einer Rippenqualle oder Ctenophore dar (Fig. 2). Der gallertige Körper ist meist ovoid gestaltet und hat seine streng radiäre Anordnung verloren. An dem einen Ende des Körpers ist der Mund (m) Fig. 2. Schema einer Ctenophore (nach Hatschek). Schlund (schl) in den Magen, von dem nun eine Reihe von Gefäßen entspringen. Vier ziehen zu den Rippen und verteilen sich an denselben (gfl), zwei ziehen an den Seiten des Schlundes zum oralen Pole (gfll), zwei gehen zu der Wand der Tentakelscheiden (gflH) und ein unpaares Ge- fäß endlich begibt sich zu dem aboralen Sinnes- körper (gflV), wo es sich in 4 Äste spaltet, die zum Teil nach außen münden. Fio Hydroctena Salenskii (nach Dawydoff). gelegen, an dem entgegengesetzten findet sich ein Sinnesorgan (sg), welches in einer grubenförmigen Vertiefung liegt und neben einem modifizierten Sinnesepithel vor allem durch seine Otolithen aus- gezeichnet ist. Weiter ziehen an der Außenseite des Körpers vom aboralen zum oralen Pole acht Reihen von Plättchen, die sog. Rippen (r), welche durch ihre Bewegungen die Ortsveränderungen des Organismus herbeiführen. Und endlich finden sich noch zu beiden Seiten, dem aboralen Pole etwas Und nunmehr können wir etwas näher die er- wähnte Zwischenform betrachten, die Dawy- doff in 3 Exemplaren bei Amboina (Molukken) erbeutete und die er Hydroctena Salenskii nannte. Sie bildet (Fig. 3") eine fast halbkugelige Glocke von etwa 4 mm Höhe, deren oberer Teil stärker gewölbt erscheint. Wir finden nun zu- nächst eine wohlausgebildetes Velum (v), das einen Subumbrellarraum einschließt, in welchem das kleine Manubrium (mb) mit dem Munde (m) ge- N. F. m. Nr. 6i Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 973 legen ist. Am Rande der Glocke liegen weder Tentakel noch Sinnesorgane, wohl aber finden sich symmetrisch zu beiden Seiten, dem aboralen Pol genähert, zwei rotgefärbte tentakelartige Ge- bilde (t), die in eine besondere Scheide (ta) zurück- ziehbar sind. Weiter liegt am aboralen Pole ein Sinnesorgan (sg), bestehend aus einem intensiv orange pigmentierten Flimmerring und einer tief eingesenkten Statocyste. Der Magen (ma) läuft weder in Ring- noch Radiärgefäße aus, dagegen sendet er zwei Ausbuchtungen nach den beiden Tentakelscheiden hin (gflll), sowie eine unpaare nach oben zu dem aboralen Sinnesorgan (gflV). Die Fortbewegung erfolgt mit Hilfe der Tentakeln und des Velums. Vergleichen wir nun diese Form mit den zu- erst genannten, so ergibt sich sofort, daß dieselbe nach dem Habitus, nach Umbrella, Velum, Manu- brium zweifellos eine craspedote Meduse darstellt, daß dagegen der Tentakelapparat, das aborale Sinnesorgan, sowie die Anordnung der Magen- gefäße auf nahe Beziehungen zu den Ctenophoren hinweist. Hydroctena unterscheidet sich indessen von den Ctenophoren vor allem durch das Fehlen des Schlundrohres und der Schwimmblättchen, auch sind keine Greifzellen, wie bei jenen vor- handen, sondern Nesselzellen, wie sie den Medusen zukommen. Wenn sie aber weder Ctenophore noch Hydromeduse ist, so muß sie ihrer Organisa- tion nach als eine Zwischenform beider Typen angesehen werden, ohne daß freilich ihre Ab- leitung aus einer Hydromeduse zurzeit durchführ- bar wäre, zumal noch jede Kenntnis der Ge- schlechtsorgane und der Entwicklung fehlt. Bemerken will ich schließlich noch, daß auch Beziehungen dieses Organismus zu den von den Cölenteraten zu den Turbellarien überführenden Formen (Ctenoplana) nachzuweisen sind, auf die indessen hier nicht näher eingegangen werden soll. Es würden sich nach dem Verfasser diese Verwandtschaftsverhältnisse folgendermaßen dar- stellen : ^^...^-'^ Hydroctena Ctenophoren Hydroraedusen <^^ ^Ctenoplana Turbellarien. J. Meisenheimer. Über die Wirkung ätherischer Öle und einiger verwandter Körper auf die Pflanzen betitelt sich eine Abhandlung von Arthur Heller (Flora, 1904, S- i — 31). — Verf. ver- wendete für seine Versuche Keimpflanzen ver- schiedener Art, wie Erbsen, Bohnen, Kürbiß, Minze, Kiefer u. a. , ferner Blätter und Zweige, z. B. von Salvia, L.avandula, Pinus, Laurus, sowie auch einige Moose und Schimmelpilze. Er prüfte den Einfluß von ätherischen Ölen (Pfeffer- minz-, Salbei-, Lavendel-, Eukalyptus-, Senf-, Terpentinöl usw.) von Kamphor und Thymol, von verschiedenen Harzen und Balsamen (vene- tianischem Terpentin, Kolophonium oder Asphalt, in Paraffin oder Olivenöl gelöst), sowie endlich von einzelnen Kohlenwasserstoffen (Paraffin, Petroleum, Petroläther, Xylol und Benzol) auf die genannten Versuchsobjekte. Die Pflanzen wurden unter Glasglocken der Einwirkung der ()ldämpfe usw. ausgesetzt. Neben den Versuchsglocken wurden solche mit Pflanzen unter normalen Verhältnissen zur Kontrolle aufgestellt. Über die Art der Ver- suchsanstellung sei auf die Arbeit selbst ver- wiesen. Sämtliche Versuche über den Einfluß äthe- rischer Öle auf die Pflanzen ergaben eine starke Giftwirkung dieser. Der Öldampf tritt durch die Gaswege (Spaltöfi'nungen und Intercellularkanäle) in das Innere der Pflanze ein , durchdringt die Wände der Zellen, indem er sich im Imbibitions- wasser der Membranen auflöst, und gelangt so in das Zellinnere, wobei der Protoplast zerstört wird. Die Pflanze bekommt ein fahlgelbes Aussehen, die Blätter färben sich bräunlich und braun , und schließlich (nach Verlauf einiger Stunden bis mehrerer Tage) brechen die Pflänzchen abgestor- ben zusammen. Die mikroskopische Untersuchung lehrt, daß sämtliche Zellen getötet sind. Weniger intensiv als die Giftwirkung des ätherischen Öles in Dampfform ist der Einfluß des Öles in flüssigem Zustande. Hierbei werden verhältnismäßig bedeutende Quantitäten zur Schädigung verbraucht, während der Öldampf schon in außerordentlich geringen Mengen ver- derblich wirkt. Ließ Verf. ätherisclje Öle auf diejenigen Pflanzen einwirken, von denen sie stam- men (z. B. Pfefferminzöl auf Mentha), so zeigte sich, daß die Pflanze gegen das eigene ätherische Öl resistenter ist als fremde Pflanzen, selbst wenn diese nahe verwandt sind. Ein solches Resultat, wie das vom Verf. er- zielte, ließ sich wohl erwarten, da die ätherischen Öle Exkrete der Pflanze sind, die für ihren Stoff- umsatz nicht mehr nützlich , wenn nicht sogar schädlich sind. Im wesentlichen die gleiche Wirkung wie die ätherischen Öle zeigen flüchtige Kohlen- wasserstoffe. Während aber bei ersteren der Chlorophyllfarbstoff in den Zellen völlig zerstört wird, werden bei der Einwirkung von Kohlen- wasserstoffen die Chlorophyllkörner zwar etwas umgeformt , erscheinen aber dennoch in den meisten Fällen grün gefärbt. Für Harze und Balsame sowie für Paraffin sind die Zellwände völlig undurchlässig; diese Stoffe vermögen daher nicht in das Innere der Zellen einzudringen, üben mithin keine tödliche Wirkung auf die Pflanze aus. Se. Marine Ablagerungen der Juraformation in den Molukken hat G. Boehm entdeckt (Compte-rendu de la IX. sess. du congres geol. internat. pag. 657). Auf den Sula-Inseln, Buru und Misool, fanden sich mittlerer Dogger, unterer Malm (Oxford) und Grenzschichten von Jura und Kreide , alle mit reichen Faunen , die z. T. mit europäischen übereinstimmen. Der mittlere 974 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 6i Dogger ist fast genau so entwickelt wie in Süd- deutschland und manche Ammoniten der Molukken, wie z. B. Ammonites macrocephalus, sind von unseren deutschen überhaupt gar nicht zu unter- scheiden. Aus diesen Funden ergibt sich mit absoluter Sicherheit, daß der sino - australische Jurakontinent, wie ihn Neumayr auf seiner Karte der Verteilung von Meer und Land zur Jurazeit darstellt (dieselbe findet sich in vielen Lehrbüchern), nicht existiert hat. Im Gegenteil hat das Meer schon vom Obercarbon an in der Region der Molukken bestanden, und da sich auch marine Sedimente der Trias, der Kreide und des Tertiärs gefunden haben , so muß in diesem Gebiet seit dem Paläozoikum bis heute stets im wesentlichen Meeresbedeckung geherrscht haben. Hier fand das alte Mittelnieer, die sogenannte Tethys, die sich von Europa her (juer durch Asien, etwa in der Gegend des Himalaya, erstreckte, eine offene Verbindung mit dem pazifischen Ozean. Gleich- zeitig lebten zur Jurazeit dieselben Ammoniten in Deutschland , England , Frankreich und den Molukken. Auf die zahlreichen Fragen, die sich an solche Verhältnisse knüpfen, z. B. die nach dem Entstehungsgebiet dieser Tierformen , nach der Richtung ihrer Wanderungen oder nach dem Zu- sammenhang der einzelnen Meeresbecken , läßt sich freilich einstweilen noch keine befriedigende Antwort geben. Dr. Otto Wilckens. Himmelserscheinungen im Dezember 1904. Stellung der Planeten: Merkur ist nur in der Mitte des Monats für einige Minuten abends im SW sichtbar , da- gegen stralilt Venus bis 3 Stunden lang als Abendslern, Mars ist bis 57,, Stunden lang vor Beginn der Morgen- dämmerung in der Jungfrau sichtbar, Jupiter ist noch den größten Teil der Nacht hindurch zwischen Walfisch und Widder zu sehen, während Saturn im Steinbock steht und daher zuletzt nur noch 2 Stunden lang nach Eintritt der Dunkelheit gesehen werden kann. Verfinsterungen der Jupitermonde: I. Dez. 7 Uhr 2SMin. 23 Sek. M.E.Z. ab., Austr. d. I.Trab. 5- .. 5 >. 21 „ 21 ,, „ „ Eintr. „ III. 5- » 7 n 0 ,, 58 „ „ „ Austr. „ III. 7- „ 8. „ 12. „ 7 „ , 9 , 24 „ 4 „ . 24 „ 30 .. 43 „ 8 „ „ „ •■ , „ „ „ II. „ Eintr. „ 111. 12. ,, 1 II r 2 „ 31 ,. „ Austr. ,. 111, 14. ,. 9 ,. 1 20 „ 16 ,, „ „ I- 23- , 26. ,, 5 ,' 4 , , 44 „ , 36 „ 59 „ 24 „ „ „ !■ , „ „ „ II. 30- . 7 . , 40 „ 47 ,. „ „ I Sternbedeckungen : Am 20. Dez. wird y Tauri um 7 Uhr 12,6 Min. ab. M.E.Z. für Berlin durch den Mond bedeckt und tritt um 8 Uhr 16,8 Min. am westlichen Rande des Mondes wieder hervor. In derselben Nacht findet morgens (den 21.) um 4 Uhr 24,8 Min. eine Bedeckung des Aldebaran statt, die um 5 Uhr 7,2 Min. ihr Ende erreicht. Algol-Minima : Am 4. Dez. um 8 Uhr 11 Min. ab., am 7. um 5 Uhr o Min. ab., am 24. um 9 Uhr 54 Min. ab. und am 27. um 6 Uhr 43 Min. ab. M.E Z. Der Encke'sche Komet ist am II. Sept. von Kopff in Heidelberg auf photographischem Wege bei ß'/o stündiger E.xposition nahe dem vorausberechneten Orte aufgefunden worden. Am 17. Sept. wurde die Entdeckung durch eine zweite .'\ufnahme bestätigt. Der Komet bewegt sich durch den Pegasus nach dem Füllen zu und wird bis zum Januar heller, doch dürfte er wohl auch diesmal ein schwieriges, teleskopisches Objekt bleiben. Bücherbesprechungen. Hager-Mez , Das Mikroskop und seine An- wendung, Handbuch der prakt. Mikroskopie und Anleitung zu mikroskopischen Untersuchungen. Neunte Auflage. Berlin 1904. Julius Springer. Mit 401 Textfiguren. — 8 Mk. Die vorliegende Neuauflage des verbreiteten dia- gnostischen Leitfadens zeichnet sich vor den vorher- gehenden Auflagen durch bedeutende Anreicherung des Inhalts und durch starke Vermehrung und Ver- besserung der sehr guten Abbildungen aus. Auf ver- hältnismäßig geringem Raum (390 Seiten) sind eine Unmenge von Mitteilungen aus allen möglichen Ge- bieten (Optik, Mechanik, Mineralogie, Botanik, Zoo- logie, Anatomie des Menschen und der Tiere, Bak- teriologie, Hygiene, Medizin usw.) zusammengestellt, die unter dem Hauptteil , .Mikroskopische Objekte" in praktische Rubriken gebracht sind. Für jeden, der von Berufswegen einmal ins Mikroskop sieht, findet sich ein Scherflein. Am meisten Nutzen wird der Pharmazeut haben. An diesen scheint sich das Buch auch in seiner neuen Auflage richten zu wollen. Der Gerichtsarzt oder ärztliche Sachverständige wird sich wohl leichter und eingehender in irgend einem der vielen Kom- pendien, die der Büchermarkt bietet, orientieren. In den die medizinischen Materien betreffenden, von Prof. P. Stolper in Göttingen bearbeiteten Teilen, finden sich eine Anzahl von der Korrektur bedürf- tigen, zum Teil schon recht veralteten, zum Teil wohl auch überhaupt irrigen Anschauungen. So wird (S. 7 7) Bindegewebe durch Essigsäure nicht „dar- gestellt", sondern zur besseren Erkennung anderer Gewebsteile durchsichtig gemacht. — Müller'sche Flüssig- keit (S. 120) verwendet man in der path. .\natomie, wie auch in der normalen, fast gar nicht mehr. Man kommt mit den modernen Fixationsmitteln wohl in jedem Einzelfalle schneller und besser zum Ziel. For- malin verwendet man zum gleichen Zweck besser nicht 3-, sondern 4 — 10 prozentig. — I^en Magen- darmtraktus „vom Magenmunde" ab kann man nicht wohl unter „die großen Ausführungskanäle" (S. 124) rechnen. Mit viel besserem Rechte könnte man ihn den großen „Einführungskanal" nennen. — Im Zylinder- epithel der Darmschleimhaut begegnet man nicht nur , .gelegentlich" auch den sogenannten Becherzellen, sondern deren Zahl ist eine ganz tmgeheuer große. — Die Leber ist keine acinöse, sondern eine tubu- löse Drüse, die Speicheldrüsen nicht acinös, sondern tubulös oder auch tubuloalveolär gebaut (S. 127). Als alveoläre(- acinöse) Drüse hätte die Lunge ange- führt werden können. — Das Gliagewebe (S. 130) ist keineswegs identisch mit retikulärem Bindegewebe, sondern sowohl nach seiner Entwicklung, wie auch rein morphologisch von diesem fundamental ver- schieden. — Die Bezeichnung „körnig degenerierte Muskelfäden" (Fig. 99) würde besser durch: „fettig degenerierte Muskelfasern" ersetzt werden, da es sich nach der Abbildung um solche handelt. — Die Dar- stellung (S. 135): „Jede (^scil. Ganglien-)Zelle hat eine Anzahl Ausläufer, von denen zwei, der Neurit und der N. F. in. Nr. 6i Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 975 IJendrit, physiologisch besondere Bedeutung haben", ist unrichtig. Jede Ganglienzelle hat einen Neuriten (Achsenzylinderfortsatz) und eine wechselnde Anzahl von Dendriten. .So werden nämlich sämtliche außer dem Neuriten vorhandenen Fortsätze und Ausläufer wegen ihrer Form benannt. — Unter die Krankheiten, deren Erreger noch unbekannt ist (S. 284J, kann man Krebs nicht gut zählen, da es für den Pathologen sehr unwahrscheinlich ist, daß Krebs überhaupt eine Infektionskrankheit ist. Wohl aber wären hier Masern, Röteln und Scharlach aufzuführen gewesen. — S. 293 ist die Grara'sche Färbemethode ungenau wieder- gegeben , da die Färbung nicht mit konz. wässr. Methylviolettlösung, sondern vielmehr mit Anilinwasser- Gentiana- oder Methylviolett zu erfolgen hat. — Die „Venen" übersetzt man ins Deutsche gewöhnlich mit „Blutadern". Der Ausdruck ,, Adern" allein kann natür- lich zu Verwechslungen mit Arterien oder Lymph- gefäßen Anlaß geben (S. 307). — Hiermit sind die Korrigenda des Werkchens natür- lich nicht erschöpft. Aber die aufgezählten berech- tigen wohl zu dem Wunsche, daß Bücher, welche, wie das vorliegende , u. a. grundlegende und ele- mentare Dinge behandeln, auch mit der nötigen Sorg- falt geschrieben werden. Sonst sollte man das doch lieber Fachleuten überlassen. Der botanische und pharmakognostische Teil des Buches läßt nichts zu wünschen übrig. Dr. Rüge, Bonn. P. Stephan. Die technische Mechanik, erster Teil ; Mechanik starrer Körper. Verlag von B. G. Teubner, Leipzig 1904. Die vorliegende „Technische Mechanik" will sich den Vorschriften, die für die höheren Maschinenbau- schulen Preußens gelten, möglichst anschließen und versucht die technische Mechanik mit Hilfe elementarer Rechnung in möglichst knapper Form darzustellen. Es wird in dem Buche „annähernd das Maximum dessen geboten, was in einer höheren Maschinenbau- schule mit Erfolg durchgearbeitet werden kann". In- dessen glaubt Referent nicht, daß es gleichzeitig „etwa das Minimum dessen enthalte, was ein Student im Vorexamen wissen müsse". Auch für den Studieren- den der „angewandten Mathematik" kommt das Buch wohl kaum in Betracht. Schon deshalb nicht, weil von der Differential- und Integralrechnung nirgends Gebrauch gemacht wird. Bei vielen Problemen werden nur die allereinfachsten Fälle behandelt; so z. B. bei der Bestimmung der Gleichgewichtslage eines frei hängenden Seiles nur der Fall, daß das Gewicht gleichmäßig über die Projektion des Seiles verteilt ist, und es wird hierbei die Parabel als Gleich- gewichtsform des Seiles bezeichnet. Das Fehlen des Falles der Kettenlinie könnte den Lernenden leicht zu einem falschen Schlüsse verleiten. Der Stoß wäre wohl besser nicht in den vorliegenden ersten Teil mit aufgenommen worden, da beim Stoße hauptsächlich elastische Körper interessieren und diese auch hier berücksichtigt sind, während in den übrigen Kapiteln dieses Bandes nur absolut starre Körper betrachtet werden. Die Figuren sind bis auf kleine Ungenauig- keiten in iMgur 148 und 151 sorgfältig gezeichnet. Die Bezeichnung der in den Formeln gebrauchten Größen sind aus dem ,, Taschenbuche der Hütte'' über- nommen. Das Buch kann zum Gebrauche an tech- nischen Mittelschulen besonders auch dadurch em- pfohlen werden, daß eine große Anzahl gut gewählter Aufgaben aus der Praxis durchgerechnet sind, die sich auch zum großen Teil recht gut eignen würden, um gelegentlich an höheren Lehranstalten den mathe- matischen LTnterricht zu beleben. A. Hauck. Literatur. Cesäro. Prof. Ernesto : Elementares Lelirb. der algebraischen Analysis und der Infinitesimalreclinung. Mit zahlreichen Übungsbeispielen. Nach e. Mskr. des Verf. deutsch hrsg. V. Prof. Dr. Gerh. Kowalewski. (VI, 894 S. m. 97 Fig.) gr. 8°. Leipzig '04, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. 15 Mk. Gaufs, Dr. F. G. : Fünfstellige vollständige logarithmische u. trigonometrische Tafeln. Zum Gebrauche f. Schule u. Praxis bearb. 2. Tl. Fünfstellige logarithmisch - trigono- metrische Tafeln f. Dezimaltlg. d. Quadranten. Ster.-Dr. 3, Aufl. (140 u. XVllI S.) Lex. 8". Halle '04, E. Strien. — 6 Mk. ; geb. in Halbfrz. 6,75 Mk. Hager, Dr. Herm. : Das Mikroskop und seine Anwendung. Flandbuch der prakt. Mikroskopie u. Anleitg. zu mikroskop, Untersuchgn. Nach dessen Tode vollständig umgearb. und in Gemeinschaft m. DD. Reg. O. Appel, Priv.-Doz. Dir. G. Brandes, Prof. Kreisarzt P. Stolper neu hrsg. v. Prof. Dr. Carl Mez. 9., stark verm. Aufl. (XII, 392 S. m. 401 ^'S-) g""- 8°- Berlin '04, J. Springer. — Geb. in Leinw. 8 Mk. Passarge, Priv.-Doz. Dr. Siegfr. : Die Kalahari, Versuch e. physisch-geograph. Darstellg. der Sandfelder d. sUdafrikan. Beckens. Mit 3 Taf u. 33 Abbildgn. nach Orig. - Photo- graphien des Verf. im Text, sowie 7 Abbildgn. im Anh., nebst e. Kartenband {in Mappe), cnth. 1 1 Blätter physikal. u. geolog. Karten nach Orig. -.aufnahmen der Expedition d. Gesellschaft British West Charterland im Ngamiland und den bisher veröffentlichten Materialien, 9 Blätter m. geolog. Profilen n. Kartenskizzen , sowie I Blatt landschaftl. Pano- ramen. (XVI, S32 S.) Lex. 8". Berlin '04, D. Keimer. — So Mk. Briefkasten. Herrn Dr A. C. O. in .Arnhem (Holland). — Frage : Ich bitte um Erklärung der neueren Termini in der vergleichenden .Schädellehre, wenn möglich mit Zeichnungen. — .^uf der allgemeinen Versammlung der deutschen anthropologischen Gesellschaft zu Frankfurt im Jahre 1882 wurde eine Ver- ständigung über ein gemeinsames kraniometrisches Fig. I. Schädel von der Seite. 9/6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 6i Verfahren erzielt (Arcli. f. Anthropologie, Bd. 15, 1884, S. 1—8). Als Horizontalebene wurde festgelegt „jene Ebene, welche bestimmt wird durch zwei Gerade, welche beiderseits den tiefsten Punkt des unteren Augenhöhlenrandes mit dem senkrecht über der Mitte der Öffnung liegenden Punkt des oberen Randes des knöchernen Gehörganges ver- binden (Fig. I hh)." Die gerade Länge wird gemessen von der Mitte zwischen den Augenbrauenbogen zu dem am meisten vorragenden Punkt des Hinterhauptes parallel mit der Horizontalebcne (Fig. iL). Die größte Breite mißt man senkrecht zur Sagittalebene , nur nicht am Zitzenfortsatz oder an der hinteren Temporalleiste, die Meßpunkte müssen in derselben Horizontalebcne liegen (Fig. 2 B). Die Höhe mißt man von der Mitte des vorderen Randes des Foramen magnum, senkrecht zur Horizontalebene, bis zur Scheitelkurve (Fig. I H). Die Joch breite ist der größte Abstand der Jochbogen voneinander (Fig. 2 JE). Die Gesichtshöhe Fig. 2. Schädel von oben. wird von der Mitte der Stirnnasennaht bis zur Mitte des unteren Randes des Unterkiefers gemessen (Fig. I WG), die Obergesichtshöhe bis zur Mitte des .Mveolarrandes des Oberkiefers zwischen den mittleren Schneidezähnen (Fig. i WO). Die Nasenhöhe mißt man von der Mitte der Stirnnasen- naht bis zur Mitte der oberen Fläche des Nasenstachels, rcsp. bis zum tiefsten Rande der Apertura pyriformis (Fig. I W N). Die größteBreite d er Nasenö ffnu ng und die größte Horizontalbreite des Augenhöhleneinganges mißt man parallel zur Horizontalebene (Fig. 3 a u. c), die größte Vertikalhöhe des Augenhöhlencin ganges senkrecht zu dieser Ebene (Fig. 3 d). Die Gaumenlänge wird ge- messen von der Spitze der Spina des harten Gaumens bis zur inneren Lamelle des Alveolarrandes zwischen den mittleren Schneidezähnen (Fig. 4 GL), die Gaumenmittelbreite Fig. 4. Gaumen von unten. zwischen den inneren Alveolenwänden an den zweiten Molaren (Fig. 4GB). Der Profi Iwinkel ist jener Winkel, den die ProfiUinic (Fig. I Pf.) mit der Horizontalen hh bildet. Um das Verhältnis zweier Maße anzugeben z. B. zwischen Breite und Länge, multipliziert man das kleinere Maß, hier also das Breitenmaß mit 100 und teilt durch das Längenmaß. Die wichtigsten Mafiverhältnisse (Indices), die wegen ihrer Bedeutung für die Schädellehre zu Kunstausdrücken Veran- lassung gegeben haben, sind folgende : 100 X Breite Länge 100 X Höhe Länge Profilwinkel bis 75,0 = Dolichocephalie 75,1 — 79,9 ^ Mesocephalie 80,0—85,0 = Brachycephalie 85,1 und darüber = Hyperbrachycephalie bis 70,0 = Chamaecephalie 70,1 — 75,0 = Orthocephalie 75,1 und darüber = Hypsicephalie bis 82° = Prognathie 83° — 90" = Meso- oder Orthognathie 91** und darüber ^^ HyperOrthognathie 100 X Gesichtshöhe Jochbreite bis 90,0 = chamaeprosope Gesichtsschädel ,, 90,) u. darüb. ^ leptoprosope ,, 100 X Obergesichtshöhe , . , ^, . , - bis 50,0 == chamaepros. Obergesichter Jochbreite 100 X Augenhöhlenhöhe 50,1 u. darüb. = leptoprosope bis 80,0 = Chamaekonchie Augenhöhlenbreite ,, 80,1 — 85,0 = Mesokonchie ,, 85,1 und darüber = Hypsikonchie looX Breited. Nasenöffnung ,. ^ ,. . '^ - bis 47,0 = Leptorrhinie 47,1 — 51,0 = Mesorrhinie 51,1—58,0 = Platyrrhinie 58,1 u. darüb. = Hyperplatyrrhinie Nasenhöhle 100 X Gaumenbreite Gaumenlänge bis 80,0 = leptostaphylin Fig. Schädel von vorn. 80,0—85,0 = mesostaphylin ,, 85,1 und darüber = brachystaphylin Außer den hier genannten Maßen und Indices sind zum Vergleich mit früheren Messungen noch viele andere wünschens- wert. Darüber finden Sie, abgesehen von der oben genannten Originaldarstellung, das Nähere in K. v. Bardeleben, Handbuch der Anatomie des Menschen , Bd. I : Skelettlehre, 2. Abt.: Kopf, von Graf Spee, (Jena 1896, Preis 9 Mk.), S. 358-372. Dahl. Inhalt; Dr. W. Fuchs; Das Keimgewebe der lebenden Pflanzen. — Kleinere Mitteilungen: Paula Karsten: Indisches Mittel gegen Vergiftung. — Nils Holmgren: Ameisen als Hügelbildiicr. — C.Dawydoff: Zwischenform zwischen Meduse und Rippcmiualle. — Arthur Heller: Über die Wirkung ätherischer Öle und einiger verwandter Körper auf die Pflanzen. — G. Boehm: Marine Ablagerungen der Juraformation m den Molukken. — Himmelserscheiuungen im Dezember 1904. — Bücherbesprechungen: H ager- M ez: Das Mikroskop und seine Anwendung. — P. Stcplian: Die technische Mechanik. — Literatur: Liste. — Briefkasten. VeraDtwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie^ Grofs-Lichterfeide-West b. Berlin. Druck voQ Lippert Ä Co. (G. Pätz'sche Kuchdr.), Naumburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUT" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion : Professor Dr. H. Potonie und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge III. Band; der ganzen Reibe XIX. B(<.nd. Sonntag, den 4. Dezember 1904. Nr. 62. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 PIg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserale durch die Verlagshandlung erbeten. fNachdruck verboten Matthias Jakob Schieiden. Rede, gehalten zur Säkularfeier seines Geburtstages am iS. Juni- 1904. J Von Ernst Stahl, o. ö. Professor der Botanik in Jena.'j Als vor wenigen Jahren, bei .Abschluß des neun- zehnten Jahrhunderts, Rückschau gehalten wurde über die während jenes Zeitraums auf den ver- schiedenen Gebieten menschlicher Tätigkeit und Erkenntnis vollzogenen Wandlungen und F'ort- schritte, und die wichtigsten Errungenschaften mit den Namen führender Geister in Verbindung ge- bracht wurden, da fehlte in keiner der Darstel- lungen, welche der Entwicklung der biologischen Wissenschaften gewidmet waren, der Name von Matthias Jakob Schieiden. Unzertrennlich ist Schleiden's Name mit einem der bedeutungsvollsten Wendepunkte in der Entwicklung der Naturwissenschaften, mit dem end- gültigen Durchbruch der Zellentheorie verknüpft. Wir würden aber dem Andenken des merkwürdigen Mannes nicht gerecht werden, wollten wir ims auf die Würdigung dieser seiner bekanntesten wissen- gestellt. „Schleiden's historische Bedeutung liegt", nach dem Ausspruch von Julius Sachs in seiner geistvollen Geschichte der Botanik, „nicht in dem, was er als Forscher leistete, sondern in dem, was er von der Wissenschaft forderte. Durch das Ziel, welches er hinstellte und in seiner Groß- artigkeit gegenüber dem kleinlichen Wesen der damaligen Lehrbücher allein gelten ließ, erwarb er sich ein großes Verdienst. Er ebnete denjenigen, welche wirklich Großes leisten konnten und wollten, den Weg; er schuf sozusagen erst ein wissen- schaftlich botanisches Publikum, welches imstande war, wissenschaftliches Verdienst von dilettanten- hafter Spielerei zu unterscheiden. Wer von jetzt an mitreden wollte, mußte sich zusammennehmen, denn er wurde mit einem anderen Maßstabe ge- messen als bisher." Zum Verständnis des Lebenswerkes einesMannes, schaftlichen Leistung beschränken. Überall, wo er dessen reformatorische Tätigkeit von so tiefgreifen- eingriff, hat er anregend und befruchtend gewirkt. Viele seiner Einzeluntersuchungen, auch solche, auf _, '' ^^^ ""'" Verf sagen wir für die gütige Erlaubnis, dj ..o, r^ • 1 t 11 ■ 1 r -t- 1 ucn obigen Vortrag abdrucken zu durien , unseren besten le er das größte Gewicht legte, haben sich freilich D^^k. e^ „u^den zur Kürzung „ur einige für uns unwesent- schon zu seinen Lebzeiten als unrichtig heraus- liehe Sätze weggelassen. Red. 978 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 62 dem Einfluß auf die Weiterentwicklung der Wissen- schaft gewesen ist, müssen wir uns nicht nur mit dem Zustand der Botanik, wie ihn Schieiden antraf und überwand, vertraut machen, sondern auch den eigenartigen Bildungsgang kennen lernen, welcher ihm die Mittel in die Hand gab, seiner großen Aufgabe gerecht zu werden. Als ältester Sohn eines aus Schleswig-Holstein stammenden Arztes am 5. April 1804 in Hamburg geboren, widmete sich Schieiden, nach Ab- solvierung des Gymnasiums in seiner Vaterstadt, in Heidelberg dem Studium der Rechtswissen- schaft und ließ sich, nach Erwerbung des juristi- schen Doktorgrades, in Hamburg nieder, wo er bis zum Jahre 1831 mit geringem äußeren Erfolg und noch geringerer innerer Befriedigung als Ad- vokat tätig war. Er gab die Jurisprudenz auf und zog, zunächst in der Absicht, sich zum Arzte auszubilden, nach Göttingen, wo er unter der Leitung Bartling's, der kurz zuvor ein grundlegendes Werk über die natürlichen Verwandtschaften der Pflanzen veröffent- licht hatte, sich systematische Kenntnisse aneignete und endgültig für das Studium der Naturwissen- schaft gewonnen wurde. In Berlin führte ihn dann sein Onkel Horkel in sein wichtigstes spezielles Arbeitsgebiet, die Anatomie und Physiologie der Pflanzen, ein. In rascher Aufeinanderfolge veröffentlichte Schieiden seine ersten Arbeiten, darunter die wichtigen Aufsätze über Zellbildung und Befruch- tung, welche die Aufmerksamkeit der wissenschaft- lichen Welt auf ihn lenkten und die Veranlassung gaben zu der im Jahre 1839 erfolgten Berufung als außerordentlichem Professor an die medizinische Fakultät der Universität Jena. Durch seinen jüngeren Bruder, den bekannten späteren Hamburger Schul- mann Karl Heinrich Schieiden, der in Jena Theologie und Philosophie studiert hatte, wurde er mit dem Philosophen Jakob Friedrich Fries zusammengeführt, als dessen treuer Schüler und Anhänger er sich in seinen Schriften bekennt und der von bestimmendem Einfluß auf seine Auf- fassung der wissenschaftlichen Methodik geworden ist. Während 23 Jahren, von 1839 bis 1862, hat Schieiden an unserer Thüringischen Hochschule gewirkt, zu deren Ruhm in der Mitte des ver- gangenen Jahrhunderts er mit dem Kirchenhistoriker Hase wohl am meisten beigetragen hat. Nach seinem Abgang von Jena im Jahre 1862 wurde er als Professor der Anthropologie nach Dorpat berufen, welches er jedoch bald wieder verließ, um fernerhin als Privatgelehrter, zuerst in Dresden, später namentlich in Wiesbaden und zu- letzt in Frankfurt am Main zu wohnen, wo er am 23. Juni 1881 sein an Arbeit und Kämpfen reiches Leben beendete. Als ein Mann von erstaunlicher Vielseitigkeit der Interessen hat sich S c h 1 e i d e n , schon während seiner Jenenser Zeit, nicht auf sein engeres Fach beschränkt, sondern auch andere Zweige der Natur- wissenschaft eifrig gepflegt. Mit glänzender Be- redtsamkeit begabt, von feinem künstlerischem Sinn erfüllt, drängte es ihn, die Frucht seines reichen Wissens und seine künstlerische Anschauung der Pflanzenwelt in weitere Kreise zu tragen. Es ent- standen die populären, in unserem Rosensaal und am Hofe zu Weimar gehaltenen Vorträge, deren erste und berühmteste, unter dem Titel ,,Die Pflanze und ihr Leben" zusammengefaßte Serie auf lange Zeit, nicht bloß in Deutschland, zu den gelesensten Werken naturwissenschaftlichen Inhalts gehörte. Dankbar gedenken noch jetzt viele Naturforscher der älteren Generation der nachhaltigen Anregung, welche sie durch jene formvollendeten Vorträge empfangen haben, die mit den Werken Alexanders von Humboldt dem Studium der Naturwissen- schaften zahlreiche Jünger zugeführt und nicht wenig dazu beigetragen haben, das Interesse der Gebildeten, welches damals fast ausschlielSlich den Geisteswissenschaften zugewandt war, für die mächtig aufstrebenden Naturwissenschaften zu ge- winnen. Wir verehren daher in Sc hl ei den neben dem Förderer wissenschaftlicher Erkenntnis im Kreise der Berufsgenossen einen der erfolsj- reichsten Vorkämpfer des naturwissenschaftlichen Zeitalters. Schon während seiner Tätigkeit an unserei Hochschule hatte er neben seinen Fachkollegicn stark besuchte anthropologische Vorlesungen ge- halten und in den im Jahre 1855 erschienenen, dem Dichter Rückert gewidmeten ,,Studien", der Naturwissenschaft völlig fremde Gegenstände, wie „Swedenborg und der Aberglaube", „Wallen- stein und die Astrologie" berührt. Diese Inter- essen traten in seinem späteren Leben ganz in den Vordergrund seines Schaffens. Es erschienen zahlreiche, zu ihrer Zeit viel gelesene Abhand- lungen und Werke ästhetischen, philosophischen, besonders aber kulturhistorischen Innalts, wälirend seine früher so reiche Produktivität auf dem Ar- beitsfelde der wissenschaftlichen Botanik schon in den fünfziger Jahren zu erlahmen begann, um bald vollständig aufzuhören. Verschiedene Momente mögen zusammengewirkt haben, seine Abkehr von fachwissenschaftlichen Studien zu verursachen. Sein ungemein reger, stets nach neuer Nahrung verlangender Geist hätte ihm wohl auf die Dauer, auch wenn eine starke Überanstrengung der Augen ihm den Gebrauch des Mikroskops nicht schon an sich erschwert hätte, die minutiöse, zeitraubende, eine unendliche Geduld erfordernde Kleinarbeit des SpezialStudiums verleiden müssen. Zu diesen Momenten kam als wichtigeres hinzu die nach langen, hartnäckigen Kämpfen mit glücklicheren Widersachern ihm auf- gedrungene Erkenntnis, daß es ihm zwar gegönnt gewesen sei, der Wissenschaft neue Ziele und Wege zu weisen, eine Fülle von Anregung zu geben, er aber in der Durchführung seiner Einzel- untersuchungen oft unglücklich gewesen sei, gerade in den wichtigsten Punkten geirrt habe und — wir zitieren seinen eigenen Ausspruch — es anderen N. F. III. Nr. 6: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 979 überlassen müsse das von ihm Erstrebte in glück- licherer Weise , als es ihm gelingen wollte, zu Ende zu führen. Die wissenschaftliche Tätigkeit .S c h 1 e i d e n ' s , deren Betrachtung wir uns nun zuwenden, ist hauptsächlich nach zwei Seiten hin fruchtbar ge- wesen, erstens in rein methodologischer Beziehung, indem er, eingerissene Mißbräuche beseitigend, eine gesunde, vorurteilsfreie Naturbetrachtung wieder zu Ehren brachte, zweitens durch die nachhaltige An- recfune, die er auf verschiedene, weit voneinander fc» ••»' entfernte Forschungsgebiete ausübte. Zu einer Zeit, wo die spekulative Philosophie eines Schelling, eines Hegel ihre größten Triumphe feierte, führten in Deutschland die bio- logischen Wissenschaften ein bescheidenes, zum Teil kümmerliches Dasein. Insbesondere war die Botanik noch fast ganz von der Linne'schen Schule beherrscht, deren Aufgabe mit der Beschrei- bung und Benennung von Pflanzenarten und ihrer Unterbringung im künstlichen System so gut wie erschöpft war. Der Geist dieser trockenen Syste- matik, der jede Belebung durch morphologische, phj'siologische und geographische Gesichtspunkte noch fehlte, machte sich auch in den Lehrbüchern breit und war nur zu geeignet begabtere Naturen abzustoßen. Zwar gab es auch damals einzelne F"orscher, die bestrebt waren, diese Einseitigkeit zu überwinden, indem sie auch andere Zweige der Botanik, insbesondere die Anatomie und Physio- logie derGewächse, durch wertvolle Untersuchungen bereicherten, doch fehlte es noch an einem Manne, der nicht nur für sich den richtigen Weg ein- schlug, sondern auch den anderen die richtigen Bahnen wies, die gleichgesinnten Berufsgenossen zu weiteren Leistungen anspornte und vor allem mit den eingerissenen Mißbräuchen, dem altüber- kommenen Schlendrian in schonungsloser Weise aufräumte. Dieser eingreifenden, reformatorischen Tätigkeit war keiner wie Schieiden gewachsen. Es muß als ein glückli -her Umstand angesehen werden, daß er erst in reiferen Jahren und nicht schon als junger Student sich der Botanik zuge- wendet hat. Seinem Durst nach naturwissenschaft- licher Erkenntnis konnten die trockenen Lehr- bücher mit ihrem dürftigen Inhalt keine Befriedi- gung gewähren; noch mehr mußte sein in Studium und Praxis der Rechtswissenschaft geschärfter kritischer Sinn Anstoß nehmen an den zu jener Zeit ebenso beliebten, wie gehaltlosen Spekula- tionen einer auf Abwege geratenen Naturphilo- sophie, die sich, in merkwürdigem Gegensatz zu der Armut an fruclitbaren Gedanken , in den Schriften vieler, sonst angesehener Männer breit machte. Zur Beseitigung derartiger Mißstände genügt es nicht, wie manche es strenger mit der Wissen- schaft nehmende Fachgenossen S c h 1 e i d e n 's taten, sie bitter zu empfinden, vornehm zu ignorieren oder gar, mit der mißbräuchlichen Anwendung der Philosophie zugleich jede philosopb'sche Betrach- tungsweise der Erfahrungstatsachen zurückzuweisen : die Gesundung konhte nur in einem planmäßig durchgeführten Kampfe erreicht werden, in welchem schonungslos die ganze Nichtigkeit der beliebten Phantastereien, des Spielens mit inhaltsleeren Be- griffen aufgedeckt wurde. Seh leiden, bei dem die polemische Ader bis zum Übermaß entwickelt war, so daß er sich nacheinander in die heftigsten Kämpfe, nicht nur mit beinahe sämtlichen Fachgenossen, sondern auch mit anderen Gelehrten — wir nennen bloß einen Fechner, einen Lieb ig — verstrickte, fand so ein dankbares Feld für seine ersprießlichste Tätig- keit. Aber auch die glänzendste Begabung, die ihn immer neue Wendungen, witzige Einfälle, sar- kastischen Spott zurCharakterisierungderSch wachen seiner Gegner finden läßt, hätte dem Kämpfer nicht den durchschlagenden t>folg gesichert, wenn ihm nicht die richtige geistige Waffe zur Ver- fügung gestanden hätte. Gefunden hat er sie in Jena, wo er im Ver- kehr mit dem von ihm schwärmerisch verehrten Philosophen JakobFriedrich Fries, der selbst, auf Kant zurückgreifend, den Kampf gegen die spekulative Philosophie eröffnet hatte, seine kritisch- philosophischen Studien vertiefte und die ge- wonnenen Gesichtspunkte in glücklichster Weise in der im Jahre 1842 erschienenen methodologischen Einleitung zu den ,, Grundzügen der wissenschaft- lichen Botanik" zur Verwertung brachte. „Die Botanik als induktive Wissenschaft" steht als Haupt- titel der zweiten Auflage diesem epochemachenden Werke voran, in welchem S c h 1 e i d e n den rück- sichtslosesten Kampf gegen die dogmatisierende Behandlung der Wissenschaft eröffnet und die von Baco von Verulam ausgehende induktive Me- thode als die allein richtige hinstellt. Das Ideal, welches ihm vorschwebt, ist, seine Wissenschaft auf dieselbe Stufe zu erheben wie die Physik und die Chemie, denen in jenen trüben Zeiten der echte Geist induktiver F"orschung nicht abhanden ge- kommen war. Was uns heute selbstverständlich erscheint, daß nur durch das Fortschreiten vom Besonderen zum Allgemeinen die Kenntnis von der Natur eine sichere Begründung erfahren kann, war, als S c h 1 e i - den auftrat, keineswegs Gemeingut der damaligen, insbesondere der deutschen Naturforschung, auf welche Schelling's Naturphilosophie in so ver- hängnisvoller Weise eingewirkt hatte, daß selbst ein Goethe sich ihrem Einfluß nicht zu ent- ziehen vermocht hat. Wenn nun Schieiden, durch den Kampfes- eifer fortgerissen, dahin gelangte, jede deduktive Behandlung aus der Naturwissenschaft zu verweisen, so muß man im Auge behalten, daß es ihm zu- nächst darauf ankam , den Mißbrauch , den die spekulative Naturphilosophie mit der Deduktion getrieben hatte, zu beseitigen. Fern lag es ihm, die auf Deduktion beruhende wissenschaftliche In- tuition, welche, der Induktion vorauseilend, den Forscher bei Aufstellung neuer Probleme leitet und ihn neue Wahrheiten ahnen läßt, zu verwerfen. 98o Naturwissenschaftlich e Wochenschrift. N. F. III. Nr. 62 Wie häufig er selbst davon Gebrauch macht, zeigt ja deutlich genug seine eigene geistvolle Behand- lungsweise wissenschaftlicher Fragen, die Aufstel- lung von Problemen, die erst viel später ihrer Lösung näher gebracht werden sollten. Die Verdienste, die sich S c h 1 e i d e n in Deutsch- land durch die Bekämpfung der Naturphilosophie und die Geltendmachung einer gesunden, realisti- schen Betrachtungsweise erworben hat, würden, so groß sie sind, nicht ausreichen, um ihm eine universelle Bedeutung zu sichern. Für die Naturforschung anderer, von der Natur- philosophie so ziemlich verschont gebliebenen I.änder konnte seine reformatorische Tätigkeit höchstens mittelbar von Bedeutung sein, durch Hebung der Botanik in den Ländern deutscher Zunge. Hier trat allerdings ihre Wirkung deutlich genug hervor. Die vielen hervorragenden Männer, die noch zuSchleiden's Lebzeiten die Botanik in Deutschland zu höchster Blüte brachten, sind, sie mögen auch im einzelnen seine Gegner ge- wesen sein , alle in gewissem Sinne als seine Schüler zu betrachten. Wenden wir uns nun denjenigen seiner Leistungen zu, deren Wirkung sich weit über die Grenzen Deutschlands erstreckte, so haben wir zunächst bei seinem Hauptwerk zu verweilen, den „Grund- zügen der wissenschaftlichen Botanik", dessen me- thodologische Einleitung wir bisher allein berück- sichtigt haben, ein Buch, das nach den verschie- densten Seiten hin, bis zum Erscheinen des Lehr- buchs von Julius Sachs, im Jahre 1869, eine reiche Quelle nicht bloß der Belehrung, sondern noch mehr der Anregung gewesen ist. „Der Unterschied zwischen diesem Werk und allen vorhergehenden Lehrbüchern", sagt Sachs, „ist wie Tag und Nacht; jener gedankenlosen Träg- heit gegenüber hier eine sprudelnde Fülle von Leben und Gedanken, die vor allem gerade auf die Jugend umsomehr wirken mußte, als sie in sich selbst vielfach unfertig und unvergoren war; auf jeder Seite dieses merkwürdigen Buches fand der Studierende neben wirklich wissenswerten Tatsachen interessante Reflexionen, lebhafte, meist grobe Polemik, Lob und Tadel gegen andere. Es war kein Lehrbuch, aus dem sich ruhig und be- haglich studieren ließ, welches aber die Studieren- den überall anregte, Partei für oder wider zu nehmen und weitere Belehrung zu suchen". Die Wirkung der ,, Grundzüge" würde man jedoch zu gering anschlagen, wollte man in ihnen bloß ein der Überlieferung des Lehrstoffs dienen- des Buch erblicken ; noch wichtiger wurde es für die Forschung selbst durch den Hinweis auf die zu lösenden Fragen und die zum Ziele führenden Methoden, die zwar schon vor seinem Auftreten in fruchtbringender Weise zur Anwendung gelangt waren, welchen aber erst sein Eingreifen zur all- gemeinen Anerkennung bei den Fachgenossen ver- holfen hat. Ganz besonders gilt dies von der Ent- wicklungsgeschichte, deren Bedeutung für das Ver- ständnis des pflanzlichen Organismus Sc hl ei den nicht müde wird immer wieder hervorzuheben. Die Forschung dürfe sich nicht, wie es bisher fast allgemein geschehen, auf das Studium der fertigen Pflanze, der fertigen Organe beschränken, sie müsse auch, wie es in der Zoologie längst üblich, das Werden, das Entstehen des Gewordenen kennen lernen, um es zu begreifen. Wie wenig entwicklungsgeschichtliche Unter- suchungen vor Schleiden's Auftreten in der Botanik geschätzt waren, zeigt unter anderem die geringe Beachtung der schon in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts erschienenen Schriften von Caspar Friedrich Wolf f, der die Organ- entwicklung von Pflanzen und Tieren bis in ihre Anfänge zurück verfolgt hatte, um zu zeigen, daß die Organe nicht, wie die alte Einschachtelungslehre es wollte, aus bereits vorhandenen kleinsten An- lagen, die sich bloß zu vergrößern, zu entfalten brauchten, hervorgehen, sondern als wirkliche un- differenzierte Neubildungen entstehen. Die von Wolff aus der Betrachtung jüngster Blütenanlagen gefolgerte Theorie, daß an der ganzen Pflanze, deren Teile wir auf den ersten Blick als so außerordentlich mannigfaltig bewundern, nur zweierlei wesentlich verschiedene Organe — Blätter und Stengel, zu welchen er auch die Wurzeln hinzuzog — zu unterscheiden seien, die Blume mithin bloß einen umgewandelten Sproß darstelle, war von Goethe aufs neue aufgestellt worden. Ohne Kenntnis der Arbeiten seines Vorgängers, war er zu demselben Ergebnis gelangt durch die Vergleichung der ausgebildeten Teile der fertigen Pflanze, wobei ihn bald normal, bald abnormal (an Mißbildungen, wie gefüllten Blumen) auftretende Übergänge einer Blattform in die andere leiteten. Beide Methoden, die entwicklungsgeschichtliche Wolff 's und die vergleichend morphologische Goethe's gelten heute als berechtigte und wich- tige Hilfsmittel der Morphologie. Es ist nun durchaus bezeichnend für Schleiden's dem Extremen zuneigende Eigenart, daß er der ent- wicklungsgeschichtlichen Methode nicht nur den Vorzug einräumt, sondern sie sogar allein gelten läßt und so zu dem Ausspruch gelangt, daß es ein Unglück für die Botanik gewesen sei, daß nicht die Wolff 'sehe Metamorphosenlehre statt der Goethe'schen in die Wissenschaft eingedrungen sei. Was Seh leiden gegen die vergleichende Behandlung einnehmen mußte, war die leicht- fertige, mißbräuchliche Art, in der sie damals unter dem Einfluß der Schelling'schen Lehren be- trieben wurde; die an Goethe's Lehre an- knüpfenden, von diesem mit Wohlwollen entgegen- genommenen abenteuerlichen Spekulationen stießen Schieiden ab, und so kam es, daß er auch den wertvollen Kern in G o et h e 's Bestrebungen ver- kannte, Bestrebungen, die allerdings erst viel später, im Lichte der von ihm selbst lebhaft begrüßten Deszendenztheorie einen den Naturforscher völlig befriedigenden Sinn gewonnen haben. Wie heilsam die einseitige, ja exklusive Be- tonung der Entwicklungsgeschichte, wie not- N. F. III. Nr. 62 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 981 wendig die Zurückweisung- voreiliger Vergleichungs- sucht bei dem damaligen Stande der Kenntnisse war, zeigt am deutliclisten der Umschwung, der im Verständnis der niederen Pflanzen, der Krypto- gamen mit der allgemeineren Anwendung der Ent- wicklungsgeschichte verknüpft war. Während die Bemühungen früherer Forscher darauf gerichtet waren, die ihnen von den höheren Pflanzen her bekannten Organe, wie Antheren und Pistille, bei den niederen Gewächsen wieder zu finden, lernte man nunmehr, auf vorzeitige Ver- gleiche oft heterogener Dinge verzichtend, die niederen Pflanzen für sich in ihrer so überaus mannigfaltigen Entwicklung kennen, es einer späteren Zeit überlassend, die vergleichende Untersuchung auf sicherer Grundlage und in fruchtbringender Weise wieder zur Geltung zu bringen. Von den entwicklungsgeschichtlichen Einzel- untersuchungen, die S c h 1 e i d e n veröftentlicht hat, fallen diejenigen, welche ihm den größten Ruhm bereiteten , andererseits aber auch die Keime schwerster Niederlagen in sich trugen, schon in seine Berliner Zeit, wo er Schlag auf Schlag mit einigen das größte Aufsehen erregenden Abhand- lungen hervortrat. Zunächst schuf er durch ge- naue, für seine Zeit vorzügliche Darlegung der Entwicklung verschiedener Blüten ein neues wich- tiges Hilfsmittel zur Erforschung der Blütenmorpho- logie, durch dessen konsequente Anwendung von Seiten anderer Forscher, denen seine Leistungen als Vorbild dienten, ein neuer Aufschwung der Systematik eingeleitet wurde. An diese mit vollem Erfolg gekrönten Be- strebungen schlössen sich andere, noch wichtigere an, die in der Aufgabe giptelten, die Entwicklung der jungen Pflanze bis in ihre ersten Anfänge Schritt für Schritt zu verfolgen. Wenn auch die Lehre von der Sexualität der höheren Gewächse, die Notwendigkeit der Be- fruchtung der Samenanlagen durch eine von den Körnern des Blütenstaubes ausgehende Einwirkung längst erwiesen war, so blieben doch die Einzel- heiten des Vorganges noch in Dunkel gehüllt. Schieiden konnte bei zahlreichen Pflanzen die zuerst von A m i c i gemachte Beobachtung von dem Eindringen des aus dem Pollenkorn hervor- gegangenen Schlauches durch Narbe, Griffelkanal bis in die Samenanlagen hinein bestätigen. Wenn er aber, die der Befruchtung harrende Eizelle über- sehend, das Ende des Pollenschlauches selbst zum Embryo, zum jungen Keime werden läßt, der nach seiner Auffassung in dem Embryosack der Samenknospe bloß eine für seine Weiterentwick- lung geeignete Brutstätte finden soll, so war dies ein schwerer Irrtum, durch den die bisherige, richtige Auffassung der Pflanzengeschlechter auf den Kopf gestellt wurde, indem nunmehr der Pollenschlauch nicht mehr als das männliche, sondern als das weibliche Organ der höheren Gewächse gelten sollte. Diese als S c h 1 e i d e n ' sehe Be- fruchtungstheorie bekannte, von ihrem Urheber, wie von seinem Schüler und mehrjährigen Mit- arbeiter Schacht mit größter Zähigkeit Jahre lang gegen glücklichere Widersacher verteidigte Lehre führte schließlich zu einer schwer emp- fundenen Niederlage, die wohl hauptsächlich Schiei- de n veranlaßt haben mag, in späteren Jahren die mikroskopischen Spezialuntersuchungen immer mehr zurücktreten zu lassen und schließlich ganz aufzugeben. Wenn die verunglückte Befruchtungslehre in der Geschichte der Botanik nur als ein schwerer, zu Widersprüchen herausfordernder Irrtum ver- zeichnet werden kann, so werden die ebenfalls schon in Berlin entstandenen, im Jahre 1838 er- schienenen ,, Beiträge zur Phytogenesis" stets einen Ehrenplatz ersten Ranges in der Geschichte der Wissenschaft von den Lebewesen einnehmen. Diese bekannteste und in ihren Folgen frucht- barste Leistung Schieiden 's, sein Anteil an der Aufstellung der Zellentheorie, als deren Begründer er, zusammen mit Schwann, genannt zu werden pflegt, verdient eine eingehendere Würdigung, nicht nur wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes, sondern weil hier die Licht- wie die Schattenseiten der Sc hl ei den 'sehen Behandlung wissenschaft- licher Fragen besonders klar hervortreten. Auf der einen Seite die bewunderungswürdige Gabe des Genies, seiner Zeit vorauszueilen in der Er- kennung der vollen Tragweite der gestellten Pro- bleme, die Fähigkeit, Dinge zu ahnen, die zu be- weisen erst einer späteren Generation gelingen sollte; auf der anderen Seite, zwar auf unzureichen- den, dazu fehlerhaften Beobachtungen beruhende und verfrühte, darum aber nicht minder frucht- bare Verallgemeinerungen, die alle Mitstrebenden zur Steliungnaimie aufforderten und auch vorsichtigere, in der Einzelbeobachtung ihm weit überlegene Forscher, wie Mohl, aus ihrer Zurückhaltung her- vorzutreten zwangen und sie anspornten, die in den Vordergrund des Interesses gestellten Auf- gaben mit erneutem Eifer zu fördern. Eine Lehre, die eine Unsumme von mühsam festgestellten Einzeltatsachen unter einem einheit- lichen Gesichtspunkt zusammenfaßt, wird nur in den seltensten Fällen das ausschließliche geistige Eigentum eines einzelnen Mannes sein. So ist es auch mit der Zellenlehre, um deren Förderung vom 17. Jahrhundert an zahlreiche Forscher ver- schiedener Länder sich verdient gemacht haben. Die erste genauere Keniitnis von dem feineren, mit Hilfe des Mikroskops erkennbaren Bau des Pflanzenleibes verdanken wir dem großen Italiener Marcello Malpighi und dem Engländer N e h e - m i a h G r e w. Schon kurz vorher hatte ein Zeit- und Berufsgenosse Newtons, Robert Hooke, dem es darauf ankam, mit dem von ihm ver- besserten Mikroskop neue Eigenschaften der Natur- körper zu entdecken, die Ähnlichkeit des in dünnen Scheibchen bei starker Vergrößerung betrachteten Flaschenkorks und anderer Pflanzenteile mit Bienen- waben hervorgehoben. Malpighi und Grew, welche die Grundlagen der Pflanzenanatomie schufen, lieferten den Nachweis der allgemeinen Verbreitung 982 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 62 dieser Kämmerchen, Blasen, Schläuche oder „Zel- 1 e n", wie sie zuerst nur gelegentlich, später all- gemein genannt wurden. Neben diesen Zellen entdeckten sie noch ein vermeintliches anderes Element, in Gestalt von langen Röhren, die Ge- fäße. Durch den, allerdings erst in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von dem schon genannten Tübinger Botaniker Hugo v. Mohl endgültig gelieferten Nachweis der Entstehung jener Gefäßröhren aus Zellreihen, unter Verschwin- den der die Einzelhöhlungen voneinander trennen- den Wände war also bereits die Zelle als ein der mannigfaltigsten Ausbildung fähiger Elementarteil erkannt und hiermit für das Pflanzenreich die Zellentheorie der Hauptsache nach begründet. Als Belege hierfür ließen sich Aussprüche verschiedener Gelehrter, wie Brisseau-Mirbel in Frankreich, Meyen in Deutschland, anführen. Von der Aufstellung einer Theorie bis zu ihrer allgemeinen Anerkennung und der richtigen Wert- schätzung ihrer vollen Tragweite bleibt jedoch oft noch ein großer Schritt zu tun. Diesen Schritt tat Schieiden, den wir zwar nicht als den Begründer der Zellenlehre, wohl aber als ihren einflußreichen Verkünder bezeichnen dürfen. Hierzu war er wie keiner geeignet, dank seinem stets auf das Allgemeine gerichteten Bück, seinem stürmisch vorwärtsdrängenden Wesen, das ihn Schwierigkeiten, die vorsichtigere Naturen zu- rückschrecken, gering achten, ja übersehen ließ, nicht am wenigsten kraft seiner glänzenden Dar- stellungsgabe, die ihm sofort einen durchschlagen- den Erfolg eintrug. In der genannten Schrift wird als oberster Satz hingestellt, daß jede Zelle ein selbständiges Lebewesen sei, das nur bei den allerniedrigsten Pflanzen frei für sich lebe, bei höheren aber, durch Vergesellschaftung mit anderen, den hochzusammengesetzten Körper aufbaue. Hier führe demnach jede Zelle ein zweifaches Leben: ein selbständiges, nur ihrer Eigenentwicklung an- gehöriges, und ein anderes mittelbares, insofern sie integrierender Teil einer Pflanze geworden. An diesen wichtigen Ausspruch, der, in wenig ver- änderter Formulierung, auch heute noch Geltung hat, knüpft er den anderen noch wichtigeren : „daß sowohl für die Pflanzenphysiologie, als auch für die vergleichende Physiologie im allgemeinen, der Lebensprozeß der einzelnen Zellen die aller- erste, ganz unerläßliche Grundlage bilden muß." In diesen Worten ist das Programm eines der wichtigsten Zweige der modernen Biologie klar vorgezeichnet. Nur in dieser weitgreifenden Wichtigkeit des Gegenstandes, fährt Schieiden fort, sehe er die Entschuldigung, daß er es jetzt schon wage, mit seiner Ansicht von der Entstehung des Ele- mentarorganismus, der Zelle, hervorzutreten. An Vorgängern auf dem Gebiete der Zell- entwicklung hatte es Schieiden keineswegs ge- fehlt, hatte ja schon der früher genannte Cas pa r Friedrich Wolff sich, allerdings erfolglos, mit dieser Frage befaßt. Inzwischen war an verschie- denen pflanzlichen Objekten der Vorgang der Zell- vermehrung beobachtet worden, ja es hatte Mohl an einem besonders günstigen Gegenstand, einer fadenförmigen Süßwasseralge, die Zellteilung, näm- lich das Auftreten einer die Mutterzelle in zwei Tochterzellen zerlegenden Scheidewand, direkt ver- folgt, ohne es aber zu wagen, diesen Vorgang als einen allgemeinen, typischen hinzustellen. Erst Schieiden getraute sich ein für alle Pflanzen- zellen gültiges Schema der Zellbildung zu ent- werfen. Statt aber, wie Mohl, die der Beob- achtung am leichtesten zugänglichen Fälle, wie sie sich bei manchen niederen Gewächsen darbieten, zu benutzen, stellte er sich die schwierige, bei den damaligen Untersuchungsmethoden nicht zu be- wältigende Aufgabe, den Prozeß der Zellbildung bei den höheren Pflanzen zu verfolgen. Da es ihm aber nicht gelingen wollte, demselben im vegetativen Gewebe auf die Spur zu kommen, wandte er sich an den Ort, wo die junge Pflanze erzeugt wird, um so die Entwicklungsgeschichte des vielzelligen Organismus in seinen ersten An- fangsstadien, von der Eizelle aus kennen zu lernen. So richtig dieser Gedanke an und für sich war, für S c h 1 e i d e n wurde er nach zwei Seiten hin verhängnisvoll, denn er führte ihn nicht nur zur Aufstellung seiner schon besprochenen Befruch- tungstheorie, sondern auch zu einer völlig unhalt- baren Zellbildungslehre. Während aber erstere nur Widerspruch erwecken konnte, war letztere, trotz ihrer Fehler, in hohem Grade fruchtbar da- durch, daß zum ersten Mal der Zellkern in Verbindung mit der Zellbildung gebracht wurde. Der englische Botaniker Robert Brown hatte in den Zellen der Orchideen einen unbe- achtet gebliebenen Zellbestandteil entdeckt und als Areole oder Kern der Zelle beschrieben. Dieser bisher wenig berücksichtigte Teil der Zelle war Seh leiden bei seinen embryologischen Studien als konstanter Inhaltsbestandteil des jungen Em- bryos und des neu entstandenen Nährgewebes oder Endosperm aufgefallen und so entsprang, wie er sagt, sehr natürlich der Gedanke, daß dieser Zellen- kern in einer näheren Beziehung zur P^ntstehung der Zelle selbst stehen müsse. Wenn nun auch seine Angaben über die Zell- bildung, die er stets frei, im Innern von Mutter- zellen vor sich gehen läßt, sich höchstens für einen besonderen Fall als annähernd zutreffend erwiesen haben und seine Ansicht von der Rolle des Zell- kerns oder Cytoblasten, an dessen Oberfläche die neue Zellhaut sich bilden sollte, unrichtig war und, wir können hinzufüsfen, bei den mangelhaften damaligen Untersuchungsmethoden nur unrichtig sein konnte, so tut dies der großen historischen Bedeutung der kleinen Schrift über Phytogenese keinen Abbruch. Ihre Wirkung machte sich nicht nur in der Botanik, sondern in noch viel höherem Maße in ihren Schwesterwissenschaften geltend, wo sie eine förmliche Umwälzung in der Auf- fassung des Aufbaues der tierischen Gewebe her- N. F. m. Nr. 62 Naturwissenschaftliche WochciKschrift. 983 vorrief. Es sollten zwar noch Dezennien ver- streichen, bevor es gelang tiefer in die Bedeutung des Kerns im Zellenleben einzudringen; doch ge- nügte die von Schieiden gegebene Anregung, um an Stelle der bisher auf zoologischem Gebiete nur in schüchternen Anfängen vorhandenen Ver- suche, auch den Tierkörper als eine Vielheit kleinster Elementarteile darzustellen, eine zusammen- fassende Zellentheorie erstehen zu lassen. Schon früher hatten hervorragende Tierphysiologen auf den zelligen, einem Pflanzengewebe ähnlichen Bau des tierischen Knorpels und der Chorda dorsalis hingewiesen. Aber erst nachdem Seh leiden die Wichtigkeit des Kerns betont hatte, eines Zell- bestandteiles, der in den tierischen Gewebeelementen besonders deutlich hervortritt, war es möglich, die Parallelisierung der im ausgebildeten Zustande viel mannigfaltigeren histologischen Elemente der Tiere mit den relativ einfacheren der Pflanzen durch- zuführen und die Zellentheorie von dem Pflanzen- reich auf das Tierreich zu übertragen. Theodor Schwann's grundlegendes Werk, in welchem diese Aufgabe durchgeführt ist, erschien schon ein Jahr nach Schleiden's Beiträgen zur Phyto- genese. Wie Schwann es selbst dankbar be- kennt, hat er in Berlin, wo beide damals Zimmer an Zimmer lebten, im mündlichen Verkehr mit S c h 1 e i d e n von dessen Zellentheorie und der den Zellkernen zugeschriebenen Bedeutung Kennt- nis erhalten. Sofort erkannte er, wie er selbst er- zählt, die Fruchtbarkeit der ihm mitgeteilten Ge- danken und nach wenigen Monaten legte er die Frucht umfassender Untersuchungen nieder in den , .mikroskopischen Untersuchungen über die Übereinstimmungen in der Struk- tur und dem Wachstum der Tiere und Pflanzen." Pflanzen und Tiere konnten, trotz ihrer großen Verschiedenheiten, nunmehr von einem einheitlichen Gesichtspunkte, dem der Zellenlehre, betrachtet werden. Als gemeinsamer Sitz der Lebensäußerungen war eine den Organismen beider Reiche gemeinsame Einheit erkannt. Das Studium der normalen Zelle, dem sich bald das durch Rudolph Virchow begründete Studium der pathologisch veränderten Zelle anschloß, bildete fortan einen der wichtigsten Zweige der gesamten Biologie, welche dankbar die Namen Schi eiden und Schwann mit dieser großen, eine neue Epoche der Erforschung der Lebewesen einleiten- den Errungenschaft verknüpft. Gegenüber dieser, am tiefsten in den Entwick- lungsgang der Naturwissenschaft eingreifenden Leistung, die in kurzer Zeit dem noch jungen Gelehrten europäische Berühmtheit verschaffte, treten die späteren, in dem ersten Dezennium seines Wirkens in Jena veröffentlichten, mannig- faltigen Arbeiten an allgemeiner Bedeutung zurück, wenn sie auch, wie es bei ihm stets der Fall war, neben Irrtümern im Einzelnen eine Fülle von An- regung boten. Mit diesen rein theoretischen, auf die verschiedensten Gebiete der Pflanzenkunde sich erstreckenden Bestrebungen, die wir nicht im Ein- zelnen verfolgen können, erschöpfte sich nicht die rastlose Tätigkeit des unermüdlich erscheinenden Mannes, der es für seine Pflicht hielt, die Ergeb- nisse der wissenschaftlichen Forschung auch der Praxis dienstbar zu machen. Er begnügte sich nicht damit, in seinen „Grundzügen" gegen die zeitgenössischen Botaniker den Vorwurf der gänz- lichen Vernachlässigung der praktischen Seite ihres Faches zu erheben, sondern legte selbst die Hand ans Werk, veröffentlichte unter anderem als erster sorgfältig durchgeführte, seinen Nachfolgern als Muster dienende mikroskopische Untersuchungen pflanzlicher Heilmittel und veranlaßte seinen Schüler Schacht, sich dem Studium der mikroskopischen Kennzeichen wichtiger Spinnfasern zu widmen, welch letzterer hiermit den ersten Beitrag zu einem allerdings erst viel später, insbesondere durch den Wiener Botaniker Wies n er geförderten Zweig der angewandten Botanik, der pflanzlichen Roh- stofflehre, lieferte, ein Zweig, der nicht nur für die Technik, sondern auch für die geschichtliche und die literaturhistorische Forschung, infolge der Möglichkeit das Alter von Papieren und hiermit von Handschriften festzustellen, von nicht zu unter- schätzender Bedeutung geworden ist. Für den Mann , der die allgemeine An- wendung der mikroskopischen Untersuchungs- methoden auf den verschiedenen Gebieten der theoretischen und praktischen Botanik so sehr als wertvolles Mittel des wissenschaftlichen P"ort- schrittes erkannte, war die Unzulänglichkeit der ihm zur Verfügung stehenden Instrumente, auch der besten, Gegenstand oft wiederkehrender Klagen. Da aber die Resignation nicht in seinem Wesen lag, so war er auch hier bemüht, durch tätiges Eingreifen dem schwer empfundenen Übelstand abzuhelfen. In der Absicht, sich als Mechaniker niederzu- lassen, war anfangs der vierziger Jahre ein junger Mann, Carl Zeiß war sein Name, nach Jena ge- zogen. Wie andere Gewerbetreibende mußte er, um die Berechtigung zur Eröffnung eines Ge- schäfts zu erlangen, nach den damaligen Bestim- mungen eine Staatsprüfung bestehen , zu deren Vorbereitung er sich an verschiedenen wissen- schaftlichen Übungen, insbesondere auch an dem mikroskopischen Praktikum, unter Schleiden's Leitung, beteiligte. Dieser interessierte sich für den geschickten, lernbegierigen Mann und veran- laßte ihn, sich der Herstellung optischer Instru- mente, zunächst einfacher, später auch zusammen- gesetzter Mikroskope zu widmen, wobei er ihn darauf hinwies, das Schleifen der Mikroskoplinsen nicht, wie es damals allgemein üblich war, rein empirisch, sondern auf wissenschaftlicher Grund- lage zu betreiben, ihm zugleich den Rat gebend, sich zur Förderung dieses Zweckes in der theo- retischen Optik unter Snell's Leitung auszu- zubilden. F; . Es ist sattsam bekannt, daß auch diese An- regungen auf fruchtbaren Boden fielen und, nach- dem Zeiß in der Einsicht seiner Unzulänglich- 984 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 62 keit auf theoretischem Gebiet den richtigen wissen- schaftlichen Mitarbeiter in Ernst Abbe, diesen für die theoretische Optik gewinnend, gefunden hatte, von einem Erfolg gekrönt wurden, dessen Größe S c h 1 e i d e n nicht ahnen konnte und dessen volle Tragweite er leider niclit mehr erleben durfte. Wir aber, die wir uns der großen Errungenschaften erfreuen, die sich an die Namen eines Carl Zeiß, eines Ernst Abbe knüpfen, zollen ihm Dank dafür, daß er ersteren in die richtige Bahn ge- leitet und so den Anlaß gegeben hat zur glück- lichen Entwicklung eines Unternehmens, das zu so großer Blüte heranwachsen sollte, zum Heil der Wissenschaft, zum Segen unserer Thüringer Hochschule und unserer Universitätsstadt Jena. Hundert Jahre sind seit der Geburt des ge- feierten Mannes verstrichen, seit einem halben Jahr- hundert gehört sein Lebenswerk der Geschichte an, die, gerechter als manche seiner Zeitgenossen, in ihm den erfolgreichen Vorkämpfer einer ge- sunden Forschungsrichtung, den weitschauenden, die Wissenschaft neu belebenden Forscher, den Säomann fruchtbarer Gedankenkeime verehrt. Zur Vervollständigung seines wissenschaftlichen Charakterbildes durfte nicht bloß seiner Vorzüge, es mußte auch seiner Mängel, seiner Irrtümer, gedacht werden. Es irrt der Mensch, so lang er strebt. Glücklich das Andenken des Gelehrten, von dem eine dankbare Nachwelt rühmen kann, daß auch seine Irrtümer dem Fortschritt förder- lich gewesen sind. Die erste Durchquerung Australiens. [Nachdruck verboten.] v on E. Im Jahre 1860 stiftete ein Bürger von Melbourne 25 00oFrs. zur Ausrüstung einer Expedition. Als Chef wurde vom Gouvernement Viktoria der E.k- offizier der ungarischen Husaren, O'Hara Burke, gewählt, der damals schon sehr populär war. Ein Mann, begierig nach Berühmtheit, tapfer und groß- mütig, voll von Verachtung des Gewinstes, hitzig bis zum Heroismus, schwärmerisch bis zur Träu- merei. Aber gerade das Übermaß dieser Quali- täten sollte die Ursache seiner vielen Leiden und seines so unglücklichen Todes werden. Sein zweiter Offizier und Astronom der Kolonne, Wills, der sie in dem Meere der Wüsten leiten sollte, besaß viel mehr Ruhe und Kaltblütigkeit, obschon er erst 26 Jahre zählte. Die Familie Wills hatte schon auf dem „Erebus" mit Sir John Franklin einen ihrer Söhne verloren, und auch dieser sollte für die Wissenschaft sein Leben lassen. Es war am 20. August 1860, als die mutigen Pioniere ihre lange und beschwerliche Reise an- traten; 17 Mann mit Burke an ihrer Spitze, ver- ließen sie unter dem Jubel der Menge Melbourne. Sie hatten 27 Kamele — die man besonders für diesen Zweck aus Indien hatte kommen lassen — , 27 Pferde, Zelte, Kleider und Lebensmittel für 15 Monate bei sich. Unter den Hurrarufen der Menge sah keiner das graue Gespenst, das sich schon jetzt der Kolonne angeschlossen hatte, und dem zehn Menschenleben zum Opfer fallen sollten. — Ihren Weg kann man in drei Teile abstecken : Menindi, 600 km von Melbourne entfernt; Cooper's Creek, 600 km weiter nördlich, beinahe im Zentrum des Kontinents, und drittens die Ufer des Großen Ozeans, mehr als 1 000 km von letzterem Orte entfernt. Zu viel Gepäck und Lebensmittel hinderten sie am Anfange am raschen Vorvvärts- rücken. Alle waren kräftige „Bushmen", weder Regen noch Sonne fürchtend, im Kote schlafend, Iceinen anderen Ehrgeiz habend, als den Horizont der ungeheuren Prärien zu beobachten, auf Aben- Rapple. teuer auszugehen; mit dem Barte eines Patriarchen, dem Drange Welten zu entdecken, gleichviel ob sie Gold oder Steine, Wälder oder Prärien haben, nur um ihnen Namen zu geben. Dies ist das un- gefähre Bild eines ,,Bushman". Am 19. Oktober 1860 lies Burke die Hälfte seiner Leute, Tiere und Lebensmittel in Menindi, unter dem Befehl seines Leutnants Wright, mit der Order, ihnen nach kurzer Zeit der Ruhe nach Cooper's Creek nachzufolgen , woselbst er ein Zentraldepot aufzuschlagen gedachte. Wright machte sich aber erst Ende Januar des Jahres 1861 nach dem Bestimmungsort auf den Weg! Monat auf Monat verging; man war schon im Anfange des Monats Juni und immer noch keine Nachricht von Burke in Melbourne. Der Gedanke, daß er mit seinen Leuten in den ungeheuren Wüsten verhungern würde, brachte die ganze Stadt in Aufregung. Man bildete in fieberhafter Eile eine Hilfsexpedition, unter der Leitung von Howitt, mit der Weisung die F'orscher zu suchen und wenn möglich noch zu retten. Selbst andere Kolonisten halfen an dem heldenmütigen Werke. MacKinley bricht von Adelaide auf; Walker von Queensland ; Landsborough segelt mit seinem Schiff nach der Nordseite Australiens, und so dringen die vier Kolonnen von vier verschiedenen Rich- tungen gegen das Zentrum vor, mit der Hoffnung, irgend eine Spur von Burke und seinen Gefährten aufzufinden. — Doch sollte es nur dem jungen Howitt be- stinmit sein, die verhängnisvollen Nachrichten zu überbringen. In aller Eile drang er vorwärts. Da, am 29. Juni, in dem Augenblicke als er den Loddon- fluß überschreiten wollte, begegnet er zu seinem Erstaunen einer Abteilung von Burke's Leuten, die sich auf der Rückreise befanden ! Es war Brahe, der vierte Leutnant, der 4 Mann an Skorbut ver- loren hatte, gefolgt von Wright. Folgendes be- richteten sie: N. F. 111. Nr. 62 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 985 Burke hatte nach 2 Monaten glücklich die erste Hälfte überschritten, die, bald Wüste, bald Prärie, Menindi von Cooper's Creek trennt. Leider kam er im Januar dort an, Menschen und Tiere waren von der entsetzlichen Sonnenhitze schwach und kraftlos; doch nirgends zeigte sich Wasser, alles war verdorrt und in eine trostlose Steinwüste ver- wandelt. Man schickte Wills mit drei Kamelen auf die Suche nach Wasser, doch, obschon er 1 50 km nach Norden vordrang, konnte er auch nicht eine Spur entdecken ; kein Baum, kein Strauch, soweit er auch spähen mochte, nichts als die un- endliche, glutatmende Wüste. Er ließ den Kamelen freien Lauf und trat zu Fuß, ohne einen Schluck Wasser getrunken zu haben, in einer Hitze von 50" den Rückweg bis Cooper's Creek an. Bei Burke angelangt, meldete er die Trostlosigkeit der Lage. Burke dachte mit Recht, daß er unter diesen Umständen mit möglichst wenigen seiner Leute weiter vordringen solle. Er ließ deshalb alle Invaliden unter der Leitung von Brahe in der Oase von Cooper's Creek zurück, mit der Order, wenigstens drei Monate zu warten, und nach Ab- lauf dieser Zeit noch, so lange es die Lebensmittel erlaubten! Ach! wie viel Unglück wäre vermieden worden, wenn Wright, den Burke auf der ersten Station zurückgelassen hätte, früher von dort auf- gebrochen wäre ! Burke, Wills, Gray und King, 6 Kamele, ein Pferd und Lebensmittel für drei Monate, so traten sie die Weiterreise an, um die Ufer des großen Ozeans zu entdecken. Am 16. Dezember 1860 drangen sie in den noch unbekannten Teil ihrer Route ein. Sie überschritten den Fluß und riefen, am anderen Ufer angelangt, noch den Zurück- bleibenden zu: „Erwartet uns, erwartet uns!'' Und dennoch kamen Brahe und Wright mit ihren Leuten ohne Burke zurück! Brahe hatte lange gegen die Angriffe der Eingeborenen ge- kämpft; die Hitze wurde unerträglich; ihr einziges Trinkwasser schöpften sie aus Wassertümpeln, die jedoch mehr und mehr austrockneten : so hielten sie vier Monate aus! Dann starben mehrere; für die Überlebenden hatte man keine Nahrungsmittel mehr. Brahe entschloß sich deshalb, seinen Posten zu verlassen ; dies war Ende April. Er selbst sagte, daß er nicht mehr daran zweifle, daß Burke umgekommen sei; dennoch ließ er einige Nahrungs- mittel in der Oase zurück. Auf seinem Rückwege traf er mit Wright zu- sammen. Letzterer kam also 4 Monate zu spät ! Sie kehrten gemeinschaftlich — da sie doch einige Gewissensbisse fühlen mochten — , nach Coopers Creek zurück, fanden aber niemanden dort. Dann, nachdem sie der Wüste, die Brahe verschlungen haben mußte, zum letzten Male Lebewohl sagten, traten sie den Rückweg nach Melbourne an. So standen die Dinge, als der junge Howitt Brahe und Wright antraf Dieser sandte sofort einen Boten nach Melbourne, um diese Neuigkeiten zu über- bringen, wo sie natürlich die Entrüstung aller her- vorbrachten, Unterdessen drang Howitt weiter nach Norden vor, immer noch hoffend, Burke retten zu können. Doch da, wo die anderen Wüsten gefunden, fand er überschwemmte Täler. So kam er bis Cooper's Creek. Da entdeckt er in der Rinde eines Baumes das Wort ,,dig" (grabe) eingeschnitten. Er grub sofort die Erde auf und fand eine Eisenkiste, worin Brahe die Motive seiner Abreise auf Karton geschrieben hatte, und .... unter diesen Papieren fand er die- jenigen von Burke, in welcher er kund tat, daß er den Kontinent bis zum großen Ozean durchquert habe, und nun hierher zurückgekehrt sei ! Hier lasse ich einige Abrisse aus dem Tage- buch folgen , die der unglückliche F"orscher am Fuße dieses Baumes begraben hatte. „Am 16. Dezember 1860 reiste ich mit meinen drei Kameraden von der Oase fort. In den ersten zwei Monaten drangen wir rasch vorwärts, jeden Tag fruchtbareren Boden entdeckend: ungeheure Prärien folgten auf endlose Steinwüsten ; die Bäume spendeten ihren Schatten; Bäche lieferten das nötige Wasser. Die Eingeborenen flohen meistens vor uns; kaum zwei oder drei mal ließen sie sich bewegen, getrocknete Fische zu geben. Da und dort lagen Lagunen mit Salzwasser, Hügel aus rotem Sande gebildet, durch Überschwemmung verwüstete Ebenen. Bald zeichnete sich eine hohe Bergkette in der Richtung nach Norden am Hori- zonte ab: wir hießen sie „monts Standish", und am Fuße derselben entrollte sich vor uns eine so prächtige Natur — grüne Wälder, Ebenen mit wunderbar reicher Vegetation, dazwischen schlän- gelten sich kleine Bäche hin — so daß wir der Gegend den Namen ,, versprochenes Land" gaben. Nach halsbrecherischen Übergängen über Hüsse, Kämpfen gegen die Eingeborenen und Sclilangen, gegen die Legionen von Ratten, die uns während der Nacht keine Ruhe finden ließen, befanden wir uns jetzt von einer solchen Vegetation umgeben, daß wir nur noch mit Hilfe des Beiles vorwärts dringen konnten. Ich und Wills marschierten nun allein zu Fuß weiter. Halb tot vor Müdigkeit und vor Hitze kämpften wir uns bis zum 11. Februar durch die wilde Natur, die uns von Tag zu Tag immer größere Schwierigkeiten in den Weg legte. Bald bahnten wir uns den Weg durch das schier undurchdringliche Dickicht, bald schritten wir bis an die Schultern im Schmutze steckend durch end- lose Moräste. An eben diesem Tage gelangten wir an einen Einschnitt des Meeres, wo wir uns erschöpft niederließen. Steile Ufer, an denen die giftigen Wurzelbäunie ihre Zweige bis an die her- anwälzenden Meereswellen streckten. Kein Zweifel mehr, der große Ozean war erreicht. Nach sechs Monaten harter Arbeit nur noch ein paar Schritte bis zur glücklichen Lösung unserer großen Aufgabe! Wir wollten diesen Ozean sehen, den wir schon solange suchten, wir wollten näher dazu, höhere Punkte ersteigen . . . doch umsonst, überall stießen wir auf Sümpfe, in denen wir den sicheren Tod gefunden hätten. Um das Maß voll zu machen, 986 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 62 kam plötzlich noch die Flut, und dieses Meer, das wir solange, schon solange gesucht, drohte uns jetzt fortzuschwemmen. Doch um jeden Preis wollten wir vorher noch das Meer sehen und dann — sterben I Aber dieses war uns versagt. Sah Moses nicht auch vom Berg Nebo das Land Kanaan? Nein, von diesem Meere hörten wir nur das ent- fernte Rauschen; umsonst machen wir übermensch- liche Anstrengungen." (Der Blick auf die blauen Wogen war anderen vorbehalten, anderen, die es vielleicht weniger verdient hatten.) Immerhin hatte die Expedition ihr Ziel erreicht. Doch, da steigt eine neue Gefahr am Horizonte ihres grauen Himmels auf. Das Gespenst des Hungertodes ist es, das hinter ihnen steht. Für 12 Wochen hatte Burke Nahrungsmittel mitge- nommen, jetzt befanden sie sich auf halbem Wege, und dieselben reichten kaum noch für fünf Tage. Ihr Mut sank von Tag zu Tag. Dazu goß es in Strömen und setzte alles unter Wasser, so daß sie hundertmal am Tage Gefahr liefen zu ertrinken. Am 6. März aß Burke, der bereits mehr tot als lebendig war, ein Stück gebratene Schlange. Am 20. begannen sie die Ladung ihrer Kamele zu erleichtern, die sich nur mit der größten Mühe noch weiter schleppten. Am 30. wurde eins davon getötet. Am 10. April Billy, das Lieblingspferd Burke's, auf welchem er von Melbourne abgereist war. Am 11. sind sie genötigt eine viertel Stunde auf Gray zu warten, der nicht mehr gehen konnte. Gray wurde von Burke, der sonst so großmütig war, rauh behandelt; das kam so. Sie hatten den letzten Rest Mehl für den äußersten Notfall auf- bewahrt, und nun fand er Gray, der es hinter einem Baume versteckt aufaß. Wie kamen ihnen später, als sie selbst im Todeskampfe lagen, die Leiden Gray's ins Gedächtnis ! Am 21. April abends kamen sie endlich als lebende Skelette in der Oase von Cooper's Creek an. Doch, wo waren ihre Begleiter, denen sie so oft gesagt hatten: ,, Erwartet uns", wo waren sie? Alles blieb still auf ihr Rufen, keine menschliche Stimme ließ sich vernehmen! .... Welch traurige Gedanken müssen ihnen in dieser Stunde gekommen sein ! Sie fanden den Baum mit dem Worte „dig" und gruben die Kiste heraus. Einige Lebensmittel, die Brahe zurückgelassen, die Papiere, auf denen er die Motive seiner früheren Abreise aufgezeichnet hatte, und von wann datierten dieselben? vom selbigen Tage, vom 21. April morgens! Nach einer mühevollen Reise nach dem Ozean und nach einer noch mühevolleren und mit schrecklichen Leiden verbundenen Rückkehr, nachdem sie — aus- genommen zwei — alle Tiere verloren und ver- zehrt hatten, nachdem sie die größte Entdeckung, die die australische Geschichte zu verzeichnen hat, gemacht, kamen sie nach der Oase zurück, nach der sie sich auf ihren Wanderungen so sehr ge- sehnt, um die für sie so schreckliche Entdeckung zu machen, daß die Männer, auf die sie so fest gezählt, seit nur wenigen Stunden abgereist sind! — Ein anderer als Burke wäre vielleicht verzweifelt. er aber nicht. So wie sie waren, bis zu einem Schatten abgemagert, konnten sie unmöglich eine wohlausgerüstete und wohlausgeruhte Kolonne ein- holen. Burke erinnerte sich, daß sich nahe beim „hoffnungslosen Berge" eine Schlafstation befinde. Immerhin waren es noch 150 km. Nach zwei Ruhe- tagen machte er sich mit Wills und King wieder auf den Weg, indem er noch vorher alle seine Aufzeichnungen, die Anzeige des Verlustes seines Leutnants und die Richtung seines Marsches in die Kiste einschloß. Um das Maß der unglücklichen Zufälle' voll zu machen, kamen, während Burke mit größter Mühe nach Westen zog, Brahe und Wright, die sich (wie der freundliche Leser sich noch erinnern wird) getroffen hatten, am 23. April nach derselben Oase zurück, um sich zu vergewissern, ob niemand hier gewesen sei. Sie waren jedoch so leicht- sinnig, daß sie nicht einmal in der Kiste nach- sahen; sie hätten die Aufzeichnungen von Burke gefunden, der am gleichen Morgen abgereist war .... und ihn retten können. — Doch nein, sie finden alles noch in demselben Zustande wie bei ihrer Abreise (!) und brachen wieder gegen den Darling auf. Also zweimal hintereinander in derselben Woche waren diese Männer, die einander so suchten, ohne es zu wissen, auf einem kleinen Flecke inmitten der Wüste aneinander vorbeigegangen ! Burke, Wills und King stiegen unterdessen in das Tal des Cooper hinab. Ein Kamel fällt vor Müdigkeit; sie töten es und trocknen sein Fleisch an der Sonne. Am nächsten Tage geht ihnen das letzte Kamel zugrunde. Da, im höchsten Augenblicke der Gefahr, stoßen sie auf Eingeborene, die ihnen zu essen geben. So lebten sie bis zum 15. Mai. Plötzlich flohen die Schwarzen aus unbekannten Ursachen, und ließen sich nicht mehr blicken. Jetzt waren sie genötigt, ihren Weg wieder fort- zusetzen. Am 24. kamen sie auf eine große, steinige Ebene. Doch, wie sehr sie auch den Horizont mit den Blicken absuchten, nirgends waren die so sehr ersehnten Gebirge zu erspähen. Sie glaubten, sie hätten sich im Wege geirrt, und kehrten wieder nach Cooper's Creek zurück. Wenn je ein Mensch vom Unglück verfolgt wurde, so war es sicher Burke. Wäre er nämlich nur noch ein paar Stunden weitergegangen, so hätte er die Berge sehen können und wäre gerettet gewesen, so aber ging er leider seinem Tode entgegen. Am 27. Mai kamen sie wieder in Cooper's Creek an. „Sie kamen, schreiben sie, um die Oase zu sehen und zu sterben!" Wie lange ihr Todeskampf noch gedauert, geht aus den Auf- zeichnungen hervor, die Wills und Burke gemacht, und die, gleichsam als das Testament ihrer letzten Stunden, in die Eisenkiste eingeschlossen wurden. Es mag ihnen gewiß ein Trost gewesen sein in ihren Qualen, um ihre Leiden, die sie als wahre Märtyrer der Wissenschaft gelitten, zu offenbaren. Am 20. Juni schrieb Wills folgende zwei Zeilen ; N. F. m. Nr. 62 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 987 „Ich halte es nicht länger aus; ach! es ist so traurig, sich verlassen zu fühlen !" Am 22. schreibt er: „Ich lege mich in den Sand, um nicht mehr auf- zustehen, in Zukunft wird King meine letzten Grüße aufschreiben." Am 29. Juni schrieb er seine letzten Worte; es war ein Brief an seinen Vater: „Mein Tod .... mein Tod ist gewiß, aber meine Seele ist ruhig 1" Der junge Howitt fand keine weiteren Nach- richten mehr, die ihn über das Schicksal Wills' auf- geklärt hätten. War er tot oder lebte er noch ' Wo konnte sein ausgetrocknetes Skelett sein, wo konnte er seinen röchelnden Körper finden? Die letzten Worte von O'Hara Burke sind vom 28. Juni, also einen Tag früher als diejenigen von Wills. Er schrieb: „King wird uns überleben, er ist doch der Kräftigste unter uns; unsere Pflicht ist erfüllt, wir sind die ersten, die die Ufer des stillen Ozeans gefunden .... aber wir sind verlas . . . ." Dieses letzte Wort war nicht ausgeschrieben, er hatte den Mut nicht dazu gehabt. Howitt suchte die ganze Umgebung ab, viel- mals durch Kamelspuren irre geführt. Endlich am 10. September fand er unter den Fußeindrücken von Wilden diejenigen eines Strumpfes. Bald darauf auch den Mann selber, oder vielmehr den Schatten eines lebenden Wesens, bedeckt mit In- sekten und so schwach, daß er sich nicht auf den Beinen halten konnte. Dies war ein Überlebender der großen Expedition ! Es war King, der alte Soldat ! Folgendes konnte Howitt mit großer Mühe aus ihm herausbringen : Am 28. Juni schlug Wills vor sich zu trennen um Eingeborene aufzusuchen, da er in dieselben seine letzte Hoffnung setzte; er gab Burke seine Uhr und einen Abschiedsbrief für seinen Vater, und die drei Freunde, die so viele gemeinsame Marter durchgemacht hatten, trennten sich, um sich auf dieser Erde nie mehr zu sehen. King blieb bei Burke. Nach Ablauf zweier Tage fiel dieser vor Schwachheit um und bat King, „ihn nicht mehr zu verlassen bis zu seinem Tode". Am 29. starb er, indem sein Blick auf das südliche Kreuz, das Tröstungszeichen aller auf der australischen Hemisphäre Sterbenden, geheftet war. King suchte nun noch Wills, fand ihn aber auch schon tot, er war allein, ohne einen einzigen Menschen bei sich zu haben, gestorben. Welch grauenhafter Tod! Dann wurde King von den Wilden aufgenommen und bis dahin ernährt. So mußte ein Forscher, der der Wissenschaft und vor allem seinem Vaterlande solche Dienste geleistet, allein und verlassen von den Seinen elendiglich ums Leben kommen. Kleinere Mitteilungen. Über die Wanderungen der Bartenwale bringt G. G u 1 d b e r g im Biologischen Zentral- blatt eine Reihe neuer Beiträge. Von den in allen Weltmeeren vertretenen Finwalen(Balaenopteriden) ist eine der am allgemeinsten verbreiteten P'ormen der Buckelwal [^Ategaptera boops], der bis zu 22 m lang werden kann und oben tiefschwarz, an Unter- kiefer, Kehle und vorderer Brustpartie dagegen glänzend weiß gefärbt ist. Die über die verschie- denen Ozeane verteilten Angehörigen dieser Art lassen sich in einzelne Hauptstämme zusammen- fassen , welche bestimmte Wanderungen vorzu- nehmen pflegen. So tritt ein nordatlantischer Stamm von Juni bis zum .Spätherbst in den hohen nördlichen Breiten Grönlands und des nördlichen Norwegens auf, dessen Herden sich im Winter zerstreuen , auch wohl etwas mehr nach Süden ziehen, auf der .Suche nach günstigeren Futter- plätzen. Im .'\pril und Mai dagegen sind die Wale, bis auf einige jüngere Exemplare vielleicht, \ollständig aus diesen nordischen Gebieten ver- schwunden, sie sind dem Fortpflanzungstriebe folgend nach Süden gewandert, nachdem sie sich schon in den vorhergehenden Monaten sehr un- ruhig gezeigt hatten. Sichere Beobachtungen über einen Massenzug liegen noch nicht vor, wahr- scheinlich ziehen sie westlich von den britischen Inseln nach Süden und verteilen sich in den Ge- bieten zwischen Bermudas, Antillen und den Cap- verden. In diesen südlichen Gebieten werfen dann die trächtigen Weibchen ihre Jungen, und hier findet dann zugleich die oft beobachtete Be- gattung statt. Im Sommer erfolgt endlich wieder die Rückwanderung in die nordischen Bezirke, welche mit ihrem sommerlichen Planktonreichtum eine ergiebige Weide darbieten. — Von den For- men des südatlantischen Ozeans wissen wir in dieser Hinsicht nichts Bestimmtes, mit voller Sicherheit sind dagegen Wanderungen des Buckel- wals im nördlichen Teil des pazifischen Ozeans beobachtet worden. Im Herbst ziehen sie hier an der nordamerikanischen Küste entlang nach Süden, im Sommer kehren sie nach Norden zu- rück. In dem südlichen Teil des pazifischen Ozeans ist es nach Beobachtungen der Südpolarfahrer zum mindesten sehr wahrscheinlich, daß auch hier ent- sprechende, mit den Jahreszeiten wechselnde Wan derungen stattfinden. Von den durch ihre langgezogene Körperform sowie die stark entwickelte Rückenflosse ausge- zeichneten Balaeiinpteya-\x\.zn ist der größte der Blauwal {Balaenoptera SibbalJii). Seine Haupt- nahrung bilden kleine pelagische Krebse. Im nordatlantischen Ozean tritt er in höheren Breiten gegen den Frühling auf, und zwar einmal bei Island, von wo er allmählich nach Osten gegen das Nordkap hinzieht, und sodann an der Neu- fundlandküste, von wo er sich den grönländischen 988 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 62 Küstengebieten zuwendet. Sein Winteraufenthah ist unbekannt, wahrscheinlich zieht er dann in südlichere, nahrungsreichere Gegenden. Auch von seiner Brunstzeil hat man keine sicheren Beobach- tungen. Von Wanderungen der übrigen hierher gehörigen Arten läßt sich bis jetzt nur wenig Sicheres sagen, bemerkenswert ist nur, daß der gewöhnliche Finwal [Balaenoptera pliysalus) im Gegensatz zu seinen von Plankton (also Krebsen und Mollusken im wesentlichen) sich nährenden Verwandten ein Fischfresser ist und so beim Ver- folgen der Heringsschwärme eine gewisse Art des Wanderns zeigt. Die Frage nach den Wanderungen der Barten- wale besitzt ein großes praktisches Interesse. Mit den Hilfsmitteln der modernen Technik werden die Fanggebiete der Wale viel schneller ausge- beutet und abgenützt als früher, und es wird nur eine Frage kurzer Zeit sein, sie gänzlich unrentabel zu machen. Erst eine genaue Kenntnis der Er- nährung, der Fortpflanzung und der damit zu- sammenhängenden Wanderungen wird es ermög- lichen, einen rationellen Fang durch internationale Schonungsgesetze herbeizuführen und so den Wal- fang zu einem dauernd ergiebigen und Nutzen abwerfenden Betrieb zu machen. J. Meisenheimer. Von einer von Asseln sich nährenden Ameise berichtet W. M. W h e e 1 e r. ' ) Wiederholt be- obachtete derselbe, daß die Arbeiter von einer in Texas lebenden Ameise, der Leptogenys elongata, tote Asseln in ihren Mandibeln herbeischleppten. Dieselben gehörten den Gattungen Oniscus und Armadillidium an, die sich in der Nähe der Ameisen- nester häufig unter Steinen und an schattigen Plätzen fanden. Die Ameisen scheinen sich, wie eine nähere Untersuchung ergab, ziemlich aus- schließlich von diesen Asseln zu ernähren, der Boden am Eingang der Nester ist weiß von den bleichenden Extremitäten und Körperringen dieser Crustaceen, und die langen zahnlosen Mandibeln der Ameise erscheinen in hohem Maße der Auf- gabe angepaßt, den Körper der Beute durch Zer- reißen der Gelenkhäute zu zerlegen. Übrigens ist dies die einzige Art, welche sich dieser eigentüm- lichen Ernährungsart angepaßt hat, ihre indischen Verwandten leben hauptsächlich von Termiten. J. Meisenheimer. ') W. M. Wheeler, A crustacean-eaüng ant. Biolog. Bulletin, vol. VI. 1904. Quecksilber und grüne Pflanzen. — Daß die Dämpfe des metallischen Quecksilbers dem tierischen und menschlichen Organismus in hohem Maße schädlich sind, ist bekannt. Auch für die Pflanzen, insbesondere die grünen Gewächse, be- sitzen die Quecksilberdämpfe eine stark giftige Wirkung. Bei physiologischen Versuchen läßt sich häufig die Erscheinung beobachten , daß Pflanzen , die in einem durch Quecksilber abge- schlossenen Räume, etwa unter einer Glasglocke, gezogen werden, nach kurzer Zeit in ihrer Ent- Wicklung gehemmt werden und bald Krankheits- und Absterbeerscheinungen zeigen. Es ist nun beobachtet worden , daß auf das Eintreten der Quecksilbervergiftung Feuchtigkeits- verhältnisse der Luft und Alter der Pflanzen von Einfluß sind. Junge Pflanzen vermögen der Ein- wirkung des Giftes schwerer zu widerstehen als alte. In feuchter Luft treten die Vergiftungs- erscheinungen früher auf als in relativ trockener; dies gilt besonders für solche Gewächse, die, wie die Gräser, für Feuchtigkeitsschwankungen große Empfindlichkeit zeigen. Das Quecksilber bewirkt zunächst einen Wachstumsstillstand der Pflanzen, darauf beginnen die Blätter, besonders die jünge- ren, abzusterben. Die vollständige Vergiftung erfolgt in einem Zeitraum von wenigen Tagen. Interessant ist, daß nur die chloropliyllhaltigen Teile der Pflanzen von dem Gifte betroffen wer- den ; die Anhäufung selbst einer größeren Menge des Metalls im Boden schädigt die Wurzeln nicht, sofern nur die oberirdischen Organe nicht von dem Gifte betrofi"en werden. Es empfiehlt sich also, bei pflanzenphysiologi- schen Experimenten die Verwendung von Queck- silber zu vermeiden, oder es jedenfalls durch eine indifl'erente Flüssigkeit, am besten durch Glyzerin, da sich Wasser oder Mineralöl nicht so gut be- währt haben sollen, abzusperren. Dr. Seckt. Über eine auffallend rasche autonome Blattbewegung bei Oxalis hedysaroides H. B. K. veröftentiicht Hans Molisch in den Ber. d. Dtsch. Bot. Ges. (Bd. 22, 1904, S. 372—376) eine Abhandlung. — Die dreizähligen, kleeblattähnlichen Blätter mancher Oxalis-(Sauerklee-)Arten sind gegen mechanische Reize sehr empfindlich ; bei Stoß oder Erschütterung senken sich die Blätter sofort abwärts. An der aus Java stammenden Oxalis hedysaroides nun hat Verf. eine sehr über- raschende und interessante Beobachtung gemacht. Er schreibt darüber: „Als ich an einem warmen Sommertage vor einer üppigen, etwa ^/^ Meter hohen Pflanze stand und ihre Blätter betrachtete, sah ich plötzlich, wie sich eines der Blättchen momentan senkte. Obwohl ich ganz ruhig dastand, war mein erster Gedanke doch der, daß vielleicht irgend eine Erschütterung oder irgend ein Be- leuchtungswechsel auf das Blatt gewirkt und so die gewöhnliche Reizbewegung hervorgerufen haben dürfte. Allein wie groß war mein Erstaunen, als ich bewegungslos vor der Pflanze stehend nun bemerkte, wie fast jede Minute, bald hier, bald dort, irgend ein Blättchen sich plötzlich nach abwärts senkte." Autonome Bewegungen, d. h. solche, welche aus inneren, noch unbekannten Ursachen erfolgen, N. F. ni. Nr. 62 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 989 finden sich bei verschiedenen Pflanzen '), indessen niemals von der Schnelligkeit, die Verf. beobach- tete. Bei der Oxalis führte nämlich die Blatt- spitze eine Senkung von 30 — 45" oder einen Weg von '1^ — i'/o cm in einer oder weni- gen Sekunden aus. Die Senkung erfolgt in den Gelenken und geht „entweder scharf mit einem Ruck oder in mehrfachen Absätzen" vor sich. Hierbei wechseln kleinere Senkungen mit etwa sekundenlangen Pausen, was sich bis sechs- mal wiederholen kann. Findet bloß eine einmalige Senkung statt, so ist für diese nur 1—2 Sekunden Zeit erforderlich , geht sie dagegen in mehreren Absätzen vor sich, so nimmt es etwa 12 Sekunden in Anspruch, bis die Blattspitze ihren tiefsten Stand erreicht hat. So auffallend schnell die Senkung der Blätter vor sich geht, so langsam vollzieht sich die Auf- wärtsbewegung. Sie dauert ca. 5 Minuten , ist also mit freiem Auge nicht direkt wahrzunehmen. Verf erwähnt, wie häufig diese autonomen Bewegungen an der in Frage stehenden Oxalis erfolgen. Er sah an einem heißen Sommertage ,,an einem mit fünf ausgewachsenen Blättern ver- sehenen Sproß innerhalb ' ,, Stunde bei einer Temperatur von 29" C im ganzen 21 Fiederblätt- chen die Senkung vollführen." Die Bewegungen erfolgten unregelmäßig, indem sich bald ein vor- deres, bald ein hinteres, bald ein oberes, bald ein unteres Blättchen bewegte; häufig war zu be- obachten, daß die Seitenblättchen eines und des- selben Blattes ziemlich rasch nacheinander die Senkungen ausführten. Se. ') So zeigen z. B. die Fiederblättchen von Acacia lophanta und diejenigen der durch ihre auffallenden Reiz- bewegungen bekannten Mimosa pudica autonome Be- wegungen, wenn auch nicht sehr auffällige, ferner auch Phaseolus vulgaris, O.^alisacetoseUa, Trifolium pratense und ganz besonders schön Desmodium gy- rans, ein aus Ostindien stammender, zu den Papilionacecn gehöriger Zierstrauch. Die Mastodonten Südamerikas bilden den Gegenstand einer wertvollen Untersuchung, die Erland Nordenskjöld über seine in Gemeinschaft mit Eric Graf von Rosen in den Grenzgebieten von Argentinien und Bolivia gemachten P'unde und reiches zum Vergleich herangezogenes Material veröffentlicht.') Während die älteren Mastodonten noch deut- liche Schmelzleisten auf den Stoßzähnen und Stoßzähne auch im Unterkiefer aufweisen, geht beides mehr und mehr in der Annäherung an Elephas verloren. (Interessant wäre zu erfahren, ob etwa bei Elephas afric. im Embryonalstadium noch Andeutungen an Unterkieferstoßzähne be- merkbar sind.) Die südamerikanischen Formen scheinen ein Übergangsstadium darzustellen, denn ') Kungl. Svenska Vetenskaps- Akademiens Handlingar, Bandet 37, No. 4: Über die Säugetierformen des Tarijatales, Südamerika. I. Mastadon andium, Cuv. Kungl. Boktryckeriet, Stockholm. P. A. Norstedt & Söner. die Schmelzleisten verlieren sicli gegen das Alter hin, und Stoßzähne im Unterkiefer finden sich nur mehr bei jungen Männchen. Da nun die Stoß- zähne ihrerseits einen nicht unwesentlichen Ein- fluß auf die Form und Stärke des Kraniums in- folge ihres Gewichtes ausüben, so ist die Möglich- keit großer Alters- und Geschlechtsunterschiede gegeben. Während bisher eine beträchtliche An- zahl -Spezies auf diese Differenzierungen gegründet war, trägt Nordenskjöld in dankenswerter Weise der individuellen Variabilität Rechnung und redu- ziert die bisherigen Arten auf zwei Typen , näm- lich Mastodon andium, Cuv., hauptsächlich ver- treten in der bekannten pleistocänen Säugetier- fauna des Tarijatals, und Mastodon Humboldti, Cuv., aus der Umgebung von Buenos Ayr'es, aus Uruguay und den angrenzenden Gebieten, nimmt aber für Chile und Brasilien je eine Lokalrasse als wahrscheinlich an und erwartet auch von einer Beschreibung der Reste aus Zentralamerika und Mexiko interessante weitere Aufschlüsse. M. an- dium und M. Humboldti sind vermutlich aus einer Form hervorgegangen und mögen infolge ihrer oft kaum wahrnehmbaren Verschiedenheit in ein- zelnen Resten öfters falsch bestimmt sein, wogegen sie in iliren extremsten Variationen zuweilen außerordentlich voneinander abweichen können. Im allgemeinen ist M. andium kleiner, es hat wohl in ungünstigeren Existenzbedingungen gelebt. Es hatte längere, gekrümmte Stoßzähne mit deut- licheren Schmelzleisten. Die Symphyse des Unter- kiefers VA'ar weniger nach unten gebogen und länger. Die gleichzeitig benutzte Kaufläche war im Mittel etwas geringer. Die Molaren besaßen eine stärkere Tendenz, vom trilophodonten Typus zum tetralophodonten hin zu variieren. M. andium war daher in einigen Beziehungen spezialisierter als M. Humboldti, in andern blieb es hinter jenem zurück. Im Gegensatz zu den asiatischen und europäischen erscheint die artenbildende Fähigkeit der südamerikanischen Mastodonten geringer, ihre Variabilität dagegen ausgeprägter. Dem Umstände, daß sie sich infolgedessen nicht selbst schärfere Konkurrenten schaffen konnten, schreibt Norden- skjöld ihre größere vertikale Verbreitung zu. Während die asiatischen und europäischen Formen das Miocän oder Pliocän nicht überlebten, finden sich die Reste in Südamerika bis ins Pleistocän oder noch länger. Von Mastodon andium Cuv. werden einige Fundstücke an der Hand vortreff- licher Lichtdrucke beschrieben. Wertvoll sind auch die tabellarischen Übersichten über die Maßzahlen einzelner Objekte. Geologisches Interesse beansprucht ein Fund von Mastodon arvernensis '), der bei der Neukartierung des Blattes Ostheim vor der Rhön gemacht wor- den ist. Er stammt aus ockergelbem bis intensiv rotem , stark eisenhaltigem Sand mit deutlicher ') Jahrbuch der königl. preußischen geologischen Landes anstalt und Bergakademie 1901, Bd. XXII. (Herausgeg. 1904), S. 364 — 371: Max Blankenhorn über ,,Oberpliocän mit Masto- don arvernensis auf Blatt Ostheim vor der Rhön." 990 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 62 Flußschichtung, der mit Kieslagen und Tonen abwechselnd überall eng mit den darüberlagernden Diluvialschottern verknüpft ist. Die bunolopho- donten Backenzähne machen den Fund als Masto- don arvernensis kenntlich und schließen M. Borsoni aus. In jedem Fall aber wird durch ihn die Lagerstätte als unser „Oberpliocän" gekennzeichnet, wenn man sich vor Augen hält, daß unter diesem Namen die in Südeuropa ausgeprägter entwickel- ten Schichten des Mittel- und Oberpliocän zu- sammengefaßt werden. Dadurch fällt zugleich auch Licht auf identische Bildungen in Thü- ringen, sowie im nördlichen Bayern zwischen Rhön und Thüringer Wald, die bisher aus Mangel an Fossilien nicht sicher hatten bestimmt werden können.' Edw. Hennig. Bücherbesprechungen. Theodore Roosevelt, Jagden in amerikani- scher Wildnis. Eine Schilderung des Wildes der Vereinigten Staaten und seiner Jagd. Mit einem Bildnis des Verf., 24 Tafeln und Te.xtabbildungen. XVII, 389 S. Berlin, Paul Parey, igoS. Schilderungen von Reise- und Jagderlebnissen pflegen, auch wenn sie nicht von einem Fachmanne herrühren, für den Zoologen von Interesse und Wert zu sein, sobald der Verf. nur ein geübter Beobachter und aufrichtiger Schilderer ist. So erfährt denn unsere Kunde von der Lebensführung selbst gut bekannter Tiere alljährlich mannigfache Bereicherung durch Dar- stellungen von Männern, die ihre Reisen und Streif- züge zunächst aus Gründen unternahmen, die der wissen- schaftlichen Beobachtung fern liegen, im Verwaltungs- amte, im technischen Berufe, als Sportsmänner und insbesondere als Jäger. Wir wissen aus Brehm's Tier- leben, wie reichhaltig gerade die jägerische Literatur an Tierbeobachtungen ist. So wird denn auch das vorliegende Buch nicht nur um des Verf. willen ge- lesen werden , sondern es wird auch wegen seines sachlichen Inhalts dem Erforscher und dem Liebhaber der Tiere Stunden angenehmer Unterhaltung und mannigfacher Belehrung verschaffen. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat „eine Reihe von Jahren hindurch" „einen großen Teil seiner Zeit in der Wildnis oder an den Grenzen urbar gemachter Land- striche verbracht". „Während dieser Zeit jagte ich viel in den Bergen und in den Prärien . . . und ich hatte das Glück, all die verschiedenen Arten des Hoch- wildes zu erlegen, die man als eigentümlich für die ge- mäßigte Zone Nordamerikas bezeichnen kann." Roosevelt schildert zunächst die nordamerikanischen Jagdgebiete und vergleicht sie mit entsprechenden Gebieten der Alten Welt. Sie beherbergen ähnliches Wild, doch ist es nicht selten stärker als das eurasiatische (Wapiti, Marder). Eigenartig ist die Gabelantilope. Kuguar, Pekari, Waschbär, Opossum und Truthuhn stehen der tro- pisch-amerikanischen Fauna nahe. Die Farmer und Trapper, die Viehzüchter und Bergleute, die Ansiedler und Soldaten waren und sind die Weidmänner der amerikanischen Ebenen, Wälder und Berge. Von der Farm aus geht's auf die Jagd des kolumbischen, lang- ohrigen Hirsches (blacktail) oder des \orsichtigen virginischen (whitetail). Auf den Weideplätzen trifft man beim Viehtreiben Erdeichhörnchen, Präriehunde, Hühner und Gabelantilopen, Lerchen und Spottvögel, Frettchen und Adler. Der winterliche Schnee, Wölfe und Adler, vor allem aber die Menschen sind die gefährlichen Feinde der Gabelantilopen. Im Berg- land (z. B. in den Rocky Mountains, im Flochgebirge von Kootenai usw.) werden Bergschafe (Dickhornschafe) und -Ziegen gejagt. Murmeltiere , Kaninchen und Schneehühner sind ihre Genossen. Die weißen Ziegen mit schwarzem Gehörn und Moschusduft werden in ihrer Unbeholfenheit immer weiter ins Hochgebirge verdrängt werden, sich hier aber noch lange halten. Vom Kootenaisee mit zahlreichen Silberforellen zog der Jäger in die dichten Wälder der Selkirkberge, die ein reiches Vogelleben aufweisen, um Bären, Ziegen und vor allem Karibus (Rentiere) zu erlegen. Die Jagd des Wapitis, der bereits in die Bergwälder zurück- gedrängt worden ist, liefert auch Luchse, Wildkatzen, Stachelschweine, Eich-, Backenhörnchen, Clarkes Krähe, Lewis Specht, zutrauliche Wasserzaunkönige und zu- dringliche Holzhäher. Von großer Schönheit sind die Reviere derShoshoneberge im nordwestlichen Wyoming. „Für mich", sagt Roosevelt, „ist die Birschjagd auf Wapiti im Gebirge .... eins der reizvollsten Ver- gnügen, nicht nur wegen der Stärke und statüichen Schönheit der Beute und der mächtigen Trophäen, sondern wegen der herrlichen Pracht der Landschaft und des begeisternden , männlichen , aufregenden Charakters der Jagd selbst." Ihr stehen das Suchen nach dem Elch in seinen Sumpfwäldern, das Umher- klettern nach den Ziegen, der „unsichere und ergebnis- loseste Sport" der Bärenjagd nach. Nur bei der aui das Dickhornschaf kommen kräftige Arbeit und frohe Erregung im selben Maße vor, allein der Wapiti ist „der edelste Hirsch der ganzen Welt". Der Riese unter den Hirschen ist der Moose, der amerikanische Elch. Ihn birschte Verf. in den Rocky Mountains. Verf. hat auch noch 1883 den Bison am kleinen Alissouri von seiner Farm aus gejagt und ihn 1889 am Wisdom River aufgesucht. Neben dem virginischen Hirsch ist der schwarze Bär das am weitesten ver- breitete Hochwild Amerikas. Er frißt Pflanzenkost, Kerfe, Aas und kleinere Tiere, überfällt Schafe und sehr gern Schweine und ist kein gefährlicher Gegner. Als solcher steht der Grislybär am höchsten. Er wird 700, ausnahmsweise bis 1200 Pfund schwer, reißt vor allem Rinder, aber auch andere Haustiere. Der Kuguar kann nur mit Hunden, oder angelockt durch das Aas, gejagt werden. Das Pekari findet sich nur im süd- lichsten Texas. — Dies sind die Tiere, deren Er- legung Roosevelt in erster Linie schildert. Hierbei handelt es sich zum großen Teile um frisch und an- schaulich geschriebene Jagderlebnisse, die auf die Ge- wohnheiten des gesuchten Wildes, auf die Art seines Vorkommens, seine Nahrung, sein Familienleben usw. eingehen. Aber daneben werden auch weitere Lebens- beziehungen nicht vergessen. Schilderungen der Heimat und des Geländes, die die betreffenden Tiere be- wohnen, und zahlreiche Mitteilungen über die pflanz- lichen und tierischen Mitbewohner der Jagdreviere N. F. III. Nr. 62 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 991 finden sich häufig genug. Den jägerischen Interessen wird Roosevelt durch die Darstellung des Jagdver- fahrens und der Jagdmittel gerecht. Insbesondere geht er auf die Hetzjagd, auf die Wohshunde und auf be- kannte amerikanische Jäger ein. Endlich erfährt der Leser auch manches Interessante über die mensch- lichen Bewohner, Weiße und Rothäute, der besuchten Gebiete, die z. T. schon heute wieder ein anderes Aussehen L)esitzen als vor 20 bis 10 Jahren, als Roosevelt in ihnen jagte. Dieser versteht es, an- ziehende Anekdoten in die Schilderung zu verflechten. Ein eigenes Kapitel behandelt das Deben „Im Lande der Cowboys". Die Tafeln stellen den Verfasser und Landschaften, Tiere und Jagderlebnisse dar. Von jenen seien das Vellowstonetal und die drei Tetons genannt. In Charakterköpfen werden Bergschafbock, weiße Ziege, Wapiti, Elchschaufler und Kuguar A-orgefi-ihrt, Hirsche im Gelände. Ethologische Darstellungen sind ein auf- geschrecktes Hirschrudel, der Kampf einer Gabel- antilope mit Adlern, kämpfende Wapitis, em Grisly, der einen Stier reißt, jägerische Schüsse auf Hirsche (z. B. von der Veranda der Farm aus) und Ziegen, ein getroftenes Rentier , das „Spalten" einer Büffel - herde, ein verendender Grisly, Abwehr eines solchen durch einen Cowboy, von Hunden gestellte Pekaris, Abwürgen eines Wolfes durch Wolfshunde, eine Hetz- jagd auf eine Gabelantilope. Auch der Kampf gegen den Präriebrand und ein Lager im Walde werden dargestellt. Die Kopf- und Schlußvignetten bringen Tierköpfe und Jagdgerätschaften. Die fTbersetzung besorgte Ma.x Kulinick, der als Einleitung einen Lebensabriß des Verf bringt, der gewiß vielen Lesern erwünscht sein wird. Er versah außerdein das Buch mit zahlreichen, für den deutschen Leser sowie den zoologischen Laien be- stimmten Anmerkungen, die geschichtliche und geo- graphische .'\uf klärungen , Erläuterungen von Maßen, Vülksnamen und namentlich auch von den im Te.xt beibehaltenen amerikanischen Tiernamen (Moose, Karibu, Wapiti, Pekari usw.) sowie Erklärungen jäge- rischer Ausdrücke geben. C. Matzdorfl". C. Drescher, Kosmische Seh nee wölken. Breslau VIII, Marthastr. 20, Selbstverlag. 1904. 31 Seiten. — Preis 0,50 Mk. Nach Ansicht des Verf entstehen die Wolken aus kosmischen Eiskristallen , die sich allmählich in immer tiefere Schichten der irdischen Atmosphäre senken. Diese Hypothese ist abgesehen von zahl- reichen anderen Einwänden schon um deswillen wissen- schaftlich nicht diskutierbar, weil sie die Grundgesetze der Thermodynamik außer acht läßt ; auch ist die Wolkenbildung in aufsteigenden Luftströmen eine zu sicher erwiesene Tatsache, als daß man der Ansicht Gehör schenken könnte, daß es sich gerade umge- kehrt verhalten solle. Übrigens ist die Idee, daß außergewöhnliche Witterungserscheinungen durch Be- gegnung der Erde mit kosmischen Eismassen bedingt sein könnten, schon vor einigen Jahren von M. Wilh. Meyer ausgesprochen worden, ohne daß sie damals Anklang gefunden hätte. F. Kbr. R. Afsmann und H Hergesell, Beiträge zur Physik der Atmosphäre. Zeitschrift für die wissenschaftliche Erforschung der höheren Luft- schichten. I. Bd., I. Heft. Leipzig 1904. K. J. Trübner. Preis dieses Heftes 4 Mk., eines Bandes von etwa 30 Bogen im Abonnement 15 Mk. Die neue Zeitschrift soll .in zwanglosen Heften im Zusammenhang mit den Veröffentlichungen der inter- nationalen Kommission für wissenschaftliche Luftschiff- fahrt und als Ergänzung derselben die Ergebnisse von Untersuchungen der höheren Luftschichten durch Ballon- und Drachenaufstiege in zusammenfassenden Arbeiten zur Darstellung bringen. Das vorliegende erste Heft enthält zunächst einen Bericht von Prof. Hergesell über Drachenaufstiege auf dem Bodensee, die derselbe unter Beistand des Grafen Zeppelin und mit Unterstiitzung von selten des Reiches und der württembergischen Regierung im vorigen Jahre aus- geführt hat, um die Möglichkeit des Aufstieges von Drachen selbst bei Windstille von einem in schneller Bewegung begriffenen Dampfschiffe aus darzutun. Prof Hergesell plädiert mit großem Eifer für die Aus- gestaltung eines verzweigten Beobachtungsnetzes für die höheren Luftschichten, „wenn anders die Meteoro- logie aus dem Stadium der augenblicklichen Stagna- tion und des Stillstandes herauskommen soll". „Auf dem Lande, in der Nähe der Küsten sollen feste Stationen, auf den Seen, auf den Meeren, bewegliche Dampfer fahrbare Observatorien bilden, welche jeden Tag ihre Luftsonden in die Höhe senden und ihre Beobachtungen, sei es durch den Draht, sei es durch die elektrischen Wellen an die Zentralen senden, da- mit diese auch die Zustände der freien Atmosphäre in unsere Wetterkarten aufnehmen können." Berg- stationen können, so nutzbringend sie auch sonst sein mögen, doch nie über den Zustand der freien Atmo- sphäre richtigen Aufschluß geben und vor allem können sie nicht die für die Erkenntnis einer Wetterlage äußerst wichtigen sog. Störungsschichten erkennen, welche die Drachenaufstiege direkt liefern. Da nun eine Drachenstation nur arbeiten kann, wenn Winde von mindestens 7 — 8 m/Sek. auf die Drachen ein- wirken, so gibt eben die Bewegung der Drachenwinde durch einen Dampfer das beste Mittel an die Hand, um täglich Diachenaufstiege zustande zu bringen. Gerade die große Wasserfläche des Bodensees fordert bei der Bedeutung ihrer geographischen Lage zur Errichtung einer wohlausgestatteten, permanenten, schwimmenden Beobachtungsstation heraus. — Das Heft bringt ferner einen Bericht Prof Aßmanns über „ein Jahr simultaner Drachenaufstiege in Berlin und Hamburg", der gleichfalls große Fortschritte der Meteorologie durch gleichzeitige Beobachtungen der höheren Luftschichten an verschiedenen Orten er- hörten läßt. — Die Bestimmung der Bahn eines Registrierballons durch Visierungen vom Erdboden aus (von de Quer- vain) bildet den Schluß des Heftes. Kbr. Literatur. Rörig, .A.dl. : Das Wachstum des Schädels v. Capreolus vul- garis, Cervus elaphus u. Dama vulgaris. Mit 4 Tat. u. 3 992 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 62 Tcxtfig. (Vni, 32Ü S. m. 4 Bl. Krklärgn.) Stuttgart '04, E. Nägele. — 40 Mk. Rosenthaler, Priv. -Doz. I. Assist. Dr. L. : Grundzüge der chemischen Pflanzenuntersuchung. (III, 124 S.) 8". Berlin '04, J. Springer. — Geb. in Leinw. 2,40 Mk. Schumann, K.: Zingiberaceae mit 355 Einzelbildern in 52 Fig. ('4^8 S.) Leipzig '04, W. Engelmann. — 23 Mk. Weismann, Aug. : Vorträge üb. Deszendenztheorie. 2. verb. Aufl. 2 Tle. in I Bd. (XII, 340 u. VI, 344 S. m. 131 Fig., 3 färb. Taf. u. 3 Bl. Erklärgn.) Lex. 8". Jena '04, G. Fischer. — 10 Mk. ; geb. 12 Mk. Briefkasten. Gibt es eine naturwissenschaftliche Landes- kunde von Schleswig-Holstein oder ähnliche Werke, die für einen Studierenden der Naturwissenschaften, der mit den dortigen Verhältnissen noch ganz unbekannt ist, von Wert sind? W. K. in Sonderburg (Alsen). Oft und zum Teil recht gut sind unter den zur Landes- kunde von Schleswig-Holstein gehörigen Fragen Vorgeschichte und Geschichte, Ethnographie und Siedelungskunde, auch Bau- und Kunstdenkmäler behandelt. .\n wirklich empfehlens- werten neueren Werken landeskundlichen Inhaltes auf natur- wissenschaftlicher Grundlage fehlt es dagegen. Haas, Geo- logische Bodenbeschaffenheit Schleswig-Holsteins (Kiel 1881) ist zu ergänzen durch Gottsche, Die Endmoränen und das marine Diluvium Schleswig-Holsteins (Mitteil, der geogr. Ge- sellsch. in Hamburg, Band XIV) und Haage, Die deutsche Nordseeküste (Mittcil. d. Vereins f Erdkd. Leipzig 1899). Hinzu kommen aus allgemeineren Werken über Deutschland oder Norddeutschland die Stellen, die sich mit Schleswig- Holstein beschäftigen, insbesondere also Drude, Deutsch- lands Pflanzengeographie (Stuttgart 1896) und Wa h nsc h a f f e, Ursachen der Oberflächengestaltung des Norddeutschen Flach- landes (Stuttgart 1901 , 2. .\ufl.). Über das Klima gibt zu- sammenfassend .\uskunft Hellmann, Regenkarle der Provinz Schleswig- Holstein und Hannover (Berlin 1902, 44 S. und I Karte). Ältere, zum Teil noch brauchbare Landeskunden sind: Greve, Geographie und Geschichte der Herzogtümer Schleswig und Holstein (Kiel 18441, J. G. Kohl, Die Mar- schen und Inseln der Herzogtümer Schleswig und Holstein (Dresden und Leipzig 1846, 3 Bde.), v. Osten, Schleswig- Holstein in geographischen und geschichtlichen Bildern (Flens- burg 1893, 4. Aufl.). Dr. F. Lampe. Herrn J. St. in Wilmersdorf. — Das beste populäre Werk über das Gesamtgebiet der Elektrizität ist: Graetz, d. El. u. ihre Anwendungen. 10. Aufl. 190J. 7 Mk. Kommt es Ihnen mehr nur auf die neueren Anschauungen vom Wesen der Elektrizität an, dann genügt Ihnen vielleicht auch das weniger umfangreiche Buch von Richarz, Neuere Fortschr. auf d. Geb. d. El. 2. Aufl. 1902. Teubner. Preis ca. 4 Mk. ; oder sogar Mie , Ionen und Elektronen. Stuttgart, Enke, 1903. Preis 1,20 Mk. .Mle drei Bücher sind im 2. und 3. Jahrgang dieser Zeitschrift besprochen. Herrn Dr. G. H. in Zürich. — Wir werden Ihrer An- regung folgen und ein Referat über die einschlägigen Metho- den zu erlangen suchen, Herrn H. A. K. in Berlin. — Ephemeriden des Enke- schen Kometen veröffentlichen wir nicht, da Beobachtungen desselben zur Zeit doch nur an gut ausgerüsteten Sternwarten möglich sind. Im übrigen können Sie im Zeitschriften-Lese- saal der Kgl. Bibliothek die ,, Astronomischen Nachrichten" einsehen, die ausführliche Ephemeriden enthalten. In dem Sc h effel 'seh en Gedichte ,,Das Mega- therium" mit dem Anfang: ,,Was hangt denn dort be- wegungslos, zum Knaul zusammgeballt" heißt es in der 2. Strophe: ,,[Es] krallt die scharfen Krallen ein Am Emba- huba-Baum". Ist der Name dieses vorsintflutlichen Baumes von Scheffel frei erfunden und scherzhaft zu nehmen, oder wird ein solcher Baum wirklich von den Paläobotanikern so genannt? Oberlehrer A. Seh. in Duisburg. Embahuba, oder wie nach Ernst Ule richtiger zuschrei- ben wäre Imba-uba ist in Brasilien der der Guarani-Sprache entlehnte einheimische Name der wegen ihrer Beziehungen zu Ameisen neuerdings so viel besprochenen Artocarpeen-Gattung Cecropia. Schon die bekannten Reisenden Markgraf und Piso erwähnen ihn im 17. Jahrhundert in der Form Ambayba. Nach Mitteilungen von Ule , der als ältester Sohn des Mit- begründers der ,, Natur", Dr. Otto Ule, des Interesses der Leser dieser Zeitschrift sicher sein kann, und der nach lang- jährigem Aufenthalt und weiten Reisen in Brasilien zu den besten Kennern dieses Landes zählt, halten sich die noch lebenden Faultiere mit Vorliebe auf diesem Baume auf. Es ist daher eine wohl gestattete poetische Lizenz, wenn Scheffel ihrem Ahnherrn , dem Megatherium, die gleiche Vorliebe zu- schreibt. P. Ascherson. Wie unterscheidet man verschiedeneGetreide- arten zu der Zeit, wo sie noch keine Ähren haben? W. P. zu Juriew (Dorpat). Für die Unterscheidung der Getreidearten, Weizen, Gerste, Roggen und Hafer, kommen gewisse Eigentümlichkeiten der Blätter und ihrer Teile , des Blatthäutchens, der Zähne des- selben und der Blattröhrchen in Betracht. Man ordnet die Merkmale am besten tabellarisch , da sie so am übersiclit- lichsten werden. 1 Arten der Merkmale Weizen Gerste Roggen Hafer Drehung der Blattspreite rechts gedreht rechts gedreht rechts gedreht links gedreht Blatthäutchen länglich rundlich länglich spitz kurz, halbrund kurz eiförmig dessen Zahne die 2 Blattröhrchen pfriemlich, haarförmig deutlich, bei manchen Arten groß, bei manchen klein breit dreieckig sehr groß, halbmond- förmig, größer als bei den 3 anderen Getreide- arten kurz dreieckig klein, abgerundet pfriemlich, haarförmig fehlen L. Wittmack. Inhalt; Ernst Stahl: Matthias Jakob Schieiden. — E. R a p p 1 e : Die erste Durchquerung Australiens. — Kleinere Mitteilungen: G. Guldberg: Wanderungen der Bartenwale. — W. M. Wheeler; Von einer von .Asseln sich näh- renden .Ameise. — Dr. Seckt: Quecksilber und grüne Pflanzen. — Hans Molisch: Über eine auffallend rasche autonome Blattbewegung bei Oxalis hedysaroides H. B. K. — Nordenskjöld: Die Mastodonten Südamerikas. — Bücherbesprechungen: Theodore Roosevelt: Jagden in amerikanischer Wildnis. — C. Drescher: Kosmische Schneewülken. — R. Aßmann und H. Hergesell: Beiträge zur Physik der .Atmosphäre. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortficher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Licfitcrfelde-West b. Berfin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche BiicfiHr.), Namnbure a. S. Einschliefslich der Zeitschrift ,,Dl6 NatUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. 6?nd. Sonntao:, den 11. Dezember 1904. Nr. 63. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. e.vtra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren .Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Unsere gegenwärtigen Kenntnisse über Radioaktivität. [Nachdruck verboten.] Die eigenartigen Erscheinungen der Radio- aktivität waren schon Gegenstand zweier Abhand- lungen^) dieser Zeitschrift, von denen die letztere einen kurzen Überblick über die Kenntnisse bis zur Mitte des letzten Jahres gegeben hat. Seitdem sind sich eine ganze Reihe von Untersuchungen auf diesem Gebiet kontinuierlich gefolgt, die zum Teil wesentlich zur Lösung bestehender Rätsel beigetragen, zum Teil auch neue Rätsel gebracht haben. Wenn sonach unsere Einsicht in die teil- weise recht verschiedenartigen Phänomene der Radioaktivität einerseits wesentlich vertieft wurde, sind wir doch noch weit davon entfernt , ab- schließend darüber urteilen zu können, und es wird noch mancher ernsten Arbeit bedürfen, bis sich die große Zahl der Einzelerscheinungen wider- spruchslos einreiht sowohl in ein einheitliches Ganzes unter sich als in den durch fundamentale Untersuchungen gefestigten Konnex unserer übrigen naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Von besonders Sammelrel>rat von Dr. A. Becker in Kiel. ') A. Schmidt, Die Becquerelstrahlen. Diese Ztschr. N. F. 1. S. 157. 1902. Duden, Über die Fortschritte in der Erkenntnis der radioaktiven Stoffe. Diese Ztschr. N. 1'". 111. S. 17. 1903. großer Wichtigkeit für die Fortschritte im letzten Jahre sind die fortgesetzten Untersuchungen der von den radioaktiven Körpern ausgesandten Emana- tion geworden, deren nähere Kenntnis nicht nur neue Vermutungen mit Bezug auf die Konstanz der chemischen Atome weckte, sondern auch grund- legend wurde für die besonders in der letzten Zeit so erfolgreich gepflegten luftelektrischen For- schungen. Die gegenwärtige Besprechung hat sich die Darstellung des augenblicklichen Standes unserer Kenntnisse der radioaktiven Stoffe zur Auf- gabe gemacht, während sich ein folgender, be- sonderer Bericht mit dem weiten Gebiet der atmosphärischen und tellurischen Radio- aktivität beschäftigen soll. Des Zusammen- hangs und der teilweisen Ergänzung halber werden manche Einzelheiten der vorgenannten Berichte kurz berührt werden müssen. Radioaktive Substanzen. Als radioaktiv werden bekanntlich diejenigen Substanzen bezeichnet, welche die Fähigkeit haben, spontan und dauernd gewisse als Becquerelstrahlen benannte Strahlen auszusenden, die dadurch charak- 994 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 63 terisiert sind, daß sie Gase, welche sie durch- setzen, zu Leitern der Elektrizität machen, daß sie scliwarzes Papier, Metalle und alle anderen be- kannten Gegenstände in nicht zu großen Dicken durchdringen , daß sie auf die photographische Platte wirken, aber mit den gewöhnlichen Licht- strahlen durchaus nichts gemein haben und weder in der für Licht bekannten Weise reflektiert, noch gebrochen, noch polarisiert werden. Im Jahre 1896 hat H. Becquerel, als er mit dem Studium phosphoreszierender Körper beschäf- tigt war, die Entdeckung gemacht, daß die mit äußerst rasch abklingender Phosphoreszenz be- hafteten Salze des Urans dauernd diese neuen Strahlen aussenden und daß diese Wirkung eine besondere Eigenschaft der Atome des Urans ist, so daß sie in einem zusammengesetzten Körper um so stärker auftritt, je mehr Uran in dem- selben vorhanden ist. G. C. Schmidt und Frau Curie haben dann fast gleichzeitig gefunden, daß die Verbindungen des Thors, die sich aus dem- selben Ausgangsprodukt gewinnen lassen, eben- falls radioaktiv sind. Aber obwohl seitdem reiche Erfahrungen über das Uran sowohl als über das Thor gesammelt wurden, scheint es noch nicht völlig sicher zu sein, ob die an Thorpräparaten beobachtete Radioaktivität in der Tat dem Ele- ment Thor eigentümlich ist, oder ob sie mit der Anwesenheit von Uran zusammenhängt. Die Ent- scheidung in dieser Frage begegnet insofern einiger Schwierigkeit, als sich Uran fast in allen IVline- ralien vorfindet, welche für die Thorgewinnung verarbeitet werden. Es ist von Interesse, die be sonders in Betracht kommenden Substanzen hin- sichtlich ihres Uran- und Thorgehalts zusammen- zustellen und die Stärke der Aktivität der aus ihnen hergestellten Thorerde zu vergleichen, wie es von K. A. Hofmann und F. Zerban geschehen ist. Gelialt an Gehalt an Aktivität der Thor- Mineral UaOg ThO., erde sofort nach Fällung Bröggerit ca. 78 »/o ca. is7o sehr stark Cleveit ca. 70«/„ ca. 7 7o ,, ,, Euxenit 5-12% sehr wenig stark Samarskit 4-i7 7o ca. 4 7o , Fergusonit -.5-7% 1-3% schwach Xenotim 0,5-3,5 7o 0,5-3,5 7o ,, Thorit ca. iqO/o ca. 50% ,, ürangit ca. 1% ca. 72«/„ ganz schwach Aeschynit °,3 7o ca. l6«/o ,, Monazitsand ca. 0,1% 1-2,5 7o „ Es zeigt sich sehr auffallend, daß die Aktivität der frisch bereiteten Thorerde um so stärker ist, je größer der Prozentgehalt an Uran im Ausgangs- material, unabhängig vom Prozentgehalt der in demselben vorhandenen Thorerde. Weiterhin ist von Wichtigkeit, daß die Wirksamkeit aller dieser Thorpräparate nach i — 2 Jahren merklich zurück- geht und daß ganz reines Thor und seine Ver- bindungen, die von den oben genannten For- schern aus vollkommen uranfreien Mineralien, z. B. Orthit aus Norwegen, gewonnen wurden, sich von vornherein völlig inaktiv erwiesen. Es ist auch seither an anderen Substanzen der Nachweis ge- lungen, daß durch verschiedene Prozesse die Ak- tivität des Urans mittels chemischer Niederschläge abgetrennt und auf die im gewöhnlichen Zustand als vollkommen inaktiv bekannten Substanzen über- tragen werden kann. Fügt man beispielsweise Baryumchlorid zu einer Lösung von Urannitrat und fällt das Baryum als Sulfat aus durch Zu- fügen von etwas Schwefelsäure, so erweist sich das abgetrennte und getrocknete Baryumsulfat radio- aktiv, während sich das Uransalz, welches durch Eindampfen der rückständigen Lösung wieder- gewonnen wird, weniger aktiv zeigt als vor dieser Operation. Allerdings ist nun zu bemerken, daß das Baryumsalz nach Verlauf einiger Monate seine Radioaktivität verliert, während die Aktivität des Uransalzes ihre ursprüngliche Höhe wieder erreicht. Man kann annehmen, daß das Baryumsalz sich bei der Berührung mit dem Uran aktiviert hatte, oder auch daß es einen Teil der Aktivität desselben in einer besonderen Form mit fortgenommen hat. Würde die .Aktivität der aus den oben genannten Mineralien hergestellten Thorerde ihren Ursprung in derselben Weise einer sog. Induktion durch Uran verdanken, so bliebe nur die Tatsache des überaus langsamen Abklingens derselben noch un- verständlich. Charakteristisch für beide Elemente ist nun deren hohes Atomgewicht, welches für Uran 236,7 und für Thor 230,8 beträgt nach den neuesten Feststellungen der internationalen Atom- gewichtskommission. Es wird sich im folgenden zeigen, daß auch die anderen n-it Radioaktivität behafteten Elemente sehr hohe Atomgewichte haben, so daß die Anschauung einigermaßen Berechtigung findet, daß die Erscheinungen der primären Radio- aktivität an die sciiwersten bekannten Elemente geknüpft sind. Unter diesem Gesichtspunkt ver- mögen unsere heutigen Kenntnisse keinen Ein- spruch dagegen zu erheben, daß wir dem Thor eine Eigenschaft zugestehen, die wir ebensowenig speziell für Uran erklären können. Mit größerer Sicherheit als dem sehr schwach wirkenden Thor ist dem von Debierne in den seltenen Erden der Uranmineralien gefundenen Aktinium primäre Radioaktivität zuzuschreiben. K. A. Hofmann und F. Zerban haben Aktinium- präparate aus den aus der Technik zu beziehenden Sodafällungen der Urannitratmutterlaugen gewonnen und finden große chemische Ähnlichkeit mit den entsprechenden Thorverbindungen, so daß sie glauben, daß das kräftig wirkende, thorähnliche Aktinium, das zwar nur in äußerst geringen Mengen vorkommt, der primär aktive Bestandteil in der Thorerde aus Pechblende sei. Seit dem Jahre 1898 hat Frau Curie syste- matisch untersucht, ob es unter den damals be- kannten Elementen außer Uran und Thor noch andere gäbe, die mit radioaktiven Eigenschaften begabt wären, und hat gefunden, daß einige uran- haltige Mineralien, besonders die Pechblende, aktiver N'. F. ni. Nr. 6t, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 995 sind als die beiden eben genannten Elemente, daß also die Aktivität dieser Mineralien weder dem Uran noch anderen bekannten Elementen zuge- schrieben werden könne. Diese Entdeckung ist fruchtbar geworden an neuartigen Ergebnissen und hat zur Auffindung des Radiums geführt, über dessen elementare Natur nach den umfassenden chemischen und insbesondere spektroskopischen Untersuchungen kein Zweifel mehr besteht. Den physikalischen Arbeiten dienen in den meisten Fällen winzige Mengen von Präparaten in Form des Chlorids oder Bromids, die teils nahezu rein, teils mit dem entsprechenden Baryumsalz ver- mischt sind und eine Strahlung abzugeben ver- mögen, welche etwa millionenmal größer ist als diejenige des Urans und des Thors. Hergestellt werden diese Präparate aus einem Rückstand bei der Fabrikation des Urans aus der Pechblende. Dieser Rückstand enthält auf lOOO kg nur etwa 0,2 bis 0,3 g Radium. Man zieht zunächst aus einer Tonne des Rückstandes 10 bis 15 kg radium- haltiges Baryumsalz aus, aus welchem dann durch fraktionierte Kristallisation das Radiumsalz erhält- lich ist, da die aus einer Lösung sich abscheiden- den Kristalle radiumreicher sind als das in Lösung bleibende Salz. Neuerdings ist es A. Coehn gelungen , das Radium auch metallisch abzuscheiden, indem er eine wässrige oder besser methylalkoholische Lösung von Radium-Baryumbromid unter Benutzung einer Kathode aus Quecksilber oder amalgamiertem Zink elektrolytisch analysierte. Das Quecksilber nahm dabei das metallische Baryum und Radium auf, ohne indes an der Oberfläche eine merkliche Veränderung zu erleiden. Wurde es aber nach Unterbrechung der Elektrolyse sorgfältig ausge- waschen und getrocknet, so erwies es sich stark radioaktiv, und zwar verminderte sich die Stärke der Aktivität nicht mit der Zeit, wie es im P"alle einer Induktion zu erwarten gewesen wäre, sondern stieg innerhalb mehrerer Tage noch weiter an. Beim Behandeln des Quecksilbers mit verdünntem Brom wasserstoff wurde eine geringe Menge dauernd aktiven Radiumbromids erhalten, ein Beweis dafür, daß tatsächlich ein Radium-Baryum-Amalgam sich gebildet hatte. In gesättigten Lösungen würde diese Radiumabscheidung um mehr als ^/^ Volt leichter erfolgen als für Baryum; jedoch ist eine Trennung beider auf diesem Wege wegen der ge- ringen Konzentration des Radiumsalzes bis jetzt noch nicht gelungen. Wird die Radioaktivität eines Radiumsalzes gemessen zu verschiedenen Zeiten von dem Augen- blick an, wo das kristallisierte Salz den Trocken- apparat verläßt, so wird festgestellt, daß die Ak- tivität genau wie oben im F"alle des Amalgams von einem bestimmten Anfangswert mit der Zeit wächst, erst schnell, dann nach und nach lang- samer, um sich endlich einem Grenzwert zu nähern, der etwa das Fünffache der ursprünglichen Ak- tivität beträgt. Diese Stärke bleibt dann jahre- lang unverändert, falls das Salz in unverändertem Zustand belassen wird. Eine Erklärung für das anfängliche Wachsen der Aktivität wird sich später ergeben. Im Gegensatz hierzu ist das Polonium oder Radiotellur, das in der das Wismut enthalten- den Fraktion der Pechblende sich durch erhöhte Aktivität bemerkbar machte, ein Körper, welcher seine Radioaktivität nach und nach verliert, so daß er nach einigen Jahren völlig unwirksam geworden ist. Das Polonium verhält sich also wie ein un- beständiger Körper. Nach Marckwald wird es als ein schwarzer Niederschlag erhalten, der aus einer salzsauren Lösung des radioaktiven Wismutchlorids durch Eintauchen von Wismut oder Antimon oder durch Zusatz von Zinnchlorür ausfällt. Aus 6 kg Wismutchlorid , die 2000 kg Pechblende ent- stammten, wurde so 1,5 g Radiotellur gewonnen; dies besteht der Hauptsache nach aus gewöhn- lichem Tellur. Aus der hiervon befreiten Lösung fällt Zinnchlorür schließlich einen geringfügigen dunklen Niederschlag von 4 mg, welcher die radio- aktive Substanz fast völlig enthält. Wird dieser Rest in ein Chlorid verwandelt, so kann der aktive Stoff in feinster Verteilung auf eingetauchtes metal- lisches Wismut niedergeschlagen werden, wodurch dasselbe stark aktiv und zur Verwendung zu ex- perimentellen Untersuchungen geeignet wird. Wäh- rend nun einerseits die spektroskopischen Beob- achtungen noch nicht ein neues Element in den Poloniumpräparaten feststellen konnten , zeigte andererseits Giesel, daß metallisches Wismut, wenn es in Radiumlösungen eingetaucht wird, alle für Poloniumlösungen bekannten Eigenschaften an- nimmt und daß die Aktivierung desselben nur sehr langsam abklingt. In geringerem Maße werden auch Platin und Palladium durch Eintauchen aktiv. Danach ist Polonium wohl nichts anderes als durch geringe Mengen von Radium induziertes Wismut. Um einen primär aktiven Stoff handelt es sich zweifellos bei dem besonders von K. A. Hofmann eingehend studierten Radioblei, welches sich aus verschiedenen Uranmineralen, z. B. Uranpech- erz aus Joachimsthal, gewinnen und durch Behand- lung des Chlorids mit salzsaurer alkoholischer- Schwefelsäure von gewöhnlichem Blei befreien läßt. Aus den Filtraten wird durch Ammoniak ein braunes und sehr wirksames Sulfid gefällt; das daraus her- gestellte reine Chlorid ist ein farbloses, in glänzen- den doppelbrechenden Prismen kristallisierendes Salz, das stark aktiv ist und diese Eigenschaft im Gegensatz zum Polonium dauernd behält. Von Bedeutung ist hierbei die von Korn und Strauß beobachtete Tatsache, daß ziemlich schwache Radiobleipräparate besonders in ihrer photographi- schen Wirkung durch längere Bestrahlung mit Kathodenstrahlen wesentlich verstärkt werden und daß ein Abklingen der so bewirkten Verstärkung auch nach Monaten nicht wahrnehmbar ist. Ein solcher Einfluß hat sich bis jetzt bei keiner radio- aktiven oder inaktiven Substanz in gleicher Weise bemerkbar gemacht. Hervorzuheben ist, daß mit 996 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 63 der Verstärkung der photographischen Wirkung nicht eine Verstärkung der elektrizitätzerstreuenden Wirkung Hand in Hand geht. Es ist aber nicht einzusehen, warum deshalb die obigen Beobachter zur Erklärung dieser Tatsachen Annahmen zu Hilfe nehmen, die von den sonst allgemein üb- lichen und durch die Erfahrung an den übrigen radioaktiven Stoffen bewährten Annahmen weit abweichen, ohne dazu die Erscheinung besser zu interpretieren. Fassen wir die vorliegenden Resultate kurz zu- sammen , so fällt die schon früher angedeutete Tatsache auf, daß von den bekannten Elementen gerade diejenigen mit den größten Atomgewichten entweder als primär radioaktiv sicher erkannt oder wenigstens leicht einer lange nachwirkenden In- duktion fähig sind. Uran Thor Radium Wismut Blei Radioblei 236,7 230,8 223,3 206,9 205,3s 260 (?) Internat. Atomgew.- Kommission Hofmann u. Strauß. Man kann fragen, ob die Radioaktivität sich an gewisse, gerade von diesen schwersten Ele- menten vielleicht erfüllten Bedingungen knüpft, oder ob sie eine allgemeine Eigenschaft der Materie ist. Diese Frage kann zurzeit noch nicht als ge- löst betrachtet werden. Nach Untersuchungen von Frau Curie steht zunächst fest, daß die verschie- denen bekannten Substanzen keine atomistische Radioaktivität besitzen , welche auch nur den hundertsten Teil derjenigen des Urans oder des Thors erreichte. Modifiziert wird diese Erkenntnis durch eine Anzahl ganz neuer Arbeiten, in denen eine gewisse kleine Leitfähigkeit von Gasen in Metallbehältern nachgewiesen wird , welche von der Natur des Metalls abhängig ist, und wodurch die Annahme nahegelegt wird , daß die Radio- aktivität, wenn auch in äußerst schwachem Grade, allen Substanzen zukomme. Es wird aber be- sonders in Anbetracht der minimalen Wirkungen, die hier neben oftmals großen und unbeachteten Fehlern konstatiertwerdensollen, noch mancherlei Schwierig- keit bereiten, ehe die Identität dieser Erschei- nungen mit den Erscheinungen der atomistischen Radioaktivität einwandfrei festgestellt ist. Auf der anderen Seite können gewisse chemische Reaktionen Veranlassung geben zur Entstehung von Ionen, welche die Leitfähigkeit eines Gases bedingen, ohne daß die wirkende Substanz sonstwie den Charakter atomistischer Radioaktivität zeigte. So macht z. B. weißer Phosphor bei der Oxydation die umgebende Luft elektrisch leitend, während roter Phosphor und die Phosphate sich in keiner Weise radioaktiv zeigen. Wenn so die Erscheinungen der Radioaktivität uns zunächst anmuten wie eine große Zahl un- gelöster Rätsel, die geeignet scheinen, alle unsere hergebrachten und vollkommen sicher angenom- menen Anschauungen von der Materie und den Kräften zu modifizieren, vielleicht sogar zum Teil umzustoßen , so gestatten doch die zahlreichen Untersuchungen der verschiedenen Wirkungsweisen der genannten Stoffe ein stetiges, wenn auch lang- sames Vordringen auf diesem neuen Gebiet, das nur deshalb auf den ersten Blick so fremdartig zu sein scheint, weil sich hier zum erstenmal die kleinsten Teilchen eines Körpers als Träger von Kräften oder Energien von gewaltiger Größe zeigen,' die ihnen die Naturwissenschaft zwar schon längst zugeschrieben hatte, die sich aber noch nie in dieser individuellen Art geäußert haben. So erwähnt Helmholtz beispielsweise, daß die posi- tiven und negativen Elektrizitätsmengen, die in I mg Wasser sich finden, auf lOOO m Entfernung sich noch mit einer Kraft gleich dem Gewicht von 100 000 kg anziehen. Wenn wir dieses Bei- spiel weiter verfolgen und die Energiemenge be- rechnen , die frei wird , wenn sich die beiden Elektrizitätsmengen aus einer Entfernung von einem Millimeter auf einen halben Millimeter nähern, so findet sich lo'^* Kilogrammeter. Damit würde ein Energievorrat hervorgebracht, der mehr als 2 X 10'^ Jahre ausreichen würde, falls das Milligramm diese Energie ebenso schnell auszugeben gedächte wie I mg Radium. Strahlung der radioaktiven Körper. Das Radium ist derjenige radioaktive Körper, dessen Strahlung am vollständigsten erforscht worden ist. Zum Nachweis derselben eignen sich eine große Zahl von Substanzen, wie alkalische und erdalkalische Salze, Uran- und Kalisulfat, Baryumplatincyanür, Sidot'sche Zinkblende usw., die durch die auffallenden Strahlen zur Phosphores- zenz erregt werden. Vorteilhafter für viele Unter- suchungen ist die photographische Platte, deren Schwärzungen nicht nur ein Maß für die Menge und die Intensität der Strahlen, sondern auch für ihre Richtung abgeben. Durchsetzen die Radium- strahlen irgend ein Gas, so wird dasselbe elek- trizitätsleitend, so daß ein elektrisch geladener Körper sich entlädt mit einer Geschwindigkeit, die von der Intensität der Radiumstrahlung abhängt. Es ist dies das empfindlichste Mittel zum Nach- weis von äußerst schwachen Strahlen, die auch bei wochenlanger Expositionsdauer nicht imstande wären, die photographische Platte zu schwärzen. Man erklärt sich die Wirkungsweise des Leitend- machens von Gasen dadurch, daß man annimmt, daß die Strahlen die Gasteilchen bei ihrem Hin- durchfahren in kleinere Partikeln spalten, von denen die einen positiv, die anderen negativ ge- laden sind, und unter der Wirkung eines elek- trischen Kraftfeldes wandern die positiven lang- sam gegen die negative Elektrode, die negativen schneller gegen die positive Elektrode hin, um sich dort zu entladen. Ist beispielsweise ein Elektro- skop mit positiver Ladung in der Luft aufgestellt, und wir bringen irgend einen der radioaktiven Körper in die Nähe, so werden die sich bildenden negativ geladenen Partikeln — die oft mit Rück- N. F. m. Nr. 63 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 997 sieht auf einen älinlichen Vorgang in der Elektro- lyse „Ionen" genannt werden, obwohl der unbe- stimmter gehaltene Ausdruck „Träger" vorzuziehen wäre — auf das Elektroskop hinwandern und es um so rascher entladen, je zahlreicher sie sind. Seitdem man nicht nur beim Studium der Radio- aktivität, sondern auch in vielen anderen Fällen Gelegenheit fand, diese Träger wirklich getrennt nachzuweisen, ist an der Richtigkeit dieser An- nahme nicht mehr zu zweifeln. Bei der näheren Untersuchung der von den Radiumpräparaten ausgehenden Strahlen hat sich sehr bald gezeigt, daß man es mit Strahlen ver- schiedener Natur zu tun hat, die sich in drei wesentlich voneinander verschiedene Gruppen zu- sammenfassen lassen ; nach dem Vorgang von Rutherford werden dieselben jetzt allgemein als a-, ß- und y-Strahlen bezeichnet. Die Wirkung des Magnetfeldes gestattet, eine erste Unterschei- dung derselben festzustellen. Läßt man die Strahlen — am besten im Vakuum — durch eine feine Öffnung auf eine in einigen Zentimetern aufge- stellte photograpliische Platte fallen, so erscheint auf ihr nach dem Entwickeln ein schwarzer Fleck als Bild der Öffnung, wie er auch mit Lichtstrahlen erhalten worden wäre. Wird nun aber zwischen die Öffnung und die Platte ein starker Hufeisen- magnet gebracht, so daß sich die Strahlen nun in einem Magnetfeld bewegen müssen, so werden die a-Strahlen ein wenig von ihrer geradlinigen Bahn abgelenkt, und zwar geschieht die Ablenkung im selben Sinne, wie es namentlich Wien für die von Goldstein entdeckten Kanalstrahlen in Vakuum- röhren nachgewiesen hat. Im Gegensatz hierzu werden die ^-Strahlen nach der entgegengesetzten Richtung abgelenkt; sie verhalten sich genau so, wie es für Kathodenstrahlen lange bekannt ist. Die j'-Strahlen dagegen zeigen überhaupt keine Ablenkung und verhalten sich in dieser Beziehung wie Röntgenstrahlen. Wenn so die einzelnen Strahlenarten getrennt der Untersuchung zugänglich gemacht waren, mußte die erste Aufgabe diejenige sein, fest- zustellen, ob in der Tat sich die Parallele mit schon bekannten Strahlen anderer Herkunft weiter ziehen lasse, ob also in radioaktiven Körpern eine Quelle für die Gesamtheit aller in den letzten Jahren teils mühsam aufgefundenen und eingehend studierten Strahlenarten vorliege. Da hat sich allerdings gezeigt, daß in den «- und /-Strahlen neuartige Erscheinungen gegeben sind, während nur die /^-Strahlen als bekannte Kathodenstrahlen anzusprechen sind. Die a-Strahlen verhalten sich nach den Ab- lenkungsversuchen wie Projektile, welche mit großer Geschwindigkeit begabt und mit positiver Elek- trizität geladen sind. Bewegen sie sich im Vakuum zwischen zwei entgegengesetzt auf hohes Potential geladenen Metallplatten, so werden sie ein wenig nach der negativen Platte hingezogen. Nach den Messungen im Vakuum findet sich die Geschwindig- keit, die für alle Projektile als gleich groß anzu- nehmen ist, zu v=i,65^- 10" cm; die a-Strahl- teilchen bewegen sich also etwa 20mal langsamer als das Licht, für welches v=3X 10'" cm be- kannt ist. Für die Größe der Teilchen ist die experimentell zu findende Beziehung — = 6400 maßgebend ; dieselbe sagt aus, daß sich die Größe der elektrischen Ladung des Teilchens zu seiner Masse verhält \m\& 6400: i. Nimmt man an, daß die Ladung e ebenso groß ist wie die eines Wasser- stoffatoms bei der Elektrolyse, so findet man, daß seine Masse auch ungefähr ebenso groß ist wie diejenige eines Wasserstoffatoms, für welches e ~ ^= 9650 bekannt ist. Der Größenordnung nach ist die Elektrizitätsmenge, \yelche diese Strahlen, von I g Radium ausgehend, mit sich führen, einem elektrischen Strom in der Stärke von 1,5 >< io~9 Amperes vergleichbar; wird dieser Wert iür e in e die soeben angegebene Gleichung — = 6400 eingesetzt, so ergibt sich die in einer Sekunde von I g Ra oder 1,62 g Radiumbromid ausgesandte Masse der a-Teilchen zu m = 1,6 >; io~t >r 1,5 X 0,1 ;•; iO~9 = o,24X lo-'^ g^ d. h. die Gewichts- abnahme der eben bezeichneten Radiumsalzmenge betrüge infolge der «-Strahlung 8,6 X'O"* mg in der Stunde oder nur 0,00075 "ig im Jahr. Werden die Ablenkungen der «-Strahlen nicht im Vakuum, sondern in der Luft untersucht, so zeigt sich nach den Beobachtungen von Becquerel, daß die Krümmung anfangs noch dieselbe ist wie die im Vakuum erhaltene, daß sie aber immer ge- ringer wird in dem Maße, wie sich der Strahl von der Strahlungsquelle entfernt. Man kann diese auch bei Kanalstrahlen zu findende Erscheinung durch die Annahme erklären, daß sich neue Teil- chen an den Projektilen festsetzen, während sie ihre Bahn in der Luft vollenden. Dadurch kann ent- weder die Masse der Projektile vergrößert oder, wenn negative Träger sich beispielsweise anhängen, die Ladung vermindert werden ; beides aber be- wirkt, daß der Strahl weniger von fremden Kräften beeinflußt wird. Die «-Strahlen bilden den wichtigsten Teil der Strahlung des Radiums, insofern sie der Haupt- sache nach die Leitfähigkeit in Gasen hervorrufen, und zwar ist nach Rutherford anzunehmen, daß jedes Teilchen etwa 100 000 der oben charakte- risierten Ionen zu erzeugen vermag, ehe es in dem Gas absorbiert wird. Die Absorption ist für diese Strahlen allerdings sehr groß , so daß sie die meisten Körper nur in äußerst dünnen Schichten zu durchdringen vermögen; ein Aluminiumblätt- chen von einigen Hundertsteln Millimeter Dicke ab- sorbiert sie fast vollständig. Sie werden auch in der Luft stark absorbiert und können diese bei Atmo- sphärendruck deshalb auf eine Entfernung von mehr als 10 cm nicht durchdringen. Sind die be- nutzten Radiumpräparate in Glasröhrchen einge- schmolzen, so treten aus diesen niemals «-Strahlen 998 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 63 aus, da sie in den Wandungen absorbiert wer- den. In den /i-Stralilen des Radiums treten uns Kathodenstrahlen entgegen, die wir als Teilchen reiner negativer Elektrizität auffassen, welche mit sehr großer Geschwindigkeit vom Radium fort- geschleudert werden. Auch sie werden vom IVIag- neten abgelenkt, und sie nähern sich in einem starken elektrischen Feld der positiv geladenen Platte. Es zeigt sich dabei, daß nicht alle Strahlen gleichstark abgelenkt werden, sondern daß der Lichtpunkt, der sich ohne elektrisches oder mag- netisches Feld auf der photographischen Platte — ähnlich wie bei den «-Strahlen — abbildet, in einen breiten Streifen ausgezogen wird beim Er- regen eines Feldes. Wir finden also, daß sich unter den /i-Strahlen solche unterscheiden lassen, die ganz wenig, solche die etwas stärker, und wieder andere, die schon von ganz schwachen Feldern sehr stark abgelenkt werden. Maßgebend für die Größe der Ablenkung ist nun die schon e vorhin genannte Beziehung - , welche angibt, wie groß das Verhältnis der elektrischen Ladung zur Masse eines Teilchens ist, und die Geschwindig- keit V der Teilchen. Und zwar werden die Strahlen um so stärker vom Magnetfeld beein- flußt, je kleiner ihre Geschwindigkeit ist und je e erößer . Nun haben die Beobachtungen er- ^ m ^ geben, daß — für alle Strahlen von nicht zu großer Geschwindigkeit annähernd dieselbe Größe und zwar — = 1,8 >. 10' ist. In diesem Falle hängt m ' " also die Größe der Ablenkung nur noch von der Geschwindigkeit derStrahlen ab, sodaß wirallgemein sagen können, daß ein /iStrahl um so stärker ab- gelenkt wird, je langsamer er ist. Es zeigt sich so, daß ein Radiumpräparat p'-Strahlen von allen möglichen Geschwindigkeiten aussendet, die zwischen etwa i X 10* crn und nahe der Licht- geschwindigkeit von 3 X 10^" cm verteilt liegen. Ein ungefähres Bild von der Menge der diesen Geschwindigkeiten entsprechenden /!^-Strahlen gibt die beigefügte Kurve von F. Paschen, welche an- gibt, wieviel Strahlen bei den jeweils beigeschrie- benen Feldstärken eines Magneten um eine be- stimmte Größe abgelenkt werden. Man sieht, daß in verhältnismäßig sehr großer Intensität gerade die langsamen Strahlen vorhanden sind, die schon von P'eldern von wenigen Einheiten starke Be- einflussung erleiden. Nun hat Becquerel zuerst gefunden, dal5 die Strahlen, die am stärksten abgelenkt werden, auch von der Materie am stärksten absorbiert werden ; wir können auch so sagen: ein /i-Strahl durch- dringt materielle Medien um so besser, je schneller er ist. Während die zu Anfang unserer Kurve markierten Strahlen kaum i cm in Luft von Atmo- sphärendruck einzudringen vermögen, durchdringen die folgenden schon gut i mm dickes Glas oder dünnes Metall, während noch raschere sogar Zenti- meter dicke Metalle zu durchstrahlen vermögen. Die Luft und andere Gase werden auch von den /i-Strahlen — allerdings weit weniger als von den ö-Strahlen — leitend gemacht und zwar um so mehr, je langsamer die /^-Strahlen sind. 1 ^ s »1 s - ^ " ^ i cn ^ - s' - i -\ .^1 1 ?? \ y ^1 1 1 ■% / S ^ ^ s- / "*" ^ »- = - I 2 3 4 .S 6 7| Feldstärken in 10' c. g. q. Aus dem Verhalten dieser Strahlteilchen haben wir oben gefolgert, daß sie negativ geladen sein müßten ; direkt ist das auch zuerst von den Curie's gezeigt worden, indem sie nachwiesen, daß die Teilchen, wenn sie von einer Metallplatte absor- biert werden, an diese negative Elektrizität ab- geben, und zwar ist die von l g Radium ausge- strahlte Menge etwa einem beständigen Strom von 1,6;- 10-9 Amp. vergleichbar. Daß diese Teil- chen reine Elektrizität darstellen und nicht an wägbare Materie gebunden sind, muß daraus ge- folgert werden, daß sie durch feste, nicht poröse Körper und besonders auch durch das Vakuum zu gehen vermögen. Würden wir aber auch, wie es für die «-Strahlen geschehen ist, ihre Masse m als wägbare Substanz deuten , so kann man wieder aus den angegebenen Daten j =i,5> 10' und V ^ 2 X 10'^ als ungefähre Mittelwerte ge- setzt) berechnen, wieviel i g reines Ra durch die Ausstrahlung von /^-Teilchen an Gewicht verlieren könnte. Es findet sich, daß dieser Verlust in der Stunde nur etwa 3,96 X I0~" mg oder im Jahre 0,00000035 '■'■'g betragen könnte. Dabei wäre die Masse eines einzelnen Teilchens ungefähr 200 mal kleiner als diejenige eines Wasserstoffatoms. Die y-Strahlen wurden bis auf unsere Tage als Röntgenstrahlen angesehen, da sie niemals eine Ablenkung erkennen ließen und ein äußerst großes Durchdringungsvermögen zeigten. Nun ist aber kürzlich von Paschen gezeigt worden, daß diese Strahlen zwar in den stärksten Magnetfeldern nur unmerklich beeinflußt werden, daß sie aber negative Elektrizität mit sich führen und deshalb als Kathodenstrahlen aufzufassen sind mit einer äußerst großen Grenzgeschwindigkeit, die sich be- N. F. III. Nr. 63 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 999 liebig stark derjenigen des Lichts nähert. Ihre Absorption ist so gering, daß sie leicht alle Ver- suchsapparate durchdringen und deshalb noch nie früher sich wesentlich bemerkbar machten. Erst durch dicke Schichten von Blei lassen sie sich so stark aufhalten, daß ihre mitgeführte nega- tive Elektrizität meßbar wird. Paschen findet so, daß sie dauernd einen Strom von 3,8 X lO"" Amp. zu liefern vermögen, wenn sie von i g Radium ausgehen würden. Aus der großen Geschwindig- keit der Strahlen geht auch hervor, daß ihre l^^nergie eine weit größere ist als diejenige der /:/-Strahlen, so daß es nicht abzusehen wäre, wie die y-Strahlen als Röntgeneffekt der /i-Strahlung denkbar wären. Man hat vielfach die Äußerung gehört, daß die Radiumsalze insofern so höchst rätselhafte Sub- stanzen wären, als sie dauernd diese im obigen angegebenen Strahlenmengen mit einer sehr großen P^nergie aussenden, ohne daß es bisher gelungen wäre, einen Gewichtsverlust der Präparate festzu- stellen, welcher auch nur Viooo ™g i"^ Laufe von Wochen betragen würde ; man hätte in diesen merkwürdigen Stoffen zum erstenmal einen Eall, der sich nicht in das als unerschütterlich vordem betrachtete Gesetz von der Konstanz der Materie und der pjiergie einreihen würde, wonach keine Arbeit auf der einen Seite gewonnen wird, der nicht auf der anderen Seite ein gleich großer Verlust an Energie entspräche. Auch alle Hoff- nungen, die man mit Bezug auf diese PVage an die Möglichkeit knüpft, weit empfindlichere Wagen und größere Salzmengen zur Verfügung zu haben, um doch einen Gewichtsverlust zu verzeichnen, werden unerfüllt bleiben, wenn wir uns die Zahlen vergegenwärtigen, die im Vorausgehenden für die ausgestrahlten Mengen erhalten wurden, und die uns auch zur Genüge lehren, daß nach wie vor unsere umfassenden Gesetze gelten und daß sich auch die neuen Stoffe völlig unter dieselben reihen, wonach ein Gewichtsverlust, also ein Aussenden von Strahlen auf Kosten von Gravitationsenergie in der Tat besteht. Allerdings sehen wir, daß dieser Verlust mit unseren Mitteln auch nicht in Jahrzehnten wird experimentell direkt nach- weisbar sein, da die Summe aller im Jahr aus- gestrahlten Masse nur etwa 0,0007507 mg be- trägt, wenn wir annehmen, daß die Masse der ausgestrahlten j'-Teilchen etwa dieselbe wäre wie die der |i!/-Teilchen. Berücksichtigt man aber, daß sich diese Zahl auf i g reines Radium bezieht, eine Menge, die auf der ganzen Erde bis jetzt noch nicht existiert, und daß bei den Wägungs- versuchen das Präparat eingeschlossen ist und des- halb die «Strahlen nicht verliert, so muß jede Möglichkeit eines experimentellen Nachweises auf- gegeben werden. Was nun die Strahlung der anderen, früher beschriebenen radioaktiven Körper betrifft, so liefert dieselbe nichts wesentlich anderes, als wie für Radiumstrahlen schon mitgeteilt wurde. Das Polonium sendet nur Strahlen von sehr geringer Durchdringungsfähigkeit aus, welche mit den «-Strahlen des Radiums identisch zu sein scheinen. Sie besitzen ungefähr das gleiche Durch- dringungsvermögen und werden in derselben Weise durch ein Magnetfeld abgelenkt. Das Polonium liefert also eine Quelle für «-.Strahlen ohne Bei- mischung der anderen Strahlenarten. Daß sich diese Quelle aber nach Verlauf einiger Jahre er- schöpft, ist schon früher hervorgehoben worden. Thor, Uran und Aktinium senden «- und /^-Strahlen aus; die möglicherweise vorkommenden /-Strahlen sind noch nicht untersucht worden. Ebenso sind für B 1 e i p r ä p a r a t e «- und /t?-Strahlen nachweisbar. Wirkungen der Radiumstrahlen. Außer den im vorigen Teil angeführten Wir- kungen der vom Radium oder anderen aktiven Körpern emittierten Strahlen ist noch als Er- gänzung der in den früheren Berichten angegebenen Tatsachen zu erwähnen, daß die (i- und y-Strahlen beim Plindurchfahren durch Gase oder besonders feste Körper aus diesen neue /i-Strahlen, soge- nannte sekundäre Strahlen austreiben; es ist dies vornehmlich mit Hilfe der photographischen Platte nachgewiesen worden. Hier mögen außerdem die physiologischen Wirkungen von Interesse sein. Ein Radium- salz, welches sich in einem lichtdichten Metall- kästchen befindet, wirkt trotzdem auf das Auge ein und erregt eine Lichtempfindung, wenn es vor das geschlossene Auge oder gegen die Schläfe gehalten wird. Hierbei werden die Augenmedien unter der Einwirkung der .Strahlen durch Phos- phoreszenz leuchtend, und das beobachtete Licht hat so seine Quelle im Auge selbst. Nach J. Da- nysz (1903) wirken die Strahlen auf tierisches Ge- webe ein und zwar besonders auf die Epidermis und die Nervenstränge. In den leichteren Fällen tritt z. B. bei Mäusen Haarausfall und Hautent- zündung ein, in den schwereren Phallen Lähmung der Glieder und nach einigen Wochen der Tod, verursacht durch Blutgefäßstörungen. Niedere Tiere, wie Protozoen, ziehen langsam ihre Cilien zusammen oder sie entfernen sich ganz aus dem Bereich der Strahlen. Auf höhere Pflanzen scheinen die Strahlen keine besondere Wirkung auszuüben; nur in manchen Fällen ist bei Sämlingen eine Verzöge- rung in der Entwicklung bemerkbar. Von Wichtig- keit ist dagegen die Einwirkung der Strahlen auf Bakterien im Hinblick auf die praktischen Erfolge, welche die Erkenntnis der bakteriziden Wirkungen des Lichts neuerdings in der durch Einsen ein- geführten Lichttherapie gezeitigt hat. Aschkinass und Caspari haben mit dem Micrococcus pro- digiosus, der sich zu solchen Beobachtungen be- sonders eignet, weil seine Entwicklung unter inten- siverRotfärbung vor sich geht, Untersuchungen ange- stellt und gefunden, daß die /:?- Strahlen keinen Einfluß auf den Bazillus ausüben, daß dagegen die «-.Strahlen seine Entwicklung zerstören. (Schluß folgt.) lOOO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 63 Die Elektrizität in der Medizin. Von Werner Otto, Ingenieur, Berlin. Keine physikalische Erscheinung findet in der ärztlichen Tätigkeit eine so mannigfaltige, auf die verschiedensten Gebiete sich erstreckende Anwen- dung wie die Elektrizität. In direkter Einwirkung als Heilmittel, als Quelle von Licht und Wärme, als Triebkraft der verschiedensten Apparate ist sie ein der ärztlichen Kunst unentbehrlicher Faktor geworden. Wo aber auch Elektrizität im Ge- brauch ist, die Technik erst hat sie mit Hilfe ihrer vielgestaltigen Apparate in das Gewand kleiden müssen, welches allein sie gebrauchsfähig macht. Wenn heute die Elektrizität im Dienste der Medizin so vielfachen Nutzen stiftet, so wird dies nicht zum wenigsten dem Techniker ver- dankt, der oft unter Überwindung großer Schwierig- keiten neue, für ganz spezielle Zwecke bestimmte Apparate zu konstruieren die Aufgabe hatte. Es sei mir daher gestattet, an dieser Stelle in einer kurzen Umschau die einzelnen Arten der Ver- wendung der Elektrizität in der Medizin zusammen- fassend zu schildern. Zunächst zu den Röntgenstrahlen (Fig. i). E.E.SBMITBä BERU«. Fig. I. Röntgeninstrumentarium mit Wodalimterbrccher. Der durch die Primärspule des Induktors ge- sandte, durch eine besondere Unterbrechungsvor- richtung unterbrochene elektrische Strom erzeugt in der Sekundärrolle den Induktionsstrom , der unter dem Einflüsse der Kraftlinien, welche von dem in die Primärspule eingeschobenen magnetisch werdenden Eisenkern ausgehen, hochgespannt wird. Der Sekundärstrom bekommt auf diese Weise Spannungsgrößen bis zu lOOOOO Volt und dar- über, so daß Prunken bis zu 70, 80 und mehr Zentimeter Länge erzielt werden. Dieser sekun- däre Strom wird durch die Röntgenröhre geleitet, in welcher er die Kathodenstrahlen erzeugt, die vom Spiegel der Antikathode reflektiert und als X-Strahlen ausgesandt werden. Neben dem Induktorium ist der Unterbrecher der wesentlichste Bestandteil einer Röntgenein- richtung. Es gibt verschiedene Systeme von Unter- brechern. Die elektrolytischen und die Queck- silberstrahl-Unterbrecher sind diejenigen, welche am meisten in Gebrauch sind. Unter den erst- genannten ist am bekanntesten der Wehneltunter- brecher, dem aber naturgemäß die den elektro- l)'tischen Unterbrechern insgesamt eigentümlichen Nachteile anhaften. Deswegen werden heute Queck- silberstrahl- Unterbrecher fast allein bevorzugt. Zu dieser Klasse von Unterbrechern gehört z. B. der Wodalunterbrecher. Der ausgezeichnete Wert der Röntgenstrahlen für die Diagnose zahlreicher Krankheiten sowie als Heilmittel für Hautkrankheiten ist jedermann bekannt. Mit dem Induktorium und dem Unterbrecher der Röntgeneinrichtung werden die Apparate für hochfrequente Ströme (Fig. 2), wie solche von den Franzosen Oudin und d'Arsonval konstruiert sind. Fig. 2. Apparate nach Oudin und d'Arsonval, zur Anwendung hochgespannter Wechselströme mit hoher Polwcchsclzahl. betrieben. Die auf sinnreiche Weise hervorge- brachten oszillatorischen Entladungen zweier Ley- dener Flaschen erzeugen in dem die Plaschen verbindenden Solenoid oszillierende Ströme von hoher Wechselzahl. Diese werden durch einen Re- sonator aufgenommen und weiter geleitet. Solchen ,, hochfrequenten" Strom läßt man direkt auf den Körper aus der Elektrode ausstrahlen und be- handelt mit ihm Nervenkrankheiten , Hautkrank- heiten etc. Ein außerordentlich weites Feld für die Anwen- dung der Elektrizität bietet die Lichttherapie. All- gemein bekannt ist dieFinsen-Lichtheilmethode, bei welcher große Bogenlampen von ca. So Ampere Stärke als Lichtquelle dienen. Die Lichtstrahlen werden durch etwa i Meter lange Tubusse mit verschiedenen , zum Teil wassergekühlten Linsen- systemen geleitet. Auf diesem Wege verlieren sie den größten Teil ihrer Wärmestrahlen und werden gleichzeitig konzentriert. Die P'insenapparate dienen der Behandlung des Lupus, der Hauttuberkulose. Sie haben den Nach- teil, daß sie in Anlage, Anschaffung und Betrieb N. F. m. Nr. 63 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. lOOI sehr teuer sind und daß sie für jede einzelne Be- handlung die Zeit von einer Stunde erfordern. Die Folge davon ist, daß für jede einzelne Sitzung eine beträchtliche Menge Strom verbraucht wird. Wegen ihrer Kostspieligkeit sind die grol.jen Finsen- lampen nur in einigen wenigen , hauptsächlich staatlichen Instituten in Betrieb. An Stelle der Finsenapparate wendet man heute die viel kleineren , außerordentlich viel billigeren und dabei sehr handlichen Eisenlichtlampen an, die nicht allein für die Behandlung des Lupus geeignet sind, sondern die auch bei den übrigen Hautkrankheiten erfolgreiche Verwendung finden. Diese Lampen sind der Dermoscheinwerfer, die Dermolampe und die Tripletlampe (Fig. 3 — 5). Fig- 3- Dermoscheinwerfer für Eisen- und Kohlenlicht. Zur B e li a n (1 1 u n 1 Fig. 4. Dermolampe. Tripletlampe. von II a u t k r a n k ii e i t e n. Wegen ihrer vielseitigen Verwendbarkeit sind diese Eisenlichtapparate in vielen Spezialanstalten in Gebrauch und auch bei zahlreichen praktischen Ärzten verbreitet; durch die wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Prof. Kromayer, Privat- dozent Dr. Scholtz und Dr. Breiger sind sie all- gemein eingeführt worden. Der Dermoscheinwerfer und die Tripletlampe sind auch für die Erzeugung von Kohlenlicht ein- gerichtet, welches so intensiv ist, daß es dasjenige der Finsenapparate noch erheblich übertrift't. Das Eisenlicht selbst besitzt einen großen Reichtum an ultravioletten Strahlen des Spektrums. Darauf gründet sich seine ausgeprägte Fähigkeit, Bak- terien zu töten, Entzündungen hervorzurufen und die Körperzelle direkt anzuregen. Diese Eigen- schaften sind die Grundbedingungen für alle der Lichtbehandlung von Hautkrankheiten dienenden Apparate. Die Dermolampe und die Tripletlampe besitzen einen wassergekühlten Mantel resp. Schutzscliirm und werden zwecks Konzentration der Lichtstrahlen mit besonderen Linsensystemen armiert. Viel gebraucht wird auch das Kohlenlicht des Fig. 6. Wechselstrom-Scheinwerfer für Kohlenlicht, mit schräg- stehenden Kohlen. Fig. 7. Elektrosole. gewöhnlichen Scheinwerfers (Fig. 6), der ebenso wie der Dermoscheinwerfer einen verstellbaren Reflektor zur Konzentration und Reflexion des Lichtes besitzt. Andere Apparate zur lokalen Behandlung, teils Licht-, teils Wärmebehandlung, sind die Elektro- sole (Fig. 7), muldenförmige, mit Glühlampen ver- schiedener Zahl ausgestattete, tragbare Apparate, die in erster Linie der Schweißerzeugung dienen und für die Behandlung einzelner Extremitäten wie des gesamten Körpers eingerichtet sind. Ferner der Doppel-Bestrahlungsapparat, bei dem zwei Re- flektoren mit je einer Glühlampe sich finden und der zur Behandlung besonders von Gelenken be- nutzt wird. Das Lichtbidet. Fig. 9. Elektrothermophor. Im Übrigen wäre noch das Lichtbidet (Fig. 8) zu erwähnen, welches eine Anzahl von (ilühlampen als Licht- und Wärmequelle besitzt, ferner auch die Handlampe nach Prof. Minin, die aus einem Metallreflektor, der von einem Handgriff getragen wird, und einer vor demselben stehenden Glüh- lampe besteht. Bemerkenswert sind auch die P^lektrothermo- phore (Fig. 9), die als Wärmflaschen dienen. Es sind zylindrische oder gewölbte Metallbehälter, in deren Innern eine Glühlampe angebracht ist, welche den Apparat außerordentlich schnell erwärmt. Die Elektrothermophore sind jederzeit gebrauchsfertig, sind sauber und bequem und schließen eine Ver- brennung vollständig aus. Der allgemeinen Lichtbehandlung dienen die Bogenlichtbäder (Fig. 10). 4 Difterentialbogen- lampen von je 10 Ampere Stärke sind in geräumigen, Fig. 10. Bogenlichtbad mit Schein- werfer. Kombiniertes Verfahren. Glühlichtbad. mit Tür und Deckel versehenen Badekästen an- gebracht. Ihr Licht wird in gleichmäßiger Ver- teilung auf den Körper des Badenden ausgestrahlt. Spezifische Lichtwirkung sowie allmähliche Tem- peratursteigerung sind hier die maßgebenden Heil- faktoren. Bogenlichtbäder eignen sich für die Be- handlung vieler Krankheiten , in erster Linie der Krankheiten der Nerven, des Blutes und des Stoffwechsels. I002 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 63 Bogenhchtbäder werden für gewöhnhch in Ver- bindung mit der Bestrahlung durch den Kohlen- lichtscheinwerfer gebraucht : Das kombinierte Ver- fahren. Dieses bietet den Vorzug einer noch erhöhten intensiven und durchgreifenden Behand- lung. Zu Schwitzzwecken werden Glühlichtbäder (Fig. 11) benutzt. 48 Glühlampen, jede von 16 Kerzen Stärke , sind in großen , mit Tür und Deckel versehenen Badekästen angebracht , welche mit weißen Reflexionswänden, am besten aus Porzellan bestehend, ausgestattet sind. Solche Glühlicht- schwitzbäder zeichnen sich dadurch aus, daß sie in jeder Weise sauber und auch schwachen Per- sonen ohne Schaden zugänglich sind. Für die direkte Anwendung des elektrischen Stromes auf den menschlichen Körper kommen verschiedene Formen in Betracht. Zur Behandlung des gesamten Körpers dienen die elektrischen Wasserbäder (Fig. 1 2). An den Wänden der Bade- Fig. 12. Wcchselslrombad auf Wagen, zur Behandlung von Herzkrankheiten. wanne werden großflächige Elektroden entweder fest angebracht oder je nach Bedarf lose aufgestellt. Stehen sie fest, so ist ihre Zahl so bemessen, daß für jeden besonderen Körperteil eine Elektrode vorhanden ist. Ein Badeumschalter gestattet dann durch beliebige Stöpselung seiner Segmente den Strom in jeder gewünschten Richtung zwischen den einzelnen Elektroden durch den Körper des Badenden hindurch kursieren zu lassen. Das Wasser des Bades dient als Leiter des von der Elektrode ausgehenden Stromes zum Körper. Verwendet werden galvanischer, faradischer und pulsierender Gleichstrom sowie die Wechselströme. Der dreiphasige Wechselstrom dient speziell zur Behandlung von Herzkrankheiten. Seine beste Wirkung entfaltet er in dem Dreizellenbade (Fig. 13), welches sich von den gewöhnlichen Wasserbädern mit dreiphasigem Wechselstom durch eine große Menge von Vorzügen wesentlich unterscheidet. Da der Körper hier die einzige Verbindung zwischen den Elektroden bildet, so muß der gesamte ver- wendete Strom durch den Körper des Badenden hindurchgehen , anders als beim Wechselstrom- wasserbade, wo das Wasser einen großen Teil des Stromes von Elektrode zu Elektrode direkt leitet. Das Dreizellenbad erspart daher ganz wesentlich an Strom und ist fein dosierbar. Es können mit diesem Apparate auch galvanische und faradische Bäder verabfolgt werden. Zur lokalen Applikation des galvanischen und faradischen Stromes dienen die bekannten Elektri- sierapparate (Fig. 14), bei denen kleinflächige Fig. 14. Anschlußtafel für galvanische und faradische Ströme. Elektroden in Platten-, Pilz-, Rollen- oder Bürsten- form den Strom direkt auf den Körper überleiten. Die einzelnen Apparate haben verschiedene Kon- struktion und benutzen Elemente verschiedenen Systems als Stromquelle, in jüngster Zeit vielfach Trockenelemente. Die statische Elektrizität wird mit der Influenz- maschine (Plg. 15) erzeugt, als deren bester Typ E.CSRNirAS. BESUM I V Wimshurst-Elektrisiermaschine, Fig. 13. Das Dreizellenbad, zur Applikation sinusoidalen dreiphasigen Wechselstromes. Fig. zur Behandlung von Nervenkrankheiten. allgemein die verbesserte sog. Wimshurstmaschine anerkannt ist. Das Prinzip derselben ist folgendes : 2 oder mehr in kurzem Abstände voneinander parallel gestellte Martgummischeiben, auf denen 2 Metallbürsten schleifen, mit radial angeordneten einvulkanisierten Metallstreifen, rotieren in um- gekehrter Richtung gegeneinander. Dadurch er- zeugt sich Influenzelektrizität, welche vermittels N. F. m. Nr. 63 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 1003 zweier die Platten umfassenden „Kämme" abge- nommen und zu 2 Konduktorkugeln geleitet wird, von wo sie in die Leitungsschnüre übergeht. Die Elektroden sind eigenartig geformt, wir finden eine Kopfglocke, eine Spitzenelektrode, eine Büschel- elektrode und eine Isolierplatte mit Schemel. Das Anwendungsgebiet für die statische Elek- trizität bilden die verschiedenen Arten der Nerven- krankheiten. Die Fähigkeit des galvanischen Stromes, in dem Körpergewebe, durch das er hindurchgeht, chemische Veränderungen hervorzubringen , be- nutzt man in der Elektrolyse. Als Elektroden finden wir hier blanke Metallplatten, Nadeln mit einer oder mehreren Spitzen und dgl. Sie werden direkt auf den Körper gesetzt resp. in die zu be- handelnde Partie eingestochen und je nach der beabsichtigten Wirkung mit dem positiven oder dem negativen Pole der Stromleitung verbunden. Da an der Anode sich Säuren bilden, so kann man mit der positiven Nadel die Gerinnung von Blut und Gewebsflüssigkeit befördern , an der Kathode hingegen, wo sich Basen bilden, kann man die Verflüssigung von Geschwülsten usw. er- zielen. In der Elektrokaustik dient der elektrische Strom • — galvanischer oder Wechselstrom — dazu, die aus Porzellan oder Piatina bestehenden kleinen Brenner verschiedener Form soweit zu erhitzen, bis sie in Rot- oder Weißglut geraten sind. In diesem Zustande werden mit ihnen dann kleine chirurgische Eingriffe wie die Entfernung kleiner Gewebsteile usw. vorgenommen. 13er für die Ausführung der Kaustik verwendete Strom muß eine hohe Amperestärke bei geringer Spannung besitzen. Die höhere Spannung des Starkstromes muß deshalb durch einen Neben- schlußwiderstand vermindert werden, was einen erheblichen Energieverlust zur Folge hat. Diesem Übelstande hilft der Kaustiktransformer (Fig. 16) ab, der den Widerstand in Fortfall bringt. Er ist Fig. 16. Transformer für Kaustik. SO eingerichtet, daß ein zu diesem Zwecke speziell konstruierter Unterbrecher den entnommenen Gleichstrom des Netzes von hoher Spannung und wenigen Ampere auf einen Strom von niedriger Spannung und hoher Amperezahl transformiert. Für die Apparate der Endoskopie benutzt man kleine Glühlämpchen, die in Mund, Nase, Rachen usw. eingeführt werden und dort das zu unter- suchende Gebiet beleuchten. Konstruktiv am eigen- artigsten sind die Cystoskope, die eine Besichtigung des Innern der Blase ermöglichen. Die Eigenschaft des elektrischen Stromes, einen Eisenkern magnetisch zu machen, wird in dem Apparate „Neuron" (Fig. 17) ausgenutzt, der für die Anwendung des wechselnden magnetischen Feldes bestimmt ist. Plin pLisenstab wird von einem Wechselstrom mit regulierbarer Periodenzahl um- flossen. Dadurch wird er magnetisch. In gleicher Fig. 17. Elektromagnet ,, Neuron", zur Behandlung von Nervenschmerzen und Schlaflosigkeit. Weise nun wie die Richtung des elektrischen Stromes wechselt, wechselt auch die Polarität des Magnetstabes, so daß die Enden desselben ab- wechselnd den magnetischen Nordpol und Südpol darstellen. Die zwischen den beiden Polen laufen- den magnetischen Kraftlinien sind außerordentlich stark, so daß noch in einer Entfernung von mehr als 3 m vom Apparat eine ausgesprochene Wirkung auf den Körper nachzuweisen ist. Die für die Erzeugung einer ausreichenden magnetischen Kraft erforderliche elektrische Energie beträgt bis zu 4 Kilowatt. Deshalb war der bei Benutzung von Gleichstrom erforderliche Gleich- strom -Wechselstrom - Umformer außerordentlich voluminös. Beim Neuron ist dieser Umformer durch einen von mir eigens zu diesem Zwecke konstruierten direkten Umformer ersetzt worden, der in bedeutend kleineren Dimensionen gehalten ist und sich in seiner Anschaffung erheblich billiger stellt. Das wechselnde Magnetfeld wird als Heilmittel bei nervösen Störungen benutzt. Der Neuron ge- stattet sowohl die Häufigkeit der einzelnen Pol- wechsel als auch die Intensität der magnetischen Kraftentfaltung nach Erfordernis zu dosieren. Bekannt ist die Anwendung des elektrischen Stromes als treibende Kraft für kleine Motore, die auch im ärztlichen Instrumentarium in verschie- dener Form im Gebrauch sind. Die Apparate für Vibrationsmassage (Fig. 18) werden fast ausnahmslos elektromotorisch getrieben. Der Motor versetzt eine biegsame Welle in Um- drehung, auf welche die Vibratoren, in Kugel- oder Kapselform und mit verschieden geformten An- sätzen, aufgesetzt werden. Der elektrische Betrieb bietet den besonderen Vorteil, daß die Massage stets gleichmäßig vor sich geht, sehr wenig An- I004 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 63 forderungen an die Geschicklichkeit und Kraft des Massierenden stellt und nach Bedürfnis schwächer oder stärker abgemessen werden kann. Einen Elektromotor benutzt man auch bei dem „Nebulor", einem Inhalationsapparate, der die In- halationsflüssigkeit in gasförmigen Zustand ver- setzt. Die dazu benötigte komprimierte Luft wird Vermittelseiner Luftpumpe, die von diesem Elektro- motor getrieben wird, in den Zylinder des „Nebulor" eingepumpt. Fig. 18. ,,Pulsator", Apparat für V'ibrationsmassage. Ich bin am Schlüsse meiner Umschau. Es sollte nicht meine Aufgabe sein, den einzelnen Apparat konstruktiv zu beschreiben, sondern es sollte in erster Linie illustriert werden, wie außer- ordentlich vielgestaltig die medizinische Verwen- dung der Elektrizität ist. Zugleich aber werden diese Zeilen gezeigt haben , wie eng die Be- ziehungen sind zwischen dem Techniker, der den Apparat konstruiert, und dem Arzte, der ihn in den Dienst seiner Wissenschaft stellt. Sie werden ferner gezeigt haben , wie zwischen beiden die Fäden hin- und herlaufen und wie auf beiden Seiten Anregungen zu neuem Schaffen gegeben und empfangen werden müssen, soll der einzelne Apparat seinen Zweck voll erfüllen. Es ist ohne weiteres zu verstehen, daß der vielbeschäftigte Arzt nur selten Zeit gewinnt, das weitere Gebiet, welches ich im vorstehenden ge- schildert habe, ohne besondere Anleitung be- herrschen zu lernen. Deshalb verdient hier er- wähnt zu werden, daß die Elektrizitätsgesellschaft „Sanitas" zu Berlin, die sich speziell der Fabrikation elektromedizinischer Apparate widmet, besondere von einem Ingenieur geleitete Spezialkurse ein- gerichtet hat , in denen Arzte in allen für die Medizin wichtigen Anwendungsformen der Elek- trizität durch Theorie und praktische Übung unter- wiesen werden. Auf diese Weise wird der Arzt mit den Eigenschaften und der Hantierung der Apparate am besten vertraut und die Folge da- von ist, daß er sich den elektrischen Behandlungs- methoden immer mehr zuwendet, was wiederum für die elektrotechnische Industrie selbst von Nutzen ist. Kleinere Mitteilungen. Untersuchungen von H. R ö 1.3 i g ') beschäftigen sich mit der Frage , von welchen Organen der Gallwespenlarven der Reiz zur Bildung der Pflanzengalle ausgehe. Die bisherigen Unter- suchungen hatten mit Sicherheit dargetan, daß der Stich der Gallwespe in keiner Weise mit dem Zustandekommen der Galle etwas zu tun habe, daß vielmehr das beim Einstechen in den Stich- kanal ausfließende Sekret nur den Zweck habe, die Plier, bzw. den Eistiel mit dem Pflanzengewebe zu verkleben, oder auch den Stichkanal zu ver- schließen. Weiter hatte man dann gefunden, daß die Bildung der Galle mit irgend einer Tätigkeit der sich entwickelnden Larve zusammenhänge, und zwar nahm Adler an, daß das mechanische Be- nagen des Pflanzengewebes durch die Kiefer der Larve als auslösender Reiz betrachtet werden müsse, wogegen Beyerinck die Gallwirkung auf eine von der Larve abgesonderte flüssige Substanz, welche das umgebende Pflanzengewebe durchsetzt, zurückführte. Hier setzen die Untersuchungen Rößig's an. Er fand, daß Galle und Larve ein sehr ungleich- mäßiges WacJistum im Verhältnis zueinander zeigen , indem die Hauptwachstumsperiode der Larve derjenigen der Galle erst nachfolgt. So ') Zoolog. Jahrb. Abt. für System, usw. 20. Bd. 1904. war z. B. die Mitte Juni auf der Blattunterseite erscheinende Galle von Dryophanta divisa gegen Ende Juli völlig ausgewachsen, wogegen die junge Larve in dieser ganzen Zeit nur von 500 /< auf 800 ,(( Länge heranwuchs. Dann aber setzte hier eine starke Gröl.jenzunahme ein, und Mitte .August maß die Larve bereits 3 — 4 mm , d. h. die Larve war jetzt in 14 Tagen über 2 mm gewachsen, während sie in den ersten 6 Wochen nur um 300 1.1 zugenommen hatte. Verf. glaubt dies da- durch erklären zu können, daß in der ersten Zeit der größte Teil der aufgenominenen Nahrung nicht zum Aufbau des Larvenkörpers benutzt, sondern durch die Körperorgane in eine flüssige Substanz umgewandelt wird, welche das zur Bildung der Galle notwendige Sekret liefert. Erst wenn dann die Galle ihre normale Größe erreicht hat, be- ginnt die Larve die nun reichlich vorhandene Nahrung zu assimilieren und wächst auf diese Weise unter beträchtlicher Zunahme des Fett- gewebes schnell heran. Verf. bekennt sich also durcliaus zu der von Beyerinck vertretenen Ansicht, und es würde sich nun weiter fragen, von welchen Organen die Bildung jenes Reiz- sekretes ausgehe. Besondere Organe im Inneren des Körpers fanden sich nicht vor, auch Haut- drüsen in Form umgewandelter Hypodermiszellen waren nicht zu entdecken, es blieb also nur übrig anzunehmen , daß Drüsenorgane von sonst ab- weichender Funktion eine Rolle bei der Bildung N. F. m. Nr. 63 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 1005 des Sekretes spielen müßten. ."^Is solche Drüsen- organe kamen nur Speicheldrüsen und Malpighi- sche Gefäße in Betracht. Die paarweise vor- handenen Speicheldrüsen stellen kleine, rundliche, von großen Drüsenzellen ausgekleidete Säckchen dar, von denen jedes zwar einen besonderen Aus- führgang besitzt, die aber schließlich durch ein kurzes gemeinsames Endstück ausmünden. Aus einer Reihe von Gründen glaubt Verf., diese Or- gane für die vorliegende Frage gänzlich ausschalten zu können. So beginnt beispielsweise die Gallen- bildung schon dann, wenn die Larve noch in der Eihaut eingeschlossen ist und ihre Speicheldrüsen noch gar nicht funktionieren, weiter besitzen die Speicheldrüsen überhaupt bei den gallenbildenden Gallwespen nur eine geringe Entwicklung, wo- gegen sie bei den schmarotzenden Formen sehr stark ausgebildet sind. Es blieben somit nur noch die Malpighi'schen Gefäße übrig. Es sind deren zwei vorhanden, die im Vergleich mit der kleinen Larve eine ganz gewaltige Ausdehnung besitzen. Sie bestehen aus großen Drüsenzellen und münden in den Enddarm, welcher, da der Mitteldarm auf diesen Stadien noch nicht durchgebrochen ist, im wesentlichen als Ausführgang der Drüsen funk- tioniert. Sie hält Verf für die eigentlichen Ab- scheidungsorgane des Gallensekretes, da sie schon frühzeitig eine lebhafte , sezernierende Tätigkeit aufweisen, und sie zugleich eine beträchtliche Größe besitzen. Die Verschiedenheit ihres morphologischen Baues könnte vielleicht die Verschiedenheit der Gallen, wie sie von mannigfachster Art durch die einzelnen Formen an ein und derselben Pflanze hervorgerufen werden, erklären. Auch die sehr mächtig entwickelten Oenocyten , eigentümliche, frei in der Leibeshöhle gelegene und gewöhnlich dem Fettkörper zugerechnete Gewebselemente, scheinen in hohem Maße an diesen Vorgängen beteiligt zu sein, insofern sie durch Einwirken auf die Blutflüssigkeit den Malpighi'schen Gefäßen vor- arbeiten. Indessen handelt es sich hier überall nur um Wahrscheinlichkeiten, ein scharfer Nach- weis der eigentlichen Abscheidungsorgane des Gallensekretes ist zurzeit kaum zu erbringen. J. Meisenheimer. Zur Kenntnis der Apogamie in der Gattung Hieracium bietet C. H. Ostenfeld in den Ber. d. Dtsch. Bot. Ges. (Bd. 22, 1904, S. 374—381) eine Untersuchung. — Unter Apogamie ver- steht man die Erscheinung, daß an die Stelle sexueller Fortpflanzung die ungeschlechtliche Ver- mehrung tritt. Dies kann in sehr verschiedener Weise geschehen, z. B. dadurch, daß Eizellen, die unter normalen Verhältnissen der Befruchtung durch den Pollen bedürfen, auch ohne eine solche zur Bildung des Embryos schreiten. Eine solche parthenogenetische Vermehrung war bei Taraxac u m- Arten bekannt, bei denen Keimentwicklung ohne vorherige Befruchtung be- obachtet worden war. Dieselbe Entdeckung machte Verf. an Hi eraci um- Arten , und es gelang ihm, auf experimentellem Wege den Be- weis für die Richtigkeit seiner Beobachtung zu erbringen. Er fand nämlich, daß, wenn er Exem- plare von 22 zu den Untergattungen Pilosella und Archieracium gehörigen Arten „kastrierte", d. h. sie durch Abschneiden der Antheren, Griffel und Narben beraubte, alle trotz der Kastration, und ohne daß etwa vor dieser eine Bestäubung erfolgt gewesen wäre, reichlich Früchte entwickelten, die vollkommen normal gebildet waren und gut aus- keimten. Verf. zieht aus seinen Versuchen den Schluß, ,,d aß wahrscheinlich alle Pilosellen und Archieracien ohne Befruchtung Früchte entwickeln können." Se. Friedr. Weber 's Arbeit „Über den Kali- syenit des Piz Giuf und Umgebung (östliches Aarmassiv) und seine Ganggefolgschaft" (Beitr. zur Geol. Karte der Schweiz N. F. 14. Lief.) bietet eine Fülle wertvoller Mitteilungen über die Geo- logie eines kristallinen Zentralmassivs der Schweizer Alpen. Das vom Verfasser untersuchte Gebiet liegt im östlichen Teile des Aarmassivs, jenes ge- waltigen Zuges kristalliner Gesteine, der sich vom Lötschental im Westen mit ostnordöstlichem Streichen, parallel mit dem Gotthardmassiv, auf eine Länge von 110 km bis in die Tödigruppe erstreckt. Der Piz Giuf erhebt sich südlich vom Bristenstock, jenem Berge, der dem Besucher des Vierwaldstättersees als majestätischer Abschluß der Landschaft im Hintergrunde des Reußtales wohl bekannt ist. Wo der Piz Giuf und seine Nachbarberge den Grenz- kamm zwischen den Kantonen Uri und Graubünden bilden, tritt in den granitischen Gesteinen des Aar- massivs eine etwa 1 3 km lange, schmale Linse eines syenitischen Gesteins auf Die großen Feld- spattafeln , die mehr oder weniger parallel in grünlich-grauer Hornblende und Glimmer liegen, verleihen ihm ein porphyrartiges Aussehen, ohne daß aber eine porphyrische Struktur mit einem Gegensatz zwischen Einsprengungen und Grund- masse vorhanden ist. Die dunklen Gemengteile sind gemeine grüne Hornblende und grüner Biotit, der sich aus jener, namentlich dort, wo der Syenit durch Druck geschiefert ist, entwickelt. Die großen Feldspate sind Mikroklinmikroperthit, die übrigen teils solcher, teils Orthoklas und Oligoklas. Quarz ist nur spärlich vorhanden. Als Übergemengteile erscheinen Orthit, Titanit, Apatit und Zirkon. Die chemische Analyse ergibt einen Kieselsäuregehalt von 59,58 "/q. Das Gestein gehört zu denjenigen Syeniten, die man nach einem charakteristischen Vorkommnis bei Dresden als ,, Typus Plauenscher Grund" bezeichnet hat. Verfasser nennt es Kali- syenit im Gegensatz zu den einer anderen Tiefen- gesteinsfamilie angehörenden Natron- (Nephelin-, Eläolith- ^Syeniten. Wenn auch gelegentlich rein granitisch-körnige Abarten auftreten, so herrscht doch im wesent- lichen die Paralleltextur durch das ganze Gestein, ioo6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 63 Diese kann nicht als Wirkung des gebirgsbilden- den Druckes auf das bereits verfestigte Gestein aufgefaßt werden ; denn sonst müßten die ein- zelnen Gemengteile unter dem Mikroskop viel stärkere Spuren der Zertrümmerung zeigen, als sie es in Wirklichkeit tun. Man kann sich nicht vorstellen, daß die großen Feldspate hätten gedreht und gewendet werden können, ohne starke Deformationen zu erleiden. Hier müssen Vorgänge auf das noch nicht erstarrte Magma gewirkt haben. Man hat sich darüber verschiedene Vorstellungen gebildet : Entweder erstarrte die glutflüssige Masse unter einem starken seitlichen Druck, der die Feld- spattafeln in eine bestimmte Stellung brachte. Oder es handelt sich um Fluktuationen des zäh- flüssigen Magmas. Dies letztere kann man sich auch nicht so recht vorstellen. Es bleibt dann noch die Erklärung, daß die Wände des den erup- tiven Herd umgebenden Gesteins einen orientieren- den Einfluß auf die in ihrer Nähe sich ausscheiden- den Feldspatkristalle hatten und daß dieser Ein- fluß sich dann von den entstehenden Kristallen aus immer weiter in die Tiefe fortpflanzte. Me- chanische Deformationen haben dann einmal die zuerst ausgeschiedenen Mineralien bei der folgen- den Bildung der übrigen erlitten, sodann ist aber der Giufsyenit zweifellos als fertiges Gestein noch starken Druckwirkungen ausgesetzt gewesen, welche nicht allein mechanisch, sondern in tieferem Niveau durch die zirkulierenden erhitzten Wässer auch chemisch tätig waren. Hierbei findet oft eine weitgehende Umkristallisation und Neubildung von Mineralien statt. Aus den Feldspäten stammt Sericit, aus der Hornblende Epidot. Diese beiden umflasern Linsen von Quarz und Feldspat und es entstehen jene für die Alpen so charakteristischen Gesteine, die man Augengneiße, oder, wenn weniger stark geschiefert, Protogine nennt. Als getreue Vasallen folgen emporgedrungenen Tiefengesteinen die stofflich mit ihnen nahe ver- wandten Ganggesteine, die sich in Klüfte und Spalten des erstarrten Gesteins ihren Weg bahnen. Auch im Syenit des Giuf sind sie weit verbreitet. Wie immer treten solche auf, die saurer und solche, die basischer sind als das Tiefengestein, dessen Gefolgschaft sie bilden. Die letzteren sind durch Spessartite und Kersantite vertreten. Ihre Gänge sind von verschiedenster Mächtigkeit und setzen meist saiger und mit ziemlich geradlinigen Grenzen durch den Syenit. Bei den Spessartiten liegen in einer grünlich-grauen, mit dem bloßen Auge unentwirrbaren Grundmasse von Feldspat, Quarz, Titanit und Hornblende, schwarze Horn- blendenadeln ; treten auch noch Feldspateinspreng- linge auf, so vollziehen sich Übergänge zu Diorit- porphyriten. Die Kersantite bestehen vorwiegend aus Plagioklas und Glimmer. Diese basischen oder, wie man sie ihrer dunklen Farbe wegen auch nennt, „melanokraten" Gang- gesteine sind meist sehr stark zersetzt. Daher ist ihre wahre Natur den früheren Beobachtern ent- gangen, und man hat sie „Chloritgneiß", „Chlorit- schiefer", ,, Glimmerschiefergänge" usw. genannt, ohne eine Erklärung für ihre Entstehung geben zu können. (Aus diesem einen Beispiel ist schon aufs deutlichste zu ersehen, wie wenig die älteren Arbeiten über die Zentralmassive dem heutigen Standpunkt der Wissenschaft entsprechen.) Wie in einem erstarrenden Magma zuerst die kieselsäurefreien, dann die kieselsäurearmen Mine- ralien auskristallisieren und in dieser Ausscheidungs- reihenfolge die reine Kieselsäure den Beschluß macht, so sind auch im Giufgebiet die basischen Ganggesteine im großen und ganzen früher empor- gedrungen als die ihnen entsprechenden sauren, ,,leukokraten". (Anderswo liegen diese Verhältnisse oft umgekehrt.) Diese Granitporphyre und Aplite hat man schon lange als solche erkannt. Besonders die letzteren sind ungemein häufig und heben sich mit ihrer hellen Farbe schon auf weite Entfernung deutlich von dem dunklen Syenit ab. Ihre Gänge verlaufen in allen Richtungen, saiger und schräg, sind oft gewunden und verzweigen sich, was die Kersantite und Spessartite niemals tun. Die Periode der Aplitinjektion muß ziemlich lange Zeiträume in Anspruch genommen haben ; denn manche Vor- kommnisse scheinen nicht älter als die letzte Ge- birgsbildung in jenen Gegenden — und das wäre die tertiäre — zu sein. Dabei muß der Aplit z. T. in die noch nicht ganz verfestigten Spessar- tite etc. eingedrungen sein; denn manchmal liegen abgeschnürte Partien von ihm gekrümmt und ver- dreht mitten in dem melanokraten Gestein, so daß es fast aussieht, als lägen Einschlüsse eines älteren Aplits in jüngerem Spessartit vor, was aber keineswegs der Fall ist. Was die chemischen Verhältnisse anbelangt, so haben die leukokraten Ganggesteine des Ge- bietes granitischen, die melanokraten diorltischen Charakter. Die Aplite und Spessartite einerseits und die Granitporphyre und Kersantite anderer- seits ergänzen sich — wir können diese chemischen Verhältnisse hier nur kurz skizzieren — zu einem intermediären Magma, das etwa die stoffliche Be- schaffenheit eines Quarzsyenits haben würde. Als Differentiationsprodukte dieses in bezug auf Acidi- tät und das Verhältnis der Basen intermediären Stammmagmas muß man die Ganggesteine des Giufgebietes auffassen. Auch der Syenit selbst ist eine Differentiation dieses Stammmagmas, aus dem man sich alle Intrusivgesteine des Aarmassivs durch Dififerentationsprozesse hervorgegangen denken muß. Da Schollen des Giufsyenits sich als Ein- schlüsse in den nördlich auftretenden sauren Gra- niten finden, so ist der Syenit als das erste Pro- dukt der successiven Intrusionsreihe aufzufassen. Dann folgten die sauren Granite und zuletzt die Gangnachschübe, in denen sich, wie wir oben gesehen haben, auch noch eine Altersfolge fest- stellen läßt. Diejenigen Gesteine in welche diese Eruptiv- massen eindrangen und in denen sie unterirdisch erstarrten, sind uns in Form von Einlagerungen in der Syenitzone und an ihrem Rand erhalten. N. F. m. Nr. 63 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Es sind aus sandsteinartigen Gesteinen durch den Kontakt mit dem Magma hervorgegangene Biotit- gneiße, aus mergelig-sandigen Substraten entstan- dene Muscovit-Biotitgneiße, Amphibolite, Chlorit- gneiße und Kalksilikatfels, die teils als einge- quetschte Mulden, teils als eingeschlossene Schollen auftreten. Um das Alter der Intrusionen zu kennen, müßte man wissen, welcher Formation diese kristal- linen Schiefer angehören. Leider läßt sich dar- über nichts Gewisses sagen. Nach Analogie der ähnlich struierten Gebiete, wie des Mont Blanc- massivs oder mancher Teile der Ostalpen, und be- sonders in der Erwägung, daß der bekannte Quarz- porphyrerguß des Windgällengebietes , der dem jüngeren Paläozoikum angehört, zweifellos mit den aarmassivischen Intrusionen zusammenhängt, ent- wirft Weber folgende Skizze von der Geschichte dieses Zentralmassivs : Durch den Druck einer präkarbonischen Faltung wurde eine quarzsyenitische Magmamasse in die durch Abstau entstehenden Hohlräume der sich wölbenden Antiklimalen hineingepreßt, wobei eine Differenzierung in saurere und basischere Partien eintrat. Die karbonische Faltung brachte sodann Nachschübe, namentlich von sauren Graniten, die wie die ersten Intrusionen unter fortdauerndem Tangentialdruck erstarrten. In Kontraktionsklüften und Dislokationsspalten folgten dann die Granit- porphyre und Kersantite, einzeln auch Dioritpor- phyrite und Aplite und endlich als letzter und am weitesten differenzierter Rest des Stammmagmas die Spessartite und Aplite. Die tertiäre Haupt- faltung hat dann die mechanischen Erscheinungen, die oben beschrieben sind, die Druckklüftung und Druckschieferung, hervorgebracht. Diese letzteren Erscheinungen derselben Periode wie die Aus- bildung der Paralleltextur, mit anderen Worten die Intrusion der Eruptiva und die Herausbildung all ihrer Eigenschaften, mit denen sie uns jetzt entgegentreten, einer F"altungsperiode — und dies könnte dann nur die tertiäre sein — zuzuschreiben (wie das in neuerer Zeit geschehen), ist durchaus nicht angängig. Das Syenitgebiet des Piz Giuf ist nicht das einzige seiner Art. Östlich .im Puntaiglas- und westlich im Grimselgebiet treten ähnliche Gesteine ini Aarmassiv auf und der Verfasser verspricht, seine Untersuchungen noch weiter auszudehnen. — Wir dürfen nicht unterlassen schließlich noch zu erwähnen, daß die Arbeit auch ein ungemein reiches petrographisches Detail enthält und daß sich darin viele wertvolle und neue Beobachtungen finden. Dr. Otto Wilckens. Bücherbesprechungen. 1007 Dr. Richard Linde, Die Lüneburger Heide. Mit in Abb. nach photogr. Aufn. des Verf. und einer farbigen Karte. (Land und Leute. Mono- graphien zur Erdkunde. In Verbindung mit her- vorrag. Fachgelehrten herausgegeb. von A. Scobel. XVIII. Bd.) Bielefeld und Leipzig (Velhagen & Klasing) 1904. — Preis geb. 4 Mk. Die Landschaften unserer Heimat Norddeutsch- land in ihren Eigenarten kennen zu lehren, ist die schöne Aufgabe der iMonographien , zu denen die vodiegende gehört. Die Lüneburger Heide kennt jeder dem Namen nach: wer aber weiß Näheres über diese reizvolle Landschaft, deren Be- reisung um ihrer selbst willen leider noch zu den Seltenheiten gehört. Das Linde'sche Buch ist treflf- lich geeignet das Charakteristische der Lüneburger Heide vorzuführen und die guten Abbildungen unter- stützen den Text auf das Vorteilhafteste. Daß eine gute geographische Karte beigegeben ist, erhöht die Brauchbarkeit, so daß auch für den Reisenden aus dem Buch ein guter Führer wird. Hervorzuheben ist, daß dort, wo der Verfasser auf Naturhistorisches eingeht, sich ein Verständnis desselben auch auf diesem Gebiet kundtut. J. Perrin, Traite de chimie physique. — Les Principes. Paris, Gauthier-Villars. 1903. 299 pages. — Prix 10 Frcs. Das Buch stellt den in sich abgeschlossenen, ersten Band eines größeren Lehrbuchs der physikalischen Chemie dar ; es werden in demselben die allgemeinen Prinzipien, welche dieser Wissenschaft zugrunde liegen, in möglichst scharfer Fassung formuliert und diskutiert. Dabei wird durchaus auf die Zuhilfenahme von Molekular-Hyi)othesen verzichtet, ohne daß Verf. diesen ihren Wert absprechen möchte, wie er in der von philosophischem Geiste durchwehten, sehr lesens- werten Einleitung hervorhebt. Inhaltlich ist der Band in neun Kapitel gegliedert, die der Reihe nach überschrieben sind: La notion de force, Les facteurs d'action, Le principe dequivalence et la notion dener- gie, Röle des facteurs d'action dans la production de changements, Le principe d'evolution (Entropie!), Les caracteres de l'equilibre stable , Corps purs et lois des combinaisons , Le potentiel chimique, La r^gle des phases. Naturgemäß mußte die Behandlung die- ser Gesetze und Erscheinungsgruppen etwas abstrakt ausfallen, doch hebt Verf. in der Einleitung selbst hervor, daß sich dies bei den folgenden, spezielleren Bänden ganz und gar ändern wird. Kbr. Literatur. Aus dem wissenschaftlichen Leben, Am 10. Nov. starb in iJresden im .Mter von 69 Jahren der Geologe und Forschungsreisende Alfons Stübel, auf dessen sehr beachtenswerte vulkanologische Studien in dieser Zeitschrift wiederholt hingewiesen worden ist. Schmidt, Priv.-Doz. Dr. Jul.: Die Chemie des Pyrrols und seiner Derivate. (XII, 305 S.) Lex. 8°. Stuttgart '04, F Enke. — 10 Mk. Briefkasten. Herrn A. U. in Plauen i. Vogtl. — Frage: Welches Werk behandelt Anguillula aceii ausführlich? — Eine austührliche Behandlung finden Sie in W. Henneberg, Zur Biologie des Essigaales (Anguillula aceti Müll.), Berlin (Gebr. ioo8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 63 Unger) 1900, 102 S. mit 10 Fig. (Deutsch. Essigind. Instit. f. Gärungsgewerbe 1899 Nr. 45 — 52 und igoo Nr. 1 — 5). Außerdem ist zu nennen P. P a 1 1 e c ch i , Sulla resistenza vitale deir Anguillula dell' aceto, in: Boll. Musei Zool. Anat. comp. Genova, 1S93, Nr. 17, 1 2 S. Dahl. Herrn Dr. S. in Hamburg. — Frage: Gibt es für die Zoologie einLehrbuch, das dieBiologie im engern Sinne (Ökologie) in ähnlicher Weise und ungefähr in dem- selben Umfange behandelt, wie es Wiesner 's ,, Biologie der Pflanzen" auf dem Gebiete der Botanik tut? — Ein Buch der genannten Art ist mir in der deutschen und auch in der aus- ländischen Literatur nicht bekannt. Am nächsten kommt ihm vielleicht M. Verworn, Allgemeine Physiologie, Jena. Vierte Auflage. 1903. Mit 300 Abbildungen. 6^2 S. Preis: 15 Mk., halbfr. geb. 17 Mk. ' Dahl. Herrn Dr. G. in Dieraeringen. — Frage: Ist die in Schwalbennestern (Fenster- oder Edelschwalbe) vorkommende Wanze mit der hauptsächlich in Städten vorkommenden Bett- wanze identisch? — Die Sc h wa Ib en wanze ist äußerlich der Bettwanze ziemlich ähnlich und wurde bis in die letzten Dezennien des vorigen Jahrhunderts vielfach mit ihr zusammen- geworfen. Eine scharfe Unterscheidung der vier häutigeren europäischen Arten der Gattung Acanihia (Cimex), der Bettwanze A. lectularia L., der bei Tauben und Hühnern vor- kommenden A. columbaria, der bei Fledermäusen vorkommen- den A. pipistrcUi und der in Schwalbennestern lebenden A. hirundinis gab zum ersten Male L. J e n y n s (Ann. and Mag. of nat. History, Vol. 3 p. 243 ff. PI. 5) im Jahre 1839. Da die Schwalbenwanze sich sehr erheblich von den anderen Arten unterscheidet, — leicht erkennbar ist sie besonders an den kurzen, dicken Fühlern — , wurde sie 1873 ^°" C. Stäl als Vertreter einer besonderen Gattung Oeciacus abgetrennt (Kongl. Sv. Vet. Akademiens Handlingar Bd. 2 Nr. 2 p. 103-104). Außer den genannten vier Arten ist aus Europa nur noch eine weitere Art A. improvisa Reuter bekannt geworden (vgl. L. Lethierry et G. Severin, Catalogue general des Hemipteres, T. 3 p. 235 — 236, Berlin 18961. Dahl. Sandes. In Meyer's Konversationsle.xikon finden Sie unter ,, Blitzröhren" nähere Angaben über diese Gebilde, die natür- lich mit den sog. Donnerkeilen, d. h. Überresten der zu den Kopffüßlern gehörenden Belemniten der Kreidezeit nicht das mindeste zu tun haben, wenn auch die Volksphantasie diese Petrefakten mit dem die Ägis schüttelnden Donnergotte in Beziehung gebracht hat. Kbr. Herrn Dr. W. W. in Fr. — Von den in Deutschland lebenden Süßwasserschwanimarten gehen alle bis auf eine im Herbst unter Bildung von VVinterkeimen (Gemmulae) ein ; nur Ephydatia fluviatilis perenniert. Zurzeit können also nur von dieser Art Exemplare (sowohl grüne wie chlorophyllfreie) beschafft werden. Zum Zweck wissenschaftlicher Untersuchun- gen bin ich bereit, solche zu besorgen. D. W. Weltner, Berlin N. 4, Invalidenstr. 43. Herrn Dr. Th. Seh. in Ludwigsburg. — Die neuesten mir bekannten Nachrichten über Perlenfischerei gaben Stadler, Perlfischerei in Bayern. In: Allg. Fischerei- Zeitschr. 1898, vol. 23, p. 77. Diquet, La culture de I'huitre perliere et la formation de la perle. In: Revue scient. Paris Xll, 1899, p- 494 (hauptsächlich die marinen Perlen). Wichtiger ist die in Nordamerika in großem Maßstab be- triebene Fischerei der dickschaligen L'nioniden behufs Fabri- kation von Knöpfen u. dgl. aus der Perlmutter. Schwanheim (Main). Dr. W. Kobelt. Herrn Dr. H. T. in Leipzig. — Frage : Wie läßt es sich experimentell beweisen, daß Eiweißstoffe einen Haupt- bestandteil der Muskeln bilden und welche weiteren Bestandteile kommen im Fleische vor? — Die Antwort auf Ihre Frage finden Sie in den Lehrbüchern , welche die physiologische Chemie behandeln, z. B. in E. Salkowski, Praktikum der physiologischen und pathologischen Chemie nebst einer Anleitung zur anorganischen Analyse für Mediziner 2. Aufl. Berlin 1900, Preis ge^. 8Mk. Auf S. 97 dieses Buches heißt es: ICO g feingehacktes Fleisch übergießt man mit 300 ccm Wasser, rührt gut durch, läßt I — 2 -Stunden stehen, gießt die Mischung durch ein Leinwandhltcr und preßt mit der Hand nach. Zur Klärung wird durch Papier filtriert. Eine Probe des Filtrats erhitzt man langsam mit eingesetztem Thermometer in einem Reagensglase, das man in ein halb mit Wasser gefülltes, auf einem Drahtnetz über derP'lamme stehendes größeres Becherglas taucht und rührt, um die Temperatur gleichmäßig zu ver- teilen, mit einem an seinem unteren Ende mit Gummischlauch überzogenen Glasstab häufig um. Schon bei mäßiger Tem- peraturerhöhung, meistens bei 55 — 56", tritt Gerinnung ein, das Filtrat vom Coagulum zeigt erneute Gerinnung etwa bei 65°, das Filtrat davon ungefähr bei 75° (lösliche Eiweiß- körper). — Der im Wasser nicht gelöste Rückstand des Fleisches wird mit I5°/»'g^'' Lösung von Chlorammonium zum dünnen Brei angerührt und nach 24 Stunden filtriert. Tropft man das Filtrat* in ein zu 73 ">'' Wasser gefülltes Reagensglas , so scheidet sich Myosin, ein in Wasser unlös- licher Eiweißkörper, in stark gequollenem Zustande aus. — Die quantitative Bestimmung anderer Bestandteile des Fleisches, der Wassermenge, des Aschengehaltes, des Fettes, des Phos- phors und des Schwefels finden Sie auf S. 272 — 274 des ge- nannten Buches. Als ausführlichere Lehrbücher der physio- logischen Chemie nenne ich noch F. Hoppe-Seyler, Hand- buch der physiologisch- und pathologisch-chemischen Analyse, 6. Aufl., Berlin 1893, Preis 14 Mk. und O. Hammarsten, Lehrbuch der physiologischen Chemie, 5. Aufl., Wiesbaden 1904, Preis 17 Mk. , als umfangreicheres Werk über den Gegenstand, F. Hoppe-Seyler, Physiologische Chemie, 4 Bde., Berlin 1876—81, Preis 24,50 Mk. und als kleinen Leitfaden Fr. N. Schulz, Praktikum der physiologischen Chemie, 2. Aufl., Jena 1904, Preis 2 Mk. Dahl. Inhalt! A. Becker: Unsere gegenwärtigen Kenntnisse über Radioaktivität. — Werner Otto: Die Elektrizität in der Medizin. — Kleinere Mitteilungen: H. Rößig: Bildung der Pflanzengallen. — C. H. Ostenfeld: Zur Kenntnis der Apogamie in der Gattung Hieracium. — Friedr. Weber: Über den Kalisyenit des Piz Giuf und Umgebung (öst- liches Aarmassiv) und seine Ganggefolgschaft. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Bücherbesprechungen: Dr. Richard Linde: Die Lüneburger Heide. — J. Perrin: Traite de chimie physique. — Literatur: Liste. — Briefkasten, Herrn M. L. in Halle a. S. — Frage: Welche tieri- schen Schmarotzer des Menschen sind bisher be- kannt? — Eine Aufzählung der sämtlichen Schmarotzer des Menschen würde viel Raum einnehmen, Ihnen aber und ande- ren Lesern ohne Diagnosen und Abbildungen wahrscheinlich wenig nützen. Ich verweise Sie deshalb auf die in Nr. 56 S. 896 der Naturwiss. Wochenschrift genannten Werke von Leuckart und Braun. Eine Ergänzung der neuesten Forschungsresultate auf dem Gebiete finden Sie in E. Peiper, Tierische Parasiten, 2. Aufl., 376 S. mit 162 Holzschn. Wien 1904. Dahl. Herrn H. S. in Schwedt a. O. — Literatur über das Sehorgan der Fische finden Sie in der Naturw. Wochenschr. Nr. 55 S. 880. ■ Dahl. Herrn Lehrer S. in Hötensleben. — Schlangeneier sind nicht leicht zu bestimmen, namentlich nicht nach kurzen Angaben, die nichts Näheres über die Herkunft ent- halten. Oft findet man weit entwickelte Embryonen im Innern, in diesem Falle ist die Bestimmung leichter. Ich empfehle Ihnen, sich an einen speziellen Kenner der Gruppe, etwa an Herrn Prof. Dr. Tornier am Zool. Museum in Berlin oder an Herrn Dr. F. Werner am Hofmuseum in Wien zu wenden. Dahl. Herrn M. Z. in Neu-Ruppin. — Zweifellos handelt es sich an der betr. Stelle von Darwin's Reisetagebuch um Blitzröhren, d. h. durch den Blitz erzeugte Verglasungen des Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Bucbdr.), Natunburg a. S. Einschliefslich der Zeitschrift „DlC NatUT" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion : Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Heue Folge 111. Band; der ganzen Reibe XIX. Band. Sonntag, den 18. Dezember 1904. Nr. 64. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender R.-ibatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Goblis, Blumenstraße 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagshandlung erbeten. Konchyliometrie. Die Konchyliometrie ist ein Grenzgebiet zwischen Zoologie und Mathematik, welches die Aufgabe hat, die Windungsgesetze der Konchj-hen zu er- mitteln. — Reinecke (i) ') sprach 181S zuerst den Gedanken aus, daß es mögüch sein müsse, die Windungsspirale der Schneckengehäuse geometrisch zu konstruieren. Er sagt von der Apertur oder dem Querschnitt der Windungen : „in eius forma, quae canalis in spiram con- voluti formam et proportiones simul subministrat, totius testae forma quodammodo data est. Restaret solum scire, quota cuiusque anfractus pars sequenti inclusa sit, ut testam geometrice construere possi- mus." (l, pag. 17.) Um das Bildungsgesetz einer Schneckenschale mathematisch zu formulieren, bedurfte es danach nur einer metrischen Bestimmung des Vergröße- rungsverhältnisses des Windungsquerschnittes. Diese führte zuerst Moseley (2) 1838 aus und fand die logarithmische Spirale r ^= a-e (I) Von Kurt Hucke. als geometrische Form der Windungskurve. Mose- ley stellte sich das Schneckengehäuse als eine Art von Rotationsgebilde vor, entstanden durch die Umdrehung einer geometrischen Figur (der Genera- trix) um eine feste Achse (die Spindel des Kon- chyls), doch so, daß die Generatrix, sich selbst ') Die eingeklammerten Ziffern beziehen sich auf die Literaturangabe am Schluß des Aufsatzes. Xautilus pompilius. (Nach Moseley.) lOIO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. in. Nr. 64 ähnlich bleibend, ihre Dimensionen allmählich ver- größert und dabei ihre Lage zur Achse in be- stimmter Weise verändert. Figur i und 2. So entstehen z. B. durch Rotation eines Dreiecks die Koniden, Trochiden etc., Nautilus pompilius durch die Rotation einer halben Ellipse um ihre kleine Fi". 2. Trochi, Murices, Turbincs Strombi. (Nach Moseley.) Achse, die Cypraeenschale stellt sich dar als Rota- tionsoberfläche einer ellipsenähnlichen Kurve um ihre große Achse usw. Nimmt man die 5-Achse zur Rotationsachse, so ist die Schnittfigur des pro- jizierenden Zylinders der Windungskurve mit der Ebene z^=0 eine logarithmische Spirale. Die wesentlichen Eigenschaften dieser transzendenten Kurve sind die, daß ihre Radien und Diameter eine geometrische Reihe bilden und ihr Anfangs- punkt ein asymptotisclier Punkt ist. Ihr Tangential- winkel d ist konstant. Die Größe x in (I) ist gleich cotang i)-. Im Jahre 1S44 untersuchte dann Heis (7) den Papiernautilus, Argonauta Argo, auf sein Windungs- gesetz. Er fand r=«. r =:^ a-p In der Natur nachgewiesen wurde die zyklo- zentrische Konchospirale 1852 von Naumann an Planorbis corneus (Figur 5). Diese Schnecke ist triplospiral, sie verfolgt also nacheinander 3 ver- schiedene Windungsgesetze; zuerst eine logarith- mische Spirale in 2'/., Windungen mit dem Quo- tienten 3, dann folgen 3 Windungen nach der zyklozentrischen Konchospirale mit dem Quo- tienten 2 und dem Archiradius 2, die endlich in eine dritte Spirale mit dem WindungS(]uolienten f übergehen (13). — Später gab Naumann (18) die N. F. in. Nr. 64 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. lOII zyklozcntrische Konchospirale wieder auf, da sie sich nur an Planorbis corneus und Ammonites galeatus bestätigte, und kehrte zur einfachen Koncho- spirale zurück. Bei der Untersuchung einiger Plan- orben konnte Lehmann 1856 den Zentralnukleus überhaupt nicht auffinden (17). Dabei erwähnt Lehmann, ohne näher darauf einzugehen, daß bei Fig. 5. Stark vergrößerte Milte eines zentralen Quersclinitles durch Planorliis corneus, den Zentralnukleus zeigend. (Nach Naumann.) Planorbis spirorbis Müller und Planorbis contortus Müller der Quotient der singulodistanten Windungs- abstände variabel, ihre Differenz aber konstant sei. Daraus läßt sich ein neues Windungsgesetz ab- leiten. In diesem Falle schreiten nämlich die singulodistanten Radien nach einer arithmetischen Progression fort. Rezeichnet man den Windungs- abstand allgemein mit h, seinen Zuwachs mit d, den Winkel gegen die Nullrichtung mit v und den ersten Radius mit a, so wird für t; = o • 2 TT h^= a ZI = l -iTT /i = a -{- 1/ ■;' = 2 ■ 2 n li = a -\- 2 d V = {ni—l)-2TT Danach ist der Radius dungsabstand h = a -\- {in — i) (/ r für den 111^"' Win- Dder wenn man 2a-\-{7n — \)d seinen Wert einsetzt : für V -\- 2nl . V 2 7t ( a + — d \ 4 TT (V) Historisch sind also im ganzen 5 verschiedene Windungsgesetze beobachtet worden. Davon stehen (II) und (V) nur vereinzelt da, und die zyklo- zcntrische Konchospirale (IV) hat Naumann selbst aufgegeben. Es bleiben daher nur noch die loga- rithmische Spirale (I) und die einfache Koncho- spirale (III), die sich den Rang um die Realität in der Natur streitig machen könnten. In der Tat sind viele Messungen ausgeführt worden, um eine der beiden Kurven als wahres Windungsgesetz der Konchylien nachzuweisen. In Deutschland waren es Müller (12, 14, 15) und Sandberger (16), die für Goniatiten, Clymenien und Ammoniten aus- schließlich die logarithmische Spirale ermittelten, während Naumann (g, 10, II, 13, 18) und Leh- mann (17) die Konchospirale durch Messungen zu bestätigen suchten. In England gab Macalister (21) der logarithmischen Spirale den Vorzug. Da stellte sich Grabau die interessante Frage, ob es, wenn auch nicht theoretisch , so doch praktisch mög- lich sei, die logarithmische Spirale mit der Koncho- spirale zu verwechseln oder umgekehrt. In seiner 1872 erschienenen Doktorarbeit (22) beantwortete er diese F'rage dahin, daß eine derartige Ver- wechslung auf Grund der Daten von praktischen Messungen sehr wohl vorkommen könnte. Damit war der Konkurrenz der beiden Windungsgesetze der Boden entzogen, und wenn auch Grabau an der Konchospirale festhielt, so bemerkte Blake 1878 (23) und wohl mit Recht, daß die Größe der Beobachtungsfehler eine strenge Entscheidung über die Realität der Konchospirale nicht gestatte, und es daher besser sei, die logarithmische Spirale zu bevorzugen , deren mathematische Theorie bei weitem nicht so kompliziert ist als die der Koncho- spirale. Während dann Blake (23) die Moseley- sche Theorie weiter ausbaute, machte Grabau 1881 und 1882 noch einige \^ersuche, die Naumann'sche Konchospirale zu verifizieren (24, 25). Die folgende Tabelle gibt eine t'bersicht über die Größe des Windungsquotienten einiger Kon- chylien. Haliotis viridis lO.o Nautilus pompilius 3.0 Dolium zonatum 2.t nach Euomphalus pentangulatus 2.0 Macalister Conus betulinus, 1.43 (21) Conus literatus 1.4 Conus virgo 1.2^ nach Müller (12, 14) 1-5 1-5 1-5 '•5 1-5 1-33 1-33 1-5 2.5 1.5 I nach Nau- 1.5 ' mann (9) 2S I , "^^h ^ „ ( Lehmann Clymenia compressa Clymenia binodosa Clymenia arietina Clymenia undulata ' Clymenia striata Clymenia laevigata Clymenia pseudogoniatites Goniatites bifer Goniatites carinatus Helix nemoralis Solarium perspectivum Planorbis carinatus Müller Planorbis marginatus Drap. Planorbis submarginatus Charp. Planorbis contrarius L. Der praktische Wert der Konchyliometrie ist vielfach überschätzt worden. So schlug Lehmann ( 1 7) eine neue Art der Benennung und Unterscheidung fossiler Planorbisarten nach der Anzahl der Win- dungen vor, die sich jedoch nicht eingebürgert hat. Noch weiter ging Goodsir in einem 1868 er- schienenen Vortrage (19). Nach seiner Meinung würde es dahin kommen, daß der Naturforscher die .Schnecken nach ihrem Windungsgesetz klassi- fiziert, ebenso wie etwa die Kristalle nach be- stimmten mathematischen Gesichtspunkten einge- teilt werden. An Stelle der üblichen Artendiagnosen würden dann eine mathematische Formel oder die Zahlenwerte einiger Konstanten treten. Goodsir's Prophezeiung ist nicht eingetroffen, und Moseley den Goodsir wegen der Begründung der Kon- IOI2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. IIL Nr. 64 chyliometrie mit Newton auf eine Stufe stellte, hat keine Berühmtheit erlangt. Es muß auch in der Tat als aussichtslos erscheinen, die natürliche und ungezwungene Beschreibung der äußeren Merk- male eines MoUusks ersetzen zu wollen durch die Angabe der mathematischen Elemente seiner Win- dungsspirale, welche erst durch langwierige Mes- sungen und Rechnungen ermittelt werden müssen, wozu es meist auch einer Zerstörung des betreffen- den Konchyls durch Anschleifen bedarf. Das Inter- esse, das die Konchyliometrie bietet, ist viel- mehr lediglich ein theoretisches. Seit nämlich V. Möller 1878 (27) an den spiralgewundenen Fora- miniferen des russischen Kohlenkalks (Fusulina, Schwagerina, Bradyina, Cribrospira etc.) die Nau- mann'sche zyklozentrische Konchospirale nach- wies, lag der Gedanke nahe, daß die spiralige Auf- rollung nach einem bestimmten Windungsgesetz nicht in der Natur der betreffenden Organismen begründet ist, welche ja voneinander grundver- schieden sind, sondern ihre Ursache in den Ver- hältnissen der Außenwelt hat und physikalischen Gesetzen folgt (28). Ein analoger Fall liegt in der Ähnlichkeit des Wirbeltierauges mit dem des Tintenfisches vor: in beiden Tierstämmen, die sich völlig unabhängig voneinander entvi^ickelt haben, hat dieselbe Naturkraft dasselbe Organ erweckt. — Die Beantwortung der Frage, welches die me- chanischen Gesetze sind, welche die Form der Windungsspirale bei Konchylien und Foramini- feren bedingen, muß späteren physikalischen und mathematischen Untersuchungen vorbehalten bleiben. Literatur. 1. Reinecke, Maris protogaei Nautili 18 18. 2. Moseley, On the geometrical forms of turbinated and discoid Shells. Philos. Trans. 1838 p. 351. 3. Naumann, Beitrag zur Konchyliometrie. Pogg. Ann. Bd. 50, p. 22^. 1840. 4. Naumann, Über die Spiralen der Ammoniten. Pogg. Ann. Bd. 51, p. 245. 1840. 5. Burhenne, Über Messung der Konchylien. 5. Jabrcsber. des Vcr. f. Naturk. in Kassel p. 10. 1841. 6. Moseley, On conchyliometrie. Philos. Mag. Bd. 21, p. 300. 1842. 7- Ileis, Über die mathematische Form des Kiels des Papier- nautilus. Verh. d. naturhist. Ver. d. preußischen Rhein- lande Bd. I, p. 23. 1844. 8. Naumann, Über die wahre Spirale der Ammoniten. l'ogg. .Ann. Bd. 64, p. 538. 184:;. 9. Ders. , Über die Spiralen der Konchylien. Abh. bei Be- gründung d. königl. Sachs. Ges. d. Wiss., p. 153. 1846. 10. Ders., Über die cyklocentrische Konchospirale und das Windungsgesetz von Planorbis corneus. Verh, d. königl. Sachs. Ges. d. Wiss. Bd. i, p. 164. 1848. u. IJers., Über die logarithmische Spirale von Nautilus pom- pilius und Ammonites galeatus. Sitzungsber. der königl. Sachs. Ges. d. Wiss. zu Leipzig Bd. 2, p. 26. 1848. 12. Müller, Beitrag zur Konchyliometrie. Pogg. Ann. Bd. 81, p. 533. 1850. 13. Naumann, Über die cyklocentrische Konchospirale als Windungsgesetz von Planorbis corneus. Abh. d. sächs. Ges. d. Wiss. I. math.-phys. Kl. Bd. i, p. 171. 1S52. 14. Müller, Zweiter Beitrag zur Konchyliometrie. Pogg. Ann. Bd. 90, p. 323. 1853. 15. Ders., Über Konchyliometrie. Jahresber. d. Ver. f. Natur- kunde im Herzogt. Nassau. Heft 9, Abt. 2, p.87. 1853. 16. Sandberger, Clymenia subnautilina. Jahresber. des Vcr. f. Naturk. im Herzogt. Nassau. Heft 10, p. 127. 1855. 17. Lehmann, Die v. Seyfried'sche Konchyliensammlung und das Windungsgesefz von einigen Planorben. Constanz- 1856. 18. Naumann, Über die innere Spirale von Ammonites Ramsaueri. Ber. über d. Verh. d. königl. sächs. Ges. d. Wiss. Math.-phys. Kl. Bd. 16, p. 21. 1864. 19. Goodsir, On the employement of mathematical modes of investigation in the determination of organic forms. The Anatom. Mem. of John Goodsir. Vol. II, p. 205. i868. 20. Macalis ter, On the law of symmetry as exemplitied in animal forms. The Journ. of the Royal Dublin Society. No. 38, p. 327. 1869. 21. Ders., Observations on the mode of growth of discoid and turbinated Shells. Ann. of nat. bist. IV, series VI, p. 260. 1870. 22. Grab au, Über die Naumann'sche Konchospirale und ihre Bedeutung für die Konchyliometrie. Inaugural- Dissertation. Leipzig 1872. 23. Blake, On the measurement of the curves formed by Cephalopods and other Mollusks. Philus. Mag. V. series. Bd. 6, p. 241. 187S. 24. Grabau, Über die Naumann'sche Konchospirale. Sitz.- Ber. d. naturf. Ges. Leipzig, p. 23. 18S1. 25. Ders., Über die Spiralen der Konchylien mit besonderer Bezugnahme auf die Naumann'sche Konchospirale. Leipzig 1882. 26. Gino Loria, Spezielle algebraische und transzendente ebene Kurven p. 456. Leipzig 1902. 27. V. Möller, Die spiralgewundenen Foraminiferen des russischen Kohlenkalkes. Mem. de l'Ac. de St. Petersb. Tome XXV, Nr. 9. 1878. 28. Dreyer, Betrachtungen über den Bau der Rhizopoden- schalen. Biolog. Zentralbl. Bd. g, p. 333. 1889/90. Unsere gegenwärtigen Kenntnisse über Radioaktivität. [Nachdruck verboten.' Sammelreferat von Dr Wärmewirkung der Radiumstrahlen. Es ist aus den früheren Berichten bekannt, daß jedes Radiumpräparat eine ziemlich beträcht- liche Wärmemenge entwickelt, so daß das Salz unter manchen Umständen bis zu 3" wärmer sein kann als seine Umgebung. Diese innerhalb eines bestimmten Zeitraums ausgegebene Wärmemenge läßt sich dadurch bestimmen, daß man die Menge Eis mißt, welche in dieser Zeit geschmolzen werden A. Becker in Kiel. (Schluß.) kann, oder daß man beoachtet, welches Gasvolumen sich zu bilden vermag, wenn die vom aktiven Salz abgegebene Wärme zur Verdampfung eines ver- flüssigten Gases, z. B. von flüssigem Wasserstoff, verwendet wird. Nimmt man an, daß die emit- tierte Wärmemenge mit der im Präparat vor- handenen Masse des Radiumelements proportional zunimmt, so findet man aus diesen Experimenten, daß die Wärmeproduktion für i g reines Radium nahe 98,5 Kalorien in der Stunde beträgt, d. h. N. F. m. Nr. 64 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 1013 daß mit der freigewordenen Wärmemenge gerade I g Wasser um 98,5 oder nahezu 100" erwärmt werden könnte. Nun hat Paschen gezeigt, daß die gemessene Wärmemenge noch bedeutend größer wird, wenn das Präparat in einen dictcen Bleiklotz eingeschlossen ist, und zwar kann in diesem Falle die Produktion nahe 224,6 Kai. pro Stunde erreichen. Wenn nach der Ursache dieser großen Wärnie- produktion gefragt wird, so liegt die Annahme nahe, daß sie herrühren müsse von der Energie der ausgesandten Strahlteilchen, so daß sie also überall da auftreten wird, wo die Teilchen ihre Energie verlieren, d. h. wo sie absorbiert werden. Es ist ja bekannt, daß jede Arbeits- oder Energie- größe einfach in eine Wärmemenge verwandelbar ist und zwar in der Weise, daß immer i Kai. zu gewinnen ist bei Aufwendung einer Arbeit von 427 g auf I Meter. Wollen wir somit ermitteln, welcher von den 3 Strahlengattungen nun in be- sonderem Maße die Wärmelieferung zuzuschreiben ist, so genügt es, die von jeder Gattung mitge- führte Energie zu berechnen, wie wir es in ähn- licher Weise oben zur Ermittlung der ausgestrahlten Masse getan haben. Eines ist dabei von vorn- herein ersichtlich. Da, wie oben gezeigt, die Wärmeproduktion beträchtlich zunimmt, wenn das Präparat mit einer dicken absorbierenden Blei- schicht umgeben ist, so kann gefolgert werden, daß die Zunahme der Erwärmung herrühre von der abgegebenen Energie solcher Strahlen, die ohne die Bleihülle nicht im Meßapparat zurück- gehalten wurden, d. h. von den von Paschen studierten äußerst durchdringlichen j'-StrahJen. Die Ausrechnung ergibt, daß von der von i g Radium gelieferten Wärmemenge allein 126,1 Kai. pro Stunde auf Rechnung der ;'-Strahlen kommen. Es bleibt zu beantworten, welcher Energie die übrige Wärmemenge von 98,5 Kai. zu verdanken ist. Be- rechnen wir zu diesem Zweck die von den (i- Strahlen getragene Energie, so ergibt sich, daß diese nur 0,37 Kai. pro Stunde etwa zu liefern vermöchte; die /:(- .Strahlen spielen demnach bei diesem Vorgang eine sehr untergeordnete Rolle. Paschen glaubt, daß die 98,5 Kai. solchen y- Strahlen zuzuschreiben seien, welche im Innern des Radiums entstehen und durch die hohen dort vorhandenen elektrischen Felder verlangsamt und absorbiert werden. Wahrscheinlicher ist dagegen, daß, wie Rutherford annimmt, die Erwärmung durch das innere Bombardement der mit großer Masse begabten a-Teilchen hervorgerufen wird, deren kinetische Energie in der Tat auszureichen scheint, einen so großen Effekt hervorzubringen. Es wird sich diese Ansicht auch durch späterhin zu machende Angaben bestätigen. Es geht also auch aus diesen Erwägungen her- vor, daß zwar die Erscheinung einer dauernden und spontanen großen Wärmeproduktion eine recht wunderbare ist, daß sie aber vollauf erklärt ist durch die Energien, die in den emittierten Strahlen transportiert werden. Die Emanation. Während die im Vorhergehenden beschriebenen Eigenschaften der radioaktiven Körper im wesent- lichen durch klare Anschauungen interpretiert wer- den können, ist das Wesen der Emanation bisher trotz zahlreicher Untersuchungen noch nicht er- schöpfend und einwandsfrei erkannt. Radium, Thor und Aktinium haben die Eigen- schaft, nach außen noch anderweitig zu wirken als durch die von ihnen ausgesandten Becquerel- strahlen. Sie teilen allmählich den in ihrer Nach- barschaft befindlichen Körpern ihre radioaktiven Eigenschaften mit, und diese senden dann ihrer- seits Becquerelstrahlen aus. Die Aktivität kann in dieser Weise auf Gase, Flüssigkeiten und feste Körper übertragen werden, und dies ist das Phä- nomen der induzierten Radioaktivität. Entfernt man den aktivierten Körper von dem radioaktiven, so bleibt die auf diesem Körper in- duzierte Radioaktivität eine gewisse Zeit lang weiter bestehen ; sie nimmt indessen nach und nach ab und erlischt endlich ganz. Zur Erklärung dieser Erscheinung macht Rutherford die Annahme, daß Radium oder Thor beständig ein materielles, radioaktives, unbeständiges Gas abgeben, welches er Emanation nennt. Diese Emanation ver- breitet sich in dem Gase, welches den radioaktiven Körper umgibt; sie vernichtet sich selbst allmählich, indem sie Becquerelstrahlen aussendet und andere, unbeständige, radioaktive, materielle Körper hervor- bringt, welche nicht flüchtig sind; diese neuen Materien würden sich an der Oberfläche der festen Körper festsetzen und diese radioaktiv machen. Es ist schon in den letzten Berichten in dieser Zeitschrift das Wesen dieser PImanation eingehend erörtert worden. Als wesentlicher Inhalt dieser Erörterungen ist der Nachweis hervorzuheben, daß es sich bei der Emanation tatsächlich um einen Stoff handelt, der alle Eigenschaften eines Gases besitzt und zwar eines äußerst trägen Gases, wie wir solche in der neuesten Zeit im Argon, Helium usw. kennen gelernt haben. Sie widersteht der Itinwirkung elektrischer P'unken in Gegenwart von Sauerstoff und Alkali, oder der Einwirkung einer erhitzten Mischung von Kalk und Magnesiumpulver. Sie bildet sich unausgesetzt aus dem Radiumsalz, ver- mag aber Körper ohne Poren nicht zu durchdringen. In der Euft diffundiert sie wie irgend ein anderes Gas, und zwar ist nach der Größe des Diffusions- koeffizienten anzunehmen, daß ihr Atomgewicht, wenn von einem solchen gesprochen werden darf, zwischen 100 und 160 liegen muß. Von Flüssig- keiten wird die Emanation ebenso absorbiert wie ein Gas so lange, bis sich ein Gleichgewichtszustand zwischen Partialdruck bzw. der Konzentration in Luft und Flüssigkeit hergestellt hat. Bei etwa — 150" verdichtet sie sich und kann so lange in einer Kühlröhre festgehalten werden , ohne daß sie sich mit dem übrigen Gas misclit. Die Emanation sendet nur «-Strahlen aus und ist daher leicht durch ihr großes ionisierendes IOI4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 64 Vermögen nachweisbar. Sie selbst ist nach ein- gehenden Untersuchungen von Rutherford und McClelland (1904) ungeladen. Deshalb ist das von Rutherford zuerst beobachtete Phänomen, daß sich die Emanation auf stark negativ geladenen Körpern stärker absetzt als auf ungeladenen, noch unerklärbar. Wird ein mit Emanation beladenes beliebiges Gas in ein Glasgefäß eingeschmolzen, so daß keine Kommunikation mit der äußeren Luft möglich ist, so konstatiert man ein langsames Verschwinden der Emanation mit der Zeit. Aus zahlreichen Beobachtungen geht hervor, daß dieses Verschwinden in allen Fällen nach einem strengen Exponential- gesetz von der Form J = Jge^"' erfolgt, wenn J die zur Zeit t noch vorhandene und Jq die ur- sprünglich vorhandene Emanationsmenge darstellt. a ist ein Zahlenkoeffizient, der sich zu 2,01 y:[ 10 ~'' hat bestimmen lassen, wenn als Zeiteinheit die Sekunde genommen wird. Es ergibt sich daraus, daß die Emanatiunsmenge in etwa 4 Tagen je- weils um die Hälfte zurückgeht. In gleicher Weise wie für Radium wird auch für die von Thor ausgegebene Emanation ein Verschwinden konstatiert, ebenfalls nach einem Exponentialgesetz , dessen Koefizient a aber er- heblich größer ist. Das Verschwinden erfolgt weit schneller als oben für Radium mitgeteilt; die Emanationsmenge des Thors vermindert sich schon in I IVIinute und 10 Sekunden auf die Hälfte. Während sich die Radiumemanation fast gleich- mäßig auf einen großen Raum verbreitet, findet sich die Thoremanation unter den gleichen Um- ständen nur in der Nachbarschaft des Präparats angesammelt, weil sie von selbst verschwindet, bevor sie Zeit findet, auf merkbare Entfernung in die Luft hinein zu diffundieren. Der Konden- sationswert für Thoremanation beträgt — 120". Aktinium sendet eine Emanation aus, welche eine sehr intensive Strahlung liefert ; diese Emanation verschwindet indes spontan mit einer außerordent- lichen Schnelligkeit; sie nimmt auf die Hälfte ab in einem Zeitraum von etwa einer Sekunde. Des- halb kann sich die Aktiniumemanation in Luft von Atmosphärendruck nicht weiter ausbreiten als auf 7 — 8 mm Entfernung von der aktiven Substanz. Wenn ein fester Körper, der durch Emanation aktiviert worden ist, sich in freier Luft entakti- viert, so hängt das Gesetz der Entaktivierung von der Zeit ab, während welcher der Körper mit der Emanation in Berührung gewesen ist. Nach einem einfachen Exponentialgesetz verläuft die Entakti- vierung nur dann, wenn die Einwirkungsdauer der Emanation mindestens 1'., Stunden betrug; dann nimmt die Aktivität für Radium während einer Periode von 28 Minuten um die Hälfte ab. Für die von Thor induzierte Radioaktivität beträgt diese Periode 1 1 Stunden und für Aktinium 36 Minuten. Es ist bemerkenswert, daß diese konstanten Werte unter den verschiedensten LImständen un- veränderlich zu bleiben scheinen. Die oben an- gegebenen Zeiten für das Verschwinden der Ema- nation oder der induzierten Radioaktivität bleiben genau dieselben, welches auch die Versuchs- bedingungen sein mögen und welches auch die Temperatur sei zwischen — 180" und -(-450"; die Schnelligkeit des Verschwindens ist dieselbe, ob die Emanation sich im Gaszustand befindet oder im kondensierten Zustand (— 180"). Aus diesem Grunde gestatten die Zeitkonstanten der Radio- aktivität eine genaue Charakterisierung der Natur der verschiedenen radioaktiven Körper, die in vielen Fällen durch chemische Reaktionen nicht mehr charakterisiert werden können. Die Erfahrung von dem allmählichen \'er- schwinden der Emanation ist geeignet, eine früher konstatierte Tatsache zu erklären, daß nämlich die Aktivität eines frisch bereiteten Radiumsalzes an- fänglich zunimmt. Man kann annehmen, daß das Salz kontinuierlich Emanation abgibt, daß aber die ersten Mengen dieser Emanation im Salz selbst okkludiert bleiben und dort durch Hervorrufung induzierter Radioaktivität die Stärke des Salzes vergrößern werden. Der Gleichgewichtszustand, d. h. konstante Aktivität des Präparats wird dann erreicht sein, wenn die sich beständig neu bildende Emanationsmenge gerade ebenso groß ist als die in jetlem Augenblick verschwindende. Wird das Salz aufgelöst oder stark erhitzt, so wird die okkludierte Emanation ausgetrieben, und das Salz ist dann für einige Zeit wieder weniger stark aktiv. Dieses Verfahren zur Entfernung der Ema- nation haben Rutherford und Barnes angewandt, um zu untersuchen, ob die von einem Radiumsalz emittierte Wärmemenge von der Emanation ab- hängig wäre. Zu diesem Zweck wurde die durch Erhitzen fortgetriebene Emanation bei der Tem- peratur der flüssigen Luft kondensiert und in ein Glasröhrchen eingeschmolzen. Dann ergab sich, daß die Wärmeabgabe des entemanierten Radiums wäiirend der ersten Stunden stark auf ein Minimum von etwa 30 "/„ herabging und dann langsam wieder stieg, während die Wärmewirkung der Emanation bis zu einem Maximum von 70 "/o anstieg, um darauf langsam abzunehmen. Daraus geht hervor, daß ein sehr grol3er Prozentsatz der abgegebenen Wärmemenge eine Folge der Existenz von «-Strahlen ist, die ja von der Emanation besonders ausge- strahlt werden. Dies Resultat ist im Einklang mit früheren Überlegungen. Die über die Emanation bekannten Tatsachen, wie sie in Kürze mitgeteilt wurden, legen eine große Zahl von Fragen theoretischer Natur nahe. Sind doch besonders die Erscheinungen des kon- tinuierlichen Auftretens und des spurlosen Ver- schwindens dieses eigenartigen Stoffes so über- raschend und scheinbar mit all unseren sonstigen Kenntnissen vom Wesen der Materie direkt un- vereinbar. Es ist daher nicht zu verwundern, daß die verschiedenen Beobachter, die uns das teil- weise unverständliche Wirken der radioaktiven Stoffe soweit erläutert haben, nun als ihre wich- N. F. m. Nr. 64 Naturwissenschaftliche Wochenschrift 1015 tlgste Aufgabe diejenige betrachten mußten, uns von dem Scheidewege fortzuführen, an dem wir stehen, um uns die Gewißheit zu geben, daß wir entweder ein Land neuer Erl ' Z! 3 . 3 ^c^ SJ Berliner Welfcrbureau. Auf den Harzflüssen und denen des Glatzer Gebirges traten infolge der furchtbaren Unwetter verhängnisvolle Hochwasser ein. Seit dem 14. November nahmen die Niederschläge wieder ab, in Süddeutscliland herrschte bis zum 20., wie am Antang des Monats, sogar vollständig trockenes Wetter. Dann traten neuerdings in den meisten Gegenden Regenfälle auf, die zu- erst im westlichen Küstengebiete , dann in Süd- und Ost- deutschland in Schnee übergingen. Besonders Bayern, Schlesien und Sachsen wurden am 23. bis 25. November von sehr großen Schneemengen überschüttet, die dort i — 2 Dezimeter hoch liegen blieben. Die Niederschlagshöbe des ganzen Monats betrug im Mittel aller berichtenden Stationen 57,3 irim und übertraf um 14 mm die Xiederschlagshöhen, die von den gleichen Stationen seit Beginn des vorigen Jahr- zehntes durchschnittlich im November gemessen worden sind. Die allgemeine Anordnung des Luftdruckes zeigte eine solche Mannigfaltigkeit und oft so plötzliche Änderungen, wie sie auch im Spätherbst bei uns selten sind. Während zu Beginn des November der größte Teil Europas von hohem Luftdruck und nur der Norden und Italien von flachen De- pressionen bedeckt wurden, trat am 3. auf dem Nordmecr ein äußerst tiefes Minimum auf, das mit schweren Stürmen inner- halb 48 Stunden bis in die Mitte Rußlands vordrang. Ihm schlössen sich bald andere tiefe Minima aus Norden, Nord- westen und Westen in rascher Aufeinanderfolge an, deren Mehrzahl durch die skandinavischen Länder, eines am 8. und 9. aber über die Nordsee und Ostsee ins Innere Rußlands zog. Nachdem dann noch ein paar flachere Depressionen auf der Nordsee erschienen waren, breitete am 13. November ein hohes barometrisches Maximum sein Gebiet über Nordwest- und Mitteleuropa aus und führte hier für kurze Zeit eine Besserung des Wetters herbei. Bald wurde es aber durch neue umfangreiche Minima, die im hohen Norden Europas auftraten, zum Teil nach Südosten, zum Teil nach Südwesten gedrängt. Diese Minima und ihre zahlreichen , weit nach Süden hin reichenden Teildepressionen blieben dann für die Witterungsverhältnisse in der nördlichen Hälfte Europas bis zum Schlüsse des Monats fast allein maßgebend. Gleichzeitig wurde das Mittelmeergebiet von flacheren Depressionen ein- genommen , von denen eine vom 23. bis 26. November bis zur Ostsee nach Norden vordrang und dabei in Italien, der Schweiz, Österreich und Deutschland aufserordentlich starke Regen- und Schneefalle verbreitete. Dr. E. Leß. Vereinsw^esen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde. — Nach der Ruhepause des Sommers nahm die Gesellschaft am Montag, den 1 7. Oktober, abends S Uhr, im Bürgersaale des Rathauses mit einem Vortrage des Direktors der Lungenheil- stätten Beizig, Herrn Prof. Dr. A. M o e 1 1 e r : ,,D i e Bekämpfung der Tuberkulose als Vol ks- krank h e i t" ihre Arbeit wieder auf. Redner führte aus, daß die Tuberkulose als eine wahre Vo Iksseuch e zu bezeichnen sei, da sie jahraus jahrein mehr Opfer im Volke fordere, als alle anderen Infektionskranklieiten zusammen. In Berlin sterben jährlich ca. 4500 Menschen an Tuberkulose. Vom nationalökonomischen Standpunkte aus als besonders tief eingreifend in die Volkswohlfahrt ist diese Krankheit zu be- trachten, da sie ihre Opfer besonders bei Menschen mittleren Lebensalters fordert, also in einem Alter, WO der Mensch, der bisher für Ausbildung und Erziehung nur Ausgaben verursacht hat, ge- rade anfängt zu arbeiten , um das für ihn aus- gegebene Kapital zu verzinsen. Durch die Erkran- kung und infolgedessen eintretende Erwerbsunfähig- keit geht nun das angelegte Kapital \-erloren. Hierzu kommt noch, daß bei dem meist chronisch verlaufenden Charakter der Krankheit bis zum Eintritt des Todes noch erhebliche Unkosten an Behandlung, Medikamenten und Unterstützungen verursacht werden, und die Angehörigen, welche den Kranken pflegen, werden selbst in ihrer Er- werbsfähigkeit beeinträchtigt. Man hat berechnet, daß in den Jahren 1897— 1900 im Alter von 15 bis 60 Jahren von looo Gestorbenen 316 der Tuberkulose erlagen ; also im erwerbsfähigen Alter ist fast jeder dritte Todesfall durch Tuberkulose verursacht. — Redner schildert dann kurz das Wesen der Schwindsucht und geht auf die einzelnen hauptsächlichsten Krankheitserschei- nungen ein. Der Husten zeigt sich anfangs in kurzen , trockenen Hustenstößen ; mit iiim stellt sich auch bald der Auswurf ein. Lungenblutungen, wenn sie stark sind, auch Blutsturz genannt, er- schrecken den Patienten sehr, sind aber nicht so sehr zu fürchten, da sie oft durch Blutstauung be- dingt werden, die nun durch das Auswerfen des Blutes beseitigt wird. Im allgemeinen hat Redner die Beobachtung gemacht, daß die Kranken, bei denen das Leiden mit einer Blutung seinen An- fang nahm, später nicht schwer erkranken; das hat seinen Grund wohl vor allem darin, weil diese Kranken sich sehr zusammennehmen und vor- sichtig leben; denn vor dem Blute haben die meisten großen Respekt. — Bei den Erkrankten stellt sich später auch Pulsbeschleunigung und Herzklopfen ein. F"ieber ist stets als ein un- I022 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. ni. Nr. 64 günstiges Zeichen zu betrachten, zumal wenn es bis auf 40" und höher steigt. — Hierauf bespricht Redner die Ursache der Tuberkulose. Er führt die Erreger der Tuberkulose, die Tuberkelbazillen, in Lichtbildern, sowie auch in Reinkultur (auf künstlichen Nährböden gewachsen) vor. Sodann demonstriert er die von ihm 1897 entdeckten, dem Tuberkelbazillus verwandten Mikroorganismen, die zu Täuschungen und Verwechslungen mit dem echten Tuberkelbazillus führen können; er be- richtet über einen Fall, wo ein Arzt Tuberkel- bazillen in einem Sandhaufen, in welchem Kinder spielten, gefunden zu haben glaubte, die sich aber bei näherer Prüfung als Moeller'sche Gras- bazillen erwiesen. Redner geht eingehend auf die Biologie des Tuberkelbazillus ein. Sodann schildert er die Übertragungsgefahr, welche durch das Zu- sammenleben mit unvorsichtig lebenden Schwind- süchtigen entsteht, welche beim Husten tuberkel- bazillenhaltige Tröpfchen versprühen. Redner hat die Übertragungsmöglichkeit nachgewiesen , da- durch, daß er Meerschweinchen einigen Lungen- kranken übergab, welche die Anweisung erhielten, täglich mehrere Stunden die Tiere anzuhusten. Zwei Meerschweinchen erkrankten an Tuberkulose. Sodann macht Redner aufmerksam auf die große Gefahr der Tuberkelbazillen-Ubertragung mittels Fliegen, welche sich auf Nahrungsmittel nieder- lassen. Auf Radieschen, die auf den Rieselfeldern der Beiziger Heilstätte gewachsen waren, fand er einmal virulente Tuberkelbazillen. Betreffs der Rindertuberkulose steht Redner auf Grund eigener Experimente (er fütterte monatelang Kälber und Ziegen mit bazillenhaltigem Sputum, ohne daß ein Tier erkrankte) auf dem Koch'schen Stand- punkte. Berufschädlichkeiten sind Zimmerstaub, Ein- atmung von ätzendem Kalkstaub, schart kantigem Stein- und Metallstaub. Bei Lehrern wirken zwei Schädlichkeiten zusammen: der Aufenthalt in der verunreinigten Luft überfüllter Schulstuben und die dauernde Anstrengung der Atmungs- und Sprachwerkzeuge. — Zur Verhütung der Tuber- kulose dient außer Vorsicht im Verkehr mit Schwindsüchtigen eine vernunftgemäße Lebens- weise, Abreibungen mit kaltem Wasser, Bäder, Übergüsse. Das Einatmen reiner, d. h. staub und bakterienfreier Luft ist für die Erhaltung der Ge- sundheit durchaus notwendig; man lasse daher des Nachts, wenn kein Straßenstaub aufgewirbelt wird und kein Fabrikschornstein qualmt, die Fenster geöffnet. Die Kinder sollen sich möglichst viel im Freien umhertummeln. Erwachsene sollen täg- lich eine Zeitlang spazieren gehen; natürlich muß hierbei jedes Übermaß vermieden werden. Durch sog. Bravourleistungen hat schon so mancher seiner Gesundheit ernstlich Schaden zugefügt. Nament- lich sei vor dem jetzt so sehr viel ausgeübten Radfahrsport dringend gewarnt. Im Gebrauch der Kleider soll man sich nach der jeweiligen Witte- rung und nicht nach der Jahreszeit richten. Redner geht dann näher auf die Frauen- Reformkleidung ein, die er vom hygienischen Standpunkte aus verwirft, da diese Kleidung die Schultern und Wirbelsäule zu sehr belaste und somit die Blutzirkulation und Luftventilation in den Lungenspitzen behindert würde, wodurch diese Prädilektionsstellen für Tuberkulose noch empfäng- licher für die Ansiedlung der Bazillen würden. Redner hat auch vom rein wissenschaft- lichen Standpunkt aus die Frage, ob Reform- kleidung oder nicht, geprüft. Er wies zunächst darauf hin, daß der Atmungstj'pus der Frauen ein anderer ist wie der bei Männern; bei Männern sieht man bei ruhiger Atmung die Brust und Rippen nur wenig sich bewegen , dagegen die Oberbauchgegend sich hervorwölben infolge des Herauf- und Herabsteigens des Zwerchfelles = Ab- dominaltypus (Bauchatmung). Bei Frauen sieht man bei jedem Atemzuge die Bewegung der Rippen, Vorwölbung der Brust (Wogen des Busens) = Kostaltypus (Brustatmen). Daher kommt es bei P'rauen mehr darauf an wie bei Männern (Hosen- trägerdruck auf Schultern schadet der Bauch- atmung nicht viel) Brust und Schultern druckfrei zu halten (Druck des Leibchens auf Bauchorgane schadet der Brustatmung der Frauen wenig). Große Unterschiede zeigten sich bei Messungen der Lungenkapazität (Luftinhalt der Lungen). Hier fanden sich Differenzen bis zu 50 cm'' bei Mes- sung der Respirationsluft (Luftmenge, die man bei ruhiger Atmung ein- und ausatmet) und bis zu 200 cm'' und mehr bei Messung der Vitalkapazi- tät (Luftmenge, die bei möglichst tiefer In- und Exspiration geatmet wird) zuungunsten der mit Reformkleidung versehenen Personen. Redner empfiehlt seinen Patientinnen stets ein Leibchen zu tragen und die Kleidung so zu legen, daß die Beckenknochen, der kräftigste Teil des weiblichen Gerüstes, als Stütze und Träger für die Kleidung dient. — Hierauf bespricht Redner noch die Be- handlung der Schwindsucht in Heilstätten, länd- lichen Kolonien, Erholungsstätten, Kinderheilstätten, Invalidenheimen etc., was er durch Lichtbilder demonstriert. Er empfiehlt als beste Behandlung die Kombination von Heilstättenbehandlung mit Tuber kulinbehandlung, welche er in Beizig mit gutem Erfolge bei seinen Kranken durchführt. Redner rät auch in der ambulanten Behandlung, die Tuberkulösen mit Tuberkulin zu behandeln, und zwar vor allem die Anfangsstadien der Krank- heit, die mit Hilfe dieses Mittels mit Sicherheit geheilt werden könnten. I. A. : Dr. W. Greif, I. Schriftführer. Berlin SO !6, Köpenickerstraße 142. Bücherbesprechungen. Prof. Dr. Alfred Burgerstein, Die Transpira- tion der Pflanzen. Eine physiologische Mono- graphie. Jena, Verlag Fischer, 1904. 8". 2S3 Seiten. — • Preis 7,50 Mk. Der durch seine ,, Materialien zu einer [Monographie der Transpiration" (Verh. d. k. k. zool. bot Ges. Wien N. F. m. Nr. 64 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 1023 1878, 1880, 1901) auf diesem Gebiete wohl be- kannte und bewanderte Verf. hat es in vorliegendem Werke unternommen, eines der interessantesten Pro- bleme der Pflanzenphysiologie monographisch zu be- arbeiten. Mit welcher Sorgfalt der Autor dabei zu Werke ging, lehrt das Literaturverzeichnis, welches gegen 400 einschlägige Arbeiten ausweist. Das Buch stellt gewissermaßen ein kritisches Sammelreferat großen Stiles dar, ergänzt durch zahlreiche eigene Beob- achtungen und Versuche , welche hier teilweise zum ersten Male veröftentlicht werden. Der reiche Inhalt sei hier nur in Kürze wiedergegeben: Begriffsum- grenzung und Methode, die Transpiration der ver- schiedenen Pflanzenorgane in ihrer Beziehung zum morphologischen und anatomischen Bau, die Abhängig- keit derselben von Luftfeuchtigkeit, Licht, Temperatur, Luftbevvegung und Boden, ihre Beeinflussung durch Äther und ätherische Üle sowie durch verschiedene andere chemische Substanzen, ihr Zusammenhang mit dem Auftreten der Mykorrhiza usw. Besonderes Inter- esse beanspruchen die Abschnitte „Bilanz zwischen Wasserverbrauch und Regenmenge" sowie die Tran- spiration im feuchtwarmen Tropengebiete und in der arktischen Zone. Ein spezielles Kapitel behandelt die Wasserausscheidung durch Hydathoden, die Gutta- tion. Die folgenden Abschnitte sind der biologischen Seite des Transpirationsproblems gewidmet. Hier werden der Reihe nach die Schutzeinrichtungen gegen zu weit gehende Transpiration, die Arten der Wasser- versorgung und Wasserspeicherung sowie die Forde- rungsmittel der Transpiration eingehend besprochen. Bemerkungen über die physiologische Bedeutung der Transpiration beschließen das Werk. Das Erscheinen des Burgerstein'schen Buches, das als Nachschlagewerk geradezu unentbehrlich ist, wäre um so dankbarer zu begrüßen, wenn sich hierdurch auch andere Autoren veranlaßt fühlten, die Literatur eines Spezialgebietes, in ähnlicher Weise zu bearbeiten. Dr. K. Linsbauer (Wien). G. Graf, Kurze Himmelskunde und die Stern- bilder des nördlichen Himmels. Schweinfurt, in Komm, bei Giegler. 1904. 46 Seiten und eine Sternkarte. — Preis 80 Pf. Der Te.xt des Heftchens enthält eine ganz kurze Übersicht der wichtigsten Kenntnisse über die Himmelskörper, sowie eine Beschreibung der bei uns sichtbaren Sternbilder. Die beigegebene, dreifarbige Sternkarte läßt mancherlei zu wünschen. Die Stern- bilder erscheinen zum Teil recht verzerrt und die auffällig eingetragenen, ganz willkürlichen Grenzen dreier Hauptgebiete wirken recht störend. Was sollen schließlich auf einer Sternkarte die Wendekreise oder gar der Polarkreis, Linien, die doch nur auf dem Erdglobus einen Sinn haben? F. Kbr. F. Klein, Über eine zeitgemäße Umgestal- tung des mathematischen Unterrichts an den höheren Schulen. — Mit einem Abdruck verschiedener einschlägiger Aufsätze von E. Götting und F. Klein. 82 Seiten. — Preis 1,60 Mk. E. Riecke, Beiträge zur Frage des Unter- richts in Physik und Astronomie an den höheren Schulen von O. Behrendsen, E. Böse, E. Riecke, J. Stark und K. Schwarzschild. — 190 Seiten. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner. 1904. — Preis 2 Mk. Die beiden Schriften bilden zusammen eine Samm- lung von Vorträgen, die Ostern 1904 bei Gelegenheit eines Ferienkursus für Oberlehrer in Göttingen ge- halten wurden. Den Kernpunkt der ersten Schrift bildet eine warme Befürwortung des bereits von ver- schiedenen Seiten zur Diskussion gestellten Vorschlages, die Elemente der Difterential- und Integralrechnung in den Lehrplan womöglich aller höheren Schulen, mindestens aber der Realanstalten aufzunehmen. So- wohl Prof. F. Klein, als auch der am Göttinger Gym- nasium tätige Professor Götting wissen die Vorteile, die eine derartige Umgestaltung des Lehrplanes nicht sowohl vom Standpunkte einer fachlichen Vorbildung der späteren Mathematikstudenten, als vielmehr von demjenigen der allgemeinen Bildung späterer Juristen, Techniker, Ärzte usw. aus darbieten würde, mit beredten und überzeugenden Worten zu schildern. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen , daß der mathe- matische Lehrstoff" höherer Schulen, wie er sich im Laufe der Zeit gestaltet hat, in den oberen Klassen einerseits vielfach die wünschenswerte Einheitlichkeit vermissen läßt, andererseits aber zahlreiche Aufgaben einschließt, die nur als Geistesgymnastik ersonnen und darum wenig geeignet sind das Interesse aller Schüler zu fesseln. Hierin würde die befürwortete Umge- staltung gründlich Wandel schaffen. Der Funktions- begrift" und die Theorie der Ma.\ima und Minima bilden ja jetzt schon integrierende Bestandteile des Pensums. Es läßt sich schwerlich gegen die Durchführbarkeit des Planes etwas einwenden , unter Verzicht auf manche weniger nützliche Lehren etwas weiter in die Diffe- rential- und Integralrechnung einzuführen und damit die Möglichkeit zu gewinnen, eine große Reihe erfolg- reichster Anwendungen der Mathematik dem Schüler zum Verständnis zu bringen, ohne irgend welche Ver- mehrung der Stundenzahl zu benötigen. Ja es wird dann sogar möglich werden, mehr als bisher den mathematischen Übungsstoff der Physik zu entnehmen und dieser damit die ihr zur Verfügung stehende Zeit voll zur Entwicklung der Anschauung und induktiven Ableitung der Naturgesetze frei zu machen. Die zweite Schrift enthält an erster Stelle eine instruktive Zusammenstellung der Grundlagen der Elek- trizitätslehre mit Beziehung auf die neueste Entwick- lung. Hat diese Abhandlung Prof. Riecke's die Be- stimmung, den Leser mit den neuesten Anschauungen der Wissenschaft bekannt zu machen, so beschäftigen sich die darauf folgenden Aufsätze von Behrendsen, Stark und Böse direkt mit den Fragen des physi- kalischen Unterrichts. Es sind Anregungen vom höchsten, pädagogischen Wert, die hier geboten werden, auf die aber an dieser Stelle im einzelnen leider nicht eingegangen werden kann. Im letzten Abschnitt empfiehlt Dr. Schvvarzschild einige astronomische Be- obachtungen , die nur ganz einfache Einrichtungen erfordern , besonders die Bestimmung der Polhöhe und Zeit nach der Zwei-Fäden-Methode von Harzer, I024 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 64 sowie nach einer photographischen, von ihm selbst ausgearbeiteten Methode mittels der Zenitkamera. Auch wird zum Schluß auf die Nützlichkeit der Beobachtung der veränderlichen Sterne und der Sternschnuppen im Sinne der „Vereinigung von Freunden der Astronomie und kosmischen Physik" hingewiesen. In kleineren Städten wird solche astronomische Betätigung ein- zelner Schüler gewiß durchführbar und anregend sein, für die Großstadt zwingen die örtlichen und zeit- lichen Verhältnisse wohl leider meistens zum Verzicht hierauf. F. Kbr. Literatur. Fuchs, L. : Gesammelte mathematische Werke. Hrsg. v. Rieh. Fuchs u. Ludw. Schlesinger. I. Bd.: Abhandlungen (1858 bis 1875). Red. V. L. Schlesinger. (VIII, 476 S. m. Bild- nis.) Le.x. 8°. Berlin '04 , Mayer & Müller — 30 Mk. ; auf Schreibpap. geb. 40 Mk. Hagen, Dir. Joh. G., S. J. : Synopsis der höheren Mathema- tik. III. Bd. Differential- u. Integralrechng. 5. Lfg. (S. 257 bis 320.) 4". Berlin '04, F. L. Dames. — 5 Mk. Kayser, Prof. Dr. E. : Abriß der geologischen Verhältnisse Kurhessens. Mit e. (färb.) geolog. Karte. [Aus: „Keßler, hessisch. Landes- u. Volkskunde, I. Bd."J (26 S.) gr. 8°. Marburg '04, N. G. Ehvert's Verl. — 1,50 Mk. Morgan, Prof. Dr. Thomas Hunt: Die Entwicklung des Froscheies. Eine Einleitg. in die experimentelle Embryo- logie. Nach der 2. engl. Aufl. übers, v. Prof. Dr. Bernh. Solger. {XV, 292 S. m. 62 Abbildgn.) gr. 8". Leipzig '04, W. Engelmann. — 6 Mk. Ostwald, W. ; Die wissenschaftlichen Grundlagen der analyü- sclien Chemie, elementar dargestellt. 4., verb. Aufl. (XII, 223 S. m. 3 Fig.) 8". Leipzig '04, W. Engelmann. — Geb. in Leinw. 7 Mk. Briefkasten. Herrn J. M. in Saalfeld. — Ein Buch, das die genannten Fragen speziell behandelt, ist mir nicht bekannt, ich glaube jedoch, daß Sie in Cohnheim, Chemie der Eiweißkörper (1904 bei Vieweg & Sohn in Braunschweig) die gewünscliten Aus- künfte wenigstens teilweise finden werden. F. Brüggemann. Flerrn A. S. in Wien. — Das beste, leicht verständliche Buch ist: Ncrnst, Theoretische Chemie, das sich sehr durch gute Darstellung auszeichnet; der Einführung in das Gebiet dient ferner: Ostwald, Grundriß der allgemeinen Chemie, das bei gleichem Preise viel geringer an Umfang ist wie der Nernst. Die von Ihnen angegebenen Werke sind ebenso wie Ostwald's Lehrbuch der allgemeinen Chemie (das umfassendste Werk auf dem Gebiet) mehr für Fachleute besümmt und machen daher nicht immer Ansj)ruch auf Leichtverständlichkeit. F. Brüggemann. Herrn F. B. in Brüssel. — Für die Analyse von ein- fachen Salzen und Salzgemengen sowie zur Einführung sind zu empfehlen : Medicus, Kurze Anleitung zur qualitativen Ana- lyse sowie Autenrieth, Qualitative chemische Analyse. Von denselben Autoren sind auch Bücher über quantitative Analyse erschienen. Bei der Analyse komplizierter Gemenge ist es angebracht, Tabellen zu Hilfe zu nehmen, etwa Wallach's ,, Tabellen zur chemischen .-Xnalyse" oder die neuen von Treadwell und V. Meyer {1904I. F. Brüggemann. Herrn H. H. in Bonn. — Ihren Ansprüchen werden die Bücher von Hollemann, Anorganische und Organische Chemie, die wegen ihrer guten Darstellung sehr beliebt sind, genügen. Ostw-ald's ,, Grundlinien der anorganischen Chemie" sind neuerdings sehr in Aufnahme gekommen, da sie vollständig auf modernen Theorien aufbauen , sie sind jedoch mehr für den Berufschemiker bestimmt. F. Bruggemann. Herrn L. Tr. in Tiegenhof. — Die meisten Ihrer Fragen sind im Briefkasten der Nummern von Band III bereits be- antwortet worden, Bitte nachzuschlagen. Die anderen Fragen werden beantwortet werden. Herrn F. in Abschruten (Ostpreußen). — Die Auftreibungen (Gallen) an den übersandten Weidenblättern sind durch Blatt- wespen und zwar durch Nematus vesicator bei ihrer Eiablage im Blatt veranlaßt. Herrn A. C. in Mährisch-Trübau. — Frage I schon früher in Band 111 beantwortet. Ein Mikroskop bis 300 X ^^'t- großerung ist für einen Lernenden durchaus ausreichend. Herrn R. L. in Pirna. — Nehmen Sie Strasburger, Noll, Schenck, Karsten's Lehrbuch der Botanik und Haberlandt's Physiologische Pflanzenanatomie. Herrn U. — Brenner hat gezeigt, daß unter dem Ein- fluß des Klimawechsels zunächst die Blattsubstanz, dann die Form (der Verlauf des Blattrandes, ob dieser mehr oder we- niger tief gebuchtet) und in letzter Linie auch die Aderung verändert werden kann ; es ist deshalb recht mißlich, weit ent- legene Vorfahren (Fossilien), von denen nur Laubblattreste vorliegen, als solche zu bestimmen. Die tief-lappigen Blätter sind also besonders unbeständig und können erst vor relativ kurzer Zeit entstanden sein , worauf die fossilen Reste hin- weisen, da solche Formen in älteren Schichten unbekannt sind. Es ist deshalb auch unrichtig ,,die Ibrmenähnlichsten Blätter der Vorzeit von vornherein als Stammlbrmen jetzt lebender Arten anzusehen". Das sicherste Kriterium für die Verwandtschaft liefert die Art des Ansatzes der Sekundär- adern an die Hauptader. P. Herrn P. W. in Reval. — Zum Bestimmen euro- päischer Flechten kommen von neueren Werken in Be- tracht: P. Sydow, Die Flechten Deutschlands (Berlin, J. Springer), ferner A. Jatta, Sylloge lichenum italicorum (Trani, V. Vecchi), Olivier, Lichens du Nord-Ouest de la France, Crombie, British Lichens, endlich als Nachschlagebuch ohne Diagnosen Dalla Torre und Sarnthein, Flora von Tirol, Bd. IV, Flechten. Alle diese Werke behandeln aber nur ein eng umschriebenes Gebiet und sind deshalb nur mit großer Vorsicht für andere Länder zu benutzen. Ein neueres Flcchtenwerk, das ein größeres Gebiet umiaßt, existiert leider nicht. Dies dürfte auch der Grund sein, weshalb die Flechten- kunde augenblicklich so vollständig darniederliegt, denn die Beschaffung der Spezialliteratur ist mit großen Schwierigkeiten und Kosten verknüpft. Wenn Sie sich in das Gebiet ein- arbeiten wollen , so kann dies nur geschehen , wenn Sie mit einem tüchtigen Lichenologen in Verbindung treten. Vielleicht kann Ilinen Dr. A. Elenkin am Kaiserl. Botan. Garten in St. Petersburg weiter helfen. G. Lindau. Herrn G. H. in Ravensburg. — Flageolett -Töne heißen die Obertöne schwingender Saiten, über die Sie in jedem physikalischen Schulbuch oder im Konversations-Lexikon aus- reichende Auskuntt finden. Inhalt: Kurt Hucke: Konchyliometrie. — A. Becker: Unsere gegenwärtigen Kenntnisse über Radioaktivität. (Schluß.) — Kleinere Mitteilungen: Georg Boenuinghaus: Gehörsinn der Wale. — Hans Molisch: Über Kohlensäure- Assimilationsversuche mittels der Leuchtbakterienmethode. — S. P. Langley: Totale Sonnenfinsternis vom 28. Mai 1900. — A.Becker: Der elektrolytische Wellendetektor. — Dr. Leduc: Elektrizität als Betäubungsmittel. — Wetter- Monatsübersicbt. — Vereinswesen. — Bücherbesprechungen: Prof. Dr. AI fr e d Burgerstein: Die Transpiration der Pflanzen. — G. Graf: Kurze Himmelskunde. — F. Klein: Über eine zeitgemäße Umgestaltung des mathematischen Unterrichts. E. Riecke: Beiträge zur Frage des Unterrichts in Physik und Astronomie. — L.iteratur: Liste. — Briefkasten, Verantwortlicher Redalcteur: Prof, Dr, H. Potonie, Grofs-Lichterfelde-West b, Berlin. Druclc von Lippen & Co. (G. Pätz'sche Buctidr,), Naumburg a, S, Einschliefslich der[;Zeitschrift ,,Die NatUr" (Halle a. S.) seit i. April 1902. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion : Professor Dr. H. Potoni6 und Oberlehrer Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge III. Band; der ganzen Reihe XIX. Band. Sonntag, den '25. Dezember 1904. Nr. 65. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlung^en ^ und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Vierteljahrspreis ist M. 1.50. Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Postzeitungsliste Nr. 5446. Inserate: Die zweigespaltene Petitzeile 50 Pfg. Bei größeren .Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Über- einkunft. Inseratenannahme durch Max Gelsdorf, Leipzig- Gohlis, Blumenstrafie 46, Buchhändlerinserate durch die Verlagsbandlung erbeten. Bilder von Windwirkungen am Strande. fNachdrack verboten.] Von F. E. Geinitz-Rostock. I. Kräuselmarken auf dem VVarnemünder Strand. Die Windwellen oder Kräuselungsmarken (besser „Kräuselmarken"), ripplemarks, auf feinem Sande sind eine ganz bekannte und häufige Plrsclieinung; die folgenden Beobachtungen beanspruchen nicht, viel Neues zu deren Erklärung beizubringen, son- dern sollen hauptsächlich einige gute Bilder für die Demonstration der Erscheinung liefern. Die Bilder wurden am 2. September 1903 am Strande der Stoltera aufgenommen, wo sie nach frischem westlichen Winde auf der etwa West-Ost ver- laufenden Strecke von 1,5 km Länge zwischen Wilhelmshöh und dem Anfang des Klintes sehr hübsch neugebildet waren. Die Frage nach der Entstehung der Kräuse- lungsmarken ist zuletzt ausführlich von E. Berto- l o 1 y erörtert worden ') ; ich möchte den Aus- ') E. Bertololy, Kräuselungsmarken und Dünen. Mün- chen 1900; in GUnther's geograph. Studien, 9. Stück. — Hier findet man auch die frühere Literatur angegeben. Siehe auch Jentzsch in Gerhardt: Handbuch des deutschen Dünenbaus. Berlin 1900, S. 54, 77, 8l. V. Cornish: On Kumatology. führungen dieses Autors nur einiges hinzufügen was vielleicht nicht ohne Bedeutung für die Ent- stehungsfrage sein mag. Eine genaue Betrachtung unserer Photographien ergibt unter anderem folgendes: Zunächst macht sich, besonders auf weiten einheitlichen Flächen, die große Regelmäßigkeit der Wellen bemerkbar, die den Gedanken aus- schließt , sie seien in ihrer Ursache auf einzelne Unregelmäßigkeiten des Bodens oder zufällige Hindernisse zurückzuführen, wie Bertololy meint. Fig. I zeigt auf der oberen Hälfte des Bildes solche weite Flächen am Gehänge einer neuge- bildeten Düne; hier konnte* der Wind ungehindert über eine größere Fläche streichen. Auf mehr oder weniger lange Erstreckung verlaufen die Wellen in sanft geschwungener Kammlinie ein- ander parallel (nur durch die photographische Darstellung erscheint ein Konvergieren nach dem -Augenpunkt; die Entfernung der Kämme beträgt Geogr. Journal 1899, London, gibt ein gutes Bild von Dry Sand rippled by wind. Auch O. Baschin erwähnt in seinen Dünenstudien, Zeitschr. Ges. Erdkunde Berlin, 1903, S. 429 die Rippelmarken. 1026 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 65 ^'-^^jfltr" ■^^ ,A^ Ifr Fig. I. Kräuselmarken auf .Sandanwehung vor der Düne bei Buhne 16 und 17. Stnllera b. Warnemünde. 2. IX. 03 Fig. 2. Kräuselmarkcn auf Sandfläche bei Buhne 20,5. Stoltera. Im Hintergrund eine neugebildete niedere Düne die sich an den Klint parallel vorlagert. 2. IX. 03. N. F. m. Nr. 65 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 1027 4 — 6 cm (bei Biegungen wurde als äußerster Ab- Dies ist der häufigste Fall, den man auf vielen stand 13 cm gemessen), die Höhe der Wellen bis größeren Sandflächen beobachten kann und der zu ca. I cm. Alles besteht aus ziemlich gleich- vielfach abgebildet ist. Hierbei ist es gleich, ob körnigem Sand, oft am Grunde etwas gröber als die Grundfläche horizontal ist oder geneigt (z. B. oben. auf den Seiten ansteigender Dünen). f ig- 3- Sandfläche mit Kräuselmarken bei der Buhne 20. Stollera. Im Hintergrund eine frische kleine Düne vor dem Klint. 2. IX. 03. ■^f. t 4A - ^l-:\. Fig. 4. Ivräuselmarken auf Sandfläche bei Buhne 21. Stoltera. Im Hintergrund frei gewehte Sandfläche. 2. IX. 03. I028 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 65 Überall ist die Längsrichtung der Wellen un- gefähr senkrecht auf die Windrichtung oder die Kompenente der direkt oder reflektiert gehenden Windrichtung. Dabei sehen wir häufige Verästelungen; aber meistens nicht im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern man bemerkt im allgemeinen einen gleichen Abstand der einzelnen Wellen, wo- bei eine oder die andere mit Ausbiegungen etwas zurückbleibt oder sich vorschiebt, und hier schaltet sich eine neue, ganz selbständige Welle ein, in ihrem Anfang nicht mit dem Nachbar zusammenhängend, sondern mit sanfter Erhebung an der Seite aus dem allgemeinen Niveau aufsteigend. Eine solche neue Welle bleibt selbständig und hört in ihrem weiteren Verlauf ebenso selbständig wieder auf, und die benach- barte setzt in ihrer alten Richtung fort. Nur an seltenen Stellen findet eine direkte Verbindung zwischen alter und neuer Insertion statt, oder sie ist wenigstens angedeutet durch einen kurzen Haken der alten, der nach der neuen hinweist (Fig. i u. 2). Die gleichen Kräuselmarken finden wir im flachen Wasser des Strandes, besonders bei vor- und rückwärtslaufender Bewegung am flachen Strand oder in kleinen Lagunen ^) ; ebenso an tieferen Stellen unter dem vom Wind gekräuselten Wasser, gleichsam die Wellen wiederspiegelnd. Gleiche Formen von trockenem Sand oder Staub sehen wir bisweilen auf Chausseen (bei Schneetreiben seltener, weil hier das Material andere Beschaffen- heit hat). Bei der Frage nach der Entstehung ist zu- nächst der Umstand zu betonen, daß sie um so reiner und regelmäßiger auftreten, je freier von Hindernissen die Fläche ist; die Idealform würden parallele und gerade Linien sein, frei von Biegungen und Verästelungen ; doch kommt dies auf sehr lange Strecken wohl nicht vor. Die Erklärungen, welche zur Bildung ein vorhandenes Hindernis annehmen, können nicht richtig sein, die Ursache muß in dem Agens, in der bewegten Luft oder dem bewegten Wasser, liegen. Der Windstrom geht über den Boden nicht in Form einer ebenen Fläche, sondern macht hier stoßförmige springende oder spiral-, wirbel- oder walzenförmig aufrollende Bewegungen (in Wülsten); das Querprofil des Luftstromes ist ') Hier im flachen Wasser des Strandes oder der lagunen- artigen Pfützen sind es Interferenzerscheinungen der Meeres- wellen, welche die Kräuselmarken hervorrufen ; besonders ein- leuchtend ist dies bei den Lagunen zu sehen, welche von zwei Seiten her von den heranlaufenden Wellen ihr Wasser er- halten. O. N. Witt hat die Erscheinung kürzlich beschrieben (Prometheus, XIV, 1903, 751): ,, ganz leichte und gleichmäßige Wellen laufen am sanft geneigten Strand empor und wieder zurück. Dabei interferieren die rücklaufenden Wellen mit den herankommenden. An den Stellen der sich ausbildenden stehenden Knoten wirken offenbar größere Wasserdrücke auf den leichten Sand des bespülten Strandes, als an den Stellen der Bäuche. Hier wird daher der Sand weggespült, während er sich an den Stellen der Bäuche ansammelt." also an der Grenze des Bodens nicht eine gerade Linie, sondern eine von rückläufigen Kreisen unter- brochene Kurve, ungefähr wie die beistehende ?"igur. Unsere schematische Figur erinnert an die Ab- bildungen, die R. Wachs muth gibt.') Der über die Sandfläche hinstreichende Luft- strom findet an dem Sande Widerstand und Rei- bung; aus den Untersuchungen von Helmholtz folgt, „daß der gerade sich ausbreitende Luftstrom labil ist und daß er immer in eine Schlangen- linie überzugehen streben wird, weil er da in dem Zustand kleinerer Energie ist".-) Auch an der Grenze sich mischender Luftschichten von verschiedener Dichte entstehen nach Helmholtz spiralige Bewegungen. Unter den Stellen der aufsteigenden Wirbel wird also die Bewegung Null und der von dem Luftstrom fortbewegte Sand niederfallen, wie in dem Diagramm angedeutet. Auch die Anreiche- rung der ausgeblasenen niederen Stellen an Sand- körnern erklärt sich dadurch. Eine den „Verästelungen" der Kräuselmarken gleiche Form haben auch nach L. Matthiessen ■'') die Klangfiguren, wo sich nach ihm auch nicht die Rippen gabelförmig spalten, sondern die leeren Zwischenräume. (Versuche mit einem Ventilator, die Herr Prof. Wachsmuth anstellt, haben zwar die Bildung der Kräuselmarken prächtig nachahmen können, doch gelang es bisher nicht, die angenommenen Wirbel nachzuweisen. Dagegen tritt sehr rasch eine Son- derung nach der Korngröße ein und es könnten die reihenweise vorwärts geschleuderten Steinchen vielleicht schon das von Bertololy gesuchte Hinder- nis abgeben). Bei der leichten Beeinflussung der Geschwindig- keit der über eine Fläche streichenden Luft, im Querschnitt der Gesamtbahn, ergibt sich der häufig von der Geraden abweichende, gebogene Verlauf der Wellenkämme, ergeben sich die Insertionen, welche an den Wirbelstellen, nicht an den vorigen Kamm direkt, anschließen^können. Wenn man übrigens sieht, wie sowohl im Wasser, als auf dem trockenen Sande an derselben Stelle die Richtung der Wellen in den folgenden Zelten oft wechselt, wie einige hundert Meter weiter zu gleicher ßeobachtungszeit die Richtung ') Ann. d. Physik. 14, 1904, S. 488 und Taf. 2, vgl. S. 495. ') Wien, Physikal. Zeitschr. 4. 748. ') Matthiessen: Akustische Versuche, die kleinsten Transversalwellen der Flüssigkeiten betr. Pogg. Ann. 134, 1868, 107. und üb. d. Transversalwellen tönender tropfb. und elast. Flüssigk. ibid. 141, 1S70, 375 [381), N. F. m. Nr. 6 s Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 1029 verschieden ist, so ergibt sich ohne weiteres, daß die Richtung der Wellen niemals zur Bestimmung etwa der durchschnittlichen Windrichtung dienen kann, wie bisweilen angenommen wurde. Der nicht geradlinige, sondern schlangenförmige Verlauf der Kammlinien, welche überall im großen und kleinen zu beobachten ist (Fig. 4), wird, wie ein Blick auf unsere Bilder lehrt, durch irgend- welche Hindernisse verursacht, welche dem freien Lauf des Windes entgegenstehen. Der rückwärts laufende Kurventeil führt nach ihm hin. So sehen wir z. B. auf Fig. 2 , wie die Gras- und Tangbüschel mit ihrer dahinter gelegenen Sandzunge solche Hindernisse bilden : Zu beiden l'ig. 5. Windeinfluß auf Eaumwuchs, Rosenort b. Warnemünde. 7. Vll. 01. lig. 6. Dasselbe. In beiden Fällen Boden: Heidesand, etwa 3 m ü. M. I030 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 65 Seiten weht der Wind stärker, schiebt die Kräusel- marken in Kurven weiter vorwärts; ihr Zusammen- hang ist bei starker Luftbewegung auf der Höhe der Sandzunge unterbrochen, bei schwächerer er- halten, aber in rücklaufender Kurve. ^'S- 7- Vom Winde im Wachstum gestörte Pappelbäume hin Ribnitzer Stadtwiese bei Wustrow. 21. VIII Dasselbe sehen wir im kleinsten Maßstab hinter Steinen (Fig i). Weiter unterhalb gleichen sich die Kurven oft wieder aus, auch wenn sie zuerst ganz schroffe Ausbiegungen zeigten. Das gleiche sieht man hin- ter Pfählen von Buhnenreihen (Fig. 3). . Die hinter den Grasbüscheln ansetzenden Sandzungen erläu- tern auch sehr hübsch die Dünenbildung von Hocli- ufern. Auch längs der niederen Steilufer kann man dieselbe gut beobachten (Fig. 3). Überall sehen wir die Dünen parallel der Küstenkontur laufen. Diese letztere verläuft ja nie in ge- rader Linie, sondern macht die verschiedensten Biegungen. Sel- ten wird wohl der Sand direkt senkrecht auf das Steilufer an- geweht, sondern in den aller- meisten Fällen in schräger Richtung, die sich bis zur Pa- rallelrichtung ändern kann. Der Satz, die Düne bildet sich senk- recht zur herrschenden Wind- richtung, ist in dieser Allge- meinheit nicht richtig, vielmehr ist die Dünenbildung durchaus von den kleinen lokalen Abweichungen des Windes beeinflußt, die ihrerseits in dem Verlauf des Uferrandes bedingt sind; daher unendliche Mannichfaltigkeit. Der Wind mag kommen, von welcher Richtung er wolle, immer wird er an dem Ufer abgelenkt, so daß als Resultante ein dem Ufer parallel- laufender Luftstrom die Sand- körner in Arbeit nimmt. Wie also im kleinen die Kräuselungsmarken senk- recht zur Windrichtung stehen, so sahen wir die einigermaßen größeren Sandzungen hinter Hindernissen parallel der- selben verlaufen und als ihnen entsprechende, ins große über- setzte Bildungen, sind die Dü- nen aufzufassen. Diese Beobachtungen gelten für Küsten mit Hochufer oder Klint (gleich, ob dasselbe wenig oder viele Meter sich erhebt); an den offenen Flachküsten, be- sonders bei Moorniederungen, wird vielleicht die übliche An- nahme richtig sein; hier kann man die Dünen in ihrem dem Strande parallelen Verlauf gut mit den parallelen Sandbänken des flachen Meeres vergleichen, hier werden sie also im großen ebenso wie die Kräuselinarken in einer Wellenbewegung ihren Ur- sprung haben. Ob auch hier der Küste parallele Sekundärluftströmungen von wesentlicher Bedeu- tung sind, wobei die kleinen neugebildeten Sand- ler dem Deicli au der Ol. s Ä.N ■ .^ ^**"""*™^Ä r ^ BHI'-'''- '^SK^V ^. gmnii fc/^^ m .-.■.■^^^./»J^mt.ifSijff^.sMP'iS^M ^^^^1 HHM^ Ä ■l" 3 ^^Hl^^^^^l HRülEr;.. ^'^' h ^^ ^^^B^>^ ,;'"".'■■ '" ■"" :i ^^R'r 'V . ^^^^H^^ii '' i^H^ül gj y. • ■ .-/.'^»i ."i, • . ^1^^ IKiH£ Ji^ Fig. S. Eiiizelbaum obiger Gruppe. N. F. m. Nr. 65 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 1031 liiigel die Rolle des Hochufers übernehmen, möchte ich nicht fest behaupten; zu beachten scheint mir indes diese Möglichkeit doch zu sein. Bei starkem konstantem Winde werden vor- handene Dünenquerkämme alsdann wieder umge- bildet, durch die Sichelform in die der Windrichtung parallel streichenden Kämme, die ,,Rimmer", wie wir sie auf dem Darßer Ort finden und wie sie Steenstrup von Jütland beschreibt).^) 2. Windeinfluß aufdasBaumwachstum. Die folgenden Bilder geben einige Beispiele für den Einfluß des Windes auf das Baumwachs- tum. Theoretisch sind die Verhältnisse sehr schön geschildert von F. Früh : Die Abbildung der vor- herrschenden Winde durch die Pflanzenwelt. Jahres- bericht geogr. Ges. Zürich, ig02. Wir finden bei uns oft die von Früh bezeichnete Form : „Ganze Pflanze einseitig gebogen, niedrig gewunden, Krone wie geschoren, buschig-dornig wie Hecken, dem horizontalen Druck und Zug angepaßt, als Wind- fahne entwickelt." ^) Steenstrup: om klitterencs Vandring. Geol Foren. I. Kopenhagen, 1894. Mcdd. Dansk Schräg abgeschorene Baumgruppen , deren Kronen in gerader Linie wie mit einer Garten- schere abgeschnitten landeinwärts ansteigen, findet man häufig, z. B. am Rosenort in der Rostocker Heide. Dasselbe Bild zeigen auch Einzelbäume. (Fig. 5 u. 6.) Betrachtet man solche Bäume, so findet man, daß ihr Stamm nicht gebogen (etwa durch den Wind landeinwärts gerichtet) ist, sondern derselbe aufrecht normal entwickelt ist; nur ist die Krone windwärts verkümmert und die hinteren Zweige und Äste ragen belaubt landeinwärts (Fig. 5), oder die vorderen sind zwar auch noch entwickelt, jedoch nur bis zur Höhe , wo der Wind noch nicht einwirken kann; über jene Grenze hinaus, und zwar in landwärts aufsteigender Linie, sind die Triebe abgestorben. (Fig. 6.) Dasselbe ist sehr nett an der Straße hinter dem Deich an den Ribnitzer Stadtwiesen vor Wustrow zu sehen. Von weitem erscheint die ganze Pappel- reihe schräg gestellt (Fig. 7); in der Nähe er- kennt man aber, daß auch hier wieder der Stamm ziemlich senkrecht steht und nur die Aste auf der Luvseite abgestorben und verkümmert sind. (Fig. 8.) Kleinere Mitteilungen. Einem Artikel über Tropenkrankheiten (Gel- bes Fieber, Schlafkrankheiten, Beriberi) von Dr. B. Nocht, Chefarzt des Hamburger Seemanns- krankenhauses und Instituts für Schiffs- und Tropen- krankheiten, erschienen in Nr. 21 der „Zeitschrift für ärztliche I^'ortbildung", i. Nov. 1904 (Verlag V. G. Fischer in Jena), entnehmen wir folgende allgemein interessierende Daten : I. Das gelbe Fieber. Diese akute hifek- tionskrankheit zeigt zwar große Neigung, sich von ihren endemischen, tropischen Herden von Zeit zu Zeit über weitere Strecken epidemisch zu ver- breiten; sie ist aber dabei an Gegenden und Jahres- zeiten mit einer mittleren Temperatur von un- gefähr 20" gebunden. So ist die Krankheit zwar oft genug bis an die Küsten Europas verschleppt worden; sie hat aber nur im Süden Europas, und auch dort nur im Sommer, Epidemien verursacht; an die Küsten Mittel- und Nordeuropas sind nur eingeschleppte F'älle gelangt, die zu keinen Über- tragungen oder höchstens ganz schnell vorüber- gehenden lokalen Ausbrüchen im heißen Sommer geführt haben. Die ersten Nachrichten über die Krankheit stammen von den Antillen. Es ist wahrscheinlich, daß eine der Karavellen des Kolum- bus vom Gelbfieber heimgesucht worden ist. Von den Antillen ist die Seuche nach dem mexikanischen Golf und zeitweise bis weit in die Südstaaten der nordamerikanischen Union gedrungen; in einigen Hafenplätzen des mexikanischen Golfes ist sie en- demisch geworden. Von den Antillen ist sie ferner nach der Ostküste Südamerikas, namentlich nach Brasilien gelangt und dort endemisch geworden. Weitere endemische Herde finden wir in gewissen Teilen von Westafrika, an der Goldküste, in Sierra Leone, in Teilen von Gambia und von Senegal. Im übrigen ist die östliche Erdhälfte bisher von der Seuche verschont geblieben; vielleicht ändert sich das aber, wenn einmal der Panamakanal fertig und eröffnet sein wird. Zur Beurteilung der Gefährlichkeit und der Verheerungen, die die Seuche auch noch in neuester Zeit angerichtet hat, mag die Angabe genügen, daß in Kuba noch 1897 mehr als 6000 Todesfälle an Gelbfieber berichtet worden sind, was darauf schließen läßt, daß dort die Krankheit in diesem einen Jahre über 30000 Menschen ergriffen hatte. Besonders gefährdet sind in den Gelb- fiebergegenden die neueingewanderten Europäer und unter diesen wieder besonders die hellfarbigen, blonden Individuen. So haben unsere Hansestädte, die ihre Kaufleute hinüber schicken, viele schmerz- liche Verluste durch die Krankheit zu verzeichnen, und noch größer sind die Verwüstungen, die das gelbe Fieber in einzelnen Jahren unter den See- leuten unserer Handelsflotte angerichtet hat. Im Jahre 1892 entfielen von den zur Kenntnis des Hamburger Seemannsamtes gekommenen Sterbe- fällen an Krankheiten 53 Proz., im Jahre 1893 34 Proz., 1894 40 Proz. auf das gelbe Fieber. Eine einzige deutsche Reederei verlor in der Epidemie 1891/92 in Santos 85 ihrer Leute an der Krankheit. Ein längerer Aufenthalt in gelb- fieberheimgesuchten Gegenden verleiht Immunität gegen die Krankheit; hierauf beruht u. a. die teilweise Immunität der Neger in Brasilien; in I032 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. III. Nr. 65 gelbfieberfreien Gegenden aber sind die dort lebenden Negern nicht immun, z. B. im Süden der Vereinigten Staaten. Wie die neuerdings ein- wandfrei ausgeführten Übertragungsversuche er- wiesen haben, verlaufen die leichtesten Formen des gelben Fiebers als ganz leichte, nicht charak- teristische fieberhafte Erkrankung; sie verleihen aber Immunität gegen schwerere Infektionen. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß die durch längeren Aufenthalt, durch Akklimatisation, wie man zu sagen pflegt, erworbene Gelbfieberimmunilät darauf beruht, daß diese Immunen einmal einen ganz leichten, nicht beachteten Anfall der Krank- heit überstanden haben. Man kann drei Formen der Krankheit unter- scheiden. Erstens die eben erwähnte, ganz leichte Form, eine zwei- bis dreitägige, nicht charakte- ristische, fieberhafte Allgemeinerkrankung. In den etwas schwereren Fällen, die den Übergang zum ausgesprochenen Typus der Krankheit bilden, ge- sellt sich Erbrechen aller Speisen und Albuminurie hinzu. Der Ausgang in Heilung ist in allen diesen Fällen die Regel. Die zweite Form stellt das charakteristische Bild der Krankheit dar, von der sie ihre verschiedenen Namen hat , wie gelbes Fieber, Vomito negro, Black vomit, Coup de Barre und dergleichen. Die Krankheit beginnt mit plötzlicher, von Frösteln oder ausgesprochenem Schüttelfrost begleiteter Temperatursteigerung, Kopfschmerzen, Augenschmerzen, Rücken- und Lendenschmerzen. Dieser hoch fieberhafte All- gemeinzustand bleibt drei bis vier Tage mit nur geringen Schwankungen bestehen; am vierten Tage sinkt die Temperatur; es treten aber nach einer kurzen Pause anscheinender, mit dem Sinken der Temperatur verbundener Besserung bedroh- liche Erscheinungen allgemeiner Blutdissolution auf, Nasenbluten, Zahnfleischblutungen, Erbrechen schwarzer Massen in den Magen ergossenen Blutes, Blutstühle und enorme Gelbsucht. Dazu gesellt sich eine außerordentliche Schmerzhaftigkeit des Leibes. Die Urinsekretion ist in diesem zweiten Stadium entweder ganz unterdrückt, oder es werden nur sehr geringe Mengen stark eiweißhaltigen Urins entleert. Schon im ersten Stadium der Krankheit findet sich übrigens in allen ausge- sprochenen Fällen vom ersten oder zweiten Tage ab Eiweiß im Urin. Nur in sehr wenigen Fällen geht, wenn dies zweite Stadium schwere Erschei- nungen bietet, die Krankheit in Heilung über. Tiefes Sinken der Temperatur am Ende des ersten Stadiums ist prognostisch ungünstig ; die Temperatur bleibt dann während des zweiten Stadiums subnormal und der Kranke stirbt im Kollaps. Das Bewußtsein ist meist während der ganzen Krankheit gut erhalten , der Puls eher retardiert. Die Milz ist gar nicht oder wenig ge- schwollen. Die dritte Form soll foudroyant in wenigen Stunden unter Hyperpyrexie zum Tode verlaufen, so daß es gar nicht zur Au.sbildung charakteristischer Veränderungen und Symptome kommt. Die Mortalität ist sehr schwankend, bei frisch Eingewanderten und in Gegenden, in denen die Krankheit lange nicht mehr geherrscht hat, sehr hoch, bis 75 Proz. Die Krankheit wird durch eine bestimmte Mückenart, die Stegomyia fasciata (Fig. i), über- tragen. Die einzige, sonst noch bekannte Über- tragungsart besteht in der direkten Einführung von Blut eines Gelbfieberkranken während der .-X / / \ \ Fig. I. Stegomyia fasciata 9- ersten drei Tage seiner Erkrankung in die Ge- webe eines gesunden Individuums. Der Verkehr mit einem Kranken und die noch so innige und lange Berührung mit seinen Auswurfstoffen, seinen Kleidern usw. vermag die Krankheit nicht zu übertragen. Die durch Moskitos übermittelte In- fektion verläuft um so schwerer, je längere Zeit verflossen ist, nachdem sich der Moskito infiziert hat. Ehe nicht 12 Tage verflossen sind, nachdem der Moskito Blut von Gelbfieberkranken aufge- nommen hat, ist sein Stich überhaupt nicht ge- fährlich. Schwere Krankheitsbilder entstehen erst, nachdem die infizierten Moskitos 3—6 Wochen und noch länger bei dem Temperatur-Optimum von 27 — 28" gehalten werden. Früher angestellte Stechversuche ergeben nur leichte Infektionen. Mit den Ergebnissen der direkten Blutübertragung übereinstimmend vermag auch der Stich von Moskitos nur dann eine Erkrankung hervorzurufen, wenn die Mücke Gelbfieberkranke in den ersten drei Tagen der Erkrankung gestochen hat. Später ausgeführte Stiche infizieren den Moskito nicht mehr. Die Inkubation nach der Übertragung durch Stich kann sich auf 14 Tage ausdehnen. Mit der Lebensweise der Stegomyia stimmt das epidemische Verhalten des gelben Fiebers sehr gut überein. Diese Mückenart ist wie das gelbe Fieber auf die wärmeren Länder beschränkt, übrigens aber sehr N. F. III. Nr. 65 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 1033 viel weiter verbreitet als die Seuche. In tropischer Temperatur ist diese Mücke außerordentlich aktiv. Das Weibchen ist sehr blutdürstig; es zieht mensch- liches Blut dem der Tiere vor. Sie greift zwar alle Menschenrassen an, mit Vorliebe aber nach den Ermittelungen der französischen Expedition die Weißen, und am eifrigsten soll sie sich auf In- dividuen mit feiner, weißer, blutreicher Haut stürzen. Sie sticht bei Tage wie bei Nacht. Auf den ersten Blick scheint das unvereinbar mit der feststehen- den Erfahrung, daß man das Gelbfieber im all- gemeinen nur des Nachts akquiriert. So schützen sich die wohlhabenden Bewohner von Rio seit vielen Jahren vor dem Gelbfieber dadurch, daß sie nur den Tag über sich dort aufhalten, die Nächte aber regelmäßig in dem gelbfieberimmunen Petro- polis zubringen. Für die Verhütung des Gelbfiebers kommen dieselben Methoden in Betracht wie für die der Malaria. 2. Die afrikanische Schlafkrankheit ist uns seit mehr als hundert Jahren bekannt. Wir wußten, daß sie in einzelnen Dörfern und Distrikten im Hinterland des tropischen Westafrika ende- misch herrschte. Zur Zeit des Sklavenhandels starben viele Neger an Bord der Sklavenschiffe und auch noch nach ihrer Ankunft in Amerika an dieser Krankheit, die man damals als eine Art von Nostalgie ansah. Im ganzen galt die Affek- tion als eine zwar interessante, aber streng ende- mische , der weiteren Verbreitung nicht fähige Negerkrankheit. Das ist jetzt anders geworden. Die Krankheit hat mit einem Male begonnen, in erschreckender Weise um sich zu greifen , und erweist sich anscheinend als eine ernste Gefahr für Ackerbau und Handel im tropischen Afrika. Die Krankheit hat sich in wenigen Jahren durch ganz Angola, das portugiesische Westafrika, aus- gebreitet; sie richtet im französischen Kongo und im freien Kongostaate große Verheerungen an. Sie ist den Niger und den Kongo bis nach Zentral- afrika hinaufgezogen und hat vor kurzem den Viktoria Nyanza und damit die östliche Hälfte Afrikas erreicht und soll , um den See herum- ziehend, nacli englischen Berichten bereits die Grenzen des deutschen Schutzgebietes überschritten haben. Auch nach dem oberen Nil ist sie hinauf- gedrungen. Ganze Dörfer werden durch sie ent- völkert. In der am Viktoria Nyanza liegenden Provinz Busoga sollen der Krankheit in den letzten 3 Jahren 30 000 Menschen erlegen sein. Auch ist die bisherige Ansicht, daß die weiße Rasse immun gegen die Krankheit sei, anscheinend nicht mehr aufrecht zu erhalten. Die Krankheit dauert immer mehrere Monate bis zu I — 2 Jahren und endet anscheinend immer tödlich. Sie beginnt mit gelegentlichen Fieber- attacken ; dann kommen Anfälle von Kopf- schmerzen, Schwindel hinzu. Das Gesicht erhält ein gedunsenes Aussehen. Nach und nach befällt den Kranken eine zunehmende Müdigkeit. Die Kranken schlafen zu ungewöhnlicher Zeit, bei der Arbeit, im Gespräch, selbst beim Essen ein. Schließlich ist der Kranke nur, solange man mit ihm spricht oder ihm das Essen in den Mund gibt, wach zu halten. Oft schläft er mit dem Bissen im Munde ein. Die Intelligenz ist dabei wohl erhalten. Die Kranken geben auf Fragen vernünftige Antworten, sind aber zur Fortsetzung des Gespräches nicht geneigt. Die Temperatur ist bis auf gelegentliche kurze Fieberanstiege sub- normal, die Sensibilität nicht wesentlich gestört; eigentliche Lähmungen kommen nicht zustande. Die Muskulatur wird aber allmählich schwächer, die Muskeln zittern; die Nahrungsaufnahme und die vegetativen Funktionen sind anfangs noch gut in Ordnung; später bereitet die Ernährung Schwierigkeiten; die Kranken beschmutzen ihr Bett; der Speichel fließt aus dem Munde, und so sterben sie kraftlos und komatös, manchmal mit terminalen Konvulsionen unter Gehirnerscheinungen. Die Ätiologie der Krankheit war bis vor kurzem ganz unklar. Sie scheint auf einem eigen- artigen Parasiten zu beruhen, den in diesem Jahre (1903) Gast eil ani in der durch Punktion ent- leerten Lumbal flüssigkeit von Kranken ge- funden hat. Er fand in dem durch Zentrifugierung gewonnenen Bodensatz der Flüssigkeit in 20 von 34 untersuchten Fällen Trypanosomen und zwar nur bei schlafkranken Negern, bei gesunden oder an anderen Affektionen leidenden Individuen nicht. Seitdem sind die Beobachtungen von Castel- lani durch umfassende Untersuchungen einer englischen, aus den Forschern Bruce, Navarro und Greig zusammengesetzten Expedition, ferner von der französischen Expedition von Wüst und Brumpt, die auch die drei schlafkranken, mit Trypanosomen behafteten Neger nach Paris ge- bracht haben, bestätigt worden. Der englische Bericht ist eben erschienen. Über die Ergebnisse der französischen Forscher hat B 1 a n c h a r d auf dem internationalen Kongreß für Hygiene und Demographie im September 1903 in Brüssel vor- läufige Mitteilungen gemacht. Bruce und Na- varro fanden die Trypanosomen in der Lumbai- flüssigkeit jedes einzelnen von 40 untersuchten Fällen von Schlafkrankheit. Wiggins fand sie in jedem von 53 Phallen. In der Lumbaiflüssigkeit gesunder oder an anderen Affektionen leidender Individuen sind noch keine Trypanosomen be- obachtet worden. Auf Affen übertragen verläuft die Krankheit viel akuter als bei Menschen. Die Trypanosomen erscheinen zuerst sehr zahlreich im Blute, dann aber auch in der Cerebrospinalflüssig- keit. Die Symptome der Schlafkrankheit äußern sich bei den Tieren nicht in der charakteristischen Weise wie beim Menschen ; die Tiere schlafen zwar viel, und zeigen außer der Somnolenz auch Blutkühle, aber das tun die Affen auch unter dem Einfluß anderer Infektionserreger unmittelbar vor dem Tode; nur in einem Falle traten lethar- gische Symptome bei einem mit Trypanosomen infizierten Affen schon 10 Tage vor dem Tode auf (Fig. 2). I034 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. m. Nr. 6s Wir kennen eine ganze Reihe pathogener Trypanosomen, das Rattentrypanosoma, das Trypanosoma der Dourine, das Trypanosoma der Tsetsekrankheit und der indischen Surra, den Para- siten des Mal de Caderas, das südafrikanische Trypanosoma Teileri, einer Rinderkrankheit u. a. Der erste, der Trypanosomen bei Menschen fand, war der Franzose Nepveu 1891, dann kam vor zwei Jahren der Forde-Dutton' sehe Fall, dann diagnostizierte Manson mit Daniels einen Fall Gesundheitsstörungen hervor; bei Europäern ver- ursachen sie von Zeit zu Zeit eigenartige heftige Fieberattacken und eine allgemeine Kachexie. Erst im weiteren Verlaufe der Krankheit dringen die Parasiten in die nervösen Zentralorgane und be- wirken dort allmählich Veränderungen, die zu den Erscheinungen der Schlafkrankheit führen. Es ist schon lange bekannt, daß die Inkubationszeit der Schlafkrankheit sich über Jahre erstrecken kann. Die Neger behaupten, daß man noch sieben Jahre Fig. 2. Mit Trypanosomen infizierter, schlafender Affe. im Sept. 1902 ; ein vierter Fall wurde im Dezember 1902 in Brazzaville entdeckt; seitdem sind noch weitere Fälle hinzugekommen (Fig. 3, 4). Die Patienten waren zum Teil Europäer; die Trypano- somen fanden sich lediglich im Blute. Die Sym- ptome der Trypanosomasen bestanden in eigen- Fig. 4. Tsetsetrypanosoma. nach der Entfernung aus dem endemischen Ge- biete erkranken könne. Zur Zeit des Sklaven- handels wurden viele Fälle bei Negern beobachtet, die schon jahrelang auf den Antillen arbeiteten, niemals aber bei solchen, die in Amerika geboren Fig. Rattentrypanosoma. artigen Fieberanfällen und zunehmender Kachexie. Alle Beobachtungen deuten darauf hin, daß nach der Infektion die Trypanosomen sich zunächst nur im Blute aufhalten. Bei den Negern rufen sie während dieser Zeit keine oder nur ganz vorüber- gehende F"ieberattacken und keine erheblichen Fig. 5. Glossina palpalis. waren. Noch nicht genügend aufgeklärt ist die Erscheinung, daß so sehr selten Europäer in den endemischen Gebieten ergriffen werden. Der oben zitierte Fall ist vielleicht der erste sicher kon- N. F. m. Nr. 65 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 1035 statierte. Vielleicht spielt dabei die Art der Über- tragung eine Rolle. Die Krankheit wird nach der Ansicht der französischen und englischen Forscher durch eine große, nur am Tage und im Freien herumfliegende Stechfliege (Fig. 5) übertragen, vor der sich die apathischen und nackten, viel mehr im Freien befindlichen Neger nicht so gut schützen wie die bekleideten, auf sich achtenden Europäer. Nach der Ansicht der englischen und französischen Forscher ist es eine Tsetseart, die diemensch- lichen Trypanosomen überträgt. Bruce und N a ■ varro konnten in drei Fällen die Krankheit auf Affen durch den Stich vollgesogener Tsetsefliegen übertragen. Man hat die Vermutung ausgesprochen, daß die Tatsache, daß die Schlafkrankheit gerade neuerdings so schrecklich zunimmt, mit der rapiden Verarmung großer Strecken Afrikas an Wild zu- sammenhängt. Die Stechfliegen greifen jetzt aus Mangel an Wild den Menschen mehr an als früher. Ob die Trypanosomen in der Tsetsefliege eine Entwicklung und welche sie durchmachen, wissen wir nicht. Die Verhältnisse müssen aber ganz anders liegen wie bei Anopheles und der Malaria. Während das gelbe Fieber bisher auf gewisse Teile von Amerika und Afrika, die Schlafkrankheit auf das tropische Afrika beschränkt ist, hat: 3. die Beriberikrankheit eine viel weitere Ver- breitung; man kann sie kaum mehr eine Tropen- krankheit nennen. Der einzige Weltteil, in dem sie noch keinen festen Fuß gefaßt hat, ist Europa. Ihre Hauptherde befinden sich in Ostasien, wo wir zwei Zentren für ihre Verbreitung unter- scheiden können, nämlich das malayische Insel- reich mit Hinterindien und den Straits Settlements mit Südchina, und Japan. In Afrika hat sich die Krankheit mit der zunehmenden Verwendung größerer farbiger Arbeitermassen in Minen, Plan- tagen und dergleichen und von farbigen Soldaten neuerdings fast durch den ganzen Erdteil gezeigt; dasselbe gilt für die Südsee und gewisse Teile von Australien; in Amerika ist der Hauptsitz Brasilien, ferner wird sie beobachtet auf den An- tillen, an der Ostküste von Zentralamerika; mit den Chinesen ist sie nach San Franzisco einge- wandert und weiter mit den Chinesen bis in die nördliche Zone nach Alaska gedrungen. In Europa sind vorübergehende Ausbrüche einer beriberi- artigen Krankheit in einigen Irrenanstalten in Irland, England und Frankreich beobachtet worden. Klinisch erscheint die Beriberi als eine sehr vielgestaltige Krankheit. Ihre Hauptsymptome werden bedingt durch eine degenerative Neuromyo- sitis, die in vielen peripheren Nerven und Muskeln auftreten kann; am meisten in die Augen springend sind die Prozesse, die die Gliedmaßen und die- jenigen, die den Zirkulationsapparat, namenthch das Herz und den Vagus betreffen. Man kann vier Formen unterscheiden; nämlich erstens die unvollkommen ausgebildete Form, die sich als ein chronischer Zustand von Muskelschwäche in den Beinen, Papiersohlengefühl, Herzklopfen und Be- klemmungsgefühl charakterisiert und oft monate- lang bestehen bleibt. Zweitens die atrophische Form (Fig. 6) mit fortschreitender Schwächung und Abmagerung der Arm- und Beinmuskeln bis an die Grenze der Lähmung, während Herzerschei- nungen selten oder nur wenig ausgesprochen sind. Drittens die hydropische Form (Fig. 7) mit mehr oder weniger allgemeinen Ödemen, Verminderung Fig. 6. .Atrophische Form der Beriberil