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Philologie und PaedagogiL

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Johann Ghristiaji Jahn.

Gegenwärtig herausgegeben

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Rudolph Dietsch ««i Alfred Fleckeisen

Professor in Grimma Professor in Fankfuri a. M.

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Achtundsiebenzigster Band.

Leipzig 1858

Druck und Verlag von B. G. Teubner.

Zweite Abtheilimg

henMsgcgebn tw Radtipk DIetsck

1.

Die Structuren mit el av und d ov geordnet und jede in ihrem Zusammenhange nachgewiesen.

Die Fälle, wo neben el sich diejenigen Modalformen finden, welche im Aussagesatz erscheinen, also namentlich der Opt. c. orV, das Praeter, c. av^ als Negation ov, sind noch nicht gehörig unterschieden. Es herscht noch die Sitte das äv durch Supplierung eines et, das ov durch Zusammenfassung mit einem einzelnen Worte oder durch Gleichsetzung mit si non für hinreichend erklärt zu halten , obwol danach durchaus nicht abzusehen ist, warum dann nicht überall sl ov und el av ge- setzt sei. Es lassen sich aber nicht blos bestimmte Klassen scheiden, was nach den beliebten allgemeinen Definitionen nicht möglich ist, sondern auch Fälle nachweisen , wo dem Opt. das av gar nicht fehlen darf. Auch würde z. B. bei einem Opt. c. äv u. c. ov das äv auf einen andern Grund zurückgeführt werden und umgekehrt, wann bei einem Opt. c. äv ein ov, wann fiif zu setzen sei, nicht bestimm- bar sein.

Die bisherige Behandlungsweise beruht darauf, dasz man still- schweigend voranssetzt, die Structur des sl im Bedingungssatz sei die dem il eigentlich zukommende , und dM bI sei es , welches das fiif oder den Opt. ohne äv regiere, während doch bI so wenig wie eine andere Conjunction die Hodusformen bestimmt, sondern dies durch die Bedeutung des ganzen Nebensatzes in seinem Verhältnis zum Hauptsatze geschieht.

Wir unterscheiden zunächst folgende Klassen: l) d'avfiä^co bIj ÖBivov bI usw., überhaupt alle Fälle, wo der Satz mit bI Substantivsatz ist, ohne indirecte Frage zu sein, d. h. der Satz mit bI entspricht einem mit ^d a s z ' ; 2) BÜn indirecten Fragen ; 3) bI als ^ w e n n ' für ^ w ei 1, da'; 4) Bläv^ wo das £^= ^ wenn' ist, aber durch den Zusatz eines ai/ zugleich eine subjective Behauptung hineingelegt wird; 5) bI ov, wo es eine negative Behauptung , die aber nicht die des redenden ist, bringt; da bI ov hier =: si non ist, wird dort die Unzulänglichkeit

N. Jahrb. f, PkU. %. Paed. Bd LXXVIII. l, 1

2 ^ Ueber sl av und d ov.

der Erklärung^ darch Gleichsetznng^ mit si non und ähnlichem darza- thun sein. Auszer andern Nachweisen über das vorkommen dieser Striicturen im wirklichen Gebraach wird namentlich c. III zu erweisen haben, dasz ein el, wo es einen Bedingungsvordersatz einleitet, nie mit dem Ind. Praeter, c. av vorkommt noch vorkommen kann.

Von diesen Klassen haben die erste und zweite das gemein, dasz •die Sätze mit et dort Substantivsätze sind, d. h. es ist der Satz mit ei das Subject oder Object des Hauptsatzes. Die 3e, 4e, 5e zeigen alle et als einen Adverbialsatz einleitend. Allen 5 Klassen gemeinsam ist, dasz ei deshalb mit den Modusformen des einfachen Aussagesatzes er- scheint, weil der durch dasselbe eingeleitete Nebensatz eine Behaup- tung enthält.

c. I. ^ccvfia^m el^ dsivov sl kxX,

1. Wie die Erklärer hier für sl av Beispiele der verschiedensten Art zusammenwerfen zeigen z. B. Schäfer und Franke zu Dem. Phil. I 18. Auch hat die übliche Erklärung dureh Ergänzung eines Satzes mit £^, obwol solche natürlich immer gelingen musz, eben deshalb keine Bedeutung, da sie anwendbar ist auch da wo av fehlt. Zum wenigsten muste man bei Öxi av c. Opt. , überhaupt bei jedem Opt. c. av jene Formel mit derselben Gewissenhaftigkeit wiederholen. Man bat aber vielmehr einfach das Gesetz aufzustellen, dasz ein Satz, wenn er Subject oder Object eitaes andern wird, durchaus seine modale (natürlich auch temporale) Form , also die des einfachen Satzes bei- behalte (ausgenommen den einzigen Fall des Opt. ohne av der orat. obliq.), also bei sl eben so gut wie bei ort und tag. Da nun orat. obliq. griechisch keine andere Form hat als den Opt. ohne av, diese aber nur eine beschränkte Möglichkeit der Anwendung hat, eben deshalb auch keine Nolhwendigkeit besteht noch bestehen kann die orat. obliq. zu bezeichnen, so wird man diese für ort und o)g bestehende Freiheit auch für el in Anspruch nehmen müssen.

Was also der Erklärung bedarf ist nicht das av, sondern wes- halb der Substantivsatz mit sl statt mit ort eingeleitet sei. Der Salz mit sl steht nemlich in der Rection eines mit ^dasz' bald als Object, wie nach ^aviia^co, ayavaKrm, ^avfiaatov Xiysig, bald als Subject bei alöxQov, dsivov^ ayanrßov itSxiv. Sagt man nun: ^es ist schimpflich dasz der Soldat flieht', so wird das fliehen als wirklich behauptet. Bei ^es ist schimpflich wenn er flieht' wird es- nicht be- hauptet, mag es auch wirklich sein. Der Gedanke verlangt aber zu seiner Vollständigkeit noch die Ergänzung eines ^dasz er flieht'; sonst fehlte dem Satze sein Subject. Das Latein setzt in beiden Fällen den Acc. c. Inf.; es ist genauer, indem es einen Satz mit st nicht als Substantiv braucht; wol aber ist bei Behauptung der Existenz (fci)^uod möglich, wie bei miror das quod als Acc. transit. Das Griechische kann ebenfalls in beiden Fällen den Acc. c. Inf. setzen ; öxi kann da- für nur eintreten im Falle der Behauptung der Existenz : Syst. p. 104 £= ^dies ist und darüber wundere ich mich.' Nun findet sich grie- ehisch auch die Structar mit dy and zwar lassen sich die dabei yer-

Ueber ri iv imd 6^ ov. 3

wendeten Modalformen in 2 Reihen trennen. Steht bI mit den Modis des Bedingungssatzes (fii;, Conj. c. &v^ Opt. ohne av, Praeter, ohne av)j so wird ein entsprechender Satz mit oti zu ergänzen sein; wir haben da die Form einer reinen Ellipse. Steht dagegen d mit den- jenigen Nodis, die eigentlich dem Satze mit oxi zukommen würden, also mit ov, Opt. c. av, Praeter, c. av, so ist dies brachylogisch zu fassen, und der Sinn eines ^avina^m ei ovk ala&dvercct ist immer = d'ccviiäSfo^ sl [(ifj aiad-dverai^ ou] ovk ala&dvsrai. PI. Rep. I 348 E tode i&avfiaaaj sl xl&rjg. Protag. 340 E Ttokkri äv dfia&£a eHrj rov noirjfcovy et fprfilv. Isoer. ep. 1, 9 ft^ ^av^idarigj el ovt(og ifißgi^sg euQOfuci TtQccyfia, Das Griechische hat somit eine eigne Form gewon- nen, um anzudeuten, dasz der Satz mit el in Rection eines Substanti?- satzes stehe. Ein materieller Unterschied in der Bedeutung beidei^ Structurweisen laszt sich wol aufstellen aber nicht durchführen, ^av- fid^o} el OVK aliS&dvercet enthält wegen jener nothwendigen Ergän- zung eben so wenig das ovk ala&dyetai als behauptet, wie d'ctv^ lid^cD el (irj. «

2. Belege für die conditionalen Modi bedarf es nicht; nur ist festzuhalten, dasz el c. Praeter, (fitj) ohne av, 4r Stufe, nicht gebrauch- lich ist , weil es duvov Sv riv höchst selten , i&avfia^ov av wol nie gibt. Eben so wenig ^aviid^a idv c. Conj.; denn Falle wie Isoer. 13, 12 d'avfid^ca ozav tö(o gehören nicht hicher, da das kein Objects- satz ist. Aber für die Modusreihe des Aussagesatzes scheint fQr die seltenern Falle sogar möglichste Vollständigkeit nöthig.

I) Ind. c. ov sehr häufig. Antiph. nov. 12 öeivov el v^dg (ihü irp:ovat^ ccvxoi de ovk rj^ltoaav. Lys. 22, 13 öetvov el ovk i^eXovCiv, Dem. 15, 23 cila%QOv el ovk iq>oß^^, Lys. 30, 32 duvov fioi 6oku el rovvov fiiv ovk inexel^riiSav öetad'aL Dem. Ol. II 24 &av(idS(o sl ov kvnehai. Dem. 8, 55 äyavaKTm el xd fiev %Qi^fiaxa Xvnei^ xnv dh 'Ekkdda aQTtd^cav ov kvnet. Isoer. 1, 44 |ii^ &aviidaiig, elnokka ov nginei. Plut. Brut. 22 ^aviid^ei^v öl KiKi^oava el ov g>oßelxai, Luc. 23 i&avfia^ev el ovk ixQ'^xo, Caes. 11 ov 6oxet d^iov kvTtrig el ov- öhv nircQaKxai. Die beiden Stellen, die ich von el mit Praeter, c. fci} kenne, sind Isae. 3, 28 &aviid^(o el firideiilav ngotKa öccofiokoyrjaavzo ^eiv. ib. 31 ^av(idl<o ovv, el 6 dvriQ (itf ^deixovvoficc x^g eavxov yvvaiKog, Hier scheint el (ii^ zu stehen, weil der Redner das ^nicht- festsetzen' und das ^nichtkennen' nicht glaubt. Es gienge aber auch el ov; dann wäre das ^nichtkennen' usw. als Behauptung der Gegen- partei zu fassen, d. h. eine Behauptung des redenden selber enthält el ov nicht nothwendig. Vgl. c. V.

Das Futur, mit el ov ist häufiger als mit el (iti. Plut. Ant. 63 deivov el ov XQriaexcct. Hdt. 7, 9. Thuc. 1, 121. Aesch. Ctes. 242 dxonov av öoi avfißcdvoi^ elnqmriv imifieveg^ vxwl öi ov tprißetg. Dem. 42, 23 öeivov örptov el i^i<nai vvv Kai (irjdiv arifielov rifiiv laxat. ib. 56, 22 öetvov ovv el ruietg (lij cvyxoaQriGofiev. Lys. 31, 29 Setvov el (xoxe) fiev' , tovxov öl (iri Kokdaexe. Warum der Conj. c. av sich hier nicht findet, beruht auf dem Uaterachiede von e^ c^ Fut. und

1'

4 Ueber bI av ood ü (yd.

iav c. CoDJ. im BediDgongssatE. Bei bloszer Angabe der Ziikanft wird da der Conj. c. av dem Fat. vorgezogen. Das si c. Fut. enthält immer ein ^wenn das sein soll, wenn ihr wollt dasz das so sei% daher bei Aasdrücken der Verwanderung dieses passender ist. Es, widerspricht Dicht Isoer« 12, 86 iiyi]aa(iriv ovx ovxcog iösa^ai öeivov^ rjv do|ai xial xmv TtctiQmv afisksiv^ cd$, ijv xrX. Hier steht der Hauptsatz selber schon in Zukunft, ÖHvov htai für dsivov iativ^ d. h. es ist Verschie- bang eingetreten und diese dann im Satze mit el weiter durchgeführt. H) €/ c. Opt. c. av, ov. Ein fii^ ist hier unmöglich, wahrend das d c. Opt. e. av des cap. IV nur firj haben kann. Dem. 20, 62 €dcxQ^v d fiilkovTBg filv ev naa%eiv avxofpcivxrjy av xov xavxa ki- yovxa fiyota^s^'r^fidg öl »xL Xen. Cyr. 3, 3, 37 ayanrpiov Bi%al i^ ifCoßoXijg dvvatvx^ av avÖQsg ayad'oi slvai. Isoer. ep. 1, 10 ovdiv axoTCOv Bi XI iÖBiv av övvri&Blrjv. vgl. or. 5, 41. PI. Men. 91 D naixot xiqag XiyBig^ bI ov% av övvatvxo ka&BiVj Hqunayoqag 6h ildv&avB iwfp^Blqmv. Einige Fälle, wo schon der Hauptsatz im Opt. c. av^ folgen unten.

III) bI c. Praeter, c. av, ov. Xen. Mem. 2, 3, 9 ^av^aaxä liyBig^ Bt %vva fiiv, sl col i%aXl%aivBV^ av i%Biq^ nqavvBiv^xov 61 ccöbXwov ovx ifCiyBioBig, Antiph. 6, 29 xalxot ÖBtvov si ot avxol fMv (uxQxvQBg xovxoig av fiaQXVQOVvxBg maxoi rjOav^ B(ioi dB aiticxoi iaovxai. Diu. Dem. 53 bIx^ ov ÖBtvov bI^ oxi uiv Big aviiQ Sq}ri6s na- xaiffBvdofiBvog , t0%v(SBv av xo tficvdog xiig aXrfiBlag fiäkXov^ iiCBi- dri ÖB xaXri^ig ofioXoyBtxat j vvv xaXffiii äad-BvicxBQu yBvrfistai, Aesch. Tim. 85 ovnovv axonov av Biri bI ßoaxB, ifiov öh Xiyovxog sjctliXria&Bj xai firi yBvo^ivrig (ilv »glüBaig ^Xo) av, yByovoxog öh atcoq>Bv^etai, Isae. 10, 12 ^av^ut si ov% av olov xe i/v. Ein (iiq ist in diesen Sätzen unmöglich.

IV) Bi c. Opt. orat. obliq., also ohne av, Negat. ov. Aesch. fals. 157 biBlnBv oj^ öbivov bXyi^ bI o ftiv yivotxo^ iym öi ov xa- raa%oiiii. Isai. 6, 2 axoitov bI , vvv öl ov %BiQ(piii]v,

Diese Beispiele werden (nebst den unter Nr 4 bei ÖBtvov av an- zuführenden) für den Opt.'c. av und Praeter, e. av ziemlich alle sein, die in dem berührten Kreise von Schriftstellern vorkommen. Sie ge- nügen das vorkommen einer vollständigen Structurreihe bei bI mit den Modis und der Negation des Satzes mit ort gegenüber der condi- lionalen zu erweisen. Da es sich nun um eine gemeinsame Auffassung jener Reihe handelt , mas~z zuerst diejenige verworfen werden , nach welcher das häufige e^ ev durch Verbindung des ov mit einem folgen- den Worte zu Einern Begriff erklärt wird, z. B. Mätzn. ad Antiph. Dov. 12. Denn erstens siehU man nichts dazu zwingendes, da keine Bedeutung von ov aufgestellt wird oder aufzustellen ist, aus welcher sich das ergäbe; zweitens wird dadurch das Wesen der ganzen Strac- turreihe nicht berührt; endlich musz man schon deshalb jener Erklär rangsweise überhaupt das Feld beschränken, weil, wenn sie einmal ge- nügt , sie eigentlich überall angewandt werden kann , auch da wo fiij ateht. Aqch die Erklärung dea ofv darch Ergiuzoog eines bI genügt

lieber bI tiv und il ov, 5

nicht, weil erstens dadurch d ov nicht berührt wird, was doch sogar beim Opt. c. av sich findet, auch das nichtvorkommen eines iniq bei diesem av unerklärt bleibt; zweitens, weil überall bei ^otviLi^tß^ dsi" *v6v ifSri, im Indic. ein el c. Opt. ohne Sv völlig undenkbar ist, man also das dav von einem Falle aas bestimmt, der selber ganz unmög- lich ist. Mit jener Erklärung durch Supplierung statuiert man eine doppelte Möglichkeit, entweder dasz jenes el xv%ot »xL an sich nichl nothwendig sei, und somit auch Sv nicht, oder dasz es überall noth- wendig sei, ebenso also auch Sv. Sonst bliebe noch die Bestimmung nöthig, wann denn ein Satz mit el hinzugesetzt oder hinzugedacbi werden müsse, oder besser, es bleibt immer noch zu bestimmen, wann denn ein Opt. nothwendig Sv bei sich haben müsse, ganz abge- sehen davon, wie es zu erklären sei; dies aber ist doch der Fall im Urteilssatze. Damit aber sind wir auch hier auf unsere Erklärung gekommen, d. h. der Satz mit et steht mit den Modis eines mit ort, weil erin die Rection eines solchen eingetreten ist; es steht aber el statt ou zufolge der oben angedeuteten Bra'chyl ogie. Zusagen, wie Breitenb. ad Ages. 1, 1, el scheine nach den Verbis mirandi uud interrog. seine conditionale Bedeutung abgelegt zu haben, kann doph nicht genügen; wie wäre denn das möglich?

4. Erscheint der Hauptsatz in der Form Oat^fia^otft^ av, öeivov av eXri^ so ist das nichts als eine ^Verschiebung' für den Indic,

d. h. die Verwunderung ist wirklich und schon jetzt vorhanden , denn ein Affect kann, genau genommen, nicht vorher angekündigt werden, da er eine Einwirkung von auszen her voraussetzt. Die Verwunderung kann eintreten auch wo die Existenz des Objects noch gar nicht vor- liegt; man staunt bei dem Gedanken an die Möglichkeit. Dann wird zufolge einer. weit verbreiteten Verschiebung der Modalitat (s. Syst.) häufig die VeVwunderung selber als eine 'nur mögliche, erst vielleicht eintreten werdende ausgesprochen. Im Interesse der Concinnität tritt dann auch der Satz mit el meist in die Structur wirklicher Bedingungs- vordersätze; namentlich erscheint also der Opt. ohne av, fii/. Häufig findet sich aber auch die Modusreihe der Urteilssälze , wie denn auch nach unserer Erklärung durch Brachylogie die Modi des Satzes mit ^ d a s z ' völlig unabhängig bleiben von der Modalform des Hauptsatzes :

e. B. ^es wäre wundersam, wenn [sich zeigen sollte dasz] er thaf, that, thun würde, wird'. Eine Nothwendigkeit also eines el c. Opt. ohne av, ft'^ nach öeivov Sv gibt es nicht, und man hat über el o. Opt. c. av, ov nach det,vov Sv sich nicht zu wundern, sobald man el ov c. Ind. danach unbedenklich findet. Nur das steht fest, dasz £^ c. Opt ohne av, {H'q nur nach Opt. c. Sv möglich ist.

Beispiele. 1) Indic. (ov) s. oben und PI. Symp. 176 C eQfiatov Sv eiri el v^ietg vvv aTteiQrixctte. Dem. 38, 18 deivov y av etti el roü»v (ilv i^ Sqx^S adiKrifiaxoDv l^m nivt^ hmv ov dldmai tocg dUag 6 vofiog »ata tcov ov» aq>etfiivoiv imxQOTtmvj jtQog dl xovg i^ ineivtav ii(iäg eluwsx^ vvv Sxei xelicatüd'^ v(Jietgi bei diesem Opt. wOrde «ü Negation nur fii} stehen können, wie denn dieser Wechselt

6 Ueber il uv und et ov.

«

dasz im ersten Gliede ov, im zweiten fii; steht, jedes mit den ent- sprechenden Modis, nicht selten ist; das erste Glied, eine Behauptung enthaltend , wSre dann auch hypotaktisch mit ^obgleich' auszudrücken gewesen. Wegen des |xi^ s. Nr 3. Dem. 19, 267, vgl. Dem. 19, 337 1\m\ Sonehs aronoizaTov Sv Ttotijaai slj ovs i^ycov/fero, i^sßakleze av- roi/ %ccl (lovov ov narekev sre^ iTtsidri öi ovx im xrjg crxijvijig, akk iv xotg Tioivotg 7CQciyfia6t fivgl tlgyaötai nana , xrpfi%civx(t «(>o- aixoixs (Neg. wäre fwj). Is. 18, 68 Kai yaq av sVri öeivov el xoirg fiiv ccipetvai Tivgiai iyivovxo^ ifp* r^uv öi (xkvqoi xaxaßxa^suv, Futur mit ov: Hdt. VII 9 öeivov Sv etr] ü ZctKag fihv öovXovg ho^uv^ *EkX7j[vag öe ov xtiKogriaofus^a. Thuc. 1, 121 lin. rj öeivov cev ä!ii ei ol fuhv ovx ccTteQovaiv^ ^il^^S öe ovt^ aga öa7tavi^iS0(iev.

2) öeivov av, ei c. Opt. c. av, Neg. ov», Xen. Ages. 1, 1 ov yag nakcSg dv k'xoi elj oxi xekimg avrjQ aya&og iyivexo^ dta rovro ovÖi (leiovav av xvyxoivoi ircalvcov. Der Nebensatz ist durch die Modi des selbständigen Urteilssatzes mehr als den Hauptgedanken enthal- tend hervorgehoben. Die Form ov yccq %aX^g ovöl neiovoDv av xvyyjivoi iitalvtav^ wo beide Negationen sich auflieben würden, isl als undeutlich vermieden; diese wird auch erst üblich durch Demosth. (auszer ov fiovov ov z. B. Thuc. 6, 34), eignet sich auch mehr für die lebendige Rede als für die Schriftsprache. X. Cyr. 3, 3> 55 xovg aTtai- öevxovg ^av^ia^oifi^ av et xi nkiov av dxpeki^aeie koyog ij xrA. = ^schwerlich würde woP.

3) el (iTj Opt. ohne av. Dem. 19, 267 »al yaQ av xal VTteqgyvlg eirij ei naxa fiev xiav TtQoöovxoov öeivä i'^tplaaß^e^ xovg öh ütaQ viiiv avxoig aömovvxag firj nokd^ovxeg (palvoic^e,

4) öeivov av eirj ei c. Praeter, c. av. Aesch. Tim. 85 s. oben Nr 3 III. Negation wäre ov.

Anm er k. Die Beispiele von Staub, ad Apol. 25 B' für et c. Ind. nach Hauptsatz im Opt. c. av gehören streng genommen nicht hieher, da bis auf einen die Sätze mit ei dort nicht uothwendig als Substantiv- sätze zu fassen sind, z. B. nokkri av evöaifiovla eir]^ el elg fiovog av- Tov^ öia(p^ei^ei. Sie zeigen aber einen sehr ähnlichen Vorgang in den Bedingungssätzen, wenn anch nur für eine Stufe derselben: ^wen n [die andrerseits aufgestellte Behauptung wahr ist, ort] öiatp^elgei*. Die Erklärung Stallbaums durch: ^wenn wirklich^ ist nicht aus- reichend, da dies auch in ei öiafpd'eiQOi liegen würde. Umgekehrt kann nach el c. Opt. auch statt des Opt. c. av deshalb ein Indic. fol- gen, weil das Verbum selber einem Opt. c. av gleich ist, z. B. Thuc. VI 37 el öe ör^j &<sneq kiyovxaij Ik&oiev^ txavmxigav riyoüfiai SmeUav Ilekojtovvrjaov öiaicokefiijöai = t%aviaxiqa av etiy.

6. Nach andern, z. B. nach Pape und Rost (Aufl: VII), soll das el Dach ^av^iaiasi xxk. Fragewort sein. Damit sind allerdings die Mo- dalformen des einfachen Salzes erklärt. Dennoch bleibt das nur eine Erklärung in der Noth, indem man dem Griechischen damit andere Aasdrucksformen geradezu abspricht. Ferner passt 1) das el als Frage- wort gar nicht nach ^avfiacxov kiyeigj xiqag kiysigy welche Fälle man

Ueber sl av and el ov. 7

doch von dieser Klasse nicht wird absondern wollen; 2) musz man ein el ov doch noch auszer dieser Klasse statuieren, also ist für die- ses auch hier nichts zwingend; 3) gibt es auch in Fragen el fAtj^ so dasz nun auch nach d'avfialG) das sl (iij als indirecte Frage zu nehmen wäre. Rost § 121 Note 7 (5) meint, für «' = * o b ' sprächen die Ver- schränkungen, wie ravtcc ovx av d'avfidaaiiit rov Kaö^ov Xoyov ü na^ot. Daraus folgt aber nur, dasz nach d'ccvfia^oi} das el nicht noth- wendig einen hypothetischen Vordersatz bringt; ist es kein solcher, 80 ist es damit noch nicht indirecte Frage, sondern eben so gut ein anderer Subjects- oder Objectssatz, die eben so gut zu jenen Ver- schränkungen geeignet sind. Letztere beruhen doch darauf, dasz statt eines Satzes dessen Subject zufa Object (oder Subjecl) gemacht- wird; das ist also mit allen Objectssätzen möglich, nicht blos mit indir. Fragen. Die Grammatik hat nur den BegriiT auch jener aufzu- nehmen, wozu freilich gehört, dasz man die Principien zur Satzein- theilung anderswo sucht als in den einleitenden Kelativis. Die oben aufgestellte Trennung und Erklärung der beiden Structurreihen nach ^ttVficc^G} sprach ich zuerst in einem Programm von 1850 aus. Eine Recension verwies mich auf Bornem. ad Conviv. p. 101. Schäfer app. Dem. I 340. Fritzsche quaest. Luc. p. 185. Die beiden erstem gestehe ich auch jetzt nur in Anfährungen anderer zu kennen, sehe aber bei keinem der drei eine andere Erklärung als die für äv durch Supplie- rung eines sl^ bei keinem eine Trennung der zu Anfang aufgestellten Klassen.

c. II. el av und el ov in indir. Fragen.

1. Dies erklärt sich sofort ans den Gesetzen für den Modusge- brauch der indir. Fragen, welche eben so gut 'bei sl gelten, wie bei jedem andern Fragewort. Höchstens mag man noch fragen wie el auch Fragewort geworden sei. Derselbe Vorgang findet sich aber bei st, nnr dasz das Latein dies auf einen genau zu bestimmenden Kreis be- schränkt hat, s. unten. Von Haus aus zu Bedingungspartikeln geschaf- fen können doch weder el noch si sein, und wie überhaupt kein einzi- ges Fragewort der Sa.tz fragen von Haus aus Fragewort war, ist el das für alle indirecten Satzfragen mögliche Fragewort geworden, wie beschränkter si und im Deutschen ^ob'. Letzteres ist auch früher = *wenn' gewesen.

Die Modi der indirecten Frage sind dieselben wie die der direc- ten, also die des einfachen Urteilssatzes nebst dem Conjunctiv der zweifelnden Frage, d. h. einer in Frage gestellten Aufforderung. Auszer- dem gibt es den Opt.^or. obliq. , diesen aber auch in Fragen als ein- zige Form der Indirectheit, weshalb es z. B. falsch ist Conjunctive mit fti} als indirecte Fragen zu erklären, wo dieselben nicht schon direct im Conj. stehen würden. Ferner kann selbstverständlich nur ein Indic. oder Conj- in jenen Opt. eintreten, und der Indic. fast ohne Ausnahme nur dann, wenn die Handlung des Nebensatzes der des Hauptsatzes gleichzeitig ist. Jedenfalls wird der aus dem Conj. entstandene Opt. nie, wie manchmal bei ouy im Aorist Vergangenheit zum Hauptsatze

8 Uober sl av und bI ov.

bezeichnen können , da direct der Conj. Aor. eben so gut zur Auffor- derung und zweifelnden Frage dient als der Praesentis. Endlich ist für jeden Opt. der or. obliq. nöthig, dasz der Hauptsatz in Vergangen- heit stehe. Da nun so viele Fälle übrig bleiben, wo die Indirect- heit gar nicht bezeichnet werden kann, ergibt sich, weshalb auch da, wo solche Bezeichnung möglich ist, sie doch gar nicht nothwendig ist, und dasz dann ein Unterschied der Bedeutung gegenüber der directea Form gar nicht existiert. Uebergangen haben wir noch eine Art der directen Frage, den Opt. ohne av; dessen Negation ist aber die- selbe wie des Opt. c. av; es ist also nur ein Rest des Opt. ohne äv im Urteilssatze, der sich in der Frage wenn auch häufiger und lin- - ger erhalten hat. Insofern kann die Möglichkeit eines solchen auch in der or. obliq. nicht ausgeschlossen werden. Doch gibt es dergleichen Fälle wol gar nicht, wenigstens bedürfte es zum Beweise der Nach- weisung von Opt. nach Praes. und zwar wirklicher Gegenwart.

2. Die Negation wird durch die Indirectheit sonst nicht affi- ciert, an sich also auch nicht in Fragen. In der directen Frage aber ist an sich diese bei allen Modusformen ov, nur beim Conj. gemäss dessen Entstehung fi^. Nur die Andeutung der Erwartung eines ^nein' bewirkt in den directen Satzfragen fii{. Diese Negationen bleiben in der indirecten, daher gibt es el ov hier sehr häufig, und das musz nach dem allgemeinen Gesetze für Indirectheit als die ursprüngliche Form genommen werden. Freilich findet sich eben so häufig el fi^, und zwar ohne wesentlichen Unterschied. Derjenige wenigstens, den ov und firj in der directen Satzfrage hervorbringen, existiert bei el ov und el (iri nicht. Soll die Tendenz als auf ein nein gerichtet ausge- sprochen werden , so steht nicht el fiiq , sondern (irf allein. Dies ist aber nur möglich, wenn eine wirklich schon direct gethane Frage re- feriert wird, z. B. Plut. Sol. 6 nw^avofuvov^ firi atvo^iä^exo ZoXonvog 6 Ted'vrjxag vtog. Ja die deutsche Scheidung, durch eine eingeschobene Negation die Erwartung eines ^ja' anzuzeigen, gibt es griechisch nicht, d. h. el heiszt so gut *ob nicht' als *ob'; vgl. z. B. Kühner ad Xeji. Mem. 1, 1, 8, wo el in beiden Bedeutungen hintereinander ge- braucht wird: ovxe r<p atqaxrjym^ dtjjAov, e^ av^tpiqet axqaxf^eiv^ ovte xaXiiv yi^fiavTL, el dia ravtipf äviaaetai. Vgl. Goell. ad Thuo. 1, 2. ib. 2, 53. 4, 60. PI. Euthyd. 285 E. Dem. 46, 3. Plut. Num.6,2. Ferner musz schon in der directen Satzfrage unterschieden werden, ob das ov schon dem in Frage gestellten Urteile angehöre oder erst hineingesetzt sei, um die Erwartung eines ^ja' hervorzubringen. Bei el ov ist wol ohne Ausnahme nur ersteres der Fall, d. h. z. B. ^frage ihn ob er nicht kommen will' = elj *ob er (denn) nicht kommen will' = el ov. Danach passt freilich e^ ov häufig zu einem ^ja'. Plut. Arat. 49 iqmt^v^ el vofiovg ovx ixovaiv. Aber damit ist el firi noch nicht auf ein ^nein' gerichtet. Höchstens wird das als Unterschied haltbar sein, dasz bei el firj hervorgehoben wird, dasz noch gar keine Meinung über ja oder nein vorliegen solle, vgl. die Beispiele. Eben so gering ist der Unterschied in Doppeifragen. Selbst Sophocles

Ueber d av und d ov, 9

liat z. B. Aj. 7 oTtfog Tdi/^, cTr' Sväov^ itt oi% tvSov. Ein Wechsel, der gar keine Scheidung Qbrig laszt, findet sich Isae. 8, 9 avavKri xriv £ft^v (irp^iQa^ etv8 dvyattiQ f^v KlQoavog^ spve fi'^^ %al si nag i^tlvm ötTixctxo ij 0 v, %al ya(iovg^ d öixxovg xmeq ravxtig elaxlttGBv ii (ii^^ Tcdvxa xavta liöivoii tovg olKixag,

3. Beispiele. 1) el c. Conj. wo av unmöglich ist. Xen. Cyr. 8, 4, 16 %ie de iKTtdfJuxxa ovx o7da, bI dco. vgl. 1, 6, 10. Aesch. fals. 64 to ^(piOfia iTCsöd^axo xal avBKOtvovxOj bI öm x^ ygafifiaxet. vgl. ib. 68« Thuc. 7 , 2. Flut. Alex. 22. Die noch jetzt nicht seltene Meinung als sei der* Conj. durch or. obl. entstanden, zeigen schon Lesarten älterer Texte, z. B. Plut. Sol.' 6 nvv&avofABvov bI töji statt bIöb. Sind die mit av von Rost § 119 «Note 2 geschützten Nominal fragen echt, gegen die allgemein« jetzt geltende Ansicht , so sind sie entweder anzusehen als Spuren einer Vermischung mit den allg. relat. Sätzen wie die Conj. c. av in den Finalsätzen, oder man musz es aufgeben, gestützt auf die historische Entwicklung der Formen der Satzarten, Gesetze auf- finden zu wollen, und musz av wie jedes andere Adverb überall für möglich halten. 2) bI c. Opt. ^. av {ov), PI. Theaet. 170 C tfxo- TtBt yag^ bI i&iloi av, ib. 191 E a&get^ bI aqa xoioÖB xgoTttp il^Bvöij av öo^ddat (ob nicht). Rep. 8, 553 E CKOitto {übv dri^ bI o^okog av bYti. Pbileb. 60 D E. Soph. 250 A. Symp. 210A. Ale. I 114 B. Hom. II. XI 792. Od. XIV 119.^ Dem. 45, 45. Isae. 12, 7 n^mg av mi^olfiriv, ei aXXo^iv nod-Bv Ixoi av iniÖBt^ai. Isoer. ep. 6, 1 am^yyBiki xlg fLOij oxi KaXiaavxBg iQorci^aatxB (hättet), bI nBta^sltjv av. Xen. Cyr. 1, 6, 41 bI xoiaijxa i^BXriaaig iLtjyaväo^ai^ ovn old^ lyayyB^ Bt tivag UitOLg av xäv Ttolefilanf^ was Schäfer und Franke mit Dem. Phil. 1 18, wo bI fATJ c. Opt. c. av steht, und andern ganz fremdartigen Stellen zusammenbringen. Das verwirrende der Ergänzung eines bL und dasz der Opt. ohne av mit dem Opt. c. av hier gar nicht zusammengehöre, zeigt sich dadurch , dasz der Opt. ohne av erst nach einem Praeter, möglich wird, der Opt. c. av gerade nach Praesent. häufig ist, freilich auch nach Praeter, bleibt, vgl. Xen. An. 4, 8, 7. Cyr. 8, 3, 26. Hell. 4, 7,2. Auch Kühner sieht noch den Grund jenes av in dem voranf- gehenden bI^ als ob ohne dies etwas anderes möglich wäre! Xeo. Mero. 1,3,5 ovx ol6\ Blxig ovxiog av oUya iqyaiotxo^ äöxs fi^ Xafi^ ßdvBtv aQKOvvra roo ÜcDTcgdxBtj wo durch Ergänzung eines bI nicht einmal der dort nothwendige Begriff des könnens hervorgebracht wird: *ob es denn möglich sei dasz' Tvgl. Thuc. VI 35 iv Sgidt ^aavy ot (iiv, (ig ovöbvI av tgoTtoi Sld'ouv ot A^vatöi = ^unmöglich wer- den sie'), vgl. Cyr. 1, 6, 10. Auch im condit. Vordersatz Is. 8, 93 £f xig ^iiag iguxxrflBUVj tl ÖB^alfiB^^ av, wo nach jener mechanischen Regel das av eher beim ersten bI erwartet werden müste. 3) €2 c. Praeter, o. av (ov). Aesch. Tim. 80 cv 6h xl ola^a, bI iifiBig av xovtov KOTBijnicpusdfiB^a. Dem. Rhod. (15) 16 ovn olö* bZ Ttox av Bv q>gov^aat id'ikricav (= Vergangenheit des Opt. c. av). Plut. Phoc. 23 nw^avofisifog j bI roinr^ ov% av y^^bXbv avxtp 'jtBngä%d'at. Flut. Mor. t. Y p. 83 Ta. oga sl HoXonv av diuv. comp. Cim. Luc. l

10 Ueber sl av und e^ ov.

idfiXov el aq)slg Sv i%Qiq6ccT0. So wenig wie hier av fehlen kamr, eben so wenig bei obigen Opt. c. av; der Grand ist gemeinsam der, dasz das av schon im directen Satz stehen würde. 4) el c. Opt. ohne ai/ = or. obliq., Negat. ov oder ftif, je nachdem der Satz direck es haben würde, d. h. nur der aus dem Conj. entstandene hat firj, PL Rep. I 353 A fjQdrtov el ov efrj, Aesch. Tim. 84 f]Qero el oif» ala%vvoivxo, Thuc. 6, 59 dteöKonowj ei no^ev aaqxileiav xiva OQcifi. Lys. Panci. 3 iTCvv^avofirjv ^ elxiva yiyvciaüoiev. Dem. 33, 11 tjQfotaj eI ovx txavov (loi eXri^ avifp anoXv&ijvat t^g iyyvrig^ akXa %al a7ce%&avot(irjv avz<p, Plut. Mor. t. II p. 400 Ta. nvv&avofiivov^' el ajto- nifiijjot' (solle). Dagegen Hdt. 1, 53 el atgatevi^zai xal eX xtva nqo6^ ^ioixo würde /ni^ verlangen. 5) €^ c. In die. qv, PI. Cratyl. 413 B iqcoxä^ el ovöhv öluaiov olfiat elvau Theaet. 165 C '^QOfiriv^ elm o inlaxaaaif xoiko Kai ovk inlaxaaai. ib. 190 B öKonei^ et nox^ ovo iv wtv(p ixoXiirjöag. Aesch. Ctes. 258 hteq(ox&uxa^ el ovk alöpjvead'e. Hdt. 1, 90 elqaxäv^ el ov xaxaiaxvvexai, vgl. PI. Hipp. mj. 304 D. Protg. 340 E. Lys. 216 A iQi^aovxai el ovk ivavximaxov ^x&Qa (piXla, Aesch. Tim. 135 inriQoixmv el ovk ala^vvoiiat, PI. Bep. 8, 517 A yeloiov xo CKififiaj el öoKei o t; ßtaxov elvai, Plut. Pericl. 1 iQcaxrjaoij el nai- öla nag avxoig ov xIkxovOiv at yvvalKeg, 6)€/f4i^c. Ind. Aesch. fals. 36 Yiqexo jlic, el intXiXrjaiiat Kai el firi fiifivrifiai,: nicht auf *nein' gerichtet; auch die Erklärung von el fi^q = ^inem Begriffe, zeigt sich als unpassend. Ebenso Theaet. 163 D fiaKQoXoya di ßovXofievog egid- J^ai^ el nad'dv xlg xi Kai fiefivrj^ivog (irj olöe; dagegen Theaet. 165 C ^QOfifiVj ely 0 inlaxadai, xovxo Kai ovk inlaxaaai: hier wird dem Geg- ner der Salz mit ov wie ein existierender, wie ein von irgend jemand behaupteter vorgehalten, wodurch die Ansicht von seiner Unhaltbar- keit deutlicher hervorblickt; ib. 163 D wird derselbe Satz mit el fi'q einfach, ohne eine Andeutung der Unhaltbarkeit, vorgelegt; so noch ib. 164 D fjgofud'a el fiaOoov Kai iiefivrj(iivog xLgxi {tri i^l<5xaxai: diese Ruhe ist 165 C gewichen. Is. Panath. 82 ij^ofii^v el firjdhv (pqovxl^ei. Isoer. 20, 7 XQti fiti xovxo CKOTcetv^ el {itj (Sq>68qa avviKoijjavy aXX* sl tov vdfiov Ttaqißrflav, Isae. Nicost. (4) 14 CKeTCxiov Ttgmov , Inei- , ta^ el Hfl nagavomv dUd'exo^ wo der Redner für die Intestaterben spricht. Plut. Pelop. 25 Kai xovg Srißalovg igtox^Vj el (irjdlv avxoig KaXov ninqaKxai. Phoc. 36 elnmv^ el (iriöh anod'avetv ^A&i^vriat dw- gedv iaxiv, Caes. 56 ißoa el firiöev alöovvxai; in den beiden letzten Fällen ist vielleicht das supplieren eines öeivov elvai möglich , wenig- stens wäre sonst el ov natürlicher. 7) F fi r fi i^ c. I n d. Plut. Arist. 7 nvd-Ofiivovy {iri XI KaKOv avxov ^Aqtaxeldrig nenolriKe, Alex. 22. Cat. mj. 24, 25. Pericl. 35. Cleom. 22. Apophth. p. 57 Ta. p. 164. p. 3. p. 24. Für |Li^ c. Opt. or. obl. Plut. Alex. 27. Philop. 3. Apophth. p. 47. p. 214. Soph. Antig. 1232 (1253) elöofiea&a^ firl xi koI Kqv(pri KaXvTtxet ist Fragesatz. Aber die Regel, dasz qqa fii; c. Ind. Fragesatz (videannon), o^a fii^ c. Conj. cayene sei, vgl. Herrn, ad Emsl. Med. 310, ist nicht haltbar; z. B. Soph.*El. 567 oQa iiii xl^rig ist nicht Fragesatz, sondern das /üij nach Vb. lim. Ebenso Theaet.

lieber d av and el ov. 1 1

145 B oQa (ifi llBysv^ weil iirj als Fragewol*t nicbt die hier nöthige Bedeutung gibt, vgl. ^6 Stellen aus Fhaedon' Nr II 2. Plutarch bat frei lieb mancbmal ot)x olöa fitj = nescio an , z.B. Pboc. 32 c. Ind., aber Dion 2 c. Conj. , also wie (ii^ nacb Vb. tim. vgl. comp. Pbilop. Flam. 3 OKOTtsi (i^ ov öo^cofisv: als Frage geben solcbe Stelleo nicbt, weil der Conj. unerklärt bliebe.

4. Im bisherigen ist eine ganze Klasse, die auch zu den indirec- ten Fragen gerechnet wird, und zwar ebenfalls mit si eingeleitet, noch nicht berücksichtigt. Es sind diejenigen, wo man ein TtsiQcifUvog er- gänzt , z. B. *ich will einmal zu ihm gehen, ob er sich mir vielleicht entdeckt'. Hier ist nicht eine Frage, wie ^entdeckst du dich mir?,' als gestellt zu denken, sondern es geschieht eine Handlung, um etwas frfigliches aufzuklären. Während in den übrigen indirecten Fragen die Modi der directen, also des einfachen Satzes, sich zeigen, stehen hier die Modi des Bedingungssatzes, also namentlich el fiif, iciv c. Conj., während el ov unmöglich ist, mag das ov noch so sehr zu einem einzelnen Worte gehören ; ebenso ist beim Opt. äv un- möglich, mag ein Satz mit el dabei stehen, sich ergänzen lassen oder nicht. Es sind dieselben Satze, wo lateinisch st als Fragewort erlaubt ist. Der Gebrauch ist schon bei Homer sehr häufig. Beide Structuren Gnden sich namentlich nach tfxoTcav, nach a^httea^at mehr diese letz- terei Wir nennen diese Sätze Nebensätze der fragenden Hand- lung oder adverbiale indir. Fragen, im Gegensalz der eigent- lichen, welche Substantivsätze bilden, und im Einklang mit dem Unter- schiede der beiden Modusreihen.

Beispiele, l) el mit Conj. c. ttv: Thuc. 3, 20 iTCißovXevovdt vfceQßrjvat' ra tei%ri^ fjv dvvcovia^ ßidaa<S&ai, Fl. Folit. 259 D nQoaexe tov vovv, Sv ciqot iv avx'^ dtagnniv ^aravoi^aoDfiev, Theaet. 192 E Idl d^^ iav ti fiäXkov vvv evlaitrj. Cratyl. 400 A lode anonet^ iav Squ Coi aQiay. Soph. 226 C. Eur. Hei. 429 totg ixel irjTc^v ta nqoGqtOQ* ^v ntxiq i^eQevvrjöag Xaßm, Xen. Mem. 4, 4, 12 ffx^i/;^^ iav. Nicht za, verwechseln damit sind Fälle wo iav = ^ wenn' ist, und höchstens der Satz mit ^dasz' als zu supplieren verlangt werden kann, wenn auch im Deutschen jenes iav mit *ob' sich wiedergeben läszt, wie Hipp. min. 368 E elni |i*ot, iav itov evqing^ onov nxX. 2) f^ c. Opt. ohne av, Thuc. 3, 4, 4 nifiTtovatv^ el Tttog neiceiav. ib. naaav Idiav iTcevoovv, eincog nqajfieiri. ib. 6, 88 Inefitpav el övvaivro, ib. 2, 77 Ido^ev ainotg neiqäiSai^ el dvvaivro. ib. 4, 11 inlnXovg iitoi&vvxo^ ä nmg dadiievot' ?Xoiev rb xelxtdfia: trotz des durch ^weun' auflösbaren Partie, ist ein av unmöglich, ib. 4, 58 elg Xoyovg naxicxTfiav aXXr^Xoig et nag ^vvaXXayetev. 3, 86 nqoiteiqav noioviievot^ el öcplci dvvara etfi. Hom. Od. 22, 90. 11, 628. Xen. An. 4, 1, 22. 5, 4, 3. 6, 1, 31. So ist selbst nach dem Vbo ^ fragen^ ein el mit adyerb. Fragesatz möglich, z. B. *ich will ihn einmal fragen, ob er es mir vielleicht sagt', neml. z. B. *ob er es gethan hat', vgl. PI. Euthyd. 294 D ovöhv o n ovK fiQcixa xeXevxtSv^ %al xd aX6%i(Sxa^ el i7ti(Sxa(c&r}v^ wo nicht gefragt ist * versteht ihr das? ' sondern Fragen darauf hin riskiert sind.

12 Ueber eI av und el oii.

ilasz man sie nicht verstehe. Auffallen könnte Xen. Hem. 4, 2, 30 nqog al aTtoßlincOj si (loi id^ski^aatg av i^rjyi^aaad'ai,; die Supplie* rung eines si hilft hier nichts, aber aitoßkircm ist prägnant zu fassen: ^fragend ansehen ob'. Aehnlich Isoer. 12 , 236 doxef^ öi fiot non^Ccuf- &at. xov Inatvov Ttstgav ^ficov Xaßetv ßovXofiBvogy el tpdoGotpovfiev xal fieiivrjfJLsd'a xal cvvtöstv av övvrfi'eiiuv. Ohne av wäre das 6v^ VTi&rjvat von dem TtetQfDfUvog beabsichtigt; mit av wird die Frage vorgeführt, wie der neiQtofjievog sie sich selber stellt und deren Reali- sierung er gar nicht wfinscht. Dabei zeigt sich, dasz das voraufgehen eines nsigaa^ai an sich nichts entscheidet, also auch nichts erklärt. falle mit el c. Praeter. Ind. vierter Stufe kann es nicht geben. Der Hauptsatz würde im Ind. Praeter, c. av stehen müssen, z. B. ^was würdest du gethan haben, wenn du dabei gewesen wärest?' etwa bei einer Gefahr des ertrinkens: ^ich würde ihm das Tau hingeworfen haben, ob er das nicht erfassen könnte'; dies würde aber nur el 6v* vaixo oder iav dvvrfcai^ und zwar ohne Negation werden können. Ebenso unnütz ist es nach Beispielen für den Indic. erster Stufe zn suchen, el c. Fut. ist möglich =n= Iav c. Conj. Aber el c. Ind. Praes. wäre immer brachylogisch auf eine wirkliche Frage zurückzufuhren, z. B. Mch zerschlage den Stein, ob nicht Erz in ihm enthalten ist' = ^ob ich nicht meine Frage beantwortet finden werde dasz' oder *ob' usw. Aehnlich el c. Praeter., z. B. Mch untersuchte den Fuszbodeü, ob der Thäter nicht Spuren zurückgelassen hätte'. Tritt der Hauptsatz in Vergangenheit, so bleibt bei el der Indic. des Tempus der dir. Rede, oder wird, besonders beim Praes., Opt. or. obliq. Negationen scheinen, sehr natürlich, bei dieser ganzen Klasse nicht vorzukommen. Diese ganze Klasse finde ich nirgends zusammengestellt noch geson- dert. Man citiert Matth. § 526. Aber da ist sehr verschiedenartiges zusammengeworfen, z. B. Xen. An. 7,3, 37 und Mem. 2, 2, 2 wegen £^=: <ob nicht'; ferner soll durch den Indic. die Wirklichkeit be- hauptet werden, während doch nur angegeben sein kann, dasz direct eine Wirklichkeit in Frage gestellt war. Die Erklärung durch Er- gänzung von TceiqdfAevog vel simile quid, z. B. bei Kühner ad An. 4, 1, 22, genügt auch nicht, da jetzt der Eintritt der condilionalen Modus- reihe statt der des selbständigen Satzes noch zu erklären bliebe. Worauf beruht es aber, dasz diese Supplierung hier so passend ist? Darauf, dasz das netgäa^ai immer eine fragende Handlung ist, d. h. es bringt zu einem Hauptverbo den Begriff des fragens hinzu , aber nur eines in einer Handlung involvierten. Diese Handlung kann keinen Satz als Object tragen, wie die Vba des fragens und sagens, sondern nur adverbiale Bestimmungen; daher treten nicht die Modi des Ob- jectssatzes, sondern des adverbialen Nebensatzes ein. Das Verhält- nis beider Arten Fragen ist dasselbe, wie der Finalsätze mit *dasz' und ^damit'.

5. Statt dieser adverbialen indir. Fragen ist mit geringem Unter- schied auch ein Finalsatz möglich, z. B. (Thuc. 4, 11) Vir wollen ihnen entgegenschiflfen, ob wir sie nicht besiegen' = *fardenFali

Ueber ei iv und Blfrd, 13

dasz', gibt das besiegen wollen nnr mehr als Nebenzweck an als * da mit'. Da nun ^ob' nichts anderes ist als ^wenn% zeigt sich in allen 3 Sprachen das -e^ si, *wenn' so verwendet, dasz es sowol das efflciens der Haupthandlnng, ein als ihr vorangegangen zu denkendes, als einen effectus, eine erstrebte FolgQ, also etwas vorausliegendes bezeichnen kann. Dem wird dieselbe Anschauung zu Grunde liegen, nach welcher das accnsativische Object Ziel der Handlung und vorauf- gebender Grund sein kann; beide bestimmen dieselbe: vgl. quod^ quia = weil. iitL c. dat. sowol Zweck als Grund, öm ^durch' und ^ wegen'. %axa vofiov^ xctv ivtoldg n nouiv und naxa ng^^iv akaX^a^Bj tuctu ^iav rinov. vgl. auch den Uebergang der Form finaler Satze in die coa- ditionaler, im Conj. c. av. Das Griechische, welches das Accusativ- Verhältnis am freisten handhabt, braucht » für * wenn' wie für *ob', und zwar für beide Arten des *ob'; es scheidet dabei nur Adver- bial- und Objectssatz durch die Modi. Das Latein, da es sein ^wenn' nur auf den adverbialen Theil der indir. Fragen ausdehnte, wollte nur Substantiv- und Adverbialsatz scheiden, nicht Ziel und Grund. Das Deutsche fixierte eine seiner beiden Conditionalconjunclionen für die indir. Frage überhaupt, gab also den Unterschied zwischen Snb« stantiv- und Adverbialsatz auf.

Schlieszlich die Bemerkung, dasz es auch in Nominal fragen Nebensätze der fragenden Handlung gibt. Hier aber finden sich nicht conditionale Modi sondern finale, und zwar diejenige Form, welche bei den Relativis im allgemeinen, also ausgenommen die schon völlig als Finalconjunctionen aufgefaszten , die allein mögliche ist, der Ind. Fut. (iiti); z. B. Is. Faneg. 79 tag araaeig iTtoiovvto* ovy onorsgoi aQ^ovOtv^ aAA onorsQOi q)^ria(}vzcci ttiv noKiv aya&ov n TtottiOccvteg, Nur der Opt. c. av {(Atj) wäre als Stellvertreter noch möglich.

c. 111. Wenn für weil oder da.

1. Häufig wird ein wenn gesetzt für weil, um einen Grund zu verallgemeinern , dasz dieser nicht blos jetzt sondern überall wieder dasselbe bewirken werde. Aesch. 1, 89 sl d' 6 aydv iaxiv ^A^Yivrfii, Xen. Mem. 1, 5, 1 e^ di di^ iy%qaxua kuIjov Krrjiia iöriv^ i7CAtfx€i/;a)- fis^a ei KxL (= iTteiötj). An. 6, 1, 26 tjöaiiai vno vficov xifidfievogy stksQ avd'QGmog elfii (= htelneq^ so gewis). vgl. An. 3, 2., 17. PI. Hen. 89 A ovnovv^ sl xaiha oiixcDg S^^ijOvx av ehv gwaet ot aya&oL Die Möglichkeit ist auch hier wieder, entweder dasz sl seine conditio- naien Modi und fii{ bebalte oder dasz es die eines Satzes des Grundes annehme. Das gewöhnliche ist in diesen immer der Indic. (Ueber Opt. c. av und Praeter, c av vgl. c. IV u. IV ^). Findet sich hier also el ovjso ist der Grund des av dasz eine negative Thatsache behauptet werden soll; es steht aber sl statt oxt^ um diesen Grund zu verallge- ' meinern. Xen. An. 7, 1, 29 nal di9cal(ogj el ßaqßaQov (asv itohv ovöb^ (Uav fj&sk'^aafisv Tcazaöxeiv^ Ekki^vlda öh xamr^v i^aXana^ofisv. Eine ähnliche Brachylogie wie bei d^avfiaiat el zeigt sich auch hier als durchführbar. Dem. 17, 17 el d' ovx aviätSiv ot %ab^ vfiav x^ MaKeäipi vmufhtu* ib. Sä^ 41 aiiimy el (xixe) iiiv ov» iaolei, vvv

14 Ueber bI &v and e^ ov.

ii toXfjiS. 2i , 24 d ot vofioi dh ov % imai. 24 , 53 £/ tolvvv InttBvsiv ov% i^ean, vgl. 22, 18. 23, 76 sl xolwv rmv «i/nJ^cov xal firj fiersxov- TODv rov g)QOveiv ovdiv iöd'^ öüiov iäv aKqixov, 45, 23 c^ ovx ixoX- fLtjaev. prooem. 53 a^tov ovx ovra rovroig intxiii'^aai^ aXV vfiiv^ sl ov dvvaa&e, ib. 47, 63 xcc vTtoXotTca Cksvti^ fiTr* (= o w) ovx hvxev k%ci) ovxa, Isae. 12, 5 sl ovxog l| aXXov xtvog avdQog r^v vfj fitfCQVia nal o v x ix xov rifisxiQOv naxQog, Lyc. Leoer. 141 ^X^v (isv ovv sl Kai Ttsgl ovdsvog äXXov vofitfiov iaxtv, in welcher Formel sonst (11^ gewöhnlicher ist: vgl. Dem. 45, 56 u. 9. 41, 16. 39, 36. 22, 69. 10, 41. Isoer. 14, 58. Es gibt aber keine Nothwendigkeit dieses ov, es ist eben nur deutlicher. Herrn, ad Soph. Oed. C. 590 iXX^ el ovöi öoi ffsvysiv xaXov^ hält ov für nothwendig, aber es wäre mit fif^ nur die Andeutung einer Behauptung unterlassen, wozu die Möglichkeit vorliegt, sobald man ein ^wenn' für ^weil' überhaupl statuiert (^wie aber wenn die Sache so steht dasz'). Kühner ad Xen. An. 7, 1, 29 behauptet, es sei An. 1, 7, 18 mit Nothwendigkeit gesetzt sl ov fiaxshai^ weil voraufgehe ovx &qa iiccxsixca. Aber das ist ver- sehen, es steht dort trotzdem selbst bei Kühner sl fAti [iccxshai, Aus Plutarch s. Cat. min. 64 sl öe Kaxcovsg ovx slölv^ oIkxsIqsiv x^ ia^svsiav avxiav, Cic. 47 Kanloavisg savxovg^ sl nsqtyLSvovdi^ tcvxol il -ovn äfivvovaiv, Popl. 14 stxs maxsv&slg o Xoyog ovx ixlvrjdsv avxov = Sive quod. vgl. PI. Rep. X 597 B sixs ovx ißovXsxo^ ehe ivayxri iTtrjvj ovx(og i7tolr}<ssv, Dasselbe gilt von etiamst für quam- quam (namentlich etsi steht geradezu fast immer für quamquam). Vgl. oben Lyc. Leoer. 141. Hom. II. 4, 55 sitvsq nctl (p^ovia xs xca ov» slöi dianigaai, ib. 4, 160 shcsQ yccQ xs Kai avxlK ^OXv^iuog ovx ixi- XsCiSsvy Ix xs xccl 6i|;l xsXsi. Andere Erklärungen dieser Structur zu- rückzuweisen, verschieben wir auf cap. V.

2. Da die Sätze des Grundes von der Sprache eben nur als Ob- jectssätze mit oxi hingestellt werden, so ist, wenn jenes zur Con- junction gewordene oxi fehlt, also bei den übrigen Relativis in der Modalform keine Bezeichnung des Grundes möglich, wie das im Latein durch den Conjunctiv geschieht, d. h. Sätze wie Pythius, qui essei ut argentarius apud omnes ordines gratiosus und bei Zumpt § 564 erscheinen griechisch nur in den Modis des Hauptsatzes und ov. Es hat daher hier nur der Fall Interesse, wo die condilionalen Modi stall jener eintreten, wo es also bei og^ insl usw. eben so gut ein *wenn' für *weil' gibt wie bei sl, PI. Symp. 175 B aU' rniäg^ a Ttatösgj Tovg aXXovg itSxiaxs' Tcdvxcog nagccxl&sxsj o xt ccv ßovXrjadty inst- iav xtg vfiiv firj icpsaxi^xy. Wäre das quum c. Conj. = *da, weil% so müste stehen instöri ovx ig)iaxrjxs. vgl. Symp. 183 C irtstdav dh (ifl i^(Si , slg xavxd xig ßXi'ilfag riyi^accix Sv «rtf^^Orov (xtiv natde- Qaaxiav), Solche Fälle, die Legion sind, werden wenig beachtet, wol weil man sich durch den latein. Conj. hier beruhigt fühlt. Aber beim Indic. fällt das fii] auf; man beseitigt jetzt die Schwierigkeit, indem (ifj =z ^mutmaszlich nicht' heiszen soll; so noch Fritsch Par- tikeln und ihm folgend Rost. Diese ErklärungsveTsuohe durch Be^

lieber il &v nnd dov. 15

haoptangen von Grundbedealungeii führen hier en fSrmlichen Ergötz- lichkeiten ; in öidoixa (irj rid-vrjKe sieht Rost, weil in der Modnslehre vom Indicativ ausgehend ,* die entschiedenste Ueberzeugnng von der Wahrheit aasgesprochen; Fritsch, von ov und fii;' ausgehend, findet S. 161: Mch fürchte seinen Tod, doch denke ich nicht (fii^) dasz er gestorben ist'!? Man sieht das ist ein Weg, auf dem alles zu finden ist, nur nicht die Wahrheit. Wäre jene Bedeutung des fitj richtig, so müste*das ^mutmaszlich' doch gerade auch in selbständigen Sätzen sich finden, was nicht der Fall ist; beim Opt. c. ai/ steht ov, Aesch. Tim. 29 firiöh aviißovXevetv a^iav ffj itoXei^ VTthQ fjg TOI OTtXcc fifj xl^edai i] ötä deiUav fiii övvazog el STtafivvai: *wenn da nicht vermagst für sie zu kämpfen, so verschone sie aach mit dei- nem Rathe.' Wie schwächend wäre mutmasziich! Fl. Euthyd. 302 G iga av avd'Qomog el^ C9 (itjre d-sol slat kxL Dem. 49, 38 onov xolvvv firidslg (wenn also = da) rstokfiriTie rovTG) fJucQXVQ^öat , ntiig ov» d%6g KxL Dem. 33, 30 OTtoxs al fisv i| ccQxijg avvd^Kai riq)avUsQi^aav^ ixBQat di (itj iyqaqniactv ^ TCtag OQd'c^g av ifiol dtTcä^oixo^ xa^' ov fin ixet naQa^xiad'ai avvd'riKag. ib. 34, 29 %alxot> xl ov% av iCQu^aiev o Toiovxogj oaxig yQccfifiaxa laßoav (iti anodidooKS, ib. 32, 12 ovx Sx^^ aitoöovvai %^fiara' n^ yaQ^ ä f| ccqxvs f*^ ivid'exo. Thuo. IV 126 TtQOöipcei viicv (itjöev nkrj^og nstpoßrjad'ai ^ oi ys firjöh ano noXixeicSv roiovxcsv ^KSXB^ iv alg %xX, Man sieht welche Kraft darin liegt, wenn der Redner die Entscheidung über den Sachverhalt völlig der Ent- scheidung der Hörer preisgibt und nur das Cansal Verhältnis im allge- neinen verficht. Sehr häufig so auch die Tragiker, und hier zumal, I. B. Soph. Fhil. 715 co ^uXia tiruxay og (iriö^ olvoxvxov ndfiaxog i^ad^ iexhBi xQ^v(p\ macht das Wermatlich', wie Rost die Stelle faszt, einen seltsamen Eindruck.

(Fortsetzung im nächsten Heft.)

Güstrow. Aken.

2.

Lehrbücher der hebräischen Sprache.

1.

Ausßhrliches Lehrbuch der hebräischen Sprache des alten Bun- des von Heinrich Ewald, Sechste Ausgabe. Leipzig, Hahn'^sche Yerlagsbuchhandlung. 1855.

Ewalds Lehrbuch der hebräischen Sprache ist bereits in der sechsten Auflage, das heiszt allerdings in dieser Gestalt in der zweiten (man vergleiche d. Vorrede zur 5. Aufl.), erschienen, während Geseniofl Lehrgebäude, was äoszerlich dieser Arbeit von Ewald ent-

16 Ewald : lehrbach der hebr. Sprache.

sprach, keine neae Auflage erlebt ;hat. Soll man diese Erscheinang als eineo erfreulichen Beweis ansehen dafQr, dasz das Hebräische mehr Freunde gefunden habe? Noch musz man daran zweifeln, wenigstens fehlt es noch sehr an solchen, welche die Erkenntnis der Sprache selbst fördern. Ewald fühlt sich, den Eindruck macht auch diese Auflage, in diesen Bestrebungen selbst sehr vereinsamt , befindet sich dabei frei- lich im Irthum. Ewald hat nun als Kenner des Hebrfiischen einen so groszen, alle andere überstrahlenden Ruf, seine Leistungen sind so allgemein anerkannt, dasz es fast Anmaszung scheint, wenn ein obscu- rer Schulmann über dies neue umfassende Werk sein Urteil öffentlich abzugeben wagt; doch bin ich dazu aufgefordert, und dann kann bei mir nicht entfernt der Gedanke entstehen , aU stellte ich mich über Ewald oder nur neben Ewald, wenn ich auch einiges au seiner Arbeit auszusetzen finde. Wir wollen nur pro tenui parte ein paar Steine zum Bau der Grammatik beitragen. Wir sind nicht Vertreter der Wis- senschaft, in uns ist nicht die Wissenschaft verkörpert, wir lesen und lernen hebräisch zu unserer Bildung und Erbauung, aus l^flicht, weil wir Schüler zu lehren haben. Wir sind sine ira et studio, wir freuen uns wenn ein tüchtiger Mann uns Belehrung bringt, freuen uns wenn er einen Gedanken ausführt, den wir selbst bereits gehabt haben ; wir sind nicht geizig auf eine Entdeckung , die wir etwa gemacht und die ein anderer veröffentlicht. Ist sie richtig , so ist es ja schön dasz sie veröffentlicht wird, wozu wir nicht viel Gelegenheit haben; ist sie schlecht , so haben wir die Schande nicht. Wir sind es gewohnt un- sere Ansichten, wenn wir sie für begründet halten, unsern Schülern mitzutheilen, ohne ängstlich Controle über sogenanntes Eigenthum zu führen. Dies unser Standpunkt. Dabei fällt es uns naturlich unange- nehm auf, wenn Männer der Wissenschaft bemüht sind, jede Bemer- kung, jede Beobachtung die sie gemacht, sorgfältig immer wieder als die ihrige zu vindicieren; ein wirklich reicher pflegt freigebig zu sein. So müssen wir gestehen dasz es uns sehr gestört hat im Ge- nüsse des gegebenen, dasz Hr Ewald mit groszem Nachdruck wieder- holt hervorhebt, dasz er der erste gewesen der dies und jenes ans Licht gestellt, so z. B. S. 98. 121. 213: ^so war buchstäblich der Zu- stand dieser Wissenschaft als ich mich damit zu beschäftigen anfieng.' 219: *ich habe diesen wichtigen Sprachtheil in allen meinen Schrif- ten .. . mit groszer Sorgfalt behandelt.' S. 272. 274. 288. 300 , wo eine Sache als neu betont wird, die längst in Schulz kleiner lateini- scher Schulgrammatik steht; S. 302 wird sogar wieder mit einem früheren nun aufgegebenen Irthum grosz gethan, weil er doch einen Fortschritt enthalten habe. Dergleichen könnte doch endlich weg- bleiben. S. 321 : ^ hierüber herschle vor der ersten Ausgabe dieses Werkes eine noch gröszere Verwirrung als über die Bildung der Verba.' S. 464. Und wenn man sich auch darüber freut, dasz end- lich Gesenius nicht mehr namentlich bekämpft wird , verdeckt ge- schiehts freilich noch, vergleiche S. 272 Anm., so musz man sich lei- der doch gestehen I dasz dies nicht aus redlicher Würdigung von Ge-

Ewald: LehHiuch der hebr. Sprache. 17

iMnius Verdiensten za erkliren ist, sondern weil er nnn als todt ange- •ehen wird. Von lebenden wird wiederholt Hupfeid, z. B. S. 121. 219. 933. 255, angeführt, aber aach nur su zeigen, dasz das was er gesagt sieht nea wenn wahr and wenn neu falsch ist. Wir haben uns hier i|icht um Privatsachen zu kfimmern, nicht die Gründe solchen Gebah- Tens aufzusuchen, aber wissenschaftliche Werke als Erzeugnisse von Minnern, die für die Wissenschaft, nicht von der Wissenschaft leben, dürfen nirgend Selbstüberhebung zeigen; von der Wissenschaft aber, sieht f ü r die Wissenschaft lebt nicht blos der welcher Geldgewinn, aach wer von ihr Ehrgewinn sucht. Die Nemesis hat auch Ewald erreicht, es wird ihm mit Zinsen zurückgezahlt, was er durch unnachsichtiges Ur- leil in seinem abstoszenden Selbstgefühl gegen andere ausgegeben; man lese nur die Vorrede von Hupfelds Psalmen. Dasz Ewald wieder mehr geleistet als Gesenius, versteht sich; hätte er das nicht, würde er ja gar nicht nach Gesenius als Grammatiker genannt zu werden ver- dienen ; aber was er geleistet , war eben möglich gemacht durch Ge- senius, und wenn der, der auf jemandes Schultern steht, weiter sich umsehen kann als der ihn trägt , so ist das natürlich, aber ein selbst- rühmen des also getragenen nicht gerechtfertigt. Das ist die Sache anderer, und wir erkennen gern die groszen Verdienste Ewalds in ihrem vollen Umfange an; er ist ein tiefer Forscher, der die Sprach- erscheinungen bis in die feinsten Fasern zu verfolgen sucht, hat scharfe Unterscheidung , feine Beobachtung und dabei einen klaren Ueberbiick über die ganze Sprache and alle verwandten und viele fremden Spra- chen, dasz er dadurch bei seinen geistreichen Combinationen durch das wahrhaft groszartige Material, was er immer gegenwärtig hat, in ganz besondererweise unterstützt wird, ond wir halten uns berech- tigt diese Ausgabe als den Abschlusz dessen, was bis jetzt in hebräi- scher Grammatik geleistet ist, zu erklären. Damit erreichen wir frei- lich noch lange nicht das Urteil, das Ewald selbst über seine Arbeit hat, wenn er sagt S. IX: ^Obwol in vieler Hinsicht die schwierigste semitische Sprache, ist das Hebräische unter allen semitischen jetzt am vollkommensten wiedererkannt und am wissenschaftlichsten be- schrieben .... Aber es ist auch nur billig zu behaupten , dasz auch auszerhalb des Kreises der semitischen Sprachen wol keine andere . aowol dem innern Sprachwesen als der Geschichte aach schon so ge- nau durchforscht und beschrieben ist* als diese.' Es ist natürlich, dasz ein Mann, der sein ganzes Leben an eine Aufgabe gesetzt hat, der groszes erreicht hat, mit Selbstgefühl von seinen Leistungen spricht, vollends wenn er wähnt, dasz diese nicht genugsam anerkannt werden, es ist immer noch wolthnender.dies zu finden als verstellte Bescheiden- heit ; aber Hr Ewald mag auch nicht die hier folgenden Aussetzungen als aus Tadelsucht hervorgegangen ansehen, sondern als ernstliche Bedenken, die sich beim durchstudieren auch dieser neaen Auflage noch aufgedrängt haben, und so wünsche ich^s von jedem angesehen, denn so ist es.

Dasz des guten , des gelangenen sehr viel ist^ versteht sieh von

A. Jahrb. f. PkU. m. Paed. Bd LXXVIII. U 2

18 Ewald: Lehrbach der hehr. Spräche.

selbst und ist auch bereits im gesagten anerkannt; auch diese neue Anflage bat sehr viele Verbesserungen, wie uns eine Vergleichnng dargethan hat, sie ist ein Beweis von der Treue und Unverdrossenheit dessen, der das höchste zu erringen sich vorgesetzt, und manche Aus- setzungen, die wir uns zur Ausgabe von 1844 gemacht, sind jetzt ge- schwunden, es ist eine durchgehende Ueberarbeitung. Wenn ich nun eben blos anführe wo ich abweichender Ansicht bin, so ist das viele gute als anerkannt vorausgesetzt, und werde ich meine- Meinung ganz bestimmt aussprechen, ohne mich damit Mer Hru Ewald selbst erheben zu wollen. Als falsch mnsz ich bezeichnen die Bildung des Hülfsvo- eals, wenn vor dem ersten Vocale mehr als zwei Consonanten zu stehen kommen. Hr Ewald sagt S. 39: *Als solcher sich eindrängender Vocal erscheint denn zwar nach § 23 b zunächst i (e); wo indes a oder o (u) ursprünglich in der Stammbildung gegründet war, § 212. 226, oder sonst im Laute nahe liegt, § 245 b, da nimmt der erste Mitlaut noch immer leicht diesen bestimmteren Vocal an, vgl. weiter § 70b.' Wie diese falsche Regel auch schwer verständlich ist, so ist S. 52 § 24 a i zwar nicht geradezu falsch, aber eben* wieder sehr compliciert, weil jene erste Regel nicht einfach gefaszt ist. Wie ich die ganze Erschei- nung auffasse, habe ich in dieser Zeitschrift (Bd LXXIV S. 197) be- reits angegeben und will deshalb hier dasselbe nicht nochmals wieder- holen. So steht auch S. 68 § 34b eine Regel, die recht viel Ausnah- nen mit sieh bringt; so versteht Hr Ewald auch S. 71 § 36 a die Sache recht schwer zu machen, ^und hier herscht denn auch nach der Copula 1 n n d gegen § 346 das i vor , weil dieser Vocallaut schon vorliegt^ bereit sich jedem möglichen Mitlaute anzuschlieszen, wie '^'i^i , ']V2'^'] .' Die Vocale sind überhaupt bereit sich jedem Mitlaut anzuschlieszen ; ea ist vielmehr die Frage , ob der Mitlaut bereit ist sich dem Vocale anzuschlieszen. So wäre noch S. 76 § 41 a, S. 78 § 44 a 1, S. 87 § 47 a zu behandeln.

Aehnlich ist in unklare und falsche Regeln gehüllt, weil das ein- fachste nicht beliebt ist, z. B. die Erscheinung dasz *^b73 mit SufQx i'zh'n hat, S. 105 § 70 a 1 1), weil dieses erst von 'rjbTa abgeleitet wird, da äoch beides von "^^12 abzuleiten ist; so S. 101 § 68 b sucht Hr Ewald durch ein ^kurzes i o^er e, welches sich aber im Hebräischen nach $9 gar nicht einmal deutlich halten kann', d. h. garnichtist und nie gewesen ist, eine wirkliche 'Erscheinung zu erklären. Hr Ewald läsztS. 149 nb*^ für nbo*^ stehen, da beide Formen von durchaus ver- schiedenen Bildungen ausgehen, aus der nicht vorhandenen :3bp'^. aber :3Cn wird, nimmermehr nö^; ähnlich wird S. 250 Dn^ für Qn^ gesetzt. Formen , die ebenso wie die eben erwähnten auseinander gehen. Die Veränderung und Bildung neuer Vocale geht nach viel einfacheren Ge- setzen vor sich als hier aufgestellt sind.

Ein durchgreifender und vieles verwirrender Irthum ist die Auf- fassung der Tempora, da Hr Ewald sie immer wieder mit den Actiones verwechselt; diese Unklarheit zieht sich leider auch durch diese Aus- gabe and macht das Verständnis des Gebrauchs der hebräischeu For-

Ewald: Leiirbaeli der bebr. Sprache. 19

men rem unmöglich , bewirkt auch* dass er geneigt wird das Particip eis Praesens gelten eo lassen S. M8, um die nothwendigen drei Tem- pora EU gewinnen, und mit Recht; denn hatten die Hebräer ihr Katal und Jiktol (Abhar und Athicb) ^vom Zeitstande des redenden ans scharf unterschieden' S. 301, so hätten sie drei Tempora bilden mus-» sen, hätten nie mit zweien sich .begnügen können, wie die Lateiner, diese strengen Logiker, zweimal drei haben, d. h. swei actiones, wie die Hebräer die dabei stehen geblieben sind, und in jeder actio drei Tempora. Woi mag mein Programm über diesen Gegenstand 'über die hebräischen sogenannten Tempora, Quedlinburg 1850' nicht Um Ewald vor die Augen gekommen sein; fragt sich auch, ob er es der Mühe werlh gehalten ein Schulprogramm zu beachten, aber ich musz gestehen, dasz weiteres forschen mich in den damals geäuszerten Ansichten nur gestärkt und mir das einzelne noch genauer begründet hat. Es dringt auch allmählich diese Auffassung durch, wie Nägels- bach in seiner Grammatik von ihr ausgeht. Hr Ewald geht in diesem Kapitel auch sehr eigenwillig bei seinen Uebersetzungen zu Werke: so M^i:! schuf S. 302, '^nn; S. 303ichgebe; dann bekommt aller- dings das hebräische Perfect eine Vielseitigkeit der Bedeutung , der sich andere Sprachen nichi rühmen können. So sind Formen wie "^in^DT memini S. 302 nicht richtig erklärt.

Ur Ewald sagt vom Athich S. 304: ^Entweder wird das unvollen- dete als werdendes, so eben entstehendes und dauerndes, nur noch nicht vorübergegangenes aufgefaszt, oder als schlechthin künftiges noch gar nicht seiendes, also nach unsern Sprachen als Praesens oder als Futurum'; und doch rühmt er sich zuerst diese Form Im- perfectum genannt zu haben ! So hat er freilich noch andere glück- liche Erfindungen wie Praesens Praeteriti S. 305, Imperfectum Perfecti S. 5U; er unterscheidet ein ^engeres Praesens'^S. 305 und ein ^gewötU- licbes Praesens' S. 306. Da seiner Unterscheidung der beiden Tem- pora jeder wirkliche Grund fehlt, so musz das einzelne sich immer mehr ins Ungewisse verlaufen , es musz vieles rein nach Belieben auf- gefaszt werden; so läszt er S. 501 das Perfect auch zum Precativ wer- den, 'dasz auch im Hebr. das Perf. so gebraucht werden konnte, folgt sicher ans einzelnen Ausdrücken , die sonst unverständlich blei- ben, wie ?t:3K umgekommen seien die Frevler ilf. 10, 16', das ich in dem trogr. S. 21 als einfaches Perfect gefaszt habe , und dasz dies richtig ist, bestätigt jetzt auch Hupfeld zur Stelle, der seine Er- klärung sicherlich nicht aus meinem Programm geholt hat. Auch we- gen der andern hier angeführten Stellen musz ich der Kürze wegeA auf mein Programm S. 22 verweisen.

Auch den Imperativ faszt Ewald nicht in seiner wirklicheiv Be- deutung, sonst würde er nicht den Grund des nichtvorkommens eines Imperativ Pual nndHophal darin finden, dasz ^die reinen Passiva über- haupt im Gebrauche entfernter liegen^ sondern einfach darin , dasz ein Imperativtts Passivi ein Unding ist und in keiner Sprache vorkommt, son^ dem solche Formen im Lateinischen und Griechischen immer medial sind.

2*

^ Ewald: Lehrbuch der hehr. Sprache.

Das * Imperfectum mit 1 verlegt eine werdende Handlung rflck» Värts in die Vergangenheit' S. 513! Was weisz man nun? ^es entspricht ganz dem griechischen Aorist' S. 514. Steckt hier der Fehler mehr in falscher Auffassung des Griechischen oder des Hebräi- schen ?

Es versteht sich von selbst, dasz ich, von ganz andern Voraus- Setzungen ausgehend, in der Lehre von den Zeiten alles anders auf- fasen masz , und dasz auch die *An m ut', die Hr Ewald in dem Wech- sel der Zeiten findet S. 518, mich nicht besticht, den meiner Meinung nach falschen Weg, weil er anmutig ist, zu gehen. Andere mögen nun beurteilen , ob ich mich irre.

In der Bildung des Niphal setzt Hr Ewald einen Unterschied im Perfeci und Futur. Mm Imperf. Nif-al hat sich nach dem Vorsatzlaute das 3 des Stammes immer in den ersten Wurzellaut aufgelöst. Dena das den Stamm bildende n konnte entweder mit vorhergehendem (^hin) oder mit folgendem kurzem Vocale (nf) gesprochen werden (!); im Ferf. nun hat es, den ersten Wurzellaut mit sich in §ine Silbe ziehend, den Vocal nach sich nnD3 , die möglich kürzeste Aussprache; im Im- perf. aber, welches ja auch sonst überall die verhaltnismäszig längere Aussprache liebt (ein oft als Axiom wiederholter Satz), geht die Bil- dung von hin aus, wobei 3 sich auflöst, das h aber nach dem Vor- satzlaute des Imperf. stets ausgestoszen wird und so das hier festeste Gebilde entsteht: nn3^ aus ^ntD^j'] usw.' Warum dient zur Bildung bald ni bald hin? Stellt sich nicht die Bildung ganz einfach so: das Niphal entsteht aus Kai, indem vor das Kai in seiner ursprünglichen Gestalt Vssf) !fT tritt, wahrscheinlich ein reflexives Pronomen wie nSi; diese beiden Buchstaben haben keinen bestimmten Vocal , sondern er- balten ihn erst, wie überhaupt die Vorsatzsilben, von der Tonsilbe aus nach den Regeln vom Tone ; so wäre die Grundform b^p2ti , also für die zwei Schwa vor der Tonsilbe mnsz ein Hülfsvocal eintreten bc3pj^-t und der vocallose Hauch fSllt nun ab. Der Infinitiv hat als intran- sitiv abweichend von Kai nicht o sondern e, vor das als Vorton das a tritt, also ist da die Grundform Vtsps^, daraus bt2p3^, daraus bt^'s'n und im Futur Vp.J^^T*^ macht Vtp.j^*). So ist die Bildung beider Formen gleich, nur uach den unwandelbaren Gesetzen der Aussprache be- dingt. Ueberall hatte Hr Ewald manches dem lernenden erleichtert, wenn er diese Gesetze, wie sich von der Tonsilbe ans die übrigen Sil- ' ben bilden müssen, hervorgehoben hatte; es würde dann vieles deut- licher und klarer geworden sein, man würde die Notfawejndigkeit der Formen eingesehen haben, während jetzt in seinen Regeln, wie auch in der obigen, ein subjectives Belieben zu walten scheint, das den 1er- nenüen nie zur Gewisheit kommen laszt. Bei klarer Durchführung dieser Regel würden auch die Bestimmungen über 1 (}, ? usw.) S. 534. 536, b und ähnliche Partikeln einfacher und verständlicher geworden sein, während jetzt viele Bestimmungea mit vielen Beschränkungen wieder zu lesen sind. Falsch ist die Erklärung, dasz der Infinitiv ^der blosse Leib des Verbum ist, dem die Seele ausgezogen' S. 322,

Ewald: Lehrbocb der hebr. Spracbe.* 21

and diese Anffassung fubrt denn aacb io der Syntax za ersobwerendea Regeln.

Mit dieser Aaffassung hangt auch wol znsammen die Ansicht S. 338, dasz erst vom Iniperfect der Infinitiv und Imperativ herkomme, eine Auffassung, von deren Richtigkeit ich auch jetzt noch nicht mich habe überzeugen können. Dasz sie eben nicht zu schnellerer Erlernung der Formen beilragt, wird jeder einsehen, der die Ewaldschen Regeln be- achtet. Die ganze* Formenlehre des Verbs gestaltet sich viel einfacher als hier auseinander gesetzt wird, wenn man als Grundformen die zwei, das Praeteritum und den Infinitiv, annimmt, und in den verschiedenen Verben gewinnt man dann mit Anwendung der Regeln vom Tone und den durch die Eigeuthümlichkeit der Gutturales und Quiescibiies be« wirkten Veränderungen die wirklich vorkommenden Formen ohne wei« teres fast ohne Ausnahme. Es ist hier nicht der Raum dies im einzel- nen nachzuweisen ; es ist aber diese Auffassung eben so wenig mecha- nisch als die Ewaldsche, und sie ist ja auch nicht neu.

Hr Ewald will fürs Hebräische ein Neutrum haben; zwar ist^s nicht da , aber es musz doch wenigstens da gewesen und erst später aufgegeben sein S. 381, und als es ^unbrauchbar geworden' S. 383, isl das Feminin dafür eingetreten, vgl. S. 372.» Aber nichts erfährt man darüber, wie es zugegangen dasz die Sprache eine so brauchbare Form aufgegeben hat, wie sie "nun gar unbrauchbar hat werden können. Aber dagewesen ^rnusz' das Neutrum sein, das wird a priori bewiesen S. 380. *Das Semitische hat zwar allen Spuren zufolge in einer Urzeit, wo es noch nicht seine Eigenthümlichkeit ausgebildet halte [vqn der man auch gar nichts weiszIJ, auch das unpersönliche oder sog. Neu- trum [dies oder ist nicht richtig] unterschieden; so liegt es in der Sache selbst, weil die Sprache, bevor sie auch lebloses als männlich oder weiblich auffaszt, zuvor überhaupt einiges leblose als persön-- liches, anderes also als unpersönliches aufzufassen gewohnt sein musz.' Die Haltlosigkeit dieses Beweises liegt wol genugsam auf der Hand, auch ist der Vordersatz schon an sich falsch ; denn die Sprache , die Sonne und Mond, sol und luna geschlechtlich unterschied , faszte diese Gegenstände nicht als leblos. Das Neutrum zeigt sich ihm noch in dem ^gewis aus jener Zeit stammenden' Fragwort "^p , tiTa, wo schon das r/g, t/, quis, quid, wer, was ohne Feminin das richtige zeigen konnte; diese Fronomina fragen nach Personen oder Sachen; das grammatische Geschlecht liegt nicht in diesem Fragwort, da der fragende, der die Person oder Sache die er wissen will noch gar nicbl kennt, auch dessen grammatisches Geschlecht nicht kennen kann. Das Neutrum spukt auch in der Syntax S. 656.

Eine weit hin greifende und auf viele Regeln einwirkende falsche Auffassung ist ferner die, dasz der slaius consiruchis eine engere gezwungene Unterordnung bildet, dasz er *sich anstrengt eine noth wendige Ergänzung sich scharf unterzuordnen' S. 458, obgleich *die Kraft der Aussprache in der Kette nach hinten bin will ' S. 643. Die ganze Bildung des stat. constr. zeigt, dasz er sich dem absolotua

22 Ewald: Lehrbncb der hebr. Spracbe.

unterordnet, dasz sich das Wort Sndert, wenn es in den slat. constr^ tritt. Auch diese Veränderung freilich, die sich so leicht und einfach bestimmen läszt, als die Form die entsteht, wenn der Ton des Wortes als auf dem absolulus liegend angesehen wird, ist bei Hrn Ewald sehr unsicher; ^die Verkürzung nemlich des stat. constr. trifft mehr die Vocale, jedoch auch diese zunächst nur, sofern sie ihrem Wesen nach Verkürzung erlauben, d. i. sofern sie in Folge des Tones noch länger sind als es die Nothdurft fordert' . . . S. 467. Solche Begel ist na- türlich nur für den, der sie nicht mehr braucht. Aber das unbe- stimmte in der Regel macht, dasz an einer Menge von Wörtern die Form nachgewiesen wird und Gründe weit hergesucht werden, wie *im plur. aber bleibt n*l3(<b72 unverkürzt, weil M ohne vollen Vocal ist': einfach, weil sich nichts daran verkürzen läszt. Auch ^tD*^ von Sns*^ erhält ein gezwungene Erklärung S. 474.

Zu neuen Ausnahmen treibt auch die Annahme über die Anhän- gung der Suffixe: *Bei ihrer Vereinigung mit dem Nomen liegt zwar, wie es der Begriff fordert (!), der stat. constr. des jedesmaligen No- men immer zn Grunde, allein [das ist^s eben!] ein gewisser (!) Un- terschied in der Aussprache kann doch eintreten, sofern das Suffix weniger Nacht und Gewioiit hat . . . Dadurch kann einige Macht und Weile des Tones vom Suffix wieder auf den stat. constr. zurückfallen (!) und überhaupt die Vocalaussprache eines Nomen vor dem Suffix, wo es nahe liegt (!), wieder voller und ruhiger werden , ,'* S. 552. Die Unklarheit des Ausdrucks und Unbestimmtheit entspricht der Schiefheit der Auffassung. Welche unsägliche Schwierigkeiten musz es machen, nach diesen Regeln die Bildung des stat. constr. und der Suffixe zu lernen? Der Fehler setzt sich fort und führt S. 562 § 260 a wieder zu vagem Gerede , ja S. 643 sogar zu voller Verkennung des stat. constr., denn D"^!^ IDinb ist kein stat. constr., so wenig als S. 644 *^d[ DSiilsrT; S. 648 läszt Hr Ewald gar ihn in den stat. absolu- lus ^zurücktreten', §290 e in Beispielen, wo ein stat. constr. eben gar nicht vorhanden ist.

Wie hier der Fehler in ungenanem construieren liegt, so wären auch sonst manche Ausnahmen nicht nöthig gewesen bei genauer Con- aructiou, so in ö*]«!:^ ^"'"^vj ^""^ ^^^ "^^- '** der Inf. Subject, ein \ also gar nicht anzubringen , wie es dagegen ganz in der Ordnung ist bei dem mit diesem Beispiele verglichenen n^tbb ^it2 gut ist^s zu woh- nen S. 658. Syntaktische Verhältnisse werden überhaupt nicht ein- fach genug anfgefaszt« Was gibt^s einfacheres als die Apposition und was ist verwickelter und auch unrichtiger als: ^dies ist die Beiord- nung (Apposition), welche da eintritt, wo die Unterordnung in jenen twei [vorher als Accnsativ oder Genetiv bezeichneten] Arten nicht Wol möglich ist oder wo sie unnöthig scheint' (!) S. 595. So ver- wundert sich Hr Ewald ohne Grund, dasz '^'O aach als stat. absolntns vorkommen kann, '^12 n^ wessen Tochter S. 697; so sind S. 693 Über die Setzung 'Von kV und Vm falsche Regeln, sie stehen eben vor dem zu verneinenden Worte , das braucht nicht gerade das Verb zu

Bwald : Lehrboch der hebr. Sprache. 23

fein; daneben werden andere Beobachtaogen eingemischt, die mit ^b gar nichts zu thun haben, wie die dasz das Parlicip im zweiten Gliede ins Verbum finitam übergehe i^ 37 ff. Aas ist es aber mit aller wis- senschaftlichen Syntax, wenn man in der Bestimmung der Regeln einer fremden Sprache vom Deutschen ausgeht, wie hier auch geschieht S. 693 S 390 a. B.

Auf S. 537 ist die Partikel t^J nicht genug gewürdigt ; sie steht auch beim Perfect und kann mit jeder Verbalform sich verbinden, aber stark ist die Erklärung ^^nbiziin Vfi< greif doch nicht Obadj 13 gleich M3 nbuSr , da doclT nirgends sich dies nj für fi<J findet und selbst Mj an dieser Stelle keinen Grund hat. Vgl. ATaurer z. d. St.

Neben diesen Einzelnheiten, in denen wir einen mehr oder we- niger starken Irthum nachzuweisen gesucht haben, leidet Ewalds Buch an bedeutenderen Mängeln. Ein Grammatiker erfällt vollkommen seine Aufgabe, wenn er den Grund der wirklichen Erscheinungen nachweist, er greift aber dieselbe hinaus und in die leere Luft, tritt er herein und beweist es mflste so sein. So rausz nach S.29 im frühesten Jugend- alter der Sprache das Neutrum dagewesen sein , so kann man nach S.31 unmöglich ernstlich voraussetzen, dasz die dem Arabischen allein eigenthümlichen Bildungen (Nom. Gen.) ursprünglich allen semi- tischen gemeinsam gewesen, und doch § 216 werden Reste und neue Ansätze zu Casusbildungen erwähnt; nach S. 32 hat das Arabische alles erreicht, was es in seinem Boden und von seinem Ausgange ans erreichen konnte; nach S. 61 kann die Erweichung der Stummlaute lu Aspiraten nichts ursprüngliches sein; S. 107 musz Rest und Spur von Vocalanschlag bleiben; S. 286 wird eine letzte Möglichkeit der Bildung erwähnt; S. 292 fordert die volle Passivaussprache im Verbum, dasz das unterscheidende u sofort nach dem ersten Laute des Wortes scharf hervorgehoben werde. Man vergleiche noch S. 312 S 139 a, S. 387 § 173 g, S. 461 § 202 b c.

Nabe hiermit stimmt es, dasz einzelnes, was doch unsicher ist nnd nur auf Vermutungen und Schlüssen beruht und höchstens als wahrscheinlich bezeichnet werden kann, gleich als ganz gewis hinge- stellt wird, so S. 63 die Aussprache des ;Z$, iz) und D, noch bestimm- ter S. 161: 'es leidet nemlich keinen Zweifel, dasz der Strich oben links iz) im Sinne der Punctatoren einen dem D gleichen Laut bezeich- nen sollte.' Die dazu angeführten Beispiele beweisen nur, dasz^ einzelnen Worten D in iD übergegangen , nicht dasz sie gleichen Laut gehabt; wozu hätte man auch mehr Zeichen als Laute erfinden sollen? ■nd 'b'DÜ und VlsiZ) und ähnliches zeigen doch hinreichend, dasz die Laute verschieden waren. So wird S. 66 73 als stärker denn 3 bezeich- net, da doch das 73, man vergleiche U^ -. und *> :. sich sehr schwach zeigt und mehr dem latüinischen als deutschen m ähnlich; das 73 schwindet, das 3 assimiliert sich blos. So wird S. 316 behauptet, dasz inK3 eine offenbar ältere Weise der Aussprache ist als tn^S. S. 628: * Selten erst steht biD starrer werdend allein' usw., Ewald will eben

24 Ewald : Lebrliocli der hebr. SpraclM.

nicht xugeben, dasz Vb eben so gat als stat. abs. vorkomnien kans denn als stat. constr.

Daneben werden Beweise angeführt, die nichts beweisen; so ist der Plural D*^plj73 S. 418 damit noch nicht erklärt, dasz &'^pb?3 eine nnhebräische Form wäre; denn warum heisst er nicht Q'^dV73 neben *^:3b73, was hebräisch und demD'^n:}'^ neben *^*i:}'^ gaas-fthnticb wäre?. So wird '^D'^Vä, '^n'^V^ltTT neben Yi'^i S. 445 damit erklärt, dass diese Passiyformen nicht so viel gebraucht und abgenutzt sind. Also wenn V ,. abgenutzt wird, wird allmählich *f~r daraus!

Eben so werden oft Erklärnngen gegeben, die nur scheinbar sind. S. 44: ^Das kurze a erhält sich nun. zwar noch ziemlich häufig vor dem Tone aus weiter keiner Ursache, als weil es der nächste Voeal ist.' S. 51: *Vom verliert das Fürwort ^sn^N wir § 184 all- mählich sein a: ^^r\i , als ein Wort ungewisser Abkauft.' Soll unsere Unwissenheit dlrand des' Abfalles des Buchstaben sein? War*» nicht richtiger zn sagen: den Crrund des Abfalls wissen wir nichts wie wir das Wort auch nicht ableiten können? Ur Ewald bemüht sich das zweite e in 'tb'^, ^^ usw. zu erklären S. ^3 und S. 312 f.* aber ans allem Gerede geht doch nar für jeden , der die gebrauchten Redensarten auf ihren wahren Gehalt zurückführt, das hervor: die Er- scheinung ist da , die Erklärung fehlt. Glücklicher ist hier in sei- ner Erklärung Nägelsbach. So sagt Ew. S. 54 ^ppiTi aus kuinaq'^ aber dies huinaq^ was er klüglich nicht ^umal mit hebräischer Schrift gibt, wie entsteht dies? S. 81: ^Da nun nach dem Hauptgesetze der Hauch- laut ganz anders vor als im Tone die Vocalanssprache auf sich wir- ken läszt, vor dem Tone milder aber deswegen auch nachgiebiger, im Tone stärker, so erklärt sich, wie aus ursprünglichem Irr^ri'; vor dem Tone r^sn*^ werden, i m Tone in** bleiben kann.' Wie kann man ri^n^ als ursprünglich bezeichnen? Das hiesze doch wenigstens es wäre wirklich eine Form. Die Formen erklären sich einfach durch die Na- tur des n, das ist richtig, aber nur bei einfacheren Ausdrücken wird man sie wirklich andern erklärlich machen. Ebendaselbst win* n'n^K

erklärt $ 48 a, Veil M für t gern e hat.' S. 91 : *ln dem persischen Fremdworte fid^nM E%r. 8, 37 scheint der Zusatz vorn durch die Ver- kürzung hinten aus' 1173^'71 2, 69 entstanden zu sein.' Dasz rsTj sich als m eng ans folgende Wort anschlieszt, wird S. 11^ aus seiner ^fragenden Kraft' begründet; hat denn *f73 nicht eben so viel fragende Kipft? Die Verba n^b lassen nach S. 320 *nur zur allgemeinen Unterscheidung des Perf. vom Imperf. im Perf. das ä in a übergehen.' Warum ist diese Umwandlung nicht am Imperf. geschehen? Hat denn nicht schon das regelmässige Verbum VtS^J das a? *Zur eigentlichsten Bezeichnung des Thäters und zum neuen Substantive wird diese» Gebilde (btj'np) durch ein auch in die letzte Silbe dringendes 6^ vor dem sich das 6 der ersten zn ä vereinficht' S. 340 (also Vnt3]j)' In solcher Weise gibt es keine Form, ^ die sich nicht er- klären, deren Entstehung sich nicht nachweisen liesze. Aebniiohes finde ich S. 341 § 153 a Z. 7, S. 431 § 189 h Z. 9, S.435a,

Ewald : Lehrbidi der hebr. SpraolM. 25

dass t » 1, dann a und weiter io j erweioht itt, aber die FormcD, die das beweisen mfisten, sind gar nicht vorhanden. S. 467, S. 634 § 187 Doch nicht blos solehe Stellen flnde ich , sondern noch weiter im gater Anzahl solche, an denen ich auch nicht den Schein einer Be- gründung finden kann , nichts sehe als Worte; ich sage ich, da ich das snbjective Urteil nicht als ohjective Wahrheit hinstellen mag, es mögen ja andere besser dergleichen begreiren. Ich will aus vielem nur einzelnes anführen, damit jeder sehe was ich meine. S. 30: *£s ist daher als bitte der Bildungstrieb bei den Semiten sich in jener eigenthümlichen Richtung der Wurzelbilduug (die drei Radicalen) früh so erschöpft, dass er nicht leicht darüber hinaus sieb wagen konnt# and E. B. zur Wortsasammensetsung nicht fortsehritt' S. 32 § 6 b, S. 43 $ 16b, S.46 § 17 c 1. S.47: ^D'^Pi!^ boUim Hüuser, welches soeben erst aus bötim verkürzt scheint.' S. 70: *^2^ntni für ax^rirn, indem "^ zwar verdrängt ist an seiner Stelle als Mitlaut, aber seinen Laut in das vorige^ zurückwirft und so festhlilt.' Man vergleiche S. 102 S 68 e f. S. 314 im Futur der Verba V's bleibt, wenn die ersta Radicalis eine Gnttnralis ist, ^das d gesetzlich wie Cl^:*?/ S. 316 Futur Niphal: *von f'^: ^1)3% ^lfi(?., indem das *) sich einfach auflöst^ der Vocal Wechsel aber deshalb hinten nicht eintritt, weil er noch nicht gewichtig genug ist, um sich, ungeachtet der zweite Wur- zellaut ein bloszer Vocal ist, festzusetzen ; daher auch der Yorton hier von selbst keine Stelle hat. Ebenso treibt ein y^ noch nicht dieses Vocalwechsels wegen seinen Doppellaut auseinander, so dssz hintes das ursprüngliche a bleibt wie im Perf. ä&% aber dagegen lautet dies a ähnlich wie im Perf. oft in o über' S. 323 § 143 e. S. 423: ^Doch setzt sich dafür vom statt t vielmehr das etwas fettere a zwischen den flüssigen Mitlauten fest.' S. 626: ^Die Feminiabildung ist nach § 175 o hinzugekommen (beim Infinitiv) and fast eine Unter- scheidung des Infinitivs eines halbpassiven d. i. schwächeren und gleichsam weiblichen VerbalbegrifTes geworden.' S. 530 wird vom Inf. nbs. gesagt, *dasz man ihn auch Inf. verbalis nennen könnte'. Was man mit diesem Namen , den auch Nägelsbach in seiner Gramme-»^ tik aufgenommen , nnn eigentlich gesagt und gewonnen hat , kann ich^ nicht finden. Ur Ewald hat S. 535 vom }} vor dem Inf. gesprochen ond fährt forfcj/Aber "b bleibt ohne Vorton, wo es blos der äuszern Verbindung wegen ganz lose zum Infinitive wie zu jedem anderen Nomen gesetzt ist> wie n^tib Gen. 16, 3, ferner in k^b zu kommen, wenn es nichts als gegen, versus bedeutet.' Hier lag eine genügende Erklärung vor, nemlich dasz in den angeführten Fällen dieser Infin. ein Status constructus für das folgende Wort ist, also selbst als. tonlos betrachtet wird, also b^, das nur vor der Tonsilbe des Infinitivs ein Kamez annimmt, dies hier nicht kanp, cessante eaussa cessat effectus. S. 637: * Hinten sich anlehnende Wörtchen sind in allen semitischen Sprachen . . . wenige, wenn man darunter solche vor- steht, welche im Gründe eben so gut vom sich anlehnen könnten . . .' (!)« Nachdem Hr Ewald in dem Abschnitte von den Eigennamen (einen

20 Ewald: Lebrbach der hebr. Spraebe.

Abschnitte, der leider ancb in den Grammatiken anderer Sprachen fehll nnd den aufgenommeD zu haben Ewalds anzaerkennendes Verdienst ist} die Sinnlosigkeit der Erklärung anderer. vom Namen b'^^'^nis; zwei- mal nachgewiesen, gibt er S. 584 selbst eine, die auch kein rechtes Licht über die Bedeutung des Namens verbreitet. ^Der Inf. bat nach % 2^ a als dem Verbum zn nahe stehend den Artikel nicht, ausser in so ganz einzelnen Fällen wie "^nb^ ^^Vl ^'^H ^^'^ i^^ ^^^ erken-. nen mich (meiner)? Jer. 22, 16, wo eine ungemeine (!)Kraß in der Frage liegt (!), wozu kommt dasz gerade t^^i mehrmals auch als Substantiv gebraucht wird' S. 598. Während das erste nichts ist, enthält der Zusatz den wahren Grund der Erscheinung. S. 640: *Das passive Particip trftgt also in diesem Falle wesentlich eine doppelte Kraft: die der bezüglichen Person und. die eines passiven Verbum, welches, -wenn nicht der ganze Satz zu einem blos be> sfiglichen herabgesetzt würde, die Aussage wäre.' Doch genug hier- von , vielleicht zu viel , um so mehr als manches wol einem schärfe- ren Verstände tiefere Weisheit ist; aber auffällig ist, dasz Regeln mit grosser Breite ausgeführt werden, wozu sich nur wenige Beispiele finden. Allerdings hat der Grammatiker, der alle Erscheinungen der Sprache umfaszt, das Recht wie die Pflicht auch dem vereinzelten sei- nen Platz anzuweisen, aber man darf doch von solchen ausgefallenen serbröckelten Steinen nicht so viel aufhebens machen, als von noch feststehenden und das ganze haltenden Strebepfeilern. Man vergleiche S. 46 : ^Auszerdem halt sich das u mit bemerkenswerther Zähig- keit in den wenigen Passiven vierlautiger Wurzeln' § 131 g. Da sind zwei solche Formen angeführt. So wird als äusserst selten be- zeichnet S. 83 und nun noch auf § 242 verwiesen und da 6in Beispiet angeführt ; ja S. 317 wird, nachdem die Bildung eigenthümlicherFormeo nachgewiesen, noch bemerkt: *von diesem Imperf. findet sich indes ini A. B. zufällig kein Beispiel' (!). Man hat schon .seine Noth die For- men alle zn lernen und zu merken, die zufällig vorkommen.

Ein groszer Uebelstand beim Gebrauche des Buchs sind die vielen Verweisungen, so über riTS^fi^TS S. 230. 388. 396. 359; so werden uk S. 317 ein ^nothwendig' zu belegen vier Paragraphe angeführt (und belegen es doch nicht!) , ja mitunter wie S. 247. 258 werden gleich hintereinander fünf Paragraphen citiert. Besonders aber verdriess- lich ist, dasz man häufig an den Stellen, an denen man eine Erklärunff oder Nachweis suchen soll, nichts der Art findet: vergleiche S. 5S nns mit S. 79. S. 65: ^welches sich im Fürworte sehr klar zeigt' mit $ 103 f.) wo nur dasselbe behauptet wird ; so wird nochmals S. 65 aaf S 105 a verwiesen. S. 76 wird auf § 50 a als Beweis hingewiesen, aber der Fall hier hat nichts mit dem in § 50 a gemein. S. 93 § 60 b *nnd das § 59 o angeführte pD*? (nemlich für pDb'7)% dort: ^überhaupt wechseln die flüssigeren Laute, besonders l und r, ihre Stelle am leichtesten.^ S. 227 und § 406: au beiden Stellen steht nur einfach dasselbe. So S. 312 und § 17 b. S. 317 verweist auf § 122 a, dies anf S. 317. S. 339 *nach § 21', wo eben nur dieselbe Behauptung

Burald: Lehrbnoh der hebr. Sprache, 27

B^ht, kein Belej^ ffir die Wahrheit derselben; so S. 381 and § 182; S. 420 und § 146 e; S. 436 'nach § 48 a'; S. 442 und S. 150; S. 446 'nach § 40b; S. 505 und § 133 b, S. 533 und § 186 d, 243—45.'

Freilich wird jeder, der die Wahrheit dieser Belege prüren will, sie selbst alle einzeln vergleichen müssen ; ich konnte aber nicht die Stellen alle ausschreiben. Vielleicht habe ich schon in dieser Richtung zu viel gethan, und ich scheue mich fast weitere Ausstellungen zu machen ; allein soll man eben ein Werk vollends von solcher Bedeu* tung und Wichtigkeit- beurteilen, musz man auch alles das sagen, was diese Beurteilung vervollständigt.

Neben dem was ich geradezu für falsch, anderes für nicht er* klärende ErkiSrung habe erklären müssen, ist eine Reihe von Erklä- rungen von mir bemerkt, die ich wenigstens als sehr zweifelhaft b&. zeichnen musz. Solche finde ich S. 72 § 36 a. E., S. 74 § 39 b 1 a. E.: ^"n^ von ^l2Ti; S. 47 der Grund, weshalb Esra nicht die neue Schrift eingeführt haben könne, da die alte Schrift bis ins letzte Jahrhundert im Gebrauch war, als wenn man daraus, dasz Hr Ewald noch im Jahr 1855 die in deutscher Sprache so häszliche lateinische Schrift anwen- det, beweisen wollte, die schönen deutschen Buchslaben wären damals noch nicht eingeführt gewesen. S. 226 die Behauptung, dasz "^2) ein Fragwort gewesen sei, dasz das fragende ri stammverwandt mit der lateinischen Partikel an sei, ist doch mehr als zweifelhaft, das letztere noch besonders dadurch, dasz an ganz andere Bedeutung hat als n. Hierbei sei nebenher bemerkt, wie es Hrn Ewald mehrmals 80 geht dasz er andere Sprachen zur Erklärung mit heranzieht ohne Noth und mitunter gar ohne richtige Auffassung der andern Sprache. So hält er S. 537 que für geringer als ei. S. 649 drückt ihm 'der Inf. mit b^ den Genetiv des lateinischen Gerundium aus, da er sonst andere Casus umschreibt^. Musz da der lernende nicht irre werden, der doch weisz , dasz sich im Lateinischen die Casus streng unter- scheiden ? Nach S. 692 drückt bK 'stets eine innigere Theiinahme des redenden aus wie ov fitj*. Man vergleiche die Anm. b auf S. 700. S. 707: 'Da nun das Beziehungswort hienach weit von einem lat. pron. relat. entfernt ist;^ doch dies als unwichtiger nebenbei. S. 231 möchte doch der von vielen angenommene etymologische Zu- sammenhang des ^ mit ys^ mehr als bloszer 'Schein' sein; zweifelhaft S. 234 die Ableitung des ^n^. S. 251 wird eine Form durch einen sonst nicht mehr erhaltenen Yocal erklärt. S. 253 §114 werden kurze Verbalstämme als aus volleren wieder zusammen- gesunken erklärt, wie ^ia, *nNa, ^n ans ^pn, ^173 aus ^ln73, da doch auf derselben Seite § 113 DM^ aus Dl^ entstanden ist und man nicht belehrt wird , in welchen einzelnen Fällen jede dieser beiden schnurstracks sich zuwiderlaufenden Bildungen anzunehmen ist. S. 262 die Entstehung von n^l!^.. S. 337: 'Da dies übrigens eine sehr be- stimm te und etwa s spätere Form ist, so lösen sich die y^in ihr gesetzt ich auf.' S. 355: 'VonHithpael vereinfacht sich D7^'ipri aus'pn^q. S.420: 'Aehnliches musz für vs; Stadt aus T.;, eine

ii& Ewald: Lebrbacb der hebr. ßpradMi«

ältere Ausspracbe *r)9 gewesen sein, wovon noch der Plural &7*n!^, indem ö in unwandelbares ä übergegangen.' Dazu vergieiche man auf derselben Seite die Erklärung der Form von M'^a, ÜV, wo sogar ein unwandelbares d = d schon zum bloszen Vorton gemindert, also verwandelt ist. *

Das Bemühen alles zu erklären und jedesmal zu erklären führt zu öfteren Widersprüchen, die bisweilen in groszer Nähe nebeneinaD- der auftreten, so S. 219 § 101 c. S. 261 ist Neb. 13, 13 "nat'in Hiphil von ^^&<, aber doch leitet sich zugleich dies Hiphil erst von "nn^'i^ ab. S. 472 : ^Sehr selten erst bleibte schon unverändert (im stat. constr.} wie 3^, np5>.' S. 473: *Aehnlich erklart sich der Wechsel von mbn neben dem stat. abs. nbn Milch.' S. 567 Z. 1 wird das Bncli Josua zu den späteren gezählt und Z. 10 so gesprochen als wäre es ein sehr altes Buch. S. 597: *Bei andern fällt der Artikel erst all- mählich ab wie t]'»r|'b«rj und d'^n'bN Gott*)% und in der Anm. liest man: 'Auch D"^!rfVN^ ist' mehr Neuerung gewisser Schrirtsteller/ Bei andern Stellen wären lange Ausführungen nöthig. Man vergleiche nur z. B. die auf einander verweisenden $ 130. 131. 149. 240 über passive Formen, § 132 c u. d Minti3.

Bei der Anordnung des Buches, die sehr eigenthümlich ist und auf die als die ^richtige Gliederung des ganzen' usw. wie auf ein be^ sonderes Verdienst Hr Ewald selbst in seiner Vorrede S. XI hinweist, und die als ein grammatisches System als wol durchdacht anerkanni "fverden musz, die aber nicht für *den Anfänger', für den dies Werk nach S. XIV auch geschrieben ist, praktisch ist, obgleich man wol an- nehmen musz, dasz Hr Ewald mit diesem Anfänger nicht den ins Hebräische eintretenden Schüler sondern unser einen , der mit den klassischen Sprachen, mit allerlei Gymnasialdisciplinen beschäftig! noch nebenbei Hebräisch zu lehren hat und also immer in den Anfän- gen stehen bleibt, während ein Professor prienlalium seine ganze Zeil und Kraft dem ^inen Gegenstande widmet und nothwendig tiefer ein- dringt; ein Schüler würde vor dieser 784 eng gedruckte Seiten ent- haltenden Grammatik davonlaufen, bei dieser Anordnung lassen sich Wiederholungen wol nicht vermeiden, ich erwähne S. 268. 273. 297. 300. 324. 345. 351. 395 usw. Manches ßndet sich an Stellen, wo^ man*s sicherlich nicht sucht, vgl. S. 291. 310. 454. 612. 680. Die An- zeige ist indes schon zu lang geworden (doch kann man wol bei der Wichtigkeit des Werkes Entschuldigung finden), sonst hätte nocb manches einzelne besprochen werden können. Schliesziich m^iz ich aber noch das eingestehen, dasz der Ausdruck oft schwer verständlich und ungewöhnlich ist, und für den, der die Sachen nicht schon etwas genauer kennt, fast unverständlich sein möchte.

Quedlinburg. Gossrau.

(Fortsetzung im nächsten Heft.)

Weniick: Uebersiehl der deatocheQ NationallitteraCar. 29

Dr Friedrich Wernick^ Lehrer am Sophienstifte zu Weimar: Geschichtliche lieber sieht der deutschen Nationallitteratur mit HinbUck auf die gleichzeitigen Kunstbestrebungen. Gotln 1856, Scfaeube. XIX u. 1128 S.

Es soll eine der unangenehmsten Empfindungen sein, beiszt es, seinen Doppelganger zu sebeli, eine Gestalt, welche ans durchaus ahnlich ist, und deren Anblick uns mit einem unwiliküriichen Schauder erfüllt. So wie wir uns von Herzen freuen Geistesverwandten zu be- gegnen, unsere Ansichten mit ihnen auszutauschen und mit der Erkennt-, nis ihres Werthes zugleich des von uns selbst errungenen und besea- senen bewust zu werden, so ist uns jede nur äuszerliche, täuschende Aehnlichkeit ein Grauel.

Vor einigen Jahren habe ich ein Lehrbach der Geschichte der deutschen Nationallitteratur erscheinen lassen, ein Buch, welches neben manchem entlehnten viel eigenes , besonders in der Verarbeitung bot, and das während des Unterrichts in einer Töchterschule entstanden, für gereiftere Klassen recht forderlich sein kann. Ich kenne seine Mängel zu gut, um nicht auch seine guten Seiten ein wenig zu kennen. Zu den letzteren gehörte, dasz ich mich bemüht hatte in einem kurzen Anhang die Geschichte der deutschen Kunst zu verfolgen, nicht mit der Absicht vollständiges zu bieten, sondern nur einen Leitfaden für diejenigen, welche solches allenfalls anspricht. So erfreute ich mich von Herzen als ich den Titel des Buches von Hrn Wernick sah; ieh freute mich einen Geistesverwandten gefunden zu haben ; meine Freude ist zu Wasser geworden.

Hr Wernick sagt in seiner Vorrede: *Die Geschichte der vater- ländischen Litteratur ist in fast allen Arten von Bildungsanstalten ein Gegenstand des Unterrichtes, die Bekanntschaft mit derselben ein Haupterfordernis jeder höheren Bildung geworden , und es hat nicht an Männern gefehlt, die durch Herausgabe gemeinfaszlicher Darstel- lungen diese Bekanntschaft zu erleichtern gesucht haben. Namentlich haben u. a. Nösselt, Klettke und Scholl populäre Litteratur werke ver- öffentlicht usw. Dennoch hat es mir geschienen, als ob der litterari- sche Stoff zum Theil noch zweckmäsziger geordnet, die am meisten in- teressierende Gegenwart noch ausführlicher dargestellt, und neben der GeAhichte der Litteratur zu noch besserer -Veranschaulichung des Culturlebens zugleich auch die Kunst in ihren Haupterscheinungen mii vorgeführt werden solle. Daher habe ich in dem vorliegenden Hand- buche den Versuch gemacht: a) den umfangreichen Stoff noch über« sichtlicher zu gruppieren b) die interessante Neuzeit mit noch grösze- rer Vollständigkeit zu behandeln und c) im Znsammenhange mit der Litteratur auch die merkwürdigsten gleichzeitigen Kunstbestrebungen mit zu besprechen ' usw.

Ich habe gegen diese Einrichtungen und Ansichten des Hrn l>t

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Wernick: üebersichl der deutschen Natiottallilterataf.

Wernick gar nichts einzuwenden, denn ich halte sie für richtig; aber dagegen habe ich etwas einzuwenden , dasz er in seiner Vorrede die meinige völlig ausschreibt, dasz er, ohne meinen Namen zu nennen, aus meiner Litteraturgeschichte Plan, Gruppierung, Charakteristik bis in Einzelheiten, dasz er meine ganze Kunstgeschichte entlehnt hat. Bei so bewandten Umständen ist es nicht entfernt meine Absicht , anf einzelne Fehler eines Buches aufmerksam zu machen, welches sich nicht über die Bedeutung einer ungeschickt abgeschriebenen Schaler- arbeit erhebt; eben so wenig will ich, indem ich Hrn W. des Plagiats zeihe, mein Werk erheben, dessen Schwachen ich kenne; ich will mir nur das unschuldige Vergnügen machen, an Terschiedenen Beispielen nachzuweisen, dasz Hr W. meine Litteraturgeschichte auf eine durch- aus unanständige Weise ausgebeutet hat, sodann, dasz er von der Kunstgeschichte, welche er von mir abschreibt, durchaus nichts versteht.

Zuerst zum Plagiat. Es ist erklärlich und natürlich, wenn man allbekannte und nothwendige Dinge, welche möglichenfalls nach den- selben Quellenschriftstellern gearbeitet sind, mit ähnlichen Worten ausdrückt, oder dasz man von selbst zusammengehörige Dinge auch zusammen gruppiert. So hat sich nach und nach eine Behandlung der älteren nnd mittleren Geschichte der deutschen Litteratur festgestellt, 'welche naturgemäsz ist und sich nicht wesentlich ändern lassen wird; so wird die Lebensgeschiclite von Dichtern , die kurze Inhaltsangabe mancher gröszeren Gedichte sich öfter mit ziemlich gleichen Wortes mittheilen lassen; so habe ich selbst manches derart entlehnt. Ebenso steht es den Schriftstellern für die Schule frei, aus den Arbeilen der Quellenforscher und geistvollen Kritiker gemeinfasziiche Auszüge machen, wol auch ein treffendes Wort zu entlehnen, vorausgesetzt dass man so ehrlich ist der Werke mit kurzen Worten zu gedenken, welche man benutzte. Dasz man in neueren Litteraturgeschichten für di« Schule vornehmlich Vilmar, Gervinus,-Hill.ebrand usw. benutzt, ver- steht sich von selbst, und ich habe es oft gethan, mich indes nicht mit der allgemeinen Aufführung derselben im Vorworte begnügt, son- dern manchem entlehnten Ausdruck sogar den Namen offen beigefOgl. Wenn aber ein Schulmann es sich erlaubt, aus zwei Schulbüchern «in drittes zusammenzuschreiben und allenfalls aus einer der herkömm- lichen Blüthenlesen ein paar Musterstficke beizufügen , so ist das ein unverschämtes Plagiat nicht allein , sondern ein glänzendes Armnths«- Zeugnis; denn ein Lehrer, welcher über die Heroen der deutschen Litteratur nur abschreiben kann , der sollte seine Lehrthatigkeit ein- stellen. Ich greife aufs gerathewol in Hrn W.s Buch, um ihm dieses zu beweisen; ich wähle Lessing. Hier heiszt es:

Buchner 1852 S. 152.

Gotth. Ephr. Lessing ward den 22. Januar 1729 zu Camenz in der Lau- sitz geboren. Sein Vater war Pre-

Wernick 1857 S. 337.

G. E. Lessing, nach Klopstock der zweite grosze Geist, der die deutsche Litteratur neu gestaltete.

WernidL: Uebersiekt der deaUcheo NaUonalUttoraCiir.

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dij^er. Unvollständig vorgebildet, ge- wann er durch faufjabrigen Fleiss auf der Fflrstenschule zu Meiszen tüch- tige Kenntnisse in den Wissenschaf- ten und alten Sprachen. Terenz und Plautus zogen ihn schon früh an. Vom Vater dem Studium der Theo- logie bestimmt, obschon ohne Nei- gung zu derselben, gieng L. 1746 nach Leipzig , wo er aber vornehm- lich ritterlichen Leibesübungen, fis- thetischen und philosophischen Stu- dien, dem Umgang mit Schauspielern der Neuberschen Truppe lebte, an Disputierubungen unter Kästners Lei- Cang Tbeil nahm. Zugleich war L. mit seinen Freunden Weisze, Mylius nsw. schriftstellerisch für die komi- sche Bühne thätig und gab seine er- sten Lustspiele heraus. Aus diesem Leben rief ihn der Vater durch die erdichtete Todesnachricht der Mutter. Bald indes gieng L. nach dem frei- geistigen Berlin und durch des streng- gläubigen Vaters Bitten genöthigt, nach Wittenberg, sich als Magister zum akademischen Lehramt vorzubil- den usw. Schon 1753 wandte er sich wieder nach Berlin, wo er den Um- gang von Nicolai, Mendelssohn, Kam- 1er, Sulzer genosz usw.

Ferner heiszt es Buchner S. 157.

Leasings Charakter war vorwie- gend verständig. Er selbst gesteht, dasz er kein Dichter sei. Werke des Verstandes sind seine Dichtungen, aber solche eines schöpferisch-kräf- eigen, groszartigen, der sich mit fei- nem Takt, reinem Geschmack verei« nigt. Selbstbewust, nännlich-kräflig, ganz antik in seiner Höhe und Schroff- heit, ist er in jeder Beziehung Gegen- satz zu dem weichen Klopstock: bei L. finden wir klare Besonnenheit, Ge- diegenheit iind Kühle, bei K. lyrischen Schwang, Sentimentalität, Uernens-

wnrde am 22. Januar 1729 zu Ca« menz in der Lausitz geboren, wo sein Vater Prediger war. Unvoll- ständig vorgebildet, gewann er durch fünfjährigen Fleisz auf der Fürstenschule zuMeiszen tüchtige Kenntnisse in den Wissenschaften und alten Sprachen. 1746 bezog er die Universität Leipzig, um nach dem Wunsche seines Vaters Theo- logie zu studieren. Aber statt des- , sen beschäftigte er sich mit rit<- terlichen Leibesübungen, mit lit- terarischen und philosophischen Studien , pflegte Umgang mit den Schauspielern der Neuberschen Truppe und nahm Theil an den Disputierübungen, die Kästner lei- tete. Zugleich war er mit sei- nen Freunden Weisze und Mylius schriftstellerisch für die komische Bühne thätig und gab seine ersten Lustspiele heraus. Der Vater rief den ungehorsamen Sohn nach Hau- se zurück. Bald darauf besuchte L. die Universitäten Berlin , Wit- tenberg nnd wieder Berlin, wo er den Umgang von Nicolai, Mendels- sohn, Ramler und Sulzer genosz usw.

Wernick S. 338.

Lessing hatte in seinem Wesen etwas schroffes und unstetes unc^ in seinem Charakter etwas vor- wiegend verständiges. Er war gerade das Gegentheil de§ gefühl- vollen Klopstock. Während Kl. poetischen Schwung, Sentimenta- lität nnd Herzenswärme in sich trug, war L. besonnen, gediegen und kühl ; während Kl. ein gläubi- ger Christ war, war L. ein Zweif- ler; während Kl. mit Vorliebe auf die deutsche Volksthümlichkeit fnazte, hnldigte Lessing vornug»»

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Werniök: Uebersicbt der deat8cli«ii NatioiiaUitterata^.

weise dem klassischen Alterlha- me ; während Klopstock sich von seinem warmen Gefahle leiten and oft über alles Masz und Ziel hin- ausführen liesz, stand Lessing immer als scharfer Kritiker da; während Klopstock vorzüglich ly- rischer Dichter war, war Lessing vorzüglich Dramatiker ; während Klopstock mit allen verschiedenen Richtungen befreundet war , war Lessing allen Parteien ein Wider- sacher; während Klopstock in sich immer glücklicher wurde und erst im hohen Greisenalter starb, zer- fiel Lessing immer mehr mit sich selbst und starb eines frühen To- des.

wärme; hier gläubiges Christen- thum, dort Zweifel, hier lebhaftes oft schwärmerisches Gefühl für deutsche Volksthümlichkeit, dort wenn auch nicht MisachtuDg, doch fast nur in der Negation des fremden bestehendes hervorheben derselben und vorwie- gendes Ruhn auf dem Alterthum. L.ist der scharfe Kritiker, der Dichter der Tragoedie, masz voll und'gedrungen in Form und Gestalt; KL ist der vom Ge- fühl beherschte, oft über das Masz hin> -ans geführte Epen- u. Odendichter ; L. allen Parteien schroff und überlegen, ohne Nachfolger, Kl. mild, allen Rich- tungen befreundet, Ideal der ganzen vorstrebenden Jugend ; L. immer un- stet, nie behaglich, bald arm, baldVer- schwender , stirbt früh und gramge- beugt. Kl. glücklich, nachdem er den Vollgennsz desLebens gekostet, bis in sein hohes Alter als Dichter gefeiert.

So schreibt Ilr Werniek Litteraturgeschichte. Dasjenige, was ich als die Frucht mühevollen lesens und arbeitens , anstrengender Vor- träge mit nicht geringer Mühe auf seinen Kern zusammendränge, darüber achüttet er sein klares Wasser der Popularität und verdirbt das ent- lehnte, wie ein ungeschickter Junge die entwendeten Trauben zerdrückt. In gleicher Weise schreibt er das Verzeichnis von Lessings Werken wörtlich aus Fischons vielgebrauchtem Leitfaden, den Abschnitt über Lessings Einflusz auf seine ^eit fast wörtlich aus meinem Buche ab, •Ebenso schreibt er wörtlich aus Fischon ab das in Klassen geordnete Verzeichnis von Wielands Werken ; die darin vorkommenden, von gro- ber Unkenntnis oder Nachlässigkeit zeugenden Druckfehler (Abderiden, Gereon , Thyana , Hyon) hat Hr W. selbst beigefügt. Wielands Nach- ^ahmer nennt Herr Werniek Nicolai.

Ich blättere weiter, nach Goethe. Da heiszt es über Iphigenie:

Bachner S. 208.

Iphigenie auf Tanris, 1779 in Prosa entworfen, in Rom umgearbeitet, ver- einigt den höchsten Reichthum und Adel des Gedankens mit höchster Formschönheit, griechisches Masz und Groszartigkeit mit deutscher Tiefe; kein Werk ist in dieser Art gleich vollendet. Vor allen herlich eracheiot Iphigenie, eine wunderbare

Werniek S. 567.

« Als Hanptheldin dieses gelun^ genen Schauspiels tritt Iphigenie, Tochter Aganenuions , Priesteria des Dianentempels auf der tauri* sehen Halbinsel, auf. Iphigenie führt durch ihre wunderbare Ho- heit das barbarische Scythenvolk zur Sitte , zähmt den grausamen König Thoas und beruhiget ihren

Weraiok: Uebersicbt der deatscheii Nationallilteratiir.

33

von den Racbegeistern verfolgten Bruder Orestes. Freimütig und vertrauensvoll bittet sie Thoas, der FremdUuge zu schonen und mit dem wiedergefundenen Bru- der und Freund Fylades sie selbst in die Heimat zurückkehren zu lasseo, und der Scylhenkönig überwindet den Schmerz um den Verlust der hehren Freundiu und endäszt sie mit ernstem Lebewohl. Dieses Göthesche Meisterwerk auch wie das vorige in Jamben geschrieben ist eben so reich an edlen, gewichtigen Gedanken, wie es sich auszeichnet durch Formschönheit, und vereinigt in gelungenster Weise altklassische Gediegenheit mit deutscher Tiefe,

Franengestalt, deren Hoheit das Bar- barenvolk zur Sitte fuhrt, den rauhen König zähmt, die Kachegeister vom geliebten, spätgefuudenen Bruder verscheucht. Aber sie will nicht ehr- los'davongehen mit demedeln, männ- lich-stolzen Orest, mit dem sinnrei- chen, gewandten Fylades; offen und frei, bauend auf die Macht der Wahr- heit uud der schönen Weiblichkeit, bittet sie Thoas, den Scythenkönig, um Entlassung und ein mildes Ab- schiedswort; und der Fürst überwin- det den Schmerz um den Verlust der Freundin und geleitet sie mit ernstem : lebt wohl i Diese rein sittliche Lö- sung, die in jedem Worte sprechende schöne Menschlichkeit, welche sich vordem dunkeln Hintergründe trüben Ahnengeschicks abhebt, das vollkom- mene Ebenmasz, die Kraft und Bild- samkeit der Form wirken zu einem mächtigen Eindruck dieser Gemüts- tragoedie zusammen.

•Abgesehen davon, dasz Hr Wernick auf diese Weise mein Buch zerlästert und das was ich gerade über die bedeutendsten Persönlich- keilen, Klopstock, Lessing, Goethe, Schiller usw. in eigenthümlicher Weise und nach ernster Arbeit schrieb, mit unbegreiflicher litterari- scher Freibeuterei plündert und zugleich verwässert, enthält sein Buch über die genannten Männer nichts als seichte Rednerei, kein Wort welches von eigner gediegener Arbeit Beweis ablegte. So schreibt er die gesamte Reihenfolge der goetheschen Gedichte abermals gedanken- los aus dem dürren Pischon ab, schreibt dann von mir die Charakteri- stiken der goetheschen Hauptwerke ab, indem er nur seine beiden Quellenschriftsteller verdirbt. So schreibt er mir gleicherweise ab die Charakteristik der Romantiker usw. Von seiner tiefen Kenntnis gibt u. a. einen Beweis , .dasz er Börnes Postschnecke bezeichnet als ^einc Satire auf die schwerfällige Forlbewegung des deutschen poli- tischen Lebens', dasz er von Prutz^s politischer Wohnstube statt Wo- chenstube spricht. Die moderne Lyrik schreibt Hr Wernick wörtlich ab abschreiben nenne ich wörtliches entlehnen ohne Nennung des Verfassers aus Schenckels Dichterhalle, einem solid gearbeiteten Buche, welches dem Verfasser, .meinem verstorbenen lieben Freund, unsägliche Arbeit und einige Lebensjahre gekostet hat, und das jetzt solche litterarische Parasiten massenhaft abschreiben^ ohne ihre Quelle anch nur einmal 2u nennen.

iV. Jahrb, f, PhU, m Paed. Bd LXXVIII. i. 3

34 Wernick : IJel^rsicfct der deatsebea Nationallitteratur.

Hr Werniok verspricht auf .dem Titel seines Bucbee den Hinblick auf gleichzeitige Kunstbestrebangen. Dieses hat guten Sinn, wenn von der deutschen Konst die Rede ist; aber gelegentlich der deutschen Litteralurgeschichte die gesamte Kunstgeschichte 2u betrachten, ist ein Unternehmen, weiches kaum praktisch erscheint und jedenfalls sehr geschickt durchgeführt werden musz, wenn mehr als blosze Namen und Jalireszahlen erwähnt werden sollen. 4n der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.' Wenn es aber ein Beweis von Unkenntnis ist, alles mög- Hebe nngesichtet zusammenzuwerfen, das wichtige und unwichtige nicht zn scheiden, in einem populären Buche wichtiges auszulassen und dann wieder vieles zu erwähnen , was kaum der Kenner wissen kann , wenn Oberhaupt gänzliche Planlosigkeit Beweis ist für Unkenntnis, so hat Ur Wernick in seiner Behandlung der Kunstgeschichte diesen Beweis geführt.

Hr Wernick beginnt auf drei Seiten mit indischer, ägyptischer ■nd griechischer Baukunst und Bildnerei, dann geht er, nachdem er die römische Baukunst mit einer Zeile abgethan, zu Karl dem Groszen aber. Hier heiszt es S. 90 wörtlich :

*Karl der Grosze unternahm mit Zuziehung italienischer Baumei- ster auch grosze Kirehenbauten (zu Aachen usw.) und cegte dadurch in den Deutschen die Pflege der Baukunst an. Da man vorerst nach italienischen Mustern baute, so blieb zunächst der italienische oder romanische Baustil (Rundbogen usw.) der vorhersehende, wovon z. B, die Marien- oder Münsterkirche in Aachen mit nur wenigen Veränderun- gen als Denkmal noch steht. Auszerdem sind Beispiele des romanischen Stils: die Schloszkirche zu Quedlinburg, die Liebfrauenkirche zu HaU berstadt, die Schloszkirche zu Gernrode, die Liebfrauenkirche zu Mag- deburg, der Dom zu Constanz, der Dom zu Augsburg, Freiburg a. d. U., Paulinzelle usw.'

Wer von der Geschichte der Baukunst nur ein wenig versteht, der weisz die grobe Unwissenheit eines Schriftstellers zu beurteilen, wel- cher mit diesen paar Zeilen die romanische Baukunst abthut, diese erste groszartige Kunsjblüte des Mittelalters. Also für Hrn Wernick existieren z. B. gar nicht die romanischen Kirchen im Rheinland, die riesigen Dome von Speyer, Worms, Mainz, Bamberg, die zahlreichen prächtigen Kirchen zu Coblenz, Laach, Bonn, Cöln usw. Weisz er gar nichts von dem eigenthümlichen Wesen des romanischen Stiles? Wa- rum hat er es nicht auch aus meinem Buch abgeschrieben? Oder es wenigstens studiert und ^ich die Mühe gegeben , zum mindesten die Bücher von Kugler, Förster usw. ordentlich auszuziehen? Die gesamte gothische Baukunst ist eben so ärmlich dargestellt, sie erhält % Sei- len, Albrecht Dürer deren zwei. Die altilalischen Malerschulen wer- den sämtlich angeführt und dabei Meister wie SemitecoU), Pacchia- rotto, Andrea di Cione usw., wefche auszer den gelehrten Kunstken- nern kein Mensch kennt noch kennen kann, am wenigsten unsere Töch- ter; die Verzeichnisse zahlreicher Gemälde von Leonardo, Rafael, .Michelangelo, Correggio, Rubens usw. deuten eben so wenig- auf die Fähigkeit den Stoff zu beherschen. Der deutsche Kunstfreund, welcher

Weniick : üeberticM der deotsthen NiHoMllitterator. 85

einen Velasqoes und Harillo lieranserkennt, weiss genog von der spa- nischen Malerei; \fenn Hr Wernick uns noeh den Roelas, Fereda usw. drein gibt, sq beweist dies tiefste Kerfnlnis oder Unkenntnis, denn in Deutschland ist kein Qnadratzoll Leinwand von diesen Meistern. Von Engifindern besitzt ebenfalls Deutschland kaum 6in gutes Bild; Hr Werniek beschenkt uns mit einer Seite roll entlehnter Gelehrsamkeit daröber; Hogarth, welcher uns durch Lichtenberg nahe gerückt ist, wird nur genannt, von West sieben Bilder angefahrt. Druckfehler wie Appelles, Zeitloom, Leseur (zweimal), Modette, Radanisso, Halevi usw. im Text und Index stehen zu "lassen oder nicht nachträglich zu corri^ gieren, ist Beweis groszer Unwissenheit, denn bei der Nähe des Druck- orts darf man annehmen, dasa Hr Wernick zum mindesten die Revision besorgte. Dasz naeh Erwähnung der neueren französischen Bildhauer und Thorwaldsens Hr Wernick zwei Seiten aber Musik bringt und zum guten Theil ans meinem Bnehe entlehnt, wird man begreiflich flnde». S. 698 704 kommt ein Absclinitt ^Künstler der Romantik und andere', in seiner Ueberschrift schon originell, und bis auf weniges fast wört- lich aus meinem Anhang abgeschrieben. Proben zu geben wird man mir erlassen. Und so, bald excerpierend , bald durch Zusätze ans irgend einem biographischen Lexikon erweiternd , sonst aber meinen Gang und meine Werte mit rührender Anhänglichkeit bewahrend, schreibt Hr Wernick ab , was ich tiber die neueren Malerschulen ge- sagt, und zeigt zugleich seine Unkenntnis oder seine Geschmacklosig- keit, indem er uns keinen Kunstler oder Litteraten seines Wobnortea Weimar schenkt. Doch ich habe es satt, in dieser Wasserbrahe hemm zu rühren und ungekochte Stücke Pischon, Buchner, Schenckel usw. herauszufischen. Hr Wernick hat nicht weniger als 1107 Seiten zu- sammengeschrieben. Ich habe ihn vor aller Welt der schamlosen iitterarischen Freibeuterei, des abschreibens , der Unwissenheit be- züchtigt. Wenn ich unrecht habe, so mag er mich widerlegen. Crefeld. , Dr W. Buchner.

4.

Orbis terrarum antiquus a ChrUtiano Theophüo Reichardo quon- dam in usum inveniuHs descripius. Ed. quinta. Denuo deti- neavit el eommentario iUuslravit Albertus Farbiger.

Norlmbergae, Campe et Gl. 1853. 20 S. n. XX Blätter.

Das Bedürfnis guter Wandkarten nnd Atlanten für den Schulge- brauch im Geschichtsunterricht zeigt sich am deutlichsten in den viel- fachen Bemühungen der letzten Jahre, sollhe zu geben. Unter die besten für die alte Geographie und Geschichte ist ohne Zweifel obiger Atlas zu rechnen. Von dem alten Reichardschen Atlas ist hier fast

3*

36 .Reioburd; orbU terranim anliqnos.

nur das Format geblieben, während die einzelnen Karlen mif Ans- nähme der ersten BläUer, die auf den Wunsch des Verlegers schnell erscheinen sollten und zudem weniger zu Aenderungen Veranlassung gaben, ganz umgearbeitet sind. Die neuesten Forschungen und ResuU täte in der alten Geographie sind sorgfältig benutzt; wo keine Gewis- beit in den Angaben bis jetzt möglich war , folgte der Verfasser den Bestimmungen Kieperts. Der beigegebene Commentar gibt eine voll- ständige Beschreibung jedes einzelnen Blattes in der Weise, dasz der allgemeinen Landesbeschreibung die Berge, Flüsse, Seen, Städte usw. in alphabetischer Ordnung folgen ; als besonderer Vorzug hierbei er- scheint noch , dasz überall die entsprechenden Namen der neuen Geo- graphie und wo diese zweifelhaft sind , mit besonderer Bezeichnung beigefügt sind. Den einzelnen Mindern ist nach ihrer historischen Be- deutsamkeit Raum und Ausführlichkeit zugetheill. Alles nothwendige i«t aufgenommen, dagegen alles überflüssige sorgfältig vermieden, und nur da, wo zu grosze leere Räume entstanden wären, sind einzelne anbedeutendere Aufzeichnungen beigefügt. Durch diese sorgfältige Ausscheidung des streng nothwendigen und überflüssigen und durch die gleichmäszige Vertheilung der anzubringenden Aufzeichnungen ge- winnen die Karten eine solche Klarheit im einzelnen und Uebersicht- lichkeit im ganzen, wie wir sie an wenigen Atlanten bemerken. Daza kommt noch ein auszerordentlich reiner und scharfer Stich, eine scharf markierte, nicht überladene Colorierung und reines weiszes Papier, •o dasz das Auge überall einen wolthuenden Eindruck empßudet. Nach- dem wir diese Vorzüge im allgemeinen berührt haben, möge noch eine kurze Aufzählung folgen, wie der ganze Atlas eingelheilt ist. Nach dem schon erwähnten Commentar gibt das 1. Blatt die Erdbilder nach Homer, Herodot, Eratosthenes und Ptolemaeos. Nr 2 gibt den orbis terrarum veteribus cognitus mit scharfer Begrenzung der 3 Reiche der Perser, der Macedonier unter Alexander und der Römer. Nr 3 Spanien. Nr 4 Gallien. Nr 5 Britannien. Nr 6 Germanien. Nr 7 Oberitalien, Rätien, Noricum, Pannonien, Illyrien. Nr 8 Untefitalien mit den Inseln nnd einem Plan von Syrakus. Nr 9 Latium mit den angrenzenden Land- schaften, ein herrliches Blatt und für die Geschichte der älteren Re- publik von groszem Nutzen. Nr 10 Plan von Rom unter den Kaisern (ein Plan der Stadt zur Zeit der Republik ist dem vorhergehenden Blatt beigegeben). Nr 11 Griechenland, Macedonien, Thracien und die Küste von Kleinasien mit Bezeichnung der Volksstämme. Nr 12 Hellas, Thessalien und Epirus nach Landschaften und mit einem Plane von Athen und Umgebung. Nr 13 der Peloponnes mit Plänen von Sparta und Korinth. Nr 14 Thracien, Macedonien, Illyrien. Nr 15 Dacien, Sarmatien, Scythien. Nr 16 Kleinasien, Armenien, Syrien mit Angabo des Zuges des Cyrns nnd der Rückkehr der Zehntausend. Nr. 17 Pa- lästina mit Plan von Jerusalem und Umgebung. Nr 18 Indien und die Länder zwischen 'Tigris und Indus. Nr 19 Aegypten mit Plan von Alexandriert. Nr 20 in 2 Abtheilungen Afrika und Arabien mit Plan von Carthago nnd Mauritanien, Numidien und die Provinz Afrika. Vielleicht

Berieht Qbef die 17e Philologen- VersannilHiig Breslaa. 37

dQrfle ijian Karten zur Erläaternng groszer Kriegsepochen, wie sie z. B. in Menckes orbis anliquus fQr die Perser- und panischen Kriege beigegeben sind, vermissen. Solche Uebersichtskarten lassen sich aber, obgleich ihr Werth in den Atlanten keineswegs abgesprochen werden soll, auch zum groszen Vortheil der Schaler von diesen selbst zusammenstellen, indem dieselben durch das eigene versinnlichende zeichnen der Schauplätze, wenn dies auch nur in Umrissen geschehen kann, erst recht durch eine dabei nothwendige Recapitnlation die Hauptzuge sich einprägen. Denn ein solches gleichsam recapitulieren- des zeichnen ist dann kein mechanisches, weil das Muster nicht voll- ständig vorliegt, sondern das Bild erst durch Beiziehung und An- schauung mehrerer Karten entworfen werden kann. Manchen Schülern erscheint anrangs allerdings diese Arbeit schwieriger als sie ist. Bei einer verdeutlichenden Anleitung von Seiten des Lehrers wird aber die Arbeit wesentlich erleichtert und bald gern ausgeführt.

F. K. ÜT.

Bericht über die 17e Versammlung der deutschen Philo- logen, Schulmänner und Orientalisten in Breslau vom . 28. Sept. bis 1. Oct. 1857.

Als in Stuttgart zum nächsten Versammlungsorte Breslau gewählt wurde, schwebte zwar dem gröszten Theile der versammelten die Ge^is- heit vor, dasz sie der dortigen Zusammenkunft nicht würden beiwohnen können , doch gaben alle in Erwägung der dafür sprechenden Qründe dem Vorschlage freudige Zustimnrang. Und die Erwartungen die man gehegt sind nicht getäuscht worden. Abgesehen von der wissenschaft- lichen Anregung, welche die Stadt in ihrer Universität, ihren Schulen, wissenschaftlichen und Kunstsammlungen bot, abgesehen von dem Er- trage, den die Theilnahme ausgezeichneter Männer und deren Vorträge und Erörterungen den versammelten gewährte, trat als ein erfreuliches und wichtiges Ergebnis eine lebendige geistige Verbindung des übrigen Deutschlands mit seinen östlichsten Theilen, mit den an ihren Grenzen die deutsche Bildung tragenden, erweiternden und vertheidigenden rüsti- gen Vorkämpfern zu Tage. Dasz dies gehofft worden sei, davon gab die freundliche, überaus gastliche Aufnahme von Seiten der königlichen Behörden, des Magistrats und der städtischen Corporationen , die zahl- reiche Betheiligung aus der Provinz Schlesien und den ihr zunächst liegenden Districten Zeugnis , und dasz diöse Hoffnung in Erfüllung ge- gangen, bewiesen nicht nur die offensten Aussprachen, sondern auch die ganze freudig und innig bewegte Haltung der Versammlung. Als das wichtigste Resultat endlich dürfen wir wol bezeichnen, dasz zum ersten- mal Oesterreich durch zahlreichere Betheilignng während sonst nur einzelne aus diesem Staate erschienen waren, zählte man hier 14 Mitglieder aus demselben, die Prof f. Bonitz, H.offmann und Lin- ker, Beichel, Göbel und Tomaschek aus Wien, Lange und Sehenkl aus Prag, Schnlr. Wilhelm und Prof. Jülg aus Krakau»

88 Bafiohl über 4ie l7e Philologen-VersammlnDf ii Breabui.

siuzerdem Kvicola n. a. sein Interesse für die wissenschaftlichen Bestrebungen Deutschlands auf dem Gebiete der Alterthumskunde be- wiesen hatte/ ein Resultat, dessen Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft die Yersammlnng, wie wir sehen werden, su würdigen verstand. Ohne uns mit Nennung einzelner Namen aufzuhalten, erwähnen wir nur, dasz die Mitgliederliste 334 Theilnehmer zeigte.

Die erste Sitzung wurde am 28. Sept. in der Uniyersitätsaula von dem Präsidenten Prof. Dr Haase mit einer Rede eröffnet. Nachdem derselbe die Versammlung im Namen der königlichen Regierung, der Stadt und der Universität aufs freudigste willkommen geheiszen, er- wähnte er, wie dieselbe seit den 20 Jahren ihres Bestehens gewandert sei und immer mehr ein unerschütterliches Zeugnis von der Einheit Deutschlands auf dem Gebiete des Geistes abgelegt habe; die diesma« lige biete aber gerade eine höchst erfreuliche Erweiterung des bisherigen l&eises, indem zum erstenmal in gi*öszerer Zahl Stndiengenossen aus Oesterreich sich dazu eingefunden. (Auf die Aufforderung denselben durch aufstehen ein freudiges Willkommen entgegenzurufen, erhob sich die ganze Versammlung von ihren Sitzen.) Die Nützlichkeit der Ver- sammlungen bestehe auszer der wissenschaftlichen Belehrung, welche durch die Vorträge und Verhandlungen gegeben werde, in der Vermittlung persönlicher Bekanntschaft, welche schon oft viele schroffe Gegensätze ausgeglichen habe, in der Anregung und Stärkung für den Beruf, die sie selbst als heiteres Fest, als Olympia oder Pjthia der deutschen Philologen darböten; in den Eröffnungsreden seien schon die verschie- densten bedeutenden und wichtigen Gegenstände behandelt worden; er wolle weder von der Vergangenheit noch von der Gegenwart reden, sondern von der Zukunft unserer Wissenschaft; in der klassischen Phi- lologie sei seit Anfang dieses Jahrhunderts ein neues Leben erwacht; ganz neue Felder, die Betrachtung der antiken Kunst und des gesamten antiken Lebens nach allen Richtungen, die Archäologie und die Anti- quitäten , seien der Wissenschaft erobert worden ; dadurch sei ab^ ein schroffer Gegensatz zwischen formaler und realer Philologie eingetre- ten; nach längerer Zeit sei das Bedürfnis der Ausgleichung entstanden; O. Müller habe den Festus bearbeitet und dadurch die formale Wis- senschaft als zu dem Gebiete gehörig öffentlich anerkannt, zwischen Gottfried Hermann und Boeckh, den Hauptvertretem der entge- gengesetzten Richtungen, habe eine Annäherung stattgefunden; der Wunsch, diesen Gegensatz völlig zu lösen, habe die Versammlungen ins Leben gerufen; bei dem Jubiläum der Georgia Angusta in GKittingen 1837 sei in O. Müller der Gedanke erwacht, und sogleich § 1 der Sta- tuten erkenne diesen Zweck an. Während man nun die Ueberzeugung gewonnen, dasz beide Sphären zwei gleichberechtigte Theile eines gan- Ben, der Erforschung des gesamten antiken' Lebens, seien, habe die reale Philologie sich schneller in das rechte Verhältnis zu dieser Einheit zu stellen gewust , nicht aber so die formale ; die Grammatik namentlich sei noch immer ohne historische Gnindlage geblieben; sie habe allge- meine Logik sein wollen, und wenn sie den philosophischen Stand- punkt verlassen und sich auf den historischen gestellt, so habe sie sich so engherzig auf die beiden klassischen 'Sprachen beschränkt , dasB sie neben der groszartigen Entwicklung der Sprachvergleichung ganz zurückgetreten und als unberechtigt erschienen sei; seit der Gründung der Versammlungen sei auch für sie ein Wendepunkt eingetreten; man habe eine neue Bahn zu suchen begonnen, aber noch nicht gefunden, vielmehr sei die Grammatik durch die Verbindung mit der realen Seite in Gefahr gekommen, ihre sprachliche Bedeutung ganz zu verlieren, da sie nicht durch die That gezeigt habe, dasz sie etwas für sich sei. Die besondere Cultivierung der sprachlichen Seite sei zwar mit von

BwriclU aber die 17e PhiloIofe^-VertMnmlaiig ia Brailaa. 39

Humboldts Epoche machenden Werke über die Kawisprache in eine nene Periode getreten, Rapps Physiologie der Sprache habe weitere Früchte gebracht und viele Leistungen bis lu Conrad Hermann herab hütten entweder daa allgemeine Wesen der Sprache gründlicher kennen gelehrt oder die Ergebnisse der Sprachvergleichung zu ordnen und su erweitern mit Qlück versucht; für die klassische Sprachforschung sei trotzdem der Gewinn davon bisher ein äuszerst geringer geblieben; allerdings habe man auf dem etymologischen Gebiete durch die Be- nutzung der Sprachvergleichung manche alte Irthümer entfernt ; auf dem Gebiete der Syntax sei das seit 1837 zur Geltung gekommene System Ferd. Beckers zwar zur Anwendung gekommen, aber in Göttin- gen als mislungen bezeichnet worden, die darauf ruhende Parallelgram- matik sei in Bonn verurteilt worden und die 'meisten neueren Gram- matiken zur alten Gestaltung zurnckg^ehrt ; man habe nur in Rück- sicht auf die praktische Erleichterung des Unterrichts Verbesserungen angebracht, nioht in Folge wissenschaftlichen Fortschrittes. So scheine denn auf dem Gebiete der klassischen Philologie ein Stillstand einge- treten; sie scheine nur fremde Resultate zu benutzen, nicht eigene zu- rückzugeben; ihre bewegende Kraft scheine unselbständig geworden; doch wir wüsten es besser, wir kennten die langjährigen Vorbereitun- gen zu einer neuen Gestaltung, deren Resultate von allgemein mensch- lichem Interesse werden müsten. lieber die Bedeutung- und das Ziel dieser werdenden klassischen Sprachwissenschaft wolle er Jetzt weiter reden. Um dies zu können müsse er zuerst die Mängel der überliefer- ten Grammatik ins Auge fassen. Die bisher in der Grammatik gelten- den Begriffe und Kategorien stammten von den Griechen und spcciell von den Stoikern; sie hätten nicht dazu dienen sollen eine besondere Sprache zu charakterisieren, sondern die Gesetze der Sprache über- haupt zu construieren. Vielleicht würde man sich eher von den da- durch erzeugten Irthümem losgemacht haben, wenn man nicht die 'Lei- stungen der mittelalterlichen Grammatik (de modis significandi) gänzlich vergessen gehabt; dort zu Ende des 13n Jahrhunderts liege, wenn auch mit Gewaltsamkeit und Wülkür durchgeführt, das System schon vor, das man in neuester Zeit wieder aufzuünden unternommen ; die mittel- . alterliche Grammatik hätte wol zur Warnung dienen können ; man habe aber die Philosophie auch neuerdings wieder auf die Grammatik ange- wandt: G. Hermann die Kantischen Kategorien, Becker ein anderes System usw.; indem nun die von der Philosophie eingeschwärzte, nicht durch den Stoif der Grammatik gegebene Identität der logischen mit den grammatischen Gesetzen zur Verfälschung der historischen Thatsachen Veranlassung, eben so auch zur Versäumnis von deren Erforschung geboten , habe man ferner deshalb alle Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Sprachen als nur äuszerliche aufgcfaszt, nur als gröszere oder geringere Logik, als logischen Vorzug oder Mangel, nie als Ausdruck besonderen Volkscharakters. Derselbe Irthum habe auch zur Verkennung der Verschiedenheiten innerhalb derselben Spra- chen geführt; man habe ja jede Sprache als ein fertiges unveränder- liches Werk , wie die Logik selbst , angesehen und deshalb einzelne Schriftsteller für die Kanones dieser Sprache selbst. So im Lateinischen Cicero. Was bei diesem vorkomme, habe die Regel gebildet, alles an- dere , was bei Plautus , Tacitus , Appuleius oder andern sich finde , sei höchstens als Ausnahme in die Anmerkungen verwiesen worden; der ciceronianische Stil sei an die Stelle der lateinischen Sprache getreten, und auch ihn selbst habe man nicht als ein nationales Produkt, son- dern als die allgemeine Logik betrachtet. Und was für das Latein an- genommen worden, sei nun auch folgerichtig auf das Griechische über- tragen, auch hier die attische Prosa an die Stelle der ganzen Sprache

40 Beridit ttber die 17e Philologen-Versammlang' in Breslaa. .

gesetzt, die Entwicklungen nach Zeiten nnd Dialekten als eine Neben- sache betrachtet worden; man studierte die Sprachen als habe man die Absicht nach Rom oder Athen zu reisen, um mit Cicero oder Plato zu reden. Indem nniv die alten Sprachen nur mit Rücksicht auf eine Pe- riode behandelt wurden, wurden sie wirklich zu todten gemacht und die Grammatik ihnen als Leichenstein gesetzt. Eine Sprache aber ist nie fertig und ruhend, stets werdend und sich entwickelnd; sie stirbt nie und selbst ihr absterben ist nur ein neues werden; ihre Perioden sind Glieder einer zusammenhangenden Entwicklung, nur dasz die Epo- chen den Zeitgenossen selbst unmerklich zu sein pflegen. Auch in den Untersuchungen über den Ursprung der Sprache, fuhr der Redner fort, sei in gleicher Weise verfahren worden; habe man sie nun als unmittel- bare göttliche Gabe oder als bewuste Erfindung eines Menschen be- trachtet, so habe man doch die Logik als schon vor ihr vorhanden vor- ausgesetzt; selbst J. Grimm sei nicht ganz frei von der Vorstellung eines Erfinders, nur dasz er an die Stelle der logischen Gesetze einen geschichtlichen Process setze; am entschiedensten aber habe W. von Humboldt den richtigen Weg betreten, indem er die Sprache als den Ausdruck , die Objectivierung des Geistes erkennen gelehrt , die In- tellectualität als mit der Sprache eines Volkes innigst verschmolzen, die Sprachperioden als Zeugnisse des jedesmaligen Culturzustandes auf- gewiesen. Wenn demnach die Aufgabe der Sprachwissenschaft gegen- wärtig keine andere sei als die Weltgeschichte der Sprache, die zusam- menhangende stufenweise Entwicklung des menschlichen Sprachgeistes darzustellen, so falle der Sprachvergleichung der allgemeine Theil der- selben zu , die klassische Philologie habe die Specialgeschichte der bei- den alten Sprachen zu erforschen ; sie dürfe demnach nicht mehr die grammatische Regel als eine algebraische Formel oder als ein Recept betrachten, sondern sie müsse den ihr zu Grunde liegenden geistigen Zug, die in ihr ausgeprägte geistige Eigenthümlichkeit des Volkes auf- suchen und diese wieder in ihrer geschichtlichen Stellung und Folge erfassen, kurz eine Geschichte der beiden klassischen Sprachen geben; diese werde zugleich eine geschichtliche Psychologie der alten Völker Bein. So sei denn der klassischen Philologie eine Aufgabe vom allge- meinsten Interesse vorbehalten, die Lösung eines der bedeutendsten Probleme der Culturgeschichte ; die Wissenschaft sei also nicht erlo- schen, sie habe noch ein weites und unerschöpftes Feld der Thätigkeit vor sich ; wenn sie jetzt gleichwol zu ruhen scheine , so werde der sich nicht darüber täuschen , der da wisse dasz die Aufgabe unmöglich von ^incm gelöst werden könne, dasz man erst eine neue Sammlung des Materials vornehmen und eine neue Methode der Beobachtung finden und anwenden müsse, der mit der Sache bekannte aber kenne die in dieser Hinsicht bereits sich entwickelnde Thätigkeit. Wenn in neuerer Zeit wieder dd^ Latein bevorzugt worden sei, so beweise dies das rich- tige Bewustsein, dasz an ihm die Aufgabe zu lösen leichter sei. Indem der Redner nun zu einer specielleren Darleo^ung der Aufgabe und zu- nächst am Lateinischen sich wendet, bemerkt er zuerst wie sie zu be- grenzen sei; sie liege ganz innerhalb des Gebietes der klassischen Philo- logie; die Untersuchungen über den Ursprung gehen sie nichts an; der Ursprung der Sprachen sei ja ohnehin eben nur die Schöpfung des er- sten Menschen, alles andere sei Geschichte derselben; die Orientalisten hätten die Aufgabe die Sprachen zu erforschen , die dem ersten Ursprung am nächsten stünden ; der Sprachvergleichung falle die Erforschung der Verwandtschaft und des Trennungsprocesses zu; die klassische Philo- logie habe nur von da an zu beginnen, wo Griechen und Römer als Völker von den anderen gesondert fertig dastehen. In der lateinischen Sprache nun biete der etymologische Theil, namentlich die physische

Bericht iber die 17e Pkiloloi^B-VerfiBBiIaog in Ireslai. 41

Grundlage, das Alphabet and die Lautgesetze, bei dem geringeren Grade von Ausbildung und Entwicklung und der friihzeitig eingetretenen Ste- tigkeit ein minimum yon Geschichte dar; anders stehe es mit dem zwei- ten Theile der Grammatik, der Semasiologie oder Bedeutungslehre; die- sen habe zuerst Reisig in die Grammatik eingeführt, er sei aber seit- dem nicht ausgeführt worden und selbst über die Auffassung desselben hersche nicht Uebereinstimmung. Die Bedeutungen sind die Begriffe eines Volkes, und es werden dadurch yon vornherein die Interjectionen ausgeschieden, weil sie keine Begriffe bezeichnen. Die Culturgeschichte würde die Geschichte der Begriffe zu erforschen haben, wenn man sie abgelöst vom Worte betrachtete; für die Grammatik sind die Begriffe nur in so weit zu betrachten als sie mit dem W.orte verbunden, als sie also Bedeutungen sind; es gilt ihr also das Verhältnis der Bedeutung zum Worte zu erforschen und zu erfassen. Die lateinische Sprache ist aber im ganzen in zu junger Ueberliefening auf nns gekommen, als dasz diese Erkenntnis bei den Wortstämmen in reicherefti Masze möglich wäre; anders aber steht es in Bezug auf die Flexion und Composition. Je^ Form, die eine Anzahl Wörter faszt, hat eine bestimmte Bedeu- tung. Zur Anwendung der Form trieb das Bedürfnis, die Regel dafür gab die Analogie. Die Analogien sind die Begriffsrubriken, welche das Sprachgefühl als begriffsmäszige Gesetze mit Strenge, ohne sich an Rücksichten wie z. B. auf Wohllaut zu bilden, anerkannt hat. Als Bei- spiel dazu dient das lateiqische Verbum. Dies ist, wie schon eine ta- bellarische Vergleichung lehrt, nicht so manigfaltig an Formen und Bildungen wie das griechische; die Sprache ist hier sparsam ökonomisch zu Werke gegangen, aber das wenige hat sie sehr scharf und bestimmt geordnet. Die Eintheilung nach transitivis und intransitivis ist im Sprachbewustsein nicht vorhanden, daher auch aufs entschiedenste ab- zuweisen. Die Alten haben 4 Conjugationen angenommen, oder viel- mehr 3, da sie die 4e unrichtig zur 3n rechneten. In der Tbat gibt es eine starke Conjugation und 2 schwache, jene die ursprüngliche, diese die abgeleiteten, jene daher auch die primitiva, diese die derivata umfas- send. Wenn die Logik ' sein ' für den primitivsten Begriff erklärt , so hat sie entschieden unrecht. Das Kind hat den Begriff 'bin% eben so wenig als ^ich'. Das lateinische esse hatte ursprünglich eine ganz an- dere concrcte, keine abstracte Bedeutung (H. glaubt = essen, während Pott lieber an sitzen denkt). Die Bedeutung ^sein' ist erst eine spä- tere Bildung, war jedenfalls aber schon vor der Trennung der Volks- stämme vorhanden; den Römern ist das Verbum fremd geblieben und deshalb in der Conjugation anomal. Primitiva können nur in die Sinne fallende Erscheinungen sein; eine solche ist in der Begriffssphäre, die dem Verbum angehört, die Bewegung, ^das flieszende sein', und die Verba, welche dies ansdriicken^ .fallen daher der 3n Conjugation zu. Der zweite Prädicatsbegriff ist das * ruhige sein', die Verba dieser Begriffs- sphäre umfaszt die 2e Conjugation. Die ]e Conjugation vermittelt die beiden Begriffsrubriken, indem sie die in das ruhige sein überführenden Thätigkeiten bezeichnet. So sidere, sedere, sedare. Dies wird bestätigt durch die Verba , w^elche zwischen der 3n und 2n Conjugation schwan- ken, indem die der 3n dann die Bewegung oder das tönen, das ver- breiten usw. ausdrücken, die der 2n das behaftetsein, fenytre und fervere^ terg^re und iergere , fulg^re und fulgere. Die 4e Conjugation hat keine eigene Begriffsrubrik und konnte keine haben, da es auszer jenen bei- den keine weitere im 'sein* gibt. Die zu ihr gehörenden Verba drücken, wenn sie von nominibus der zwei ersten Declinationen abgeleitet sind, dasselbe aus, wie die der 2n Conjugation, sttperbirey in anderen Ablei- tungen gehören sie der Sphäre der 1b Conjugation an, saepire^ inretire^ »tabüire. Dabei finden sich aber in dieser Conjugation Verba, welche

42 Biriehl Oler die 17e Pbilologen-yemBiiiilBng in Brtfabi«.

entfchieden onomatopoetischer Natur sind, z. B. tinnire; die Wahl der 4ii CfOnjugationsform beruht dabei nicht anf Logik, sondern auf ästhe- Uscbem Grande; die 4e Conjugation wurde durch die Sprache geschaf- fen, nicht aus der Philosophie in sie hinein getragen. Der zweite Theil der Semasiologie hat aufzuzeigen, wie sich die Bedeutung eines Wortes in der Zeit entwickelt hat, wie sich die ursprüngliche lockert und oft neue im Widerspruch mit ihr sich bilden, so dasz dann die Bedeutung nicht mehr tpvöBi, sondern nur ^iast existiert. Der dritte Theil der Semasiologie endlich wird die Verbindung und Construction der Wörter zu betrachten haben, und somit alles, was man jetzt in der Syntax be- handelt, mit Ausschlusz der Satzlehre behandeln. Man wird dann also in der Syntax nicht mehr erst auf die Elemente des Satzes , welche der Semasiologie zugefallen sind, zurückgehen, sondern unmittelbar mit der Satzbildung beginnen. Aber auch diese Syntax wird einen geschieht« liehen Process zu untersuchen haben, wie sich schon ergibt, wenn man Ciceros Sprache mit der alten und dann wieder mit der der Kaiserzeit ■vergleicht. Dasz man in den Umwandlungen irthümlich ein auseinander- laufen, wie von Sand ohne das Bindemittel des Kalks, gesehen h#be, darauf hat ganz richtig Lange bei der Göttinger Versammlung aufmerk- sam gemacht. Betrachten wir die Uebergänge von Cicero, Sallustius zu Livius und dann von Cicero zu Seneca und Tacitus, so sehen wir eine tiefe Kluft, eine wesentlich trennende Verschiedenheit. Der £in- flusz einzelner Männer, selbst eines Caesar und Augustus, reicht nicht aus, die Erscheinung zu erklären, auch nicht die Sittenverderbnis allein; die inneren Wandlungen, die im Seelenleben seit der Epoche der Ver- wandlung der Republik in die Monarchie vor sich gegangen, sind die einzigen Ursachen dazu. Man hat längst jene tiefe Kluft bemerkt, man- hat längst Verschiedenheiten nachgewiesen, aber selbst an der Vollständigkeit des Materials fehlt noch viel, die Frage jedoch, auf welche inneren Seelenzustände deuten die Veränderungen hin, harrt noch gänzlich ihrer Beantwortung. Ist erst für ^in Volk eine solche historisch -psychologische Grammatik durchgeführt, so wird sie dann leichter auch für andere geleistet werden; die Aufgabe der klassischen Philologie ist also für die Sprachwissenschaft überhaupt von höchster Bedeutung, die Lösung derselben wird aber auch für ihre eigene reale Seite die herrlichsten Früchte bieten. Eine Wissenschaft lebt nur in und durch die Arbeit. So lange sie für diese Aufgaben findet, ist sie unzerstörbar, und dies gilt denn von unsere» Wissenschaft.

Nach dieser Rede schritt der Vorsitzende zunächst zur Bildung des Bureau, und auf seinen Vorschlag übernahmen das Secretariat Prof. Dr Vahlen aus Breslau, Oberlehrer Guttmann vom Elisabethgymnasinm daselbst, Oberlehrer Dr Cauer vom Magdalenengymnasium, v. Raczeck, Oberlehrer am katholischen Gymnasium zu Groszglogau, und der unter- zeichnete Berichterstatter.

Zunächst erhielt Prof. Dr Bonitz aus Wien das Wort: er fühle sich gedrungen, zwar ohne Auftrag aber gewis im Sinne der anwesen- den und aller derer, welche gern anwesend wären, den Dank der Oester- reicher für die freundliche Aufnahme in der Versammlung auszuspre- chen. Das Interesse, welches im letzten Jahrzehnt die philologischen Studien in Oesterreich gefunden, werde jedem bekannt sein, der seinen Sinn darauf gerichtet; mit diesem Interesse sei aber auch die Theil- nahme für diese Versammlungen in gleichem Masze gestiegen. Man möge diese Theilnahme nicht nach der Zahl der erschienenen messev, vielmehr die Hindernisse in Betracht ziehen, welche dem erscheinen von Oesterre ichern entgegenstünden; die Zeit der Versammlungen stimme nicht mit dem Beginne des Studienjahrs ; der Ort sei, werde er auch an .die Grenze gelegt, doch immer nur einem kleinen Theile von Oesterreich

Bttidil Ober die 17e Philolofen-Versimmlmig üi Bretlt«. 43

nahe; anszerdem bilde die lange Treimaiig und das einscbiichternde Be- wustäein, dasz aaf den Versammlongen die Meister der WiBsenschaft ▼ereinigt seien, für viele eine abhaltende and das erscheinen erschwe- rende Ursache.

Zu der Commission wegen Wahl des nächsten Versammlungsortes wurden ausser den statutenmüszig zu derselben gehörigen Mitgliedern Qeh. Ober - Regierungsrath Dr Brügge mann aus Berlin, Director Dr C lassen aus Frankfurt a. M. und Prof. Dr Bonitz aus Wien gewählt.

Ausser den ehrendsten Begrüszungschreiben des Oberpräsidiums, des ProvinzialschnlcoUegiums , des Magistrats und Stadtverordneten- collegiums und der Universität waren als besondere Begrüszungschrif- ten eingegangen: 1) Friedrich von Qentz: Briefe an Christian Garve 1789 98. Herausgegeben von Dr Schönborn, Dir. d. Magd. Gymn. Breslau, Marx (109 S. kl. 8). 2) Von dem breslauer wissenschaftlichen Verein Dr Lux: Wegweiser durch Breslau. 3) Von demselben eine Schrift enthaltend a) zur Charakteristik der üalieniscffen Humanisten deß 14n und 15n Jahrh, von Dr Jul. Schuck und b) Petrus Fincentius, der erste Schdeninspector in Breslau, Von Dr Roh. Tagmann. B|*eslaa. 06 S. fpe, 8. 4) Von den studierenden der Philologie : miscellanea philo- iogica (15 S. 4. Behandelt werden darin das Scholion zu Plat. Civ. p. 327 A und zwei Stellen des Seneca dial. IX c. 2 p. 6 und p. 7 ed. Haase). An litterarischen Gaben giengen ein I) von der Hinrichs- schen Buchhandlung zu Leipzig Overbeck: Geschichte der griechischen Plastik. Ir Bd Lief. 1—5. 2) Vom Dir. DrSomroerbrodt in Anclam das He Bändchen seiner Ausgabe des Lucianus (Haupt und Sauppe^sche Sammlung). Das begleitende Schreiben machte auf die im Vorworte enthaltene/Thesis aufmerksam: dasz die Leetüre des Lucian von den oberen Klassen der Gymnasien nicht auszuschlieszen scL

Der Antrag, dem Geh. Rath Prof. Dr Welcker in Bonn die Hoch- achtung und Liebe der Versammlung zu erkennen zu geben, ward ein- stimmig angenommen und mit der Entwerfung der Addresse Dir. Dr Classen aus Frankfurt a. M. und^Prof. Dr von Leutsch aus Göt- tingen beauftragt.

Zum Schlüsse liesz Hr Prof. Dr Gerhard aus Berlin Abdrücke der Dariusvase vertheilen und gab über dieselbe klare und kurze Er« läuterungen (vgl. Monatsberichte der berliner Akademie S. 333 341).

In der zweiten allgemeinen Sitzung am 29. Sept. , in welcher der Vicepräsident Dir. Dr Schönborn den Vorsitz führte, hielt zunächst der Dir. des EHisabethgymnasinms zu Breslau Prof. Dr Fickert eine lateinische Rede de instaurandis antiquarum artium studiis. Im ersten Theile wurde zum Beweise iacere nunc profligata antiquarum artium studia auf die ungünstige öffentliche Meinung über dieselben, auf die Wirkung, welche dieselben auf die Schüler ausüben, auf die neuen paedagogischen Theorien,' welche eine gänzliche Verbannung aus der Schule beantrag- ten, hingewiesen. Im zweiten Theile wurden als vulnera quae sunt inflicta hervorgehoben: die geringen Aussichten auf Gehalt und Ehre, welche dem Philologen eröffnet seien; die unter der Jugend eingerissene und von allen Seiten geförderte Vorliebe für deutsche Leetüre (der Redner gestand dabei offen, dasz er selbst in dieser Hinsicht Fehler begangen) ; die Ueberfüllung mit Lehrgegenständen, deren Zahl auch nach den neue- sten Beschränkungen immer noch zu grosz sei; der Stand der philolo- gischen Wissenschaften gelbst, welcher die Vertrautheit mit dem ganzen immer mehr unmöglich mache ; die Richtung mehr grammatische Kennt- nis zu geben als Uebung des Geistes; die falsche Nachsichtigkeit der Lehrer, endlich die Ersparnisse an Arbeit, welche den Schülern durch Ausgaben mit deutschen Anmerkungen, Uebersetzungen, fertigen Präpa- rstionen, ja selbst durch eine dem Sinne der Alten widersprechende

44 Bericht über die I7e Philologen- Versamoilaog in Breslaol

Interpunction geboten würden. Im dritten Theile, der fnedidnam quae adhibeatur behandelte, drang der Redner iiuf eine strengere Zucht in den Schulen, dagegen auch auf ein näheres und innigeres VerhältniB der Lehrer zu den Schülern; auf Spaziergängen durch Feld und Wald lieszen sich manche Gkgenstände, wie Geographie und Naturgeschichte, viel besser gesprächsweise lehren als in den Klassenzimmern. Ferner bemerkte derselbe, dasz auf die Uebung des Geistes zur Erreichung des Zieles, rede dicendi scribendique facidtatiSy alles Gewicht gelegt werden müsse ; daneben empfahl er die lateinische Grammatik nicht über Tertia hinaus zu berücksichtigen, das Griechische früher in Quinta, das Fran- zösische erst in Tertia zu beginnen, auszerdem die Uebung der Be^ citation aus den alten Sprachen, den Gebrauch der lateinischen Sprache bei der Erklärung. Den Universitätslehrern ward zum Vorwurf ge- macht , dasz sie zu wenig Schulschriftsteller , zu wenige , die ein allge- meines Interesse böten , erklärten und dabei zu philologisch gelehrt ver- führen, während eine famUiaris interpretatio auch Nichtphilologen wieder in die Hörsäle locken werde ; endlich sollte nach seiner Ansicht das Latein als Sprache der Reden und Disputationen wieder eingeführt werden.

Daran knüpfte sich, wozu der Redner wenigstens indirect aufgefor- dert , eine ebenfalls in lateinischer Sprache geführte Discussion. Dir. Dr Eckstein sprach zuerst seinen Dank da^r aus, dasz der. geehrte Redner lateinisch gesprochen, sodann dasz er den Gegenstand zur Sprache gebracht; er müsse aber vor Uebertreibuqg der Uebelstände warnen. Was Cicero gesagt: nos, nos, aperte dicanty nos consules desunuis, das wende er auch hier an: no9, nos magishi. deswntis, nos corrigendi sumu9» Von Verbesserung des Gehaltes und der äuszeren Ehre erwarte er nichts; dem gewissenhaften und treuen Lehrer sei sein Lohn im Himmel vorbe- halten. Auch auf die äuszeren Heilmittel setzt er kein Vertrauen; die von dem Redner vorgeschlagene Reform des Unterrichts führe gewisser- maszen zu der Jesuitenmethode zurück; mehrere aber der gemachten Vorschläge erschienen ihm geradezu als unausführbar ; er bitte aber den Gegenstand und die Specialitäten in die paedagogische Section zu brin- gen, dort würden sie fruchtbare Discussion anregen.

. Dir. Dr Classen aus Frankfurt am Main erklärte schon an dem Thema angestoszen zu haben , denn er finde nichts als instaurandum ; jede Zeit habe ihre Gesetze und ihre Richtungen, und manches in der- selben lasse, i^ich nicht beschränken, manches werde inter magistros nicht ohne Recht beklagt, wovon sich gleichwol eine Aenderung nicht erzielen lasse; er habe sich mit den Briefen der ausgezeichnetsten Hu- manisten des 16n Jahrhunderts, einer Zeit, in der man die klassischen Studien als in vollster Blüte gestanden ansehe, beschäftigt und in die- sen dieselben querelas gefunden, die er hier gehört; deshalb dürfe man auch an der Gegenwart nicht verzweifeln.

Fickert sprach zunächst seinen herzlichen Dank aus für die ihm gewordenen Entgegnungen, wobei er es als ein bonum omen betrachtete, dasz ihm in lateinischer Sprache erwiedert worden sei; es sei aber viel- leicht nicht genug beachtet worden, dasz er nicht von instaurandis anti- qids lilteris, sondern von instaurandis antiquarum Utlerarum studiis gespro- chen; dasz die letzteren languescunt^ werde niemand in Abrede stellen wollen ; man dürfe den Gesetzen der Zeit nicht ohne weiteres Recht geben, sondern man müsse untersuchen ob sie fecht und gut seien; diese Pflicht stehe insbesondere den Lehrern zu, welche die Zukunft zu machen hätten.

Prof. Dr B o n i t z : er wisse nicht ob er recht gehört, und hotfe nicht recht gehört zu haben, dasz der Redner rede dicendi scribendique facni- tatem als das bezeichnet habe, quo periineai omnis institutio scholastica; wäre dies der Fall und sollten die Realien gar nichts mehr im Unter-

Beiiohl ffter die 17e Philologett-VerM|BmlnDg in BresU«. 45

rieht galten, dann würden wir auf den Stafkdpnnct der Sophisten aa- räckkommen, welche schon Sokrates siegi'eich bekämpft habe ; es handle sich jetzt nicht mehr um Ausschlusz des einen zu Gunsten des andern, sondern für jedes müsse das Ziel und der Zweck festgestellt werden.

Fickert bleibt dabei, dasz die etoquentia fmis erudüionis sei, fügt aber hinzu, dasz sie natürlich sine moribus nicht bestehen könne.

Dir. Dr £ckstein berichtet darauf im Nam^n der Coramission für Wahl des nächsten Versammlungsortes : in Frage seien gekommen Mainz, Wiesbaden, Frankfurt am Main und für jede dieser Städte, namentlich für Mainz mit seinen römischen Ueberresten , hätten viele empfehlendq Gründe gesprochen; überwogen aber habe der Wunsch eine österreichi- sche Stadt zu wählen, um das eben geknüpfte Band fester anzuziehn und inniger zu gestalten; man habe aber auf den Wunsch der Oester- reicher selbst nicht eine andere Stadt, wie z. B. Prag, sondern das Herz der Monarchie selbst , Wien, gewählt. Der Vorschlag fand all- gemeine Beistimmung , eben so der zweite , wornach der grosze Slawist, Prof. Dr Miklosich, Vorsitzender der wissenschaftlichen Prüfungy- oommission für das Gymnasiallehramt, zum Präsidenten erwählt werden sollte.

Geh. Ober-Reg.-R. Dr Brüggemann aus Berlin beantragt eine Addresse für ImmanuelBeklnr, der obgleich er paucorum^ ja paucis^ sünorum verborum stets gewesen sei , doch um eine ungemein grosze Zahl der alten Schriftsteller die entschiedensten Verdienste habe. Auch die- ser Antrag fand allgemeine Beistimraung und mit Abfassung der Ad- dresse yrurden Prof. Dr Hertz aus Greifswald, Dir. Dr Schultz aus Münster und Dir. Dr Fickert ans Breslau beauftragt.

Prof. Kays er ans Sagan hielt darauf den angekündigten Vortrag über die KriUk von Homers Odyssee^ besonder» auf Grund einiger wiener ffandschriften. Nachdem derselbe in lichtvoller und ehrend anerkennen- der Weise die Leistungen der Vorgänger besprochen und dargethan hatte, wie trotz dieser bedeutenden Leistungen gleicliwol ein sicherer und vollständiger kritischer Apparat zum Homer noch fehle , stellte er die Aufgabe, die ein solcher zu lösen habe, fest, den Vulgärtext, den aristarcbischen und die voraristarchische Ueberlieferung zu scheiden und zu constatieren. Was Lehrs bereits als nothwendig ausgesprochen, aber selbst nicht ausgeführt, habe er unternommen herzustellen und wolle als eine Probe seiner F^schungeif drei Stellen aus der Odyssee behandeln. I 70 wird die Lesart oov nqdzoq ia%B iisytatov aus dem Hamburg, für die richtige ältere gehalten ; allein für iat^ tritt das Etym. Magn. 614, 84, das wörtlich aus den Epimerismen des Homer geschöpft hat (vgl. II 5. VI 11. IX 24 u. a.), in die Schranken. Offenbar ist ia%s dadurch entstanden, dasz man II 20 nvfuxTov 9* <unXia<tazo dognov so deutete, als sei Polyphemos mit dem ausbohren der Augen gestorben, was sachlich dem Homer freilich geradezu widerspricht. Allein Eusta- thius hat diese Ansicht und der Schlusz der Stelle macht den späten Ur- spnmg klar , wofür ein deutlicher Beweis ist , dasz der cod. Bodlei. aus dem 12n Jahrhundert das älteste Zeugnis dafür gibt. In Betreff von II 11 behauptete Wolf praef. p. XXXVI, daszVergil den aristarcbischen Homer gehabt, und darnach müsse aus Vergil Acn. VIII 461 die Les- art apta rmys dva Hvvsg agyal stcovto als aristarchische betrachtet werden; Nur 4 Handschriften bieten diese Lesart, während Serv. das gemini als in Homero lectum bezeichnet. Zu vergl. ist Apollon. Lex. 41, 22, aus dem das Et. M. 136, 2 geschöpft hat und die Epimerismen zu den Psal- men 122, 19. Man sieht daraus deutlich, dasz Wolf nicht Recht hat und der Ursprung der Lesart wird klar dadurch , dasz die Augsburger Handschrift dieselbe XVII 62 aus II 11 hat. Als die wichtigste Stelle wurde XXIV 28 und 29 bezeichnet. Alle Ausgaben bieten da ngmxa

46 Beridit aber die 17e Philologett-Versiminloiig ia Bretlait.

mit dem Byv. Harl. Vin^ob. 46. Epiphanm« bat die Lesart am treu- Bten übersetzt. Ernesti deutet nqtaxa als auf ^jufXXs bezüglich, es gibt aber dnrchaus keinen Sinn. Minckwitz hat ngciro) übersetzt, was gans verkehrt und unmöglich ist. Voss übersetzt auch falsch 'zu früh% ge- stützt allein auf das schol. Harlei. Eustath. 315, 34 hat offenbar ngcut vor Augen gehabt, was sich in einigen Handschriften, bei Hesych. 11 166 usw. «findet, ngat in dieser Bedeutung ist allerdings nur attisch, kann aber im XXIY Buche nicht befremden und entspricht dem Sinne. Wahrscheinlich betrachtet Hesych. ngcot als Variante zu ngcSti, Das einsilbige Wort ist nicht ionisch. Der Gang der Lesarten ist von Bntt- mann richtig erkannt worden; hätte er aber die Handschriften gekannt, 80 würde er noch entschiedener gesprochen haben.

Consistorialrath Dr Böhmer hielt unter sonstigfer Anerkennung die Fülle von Speciali täten für einen solchen Vortrag nicht angemessen, worauf der Redner mit vollstem Rechte bemerkte, wie er nur durch Anführung von Specialitäten einen deutlichen Begriff von der Sache habe geben können.

Privatdocent Dr Westphal aus Breslau beginnt darauf seinen Vor- trag über die Entwicklung der ältesten griechischen Lgrik. Voraus wurde bemerkt, dasz für Lyrik vielmehr der Name musische Kunst stehen müsse, da Musik und Poesie bei den kriechen untrennbar verbunden, die Dichter zugleich auch Componisten gewesen seien, wie die Urteile des Ajristoxenus über Pindar und Aeschylus beweisen. Die Schrift des Plutarchos de musica enthalte die Geschichte dieser Kunst und sei bis jetzt noch nicht genug bearbeitet; sie sei eine Compilation, aber darin eerade bestehe ihr Werth. Dasz die epische Poesie nicht die frühste bei den Griechen gewesen sei, dafür gibt nicht allein die Vollendung der homerischen Gedichte, wie sie nur bei Producten einer langen vor- axisgegangenen Entwicklung möglich ist, den Beweis, sondern auch ganz dircct die Kunde von früherer Poesie, die sich bei Homer selbst findet. Wir finden bei ihm sc'hon die Lyrik in ihren ersten Anfängen vollständig entwickelt. Sie erscheint in II. J in dem nawv^ den die Griechen dem Apollo zum Dank für das aufhören der Pest den ganzen Tag lang singen. Die Quelle der Poesie ist überall die Religion, so auch bei den Griechen. Hier trat aber zu ihr sofort die Musik und aus den Bewegungen um den Altar entwickelte sich die Orchestik. Die un- auflösliche Trias dieser drei Künste gen ort schon der frühsten Zeit an und ist immer im Dienste der Religion geblieben. Der Cultus desApolIo aber war gerade der zu ihrer Ausbildung wirksamste. Dasz die apolli- nische Chorlyrik der Blüte des Epos vorausgieng, finden wir also in dem nuidv aus II. 1 erwiesen. Sie erscheint ferner bei den Myrmidonen nach Hektors Erlegung und zwar als 9r^o<ro^tcn(og,. sodann in den Hoch- zcitsfeiern (der vfiivatog auf dem Schilde des Achilles) und in den Todtenliedern (der &Q7Jvog bei der Todesklage des Hektor, der ein kommatischer Wechselgesang zwischen Hekabe, Andromache und den Troerinnen ist). Auch diese Lieder gelten den Göttern. Den komma- tischen ^gifvog hat die Tragoedie nicht erfunden, nur bewahrt und festgehalten. Auch das vnoQXTjiia, welches später vom ganzen Chor vorgetragen wurde , findet sich schon bei Homer. Auch dieses Lied verdankte dem Apollocult seinen Ursprung. Man wollte dem finstem zürnenden Gott ein Lächeln abgewinnen. Später trat Apollo dabei sn- rück, wie Aristoph. Lysistr. imd Pindar beweisen. Od. XVIII findet sich dasselbe mit Stichenverhältnis, VIII schon ganz in der späteren Weise bei den spartanischen Gymnopädien. Homer (II. XVIII) kennt auch bereits das Volk der Kreter als im vTCOQXTjfux ausgezeichnet. Da- neben gfab es aber auch schon eine monodische Lyrik , nicht dem Volks« leben angehörig, sonst aber ganz sacral. Der Name vo^og rührt vott

Btrkht aber die I7e Philoleg«B-VerMmmliiiig ia BretbuL 47

den festen und stStig^n Formen bei den Galten und ihren Stätten her, Deni Inhalte nach dürften die Lieder mit den indischen Vedahymnen sn ▼ergleichen sein. Bei den wichtigsten Cnltnsstätten bestanden Sängerfaiui- lien , namentlich bei denen des Apollo in Delos und Delphi, bei welcher musische Agonen aufgeführt wurden. Ein Beispiel Ton der ersteren Stätte ist der homerische Hymnos auf Apollo. Den vonog in Delos soll Olenos begründet und den Hexameter erfunden haben. Bedeutender waren die Sängerschule und die Lieder in Delphi. Der dortige vofiog IIvQtog (den indischen Liedern von der Tödtung des Ahi und der Dra* Qhentödtung des Sigfrid in der deutschen Sage vergleichbar) ist eines der ältesten griechischen kitharödischen Lieder. Der delphische Lie- derschatz wird in der Sage auf Chrjsothemis und Philammon zurück- geführt; der erstere ist das Prototyp, der zweite der Erfinder der dori- schen Weise. Auszer diesen Sängerschulen bestund noch eine dritte, die äolische in Böotien, wo am Helikon die Thraker wohnten. Orpheus und Musäos, welche das spätere Attika zu Trägem einer alten Orakel- poesie gemacht, sind ihre Kepräsentanten. Ihre musische Kunst war bewegter als die dorische, das religiöse Gebiet, dem sie diente, gehört dem Culte des Dionysos und der Demeter an. Der äolische Ursprung wird durch die Sage bewiesen, dasz des Orpheus Lyra, nachdem er selbst von den Bakchantinnen zerrissen worden war, mit seinem Haupte« nach Lesbos geschwommen und von dort durch Terpandros zurückge- holt worden sei. Dasz übrigens hier nicht von Mythen allein die Rede sein könne, wird dadurch dargethan, dasz Glaukos von Rhegium voi^ der orphischen Poesie wie von einer bekannten redet. Das Epos selbst hat die religiöse Lyrik zu ' seinem Ausgangspunkte. Wurden in den Chorliedern Götterthaten gefeiert, so war die Verpflanzung auf das Ge- biet des menschlichen leicht gegeben. Wunderbar schnell erhob sich das Epos, die Musik trat Vnehr zurück, Homer hat sich von ihr befreit; aber nach Arktinos erhob sich die Lyrik von neuem ; den Wendepunkt dabei bezeichnet nicht , wie man gewöhnlich annimmt , Archilochos, son- dern die Lyra des Terpandros. Die gfriechischen Litteraturgeschichten setzen unter geringem Widerspruch Terpandros nach Archilochos. Die Gewährsmänner für die beiden Ansichten stehen sich äuszerlich so ziem- lich gleich. Das Chroniken Par. Ensebius , Hellanikos und Panyasis gegen Glaukos , Hieronymus und Alexander Polyhistor. Dasz das Leben des Terpandros in die Zeit des Hipponax falle , hat Plutarch zurückge- wiesen. Innere Gründe aber sprechen dafür, dasz Terp. dem Archiloch. vorausgieng, denn sonst wäre eine gewis ältere Form der Musik später aufgetreten, als der weitere Fortschritt, die Mischung der Vessfüsze. Glaukos hat Recht , dasz dem Archilochos Terp. und Kleonas vorausge- gangen. Die erste und zweite musische ncctccotaaig in Sparta fallen aber dann in dieselbe Zeit, Terp. und Thaletas sind als Zeitgenossen anzunehmen. Weil die Terpandriden bei den Karneen stets siegreich waren ,• stellte man den Terpandros selbst an ihre Spitze. Die Nach- richt des Hellanikos enthält etwas wahres, aber das, was er berichtet, ist vor Archilochos zu setzen. Was die Verdienste des Terp. anbetrifft, so ist er nach den Berichten der Alten der Anfang einer hellenischen Kunst, aber auch nur der Anfang; er bezeichnet eine neue Stufe; was er geschaffen, enthielt zwar Einfachheit und Herbheit, aber bereits die Normen des klassischen; es steht zu den spätern Kunstschöpfungen in gleichem Verhältnis, wie die altsicilischen Tempelbauten zu den Bil- dungen des perikleischen Zeitalters. Der Ausgangspunkt der Entwick- lung ist die äolische Kitharödenschule in Lesbos, was auszer den Sa- gen von der Lyra des Orpheus durch die Nachricht bezeugt wird, dasz er deQi Orpheus nachgeahmt habe. Er vereinigte die äolische und do- rische Poesie und dies ist der Anfang der Kunst. Darauf weist hin.

48 Benoht Ober die I7e Philologen- VersammliiBg lA.Bretflair,

cUisz in derselben Zeit, wie die homerischen Gesänge aus Kleinasien, auch Terp. nach Sparta kam, dasz er in Delphi viermal siegte and seine Nomen dort blieben, ja einige derselben nach Plutarch und Ale- zander Polyhistor mit denen des Philammon. Die Fragmente von sei- nen Poesien sind- kärglich und meist dubiös , aber was die alten Kunst- kenner davon überliefert, gibt ein Bild davon.

In der dritten allgemeiuen Sitzung am 30. Sept. kani zu- nächst ein Antrag von mehreren Mitgliedern zum Vortrag, darauf ge- hend, dasz die Vorträge in den Versammlungen überhaupt auf ein mi- nimum rednciert, dagegen freie Discussionen eingeführt werden, daher nun auch diesmal die Vorträge ganz fallen gelassen und alle Zeit au^ die Verhandlungen der pädagogischen Section verwendet werden sollte. Dieser Antrag gieng den Statuten gemäsz an die Commission.

Dr Westphal setzte darauf seinen am vorhergehenden Tage be- gonnenen Vortrag fort. Der« Charakter der terpandrischen musischen Kunst besteht in höchster Einfachheit; innerhalb eines Liedes fand kein Wechsel des Metrums und der Rhythmen statt; aber als seine Erfin- dungen werden der semantische Trochäus und der Docbmius bezeichnet. Auch kein Wechsel der Tonart war innerhalb desselben Liedes zuge- lassen. Seit Terpandros kommt der Name vofivg aioliog vor; die (lo- •rische Tonart war die herbe und strenge, die äolische die bewegliche. Wenn von einer böotischen Harmonie des T. berichtet wird , so ist dar- unter wol eine Moditication der äolischen (vgl. XoHQiatC) zu verstehen. Dasz in seinen Nomen die strophische Composition noch fehlte, ist von Glaukos und anderen bezeugt. Der Inhalt und der Ton der Poesie wandte sich aber seit T. von der früheren Zeit ab; der Inhalt ward episch. T. schlosz sich an Homer an; ja es wird berichtet, dasz er eine homerische Rhapsodie zur m&ccQa componiert habe. Hier liegt der Ausgangspunkt für die folgende Zeit vor, für die Lyrik, wie sie durch Stesichoros und Pindaros vollendet erscheint, in welcher das epische über das lyrische überwiegt , eine objective, keine subjeetive Lyrik. Als Theile des terpandrischen Nomos werden von PoUux und andern ange- führt: indqiHttf ^Bxaq%ot^ %atatQoncCf ofiipaXog, (i,ixa%ataTQ07ed, otpQU" yCqj inUoyog, Diese Eintheilung ist sicher alt, aber nicht von der Or- chestik eine Deutung zu entnehmen, da die terpandriscbe Poesie mono- disch war. Die 7 Theile sind übrigens auf ein geringeres Masz zu re- ducieren. Alle Nomen hatten ein VQOo^fuov und ein i^odiov^ beide an den Gott gerichtet, der den Dichter unterstützen sollte und ihn dann unterstützt hatte beim qyoiv. Diese beiden Theile sind offenbar die indqiua und der inCXoyog^ womit die Ueberlieferung stimmt dasz T. TtQOoipLa geschrieben, und dasz ein und derselbe Vers als in beiden vor- kommend erwähnt wird. Zur Bestimmung der übrigen Theile trägt bei der voiiog nvd'iog, den wir kennen (Sakatas Ol. 48, 3. Er war aule- tisch, aber eine Nachbildung des kitharödischen). Dabei waren das ngooCiiiov und i^odiov Lieder ohne Worte, und der tofiog hatte 5. Theile, nstga, xcczcmslfvcptog , fidxsTai,, onovdiiov und %ata%6QBvaig, Sie ent- sprechen denen des terpandrischen. Nach dem ngooC^iov = ijtdgxBuc, folgte hier die fistagioi, gleichsam ein zweiter Anfang, auch ein Lied ah eine Gottheit, deren Lob der Dichter zu besingen vorhatte. Sie entspricht der miga. Die xarar^OTra, dem %CLxaY,BXsvcii,6g gleichstehend, ist der Uebergang zum epischen, dem fid^ftuL ==z ofitpccXog, und von ihm wird durch die (laTccKazatQOTcd (anovSeCov) zu der a(pQccy£g (•aenaxogsv- aig) übergegangen. Die erstere enthielt die Angabe, dasz ^des Gottes That gefeiert sei, die letztere war lyrisch gefärbt, das Siegel, der Schlusz des Nomos. Gegen d^e Handschriften sind bei Pollux 6ii(paX6g und fiftuTtazatgond umzustellen. In der Lyrik gilt dasselbe Gesetz der Symmetrie, das die griechische Plastik beobachtet hat, zwei Seiten dev

Bericht aber die 17e PiiilologeB-VersaiinilaBg ia Breilaa« 49

niiteUten Hauptfigur die gleiche Zahl Ton Seitenfignren m harmonischer Venoittlung zu gruppieren. Dieses Streben nach Symmetrie ist ein tie- fer Zug des griechischen Geistes und in allen seinen Schöpfungen aus- geprägt , und diese Symmetrie gehet durch Pindar und die Tragiker hin- durch. Dissens Versuch die pindarischen Oden als epiplokisch und pe- riplokisoh einzutheilen ist wohlberechtigt. Freilich ist diese Form nicht auf alle pindarischen Gesänge anzuwenden , aber die terpandrische Weise ist gleichwol die Grundregel dafür. Sie findet sich besonders in der Pyth. X, aber sie läszt sich auch bei den Tragikern, namentlich Ae* schylus, ja selbst in den Komödien des Aristophanes erkennen.

Prof^ Dr von Leu t seh aus Göttingen: er freue sich einer Ueber- einstimmung zwischen ihm und dem geehrten Redner ; es werde von ihm jetzt gerade eine Abhandlung gedruckt über die älteste gi-iechische Ly- rik, er sei aber noch kühner als Westphal; er suche nicht allein die Existenz und den Inhalt, sondern auch die Form und glaube, dasz schon vor Homer eine Strophe existiert habe; er empfehle seine Ab- handlung der unnachsichtigen Prüfung. Küoksichtlich der Tragiker be- merkte er, dasz die Trimeter zwar gesprochen, aber doch viel häufiger {gesungen worden seien, als man bis jetzt angenommen, dasz also die Trias der £ünste bei ihnen ein weiteres Feld gehabt, als man bisher geglaubt. Rücksichtlich des Alters des Terpandros könne er aber nicht beistimmen. Das Zeugnis des Hellanikos beruhe auf Inschriften und sei von der Art , dasz jeder Zweifel davor schwinden müsse ; er halte also 01. 28 fest und glaube, dasz auch die inneren von Wcstphal da- gegen vorgebrachten Gründe sich beseitigen lieszen , wenn man diese so cigenthümliche Lyrik, dieses zurückgehen auf die alte Einfachheit als eine Reaction gegen den zu weit vorgegangenen Archilocbos fasse. Ganz richtig sei die Methode, von Pindaros zur Kenntnis des Terpandros aus- zugehen, zumal da jaWelcker bewiesen, d&Bz jener ^eofioig gefolgt sei. Seine Freude müsse er über die Förderung ausdrücken, welche das Stu- dium der griechischen Metrik und Musik gefunden, und den Wunsch, dasz die beiden Dioskuren, Roszbach und Westphal, darin kräftig und ungestört fortfahren möchten.

IVof. Dr Hoffmann aus Wien hielt ferner einen Vortrag über das Priestert/iitm der Arvaihruder: die alte Voraussetzung dasz die fratres arvalcs Priester der Landgottbeiten , l)e8timmt deren Segen für die Früchte des Feldes zu erflehen, gewesen, musz als ganz haltlos bezeich- net werden. Roraulus, welcher in der Sage als Mitglied der Priestcr- Bchaft erscheint, ist nirgends ein Beschützer und Förderer der Künste des Friedens, und die Einkleidung, dasz er an die Stelle des gestorbe- nen zwölften Sohnes von Acca Larentia aufgenommen worden sei, stimmt nicht zu der Annahme eines römischen, bei der Gründung der Stadt aufgestellten Instituts. Mit jener Annahme steht auch in Widerspruch die aristokratisch-exclusive Form, welche das Collcgium bewahrt (coop- tatio; Mitglieder aus den Spitzen des Staates, später sogar die Kaiser Heliogabalus ; Lebenslängliehkeit des Amts ; magister promagister , fia- men proflamen, die freigeborenen Knaben patrind und matrinU; der Ehrenplatz bei den Spielen und das Recht selbst solche zu geben); eben so wenig aber hat auch der Cultus jener Priesterschaft eine Be- ziehung zu den Gottheiten des Feldbaus. Im Liede und in den Acten werden erwähnt: Mars als pater ultor, die Laren, Semonen, Jupiter, Janns u. a., später sogar die Divi Caesares, aber alle sind nicht Landgötter. Nur in Bezug auf die Dea Dia hat freilich Marini die Identität mit der Ceres behauptet, doch zwingt nichts zu dieser An- nahme. Wenn des Liedes und der Festfeier Zweck Abwehr jedes Ue- bels ist, so kann man allerdings darunter auch die den Feldfrüchten drohenden Gefahren verstehen, und Corssen deutet lue* von dem voc-

N. Jahrb. f, Phü, u. Paed, Hd LXXVIII. B[l U 4

60 BeH^t aber die* 176 Philologen-Versammlang in Breelaii.

faulen der Feldfrüchte und nahm pleores c= flores, aber gewis ist die Deutung nicht , wie denn Mommsen pleores z= plures faszt. Allein das Fest fällt in die zweite Hälfte des Mai, wo, wie Klausen bewiesen, keine Gefahr für die Felder zu fürchten ist, und in dem Gesänge selbst kommt Mars der Kriegsgott vor, der mit den Feldern nichts zu thun hat. Wenn femer jenes der Zweck der Festfeier gewesen wäre, so roüste es Wunder nehmen dasz sie keine ständige, sondern eine conceptiüa w^ar, femer dasz die Ankündigung vor dem 7. Jan. erfolgte, in welcher Zeit sich doch nichts vom Stande der Feldfrüchte im Mai voraussetzen liesz. Auch ist die Art der Feier keine mit einem solchen Zwecke überein- stimmende, da sie nicht einmal auf den Fluren vollzogen ward« Am In Tage blieben die Arvalen im Hause dos magister in der Stadt, am 2n befanden sie sich im Haine der Dea Dia, wo Altäre für alle Gottheiten standen, das Lied im Reigentanz vorgetragen wurde, in dem nichts entschieden auf Felddienst geht, wo endlich in einem Circus Spiele ge> feiert wurden; der 3e Tag enthielt wiederum einen Schmaus in der Stadt. Auch in den übrigen noch erwähnton einzelnen Functionen wäh- rend des Jahres und in der regelmäszigen Versammlung am 3. Jan. deutet nichts auf die Feldfrüchte hin. Die Deutung der Arvalbrüder musz aus der Sage entnommen werden. Nach dieser wurde Acca La* rentia oder nach Plutarch und Macrobius Larentia Fabia, eine lupa, vom Hercules geliebt, dann an den Etrasker Tarratius vermählt, nach dessen Tode sie die geerbten reichen Ländereien dem römischen Volke vermachte. Hercules ist nun :=: Mars, der alte ursprüngliche Schutz- gott der Tibergegend; Acca, die sich ihm hingibt, offenbar das Land selbst. Im Sskr. ist akkä = Mutter und Larentia oder Laurentia hängt sicher mit dem Namen von Laurentum zusammen, worin schon Schweg- 1er die Larenstadt gesehen hat. Sie wird nun die Gattin des Etruskers Tarrutius, des ersten Nachbarn am Tiberström, dann gibt sie das Land an die Römer. Wird man nicht genöthigt darin, dasz sie den Roroulus an die Stelle des gestorbenen zwölften Sohnes (Vater und Sohn hat hier die Sage vielleicht identificiert) adoptiert und unter die Brüder auf- nimmt, den Eintritt des römischen Volkes in eine Conföderation zu sehen? Pie Zahl 12 kommt bei den Städteconföderationen in Griechen- land häufig vor, aber auch in Italien, in Etrnrien z. B. und in Campa- nien, wobei auch an die 10 Städte auf der Tafel von Iguvium gedacht werden kann. Der Bund der Arvalen ist demnach ein latinischer Am- phiktyonenbund , ihr Fest ein Apaturienfest , wobei von groszer Bedeu- tung die Worte a fratria bei Varr. L. L. V 85. Man kann den Namen auch dann von arvum ableiten, musz es aber nur in dem Begriffe von ogeTf wie es bei Dichtern öfters vorkommt, nehmen. Vielleicht aber ist sogar eine andere Etymologie bestimmt für die gegebene Deutung vor- lumden. Placidus bei Mai auct. class. T. III p. 433 hat am sederUes s= eircum sedentes, Müller zum Festus will freilich amsedentes lesen, aber könnte denn nicht am der Stamm, wovon orbis =^ ciraim, und daher der Name arvales = eircum habUantes sein? War aber der Bund der Arvalen ein Amphiktyonenbund , so erklärt sich leicht die wei- tere Entwicklung. Seit Rom die Herscherin über die sämtlichen Bun- desglieder geworden, muste die Bedeutung als Amphiktjonie schwinden und Rom an die Stelle der Bundesstaaten auch als Gegenstand der Festbitten eintreten. So lange noch ein Bewustsein von den ursprüng- lichen Stammesverhältnissen vorhanden war, werden wol die Priester in das Collegium nur aus den ursprünglichen zu der Amphiktjonie ge- hörigen. Stämmen und Geschlechtem gewählt worden sein. Ganz analog ist dann in Rom das Fortbestehen der Titienses, welche die sabinischen gacra fortzuführen bestimmt, wol auch nur aus sabinischen Gcschlech- tero sich ergänzten und die coopiatio eben so wie das Collegium der

Beriohl Aber die I7e Philologen- Versammliuig in Breilaa. 51

Arvalen als exclosives Recht behielten. Auszer dem Feste der Dea Dia, das ein religiöser Mittelpunkt der latinischen Stämme gewesen sein musz und dessen Stätte nicht weit von Rom im Süden der Stadt zu suchen ist» finden nun auch ihre Erklärung die Functionen der Arvalbrüder auf dem Capitol, im Tempel der Eintracht, im alten Königshause am Forum, im Kaiserpalast auf dem Palatinus usw. Statt des Schutzes der Götter für das Land und Volk der Tibergegend ward dann für das Wohl des römi- schen Volks und in der Kaiserzeit desjenigen, in dem der ganze Staat verkörpert war, gefleht.

In der vierten allgemeinen Sitzung am 5. October ward zuerst berichtet, dasz der in der gestrigen Sitzung gestellte Antrag zu- rückgenommen sei. Prof. Dr Bonitz stellte die Bitte die Tage zu bezeichnen, an welchen im nächsten Jahre am zweckmäszigsten für zahlreiche Theilnahme die Versammlung in Wien werde gehalten wer- den können.

Prof. Dr Vahlen von Breslau sprach über die FarronUche Satire: Der Katalog des Hieronymus g^bt uns von den menippeischeu oder C3rnischen Satiren des Varro nicht weniger als 150 Titel ; die Fragmente davon aber sind verhältnismäszig gering, abgerissen und lassen sich nur hier und da einzelnen Nummern mit einiger Sicherheit zuweisen. Der ursprüngliche Charakter der menippeischen Satire zeig^ sich besonders in der schai'fen und lebhaften Opposition gegen die Philosophie der Zeit, nur ist diese nicht stets auf unmittelbare directe Nachahmung des Ori- ginals zurückzuführen. Zui* Erläuterung dienen aber zweckmäszig Rück- schlüsse von den anderen Nachahmern des Menippus, besonders Lucian« Den Geist der Satiren erkennt man aus den Fragmenten als echt rö- misch, den übrigen Schriften des Varro ganz entsprechend und überall die Gelehrsamkeit des Verfassers in ihrer eigenthümlichen politisch so- cialen Färbung darstellend. Gegen RÖper (Pliilol. IX S. 245) wird be- hauptet, dasz die Mischung von Poesie und Prosa durchaus nicht zu leugnen sei. Um an einigen Beispielen die Reconstniction einzelner Nummern zu zeigen, behandelt der Redner die '^Ovog IvQag^ eine Apo- logie der Musik (den von Mercklia rhein. Mus. XII S. 372 angenom- menen Titel nBQl (lovcfniig findet er bedenklich), tcsqI iyamy^Cotv und die Evfisvldfg, In der letzteren Satire finden sich Anklänge selbst an Aeschjlus, eben so im Aiax, im armornm iudicium, im Prometheus liber. Der Damasippus bei Horat. Sat. II 3 sei eine Nachahmung und das Exempel des rasenden Aiax hieraus entlehnt. Als ähnlich wird endlich der logistoricHS Orestes sive de insania herbeigezogen, wie denn überhaupt in Beziehung auf den Stoff mehrfach Aebnlichkeiten zwischen den logi- storicis und den Satiren sich zeigen. , \

Prof. Dr Linker hielt einen freien Vortrag ikber einige in kritischer Hinsicht besonders bemerkenswerihe Oden des Horaz^ den wir nicht besser wiedergeben können^als mit den eignen Worten des Redners (vgl. Zeit- schr. f. d. österr. Gymnasien 1857 S. 823). Derselbe gieng da^on aus, wie seit Lachmanns und seiner Freunde Thätigkeit für den Dichter die Untersuchungen über etwaige Interpolationen mit weit gröszerer Sicher- heit sich führen lassen als früher. Neben so mancher feinen Bemerkung über den Versbau des Horaz sei es besonders die Entdeckung des Ge- setzes vierzeiliger Strophen und die Beachtung der sorgfältig gewahrten Concinnität im Bau und der Disposition der einzelnen Gedichte, welche hier feste Haltpunkte zu bieten vermöchten. Auszugehen sei hier vor allem von Carm. IV 8, in welchem schon Bentley zunächst das Vor- handensein einer Interpolation erkannt habe ; aber erst jetzt nach Lach- manns glänzender Restitution (im Pldlologus Bd I) sei ihm der Cha- rakter eines horazischen Gedichtes wiedergegeben worden. Nach Aus- scheidung der zunächst aus anderen Gründen verworfenen Stelle v. 15—19

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52 Berioht Ober die 17e Philologen-Versammlaiig in Brestta.

non celerea fugae rediit und der v. 28 und 33 trete jetzt in den übri^ bleibenden sieben Strophen die kunstvolle Disposition des Gedichtes mit 00 überzeugender Klarheit hervor, dasz diese nicht wenig zur Unter- stützung jener Ausscheidungen mit beizutragen vermöge. Die dritte Strophe nemlich enthalte den Kern des Gedichtes, gewissermaszen das Gedicht in nuce, und zwar in der Art, dasz wieder ihre erste Hälfte den 8wei vorigen, ihre letzte den vier folgenden Strophen entspreche. Dasz dieser letzte Haupttheil des Gedichtes den ersten dabei um das doppelte überwiege, düi*fe bei diesem scherzhaften Liede nicht auffallen; bilde doch gerade das pretium dicere muneris eben das Carmen j welches der Dichter dem Freunde als Geschenk verheiszt. Dieselbe Art der Dis- position trete auch in anderen Gedichten mehrfach deutlich hervor. Nach dieser Abtheilung sehen wir zugleich bei unserem Gedichte höch- stens zwei Strophen mit einander verbunden; auch liesz sich von vorn berein erwarten, dasz bei dem hier vorliegenden Metrum, welches den- selben Vers einfach wiederholt und so an sich den Strophenabschnitt nicht gleich kenntlich macht, auf diesen Punkt besondere Sorgfalt werde verwandt sein. Dem scheinen die zwei anderen Gedichte desselben Me- trums, der Prolog und der Epilog der drei ersten Bücher, zu wider- sprechen, indessen nur scheinbar. Sobald aus dem letzteren (III 30) der auch sprachlich anstöszige v. 2 entfernt ist, treten die Anfänge der drei gesonderten Theile resp. Strophen des Gedichtes deutlich genug hervor : Exegi monumenium , Non omnis tnoriar , Dicar, Am Schlüsse müssen nun freilich nicht blos nach Peerlkamp und Beimhardy die vv. 11 12, sondern auch die zugleich aus anderen Gründen auffälligen Worte sume meriiis wegen Meinekes Strophengesetz ausfallen. Zu- gleich stellt sich hiernach et in v. 15 als corrupt (d. h. der Interpola- tion zu liebe verändert) heraus; es mag hier etwa, wie der Redner in seiner Ausgabe versucht hat, tu zu ändern sein. Aehnlich läszt sich in dem ersten Gedichte bei einer Reihe jetzt auseinander gerissener Strophen die ursprüngliche Fassung noch klar genug erkennen, worauf schon G. Hermann in der schönen Abhandlung de primo carmine Horaiii mit Recht aufmerksam machte. Betrachten wir v. 1 2 als nicht vor- handen, so stellen sich zunächst auch in der jetzigen Ueberlicferung fünf Strophen in der schönsten Geschlossenheit dar, denen sich sofort die sechste beigesellt, wenn wir durch Ausscheidung der zwei unnützen vv. 27 28 die nothwendige Concinnität mit der zusammengehörigen fünften Strophe herstellen. Aber auch von den bis jetzt gewonnenen Strophen stellt sich die zweite {hunc areis) als unhaltbar heraus, so- wol der Form nach, da sie des Yerbums entbehrt, als auch des Inhalts ^ttögen; denn der- hier bezeichnete Reichthum findet erst im folgenden seine- entsprechende Erwähnung. Dazu bietet die fast unvermeidliche Emendation Withofs si vitata v. 5 einen neuen Anhaltspunkt für die Ausführung dieses si durch eine folgende Interpolation. So steht die erste Straphe jetzt nach Inhalt und Form für sich allein, während wir am Schlusz v. 29 ff. scheinbar zwei Strophen ihr entsprechen sehen. Aber die zwei letzten Verse stehen und fallen mit den zwei ersten des Gedichtes ; dazu scheint quod si* eine überhaupt rein rhetorische Verbin- dung, den lyrischen Gedichten des Horaz durchaus fremd. Und eben so werden die zum Theil schon von Peerlkamp beanstandeten vv. 30 31 nicht leicht dem Horaz selbst zuzuschreiben sein, wenn wir nicht die monströse Gradation oder vielmehr Degradation dis miscent sitperis secer- nunt populo ihm aufbürden wollen. Auf diese Weise sehen wir ein nach Form und Inhalt durchaus concinnes Gedicht hergestellt nach folgendem Schema: iTüQ, d U axQ, ß' dvtiatQ, ß' | erg. y ccvtiatg. y \\ dvxiötQ. d.

Berieht über die I7e Philologeii-Versaninilaiiflf.iii Breslaa. 53

Die einen streben nach dem höchsten und herrlichsten irdischen Rahm (vgl. Epist. I 1 y 50) : die andern hält das Getriebe des Tages in ver- schiedener Weise gefesselt : mir gilt der Kranz der Dichterstirn für da^ höchste Ziel. So entbehren wir allerdings des Einganges der zwei er- sten Verse, den manche besonders ungern vermissen werden; aber in der. überlieferten Weise diese Verse beizubehalten erscheint unmöglich, wenn nicht im folgenden die sicher zusammengehörigen Strophen zer- rissen werden sollen. Die zwei ersten und die zwei letzten Verse aber von der übrigen strophischen Gliederung abzutrennen, entbehrt wenig- stens aller und jeder metrischen Analogie. Auch hat schon G. Her- mann auf den Widerspruch der in hohem Stil gehaltenen Anrede mit dem Ton der unmittelbar folgenden etwas nüchternen Aufzählung auf- merksam. gemacht , eben so darauf, dasz der nunmehrige Anfang des Gedichtes mit Sunt quos iuvat in der 7n Ode desselben Buches (L^au- dabunt alii usw.) eine Parallele finde. Interessant ist es endlich zu be- merken, wie der Interpolator von Carm. I 1 und III 30 offenbar noch im Bewustsein des Strophengesetzes verfuhr, da er trotz aller Willkür wenigstens die Vierzahl nicht zu verletzen strebte; nicht so der Verun- stalter von IV 8 wenn anders der an sich schöne v. 28 und der monströse v. 17 ein und demselben Verfasser zuzuschreiben sind.

Dir. Dr Schultz aus Münster: In der Forschung, welche uns hier entgegenge tritt, liegt viel subjectives und willkürliches. Wir Schul- männer dürfen sie nicht vor der Zeit aufnehmen, sonst gewöhnt sich der Schüler über den Klammem den Dichter ganz zu übersehen. Ehe nicht Einigkeit in den Resultaten erreicht ist, müssen derartige Aus- gaben von den Schulen fem gehalten werden.

Dir. Dr Eckstein »us Halle: Er sei nicht so conscrvativ wie der vorige Redner Schultz, stehe aber auch nicht so links wie Linker; er hege die Farcht vor Nachtheilen in der Schule nicht, theile aber auch die Interpolationssucherei nicht, der leicht jüngere Gelehrte verfielen; mit dem Alter werde man besonnener, nachsichtiger und mache sich den Dichter nicht selbst. Wolle man nach den hier vorliegenden Ver- fahrungsgrundsätzen 'an die deutschen Dichter gehen, so zweifle er nicht, dasz man auch aus Goethe und Schiller einen beträchtlichen Theil werde herausschneiden können. Gleichwol sei das Verdienst derartiger Untersuchungen gar nicht zu verkennen. Man sei dadurch endlich von den Exclamationen der göttinger Schule zurückgekommen: quiwi heile, quam ptäcre, quam eleganter^ und habe gründlicher in die Natur des Dich- ters und das Wesen seiner Dichtungen eindringen gelernt; dafür sei er den Herren von Herzen dankbar ; zu ihnen aber rechne er auch seinen hier anwesenden Freund Martin aus Posen, der schon vor 20 Jahren vieles im Horaz als herauszuwerfen bezeichnet habe. Bei der In Ode des ersten Buches müsse er gestehen nicht einzusehen, warum Vs 1 u, 2 ein rrjXavyfg sein sollten; die beiden Verse seien schwach, aber den Fehler habe das ganze erste Buch der Oden; Horaz habe erst nach und nach schwimmen gelernt.

Linker entgegnet: Die le Ode sei nicht schwach und rühre offen- bar aus derselben Zeit her, wo Exegi monumenium cet. gedichtet sei. Für den Wegfall der Dedlcation bcinife er sich auf die von G. Hermann aufgestellten Gründe; die Rückflicht auf die strophische Abtheilung er- fordere aber dann die Ausscheidung der Stelle, wo der Satz vorher mit dem Ende der Strophe zusammenfalle. Bei dem Ende müsse man auch fragen, wer denn die lyrici vates seien.

Eckstein: Darauf antworte er mit Hinweisung auf Klopstocks 'Lehrling der Griechen'. Warum werde an der Steigerung in den letz- ten Versen angestoszen? Man dürfe den Horaz nicht besser machen wollen als er wirklich gewesen. Indes wolle er hier nicht die Zeit an-

54 Beriebt aber die 17e Pbilologen-Versammlang in Breslau.

dem verkürzen, hoffe yielmelir mit dem Redner privatim noch über manche Punkte zu dlscutieren.

Prof. Dr Hertz aus Greifs wald: Es genüge nicht, Interpolationen nachzuweisen, man müsse auch die Frage aufwerfen, wann und wie denn die Interpolationen entstanden. Nachdem Linker darauf ver- wiesen hatte dasz man sie, wenn Martialis XII 4: Maecenas atavis re- gibus ortus eques die erste Ode vor Augen gehabt, die Interpolation vor dessen Zeit geschehen sein müsse, ^ahrt Hertz fort, dasz sich doch auch Citate bei Grammatikern finden, so bei Caesius Bassus (p. 2663 P.). Sei das Werk des Grammatikers auch nicht selbst von dem unter Nero lebenden Dichter Caesius Bassus verfaszt, so beruhe es doch auf den von jenem gegebenen Grundlagen; man werde also eine vorneronische Interpolation annehmen müssen. Linker: Martialis könne sich aller- dings auch auf Properz beziehen; des Caesius Bassus Zeugnis sei zwei- felhaft ; dasz übrigens schon alte Interpolationen geschehen seien , thue die Erwähnung der unechten invectiva in Salinstium bei Quintilian dar. Hertz: In der Zeit des Juvenalis seien Schulen vorhanden gewesen; es würde in der That wunderbar sein, wenn wir von den kurze Zeit vorher entstandenen Interpolationen und den ursprünglichen Texten keine Kunde erhalten hätten. Nachdem Linker darauf hingewiesen, dasz die Gestaltung der Strophen zu der Annahme der Interpolation zwinge, so dasz die Frage nach der Zeit davor zurücktreten müsse, erklärt Hertz, dasz er gar nicht die ganze Sache selbst abzumachen beabsichtigt, sondern nur ein einzelnes Bedenken geltend gemacht habe.

Provinzialschulrath Dr Stieve aus Breslau: Er theile Schultz*8 Bedenken nicht, doch müsse er darauf aufmerksam machen, dasz man das erste Gedicht doch erst einmal von dem Standpunkte des Humor ansehen solle, dann würden vielleicht die Bedenken rücksichtlich der bezeichneten Verse schwinden.

Prof. Dr von Leutsch protestiert zuerst gegen den von Eckstein der göttinger Schule ertheilten Hieb den übrigens dieser sofort als nicht auf die Nachfolger Heynes sich beziehend bezeichnet , sodann erklärt er die Frage nach den Strophen bei Horüz für gar noch nicht erschöpft; man habe sich eingebildet, dieser habe nur 4zeilige Strophen gemacht , er gedenke nachzuweisen , dasz derselbe auch 3 zeilige ge- fertigt.

Die Zeit gestattete weder die Fortsetzung der Discnssion, noch die Abhaltung der noch übrigen angekündigten Vorträge.

Der Präsident Prof. Dr Haase sprach demnach das Schluszwort: Die Zeit der Versammlung ist unerwartet schnell verschwunden und ich habe das letzte Wort an Sie zu richten. Mit diesen Worten: 'ich habe das letzte Wort an Sie zu richten' begann auch mein Vorgänger in Stuttgart die Schlüszrede, und wer hätte gedacht, dasz jenes Wort das letzte sein werde, das er in unseren Versammlungen gesprochen, dasz so bald darnach er nicht mehr unter den lebenden sein werde? Nur mit ernsten, wehmütigen Gedanken kann ich die Versammlung schlieszen; die letzten Jahre haben uns ja gelehrt, um wie viele theuere Mitglieder wir mit jeder neuen ärmer geworden waren; aber gleichwol ist mein letztes Wort ein freudiges. Denn es entstammt der Ueber- zeugung, dasz die Wissenschaft fortlebt und noch jederzeit treue und hingebende und neu verjüngte Pflege findet. Diese Ueberzeugung ver- danke ich, verdanken viele mit mir den Mitgliedern der gegenwärtig zu Ende gehenden Versammlung. Möge dieselbe Hoffnung auch nach Jah- resfrist in Wien neue Nahrung und Kräftigung finden!

G«h. Oberregierungsrath Dr Wiese aus Berlin sprach darauf in herzlichen Worten die Dankbarkeit aus für die groszartige Gastfreund- schaft, welche die Versammlung in Breslau gefunden und für ^e freund-

Bericht Aber die 17e Plülologen-Versamnilang ia BroaUo. 55

Ücbe und umsichtige Thätigkeit aller derer, welche die Leitung derselben und auch ihre Erfrenuog besorgt.

Im Namen der jüngeren Mitglieder sprach Gymnasiallehrer König aus Breslau den Dank für die in diesen Tagen erhaltene reiche Fülle von Anregung und Belehrung aus.

Für die paedagogischeSection waren folgende Thesen gestellt: I) Auf zweckmäszig eingerichteten höheren Lehranstalten sollte der Be- ligionsunterricht als besonderer Lehrgegenstand nicht erscheinen. Privat- docent Dr Suckow. U) Thesen in Bezug auf das Realschul- wesen, a. Allgemeine: 1) Die Realschule ist, wie das Gymnasium, eine Lehransialt zur Erwerbung allgemeiner Bildung. 2) Die Vielheit der Unterrichtsgegenstände in der Realschule überhaupt, wie in den einzelnen Klassen, ist mehr als bisher zu beschränken. 3) Eine tiefere Bekanntschaft mit dem Geiste und Leben des klassischen Alterthums, so weit sie bei beschränkter Benutzung der Quellenschriften erreichbar ist, musz auch auf der Realschule erstrebt werden, b. Besondere, nur zum Theil mit Nr 3 zusammenhängende: 1) Die Grundlage alles sprach- lichen Unterrichts auf der Realschule musz das Latein sein. 2) Der Unterricht im Lateinischen und Deutschen, in den oberen Klassen auch der in der alten Geschichte, musz in ^iner Hand liegpen. 3) Die besten Uebersetzungen der bedeutendsten alten Klassiker, welche auf der Real- schule nicht gelesen werden, sind in die Schülerbibliothek derselben in mehreren Exemplaren aufzunehmen. Dr Tagmann. «- III) Auffor- derung zur Mittheilung' Ton Ansichten und Erfahrungen über zweck- mäszige Bearbeitung und Einrichtung von Schulausgaben griechischer und lateinischer Klassiker mit - deutschen Anmerkungen. Dr Ferdinand Asoherson. IV) Die äuszere und innere Kenntnis des Sprach- materials ist wesentliche Bedingung für den sicheren und freudigen Fortschritt in der Spracherlernung. Dainim darf ihre Erwerbung weder nebensächlich noch lange hinausgeschoben werden; sie ist vielmehr während der drei ersten Schuljahre methodisch und praktisch, nicht theoretisch und systematisch, in den Mittelpunkt des Unterrichts su stellen, in der Art, dasz einerseits die Vorführung und Einübung der grammatischen Formen daran einen Leitfaden und eine Stütze findet und ihr natürliches Coraplement bildet, andererseits durch Veranlassung einer unausgesetzten indirecten Wiederholung der Sprachschatz nach und nach zum unverlierbaren Eigenthume des Schülers werden muss. Das dabei beobachtete Verfahren wird aber zugleich eine Festigkeit in der Prosodie zur Folge haben, die eine besondere prosodische Lection entbehrlich macht. Aus solcher Grundlage kann erst die Leetüre, das schreiben, das sprechen reichliche Mittel und damit Leben schöpfen. Die Durchführung des Planes für die lateinische Sprache liegt druck- fertig vor. Dr Ruthardt in Breslau. V) 1) Das Griechische soll auf den Gymnasien denjenigen Rang haben , welchen gegenwärtig das Lateinische hat , und umgekehrt. 2) Auf der Realschule trete das Grie- chische an die Stelle des Lateinischen. Dr Oginski. VI) Uebungen in der griechischen Versification sind für Gymnasien rathsam und geeig- net, die Kenntnis des Griechischen und den Privatfleisz für dasselbe in den Gymnasien zu fördern, auch über diese und die Universität hinaus die Liebe für die griechische Litteratur zu erhalten. Dr Schmalfeld, Oberlehrer zu Eisleben. VII) 1) Es ist eine Pflicht des deutschen Gymnasiums seinen Schülern den Zugang zu einem wissenschaftlichen Verständnis unserer Muttersprache zu eröffnen. 2) Dies ist nur auf historischem Wege und nur durch ein zurückgehen auf das Altdeutsche möglich, daher hat der Unterricht auf diese Bezug zu nehmen, so weit es namentlich das Verständnis der neuhochdeutschen Laut Verhältnisse, Flexionsformen und der Etymologie erfordern. 3) Ein solcher Unter-

56 . Bericitt ttbejr <fie 17e Philologeo- Versammlung io Brealao.

rieht findet Platz innerhalb des Zeitmaszes, welches gegenwärtig in den meisten Gymnasien dem Deutschen in den beiden oberen Klassen zuge- wiesen ist, ohne dasz darüber eine andere wesentliche Aufgabe des deutschen Unterridits vernachlässigt zu werden braucht. Palm. Cauer. yill) Als Aufgaben zu deutschen Aufsätzen in den obersten Klassen der Gymnasien sind Sentenzen aus Dichtern oder andere bedeutende Aussprüche viel mehr zu empfehlen als die Würdigung historischer Cha- raktere, oder gar als Beden, wie sie unter diesen oder jenen von der Geschichte erzählten Umständen gehalten sein könnten. Director Dr Schönborn. IX) ^ Es. sind Mittel ausfindig zu machen, um den -naturwissenschaftlichen Unterricht in den Gymnasien ~ den naturge- schichtlichen in den unteren und mittleren Klassen, den physikalischen in den oberen Klassen zu heben und ihn fruchtbringend zu machen.' Der naturgeschichtliche Unterricht soll in den untern und mittlem Klas- sen ausfallen, wenn kein geeigneter Lehrer vorhanden ist, und diese Stunden sollen dem geographischen Unterrichte zugetheilt werden, bei dem auf die Naturgeschichte, so wie die Sagen Kücksicht genommen werden musz. Schwerlich wird ein Lehrer in diesen drei Beziehungen den gestellten AuforderuDgen genügen können; auch zu einer übersicht- lichen Darstellung gehört genaue Kenntnis des einzelnen. Ist ein be- fähigter Lehrer vorbanden, dann kann in Sexta und Quinta wöchentlich in 2 Stunden naturgeschichtlicher Unterricht ertheilt werden. Meinen 25jährigen Erfahrungen zu Folge ist man nicht im Staude das Thier- reich in dieser Zeit bei den vielfachen Wiederholungen mit Erfolg durch- znnehmen. Ist dennoch Liebe und Lust bei den Schülern in dieser Zeit geweckt worden, so fällt dann in Quarta der Unterricht aus, das ge- lernte wird zum Tbeil vergessen und in Tertia musz bei schon verän- derten Anschauungen die Liebe zum Naturstudium in 2 Stunden wö- chentlich wieder geweckt werden. Für diese Klasse bleibt nur für den Winter Mineralogie, für den Sommer Botanik, so wie eine Uehersicht des ganzen Thierreichs zu lehren übrig. Man könnte auch wie folgt argumentieren: Ist die Naturgeschichte ein geeignetes Unterrichtsmittel, dann musz für befähigte Lehrer gesorgt werden; ist es aber kein ge- eignetes Bildungsmittcl , so lasse man den Unterricht ausfallen. In Secunda wird in einer wöchentlichen Stunde Physik gelehrt. Meiner Ansicht nach eine verlorene Zeit, die anderweitig besser benutzt wer- den könnte. Es bleiben zwar die Schüler zwei Jahre in dieser Klasse, aber im zweiten Jahre musz zu yiel Rücksicht auf die Unter - Secimda- ner genommen werden. Jn Prima musz also das weite, interessante nnd wichtige Gebiet der Physik abgehandelt werden. Die Schüler sind .aber mit der Vorbereitung zum Abiturientenexamen so sehr beschäftigt, dasz auf diesen Gegenstand wenig Fleisz verwendet wird , zumal sie wissen, dasz beim Abituriontenexamen darauf nicht Rücksicht genom- men wird. Nur durch gründliches Studium der Naturwissenschaften kann der materialistischen Richtung unserer Zeit Einhalt gethan wer- den. — X) Es ist möglich und wünschenswerth, dasz die Kegelschnitte kurz und bündig in der Prima vorgetragen werden. Dr Fiedler, Ober- lehrer zu Leobschütz.

Die erste Sitzung derselben wurde von dem Vicepräsidenten der allgemeinen Versammlung Provinzialschulrath Dr Stieve eröffnet und Dir. Dr Eckstein zum Vorsitzenden vorgeschlagen; es lehnte dieser jedoch das Ehrenamt ab, well er mit den hier anwesenden zu wenig persönliche Bekanntschaft habe , und schlug statt seiner den Dh'. des Matthiasgymnasiums allhier Dr Wissowa vor, der sich auch zur An- nahme bereit erklärte.

Auf das Ersuchen desselben übernahmen Prof. Dr Dietsch aus Grimma, die Oberlehrer Guttmann und Dr Cauer aus Breslau and

BerickI über $e 17e Philologen- Versammlung in BrasUiii. 57

Oberlehrer von Baczeck aus Qroszglogau das 8ecretariat- auch für . die paedagogische Section.

Nachdem der Vorsitzende den Vorschlag gethan hatte, zur Aaswahl aus den gedruckt vorliegenden Thesen, Vorschlägen von neuen und Vor- bereitung der Debatte nach dem Vorgange anderer Versammlungen eine Commission zu ernennen, bemerkte Geh. O.-Kegierungsrath DrBrügg o- mann, dasz es ihm viel kürzer scheine, wenn sofort darüber abgestimmt würde, welche Thesen und in welcher Reihenfolge dieselben zur Debatte kommen sollten. Eckstein machte dagegen darauf aufmerksam, dasz zwar einige Thesen leicht als kaum behandelbar erschienen, wie z. B. Thesis II, da, obgleich die RealschuUehrer in der diesmaligen Versamm- lung zahlreicher als in anderen vertreten seien, dennoch die überwiegende Zahl der Gymnasiallehrer weder ein Recht noch die nöthigen Grundlagen besitze, über die Angelegenheiten der Realschule ein Urteil zu geben; allein die Entscheidung durch Majoritätsbeschlusz habe doch auch sehr bedenkliche Seiten und die Ernennung einer Commission werde mit ge- ringer Mühe und sicher zu deren Vermeidung fuhren. Ihn unterstützt Dietsch, indem er anführt, wie es für den Antragsteller etwas unge- mein verletzendes habe, wenn ohne Debatte ohne weiteres seine These als ungeeignet durch eine Majorität verworfen würde, eine Debatte aber sich so weit ausdehnen könne, dasz für die eigentliche Verhandlung zu wenig Zeit bliebe; eine Commission könne durch Gründe die Zurück- nahme einer These veranlassen und mit bestimmt formulierten und mo- tivierten Vorschlägen vor die Versammlung treten, wodurch dann Un- annehmlichkeiten vermieden und die Entscheidungen erleichtert wüi'den. Nachdem jedoch der Präsident der allgemeinen Versammlung Prof. Dr Haase die Ansicht geäuszert hatte, dasz wenn die Versammlung sich sofort über die Thesen durch Abstimmung entscheide , sich die Zahl sehr verringern und dadurch die Feststellung einer Ordnung sehr erleichtert werden würde, entschied sich auf die Frage des Vorsitzenden die Mehr- heit für die sofortige Vornahme der Abstimmung, durch welche die Thesen III, IV, Vll und VIII allein zur Verhandlung bestimmt, die übrigen mit gröszerer oder geringerer Stimmenzahl abgeworfen wurden. Für die Reihenfolge wurde durch Hrn Geh. O.-Regierungsrath Dr Brüg- gemann das Loos vorgeschlagen und ergab dasselbe nach Annahme des Antrags durch die Versammlung die Reihenfolge VIII, IV, III, VII.

Wegen vorgerückter Zeit wurde die Sitzung geschlossen.

Zweite Sitzung am 29. Sept.

Der Vorsitzende Dir. Dr. Wissowa theilt mit, dasz Professor Dr Ruthardt seine These (IV) zurückzuziehen wünsche, dagegen das druckfertige Manuscript seiner Abhandlung auf den Tisch des Hauses niederlegen werde, damit diejenigen, welche es wünschen, Einsicht in dasselbe nehmen und sich mit ihm privatim darüber aussprechen könnten.

Derselbe theilt ferner den Wunsch des Oberlehrers Dr Schmal feld aus Eisleben mit: die Versammlung möge ihm, wenn die Tagesordnung erschöpft und noch so viel Zeit vorhanden sei, nur 15 Minuten gewäh- ren, damit er seine These (VI), die ihm eine wahre Herzenssache sei begründen und der weiteren Beachtung empfehlen könne. Auf die Frage des Vorsitzenden wurde dieser Wunsch durch Majorität gewälirt. .

Ein dritter Antrag des Hrn Vorsitzenden, von der durch das Loos bestimmten Ordnung abzuweichen und die Thesen VII und VIII als ih- rem Inhalte nach zusammengehörig aufeinander folgen zu lassen, derge- stalt, dasz von These VIII sofort zu These VII übergegangen werde, ^ erhielt einstimmige Annahme.

Dir. Dr Schönborn erhält hierauf das Wort zur Begründung sei- ner These und äuszert sich folgendermaszen: er habe die Thesis weni-

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ger um über seine Ansicht andere zn überzengen , als selbst Belehrung zu erhalten, gestellt; mit Aufmerksamkeit lese er stets die Programme» der Gymnasien und besonders die in denselben mitgetheilten Themata zu den freien Arbeiten; durch viele derselben habe er Belehrung gefun- den , andere hätten ihn zum Widerspruch aufgefordert , namentlich habe es ihm geschienen, als sei in neuerer Zeit eine Gattung von Thematen sehr in Aufnahme gekommen, mit denen er nicht einverstanden sein könne, die historischen Charakteristiken; er halte alle geschichtlichen Themata in den obersten Klassen für sehr bedenklich; der Zweck der deutschen Arbeiten in denselben könne kein anderer sein, als der, dasz der Schüler sein eignes Denken bewähren solle, dieser werde aber an den gescliichtlichen Thematen um so weniger erreicht, als dieselben meist zn schwer seien; wie schwer sei es für Männer grosze Persönlich- keiten zu beurteilen, wie vielmehr für Schüler? Sollten diese nur wie- dergeben, was sie in den Geschichtstunden gehört, so sei dies nur we- nig, der Geschichtslehrer miisse sich meist mit einem dürftigen Abrisse begnügen ; wie sei es nun dem Schüler möglich , diese Andeutungen, z. B. über Pompejus, zu verarbeiten? man sage vielleicht, der Schüler solle darüber nachlesen; allein wie wenige Bücher stünden demselben zu Gebote und wie weniges böten diejenigen, welche er zu Händen habe; wolle man nun auf die Quellen selbst verweisen, z. B. bei der alten Geschichte auf Plutarch und Livius, so werde der Schüler nur wieder geb*en, was diese ihm böten, nicht Resultate des eignen Den- kens ; ja es sei sogar nicht zu wünschen , dasz sie mehr gäben und mehr geben wollten; könne man wünschen, dasz ein Primaner den Plutarch und Livius kritisiere und wider sie streite, und sei nicht die Gefahr vorhanden, dasz eine falsche Einbildung in den jungen Leuten genährt werde, indem sie entweder das anderen nachgesprochene für eigenes hielten oder glaubten , sie seien urteilsfähig genug um über grosze Män- ner und bedeutende Geschichtschreiber den Stab brechen zu können? Am allerverwerflichsten aber seien die Reden in dieser Gattung; wie solle der junge Mensch sich an die Stelle des Hannibal versetzen und aus seinem Geiste zu den Soldaten reden können? wie solle er eine Vorstellung von dem römischen Senate (die Gelehrten hätten sie erst durch Mommsen gewonnen) besitzen , um eine Rede des Inhalts und der Form, wie sie sich vor diesem Collegium gebührten, ausarbeiten zu können; ganz anders verhalte es sich mit Sentenzen natürlich zweck- mäszig gewählten; *in jeder derselben liege eine, ja viele Fragen, deren Beantwortung der Schüler durch eignes Denken zu suchen habe; eine rechte Sentenz zeichne aber auch dem Schüler enge Grenzen vor, nnd das strenge einhalten derselben sei für das Wesen eine ganz treff- liche Uebung; deshalb glaube er, dasz solche zu Thematen vielmehr zu wählen seien, als historische Charakteristiken und vollends Reden.

ConsistorialrathDrBöhmer: es könne Verwunderung erregen, dasz er das Wort begehre, da er Theolog, nicht Pädagog und Schulmann sei, indes die Pädagogik gehöre zur Ethik , einem von ihm bearbeiteten Ele- mente der Theologie; vor Dir. Schönborn und seinen Verdiensten habe er persönlich den höchsten Respect , um so mehr fühle er sich auf- gefordert über seine These zu sprechen ; er frage ob in dieser Versamm- ,lung die Pädagogik praktisch oder wissenschaftlich zur Geltung kommen solle; darnach müsse die Frage über die gestellten Thesen und über Thesenstellung überhaupt beantwortet werden. Zur Sache gerufen, fährt der Redner fort: das formelle der jetzt vorliegenden These genüge ihm nicht, doch wolle er davon absehen und nur über das substan- tielle derselben seine Zweifel und Bedenken äuszei'n; es sei gcäuszert worden, dasz historische Charakteristiken zu schwierig seien; er frage dagegen , ob es nicht möglich sei , dasz Sentenzen viel mehr Schwierig-

Berieht Ober die 17e Philoiocren-VersammlaDg in Brestaa. 50

keiten enthielten; das deutsche Volk sei mit Recht als ein Volk ron Denkern bezeichnet worden; seine Dichter seien aber alle die tiefsten Denker; könne der Schüler denselben folgen? es gebe ferner aber auch metaphysische Sentenzen oder solche, welche nur ans der Metaphysik beurteilt und begprümdet werden könnten; wie viele Schwierigkeit habe nun oft eine einzelne Sentenz ans Piaton einem Schleiermacher gemacht; sei eine solche für Schüler als Thema geeignet? kurz seien Sentenzen nicht viel schwieriger , als historische Charakterdarstellnngen, bei denen der Schüler nur wiederzugeben habe, was er gelernt, was er aus dem Munde eines erfahrenen Lehrers vernommen; die Auctorität des Lehrers müsse hier zur Geltung kommen und der Geschichtslehrer bei dem Schü- ter das Vertrauen haben, dasz was er ihm gegeben, ein Resultat eifri- gen und gewissenhaften forschens sei; er sei damit einverstanden, dasz Bildung des Urteils Hauptsache bei den freien Ausarbeitungen sei, aber diese scheine ihm am besten gefördert zu werden, wenn der Schüler ein ihm gegebenes Urteil wiederzugeben veranlaszt werde.

Dir. Dr Passow: er trete nicht als Opponent gegen die These auf, glaube sich vielmehr im Wesen und Grunde mit dem geehrten Auf- steller derselben einverstanden; ein Hauptgesichtspunkt bei der Erzie- hung, ja der wichtigste sei die Stählung zu sittlicher Tüchtigkeit, und die deutschen Aufsätze seien ein Hauptmittel dabei, indem sie darauf hinführen müsten, dasz der junge Mensch wahr werde, wahr denke, rede und schreibe; dazu sei nöthig, dasz sie Resultate des eignen Den- kens der Schüler aussprächen, aber die Gegenstände müsten um so mehr handlich und faszHch sein, damit sich das Denken nicht grundlos ins Blaue verliere und fremdes statt eigenen, Lüge statt Wahrheit gegeben werde; er sei deshalb mit Dir. Schönborn vollkommen einverstanden, dasz die Form der Rede auszer ordentlich selten anzuwenden sei; aber es seien doch Fälle denkbar, in denen sie nicht allein anwendbar, son- dern auch sehr förderlich sein werde, wenn z. B. ein antiker Schrift- steller eine Rede kurz angedeutet habe und eine vollständig ausgear- beitete als Gegensatz dazu vorliege; da werde der Schüler genöthigt, sich in bestimmten Grenzen zu halten, gegebenes auszuführen und dar- zustellen; aus den Programmen ersehe man, dasz auch Dialoge aufge- geben würden , ja sogar humoristischen Inhalts ; diese seien unbedingt zu verwerfen; eben so wenig aber könne er in eine unbedingte Ver- werfung historischer Charakteristiken einstimmen; es sei allerdings in ihnen eine Verleitung zum aburteilen vorhanden, aber es sei dies bei der Correctur entschieden abzuweisen; dann würden die Schiüer sich desselben schon enthalten und schl,ieszlich, wenigstens die besseren auch einsehen lernen warum? es sei allerdings wahr, dasz wenn ein vollstän- diges Lebensgemälde, wie z. B. von Plutarch, vorliege, der Schüler nur gebe, was er vor sich habe, allein etwas ganz anderes sei es, wenn die Züge zu demselben zerstreut vorliegen, z. B. über Themistokles oder Dareios bei Herodot; die Arbeit des sammelns und ordnens sei eine sehr heilsame und zugleich die Lust des Schülers erweckende Uebung; es gebe jedoch auch historische Themata, die sich nicht auf einzelne Persönlichkeiten bezögen, über die der Schüler, was der Lehrer nicht ausgeführt habe, vervollständigen müsse; solche seien Hauptentwick- lungsperioden, z B. die Völkerwanderung ,= der Untergang der Hohen- staufen ; allerdings würden solche Themata da am zweckmäszigsten sein, wo der deutsche und Geschichtsunterricht in derselben Hand liegen, al- lein es werde sich auch sonst das rechte Verhältnis zwischen zwei Leh- rern finden ; nicht theilen könne er dagegen die Vorliebe für Sentenzen ; er erinnere sich, wie ihm ein alter erfahrener Schulmann gesagt, er müsse erst jede Sentenz in eine Frage umgieszen, ehe sie zur Bearbeitung gestellt werden könne; also sei die Sentenz an und für sich noch nicht

60 Berioltt Ober die 17e PlülologeD-Yersammlaiiff in Breslic.

Bum Thema geeignet; ein gewissenhafter und einsichtsvoller Lehrer werde allerdings nicht zu schwierige, noch gar metaphysische Sentenzen gehen aus Kant und Hegel, er werde sich z. B. an Schiller halten; die Erfahrungen, welche man mit solchen Thematen mache, könnten sehr verschieden sein: seine eigene sei vielleicht eine provinzielle und indi- viduelle, aher sie sei gegen dieselben; er habe gesehen, dasz die Schü- ler Sentenzen nicht gern bearbeiten, und sie sollten doch mit Lust ar- beiten; er habe ferner gefunden, dasz sie sich damit begnügten, noch einmal breit zu machen , was die Sentenz in präcis£ster Kürze biete ; endlich habe er fast stets am Schlüsse solcher Arbeiten Cohortationen gelesen, die ein widerwärtiges, altkluges und unwahres Moralisieren eni-, hielten; damit wolle er aber überhaupt solche Themata nicht verwerfen, nur gegen die Bevorzugung vor allen anderen müsse er sich erklären; unter allen Bedingungen seien diejenigen Aufgaben die werthvolisten, zu denen der Schüler sich eine positive Grundlage erarbeiten müsse; das beste Gebiet dazu sei das Alterthum, hier habe der Schüler die Quellen, aus denen er jene schöpfen könne; hier habe er Fülle des Stof- fes; das Bild der Pallas Athene aus den Stellen des Homer zu entwer- fen, welche Anregung biete eine solche Aufgabe? in Summa aber gehe seine Meinung dahin : man kann keine Fcfrm , keinen Inhalt unbedingt verwerfen, mit Ausnahme der Gegenstände, die ganz über den Kreis der Schüler hinausliegen; die Hauptsache ist positiver Gehalt als Grund- lage, auf dem das Denken des Schülers sich aufbaut, damit er wahr, wenigstens subjectiv wahr, mit dem Bewustsein der Wahrheit sich aus- sprechen könne.

Prof. Dr Bonitz: es wolle ihm scheinen, als könne man bei der Form der vorliegenden These zu keinem Ergebnisse gelangen; es seien hier zwei ganz auseinander liegende Gebiete, die keineswegs die einzi- gen seien, bezeichnet, und für jedes ein mehr und weniger in Anspruch genommen; er glaube, man werde am sichersten zu einem Ziele ge- langen, wenn man vielmehr frage i unter welchen Bedingungen sind Themen aus dem einen, unter welchen aus dem anderen Gebiete zu- lässig.

Dir. Dr Eckstein: allerdings sei die These in dem einen Theile zu weit, in dem andern zu eng; zu weit sei sie in dem vollständigen verwerfen der historischen Themata; Dir. Passow habe hier Themata als zulässig bezeichnet , welche seiner Ueberzeugung nach sich mehr für die lateinischen Aufsätze eigneten; dagegen sei nun der erste Theil viel zu eng; über den Zweck der Aufgaben habe sich Passow sehr gut ge- äuszert ; Hauptsache sei , dasz der Schüler sich erst den Stoff erarbeiten müsse; was er sich erarbeite, daran arbeite er auch freudig; ein Ge- biet, welches eine reiche Quelle zu fruchtbarer Arbeit biete, sei noch gar nicht berührt, das der deutschen Litteratur, die den manigf altigsten Stoff biete, zumal wenn sie in Verbindung mit der alten gesetzt werde ; nehme man aus Lessings Schatz z. B. den Charakter des Lelio und lasse diesen mit einem ähnlichen bei Plautus vergleichen; er brauche nicht weiter auszuführen, um die Fülle von geeigneten Themen zu be- zeichnen, welche sich hier finden.

Oberlehrer Dr Cauer: in den alten Lehrbüchern der Stilistik und Rhetorik würden das genus historicnm und das genns philosophicum unterschieden, und diesen Unterschied könne man recht gut festhalten; die unbedingte Verwerfung des erster en könne auf keinen Fall gebilligt werden, vielmehr sei es gewis ganz zweckmäszig, wenn dabei das eigne arbeiten des Schülers angeregt und geübt werde; er habe bei seinem Untericht öfters geschichtliche Themata in der von Director Dr Pas- sow bezeichneten Weise gestellt und seine Erfahrung habe ihm ein günstiges Resultat davon gegeben; die von Dir. Dr Eckstein bezeichr

Bierieht ober dkt I7e Philologen- Versammloog ia B^Im. 61

neten Aufgaben fallen ebenfalls nnter das genas bistoricum, nnd auch mit derartigen habe er gute Erfahrungen.

Dir. Dr Schober ans Glatz: £e ThUtigkeit der Schüler in den freien Arbeiten könne nnr reprodactiv sein; er solle wiedergeben, was ihm geboten sei; deshalb seien gerade die historischen Themata zu em- pfehlen , bei welchen er sich an das vom Lehrer mitgetheilte als Grund- lage zu halten habe.

Dr Steiner aus Posen: jedermann werde wol damit einverstanden sein, dasz das sittliche Princip das erste sei, eben so auch dasz Bil- dung des Urteils ein Hauptzweck; aber hier werde eine Beschränkung nothwendig; denn das Urteil dürfe in der Schule nur auf diejenigen Dinge gerichtet werden, welche die Anschauung durch die Sinne und dann durch den Verstand voraussetzten, die Idee liege auszerhalb des Kreises der Gymnasien; für die Sentenzen sei tpeistentheils die gene- tische Entwicklung der Begriffe nothwendig ; solche müsten ausgeschlos- sen werden; namentlich treffe dies Sentenzen psychologischen Inhalts; man habe oft Sprüchwörter als Aufgaben gestellt, aber die Schüler ar- beiteten daran nnr mit Widerwillen, weil sie entweder nicht wahr oder nicht gut zu heiszen oder dem gemeinen Leben angehörend seien; wün- sche er aber so das Gebiet dbr Sentenzen beschränkt, so könne er da- gegen mit der unbedingten Verwerfung der Reden nicht einverstanden sein; warum wolle man sie tadeln, da der Schüler doch dabei nach gegebenen Momenten arbeite und seiner Phantasie ein freier Spiel- raum eröffnet werde? das historische Material endlich gewähre eine weite Benutzung und durch Verarbeitung desselben werde recipiort und reproduciert ; seine Ueberzeugung gebe dahin, dasz die Wahl von Sen- tenzen zu Thematen sehr zu beschränken sei, doch lasse er auch ein Maasz für die Reden und Charakteristiken gelten.

Geh. Oberregierungsrath Dr Wiese: er müsse als seine Ueberzeu- gung aussprechen, dasz die Thesis, wie sie vorliege, eigentlich nicht dispntabel sei ; der deutsche Unterricht sei unstreitig der schwerste, die Wahl der Themata zu den deutschen Arbeiten eine rechte Probe der Lehrergeschicklichkeit; das Thema sei stets ein Resultat des Verhält- nisses , in welchem Schüler und Lehrer zu einander stehen , und des- halb eine allgemeine Norm unmöglich; Gott sei Dank, es hätten alle Anstalten des preuszischen Staats ein individuelles Gepräge und eine eigene Geschichte; eine Uniformität sei durchaus nicht zu wünschen; ein Lehrer sei durchaus nicht zu tadeln , der seine Schüler höher führe als es in anderen Anstalten geschehe; ein anderer könne leicht ein Thema sonderbar finden, und doch sei der Lehrer es zu stellen vollkom- men berechtigt, wenn er seine Schüler dazu vorbereitet wisse oder selbst vorbereitet Jiabe ; das Gebiet des historischen und philologischen Unter- richts sei als dasjenige, woraus die Themata zu entnehmen, sehr zu empfehlen ; der Schüler müsse dabei arbeiten und lerne wahrhaft sein, während bei allgemeinen Sentenzen die Gefahr der Verleitung zur Lüge nnd feinen Heuchelei viel gröszer sei ; welche Gelegenheit biete die klassi- sche Lectürc zu Arbeiten, bei denen Material zu sammeln und zu verar- beiten sei? wie überaus reich seien Cicero*s Briefe, eine nicht genug zu empfehlende Lectiu-e, um daraus, aus dem darin gegebenen, Charakte- ristiken arbeiten zu lassen; der Schüler finde femer im Homer nnd Yergil Helden, deren Charakter nach den darin gegebenen Momenten zu schildern ihm recht wol nnd ohne Gefahr zugemutet werden könne; auch die Leetüre der Bibel biete dergleichen; gegen Charakteristiken des Petrus, Paulus, Abraham sei gewis nichts einzuwenden; man könne gewis nicht in Abrede stellen, dasz Reden, ja selbst Dialoge unter Um- ständen zulässig seien ; kurz man werde nicht weiter kommen als dahin, dasz die Wahl der Themata eine Sache der Individualität sei, wobei

64 Bericht über die I7e Philologen-VersammlaDg in Breski«'. .

überzeugendster Weise dargethan , wie die klassische Sprachforschnng sich auf deu historischen Standpunkt zu stellen habe; für die deutsche Grammatik habe Jakob Grimm diese Aufgabe in den Gmndzügen gelöst; hier sei also ein Vorbild gegeben, welches auf die Methode in den alten Sprachen Einflasz üben werde; die deutsche Grammatik sei anszerdem das einzige Mittel das Verständnis der Hlteren deutschen Litteratar zu eröffnen, und dies sei allerdings viel werth, aber wichtiger noch er- scheine die durch sie zu erreichende grammatische Belehrung und Bil- dung; er erinnere sich der Aeuszerung, welche ein Man^, der lange Zeit am äuszcrsten Ende des deutschen Sprachgebietes gelebt habe, ge- than , dasz er im inneren Deutschland einen groszen Mangel an Sprach- gefühl gefunden; dieser Mangel sei nur durch den von ihnen vorge- schlagenen Unterricht zu beseitigen; das Interesse für die Sprache nud ihre Erscheinungen könne in der Jugend nur durch den historischen Sprachunterricht geweckt werden; was nun das im dritten Satze ausge- sprochene anlange, so habe er allerdings die Sache nicht versucht, indes glaube er an die Möglichkeit.

Auf Ecksteins Wunsch: die Herren Antragsteller möchten doch ein Bild geben , wie sie sich die Möglichkeit der Ausführung ihres Vor- schlags gedacht, weil ohne dies die Discussion keine feste Grundlage gewinnen könne, fährt

Cauer fort: für Secunda seien bisher 2, für Prima 3 deutsche Stunden wöchentlich angesetzt; «was davon auf die Correctur der 'Auf-^ Sätze und deren vorbereitende Besprechung verwendet werde, sei auf keinen Fall zu beschränken ; auszerdem werde in Secunda A Rhetorik und Stylistik, in Prima deutsche Litteraturgeschichte gelehrt; nebenbei werde Leetüre geübt, in Secunda die poetische, in Prima die prosai- sche; um zu dem grammatischen Unterrichte Zeit zu gewinnen, sei der erstcre Theil des deutschen Unterrichts zu beschränken und könne ohne Schaden beschränkt werden; schön sei die Anleitung zu Gedichten und zum Styl , aber der Zweck sei uneiTeichbar, die Grammatik ein wesent- lichercß Bedürfnis; der Unterricht in der letzteren sei in Secunda zu beginnen und vielleicht bis Unterprima in wöchentlich einer Stunde durchzuführen ; natürlich dürfe derselbe nicht nach dem System mit dem Gothischen beginnen , nicht nach den Perioden ein- und abgetheilt wer- den, sondern müsse vielmehr an das gegenwärtig bestehende anknüpfen; von den Lautverhältnissen, den Declinationen und Conjugationen der Gegenwart sei auf die älteren und ältesten leiten mit Einschlusz des Gothischen zurückzugehen, und die Erkenntnis der Umwandlungen und der für sie geltenden Gesetze als die Hauptsache zu betrachten ; in den Händen der Schüler werde eine kurze Grammatik, wie die von Vilmar, damit das diciieren vermieden werde, gute Dienste leisten; eben so aber werde denselben ein geeig^netes Lesebuch zur Uebung gegeben werden müssen; auf diese Weise betrachteten sie die Sache als ausführbar und den Zweck erreichbar, ohne dasz dadurch anderen Gegenständen die Zeit verkümmert und die Kraft der Schüler übermäszig in Anspruch genommen werde.

Wegen vorgeschrittener Zeit muste die Discussion auf die nächste Sitzung verschoben werden.

Dritte Sitzung am 1. Oct.

Nach der Reihenfolge der zur Discussion über Thesis VII angemel- deten Redner erhält zuerst

Gymnasiallehrer Dr Reichel aus Wien das Wort: die von Palm und Cauer in Anregung gebrachte Sache sei auch ihm eine Herzenssache, ohne dasz er jedoch dadurch sich versucht fühle über das erreichbare Ziel hinauszugehen; die Sache sei ahch eine Ehrensache für das deutsche Volk, namentlich den regen Bestrebungen gegenüber, welche die SUi-

B^chl aber die ITePhilologen^Versimmloiig ia Breslaa» 63

vielit mit Recht aus den unteren Klassen verbannt, man habe mit ', die Forderung aufgestellt , dasz alle Lectionen zur Bildung in der iraprache mitwirken müsten, aber ganz könne doch der grammati- Unterricht nicht entbehrt werden; es sei die Gefahr Yorhanden, man wie man früher in dieser Hinsicht zu viel gpethan, so jetzt zu ' ihne; man behaupte freilich, dasz das Sprachbewustsein und die lg unmittelbar jeden dahin führe, dasz er augenblicklich richtig lie, aber es treten doch zweifelhafte Fälle ein; selbst in den gebil- Ständen werde viel unrichtiges gesprochen, ja sogar geschrieben; oäsziges und unregelmäsziges werde sehr häufig verwechselt oder von einander geschieden; der junge Mensch werde dadurch zu uonen gezwungen und wober solle er nun eine Entscheidung fin- es sei da die Gefahr vorhanden', dasz er entweder sich für nichts leiden könne oder für das falsche entscheide; aber selbst ohne Gefahr sei jedenfalls das Verhältnis, in welchem das Wissen in ignen Muttersprache zu dem in fremden und in andern Wissen- den stehe, ein unnatürliches; könne der auf den Namen eines wis- baftlich gebildeten Mannes Anspruch machen, müsse sich derjenige schämen, der in wichtigen Fragen, wie z. B. der jetzigen ortho- ischen, sich weder zurecht zu finden noch zu entscheiden wisse; , wenn das Gymnasium in dieser Einsicht gar nichts thue, sei öszte Sprachverwilderung zu fürchten; das Gymnasium habe femer auch die nöthige Vorbildung zu den späteren wissenschaftlichen tndien zu geben; könne man sagen, dasz sie der Jurist besitze, er nicht befähigt sei , die Quellen des älteren deutschen Rechts zu ihen? und brauche nicht auch der Theolog die Leetüre manches ^en Werkes aus dem Mittelalter? Endlich werde in den Gymna- lie deutsche Litteraturgeschichte gelehrt und dabei die Schönheit littelalterlichen Dichterwerke höchlich gepriesen; wie aber? die IT könnten sie nicht genieszen, ja nicht einmal kennen lernen; Setzungen in das Neuhochdeutsche reichten dazu nicht im gering- .us.

) Der Satz 'dies ist erfordern' enthalte die Bedingung, unter 9r allein grammatischer Unterricht mit Erfolg, namentlich mit dem m vorhergehenden bezeichneten ertheilt werden könne; die Be- ong dafür liege in der historischen Entwicklung der Sprache selbst, Ige deren die Grammatik auf jeder Seite in die Vergangenheit zu- eise, ebenso wie die Mathematik überall auf frühere Sätze; ohne irückgehen auf das Altdeutsche werde man weder ein rechtes Masz, eine rechte Methode für den grammatischen Unterricht erreichen; eher Weise ertheilt aber werde der deutsche Unterricht den klas- n nicht nur nicht beeinträchtigen, sondern sogar stützen; die she Philologie sei eine strenge Wissenschaft und gerade diese wis- laftliche Strenge werde dem Gymnasium nützen; die deutsche Phi- » sei eine Errungenschaft , auf die das deutsche Volk stolz zu sein Jrsache habe; solle davon nichts für das Gymnasium abfallen? Oberlehrer Dr Cauer: man werde gegen den von ihm und Herrn . Palm in Vorschlag gebrachten Unterricht das Bedenken erheben, durch seine Einführung die Concentration werde verhindert und ?ert werden; die Concentration sei als eine berechtigte Forderung und durch anzuerkennen, allein sie könne in nichts anderem be- I, als darin, dasz alles, was in und innerhalb der Peripherie falle ( rechte Verhältnis und in innige Beziehung zum Centrum gesetzt ; das Centrum des Gymnasiums sei und müsse das klassische Al- jn bleiben, aber nur auf dem von ihnen bezeichneten Wege sei leutschen Unterrichte die Beziehung zu jenem Centrum zu geben; ' Eröffnungsrede der gegenwärtigen Philologenversammlung sei in

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überzeugendster Weise dargethan , wie die klassische Spraeliforsohiifig sich auf deu historischen Standpunkt zu stellen habe; für die deutsche Grammatik habe Jakob Grimm diese Aufgabe in den Grundztigen gel5st; hier sei also ein Vorbild gegeben, welches auf die Methode in den alten Sprachen Einflnsz üben werde; die deutsche Grammatik sei anszerdem das einzige Mittel das Verständnis der Ulteren deutschen Litteratur zu eröffnen, und dies sei allerdings viel werth, aber wichtiger noch er- scheine die durch sie zu erreichende grammatische Belehrung und Bil- dung ; er erinnere sich der Aeuszerung , welche ein Manp <, der lange Zeit am äuszcrsten Ende des deutschen Sprachgebietes gelebt habe^ ge- than , dasz er im inneren Deutschland einen groszQU Mangel an Sprach- gcfdlil gefunden; dieser Mangel sei nur durch den von ihnen vorge- schlagenen Unterricht zu beseitigen; das Interesse für die Sprache und ihre Erscheinungen könne in der Jugend nur durch den historischen Sprachunterricht geweckt werden; was nun das im dritten Satze ausge- sprochene anlange, so habe er allerdings die Sache nicht versucht, indes glaube er an die Möglichkeit.

Auf Ecksteins Wunsch : die Herren Antragsteller machten doch ein Bild geben , wie sie sich die Möglichkeit der Ausführung ihres Vor- schlags gedacht, weil ohne dies die Discussion keine feste Grundlage gewinnen könne, fUhrt

Cauer fort: für Secunda seien bisher 2, für Prima 3 deutsche Stunden wöchentlich angesetzt; «was davon auf die Correctur der 'Auf- satze und deren vorbereitende Besprechung verwendet werde, «ei auf keinen Fall zu beschränken ; auszerdem werde in Secunda A Rhetorik und Stylistik, in Prima deutsche Litteraturgeschichte gelehrt; nebenbei werde Lcctüre geübt, in Secunda die poetische, in Prima die prosai- sche; um zu dem grammatischen Unterrichte Zeit zu gewinnen, sei der erstcre Tlicil des deutschen Unterrichts zu beschrUnken und könne ohne Schaden beschränkt worden; schön sei die Anleitung zu Gedichten und zum Styl , aber der Zweck sei unerreichbar, die Grammatik ein wesent- licheres Bedürfnis; der Unterricht in der letzteren sei in Secunda tXL beginnen und vielleicht bis Unterprima in wöchentlich einer Stande durchzuführen; natürlich dürfe derselbe nicht nach dem System mit dem Gothischcn beginnen, nicht nach den Perioden ein- und abgetheilt wer- den, sondern müsse vielmehr an das gegenwärtig bestehende anknüpfen; von den Lautverhaltnissen, den Declinationen und Conjugationen der Gegenwart sei auf die älteren und ältesten Zeiten mit Einschlaes des Gothischen zurückzugehen, und die Erkenntnis der Umwandlungen und der iür sie geltenden Gesetze als die Hauptsache zu betrachten; in den Händen der Schüler werde eine kurze Grammatik, wie die von Vilmar, damit das dicticren vermieden werde, gute Dienste leisten; eben so aber werde denselben ein geeigfuetes Lesebuch zur Uebung gegeben werden müssen; auf diese Weise betrachteten sie die Sache als ausführbar und den Zweck erreichbar, ohne dasz dadurch anderen Gegenständen die Zeit verkümmert und die Kraft der Schüler übermäszig in Anspmch genommen werde.

Wegen vorgeschrittener Zeit muste die Discussion auf die n'dehste Sitzung verschoben werden.

DritteSitzungaml. Oct.

Nach der Reihenfolge der zur Discussion über Thesis VII angemel- deten Redner erhält zuerst

Gymnasiallehrer Dr Reichel aus Wien das Wort: die von Palm und Cauer in Anregung gebrachte Sache sei auch ihm eine Herzenssache, ohne dasz er jedoch dadurch sich versucht fühle über das erreichbare Ziel hinauszugehen; die Sache sei ahch eine Ehrensache für das deutliche Volk, namentlich den regen Bestrebungen gegenüber, welche die SUi*

liridil Iber die 17e Philologea-VerMninleBg in Brettai. 66

fHr ihre Sprachen und deren Erkenntnis belebten; da In Oester- d«r Vorseblag für die Oymnasien rein dentscher Sprache bereite sei, und Dir. Dr Eckstein die Frage nach dem Wie? habe, so halte er es nicht für unzweckmäszig die Art nnd )f wie in seinem Vaterlande verfahren werde, kurz auseinanderzn- ; in der V. n. VI. Kl. des Obergymnasiums , welche der prenszi- Unter- nnd Oberseconda entsprechen, werde einige Kenntnis der »sehiehtlichen Entwicklang des deutschen Volkes von Albr. v. bis SQ Göthes Tod gegeben , und zwar durch Lecttire ron Mu l^ivl&oken, an welche nur Bemerkungen über Person der Dichter und M^ZcitverhSltnisse angeknüpft würden. Für die Kl. VII (etwa die preusz. Itaftnpnma) seien 3 Stunden wöchentl. bestimmt; davon entfielen 1 oder M^iBtunde für die Correctur , die übrige Zeit werde auf das Mittelhoch- MttMlie verwendet; in VIII (der Oberprima) werde dies scheinbar fal- iB gelassen und an Lesestücke die nothwendigsten litterarhistorischen ifeA Kathetischen Erläuterungen angeknüpft nebst einer kurzen lieber- Artit fiber die Gattungen. So werde der Unterricht in Oesterreich er- iMÜt und die Erfahrung habe bis jetzt die Zweckmäszigkeit bewiesen;

rtor That sei auch durch die Hereinziehung des Mittelhochdeutschen Ata Kreis der Gymnasien eine zu grosze Vervielfältigung der Lehr- MBoatlnde nicht zu besorgen; die Vergleichung der beiden klassischen MMhen unter sich führe nothwendig zum Deutschen; die drei schwa- Mn C<n!^ugationen (i ei o) geben ein überraschendes Licht für die MMrinlaehen Conjugationen ; in Bezug auf die Frage, wie weit Sprachver- Mcilimut in den Gymnasien zulässig sei, müsse allerdings grosze Vor- ■Aft beobachtet werden; in fast allen österreichischen Gymnasien sei dia griechische Grammatik von Curtius eingeführt und dadurch ein leitendes Beispiel gegeben, wie die feststehenden Resultate der Ipnwkvergleichung für die Grammatik der einzelnen Sprache zu be- (taeii seien; in Oesterreich würden vielleicht bei der Leetüre viel mehr Umidstische Notizen angeknüpft, als in anderen Ländern, es sei dies Int ftber durch das herschen vieler Sprachen nebeneinander nicht allein IMeehtfertigt , sondern auch geboten; soweit sei er nun mit den Herrn fcÜiagsteUern einverstanden, aber erklären müsse er sich gegen die Mtslichkeitsconsequenzen , die sie gezogen hätten; man habe darauf PlÜt gelegt, dasz für zweifelhafte Fälle aus dem Mittelhochdeutschen Mieheidnng geholt werden könne, aber nach der Regel desselben tade der Schüler viele Fehler begehen, die er gleich wol mit Beispielen MkMD könne; in allen solchen Fällen ergebe sich: der lebende hat lirat, nicht das Mittelalter; die Klassiker der Neuzeit, nicht der Vor- IIK beherschen die Sprache ; wenn man auch zugestehe , dasz die Gram- iätik möglichst historisch zu betreiben sei, so müsse es doch aus an- IfeMB Gründen geschehen ; wenn man aber von wissenschaftlicher Gram- Htik für die Schüler spreche , so müsse man vor allen Dingen begren- mäf wie weit die Forderungen gehen; zweitens müsse er sich gegen ■• aeharfe Betonung des grammatischen Unterrichts erklären; neu- lodideutsche Grammatik lerne kein Schüler; er halte sie nicht für Mlhwendig, weil ihm das unbewuste Sprachgefühl das richtige lehre; voHe man sie auch nur als Grundlage lehren, um von ihr aus in die reigangenheit zurückzugehen, so werde man ein Interesse bei der Ge- laastheit nur dann erwecken, wenn man Tiefe und Gmndlichkeit er- ilrebe , zu dieser aber sei das Gymnasium nicht der Platz ; seine Teberzengung sei demnach, dasz nur die Leetüre für diesen Unterricht Im!« werden könne; das empfohlene Buch von Vilmar, dessen Namen ^hon auf den vielbesprochenen hindeute, könne er deshalb nicht ge- dgnet finden; es enthalte zu viel Grammatik und nur winzigen jaaeatoff.

19, JaMf. f. PhU. ». Paed, Bd LXXVIII. 1. ^

66 Bericht aber die 17e Philologen- Versammlang in Breslao.

Consist. B. De Böhmer: er miisse die Frage anfwerfen ob man hiBtoriäcb und wissenschaftlich hier für identisch nehme; die Begriffe seien es und dies nur das specielle, jenes das allgemeine; wolle man aber das historische betreiben, so müsse man auf das genetische, auf die psychologische Grundlage der Sprache zurückgehn; da dies nicht geschehen, so erscheine ihm der erste Satz in der Thesis nicht klar; eben so nehme er auch an dem Worte ' Zugang ' Anstosz , da dasselbe doch nur die Darreichung des historischen bedeuten solle und könne; in dem zweiten Satze müsse er sich gegen das Wörtchen 'nur' erklilren, da es doch auch noch andere Wege gebe; wenn aber 'nur' gestrichen und das zurückgehen auf die psychologische Grundlage eingefügt werde, «ei er mit der Thesis vollkommen einverstanden.

CoUegien-Rath y. Thrftmer aus Rogasen hält zuerst de scripto, dann auf die Erinnerung, dasz dies gegen den Gebrauch sei, frei fol- genden Vortrag:

Der erste Satz der VII. These sagt: es ist eine Pflicht des deut- schen Gymnasiums, seinen Schülern den Zugang zu einem wissen- schaftlichen Verständnisse unserer Muttersprache zu eröffnen. 80 sehr ich dieser Behauptung beistimme, insofern dadurch der in neue- ster Zeit aufs neu beliebte 'gelegentliche' Unterricht in der Grammatik der Muttersprache für unwissenschaftlich , für nicht ausreichend für die Gymnasialbildung erklärt wird, so bestimmt musz ich doch andererseits gemäsz meiner Lehrererfahrung aussprechen, dasz ich die Pflicht des deutschen Gymnasiums (oder allgemeiner gesagt : der deutschen Schule) in Bezug auf den deutschen Sprachunterricht in der aufgestellten These EU^ eng, zu wenig tief gefaszt finde. Im Zusammenhange damit ist denn auch , wie mir scheint, der Weg, auf welchem jener Pflicht zu genügen ist, nicht ganz richtig angegeben worden; es wird nemlich im zweiten 8atze der VII. These darauf hingedeutet, dasz unter dem wissenschaft- lichen Verständnisse der Muttersprache, zu dem das Gymnasium seinen Schülern den Zugang zu eröffiien die Pflicht habe , namentlich das Ver- ständnis der neuhochdeutschen LautTerhältnisse, Flezionsformen und der Etymologie gemeint sei, welches nur durch ein zurückgehen auf das Altdeutsche zu ermöglichen sei. Ich kann nun, da es dem Unter- richt in der deutschen als einer lebenden, als der Muttersprache gilt^ nicht anders als die Behauptung aussprechen: sein nächster Zweck, seine nächste Pflicht ist, den Schüler zu einem so sicheren Gebrauche dieser Sprache zu führen , dasz demselben für jeden Gedanken alsbald der ent- sprechende Ausdruck schriftlich wie mündlich zu Gebote steht also zu dem zu führen, was Rückert kurz und treffend Sprachbändigung genannt hat. Wie wenig aber der Schüler für diesen Zy^eck gewinnt, wenn man ihn in den beiden oberen Gymnasialklassen ins Altdeutsche, wie die Thesensteller wünschen, eiuHihren wollte, wird jeder Lehrer be-. »tätigen , der anhaltend mit der Correctur deutscher Aufsätze zu thnn gehabt hat. Denn die allerwenigsten der Fälle, über die bei Leitung der Aufsatzübungen Belehrung zu geben nothwendig ist, finden Erledi- gung aus dem Studium des Altdeutschen, ja haben bisher, wie nament- lich die syntaktischen Fälle, nur irgend eine Berücksichtigung in den Forschungen der Germanisten gefunden. Grimms in sonstiger Bezie- hung so Terdienstliche deutsche Grammatik ist mit dem 4. Bande gerade in den Anfängen der Syntax, in der Lehre vom einfachen Satze stecken geblieben, und es ist nicht unbekannt, dasz eine Fortsetzung des Wer- kes nach der Richtung der Studien des Meisters nicht zu erwarten steht« Gerade wissenschaftliches Studium der deutschen Syntax ist es aber« was noth thut , wenn man zur Sprachbändigung kommen soD, nicht aber dasz der Schüler erfährt, wie geschrieben werden müsse 'gieng, fieng', w^l es ursprünglich eine Reduplikationsform sei, wie die frühere Gene«

Beriebl aber die 17e Philologen- Versanmlancr in Breaiaa. 67

tivendnng gewisser Feminina i sick erhalten habe in BrUutigam and Nachtigall, wie Frau das Femininum von Frohe (Herr) and Mensch eine Adjektivbildong von Mann sei usw. Solche Notizen mögen der Jagend mitunter ganz interessant sein, allein im ganzen und groszen ist das mehr eine Wissenschaft für Männer als für Knaben ; man kann jene No- tizen (und wolverstanden auch nur als letzte Ergebnisse der Forschun- gen der Wissenschaft) der Jugend ganz wohl nur gelegentlich geben, da die dem deutschen Iiehrfache auf den Gynmasien zugemessene Zeit es nicht zuläszt, die Schüler gründlich und vollständig in die historischeiL Forschungen einzufühi*en. In die Kenntnis der neuhochdeutschen Syn- tax musz der Schüler dagegen gründlich, d. h. durch einen systematisch fortschreitenden und das ganze Gebiet durchlaufenden Unterricht einge- fükrt werden. Dazu sind allerdings auch historische Studien noth wen- dig, allein die führen auf anderes Geschichtsgebiet als das der altdeut- schen Sprachstudien ; da gilt es viel mehr , als auf das Mittel- und Alt- hochdeutsche zurückzugehn, wo die syntaktischen Verhältnisse noch viel einfacher und weniger geordnet sich zeigen, da gilt es vielmehr die Ent- wicklung des Neuhochdeutschen selber seit der Reformation, also den Sprachgebrauch Luthers und seiner Zeitgenossen, der schlesischen Scha- len, des Gottschedschen Zeitalters, Lessings, der Sturm- und Drangpe- riode usw. in Betrachtung zu ziehen und sich den Beichthum der ia diesem geschichtlichen Verlaufe entwickelten Formen mit Bewuatsein und in voller Sicherheit anzueignen.

Es bedarf aber für unsere Schüler nicht allein der Aneignung der Fertigkeit, die Gedanken nach freiem Belieben ausdrücken zu können, der einzelne soll nicht allein Macht erlangen über die Sprache, er soll auch zu der Erkenntnis kommen, dasz umgekehrt die Muttersprache eine Macht ist, ein Recht hat, die über ihm, dem einzelnen im Volke stehen. Und da kann ja in unserer Zeit ein jeder besonnene Freund der deutschen Sprache nicht umhin , seinen Blick auf zwei Erscheinun- gen zu richten, welche die schlimmste Sprachverwilderung mit sich führen dürften, die je unsere Muttersprache bedroht hat, wenn eben nicht bei Zeiten dem entgegengearbeitet wird. Auf der einen Seite hat sich nemlich der Verkehr der Stämme und Völker in unseren Tagen so sehr gesteigert, dasz daraus nicht allein eine anorganische Vermischung der verschiedenartigen deutschen Mundarten, sondern auch eine allmäh- Hohe Mischung der deutschen Sprache mit den dieselbe rings umgebenden fremden Zungen sich herauszubilden droht, welche das individuelle Le- ben der neuhochdeutschen Schriftsprache wesentlich beeinträchtigen würde. Andererseits thut sich zu der selbigen Zeit ein Geist des Sub- jeetivismus hervor, der, wie er sich über alle objectiven, geschichtlich berechtigten Schranken der gröszeren Allgemeinheit, welcher der einzelne angehört , über Volkssitte und Glauben der Väter hinwegzusetzen strebt, so auch ein falsches Recht individueller Willkür gegen die Gesetze der angestammten Sprache geltend zu machen versucht. Mangel an Be- wustsein von dem eigenthümlichen Wesen der deutschen Sprache ist es, was einen im Strome der Zeit an jene Klippe der Sprachmengerei hin- föhrt; bewuste Willkür vorwitziger und pietätsloser Sprachverbesserei führt auf die andere Seite. Beiderlei Zuge der Zeit stellt sich entgegen das Sprachgewissen, welches das fremde vom ächtdeutschen, das berechtigte vom unberechtigten, willkürlichen unterscheiden lehrt, und dies Sprachgewissen in der heranwachsenden deutschen Jugend zu er- wecken und zu pflegen, das ist es, nach welcher Seite hin ich den Be- griff der Pflicht der deutschen Schule in Bezug auf den deutschen Sprachunterricht in der aufgestellten These nun noch um soviel mehr' geschärft und vertieft zu sehn wünschte. Sprachgewissen ist gar viel mehr als wissenschaftliches Sprachverständnis , Sprachgewissen ist ein

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68 Barifilit Ober die 17e Philologei-Versanimlinig in Bresk«.

wesentlich sitüicher Begriff, es ist ein Theil vom allgemeinen (Jewisseii. Das Sprachgewissen erkennt in den Ordnungen und Gksetsen der Mni- tersprache nicht blos ein geschichtlich hergebrachtes und insofern in- teressantes, sondern ein gottgewolltes, göttlich berechtigtes und inso- , fem mit tiefstem sittlichem Ernste zu respectierendes. Gott selber hat, wie Paulus Apostelgesch. 17, 26 sagt, gemacht, dasz aus Einern Blute verschiedene Geschlechter der Menschen auf Erden herrorgegangen sind, und hat ihnen Ziel gesetzt, wie lange und weit sie wohnen sollen', auf dasz ein jedes (in seiner Weise) den Herrn suchen solle, ob es ihn doch jßlhlen möchte, d. i. Gott der Herr selber hat verschiedene, mit beson- deren Anlagen zu verschiedenen geschichtlichen Aufgaben ausgerüstete Yölkerseelen gewollt , deren Lebensgeist sich in verschiedenen Sprachen kund gibt. Demgemäsz ist es Aufgabe jedes Volkes, sich selber, wie überhaupt, so auch aus seiner Sprache nach der ihm eigenthümlichen Begabung zu erkennen, umgekehrt aber auch wieder diese seine beson- dere Spracbe zu erkennen als den treuesten Abdruck seines innersten Gemüts- und Geisteslebens und damit zu erkennen die Pflicht, seine angestammte Sprache in ihrer Besonderheit und Reinheit zu erhalten, gemäsz ihrer Eigenthümlichkeit zu pflegen, als ein unveräuszerliches Gut daheim und in der Fremde festzuhalten, gleicherweise aber auch 8u lernen, sich jenen objeciiven geschichtlich berechtigten Ordnungen SU fügen in freier Willigkeit, d. i. aus Einsicht in ihren Werth, als welcher für den einzelnen Volksgenossen hauptsächlich darin besteht, dasz er, wenn er sich über sich selbst besinnt, in jenen Ordnungen wahrhaft sieh selber wiederfindet. Es musz mithin zu dem Sprachge- wissen wesentlich auch die Liebe zur Muttersprache als zu einem nnveräuszerlichen Gute hinzukommen« Wie wenig aber gerade der Deutsche solche Liebe besitzt, das musz ich als von dem Vorposten deutscher Nationalität gegen Osten, aus den deutschen Ostseeprovinzen Buszlands herstammend mit Schmerz bezeugen; ganze Schaaren meiner Landsleute, der deutschen Liv-, Kur- und Ehstländer wandern jährlich in das grosze russische Reich aus, .und nur zu bald haben wir zurück- bleibenden bisher in Bezug auf nicht wenige unter ihnen die Kunde er- halten müssen, wie sie unter dem fremden Volke nach und miteinander die deutsche Sprache, die deutsche Sitte, die deutsche Bildung, die deutsche Treue, ja einzelne selbst den väterlichen Glauben dahingehen. Und hat nicht ein gleiches noch auf dem berliner Kirchentage der Pro- fessor Schaff aus Pennsylvanien von den deutschen eingewanderten in Nordamerika mit einschneidendem Ernste bezeugen müssen I Wenn nun aber ein germanistischer Unterricht in der deutschen Sprache schon nicht dazu sich dienlich erweist, unsere Schüler zur Sprachbändignng BU fuhren , so ist er noch viel weniger im Stande , der eben nachgewie- senen Pflicht der deutschen Schule ein Genüge zu leisten, nemlich in der deutschen Jugend das Sprachgewissen zu befestigen, die Liebe zn der angestammten Sprache als einem nnveräuszerlichen Gute zu erwecken. Soll der deutsche Sprachunterricht nach dieser Seite hin etwas leisten, so musz ihm eine wesentlich andere Grundlage gegeben werden, als die logische Schule Beckers, als die historische Schule der Germanisten es versucht hat. Die Schtdwissenschaft der deutschen Philologie musz eine wesentlich psychologische Grundlage erhalten, d. h. sie musz es sich zur Aufgabe stellen, die Jugend erkennen zu lehren, nicht allein was acht deutsch , sondern auch , nach welchem psychologischen Zusam- menhange es acht deutsch sei, sie musz die Jugend erkennen lehren, .dasz die deutsche Sprache wie das Wilhelm v. Humboldt in seinem Werke über die Kawisprache für jegliche Sprachforschung in Anspruch genommen und wie es der Herr Präsident dieser Versammlung in seiner Eröffiiiungsrede als die nothwendige Arbeit der Zukunft auch für die alt-

BmeU über dk l7e Philologett-VersmmlttDf in BrealM. 69

klassische Philologie beseiehnet hat, dass die deutsche Sprache nach ihrer Besonderheit ans dem deutschen Volkscharakter hervorgegan*» gen und danim in dieser ihrer Besonderheit, in ihrer echt deutschen Weise als der treueste Abdruck deutschen Gemüts- und Geisteslebens mitten in dem Grewirre 'der Sprachen in unseren Tagen und unter den modernen Gelüsten subjectiver Willkür festsuhalten sei, festzuhalten in der Mund- wie Schriftsprache, festzuhalten im Mutterlande, wie wo etwa ein neues Deutschland entsteht. Auf diesen Standpunkt eines deutschen Sprachlehrers haben mich die erwähnten schmerzlichen Er« fahrungen an meinen Landsleuten und der Wunsch gefuhrt, jenen Yer- irrungen durch Einwirkung auf die Jugend, also auch von Seiten der Schule in ihrem Theile, entgegenzutreten, und ich habe diesen Weg betreten, nicht ohne vorher den Meister der germanistischen Schule, Jak. Grimm zu Bathe gezogen zu haben. Er hat mir in Bezug auf das angedeutete Ziel bereits in einem Briefe aus dem J. 184(5 Becht ge- geben, aber zugleich gestanden, nach der Seite hin sei auf dem Ge- biete der deutschen Sprachforschung noch sehr wenig geschehen; er selbst habe ein zu bestimmt abgegrenztes Arbeitsfeld, um noch einem neuen seine Aufmerksamkeit zuzuwenden, aber freuen werde es ihn nur, wenn neben ihm neue Schachte eingeschlagen würden, wie mein Ernst und meine Stimmung ihm zu verbürgen scheine, dasz dies mit Glück ge- schehen werde. So von Grimm selber ermuntert, habe ich denn seit jener Zeit rastlos für den Zweck gesammelt und geforscht, sowol in praktischer Schulthätigkeit , als nachher auf Beisen in verschiedenen Gegenden Deutschlands , und bin so in der Arbeit nach zehn Jahren so- weit vorgeschritten , dasz ich in diesem Jahre bereits ein Werkeben, zn- ntichst für den Gebrauch meiner Schüler in den fünf oberen Gymnasial- klassen, in den Druck geben konnte, welches den Grundrisz ei- ner deutschen Stillehre auf psychologischer Grundlage enthält, sowie ich mich gleichzeitig an die Herausgabe eines gröszeren (heftweise erscheinenden) Werkes gemacht habe, welches die angedeu- teten Principien weiter ausführt und begründet. Auf Grund der ge- machten Erfahrungen wie Studien habe ich nun aber auch gemeint et mir erlauben zu dürfen, in dieser Versammlung über die durch die These angeregte Unterrichtsfrage mich ausführlicher auszusprechen, na- mentlich auf das, was recht eigentlich und im tiefsten Grunde Pflicht der deutschen Schule in unseren Tagen sei, hinzuweisen, sowie vor Ueberschätzung der germanisti- schen Studien in Bücksicht auf das Bedürfnis der Schule zu warnen. In Bezug auf die, wie von dem Herrn Präsidenten Prof. Haase für die altklassische Philologie, so von mir auch für die deutsche Sprachwissenschaft empfohlene psychologische Grundlage er- laube ich mir aber schlieszlich noch auf das äine hinzuweisen. Wäh- rend der Philologe an einem solchen Ausbaue der altklassischen Sprach- studien in rein wissenschaftlichem Interesse arbeitet, hat der deutsche Sprachforscher und namentlich als Jugendlehrer noch viel tie- fer gehende Absichten und Verpflichtungen. Es handelt sich ihm nicht um Ding^, die er etwa auch lassen könnte, wie man sich in freier Wahl eben dieser oder jener Wissenschaft zuwenden kann, ihn treibt vielmehr die Liebe zum deutschen Volke, welchem er selber gliedlich an- gehört, die Sorg^ um dessen Zukunft und daher zugleich für dessen her- anwachsende Jugend, ihn treibt der Hinblick auf die Gedanken und Wege Gottes mit unserem Volke und das in der Weltgeschichte sich offenbarende Weltgericht oder mit anderen Worten: er arbeitet für das deutsche Lehrfach um der deutschen Schule . für die Schule um der deutschen Jugend, für die Jugend nm der Zukunft des deutschen Vol- kes, für dessen Volk um dessen gottgewollter Stellung in der Menschheit

70 Bericht aber die l7e Philologen-VersammluDg in Breslcd.

willen. Freilich masz der deutsche Sprachunterricht auf dieser Grund- lage und mit diesem letzten Ziele dann nicht allein dem am meisten mit Erkenntnis nnd Geistesherschaft begabten Lehrern, sondern auch zu- gleich den ernstesten Männern an jeder Schule anvertraut werden, Män- nern, selber fähig wahrhafter Begeisterung, wie fähig, solche auch in anderen zu entzünden. £s gilt hier eine Art heiligen Priesterthumes im Volke und am Volke, insbesondere an dessen Jugend in den abg^ schiedenen Räumen der Schule! Es gilt das heranbilden eines neuen Geschlechts nicht blos in Sprachverständnis und Sprachbändigung, son- dern auch in Sprachgewissen und in wahrhafter unveräuszerlicher Liebe zur Muttersprache, d. i. in selbstverläugnender Pietät neben Mut und Freudigkeit zu einem heiligen Kampfe gegen eine neue Fremdhers chafti Von Breslau ist ja einstmals ein Aufruf ausgegangen, der auch der deutschen Jugend ins Herz hineinklang; welche Art Selbstverleugnung nnd Kampfesmnt ich zu dieser Zeit meine , zu dessen Verständnis bedarf es daher an diesem Orte vielleicht auch nur dieser kurzen Andeutung für diejenigen, welche ein Herz haben für Deutschlands und des deut- schen Volkes Sache.

Dir. Dr Eckstein verzichtet auf das Wort , weil er nicht im Stande sei lang zu sprechen.

Dir. Dr Pas so w aus Ratibor: er stimme den Antragstellern inso- weit bei , dasz die Schüler von dem Gange, welchen die Sprachentwick- Inng genommen, etwas erfahren sollen; dazu gebe es zwei Wege, der, auf welchen hier der Nachdruck gelegt worden, granmiatischen Unter- richts, und den derLectüre; er aber ziehe den letzteren entschieden vor nnd wisse es Hm Dr Reichel vielen Dank, dasz er auf denselben hingewiesen; bei dem grammatischen Unterrichte werde der nltraphilo- logische Zopf, den man im altklassischen Unterricht abgeworfen, durch eine andere Thüre wieder in das Gymnasium hineinkommen, und werde dann im Deutschen um so zopfiger ausfallen , weil- der Unterricht gana abstract werden, ihm nicht der Inhalt der Leetüre zur Seite stehen werde; wie aber sei für die Leetüre mittelhochdeutscher Dichter Zeit zu gewinnen und wie dieselbe einzurichten? er habe nach seiner Anstellung am Gymnasium zu Meiningeu in der ersten Klasse deutsche Litteratur> geschichte zu lehren erhalten und sich mit groszem Eifer darauf gewor- fen; dabei habe er sehr viel gelernt, aber mit Recht habe ihn ein äl- terer Freund darauf hingewiesen und er sei selbst inne geworden, dasa die Schüler eigentlich sehr wenig wahrhaft nützliches und fruchtbrin- gendes gewonnen; die deutsche Litteraturgeschichte vortragen heisze meist leeres Stroh dreschen; seit dieser Zeit habe er die Litteraturge- schichte auf ein minimum beschränkt; er lese in Prima im In Jahre das Nibelungenlied und einige Lieder von Walther von der Vogelweide nach dem Hennebergerschen Lesebnehe; vorher würden in 4 6 Stunden die allernothwendigsten Kenntnisse aus der Grammatik mitgetheilt , die übri* gen wichtigsten Differenzen vom Neuhochdeutschen aber bei der Leetüre erörtert; man könne freilich auf diesem Wege oberflächlich werden, aber man müsse es nicht; der Lehrer werde dies zu vermeiden wissen; auf dem Wege, den die Antragsteller vorgeschlagen, sei zu fürchten, dasz die deutsche Sprache den Schülern zu einer todten gemacht werde ; unsere deutsche Jugend müsse vor allem Liebe zu ihrem Volke und zu seiner Vergangenheit gewinnen; die gothische reduplicierende Coujuga- tion mache keine Liebe, aber die Dichter.

Oberl. Dr Ochmann aus Oppeln: schier dreiszig Jahre habe er schon den Gedanken gehegt, welchen die Herren Antragsteller ausge- sprochen; nur könne er nicht einverstanden damit sein, dasz dadurch der deutsche Unterricht Stütze für den anderen sprachlichen werde, dasz man das Gothische in denselben aufnehme , er werde es auch in

Beriehl Aber die 17e Philologen- Versammlang in Breslau. 71

jeder GestaH bleiben und wegen der Ebenbürtigkeit werde man besser inier privalos parkies reden; ferner frage er, wie man bei der so knap>- pen dem deutschen Unterrichte zugewiesenen Zeit dafür Raum gewinnen solle; der Correctur der deutschen Arbeiten könne nichts abgenommen werden, da das Prnfnngsreglement in Betreff ihrer so bestimmte Forde- rungen enthalte.

Der Redner wird von dem Vorsitzenden und den Sehriftführem be- lehrt, wie er die Antragsteller wahrscheinlich misverstanden habe, da dieselben ausdrücklich erklären , dasz der Correctur niehts yon Zeit ent- zogen werden solle und könne , und yerzichtet darauf auf das Wort.

Gymnasiallehrer Dr Tomascheck aus Wien : er schliesze sieh Dir. Passow und Dr Reichel an; Leetüre sei die Hauptsache und Grammatik nur daran anzuschlieszen ; auf dem von den Antragstellern vorgeschla- genen Wege stehe zu fürchten, dasz der Zweck des Gymnasialunterrichts, die Sprach- und Geistesbildung in Schrift und Ausdruck, alteriert wer- den würde; wissenschaftliche Grammatik sei überhaupt von dem Gym- nasium ausgeschlossen; man könne höchstens wünschen und zulassen, dasz die nothwendigsten bei der Leetüre zu machenden Bemerkungen in einer kleinen Grammatik zusammengestellt und diese den Schülern in die Hände gegeben würde ; dies könne schon auf der untersten Stufe geschehen; in Oesterreich lehre übrigens die Erfahrung, wie hier auch yon den Dialecten zur deutschen Schriftsprache zu führen sei; in den oberen Klassen müsse aber von der Grammatik noch mehr abgese- hen und auf die litterarhistorische und ästhetische Seite das gröszere Gewicht gelegt werden; in keinem Falle dürfe man die Schüler durch eine vollständige Grammatik hindurchführen ; es sei nicht Schade, wenn der Schüler nichts von den Lautgesetzen im Zusammenhange der Gram- matik erfahre, aber die Leetüre des Mittelhochdeutschen gestatte die Anknüpfung; wenn man die Grammatik in der Ausdehnung, wie ge- wollt, lehre, so sei doch nur Flachheit zu erwarten und bei dieser der Dünkel, wodurch dem vor allem festzuhaltenden Principe der Wahrhaf- tigkeit entschieden Abbruch geschehe.

Dr Grünhagen aus Breslau: er müsse sich gegen die These er- klären, indem er erwäge, was man bei ihrer Annahme verlieren und was man dafür gewinnen werde; das letzte Ziel des deutschen Unter- richts im Gymnasium sei correcter, klarer und gewandter Ausdruck; dazu helfe die Kenntnis des Althochdeutstihen nichts; und eben so helfe die historische Grammatik zu der logischen Verstandesbildung nichts ; die mittelhochdeutsche Sprache sei nicht wie die beiden klassischen ein Turn- geräth des Geistes; solle der Schüler aus dem Mittelhochdeutschen Re- geln für sein eignes sprechen und schreiben, ja nur für seine Orthogra- phie gewinnen, so werde er in grosze Verwirrung gerathen; der Sprach- gebrauch — usus est tyrannus habe ja die Regeln und die Resultate der Sprachforschung über den Haufen gestürzt; verfolge man z. B. an Weinholds Hand die Orthographie, so gewinne man immer nur wie es sein müste, wenn sich die Sprache regelrecht entwickelt hätte; der ein- zige Gewinn werde die Zugänglichkeit zu den mittelhochdeutschen Dich- tern sein und dieser Gewinn sei allerdings werth zu schätzen, aber was müsten wir dagegen hingeben? die Grundlehren der Metrik und Stylistik, der Rhetorik und Poetik seien eben so wenig, wie die Litteraturge- schichte zu entbehren; sollten unsere Schüler nicht mehr kennen lernen, was eine Stanze, was ein Sonnett sei, worin das Wesen der epischen, lyrischen und dramatischen Poesie bestehe ; zu diesem müsse aber noth- wendig die Leetüre in der Schule hinzutreten; denn auf die Privatlectüre sei nicht zu rechnen, weil man sie «nicht in der Gewalt habe; wobleibe nun der Raum zu dem Mittelhochdeutschen? wolle man dem Schüler die Gegenwart rauben, um sie in eine ferne Vergangenheit zu führen? Kur&

72 Borickt Ober die l7e Philologen- VersanmlBiig io BresltB.

die deutsche Philologie, 00 grosz, so herlich sie sei, gehöre seiner lieber- Eeogong nach nicht in die Schale; wolle man etwa auf den oft gehörten Vorwurf achten z 2 Stunden Deutisch und 16 Lateinisch und Griechisch, so sei zu entgegnen: Non multa, aed muitum*

Oberlehrer Dr Paur aus Breslau: im Gegensata gegen den Vorred- ner erkläre er sich für die Thesis ; man müsse doch wol zugestehen, wie es ungereimt sei, wenn die Schule ihre Zöglinge mit Kenntnis des Ho- mer, aber ohne jede Anschauung des Niebelungenliedes entlasse; die mittelalterliche deutsche Litteratur stehe freilich der altklassischen nach, aber sie sei vaterländisch und deshalb müsse sie jeder gebildete kennen, die Schule habe aber hierzu das ihrige zu thun, weil auf der Universi- tät nur wenige es nachholten und nachholen könnten. Der Zweck bei der Erlernung des Mittelhochdeutschen sei nicht Erlernung dieser Spra- che, sondern die Gewinnung einer Idee von dem gewordenen und dem werden derselben, wie man durch den Geschichtsunterricht ja auch nicht Staatsmänner bilden, sondern nur eine Uebersicht und Einsicht in den Zusammenhang der Begebenheiten geben wolle; solle der Schüler eine Idee davon gewinnen, so genüge die Leetüre neuerer klassischer Ma- sterstücke nicht, man müsse auch mittelhochdeutsche lesen; für den Weg, welchen Dir. Passow bezeichnet habe, spreche seine während 5 Jahren an einer Realschule gemachte Erfahrung; er habe gefunden, dass in 2 Stunden wöchentlich die Schüler einen bedeutenden Theil des Nir belungenliedes mit Freude und Verständnis gelesen; in der Bealsohule könne nicht mehr erreicht werden; aber in der obersten Klasse eines Gymnasiums noch ein Schritt weiter gethan und eine Anschauung von der allmählichen Entwicklung unserer Muttersprache an Musterstücken gegeben werden.

Geh. O.-R.-B. Dr Brüggemann: die These sei bei der Entwicklung, welche die deutsche Philologie gewonnen , sehr leicht erklärlich ; er aber müsse sich dagegen erklären hauptsächlich aus zwei Gründen, und zwar zuerst einem inneren : alle Disciplinen im Gymnasium müsten von einer elementaren Grundlage ausgehend fortschreiten; wenn in den unteren Klassen die jetzige deutsche Grammatik gelehrt werde, so werde dann in Prima, Secunda, ja vielleicht in Tertia von neuem angefangen wer- den, die Grammatik umkehren und zu den Anfängen der Sprache zu- rückgehen müssen ; der Weg müste also erst von unten angebahnt wer- den und dazu sei jetzt die Zeit noch nicht da; ein zweiter Grund für ihn sei ein äuszererer; in der dem deutschen Unterricht zugemessenen Zeit finde sich nicht Raum genug dazu, um so weniger, als jeder Un- terrichtsgegenstand, einmal aufgenommen, auch sein Territorium zu er- weitern strebe; er habe die Frage übrigens schon mehrmals mit Sach- verständigen erörtert, namentlich öfter mit dem verstorbenen Lachmann ; dessen entschiedene Ansicht sei gewesen, dasz die deutsche historische Grammatik nicht in die Schule gehöre; diese habe nur in die neuere deutsche Litteratur einzuführen; höchstens sei wünschenswerth , dass in der obersten Klasse des Gymnasiums ein , aber auch nur ^in Abschnitt aus der historischen Grammatik in Andeutungen gelehrt werde, damit die Schüler wenigstens eine Idee von dem Vorhandensein einer deutschen Philologie und Lust zum Stadium auf der Universität erhielten ; dies letztere beruhe auf der gewis richtigen Ansicht, dasz das Gymnasium nicht satte, sondern hungrige Schüler zur Universität zu entlassen habe; wenn man auch die Littei^at Urgeschichte, Poetik, Stylistik im Stoffe be- schränke, so werde man doch nicht genug Raum zur systematischen Grammatik gewinnen; denn wie Passow von der Litteraturgeschichte offenherzig eingestanden habe , so würden auch die übrigen Lehren ohne Anschlusz an die Leetüre nur traurige Resultate liefern; den von Pas- sow bezeichneten Weg finde er vollkommen genügend; man müsse also

Bericiil fiber die 17e Philologen- Versammluog in BresUa. 73

der weiteren Entwicklang noch Raam lassen/ die Znknnft mUsse seigen, ob sich die nöthige elementare Grundlage werde gewinnen lassen; bis dahin könne man sich nicht für die Aufnahme entscheiden.

Da sich kein weiterer Redner gemeldet hatte, so erhielten die bei- den Antragsteller das Wort cum Schlüsse.

Palm: er freue sich so viel Zustimmung zur Sache gefunden eh haben , und wolle deshalb nur auf drei Puncte, die in der Debatte vor- -gekommen, eingehen: 1) man habe das Nütalichkeitsprincip angegriffen, aber dabei des von ihm ausdrücklich erwähnten Nutzens, den der Un- terricht im Altdeutschen für die späteren Fachstudien gewähren werde, gar nicht gedacht; diesen Nutzen halte er üest; eben so aber auch den, dasz das Sprachvermögen der Schüler gewinnen werde; der Schüler müsse wenigstens lernen, dasz seine Sprache Regeln habe, damit er aufmerksam werde und die gäng und gäbe gewordenen , eines gebildeten unwürdigen Unrichtigkeiten, wie wegen mit dem Dativ, beseitigen lerne; dies sei nur durch einen systematischen Unterricht möglich; 2) er müsse gestehen, dasz er und sein College lange darüber geschwankt hätten, ob der Unterricht an die Lectüre anzuschlieszen oder selbstän- dig zu ertheilen wäre; sie hätten sich für das letztere endlich entschie- den, weil sie gefunden, dasz bei der Lectüre nicht genug gelernt oder diese zu sehr durch Bemerkungen und Unterbrechungen beeinträchtigt werde; er könne sich' dabei auf seine eigene Erfahrung berufen; an der bloszen Lectüre des Nibelungenliedes habe er nicht Mittelhochdeutsch gelernt. 3) müsse er entschieden behaupten, dasz die deutsche histori- sche Grammatik eben so gut ein Turngeräth des Geistes sei, wie die lateinische und die griechische.

Cauer: die These habe thatsächlich mehr Zustimmung als Ent- gegnung gefunden; der Werth, die Möglichkeit, ja die Nothwendigkeit seien anerkannt und damit für die Sache sehr viel gewonnen worden ; das nächste werde nun allerdings sein, dasz geeignete Lehrer gebildet wür- den, und dies werde geschehen, wenn der Gegenstand in die Prüfung aufgenommen, wenn nur demjenigen die Erlaubnis zur Ertheilnng des deutschen Unterrichts gewährt werde, der sich mit der historischen Grammatik vertraut erwiesen.

Der Vorsitzende dankt hierauf der Versammlung für die Nachsicht, welche sie seiner Leitung bewiesen , während die Versammlung ihm selbst ihre Dankbarkeit für die Umsicht und Thätigkeit, mit der er das Amt verwaltet, bezeugt.

Oberlehrer Dr Schmalfeld aus EUslebeh spricht in kurzen Worten der Versammlung seinen Dank dafür aus, dasz sie ihm das Wort habe vergönnen wollen, obgleich die Zeit es ihm zu ergreifen nicht gestatte.

R, D.

Personalnotizen.

Emnnat« versetzt, befBrdert. Abt, Ant., Suppl., zum wirkl. Lehrer am Gjmn. zu Unghvär ern. Angeleri, Abb. Frz, Suppl., zum wirkl. Lehrer am kk. Obergymn. zu Verona ern. Bäumlein, Dr W. von, wurde zum Oberstndienrath zu Stuttgart ernannt, aber auf sein Nachsuchen auf die Stelle eines Ephorus am evangol. Seminar zu Maulbronn in Gnaden zurückversetzt. Bayer, Dr K., Studien- lohrer in Erlangen, zum Prof. der In GymnasialkL in Hof ernannt.

74 Persoaalnolizeo.

Becker, Prof. in Darlaoh, zum In Diaconos and Vorstand des Päda« gogiums in Lörrach em. Bermann, Dr O., Lehrer, als ord. Lehrer am Gymn. zu Stolp angest. Berndt, A. J., Conrector, als OberL am Gymn. zu Stolp angest. Biehl, Wilh., Gymnasialsuppl. zuKra- kau, zum wirkl. Lehrer am kk. Gymn. zu Marburg ern. Brand - scheid, Fr dr., SchAC. zu Wiesbaden, zum CoUaborator am Gymn. zu Weilburg em. Brodnik, Ant., Weltpr. zu Laibach, zum Keli- gionsl. am Obergymn. zu Agram em. Bronikowski, v., ord. Leh- rer am Gymn. zu Ostrowo, zum Oberlehrer befördert. Coiz, Ant^ Snppl. zum wirkl. Lehrer am Gymn. zu Capo d^Istria em. Corra* dini,Frz, Dr, Weltpr., Studienpräfect am bisch. Gymn. zu Padua, zum wirkl. Lehrer und provisor. Dir. des Gymn. di Sta Caterina zu Ve- nedig em. Danko, Dr Joh., Studienpräfect, zum Prof. des Bibel- studiums A. T. an der Univ. zu Wien. ern. Demel, Dr Heinr., Dir. der theresianisehen Akademie, zugleich zum Dir. des theresiani- sehen Gymn. zu Wien mit dem Titel eines kk. Regierungsraths ernannt,

Dilthey, Dr W., SchAC. als Adjunct am Joachimsthalschen Gymn. zu Berlin angest. Drosihn, Frdr., CoUaborator an der lat. Haupt- schule im Waisenhause zu Halle, zum ord. Lehrer am Gymn. in Cösliii em. Egger, Alois, Gymnasiallehrer zu Laibach, zum Lehrer extra statum am kk. akademischen Gymn. zu Wien ern. Escherich, Dr Ph. V., Docent der Staatsrechnuugswissenschaft und Vice-Hofbuchhalter| zum kk. Universitätsprof. in Wien ern. Fährmann, K., SchAC« als College am Gymn. zu Lauban angest. Focht, Gust., Prof. ia Lörrach, an das Pädagogium in Durlach versetzt. FleischmanB, Ajnt., Weltpr., Gymnasiall. in Pisek. zum Lehrer extra statum am kk. akademischen Gymn. zu Wien ern. Fürstenau, DrW., Gymnasiall. in Cassel, an das Gymn. in Hanau versetzt. Fütterer, Lehrer am Gymn. zu Heiligenstadt, zum Oberlehrer befördert. Griepenkerl, Dr, ao. Prof., zum ord. Prof. in der philos. Facultät der Univ. zu Göt- tingen ernannt. Grün, Dionys., Gymnasiall. zu Leutschan, zum Lehrer extra statum am kk. akademischen Gymn. zu Wien ernannt. Gm hl, Em., SchAC, als ord. Lehrer am Gymn. zu Lyck angest. Guidi, Ph. Maria, Dominikanerordenspr., zum ord. Prof. der Dog'- matik an der Univ. zu Wien ern. Hagemann, Dr Aug., Hülfsleh- rer am Gymn. in Prenzlau, zum ord. Lehrer am Gymn. zu Bielefeld ern. Haupt, Christ., SchAC., als ord. Lehrer am Gymn. in Mia«- den angest. Hecht, Ferd., Religionsl. am Gymn. zu Eger, in gL Eigensch. an das kleinseitner Gymn. zu Prag versetzt. Heerwagen, Dr H. W., Prof. in Bayreuth, als Prof. der 4n Gymnasialkl. mit der Function des Studienrectors an das Gymn. zu Nürnberg versetzt« ** Heintze, C. F. A., Lehrer, als ord. Lehrer am Gymn. in Stolp ange- stellt. — Hoffmann, Ge., Gymnasiall. zu Leutschan, in gl. Eigensch. an das Gymn. in Triest versetzt. Hoff mann, Dr K., Lycealprofes- sor und Gymnasialrector, zum Rector des Lyceums in Passau ern. Holcsovsky, Jos., Suppl., zum wirkl. Lehrer am Gymn. zu Neuhaus em. Holzinger, K., Privaterzieher und Suppleut, zum wirkl. Leh- rer am Gymn. zu Salzburg em. Horstig, R. M., Oberl., als ord. Lehrer am Gymn. in Stolp angest. Hupe, J. M. C, Lehrer, als ord. Lehrer am Gymn. in Stolp angest. Jagielski, wissensch. Hülfsl. am Gymn. zu Trzmeszno, als ord. Lehrer an das Gymn. zu Ostrowo vers.

Jerzykowski, Dr, Oberl. am Gymn. zu Ostrowo, in gl. Eigensch. an das Gymn. zu Trzmeszno versetzt. Klucdk, Heinr., Gymna- siall. zuLeitmeritz, zum Dir. des kk. Gymn. zu Eger em. Knappe, CoUaborator am Gymn. zu Merseburg, als Hülf sichrer am Gymn. zu Wittenberg angest. Knoch, Oberl. am Gymn. in Wolfenbüttel, in gl. Eigensch. an das Gymn. zu Helmstedt vers. Koncinsky, Jos*,

PenoMlaoiiiea. 75

finppl. am katb. Qymn. m Keiuohl, zum wirk!. Lehrer an ders. Anst. em. Korinek, Jos., Gymnasiall. zu Neosohl, in gl. Eigenseh. aa das Gymn. zu Neuhans yersetzt. Krahner, DrG., Oberlehrer, znm Prorector am Gjmn. zu Stolp em. Krause, Frdn, Gjmnasialprak- tikant, als Hülfslehrer am Gymn. zu Marburg angest. Kroschel, J. S., Lehrer, als ord. Lehrer am Gymn. zu Erfurt angest. Kyicala, Jo., Lehramtsc.y zum wirkl. Lehrer am Gymn. zu Leitmeritz em. Landolt, Dr, Privatdoc. in Breslau, zum ao. Prof. in der philos. Fa- cultät der Univ. in Bonn em. Lang, Ad., Gymnasiall. an d. thereg« Akademie in Wien, zum Dir. des kk. Gymn. zu Marburg em. Lang, Jos., Gymnasiall. zu Iglan, in gl. Eigensch. an das Gymn. zu Troppaa ▼ers. Löbker, ord. Lehrer am Gymn. zu Coesfeld, in gl. Eigensch« an das Gymn. zu Minden vers. Lundelm, A., Lehrer, als ord. Leh- rer am Gymn. in Stolp angest. Macale, Fort., Suppl., zum wirkl. Lehrer am Gymn. zu Capo d' Istria ern. Magrini, Ant., Weltpr., Suppl., zum wirkl. Lehrer am öffentl. Obergymn. zu Vicenza em. -* Matkovic, Pet., Weltpr. und Lehramtscand., zum wirkl. Lehrer am Gymna. zu Gratz em. Mayr, Jos., Snpplent, zum wirkl. Lehrer am kk. Gymn. zu Salzburg ern. Müll bau er, Dr M., Docent, zum Prof. der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts am Lyceum zu Freising emannt. Müller, Dr Ernst, Snbr. des Klerikalseminiu's, zum Prof. der Moraltheol. an der Univ. zu Wien ern. Pauly, DrFrz, Gym- nasiallehrer zu Preszburg, an das altstädter Gymn. zu Prag versetzt. -^ Pertile, Dr Ant., Conceptionsadj. im Minist, für Cultus und Unterr« zu Wien, zum ao. Prof. der Rechtsgeschichte an der Univ. zu Padua ern. ' Peters, Lor., SchAC, als ord. Lehrer am Gymn. zu Heiligen- stadt angest. P e t r i , Dr, Collaborator am Gymn. zu Holzminden, ia gl. Eigensch. an das Gymn. in Helmstedt versetzt. Petters, Ign.^, Gymnasiall. zu Pisek, in gleicher Eigensch. an das Gymn. zu Leitmeritz vers. Pexider, Job., Suppl , zum wirkl. Lehrer am Gymn. zu Es- segg ern. Pravo, Dr Job. Mar., zum ao. Prof. der Rechtsgeschichta an der Univ. zu Pavia era. Purmann, Dr Hugo, Adjunct an der Landesschule Pforta, als Pror. an das Gymn. zu Lauban berufen. Ranke, Heinr., SchAC, als Ck)llaborator am Domgymn. zu Merseburg angest. Reich, Wenz., Suppl., zum wirkl. Lelirer am kath. Gymn. zu Teschen ern. Rheinauer, Lehramtspraktikant, zum Lehrer am Gymn. zu Offenburg mit Staatsdienereigenschaft em. Riedel, Gym- nasialpraktikant, als- Hülfslehrer am Gymn. zu Cassel angest. Rie- mann, Dr, Privatdoc. u. Assessor, zum ao. Prof. in der philos. Facul- tät der Univ. Göttingen ern. Roche, La, Jak., Gymnasialsuppl. zu Gratz, zum wii'kl. Lehrer am Gymn. zu Triest em. Rören, K., Oberl. am Gymn. zu Paderborn, zum Director der rheinischen Ritter- akademie in Bedburg ern. Röszler, Dr Kon st., Privatdoc, znm ao. Prof. in der philos. Facultät der Univ. in Jena ern. Rose, Prof. Dr Gust., zum Dir. des mineralog. Museums an der Univ. zu Berlia em. Sartorius, G. F. W., Prof. der 2n GymnasialkL in Hof, an die 3e Gymnasialkl. in Bayreuth vers. Schäfer, DrArn., 8r Prof. an der k. Landesschule zu Grimma, folgt Osterh einem Rufe als ord. Prof. d. Geschichte an die Univ. zu Greifswald. Seh all er, Jos,, Suppl., zum wirkl. Lehrer am Gymn. zu Essegg ern. Schlegel, Heinr., Lehrer am Gymn. in Offenburg, an das Lyceum in Rastatt ver- setzt. — Schllephake, Dr, Herz. Nassauischer Geh. Hofrath, zum ao. Prof. der Philosophie an der Univ. zu Heidelberg em. Schmidek, K., Religionsl. am Gymn. zu Znaim, in gl. Eigensch. an das Gymn. zu Brunn vers. Schmidt, K., Gymnasiall. zu Preszburg, zum Lehrer extra statum am kk. akademischen Gymnasium in Wien ern. Sohmie- der, Dr Paul, SdtAQ., ala Adjunct am Joachimsthalschen Gynuu su

76 PersonalaoliseiL

Berlin «ngeit. Schmitt, Dr Joh. K., Lehrer am Lycenm 211 Hei« delberg, an das Ljceom su Mannheim vers. Scholar, Joh., Welt- pr., Gjmnasiall. zu Cilli, in eine Lehrstelle am Gymn. zu Görz em« Behrader, P. Clemens, Priester der Gesellschaft Jesn, zum ord« Prof. der Dogmatik an der Univ. zu Wien ern. Schütte, Dr, Sub- conr. am Gjmn. in Helmstedt, zum Director des Gymn. zu Blankenburg am Harz ern, Schwab, Frz, Prof. am Gymn. in Olfenburg, an das Lyceum in Konstanz vers. Serafini, Dr Fil., zum ao. Prof. des röm. Bechts an der Univ. zu^Padna ern. Sickel, Dr Th., Do- cent d. histor. Quellenkunde und Paläographie an dem Inst, für öster- reichische Geschichtsforschung, zum ao. Prof. jener Fächer an d. Univ. zu Wienern. Sigl, Dr Heinr., Privatdoc. an d. Univ. zu Gieszeu, zum ao. Prof. der deutschen Bechts- und Beichsgeschichte an der Univ. zu Wien ernannt. Sörgel, J., Lehramtscand., als Studienlehrer am Gymn. zu Erlangen angest. Stefan, Christ., Suppl., zum wirkL Lehrer am Gymn. zu Königgrätz em. Steger, Jos., Weltpriester, Lehramtsc. u. Präfect in Wien, zum wirk. Lehrer am kk. Gymn. la Marburg ern. Stinzing, Dr J. A. B., ord. Prof. zu Basel, als ord« Prof. des röm. Civilrechts an die Univ. zu Erlangen berufen. Süss, Ed., erster Custosadjuuct am kk. Mineralcabinet , zum ao. Prof. der Paläontologie an der Univ. zu Wien, unter Beibehaltung seiner bisherig gen Stellung em. Teil, W., Bealschull., zum ord. Lehrer am Gymn« KU Nordhausen ern. Thiel, Dr Heinr., Oberlehrer am Gymn. Elia« in Breslau, zum Pror. an dem Gymnasium in Hirschberg ern« Vo- gel, SchAC, zum Hülfslehrer am Domgymn. zu Merseburg ernannt. Wawrn, Jos., Suppl., zum wirkl. Lehrer am Gymn. zu Königgrätz ern. Werner, Dr Paul, ScbAC, als College am Gymn. zu Hirsch- feld angest. Westphal, Dr Bud., Privatdocent, zum ao. Prof. in der philos. Facultät der Univ. Breslau ern. Wiehert, Prof. Dr, Oberlehrer am Elneiphöfischen Gymn. zu Königsberg in Pr., zum Dir. des Gymn. in Guben ern. Wicke, Dr, Privatdoc, zum ao. Prof. in der philos. Facultät der Univ. Göttingen ern. Wolf, Steph., Gymna- sialL in Brunn, zum Lehrer am Gymn. der theresianischen Akademie in Wien em. Zawicki, intermistischer Lehrer am Gymn. zu Ostrowo, zum ord. Lehrer befördert. = Praedlclerangen und Khrenbese«« fragen t Bigge, Ant., Progymnasiallehrer in Attendorn, als Oberleh- rer prädiciert. Exner, Dr H. G., College am Gymn. zu Hirschberg, als Oberlehrer prädiciert. Sauppe, Prof. Dr Herrn, Hofrath, zum ord. MitgUed der histor.-philol. Klasse der k. hannoverschen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttjngen ern. Wald mann, Lehrer am Gynm. zu Heiligenstadt, als Oberlehrer prädiciert. = Pensioniert oder eni» hoben t Büchner, Dr A., Domcapitular , erhielt die Enthebung vom Rectorate des Lycenms in Passau bewilligt. Grieszhaber. K. Frz, Geistl. Bath und Prof. am Lyceum in Rastatt, wegen Kränklichkeit in Ruhestand versetzt. Kreuz, Frz Ant., Prof. am Lyceum in Kon- stanz, in Ruhestand versetzt. Müller, Prof. und Director des Gymn. zu Blankenburg am Harz, in Ruhestand versetzt. Scharpf, Hofrath und Prof. am Lyceum in Mannheim, wegen körperlichen Leidens in Ru- hestand versetzt. Schmidt, Dr J. B., qniescierter Stndienl ehrer in Bayreuth, in dauernden Buliestimd versetzt. = Ctosiorlien : Am 4. Aug. in Agra in Folge erhaltener Wunden der bekannte Orientalist General- major George Powell Thompson. Aus Bombay wird der Tod des berühmten Sprach- und Geschieht forschers Dr Rawlinson gemel- det. — Am 5. Aug. zu FuUham bei London der frühere Bisch, von Lon- don, Dr Charles Blomfield, bekannt durch seine Ausgaben des Ae- schylos, der Fragmente des Kallimachos usw. Am 1. Sept. in Erd- jnaonsdorf der Privatdocent and Cnstos des mineralogischen Cabinel«

PersoBalnotiseo. 77

an der üniv. en Breslaa Dr Scbarenberg im kräftigsten Mannesalter. Am 3. Sept. zu Nürnberg Deoan und Kircbenratb Dr K. Fiken- 8 ober, Verf. einer Gesch. des Reicbstages sn Augsburg, Am 22. Sept. zu Lemberg der k. Rath, emer. Prof., Senior und Rector der Franzensuniversität Dr med. Ferdinand Stecher von Sebonitz, 70 J. alt. Am 25. Sept. zu Lugos Dr. Joh. Heuffel, bekannt durch seine botanischen Forschungen über das Banat. Am 5. Oct. zu Basel Dr med. Tb. Streuber, ao. Prof. der Philologie an der das. Universität, Verf. von Schriften, 'über die Satiren des Horaz', 'über Sinope', 'über den Zinsfusz bei den« Römern', im 41. Lebensj. Am 22. Oct. zu Prag der Gubemialrath und Prof. an der das. Universität, Dr G. N. Schnabel, geb. 1791. Am 24. Oct. zu Wien der emeri- tierte Rector magnüicus der Universität Dr med. Joh. Christi. Schiff, ner, 79. J. alt. Am 8. Nov. zu Altenburg der Prof. am das. Frie- drichsgymnasium, Dr Joh. Heinr. Apetz, im 64. Lebensj. Am 13. Nov. in München der Geh. Rath Philipp von Lichtenthaler, zu- letzt längere Zeit Director der k. Hof- und Staatsbibliothek. Am 20. Nov. zu Hadamar der Director des das. Gjnmasiums, Regierungsrath Matth. Kreizner. Am 21. Nov. in Würzburg der pensionierte Di- rector des Gymnasiums zu Bonn, Nie. Jos. Biedermann. Am 26. Nov. in Neisze der berühmte Dichter Joseph Karl Benedict von Eichendorf f, k. preusz. Geh. Reg. Rath a. Dienst, geb. 1788. Am 2. Decbr. in Dresden der gröste jetztlebende deutsche Bildhauer, Prof. Christian Rauch aus Berlin, geb. zu Arolsen am 2. Jan. 1777.

Zweite Abtheilung

henugegebea rra Ri4*lpk Dletsch.

5.

Die Gymnasien und ihre neuesten Gegner in Kurhessen.

l^on sckolae, sed vitae.

Fast auf keinem Lebensgebiete kommt es so häufig vor, dasz unberufene das Wort ergreifen und ihre Stimme hören lassen, als auf dem der Schule. Leute, denen es an der nöthigen Kenntnis des Schul- wesens überhaupt, wie der einzelnen Seiten desselben , an Bekannt- schaft mit der Geschichte der Schulanstalten, an innerem Verständnis wie an eigener Erfahrung öfters gänzlich gebricht, halten sich nichts- destoweniger in groszer Selbstv^rblendung und Anmaszung kraft ^ihrer allgemeinen Bildung' für hinlänglich befähigt, über Le^irverfassung und Lehrmethode ein entscheidendes Urteil abzugeben. Dd^'so natürlichen Forderung, sich zuvor über den Gegenstand, den sie ihrem Raisonne- ment zu unterziehen gedenken, wenigstens einigermaszen zu instruie- ren, sich den wirklichen Sachverhalt möglichst klar zu machen, die speciellen Verhältnisse und Ordnungen kennen zu lernen auf die es ankommt, nachzusehen, ob und in wie weit das, was man zu tractieren vorhat, schon früher zur Sprache gekommen und grundlich erörtert sei oder nicht, dieser doch gewis sehr billigen Forderung zu entspre- chen, fällt ihnen entweder gar nicht ein oder erscheint ihnen als ein viel zu mühsames und weitläufiges Geschäft, dessen sie sich kühnlich aus eigener Machtvollkommenheit zu entheben Missen. Den Vertretern dieser oberflächlichen und leichtfertigen Manier kommt es bei ihren ^Meinungsäuszeruugen' in der Regel nur darauf an, einem Vorurteil das sie gefaszt, oder einer Lieblingsansicht der sie sich hingegeben haben, oder einer verbitterten Stimmung und Unzufriedenheit mit den' vorhandenen Zuständen, oder auch einer Anzahl abstracter, dem wirk- lichen Leben widersprechender Gedanken und leerer Einbildungen, die ihnen im Kopfe herum gehen, einen möglichst lauten Ausdruck zu ge- ben, — und dann für ihre Zerstörungsgelüste und Neuerungsvorschläge zu agitieren , dasz die Theilnahme der gebildeten sich ihnen in einer gewissen Allgemeinheit zuwenden möge! In der Eitelkeit ihres Sinnes

;v. Jakrb, f. Phil, v. Paed, Bd LXXVIII. 2, 6

80 Die Gymnasien und ihre neuesten Gegner in Karhessen.

bleibt es ihnen verborgen, dasz sie sich bei wirklich Sachverständigen gründlich lächerlich machen, wenn sie in der naivsten Unkiuide und meist noch dazu in den hochtrabendsten Phrasen mit ihren vermeintlich ^neuen Fragen' auftreten, die aber leider schon lange vor diesen neuen Entdeckern viel umfassender und eindringlicher besprochen und be- ralhen sind , oder wenn hinter dem scheinbaren Reformeifer bei völli- ger Unfähigkeit etwas lebensfähiges zu bauen noch dazu mitunter eigene persönliche Absichten sich verbergen, oder endlich wenn sich der eine oder andere in seinen Expositionen, ohne es zu merken, aller- dings mit seltener OiTenheit, ein nicht zu bestreitendes testimoniam paupertatis selbsteigenhändig ausstellt.

Diese eben geschilderte Unart, über Schulsachen zu reden, hat sich denn auch neuerdings wieder in höchst auffälliger Weise bei An- regung und Besprechung einer Gymnasialfrage gezeigt, die in dieser der Paedagogik gewidmeten Section der Jahrbücher nicht länger an- besprochen bleiben darf.

Im Laufe des vergangenen Sommers unter dem 21. August d. J. hatte der bekannte Irvingianer Dr Heinrich W. J. Thiersch, der in der kurhessischen Universitätstadt Marburg lebt, zunächst wol aus. Unzufriedenheit mit dem dortigen Gymnasium , das zwei seiner Söhne . besuchten, einige Einwohner Marburgs zur Theilnahme an einer von ihm abgefaszten Petition an kurfürstl. Ministerium d. I. ^um 2uriick- führung des Gymnasialunterricht s zur Einfachheit' ver- anlaszt. K. Ministerium Iheille diese Eingabe den Directoren der sechs Landesgymnasien zu Besprechung in den Lehrercollegien und zu spä- terer Aeuszerung darüber mit*). Wäre dieser Weg nicht verlassen worden, dann blieb zunächst wenigstens die Sache, unstreitig zu ihrem eigenen Besten, innerhalb der Grenzen der Schule, und wenn auch die in der Petition aufgeführten Punkte früher schon oft und reiflich über- legt und berathen waren, so hätte doch unter Umständen eine noch- malige Betrachtung innerhalb der Lehrercollegien für diese selbst viel* leicht von Nutzen sein können. Allein Dr Thiersch übergab bereits acht Tage später, am 28. August d. J., die Bittschrift der Oeffentlichkeit unter dem Titel:

Zurückführung des Gymnasialunterrickis zur Einfachheit eine Aufgabe der Gegenwart. Ehrfurchtsvolle Vorstellung an das kurfürstl, Ministerium des Innern zu CasseL Herausgegeben durch Dr Heinrich W. J. Thiersch. Marburg. N. G. El- wert 1857. 15 S.

mit einem Vorwort, worin er zur Sicherung des Erfolgs zu Beitritts- erklärungen auffordert. ^Der Zeitpunkt ist günstig, denn die Noth ist hoch genug gestiegen heiszt es darin wörtlich und in höheren

*j Die Eingabe ist ihrem Inhalt nach von dem Berichterstatter Dr O. in P. bereits im 11. Heft des LXXV. u. LXXVI. Bandes der Jahrb. S. 587 590 ausgeschrieben.

Die Gymnasien ond ihre neaesten Gegner in Kuriiessen. 81

Regionen haben »ich Spuren einer Geneigtheit zar Häire gezeigt. Hor> fentlieh werden die gleichgesinnten sich nicht scheuen ihre Ueberzeu- gung knndzugeben, sondern den Grundsatz echter Moralitat befolgen: handle so, wie du wünschen mnst, dasz alle handeln möchten!' Diese Schrift ist denn die Veranlassung zu vier andern kleinen Flugschriften geworden, von denen zwei sich gegen, die dritte als iuste milieu halb für halb wider , die vierte f Q r Thiersch erklären.

Die Vorwürfe, die von Dr Thiersch der modernen Schulordnung gemacht werden , sind die längst bekannten bis zum Ueberdrusz wie- derholten , schon vor 20 Jahren und darnach öfters auf das bündigste widerlegten Einwendungen, die sich in folgendes fünfmalige zuviel zusammenfassen lassen: .

1) Es sind zuviel wöchentli che Lehrstunden und musz daher deren Zahl auf höchstens 24 die Woche reduciert werden.

2) Es sind zuviel Lehrgegenstände; Lateinisch, Griechisch, Geschichte (in Verbindung mit Geographie) und Mathematik dürfen die einzig vorgeschriebenen Fächer und diese allein Gegenstand der Prüfungen sein. Die Aufnahme der ^Naturwissenschaften' (Mi-

-neralogie, Botanik, Zoologie, Physik, Chemie) in den Gymnasiallehr- plan ist eine unberechtigte Concession an die sogenannten Realisten. ^Durch diesen zuerst in Preuszen gewagten, dann bei uns nachgeahm- ten Versuch ist auf unsere Gymnasialjugeud das zwiefache Joch (der altklassischen Studien und Realien nemlich) gelegt worden.' Der Unterricht im Deutschen, wie er gegenwärtig ertheilt wird, ver- dankt dagegen seine Gestalt einem andern aber gleichfalls verwerf- lichen Streben den Forderungen der romantisehen Richtung Genüge zu leisten. Das Französisehe zu einem obligaten Gegenstand zu ma- machen , ^war wol unter der Herschaft des Königs Hieronymus erklär- lich; in der Gegenwart erscheint es als eine unbegreifliche Anomalie^. Es hat daher das Gymnasium nur Gelegenheit zum lernen der neueren Sprachen darzubieten und es den Eltern zu überlassen, ob und in wel- chem Alter ihre Söhne diese Gelegenheit benutzen sollen. Was den Reiigionsua.terricht betrifft, so wollen sich zwar die Petenten der Aeuszerung darüber enthalten; es scheint aber doch nach ander- weiten Indicien die Ansicht des Hrn Thiersch zu sein (und unter den ohne Clausel als allein berechtigt angeführten Gegenständen wird seiner auch nicht gedacht), dasz die genannte Disciplin gleich- falls in Wegfall kommen und vielmehr * dem Bildungsprocess in der Familie' überlassen werden solle.

3) Es wird zuviel lateinische und griechische Grammatik getrieben und auffallend wenig von den alten Schriftstellern gelesen.

4) Es unterrichten zuviel Lehrer, und müssen künftighin in den niederen Klassen alle die erwähnten Gymnasialfacher , in den höheren alle, mit Ausnahme der Mathematik, nur 6inem Lehrer, dem Ordinarius, übertragen werden.

5) Es werden zuviel häusliche Aufgaben gegeben, die Schüler müssen mehr Zeit *für Lieblingsbeschäftigungen' haben.

6'

82 Die GymnasicD und ihre neuesten Gegner in Kurhessen.

Dies nennt Ur Tbiersch ^Cinlenkung zu den S^huleinrichtungeii, welche im Zeitalter der Ucformation festgestellt, im wesentlichen bis an den Anfang dieses Jahrhunderts bestanden und sich während einer Reihe von Monscheualtern bewährt haben', und weist in dieser Be- ziehung auf das Jahr 1833 hin, in dem Mas' schlichte alte Paedagogium zu Marburg aufgehoben sei'; eine sehr ominöse Aussicht für die nach Thiersch^s Phantasie organisierten Gymnasien; denn das alte Pae- dagogium war anerkannlermaszen zuletzt eine in tiefen Verfall gera- Ihene, in völligen marasmus senilis versunkene Anstalt, und an diesem Ziele würden wir aller Wahrscheinlichkeit nach, wenn wir den eben gehörten Keformvorsclilügen folgten, am Ende auch anlangen. Dass übrigens die Behauptung ^einer viel geringeren Anzahl von Stunden und Gegenständen In früheren Zeiten' historisch unrichtig ist, läszt sich aus den älteren Schulordnungen und Lectionsplänen unwidersprceh- lieh .beweisen. So ergibt sich uns den Lehrplänen der preuszischen Gymnasien und der sächsischen Fürstenschulen aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts, dasz der Lehrfächer noch mehr waren. Halten doch z. B. in Kloster Bergen die Schüler jeder Gymnasialklasse wö- chentlich 36 und in Berlin auf zwei Gymnasien die Primaner sogar 42 Lehrstunden zu besuchen; und was specicll Kurhessen betrifft, so schreibt die Schulordnung vom 7. Juli 1656 für jede der vier, oberen Klassen ausdrücklich 32 wöchentliche Lehrstunden vor. Es ist also der gegenwärtige Gymnasialunlerricht im Vergleich zu früheren Zei- ten, wo noch Logik, Mechanik, Rhetorik, Poetik, Chronologie, Alter- thumskunde und andere Fächer gelehrt wurden, nachweislich viel ein- facher geworden, und steht die Berechtigung der jetzigen Unterrichts- fächer durch eine mehr als hundertjährige Erfahrung wie durch das wolbegrundete Urteil sachverständiger Männer, durch wiederholt vor- genommene, mit der grösten Gründlichkeit und Umsicht veranstaltete Revisionen *) des Lehrplaus der höheren Schulen fest.

Ueberhaupt hätte sich Ilr Tbiersch ein wenig in der Geschichte unseres Gymnasialschulwesens umgesehen, so wäre er vielleicht auf andere Gedanken gerathen und davon abgekommen, zur Abhülfe ver* meintlicher Schäden so radicale Mittel in Vorschlag zu bringen. Schon vor zwanzig Jahren nemlich trat bekanntlich der Regierungs- und Me- dicinalrath Dr Lorinser zu Oppeln in einem zuerst in der berliner me-. dicinischen Zeilschrift des Vereins für Heilkunde in Preuszen vom Jahr 1836 Nr 1 erschienenen und hernach besonders abgedruckten Aufsatx ^Zum Schutz der Gesundheit in den Schulen' mit ganz den- selben Anklagen auf, wie sie Tbiersch, als wäre vorher noch nie davon die Rede gewesen, so breit und ausführlich erhebt. Da hiesz es auch, ^die armen Gymnasiasten müsten nicht nur 6, 7, 8, 9 Stunden des Ta-

*) Bia auf die neueste von Landfermann: znr Revision des Lehr- plans der höheren Schulen usw. und den damit im Zusammenhang stehen- den Verfügungen des k. preusz. Unterrichtsministeriums vom 7. und 12.

Jan. 1857 herab.

Die Gymnasien und ihre neuesten Gegner in Kurhessen. 83

ges in der Schule* zubringen, und noch dazu in gespannler Aufn^erk- samkeit, sondern sie bekämen auch so viel häusliche Arbeiten auT, da^. sie keine Freistunde behielten; dazu käme das Uebermasz von Gegen- ständen, welche jetzt gelehrt würden, und das nie rastende drängen und treiben von einem zum andern!' Der Aufsatz machte anfangs auszer- ordentliches Aufsehen; alles schrie: ^dcr Mann hat recht, vollkom- men recht', bis sich vor der Stimme der Wahrheit die wilden Wasser wieder verliefen. Die tüchligslen und urteilsfähigsten Schulmänner wie Prof. Müller in Torgau, J. Mützell (der jetzige Herausgeber der Gymnasialzeitung), Prof. Th. Heinsius, Direclor Dr Köpke und vor allen Director Dr August in Berlin und andere wiesen die Grundlosig- keit der erhobenen Anklagen nach und zeigten, dasz die Organisation der deutschen Gymnasien an sich im wesentlichen ihre volle geschieht- liehe Berechtigung habe. Die G.utachten der preuszischen Provinzial-. Schulcollegien über die Lorinser^schen Angriffe fielen so aus, dasz das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten in dem vortrelTlichen Erlasz vom 24. October 1837 (der alle die ange- regten Fragen auf das gründlichste un|l eingehendste behandelt) die Ueberzeugung aussprechen konnte, dasz in der bisherigen Einrichtung kein Grund zu den beunruhigenden Anklagen gegen die Gymnasien vorhanden sei, also auch durchaus keine Veranlassung vorliege, auf Grund jener Anklagen die Verfassung der Gymnasien im wesentlichen abzuändern. ^Die bisherigen Lehrgegenstände' . heiszt es in dem erwähnten Erlasz -^ ^namentlich die deutsche, lateinische und grie- chische Sprache, die Religionslehre, die Mathematik nebst Physik und Naturbeschreibung, die Geschichte und Geographie, und zwar in der ordnungsmäszigen dem jugendlichen Alter angemessenen Stufenfolge und in dem Verhältnisse, worin sie in den verschiedenen Klassen ge- lehrt werden, machen die Grundlage jeder höheren Bildung aus und stehen zu dem Zwecke der Gymnasien in einem eben so natürlichen als nothwendigen Zusammenhange. Die Erfahrung von Jahrhunderten und das Urteil der sachverständigen, auf deren Stimme ein vorzüg- liches Gewicht gelegt werden musz , spricht dafür dasz gerade diese Lehrgegenstände vorzüglich geeignet sind, um durch sie und an ihnen alle geistigen Kräfte zu wecken, zu entwickeln, zu stäcken, und der Jugend, wie es der Zweck der Gymnasien mit sich bringt, zu einem gründlichen und gedeihlichen Studium der Wissenschaften die erfor- derliche nicht blos formale sondern auch materiale Vorbereitung und Befähigung zu geben. Sie sind nicht willkürlich zusammengehäuft, sondern haben sich vielmehr imLaufe von Jahrhunder- ten als Glieder eines lebendigen Organismus entfaltet, indem sie mehr oder minder entwickelt in den Gymnasien immer vor- handen waren. Es kann daher von diesen Lehrge gen stän- de n auch keiner aus dem in sich abgeschlossenen Kreise des Gymnasialunterrichtsohne wesentliche Gefährdung der Jugendbildung entfernt werden, und alle d all in zie- lenden Vorschlage sind nach n ab erer Prüfung nnzweck-

84 Die Gymnasien und ihre neuesten Gegner in KurhesseD.

maszig und unausfahrbar erschienen.^'*') Selbst dasFraoiö* aische, das allerdings seine Erhebung zu einem allgemein verbind- lichen Gegenstande mehr einer äuszeren praktischen Rücksicht ver- danke, müsse doch eben um deswillen auch in Zukunft unbedingt bei- behalten werden. Aber nicht allein in Preuszen, auch in Kurhessen, das von Thiersch zunächst angegriffen ist, sind alle diese Dinge auf das genaueste schriftlich und mündlich erörtert worden , zuerst in den Jahren 1832 und 1833 von Wisz, Vogt nnd Vilmar, dann in den Jahreo 1835 40 von Wisz, Bach (der anfangs ganz für den ihm persönlich befreundeten Loriuser gestimmt gewesen, aber bei reiflicher Ueber- legung in der Hauptsache zu besserer Einsicht gelangte), Vilmar, We- ber (jetzt Professor der Philologie in Marburg) , zuletzt Dronke und W. Münscher (in Hersfeld). Und in Gemäsheit der gutachtlichea Aeuszerungen der kurhessischen Gymnasialdirectoren über eben diese ^Frage' spricht sich denn auch kurf. Ministerium d. I. im April 1838 in Beziehung auf die oben angeführten sämtlichen Gymnasialdisciplines dahin aus, dasz keine Veranlassung vorliege, von den der Gymnasial- ordnung zu Grunde liegenden Principien abzugehen, nnd in BeziehaDg auf die französische Sprache insbesondere , dasz es nicht rathsam er- scheine, sie aus dem Kreise des Gymnasialunterrichts auszuschliesseo oder zu einem freiwilligen (Jnterrichtsgegenstand zu machen, weil im ersten Falle das Privatstundenunwesen befördert, im andern der Er- folg des Unterrichts sehr zweifelhaft ausfallen würde. Aber aach noch späterhin hat kurf. Ministerium d. 1. alle diese Dinge in sorg- fältige Erwägung gezogen , und immer mit dem Erfolg , dasz sich die Nothwendigkeit der dermaligen Gymnasialdisciplinen jedesmal von neuem herausstellte, und die Frage, ob zu viele und zu manigfaltige Gegenstände in den Gymnasialunterricht aufgenommen seien und dem gedeihen desselben im Wege stehen, entschieden verneint werden muste.

Mit vollem Recht macht daher die erste Gegenschrift:

Bemerkungen zu der Schrift des Hm Dr Heinrich Thiersch usw. von Dr Friedrich Münscher^ Direclor des Gymnasiums zu Marburg. Harburg, N. 6. Elwert 1857. 15 S.

diese unverantwortliche Nichtbeachtung der vorhandenen Bestimmon- gen für die kurhessischen Gymnasien im allgemeinen nnd das mar- burger Gymnasium insbesondere zum Vorwurf. Aber das scheint ge- rade die eigene Art dieser nenerungssüchtigen zu sein , dasz sie vor

*) Damit waren auch Lorinsers eigene Reformvorschläge gemeint. Diese zielten nemlicli dahin, die französische und deutsche Sprache ne- ben der lateinischen (mit Ausschlasz der griechischen) zur Hauptsache zu machen, während Thiersch gerade umgekehrt das Französische und Deutsche verbannt haben will ein warnendes Beispiel , wohin sub- jectivcs belieben führt. Negieren nnd umreiszen ist leicht, aber etwas braiichbAres an die Stelle des zerstörten setzen , dazu gehört mehr als •die bloszo Lust, das bestehende einmal umzuwerfen.

Die Gymnasien und ihra neuesten Gegner in Karhesseo. SS^

dem wirklichen Leben ihre Augen verschiieszen und sich in einer selbstgemachten Welt von blossen Vorstellungen bewegen , gegen die sie dann fast wie Kinder mit groszer Hitze zu Felde ziehen. Bei allen denjenigen freilich, die gleichfalls ohne nähere Kenntnis der Wirklich- keit von den Dingen, um die es sich handelt, nur ganz allgemeine, schattenhafte ^Vorstellungen' haben, finden sie mit ihren Nebelbildern gar bald lauten Beifall. Die Schule aber musz solchen Umkehrungs- und Zerstörungsgelüslen, diesem prurilus puerilis auch das sicherste und wolberechtigtste immer wieder in Frage zu stellen, auf das ent- schiedenste entgegentreten, schon aus Liebe zu der ihr anvertrauten Jugend, die nicht zum Werkzeug heillosen experimentierens herabge- würdigt werden darf. Beweise solcher Einbildungen liefert die Schrift Von Thiersch in hinlänglicher Anzahl und hat bereits Münscher auf mehrere derselben hingewiesen. Ein so unangenehmes Geschäft es für den Mann von Fach in dieser Hinsicht ist, auf langst feststehende und allbekannte Dinge von neuem einzugehen, so wollen wir uns doch diesmal um der Sache willen der nöthigen Berichtigungen nicht ganz entschlagen. ^Innerhalb des lateinischen und griechischen Unterrichts behauptet Thiersch werde einer modernen Richtung (!) zuviel eingeräumt, d. h. zuviel Grammatik getrieben und zu wenig gelesen.' Es ist das eine völlig leere Einbildung. Unsere Gymnasialschaler be- kommen von Tertia an bis zu ihrer Entlassung: auf die Universität innerhalb der Schule (von dem ergänzenden Privatstudium ab- gesehen) folgende griechische und lateinische Autoren zn lesen: in Tertia von Homers Odyssee 4 Bücher und die Hälfte von Xeno- phons Anabasis, Cäsars Commentarien de hello gallico ganz und aus Ovids Metamorphosen eine Anzahl der bedeutendsten Stücke; in Secunda vou Homers Odyssee 12 Bücher und Xenophons Hellenika zum groszen Theil (oder den Rest der Anabasis und einige der besten' Dialoge Lucians), aus Livius die wichtigeren Parlien, von Cicero einige der hauptsächlichsten Reden (oder den Lalius und Cato maior), von Vergils Aeneide mindestens die Hälfte, öfters mehr; in Prima von Homers lliade 12 Bücher, 3 Tragoedien des Sophokles vollstän- dig und ausgewählte Stücke aus den griechischen Lyrikern, die philippischen Reden des Demosthenes, Piatos Kriton und Apologie (oder ein paar andere kleinere Dialoge) und Stücke aus He- r o d 0 1 und Thucydides von ausreichendem Umfang, ferner Ciceros unentbehrliches Meisterwerk de oratoreganz, aus Tacitus Annalen und Historien ausgewählte Abschnitte und die meisten Oden, Episteln und Satiren^ des Horaz. Ist das zu wenig? Dasz es mitunter lang- samere Lehrer gibt, die nicht recht vorwärts kommen, ist wahr, aber daran ist doch nicht die Organisation der Gymnasien schuld , und die Directoren sind verpflichtet darauf zu sehen, dasz die Curso ordent- lich eingehalten werden. Wer aber noch mehr Leetüre fordert, der bedenke zuvor, ob er nicht damit der Oberflächlichkeit und Gedanken- losigkeit das Wort rede.

Eine zweite Einbildung des Dr Thiersch, a\if die gleichfalls

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schon Münscher aufmerksam gemacht hat, betrifft den deutschen Unterricht. Auch hier scheint llr Thiersch ganz seltsame Vorstellun- gen zu haben; er behauptet, man habe aus Rücksicht auf die Roman- tiker deutsche Litteratur in weiter Ausdehnung, dazu Gothisch und Althochdeutsch unter die gebotenen Lehrgegenstände gesetzt, be- handele vorschriftmäszig (denn das kann doch nur der Sinn seiner Worte sein) die vaterländische Litteratur wie die alte (griechische und römische). Nun noch der eigene Unterricht in der deutschen Grara- rnntik und die Verfertigung von deutschen Aufsätzen , deren Stoff der Schüler aus sich selbst schöpfen soll! Nach dem Lehrplan unserer Gymnasien kommt deutsche Grammatik nur in Prima vor und hier kann sie nach dem Urteil kundiger Männer nicht entbehrt werden. Da ist zugleich die Stelle, wo das zu einigermaszen genügender Kenntnis unserer MiiUersprache unumgänglich nöthige aus dem Gothischen und Althochdeutschen gelernt und hernach am Nibelungenlied geübt wird, mit strenger Beschränkung auf das wesentliche. Ferner die deutsche Leetüre wird nach dem Lehrplan durchaus nicht so behandelt, wie die der allen griechischen und lateinischen Klassiker; das schul- mäszige lesen ganzer Schiller^^scher und Goelhe'^scher Dramen bleibt ausgeschlossen, wol aber soll der Vortrag an dem lesen und recitieren der Meisterwerke deutscher Dichtung eigens und sorgfältig gebildet^ und an gut gewählten Musterstücken Herz, Sinn und Verstand der' Knaben geweckt werden. Was endlich die deutschen Aufsätze betrifft, 50 bleiben planmäszig alle Themata fern, bei deren Bearbeitung der Schüler ^den Stoff aus sich selbst schöpfen' müste; nur aus dem Kreise des selbst erlebten und der eigenen Anschauung, aus der Schul- lectüre und den Dingen, die in den übrigen Stunden gelernt sind, dür- fen die Aufgaben entno;nmen werden. Dasz durch falsche Behandlung dieses wichtigen Unterrichtszweiges vielfach gefehlt wird, sei es in der Stellung unpassender Themata (worin oft nnglaubliches geleistet wird) oder in verkehrter rhetorisierender Interpretation oder in weit- schweifigem höchst bedenklichem Haisonnement, oder auf noch gar mancherlei Art, sind wir weit entfernt in Abrede zu stellen; aber das berechtigt doch wahrhaftig nicht, den Unterrichtsgegenstand selbst über Bord zu werfen , denn (selbst aa den trivialen Satz musz mao erinnern) abusus non tollit usum.

Eine dritte fast noch stärkere Einbildung des Dr Thiersch ist die, dasz auf unseren Gymnasien ^Naturwissenschaften', Mineralo- gie und Botanik, und Zoologie, und Physik und Chemie gelehrt wer- den. In der Wirklichkeit verhält es sich zum drittenmal ganz anders. In naturgemäszem, der jedesmaligen Altersstufe entsprechen- dem Fortschritt sollen den Schülern für das Leben der Creatur nach den ^drei Heichen der Natur' die Augen aufgethan werden, damit sie nicht dermaleinst stumpfsinnig an allem vorübergehen. Darum werdea die Schüler nach dem Lehrplan in der artgeführten Gymnasialdisciplin hauptsächlich durch sehen und aufmerken auf das geschehene unter- wiesen — und diesem Zwecke dienen die an allen Gymnasien befind-

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Hohen Sammlungen und Apparate auf dass sie von dem besoodern Leben des Thiers, der Pflanze und dem Gestein, wie von den wichtig, sten Na^urphänomenen eine bleibende Erkenntnis erhalten. Dasz mit diesem naturgeschichtlichen Unterricht neben dem sogenannten huma- nistischen ein zwiefaches Joch auf unsere Gymnasialjugend gelegt sei, ist die vierte Einbildung des Hm Thiersch, die ebenfalls der Wirk- lichkeit schnurstracks widerspricht. Wenn irgend etwas als Moch' von einer Anzahl der Schüler empfunden wird, so wäre es die Mathe- matik , da wo die Anforderungen über das rechte Masz sich steigern und in Behauptung eines streng wissenschaftlichen Standpunktes ein weit gVöszerer Lehrstoff in den Unterricht hineingezogen wird als in der Ordnung ist. Allein hier meint nun Hr Thiersch gerade wäre es ein Gewinn «u nennen, wenn Mie höhere Mathematik, welche bei uns in Vergleich mit andern Landern, namentlich England, verkürzt erscheine, um eine Stufe weiter getrieben würde' die fünfte Einbildung des Verfassers^ der wir bisher begegnet sind. Die sechste ist, dasz bei der jetzigen Einrichtung unserer Gymna- sien Mie Schüler dem (innerhalb 6iner Klasse nemlich) stets wechseln- den Lehrerpersonal fremd blieben'. In der Wirklichkeit hat jede Klasse ihren Hauptlehrer oder Ordinarius, der in dieser wo es sich aus- führen läszt und nicht andere wichtigere Rücksichten eine Aenäerung gebieterisch fordern wöchentlich seine 12 14 Stunden hat. Das ist vollkommen genug, und wer das Verlangen stellt, dasz in den un- teren Klassen alle Stunden, in den höheren alle mit Ausnahme der Mathematik dem Ordinarius übertragen werden, liefert damit den schla- gendsten Beweis, dasz es ihm auf diesem Gebiete an der nöthigen Ein- sicht fehle. Dasz ein tüchtiger Lehrer, auch wenn er nur das Minimum von 2 Stunden wöchentlich in einer Klasse zu unterrichten hatte, weder seinen Schülern fremd bleibt noch diese ihm, und dasz überhaupt das fremdbleiben und vertrautwerden nicht sowol an der Stundenzahl, sondern vornehmlich an der Persönlichkeit des Lehrers hängt, sollte man billiger;fveise nicht noch ausdrücklich zu sagen brauchen.

Was die Beleuchtung noch weiterer Einzelnheiten der Schrift des Dr Thiersch betrifft, so mag es genügen, dafür auf die andere Gegen- schrift zu verweisen, auf die

Kritik der Schrift von Dr H. Thiersch usw. von Dr 0. Vilmar^ Gymnasiallehrer zu Hanau. Marburg, Druck und Verlag von J. A. Koch 1857. Hit dem Motto: dif fidle est satiram non scribere. 24 S.

Der Verfasser dieser äuszerst treffenden Kritik folgt den Behaup- lungen der marburger Petition mit dankenswerthor Genauigkeit Schritt für Schritt bis ins einzelnste, läszt nichts unberücksichtigt, sondern weist Punkt für Punkt die mancherlei Uebertreibungen und Unrichtig- keiten in den gemachten Ausstellungen nach, nimmt den oft ^u allge- mein gehaltenen, der Phantasie zuviel Spielraum lassenden Ausdrücken

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ihren blendenden, mitunter verführerischen Schimmer und faszt sie scharf ins Auge, geiszett dem Motto getreu unklare Gedanken und anf- fallendo Inconsequenzen und hält die zerstörenden Folgen vor, die aon der Annahme unberechtigter Anforderungen nothwendigerweise her- vorgehen wQrden. Wer Belehrung annehmen will, der kann sieh aus Vilmars Broschüre davon überzeugen, wie unwahr es ist ^dasz kein Klassenlehrer da sei, welcher das Masz des vom Schüler zu ertra- genden bestimmen könnte', wie übertrieben ^dasz von Stunde zu Stunde die Fachlehrer sich ablösten', ^dasz die Schule die ganze Kraft des Knaben ausschlieszlich in Anspruch nehme' schon' die zehn Wochen Ferien, die freien Nachmittage (Mittwochs und Sonnabends und an mehreren andern Tagen des Semesters) , die der Erholung ge- widmeten Zwischenzeiten zeugen dagegen ; wie ferner die so stark gerügte Abwechslung, die aber nur bei einer ganz äuszerlichen Auf- fassung des Unterrichts so gefährlich erscheint, durch die Vertheilung der Gegenstände und Lehrstunden an verschiedene Lehrer nothwendig bedingt ist, aber alle Stunden einem Lehrer zuzuweisen kann, wie wir oben gesehen haben, nur der Unverstand ve[^langen. Mit Recht hebt der Vf. unter den unpraktischen fTathschlägen des Dr Thiersch den ohnehin sicherlich nur in ganz abstracter Allgemeinheit gefaszten Gedanken hervor, die Naturgeschichte mit der Geographie und diese (also beide Disciplinen) mit der Weltgeschichte zu verbinden, wie andererseits in Beziehung auf die Polemik der Bittschrift gegen den' deutschen Unterricht darauf aufmerksam gemacht wird , wie ja gerade Mie Gegner alles romantischen (!), die Nachfolger der Gottschedschen Schule, nemlich K. F. Becker, die deutsche Grammatik erst in die Volks- schule und von da in die Gymnasien gebracht, aber gerade die Gym- nasien (wie bereits oben angeführt ist) jetzt meist mit diesem unhisto- rischen und abstracten Unterricht gebrochen haben'. Die marburger Bittschrift damit scblieszt der Vf. seine gründlichen Erörterungen schlägt *neue Grundsätze', ^unerprobte Heilmittel'« ^Experimente' vor, die wirklich angewendet nnr zum Untergang der Gyn^nasien füh- ren würden, darum heiszt es hier: principiis obsta!

Wenn nun aber dennoch trotz dieser detaillierten Bekämpfung der marburger Eingabe die dritte Flugschrift:

Zu der von Dr H. Thiersch angeregten Gymnasial- Reformfrage von Dr Reinhart Suchier, EiUfslehrer am Gymnasium zu Hanau. Marburg. In Commission bei Job. Aug. Koch 1 857. 15 S.

wieder für Thiersch in die Schranken tritt, obschon sie dessen Ueber- treibungen und Irrungen , die auf Mangel an genauer Sachkenntnis be- ruhen, bereitwilligst zugesteht: so scheint der Grund davon, wie aus allem hervorgeht, vornehmlich in specieflcn subjectiven Erfahrungen und Stimn[iungen des Vf. gesucht werden zu müssen. Dr Suchier hat hauptsächlich *das Nebenfach des Französischen' am Gymnasium sn

Die Gymoasiea und ihre oeoesteo Gegner in KarliesMa. 89

Hanau zu besorgen und ausserdem Deutsch und Geschichte in den nn« lern Klassen zu unterrichten. Statt nun diesen ihm anvertrauten Dis- cipUnen, wie man doch biliigerweise erwarten sollte, seine besondere Liebe zuzuwenden, sind sie ihm, wie es scheint, immer unerträglicher geworden und haben sich seine Zuneigung nicht zu gewinnen vermocht Doch das Räthsel dieser Erscheinung erklärt sich sehr bald, wenn man Hrn Dr Suchiers Klagen vernimmt, Masz die Trennung von Haupt- nnd Nebenfächern, welche von den Schülern, besonders der obe^n Klassen, sehr bald erkannt und berücksichtigt wird , ihnen (d. h. den Lehrern) wesentlichen Nachtheil bringt , dasz das wenige , was in den Neben- fächern verlangt wird, nur mit Mühe zu erreichen ist und selten rechte Frucht bringt, dasz sie die Lust verlieren einem bei Versetzungen,. Prüfungen nnd sonst untergeordneten Fach ihre ganze Kraft zu- zuwenden, dasz daher aus diesen Gründen die Nebenfächer besser ganz ausgeschieden als in einem so kümmerlichen Stande belassen \^erden, der weniger den Schülern als den Lehrern schadet und gani geeignet ist, einen Unterschied der Wichtigkeit unter den Lehrern selbst herbeizuführen. Man erwäge nur das eine , dasz die Lehrer der Nebenfächer ganz von dem Amte des Ordinarius ausgeschlossen sind, das in den Augen der Schüler so grosze Bedeutung bat und haben musz*. Er stimmt daher den Bittstellern darin wenigstens vollständig bei', dasz das Französische aus dem Lehrplan der Gymnasien zu ent- fernen sei als das Fach, das vor andern mehr Schaden stiftet als Nutzen. ^ Woher der Widerwille so vieler Lehrer gegen die lieber* nähme desselben? so lautet die Schluszfrage dieser Expectoration. Unumwunden gesagt, weil sie nicht das fünfte Rad am Wagen sein mögen'; und weiter unten ^deutsch gesprochen und ehrlich gestanden: mit den französischen Kenntnissen, die das Gymnasium gibt, wird kein Hund vom Ofen gelockt'. Ich denke das ist deutlich genug, und es braucht einer noch nicht einmal ein wenig zwischen den Zeilen zu le- sen zu verstehen, um die wahren Gründe aufzufinden, die dem Vf. diese * untergeordneten Nebenfächer' besonders ^das Französische' so sehr verleiden. Dasz die Leistungen in diesem Gegenstand in der Regel nicht eben bedeutend sind, ist nicht zu leugnen ; indessen oftmals liegt doch der Grund davon mit in der Persönlichkeit der lehrenden , wo es an der Handhabung einer ordentlichen Disciplin und der dadurch he^ dingten Autorität bei den Schülern gebricht. Die subjective Unzu- länglichkeit darf aber doch sicherlich nicht zum objectiven Maszstab für den objectiven Werth eines Lehrfachs für die Gymnasialbildung gemacht werden. Die Unterscheidung von Haupt- und Nebenfächern aber ist nicht eine willkürliche, die man beliebig beseitigen könnte, sondern ergibt sich aus der besondem Aufgabe, die jede einzelne Disciplin nach den ihr eigenthümlichen Kräften für das ganze zu lei- sten hat, oder mit andern Worten aus dem organischen Zusammenhang, in welchem jedem Glied seine eigenen besondern Functionen zugewie- sen sind. Erst wo man anfienge, das Nebenfach als solches herab- zusetzen, durch Nichtberücksicbtigang im Zeugnis oder darch Aus-^

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schlieszung ons dem MaturitStsexamen oder sonst auf andere Weise, ' würden die Klagen über * Verkömmernng' desselben insoweit nicht ungerechtfertigt erscheinen. Damit jedoch das Französische nicht allein hinaus müsse, gibt ihm Dr Suchier einen Gefährten mit ins Exil: die Physik. ^Die schwierigeren Leliren derselben, meint Suchier, wie Optik, die Gesetze des freien Falls, des Hebels u. dgl. haften im- mer nur bei wenigen; was ordentlich verstanden und behalten wird sind solcha Dinge , die jeder gebildete im Umgang und durch Erfah- rung lernt', also fort mit ihr ! Ja auch ein Stückchen vom deutschen Unterricht in den untern Klassen soll mit auf den Weg! Und warum dies? Erstens *weil wenige Lehrer den Unterricht gern ertheilen', und zweitens ^weil nichts dem Lehrer soviel Verlegenheit bereitet, wie das aufsuchen passender Themata zu Aufsätzen'. Wenn solche Gründe für die Beibehaltung oder Entfernung einer Gymnasialdisciplin entscheidend wären, dann könnte es unter Umständen gar leicht dahin kommen, dasz um gleich ordentlich aufzuräumen, lieber alle Gegen- stände den Laufpasz bekämen. Dasz es verhältnismäszig wenig Lehrer gibt, die mit richtigem Takt, mit innerer Lebendigkeit und liebevollem eingehen in das, was des Knaben ist, deutschen Sprachunterricht zu geben verstehen, hat seine Richtigkeit; aber wiederum, um der sub- jectiven Untüchtigkeit einzelner willen über das Lehrfach an sich den S(ab zu brechen, das ist doch in der That unbeschreiblich thöricht! Der vierten Streitschrift endlich:

Imv Frage über die Vereinfachung des Gymnäsialunienichfs zu- nächst in Kurhessen, Von Dr Theodor Waitz^ auszer- ordenll. Professor der Philosophie zu Marburg, Marburg, Elwert'sche Universitats- Buchhandlung 1857. 27 S.

könnte man zu kurzer Charakteristik das doppelte Molto vorsetzen, das lateinische: parturiunt montes, nascetur ridiculus mus, und das deutsche: blinder Eifer schadet nur. Um den Zweck zu erreichen, ^dasz die Theilnahme der gebildeten sich der Frage in einer gewissen Allgemeinhet zuwenden möge' wie die Phrase in dem kurzen Vor- wort laulet darum verlohnt es sich schon einmal den Mund recht voll zu. nehmen. Vilmars Kritik hat der Vf. erklärtermaszen gar nicht berücksichtigt, was wir sehr bedauern müssen. Denn hätte er statt dessen sich vielmehr eben aus dieser Kritik sine studio et ira über das thatsächliche instruiert, so wäre er vielleicht bewogen worden, sein meist höchst unfruchtbares Raisonnement, das im wesentlichen doch nur die Angriffe des Dr Thiersch in unerträglicher Breite bis zum Ufiberdrusz wiederholt, zum Besten der Sache lieber ganz zu unter- lassen. Dasz Dr Waitz , ohne sich im voraus sein Thema ordentlich zu überlegen, geschrieben hat, geht aus nachfolgendem unwidersprech- lich hervor. Der Vf. fängt damit an aus der Bestimmung des Gymna- siums zu folgern, *dasz Lateinisch, Griechisch, Geschichte und Mathe- matik den eigentlichen Kern und Mittelpunkt des Gymnasialunterrichts

Die Gymnasien und ihre ncaesten Gegner in Karhessen. 91

ausmachen sollen', wozu dann nachtraglich die Religion tritt, ^da sie als wesentliche Grundlage* nicht fehlen kann, wo ausser wissen- schaftlichen Zwecken insbesondere sittliche Erziehungszwecke ver- folgt werden' (!). Einen Schritt weiter, und die Behauptung, dasz die genannten Fächer den eigentlichen Kern und Mittelpunkt des Gym- nasialunterrichts ausmachen sollten (an die sich doch also noch andere mehr in der Peripherie liegende Gegenstände anzuschlieszen hätten), steigert sich auf einmal dahin, dasz die genannten Fächer völlig ausreichende ßildungselemente für die Jugend zu liefern im Stande seien und darum' auch die einzigen Gymnasialdisciplineu bleiben müsten. Nun wird gegen alle Nebenfächer, gegen das so oft und laut beklagte vielerlei, das auf dem Gymnasium gelrieben wird, Französisch, Gothisch, Physik usw. losgezogen. Aber kaum anderthalb Seilen darnach heiszt es wörtlich: ^Physik (die noch eben 'unter das verderbliche vielerlei gesetzt war) und physika- lische Geographie erscheinen darum als unerläszlich, theils weil die Physik die allgemeinste und durchaus wesentliche Grundlage aller wissenschaftlichen Naturerkenntnis überhaupt ist, theils weil über- haupt kein gebildeter die Grundanschauungen entbehren kann, auf denen eine richtige Naturansicht ruht!' Also hätten wir jetzt sieben nolhwendige Gegenstände! Wir bekommen gleich noch einen, denn unmittelbar darauf deduciert Hr Waitz mit freilich gans unnölliiger Weillaufigkeit, dasz auch der Unterricht in der Mutter- sprache, die deutschen Aufsätze (an die sich dann logische, grammatische, stilistische Bemerkungen anzuschlieszen hätten) nicht fehlen dürften. Das wären acht nothwendige Gegenstände. Mehr aber wird doch Hr Waitz nicht statuieren, da er ja gegen die vielen, vieleU/Nebenfächer, Vodurch die Hauptgegenstände nicht zu gehöriger Wirksamkeit kommen können', zu kämpfen, iu seinem Gewissen sich gedrungen gefühlt hat? Ja wirklich, noch mehr; selbst für die Bei-' behaltung der neueren Sprachen bietet sich ein glücklicher Aus- weg dar. ^ Viele Schüler der Gymnasien heiszt es wörtlich S. 12 haben neben dem Unterrichte in der Schule noch Privatstunden. Wollte man solche Privatcurse (namentlich in den neueren Sprachen) so mit den Gymnasien verbinden, dasz sie gegen ein besonders zu entrichtendes Honorar von Lehrern der AnstaU ertheilt würden, die Wahl der Theilnahme an demselben zwar freigestellt wäre, nicht aber der Wiederaustritt aus dem einmal begonnenen Cursus, so scheint man durch eine solche Einrichtung so ziemlich allen Forderungen entsprechen zu können, die in einem solchen Falle geltend zu machen wären , wenn man zugleich diese Privatstunden in disciplinarischer Hinsicht denselben Gesetzen unterordnen würde, die in der Anstalt sonst gelten.' Demnach will also Hr Waitz folgende Lehrgegenstände: 1) Lateinisch, 2) Griechisch, 3) Geschichte, wie wir am Schlusz hören in Verbindung mit politischer Geographie , 4) Mathematik, O) Religion, 6) deutsche Aufsätze mit Grammatik und Stilistik für alle Klassen , 7) physikalische Geographie und

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8) Physik mit je 2 Stunden in den beiden obern Klassen , 9) nnd 10) Englisch und Französisch für die welche es bezahlen kön- nen und Lust haben, aber dann, wenn sie einmal eingetreten, bleiben mQssen, also Freiheit mit Zwang ! Und das ^entartete Gymnasium'?: 1) Lateinisch, 2) Griechisch, 3) Geschichte (öfters erst von Qnarta an), 4) Mathematik, 5) Religion, 6) deutsche Sprache, 7) Geographie, 8) Physik nur in Prima und 9) Französisch für alle (von Quarta oder Tertia an), auch die firmeren Schüler! Anszerdem meint das unver- ständige Gymnasium erstens: dine Stunde deutsch in jeder Klasse (wl^ Hr Waitz will) würde sich nicht schicken, namentlich wo noch häufige orthographische Uebungen zu machen sind nnd dagegen wird Hr Waitz, der sich über die orthographischen Fehler der Herren Studio- sen beklagt, doch'gewis nichts einzuwenden haben ; zweitens: es gienge nicht überall an, die politische Geographie mit der Geschichte zu verbinden (wie Hr Waitz von Hrn Vilmar lernen kann), und wenn Physik und physikalische Geographie getrieben werden sollte, so dürfte auch in den untern Klassen die Naturbeschreibung nicht ganz fehlen! Difficile est satiram non scribere! Denn ist es nun nicht ge- radezu lächerlich, aus Hrn Dr Waitz Munde die oft gehörten Phrasen hören zu müssen, von ^dem mancherlei und allerlei der verschiedenen Lehrfächer', *von der Masse der Gegenstande', ^von den sieben Stun- den täglich' denn dazu sind die * 6 bis 7 Stunden' an den Haupt- tagen bei Thiersch in der neuen Wailzischen Auflage bereits ange- wachsen ! Ist es nicht förmlich komisch , wenn Hr Waitz S. 12 dem Deutschen in allen Klassen 6ine wöchentliche Stunde zuweist, und S. 14 der eigenen Verdünnung uneingedenk von homöopathischen Dosen spricht: ^Deshalb bleibt ein Lehrfach, das nicht mit voller Kraft län- gere Zeit hindurch betrieben werden kann, weit besser ganz weg. Die zwei Stunden^ die etwa wöchentlich auf dasselbe verwendet wer- den, schaden bisweilen in bedenklicher Weise dem ganzen Geiste der Schule, indem sie auf den Lerneifer der Schüler drücken', wie das geradezu unsinnige Zeug wörtlich lautet ! Oder wenn er Absurdi- ' täten wie diese vorbringt: ^dasz gerade darin ein bedeutendes Uebel unserer Gymnasialeinrichtungen zu sehen ist, dasz sie dem Schüler selbst die Lebensluft und Lebenslust zumessen, die er genieszen soll, anstatt ihn frei atbmen zu lassen'; ^der Schüler wird von einem Lehr- gegenstande zum andern getrieben, er wird förmlich gehetzt: es sieht fast aus als hätte man versuchen wollen, wie groszen Druck die Ja- gend zu tragen fähig sei, ohne zu berechnen bis zu welchem Grade sie sich abjagen lasse ohne umzusinken, mit wie groszer Verwirrung man sie heimsuchen könne, ohne ihre geistige Kraft auf immer zu lähmen!' Risum teneatis amici! Noch heiterer aber wird die Geschichte, wenn wir nun die von Hrn Waitz vorgeschlagenen Radioalmittel gegen diese entsetzlichen Zustände vernehmen. Es besteht darin einmal, dasi alle Fächer (also wie bei Thiersch, nur dasz hier der Unsinn noch coloissaler ist), d. h. Religion, Lateinisch, Griechisch, Mathematik, Ge- pchiohte und )>olitische Geographie, Physik nnd ^physikalische Geo-

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graphie, endlich deutsche An fsfitze so weit als thunlich, immer aber (das nenne ich doch eine rechtschalTene Antikiimax) die alten Spra- chen und die Geschichte in jeder Klasse 6inem Lehrer allein über- tragen worden. (Damit hängt denn auch der schöne Vorschlag zusam- men , ^dasz die Schüler in kleine einjährige Klassen getheilt und stets zusammen aus den niederen immer in die höhere versetzt, von dem- selben Hauptlchrer von ihrem Eintritt in die Schule an bis zu ihrem Abgangs von ihr geführt würden'.) Sodann: dasz die wöchenllichen Unterrichtsstunden in keiner Klasse die Anzahl von 26 übersteigen (also 2 ist Hr Wailz um Herbarts willen so gnädig gewesen noch zu- zugeben), und es müssen zwischen je zwei aufeinander folgen- den Lehrstunden Pausen von wenigstens 10 Minuten stattfinden, man sieht, dem Hrn Professor behagt das akade- mische Viertel nicht übel ; in unseren Gymnasien würde es ein treff- liches Mittel sein, die Di^cipiin zu besonderer Blüte zu bringen!

Dasz solch ^paedagogischer Unverstand' bei den Gymnasiallehrern selbst so wenig Anklang findet (worüber Prof. Wailz so empfindlich ist), werden wir ihnen vielmehr zum Ruhme anrechnen müssen; es würde einen bedenklichen ^Mangel an Lehrerbildung' verrathen , wenn dergleichen unüberlegte Laien- Vorschläge den Mann von Fach auch nur einen Augenblick zu beirren vermöchten. In der That, wenn ^die theo- retische Paedagogik' nichts weiter wüste als in jener unwahren, fast kindischen Weise über *die tiefen Schäden des Gymnasialwesens' zu raisonnieren , wie sie in solcher Gestalt nur in der Einbildung ihrer Erfinder vorhanden sind, dann verdiente sie in der That nur *das mit- leidige Achselzucken', das Hrn Waitz so unangenehm berührt zu haben scheint. Eben so wenig wird eine Psychologie (denn die meint doch der Vf. hauptsächlich unter den der theoretischen Paedagogik ver- schwisterten Fachern) auf irgendwelche Anerkennung rechnen, welche von einer so ungeistigen und mechanischen Auffassung ausgeht, wie wir sie nach dem Vorgänge des Dr Thiersch bei Prof. Waitz an meh- reren Stellen antreffen. Oder ist es etwa nicht eine ganz ungeistige und mechanische Anschauung von des Knaben Seele und der Wirk- samkeit, die jene Lehr- und Lerngegenstände auf sie ausüben, wenn das mitgetheilte Wissen als unlebendige Masse und die Seele als ein todles Gefasz betrachtet wird, in das man nicht so vielerlei einfüllen dürfe. Dasz, wenn anders die Dinge, die zum Lehr- und Lernkreis un- serer Gymnasien gehören, in wirklich innerem Zusammenhange stehen, das eine vom andern getragen und unterstützt wird; dasz, wo nicht krank machende,. dem gesunden Organismus widerstrebende Nahrung darunter ist, alle die manigfaltige Speise doch wieder von der 6inen Seele so zu sagen in 6in Fleisch und Blut verwandelt wird , die ele- mentare Einsicht müssen wir von einem Psychologen, der bei der Er- ziehung mitsprechen will, doch zum wenigsten voraussetzen. Begegnei| uns aber statt dieser elementaren Vorkenntnisse psychologische Ver- kehrtheiten und dazu noch die gröbsten Uebertreibungen und Unwahr- heiten , wie sie aus dem Streben hervorzugehen pflegen , nur ^seinq

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agitatorischen Zwecke durchzusetzen, nicht sie vernünftig zu begrAii- den', wer wird es dann dem Lehrerstande verübeln können, wenn er an einer solchen Paedagogik mit gerechter Geringschätzung vorüber- geht? Oder können wir anders solchen Entstelinngen gegenüber, wie wir oben deren aus des Vf. Schriftchen angeführt und wie S. 20 za finden sind: ^Anstatt den Schüler zu zusammenhangendem lesen hinza- führen quöit man ihn geraume Zeit mit auswendiglernen von Para- digmen und Regeln, die oft erst spfit zu praktischer Anwendung kom- men, läszt ihn höchstens kleine unzusammerihängende Sätzchen lesen und selbst bilden, und nöthigt ihn schliesziich sogar während seiner ganzen Schulzeit zu so zerstückteni lesen, dasz ihm der Inhalt fast mit Nothwendigkeit gleichgüjtig bleiben musz , denn er lernt ihn gewöhn- lich gar nicht kennen. Und das nennt man der Jugend klassische Bil- dung beibringen ! Wörter und Sälzchen werden gelesen, nicht Schrift- steller'— kann man.solchen Verleumdungen des dermaligen Gymnasial- Unterrichts (denn Hr Waitz redet ganz allgemein) etwas anderes als ein mitleidiges Achselzucken entgegensetzen! Und wenn wir nun vol- lends finden, dasz diese theoretische Paedagogik' den Zweck aller Gymnasialbilduug viel zu beschränkt und darum verkehrt auffaszt: was dann? Müssen wir uns dann nicht vor dem vom Vf. als nolhwen- dig begehrten paedagogischen 'Seminar, das auf solchen Grundsätzen auferbaut würde, ernstlich bedanken, so segensreich unter tüchtiger Leitung ein richtig organisiertes Institut der Art wol sein könnte! Eine falsche Fassung des Zweckes aller Gymnasialunterwei- sung ist es aber, wenn der Vf. S. 10 das Ziel derselben dahin be- stimmt, dasz sich der Schüler hinreichende Kenntnisse aneigne, ^um in relativ selbständiger Weise sich sowol in die Wissenschaften der mathematisch-physikalischen als auch in die der historisch- philologischen Gru ppe hineinleben zu kön- nen'. Das Gymnasium hat von jeher den vier akademischen Pa- cul täten dienen wollen und will das aach noch, und zwar darum und insofern als durch diese die Männer herangebildet werden, die dereinst in Kirche und Staat die Führer sein, anderen vorangehen, sie leiten und auf ihr thun bestimmend und regelnd einwirken solleil, wie dies der Vf. alles aus Vilmars (des Valers) Schulreden, deren Studium wir ihm daher besonders anempfehlen, am besten und leich- testen wird erlernen können. Die Knaben so zu schulen, dasz sie sich hernach ^ in die Mathematik und Physik oder in die Geschichte und Philologie als Wissenschaft hineinleben können' solche Thoren sind wir nicht, dasz das unser höchstes Streben wäre! Non scholae, sed vitae! Wir wissen dasz wir die unsterblichen Seelen unserer Zöglinge, die auf unsere Seelen gelegt sind, nicht für die Schule nnd das Schulwesen, sondern für das Leben zu erziehen haben, und wol- len soviel an uns ist mit Gottes Hülfe frei bleiben von der schweren Schuld, mit dazu beizutragen, dasz unsere Gymnasien, vom Leben los- getrennt, verödet und verwüstet werden. Darum protestieren wir gegen jeden Versuch, die Fäden, welche die Schule mit dem Leben ver-.

Üeber U av uid d ov» 95

binden , abzaschaeiden , wie gegeo jedao Raab an ihrem Eigenthaoi. €rerade weil es aaser Beruf iat, auf die wirk tischen Feinde der Ein- beit im Gymnaaiaai ?on aosaen oder von innen , auf ^die tiefer liegen- den Schäden % wo sie sich zeigen, mit allem Ernst zu achten und da- gegen raii den rechten Waffen anzukämpfen, gerade darum sollen wir uns durch unwahre Vorspiegelungen nicht täuschen noch beirren lassen, sondern vielmehr in rechter Erkenntnis unserer selbst und des uns anvertrauten Amtes für das, was in Wahrheit noth ist, durch Wort und That getreulich einstehen.

Hanau. Piderit.

(1.)

Die Structuren mit ei Sv und ei ov geordnet und jede in ihrem Zusammenhange nachgewiesen.

(Fortsetzung Ton S. 1 15.)

c. IV". €l c. Opl. c. av, fuf = *wenn' oder 'da*.

1. Sehr bäuflg gibt es bI c. Opt. c. av, und zwar als conditioua- len Vordersatz. Dem. 58, 46 e^ ^i yQatffan^ av. Gibt es nun ein 'wenn' für 'weil', und zwar auch so, dasz die Modusformen des Satzes mit 'weil' zur Andeutung einer nur verallgemeinerten wirk- lichen Behauptang beibehalten wurden , wie wir es c. III 1 bei el ov c. Ind. gesekeu haben , so liegt es nahe auch diese sl c. Opt. c. av so zu fassen^ da es auch Fälle eines or» 'weil' c. Opt. cav gibt. Aber dann wQrde hier die Negation ov sein müssen, während hier stets nur fii{ erscheint, mit einziger Ausnahme von Dem. 45, 23. wo das ov noch dazu weit vom d entfernt steht. Xen. Hier. 1, 30 nur durch Conjectur und &a7tBQ ei = üajtBQ» Man wird also sagen müssen, ein Bedingungsvordersatz mit el (j^'TJ) c. Opt. könne av erhalten, so- bald er eine Behaaptung von der Bedeutung eines Opt. e. av in- volviere, sei es nun dasz das 'wenn' geradezu als 'da' sich fassen läszt oder nur ein: 'und das ist leicht möglich* hinzugedacht werden soll. Richtiger noch möchte die Bestimmung sein, dasz si c. Opt. den Hauptsatz von der Existenz einer Handlung, bI c. Opt. c. av vou der Existenz eines Urteils ausspreche; doch ist jene weniger mis- verständlich. Gerade ein dabei stehendes el pflegt solches av nicht hervorzurufen, und das sollte genügen dessen überall mögliche Supplicr- rung als Erklärungsgrund zu verwerfen; dennoch finden wir diese als allgemein üblich.. Zu Dem. Phil. I 18 vermengen Schäfer und Franke dadurch das fremdartigste. Xen. Mem. 1, 5, 3 eT ya (ir^dh öovlov axifaxij ä^aifu^^^av SQÜ nach Kühner und Seiffert das av durch die in a%qatr(g liegende Bedingung bewirkt sein, aber danach müste ge- rade ib. § 1 e/, noXii^w yivo^hovj ßovXalfU&a ein av hinzugetreten

iV. Jahrb. f. PkU, u. Paed, Bd LXXVIll. fl/l2. 7

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Ueber el av und £i oJ.

sein. Der Grand ist vielmehr deotlich aus § 2, wo ansgesproclieii ist dosz man einen solchen Sklaven nicht nehmen werde; es steht alae cfv, weil e^ ein verallgemeinertes ^da' ist. Ebenso Xen. ApoUlBef ye fifiv fifiöslg dvvaix Sv i^sXiy^ai (is^ dg ij^evöoiiai. Cyr. 4, 5, 47 ei fiev ovv aXXovg ixers j ixBlvoig öldotB^ sl (livzoi iifiag Sv /Jov- Xota^e TtQOindtccg fiahata l%e^v, ri(iiv cnnovg ölöove. Die zweite An- nahme ist die vom Redner für die wahre gehaltene ; wegen des vorauf- gehenden sl ist aber auch das eweite mit ^wenn^ zu übersetzen. Cyr. 4, 2, 37 et (itaette fiiv^ ayad'ov öh ßovl(H6d' av xvyxavsiv^ htifieliq- ^riTS, Im Opt. c. Sv hier und bei övvatfiriv av usw. Stellvertreter des Indic. zu sehen würde auch noch nicht weiter führen, da el c. Ind. nicht nothwendig Wirklichkeit behauptet. Isae.5, 32 iq>aaavy el avcifioroi öv- vaivt av fiiiag öiaXXd^aiy ovro) noirfieiv. Protag. 329 B xat i^cj, eXiteg aHoo to) av^Q^ntav nei^oCytriv av ^ Kai eol nei&ofiai: ^ falls ich überhaupt überredbarbin, wie ich doch meine.' el xv%qi ergänzt würde den Sinn lassen, wie er ohne av wäre. Cratyl. 398 E ovd' cT XI oTotfr' av etfig^ ov avvxelvG). legg. 10, 905 el ö ivdeiig Xoyov xivog av fn;g, inaxovtOy Venn vielleicht.' Ale. II, 144 B el ayvo'q- (Satg xe aal olrfielnig av^ = ^und dann vielleicht.' Ale. I 124 B aXX^ (lev ovd^ av ivl neQiyevocfie^a ^ el firi imiieXela av xal xe%vy = *dann könnten wir es allerdings.' Dem. Phil. I 18 ov6^ el (iri noiri- Caix^ av xovxOy ev aaxatpQovrjxov iaxi: Vas leicht möglich ist und ich einmal zugeben will.' Aesch. fals. 88 el yccQ firidelg av viiaif iavxov avajcXilöat q>6vov ömalov ßovXotxOy rptov aölnov ye (pvXa^aix* av xfiv ijwxriv. PI. Phileb. 21 D noiov dii Xiveig; Etxig öi^aix' av av ^rjy rificiv (pQOvriaiv KeTixtifiivog. fiöovrjg de (lexixcav (irjxe fiiya ft^- xe öfiixQov (= ZaTteq av, el av}. Dem. Lept. 117 el öi fti;^' av elg iv Ttavxl tc5 %^vo) tovr' f%o* öei^aL yeyovog^ xivog fvfx' itp ijficov nqmxov naxaöeix^^ xoiovxov igyov; D. cor. 190 el öe iirix^ fori (iiqxB ipf fii^x^ av elnetvlx^t (iridelg iitiöhtoa xal xrj[ieQOVj xi xov ovfißovXov iXQV^ noutv, D. 50, 2 £^ d icxlv aXij^'^ nal firiSelg av fioi avxel^ not, prooem. 32 el de xavxa fiev fii/d ay (priaaiev^ nQOtpacig J' aXXri xig vneaxt^ Ttcog ov XQV . Mid. 212 el d^ ovxoi %^fiaT Sxovxeg (lif ngooLvx^ av, n^g vfitv naXdv xov oqkov TCQoia&ai; D. 24, 154 aXk^ ovdi anigfia 8et KaxaßaXXeiv iv rj ytoXei xotovxoDV TtQayfidxcovy ov6^ el fiiq 7CG) av ijigyvoi: ohne av == etiamsi, mit av = quamquam, vgl. D. 23, 145 intdel^m dl%riv dovv^ av ömaitog xrjv fieytaz^iv^ eHies^ ot Tcaxovot KoXd^otvx' av öiy^long, Dem. 33, 34 £/ ^ o üagfievlanf Ttavxaxov dmaLoxeq* av (palvoixo XiyoDv xovxov^ ndig av OQ^öog i(iov TiaxeyLyvdöMXBy = ^da ', und der Hauptsatz mit Verschiebung statt Opt. c. av. Thuc. 4, 19 äineivov '^yovfievoi afKpoxiqotg fir^ dtaxtv- Övvevead'ai^ ehe ßla diagwyouv ^ 7CaQaxvxov(Si]g xivog ctoxriqlag^ etts xal iKTpoXiOQKtjd'ivxeg fiaXXov av ^a^oo^er^v: Poppo erklärt das av durch sc. el xvxoij aber danach müste gerade das erste eXxe ein. «i^, beim Opt. haben. Das av beim letzten aber erklärt sich sofort, sobald man statt mechanischer Anwendung eines Theorems den Sinn berfiok- siohtigt. Gerade die filögUcbkeit des letztem Falls war bewegend fOr

lieber et av and ei ov, 97

die Spartaner, und deshalb sollte gerade dessen Möglichkeit be- hauptet werden. PI. Symp. 218 £ mvdvvsvBig tm ovrt ov q>€n)Xog alvai^ zXntü aXri&ri tvyvcivei ovra, S kiyeic nsgl iuov» xal reg i<fv^ iv ifioi dvva(iigj oi rig av 6v ysvoio afuCvavy ccfM/rjxavov rs xaXkog 0()G9i}g av iv ifiol: man kann statt aal anch ozi setzen = *dasz nemlich'. Dies ou bringt zwei durch xe verbundene Sätze, beide über iv ifioC eine dvva^jiig angebend, welcher Begriff im zweiten Gliede nur durch den Modus potent, ausgedrückt ist. Durch Kai statt oti sind beide Glieder zusammen direct an f^ geknüpft, die Modi des Satzes mit oti aber beibehalten, rl = ^und namentlich.'

2. Stellen mit andern Relativis, welche, wol zu scheiden von einem andern Opt. c. av (jtii^), dem des erstrebten Folge (s. Stellen ans Phaed. Nr I), hier analog dem il av (fti^) ihre Erklärung finden, sind: Dem. fals. 313 sl^ ovg ftijdl x(^v ijfigöov ^riSelg av xovxfov r&v iyxa)(il(ov aTtooxegridsUy xovxodv vfiag Alo%lvrig ovx ia (lefivrjö&ai, D. Mid. 202 av öi xi g)kavQ6v aitayyeJid'y ^ o iii]öelg av ßovlocxo xmv aXliov^ nqmog avioxt^Kev sv^img Tcal naxrfyo^H: o = Fortsetzung des d, PI. Protag. 345 B ooxig öi (iri laxgog av yivoixo naxag nga- |ag, d^Aov, ort ovdi TcaTtog laxgog: der Relativsatz hat die Geltung eines Bedingungssatzes; das av tritt hinzu, weil der Hauptsatz nicht von einer Handlung, sondern von einer Möglichkeit bedingt werden soll. Dem. 25, 7 el bxeqov xi mqUcxai tovtcov, o fif/delg av avxog nBitotriüivai g>i^aeuv : Fortsetzung des bI mit Behauptung der Möglich- keit, vgl. Dem. 21, 203. 20,' 126. 20, 161. 19, 313. Isoer. 12, 85 (ib. 15, 210 nur scheinbar^ Dem. Phil. 1 31 OlUitTtog <pvXa^ag xovg ixt^* ölag ini%€iQei^ ^v/x av '^(letg (iri dvvalfie^a ixeias ag>LKia^ai, Westermann sagt, das {Wxa kxX. sei als Meinung des Philipp zit fassen. Das ist unbestreitbar; es bleibt nur undeutlich, was denn durch solche Bemerkung erklärt werden soll, zumal nachdem Franke die Auffassung gebilligt hatte, dasz das (irj allein ans der or. obl. sich erkläre. Aber erstens haben wir bereits eine Masse Stellen ge- sammelt, wo ohne or. obl. der Opt. c. av fi^q bei sich hat. Zweitens ist es überhaupt gänzlich falsch ein fiiq durch or.obl. zu erklären; bei oxi und <og kennt die« gute Sprache überall nur av; in indir. Fragen bleibt die Negation der directen, nur bei el ist (ii^ da möglich, nicht oothwendig: vgl. c. II. Die Stellen, wo man sonst so erklärt findet, sind wol meist solche, wo das uri zur Angabe' von etwas erstreb- lern dient; solche im Opt. c. av s. ^Stellen aus Phaed.' Nr I. Dahin gehört unsere Stelle nicht. Vielmehr würde das ftif hier immer nöthig sein , schon in directer Rede , wegen der Bedeutung des * i m m e r wenn'. Auffällig kann daher nur sein, dasz nicht ^v/xa fifj övvd- [ud-a oder ijv/x av jtt^ dvvfoiie&a steht. Letzteres aber würde leicht so verstanden werden , dasz Philipp allen und jeden Winter angreife. Es ist aber der Opt. c. av nicht etwa or. obl. des Conj. c. av, da das Hauptverb ein Praesens ist. Es steht vielmehr dwal^B^^a av für dvva- fi€'9'a, und da diese Verschiebung sonst wesentlich dem selbständigen Satze angehört und eine Aeuszerung snbjectiver Meinung ist, wird

7*

98 Uebcr el äv und d ov.

dadurch allerdings eine Art, wie Philipp sich öfter anszern mochte, angedeutet: ^ jetzt mögen sie wol nicht können.' Aber ein Spott, wie Bremi meint, indem er beliebig einen diesen Eindruck hervorbrio- gendeu Satz ergänzt, liegt anmöglich an sich darin. Das gienge nar, wenn trotz Etesien und Winter das hinaufschiffen doch möglich wäre.

c. IV. bI c. Praet. Ind. c. Sv als condit. Vordersatz

wird geleugnet.

1. Das el c. Opt. c. Sv (jii^) im vorigen Kapitel muste erklärt werden als den Bedingungsvordersatz zugleich eine Behauptung ent- halten lassend. Es fragt sich ob ein Bedingungsvordersatz mit el c. Ind. Praeter, ebenso im Stande sei ein Sv aufzunehmen. Man nimmt das gewöhnlich an; auch hat das bei der üblichen Erklärungsweise keine Schwierigkeit. Dennoch müssen wir es durchaus leugnen. Un- sere Behauptung stützt sich erstens darauf, dasz man keine stichhal- tigen Belege für diesen Gebranch beizubringen vermag; zweitens auf den Sinn, den die Structur haben müste. Nemlich bei bI c. Opt. ohne av, das keine Behauptung enthält, vielmehr gerade von sich weist, war es möglich eine solche durch ein Sv aufzunehmen. Aber sl c. Praeter, vierter Stufe enthält schon vollständig die Behauptung der NichtWirklichkeit, so dasz für Heranziehung eines Sv kein Anlasz bleibt.

Wo dieser Gebrauch berührt oder Stellen danach erklärt wer- den, wird regelmäszig verwiesen auf Herrn, ad Vig. p. 830, aber dort steht fürs Praeter, kein einziger Beleg, nur einige für den Opt. Den appar. crit. von Schäfer habe ich nicht vergleichen können ,. aber et- waige Belegstellen dort werden doch von andern benutzt sein. So hat namentlich Bäuml. Mod. S. 135 ff. dafür heranzuziehen gesucht was nur möglich schien, und nach ihm Rost Gr. Ausg. VII § 121 not. 10 (7). Bevor wir auf die einzelnen Stellen eingehen , haben wir uns mit den Principien der bisherigen Auffassung derselben auseinander zu setzen. Die gewöhnliche Erklärung ist auch hier die, welche mit Ergänzung eines sl alles abgethan glaubt; diese ist natürlich auch hier allent- halben möglich, es wird aber damit eine Kritik der einzelnen Stellen eben unmöglich. Auch ist festzuhalten dasz, wo hei einem el c. Praeter, dies wirklich durch ein anderes £t bedingt ist, ersteres da- durch nie ein Sv erhält: s. z. B. Dem. 63, 23 und 27, obwol das nach jener Annahme nothwendig wäre. Es ist daher von Bäumlcin ein anderer Weg versucht.

2. Bäum lein läszt das Sv überall eine snbjective Behauptung bringen. Diese Erklärungsweise ist allerdings mehr der Masse des wirklichen Gebrauchs entnommen , nicht so dogmatisierend hingestellt wie die andere. Dennoch ist sie theils einseitig, theils für den hier in Rede stehenden Gebrauch nichts erklärend. Einseitig ist sie, indem sie diejenige Bedeutung, welche beim Opt. c. Sv allerdings die vor- hersehende, aber keineswegs die einzige ist, als die eigentliche und somit allgemeingültige setzt , während, wenn man nur eine andere Be-

lieber $1 iv and et ov. 9ft

detttong, die oft genug klar sich aufdringt, anerkennt, das zn 6rund8 liegende gemeinsame leicht sich findet. Das £v beim 0 pt. kann nem- lieh erstens auf eine einzelne, bestimmte Bedingung hinweisen, von deren ErfaUung die Verwirklichung abhänge , z. B. Xiyoi &if == ^würdewol, wenn'; zweitens kann dies av darauf hinweisen, dasz die factischen Umstfinde von solcher Art seien dasz danach das sagen wirklich sei, und nur ob das Subject es dennoch thne, thun wolle, ungesagt bleibt : = *möglicberweisesagt er.' Die demonstra- tive Kraft des av kann also eben so gut auf ein *wenn' wie auf ein ^weil' hinweisen. Dasz auch bei letzterem es möglich ist ein ^wenn' zn supplieren , ist sicher kein Grund dagegen ; denn diese Möglichkeit besteht auch beim Ind. Praes. und Fat. Die letztere Bedeutung, Mög- lichkeit der objectiven Sachlage nach, hat ihre hauptsächlichste An- wendung als gemilderte oder subjective Behauptung, als milderer Indio., indem statt des seins nur ein sein können behauptet wird. An sich ist die Behauptung des könnens nicht milder als der Indic ; vgl. Thuc. 6, 35 ovtevl av xqon^ el^oiev ot ^A^rpfalot^ und die ge- milderte oder subjective Behauptung ist auch hier nicht Grundbedeu- tung der Slructnr mit av.

Beim Praeter, c. anweist, so gewis hier ein Satz mit *wenn' stets nothwendig ist, das av stets auf diesen hin. Die zweite Beden- tung, welche es beim Opt. erlangte, des sein könnens und somit sub- jectiver Behauptung, konnte beim Praeter, nicht entstehen, da hier geradezu das nicht sein behauptet wird. Odersoll in Einern Munde neben dem nichtsein ein: * freilich wäre es möglich' Iwhauptet wer- den ? Wir wollen das bei den Belegstellen versuchen. Es hat aber Bäumlein seine Bedeutung der subjectiven Behauptung hier nur da- . durch durchfuhren können , dasz er die Bedeutung der Nichtwirklich- keit bei den Praeterißs aus ihrer temporalen herleitet. Die Unhalt- barkeit aber dieser wenn auch allgemein verbreiteten Meinung haben wir anderswo (vgl. Syst. S. 80. Stell, a. Phaed. 1 S. 190) wol zur Genfige dargethan. Die Praeter, sind eher Modus gewesen als Tem- pus. Ferner würde nach Bäumleins Auffassung das av gerade auch beim Ind. Praes. und Fut. erwartet werden müssen. Ferner würde diese Auffassung doch auch bei den Praeter, nicht weiter führen als zu derjenigen Klasse der Praeter, c. orV, wo diese nicht die Nicht- wirklichkeit, sondern eine vorübergegangene Möglichkeit (= Ver- gangenheit des Opt. c. av z. B. crederes) bedeuten. Aber erstens scheidet Bänmlein diese Klasse nicht als eine besondere, zweitens reicht sie hier nicht für die Beispiele ans. Endlich , ganz abgesehen von der Frage, welche Grundauffassung des av die richtige sei, wür- den wir mit der Annahme der von Bänmlein doch nur eine Erklärung gewonnen haben , welche dann überall möglich wäre und deshalb zur Beurteilung der einzelnen Stellen wie des ganzen Gebrauchs keinen Anhalt gewährte.

3. Von den bei Bäumlein a. 0. und Rost a. 0. beigebrachten SteU^ len können wir sofort abtrennen die unter ^av^La^o} ü behandelten

100 Ueber sl uv und bI ov.

Substantivsätze , ferner die homerischen (Od. 6 , 282. II. 23, 526) un4 das Orakel bei Hdt. 1 174, indem auch Rost und Bäumlein dort nicht x€ sondern oial lesen. Da es nun auszer Eur. Hipp. 695 und Ar. Lysistr. in der Rede eines Laco von Dichterstellen nur einige aas Theocrit und Erinna gibt, so scheint es sich nicht um eine ursprüng- lich vorhandene , später aufgegebene Nüancierung des Ausdrucks zu handeln, sondern um einen unorganischen Auswuchs dorischen Dia- lekts. Fürs Attische bleiben nur übrig Dem. 49, 58. fals. 172. cor. trier. 6. cor. 101. Eur. Hipp. 695, denen wir noch Dem. 50, 67 bei- fügen.

Dem. 49, 58 €l xolvvv 1(S%vqov äv ipf xovxm xexii'qQiov ^ xa- fio2 yeviad'Gi xenin^Qtov. Der Modus des Hauptsatzes zeigt schon, dass dieser gar keinen Vordersatz mit Praeter, der Nichtwirklichkeit ver- trägt, so wenig ohne av wie mit Sv. Ein rein temporales Praeter, verträgt aber die Hinzufügung eines av so wenig wie ein Ind. Praes.; abgesehen davon wäre solche Andeutung ^subjectiver' Behauptung hier ganz unpassend, da auf diese. der Redner sein Argument nicht gründen könnte. Kurz die Structur ist b r a c h y l o g i s c h für : ^ w e n n [nun aber die Sache so steht, unleugbar ist dasz] jenen jenes aU Zeugnis würde genügt haben, so' usw. Dies ^wenn' steht dann für ^da'. Der condit. Vordersatz ist also sl c. Ind. Praes. und dessen Subject ein Urteilssatz im Praeter, c. av. Ebenso Dem. 50, 67 il xolmn/ av ifiol xoxs cd^I^sc&s y TCcSg ovxi vvv 7t(fo<Si^xei; wo un- mittelbar vorhergeht: a^'-ovx av toQylieCd's (loi oial riyeta^e av aJA xetv jtte, sc. d fi^ iTUtQtrjQaQxrjCa. Diese brachylogische Structur ist die einzige, durch weiche, wenn auch nur scheinbar, ein Praeter, c. av Vordersatz werden kann. Dem. fals. 172 inalj ü firi dia x6 xovxovg ßovXsc^ac cäcat i^dkrig aitoXoliiriv xal nQOioXrig, ü itqocXa- ßciv y^ av ccQyvQiOV ndw noXv (lexa xovxafif iTt^iaßevaa, Hatte Bäumlein diese Stelle so vollständig angeführt, so hätte er sie nicht als Beweis brauchen können. Denu es zeigt sich , dasz htqia- ßevaa etwas völlig als wirklich behauptetes ist und dasz av zu itffoa- Xaßoiv gehört, dasz also der Fall eines el c. Praeter, c. av hier gar nicht existiert. Der Sinn ist: ^denn ich will verdammt sein, wenn ich diese Gesandtschaft übernommen habe aus einem andern Grunde, etwa Geld nehmend.' Eben so gut wäre anzuführen gewesen Dem. 61 9 54: ovK av aenaQBxaXovv^ tl (irj xovxov av cot xdXXtaxov k'Qavov elci- veyMtv äiifjv: wo av zum Infin. gehört. Dem. cor. trier. (51) 6 ovxot, d' ai iihv eixov %dqov^ a v (ynriQeölav) , ovölv av tjv detvov. Bei Baiter fehlt av, und zwar so, dasz er nicht einmal für nöthig hält die Variante zu eitleren. Bänmlein sucht hier das av dadurch zu hal- ten, dasz es andeute eiTtBQ slxovy ;i^€/^ov' av elxov. Das leidet aber der Sinn nicht. Der Redner leugnet aufs bestimmteste, dasz sie über- haupt vnriQeala gehabt hätten , wie das auch das unmittelbar folgende zeigt: vvv d' ovd OTtoiavxivovv iisfil69aivxat. Der Redner würde nicht blos sein Argument schwächen , er würde sogar etwas schwerer zu beweisendes und doch nicht so schlagendes vorgebracht haben.

Ueber si iv and el ov. 10 i

Die einsige Möglichkeit wäre es als Substantivsatz zu fassen £^ = Sri, obwol , wie früher gesagt, wir dafür von öhvov av ijv kein Bei- spiel kennen: aber der Zusammenhang fordert den Salz mit ^wenn'. Dem. cor. 101 rfe ov% av anlnxHvi fte öt^ctiagy d inexdQfjaa äv] dies av fehlt schon seit Bekker, auch bei Baitcr und ohne Va- riante. Eine Möglichkeit oder ^subjective' Behauptung soll es doch wahrlich nicht bringen f Oder sollte vielleicht jemand sagen wollen es stünde ^wenn' für ^ weil % also ei mit den Modis von ort? Veil ich dann, wenn ich es gethan hätte, etwas schlimmes würde gethan haben/ Es gibt Beispiele von ort so gut wie von inel mit Opt. c. av und mit Praeter, c. avj wenn nemlich die Existenz eines Satzes dieser Modalformen, nicht eine Handlung als Grund soll angeführt werden. Aber an unserer Stelle würde trotz des Deutschen ^weil ich böses gethan hätte' nur ovt inB%Uqrfia (Ir Stufe) ohne av stehen, vgl. Dem. 61, .67 *t/v' av Ttore yvm^riv et%sx€^ el fii} imxQiriQaQxrfial o^' ov% av wQyl^BC&i (loi; el xolwv av rore ifkol <x}Qylisa&€^ oti ov» lfCBxqtriQa(f%ri<Say mag ov%l vvv 7tQ0<Si]X€i xtX.; denn die zürnen- den werden sagen und denken ovx iTtexQiriqa^^ae ohne av , und aus deren Seele ist gesprochen. So würde auch Hör. Sat. I 6, 20 censor- qne moveret Appius gnoniam in propria non pelle quiessem grie- chisch nur in denjenigen Modus treten , in welchem Appius den Grund dachte. Auch lateinisch ist das nur Vergangenheit aus moveat, quie- verim. Endlich Eur. Hipp. 695 tl d^ ev irCQa^^ av^ nd^x^ at^ iv oogmötv f\v. Auch hier wird die Lesart ohne av die einzig richtige sein, und das Metrum vertragt sie auch. Allerdings passt als Gedanke der Amme: ^und leicht hatte es mir gelingen können', aber in jenem Satze halt solcher Nebengedanke nur auf und stört; auf die subjective Ansicht der Amme kommt es nicht an bei einer Verlheidigung. Ueber- hanpt ist es unnatürlich, dasz durch av ein Nebengedanke herein- gebracht werden soll, welcher den Hauptgedanken aufhebt.

4.^ Es fragt sich ob ein Bedingungsvordersatz, durch andere Re- lativa und Conjunctionen als bI eingeleitet, ein av beim Praeter, ver- trage. Dem bei ü zuerst behandelten Falle Dem. 49, 58 entspricht Is. 18, 7 tt^ico öi^ oiSovnB^ av rovtoo Cki^ilhov riv^ mg xxL , xoaov- xov ifiol ysviad'at xsH^r^qtovj mg nxX. = ^wenn [es wahr ist, dasz] sein würde^ so wahr soll' usw. Ebenso Dem. 23, 99. 22, 7. 20, 143. Lys. 4, 12. Isae. 12, 12. Dem. fals. 29 <J« v/iiag ix«v' bgavj oxij ovxiv avifiBig^ slg xavx7}v xrjv xd^iv Tcaxeoxricaxey ovxog^ eiTtBQj aansQ ovxog^ rjßovki^difj fiia^maag iavxov i^oTtaxäv vfiagj xmv IfSmv aXxiog av riv xaxcoi/, oCmvTtSQ xal ovxog. Als reiner Be> dingungsvordersatz gefaszt müste av fehlen: ovxiva oder eixtva aa- XBdxriaaxSj aber dann wäre das %axa6xrfiai als nicht wirklich ausge- sprochen (Stell. a.'Phaed. I 4, 4). Hier aber ist der Sinn: Ver es auch gewesen wäre, den ihr (an seiner Stelle) beauftragt haltet.' Danach könnte das av fehlen, sobald man statt seiner a\Xov einsetzte. Unsere Stelle in Gegenwart zurückversetzt würde nicht heiszen: ovxiva av %axacxrfiri[tB^ alxiag Scxai^ wo in rein conditionalem Vcr-«

102 Ueber ü &v and d ov.

hällnis über die Wirklichkeit des Kataarijifw nichts behauptet wäre, sondern ovtiva av Kaxaari^aaixs = ocng fori (totovvog) , ov av na- taavriaatre (vgl. Stell, a. Phaed. I 5,2). Dieser Opt. c. av ist nach eiSug riv Praeter, c. av geworden (Stell, a. Phaed. I 8); unsere Stelle also zusammengezogen aus ooxtg i^v, ov av Ttarsaxfiaats. Doch ist mir keine ähnliche aufgestoszen, namentlich auch nicht bei den Red- nern, anszer etwa Lys. 15, 6 dsivov avzoifg fiiv rovg aTQaxriyovg fii} av ToXfiijaat^ Stog av ido7ctfia0^0avj ^AXxtßiadriv di toX^imv. Der Inf. ist entstanden aus ovdslg irokiiffiBv av. Dies wäre in Gegenwart ToXfifjaac av oder Tol/ürai} Svj ziemlich gleich voX^a; vgl. Stell, a. Phaed. I 8. In Gegenwart hiesze es ovdslg roXfia oder roXiirfiat ävj Sa>g av doxi(ia(S^, Dies in Vergangenheit: ovdelg hoXfitjae oder ix6Xii7i<5E av, ecog doKi(iaa&€Ci]j so lange nur rein das Causal Verhält- nis beider Sätze behauptet werden soll, und nichts Qber das Verhältnis des öoxiiiaad^ai zur Wirklichkeit; soll aber letzteres geschehen, so hiesze es ecag idoKtiiaad'fi. Ist obige Lesart (Baiter) richtig , wie wir nicht bezweifeln, so ist in Gegenwart nach övSelg roXfi^ oder ToXfiif^ aai av ?G)g av dontfiaC&sCri zu denken, für welche Strnctur Stell, a. Phaed. VI die Beispiele gesammelt sind. Es wOrde damit das glQck- liche Bestehen der SoKifiacCa im ganzen als selbstverständlich gesetzt: ^bis sie geprüft werden können.' Diesen Opt. o. av finden wir dann hier in Vergangenheit gesetzt. Es gibt noch ein paar Stellen, wo mau durch ein (ii^ veranlaszt werden könnte an Bedingungssätze za denken: Dem. cor. 225 aXX* ovx ^v tote ixXi^avra^ a fii/re 7tgo'i^de& (ifjöelg ft^r' av tpiq^ti rrj(iSQOv §rfi"fjvat^ diaßäXXetv, Aber auch hier wird eine Folge aus einer Beschaffenheit ausgedrückt, und Dem. und Isoer. lieben es diese als eine erstrebte darzustellen, so dasz das nichtwissen usw. vom Aesch. prämeditiert sei. Man mtisz Oberhaupt wol zugestehen, dasz Dem. Isoer. und Sophocies häufig (ii^ setzen statt %ovj um einen innigeren Zusammenhang mit dem Hauptsatz hervorzu- bringen , ein Vorspiel mancher Gebrauchsweisen des Conj. im Latein. Im Ind. Praeter, noch so Isoer. 12, 85 '^pjvofAtiv av, ei yqa^pnv hu* %ttq&v^ ntql mv (iridelg av aXXog hoXftriaSj ovtmg avant&i^tog ÖKUfi* (ifiv (Dem. 25, 5 d^' a d' av xal firid^ oriovv adtotcov rt^ IdeixfB ge- hört ftri nur zum Partie. = Venu'). Häufiger findet sich dies beim Opt. e. av: Dem. Mid. 202 iav di xi q>XavQOv^ o (irjdelg av ßovloito tciv aXXayvy iTtayysX^^^ nqmog äviaxipce. Dem. 25, 7 und 9. 21, 205. 20, 126. 20, 161. 19, 313. Von diesen Opt. c. av sind obige Praeter, c. av die Vergangenheit, m^qd^i av = crederes ans credas.

(Scblusz im nächsten Heft.)

Güstrow. Aken.

BwaM: InbrtiMh« SpraeUebr«. . 103

Lehrbücher der hebräischen Sprache.

(Fortsetzung von S. 15—28.)

2.

Hebräische Sprachlehre für Anfänger von Heinrich Ewald. Zweite Ausgabe. Leipzig, Hahn'sche Verlags -Buchhandlang. 1855.

Nach dem ausführlichen Lehrbache und noch in denselben Jahre ist eine zweite Ausgabe der ^hebräischen Sprachlehre för Anf&nger' erschienen, und auch sie zeigt das ernstliche Bemühen Ewalds um Verroilkommnung, und trotz der kurzen Zeit, in der dies Werk dem vorigen gefolgt ist, lassen sich schon wieder wesentliche Verbesserun- gen nachweisen. So ist diese kleinere Grammatik nicht etwa ein bloszer Auszug der gröszern, eine bequeme Schrift um das erarbeitete doppelt rentabel zu machen , wie man deren jetzl oft auf dem Bücher- markte findet, sondern es ist eine treue, neue Arbeit, und die Achtung Tor der Persönlichkeit Ewalds hat sich bei uns durch die Vergleichung der sechsten Anfilage gegen die fünfte des Lehrbuches und nun dieses Werkes mit jenem bedeutend gesteigert. Auch die Vorreden zeigen es deutlich, dasz es ihm Ernst ist und welch hohes Ziel er sich gesteckt ha^. Alles dies macht die Kritik bescheiden, und beachtet mau die Grundsätze die er in der Vorrede ausspricht, so musz man ihm auch Recht geben, wie in den Klagen über die geringen Leistungen in dieser Sprache und über die n^angelhafte Lehrart, die noch vielfach zu her- sehen scheint. Welcher Art freilich das ist, worüber Ewald bei seiner Rückkehr nach Norddeutschland so erschrocken ist, können wir nicht errathen. Ferner ist das zuzugestehen , dasz derjenige , der am voll- kommensten eine Sprache versteht, auch am geschicktesten erscheint zur Aufstellung eines Lehrbuchs auch für Anfänger , eine Wahrheit, die sich manche neuere Grammatiker zu Gemüte führen könnten , die da meinen dasz sie mit etwas geänderter Anordnung, mit Mehranwen- dung von fetter Schrift, aueh mit ein paar philosophischen Redensar- ien das Recht zur Abfassung einer neuen Grammatik erlangt haben, die nicht bedenken , dasz sie erst durch Leistungen anderer Art ihre Befähigung nachweisen müssen, dasz eben die Grammatik die letzte Frucht des Wissens sei. Weil dies nicht beachtet wird, haben wir in neuester Zeit so viele neue Grammatiken , in denen die alte Gründ- lichkeit und Zweckmäszigkeit zugleich verloren gegangen ist. Hr Ewald hat ganz recht, wenn er verlangt dasz auch dem Anfänger das zu erler- nende gleich richtig erklärt werden müsse, wenn er behauptet dasz der, ^welcher die Wissenschaft am vollkommensten übersieht, auch die beste Erkenntnis des richtigen Hasses habe für den Anfänger'. Dasz er nun sich selbst deutlich für denjenigen erklärt, der die richtigste

104 ^ Ewald: hebräische Sprachlehre.

Erkenntnis hal, dasz dies ^kleinere Lebrbach einen schnelleren Ueber- blick des wahren Inhalts einer hebräischen Sprachlehre' gewährt, das nimmt man gern hin, aber 6ins hat er dabei ganz übersehen , d e n Anfänger selbst, der, wenn er auch ^etwas erwachsener' ist, doch noch nicht die Willens- und Geisteskraft hat, sich gleich in ein wis- senschaftliches System beim lernen der Elemente hineinzuarbeiten; fdr ihn sind die 'sogenannten Regeln' doch ein Bedürfnis. Und 'die Re- geln' sind^s allein nicht die den Schüler schrecken, ob man Regeln oder Gesetze sagt ist ihm wol gleich; das erschreckliche kann nur vielmehr in der Art der Regeln liegen. Sie müssen klar und bündig sein , dabei richtig und der Wissenschaft entsprechend ; es musz eben nicht wieder und wieder umgelernt werden. Wer aber Schüler unter- richtet hat wird ans beistimmen, dasz d i e Grammatik am meisten dem besagten Zwecke entspricht, die von voller Erkenntnis der Sprache ausgehend den Stand und das Fassungsvermögen des Schülers berück- sichtigt; denn der steht ja von vorn herein nicht in der Wissen- schaft, kann den Zusammenhang des einzelnen noch nicht Übersehen, nicht verstehen , musz lauter einzelnes erst lernen ; das aber musz me- thodisch geordnet sein und darin gerade liegt die Schwierigkeit einer solchen Arbeit, dasz zwei so verschiedene Erfordernisse Wissensofaaft- lichkeit und Lehrhaftigkeit zugleich befriedigt werden müssen. Und nun wünschten wir unsere Anzeige schlieszen zu können, aber wir dürfen es nicht und müssen daher bekennen, wir halten auch in dieser Auflage diese Sprachlehre für den Anfänger nicht für geeignet. Es ist uns schwer geworden dies Urteil so nackthin auszusprechen, und wir urteilen eben nur aus dem Eindrucke des Buches selbst; andere haben ja bereits dasselbe in den Schulen eingeführt, die müssen also Erfah- rungen gemacht haben, gegen die alle Meinungen verstummen müssen. Wir aber sind verpflichtet unsere Ansicht so weit möglich zu be- gründen; dabei werden wir das, was wir gegen die Richtigkeit ein- zelner Behauptungen im ausführlichen Lehrbuche erinnert haben, nicht wiederholen, überhaupt wollen wir nicht aus solchen abweichenden Ansichten über die Brauchbarkeit dieses Buches sprechen, wer sagt denn dasz wir die richtigen Ansichten haben, aber das müssen wir hervorheben, dasz die Sprache, in der das Buch gehalten ist, nicht für Schüler passt. Es ist eben das Leidwesen dasz nur Männer der höhern Wissenschaft, die in schriftlicher und mündlicher Lehre ein schon 'entwickelteres Schülerthum' vor sich haben, die für Männer der Wissenschaft sogar schreiben, die hebräischen Schulgrammatiken ver- fassen, nicht Schulmänner. Und warum thun es diese nicht? Das läszt sich leicht erklären, gehört aber nicht hieher. Hr Ewald zeigt sieh auch in diesem Werke zu sehr als forschender Gelehrter, es ist hier aber das erforschte gleichsam noch nicht abgeklärt, so S. 104 § 171: 'Da ... so ist .. . und das ganze etwas schwieriger verstanden wor- den' wol von andern Gelehrten, nicht von Ewald selbst. Aber was geht das den Schüler an? wie schwer es dem Grammatiker gewor- den ist, das ist dessen Sache, und seine Pflicht ist^s dem Schüler

Bwild : hebraifdie SprachlehriB, 105

d«8 Verst&ndnis leicht xu nachei. Das geschieht freilich hier nicht; theils ist der Ausdruck schwer, theils häufen sich die Verweisungen, und dieselben weisen nicht einmal immer das behauptete nach. Wir wollen einzelnes nach der Reihe anführen , doch eben nur so viel das behauptete zu belegen, nicht aber alle Belege geben, die wir dafflr halten.

Schon die Aufstellung der Paradigmen ist für das lernen sehr ungünstig; mag sie noch so wissenschaftlich sein, dagegen wollen wir nichts erinnern, aber unpraktisch ist sie; da steht Masc. und Fem. durcheinander, da st^en neben den Formen noch Zahlen 1, l.b, 3, 2 b, 3, 3b, 3o, die irre machen. ^Diese Paradigmen habe ich absichtlich auf die deutliche Vorlage der Beispiele beschränkt, aus welcher man alle andere leicht ergänzen kann, um nirgends der bloszen Bequemlich- keit und Trägheit zu Hülfe zu kommen.' Diese Absicht ist ganz lobens« werth,' aber wer aus Erfahrung weisz, wie schwer es im Anfange ist, dasz sich die Schüler an die fremde Schrift und fremden Laute gewöh- nen, der wird die von Geseiiius beobachtete Weise billigen, die For- men fast alle zu geben, und ni^r die Grundformen, von denen andere abgeleitet werden, die hauptsächlich zu merken sind, durch Druck her- vorzuheben; manches könnte da zur Verbesserung noch aus Ewald he* nutzt werden, ja auch das streitet nicht dagegen dasz hier vieles, na- mentlich die Declinationen , ganz anders geordnet sind ; es dreht sieh hier nicht um die innere Anordnung, nur um die äuszere Aufstellung. Dabei kann und wird der Lehrer Mittel haben Bequemlichkeit und Träg- heit fern zu halten. Man zeige nur Schritt für Schritt, wie die Formen sich bilden, weise immer auf die Grundgesetze zurück, lasse, wenn Kai gelernt ist, an Kai das Niphal bilden usw., und wenn der Schüler nach dep aligemeinen Regeln die neuen Formen gebildet hat, lasse man die Grammatik aufschlagen, ob die wirklichen Formen den gefundenen entsprechen , und wo das nicht ist weise man nach (oder gestehe es nicht zu können), wie diese Abweichung von der Regel entstanden sei ; so mache man es nach Beendigung des Vup mit allen andern Verben und der Schüler wird nicht trag werden durch die vollständig aufge- stellten Paradigmen, er wird vielmehr an die durchgehende Regelreoh- tigkeit und Gleichmaszigkeit des Hebräischen erinnert. Wir hätten ferner nicht S. 1 usw. das Metheg als Tonzeichen überhaupt gebraucht, da das Metheg in der hebräischen Schrift doch einmal eine andere Be- deutung hat; viel rathsainer ein Zeichen zu wählen, was sonst nicht vorkommt.

§ 23 : MedDch ist das Hebräische auch noch nicht so gänzlich vocalarm geworden: der Wortton hält noch stark den volleren Vocalklang in seiner Umgebung, sowol hinter sich als vor sich; nur von der zweiten Silbe vor dem Tone an beschränkt sich die Voeal- anssprache überall auf das nothdürftigste. Durch diese Abnahme der leichten Vocalaussprache sind die wirklich bleibenden Vocale etwas schwerer und unbeweglicher geworden, woraus vorzüg- lich das Gesetz flieszt, dasz ein ursprünglich kurzer Vocal, wenn

i06 Ewald: hebräische Sprachlehre.

er aus besonderer Ursache in einfacher Silbe bleibt, sich so- gleich zam langen dehnt, am sich zu halten' § 60. 69. 87. Sonst sind noch 6 Citate in dem §. Wird der lernende mit solchen Worten etwas anzufangen wissen? § 24: ^Wäre das HebrSische so vocak reich wie das Arabische, so würde'. .. Das Arabische möchte dem Anfänger im Hebräischen wol noch unbekannter sein. § 25 steht die Reget : eine offene Silbe hat einen langen Vocal, eine geschlossen^ einen kurzen, ^und nur durch die neue Kraft des Tones kann der Vocal lang sein, wiewol nicht unbeschränkt.^ Was weisz nun der Schuler? War^s nicht kürzer zu sagen, die Toi||ilbe kann einen lan- gen und kurzen Vocal haben, sie mag nun offen oder geschlossen sein ; eine offene Silbe ohne Ton hat stets einen langen, eine geschlossene ohne Ton stets einen kurzen Vocal. Das Citat auf §35 wird den Schü- ler auch nicht fördern. §29: *Das sonderbarste ist, dasz a und ^ durch dasselbe Zeichen ausgedruckt werden, auch den gleichen Na- men Qamesz haben. Dies musz zwar aus eineir ziemlich frühen Ver- web; b s 1 u n g der Laute a und oin gewissenLändern und S c h d - 1 e n flieszen ; da indes dadurch alle Sprachgosetze gestört wer- den, so tbut man besser ungeachtet des gleichen- Zeichens die Laute immer zu unterscheiden.' Nun folgt das besondere, wo ein einzelner Fall in gleiche Linie mit dem gewöhnlichen gesetzt wird. Und wie leicht läszt sich der Unterschied für den Anfänger fixieren ! § 31 : ^Die Kluft zwischen vollem Vocale und unklarem Vocalanslosze fül- len die fluchtigen oder Cbatefvocale aus, welche bei günstiger Gelegenheit statt der Vocallosigkeit eintreten.' Wer wird solche Sätze einem lernenden bieten ? und nun folgt unter 1) gleich das Pa- tach Fnrtivum, was gar kein Chatef ist; unter 2) aber sind einzelne Fälle behandelt, als käme dergleichen viel vor. Nach § 33 ist alles möglich: alle fünf Vocale können verwechselt werden. Der Schüler musz dabei ein Gefühl bekommen, älinlich den Anfängen der Seekrank- heit. — §34: *^als ein etwas fetterer Laut erhält sich zwai;^iB gewissen Fällen vor Suffixen fest e r und hält sich bei schwäche- ren Mitlauten oft gerne' . . . Das Fett gibt also dem e seine Dauer- barkeit. § 35: ^Als um eineStufe an Milde und Nachgiebig- keit niedriger stehend erscheinen daher e v überall da, wo die nach §23 entsprechenden kurzen Vocale aus irgend einer Ur- sache lang werden müssen.' § 36: ^Die D oppella ute ai und oti § 29 [da steht nur dasz aus a -j- i und a + u ^die ursprüng- lichen Doppellaute' entstehen; dies Citat war also nicht nöthig] zeigen sich als an sich bedeutsame Laute insebrweni- gen Bildungen § 180. [da steht dasz der Dual zur Endung äim hat] § 167 [^Verkleinerungswörter drücken sich durch gebrochene Vocale u at, au und dafür ö aus (also sind die § 36 als Doppel- laute bezeichneten Laute hier wieder gebrochene Vocale genannt, was doch nicht recht übereinstimmen will), als malte der gebrochene verstümmelte Laut den Begriff (wer findet in den Diminutiven den Begriff des verstümmelten, gebrochenen! Ist denn ein Hündchen ein

Ewald: h^raische Spraohlelire. 197

Hand ohne Schwanz?) sind aber im Hehr, noch sehr selten. Der Vocal setzt sich in die Mitte (nun folgen Beispiele mil d) auch wol mitUebergang in I aas^, ae oderan^sEnde als ün oder vielmehr ön (avn), dem oft dasselbe u vor- hergeht.' So ist denn in diesem § 167 kein Beispiel von at, keins von au] and entstehen am häufigsten nur durch zusam* menflieszen zweier Yocale §43. 54 [in beiden steht dasz o^ in ae^ au in ö übergeht, nichts von der Entstehung des ai und au}-^ aber wie sie auch entstehen, die Richtung zu weichem Lauten verein facht sie vor dem Tone überall bis aufwe* nige FfiUe § 131. 43 131 steht nichts als dasz fo und <t die Formen mitunter vertauschen, also allenfalls ai und au selbst ver*> wechseln , wenn man das so nennen dürfte. § 43 ist schon erwfihnt] zu Mischlauten ai zu ae, au zu o; nur im Tone bleiben sie in gewissen Fällen, jedoch so, dasz das ä sich leicht stärker dehnt §43 [zum 4lrittenmale in diesem § citiert! bietet aber kein Beispiel zum gesagten]. Aber auch die Mischlaute unterliegen im Fortschritte bisweilen ferneren Verein- fachungen, besonders vor neuen Zusätzen am Worte fällt d bisweilen in ^, oft ae = e in i herab § 88, vgl. § 146; oder ä'i im Tone vereinfacht sich, zwischen zw.ei Mit- lauten geschleift, selten sogar mit Unterdrückung des zweiten Lautes in ä '{^ für l'^K § 104 [wo ist in Y.» ein DoppeU laut? es sind ja noch zwei Silben!], auch schon der Uebergang des« ajs zw eiteu Bestandtheils des Doppel- und Misch- lauts [ist doch zweierlei, at ist J)oppeU, ä Mischlaut] in das fei- nere I ist eine Art Erweichung: p'^'Q^ Busen aus pin § 146' [Wer sieht in p'^n das feinere t, wer in pin.das «?J. So wird der Lehrling auf zehn und mehr Paragraphen verwiesen , auf einen drei- mal, und findet nirgends diese Doppellaute ai und au, die freilich im Hebräischen gar nicht vorhanden und daher in manchmal zehn Para- graphen nicht zu finden sind; aber Mitleiden musz man haben mit dem Schüler, der nach so viel suchen nichts gefunden hat, und wundern kann man sich nicht, wenn er die Lust zu ähnlichem suchen verliert. § 47: ^Wie das Fürwort der zweiten Person atia als Suffix d. i. in untergeordneter Stellung ka lautet § 247.' $ 247: Mn der zweiten Person erscheint das Suffix. stets D für n § 184' und nun endlich § 184 steht kein Wort von 13, nur die Pronomina personalia absoluta und unter diesen natürlich auch die der zweiten Person alta^ Ott. Ist denn aber nicht solches eitleren, um alle Geduld zu verlie- ren? So wird § 32 auf § 104 verwiesen, von da wieder auf § 70; vgl. § 53. 211, 3. 209. Ein Buch, das den Lehrling so unnöthiger- weise quält, ist nicht für den Unterricht geeignet. Mitunter sind Gründe angeführt, deren zwingende Kraft wol jeder Anfänger bezwei- feln dürfte. So § 30: ^ Des Schönschreibens wegen hat auch "^ immer ShVa: ^^J Warum soll "^ schöner aussehen als "7? Doch hat auch Nägelsbach diesen Grnnd angenommen. § 131: *Die Stämme

108 Ewald: hebrfiische Sprachlehre.

ÜWp § 121 und ähnliche, welche bereits im Actir vorn ein 6 haben, lassen dies im Passiv unverändert (da das ü nach § 35 -mit ö wechseln kann).' Man braucht noch nicht HebrSisch zu können , um zu wissen dasz man das, was man thun kann, noch lange nicht jedesmal thnt, sondern nur wenn ein besonderer Grund dazu treibt. Hier aber hatte die Sprache allen Grund, den ihr gegebenen Unterschied von Actir und Passiv nicht' fallen zu lassen: es ist also jener angegebene Grund keiner. Was man nicht kann, davon musz man sich auch nie den Schein geben. Eine Schulgrammatik aber, die solche Scheingründe als Er- klfirung aufstellt, bringt sich selbt um allen Glauben. So wird § 142 das Kamez in rTb| eben nur erklSrt, weil die Sprache einen Unter- schied mit dem Futur hätte herstellen wollen. Wer ein bischen nach- denken kann wird sich sagen, das gieng auch umgekehrt, da wurde derselbe Zweck erreicht. Wenn der Schüler somit hier und da leichf dahinter kommen kann, dasz solche Gründe eben keine sind, aber doch mitunter wol nicht gleich dahinter kommt, kann er nun gar nicht klag werden, wo Sprachkenntnis , die ihm ja fehlt, nothwendig ist, um den Ausdruck zu verstehen. § 54: ^Auszerdem behauptet die Sprache leicht *^ im Anfange einer mittlem Silbe, wo dies jedoch nicht durch die ganze Wurzel aus gewissen Ursachen geschieht, wird es auch wieder leicht ausgestoszen. § 55 : * sie bleiben Mitlaute oder doch unterschiedener.' § 57: '"^^US nach der Kraft so viel als "^^ati.* S 65: *Doch kann sich auch dieser I-E-Laut, wenn die Wortbil- dung es begünstigt, erhalten (weisz das der Anfänger?); auszerdem gesellt sich zu dem schwächern Mo ft gern das dumpferverhal- lende e.' §69: ^entweder bleibMer vorige Vocal in seiner Kürze, so dasz «r den Hauchlaut so nahe als möglich berührt und gleichsam noch halb verdoppelt.' § 79 ist die einfache Sache der Assi- milation wieder einmal recht schwer gemacht und als Beispiel der- selben gegeben : ^ nn für tett nach § 82 aus tent oder tenet § 238% wo die Assimilation gänzlich verschwanden ist! so wird § 117 citiert vom assimilierten Aleph, da finden sich aber nur Beispiele vom Jod. Ganz eigenthümliche Ausdrücke erschweren ebenfalls den Ge- braach; wenn irgend jemand musz sich der Grammatiker Quintilians Spruch gesagt sein lassen: utendum sermone ut nummo, cui publica forma est. § 75 : ^Der vorige Vocal' für den der vorhergehenden Silbe. § 88: Mie zuvorige Silbe.' § 113: nur ungern und zögernd entschlieszt sich die Sprache dazu. § 118: Vo dann ein Guttural vor fs^ etwas stärker behandelt wird.^ § 122: *deii aotiven Vocal a.' § 129: ^Halbpassiv.' § 203: *eine solche schiefe (oblique) Aussprache.' § 234: ^jedoch bleibt der Ton schon stark unverändert als zu träge zur Veränderung.' § 172: Mm Adjectiv ist der leichtern Zweideutigkeit wegen das masc. nur selten und dichterisch als neutr. gebraucht.' § 184: *un- ter denen (pron. pers.) wieder die höhere n, die der ersten und zwei- ten Person, an sich die volle Kraft von Substantiven oder Ei- gennamen tragen.' Doch ist anzuerkennen, dasz solche auffällige

Ewald: hebräiseha Spraohlehra. 109

Aosdrflcke hier bei weitem weniger sich finden als in dem ansführ- lichen Lebrbuche, wo dergleichen auch eher zn ertragen ist. Doch kommen wir immer auf dasselbe surfick, unser Tadel trifft den Ans- drnck, der an sehr viel Stellen uns sehr undeutlich vorgekommen ist; was hilft es aber eine Reihe Stellen anführen , ausschreiben kann man sie doch nicht alle, nnd es ist dies ein Vorwurf, der das ganze Buch trifft, nicht blos einmal einen einzelnen Paragraphen. Wir haben uns eben verleiten lassen aus verschiedenen Paragraphen Einzelheiten zu- sammenzustellen, und es könnte dadurch leicht dasMistrauen entstehen als wären diese eben mühsam zusammengesucht; wir wollen daher noch einige Stellen im Zusammenhange nehmen , so die so einfache Lehre von der Bildung des Geschlechts. Da beginnt § 172: *Wo das Semitische solche* Unterschiede anszerlich ausdrückt nimmt es bestän^ dig Endungen zu Hülfe : die eine Ausnahme davon § 137 hat ihre be- sondere Ursache. [Die Bildung des Futur durch die Präformativen häUo nicht als Ausnahme aufgestellt werden sollen, ond wäre es nicht, wenn das Futur hier nicht eigenthümlich abgeleitet wäre. Es sind aber diese Präformativen die pronomina personalia, nicht Zeichen des Feminin, die sind wirklich als Endungen angesetzt, und also auch insofern die Ausnahme falsch. Und wie mag Ewald auf solche Fassung gekommen sein? Wir vermuten wegen bbfjn, so dasz das n als Zeichen des Feminin ajizusehen wäre. Aber noch ist diese Erklärung nicht ge« sichert. Also ^iner Form wegen , und der subjectiven Erklärung 6iner Form wegen wird in der Regel , die auch sehr subjectiv anfge« stellt ist, wieder eine Ausnahme zugegeben!] Es hatte zwar ursprüng- lich ein Neutrum wie MT] was? neben "«»wer? § 182 beweist [also dies ln)j ist hier mit dürren Worten* als einziger Beweis angeführt; wie schwach er ist haben wir oben gesehen; und nun musz sich der Anfänger mit dem Neutrum herumplagen], hat aber in seiner jetzigen Gestalt [kann uns Hr Ewald von einer früheren belehren?] jedes Ge- fühl für eine durchgreifende Unterscheidung des Neutrum verloren [wer nur beweisen könnte dasz es dies Gefühl je gehabt!], und durch das herausfallen dieses Steines im Gebäude ist viel Schwanken ent- standen.' — § 173: 'Das masc. als nächstes Geschlecht hat keine Unterscheidung. [Soll wieder ein Grund sein, aber wer bonus, bona, bonnm gelernt hat weisz , dasz auch das masc« seine Unterscheidung haben kann, dasz es also nicht im Begriff des masc. liegt ohne Endung zu sein. Und dann was heiszt nächstes Geschlecht?] Wo das Fem. sich äuszerlich unterscheidet [wo ist denn dies? Eben schien es als ob blos das masc. keine bestimmte Endung hätte, und in demselben Athemzuge erfahren wir nun, dasz auch das Fem. nicht immer eine feste Endung, also eben keine habe; aber dazu findet sich kein Grund au- gegeben. Es muste heiszen : In den Substantiven bezeichnet die Sprache das Geschlecht nicht durch Endungen , nur viele Fem. haben die En- dung at, ah], da hat es als ursprüngliches Zeichen ein angehängtes aL' § 174: ^Indessen [wegen des falschen Ausdrucks musz nun sohon wieder eine Aosnahme angenommen werden ! ] sind manche Snb-

110 Ewald: hebrfiische Spracblehro.

siantiFa, obgleich dem Sprachsinne (?) nach entweder besUndig^ odor doch hie und da weiblich gedacht, immer ohne äussere Unterscheidaaiy geblieben.' Nachdem erst die Namen lebender Wesen aufgeführt wi« Dfijt Mutter usw. stellt der § noch lolgende 3 Klassen auf:

1) Namen für die E r d e , als deren Kinder die Menschen -geUen, für Land und Sfadt, V"?M, b'2n, ^'^^; seltner für yerwandte (?) Gegenstande.

2) Naraen starker aber heimlicher rathselhafler Kräfte : tDSS Seele und Ihm folgend im dichterischen Gliedertanze ^ili^D elf. Würde, Gn. 49, 6; m^i Wind, Geist mit den Namen der einselneB Winde und Himmelsgegenden; tifift Feuer, bisweilen "i'iM Licht and verwandte; n^ Wolke. Der Wechsel von U3^ti Sonne als Fen. und ti^^ Mond als Msc. führt wol auf alte Mythologie.

3) Namen für viele Gegenstände , die, wie das Weib dem Manne, dem Menschen dienen, mit oder in denen er sich als Herr bewegt: fOr die Glieder, besonders die, welche am häufigsten als Werkzeuge dienen, Hand,Fusz und ihm folgend ... Tritt (!), Finger, Arm, Auge, Ohr, Zunge und andere; (?) für Kleidung, Geräthe, BedürfniBBe, Schuh, Schwert, Fenster, Becher, Brod und ähnliche (!); für Gegenstände im Räume, wo der Mensch sich bewegt, auch wol der Zeit, Hof, Lager, Wand, Weg, Abend usw. Wie wird dem^ Schüler dabei die Sehnsucht nach der glücklichen Zeit ' entstehen , wo es noch hiesz ; die Männer, Völker, Flüsse, Wind und Monat Masculina sind ; dasz auch hier noch der stat. constr. als der hingestellt wird, der sich den absolntus unterordnet, so dasz das untergeordnete un- verändert bleibt, das unterordnende, herschende sich aber dem abhän« gigen zu Gefalle fügt und ändert, soll nur erinnert werden ; so müssen denn auch § 211 neue Ausnahmen zugestanden werden, die bei richti- ger Anffassunng verschwinden.

Ueber die Tempora verweisen wir auf das zum Lehrbuche ge« sagte; nachträglich bemerken wir, dasz hier § 224 der Voluntativ sieh bildet, indem sich der Ton nach vorn zieht, dasz § 226 der Imperativ eine Steigerung des Voluntativ ist und dieser sich bildet § 227 ^mit in^ rückstrebenden Tone' so stark, dasz vorn ganze Silben verloren gelin. Wie ist das zusammenzureimen? Warum das Put. mit ^ gerade ^in der Art des Voluntativs' 'erscheint §231, dafür erhalten wir hier einen wunderlichen Grund. Der Irthum liegt darin, dasz der Voluntativ nul diesem sogenannten Futurum conversivum ganz ohne allen Grund in Verbindung gebracht ist, mit dem er seiner Bedeutung nach nichts m thnn hat, auch seiner Bildung nach weit abweicht und nur in einzelnen Formen, besonders in Pause, zusammentrifft. In diesem § 231 ist über- haupt sehr viel auffäiliges, ja falsches, wie gleich der Anfang: *deni Imperfectnm setzt sich als ein auf die Vergangenheit hinweisendee Zeitwörtchen die Silbe a- (!) mit Verdoppelung des nächsten Mitlanta vor, welche pronominalen Ursprungs und dem Augment entsprechend soviel als da bedeutet, sich aber mit der nachdrücklicheren (welchei ist die weniger nachdrückliche?) Copula i und stets in va verschnol»

Ewald : hebräische Sprachlehre. 111

sea hat'. ... und gegen Ende: ^wie aber in der Natar dnrch die ewige Kraft der Bewegung und des Fortschrittes das gewordene und seiende sich stets zu neuem werden umgestaltet, so ändert in der Erzählung das einfallende neue fortschreiten (und so da) die Handlung, wel< che an sich schlechtweg im Perfecl stehen würde, plötzlich fnatärliche Magie! Und neben diesem verwirrenden Gerede findet sich in dem- selben Buche § 342 eine so schöne, bündige Erklärung dieses Vav conversivum, dasz diese allein zu vollem Verständnis ausreicht, und wenn die stets angenommen wäre, man nie auf die unglilckliche Be« Zeichnung conversivum hätte kommen können. Leider wird diese Erklärung da auch durch das unter 1. gesagte wieder getrübt. Es ist als ob man sich fürchtete vor Einfachheit] in diese Zeit des wer- den«, das Imperfect, um; auf eine aber dieser Art (sie) kann sofort beim neuen Fortschritte der Erzählung eine andere folgen bis ins unendliche. Und wie manigfach die Anwendung des Perfecti ist, ebenso manigfach ist im einzelnen die seines Gegenstücks'. Nicht sonderlich tröstlich für den Schüler. Gleich darauf ist Gen. 31, 15 neben 19,9 gestellt, die nicht gleiche Erklärung zulassen, bei 2. Sam. 3, 8 steht aber di^ti da- bei, was die Zeit angibt, kommt also nicht anf Rechnung des Futurs. § 234. 2, 3 ist fragliches [vergleiche zu tp 23, 6 De Wette] und ganz anders zu erklärendes zusammengebracht, so ist "^riTlptil die gewöhnliche defective geschriebene Form. Wie überflüssig und den lernenden irreführend sind Bemerkungen, wie § 237, dasz statt des Inf. auch die Construction so geändert werden könne, dasz ein Ver- bum finitum Platz findet! § 240. ^Der Inf. stellt sich starrer und un- verbundener hin, als inf. absolutus, theils als reiner Ausruf,- theils als - selbständigere Erläuterung der Hanpthandlung durch Nebenbemerkun- gen oder als neue kurze Zusammenfassung desselben Verbnms.^ Ob wbl jemand, der die Sache nicht schon anders woher kennt, diese Worte richtig verstehen kann? So § 248, wo auch die Formen in um- gekehrter Reihe gebildet angenommen werden, als sich aus der ganzen Sprache aufdrängt. ^-* § 254 ist das da so räthselhaft.

Die Satzlehre zeichnet sich entschieden vor den zwei ersten Tbeilen der Laut- und Wortlehre durch Klarheit und einfachere und beeliamtere Redeweise aus ; nur selten und doch nicht so stark tritt der im früheren gerügte Fehler hervor wie § 284 vom Anfang an und dann: *wo das Particip als den Zustand beschreibend weniger passt, kann auch ein Verbum finitum so sich unterordnen: ^»^ D^i:i '^^*1^ welches dem Sinne nach dem lat. vidü genles veniise entspricht; sel- tener aber entspricht anch die freiere Stellung der Wörter dem lat. acccinf.'; so^wenn§287das Adjectivmit stärkerem Nachdracke and in einer mehr dichterischen Höhe der Rede als Neutrum auftritt. $ 290. *Nur wenn das letztere wirklich nicht in aller Strenge mit dem ersteren zusammenhängt sondern verhältnisraäszig loser verbindet, behält das erstere leicht den ArtikeL' So ist es $ 295 die Kürze, die dem p. beim Passiv den Dativ vorziehen läszt. % 306 ist recht gut, aber nur für den, der die Sache schon kennt, and

iV. Jahrb. f. FkU. ». Paed. Bd LXXyill. ffß 2. 8

11 2 Briefe über neuere Rrscheiniingen oord. G. der denlsclien PblloL

schlicszen wir endlicli unsere Anzeige mit dem Bekenntnis, dasz das Buch nicht fiir erste Anfänger sich eignet,* aber dasz es besonders er- sprieszlich sein wird für den, der schon über die ersten Elemente hin- aus gefördert nun einmal ein durchdachtes System der Sprache kennen lernen will. Also der Student mag dies Buch mit groszem Nutzen go- branchen , auch jeder, der Ewalds gröszeres Lehrbuch studieren wiH, wird wolthun, erst dies durchzunehmen, wodurch er leichter sich dann in jenem zurechtrtnden wird. Für solche schon mit den Erscheinungen der Sprache selbst vertrauten wird das meiste von dem, was wir als unklar und verwirrend bezeichnet haben, den Nachtheil nicht haben, sie werden eben leicht sehen , was gemeint ist, und auch gewöhulicb, wie es gemeint ist; abweichende Ansichten aber wird immer'noch ein anderer haben, und dasz das der Fall ist, kann dem Buche an sieh nicht zum Vorwurfe gelten. Der Wissenschaft und dem strebsamen Theile derer, die sich mit dem Hebräischen beschäftigen, ist mit die- sem Buche ein groszer Dienst geschehen.

Quedlinburg. Goszrau.

6.

Briefe über neuere Ersclieinurigen auf dem Gebiete der

deutschen Philologie

an Ilerrn Dr S., Oberlehrer am Gymnasium zu B. von Dr F. Zachor» auszerordentlichom Professor der deutschen Sprache und Litteratur an

der Universität zu Hallo.

1.

Vorlängst schon haben Sie, verehrtester Freund, von mir begahrif dasz ich Ihnen ab und zu über bedeutendere Arbeiten und Erschei- nungen auf dem Felde der vaterländischen Sprach- und Alterthna»* künde berichten möge. Und mehr als einen Grund haben Sie beilialg einflieszcn lassen, um, wie Sie sagen, Ihre wiederholten Mahnnngm zu rechtfertigen. Sie machen geltend, dasz Zeit und Mittel ihnen et- was knapp bemessen seien, so dasz Sie selbst die wichtigeren Werkl weder in gewünschter Vollständigkeit sich verschaflen, noch mit ga* bührender Nusze studieren können. Sie nennen sich mit gewohntai Bescheidenheit zwar leidlich bewandert in griechischer und römiseh« Philologie, aber in deutscher einen halben Laien, der hier ein eigM selbständiges Urteil gar manchmal weder wagen wolle noch k6nM Dazu komme, dasz zuvveilcn, und zwar gerade in Büchern ersten Ra» ges, die Darstellung so beschaffen sei, als habe der Verfasser nnr fli den engen Kreis eingeweihter Fachgenossen schreiben wollen, wo- durch Ihnen das Verständnis ungemein erschwert, wo nicht gans ak*

Briefe Aber neuere Ersebeianngen aaf d. G. der deatscheo Phiiol. 113

gesohniiten werde. Andererseits wieder werden Sie durch die naiar- Uebe, ans Kopf und Herzen zugleich flieszende Theiinahme an allem Taterlandischen mit besonderer Vorliebe gerade zu diesen Sindion gesogen. Hatten Sie früher Gelegenheit gehabt, die erforderliche Technik derselben in ausreichendem Alasze zu erlernen, so würden Sie

Igern als Forscher selbständig mitarbeiten. Nun mochten Sie wenig- 8teo9 die Ergebnisse der Forschungen anderer sich aneignen. Da ver- liBjge aber schon das Bedürfnis der Schule, an welcher Ihnen der dent- lelie Unterricht obliegt, dasz Sie sich nicht mit oberflächlichem halbem Wissen begnügen dürfen ; vielmehr fordere dieses durchaus eine mög- liehst klare und bestimmte Kenntnis. Sie erinnern an den alten Hippel, der in seinen ^Lebensläufen^ Ihrem Lieblingsbuche, den Nagel auf den Kopf getroffen habe, wenn er sage: ^die Gabe zu unierrichten hat jeder leasch. Wer durch die rechte Thür gekommen ist, wird sich auch wieder durch die rechte Thür herausfinden. Wer eine Treppe in die Höhe steigen kann, wird sie auch herabsteigen. Bergab ist immer leichler. Wer eine Sache halb weisz, kann nur ein Viertheil beibrin- gCD. Wer nur ein Viertheil weisz ist ein Mielhling.' Und Sie behaup- ten, dasz dies auf den deutschen Unterricht um so mehr seine Anwen- doDg finde, je entschiedener Nachdenken und Erfahrung Sie zu der üeberzeugung geführt habe, dasz die einzelnen Ergebnisse der deut- schen Philologie für unmittelbare Schulzwecke nur mit Vorsicht und Beschrankung verwendet werden können, wahrend es doch andrerseits wieder unbedingt wünschenswerlh, ja nolhwendig sei, dasz der Ge- Mnlertrag dieser Studien in vollem Masze der Schule zu gute komme. Uod wie die Beweggründe weiter lauten, die Sie, gleichsam wie einen Sporn für meine Lässigkeit, gelegentlich hervorblicken lassen.

Bescheidenheit ist eine so liebenswürdige Tugend, und ein so treoer Begleiter edler utad kernhafter Tüchtigkeit des sittlichen wie wissenschaftlichen Sinnes und Strebens, dasz selbst ein mir wildfrem- der Mann in mir das günstigste Vorurteil und die lebendigste Willfäh- rigkeit erweckt haben würde, wenn er die*von Ihnen eingestreuten Beweggründe mir als die seinen mit gleichem Begehren vorgelegt bitte. Sie freilich, verehrtester Freund, bedurften einer besondern Rechtfertigung Ihres Anliegens weder für Sie noch für mich. Denn Sie wissen ja, wie gern ich jedem Ihrer Wünsche nachkommen will, wie sehr es mich freut wenn ich dieselben ausführen kann. Sie wissen iber auch, wie vielfachen Ansprüchen und Sorgen ich in meinen ob- waltenden Verhaltnissen gerecht werden mnsz. Habe ich also nicht ichon Ihrer ersten Aufforderung sofort entsprochen , habe ich viel- ■ehr die Ausführung sogar ziemlich lange anstehen lassen: so war das sicher nicht Vergesziichkeit die einer Mahnung, nicht Lässigkeit die eines Spornes bedurfte. Gleichwol gab die Freundschaft Ihnen das Recht, mich doch mitunter zu erinnern; und Sie haben das mit Ihrer ganzen gewohnten Milde und schonenden Zartheit gethan. Aber ^rissen Sie wol , dasz Sie mich eben dadurch fast noch mehr in Ver- legenheit gebracht haben? Denn dürfen Sie deshalb nun nicht mit

8*

114 Briefe aber neuere Erscheinuogen auf d. G. der deiUelieB PkiioL

doppeltem Rechte erwarten , dasK nach so langer Zögerong die Erfül- lung um so vortrefflicher ausfallen werde? leider desn mae bUiI gesin! musz ich bedauernd mit Herrn Walther von der Vogelweide bekennen. Denn auch jetzt, da ich endlich vermeine ans Werk sehrei- ten zu können, sehe ich mich wieder so hart umlagert und bedringli dasz ich nicht an ruhige, planmäszig sich entfaltende und abgerundete Darstellung denken , sondern Ihnen nur eben das bieten kann , was der flaehtige Verlauf abgerissener vereinzelterStunden niederzuschreibeo gestaltet. Ziehen Sie also nur den guten Willen mit in Rechnung, und nehmen Sie unterweilen freundlich so vorlieb !

Zunächst wünschen Sie Auskunft über die jüngste auf das ^Nibe- I u n g e n I i ed ' bezügliche Litteratur. Im Verlauf der letzten Jahre ist eine ziemliche Anzahl dahin einschlagender Bücher und Abhandlangea erschienen,' überwiegend polemischen Charakters. Aber gerade durch diese Streitschriften ist für Sie die Sache eigentlich mehr verdunkelt als aufgeklärt worden. Namentlich ist, wie Sie hervorheben, die Aus- wahl, Reihenfolge und Fassung der zu stellenden Fragen und der za- gehörigen Antworten in solche Verwirrung gerathen , dass Sie kann mehr sich zurecht finden können. Diese Klage von Ihnen zu verneh- men, überraschte mich gar nicht. Ich hatte sie im Gegentheil umsomehr erwartet , als ich auch an einigen anderen in ihren betreffendeii Spe- cialfächern sehr wol beschlagenen Freunden, die gleichfalls ein leben- diges Interesse an der Sache nehmen, ähnliches erfahren habe, lieber- wiegend durch Gefühlseindrücke geleitet neigten sie theils zu dieaer theils zu jener Seite; doch ein entschiedenes Urteil vermieden fie, und die Kernpunkte der Frage sicher zu charakterisieren wollte ihnei nicht gelingen. Das ist auch durchaus nicht verwunderlioh , da ja selbst Männer des Faches so hart aneinander gerathen sind, dasi fO- gar bedauerliche persönliche Mishelligkeiten und Feindschaften darans erwuchsen.

Sie wissen, verehrtester Freund, dasz ich Lachmanna UnterricM genossen habe, und in diesem Streite auf seiner Seite stehe. Gleich- wol erwarten Sie von mir eine unbefangene und vorurteilsfreie Wür- digung dieser ganzen Streitfrage. Ich hoffe und wünsche, daai es nir gelingen werde , solches Vertrauen zu rechtfertigen.

Auch einige andere Freunde haben ein ähnliches Begehren an mich gestellt. Da schien es mir denn ein zweckmissigee Anakanfla- mittel, dasz ich die Briefe an die Teubnersche Buehhandlung aeadii mit dem ersuchen sie in die Jahnschen Jahrbücher zu setzen. So habes Sie den Vortheil, dieselben im bequemeren Drucke zu lesen, und ich den doppelten, dasz ich den anderen Freunden nicht besondera IB schreiben brauche, und zugleich mich einer Pflicht entledige, die mir schon lange auf der Seele gelegen hat. Denn Pflicht ist es, sehr ernste Pflicht, dasz derjenige, der da meint zur Beseitigung weitgreifende* Irlhums und zur Ausbreitung und Befestigung fruohtbarer Wahrheil

Briefe ^flber neoere ErscheinimgeD anf d. 6. der deutsches Pbflol. 115

beitragen za können , nicht schweige , sondern öflentlich kund gebe, was er als wahr erkannt hat.

Freilich zwar macht ein wohlmeinender Freand mir bemerklich, dasK ich dabei schwerlich der Gefahr entgehen werde, die Empfindlich- keit des einen oder des anderen Mannes zn erregen, and vielleicht gar seine Feindschaft mir zuzuziehen. Aber Pflicht ist eben Pflicht, und darf sich durch dergleichen Bedenken nicht irren lasseh. Bin ich mir doch bewust dasz ich niemanden verletzen will, dasz ich keine Feind- schaft suche. Und sollte es mir wirklich nicht gelingen jene Klippe zu vermeiden , so [mag es darum sein. Mir ist es nicht um Personen, sondern lediglich um die Sache zu thun. Und die Sache ist wahrlich der Art, dasz sie zn voller Klarheit ausgetragen werden musz; denn es" sieht etwas mehr in Frage als die Meinung aber den relativen Werth dreier Handschriften und der Liedertheorie.

2.

Untersuchungen über das Nibelungenlied von Dr. Adolf HoUz- mann^ ordentl, Professor der deutschen Sprache an der Universität zu Heidelberg usw, Stuttgart 1854. VIII u. 212 S. gr. 8.

So lautete der Titel des Buches an welches die auf das Nibelun- genlied bezQglicbe Litleratur der letzten Jahre mehr oder minder an- knöpft. Es machte sofort groszes Aufsehen,* da es keine geringere Behauptung aufstellte, als: die bis dahin allgemein giltigen Lachmann- schen Ansichten über das Nibelungenlied und dessen kritische Behand« Inng seien durchaus falsch und irrig; das grade Gegentheil davon sei allein wahr und vernünftig.

Als das Buch erschien, stand ich eben im Begriff an die Univer- sitätsvorlesungen über das Nibelungenlied zu gehen. Mithin ergab sich mir die moralische Verpflichtung, mich gründlich von seinem Inhalte sa unterrichten. Ich nahm es also, und las es nicht nur, sondern ich stadierte es, ich prüfte es: ja ich liesz michs nicht verdrieszen meh- rere Wochen an diese Arbeit zu geben. Bei einem vor der Fakultät sa haltenden Vortrage nahm ich bald darauf Gelegenheit, das Ergeb- jua nfeiner Untersuchung in einer kritischen Gegenüberstellung ^er lieiden widerstreitenden Ansichten darzulegen. Seitdem ist eine ganze Beibe von Abhandlungen für und wider erschienen. Dankbar bekenne ich auch, mancherlei treffliche Belehrung aus ihnen geschöpft zu ha- ben; aber meine schon damals dargelegte Ueberzeugnng in einem we- •eitliehen Punkte zu ändern, dazu haben sie mir keine Nöthigung ge- boten.

Ich hoffe, Verehrtester Freund, über jene Abhandlungen mich später verhältnismgszig leicht und rasch mit Ihnen zu verständigen. Das Holtzmannsche Buch dagegen, von welchem, als der Wurzel des f aasen Streites, ich nothwendig aasgehen musz, das wird Ihre und

116 Briefe aber neuere Erscheinungen auf d. G. der deutsobei^PbttoI.

meine Geduld etwas starker in Anspruch nehmen. Von diesem Buche einc^ute Recension zu schreiben, das ist eine Aufgabe, an der ein Lossing seine Meisterschaft bewähren könnte. Denn an ihm laszt sich recht nachdrücklich die Wahrheit des Götheschen Ausspruches erfah- ren: ^Ganze, Halb- und Viertels-Irlhfimer sind gar schwer und mühsam zurecht zu legen, zu sichten, und das wahre daran dahin zu stellen, wohin es gehört.'

Das ganze Buch ist nemÜch, um das vorweg auszusprechen, ein inniges Gemenge von richtigem und unrichtigem. Wahrheit und Dich- tung verästeln und verflechten sich in ihm fortwährend, so dasK es begegnen kann, dasz selbst einzelne Zeilen zur Hälfte richtiges, zar Hälfte falsches bieten. Und dieser Uebelstand wird noch um so em- pfindlicher und mislicher dadurch, dasz fast ununterbrochen zweierlei Irthümer und Verstösze neben- und durcheinander laufen, wissenschaft- liche und logische.

Wenn ich nun sage, dasz gerade durch diese BeschalTenheit, und durch die Unbefangenheit, Sicherheit und Ziiversichtlichkeit mit denen der Herr Verfasser das alles, wahres wie falsches, gleichmäszig vor- trägt — wenn ich sage, dasz gerade dadurch das Buch so weit ver- breiteten Beifall und so allgemeine Zustimmung gefunden hat; wenn ich sage, dasz es seine ausgedehnte Wirkung groszentheils seinen Fehlern verdankt: so wird zunächst wol mancher ungläubig den Kopf schütteln. Sie freilich, verehrlester Freund, haben mit Ihrem feinen Sinne die Richtigkeit dieser Folgerung augenblicklich durchschaut. Ich sehe Sie jetzt leibhaftig vor mir sitzen, wie Sie den Brief aus der Hand legen, mit dem Finger auf den Tisch tippen, und kopfnickend sagen: ^Natürlich! das ist ja sonnenklar! Ist deih Obersatz richtig, so ist auch die Schluszfolgerung mathematisch evident'.

Und so verhält es sich in der That. Denn wenn es sich um die wissenschaftliche und logische Beurteilung eines Buches zugleich handelt, so zerfallen seine Leser doch nothwendig in drei Hauptklaa- sen. Dem Holtzmannschen Buche gegenüber, in welchem gröstentheils solche Dinge verhandelt werden, zu deren richtigem und erschöpfen- dem Verständnis tüchtige specielle Fachkenntnisse, und namentlich genaue Vertrautheit mit der Technik unentbehrlich sind, gliedern sich diese drei Klassen folgendermaszcn:

In die erste Klasse gehören diejenigen welche beide Eigenschaf- ten zugleich besitzen, sowol scharfe, gesunde Logik, als auch genfi- gende Fachgelehrsamkoit und namentlich vertraute Kenntnis der philologischen Technik.

Die zweite Klasse besteht aus zwei Gruppen. Der einen fallen diejenigen zu, welche zwar tüchtige Denker sind , aber der erforderli- chen technischen und anderWeiten Fachkenntnisse entbehren. Die an- dere umfaszt solche^ welche recht gelehrte Fachkenner und auch leid- liche Techniker sein können, aber es mit der Logik nicht eben genaa nehmen.

Zur dritten Klasse endlich sohaaren sich alle die, welche bei an-

aber nevere Erscheinungen auf d. G. der deuUchen PfailoJ. i 17

genügender oder mangelnder technischer Kenntnis und Fachgelehrsam- keii auch dem scharfen und folgerichtigen Denken, nud zumal dem selbständigen, aus irgend einem Grunde abgeneigt, oder desselben gar unfähig sind.

Aus der Natur der Sache folgt, dasz die erste Klasse nur eine verhältnismäszig kleine Anzahl von iMännern befassen kann. Reicher schon wird die zweite besetzt sein. Und wenn man die weit überwie- gende Menge der Leser- der dritten Klasse zuweisen musz, ^o kann sich niemand dadurch persönlich beleidigt fühlen, weil es ja einem jeden frei steht, sich selbst in eine der drei Klassen nach seinem eige- nen beliebigen Ermessen einzuschätzen. Strenge Grenzscheidungen lassen skh hier überhaupt nicht sieben. Gibt es doch recht geistreiche Leute, die sogar fruchtbar an eigenen trefflichen Gedanken sein, aber •dennoch der Consequenz, der strengen Folgerichtigkeit des Denkens, ermangeln können. Und gerade die letztere, die Folgerich- tigkeit ist es, die hier wesentlich in Betracht kommt.

Doch genug! Es leuchtet ein, dasz der zahlreichsten, der dritten Klasse, nnd zum Theil auch der zweiten, diejenigen Mittel und Waffen ganz oder theilweise gebrechen, mit denen sie dem Verfasser einen erfolgreichen Widerstand selbständig leisten könnten. Sie müssen entweder seinem Angriffe ganz aus dem Wege gehen, oder sich ihm «uf Gnade und Ungnade ergeben. Und dabei können sie sich kaum durch etwas anderes bestimmen lassen als durch das Gefühl, oder wol richtiger gesagt durch den Respect. Ist der alte Kespect vor Lach- jnanus Autorität gröszer, dann ignorieren sie das unbequeme ßuch. Imponiert ihnen aber des Verfassers Entschiedenheit und Zuversicht- lichkeit so mächtig, dasz der neue ßespect die Oberhand gewinnt, dann geben .sie dem alten Glauben den Abschied, und freuen sich viel- leicht sogar, die schwierigen Artikel der alten Lehre bei Seite legen EU können. Ja manche gerathen gar in die unerquickliche Verfassung, dasz keiner der beiden Respecte dem anderen das Feld räumen will. Sie pflegen sich dann mit einer Art von Abkommen zu helfen, indem sie sich ein gemischtes Glaubensbekenntnis zurechtmachen, welches ans einigen Artikeln der alten und einigen der neuen Lehre besteht. Oder sie verharren \v'ol auch in einem noch weniger erfreulichen Zu- stande der RatMosigkeit, des Schwankens, der Ungewisheit.

Das ist weder Theorie noch Phantasie, verehrtester Freund; denn ich habe Leser aus jeder dieser Klassen wirklich kennen gelernt. Wenn dem aber so ist, wie unendlich sdiwierig, ja fast unlösbar ge- staltet sich dann die Aufgabe, von diesem Buche eine gute Recension Stt schreiben. Denn wollte der Beurteiler das Buch Seite für Seile durcligehen, und Satz für Satz nur ganz einfach registrieren mit den Sti'chwortcn : ^richtig, philologischer oder logischer ganzer, halber, Viertelsirthum', so' würde ja sein bloszes Register fast schon so dick werden als das Buch selber. Und wo bliebe die dem Publicum wie dem Verfasser schuldige Begründung und Beweisführung? Wer möchte das schreiben? Wer möchte. das lesen? Beschränkte der Beurteiler

118 Briefe Ober neuere Erscheinnngeu anf d. G. der dealsehen Philol.

4

sich dagegen auf eine Auswahl einzelner Stellen , wie könnte er dann der Gefahr entgehen, dass ein ziemlicher Theil seines gemischten Publicums, statt sich vertrauend von ihm leiten zo lassen, ihn vielmehr der Parteilichkeit gegen den Verfasser beschnldigen werde? Und wie könnte er solchem Vorwurfe entschieden siegreich begegnen oder vor- beugen? LSszt sich denn so beiläufig in einer Rccension die gesaimte für die Beurteilung einer solchen Frage erforderliche Fachgelehrsam- keit vorlegen? Läszt sich so beiläufig die philologische Technik bii ins Detail hinein entwickeln? Und iSszt sich endlich gar erwarten, dasz derjenige durch eine Recension zu Folgerichtigkeit des Denkens geführt werden könne , den Natur, Schule und Leben nicht dazu ge- bracht hat? *

Ihnen persönlich gegenfiber, verehrtester Freund, bin ich nun freilich schon insofern in einer weit gfinstigeren Lage, als ich Ihr Vertrauen bereits besitze, und nicht erst zu erwerben brauche. Allein ich wünsche doch, dasz Sie auch in dieser Sache nicht mit meinen, sondern mit Ihren eigenen Augen den Dingen auf den Grund sehen mögen. Und ich wünsche das um so mehr, weil es sieh hierbei um Grundprincipien der deutschen Philologie, ja der wissensohaftlichen Forschung überhaupt handelt.

Da nun Ihnen wie mir die Sache das wesentliche ist, so kann es uns beiden nicht um eine eigentliche Recension des Holtzmanaachen Buches im üblichen Sinne des Wortes und in der gewöhnlichen Form zu thun sein. Allerdings werde ich meinen oben vorausgesohickten Ausspruch über den Charakter des Buches zu begründen und als rich- tig nachzuweisen haben; aber ich werde nicht nöthig haben, mich durch Inhalt, Form und Gang desselben bedingen und beschränken zs lassen. Vielmehr gedenke ich die für die Sache selbst wesentlichsten Hauptpunkte nacheinander in Erwägung zu ziehen. Auf eine stilistisch kunstgerechte Ausführung musz ich freilich , aus den schon in meines ersten Briefe angedeuteten Gründen, von vorn herein verzichten. Und Sie müssen mir schon erlauben, werthester Freund, dasz ich in beqne* merer Freiheit, ohne an eine vorausbestimmte Ordnung mich zu binden, bald den Verfasser eine Strecke begleite, bald Sie zu kurzem verwei« len einlade, bald auch einen kleinen Abstecher mache. Es wird Ihnen gewis nicht schwer fallen, dann die einzelnen Ergebnisse schlieszlidi selbst in die für Ihre Zwecke und Bedürfnisse passende Ordnung und Form zu bringen, und zu einem Gesamtergebnisse abzurunden.

Eigentlich sind Sie mir ja auch schon auf diesem Wege selbst entgegengekommen. Denn, wie ich bereits in meinem ersten Briefe bemerkte, haben Sie mit ganz richtigem Takte hervorgehoben, dass es Ihnen hierbei namentlich anzukommen scheine auf die AusW'thl, Reihenfolge und Fassung der zu stellenden Fragen* Hauptsächlich hierin liegt in der That fast das ganze offene Geheimnis dieser gesamten Streitfrage. Und wie hätte auch ein denkender Sehnl- mann die Erfahrung übersehen können, die sich ihm tagtäglich aufs nene darbietet: dasz richtig antworten eine viel leichtere and geringere Knnat

Brieft ib«r leiiere ErscheiiaBgea auf d. G. der dentsclien Philol. 110

iftt als richtig fragen? Denn nach der Frage richtet sich ja die Ant- wort. Ohne ttlchtiges, gesundes Wissen, ohne scharfes logisches Den- ken geräth die Frage nur allzu leicht an den unrechten Platz, oder wird gar schief; und wie kann man auf eine übel angebrachte oder schiefe Frage eine richtige, die volle Wahrheit treffende Antwort ver- langen ?

Verzeihen Sie, Freund, die Länge dieser vorgöngigen Erörterun- gen. Sie waren nöthig um die Bahn über das Gesichtsfeld frei zu ma- chen. Um so rascher und sicherer werden wir fortan uns bewegen können.

3.

Die Vorrede der * Untersuchungen über das Nibelungenlied' dürfen wir schon deshalb nicht übergehen, weil in ihr Herr Holtzmann sich über die Entstehung und den Zweck seines Buches ausspricht, und auch einige auf den Inhalt bezügliche Bemerkungen hinzufügt. Hier wie spater wird es sich übrigens als nöthig erweisen, dasz wir, we- nigstens in den wichtigeren Stellen , uns so genau als möglich an des Verfassers eigene Worte halfen.

Es ist .so beginnt der Verfasser eine misliche Sache, eine Ansicht, die zu allgemeiner Geltung gelangt ist, für einen Irthum zu erklaren und ihr die Wahrheit entgegenzusetzen , zumal wenn der Ir- thum noch jung ist , noch mit dem Eifer einer neugewonnenen Wahr- heit verkündet und festgehalten wird, und sich an einen verehrten Na- men knüpft. Dies gilt in hohem Masze von den Lehren von den zwan- Mdg Volksliedern aus denen das Nibelungenlied bestehen soll, und von der Vorzüglichkeit der einen münchener Handschrift (A), die überall mit jenem Sieyestone vorgetragen werden^ mit welchem Schüler die Worte des Meisters als unumstös^Uiche Wahrheit *u wiederholen pfle- gen. Und dieser Meister ist der bewunderte Kritiker Lachmann , und dieses Kritikers Meisterwerk ist die als Gipfel des menschlichen Scharf- ainns gepriesene Ausgabe der Nibelungen Noth. Und nun diese Ausgabe für eine von Grund aus verfehlte^ und jene triumphierenden Ansichten für Irthümer zu erklären , heiszt das nicht einem rennen- den Rosse in die Zügel fallen , und den brausenden Wagen mit der Hund aufhalten wollend

Wenn aus dieser Erwägung des Verfassers Buch entsprungen ist und daran zu zweifeln haben wir durchaus kein Recht so ver- dient nicht nur sein Entschlusz überhaupt, sondern insbesondere sein Mut die offenste und vollste Anerkennung. Und es bleibt vom sittli- chen Gesichtspunkte aus auch ganz gleichgiltig, ob der vermeinte Ir- Ihum auch ein wirklicher gewesen, ob die Widerlegung gelungen ist oder nicht. Wucherte nach seiner Ansicht unter dem Schutze von Lachmanns Namen ein von diesem gepflanzter Aberglaube, so war es um so verdienstlicher demselben die Wurzel abzugraben, je weiter er seine Ranken getrieben hatte, je zäher er haftete, je mehr er hauptsächlich aus dieser Wurzel seine Nahrung zu ziehen schien. Und wenn der

120 Briefe aber neuere Erscheioangen auf d. G. der detttoehen Philol.

Verfasser in dieser Beziehung die Verehrung eines gefeierten Namens für einen unberechtigten und gemeinschadlichen Kult erachtele, wenn er darob in Eifer gerielh: wer darf ihm das verargen? Und wenn die- eer Eifer aus dem Tone der Vorrede widerklingt, wenn nach allen Kennzeichen zu urleilen das ganze Buch in diesem Eifer rasch be- schlossen, rasch ausgeführt würde: wer möchte ihm nicht manches XU gute hallen, vieles zu gute hallen?

Aber wäre es nicht in jeder Beziehung besser, wenn man ihm nicht so viel zu gute zu halten brauchte?

Doch hören Sie weiter.

^Auch ist es fährt der Verfasser fort gar nicht unsere Ab- sicht^ uns in dieser gefährlichen Stellung in eine Polemik gegen die herschenden Ansichten einzulassen. Eine Kritik der Leistungen Lach- manns ist flicht meine Aufgabe^ und ich erwähne darum nichts von Jenen wunderlichen Zahlenverhältnissen , die die geheime Grundlage der Lachmannschvn Textrecension waren ^ und die bereits von Ja- hob Grimm enthüllt sind^ noch auch führe ich aus^ was sich gegen die /steinen Lieder sagen liesze. Eine Lehre^ die sich von /In/an«/ an da- zu bekannte^ mehr auf dem gesunden Gefühl als auf Gründen des Ver- siandes zu beruhen^ und die immer mehr ein Glaubensartikel als ein beweisbarer Satz blieb ^ läszt sich ohnehin nicht widerlegen*. Un- terstreichen Sie sich inzwischen dieses doppelle *mehr'. ^fck lasse daher den herschenden Ansichten ihren ungehemmten Lauf; aber ich wage es, eine neue Ansicht daneben zu stellen^ und nicht auf das Gefühl^ sondern auf den Verstand zu gründen.'

Hier musz ich Sie schon bitten, ein wenig zu verweilen. Denn hier gerathen wir bereits in jenes Gemenge von Dichtung und Wahr- heit, in jene logischen und philologischen Leichtfertigkeiten, in jenes arge Dilemma, welches sich leider durch das ganze Buch hindurch- sieht, und also lautet: entweder hat der Verfasser den Sachverhalt nicht hinreichend gekannt; wie darf er sich dann anmaszen darüber abzuurteilen? oder er hat ihn hinreichend gekannt; wie darf er dann wagen, ihn anders darzustellen als er in Wirklichkeit beschaffen ist? Das eine ist noch schlimmer als das andere!

Auf die wundcrlfchen Zahlenverhältnisse komme ich wol später noch mit einem Worte zu reden. Sie sind und waren so ^geheim% dasz jeder Kenner der deutschen Philologie sie seit langen Jahren wüste. Denn bekanntlich hat Lachmann selbst im Jahre 1833 in, der Ausgabe des Wolfram von Eschenbach (Seite IX) und 1836 in den An- merkungen zu den Nibelungen (S. 162) sie veröffentlicht. Sind sie dem Herrn Verfasser wirklich erst durch Grimms im Jahre 1851 gehal- tene Gedächtnisrede auf Lachmann ^enthüllt' worden? Wenn ers sel- ber sagt, so müssen wirs ihm wol glauben. Aber dann möge er uns auch verzeihen, dasz wir dies Bekenntnis nicht eben für besonders schmeichelhaft halten können, weder für seine philologische Gelehr- samkeit, noch für seinen Scharfsinn. Lachmann selbst hat vor mehr als zwanzig Jahren in den beiden eben angeführten Stellen deutlich

Bnefe Aber neuere Erseheinnogeii aof d. 6. der dentsekea Philol. 121

und bestimmt genug erklärt, welchen Einflnsz er diesen Zahlenverhilt- nissen auf seine Textesrecensionen gestattet hat. Hiernach, und sogar nach dem Wortlaute und Sinne der sogenannten Grimmschen Enthül- lungen, zu behaupten, dasz ^jene wunderlichen Zahleuverbaltbisse die geheime Grundlage der Lachmannschen Textesrecensionen' seien: dazu gehört denn doch eine nicht alltägliche Leichtfertigkeit!

Weiter meint Hr Holtzmann, Lachmanns Lehre lasse sich deshalb nicht widerlegen, weil sie eingestandenermaszen mehr auf dem Ge- fühl als auf Verstandesgründeu beruhe, mehr ein Glaubensartikel als ein beweisbarer Satz geblieben sei. Was sagt Ihre Logik zu dieser Aufstellung? Musz sie nicht sagen: also beruhte jene Lehre doch zum Theil auf Yerstandesgründen, war doch zum Theil beweisbarer Satz, und folglich auch wenigstens jener Theil so beschaffen, dasz er zum Gegenstande einer Widerlegung durch Gründe gemacht werden konnte? Und musz dieselbe Logik nicht sofort auch weiter fragen nach der Möglichkeit einer Grenzbestimmung zwischen dem auf Yer- standesgründen beruhenden beweisbaren und dem auf dem Gefühle be- ruhenden unbeweisbaren Theile?

Jene mit vollem Rechte verlangte Grenzbestimmung ist aber wirk- lich und thatsächlich vorhanden, ist sogar von Lachmann selbst gezo- gen und mit ausreichender Genauigkeit angegeben worden, wie z. B. in dnr Anmerkung zu Strophe 590. Nur für einen geringen Theil jener Strophen nemlich, die er unechte nennt und die in seinen beiden letz- ten Ausgaben durch cursiven Druck bezeichnet sind nur für diese wenigen und in den Anmerkungen einzeln aufgezählten Strophen beruft sich Lachmann auf das Gefühl. Und selbst hier auf was für ein Gefühl? Etwa auf das Gefühl des ersten besten Lesers? Nein ! sondern auf das Gefühl dessen, der sich ^über diese Kritik ein Urteil zutraut^ ^ der ^das ganze der Untersuchung auffaszl,^ So steht es deutlich gedruckt zu lesen auf S. 6 der Aumerkungen zu den Nibelungen. Kann das aber etwas anderes bedeuten, als anf das geläuterte und verfeinerte Gefühl dessen, der wirklicher Sach- und Fachkenner ist?- Und ist denn das ^ in der That so unvernünftig? ja ist es überhaupt anders möglich?

Nehmen wir doch einmal einen Vorgang aus dem alltäglichen Uandwerksleben ! Sie wollen ein kostbares Werk, um es vor Wurm- frasz zu schützen, in Juchten binden lassen. Sie wissen, dasz es ech- ten und unechten Juchten gibt, und begleiten aus Liebhaberei Ihren ausgezeichneten Buchbindermeister selbst in eine grosze Lederhand- lung. Der Händler legt Ihnen eine Reihenfolge verschiedener Juchten 'vor. Einige davon erkennen Sie schon als Laie für unecht. Bei eini- gen anderen vermag Ihnen der Meister die Kennzeichen der Unecht- heit mit einer für Ihren Laienverstand noch völlig begreiflichen und einleuchtenden Bestimmtheit anzugeben. Einige aber werden übrig bleiben , die der Meister unter Berufung auf sein Gefühl für unechte erklären wird. Wollen Sie nun die Befähigung zu einem eigenen Ur- teile auch über die Uncchthoit dieser erlangen, so wird der Meister zu Ihnen sagen : ^Kommen Sie zu mir, lernen Sie bei mir die Buclibinderei ;

122 Briefe Übet neuere ErgcheiouDgen aaf d. G. der deatsdieB PhiloL

and wenn Sie gut aufpassen, Lehre annehmen, sich fleiszig Oben und selber nachdenken, so soll in einiger Zeit auch Ihr Geföhl so weit technisch ausgebildet sein , dasK Sie auch über diese Juohlen werden ein der Wahrheit ziemlich nahe kommendes Urteil abgeben können. Unbedingte Sicherheit ist hier überhaupt nicht mehr möglich, denn manche unechte Juchtenfelle sind so beschaffen , dasz selbst der erfah- renste Buchbindermeister bei ihrem Einkaufe sich einmal irren kann/

Werden Sie das Verfahren und die Forderung dieses Handwerks- meisters nicht vollkommen in der Ordnung finden? Und bedarf e^noch der Nutzanwendung?

Nur für diese wenigen Strophen also hat Lachmann sich auf das Gefühl berufen, weil für ihre Echtheit oder Unechtheit ein anderes Kriterium überhaupt nicht möglich ist. Und nur unter dieser bestimm- ten Beschränkung hat er es gethan, weil diese allein vernünftig ist. Aber wo in aller Welt steht denn geschrieben, dasz er einen Glaubens- artikel daraus gemacht hat? Der Herr Verfasser möge uns doch die Stellen zeigen!

Alles übrige aber hat ja Lachmann wirklich bewiesen, und der Beweis ist gedruckt zu lesen in seinen ^Anmerkungen zu den Nibelun- gen', wovon ein jeder sich durch den Augenschein selbst überzengan kann. Freilich ist der Beweis durch das ganze Bufoh verstreut und bei jeder Stelle nur eben so viel beigebracht als gerade für diese Stelle erforderlich war. Und wenn der Beweis nicht überall jedem, der ohne die erforderlichen Vorkenntnisse daran geht, sofort verständlich ist, so üe^ die Schuld doch gröstentheils eben an der mangelnden Vorbildung dieses Lesers. Die cardanischo Formel geht mit ihrem Beweise auch nicht über die gewöhnliche Fassungskraft eines sechszehnjährigen Kna- ben, und dennoch bleibt ihr Verständnis sogar dem gereiften Geiste eines erwachsenen, ^ber der Mathematik unkundigen Hannes so lange verschlossen, bis dieser sich die dazu unentbehrlichen algebraiseben Vorkenntnisse erworben hat. Und dasz der Beweis nicht für alle vor- kommenden Einzelheiten gleich zwingend sein kann, das ist denn doeli nicht Lachmanus Schuld, sondern es folgt ja nothwendig aus der Natnr der Sache. Lachmann hat das überdies mehr als einmal (z. B. S. 6 u. 163 der Anmerkungen) ausdrücklich selbst anerkannt und ausgespro- chen. Die verschieden abgestufte Beweiskraft der einzelnen Theile thut auch der Gesamtwirkung und Gesamtgeltung des ganzen Beweises oder der Beweissumme nicht den geringsten Eintrag. Denn mit vollem Rechte bemerkt Lachmann (Anmerkung S. 163) : ^ denke niemand^ eine Ansicht, die auf der Betrachtung des ganzen beruht, könne, durch Wegräumung eines oder des andern minder triftigen Beweises wider- legt werden.^

Ja selbst die Gesamtheit der Lachmannschen Beweise mag jemand immerhin unzulänglich nennen, unberücksicht mag er sie lassen: ei kann der Wissenschaft nur frommen , wenn sie widerlegt , wenn sie durch eine neue Lehre beseitigt werden. Aber ihre Existenz zu liug- nen, aber in behaupten, Lachmanns Lehre beruhe eingestandenermaf len

Hi^fler: Lefarbach der ailgemeinea Geschichte. 123

mehr anf dem Gefühl als auf Verstandesgrfindeo , sei mehr eio Glau* bensartikel als ein beweisbarer Satz geblieben, darch eine solche Behauptung den tbatsacblichen Sachverhalt geradezu umzukehren : dazu gehört denn doch wieder eine nicht alltägliche Leichtfertigkeit !

(Fortsetzung folgt im nächsten Heft.)

7.

Lehrbuch der aUgemeinen Geschichte. Für Untergymnasien und Mittelschulen von Dr Constautin Eöfler^ k. k. Professor der allgemeinen Weltgeschichte an der prager Universität usw. Erster Band: Geschichte des AUerthums. Mit einem Atlas. Prag 1857, Tempsky*).

Es sind mehr als zwei Jahre, seit wir in dieser Zeitschrift ein Lehrbuch der Weltgeschichte, welches für die österreichischen Unter- gymnasien bestimmt war, besprochen haben, und die Uebereinslimmung, mit der die Kritik dieses Werk Burofillers verdammte, hat bewirkt dasz die durch die Einführung eines so schlechten Lehrbuchs dem Geschichts- auterrichte drohende Gefahr abgewendet wurde. Heute liegt uns ein Buch vor, welches fast bestimmt zu sein scheint jenes frfiher genannte zn ersetzen. Ob es dieser Bestimmung entspreche und als Grundlage ftlr den Geschichtsunterricht geeignet sei, wird sich mit Leichtigkeit aus der Zusammenstellung einiger Stellen des Buches ergeben.

Geographisches. Wenn es schon überhaupt eine der ersten Anforderungen eines Schulbuches ist Klarheit und Deutlichkeit des ge- gebenen Stoffes zu vermitteln , so wird das ganz besonders von dem geographischen Theile einer Weltgeschichte gelten können , da durch so treflniche Arbeiten, wie sie die neuere Zeit im Gebiete der alten Geographie zu Tage gefördert hat, dem in diesen Dingen bewanderten reichliche Hülfsmittel dargeboten sind, so dasz dem Verfasser eines Lehrbuchs hier mehr die Aufgabe geschickter Auswahl als die einer selbständigen Behandlung zufällt. Hr Höfler hat dagegen das letztere fast durchgehends vorgezogen, aber wie Ihm das gelungen ist können wir gleich S. 8 bemerken, wo es heiszt: ^Hinter (!) dem kaspischen Meere am Westabhange der mittelasiatischen Hochgebirge . . . zieht sich dann im weiten Umfange ein Gürtel von Steppen nnd Wüsten . . .* ^Aber erst die gewaltigen Doppolströme Indiens und Chinas und die Niederungen, welche sie durchströmen, setzen der Wüste wirklich eine Grenze. Wie nemlich die von Westen nach dem Osten gewandten nngehenern Ströme Südamerikas diesen Erdtheil vor der Dürre, Trocken-

*) Die hier folgende Anzeige hat einen Katholiken zum Verfasser«

Dietach.

124 Ilöfler: Lehrbuch der allgemeinen Geschichte.

heit und Gluthitze Afrikas bewahrten, hat Asien sich durch seine Stron- landschaften (Mesopotamien) des Oxus und Jaxarles, des Euphrat und Tigris, des Indus und Ganges, des Hoangho und Janlfekiang der Wttste erwehrt (!!), während Afrika ihr ohne dieselben erlag (!!).'

^Zwischen dem knspiscben und persischen Meere, dem mittellän- dischen und dem rotben, dem schwarzen und dem indisch -arabischeo liegt nun eine Welt im kleinen, ein Viereck von Landschaften' usw. Die Bezeichnung des Vierecks ist Hm Höfler überhaupt als geographi- sches Bild sehr geläufig. * Das Quellengebiet des Vierecks.' * So konnte es kommen, dasz Jahrtausende hindurch die Weltgeschichte sich von diesem meerumflossenen Vierecke nicht zu trennen vermochte.' S. 14 wird dagegen dieselbe ^vorderasiatische Welt' ^einem Kreuze gleich' gesetzt, während andererseits auch die Sliftshatte der Juden S. a8 ein viereckiges Zelt und S. 93 auch der Peloponnes ein *Vier- eck mit Zacken' genannt, S. 173 von Uom gesagt wird: es Var aus dem viereckigen Kom ein vierbergigeä geworden'. Aber auch noch in anderer Weise laszt der Vf. seiner Phantasie ein^n freien Spiel- raum bei geographischen Beschreibungen. S. 12 heiszt es von Iran: ^£s war der eine Flügel Vorderasiens, Kleinasicn der andere, das hoch- gelegene Armenien in der Mitte beider das Haupt, Assyrien die Brast, Babylon der mittlereTheil des Leibes, dessen Extremitäten sich nach Arabien und Aegypten zogen.' Ueberall bemüht sich der Vf. an die Stelle der einfachen Beschreibung seine eigenen Reflexionen sa setzen, und so kann es nicht fehlen dasz die Schüler, wen) sie dieses Buch gelesen haben werden , zwar eine Menge sogenannter schöner Worte, aber von Geographie noch gar nichts im Gedächtnis behalten haben werden. Selbst die 'Geographie von Griechenland und Italien ti^ägt dieses Gepräge der Undeutlichkeit und Unklarheit an sich; so wenn gleich S. 92' der BegrifT von Hellas in folgender Weise festge- stellt wird: ^HeHas, das Land der Hellenen, bestand aus dem Mutter- lande und den Colonien, da wo der Grieche, Hellene, sich niederliess, Hellas war.' Selbst grobe Unrichtigkeiten sind hier nicht vermieden: ^Südöstlich (von Makedonien?) zackt sich das Land durch die Ein- krümmung der Landschaft Magnesia in den magnesischen und dann in den lamischen Meerbusen aus, zwischen welchen längs des Gesta- des des Festlandes die Insel Euböa sich hinzieht.' ^Zwischen Aetolien und Boeotien aber liegen in der Mitte Doris, Phokis und das eine Lokris, zwei andere Lokris an der Küste' (an welcher?). Erstaunlicher als dies ist es vielleicht noch, dasz S. 169 ^der Tiberis in Etrurien' ge- nannt wird. S. 170 aber heiszt es : Won da an (von der Mündung des Nera) bis zur Einmündung des Anio ist der Tiberis Grenze zwischen Tuscia und Sabina (!!) und von der Mündung des Anio bis zur eige- nen Ausmündung in das Meer scheidet er Latium von Tuscia.' Unbe- greiflich wird es dem Schüler auch bleiben, wenn S. 170, wo von Etrurien die Hede ist, Tuscia in Klammern beigesetzt ist und es nun S. 171 heiszt: ^ Die Tuskcr (Tyrrhencr) wurden von Ra.senern (Etrus- kern) unterjocht.' Vergebens wird sich der Schüler nach Aufklärun-

Hdfler: Lehrbach der allgemoincD Geschichte. 125

gen Über solche verworrene Punkte in dem Bache umsehen, ob etwa der von Hrn Hof 1er beigegebene Atlas diese bieten sollte? Wir kom- men auf diesen Atlas noch surück.

H is torisches. Der erste Abschnitt der eigentlichen Geschichts- darstellung beginnt mit den vorderasiatischen Reichen, und zwar a) mit Babylon, wobei. als Unterabtheilung ^Ursprung der Staaten' eigen- thämlich in die Augen fällt. Ob Hr Höfler die Babylonier zu den Cha- miten oder Semiten rechnet, bleibt vollständig unklar, wenn er sagt: ^lieber den Ursprung und die Entstehung der ältesten Reiche besitzen wir nur wenige sichere Nachrichten.' Als zuverlässig stellt hierauf Hr Höfler nur die ^Berichte der Semiten und insbesondere der Hebräer' hin. ^Ihnen zufolge, heiszt es dann weiter, ist das chamitische Babylon , in dessen nächster Nähe semitische Stämme wohnten, als das erste Reich anzuführen, ob wol die Gründung desselben nicht sowoi den Semiten als Nimrod dem Chamiten zuzuschreiben ist.' Man ahnt wol da^z der Vf. hier sich. bestrebt die Tradition der Bibel mit den neuern wissenschaftlichen Ansichten in Einklang zu bringen , was gewis nnr zu billigen ist; allein dies geschieht mit einer so handgreif- lichen Absichtlichkeit und mit so plumper Ungeschicklichkeit, dasz selbst bei dem blödesten Knaben der Verdacht entstehen musz, dasz hier eine bedeutende Unklarheit zu Grunde liege. Wenn dann gleich im folgenden Paragraphe, der mit ^jedoch' beginnt, gesagt wird, dasz die Nachkommen Noes ^den Bau eines allgemeinen Denkzeichens, eines Thurmes', begannen, wobei sie *jene Verwirrung der Gemüter traf, Velche sich in dem Abfalle von dem einen and höchsten Gotte in der Verschiedenheit der Religionen wie der Sprachen, bald auch in der der Farbe and des Körperbaues ausdrückte', so musz dies als eine ganz willkürliche and rationalistische Interpretation von Genesis XI 6 9 bezeichnet werden, wobei wir noch von der ungeschickten Stili- sierang ganz absehen wollen. In diese Kategorie gehört auch der Satz : ^Allein schon unter seinen (Noes) Söhnen tritt eine Ausartung hervor, 80 dasE Noe selbst den Fluch über den zweiten (Chom) ausstöszt,* -welcher alle Ehrfurcht vor dem Vater und Priesterfürsten mit Fäszen getreten hat.^ Welches Bild übrigens Hr Höfler von dem Leben der alten orientalischen Völker zu entwerfen sich bemüht, mit welcher Sicherheit jer dieses zeichnet, obwol er den Mangel an Nachrichten darüber selbst erwähnt, leuchtet aus wenigen Sätzen hervor (S. 21)- ^Die Aufforderung aber .... zu essen, zu spielen, zu schlemmen, alles übrige sei nichts werlh', beweist am besten, dasz im mächtigen Ninive, yvie in Babylon, zuletzt die Befriedigung gemeiner Sinnlich- keit als einziger Zweck des Daseins galt. S. 24 wird noch vieles über ^Aberglauben und Ausschweifungen' hinzugefügt und wie die Chamiten mit ^Krieg und morden' begannen. S. 33 heiszt es dann auch voo den Phöniciern : sie ^überlieszen sich nicht blos allen sinn- lichen Ausschweifungen, sondern fühlten wie alle kanaanitischen Völ- ker einen wahren Beruf darin, ihre Nachbarn mit derselben Aus- gelassenheit'anzustecken.' Was die Chronologie betrifft, so wäre es

126 Höfler: Lehrbuch der allgemeinen Geschiehte.

freilich sehr verkehrt, wenn man in einem Lehrbuche der Weltge- schichte über diese älteste Zeit eben nur lauter sichere Daten erwar- ten wollte ; aber ganz unpraktisch wird für den Anfangsunterricht ein Buch sein, welches, wie das vorliegende, vage oder unbestimmte und nichtssagende Zeitangaben enthält, da der Schüler dadurch nur ver- wirrt wird: ^520 Jahre lang hatte die Herschaft Assyriens gedauert, nachdem ihr die Babylons in angemessener Dauer vorangegangen war.' S. 23: ^Ninive gross durch den Untergang anderer gleich alter Städte' u. dgl.

In der Geschichte Aegyptens, die von S. 36 bis öl behandelt wird, erfreut uns Hr Höfler gleich im ersten Satze mit einer Ent- deckung, die den Schülern gewis Stoff zu vielem- Nachdenken geben wird : *Die aegyptischen Denkmäler , welche auf unsere Tage gekom- men sind, beginnen die Geschichte ihres Landes und damit der ihneit bekannten Welt mitMenes, welcher als der älteste König Aegyptens bezeichnet wird, wol der erste Mensch (Adam) gewesen ist.' Damit ist schon der folgende Satz unvereinbar: ^Von ihm an werden 26 Königsdynastien erwähnt'; und so finden wir auch hier wieder ein Beispiel, wie unbesonnen der Vf. zuweilen seine eigenen Combinationen mit der geschichtlichen Wahrheit vermengt hat. Doch wenden wir uns von diesen orientalischen Geschichten zur Betrachtang der Darstellung griechischer und römischer, indem wir nur eine ali- gemeine Bemerkung noch hinzufügen wollen, dasz eine so unverhilt- nismäszig ausführliche Behandlung der orientalischen Völkergesohichte, wie es in dem vorliegenden Buche der Fall ist, gewis am wenigsten für die untere Unterrichtsstufe geeignet ist. Wir glauben nicht sn irren , wenn wir behaupten dasz dies übrigens mit einer gewissen Ab- sichtlichkeit geschah, um auf Kosten der unerquicklicheren Partien des Alterthums dem Schüler auch das Studium der griechischen und römi- schen Geschichte nach Möglichkeit zu verleiden. Die Art und Weise, wie Hr Höfler die letzteren behandelt, bestätigt diese Behauptung lei- der nur zu sehr.

Da ist es denn eben so bezeichnend als erheiternd, welche An- schauungen Hr HöHer aus den griechischen Tragikern gewonnen habfin mag, wenn er uns die älteste griechische Sagengeschichte in folgen4er Weise erzählt: ^Die griechische Sage berichtet nun beinahe von allen Königsfamilien gräu^lhafte Thaten nnd ein blutiges Verhängnis, das sich von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt. Da hatte zuerst Atreus, Pelops Sohn, die Söhne seines Bruders Thyesles gesohlach- tet und dem Vater als Speise vorgesetzt. Atreus Sohn Agamemnon wird bei der Heimkehr von Troja durch seinen Neffen Aigisthos und die eigene Gattin erschlagen, die dann später dem Mordstahl des Orestes verfallen, welcher um deA Vater zu rächen nicht blos den Mörder, sondern auch die eigene Mutter erschlägt. In Theben ist es das Hans des Leios, welches auf ähnliche Weise zu Grunde geht. Um der Gefahr zu entgehen, welche nach einem Orakelspruche dem König von seinem neugebornon Sohn (Oidipus) droht, wird dieser als Knabe

H5ll6r: Lehrbaeh der allgemeioen Geschiehte. 127

ausg^eseUt; jedoch g^etettet erschlfigt er später seinen Vater, ohne iha %n kennen, heiratet seine Mutter lokaste, wird König von Theben und Vater einer zahlreichen Familie. Da erst erlangt er allmählich Einsicht in sein eigenes Schicksal ; aus Verzweiflung begibt er sich des König, ihums, lokaste erhfingt sich ... In ähnlicher Weise hatte nach der Sage auch Orestes, der Mnttermörder , als ihm die Reue über die Er- mordnng der Mutter gekommen, die Rachegöttinnen (Er y nnien ! ! ) ihn verfolgten, theils im Tempel des Apollon zu Delphoi, theils auf dem Areiospagos Befreiung von der Wuth seiner Verfolgen n en und Schuld- losigkeit erlangt. Allein in der älteren Auffassung der Sage und bei dem wilden Leben der Vorzeit hatte Orestes volles Recht die Mutter zu erschlagen. « Für blutigen Mord war blutiger Lohn als Busze ge- setzt, für feindliches Wort gleich feindliches Wort als vollgültiger Lohn.» Erst später und langsam entsagten auch die Hellenen der Blut- rache, der Menschenopfer, während anfänglich noch die Sage galt, Apollon, der Herscher, der Gott der Hellenen, habe selbst den Mar- syas , welchen er nach hartem Kampfe in der Dichtkunst überwunden, lebendig geschunden' usw. Wir glaubten diese Stelle ganz an- führen zu müssen, weil sie in der That den Standpunkt des Verfassers aufs beste charakterisiert. Auch in der historischen Zeit weisz Hr Ilöfler seinen gründlichen Abscheu vor dem klassischen Alterthum fiberall mit angemessenen Farben zu schildern , und es werden uns noch Stellen ähnlicher Art häufig genug begegnen. Von der ältesteii Geschichte der Griechen ist hier noch das bemerkenswerth, dass, nach der Ansicht des Verfassers , die Stammesuntersohiede der Hellenen durch die fremden Einwanderungen der Aegypter, Phönicier usw. ent- standen seien. S. 95 lesen wir wenigstens: ^Durch diese verschie« denen Einwanderungen und Einflüsse spaltete sich zuletzt das grosze pelasgische Volk in z w e i H ä 1 f t e n !! Die eine behielt den alten Ge- famtnamen Felasger, löste sich aber in eine Anzahl kleiner Stämme auf, die andere aber empfieng zuerst den Namen Aeoler oder Achaeer, später den der Hellenen.' Hier haben wir es also mit einer ganz neuen Hypothese zu thun, deren Beweisgründe vor der Hand freilich ein Pri- vateigenthum des Hm Höfler sein mögen. Zu vergleichen ist noch die SleUe S. 103: ^Da Griechenland nicht einen Staat bildete . . ., sondern neben den Doriern der jonisch pelasgische Stamm in Attika, die Aiolier (Boiotier) sich erhielten'. . . In der That ist das das höchste, was in ethnographischer Verwirrung geleistet werden kann. Nicht besser gelingt es dem Verfasser , wenn er Verfassungs- oder Sittenzustände schildert. Da erzählt er uns wol, wie in Sparta (S. 104) *das stehende Heer stete Beschäftigung haben muste', wie den * Mädchen und Frauen mehr Freiheiten erlaubt als bei andern griechischen Völkern.' S. 125 heiszt es : * Die Um» Wandlung der Verfassung in eine Demokratie, was nachher als Ur- sache der grösten Güter für die Hellenen gepriesen wurde , übernahm nun Kleisthenes', und weiter : *Die vier ursprünglichen Phylen Athens warden aufgehoben und zehn neue geschaffen , in welche Kleisthenes

/V. Jakrb. f. PkU, «. Paei. Bd LXXVllI. Oft 7. 9

128 Höflor: Lehrbaeh der allgemeioen Geschiolite.

die bisherigen Demen einschaltete.' Dann wird S. 143ge8agty dasz die ^demokratische Verfassung die Bürger zu unsinnigen Unter- nehmungen verleitete'. Dasz sich- neben sotchen Declamationen, ia welchen wahres und falsches neben einander schwimmt, ganz unwahre Histörchen y wie das von der Zusammenkunft des Solon und Kroesoa, sehr breit behandelt finden (S. 123), liesz sich erwarten, eben aus keinem andern Grunde , als weil es dem Geschmacke des Herrn Ver- fassers so zusagte. Auf die Geschichte der Perserfcriege dagegen wurde weniger Sorgfalt verwendet: *Den Hellenen fehlte es wie ge- wöhnlich an Einheit und Führung' (S. 127). Die Schlacht bei Ma- ralhon wird folgendermaszeu geschildert (S. 128): ^Nachdem sie sich vor einem Angriffe von der Seite geschützt, griffen die Hellenen aoi 29. Sept. 490 in der Ebene von Marathon die Perser in vollem Laufe an, warfen sie zurück, trieben einen Theil in die Sümpfe, den andern auf die Schiffe und verfolgten sie bis in das Meer hinein. AU die Flotte auf dieses um Sunion gegen Phaleron segelte, Athen zu Qber- raschen , hatten sich die Athener bereits an ihrer südlichen Küste auf- gestellt; die Flotte wagte keinen Landungsversuch und fuhr mit einen Verluste von etwa 6400 (!!) Mann nach Hause.' Noch langweiliger isl dann der zweite Ferserkrieg dargestellt : ^Bereits hatte dieser sich dem Hellesponte genähert, ihn auf doppelter Schiffbrücke innerhalb sie- ben Tage und sieben Nachte unausgesetzten Marsches fiberschriUen, sich Makedonien, dann Thessalien genähert, als am schmalen Paise zwischen Meer und Berg die hellenische Landmacht auf ihn stiess«' Und in diesem Tone bewegt sich die Erzählung fort, nur da wo von ^niedermetzeln' (S. 130) oder von ^zu Tode prügeln' S. 146 die Rede ist, erhebt sich dieselbe Über das gewöhnliche Masz der Dürre nnd Langweiligkeit durch kraftvolle Phrasen empor. Eine Ungeschicklich- keit eigenthümlicher Art, die uns in andern Lehrbüchern derart nicht bekannt ist, bemerken wir darin, dasz die Geschichte der Perserkriege ohne Absatz bis zum Jahr 356 v. Chr. fortgeführt wird und daran sich wiederum unter einem neuen Titel : ^ Blujte von Athen ' die Geschichte Griechenlands abermals seit Miltiades anschlieszt. Hier ist auch erst der Ort, wo wir von Miltiades, der in dem frühern nur in Klammern einmal auftrat, dann von Themistokles, Aristides und Kimon nähere Nachrichten erhalten, und während der Abschnitt über die Perserkriege bereits S. 134 mit der Redensart schlieszt: ^Die Hälfte des Blutes, das die Hellenen seit hundert Jahren in gegenseitigem Kampfe vergossen, hätte hingereicht die asiatischen Hellenen zu befreien und die Perser zu demütigen', erfahren die Schüler erst viel später S. 142 von deai peloponnesischen Kriege. Die erste Abtheilung desselben wird mit folgenden Worten abgethan: *Der Krieg war bereits in allen helleni- schen Landen ausgebrochen, als der Athener Nikias 421 den nach ibaa benannten Frieden schlosz.' Alkibiades wird ein ^fiuszerst talentvoller aber sittenloser Mann' genannt; dann lesen wir, wie ^jede Sache miL dem Schwerte ansgemacht wird'. ^Gab es zuHausenichtsmehr zu kriegen, so verspritzte der Hellene sein Blut in fremdem Diensle;'

Möfler: Lehrbabh der allgemeinen Geschichte. 129

(S. 144) weiter: Mn Pherai wurde damals Jason, dann Alexandros Haupt von Thessalien, und als diese Herschaft gestürzt wurde, erhob sich im Norden langsam Philipp, König von Makedonien, und suchte dieser von den hellenischen Streitigkeiten für sich den möglichsten Vortheil zu ziehen. 17 Jahre lang dauerte der thebani'sche Krieg, der an Wildheit den peloponnesischen noch übertraf. Schon vergriffen sich die Arkader an den geheiligten Tempelschätzen von Olympia; 1200 Einwohner von Argos , aristokratischer Gesinnungen- verdächtig, wur- den von ihren Gegnern zu Tode geprügelt. Siegreich drang Epa- meinondas bis zum Marktplatze von Sparta vor, aliein K. Agesilaos warf ihn wieder hinaus, und als Epameinondas jetzt zu einer Hauptschlacht drängte, erfolgte der Sieg der Thebaner bei Mantineia, wobei Epameinondas Gel.'

Doch genug an diesen Beispielen! lieber die Darstellung der römischen Geschichte wollen wir uns kurz fassen. Wir erinnern uns nicht jemals ein so verzerrtes Bild historischer Thatsachen gesehen zu haben, wie das ist, welches Hr Höfler von der römischen Geschichte onsern Augen entrollt. ^Mord', ^ Todschlag' und ^Schlächterei' füllt den Inhalt desselben so vollständig aus, dasz es fast erscheint als hätte der Vf. allen Sinn für die edleren Regungen des menschlichen Lebens bei Seite gesetzt, als hätte er nicht ohne Absicht die alte Ge- eohichte mishandelt. Der ^bluti^e Gründer Roms' wird Won Senatoren ermordet'. ^Hatten nach der Sage Romulus den Zwillingsbruder, La- tiner den Titus Talius, die Römer den Romulus erschlagen und so Rom mit Blut eingeweiht, so mordeten unter dem dritten (romulischen) Kö- nige Tullus die horazischen Drillingsbrüder die curiatisphen der Alba- ner, und der einzige Römer, welcher der Schlächterei entrann, die ei- gene Schwester' (S. 173). ^ Die Patricier griffen zum Morde' S. 177. Scipio ^raubte, plünderte, brandschatzte' (S. 184). ^Die Römer wa- ren allmählich aus räuberischen Hirten der Vorzeit die Räuber der Völ- ker geworden' (S. 185). Das römische Volk ^an morden gewöhnt' (S. 186). Sulla ^belagerte Athen, dessen Umgebung er gräulich ver- wüstete, richtete ein unerhörtes Blutbad an, schlug dann mörderische Schlachten', (S. 188) ^begab sich nach Puleoli dort in schlemmen seine Tage zuzubringen , bis er dann auch an der Läusekrankheit starb' '(S. 189). Cajus Julius Caesar, ^der ehrgeizigste, gescheuteste, laster- hafteste' (S. 190), 'zog an der Spitze des Heeres, das 1190000 Men- aeben erschlagen hatte, über den Rubikon' (S. 191). 'Niemals hatte ein Heerführer einen solchen Blutkreis beschrieben wie Caesar.' 'Bald Dach Caesars Tode begann das morden aufs neue und dauerte mit ge- ringen Unterbrechungen 14 Jahre' (S. 191). Dem allen drückt die ^Hordschlacht bei Philippi' (S. 192), 'Das Volk freute sich über die- ses morden' (S. 196), 'Tiberius erfüllte den Erdkreis mit Hinrich- tangen' S. 197 und endlich die letzte 'grosze Mordperiode des sin- kenden heidnischen Reiches' S. 203 den Stempel der Vollendung auf. Nicht ohne Anstrengung geschieht es, wenn wir unser Urteil über die- ses Machwerk des Urn llöfler hier zu mäszigen suchen, aber niemand

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130 H5ner: Lehrbach der allgemeiiieii Geschichte.

wird ohne Enlrfistung dieses Buch aas der Hand legen , wenn er be- denkt dasz dasselbe für die Jagend, für zwölfjährige Knaben bestinnt ist. Wenn wir noch hinzafügen, dasz Hr Hofier von der römischen Verfassungsgeschichte nicht einmal das allerdürfligste erwähnt, und wo er etwa die Kampfe der Patricier nnd Plebejer in 12 sage 12 Zeilen erzählt, diese so verworren darstellt, dasz auch besser dies wenige weggeblieben wäre, wenn wir dann noch hinzufügen, dasz Aemter wie Tribunen, Ccnsoren, Dictatoren zwar nebenher erwähnt, aber mit kei- nem Worte erklärt werden, dasz die Prätur nicht einmal genannt and auch vom Census keine Rede ist, so dürfte wol alles, was für die Be- urteilung des Buches entscheidend ist, so weit dies das rein histo- Hsche betrifft, hervorgehoben sein ; über die Form erübrigt noch eioi- ges zu sagen.

Stilproben. Ohne Zweifel wird der aufmerksame Leser schon aus den angeführten Beispielen die Mängel des Stils erkannt haben, welche jede Seite dieses Lehrbuchs füllen. Dennoch können wir ans nicht versagen , noch auf einige ganz besondere Eigenheiten des Ver- fassers aufmerksam zu machen, welche nicht eine Ungeschicklichkeit und Unbeholfenheit der Diction allein, sondern selbst oflfenbar fehler- hafte Constructiouen, Sünden wider die einfachsten syntaktischen Re- geln bemerken lassen. Fehlerhafter Gebrauch der Partikeln kann aaf jedem Blatt nachgewiesen werden, uncf nur beispielsweise können wir hier einiges herausheben. S. 96: ^während Homer wol Kleinasien an- gehörte, sieben Städte sich jedoch um seine Geburtstättestritten.' S. 101: ^Obwol keine einheitliche Leitung .... daraus hervorgieng, so war es denn doch von groszer Wichtigkeit.' S. 112: ^Nachdem aber einmal die Griechen in diese Gegenden gekommen waren, ver- legten sie selbst den Schauplatz ihres groszen Heldengedichts von den Irrfahrten des Odysseus in die. italischen Gewässer und den Westen, während die Ilias von einem in den aiolischen Niederlassungen be- wanderten Sänger herzurühren scheint, ob wol beide dem Homeros zugeschrieben werden.' S. 135: ^sie erhöhten die Beiträge nach Will- kühr von anfänglich 460 Talente bis 1300 und verwendeten sie auch ao/ S.175: ^Die Sklaven wurden nicht weiter gerechnet, bildeten aber in allen alten Staaten den grösten Theil der Bevölkerung.' S. 179: Der Senat verwarf den Friedensvorschlag. ^Dadurch blieb diesem' usw. S. 180: Die Homer ^sagten den räuberischen Mamerlinern Hälfe zu, um dadurch einen festen Fusz in Sicilien zu gewinnen ... Da- durch kam es zum ersten punischen Krieg'. Ebd.: ^Sie bahnten sieb durch den Seesieg bei Mylä, durch den Consul Dnilius, welcher karthagische Schilfe enterte, und den noch gröszeren bei Eknomos der Weg nach Afrika.' S. 183: ^ Wol zog auch dieser über die Alpen, aber zwei römische Heere stellten sich zwischendieBrflderanff/ Bezeichnend ist es, dasz da, wo Hr Höfler sich bemüht einfach nnd schlicht zu erzählen, eben derlei Stilfehler am häufigsten vorkommen, keineswegs aber da, wo er sich auf dem Gebiete hochtönender Phrasen bewegt; möchte uns bedünken, dasz -eben daraus zu ersehen iati^-^

HAfler: Lehrbnok der «Ugemeinen Gesciuebte. 131

wie wenig Hr Höner som popeliren Schriftsteller, sam Verfasser eines Lehrbachs geeignet war. Wir liönnten noch eine Legion von Beispie- len aufzählen, wo angeschickte and nndentsche Wendungen selbst das Verständnis nicht selten trüben oder gar unmöglich machen, doch müsten wir dasu mindestens die Hälfte des Buches abschreiben.

Schreibangen und Dmckfehler. S. 13: Ephesus neben Miletos. S. M: Tainarion und an andern Orten wie S. 106, S. 37 Japhetiden. Ebd. Sphynxe. S. 47: Ptolomaeer, ebenso S. 168. S. 97: Eryn- nien. S. 101: Alpheus. S. 102: Aiolier. 104: deren. S. 105: Kynoreia. S. 108: Troizene, vgl. S. 130. S. 110: Plataia, ebenso S. 131. 142. 145. S. 110 u. 111: Pyxos {nv^ovg). S. 141: Eurypi- des (!!!). S. 147: der phokeische. S. 168: Hasmonäer und Idu- mäer. S. 153: Memnon. S. 170: Sabine. S. 172: 2 Z willingsbra- der. S. 173: plebes Romanae. S. 187: Gleichstellung der Römer und Italiener. S. 193: Rhodus nnd Samos. S. 194: Belgia. Ebd.: Adrian und vallura Uadriani.

Diese Beispiele, welche leicht verdoppelt werden können, wenn* man unbedeutendere hinzufügen will, sollen nicht ausschlieszlich als Irthttmer des Herrn Verfassers gelten , wir haben sie absichtlich unter der Kategorie ^Schreibungen und Druckfehler' zusammengestellt, um dem freundlichen Leser zu fiberlassen , was er davon der erstem und was er der andern Gattung zuschreiben will. Für den Gebrauch ist das gleichgültig; es leuchtet ein, dasz man Schülern ein Buch mit der- artigen Druckfehlern nicht in die Hände geben kann.

Richtung und Tendenz des Lehrbuches, Wenn wir schon über Stellen, die wir zur Beurteilung der eigentlich historischen Darstel- langsweise des Hrn Höfler angeführt haben , die Bemerkung machen konnten, dasz sich in ihnen die Absichtlichkeit unschwer verkennen liszt, das Alterthum zu discredilferen , dem Schüler vor den Thaten der alten Völker einen gewissen Ekel und Abscheu einzuflöszen, so seigt sich dies noch im höheren Grade, wenn man auf dasjenige ein- geht, was Hr Höfler über die Religionen des Allerthums und die Sit- tonznstände desselben mittheilt. Dasz man in jeder beliebigen Periode der Wellgeschichte eben so viel von Mord und Todtschlag erzählen kann wenn man es darauf abgesehen hat, dasz man in Zeiten wie die des zehnten Jahrhunderts oder des siebzehnten noch mehr Scheusz- Uehkeiten in einem kleinen Räume zusammenstellen könnte, als Hr Hof- ier in seiner römischen Geschichte gethan hat, bedarf kaum einer Er- örterung. Aber*auch die religiösen Seiten des Alterthums finden in nauehen Richtungen der neueren Zeit ihre Analogien , nnd wir glauben dasz der Aberglaube, der zu den Hexenprocessen geführt hat, um uns des Ausdrucks eines geistreichen Jesuiten jener Zeit zu bedienen, kaum •eines gleichen im Alterthume gehabt hat. Die Frage, die einsichtsvolle Paedagogen sich stellen müssen, wird im allgemeinen in diesen Dingen die sein: kann es als Aufgabe des Geschichtsunterrichtes gelten den Schülern diese Kehrseiten des menschlichen Lebens zu zeigen , oder soll dieselbe vielmehr eine veredelnde, Geist nnd Gesittung belebende.

132 Höfler: Lehrbuch der allgemeinen Geschichte.

sein? Wie Ut Höfler in dieser Beziehang von der Behandlang der mittleren und neueren Geschichte denkt wissen wir nicht; die nnver> ständlichen Phrasen , die er als Einleitung seinem Lehrbuch der Well- geschichte voranschickt, wo der BegriflT der Geschichte in der Weise festgestellt wird : ^Geschichte ist alles was einen bestimmten Anfang und ein bestimmtes Ende hat% diese und andere Redensarten geben aber jene Frage keinen Aufschlusz, aber soviel ist sicher, dasz sein Lehrbuch der alten Geschichte eben mit Vorliebe bei dem Raszlioheu und verkehrten verweilt und eben bemäht ist die Menschen der alten Welt, wenn nicht als Narren so doch wenigstens als uubewuste Teufel erscheinen zu lassen. Wem dies aus den angeführten Sätzen noch nicht klar geworden ist, mag insbesondere die Stellen über religiöse Dinge nachsehen. Wenn wir da lesen (S. 19): ^War so die Ausgelassenheit des Lebens durch Religion und Sitte geheiligt;' ^Der Göttin Mylitta waren alle Frauen dienstpflichtig' (!?); S. 32: Dem Moloch zu Ehren wurden ^die erstgebornen Kinder geopfert, überhaupt Kinder durchs Feuer gezogen , in die ausgestreckten Arme des Götterbildes gelegt, von welchen sie in die unterhalb befindliche Glut fielen und unter gräszlichen Windungen zu Asche wurden'; dnnn : es wurden ^sorgsam gemästete Kinder geopfert', und ähn^'f^^hes in ahnlicher Art und Weise fast bei jedem der alten Völker; \tenn wir dies betrachten, so kann darüber kein Zweifel sein , dasz Hr Höfler das religiöse Ge^ fühl im Menschen verkennt, mi^^feC^ und mit Koth bewirft. Anstalt den Schülern zu zeigen ipj^^ucb di^unerlöste Menschheit religiöses Bedürfnis gewahrt haUj^ eb«^ nur in- den Erscheinungsformen fehU griff, macht er die F *\ ^.-am Wesen, und erzielt die entgegengesetzte Wirkung von dem '^'.^ ein christlicher Unterricht zu leisten hat. Alles, was eine hSszliche und abgeschmackte Phantasie vermag, hat aber Hr Höfler in den einen Satz zusammengedrängt, der am Schlüsse des Ba- ches der ganzen Art und Weise desselben 90 recht die Krone aufsetst, ^enn es heiszt: 'Umsonst erfreute sich (das römische Volk) an Nerob nächtlichen Cirken, wo die gepfählten in Pech getränkten Christen als Fackeln brannten und Menscheufett zugleich mit siedendem Peche xa Boden rann.'

Damit schlieszen wir den Bericht über ein Buch, welches wir mit dem Gefühle durchblättert haben, das viele Lehrer mit uns theilen werden, dasz es eine Versündigung an der Jugend wäre, wenn wir dasselbe unseren Schülern, und sei es auch nur zur Leetüre, in die Hand geben würden.

Der beigegebene Atlas endlich macht bei seinem groszen Forma( besondere Erwartungen rege, ohne dieselben im mindesten zu erfüllen. Zunächst ist nicht abzusehen, wie die sieben (eigentlich nur fünf) Blätter desselben beim Unterricht auch nur genügen sollen, da nicht einmal Griechenland eine besondere Karte erhalten hat: dennoch aber findet Hr Höfler noch Raum, auf nicht weniger als zwei Blättern eine Darstellung der Umgebungen von Athen und sogar eine Abbildung der Akropolis in ihrem heutigen Zustande zu ireben. Auf dem erateren

Personalnotizen. 133

Blatte ist dabei, so weit es sich bei der Undeatlichkeit des ganzen er- kennen Ifiszt, in den Umring des alten Athen ein Plan der jetzigen Stadt mitten hinein gezeichnet. Noch schlimmer aber ist der Umstand, dasz die drei mit besonderer Sprgfalt in Farbendruck aasgeführten oro- hydrographischen Karten der alten Welt und der ital. Halbinsel einfach irgend einem Atlas der neueren Welt entnommen sind, somit auch alle seither in den Bodenverbaltnissen eingetretenen Aenderungen mit auffähren. So zeigt uns gleich das erste Blatt nicht nur den Zny- der See, den Dollart und den Jabdebusen schon in ihrer vollen Aus- dehnang, den Oxus schon mit der Einmündung in den Aralsee u. dgl., sondern auch dio modernen Canäle sind in ziemlicher Zahl mit aufge- nommen, namentlich in Deutschland, ja selbst der Verbindungscanal zwischen Donau und Theysz in Ungarn! Hat Hr Höfler seinem neuen Vaterlande seither noch kein besseres Studium zugewendet? Aucji Wien, Prag, Buda-Pestb, London und Paris werden als grosze Haupt* Städte parallel mit Rom, dem aegyptischen Theben, Babylon usw. auf- geführt. Auf die fehlerhaften Schreibungen der Namen, an denen es auch nicht fehlt, brauchen wir daneben wol nicht erst noch einzu- gehen. Sapienti sat.

u

Personalnotizen.

An^ntelli oder bemfeni Bartsch, DrKarl, Conservator am germanischen Museum in Nürnberg, als Profe*<sor dor deutschen und neueren Litteraturen an die Universität zu J^^^.'v-l^ berufen. Bin- der, Dr, Prof. am Gymnasium zu Ulm, zum lai"' jd des Oberstudien- raths zu Stuttgart ern. Bresler, Dr F. R. ]b^, Schulamtscandidat, als Collaborator am Gymn. zu Stettin angest. Candotti, AI., Welt- priester, als wirkl. Lehrer am neuerrichteten Staatsgymnasium zu Udine angest. Cassetti, Job., Weltpriester, desgl. Conrads, Dr, Schulamtscandidat, als ordentlicher Lehrer am Gymn. zu Trier angof^.

Jäger, Dr, Prof. am Gymn. zu Stuttgart, in gleicher Eigenschait an das Gymnasium zu Ulm versetzt. Pontoni, Jos., Weltpriester, vis wirkl. Lehrer am neu errichteten Staatsgymn^ zu Udine angestellt.

Sohenkl, Dr Karl, Gymnasiallehrer zu Prag, zum Prof. der alt- klassischen Philologie an der Universität zu Innsbruck orn. S^nd- chant, Schulamtscandidat, als ordentlicher Lehrer am Gymnasium zu Düren angestellt. Ulaga, Dr Jos., Weltpriester, als Religionslebrer am Gymnasium zu Cilli angest. = Terstorben: Am 12. Dec. 1857 zu Wien der berühmte Statistiker Fried r. von Reden. Am 12. Jan. 2U Greif swald der ord. Professor der Geschichte an der dasigen Uni- versität, Dr Frdr. Wilhelm Barthold, im 59. Lebensjahre.

Bemerkung.

Die Berichte über gelehrte Anstalten usw. sind nur für dieses Heft zurückgestellt. Z>. Red,

Zweite Abtheilung

heransgegebcB roii Ridolph Dietsch.

Die Structuren mit bI av und et ov geordnet und jede in ihrem Zusammenhange nachgewiesen.

(Schlusz von S. 95—102.)

c. V. Die Erklärungen von et ov durch Gleichsetzung mit ^si non' und ^artissima coniunctio'.

1. Wir haben bereits 3 FaUe wahrgenommen , wo sich das bI ov im Zusammenhang mit andern Structuren erklarte, ohne uns mit den üblichen bisherigen Erklärungen desselben aufzuhalten. Es bleibt noch eine kleine Anzahl Stellen zurück, die unter den bisherigen Fällen Bicht milgedeckt werden. Wir haben daher zunächst die bisher über il ov üblichen Erklärungen ins Auge zu fassen, wobei wir jedoch die Ansicht und das Verfahren Fritsches für ein eignes Capitel über die Negationen aufsparen.

Fast immer findet man für sl ov ciliert Herm. ad Vig. p. 830 und 8B3, wo gelehrt wird, dasz in e^ d' ov das ov mit einem folgenden l/Korte in 6inen Begriff zu verbinden sei. An sich wird das niemand beatreiten, sobald es gilt einen allgemeinen Gesichtspunkt aufzustellen. Aber es wird auch Hermanns Meinung selber schwerlich gewesen sein, dasz mit Wiederholung seiner Worte aller Gebrauch im einzelnen sollte erklärt sein. Die Erklärer erweitern aber sogar noch das Feld für die Gültigkeit der Regel , während Herm. doch nur von bI öi spricht. Z. B. Stallb. ad Apol. 25 B iavzs ov q)ijxe iavzs gyfJTBj behauptet, dasz , wo ov q)dvat = negare, ^nein sagen^ sei, immer ov stehe ; aber S. Dem. 47, 37 bI ^e fttj gnjaiv. Vgl. 34, 46. 21, 205 avx^ iyoa 9x0, avts fifl 96). 20, 119. 22, 10. Auch hat Stallb., soviel ich sehe, nachher im ganzen Plato keine Gelegenheit weiter gefunden, von dieser Ansicht Gebrauch zu machen , noch weniger freilich die für ihn jetzt sehr nahe liegende Consequenz, nach welcher er behauptet, dasz bei den Final- partikeln ov im selben Falle eintrete wie bei bI, durch irgend ein Bei- spiel zu beweisen. Vgl. a. 0. ind. s. v. ov. Bremi ad Lys. acc.

iV. Jahrb. f. Pkil. H. Paed. Bd LXXVIU. HftZ. 10

1 36 lieber el av and el ov,

Agor. 62 erklärt {/ ftJv ov noXXol riaav durch pauci; ib. § 76 ii(v 8 ov q)cca7iji durch negare; ebenso das einzige auszerdem ihm noch aus Lysias bekannte Beispiel von el ov ib. § 82 : iav ovv anoXoylci %QririUy vnokaiißdvHv %qyi , el "Awxog eyiveto xai el iQQttf}ev avrov Afaifiog rriv cedTclda nai ov% eia: = IxcsAvev, obwol dies gar kein Conditio- naisatz, sondern ein Substantivsatz ist, der vorher § 81 schon als Be- hauptung aufgestellt war: ^ob ihm nicht' = ^dasz'. Ebenso ad D. cor. 119 soll nach Bremi EUir. Med. 87 el ov Gxiqyei, = {iiöel^ oder sonst il z= an sein ; und doch ist das ganz bestimmt el = ^da, weil' c. III. Zu Thuc. I 121 Seivov av el ov —^ W^l^S ^^ ov c. Fot. verweisen Poppo und Goeller einfach auf die Definitionen der Grammatiker, obwol die Stelle nach c. 1 gehört, und weiteres el ov im Thuc. wol schwerlich vorkommt. Aehnlich Mätzner adfAntiph. 1, 12 bei detvov, Schöm. ad Cleom. 31,2 erklärt durch una netto und sinon. Auch Kühner verlangt ad An. 7, 1, 29 für An. 1 , 7, 18 f^ otJ wegen des lateinisch nöthi^en si nan^ obwol er selber dort el (irj ^ci%eixciL gelesen hat.

Wir können es nicht für richtig halten, dasz in der Wiederholung der Definition von arUssima coniunctio für die einzelneu Stellen eine Erklärung gegeben sei, am wenigsten in ihrer erweiterten Anwendung. Denn erstens würde damit jede Unterscheidung aufhören, da nicht blosz die oben von uns geforderten Fälle zusammenfallen würden, son- dern auch stait jedes el (ii^ ein el ov sich setzen liesze. Zweitens findet sich häufig el (ii^ auch da, wo, namentlich in Gegensätzen,, durch Gedanke und Stellung die engste Zusammengehörigkeit des ov mit ei- nem andern Worte als el ausgesprochen wird. Dero. 14, 12 iav (iti noi^e, ^unterlaszt'. D. 42, 32 el olKixrjg vfimv^ |l»^ noUxrjg i^v. D. 44, 57 ^l (Jt'fi ioxiv^ ^unmöglich ist'. D. 44, 5 iav (liv yaq firi fonv. D.22, 7 ov yaQj el nmcoxe firj nara xovg v6(iovg iitqa%^, D. 56, 27 el fiiv TteTtolrinag^ el 6i (Arj nenoltjKag, 26, 13 iav noXXa xoiavxa noiy »al firi navrixai^ ^fortfahre', ib. 23, 91 el iöldov xai fiii aq)riQetro. ib. 99 oihr' el (piXog^ ovx^ el fir^ (pikog. Vgl. c. II 2, Aesch. fals. 36. PI. Theaet. 163 D. Isoer. 12, 92 ar(yitog av eiriv^ el xavx^ el(^ct>g ixe/vcov jiti) (i^ff^ Cd-elriv. Vgl. 12, 120. 10, 24. 16, 48 el nal X6ya> xvy%avG} firi dvm-- fievog. Vgl. 10, 21. Bei idm namentlich wird öfter behauptet, es stehe stets mit ovx, wenn es ^hindern' beisze. Es steht aber iav ^i; Uhi Dem. 16, 12; mit firi im Inf. D. 19, 142 u. 275. Aesch. Tim. 176, anbe- streitbar beim Impcr. z. B. D. 45, 40. 24, 131 u. 138; beim Conj. D. 19, 29 (iridiv idarixe. 16, 5 anenxiov firj idamfiev: in den letztern Pätlen ist ein ov völlig unmöglich; das zeigt aber nur, dasz andere Diofe entscheiden als die Zusammenziehbarkeit in ^inen Begriff. Dem. 19, 77 (iri (Afi öoxco öUriv, Drittens ist kein Grund abzusehen, inwie- fern jene Regel auf eine Unterscheidung der Bedeutungen von ov and fii} sich gründe ; warum juif, das sonst zu begrifflicher VerschmelzuBg vorzugsweise verwendet wird, in Sätzen mit el diese Fähigkeit oioht haben sollte, xb fiii ov, xo fiii KaXov, Dem. 57, 26 ^ivov xal fi/q fcolt- xn\v. ib. 61 Tcov fii} A^rjvoUmv. ib. 45 ov yag el nivrixeg fjfuv^ alk il lifl Ttolixai, 24, 52 tovg fiij dlnaia nouhf iyvmanivovg. Isoer. 19,

lieber d av and el ov. 137

17 ivoiv yiiq nQtty^ixuov fi^ ajtovöaloDv, D. 23, 91. 19, 2. 24, 52. An- genommen es stände hier ov^ so hinderte nichts die Erklärung durch Zusammenziehung in ^inen BegriiT. Es werden ov und fti^ beide zu Zusammenschmelzungen in ^inen BegrifT verwendet werden können, aber eben mit demselben Unterschiede, der sonst zwischen ihnen be- steht. Direct zum sl kann freilich ov nie gehören. Viertens ist die Zahl der Stellen mit el ov, nach Abzug der oben cap. I, II, III bereits ihre bestimmte Erklärung anderswo gefunden habenden, so gering, dasz es unmöglich ist, für jene nun noch eine so allgemeine Regel auf- zustellen, die jede Scheidung unmöglich macht.

Ebenso klar ist die Unzulänglichkeit der Erklärungen durch Gleichsetzung mit si non. Letzteres hat einen weit ausgedehn- teren Gebrauch, als sl ov, wenn man von sl ov den Gebrauch in indi- recten Fragen abnimmt, wo wieder sinon nicht steht. Für wirkliche Bedingungsvordersätze wird sich kaum ein Fall denken lassen, wo für el ov nicht auch sl firf möglich wäre, wahrend nach voraufgehendem si statt nisi immer si non stehen musz. Dagegen griechisch unendlich oft nach sl (asv e^ ös (ii]y so dasz es sogar nach idv und nach sl fi'q fast stereotyp = ^ sonst' geworden ist. Lyc. Leoer. 76 sl oficifioxs^ el ÖS fifi o^iciiiOTiS. Dem. 47, 37 sl Ss firj q>riiSi,v, 45, 38. 45, 84. 22, 8. 21, 90. 56, 27. prooem. 1, 25. 1, 64. or. 21, 198 six* äfisivov^ sizs fi'q. 50, 49 iav (ihv^ iav 6s fiij. prooem. 49 iccv fihv ag)avii , iicv 6^ Üqu fi^ xoiavxa evQS&y. or. 56, 32 sl fisv öUtp^oiQxai, ^ vavq , sl d' siSxi Cc^ Kai (lij öUfp^aQxaij und wieder § 34 ovxot oi öoo^slarjg xijg vsoig itai ov duq^aQ^ivrig oi'ovxat, Hom. IL 1, 135 sl öoioovatv^ sl 6i xe fiij öcioaciv usw. Nach obiger Regel müste auch, da £/ ov = si iton, el (iij nisi decken. Dasz das nicht angeht, hat sich schon gezeigt. "Man kann eher umgekehrt aufstellen, dasz das Griechische ein Wort wie nisi gar nicht hat Mij und ovx sind durchaus verschiedene Wör- ter; in non dagegen steckt ne darin. Ob das ne in nisi das positive sei, ist wenigstens höchst problematisch ; es ist wol nur die im Latein allein und für alle Falle vor der Entstehung von non gebrauchte Ne- gation. Bei nisi steht die Negation vor dem s», bei sl in beiden Fäl- len dahinter. Vgl. sl xuLund xal sl. Daher leitet nisi stets nur eine Aasnahme ein, aus der man dann den umgekehrten Satz als Hauplregel entnehmen kann. Zumpt erklärt 5t non durch das Beispiel impüne Hin erit^ si pecuniam non dederis. Das ist aber ein Fall, wo nisi und ft non gar nicht concurieren können, und zu bestimmen dadurch, dasz das Latein in Substantivsätzen ungern si setzt; turpe est müiiem fu- gere^ nicht 5t fugit; höchst selten miror si; in indir. Fragen nur in ^iner Klasse si. Setzt es aber in Substantivsatzen einmal st, so kann das nur st non^ nicht ntst werden; und obiges Beispiel hat den Satz mit st an der Stelle eines mit ^ dasz'. Ware es reiner Bedingungs- Vordersatz, so gienge auch nist; z. B. wenn jemand bei einer verbote- oen Sammlung unterzeichnet hätte: wie Zumpt das jetzt auch zugesteht.

2. An der üblichen Erklärung ist das wahr, dasz, wo sl ov steht, das ov gedacht werden mosz als schon vorher mit irgend einem

10*

1 38 Ueber sl av and {{ ch}.

andern Satzgliede verbanden gewesen, ehe es mit diesem in den Sals mit d aufgenommen ward. Da aber ein gleiches auch bei d ^itf statt- gefunden haben kann , musz hinzugesetzt werden , dasz bei sl ov dai ov immer mit jenem andern Satzgliede in einen Behauptungssatz verbunden gewesen seiend zu denken ist. Ob diese Behauptung nun eine des redenden Subjects oder die eines andern, also ob für richtig gehalten oder nicht, darüber ist an sich nichts ausgesagt. Im ersten Falle, dem bei weiten häufigeren, haben wir unsere Klasse cap. III, h{ov^ gleich einem verallgemeinerten ^da, weil'. Im zweiten bleibt il = ^wenn'; der redende behauptet nichts, nur wird die Existenz des Hauptsatzes nicht von der einer Handlung, sondern von der eines Satzes abhängig ausgesagt. Hom. II. 24, 296 si öi xoi ov ödast. iov ayysXov: ^falls das allerdings mögliche, von manchem wol gefürchtete eintritt, dasz'. 11. 15, 162 sl di (iol ovx inkoa* iiti^itsiasxm. ib. 3, 289«^ d\ Sv ifiol n/iti^i/ xlvstv ovk i&ilcoaiv, (laxrjöofiat. Od. 12,5^ sl öi [loi ov xlaovöi. Od. 2, 274 sl 6^ ov %sivov y* IqA yovog. Die Fassung des sl == ^da' zeigt z. B. II. 4, 55 stnsQ yetg gf^ovico tc Kai ovK slm dianigdat^ ovn ai/vco (pd-oviovaa. Eine Nothwendigkeit dieses e^ ov besteht nicht. Die Anwendung auszer der eignen Behaup- tung wird hauptsächlich hervorgerufen durch eine Lebhaftigkeit, welche dadurch sich ausdrückt, dasz man den Satz mit ov als eine schon irgendwo bestehende Behauptung faszt, sei sie nun wirklich von jemand gethan oder nicht. Im Einklang damit erscheint diese An- wendung nach den homerischen Reden erst wieder bei den Rednern, und auch hier nur selten, als Behauptung des redenden bei. Demostb. sehr häufig, bei Plato und Thucyd. auch dann höchst selten.

Als Stellen, die nicht unter cap. III fallen, sind mir nur aufge- fallen: 1) für den In die. erster Stufe: sl nuvxa xavxa ti^ '^yvoriKSv i} dl akXo XI ovijl ßovXsxai xovrovg xovg xgoTtovg ins^Uvai,^ xov ävö^a- q>6vov 6^ OQa xrA. D. 15, 24 sl öi xov (ihv tag (pavkov ov% ifivvovfis- ^ff, TC3 öl vnsi^o^sv^ nqog xlvccg naqaxcil^6iiks^a\ D. 23, 123 e^ fe^ näci ^rjtpiovfisd'a xavxdj Xi^ao^sv fiLd^OfpoQCDV Sqyov notovvxsg' sl öh lisvy xolg ö oti, ömaltog iyKaXsöovöL. Lys. 20, 19 ösiva av Ttad-oifUUj' sl ov xaQista^'S, Dem. 20, 24 £^ 4' vg)riQt]fiivov q>iq(Sovai,v ^ iq xiva «X- Xov^ ovx ov ngogi^KSi^ xQoitoVy slcl vdftoi: das ovx zu einem parenthe- tischen olfiai zu denken. Flut. Oleom. 31 sl yitq ov% alaxQov icxi öov- Xsvsiv xotg aTto OtlXitnov aal ^AXs^ivöqov xovg atp ^HganXiovg^ nXovv noXvv xsQÖavovfisv^Avxtyovo) Ttagaöovxsg iavxovg. U) beim Conj. c. Sv: PI. Apol. 25 B idvxs ov (pfjxs, idvxs q>ijxs. Lys. Agor. 76 iitv Sri ov q)ceöKji. Is. 3, 47 ovxs inixlfiiov xaig slgayysXlaig StcscxIj ovd^ iav ovöi (ilttv xmv (jpi^gxDv ot slgayysiXavxsg fisxaXdßciHHv, Dem. 26, 24 idv xig ovx ovxa vofiov nagdcxrixcet : ovx gehört speciell zu ovra, es könnte aber doch sehr gat ftij heiszen; ov ist nicht auffälliger als Isoor. 12, 120 alöxvvofisvog^ sl nsql avöqcSv ovösv (loi Tt^gtjxovxmv dio- Xsx^slg firiösfiiav oroii^Oftoi fivslav, III) beim Opt. (ohne ov}: Isae. 6, 2 Sxonov^ sl ixstva vni^isvov^ vvv ös ov Tcsigtiiiriv, Pflr den Opt. passt nicht Behaaptong, sowie dies Beispiel für sl ov c. Opt. ein-

AnliaDg aber iiv e. Opt. (Thuo. III 44). 139

Eig dasteht. Die Erklfirang liegt darin, das« der Opt. als or. obliq. za fassen ist: ^vvenn ihr glauben solltet, dasz ich nicht versuchen wollte'; firi wörde axönov äv Btti verlangen. IV) Lys. Agor. 62 ßovXofiixi iniÖBi^at, o^av avdq^v vtv Ayoqaxov aiceoxiQtjad^s, ei fiiv ovv ov Ttollol rjaav^ xa^* exadtov av %£qI avx^v i)xoi;£T£, vvv öl CvkXi^ßöfiv neql tucvvcdv: = *wenn es wahr wäre, was die Gegner sagen wer- den, dasz es nur wenige sind oder seien'. Vgl. ^war dies nicht der Baum, zu dem du uns führen wolltest'. PI. Phaedr. in. Isoer. 12, 206 ei fiiv evXoystg avxovg oidiv axrpiOGyg xcäv ifiioi/, ilriQHg fi£v, ov (iffv ivavxla ys Xiycov iq>aivov aavxm. Der angeredete hat hier sogar gehört ; denn es folgt : vvv d' i%rivB%6xi aoi xbv ifwv Xoyov. End- lich erwähnen wir noch Dem. 19, 74 £^ fi^ üqo^bvov ovx vfcsöi^avxo^ wo der entscheidendste Grund für ov das voraufgeheude fti; ist, auszer- dem dann die Kraft des Ausdrucks, am zugleich eine Behauptung aus- cusprechea.

Anhang über idv c. Opt. (Thuc. III 44).

1) Die letzten Capitel der vorstehenden Abhandlung haben über Modalformen gehandelt, durch welche ein Bedingungsvordersatz be- fähigt wurde, bei si zugleich eine Behauptung aufzunehmen. Es fan- den sich so verwendet si c. Ind. c. ov^ bI c. Opt. c. av (fti^), wogegen bI c. Praeter, c. orV geleugnet werden muste. Danach drängt sich die Frage auf, ob etwa für die vierte noch übrige Stufe, die conjunctivi- sche, das iav c. Opt., welches nach Absonderung der Fälle der orat. obliq. nur Thuc. III 44 erscheint, in dieser Weise zu fassen sei. Es entspricht dort das idvxB c. Opt. einem vorausgehenden idvxB c. Conj., und enthält diejenige Annahme, welcher der redende entschieden sich zu- neigt. Ferner ist durch Hinzusetzung etwa eines äv, trotz dem in idv^ solcher Ausdruck nicht zu erwarten , obwol das allerdings nach der jetzt manchmal wieder auftauchenden Scheidung zwischen einem av das zur Conjunction, und einem das zum Verbo gehöre, möglich er- scheinen könnte. Dennoch bleibt nicht abzusehen , wie die Verände- »mng des Conj. in den Opt. solchen Sinn sollte hervorbringen, wenn immerhin auch materiell die Bestandlheile eines bI c. Opt. c. äv damit vorliegen. Viel wahrscheinlicher ist, dasz iäv c. Conj. ebensowie bI c. Praeter, schon zu sehr die Farbe einer bestimmten Ansicht über das Verhältnis der gemachten Annahme zur Wirklichkeit an sich trage, als dasz da die Aufnahme noch einer subjectiven Behauptung statthaft wäre. Endlich steht noch zur Frage, ob an der beregten Stelle, der einzigen dafür, überhaupt iäv c. Opt. noch stehe. Seit Goeller ent- scheiden sich alle Herausgeber für Correctur.

2. Thuc. lll 44 fivxB yaQ ä7tog)rjv(o nävv aöiKOvvxag ccvxovg, ov iiä xovxo xal aTroxtavat übXbvüwi, bI ftt; ^v(jL(piQ0v' tjvic Kai ijifivxig XL^^vyyvii^rig bIbv^ Blxiji noXsi (lii äya^ov tpalvoixo.

140 Ankang Qber iav o. Opt. (Thoc' III 44). '

Man Dimmt jetzt allgemein shv als Nachsatz und corrigiert dann, so dasz idv c. Opt. dann gar nicht existiert. G. Hermann corrigiert nicht, nimmt aber sUv doch als Nachsatz ad Vig. p. 822, als Vorder- satz praec. Attic. p. XVI, kehrt aber part. äv p. 149 zu seiner ersten Ansicht zurück.

Ist slsv Nachsatz, so musz im Vordersatz ein Verbum erganst werden, nach Herm. ad Vig. 822 (oai^ part. äv p. 149 adixad. Aber beide Ergänzungen bleiben hart , selbst für Thnc, zumal bei einem so unbestimmten Nachsatz, wie sUv^ der dazu die ganze abstimmige Sen* tenz des Diodot enthalten müste. Es soll nemlich das sUv nach Herrn. sein = ov Kelevo) dia xovxo xai xvyBiv ^vyyvdiifig. Aber slev steht doch unabhängig da und könnte also nur heiszon : ^dann laszt sie lau«* fen , dann mögen sie Verzeihung erhalten'; so dasz also noch das (iti bei qxxivoixo zu streichen wäre und doch die wirkliche Abstimmung Diodots eine ganz andere bleibt. Vgl. c. 48. Auch passte solches bUv überhaupt nur, wenn der Redner entschuldigen und demnächst abwägen wollte , was hier nicht stattfindet.

Die übrigen .Ausleger (freilich kenne ich nur Poppoedit. min. , troeller ed. I und Boehme) ergänzen im Vordersatz aitoqyqvatj formell sehr leicht, aber durchaus nicht passend. Für Diodot ist Schuld oder Unschuld der Lesbier ganz gleich; nur der Nutzen, will er, soll entscheiden; iivxa a7coq>riv(o aber würde die Absicht die Entschuld- barkeit darzuthun involvieren (s. Herm. Äd Vig. a. 0.), und derartige Versuche folgen nicht. Allerdings steht im ersten Gtiede ccTCOfprjvcOj aber nur, weil Diodot sein Verfahren dem des Kleon usw. parallel ge- genüberstellt: ^wenn ich auch, wie Kleon, nachweise, stimme ich nicht, wie Kleon, dasz' usw. Im zweiten Gliede fehlt solche Veranlassung, und iav anotpi^vG) wird hier schon deshalb unmöglich, weil Diodot, auch wenn es seine Absicht wäre zu entschuldigen, dies keinenfulls vorher andeuten dürfte. Zweitens sind auch nach Er- gänzung des a7tog>iqvci) noch mehrere Conjecturen nöthig: 1) entschie- den S%oyxag^ gegen alle codd.; denn dasz, abweichend von den Anga- ben der Vorgänger, jetzt Boehme erklärt, es habe 6in, aber nicht nä- her bezeichneter cod. den Accus., kann kein Gewicht haben ; 2) muss (vgl. oben) dann statt shv emendiert worden: ^ijv^ iäv oder iKenvj neml. ov xeAevo. Es kann freilich nslevm ohne ov nicht ergänzt werden, aber auch von ov xelsvcD würde natürlicher die Negation wenigstens wiederholt sein , etwa ovdh Srjvy und dies vorangestellt. Sobald der Hauptsatz ein anderer wird, erwartet man nicht die Verbindung der beiden idv mit t£, sondern der Hauptsätze.

Jedoch, da trotz der Conjecturen jedenfalls noch Schwierigkeiten bleiben, versuchen wir es den handschriftlichen Text mit slev als^ Vordersatz zu fassen, die Frage nach der grammatischen Möglich- keit solcher Form einstweilen bei Seite lassend. Was soll dann Haupt- satz sein? natürlich derselbe, welcher beim ersten Gliede, und eben deshalb ist er nicht wiederholt: ov nekevco öioc xovxo inonxüvcii^ wie das Hermanus zweite Ansicht war , praec. Att. p. XVI. Herrn, weist

Anliang über iav c. Opt. (Thac. 111 44). 141

sogar auf diese Form der Stmctur als eine besonders schöne hin, aber, wie es scheint, sieb selbst nicht, viel weniger für die Auslegetr überzeugend in Betreff des Sinnes. Es musz unklar erschienen sein, was da solle ein: *wenn sie unschuldig, stimme ich nicht für den Tod.' Aber der Sinn ist auch mir: ^ich werde nur dann für den Tod, d. h. für Anfrechtbaltung eures frühern Beschlusses stimmen, ' wenn das im Nutzen der Stadt liegt, ganz unbekümmert darum o b (i^vts '^vre = sive sive) sie schuldig sind oder nicht.' Die- ser Sinn ist, sobald man festhalt, dasz die ganze Rede nichts von Ver- suchen für die fintschuldbarkeit enthalt, der allein mögliche. Auch nach der Auffassung fjvxs sc. a7to(p7]vta^ ov xeiUva) iäv usw. müste man immer Versuche jener Art erwarten.

3. Da also der Sinn bIbv als Vordersatz völlig rechtfertigt, ja fordert, wäre das leichteste nöthigenfalls liv in ü zu verwandeln, wie das Herm. freistellt. Aber es ist doch ohne Frage schwerer dem ^Thucyd. als Vertreter alterthümlicher Beredtsamkeit eiu ausweichen jius der einmal angekündigten Einleitungsform zuzumuten, als mit Beibehaltung letzterer ein ausweichen in eine selbst ungebräuchliche, vielleicht nur zu raffinierte Structur, wie dergleichen Thuc. auch sonst nicht scheut , voll Gewissenhaftigkeit dem Gedauken sein volles Recht werden zu lassen. Es mästen hier eigentlich beide Vordersätze in il c. Opt. stehen: bXzb adtTtotev^ bXxb dev. Nun aber hat im ersteren der Umstand, dasz der Redner der vorgefundenen Ansicht des Kleon sich gegenüber zu stellen halte, eine der letztern analoge Ausdrucks- form, die Einsetzung des anogy^vai und damit idv c. Conj. veran- laszt. Obwol nun für das zweite Glied diese Form nicht passte, war .es doch für diese Stufe der Rhetorik fast Nothwendigkeit, mit Beibe- haltung der einmal angekündigten Satzform sich weiter zu helfen; vgl. s. B. roaovxa) (laXXov oaco ohne Comparativ, also für ou Veil', Thuc. 6, 78 fittxov^svog toßovxca aatpaXiatSQOVy odp avx iQfjiiog ayoo- viBhai, , Sonach würde es sich hier um eine aus rhetorischen Gri|nden, und zwar sehr subjectiver Art, veranlaszte Abweichung vom gewöhnlichen Sprachgebrauch handeln. Deshalb und da zu historischer Erfassung weiter kein Material vorliegt, erscheint es unthunlich die Bedeutung eines idv c. Opt. odet die Möglichkeit solcher Form con- •truieren zu wollen. Subjective Auffassung behält da zu viel Spiel- raum. Für unsere Stelle ist die Bedeutung klar =: el c. Opt. Mit el c. Opt. c. Sv hat dies idv c. Opt. nichts zu thun, wenn auch für die Chemie kein Unterschied wäre. Es würde d c. Opt. c. dv die Geneigt- heit jene Möglichkeit zu behaupten viel zu sehr hervorheben, was für die Situation Diodots nicht passt. In bI c. Opt. liegt die hier nöthige Bedeutung der Möglichkeit freilich nur insoweit, als dieselbe nicht hinweggeleugnet ist, aber sie liegt hinreichend im Zusammenbang; keinesfalls ist sie etwa durch das dv in idv hervorgebracht. Eine Heranziehung der Fälle des idv c. Opt. per or. obliq. kann hier nichts helfen. In. diesen isi das dv zu nehmen als geblieben zur Andeutung, dasz als or. dir. ein Conj. c. dv^ kein Indic. oder Opt. anzunehmen sei.

142 Anhang aber iuv c. Opt. (Thuc. lll 44).

Es können ja Structurformen gleich sein , nnd doch von verschiedener Bedeutung, je nachdem der hörende sie entstanden nehmen mnsz , wo- mit eine gleiche Bedeutung dessen , was die Form an sich ausspricht, nicht weggeleugnet wird. An unserer Stelle aber wird kein Hörer an or. obliq. denken; daher Versuche, wie Poppo einen anführt, von dieser aus die Structur zu erklären künstlich und unhaltbar ausfallen müssen. Nur das könnte man sagen, dasz iav hier zu einem gans analogen memento dient; in der or. obliq. erinnert es an die Form der or. dir. , an unserer Stelle an die eingeschlagene Satzformel. Nothig ist es in beiden Fällen nicht.

4. Einen sehr analogen Fall für das logische Verhältnis der Sat£- theile bietet Thuc. VI 49, 3, wo ebenfalls Weglassungen von selbstver- ständlichen Gliedern ähnliche Schwierigkeiten verursacht haben. Lama- chus will direct auf Syrakus losgehen und führt unter den Gründen an: ^es sei natürlich dasz dann viele Landbewohner würden abgeschnitten werden, und wenn sie auch (mit ihren Vorräthen) in die Stadt sich retteten, würde das Heer doch keine Noth haben, wenn es nur sieg- haft vor der Stadt sich setze', d. h. ^wenn nur das Heer sieghaft vor der Stadt sich setzt, w^ird es keine Noth haben, s e i e s (= einer- lei ob) dasz die Landbewohner durch unsere rasche Ankunft gehindert werden sich (mit ihrer Habe) in die Stadt zu flüchten, sei es dass ihnen das gelingt, denn 4) sobald wir so unsere Ueberfegenheit documentieren, wird uns doch die ganze Nachbarschaft zufallen.' Der Satz rjvxs nQog ty noXei KQaTOvaa xfif^/^i^rat gehört also zu beiden Hauptsätzen, aitoXijcpdijvai, nnd ciTtOQ'^astv y er war nur beim ersten nicht speciell ausgedrückt, weil dies als die Sentenz des Lamachuf schon § 1 vorausgeschickt war und auch in dem dioc rb aTtiCxetv ag)ag fiti ri^Biv hinlänglich liegt, dasz er den Fall der Ueberraschung vor Augen habe. Endlich liegt im ersten Hauptsatz iv roig ayQoig noX-' Xovg a7toXriq)^ijvcii schon implicile, dasz das Heer dann die Bedürf- nisse haben werde, so dasz es nicht nöthig war dies etwa durch ein äars anzufügen oder aitoXriq)d'rjvai in einen genet. absol., analog i<ixo- fiitoiiivmv^ zu ovK anoQtiöHv zu setzen. Erst bei Behandlung der zwei- ten gefährlicheren Möglichkeit setzt Lamachus jene oben weggelasse- nen Gedankenglieder in Vollständigkeit hinzu. Hiernach verstehe ick nicht Poppos Auflösung des iaKOiit^ofiivcov durch quamquam statt durch licet oder etiamsi. Goellers und Boehmes Scheidung, daas einmal an die Personen mit der Habe, das anderemal an sie ohne Habe zu denken sei, ist^ wie an sich unglaublich, so auch durchaus unnöthig und falsch. Krügers Conjectur stört sogar den ganzen Zusammenhang.

Nachträglich zu der voraufg. Abb. übtreiav cap. I noch die Bemer- kung, dasz das mir verheiszene Reichhaltige Material' in Schaf, app. crit. Dem. I p. 340 in einer einzigen auch von mir schon berücksich- tigten Stelle besteht.

Güstrow. Aken.

Cariias: ie «oriBli latini reliqaiis. 143

8. .

G. Curtius: de aoristi kuint reliquüs im index scholamm der Universität Kiel für das Wintersemester 1857 58.

Wer die ^ sprachvergleichenden Beiträge zur griechischen und lateinischen Grammatik Ir Theil' des Hrn G. Curtius kennt, der ver- folgt gewis gern die Forschungen desselben Verfassers auf diesem Felde. So geht es mir: keine seiner Gelegenheitsschriften, welche Gegenstände dieser Art behandeln, habe ich gelesen, die mir nicht anregend durch die Schärfe der Prüfung und gewinnreich durch ihren Inhalt gewesen wäre. Ich brauche hier nur aus jüngster Zeit zu nennen den index schol. des Sommersemesters 1856, der quaestionea etymologic. enthält, und den index schol. des Sommersemesters 1857 mit einer Abhandlung: de anomaliae cuiusdam graecae aualogia. Erst in diesem Jahrhundert haben wir, und das zwar durch deutsche Forschung, richtige Vorstellungen über das Wesen der Sprache über- haupt erhalten und die Verwandtschaft der besondern Sprachen durch die Wortbildung und Flexion derselben bei den Culturvölkern erkannt. Fortan hat der Streit aufgehört, ob die Sprache (pvcu und ^iasi durch Satzung oder mit Naturnothweudigkeit entstanden sei, der schon im Kratylus des Plaio geführt wird zwischen Hermogenes, dem Vertheidiger der d-iaig, und Kratylos, der da behauptet ovofiaTO^ 6^6- trjfta elvai iadaTO) rcov ovrtov q>v06ine(pvKviav^ ein Streit, über den selbst Fichte wegen seines subjectiven Idealismus nicht hinaus- kommen konnte in seiner Schrift von der Sprachfähigkeit und dem Ursprünge der Sprache (1805). Wir wissen jetzt dasz die Sprache keine Erfindung sei, denn bei ihrer Bildung werden nicht Stoffe, die sich ursprünglich gegen einander fremd verhalten, von dem reflectie- rendeu Menschengeiste zu einem bestimmten Zwecke benutzt, sondern die ihr inwohnenden Gesetze sind zugleich schaffende Kraft der Sprache, das heiszt: die Sprache ist ihrem Ursprünge nach eine natürliche Schöpfung. Die Entwicklung der Sprache hält gleichen Schritt mit der geistigen Entwicklung im Menschen, sie ist eine Emanation der Seele; allein über die einzelnen Momente ihrer Fortbildung bis zum adaequaten Ausdruck des 'logisch entwickelten Gedanken können wir historisch nichts wissen. Was nun das Verhältnis der Sprachen des indogermanischen Stammes betrifft, so zeigt nicht allein die Iden- tität der Wurzeln die Urverwandtschaft dieser Sprachen unter einander, sondern der übereinstimmende Typus ihres Formbaues liefert den über allen Widerstreit erhabenen Beweis, dasz die Verzweigung der Ur- sprache nicht sogleich nach vollendeter Wurzelbildung geschah, son- dern viel später, nachdem die Bildung der phonetischen Formen auch für die Beziehungen der Begriffe schon vollendet oder doch wenigstens ihren wesentlichen Grundzügen nach fertig war. Nun übertrifft zwar das Lateinische und Griechische unsere deutsche Sprache an Formcn- reichthum , wie das Griechische wieder mehr formale Ausbildung hat

144 Cartios: de aorisii latint reliqaits.

als das Lateinische ; allein es finden sich doch auch Sparen derjenigen Formen, die früher als dem Griechischen eigenthümliche angesehen wurden, nicht blos bei den Indern, sondern auch bei den andern Sprach- zweigen desselben Stammes. So ist im Sanskrit, Zend, Littauischen der Dual , im Gothischen und Althochdeutschen dagegen zeigt er sich nur bei dem Personalpronomen, im Lateinischen finden sich duo und ambo als Duälformen. Dasz der Optativ ein ^Gemeingut des Stammet* war, darüber vgl. Curtius Mie Bildung der teropora und modi' S. 251 ff. Dasz nun aber auch vom Aorist Spuren bei den Römern vorhanden seil würden, darauf muste schon die Vermutung deswegen führen, weil uns auch sonst das Verhältnis zwischen dem Griechischen und Lateinischen eine nähere Verschwisterung beider zeigt, so dasz wir annehmen mAs- sen, es sei die Trennung dieser beiden Sprachzweige relativ später vorgegangen. Passend bezeichnet daher Schleicher *die Spraches Europas' S. 132 beide Sprachen mit dem Namen ^pelasgisches Fanii- lienpaar'. Gegen Bopps Ansicht, der auch Benary fo^gt, dasz das la- teinische Perfectum dem Aorist der Griechen entspreche , sind von G. Curtius schon 1843 in der Ztschr. für d. Alterth.-Wiss. Bedenken er- hoben, die fiberzeugend genug sind, und in der ^Bildung der tempert und modi ' finden wir S. 206 ff. die Gründe gegen Bopps Hypothese nochmals kurz zusammengefaszt. Besonders ist bei dieser Frage darauf Gewicht zu legen, dasz ja die Endungen des lateinischen Perfects durch- aus den sanskritischen analog sind : tetuli = tutöla, tetulisti = tatd- litha, tetulit = tutöla, tetulimus = tutolima. Aber auch die Natur der rednplicierteu Aoriste ist von der des Perfects ganz verschiedeBi wie Curtius das nachweist. Dagegen versucht Curtuis an einer andern {Stelle der lateinischen Verbalformen die Spuren zu zeigen, die dea sogenannten Aorist II des Griechischen entsprechen. Da dieser soge- nannte Aorist II als tempus der Vergangenheit mit dem imperfectam das Augment gemein hat und ebenso wie das imperfeclum in Folge der stärkeren Belastung durch das Augment am Anfange dieselbe Ab- schleifung der volleren Personalendungen fu^ <Si>j vxi zu v, g, w zeigt, so liegt das unterscheidende beider tempore nur darin, dasz der Aorist II den reinen Stamm des Verbums, das Imperfectum dagegen den verstärkten Praesensstamm enthalt (vgl. Curtius Bildung der tempora und modi S. 144). Ursprunglich war die Nasalierung ebense wie die Verstärkung durch Zulaut (mit diesem Ausdruck bezeichnel Curtius passend die Gunierung auf dem Gebiete des Griechischen nnd Lateinischen) rein lautlicher Natur; aber es trafen auf eine zweck- mäszige Weise im Praesens die Verstärkungen dos Stammes mit der diesem Tempus eigenthümlichen Bedeutung der Dauer zusammen. Das Gefühl für die darin liegende passende Uebereinstimmung von Form nnd Bedeutung mochte allmählich die einfachen Praesentia seltner werden und dafür jene verstärkten Formen mehr und mehr eintreten lassen (a. 0. S. 124). Wollen wir, von der einfachen Beschaffenheil der Formen als der früheren fortschreitend zu der erweiterten, einen älteren Zustand der Sprache annehmen, in welchem alle Praeeenlia

Cflrtioi : de aoritli lalini reliqniis. 145

nocb die anverslfirkte Form hatten, ao wflrde in diesem voraoagesetz* ten Sprachzustaode der Unterschied awischen Aorist II und Imperfec- tum ganz wegfallen. Sobald aber in der phonetischen Entwicklung jene Erweiterungen des Verbalstammes im Praesens erwachsen waren, so musle das aus dem reinen, unverslärkten Stamme gebildete Prae* teritum (Aorist II) dem aus dem erweiterten Stamme erwachsenden (Imperfeclum) gegenabertreten. So wurde die ursprünglich rein laut* liehe Verstärkung zum ^Symbol' der Dauer verwendet, denn darin liegt das Wesen des Imperfeots. Der leichtere Aorist dagegen ver- blieb der Erzählung zur Bezeichnung der reinen, nicht näher modi- ficierten Vergangenheit. So schieden sich der Bedeutung nach : tpvya (psvym^ TtTiot xixxoi *), ßaXuv ßalleiv^ yvovg yiyvMiMov^ IXaße ikdfißave. Diesem Vorgange, wodurch sich auf dem Gebiete der griechischen Sprache die beiden Praeterita auseinander legten, stellt Hr Curtius nun S. IV in vorliegender Abhandlung zur Seite: pagunt^ iagil^ aitigai^ und sagt: quorum ratio non haec est, nt anti* qniore tempore eae formae quae littera nasali carent solae nsarpatae fnerint, postea ampliores, quae sunt panyuni^ tangii, attingnl^ in bre- viornm locnm successerint. Er führt d^zu aus demselben Dichter Al- tins beide Formen an V. 231 (Ribbeck): attingam und V. 304: attigas, ans Plautus Mercat V. 32: quae nihil attingunt ad rem neo nsui sunl nnd filostellar. V. 408: ne attigatis. Da nun beide Formen im gleich- zeitigen Gebrauch waren und bei denselben Schriftstellern, so liegl die Vermutung schon an sich nahe, dasz zwischen atUngam und aUi^ gas dasselbe Verhältnis stattgefunden habe , das wir zwischen TS^otf- ^vyyavm und TtQoa&lyrjg erkennen. Zur vierten Verbalklasse, d. h. deren Stamm durch Reduplication verstärkt wird, gehört gigno, was aus gigeno in derselben Weise entstanden ist wie yfyvofuxi aus yi-ya- vofiai. Für die Bedeutung, bemerkt der Vf. S. V vorliegender Abhand- lung, möchte darin sich der Unterschied beider Formen zeigen: quod genitur saepius in testamentorum formulis de futuro tempore dicitur *si mihi fllius genitur'. Ferner findet Hr Curtius S. V Spuren des griechischen Aorist auch bei den beiden Verben fero und stim, deren Tempora nicht durch Erweiterung des Stammes unterschieden, sondern ans ganz verschiedenen Wurzeln gebildet sind. Aus der Wurzel von ffero wird bekanntlich das Praesens und was damit zusammenhängt gebildet. Im Lateinischen wird vom Praeseusstamme auch das Futurum gebildet, was dem griechischen Optativ praesent. entspricht. Es stehen tieh also gegenüber ferö 9/po, feramus q>iQfO(Uv und ebenso auch Futurum feremus und Optativ praes. q>iQoifiev, Dem Perfeet, nnd Aorist liegt im Griechischen iveyTC zum Grunde, das lateinische Perfect. hiesz ursprünglich tetuli^ woraus nach Abwerfung der Re- duplication tuli. Dies Perfectum aber hat dieselbe Wurzel mit tollo,

*) Stamm t£x. Dieselbe Verwaudlung dos stammhaften £ in i sehen wir bei h^qvtjul neben TieQdvvvviii, Tt^Xvrjfii neben XBXd^taj nCzvrnti neben netdvwiiL u. m. a.; vgl. Curtius 'Bildung der tempora nnd modi » S. 83 Not.

146 Cnrtios: de aoristi laiini reliqaiis.

tolero, Tlfjvaij xhlrina^ raAag, toA/iicir; die arsprünglich sinnliehe Be^ deutung dieser Wurzel zeigt sich noch in rcAa/iioi)!/ und xdlavtov, ist also zwischen den Wurzeln fer und tul ein ähnliche^ Verhällnis wie zwischen dem griechischen (peQ und ivsyK, Von el^il^ i6 - fii^ sum ='es - u - m gibt es weder im Griechischen noch im Latei- nischen ein Perfectum derselben Wurzel. Die griechische Sprache be- dienle sich der Perfecta yiyova^ Tticpvxa^ als Aorist aber tritt sehr hauflg gwvai ein. Daher erklart der Hr Vf. beiläufig das homerische iv 6^ aQa ot qw %BtQl fQr iyivexo iv %Hqi ^er kam ihm in die Hand% wie sich ja die ähnliche Verbindung durch die Praeposition bei diesen Verbnm auch sonst findet: iyivexo iv iavxm ^er kam zu sich selbst*, iyivexo ano öeLnvov u. a. m. Bei den Römern ist fui, futurus, fore ganz stellvertretend fQr die entsprechenden Temporalformen von sum geworden, ohne den Begriff des nascendi, gignendi zu bewahren. Von einem Praesens desselben Stammes finden sich für den Conjunctiv die drei Singular- Personen und die dritte Perf. des Plural.: fuam, fuas, fnat und fuant, die ganz dem fpvta^ ^P^St 9>^V qwfoai, entsprechen. Wir müssen dem Hrn Verfasser darin beistimmen, wenn er sagt S. VIU: locis in quibus leguntur accurate inspectis mihi quidem veri simile eal fuam et sim sive Stent non prorsus idem significasse, immo in priore aliquid inesse propter quod magis cum graeco yivcafjuti vel yevotfiipf quam cum cd vel eiriv comparetur. Z. B. Plant, mil. V. 299: quid fuai me nescio kann doch wol nur sein xl yivafiat oder xl yeviqaofiai^ ovx o7da, daher hat auch fore futurische Bedeutung erhalten, die sich gleichfalls in forem findet. Beachtenswerth für die Bedeutung ist es, ' dasz die eben erwähnten Conjunctive attigas usw. am häufigsten sich mit ne verbunden finden, denn nicht so häufig sagt der Lateiner ne facias, ne feras, wol aber ne feceris, ne tuleris, ebenso wie die Grie- chen nicht firi jtQoa&tyyavjig , fii} ^^, sondern statt dessen fifi tiqoö^C^ fTfjgj firj yivrj sagten. Zum Schlusz wird von den Verben gehandelt, die ihren Stamm durch ein i vermehren. Von der ursprünglich inten- siven Bedeutung, welche das Verbnm nach Anleitung des Sanskrit <lurch dies yoD oder to erhielt, findet sich im Griechischen und Latei- nischen nichts mehr: es erscheint vielmehr in beiden Sprachen diese Stammeserweiternng rein lautlicher Natur zu sein. Sollten aber beide Sprachen diese dadurch erwachsene Verschiedenheit des erweiter- ten und des einfachen Stammes nicht benutzt haben zur Modificio- rnng der Zeit? Die Griechen konnten das sanskritische }i oder ja, was sich zwischen Wurzel und Endung einschiebt in der vierten so sehr zahlreichen Verbalklasse im Sanskrit , mit ihrem Organ nicht festhal- ten. Daher wird bei ihnen entweder das j vocalisiert zu » oder es geht durch Assimilation in andere Laute über: aXkofiai (salio), ßaX- kca , naXXcD^ xqI^(o (xix Qtya)^ &(OQrja6(o (d'oiQrjK-g^j i^iööca ( ^ ^ et - flog). Das Römische ist nun zwar in der Festhaltung des überkomme- nen treuer als das Griechische, allein das j zeigt sich bei ihnen doch nur in Verbindung mit Vocalen, nicht nach Consonanlen. So hat denn im Lateinischen die Endung jdmi die Gestalt io angenommen nnd das

Gariius: de aoristi Ittini reliqaiis. 147

10 der Verba der sogenannten 3n Conjagalion hält das i nur im Prae- sens und den davon abgeleiteten Temporibus fest; alle übrigen Tem- pora erkennen diese Stammeserweiterung nicht an (Gurt. ^Bildung der tempora und modi'' S. 110 u. IJJ). Bei den Griechen dagegen blieb das i in den sehr wenigen Fällen , wo es anverfälscht hervor- tritt {idl(o im Sanskrit svidjdmi mit Abfall des anlautenden a /, fti^v/m, KtlKidOj welches dem x/co gegenüber intensive Bedeutung hat) durch die ganze Temporalbildung hindurch. Daher ist zwischen den beiden Per ticipial formen par iens und parens dasselbe Verhalten anzunehmen, was wir erkennen zwischen xrelvoov i. e. ntsv-l-cav und Aorist xra- vdv zwischen ßaXl(ov i. e. ßak- t-ayv und ßakoiv. Es ist also par iens 1} tlKvovaaj dagegen parens i} xsTtovöa, parentes ot xeKovxeg. So vorsichtig der Hr Vf. sich auch über das fehlende und »stattfin- dende i in diesen Formen ausspricht, so gibt doch der analoge Fall von potens (qui potitus est) und potiens seiner Ansicht in meinen Augen zuviel Gewicht , dasz ich nicht an eine aoristische Bedeutung der Formen, welchen das i fehlt, denken sollte; mithin ist parens nichts anderes als mulier quae peperit. Ferner steht doch wol ein altes Particip sentens dem sententia iu aoristischer Bedeutung nahe genug, um nicht eine blos zufällige Elision des i anzunehmen, wie Pott elym. Forsch. 1 116. Sententia, sagt Quintilian VIII 5 init. veteres quod animo sensissenl vocarunt, und im Senate wurden doch wol aensa, rcc do^avra, xoc yvcacd'ivta ausgesprochen, wenigstens wird sich jeder hierfür mehr entscheiden als für rcc öoxovvra,

Eutin. Ernst Hausdörffer.

9.

Zur allgemeinen Ethnologie und Urgeschichte der

Menschheit.

Die Frage nach der Abstammung der sämtlichen Bewohner un- serer Erde von Einern oder mehreren Menschenpaaren, welche im letz- leren Falle wirklich verschiedenen Species von ungleicher physischen Beschaffenheit und Begabung angehören würden, ist auch in dem letz- ten Jahrzehend auf verschiedene Weise behandelt und beantwortet worden.

Dasz die meisten englischen Gelehrten Monogenisten sind, d. h. die Abstammung von 6inem Menschenpaare annehmen, wird bei ihrer groszen Verehrung gegen die Autorität der biblischen Erzählung kaum befremden; doch würde man ihnen unrecht thun, wenn man ihre Be- weisführung als gänzlich von religiöser Pietät beeiufluszt ansehen wollte. Nach dem Vorgange des berühmten Pritchard entschied sich für die gleiche Ansicht auch Robert Gordon Latham, der vor-

148 Zar allgemeiBen Ethnologie.

' sugsweise die Sprachen zu klassißcieren bemttht war and in seiner Schrifl :

The Natural Eislory ofthe Varieiies of Man. London 1850. 8.

die Völker der Erde in 3 Hauptstdmme mit zahlreichen Unterabthei- Inngen eintheiit: Mongoliden (in Nordeuropa, Mittel- und Ostasien, Polynesien und Amerika), Atiantiden (in Afrika, mit Einschlusz der Semiten) und Japetiden (unter denen er die Gelten als occiden- laiische Japetiden von den europäischen und iranischen Indo- Ger- manen geschieden wissen will).

In einem Cyclus von 6 in der Mechanics Institution zu Liverpool gehaltenen Vorlesungen unter dem Titel :

Man and his Migralions. London 1851. 8.

spricht er zwar aus, dasz der Ursprung der gesamten Menschheit von einem besondern Orte keineswegs absolut und conclusivzu beweises sei, sucht aber doch die Localitat im zwischentropischen Asien, wo das erste Menschenpaar gewohnt haben soll, dadurch annähernd zu be- stimmen, dasz er sechs fiuszerste Punkte annimmt, bis zu denen tob jenem provisorischen und hypothetischen Centrum aus die Abkömm- linge gewandert sein müssen. So zieht er nun 6 Linien ]) von dem Feuerlande nach dem nordöstlichen Asien , 2) von Vandiemensland nach dem südöstlichen Asien, 3) von den Osterinseln bis zu den südöstliches Theilen Asiens, 4) vom Cap der guten Hoffnung nach dem südwest- lichen Asien, 5) von Lappland nach dem nordwestlichen, endlich 6) von Irland nach den westlichen Theilen Asiens. Eine besondere Abthei- lung der beiden vorerwähnten Werke bildet die Schrift:

The Ethnology of the British Colomes und Dependencies, London 1851 •).

Auszer diesen allgemeinen. elhnographischen Untersuchungen hat Latham sich auch insbesondere mit der Ethnographie der europäischen Völker und namentlich der Bewohner Groszbritanniens beschäftigt:

The Ethnology of Europe und the Ethnology of the British Islands. London 1852.

in welcher Schrift er im Gegensatz gegen die tendenziösen Declamationen der Panslavisten von Reinheit und Unvermischtheit einer Race darauf hinweist, aus wie verschiedenartigen Elementen in einer oft kaum mehr nachweisbaren Weise die Culturvölker Europas gemischt sind, wie z. B. die Englander aus Gelten, Römern, Sachsen, Scandinaviern and

*) Uebor diese 3 Schriften enthalten die münchnor gelehrten An- zeigen der bajrischen Akademie der Wissenschaften 1852 Nr 20 24 ein ansführliches Referat ; über die beiden folgenden das Londoner Atbe- naenm rem 27. November ldö2 S. 1293 f. eine anerkennende Benr- teilnng.

Zar allgemeioen Ethnologie. 149

franxösischen Norminnern, welche letzteren wieder von dänischen oder norwegischen männlichen Eindringlingen und gallischen Müttern aus früher dort einheimischen celtischen, römischen und germanischen Fa- milien abstammen.

Den linguistischen Standpunkt Lathams adoptiert DrCarpenter in seinen

Varieties ofMankind. T. I. IL London 1851. 52 (in Todds Cy- clopaedia ofÄnatomy and Physiohfy, Part, 41. 42).

in welchem Buche er das Material fleiszig und umsichtig zusammen- stellt und gehörig kritisch sichtet; er beweist vom physiologischen Standpunkte aus, dasz man nicht berechtigt sei mehrere verschiedene Menschenspecies anzunehmen, sondern dasz alle Völker der Erde einen gemeinschaftlichen Ursprung gehabt haben, und gibt bei dieser Ge- legenheit eine allgemeine Uebersicht über die Verschiedenheiten der physischen Merkmale, wie sie von den verschiedenen Menschenracen dargestellt werden, welche er in fünf Hauptfamilien nach ihrer geo- graphischen Vertheilung absondert: 1) europaische, 2) asiatische, 3) flfrikanische,'4) amerikanische und 5) oceanische.

Im Widerspruch mit den Monogenisten in England haben sich seit einigen Jahren einige Gelehrte in Nordamerika für die Behauptung erhoben, dasz das Gepräge der einzelnen Racen und auch die geistige Befähigung derselben zu weit von einander abweiche, als dasz man berechtigt sei sie alle von 6inem Menschenpaare abzuleiten und jene groszen Verschiedenheiten nur auf Einwirkung der BodenbeschaflTen- heit und des so manigfaltigen Klimas oder aus Entartung und Verwil- derung zurückzuführen.

Zu diesen Gelehrten gehört der schon verstorbene Morton, welcher in seinen ^Crania Americana' und den *Crania Ae- gyptiaca' diese Ansicht aufstellt und zu erweisen suchte, und in den letzten Jahren haben zwei Nordamerikaner sich mit andern For- achern auf verschiedenen wissenschaftlichen Gebieten verbunden und in zwei Sammelwerken die Beweisführung versucht, deren ersteres

Types of Mankind^ or Ethnological Researches, by J. C. Nolt and George R. Gliddon. London, Trübener u. Comp. 1854.

dem damals noch lebenden Morton dediciert ist. Die erste Abhand- lung von dem bekannten schweizerischen , jetzt in der Nähe von Bo- aton angestellten Naturforscher Agassiz*), handelt über die natür- lichen Provinzen der Thierwelt und ihre Beziehungen zu den verschie- denen charakteristischen Merkmalen (Typen) der Menschenracen, welche in den verschiedenen Ländern und Welttheilen von ganz ver-

*) Vergleiche über dessen Leistungen anf dem Gebiete der Natur- ffeschichte den Aafsatz von Aug. Langel : nn naturaliste philosophe , in d. Revue des denx mondes jr. I . Se|>t. 1857 S. 57 ff., Über die hier er- w&hnte Abhandlung S. 10&— 108.

150 Zar allgemeinen Eihnologie.

schiedenen Gruppen der Thierwelt umgeben sind. Seine HanptslUe sind folgende:

Das zusammentreffen zwischen der Umgrenzung der Menschen- racen und den natürlichen Grenzen der verschiedenen Provinzen der Thierwelt ist eine Thatsache, welche in der Zukunft einmal ein Licht auf die Verschiedenheiten unter den Menschen selbst werfen mnss, weil es beweist dasz die physische BeschalTenhelt der Menschen durch dieselben Gesetze wie die der Thiergattungen modificiert wird, and dasz die allgemeinen Resultate, welche man im Thierreich ein Betreff der organischen Verschiedenheiten der einzelnen Typen erreicht hat, sich tof den Menschen anwenden lassen müssen. Wir haben also nur die Alterna- tive : entweder kommt die ganze Menschheit aus ^iner gemeinschaftlichen Quelle und alle verschiedenen Racen müssen späteren Veränderungen zugeschrieben werden eine Annahme, zu deren Gunsten man keinen Beweis beibringen kann, und welche sofort zu dem Zugeständnis nö- thigt, dasz auch die Verschiedenheit der Thiere unter einander keine ursprüngliche ist und dasz ihre Verlheilung nicht nach einem tllge- roeineii und seit der Schöpfung festgesetzten Plane bestimmt worden ist oder man musz anerkennen, dasz die Verschiedenartigkeit der Thiere eine vom Willen des Schöpfers selbst angeordnete Thatsache ist und dasz ihre geographische Verlheilung mit zu dem allgemeinen Plane gehört, welcher alle organischen Wesen in 6iner groszen orga- nischen Conception begreift: und daraus folgt dann, dasz was wir Menschenracen nennen, von Anfang der Welt an unterschiedene For- men des menschlichen Typus sind. Er scheidet hiernach folgende 8 Provinzen der animalischen Welt im allgemeinen: die arktische, mon- golische, europäische, amerikanische, afrikanische, hottentottische, malayische und australische. Der zweite Beitrag von J. C. Nolt ent- hält eine Reihe von Aufsätzen mit allgemeinen Bemerkungen über die charakteristisch verschiedenen Züge des Menschengeschlechts : jfl- dische, afrikanische, aegyptische, Negerformen, amerikanische and andere Züge. Hierauf folgen Auszüge aus Mortons Manuscripten dann ein Aufsatz von W. Usher: Geologie und Palaeontologie in Be- ziehung auf den Ursprung des Menschengeschlechts, endlich zwei Aufsätze von dem zweiten Herausgeber G. R. Gliddon, eine kritische Abhandlung über das lOe Kapitel der Genesis und über biblische Ethnographie, und eine zweite über die Chronologie des Menschenge- schlechts und verwandte Gegenstände.

In ähnlicher Weise haben sich dieselben Herausgeber mi( Agla8- s i z , dem Franzosen Alf. M a u r y und dem medicinischen Prof. zu Phi- ladelphia zu einer sehr voluminösen Fortsetzung dieser Untersuchung verbunden, unter dem Titel:

Indigenous Races of the Barth or New - Chapters of Ethnological Inqmry, London 1857.

Voran steht ein Brief von A ga ssiz, der wiederholt seine Ueber- zengung von der Abstammung der Menschheit von acht verschiedenen

Zar allgeneinei Ethnologie. 151

Stammvälerii aasspricht, da man die Menschen in den verschiedenen Landern der Erde von achterlei verschiedenen Thiergruppen umgeben finde, was aaf eine achtfache Verschiedenheit der anter denselben lor- benden Meosohen za schlieszen berechtige.

Hiergegen wendet freilich ein Berichterstatter im londoner Athe- naeum (vom 12. Sept. 1857) ein , dasz ja keines der Thiere mit Thie> ren einer davon verschiedenen und entlegenen Gruppe sich mit Erfolg begatten könne, wahrend dies bei den Menschenracen sich anders ver- halte, da ja Menschen der verschiedensten Zonen sich begalten und frachtbare Nachkommenschaft erzeugen können, eine Wahrneh- mang, die uns zu groszer Vorsicht im ziehen solcher Schlüsse auf- fordert. Sein zweiter Beweis ist die Verschiedenheit der Laute, durch welche Menschen in weit von einander entfernten Landern dieselben Gegenstände bezeichnen, wahrend Baren z. B., obgleich verschiedeneu Species angehörend, doch das verwandte Gebrüll in den verschiedenen Ländern, wo sie vorkommen, ansstieszen!

Von dem einen der Herausgeber, dem Arzte Nott, ist ein Aufsatz aber Acclimatisierung oder über die vergleichweisen Einflüsse des Klimas endemischer und epidemischer Krankheiten auf den Menschen, worin er nachweisen will , dasz es gewisse charakteristisch verschie- dene Typen der menschlichen Familie so alt und so durchgehend gibt, wie die sie umgebende Fauna und Flora ist. Auch er behauptet von den weiszen Racen Europas, den Mongolen Asiens, den Schwarzen Afrikas und den Ureinwohnern Amerikas, dasz die Züge und der Cha^ rakter der diesen verschiedenen Reichen angehörenden Menschen hin- ter allen menschlichen Erinnerungen um tausende von Jahren zurück- liegen und so alt wie die Fauna^s seien deren jede einen originalen Be- •tandtbeil bilde, und dasz die Züge der Menschen von einander durch •peciiische Merkmale getrennt seien, die eben so gut markiert und eben 80 beharrlich seien als die, welche die Species anderer Geschlechter bezeichnen.

Von dem andern der beiden Herausgeber, G 1 i d d o n , der früher als nordamerikanischer Cousul in Cairo sich auch mit dem Studium der Ueberreste von allen Aegyptern beschäftigt hat (Verfasser einer archaeologischen Einleitung in das lOe Kapitel der Genesis in dem oben erwähnten Werke ^Types of Mankind'), enthält das vorliegende Sammelwerk eine längere Abhandlung: die Monogenesisteu und Poly- genesislen, eine Auseinandersetzung der Schulen, welche dogmatisch die Einheit oder Verschiedenheit der Menschenracen behaupten , nebst einer Untersuchung über das Alter des Menschengeschlechts auf Erden, vom Standpunkte der Chronologie, der Geschichte und der Faiaeonto- logie. Als Polygenesist hält er au der Vielfältigkeit der Menschenpaare fest, welche zu verschiedenen Zeiten geschaffen worden seien, und be- schuldigt alle, welche die entgegengesetzte Behauptung bewahren, der Beeinflussung durch die Geistlichen und eines abergläubischen fest- haltens an der Wahrheit der biblischen Festsetzungen. Am Schlüsse seiner Abhandlang antersacht Gliddon die geographische Vertheilang

M. Jahrb. f, PhU. u. Paed. Hd LXXVIII. BftS, 11

152 Zar tllgemeinen Ethpologie.

der AlTenarlen in Vergleich mit der der nntergeordneten Memchen- raceD, und sucht zu beweisen, wie unwahrscheinlich es sei dass oile jene verschiedenen Species der Affen von jenem öinen Paare herstara- men, das mit Noah aus der Arche stieg nud dasz da die Menschen eine besondere Ordnung der Saugethiere bilden wie die Affen, es auch ebenso verschiedene Species von Menschen geben mösse!

Eine andere Abhandlung von Alfred Maury, Buchhändler des Institut fran^ais und Secretair der pariser geographischen GesellsehafI, behandelt den umfangreichen Stoff *über die VerUieilung und Klassi- fication der Sprachen^ in oberflächlicher Weise ; eine fünfte von dem Ungarn Franz Pulszky ^iconographische Untersuchungen über Men- schenracen und ihre Kunst' behandelt den Gegenstand vom Stand- punkte der Kunstgeschichte und will aus dem constanten Charakter der nationalen Kunst, wie sie sich bei den einzelnen Völkern, beson- ders des Alterthums, verschieden entwickelt hat, auf eine specifisehe Verschiedenheit dieser Völkerstamme s.chlieszen.

Die letzte Abhandlung in dem Sammelwerke ist von dem Prof. am medicinischen Institut zu Philadelphia Dr J. Aitken Meigs *über die charakteristischen Unterschiede an den Schädeln der Menschen- racen' und sncht zu beweisen, dasz es gewisse permanente charakteri- stische Verschiedenheiten in den SchSdeln der einzelnen Menscbenrtcen gebe ; doch ist der Verfasser bescheiden genug einzngesteben , ^daaz bei dem gegenwartigen Stande unserer Kenntnis wir keineswegs sicher sind, dasz solche charakteristische Eigeuthümlichkeiten auch von allem Anfange her verschieden waren'.

Auch der schon oben erwähnte Berichterstatter im londoner Atbe- nacum bekennt, die Einheit der Abstammung' des Menschengeschleobis von einem Paare nicht als eine sicherstehende Thatsache behaapten so wollen ; er verlangt nur , dasz auch die übrigen Mitarbeiter an jenem polygenesistischen Sammelwerke nach einer evidenten Beweiafuhrung (evidence) urleilen und Gründe für ihren Glauben angeben sollen; dasz sie statt Namen zu nennen und Parteistellungen zu nehmen an die groszen und interessanten Fragen, welche sie besprochen haben, mit dem Ernst und der Aufrichtigkeit herantreten sollen, welche Minnem bei der Forschung nach Wahrheit geziemen.

Die neueste Leistung vom osteologischen Standpunkte ana ist die. von Peters übersetzte Schrift:

BUck auf den gegenwärtigen Standpunkt der Ethnologie in Besag auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes ^ von Andr. Retzius. Berlin 1857.

über welche der Uebersetzer in der Sifzüng der berliner geographi- schen Gesellschaft am 7. Nov. berichtete. Der Verfasser nimmt zwei Schädelformen an: Dolichocephalen und Brachycephalen , deren jede er wieder in Orthognathen und Prognathen eintheilt. Von den Baro- päern (sämtlich Orthognathen) gehören zu den Dolichocephalen die Germanen und die Gelten, zn den Brachycephalen die Ungarn, Tflrken,

Zar tllgemeineo Ethnologie. 153

Slaven, Letten, Albanier, Etrarier, RbStier und Basken. Unter den Asiaten gehören zu den Dolicbocephaien die Hindus, die arischen Per- ser, die Araber, die Juden und die prognatbischen Tungusen und Chi- nesen, zu den Bracbycepbalen, welche meist Prognalben sind, die übri- gen Völker. Von den südwestlichen Anwohnern des indischen Oceans, samtlich Prognathen, sind die Australneger Dolicbocephaien, die Ma- layen, Poiynesier und Papuas Brachycephalen; die Völker Afrikas Dolichooephaien und Prognatben. In Amerika sind die Eingebornen auf der Ostseite vom höchsten Norden bis Uruguay Dolicbocephaien, auf der Westseite von den Kurilen bis zu den Feuerländern Brachy- cephalen. Bei dieser Gelegenheit berichtete Professor Ritter über die Entdeckung uralter Pfahlbauten und Graber an Men kleinen Seen der Schweiz, in denen die vorgefundenen Schädel zwei ganz ver- schiedenen Racen angehörten , von denen die Gelten die jüngere zu sein schienen; das wiese also auf eine von den Gelten besiegte und vernichtete frühere Bevölkerung zurück.

Wie es bei der Besprechung der interessantesten wissenschaft- lichen Streitfragen nicht leicht ist, sich von dem Einflüsse nationaler Vorurteile oder einer gewissen Zeilströmung frei und ganz auf der Höhe der Wissenschaft zu halten, *so ist es gerade bei dieser Frage, welche so verschiedene wissenschaftliche Gebiete berührt, der Fall, und eben darum ist es auch kaum zu vermeiden , dasz der Polemik sich Leidenschaft und Verdächtigung der Motive beimische. Wie jene Mitarbeiter der Nordamerikaner den Monogenesisten die abergläubische Bibelverehrung als hauptsächlichstes Motiv zum Vorwurf machen, so gibt wiederum der englische Berichterstatter dem Argwöhn Baum, als möchte dem 'Sklavenbesitzer Gliddon daran gelegen sein zu beweisen, dasz die schwarze Bevölkerung von der weiszen specifisch verschie- den und nach dem Willen der Natur ihr untergeordnet und zu dienen verpflichtet sei *), E b e n so dürfte es auch nicht befremden, wenn bei onsern Nachbarn jenseits des Rheins die im Gegensatz zu den Nivel- Hernngstendenzen der communistischen Partei seit 1848' eingetretene Strömung rückwärts der Annahme ursprünglicher Ungleichheit der Menschen wie der Völker und der Geschlechter wie der Reiche leich- teren Eingang verschafft haben sollte. Auch fehlt es nicht an einem Gelehrten, A. deGobineau (erstem, frauzös. Legationssecretair in der Schweiz), der in seinem

Essai sur Vin^gaUti des races humaines. Paris, Didol 1853. Fol. IV Bde

darauf ausgeht, theils mit physiologischen, theils und vorzüglich aber mit wissenschaftlich -sprachlichen Gründen die Ungleichheit der Men-

*) Den gleichen Vorwurf, als wenn es den Herren Nott und Glid- don bei ihrer früheren Veröffentlichung besonders um wissenschaftliche Begründung der Negemnterdrückung zu thuu gewesen sein möchte, macht ihnen Aug. Lange! in dem oben erwähnten Aufsätze über Agassiz S. 107 f.

11* . .

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154 Zur allgemeinep Etlmologio.

»chenarten zu beweisen, deren er drei gänzlich rerschiedene annimml, die weisze, die gelbe und die schwarze. Von diesen stehe die weisse am höchsten über den beiden andern und in ihr seien wiederum die arischen Völker die kräftigsten. Die weisze Menschenart habe auch zu jedem der vom Verfasser überhaupt angenommenen 10 grossen Standpunkte und Kreise menschlicher Bildung den Anstosz gegeben; diese sind der indische, aegyptische, assyrische (mit Einschlusz des phönicischen , himyaritischen und der Völker der zarathustrischen Re- ligion), der griechische, chinesische, italische (mit dem celtischen und iberischen), der deutsche, alleghanische, mexicanische und peruanische. Dabei möchte es auf den ersten Blick befremdend erscheinen, dasz er als guter Katholfk und Conservaliver auch an der Erzählung der Bibel festhalt, aber dieselbe freilich mit seiner Theorie durch die Erklimng in Einklang zu bringen versucht, dasz Adam nur als Stammvater der weiszen Menschenrace zu verstehen sei, denn von den gelben Men- schen sei Genes. I und X nichts gesagt und Cham werde ganz falsch als *der schwarze' erklärt! Zwar ist dieser auch Stammvater der Phoenicier, aber sein zweiter Sohn Kusch soll ja das Bild aller schwar- zen sein, wie sich aus der ganzen Erzählung in der Genesis ergibt. Mit Recht erinnert ein deutscher Recensent Gobineaus (H. Ewald in den göttint^ischen gelehrten Anzeigen v. 1 Mai 1854 S. 681— 69&, bu- sonders S. 689 (,} daran, dasz das unsere früheren Vorstellungen unge- mein übertreffende Alter des Menschengeschlechts, wie es sich ans sprachlichen und geschichtlichen Gründen sicher ergebe, endlich auch bei der leiblichen Seite der Frage in Anschlag gebracht werden müsse, ond dasz eben in der Urzeit, als der Mensch von der Natur noch weit abhängiger war und eine ganz andere Empfänglichkeit besitzen mochte, sein junger Leib an den verschiedenen Stellen der Erde, wohin er so früh zerstreut wurde , sicher auch in gewissen Aeuszerlichkeiten früh ziemlich verschieden sich gestalten mochte.

Aber selbst wenn man sich zu der Annahme berechtigt halten sollte, dasz der Mensch eben so wie die Pflanze und besonders die niederen Thiere in jedem Lande besonders hätte hervorgebracht wer- den müssen, ändere dies nichts an dem wahren Sinn der biblischen Erzählung, die sicher mehr aus innerer Anschauung und schöpferischer Ahnung der Wahrheit als aus solcher Erforschung und Erfahrung ent- sprossen sei , dergleichen wir heute lieben und suchen : der Ahnung und dem höheren Gefühle, dasz alle Menschen trotz ihrer jetzigen ob- endlichen Spaltung und Verschiedenheit dennoch in allen den letzten und höchsten Beziehungen , wodurch der Mensch Mensch and nicht Thier ist, eine Einheit bilden, und insofern alle als unter sich gleidi- stehend betrachtet werden müssen. Es heiszt hier streng 6in Gott ^in Mensch: zuletzt musz für alle Menschen desselben Volkes, ja aller Völker ^in wahrer Gott , ^in höchstes heilsames Gesetz und 6in letztes klares Recht gelten, so dasz alle die besondern Trennungen und Ver- schiedenheiten davor verschwinden, wie die bunten Farben der Däm- merung vor dem hellen Lichte.

Ndgdlsbaeh: hebräische Grammatik. 155

Die hier besprochene Schrift Gobioeaos hat aach eioem andern berühmten Sprachforscher, Pott, Veranlassung zar Untersuchung die- ser Frage vom sprachwissenschaftlichen Standpunkte in der Schrift:

Die Ungleichheil menschlicher Rassen^ hauptsächlich vom sprach- wissenschaftlichen Standpunkte^ unter besonderer Berück- sichiigung von des Grafen Gobineau gleichnamigem Werke. Mit einem Ueberblicke über die Sprachverhältnisse der Völ- ker. Lemgo, Meyer 1856

gegeben, über welche der unterzeichnete sich eine besondere Bespre- chung vorbehält.

^Erfurt. Prof. Dr U. Weiszenbom.

(2.)

Lehrbücher der hebräischen Sprache.

(Fortsetzung von S. 15—28 n. 103—112.)

3. Hebräische Grammatik als Leitfaden für den Gymnasial- und aka- demischen Unterricht von Carl Wilhelm Eduard Na- gels b ach ^ Dr phiL lAc. theol.^ Pfarrer in Bayreuth und or- dentlichem Mitglied der histor. theol. Gesellschaft in Leipzig. Leipzig, Druck und Verlag von B. 6. Teubner 1856. XII u. 248 S. 8.

Eine neue hebräische Schulgrammatik! Nun wir haben nichts dagegen nach dem, was wir über Ewalds und Gesenius - Rüdigers Grammatiken in dieser Zeitschrift gesagt haben; denn da wir uns mit keiner von beiden ganz einverstanden erklärt, könnte ja eine neue das gewünschte bringen. Wir sind nicht mit dieser Hoffnung an das Buch gegangen, besonders da Nägelsbach in der Vorrede erklärt, dasz er Ewald und Gesenius vereinigen wolle und dasz dies sein Hauptbe- atreben sein solle. Wir haben bei einer früheren Anzeige von Rödi- gers Grammatik darüber am meisten geklagt, dasz durch solche Ver- einigung, da Rödiger. Gesenius^ Grammatik mit Ewaldschen Lehren ver- brämt, die Vorzüge von Gesenius verloren gehen, ohne dasz die von Ewald gewonnen werden. N. will die Wissenschaftlichkeit Ewalds mit der praktischen Form der Gesenius^schen vereinigen. Aber er ver- spricht noch mehr, nemlich ^erkleckliche materielle Verbesserungen', die angeführt werden. Dann hebt er als eigenthümlicben Vorzug her- vor, dasz die Syntax erweitert, die Formenlehre verengt sei und so der Schüler nicht ^durch zn viel Detail aufgehallen werde, während

156 NfigeUbaoh: hebrfiische GrammaUk. ,

auf dem Gebiete der Syntax noch so viele Eigenthamlichkeiten des hebräischen Spracbcbarakters der Aufhellung bedürfen'. ^Indern ich so in der Formenlehre mich auf das nothwendigste beschränkte, ge- wann ich Raum [der wäre wol auch so dagewesen] für die Syntax. Und indem ich überhaupt alles, was mir minder wesentlich schien, wegliesz, namentlich alles gelehrten Apparates mich geflissentlich ent- hielt, ist das Buch klein und woifeit, und doch, wie ich hoffe, so reich- haltig geworden , dasz es Anfängern lange hinaus zum Führer wird dienen können ' Dies ist das wichtigste ans der Vorrede; es folgt ein -Inhaltsverzeichnis, dann zwei Seiten Druckfehler oder Berichtigungen. Nach Vorgang von Gesenius handelt § 1 von der hebräischen Sprache, § 2 von der hebräischen Schrift, § 3 von der hebräischen Grammatik. Im § 1 wird gesagt, dasz der semitische SprachstBmm sich in drei Aeste theilt: 1) das Aramäische; dies zerfällt in das Chaldäische und Syrische, und es wird mit ^ziemlicher Wahrschein- lichkeit' geschlossen, dasz das Chaldäische eine ältere Sprache sei als das Hebräische, weil es die Sprache der Heimat und FreundschafI Abrahams ist und dieser und seine Nachkommen erst das Hebräische von den Cananitern gelernt haben. Es fragt sich doch erst, wie lange haben die Cananiter schon vorher ihre Sprache gesprochen, ehe sie Abraham lernte. Doch alle Beweise, für und wider nützen nicht, denn *wir sind weit entfernt das Chaldäische in seiner ursprünglichen 'Ge- stalt zu kennen'. 2) ^Der zweite Hauptzweig des semitischen Sprach- stammes ist das Arabische. Wie diese Sprache das gröste terri- toriale Gebiet einnimmt, so übertrifft sie auch die andere an Reich- thnm der Vocallaute und Formenentwicklung, so wie der litterarischen Froduclion. Man könnte die arabische Sprache mit der heiszen, die hebräische mit der gemäszigten , die aramäische mit der kalten Zone vergleichen' (!). Wenn man das nun thut, was hat man davon? Was lernt der Anfänger durch diesen Vergleich? 3) ^Der dritte Ast, exten- siv genommen der kleinste, aber intensiv der gröste und bedeutendste von allen, ist die hebräische Sprache.' Was soll der Anfänger anter intensiv und gröste sich denken? Im § 2 wird auf Gese- nius Grammatik 16e Auflage verwiesen, um etwas zu beweisen; das ist freundlich, aber der Schüler soll nur ^ine Grammatik haben. Der Schlusz schlieszt nicht: Weil zu Christi Zeit Matlh. 5, 18 die jetzige Schrift gebräuchlich war, denn der Herr kann vom Jod und fila %6Qaia nur in dieser Schrift so reden, ^musz also ungefähr in dem der Geburt Christi vorausgehenden Jahrhundert der Uebergaug der alten Schreibweise in die neue stattgefunden haben'. Warum nicht früher? Wie es scheint, weil aus dem 2n Jahrhundert noch Münzen vorhanden sind mit anderer Schrift. Steht nicht auf nnsern Münzen auch latei- nische Schrift, während sich schon seit Jahrhunderten eine deutsche daneben gebildet hat. Es wird doch zuletzt alles sperren und zieren nichts helfen, und die Ueberlieferung hat doch auch gewisse Rechte, noch dazu, so lange man auch gar nichts dagegen vorzubringen weisz als ausgedachte Zweifel.

NigeUbtch: hebridsche Grammatik. 157

fiis hieher geht die Einleitung. Wir haben sie besonders be* handelt, sie ist noch ein fremdes Stück, was in den neuen Bau herein- reicht. Wir wollten auf die Schwächen dieser §§ aufmerksam ma- chen, neben denen sie vieles wahre und passepde enthalten. Es ist aber schwer für den Anfänger eine Geschichte der Sprache zu schrei- ben und sie nützt ihm auch nicht viel. Wir sind nun an den Punkt gekommen , wo wir unser Urteil über die Grammatik sagen müssen, and der ungeduldige Leser wird es schon langst erwartet haben. II r Piagelsbach hat wie Prof. Rödiger Gesenius und Ewald zu vereinigen gesucht, wie? da fallt unsere Zustimmung entschieden auf Seite Nä- gelsbachs. Rödiger ist von Gesenins Klarheit und praktischer Form ausgegangen und musz sich immer mehr in 'das oft nebelhafte Ewald- scher Regeln verlieren; Nägelsbach l^iegt zurück und genährt von Ewaldscher Erkenntnis und Wissenschaftlichkeit sucht er die Klarheit eines Gesenins wieder zu gewinnen, die Richtungen also, die beide Grammatiken nehmen, sind entschieden entgegen, und nur dieser Rich- tung, nicht der ^materiellen Verbesserungen' wegen hallen wir das erscheinen dieser Grammatik nach der in vieler Hinsicht so trefflichen und in den Einzelheiten so tüchtigen uud zuverlässigen Grammatik von Rödiger für gerechtfertigt.

Wir glauben Hm Nägelsbach zu seiner Arbeit Glück wünschen so können, die Lehrer werden allmählich immer mehr sich dieser Grammatik zuwenden. Zu loben ist die Klarheit der Darstellung, und hier hat man erst die Freude an Ewald und söhnt sich mit ihm aus, wenn man bedenkt dasz durch seine Bemühungen diese Grammatik möglich geworden ist. Wir lobten die Richtung, noch nicht die Lei- slnng; aber auch diese ist bedeutend schon in dieser ersten Auflage und erweckt die Hoffnung, dasz sie immer bedeutender werden wird, wenn der Verfasser immer mehr sich der Schule entwindet. Wir 'glauben zu bemerken, dasz in der Hinsicht er während der Ar- beit gewachsen ist, dasz der Anfang noch mehr Befangenheit zeigt als tiefer hinein erscheint, und darauf stützt sich unsere Hoffnung für später; aber auch darauf, dasz Hr Nägelsbach klaren Blick in die Er- scheinungen der Sprache, nicht getrübt durch Gelehrsamkeit, das heiszt durch die Masse der Einzelheiten, dann einen richtigen Takt für die Bedürfnisse des Schülers hat. Man hat eine wahre Freude eine ganze Grammatik durchlesen zu können ohne viel Bedenken was d^r Ver- fasser gemeint habe, und wir hoffen, es wird das wenige, was unklar ist, in der zweiten Auflage auch noch verschwinde^n. Hierbei wollen wir gleich noch daran erinnern, dasz dann auch eine Menge Fremd- wörter, die ohne Noth d. h. ohne dasz es die Deutlichkeit erforderte, eingeführt sind, wieder verschwinden werden. Die nun einmal ge- bränchlichen termini technici der Grammatik erträgt jeder,' aber neue einzuführen für alte, wie Praeformant für Praeformativ, was sich nicht einmal durch richtigere Bildung empfiehlt, oder noch gar nicht ge- brauchtes in Gebrauch bringen zu wollen und damit den Schüler immer mehr mit nnverslandcnen und misverstandenen Wörtern zu belasten,

1 58 Nftgelsbach : 'hebräische Grammatik,

halten wir entchieden für schädlich. Solche Wörter sind: Reprlsen- taut, Inamovibililät, conserviert, Potenz, Volumen, ideelles Genus, oob* stitaieren, Individualisation, restringiert, compendiös, IdentitätsgeaetiT, subtile Subordination, determiniert wechselt mit bestimmt S. 131, Re- striction, latent, concentrierter Satz repräsentiert, explicite,. einen ex- pliciten Satz repräsentieren, Duplicität, intellectuelle Verbdltnisse osw. Daneben sind öfter als es die Kürze forderte zu lesen: qualitatiy, quantitativ, numerisch, organisch, mechanisch, rhetorisch, Kategorie usw. Manche werden auch in dieser Beurteilung noch vorkommen müssen. Eine andere Aeuszerlichkeit, die wir gern entfernt sSheii^ ist die Länge der Citate wie: § 27, 2 ad l^ vgl. § 38, 3, § 18, III 3 Anm. § 11, 4 B a y, vgl. § 56, 4 Anm. Vgl. S, 4. 5. 13. 14. § 93, 2 B b j3. § 84, 1 b B, 2 a /9 und ähnliche. Es ist gans gai alles recht scharf einzutheilen , aber so zu citieren bleibt uBpaaseiid, und es liesze sich wol durch an den Rand gestellte Zahlen nachhel- fen, werni es nicht anders geht. Bei seinem Bestreben nach Klarheil wird Hr Nägelsbach unsere Bemerkung ganz in der Ordnang finden.

Da wir eine neue Auflage bestimmt erwarten, wollen wir in einzelnen das , was wir noch verbessert wünschten , angeben and sa- gleich für Lob und Tadel Belege beibringen:

S. 11 : Hier ist von D''^.'^^ für D'^^niä und dies für uS gespro- chen und wird hinzugesetzt: ^Hier ist also das ~ eigentlich und ur- sprünglich nicht ein voller Vocal in offener Silbe, sondern blos Re- präsentant eines Schwa.' Damit wird man nicht klüger, wenn aueli das Wort Repräsentant ganz hübsch klingt. Die ganze Anmerkang hätten wir später gesetzt, wenn erst die Regel, zu der sie eine Aas- nahme bilden soll, die über die offenen und geschlossenen Silben^ vor- gebracht war. S. 12 : ^ Dnorum schwaim initio vocabuli concarres- tium prius mutatur in chirek' ist hier ebenfalls au falscher Stelle an- geführt; es war ja hier nur die Rede von den Arten des Sohwa, nicht davon, was an deren Stelle treten kann. Aber die Regel selbst ist viel zu einseitig aufgefaszt, und darum musz man nun noch S. 13 Anm. S mit hinnehmen als Ausnahme, während die da angeführten Erschei- nungen ganz regelrecht sind. Es kann der Hebräer eben 3 Consonan- ten im Anfang der Silbe nicht aussprechen, wie andere Leute aach nicht; ganz natürlich dasz sich, da sie doch gesprochen werden sollee, ein Hülfsvocal einschleicht, und noch natürlicher dasz es immer der sein wird, der am meisten hilft, und das ist wieder der, der am leich- testen sich mit dem 2n Buchstaben (der 3e hat seinen Halt am Vocale der Silbe) spricht; daher die Regel, dasz der le Buchstabe den Yoöal annimmt, mit dem sich der zweite am leichtesten spricht: "^pMI, '^^'«^ asw. Hat der zweite Consonant nicht eine bestimmte Neigung für einen besondern Vocal, so kan;i der erste sie haben und dann geltend machen VbVl , "^cSDfi^ ; steht keiner der beiden Consonanten mit einem Vocale in besonderer Verwandtschaft, so hilft der einfachste, kürzeste und spitzeste Laut: das kurze i. S. 15 ist wieder eine verfrähte Regel, wie die Worte schon zeigen; ^die wenigen Ausnahmen s. n. bei

Nftgelsbadi : kebrüiche Grafflmatik. 169

der Lehre vom Tone.' Und sofort klebt sich daran der durch Dent- lichkeit sich eben nicht empfehlende Satz: *Dasz ein Vocal folge ist nicht absolut, sondern nur dann nothwendig, wenn das Interesse vor- handen ist, die Duplicitit des' Consonanten zur vollen Geltung kom- men zu lassen. So wird z. B. bei der Flej^ion gewisser Verba ein Halfsvocal nur deswegen nach einem Doppelconsonanten eingeschoben, weil derselbe als radical berechtigt ist, in seiner vollen StSrke gehört zn werden.' Da sind viel Redensarten, aus denen und wegen deren der Schaler nicht Einsicht in die Sache gewinnen kann. Auch S. 16 § 7 erscheint als verfrüht und unverständlich. Schon das allgemeine dieser Regel ist zu lang gehalten, die Ausführung aber muste unter Hitbpael usw. untergebracht i^^den, hier isfs unbrauchbar. Was *ein Consonant schwachen Lautes' ist, ist unklar, nn für npn (!), ge- hört nicht hieher und ist falsch erklärt. Und das ganze liesz sich mit wenigen Worten abmachen, es betrifft ja nur den Gebrauch des Zei- chens für Verdoppelung. ~ S. 19 b konnte auch der Grund der ver- schiedenen Schreibweise von ^M'T und ^fit*!^ nachgewiesen werden, die Nummer c enthält nur wieder einen Fall mit Schwa mobile und ge- hörte daher unter b. S. 21 § 3: *Aber in andern Formen wechseln beide Aussprachen.' In welchen? Erst steht l^K, dann n73^, ganz dieselben Formen, keine andere. Es reichte hier wieder die allge- meine Regel hin, das besondere gehörte unter die Verba primae guttn- ralis. Wie der Schüler die Änm. unter §9,1 verstehen und wozn sie Oberhaupt, wenn sie wirklich verstanden würde, nützen soll, sehen wir nicht ein. S. 22 II sind zwei Fälle über das quiescierende M angegeben, aber nicht gesagt wenn der eine, wenn der andere eintritt. III zeigt eine unnütze Breite: ^H quiesciert wie &^ nur am Ende der Silbe, aber nur am 8nde solcher Silben, die zugleich das Wort flchlieszen.' Wenn IV gesagt wird, dasz i sich vor Schwa simplex in ^ erweiche, musz man freilich QmiJl^l als Ausnahme anführen; die zweite Ausnahme gehört aber gar liicht zur Regel, denn das zwei zn- sammengehörige Begriffe verbindende ^ ist ja eben kein i, steht übri- gens nicht vor dem Vor ton, wie hier gelehrt wird, sondern vor dem Tone, im Vortone.

Auch gegen die Fassung von 3 a und b hätten wir manches ein- zuwenden, und es scheint uns als hätte dieser § 9 über die litterae qniescibiles, deren Behandlung in der Vorrede ahi ein besonderes Ver- dienst hervorgehoben wird, sich wol einfacher darstellen lassen; an- zuerkennen ist das Bemühen die einzelnen Fälle zu specificieren, bei einer neuen Bearbeitung wird sich auch die Vereinfachung finden : es läszt sich eben nicht alles auf den ersten Wurf nach allen Seiten hin vollendet liefern bei einer so im ganzen wie im einzelnen die gröste Anstrengung erfordernden Arbeit. Es ist viel leichter Aussetzungen zu machen, und die wir machen sollen eben nur die Sache fördern; nicht wollen wir damit sagen als hätten wir eine bessere Grammatik liefern können. *— Für den § 11 mit seinem Nachtrage warten wir wol am besten die zweite Bearbeitung ab, wo wir dann von einem

163 Nägelsbach: hebräische Grammatik.

Einflasz auch an dieser Grammatik noch bewährt habeu. Doch daria steht sie den andern vor, dasa sie doch schon einaelne Strahlen ia die Wolken fallen läszt, and hoffen wir dasz sie dieselben noch ler» streuen wird.

S. 39 durfte nicht gesagt werden , das Particip sei ^nur eines fOr alle Zeiten', denn es bezeichnet gar nicht die Zeit, sondern eineo Zv* stand; es ist aber ausserdem ein grosser Unterschied, ob es von Fiel oder Pual ist, so dasz man nicht so im allgemeinen sprechen darf, was nur einzelne trifft. N. 3 ist ziemlich undeutlich gesagt, und halteo wir dafür, es sei nicht didaktisch Unterschiede in den Conjugationen feslsa- stellen ohne Noth, und dasz die zwei Grundformen btyp^ und bbf> in allaa Conjugationen sich halten lassen. § 20 wird behauptet, Affomaal sei ^bequemer' als Afformativ , und doch hat es Hm N. Mühe gemadil die neue sehr unglücklich gebildete Form bei sich selbst dnrehsa- setzen ; auf nächster Seite liest man wieder Afformative und Prifor- mative. Uebrigens ist Bequemlichkeit kein Lob. Die Betrachtung flbar die Kindlichkeit hebräischer Sprache konnte wegbleiben (sie kehrt wieder S. 204; da findet sich gar *eiq kindliches nebeneinander'); sie erweckt die Meinung, als habe man in ihr infantes Tor sich!! aad schlieszlich hat diese Erscheinung , dasz die 3e Person keine Person* endung hat, nur in syntaktischer Eigenthümlichkeit ihren Grand, oder hat die 2e Person Imperalivi kein Afformativ auch aus kindlicher Aaf- fassung? Jede Grammatik musz siqh frei halten von leerem Gerede, das doch nichts erklaren kann. So ist *^n statt "^a wahrscheinlich durch Altraction der zweiten Person' schief ausgedrückt, aber sehr zu loben, dasz beim n des Fem. 111 Pers. dabei steht ^Ungewissen Ur- sprungs', dasz die morschen Stützen weggeworfen sind, dass ehrlioh das nichtwissen eingestanden wird. Dagegen genügt die Erkläraag A. 1 S. 44: dasz das Fem. von Vt3]^, ^\^^ hat und nicht Sibt}]!), nicht, denn es gibt ja im Adjectiv auch solche Formen; hier aber erscheial sie als nicht möglich, was auch § 23 A. 1 c wieder behauptet wird. Probatur nimium. § 22 *^ wird um einen Grad' länger (was heisil das?) mit -7 gesprochen.' § 23 ist schon syntaktisches eiage* mischt, und wenn der Imperativ ^aus. Mangel an Formen' sieh durch das Imperfect vertreten lassen soll und Mangel ^das nichtvor- handensein einer nöthigen Vollkommenheit' ist, so geschieht ihm Ua- recht, deirn die Vollkommenheit kann er nicht beanspruchen aach eiaa erste and dritte Person haben zu wollen , wie auch das in seinem We- sen liegt nicht mit der Negation verbunden sein zu können. Wosa soll es überhaupt dienen von Mangel zu sprechen, ein heruntersetaea der Sprache, die gelernt werden soll. So wird gleich wieder von *fir- satz der fehlenden Conjunctiv- und Optativformen' gehandelt. Kaaa denn etwa das Hebräische das, was andere Sprachen mit diesen er- reichen , nicht ausdrücken ? § 24. Das fortrücken des Tones im Perfect nach dem Vav conjuuctiyum steht bekanntlich nur fest als Spe- culation der alten Grammatiker, nicht als Tendenz der Sprache, und dass das Fatnr mit 1 ^entschiedene Aoristbedeotaag' habe, kann maa

Nijpabbteh : hebrftifdie GttMlialik. . 161

iei eiBsiehtigen sich doch eben nur als solche ankündigen. So dasz das Cbirek im Fiel der Bedeutung der Form entspreche , ist eine gani hibscK klingende Redensart, die aber auch weiter nichts ist; bS3.ß ist aoch eine Pielform. Wir wundern uns nicht, dasz dergleichen ans der Sehole kleben geblieben ist, wir wundern uns eher, dass das doch ver- biltnismfiszig wenig der Fall ist, und glauben daher auch, dergleichen werde allmählich ganz verschwinden. Solche Bemerkungen, dasz Fiel ofkoicki vorkomme, sind nicht nöthig; dasz Fiel das ungebräuchli(;he Kai ersetze ist falsch , and führt zu der Annahme , dasz die Formen gau and gar keine sichere Bedentnqg haben. Wenn das Kai unge- briocblieh ist, also nicht ist (vielleicht nie gewesen ist), kann man doch auch seine Bedeutung nicht wissen , und wenn die Lexica darin eis übriges thun , so braucht der Grammatiker daraus noch keine Re- gel sa machen. Nebenbei sei bemerkt, dasz auch darin Hr N. sieb eiiaicipiert hat, dasz er statt des monströsen Qal wieder Kai schreibt. Wir wissen ja wol dasz b|^ mit p geschrieben wird und dies dem Q. ntspricht, aber die lateinische Schrift hat doch auch gewisse Rechte, md leider auch in solchen Stücken begegnet man jetzt fiberall dem lohjectiveu Belieben. Dies eine Kai zeigt schon , dasz Hr N. nicht in Ewaldsche Theorien und Einfällen verrennt ist. In § 19 ist mit Naoh- draok hervorgehoben, dasz die Formen VtSjj and bb^7 nicht nach der Zeit sich unterscheiden und dies weiter ausgeführt. Wie freut MB sieh dergleichen doch einmal gedruckt zu lesen. Aber .zweierlei verdirbt ans wieder die Freude: erstens, dasz (und das ist ein durch- gehender Fehler in den ersten §§) nun auch gleich alles bis in^s kleine abgemacht werden soll, was späteren Kapiteln, hier sogar der Syntax tn\ zaiiele, wie schon das Vav conversivum hier vorgebracht wird, ehe nur das Paradigma von Katal und über die Aoristbedeutung des Falars etwas zu lesen ist, noch vor der Formenlehre. Zwei- tens, dasz trotz der Einsicht beim eingehen in das einzelne die nebel- haften Anschauungen früherer Grammatiker den Blick trüben; daher b*he& wir wieder ein Imperfect, erfahren wir, dasz das Perfect dem Ivdicativ, das Imperfect dem Conjuncliv entspreche; daher nicht die I^8Bien, die allein die Nebel zerreiszen können, Abhar und Athidb, her- gestellt sind. Diese Verbesserung hat endlich in seinem Vocabular 6* Stier aufgenommen. Nun vielleicht dringen sie von diesen kleinen •^orangen aus wieder in die gelehrten Grammatiken , die sich von der sllen Ueberlieferung zu ihrem Nachtheile losgemacht haben. So lange BQch Perfect und Imperfect, Modus 1 und II, Indicativ und Conjunctiv Qnd überhaupt die Nomen der Tempora und Modi , so lange Genetive, ^ssus und Nomen regens und rectum in den hebräischen Grammatiken vorkommen, so lange haben wir noch keine hebräische, ans der Sprache selbst nnd nicht nach lateinischem Schema entwickelte Grammatik. Es "luas doch jeder, der Hebräisch kennt, einsehen, dasz die Sprache ''icbt nach unserer Art zu reden Tempora, Modos, Casus hat; man darf *l8o auch nicht aus unsern Sprachen Bezeichnungen in sie hinüber ^^men, die falsche VorstellnDgen weoken und ihren verwirrenden

163 Nägelsbach : hebräische Grammatik.

V

Einflnsz auch an dieser Grammatik noch bewährt habeu. Doch darii steht sie den andern vor, dasz sie doch schon einzelne Strahlea ü die Wolken fallen Uszt, and hoffen wir dasz sie dieselben noch Mr streuen wird.

S. 39 durfte nicht gesagt werden , das Particip sei ^nnr eines ftti alle Zeiten', denn es bezeichnet gar nicht die Zeit, sondern einen Zi- atand; es ist aber auszerdem ein groszer Unterschied, ob ea von Piii oder Pual ist, so dasz man nicht so im allgemeinen sprechen darf, wm nur einzelne trifft. N. 3 ist ziemlich undeutlich gesagt, und halten wir dafär, es sei nicht didaktisch Unterschiede in den Conjugationen featia- atellen ohne Nolb, und dasz die zwei Grundformen btyp^ und bbp in allsi Conjugationen sich halten lassen. § 20 wird behauptet, AfforoMal sei ^bequemer' als Afformativ, und doch hat es Hm N. Mühe genaeU die neue sehr unglücklich gebildete Form bei sich selbst dnrehii- aetzen ; auf nächster Seite liest man wieder Afformati?e und PräiW" native. Uebrigens ist Bequemlichkeit kein Lob. Die Betrachtung Abai die Kindlichkeit hebräischer Sprache konnte wegbleiben (sie kehrl wieder S. 204; da findet sich gar *eiq kindliches nebeneinander'): sii erweckt die Meinung, als habe man in ihr infantes Tor sich!! od schlieszlich hat diese Erscheinung, dasz die 3e Person keine Perao» endung hat, nur in syntaktischer Eigenthamlichkeit ihren Grand, odai hat die 2e Person Imperativi kein Afformativ auch aus kindlicher Aal fassung? Jede Grammatik musz siqh frei halten von leerem Gerada das doch nichts erklären kann. So ist * ^n statt "^a wahrscheinlie] durch Altraction der zweiten Person' schief ausgedrückt, aber sah zu loben, dasz beim n des Fem. lll Pers. dabei steht ^ungewiasen Ur Sprungs', dasz die morschen Stützen weggeworfen sind, dasi ehrliel das nichtwissen eingestanden wird. Dagegen genügt die Erklirwi

A. 1 S. 44: dasz das Fem. von Vt^)^, ^^Pl^ ^^^ °°^ "'^^^ ^^^T>i *^^ denn es gibt ja im Adjectiv auch solche Formen; hier aber eraohoii sie als nicht möglich, was auch § 23 A. 1 c wieder behauptet wM Probatur nimium. § 22 *^ wird um einen Grad' länger (waa haiai das?) mit -7 gesprochen.' § 23 ist schon syntaktisches einfi mischt, und wenn der Imperativ ^aus.Mangel an Formen' aia durch das Imperfect vertreten lassen soll und Mangel ^daa nichtroi handensein einer nöthigen Vollkommenheit' ist, so geschieht ihm Ui recht, deirn die Vollkommenheit kann er nicht beanspruchen aaok eil erste und dritte Person haben zu wollen , wie auch das in seinem Wi aen liegt nicht mit der Negation verbunden sein zu können. Wm «oll es überhaupt dienen von Mangel zu sprechen , ein heruntersetü der Sprache, die gelernt werden soll. So wird gleich wieder voo *A aatz der fehlenden Conjnnctiv- und Optativformen' gehandelt. Ktl denn etwa das Hebräische das, was andere Sprachen mit dieaaa «1 reichen , nicht ausdrücken ? § 24. Das fortrücken des Tonea i Perfect nach dem Vav conjuuclivum steht bekanntlich nur fest als Sp culation der alten Grammatiker, nicht als Tendenz der Sprache, w dasz das Futur mit 1 ^entschiedene Aoriatbedentoog' habe, kaim

Nigeltbaoh: hebräische Grammatik. 163

nr bei ginzlicher Verkennang der Bedealnng dieses Vay behanpieo. *— Zo § 28 massen wir gestehen keine Form zu kennen, wie '!|'ia in Verbea mit der Media Cheth. Gefunden habe ich nnr ^nb Es. 21 , 18, WM von manchen als Pual Impersonale erklart ist, wird aber meist nod richtiger als Substantiv gefaszt: probatio. Das ist aber die ein- lige mir bekannte Stelle, wo man eine Form der Art annehmen könnte. Geaenias hat in seinem Lexicon jene Form als Pual anfgefahrt, aber sebon Winer and neuerdings Fürst haben sie als Substantiv anerkannt. In § 29 sind solche Formen wie ^nbtDK wie Ausnahmen hinge- itellt von nr|b\D, während doch in dieser Form das Schwa quiesciert, dort aber mobile ist und daher Chateph haben musz. Den Nutzen der Eintbeilung in absolut und relativ veränderlichen Vocal hier ge- rade haben wir nicht finden können ; eben so wenig wie die Annahme ddr Form n^A S dO für ntin uns die letztere Form erklart. So § 38 br aus ;A'^. Wir haben dies schon oben erwöhnt. Ueber § 31 haben wir uns schon oben lobend ausgesprochen, dasselbe mQssen wir aber % 32 thun , besonders mit Berücksichtigung der sein sollenden Erkifirong der Verba fit'b bei Ewald und Rödiger. So § 35. Auch § 33 V. i'b ist manches schon besser als in andern Büchern, aber ^^plSi ns ^'nzJlSi zu erklären ist der Natur der Spraehe entgegen und zeigt loeh die Abhängigkeit von fremden Vorurteilen , ebenso wenn § 34 gesagt wird: Mn Hiphil entsteht ans n*^p^r] ebensowol wie ans 3^*^ n^p'^n'; beide Formen sind ohne Raison fingiert In § 36 wird für Di^^Sl aus D;i]:tn auf § 11, 4 B b a zurückgewiesen, dort hie- bier, aber nirgend erfährt man, wo das \ hingekommen ist, nur wie III 7- hat ? werden köfinej).

Wiederum* müssen wir § 40 entschieden der Auffassung enlge- antreten, als wäre die Gestalt einiger AfTormativen verändert, um die Aibligung der Suffixe zu erleichtern. Wir sind hierbei Irie so oft in der Lage nicht blos gegen Hrn N. zu fechten, ja gerade, wo er von deajaagsten Grammatikern abweicht, stehen wir fast immer auf seiner Seite. Die Suffixen sind so alt, dasz sie gerade alte Formen festge- Mteo haben. Alle Welt sieht in &nK eine Abschwächnng aus D^n^i, n Buste also die älteste Form isinbap heiszen ; traten daran die Suffixe, schwand das weiche m, wie in ü'^D^D, *^p?D , wie es im Latei- lisehen elidiert wird. Das deutsche m ist viel härter. So ist *^nbup FtMiainalform, wie ja N. selbst zugibt § 13 A. An diese älteste Form' ^■gle sich das Suffix. Später fiel dies i in der Aussprache am Ende aus, iber vor dem Suffix konnte es nicht weg; wäre das i nicht schon da- fiwesen, so hätte ein Bindevocal eintreten müssen. Das Feminin rt^bb^ri Ittai bedenke dasz I. blos Männer, 2. Männer und Frauen, 3. blos i^ranen bezeichnen kann , und nur für diesen dritten Fall kann diese ^ona gebraucht werden] dagegen ist spätere Bildung. Die Feminin- l^Üdongen forderten freilich eine eingehendere Besprechung , aber ^er würden wir zu sehr von unserer Aufgabe abweichen; hier fcicbt es bin anzudeuten, wie die in Rede stehenden Formen zu i^bUren aiod. Im einzelnen gentigt die Erklärung von ^sbtjp und

164 NIgelsbach: hebräische Grammatik.

**3nVt]7^ ans wenigstens nicht , die wir faszbare Grfinde Jlberall ror- langeri.

In Kap. III ^vom Nomen' gehört § 42, 2 in die Syntax, anoh riel von 4. Da haben wir auch gleich wieder die Bezeichnung von nomeu regens und rectum*, die das richtige Verständnis des stat. constr. nod absolutns anmöglich macht. Wollte man- doch nur die Formenbildang beachten, so mflste man doch das rechte sehen. Wer § 43 die Worte ^ausser im Pentaleuch nur in derPoäsie' liest, findet hier einen Gegen- satz, und doch ist in der einzigen Stelle Gen. 1 , 24 das in^n nor ge- schrieben, weil Gott der Herr redet, also eine feierliche Form. ga- braaeht, wahrend der Mensch Moses im nächsten Verse das prosaisehe ri>in setzt. § 46 richten sich auch noch die Suffixformen je nach- dem bald nach dem stat. constr. bald n. d. absol. ; sie müssen wol ein friedliches Uebereinkommen getroffen haben. Wäre dieser cimonisebe Friede nicht angenommen, so wären die Ausnahmen und lahmen Recht- fertigungen in der Anm. nicht nöthig gewesen. In den Anmerkaogan zu § 46 ist mitunter zu verschiedenartiges gemischt. Es ist ein Abel Ding, aber was hilfts, die Sprache ist einmal so eigenwillig, man nasi eben die einzelnen Täile in den Declinationen alle aufführen und wenn noch ein paar Seitenteil werden sollen. § 60 S. 100 Anm. S steht ein Citat; man hofft da einen Beweis für das gesagte za finden, irrt sich aber. In § 64 d schlügen wir statt der zwei ersten Zeilen vor: vor der Tonsilbe. § 68 ist das MJ, diese schöne Partikel, nicht genau erklärt. § 69, 1 muste poätischer und prosaischer Ge- brauch unterschieden werden. In § 60 wird ein Satz wie : *Es gibt kein Masculinum, das nicht als Femininum oder Nentrum, nnd kein Femininum, das nicht als Masculinum oder Neutrum gedacht und demgemäsz geb ra ucht werden könnte' den lernenden stutzig naeben. Warum also nicht voran die Bemerkung gestellt , dasz d^ Hebräer stets nach dem >Sinne fragt , dasz bei ihm der Sinn stets über die Form herscht, dasz aberall also xonror tfvi/ecriv construiert wird, daiz diese Eigenthümlichkeit gerade specifisch für'^s Hebräische ist, dasz es darin über das Griechische hinausgeht, das in der Art iwbohen ihm und dem Lateinischen steht. Mit dieser Eigenthümlichkeit hängt auch zusammen die Neignng für Abstractionen , die so hänfig i. B. Substantive für Adjective setzt, was die Herren Grammatiker gewöhn- lich als einen Mangel darzustellen belieben, und auch in der Art ateht das Hebräische weit ab vom Latein , von dem es sich auch an meisten durch seine Satzverbindung unterscheidet. Daher eine Uebersetiang ins Latein so schwierig ist, da die Sprachen zu fremdartig sind. Ob deshalb im preuszischen Prüfungsreglement die Uebersetznng ins La- teinische gefordert ist, wissen wir nicht; das wissen wir, dasz oft bd Fehlern die Beurteilung schwer ist, ob Unkenntnis des Hebräischen, ob Unbehilflichkeit im übersetzen dieselben erklären soll. Doch wo gerathen wii* hin? Es mnsz also die Grammatik nachweisen , weshalb in den einzelnen Fällen abgewichen ist. Ein zweites , was hier Un- klarheit bringt, ist das Neutrum , was fast so behandelt ist als bitte

Nägelsbaob: bebriiscfae Gratamalik. 165

der Hebräer gewnst, er mOsse eigentlich auch ein Neotram haben, and nun tappt er zwischen Masc. and Fem. im Sin^. und Plar. ziemlich nn- aicher herum. Das iiönnen wir nimmer zugeben , das Blindekubspiel wird nur von den Graanmatikem getrieben; an sie nusz die Anfor- derung gestellt werden, die einzelnen Falle genau zu untersuchen und nicht in Bausch und Bogen abzumachen. So viel wir wissen, würde eich eine Fern finden lassen; aber man darf nicht lehren wie S. 113: die 9 P- M- Sing, steht im Sinne unseres deutschen ea, denn wenn ea auch an sich nicht gerade falsch ist, kommt man doch auf diesem Wege nicbt weiter , so wenig als mit *einem neutral gebrauchten Fe- mininum'.

Aus Jos. 24, 2 folgt nicht, wie hier behauptet wird § 61, 3 A., dasz Q*^^'^. aus einem polytheistischen Sprachgebrauche herstammen mnsz, sondern nur, dasz sich eben von einer Pluralform nicht noch einmal eine neue bilden laszt. Ebendaselbst N. 4 hatten Wiederholun- gen wie tZTM UTK nicht als Plnrale aufgeführt werden sollen, jeder ist doch nicht einfach Plural. Weil der statoa oonstruotus nicht afai das was er wirklich ist anfgefaszt'wird , musz man sich § 63, 4 c zo einer Erklärung durch eine ^confusio duarnm constructionum ' ver- atehen, vnd § 66 wieder beweisen, dasz er nicht die Bedeutung des bloszen Genetivs haben könne, dann §66 lehren, dasz scheinbar der Status absolutus für den construclus stehe. Wozu soll man sich auf den Schein einlassen ; da könnte eine Grammatik noch sehr anschwellen, wenn man auf alle Möglichkeiten eines falschen constrnierens eingehen wollte. Aber durch so ein ^scheinbar' wird der lernende unsicher gemacht. Zuletzt handelt noch ein ganzer §67 über ^die Umschreibung des Genetivs'. Eins treibt zum andern : weil § 66 von scheuibar fal- schem Gebrauche des Substantivs im stat abs. die Rede iat, kommt achliesziich heraus, dasz das Substantiv ^Surrogat' für ein Adjectiv ist, ond zugleich wird bewiesen, dasz es ^starker' als ein entsprechendes Adjectiv ist. Der fühlbare Mangel an Adjectiven macht nach § 69 , 3 a. die Sprache sogar unlogisch. So weit kommt man, wenn man eine fremde Sprache als Maszstab anlegt, dann ist auch Oceisus Caesar egregium facinus videbatur unlogisch. In dem Abschnitt vom Nomen adjectivum ist der erste § 74 überschrieben ^Ersatz für^s Adjectivum'? In der Lehre von dem Artikel entsprechen § 71, 4 a die Beispiele nicht der Regel , denn in ihnen ist meist das vergleichende p , uiid bei Ver- fleichungen setzen die Hebräer nicht nach der angegebenen Regel, sondern deshalb den Artikel, weil sie das verglichene als bekannt voraussetzen. Wenn das nicht wäre, nützte ja die Vergleichung nichts. Deshalb dürfen die Deutschen sich immer noch anders ausdrücken. In § 72, 3 wird gelehrt, dasz *der bestimmende und erläuternde Bfr- grilT in der Regel nachsteht', ausgenommen Ifb^ti. Wie kann man das erläutern, was man noch nicht einmal genannt hat? Die Apposition steht immer nach, aber nicht immer ist der Titel Apposition, sondern der Eigenname. Einen Deutschen kann das doch nicht Wunder neh- men. — Warum ist § 74, 3 nicht auch rtn und besondecs "iid^i angi^

166 NIgelsbach: hebrfiische Grammatik.

fahrt? Welches sind § 74, 1 ^ansere Sprachen'? gehört dasa aadi das Latein? Ist es da so leicht Substantiv and Adjectiv tu trennen? Es liegt übrigens auch hier im Ausdruck ein Tadel des Hebrfiischen, wie es S. 165 heiszt, dasz wir an feinere syntaktische Fügungen ge- wöhnt sind, wie bereits § 69 gesagt war, dasz der Unterschied swi- achen transitiv und intransitiv noch nicht so klar fixiert sei ata bei uns. Ist das wirklich wahr ? Und wie geht es zu , dasz in neaerer Zeit die Grammatiker solche Bemerkungen lieben ; findet man derglei- chen in lateinischen und überhaupt andern Grammatiken? Es ist hier nicht oft und nicht so stark wie in andern dieser Fehler, aber solcher Tadel gehört nicht iu die Grammatik. Wird der Naturhistoriker beiai Sperling als Mangel bezeichnen, dasz er nicht vier Ffisze hat, and beim Frosche, dasz ihm die Federn fehlen? Jede Sprache ist eigeaU thümlich und ihre Natur musz dargelegt werden. Wer Sprachen ver- gleicht, der mag eine über die andere setzen nach Belieben.

In § 75 ist die Erklärung des vergleichenden yn nnrichtig; bVT| '^llsp^ fi^lSi heiszt einfach : er ist grosz vor mir oder von mir am ge- rechnet, also ich bin gegen ihn klein, folglich ist er gröszer. In dar gegebenen Erklärung ist ein schwanken von plus and minus and dabei eine ganz willkürliche Entscheidung angenommen. Widersprach fer- ner in sich ist ein ^absolut gesetzter Comparativ'.

In § 76 konnten die seltenen Ausnahmen wol angeführt wer^ den und § 78 das o f t in der Anm. wegbleiben. Das Object lasseo nemlich die Hebräer aus, wenn sich^s von selbst versteht und keie besonderer Nachdruck die Wiederholung fordert, wie im Lateiniaehea und Griechischen. Warum nach § 77, 2 ein erklärendes -NoneB nach dem Verbalsuffix weniger auffällt als nach dem Nominalsnf&x, ht- ben wir nicht finden können , und was hat das subjectiv empfondene' auffallen mit den Regeln der Grammatik zu than ? Solcher Snbjeeti- vismus zeigt sich noch öfter in dem wir wie S. 156 a und ß; *mm wenigsten befremden kann es' S. 172. In § 80 würden wir die nota relationis nicht' Adverbium nennen.

Wir hatten nicht unsere Freude unterdrücken können über die Auffassung der Tempora in § 19 , so können wir denn auch hier ab«r § 84 ff. nicht verschweigen , dasz jene richtige Auffassang hier ohne grosze Folgen ist und die Darstellung der Bedeutung jener Fornea ia das gewöhnliche Geleise wieder einbiegt, was § 19 schon befürchtea liesz. Wir können hier nicht wiederholen, was wir zo Ewalde Gran- matik bemerkt haben , wir müsten, um unsere Ansicht darzulegen, wie wir sehen, eine eingehende Abhandlung schreiben, was wir hier niobt dürfen; aber darauf wollen wir jeden unbefangenen hinweisen, daai ein Regelwerk, wie es auch hier steht, nimmermehr den bescheiden- aten Ansprüchen au eine Grammatik entspricht; wie würde man eine lateinische Grammatik beurteilen, die für dieselbe Form anf 6iner Seite S. 156 alle Zeiten in Anspruch nähme? Weil man nicht die zwei For- men, welche die Sprache so scharf geschieden hat, dasz sie gana entge- gengesetzte Bildang haben , auseinander zu halten sich die Mühe gibt.

Nägel^bach: hdirfiisdie Graminatik. 167

dadurch hindert man sich selbst die durchgehenden Unterschiede zn finden. Ja nachdem wir von der Aoristbedeutang des Perfects and Futurs gelesen haben, belehrt sind dasz das Vav conversivum ge- wisserroaseen ein augmenlnm temporale ist S. 165, finden wir S."166 folgenden Satz: ^Selten steht Sl^i^l für '^tl*)], womit nicht zu verwech- seln ist das Si^Sni, welches nicht im aori'stischen Sinne, sondern als Ausdruck der Vergangenheit überhaupt (kt. Imperfect oder (!) Perf.) steht/ Wir wissen nicht mehr was Aorist ist, wenn nicht Vergan- genheit Oberhaupt ohne alle besondere Nebeobestimmungen. Wie wir aus der Grammatik die Bezeichnung Aorist, die doch immer an den griechischen Aorist erinnert, was anderes kann man ja gar nicht ver- stehen, — wie wir diesen griechischen Aorist wegwünschten, so die griechische Note S. 163, so überall in diesen §§ die griechischen Er- klärungen , die entweder nichts erklären oder den Gesichtspunkt ganz verrücken. Müssen wir doch rügen dasz das erste Verbum, was in der heiligen Schrift vorkommt, falsch Obersetzt ist mit iv agxy iTcolrj- üsv^ wenn nemlich das M^i^ aoristiscbe Bedeutung haben soll. Denn wenn der Grieche so übersetzt, so braucht er eben seine Mittel den gefundenen Sinn wiederzugeben, wie bei uns es heiszt: im Anfang schuf; aber wenn vorher gesagt wird, es sei Aorist und dann das griechische Wort noch zugesetzt wird, ist es nicht ein Nolhbehclf der Uebersetzung, sondern eine grammatische Erklärung, und gleich darauf ß) wird das zweite Verb Sin'^n als Imperfect gefaszt. Mit welchem Rechte? Ueber ^ins dächte ich müste man da erschrecken, entweder fiber die Sprache, die so wirr ist, oder über die eigene Erklärung, die solche Sprachverwirrung annimmt. Die Stellen, die noch ange- führt sind. Gen. 23, 19. 29, 9. Jes. 6, 3, haben nichts vom griechischen Aorist an sich , sondern wir glauben jeden von der eigensten Bedeu- tung des Abhar in diesen Stellen überzeugen zu können. Aber um einmal an einem Beispiele zu zeigen , wie wichtig genaue Fassung in der Art für das Verständnis der Bibel selbst ist, wollen wir dies K'n^ genauer ansehen. Wenn Moses nur eine Erzählung machen wollte, warum setzte er nicht ^das aoristische Imperfeclum' mit i ? Das war doch dann eben an seinem Orte, vergleiche mit Jes. 6, 3 gleich 6, 1, wo Baeh der Zeitangabe: Im Todesjahre des Königs Usia an- schlieszt ^TK'1K1 da sah ich, und solcher Stellen gibt'^s viel, ja es ist die Regel] Warum also nicht, wenn'^s das sein sollte, was ge- wöhnlich daraus gemacht wird, N'i^l'JT D'^^ÖK'na ? Es musz doch wol anders sein. Nicht als Erzählung, sondern als eine ausgemachte Sache, die allem andern zum Grunde liegt, aus der alle Entwicklung, alle Ge- schichte erst folgt, als Dogma steht voran die Erschaffung Himmels nnd der Erde. Zweitens liegt Moses daran den Urzustand der Erde als chaotisch darzustellen. Endlich ist gleichzeitig mit jenem Zustande des erschalTenen Stotfs das schweben des Geistes Gottes, dies wird aber als ein andauernder Zustand bezeichnet (Particip). So haben wir erst die Scene, auf der das folgende geschieht. Was man Schöpfungsgeschichte zu benennen beliebt, ist ja nur Entwicklungs-

/V. Jahrb. f. PhU, u. Paed. Vd LXXVIII. ffß3, 12

16S Nägelsbach: hebräische Grammatik.

geschichte des bereits erschaffenen Stoffes. Man hätte daher mehr im Geiste des Hebräischen die beiden Perfecle als Plusquamperfecta auf- fassen können. Geschafifen wird nnr dreimal , zuerst der Stofif , die Materie, die sich gleich als Himmel und Erde unterscheidet; aot der- selben wird gebildet Licht, die Feste des Himmels und der Erde, Ge- wachse, Gestirne. In diesen Bestand, in diesen Stoff hinein tchnf Gott von neuem (es ist also nicht dieselbe Art mit der Materie, wie die Materialisten sich vorstellen) das Leben, das lebendige, animal, Tbier, V. 2L Zu dritt wird geschaffen, also wieder als specüisch verschieden, der Mensch, für den ja das alles geschaffen ist, und bei seiner Erschaffung wird das Wort K*!!! dreimal ge- braucht V. 27 zum Beweise, um wie viel wichtiger die Schöpfung des Menschen sei, der Gottes Ebenbild auf Erden trug , und zweimal steht es im Perfect; die beiden Thatsachen stehen nemlich fest für alle Ewigkeit, dasz Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat [es ist also unchristlich die Menschen ans Affen oder Fröscbeo (Ba- trachiern) entwickelt zu wähnen, die Menschen wie Vieh za behan- deln , wie ja auch bei den Hebräern die Fremden und Sklaven nneh dem Gesetze sehr mild behandelt wurden] , und zweitens dasi Gott Mann und Weib geschaffen, dasz also das Weib nicht insofern unter dem Manne steht, als er der Gottheit näher verwandt ist (und so tritt h^er die Schrift gleich der im Oriente so herschenden Knechtschaft der Weiber entgegen). Man wird wenigstens dem Erzähler nach die- ser Erklärung nicht den Vorwurf eines Darstellers machen, der aich seiner Absichten und Mittel nicht bewust ist. Aber es ist arg, wie die Gelehrten mit den Formen umspringen. So sagt Hnpfeld , um einen namhaften Gelehrten der Jetztzeit anzuführen, in seinen Psalmen S. 9 wörtlich: Mn ^T^n** ist das Imperf. zum Ausdruck des Praesens gebraucht, während V. L dafür (!!) Perfecta stehen.' Es ist eben durchweg noch solche Gleichstellung im Gebranch. Und doch maeht der Psalmist in dem ersten Verse die Gluckseligkeit davon abhfingig, nicht dasz man jetzt nicht wandelt in gottloser Leute Rath, sondern davon, dasz man dies nie und nimmer gethau hat. Nur einem solchen, und wo ist ein solcher zu finden? nur ihm ist zugesagt unendliche Glückseligkeit, ein Glück, was mit ihm gleichsam verwachsen, von. ihm unzertrennlich ist; das bedeutet d'^&^l^ ^T4^ ""^ ^^® Constrnction ist gleich 'nn'^ ^K , und nicht ist da:^ Substantiv als Surrogat des Ad- jectivs anzusehen. So liegt dem Anfang der Genesis und der Psal- men ein tieferer Sinn zu Grunde als man gewöhnlich annimmt, nnd so an vielen Stellen, denen eine eingehende grammatische Erklirnng erst ihren wahren Werth noch geben wird.

Bei dem Infinitiv ist nicht viel besonderes zu erinnern, eis dasz Infinitive, die Femininform haben, vgl. § 95, 1 c, wirklieh im stat. constr. stehen, weil dann der Infinitiv in das Substantiv Obergegangen ist. Nicht will uns gefallen der Ausdruck ^ohliqner Satz', 2. nicht, dasz nnd t^ 133, 1 als Prädicat gefaszt wird, dasz von einem Prädicatsihfinitiv als einer besondern Art gespro-

NAgdUbach : hebräische Gramnalik. 169

eheB wird, dasz § 95 2 d, a/ aa) gar ein ablativischer Infinitiv auf- taucht.

Das Participium soll stehen Mm Sinne unseres Imperfect' § 97, 1 a, damit ist aber die Bedeutung desselben nicht erschöpft, es kann neben jeder Zeitangabe stehen ; in den angegebenen Beispielen schlieszt es sich an eine vergangene Handlung an und bezeichnet einen Umstand bei der Erzählung. In Anm. 2 möchte : in Apposition steht das Particip ohne Artikel usw. deutlicher sein, und in § 98 kann das aber weg- fallen. Das Particip hat natürlich zwei Constructionsweisen, einmal als Verb, wie das Verb also mit einem Object, dann als Adjectiv^ indem es selbst im stat. constr. den Gegenstand seiner Thätigkeit in den stat. abs. zu sich nimmt.

In § 99 würde eine Uebersetzung der Beispiele dem Schüler zu- träglich sein; in § 100 sind mehrere gelehrte Ausdrücke, die wir durch einfachere ersetzt wünschten zum Vortheil des lernenden, wie: es scheint, dasz in diesem Falle das Passivum den Begriff eines Acti- vums einschlieszt. Es ist nichts weiter zu erklären, als wie die Hebräer dazu kommen, beim Passiv das Object im Accusativ zuzusetzen. Also man sagt richtig ich liebe -—^ dich; für ich liebe kann man sagen : von mir wird geliebt dich, und so kann der Hebräer sprechen, eben weil er nur den Sinn der Phrase, nicht die Form der- selben beachtet. In 3. 4 A. i. 2 überall finden wir Unklarheit, so wenn es heiszt, ^dasz im Passivum ein ideelles Transitivum verborgen liege' usw.

Im zweiten Buche, Syntax des Satzes, müssen wir uns nun kurz fassen, wir müssen zum Ende eilen. § 102 hätte das letzte wol unter die Bedeutung des fi^^ii, nicht der Copula gehört. § 104 ist die letzte Zeile ^nicht nöthig'. § 105 ist die Sache einfacher als sie hier aus- sieht; wenn D'^ir;'":;fit , Götter, Richter , al&o eine Mehrheil bezeichnet, nimmt es den Plural zu sich. Das versteht sich eigentlich von selbst. N. 5 ist bei Rüdiger bereits erklärt, N. 6 aber findet seine Erklärung wieder in dem, dasz der Hebräer den Sinn vorhersehen laszt. Wo sich das zeigt, konnte einmal zusammengestellt werden. N. 7 ist nun gar nichts weiter als dasz das Pradicat bei mehreren Subjeclen zum näch- sten gezogen und zu den übrigen dann ergänzt wird. Die Stellen unter A. 2 müssen einzeln erklärt werden. § 106 Imper. Inf. oder Part, ist nicht mit tkh zu verbinden, aber aus verschiedenen Gründen, die angegeben werden konnten. § 107 steht: ^sei es dasz es un- bestimmt bleibt, welche Antwort der fragende zu bekommen hat' usw. Im Begriff der Frage liegt es, dasz der fragende nicht weisz was für eine Antwort er erhält, sonst brauchte er ja nicht zu fragen. Weiter steht: ^sehr selten und nicht ohne besondere Veranlassung steht &fi^.' Da musz diese Veranlassung gegeben werden. § 108, 1 scheint beim Wunsche ih und QK gleichbedeutend zu sein, was nie der Fall ist, und wenn es Gesenius an manchen Stellen annimmt. § 112, 3 b bedarf nach der vorangehenden Eintheilung allerdings einer Bemerkung. § 113, 4 ist der Unterschied nicht nöthig; aus 5: 4hre

12'

170 Nigelsbach: hebräische Grammatik.

Stellung hängt von Sinn und Wohlklang ab ' lernt man nichts. EnÜ^ lieh ist die ganze Ableitungslehre in die Paradigmen gebracht; so g^ schickt dies auch ausgeführt ist, wünschten wir eine Ausfabrang ibo- lich der bei Ködiger.

Wir sind sehr umständlich gewesen in der Beurteilnng, wir haben Tielerlei getadelt, aber wir haben es gethan, weil uns die Leistaag solchen eingehens werth schien, und wir glauben^sie damit genugsam zu loben, dasz wir den Plan eine Grammatik zu schreiben, den wir seit mehreren Jahren verfolgen , nach dem erscheinen dieser Gramoia- tik aufgegeben haben, noch dazu weil wir hoffen, dass sie noch die von uns gewünschten Verbesserungen annehmen werde , da sie ja in der Richtung mit uns übereinstimmt. Wir sind nicht gewillt Con- currenz zu machen, zweifeln auch ob wir^s könnten, und wenn nur das rechte geschieht, durch wen gilt ja gleich. Aber das vetsichern wir und daher ist auch Form und Inhalt dieser Recensionen zn beur- teilen, dasz es uns Gewissenssache ist den Schlendrian in der Erklä- rung der Bibel zu stören und durch richtige Methode den vielen Wirr- warr in der Auffassung so viel wir können aufzulösen und das wahre Verstöndnis zu fördern , damit doch endlich die Herren Gelehrten ein- sehen, welche groszartige Litteratur sie hier vor sich haben, dass das Gefäsz seines Inhaltes nicht unwürdig ist. Ist es nicht mitunter Feind- schaft gegen den Inhalt gewesen, die auch das Gefasz misachten liess. Unbeholfenheit im Ausdruck da fand, wo nur von Unbeholfenheit in der Erklärung die Rede sein kann? Hoffen wir dasz auch dieses Baek mehr und mehr dazu beitrage, die hebräische Sprache in ihrem wah- ren Lichte leuchten zu lassen !

Quedlinburg. Goszrau.

(6.)

Briefe über neuere Erscheinungen auf dem Gebiete der

deutschen Philologie

an Herrn Dr S., Obericliror am Gjmnasiam zn B. von Dr F. Zacher, auBzer ordentlichem Professor der deutschen Sprache und Litteratnr an

der Universität zu Halle.

(Fortsetzung von S. 103 f.)

4.

Noch einmal , verehrtester Freund , sehe ich mich zu dem nner- quicklichen Geschäfte genöthigt, ein Stück aus der Vorrede absii- schreiben.

Herr Holtzmann fährt fort (Seite 17): ^Vielleicht scheint es hum- chem^ dasz ich gegen einen so bedeutenden Mann u>ie Lachmann wmr^

Briefe ühtt neuere ErscheinoDgeii «nf d. 6. der deateohen Pkilol. 171

zumal nach seinem Tode^ die schuldige Rücksicht verleM habe^ tu- dem ich den Widerspruch Arochen hinstelle^ ohne ihn mit den her- kömmlichen Lobeserhebungen und Ausrufungen der Bewunderung ein-- zuhüllen. Aber ich sehe keinen Grund jetzt zurückzuhalten^ was ich viel lieber und dann viel schärfer dem lebenden gegenüber ausge- sprochen haben würde ^ und ich gestehe es dasz ich bei Lachmann^ dessen Verdienste meiner Anerkennung nicht bedürfen^ einen Ton herschend finde ^ der mein Gefühl (um auch einmal von Gefühl zu sprechen^ verletzt. Wie ein unfehlbarer aufzutreten^ in geheimnis- vollen Winken seine Weisheit errathen zu lassen y statt der Beweise Schmähungen vorzubringen ^ das sollte nie und nirgends , auch dem grasten Gelehrten nicht gestattet sein; und dasz es unter uns rltög- lich war^ einen solchen Ton auch nur anzuschlagen und gar Erfolge damit zu haben j das gereicht der Bildung unserer gelehrten WeU nicht zur Ehre?

Die zu Anfang, dieses Absatzes ausgesprochene Besorgnis ist höchst seltsam. Verletzt man die einem ansgezeichneten Manne schul- dige Rücksicht denn dadurch, dasz man sich ganz frei und olfen über und sogar gegen ihn erklärt? Oder ist es nicht eben der Vorzag des echten Ruhmes und der wahren Grösze, dasz sie keines Flitters be- dürfen und selbst die schonungsloseste Beleuchtung ihrer Mängel und Gebrechen vertragen können? Wie mochte der Verfasser auch nur ein Wort an solche Schwachköpfe verschwenden, die daran Aergernis nehmen würden? Wol aber ist andererseits zu fragen: welches ist die schuldige Rücksicht, die auch der unbedeutendste von jedem zu fordern hat, der öffentlich über sein thun zu urteilen sich heraus- nimmt? Hat er nicht vor allen Dingen mit Recht zu fordern, dasz der Beurteiler den ihm zugänglichen Thatbestand und Sachverhalt sich aus- reichend bekannt gemacht habe? dasz er ihn nicht anders darstelle als er wirklich beschaffen ist? Und wie entspricht des Verfassers Buch dieser allerersten und allergerechtesten Forderung, der unerläszlichsten schuldigen Rücksicht? Wir haben davon schon einiges erfahren müssen ; wir werden bald noch ernstere Erfahrungen zu machen haben.

Wie herlich sticht gegen diesen Anfang der Schluszsatz ab, den Sie, Verehrtester Freund, gewis so vortrefflich finden, dasz Sie ihn gern noch einmal in seiner buchstäblichen Fassung lesen. So beher- zigenswerlhe Wahrheiten können nicht oft genug wiederholt werden. Dieser Schluszsatz lautete: ^statt der Beweise Schmähungen vorzu- bringen ^ das sollte nie und nirgends^ auch dem grösten Gelehrten nicht gestattet sein.' Streichen Sie ihn doppelt an.

^Wie ein unfehlbarer aufzutreten^ in geheimnisvollen Winken seine IVeisheit errathen zu lassen ' . . . mit diesen Worten hat der Verfasser doch wol den Eindruck bezeichnen wollen, den Lachmanns Schriften auf ihn gemacht haben. Sie scheinen ihm einigermaszen sibyllinisch vorgekommen zu sein. Das läszt sich auch vollkommen glaublich und begreiflich finden. Denn sie tragen groszentheils einen Charakter, den man wol am richtigsten einen esoterischen nennen

t72 Briefe Ober neuere Erscheinungen anf d. G. der denfscben Philol*

kann. Selbst wer schon recht leidliche Vorkenntnisse zu ihrem Sta-> diam milbringt, wird, ohne die Beihülfe mündlicher Unterweisung« nar durch angestrengte und beharrliche Arbeit zu ihrem vollen Verständ- nisse gelangen. Nicbt dasz Lachmann verwirrt und unklar geschrieben hätte. Im Gegentheil ! alles was er geschrieben hat ist durchaus klar, scharf und bestimmt. Aber er hat bei weitem nicbt alles hingeschrie- ben was er wüste. Mit der knappsten Kurze sagt er jedesmal nar so- viel, als eben am betrelTenden Orte gerade nothwendig ist. Bald gibt er nur das Resultat, ohne die oft langwierige Untersuchung hinzuzu- fügen, aus welcher es gewonnen wurde, bald einen gerade hier zur Anwendung kommenden Thcil einer Regel oder eines Gesetzes, deren anderer Thüil an einer weit entfernten Stelle, vielleicht sogar in einem anderen Buche zu finden ist. Wer aber unverdrossen Mühe und Arbeit nicht scheut, der wird aus seinen Schriften einen reichen Schatz der trefTlichsten Belehrung schöpfen, wird bald erfahren, wie ungemein geistbildend sie wirken, und auch bald zu der Einsicht und Ueber- zeugung kommen, dasz Lachmann nie etwas geschrieben hat, worüber er nicht die genauste und bestimmteste Rechenschaft zu geben wosle. Das gilt bis auf die scheinbar unbedeutendsten Kleinigkeiten herab, bis auf Wortkürzungen, Elisionen, Quantitalsschwankungen und wie alle jene Dinge heiszcn, die ich Ihnen, als einem Kenner der klas- sischen Philologie, nicht herzuzählen brauche.

In seinen mündlichen Vorlesungen dagegen verfuhr Lachmann natürlich mehr cxoterisch. Da zeigte er die Methode, gab die Regeln und Gesetze im Zusammenhange, fügte den Resultaten eine Uebersieht der sie begründenden Untersuchungen bei usw. Wer diesen Vorlesun- gen mit Aufmerksamkeit, Fleisz und eigenem Nachdenken folgte, der erlangte nicht nur eine klare Vorstellung von den Aufgaben der dent- sehen Philologie, sondern auch von den Wegen und Mitteln zu deren gedeihlichster Lösung. Die ganze Technik der Wissenschaft nnd die sicherste, förderndsle Methode wurde ihm aufgeschlossen: er lernte, mit einem Worte, wie man wissenschaftlich arbeiten und forschen musz. Nun war ihm der Weg zu dem völligen Verständnisse der Lachmannschcn Schriften geebnet; nun war er in den Stand gesetzt die Aufstellungen des Meisters nicht nur zu begreifen, sondern anch selbständig zu prüfen, und der Meister verlangte sogar, dasz er niebts ohne eigene Prüfung annehme.

Das ist der Charakter von Lachmanns schriftstellerischer, von Lachmanns mündlicher Lehrthätigkeit. Sie begreifen, verehrtester Freund, dasz dcrjenig^e, welcher das Glück hatte seinen mündlichen Unterricht zu empfangen, bedeutend im Vortheile war gegen jenen, dem nur die Schriften zugänglich blieben. Ihm wurde es viel feichter die Ansichteu und Lehren des Meisters richtig und vollständig za er- fassen, sich vor Irthum zu bewahren und nach seinen Grundsätzen weiter zu arbeiten. Daher die Erscheinung, dasz wol kaum einer von Lachmanns nahmhaflen unmittelbaren Schülern sich durch K(errn Holtzmanns Aufstellungen hat beirren lassen.

Mälb ibeir nenere KrsobeinmigeD auf d. G. der deotochea PbiloL 1 7^

Ueber Lachmanns esoterische Schriftstellerei läszt sich manches för und wider sagen. Sie geradehin als gemeingiltiges Stilmnster zu erklären wäre am so thörichter, je mehr auf sie der alle Spruch An- wendung findet: Doctor Luthers Schuhe sind nicht allen Dorfpfarrern gerecht. Aber lernen und sehr viel lernen, das kann jeder an ihr, und ihre segensreiche erziehende Kraft wird jeder mit Freuden erfahren, der sich von ihr will erziehen lassen. Sagt je.nand, Lachmann wurde doch in viel weitere Kreise hingewirkt haben, wenn er minder eso- terisch geschrieben hatte', so mag das nnbestritten bleiben. Aber würde die Wirkung in die Breite der Wirkung in die Tiefe keinen Eintrag gethan haben? Das ist eine ganz andere und unzweifelhaft viel wich- tigere Frage. Auch die Grimmschen Schriften tragen zum groszen Theil einen esoterischen, einen exclusiven Charakter, wenn gleich in anderer Art als die Lachmannschen. Die Heldensage, die Mythologie, die Kecbtsalterthümer und sogar die Grammatik (um der übrigen za geschweigen) sind doch ursprünglich offenbar auch nicht für einen groszen Leserkreis bestimmt. Das ist ein Umstand von der folgen- reichsten Bedeutung.

Da Sie auch selbst schon, verehrtester Freund, auf jenen exclu- siveren Charakter angespielt haben, der gerade in den wichtigsten Werken der Häupter der deutschen Philologie zn Tage tritt Vor- nehmheit der deutschen Philologen hört man das wol auch nennen , 80 denke ich durch diesen kleinen erläuternden Abstecher nicht eben Ihr Misfallen zu erregen.

Jene sogenannte Vornehmheit ist keineswegs eine tadelnswerthe Laune, sondern vielmehr aus einer recht edlen Wurzel entsprungen. Indem nemlich die eigentlichen Gründer der deutschen Philologie neben- einander arbeiteten, jeder zwar in seiner eigenthümlichen Weise, alle «her demselben Ziele zustrebend, einander persönlich befreundet, ein- ander neidlos ja freudig fördernd: hatten sie auch bei denjenigen For- schungen, die sie im Drudie erscheinen lieszen, immer einander gegen- seitig im Auge. Die Forschung selbst mit der aus ihr erwachsenden Wahrheit war ihr Zweck: das Bedürfnis der mitforschenden Freunde war ihr Maszstab. So verdarben sie ihre Zeit weder mit Eifersüchte- leien und Polemik, noch mit Trivialitäten, und so wurde es ihnen mög- lich, die neue Wissenschaft der deutschen Philologie in dem kurzen Zeiträume eines Menschenalters in einem solchen Umfange und mit einer solchen Solidität auszubauen, dasz der tausendjährige Palast der klassischen Philologie, an dem so manches groszen Meisters Hand sich verewigt hat, dasz dieser altehrwürdige Palast sich der Nachbar- schaft des neben ihm aufgestiegenen Neubaues wahrlich nicht zu schä- men hat.

Der mitforschenden , die mit den groszen Meistern an demselben Werke arbeiteten, waren so viele eben nicht. Fast alle waren sie einander persönlich bekannt und einander in Freundschaft verbunden. Es umhegte, um es im Bilde auszudrücken, ihren Garten zwar keine Mauer and kein Eisengitter, aber doch, wie wol mit einem anf das

174 Briefe über neuere Erscheinungeu aaf d. 6. der de«UelMA EkileL

Gedicht vom Rosengarten anspielenden ^Seherze gesagt wnrde, ein Seidenfaden. Und die jüngeren nachwachsenden Forscher , welehe fast samtlich unter der mündlichen Anweisung der älteren Meister sich herangebildet halten, rechneten es sich zur Ehre, wenn auch sie nns gleichsam innerhalb dieses Seidenfadens Zutritt erhielten. Natürlich brachten sie eine wol begründete Liebe und Pietät gegen ihre Lehrer mit in diesen Kreis und bekannten sich in Worten und Werken bu den gleichen Grundsätzen.

Welches aber die Grundsätze wareu, die in diesem Kreise hersch- ton, das hat Lachmann in der Vorrede zum Iwein so klar, bündig und schön ausgesprochen, dasz ich mir^s nicht versagen kann, jdie wenigen Zeilen herzusetzen.

^Die theilnehmende menschliche Auffassung der alten Schrift- steller^ ein anschauen der Bildung und des gesamten Lebens ihrer Zeit^ das vergegenwärtigen der Vergangenheit^ der Umgang mii dem Aller thum ^ für den deutschen Gelehrten ^ tceil ihm Egoismus wider» natürlich ist^ ebensowol Bedürfnis als die Hingebung an die Gegi wart und bescheidenes einwirken auf die Zeitgenossen^ leitet Ernst und zur Milde^ zum Trost und zum Aufschwung^ zur Besonnen- heit und Gewandtheit^ vor allem aber zu sorgfältiger Treue ^ zum Eifer für die Wahr heit und wider den Sckein. Dahin richtet sich unser wol bewustes Streben^ und wenigstens gefühlt haben als das seinige musz dies wer sich zu uns rechnen will. Wieviel jeder einzelne wirklich /et* Sien kann^ darüber haben wir nicht zu richten: aber nur Wahr- haftigkeit und sich selbst vergessende strenge Sorg- falt kann uns fördern.^

Das waren die Grundsatze der Gründer der deutschen Philologie und insonderheit die Grundsätze Lachmanns. Und dasz aie nieht etwa blos schöne Redensarten gewesen und geblieben sind , sondern data ihnen die That durchaus entsprochen hat, das kann jeder, der ehrlieh und ^unbefangen seine Augen brmichen will, in Lachmanna SchriftaB selbst klärlich und deutlich ersehen. Ich. finde auch wol in eiien späteren Briefe noch Gelegenheit, es Ihoen an der Praxia anfzaweiacB.

In welchem Lichte erscheinen aber nun die gerügte ^Us^ehlbar^ heit"* und die ^geheimnisvollen Winke* *l

5.

Auf derselben fünften Seite der Vorrede zum Iwein sagt Leebf mann weiter: .... ^Die Nachwelt^ die unser mühselig gewönne*- nes schon fertig überliefert empfängt^ wird^ weil sie unsere DürfH^ heit nicht begreift .^ unsern Fleisz und unsere geistige Am^ strengung nicht genug ehren: dafür haben wir die herzliche Lust des ersten Erwerbes voraus gehabt.'

Wie bald ist diese Weisz^sagung in Erfüllung gegangen! Kauai hat der Meister die Augen geschlossen, so kann es sogar schon eineai akademischen Lehrer der deutschen Philologie begegnen, daas er an

f

Mifb flbe^ fliDiiere Ers^dicanimgea auf d.O. der denUchea KUblJ 175

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den Mitteln irre wird, denen einer der Hanplgrflnder der deateehen Philologie seine groszen Erfolge verdankte.

Aber was ist es denn , was den Herrn Verfasser so sehr rerietsl hat? Der in Lachmanns Schriften herschende Ton!

Läszt sich wol wissen, was in Sachen des Tones rechtens ist, nm darnach bemessen zu können, wie weit der beschuldigte vom Gesetze abgewichen sei?

Wir pflegen mit bewnstem Stolze zn behaupten, dasz in Dingen der Kritik niemand über den Deafschcn nnd unter den Deutschen nie- mand über Lessing stehe. Einmütig wird er einheimischen wie frem> den als Muster eines Kritikers vorgehalten. Sehen wir doch einmal zn, wie das Grundgesetz des Tones bei diesem Altmeister lautet! Wir finden es bekanntlich im 57n antiquarischen Briefe klar nnd bestimmt folgendermaszen ausgesprochen :

^Jeder Tadel, Jeder Spott^ den der Kunstrichter mit dem kritisierten Buche in der Htnd gut machen kann^ ist dem Kunstrichter erlaubt. Auch kann ihm niemand vorschreiben^ wie sanft oder toie hart , wie lieblich oder wie bitler er die Ausdrucke eines solchen Tadels oder Spottes wählen soll. Er musz wissen^ welche Wirkungen er damit hervorbringen will^ und es ist nolhwendig dasz er seine Worte nach dieser Wirkung abwäget,^

*Aber sobald der Kunstrichter verräth , dasz er von seinem Au- tor mehr weisz als ihm die Schriften desselben sagen können , sobald er sich aus dieser nähern Kenntnis des geringsten nachtheiligen Zu- ges wider ihn bedient: sogleich Wird sein Tadel persönliche Betei-- digung. Er hört auf Kunstrfchler zu sein und wird das verde ht* lichste^ was ein vernünftiges Geschöpf werden kann Klätscher^ Anschwärier^ Pasquillant^

^Diese Bestimmung unerlaubter Persönlichkeiten und eines erlaubten Tadels ist ohnstreitig die wahr^j und nach ihr verlange ich auf das strengste gerichtet zu sein!* .

Jene Rüge des Tones gieng deutlich zur einen Hälfte auf Lach- manns eigene schriftstellerische Erzeugnisse: nnd zu erklären wie es um die sogenannte ^Unfehlbarkeit' und die ^geheimnisvollen Winke* beschaffen sei, schien nicht sowol der Rüge gegenüber erforderlich als für die Sache selbst ersprieslich.

Die andere Hälft-e der Rüge aber bezieht sich eben so deutlich avf die Urteile Lachmanns über die Leistungen dritter. Und wie be- liebt es dem Herrn Verfasser diese zu nennen? ^Schmähungen!*

.... ^Ich selbst kanfi mir keine angenehmere Beschäftigung machen als die Namen berühmter Männer zu mustern^ ihr Recht auf die Ewigkeit zu untersuchen^ unverdiente Flecken ihnen abzuwischen^ die falsclien Verkleisterungen ihrer Schwächen aufzulösen^ kurz alles das im moralisclien Verstände zu thun^ was derjenige^ dem die Auf-r sieht über einen Bildersaal anvertraut ist, pliysisch verrichtet*

*Ein solcher wird gemeiniglich unter der- 31 enge einige Schill dereien haben , die er so vorzüglich liebt dasz er nicht gern ein

176 Briefe fiber neoere Erscheinungen auf d. 6. der deatsehea PliiieL

Sonnenstäubchen darauf sitzen läszi. Ich bleibe also in der Ver- gleichung und sage^ dasz auch ich einige grosze Geister so verehre^ dasz mit meinem Willen nicht die allergeringste Verleumdung auf ihnen haften soll.'

Nun Sie kennen ja , verehrlester Freund , die herlichen Lesaing- schen Sätze zu Anfange seiner ^Rettungen', und sie sind Ilinen hier eben so gut unwillkürlich eingefallen als mir. Lachmann freilich be- darf meiner nicht zur Rettung seiner £hre, bedarf überhaupt keiner ^Rettung'. Ich aber bedurfte des, mich nachdrücklich gegen Sie ans- zusprechen , dergleichen Beschuldigungen auf das entschiedenste sa- rfickzuweisen. Denn welcher Mensch, der auch nur einen Funken vob Pietät im Herzen hat, kann es geduldig hinnehmen, dasz ihm das Bild seines verdienten Lehrers mutwillig verunglimpft wird?

Ich wünschte von ganzem Herzen, dasz ich den Verfasser hier misverstanden hätte; allein wir werden noch üblere VerunglimpfuDg im Verlauf des Buches anzumerkA finden. Mutwillig aber bleibt die Verunglimpfung, so lange ihr der Beweis gebricht, und dieseo so liefern hat der Herr Verfasser weder hier sich herbeigelassen, noch habe ich ihn sonst wo in seinem Buche antrelTen können.

Eine so schwere Beschuldigung bedarf aber eines Beweises, ood es musz dem Herrn Verfasser zur Begründung derselben eine stattliche Reihe von Belegstellen aus Lachmanns Schriften zu Gebote stehen. Wohlan denn ! er zeige uns diese Belegstellen, er zähle das ganze Re- gister derselben auf: und ich mache mich anheischig zu erweisen, dasi auch nicht eine einzige Stelle darunter sein wird, die nicht dem oben angeführten Lessingschen Kanon die strengste Genüge leistete. Es wird sich dann zeigen dasz höchstens nur ein einziges Bedenken für sanfte Seelen übrig bleibt, das Bedenken, ob nicht Lachmann mitunter etwas zu herbe sich ausgedrückt habe. Und auf dies Bedenken kann ich gleich hier die Entgegnung vorweg nehmen mit Leasings Antworl in seinem weltberühmten letzton antiquarischen Briefe , mit jener Ant- wort, die vor nahezu hundert Jahren so geschrieben wurde, als wire sie genau für unseren hier vorliegenden Fall vcrfaszt, als wire sie gerade eben für Lachmann wider des Herrn Verfassers Beschuldigun- gen bestimmt worden.

.... ^Kurz , von allen diesen Vortoürfen bleibt nichts als AöcA- stens der Skrupel^ ob es nicht besser gewesen ujärCj etwas sauber^ l icher mit dem Herrn Klotz zu verfahren? Die Höflichkeit sei doch eine so artige Sache ' ^ ^Gewis! denn sie ist eine so kleine!'

^Aber so artig wie man will: die Höflichkeit ist keine Pflicht^ und nicht höflich sein ist noch lange nicht grob sein. Hingegen %um besten der mehrern freimütig sein ist Pflicht^ sogar es mit Gefahr setn, darüber für ungesittet und bösar- tig gehallen zuwerden^ ist Pflicht.'

Ja, wäre es'denn überhaupt zu bedauern, wenn zu den unmit- telbar folgenden Worten Leasings sich Beispiele aus den Lachmann-

Briefe' ftbeir neuere Erscheinmi^if nf d. 6. der dentschea PliiroL' 177

sehen Werken beibringen lieszen? zn jenen mit Recht gefeierten SäUen :

* Wenn ich KunstrichUr wäre^ wenn ich mir getraute das Kunst* richterschild aushängen zu können: so würde meine Tonleiter diese sein. Gelinde und schmeichelnd gegen den Anfänger; mit ßewun-' derung zweifelnd ^ mit Zweifel bewundernd gegen den Meister; ab^ schreckend und positiv gegen den Stümper; höhnisch gegen den Prah- ler und so bitter als möglich gegen den Cabalenmacher.'

^Der Kunstrichter ^ der gegen alle nur Ünen Ton hat^ hätte bes- ser gar keinen. Und besonders der^ der gegen alle nur höflich isi^ ist im Grunde gegen die er höflich sein könnte grob.*

Weiter bemerkt der Herr Verfasser in der Vorrede, dasz ihm die Darlegung seiner neuen Ansicht über das Nibelungenlied in doppelter Beziehung erschwert sei. Sie steh^ nemlich in engem Bezüge einer- seits zu einer ebenfalls neuen Ansicht Über das Wesen und die Ent- wicklung des Epos, andererseits zu einer neuen Auffassung des Ver- hältnisses der Germanen zu den Kelten , welche beide im Rahmen die- ses Buches nicht ihre genugende Entwicklung finden könnten. Ueber die Stellung der Germanen zu den Kelten hat er seitdem eine beson- dere Schrift veröffentlicht, und da diese Frage mir zn fern liegt, als dasz ich mir über sie ein Urteil anmaszen möchte, musz ich mich darauf beschränken, Sie auf diese besondere Schrift und die darauf erfolgten Entgegnungen anderer zu verweisen. Auf das Epos komme ich wol in einem späteren Briefe noch mit einigen Worten zurück.

Die Vorrede schlieszt mit der Hoffnung, dasz des Verfassers Buch zn weiteren Forschungen anregen und daraus ein Gewinn für die Kritik und das Verständnis des Nibelungenliedes erwachsen werde.

Nun höre ich Sie, verehrtester Freund, besorglich aufathmen. Acht Seiten der VorstUcke sind erst besprochen, und dazu ist soviel Raum verbraucht: wie endlos wird die Besprechung der noch übrigen 200 Seiten des Buches anschwellen! War es also -zu viel gesagt, wenn ich die Kritik dieses Buches eine Aufgabe für einen Lessing nannte ?

Dennoch verholTe ich Ihre Geduld nich^ über Gebühr anzuspan- nen, weil ein ziemlich umfänglicher Theil des Buches ohne irgend- welche Beeinträchtigung der Sache und der Gerechtigkeit ganz unbe- sprochen bleiben kann, ja nnbesprochen bleiben musz. Es läszt sich nemlich der gesamte Inhalt des Buches füglich unter folgende Fragen erschöpfend begreifen: 1) Wie verhält sich der Verfasser gegenüber den Thatsachen? Berichtet er treu und wahrheitsgemäsz ? oder wenn nicht, wie sind die Abweichungen besdhafTen und welches ist der wirkliche Sachverhalt? 2) Welches sind die Hauptsätze der neuen Lehre des Verfassers und in welcher Ordnung entwickelt er sie? 3) Wie begründet der Verfasser seine Sätze und wie erprobt er deren Wahr- heit durch Anwendung auf die Einzelheiten ^es rorliegenden Stoflfes?

178 Briefe Qbet neuere Ersoheinungen auf d. Gi der denlseliaii PMIoL

Aaf alle Einzelheiten der ersten nnd dritten Frage, selbst in eineai besonderen Buche, einzugehen, wäre ein durchaus verfehltes beginnen. Wem hier eioe massige Auswahl charakteristischer Beispiele nicht ge- nügt, für den würde auch eine Besprechung aller einzelnen Punkte gänzlich unnütz bleiben. Ueberdies kommt hierbei fortwährend so viel fach wissenschaftliches nnd technisches in Betracht, dasz nur der Kenner dem ganzen Verlaufe wirklich folgen kann, und der bedarf nicht eines solchen Commentars von der Hand eines dritten, oder sollte dessen doch wenigstens nicht bedürfen. Deshalb meine ich für das folgende mich mit gutem Fuge auf die Erwägung des principiellen und auf einige zur Veranschauiichung und zum Belege dienende Bei- spiele beschränken zu. dürfen.

6.

Im ersten Abschnitte seines Buches handelt Herr Holtzmann von den Handschriften des Nibelungenliedes.

Sie wissen im allgemeinen, verehrtester Freund, dasz der Streit sich wesentlich um drei Handschriften dreht, die im kritischen Ge- brauche mit der von Lachmann eingeführten Bezeichnung ABC be- nannt werden. Da ich jedoch nicht erwarten kann, dasz Ihnen ge- naueres über diese Handschriften und deren Geschichte bekannt sei, auch Herr Holtzmann so gut wie nichts davon erzählt, will ich hier in gedrängtem zusammenhängendem Berichte wenigstens soviel voraus- schicken, als für das Verständnis der Sache unentbehrlich ist.

Vor nun gerade hundert Jahren ward zuerst ein längeres zusam- menhängendes Stück des fast verschollenen Nibelungenliedes durch den Druck bekannt gemacht, indem Bodmer aus der damals noch anf dem Schlosse Hohenems (im jetzt österreichischen Vorarlberg unfern des Bodensees) befindlichen Handschrift C die kürzere zweite Hilfle des Gedichtes (von Str. 1582, 4 der Lachmannschen Ausgabe an) nebst der ^Klage' unter dem Titel ^Chriemhilden Rache' usw. im Jahre 1767 itt Zürich veröffentlichte. Einige zwanzig Jahre später wagte sieh der Professor Christoph Heinrich Myller in Berlin zuerst an die Herans- gabe des ganzen Gedichtes. Er erhielt dazu eine Abschrift der länge- ren ersten Hälfte durch Bodmer , wie er vermeinte und auch am Schlüsse des Abdruckes sagte, aus derselben hohenemser Handschrift C Allein der Zufall hatte es so gefügt, dasz man im Jahre 1779 auf Hohenems die Handschrift C gerade nicht zur Hand gehabt und deshalb die an- dere Handschrift A zur Ergänzung des vorderen Theiles an Bodmer gegeben hatte. Sonach bestand der im September 1782 vollendete nnd in seiner ^Sammlung deutscher Gedichte aus dem XII., XIII. und XIV. Jahrhundert' erschienene Myllersche Druck des Nibdi4Pgenliedes aus ^wei ihrer Quelle nach durchaus verschiedenen Hälften, was aber eben, wie schon gesagt, der Herausgeber selbst nicht wusle und auch die gelehrten Benutzer seines Druckes nicht alsbald gewahr wurden. Da nun Bodmer wie Myller irgendwelche Correctur oder anderweite Aen- derung des Textes weder beabsichtigten noch überhaupt vermochten,

Briefe iber neuere Erscheinan^en aaf d. G. der deatsehen PlnloL 1 79

ist diese Myllerscbe Aasgabe (abgesehen von den etwa eingeschliehe- nen Schreib- und Druckfehlern) bis Vers 6304 == Lachm. Str. Id82, 3 ein buchslahlicher Abdruck der Handschrift A^ und ebenso von da ab bis zu Ende ein buchstäblicher Abdruck der Handschrift C, Wollen wir also vorkommenden Falls uns überzeugen," wie der Text von A lautet, so brauchen wir bis Vers 6304 oder Str. 1582, 3 nur denMyllef^ sehen Druck nachzusehen.

In diesem beschrankten und verwirrten Zustande verblieb die Kenntnis der urkundlichen Ueberlieferung des Nibelungenliedes , bis Herr von der Hagen ihm seine verdienstliche und fdr die Förderung des Materials unermüdliche Forschung zuwendete. Seine erste Ant- gabe des Textes erschien 1810 und Jacob Grimm mnste über sie noch folgendermaszen urteilen (altdeutsche Wälder, Frankf. 1815, Tb. II S. 146 f.) :

^Es behälty fcie die Sacken dermalen stehen^ die Myllersche Au$- gäbe dennoch den meisten Werth; sie liefert zwar zweierlei Texi^ jeden aber rein für sich^ Schreib- und Druckfehler abgerechnet^ so wie die unterlassene Strophenabsetzung. Die neueste durch tmi der Hagen 1810 besorgte Ausgabe y obgleich eine unvergleichbar mühstp- mere^ gelehrtere Arbeit^ deren Werth ich anfangs bei mir selbst viel höher anschlug^ mengt allerlei Lesarten nach bekannt getoesenen groszen und kleinen Stücken verschiedener Texte unter einander und schwärzt eigene kritische Verbesserungen ein. Dieser Heraus geber hatte nemlich auszer der münchener (zwar wichtigen^ doch unter den übrigen geringsten} Handschrift [D] nichts mit eigenen Augen gesehen^ aus der St Gallener [Bj.blos für nicht viel mehr ak ein Neuntel des ganzen sich die Abweichung der Lesarten zu ver- schaffen gewust^ und stand über das wahre Verhältnis der Hand- schriften in einer zu entschuldigenden , aber seinem Beginnen durch- aus nachtheiligen Ungewisheit^ dessen sonstigem' subjectivem ^ aller Anerkennung werthem Verdienst damit nichts benommen wird.'

Auch Docens Urteil über diese Ausgabe in der Jenaischen allg. Litteraturzeitung 1814 März Nr 51. 52 kommt ziemlich genau zu dem- selben Ergebnisse.

War sonach diese erste Hagensche Ausgabe freilich an sieh für die Kritik fast werthlos, so gab sie doch einen nachhaltigen Antrieb zn weiteren Nachforschungen. Bodmer hatte seiner ^ Chriemhilden Rache' einige Bruchstücke aus dem ersten Theile und später (1781) seinen Balladen einige Zeilen aus der zweiten Hälfte des Nibelungen- liedes gelegentlich beigegeben, die sämtlich von dem Myllerschen Texte stark abwichen und schon längst Bedenken über die Beschaffen- heit und die Quellen dieses Textes erregt hatten. Nun erfuhr man ans einem durch Johann Horner zu Zürich im J. 1810 unter Bodmers Nach- lasse gefundenen Briefe an Myller von 1781 das genanere über die zwitterhafte BeschafTenheit des Myllerschen Druckes und deren Ur- sache, und ersah ferner, dasz Bodmer auch schon eine dritte Hand- schrift benutzt hatte; die noch jetzt in St Gallen und ehemals im Besitz

1 80 Briefe Aber neaere Erscheinang^en auf d. 6. der deatsefaei fUM.

von Ae^idins Tschudi (f 1571) beRndlicbe, welche nach Lacbmanos Vorgange im kritischen Gebrauche durch B bezeichnet wird.

Diese St Galler Handschrift B legte von der Ilagen seiner zweiten im Spätjahr 1815 erschienenen (auf dem Titel die Jahrzahl 1816 tra- genden) Ausgabe zu Grunde, lieferte aber auch diesmal kein diplo- matisch genügendes Material.

Von einer zu Brunn an der Altmühl gefundenen and scho» 1575 durch Wiguleus Hund der herzogt, bairischen Bibliothek ge- schenkten Handschrift, die noch jetzt in München sich befindet und im kritischen Gebrauche mit D bezeichnet wird, besasz Herr von der Hagen zwar Abschrift, doch ohne sie für die Kritik zu verwer- tben, worüber Docen in der oben angeführten Recension sein Bedauern aussprach.

Inzwischen verlautete nun wieder Kunde über das Schicksal der nicht mehr auf Hohenems befindlichen Handschriften ^.und C. Beide waren (nach Jac. Grimms Angabe in den ^altdeutschen Wäldern') mit einer Gräfin von Harrach nach Prag und dann durch Geschenk zn Ban- den eines Privatmannes Namens Frickart gekommen. Frickart hatte darauf die Handschrift A an einen Dr Schuster in Prag abgetreten und dieser solche wiederum an die bairische Bibliothek zu Manchen ver- kauft. C bot Frickart zu Wien um hohen Preis feil , als Jacob Grinn Gelegenheit erhielt sie einzusehen und in Folge dessen Nachricht über sie und eine Anzahl von Strophen aus ihr (die im Drucke 17 Seiten einnehmen) in den ^altdeutschen Wäldern' (II 145 180) mittheilte. Nicht lange ^darauf (1816) erkaufte der Freiherr Joseph Von Lassberg die Handschrift und rettete sie so vor der Verschleppung nach Eng- land. Nach dessen Tode ist sie nun endlich in die fürstl. Fürstenber- gische Bibliothek nach Donaueschingen gelangt. (Einen treuen und verlässigen Abdruck dieser Handschrift C hat Freiherr von I^assberg gegeben in dem 4n Bande seines ^Liedersaales', der 1821 erschien und 1846 in den Buchhandel gelangte.)

So standen die Dinge als Lachmann seine Untersochungen ^flber die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Nolh' (Berlin 1816) veröfTeutlichte. Bei der Ausarbeitung dieser Abhand- lung hatte ihm mithin nicht mehr als folgendes handichriftliches Ma- terial vorgelegen und zu Gebole gestanden:

1) vom ganzen Nibelungenliede: eine zwar vollständig, aber un- zuverlässig abgedruckte Handschrift, die St Galler B^ in von der Hagens Ausgabe von 1815;

2) von der gröszercn ersten Hälfte (bis 1582, 3):

a) ein Abdruck von A in Myllers Ausgabe,

b) die wenigen mit leidlicher Sorgfalt abgedruckten Strophen aus C, welche Badmcr gelegentlich mitgetheilt hatte,

c) die verhältnismäszig auch nur wenigen treu abgedruckten Strophen ans C, welche Jac. Grimm im zweiten Bande der altdeutschen Wälder veröffentlicht hatte;

a) von der kleineren z weiten Hälfte (von 1582, 4 ab): der Myller-

BrMb über nenere Erscheinungen «nf d. G. der deotockett PkHoi. 181

sehe und der genauere Bodmersche Abdruck von C (aber, wie er

selbst S. 6S sagt, nichts von A)\ 4) von der Klage, der durch Bodmer besorgte Abdruck von C

Oder mit kurzen Worten : Lachmann kannte und benutzte damals für die erste Halfle des Nibelungenliedes (bis 1582, 3) nur B^ A ond einige Strophen von C, für die zweite Hfilfte nur B C (nichts von A), Was er etwa aus andern Handschriften, wie z. B. aus />, erfah- ren haben konnte, war verhiltnismiszig so unbedeutend, dasz es nicht in Betracht fiel.

Was hat nun Lachmann auf Grund dieser Halfsmittel in seiner eben genannten Schrift, mit welcher die wirklich wissensehaft- liehe Behandlung des Nibelungenliedes beginnt, geleistet? Zweierlei.

Erstens: angeregt durch die Wolfschen Untersuchungen über die Homerischen Gesfinge wies er nach, dasz das Nibelungenlied in der uns vorliegenden Gestalt entstanden sei ans einer noch jetzt erkenn- baren Zusammensetzung einzelner Lieder. Er führte diesen Nachweis zunächst (in den ersten 26 Abschnitten seiner Schrift) für den zwei- ten Theil des Nibelungenliedes unter Vergleichung des Inhaltes der ^Klage', und zwar wesentlich auf Grundlage von B^ indem er C eine hierfür nicht maszgebende Ueberarbeitung nannte, und A für diesen zweiten Theil, als noch ungedruckt, überhaupt nicht benutzen konnte. Mit Seite 67 begann er denselben Nachweis für den ersten Theil des I^ibelungenliedes, auch hier wieder hauptsächlich auf Grundlage von B. Die Untersuchung des zweiten Theiles war erleichtert worden durch die Vergleichung des mit verwandtem Inhalte nebenher gehenden Gedichtes der Klage. Dem ersten Theile gebrach ein solches Gegen- stück. Dafür aber lagen hier neben B der vollständige Text von A und einige Stücke des Textes von C vor. Welchen Gebrauch nun Lach- mann hier von A gemacht, wieviel er daraus für seine Liedertheorie gezogen hat, das ist aus dem weiteren Verlaufe seines Buches leicht zu sehen, und er gibt es überdies selbst an, wenn er auf S. 68 sagt: ^Ja es zeigt sich auch hier ganz unertoariei ein sehr nahe lie~ gende^ Zeugnis^ wenigstens für einiges^ das unsere Frage zu- nächst betrifft^ und fco es auch diese nicht genau berührt^ doch immer für die Geschichte unseres Liedes, Ich meine die jetzt in München befindliche zweite Hohenemser Handschrift desselben,y deren Vergleichung auch in der zweiten Hälfte^ wo ihre Lesarten noch un- bekannt Sf'nd, rielleicht eine neue Seite für unsere Untersuchungen darbieten möchte^ usw. Das kann für einen logisch denkenden Menschen doch nimmermehr etwas anderes heiszen als : der Nachweis der Entstehung der uns vorliegenden Nibelungennoth aus^ einzelnen Liedern ist an und für sich unabhängig von dem wechselseitigen Ver- hältnisse der drei Texte A B C; es können jedoch einzelne Partien dieses Nachweises eine Unterstützung ziehen aus dem Zeugnisse , wel- ches in der Verschiedenheit der drei Texte, und zumal der Texte A und jj?, thatsächlich vorhanden ist und unmittelbar vorliegt. Dai ist auch ein so natürlicher und gleichsam von aliein sich ergebender Ge-

182 Briefe über neuere Erscheinungen auf d. 6. der deutschen PUlol.

danke, dasz Jac. Grimm schon 1815 (altdeutsche Walder U 159) sn einer ziemlich eben dahin zielenden Ansicht gediehen war. Es ist also die sogenannte Licdertheorio keineswegs ein neuer in Lachmanos Kopfe entstandener und von ihm zuerst ausgesprochener Einfall ^ denn der Gedanke findet sich in jener Zeit öfter, z. B. schon in dem eben genannten und von Lachmann bereits benutzten Aufsalze Jacob Grimms in den altdeutschen Wäldern (1815 Bd II S. 152) ganz entschieden hingestellt: aber die wissenschaftliche Fassung, Verfolgung, Be- gründung und Durchführung des Gedankens, der Nachweis seiner Richtigkeit, welcher mit der Schrift ^über die ursprüngliche Gestalt des Gedichtes von der Nibelungennoth' beginnt, das ist Lacbmanns eigontbfimliches Werk.

Zweitens: über die Bedeutung der Handschrift C war man be- reits 1815 dahin gediehen, dasz Lachmann (über die ursprüngliche Ge- stalt usw. S. 68) unter ausdrücklicher Beziehung auf von der Hagens Vorrede zu seiner Ausgabe von 1815 S. VIII und XXIII sagen konnte: ^E$ ist ausgemacht^ dasz die erste hohenemser Handschrift [C] das Gedicht in einer augenscheinlich späteren , besonders in fielen Punkten gemilderten U eher arbeitung liefert,^ Auch Grimm hatte (altd. Wälder II 162) sich schon dahin geäuszert, dasz er den Text von A Tür älter halte als den Text von C; die St Galler lls. kenne er noch zu wenig, um über sie abzuurteilen. Lachmann aber erkannte und sagte zuerst (ursprüngliche Gestalt S. 68), dasz die drei Handschriften ABC, ganz abgesehen Ton ihrem Alter als Handschriften , d. h. von dem Datum ihrer Niederschreibung, Repräsentanten dreier auf einan- der folgender Recensionen seien, und zwar so dasz A die ilteste, B die mittlere, C die jüngste dieser drei Recensionen darbiete. Dnrcb diese bestimmte scharfe Fassung war ein Satz von wissen- schaftlichem Werthe gewonnen, dessen Folgen sich mit solcher logischer Nothwendigkeit entwickelten, dasz man ihnen nur aufmerk- sam nachzugehen brauchte, um an denselben die Richtigkeit oder Un- richtigkeit des aufgestellten Satzes selbst eben so sicher nnd hand- greiflich zu erkennen, wie an der Probe eines Rechenexempel/.

Wesentlich auf die vier vollständigen Handschriften i4 BC D hatte sich im Jahre 1816 die Kenntnis der handschriftlichen Ueberliefernng des Nibelungenliedes beschränkt. Seitdem ist durch glückliche Funde die Zahl der theils vollständig, theils nur in Bruchstücken erhaltenen Handschriften auf mehr als 20 gestiegen. Sie sind wiederholt Qber- sichtlich zusammengestellt worden, z. B. von Zarncke in seinem *Vor- trage zur Nibelungenfrage', Leipzig 1854, und in seiner Handausgabe des Textes von C, die unter dem Titel ^der Nibelungen Lied' 1856 zu Leipzig erschien. In der Sache selbst ist jedoch durch das hinzatre- ten der neu aufgefundenen Handschriften insofern nichts wesentliches geändert worden, als sie sämtlich sich um die drei zuerst bekannt gewordenen Handschriften ABC gruppieren, oder mit anderen Worten sich je einer der drei Recensionen unterordnen, deren Re- prisentanten die Handschriften ABC bilden. Die Vertheilung ist

Briefe fiber neuere Erscheinongen auf d. G. der deatsclieii PhiIoL 183

aber der Zahl nach so ungleichmäszig ausgefallen, dass fflr die Re* cension X die Handschrift A allein stehen geblieben ist, an C sich nur vier Brnchstucke und eine junge und nachlässige Papierhandschrift (die Wallersteinsche = d) anschlieszen, alle übrigen aber sich bald enger, bald etwas loser an B lehnen, so dasz die durch ungefähr 16 theils vollständige, theils fragmentarische Handschriften vertretene Re- cension Et als die am meisten verbreitet gewesene, als die Vulgata gelten rnnsz.« Da nun die Handschriften ABC von keiner neu aufge« fuDdenen Handschrift ihrer Gruppe an Correctheit übertroflfen werden, so sind die Handschriften A B C in ihrer Bedeutung als Repräsen- tauten der Recensionen ABC ungestört verblieben. Dabei ist aber ein eigenthömlicher Umstand sehr genau ins Auge zu fassen und bei der kritischen Beurteilung nach Gebühr zu würdigen und festzu- halten : der Umstand, Jasz die Handschrift^ verhältnismaszig jung und nachlässig geschrieben ist, dagegen die Handschrift C unter den erhaltenen Nibelungenhandschriften eine der ältesten ist und, was die Tugenden ihres Schreibers angeht, die Sauberkeit, Sorgfalt, Correctheit, zu den besten aller mittelhochdeutschen Handschriften gehört.

Hiernach stellt sich, wenn wir der Lachmannschen Chronologie der Recensionen zustimmen, das Verhältnis folgendermaszen : Ä älteste Recension, repräsentiert durch A^ eine verhältnis- maszig junge und nachlässige Handschrift; i mittlere Recension, repräsentiert durch ^, eine ziemlich

alte und leidlich correcte Handschrift; (f jüngste Recension, repräsentiert durch C, eine sehr alte und sehr vorzügliche Handschrift. Das ist denn doch ^gewis sehr einfach und deutlich ! Habe ich^s nicht klar und verständlich genug dargestellt, so liegt der Fehler diesmal an meiner mangelhaften Darstellungsgabe und nicht an der Sache. Ihnen jedoch, verehrtester Freund, verhoflfe ich so weit genügt za haben, dtfsz Ihnen der ganze Sachverhalt nun mit vollkommener Be- stimmtheit und Klarheit vor Augen liegt.

Aber nun die Folgerung für deu kritischen Herausgeber des Nibelnn- gentextes? Ja, Freund, wenn ich diese Ihnen hier auseinandersetzen sollte, ich würde mich schämen und fürchten zugleich. Fürchten dasz . Sie, sonst ein so ruhiger und milder Mann, auffahren und mir zurufen würden: *Was? Sie! Freund ! Herr! Sie halten es für nöthig mir eine so ^ simple philologisch -kritische Grundregel noch besonders zu explicie- ren? Eine Recension ist doch eine Bearbeitung irgend eines vorlie- genden Textes, die irgend ein Mann zu irgend einem Zwecke, dessen er sich klarer oder dunkler bewust sein kann, so vernimmt, dasz er den vorliegenden Text nach freiem Ermessen ändert, überarbeitet, um- gestaltet, um ihn eben durch diese absichtlichen Aenderungen für sei- nen Zweck geschickt oder doch wenigstens geschickter zu machen. Und wenn dem so ist, so kann und darf ein kritischer Herausgeber doch eben nur 6ine Recension auf einmal herausgeben, und er muss

iV. iahrh. f. PkU. «. Paed. Bd LXX VIII. ffft3. 13

184 Briefe aber neuere Erscheinougen auf d. 6. der deatielieB PlitoL

sie rein heraasgebcn, darf sie nicht durch Entlehnangen aus Hand- schriften einer anderen Recension verunreinigen. Jedes Wort, worin die Handschriften einer anderen Recension von dem Texte seiner xu edierenden Recension abweichen, kann freilich die alte, echte, nr- sprüngliche Lesart des ersten Verfassers enthalten, es braucht sie aber nicht zu enthalten : der Herausgeber hat durchaus gar keine Ge- währ, weder für noch wider. Mithin hat jede Abweichung der Hand- schriften einer anderen Recension für den Herausgeber nur den Werth einer Conjectur: und die eigene Conjectur des Heraasgebers ist jedes- mal gerade so sehr, ja aus leicht einleuchtenden philologischen Grün- den noch mehr berechtigt, als die ihm ebenfalls nur als Conjectur gel- tende Variante irgend eines alten Ueberarbeiters. Entscheidet sich nnn der Herausgeber des Nibelungenliedes für die Herausgabe der von ihm für die älteste gehaltenen Recension Ä und steht ihm also nur die ^ine nachlassige Handschrift A zu Gebote, so hat er freilich eine sehr schwere , mühsame und wenig dankbare Aufgabe. Denn bei der schlechten Beschaffenheit seiner einzigen Handschrift musz sein Text ziemlich unvollkommen und mangelhaft bleiben, selbst wenn der Heraus- geber das gröste kritische Genie wäre. Sogar die ansprechendsten Varianten dar f er ja gar nicht aus B oder C in seinen Text A herttber- nehmen , weil er sonst augenblicklich ins willkürliche und bodenlose verfallen würde. Nur in dem ^inen Falle, wo eine Emendation ron A aus kritischen Gründen nothwendig ist und des Herausgebers eigene emendiercnde Conjectur mit der Variante eines alten Ueberarbeiters zusammenfällt, nur in diesem Falle darf der Herausgeber Lesarten aus Handschriften anderer Recensionen in seinen Text aufnehmen. Finde sich einmal durch glückliche Fügung noch eine gute Handschrifl sei- ner Recension X^ dann erst könnte sein Text möglicherweise eine vielfach veränderte unverbesserte Gestalt gewinnen. So aber mnss' der Herausgeber zuweilen das schlechtere mit vollem Bewnstseia stehen lassen, weil er sich von dem einzigen Zeugen und Gewfihrs- manne seiner Recension als treuer gewissenhafter Kritiker nicht ent- fernen darf!'

So würden Sie sagen, verehrtester Freund, und Sie hätten natttr- Hch vollkommen Recht!

Und so, nach dieser kritischen Grundregel von fast trivialer Ein- fachheit, ist Lachmann bei seiner Ausgabe verfahren und bat sunt Ueberflusz sein Verfahren auf Seite X noch ausdrücklich beschrieben. Abgedruckt ist bei ihm der kritisch berichtigte Text von A ; unter die- sem, am unteren Rande der Seite, stehen die wesentlichen Lesarten des gemeinen Textes oder der Vulgata (J9) , und in den 1836 als be- sonderes Buch erschienenen ^Anmerkungen' sind die Lesarten aller ihni bis dahin bekannt gewordenen Handschriften vollständig mitgetheilt.

(Fortsetzung folgt.)

Berlebte fibdr (^lebrle Anstellen, VerordnaniTOB, stetist. Notise». 185

Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, statistische Notizen, Anzeigen von Programmen.

Bericht Ober die Lyceen and Gymnasien des Groszhersogthams Baden

nebst Anzeige nnd Inhaltsangabe der am Schlüsse des Schuljahres 1856

57 (Sept. 1857) erschienenen Programme (vgl. Bd LXXVl S. 620).

1. Bischofsheim a. T ] Ueber den Bestand des Lehrerpersonals des Gymnasiums ist folgendes sn berichten: Der Lehramtspraktikant Dr Braan trat als Volontär in das Lehrercollegiam ein, verliesz aber schon nach einigen Monaten die Anstalt wieder, um eine Hauslehrer- stelle in Paris zu übernehmen. Ebenso schied von der Anstalt der äe- ligionslehrer Kaplan Benz, nachdem demselben die Verwaltung einer Pfarrei übertragen war. Da zu derselben Zeit der geistliche Lehrer Ehrat von einer scliweren Krankheit befallen wurde, so musten die übrigen Mitglieder des Lehrercollegiums die freistehenden Lehrstnnden besorgen, bis um die Mitto Juli der seitherige Stadtkaplan Stetter mit der einstweiligen Besorgung des gesamten Religionsunterrichts beauf- tragt wurde. Zu gleicher Zeit übernahm der Hauptlehrer der hiesigen Gewerbschule, Schwab, die Besorgung einiger RealfAcher. Der gegen- wärtige Bestand des Personals des G^^mnasinms ist folgender: Professor Reinhard, Director; Klassenvorstände : in V (höchste Klasse): Prof. Reinhard, in IV*: Gymnasiumslehrer Bauer, in IV ^: Lehramts- praktikant Kuhn, in III: Lehramtspraktikant Büchler, in II: geist- licher Lehrer Ehrat, in I: Lehrer Gnirs; Fachlehrer: Reallehrer Schüszler, Kaplan Benz. 18 Schüler der Oberquinta wurden in die TJntersexta eines Lyceums befördert. Eine Abhandlung ist dem Pro- gramm nicht beigegeben.

2. Bbuchsal.] In dem Lehrercollegium traten keine weiteren Ver- änderungen ein, als dasz der geistliche Lehrer Linder yom Gymna- sium in Donaueschingen an die hiesige Anstalt yersetzt wurde und dasz mit dessen Eintritt zwei bisherige Lehrer der Anstalt, HofpfaiTer Küst- ner, welcher während 5 Jahren den katholischen Religionsunterricht besorgt hatte, und Lehramtspraktikant Schindler ihrer Dienste ent- hoben wurden. Letzterer wurde dem Gymnasium in OfFenburg zugewie- sen. Gegenwärtiger Bestand des Lehrerpersonals: Professor Scherm, Director, die Gymnasinmslehrer Riyola, Herrmänn, Wolf, geist- licher Lehrer Linder, Reallehrer Dr Schlechter, Lehrer Schleyer, Lehramtspraktikant Dr Seidenadel, Hofdiaconus W öl fei, Bezirks- rabbiner Fricdb^erg, Israel. Religionslehrer. Am Schlüsse des Schul- jahres wurden 6 Schüler nach Untersexta eines Lyceums promoviert. Die Beilage zum Programm enthält eine Abhandlung des Gymnasiums- lehrers Herrmann: Senaius Romani sub primis quinqite Caesaribus quae fuerii fortuna ac dignitas ex ipsuf veierum scriptorum historiis coliigere ae probare instituit Franciitc, Xnv. Herrmänn, Der Verfasser sagt in der Einleitung, dasz der Zustand des römischen Senats unter den ersten fünf Kaisern bei weitem nicht so kläglich und yerzweifelt gewesen sei, als in der Zeit der durch Militärgewalt erhobenen Herscher. Es sei unrichtig anzunehmen, dasz der Senat yon den Cäsaren eines Rechtes nach dem andern beraubt, nach und nach so herabgedrückt worden sei, dasz ihm yon seiner früheren auctoritas nichts mehr übrig geblieben- sei; im Gegentheil hätten einzelne Kaiser entweder aus Laune oder ans Rücksicht auf Vortheil das Ansehen des Senats rcspectiert, bisweilen sogar erhöht , so dasz man denselben in den ersten Zeiten der Allein- herschaft nicht unpassend mit einer Meereswoge vergleichen könne , die

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186 Berichte Qber gelehrte Anstalten, Verordnongen, etatitt. NölilM«

sich bald erhebe, bald senke. Mit Galba freilich, der die Beihe der durch Militärgewalt erhobenen Herscher eröffnete , wo der Senat geneh- migen muste, was von den Pratorianem ausgeführt worden war, sei seine Lage eine ganz andere geworden. Bevor nun der Verf. den Zu- stand und die Lage des römischen Senats unter den fünf Kaisem des Augusteischen Hauses schildert, stellt er den Satz voraus, dass auch unter diesen der Senat nicht immer die ihm gesetzmäszig zugestandenen Hechte und Geschäfte hahe ausüben und besorgen dürfen , da er auch hierin von dem Willen und der Person des Alleinherschers abfaieng. Diese rechtmäszige Gewalt des Senats sei zwar schon von den ersten Kaisern vielfach verletzt worden, aber vom Senat immer wieder bean- sprucht und auch ausgeübt worden. So habe der Senat in dieser Zeit mehr und gröszere Rechte gehabt, als zu der Zeit des römischen Frei- staats. 'Nam non solum et domesticarum et extemamm rerum admi- nistratio, maxime extraneorum populorum cum legatis agendi ins, sena- toriarum provinciarum , rerum sacrarum, aerariique cura, sed etiam summa universi populi iura magistratus creandi, leges constituendi, reos aut condemnandi aut absolvendi iam ad senatum translata sunt.* Der Verf. weist nun im folgenden nach, in wie weit der Senat unter den einzelnen Cäsaren des Augusteischen Hauses jene Rechte habe ansüben dürfen, oder in wie weit die Gewalt und Schlauheit der Imperatoren oder des Senates eigene Schwachheit und Feigheit diesen an der Ana- übung seiner Rechte gehindert habe.

3. Carlsbuue.] Das Lehrerpersonal des Lyceums hat während des Schuljahres 1856 57 nur wenig Veränderungen erlitten. Professor £i- senlohr wurde nach vierjähriger Wirksamkeit an der hiesigen Anstalt mit Gehaltserhöhung an das Gymnasium in Lahr* versetzt, und nachdem derselbe einen zeitwevsen Urlaub erhalten, zur Ausfüllung der dadnreh in Lahr entstandenen Lücke Dr Deimling berufen, welcher seit Juli 1856 am hiesigen Lyceum gelehrt hatte. Der Lehramtspraktikant Roth, bitiher als Klassen vor st and der Tertia an dem Pädagogium zu Lörrach verwendet, trat provisorisch in die Hauptlehrerstelle der hiesigen Unter- quarta ein. Der Ordinarius der Secunda und Prima, Eisen, wnrde zum Lehrer mit Staatsdienereigenschaft ernannt; der Lehramtspraktikant Traub trat als Volontär ein. Das Lehrerpersonal des Lyceums besteht aus folgenden Mitgliedern: a) des Lyceums: Dr Vierordt, geheimer Hofrath, Director, Gockel, Hofrath, Platz, Hofrath, den Professoren Gerstner, Böckh, Zandt, Bissinger, Kirn, den Lyceumslehrem Hauser, Eisen, den Lehramtspraktikanten Roth, Durban, Tranb, Böhringer, den Lyceumslehrem Foszler, Zeuner, Hofmann, Beck; b) der Lycealvorschnle : Zeuner, Hofmann, Beck; c) iür den Religionsunterricht der drei untersten Lycealklassen : Diaoonus F r o m m e 1. Zur Universität wurden 22 Seh. entlassen. Mit dem Programm ist eine vom Hofrath Platz verfaszte Abhandlung als Beilage ausge- geben: die Götterverwandlungen, Eine Frage der homerischen Theolagie, 'Dasz die homerischen Götter, sagt der Verf., vielfach in menschliooer Gestalt erscheinen, wenn sie mit den Sterblichen in persönlichen Ver- kehr treten, ist bekannt und unbestritten , da die hier einschlagenden Stellen keine doppelte Deutung zulassen'. Anders aber verhalte es sieh mit einer Anzahl solcher Stellen, wo auch von Verwandlung in Thier- gestalt, ja sogar in leblose Dinge die Rede sein soll. Nach der An- sicht anderer jedoch sei hier nicht von Vei'wandlung der Götter in Thier- gestalt, sondern nur von Vergleichung derselben mit Thieren in einzel- nen Eigenschaften die Rede. Diese Tradition doppelter Auslegung g^he bis ins Alterthum zurück; bei den neueren Commentatoren Homers werde die Frage gleichfalls in verschiedener Weise entschieden. Der Verf. stellte sich daher die Aufgabe , die Ilias nnd Odyssee snm Zweek

Btrtdite Ober gelehrte Anstalten, Verordnungen, Statist. Notiiea. 187

einer eigenen Untersnchang dieser Streitfrage einer genauen Dorchfor- «chnng EU unterwerfen nnd Eugleich die beiden bedeutendsten späteren £piker, die sich am nächsten an den Sprachgebrauch Homers halten, den ApoUonins Bhodius nnd Quintus Smjrnäus, mit beiznziehen. Das Ergebnis dieser Untersuchung stellte bei dem Verf. die Ueberzengung fest, dasz auch nicht an ^iner der so gedeuteten Stellen von einer An- nahme thierischer Gestalt durch die Götter die Rede sei, dasz es überall sich nur um Vergleichungen handle der Götter mit Thieren in Bezug auf einzelne Aeuszerungen ihrer Thätlgkeit. Nachdem der Verf. zu- nächst Nägelsbach, der sich in seiner homerischen Theologie (S. 139 ff.) für die Göttorverwandlnngen ausgesprochen und dieselbe auch prin- cipiell zu erklären gesucht hat, widerlegt und dessen Darstellung über dieJdodalitäten der Götterverwandlungen die wichtigsten Bedenken ent- gegengestellt hat, wendet sich derselbe zur Betrachtung der einzelnen Stellen des homerischen Epos, wo von einer Verwandlung die Rede sein soll. Er beginnt mit Od. I 320. Gegen die Verwandlung sprechen die gewichtigsten sprachlichen und sachlichen Gründe. Der erste sei, däsz die Partikel (ög im Homer sonst nie in der Bedeutung vorkomme, die hier angenommen werde; stets diene sie nur der Vergleichung , nie- mals bedeute sie als, so auch hier nicht, sondern: wie ein Vogel, d. h. so schnell wie ein Vogel. Nirgends komme eine Stelle vor, wo es die Identität einer Person mit etwas anderem ausdrücke. Wie Men- schen mit Thieren oder Sachen in Betreff einzelner Eigenschaften ver- glichen werden, so auch die Götter. Hiermit hänge auch das Wort dpoTtaia zusammen» Die aristarchische Erklärung, dasz es* eine Ergän- zung des Begriffs ogvig sei und eine Adlerart bedeute, sei die einzig richtige. Das ogvig avonaia entspreche dem an andern Stellen ge- brauchten aUzog OQVig. Döderleins Erklärung von avonaia (Glossar. II S. 261) wird in einem Nachtrag verworfen und die Art des Fluges als tertium comparationis vertheidigt. Die Beifügung der Art des Vo- ^Is sei hier durchaus nothwendig, wo der Dichter die Schnelligkeit versinnlichen wolle, da nicht alle Vögel gleich schnell fliegen. Eury- machos, der die Entfernung des Fremden eben so sah wie sein kom- men, hätte sicher die wunderbare Erscheinung seiner Verwandlung be- rührt und nicht länger sich nach ihm , als einem Fremden , iind seiner Abkunft und dem Anlasz seiner Herkunft erkundigt. Das Wort Siinzato aber sei zu einer stehenden Formel geworden, um schnelles enteilen Überhaupt auszudrücken. Die Worte OQVig d* mg dvonceia diintato seien also nur als eine ins kurze gezogene Vergleichung zu fassen, (og gehöre zu disjeraTO. Die zweite Stelle der Odyssee, die als eine Ver- wandlung der Athene in Vogelgestalt gedeutet wird (so von Fäsi, Nä- gelsbach, auch Ameis u. a.) , findet sich III 371. Das nachfolgende staunen, welches für Ameis den Grund der Verwandlung abgibt, beziehe sich, wie anderwärts so auch hier, auf das übermenschlich schnelle ver- schwinden der Göttin. Gegen die Berufung auf sldofiivrj wird bemerkt, dasz die Worte iomiDg und slSofisvog überall vorkommen, wo die Göt- ter menschliche Gestalt annehmen, dasz sie aber niemals eine Verwandlung in Thiergestalt oder einen leblosen Gegenstand bedeuten. Dasz abör in den andern Fällen die Götter, wenn es von ihnen heisze: qnjpjj sldofiivrj, alyvnioiaiv iomotsg und ähnliches eben auch nur mit diesen Thieren verglichen werden , wie die Menschen im gleichen Fall, gehe aus allen Stellen hervor. Es stehe daher fest, dasz kein sprach^ liches Hindernis vorliege, auch bei den Worten q>ijvjj Bldofiivrj nur an die adlerschnelle Entfernung der Athena zu denken (celeriter ut evolasse putares). 3). Od. V 1^9 sollen sich die Worte XccQtp ogvid'i iomtog und Ttp t%eXog wieder nur auf die Eigenschaft, nicht auf die Gestalt beziehen. < 4) Od. V 852: 'wie ein Taucher.' Ebenso eine Vergleichung

188 Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, Statist. NotiiM.

Apoll. Rhod. IV 90C. 5) Od. XXII 239 finde eine Verwandlung statt, aber nach Ablegung von Mentes Gestalt nur die in der Göttin eigene Gestalt, was auch daraus hervorgehe, dasz sie mit der Aegis yersehen sei. Sie werde die Acgis doch nicht als Schwalbe etwa im Schnabel oder in der Klaue tragen. Sie werde mit einer Schwalbe verglichen, weil dieser Vogel gern auf Dächer sich setze. In avtr^v abei: liege keine zwingend^ Nothwendigkeit für die Annahme einer Verwandlung, es hciszo ^gegenüber ' und stehe darum ganz angemessen bei einer Ver^ gleichung, da diese eine Gegenüberstellung voraussetze (ebenso awttt 11. XXIV 630). Ferner in Ilias IV 7.5, wo nach Nägelsbach Athene als ein fallender Stern kommen soll, deute tg» Bl%via aosdrücl^ich auf ein tertlum comparationis, nicht auf eine Verwandlung hin. Nehme man aber die Verwandlung in einen fallenden Stern an, so sei eine neue Ver- wandlung aus diesem in die Gestalt des Laodokos nothwendig. Wosu aber solle beim kommen eine Verwandlung stattfinden? Die Absicht, dasz die Gottheit sich zu erkennen geben wolle (wie man beim gehen die Verwandlung erkläre), könne beim kommen nicht angenommen werden, da die Göttin, um sich zu verhüllen, ja Menschengestalt an* nehme. Um aber schnell zu kommen bedürfe sie der Verwandlung nicht, da die Schnelligkeit der ^Götter jede andere übertreffe. Das na- türliche sei daher anzunehmen, dasz die Göttin rasch wie ein Meteor vom Himmel herabsteige und sofort menschliche Gestalt annehme. Gans falsch sei auch die Vorstellung FUsi^s zu dieser Stelle, sie sei plötzlich zwischen den Heeren erschienen, aber unsichtbar. Dem widerspreche geradezu der Znsatz d'ccfißog d' i%iv slgoQomvrag. Aehnlich sei IL 17, 547 ff., wo das herabsteigen der Athene mit einem Regenbogen, und II. 5 , 864 ff. , wo Ares , der aufsteigende , mit einer anfschwebenden Wolke verglichen werde. Auch II. 7, 50 beziehe sich ioixoxsg nicht auf die Gestalt, sondern die Eigenschaft. Verglichen wird Paus. IV 16, 2, wo die Dioskuren in der Schlacht bei Stenykleros anf einem Baume zusehen. Noch an anderen Stellen wie II. 13, 65 ff. 15, 237. 19, 350 sei nicht eine Verwandlung, sondern eine Vergleichnng ansn- nehmen; ebenso II. 14, 280 werde das sitzen verglichen, nicht die Gestalt. Als Ergebnis der Untersuchung stellt sich heraus, dass die Partikel dag nirgends in dem Sinn der Identität der Gestalt mit etwas anderem vorkomme, sondern immer nur, nm Eigenschaften zu bezeichnen, die ein Gott oder ein Mensch mit einem Thier oder einer Sache gemein habe; ferner dasz die Worte iomsvai, itSea^eu, tnelogy ivaXCy%iogy oLxdlavzog, laog ebensowol von Annahme einer Gestalt als von bloszer Vergleichnng mit dem Wesen und Eigenschaften von lebendigem und leblosem gebraucht werden, und dasz die Worte iomoig, Mbü^m usw. in dem Sinne der Annahme einer Gestalt bei Göttern nur dann vorkommen, wenn sie menschliche Gestalt annehmen; femer dass da, wo bei Homer die Worte ioi%<6g, stSousvog, t%eXog usw. Ton Göt- tern in Bezug auf Thiere und leblose Dinge gebraucht werden, sie nur der Vergleichnng dienen. Anhang I enthält die Göttererscheinun- gen bei Quintus Smymäus, bei welchem nirgends die Spur einer Götter- Verwandlung im Sinne der bei Homer angenommenen zu finden seL Anhang II: Die Göttcrcrscheinungen bei ApoUonius Rhodius, bei wel- chem eine einzige Göttcrverwandlung in Sachen vorkomme, nemlieh 4, 1427 die der Hesperiden in Bäume. Da sei aber von keinem loi* xcoff, BidofiBvog die Rede, sondern von einem yiyvia^ai, wie i&hnlieh in der Odyssee von Proteus Verwandlungen ylvsad'ai gebraucht sei. Da der Verf. in seinen KrJh'teruugen , denen wir mit groszem Interesse gefolgt sind , über Homer hinausgegangen ist, so hätten wir gewünsobt, dasz auch ^iQ sogenannten homerischen Hymnen in die Untersuchung mit hineingezogen wären, namentlich die eine Stelle des Hjmiins

Bdriehte Aber gelehrte Anstalten, Verordnitagen, etatist. Notisen. 189

auf Apollo 221 223, welche wegen des bei SaXiptvi iomcig stehenden Ssfiag nicht leicht anders als Yon einer wirklichen Verwandlung yerstan» den werden kann.

4. CoNSTAKz.] Der Lehramtspraktikant Lehmann, der seit 1850 den mathematischen und naturhistorischen Unterricht an dem Ljceum ertheilte, istznmLeHrer mit Staatsdiener eigenschaft ernannt worden ; der Lehramtspraktikant Löhle wurde bei dem Beginne des Sommerseme- sters an das Gymnasium zu Donaueschingen berufen. Weitere Verän- derungen haben in dem Lehrerpersonale nicht stattgefunden, und es be- steht also noch aus folgenden Mitgliedern: a) ordentliche Lehrer: Pro- fessor Ho ff mann, Director, den Professoren Kreuz, Wörl, den Ljceumslehreru Ueinemaun, Kern, Frühe, Lehmann, geistl. Leh- rer Uummelsheim, den Lehramtspraktikanten Stephan, Maier; b) auszei'ordentliche Lehrer : Prof. S e i z , Lehrer der Physik , Pfarrer Partenheime r, evang. Religionslehrer. Dem Programm ist beigefügt : Beridit über eine Anzahl im Jahr 1849 aufgefundener römischer Münzen in Grosz-, Mitlei- und Kleinerz von Prof. Dr Wörl.

5. DoNAüEscHiNGEN.] Der geistliche Lehrer Linder wurde von dem hiesigen Gymnasium an das zu Bruchsal versetzt; an seine Stelle trat Vicar Birkenmeier. Der älteste Lehrer der Anstalt, Professor Schuch, starb den 25. März. Die durch dessen Tod erledigten Lehr- stunden wurden dem Lehramtspraktikanten Löhle, bisher am Lyceum in Constanz thätig , übertragen. Personal. des Gymnasiums: Professor Duffner, Vorstand, Prof. Hagg, Gyranasiumslehrer Schaber, geist- licher Lehrer Birkenmeier, Lehramtspraktikanten Dr Winnefeld, Baer, Löhle, Hofprediger Dr Becker, evang. Religionslehrer. Dem Programm ist beigefügt: über Sitten ^ Ausdrücke und Symbole des Gruszes dvilisierter Völker alter und neuer Zeit. Ein Beitrag zur Vergleichung der Sitten und der Denkungsart civilisierter Völker. Von M. S chaber. I. Abteilung. Orientalische Völker: Ebräer, Muslimen, Chinesen.

6. Freiburg.] In dem Schuljahre 1856^7 haben im 'Lehrerper- sonale des Lyceums einige Veränderungen stattgefunden. Geheimer Bath und Domdecan Dr v. Hirscher wurde seinem Wunsche gemäsz von der Stelle einesEphorus an dem Lyceum enthoben und diese Stelle dem Stadtdirector Faller übertragen. Professor Intlekofer wurde als erster Lehrer an das Gymnasium in Offenburg versetzt; an dessen Stelle trat der Lehramtspraktikant Mayer, bisher an dem Gymnasium in Offenburg. Prof. Weiszgerber erhielt den Charakter als Hofrath. Der Lehramtspraktikant Am mann wurde zum Lehrer mit Staatsdiener- eigenschaft ernannt. Personal des Lyceums: Hofrath Dr Nokk, Direc- tor, Hofrath Weiszgerber, Prof. Furtwängler, die Lyceumslehrer £ble, Kappes, Zipp, Ammann, LehramtspraSlikant Rheinaucr,

^geistliche Lehrer Bi schoff, Haus er, Lehraro tspraktikant Mayer, Reallehrer Koller. Anszorordentliche Lehrer: Director und Prof. Dr Frick, evang. Stadtpfarrer Helbing, evang. Vicar Bahr. Dem Pro- gramm ist beigefügt eine Abhandlung vom Lyceallehrer Zipp: Ansich- ten über den Unterricht in der französischen Sprache.

7. Heidelbero.] Während in den vorhergehenden zwei Jahren in dem Lehrerpersonale des hiesigen Lyceums kein Wechsel stattgefunden, hat das Schuljahr 1856 57 in dieser 'Beziehung mehrere wesentliche Veränderungen herbeigeführt. Dr Habermehl wurde an dal^ Lyceum in Wertheim und der Lyceumslehrer v, Langsdorff yon Wertheim an das hiesige Lyceum versetzt. Der Lehramtspraktikant Pf äff von der höheren Bürgerschule in Baden trat an dem hiesigen Lyceum ein, wäh- rend der Lehramtspraktikant Dietz von hier an das Pädagogium in Durlach abgieng. Der Reallehrer Riegel erhielt die zweite Hauptleh- jrecstelle an der hiesigen katholischen Volksschule; die Unterrichtsstan-

190 Berichte aber gelehrte AnstalteD, Verordnaogeii, ftalifi. Noii

den desselben wurden zum grösten Theile dem Lebramtspraktikanten 8tizenberger übergeben. Bestand des Personals des LjceumB: ge- heimer Hofrath Dr Bahr, Ephorus, Prof. Cadenbach, d. Z. Direcior des Lyceums, Hofrath Prof. Haatz, alternierender Director, die Pro- fessoren Behaghel, Helferich, Dr Arneth, die Ljceamslebrer Dr Schmitt, Y. Langsdorff, geistlicher Lehrer DrKössing, Ljceams- lebrer Dr Süpfle, die Lehramtspraktikanten Stizenberger , Pfaffi 8tadtpfarrer Dr Holtzmann, evang. Religionslebrer Fürst und Bei- sels, israel. Keligionslehrer. Dem Jahresbericht ist beigelegt eine histo- rische Abhandlung von Hofrath Hautz: urkundliche Geschichte der Stir pendien und Stiftungen an dem groszher zog liehen Lyceum und der l/mvern- tdt zu Heidelberg mit den Lebensbeschreibungen der Stifter, Nebst den Ehm' sehen und den Bernhard* sehen ^ Pfälzer -Stipendien an der Universität Basel und Utrecht, dem Neuspitzer'' sehen Familien-Stipendium und einem An- hange über den Geldwerth in früherer und jetziger Zeit, Zweites Heft,

8. Lahb.] Der Gymnasiumslehrer Müller wurde an das Päda- gogium und die höhere Bürgerschule zu Lörrach versetzt« Der Lebr- amtspraktikant Dr Deimling vom Lyceum zu Karlsruhe wurde mit Yersehung von Lehrstuuden beauftragt, da der von dem Ljceum sa Carlsruhe hierher versetzte Prof. Efsenlohr einen Urlaub auf Jahres- frist erhielt. Lehrerpersonal des Gymnasiums: Hofrath Gebhar-d, Di- rector, die Professoren Fesenbeckh, Joachim, Wagner, Eisen- lohr, Lehramtspraktikaut Dr Deimling, Steinmann, Hiiiert, Förderer, kath. Religionslehrer. Die Beigabe des Programms enthält: Uebertragungen einiger deutscher Gedichte ins Lateinische von Hofrath Geb- hard. Die übersetzten Gedichte sind A) von Göthe: Mignons Sehn- sucht, Gefunden, Heidenröslein , der Erlkönig, der Zauberlehrling. B) von Schiller: der Antritt des neuen Jahrhunderts, Thekla, das Mäd- chen aus der Fremde, Hektors Abschied. C) von Rückert: ein Gha- sel. D) von Max v. Schenken dorf: das Bergschlosz in Baden. E) von Just in US Kerner: der reichste Fürst, Preis der Tanne. F) von Bürgerf' das Dörfchen (ein Auszug). Der Uebersetzer hat sieh bei diesen Uebertragungen nicht mit dem Wortaccente begnügt, wie dies in so vielen geistlichen Liedern, namentlich in dem schönen *8ta- bat mater dolorosa luxta crucem lacrymosa' usw. und in dem 'Dies irae, dies illa' usw. und in der berühmten Uebersetzung von Schillere Lied an. die Freude: 'Gaudium divinum claris Genitum coelitibos' usw. . geschehen ist, sondern sich an die klassische Strenge des Metrums ge- bunden. Auch hat derselbe auf die erlaubte Freiheit der alten klassi- schen Dichter verzichtet, den lambus mit Tribrachys, den Spoodeos «nit dem Anapäst oder Dactylus zu vertauschen, weil diese Vertauschong den modernen Anstrich der deutschen Verse theilweise verwischt haben würde. Das Versmasz des deutschen Originals ist nur in zwei Gedich- ten, und zwar absichtlich, ein wenig verlassen worden. In ^Hektors Abschied' ist der dritte und sechste Vers einer jeden Strophe um ^inen Fusz kürzer als im Deutschen. Die zweite Abweichung besteht darin, dasz im 'Dörfchen ' nur männliche Reime vorkommen. Im 'Heidenrös- lein' ist der jedesmalige deutsche Refrain im Lateinischen nicht bei- behalten, sondern in jeder Strophe der 'jedesmaligen Empfindung gemäss abgeändert. »

9. Mannueim.] In dem verflossenen Schuljahre 18d6/57 sind keine wesentlichen Aenderungen am Lyceum eingetreten. Lehramtspraktikant Heingärtner erhielt zur Uebernahme einer Lehrerstelle in England einen anderthalbjährigen Urlaub. Das Personal des Lyceums ist gegen- wärtig folgendes: Prof. Behaghel, Director, Hofrath Scharpf, Hof- rath Kilian. die Professoren Dr Fickler, Baumann, Waag, Ebner, Schmidt, Deimling, Lyceumslehrer Rapp, Spitalpfarrer Sohmiit,

Beridile Aber ^lehrte ÄBStiltoii, Verordnoiigeii, ftatift. Notiiat. 191

kath. Religionslehrer, Gamisonsprediger Riehm, evang. Religionsleh- rer, Lehramtspraktikant Kremp, Lehrer Selz. Dem Programme ist beigefügt: Geschulte und Statifiik des LyceioM zu Mannheim von der Gründung desselben im Jahr 1807 bis Herbst 1857 von dem Director Behaghel.

10. Offekbübo.] Der bisherige Vorstand des hiesigen Gymnasiums, Professor .Trotter, erhielt eine Lehrstelle am Lyceum in Rastatt. An seine Stelle trat Professor Intlekofer vom Lyceam in Freiburg. Der Lehramtspraktikant L Ö h 1 e wurde vom Pädagogium in Durlach' an das hiesige Gymnasium, bald darauf nach Donaueschingen, und der Lehramts- praktikant Mayer von dieseAi an das Lyceum nach Freiburg berufen. Der Lehramtspr. Schindler vom Gymnasium in Bruchsal trat an die Stelle des versetzten Löhle. Der Praktikant Eytenbenz trat als Volontär ein. Personal d^s Gymnasiums: Prof. Intlekofer, Director, die Professoren Stumpf, Schwab, geistl. Lehrer Eckert, die Gym- nasiuraslehrer Blatz, Schlegel, die Lehramtspraktikanten Schind- ler, Eytenbenz, Pfarrer Müller, evang. Religionslehrer. Dem Pro- gramm ist beigegeben eine Abhandlung des Prof. S^chwab: die latei- nisehe Wortfolge, Bevor der Verf. an die Aufstellung der Regeln über die Wortfolge der latein. Sprache selbst geht, gibt er in der Einleitung eine gedrängte Geschichte der Lehre über die Stellung der Worter, je- doch so, dasz er nur bis auf Sc hell er zurückgreift. Die von Schee- ler, Bauer, Grotefend, Wenk, Bröder, Ramshorn, Zumpt, Feldbausch, Raspe aufgestellten Theorien werden als ungenügend oder willkürlich oder unrichtig verworfen. Wochers Theorie in seiner Schrift: die lateinische Wortfolge nach logischen und phonetischen Grund- sätzen 1849 y gerichtet gegen Jahns Ansichten und Grundsätze (in der Recension von Raspes Schrift in den N. Jahrb. Bd XXXXV S. 55 59)» welcher dreierlei Wortstellnngsarten unterscheidet: die grammatische, die rhetorische und die euphonistische (nicht viel verschieden davon sind die Ansichten von Hand und Heinichen) wird in ihrer Gmndansicht dargestellt und seine Behauptungen einer Prüfung unter- zogen. Der Verf. stimmt mit Wocher darin überein , dasz es keine Trennung geben könne zwischen einer grammatischen und logischen Wortstellung, weil das, was logisch richtig ist, es auch grammatisch sein müsse. Wenn aber Wocher meine, es lasse sich nicht angeben, wie der Römer im ruhigen, afifcctlosen Gedankengang die Reihenfolge der Wörter geordnet, so habe er sehr unrecht. Dasz ferner das Masz von Freiheit oder Ungebtmdenheit der möglichen Wortfolge bei verschiedenen Sprachen ein verschiedenes sein müsse und von der Natur des eigen- thümlichen Sprachbaues abhänge, dies sei natürlich. Die möglichst vollkommene Ausprägung der Nominal- und Verbalflexion , in Genus, Knmerus, Casus und Personenverhältnissen, welche man in den klassi- schen Sprachen finde, gewähre eine gröszere Freiheit, Beweglichkeit und manigfaltige Gliederungsfähigkeit der Wortfolge , als die Flexionslosig- keit oder doch grosze Ünvollkommenheit der Flexion in den romanischen, vorzüglich der französischen Sprache. Der Verf. macht ferner auch Wochers Ansicht zu der seinigen,, dasz es zunächst und zumeist von der verschiedenen logischen Ordnung des Gedankenablaufes abhänge, -^ natürlich bei gehöriger Berücksichtigung der euphonischen und sonstigen ästhetischen Einflüsse ob man sage: vana est omnis gloria, oder omnis gloria vana est, oder omnis vana gloria est, oder omnis gloria est vana usw. aber er gibt nicht zu , dasz man eine besondere Rangordnung für den Philosophen, für den Redner, Geschichtschreiber und Dichter habe. Wenn nun Wocher eine für alle Fälle giltige , starre grammatisch lo- gische Wortfolge nicht ertragen könne, so könne auch der Verf. seine leitenden Grundsätze, in vier Ordnungen aufgestellt, ebenfalls nicht, am

192 Berichte Aber gelehrte Anstalten, Verordnungen , etatuL Notiien.

allerwenigsten aber als grammatische Kegpeln {gelten lassen. Seine erste OrdnuDg leide an Einseitigkeit. Wenn das wichtigste Wort aus irgend einem Grnnde an den Anfang des Satzes treten müsse, so sei im La- teinischen nur dann die absteigende Ordnung der Art , dasz die übrigen Wörter nach ihrer Wichtigkeit sich anreihen, so dasz das minder be- deutsame am Ende erscheine, wenn man die rhetorische Figur anwen- den wolle, die man dvvi'nkifia^ nennt, und seine zweite Ordnung sei eine %Xi}ict^. Der Verf. erklärt aus Wochers Schrift den Grund kennen g»> lernt zu haben, warum im Lateinischen die Wortfolge sich leicht an die Gedankenabfolgc anschlieszon könne; aber Regeln, wie man nun die Wörter aufeinander folgen lassen solle , * vermöge er bei ihm nicht la finden. In der Abhandlung unterscheidet der Verf. zunächst eine ge> wohnliche und eine invertierte Stellung. A. Einfacher Sats. I) Gewöhnliche Stellung. 11) Invertierte Stellung. III) Stellang der Präpositionen. IV) ^Stellung der Conjunctioncn. V) Stellung der Ne* gation. VI) Stellung der Pronomina. B. Der zusammengesetate Sats. I) Die Satzverbindung. II) Das Satzgefüge. Von der Stellang bei Perioden. Der Verf. hat die aufgestellten Sätze an einer Reihe von Beispielen, welche meist Ciceros Schriften entnommen sind, naohiu- weisen gesucht. Es genüge hier nur einzelnes anzuführen, worin dar Verf. von der Ansicht anderer abweicht. § 0: 'Das Substantiv wird der Beifügung vorangestellt, weil es das allgemeine ist und darch die Beifügung das besondere angegeben wird, das besondere zugleich auch das wichtigere ist, denn bei homo bonus ist es dem redenden um den Begriff bonus zu thnn. Homines ist das ganze, aber ein homo bonos ist etwas aus der groszen Masse, aus dem allgemeinen herausgenomme- nes, besonderes.' Besser Zumpt § 793. Krüger § Ö74 A. 3. § 23 wird die Kegel, wie sie Jahn und Nägelsbach aufstellen, wenn zum Prädicatsbegriff mehrere Ergänzungen gehören (das Subject begannt den Satz , der Verbalbegriff schlieszt ihn ; vor ^em Verbalbegriff erscheint das Object, vor diesem der Dativ oder überhaupt die Zweckcyns, vor diesen die Satztheile der Zeit, des Ortes, der Ursache, des Mittels) in dieser Allgemeinheit für unrichtig gehalten. Man müsse den Verbalbe- griff zum Anhaltspunkt machen und darauf sehen, ob ein Begriff sieh enger an diesen anschliesze, mit ihm sich zur gröszeren Einheit Ter- binde; sei dieses der Fall, so werde er näher zu demselben hiniatreten als ein anderer. Wenn dieses Gesetz befriedigt sei, gelte für die Rang- ordnung der übrigen 'Bestimmungen die Kegel, dasz das früher gedachte voranzugehen pflege, dasz die weitere Bestimmung vor der engeren, das persönliche Object vor dem sachlichen den Vortritt habe, dasa die Art und Weise dem Prädicate näher rücke als die übrigen Bestimmongen, ja oft näher als der Accusativ. Diese allgemeinen Regeln werden dann in ihren einzelnen Theilen dargestellt. Bei der invertierten Btellnng, welche ihren Grund habe in dem Gedankenablauf und Gefühlserregiings- gang oder in dem Gegensatz, oder auch hervorgerufen werde durch den Wohlklang und die Wohlbewegung, die Abrundung des ganzen, durch die Stimmung des schreibenden oder sprechenden , zeigt der Verf. dass Wörter, welche in näherer Beziehung zu einander stehen, wie Snbject und Prädicat, Object und Zeitwort usw. ihre gewöhnliche Stellang nnter sich vertauschen, weil das im Gegensatz stehende Wort vorantritt oder weil der Vorantritt eines Wortes gefordert wird, damit es nfther an das vorhergehende gerückt werde, wo es schon angeregt ist, oder weil es im Gedankenablauf oder Gefühl.sentwicklungsgang früher erscheint, oder weil eine Hervorhebung durch eine Umstellung bewirkt werden soll; es wird ferner nachgewiesen, dasz auch Object und Subject usw., überhaupt Wörter, die nicht in dieser engen Beaiehung la einimder Stehen, doch ihre Stelle nach den eben angedeuteten Gründen Terftwi-

Berichte Aber gelehrte AnstalteD, Verordiiangen, sUHisL Notizea. 198

sehen. Nicht nothwendig , sondern nur zufällig sei aber das Yorantre- tende Wort das bedeutsamste und wichtigste.

11 Rastatt.] An dem hiesigen Ljceum trat in dem Lehrerperso* nale keine weitere Aendernng ein, als dasz Professor »Schneyder in den Ruhestand versetzt wurde and Prof. Trotter, bisher Director des Gymnasiums in Ofifenbnrg, an seine Stelle trat. Ersterer starb bald nachher. Das Lehrercoliegium bestand aus dem Director Schraut, den Professoren geistl. Rath Gri es ha her, Trotter, Nicolai, Dons* bach, Eisinger, Dr Ranch und Dr Holzherr, dem geistl. Lehrer Merz, den Lehramtspraktikanten Forster und Seidner, dem Real- lehrer Santo. Dlc~ wissenschaftliche Beigabe zum Programm enthält eine Abhandlung vom Lyceumsdirector Schraut: über die Bedeutung der Partikel ydg in den scheinbar vorgeschobenen Sätzen. Unter dem Titel : *rfi> griechischen Partikeln im Zusammenhange nnt den ältesten Stämmen der Sprache* hat derselbe Verf. in den Jahren 1847, 1848 und 1849 als Bei- gaben zu den Programmen des Progymnasiums zu Neusz drei Abhandlun- gen veröffentlicht, die zum Zwecke hatten die Geltung und den Gebrauch einer Anzahl von griechischen Satzadverbien auf eine wissenschaftliche Grundlage zurückzuführen, da die Lehre von den griech. Partikeln nach Härtung wie vor ihm auf bloszer Empii-ie beruhe. Wartung schicke zwar der Zusammenstellung über den Gebrauch einer jeden Par- tikel eine Abhandlung über die Etymologie derselben voraus, aber er gehe erstens von der Voraussetzung über die Verkommenheit der äuszerell Form derselben aus und suche die verwandten Stämme in jeder andern Sprache eher als im Griechischen, und zweitens habe er schon eine Grundbedeutung aus der Leetüre sich abstrahiert, so dasz also die Etymologie ins Schlepptau genommen werde, anstatt ihren eigenen selbständigen Cours zu steuern; er grabe nicht nach Wurzeln, sondern schliesze auf dieselben , indem er seine vorgefaszte Meinung von der Grundbedeutung durch indo - germanische Anklänge und Analogien zu bekräftigen suche. So komme auch H. über eine Verknüpfung der ver- schiedenen Gebrauchsweisen auf dem Wege der logischen Abstraction nnd Sublimation nicht hinaus. Unbefriedigt gelassen durch dergleichen vage Abstractionen und abgestoszen durch die gedankenlose Empirie, will der Verf. für jede Partikel zu einer faszlichen, concreten, wo mög- lich aus sinnlicher Anschauung genommenen Grundbedeutung gelangen dadurch, dasz er auf der Spur der lautlichen Umbildung Schritt für Schritt nicht blos vorwärts die Entfaltung des Begriffs, den Uebergang ▼on der einfachsten Sinnesanschauung zum Bilde und zur logischen Abstraction zu verfolgen , sondern auch rückwärts den Weg von der abstracten Verstandesbenennung bis zur primitiven Gefühlsbezeichnung surückzulegen bemüht ist. Nach diesem Grundsatze hat er in der er- sten der erwähnten Abhandlungen fiiv und ^^, in der zweiten äv und %9v, in der dritten yi und äga behandelt, von denen allen er nachge- wiesen hat, dasz sie alte adverbialisch fiectierte und adverbialisch ge- brauchte Stammwörter seien, deren nähere und entferntere Nach- kommenschaft in zahlreichen Fortbildungen und Ableitungen einen an- sehnlichen Theil des griechischen Sprachschatzes bilde. Als praktischer Gewinn ergab sich auf diesem Wege für jede einzelne Partikel eine feszliche, der sinnlichen Anschauung entnommene Grundbedeutung, aus der die logischen und ethischen Anschauungsweisen sich nach klaren Gesetzen des denkcns und Sprechens gleichsam von selbst entwickeln. Ans dieser eben so reichen als interessanten Materie hat der Verf. seine Aufgabe gewählt, zu deren Bearbeitung und Veröffentlichung er sich um so lieber entschlossen hat. als er die Verwirklichung eines langgehegten Wunsches, die gesamte Lelire von den griechischen Partikeln im ZuSam* menhang zu bearbeiten, durch die Lasten eines mühseligen Amtes immer

194 Beriohte Ober gelehrte Anstalten, Verordnangen, staiitt Nolaseii

wieder von neuem in die Feme gerückt sieht. Wenn, wie es gew5hii- lich geschehe, yaq dorch ^denn' übersetzt werde, so sei dies bei einor grossen Anzahl von Stellen nur dadurch möglich und zulässig, dass eine Umstellunfl^ der Sätze statuiert werde, wie Herod. I 30 ^tivB *A9^- vaiSy nag' rjiiias yocQ xti. Anstatt nun den Grund dieser Verschie- denheit im Satzbau in der divergierenden Geltung von yceg and 'denn* zu suchen, bürde man dem Schriftsteller oder seinem Satze die Schuld davon auf, dasz ein Hellene seine Gedanken nicht ordne wie ein Deat- scher: 'der Satz hat sich vorgedrängt', 'es geschieht in Folge der Leb- haftigkeit der Bede% 'der Gedanke wird so emphatischer ausgedrückt.' Es springe in die Augen, dasz diese Erklärung, so anziehend and geist- reich sie auch neuerdings durch einen verdienten Gelehrten, den Direc- tor Dr Classen, im Programm des Gymnasiums zu Frankfurt a. M. 1854 aufgefrischt worden sei, niur für einen Nothbehelf gelten könne. Die Spracherscheinung sei so häufig, nicht blos bei Homer und Herodot, sondern durch alle Schriftsteller hindurch, dasz man die Griechen eines wahrhaften Misbrauchs der Lebendigkeit der Rede, der Emphase osw. beschuldigen müste, wenn dieser 'Unregelmäszigkeit' nichts anderes sa Grunde läge. Der Verf. geht nun zurück auf yi und agct als die Be- standtheile von ydff. Er weist nach, dasz die Grund bedentong von fi als Adverbinm die sei, dasz der redende besagt er halte an dem dorch yi markierten Begri£fe fest (der alte Verbalstamm ytv :=: er fasite). Entweder fühle er selbst, dasz er in einem Ausdrucke zu weit ge- gangen sei, und erkläre sich bereit einen Theil davon zurückzunehmen, während er am andern Theile festhalte, oder aber der sprechende vermute aus irgend einem Grunde, dasz der , zu dem er spricht , nicht geneigt sei das ausgesagte in seinem ganzen Umfange gelten za lassen, dann drücke er seine Geneigtheit etwas davon abzulassen indirect ans, indem er durch ys dasjenige bezeichne worauf er bestehe. Gans aas demselben Gedankenzusammenhange gehe unser 'wenigstens' hervor (das wenigste, woran man festhalten müsse), 'auf jeden Fall, unter allen Umständen' (ein bestehen auf etwas). So besitze unsere Mat- tersprache noch eine Menge von Wörtern und von Satzfügungen, durch die sie den Gedanken in der Weise näher bestimme, wie dies die grie- chische durch yi thuo. Hiernach seien die Definitionen der älteren Er- klärer, von denen einige die Bedeutung von yi im res tringieren, andere in der Hervorhebung sehen, nicht geradezu falsch, aber höchst einseitig, das Resultat bloszer Abstraction aus einzelnen Steilen. In yi liege die Beschränkung auf das, was unter allen Um- ständen festgehalten* werde; durch yi werde auch eine Hervor- hebung dessen, worauf der redende besteht, angedeutet. Die Voraussetzung, die der ganzen Doctrin Härtung^ über yi zu Grande liegt, dasz nemlich yi ein Synonymon von niq sei, wird als eine ety- mologisch unbegründete und thatsächlich irrige bezeichnet (ni^ gehöre zu «cVi ^^P^ bedeute 'Vorzug', durch nig drücke also der r^ende aus, seine Aussage beziehe sich vorzugsweise auf den durch «if markierten Begriff). Von einer Mehrheit der Bedeutungen könne, wie überhaupt bei einfachen Stammwörtern, so bei yi nicht die Rede sein, aber es finden Abstufungen statt, da der Gedanke, von dem der redende abzugehen sich bereit erkläre, bald mehr, bald weniger nahe liege, dem Schriftsteller an der einen Stelle mehr, an der andern weniger klar vor- geschwebt habe; einmal sei er genannt, andere male sei er ans dem allgemeinen Zusammenhange zu ergänzen. Und je bestimmter und hand- greiflicher dieser Gegensatz sich geltend mache, desto schärfer trete die ursprüngliche Geltung der Partikel hervor; je mehr er sich in das allge- meine verliere , desto mehr büsze das Beziehungswort an begrifflicher Klarheit ein. Bemerkt wird endlich noch (gegen Härtung) , dass yi

toriehfe Ober gelehrte ÄDstalten, VerordiinBgeB, slatist. Noiisei. 195

mit der Form des Satzes dnrchans nichts zu schaffen habe, sondern nur an einen bestimmten Begriff so wie äuszerlich durch die Stellang, so logisch sich anschliesze. ' Der Verf. geht sodann za dem zweiten Bestandtbeile von yag^ zn iffv, aber. Ziemlich allgemein werde aner- kannt, dasz dieses Wörtchen die durch a fortgebildete Wurzel AF {dQ€iQBiv) sei. aga heisze in erster Bedeutung 'sofort, alsbald' (der Stamm AP 'anfügen, sich anfügen' besage, dasz ein sinnlicher Ge- genstand sich an einen andern ohne Zwischenraum anlege, erst local, dann temporal). Diese erste Bedeutung von aga trete dann gegen die vielfachen abgeleiteten Anwendungsweisen yerhältnismäszig zurück, da die Sprache, nachdem aga vorzugsweise logische und ethische Beziehun- gen auszudrücken übernommen , neue prägnantere Formen für den Zeit- begriff geschaffen habe. Der Verf. setzt darauf auseinander, wie die Partikel äga aus einer zeitlichen eine sjllogistische ('folglich, dem- nach, also') geworden sei. Wie aus der temporalen Bedeutung von aga die logische, so gehe aus der logischen die ethische ganz natürlich hervor. Statt der Begründung selbst trete nur das Zeichen derselben in den Satz ; so drücke also aga im selbständigen Redegliede aus, dasz die Aussage einen natürlichen Zusammenhang habe, für den reden- den eine wolbegründetc, eine gesicherte, mit einem Worte ein feststehendes Factum sei. Dieses ethische aga werde im Deut- schen auf verschiedene Art wiedergegeben: 'ja, nun, also, natür- lich'). — Aus yi und äga sei nun ydg zusammengewachsen, und zwar sei der eine Begriff die nothwendige Ergänzung und Vervollständigung des andern. Erkläre nemlich der sprechende durch yi, dasz er an einer Aussage festhalte, so sei es natürlich, dasz der Zuhörer den Qrund davon zu wissen wünsche; unter Umständen nun werde jener sich herbeilassen die Aufklärung in extenso zu geben; meist aber be-

gnüge er sich anzudeuten, dasz das, woran er festhalte, für ihn ein gefolgertes, ein durch Erfahrung begründetes, mit einem Worte ein factisch feststehendes sei, und diese Andeutung eben enthalte aga. Und weil nun die eine Partikel die durch die andere ausgedrückte Beziehung vervollständige und bekräftige, so wachsen beide zusammen lu yäg. Der Verf. weist darauf an ^inem (aus hunderten) Beispiele nach, dasz diese Grundbedeutung auch in der concreten Sprache wirk- lich noch Geltung. habe und zur Anwendung komme. Von logischer Begründung also, wie unser 'denn' sie ausdrücke, liege zunächst und, anmittelbar in ydg nichts; diese Bedeutung erhalte das Glied mit yag erst dadurch, dasz stillschweigend vorausgesetzt werde, dasz die sub- jeetive Aussage inUebereinstimmung sei mit dem objectiven gegen Widerspruch gesicherten Erfahrungssatze. Als Ergebnis der bis- herigen Erörterung von ydg stehe fest, dasz diese Partikel ursprünglich nnd in ihrer vollen Kraft weit mehr andeute, als unser 'denn' auszu- drucken im Stande sei, und die Anwendung von letzterem, auch wo sie eich ungezwungen ergebe, nur ein Nothbehelf sei, bis sie dann später im Laufe der Zeit von ihrer feineren Bedeutung mehr und mehr ein- bfisze und zuletzt nur noch als abstraotes Formwort der logischen Be- gründung gelte, und der Grieche bei ydg dasselbe denke, wie wir jetzt bei 'denn'. Zu den mit der Abstumpfung von ydg auszer Gebrauch

, gekommenen Sprech weisen gehöre nun auch die Erscheinung, dasz der durch ydg 'begründete' Satz voranstehe, welche der Verf. als wolbereditigt und als Ausflusz lebendigen Sprachgefühls darlegt, wäh- rend die alexandrinischen Grammatiker darin nichts als einen Archais- mus oder eine dichterische Ldcenz gesehen. Zunächst werden derartige Stellen aus Homer erläutert und wird gezeigt , dasz von einer Umstel- lung der Sätze keine Rede sein könne, da im Gegentheil der logische

, Zosammenhang und die Gliedemng der Satztheile durch eine Umstellnng

196 Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, fltatisi. Notiiei.

nnr yerlieren, anch dnrch die Uebersotznng* mit 'denn' der denisehe Ansdmck nichts gewinnen würde. Die besprochenen iStellen sind: IL VII 328 noXXol yäq Tt&väai mX, 'In Mcng-e sind ja (yi) die haiipt- umlockten Achner gefallen; darum (äga) must dn dem Kriege Einhalt tbnn'; ebenso 11. XXIV 3M4 (In derartigen Sätzen wird auf swei Qe- setze aufmerksam gemacht: erstens sei das zweite Satzglied immer ein Befehlsatz [wenn auch nicht der Form, sondern nur dem Gedanken nach] , zweitens könne dieses selbe Glied zwar durch ein rückweiaendet Adverb angeknüpft werden, aber auch asyndetisch herantreten). II. I 123. X Gl. XV 201, wo yäg in einem Fragesatze steht. Wenn sich «mn bei Homer schon ergeben habe, dasz bei dem fraglichen Satzbaa von einer Besonderheit des Sprachgebrauchs, von Archaismus, von prolep- tischer Wendung usw. durchaus nicht die Rede sein könne, so werde diese Ueberzougung bei der Betrachtung solcher Stellen aus Horodot (im ersten Buch 10, im sechsten 12) zur vollen Gewisheit. Sieben Stellen aus Buch 1 entsprechen den homerischen insofern ganz genau, als sie nicht in der Darlegung des Geschichtschreibers vorkommen, sondern in directcn Reden, und zwar zumeist am Anfang. I 8: 'Gjges, ich bin nun einmal nicht der Ansicht, dasz du mir glaubst, wenn ich von der Schönheit meiner Frau spreche (wenigstens finden ja die Ohren bei den Menschen weniger Glauben als die Augen), so mache denn, dasz du sie nackt zu sehen bekömmst.' I 30: 'Gastfreund von Athen, zu uns ist ja vielfach Gerede gelangt von deiner Weisheit sowol alt deinen Reisen, wie du aus Weisheitsdrang ein g^t Stück Erde bereist hättest des schens wegen; da wandelt mich denn jetzt die Last an in fragen.' I 69. I 97. I 121. I 124. I 155. Auch bei Herodot finden sieh die beiden oben erwähnten Gesetze wieder. I 129; 'H. aber antwortete, er sei ja nun einmal def , welcher den Brief geschrieben habe ; die Thiit gehöre demnach ihm mit Fug und Recht an.' I 14. I 24. I 27. I 85. I 114. I 166. I 174. I 191 enthalten Worte des Schriftstelleri selbst, wenn auch zum Theil in der Form der or. obliqua. Diese Anwendung von ydcQ finde sich nun aber nicht blos bei einem oder zwei Autoren, sondern durch die ganze Zeit der lebendigen Sprache hindoreb. Sophocl. Philoct. 79 (ed. Wunder): 'Wol weisz ich, Sohn, dasi da von Haus aus nicht so geartet bist dergleichen zu sprechen, noch böses ins Werk zu setzen; aber es ist ja nun doch einmal etwas afisses nm Erreichung und Besitz des Sieges, so wag^ es denn.' Ebenso ' 144. 495. 856. ' 1003. Das Gesamtergebnis der geführten Untersachnng ist dahin zusammenzufassen: 1) Die Partikel ydo ist ursprünglich and ihrem Wesen nach nichts weniger als mit dem deutschen 'denn' gleich- bedeutend, drückt vielmehr ganz andere Beziehungen ethischer Art aus, wie sie in yi und aga gesondert enthalten sind, von denen die verstmn- desmäszige Begründung nur indircct die Folge ist. 2) Nur da kann yuQ durch Menn' wiedergegeben werden, wo erstens die ursprüngliche Geltung von yi und ccqcl sich abgeschliffen hat und blos der Verstandes^ mäszige Anschlusz übrig geblieben ist, und zweitens das Glied mit ydg nachsteht; dagegen musz überall, wo noch irgend die ethische Bedeutung gefühlt werden kann, eine andere Uebersetzung gewählt werden.

12. Wertheim.] In dem Personal des Lyceums hat' in dem Schal- jahre 1856 57 die Veränderung stattgefunden, dasz der Lehrer v. Längs - dorff an das Ljceum in Heidelberg und der Lehrer Dr Habermehl von dem Lyceum zu Heidelberg an das hiesige versetzt wurde. Perso- nal des Lyceums: Hofrath Hertlein, welchem die Direction übertm- gen ist, die Professoren Dr Neuber, Föhlisch, Caspari, die Ly- cenmslehrer Dr Habermehl, Müller, Reallehrer Ströbe, Pfarrer Maar er, evang. Religionslehrer, Pfarrverwalter Mayland, kath. Ba-

PersomlnoliMB. t07

li^onslehror. Eine wissenschaftliche Abhandlung ist dem rrogramm nicht beifi^c^ehen. Dagegen erschien bei der vierten Säcnlarfeier der Universität Freiburg von dem Director: specimen novae JuUani Caesarum edUionis (ed. Spanh. 8. 300—311). S. 3—10 Text mit Angabe der ver- schiedenen Lesarten, S. 12 20 enthält annotationes. In dieser Textes- recension sind anszer den bisherigen Aasgaben vier pariser Handschrif- ten benutzt, welche L. Häuszcr mit der Ausgabe von Harlesz ver- glichen hat.

Fulda. I^f Ostermann.

Personalnotizen.

Anstellnng^en, BefBrdcmng^en « Versetzang^en :

Baeck, Joh. , SchAC. , als ord. Lehrer am Gymnasium zu Beck- linghausen angestellt. Bredow , Dr Ferd. , als Oberlehrer an dem neu errichteten Gymnasium zu Treptow a. R. angestellt. Breiter, Dr, ord. Lehrer am Gymnasium zu Hamm, in gleicher Eigenschaft an das Gymnasium zu* Marienwerder berufen. Brühl, Dr med., zum ord. Professor der vergleichenden Anatomie an der Universität Krakau ernannt. Charg^, Geistlicher, als ord. Lehrer am katholischen Gym- nasium zu Köln angestellt. Den sc hie, Dr JuL, ordentl. Lehrer am Pädagogium zum Kloster U. -L. -Fr. in Magdeburg, zum Oberlehrer er- nannt. — Diestel, Lic. LudW., Privatdocent in Bonn, zum ao. Prof. in der evangelisch - theologischen Facultät der dasigen Universität befor- dert. — Dümmler, Dr C. L. , Privatdocent an der Universität zu Halle, zum ao. Professor in der philosophischen Facultät daselbst er- nannt. — Drygalski, J. L. H. von, SchAC, als ordentlicher Lehrer am Kneiphöfischen Gymnasium zu Königsberg in Preuszen angestellt. Friedemann, Dr Moritz, als Oberlehrer am Gymnasium zu Treptow a. R. angestellt. Geier, Dr Robert, Prorector, zum Director des Gymnasiums in Treptow a. B. ernannt. Karow, SchAC, als ordent- licher Lehrer am Gymnasium zu Potsdam angestellt. Krause, Dr Jul. , ordentlicher Lehrer am Pädagogium zum Kloster U.-L. -Fr. zu Magdeburg, zum Oberlehrer ernannt. Lehnerdt, Dr, Gonsistorial- rath und Prof. der Theol. an der Universität zu Berlin, zum Gencral- snperlnlendenten für die Provinz Sachsen ernannt. Lindner, Dr Gust. , SchAC, als ordentlicher Lehrer am Pädagogium zu Züllichau angestellt. Mayring, V., Studienlehrer in Amberg, als Professor an das Gymnasium zu Neuburg an der Donau versetzt. Most, SchAC, als Collaborator an der Friedrich - Wilhelms - Schule zu Stettin ernannt. Roth, Karl, Lehramtspraktikant am Lyceum zu Karls- ruhe, zum Lehrer mit Staatsdienereigenschaft ernannt. Schäfer, Dr Paul, SchAC, zum Collegen am Gymnasium zu Schweidnitz be- rufen. — Schwartz, Dr, Director des Gymnasiums zu Fulda, als Director an das herzoglich nassauische Gymnasium zu Hadamar beru- fen. — Simon, Eug. , SchAC, als Collaborator am Gymnasium St Maria - Magdalena zu Breslau bestätigt. Späth, Assistent am königl. Wilhelms -Gymnasium zu München, als Studienlehrer nach Amberg ver- setzt. — Tauscher, Lic. Jul., zum Oberlehrer am Gymn. zu Treptow a. R. ernannt. Todt, Dr Beruh., Lehrer, als ordentlicher Lehrer am Gymnasium zu Treptow a. R. angestellt. Vahlen, Dr Jph.,

198 Personalnotizeu.

ao. Professor an der Universität zu Breslan, als ord. Professor der klassischen Philologie an die Universität zu Freibarg im Breisgau be- rufen. — Ziegel, Ludw., als ordentlicher Lehrer am Gymnasium su Treptow a. B. angestellt.

Praedlcieriuii^eii und Ehrenbemeng^oBi^eii t

Cholevius, Leo, Oberlehrer am Kneipböfischen Gymnasium au Königsberg in Pr. , als Professor praediciert. Hauser, Dr, Lehrer am Lyceum su Karlsruhe, als Professor praediciert. Müller, Dr Job., ordentl. Lehrer am Gymnasium zu Wesel, erhielt den Titel Oberlehrer. Schönborn, Prorector am Gymnasium zu Krotoschin, als Professor praediciert.

Pensioniert s

Mörtl, Dr Th., Professor der Oberklasse am Gymnasium zu Neu- bürg an der Donau, aus administrativen Erwägungen vorbehaltlich lei- ner Wiederverwendung.

Geetorben t

Am 27. Jan. auf seinem Schlosse Polangis Chapsal, Maire Ton Joinville-Pont, allgemein bekannt durch die von ihm in Verbindung mit Noel herausgegebene französische Gramm. Am 3. Febr. zu Leipsig der ordentliche Professor der Medicin, Dr Joh. Karl Wilhelm Wal- ther. — Am 0. Febr. in Leipzig der Buchhändler Georg Wigand, 50 Jahr alt, durch seine Unternehmungen von litterarischem Verdienste. Am 15. Febr. in Marienwerder der bekannte nationalökonomiaohe Schriftsteller Prof. Dr C. Kr i es. Am 16. Februar zu Heidelberg der Geh. Rath Professor Dr Georg Friedrich Creuzer, geb. la Marburg 1771, seit 1804 in Heidelberg, ein um die Vertiefung und Er- weiterung der Alterthumsstudien höchst verdienter Gelehrter und Leh- rer. — Am 18. Febr. zu Darmstadt der Oberstudiendirector Neid- hardt.

Zweite Abtheilung

herausgegeben Ton Rudolph Rfetsch.

10.

Die Regierung der Kinder. Für gebildete Eltern^ Lehrer imd Studierende bearbeitet von Dr Tuisko Ziller ^ Privatdo- centen in Leipug. Leipzig, bei B. G. Teubner 1857. VIII n. J82S. 8. 22%Ngr.

Manche Saat branoht lange um aufzugehen. Wie in der äuszern Natur, so auch im Gebiete der geistigen Bildung. Herbarts allge- meine Paedagogik erschien bereits 1806, und wie freudig sie auch von einielnen Männern, unter denen auch Jean Paul (vgl. dessen Levana), be- gruszt wurde, kam sie hinterher noch viele Jahre hindurch fast in Ver- gessenheit. E^ fehlten die zu einer tiefern Apperception nöthigen Ge- danken, ja noch mehr: Sucht man frappante Beispiele für das patboa ignorantiae mit obligaten Absprechungen und Verdrehungen, so sehe man die zur Zeit erschienenen Recensionen nicht allein der Paedago- gik, sondern auch der Ethik Herbarts an, und man wird staunen. Die psychologische Blasiertheit der halbkantischen Popularpbilosophie und der idealistisch -spinozistische Schwindel von Fichte bis Hegel übten auf die erste Hälfte dieses Jahrhunderts einen so nachlheiligen Ein- flusz aus, dasz es der zweiten Hälfte erst vorbehalten ist, das ver- säumte nachzuholen. Und in der That steht es gegenwärtig so, dasz alle aus^zeichneteren Paedagogen auf die Stimme Herbarts groszea Gewicht legen , und man kann überhaupt sagen , dasz je mehr aus der Paedagogik die bloszen Redensarten und wüsten Groszthuereien ver- schwinden, umsomehr auf die sehr umfassenden und noch viel zu we- nig benutzten Leistungen Herbarts Rücksicht genommen wird. Freilich stellen sich dabei noch manche Misverständnisse ein. Ethik und Psy> chologie gehören noch nicht gerade zu den starken Seiten derber-, sehenden Bildung, die Menge eingesogener Vorurteile sind nicht so leicht zu beseitigen, und es kostet noch manche Zeit und Mühe die mancherlei Dissonenzen des in falsche Stimmung gerathenen Gedanlcen- kreises zu lösen. Deshalb sind solche litterarische Erscheinungen, welche einen Beitrag zu diesem Umschwünge liefern, besonders dan- kenswerlh. Als einen recht schätzbaren Beitrag der Art haben wir

N. Jahrb, f. Phü. «. Paed, Bd LXXVIII. Hfti. 14

200 Ziller : die Regierung der Kinder.

die Monographie des Dr Ziller über die Regierung der Kinder za bezeichnen.

Bekanntlich hielt Herbart ganz besonders darauF die Thatigkeit der Regierung von def der Zucht begrifflich streng auseinander zn halten. Dagegen sind in neuerer Zeit sehr gewichtige Bedenken er- hoben. Man fragte z. B. ob eine Thätigkeil, welche keinen bildenden Einflnsz , sondern nur einen Druck auf den Zögling ausübe, überhaupt zur Erziehung gehöre, und ob eine solche Thatigkeit mit der Sitt- lichkeitstendenz des Erziehers sich vereinigen lasse. Die gewöhnliche Meinung geht immer noch dahin, dasz alle erziehende Thatigkeit, welche neben dem Unterrichte stattfindet, von einerlei Art sei und ausschliesz- lieh darin bestehe, den Zögling durch unmittelbare moralisch-reli- giöse Einwirkungen zu heben. Die gesunde Praxis geht freilich still- schweigend von dieser eben so falschen als gefährlichen Ansicht ab. Sie hat es erfahren, was es mit dem fortNvahrendcn Innern anfassen' durch moralische und religiöse Vorstellungen für eine Bewandtnis hat. Stumpfheit, Heuchelei oder schwächliche Sentimentalität sind die häu- figen Folgen davon. Nichtsdestoweniger sind selbst solche Erzieher, die das richtige Verfahren anwenden und nur regieren wo es hinge- hört, ohne dabei schon auf die Gemütsstimmung des Zöglings unmittel- bar einzuwirken, oft geneigt diesem ihren thun, wenigstens in der Theorie, einen höheren Werth beizulegen und dasselbe in glänsea- derem Lichte zn betrachten als ihm eigentlich zukommt. Deshalb erfordert es in unserer Zeit einen gewissen Mut mit der Wahrheit ge- rade herauszurücken und ein von der Moralität und Relfgiosität niobt unmittelbar abhängiges Gebiet der erziehenden Thatigkeit abm- grenzen, in welchem andere als moralisch -religiöse Mittel in Anwei* düng kommen.

Es kam also zunächst darauf an zu untersuchen, ob der Begriff der Regierung, den Herbart aufstellt, sich rechtfertigen lasse. Diet ist in § 1 der Zillerschen Schrift geschehen. Es wird S. 17 daraof aufmerksam gemacht, ^dasz in der Wissenschaft die Begriffe sorgfältig getrennt und genau unterschieden werden müssen , damit man nicht da wahrhaft zu erziehen meint wo man blos regiert, nnd damit man nicht umgekehrt in den Ton und die Handlungsweise der RÜgiemng. verfällt wo es sich um die eigentliche Bildung handelt'. Besondm« Deutlichkeit gewinnt der Unterschied der Regierung von der eigentliek erziehenden Thatigkeit durch Vergleichung der Erziehungslebre mit der Staatslehre S. 6 f. Es hätte zu weiterer Verdeutlichnng das Ver- hältnis zwischen der gesellschaftlichen Ordnung und dem Rechte en- geführt werden können. Ordnung halten ist noch nicht Recht stiften, wol aber ist eine bestimmte Ordnung die Vorbedingung für Rechtsbe- stimmungen, und wiederum gehören zur Aufrechterhaltung von Rechts- verhältnissen gewisse Ordnungen. Es ist dies ein Punkt, von welchem aus in den gesellschaftlichen Rechtslheorien sich ähnliche Misverstind- nisse gebildet haben, wie in der Paedagogik in Betreff der Regierang nftd Zucht.

Ziller: die Regierung der Kinder. 201

Nach Beantwortung jener allgemeinen Vorfragen kam es nun darauf an, das durch den Begriff der Regierung bezeichnete Verfahren, von welchem Herbart sowol in seiner ^allgemeinen Paedagogik' als auch in seiliem 1835 erschienenen und 1841 mit betrachtlichen Vermehrun- gen wieder herausgegolienen ^Umrisse' nur eine kurze Skizze entwor- fen hatte, so zu detaillieren , dasz es der Anwendung des praktischen Erziehers nahe genug gelegt wurde. Damit hat es der übrige Theil der Untersuchung zu thun. Er ist in zwei Abschnitte getrennt. Im ersten Abschnitte, unter dem Titel Anordnung S. 21 39, sind nur erst im allgemeinen die Maszregeln angeführt, welchen das Kind un- terworfen werden musz, damit es sich in seinen Schranken halte. Sie werden bezeichnet als die Maszregeln des leiblichen aufer- Ziehens, der Beschäftigungen , der a uszern Gewalt, der Auctorität und Liehe. Im zweiten Abschnitte S. 43 179 unter dem Titel Ausführ ung^sind dann die näheren Bestimmungen hinzu- gefügt, welche bei Anwendung der einzelnen Regierungsmaszregeln beobachtet werden müssen , wenn der Zweck erreicht werden soll'. Wir haben hier in einzelnen Paragraphen folgende Artikel : das leib- liche auferziehen; die Beschäftigungen; der Befehl ; die Strafe; die Arten und Grade der Strafe; die Aufsicht als ein Glied in der Reihe harter Regierungsmaszregeln; positive Vorschriften liber die Einrichtungen der Auf- sicht; die Buchführung; die speciellen Ursachen der Auctorität; di e speciellen Ursachen der Liebe; dieFol- gen von Auctorität undLiebe für dieRegierung über- haupt; das Haus und die Schule in Beziehung aufAucto- ritfit und Liebet Schwierigkeit und Leichtigkeit der Re- gierung; Uebergang zum Ende der Regierung. Der Ver- fasser sucht bei diesen Ausführungen die zuvor festgestellte Eigen* tbarolichkeit der Regierung und ihren Unterschied von dem moralisch- religiösen Verfahren der Zucht streng festzuhalten, und zu zeigen, welch ein ganz verschiedenes Gepräge die einzelnen Maszregeln der Regierung annehmen und welchen anderen Geist sie in sich tragen in Vergleich zu ähnlichen Maszregeln der Zucht. Es werden hierdurch nicht allein die hauptsächlichsten Misverständnisse über die Lehre von der Regierung beseitigt, sondern es gelingt dem Verfasser dabei auch eine eben so natürliche als sichere Entscheidung über berühmte Streit- fragen zu geben, z. B. über die Zulässigkeit sinnlicher Strafmittel und die Anwendung eines unbedingten Zwanggehorsams. Auch wird nicht unterlassen darauf aufmerksam zu machen , wie leicht die Regierung in Gefahr kommt, in ein Uebermasz auszuarten, eine Gefahr, welcher besonders höhere Schulen ausgesetzt sind, wenn bei ihnen die Er- ziehung nicht recht in den Gang kommt. Einen Schutz dagegen soll die Nachweisung bilden, wie die einzelnen Regierungsmaszregeln in ihre natürlichen Grenzen einzuschlieszen sind.

Wie reichhaltig und belehrend nun auch diese Ausführungen sein mögen und in der That sind, so bleib: immer noch die Frage zu beant-

14*

202 Ziller : die Regierung der Kinder.

werten übrig, auf welche Weise die Regierung mit dem Unterricht und der Zucht in Verbindung zu setzen sei. Die Beantwortung dieser Frage behält sich der Verf. vor. Er will nemlich zuvor erst noch diese bei- den llauptzweige der Erziebnng behandeln und damit dann die Lehre von der Regierung in Verbindung bringen. Dagegen finden wir in dem bereits gegebenen sehr dankenswerthe Andeutungen darüber, wie die Maszregeln der Regierung im einzelnen und im ganzen psycholo- gisch auf den Zögling wirken. Auf eine besondere psychologische Begründung der Maszregeln der Regierung hatte Herbart sich nicht eingelassen, sondern nur die allgemeinsten Gesetze dafür in seiner Psychologie aufgestellt, im guten Vertrauen dasz andere schon nach dem besondern Bedürfnisse dieselben auf die concreten Verhfiltnisse anwenden würden. Dazu gehörte aber freilich, dasz man sich nicht in psychologischen Dingen von den schlechten Prodncten der Mode- Philosophie imponieren liesz. Davon hatte die Päedagogik nicht Dar keinen Gewinn, sondern es wurde vielfach das Vertrauen verminderi, welches einer guten Theorie überhaupt gebührt. Eine gute Theorie aber leistet in der Praxis, die sich nicht mit dem hergebrachten Schlendrian begnügen will, immer den Dienst, dasz sie denen, ^die sich ihr hingaben, eine Menge nützlicher Aufhellungen darbietet and eine grosze Sicherheit in Ergreifung der rechten Mittel zum Zwecke erzeugt. Diesen Zusammenhang einer gründlichen Theorie mit einer gnten Praxis hat der Verfasser in seiner ^Einleitung zur allgemeinen Paedagogik' recht gut nachgewiesen und dadurch dem Vorurteile zu begegnen gesucht, als ob vorzugsweise die Praxis der richtige Weg zur theoretischen Einsicht sei. Es soll dadurch der Praxis ihre Be- deutung nicht genommen werden, denn nur Uebung macht den Meister. Aber es gilt auch eben so sehr der Satz: dasz der Werth des eipe- rimentierens für die weitere Erkenntnis davon abhängt, wie geschickt man Fragen an die Erfahrung zu stellen versteht. Die Theorie aber stellt nicht allein Fragen auf, sondern gibt auch die Antworten daxa,. deren Bewährung sie von der praktischen Ausführung erwartet.

Diese Andeutungen mögen genügen, um das Interesse unserer Leser auf die recht tüchtige und dabei sehr verstandlich geschriebene Schrift des Hm Dr Ziller zu richten. Namentlich sei sie den Can« didaten des Schulamts und künftigen Hauslehrern bestens empfohlen. Dem Hrn Verfasser aber möge es bald gelingen seine versprochenen ^Unterrichtslehren' erscheinen zu lassen. Nach dem bisher gegebenen versprechen wir uns viel davon.

Halle. DrAlUhn.

Mezger : hebräisches Uebangshuch. 203

(2.)

Lehibücher der hebräischen Sprache.

(Schlufiz von S. 155—170.)

4.

1) Hebräisches Uebungsbuch für Anfänger von K, L. F. Mezg er,

Professor am evangelisch -theologischen Seminar zu Schön- thal im Königreiche Würlemberg. Mit einer Schreibvorschrifl. Leipzig 1856, Hahn'sche Yerlags-Buchhandlung. XY u. 183 S. 8.

2) Idber Ruth ex Hebraico in Latinum versus perpeluaque inter-

pretatione illuslratus. Scr, C, L. Fr. Mezger^ Professor, Tubingae ex off. Lud. Frid. Fues. 1856. 28 S. 4.

Bei der dargelegten EigeDthümiichkeit auch der Ewaldschen klei- nen Grammatik, der * Sprachlehre', war es ein glücklicher Gedanke durch ein vorbereitendes Hülfsbuch den Anfänger in das Hebräische einzufuhren, damit er dann um so leichter die wissenschaftliche Dar- stellung bewältigen könne, und Ewald selbst hat die Nützlichkeit eines solchen Unternehmens anerkannt und das Werk des Hrn Prof. Mezger ' in der Vorrede zu seiner Sprachlehre als *eine zum leichtern einUben der ersten guten Anfänge nützliche Zugabe' im voraus empfohlen. Es schlieszt sich daher billig auch die Anzeige dieses Buches an die der Ewaldschen Lehrbücher an. Auch hat Hr Mezger auf das Titelblatt schon setzen lassen : ^Eine Zugabe zu H. Ewalds hehr. Sprachlehre fflr Anfinger, zweite Ausgabe 1855, so wie zu jeder hebr. Grammatik.' Er citiert auch allerdings Gesenius, weist aber in der Vorrede su bestimmt auf die ^Unvollkommenheit' von dessen Grammatik hin, als dasz man in seinem Sinne handeln würde, wenn man neben seinem Uebungsbuche Gesenius Grammatik benutzeu wollte. Der Verfasser ist, wie Titelblatt und Vorrede hinreichend belegen, Verehrer Ewalds ond seiner Behandlung des Hebräischen: deshalb fahren» wir zur Be- stätigung unseres Urteils über Ewald gleich die Worte Vorrede S. XU selbst an: *Wer nun aber Ewalds Sprachbücher auch nur einigermaszen kennt, wird sich überzeugt haben, dasz zur Erkenntnis und fruchtba-^ ren Benutzung derselben eine längere Beschäftigung mit der Ausdruoks- "weise und streng wissenschaftlichen Ordnung des Verfassers durchaus nothwendig ist', das heiszt doch eben, man musz erst die deutsche Sprache Ewalds lernen, um dann mit Hülfe dieser Kenntnis auch das Hebräische zu begreifen. Das ist aber eben Ewalds schlimmster Feh- ler, und wenn jetzt noch aller Orten seine Bücher gerühmt werden, und wenn jetzt es noch einzelne gibt wie Hr M. , der seine Werke 'durchgearbeitet', werden diese doch schnell aus wirklichem Gebrauch kommen, wenn nicht mehr der lebendige Vortrag bei vielen das Ver- ständnis vermittelt, und es wird wenige geben von denen, die Ewald

204 Mezger: hebräisches Uebungsbaeh.

nie selbst gehört und gesehen, die wie wir uns rühmen können ^ denn Ausdauer gehört dazu die 5e AuQage von 658 und die 6e von 784 Seiten durchgearbeitet zu haben, wobei wir allerdings selten Ge- nusz und für die Qual oft auch nicht Gewinn genug gehabt haben. Und hier müssen wir gleich an Mezgers Buche rühmen, dasz es einfache und klare Sprache hat, und indem es viele grammatische Regeln in Ewaldscher Auffassung aber in dieser verständlichen Form gefaszt gibt, ein ganz vortrefTliches Mittel ist zum Verständnis der Evoildschen Werke und insofern seinem Zwecke vollkommen entspricht. Es hat aber auch noch einen andern Zweck: ^Dieses Uebungsbuch hat den Zweck , eine stufenmäszig geordnete Anleitung zur gründlichen Erler- nung der ersten Anfänge der hebräischen Sprache zu geben.' Für die Einrichtung desselben beruft sich der Verfasser auf eine mehr als zwanzigjährige Erfahrung, und gegen Erfahrungen Ifiszt sich eben nicht mit Theorien streiten , doch läszt sich dagegen eine andere Erfahrung setzen, und wir können auch wenn auch nicht überzwanzigjährige doch nahezu zwanzigjährige Erfahrung geltend machen , und da haben . wir nie die Nolhwendigkeit gefunden oder ist uns nur der Gedanke ge- kommen: dasz ein Uebungsbuch, das ^Lehr-, Uebungs- und Lesebuch zugleich' ist, wie man solche im Lateinischen für zehnjährige Knaben hat, bei achtzehn- bis zwanzigjährigen Primanern und Secnndaneni nützlich sei. Die Hülfsbücher der Art haben immer etwas mar- terndes für Schüler und Lehrer; sie sind in manchen Kreisen sehr beliebt, ob sehr fruchtbringend ist wol die Frage, d. h. für den nächsten Zweck ; denn dasz ein solches hetzen des jugendlichen Geistes durch allerlei Sätze und Sätzchen, mit Sinn oft auch mit Wi- dersinn, dessen glücklichem gedeihen nicht zuträglich ist, ist wol kMne aufzuwerfende Frage. Wo es freilich auf ein vorführen in einem Exa- men abgesehen ist, da mag sich ein übersetzen der Art empfehlen. Die Sätze bei Mezger haben den Vorzug, dasz sie aus der Bibel ge- nommen sind und also ihren guten Sinn haben , aber es stehen doch in den hebräischen Sätzen gar zu verschiedene Sachen nebeneinander, und die deutschen zum rückübersetzen gemachten Sätze haben, wie sich beinah» in allen solchen Büchern nachweisen läszt, manches son- derbare, wie: *ein gnädiges Wort ist wie Morgenröthe. In Aegypten war Mosen viel Schmerz. Wer war listiger als jedes Thier? (A. die Schlange). Diese Sache ist beschrieben im Buche der Helden. (Ob das nebenbei die richtige Uebersetzung des 'nt^^tl 'nsD ist?). Rosl- barer ist das Erdreich als Silber und Gold.' Dergleichen findet sich, wie gesagt, fast bei jedem solchen Versuche das eben gelesene wieder in Anwendung zu bringen: aber auch im Hebräischen findet sich z. B. S. 61 : *Es hat Golt gemacht die Sonne um zu regieren den Tag, and den Mond und die Sterne um zu regieren die Nacht.' Solche Ver- änderungen des Textes sind auf keine Weise zu verantworten, sie ge- ben ja falsche Vorstellungen von dem Inhalte der BibeL Andere Sätze finden sich wiowol sehr einzeln, die gar keine entsprechende Stelle im A. T. haben , die rein vom Verfasser zum Zweck einer Regel go-

MeBger: hebräisches Uebangsbaoh. 205

machl sind, man vergleiche § 10 u. 15. Dergleichen ist immer gewagt ond auch nicht recht, oder man musz geradezu die Sätze als eigenes Fabrikat verkaufen; so aber geht selbstgemachtes als echt biblisches mit durch. Man mag ja Beispiele macheu, wer^s kann, aber sie müssen uicht zwischen Bibelverse gesetzt werden. Es ist nun das Uebungs- buch so eingerichtet, dasz in jedem Paragraph zuerst einige Regeln stehen, dann eine Reihe Vocabeln, dann hebräische, dann deutsche Sätze, in denen die Regeln und Vocabeln ihre Anwendung finden. Die Regeln zuerst sind geordnet fiir den ersten Gebrauch , sie sind geord- net nicht wissenschaftlich sondern methodisch, in der Reihe, wie sie zu wissen dem Lehrling nothwendig ist. Die Nolhwendigkeit wird hier offenbar bedingt durch die Anlage des Buchs, der Verfasser hat es in seiner Gewalt was nothwendig sein soll; darum ist es auffallend, dasz er manche Bemerkung mit f bezeichnet und damit sagen will, dasz sie ^vorerst noch aufgespart werden soll, bis späteres Bedürf- nis darauf führt es nachzuholen, in welchem Fall sodann am geeig- neten Orte darauf verwiesen ist.' Das Bedürfnis kommt doch nur in diesem Buche, also konnte jede Bemerkung genau dahin gestellt wer- den, wo sie nöthig war. Solche Hülfsbücher, wie das vorliegende, haben gewöhnlich den Zweck ^die Grammatik' vor der Hand noch nn- Dölbig zu machen, und auch in diesem sind zwar stels die Grammatiken von Ewald und Gesenius citiert, aber doch braucht man sie nicht, es steht alles im Buche selbst, von den Namen der Vocale bis zu den Declinationen, die sich doch auch verständlich in jeder Grammatik fin- den müssen; das Buch wäre nun selbständig zu brauchen und dann erat recht eine Vorbereitung auf Ewalds Grammatik, wenn es noch die Buch- staben, Zahlen und Verba enthielte. Die rathen wir in eiuer zweiten Auflage zuzufügen, dann wäre das Buch allein für den ersten Cursus aasreichend und der Schüler nicht noch mit einer Grammatik belästigt. Die Berechtigung eines solchen Buches, wie das vorliegende, besteht ja eben nur darin, dasz es die schwierigere Grammatik noch ent- behrlich-macht.

Einzelnes aber nicht viel läszt sich an den Regeln aussetzen. Der oft wiederkehrende Verweis : ^weiteres siehe unten' wird dem Schüler unangenehm, jedenfalls aber unnütz sein, denn er kann nicht wissen wo er nun suchen soll. § 3, 3: ^Schwächere Wörter werden manchmal tonlos.' Was soll der Schüler darunter verstehen? § 4 A. 2: ^Ein- zelne Buchstaben nehmen deshalb gedehntere Form an , damit keine Lücken entstehen.' Da war nöthig diese anzugeben , konnte ja recht gut in der zu diesem § beigefügten Schreib Vorschrift geschehen. § 5,2 A. 2 wird von geschärften Consonanten gesprochen; was das sei, dafür musz man sich eine Erklärung anderswo suchen. § 5, 3 t A. 2 enthält Regeln , mit denen niemand etwas wird anfangen können. Weiter wird §5,4 1) u. 2) mancherlei Regelwerk gegeben, und zu- letzt folgt: ^Anm. Ausnahmefälle s. d. Gr. 1. c' Die Regeln soll man ^ also hier, die Ausnahmen, die zu wissen doch nothwendig scheint, sonst würde ja nicht auf sie hingewiesen, in einem andern Buche su-

206 Mezger: hebräisches UebuDgsbacIi.

chen, das die Regeln selbst anders gibt! § 7: Die Vergleiohimg des Dagesch lene mit dem v iq)sXKv6nK6v kann doch nur Ungleichhei- ten an den Tag bringen. —^ § 8 ist *^b'^b aus »^ib^jbtib doch nur ver- drackt, aber die Zusammenziehung: ^iriinVi::!:) für ^tiTsn^CSp' ist doch sehr wunderlich. Um die Form ^riinV::^ zu erklären,' wird man doch nicht auf DZnbup zurückgehen. Die Anmerkungen zu diesem § sind übrigens alle' als nicht für Anfanger gehörig bezeichnet , was sehr richtig ist. § 10 b Z. 6 sieht zweimal das vergleichende ^ ohne Artikel und ebenso fand es sich bereits § 6 b Z. 3 u. 5. Soll der Schüler, der noch nicht conjugieren kann, schon sich in poetischen Licenzen üben? In § 21, der unverhältnismäszig lang ist und gar keine Ueberselzungsstücke hat, heiszt es III 1 Anm. 2: *Es gibt anch Fälle mit halber Verkürzung, z. B. D^p; Dp; (ganze Verkürzung tlp^^n).' Was macht ein Schüler damit? Ebenso mit dem S. 31 ^f Aus- nahmen ''l^y^ u. dgl.'; so schon die Regel II, so Anm. 1: ^Hie und da' usw. so III 1 b) a) Menn einfache Silben haben meist lange Vocale« Aber '^mn^'^ von shiD"* s. unten IV 2.' Das aber hat keinen Grund, es wird eben etwas anderes angegeben, was mit dem vorhergehenden in keiner Beziehung steht; so ist das aber S. 34 ^K'i^^ aber M'n^b/als Präpos. = bis ', das musz ja so sein; ebenso musten nicht "^HP^ nsw. als besondere Fälle aufgeführt werden, das *^iirn ist so regel- recht, wie nur irgend eine Form sein kann. Dagegen ist fraglich, ol; in Q^n^in^ um statt uam sieht. Nicht blos undeutlich ist manches in diesem langen §, manches muste unbedingt wegbleiben, wie die An- gabe, dasz SN, riÄ, n;, D^j für *i2fi}, in«, tinj, Tiiy^ stehe, also Apokope stattfinde; eben so bei ti^zS,, 1^, y^^ u. a. Wie mancher grundgelehrte Theolog hat die ganze hebräische Bibel schon durch- studiert und nicht gewust, dasz n^ die Hand eigentlich Si'i'^ heissen müsse (vgl. über diese Formen Ewald § 149), und einem Anfänger, der noch nicht ans Verbum ist, soll dies geboten werden! Man musz doch alles meiden, was den Schüler abschrecken kann und was ihm unnütz ist. Das ist ja eben der Vortheil des Uebungsbuches, dasz^es nicht alles ans der Grammatik aufnehmen musz , sondern nur einzelnes pas- sende. So wird § 22 Note 14 schon bemerkt, dasz auch bei einem Passivum *nK (nfi^J stehen kann ! Diese von andern Sprachen ab- weichende, daher auffallende, wenn auch nicht unerklärliche Erschei- nung muste hier noch nichtvorkommen. Der Schüler erhält schon im Anfange so viel sonderbares, dasz er damit nichts anzufangen weiss. § 23: Die Lehre vom Ton musz man, so ungern man es thut, als falsch bezeichnen. Es heiszt: 1) ^Der Ton des einzelnen Wortes (Wortton) ruht gewöhnlich auf der letzten Silbe, auf der vorletzten kann er nur dann sein , wenn die letzte entweder eine einfache ist n!pb?9 oder eine zusammengesetzte mit kurzem Vocal, die einer ein- faciien Silbe folgt: Qn^ti^.' Nach dieser Regel kann es auch heiszen: b^r> , SttVilV Es ist nenilich hier das Melheg ebenfalls als gramma- tisches Accentzeichen benutzt. Hat denn Hr Mezger an seinen Beispie-^ len nicht gesehen, dasz Afformative und Suffixe antreten? Von vorn

Mezger: hebräisches UebuDgsbuch. 207

berein hat jedes hebräische Wort den Accent auf der letzten Silbe. Ausnahmen machen nur solche, wo ein Hülfsvocal am Ende eintritt, # wie *Tb?3 aus ibTS, oder es treten fremde Zusätze mit dem Worte in engen Znsammenhang wie ripCS^, so dasz alle Ausnahmen nur schein- bar sind. Weiler geht^s: ^Keinerlei Hüifsvocale haben je den Ton, noch weniger.' Was nun da noch weniger sein kann finde ich nicht; bei den Hülfsvocalen ist^s sehr die Frage was man so nennt, denn es beiszt n'l^D. Im weitern Verlaufe werden recht viel Regeln aufge- stellt und Techt viel Ausnahmen zugelassen , alles weil die Lehre vom Ton nicht ganz einfach hingestellt ist und nicht von der Tonsilbe aus- gegangen wird. Regeln wie : *Wenn eine neue betonte Silbe ans Ende des Wortes tritt' usw. siud ganz dazu gemacht einen in der Schwebe za erhalten. § 24 werden in einem Uebungsbuche für Anfänger sogar die Accente wie Rbia, Tiphcha erwähnt! In § 25 c 26 ist die Lehre von ^ beim Verbot nicht ganz richtig gefaszt : ^ ^ wenn die bestimmte Erwartung ausgesprochen werden soll, dasz etwas nicht ge- schieht, Vk bei einer Warnung, Bitte, Wunsch.' Warum wurde nicht schon im Gegensatze zu b&$ gesagt: ^b steht beim bestimmten Ver- bote, ^bn ^b du sollst nicht stehlen. Der Wille des verbie- tenden ist' sehr entschieden, aber nicht die Erwartung. Dennoch geben "wir gern die Richtigkeit des obigen zu, wenn der Ursprung des Ge- brauches nachgewiesen werden soll. Ebendaselbst N. 39 ist schon Tom Intransitivum gesprochen, nebenbei für intransitiv' als richtiger der Ausdruck ^halbpassiv' erklärt, ein Ausdruck, bei dem sich der Schaler doch wol nichts denken wird. Bei der Gelegenheit wird ge- sagt, dasz bei den Hebräern manche Verba intransitiva seien, die bei uns transitiva sind und umgekehrt. Das ist eine üble Bemerkung, denn der Schüler wird ungewis, weil ihm nicht gesagt wird aufweiche Verbji sie Anwendung findet; dann musz sie ihn bedenklich machen über die .Logik der Hebräer, und endlich ist sie nicht wahr, es liegt nur an un- serem übersetzen. Es versteht sich ja von selbst, dasz dasselbe Verb nach verschiedener Beziehung transitiv und intransitiv sein kann. So lernt der Schüler nichts aus der Bemerkung § 27 b 4, dasz das Par- ticip häufig zum Ausdruck von unserem Präsens dient, und daneben gibt sie ihm leicht eine ganz falsche Auffassung; es gibt ja verschiedene Participien. Aehnlich ist § 26 b, 21 die Regel, dasz Kitl zur Bezeich- nnngder Copula diene; musz dies nicht so im allgemeinen gesagt irre fahren? Und gleich darauf steht : *N^!i hier = selbst.' § 30 S. 55 Note 4 steht: ^Weiteres in der Grammatik später nachzuschlagen', das beiszt doch wol, wenn dies Buch längst zurückgelegt ist, diese Erin- nerang also nicht mehr gelesen wird. § 31 S. 58, 18 : ^Das Perfect* dient auch zum Ausdruck des Plusquamperfects.' Sehr am unpassenden Orte ist gleich darauf eine Regel über die Bildung des Plural bei Sub- stantiven. Es war ^Name' zu übersetzen, dazu reichte hin das Wort t3t3 anzuführen, aber es wird noch gesagt, dasz es, obgleich mascnli- omn, doch im Plural ni72'4 hat, den man hier gar nicht braucht; und nun werden Masculina angegelAn mit dem Plural auf olh und Feminina

208 Mezger : hebräisches Uebungsbucb.

mit dem Plural auf imj ja es werden dabei U'^'^üf vod 1^^, 13^12$} von ^ mSK angeführt! Formen, die ja Hr Mesger selbst in seiner Ruth als Metaplasraen erklärt. Aber hier wird der Schüler verleitet die eine Form als von der andern abgeleitet anzusehen. In § 32 steht wieder ein- mal ein Ewaldscher aber schwer zu verstehender Ausdruck: ^das Wort in Anziehung' d. h. in Abhängigkeit. In diesem § aber wird behaup- tet, dasz die Verbindung durch stat. constr. auf alle möglichen Ver- hältnisse der Abhängigkeit angewendet wird; Hr M. läszt sie sogar fibr Attribut und Apposition stehen, was doch geradezu falsch ist; diese Construclion in ihrer Bedeutung ist ja wesentlich verschieden von Apposition« Und wenn man einen Ewald zum Vorgänger hat, musz man doch erst sich besinnen, ob der Vormann irre geht. Und gleich darauf biegt Hr Mezger mit Recht von Ewald etwas ab, er fühlt das falsche in der Auffassung von regens und rectum, dasz der stat. constr. regens heiszen soll und der stat. abs. rectum, und daher das Einschieb- sei ^das nach unserem Sprachgefühl regierende, im Hebräischen aber regierte Nomen', aber los kann er sich nicht machen von dem regier ren. Es ist die leidige Gleichstellung des Status constructus mit dem Genetive unserer Sprachen, und nun müssen sogar ganze Völker ganz widersprechendes, d. h. zum Theil verdrehtes Sprachgefühl haben. Die Angaben, wie der stat. constr. sich bildet, sind ungenau : ^Es wer- den a) im stat. constr. des Singulars a in ä, 6 in ^ verkürzt, b) im stat. constr. des Plurals aber ganz verdrängt.' Danach möchte der Schüler manchen stat. constr. falsch machen. Auch hier findet sich § 33, 2 die Annahme, dasz die schweren Suffixe sich durchweg an die Form des stat. constr. anhängen, ^auch das e bei der Form ^ni3, ^tn^X} wird hier in Chirek oder Segol verkürzt'. Ja wol , aber wie entsteht so ein i? So hat in § 36 über die Segolatformen die allgemeine Re- gel, dasz sie einen Uülfsvocal annehmen, ihren Platz erhalten, und da- zwischen geschoben wird: ^mit wenigen Ausnahmen wie bei ti^Vi Schulter, ^3^1. Honig.' Es war nicht noth auch alle Worte anterza- bringen, daher war es überQüssig solche Ausnahmen anzuführen, die den Blick des lernenden verwirren. Und wer hat denn schon bewie- sen, dasz diese Formen Segolatformen sind? haben sie denn nicht ge- rade die entgegengesetzte Bildung, den Vocal nach dem zweiten Stamm- buchstaben? Dasz manche Grammaliken diese Formen mit den Segola- ten in Zusammenhang bringen ist wahr, aber so ein Hülfsbnch für An- fänger hat sich mit dieser sehr unklaren Sache noch nicht zu befasaea. So halten wir für unnölhig hier $ 36 S. 72 , 29 die Angabe Aber die verschiedeneu Pausalformen der Segolaten. Hier am Ende des § 3ßr das heiszt vor dem zweiten Abschnitte, der da handelt über * Stimme mit Wurzelbuchstaben, die irgend etwas eigenthümliches haben', also vor den Verbis primae gutturalis steht: 'Bevor man zum folgendeo übergeht , «mache man sich mit der voUständigenLehre vom Nu- merus, Genus, Status constructus und Sufßxeu am starken Nomen bekiTnnt, wie sie die Grammatik (E. 171—200. 208 215. 254 260. G. 87—95. 114—116) abhandelt.' Ich fürchte fast, wer das alles so

Mezger: hebräisches Uebaogsbuch. 209

vollständig kennt wie hier betont ist, denn das hier hervorgehobene hat eben Hr H. selbst durch den Druck ausgezeichnet ich fürchte dasz der nicht mehr Lust hat, sich an so ein HQlfsbuch noch fesseln SU lassen. In diesem zweiten Abschnitte des zweiten Theiies § 37 57 flnden wir nichts irgend erhebliches zu bemerken.

Was die zu den einzelnen Paragraphen zum lernen vorgesetzten Yocabeln betrifft, so versteht es sich von selbst, dasz dieselben mit Absicht ausgewählt sind, obgleich wir dieselbe nicht immer erkannt haben. Es sind Worte, die in dem zugehörigen hebräischen Stücke vorkommen, aber es sind nicht immer alle die vorkommen, und so stehen denn auch noch öfter welche unter dem hebräischen Texte, nach welchem Grundsatze, ist uns nicht klar geworden. Aber was wir bei dieser Aufstellung der Yocabeln zu tadeln hätten, ist nicht sowol dies, als dasz dabei lediglich der Zufall obwaltet, welche gerade im Stücke vorkommen , und so stehen denn auch Verba , Sab- stantiva, Partikeln durcheinander, wie sie eben bei fortlaufender Lectüre ein Präparationsbuch eines Schülers auch zeigen würde. Wenn einmal einzeln vorgeschriebene Vocabeln gelernt werden sollen , müssen sie * doch nach einem Plane geordnet sein. So musz es denn auch kom- men, dasz manchmal dieselbe Vocabel noch zweimal angegeben wird; 80 steht § 16 ^'^y als zu lernende Vocabel , die schon § 13 c unten steht; so '^n'^py § 20 oben und § 16 Note 2 unten , so steht § 16 ^'ji': als Vocabel und § 34 a wieder, § 25 a r\V2 und § 34 a wieder. Warum sind 'n]:^ S. 44 und i»^ S. 45 nictit gleich nebeneinander ge- . setzt? Die Präpositionen werden einzeln zugelheilt; noch mehr fillt auf dasz § 13 die Zahl 7, § 27 die Zahl 5 zum lernen aufgegeben wird. Nur zusammen gelernt können die Zahlen behaltbar bleiben.

Der dritte Theil für geübtere enthält Punktierübungen und zu- sammenhängende Stücke zum übersetzen, die tüchtige Methodik und Gelehrsamkeit des Verfassers beweisen, und ans denen derjenige, der sie ordentlich durcharbeitet, viel lernen wird. Zuletzt folgt ein An- hang, der eine Schreib Vorschrift enthält, eine nützliche Sache für den, der keinen Lehrer hat, dann Declinationen, eine Tabelle über den Ge- brauch von 1*«^^t, alles sehr nützliche Beigaben, weniger nothwen- dige Ergänzungen des früher gesagten. Und so schlieszen wir mit dem Urteile, dasz das Buch namentlich denen, die ihre Schüler recht bald in Ewaldsche Grammatik einführen wollen, recht nützlich sein wird, dasz aber dazu noch nöthig ist dasz es in einer zweiten Auflage, so weit es eben zum Gebrauche bestimmt ist, so eingerichtet werde, dasz es die Grammatik so lange ganz unnöthig macht. Druckfehler haben wir sehr wenig gefunden , der Druck ist sehr gut. Das ganze macht somit nach allen Seiten hin den Eindruck eines fleiszigen durch- dachten Werkes, und wir würden nicht so lange dabei verweilt haben, wenn eine solche Arbeit nicht Beachtung bis ins einzelne verdiente.

2. Derselbe Herr Prof. Mezger hat im Programm des Seminars von Schönthal 1856 eine Uebersetzang und Commentar zu Ruth ge*

210 Mezgor : liber Ruth.

liefert, uod zwar die Uebersetznng in wirklichem Latein, nicht blof mit lateinischen Worten, sondern in lateinischer Salzform. Diese durchweg richtige Uebersetzung, geringe Abweichungen die wir mia erlauben würden andern dies Urteil nicht, hat noch das empfehlende einer flieszenden Sprache, so dasz man bei diesem Latein vergiizt dan es ein hebräisches Original wiedergibt. Was den Commentar betriffk erklärt Hr M. sich selbst dahin: Hoc munusculum discessnris in manu traditum ita volui instilui, ut et ea, quae pridem hac in schola perse- cuti sunt studia, gralam in memoriam revocaret et ad strenue colendu proliuus pleniusqne perscrutandas has litteras tacite moneret. Libelli autem enm in modum instituti eo minus me poeniluit, quia sie alteram simul usum, qui mihi propositus erat, ex opera mea redundatumm oon- fido. Etenim id quoque mea intererat, ut simplice aliquo et quasi ro- tando specimine pericli tarer , si possem docere, quaenam fere, post- quam discipuli primis linguao rudimenlis'satis instructi fnerint, in tractando V. Tti libro historico sequenda esset via ac ratio. Es ist die dasz alles, was irgend grammatisch oder historisch wichtig scheint, erwähnt, in grammatischen Sachen, wo dies hinreichte, auf die Gram- matik verwiesen wird, versieht sich die von Ewald, sonst auch um- stfindlichere Untersuchungen geführt werden. Auszerdcm gibt der VL mancherlei Bemerkungen mit einem Stern bezeichnet, die Sachen enthal- ten , welche über den Standpunkt der oben bezeichneten Leser hinaos- gehen oder doch über das Bedürfnis der Erklärung. Es ist selten eil Vers ganz ausgefallen, der ohne Bemerkung wäre. Am Ende jedes Kapitels ist eine Inhaltsübersicht, zum vierten Kapitel eine weitere Auseinandersetzung über die Rechte des Rückkaufs und die Ausdeh- nung der Leviratsehe, dann am Ende über die Zeit der Abfassung, dea mntmaszlichen Verfasser und zuletzt den Zweck des Buches. Wie du Buch Ruth nun selbst ein liebliches Idyll ist, wie es oft genannt wird, und das lesen desselben in augenehme Stimmung versetzt, wird diese erhalten durch diesen Commentar, der in angenehmer Breite bei Be- urteilung verschiedener Meinungen in mildester Form aber in bestisui- teister Fassung und klarer Auseinandersetzung der Gründe eine meisien- theils annehmbare Erklärung gibt. Das Latein steht dem der Ueber- Setzung nahe. Wir glauben und wünschen, dasz Hr Mezger bei seinen Schülern das erreichen möge dasz sie die Schrift durchstudieren, sie werden Genusz und Nutzen davon haben, aber auch jeder andere.

Wir möchten gern auf einzelnes eingehen, um dem gelehrten Herrn Verfasser zu zeigen mit welcher Aufmerksamkeit und welchem Vergnügen wir seinen Commentar gelesen, aber wir fürchten in einer Zeitschrift, die sämtlichem wissen des Gymnasiums gewidmet ist, für diese nur gelittene Sprache und nun in dieser für die Beurteilung eines so kleinen Buches, wie die Ruth ist, nicht so viel Raum beansprachen zu dürfen. Wir haben ja schon viel des Hebräischen gegeben. Doch einiges können wir uns nicht versagen.

C. 1 , 2 ist Hm M.s Ansicht über den geschichtlichen Werth des Buchs nicht ganz klar, es scheint als nehme er die Erzählung als rein

Mezger: Über Ru(h. 211

geschichtlich , aber der Schluszsalz macht wieder irre : Verorom no- minom memoria putanda est vetuslate abiisse. Sind also die Namen erdichtet, warum nicht auch und nicht vielmehr die Ereignisse selbst, und doch stellt er dieser Auffassung als einer reinen Dichtung sein absit illud quidem entgegen. V. 3' wird ganz ohne zwingenden Grund ein Beispiel der ^gegenseitigen Satze' Ewalds gefunden. V. 4 ist Num. 9, 31 falsches Citat. V. 5 den hier ausgeführten Gedanken muste wol jeder selbst finden. V. 8 ^Locis quibusdam ab Ew. 224 notatis docemur, ne tertiam quidem personam sing. Voluntativi for- roas, quas dicunt apocopatas, prorsus requirere. At in prima pers. sing, et plur. pleniorem formam frequentius , ne dicam unice, usitatam fuisse, cf. Gen. 1, 26, Grammatici, quod sciam, satis premere omiserunt.' Wir können nicht ßnden, was da die Grammatiker versäumt haben sollen; es liegt im Wesen des sogenannten Voluntativ, dasz eine Ver-' kärzung der Form nur in der 2n und 3n Person sich findet, in der In Person wenn eine Veränderung, eine Dehnung durch das He parago- gicum. Aber die citierte Stelle Gen. 1 , 26 gibt das reine Futur, denn was Gott will, das wird- auch. Wir übersetzen es wol wir wollen, aber warum nicht gleich wir werden? Was ein groszer Philosoph der Neuzeit vom Menschen gesagt hat: *der Mensch kann was er will' usw., das wird doch vom wahren Gott gelten, was dieser vom ver- götterten Menschen behauptet. Die Verwechselung des Genus in den Suffixis auch im Buche Ruth hätte wol bei der hier ausdrücklich zugegebenen Genauigkeit der Hebräer im Genus eine eingehendere Be- urteilung verdient als die: Hebraeos haud inique dixeris hoc quidem in nsu generis minus diligentes fuisse. Namentlich hätten hier die ein- zelnen Falle aus diesem Buche zusammengestellt werden sollen ; da- durch erst, dasz man dies6 so auffallende Erscheinung nach den einzel- nen Büchern und nach strenger Beurteilung der einzelnen Stellen geord- net übersieht, wird ein billiges Urteil über diese Nachlässigkeit mög- lich sein. So konnte V. 9 das :\ in der Form ^1fi<^72^ und ähnliche, die sich hier finden , benutzt werden zur Untersuchung über die Ab- fassung des Buches , und es lieszen sich manche auffallende Formen und Constructionen aus diesen 4 Kapiteln zusammenbringen. V. 17 ist als besonders merkwürdig hervorgehoben, dasz in der Beschwö- rungsformel ii'^O'v tite;^ nicht der Voluntativ vorkomme. Der ver- sichernde sieht und erwartet, dasz Gott so thun werde, und in dieser sicheren Erwartung spricht er seinen Willen aus. V. 19 das !i hat weder die Bedeutung dasz der fragende eine Bejahung, noch dasz er eine Verneinung erwartet. K. II V. 8 sind die Stellen aus Rödiger Gr. 48, 3 A. 1. V. 9 ist die Andeutung von absoluten Casus zu kurz um zu belehren, ja nur die Meinung des Hrn M. erkennen zu lassen. V. 11 wird als seltenes Beispiel von Nachstellung des Inf. abs. nur Jer. 38, 3 beigebracht, da steht inan linati ! V. 14 hätten wir zu der bemerkten Erscheinung auch gern eine Erklärung gehabt. K. III 3 lesen wir nach einigeni anderem was uns auffällt: ^modo ne illud, quod Ewaldus imperfectum (sehr mit Unrecht) nominat, falso (ja)

212 Stier: hebräisches Vocabalarium.

antiqaatoquc (auch wol beinahe wahr) nomine fuluri appclles; oonfra quaeritur, num rectius dicas temp. praesens.' Ja nicht! Es ist acbon genug des grausamen Spiels: Futurum, modns secundus, imperfectan, praesens! Sind nicht soviel Namen schon Beweis, dai^z man immer noch auf dem Holzwege ist? In V. J] wäre es mir besonders lieb zu der angegebenen Bedeutung von 'ni^iD Belegstellen zu haben. Die V. 13 gegebene Erklärung von "-i^ in i/; 2, 12 hat wörtlich schon vor langen Zeiten Hieronymus und 1855 Hupfeld gegeben; hier hat sie das Ansehen von etwas neuem. K. IV 3 nehmen wir an, dasz Elimelech seinen Acker bei seinem Wegzuge nach Moab verkauft hat, nicht erst Noomi nach ihrer Rückkehr. lieber die V. 20 angenommene laeana haben wir andere Ansicht. ^ Wir könnten hie und da noch einzelnes aussetzen, aber wir wollen nicht undankbar sein ffir den Genasz, den uns das lesen dieses Werkchens gemacht hat, und ihn uns nicht selbst verderben.

o.

1 ) Hebräisches Vocabvlarium mm Schulgebrauch. Mit Bimoü-

suug auf die Lehr- und Lesebücher von Nägelsbach^ RödigfTj Seffer und Brückner zusammengesteUt von G, Stier j Gym- nasiallehrer in Wittenberg^ ord. tlitglied der d. morgenländ, Gesellschaft. Leipzig, Druck nnd Verlag von B. 6. Tenbner 1857 (I.Heft 68 S.).

2) Scholae Hebraicae minores, Curavit Dr C, A. Friedlän-

der, GymnasH Sedinensis ordinum superiorum praecepitur^ collegii Jageteufeliani antistes. Fasciculus I, Berolini sampti- bus Julii Springen. MDCCCLVII. 85 S.

Wir haben in diesen beiden bald nacheinander erschienenen Wer- ken auch einen Beweis, dasz man dem Unterricht im Hebräisehen mehr Aufmerksamkeit zuwendet; beide wollen besonders den Unter- richt fördern und erleichtern. - Das erste ist in seinem Zwecke schon aus dem Titel deutlich; es will ein Vocabular sein zum answeudig- i erneu. Dasz ein solches Buch von Nutzen ist, darüber ist nicht erst zu streiten. Doch ist allenfalls auch ohne ein solches durchzukommen. Wir haben die Vocabeln in Gosenius Lesebuche, Verba und Nomina, nach ihrer Gleichartigkeit geordnet, in Secunda lernen lassen, dann in* Prima nach der Reihe, und dabei die stamm- nnd sinnverwandten Wör- ter mit herangezogen. So bot sich von selbst in der audern Klasse die Repetition und zugleich eine nochmalige in der Leetüre. Von dem vor- liegenden Vocabular haben wir erst das erste Heft, enthaltend die Verba, grammatisch geordnet, ein zweites soll die Nomina, auch grammatiseb geordnet, ein drittes Nomina und Verba nach den Bedeutungen grup- penweise zusammengestellt enthalten. Diese Vertheilung ist an sich

Stier: hebräisches Vocabalarinm. 213

nicht TU misbiUigen, obgleich dieselben Wörter öfters vorkomneD mfissen nnd sich wol hätte eine Einrichtung im Druck müssen finden lassen dies zu vermeiden. Indes ist der Schade so grosz nicht, wenn nar nicht das Buch fär Schulen su theuer wird. Wie die beiden fol- genden Abschnitte werden behandelt werden, müssen wir abwarten; dasB es mit Plan und Einsicht geschehen wird, kann man aus dieser ersten Probe erwarten. Voran stehen regelmässige Verba nnd zuerst Verba mediae A, da wieder die blos in Kai (lO), dann die in Kai und Niphal vorkommenden (2), dann die mit lilteris nDD'n:;:! nur im Kai (9), die in Kai und Niphal vorkommenden (8), dann blos im Niphal (1), endlieh 2 Verba fb nnd rr"^. Nun folgen die blos im Piel Pnal Hithp. ^ vorkommen, auch da mit besonderen Unterschieden (12), dann die blos im Hiph. und Hophal (l). Darauf folgen die in Kai N. und Piel P. vorkommenden (28) , dann die in Kai N. und Hiph. H. (13) , dann die PP. und HH. haben (5); nun die, die alle drei ^Stämme' habe» (19). Immer wird genau angegeben, ob auch alle zu einer Gattung gehörigen Conjugationcn vorkolnmen und für jede Conjngation die Bedeutong. So haben wir nun 110 Verba. Es folgen die mediae A Futuri A. wie- der nach dem vorkommen der drei Conjugationsklassen geordnet, dann Verba primae sibilantis, blos des Hithpaels wegen. Zusammen haben wir nun 126 Verba. So geht es fort; es beginnt eine neue Zahl mit den Verba mediae E., die nun selbst wieder in ähnlicher Weise ge- ordnet sind (14), dann Verba mediae 0 (3). Der zweite Haupttheil enthält die Verba guttnralia, primae, secundae, tertiae gutturalis, alle mit den oben angegebenen Unterabtheilungen. Im dritten sind die un- regelmäszigen Verba : I) Verba assimilaulia. ]) Verba primae assimi- latae. «) Verba f c. ß) Verbam V'd. y) Verba assimilaulia Jod. 2) Ver- bam primae itemque nltimae assimilatae inj. 3) Verba mediae gemi- nat«fe. II) Verba quiescentia. l) Verba primae quiescentis. a) Verba rfc. ß) Verba i't. y) Verba propria "^"Bt 8) Verba mixta. 2) Verba mediae quiescentis. Radices«cavae. a) Verba f^. ß) Verba "^"j^. y) Verba mixta. 3) Verba tertiae quiescentis. a) Verba rfV». ß) Verba fif^. y) Verba mixta. Und in allen diesen Reihen werden die beim regelmäszigen Verbum angegebenen Eintheilungen bis ins einzelnste festgehalten. Es ist also hier ein streng durchgeführter Plan, der den Vortheil hat dasz man jedes Verb sogleich finden kann, und dann dasz man bei jedem Verb die vorkommenden Conjugationcn gleich findet. Alles hat seinen guten Grnnd; dasz aber die sibilantia besonders ste- hen, die ein Hithp. haben, hat den Nachtheil dasz beim suchen man sie nicht gleich fiudet, denn alle anderen Verba primae sibilantis stehen unter den anderen mit. Ferner kommen unter den regelmäszigen Ver- bis, die nur Piel haben, üW, »TOrj, pDK vor, ja bVs, weil diese in den wirklich vorhandenen Formen nichts unregelmäsziges haben; aber wer kann solche Verba an dem Orte suchen? Wir schlügen vor zur Leichtigkeit des Gebrauchs diesen Unterschied nicht zu machen, jedes Guttural unter die Gutturalien zu stellen, wenn auch die gerade vor- kommenden Formen keine Eigenthfimlichkeit derselben zeigen, nnd so

214 Stier: hebräisches Vocabularium.

in allen Fällen. Gelehrte Forschungen sind ffir ein solches Bach nicht zo verlangen , aber doch wäre es sehr förderlich viel and wenig gebrauchte, prosaische und poötische Worte und Formen unterschei- den zu können. Es sind Formen angeführt, die nur einmal vorkommen, ja wo es sehr streitig ist ob sie vorkommen. Man vergleiche s. B. die neben einander stehenden )m und 'nn^ über die Pielformen. Dann siid die Bedeutungen mitunter etwas zu allgemein gehalten, man vergleiche das auf jene folgende tSn^. Es ist dies freilich eine starke Zumutang, die wir machen, indessen ist es nicht zu viel. So lange man indes nicht an so ein Buch solche hohe Anforderungen stellen- kann, wfire . es das einfachste es folgte einem anerkannten gröszeren Lexikon; das scheint hier nicht geschehen zu sein.

Erwähnen müssen wir die Terminologie, die wir oben absichtlich umgangen haben. Die Verba werden eingetheilt in: regelmässige, hal b regelroäszige (das sind die Gutturalen) und anreget- mäszige, dann je nachdem ein Verb alle drei Stamme hat, oder nar zwei oder nur einen: trinär, binär, singulär. Die Kai- and Niphalform heiszen positive, Fiel Pual intensive, Hiph. Hoph. causative. Uns will das halbregelmäszig als unklarer Begriff,' das positiv als undeutlich, auch singulär usw. nicht zusagen. Ein hübscher Einfall ist noch hervorzuheben : unter dem Texte stehen noch voces memoriales, mitunter sehr eigenthümlicher Art, die wol an ver- klungene Mnemonik erinnern. Uns hat das sehr gefallen; doch gibt^s vielleicht andere, die dergleichen als Spielerei verwerfen. Ein bischen Spielerei ist oft förderlicher als zu steifer Ernst. Uebrigens liegt anch hier Ernst in dem Spiele. Wir wünschen dasz dergleichen noch mehr gegeben werde. Hie und da sind auch besonders wichtige einzelne Formen untergesetzt, was sehr eu loben. Druck ist gut, Orthographie neumodisch: VU")^ töten. Das Buch ist auch gut zu brauchen, wenn man Verba besonderer Art gleich übersichtlich haben will und wissen ob und wie viel es solcher gibt, und wir möchten den Verfasser bitten ^unbedingte Vollständigkeit' zu erstreben. Nur dann hat diese An- ordnung ihre volle Berechtigung. Dafür verzichten wir gern auf alle neue termini technici.

Was das zweite Werk beabsichtigt lässi ich am leichtesten Bei- gen durch die sehr kurze praefatio : ^Inilio scholae cuiusque uon amplins quam denn vel quinadena vocabula tironibus ediscenda tradantor ; qnae memoriter pronuntiata duodecimam fere horae consument partem. Re- petitioni verborum addenda exercitatio frequeus formarum gramma- ticarum, indagalio originis vocum , hebraicae li.'gnae cum occidentali- bus comparatio; praepositiones simul atque fieri poterit provectioribna formandae traduntor. Quae ut omnia etiam atque etiam retractentnr, occasio obvenit largissime, ferc omnibus vcrbis regularibus, guttarali- bus, quicscentibus et imperfectis, nominumque formationibus primariif huio libello insertis, quo . . . magis ad agendum quam ad sciendam instigeutur.' Diese bis auf den Buchslaben genaue Abschrift kann nun jeden in den Stand setzen den Plan zu erkennen. Es folgen Vooabei-

.1

Friedlfinder: scholae hebraicae minores. 215

reiben: I) familia, gens, die dahin gehörigen nomina mit stat. constr. and Plural und die Pronomina personalia. II) creatio, 27 Subst. mit stat. constr. und PI. III) verbum gibt eine Reihe Verba mit der Con- jngation des Praeteritum. IV) nomina primigenia, enthalten Segolate wie l^M. V) adjectivum, allerlei Adjective mit Fem. und Plural. VI) particulae, das sind uS;;, l'^M, fiib, ^i^.tl , Yl^ und dazu das con- JQgierte Praeteritum von Tiri, VII) verba, auch schon Gutturalen mit dem conjngierten Futur; auch hier sind solche gewählt, die ihrer Be- deutung nach oft vorkommen, im ganzen 52. VIII) nomina primigenia, wie oben 26, so hier 20.' IX) suffixum nominis, dies besonders an ni^, &K, nm», 113., n:3, ^^"i gezeigt, also gerade an solchen, die viel Veränderung zeigen. X) verba , und zwar die verba k"d und 26 verba Wb. XI) nomina primigenia wie 'nsD 19. XII) praepositio, 17 mit Sufßxen. XIII) pronomen. Alle ausser dem Pron. pers. XIV) no- mina primigenia wie ttänp 23. XV) verba «"b 10. XVI) verba nach ^^^ und d'n'^*; geordnet. *^"SD. XVII) nomina cum terminatione fem. plur. beginnt mit ni< 30. XVIIl) femin. cum terminatione masc. plnr. XIX) verba n'V 41.' XX) suffixa an 4 Präpositionen. XXI) be- stiae 49. XXII) verba -^"y 12. XXIII) verba fc 35. XXIV) nomina primigenia TOa 12. XXV) wie 'n^tü 36. XXVI) verba fy 34. XXVII) adjectiva wie nss, tiEJ, T'pn 25. XXVIII) verba I gult. 24. XXIX) nomina augmentata (praepos. !d) 20. XXX) verba II gult. 24. XXXI) nomina augm. (N. praeform. 73) 18. XXXII) nom. plur. tantum 6. XXXIII) verba III gutt. 19. XXXIV) n. a. n abstractnm, instru- mentale, loci 27. XXXV) numerale cardinale vollständig bis 10000. XXXVI) nomina feminina (c. term. fem.) 65. XXXVII) num. ordinale. XXXVIIl) membra 40. XXXIX) nom. cum termin. Schwa 4. XL) nom. monosyllaba t9 24. XLI) n. mon. 32 nb. XLII) n. mon. bu 23. XLIII) wie Vh XLIV) wie ^in 17. XLV) n. augmentata ^ praef.) 17. XLVI) mit n praeform. 21. XLVII) nomina poaica ^^ 28. XLVIII) Con- janctiv 30. XLIX) templum 41. Dazu L) und LI) Tempeigerälh und beim Opfer vorkommende Worte. LH) sacerdotium und Stoffe ihrer Kleidung. LIII) gemmae 12. LIV) sacrificinm 24. LV) dies festi 13. Diese Aufstellung ist r^~^^nthümlich genug; wir wüsten nicht anders dem Leser eine Vorstelliibg ^ku geben als durch diese genaue Angabe der einzelnen Reihen, in denen sich grammatische mit dem Sinne nach geordneten mengen ; auch die' grammatischen' sind vielfach abweichend von der gewöhnlichen Ordnung, so stehen die Gutturalen von allen Verben zuletzt. Für diese ganze Anordnung denken wir die Gründe gefunden zu haben (könii^n freilich nicht fremde Gedanken erratlien) und zweifeln nicht dasz ein Lehrer, der sich dem zdm Grunde liegen- den Plane hingibt, sehr viel wird mit seinen Schulern ausrichten kön- nen, aber Lebendigkeit und Regsamkeit des Geistes gehört dazu. Das sind freilich überall wünschenswerthe Eigenschaften eines Lehrers. Aber das Buch ist bei weitem nicht ein bloszes Vocabular, wie in ein solches znm Theil ausgeführte Declinationen nnd Conjugationen doch nicht gehörten: es folgen' von S. 73 Elementa ^ammaticae 10 Seiten;

iV. Jahrb, f. Phii, ». Paed, Bd LXXVIII. F/l 4. 15

216 Briefe aber neuere Erscheinungen auf d. G. der deutschen PUlol.

da sind die Buchstaben, ihre Eintheilung in Klassen, die Vocalc, Namen, QuantitSt, Aussprache, die Regeln vom Schwa, Bagesch, Raphe, die Arten der Silben, Gutturalen^ Qaiescibiles, Veränderungen der^ocale, Bildung neuer Vocale und die Gonjugationen gegeben; endlich noek eine Tabelle der Suffixen am Nomen und Praepositionen. Alles dies auf 12 kleinen weitgedruckten Seiten, bei Nagelsbach 109, bei ROdiger 202. Das heiszt KQrze und das ist Geschick. Und doch kann man mn sehen, dasz manches noch kfirzer gefaszt werden konnte. Das ist eben zum Lobe gesagt. Manches ist ganz vorlrefTlich; so die Tabelle Ton den Buchstaben, besonders der Vocale und Suffixen. Mit diesem Buche in der Hand wird man also gar keine Grammatik vorläufig brauchen und wird den Schüler selbst v.iel bilden und finden lassen , und onn treten auch die Vocabelreihen erst in^s rechte Licht. Es soll eben das Hebräische lebendige Sprache werden, lebendig in den Schülern. Mit diesem Bächelchen den ersten Cursus durchmachen, dann ea einer Grammatik greifen in Prima, woneben ein Vocabular wie das Ton Stier brauchbar ist, das müste die Schüler fördern und nichts hier TOn zu fürchtender Bequemlichkeit. Der Druck ist gut, Fehler nicht der Rede werth und leicht vom Schüler gleich zu erkennen. Aber was wird der zweite fasciculus enthalteu? Wir sind neugierig.

Quedlinburg. Gos^rau.

(6.)

Briefe über neuere Erscheinungen auf dem Gebiete der

deutschen Philologie

an Herrn Dr S., Obcrldircr am Gymnasinm zu B. von Dr F. ^ seh er, anszerordentlicbem Professor der deutschen Sprache und Litteratur an

der Universität za Halle.

(Fortsetzung von S. 170 ff.)

7.

Nachdem wir nun den klaren und einfachen Thatbestand^ sowol in Beziehung auf die Handschriften des Nibelungenliedes als anf Lneli- manns Abhandlung von 1816 und seine Ausgabe, hinreichend kennen gelernt haben , sind wir befähigt der Holtzmannschen Darstellung Mit sicherem Blicke zu folgen und sie nach Maszgabe der Tbatsachen xn würdigen.

Auf den ersten 59 Seiten seines Buches bespricht Herr Holtsmam die Handschriften, und zwar nach einem kurzen Vorworte von S. d bis 17 das Verhältnis von A zu B und von S. 17 bis 59 das Verhfillms von B zu C.

Im Vorworte weist er darauf hin, dasz jede Betrachtang des Ni- belungenliedes , vom historischen ivie vom philologischen oder itUie*

Briefe aber neuere ErschoioHogen auf d. G. der deutochen PhiIoL 217

tischen Standpunkte, wesentlich davon abhangen, und bedingt sein werde, welchen der verschiedenen Texte man zu Grnnde lege. Auch ilie Ansicht über die Entstehung and die ursprüngliche Gestalt des Werkes werde ganz davon abhängig sein, ob man den einen oder den anderen Text für den alteren und echteren halle. Dasz diese tehroffe Auffassung unrichtig ist, dasz die Ansicht über die Entste- hang und die illeste unserer Forschung erreichbare Gestalt des Wer- kM in den Abweichungen der Texte nicht ihre Wurzel hat, sondern nar in Einzelheiten durch sie unterstützt wird, das denke ich nun be- reits in meinem sechsten Briefe erledigt zu haben.

Der Herr Verfasser klagt, dasz Lachmanns Ansicht über die chfo- Dologische Aufeinanderfolge der Texte ABC fast ausnahmslose GeU lang erlangt habe. Sogar Herr von der Hagen bekenne sich zu ihr; ^doch würde er nichts tote Lachmann S, X^ behauptet haben ^ dan jedes Wortj das nicht in A stehe ^ keine gröszere Beglaubigung habe als eine Conjectur.^ Ob Herr von der Hagen sich dieses philologischen Complimentes gefreut habe, das wollen wir gern dahin gestellt bleiben lassen. Wahr könnte es freilich immerhin sein, denn mit Logik und Kritik stand er wol ein wenig auf gespanntem Fusze; dafür hatte er seine groszen und bleibenden Verdienste auf eiuem ganz anderen Ge- biete, und das dürfen wir uns vollkommen genügen lassen, denn non omnia possumus omnes.

Der Herr Verfasser wundert sich nun sehr, dasz die Lachmannsche Ansicht noch immer ohne Beweis geblieben sei. Behauptet habe wol Lachmann, der Text von A sei offenbar der älteste, aber nachgewiesen habe es weder er selbst sonst fast irgend einer. Deshalb wolle nun er, der Verfasser, ^das Verhältnis der Nibelungenhandschriften *w einander nicht ton neuem , sondern zum erstenmal einer Unter- suchung unterwerfen.^

Da sehe ich, verehrtester Freund, Ihr feines Lächeln um Ihren Mand spielen. Die Freude gönnen Sie dem Verfasser herzlich gern, dasz er sich für den ersten hält,* der jene kritische Untersuchung vor- nimmt. Was aber den von ihm erhobenen Vorwurf bclrifTt, so sind Sie als Philolog natürlich der Ansicht, dasz wer die erste kritische Ausgabe irgend eines Textes besorgt, eben durch die Ausgabe selbst den Beweis dafür zu liefern meint, dasz er mit gutem Fuge und nach reiflicher Prüfung gerade die von ihm gewählte Handschrift oder Re- cension zu Grunde gelegt habe. Wer da glaubt dasz es ihn angehe, der mag dann die Ausgabe nachprüfen. Findet er dabei die Grundsätze nnd das Verfahren des Herausgebers richtig, so wird er doch aber wahrlich nicht aufs Dach steigen und in die Welt hinausrufen: auch ich habe nachgeprüft und die Sache richtig befunden. Findet er sie dagegen irrig, so kann er das zwar der gelehrten Welt verkündigen, er braucht's aber doch nicht zu Ihun. Mithin ist aus dem schweigen der anderen Forscher doch nimmermehr ein Schlusz auf ihre Kopf- losigkeit, ihre blinde Nachbeterei zulässig. Erst* wer eine neue kri- tische Ausgabe desselben Textes auf anderer handschriftlicher Grund-

218 Briefe aber neuere Erscbeinungen auf d. G. der deotochett FfeiloL

läge besorgt und das Verfahren des frfiheren Heransgebers verwirft, erst der musz beweisen dasz jener unrecht hatte, und er kann das thun entweder implicitc durch seine blosze neue Ausgabe allein oder und das wird der gewöhnlichere Fall sein explicite, durch eiae besondere Deduction.

Immerhin aber musz doch irgend ein Grund da gewesen aein, dar das ausgehen von A veranlaszte. Und diesen Grund sucht nun der Ver- fasser zu entdecken. Und nun schauen Sie einmal, wie er mit dea Thatsachen umspringt ! Die Handschrift A sei doch vcrhiltniamiaiig jung und nachlässig. Das ist leider wahr, das wissen wir alle. Ja sie sei noch viel schlechter als sie in Lachmanns Texte erscheine, denn

Nein , das mOssen Sie mit eigenen Augen sehen :

Lachmann , Vorrede der dritten Ausgabe S. XI (wiederholt aus der Vorrede der ersten Ansg.):

.... ^auch die siillschtoeigend verbeuerlm Fehler in A sollten wol angegeben^ manche Les- arten und allerlei orthographisches oder eomA grammatisches näher besprochen werden^, . . . Aber ich bin Jetzt das alles auf ein- mal auszuführen nicht vorbereitet .... Berlin^ den 5. Februar 18 2 6.* (Unmittelbar darauf folgend, wiederholt ans der Vorrede der zweiten Ausgabe):

^Noch mehr^ hoffe tcA, trt'rd die zweite ver- besserte Ausgabe^ in Vereinigung mit den An- merkungen^ die das versprochene sa Ifisten suchen^ tcoltoollenden Lesern ge- nügen .... In die Anmerkungen sind^ gegen den ursprünglichen Plan , damit niemand einlas vermissen möchte^ auch amede» Handschriften B CD EFGHI b c ef g hi sämtliche Abweichungen vom gemeinen Text aufgenommen , so weit ich sie gekannt oder nichts versehen habe .... Berlin^ den 19* JuU 1340,'

(Dasz auch sämtliche stillschweigend ver- besserte Fehler der Handschr. A in den Anaier- kungen verzeichnet stehen, sieht jeder anf den ersten Blick, der die Anmerkungen sUur eben aufschlagen will).

Also, der Herr Verfasser ignoriert das, was bei Lachmann anf derselben Xln Seite klar und deutlich gedruckt steht, und schiebt iliB dafär einen Beweggrund eigener Fabrik unter. Und was fQr einen Be- weggrund? Lachmann habe die Leser hinteres Licht fahren, tia- sehen oder, deutsch gesagt, betragen wollen.

Holtzmann, Untersu- chungen S. 3 : ^Dasz ferner A sehr nachlässig und flüchtig geschrieben ist^ zeigt sich^ wenn man sieht^ welches die Fehler siVirf, von denen Lachmann S, XI sagt^ das'i er sie stillschweigend verbes- sert habe. Er gesteht zu^ dasz er diese Feh- ler hätte -angeben sol- len; aber wol nicht aus B equemlich- keil hat er dies unterlassen^ son- dern absichtlich ^ um bei dem Leser nicht Zweifel an der Richtigkeit seines Verfahrens zu erwecken* ,.. .

iMb aber neuere Erscheinangen auf d. G. der deutschen Pfailol. 219

Wie nennen Sie das, verehrtester Freund?

Weiter wundert sich der Herr Verfasser mächtig (S. 3. 4), ^dasz f^iele offenbare Fehler der Handschrift . . . stillschweigend t>er- yueri werden musten ', und kann es * allerdings nicht begreifen^

rm in anderen Fällen eine wunderliche Lesart eon Ay die einfach ebenfalls als einen Fehler beseitigen könnte ^ in der ge- mmgensten Weise als die ursprünglichste gerechtfertigt werden MS.' Werden Sie, Freund, sich als Philolog nicht auch machtig ■sdern und nicht begreifen , dass der Herr Verfasser sich also ge- ändert und nicht begriffen hat? Werden Sie nicht zu ihm sagen: !i, irerthester Herr! das geliört ja zum Abc von der Kritik! Offen- ire Fehler sind eben Fehler, und die werden im geschriebenen Buche yrade eben so und mit demselben Rechte stillschweigend corrigiert, ie Sie es selber im gedruckten Buche mit den Druckfehlern machen. id wunderliche Lesarten sind eben Lesarten , und die müssen stehen eiben, bis sie durch eine bessere Handschrift derselben Recen- |fl beseitigt werden oder bis ein spaterer mit gröszerem Scharfsinne ler glücklicherem Einfalle ans ihnen das richtige herauslockt. Das osze und schwere Kunststück besteht nur darin, dasz der Kritiker Tiel gelernt haben und so viel Scharfsinn besitzen musz , um in je- l# einzelnen Falle aafs Haar wissen zu können, was blos ein Feh- r and was wirklich eine Lesart ist oder sein kann.'

Es kommt noch besser , verehrtester Freund !

Der Herr Verfasser sagt S. 4: Lachmann erganze stillschwei- md nicht nur kleinere Wörter, sondern auch gröszere, verbessere illschweigend sinnlose Verwechslangen von Wörtern, und be- Äl dazu : * Wenn Lachmann in solchen Fällen stillschweigend (t richtige setzte das die anderen Handschriften bieten , so hat dies r den Nachtheil y dasz man nicht erfährt wie schlecht A geschrie- k üt; wenn er aber zuweilen .... eben so stillschweigend pa$ seisUy das in keiner Handschrift steht und das also nur den '9tih einer Conjectur haben Arann, so ist ein solches Verfahren aller- •yt bedenklich.*

Das ist keine geringe Beschuldigung, und der Herr Verfasser hat vis seine Beweise dafür, zahlt eine Anzahl von Stellen auf, die ihm I Belege dienen können ! Das wird freilich jeder erwarten. Dem *■ Verfasser jedoch'schien eine Stelle ausreichend, nemlich 204, 1. »rt steht aber bei Lachmann : Volgen der von Rine nieman man im efty'und buchstäblich eben so in'^l bei Myller V. 808, und genau eben «neb in B und in C. Mithin wird das wol einer der zahllosen Druck- der in den Ziffern des Buches sein, die dem nachprüfenden Leser die olrole so sehr erschweren und verleiden. Ohne Zweifel aber hat r Herr Verfasser gemeint 204, 4 (denn auf S. 15 wiederholt er von es er Zeile dieselbe Beschuldigung), wo allerdings im Lachmann- lien Texte etwas gesetzt ist, was in keiner Handschrift seht, nemlich d her LiudgSren vor sinen hergesellen vant. Dagegen in der Vul- la: unz er Liudegiren o. s, h, o., und in A : den herren liudgern er ^

220 Briefe über neuere ErschoinuDgeii aof d. G. der dealsolwii PbUoL

fiti f)or sinen h. e. Der Herr Verfasser sei aber einmal anfriohtif and sage uns, woher er denn selbst erfahren hat was \n A, in der Hand- schrift, steht. Etwa aus der Handschrift selber? Oder aas demHyller^ sehen Drucke? Es ßodet sich in seinem Buche nicht die geringste Spur , welche ein selbständiges zurückgehen auf diese beiden Quellen vermuten liesze. Deshalb bleibt, kaum eine andere Möglichkeit ÖDTig als: der Herr Verfasser hat seioe Kunde eben aus keiner dieser bei- den Quellen unmfttelbar geschöpft ! sondern der die Fehler der Handschrift verheimlichende Lachmann selbst hat es ihm ^stillscbwei* gend' gesagt in seinen Anmerkungen zu 204, 4 S. 33. Denn da steht mit deutfichen Worten zu lesen : ^Den Herren Uudgem \ er nu 90T sinen hergesellen vant A. Die Richligkeit meiner Verbesserung ist nicht Mi bezweifeln, Sowol end für 6 (wovon wir noch den Com- paraliws ehuder haben) als her für er hat die Handschrift A öfter (z. B. 403, 2 = Myller 1603. 410, 2 Myller 1630]. Beide deuten^ wie viel anderes , auf eine sächsische oder thüringische Handschrift die zum Grunde lag.^ Und wie an dieser Stelle, so ist ja doch je- desmal in den ^Anmerkungen' jede Abweichung des Druckes von den Buchstaben der Handschrift angegeben!

Nun, Freund! Sie staunen! Heisztdas stillschweigend etwM in den Text setzen, das in keiner Handschrift steht, wenn jemam^die Gründe seiner Emendation so deutlich angibt? Und ist et nieht vollkommen- gleichbedeutend, ob die Belege des Verfahrens in einem besonderen zugehörigen ffuche oder als Randnoten unmittelbar unter dem Texte stehen? 'Welche übermütige Verachtung seines Publikina zeigt der Herr Verfasser bei dieser und ähnlichen Gelegenheiten da- durch, dasz er ihm zumutet, es werde sich von ihm so etwas aufbiadea lassen I Und diese Behauptung stillschweigender Textesinderung ! still» schweigender Textesänderung um den Leser zu täuschen, zu hinter- gehen ! D^ese Behauptung, die den sittlichen Charakter Lachmannt verw dachtigt und in den Schmutz zieht! Wie stimmt das zum Lessingsohen Kanon? Kann der Verfaser diesen Tadel ^mit dem kritisierten Bueke in der Hand gut machen?^ Ist das nicht ärger noch als SchmihuBg? und hatte der Verf. S. VI nicht selber gesagt: ^Statt der Be- weise Schmähungen vorzubringen^ das sollte nie und nirgemdtj auch dem grasten Gelehrten nicht gestattet sein!'

Ehrlich gestanden, lieber Freund! als ich in dem Bnohe bis hierher gekommen war, ist mir der Geduldfaden gerissen, und es bat mioh einige Ueberwindung gekostet mich wieder daran zu geben und ruhig weiter zu lesen und zu prüfen. Wenn aber einem solchen Ver* fahren gegenüber einem und dem anderen Verehrer Lacbmanns die Galle übergelaufen ist, wenn er dem Herrn Verfasser gereizt und bitter geantwortet hat: ich kann ihm das wahrlich nicht verargen.

Der Herr Verfasser fuhrt fort nach dem Grunde der Bevorzugang von A zu suchen. Er meint, vielleicht habe die Kürze von A und diese allein das bewirkt. Man gicng, so sagt er, von der Voraussetzung tos,

Brijefe aber oeuere Erscheinungen auf d. G. der deutschen Philol. 221

das£ das Nibelungenlied aus dem Munde des Volkes geschöpft sei; man meinte, solche Volksgesänge erhalten fortwährend Erweiterun- gen; in dieser ßefangeDheit erklärte man ^ohne weitere Untersuchung' den kürzesten Text A für den ältesten und richtigsten. Hätte es dem Herrn Verfasser nur beliebt uns diesen klugen ^man' mit Namen ZQ nennen, uns Titel und Seitenzahl der Werke anzugeben, wo jene genialen Behauptungen und Folgerungen dieses geistreichen *man' zu finden sind.

Nach des Herrn Verfassers dafürhalten ist aber gerade die Kürze ein Verdachtgrund gegen den Werth von A^ denn die Schrei- ber kürzten fast immer, besonders deutsche Handschriften, und *man kann im allgemeinen den Grundsatz aufstellen^ dasz 90H verschiedenen Handschriften desselben altdeutschen Buchs die längere den besseren und echteren Text habe*^ wie z. B. aus dem kürzeren Alexanderliedo der Verauer Handschrift verglichen mit dem längeren der Straszburger zu ersehen sei.

Das ist denn doch wieder eine Behauptung, die ziemlich in'^s blane geht! So allgemein läszt sich ja gar nicht über die Sache ab> sprechen, vielmehr kommt es, wie jeder Litterarhistoriker weisz, we- sentlich auf den Inhalt und auf den Zweck des betreffenden Werkes an. Werke, welche einen volksmäszigen Inhalt haben, so dasz der Schreiber mehr wüste als in seiner Vorlage stand, werden in der Re- gel so lange durch Zusätze erweitert als noch das Interesse am Stoffe vollkommen lebendig ist, während daneben nur einzelne geringere Partien ausfallen, für welche das Interesse sich bereits abgeschwächt katw Durchgreifende Abkürzung findet bei Werken dieses Charakters erat dann statt, wenn die Lust am ganzen StolTo zu erlöschen beginnt, wie sich an den verschiedenen Bearbeitungen der Alexandersage, der Brandansage und anderer Sagenstoffe mit Leichtigkeit überzeugend nfchweisen läszt. Werke praktischen Zweckes dagegen, wie z. B. Bechtsbücher, als der Sachsenspiegel, der Schwabenspiegel und was tonst dahin einschlägt, erleiden, je nach den praktischen Bedürfnissen, die mannigfachsten Aenderungcn , Zusätze , Kürzungen, Umstellungen V. dgl. Blosze Abkürzung erfahren von poetischen Werken nur solche, die ihrer Form nach zur Kunstpoesio gehören und deren Inhalt die Schreiber nichts hinzuzufügen wüsten; dann aber steht wiederum die Ofite, d. h. die Reinheit und Correctheit des Textes, nicht in nothwen- diger, gleichen Schritt haltender Verbindung mit der Kürzung. So ist I. B. die Heidelberger Handschrift des Alexander >on Ulrich von Eschenbach erheblich älter, hat aber gleichwol bedeutend kürzeren' und doch zugleich auch bedeutend besseren Text als die jüngere Wolfenbüttler Handschrift desselben Gedichtes. Wie es yn dieser Be- siehung um die beiden Texte von Lamprechts Alexander steht weisz ich nicht, da ich sie noch nicht zu diesem ßchufe unter sich und mit ihrer Quelle kritisch verglichen habe.

Das wäre im wesentlichen die allgemeine Betrachtung des Herrn Verfassers. Er selbst faszt ihr Ergebnis (S. 6) dahin zusammen: dasz

222 Briefe über neuere Erscheinungeuauf d. G. der dealiolmi FUloL

A * eine junge ^ flüchtig geschriebene^ alleinstehende^ hur%e Hand-' Schrift ist* Nun, dieser Satz ist seit nahezu vierzig Jahren be- kannt und unbestritten. Der Herr Verfasser hält es darnach iwtr nicht für wahrscheinlich, dasz sie den echten Text enthalte, masx aber doch die Möglichkeit zugeben.

8.

Um die Möglichkeit zu bestreiten, dasz A den echten, d. h. den ältesten vorhandenen Text enthalte , wendet sich der Herr Verfasser auf S. 6 dann weiter zur Specialuntersuchung.

Zuerst faszt er den Umstand in^s Auge, dasz B ungefähr 60 Stro- phen mehr hat als A^ und versucht darzuthun dasz nicht B durch Hin- zufügung dieser Strophen aus A erweitert, sondern umgekehrt A durch Weglassung derselben aus B verkürzt sei. Zu diesem Behnfe zähll er die betreffenden Strophen einzeln nach ihrer Reihenfolge im Gedichte auf und bespricht sie mit einigen Worten. Dabei kommen Muster von Schluszfölgerung^n zu Tage , wie folgendes auf S. 7 : Es soll zwar eben erst bewiesen werden , d a s z ^4 das Bestreben zeige [einen Alte- ren Text] zu kürzen; aber wenn ^4 im vierten Strophenhundert das Bestreben zeigt zu kürzen, wenn ^4 nach 348 vier Strophen, nach 358, 359 und 376 je eine übergeht: dann wird auch der Mangel zweier Strophen in A nach 341, obschon sie allerdings das Ansehen eines [jüngeren] ungeschickten Zusatzes haben, ebenfalls diesem sichtbaren und hier gerade nicht tadelnswerthen Streben nach gröszerer Kürze zuzuschreiben sein.

Leitende Grundsätze treten in dieser ganzen Besprechung der StrophendifTerenz nicht merklich hervor. Auch betrachtet sie die be- treffenden Strophen nur in ihrer Vereinzelung, sich lediglich an deren arithmetische Folge haltend. Dadurch verschwimmt dann die Aus- führung in eine gewisse Nebelhaftigkeit, welche das Urteil dessen, der eben nur so geduldig hinliest , einschläfert. Es wäre nnn sehr leicht, die Aufstellungen des Herrn Verfassers im einzelneu vollständig zu widerlegen, allein ich habe Ihnen bereits gesagt, verehrlester Freund , dasz und warum ich in diesen meinen Briefen auf das Detail nur ausnahmsweise eingehen will und kann. Auch bedürfen wir hier dessen nicht.

Nehmen wir einmal an, es sei richtig was der Herr Verfasser hier aufgestellt hat, und suchen wir^ indem wir uns möglichst an seine eigenen Worte halten, die Principien und die Consequenzen seiner Be- hauptungen aufzußnden.

Also: in A möge ein Text vorliegen, der aus einem älteren Texte. B durch Abkürzung entstanden sei. Da ergeben sich üenn doch notb- wendig sofort die beiden Fragen: l) wer hat abgekürzt? 2) wie und warum hat dieser *wer' abgekürzt?

Auf die erste Frage suchen wir bei dem Herrn Verfasser vergeb- lich eine bestimm te Antwort. Er sagt entweder nur in abstracto: A hat gekürzt oder: ^der Schreiher* hat gekürzt; ob er aber unter

Bitefe aber neuere Erscheinangen auf d. G. der deatschen Philöl. S23

letzterem einen Abschreiber oder einen Redaclor versiehe, darüber hat er keine besondere Erklärung gegeben. Ans dem Umstände , dasz «ach in der Handschrift / einige dieser Strophen fehlen, folgert der Herr Verfasser auf S. 9, dasz schon vor der Abfassung von A Kürzungen eines älteren Textes ^gemacht worden seien. Mithin sind wir berechtigt die Ansicht des Herrn Verfassers zunächst folgendermaszen festzustel- len: mindestens zwei aufeinander folgende Abschreiber oder Redactoren haben einen älteren Text B dnrch Abkürzung auf die Form A gebracht.

Auf das Varum' der zweiten Frage gibt der Herr Verfasser S. 7 bis 9 vier Antworten : Gekürzt ist worden aus ^ Nachlässigkeit^^ ans ^ Trägheit ^ aus ^Versehen' und ^absichtlich^»

Auf das Vi e' der zweiten Frage wird S. 7 die Antwort bei Ge- legenheit eines speciellen Falles ertheilt. A hat nemlich nach Nr 442 drei Strophen übergangen, ^und zwar nicht aus Versehen sondern ab- sichtlichy u>eil der Schreiber meinte^ ihr Inhalt sei ja schon bekannt'^ nnd ^deshalb ersetzt A den Fers 424, 4 mit nichtssagenden Worten.'

So! Nun sind wir in Ordnung! Also nicht blos Strophen sind aasgelassen und mit überlegter Absicht ausgelassen, sondern auch Verse der anstoszenden Strophen sind geändert worden, sobald in- Folge der entstandenen Lücke ihre unveränderte Beibehaltung eine Störung des Sinnes oder gar einen Widersinn ergeben hätte.

Wer absichtlich, wer aus Gründen und mit Ueberlegung Strophen ansläszt, wer die in Folge der Auslassungen entstandenen Störungen dea Sinnes und Zusammenhanges durch Veränderung des stehengeblie- benen beseitigt, der ist ein Redactor. Ob ein guter oder schlech- ter, ein geschickter oder ungeschickter, das ist erst die zweite wie« der für sich zu untersuchende Frage. Und was er nebenbei als Ab- schreiber durch Nachlässigkeit oder Trägheit versehen haben mag, das iil wieder eine dritte Frage, die auch besonders untersucht werden kann.

Mithin sind wir nun berechtigt die Ansicht des Herrn Verfassers folgendermaszen endgiltig festzustellen :

Mindestens zwei auf einander folgende Redactoren haben einen älteren Text B durch Auslassung von Strophen und durch Aeoderung beibehaltener benachbarter Strophen auf die kürzere Form A gebracht. Allerdings spricht der Herr Verfasser auch von Strophen, die lediglich durch Nachlässigkeit, Trägheit oder Versehen ausgefallen seien. Doch nfcht einmal für eine einzige Stelle hat er bewiesen, dasz durch die anveränderte Beibehaltung der benachbarten Verse wirklicher Unsinn in A entstanden wäre. So lange dieser Beweis aber gebricht, bleibt die Annahme der Nachlässigkeit, Trägheit, des Verschens eben eine blosze unbewiesene Annahme, eine Ansicht, eine Meinung, eine Be- hauptung. Und hiermit sind dieser Annahme, ihrem Werthe, und den daraus zu ziehenden Folgerungen ihre festen , engen Grenzen mit Be- stimmtheit angewiesen.

Sie sehen hier wiederum , verehrtester Freund ! wie sehr der Herr Verfasser für sein Buch aufmerksame und geduldige Leser ver- langt, welche sich die Müheoiicht verdrieszen lassen, seine Darstellung

224 Briefe Ober neuere Erscheinangett aaf d. G. der dei|Uo|Mtfi,FMM.

auf ihrisn logischen Gehalt abzuklären und seine Principien hervona- locken. Lassen Sie uns nun einmal den Consequenzen nachgehen !

Wenn wir genau der Aufstellung des Herrn Verfassers folgei, so zerfallen die Strophen, um welche sich B von A unterscheidet, ia zwei Klassen. Die einen erklärt er theils selbst geradezu für entbehr- lich, theils gibt er zu dasz sie ohne Beeinträchtigung des Sinnes und Zusammenhanges entbehrt werden können, obsqhon man manche ungern vermissen werde; es sind deren 49 an 40 Stellen des- Gedichtes. . Voa den anderen behauptet er dasz sie nothwendig, dasz sie unentbehrlich seien; deren sind 14 an 8 Stellen des Gedichtes, nemlich diejenigen, die aus dem gemeinen Texte in Lachmanns Ausgabe am unteren Hände der Seite stehen, hinter den Strophen 338.^48. 428. 437. 442. 589. 1614. 1818.

Wollen Sie sich die Mühe nehmen, die angeführten Stellen in Lachmanns Ausgabe nachzuschlagen und, ohne Berücksichtigung dessea was am untern Rande der Seite aus B augeführt ist, den bloszen Text A hintereinander fort zu losen, dann werden Sie freilich finden, dau dies ohne merklichen Anstosz möglich ist. Wenn Sie recht scharf achtgeben, dann können Sie vielleicht hie und da eine kleine Härte gewahren, aber eine wirkliche Störung des Sinnes, eine wirkliche Unterbrochung des Zusammenhanges sollen Sie wol kaum spüren. Und doch nur wenn solche Störung, solche Unterbrechung fühlbar hervor- träte, könnten jene Strophen mit Recht ^nothwendige' oder *nnent- bohrliche' genaunt werden.

Doch es sei! Des Verfassers Behauptung möge unangefochten bleiben. Dann wird uns doch die Frage zustehen und sogar von seibat sich aufdrängen: wie sich wol jene Strophen, die ^noth wendigen' wie die ^entbehrlichen', im Gedichte vertheilen mögen? Als Antwort er- halten wir fglgendet Tafel:

Lachmanns Lie- anStel- Zahl der nö- anStel- Zahl der eot» dereintheilung len thigenStr. len behrlicben Str.

1 2 11 13 19-

12 14

1 10 10

2 2 1 1

1 1 1 1

Summa 8 14 40 49.

Oder noch mehr vereinfacht:

Altes echtes Lied IV 5 II 13 19

Fortsetzung von IV 12 14

V 1 1 10 10

Summa 6 12 35 43.

Uebriger erster Theil der Nibclungc Not 4 0

zweiterTheil derN.N. 2 1 1.

Altes echtes Lied I

Fortsetzung von IV

5

IV

V

1

Vlll

IX

XV

1

XVII

1

Bcieib Qber iieaere Brscbeinangeo auf d. G. der d^atfolKMi PhiloL S95

Siod Sie überrascht, Freund? Wie aehr recht hatten Sie, die Fragstelluiig so zu betonen ! Wie erscheint nun bei anderer FragsleU lang die Sache sofort auch in einem ganz anderen Lichte ! Und setzen Sie nun einmal die gefundenen Zahlen in Yerhültnisse um ! Was er- gibt sich dann ?

lieber 43 Procent oder fast die Hälfte sämtlicher fraglicher Stro- phen fallen allein auf das kurze alte vierte Lied. Oder mit andereu Worten : zwischen Strophe 338 und 443, also innerhalb des engen Be- reiches von nur 105 Strophen, hätte der Redactor oder der Schreiber von A ganze 30 Strophen, d. h. jede vierte Strophe ausgelassen.

Ueber 22 Procent oder über ein Fünftel fallen auf die Fortsetzung des vierten Liedes. Und fassen wir das alte vierte Lied mit seiner FortQetzung zusammen, so fallen hierauf über 69 Procent oder über swei Drittel sämtlicher Strophen.

Ueber 17 Procent oder fast ein Sechstel fallen auf das fünfte Lied und nicht volle 8 Prooent oder noch unter ein Zwölftel fallen auf die ^anze übrige erste Hälfte des Nibelungenliedes, und endlich gar nicht ToUe 5 Procent oder nur ein Einundzwanzigstel auf die ganze zweite Hälfte desselben. Oder mit anderen Worten : zwischen Strophe 662 und 2316, also im Verlaufe von 1654 Strophen^ hätte derselbe Mann nur 6 Strophen oder jede 276e und von Strophe 1000 ab gar nur 3 Strophen oder jede 439e weggelassen !

Kann ein so auffallendes Misverhältnis Zufall sein? Wäre der Abschreiber nur in dem beschränkten Bereiche des vierten und fünften Liedes träge, nachlässig, unaufmerksam gewesen und dann plötzlich wieder fleiszig, sorgfältig und achtsam geworden? Das ist schon an aieh nicht wahrscheinlich, ja es ist sogar entschieden unmöglich, weil, wie wir ermittelt haben, überhaupt nicht ein Abschreiber, sondern ein mit überlegter Absicht verfahrender Redactor die Strophen weggelas- gen haben musz. Verfuhr aber der Mann mit überlegter Absicht, welcher Grund hat ihn bewogen gerade im fünften und noch mehr im vierten Liede so überwiegend viel Strophen zu verwerfen? Diese Frage musz doch nothwendig aufgeworfen und ihre Beantwortung ge- ancbt werden!

Sollte diese so höchst sonderbare Ungleichmäszigkeit in der Ver- theilnng der streitigen Strophen dem Herrn Verfasser denn gar nicht aufgefallen sein? Lachmann, der freilich in eigensinniger Verblerfdung die richtige Aufeinanderfolge der drei Recensionen so gänzlich ver- kannte, hatte doch schon 1816 (ursprüngl. Gestalt S. 68 f.) nachdrücke Heb genug darauf hingewiesen. Und da der Herr Verfasser doch die einschlägigen Schriften des Mannes, dem er widerlegen will, mit Be- dacht gelesen haben musz, so kann ihm die Stelle nicht unbekannt ge- blieben sein. Aber er schweigt! Hat er ein eingehen auf diese so stark sich hervordrängende und zugleich so wichtige Frage absichtlich oder unabsichtlich vermieden? Wir wissen^s nicht; er schweigt!

Er schweigt! und es ist klug, sehr klug, dasz er schweigt! Denn man darf diese gefährliche Frage nur eben anrühren, so spriugt äugen-

226 Briefe über iieaere Erscheinangen auf d. G. der denlsoheB PhÜol.

blicklich ein ganzes Heor recht stachlicher and eben so gef&hrlieher Fragen aus ihr hervor. '*')

Mit den bisher zur Sprache gekommenen Mitteln Ifiszt sich die Frage auch nicht lösen, läszt sich die Losung nicht einmal beginnea. Deshalb möge sie vorläuflg bei Seite gestellt bleiben; ein ipiterar Brief wird wol Gelegenheit geben ihrer wieder zu gedenken nnd die einzig mögliche endgiltige Lösung als längst geliefert nachzuweiseD.

In ähnlicher Weise wie die Strophendifferenz zwischen A und B bespricht der Herr Verfasser S. 17 36 den Strophenunterschied zwi- schen B und C, doch so, dasz er diesmal nicht sämtliche Fälle einzeln aufzählt, sondern sich, nach seiner eigenen Angabe (S. 20), aaf die Heraushebung einiger beschränkt. Auch hier wieder spricht er .wie* derholt von Versehen (S. 21. 22. 23), vom Schreiber (S. 21.23. 31. 33) , vom Abschreiber (S. 25. 29) und am häufigsten ipom abstractani B^ welches dies oder das gothan habe. Aber diesmal hat der Herr Verfasser den Schalk noch mehr im Nacken als bei der früheren Be- sprechung. Und hat er nicht auch ein Recht dazu? Kann er denn nicht füglich verlangen und voraussetzen, dasz der Leser nun schon Fort- schritte gemacht, schon gröszere Uebung und Gewandtheft erlangt habe in der Kunst, den versteckten logischen Gehalt aus seiner Dar- stellung sich abzuklären und seine Principien zu entdecken? Das ist auch nöthig, denn schon die Sache selbst ist diesnual nicht so ein- fach als bei der frflheren Besprechung.

Die Wirksamkeit des abstractums B äuszert sich nemlich riet reicher und mannigfaltiger als jene des abstractums A. Das abstractnn B läszt nicht nur ebenfalls Strophen aus, *und zum Theil auch auf Grand einer Ueberlegung, weil es sie für aberflüssig hält' (S. 19), und ^ab- sichtlich*^ besonders von Strophe 1654 ab (S. 21); ändert nicht enr' ebenfalls die benachbarten, die anstoszenden Zeilen, nm die in Folge der Lücke entstandene Sinnesstörung zu beseitigen oder ein Versehen gut zu machen (S. 20. 22. 23. 30) , sondern es greift viel weiter aus, es wagt viel kühneres. Es beseitigt nach Strophe 1083 ganze acht Strophen , weil ^die Nachricht in der Klage [V. 1839 fT.J finden war* (S. 25), d. h. B combiniert S. 149 der Lachmannicbea Ausgabe mit S. 360, ändert also mit einer über 200 Druckseiten hinflber' reichenden und vorausschauenden Erwägung. Und mit eben solcher,

*) Herzlich gern der Wahrheit die £hre gebend trage ich nach, da8z ich nun auf S. 14 allerdings die zuvor übersehenen Zeilen bemerke: * Aenderungen waren in diesen breiteren und offenbar jüngeren Ab- schnitten des ersten Theils sehr leicht zu inachen."* Aber branche ich des- halb anch nur ^in Wort des oben gesagten zurückzunehmen? Oder fin- det dies nicht vielmehr gerade hierin wieder eine neue Bestätigung? Eben nur angerührt ist die Frage, und siehe da! was springt heraas? Breitere, offenbar jüngere Abschuitte des ersten Theils! Was heiazt das? Wären also doch in unserem Nibelungenliede Abschnitte verschie- denen Alters und verschiedenen Stiles zu einem ganzen vereinigt? Wie passt das zu den übrigen Aufstellungen dos Herrn Verfassers!

Briele Aber leaere Erscheinungen auf d. G. der deutocben Pbilol. 227

S. 164 mit S. 320 combinioreoder Erwägung wird nach Strophe 1201 eine Slrophe gestrichen, well ja in der Klage (V. 494) Etzels Rücktritt vom Christenthum gemeldet war (S. 25). Ja das äbstractum B wagt noch gewaltsameres : es greift in die Psychologie des Gedichtes ein und gewinnt damit selbst ein concretes, persönliches, leidenschaft- liches Leben. Aus ^Gehässigkeit gegen Grimhilde* ^streiche es ^ab- sichtlich* Strophen, in denen Kriemhilt entschuldigt wird (S. 26), und stellt ^ganz unnöthigerweise Brunhilde als geizig* dar und macht sie ^lächerlich' (S. 32). Und wenn es noch mit bloszen Auslassungen sich begnügt hatte! Es wird aber sogar selbst productiv: es setztauch Strophen zu. Bald will es nur ^ einen alten fehler' seiner Vorlage corrigieren (S. 34) oder nur ausmalend erweitern (S. 35), bald benutzt es *tfi einer Zeit^ tco Milde als die erste Fürstentugend galt^ die Ge^ legenheit^ um die Freigebigkeit der Burgundischen Helden auf Kosten der Brunhilde hervorzuheben' (S. 32), bald soll schon zeitig *ein Hasi tiagens gegen Siegfried' sich ausdrücken (S.33), bald ^der erste Grund %ur Feindschaft Hagens gegen Grimhilde gelegt u>erden' (S. 34).

Der Leser hat nun auch in der That schon so viel Geschick er- worben, dasz er mit ziemlicher Leichtigkeit auf die Neckerei des Ver- fassers eingeht und zu ihm spricht: ^Geehrtester Herr Verfasser, Sie selbst haben mir doch auf S. VI Ihres Buches ausdrücklich gesagt, dasz Sie Ihre Lehre ausschlieszlich ^auf den Verstand' gegründet haben. Der Verstand aber zwingt mich in dem äbstractum B^ welches seinen Text nach so weit ausgreifenden Combinationen und nach so mannigfaltigen Beweggründen geändert hat, ein recht lebendiges con- cretum, einen recht rührigen Redactor zu erkennen. Und weil der ' Verstand mich dazu eben zwingt, so mnsz das nothwendig auch Ihre eigene nnd eigentliche Ansicht sein, die Sie wahrscheinlich nur des- jbalb so versteckt haben, damit ich in Aufspürung derselben meinen Verstand uncl Scharfsinn üben und bilden solle. Es thut mir nun aber wirklich leid, von Ihnen zu erfahren dasz der Redactor, der sich so viel Hübe gegeben hat, ein so garstiger, den Charakter seiner Helden verschlechternder und zugleich ein so ^ungeschickter' (S. 20. 24. 26), ^armseliger' (S. 31), ^ganz einfältiger' (S. 33), ^sinnloser' (S. 27) Geselle gewesen ist, der statt der vermeinten Verbesserung ^ganz $ekleekte Reimerei' (S. 32) zu Tage gefördert hat. Der Nann hätte doch um so mehr in sich gehen und sein Leben, denken und dichten bessern sollen, als ihm ja fromme und gelehrte Rathgeber zur Seite standen, indem ^Geistliche bei der Gestaltung des Textes von B be- iheiligt toaren' (S. 35), welche ihn lehrten die Strophen 994. 995 und 1000 einzuschalten, ^da des Opfers, der Messen und der Vergabung an die Kirche zum Heile von Siegfrieds Seele nicht vergessen werden dürfe!'

Heben Sie nicht den Finger drohend auf, verehrtester Freund, schelten Sie mich nicht, dasz ich hier selber in einen vielleicht zu heiteren Ton gefallen bin. Es war wirklich nicht meine Absicht, und ich werde sogleich wieder ernsthaft fortfahren , ja vielleicht noch viel

228 Briefe Aber nenere Erschoiniingen aur d. G. der deolgolieii PMIOI.

ernster werden müssen als ich wOnsche. Der Herr Verfasser wird mir diese Heiterkeit gewis verzeihen, hat er sie doch selbst hervorgerufenf indem er frohe Jiigenderinnerungen erweckte durch Entdeckung eines Geniestreiches, den der Schreiber von B begangen hat. Nach Strophe 1191, 1 bietet nemlich der Text B 11 Zeilen, an deren Stelle in C Dor 3 Zeilen stehen, und Herr Holtzmann erklärt (S. 35) diese Erscheiunng folgendermaszen : * Wahrscheinlich schrieb der Schreiber nach 1191, 1 die Etzelen man unbesonnen ein Relativ ; um nun nicht ausstreichen zu müssen^ füllte er den Relativsatz mit einem Gedanken von seiner Erfindung aus .... Drei volle Strophen brauchte er um wieder im rechte Geleise zu kommend

Was hätte midi lebendiger gemahnen können an das immer nene gaudium, mit welchem Vorjahren die Schaler Ihres Gymnasinma jede neue Geschichte von den Wunderliehkeiten des alten Kectors X. be- grüszten? Sie haben ja den alten Herrn selbst gekannt, der ein ao verdienter Gelehrter und mit Recht von seinen Schalem geliebter Leh- rer war, trotz seinen Seltsamheiten. Verbargen kann und mag ich ihre Wahrheit natürlich nicht, aber erzählt wurde die Geschichte und von der lustigen Jugend mit groszem Jubel vernommen, wie dem alten Herrn auf einen eben vollendeten, kaum eine halbe Seite betragenden Bericht ein groszer Klex gerathen sei und wie er sofort einen nenen Bogen ergriffen und auf vier Folioseiten bewiesen habe, das Provin- zialschnlcollegium könne ihm die Einsendung der beklexten halben Seite durchaus nicht als Respectsverletzung aufmutzen, denn er habe un- möglich so viel Zeit erübrigen können nm die halbe Seite noch einmal zu schreiben.

9.

Doch genng des Scherzes ! Fragen wir aber ernsthaft, wns denn nun durch die ganze Verhandlung aber die Strophendifferens für die Bestimmung der Uecensionenfolge wirklich gewonnen sei, so finden wir bei ruhiger, verstündig nüchterner Erwägung, dasz der Gewinn so beträchtlich eben nicht ausgefallen ist. Direot ist für die Entscheid düng der Streitfrage so gut wie gar nichts erreicht. Denn verfahren wir exact, d. h. beschränken wir uns genau und lediglich auf die in Frage gestellten Strophen selbst, und sehen wir gänzlich ab von den Veränderungen, welche der Text anderer Strophen in Folge der Ans- Inssung oder Einschiebung jener fraglichen Strophen erlitten hat, so kommen wir schlechterdings nicht über jene blosze doppelte Mög- lichkcit hinaus, die wir schon vor dem Beginn der ganzen Bespre- chung als bestehend anerkennen musten : über die Möglichkeit der Er- weiterung einerseits oder der Verkürzung andererseits. Indireot aber ergibt sich bei demselben cxacten Verfahren in Beziehung auf die Grundfrage nichts weiter als eine geringere Wahrscheinlich- keit für die von dem Herrn Verfasser verfochteue Möglichkeit. Ja durch die Behandlung der Sache, welche dem Herrn Verfasser beliebt hat, wird, trotz dem zuversichtlichen Tone seiner entgegengesetzten

.Briefe äiMr aevere Erscheinangcn auf d. G. der dentschen Philol. 229

Behanphing', jene Wahrscheinlichkeit sogar noch bedeutend ver- mindert.

Lassen Sie uns, verehrtester Freund, die Sache einmal mit mathe- Mdatischer Strenge, wie ein liecbenexempel , behandeln, und die Fol- gerung wird sich sofort auch mit maüiematischer Evidenz Jieraus- slellen. *

Gegeben sind die drei Handschriften ABC, Diese können, wie Sie als Philolog nicht bestreiten, durch den Kritiker von ihren zafalli- gen Fehlern befreit werden , dasz wir erhalten drei kritisch gereinigte Texte Ä B^ C\ Nach unseren gesicherten Ermittlungen aber sind diese Texte nicht schlechthin Texte, sondern drei Recensionen Ä B' C^, deren jede ihre eigen thümliche unterscheidende Gestalt erhalten hat durch einen nach Ueberlegung und mit Absicht verfahrenden Redactor. Und vergleichen wir diese drei Recensionen unter einander lediglich in Be- ziehung auf die Zahl ihrer Strophen, so sehen wir dasz in runder Zahl sieh B' von Ä durch ein mehr von 60 Strophen unterscheidet, und eben so zwischen B' und C ein Unterschied von 40-r50 theils zugesetzten, Uieils weggelassenen Strophen stattfindet, so dasz wir den Abstand von Ä zu C' in runder Summe auf 100 Strophen annehmen können. Nun steht unbestrittenermaszen B! zwischen Ä und C\ folglich sind für die chronologische Aufeinanderfolge der drei Becensionen drei Annahmen möglich: 1) ausgehend von i^, einerseits Verkürzung zu X^ andererseits Erweiterung zu d ; 2) ausgehend von X^ Erweiterung durch B' zu (/; 3) ausgehend von C', Verkürzung durch B! zu 4'.

Die erste von B' ausgehende Annahme ist zwar auch sohon auf- gestellt, aber diesmal nicht in Frage gezogen worden, darf mithin hier unberücksichtigt bleiben. .Die beiden anderen Annahmen aber gestat- ten eine fortgesetzte über die blosze Möglichkeit hinausgehende Fol- gerung erst nach Erledigung einer auf die innere Beschaffenheit der drei Recensionen bezüglichen Vorfrage, und die Richtigkeit der Fol- gerung wird von der Richtigkeit der Fragstellung abhängen.

Wie musz nun diese Vorfrage lauten und worauf allein darf sie sieh beziehen? Natürlich darf sie sich nur allein beziehen auf die- jeni{^e Beschaffenheit der Texte, welche lediglich von dem mehr oder minder der fraglichen Strophen abhängt, und musz von allem anderen gänzlich absehen. Sie darf also nicht Rücksicht nehmen auf den poä- tischen Werth, auf die grammatischen und metrischen Mängel oder Vorzüge, auf die stilistische Unbeholfenheit oder Gewandtheit der ver- schiedenen Recensionen und wie alle jene einzelnen inneren Eigen- schaften weiter heiszen: sondern sie darf nur gerichtet sein auf die ^ine Eigenschaft des Zusammenhanges im groszen und ganzen. Mithin musz sie folgendermaszen lauten : Ist jede der drei Recensionen in sich so abgeschlossen und so weit ausgebildet, dasz Sinn und Zusammen- hang keine empfindliche und nur durch Herbeiziehnng einer anderen Recension zu behebende Störung und Beeinträchtigung des Verständ- nisses zeigen? Und auf diese in so bestimmte Grenzen gefaszte Frage gibt es nur eine bejahende Antwort. Und die bejahende Antwort ist

230 Briefe über neacrc Ersehe innngen auf d. G. der dentfohen PUlol.

nichts weiter als eine offene Anerkennung des wirklichen, vor jeder- manns Augen liegenden Thatbestandes. Und dieser Tbatbestaod ist so klar und steht so fest, dasz Niemand ihn ausdrücklicher anerkannt und bezeugt hat als gerade Herr Holtzmann selbst. Denn eben deshalb, weil ia Lachmanns Ausgabe der Text der Kecension Ä so rein and un- vermischt vorliegt und weil dieser angeblich schlechteste Text durch 30 Jahre von jedermann ohne Anstosz gebraucht, gelesen, erkliirt, übersetzt worden ist, weil niemand für nöthig befunden hat ihn aoi B! und d zu ergänzen : eben deshalb hat ja der Herr Verfasser sein Buch geschrieben.

Wenn dem aber so ist, was folgt daraus unmittelbar für die 100 in Frage stehenden Strophen? Es folgt unmittelbar, dasz diese den Sinn und Zusammenhang des ganzen nicht empfindiioh beeinträchtigen* den Strophen , so vortrefflich sie auch theilweise an sich sein mögen, doch eben für das ganze unwesentlich, unnöthig, flberflOssig sind.

Was ist nun leichter : in ein Werk zahlreiche mittelmäszige and selbst gute, aber nicht gerade nothwendige Zusätze einzuschieben, oder zahlreiche mittelmäszige und selbst gute Stelleu eines Werke» als unwesentlich für das ganze zu erkennen und deshalb heranssn- scheiden? Die Antwort auf diese Doppelfrage kann doch nicht einen Augenblick zweifelhaft sein , am wenigsten für einen erfahrenen Gyn* nasiallehrer, der sie allmonatlich bei der Correctur der deutschen Anf- sätze seineu Primanern mit der streichenden reihen Feder ad hominem demonstriert I

UeberflOssige Sätze, die mehr oder minder an die Phrase rühren, kann jeder machen. Sie erkennen, vermeiden, beseitigen: dazn gehört schon ein geübtes denken und ein gereiftes Urteil. Gute Kritiker sind selbst im I9n Jahrhunderte, selbst unter uns, die wir von Kindesbeinen ab zur Reflexion erzogen werden, eine nicht eben allzuhäufige Erschei- nung. Und nun gar im dreizehnten Jahrhunderte!

Ja hätte, wie der Herr Verfasser behauptet, der zweite Redaotor des Nibelungenliedes bei der Kürzung von ^ sich auch wirklich an 8 Stellen des ganzen über 2000 Strophen langen Gedichtes geirrt, weleh ein Lessing, welch ein Lachmann für seine Zeit wäre er immer noch gewesen !

Der Herr Verfasser betont S. VI mit besonderem Nachdrnek, dtsi seine neue Ansicht ^auf den Verstand^ gegründet sei. Mithin hat er eine rein verstandesmäszige Erwägung und Prüfung derselben zu for- dern. Urteilen Sie nun selbst, verehrtoster Freund, ob die eben hier versuchte kurze Deduction den Namen einer schlichten, folgerichtigen, streng verstandesmüszigcn verdiene ! Und wenn Sie diesen ihr zner- kennen , zu Gunsten welcher Wahrscheinlichkeit spricht dann ihr Er- gebnis? Zu Gunsten der von Herrn Holtzmann vertretenen Wahrschein- lichkeit einer Verkürzung des Textes, oder zu Gunsten der von Laoh- mann'^ vertretenen Wahrscheinlichkeit einer Erweiterung?

Ist die Wahrscheinlichkeit der Verkürzung nicht schon an sich die geringere, deshalb, weil .sie die schwerere und seltenere Thätig-

Briefe Aber neuere Erscheinungen auf d. G. der deutschen Philol. 23t

keit eines ausscheidenden, eines auf Ermittlung und Beseitigung des entbehrlichen bedachten Redactors vorraussetzt? Und wird durch die fibrigen Behauptungen des Herrn Verfassers die von ihm verfochtene Wahrscheinlichkeit irgendwie erhöht oder nicht im Gegeutheile noch mehr vermindert?

Wenn ein Redactor ein überlegender Mann ist, der nach Vorbe- dacht nnd mit Absicht handelt: ist es dann wahrscheinlich, dasz ihm alles nur misrathe? Liegt es im Charakter des 13n Jahrhunderts, dass mehrere Redactoren nacheinander dieselbe Absicht verfolgt und ver- mrklicht hätten überflüssiges auszuscheiden? Gibt es eine für des Verfassers Ansicht günstige Erklärung der merkwürdigen Thatsache, dasz die Auslassungen gerade im Bereiche des IV und V Li^es mas- senhaft, dagegen durch das ganze übrige Gedicht nur vereinzelt vor- kommen? Müssen nicht, je mehr und je verschiedenartigere Personen, Redactoren, Abschreiber u. dgl. für dieselbe Verkürzung mitwirken, je mannigfaltiger die Ursachen der Auslassung sein sollen, als Ab- sicht, Trägheit, Nachlässigkeit, Versehen: müssen dann nicht die Mis- griffe und Fehler so unvermeidlich anwachsen, dasz zuletzt unmöglich etwas anderes übrig bleiben kann als ein ganz zerrütteter und ver- stümmelter Text? Und ist es dann nicht ein wahres Wunder dasz der Text il' dennoch in sich zusammenhängend, lesbar und ohne empfind- liche, für Jedermann sofort bemerkliche Störungen des Sinnes geblie- ben ist?

Diese Fragen lieszen sich noch vermehren. Der Herr Verfasser hat nicht ^ine derselben aufgeworfen, geschweige dasz er sie beant- wortet faätte. Sie brauchen aber eben nur aufgeworfen zu werden, um dorch ihre blosze Existenz den schlagenden Beweis zu liefern, dasz die weit geringere Wahrscheinlichkeit für die vom Herrn Verfasser verfochtene Möglichkeit spricht: für jene Möglichkeit, dasz die Re- cension B"^ durch Kürzung aus (f und weiter A' durch Kürzung aus B^ hervorgegangen sein könne.

10.

Die gröszere Wahrscheinlichkeit also auf Seiten der Lach- mannschen, die geringere auf Seiten der Holtzmannschen Ansicht nar bis dahin und nicht einen Schritt weiter gelangen wir, we«n wir uns lediglich an die StrophendifTerenz halten. Aber wir wollen nicht Wahrscheinlichkeit, wir wollen Gewisheit. Ist diese zu erreichen? und wodurch?

Da haben Sie, verehrtester Freund, wieder einen Beleg für die Richtigkeit des Taktes , mit dem Sie so groszen Nachdruck auf die Fragstellung gelegt haben. In der That, vorzugsweise durch die falsche Pragstellung ist diese ganze Angelegenheit in solche Verwir- rung gerathen.

Darf man denn überhaupt die Untersuchung mit der Strophen- difTerenz beginnen? und darf man überhaupt die Frage so fassen: zu welchem Schlüsse auf das relative Alter der Recensionen berechtigt

iV. Sokrh, f. PAfl. I». Paed. BdLXXVIII. Ä/ie4. 16

232 Briere Ober nenere Erscheinangon auf d. G. der denfsclien PUIot.

die blosse StropliendifTerenz ? Freilich ist die StrophendifTereiiK wol dasjenige unterscheidende Merkmal gerade dieser drei KecenBionen, ifvelche aofden ersten Blick am meisten in die Augen springt. Aber ist es darum auch das wesentlichste? Können denn drei Recenaionen nicht eben so sehr, ja noch mehr von einander verschieden sein aach ohne StrophendiiTerens?

Lautet nicht die Grundfrage folgendermaszen : welche* der drei Recensionen Ä Bl Cf ist die älteste, welche die mittlere, welche die jflngste? und erwachst daraus nicht sofort die folgende Frage: wie und wodurch bestimmt man Oberhaupt das relative Aller zweier oder mehrerer Texte oder Recensionen? Und gibt es darauf eine andere Antwort^als die einfach auf der Hand liegende, die jeder Philolog so- fort aussprechert wird : man vergleicht eben die Texte unter einander Zeile für Zeile und ermittelt ihr relatives Alter aus den Abweichnn- gen, aus den Lesarten. Die Abweichungen der Texte, die Lesarten, sind es ganz allein, die hier zu einem sicheren und beweisbaren Ur- teile fähren können. Sie geben die Grundlage für den ganzen Bao, nnd von der Besehaffenhoit dieses Fundamentes hängt die Festigkeil des ganzen Gebäudes ab. Und die Strophen diffcrenzen sind ja doch eigentlich auch nichts anderes als eben nur Abweichungen, die wegen ihres betrachtlicheren änszcren Umfanges etwas mehr in die Angen fallen. Sollen sie in nähere Erwägung gezogen werden, so darf das nur in Verbindung mit den übrigen Abweichungen, mit den Lesarten im engeren Sinne geschehen. Die Frage lautet dann aber nicht: was folgt aus der Strophendifferenz für das relative Alter der Recensionen? sondern sie lautet beinahe umgekehrt: wenn durch die ErwSgnng der gesamten Varianten das relative Alter der Recensionen ermittelt ist, was folgt aus dieser Ermittelung für die Erklärung der Exisleni and des Charakters der Strophendifferenz?

Dasz die Lesarten in Betracht genommen und sehr in Betrteht genommen werden müssen, das konnte freilich auch Herrn Holtimann nicht entgehen. Schon bei Besprechung der StrophendifPerenz sah er sich gar oft genöthigt, zugleich auch den abweichenden Wortlaut des Textes zu berücksichtigen. Das war aber eine logische Inconseqneni, die ihn wol hatte stutzig machen sollen. Und dieser logische Fehler blieb ^enn auch nicht ohne gewichtige Folgen. Er verleitete ihn xa den meisten jener Aeuszerungen , die im vorhergehenden Briefe einer Prüfung ihres wahren Gehaltes unterzogen wurden und in Folge dessen zu Ergebnissen geführt haben , welche theilweise seinen eigenen Auf- stellungen nnd B^auptnngcn widerstreiten.

Erst nach Abhandlung des Strophenunterschiedes widmet er auch den Lesarten einige Seiten, und zwar bespricht er von S. 9 17 eiae Anzahl von Stellen in denen A von B abweicht, und eben so S. 36 54 verschiedene Abweichungen der Texte B und C, endlich S. 55 58 an- hangsweise einige Varianten der Klage.

Dabei kehrt denn auch auf S. 17 nochmals der Vorwurf wieder, dasz man ^nte und nirgends sich herabgelassen ' habe zu beweisen,

ober neoere Erscheinangen aaf d. G. der deutschen Philol. 233

dasz der Text von A der aKeste sei and die Grundlage aller weiteren wissenschaftlichen Forschung und Thätigkeit bilden müsse.

Hier nun, verehrtester Freund, sind wir auf dem Punkte ange< langt, wo die Grundlosigkeit dieses Vorwurfs für jedermann, für jeden wenigstens der auf den Namen eines Philologen Anspruch macht, son- nenklar zu Tage tritt, wo es dem Philologen sogar fast unbegreiflich erscheinen mag, wie der Herr Verfasser jenen Tadel nur überhaupt aussprechen konnte.

Was hat denn Lachmann in seiner Ausgabe und in seinen ^An- merkungen' dargeboten? In der Ausgabe den kritisch berichtigten Text von A und am Fnsze der Seite die wesentlichen Abweichungen des geraeinen Textes oder der Vulgataj in den Anmerkungen den voll- ständigen kritischen Apparat, d. h. eine musterhaft geordnete Samm- lung der Varianten aller ihm damals (1836) bekannten und überhaupt in Betracht kommenden Handschriften, nebst eingestreuten Erklörungen wirklich schwieriger Stellen, nnd bald längeren, bald kürzeren Er- örterungen kritischer Fragen. Für wen ist eine solche Ausgabe mit solehen Anmerkungen bestimmt?. Für den Dilettanten, für den Schüler, für den Anfänger, der eben leidlich mit der Formenlehre und mit dem BOthdärftigsten Wortvorrathe bekannt worden ist? oder für den Ken- ner,'fflr den Fachgelehrten? Jener mag sie allerdings auch brauchen, doch nur so gut er eben kann. Steht ihm ein tüchtiger Lehrer hilf- reich zur Seite, so wird er sie bald benutzen und allmählich immer l^ser verstehen und würdigen lernen. Nnsz er allein sich daran ab- nfihen, so wird ihm gar manches des vortrefflichsten lange Zeit mit sieben Siegeln verschlossen bleiben. Dieser aber, der Gelehrte, der Facfakenner, dem soll sie genügen, so weit es die Kritik betrifft, und wenn er seine Sache recht versteht so wird sie ihm genügen, denn sie gibt ihm alles was er bedarf: die gesichteten und geordneten That- Mehen, aus denen er sich die Folgerungen selbst ziehen kann.

Und ist es denn ein Mangel, wenn eine kritisch^ und mit dem eV- fofderlichen kritischen Apparate versehene Ausgabe sich auf das Be- dfirfnie des KennerSii des Fachgelehrten beschränkt? Wäre Ihnen wol -eine Ausgabe des Horaz angenehm, welche Ihrem gelehrt philologi- neben Bedürfnisse und dem Ihrer Primaner zu gleicher Zeit völlig aus- miohende Genüge leisten wollte? Ja halten Sie eine solche Ausgabe wirklich für wünschenswerth oder überhaupt auch nur für möglich?

Der philologische Fachgelehrte ist also sehr wol im Stande aus einer solchen und mit einem solchen kritischen Apparate versehenen Ansgabe nicht nur den Beweis für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit 4ee vom Herausgeber befolgten Verfahrens selbst zu entnehmen, son- dern auch alle diejenigen Folgerungen selbst zu ziehen, welche sich aus einem solchen Apparate ableiten lassen. Er wird aber gewöhn- lich weder eine besondere Veranlassung noch auch überhaupt die M usze haben , a 1 1 e jene Folgerungen nach allen verschiedenen Rich- tungen hin zu entwickeln. Darum laszt er sich^s sehr gern gefallen nnd nimmt es mit anerkennendem Danke auf, weni ein kundiger Mann

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234 Briefe über neuere Erscheinungen auf d. G. der deaitelwii PUldf.

das thut, was der Herausgeber schon deshalb nicht thun durfte, weil es den Umfang seiner Ausgabe ins maszlose angeschwellt, weil es deren innere wie auszore Oeconomie vernichtet haben würde wenn ein kundiger Mann eine bestimmte Seite jener Folgerungen zqm Gegen- stände einer Specialuntersuchung macht und diese Untersnchang.nil ihren Ergebnissen in geordneter Darstellung vorlegt. Das hal für an« Sern Fall Freiherr R. von Liliencron gethan in einer besonderen Schrift ^über die Nibelungenhandschrift C (Weimar 1856), auf die ich später mit einigen Worten zurückzukommen gedenke. In diesem Boche isl das Verhältnis der Recension C zum gemeinen Texte so ausführlich und klar dargelegt, dasz ich Sie, verehrter Freund, dorthin verweisen und deshalb hier das Detail der Besprechung, welche Herr HoUimnnn den Lesarten gewidmet hat, um' so eher übergehen kann.

Aber freilich nur das Detail kann und darf ich hier übergehen, denn was er im allgemeinen über die Lesarten sagt muss ich sehon deshalb in Erwägung ziehen, weil von den allgemeinen Ansichten nnd von den kritischen Grundsätzen die Behandlung und Beurteilung des Details wesentlich abhangt. Und wiederum wird es zumeist das lo- gische verhalten sein, was hier in den Vordergrund tritt; das philo- logische soll an einer späteren Stelle in Betracht gezogen und dnbei vielleicht eine und die andere Notiz ans dem hier übergangenen Detail nacligeholt werden.

Das Gesamtergebnis dessen, was er aus Betrachtung des Strophen- unterschiedes und der Lesarien von A gewonnen hat, fasst der Herr Verfasser S. 16. 17 in folgenden Worten zusammen: ^Wenn die Sache sich nun so verhält , dasz die Handschrift A sich als eine junge^ flüchtig geschriebene y von Fehlern aller Art wimmelnde erweisi^ de- ren Text absichtlich aus Trägheit und unabsichtlich aus Versekem verkürzt ist^ und nirgends eine höhere Alter thümlichkeit oder gröiMere ürsprünglichkeit verräth^ wie kommt es dann^ das* doch dieser Teafi von A die einzige Grundlage für die Herstellung des Gedichts in sei" ner ältesten Gestalt sich das gröszte Ansehen erwerben kannief Ei kommt daher ^ dasz der Text von A für die vorgefaszte Theorie Lack- manns über die Entstehung des Nibelungenliedes besonders yOmsiig ist. Wenn erwiesen werden sollte y dasz das Gedicht nichts sei mis eine Sammlung von Volksliedern, so muste derjenige Texi^ der am meisten innere Widersprüche , am meisten abgerissenes und holperi- ges hatte y der willkommenste sein. Der Ton des Volksliedes mmsie alles entschuldigen^ und die gröszere Abrundung und Glätte der am- deren Texte bestätigte die Ansicht ^ dasz die ursprünglichen Volks- lieder erst durch eine wiederholte Ueberatbeitung zu einem leid- lichen ganzen verschmolzen werden konnten. Dies ist der einzige - Gründe weshalb der Text von A für den echtesten ^ ursprüngliehsim erklärt wurde , eine Behauptung , die man zu beweisen nie und nir- gends sich herabgelassen hat.'

Ja wol, Verehrtester Freund, diese Behauptung, dasi deshalb

Berkhte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, statist. Notizen. 235

der Text Ä von Lachmann zu Grunde gelegt worden sei und deshalb Grundlage zu sein verdiene: diese Behauptung ist freilich nie und nirgends bewiesen worden, und der Herr Verfasser kann sich des ge- trosten, dasz sie auch nie und nirgends bewiesen werden wird, da Qie nie und nirgend existiert hat als lediglich in seiner Phantasie.

Wem Lachmanns Grundsätze und Verfahren so ganzlich uner- kannt oder unbekannt geblieben sind, der mag dreist versuchen ob er die Lacher auf seine Seite ziehen könne, durch einen Spott von der Sorte, wie Hr H. ihn auf S. 37 zum besten gibt, wenn er sagt: ^Er [Laehmann] scheint also anzunehmen^ dasz die Eribeiterer des Gedichts ihre Zusätze absichtlich^ wenn auch etwas frei auf Kosten der Gram- matik, kenntlich gemacht hätten, damit es so einsichtsvollen, tiefen Kritikern wie Lachmann künftig einmal gelinge ^ sie wieder auszu^ scheiden.' Denn gewis den Beifall der also gewonnenen Lacher wird niemand ihm streitig machen. Und niemand auch wird ihm die Aner- kennnng der Kühnheit versagen, wenn er an Lachmanns Wort (An- merkungen S. 116), dasz der durch Str. 854,3 entstandene Anstosz ^ allzu viel besprochen' sei, ohne Besorgnis vor dem omen das Ver- dammungsurteil knüpft (S. 29) : ^Für seine Theorie scheint es aller- dings das beste, wenn sie gar nicht besprochen wird,' .

(Fortsetzung folgt.)

Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, statistische Notizen, Anzeigen von Programmen.

Eutin.] Programm der vereinigten Gelehrten- und Bür- gerschale Ostern 1857. Das LehrercoUegium bestand aus dem Beotor Dr Pansch, den Ordinarien Conr. Hausdörffer (für IJU, Ck^aborator Knorr (für III), Kürschner (für IV, Roligionslehrer), W o 1 b e r g (füi* V) , Collaborator R o 1 1 o c k (interimistisch Ar die Ober- klasse I , Lehrer dev Mathematik und Naturwissenschaften) ; ferner Dr Jaep, Lehrer der neueren Sprachen, sowie noch mehreren anderen Leh- rern, welche im übrigen der Bürgerschule angehören. Nach längerer ^Snklichkeit starb Pastor Drost, Lehrer des Hebräischen. Die Schülerzahl betrug im verflossQnen Jahre für das Gymnasium und die dazu gehörige Oberklasse I 151, nemlich für I 12, II 12, IJI 23, IV 46 , V 21 , Oberklasse I 37 , eine , wenn man den Umfang des Fürsten- thnms bedenkt , gewis sehr erfreulich zu nennende Frequenz ; vermut- lich wird aber die Schule auch von nicht wenigen aus dem übrigen Hol- stein \ einzeln wol noch aus weiterer f^eme , besucht. In Betreff der erwähnten Oberklasse I sieht man aus dem Lehrbericht, dasz dies ejLne Klasse ist, in welcher die Anfangsgründe der beiden neueren Sprachen (mit je 3 Stunden), femer Physik 1 Stunde und Mathematik 4 Stunden (neben rechnen 3 Stunden) vorkommen. Die darauf folgende Quinta bringt dann das Lateinische, während von den übrigen genannten Ge- genständen (vom rechnen abgesehen) nur das Französische, und zwar für eine Parallelklasse III bleibt. Für die Humanisten tritt dieses wie-

236 Berichte über gelehrte AnstaUen, Yerordaungen, statial. Nottsea.

der in IV, das Englische in II ein. Neben IV bis II bestehen noch eine U und I Parallelklasse. Das zeichnen hört mit Tertia, das singen schon mit Quarta auf; vom turnen verlautet nichts. Die 'öffentliche' (nicht blos ^$chul-) Bibliothek weist für ein einziges Jahr einen so beträehtlickeB (übrigens mit musterhafter Sorgfalt gewählten) Zuwachs auf, daas man gratulieren kann, da es nicht viele (Gymnasien in kleineren Städten ge* bcn dürfte , welche in dieser l^linsicht so günstig situiert wären. Von 223 Bänden kommen auf den ' Landesantheil ' 150, auf den 'Schnlan- thciP 73. Auszerdem wurde angefangen für einen kleinen Theil der Einnahme der Scbulbibliothek solche Bücher anzuschaffen, die sieh sor I*rivatlectüre für die Schüler der unteren Klassen eignen. Mit Bedifc wird bemerkt, wie schwierig es in den meisten Fällen für die Eltern sei in dieser Hinsicht das richtige und passende zu wählen. Vielleicht würde es sich übrigens der Mühe lohnen, diese ganze Frage einmal von einem allgemeineren Standpunkt zu beleuchten, festzustellen wie weit das Bedürfnis einer solchen Privatlectüre für paedagogiseh begründet zu achten und was und wie viel von ihrem Werthe zu halten sei, dann aber auch, das Bedürfnis zugegeben, eine eingehende Mosterang des vorhandenen vorzunehmen, mit der ganz besonderen Absicht der groszen Masse von Fabrikarbeiten gegenüber das wahrhaft klassische immer wieder ins Licht "zu stellen und zur Anerkennung zu bringen. Den Schulnachrichteu voran geht 1) eine Abhandlung über Hebmert de Fe§ und Reineke Vos vom Collaborator Knorr (68 S.), Nachdem der Verf. in der Einleitung kurz die Entdeckungsgeschichte jener älteren, dem niederdeutschen Keinoko vorangegangenen (flämischen) Dichtungen be- richtet hat , beschäftigt er sich im I. Theile seiner Abhandlnng mi^ der Frage über Abfassungszeit und Verfasser sämtlicher drei vor- liegenden Bearbeitungen und kommt dabei nach sorgfältiger Abwägung der Ansichten der neueren Forscher (wobei in den Differenzen zwischen dem gelehrten Genter Willems und unserem Grimm die Gründe und Folgerungen des letzteren durchgängig Recht behalten) in Betreff der beiden Hämischen zu folgendem Resultat: ^Von dem Verfasser des älte- ren Reinaert kennen wir nur seinen Vornamen Wilhelm; von ihm ist der Prolog V. l 10 geschrieben, ob auch 11 40 ist mindestens zwei- felhaft. Er dichtete im I3n Jahrhundert vor 1270 nach französischen Quellen, die uns aber verloren gegangen sind. Sein Werk ward im 14n Jahrhundert überarbeitet und fortgesetzt von einem ungenannten Verfasser, fortgesetzt vorzüglich nach französischen Quellen. Beide fla- mische Dichter waren Geistliche.' Was sodann den niederdentachen Reineke Vos betrifft, so sieht sich auch unser Verf. in der bekannten Frage über Nie. Baumann durch das dazwischenkommen des räthsel- haften Heinr. von Alkmar genöthigt es bei dem ^non liqnet' bewenden zu lassen. Im II. Theil seiner Abhandlung gibt derselbe sodann eine vergleichende Charakteristik und Beurteilung jener Thier- epen, wie sie in solcher Ausführlichkeit noch nicht versucht sein dürfte und welcher wir daher mit besonderem Interesse gefolgt sind. Der 11* tere, dem ersten Buch des Reineke entsprechende, flämische Reinaert, von dem der Verf. eine ooncise Darstellung des epischen Verlaufs gibt, ist nach ihm ^sicher das vorzüglichste, was uns an epischen Thierge- dichten überliefert ist. Es ist eine fest in sich zusammenhängende) lebensvolle Erzählung, von einer launig behaglichen Anschauung des eigenthümlichen lebens und troibens der Thiere durchdrungen, lediglich von der Lust an dem Gegenstände selbst getragen; daher nirgends die Absicht zu lehren, nirgends Einmischung der Satire auf menschliche Zu- stände. Die Erzähhmg schreitet zwar mit epischer Breite, aber immer mit steigendem Interesse fort, öfter durch köstlichen, wenn auch mit- unter derben AVitz den Leser erheiternd.' Und zur Rechtfertigung des

Berichte über gelehrle AnstaUeo, YerordauDgen, stallst. Noüsen« 237

S.chlasses der Handlung als solchen: 'man wende nicht ein, der Vor- schlag des Leoparden , mit Heeresmacht gegen Beinaert auszuziehen, verlange eine Fortsetzung, in welcher von der Ausfülirung desselben die Rede sein müste; denn da vorher erzählt ist, dasz Reineke seine Burg verlassen und einen Zufluchtsort in weit entlegener Wildnis aufgesucht habe, so weisz der Leser dasz der etwaige Versuch, einen solchen Vor- schlag auszuführen, erfolglos bleiben musz, unds^erwartet nichts weiteres mehr.' Nun wird der (flämische) Umaibeiter vorgenommen; seine Aen- derungen' als durchgängige Verschlechterung , häuflg Misverständnis und Verwirrung, seine Fortsetzung aber, ungeschickt genug angeknüpft, als Kach'ahmung mit vorwiegend satirischer Tendenz aufgewiesen. Endlich der niederdeutsche Reineke 'zum ^o^zern Theil Uebersetzung, zum klei- nem bald mehr, bald minder selbständige Bearbeitung des in dieser "Weise erwachsenen flämischen Reinaert', welches Vorbild er, nach dem Verf., in vielen Punkten übertrifft, ihm in einigen freilich nachsteht, fast überall aber sich durch Geschicklichkeit und Anschaulichkeit der Darstellung auszeichnet. Resultate, die, wenn sie gleich nicht durch- aus neu sind , hier wenigstens so sorgfältig und lichtvoll aus einer bis ins einzelnste durchgeführten Prüfung entwickelt werden, dasz alle Freunde des Gegenstandes dem Verf. für seine fleiszige Arbeit Dank wissen dürften. Aber auch der Schule sollten diese Studien zu gute kommen. Denn wenn irgend etwas iieben den Alten auf unseren Gym- nasien einen Platz verdient, so sind es doch wol die Denkmäler unserer Muttersprache, und da möchten wir Norddeutschen diesem 'bedeutendsten Denkmal der älteren niederdeutschen Si)rache' ein besonderes Interesse schuldig sein. Ja selbst wer die Dichtung nur in einer der neueren Be- arbeitungen liebgewonnen, wird über ihre so auffälligen Ungleichheiten erst aus Untersuchungen wie den vorliegenden Licht erhalten. 2) Worte des Reciors bei der Entlasaung der AbUwienlen Ostern 1S54. Eine Rede gehört der Situation an ; sie genieszt, gesprochen, des groszen Vortheils verstanden zu werden nicht nur mit dem was sie sagt, sondern auch mit dem was sie meint; sie will auf den Willen wirken, und das geschieht weit mehr durch die Persönlichkeit als durch Dialektik. Ge- druckt bewahrt sie den persönlichen Anthoil für fernerstehende nur noeh in einem gewissen Ton des ganzen. Und der väterliche Ernst, der sich in den hier mitgethoilten Worten ausspricht, mag wol dafür bürgen, dasz sie nicht wirkungslos geblieben. Ob damit zugleich das Becht gegeben ist, das gesagte objectiv zu prüfen? Wenn dem so wäre (und nur unter dieser Voraussetzung), dann möchten wir freilich gegen den geehrten Verf. ein Bedenken nicht verschweigen, nemlich dasz die Art, wie hier vom idealen geredet und dasselbe ohne weiteres mit allem 'höheren' gleichgesetzt wird, uns zu vag und unbestimmt vorkommt, so wie ferner dasz wir der Aufstellung, wonach das ideale zu erstreben, die Ideale aber ein Irweg keineswegs beipflichten können. Aber wie gesagt, eine Rede, zumal in diesen Grenzen, ist keine Abhandlung, sondern ein Ausdruck der Gesinnung, und da er- scheint solches rechten weniger am Orte. W. G,

Herspeld] Am 31. October v. J. hat das Gymnasium zu Hersfeld einen Tag der innigsten und tiefsten Freude gefeiert. Es war der Tag, an welchem vor 25 Jahren der Director des Gymnasiums, Dr Wilhelm Münscher, die Leitung dieser Anstalt übernommen hatte. Wenn nun die unendlich reichen Beweise der Liebe und Hochachtimg, welche dit^- sem Manne von seinen Collegen , von zahllosen Freunden, von alten und jungen Schülern, ja selbst von vielen Männern, welche nur in loser Verbindung mit ihm stehen, bei dieser Gelegenheit dargebracht wurden, diesem Feste eine solche Bedeutung gegeben haben , dasz es weit über die Grenzen einer bloszen Schulfeier hinausragte, wenn die allgemeine

238 Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, staust. Noüsen.

Theilnahme, welche es gefanden hat, ein lantredendes Zeugnis für die Bedeutsamkeit des Jubilars selbst ist, so wird die nachstehende Schil> derung der Festlichkeiten keiner weiteren Rechtfertigung für ihr er- scheinen vor der Oeffentlichkeit bedürfen. Es wird nicht nöthig sein das freundliche Bild des für Wahrheit so begeisterten Mannes in ge- naueren Zügen vorzuführen ; die Thatsachcn des Festes werden Charak- ter und Wesen desselben besser darlegen als blosze Worte; wol aber mögen die Uuszereu UmstKnde desselben eine kurze Erwähnung finden. Doctor Wilhelm Philipp Münscher wurde 1795 den 25. Mars zu Marburg geboren. Sein Vater war der Consistorialralh und Profeasor der Theologie, Dr Wilhelm Münscher zu Marburg, aus Hersfeld gebür- tig (Sohn des Metropolitans Philipp George Münscher zu Hersfeld). Seine Mutter war eine Tochter des Raths und Stiftsamtmannes Hartert zu Uers- fcld, mit Taufnamen : Christine Jacobine. Der Jubilar, der älteste Sohn, wurde den 2. October 180(5 in die Secunda des Paedagoginms zu Mar- burg aufgenommen und zu Ostern 1807, nach kaum zurückgelegtem 12. Lebensjahre, in Prima versetzt. Auf Pfingsten 1809 wurde er confirmiert und im Herbst desselben Jahres gieng er vom Paedagogium zur Uni- versität über. Am '25. October 1809 liesz er sich als studiosus der Theo- logie immatriculieren. Seine Studien beschränkten sich aber nicht auf Theologie, sondern erstreckten sich auch auf Philologie. Im Herbst 1813 bezog er die Universität Göttingen, wo er aboc nur ein halbes Jahr Vorlesungen aus dem Bereiche der Theologie und Philologie hörte. Unter seinen dortigen Lehrern dürfen wir die Namen Plank, Dissen, Stäadlin und Blumenbach nicht unerwähnt lassen. Als im Frühjahr 1814 sein Vater schwer erkrankte, kehrte er zu dessen Pflege nach Marburg zu- rück. Am 28. Juli 1814 starb sein Vater, berülimt in der litterarischen Welt, besonders durch sein Handbuch der christlichen Dogmengeschichte xind erkannt von den Machthabern seiner Zeit*), Im Winter von 1814 auf 1815 gab unser Jubilar aushilfsweise Unterricht am Paedagogium sa Marburg und bestand am 8. März 1815 das theologische Examen vor der theologischen Facultät zu Marburg, bald nachher auch das soge- nannte tentamen vor dem Superintendenten zu Cassel. Im Frühjahr 1815 wurde er Erzieher der Söhne des Bankiers Gruneliua zu Frank- furt a. M. und blieb in dieser Stellung bis zum Frühling 1817. Kun wurde er 4r Lehrer am Gymnasium zu Hersfeld, trat diese Stelle am 1. Mai desselben Jahres an und bekleidete sie bis zum September 1826. Um diese Zeit erhielt er die 2e Lehrerstclle am Gymnasium zu Hanau und verlebte daselbst 6 Jahre, bis seine mittelst allerhöchsten Beschlusses im Gesamtstaatsministerium vom 26. October 1832 erfolgte Versetzung in seine jetzige Stellung als Director des hiesigen Gymnasiums ihn iu das alte Vaterland zurückführte. Durch mehrere herausgegebene Schrif- ten in der Gelehrtenwelt von vortheilhaftem Rufe, erhielt er bei dem Jubiläum der Universität Marburg im Jahr 1827 die philosophiBcha Doctorwürde als Ehrenbezeigung. In der Weise mit Hochachtung an- erkannt von seinen zahlreichen Freunden und Bekannten und vorehrt von seinen Schülern verschönerte er sein häusliches Leben durch die im Jahre 1820 einqfcpangene Ehe mit der Tochter des Amtmanns Scham- bach zu Vacha, Philippine , wovon ihn drei erwachsene Kinder erfreuen. Schon einige Monate vor dem feierlichen Tage hatte sich am mehreren Collegen des Gymnasiums tmd einigen Bürgern der Stadt ein Comit^ gebildet zu dem Zwecke, die alten Freunde und Schüler Mün-

*) Unter dem Ministerium .Johann v. Müller war er zum Ritter des (Ordens von der westphälischen Krone, zu einer Charge erhoben worden, vor der die königl. Militärwachen zu den höheren Ehrenbezei^fungen verpflichtet waren.

Berichte über gelehrte Anstalteu, Verordnangen, Statist. Motizen. 239

«chers auf den so wichtigen Tag aufmerksam zu mächen und eine wür- dige Form des Festes selbst einzuleiten und anzuordnen. Die Anregung, welche von diesem Comitd ausgieug, hat eine noch über das Erwarten hinausgehende glänzende Theihiahme an dem Jubeltage hervorgerufen. Selbst auswärts folgte man dem Beispiele, und vor allem in Cassel trat ein Centralcomit^ zusammen, welches eine i*eiche Wirksamkeit entfaltete und ganz besonders viel zur Verherlichung des Tages beitrug. Die Feier selbst begann am Vorabende des Jubeltags. Die vielen fremden, welche sich im Laufe des Tages eingestellt hatten, verbreiteten in ver- schiedenen Kreisen eine freudige feierliche Stimmung ; nicht nur im Hause des Jubilars selbst, wo dessen Bruder, Gymnasialdirector in Marburg, dessen Sohn, Gymnasialpraktikant in Hanau, sowie mehrere Freunde angelangt waren, nicht nur im Verelnslocale, wo sich die vielen frem- den begrüszten, sondern in der ganzen Stadt gab sich eine freudige Er- regung, das Vorgefühl eines Feiertages, kund, und diemuntere Jugend konnte kaum den Augenblick erwarten, wo der das Fest einleitende Fackelzug sich in Bewegung setzte. Nachdem schon gegen 8 Uhr die hiesige Liedertafel den Jubilar mit dem Vortrag einiger Gesänge be- giüszt hatte, zogen sämtliche Gymnasiasten mit freudig schallcndender Musik und hellleuchtenden Fackeln in geordnetem Zuge, welcher von einigen älteren mit Schärpen und Schlägern geschmückten Schülern ge- führt wurde, aus der Stiftskirche um den Markt herum durch die Haupt- straszen der Stadt vor das Haus des Jubilars. Als der Zug Halt ge- macht hatte, spielte die Musik mehrere Stücke. Hierauf sprach der älteiste Primaner in einigen herzlichen Worten die Gefühle der Liebe und Ehrerbietung im Namen der Schüler gegen den Jubilar aus und schlosz mit einem dreifachen Lebehoch auf denselben, in welches die dichtgedrängte zahllose Volksmenge freudig mit einstimmte. Der Di- rector dankte tiefgerührt, indem er die ilim erwiesene Ehre für eben so grosz als unerwartet erklärte, einen Beweis der wahren Liebe und Ach- tung seiner Schüler darin erkannte und auf das Wohl der Anstalt ein Hoch ausbrachte. Nachdem noch mehrere Musikstücke vorgetragen waren, zog die ganze freudige Menge auf den Markt nnd verbrannte hier unter dem Gesänge des Gaudeamus igitur die Fackeln. Mehrere der oberen Schüler folgten darauf noch der Einladung des Directors in seine Wohnung. Am 31. October, dem eigentlichen Festtage, fand die Hauptfeierlichkeit in dem Saale des Gymnasiums statt. Hier war alles würdig vorbereitet, der Saal selbst freundlich ausgeschmückt, ein Ehren- platz für den Jubilar, um welchen sich seine Collegen schaarten, und besondere Plätze für die zahlreichen Deputierten und sonstigen fremden, sowie für die Familienglieder des Directors und der Collegen bestimmt. Gegen 11 Uhr hatte sich der Raum, der leider nicht so viele faszte als gern an dem Feste theilgenommen hätten, gefüllt. Es war ein Augen- blick der tiefsten, innigsten Rührung, als der greise Jubilar von einigen der älteren Collegen abgeholt in den Saal eintrat. Bei dem Anblick der zahlreichen ganz unerwarteten Versammlung, namentlich der vielen alten Freunde und Schüler, die zu seiner Ehre gekommen waren, hatte er nur Thränen, und liesz sich bescheiden und halbgcsenkten Hauptes in dem ihm angewiesenen Ehrensessel nieder. Und nun verflossen einige Stun- den, die allen Theilnehraern des Festes unvergeszlich sein müssen, ei- nige Stunden, in denen si^h Freude und Rührung bei allen anwesenden Yon Augenblick zu Augenblick bis zum höchsten Grade steigerte. Da war wol keiner, der nicht mit dem Jubilar viel Thränen vergossen, da waren wol wenige, die schon erhebendere zugleich und ergreifendere Momente erlebt hatten, da ward manch Zeugnis abgelegt, wie man einen Mapn ehrt, der sich zum Hauptspruch gewählt hat die Worte des Buchs: ^Seid beflissen der Wahrheit und Liebe.' Und wir dürfen es

240 Berichte über gelehrte Austalten, Verordnungen , statisL Nottien.

geradezu behaupten , manche Männer haben wol an bedeutenderen Ab- schnitten ihrer Wirksamkeit vielleicht glänzendere Zeichen der Aner- kennung erhalten, doch gewis nur wenige haben sich eine solche Fülle der Liebe von so vielen Seiten her entgegengebracht gesehen. Als der IVBstgosang, welcher beim Eintritt des Jubilars in den Saal began- nen hatte, verhallt war, bestieg zunächst der älteste der Collegen, Dr Deich mann, die Rednerbühne und hielt die eigentliche Festrede. Es muste dieser Mann um so tiefer von der Bedeutung des Festes ergriffen sein, als es auch ein Fest für ihn war, insofern er ebenfalls vor 25 Jah- ren zugleich mit dem Director seine Wirksamkeit an der Anstalt begon- nen hatte. Und so war denn seine Rede der Ausflusz einer wahren and tiefen Begeisterung, die in edler, würdiger Sprache die Verdienste des Jubilars hei'vorhob. Er begrüszte zunächst denselben und wies anf die Bedeutung des Festes hin. Dann verweilte er bei dem Charakter des Jubilars und hielt das Bild desselben als eines edlen Menschen, eines wahren, die freie Forschung im Worte verfechtenden und gegen ändert- gläubige duldsamen Christen, als eines in die Tiefe der Wissenschaft eindringenden Gelehrten, als eines von seinem Berufe ganz erfüllten- Lehrers, als eines treuen Collegen und Freundes vor. Hierauf entwickelte er die Verdienste, welche der Jubilai' während seiner langen Wirksam- keit um die Gymnasien überhaupt und das Hersfclder insbesondere ge- habt habe, und zeigte, wie in der ihm nun von so vielen Seiten zu Theil werdenden Liebe und Achtung die schönsten Früchte seines edlen den- kens und handelns lägen. Er schlosz mit dem Wunsche, dasz die so reich gesegnete Wirksamkeit des Jubilars noch lange dauern mochte, und sprach zugleich für sich als besondern Wunsch aus , mit einem solchen Manne auch die ganze künftige Zeit seines Lebens zusammen wirken zu können. Nach beendigter Rede trat er zum Jubilar hin und bat ihn als kleines Andenken von den Collegen und deren Frauen und Töchtern den oben erwähnten Sessel anzunehmen, und überreichte ihm^ eine Gratulationsode. Münscher war so tief ergriffen, dasz die Worte des Dankes, in denen er bescheiden jene Verdienste von sich abznlehnen suchte, in Rührung fast erstickt wurden, einer Rührung, die sich na- menlos steigerte , als drei Primaner vortraten und im Namen der Gym- nasiasten einen silbernen Pokal überreichten , wobei der älteste Schüler die Gefühle der Ehrerbietung und Liebe gegen den Jubilar aussprach. Der Pokal ist von einem anerkannten Hanauer Fabrikanten sehr ge- schmackvoll gearbeitet und trägt auf der einen Seite die Inschrift: 'Li Liebe, Ehrerbietung und Dankbarkeit die Schüler des Hersfelder Gym- uasiimis am 31. October 1857^; auf der anderen den sinnvollen Sprach:

In dubiis libertas

In necessariis unitas

In Omnibus Caritas. Die Dankesworte des Jubilars legten, wie die Anrede des Schülers» mn lebendiges Zeugnis von dem innigen gegenseitigen Verhältnis ab, welches hier besteht, und bekundeten dasz der Jubilar seinen SchUWn nicht blos Lehrer,, sondern auch väterlicher Freund ist , der mit nnausgeseti- ter Sorge auch über den engeren Lebensverhältnissen derselben wacht. Diese Zeichen der Anerkennung seitens der Schule schlosz ein Festge- sang, welchen der eifrige Gesanglehrer des Gymnasiums Ründnagel zu Ehren des Jubilars componiert hatte. Es begann nun gleichsam ein neuer Act des Festes, in welchem die Ehrenbezeigungen aus immer wei- teren Kreisen auf einander folgten. Zunächst trat der Landrath Auf- fahrt vor und überreichte mit passenden Worten ein Ancrkennnngfs- schreiben dos kurfürstlichen Ministeriums des Innern. Der Jubilar freute sich inniglich über diese ihm seitens seiner vorgesetzten Behörde ge- wordene Anerkennung und dankte dem Ueberbringer derselben, indem

über gelehrte Anstalten, Verordnungen, stati»!. Notiases* 241

er seiner freundschaftlichen nnd geschäftlichen Yerbindiing mit dem- selben, als einem Mitgliede der Gymnasialcommission, gedachte und den Wunsch eines ferneren einmütigen, dem Interesse der Anstalt dienenden Zusammenwirkens aussprach. Nun erhob ^ich der zeitige Prorector der lAttdesuniversität, Professor Dr theol. Sehe ff er aus Marburg, und über- reichte als Deputierter der theologischen Facultät dem Jubil^ ein gewia seltenes Zeichen der Anerkennung, nemlich das Diplom der theologi- schen Doctorwürde. Selbst früherer Schüler Münschers, gedachte Scheffer dieser Zeit und entwickelte in edler, würdevoller Rede die Mo- tive, welche eine hohe theologische Facultät bewogen hätten, dem Jubi- lar diese Ehre zu erweisen, und erklärte, wie namentlich der Hinblick auf die grosze Zahl würdiger Diener, welche er der Kirche erzogen habe, und das Andenken an seinen Vater, der auch Professor und Dr theol. in Marburg war, die Facultät veranlaszt habe, an dem heutigen Tag eine Fietäts- und Ehrenschuld abzutragen. -^ Münscher war auf das tiefste ergriffen und wüste sich kaum zu fassen. ^Doctor der Theologie', das kam seinem bescheidenen, anspruchslosen Sinne als zuviel vor. Er bekannte offen, wie wenig er sich einer solchen Ehre werth halte, wie weit er, wenn er auch nach Zeit und Kräften in den theologischen Wis- senschaften geforscht habe, do>c]i noch von dem entfernt sei, was man ▼on einem Dr theol. verlange, und wollte in der Erweisung dieser Ehre lediglich eine Rücksicht auf seinen seligen Vater erkennen. ^Die Facul- tät mag es verantworten, dasz sie mich zum Doctor der Theologie ge- macht hat' waren Worte, die er noch später in freudigem Scherze fallen liesz. Es folgten nun die Vertreter der anderen fünf hessischen Gym- nasien, theils in gröszerer, theils in geringerer Anzahl, von Marburg so Bahlreich, dasz mit Genehmigung des Ministeriums dort der Unterricht mehrere Tage ganz ausgesetzt wurde. Diese Deputierten, unter denen sich 3 Directoren befanden, Schi eck von Rinteln, Schwarz von Fulda und Münscher von Marburg, der Bruder des Jubilars, über- brachten die mannigfachsten Zeichen der Ehre und Anerkennung. Zu- nächst gratulierte Schieck von Rinteln als der älteste Director im Na- men sämtlicher Gymnasien und überreichte ein Festgedicht. Dann trat Schwarz von Fulda vor und übergab im Namen des Fuldaer Gymnasiums eine geschmackvoll ausgestattete Votivtafel nnd als besonderes Geschenk eine geschriebene noch nicht im Druck erschienene Abhandlung von sich: 'de anonyme qui dicitur Gemblacensi vitae S. Lulli scriptore.' Ein noch mit anwesender College von Fulda, Dr Os Hermann, fügte hierzu noch ein eigens verfertigtes griechisches Gedicht, um, wie er sich ausdrückte, seinem früheren Lehrer damit eine kleine Garbe von dem Acker, welchen dieser gepflegt, zu spenden. Jetzt erschienen die zahlreichen Depu* tirten des marbnrger Gymnasiums. Dr CoUmann von dort hielt eine herzliche Anrede, verglich die geringere Gabe, mit deren Ueberreichung ihn die marburger Schwesteranstalt betraut habe, mit den anderen, die schon von Marburg gekommen, und überreichte mit dem Gedanken, dasz er nur Worte bringe, während ein anderer ehrwürdiger Deputierter Mar- burgs eine That gebracht habe, eine in einer Kapsel eingeschlossene sehr reich ausgestattete Votivtafel. Daran schlosz sich der Bruder des Jubilars und gratulierte unter Ueberreichung einer von ihm verfaszten gedruckten Dissertation über des Tacitus Germania, wobei er auf das besondere Studium dieses Schriftstellers hinwies. Im Namen des eben- falls sehr zahlreich vertretenen Casseler Collegiums überreichte Dr Schimmelpfeng eine auf Glanzpappe mit prachtvollen Lettern ge- druckte Votivtafel. Endlich brachte der von Hanau erschienene Depu- tierte, Dr Fliedner, eine Gratulationsschrift über einige Steilen aus Cic. de erat, von dem Director des dortigen Gymnasiums, welcher fol- gende Dcdication vorangesohickt ist: ^ Unter allen Gymnasien unseres

242 Berichte über gelehrte Anstalten , Verordnungen, statUk NotiiM.

. hessischen Vaterlandes musz sich nächst der Anstalt , die Ihrer Leitung anvertraut ist, ganz besonders das hiesige Gymnasium gedrungen fühlen, Ihnen , hochveirchrtcr Jubilar , an dem heutigen festlichen Tage seinen Glückwunsch darzubringen. Bs ist nicht alleia die allgemeine Theil- nahme aller Ihrer Amtsgenossen an der Feier Ihres fünfundzwansigjäh- rigen Director-Jubiläums, die uns dazu treibt, sondern vornehmlich auch die Erinnerung daran, dasz gerade das hiesige Gymnasium sich vor den übrigen eine Zeit lang Ihrer Wirksamkeit zu erfreuen gehabt hat. Denn eben von hier aus sind Sie im October 1832 am Ende einer sechsjähri- gen, von vielen Ihrer dankbaren Schüler noch nicht vergessenen Lehrer- thätigkeit zu dem Amte berufen worden, das Sie nun schon fünfund- zwanzig Jahre mit treuer Liebe und unermüdlichem Eifer begleitet ha- ben. So nehmen Sie denn um dieses doppelten Bandes willen, durch das sich die Lehrer des hiesigen Gymnasiums mit Ihnen verbunden wissen, unsere herzlichen Glückwünsche zu Ihrem heutigen Jubelfeste gütig auf, und gestatten Sie uns, Ihnen als ein Zeichen unserer innig- sten Theilnahme und Verehrung die nachstehende Gratulationsschrift zu überreichen, die einige Stellen desselben Meisterwerks zu behandeln ver- sucht, dessen Erklärung Sie vor nunmehr auch fast fünfundzwanzig Jah- ren Ihr erstes Directorialprogramm gewidmet haben. Der Direetor und die Collegen des Han. Gymn.' Die mehrmals begonnenen, aber durch die rasche Aufeinanderfolge der sich drängenden Deputierten immer wieder unterbrochenen Dankesworte des Jubilars unterbrach nochmals sein Sohn, Gymnasialpraktikant zu Hanau, zwar nicht mit Worten, welche die tiefe Rührung erstickte, aber mit Uebcrreichung eines von ihm verfaszten griechischen Gedichts. Es bedurfte einiger Augenblicke, ehe sich der von der Macht der auf ihn einstürmenden Gefühle fast überwältigte Jubilar sammeln konnte, um nach so vielen Seiten hin sei- nen Dank auszusprechen. Und wie konnte er es passender thun, als indem er seine innige Freude darüber äuszerte , dasz er einen seiner Lieblingsgedanken, nemlich die gegenseitige Annäherung der Gymnasien, an dem heutigen Tage der Verwirklichung weit näher gerückt sähe. Noch war er mit der Ausführung dieses Gedankens beschäftigt, da gab ihm das Ehrengedicht, welches Dr Grebe, der Direetor der Casseler Realschule, als Deputierter dieser Anstalt, überreichte, Gelegenheit den- selben noch weiter zu führen und auf die Wichtigkeit einer engeren Verbindung von Gymnasien und . Realschulen hinzuweisen. Wenn nun alle diese mannigfachen Ehi?enbezeugungen den greisen Jubilar so tief ergriffen, dasz man manchmal glauben muste er sänke zusammen, so sollte doch noch der erhebendste und rührendste Augenblick, der gewis kein Auge trocken liesz, folgen. Es war der Moment, als eine Depu- tation der alten Schüler Münschers mit ihren herlichen Geschenken, einer auszerordentlich schön ausgestatteten Prachtausgabe des Didot- schon Horaz, die mit einer Ehrendedication und den Namen von 190 alten Schülern selbst aus der friihesten Zeit der Lehrerthätigkeit des Jubilars versehen ist , einer Ausgäbe des Reineke Fuchs mit den E^anl- bachschen Illustrationen und der Bildsäule des Bonifazius erschien, und ein Mitglied dieser Deputation, Dr Roth von Cassel, in einer ganz vortrefflichen rührenden Ansprache Zeugnis ablegte von der unendlichen Liebe, mit welcher so viele Schüler gegen ihren alten Lehrer erfüllt seien , und hervorhob , wie bei allen den vielen nur ^ine Stimme gewe- sen sei, ihren theurcn Lehrer an seinem Jubeltage zu ehren. Dies war der Augenblick, wo der Jubilar die unendlich reichen Früchte seiner langgesegneten Wirksamkeit gleichsam vor sich aufgeschichtet, wo er das Denkmal, welches er sich in dem Herzen so vieler gegründet, in wunderbarer Pracht vor sich schimmern sehen konnte, es waren einige unvergeszliche Minuten, wie sie wol keiner aller anwesenden je erleot

Berichte fiber gelehrte Anstalten, Verordnungen, Statist. Notizen. 243

hatte. Da konnten nur Thränen antworten. Noch wai^ die Wirkung dieses erhebenden Augenblicks nicht vorüber, da erschien, gefolgt von dem Stadtrath Hersfelds, der Bürgermeister Schiramelpfeng, und überreichte dem Jubilar mit einer kurzen Anrede eine Urkunde über das ihm einstimmig zuerkannte Ehrenburgerrecht. Münscher war hoch- erfreut über eine solche Ehre, bekannte sich, wenn auch als guten Deut- schen, doch auch als guten Hersfelder, gedachte seiner und seiner Fa- milie Beziehungen zu Her^feld und versprach auch fernerhin sich als echten Hersfelder bewähi*en und nach Kräften zum Wohl der Stadt mit- wirken zu wollen. Es folgte nun der Choralgesang: 'Nun danket alle Gott', worauf der Jubilar selbst die Rednerbühne bestieg, nochmals den nach so vielen Sciteo hin zu zollenden Dank in einigen herzlichen Wor- ten zusammcnfaszte und die Feierlichkeit mit Gebet beschlosz. Auszer den bis hierher erwähnten Zeichen der Anerkennung und Geschenken erhielt der Jubilar deren noch viele andere von verschiedenen Seiten in seine Wohnung geschickt. Sie bestanden gröstentheils aus Büchern in meist eleganten Einbänden, Bildern und sonstigen werthvollen Gegen- ständen. Dazu war eine grosze Anzahl von Gratulationsbriefen in deut- scher und lateinischer Sprache, von Gedichten, Adressen und sonstigen Zuschriften eingegangen, die bezeigen, wie dieser Mann von allen die ihn kennen geliebt und geehrt wird. Nachmittags gegen 2 Uhr wurde der Jubilar von einigen Mitgliedern des Comites zu einem Festmahle abgeholt, zu welchem sich etwa 130 Theilnehmer im Vereinslocale der Stadt versammelt hatten. Den ersten Toast brachte der Landrath Sr königl. Hoheit dem Kurfürsten, dem gnädigen Beschützer der Wissen- schaften, dar, der ungetheilten Anklang fand. Unter vielen anderen Toasten auf den Jubilar, die Stadt, das Gymnasium, die theologische Facultät zu Marburg u. a. zog sich das Festmahl bis in die späte Nacht hinein. Am folgenden Nachmittage sah der Jubilar sämtliche Gäste und einen groszen Theil einheimischer Freunde in seiner Wohnung bei sich. Tags darauf verlies zen die meisten fremden wieder unsere Stadt, und gewis ein jeder mit dem auch von uns gehegten Wunsche, dasz der allgütige Gott den trefflichen Mann noch recht lange in ungeschwächtor körperlicher und geistiger Kraft unserer Anstalt und der Wissenschaft erhalten möge. Friedrich Spangenberg,

Kiel.] Der dritte Band der Schriften der Universität zu Kiel aus dem J. 1856 ist so eben erschienen, aus welchem für unsere Zeitschrift an Nachrichten und Mittheilungen folgendes hervorzuheben ist: Prof. G. Curtius gibt vor dem Index zum Sommersemester 1856 qaaestiones etymologicas S. III IX, die sich auf den Namen des Zeus, die Wörter %aXn] und cclla , oofiog und hnmerus , cardo usw. beziehen. Unter den Vorlesungen heben wir folgende hervor: Prof, Forchham- mer hat im Sommer 1856 gelesen Aristoteles vom Staat und Ovids Me- tamorphosen, im philol. Seminar Demosthencs Rede wider Aristokrat^s, Chalybäus Ethik und Geschichte der neueren und neuesten Philoso- phie, Curtius römische Litteraturgeschichte und Homers Ilias, im Se- minar Ciceros Brutus, Müllenhoff alte Geographie und Ethnographie nach Strabon, deutsche Mythologie, deutsche Grammatik, Thaulow Anthropologie und Psychologie, Gymnasialpaedagogik, Leitung des pae- dagogischen Seminars. Der Index zu den Wintervorlesungen 1856 57 bringt von Curtius ein corollarium commentationis de nomine Homeri scriptae S. III IX. Die hier in Betracht kommenden Vorlesungen sind : Forchhammer: Demosthenes Kranzrede, aristotelische Uebungen; im Seminar Cicero de republica; Chalybäus: Logik und Metaphysik, Geschichte der älteren Philosophie; Curtius: philologische Encyklo- paedie und Methodologie, Prolegomena der vergleichenden griechisch- lateinv Grammatik , Horazens Briefe , im Seminar Euripides Phönissen ;

244 Berichte über gelchrle Anstalten, Verordnnng^en, statisl. NötiiM.

Müll enh off Erkirmin«: der Nibelungo Not und Tacitns Germania; Thaulow Einleitung und Eucyklopaedie der Philosophie, allgemeine Geschichte der Künste , über die Beziehungen zwischen der Paodagogik und Psychologie, Politik und Ethik, paedug. Seminar. Nitzach d. j. alte Geschichte von Lykurg' bis zur Zerstörung Corinths, deutsche Ge- schichte bis zum westphHI. Frieden. In dem ersten Halbjahre waren 141, in dem zweiten 150 Studierende auf der Universität. Unter den Personalveränderungen bemerken wir folgende : Der Lector der frani. Sprache, Schwob-DoUe, folgte einem Kufe als Lehrer am Gjmn. in Gotha. Es starben am 9. Aug. 1856 der Etatsrath Prof. Dr W. £. Wilda in der juristischen und der Privatdocent Physikus Dr W. H. Valentiner in der medicin. FacultUt. In der juristischen Facnltilt wurden 3 , in der medicin. 15 zu Doctoren , 2 zu Licentiaton , in der philosoph. 3 rite und 5 in absentia zu Doctoren promoviert, in der letc- tercn 5 Bewerbungen wegen ungenügender Abhandlungen zurüekgewie> scn; als Privatdocent habilitierte sich in der Jurist. Facultät Mich. d. J. Dr jur. A. Voege. Ein weiterer, höchst interessanter Yheil der Chro- nik S. 7 39 berichtet über die Universität im allgemeinen und die üni- versitätsinstitute insbesondere und bringt namentlich zu der ersten muehe Mittheilungen aus der Geschichte des Universitätswesens überhaupt, die von weiterer Wichtigkeit sind. Unter den Instituten gehören hierher insbesondere das philologische Seminar, an welchem' im ganzen 11 Mit- glieder theilnahmen, nnd das paedagogische , an welchem sich resp. 0 und 4, lauter Philologen, betheiligten. S. 39 f. sind einige Nachrich- ten von den Gelehrtenschulen in den Herzogthümern Schleswig, Holstein und Lauenburg gegeben, wovon wir hier das wesentlichste nm so lieber mittheilen, als namentlich über die schleswigschen Anstalten jetit wol wenig Kunde mehr über die Elbe dringt. Kiel. Der 6e Lehrer an der dortigen Gclehrtenschule , Scharenberg, ward im Mai 1856 an das Gymnasium Christianeum zu Altona versetzt, für ihn trat interimistisch der Privatdocent an der Universität Dr Büttel zum Unterrichte in den Naturwissenschaften ein ; den franz. Unterricht des nach Gotha abge- gangenen (s. oben) Schwob-DolH übernahmen die Lehrer Strave lind Jansen; den Unterricht im zeichnen besorgte L. Wolperding. Besucht war die Schule von 2»S8 Schülern und hatte 11 Lehrer. Am Realgymnasium in Rendsburg wurde der Dr Vcchtmann, ein ge- borener Hannoveraner, unter Ertheilung des Indigenatrechts definitiy sb Rector angestellt; die Schülorzahl dieser Anstalt war auf 182 gestiegen. Das Programm der Glückstädter Gelehrtenschule enthält vom Dr E. Vollbchr de Oedipi regis Sophocleae oeconomia scenica; die Schale hatte 8 Lehrer und 9Q Schüler; mit dem Bau des beabsichtigten Schnl- hauses war noch nicht begonnen. Das Programm der Meldorfer Gclehrtenschule enthält Dr Kalls ens Uebersetzung der ersten drei Aete von Corneilles Cid mit einem Nachwort; die Schülerzahl hetrng in 5 Klassen 64. In Plön erschien als Programm eine exegetische Abhand- Inng vom Collab. C lausen: der Ostermorgen nach der Schrift; die Schil- lerzahl war in 6 Klassen 92. Das Programm der Gelehrten- nnd Real- schule in Flensburg vom Juli 1^50 enthUlt vom Conrector Schuma- cher: der Lehvcrheruf in seinen Antinomien. Die Zahl der Schüler war 215, von denen 45 in den 4 lateinischen (Gymnasial-), 120 in den 6 Real-, 74 in den pemeinschaftlii4icn oder Vorbereitnngsldassen waren. Die Gohalto mehrerer Lehrer wurden erhöht, neu angestellt als Adjnncten Engel hardt und Wülsten; auszerdem wurden 2 noue Collaboratnren zu 750 und 675 r. preusz. eingerichtet. Mit diesen hat die Schule einen Rector, Conrector, Subrector, 6 Collaboratoren, 8 Adjuncten, 1 Schreib-, 1 Zeichen-, 1 Gesang-, 1 Gymnastiklehrer, mithin im ganzen 21 Lehrer, von denen 17 fest angestellt sind. Hadersleben. Das Programm

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Berichte über gelehrte Anstalten , Verordnangen, Statist. Notizen. 245

enthält: Udwnlgte Oden af Horats mrersatte af (ausgewShlte Oden des Horaz übersetzt von) Edv. Lembke, Conrector. Von den 100 Stshulern, die die Anstalt besuchten, gicngcn aus der 7n (obersten, nach dänischer Einrichtnng) Klasse 6 zur Universität nach Kopenhagen. Im Juli 1856 (Schlnsz des Schuljahrs wie in Dänemark) war die Schülerzahl 117, von denen 15 in der 7n, 11 in der 6n, 14 in der 5n, 15 in der 4n, 22 in der 3n, 21 in der 2n, 19 in der In Klasse waren. Als Lehrer wirken ein Rector, Conrector, Subrector, CoUaborator, 6 Adjuncten und ein Lehrer für rechnen, schreiben und Gymnastik. Die aus 2040 Werken bestehende Bibliothek erhielt noch eineti Zuwachs von 330 Werken. Das Pro- gramm der Schleswiger Domschule enthalt von dem Adjuncten C Johansen: über Anschauungsunterricht. Zu Adjuncten sind die Lehrer W. Th. Johansen, Muusmann und Grünfeld (früher constituiert) ernannt und das Schnlinspectorat (?) dem CoUaborator Bliche rt über- tragen worden. Die Schule hat einen Rector , Conrector , Subrector, CoUaborator, 6 Adjuncten und 3 Hülfslehrer für Musik (Gesang?), zeich- nen und Gymnastik. Die Zahl der Schüler betrug 102, 4 in I, 7 in II, 18 in Ober III, 16 in Unter III, 6 in Real III, 12 in IV, 16 in V, 23 in der Vorbereitungsklasse (für Schüler von 6 9 Jahren). Für die Schnl- bibliothek war die Summe von 375 r. preusz. bewilligt und die mathe- matisch-physikalische und chemische Sammlung ansehnlich vermehrt worden. Als Osterprogramm der lauenburgischen Gelehrtenschule zu Ratzeburg erschien 1856 von dem Director derselben, Prof. Zander, die 4e Fortsetzung der Andeutungen zur Geschichte des römischen Kriegs- wesens (die 3e erschien 1853). Die Schülerzahl in 5 Klassen war 76, nnterrichtet von 7 Lehrern. Ferner sind als Anlage der Universitäts- chronik von 1856 Nachrichten über das physikalische Institut und das mineralogische Museum der Universität Kiel von Prof. Karsten, nebst 3 lithogr. Tafeln, beigegeben; weiter eine Rede des Kirchenraths Lude- rn Ann beim Tode eines Studierenden; endlich ein Bericht über die Wirksamkeit des Kunstvereins zu Kiel. Die übrige gröszere Hälfte dieses 3n Bandes der Kieler Universitätsschriften bilden 1) ein Programm mm Geburtstage des Königs von Dänemark: über die Weltkarte tend Chorographie des Kaisers Augustus von Prof. K. MüUenhoff (55 S. 4). Der Verf. hält die nach einer stattgehabten Vermessung des römischen Reichs entworfene Karte, die Augustus (wahrscheinlich um 7 v. Chr.) ex destinatione et commentariis M. Agrlppae im porticus der Polla aus- fahren liesz, in der er nach Plin. 3 , 3 orbem terrarum orbi spectandum hinstellte, für eine der groszartigsten und einfluszreiohsten geographi« sehen Arbeiten, die je gemacht sind, und die nicht nur das Alterthum^ sondern die Geschichte überhaupt aufzuweisen hat. Es wird ausserdem in gründlicher und gelehrter Weise dargethan, dasz Augustus aus den Commentarien seines Schwiegersohns auch eine Schrift zusammenstellte und zum Gebrauch neben der Karte herausgab. Endlich ist ein, wenn auch nicht vollständiger , doch klarer Beweis geliefert worden, dasz bei Entwerfung der römischen Welt- und Reichskarte durch Agrippa die Karte des Eratosthenes zu Grunde gelegt und ihre Projection in aUem wesentlichen beibehalten wurde. 2) Rede des Prof. Dr theol. Fr icke an demselben königl. Geburtstage: de necessitudine qua singulae inter se coniinentur disciplinae (12 S. 4). Der Verf. geht auf das 'viel citierte, aber wenig gelesene' Ruch Bacos von Verulam de dignitate et augmen-' tis scientiarum und auf die darin gemachte Eintheilung zurück, die auf den Gegensatz der ethischen und der Naturwissenschaften einfach zn- rückzuführen ist, de^-en ganze Mannigfaltigkeit aber vorzugsweise diurch die von dem Protestantismus wesentlich gepflegte Individualität und die ungestörteste Entwicklung derselben allein beherscht werden kann. In dieser Beziehung berücksichtigt er besonders auch die Gymnasien und

246 Berichtigung.

die in ihnen herschende Noth des vielerlei, die den Geist ertödtet und die Kräfte lähmt, wobei er sich auf die unter den Lehrern selbst immer allgemeiner werdende und zuletzt auf der Stuttgarter Versammlung laut gewordene Stimme beruft und die klassischen Studien im Gegensatce der modernen und realen Bestrebungen mit Nachdruck und Wärme em- pfiehlt. — 3) 15 medicinische und 2 juristische (die philosophischen scheinen gar nicht durch den Druck veröffentlicht zu werden) Doctor- dissertationen , von denen wir die des oben erwälmten Privatdocenten Dr Adam Voege aus Lutterbeck: de origine ei natura eorum, quae apud veter es Romanos per aes et libram fiebant (5G S. 4) hier noch nennen wollen. Egg,

Berichtigung zu S. 45.

Je schwieriger es ist einen einmal gehörten Vortrag in seinen ßpecialitäten genau wiederzugeben, um so dankbarer sind wir für die Einsendung folgender Erklärung:

'Meiner dem geehrten Präsidium gemachten Anzeige gemäsz sprach ich über einen Versuch, den ältesten Text der Odyssee zu ermitteln, so weit dieser von Aristarch herrühre oder herzurühren scheine. Es ist ebenso bekannt l&ls ausgemacht, dasz das erste Hülfsmittel für diese Arbeit in den Schollen liegt; der Werth der Citate ist dem der Hand- schriften unter Umständen vorzuziehen. Unter den Handschriften aber habe ich bisher dem Texte des Eustathius entschieden den Vorzog ein- geräumt, während mir von den wiener Handschriften nur die i3de einen hervorstechenden Werth zu haben schien, um in zweiter Linie eine Stelle zu verdienen.

In Betreff der erörterten Stellen glaube ich durch die vorgelegten Zeugnisse erwiesen zu haben, dasz Wolf II II mit der Lesart xvVcff noSag ccQyol weder die Vulgata, noch diejenige Variante gab, welche er nach seinen Voraussetzungen für aristarchisch halten muste. Die Vul- gata ist Svto Hvvsg agyot^ auch Verg^l hatte diese bei seiner Nach- ahmung Aen. VIII 401 vor Augen. Wenn also Wolf seiner Ueber- Zeugung treu bleiben wollte, dasz der römische Dichter von Jugend anf einen aristarcbischen Text des Homer benutzt habe, so konnte er nicht umhin Svca yivvis dgyol für Aristarchs Lesart anzusehen. Die Haltbar- keit jener Voraussetzung selbst habe ich weder vertheidi^t noch be- stritten. JPerner leitete ich die Variante Hvvsg noöag dgyol ans XVII 02 ab, wo sie unzweifelhaft der Vulgata angehört, indem ich bemerkte, dasz sich umgekehrt auch iu diese Stelle in der augsburger Handschrift ein dvoo x. d. aus II 11 eingeschlichen habe.

Bei dem dritten Beispiele XXIV 28 zählte ich den Vind. 56 zu den Handschriften, welche die sinnlose rocepta Tr^cora stützen; ich erwiUmte die Art, wie Giphauius (nicht Epiphanius) die Stelle gegeben hat Nicht Eustathius hatte ngcat vor Augen, sondern der Scholiast, welcher die Erklärung ngo tov yrigoag, TtQO xov Ötovxog niederschrieb, die uns der Harl. bietet. Aus dem alten Lemma der Schol. Vulg. und ans Hesych. s. v. schlosz ich, dasz sich nach dem richtigen ngtot eine alte Variante ngto xi Eingang verschafft hätte. Aus dieser ist nach Butt- manns richtiger Andeutung das schlechte ng(aza entstanden , was sich bereits vor Eustathius festgesetzt hatte. Die Lesart ngoat findet sich in drei Handschriften, deren Benutzung mir möglicli wurde. Die wei- tere Erörterung liefern die Verhandlungen selbst, deren Druck die Presse beschäftigt.'

Sagan. W'. C, Kayser

Zweite Abtheilung

heraugegeben Ton Rudolph Dietsch.

SkaJtsperes Werke. Herausgegeben und erklärt con Dr Nico- laus Delius. 3 Bde. Elberfeld 1854— 57. Erster Band: Tragedies: Hamlet Othello King Lear Macbeth Timon of Athens Titus Andronicus. Zweiter Band : Tragedies : Romeo and Juliet CymbeUne Troilus and Cressida Coriolanus Julius^ Caesar Antony and Cleopatra. Dritter Band: Tragedies: King John King Richard II King Henry IV Part I King Henry IV Part II King Henry V.

Das Verdienst, welches sich Herr Professor Delius durch seine Ansgabe des Shakspere bereits erworben hat, ist ein hervorragendes. Bereits sind drei Bände dieser so werthvollcn Ausgabe erschienen. Die Arbeit des gelehrten Herausgebers schreitet rüstig vorwärts und in wenigen Jahren werden wir hoflfentlich sämtliche Werke Shaksperes mit den Erklärungen des Herrn Delius besitzen , ein für alle Freunde des Dichters unschätzbares Werk. Bisher hat es niemand in Deutsch- land unternommen, die gesamten Werke Shaksperes herauszugeben and zu erklären; es gehörte zu einer solchen Arbeit ein groszer Um- fang von Kenntnissen, eine tiefe Vertrautheit mit dem Dichter, eine reiche Belesenheit in den schriftstellerischen Zeitgenossen, eine grosze Ausdauer, Sorgfalt und philologische Akribie; Eiger^schaften , welche der Natur der Sache nach nur wenige in sich vereinigen können. Herr Delius besitzt diese Eigenschaften; er war zu dem groszen und -um- fangreichen Werke, das er nnternahm, in der seltensten Weise vor- bereitet; er hatte durch treffliche Schriften, vor allem durch sein Shakspere - Lexicon , schon früher bewiesen, welches gründliche und fördernde Studium er dem groszen Dichter zugewandt hatte. So ge- bührt denn dem Herrn Prof. Delius in der Geschichte des deutschen Shaksperestndiums eine der bedeutendsten Stellen; nachdem wir seit Lessing und Goethe, seit Wielands und Schlegels Uebersetzungen eine üeihe historischer und ästhetischer Erläuterungsschriften erhalten hatten,

N. Jahrb. f. PhU. %. Paed. Bd LXXVIll. Bßb. 17

248 Shakspere von Delius.

erscheint nun der Dichter in seiner eigensten Gestalt, zum crstenmale von einem Deutschen würdig und trefTiich herausgegeben und commen- ticrt. Wie sehr durch diese Ausgabe die Leetüre des Dichters erleich- tert wird wissen alle diejenigen, welche sich bisher mit den alteren englischen Ausgaben und Commentatoren begnügen musten ; bei schwie- rigen und dunkeln Stellen wie viel Bemerkungen verschiedener Inter- ' preten sind da gehäuft, von denen der eine 'den andern zu widerle- gen sucht!

Der Shakspere von Delius ist nun durch zwei grosze VorzOge ausgezeichnet: durch einen vortreflTlichen Text und durch eine nm> fassende, präcise und elegante Erklärung. *

Rücksichllich des Textes ist in den letzten Jahren durch den Collierschen Shakspere-Corrector in England wie in Deutschland eine grosze Bewegung entstanden; die Stellung, welche Herr Prof. Delios zu dieser Bewegung einnahm, ist bekannt; er hat sie in einer Schrift (J. P. Colliers alte handschriftliche Emendationen zum Shakspere) scharf und entschieden bezeichnet. Er hat gezeigt, dasz biainfwe-^ nige Stellen die Aendernngen und Streichungen des Correctora wertb- los sind, dasz sie auf Unkenntnis oder einer Furchtsamkeit beroheo, welche der Kühnheit und Grösze des Shakspereschen Ausdruck» so entgehen sucht. Herr Detius folgte daher in seiner Arbeit im wesent- lichen der Folioausgabe von 1623, er berücksichtigt indessen auch die vorher erschienenen Quartausgaben ; er ist der Meinung, dasx sich absolut weder nach der einen noch nach den anderen der Text wie- dergeben lasse; vielmehr hat er die richtige Ansicht, dasz *sa der streitigen Autorität der Qs, resp. der Folio, die inneren Gründe hinzu- treten müssen, welche die Vorzüglichkeit der einen oder der anderen Lesart darthun und damit der streitigen Autorität der einen oder der anderen allen Ausgabe ein Gewicht verleihen, das ans der Menge sol- cher für die eine oder für die andere sprechenden Beispiele so enl-* nehmen ist' (vgl. Schluszwort zum ersten Bande S. 115). Wir haben gefunden, dasz Herr Prof. Delius in der Auswahl der Lesarten ¥01 Scharfsinn, Belcsenheit und einem sicheren Shaksperegefühl geleitet worden ist; und während der CoUiersche Corrector herliche, kflhne W^endungen der Shakspereschen Diction verflacht, wird Delius tob einem durchgebildeten Sinne für das echte Korn der Sprache Shik- speres beherscht. Es wird aber auf diesem Gebiete der Natnr der Sache nach doch noch vieles nur der subjectiven Kritik zur Entschei- dung überlassen bleiben; es wird daher Stellen geben, wo der Leser über den Werth oder die Bichtigkeit der aufgenommenen Lesart mit dem Herausgeber streiten wird. Wir begnügen uns der Kürze wegen mit der Anführung nur 6ines Beispiels. Herr Prof. Delius Ifiszt in sei- ner Ausgabe den Komeo nach dem Scheintode Juliens, der für ihn ein gewisser ist, in den Ausruf ausbrechen (S. Hl): *

Is it e'^en so? then, I deny you, stars. Die Lesart 1 deny ist ans Qs. und Fol. von Delius aufgenommen. Die Q. A. hat I defy my stars, und andere Herausgeber haben dieser

Shaksperc von Didlins. ' 249

Lesart in dem Texte eine Stelle gegeben. Delios bemerkt, ^Romeo in seiner todesmutigen Verzweiflung verleugne die Sterne, an die er bisher geglaubt habe. Das sage mehr als die von den Herausgebern adoptierte Lesart von Q. A. I defy my stars/ Dessenungeachtet möchte ich der letzteren Lesart den Vorzug geben. Romeo in seiner wilden Stimmung sucht den Kampf; die Schicksalsmichte selbst, die er in den Sternen sieht, möchte er zum Kampfe herausfordern. Der astrolo- gische Glaube, der in Shaksperes Zeitalter herschte, tritt in dieser Lesart um so deutlicher hervor; einen Gegensatz zu Romeo, der mit den Schicksalsmächten selbst einen Kampf aufnehmen möchte, bildet iCent im Lear, welcher (4, 3 Delins S. 104) sagt: It is the stars, tlie Stars above us, govern our conditions; und diesen Glauben verspottet Cassius im'Julius Caesar, wenn er zu Brutus sagt (i, 2 Delius S. 22):

The fault, dear Brutus, is not in our stars, But in ourselves, that we are underlings.

Die Erklärung, welche Delius zu den Stücken gegeben hat^ musz als musterhaft bezeichnet werden. Die Anmerkungen sind klar, kurz und pracis; jede Abschweifung, die sich in eine der Sache fremde Ge- lehrsamkeit verliert, ist mit Strenge vermieden; Parallelstellen sind nur dann angeführt, wenn sie entweder einen seltsamen Sprachge- brauch oder ein kühnes Bild erläutern und sicher stellen oder zum Verständnis des Sinnes förderlich sind. Die Anmerkungen sind ferner elegant; sie geben Zeugnis, dasz der Erklärer den Dichter mit poeti- schem Sinne auffaszte; sie erläutern oft das specifisch poetische; oft beleuchtet der Erklärer den bildlichen Ausdruck, eröffnet die entle- genen oder wenig bekannten Quellen, aus denen er flosz, und fördert dadurch das poätische Verständnis sehr wesentlich. Die Anmerkungen sind ferner tief eindringend. Es liegt in der Sache selbst, dasz Herr Delias seine Vorgänger, namentlich die englischen Erklärer, benutzen ood von ihnen entlehnen muste; aber eine Vergleichung beweist, dasz er sich auch hier ein Verdienst erwarb, indem er die^ weiten Samm- langen verschiedener Noten, wie sie die englischen Ausgaben oft zu ein und derselben Stelle enthalten, ins kurze zusammenzog und auf den prägnantesten Ausdruck zurückführte. Aber in vielen Anmerkun- gen tritt auch der Scharfsinn des Verf. in ganz selbständiger und neuer Erklärung hervor, und er hat durch richtige Interpretation manche Lesart gerettet, die man durch Conjecturen zu verdrängen suchte. Ich fähre ein Beispiel aus König Lear an, die berühmten Worte des Ritters aber Cordelia (4, 3 Delius S. 103):

patience and sorrow strove Who should express her goodliest. You have seen Sunshine and rain at once: her smiles and tears Were like a better way.

Die Worte a heiter way, welche in den Quartos stehen, gaben Anstosz; Warburton conjicierte Ma^^ Theobald day (vgl. Delius, Shakspere-Lexicon S. 233)% Man möchte geneigt sein für day Partei

17*

250 Shakspere von Delius.

KU nehmen, wenn man das ahnliche schöne Bild in AIPs well Ihal ends well (5, 3) liest, wo der Köjiig sagt:

Jam not a day of soason, For Ihou may^st see a snnshine and a hail In me at once. Bot to the brigbtest beams Distracted cloads give way; so stand thon forlh, The time is fair again.

Aber da sich day durch keine alte Ausgabe rechtfertigen läfit, hat Delius den richtigen Weg getroffen, indem er a better way adver> bial erklärt und bemerkt: ^Cordelias gleichzeitiges lächeln und wcIdmI glich einem gleichzeitigen Regen und Sonnenschein, nor auf bessere Weise, d. h. insofern es schöner war.' Da Delius mit den Sitten und Gebrauchen des Shakspereschen Zeilalters sehr genau bekannt ist, ge- w innen viele Stellen durch seine Erklärung einen überraschend schö- nen Sinn. Mancher Leser des Shakspere hat vielleicht im König Lear die Worte Kents nicht genügend beachtet, mit welchen der Verbannte beim König sich einführt (1, 4 Delius S. 32): to fight when I cannot clioosc and to eat no fish. Man nehme die Bemerkung von Delius hin- zu, welcher sagt: ^Durch das Fischessen an Festtagen verriethen sich zu Shaksperes Zeit die Katholiken, die zugleich damals für schlechte IJnterlhanen und illoyale Engländer galten.' Diese ausgedehnte Kennt- nis von Sitten und Gebräuchen, verbunden mit einer eminenten Spraeh- kenntnis, setzte Herrn Delius auch in den Stand die Wortspiele and doppelsinnigen Wendungen in Shaksperes Dramen befriedigend ond allseitig zu erklären , und wir sehen daher dem erscheinen der Lust- spiele mit lebhafter Erwartung entgegen, da in diesen Delius noch ein weiteres Feld gewinnen wird seine Meisterschaft in der Interprelaliou solcher Feinheiten zu bewähren. Zu der Erklärung gehören fenier die Einleitungen , welche Herr Delius zu den einzelnen Dramen gege- ben hat. Sie sind äuszcrst zwcckmäszig. Sie sind nicht ästhetisch; wozu wäre das nach so vieUn ästhetischen Erläuterungen Shaksperes, wie sie in Deutschland vorhanden sind, noch nöthig? Sie bestehen vorzugsweise in der Geschichte des einzelnen Drama, in der Angabe der Quellen die der Dichter benutzte, in der Mittheilung von wichtigen und interessanten Stellen aus dieser Quelle, mögen diese nun in No- vellen oder in Chroniken und Biographien oder in Balladen und Wer- ken der dramatischen Poesie selbst bestehen. Die Auszüge aus Ho- linsheds Chronik, aus welcher der Dichter z. B. die Gesehichle des Macbeth und Lear schöpfte, die Auszüge aus Arthur ßrookes Gedicht (The Tragicall Historye of Romens and Juliet), an das sich Shakspere neben der Novelle des Bandello anschlosz , müssen vor allem denjeni- gen, denen diese Werke selbst nicht zur Hand sind, vom höchsten Wertho sein. Durch diese Auszüge wird eine Vergleichung möglich, welche das ästhetische Verständnis der Dramen in der solidesten Weise fördert und nns die Kunstthäligkeit des Dichters erblicken läszt, welcher einen gegebenen Stoff zur echten und schönen Kunstr

Shakspere von Delius. 251

forin bildete. Sorg^faltig^ erörtern die Einleitungen von Delius das Abfassungsjabr der Stücke oder sie handeln über die ganz oder theiU weise bezweifelte Autorschaft des Dichters, wie die Einleitungen zu Titus Andronicus und Timon von Athen. Auch wo der Dichter zwei Bearbeitungen desselben Drama vornahm , wie bei Hamlet und Romeo und Julie , setzen die Auszüge von Delius den Leser in den Stand den groszen Fortschritt zu erkennen, den Shakspere in der späteren Be- arbeitung machte , und fördern das tiefere Verständnis der Stücke in gründlichster Weise.

Je höher wir nun die Interpretation des Herrn Delius schätzen, desto verzeihlicher wird es sein, wenn wir wünschen dasz wir die Stimme eines so tiefen Kenners und sicher trelTenden Erklärers über manche Stelle ausführlicher gehört hätten. Wir machen unseren Wunsch durch Anführung von vier Stellen deutlich. Lady Macbeth, indem sie nach Empfang des Briefes von ihrem Gemahl spricht, braucht die Worte (l, 5 Delius S. 35) :

thou ^dst have, great Glamis, That which cries: ^Thus thou must do, if thou have it;' And that which rather thou dost fear to do, Than wishest should be undone.

Delius macht zu dieser Stelle folgende treffliche Bemerkung: ^Daßjenige, was dem Macbeth zuruft: so must du handeln, wenn du es hast! ist nach der Erklärung der Herausgeber die Königskrone. Ob aber Shakspere unter that which cries nicht etwas anderes, viel- leicht die gewissenlose, kaltblütige Ermutigung zum Morde, die Mac- beth haben möchte oder sollte, vjerstanden hat, ist zweifelhaft. Jeden- falls erscheint. es angemessener, das folgende and that ebenfalls als Object zu thou Mst have zu fassen, also: du möchtest haben das, was

dir zuruft und das, was du eher scheuest zu thun als ungethan

wünschest, d. h. Dunkans Ermordung.' Dasz mit den Worten if thou have it die Königskrone nicht gemeint sein kann ist klar ; ganz richtig lieht Delius die Worte and that zu thou ^dst have. Aber die Schwierig- keit des Wortes il in dem Satze if thou have it ist durch die Erklärung von Delius noch nicht beseitigt. So lange dieses ü in dem Texte sieht ist die Stelle nicht verständlich; wahrscheinlich wollte Shak- spere me schreiben und liesz sich durch die Worte That which cries xa.t7 verleiten. Schreibt oder denkt man me an die Stelle von <7, so haben die Worte einen folgerichtigen Sinn, und Lady Macbeth sagt: ^Du möchtest das haben, groszer Glamis, was dir zuruft: so must du handeln, wenn du mich hast (d. h. den gewissenlosen Mut zur Ermor- dang), und das möchtest du haben, was du eher zu vollbringen fürch- test als unvollbracht wünschest (d. h. die Ermordung Dunkans).' In der Tieckschen Uebersetzung:

> ^möchtest gern Das haben, groszer Glamis, was dir zuruft: ^Dies must du thun, wenn du es haben willst!'

252 Shakspere von Delius.

Und was da mehr dich scheust za thon als dass Diuungethan es wAnschest'

ist if IhoQ have it unrichtig wiedergegeben.

Ferner hätten wir über eine Stc;Ue im König Lear (3 , 4 Delins S. 76) eine Aufklärung von Herrn Delius gewünscht; wir ifteinen die Worle des Narren :

When priests are more in word than matter; When brewers mar their malt with water; When nobles are their tailors'^ tutors; No heretics burn^d , but wenches^ suitors : When every case in law is right; No squire in debt, nor no poor'knight; When slanders do not live in tongues; Nor cutparses come not to throngs; Whon usurers teil their gold i^ the field; And bawds and whores do churches build; Then shall the realm of Albion Come to great confusion: Then comes the time, who lives to see't, That going shall be used with feet.

Der allgemeine Sinn dieser Prophezeiung isl klar. Der Narr meint: wenn das Sittengesetz, das in einzelnen concreten Pfilleo spe- cioU bezeichnet wird, von allen wird befolgt werden, dann wird ta Ueiche von Albion grosze Eintracht und Ordnung herschen. Den Ge- danken des Nachsatzes drückt der Narr in seiner Weise einmal In der Form der Caricalur, dann in einer humoristischen Wendung ans. Die Vordersätze der Prophezeiung haben in der Form eine grosse Sya* metrie; man erwartet dasz diese auch in dem Sinne sich findet. Aber die beiden ersten Verse weichen von den folgenden dem Sinne naeli unsymmetrisch ab ; denn da die ganze Prophezeiung in den Vorder- sätzen nichts anderes ist als eine poetisch individualisierte, darek concreto Fälle ausgedrückte Darstellung des Begriffes *niemalf% so erwartet man von dem Dichter den Eingang: *wenn Priester mehr sind in Thaten als in Worten, wenn Brauer nicht ihr Malz doroh Was- ser verderben' usw., während gerade das Gegentheil steht. Wie ist diese Erscheinung zu erklären? sind diese beiden ersten Verse der Prophezeihnng ironisch gesagt und charakterisieren sie speciftsch die Sprache des Narren ? Denn gewis wird niemand von den sämtlielmi Versen der Prophezeiung sagen, was WarbuMon schreibt: The Jadi- cious reader will observe through this heap of nonsense and ••■- fusion, that this is not one but two propheoies.

Eine dritte Stelle , über welche wir von einem Interpreten toi Delius^ Scharfsinn und Gelehrsamkeit eine längere Erörternng ge- wünscht hätten, heben wir aus Richard II hervor. Der König sagt zu Bolingbroke und Norfolk (1, 3 Delius S. 26) :

Shakspere von Delius. 253

Aad for our eyes do bale tbe dire aspect

Of civil wounds ploughM ap wilh aeighbours^ swords ,

And for we Ihink tbe eagle-winged pride

Of sky-aspiring anä ambitious Ihoughts,

Witb rival-hating envy, set on yoa

To wake our peace, wbicb in our coantry^s cradle

Draws tbe sweet infanl breatb of gentle sleep;

Wbicb so rous'd up wilb boisterous untunM drums,

Witb barsb resounding trumpets, dreadful bray,

And grating sbock of wbalbful iron arms,

Alight from our quiet confines fright fair peace,

And make us wade even in our kindreds blood, usw.

Delius bemerkt zu dieser Stelle: ^Die folgenden fünf Verse (And for we tbink usw. bis breatb of gentle sleep) feblen in der Fol. VieU leicht waren sie im Bübnenmanuscript gestrichen , da sie den obnebia langen Vordersatz in der Rede des Königs übermaszig ausdehnen. Man beachtete dabei nicht, dasz der Relativsatz wbicb so rousM up usw. sich nur auf gentle sleep bezieben läszt.' Indessen wenn diese fünC Verse in dem Texte stehen , so tritt uns ein anderer Uebelstand ein, eine fast unerträgliche Wiederholung tritt uns entgegen, die durch die Hinweglassang der Nebenbestimmungen recht sichtbar wird: ^Der stolze AdlerQug himmelslrebender und ehrgeiziger Gedanken hat euch gereizt zu wecken unsern Frieden, der in unseres Landes Wiege den süssen Kindesa Ibem holden Schlafes schöpft, welcher aufgeweckt ans ansern stillen Grenzen den holden Frieden schrecken möchte.' Gern würden wir, um die schönen fünf Verse zu retten und doch die listige und fast verworrene Wiederholung zu vermeiden, uns an einen Englander anschlieszen, welcher statt fright fair peace lesen möchte be affrighted, wenn die vorgeschlagenen Worte mehr als blosze Con- jectur wären. Wofern man aber die fünf Verse, wie englische Aus- gaben thun, einklammert und damit aus dem Texte verbannt, läszt sich der Relativsatz wbicb so rousM up, den Delius nur auf gentle sleep bezogen wissen will, auf swords bezieben, wodurch eine Per- soniftoation von swords entsteht, wie sie dem Shaksperescben Sprach- gebrauche nicht fremd ist.

Die vierte Stelle, über welche wir eine ausführlichere Erklärung gewünscht hätten, findet sich in Romeo und Julie (3, 2 Delius S. 114). Wir hofften von Delius eine Bestätigung oder Widerlegung der Er- klärung, welche Halpin (Tbe Shakspeare's Society^s Papers Vol. II p. 114) von dem Worte runaway gegeben bat. Die Abhandlung Hai- pins ist auszerordontlich schön; in Bezug auf das Wort runaway sucht er zu beweisen, dasz dasselbe den Cupido bedeutet. Delius erklärt runaway einfach durch ^Wegläufer oder Vagabunden'; aber Halpins Abhandlung ist so bedeutend, seine Erklärung von runaway so scharf« sinnig, dasz wir von einem Manne wie Delius, da er Halpin nicht bei- tritt, die Gründe dieser Nichtübereinstimmung gern vernommen hätten.

254 Eine neue Rede des Hyperides.

Wir schlieszen unsere kurze Anzeige mit dem Wunsche, die rastlose Arbeit des Herrn Deliur möge den Erfolg haben , dasx das Studium des groszen Briten in Deutschland immer mehr sich einbAr- gere. Herr Delius hat bereits bewundernswerthes ffir das Verst&nd- nis Shaksperes geleistet; möge er Kraft behalten sein grosses und schönes Werk glücklich^ zu Ende zu führen.

Halberstadt. Dr C. C. Hense.

12.

Auffindung einer neuen Rede des Hyperides.

John Hogg, der die erste Mittheilung über die von Ar den in Theben aufgefundenen Papyrus mit den bald darauf von Babington herausgegebenen Reden des Hyperides veröffentlicht hat , berichtel im Londoner Athenaeum vom 18. Juli 1857 über die Auffindung einet neuen Manuscripts durch den Rev. Stobagt aus einem Briefe des Rey. Churchill Babington von Cambridge, welcher dasselbe schon im Febraar und März d. J. auf dem britischen Museum, dessen Verwaltongsratli (Trustees) es erkauft hatte, abgeschrieben hat. Das sehr beschädigte Manuscript enthalt etwa 12 Columnen in gröszerem Format als das früher von Arden anfgeftfndene, steht diesem aber an Güte und Alter nach, denn es reicht wol nicht über das dritte Jahrhundert n.Chr. hinauf und hat eine barbarische Orthographie. Die einzelnen Frag* mente , deren Ordnung Babington mit vieler Mühe zu Stande gebracht hat, sind l) eine halbe Columne, welche wahrscheinlich die zweite Hälfte der Anfangsseite bildete; 2) 10 Columnen unzweifelhaft in fort- laufendem Zusammenhange, theilweise verstümmelt, die wahrschein- lich auf jene erste folgten; doch sind zwei derselben sehr verstümmelt, die dritte in der Mitte zerissen; 3) 2 vollständige Columnen in Zusam- menhang; 4) eine Viertelcolumne für sich; 5) 4 5 kleinere Frag- mente, mit denen nichts anzufangen ist. Nach Babingtons Annahme haben wir in diesen Fragmenten den gröszeren Theil des berühmten Epitaphius des Hyperides, da sie die Erwähnung des Leosthenes, der athenischen Streitkräfte und ihrer Verbündeten, der Stadt Lamia und Antipalers enthalten, Hyperides aber nach Diodors Bericht (XVIII 13) eine Leichenrede nach Leosthenes Fall im Junius oder Julius 3S9 hielt. Ueberdies hat Babington auch ein von Harpocration aus dem Epithaphius des Hyperides erwähntes factum in dem Manuscript ge- funden. Dasz die Rede überhaupt von Hyperides herrührt, beweist schon ein Citat des Stobaeus aus einer Rede des Hyperides : tpoßrithv ov% avÖQog aneikiiv^ alka vofiov gxovtiv kvqisvsiv dsi rav ilev^^ Q(0Vy welches in -dem Manuscript mit geringer Abweichung lautet: ov yciQ ccvdo. kxX, dei xmv evdccifwvGiv,

Erfurt. B. Weiszenbom.

Briefe über neuere Erscheinungen aaf d. 6. der deutschen Philol. 255

(6.)

Briefe über neuere Erscheinungen auf dem Gebiete der

deutschen Philologie

an Herrn Dr S., Oberlehrer am Gymnasium zu B. von Dr F. Zacher, auszerordentlichem Profei^sor der deutschen Sprache und Litteratur an

der Universität zu Halle.

(Fortsetzung von S. 216 ff.)

11.

Doch wir wollten ja die eigenen kritischen Grundsätze des Herrn Holtzmann kennen lernen.

Auch diese hat er nach seiner uns nun schon bekannten Weise nicht in neiler und scharfer Fassung besonders ausgesprochen. Sie lassen sich jedoch mit genügender Sicherheit entnehmen ans den all- gemeinen Betrachtungen, welche er an den Beginn seiner Besprechung gen des Verhältnisses der .Texte A und B so wie der Texte B und C (S. 5 u. 17) und an den Schlusz der erstgenannten Besprechung (S. 16) gestellt hat. Die erste dieser drei Stellen ist im siebenten Briefe ge- prüft, die dritte im zehnten Briefe ausgehoben worden; die zweite lautet auf S. 17 und 18 folgendermaszen :

^ Dabei müssen wir bemerken , dasz allgemein , auch von Lach» mann, der Text von C als der bessere bezeichnet wird. Unleugbare Vorwge musz er also getois haben. Aber, das bessere von C sei eben erst durch Besserung hineingekommen. Der Text von B sei zwar we- niger gut ^ aber ursprünglicher^ älter^ echter. Das ist nun sehr auf- fallend und gegen alle sonstige Erfahrung^ dasz das bes- sere nicht das ursprüngliche sein soll und dasz das ur- sprüngliche offenbare Mängel und Fehler gehabt haben musz,, die erst allmählich durch verständige Nachhülfe entfernt wurden. Sonst ist es doch bei allen Gedichten Grundsatz der Kritik^ dasz diejenige Lesarty die dem, Zusammenhang am ange- messensten und zugleich die schönste und genaueste in Sprache und Vers <5/, für die echteste erklärt tper- den musz^ von der die andern sich um so weiter entfernen ^ je schlechter sie sind. Hier soll es anders sein^ weil wir hier Ursprung^ liehe Volkslieder vor uns haben. Werden aber die Volkslieder etwa besser im Munde des Volkes? Lehrt nicht vielmehr die Erfahrung^ dasz nichts fürchterlicher entstellt wird als der von Mund zu Mund fortgehende Volksgesang , von dem zuletzt nichts übrig bleibt als die Melodie und vollkommen sinnlose Worte? Aber freilich nicht wäh- rend die einzelnen Lieder^ aus denen das ganze bestehen soll^ noch im Munde des Volkes waren^ soll die allmähliche Verbesserung statt- gefunden haben y sondern erst nachdem sie zu einem geschriebenen ganzen vereinigt waren. Der erste Sammler habe eben nur nothdürf- tig die ursprünglich gar nicht für einander bestimmten Lieder neben

256 Briefe Gber neuere ErscheinüugeD auf d. G. der deaUcheiniM«

«

einander gestellt^ und da haben dann spätere Dickter VeranioiSMmg genug gehabt abzurunden ^ auszugleichen ^ zu verbinden und glät- ten. So nun soll unser Text von C eine absichtliche VerbeueruMg sein von einem ^ dem der ursprünglichere Text von Bjhicht genügte. Die Sache ist von vorn herein schwer zu glauben ; ein ähnliches Ver- hältnis zweier Texte desselben Gedichtes kommt sonst nirgendswo vor; überall sind wir gewohnt echt und gut für gleichbedeu- tend zu halten^ und hier sollen wir nun sagen: Je schlechter desto besser und Je besser desto schlechter. Doch es kommt auf die Frohe an. Wir wollen die Sache untersuchen,^

In diesem kurzen Absätze ist wieder so viel falsches nnd verkehr- tes zusammengewürfelt, dasz ich wol mehrere Bogen brauchen wQrde, wenn ich alles einzelne auseinanderwickeln, prüfen und beriebtigeu wollte. Das alles zu schreiben, dazu habe ich weder Zeit noch Lost;' und Ihnen, verehrtester Freund, würde nicht minder die Geduld aus- gehen, wenn ich Ihnen zumuten wollte das alles zu lesen. Daher greife ich nur die wichtigsten Banptsachen heraus und überlasse das Obrige ganz Ihrem eigenen gebildeten philologischen Urteile.

Zunächst nur ein paar Worte über die ^Volkslieder'.

Hat denn der Herr Verfasser ganz und gar nicht bedacht^ dasi jede Entwicklung nach einem ewigen Naturgesetze nicht allein ibre absteigende, sondern auch ihre aufsteigende und ihre gipfelnde Periode hat? Wir, die wir in der Zeit der Entartung des Volksliedes leben, wir kennen aus persönlicher Erfahrung freilich nur überwiegenden Verfall und Verschlechterung des Volksgesanges: aber muss es nieht eine Zeit gegeben haben, in der das gerade Gegentheil stattfand, in der die Volkslieder im Munde des Volkes allerdings besser wurden oder doch werden konnten? Und hat er denn auch hur den Schatten eines Beweises dafür geliefert, dasz im Beginn des 13n Jahrhunderts der Volksgesang im Verfall begriffen gewesen sei? Weiss er denn gar nicht, was Lachmann zu St. 1182 (S. 156 der ^Anmerkungen') Aber den Stil der edleren volksmäszigen Poesie des 13n Jahrhunderts be- merkt? Oder, wenn er es weisz, warum übergeht er es? Und ist ilun denn gar nicht zum Bewustsein gekommen dasz die Lieder, welche naoii Lachmanns Ansicht unserem Nibelungengedichte unmittelbar zu Gründe liegen, überdies auch etwas wesentlich anderes waren als das, was wir heutzutage gemeinhin unter dem Namen ^Volkslieder' verstehen?

Doch das ist erst ein Punkt zweiten Ranges. Der eigentliche Kernpunkt von dem Raisonnement des Verfassers liegt in der Behanp- tung: es sei Grundsatz der Kritik für alle Gedichte, dasz die in jeder Beziehung angemessenste unter den vorhandenen Lesarten auch die echteste sei, oder, mit anderen Worten, dasz diese Lesart für den vom Dichter selbst gewählten und gebrauchten Ausdruck oder doch für einen demselben ganz nahestehenden erachtet werden muss. Was sagt, verehrtester Freund, Ihr logisches und philologisches Ge- wissen zu dieser fast abenteuerlich zu nennenden Behauptung? Sagen Sie nicht dasz der Satz vernünftigerweise folgendermaszen Unten

Briefe Aber neuere Erscheinungen auf d. 6. der deutoohmi PMIbL 257

müsse: Bei den vorzGglichsten, bei den im engeren und eigentlichen Sinne klassischen Gedichten der KunstpoÖsieist anzunehmen, dasB der Dichter fast überall den in jeder Beziehung angemessensten Aus- druck gewählt habe? Aber darf man denn den Satz geradezu umkeh- ren? Darf man denn sagen: der Dichter wählt jedesmal den ange- messensten Ausdruck; folglich ist der angemessenste unter den ver- schiedenen bandschriftlich vorhandenen Ausdrücken der vom Dichter gewählte? Was würde Aristoteles zu solcher Logik meinen?

Hat denn der Herr Verfasser auch nur ein einzigesmai versnebt, ein Stück von einem Dichter etwa dritten Ranges, wie z. B. von Rudolf von Ems, kritisch in Ordnung zu bringen? und wenn ers versucht hat ist er 'nie in Gefahr gerathen, den Text besser zu machen als er wirklich sein darf, als ihn der Dichter selbst gemacht hat? Da stehen sehiefe Gedanken, ungeeignete Ausdrücke in der Handschrift, bei denen es dem strengen Kritiker in allen Fingern kribelt, und er darf sie doch nicht verbessern, weil der Dichter selber nicht scharf, nicht streng logisch gedacht, nicht stets das passendste Wort gesucht und gefunden hat. Ein solcher unlogischer und unpoätischer Gehalt ist ja selbst bei leidlicher Handschrift oft viel schwieriger zu behandeln als ein klassischer Meister bei schlechter Ueberlieferung. Und das wird doch selbst der Herr Verfasser nicht leugneli können, dasz in den Ni- belungen neben den herlichsten Strophen, und manchmal unmittelbar daneben, zuweilen recht mittelmäszige stehen : Strophen ersten Range» neben Strophen dritten oder gar vierten. Zu seiner Theorie passl diese Thatsache freilich nicht eben zum besten: aber Thatsache ists doch , und der Wahrheit wird er doch die Ehre geben müssen !

Wenn dem aber so ist, wenn unleugbar von Haus aus verbes- serungsfähige Strophen dritten, vierten Ranges in den Nibelungen stehen, und wenn mehrere Redactoren nacheinander das Lied überar- beitet haben, also Männer, die vernünftigerweise nicht die Absicht haben konnten den Text zu verschlechtern, sondern nur zu verbessern : müssen dann nicht in guten Handschriften der jüngeren Recensionen Stellen genug vorhanden sein, die einen wirklich oder doch scheinbar vorzüglicheren Text darbieten als die entsprechenden Stellen der älte- sten Recension? müssen dann nicht auch jüngere Lesarten dem Zn- sammenhange angemessener, schöner, in Sprache und Vers genauer er- scheinen als ältere?

In der That, der vom Herrn Verfasser an die Spitze gestellte Grundsatz ist so falsch, sein darauf gebautes Raisonnement ist so schief, und^ die echte einfache Wahrheit liegt so auf der Hand, dasB er selbst sich ihr nicht ganz entziehen konnte, und dasz er da, wo sie ihm einmal ungesucht in den Weg lief, darüber unwillkürlich sein vorausgeschicktes Raisonnement fast ganz vergessen muste.

Lesen Sie, verehrtester Freund, nur folgenden Satz, der auf S. 36 seines Buches steht: ^ Immer ist darauf zu achten^ welche Lesart nitht nur die bessere sei^ sondern die ältere^ aus der die andere enislan- den sein /rann.'

258 Briefe Ober oeuere ErscheinimgeD auf d. G. der deotfolMM Pülol.

Streichen Sie ans diesem Satze das einzige Wort ^besser^^ wol- ohes aas dem früheren Raisounement des Herrn Verfassers hersUmnt, bringen Sie den Rest in die gewöhnliche richtige syntaktische Form, und was erhalten Sie dann? Sie erhalten den Satz: ^ 1mm er tsl darauf au achten^ welche Lesart die ältere sei^ aus der die andere enlitanden sein kann,'

Nan , und dieser Satz ? Nun dieser eben so einfache als ein- leuchtende Satz ist ja bekanntlich ein Fundanientalsatz der Lachmano- sehen, sowie überhaupt jeder echten Kritik. Hatte der Herr Verfasser ihn rein gehalten, ihn an die Spitze seiner ganzen Untersuchung gestellt und lediglich von ihm sich leiten lassen, dann wfire er zu ganz anderen Ergebnissen gelangt, und sein Buch würde ganz ander» aussehen, ja vielleicht gar nicht existieren.

Beginnt Ihnen nun völlig klar zu werden, verehrtester Freand, in welchen Zauberkreis des Irthums sich der Herr Verfasser gebannt hat und durch welche logische Versehen das geschehen ist?

Stellen Sie jetzt einmal die beiden Hauptsätze nebeneinander, die er S. 5 und S. 18 an die Spitze der beiden Tbeile seiner Untersachnn- gen über das Verhältnis von* A zvl B und von B zu C gesetzt hat. Der erste lautete: ^Man kann im allgemeinen als Grundsatz auf steile»^ dasü von verschiedenen Handschriften desselben altdeutschen Bueks die längere den besseren und echteren Text habe,' Der zweite lau- tete: Es ist ^ gegen alle sonstige Erfahrung^ dasz das bessere nicht das ursprüngliche sein soll' und: ^es ist Grundsatz der Kritik die an- gemessenste Lesart für die echteste zu erklaren, und »ir sind ge- wohnt echt und gut für gleichbedeutend zu halten,'

Leuchtet nicht schon aus der bloszen unsicheren Fassung dieser beiden Sfitze deutlich genug hervor, dasz sie im Grunde den Herrn Verfasser selbst nicht recht befriedigt haben? Er musz doch Bolh- wendig wissen dasz maszgebenden, die ganze Untersuchung beatia- menden Grundsätzen, welche an die Spitze des ganzen gestellt werden, apodiktische Form gebührt. Warum schreibt er: ^man kann auf-' stellen'^ ^wir sind gewohnt zu hallen' ^ und nicht in apodiktisoher Fassung: *der längere Text ist der bessere', *echt und gut ist gleich- bedeutend'? Hätte er sich ein Herz gefaszt diese Sätze in ihrer apo- diktischen Schroffheit hinzustellen , sie darauf ein wenig schärfer an- zusehen und auch nur in ihren nächsten Consequenzen zu verfolgen: es hätten ihm wenigstens einige der Gründe unmöglich entgehen kön- nen, aus denen hier im siebenten und im gegenwärtigen elften Briefe ihre Verwerfung unvermeidlich gefolgert werden muste.

Wie er aber dieser apodiktischen Fassung aus dem Wege ge- gangen ist, so hat er es auch vermieden die beiden unmittelbar daraoa folgenden Syllogismen offen hinzustellen:

1) der längere Text ist der bessere C hat den längeren Text

also ist der Text der Recension C der bessere.

Briefe aber neaere Erscheinungen anf d. G. der deutschen Phltol. 259

2) echt und gut ist gleichbedeutend , oder : das bessere ist das ursprüngliche nun hat C den besseren Text

folglich ist der Text der Recension C der ursprüngliche.

Diese beiden Syllogismen hat der Herr Verfasser allerdings nicht offen aufgestellt, sie sind in seinem Buche nirgend ausdrücklich zu lesen, und ich bin auch sehr bereit anzunehmen, dasz er sie gar nicht beab- sichtigt hat ; gleichwol stecken sie fortwahrend zwischen den Zeilen und beherschen seine ganze Darstellung.

Ich scherze nicht, verehrtester Freund; ich will auch dem Herrn Verfasser nicht das geringste andichten; das sei ferne von mir! Aber sehen Sie selbst zu, lesen Sie den ganzen bis jetzt besprochenen ersten und hauptsächlichsten Theil seines Buches (bis S.59): und Sie werden fast auf jeder Seite bemerken , wie er sich zuweilen ernstliche Mühe gibt, sich windet und dreht um den beiden Syllogismen zu entkommen, and wie er doch immer wieder in ihren Bann zurückfällt.

Und warum hat er denn ihren Banden so durchaus nicht entrin- nen können? Weil er versäumt hat die verschiedenen in Betracht kommenden Begriffe streng auseinander zu halten. Da finden Sie fort- während untereinandergeworfen, oder gar verwechselt und identisch gesetzt die Begriffe: Handschrift, Text, Recension; Abschreiber, Schreiber, Redaclor; Verkürzung, Verschlechterung; gut, echt, alt, ursprünglich.

Namentlich ist es die Gleichsetzung von gut und alt und die Verwechslung von alt und alter th um lieh die ihn auf das gefähr- lichste Glatteis geführt hat.

Er hat ganz übersehen dasz ^älter' eine absolute, ^besser' dagegen eine relative Bedeutung hat. Werden zwei verschiedene Les- arten zweier nicht gleichzeitiger Recensionen mit einander verglichen, 80 kann doch nur die eine das Prädicat älter erhalten, denn die andere musz nothwendig jünger sein. Wol aber können beide das Prädicat besser verdienen, weil dies ja davon abhängt in welche Beziehung sie gesetzt werden. Für eine Weihnachtsreise ist eine Pelz^ mutze besser als ein Strohhut, für eine Hundstagsreise isis gerade' umgekehrt. So kanu die eine Lesart in metrischer, die andere in grammatischer Beziehung besser sein, die eine besser zum poetischen Stile des Gedichtes, oder zum Sinne des einzelnen Satzes, die andere besser zum Zusammenhange des ganzen passen. Handelt es sich also um die Altersbestimmung zweier oder mehrerer Jexte oder Recensio- nen, so darf zunächst doch nur lediglich eben nach dem Alter der betreffenden Lesarten gefragt werden. Jede als älter erkannte Lesart werden wir freilich in diesem Falle und für diesen Zweck auch die bessern nennen dürfen, aber doch nur in Folge ihres anderswo- her erkannten höheren Alters. Dagegen wäre es doch vollkommen wi- dersinnig, wenn wir die Sache umkehren , und jede aus irgend einem Grunde und für irgend eine bestimmte Beziehung als besser erklärte

260 Briefe aber neaero Erscheinungen aaf d. G. der dentsoliea PUM.

Lesart eben deshalb auch für die altere ausgeben wollten. Es wird ja nicht der in grammatischer, metrischer, stilistischer, poetischer oder irgend welcher andern Beziehung vollendetste oder beste Text gesucht, sondern ganz einfach der älteste und lediglich der älteste. Ergäbe sieh dann, dasz der gesuchte und gefundene älteste Text unter mehreren vorhandenen in der oder jener Beziehung der schlechteste wilre, dann würde der Forscher dennoch nicht das vom Herrn Verfasser (S. 18) selbst gemachte und dann verspottete Paradoxon : ^je schlechter detio besser^ aufstellen, d. h. er würde nicht sagen: weil dieser Text in der oder jener Beziehung schlechter ist als die anderen, ist er abso- Int der beste; sondern er würde sagen: obgleich dieser Text in der oder jener Beziehung schlechter ist als die andern, ist er doch fflr meine Zwecke der beste, denn ich bedurfte den Ältesten, und In ihn habe ich den ältesten erkannt.

Mindestens ebenso übel hat sich der Hr Verf. berathen dnroh die Verwechslung von ^ a 1 1 ' und ^ a 1 1 e r t h fl m 1 i c h ', die sich durch sein ganzes Buch zieht. Ihr zu Liebo hat er sich viel überflüssige NQbe nicht verdrieszen , und sich in manche Föhrlichkeit verlocken lassen. Der filteste Text soll durchaus auch das alterthümlicbste Aussehen ha- ben nnd das alterthömliche durchaus auch das ursprüngliche sein. Darnm ist dem Herrn Verfasser ^alterthümlich'^ (oder das in gleichem Sinne gebrauchte ^all') ein Hauptkriterium; darum spürt er flberall nach alterthümlichcn Formen und Ausdrücken; darum musz der Schrei- ber so häufig ein alterthümliches Wort, oder eine alterthümliche Con- struclion nicht me^r verstanden und deshalb den Text geändert nnd sugleich fast regelmäszig auch eine Verschlechterung desselben ver- schuldet haben , obschon die beiden auszersten Recensionen höchstens um wenige Jahrzehnte auseinander liegen. Znm Belege, dass ich nicht zu stark auftrage, mögen hier nur einige Stellen aus dem loletit besprochenen Abschnitte folgen:

S. 10. M verstand wol nicht mehr das ganze Gewicht der Worte der Brunhüde.^ S. 11. ^Hier ist deutlich^ dasz A das alte nnd sel- tene Worte nicht verstand,^ M verstand das alle Worf nicht mehr,* S. 13. * Ebenso ist dd gestuont durchaus nicht alter tkümliche Les- art.* — S. 14. ^Wer diese Vergleichung anstellt^ der wird überall mit Verwunderung fragen aus welchen Gründen die Lesarten von A alter thiimlicher ^ ursprünglicher genannt werden^ als die von B* -^ S. 15. * Vergeblich sucht man in A alter thümlic her e Wendungen und Wörter.* ^ Im Gegentheil hat B häufig alte seltene Wörter j die der Schreiber von A nicht mehr verstand.* S. 40. *So erweist sich die Lesart von C als ein alterthümliches Wort.* ^Aüf diese Weise setzt B öfter das gewöhnlichere an die Stelle des seltenem^ veralteten und altmodischen in C* S. 41. ^B verstand das Wort nicht mehr,* *Das alle Wort wurde nicht mehr verstanden^ daher die Aenderung in B,'* S. 42. ^Die Abschreiber verstanden es (das Wort joch) nicht meAr, und änderten.*

Der Herr Verf. hat zwar selbst an einer späteren Stelle (S. 89)

Briefe Olber nenero ErscheiirangeD auf d. 6. der denlschen PhRol. 261

den richligen Satz aufgestellt: * Es versteht sich von selbst^ dasz Un- tersuchungen über das aussterben der Wörter sehr schmerig sind; man kann mit Bestimmtheit behaupten^ dasz ein Wort in einer ge- wissen Zeit gebräuchlich war ^ aber nie mit Sicherheit^ dasz es nicht mehr gebräuchlich war^. Aber nichtsdestoweniger trägt er kein Be- denken sich immer wieder in die gefährlichsten Altersbestimmungen einzulassen und darüber kurzweg abzusprechen. Namentlich kann er dem Texte A den Mangel der vorausgesetzten Alterthümlichkeit nicht verzeihen. Er sagt darüber auf S. 15 : ^ So hat A überall den allge- meineren^ puchcren^ farbloseren Ausdruck an der Stelle des be- stimmteren^ bezeichnenderen : und das soll ein Beweis von Ursprüng- lichkeit sein? Vergeblich sucht man in A alter thümlic her e Wendun- gen und Wörter^ die etwa in B durch jüngere^ zeitgemäszere ersetzt wären.'

Es ist nun zwar niemandem eingefallen zu behaupten, dasz die Recension A deshalb für alter zu halten sei, weil ihr Text den all- gemeineren, flacheren, farbloseren Ausdruck habe; wol aber wird je- der kundige zugestehen, dasz eine solche BeschafTenheit des Textes nicht ausreichenden Grund abgäbe, ihm das relativ höhere Alter abzu- sprechen. Dieselbe unbegründete Voraussetzung hat auf anderen Lit- teratnrgebieten schon zu ähnlichen MisgrifTen gefuhrt, welche als war- nendes Beispiel dienen können.

So fand vor etwa 20 Jahren Herr von Spruner eine Handschrih des Paulus Diaconus, deren meist in oratio directa fortschreitender Text einen so frischen, lebendigen, bestimmten Charakter zeigte, dasz der Entdecker ihn sofort auf dieses Merkmal hin für den Originaltext erklärte, aus welchem der gewöhnliche, mehr in oratio indirecta ver- laufende Text, mit seinem allgemeineren, flacheren, farbloseren Ans- drncke durch Willkür und Verderbnis entstanden sei. Dennoch hat der gelehrteste und feinste Kenner des Paulus Diaconus, Bibliothekar Dr. Bethmann in Wolfenbüttel, seitdem ganz schlagend bewiesen, dasz Herr von Spruner sich geirrt hat, und dasz der angeblich flachere, farblosere Text ganz einfach wieder in sein altes Recht als Original- text eingesetzt werden musz.

12.

So wären wir denn , verehrtester Freund, an den Schlusz des er- sten und wichtigsten Abschnittes von Herrn Holtzmanns Buche gelangt, durch welchen die Lachmannsche Ansicht von der chronologischen Aufeinanderfolge der drei Recensionen A^ B' (T heseUigi werden sollte. Was der Herr Verfasser durch seine Darstellung geleistet und erreicht za haben meint, das hat er auf S. 58 selbst in folgende Sätze summiert :

* Fassen wir nun das Ergebnis unserer Untersuchung zusammen.

Der Text von C ist keinesweges eine Ueber arbeitung ^ eine verbessernde

Entstellung oder entstellende Verbesserung des ursprünglichen Textes ;

sondern C kam dem ursprünglichen Text am nächsten ; C gibt densel-

' ben allerdings nicht ganz vollständig und ist nicht frei von Fehlern ;

262 Briefe über neuere Erscheinungen auf d. 6. der deotMhet PhiM.

aber die Lesarten von C sind immer die älteren^ edleren , benerem in jeder BeUekung,

B und die zahlreichen Handschriften^ die zu dieser Familie ge- hören , geben einen abgekürzten , überarbeiteten und durch 9ieie un- absichtliche Fehler entstellten Text, Die Quelle ^ aus welcher B ßon^ ist zujar nicht gerade unsere Handschrift C, aber eine derselben sehr nahe stehende und oft in den Fehlern mit derselben übereinstimmende.

Der Text von A ist eine nochmalige Abkürzung und ftaU" losen Fehlern vermehrte Entstellung von B, A gibt den schleekiesUn Text.*

Abgesehen von der auch hier wieder durchbrechenden Vemen- gnng und Verwechslung der BegrifTe älter und besser, jflnger iid schlechter, nehmen sich diese Satze gar nicht übel aus, und mSgei auf sahireiche Leser auch die vom Verfasser beabsichtigte Wirkang geübt haben. Für uns jedoch leiden sie an dem empfindlichen Uebei- stande, dasz sie, in Folge unserer vorgängigen Beleuchtung, ans nicht als bewiesene Ergebnisse gelten können, sondern nach wie vor blosse^ Behauptungen sind und bleiben , die nur eben an das Ende des Ab- schnittes gestellt worden sind, während sie von rechtswegen, als Boel unbewiesene Behauptungen ihren gebührenden Platz am Beginn des ganzen hätten erhallen sollen. Denn unsere Beleuchtung, am noch diese hier übersichtlich zu recapitulieren, hatte vielmehr zu folgenden Ergebnissen geführt:

Die beiden von dem Herrn Verfasser an die Spitze gestelUen Grundsätze , welche seine ganze Darstellung mehr oder minder beher- schen, haben sich entweder als falsch, oder als unzulänglich, und mit- bin in beiden Fällen als verwerflich erwiesen. Falsch sind sie dui, wenn sie in allgemeiner Fassung ^dcr längere Text ist der bessere' und ^das bessere ist das ursprüngliche' apodiktische Geltung haben sollen. Unzulänglich sind sie dann, wenn sie partikular gefasit wer- den, als ^der längere Text pflegt der bessere zu sein', und ^das bes- sere pflegt zugleich für das ursprüngliche gehalten zu werden.' Denn in dieser partikularen Fassung haben sie ja, auch ganz abgesehen von ihrer Wahrheit, keine nolhwendigo Anwendung auf die Ueberliefernng des Nibelungenliedes, und folglich auch keine beweisende Kraft für das relative Alter seiner verschiedenen Textesrecensionen. ' Den Strophenuntepschied vorweg zu besprechen, erschien als ein methodischer Fehler, als ein erfolgloses beginnen. Denn das blose mehr oder minder und die Vertheilung der differierenden Strophen für sich zu erwägen, konnte höchstens zu einer WahrschciDlichkeit aber zu keiner Gewisbeit führen; und selbst die Wahrscheinlichkeit sprach nicht einmal zu Gunsten der Aufstellung des Herrn Verfassers.

Gewisheit aber ist lediglich nur zu erreichen durch Prüfung der Texte, durch Vergleichung der Varianten , der abweichenden Lesarten. Und handelt es sich um Ermittelung des relativen Alters, der chrono- logischen Aufeinanderfolge mehrerer Texte, so ist nur ein einsiges

ftber neuere Erscbeinungeo auf d. G. der deutseben Pbilel. 263

Kriterium entscheidend , und folglich auch nur dieses 6ine Beweismit- tel zulässig, welches sich am bequemsten und kürzesten mit einem Fremdausdrueke bezeichnen laszt: das Kriterium der Priorität. Oder in bestimmter Fassung für unseren vorliegenden Fall: wenn alle drei Recensionen des Nibelungenliedes auseinandergehen so ist von allen dreien, wenn nur zwei auseinandergehen von diesen beiden mit ein- leuchtenden und überzeugenden Gründen darzuthun, dasz die erste Lesart nur aus der zweiten, die zweite nur aus der dritten entstanden sein kann, und nicht umgekehrt. Der Beweis wird für die einzelne Stelle in der Regel dann als geführt gelten dürfen; wenn die zwei oder drei Lesarten in dieser ^inen Aufeinanderfolge eine ihren Entstehungs- grnnd aufzeigende ungezwungene Erklärung finden, während die ge- - gentheilige Annahme entweder gar keine oder keine genügende Er- klärung erlaubt. Der Beweis wird für die ganze Recension als geführt gelten dürfen, wenn dargethan ist, dasz die gleiche Erscheinung sich durch die ganze Recension wiederholt. Alle übrigen Kriterien, die sich etwa kleiden mögen in die Stichworte: Verkürzung, Verschlech- terung, gut, alterthümlich, ursprünglich u. dgl., können entweder nicht das beweisen was bewiesen werden soll, oder sind überhaupt nur Phrase, und folglich sämtlich nutzlos, und daher unbedingt zu ver- werfen.

Allerdings hat der Herr Verfasser an einigen Stellen zwar auch beweisen versucht, dasz die eine Lesart älter sei als die entspre- chende zweite, aber den strikten, durch alle drei Recensionen gehen- den Beweis für die ungezwungene und aus den Entstehungsgrunden sich erklärende Begreiflichkeit der einen, und für die gleichzeitige Unbegreiflichkeit der entgegengesetzten Recensionenfolge hat er nir- gend geleistet. Deshalb war es auch unnölhig bei der Beurteilung dieser Partie seines Buches auf die Einzelheiten einzugehen, und es genügte vollkommen auf die Schrift des Herrn von Liliencron zu ver- weisen, wo die Einzelheiten des Verhältnisses von B' zu (f au^fü)irlich beleuchtet sind.

Bis jetzt ist fast nur die Logik des Herrn Verfassers in Betracht gezogen worden. Sie hat nicht Stand gehalten; vielmehr hat sich vor der Leuchte der Kritik der ganze Bau seines ersten und grundlegenden Kapitels wie ein Nebel verfluchtigt. Es bedurfte dazu noch keiner Erwägung seiner philologischen Kenntnis und Technik: auf diese ein- engehen wird sich später Veranlassung ergeben , und dabei wird sich

erweisen, ob es besser um sie bestellt ist als um seine Logik.

«

^ier könnte ich meinen Brief schlieszen; denn meiner Aufgabe einer Rechenschaft über des Verfassers Darlegung seiner Ansicht von den drei Recensionen des Nibelungenliedes darf ich mich nun wol ent- ledigt glauben. Aber da stehen ganz am Ende seines ersten Abschnit- tes (S. 59) noch folgende merkwürdige Sätze :

^ Wir haben uns durch den Machispruch Lachmanns bestimmen lassen , das Gedicht fast immer nur in der schlechtesten Verstumme-

N. Jahrb, (. Phü, «. Paed, Bd LXXVIll. Hft 5. 18

264 Briefe aber neuere ErscheinongeD auf d. G. der deatseben PUlol.

(ung und Enlsiellung zu lesen; die U eher Setzungen halten sich mei- stens an Lachmanns Ausgabe. Einen viel hessern und älteren^ einen durchweg edleren Text liesz man unbeachtet bei Seite liegen. [Nach- dem nun das Verhältnis der Handschriften dargestellt ist, wird die Nation sich nicht länger mit den bisherigen Ausgaben und lieber- Setzungen begnügen; sie wird verlangen, dasz ihr einer ihrer host- barsten Schätze von den Gelehrten in der ächtesten und würdigsten Gestalt dargeboten werde,'

Ueber diese Schluszbetrachtang hat vielleicht mancher gleicbgil- tig weggelesen, oder wol gar, befangen durch des Verfassers ent- schiedenes auftreten, ihr unbesehen zugestimmt. Ihnen aber, verehr- tester Freund, ist es sicher nicht unbemerkt geblieben, dass ein böchsl bedenkliches Wort drinnen steckt, und Ihr feiner Sinn hat ohne Zwei- fel sofort gewahrt, welche unheilvolle Perspective sich eröffnet, wenn man das Wort auszudenken beginnt: das Wort Nation! Das ist in dieser ßedeutuug an dieser Stelle und in dieser Verbindung ein Anfrnf, den ich leider kaum anders nennen kann als leichtfertig; ein Aufruf der ganz darnach angethan ist, unsere gesamte Wissenschaft «ofs ernstlichste zu gefährden. Soll die Nation , soll das gesamte Heer der sogenannten gebildeten Richter sein über Fragen solchen Charakters, über Fragen die nur von speciellen Fachkennern gelöst, ja eigentlich lediglich von solchen überhaupt nur vollständig begriffen werden kön- nen — dann wirds nicht lange säumen, dasz Kleon der Gerber regier! in der Gelebrtenrepublik.

Und dies war einer der gewichtigsten Gründe, die mich bewogen, die mich moralisch genöthigt haben, in dieser Sache auch mein Wort noch in die Oeffentlichkeit hinauszugeben, indem ich an den Philologen von Fach mich wende, als welchem zufolge seiner philologischen Fachbildung eine wirkliche Einsicht in die Natur der Streitfrage ond ein Urteil über den Werth oder Unwerth der dargebotenen Lösang zuzumuten ist. Komme ich vielleicht später noch einmal anf diesen Punkt zurück, so wird sich zeigen, dasz ich ihn nicht zu streng betont, nicht den Elephanten aus der Mücke gemacht habe.

Nun aber, Freund, lassen Sie uns das Iloltzmannsche Buch auf eine Weile schlieszen. Was weiter drin steht dreht sich um Fragen, die er als secundäre betrachtet: um den Verfasser des Nibelungenliedes und *um die sogenannte Li^dertheorie. Wird Ihnen des lesens nicht zu viel,* so verhoffe ich meine Briefe spater auch über diese ebenso wichtigen als anziehenden Fragen auszudehnen. Inzwischen denke ich Ihrem Wunsche entgegenzukommen , wenn ich versuche , Ihnen in der Kürze darzulegen, ob und wie sich auf Lachmanns Wege zu einem begründe- ten, stichhaltigen Urteile über das relative Alter der drei Recensionen, und zu einem kritisch ausgearbeiteten , allen vernünftigen Anforderan- gen genügenden Texte des Nibelungenliedes gelangen läszt.

O. L. Roth: kleine Schriften padag. o. biograph. Inhalti. 265

13.

Kleine Schriften pädagogischen und biographischen Inhalts , mit einem Anhang lateinischer Schriftstücke. Von Carl Lud- toig Roth^ th. Dr^ Gymnasial-Rector^ Oberstudienrath^ JRi7- ter des Ordens der W. K. Stuttgart. 1857. J. F. Sleinkopt Erster Band VII u. 446 S. Zweiter Band 440 S.

Wenn ein Schulmann von der ernsten, strengen Tüchtigkeit, von der vielseitigen und reichen Erfahrung, wie €. L. Roth, in einer Sammlung von Reden und kleineren Aufsätzen uns die Beobachtungen and Ueberseugungen mittheilt, welche sich ihm während einer Reihe von Jahren in verschiedener amtlicher Stellung aufdrängten, so werden diese Gabe jüngere und ältere Schulmänner, die ihre Pflicht nicht leicht nehmen, Schulfreunde und Schulvorstände, welche die Bedeutung der gelehrten Schule für das Leben zu würdigen wissen, mit Dank aner- kennen und gern J)enützen. Es mag zwar anszer der Kunst zu regie- ren nicht wol eine andere geben, in welcher sich das grosze Publicum leichter für urteilsfähig hält, und ohne die Jugend und ihre wahren Bedürfnisse recht zu kennen, sieh befähigt glaubt, in Fragen der Schule mitzusprechen; doch weisz der überlegendere, dasz auch lehren und erziehen gelernt sein will, und wie wäre dies sicherer möglich, als an freVnder und eigener Erfahrung? Wol dem Schulmann, der durch ge- wissenhafte Benützung fremder Erfahrungen vor eigenen MisgrifTen sich zu wahren verstund; wol den Schulen, die von Anfang an, und nicht erst nachdem sie Gegenstand verschiedener Experimente gewor- den waren, der rechten Leitung und Methode sich erfreuen durften !

Die Mittheilungen des Verfassers, aus den Jahren 1822 1857 herrührend, umfassen sehr verschiedene Wirkungskreise, welchen der Vf. als Rector zu Nürnberg, Ephorus des evang. Seminars zu Schön- thal, Rector des Stuttgarter Gymnasiums und Mitglied des Studienraths angehörte. Wir erhalten erstlich Amtsreden, und zwar im ersten Bande 19, nemlich 1) von der Erziehung im Unterricht; 2) ob die Menschheit fortschreite ? 3) von der Pflicht ein gutes Beispiel zu ge- ben; 4) über den Bestand des Unterrichts in den fünf jungem Klassen der Studienanstalt zu Nürnberg; 5) die Pflicht der äuszern Bildung; 6) Qber Preise in der Schule; 7) die protestantische Schule; 8) von der Theilnahme der Jugend an den Zeitbegebenheiten; 9) ob der klassische Unterricht bildend fürs Leben sei? 10) von der Pflege der Vaterlands- liebe; 11) von der Pflege des Gehorsams; 12) von der Wahl eines wissenschaftlichen Berufes; 13) von der rechten Art d^s studierens; 14) vom Bestände des Unterrichts in der lat. Schule und im Gymna- sium; 15) der Weg zur Wissenschaft und der Weg zur Industrie; 16) zur Geschichte des nürnbergischen gelehrten Schulwesens im 16n und 17n Jahrhundert; 17) der Segen der Buchdruckerkunst; 18) Anfange der Kirchenreformation in Nürnberg; 19) Abschied vom Rectorat und

18'

266 C. L. Roth: kleine Schriften pädag. u. biograph. Inhalts/

von dor Stadt Nürnberg. Im zweiten Bande 3, nemlich l) zum Antritt des Gymnasial -Rectorats in Stuttgart; 2) bei Eröffnung des Pensionats und zur Einführung des neuen Gymnasialrectors in Ulm; 3) wie^ die Beschäftigung mit dem klassischen Alterthum der religio- sen Jugendbildung förderlich sein könne. PädagogischeAbhand- langen finden sich im ersten Bande folgende: 1) Wünsche, an die Eltern der Schüler gerichtet; 2) Empfehlung gemeinschaftlicher Sing- end Turnübungen ; 3) zerstreute Blatter eines Schulmannnes ; 4) Manu- Script für Eltern , deren Söhne in der Studienanstalt zu Nürnberg un- terrichte! werden; 5) aus einer Anzeige des Klumppschen Werkes: die gelehrten Schulen; 6) zur Frage über die Principien; 7) Bericht an den kön. Studienrath in Stuttgart, betr. die Mängel , welche an den im Herbst 1844 in das niedere evang. Seminar Schönthal eingetretenen Zöglingen wahrgenommen worden sind; 8) zur Beantwortung der Frage: aus welcher Facultät Gymnasiallehrer genommen werden sol- len? 9) Begründung des Antrags: dasz in den vier obern Gymnasial- klassen und in den betreffenden Klassen der parallelen Anstalten, im- mer nur ^in Lateiner und ^in Grieche gleichzeitig. behandelt werden sollen; 10) Erlasz des kön. Studienraths in Stuttgart: Pflege der Hand- schrift; 11) schriftliche Ansprache an Eltern und Pflegeeltern; 12) Andeutung einiger Umstände, welche das gedeihen des Schulunterrichts bei Knaben und Jünglingen aus den höheren Ständen zu erschwerei| scheinen. Im zweiten Bande flnden sich: Briefe des altern an den jun- gem Schulmann. Es folgt dann biographisches: l) Erinnerung^ an die Königin Katharina von Württemberg; 2) Kaspar Hauser; 3) Noti- zen über einen merkwürdigen Verbrecher geistlichen Standes ; 4) Fran- zesco Spieras Lebensende; 5) Nachricht von dem Leben P. W. Mer- kels, von Friedr. Roth ; 6) Johann Merkel ; 7) Erinnerung an drei Leh- rer des Gymnasiums in Stuttgart, J. A. Werner, Chr. Fr. Roth, Fr. Ferd. Drück; 8) zur Erinnerung an C. Job. Fr. Roth. Ein Anhang enthält l) oratio saecularis , habita in curia Noribergensi X Kai. Jan. 1826; 2) de satirae natura; 3) de satirae romanae indole einsdemqve de ortu et occasu.

Es spricht sich in diesen Mittheilungen in schlichter, kerniger Sprache ein ernster Geist aus, der die Schule über den engen Gesidits- kreis der materiellen und zeitlichen Interessen empor weist za dem ^inen ewigen Ziel, der nicht in schwächlicher Nachgiebigkeit den Forderungen und Strömungen der Zeit Rechnung trägt, der nicht «of jeden Wind einer neuen Lehre lauscht, der festhält an dem durch die Erfahrung erprobten. Dasz es zeitgemäsze Fragen sind, welche erör- tert werden , ersieht man aus der Inhaltsangabe. Wie manches Wort wird hier def erfahrene Schulmann finden , das ihm gleichsam aus der Seele genommen ist, oder womit entschiedener dasjenige ausgespro- chen ist, worüber er minder mit sich einig war, wie manches der jün- gere,-das ihn aufmerksam macht auf die rechte, erfolgreiche Weise der Amtsführung, oder das ihn warnen kann nicht zu schnell von dem blendenden neuen sich hinreiszen zu lassen. Manche ernste, der Be-

G. L. Roth: kleine Scbrifleo pädag. u. biograpb. Inhalte. 267

hersigung werthe Wahrheiten enthalten schon die frühesten Reden snd Aufsätze, und .Ref. würde die Grenzen einer Anzeige Überschrei- teo müssen, wollte er alle die Aussprüche des Verfassers mittheilen, die als Früchte eigener Beobachtung sich darstellen, und eben so wahr wie für die Erziehung wichtig sind. Es gehören dahin z. B. (l) die Mahnung an den Lehrer unterrichtend zu erziehen, vor allem den Willen anzuregen und zu stärken, die Warnung, nicht alles leicht und angenehm machen zu wollen, wobei die Tüchtigkeit und der Genusz verloren gehe. Denn in der That: r^$ aQttrjg fd^cora ^iol nqcaciqoi- &ev ld'ri%av, und was leicht gewonnen wird, wird auch leicht verloren. ^Lasse man den Erziehern ihren schönen Beruf, für die Ewigkeit zu erziehen, so werden sie für das Leben branchbare Jünglinge erziehen. Halten die Erzieher und Lehrer ihren Blick dahin gerichtet, so werden sie über das, was zum Leben nöthig ist, nicht irren können. Der Un- terricht sei deswegen erziehend! Was die Phantasie bändigt, was den Geist anstrengt und des träumens entwöhnt, was richtig denken lehrt, was die Gedächtniskraft stärkt, endlich, was das Herz bessert, zur Ifacbeiferung und Selbstüberwindung spornt, das sei allein Gegenstand des lehrens und des lernens. Dagegen was eine Geistesarbeit zu sein scheint, während es nur ein Spiel ist, was die Sinnlichkeit und Eitel- keit nährt statt sie zu bändigen, das werde oder bleibe weit von uns Yerbannt' (S. 17). S. 343 mit Rücksicht auf neue Methoden, welche nagische Erfolge und eine neue Aera im Erziehungswesen verspre- chen. ^Man nimmt die Opposition gegen das bestehende aus der Wirk- lichkeit' (oft nur ihren dunkelsten Partien) ' und die Empfehlung des neuen , das da kommen soll , aus der idealen Welt.' S. 352 (wo von den Frincipien die Rede ist [6], dasz nicht das Wissen , sondern Bil- däog Zweck der Schule sein müsse) ^wenn irgend etwas in unsern gegenwartigen Schulzuständen einer genauen Untersuchung seines noralischen Gehaltes bedarf, so sind es ganz vorzugsweise die Prü- fingen. Man frage die tüchtigsten und wiszbegierigsten Studenten, wie sie sich für das Exaftien vorbereiten, und, wenn sie es mit Ehren hastenden haben, was ihnen von den Schätzen des Wissens bleibe, wMche sie in der Prüfung auszulegen gehabt haben. Die Art der Vor- bereitung fü^s Examen ist der rechten , fruchtbaren Weise des studie- reiis diametral entgegengesetzt, die Frucht dieser Vorbereitung ist (aoszer der errungenen Note) Ermüdung, Abspannung und^Ueberdrusz. Prtifangen sind allerdings nothwendig; aber eben die unnatürliche Manigfaltigkeit der Gegenstände , worin geprüft wird , erzeugt jene ▼ollständige Verschiedenheit des uneigennützigen lernens von der Vorbereitung auf die Prüfung.' S. 359 wird , nachdem über die Ab- nahme wahrer Bildung geklagt worden ist, mitgetheilt, was dem Verf. ein älterer Freund, dessen Geburtstadt Sitz eines Regierungscolle- ginms war und ist, aus seiner Erfahrung erzählte: *vor etlichen und vierzig Jahren hatte jeder der Räthe irgend eine wissenschaftliche Liebhaberei, welche seine Erholung zu Hause ausmachte, wenn er von^ den Sitzungen heimkam oder mit der Arbeit fertig war. Jetzt weiss

268 C. L. Roth: kleine Schriften pädag. a. biograph. lahafltg.

man von dergleichen nichts mehr: die freie Zeit gehört der Geaell« Schaft.' S. 574. ^Wer Mathematik gründlich studieren will, hat keine Zeit, auch Latein und Griechisch gut zu lernen, und was man obenhin lernt fruchtet ja nichts. Aber gerade ebenso haben diejenigen, welche Latein und Griechisch gründlich studieren , und daran sich bilden wol- len, keine Zeit Mathematik daneben zu lernen, und ebensowenig, was z. B. auf preuszischen Gymnasien ist, Naturgeschichte und Physik. Man tauscht sich hierin gar leicht damit, dasz man glaubt, die mensch- lichen Köpfe seien ebenso beschaffen, wie die Tabellen, auf denen man die Lebrplane aufzeichnet.' Wenn Ref. die letzte Aeuszerung nichl ganz zu der seinigen machen möchte, obwol er auch hier in der Grund- anschauung mit dem Vf. übereinstimmt, so gibt es noch anderes, worin er entschiedener von dem Vf. abweicht. Ref. findet z. 8. in dem An- trag, dasz in den vier oberen Gymnasialklassen und in den betreffen- den Klassen der parallelen Anstalten immer nur ^in Lateiner und €\n Grieche gleichzeitig behandelt werden sollen (I 9 S. 405 422) zwar manche Wahrheit ausgesprochen, die Beherzigung verdient, er erkennt es mit dem Vf. als eine ernste Aufgabe der gegenwärtigen Pädagogik möglichst der Zersplitterung entgegenzuarbeiten, welche aus dem mo- dernen vielerlei über die Schule gekommen ist und uns auf geradem Wege dem glänzenden Ziel entgegenzuführen droht: in omnibaa ali- quid, in toto nihil; er ist mit dem Grundsatz einverstanden, dass gleichzeitig möglichst wenige Gegenstände, diese aber in einer grösie- ren und genügenden Anzahl von Stunden den Schüler beschäftigen sollen, dasz z. B. eine Zersplitterung des griech. Unterrichts in 2 St. Plutarch, 2 Memorabilien, 1 griech. Anthologie fehlerhaft ist, aber er kann den Folgerungen nicht beitreten , welche der Verf. S. 419 f. aus- spricht: Venu wir dieses thun, dasz man also eine ganze längere Zeit von den Lateinern nur Livius, dann wieder nur Vergil usw. and von den Griechen ebenso immer nur ^inen liest, so haben wir folgende Vortheile, für deren Wirklichkeit ich nach vieljähriger Beobacktug einstehe. Es wird erstens diejenige Zerstreuung der VorBtellangen ferne gehalten, welche die nothwendige Folge des gleichzeitigen lesens mehrerer Schriftsteller derselben Sprache ist, und der Geist des Sohfl- lers nimmt den Eindruck von dem eben vorliegenden Autor williger und mit Theilnahme auf. Zweitens überwindet der Schüler die Schwie- rigkeiten des Ausdrucks, der Satzbildung, auch die des Stoffes, welche bei den Autoren nach ihrer Zeit und Individualität verschieden sind, leichter und in kürzerer Zeit, oder vielmehr: er kann auf diese Weise jene Schwierigkeiten wirklich überwinden, während er sie bei jener vielfachen Theilung niemals überwindet. Eben dadurch kann mtn drittens schneller und dadurch mehr lesen, ohne der Grflndliohkmt der Erklärung Eintrag zu ihun. Viertens ist es im Unterricht ein groszer Gewinn, nach der Aneignung und Bewältigung des ^inen Stoffes dem Schüler zu einem ganz neuen führen zu können, so dasz derselbe mit einer gewissen Neugierde den neuen Stoff erfaszt. End- lich ist am Ende des Gymnasialcurses ein vollständigerer Erfolg des

0. L. Roth: kleine Schriften pädag. u. biograph. Inhalts. 269

klassischen Unterrichts zu erwarten, so dass durch denselben der Schüler auf die Universität in dem Grade vorbereitet ist, welcher eben durch den klassischen Unterricht erzielt werden soll.' Der Yf. kennt nur eine Einwendung (S. 420) Masz die eine Zeit lang allein behandelten Dichter einen nachtheiligen Einflusz auf die Compbsition ansüben könnten', welche Einwendung beim Griechischen (weil hier keine. Compositionen statt Qnden sollen) wegfalle, beim Lateinischen ebenfalls keine Beachtung verdiene, weil hier eine poetische Färbung des Stils keineswegs nachtheilig sei. Ueber die griechischen Compo- sitionen würde der Vf. freiKch nicht so leicht weggehen, wenn er den griechischen Studien die gleiche Bedeutung wie den lateinischen bei- legen wollte und nicht selbst den Wegfall der Compositionen im Griechischen bevorwortet hätte. Indessen Ref. will hier auf die Klage, wie die Gründlichkeit in der Erkenntnis der griechischen Sprache dorch Vernachlässigung der Compositionen gefährdet wird, nicht wei- ter eingehen, er will nur auf ein doppeltes hinweisen. Sollte nicht za befflrchten sein, dasz wenn nach diesem Vorschlage im Griechischen oder Lateinischen ein Prosaiker mit Ausschlusz des Dichters gelesen wird, die Neigung zu diesem längere Zeit keine Befriedigung findet, and umgekehrt die Neigung zur Prosa? Das Auskunftsmittel, gleich- leitig in der einen Sprache einen Dichter, in der andern einen Prosai- ker ZQ'^lesen, wird nicht ausreichen, indem die Zeiten, welche in der einen und der andern Sprache e^em Autor zu widmen sind, nicht im- ner zosammentreiTen. Ohnehin würde auf diese Weise der Zweck, in jeder Sprache immer das Interesse aller zu fesseln, sowol derer, welche vorzugsweise von ^Werken der Dichtkunst, als derer, welche Ton prosaischen Schriften vornemlich sich angezogen fühlen, nicht er- reicht werden. Doch Ref. will hierauf kein zu groszes Gewicht legen, aber ihm und andern ist das Bedenken gekommen, ob nicht durch Con- eentrierung aller lat. oder griech. Expositionsstunden je anf ^inen Au- tor auch in strebsamen Schülern zuweilen eher Uebersättigung als Steigerung des Interesses hervorgerufen werde. Indessen auch hierin liegt noch nicht das Hauptbedenken, das Ref. gegen diesen Vorschlag hegt, welcher ihm mehr doctrinär als praktisch und aus der Natur der Objecto und Subjecte geschöpft scheint. Der wichtigste Einwurf ist .Yielmehr der, dasz hierdurch eine unnatürliche Zersplitterung der Le- otfire, eine Zerreiszung des innerlich zusammengehörigen entsteht. Wenn in der poetischen und prosaischen Leetüre des Griechischen oder des Lateinischen ein natürlicher Zusammenhang und passender Fortschritt, so dasz das eine in dem andern seine Vorbereitung oder seine charak- teristischere Auffassung findet, nothwendig, so ist die Unterbrechung s. B. der poetischen Leetüre durch die prosaische und umgekehrt un- natürlich und unthunlich. Das ist besonders im Griechischen schlagend nachzuweisen. Wer es bedenkt, wie die griechischen Tragiker oder Lyriker in ihren Mythen und ihrer Spracl^e an Homer anschlieszen, wird es nicht gerathen finden können zwischen Homer und die lyrische oder dramatische Poäsie einen Prosaiker einzuschieben, den natürlichen

270 C. L. Roth : kleine Schriften pädag. u. biograph. Inhatttf.

Zasammenhang zwischen ihnen zu unterbrechen, und auf die Fördernng des Verständnisses zu verzichten, welche das eine aus dem andern schöpfen kann. Liegt schon in der Zerreiszung dieses natürlichen Zn- sammmenhangs ein Misstand, so entsteht ein noch gröszerer, wenn etwa die Lectüre Homers, die doch jedenfalls, auch wenn alle griechischen Stunden diesem Dichter zugewiesen würden, über ein Jahr in Anspruch nfihme , oder wenn die Lectüre griechischer Tragoedien durch Prosa unterbrochen würde. Und doch wäre dies unvermeidlich; Wenigstens finden solche Unterbrechungen da statt, wo man jenem Princip huldigt. Darum hat sich Ref. längst im Einverständnis mit seinen Collegen da- für ausgesprochen, dasz im Griechischen und Lateinischen je 6in Dich- ter und ^in Prosaiker (aber auch nicht weiter) nebeneinander zu lesen seien, und wenn er seither bei zwei wöchentlichen Stunden immer viel Interesse für Homer und entsprechende Fortschritte wahrnehmen konn- te, so kann er die schlimmen Folgen nicht anerkennen, die nach dem Vf. mit der Theilung zwischen Dichter und Prosaiker verbunden sein aollen, übrigens würde er es nur natürlich finden, wenn die Stunden der griechischen Lectüre (jedoch nicht auf Kosten der Compositionen und der Gründlichkeit) vermehrt würden.

Um auch die wissenschaftliche Ausbeute, welche der Leser in diesen ^kleinen Schriften' findet, mit wenigem zu berühren, so sind des Vf.s Programme *de satirae natura' und ^de satirae romanae indole eiusdemqne de ortn et occasu' bereits in weiteren Kreisen bekanni und benützt worden; aufmerksam will aber Ref. machen, dasz wir in der 3n Abhandlung des 2n Bandes aus Veranlassung der Behauptung, wie *die Lehre von der Einheit Gottes i)nd von Gottes Eigenschaften in der Regel das jugendliche Gemüth nicht in dem Grade anspreche, wie sie als Fundamentallehre unseres Glaubens dasselbe ansprechen sollte, wenn dieser Lehre nicht die sittlichen Verirrungen des Poly- theismus und zwar gerade die der alten Welt gegenübergestellt wer- den' Erörterungen über die (positiven oder negativen) Vorstellongen der Griechen und Römer von der göttlichen Weltregierung, namentlich von der (lotgcc und der Tv%riy sowie über den Zweck des Menschen- lebens erhalten. Ref. erlaubt sich zu einigen Punkten seine Anmer- kungen mitzutheilen. Wir lesen S. 26 * während der Gott sonsl wol auch dem Menschen zutheilt, waj ihm eben beliebt,^hat derselbe beim wichtigsten, nemlich wo es sich um Sieg oder Niederlage, nm Le- ben oder Tod handelt, für den Menschen zu loosen. H. 8, 69 ff. 33, 209 f. Es ist eine andere Macht, «Is die des Gottes selbst, welche fQr den einen und wider den andern entscheidet. Der oberste Gott er- scheint, nicht zwar immer, aber oft, nur als Vollstrecker der alaa oder der (lotQcc, die in dieser Vorstellung dennoch als ausserhalb seines Willens stehende Mächte angesehen werden.' Es ist hier, nur bestimm- ter, dasselbe ausgesprochen, was Nägelsbach in seinem bekannten Werke behauptet hat. Indessen finden wir bei Homer nirgends eine klar durchdachte und durchgeführte Vorstellung von einer selbsiindi- gen Macht des Schicksals und die von Nägelsbach angeführten SteÜM

C. L. Roth: kleine Scbrifien pidag. u. biograph. Inhtlts. 271

können nicht in gleichen Rang treten mit den entschiedensten und hau- igen Aassprüchen von dem unbeschrankten Willen des Zeus, mit wel- chem, wie Nägelsbach selbst S. 117 IT. am besten dargethan hat, die ^oiQcc öfter identisch scheint. Zu den scheinbarsten Stellen mögen 6^ 69 ff. .^209 ff. gehören. Ref. zweifelt jedoch nicht, dasz wie hier nur symbolische Handlungen, in welchen die Entscheidung des Zeus sich kund thut, zu erkennen haben. Wenigstens stimmt damit 11668 ^loq Iqu rdkavta; aus ^95 f. geht aber hervor, dasz schon ehe Zeus X209 ff. die Todesloose in die Wagschaalen legt, das Ge- schick Hektors und Achilles, dasz nemlich zuerst Hektor, dann Achilles fallen solle, entschieden war. Ohne hier auf die weiteren Gründe, mit welchen Nägelsbach die selbständige Macht der fioTga zu erweisen sachte, ausführlich eingehen zu können, bemerkt Ref. nur, dasz er in T 127 keinen Ausdruck der Resignation finden kann, dasz il 4^3 457* vnd Jri74 181 namentlich mit igö^ durchaus die unumschränkte Macht des Zeus vorausgesetzt ist, die fioiQa aber eher als Resultat eines ge- meinsamen Götterbeschlusses erscheint. Auch 0613, r293 305, e 41 sengen nicht für eine selbständige, noch weniger für eine unabänder- liche Macht der fiotga. Od. £ 41 f. ist der Schlusz einer ßerathung m 48 95, in welcher offenbar der Gesamtwille der olympischen Götter a 82 f., namentlich aber der Wille des Zeus a 59 62 als entscheidend, das Schicksal des Odysseus bestimmend aufgefaszt wird. Ref. will, wie gesagt, nicht in Abrede ziehen, dasz schon in Homer die Keime des Glaubens an die Macht des Schicksals liegen, die später zu be- stimmter Vorstellung sich entwickelten, aber er kann auch nur unent- wickelte Keime, dunkle, unklare Vorstellungen finden, die in keiner Weise mit dem klar ausgesprochenen Glauben an die alles bestimmende und ordnende Gewalt der olympischen Götter und insbesondere des Zeus, wie er von ^ 5 an durch die ganze llias und von a 17. 33. 59. 62 an durch die ganze Odyssee hindurchgeht, auf gleiche Linie gestellt werden können.

Gegen die Bemerkung S. 28 ^iu der nachhomerischen Zeit springt (Hes. Theog. 411 ff.) auf einmal Hekate als ein Wesen hervor, das mit den Attributen der späteren rvxri schon bekleidet ist' musz erinnert werden, dasz diese Stelle orphische Ansichten und weder den Glau- ben Hesiods noch den des griechischen Volks enthält.

Ref. hat nach den Beobachtungen, die er machen konnte, nie be- fOrchtet, es möchten die Glaubens- und Sittenlehren, welche sich in griechischen und römischen Schriftstellern abweichend von unsern christlichen Ueberzeugungen finden, für unsere Gymnasialschüler ver- fOhrerisch wirken; eher besorgte er, dasz sie von dieser Altersstufe im Bewustsein einer weit richtigeren Einsicht zu unbillig angesehen werden möchten. Darum schien es ihm von Werth, wie der Gerech- tigkeit angemessen, auch die besseren Ahnungen und Ueberzeugungen anzuerkennen und hervorzuheben. Wenn der Vf. S. 35 bemerkt: ^es ist unbedenklich anzunehmen, dasz Odysseus, Od. 9 zu Anfang, die volle Ueberzeugung des Griechen vom höchsten Gute ausspricht, wenn

272 C. L. Roth: kleine Schrifleo pädag. u. biograph. lahalU;

er das sitzen beim reiehlichen Mahle ond vollen Bechern nnter lantef fröhlichen Gesellen und beim herzerhebenden Liede des Sängers als den grösten Lebensgenusz anpreist', so durfte doch auch die Aeusze- rung desselben Odysseus ^ 182 fiF. nicht 'übersehen werden, wo er als höchstes Gluck das einträchtige Leben der Gatten rühmt. Gegenüber der Behauptung S. 39 *so ist denn die Schande oder die üble Meinung der Welt nach den Vorstellungen des Alterthums mehr zu fürchten, als der Tod; und die Versündigung selbst schreckt den Menschen nicht Ton der Frevelthat ab, wol aber die Schande, die er damit anf sick laden wird' ist auf ./3 64—66, 134 f. S 221 f. 286—288 hinzuweisen, wo neben der Rücksicht auf üble Nachrede der Menschen oder auf die Ahndung der Götter auch das sittliche Gefühl an und für sich, die sittliche Scheu als Bestimmuugsgrund für das thun und lassen erscheinl. Demgemäsz dürfte auch S. 42 ^ die Meinung des Alterthums von der Tugend' nicht richtig dargethan sein. Als Lehrer müste der Vf. e& jiicher tadeln, wenn seine Schüler agezri geradehin mit Tugend ttber- setzen wollten, welches Wort in unserem Sprachgebrauch, abweicheDd von dem früheren, einen viel engeren, rein sittlichen Begriff hat. Wie kann er nun S. 43 sagen : ^Antinous und Eurymachus erscheinen als die gewaltthätigsten und frechsten nnter den Freiern ; dennoch heiszen sie. Od. 21, 181- weitaus die ersten in Tugend. So arg es Antinous treibt, 80 heiszt er doch 17, 381 ein edler und Eurymachus 15, 519 (521) bei weitem der tüchtigste Mann', als ob agstri, ia&log, aqtatoq iin^q eine sittliche Würdigung enthalten sollten, und der Dichter nicht überall das treiben der Freier als frevelhaft bezeichnete. ~ Man erinnere sieh, wie die homerischen Gedichte die häuslichen Tugenden im Verhältnisse der Gatten, der Eltern und Kinder hochstellen, wie Mitleid mit dem dürftigen, wie Gastfreundschaft als heilige Pflicht erscheinen ^ wie Wahrhaftigkeit geachtet wird und selbst um keiner Vortbeile willen verletzt werden soll 1 312 f. g 156 f. y 328, wie ß 47. 230—234 und a 8 12 das walten eines guten Ilerschers geschildert wird, and nan- wird nicht behaupten , dasz nach homerischer Vorstellung die Tagend des Mannes auf ^Stärke und Verstand' (Tapferkeit und Einsicht, aller- dings wesentliche Tugenden eines homerischen Helden) die Tugend des Weibes auf ^groszen Wuchs, Schönheit, Verstand, Gesohiekiioh- keif beschränkt sei.

Maulbronn. W, Bäumlem.

14.

Dr E. Nicmeyer. lieber Herders Cid. Crefeld, Köhler 1857.

86 S. SO.

Herders Cid hat in der Beurteilung der Kenner der deataehen Litteratnr gröszere Wandlungen erfahren , als in der Werthschltsofig

E. Niemeyer: Ober Herders Cid. 273

des deutschen Volks. Wfihrend jene darcli ihre kritische Laune oder ihre Kenntnis des spanischen Originals sich nicht selten veranlaszt fühlten über das edle Dichtwerk mit Geringschätzung sich auszuspre- chen, blieb das deutsche Volk im ganzen seiner ursprünglichen An- sicht getreu, dasz wir im Cid einen Spiegel biederer Mannessitte be- sitzen, eine treffliche Darstellung mittelalterlichen Ritterlebens, eine gelungene Nachbildung des Volktones, ein Gedicht, in welchem auch das von Herder zugedichtete dem Geiste des Originals entspricht, und das eine Zierde der deutschen Litteratur ist. So ist mit mancherlei Schwan- kungen das Urteil der deutschen Nation über Herders poätisches Testa- ment sich gleich geblieben, ungeachtet der Bemäkelungen, welche Ger- vinns, die Nachbeter Villemains, oder Duttenhofer, der Fanatiker des Urtextes, sich erlaubten. Die neueste Monographie über die vielbe- sprochene Frage liegt hier vor uns.

Durch seine Arbeiten über die Litteraturgeschichte dea vorigen Jahrhunderts uns wolbekannt, als gründlicher Forseher zum urteilen berechtigt, gibt Hr Niemeyer zuerst eine Geschichte der Abfassung^ nnd Aufuahme der Dichtung, wobei er sich wesentlich dem zuletzt von Mönnich festgestellten sehr anerkennenden Urteil über Herders Cid anschlieszt. Im zweiten Abschnitt vergleicht er Herders Arbeit mit dem Original nach den getreueren Verdeutschungen von Duttenhofer und Regis, und gerade dieser Abschnitt wird den Freund der deutschen Litteratur in hohem Bfasze interessieren, weil derselbe ganz kurz die Gestalt der spanischen Volksromanzen von der Herderscheiv Weiter- dichtung scheidet, uns einerseits Gelegenheit gibt in manchen Zusätzen die gerügte deutsche Gemütlichkeit' Herders zu erkennen , anderseits auch wieder zu bemerken, wie er auch in den meisten Erweiterungen den Volkston so getreu bewahrt hat, wie er das allzuharte mildert ohne weichlich zu werden, wie er das unnütze und störende wegschnei- det, nnd so statt eines lockeren Conglomerates ein schön aufgebautes ganzes hergestellt hat. In den Charakterbildern werden die am mei- sten hervortretenden Heldengestalten der Dichtung entwickelt nnd in einer Weise beleuchtet, wie sie gerade dem Lehrer besonders erwünscht sein mnsz. Im vierten Abschnitt bespricht der Verfasser die Form des Gedichtes ausführlich, so wie die rhetorischen Freiheiten und Hülfs- mittel, welche er zu gröszerer Vertiefung des poetischen Eindrucks sich gestattete. Deh Schlusz bildet ein kurzer Commentar zu dem Gedichte^ welcher die nöthigsten Erläuterungen in Bezug auf Geschichte, Geographie bringt usw. Diese Inhaltsangabe mag dazu dienen, vor allem die Freunde und Lehrer der deutschen Litteraturgeschichte auf ein Buch hinzuweisen, welches ohne störende Weitschweifigkeit und lästige Gelehrsamkeit die besten Winke gibt, wie das edle Gedicht pädagogisch zu verwerthen , in der Schule nach Inhalt und Form zu verarbeiten ist. Ohne wesentlich neues zu bringen faszt das Werk des Herrn Niemeyer alles nothwendige zusammen, und seine CoUegen wer- den ihm für die verdiensHiche Arbeit dankbar sein. Büchner,

274 Ungarisdies oder ciceromanisches Latein.

15.

Ungarisches oder ciceronianisches Latein?

De slultüia qtwrundam^ qui se Ciceronianos vocant. PesÜDi 1858. Typis Josephi Gyarian. 16 S. 8. ">

Es scheint als wenn zn gewissen Zeiten bestimmte AbnormitSten auch auf geistigem Gebiet an mehreren Orten zugleich entstünden, wie Krankheiten ähnlicher Art zuweilen zugleich in entfernten Gegenden sich zeigen. Schon ehe Herr Thiersch in Marburg als landator tempo- ris acti in Bezug auf die Gymnasien auftrat und Znrückführung der Schnleinrichtungen der Reformationszeit als das alleinige Heilmittel der wirklichen und eingebildeten Schäden unserer Schulen empfahl, ist 10 Tyrnau am Fusz der kleinen Karpathen ein noch entschiedenerer Yertheidiger des alten und herkömmlichen aufgetreten, der die öster«. reichischen Gymnasien noch hinter die Zeit der Reformation, in du 15e Jahrhundert zn dem Latein der magistri nostri zurückschrauben ^möchte. Com. Hidasy, Lehrer am fürsterzbischöflichen Obergyra- nasium hat im Osterprogramm 1857 unter dem Titel ^ de stilo bene la- lino' die neuen Schuleinrichtungen (oder wie er sich ausdrückt das noTum systhema scbolasticnm) in Oestreich namentlich deshalb- ange- griffen, weil nach denselben die lateinische Sprache den klassischen Vorbildern gemasz getrieben werden soll, also nicht mehr das alte ungarische Latein, das so lange dort ^lingua diplomatica, lingna ad- ministrationis publicae' -war nnd sich allerdings sehr von der Sprache des goldenen Zeitalters unterschied. Dieser in vollem Ernst von Hm Hidasy vorgeschlagene Rückschritt zum alten Schlendrian ist von den Hrn Linker und Bonitz in der Zeitschr. für d. östr. Gymnasien 1867. Is Heft gebürend gewürdigt worden (S. 92 96). Hr Hidasy hat aber in dem vorliegenden Schriftchen einen Yertheidiger gefunden, der die * bonitas causae ' des Hrn Hidasy zn verfechten suclit und gewaltig Über die loszieht, welche sich Cicero beim lateipschreiben zom Mu- ster nehmen. Doch miisz es mit der * bonitas causae' nicht alUnweit her sein, denn der ungenannte Yertheidiger sucht ihr durch göttliche Grobheit zu Hülfe zu kommen. Die Ansichten seiner Gegner sind ihn gerrae, nugae, viles neniae, absurdae opiniones, absonae fabellae ani» les; er wirft ihnen amentia, imbecillitas , impudentia, singnlaris incre- dibilis Stupor, ignorantia, stultitia vor; er nennt sie salputia, barbatnli, scioli, barbari homunciones, homines desipientes, ignavi, imperiti, bal- butientes, leguleii, homines, quos , nisi ego desipio, vix inter inii sab- sellii discipulos grammaticus ille Priscianus admitteret. Ref. weisi aber nicht, auf welche Bank Priscian den Yerf. und Hrn Hidasy setzen würde, denn beide geben uns in ihren Schriflcben Proben eines unge- ni(Brten Lateins, das uns von einem Schüler wundern würde, für Lehrer aber vollständig unbegreiflich, um nicht zu sagen unwürdig , ist. Um

UngariBcbes oder ciceroniiiiisches Latein. 275

so anbegreiflicher wird dieses Latein, da der Ver^ S. 4 sagt: ^non qui> dem ac si impolito scribendi et loquendi delectarer genere, expurgan- dam hoc iterum atqae iterum commendo davon aber ist in dem Sobriftchen selbst wenig zu spüren ; und da er S. 6 selbst den Un- terschied zwischen dem goldnen, silbernen, eisernen und bleiernen Zeitalter hervorhebt, um den Ausdruck 'stilus bene latinus' su recht- fertigen, so musz'es dem Leser auGfallen, dasz der Verf. diesen Unter- schied in seiner Schreibart gar nicht berücksichtigt, sondern im Ge- gentheil Worte welche bei vor- oder nachklassischen Schriftstellern sich finden oder gar erst bei den Kirchenvätern , vorzugsweise zu lie- ben scheint. Wenn er S. 4 sagt, seine Gegner tadelten jeden, der nur *in syllaba' von Cicero abweiche, so kann Ref. dies *in syllaba' in Bezng auf den Verf. nur ^ fast in jeder Sylbe ' übersetzen. Er gibt zu S. 5, dasz nicht alle lateinische Schriftsteller sich gleich stehn (re- sponde, quaeso, an inter se stili nobilüate , elegantia et artificio pares existant) aber namentlich in Bezug auf die Wahl der Ausdrücke schein! er Cicero, Arnobius und Apuleius ziemlich gleich zu stellen. Der Vf. wirft (S. 9) den Vertheidigern des ciceronianischen Lateins vor * cir- Gunvallant se glossariis', aber Ref. musz gestehn, dasz er alle 4 Bände des Freundschen Wörterbuchs nölhig gehabt hat, um sich zu überzeu- gen, dasz die auf diesen 16 Seiten de stultitia zusammengebrachten mgewöhnlichen Wörter wirklich lateinisch sind. Bei myrothecia *^ nad bei dem Adverbium terse bat ihn selbst dieses Lexicon im Stich gelassen (auch den Ausdruck omnis ramus scientiarum hat Ref. im Lezicoa nicht gefunden), das freilich nur für gewöhnliches Latein, nicht für ungarisches berechnet ist. Die kühnen syntaktischen Verbin- dongen darf Ref. wol nicht angreifen , denn Hr. Hidasy hat in seinem Programm *de stilo bene latino' S. 4 als Ziel seines Unterrichts im La- teinischen ausgesprochen , dasz die Schüler sich ^audaciam in propo- nendo' erwerben, mit der sie sich gewis, dem Beispiel ihrer Lehrer folgend, ungeniert über alle hemmenden Regeln hinwegsetzen.

Mit der Vertheidigung dieses ungewöhnlichen Lateins ist der Vf. schnell fertig: der sonst als Autorität nicht anerkannte Cicero musz hierbei als Beispiel dienen: er habe ja auch vieles neue eingeführt (Cicero et ipse multa novavit S. 10); auch auf Tertullian beruft sich der Vf.: ein index bene longus feliciter novatorum vocabulorum sei aus seinen Schriften zusammengestellt. ^An fortassis', fährt der Vf. dann fort, ^personale illud Privilegium fuit, ut cum Cicerone extinctnm esse videatur 7 Ciceroni fingere licnit, quidni aliis alia ad eundem mo- dam postea fingere licuerit?!' natürlich, Hrn Hidasy und seinem Vertheidiger musz dasselbe erlaubt sein, was Cicero erlaubt war, denn sie haben gewis dieselbe philosophische und rhetorische Bildung und dieselbe Sprachgewandheit, welche Cicero besasz, davon dasz latei- nisch Ciceros Muttersprache war, abgesehn. Und nur ihre Gegner

*) kommt ein einziges Mal in einem Briefe des Cicero an Atticns ▼or, aber als griechisches Wort.

276 Ungarisches oder ciceronienisches Lateio.

können sie fragen: ^qvLis vestrum attigit lalinitate Tertulliannm?' von ihnen versteht sich das von selbst. In der That, mit dem, was in Ter« tullians Latein barbarisch ist, hat dieses ungarische Latein sehr viel Berührungspunkte.

Man könnte die Herrn diesen angenehmen TrSnmen, dem Cicero und TortuUian gleichzustehn , überlassen; Ref. will wenigstens, seine Schüler ausgenommen , niemanden in dem Privatvergnügen stören schlechtes Latein zu schreiben; seinethalben möchten sie Lalein spre- chen und schreiben, wie weiland Philander von Sittcnwald Vorschlag: Farimus in schlittis, cum talribus atqne ducatis Klingimus et totam moscherati erfreuimas urbem. Auf dem besten Wege dazu sind sie, und es würde einem solchen La- tein noch weniger die von Hrn Hidasy so empfohlene perspicnitas wenigstens für einen Deutschen fehlen, als dem Latein dieser unga- rischen Autoritäten. Leider aber wollen uns die Herren nicht in Ruhe lassen, die wir uns bestreben wirkliches Latein zu schreiben und da- bei Cicero zum Muster nehmen. Mit vielen Ausrufungen, Fragen und vielem Aufwand von Rhetorik werden alle ^Ciceronianer' bekämpft leider aber mit wenig wirklich stichhaltigen Gründen. Denn das ist schwerlich ein überzeugender Grund, wenn der Vf. S. 6 sagt, auch die schrieben doch noch französisch, welche nicht gerade wie Chateau- briand und Iramartine schrieben •— gewis , französisch schreiben sie noch, nur möglicherweise schlechtes ; so ist auch das Latein der Hrn Hidasy und seines Yertheidigers auch noch Latein, aber ungari- sches. — Dem Einwurf von Bonita, es sei unmöglich in allen Di^cipli- nen, namentlich in Mathematik und Naturwissenschaften, das wirkliche Latein als Unterrichtssprache zu gebrauchen, wird entgegengehalten, es habe ja so viel Juristen, Philosophen, Theologen und Mediciner ge- geben, welche lateinisch geschrieben hfitten. Gewis, namentlich die Mediciner haben sich stets durch klassisches Latein ansgeieiohnel: es war blose Verleumdung, wenn sie Moli^re schon^ vor 200 Jahren spre- chen liesz :

. . et vos altri messiores

qui hie assemblati estis etc. ; und das bekannte theologische Examen: ^quot sunt sacramenta?' Tres. ^Quas?' Fides, spes, Caritas ist ja auch ^ lateinisch' gehalten wor- den. Doch, im Ernst zu reden, glaubt der Hr Vf. wirklich, dasi wer aber Theologie gut lateinisch schreibt, auch über juristische oder ma- thematische Gegenstände ebenso gut lateinisch schreiben und sprechen könne ? Und wenn es der Lehrer kann in seinem Fach , vielleicht in mehreren Fächern, können es deshalb auch schon die Schüler? Unga- risch lateinisch können sie wol reden, denn das ist, mit einiger anda- cia, keine grosze Kunst : kann Cicero novare, kann der Lehrer novare warum sollte der Schüler nicht dasselbe Recht haben und sich no- vando im Adlersflug über die höchsten Berge syntaktischer Regeln und Wortbildungsgesetze hinwegheben? Wir, die wir noch mit der, in Ungarn wie es scheint ziemlich überflüssigen, lateinischen Grammatik

UngarischeB oder ciceronianischeB Latein. 277

die Jagend plagen, schrecken nach p..8 die Jünglinge ab, sich dea Studien zu widmen. Gewis, wer zu faul ist, eine Sprache gründlich so lernen, der wird sich durch die Schwierigkeiten beim festlegen der Elemente vielleicht abschrecken lassen und lieber Hrn Uidasys* und seines Vertheidigers Methode acceptieren er wird glauben , er ver- atfinde Latein , wenn seine audacia vor nichts mehr zuruckbebt und in Folge dessen auch auf andere Gegenstände diese Leichtfertigkeit des Halbwissens fibertragen. 0 ja, es ist kein Zweifel, würde Hrn Hi- dasys leichteste und schnellste Methode in 24 Stunden Latein sprechen SU lernen', in Deutschland bekannt .schaaren weise würden Schüler hersuströmen , um nach absolviertem Cursus wenigstens mit einem 'hnmanium erarium est', gleich jenem Frankfurter Bürger, Beweis da« von abzulegen, dasz sie auch lateinisch ^können'. Der Hr Vf. gibt ja S. 9 diesen seinen zukünftigen Anhängern einen vortrefflichen Weg an, wie sie sich der unbequemen Erinnerung an Cicero entschlagen können: wir haben von Cicero, sagt er, nur etwa ein Zehntel (?) seiner Schriften und das ist noch dazu lückenhaft und verstümmelt wer wagt es nun noch, sich auf die vorhandenen Schriften Ciceros zu berufen , da Herr Hidasy und sein Vertheidiger sich bei jeder audacia anf Ciceros verlorne Schriften stützen können? Wer weisz, ob nicht glüeklicherweise uns gerade das Zehntel von Ciceros Schriften erhal- ten ist, worin er das Latein schreibt, was wir ciceronianisch nennen^ und ob er nicht in den übrigen verlornen neun Zehnteln so geschrieben hat, wie Hr Hidasy und sein Genosse?

Doch wir finden auf S. 10 glücklicherweise auch einen Einwurf» der doch diesen Namen verdient. Quis enim non videat, sagt dort der Vf., qnod rebus novis iriventis plura quoque nova vocabula inducere necesse Tuerit? Das ist richtig: neue Dinge erfordern neue Bezeichnun- gen und Ref. würde, mit J. G. Scheller zu reden, Flinte nnbedenklicb dnrch sclopetum übersetzen, ehe er eine vielleicht unverständliche und schleppende Umschreibung anwendete. Auch wird es keinem noch so enragierten ^Ciceronianer' einfallen, lateinische Bezeichnungen, welche in einer bestimmten Wissenschaft einmal hergebracht sind und aus ei- ner Zeit stammen, in welcher die lateinische Sprache noch lebende Sprache war, zu ändern, so z. B. in der Theologie, auf die sich eine ' Stelle ans Muret (vom Vf. gewis nicht ohne Absicht eingeführt) S. J5 bezieht. Das neutestamentliche nliStig mit persuasio auszudrücken statt mit dem herkömmlichen fides wäre ein entschiedner Fehler, für Chri- stus Jupiter 0. M. zu setzen eine Lästernng. Aber gerade der Um- stand, dasz in Aisern Schulen so viel unterrichtet wird, was den alten Römern unbekannt Var, macht es unmöglich, die lateinische Sprache, ohne ihr fortwährend Gewalt anzuthnn, zur Unterrichtssprache auch in solchen Fächern zu nehmen und so spricht dieser Einwurf gegen den Hrn Vf. selbst. Besser, wir lassen uns den Vorwnrf (S. ll) des Hrn Vf.s gefallen , wir würden in vielen Dingen stumm sein (pudeat vos delitescere ob sermonis inopiam tacitos et obscuros) als dasz wir, ihm durch dick and dünn nachtretend, wünschen sollten, in Bchlechtem

278 Ungarischeis oder cioeronianisches Latein.

Latein oder Unlateiu uns über alles ausdracken zu können. Wenn das ^amplius Studium linguae Lalinae' ist, wie der Verf. sein Bestreben za bezeichnen beliebt (1. 1.), so ist kein Zweifel , dasz mit der weitern Ausbreitung desselben eine neue Barbarei sich ausbreiten würde. Denn des Vf.s pathetischer Ausruf: ^pereant itaque nomina restra, Ci- cero, Caesar, Terenli, Livi, SaliustÜ' könnte leicht eine Wahrheit wer- den, wenn jeder den Klassiker in seiner eignen Brn^t träge.' Wer würde noch Lust haben, Cicero, Caesar oder Sallust zu studieren, nm Latein zu lernen , wenn er ohne solche Mühe mit einiger audacia sich anch ^lateinisch' ausdrücken könnte ? Und es ist doch ein Zeichen von Bar- barei, wenn man sich um keine Schranke kümmert, keine Regel noch Gesetz achtet ein Zeichen wahrer Bildung aber, streng gegen sich selbst zu sein; auch von- lateinsprechen und lateinschreiben gilt das: wollen wir unsere Schüler bilden, so müssen wir sie an feste undnrcli- brechliche Gesetze gewöhnen, nicht ihn^n Zaum und Zügel achieszen lassen.

Doch der Vf. hofiTt seine Gegner schlieszlich mit einem langenCItat aus Muret, von dem er auch den Titel seines Scjiriflchens entlehnt za haben scheint, aus dem Felde zu schlagen : allegabo tibi virum, quem tott caterva philoiogorum pygmaeorum non minus et giganteornm eea anto- ritatem suspicere cogitur, magnum illum Muretum (S. 14) *), Muret sagt in der angeführten Stelle, dasz er zuweilen selbst aus Arnobius, Apnleins und Sidonius Apollinaris ein Wort aufnehme , um die Rede reicher and mannigfaltiger zu machen. Aber dies war bei Muret eben Aosnahme, da er sich sonst, wie ^r unmittelbar vorher sagt, an Cicero, Caesar und Terenz anschlieszt und deren Redeweise reproduciert ^ bei Hrn Hidasy und seinem Vertheidiger scheint es dagegen Regel zu sein, eben so gern ein aus dem Xehricht der Latinität herausgeklaabtea Wort zu brauchen als ein ciceronianisches. Hätte es Mnret eben ao gemacht, hätte er ungarisches Latein geschrieben, ex wäre längst ver- gessen, denn er ist uns nicht dadurch Stilmuster, dasz er Arnobins und Apulejus, sondern dasz er Cicero nachgeahmt ' ;:t. Wahrlich, wenn sich der Verf. auf Muret beruft, so erinnert das an den Magister Ort- winus Gratius in den epistolis obscurorum virorum, wenn er sich für sein furchtbares Latein auf Cicero beruft: ipsi deridentnos, qnia non dicimus grossa verba, sicut ipsi faciunt. Ast nos loquimnr melins secundum Ciceronem, quam ipsi non faciunt. Cicero quidem non ha- bebat, nisi verba intclligentia. Sed isti credunt se fecisse nnum ma- gnum miraculum , si ipsi dixerint unum grossnm vocabulum. In bona veritate , ego vidi duos Theologos in Daventria . . et Tpsi ambo seie- baut bene tot, sicut faciunt isti bufones, sed tameirnon volebant alle- gare isla grossa vocabula, quia Cicero non amabat ea^*).

*) Die Kamen der übrigen groszen Männer, denen der Verf. nach S. 16 presso pede gefolgt ist und die er wörtlich benutzt haben will, verschweigt er, vielleicht absichtlich und wolweislioh. **) So erinnert auch der blinde Eifer des Hrn Verf. stark an den Hrn Mag. Ortwinns : Ego vellem, qnod isti omnes Latisinatores essent in profnndo inferai,

Ungarisches oder ciceronianiscbes Latein. 279

So lobt sich also der Hr Verf. selbst zu viel, wenn er am Schiasse (S. 16) sich in Bezug aaf sein Latein mit einer Biene vergleicht, welche aber den Blumen fliegt denn da die Bienen das beste aus den Blu- inen saugen , so dürfte das Gleichnis in dieser Beziehung besser auf feine Gegner passen. Die andere Hälfte des Gleichnisses, dasz die Bienen gereizt stechen, passt besser auf den Verf., da sich bekannt« lieh die Bienen mit diesem stechen selbst den Tod anthun. Eben des- luilb wäre es vielleicht überJüssig gewesen so lange bei einem so ■nbedeutenden Schriftchen zu verweilen, wie das des Hm Verf. ist, wenn nicht sein Client, Hr Hidasy, seinen Wunsch nach Zuröckführung des alten ungarischen Lateins als ein ^desiderium instum Nationis' be- leichn'et hätte. Ref. will zugeben, dasz dieses ungarische Latein im Geschäftsleben durch das herkommen unentbehrlich geworden sein

«nde nnmquam revenire posseat, oder an Jacob de alt« platea, wenn er fiber Erasmus schreibt: si ego venio ad Almaniam et lego saos codiculos et invenio anam, parvissimam punctam ubi eiTavit, vel ubi ego non intelligo (dem neuen Latein fehlt es ja nach Hrn Hidasy auch an 'per- spicuitas'), ipse debet videre, quod ego volo sibi super cutem. Wie der Verf. sich über das neue Latein beklagt, so schreibt auch schon Kag. Ortwinus: isti latinizatores possunt modicum latinizare, ipsi pu- tant quod faciunt* magna miracula dicendo grossa yerba . . . Sed isU htäkeni suum latinum per se et volunt corrigere magnificat. Die Berufung des Verfassers auf die Theologen, Juristen und Mediciner, welche La- tein geschrieben hätten, scheint gleichfalls den epistolis obscurorum yi- reram entlehnt zu sein, denn auch M. Ortwinus schreibt: luristae, Le- gistae, Apothecariiy Domini de Parlamento, omnes Clerici villagiorum loqaontur sicut nos. Wie der Verf. hat auch schon M. Ortwinus sei- nen Gegnern Dummheit und Unwissenheit vorgeworfen: Creditis quod ipsi sciunt aliquid fundamentaliter ? In bona veritate, ego anderem bene pouere caput meum, quod ipsi non sciunt suos terminos . . . Cre- ditis, quod sciunt praedicamenta et praedicabilia ? . . . ego opto, ut tot iwscipiam pediculos, quot carnifices occidunt post Pascha vitulos, si ipsi sciont de hoc unum vocabulum. Der Vorwurf der Stummheit: Non oporteret, nisi facere unam parvam quaestionem contra istum latini- satorem Erasmum, quod ipsi esset statim ad metam non loqui. Wenn Jae. de alta platea von Erasmus schreibt: Ipse scribit etiam Graece, qvod non deberet facere, quia nos sumus Latini et non Graeci, so brauchen wir nur für Graece Ci^eroniane zu setzen (der Verf. ist ja so kühn im bilden von Adverbien) und quia nos sumus Hungari et non Latini, um auch das folgende passend zu finden: si vult scribere, quod nemo intelligat, quaie non scribit etiam Italicum et Bohemicum et Ehmgarictan et sie nemo intelligeret eum? Faciat se conformem nobis Theologis in nomine centum diabolorum. So ist es als wenn der Verf. bei dem abfassen der epistolae obscurorum virorum als Modell gesessen hätte, das Latein hat ja ohnehin einige Aehnlichkeit. Ist das zu- fällig oder stehen wirklich Hr Hidasy und seine Gesinnungsgenossen zu den 'Ciceronianern' in demselben Verhältnis wie Mag. Ortwinus Gratius, Jacobus de alta platea und M. Job. Pellisex zu Erasmus und Reuchlin? Wenn das ist, so mögen sie bei Zeiten schweigen, dasz sie nicht sagen müssen, wie Jac. de alta platea: ego vellem quod nunquam inceplssem, omnes derident me et vexant me . . monstrant cum digitis super noa et rident et dicunt: vide ibi yadupt duo (Hr Hidasy und sein Verthei- diger), qui yolant comedere Benchlin.

iV. JahTh, U PMl, N. Ptwd, Bd LXXVIII. ffft &. 19

280 UngarUches oder ciceronianisches Latein.

kaan, es schadet auch nichls, wenn im Geschäftsleben hier und da Friscian eine Ohrfeige lerhölt, wenn nur alles sonst so geht, wie es gehen soll; Kaiser Sigismund, als er einst in Constans anhob: videle patres, nt eradicetis schismam Hussitarum, hatte recht den anbern- fenen Tadler zurückzuweisen, der ihm den Fehler aufmntite. Aber mit der Schule ist es doch ein ander Ding. Es w&re zn beklagen, wenn viele in Ungarn es wie der Verf. für den Gipfel der Bildang hiel- ten, in einem Halblatein über alle Gegenstände zn sprechen, das in Deutschland wie in Frankreich und England für barbarisch gelten würde. Wird rechtes und reines Latein auf den Schulen Ungarns ge- trieben, so wird dies das herkömmliche Latein als offlcielle Sprache allmählich läntern, befestigen und es verhindern, zuletzt zu einen ganz unverständlichen Jargon zn werden. Man fürchte nicht dasz durch ein ^ciceronianisches ' Latein der Unterricht und der Ausdruck in dieser Sprache in allzu enge Schranken eingeengt würden ; einmal ist ea nicht wahr dasz diejenigen, welche sich bestreben das klassische Latein nachzuahmen, allein Cicero folgten und nicht seine Zeitgenossen eben- falls als Quellen klassischer Lalinität betrachteten, und gesetzt treibst dies wäre, der Fall, so ist das angeblich übrig gebliebene Zehn- tel von Ciceros Schriften doch immer noch eine unerschöpfliche Fand- grübe für rechte Latinität, die der Theolog wie der Jurist ond der Philosoph ni^r recht zu studieren braucht, um des 'novare' za ent- rathen. Denn für wie viele moderne Ausdrücke wird er echt latei- nische Bezeichnungen finden und die halb oder ganz barbarischeii ent- behren können. Und statt der ^audacia' ist etwas besseres zu lernen, nemlich fleisziges aufmerken auf den wirklich lateinischen Sprachge- brauch und enges anschlieszen an denselben. Dann wird unsem Schü- lern das LateinUrnen ein wirklicher Nutzen sein, auch für alle flbrigeii Disciplinen ; plappern sie aber obenhin , mag es gerathen oder nicht, gutes Latein sein oder schlechtes, so werden sie sich in allen Fiebern an ein solches halbwissen gewöhnen, und unter der Maske der Gelehr- samkeit — mehr wäre ja ein solches lateinreden nicht würde die Unwissenheit und Halbbildung sich bequem verbergen können; wu aber die Vertheidiger dieses Deckmantels der Unwissenheit, des ^kflh- nen' Lateins, betrifft, so zeigen ihre eigenen Schriften hinlänglich (mit dem Verf. zu reden) *quid veri de huiusmodi hominibns tenendnm ao sentiendum sit.'

Hanau. Dr Otto VUmar.

16. .

Dr K. von Spruners historisch-geographischer Schtdaüaswm Deutschland. Zwölf illuminierte Karten in Kupferstich mU er- läutemdenVorbemerkungen (20 S.). Gotha, Justns Perthes 1858.

Es liegt in der Natur der Sache, dasz der Geschichtsunterricht anf den Nittelschnlen sich gleichsam von selbst in drei Curse vertheill. Der

Dr K. T. Spraner: historisch-geograph. Schulaiias ?. Doolschland. 281

erste Curs fahrt in das erlernen der Gescbichle ein nnd gibt ein die am Bieisten hervortretenden Momente umfassendes Material in der Weise, welche dem dieses Fach beginnenden Schüler am geläufigsten ist, in biographischer Form, in welcher der mit dem Material nnd der sprach- lichen Darstellang, der Erzählung noch kämpfende Neuling die leichte- sten Anhaltspunkte flndet, von welchen aus er sich in Stoff und Repro- duction am leichtesten znrecht findet. Ist in diesem Curs der Anfanger IB einer gewissen üebersicht über das allmähliche entstehen und neben- eiMnderwirken der Völker heimisch geworden, so folgt die Mittheilnng eines reicheren Materials, aus welchem der Zusammenhang der Fort- schritte der einzelnen Völker nnd Zeiten erkannt werden soll. Der Schaler musz jetzt von dem einzelnen Volk, insofern es fär die Ent- wicklung der Menschheit von besonderer Wichtigkeit ist, ein vollstän- diges Bild seines Anfanges und Fortschrittes erhalten. An die Stelle der biographischen Darstellung tritt die Darstellung des Zusammen- hangs und Fortgangs der Ereignisse, jedoch namentlich beim Anfange noch so, dasz sich das ganze immer noch um die leitenden Persönlich- keiten gruppiert, ohne darüber den Znsammenhang jener unter sich ansier Acht zu lassen. Dieser zweite Curs, welcher sich, da jetzt die Geschichte naelMen einzelnen Völkern ausfuhrlicher durchgenommen werden musz, in mehrere Jahre theilt, gibt gleichsam das Fundament, auf welches sich stützend ein dritter Curs die eigentliche Entwick- Inngsgeschichte der Völker und Staaten lehrt. Der zweite Curs gibt daher auch vorzugsweise nur auszere Geschichte , damit der Schüler gleichsam das Gerippe, welches ans den bedeutendsten Ereignissen des Volkes zusammengesetzt ist, erhält, so daszider lernende in der groszen Masse nnd Manigfaltigkeit der äuszeren Begebenheiten sich leicht zn- recht ßndet. Der innere Zusammenhang und Entwicklungsgang im Le- ben der Völker, ihr geistiges und sittliches auf- und absteigen, die Wechselwirkung änszerer Geschichte und innerer Entwicklung, alles dies bleibt der gereifteren Einsicht und der gröszeren Bewandertheit in der äuszeren Geschichte in einem letzten Curse vorbehalten. Hier tritt die Cnlturgeschichte mehr hervor, welcher die äuszere Geschichte als Unterlage im Unterrichte dienen musz. Eine möglichst klare An- schauung der äuszeren Völkerverhältnisse wird diesen Unterricht der letzten Stufe sehr erleichtern, ja seine Erspieszlichkeit allein möglich mitehen. Es wird daher auch vor allem im Unterricht des zweiten Cur- ses auf eine klare Anschaulichkeit alle mögliche Rücksicht genommen werden müssen. Durch bloszes vorsagen, vorlesen und nachsagenlassen wird diese nicht gewonnen ; das unmittelbar anschauliche Bild ist es, was sich dem jugendlichen Geiste am leichtesten einprägt, ans dem heraus er die Complicalionen der Ereignisse, wie er sie im Lehrbucbe liest, am deutlichsten erklären und festhalten kann. Was der Schüler unmittelbar vor seinem Auge sieht bleibt ihm immer am klarsten und festesten. Und von diesem Standpunkte ans musz obiges Kartenwerk als ein unentbehrliches und höchst dankenswerthes Hulfsmittel für den Geschichtsunterricht auf Schulen erscheinen. Die Geschichte Deutseb-

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282 Dr K. ?. Spraner : historiscb-geograph. Schalallas v. Deotscbltt^J^

lands bildet in den deutschen Schulen immer für die ganze Geschichte vom Abschlusz des Alterthums an den Mittelpunkt; ihr ronsz ganz be- sondere Sorgfalt im Unterricht gewidmet werden. Darum ist auch dieser Atlas neben Herrn v. Spruners früher erschienenem historisch- geographischen Schulatlas in 22 Karten, welcher die gesamte Ge- schichte ¥on der Völkerwanderung an umfaszt, nichtsweniger als überflüssig. In dem Atlas für deutsche Geschichte sieht der Schaler so recht sein Vaterland werden, wie es von Epoche zu Epoche durch '• Veränderungen, Vergröszerungen, Zerstückelungen und Wiederver- einigungen so manche Phase bis zur letzten Gestaltung durchschritten hat; er gewinnt in diesen Blättern so zu sagen erst einen richtigen geographischen Begriff des alten und neuen Deutschland. Indessen läszt sich am besten die Reichhaltigkeit iind Zweckmäszigkeit dieses für die Schule unentbehrlichen Kartenwerkes aus den Karlen selbst erkennen. Nr 1 gibt Deutschland zur Zeit der Römerherscbaft. Nr 2 Deutschland zur Zeit der Merovinger. Nr 3 Deutschland unter den Karolingern. Nr 4 Deutschland unter den sächsischen und fränkischen Kaisern. Nr 5 Deutschland unter den Hohenstaufen. Nr 6 Deutschland um die Mitte des 14n Jahrhunderts. Nr 7 Deutschland von der Mitto des 14n Jahrhunderts bis 1493. Nr 8 Deutschland von 1493— 1618. Nr 9 Deutschland während des dreiszigjährigen Krieges und seine po- litische Gestaltung am Ende desselben. Nr 10 Deutschland vom dreiszig- jährigen Kriege bis zur französischen Revolution und seine politische Gestaltung beim Ausbruche derselben. Nr 11 Deutschland von der fran- zösischen Revolution bis zum ersten pariser Frieden. Nr 12 das jetzige Deutschland. Die beigegebenen erläuternden Bemerkungen zn jeder Karte zeichnen sich durch Klarheit und Kürze aus und unterstfliien den Schüler beim lernen der Geschichte sehr. Für die treffliche inssere Ausstattung der in Kupfer gestochenen Karten ist der Name des Ver- legers schon Beweis genug. Hr v. Spruner hat sieb aber durch dieses neue Kartenwerk ein ganz besonderes Verdienst um den Unterrieht fn der Geschichte erworben ; zugleich empfiehlt sich dasselbe durch sei- nen für seinen klassischen Werth und sein sorgfältiges äuszere billi- gen Preis. K, K,

17.

Historischer Atlas nach Angaben von Heinrich Dittmar. Driiie Auflage^ revidierty neu bearbeitet und ergänzt von D. V äl- ter ^ Prof. in Esslingen. L Abthlg in 7 Blättern ^ IL AbtUg in 1 1 Blättern. Heidelberg , Karl Winter.

Als eine niedliche Beigabe nicht nur zu den Dittmarsohen , son- dern auch zu andern Geschichtsbüchern, namentlich so weit sie auf Schulen gebraucht werden, erscheint dieser historische Atlas, der in zwei Abtheilnngen die alte und neue Zeit umfaszt, in seiner dritten

Ueiiir. Ditimar: historischer Atlas. 283

Auflage. Dieselbe ist, wie der Titel richtig angibt, neu bearbeitet und vielfach ergänzt, so dasz in Beziehung auf Vollständigkeit und Ge- nauigkeit der Angaben wenig zu wünschen übrig bleibt. Die ganze üuazere Erscheinung ist, wie dies schon bei den früheren Auflagen der Fall war, niedlich, fast zierlich; der Stich ist auszerordentlich scharf und rein und die Colorierung mit nur stark hervorstechenden Farben durchgeführt. Diese beiden Eigenschaften sind aber auch durchaus BOthwendig bei Karten , die in so kleinen Dimensionen , wie in diesem Atlas, so vieles auf einem Blatte geben, ohne dasz die Deutlichkeit Noth leiden soll. Die Schrift ist nemlich, wenn auch auszerst scharf and deutlich, so klein dasz sie, namentlich für den Schulgebrauch, fast lu klein erscheinen müste, wenn sie nicht durch die sorgfältigste Rein- heit gehoben würde. Diese läszt sich ohne besonderen Schaden für das Auge dann gut anwenden, wenn die Karte nur mit den allernöthigsten Namen und Zeichnungen ausgefüllt wird, so dasz der die Schrift zu- nächst umgebende Raum ziemlich frei bleibt und diese um so schärfer hervortritt. Deshalb haben auch einige Karten in dieser neuen Auflage im Vergleiche zur früheren an Vollständigkeit zwar sehr gewonnen, aber doch ein wenig von ihrer Deutlichkeit bei aller Schärfe und Rein- heit, eingebüszt. Wenigstens wird das Auge leichter angegriffen und ermüdet. Ein klein wenig Beschränkung oder eine für so kleine Di- mensionen nothwendige strenge Aussonderung des mehr und minder nothwendigen dürfte einer folgenden Auflage zum wesentlichen Vortheil gereichen. Die vortreffliche Colorierung unterstützt die Deutlichkeit und Uebersichtlichkeit sehr. Nur da, wo auf kleinen Cartons auf einem sn kleinen Raum zu vielerlei Farben neben und durcheinander gehen, wie z. B. auf dem Blatt der Schweiz von 1218 1331 (Nr 12), hat die Uebersichtlichkeit der früheren Auflage der Vollständigkeit in dieser 4ritten Ausgabe ein Opfer gebracht. Auch glauben wir bei einer Ver- gleichung zu finden, dasz, wenn vielfache Grenzabtheilungen in einem Lande, wie z. B. auf Bl. V Abthlg 1 (das Reich Alexanders), nothwen« dig sind, die Bezeichnung für das Auge wolthuender in einer von den äus^ren Grenzlinien verschiedenen Farbe geschieht. Wenn z. B., wie auf Bl. VIII 2e Abthlg, die äuszeren Umfassungslinien des weströmi- schen Reiches roth, die inneren Gretizen mit gelb und grün in dünnen and doch scharfen Linien bezeichnet sind , so erhält das ganze Bild, ohne an Deutlichkeit einzubüszen , viel mehr Leichtigkeit und ist dem Auge wolthuender, als wenn in der neuen Auflage alles, äUszere wie innere Linien , mit hartem roth bezeichnet sind. Die Deutlichkeit ist swar in gleich hohem Grade da, aber das ganze Bild wird schwerer oder schwerfälliger, und gerade das sollte nach unserer Ansicht bei so kleiner Schrift vermieden werden. Die gleiche Bemerkung gilt noch für Nr 4 und 6 a in der In und Nr 7, 9, 11 in der 2n Abtheilnng. Weit entfernt durch diese Bemerkungen gegen die mit der pünktlichsten Sorgfalt und Eleganz ausgeführte Ausstattung einen Vorwurf ausspre- chen zu wollen, machen wir, durch mehrfachen Gebrauch in der Schule darauf hingeführt, dieselben nur deshalb, weil wir den Atlas als einen

284 Heinr. Dittmar : historischer Atlas.

der brauchbarsten kennen gelernt haben nnd ihm daher jede mögHohe VerTollkommnnng von Herzen wünschen. Um ein Bild seiner Volü stfindigkeit zu geben, mögen noch kurz die einzelnen BUtter aufge- zählt werden: le Abtheilung: Nr 1 die Welt der Alten, mit der home- rischen Welttafel; genau verzeichnet sind das Reich der Parser am 500, das karthagische Reich um 218 und das römische Reich um 218. Beigegeben auf einem Carton ist noch das Ruinenfeld ¥on Theben. Nr 2 Phönicien, Palästina, peträisches Arabien, Aegypten und Cypara, 2 Carton : Jerusalem und Palästina mit den 12 Stämmen. Nr 3 Griechea- land, die griechischen Inseln und die Westküste von Kleinasien, 5 Car- tons init Plauen. Nr 4 in 2 Abtheilangen, Hellas und die PelopooMf, und Kleinasien und Syrien. Nr 5 2 Abtheilangen : das Reich Alexan- ders und die Reiche der Nachfolger Alexanders. Nr 6 a Italien bis 4ö0 und das römische Reich unter Trajan. Nr 6 b Italien als Republik in ihrem vollen Bestand ; 3 Carton mit Campanien , einem Plan von Rom und Carthago. 2e Ablheilnng: Nr 7 das alte Gallien, Britannien and Germanien mit den Oberdbnauländern (liesze sich dies Blatt nicht bes- ser der ersten Abtheilung beigeben?). Nr 8 in 2 Abtheilangen: das weströmische Reich bis zu seinem Untergang und der Occident im An- fang des 6n Jahrhunderts n. Chr. Nr 9 in 2 Abtheilungen: daa* Reich Karls d. Gr. und das byzantinische Reich nebst dem Reich der Kalifeii im Orient zur Zeit Karls d. Gr. Nr 10 in 2 Abtheilnngen : Europa- in der hohenstaußschen Zeit und Karte za den Krenzzügen (Eine Karte la der Zeit der sächsischen and fränkischen Kaiser würde namentlich fAr die deutsche Geschichte eine vortheilhafte Zugabe zwischen Nr 9 and Nr 10 sein). Nr 11 Deutschland und Frankreich von Radolf v.Hababarg bis Maximilian I. Nr 12 die Schweiz von 1218 1331. Das Land der Eidgenossen im 14n Jahrhundert und das Mongolenreich anter Dsehin- gis-Chan. Nr 13 Deutschlands Kreiseintheilang anter MaxinüUan. Deutschland nach seinen ehemaligen Bisthümem nnd Ersbifthttaiiern. Deutschland im dreiszigjährigen Kriege. Nr 14 Buropa von Friedrich d. Gr. bis zur französischen Revolution. Die Zeit der ersten Repablik. Europa zur Zeit Napoleons. Nr 16 die Länder entdeckungen im 15n und ]6n Jahrhundert. Nr 16 die deutschen Bundesstaaten mit den angren- zenden Ländern. Schlieszlich noch die Bemerkung, das« sieh dieaer Atlas noch ganz besonders für Schulen empfiehlt darch den fir die Vollständigkeit und in jeder Beziehung schöne Ausstattung sehr bUli- gen Preis ; auch werden die Abtheilungen einzeln abgegeben. Wann auch für die alte Geschichte schon mehrere gute Atlanten vorhaodea sind , so ist die betreffende Abtheilung in dem angezeigten Atlas kei- neswegs eine Oberflüssige Arbeit; die zweite Abtheilung dagegen sieht bis jetzt, den ausgezeichneten umfassenderen Atlas v. Sprunera abge- rechnet, fast allein in ihrer Art. Denn alle anderen hierher gehörigen Kartenwerke sind theils veraltet, theils für eine jgrosze Zahl Schaler zu kostspielig. Wir wünschen daher auch dieser verdieustvollea Arbeit im Interesse der Schule eine recht weite Verbreitung. Jif. K,

leriehke Aber gelehrte Anstalten, Verordnangen, statift. Noiises. 285

Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, statistische Notizen, Anzeigen von Programmen.

Bericht Aber die Gymnasien des Königreichs Sachsen nebst Anzeige der am Schlüsse des Scholjahres 1857 erschienenen Programme.

1. BuDissiN.] In dem LehrercoUegiam fand im Schuljahre 1850—57 keine YerÄnderang statt. Die Gesamtzahl der Schüler betrug 151 (I 19, II, 16, m 21, IV 30, V 37, VI 28). Abiturienten IL Den Schulnach- richten geht voraus: die Seelenlehre des Tertullian nach dessen Traciat: de anima, dargestellt von F. A. Barckhardt. 27 S. 4. In der Schrift de anima sucht Tertullian im Gegensatz zu allen damals aner- kannten Meinungen auf Grund der heiligen Schrift das Wesen der mensch- lichen Seele, ihr Verhältnis zu Goti, zur Sünde, zum Leibe, ihre Thätig- keiten usw. zu bestimmen. Bevor der Verfasser zu seiner eigentlichen Aofgabe übergeht, dem groszeu Kirchenvater in seinen Untersuchungen fiber die Seele zu folgen, wird der Mann selbst in einigen kurzen Zügen charakterisiert, in wenig Worten seine Stellung zur Kirche, in der er wirkte, und zum Heidenthum, das er bekämpfte, bezeichnet, damit er aus seiner Zeit heraus verstanden und gerecht beurteilt werden könne. Tertullian bezeichnet in der vorliegenden Schrift von vorn herein seinen Standpunkt, indem er sagt: Will man die Seele erforschen, so wende man sich zu den Kegeln, die Gott gegeben hat, denn sicherlich kann niemand die Seele besser erklären als ihr Schöpfer ; von Gott lerne man kennen, was man von ihm empfangen hat, und nicht von einem andern aoazer Gott, denn wer will offenbaren, was Gott verhüllt hat? Woher will man es wissen? Daher ist das nichtwissen das sicherste. Es ist. beaser durch Gott etwas nicht zu wissen, weil er es nicht geoffenbart bat, als durch einen Menschen es zu wissen, der es nur voraussetzt. Darauf wird das wesentliche von Tertullians Seelenlehre mitgetheilt. Es ist nicht die Absicht des Verf. ein Urteil über Tertullians Ansicht zu fällen, aber das scheine daran namentlich für unsere Zeit, in welcher das Wesen der Seele wiederum Gegenstand wissenschaftlicher Unter- auchnng geworden sei und sich der Materialismus in bedenklicher Weise geltend mache, beherzigenswerth zu sein, dasz man bei der Untersuchung von der Schrift ausgehe, wenn auch nicht mit völliger Verwerfung alles philosophischen Wissens, wie es Tertullian thue« sondern nach echt evangelischem Grundsatz mit Zurückweisung nur alles schriftwidrigen, es zeige sich in einem so gelehrten Gewände als es wolle. Denn die Schrift genüge, wie der Kirchenvater sagt, der gläubigen Wiszbe- gierde, obgleich sie aller müszigen Neugierde ein verschlossenes Buch bleibe.

2 u. 3. Dresden.] In dem Lehrercollegium des Gymnasiums Stae Crucis ist keine weitere Veränderung eingetreten, als dasz DrRichard Franke und Dr Adam, ersterer zu Michaelis 1856, letzterer Ostern 1857, nach Absolvierung ihres Probejahres die Anstalt verlassen haben. Dasselbe besteht gegenwärtig aus folgenden Lehrern: Rcctor Dr Klee, Conrector Dr Böttcher, den Oberlehrern Heibig, Dr Götz, Dr Baltzer, dem sechsten Collegen Otto, den Gymnasiallehrern Lindemann, Albani, Sachse, Schöne, Dr Pfuhl, Dr Mehnert, Dr Häbler, Glausz, dem Schreiblehrer Kellermann und dem Gesanglehrcr Eisold. Am Schlusz des Schuljahres betrug die Zahl der Schüler 321 (I 27, II 33, III 41, IV 49, V 51, VI 52, VII 27, VIII 20, IX 21). Abiturienten 32. Den Schulnachrichten steht voran : de verborum slavicorum natura et po- testaie scr. Pfuhl, Dr phil. (42 6. 8). An dem Vitzthumschen Ge-

286 Berichte aber gelehrte ÄDstalten, Verordnungen, statiit Hotisei^

Bchlechtsgymnasium und der damit yereinigten Erziehangsanstalt unterrichteten im Schuljahre 1856 57 folgende Lehrer: Schalrath Prof. Br Bezzenberger, DrBiermatin, Erler, Dr Grandmann, Hen- Singer, Dr Hübner, Prof. Hughes, Lehrer Hughes, Kellermann, Br Klein, Balletmeister Lepitre, Maillard, Michael, Müller, Prof. Dr Müller, Dr Opel, Pnschner, Robert, Dr Boqaette, Prof. Dr Scheibe, Dr Schlemm, Schröder, Prof. Sehurig, Con- sistorialrath Stepänek, Suszdorf. Die Zahl der Zöglinge betrug 113 (I gym. 16, II gym. 10, III gym. 13, IV gym. 10; I real. 3. II real. 12, III real. 18. le Progymnasialklasse 14, 2e 17). Den Nachrichten über die Anstalt geht voraus: Untersuchung eines van C, G, J. Jaoobi auf' gestellten Correlationssystems. Von Dr H. Klein (48 8. 8).

4. Freibebo.] In dem Lehrercollegium des Gymnasiums zu Frei- berg traten im Schuljahre (Michaelis) 1856 57 folgende Veränderungen ein: Dr Noth wurde sufolge lioher Verordnung von seinem Amte ent- lassen; Dr Zimmer wurde zum Conrector ernannt; Dr Hermann Wunder als achter, Hacker als neunter Lehrer angestellt. Lehrer- hestand: Rector Prof. Dr Frot scher, Dr Zimmer, Dr Prölsi, Dr Dietrich, Dr Brause, Dr Michaelis, PrÖssel, Dr Wunder, Hacker. Die Zahl der Schüler betrug am Schlüsse des Schuljahrs 180 (I 24, II 21, III 22, IV 25, V 21, VI 23). Abiturienten Ostern 1857 2, Michaelis 1857 6. Eine wissenschaftliche Abhandlung ist der Chronik nicht beigefügt. Dagegen enthält die Einladungsschrift zu geneigter Anhörung von zwei zum Andenken edler Wohlthäter des Gymnasiums zu Freiberg in demselben zu haltenden Gedächtnisreden : kulturhistorische Skizzen aus dem Bereiche des 19, Jahrhunderts von dem Conreotor Dr Zimmer (32 S. 4).

5. Grimma.] Mit dem Ende des Jahres 1856 trat im Lehrerpenonal der Landcsschule folgende Veränderung ein: Nach Erledigung der Stelle eines Musik- und Gesanglehrers an der Landesschule zu Meiszen hatte das Ministerium beschlossen, den Musik- und Ctesangunterricht daselbst künftig einem ordentlichen Lehrer zu übergeben, und zu dem Ende den damals hier angestellten neunten Oberlehrer G. E. Pöthko vom I.Jan« d. J. an als neunten Oberlehrer an die Landesschule zu Meiszen mit der Verpflichtung, zugleich den Musik- und Gesangunterricht daselbst zu erthoilen, zu versetzen und dagegen den dermaligen neunten Ober> lehrer an der Landesschule zu Meiszen, Dr Dinter, an Pöthko*8 Stelle in die Landesschule zu Grimma eintreten zu lassen. Dem Candidaten des höheren Schulamts, Dr Voigt aus Geithain, wurde gestattet im Jahre 1857 an der dasigen Anstalt sein Probejahr zu bestehen. Das Schulcolleginm bestand aus folgenden Lehrern: Dr Eduard Wunder, Kector und erster Professor, Ritter des königl. sächs. C.-V.-O., Lorenz zweiter Professor, Fleischer dritter Professor, Dr Petersen vierter Professor, Dr Rudolph Dietsch fünfter Professor, Dr Maller sechster Professor, Löwe siebenter Oberlehrer, Dr Arnold Schäfer Professor , Dr D i n t e r , neunter Oberlehrer. Auszerdem sind als Turn- und Tanzlehrer Ha ugwitz , als Zeichenlehrer Maler rLut her und als Schreiblehrer Ar 1 and thätig. Im Winterhalbjahre 1856—57 bestand der Cötus aus 133 Schülern (I 34, II 35, III 26, IV« 23, IV »• 15); im Sommerhalbjahr aus 136 (1 33, II 26, lU 26, IV* 26, IV»» 19). Abiturienten zu Michaelis 1856 7, zu Ostern 1857 14. Als das erfreu- lichste Ereignis des verlebten Schuljahres wird der hohe Besuch Sr Ma- jestät des Königs in der Chronik mit Recht besonders hervorfi^ehoben. Den 7. August Vormittags gegen 9 Uhr traten Se Majestät in die fest- lich geschmückte Anstalt und wurden beim Eintritt in den Schnihof von dem versammelten Schulcollegium und dem Cötus mit dem Gesänge des ersten Verses aus dem Liede 'den König segne Gott* empfangen. Nach

Aber gelehrte Anstalten, Verordnungen, Statist Notiseo. 287

diesem herzlichen Segenswünsche ergriff der Bector das Wort nnd bat 8e Majestät die Versicherung huldvoll anzunehmen, dasz Lehrer und Schüler der Anstalt durch die Gegenwart des allverehrten Landesvaters and ihres allerhöchsten Schutzherrn um so inniger sich erfreut und ge- ehrt fühlten, je lauter ihrer aller Herzen in Treue und Liebe Sr Maje- stät entgegenschlügen, aber auch zugleich um so mächtiger gedrung^ würden zu erhöhtem Eifer in Erfüllung aller Pflichten, die ein christ- licher Unter than seinem Könige nnd dem Vaterlande schulde, je offen- barer die Kenntnisnahme Sr Majestät von dem Zustande ihrer Anstalt nicht blos die huldvollste Herablassung sei, sondern auch eine heilige Mahnung an Lehrer und Schüler, dasz jeder in seinem Berufe sich der äuszersten Gewissenhaftigkeit befleiszige. Hierauf überreichte ein Pri- maner Sr Majestät eine gedruckte lateinische Ode, in welcher er in sei- nem und seiner Mitschüler Namen die Empfindungen ausgesprochen, welchie das erscheinen des allverehrten Königs in der Anstalt in den Herzen der Schüler erweckt habe. Nachdem Se Majestät allergnädigst das Gedicht angenommen und sich das Schulcollegium hatten vorstellen lassen, nahmen Allerhöchstdieselben unter Führung des Rectors zunächst alle Räumlichkeiten der Anstalt in Augenschein und wohnten sodann einer Lection des Rectors über Horat. Od. und einem Geschlchtsvor- . tragendes Prof. Schäfer bei. Nach dem Schiasse der erstcren drück- ten Se Majestät noch vor der Klasse die besondere Billigung darüber aas, dasz die Uebung der Schüler in Fertigung lateinischer Gedichte hier fortgesetzt werde. Nachdem Se Majestät beim scheiden an den auf dem Schulhof versammelten Cötus noch eine Mahnung zu Fleisz and braver Gesinnung gerichtet hatten, verlieszen Allerhöchstdieselben anter einem herzlichen Lebehochruf der Lehrer und Schüler gegen 11 Uhr die Anstalt. Dem Jahresbericht geht voraus eine wissenschaftliche Abhandlung vom Rector Dr Ed. Wunder: de Aeschyli Agamemnone dis- aeriatio critica et exegetica (31 S. 4). Die behandelten Stellen sind V. 1 21. V. 2: tpQovqäg itsiag ii7J%og =: fiangov XQOVOV q>QOVQäg itsias s. 9icc qfQOVQug irs^ag, 'deos quidem precor, ut me malis quibus premor liberent, pe( long^tudinem custodiae annuae ergo adhuc frustra verum nunc opinor malis meis liberabor, scilicet postquam elapsus est annus nonus obsidionis Troiae. Quae interiecta sunt inter v. 2 et V. 20, eorum summam nexumque hunc esse: quam (custodiam) adhuc egi, ita ut totius coeli sidera eorumque cursum cognorim, et etiam nunc ago (v. 8) eo consilio, ut facis signum observem, quo Troiae ezci- dium nuntiabitur. Misera est autem custodia; etenim dum excubo cet. 2: %oifi,(Ofiai tpQovQoiv = iacens custodiam ago (ich liege Wache nach der Analogie von 'ich stehe Wache'. V. 12 19: summa eorum, quae dicit, haec est: quo vero tempore insomnis excubias ago, quando eanere lubet, semper deploro cet. V. 12: ivvri vviiz£nXctyiizog nihil est nisi cubile noctumum; 'quando.noctu cubile roscidum occupo.' V. 14: iffrijy pronomen a grammatico quodam additum esse, ut saivum metrnm versus trimetri esset , cum librarii incuria excidisset aliquod vocabulum. Es wird daher vermutet dasz Aeschylus geschrieben habe: q}oß6g yäg alhv av^' vtcvov nagaazarsi. V. 19: dianovstv ti = laborare in ali- qua re , diligenter exercere aliquam rem. otnov = negotia domestica. V. 31: 'Faciam enim, ut secundae sint res dominorum (Agam. et Clyt.), postquam mihi contigit, ut rebus maxime secundis utar, finito excubiarum onere. V. 40 59: V. 57 soll so geändert werden: yoov divßocev tovSs fistoiTimv, attov oloavoQ'qoov yoov o^vßoav xovds lL9xoC%tov := audiens acutum hunc clamorem inquilinarum avium, i. e. vulturum, quibus pnlli erepti sunt. V. 104: nvgiog ilfii nxX, = fausta potestas ominis viatici ducum, i. e. fausta illa (victoriam portendens) potestas sive vis ominis ante ipsum discessum ducibus oblati«

288 fieriehte fiber gelehrte Anstalten, Verordnungen, ataliit. Notiiti.

V. 160 166: Zcvff, Scug xot' ^€x£v %xl. Seiuas: lovi (qaiciimqae enim est, si ita ei iucundam, hoc eum nomine appello) non possam qoicqaam comparare omnia perpendens praeter lovem. o^% $%m ngoeti- luiaai nXrjv Jiog = incomparabilis est: hat seines gleichen nicht. In den folgenden Versen soll statt ^dtav /Ltaray gelesen werden nnd der Sinn dieser Stelle der sein: lovi * neminem omniam d«*oram pa- rem esse invenio, si insipientiae onus ab animo amovendam omnino est| i. e. hoc si agendum, at insipientiam amoveas sive procul babeas ab animo, per neminem deomm id conseqnere, nrsi per lovem, prae- stantissimum omniam deorum. 184 221 : Agamemnon nihil accnsans Calchantem placidoqne animo calamitatem ferens, quo tempore classis Aalide maximis tempestatibus impedita est, qaominus in Troadem tra- iiceret, postquam Calchas effatus est, quid Diana postularet, vehement^ effatum eins indignatas est ac primam fluctimvit animo, atmm belle absisteret an filiam mactaret, deinde vero socionim auctoritati oedens nefarium consilium mactandae filiae cepit. 264 267: Sinn: ntinam qnidem (opto quidem) dies tam faustus sit, quam noz fait! Foit vero, ut andies, noz faustissima, supra quam sperari potuit felicem non^am offerens. Troiam enim Argivi expngnarunt. V. 332 soll gelesen wer- den: yijtfretg TCffog dg^cxoiciv, av ixv ^o^^S» Die Verse 343 --347 sollen so umgestellt und interpungiert werden:

Sil yoLQ nqog oCnovg voar^fiov amtrigtag.

^BOtg d* ttVttfinXäTLTjTog ei /üO'.ot otgardg,

üdfAyfai, Siaviov ^dxBgov umlov ncUiv

yivoiT ' aVj si ngoanaia fiiq tsvxoi (statt tvx^O ^^^^^

iYgriyogog to wrjita tcov olaXotcap, Der Sinn der Worte von d'soig d' oXmXoxmv: sin autem non obnozius dis ezercitus veniat, fieri quidem possit, ut alteram stadii partem eme- tiatur, nisi improyisa mala paret reviviscens clades hominnm ocoisomm. Der Sinn der Verse 362 377 wird nach Widerlegung der Ansicht yon Schneidewin so angegeben: neg^runt quidem non pauci, persona sna dignum duoere deos, curare mortales, a quibus^ quae sancta et aogusta essent, violarentur; qui quidem impii sunt; verum patefattum hoc est liberis intolerabiliter Hartem spirantium supra quam fas erat, nimis .affluente opibus domo. 437--45I. 437—444: Der Gold gibt für le- bende Leiber und die Wage hält im Kampfe des Speeres, Ares, sen- det Terbrannt ans Ilium den Freunden zu heiszen Thränen ein schweres Stäubchen mann vertretender Asche in wolgefügten Krügen. 445: in- dignantur, quod id alienae muiieris causa factum sit. xddk ciyd tig •— 'Azgfidaig : haec taciti quidem mussitant , verum dolor eos sabit invidus Atridis regibus i. e. eiusmodi dolor, qui invideat Atridis sive ut invl- deant, succenseant Atridis. V. 504 soll gelesen werden: dindxov as (piyyn xtpd^ dtpmofirjv ixovg, 525: TgoCa %axaa%i^i^a9ta xov ii'Kri(p6gov = qui in Troiam ingruerit vindicantis lovis folmine, quo solum eversum est i. e. ita ut solum everteretur. 584 wird ge- schrieben: du ydg -^ßat xotg ysgovciv bv ykci^ftv = semper iuventos est senibus , bona discere i. e. semper senibus tantum roboris iavenilis est, ut bona discant.

6. u. 7. Leipzig.] Das CoIIegium der Nicolaischule hat in dem Schul- jahre 1856—57 mehrere bedeutende und sehr wesentliche Veränderungen in seinem Bestände erfahren, welche durch den Abgang zweier sehr ver- dienter Lehrer herbeigeführt wurden. Am 13. Febr. 1857 starb der bis- herige Hauptlehrer der 5n Klasse Dr Fritzsche; Dr O. Kren ssler schied aus dem CoIIegium, um als dritter Professor der Landesschole zu St Afra einzutreten. In das erledigte naturhistorische Lehramt ist Dr Tittmann eingetreten. Der fünfte ordentliche College zu St Thomä, Dr Jacobitz, wurde in gleicher Eigenschaft als fünfter College au

Berichte aber gelehrte Anstalten, VerordflaBgeo, Statist. Notuea. 289

St Nieolai an die Stelle des Prof. DrKreaszUr bernfen. In die Stelle eines sechsten Collegen rückte der dermalige erste Adjanct Dr Fiebig ein; der zweite Adjunot Dr Gebauer rückte in die erste Adjnnctnr auf und der Candidat des höheren Schulamts Dr Hultsch in die zweite ein, während der bisherige Vicar Dr Lipsius die dritte Adjunctur zu St Thomü erhielt. Die Candidaten Dr Schulze (Mathematiker) und Dr Vogel (Philolog) haben ihr Probejahr anjgetreten. Das Gymnasium wurde am Schlüsse des Schuljahrs von 158 Schülern in 6 Klassen be- sucht. Zur Universität wurden reif entlassen 20; auszerdem bestanden 12 fremde in dem Maturitätsezamen. Dem Programm ist keine wissen- schaftliche Abhandlung beigegeben, sondern verschiedene lateinische Ge- dichte des Kector N o b b e. In den Schulnachrichten über die Tho- masschule wird mitgetheilt, dasz der Schulamtscandidat Dr Scher- ber mit Michaelis seine Lehrprobezeit beendigte, während die Schul- - emtscandidaten Dr Klein (Mathematiker) und Dr Lipsius (Philolog) dieselbe mit dem Anfange des Sommersemesters begannen, jedoch be- reits mit Michaelis zufolge ehrenvoller Berufungen an andeien vaterlän- dischen Unterrichtsanstalten zu beschlieszen veranlaszt waren. Mit der üblichen Valedictions - und Entlassungsfeier am 8. April verband sich die Jubelfeier dreier hochverdienter Lehrer der Anstalt, des Conrectors Dr Lipsius, des Tertius Dr Koch und des Quartus Dr Zestermann, welche im Jahre 1832 als neue Lehrer an die Schule berufen wurden. Die Zahl der Schüler, welche sich am Ende des vorigen Jahres auf 210 beUef, ist auf 218 gestiegen (I 46, II 42, III 50, IV 36, V 31, VI 13), darunter 60 Alumnen. Abiturienten Michaelis 8, auszerdem 4 auswärts vorbereitete, Ostern 21 und 4 auswärtige. Den Schulnachrichten geht voraus eine wissenschaftliche Abhandlung vom Rector G. Stallbaum, welche den vorher genannten drei Jubilaren gewidmet ist: brevis re- cognüio iudictorum de fforat, Sat. I 10, exordio (38 S. 4). 'Apparuit enlm satis clare , opinor , fragmentum illud poeticum non quidem ab Horatio compositum, sed tarnen satis antiquum esse ac verisimiliter aetate litteris perscriptum, qua apud Romanos primum recentioris poe^ sis elegantia cum vetustioris poesis incondita simplicitate atque rudi- täte tamquam inito certamine quodam contendere coepit. Quodsi ita est, sponte iam intellectum^ iri putamus , unde illud in Horatium migra- ▼erit et qui factum sit, ut in aliis poetae codicibus apponeretur, in aliis omitteretur. Etenim habet illud saue cum argnmento satirae Horatia- nae arctiorem qnandam cognationem et necessitudinem , quand'oquidem inde clare cognoscitur, iam ante Horatium extitisse, qui ad versus cupi- dos Lucilii admiratores atque laudatores similiter decertarent atque a poSta Venusino factum esset. Itaque praescripsit illud olim gramma- ticns aliquis tamquam meraorabile monumentum historiae litterarum Bomanarum, unde etiam superiorum temporum de bis rebus iudicia eognoscerentur et quanta illorum fuisset cum iudicio Horatii consensiu, planius intelligeretur. Nee tarnen illud in omnes Horatii Codices trans- iit, quandoquidem a critici» iam mature intellectum est non esse illud Horatii sed potius alius cuiusdam poetae opusculum. Ex quo ipso etiam perspicitur, cur in optimis codicibus, quales sunt Blandiniani, fere desideretur atque etiam a scholiastls silentio transmissum sit.'

8. Meiszen.] In dem Lehrercollegium der königlichen Landesschule waren einige Veränderungen eingetreten. Der Professor Dr Kran er wurde zum Director des Gymnasiums in Zwickau ernannt; an seine Stelle wurde der bisherige fünfte ordentliche Lehrer an der Nicolai- schulo in Leipzig, Dr O. Kreuszler, unter Beilegung des Professor- titels ernannt. Nach dem Tode des Gesang- und Musiklehrers Pietscli trat der an der Landesschale zu Grimma angestellte neunte ordentliche Lehrer Pöthko als neunter Oberlehrer hier in die Stelle des Oberlehrer

290 Berichte Aber gelehrte Anstalten, Verordnungen, stalisl. NotisM.

Br D int er und übernahm , zugleich den Gesangsunterricht, starb aber leider schon den 6. Juni, wähi*end Dr Dinter als neunter Oberlehrer nach Grimma abgieng. 'Die Zahl der Alumnen und Eztraneer betrug 150 (I 34, II 36, III 34, IV* 24, IV^ 22). Abiturienten MichaeUa

1856 9, Ostern 1857 11. Dem Jahresbericht ist vorausgeschickt: C G, Mübergi mcmorahüia Vergüiana (38 S. 4). Der Verf. handelt in dieser Abhandlung de memorabiU ac superstitioso cultu Virgilio Maroni inde ab antiquo Caesarum tempore per media m aetatem usque tributo. 'In quo argumcnto ita versabimur, ut primum breviter tantum enarremus, ut poeta iusta ac sana eius ingenii aestimatione in sempiterna hominum memoria imtigniore quodam prae ceteris Romanorum poetis cultu habitus 'sit; tum yero singularis cuiusdam ac ndrae aestimationis vestigia Inda- gando persequamur et e fontibus derivemus, quae praecipue in cevioni- ÖU8 ac sortibus quas dixerunt Virgilianis, in allegorica nonnullorum huius poetae inierpretatione , in fabulis portentosis de eo fictis et circumlatis, denique in mystica üla huius poetae quasi transfiguratione a Dantio Italo suscepta conspicua sunt.

9. Plauen.] Aus dem Lehrercollegium schied vor dem Schlosse des Schuljahrs der Gymnasiallehrer Volkmann, welcher bisher das Amt eines zweiten Religionslehrers verwaltet hatte. An seine Stelle trat der Predigtamtscandidat Vogel. Gymnasiallehrer Vogel und Zeichnenlehrer Heubner feierten ihr 25 jähriges Amtsjnbilänm. Die Zahl der Schüler betrug am Schlüsse des Schuljahrs 200 (I 15, II 18, III 25, IV 18, V 36, VI 40, I real. 5, II real. 7, III real. 33). Abi- turienten Ostern 1856 5, Michaelis 1856 2. Dem Jahresbericht geht Toran eine Abhandlung des Gymnasiallehrers Dr Beetz: über ctUaeau- stische Curven oder Brennlinien durch ZurüchOerftmg (22 S. 4).

10. Zittau.] Die Vermehrung der Schülerzahl machte beim Anfang des neuen Schuljahrs die Anstellung eines sechszehnten ordentlichen Lehrers noth wendig. Als solcher trat Habenicht ein. Der Candidat Häusel hielt sein Probejahr ab. Das Lehrercollegium bestand aas folgenden Lehrern : Director K ä m m e 1 , Conrector Lachmann, Preszler, Subrector Michael, Cantor Scheibe, Lange, Dr Jahn, Cantieny, Dietzel, Dr Seidler, Dr Knothe, Seidemann, Dr Tobias, Bluhm, Schulze, Habenicht, Garbe (Schreib- lehrer). Das Schuljahr schlosz mit 242 Schülern in 10 Klassen (I 10, II 18, III 22, IV 13; I r. 12, U r. Abth. 1 20, Abth. 2 25, III r. 42, Progymn. I 39, II 32). Abiturienten 8. Dem Jahresbericht geht voraus: Versuch Ober den Begnff des Kunststils, Vom Conrector Lachmann (24 S. 4).

11. Zwickau.] Nachdem am 24. October 1856 der Director des Gymnasiums , Dr ß i e c k , sein Amt niedergelegt hatte , übernabm Pro- rector Dr Heinichen, zum Professor ernannt , interimistisch die Di- rection der Anstalt. Unter dem 5. December 1856 wurde dem Professor Dr Fr. Er an er an der Landesschule zu Meiszen die Stelle des Direc- tors übertragen, demselben aber gestattet sein neues Amt erst zu Ostern

1857 mit Beginn des neuen Cursus anzutreten. Dem Oberlehrer Opits wurde der gesamte Religionsunterricht übertragen; Dr R. Franke wurde als Gymnasiallehrer angestellt. Die Zahl der Schüler betrag bei dem Schlüsse des Sommersemesters HO (I 10, II 13, III 20, IV 23, V 26, VI 18). Abiturienten Ostern 1857 6, Michaelis 1857 2. Dem Jahresbericht voran steht die Antrittsrede des Directors (17 S. 4).

Fulda. Br Ostermann.

Personalootizeo. 291

Personalnotizen.

Anstellungen, BefSrderungen 9 Tergetsungen t

Ahn, Dr K., Sappl. am Gyxnn. in Cilli, zum wirkl. Lehrer 6m, Amati, Amatns, provisor. Gymnasiall., zum wirkl. Lehrer für die lombard. Staatsgymnasien ern. Argenti, DrEug., Lehramtsc. und Sapplent , zum wirkl. Lehrer am kk. Obergymnasium zu Veroiia ern. -^ Bahr dt, Dr Heinr., als Oberl. am Gymn. zu Colberg angestellt. Bellinger, Prof. am Gymn. in Hadamar, zum Bector am Pädagog. in Dillenburg ern. Belyiglieri, Karl, Lehramtscandidat , zum wirkl. Lehrer für die lombardischen Staatsgymnasien ern. Blümel, Emil, ord. Lehrer an der Realschule in Graudenz, in gl. Eigenschaft an das Gymnasium in Hohnstein yers. Bbhnstedt, DrKarl, yorher an d. Bealsch. in Perleberg zvoä ord. Lehrer am Gymn. in Elrotoschin ern. Bortoli, Job., de, Lehramtscand. , zum wii'kL Lehrer am Gymn. zu Spalato ern. Breiter, Dr, ord. Lehrer am Gymn.' zu Hamm, in gl. Eigensch. an das Gymn. zu Marienwerder y ersetzt. Burckhardt, Dr Jac, Prof. am Polytechn. zu Zürich, zum ord. Prof. der Geschichte an der Uniy. u. am Pädagog. zu Basel ern. Clebsch, Dr, yon der Königsstädt. Healschule in Berlin als ord. Lehrer an das 'franz. Gymn. daselbst yers. Clodigh, Dr Joh., Lehramtscand., zum wirkl. Lehrer am kk. Obergymn. zu Udine ern. Denicotti, Dom., Lehramtscand« sum wirkl. Lehrer am kk. Obergymn. zu Cremona ern. Drbal, Dr Matth., Suppl. am kk. Gymn. zu Linz, zum wirkl. Lehrer ernannt. Ebert, Heinr., Conrector in Spandau, zum Oberlehrer am Gymn. zu Starg^d befördert. Fabricius, Lehrer am Gymn. in Kastenbarg, som ord. Lehrer am Altstädtischen Gymnasium in Königsberg ern. Fischer, Frdr. Wilh., Lehrer, als ord. Lehrer am Gymn. zu Colberg ang. Fischer, Dr Heinr., zum ord. Lehrer am Gymn. zu Greifs« wald ern. Fusinato, Job., Lehramtscand. u. Suppl. am Gymn. San Procolo in Venedig, zum wirkl. Lehrer für die yenetianischen Staats- gymnasien ern. Garke, Dr, Oberl. am Pädagog. zu Halle, als Prof. an das Friedrichsgymnasium zu Altenburg berufen. Gilbert, Alfr., Diaconus ttn Herbsleben im Gothaischen, zum 8n Prof. an d. königl. Landesschule zu Grimma ern. Girschner, Dr Nestor, als Pro- rector am Gymn. zu Colberg angest. Gruhl, Emil, Gymnasiall. zu Lyck, zum ord. Lehrer am Gymnasium zu Greifswald ern. Hetzel, SchAC. aus Wiesbaden, zum CoUabor. am Gymn. zu Hadamar ern. Hilliger, Ludw., Predigt- u. SchAC, -als ord. Lehrer am Gymn. zu Greiffenberg in Pommern angest. Jahn, Dr K. Frdr., Conrector an der Knabenschule in Schwedt, zum ord. Lehrer am Gymn. zu Königs- berg in d. N. ernannt. Jandaurek, Jul., Suppl., zum wirkl. Lehrer am Gymn. zu l'arnow. ern. Jaseniecki, Paul, Priester, zum g^iech.- kath. Religionslehrer am Gymn. zu Sambor ern. Ilnicki, Bas., Lehrer am Gymn. zu Stanii^awow in gl. Eigensch. an das akad. Gymn. zn Lemberg yers. Intra, Job., proyisor. Gymnasiall., zum wirkl. Gymnasiallehrer für d. lombardischen Staatsgymnasium ern. Kalis, Präceptor , auf die 2e Lehrstelle am untern Gymn. in Bottweil befördert.

Karpinski, Andr. , Suppl. am Untergymn. in Bochmia, zum wirkl. Gymnasiall. ebendas. ern. Kellner, Mich., Suppl. am kk. Gymn. zu Cilli, zum wirkl. Lehrer ern. Kleiber, Collab. am Gymn. zu Leobschütz, zum ord. Lehrer an ders. Anst. befördert. Kleinei- dam, SchAC, als Ir Collab. am Gymn. in Neisze angest. Kleisz- ner, Mich., Suppl., zum wirkl. Religionslehrer am Gymn. zu Eger ern.

Kluge, Dr, Lehrer am Waisenhaus und tKatechet zu Leipzig, als

292 Personalnotizen.

Prof. an das Friedrichsgymn. zu Altenburg berufen. Küstlin, Prof. Dr, Privatdoc, zum ao. Prof. der Philosophie an der Univ. Tübingen ern. Kornicki, Adalb., Suppl., zum wirkl. Lehrer am Gymn. zu Brzezan bef. Kräh, Dr £d., Ober!, am Altstadt. Gymn. in Königs- berg, zum Director der Realsch. in Insterbnrg ern. Krahner^ Dr Leop., Conrector am Gymn. zu Friedland in Mecklenburg, zum Dir. am Gymnasium zu Stendal ern. Krystyniaki, Joh., Snppl-, smn wirkl. Lehrer am zweiten Gymn. zu Lemberg ern. Künzer, SchAC^, als wissenschaftlicher Hülfslehrer am Gymn. in Marienwerder angest. Kuhse, ord. Lehrer an der hohem Bürgerschule in Culm. in gleicher Eigenschaft an das Gymn. zu Lyck vers. Lade, Kector am Plidag. in Dillenburg, zum Prof. am Gymn. in Hadamar ern. Lange, Dr Alb., Privatdoc. in Bonn, zum ord. Lehrer am Gymn. zu Duisburg ern. Leidenroth, Dr Jul., an der Realsch. in Lübben, als ord. Lehrer am Gymn. in Hamm angest. Lepaf , Job., Gymnasiall. in Iglau, zum wirkl. Lehrer am Gymn. zu Tropflau cm. Liehhardt, Dr Job., Weltpr., zum Religionslehrer am Gymn. zu Kaschau ern. > Löwe, Dr Job. Heinr., ao. Prof. d. Philosophie an der Prager Univ., zum ord. Prof. ebendas. ern. Madiera, Ant., Gymnasiall. zu ^eu* sohl, zum Lehrer am kath. Gymn. zu Pressburg ern. Maresch, Ant., Snppl. am kk. Gymn. zu Gratz, zum wirkl. Lehrer ern. u. dann an das Gymnasium zu Pressburg versetzt. Markieifioz, Mich., Nebenlehrer der poln. Sprache am Gymnasium zu Tamopol, zum wirid. Lehrer ern. Marufic, Ant., Weltpr., zum Religionsl. am Gymn. zu. Görz ern. Meibom, Dr von, Unterstaatsprocurator in Marburg, zum ord. Prof. der Rechte an d. Univ. Rostock ern. Mönch sroth^ Her Yon, Lehramtsc, erhielt die le Lehrerstelle am untern Gymn. in Rottweil. Müller, Prof. am Gymn. zu Hadamar, von den provis* Functionen eines Referenten in Schulsachen bei der Landesregiemng entbunden und zum Prof. am Gelehrten -Gymn. zu Wiesbaden ern. Müller, Job., Suppl. am Gymn. zu Fiume, zum wirkl. Lehrer ern. Mnttke, Collab. am Gymn. zu Neisze, zum ord. Lehrer befördert ' Mutzl, E., Assistent an der Studienanstalt in Bamberg, zum Stadien], an d. lat. Schule in Straubing ern. Nauck, Dr Aug., A'dinnot am Joachimsth. Gymn. in Berlin, zum Oberl. am Gymn. zum grauen Klo- ster das. ern. Nedok, Jos., Suppl., zum wirkl. Gymnasiallehrer n Rzeszow befördert. Nenmann, Vinc, Gymnasiall. zu Keuhaus, in gl. Eigenschaft an das Gymn. zu Troppau vers. Nitzseh, Dr O., Oberlehrer am Gymn. zu Duisburg, zum Prorector am Gymn. zu Greifs- wald ern. Passow,Wald., Adi. am Pädagog. in Puttbus, zum ord« Lehrer an der Realschule in Stralsund ern. Pisoni, Frz, Weltpr., Lehrer und provis. Dir. des Gymn. zu Roveredo, zum wirkl. Lehrer ern. Reicnenbach, Dr Rad., als ord.lLehrer am Gymn. zu Col- berg angest. Roseck, DrWalth., Collab. an d. lat. Hauptsehnla zu Halle, zum ord. Lehrer am Gymn. in Mühlhausen ern. Rosen- hauer, DrW. G., Privatdoc, zum ao. Prof. in der philopoph. Facultlt der Univ. Erlangen ernannt. / Roudolf, ord. Lehrer Am Gymn. in Neusz, zum Oberl. befördert. Sägert, Carl, Lehrer, als ord. Leh- rer am Gymn. zu Colberg angest. Saltiero, Karl, Lehramtscand., zum wirkl. Lehrer für die lombardischen Staatsgymn. ern. S oh aper, Dr, Lehrer am Gymn. zu Tilsit, zum ord. Lehrer am Altstadt. Gymn. in Königsberg era. Scherbor, Dr Karl, SchAC., zum 3n AdL an der Thomasschule zu Leipzig em. Schiekopp, wissensch. Httlfsl. am Gymn. zu Tilsit, zum ord. Lehrer ebendas. befördert. Schmidt, Gymuasialdirector. in Osnabrück, mit Wahrnehmung der Stelle eines geistl. Raths im das. kön. kathol. Consistorium beauftragt. Schnel- ler, Christi., Suppl. am kk. Gymn. zu Roveredo, zum wirkl. Lebrer

Personalnotuen. 293

ebendas. em. Seidel, Dr Rieh., als ord. Lehrer am Gjmn. in Col- berg angest. Simon, Lic. Dr Aug., Privatdoc. in Königsberg, znm ao. Prof. in der theol. Facultät der das. Univ. ern. Skornt, Job., Suppl., znm wirkl. Lehrer am Gymn. zu Tamow ern. ßoltjs, Ign., Suppl. u. Lehramtsc. am Gjmn. zu Stanialawow, zum wirkl. Lehrer am Gjmn. zu Tamow em. Sorof, Dr Gust., ord. Lehrer am Marien- Magdal.-Gymn. in Breslau, znm Oberlehrer am' Gjmn. zu Potsdam ern. '. Sporer, Dr, Professor am Gymn. zu Hadamar, erhielt proTis. die Fonetionen eines Referenten in Schulsaohen bei der herz.-nassauischen Landesregierung in Wiesbaden. Stanek, Frz, Gymnasiallehrer zu Presffburg, in gl. Eigensch. an das Gymn. zu Brtinn Ters. Stechow, Dr Frdr., Oberl. am Friedrich-Werderschen Gymn. in Berlin, zum Dir. des Gymn. in Colberg ern. Szavaniewicz, Isid., als wirkl. Leh- rer am akadem. Gymn. zu Lemberg eingerückt. Theissing, Lehrer am Progymn. in Rheine, am Gymn. zu Warendorf angest. Thurin, Casp., Weltpr. u. Suppl., zum wirkl. Lehrer am Gymn. zu Warasdin ern. Tticking, Dr, Hülfslehrer am Gymn. in Münster, als ordentl. Lehrer an d. Gymn. zu Coesfeld vers. Urban, Em., Gymnasiall. zu Ofen, in gl. Eigenschaft an das Gymn. zu Troppau vers. Vasek, Ant., Suppl. am Gymn. zu Troppau, zum. wirkl. Lehrer am Gymn. zu Iglau em. Wagler, Emil, Conrector, als Conr. am Gymnasium zu Colberg angest. Walz, DrMich., Gymnasiall. zu Kaschau, zum Lehrer am kath. Gymn. zu Pressburg ern. Weis, Dr u. Prof. iur. zu Wurf bürg, als Rath an das Appellationsgericht in Mittelfranken ▼ers. Wratschko, Suppl., zum wirkl. Gymnasiallehrer zu Warasdin befördert. Wuttke, SchAC, als Collab. am Gymn in Neisze angest.- Zelechowski, Just., Priester, zum griech.-kathol. Religionslehreram Oymn. zu Przemysl. ern.

Praedlcierangen und Ehrenbexeoguiigeii :

Bergmann, Jos., Custos der Ambraser Sammlung und am kk. Münz- und Antiken- Cabinet in Wien, zum ausw. Mitgl. der k. bayeri- schen Akademie lu München ern. Blase, ord. Lehrer an der Ritter- akademie zu Bedburg, als Oberl. prädiciert. Chmel, Jos., kk. Re- gierungsrath in Wien , zum corresp. Mitgl. d. kön. Gesellschaft der Wis- aenschaften in Göttingen ern. Flügel, Dr Gust., Prof. zu Dresden, cum corresp. Mitgl. der kais. Akademie der Wissensch. zu St Peters- burg em. Löwe, Herm., 7r Oberlehrer an der königl. Landesschule zu Ghrimma, als Prof. prädiciert. Rot he, Dr Frdr., ord. Lehrer am Gymn. zu Eisleben, als Oberlehrer prädic. Weyl, ord. Lehrer am Kneiphöf. Gymn. zu Königsberg als Oberl. präd.

Pensloniernngen :

* Burger, Dr J. F., Studienlehrer an d. lat. Schule zu Straubing, auf sein Gesuch auf ein Jahr. Die Oberlehrer Rector Hertel und Rectoc Dr Rüdiger am Gymnasium zu Zwickau.

Todesfftlle i

Am 12. Oct. 1857 zu Teschen Ludw. Paul Wieland Lütke- müller, provisor. Lehrer am kk. kathol. Gymn. das., früher protest. Prediger zu Brüssel, geb. am 8. Mai 1810. Am 24. Oct. zu Strasz- gang bei Gratz Dr Wenzel Müller, Prof. der Physik u. Mathera. am kk. Gymnasium zu Ofen. Am 13. Nov. zu Tassarolo bei Novi der bekannte Naturforscher Marohese Massim. Spinola im 70. Lebens- jahr. — Am 6. Dec. zu Pressburg d. emer. Prof, d. griech, Bprache u.

x

294 Personalootizen.

Litteratur Gregor Alois Denkovzky, geb. 16. Febr. 1784. Im Dec. zu Pisa der bekannte Chemiker Prof. Dr. Ces. Bertagnini. Qögen Ende 1857 zu Acton der durch wissenschaftliche Arbeiten be- rühmte Botaniker DrForbes Rojle. Am 6. Jan. 1858 zu Meran Fat. Magnus Tschenett, Lehrer der Mathematik am das. Gjmn. u. Regens des Knabenconvicts , im noch nicht vollendeten 41. Lebensj. 9. Jan. zu Saaz Fat. Octavian Neuzil, Lehrer der Ge9chichte und des Deutschen am kk. Obergymn. das. im 38. J. seines Lebens. Am. 17. Jan. zu Triest der Dir. des botanischen GarteuH, Dr Biasoletto, als Naturforscher verdienstvoll. Am 30. Jan. zu Berlin der Frof. am Friedrich- Wilhelms-Gymn. G. Drogan. Am 14. Febr. zu Wien Jos. Jenko, Pension. Frof. der Mathematik an der das. Universität, im 83. Lebensj., von vielen ausgezeichneten Schülern geliebt und geachtet. Am 27. Febr. Prof. Wert her, Prorector am Gjmn. zu -Herford. Am 28. Febr. in Frankfurt a M. der. bekannte Historiker und Dichter, geistl. Rath und kath. Stadtpfarrer Beda Weber, geb. 20. Oct. 1708 zu Lienz in Tirol. Im Febr. zu Leyden der Director des natorhiator. Museums Tomminek, Verfasser einer Schrift über NiederlKndisdi- In- dien, im 80. Lebensj. Am 4. März in Sti:^tgart der Director der k. Ober-Real - und Real-Anstal^, Job. Frdr. v. Kieser, 68 Jahr ajt. 15. März in Berlin, Prof. med., Geh. Medicinalrath Dr Dietrich Wil- helm Heinrich Busch, geb. zu Arnstadt 1788, 1829 von Marburg nach Berlin berufen. An dems. Tage in Brüssel der Dir. des botani- schen Gartens und Mitglied der Akad. Heinr. Wilhelm Galeo^ti» geb. 10. Sept.* 1814. An demselben Tage in Gotha, Oberst Ja 1. von Plänckner, geb. zu Penig, ein ausgezeichneter Geograph und Karten- zeichner. — Am 16. März in Breslau Dr Nees von Esenbeck, seit 1817 Präsident der Leopoldinischen Akademie, seit l£(ö2 von der ord. Professur an der Univ. entlassen, geb. 14. Febr. 1776 bei Erbacb. Am 18. März in Berlin Frz Kugler, Geh. Ober Reg.-Rath und Prof., geb. 19 Jan. 1808, bekannt durch seine Forschungen auf dem Gebiete der Kunstgeschichte. Am 20. März zu Zerbst der Oberlebrer ^m das. Gymnasium, Prof. Fried r. Sintenis. Am 4. April in Zittau der Gymnasiallehrer Gott fr. Cantieny. Anfangs April in Strassborg Dr Ludw. Schneegans, Archivar der Stadt Straszbnrg und Korre- spondent des Staatsministeriums für die gescbichtlichen Denkmale, 45 J. alt. Am 7. April in- Wien Dr Jos. Alois Jystel, wirkl. Geh. Rath, gewesener Rector magnif. d. Univ., vor 1848 thatsächl. Unterrichtsmi- nister, geb. zu Leitmiritz 7. Febr. 1765. Am 12. April in Berlin der Cnstos der kön. Bibliothek, Prof. Siegfried Wilhelm Dehn.

Zweite Abtheilimg

äerausgegeben tob Rudolph Dietsch.

18.

Goethes Lehen und Schriften, Von G. U. Lew es, Uebersetzi f>on Dr Julius Frese. Berlin, Franz Dancker 1857. 2 Bde. 8. I S. 357 u. XII. II S. 384 u. XVI. ♦)

Haben die deutschen Forseber und Darsteller des goetheschen Lebens nnd Wirkens meist bittere Klage über die Abgunst oder Gleichgültigkeit der Lesewelt zu führen, die ihre Verstimmung gegen den Dichter auf sie überträgt und alle so berechtigten wie dankens-> werthen Bestrebungen zu seiner Aufhellung achselzuckend ablehnt, so bat dagegen das Werk eines Ausländers neuerdings der allergfinstig* Sien Aufnahme sich zu erfreuen gehabt, so dasz es nicht blos von deir bedeutendsten Stimmen der Oeffentlichkeit gepriesen, sondern auch in zwei verschiedenen Ausgaben übersetzt unter uns einen weiten Leserkreis gewonnen. Leider müssen wir gestehn, dasz dieser reiche Beifall mehr darin begründet lag, dasz es das Werk eines Ausländers als das^ es durch eine neue groszartige Auffassung, lebenswarme Darstellung, sorgfältige Forschung sich desselben würdig gemacht. Wir sind weit entfernt den Ausländern die Befugnis streitig machen %n wollen, über unsere groszen Dichter mitzusprechen, vielmehr freuen wir uns der begeisterten Theilnahme, welche diese in England und Schottland gefunden, da man dort, wie mir neuerlich ein mit Goethe innigst befreundeter höchst schätzcnswerther Mann schrieb, der Ueber- sengnng lebt: ^the glory of Goethe is the glory of that entire Teutohio race to which we all, Germans, English and Scotch, alcke belong': aber gerade diese Gunst, welche das Werk des Engländers gefunden, wirft ein um so grelleres Licht auf die Ungerechtigkeit, welche die gleichen auf eindringende Studien gestutzten Bestrebungen unserer deutschen Landsleute verfolgt. Wir freuen uns, dasz viele endlich dem Engländer glauben ,- worauf Deutsche vergebens so lange, wahr-

*) Die Urschrift : Tho lifo and works of Goethe : with skctschos of his age and contemporaries, from published and unpublished sonrees. By G. H. Lewes , erschien zu J^ndon im Jahre 1855 in zwei Bünden.

iV. Jahrb, f. Pfui. u. PMd. Bd LXXVIII. 6. 20

296 Lowes: Goethes Leben und Schriften.

lieh nicht weniger triftig nnd mit viel genauerer Kenntnis , hingewie- sen: aber beschtmend ist es, dasz man deutsciie auf tüchtigster Grund- lage beruhende Werke bekämpft, verleumdet, verspoltet, um alle Ehre dem Ausländer zu bieten, der auf ihren Schultern steht. Wer das, was bisher für Goethe geschehen, genau kennt, kann jenen Beifall nur höchst unverdient finden , wie erfreulich es auch für ihn sein mnss, der aus Neid, Parteilichkeit nnd Unkenntnis gegen Goethe aufgestas- denen Schaar gegenüber diesen von einem Engländer als einen wahr- haft groszen Mann begeistert verkündet zu sehn. Dem allgemeinen Lobe des Buches von Lewes haben bisher wenige zu widersprechen gewagt; nur. Schäfer und seine Freunde haben auf die zahlreichen wörtlichen Entlehnungen aus seinem Werke hingedeutet, der gepriese- nen neuen Erscheinung den Werth gründlicher Forschung nnd tiefer Auffassung abgesprochen , und ganz neuerdings hat Adolf Scholl in * Weimarer Sonntagsblatt' (Nr 60. 52) ein wol begründetes entschieden ungünstiges Urteil über das Buch von Lewes gefällt. Wir können uns nach genauester Einsicht nur im vollsten Masze mit Schäfer und SchöU einverstanden erklären, wenn wir auch manche gelungene AusfOhrnng zugestehen und der die ganze Beurteilung Goethes durchziehende Geist warmer Liebe und innigster Verehrung wolthätig uns anweht. 'Das Buch enthält mehr Flitter und Gerede als wahren Gehalt, und die viel- gepriesene Kunst der Darstellung hält vor genauerer Betrachtung nicht| vielmehr vermissen wir jede reine Entwicklung und die wahre Kunst glücklicher Anordnung.

Fragen wir zunächst nach der Zuverlässigkeit der Angaben Ton Lewes, so tritt hier gleich eine der schwächsten Seiten des Baches hervor, welche den Werth desselben als Lebensbeschreibung höehst bedenklich erscheinen läszt. Der Verfasser berichtet uns selbst, er habe Goethes eigene Bekenntnisse in ^Wahrheit nnd Dichtung' und deren verschiedene Fortsetzungen aus gleichzeitigen Zeugnissen be» richtigt, für die spätere Zeit neben der Masse gedruckter Nachrichten auch manche Schriftstücke benutzt, *die nie das Licht gesehen haben und wahrscheinlich nie sehen werden', dann auch diejenigen befragt^ die unter demselben Dache mit ihm gelebt oder in freundschafllicheB Verkehr mit ihm gestanden oder aus seinem Leben und seinen Werken ein besonderes Studium gemacht. Indem er so ein Zeugnis mit des andern verglichen , das gestern gelernte durch das heute gelernte er- gänzt, nicht selten zu einem einzigen Satze durch Einzelnheilen ge- langt, die ihm von sechs verschiedenen Seiten zugegangen, sei er in den in diesem Werk dargelegten Ergebnissen gelangt. Leider ist die hier so bedeutsam hervorgehobene Ausbeute von neuem, wie wir nadi genauester Vergleichung aussprechen müssen, höchst unbedentend. Den Briefwechsel des Herzogs Karl August mit Goethe durfte Lewei freilich einsehn , aber wir vernehmen daraus nur, was wir längst wüs- ten , dasz Goethe später gegen den Herzog einen respectvollern Ton anschlug und die ernstere Haltung eines altern Freundes und Führmv annahm (II 29 f.). Nur einmal ([ 281 f.) wird auf eine Aenssera^g

Lewes: Goethes Leben and Schriften. 297

eines (nngedrnckten) Briefes des Herzogs an Goethe hingedeutet, aber die betreffende Stelle ist langst wörtlich bei Riemer (II 19 f.) zn lesen. Die zwei Stellen aas Briefen der Herzogin Amalia an Goethes Mutter (1 277) sind nicht sehr bedeuteiid, und andere bekannte Briefe derselben an Merck und Knebel gewis eben so bezeichnend. Auszer diesen fin- den sich nur zwei Briefe Goethes an die Herzogin Amalia in Betreff, Herders (I 284)'*') und eine Aeuszerung aus einem an Christiane Vul- pins (II 82) angefahrt. Weiter erstreckt sich die Benutzung unge* dmckter Schriftstücke nicht, was höchlich zn verwundern, da dem Verfasser das groszherzogliche und das goethescbe Archiv zn Gebote standen und er in der Vorrede mit solchem Nachdruck davpn spricht. Mag er anch in Bezug auf die Mittheilung daraus beschränkt gewesen seiD,*dasz er nicht mehr darans zu geben wüste zeigt deutlich, wie wenig er die ihm zu Gebote stehenden Mittel benutzt. Einige Angaben verdankt Lewes Goethes geistreich liebenswürdiger Schwiegertochter (1279. Goethes merkwürdiges Geständnis bei 'Eckermann III 67 f. war hier nicht zu übergehen. II 199), von der auch vielleicht ein paar andere Bemerkungen stammen (11222,303), anderes berichtete der SecretSr Kräuter (I 103, 308 f.). Was er sonst noch von besondern Kennern Goethes erkundet haben möchte, wüsten wir kaum zu sagen; was I 259 aus ^guter Quelle' berichtet wird, möchte auf Misverständnis beruhen (etwas ähnliches wissen wir von der Herzogin Mutter berich- tet. Vgl. Lndecus ^ alis Goethes Leben^ S. 67), und von Minna Herzlieb (II 311) wüsten wir bereits früher. Ein paar Aeuszerungen von Rauch (II 101. 158) und der Brief Thackerays über seinen Aufenthalt zu Wei- mar (II 377 ff.) können kaum in Betracht kommen.

Ist so das neue, was Lewes an geschichtlichem Stoffe bietet, gar nicht hoch anzuschlagen , so steht es um die Benutzung des vorhande- nen viel schlimmer; denn wir vermissen hier gehörige Kritik wie ge- naue Bekanntschaft mit den Quellen und den bisherigen Forschungen. Wir wollen es dem Vf. nicht zum Vorwurf machen, dasz er der Dar- stellung in ^Wahrheit und Dichtung' noch an manchen Stellen gefolgt ist, wo sich die Irrigkeit nachweisen läszt, aber dasz er den Klatsche- reien Böttigers (I 277. 287 f.) unbedingten Glauben schenkt, nicht we- niger allen Erzählungen Bettinens ans Goethes Jugendjahren, und Falks Berichte, wie I 293 f., für ganz unverfälscht hält, zeugt vom Mangel richtiger Würdigung. Manche Briefwechsel, wie- den Knebeischen, den Lavaterschen, den Jacobischen, um weiter entlegener nicht zu gedenken, scheint Lewes kaum näher gekannt zu haben ; er begnügte sich mit dem, was Riemer, Schäfer, Viehoff, Rosenkranz, Gervinus, seine Haupt- quellen, ihm boten. Noch viel weniger hat er die Untersuchungen. über Goethes Leben und Werke sich angeeignet. Dazu kommt, dasz er selbst manches leichtfertig, ohne irgend eine stichhaltige Begründung uns berichtet, und vielfache Irthümer sich zu Schulden kommen läszt.

*) Man vergleiche hierzu jetzt die Mittheilungen von Diezmann im 'Qoethe-Schiller.Museam' S. 147 ff. aus Briefen Goethes an den Herzog.

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298 Lowes: Goethes Leben und Schriften.

Einzelne Beispiele mögen die völlige UnZuverlässigkeit von Lewes darlhun.

I 28 musz es heiszen: ^Kurz vor dem Tode dieses Bruders' statt bald nach; denn jener Bruder starb, was Lewes unbekannt war, am 11. Januar 1759. Dasz Goelhe irrig den Actuar Salzmann 1770 als einen sechzigjährigen bezeichnet, hatte Lewes (1 82) aus meinen ^Fraucn- bildcrn' (S. 15) ersehn können. Pfeiffers Mystißcation mit den fran- zösischcn Versen hätte wahrlich nicht eine so weitläufige, die Ent- scheidung offen lassende Erwähnung (I 80) verdieuL Bergk hat nener- dings (Acht Lieder von Goethe S. 24) die zuverlässige Auskunft gege- ben, dasz ein französischer Sprachlehrer aus Besanpon in Altena die Verse nach Pfeiffers Anleitung verfertigt; da, wie ich zuerst nachge- wiesen und Lewes zugibt, das ganze Buch Pfeiffers eine Täuschung ist, verstand sich dieses auch von jenen Versen. Wunderlich ist es, wie der Uebcrsetzcr (S. IIO) sich auf Pfeiffers ^Sesenheimer Lieder- buch' beziehen kann. Die Beziehung der beiden Lieder ^Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg' und ^Blinde Kuh' auf Straszburg (l 94) ist eben so halllos als der darauf gestützte Beweis von ^Liebeleien' da- selbst. Es ist ein entschiedener Irthum, wenn man glaubt, bei allea einzelnen Liebesliedern Goethes lägen wirkliche Beziehungen zu Grun- de; dasz er schon in Sesenheim manchen Melodien Texte untergelegt, berichtet er uns selbst. Dasz der I 109 erwähnte Besuch zu Sesen- heim nicht in den November fallen kann, ist augenfällig; aber Lewes kümmert sich bei der ganzen Darlegung der Sesenheimer Liebesge- schichte gar wenig um entgegenstehende Bedenken, ja er weiss uns sogar zu berichten, welch ein Lied Friderike gesungen, als sie beim Mondschein mit Goethe und Weyland ins Freie gieng (I 105), wovon freilich bei Goethe und sonst nichts zu lesen. Die Rede auf Shakespeare (I 113 ff.) oder vielmehr der nach Straszburg einge- schickte Vortrag gehört erst in das Frühjahr 1772 , nach dem ersten Entwurf des ^Götz'. Ganz falsch ist es, wenn es I 124 heiszt, Goe- the habe 1771 ^ wegen seiner Wildheit' bei Freunden den Spitznamen Bär und Wolf gefüJirt. Goethe berichtet (B. 22, 285), er sei (im Jahre 1774) Svcgen oftmaligen unfreundlichen abweisens' von Einladnngen, in Gesellschaft zu erscheinen dort wol als Bär angekündigt worden. Der Name Wolf, womit die Stolberge ihn 1775 bezeichnen, ist Abkür- zung des Vornamens Wolfgang, worüber meine ^Freundesbilder^ S. 156. So verwirrt also Lewes das verschiedenste und entstellt es. Dais die Abänderungen, welche der erste Entwurf des ^Götz' erfahren, sehr unbedeutend seien und hauptsächlich in der Weglassung zweier Sce- nen bestehen sollen (1 167), ist durchaus unwahr. Die Umgestaltung des Stückes ist eine durchgreifende, und liefert den erfreulichsten Be- weis von der in kurzer Zeit gewonnenen höhern Ginsicht und der sel- tenen Selbstüberwindung des jungen Dichters, der mit besonnenster Gewissenhaftigkeit dem ihm vorschwebenden Bilde eines eben so na- türlich wahren als maszvoU schönen Kunstwerkes nachstrebte. Das lag schon früher unverkennbar vor, ehe noch Goethes Briefe an Herder

Leires: Goelbes Leben vtnä Schriften. 299

uns die eigene Sliiflmnng des Dichters verriefhen. Dieser so bezeich- nende Fortschritt ist aber für Lewes , der sich an Viehhoff sehr unge- nau hält, gar nicht vorhanden. N^cht im Frühjahr (I 170), sondern im Sommer 1773 erschien Götz ; die Zeit, in welche die Umarbeitung fällt, ergibt sich aus Goethes Briefen an Kestner. Wenn I 175 behauptet wird, Goethe habe von seinem ^Mahomet' nur ^Mahomets Gesang' nie- dergeschrieben, so ist hierbei ganz unbeachtet geblieben, dasz Goethe selbst der das Stück beginnenden Hymne gedenkt, nnd dasz diese be- reits 1846 von Scholl in den mehrfach von Lewes angeführten ^Briefen und Aufsätzen von Goethe' bekannt gemacht worden. Dasz die Farce auf Wieland vor dem Mai 1774 geschrieben worden (I 179), ist freilich richtig; aber Lewes hätte wissen sollen, dasz sie bereits in den ersten Monaten des Jahres erschien. Lessing gedenkt ihrer schon unter dem 20. April. Vgl. meine ^Fraueubilder' S. 212 I 181 werden wir be- lehrt, dasz Stahr zuerst das richtige Datum der ersten Zusammenkunft des Herzogs mit Goethe im Briefwechsel Knebels gefunden ; dies sei Goethes Bericht zum Trotz unzweifelhaft der 11. Februar 1774. Wäre die Entdeckung richtig, so gehörte sie dem Herausgeber des wol von Lewes gar nicht eingesehenen Briefwechsels zwischen Goethe und Knebel, dem trelTlichen Guhrauer, dessen Herausgabe jenes Briefwech- sels, freilich aus ganz besondern Gründen, seine sonstige Genauigkeit sehr vermissen läszt. Allein wer nur irgend auf das Leben Goethes während des Jahres 1774 einen Blick wirft, sieht die Unmöglichkeit ein, dasz jener Besuch in den Februar gefallen; aus urkundlichen Nachrichten wissen wir, dasz der Herzog damals noch keine Reise an- getreten, diese erst in den December fällt. In meinen Treundesbildern', die, wie so manches andere, für Lewes gar nicht vorhanden, habe ich S. 420 bemerkt, dasz in der Urschrift des Briefes wirklich December (10 br.), nicht Februar steht, wie denn auch der damit in Verbindung stehende Brief von Henriette Knebel an ihren Bruder vom 19. Decem- cer 1774 datiert ist. Wir verbinden hiermit ein weiter unten I 256 folgendes Versehen , wonach der Herzog, ^eben vermählt, auf dem Wege nach Weimar', im September 1775 in Goethe gedrungen , auf einige Wochen ihn in Weimar zu besuchen. Aber die Vermählung erfolgte erst am 3. October, und am 12. kam der Herzog nach Frank- furt; freilich hatte sich dieser auch schon auf der Reise nach Karls- rahe vom 20. September an ein paar Tage zu Frankfurt aufgehalten nnd nnsern Dichter gesehen. Bei Lewes verwirrt sich alles, und er hält es auch nicht einmal für nöthig der von Goethe wirklich ange- tretenen Reise nach dem Süden zu gedenken, welche durch die in Hei- delbsrg cintrefTcnde Nachricht von der Ankunft des Kammerjunkers Kalb mit dem versprochenen Landauer Wagen und durch dessen dring- liche Einladung gehemmt wurde. Schon Scholl hat darauf hinge- wiesen, wie Lewes 1 229 das Verhältnis ganz umgekehrt hat, da die Worte, welche er Lavatcr an die Brauconi schreiben läszt, von dieser an jenen gerichtet sind, und daher für das, worauf es hier ankommt, nichts beweisen. Die neue Behauptung, Goethe nehme in dem gleich

300 Lowes: Goethes Leben nnd Schriften.

darauf angeführten Briefe an Pfenninger auf Spindfca Bezug, ist ganz haltlos; jene Aeuszerung flosz ganz aus Goethes innerster Seele, ist nichts weniger als eine ^Umschreibung einer Stelle in Sffinozas Ethik'. Dasz ^Prometheus' kein Bruchstück (I 241), sondern in den beiden Acten vollendet sei, habe ich mit Beislimmung Schäfers erwiesen, and es liegt thäisächlich vor. Vgl. meine Bemerkungen in der zweiten Ausgabe meiner Schrift über das Stück S. 125 f. Auf blosz^r Ein- bildung beruht die Behauptung (I 250), Merck, Hörn nnd andere Freunde seien Goethes Verbindung mit Lili entgegen gewesen. Die Schilderung Knebels als ^eines offenen, biedern, satirischen Repu- blikaners' (I 283) zeigt zu deutlich , dasz Lowes sich in den zahlrei- chen VeröfTentlichungen aus Knebels Nachlasz gar nicht umgesehen haben kann , wie höchst bedeutsam sie auch für das Weimarer Leben sind. Dafür hat er freilich, wie er sich rühmt ([ 265), nicht ohne Mühe zum Theil entlegene Quellen benutzt, um sich eine Yorstelinnf von den damaligen gesellschaftlichen Zustanden zu machen; aUeia die höchst unvollständige und rohe Darlegung, dasz es damals an jetzigen Comfort gemangelt nnd das Geld in viel höherm Werthe als jetzt stand , ja dasz sich auch das jetzige Thüringen in dieser Besie- hung mit England nicht messen kann *)^ hätte man ihm gern erlassen, und sie trägt gar wenig zur richtigen Beurteilung der Weimarer Ver- hältnisse bei ; eine kurze Hindeutung darauf hätte geniigt. Man Ter- gleiche jetzt Diezman ^Goethe und die lustige Zeit in Weimar'. Anf ganz unverantwortliche Weise wird I 287 eine Aeuszerung über einfcn Abend, wo Goethe sich durch die Abwesenheit der Frau von Stein «n- glücklich fühlte, zum Beweise der Thatsache gestempelt, dasz er in Weimar überall umhergeflattert und jedem schönen Augenpaar den Hof gemacht. Gerade seine Briefe an Frau von Stein strafen die Be- hauptung von einer ^ groszen Zahl flüchtiger Neigungen' (I 399) ent- schieden Lügen. Ein freundliches zusammenleben mit Jüngern and al- tern Damen ist von einer wirklichen Neigung weit entfernt. Man lese nur seine Berichte an die Freundin über die Damen in Eisenach, an sich hiervon zu überzeugen. Freilich fehlt uns im einzelnen hierüber noch manche Auskunft, nnd es wird der Zukunft aufbehalten blei- ben, noch einzelne Beziehungen ins Licht zu setzen: aber eine wirk- liche Herzensneigung in den zehn ersten Jahren seines Weimarer Auf- enthaltes wird nie behauptet werden können. ^ Dasz die Bemerkun- gen über die Ungebildetheit des weimarischen Adels und* das strenge halten auf Hoffähigkeit (I 270 ff.) auf grober Entstellung beruhen, hat

*) Wozu dient die Hindeutung auf die Mäcberlich geringen Ein- künfte des GroBKherzogthum Weimar and die Bcbarf übertriebene Be- merkung, das Volk daselbst sei das dümmste und vielleicht das blas- liebste, unter dem er je gelebt? Das sind höchst wunderliche -Gastge- Bchcnko, die gerade nicht für Feinheit der Sitten zeugen, und die ein ehrlicher Deutscher sich kaum erlaubt haben würde. Kannte denn Lewes das Volk genug, um so über seine ^Dummheit' entscheiden su können ?

Lowes: Goethes Leben and Schriflen. 301

SchöU im einzelnen nachgewiesen. So wenig zeigt Lowes sich ge- schickt, solche Zustände zu beurteilen. Auch seine Charakteristiken Yon Personen sind meist roh und plump, ohne tieferes eingehen und feines , reines erfassen des individuellen.* Wie ungeschickt sind nicht Lavater und Basedow dargestellt, wie unfein die Herzogin Amalia nnd Herder? Von letzlerm heiszt es I 270, er sei ein entschiedener Demo- krat, wogegen wir II 162 lesen, die französische. Revolution habe ihn gar wenig gekümmert. Und doch geben seine und seiner Gattin Briefe unzweideutig za erkennen, mit welcher begeisterten Erwartung sie die Revolution begrüszten, welche grosze Wendung sie später von Napoleon und den Franzosen erwarteten, wie sie mit diesen Gesinnun- gen selbst am Hofe nicht zurückhielten. Dasz I 279 der Kammer- herr von Eiusiedel mit seinem Bruder, dem Bergrath, verwechselt wird, kann bei Lowes eben so wenig auffallen, als dasz I 296 ein Brief des Jahres 1781 zwanzig Jahre später gesetzt wird. I 331 bemerkt Lo- wes, das Sprichwort, es gebe für Kammerdiener keine Helden, habe Hegel tiefsinnig erläutert: nicht darum weil dieser kein Held, sondern weil jener ein Kammerdiener sei; Goethe habe dies als Epigramm wie- derholt. Er meint damit offenbar die Stelle in den ^Wahlverwandt- schaften' nnter den Sprüchen aus Ottiliens Tagebuche (B. 15, 198): 'Es gibt, sagt man, für den Kammerdiener keinen Helden. Das kommt aber blos daher, weil der Held nur vom Helden anerkannt werden kann. Der Kammerdiener wird aber wahrscheinlich seines gleichen Ba 9ohätzen wissen.' Jene Sprüche giengen später unter die ^Maximen and Reflexionen' über. Hegel sagt an der von Lowes angeführten Stelle, er habe zn dem Sprichwort hinzugefügt : ^Nichl aber darum, weil die- ser kein Held , sondern weil jener der Kammerdiener ist', und dieses habe Goethe zehn Jahre später wiederholt. Die ^Wahlverwandtschaf- ten' waren bereits im Herbst 1809 ausgedruckt; Hegel lebte von 1801 bis 1806 in Jena , wo er zuletzt auch mit Goethe verkehrte. Damals mag er gesprächsweise die Aeuszerung gethan , und Goethe daran Ge- fallen gefunden haben; die Wendung, welche dieser dem Gedanken gab, ist eigenthümlich. Auf die willkürlichste Weise wird Goethes Plan, Lessing zu besuchen, als eine Folge der erneuerten Verbindung mit Herder dargestellt (II 26), und auch die letztere irrig auf Rech- nung von Goethes veränderter ernsterer Haltung gesetzt. Die Schuld lag hier auf der Seite Herders und seiner Frau. Von der hohen Be- deutung, welche die innige Verbindung mit Herder von 1783 bis 1794 für Goethe hatte, flndet sich bei Lowes kaum eine Spur. Die Dar- stellung von dem Rückzüge der Preuszen aus der Champagne und von Goethes Freude, dasz es nun mit den Mühseligkeiten des Kriegslebens vorbei sei (II 148), ist durchaus irrig. Lag dem Dichter auch an der Sache selbst nichts, der Rückzug war auch ihm höchst ärgerlich, wie die Art, auf welche derselbe erfolgte, äuszerst beschwerlich. Von diesen Beschwerlichkeiten weisz Lowes nichts, ihm geht der Rück- marsch nur langsam. Dasz Goethe bei der Rückkehr die prächtige Treppe seines Hauses angelegt (II 151), ist irrig; schon gleich nach

302 Lowes : Goethes Leben und Schriften.

der Rückkehr meldet er an Jacobi, dasz er Treppen und Vorhaus wol gerathen gefunden. Der Neubau des Hauses war für ihn nichts weni- ger als eine Ueberraschnng ; er selbst hatte den Plan dazu gemacht, und er halte Jacobi davon unterhalten. Uebrigens ist die ganze Schil- derung von Goethes Haus mit wenigen Zusätzen wörtlich aus Schölls Schrift über Weimar genommen. Entschieden irrig ist es, dass Maltzahn nach den Originalhandschriften der Xenien einigermaszen das Eigeuthumsrecht der einzelnen Xenien nachgewiesen (II 169) ; die Handschrift, welche Maltzahn benutzt hat, erstreckt sich nur auf eine kleine Anzahl Xenien und ist auch bei diesen nicht beweisend, ich habe die Frage genau erörtert in dem ^Archiv für neuere Sprachen' X 74 f. und in der Kölnischen Zeitung 1856 Nr. 239. Lewes, der Aus- länder, hat gefunden, dasz die beiden letzten Bücher des ^Wilhelm Meister\ die fast nur von der Erziehung handeln sollen, den frühera an Stil, Charakter und Interesse jämmerlich nachstehen (II 174) - im geraden Gegensatz zu Schiller, Fr. Schlegel und, wir dürfen hinzu- fügen , jedem vorurteillos urteilenden Leser. Die Sprache werde hier schwach, bisweilen förmlich schlecht, der Stil sei ohne Farbe und Le- ben (II 177), und man brauche nur eine Stelle darin aufs gerathewoki aufzuschlagen, um auf einen oder den andern Satz zu stossen, deu Goethe wol nie geschrieben haben würde, und der sich hlos durch das dictieren erkläre. Als ob Goethe nicht auch die ersten Bücher sub Theil dictiert hätte und seine besten Sachen! Ein Satz, wie der von Lewes angeführte, wo wir lesen ^dasz sie mich auf meinem Wege gerade deswegen, weil es mein Weg ist, keineswegs stören', dürfte sich kaum sonst in diesen Büchern auffinden lassen; Nachlfissig- keiten dieser Art können aber unmöglich die harten Anklagen gegen den Stil begründen. Lewes weisz aber den Unterschied zwischen den sechs ersten und den zwei letzten Büchern sich gar wol zu erklären; es stehe nemlich fest, dasz jene vor, diese nach der italienischen Reise geschrieben worden (U 172. 177). Das also war des Pudels Ker«; jene Thalsache leitete sein Urteil. Allein die Thatsadhe selbst ist na« wahr; denn abgesehen davon, dasz der ganze Roman kurz vor der Herausgabe völlig umgeschrieben wurde, hatte der Dichter vor der italiänischen Reise nicht die sechs, sondern die vier ersten Bacher vollendet. Freilich hören wir vom Dichter slslbst, dasz im Noven- ber 1785 das sechste Buch abgeschlossen worden, aber schon die weitere Bemerkung, dasz er am .8. December den Plan zu nlleB sechs folgenden Büchern aufgeschrieben, muste Lewes die Frage aufnöthigen, ob denn jene ersten sechs Bücher unsern jetzigen entsprochen, und da würde er gefunden haben, dasz, wie SchöU längst bemerkt, jene nur bis zum Ende unseres vierten Buches ge- reicht, womit denn seine ganze gegen die beiden letzten Bücher ge- richtete Batterie zum Schweigen gebracht ist. Ein ganz ähnlicher Yer- stosz ist ihm bei ^Hermann und Dorothea' begegnet'*'). ^Man fahlt%

*) Eben kommen mir die 'Bemerkungen über Goethes nermann und

Lewes: Goethes Leben und SohriRen. 303

schreibt er (II 202), ^dasz die kräftige. Bergloft von Ilmenau, wo er das Gedicht im Laufe von sechs Monaten derllauptsache nach verfaszte, den Dichter aus der matten prosaischen Stimmung erhob und ihm eine ganx sichere Kraft gab.' Aber nahm Goethe auch einzelne Züge vom Stadtchen Ilmenau, so erblickte er dort doch auch nicht ^den Saum des Kleides einer Nuse' ; sämtliche neun GesSnge entstanden zu Jena, die fünf ersten vom August bis zum October 1796, die andern im MSrz 1797. II 229 wird nach- VieholT der bei Goethe sich versammelnde Abeodkreis irrig beschrieben. Nicht die Gräfin Einsiedel befand sich in diesem Kreise, sondern die Gräfin EgloiTstein, die auch schon Schä> fer richtig nennt nach dem Berichte von Ludecus ^ aus Goethes Leben' S. 7 f., woraus wir auch ersehen, dasz die Göchhausen ein Mitglied dieses Kreises war, über den ich näheres in der Erklärung von Goe- thes lyrischen Gedichten beigebracht (zu den geselligen Liedern). Gleich darauf S. 231 wird Hubers Urteil über die natürliche Tochter, sie sei marmorglatt und marmorkalt, A. W. Sohlegel zugeschrieben; wie wenig dasselbe zutreffe , ist neuerdings im ^ Weimarer Sonntags- bktt' ausgeführt worden. Am fabelhaftesten ist, was Lewes II 238 ftber die Entstehung des ersten Theils des ^Faust' berichtet. D^n ersten Monolog und die erste Scene mit Wagner schrieb Goethe hiernach 1774 oder 1775 ; walirend seines Verhältnisses zu Lili entwarf er den Plan sur Geschichte Gretchens, schrieb die Sccnen auf der Strasze, in Gret- chens Schlafzimmer und auf dem Spaziergange, wie auch die Garlen- scene; auf der Schweizerreise (er meint die erste) brachte er die erste Begegnung mit Mephisto und den Pact zu Papier, eben so die Scene Tor dem Thore, die zwischen Mephisto nnd dem Schüler, die in Auer-

Dorothea' von Director Schweiger im Programme von Insterbarg zu Ge- eicht I die ich nur als eine Nullität bezeichnen kann. Seine gegen mich ^richteten Aeuszerungen zeugen von wenig Vorstündnia. l>as bei der Oiarakterisicrung von Personen die Bestimmung des Alters nicht ohne Bedeutung sei , versteht sich von selbst , besonders auch ob der geliebte Uter oder jünger als die geliebte. Die gegen mich gewandte Stelle des 'Faust' besagt etwas ganz anderes, als Schweiger hineinlegen möchte. Gern überlasse ich es jedem über eine ins einzelne gehende Erklärung lU spotten; etwas wissen und verstchn ist immer gut, und gar häufig fätit der Spott auf den Spötter zurück , besonders bei einer so völligen Unzulänglichkeit, wie sie Schweiger hier überall verräth. Dasz ich die Hauptsache über Kleinigkeiten vernachlässige, ist ein ans der Luft ge- griffener Vorwurf. Dagegen halte ich es für meine Pflicht als Erklärer auch Kleinigkeiten nicht zu vernachlässigen. . Schweiger klagt über Schulstaub, der ihm sehr beschwerlich sein rousz; ich aber glaube, dasz man einem Erklärer bei den neuern ebenso wenig als bei den Alton gründliches und allseitiges Studium erlassen dürfe, und lasse mich des- halb gern einen Pedanten von denjenigen schelten, die eine solche Mühe nicht auf sich nehmen mögen und das von andern geleistete statt dank- barer Anerkennung mit oberijächlichen Ausstellungen erwiedern, deren Nichtigkeit sich auf den ersten Blick ergibt. Möchte doch nicht jeder sich gleich berufen fühlen, die ITuzahl der Abhandlungen über Goethe nnd Schiller durch halt- und inhaltloses Gerede zu vermehren! an ge- diegenen Arbeiten haben wir freilich noch keinen Ueberflusz.

304 Lowes: Goethes Leben und SchrifleD.

bachs Keller, und er entwarf den Plan zur ^Helena'. Was Lewea nicht alles weiss, und wie genau er die Zeit bestimmt, als ob das Verhiltnis EU Lili nicht schon 1774 begonnen und bis nach der Schweiserreise angedauert! Wahrscheinlich waren der Anfang des Stückes und fast die ganze Scenenreihe mit Gretchen, so weit sie im ^Fragment' in Jahre 1790 erschien, im Februar 1775 vollendet; davon, dasz er auf der Schweizerreise den ^ Faust' im Sinne gehabt, ist keine Spur vorhan- den. Erst nach der Schweizerreise, im August und September , wird ein groszer Theil der zwischen der ersten Unterredung mit Wagner und dem auftreten Gretcbens gelassenen Lücke ausgefüllt worden sein; dasz das ^Fragment' diese nur von den Worten des Faust an gibt ^nad was der ganzen Menschheit', hätte hier angeführt werden müssen, wie auch dasz die Schiuszscene fehlt. Der italiänischen Reise gehört frei- lich die Hexenküche an, aber mit welchem Rechte der Monolog * er- habner Geist' und die Scene im Dom von Lew es dahin verlegt wird, weisz ich nicht, und wird dieses auf bloszer Einbildung beruhen, wie auch die hier behauptete Umarbeitung des ganzen im Jahre 1797« und die Vollendung im Jahre 1801. Dasz die Zusammenstellung des * Frag- ments' 1789 erfolgte, der Dichter 1798 das ganze von neuem vomahai, scheint Lewes eben so wenig zu wissen, als dasz die Brockensoene und Valentins Tod ins Jahr 1800 fallen. Bei einer solchen Leichtfertig- keit kann es uns denn auch gar nicht verwundern, dasz wir II 24& lesen , die Wette zwischen Mephistopheles und Gott bilde einen Be- standtbeil der Faustsage und Goethe sei beim Prolog ganz dem alten Puppenspiel gefolgt und diese Unwahrheit wird dann zur Erklärung der goetheschen Behandlung des Vorspiels im Himmel verwandt. Die Wette zwischen Gott und Mephistoles gehört Goethe eigenthflmlich an. Die II M7 angeführten Verse : ^ sei das Wort die Braut genannt' sind nicht von Goethe, sondern von Hafls selbst. Dasz Goethe ganze Bibliotheken bei seinen Lebzeiten mit Untersuchungen Ober das was er gewollt habe (1341) sich füllen gesehn, gehört zu den gewaltigen Uebertreibungen , die Lewes liebt. Völlig der Wahrheit zuwider lauft die Behauptung (II 348)) dasz die zweite Bearbeitung die *Wan- derjahre' nur noch lückenhafter und unvollkommener gemacht habe; die Art ihrer Umgestaltung ist für Goethe gerade höchst belehrend. Dasz die Einschiebung von einer Reihe Betrachlungen, die wenigstens einen äuszern Anhalt hatte, einer weitern Kritik eines so liebevoll ge- pflegten Werkes überhebe, wird niemand zugeben (II 351), der be- denkt, dasz Goethe selbst die spatere Ausscheidung aus dem Roman angeordnet, und der überhaupt der Sache einen eindringenden Bliek gönnen will.

Wir glaubten an einer gröszern Anzahl von Stellen die Uninver- lassigkeit des Buches nachweisen zu müssen, damit man sich dieser als eines Charakterzuges bewust werde und sich hüte auf irgend eine Angabe von Lewes zu bauen , zugleich aber um die nöthige Berichti- gung hinzuzufügen, da wir das Buch schon in den Händen mancher Lehrer voraussetzen müssen. Sehen wir aber von diesen Einzelheiten

Lowes: Goethes Leben and Schriften« 305

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ab, and fragen nach der Eigcnthamlicbkeit der Behandlang, so mflssen whr hier zunächst hervorheben, dasz Lewes sich darch die Sucht mit geistreichen Bemerkungen zu glänzen hinreiszen lässt, und dadurch die einfache, natürliche Auffassung dhr Dinge oft leerem Gerede und einer einseiligen Darstellung hat weichen müssen, wodurch unkundige sich nur zu leicht blenden lassen, darunter leiden gerade manche sehr bedeutende Abschnitte.

Schon die gesuchten Ueberschriften deuten auf einen geistreichen Schein hin. Das ganze zerfallt in sieben Bücher. Das erste, die Kind- heit behandelnde trägt die Ueberschrift: ^das Kind ist des Mannes Va- ter'; die Eigenthümlichkeit soll sich nemlich eher in den geistigen Zü- gen des Knaben als im Jünglinge nachweisen lassen , da diesen mehr die Leidenschaft als der Character behersche. So sollen hei dem Kna- ben nnd dem Manne Goethe Verstand mit Klarheit, Ruhe mit Freiheit Ton Verirrung hervortreten, während er als Jüngling wild, ruhelos, siellos sich verirrend und so keck ausgelassen sich zeige, dasz dem glQhendsten Verehrer genialer Wüstheit Genüge geschehe. Als ob die- ser echt rlieinische Frohsinn, der das Leben mit entschiedener Keck- beit ergreift, nicht unsern Dichter als Knaben ebenso wie als Jüngling kennzeichne! Man denke sich den mit offnem, freiem Sinne, mit den .höchsten Ansprüchen an heitern Lebensgenusz auftretenden Knaben, dem nichts zu hoch ist, der eine ganze Welt in seinem Busen fühlt, wie Goethe sich selbst in dem Knabenmärchen und sonst schildert, und y\T finden hier denselben kräftigen Lebensmut, dieselbe sprudelnde Kraft, die im Jünglinge nur noch gewaltiger sich regt. Von einer ei- gentlichen Wildheit, von genialer Wüstbeit kann auch bei dem Jüng- ling Goethe nicht die Rede sein, weder in Leipzig noch zu Straszburg. Am ersten Orte thut sich eine gewisse Altklugheit und eine frühreife Ueberspannung hervor, die wir groszentheils einer gewissen Ueberbil- dang Schuld geben müssen, welche durch den Vater veranlaszt wurde; die körperliche Krisis, welche er anderthalb Jahr laug bestand, scheint aach hierauf bedeutend gewirkt zu haben, indem sie den Jüngling mehr in sich versenkte, so dasz er mit frischem Jugendmute sich nach Straszburg begab , wo sein Geist seine Schwingen erhob. Ein leben- diges Bild des Knaben erhalten wir bei Lewes nicht; wir erfahren gar mancherlei, ohne dasz diese merkwürdige Individualität sich vor uns entfaltete. Eben so wenig genügt im ganzen das zweite die Univer- sitätsjahre behandelnde Buch. Dasz die Beurteilung des Verhältnisses za Friederiken an Unklarheit leide, hat Scholl nachgewiesen. Goethe, heiszt es, habe das Verhältnis zu dem Mädchen gelöst, weil es nicht stark genug gewesen seine Liebe ganz auszufüllen, and es sei sittli- cher von ihm gewesen sie zu verlassen, als wenn er das Unrecht eines Treubruchs durch den schlimmem Treubruch einer Ehe voll Abneigung ohne Liebe vermieden hätte. Als ob denn die Verbindung mit einer geliebten, die unsere ganze Liebe nicht auszufüllen vermöge, nothwen- dig zu einer Ehe voll Abneigung führe. Und wo haben wir irgend einen Beweis, dasz Goethe damals geglaubt, Friederike könne seine

306 Lewcs : Goethes Leben und ScbrifKen.

Liebe nicht ganz aasfallen? Das, was ihn abhielt, den Band anfa Leben mit ihr zu sohliessen, lag einestheils in der ihm immerfort anhaftenden Sehen den äussern Verhältnissen su trotzen (sich mit dem Vater so Überwerfen und anderwärts, wenn ihm in Frankfurt kein annehmliches Leben sich gestalten sollte, eine sichere Stellung sich zu gründen), an- dernlheils in dem Gefühle, dasz er sich noch nicht binden dürfe, er sieh selbst innerlich selbständiger ausbilden müsse, ehe er den Forderongen zu genügen vermöge, welche das eheliche Leben au ihn stelle. Die unendliche Herzensgüte Friederikens hatte ihn bezaubert, aber iiatte er auch sich leidenschaftlich hinreiszen lassen, so fühlte er doch Kraft genug sich noch zur Zeit zurückzuziehen. Freilich hatte er in Frie- derikens Herzen Neigungen und Wünsche wach gerufen, die er nieht befriedigen konnte, die ihr schönes Herz in seiner Tiefe erschatterten, und er war und fühlte sich deshalb schuldig, wie er es auch selbst offen gestand; aber ein Versprechen, sich mit ihr zu verbindon, hatte er nie gegeben , und schon während seines längern za PAngsten be- ginnenden Besuches deutlich genug zu erkennen gegeben, dasi er sieh nicht binden könne; am wenigsten hat er Friederiken verführt, wie man neuerdings wieder auf den ganz fabelhaften Bericht von A. Weill hin zu behaupten gewagt hat. Goethe war einer solchen Trealosig- keil ganz unfähig, und dasz er sich Friederiken gegenüber niohta weiter vorzuwerfen hatte, als dasz er seine und der Freundin Leiden- schaft unbesonnen aufs gerathewohl genährt, beweist sein eigener Be- richt, beweist die Art, wie er Friederikens gegen Salzmann erwähnt, beweist sein Besuch derselben im Jahre 17719 mit der SchilderoDg an Frau von Stein, beweist Lenzens Stillschweigen , der sich später m Friederiken verliebt stellte, beweist endlich alles, was Kr., der Zoh6- rer Näkes (vgl. meine ^Frauenbilder' S. 115 IT.), von Friederikens jün- gerer Schwester und von anderer Seite an Ort und Stelle erkundete. Dieser Zuhörer Nükes ist, wie ich jetzt hinzufügen kann, der jetaige Uedacteur der kölnischen Zeitung, Dr H. Kruse.

Das dritte Buch, welches die Jahre 1771 bis 1775 umfasBt, ist Sturm und Drang überschrieben; aber findet sich das, was hier mit Slurjn und Drang bezeichnet wird, nicht auch zum Theil in der Genie- periode in Weimar, die Lewes bis 1779 setzt und zum Inhalt des Tier- ten Buches macht? Wenn es von der Sturm- und Drangperiode heisst, sie habe 1771 eben angefangen durch neue Schriften, wie Gerstenbergs ^Ugolino', Goethes ^Götz', Klingers ^Sturm und Drang' und Schillert ^Uäuber', in Deutschland alle Kegeln über den Haufen zu werfen , so bringt er hier Werke zusammen, die vierzehn Jahre auseinander, die beiden letzten ganz auszerhalb der von ihm als Sturm und Drang be- zeichneten Periode Goethes liegen. Und sehen wir denn wirklich Goe- the in dieser so abgegrenzten Periode als Stürmer und Dränger, * re- gellos, roh, natürlich^ zeigt nicht schon die zweite Bearbeitung des ^Götz' im Gegensatz zum ersten Entwurf, dasz er jenem genialen, kein Gesetz anerkennenden drängen sich enthoben hatte? Viel besser hätte Lowes sich dieser leicht verwirrenden Bezeichnung ganx enthalten,

Lewes: Goethes Leben und l^cbriften. 307

oder wenigstens Goctlio im Gegensotz zn Lenz und Klinger, den beiden bedealcndsten Vorirctcrn dos Sturmes und Dranges, schildern müssen. Aber auch sein Gegensatz zu Lavater, Jacobi, den Stolbergen u. a. war hier hervorzuheben und diese Figuren ihm gegenüber und im Zusam- mensein mit ihm ins Leben zu setzen. Dazu bedurfte es freilich einer koBstvoll gruppierenden Composition, von der sich in dem nur von unkundigen bewunderten Leben von Lewes, das roh und ohne innere Einsicht die Abschnille aneinander rückt, keine Spur findet. Wir kön* Ben nicht in einzelne gelin, und nur auf die Darstellung von Goethes Uebesverhällnissen hindeuten, worin der Verfasser auch keines- wegs glücklich ist *y In Lotten soll Goethe nicht verliebt gewesen sein, sondern nur in das zärtliche Spiel der Gefühle; es sei eine Lei- denschaft voll köstlicher Unruhe gewesen, keine tiefe, verzehrende Leidenschaft; die Seltsamkeit ihrer Stellung, dasz sie mit seinem Freunde verbunden war, habe den Reiz erhöht, diese Liebe mehr den Dichter als den Menschen angegangen (I 158). Liest man die Briefe Goethes an Kestner und Lotte, so müssen einem solche Behauptungen ganz unbegreiflich scheinen. Weisz doch Lewes sonst sehr wol, dass Goethe in allen seinen Darstellungen das, was er wirklich in sich durchlebt hat, zur Darstellung bringt; und hier sollen seine Gefühle nicht aus dem Herzen, sondern aus den Wolkengebilden der Einbil- dungskraft stammen? Wie Friederikens heitere Herzensgute, so risz lA>ttens ruhig besonnener häuslicher Sinn ihn machtig hin und zeigte ihm in der Verbindung mit ihr das süszeste Lebensglück; dasz er, wäre sie frei gewesen, von ihr, wie von Friederiken geflohen sein würde, können wir Lewes unmöglich zugeben: das Verlangen nach einem häuslichen Familienleben hatte sich seiner bemächtigt. Als er bereits Lotten verloren, sehen wir noch immer die Sehnsucht nach der Gründung eines gleiches Glückes, wie es Kestner zu Theil ward, seine Brust erfüllen. Lewes meint, Lotte sei gewis nicht das sentimentale Madchen gewesen, welches wir im ^W^erther' finden. Aber er über- sieht hierbei, dasz diese Gefühlseligkeit in der Zeit lag, und dasz ge- rade die gefühlvolle Unterhaltung am Schlüsse des ersten Theiles des Romans, wie wir wissen, ganz aus der Wirklichkeit geschöpft ist. Wenn Lewes I 173 zweifelt, ob das am 11. Januar geborene Mädchen, das Goethe, wie er im Januar 1773 an Lotten schreibt, lieb hatte, die von mir zuerst genannte Anna Sibylla Münch sei, so habe ich bereits in meinen Erklärungen zu ^ Werther' S. 30 urkundlich nachgewiesen, dass hier an deren ältere Schwester zn denken; diese Verbindung mit Sosanna Magdalena Münch im Anfange des Jahres 1773 kann aber kein Bedenken gegen die spätere mit deren Schwester (im Sommer 1774) begründen. Zu den durch nichts zu rechtfertigenden Aufstellungen von Lewes gehört sein Zweifel an der Behauptung Goethes, dasz Lili

*) Die für Goethe so wichtige Verbindung mit Darmsiadt und ITom- bnrg, auf die nencrdings durch den Briefwecbeel zwischen Herde» und seiner Braut ein so erwünschtes Licht gefallen, tritt bei Lewes, wie «uch neuerdings bei Goedeke, nicht hervor.

308 Lewes : tloetbes Leben and Scliriflen.

seine tiefste nnd innigste Liebe gewesen (I 245 f.). Er bernfl sich hierbei auf die Darstellung in ^Wahrheit und Dichtung', der jede Wfirme, ja fast ganz die Erinnerungskraft der Liebe fehle. Dieses Urteil von Lewes steht einzeln da ; denn von der innig zarten Schilde« rung dieses Liebesverhältnisses fühlen sich die meisten Leser tief er- griffen, und wenn die Darstellung dieses herrlichen LiebesfrQhlings durch manches andere gestört wird, so verschuldet dies zum Theil der Zudrang so vieler in der Lebensbeschreibung nicht wol zu Qber- gehender Dinge, und darf man nicht auszcr Acht lassen, dasz dieser Theil von ^Wahrheit und Dichtung' so viele Jahre später als die Dar- stellung von den seligen Sesenheimer Tagen abgefaszt wurde. Und wird etwa die Erzählung vop Friederiken nicht auch von manchen andern Dingen unterbrochen, wie es kaum anders sein konnte! Wer die Geschichte von Goethes Liebe zu Lili verfolgt, wer die aas der- selben hervorgequollenen Lieder auf sich wirken iSszt, wird an der anendlichen Glut dieser Leidenschaft für die fein gebildete Bankiers* lochter nicht zweifeln können; ja das sehnsüchtige schmachten noch dieser verfolgte ihn nach Weimar, wo ihn die erhebende Freundschaft des jungen Fürsten und die zarte Neigung einer von edelstem Bildnngs- trieb ergriffenen, sein innigstes Vertrauen hervorrufenden, ihn sanfl beruhigenden schönen Seele herstellen sollte. Auch dieses VerhäUnis zu Frau von Stein hat Lewes keineswegs richtig gewürdigt. Im vier- ten Buche werden nur die ersten vier Jahre dieser Verbindung behan- dell. Von dem eigentlichen Wesen derselben findet sich keine Spar, die Darstellung ist ganz in der Art eines flachen Journalisten, ^er nur an der äuszersten Oberfläche haftet. Wie schal ist nicht der Schlasz des ihr gewidmeten vierten Abschnitts! Wir hören nur, dasz sie- sich ihm nothwendig, ihre Liebe zum Ziel seiner Sehnsucht gemacht. Keioe Ahnung scheint Lewes zu haben , dasz Goethe in ihr den Leitstern sei- nes Lebens gefunden, der ihn sicher durch die brandende Flut fahrte, dasz sie sein Herz zu vollstem Vertrauen erschlosz , dasz ihr reiner, ihn tief durchschauender Sinn sich berufen fühlte dem leidenschaftliGh aufwogenden Dichter hülfreich zur Seite zu stehn, ihm einen sichern Halt in ihrer den Genius verehrenden Liebe zu bieten. Von kalter Berechnung, von stolzem Selbstbewustsein, dasz sie ihn an an sieh gefesselt habe, von einer ihn kurz haltenden, mit ihm kokettierendeB Herschsucht kann nicht die Rede sein.

Das fünfte, ^Krystalle' überschriebene Buch nmfaszt die Jahre 1779 bis 1793. Die gezierte Ueberschrift soll darauf hindenten, dasz im Manne vieles bis dahin flüssige durch den Ernst, d£r dem Leben eine feste Richtung gebe, sich krystallisiere. ^Alle genialen Minner machen diesen Krystailisalionsprocess durch; ihre Jugendzeit wird yon dem Gewirr der Irthümcr und Leidenschaften getrübt, aber wenn sie diese Irthümer überleben, so werden sie ihnen zu Gewinn.' Also nichts anders wird uns hier praetentiös gesagt, als dasz der Mann sa beeon« neuer Ruhe gelange, ohne das reine Gefühl der leidenschaftlich aafge- regten Jugend zu verlieren. Wann aber soll denn diese KrystaUisatioB

Lewes: Goethes Leben und lächriflen. 309

eingetreten, wann zam Abschlasz gelangt sein? Den Beginn derselben haben wir ohne Zweifel vor das Jahr 1779 zu setzen. Zeigt sich nicht schon im Jahr 1777 das unverkennbare bestreben sich zu beschränken sich dem rein menschlichen zuzubiiden, allen falschen Anforderungen and Strebnngen zu entsagen? Und noch entschiedener bricht diese fette, genügsame, heitere Selbstbeschrfinkung in dem folgenden Jahre hervor. Und wodurch ist Lewes berechtigt diesen Krystallisations- process bis zum Jahre 1793 auszudehnen? Goethe bezeichnet die Ver* inndang mit Schiller, welche Lewes zum Inhalt des sechsten Buches macht, als einen neuen Frühling, und das war sie ohne Zweifel fQr sein dichterisches schaffen; aber wie verhält sich denn dieser neue Frflhling zu jener Zeit der KrystaHisation? Man sieht, wie die Ein« theiinng des Verfassers nichts weniger als glücklich und in der Sache begründet erscheint. Auch die Datierung von Goethea Sonnenunterr- gang vom Jahre 1805 ist in keiner Weise zu billigen ; denn mag «auch immer die dichterische Kraft nach Schillers Tod zu versiegen 8t5heinen, bald erhebt sie sich von neuem , die Naturwissenschaft wi-rd auf das emsigste getrieben, und mit der Befreiung des Vaterlandes ergreift ihn ein netter Schwung; auf das entschiedenste wendest er sich der Welt wieder zu, und noch im Jahre 1823 ergreift ihn die glühendste Liebe. Will man von einem Sonnenuntergang des D'ichters sprechen, 80 kann man diesen erst in sein letztes Jahrzehnt setzen aber diese ganze Bezeichnungsweise scheint uns mehr bleridend, als dasz sie einen treffenden Einlheilungsgrund abgäbe. Auch in den Büchern selbst sind die Abschnitte nicht glücklich abgegrenzt, ornddie wirklich fort- schreitende Entwicklung dadurch oft verwischt. Man nehme nur ein- mpl die Abschnitte, in welche Lewes die Darstellung des Verhältnisses tn Schiller zerfallen läszt: die Dioskuren, Wilhelm Meister, die roman- tische Schule, Hermann und Dorothea, Goethe als Theaterdirector, Schillers letzte Jahre, Faust, die lyrischen Gedichfe; wir haben hier nichts als ein buntes Durcheinander, das die wahre Einsicht in den~ Fortgang dieses wunderbaren Zusammenwirkens verwirrt. Mag das bewandern wer da will, uns tritt hier nur die UnzuMinglichkeit des Lebensbeschreibers entgegen.

Wir können auf das einzelne der letzten Bücher nicht eingehen, aber nirgendwo zeigt sich deutlicher als hier, wie wenig der Verfasser im Stande war, das Bild dieses groszartigen geistigen Lebens in einen klar umspannenden, entschieden hervorhebenden Rahmen zu fir;ssen. Gerade in der glücklichen Anordnung und Gruppierung der in massefi- hafter Häufung erdrückenden Einzelheiten, von denen jede an ihrer rechten, bedeutsamen Stelle hervortritt, kein wichtiger Punkt fiber- gangen wird oder sich mehr als billig zurückzieht, wird der Lebens- beschreiber Goethes seine Einsicht und Kunst bewähren. Wir geden- ken hier nur der Darstellung des Bruches mit Frau von Stein. Nach der Schweizerreise kühlt sich, wie Lewes (11 26) bemerkt, Goethes Leidenschaft für Fran von Stein etwas ab, in den Jahren 1781 and 1782 erhebt sich der Ton wieder sa Wfirme and Leidenschaft, Goethe fühlt

310 Lewes: Goethes Loben und Schriflen.

sich giacklich; woher das letztere komme, gesteht Lewes nickt bii wissen. ^Möglich, dasz eine sechsjährige Probezeit sie von seiner Treue überzeugt hatte; möglich, dasz sie auf Corona Schröter eifer- süchtig wurde; möglich, dasz sie fürchtete ihn ganz zu veriieren.' Von diesen drei Möglichkeiten kann für denjenigen, der das Verhältnis genau verfolgt und richtig faszt, nicht die Rede sein.. Frau voo Stein machte gar keine solche Ansprüche auf Goethe, wie sie hier angedeu- tet werden, sie wollte nur die eiuzige Vertraute seines ganzen seins, die Sonne sein, nach welcher sich seine Seele immer hinwenden sollte; zu dieser reinen, man könnte sagen mystischen Liebe aber vermochte Go.- he sich nur schwer zu erheben, die Leidenschaft machte immer "■in/ indero. Ansprüche, welche die Freundin zurückwies, bis sich tili endlich ganz in dieses wunderbare VerhäUnis geistiger Schwe- ^..nriit'lic zu ßnden wüste. Ihren Gipfelpunkt erreichte diese Liebe m J:hrt; 1784, WO der Dichter an ihrer Hand zur reinsten BeruhigVDg seiuLM* - lii' isch bewegten Seele gelangt war. Aber hiermit hatte sie auch üir ;\ -timmung erreicht, das Verhältnis verlor schon im fol- gcndcu .liiü ' >'n seiner warmen Innigkeit, wo das Verlangen ihn er- griff seir M . ^«t durch die Anschauung reinster Kunslvollendang so befruchti- ! -. '■ Frau von Stein bereits damals ihre volle Anziehangi- kraft nich> rriiii unf ihn übte, ergibt sich schon daraus, dasi er den Gedanken an uiiu' ^ « lange Entfernung von ihr zu fassen vermochte: freilich entgioiig il:i i die allmählich eintretende Veränderung so gut, wie der Freundin, ürr er noch kurz vor der Abreise nach Italien schrieb, das Leben .vnde ihm erst durch sie werth. Das beweist eben so wenig, wie w 1 1: ^ y (in paar Monate spater aus Italien sie bittet: ^laszt uns keinen U'>,icrii ^ledanken haben als unser Leben miteinander zu endigen!' Solch; ^ . .uUnisse lösen sich nicht auf einmal, und man glaubt noch an ihn ' m) Bestand, wenn sie schon innerlich im hin-

schwinden begrilTci. wiu die bereits untergegangene Sonne noch Aa- genblicke lanr ■< ni Au:;ü ihr Bild zeigt. Die Frage, ob Goethe seine Absicht na^^i -:)'i -i n reisen Frau von Stein milgctheilt habe, Iftsxt Lewes un nuM.!i. '^v':; aber alle Zeugnisse sprechen trotz Scholl dafür, dasz d\ l'i'"!t ■>. eben so wenig als Herder vom Ziele nnd der Dnaer seinf;: i;. i^ . uvas gewust; unter den Freunden, die er am 1. Novem- be '< ' ' .!'. das Geheimnis und die gleichsam unterirdische Reise . /u verzeihen, haben wir uns diese beiden vor allen zn denkea. ^ ' 11 aus wird er den Freunden die erste Nachricht haben sakom- ii: '.. aussen und zugleich die ^Aclen' seiner bisherigen Heise zugesandt uriitM. Schölls gegentheilige Gründe scheinen uns ohne Gewicht; die f'iiefe aus Italien liegen uns nicht in der ursprünglichen Gestalt Yor, und die Aeuszerung, die Gräfin von Lanthieri habe ihm in Karlsbad die weiszen kleinen Feigen versprochen, deutet nur auf eine Untere haltung mit derselben über Italien hin, nicht darauf, dasz er die gleich anzutretende Reise nach Italien ihr vcrrathen habe. Lewes bringt an- ter dep Gründen, welche Goethes Leidenschaft für Frau von Stein ab- gekühlt, auszer der Ungern Abwesenheit auch die Liebe zu jener Mai-

Lewes: Goethes Leben und Schriftea. 311

ISnderin in Anschlags, die aber keineswegs so stark auf ibn wirkte, «Is man neoerdings meist anzunehmen geneigt ist. Jene" vorübergehende Neigang mochte ihm noch zuweilen angenehm schmeicheln, aber es war nur ein lieber Sternblick gewesen, der ihm hold gelächelt ohne seine innerste Seele zu ergreifen. Das bedeutendste Gewicht legt Lo- wes darauf, dasz Frau von Stein unterdessen zwei Jahre älter g'ewor- deo. ^Was im tSglichen Verkehr unmerklich und unbemerkt geblieben wire, das trat ihm nun plötzlich vor die Augen. Und sehen hatte ja er in Italien gelernt.' Aber dies wire für ihn ganz ahne Bedeutung geblieben, hätte er die Freundin noch mit jenem Blick mystischer Liebe anzusehn vermocht, der ihn früher beseligt und in dem Anfang seiner * Geheimnisse' seinen berlichsten Ausdruck gefunden hatte. Dieser süsze Lichtschein begann schon mit dem Jahre 1785 sich za lösen, ganz schwinden muste er, als er in der reinen Klarheit, in der vollendeten Gestaltenschönheit, in der fasziichen Bestimmtheit der Kanst seine Seele geweidet und ausgeweitet hatte. Dazu hatte ihn in Italien das gerade Gegentheil jener mystischen Liebe erfreut, wenn er auch den Genusz, den ihm seine dortige geliebte bot, zu verklären wüste, nnd wie wir es bei unserm Dichter immer finden so oft er in der Fremde weilte, das Bedürfnis einer engen Häuslichkeit, eines stil- len Familienlebens, eines eigenen von geliebter Hand gepflegten Her- des hatte sich, eindringlicher als je, vor ihm aufgethan. Die mystische Liebe war zu Ende, ein wirkliches gesundes Liebesglück war es, nach dem seine Seele dürstete , nnd so war das Verhältnis zu Frau von Stein in seiner frühern Weise unmöglich zu halten. Welche unendliche Aeoderung eingetreten sei, mnsle diese an/ das schmerzlichste bei seiner Rückkehr empfinden, wogegen Goethe sich bewust war, an sei- ner alten treuen Liebe festzuhalten, ohne zu ahnen, wie anders er die- ser erscheinen müsse. Der Schmerz, das schöne, natur- und kunstge- segnete Land verlassen zu haben, muste, wie in seinem Verhalten ge- gen die übrigen Freunde, so auch Frau von Stein gegenüber heraii- stimmend wirken, so dasz er dieser noch viel kälter erschien, die nicht ahnte, was in seiner Seele vorgegangen, wie sie nicht einsehn wollte, dasz jene mystische Liebe unmöglich fortdauern könne, dasz der Dichter nach ift|klichem Liebesgenusz, nach einer Seele sich sehne, die ihm ganz angenöre, und so entfremdele sie ihn noch mehr. durch ihre eifersüchtige Kälte. So von keiner Seite verstanden, vergasK sich der Dichter ganz; Frau von Stein hätte ihn zu leiten vermocht, wäre sie im Stande gewesen seiner Liebe zu entsagen und sich mit seiner innigst anhänglichen Freundschaft und der Freude des höchsten Liebes- und Familienglückes des Freundes zu begnügen. Noch nicht ein Monat war nach seiner Rückkehr vergangen, und schon hatte ihn das Bedürfnis seiner sinnlich aufgeregten Natur mit Christiane Vulpius verbunden, die zu verlassen und aufzugeben sein sittliches Gefühl sich nicht entschlieszen konnte, da das arme Mädchen ihm das höchste ge- opfert hatte. Christiane war nnd blieb die seine, nachdem er sich mit ihr vergangen, er betrachtete sein Verhältnis zu ihr als eine unanf-

Pf, Jahrb. f, PkU. u. Paed, Bd LXXVIII. HftQ. 21

31 2 Lowes: Goethes Leben und Schriflen.

lösliche Verbindung, mochte anch die ganze Welt über seine bfirger* lieh beschränkte BcgrifTe nnd seine hausbackene Sittlichkeit spotten. Wenn Lewcs die erste Begegnung mit Christianen in den Herbst setst (11 78), so wird diese Angabe widerlegt durch die AeusKerung GoeQies in einem Briefe an Schiller vom 13. Juli 1796: ^ Heute erlebe ich auch eine eigene Epoche : mein Ehestand ist eben acht Jahre und die fran- zösische Revolution sieben Jahre alt.' Freilich fehlt diese Stelle merk- würdig genug in der neuen Ausgabe des Briefwechsels die erste hat den ganzQn Brief nicht aber es ist kein Grund vorhanden an Riemers Zuverlässigkeit ' zu zweifeln, der mit diesen Worten den von ihm zuerst mitgetheilten Brief (Briefe von nnd an Goethe S. 138) schlieszt. Aeuszerlich hielt sich das Verhältnis zu Frau von Stein in der ersten Zeit noch ruhig fort, aber als die Neigung zu Christiane Vulpius sich bestätigte und öffeutlich wurde, da konnte die Freundin sich vor tiefstem Schmerz nicht halten, dasz der Dichter ihre Liebe einem solchen unbedeutenden Mädchen geopfert. Auf ihre leidenschaft- lichen Vorwürfe erwiedert Goethe mit ruhiger Gelassenheit in dem von SchüU richtig hierauf bezogenen Briefe (aus dem Alai 1789), in dessen Schluszworten: ^gelegentlich sollst Du wieder etwas von den schönen Geheimnissen hören' unter den ^Geheimnissen' weder mit Scholl die Liebesgeschichte mit der Mailänderin , noch mit Lewes die römischen Elegien, sondern «eine botanischen Entdeckungen zu ver- stehn sind, die ihn damals beschäftigten, bei denen ihm auch Christiane freundlich zur Hand gieng. Als Frau von Steigi sich bald darauf in ein rheinisches Bad begab, liesz sie ihm einen über sein jetziges Verhält- nis sich scharf aussprechenden Brief zurück, den Goethe auf die mil- deste Weise am 1. Juni zu beantworten suchte, wenn er auch nicht unterlassen konnte der Freundin über ihr kaltes Benehmen gegen ihn .Vorwürfe zu machen, wogegen er sich selbst ihr gegenüber frei weiss. Der Uebersetzer findet es ^wenig treu und männlich', wenn Goethe von seinem Verhältnis zu Christiane, das die Freundin so sehr zu kränken scheine, dieser schreibt: ^und welch ein Verhältnis ist es? Wer wird dadurch verkürzt? wer macht Anspruch an die Empfindungen, die ich dem armen Geschöpf gönne? wer an die Stunden, die ich ihm gönne', aber er übersieht, dasz Goethe die edle Freund^Unöglichst schonea will, dasz er sich scheut ihr gerade zu gestehn,^asz das Verhältnis zu ihr ihn unmöglich allein habe befriedigen können. Und deutet er nicht bestimmt genug an, dasz er dieses glücklichen Liebeslebens, daf ihm die Freundin unmöglich gewährt, nicht entbehren könne noch wolle. Mag er der verletzten Freundin gegenüber auch dieses neae Verhältnis als ein weniger bedeutendes darstellen, sie muste fühlen, wie innig er an Christianen hieng. Man fasse nur den Ausdruck *das arme Geschöpf nicht verächtlich, es ist eine freundliche Bezeichnung, wie wenn er sonst geliebte Mädchen ^Grasaffe, Puppe' nennt, und auch das ^gönnen' ist hier keineswegs in vornehmem Sinne zu fassen. Wenn er in einem darauf folgenden Brief die Freundin bittet: ^hilf mir selbst, dasz das Verhältnis, das Dir zuwider ist, nicht ausarte, sondern steha

Lowes: Goethes Leben and Schriften. 313

bleibe, wie es steht', so faszt er auch hier noch die Freundin als seine geistige Leiterin, die ein entschiedenes Recht auf ihn habe, ohne aber dem anmuthigen Liebesgenusse, der ihn jetzt beglückt, sein Recht irgend zu vergeben. Aber Frau von Stein fühlte sich viel zu erhaben, als dass sie den Freund mit einem solchen an Rang und Geist weit unter ihr stehenden, mit reizender Sinnlichkeit und natürlicher Anmuth begabten, in dem Antheil welchen der Dichter ihr zuwendete sich hochbeglückt fühlenden Mädchen hätte theilen könnnen : der Bruch war eben so unvermeidlich als der Groll auf jene, die ihr den Freund ent* rissen hatte, und die Ungerechtigkeit gegen beide ist so natürlich, dasz man für Frau von Stein , die ihr ganzes geistiges sein ganz in Goethe versenkt hatte, am wenigsten einer Entschuldigung bedarf. Und dasz der Dichter sich wenigstens die ersten Jahre über in dem Liebesglücke, das ihm Christiane bot, ganz behaglich fühlte, das zeigen auszcr den gerade hierdurch hervorgerufenen römischen Elegien besonders die Briefe an Herder. Ueber die spätere Entwicklung des Verhältnisses, wie über Christianens Persönlichkeit wird so viel irriges berichtet, dasz man wol thut sich nur an die in jeder Beziehung zuverlässigen Zeugnisse zu halten. Jedenfalls blieb Goethe der geliebten treu und erkannte dankbar an, was sie ihm geworden, wenn er es auch oft be- dauern mochte, dasz er keine ihm ganz gleichstimmige, ihm geistig ebenbürtige Gattin gefunden hatte. Dasz aus diesem Gefühle die * Wahlverwandtschaften' bervorgewachsen seien, habe ich bei Erklä- rung derselben ausgeführt.

Begegneten wir bisher bei der Betrachtung des Lewesschen Wer- kes keiner erfreulichen Seite, so können wir dagegen die grosze, freie Weise, welche der Verfasser in der Beurteilung Goethes als Mensch, Dichter und Forscher bewährt, nur auf das freudigste anerkennen. Lewes faszt ihn als eine edle, tüchtige Nafur, die mit ureigener Kraft sich mächtig entwickelt, deren wollen, streben und wirken Ausstrah- lungen einer bedeutenden Entelechie sind. ^Eine wahrhaftige Natur zu sein, das war seine Grösze', sagt er mit dem geistvollen Carlyle. *Wie seine bedeutendste Fähigkeit, die Grundlage aller andern. Ver- stand, Tiefe und Kraft der Phantasie war, so war Gerechtigkeit, der Mut gerecht zu sein, seine erste Tugend. Das gröste Herz war zu- gleich das bravste: furchtlos, unermüdlich, friedlich unbesiegbar.^ Dem sohlechten Gerede von Goethes Kälte, Selbstsucht, Igitelkeit, Kleinlichkeit, Philisterhaftigkeit, Behäbigkeit, Servilität tritt er mit der warmen Ueberzeugung entgegen, dasz eine solche Dichtergrösze !■ unmöglich mit einem kleinen Geiste, einem engen Herzen, einer trocke- nen Seele sich vereinigen lasse, und indem er diese Beschuldigungen * des Neides und Unverstandes über Bord wirft, sucht er überall den ^ Spuren seines Geistes liebevoll nachzugehn, ohne sich zu schaler Lob- '^ rednerci zu verirren, die alle Flecken wegzuleugnen, alle Schwächen 1* als Tilgenden zu stempeln bemüht ist, oder einer Frivolität zu huldi- ^^ gen, welche von den Anforderungen der Sittlichkeit Umgang zu neh- ^ men glaubt. Freilich ist dasselbe auch längst von Deutschen bervor-

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314 Leweg: Goethes Leben and Schriften.

gehoben and entschieden daraaf hingewiesen worden, aber es that wol, auch den Englander mit frischem Geiste die menschliche Grösse unseres Dichters so warm aussprechen zu hören, der mit lebendigster Kraft sich zu einem ganzen Menschen, wie ihn die Natar beabsichtigt, za bilden bestrebt war. Dem Ausländer scheinen die Deutschen aoch hier mehr zu glanben, während sie ihre Landsleute so gern als Goetbo- koraxe, Goethebewunderer beseitigen. Zu den gelungenem Absohnit- len gehört besonders der über Goethes Naturstudien, obgleich wir nach hier, wie sonst häufig, eine zusammengehallenere Darstellang wünschten. In Hinsicht der Farbenlehre steht Lewes auf der Seite seines groszen Landsmanns Newton, dem gegenüber er ansern Dich- ter nicht zu seinem Recht kommen läszt; doch ist diese Ungerechtig- keit neuerdings in vellstem Slasze ausgeglichen worden darch die höchst beachtenswerthe Schrift von F. Grävell ^Goethe im Recht gegen Newton', welche unsern Dichter auf das glänzendste rechtfertigt and Newtons Irthum wie die Befangenheit der Männer der Wissenschaft ins klarste Licht setzt. Bei der Frage über die Priorität der Vertebral- theorie zwischen Oken und Goethe lagen Lewes die Acten nicht voll- ständig vor, besonders entgieng ihm das Zeugnis Riemers in den ^Brie- fen von und an Goethe' S. dOO. Ich habe den Gegenstand ausführlich erörtert im ^ Morgenblatt' 1864 Nr 35 ff., was, wie so manches andere, Lewes entgangen ist. Uebrigens hatte Lewes bei den naturwissenschaft- lichen Arbeiten besonders an Carus und Ilelmholz viel bedeatendere Vorgänger, als die Vorrede einzuräumen scheint. .

Einen beträchtlichen Raum nehmen die Besprechungen von Goe- thes bedeutendem Werken ein, welche die Darstellung des Lebens meist auf störende Weise unterbrechen, und nicht immer da eintreten, wo sie an der rechten Stelle sind. Aber gerade diese ^Analysen und Kritiken' scheinen uns höchst oberflächlich, nirgends eindringend. Wir geben dem Verfasser durchaus Recht, wenn er sich (il l7l. 312) gegen diejenige Beurteilung von Dichtwerken erklärt, welche statt in den Geist demselben einzudringen über dieselben speculiert, und indem sie ihre eigene philosophische Anschauung hineinlegt das Gedicht selbst auf die offenbarste Weise misversteht. Seine eigene Art der Betrachtung beschreibt er in folgenden Worten: Moh studiere ein Kunstwerk nicht anders als wie ein Werk der Natur; ich frene mich an seiner Wirkung und suche dann die Mittel zu erkennen, durch wel- che die Wirkung hervorgebracht wird. Ich habe ein Gedicht vor mir, ich zerlege es, nehme ein Glied nach dem andern, zeige die Stel- lung auf die es einnimmt, und suche seine Function nachznweisen.' Auch hiergegen hätten wir nichts zu erinnern, aber der Verfasser er- füllt das, was er hier verspricht, keineswegs; er läszt das Stück anf sich wirken, und urteilt, ehe er zum eigentlichen Verständnis desseU ben gelangt ist; von einem auffassen des einzelnen an sich and in seinem Zusammenhange des ganzen findet sich keine Spur, ja er be- schränkt sich meist anf eine blosze magere Inhaltsangabe, die in die innere Bildung des Gedichtes gar keinen Einblick gewährt und aiclit

Lewes: Goethes Leben and Schriften. 315

# selten hält er sich bei Dingen weitläufig auf, die gar keine Ansftlhrang verdienen.

Beim ^Götz' weist er weitläufig nach, dasz es sehr ungenau sei, das StQck shakespearisch zu nennen, wie es allgemein geschehe (1 137). Aber neuerdings fällt es kaum jemand ein solch eine Behauplutfg auf- xnslellen, man beschränkt sich auf die Bemerkung, dasz der Dichter an Shakespeare seinen Geist ausgeweitet, und er durch ihn veranlasit worden die beschränkte dramatische Form keck zu durchbrechen. Uebrigens durften nicht alle Bemerkungen, welche Lewes in weiterer Ausführung jener Behauptung macht, gegründet sein, und er verrückt geradezu den richtigen Standpunkt, wenn er meint, der Dichter habe in diesem Stücke ein Bild des Mittelalters oder, wie es bald darauf heiszt, der Zeit des Götz dramatisieren wollen; nicht seine Zeit, son- dern den in den Netzen der einbrechenden Arglist fallenden edlen, tren- herzigen, tapfern freien Ritter bringt er uns zur leibhaftesten Anschaa- nng. Von einer eingehenden Würdigung findet sich hier so wenig als bei ^Werther', wo 1. über Aeuszerlichkeiten kaum herauskommt, und seine Bemerkungen gar nicht den rechten Fleck treffen. Eine unge- nauere und weniger zutreffende Schilderung des Verlaufes des ^ Wer- iher' als die hier I 191 entworfene könnte kaum gegeben werden. Nichi ein Uebermasz von Liebe, wird gegen Lessing bemerkt, treibe * den Werther zum Selbstmord, sondern die Krankheit seiner sittlichen Natur mache ihm das Leben wierträglich, die unglückliche Liebe werde ffir diese nur zum zündenden Funken (I 194). Das Leben wird ihm aber nicht deshalb unerträglich, weil er sein Herz nicht zu zügeln weisz, sondern weil diese Zügellosigkeit es ihm unmöglich macht, dem Besitze Lottens zu entsagen. Das gegen Lessing vorgebrachte Beispiel des sophokleischcn Hämon ist auderer Art; dieser straft das Unrecht des Vaters durch seinen Tod (ptccrgl (irivlaag g>6vov). Wie dürftig ist das, was über ^Prometheus' (I 241 ff.) gesagt wird, nichts als leere Worte, die vom eigentlichen Inhalt keine Vorstellung geben ! Der Titan fühlt sich nicht als Gott, sondern im Gegensatz zu den Göt- tern, die ihm seine Selbständigkeit und seine schaffende Kraft nicht rauben können. Bei der ^Iphigenie' wird den Deutschen Schuld gege- ben, sie hätten einstimmig das Stück für das schönste moderne grie- chische Trauerspiel erklärt. Eine solche Aeuszernng ^eigt nur, wie wenig Lewes in der betreffenden Litteratur sich umgesehen hat; Jahn, Rinne u. a. haben den Unterschied aufgezeigt. Hier hören wir, dass die im griechischen Drama herschende Ruhe der Entwicklung durch die scenische Nothwendigkeit ihrer Bühne bedingt war, die Handlung selbst aber so wenig Ruhe zeige, dasz in ihr leidenschaftlichstes Leben "pulsiere. Goethe habe in seiner ^Iphigenie' ohne Noth die durch die Umstände den Griechen aufgedrungene Ruhe der Darstellung in das innerste Leben seiner Dichtung eindringen lassen ; in dem, was neben- sächlich, was ein Bedürfuis der Zeit gewesen, habe Goethe die Grie- chen nachgeahmt, im wesentlichen, charakteristischen nicht. Hätte Lewes geahnt, dasz bei einem Kunstwerk die innere und änszere Form

310 Lowes: Goethes Leben und Schriften.

sich entsprechen, dasz bei den Griechen sich alles natnrgemiss eol- "wickeUe und jene Ruhe der Darstellung^ das innerste Wesen ihrer Dichtung ist, so würde er sich gehütet haben solche Sätze als hohe Weisheit zu verkünden. Von einer Nachahmung der Griechen kann bei Goethe nie und nimmer die Rede sein; seine ganze Seele trieb ihn SU jener klaren Ruhe der Darstellung, die er bei den Griechen so herlich ausgeprägt fand, die er selbst in seiner ^Ipbigenie' zuerst er- reichte. Wie. aber kann man zu behaupten wagen, diese Ruhe sei in der ^Iphigenie' in die Handlung eingedrungen, angesichts der von tief- ster Herzens- und Geisteserregung durchglühten Scenen des Orest, be- sonders im dritten Acte, und der durch den machtigen Seelenkampf erschütternden Monologe der Iphigenie. Dasz das Stück durchans deutsch gedacht und gefühlt sei , brauchen wir uns nicht erst von Le<^ wes sagen zu lassen, der sonderbar genug unter den Uebereinstimmun- gen mit der griechischen Tragoedie auch die ^Sättigung mit mythischem Stoff' anführt. Als Drama stellt er die euripideische Iphigenie hoch über die deutsche, während ganz neuerdings Goedeke erstere nicht tief genug herabsetzen zu können glaubt. Als ein dramatischer Fehler wird es betrachtet, dasz Iphigenie nach den Worten Orests: ^icb bin Orest!' nicht gleich in des Bruders Arme stürze und sich ihm als Schwester zu erkennen gebe; sowol die Natur als die dramatische Wirkung verlange hier einen Aufschrei von Iphigehiens Hersen. Al- lein es entspricht ganz dem Charakter der in leidenschaftloser Rahe ihre Seele andächtig den Göttern vertranlnden Priesterin, dasz sie die in leidenschaftlichster Aufregung vorgebrachte Entdeckung mit- iusze- rer Ruhe vernimmt; ist ja der Bruder so aufgeregt, dasz sie ein rohi- ges Wort und eines solchen bedarf es , um ihn von der Wahrheit XU überzeugen jetzt nicht anbringen kann, und drängt sie ja ihre ganze Seele den Göttern, deren Gnade sie ihr Leben dankt, vorab ih- ren wärmsten Dank auszusprechen und sich selbst im dankbaren Auf- blick zu ihnen zu beruhigen. Nichts aber liegt Lewes ferner als vor- urteilsfrei zu erwägen, weshalb der Dichter hier die Erkennungsscene nicht sofort eintreten liesz. Wir enthalten uns anderer Bemerkungen über die iphigenie', zu denen uns Lewes Veranlassung bietet, um uns zu ^Egmont' zu wenden, welcher der beiden Grundbedingungen deu Dramas, d. h. ^ eines für die Darstellung angelegten Werkes', entbeh- ren , nur ein dialogisierter Roman sein soll. Freilich wenn ein Kampf mit dem Schicksal, ein gewaltig fortdrängendes handeln zum Drama unumgänglich erforderlich ist, so kann Egmont, der in unserm StQcke nur ein ruhig festes Vertrauen auf den König zeigt, sich auf seine Verdienste, sein Ansehen, seine ritterliche Kraft stützt, unmöglich als echtes Drama gelten: aber, ist jene Begriffsbestimmung wirtlich eine berechtigte, ist sie nicht viel zu eng gefaszt? Hierüber habe ich mich in der Einleitung zu den Erklärungen von Goethes Dramen weiter aus- gesprochen. Was Lowes sonst über ^Egmont' bemerkt, ist theils an- bedeutend thoils unbegründet; so können wir die Herabsetznng der goetheschcn Volksscenen gegen die von Shakespeare nur für ganz

Lewes: Goethes Leben and Schriften. 317

^illkfirlich, die Behaoptung, man merke bei Goethes Leuten ans dem Volke in jedem Worte die Absicht des Dichters heraus, nur für höchst ungerecht halten. Wie treffend characterfsieren sich Jelter und Soest, um von Vansen gar nicht zu reden ! Dasz Lewes für den organischen Zusammenhang der Scenen keinen Sinn hat, zeigt die Aeuszernng über die zweite Scene, die er nicht allein ganz überflüssig, sondern anch höchst schwach findet; Wir möchten sehr wünschen, Lewes könnte sich entschlieszen einmal eine genaue Erörterung eines der goethe- schen Stücke, etwa von ^Cgmont' oder ^Tasso', mit Bedächt durchzn- gehn; wir zweifeln nicht, dasz er hier an manchen Stellen Wider- sprach erheben würde, aber jedenfalls würde er daraus lernen, dasz esxu Erfassung eines mit so entschiedener Klarheit und Kunsteinsicht entworfenen und mit solcher dichterischen Begabung ausgeführten Dichtwerkes mehr als eines oberflächlichen lesens und raschen abur- ieilens bedürfe, und er würde sich in Zukunft scheuen Satze in die Lese^elt zu streuen wie der womit er die Besprechung des ^Tasso' anhebt, dieser sei -eine Reihe tadelloser Verse, kein Drama, seine Schönheit liege lediglich in seiner Poäsie, im Zauber seiner Form. Dasz es ihm schwer gefallen, in den Inhalt des Stückes kritisch einzn- gehn, glauben wir ihm gern, aber die Ursache davon liegt grösten- Iheils darin, dasz er es nur oberflächlich berührt hat, ohne um den Sinn des Dichters sich zu kümmern. Er selbst gesteht, dasz er mit der Geschichte des italiänischen Dichters gar wenig vertraut sei, und doch wagt er (II 98) ein Urteil über den Character des wirklichen Tasso und der Prinzessin, die Goethe verfehlt habe. Wer das Leben Tassos genauer kennt, weisz, wie genau der Dichter hier der Geschichte ge- folgt ist. Dasz er den Streit zwischen Antonio und Tasso nicht richtig za fassen vermochte, kann bei seiner leichtfertigen Behandlung des Stückes nicht Wunder nehmen. Sehr anspruchsvoll wird die Bespre- chang des ersten Theiles des ^Fanst' eingeleitet, über den Lewes be- reits früher in einem besondern Aufsatz gehandelt hat. Aber fragen wir, was denn hier neues, von allen Kritikern bisher ^übersehenes' aafgestelU wird nascetur ridiculus mus. Der Zauber des Gedichtes soll darin liegen, dasz es zugleich ein Problem und ein Bild sei. ^Als Problem umfaszt es alle höchsten Fragen des Lebens, als Bild stellt es alle Meinungen, alle Empfindungen und alle Klassen dar, die sich aaf der Bühne des Lebens bewegen. Das grosze Problem ist in seiner ganzen Schärfe hingestellt, das Bild in seiner ganzen Manigfaltigkeit gemalt.' Nachdem Lewes die Hauptscenen ganz oberflächlich an uns hat vorüberziehen lassen, schlieszt er mit der vermessenen Zuversicht, diese Uebersicht mit ihrer Reihe manigfach wechselnder Lebensbildjsr werde nicht nur die Popularität des Taust^ fördern, sondern auch das Geheimnis seiner Composion erhellen. Ein beneidenswerthes Selbst- vertrauen, wenn es nicht gar zu komisch wäre! Was Lewes hier an ein- zelnen Stellen richtig bemerkt hat, ist natürlich längst von den übrigen Kritikern, deren er nicht zu viele gesehen haben wird, vorweggenom- men, aber seine Bemerkungen reichen am wenigsten zur Einsicht in das

318 Lewes: Goetbea Leben and Schriften.

Wesen der Dichtung aus, sind dazu oft schief und nnriohtig. Das *Vor« spiel auf dem Theater' soll die Frage über das Verhältnis des Dichters und des Publicums zur dramatischen Kunst erschöpfeu, und sie mit der einfachen Aeuszeruug der lustigen Person Lösen : ^ wer machte denn der Mitwelt Spasz?' Also die Frage würde ganz im Sinne dßr lusti- gen Person entschieden, dasz es allein auf Unterhaltung ankäme? Die Aosprüche des Dichters träten ganz zurück? Lowes denkt gar nicht daran, sich die Bedeutung der drei Personen klar z^ machen , beson- ders die des Directors in Beziehung zur lustigen Person, nnd eben so wenig bemüht er sich nachzuweisen, wie die Ausgleichung stattfinde; seine Betrachtung hält sich behaglich an der äuszersten Oberfläche. So bezieht er denn auch die Schluszworte des Prologs unbedenklich auf den Bau des folgenden Dramas, wobei er unter der ^Welt' nicht blosz das ^geistige Labyrinth', sondern auch die Scenen des wirklichen Lebens versteht. Aber sollte dieser Prolog nicht vielmehr darauf hin- deuten, dasz ^ Faust' kein Stück sei, wie der Theaterdirector und die lusliga Person, der gewöhnliche Geschmack es wünsche, kein Theater- stück, sondern ein dichterischer Ergusz? Der ^Prolog im Himmel' soll den Grundton des ganzen Werkes anschlagen, die Welt von Wundern und Wunderglauben eröfifnen , in der das grosze und mystische Schau- spiel des Lebens vor sich gehe. Doch die Hauptabsicht desselben liegt offenbar darin, die Idee des ^Faust', wie ihn der Dichter auffaszt, dar- zustellen und die Handlung im Himmel zu. beginnen, wo sie auch im Gegensatz zur Volkssage enden soll. Lewes aber, ganz hingerissen von seiner Entdeckung der zwiefachen Natur unseres Dramas, ergeht sich in weitere Betrachtungen über den Umstand, dasz wir hier zwei Pro- loge haben. ^Die Welt und das treiben der Welt soll dargestellt wer- den, die Seele des Menschen und ihre Kämpfe sollen gezeichnet wer- den. Jener Absicht entspricht das Vorspiel auf dem Theater, .die zweite Richtung leitet der Prolog im Himmel ein ; denn der Himmel ist der Mittel- und Angelpunkt aller Kämpfe, Zweifel und andächtigen Stimmungen, und zum Himmel empor strebt Faust (Aber im Stücke selbst gewis nichts weniger als dieses!). Noch eine weitere organische Nothwendigkeit fordert die zwei Prologe: im ersten setzen der Thea- terdirector und sein Dichter die Personen der Bühne (? !), im zweiten setzen Gott und Mephisto die Personen des wirklichen Dramas in Be- wegung (?!); von Schauspielern geht die Ausführung aus, vom Uim-r mel stammt das Drama der Versuchung.' Was man nicht für ^organi- sche Nothwendigkeiten' ersinnen kann, wenn man nur will! hier ist ja Lewes auf einmal in ein inhaltloses speculieren hineingerathen , das er sonst den Deutschen behaglich vorrückt. Wenn er II 252 bemerkt, Faust, ganz dem Zweifel verfallen, vermache seine Seele dem Teufel wenn er jemals sich glücklich fühlen sollte, so entgeht ihm hier sogar der nicht zu verkennende Fadeu der Handlung. Faust übergibt sich dem Teufel im Jenseits ohne Bedingung, er fügt aber noch hinzu, dasz er gleich sterben wolle, wenn er auf einen Augenblick sich wahrhaft beruhigt finden sollte. In der Scene zwischen Mephistopbeles und dem

Lewes: Goethes LebeD ood Scbriflea. 319

Sl^hüler sieht Lewes ^ eine vernichtende Satire auf jede Art menseh* Uchen Wissens/ ^ Und wo steht sie als gerade da , wo der Held auf alles Wissen verzichtet, seine Bücher zugemacht hat für immer und des Lebens sich freuen will?' Aber bedenkt denn Lewes nicht, dass Mephistopheles selbst Vernunft und Wissenschaft für die allerhöchste Kraft des Menschen erklart? Der Spott trifft offenbar die todte aka- demische Weisheit, und es ist nichts weniger als zufällig, dass fast unmittelbar darauf das rohe akademische Leben uns zur An- schauung kommt. Faust flieht die Akademie, deren todtes und rohes Wesen hier an uns herantritt. Wenn gleich darauf (II 266) der Ver- fasser gesteht, dasz ihm die Beziehung der Scene in Wald und Höhle sum ganzen, bei allem Reichthum an Schönheiten, nicht klar sei, so hätte er sich hier leicht bei den Erklärern Rath erholen können , die ihm gesagt haben würden, dasz Faust von der geliebten geflohen, weil er fürchte sie zu verderben, sie dem gierigen Triebe seiner Leiden- schaft zu 0[ffern ; er kämpft gegen seine Sinnlichkeit an , die ihn aber endlich unwiderstehlich zu Gretchen zurückreiszt. Von der ßehanp* lang: ^die Scene auf dem Blocksberg ist ein Bestandlheii der alten Sage und flndot sich in vielen Bearbeitungen des Puppenspiels' ist das gerade Gegenlheil wahr; aber Lewes liebt es von solchen Dingea ohne alle Kenntnis zu sprechen, oder er müsle ein sehr schlechtes Ge- dächtnis haben. Ganz irreführend finden wir die weitere Bemerkung, Goethe lasse die Scene auf dem Blocksberg unmittelbar auf die im Dome folgen, um das höllische Zauberwesen mit dem religiösen Ele- ment in Gegensatz zu bringen. Mephistopheles will den Faust immer mehr in seine gemeinen Kreise hineinziehen; deswegen führt er ihn aach auf den Blocksberg, wo er des durch ihn in Jammer und Noth versankenen Mädchens ganz vergessen soll.

Das angeführte möge genügen zum Beweise, wie wenig Einsieht uod Studium der goelheschen Werke Lewes durchweg verräth, so dass derjenige übel beralhen sein möchte, der ihn sieb zum Führer erwfih- l^B würde. Auch die beiden Abschnitte über die deutsche Litteratnr and die romantische Schule sind ohne tiefere Kenntnis geschrieben, wie sehr sie auch durch Flitter za bestechen suchen. Für Deutschland ist überhaupt das Werk von Lewes ohne Werth, und steht weit hinter Rosenkranz und besonders hinter Schäfer zurück, dessen Leben Goe- thes bei einzelnen Mängeln, die wir in der ^allgemeinen Monatsschrift' aufgezeigt, mit groszer Sachkenntnis und reifem Urteil geschrieben ist. Der in Aussicht stehenden zweiten Ausgabe des Schäferschen Werkes wünschen wir die freundlichste Aufnahme. Auch für England hätten wir ein solches Werk in einer bessern Hand gewünscht; welch ein anderes Werk würde uns Carlyle geboten haben, wenn er sich einer solchen Aufgabe unterzogen hätte! Ein gewisser äuszerer Glans der Darstellung, vielseitige Bildung uod Begeisterung für die Grösse Goethes thun allein nicht alles , Goethes Lebensbeschreiber musz sieh ganz in den Dichter hineinleben und aus tiefster Versenkung in sein Wesen uns dieses groszartige Dasein, diese reiche Entwicklung ent-

320 Goedeke: GrondriBZ zar Geschichte der deatsohen DichUuif .

falten. Nur wer das einzelnste auf das genanste erforscht hat, wial im Stande sein dieser Aufgabe vollkommen zu entsprechen; denn nur dieser wird alles nach seiner Bedeutung für den Dichter za schätzen, jedem die gebührende Stellung anzuweisen wissen.

Wir verbinden mit dieser Anzeige eine kürzere Hindentang auf den Goethe behandelnden Abschnitt des Grundrisses »ur GeschichU der deutschen Dichtung von Karl Goedeke, Das vierte Heft (U 3) dieses Werkes eines tüchtigen Kenners unserer vaterländischen Dich- tung ist vorzugsweise Goethe gewidmet. Der Verfasser sagt in einer auf dem Umschlage abgedruckten Anzeige (vom December 1857), er mache hier den Versuch, ^aus dem umfassend gesammelten und kritisch gesichteten Material eine kurze Biographie Goethes aufzuführen, die in der Darstellung mit keiner voraufgegangenen wetteifern, an Zuver> lässigkeit der Angaben es mit jeder aufnehmen dürfe', worauf gele- gentlich bemerkt wird, dasz über das Jahr 1775 bisher noch nirgends eine fehlerlose Darstellung geliefert worden. Wir müssen* das letztere bestreiten; in unsern ^ Frauenbildern aus Goethes Jugendzeit' ist das Jahr 1775 im einzelnsten auf das genaueste chronologisch festgestellt und die sömtlichen frühern Irthümer verbessert worden, so dasz Goe- deke hieraus schöpfen konnte und ohne Zweifel geschöpft hat; auch die irrige Darstellung Goethes von Zimmermanns Tochter ist dort des weitern aufgezeigt worden. Leider müssen wir gestehn, dasz aveh Goedeke unsere Erwartung nicht befriedigt hat. Die Anordnung des ganzen, freilich eine höchst schwierige Aufgabe, scheint ona nieht überall gelungen. Bei der Beurteilung der Werke ist Goedeke tos Scheu , sich einer übermäszigen Verehrung des Dichters schuldig zn machen, meist nichts weniger als gerecht, und es dünkt nns, dasz er oft die über die Entstehung der einzelnen Werke uns zugekommeBei Nachrichten misbraucht, um M&ngel aufzuspüren, die in Wirklichkeil gar nicht vorhanden sind, die er blos als nothwendige Folge der Art der Entstehung sich einbildet.

Beginnen wir mit der Lebensskizze, so sei es uns erlaubt auf einzelnes hinzudeuten. Dasz Jung Stilling nur vorübergehend za Goe- thes Tischgenossen in Straszburg gehört (S. 713), ist unbegründet; er blieb langer als Goethe zu Straszburg. Unser Dichter wurde sa Straszburg nicht Doctor (S. 714), sondern Licenliat, wie auszer einem Brief an Salzmann seine positiones iuris beweisen, die er vertheidigle pro iicentia usw. Ganz irrig wird die Concoption und Ausführung des 'Götz' (S. 715) nach Wetzlar verlegt; der erste Entwurf fällt Ende 1771, wo er in Frankfurt weilte, die Umarbeitung in das Frühjahr 1773. Dasz Goethe die Geschichte mit dem Bauernknecht 1786 in den * Wer- ther' eingefügt habe, um den zerstörenden Ausbruch der unglüoklichen Leidenschaft im Contrast zu Werther hinzustellen (S. 717), glauben wir nicht; die Vertheidigung der Greuel Ihat des Bauernbursphen soll uns Wcrtbers eigene Zerrüttung zeigen, gerade dieser Vertheidigung wegen ist die ganze Geschichte cingosclioben. Nicht nach, sondern vor seinem Abgange von Wetzlar (S. 718) hielt sich Goethe in Gieszeo

Goedeke: Grondrisz znr Geschichte der deutschen Diehtang. 321

auf. Vielleicht ist dies Druckfehler, wie S. 719, 5 1775 für 177d u. a. Die ganz neue Behauptung , dasz * Hans Sachseos poetische Sendung' nicht in den April 1776, sondern in das J. 1774 falle (S. 720), scheint uns durchaus haltlos, gegenüber dem bestimmten Zeugnisse in den Briefen an Frau von Stein (I 41) und der dem Tagebuche entnommenen Angabe Riemers (11 25). Wie es sich mit dem ^ Monolog von Stella' verhält, der nach Riemer auf der Reise nach Leipzig am 25. März 1776 gedichtet^ ward, ist nicht zu sagen; das Drama dieses Namens war längst gedruckt. Ganz willkürlich wird S. 723 das ^Lustspiel mit Ge- sängen, dessen Goethe im Briefe an Kestner vom 25. December'*') 1773 gedenkt, auf Erwin und Elmire' bezogen, das dem Frühjahr 1775 an- gehört, wenn auch ein Lied darin schon früher für sich gedichtet war. Dasz Goethe den ersten Plan zum ^Faust' gefaszt habe, als er das Pup- penspiel in der Frankfurter Frühjahrsmesse 1773 gesehen (S. 724), ist durch nichts zu begründen; wenn in jener Messe, wie gewöhnlich, ein Puppenspiel nach Frankfurt gekommen, wie ein Brief an Kestner zum Ueberflusz beweist, so kann dies wahrlich keinen Grund zu einer sol- chen Behauptung abgeben. Das Puppenspiel von Doctor Faust hatte Goethe ohne Zweifel schon als Knabe gesehen; seine eigene Angabe, dasz er zu Straszburg den Gegenstand desselben im Sinne gehabt, scheint wenig glaublich, erst im Spätjahr 1774 zugleich mit oder gleich nach dem Prometheus scheint er ihn ergriffen zu haben. Dasz, wer den Prolog im Himmel bedacht habe, keines andern Fanstcommen- tars bedürfe, ist eine ganz ungerechtfertigte Phrase; nur die allge- meinste Idee des Stückes kann uns dieser Prolog lehren, den Goedeke Abrigens ganz irrig dem Jahre 1806 zuweist, er gehört dem Jahre 1797 an. Dasz ^Claudine von Villa-bella' Ende März 1775 fast vollendet war (S. 726) , ergibt sich als ungenau durch den Brief vom 14. April an Knebel, wo Goethe schreibt, er habe ein Schauspiel bald fertig. Die Ankunft der Grafen Stolberg wird ^in die letzten Tage' versetzt, wo die Monatsangabo ausgefallen; sie erfolgte im Mai, aber wol in der Mitte des Monats. Der Verbindung mit Klinger, Kraus und Ph. Chr. Kayser wünschte man hier auch gedacht. Das Gedicht ^sie kommt nicht' kann unmöglich auf einer Selbsttäuschung beruhen (S. 726), wenn Goethe sich auch über den Tag der Abfassung irrte. S. 738 läszt Goedeke irrig nach einem Briefe an Frau von Stein Goethe schon am 11. Februar 1776 im Conseil sitzen ; ich habe schon früher bemerkt, dasz die Jahrzahl 1776 auf Irthum beruhen musz, und der Brief ein Jahr später fällt. Erst am 28. Juni ward er ins Conseil eingeführt. Wenn Goedeke die Entstehung des Gedichtes * rastlose Liebe' auf den 11. Februar 1776 verlegt (S. 743), so scheint dies ein Versehen; w^ nigstens ist mir nicht der allergeringste Haltpunkt hierfür bekannt. * Wanderers Nachtlied' dichtete Goethe .am 12. Februar 1776. Jenes Lied bezieht sich eben so wenig auf Frau von Stein als auf Lili. -; lieber die drei ersten Gestalten der ^Iphigenie' ist Goedeke S. 755 sehr

♦) Nicht aus dem Herbst, wie Goedeke sagt; denn der Brief (Nr 83) ist falsch gestellt und offenbar der fehlende Schlusz zu Nr 88.

322 Goedeke: Grondrisz zur Geschiohte der deotsohen Diektmf.

im anklaren. Schon in die erste Hölfte des Jahres 1780 fällt die rhyth- mische Ablheilang des Stückes, wie Lavaters Abschrift ergibt, «ds welcher der Abdruck in Armbrusters ^schwäbischem Magazin' er- folgte. AufTallend ist es, wie Goedeke noch (S. 781) nachschreiben kann, Mphigenie' sei 1786 mehr Entwurf als Ausfahrung gewesen, da das Stück ja auszer der metrischen Form keine weitere Verftndernng in Italien erlitt. Ein gleicher Irthum liegt in der Behauptung, Goethe habe von der ^Nausikaa' nichts aufgeschrieben (S. 786);^da8 von Stücke wirklich angeführte und der vorhandene Entwurf stammen ge- rade aus Italien. Unter den drei Personen, von denen Goethe sagt, sie würden nie wiederfinden, was sie an ihm in Rom besessen, ist nicht an die Mailänderin zu denken (S. 789); der dritte ist unzweifelhaft sein Hausgenosse, der Maler Friedrich Bury, der zweite Fritz, dessen er auch in den Briefen an den jungen Fr. von Stein gedenkt. Ein ent- schiedener Irthum ist es, wenn S. 798 die Entfremdung von Wieland und Herder schon in das Jahr 1789 gesetzt wird ; gerade damals and in nächstfolgenden Jahren war die Verbindung eine sehr innige, die auch durch das Verhältnis zu Christiane Vulpius keine Erkältung erlitt. Ich verweise auf meine ^Freundesbilder' und auf Goethes Briefe an Herder, von deren Benutzung, wie manchen willkommenen Anfschlusz sie ans ouch bieten, sich seltsam genug bei Goedeke gar keine Spur findet, wenn er auch bei Herder, aber nicht bei Goethe die Sammlung *aas Herders Nachlasz' anführt. Auch ist die Darstellung von dem Einfiusi, den Christiane Vulpius auf Goethe geübt, von der Kälte, die seitdem nach innen gedrungen, ganz willkürlich; Goethe fühlte sieh vielmehr jetzt heiterer als je in Weimar, wozu auch die Anwesenheit H. Meyers wesentlich beitrug. Unter den paar im Briefe aus dem Juli 1793 er- wähnten Stücken ^die sie nicht aufführen werden' kann unmöglich der ^Bürgergeneral' gemeint sein (S. 803 f.), da dieser ganz eigentlich lar Aufführung bestimmt war. Goethes Aeuszcrung über dieses Stflck, das er in drei Tagen gemacht, im Briefe an Herder vom 7. Jnni 1793 ist übergangen. Unbegreiflich ist es, wie Goedeke S. 822 Goethes ^Amyntas' in den Mai 1798 setzen und auf ihn die Aeuszerung im Briefe an Schiller vom 28. Mai beziehen kann, da das Gedicht bekanntlich anf der Schweizerreise am 19. September 1797 entstand und am 25. aa Voigt gesandt ward. Ueber die während der Jahre 1797 und 1798 ent- standenen lyrischen Gedichte geben meine eben erscheinenden Erläu- terungen neuen Anfschlusz, auch über die von Goedeke irrig in einer der vielen Schriften von Erasmus Francisci vermutete Quelle der Bal- lade ^ der Gott und die Bajadere'. Was Goedeke S. 829 von Sonetten Goethes aus dem Jahre 1799 sagt, beruht auf Irthum; in den beiden angezogenen Briefstellen ist bei den ^famosen Sonetten' nicht an Ge- dichte Goethes, sondern an^lie Sonette A. W. Sohlegels anf Kotiebne in der diesem gewidmeten ^Ehrenpforte' zu denken, lieber das Krinc- ehen bei Goethe im Winter 180^^ findet sich bei Goedeke (S. 842) derselbe Irthum wie bei Lewes. Nicht der Marschall Ncy (S. 847), sondern Augereau war im October 1806 bei Goethe einquartiert.

Cioedeke : Orundriäz snr Geschichte der deutschen Dichtauf. 323

Wir begnügen uns mit diesen wenigen leicht zu vermehrenden thatsächlichen Bericlitigungen, wie sie in der Kürze gegeben werden konnten, zum Beweise dasz auch Goedeke nicht durchaus zuverlässig ist und sich oft zu nicht zu rechtfertigenden Schlüssen hinreiszen llszt oder andern unbedacht folgt *). Auf die manchen Nisurteile und die falsche Beleuchtung, welche auf nicht wenige Punkte fällt, können wir hier nicht eingehn; die Anerkennung ist höchst spärlich, dagegen der Tadel oft herbe und bitter, und die Einseitigkeit, welche überall Flecken und Schwächen sucht, wirkt nicht wolthuend, als ob der Verfasser darauf angewiesen geweseh, dem Dichter überall etwas an- suhaben. Der richtigen Würdigung werden auch diese häufig blinden Hiebe nicht nachhaltend entgegen wirken, vielmehr den wahren Werth ins rechte Licht zu rücken beitragen, aber in einem Grundrisz ist uns diese Weise doch gar zu störend.

Die in § 234 gegebene Zusammenstellang der Briefe, Gespräche and biographischen Schriftfn können wir weder für vollständig noch für wolgeordnet halten. Manches unbedeutende ist angeführt, dagegen wichtiges übergangen , die Ordnung nichts weniger als zurechlführend in diesem bunten Gewirre. Man begreift nicht, mit welchem Rechte, es wäre denn des Titels wegen, Diezmanns Schrift den Reigen führt; nanche Bücher verdienen gar keine Erwähnung, wie Nr 3. 31. 38 (ent- kalten in Nr 36) 51 usw., dagegen wären die bedeutendem Schriften als solche hervorzuheben, wogegen jetzt manche im Nachtrab stehen, ans denen früher angeführte gezogen sind. Wir vermissen n. a. die Briefsammlungen von Herder, J. v. Müller, Gentz, um von ferner lie- genden Briefen und einzelnen Schriften nicht zu sprechen. Auch in den folgenden §§ findet sich hierin eine grosze Ungleichheit, doch können wir hier auf Berichtigung und Vervollständigung dieses biblio- graphischen Abschnittes nicht näher eingehn. § 235 246 geben nach Jahren geordnet biographische Notizen, zwischen denen die Ausgaben der einzelnen Werke nebst den dadurch veranla^zten Schriften, frei- lich nicht gleichmaszig und vollständig, angeführt werden. Zum ersten Mal erscheint hier vollständig das von Goethe selbst im Jahre 1809 als Grundlage für seine Lebensbeschreibung aufgesetzte ^biographische Schema' (1742 1809), wovon ein Theil (1749 1775) schon im Jahre 1849 von Goedeke in einer Zeitschrift mitgelheilt worden. An ein paar Stellen hat Goedeke irrig gelesen. Unter dem Jahre 1775 steht hier: ^Wirklichkeits Wuns(ch) Graf Thur... Faust Bewustseyn Sich Jug ... zu..' Das letztere hat Goedeke S. 736 benutzt, und ist die Ausfüllung ^sich jugendlich zu fühlen', wenigstens dem Sinne nach, kaum zu bezweifeln. Statt ^Thur' ist aber ^Thun' zu lesen. Ueber den Graf Thun, der sich durch seine wunderlichen Erscheinungen lächerlich machte^ vgl. man meine ^ Freundesbilder' S. 88 f. Unter dem Jahre

*) So schreibt er auch S. 665 ohne weiteres A. Stüber nach , H. L. Wagner sei 1783 gestorben, obgleich dieser schon 1779 starb; der Brief, anf den sich Stöber bernft, ist von einem ganz andern Wagner, einem Mainzer.

324 Goedeko : drundrisz zur GeschicUte der dentschBii DicbtOBfC. '

1802 ist Jan verlesen oder verdruckt statt Jnni. Irrig liest Goedeke die Abkürzung *Al. Fr. nach Frankf.' * Mit Fraa nach Frankfurt' statt ^ Meine Fraa nach Frankfurt'. Goethe besuchte in diesem Jahre seine Vaterstadt nicht, wonach die Angabe S. 847 zu berichtigen ist. Was bald darauf das nach ^ Bettine' stehende * Nov.' bedeute, sagt Goedeke nicht; sollte es (Novalis) ein bloszer Schreibfehler für ^Bren- tano' sein? die darauf genannte Fraa von Savigny ist Bettinens Schwe- ster. Zwei Zeilen weiter ist wol ^ neuer Raymor' statt Raymond' ver- lesen. Raymund ist aus der Melusinensage bekannt, und da diese Auf- zeichnungen aus Tagebuchbemerkungen gezogen sind , so könnte mit diesem Namen dieselbe Geschichte gemeint sein, die kurz vorher unter dem jetzigen Namen der neuen Melusine vorkommt. Dasz dieses *bio- graphische Schema' nicht durchaus richtig sei, gibt Goedeke selbst zti, aber er hat nicht alle falschen Angaben desselben' verbessert, noch überall die nöthigcn Erläuterungen beigefügt. Wenn die ansgefQhrten ^Aunalen' manche^ Zeitverschiebungen aufzeigen, so ist dies um so we- niger hier zu verwundern; eine der bedeutendsten, denen wir hier be- gegnen, ist die Versetzung der Batschischen naturwissenschaftlichen Gcsellscl^ft in das Jahr 1783; diese ward erst 1793 gegründet. Wie sehr wir auch die Wichtigkeit des Schemas anerkennen, besonders so lange die Tagebücher selbst noch nicht veröfTenllicht sind , so können wir doch die Art, wie es in unserm Grundrisz mitgetheilt wird, nicht billigen; hier waren kurze Angaben mit Benutzung sämtlicher Quellen an der Stelle, wie sie auch sich vom Jahre 1810 an wirklich finden.

Köln. H. Düntzisr.

19.

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Uebungsbtich zum übersetzen aus dem Deutschen in das Latei- nische, Von Lorenz Brnglmann^ königU Gymnasialpro- fessor. Vierter Theil: Aufgaben zur Wiederholung der ge- samten Grammatik und zur Erlernung und Einübung der leichteren stilistischen Regeln^ aus den besten alten und neue- ren lateinischen Autoren gezogen und mit steten Hinweisungen auf die Grammatiken von Englmannund Ferd. Schultz versehen. Zweite neu bearbeitete Auflage. Bamberg 1857, Verlag der Buchnerschcn Buchhandlung. IV u. 130 S. gr. 8.

Der durch seine lateinische Grammatik vortheilhaft bekannte Hr Verfasser hat sich durch eine Reihe von Uobersetzungsbüchern vor- züglich um solche Schulen verdient gemacht, in denen seine lateinische Sprachlehre oder die von Ferd. Schultz in Gebrauch sind. Das vor- liegende Uebungsbuch beabsichtigt in 81 Nummern die grammatischen Kenntnisse der Schüler zu befestigen und zu vervollständigen. Deshalb ist stete Rücksicht auf die Grammatik genommen durch Verweisangen,

L.EnglmaoDt UebuBgsbach zum ubers. aus d. Deutschen ins Ltlein. 325

die den Schüler zum nachdenken fördern und selbständig machen. Das Material wurde zum groszen Theil ans Cicero, auch aus Livius, SaU lustius und Curtius entlehnt, wie dann von Neulateinern dem Muretus besondere Berücksichtigung zu Theil wurde. Mit der Auswahl erklä- ren wir uns zum groszen Theile einverstandeir. Billigen können wir die Aufnahme solcher Stücke nicht, die in den verbreiteten Loci Me- moriales von Goszrau usw. stehen und auch sonst in Lesebüchern sehr gewöhnlich sind, nicht zu erwähnen, dasz Schriften des Cicero wie de amicitia, de senectute von Schülern auf dieser Bildungsstufe oft ge- lesen werden. Dahin zählen wir z. B. Nr 22: das alte Syracus, Nr 32, Nr 60, Nr 63. Eben so wenig hätten wir Nr 20: wie die Athener den Homer, die Lakedämonier den Tyrläus geehrt haben, Nr 39: Rede des Mioipsa, aufgenommen: Stücke, die man sehr oft findet und gewöfao- lich in wörtlichster Weise, so in dem verbreiteten Uebungsbuche für Tertia von Spiesz. Da galt es andere, noch unbenutzte Aufgaben za sammeln, oder unter Zugrundelegung des lateinischen Textes eigene anzufertigen , wie dies in trefflicher Weise von Süpfle geschehen isL Ein Uebungsstück wie Nr 18 aus Cic. off. 1, 10 scheint uns für die ge- dachte Bildungsstufe weniger geeignet, ist wol auch zu schwer. Wenn wir ferner es loben müssen, dasz sich der Verf. bei der Uebertragung möglichst an den lateinischen Text anschlosz, ohne im ganzen dadurch der Muttersprache beengende und zwingende Fesseln anzulegen, so gehören Sätze wie der folgende zu den nichtgelungenen. Nr 9: denn sowol der, welcher gut regiert, musz nothwendig irgend einmal ge- horcht haben, als auch scheint der, weither bescheiden gehorcht, wür- dig zu sein einst zu regieren. Daselbst ist 6) zu lesen: Gr. E. § 208 b A. 3. Die öfters gestellten Fragen in den zureichenden Noten sind praktisch; ebenso gefallt uns die öftere Verweisung aufCäsars Schrif- ten. Die synonymen Unterschiede sind recht zweckmäszig; vielleicht gefällt es dem Hrn Herausgeber bei einer neuen Auflage, die nicht ausbleiben wird, hierin etwas mehr j^ thun. Gelegenheit dazu ist vor- handen. Die Rücksicht, die auf einzelne Stilregeln genommen wurde, ist nur zu billigen. Die äuszere Ausstattung, groszer gefälliger Druck, weiszes Papier, gefällt sehr.

Sondershausen. Harimann.

20.

Aufgaben zu lateinischen Slilübungen con K. Fr. Süpfle, groszh* badischem Hofrathe, Zweiter Theil. Aufgaben für obere Klassen. Achte verbesserte und vermehrte Auflage. Karls- ruhe 1857, Druck und Verlag von Chr. Th. Groos. VIII u. 432 S. 8.

Obschon die Süpfleschen Uebungsbücher ihrer Anlage und inneren Einrichtung nach genugsam bekannt sind, wie dies die rasche Auf-

326 K. Fr. SQpflo: Aufgaben za lateinischen Stiiabangea.

einandorfolge der Annagen beweist, so glaubte Ref. doch mit einer kurzen Anzeige und Nachweisung, wodurch sich die neue Aasgabe wesentlich von der älteren unterscheidet, nichts üborflassiges ca tbnn. Die Verbesserungen anlangend, so beziehen sich diese besonders auf den Text der Aufgaben, indem sowol der Inhalt an vielen Stellen be- richtigt als auch die Darstellung bestimmter und schärfer gefaszt wurde. Die erste Abtheilung des Buches, Aufgaben über bestimmte Theile der Grammatik enthaltend, wurde mit 16 neuen Stücken vermehrt, weil gerade diese. Abiheilung jedes Jahr vorzugsweise übersetzt wird. Eine Abwechslung wird daher nur erwünscht sein. Des Ref. Wunsche, das 90e Stück mit einem anderen zu vertauschen , ist Genüge geschehen. Die zweite Abtheilung, freie Aufgaben, erhielt einen Zuwachs von 10 neuen Nummern, vorzugsweise damit zwischen den grösseren susam- menhängenden Partien und denjenigen Aufgaben, welche jede fflr sich ein abgeschlossenes ganzes bilden, ein richtigeres Verhiltnis herge- stellt werden sollte. Ref. hat die neuen Aufgaben, auch eine Zahl der älteren, wiederholt verglichen und dabei mit Vergnügen gesehen, dasz ein von ihm für seine Zwecke ausgearbeitetes Stück (Nr 117) mit eini- gen Abänderungen Aufnahme gefunden hat. Nachfolgende Bemerkun- gen glaubten wir machen zu können ; vielleicht sind einige geeignet auch in der nächsten Auflage Berücksichtigung zu erhalten.

Entbehrlich ist Nr 120, 2,,denn das Stück wird doch ganz über- setzt, und 118,11 war kaum erst das nöthige angegeben worden; ebenso 139, 8. Nr 162, 6 entweder kurz durch das impcrf. des conatus oder vgl. 142, 18. Nr 164, 20 konrite leicht ein lateinisches Beispiel weg- bleiben , dafür z. B. elg *ji(ifi(ovog. Mit Nr 150, 3 vgl. auch Caes. b. g. 7, 69: ante id oppidum planicies patebat. 179, 16 wol auch subigere. Im Texte Nr 82 ist die Stellung unklar : denn gleichwie der Tod ver- haszt sei ihm. In 125 , 10 ist sub zu tilgen. Vgl. Wüstemann opnse. Doeringi p. 135, 15; Stürenburg Cic. p. Arch. § 25. Zu 304: der Grösse der Thatsachen usw. konnte wol^all. Cat. 3, 2 oder Cic. orat. 36, 123 abgedruckt werden. Verweisungen sind nöthig Nr 119, 17 auf 160» SO, und genügen Nr 134, 7 vgl. 128, 6; Nr 189, 14 auf 181, 4, wo, wenn überhaupt nöthig, auch: adverb. steht; Nr 219, 6 vgl. 184, 3; Nr 305 vgl. 258, 21.

Druck und Papier schön; indes sind uns folgende Druckfehler yor- gekommen. S. 89 lies: Nahrung ^^); S. 101 im Texte fehlt zu: *von Seiten' die ZilFer; S. 151 l. Tib.; S. 172 l. C. B. C. 3, 56; S. 198 fehlt zu: 'frei' die ZilTcr 17; S. 199 1. alicui; S. 228 l. Caes.; S. 256 I. Terenz; S. 266 l. habitus. Im übrigen wird das zweckmuszige und tüchtige Buch auch ferner der Schule ersprieszliche Dienste leisten.

Sondershausen. Hartnumn.

Br CA« Kletke: die BegrQadoog der breslaaer Beahcbale. 32/

Die Begründung oder Vorgeschichte der breslauischen Bürger^ oder Realschule am Zwinger. Von dem Ursprünge ihrer Idee im Jahre 1816 bis zu deren Ausführung im Jahre 1836 nach amtlichen Quellen dargestellt von Dr C. A. Kletke. (Pro- grdLmm der Realschule am Zwinger vom Jahre 1857).

Ich hatte erst kürzlich Veranlassung darauf hinzuweisen, wie eine historische Betrachtung des Realschulwesens demselben von we- seBtlichem Nutzen sein werde. Denn die abliebe Methode aber das-» selbe sich zu äuszern pflegt gerade das zur Voraussetzung zu machen, was Hauptgegenstand der Untersuchung sein sollte, das Bedürfnis. Dieses aber gründlich kennen zu lernen genügt nicht einmal eind allgemeine historische Betrachtung, sondern die Sache müste auf verschiedenen Punkten angefaszt werden. Specialgeschichte'n der einzelnen Realschulen scheinen mir darum höchsf wün- schenswerth, indem sich aus ihnen deutlich ergeben mäste, welchen Bedürfnissen und Mängeln, welchen Wünschen und Absichten durch die Gründung solcher Schulen begegnet werden sollte, unter welchen Verhältnissen sie ins Leben traten,, wie sie sich allmählich gestalteten, nil welchen Hindernissen sie zu kämpfen hatten, welche Erfolge sie ui erringen wüsten. Hier werden nicht Phrasen und allgemeine Ge* danken die Grundlage der Darstellung bilden, sondern bestimmte, nach- gewiesene Thatsachen. Auf diesem Wege wird ein Material anwach- sen, das ganz vorzugsweise beitragen wird die noch immer nicht ab- geschlossene, salbst in ihren Fundament&lsätzen nicht feste Realschul- frage so weit zur Lösung zu bringen, als es bei ihrer Natur überhaupl mdglich sein wird.

So kann denn die vorliegende Programmabhandlung des verdien- ten Director Dr Kletke in Breslau nur mit aufrichtigstem Danke be- grfiszt werden : es ist ein Stück Specialgeschichte in dem oben erörter- ten Sinne, jedem Freund des Schulwesens lebhaft zur Beachtung zu empfehlen.

Am 22. Januar 1816 schrieb der Probst Rahn in Breslau an den Magistrat, ob £s nicht ersprieszlich sei bei Gelegenheit der Friedens- feier eine fromme Stiftung als ein ^immerwährendes Bundesdenkmal' SU veranlassen, und schlug die Gründung einer eigentlichen Bürger- schule nach dem Muster der leipziger vor. Als der damalige Bürger- meister von Breslau, Menzel, auf diesen Gedanken sofort eingieng und bemerkte, dasz ohnedies damit ein vorhandenes Bedürfnis angeregt werde, wandte sich jener schon am 28. Januar an die Einwohnerschaft Breslaus mit der Bitte um Beiträge. Die Stadtverordneten bewilligten einen Bauplatz und begründeten einen Bürgerschul-Fond durch Schen- kung von 1000 Tbalern , Probst Rahn selbst fügte andere 1000 Thaler hinzu ; doch kam der Plan noch nicht gleich zur Ausführung. Eine Be- kanntmachung des Magistrats in der schlesischen Zeitung tom 29. October

N, Jahrb. f, PhU. u. Paed. Vd LXXVIII. 6. 22

328 Dr C. A. Kletke: die Begrandong der bresliner Realiehiltb

1817 zeigt schon bestimmter den Charakter der künftigen Schule; sie soll mitten inne stehen, heiszt es, zwischen Gymnasium und Elemen- tarschule; sie soll mehr gewahren als den bloszen Elementaranterricht, sich aber auch nicht einlassen auf denjenigen höheren wissensohafl- liehen Unterricht, dessen nur die biedürfen, die sich den eigeotliohen gelehrten Studien widmen. Darauf ward denn am 1. November 1817 der Grundslein zu der i^euen Schule gelegt; ansehnliche Geschenke flössen dem Unternehmen zu. Am 13. September beschlosz die Schul- deputation^ dasz die Bürgerschule so weit gehen solle als die mittle- ren Klassen der Gymnasien. Aber erst Ende 1825 war das Haas vol- lendet, noch fehlte es an den Mitteln, um ein LehrercoUegiam %m be- solden. Die Sache verzögerte sich, aber in diesem langsamen Bat- wicklungsprocesz bildete sich die ursprüngliche Idee weiter aoa. Man kam von der ^Bürgerschule' auf die ^höhere Bürgerscbale% also anf ein Gebiet, dessen Organisation noch nicht feststand, also allerlei Aa- sichtsverschiedenheiten zuliesz. Es ist gar interessant zu sehen, wie in dieser Einzelgeschichte fast alle die Fragen auflreteA, nm deren Lö- sung sich es im Grunde noch heute handelt. Bürgermeister Meniel faszt die Bestimmung der Realschule scharf ins Aoge, wenn er (29. April 1828) die Schule denjenigen Jünglingen bestimmen will, die nicht studieren wollen; sie sollen in ihr so viel lernen als nöthig ist, nm aus ihr vollständig vorbereitet und gebildet in diejenigen Facker des bürgerlichen Geschaftslebens , welche nicht gerade eine wissen- schaftliche Bildung im strengen Sinne dieses Wortes erfordern, Qber- gehen zu können. Ebenso will Menzel den Unterricht in Sexta, Quinta, Ouarta noch nicht trennen, dagegen soll «eben den drei oberen Gym- nasialklassen eine Bürgerschcn-Tertia, Secunda, Prima gegründet wer- den,— wir sehen hier offenbar die Organisation der sachsischen Scha- len zu Plauen und Zittau. Ferner warnt derselbe einsichtige Mann Tor allem zuweitgehen, weil die Bürgerschule doch nie eine polytech- nische werden könne; die neue Schule sollte auch keine Fach- schule werden.

Menzels Promemoria veranlaszte gatachtliche Adnszernngen der Rectoren vom Magdalenen- und vom Elisabeth-Gymnasium, Prof. Reiche und Prof. Kluge, so wie des Superintendenten Dr Tscheggey. Wahrend der letztere mehr die gewerbliche Tendenz der neuen Schule ins Auge faszt und auf der obern Stufe eine Scheidung nach Berufsfftcbem (G^ werbs- und Handelsklasse) vorschlügt, geht Reiche gründlich nnd tief in die Realschulfrage ein. Bei aller Begeisterung für den humanisti- schen Bildungsgang, bei der Anerkennung, dasz dieser zu dem Ziele der höchsten Bildung führe, behauptet er doch dasz es noch einen andern Weg geben müsse , auf dem man wenigstens ein sich jenem höchsten Ziele näherndes erreichen könne : wo nicht, so sei es nm die Tüchtigkeit vieler Menschen geschehen, die sich ^zu einer Stufe der Bildung erhoben haben müsten , deren letzte Ergebnisse denen eines philosophisch -wissenschaftlichen Studiums ähnlich, wenn auch nicht gleich seien'. Ihm ist der Zweck einer ^höheren', d. h. wahren Bflrger-

Df C. A. Klötke : dio BegrüBdang der breslaaer Reatedhol«. 329

schule folgender: ^dem für das Gewerbe bestimmten Schüler eine höhere und ebenso formale, nur eine andere Richtung nehmende Bil- dung zu geben, wie sie. der Litterat erhält; den Sinn und die Empfäng- lichkeit für diejenigen Wissenschaften zu wecken, welche die allge- ■i^ine Grundlage einer geistvollen, nicht blos mechanisch angelernten Gewerbsthatigkeit sind; ihn mit den Elementen dieser Wissenschaften SU Yersorgen und demselben die Bahn su zeigen , auf welcher er ver- mittelst des Selbststudiums weiter fortschreiten könne; ihm den Zu- sammenhang zu eröffnen, in welchem jene Wissenschaften mit dem Leben stehen; seinen Blick zu erheben über die eingeschränkte Gegen- wart und die engen Grenzen seiner Provinz;- sein Denkvermögen auf alle Weise in Anspruch zu nehmen , auch vermittelst solcher Kennt- nisse, welche nicht unmittelbar Brod bringen, doch ihm stets dieRich- lung auf das praktische zu geben ; endlich nichts weniger zu vernach- lässigen als sein Sprachvermögen , insonderheit die Kraft der Sprache mächtig zu werden welche ihm angeboren ist.'

Eingerichtet will Reiche die höhere Bürgerschule in der Art wis- se!, dasz sie 6 Klassen enthalten solle, deren drei untere ganz denen der Gymnasien parallel gehen sollten, weil sich für diese Klassen kein geeigneteres formales Bildungsmittel fände als das Latein; erst von Tertia ab sei eine besondere Organisation nöthig. Von da a^ läszt er den lateinischen Unterricht ganz (?) fallen und legt dafür Gewicht auf. das Deutsche und Französische: bei jenem will er sogar die praktische Philosophie, Psychologie und Logik herbeiziehen. Mit Nachdruck be- lOBl er die historischen Wissenschaften, Mathematik und Naturwissen- schaft. Die Aufgabe einen Lehrplan zu entwerfen lehnt er ab.

Rector P.rof. Kluge erblickt in dem Plan der Begründung einer höheren Bürgerschule zwei Absichten: die gelehrten Gymnasien ihrer ursprünglichen Bestimmung ganz wiederzugeben and ein neues Bildungsinstitut für nichtStudierende zu errichten. Die Existenz einer höheren Bürgerschule werde die Gym- nasien aus ihrer bisherigen Halbheit befreien: beide Anstalten werden ihr Princip consequent durchführen können. Kluge will die Anstal- ten von unten auf trennen, weil zwar in beiden Schulen Latein zu leh- ren sei, dieses aber in der höheren Bürgerschule .eine andere Stellung einnehme: es müsse beschränkt werden und bereite eigentlich nur zur formalen Bildung vor. Uebrigens faszt er nur eine Unterrealschule ins Auge, indem ^Alter, Lage, Bestimmung der Schuler in den meisten Pillen den Aufenthalt in der Tertia schon nicht gestatten werden.'

Der Magistrat beschlosz die neue Schule selbständig zu organi- sieren und ersuchte den Rector emer. Etzler einen Plan zu entwerfen. Dieser bestreitet in seinem Gutachten (22. August 1828) überhaupt das Bedürfnis einer solchen Schule. Man mute den Eltern eine zu zeilige Entschlieszung über den Bildungs- und Berufsweg ihrer Söhne zu und erbaue die neue. Schule durch die Voraussetzung, dasz ihre Schüler nicht studieren werden, auf einem sehr schwankenden Grunde. Die Schule werde über kurz oder lang ein Gymnasium oder eine polytech-

22*

330 Dr C. A. Klelke: die BegrOndang der breslaaer Realsehnk«

nische Anstalt werden. Auf der andern Seite misbilligte er das Be- streben der Gymnasien , den realen Unterricht von sieb absowilxen, und befürwortet denselben mit warmen, immerhin beachtenswerthell Worten (S. 18).

Sein nur auf drei untere Klassen angelegter Plan ward tqbi Magistrat nicht angenommen , dagegen die städtische SchuldeputatioD mit der Abfassung betraut: unter dem 18. Januar 1830 legten Tscheggey, Reiche und Rector Morgenbesser (an der Bürgerschule cum heiligen Geist in Breslau) den Entwurf eines Lehrplans vor, worauf der letst- genannte beauftragt wurde einen definitiven Schulplan auszuarbeiten ; dieser ward im folgenden Jahre genehmigt und von der königlicheD Regierung im allgemeinen bestätigt, wobei die bei der Anwendung durch einen Schuldirigenteu nölhig werdenden Veränderungen vorbe- halten wurden. Dieser Plan definiert die Schule als eine allgemeine Bildungsanstalt und gibt ihr 6 Klassen, von denen die 4 unteren einen Cursus von 1^^ Jahren, die 2 oberen einen zweijährigen haben. Latein ^4 Stunden) und Französisch (2 Stunden) beginnen in Klasse 4 und er- halten sich in Klasse 3 in derselben Stundenzahl: in den beiden oberen Klassen findet das umgekehrte Verhältnf^ statt;

Aber erst 1835 konnte man daran gehen die Schule wirklich ins Leben zu rufen. Nachdem der zum Rector designierte Rector zu Frank- furt a./O. , Wiecke, abgelehnt hatte, wurde der Gymnasiallehrer and Privatdocent Dr Kletke gewählt und bestätigt. Durch diesen wurde sofort der Morgenbessersche Plan dahin modificiert, dasz anszer den beiden Elementarklassen 6 Realklassen errichtet wurden, deren oberste den inzwischen erschienenen Bestimmungen des Regulativs für die Bnt« lassungsprüfungen vom 8. März 1832 genügen sollten, eine Aendernng, die nicht blos die Genehmigung, sondern auch die ausdrückliche Appro- bation der Regierung erhielt. Mit 4 Klassen ward die höhere Barger- schule eröffnet, zunächst nur bis Tertia ; die Eröffnung fand am 15. Oe- iober 1836 statt.

So weit führt uns Herr Dir. Dr Kletke in seiner interessanten Schrift, die sich hoffentlich bald vervollständigt, ind^ sich an die Vorgeschichte die Geschichte der Anstalt anschlieszt. Für die BbU Wicklungsgeschichte' der Realschule wird auch die weitere Geschiohte der Anstalt sicher interessante Beiträge liefern.

Wir glaubten den Freunden des Schulwesens einen Hinweis auf dieses Schriftchen schuldig zu sein, und empfehlen es insbesondere Freunden wie Gegnern der Realschule und allen, die sieh für Organi* sationsfragen interessieren, angelegentlichst.

Frankfurt a. M. F. Paldamus.

J«riehl« Ober gelehrte Anstalten, Verordnungen, Statist. Notiiea«- 331

m

Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, statistische Notizen, Anzeigen von Programmen.

Cassel.] Aus der Chronik des Gymnasioms ist folgendes mit^thei- len: der l]|^aaftrBgte Lehrer Kellner gieng an das Gymnasium zu Rin- teln über , wo durch das abieben des Dr L o b e eine Aushülfe im Unter- richte nöthig geworden war, kehrte jedoch vom 1. Januar d. J. an in seine frühere Stellung am hiesigen Gymnasium zurück. Der Gymnasial- lehrer Dr Weher am Gymnasium zu Marburg wurde in gleicher Eigen- schaft an das hiesige Gymnasium, der ordentliche Lehrer DrFürstenau yon dem Gymnasium in Cassel an das zu Hanau versetzt. Der Zeichen- lehrer Pf äff wurde auf sein nachsuchen vom Zeichenunterricht ent- bunden; an seine Stelle trat der Zeichenlehrer Schwarz« Die Prak- tikanten Gorland und Stähle, welche zur Erstehung ihres Probejah« res dem hiesigen Gymnasium zugewiesen waren, verlieszen ihre Thil- tigkeit, indem ersterer mit Aushülfe im Unterricht am Gymnasium jsu Hanau, letzterer an dem zu Rinteln beauftragt wurde. Der Prakti- kant Dr E. Yilmar wurde, ohne seinen Vorbereitungsdienst als Gjm- nasialpraktikant vollendet zu haben, zum zweiten Repetenten an der Stipendiatenanstalt zu Marburg bestellt Der bisherige Praktikant Rie- del wurde zum Hülfslehrer ernannt. Der Candidat der Philologie Sie- bert wurde zur Erstehung seines Probejahrs als Praktikant zugelassen. Nach Maszgabe dieser Veränderungen im Personalbestande des Lehrer- oollegiums ertheilen dermal Unterricht: l)neun ordentliche Lehrer: Dr Matthias Director, Dr Flügel, Dr Riesz, Dr Schimmelpfeng, Dr Klingender, G.-L. Schorre, Dr Weber, Dr Grosz, Dr Lin- denkohl; 2) ein Hülfslehrer: Riedel; 3) sechs beauftragte Lehrer: Preime, Auth, Ernst, DrVogt, Kellner, Caplan Breidenback (Religionslehrer für die katholischen Schüler); 4) ein Auscultant: Sie- bert; vier auszerordentlicbe Lehrer: Geyer (im Schreiben und Rech- nen), Rosenkranz (im Singen), Schwarz (im Zeichnen), Reinhardt (anshülfsweise im Schreiben). Den Unterricht in Leibesübungen leitete der Gymnasiallehrer Schorre: Die Schülerzahl betrug am Schlüsse des Schuljahres 249 (1 21, II 34, IH 56, IV 62, V 48, VI 28). Das Gym- nasium bestand aus zehn in besonderen Lehrzimmem unterrichteten Klas- sen , einer Prima , einer Gesamt- und einer Unter- Secunda , einer Ge- samt- und einer Unter-Tertia, zwei parallelen Quarten, zwei parallelen Quinten und einer Sexta. Abiturienten: 10. Den Schulnachrichten geht Toraus: commeniationis de Antigoni Gonaiae vUa ei rebus gestis pari, I. 27 S. 8. Von dem Hülfslehrer Riedel. Cap. I. De Antigoni Qonatae genere, anno natali, nomine. Cap. II. De rebus ab Antigono gestis Tivo patre Demetrio. 1. De hello Thebis illato. 2. De reliquo tem- pore usque ad mortem Demetrii. Cap. III. Antigonus Macedoniae regnum occupat. Die Regierungszeit des Antigonus soll den Inhalt des zweiten Theiles bilden.

FiTLDA.] In dem verflossenen Schuljahre 1857 58 trat in dem Leb- rercoUegium eine Personalveränderung nicht ein ; mit dem Schlüsse des- selben aber schied der bisherige Gymnasialdirector Schwartz aus sei- ner amtlichen Stellung, indem demselben die in FUge einer von der herzoglich-nassauischen Landesregierung als Ober-Schulrath und Direc- tor des Gymnasiums zu Hadamar an ihn ergangenen Berufung nachge- suchte Entlassung aus dem Staatsdienste vom 1. April d. J. ertheilt wurde. Der Nachfolger desselben ist noch nicht ernannt; die Directo- rial-Geschäfte werden daher einstweilen von dem ältesten Lehrer des

332 Berichte aber gelehrte Aostallen, Verordnangeo, itatift NoUsml

Gjmnasiams , Dr Weis mann, besorgt werden. Bestand des Lehrercol- logiums am Schiasse des Schuljahrs: Gymnasialdirector Schwarte, Dr Weismann, Dr Gies, Hahn, Dr Lotz, Bormann, Donner, Schmitt, Geg'enbaur, Dr Osterniann, Schmittdiel, evangel. Keligionslehrer Pfarrer Roll manu, Schreiblehrer J e s s 1 e r , Gesang- lelirer Henkel, Zeichenlehrer Binder. Am Schlüsse des Schuljahres betrug die Zahl der Schüler 217 (I 24, II 40, lU« 13, Ul^ 28, IV 35, y 38, VI 39), darunter 130 katholische, 75 evangelische, 6 israelitische. Die Frequenz des Gymnasiums, welche schon seit mehreren Jahren in fortwährendem steigen begriffen war, hat in dem letzten Schuljahre eine Höhe erreicht, auf welcher sie sich, so lange die Anstalt besteht, nicht befundeu hat. Abiturieirten: 5. Den Schulnachrichten ist.Yorausgedchickt eine wissenschaftliche Abhandlung von dem Director:* Eigils Leben dee h, Sturmius, üeberseizung und Anmerkanycn. Zweite Abtheilung. 32 S. 4. Dieselbe bildet die Fortsetzung und den Schlusz der von demselben Vf. im Jahre 1850 als Programm zur tausendjährigen Hrabannsfeier nnter dem Titel 'Bemerkungen zu Eigils Nachrichten über die Gründang und Urgeschichte des Klosters Fulda' herausgegebenen Abhandlung. Es liegt hiermit die Hauptquelle der ältesten Geschichte Fuldas, das von EigU verfaszte Leben des h. Sturmius, in deutscher Bearbeitung vollständig vor. Der Uebersetzung liegt der Text der Monumenta Gerraaniae hi- storica (Pertz II 372 377 Kap. 15 25) zu Grunde, und der Voll- ständigkeit wegen ist derselben auch der an die Jungfrau Engeltrnd gerichtete Prolog vorausgeschickt. In den der Uebersetzung nachfol- genden Anmerkungen ist nicht nur die gedachte Biographie selbst, wo es erforderlich oder wünschcnswerth schien, erläutert, sondern ea sind auch alle bei der älteren Geschichte des Klosters Fulda in Frage kommenden Puncto mit Benutzung der Quellenschriften und Urkunden sowie der besten neueren Hülfsmittel beleuchtet. Von demselben Ver- fasser wurde zur Feier des 25jährigen Directorat- Jubiläums des Gjm- nasialdirectors Dr W. Münscher zu Hersfeld eine demnächst im Druck erscheinende Abhandlung geschrieben , welche den Titel führt : de Arno- nymo tpti dicüur Gemblacensi, Vitae S, Lullt seriptore, commentaUo adieeti» monwnentU et iestmoniit quihusdam hisioiicU ad S, LuHum KpectanUbue, Ge- genstand der Abhandlung ist eine Untersuchung über die von Mabillon in seinem Elogium S. Lulli benutzte Lebensbeschreibung des Ersbisohofs Lullus, Gründers des Klosters Horsfeld, insbesondere über die Heimat und Zeit des Verfassers, über den Werth dieser Schrift und ihr Ver- hältnis zu den Nachrichten der älteren Quellenschriften. Ergebnis der Untersuchung ist, dasz diese Schrift von dem bekannten Chronographen Sigibert von Gemblours, der sie nach Mabillons Vermutung verfasit haben soll , nicht herrühren könne , dasz der unbekannte Verfasser über- haupt nicht in Gemblours, sondern höchst wahrscheinlich in dem Klo- ster Hersfeld zu suchen sei und die Zeit der Abfassung der Schrift swi- sohen die Jahre 852 und 1040 fallen müsse, dasz mithin dieselbe den eigentlichen Quellenschriften zur Geschichte des Lullus nicht beizusSfa- len sei, ihr vielmehr nur ein untergeordneter Werth zugestanden werden könne. Als Anhang ist der Abhandlung beigefügt eine Auswahl der historisch wichtigsten von und an Lullus geschriebenen Briefe und eine Zusammenstellung der in den gleichzeitigen Quellenschriften über das Leben und wirken des Lullus enthaltenen Nachrichten.

Hanau.] Auid^ der Chronik des Gymiiasiunis ist mitzutheilen , dan der Gymnasialpraktikant Melde zu Fulda mit Aushülfeleistnng während der Erkrankung des Dr Dommerich beauftragt, der Hülfslehrer Dr O. Vilmar zum ordentlichen Lehrer befördert, der Gymnasialpraktikant am Gymnasium zu Cassel G o r 1 a n d mit Aushülfeleistung beaoftragt und der ordentliche Lehrer am Gymnasium zu Cassel Dr FSritenaa

Berichte iber f elefarle Anstalten, Veirordnangen, «tatuL Notisea. 333

in gleicher Eigenschaft an das hiesige Qymnasinm versetzt wurde, nach- dem der beauftragte Lehrer Dr Her ans seine Stellung verlassen hatte, um als Lehrer an das königlich-preuszische Gymnasinm zu Hamm, wo- hin er berufen war, überzugehen. Der Gymnasialpraktikant Münscher, dessen Probejahr zu Anfang Janaar abgelaufen war, wurde mit Fort- versehung des Unterrichts bis zum Schlusz des' laufenden Semesters be- auftragt. Das Lehrerpersonal hat gegenwärtig folgenden Bestand: Dr Piderit, Director, Dr Dommerich, Dr Fürstenan, Dr Fliedner, Casselmann, Dr Vilmar, Hülfslehrer Dr Suchier, beauftragte Leb- rer Pfarrer Fuchs, Junghann, Gerland, Münscher, auszer- ordentliche Lehrer Zimmermann, Eichenberg. Die Schülerzahl belief sich im Sommerhalbjahr auf 105 (I 17, II 15, Ul 35, IV 18, V 12, VI 8), Abiturienten 4, jm Winterhalbjahr auf 101, Abiturienten 6. Den Schnlnachrichten ist vorausgeschickt: zur Kritik und Exegese von Cicero de oraiore von Dr E. W. Piderit. 20. S. 4. Die Abhandlung ist die Fortsetzung einer kleineren Gklegenheitsschrif t , die zur Feier des 25jährigen Directorat-Jubiläums des Gjmnasialdir. Dr W. Münscher SU Hersfeld am 31. October vorigen Jahres unter dem gleichen Titel: zur Kritik und Exegese von Cicero de oratore (9 S. 4) erschienen ist. Die dort behandelten Stellen sind : I 12, 53, wo statt des herkömmlichen ^uod volei zur Vermeidung der unerträglichen Anakoluthie vielmehr guoad volet oder quod in dem Sinne von quoad zu lesen sei; fcl3, soll gelesen werden entweder: decivium, de comnami omnium hominum iure (gentium Glossem), oder noch besser: de dvium^ de gentium iure (com- mtmi und hominum Glossem); I 27, 125 sollen nach habet die Worte übtd (nemlich das crudum esse und nolle des Schauspielers) habet durch ein Versehen des Abschreibers ausgefallen sein; I 29, 132 statt unns ptUerfamUias lieber unus. e multis; I 59 , 253 wird mit Streichung des Glossems ^iuris peritos' qui ipsi sint peritissimi gelesen ; II 2, 6 werden die grammatisch nicht zu rechtfertigenden Worte et ingeniis als auch in den Zusammenhang der Stelle nicht recht passende Interpolation aus dem Text wieder entfernt; II 9, 38 wird der Concessivsatz für unpassend #rklSrt, etsi und tamen' daher gestrichen und weiter ifo* gelesen: hoc eerUu$ nihil esse potest, quam ( quod omnes artes aliae sine eloquen- iia monus suum praestare possunt, orator sine ea nomen suum obtinere Aon potest ) ut ceteriy si diserti sint, aliquid ab hoc (sc. oratore) ha- beant, hie (orator) nisi domesticis se instruzerit copiis, aliunde dicendi eopiam petere non possit; II 20, 86 sollen nach dem unleugbaren Zusam- menhang die Worte von ^quod' an so gelesen werden : quod alterumy non ftteere quod non optime po8$is, divinUatis mihi cuiusdam videtur, alterum, fa- eere quod non pessime faciasy humamtaivt. An diese acht Stellen sollen ^h nun die zwölf, die den wissenschaftlichen Inhalt des diesmaligen Osterprog^amms bilden, weiter anreihen, und so zugleich mit jenen ge- uriasermaszen eine etwas ausführlichere prolusio zu der bereits angekün- digten Ausgabe von Cicero de oratore bilden, die noch im Laufe dieses Jahres erscheinen wird. Die hier behandelten Stellen sind: I 10, 41 wird gründlich nachgewiesen, dasz die recipierte Lesart zu verwerfen und an der ursprünglichen zurückzukehren sei: ceteri in iure vindicarent pkyski. Mit dem Ausdruck in iure vindicare bezeichne Scävola das Verfahren ▼or dem Magistrat, wodurch das Prozessverhältnis zwischen den Parteien begründet wird und seine Form erhält, im Gegensatz von in iudicio 'vor dem Richter', wohin alles andere ge- hört, was zur Erledigung des Rechtstreites erforderlich ist. Es werde also mit dem Ausdruck in iure vindicarent, der ganz parallel steht mit agerent lege, sehr passend, da es sich eben um einen Eigenthumstreit handele, diese specielle Form der legis actio , die vindicatio in iui-e be- Beichnet. I 51, 219 sei die Lesart rerum omnium naturam falsch, und ea

334 Beriohle über gelehrt Anstalten, YerordnoDgen, statisL NoIiMB.

werde dem Zusammenhange nach (Antonias weise die an den Eedner gestellte Anforderung, das specielle Studium der Ethik, als unberechtigt zurück) zu lesen sein : hominum nahtram (oder naturas) mores atque ratüh nes, II 16, 69: die Behauptung Eilendts, dasz per ge, das in der Val- gatlcsart vor non incommode steht , handschriftlich nicht begründet sei, sei nicht ganz richtig, da der Erlangcnsis II per so tuentar habe. Es sei aber per se um des nachdrücklichen Gegensatzes gegen das yorher- gehende ^a doctore tradi' und Misccre' nicht zu entbehren; seine rich- tige Stellung finde es dann hinter incommode. Das folgende Verbau aber sei nicht perseqni, sondern adsequi gewesen; hinter per se hätten namentlich am Ende der Zeile die Silben ^ad se' leicht wegfallen können. Es führe demnach die Lesart des Erlang. II tuentnr auf das futurum adsegiieniur j was als Ausdruck der Versicherung, dasz dies unzwei- felhaft eintreten werde, hier jedenfalls den Vorzug verdiene; nur sei dann auch im unmittelbar vorhergehenden didicerint statt didieeruni za schreiben. II 17, 73 wird idcm artifex für ein Glosscm erklärt und ge- lesen : non sane quemadmodum in clipeo minora illa opera facere discat laborabit, so dasz die Einschiebung von ut nicht nöthig ist; Antonius stelle nemlich hier nicht Bild und Gogcnbild, jedes gesondert, gegen- über, so dasz auf der einen Seite die künstlerische ThUtigkeit des Phi> dias, auf der andern, dieser gegenüber, die des Redners stünde, sondern er lassft Bild und Gegenbild zusammenfallen. II 23, 96 wird die hand- schriftliche Lesart in Schutz genommen und gezeigt, wie durch unrich- tige Interpunction die Auffassung des Sinnes getrübt wird. Das Komma soll nicht hinter dicere, sondern erst hinter ubertate gesetzt und also die Worte in summa ubertate zu dem Zwischensatz ut in herbis rustici Bolent diccre sc. incsse luxuriem gezogen werden. II 41 , 170 wird gezeigt, wie der auf den ersten Anblick etwas fremdartige Sati ai yero adseqnetur cet., welchen Bnke schol. hypomn. II p. 163 f. ganz ana- stoszen oder ihm eine andere Stelle am Schlusz des § 178 anweisen will , sich bei genauerer Betrachtung so wenig als störend erweise, dass in ihm vielmehr eine hier ganz passend angebrachte Ergänzung and Vervollständigung des vorausgehenden Gedankens zu finden sei. II 61« 248 soll statt des unerklärbaren severe gelesen werden et severiSj wo- durch auch der Parallelismus mit dem Gegensatz: in turpicnlis et quoH defomdbus hergestellt und zugleich eine specielle Bestimmung zu hone- stis in rebus hinzugefügt werde, die nicht wol entbehrt werden könne. III 25, 99 soll mit Rücksicht auf Plin. bist. nat. XIII 3, 4 und XVII 5, 3 statt ceram terram und statt olere sapere gelesen werden. III 28, 110 soll dem Gedankengang gemäsz geschrieben werden: atque haetenus etiam in instittiendo divisiune utuntur, nemlich ei qui institunnt, die rhe- torischen Techniker: ^und insoweit braucht man ja auch die eben eir- wähnte (hac) Eintheilung beim Unterricht\ III 46, 181 soll das zweite inventnm nach gratum durch ein Versehen in den Text gekommen sein; es sei hier gar nicht zu brauchen, da der Satz id enim cet. die ästhe- tische Angemessenheit des erwähnten inventum durch eine allgemein anerkannte Thatsache (nicht durch ein neues in ventum) begründen solle. III 47, 1K2, wo der Inhalt von Aristot. Rhet. III 8 genau wiedei^ gegeben wird, habe Cicero ganz Recht, wenn er von Aristoteles sage: priimtm ad herouin nos pedem invitat prohaiur autem ab eodem illo tnaxinie paeon. Die Worte dactyli et anapaesti et spondei seien offenbar ein spätes Glossem, das am Rand die drei Versfüszc des yivaq twv zusammenstellte. Aristoteles und nach ihm Cicero sprechen hier nur vom heroischen Rhythmus « d. h. dem daktylischen Rhythmus des heroischen Verses, und eben darum weil hier genau genommen eigent- lich nur von Rhythmen die Rede sei, werde vielleicht auch 'pedem' sn streichen und zu 'heroum* ganz einfach numerum zu supplieren sein.

iMriolile 41b«r gelehrte ÄBstalten, VerordoiiBgeii, statisi NoÜsm. 335

Das heröi nach Jii tres sei ans grobem Misverstaad in den Text gekom« men, indem der Glossator unter den ^hi pedes' fälschlicherweise entwe* der die drei Yersfüsze des als Beispiel angeführten Fragments oder die drei oben unrichtig hinzugefügten Versftisze, Daktylus, Anapäst und Spondeus yerstanden habe. I 46, 202 wird die kürzlich V^ersuchte Ver* theidigung der überlieferten Liesart esse deas (neue Jahrb. für Phil, und Pädag. Bd. 75 Heft 12 S. 842) wieder aufgegeben u^d mit Kücksicht auf Quiptil. X 7, 14 vermutet, dasz hier zu lesen sei: tum adfmsse deus putatur, Ans den gründlichen Studien, von denen die kritische und exegetische Behandlung vorliegender Stellen Zeugnis gibt, laszt sich theil- weise schon jet:H ein Schlusz ziehen auf die Gediegenheit der neuen Ausgabe des ciceronianischen Werkes, deren baldigem erscheinen wir mit Freuden entgegensehen.

Hebsfeld.] Im Lehrerpersonale des Gymnasiums haben sich im Verlaufe des Schuljahres 1857 58 keine Aenderungen ergeben. Der Oesanglehrer Rundnagel wurde durch den Tod der Anstalt entrissen. Lehrerpersonal: Dr W. Münscher, Director, Dr Deichmann, Lich- tenberg, Pfarrer Wiegand, Dr Wiskemann, Dr Dieterich, Dr Suchier, Dr Ritz, Hülfslehrer Spangenberg und Heermann, Zeichenlehrer Mutzbauer, Turnlehrer B e n e c k e. Die Gesamtzahl der Schüler betrug am Schlüsse des Schuljahres 130 (I 20, II 23, III 33, IV 27, V 16, VI 11). Abiturienten im Herbst 1857 3, zu Ostern 1858 6. Am 31. October feierte das Gymnasium das jährige Directorat- Jubiläum des Gymnasialdirectors Dr W. Münscher. Den Schulnach- richten geht voraus: Untersuchungen über das Geschichlswerk des Polyhiua vom Gymnasialhüllslehrer Spangenberg, 68 S. 4. Die kürzlich or- Bchienene Schrift: Charakteristik des Polybius von Paul La Roche, Leipzig 1857, hat der Verf. nicht benutzen können, doch soll in dem zweiten Theile, der hauptsächlich von der politischen und ethischen Auschauungsweise des Polybius handeln soll, öfters darauf Rücksicht genommen werden. I. Art und Weise der Darstellung. Das Re- sultat Brandstätters (über das Geschichtswerk des Polybius, Danaig 1843 S. 21), welcher zwar den richtigen Weg zur Feststellung des Be- griffes Pragmatismus gezeigt habe, dasz nemlich Polybius die Geschichte nicht eigentlich an und für sich in ihrem Werthe als Wissenschaft an- erkannt , sondern sie als einen sehr geeigneten Text zu politischen, mo- ralischen und andern Belehrungen angesehen habe , scheint dem Vf. die- ses Geschichtschreibers nicht ganz würdig. Die Grundanschauung des Wortes könne nicht blos auf den Erklärungen fuszen, welche das Wert »pay/Urorrtxo's zulasse, sondern sie müsse sich als Resultat ei- ner Betrachtung des ganzen Werks ergeben ; sie hange mit den Vorstel- lungen, die Polybius von dem Entwickelungsgange der Weltgeschichte gehabt, mit seiner ganzen politischen, sittlichen und religiösen An- schauung, sowie mit der Tendenz seines Werkes auf das engste zusam- men. Als Resultat dieser ganzen Betrachtung stelle sich folgendes her^ ans: ^die Grundtendenz des Polybius ist eine praktische. Er. hat be- ständig die diOp'9'a}ffie »seiner Leser im Auge, womit er ebensowol Be- lehrung, als sittliche Veredlung bezeichnen will. Diese Belehrung, namentlich der Feldherrn und Staatsmänner, welche er als den wesent- lichsten Hebel für das Wohl eines Staates ansieht , soll eben hervor- gehen aus einer richtigen Erkenntnis und Würdigung der Thatsachen und Begebenheiten nach ihrem Zusammenhange. Das Gewicht der ein- zelnen handelnden Personen in der Weltgeschichte und dem gegenüber die Betheilignng einer unbestimmten Tyche, deren dazwischentreten der Mensch nicht bemessen kann, an der Gestaltung der Geschichte dem Leser zur Erkenntnis vorzuhalten ist dem Polybius Hauptsache. £r will überall nachweisen, ob in der Entwickelnng der Thatsachen der.

336 Berichte Aber gelehrte Anstalteo, Yerordniuigeii, elatiiL HetiMa,

X6yog gehersoht hat oder die ^vx^i , und in erster Hinsicht seigen dass da, wo eine Person oder ein Staat nazä loyov gehandelt, gewöhnlieh auch ein gutes Resultat erzielt worden ist, wogegen uXoyCa and cex^»- c£a zum schlimmen geführt haben; in zweiter Hinsicht dasz da, wo die "^vxri den Verlauf anders gestaltet als die Berechnung der handeln- den Person war, deren Verantwortung aufhört.' Es folgt dann eine Charakteristik des Geschichtswerks im einzelnen. H. Zweck dea Qe- .schichts Werks. Polybius will vor allem eine politische QroAdwahr- heit, in deren Lichte alle die einzelnen politischen Lehren betrachtet werden müssen, darlegen, nemlich diejenige, dasz gute Verfassungen und richtiges politisches handeln die Staaten grosz machen, aber schlechte Organisationen sie zu Grunde richten. Er führt diesen Satz an der Ge- schichte des römischen Staats aus , indem er zeigt , wie Kom durch die Kraft seiner Verfassung und durch richtiges Verfahren (liav svloyoig aqfOQfiatg xQ<ofi€voi) zu der Weltherschaft gelangte und gelangen muste. III. Plan und Anlage des Werks. Auswahl des Stoffes. IV. Wahrheitsliebe und Kritik des Polybius. V. Ansicht dea Polybius vom Gange der Weltgeschichte

Holstein.] Normativ für eine Maturitätsprüfung der Abiturienten auf den höheren Lehranstalten dea Heriog- thums Holstein. §1. Jeder Schüler, welcher sich den akademischen Stodien widmen will, hat, um zum Abgange auf die Univeraitit ain Zeugnis der Reife zu erlangen 4 des Regulativs vom 28. Januar 1848) und selbiges bei der Meldung zu Amts - oder akademischen Examiniboa event. producieren zu können, an der der Zeit von ihm besuchten Lehr- anstalt sich einer Maturitätsprüfung zu unterziehen. § 2. Zu dieaer Prüfung werden, falls nicht eine specielle Dispensation dea Mimateriuma erwirkt worden, nur solche Schüler zugelassen, welche im ganzen 2 Jahre eine erste Klasse der hiebei in Betracht kommenden höheren Lehran- stalten des Herzogthums Holstein besucht haben. § 3. Die Abiturien- ten haben sich ein Vierteljahr vor dem Schlüsse des Semesters bei dem Rector, resp. dem Director der Lehranstalt zu dieser Prüfung zu mel- den (vgl. § 21 des Regulativs für die Gelehrtenschulen vom 28. Janoar 1848). § 4. Die Prüfungsvornahme findet halbjährlich, cesp. um Ostern und Michaelis, möglichst gleichzeitig mit den allgemeinen KlasaenpriU fungen jeder Schule 20 des Regulativs vom 28. Januar 18*18), wenn «uch im ganzen für die Theilnahmo an dem Maturitätsexamen abge- sondert, statt und zerfällt in einen schriftlichen und einen mündlichen Theil. § 5. Für die Abhaltung der Prüfung, welcher übrigens der Inspector der Holsteinischen Gelehrtenscliulen stets, wo er will, bei- wohnen kann, darf vom Rector resp. Director der betreffenden Anstalt die Thätigkeit eines jeden an derselben unterrichtenden Lehrers in An- spruch genommen werden ; indes gilt dabei als allgemeine Regel für die mündliche Prüfung, dasz in jeder Disciplin von demjenigen Lehrer examiniert werde, welcher in dieser den Unterricht in der ersten Klaaae ertheilt. Die zu stellenden Aufgaben und schriftlichen Fragen, sowie etwaigfe sonstige Details der Prüfung werden dusch einen BesohlnaB dea Lehrercollcgiums jeder Schule speciell bestimmt, und haben in aolcher Hinsieht die Schulrectorate resp. Directorate das erforderliche stets rechtzeitig zu veranlassen. § 6. Der Zweck der Maturitätsprüfung besteht darin, für die zur Universität abgehenden Schüler den Erfolg des von ihnen durchgemachten Schulcursus nicht sowol mit RUcksioht auf einzelne vielleicht nur zeitweilig angelernte Kenntnisse, als vielmehr darnach schlieszlich festzustellen, ob sie nach Umfang und Art ein sol- ches Wissen und diejenige Reife des eignen denkena und urteilena er- worben haben, die für erforderlich zu erachten, um akademische Sta- dien mit Nutzen zu beginnen. § 7* Geprüft werden die Abitorienten

SaritiM AiMr gelefarle AnaUlteii, YorerdaaDgea, stttiiL Hottstt. 337

in allen regnlativmäszigen GegenstSnden des Gymnasialanterrichts (ygL ÜislMsondere § 5 des Begnlativs vom 28. Januar 1848). § 8. JÜle schriftlichen Arbeiten werden unter Aufsicht eines Lehrers angefertigt, ond ist dabei den Examinanden der Kegel nach weder die Benutsung eines Lexikons, noch einer Grammatik, noch sonstiger Hülfsmittel aa gestatten. Die Arbeiten bestehen: 1) in einer gröszeren lateinisdunt Uebersetzung, füi* die das deutsche Pensum dictiert wird, falls es nicht in Abschrift oder in einem gedruckten Werke den Examinanden vorge- legt werden kaxui; 2) in einem deutschen Aufsatze, dessen 'Thema je- doch nicht auszerhalb des nach dem vorangegangenen Schulunterrichte bei den Examinanden vorauszusetzenden Wissens- und Begrilfskreises ge- legen sein darf; 3) in der Uebersetzung eines kürzeren deutschen Di- Ctats in das Griechische; 4) in der Lösung zweier Aufgaben aus der Mathematik, einer geometrischen und einer arithmetischen; 5) in der Beantwortung von vier Fragen des positiven Wissens aus dem Gebiete resp. der Religionslehre, der Geschichte, der Kunde des klassischen Alterthums und der Naturwissenschaften. Die verschiedenen einzelnen Aufgaben der schriftlichen Prüfung, für die übrigens im ganzen nur eine Zeit von höchstens 2^^ Tagen gestattet wird, sind den Examinanden in der Weise mitzutheilen, dasz dadurch ihnen die Benutzung unerlaub- ter Hülfsmittel thunlichst erschwert wird. § 9. Die mündliche Prü- fung, deren Dauer sich im allgemeinen nach der Zahl der Abiturienten richtet, aber nicht über 2 Tage hinausgehen darf, soll den Examinanden Gelegenheit geben, sowol die Gründlichkeit als den Umfang ihres Wia- sens darzuthun, insbesondere aber zu zeigen, in wie weit sie ihre Kennt- nisse gegenwärtig haben und klar darzulegen verstehen. Bei derselben ist ein angemessenes Stück aus einem lateinischen und griechischen Schriftsteller , und zwar aus der Zahl derjenigen , welche in der ersten Gymnasialklasse gelesen werden, zu übersetzen und sprachlich wie sach- lich zu erklären , aufzerdem aber den der The<^logie sich widmenden Abiturienten eine Stelle aus dem alten Testamente in der Ursprache snm fibersetzen vorzulegen. Femer sind aus einem dänischen und einem französischen, und falls auch die englische Sprache zu den UnterrichtS7 gegenständen der ersten Klasse an der betreffenden Schule gehört, eben- falls ans einem englischen Schriftsteller einzelne Stellen, die von den betreffenden Abiturienten während ihrer Schulzeit nicht gelesen wordeUi an fibersetzen, und endlich den Examinanden Fragen: a) aus der Se- lig^onslehre, b) der Geschichte und der Geographie, c) der Mathematik, d) der Naturwissenschaft und e) der deutschen Literaturgeschichte bo- wie der Rhetorik vorzulegen. § 10. Für die Anforderungen, denen die Schüler im Examen in Ansehung ihrer Reife zu genügen haben, die- nen-im allgemeinen folgende Bestimmungen als Maszstab: 1) Während bei der schriftlichen lateinischen Arbeit grammatische Correctheit und Latinität des Stils zu verlangen ist, genügt für das schriftliche grie- chische Pensum Sicherheit in den grammatischen Regeln und der Ao- oentlehre. Bei der mündlichen Uebersetzung aus einem lateinischen nnd griechischen Klassiker musz der Examinand die ihm vorgelegte Stelle richtig und in gutem Deutsch zu tibersetzen und den Sinn derselben deutlich zu erklären, auch prompt und präcis auf die Fragen, die in sprachlicher und sachlicher Hinsicht über die Stellen oder zu den* selben gethan werden, zu antworten im Stande sein; ebenso musi er auf erfordern einige Uebung im mündlichen lateinischen Ausdruck an den Tag legen können. 2) In der hebräischen Sprache sollen die Abi« turienten, für welche diese Prüfung eintritt, die Hauptregeln der Gram* matik sowol in der Formenlehre als in der Syntax kennen und im Stande seiu ein nicht zu schweres Pensum aus den historischen Bü* ^hern oder aus den Psalmen an übersetsen und an erklären* 3) Bei

338 Beriehte flbor gelehrte Anstalteo, Yerordnangen, ilatisL IMiMfl.

dem deutschen Aufsätze ist zunächst eine richtige Aoffaesang dee Themas nebst einer eingehenden Durchführung desselben nach folge- rechter Eintheilung zu fordern, und musz die Darsteliunff nicht nur sprachlich correct und gewandt, sondern zugleich klar und der Sache angemessen sein. 4) In den neueren Sprachen, die ausser der Mutter- sprache Gegenstand der Prüfung sind , hat der Examinand beim tiber- setzen Leichtigkeit des Verständnisses auch eines nicht zu schweren Dichterwerkes und eine hinlängliche Kenntnis der grammatischen Ke- geln darzuthun. 5) In. der Religion soll der Examinand, insofern er der lutherisch -evangelischen Landeskirche angehört oder auch sonst an dem Religionsunterrichte der Schule etwa theilgenommen hat, ein klares -Yerständnis der Ilauptwahrheiten des Christenthums und speciell der Unterscheidungslohren des protestantischen Bekenntnisses besitzen, ui^ mit den bezüglichen Stellen der heiligen Schrift, wie auch den wichtig- sten und folgenreichsten Begebenheiten der Kirchengeschichte bekannt sein. 6) In der Geschichte soll der Examinand die Hauptbegebenheiten and Erscheinungen der Universalgeschichte, insbesondere aber der alten, und auszerdem der deutschen und dänischen Geschichte mit ihren näch- sten Vorgängen und Folgen näher anzugeben im Stande sein. 7) In der Geographie ist eine allgemeine Kunde der astronomischen nnd physikalischen Verhältnisse des Erdkörpers, sowie eine nähere Bekannt- schaft mit der Hydrographie und Orographie Europas samt einer lieber^ sieht der politischen Geographie desselben zu fordern. 8) In der Ma- thematik sollen dem Examinanden, und zwar a) in der Geometrie: die Sätze der Planimetrie und der Stereometrie, mit Ausschlusi jedoch der Kegelschnitte, und b) in der Arithmetik: die Algebra bis zu den Gleichungen des zweiten Grades Ind., sowie die Lehre von den Loga- rithmen, den Progressionen und den Kettenbrüchen, endlich die Cknnbina- tionslehre bekannt sein. 9) In den Naturwissenschaften, ist Yon dem Examinanden eiqe klare Anschauung insbesondere der beim Unter- terichte durch Experimente dargestellten wichtigsten Naturerscheinungen und ihrer Gesetze, sowie einige Kenntnis der anorganischen Chemie sn fordern, wobei es jedoch besonders anzuerkennen sein wird, wenn je- mand die einzelnen Erscheinungen auf allgemeinere Principien nnd Fundamentalsätze zurückzuführen verstehen sollte. 10) In der deut- schen Literaturgeschichte musz der Examinand die Hauptschrift- steller aus der Blütezeit der neueren deutschen Literatur (seit Hage- dorn und Haller) kennen und einige Bekanntschaft mit den Hauptwerken der schönen Literatur aus dieser Periode besitzen. 11) In der Rhe- torik hat der Examinand Kenntnis der verschiedenen Stil- und Dieh- tungsarten, sowie der hauptsächlichsten Tropen und Figuren darznthon. § II. Zur Durchsicht der gelieferten schriftlichen Arbeiten circnlieren entweder dieselben unter allen Mitgliedern des Lehrercolleginms der Schule, oder aber es wird, so weit nach dem Ermessen des Rectorats oder Directorats die resortiven- Arbeiten dazu sich eignen, zu deren Verlesung eine Sitzung des Collegiums anberaumt, während das münd- licl^e Examen stets vor dem versammelten CoUegium stattfindet. Jedes Mitglied desselben ist in Ansehung der Zeugnisertheilung stimmberech- tigt und hat demgemäsz auch während des Examens sowol die schrift- lichen als die mündlichen Leistungen jedes Examinanden, nach den ein- zelnen Prüfungsgegenständen gesondert, ordnungsmäszig näher zu wilr- digen und respective für solche zu prädicieren, wobei im allgemeinen die Anwendung der Specialpraedicate sehr gut (3), gut (2), nicht unge- nügend (1) und ungenügend (0) empfohlen wird. Das Ergebnis der ganzen Prüfung ist hiernach in einer desfalls respective von dem Reo- torate oder Directorate zu berufenden besonderen Conferenz des Lehrer- collegiums zwar sohlieszlich nach dem gesamten Eindrucke, den der dar-

Bmohto ühw gelehrte AnsUiUen, VerordnaQgen, stelift Notifea. 339

gelegte Vorrath an positivem Wissen samt der bewiesenen Gewandtheil in Anwendung desselben hinsichtlich der geistigen Keife jedes £zami- nanden hinterläszt, zu bestimmen, jeder votierende musz jedoch allemal im Stande sein sein Votum auf Grund der von ihm notierten Specialr praedicate, sowie unter gehöriger Berücksichtigung der Wichtigkeit der verschiedenen Examenfächer , in denen der Examinand mehr oder we^ niger gut bestanden ist, desgleichen endlich etwa auch der von selbigemf während seiner Schulzeit gezeigten allgemeinen Tüchtigkeit näher zu motivieren. § 12. Für das nach Beschlusz der absoluten Majorität des LehrercoUegiums dem Examinanden endlich zu ertheilende und naöh einem näher vorzuschreibenden Formulare einzurichtende Zeugnis sind 3 Praedicate: völlig reif, reif, und nicht unreif, zulässig, und zwar ist in Ermangelung einer absoluten Majorität für das eine oder das andere Praedicat allemal nur der mittlere Zeugnisgrad, event. bei Stimmengleichheit über zwei auf einander folgende Praedicate, derjenige Grad, für den eine Majorität der 4 obersten Lehrer sich erklärt hat, ohne eine solche stets der niedrigere Grad «zu verleihen. § 13. Nachdem über den von jedem Examinanden verdienten Grad der Reife ein Be- schlusz gefaszt worden, verständigt sich das Lehrercollegium zugleich über ein dem Abiturienten wegen des während seiner Schülerzeit von ihm bewiesenen Fleiszes und Betragens zu ertheilendes Testat, welche« als besonderer Zusatz mit in das Maturitätszeugnis aufzunehmen ist« lieber den ganzen Hergang und die stattgehabten Abstimmungen, bei denen übrigens von oben nach unten, d. h. von den oberen Lehrern saerst, votiert wird, ist schlieszlich ein ProtocoU aufzunehmen und von allen Lehrern zu unterschreiben und erst hiernach jedem einzelnen Abi- torienten vor der Lehrerconferenz der Inhalt des ihnen zuerkannten Zeugpiisses durch den Rector oder Director zu verkündigen. Nachdem die schriftliche Ausfertigung des Zeugnisses besorgt worden, wird das- selbe mit der Lehrer Unterschrift und dem Siegel der Schule versehen dem betreffenden zugestellt. Vorstehendes im Anschlüsse an den § 22 der Altonaer Gjmnasienordnung vom 10. Februar 1844, sowie den § 4 des Regulativs für die Gelehrtenschulen vom 21. Januar 1848, resp. den § 2 des provisorischen Regulativs für das Rendsburger Realgymnasium vom 28. November 1854 entworfene Normativ ist hier selbst genehmigt und wird zur Nachachtung hiermittelst bekannt gemacht. Königliches Ministerium für die Herzogthümcr Holstein und Lauenburg, den ^. De- oember 1857.

Kübhessen.] Durch ein Rescript kurfürstlichen Ministeriums des Innern vom 14. Januar 1858 wurde die in dem Beschlüsse vom 9. Ja- nuar 1855 ausgesprochene Beschränkung des Unterrichts in den Leibes» Übungen als eines zur Theilnahme verpflichtenden Gegenstands auf die Quarta, Quinta und Sexta, wie- bereits früher für das Gymnasium zn Hersfeld, so nunmehr auch für die Gymnasien zu Cassol, Marburg, Fulda und Rinteln vom kommenden Sommersemester an bis auf weiter res in der Weise auszer Anwendung gesetzt, dasz eine Entbindung von dieser Theilnahme auf den -begründeten Wunsch der Eltern den Qjm- nasialdirectoren vorbehalten bleibt. Dem in den Neuen Jahrb. für PhU. und Paedag. Bd LXXVI S. 503 mitgetheilten Ministeriab-escfipt vom 11. September 1857, die Maturitätsprüfung betreffend, war noch folgendes hinzugefügt: «Indem den Herren Gjmnasialdirectoren diese Bestimmungen zur allenthalbigen Vollziehung zugehen, werden dieselben daneben, angewiesen, sich mit den Lehrercollegien darüber in Berathung zu setzen, wie zugleicl\ seitens der Schule dem erfahrungsmäszig her- vorgetretenen Nachtheile, dasz selbst bei befähigten und fleiszigen Sohü- lern das Maturitätsezamen zu einer Ueberanstrengung im letzten Se- mester Veranlassung gegeben hat, wirkswn vorgebeugt werden kann.

340 Bericbte aber gelehrte Anstalten, Verordnungen , itatint. Motiiea.

Wenn man dabei an die Yersnchnng^ erinnert, über den für das V^ymnim bestehenden Maszstab noch hinauszugehen , wie an die weitere , dem blos gedächtnismiiszigen Wissen einen besonderen Werth beizulegen,— an die Noihwendigkeit , durch öftere Repetitionen in den Unterrichta- gegenstUnden, welche vorzugsweise das Gedächtnis in Anspruch nehmen, der Einprägung der Schüler zu Hülfe zu kommen, so sind damit Ge- sichtspunkte bezeichnet, die auch in den Berichten der einzelnen Herren Directoren bereits hervorgehoben worden sind und als die nächaten An- haltspunkte sich darstellen, den Umkreis der Berathung aber keines- wegs begrenzen.'

Marburg.] Das Lehrercollegium hatte im verflossenen Schuljahre keine weitere Veränderung erfahren, als dasz der ordentliche Lehrer Dr Weber an das Gymnasium zu Cassel versetzt und zum Ersatz für den- selben der Gjmnasialpraktikant Krause, der bisher am Gymnasxnm zu Rinteln thätig gewesen war, mit der Aushülfeleistung beauftragt and bald darauf zum Hülfslehrer bestellt wurde. Der Candidat des Gjm- nasialfehramts Buderus wurde dem Gymnasium als Praktikant zuge- wiesen. Bestand des Lehrercollegiums : Dr F. Münscher Director, Dr Soldan, Dr Ritter, Pfarrer Fenner, Dr Collma&n, Pfarrer Dithmar, Fürstenau, Hülfslehrer Dr Buchenan und Krause, beauftr. Lehrer Dr. Schimraclpfeng, Praktikant Buderus, Schreih. lehrer Kutsch, Gesang- und Turnlehrer Peter. Die Schülerzahl belief sich auf 143 (I 19, II 18, III ;i8, IV 21, V 29, VI 18). Abiturienten 8. Den Schulnachrichten ist vorausgeschickt eine Abhandlung des Gymna- siallehrers Dr Buchenan: über Burcard Waldis (40 S. 4). Zuerst wird das Leben des B. Waldis erzählt, in dessen Schicksalen so manche R&ib- sel zu lösen sind, da er seine Laufbahn als Mönch beginnt, dann die Religion wechselt und zu einem Handwerke Übergeht und endlich als evangelischer Pfarrer seine Tage beschlieszt; sodann werden die Schrif- ten desselben mit genauer Angabe des vollständigen Titels der Reihe nach, und zwar, da eine Anordnung derselben nach dem Inhalte wegen der g^oszen Verschiedenartigkeit derselben keinen wesentlichen Nntsen bieten würde, nach der Zeit ihrer Abfassung vorgeführt. Hier und da hat der Verf. Ergänzungen zu Mittlers und Gödekes trefflichen Zusam- menstellungen geliefert und vor allen Dingen die Vorreden , auf denen ja wesentlich die Kenntnis von Waldis Persönlichkeit und Lebensschick- salen beruht , in extenso abdrucken lassen.

Rostock, 10. Nov. 1857] Am heutigen Tage feierte der Herr Prof. J)r Bachmann das Fest seiner 25jährigen Amtsführung als Director des Gymnasiums und der Realschule hierselbst. Am frühen Morgen brach- ten die Schüler der verbundenen Lehranstalten ihrem innigst geliebten und verehrten Director einen festlichen Morgengesang. Um 8*;^ Uhr be- glückwünschten den Jubilar die Herred Condir. Dr Mahn und Condir. Prof. Dr Busch yn Namen des gesamten Lehrercollegiums, and über- reichten ihm folgende auf Pergament gedruckte und in Seide gebundene Vo- tivtafel: Q.F.F.F.Q.S. LUDOVICO ERNESTO BACHMANNO Philosophiae Doctori Antiquarum litterarum in Academia Rostochiensi Prof. P. O. Societatum antiquar. et Teuton. Lips. et Natur. Scmtator. Lips. Socio et Graec. Lips. Socio Honorario. Viro abundanti prompta parataque doctrina qui quam incluta Porta celeberrimum illud litterarum domicilium adolescenti viara commonstraverat eam naviter constanter strenueque persecutus cum accuratissima non e libris solis petita sed ipsius aeterqae urbis et antiquae artis miraculorum adspectn parta em- ditae antiquitatis cognitione band mediocrem, recentiomm litterarum omniumque graviorum disciplinarum scientiam coninngit omnibosqne summae solertiae gravitatis et vegeti ingenii in vivido pectore vigentis exempliim praebet illustre; Critico singnlari mentis acie praedito qvi

Berichte fiber gelehrte Anstalten, Verordnungen, Statist. Notisen. 341

doctrinae late diffnsae docnnienta edidit praeclarissima et qxmm mnlt» q[tiae latuerapt antiqnitatis monnmenta primus in lucem protulit tum scriptori difficillimo et prope conclamato viiam ac salatem reddidit, Oratori et Poetae ornatissimo venustisslmo gravissimo quf summa di- eendi ae scribendi facultate praestat et canrminibns caooris et yerboram elegantia splendoreque sententiamm maxime insignibns Prineipem ac patriam celebravit, Amico amicis. quos plnrimos vel in remotis terris 'momm snavitate doctrina pmdentia sua sibi eonciliavit fidelissimo, CoU legae dilectissimo et coniunctissimo, Adolescentinm ad praeclarissima hmnanitatis studia dnci egregio, hune festnm maltoraroqne yotis exopta- tnm diem quo ante hos quinqne et viginti annos scholani publicam civi- tatis Rostochiensis quam difficillimis saepe temporibus snmmo patriae et littlBrarum emolumento ad magnum florem adduxit faustis oqpinibns regendam snscepit piis votis ex intimo pectore nuncnpatis ut reliqnam eins vitam salva iidelissima atqne amantissima coniuge salvis dilectissi- miB liberis generis nepotibns quibns se auctum merito laetatur ad Ion- gissimnm finem Dens Optimns Maximns protrahat et lenissimo cnrsu protrahat ex animo gratulantur CoUegae scholae pnblicae civitatis Ro- stochiensis D. D. D. die X. m. Novembris a. MDCCCLVII. Auszerdem tiberreichte Herr Dr Wen dt dem Jubilar als Gratulationsschrift eine Abhandlung über Kriemhildens Traum und Herr Prof. Dr Fritzsche ein lateinisches Programm de choris Euripideis , während der Jubilar seine Collegen durch einen Abdruck der lateinischen Rede, welche er beim Antritte seines Amtes vor 25 Jahren gehalten hatte , und durch eine Bestandsliste der damaligen Schüler des Gymnasiums und der Real- schule erfreute. Um 10 Uhr wurde der Jubilar von den jüngsten Mit- gliedern des Collegiums, den Herren Dr Holst en und Dr Krüger, aus seiner Amtswohnung in den festlich geschmückten Schulsaal geleitet, wo sUmtliche Lehrer und Schüler versammelt waren und den Jubilar emipfiengen. Nach einem von den Schülern vorgetragenen Festgesange sprach Herr Pastor Dr Balck ein erhebendes Dankgebet, worauf die Primaner Philippi und Engel ihre und ihrer Mitschüler Gefühle und Wünsche in lateinischer und deutscher Sprache ausdrückten. Nachdem Herr Dir. Prof. Bachmann in tiefster Rührung seinen Dank für die Tielen Beweise der Liebe iftid Achtung, welche ihm dargebracht, ausge- sprochen hatte, schlosz ein feierliches Amen diesen festlichen Act. Um 2 Uhr Nachmittags versammelte ein Festmahl das gesamte Lehrercolle- giom im Hotel de Russie.

Personalnotizen.

ErnennuBapen, Anitellmni^eii » TersetsanipeB s

Aschenbach, Dr, Rector, zum Director des Paedagogiums zu Sfeld ernannt. Berdnscheck, Dr Herrn., Lehrer am Cadettenhause in Berlin, zum ordentl. Lehrer am neu errichteten Progymn. zu Berlin er- nannt. — Bill, Conr. am Gjmn. zu Hadamar, als Pror. mit dem Titel Professor an das Paedagog. zu Dillenburg versetzt. Binde, F. R., SchAC, als ord. Lehrer am ev. Gjmn. in Groszglogau angestellt. Bogler, Collaborator am Gelehrtengjmn. zu Wiesbaden, zum Conrector befördert. Ebhardt, CoUabor. das., desgl. Eickemeyer, Dr, Conr., vom Gymn. in Weilburg in gleicher Eigensch. an d. G. zu Ha- damar versetzt. Haaow» Octav., ord. Lehrer am Gymn. zu Luckan,

342 Personalnotizen.

in gleicher Eigenschaft an d. Gvmn. zn Lissa yersetzt. Hirsch- felder, Dr W.ilh.y SchAC, zam ord. Lehrer am neu err. Progymn. in. Berlin ernannt. Ilberg, Dr Hug., vorher am Gymn. za Stettin, als ord. Lehrer'an d. Paedagoginm des Kl. U.-L.-Fr. in Magdeburg beru- fen. — ^ Junghans, Dr, Gymnasiallehrer in Greifswald, als Oberl. an d. Gymn. zu Dortmund versetzt. Kalmus, Otto, wissensch. Hülfsl. am Domgymn. zu Halberstadt, zum ord. Lehrer am Gymn. su Treptow a. R. ernannt. Krause^ Dr Jul., Oberlehrer am Kl. U.-L. -Fr. in Magdeburg, zum Kector des neu errichteten Progymnasiums in Berlin (Bellevue Str.) ernannt. Kruse, Frdr., SchAC. , zum ord. Lehrer an ders. Anst. ernannt. Kühlenthal, Geh. Regier ungsrath, zum Geh. Ober-Regierungsrath im Ministerium der geistl., Unterrichts- und Medicinalangclegenheiten in Berlin ernannt. Lang, Dr L., Studien- lehrer in Regensburg , an das Ludwigsgymn. in München yersetzt. -^ Lichtenberg, Gymnasiallehrer in Hersfeld, in gleicher Eigenschaft an das Gymn. zu Hanau versetzt. Paul, Dr The od., Lehrer am ev. Gymn. zu Groszglogau, zum ord. Lehrer am neu errichteten Progymn. zu Berlin ernannt. Rathmann, Jo., wiss. Hülfslehrer, cum ord. Lehrer am Paedagog. des Kl. U.-L. -Fr. in Magdeburg befördert. Schmidt, DrArn. , SchAC, zum ord. Lehrer am neu err. Progymn. in Berlin ernannt. Schuh, G., Lehraratsc, als Studienlehrer an d. lat. Schule in Regcnsburg angestellt. Schwarz, Dr Alex., ColUbor. an d. lat. Hauptsch. zu Halle, als ord. Lehrer an die Realschule in Siegen versetzt. Seeber, Lehramtsc. , als Lehrer der Mathem. und Physik am Gymn. zu Münnerstadt angestellt. Seyberth, Coll»bor« am Gymn. zu Wiesbaden, zum Conrector befördert. Voigt, Wilh., Oberl. an der Realschule in Aschersleben, in gl. Eigensch. an d. Gymn« zu Dortmund versetzt. Wagner, Collabor., von Wiesbaden an das Gymn. zu Weilburg versetzt. Wiese, Dr L., Geh. Regicrungsrath im Ministerium der geistl. u. Unterrichtsangelegenheiten in Berlin, lom Oeh, Ober-Regierungsrath ernannt.

Praedlciernnipen :

Franoke, Conr. am' Gymn. zu Weilburg, als Professor. Mei- ster, Conr. am Gymn. zu Hadamar, als Professor. Österwald, Dr C. W., Oberl. am Gymn. in Merseburg, als Professor. Stier, Gli., ord. Lelurer am Gymn. zu Wittenberg, als Oberlehrer.

Q^ulescieri t

Schmztthenner, Prof. am Gelehrtengymnasium in Wiesbaden. -^ Thomas, Collaborator am Gymn. in Hadamar.

Gestorben t

Am 25. März in Danzig Dr C. Theod. Anger, Prof. der Mathe- matik am das. Gymn. Am 13. April Dr Beckel, Gymnasialprofessor in Münster, um die Geschichte Westphalens verdient. Am 28. April in Berlin der grosze Physiolog Prof. Dr Job. Müller, geb. zu Coblens am 14. Juli 1801. Am 10. Mai in Frankfurt a. d. O. der durch viele Schriften bekannte Oberprediger Dr C. W. S piek er, früher Prof. theol. an der das. Universität. Am 12. Mai ßu Leipzig Dr tb. Qe. Bened. Winer, Kirchenrath und ord. Prof. der Theol. an der das. Univ., geb. 1780 in Leipzig, 1817 Privatdoc. in Leipzig, 1823 Prof. in Erlangen, seit 1832 wieder in Leipzig.

Zweite Abtheilung

henmsgegeben tob RHdolph Dietsch.

22.

Ueber die Bildung des Gefühls.

Ich kann es nicht in Abrede stellen dass W i e s e s Vortrag über die Bildung des Willens zu den 'nachfolgenden Betrachtungen die erste Anregung gegeben hat. Ich fand in diesem Vortrage eine Reihe von. Ideen tief und ernst entwickelt in denen ich wiederzuerkennen glaubte was mich selbst lange und schöne Jahre voll idealen strebens bewegt und beschäftigt hatte, und es knflpften sich daran sofort, fast ohne mein lathnn, Beobachtungen und Reflexionen wie sie einem denkenden Schalmanne die tägliche Erfahrung und Sorge zuführt. Darüber nun dasi die Bildung des Willens zum Zielpunkt der erziehenden Thatig- keit, zum Centralpunkte der Schule zu machen sei war ich längst nicht mehr in Zweifel, und hatte gelegentlich in gleichem Sinne wie Wiese mich auszusprechen gewagt; über das Verhältnis aber in weiches zu dieser Willensbildung die übrigen Kreise des geistigen Lebens zu setzen, über die Art und Weise wie alle Kräfte des Leibes und der Seele dem Willen und seiner Bildung tribulär zu machen, über die Mittel und Wege wie dem Willen neue und reiche Hülfsquellen zu eröffnen seien , war ich ununterbrochen bemüht mir klarere festere Vorstellungen zu verschaffen und überhaupt die Frage von dem Boden des theoretischen und geschichtlichen, auf welchem sie Wiese gehalten, aaf den des empirischen und praktischen zu verlegen. So sind die folgenden Betrachtungen entstanden, die es,* eben aus dieseqi Grande, ablehnen mästen als eine wissenschaftliche Behandlung, wie es die Wiesesche Schrift ist, zu gelten.

Es hat nicht blosz in der Pädagogik, sondern auch in der Litte- ratur, ja selbst im Leben des deutschen Volkes, Zeiten gegeben in denen das Gefühl eine überaus hohe Bedeiitung gehabt, die sorgfältig- ste Betrachtung und treueste Pflege erfahren und faclisch eine gewisse Macht ausgeübt hat. Es hält bei solchen Zeitrichtungen und Zeitbe- stimmungen überhaupt schwer mit Zahlen scharfe und feste Grenzen ziehen zu wollen: man wird jedoch im allgemeinen nicht sehr irren

iV. Jahrb, f, Phü, u. Paed. Bd LXXVIIl. Hft 7. 23

344 Ueber die Bildung des Gefühls.

wenn man die Periode der deutschen Freiheitskriege als eine solche Grenze ansieht. Ich habe früher oft Gelegenheit gehabt mit gebildeten Personen deren Jugendbildung jenseits jener Kriege lag innigst lu verkehren, ihre geistige Eigenthümlichkeit genau zu beobachten und ihren Charakter mit dem der jüngeren Generation zu vergleichen, und es ist mir stets ein merkwürdiger und tiefer Unterschied zwischen ihnen aufgefallen. Nicht dasz die letztere nicht gleichfalls starker oifd tiefer Gefühle, welche sich zu Leidenschaften steigerten, fähig gewe- sen wäre: aber diese Gefühle standen vereinzelt: das Gefühl als eine Totalität, als eine Sphäre des geistigen Lebens für sich war nicht mehr in der früheren Weise bei ihr zu finden. Offeni^r waren die Zeiten der Schmach, des Druckes und der Noth, welche über Deutsch- land gekommen waren, dann die der groszen Erhebung, der helden- müthigen That und der stolzen Erinnerung dem leisen, zarten, nach innen gekehrten, in sich selbst stille Befriedigung suchenden Gefühle nicht günstig, und die Gesinnungen und Bestrebungen welche seit- dem gefolgt sind, die politischen, industriellen, materiellen und egoi- stischen Tendenzen haben von Jahr zu Jahr mehr dahin gewirkt das innere Heiligthum der Seele, in welchem die Gefühle quellen, zu zer- stören und zu entweihen. Denn das.Princip des Gefühlslebens ist die Liebe: die Selbstsucht aber im groszen wie bei dem einzelnen ist der Tod des Gefühls. Wir nun , meine ich , nähern uns dem Momente wo diese Sphäre unseres inneren Lebens, des tiefsten, verborgensten, erlöschen und die kühlen, frischen Brunnen des Herzens versiegen werden.

Wenn ich hier vom Gefühle spreche so denke ich natürlich nicht an die vielen Gefühle mancherlei Art welche heut wie immer die Brust des Knaben und des Jünglings erfüllen : sie sind zum Theil physischer, zum Theil pathologischer Natur und gehören insofern nicht in unsere Betrachtung: sie sind, auch wenn sie mehr sind als das, doch mehr vereinzelte Regungen und vorübergehende Stimmungen: ich spreche vielmehr von jenem dauernden und allgemeinen Zustande der Seele in welchem sie empfänglich und fähig ist von einer ObjectivitSt welche ihr gegenüber tritt oder treten möchte ergriffen, bewegt, in eine ge» wisse Spannung gebracht und in dieser Spannung ihrer sich bewnst zu werden. Ich würde mich gern des Ausdrucks GefühlsTernO- gen bedienen, wenn d.ieser nicht in der neueren Psychologie einiger- maszen in Miscredit gekommen wäre. Versuchen wir es jedoch uns über das worum es sich hier handelt zn verständigen. Die Natar ist, während sie objectiv die eine und selbe ist, für die verschiedenen Personen welche zu ihr in eine Beziehung treten eine durchiae ver- schiedene. Der Knabe durchstreift den Wald um Vogelnester, Käfer oder Blumen zu suchen oder in den dunkeln Verstecken desselben sieh an knabenhaftem Spiel zu erfreuen: der Jüngling ergeht sich, ohne an Vögel, Käfer oder Blumen zu denken, in der grünen Waldesnacht und gibt sich, je uach der tiefen, innerlichen Empfänglichkeit und Fähigkeit seiner Seele die Natur auf sich wirken zu lassen, bis iwn

lieber die Bildung dei Gefäbls. 345

selbstvergessen an die Macht der Natur hin. Geschieht dies nun nicht eiamal, unter besonderen äusseren Einflüssen oder sufälligen Stim- mangen , sondern ist seine Seele dauernd in der Verfassung von der Natar in dieser Weise afficiert zn werden, so besitzt er das was wir Gefahl far die Natur nennen wOrden. In derselben Weise würden wir Bun von einem Gefühle für das schickliche und geziemende, für das grosie und edle, für das wahre und sittliche, für die Religion spre- eben können, wenn diese Objectivitälen dauernd für jemand eine span- nende Kraft besitzen. Eben so könnte nun von dem Gefühle überhaupt, ohne eine Beziehung auf diese oder jene specielle Objectivität, die Rede sein , wenn die aligemeine Empfänglichkeit für eine derartige Objectivität jemand zugesprochen wird. Diese Verständigung ist mir, obwol sie natürlich keinen philosophischen Werth hat, ausreichend, da wir es ^ier nicht mit einer psychologischen, sondern mit einer pädagogischen Frage zn thun haben.

Wenn man nun fragt ob dies Gefühl denn als dauernde Qualität Hnd habitoelle Kraft der Seele in früheren Zeiten wirklich vorhanden gewesen sei , so werden wir diese Frage im allgemeinen mit ja beant- worten müssen.

Ein groszer Theil unserer schönen Litteratur spricht direct die Innigkeit und Tiefe des Gefühls ans welches nicht blos die Dichter beseelte, sondern überhaupt die gebildeten Kreise der deutschen Na- tion durchdrang. Denn Dichter und Leser haben hier wie überall in energischer Wechselbeziehung zueinander gestanden. Die Töne welche der Dichter anschlug waren durch die allgemeine Stimmung des Vol- kes, der sie erst den entsprechenden Ausdruck gaben, hervorgerufen worden; andererseits haben die Dichter allerdings ebenso sehr die Heilbarkeit der Seele welche ihnen entgegenkam gesteigert und das Gefühl zu einem Bewustsein über sich selbst erhoben. Der Werther kitte von Goethe nicht geschrieben werden können, wenn diese Stim- ■MDg nicht im Leben und in der Wirklichkeit vorhanden gewesen wäre: wie denn dies die vor kurzem von Kästner herausgegebenen Briefe Goethes auf die allerunzweifelhafteste Weise darthun. Was dem Werther seine ungeheure Wirkung gab war eben die innere Wahr- keit dieses Buches, welche die Leser fiberwältigte. Und so möge man sieh in den Kreisen des leipziger Dichtervereins , unter den Freunden Klopstocks, unter den Halberstädtern und Braunschweigern, im Hain- konde, unter den Romantikern und wo es sonst ist umsehen, und man wird flberali das Gefühl in gleicher Stärke hervorquillen sehen. Clau- dius hat nicht allein gestanden , sondern ist von unzähligen edlen und sdiönen Seelen empfunden und verstanden worden.

Es sind andere Kreise die für Klopstock, andere die für den wei- marischen Kreis begeistert waren; aber selbst Wieland und seine Verehrer würde es sehr schmerzlich betroffen haben, wenn man an ihrer Seele das Vermögen zarter Empfindung und tiefen Gefühles hätte bezweifeln wollen. Es wäre sehr Ihöricht zu glauben dasz es in den Zeiten der Aufklärung, des Rationalismus, des Kosmopolitismus inner-

23*

346 lieber die Bildung des Geftthls.

halb der Kreise welche diesen Tendenzen huldigten an Gefühl gefehlt hätte: so viel ich mich selbst erinnern kann und so viel ich aus den Werken der Litteratur, aus Briefwechseln und Biographieen sehe, bat man gerade hier, dicht neben der kahlen und kalten Verständigkeit, eine kaum geahnte Tiefe, Innigkeit und Stärke des Gefühls gehabt. Damit man nicht glaube dasz ich blos ins allgemeine rede will ich einem und dem andern meiner Leser einen Mann in die Erinnerung za- rückrufen der nicht blos der gefeierte Kanzelredner', der würdige Seelsorger, sondern in unzahligen Häusern Berlins, und zwar in des besten und edelsten, der angebetete Seelenfreund war, an den Probst H an stein: wie ihm die Herzen entgegenschlugen und sich öffneten, wenn er in eine Familie eintrat, und wie durch sein bloszes erscheinea •^ und es bedurfte selbst dessen kaum ein Strom der heiligsten und reinsten Gefühle eröffnet wurde. Meine Erinnerungen gehen noch wei- ter zurück, bis in den Freundeskreis der den verehrten Mann in Tau- germünde umschlosz, dessen letzte Glieder ich noch oft als Knabe und Jüngling gesehen habe. Es würde unserec Zeit als ein Mährchen er- scheinen in welcher Gemeinschaftlichkeit des reichsten nnd edelsten Gefühles jene Männer lebten nnd webten, wenn das Factum nicht ganz unzweifelhaft bezeugt wäre, wie 'ja auch die Biographie Hansteint davon Belege gibt. Man mag doch über den Rationalismus sagen was man will; aber vor der Meinung wenigstens sollte man sich hüten ^ es habe in seinem Kreise nur ein kalt verständiges, herz- nnd gemütloses, für höhere und edlere Gefühle unempfängliches Wesen geheraoht. Dia Innigkeit und Wärme des Gefühls ist vielmehr im Leben auch da ansn- treffen wo man in Litteratur, Politik, Religion offenbar entgegenge- setzten Tendenzen huldigte : man hat sich von Klopstock, Glandioa oaw. oft mit Widerwillen abgewandt, und doch in Gefühlen gelebt nnd aiok auf sein fühlen können selbst etwas zu gute gethan.

Diese Richtung auf das Gefühl ist aber auch in denjenigen Kreisen um die es sich für uns handelt, d. h. im Kreis der Schale, eine aahr starke gewesen. Es sind uns nicht viele Mittel geboten in das innere Leben und den Geist der Schulen viele Blicke zu thnn: wo wir aber näheres finden, sehen wir eine Fülle von Empfindung, frühzeitig ein poetisches Interesse und Drang zu poetischer Schöpfung , Verlangen nach persönlicher Auszeichnung ohne niederen Egqismus>n. dgl. Se lernen wir Klopstocks, Wielands, Herders, Goethes, Schillers Jagend kennen; von der Schule des hallischen Waisenhauses hat dieser ge- mütvolle und sinnige Ton sich nach allen Seiten hin verbreitet, und die groszen und hochgebildeten Pädagogen welche uns an der Schwelle dieses Jahrhunderts entgegentreten, ein Niemeyer, ein Schwärs, sind völlig von diesem Geiste durchdrungen: es könne niemand ein wahrer Erzieher sein der nicht von warmer Liebe Seelen zu snehea und zu bilden sich getrieben fühle.

Indes konnte es nicht fehlen dasz diese Richtung auf das Gefühl starke Gegensätze gegen sich hervorrief. Wenn das Gefühl eine Span- nung ist ia welche die menschliche Seele durch ein objectives welehes

Ueber die Bildang des Gefühls. 347

ihr gegen übertritt versetzt wird, so liegt es nahe dasz diese Spannung einer Ueberspannung sich steigere, und das Gefühl zur Sentimentali- lit forciert werde, in welcher das Gefühl zu einer Unwahrheit und Carricatur wird und sich selber vernichtet. Die Litteraturgeschichte gibt uns mehr als einen Beweis dafür dasz diese Sentimentalität in ihr Gegentheil umschlägt. Man vergleiche Wieland in den dunkeln Alleen des Klosters Bergen mit dem späteren , und man hat einen Beleg für das gesagte. Diese Sentimentalität ist im groszen und ganzen den Schalen fern geblieben : in der Litteratur dagegen hat sie einen breiten Raum eingenommen und in Romanen eine ungeheure Wirkung ausge- übt. Neben dieser Ueberspannung des Gefühls haben jedoch auch an- dere Kräfte demselben entgegengewirkt. Das Gefühl liebt die Stille, *Zarfickgezogenheit und Einsamkeit: wo neue Gebiete sich der mensch- lichen Thätigkeit oder dem Gedanken eröffnen fühlt es sich nicht hei- misch. Nun gieng in dem 18n Jahrhundert allerdings neben diesem Gefühle ein reges streben her: das Studium des Alterthums verjüngte sich in Winckelmann und Wolf: die Kritik erhob sich mit Lessing über den Standpunkt der Schöngeisterei : die Philosophie wurde durch Ha- mann und Kant aus ihrer Sicherheit aufgeschreckt : es gab kein einzi- ges wissenschaftliches Gebiet in das nicht neue Bewegung, Leben und Fortschritt gekommen wäre: der Krieg in Amerika und die französi- sche Revolution rissen die Gemüter aus ihrer behaglichen Ruhe auf ODd riefen die heftigsten Leidenschaften wach. Viele bedeutende Gei- ster welche früher von Empfindung geglüht halten folgten dem Zuge der Bewegung: Goethe vertiefte sich in die Welt des antiken welche sich vor seinen Blicken aufthat, Schiller ergriff die philosophische Richtung, Claudius wandte sich den groszen Problemen der Religion und der Politik zu. Da wurde die Zahl der schönen Seelen, deren Schönheit in stillem, seligem empfinden geruht hatte, für die es ge- BQgte da zu sein , auch wenn sie nichts thaten und schufen, immer ge- ringer, bis sie endlich in dem ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts Tcrschwand. Was sich über die Stürme hinaus erhielt welche über QDser Land und Volk hereinbrachen waren wenige Trümmer, die man kaum noch zu verstehen im Stande war.

Und nun da die Zeiten des Gefühls vorüber sind möchtest du er- alorbenes wieder ins Leben zurückrufen? und dem das sich selbst nicht hat erhalten können einen neuen Halt geben? Gewis, das möchte ich, weil ich fühle wie viel gutes uns mit dem Gefühle verloren gegangen isl, und weil ich sehe dasz es sowol unserm denken als auch unserm leben und handeln ohne das Gefühl, ohne ein tiefes, inniges und star- kes Gefühl, an einer festen und sicheren Grundlage fehlen müsse.

Man macht unserer Zeit den, wie ich glaube, durchaus nicht un- verdienten Vorwurf dasz sie keiner Begeisterung und keiner Thatkraft für die Wissenschaft, für die Tugend, für die Wahrheit, für das Vater land, für den Glauben, keiner Achtung für das Verdienst, für sittliche Grösze mehr ßihig sei ; woher aber soll doch diese Begeisterung, d. b. dies erfalltsein des einzelnen Geistes von einem höheren Geiste, kom-

348 Ueber die Bildung des Gefabli.

Dien, wenn die Seelenkrafl, welche zuerst diesen höheren Geist m empfangen und zu empfinden bestimmt ist, abgestumpft ist ? Im G^fQhle tritt dir die Natur, das edle, das wahre, das sittliche, Gott selbst zu- erst als eine Macht entgegen die du zwar mit deinem vorstellen noch nicht erreichen > die du aber doch, da du ihre Gewalt und ihre Wir- kung fühlst, als eine wahrhafte Macht anerkennen muszt. Wenn der denkende und der wollende Geist erst im Gefühle eine feste Grundlage für ihr denken und wollen erhalten haben , so streben sie mit anderer Kraft, anderem Vertrauen, anderer Liebe vorwärts, als wenn sie sieh um nie empfundenes und nie selbst erfahrenes in Indifferenz abmflhen sollen. Doch ich musz es andern überlassen diesen ernsten Gedanken weiter zu verfolgen; ich halle mich jedoch fiberzeugt dasz viel von dem Unheil unserer Zeit darin seinen Grund habe dasz das Gefühl als die allgemeine Fähigkeit der Seele von einer höheren Objectivitit, ich will geradezu sagen, von einem unendlichen und abersinnlichen be- wegt zu werden nicht allein vernachlässigt, sondern mit gutem Be- wustsein geschwächt, abgestumpft und ertödtet ist.

Auch in der Schule bricht der Mangel an Gefühl in der Jngend von Jahr zu Jahr mehr hervor, wird in seinen Aeuszernngen imner mehr erkennbar. Ich habe bereits eine Reihe von SohülergeneratioBen um mich gesehen: aber so weit ich in der Erinnerung znrflckgelM, sehe ich in ihnen die Macht des Gefühles mehr und mehr schwinden und den Boden unter meinen Füszen zurückweichen. Ich kann nidit mehr wie sonst, wenn ich den faulen Schüler zum Fleisze, den rohen zur Sittsamkeit, den dissolnten zu Zucht und Gehorsam, den frechen zur Gottesfurcht anhalten will, an eine Stimme in ihm, eben nn jenei Gefühl in welchem er jene Mächte als Mächte anerkennt und lieh vor ihnen beugt, appellieren: ich finde in der Jugend nicht mehr tief im Innern die Saite welche, angeschlagen, widerklingen sollte, nickt nMhr die herzliche wenn auch geheime und zurückgehaltene Znstinmnnf ■■ meinen Worten. Und wenn ich durch Gesetz und Strafen den inniero liehen Gehorsam und den gesetzlichen Fleisz erzwingen kann, so ver- misse ich doch oft, und besonders schmerzlich bei heranwachsenden Schülern, die volle Harmonie der Seele welche sieh in Frendigkeit des Strebens, edler Sitte, offnem Vertrauen nnd dauernder Liebe und Ver- ehrung für den Lehrer, für die Schule, für die Wissenschaft ansspriekl^ Es ist uns wahrlich nicht zu verdenken, wenn wir schmerilich fragen wohin das auslaufen und was aus der Jugend werden solle, wenn es mit uns in gleicher Weise fortgeht.

Ich könnte mich in Beispielen ergehen: ich denke jedoch, die älteren Lehrer, welche bessere Zeiten gesehen haben, werden eich deren selbst in Menge vorführen: ich unterlasse es aber am ao nelnr, da, wie einmal der Charakter der Zeit ist, das unangenehme als ans Uebelwollen gesagt erscheint, zumal wenn die Personen sich in ihrer Blösze getroffen sehen. Ich frage mich daher vielmehr ob es nicht Mittel und Wege geben könnte duroh bewuste Behandlung dem Geflihle neue Lebenskraft zuzuführen.

lieber die Bildung des Gefühls. 349

Es hat in der Pädagogik eine Zeit gegeben in der^ wie obei erwähnt, das Gefühl, die Erweckuog, Pflege and Bildung desselben, eine hervorragende Stelle eingenommen hat, wo man, namentlich in der Schule Pestalo'zzis, das Auge darauf gerichtet hat, in ganz ähnlicher Weise wie der Mensch durch den Umgang mit anschaulichen Gegenständen zur Kraft eines tieferen abstracten denkens gelangt und der Weg von jenen Anschauungen zum denken festgestellt und vorge- schrieben wird, ein System zu gewinnen durch welches der Mensch TOD Gefühlen, die seiner sich entwickelnden moralischen Natur ent- sprechend sind, zu dem Streben gefuhrt werde nach Grundsätzen fut SU handeln. Denn darin, nach Grundsätzen gut zu handein, sah man was den Seelenadel des Menschen bekunde und vollende: die Ge- fOhle seien als das Mittel, die Grundsätze dagegen als der Zweck za betrachten. Niederer hat sicher, geglaubt dasz ein solches System moralischer Bildung zu gewinnen sei. Jedenfalls müsse die moralische Erziehung mit Erweckung und Pflege der Gefühle, d. h. der unmittel- baren innigen Erfahrungen des Herzens, der moralischen Anschauun- gen, wie man sich ausdrückte, beginnen, und hierzu bereits von der Mutter beim Säuglinge der Grund gelegt werden. Es ist einleuchtend dasz für eine Pädagogik welche von solchen Principien ausgieng, sol- che Hoffnungen hegte, solchen Zielen zustrebte es kaum fraglich sein konnte ob eine Erweckung und Pflege des Gefühls möglich sei, .ob die Kraft des Gefühles erhöht und gesteigert werden könne; um so weniger fraglich da man ja klar erkannt hatte dasz es Mittel gebe dies selbe Gefühl systematisch zu schwächen und zu zerstören , oder aber die UeberschwängUchkeit des Gefühles in seine rechten, natürlichen Schranken einzuweisen. Die besonnenen deutschen Pädagogen hegten in Bezug auf jenes erstrebte System weniger sanguinische Hoffnungen als die Schweizer: indes wiesen sie es darum nicht zurück gewisse Winke zu geben wie das Gefühl einerseits gepflegt, gehütet, gefördert, nnderseits gezügelt, geleitet und beschränkt werden könne. Man findet dergleichen bei Niemeyer sowol in seinem gröszeren Werke als in dem kleineren Compendium, wo sie jeder selbst nachlesen mag : in den neueren Lehrbüchern der Erziehung, z. B. dem von Palm er, sucht man oft vergebens nach einer umfassenden und zusammenhängenden Behandlung dieses Gegenstandes , der den älteren Pädagogen, wie ge- nagt, so hochwichtig erschienen ist. Ich will daher, nachdem ich die Tragweite der Frage, so denke ich, in volles Licht gesetzt habe, einige Anmerkungen folgen lassen , mehr um anzuregen und zu reizen als um aelbst diese Frage zu erledigen.

Es versteht sich freilich von selber dasz die Kraft des Gefühles picht so in abstracto und im allgemeinen gepflegt werden könne, son- dern indem in concreto die specißschen Gefühle culti viert werden: hier ist nun ein, wie es mir scheint, wenig beachtetes Gesetz: dasz, wenn die Kraft des Gefühls verstärkt werden soll, diese specifischen Gefühle gleichmäszig und sämtlich gepflegt werden müssen.

Ich sage nicht: alle zugleich, alle gleichzeitig: denn die Seele

350 lieber die Bildung des Gefühls.

ij^ird nicht für alle zu gleicher Zeit empfänglich. So werden z. B. die Gefühle der Dankbarkeit , der Liebe , des Vertrauens in der ersten Ge- genseitigkeit in welche das Kind eintritt und zu einem Bewustsein ge- langt, der zwischen Eltern und Kindern, belebt und gebildet werden können : das fromme Gefühl, in der bewust werdenden Gegenseitigkeil zwischen Gott und dem Menschen, wird sich vielleicht hieran an- schlieszen ; erst spater wird das Gefühl für das schickliche und gezie- mende, gegenüber dem rohen und unanständigen, sich zeigen; dann vielleicht das Gefühl für die Natur sich beleben; hierauf erst die ei- gentlich moralischen Gefühle, für Wahrheit, Pflicht, Recht, Tugend, zur Geltung kommen. Es gibt, wie gesagt, in den verschiedenen Arten der Gefühle eine Stufenleiter, aber nicht bei allen Personen, auch nicht bei allen Lebensentwickelungen dieselbe, sondern durch die Umstände sehr manigfach modificiert : wie sich denn jeder erinnern wird bei ei- ner bestimmten Veranlassung wo alle Altersgenossen tief bewegt wa- ren allein ohne Empfindung geblieben zu sein. So erinnere ich mich allein an dem Sterbebette eines nahen Verwandten ohne Thränen , fast allein in der letzten Religionsstunde vor der Einsegnung ohne tieferes Gefühl geblieben zu sein und mich dieser Gefühllosigkeit recht herzlich geschämt zu haben , ohne jedoch daran etwas andern zu können. Es kommt im Grunde nicht sowol darauf an dasz die Gefühle in einer be- stimmten Folge hervortreten als vielmehr darauf dasz keines der we- sentlichen Gefühle unbelebt und unentwickelt bleibe. Denn man wird mit Sicherheit darauf rechnen können, dasz wenn eines derselben ver- kümmert, auch die übrigen mehr oder weniger darunter leiden und erkranken werden.

Denn die Gesamtheit der Gefühle ist kein bloszes Aggregat Yon vielen einzelnen, sondern vielmehr ein organisches, lebendiges ganzes, in welchem jedes einzelne Glied seine bestimmte Stelle einnimmt nnd über sich selbst hinaus auf die andern Glieder in diesem ganzen hin- weist. Wir haben, es kann dies nicht ernst genug erwogen werden, einen Organismus von Gefühlen vor uns, welcher, wenn auch nur 6in Glied an demselben fehlt oder unausgebildet bleibt, zwar nicht völlig zerstört wird, aber doch als verkrüppelt erscheint. Die Wahrheit dieses Satzes kann, einmal ausgesprochen, nicht wol verkannt werden: indes wird es nicht unangemessen sein uns durch einige rasche Blieke von ihr zu überzeugen. Man nehme z. B. das Gefühl für die NaUir hin- weg: wie werden das fromme Gefühl, wie der Sinn für das schöne, wie die Innigkeit des Herzens dadurch verkümmert werden! wie durch diese Rohheit der Natur gegenüber die Gefühle leiden welche den Men- schem dem Menschen gegenüber beleben sollen ! Ich habe es oft ge- sehen wie Gefühllosigkeit gegen die Natur und ihre Geschöpfe mit sittlicher Rohheit in Verbindung getreten ist. Wer heut Vogelnester ausnimmt, mishandelt morgen seine schwächeren Mitschüler und ver- übt mit Wolgefallen gegen seinen Lehrer Bubenstreiche. So halte ich bei Knaben das sammeln von Käfern für eine sehr bedenkliche Sache: der Gewinn den ihre Naturkenntnis daraus zieht steht in keinen Ver-

lieber dießilduDg des Gefühls. 351

baltnis zu dem Schaden den ihr defühl hierdurch erleidet. Ich habe Schüler gekannt die, sobald diese Wut Käfer zu sammeln sie ergriff, durch das herumstreifen im Walde mit Abneigung gegen das sitzen bei der Arbeit und durch die Jagd auf diese Thiere mit Gefühllosigkeit erfüllt wurden, an der sie denn auch später, ohne dasz wir sie hätten zurückbringen können, verkommen und untergegangen sind. Dagegen füllt die Botanik die Seele mit Aufmerksamkeit und Liebe für die Na- tur, und es ist mir immer als ein Schade an der Seele der Knaben vor- gekommen, wenn die Verhältnisse es uns an einer Schule unmöglich gemacht haben die Botanik mit den beiden untern Klassen zu treiben. Die Praxis stimmt hier mit der Theorie völlig überein; der Mangel an Gefühl für die Natur ist ein schwerer Verlust für die zu bildende Ja- gend und thut allen übrigen Arten der Gefühle Abbruch. Man vernach- lässige doch den Sinn für das decorum, für Form, für Ordnung, und man wird die Folgen bald in den anderen Kreisen des Gefühls wahr- nehmen: das Gefühl für die Natur, die Verehrung Gottes wird in rohe nnd stumpfsinnige Gleichgültigkeit umschlagen: es wird dem Erzieher eine der Stufen fehlen um zur Belebung des moralischen Gefühles em- porzusteigen, wenn er nicht mehr an den Sinn für das schickliche ap- pellieren, wenn er nicht das moralisch schlechte mit einem ^Pfui, schäme dich!' zurückweisen kann. Es ist von einem zwar alten, aber doch nicht veralteten Pädagogen das schöne Wort gesprochen: die leibliche Reinigkeit und Sauberkeit sei eine Vorschule der Frömmigkeit, und der Ordnungssinn eine Vorschule der Tugend. Ich nehme ein drittes Beispiel: man lasse die specifisch moralischen Gefühle, für Wahrheit, Recht, Tugend, Pflicht, unbeachtet, wie man es denn, mich dünkt, vielfach gethan hat, in der Meinung, dasz der lebendige Glaube auch jene Gefühle bereits in sich schliesze, dasz die Sittenlehre sich von selbst aus der Glaubenslehre ergebe, und daher'nur als ein integrie- render Theil der letzteren vorzutragen sei. Ich halte dies für einen der folgenreichsten Irthümer, der offenbar daraus entsprungen ist weil man mit dem Rationalismus auch die Moral, das Hauptbollwerk dessel- ben, aufgeben zu müssen meinte. So ist auch die Belebung und Bil- dung des moralischen Gefühles in den Hintergrund getreten, was denn natürlich für den christlichen Glauben in der Jugend die Folge gehabt hat dasz demselben die Beziehung zu dem tief in der Menschennatur liegenden religiösen und sittlichen Bewustsein verloren geht. Ich für meine Person sehe hierin besonders den Grund zu der lief betrübenden Erscheinung, dasz es gerade die Söhne von strenggläubigen und eifri- gen Geistlichen sind welche so oft dem tadicalsten Unglauben und einem zuchtlosen Wandel verfallen. Das fromme Gefühl ist. in ihnen frühzeitig und mit einer gewissen einseitigen Ueberspannung angeregt worden, ohne dasz die moralischen Gefühle gleichmäszige Pflege er- fahren hätten. Wohin endlich die Geringachtung der Bildung des reli- giösen Gefühles führe ist kaum noch einer Erörterung bedürftig. Allen übrigen Gefühlen wird, wenn es* an diesem fehlt, gleichsam die Krone abgebrochen; allen aber wird eben so woltief im Grunde des Herzens

352 lieber die Bildung des Gefühls.

die Lebensworsel abgeschniUen welche ihnen gesande nnd heilBame Nahrangssäfte zuführt. Ja man kann mit Recht sagen dasz , wie alle Objecti vi taten welche dem Menschen begegnen allein dadurch dasi sie in der letzten dieser Objectivitäten , in Gott , ruhen eine Objeolivitit erhalteu und ohne dies nur flüchtige Schatten sein würden, also der Mensch nur dadurch irgend eines Gefühles fähig und theilhaflig werde weil alle diese Gefühle von dem religiösen Gefiähle eingeschlossen und getragen sind. Die Ansicht dasz man sittlich fühlen könne ohne das heiligende und läuternde Gefühl des lebendigen Gottes bat bis jetsi nar zu schnödem Egoismus geführt. Möge also für uns dies feststehen dasz die Erziehung alle Gefühle ohne Ausnahme zu pflegen, keines derselben gegen die andern gering zu achten habe. Sie sind in diesen ihrem Bunde gleichsam eine schöne nnd grosze Harmonie, aas der man nicht nach belieben diese oder jene Stimme herausnehmen kani. Die Fäden in denen sich diese Gefühle verschlingen laufen in wander- baren Verknüpfungen durcheinander, und wie die höchsten and heilig- sten Gefühle es nicht verschmähen sich zu den scheinbar bedeatungi« losesten herabzulassen, so sind die letzteren gewürdigt den höchsten httlfreich und dienstbar zu werden.

Ich überlasse es den Lesern diese Andeutuirgen weiter sa verfol- gen and zu verwerthen und wende mich einem andern Punkte so«

Der Ursprung der Gefühle ist einer jener Streitpunkte über wel- che es, wie es scheint, der Psychologie schwer fällt mit sich ins reine SU kommen. Wir anserentheils sind so glücklich uns auf dem Boden der Erfahrung halten zu dürfen. Offenbar entspringt das Gefühl «uerst aus dem begegnen zweier Potenzen, der einer Spannung fähigen Seele and der einer auf die Seele einwirkenden Objectivität. Es liegt daher im Gefühle stets etwas geheimnisvolles und wunderbares: es ist wie der Ton einer Aeolsharfe welche von einer unsichtbaren Macht in Schwingungen versetzt wird. Die Worte der Schrift: *der Wind bla- set wo er will, und du hörest sein mausen wol; aber du weiszt nicht von wannen er kommt und wohin er fähret' gelten überall wo der eid- liche Geist von dem unendlichen ergriffen wird. So entstehen deu, wie jeden die Praxis lehrt, auch noch heut Gefühle in der menschliohea Brust; aber es ist die bei weitem seltenste Art wie dies geschieht.

Im Zusammensein des Menschen mit Menschen entspringen sie vorzüglich durch Sympathie und Antipathie. Wir lernen in dem Entwicklungsgange in dem wir nun einmal stehen fühlen dadurch dasz wir andere von diesem oder jenem Gefühle bewegt sehen. Wie das Kind mitweint und mitlacht, wenn es andere seines gleichen wtt- nen und. lachen sieht, so bildet sich jede Art des Gefühls dnrch die Wahrnehmung des gleichen Gefühls. Hierauf laufen im Grande die vielen Regeln hinaus welche man früher über die Bildung namenUick der sittlichen Gefühle gegeben hat. Fühlende Eltern, fühlende Lehrer werden eine fühlende Jugend erziehen. Schlimm genug ist es freilich dasz gerade hier die Schule mit dem Hause sich oft in der tiefsten Differenz befindet und beide einander entgegenwirken. Für die Schale

lieber die Bildung dei Gefühli . 353

selbst gilt immer und ewig: sei das was deine Schüler sein sollen, liebe das was sie lieben sollen, und wenn sie es nicht sind, und wenn sie diese Liebe nicht haben, fange nicht damit an auf deine Schaler zu schelten, sondern frage dich, die Hand aufs Herz, selbst ob es nicht deine eigene Unwahrheit und Heuchelei ist welche dies verschuldet hat. Du willst die Liebe deiner Schüler: hegst du wahre Liebe, Heilandsliebe, zu ihnen? du willst ihre Achtung: beweisest da ihnen stets das Gefühl für das schickliche, ernste, würdige Haltung in deinem auszern wie in deinem innern? du wunderst dich der Rohheit der Jugend, und sie sieht dich in Leidenschaft schimpfen und schlagen?

Neben diesen beiden gibt es jedoch noch ein drittes , was freilich in unseren Tagen weniger als recht ist geschätzt wird, die Vorstellung, das belehrende Wort. Es ist im Gefühle selbst bereits ein Moment der Vorstellung enthalten, an welches unter gewissen Umstanden, z. B. bei einem vorgerückteren Lebensalter, angeknüpft werden kann, ja an- geknüpft werden musz um der Seele noch diejenige Spannung la geben zu welcher sie durch Sympathie nicht leicht mehr würde ge- bracht werden können. Es ist demnächst überhaupt die Weise wie der gebildete Lehrer mit dem edlen und denkenden Jünglinge zu verkehren, und so zu gleicher Zeit in ihm Gefühle zu bilden und mit ihm über die Gefühle zu ernstem denken und beiligem wollen hinauszugehen hat. Das Wort von Novalis ^es ist umsonst die Natur lehren und predigen zn wollen' ist nur halb wahr: die Belehrung kann sehr viel nachholen was in der früheren Bildung versäumt worden ist. Niemeyer hat die Belehrung nicht über Bord werfen mögen : ich habe dann selbst das grosze Glück gehabt einen Lehrer zu besitzen und als angehender Lehrer unter diesem Lehrer zu lernen der von Niemeyers Geist erfüllt war und in seinem Geiste wirkte und wirken lehrte.

In dem Punkte aber sind unsere Pädagogen von August Hermann Franke bis auf Niemeyer herab , so ungleichen Sinnes sie sonst waren, eins gewesen dasz die Bildung des Gefühls eine Sache von höchster Bedeutung sei und dasz eine Erziehung, ohne auf dieser Grundlage in ruhen, ein Gebäude ohne Fundament sei. Aus einem tiefen, warmen, lebendigen Gefühlsvermögen ich will einmal diesen Ausdruck ge- brauchen ^ wird die Bildung des Willens ihre besten Lebenssäfte empfangen. P. Jlf.

23.

Das Mittelhochdeutsche als Unterrichtsgegenstand auf deut- schen Gymnasien.

Der Zweck und das Ziel, welches unsere Gymnasien verfolgen, ist, wenn man anch über die Mittel snr Erreichung desselben weniger

354 Das Mittelhochdeutsche in den Gymnasien.

einig sein möchte , anerkanntermaszen eine formale Bildung der gei- stigen Kräfte. Die den Schülern vorgelegten Unterrichtsgegenstande sind gleichsam die geistigen Tarngerüste, an denen die jungen Krifte lu der Ausdauer und Gewandheit herangebildet werden sollen, welche den manigfachen Forderungen des Lebens gegenüber dem Manne eigen sein müssen, wenn er sich als tüchtig bewähren will; Ob und in wiefern dieser Zweck erreicht sei, erkennt man am sichersten am mflndlichen und schriftlichen Ausdruck in der Muttersprache ; der mündliche Aus- druck unterliegt zwar allerlei individuellen Bedingungen, aber er muss doch neben dem schriftlichen, welcher die Hauptsache bleibt, mit zu Rathe gezogen werden, um ein vollständiges Urteil zu bilden. Dia Sprache ist die Form der Gedanken, wir können nichts denken ohne es in Worte zu kleiden , und so wird der Gebrauch derselben unfehU bar zeigen, wie ein Mensch das, was er an geistigem Fond besitzt, ge- übt und ausgebildet hat. Und dieser geistige Besitz ist es gerade, an welchen das Leben seine Anforderungen macht, er ist das Pfund, mit dem ein jeder wirthschaften und wuchern soll, durch ihn bedeutet ein Mensch etwas oder nichts, durch ihn wird er bewundert oder verach- tet, gehaszt oder geliebt; eine würdige Aufgabe also, ihn zu dem zo. machen was er sein kann , und die einzige Form , in der er erscheint, so herauszubilden, dasz sie nicht nur nichts von dem vorhandnen ver- berge, sondern auch das erscheinende edel und geschmückt an den Tag fördere.

Dasz man die Bedeutung der Muttersprache im Gymnasialanter- richte genügend erkannt, lehrt schon ein flüchtiger Blick auf die Le- otionspläne hinreichend; da gibt es für jede Klasse durchschnittlich 3 wöchentliche Stunden für das Deutsche , die für deutsche Aufsitze, Leetüre und Grammatik verwendet werden sollen. Noch im Anfange dieses und am Ende des vorigen Jahrhunderts würde man deutsche Aufsätze und namentlich deutsche Leetüre als etwas völlig unnützes verworfen haben; man war der Meinung, dasz Gewandheit im lateini- schen Ausdruck eine solche für die deutsche Sprache einschliesze, und suchte also nur die Kenntnis des Lateinischen zu fördern. Und wer VoUte verkennen, dasz jene Ansicht ihre Wahrheit hat; haben doch die Heroen unserer deutschen Litteratur, die uns ersfl^zeigt ha- ben, was deutsche Prosa und deutsche Poesie sein kann, nicht in der Schule gelernt, wie man deutsch schreiben müsse, sondern höchstens lateinisch und wenig griechisch gelesen und geschrieben, um daran ihren Geist zu bilden, so gut es eben gehen wollte, und sind dann ih- rem Genius gefolgt und das geworden, was sie immer sein werden, anerreichte Muster an Inhalt und Form. Aber die haben durch ihr Ge- nie ihr groszes Ziel erreicht; wir müssen einen Weg verfolgen, der auch für minder begabte Geister gangbar ist und sicher zum Ziele führt, und darum bieten wir die Mittel auch Anlagen, die der Weoknng bedürfen, zu fördern und zu zeitigen ; durch Leetüre unter Leitung des Lehrers führen wir ein in die Litteratur und geben Master für den eigenen Ausdruck; durch Uebung im doutschschreiben bilden wir zu

Das Mittelhochdeutsche in den Gymnasien. 355

der Gewandheit des Stiles heran, die schon Gemeingut der Nation ge- worden ist. Und die deutsche Grammatik? fragen wir. Sie erscheint neben der übrigen Gymnasialbiidunjg mit ihrer grammatischen Grund- lage mindestens unnütz, oft aber schädlich, wenn die lebendige Sprache in die Zwangsjacke eines grammatischen Systems gezwängt werden soll und den Schülern Ueberdrusz an aller Grammatik überhaupt, für die deutsche speciell aber Langweile und die böse Gewohnheit der Unaufmerksamkeit erzeugt. Wenden wir also die auf deutsche Gram- matik verschwendete Zeit lieber der Lectüre zu und wir .werden mehr erreichen. Und das haben wir nöthig bei den Anforderungen, wel- che die Zeit mit Recht an uns macht. Es ist ja nicht nur die stili- stische Tüchtigkeit für die Schrift, um den ganzen ungeheuer erwei- terten Ideenkreis der Zeit bequem in eine schöne Form kleiden, za können, welche heut gefordert wird, auch das Wort, die freie Rede mnsz dem zu Gebote stehen, der in allen Fällen gerüstet und tüchtig sein will. Es ist darum eine möglichst genaue Bekanntschaft mit der deutschen Sprache nothwendig; erst auf dieser Grundlage sind Stil- übungen, ist Uebung in freien mündlichen Vorträgen förderlich.

Als nun das neue sprachvergleichende Studium auftauchte, die fast verschollenen früheru Entwicklungsperioden unserer Sprache wie- der ans Licht traten und nnter der Pflege hochbegabter Leiter vom schwachen Dämmer ersten erwachens an durch die nothwendigen Gäb- rungs'processe hindurch sich zu wissenschaftlicher Klarheit herausge- arbeitet hatten , da glaubte man in der Freude über den schönen Ge- winn, über den Fund einer Blüteperiode der deutschen Litteratur in Zeiten wo man sie nicht gesucht, nichts besseres thun zu können, als wenn man auch der Jugend einen Theil gönnte an dem Stolz über dio Herlichkeit ihrer Vorfahren , als wenn man sie einen Blick thun liesze in die alten Schätze unserer Sprache, um dadurch ihre Kenntnis des jetzt vorhandenen Materials zu vergröszern und ihr den Gebranch des- selben zu erleichtern; man führte das Mittelhochdeutsche unter die Unterrichtsgegenstände unserer Gymnasien ein. Das Wesen, das Leben der deutschen Sprache sollte nun noch klarer erkannt werden; der Lehrer sollte seine Schüler heranführen an den Born , aus dem das le- bendige Wort in seinem Munde entsprungen; sie sollten das gewordene richtiger beurteilen und auffassen, wenn sie das werden selbst ver- folgen könnten. Und wer diese Studien kennt, der weisz'-wie sehr ihm die Sprache durch sie an etymologischer Durchsichtigkeit gewonnen hat, wie ihm erst der volle Sinn manches Wortes entgegengetreten ist, wenn er die naive und doch so tiefsinnige Anschauung gefunden, die der Bildung des Wortes zu Grunde liegt. Es läszt auch keine andere europäische Sprache einen so tiefen Blick in die Werkstatt thun aus welcher sie hervorgegangen ist als die deutsche, weil von keiner andern die Entwicklungsstufen welche sie durchgemacht hat so vorliegen. Das Gothische, wenn auch nicht in directer Linie die älteste Form unserer heutigen Sprache, doch ein nahe verwandter Dialekt dieser Urform, hat uns ein Bruchstück der ehrwürdigen Bibel-

356 Das Mittelhochdeatsche in den Gymnasien.

flbersetznng' des Ulfiias erhalten ; daran schlieszt sich , schon reicher in Schriftwerken vertreten, das Althochdeutsche, dann das Mittelhoch- deutsche, die Muttersprache des Neuhochdeutschen wie wir es reden, und immer sind die Gesetze erkennbar, nach denen sich das eine aas dem andern entwickelt hat, wie eine Pflanze, die von ihrem Keime an bestimmten Gesetzen folgend wächst und lebt durch alle Metamor- phosen ihres Daseins hindurch. Eine solche Erkenntnis des innem Or- ganismus einer Sprache musz ihr Licht auch auf die todten Sprachen werfen , welche die Hauptunterrichtsgegeustande der Gymnasien aas- machen ; auch sie müssen dem lernenden lebendiger werden and ihre Bestandtheile weniger als todte Werkstücke erscheinen, welche man nach den Regeln der Grammatik nur zusammenzufügen hat. Darch- schaut man aber so den organischen Bau einer Sprache, der lebern- volien Haut gleichsam, welche den Körper der Gedanken des Volkes von jeher umschlossen hat und noch umschlieszt, welchen Anfschlosi über das geistige Leben, über den ganzen Zustand eines Volkes sa Zeiten, über welche weder monumentale noch schriftliche Qaellen be- richten , wird man da bekommen , und was kann einem Deutschen för- derlicher sein, als ein tiefer Blick in die Natur seines Volkes?

Und wenn ans aus der Sprache «elbst der ursprüngliche, darck fremde Einflüsse nngeänderte Geist, gleichsam der Kindheitsgeist an- seres Volkes, entgegentritt, wie er seine frühesten Gedanken gefasxt, seine Gefühle Lauten anvertraut, wie er die ersten Keime seiner Cal-. tar gelegt hat, so redet noch deutlicher zu uns die Litteratnr, welche in dieser Sprache vorhanden ist. Was unser Volk bewegt und erregt, was es gefühlt und gedacht hat, seit durch das wiederaufblOheo der klassischen Studien die Cultur des Alterthums die Grundlage der ons- rigen geworden ist, das lehren uns die Koryphäen, der Häupter der- jenigen klassischen Periode unserer Litteratur, in welcher die Namen Goethe und Schiller strahlen; aber wie unser Volk gedacht and gefahlt, ehe es das klassische Allerthum kannte, wie seine ei^fenste selbst geschaffene Cultur gewesen, das lernen wir aus der altdentscheo lit- teratur. Zwar können wir auch für jene Zeiten eine gewisse gleieh- sam stillschweigende, in der Lebenslnft liegende Einwirkung der Cal- tur, welche das Alterthum geschaffen, auf germanisches Wesen niobt leugnen; aber es war wenigstens kein directer Einflnsz, man kam nicht sagen, dasz in jener Zeit die deutsche Cultur, wie jetzt aof den Schultern der klassischen gestanden hätte. Also das arspranglleh Deutsche lehrt uns die Kenntnis des deutschen Alterthams in seiner Sprache und Litteratur von dem aus der Fremde eingebürgerten anter- scheiden, eine Kunde, die wir jedem gebildeten des deutschen Volkes wünschen möchten. Und sollten \. ir jener Litteratur , in welcher sieh ein so reicher und tiefsinniger VolksgeiAt, wie der dentsche es ist, ausgeprägt und sich eine Form chafTen hat, deren feine Kflnstlicli* keit wir noch heute bewundern , dc^en Reinheit wir nicht erreichen können und darum aufgegeben bah' , sollten wir nicht einer solchen Litteratur auch einen selbständige» , allgemein menschlichen Werlh bei-

Das Mitt^lhochdeatsche in den Gymnasien. 357

legen dörfen, eine Klassicität im eigentlicben Sinne des Wortes, wenn ihr auch gerade das vorzugsweise so genannte klassiiscbe Element fehlt? Wir können 'nicht bezweifeln, dasz die eigenen Schöpfungen eines Volkes, welches ein Haupttrager der Cultur der neuen Welt ge- worden ist, werth sind von wahrhaft gebildeten gekannt und geschätzt zu werden.

Das etwa mögen die Vortb^le für die Kenntnis der deutschen Sprache und des deutschen Volkes sein , die mau bei der Einführung des Mittelhochdeutschen auf deutschen Gymnasien im Auge gehabt hat. Sehen wir nun wie sich das wirklich erreichte und erreichbare diesen .Anforderungen gegenüber verhält. Zuerst müssen wir zugestehen dasz das eindringen in das Wesen der Sprache an der Hand des historischen Studiums des Altdeutschen einen wissenschaftlichen Charakter, ein männlich ernstes Studium voraussetzt, wie es den Gymnasien fern ist und fern sein musz. Ist es nicht die Sache eines wissenschaftlichen Mannes im besten Siune des Wortes in die tiefen Schachte, welche das Lebensstudium geistig bevorzugter Männer in das Material der Sprach- wissenschaft hineingetrieben hat, hiuabzusteigen, die Wurzeln kennen zu lernen, welche den Baum unserer Sprache noch heute mit Leben und Saft versorgen, und daraus Aufschlusz zu gewinnen über die Blät- ter und Triebe am Sonnenlicht? Für Jünglinge ist das keine Aufgabe, wenn wir auch davon absehen, dasz^ ihnen nur die obere Stufe über- haupt zugänglich ist, da es nie Absicht gewesen nnd auch nicht sein kann sie in das Gothische und Althochdeutsche einzuführen. Man wird ihnen also in dieser, wie in andern Wissenschaften die Resultate mit- theilen, welche Mannesarbeit geschaffen, nicht versuchen sie den .iiQhsamen Weg der Forschung durchmachen zu lassen.

Wie aber das Mittelhochdeutsche allein nicht das nothwendige zu leisten vermag für einen Einblick in das Wesen und treiben der Spra- che, so ist es ^uch gar nicht erforderlich für jene Mittheilungen; der litteraturgeschiclitliche Unterricht bietet Raum und Gelegenheit genug dafür. Treibt man es aber dennoch, so wird man nicht un\{iin können, zuweilen etymologisches vorzulegen, und nähert sich damit der bösen Klippe, vor der sich Lehrer und Schüler gleich zu hüten haben, in etymologische Spielereien zu verfallen, welche heutzutage, wo man die Gesetze gefunden hat, nach denen mit Gewisheit die Verwandschaft der Worte nachgewiesen werden kann, eine Versündigung an der Sprachwissenschaft enthalten. Nimmt man noch hinzn, was fast über- all die Erfahrung gelehrt hat, dasz das Mittelhochdeutsche unter den sogenannten Nebenfächern der Gymnasien, die von den Schülern mei- stens sehr stiefmütterlich behandelt werden, eigentlich den letzten Platz einnimmt nnd den Schülern gtt\^ natürlicherweise, wie wir gleich sehen werden, selten auch nur einiges Interesse einflöszt, so werden wir leicht erkennen, wie wenig Er f'/^ ^^^^ ^lo Lehrer auf diesem verlorenen Posten versprechen da *f.

Ein eigentlich sprachlicher ^ ^winc. ist also ohne Wissenschaft- liohkeit nicht möglich und diese füi !lie Schule unerreichbar nnd nicht

358 Das Mitlelhochdeutsclie in den Gymnasien.

einmal wänschenswerth; aber vielleicht wird eine (ficbtige Kenntnis der mittelhochdeutschen Litteratur leisten, was wir vorhin als so wün- schenswerth für den gebildeten erkannten. Da dürfen wir uns zaerst nicht verhehlen , dasz von einer auch nur annähernd guten Kenntnis jener Litteratur auf dem Gymnasium gar nicht die Rede sein kann. Schon die Zeit, welche dazu übrig ist, macht dies unmöglich; was wird man bei wöchentlich einer Sti^nde in den beiden obern Klassen lesen können, wenn auch statt der durchgangigen Gleichgiltigkeit der Schüler für den Gegenstand das gröstmöglichste Interesse vorhanden wäre? Kaum den wichtigen Unterschied zwischen Volks- und Kanst- poesie, wie ihn die Litteratur des Mittelalters besser als jede andere erkennen laszt, wird man durch sprachliche Proben zum Bewastsein bringen können, wenigstens nicht viel besser, als es in einer litteratur- geschichtlichen Stunde geschehen kann. Die Schwierigkeit der Spra- che, wenn mau ein jedenfalls nachtheiliges rathen der Schüler vermei- den und ein wirkliches Verständnis erzielen will, ist auch zu gross, nm nachdrücklich auf den Geist hinweisen zu können, gerade weil die beiden vorhergehenden Sprachstufen, deren Bekanntschaft das Ver- ständnis erleichtern würde, nicht gelehrt werden können; die Sprache musz dem erfassen des Geistes, und umgekehrt der Geist der Sprache im Wege stehen.

Wenn aber auch dies tflles nicht wäre, wenn Zeit und Verständ- nis reichlich vorhanden wären, so musz es doch aus dem reichea Schatze jener Litteratur immer nur ein sehr beschränkter Kreis bleiben, in den Jünglinge eingeführt werden können. Mit wenigen Ausnahmen musz alles, was sich auf Minne und Frauendienst bezieht, auf diese eigenthümlichste Seite des Mittelalters welche gerade die schönsten Blüten getrieben hat, ausgeschlossen werden und den SciUllern unbe- kannt bleiben. Man braucht nur der Minnesinger zu gedenken, nm die Wahrheit dieser Behauptung zuzugeben; oft trägt das zarteste, innig- ste einen Makel durch die allgemeine, jener Zeit nicht zuzurechnende Verirrung^n sich, den der Mann richtig würdigt, der aber das Gemflt eines Jünglings leicht anstecken könnte. Tristan und Isoll braachen wir gar nicht zu nennen ; kaum eines der ritterlichen Knnstepen, nicht einmal des Volksepos ist von anstöszigen Einzelheiten frei, die frei» lieh bei der Leetüre weggelassen werden können. Die Schwierigkeit des Gedankens würde ferner die Kenntnis der grösten Meisterwerke, der Epen Wolframs von Eschenbach, geradezu unmöglich machen ; eia psychologisches Epos wie der Parcival ist für einen Mann, nicht fflr einen Jüngling. Und endlich ist es ganz offenbar, dasz der Mangel des vorzugsweise so genannten klassischen Elementes in der Litteratnr des Mittelalters dieselbe den Zöglingen unserer Gymnasien, welche so gani an das klassische, selbst in der neuen deutschen Litteratur, gewöhnt sind, weniger mundgerecht und interessant macht. Könnte man diea nicht schon aus der Sache selbst aprioristisch schlieszon, so wfirde die vielfache Erfahrung es zur Genüge lehren. Es ist auch nicht za leugnen, dasz manche Seiten des Mittelalters, wie sie sich in seiner

Fritzsche: Theokrifs Idyllen. 359

LiUeratar ausprägen, fär denjenigen, der noch nicht den höherii cuUnr- historischen Standpunkt der Beurteilung gewonnen hat, sondern mehr einem instinktmäszigen Gefühle für das allgemein menschlich schöne folgt, etwas weniger befriedigendes, ja etwas langweiliges und läppi- sches haben können.

Sind nun die Vortheile des Mittelhochdeutschen auf dem Gymna- sium nicht so, wie man aqf den ersten Blick annehmen möchte, warum will man denn die ohnehin übergrosze. Masse der Unter rieh tsgegen- Sünde, über die in neuerer Zeit so vielfach geklagt ist, durch seine Einführung noch vermehren, die Uebersättigung der Schüler noch vergröszern und ihnen den gesunden Appetit rauben, den sie für den reich besetzten Tisch der Universität mitbringen sollten? Auf dem Gymnasium erscheint es zweckmäszig auf das Vorhandensein und den Inhalt einer mittelalterlichen Litteratur durch mitgetheilte Proben auf- merksam zu machen, um einen Vorschmack von dem zu geben was auf der Universität eignes Studium besser erreichen kann.

Hildesheiff'- Dr Wolter.

24.

Theokrits IdyUen. Für den Schul - und Privatgebrauch erklärt von Ad. Theod. Hermann Fritzsche. Leipzig 1857, Druck und Verlag Yon B. G. Teubner.

Die Leser , welche der Verf. bei Bearbeitung seiner Ausgabe b»- sonders in^ Auge hatte, sind tüchtige Primaner oder. Secnndaner, junge Philologen, welche der Gang ihrer Studien auf die Leetüre der grie- chischen Bukoliker führt, und endlich Freunde der Klassiker, welche den Theokrit zur Hand nehmen, um sich in die alten Zeiten, in die eigene schöne Jugendzeit, zurückzuversetzen. Für den ersten Anlauf des Lesers soll die clavis Theocritea dienen, von deren Nothwendigkeit den Vf. die Erfahrung überzeugt hat. Für den jungen Philologen inson* derheit sind die kritischen Notizen zu den schweren Stellen bestimmt^ aus denen er sich StolF zu einer Abhandlung suchen möge. Ausführ- liche Erörterungen der Gründe, aus denen der Hg. bei Constituierung des Textes von Ameis, Ahrens oder Meineke abgewichen ist, sollen spater gegeben werden. Die Hauptsache sollte hier die Erklärung sein, die sich auch auf astronomische, botanische und archäologische Fragen erstreckt. Dem Texte , der mit reichlichen und vortrefflichen, auf genauer Kenntnis der Sprache und des Dialects beruhenden An- merkungen versehen ist, geht eine ziemlich ausführliche Einleitung voraus, in welcher alle neueren Untersuchungen über diesen Gegen- stand sorgfältig und gewissenhaft benutzt sind, die aber zugleich auch die Resultate der eigenen Forschungen des Herrn Verfassers enthält, von denen derselbe schon vor längerer Zeit in seiner Abhandlung über

Pf. Jahrb, f. PhU. «. Paed, Bd LXXVIII. 7. 24

360 Fritzsche: Theokrits Idyllen.

die bukolischen Dichter der Griechen Zeugnis abgelegt hat. Die Ein- leitung handelt zunächst von Theokrits Leben. Der Verf. hat sich aach hier trotz der dagegen von Ameis ausgesprochenen Einwinde für Kos als Geburtsort entschieden. Dasz Theokrit, wie neuerdings Haoler an- genommen hat, seinen Vater früh verloren, seine Erziehung einem Stiefvater zu verdanken gehabt und dessen Namen 2ifii%(^ag sich bei- gelegt habe, sei noch nicht ausgemacht; es hänge nemlich alles ab von dem richtigen Verständnisse des Scholion zu VIl 21; es frage sich, ob die Nachricht, die sich als g)aal ankundige, ttberhaapt Glau- ben verdiene; dann sei aber nicht zu übersehen, dasz, auch wenn man ihr Glauben schenke, xbv xoiavzov nicht auf Theokrit, sondern auf den Mann gehe, der nach der Ansicht jener alten Erklärer unter der Person des Simichidas auftrete; diese nähmen also und wol nicht mit Unrecht an, dasz iyd in V. 1 nicht Theokrit sei, sondern dasz eine andere Person, welche Theokrit Simichidas nenne, die ganze Geschichte erzähle. Der Verf. vermutet daher, dasz der Dichter einer andern Per- son die Erzählung in den Mund lege und selbst maskiert erscheine, dasz V. 1 durch den Namen EvxgiTog des Dichters Name BEongaog angedeutet sei. Die Einleitung behandelt dann weiter Theokrits. Dichtungen. Die Gedichte Theokrits werden eingetheilt in mimische und b ukolische zusammengenommen, in epische, lyrische und Epigramme. Der Verf. rechnet Idyll 11 zu der Klasse der buko- lischen, während es wol richtiger zu den epischen zu rechnen ist; ebenso Id. 16 und 17 zu den epischen, die uns mit grösierem Rechte lyrische Gedichte zu sein scheinen. Idyll 19. 20. 21. 23. 27 und das Carmen auf den Tod des Adonis werden als unecht bezeichnet. Der Name Idyll , nur allgemeiner Titel für die verschiedenartigen Poesien, die wir hier vereinigt finden, wird durch den modernen Aosdrack Genrebilder oder poetisches allerlei wiedergegeben. Theo- krits bukolische Gedichte werden als Mimen bezeichnet, die entweder als Monologe oder als Dialoge in sich abgeschlossene Scenen des ländlichen Lebens in poetischer Form darstellen, damit der Laser sich an ihnen ergötze. Nachdem der Verf. einiges über das Versmass, dessen sich der Dichter bedient, über den stetig wiederkehrenden Schaltvers sowie über die strophische Eintheilung der Lieder vorans- geschickt hat, spricht er zuletzt noch von dem dorischen Dialeet als einem bedeutenden Mittel, wodurch Theokrit sowol die mimischen als die bukolischen Gedichte der V^ahrheit des Lebens nahe gebracht habe. . Indem wir das oben ausgesprochene Urteil über den Werth die- ser Ausgabe von Theokrit wiederholen und uns gedrungen fühlen die- selbe sowol Lehrern für den Gebrauch der Schule als auch Philologen vom Fache, namentlich jungen Philologen, als praktisch and wolgelna- gen zu empfehlen, fühlen wir uns doch zu einigen Bemerknngen ver- anlaszt, ans denen man zugleich ersehen möge, dasz Referent den er- klärenden Anmerkungen eine genauere Beachtung geschenkt hat. Wir wählen uns hierzu gleich die erste Idylle. Die Ueberschrift mitj hätte einer Erklärung bedurft. Die Bemerkung zu V. 1: *äem %€tl vor u fU-

Fritzsche: Thcokrits Idyllen. 361

Tvg entspricht V. 2 das steigernde 6s xorl' scheint uns nicht ausreichend. Wir haben hier zu Anfang des Gedichtseine Vergleichung; der Dichter hat aber die vergleichenden Partikeln weggelassen und beide Sätze nebeneinander hingestellt. In diesem Falle wird im ersten Glied ge- wöhnlich fiev^ im zweiten dh gesagt, oder es steht, wie an unserer Stelle, in beiden Gliedern xaL Die Auslassung der Vergleichangs- partikeln findet namentlich in Sprüchwörtern häufig statt. Vgl. auch Pindar Nem. IV 83. Bei 'ipt&vQLCiia fielladsTai. konnte hinge- wiesen werden auf (liXog '^i^vql^Biv und verglichen werden Verg. ecL VIII 22. V. 20 inl xo nkiov vgl. Herod. VI 126. V. 27 ma6vßi.ov bedeutet zunächst nicht ^ein aus Holz geschnitztes Gefäsz% sondern ein.Aus Epheuholz geschnitztes Trinkgefäsz, dann überhaupt frei- lich einen ans Holz gearbeiteten Becher, auf dem jedoch immer Ver- sierungen mit Epheu dargestellt waren; vgl. Athen. XI p. 474. Die xiöCvßia der Hirten waren gewöhnlich nur mit Einern Henkel {ovg) versehen; der hier erwähnte hat deren zwei. V. 32 Svtoö&ev nicht inwendig, auf dem Grunde des xtaavßiov^ unter dem der Verf. des- halb hier einen Napf (j^a'^v?) verstanden wissen will, sondern es ist, wie auch Ameis will, die Auszenseite, der Bauch des Gefäszes zu ver- stehen, auf welchem die sämtlichen nun folgenden Bilder zu suchen sind. ivTOö^sv heiszt weiter nichts als ^darauf (iv), und zwar in der Mitte des Gefäszes; vgl. Mosch. II 43. V. 32 wird vor rl ein Komma gesetzt; alsdann ist rl anstöszig,^ daher ist das Komma besser 80 streichen, damit sich die Apposition mit rl ganz genau an das Sub- stantiv anschliesze; vgl. Hom. II. I 62. V. 41 6 Ttglaßvg =r jener Greis, wie der Artikel, oft bei den Alexandrinern demonstrative Be- deutung bat. V. 46 wird mit Ahrens ans den Schollen geschrieben nv^Qcciaig statt des gewöhnlichen nvgvalatg. Letzteres ist abzuleiten von nvQvog = die reife Frucht des Walzens, also nvgvaiog = das, was die Farbe des reifen Weizens hat. V. 66 wird aioXCxov gelesen, das Ahrens aus AIoXikov hergestellt hat. Wir billigen diese Lesart eben so wenig, wie das von andern vorgeschlagene cdnoh^ov^ da uns AloXiMv völlig richtig und angemessen scheint. Der Ziegenhirt sagt ja nicht, dasz er den Becher gemacht habe, sondern dasz er aus Kaly- donien sei. Kalydonien hiesz aber in alteren Zeiten AioUg (Thuc. III 102)9 weil aeolische Bevölkerung da war. V. 65 möchte ich statt der Conjectur aöia das ursprüngliche äö^ a vorziehen. Spondeen finden sich auch bei Theokrit im fünften Fusze; durch ad' a wird, dem od (S| entsprechend, der von Theokrit so häufig angewandte Parallelismus der Glieder bewirkt. V. 67 vi(in€a möchte ich hier nicht als nom. propr. von der Niederung des Peneus nehmen ; malerischer steht es als appellat.

Nehmen wir noch einige Stellen aus der siebenten Idylle heraus, welche Heins, omnium eclogarum reginam nennt. Zu bemerken war, dasz dieses Gedicht Beziehung auf Zeit- und persönliche Verhältnisse nimmt, dasz es eine Allegorie ist und sich in dieser Hinsicht von den übrigen echt bukolischen Gedichten unterscheidet, wir auch nicht eine

24*

362 Fritzsche : Theokrits Idyllen.

getreue Schilderung des landlichen Lebens in demselben erhallen. Der Verf. verwirft mit Recht die Annahme der Scholiasten, welche die Er- zählung auf die Insel Kos verlegen, und stimmt Hermann bei, der unter Haies einen Flusz Lucaniens und unter nokig die Stadt Velia verslaB- den wissen will. Zu V. 130 inl Ilv^ag wird bemerkt, dasz nach Her- manns Vermutung die Stadt Buxentum in Lucanien gemeint sei. Soll diese von Velia verschieden sein? Unseres erachtens ist es dieselbe Stadt, die aber von den Römern Buxentum genannt wurde; vgl. Strabo VI p. 253 (Casaub.). Zu V. 6 BovQivav nqavav^ was hauptsächlich für Kos spricht, wird nur eine Bemerkung aus Rosz: Reisen auf den griech. Inseln des aegaeischen Meeres, hinzugefügt, ohne dasz erklirt wird, woher der Name ^Quell Burina% der sich doch auf Kos finde. Es werden hier nur Abkömmlinge der kölschen Familien genannt, die sich in Velia aufliielten. Viele koische Familien hatten sich in Sicilien niedergelassen, und von hief oder von Zankle aus mögen Leute YOn koischer Abkunft nach Velia gekommen sein. V. 4 statt iad'kov wol besser iakov. Für den Schüler war wol hier beizufügen, dasi man eigentlich, da von Personen die Rede sei, das Masc. erwarten solle; ebenso die Bedeutung desselben, nach der es häufig den beseichne, der durch uralte adelige Abkunft sich auszeichnet. V. 13 zn AvuUduv wird bemerkt : ^welchen Freund Theokrit unter diesem Namen ans vor- führl, ist nicht zu ermitteln.' Lykidas musz nothwendig ein gleichzei- tiger Dichter gewesen sein, da das ganze Gedicht einen allegorischen Charakter trägt. Ob bei Kvöarvtnov Stvdqu die Stadt Kydonia aif Sicilien oder Kydon auf Greta gemeint sei, läszt sich nicht entschei- den. Aber wir wissen aus dieser Zeit weder von einem Dichter auf Greta noch auf Sicilien. Nähme man an, dasz Kv8oivi%ov eine verdor- bene Lesart sei und substituierte dafür XaAvdcovtoi/, so könnte Ali^xan- der der Aetolier gemeint sein, der freilich ursprünglich aus Pleuren stammte; aber Kalydon, welches in der Nähe von Pleuron liegt, wird oft statt dessen gebraucht. Alexander war ein Zeitgenosse des Theo- krit und zeichnete sich nicht nur in der Elegie, sondern auch dqrch bukolische Gedichte aus, welche cclnoXoi betitelt sind. In jenen aU noXoig halte Alexander auch die Sage vom Daphnis behandelt. Weil nun Alexander alitoXma geschrieben hatte, so konnte er von dem Dich- ter leicht als alnoXog dargestellt werden. XIII 30 oq^nov i^evto wird übersetzt = sie wählten sich ihren Landungsplatz. Warum nicht oQfiov rl&ead'at, -- oQiil^ea&at = anlanden? V. 31 statt svQWOVti' wol besser elQvovzi ({qv(o) und dann auf aqoxqa zn beziehen. XiU 69 wird iit^soi gelesen, was solche bezeichnet, die eben ins Jünglings- alter getreten sind. Dies passt nicht recht; wir' möchten daher die Lesart ruil&eoi aus dem cod. Mediol. vorziehen, die kein Bedenken hat, da ja fast alle die Helden Göttersöhne waren. XVI 30. Statt ^Atioo ist wol besser zu schreiben ^jitSa, weil bei Theokrit muta cum liquid« Fosilionslänge bilden. V. 38 ivötäaonov, ivöiaca bedeutet = im freieu sich aufhalten, dazu ist (lijka Subject. Statt noiiiiveg ist daher wol no£(Avatg (Weideplätze) zu lesen.

Lahmeyer : Ciceros Cato maior. 363

In vorstehenden Bemerkangen habe ich nnr weniges heransge- nommen, worin ich dem gelehrten Herrn Herausgeber nicht giaabte beipflichten zn können; dem Werthe der vorliegenden Ausgabe glaube ich dadurch nicht geschadet zu haben, auch nicht, wenn ich noch eine Reihe anderer Stellen angeführt hatte, in denen mir die Erklärung des Herrn F. nicht zu genügen schien. Sollte die eine oder die andere meiner Bemerkungen bei dem Herausgeber selbst Anerkennung finden, 80 würde mir das keine geringe Freude sein.

Wir schlieszen unsere Anzeige von dieser dem angegebenen Zwecke vollkommen entsprechenden Ausgabe des Theokrit mit der Bemerkung, dasz der Herr Heransgeber die verdienstlichen Arbeiten seiner Vorgänger mit groszer Sorgfalt benutzt und selbst bedeutendes geleistet hat, sowol für die Kritik des Textes, die er mit groszem Scharfsinn handhabt, als besonders für die ErklÖrung, die sprachlich und sachlich gefördert erscheint. Die Ausgabe ist durch den Namen des Herausgebers schon genug verbürgt und empfohlen und bedarf in- sofern nicht meines Lobes.

Fulda. Dr Oslermann,

25.

Jf . TviUi Ciceranis ad T, Pomponium Atticum de senectute Über qui inscribilur Cato maior. Für den Schulgebrauch erklärt von Gustav Lahmeyer. Leipzig 1857, Druck und Verlag . von B. G. Teubner.

Bei ier Ausarbeitung dieses Werkes hat sich der Verfasser be- strebt den eigentlichen Zweck und Charakter einer Schulausgabe überall treu im Auge zu behalten, und daher auch alle polemischen Bemerkun- gen, sowie alle rein gelehrten Auseinandersetzungen aus dem Gebiete der philologischen Kritik und Exegese von derselben fern gehalten. Dagegen hat der Verfasser die Abweichungen des hier gegebenen Textes von der höchst verdienstlichen Textesrecension von Reinhold Klotz, welche am Ende des Textes kurz zusammengestellt sind, sowie einige wichtigere Punkte in Betreff der Erklärung und der ganzen Ein- richtung des Werkes in seiner Recension der Ausgaben des Cato maior von C. W. Nauck (Berlin 1855), J. Sommerbrodt (zweite Aufl. Berlin 1855) und Reinh. Klotz (Leipzig 1855) zu rechtfertigen gesucht (in diesen Jahrb. 1857 Bd LXXVl S. 133 156) und neuerdings auszerdem Ober eine einzelne Stelle (19, 71) im Fhilologus XI 3 S. 592 f. seine Ansicht ausgesprochen, welche er auch noch jetzt, obwol Rauchenstein (ebendas. S. 593) davon abweicht, für die richtige hält. Bei den ein- gehenden Studien, welche, wie der Verf. im Vorwort bemerkt, auch einer Schulausgabe immer vorangehen und ihr erst eine sichere Grund- lage schaffen müssen, hat derselbe allen ihm bekannten Stoff gewissen-

364 Lahmeyer: Ciceros Cato maior.

haft zu Rethe gezognen. Auszer den schon genannten, in ihrer Art sehr anerkennenswerthen Werken and den bekannten älteren Ausgaben sind namenllich berücksichtigt die verschiedenen Beiträge von C. W. Nanck in Jahns Archiv VIII S. 552 f. und XII 558 568, sowie in dem Oster- programm des Gymnasiums zu Königsberg i. d. N. von 1850; die ad- notationes in Cic. Cat. mai. et Laelium von Prof. Kleine im Wetzlarer Programm von 1855; die gelehrten Citate und Bemerkungen, welche Prof. F. A. Mcnke in früheren Jahren am Rande seiner Handausgabe eingetragen hat.

Dem mit erklärenden Anmerknngen versehenen Texte gebt eine den Schuibodürfnissen entsprechende Einleitung zu dieser Schrift vor- aus, die sich über Zeit, Veranlassung, Form derselben, über die Per- sonen und die Zeit des Dialogs verbreitet, und weil Cicero dem alten Cato die Rede nicht nur äuszerlich in den Mund gelegt, sondern die- selbe auch überall mit geeigneten Hinweisungen und Anführungen ans dessen eigenem Leben durchzogen hat, so ist ganz zweckmSszig za deren leichterem Verständnisse auch ein tabellarischer Abrisz der Hauptumslände aus dem Leben Catos beigefügt, unter Angabe der Stellen dieser Schrift, wo jene erwähnt werden. Die historischen und biographischen Notizen über die in der Schrift angeführten Eigen- namen sind in einem Index am Schlüsse zusammengestellt, was wir bei einer Schulausgabe für angemessener halten, als wenn dieselben der jedesmaligen einzelnen Stelle beigefügt sind, zumal wenn öftere gegenseitige Hinweisungen nöthig sind Was zunächst den Text be- triirt, so hat der Herausgeber, wie oben bemerkt, die Recension von R. Klotz zu Grunde gelegt, in welcher er, abgesehen von Abweichnn-^ gen in Orthographie und Interpunction , nur an 18 Stellen eine Aen- derung hat eintreten lassen, nemlioh 1, 1 iisdem rebus statt eisdem rebus; 1, 2 nunquam laudari igitur statt nunquam igitnr laudari; 2,4 a se ipsi^ statt a se ipsi; 3, 9 ne extreme quidem tempore statt ne in extremo usw.; 5, 14 cum ego statt cum ego quidem; 6, 16 zeptimo decimo anno statt Septem et decem annos; 7, 24 quanquam hoc mirnm statt q. h. m. est; 8, 25 atque in ea, qnae non vult statt a. ia ea quidem, q. n. v. ; 8 26 ei ego feci statt ut ego f.; 9, 27 nee nono qui- dem statt ne n. q.; 14, 49 contentionum statt contentionis ; 15, 52 aut stirpium statt ac stirpium; 15, 53 sarmentorum ea statt sarmentornoi- que ea ; 16, 57 oUvetorumve statt olivetorumque; 19, 67 meUus et pra- dentius statt et melius et pr.; 20, 72 et mortem coutomnere statt mor- temque cont. ; 23, 83 eos solum convenire statt eos solos oonv. ; 23, 84 ad illud divinum statt in illud div. Die hier bemerkten Abweiobaa- gen von dem Klotzschen Texte, die wir meist für begründet erachten, finden wir auch theil weise in der Ausgabe von Orelli, sowie ia der Madvigschen Recension, welche sich bekanntlich auf die erste sorg- fältige CoUation des besten aller Codices, des rogius Pariaieaais, stützt.'

Der dem Texte beigegebene Commentar, in welchem aich der Verf. auch bezüglich der Citate nicht über den Standpunkt and die

Lahmeyer: Ciceros Cato maior. 365

BedOrfaisse der Sobfller, für welche die ErKKrang bestimmt ist, er- hoben hat, bietet (in sachlicher und sprachlicher Beziehung) den Stoff 20 einer gründlichen und umfassenden Vorbereitung auf die Lecture in der Klasse , und sucht dem Schüler das Verständnis des einzelnen %n erleichtern, ohne dasE durch Qberflüssige Bemerkungen , durch Ue- bersetzung einzelner Stellen , die gar keine Schwierigkeit bieten , die Selbstthatigkeit gehemmt wird. Dasz eine genaue Angabe des Inhalts und Gedankengangs bei jedem Kapitel, wie wir dieses in Schulausgaben 80 oft finden, hier fehlt, halten wir für einen Vorzug, insofern als der Lehrer alsdann nicht einer sehr nützlichen Aufgabe für den Zweck der Repetition beraubt wird. Wie Referent der zweckmSszigen und paedagogischen Behandlung seinen Beifall schenkt, so stimmt er auch in der Erklärung des einzelnen in den meisten Fällen tnit dem Heraus- geber überein. Einige wenige Differenzen nebst einigen anderen Zu- sätzen mögen noch am Schlüsse dieser Anzeige ihre Stelle finden.

Die Bedeutung von coquere (1, 1), welches sich in diesem Sinne nur bei Dichtern und späteren Prosaikern findet (Verg. Aen. VII 345. Qaintil. XH 10, 77), konnte bemerkt werden; ebenso war für den Schüler bei den Worten band magna cum re die Erklärung von res = res familiaris nothwendig. Zu plenus fidei wird bemerkt," dasz bei den älteren Dichtern häufig zur Vermeidung von Positionslänge schlieszen- des 8 in der Aussprache ausgestoszen werde. Ob hlos im sprechen oder auch in der Schrift ist ungewis; aber wol nur in den Endsilben ts und Üs^ seltener in ts; von anderen Endungen auf $ mit vorhergehendem kurzen Vocal äs^ Ös, ^s finden sich keine Beispiele dieser Elision, welche in der gebildeten Dicbtersprache des Augustei- schen Zeitalters nicht mehr gebräuchlich war. Cicero billigt übrigens die alte Sitte (Grat. 48, 161).

Auf den Unterschied von cerio scio (1) und cerle scio (2) konnte aufmerksam gemacht werden, wenn auch nur in der Form einer an den Schüler gestellten Frage. Noctesque diesque ist wol dem homerischen* vvfnag re xccl ri(iciQ nachgebildet.

I 3 Aristo Cius. Statt der vulgata Chins haben Klotz und Nad- vig mit Recht aus mehreren Handschriften Ceus aufgenommen. Warum Cius, wenn die Insel Cea bei Livius auch Cia genannt wird? Der Be- nerknng zu suis libris, dasz das Possessiv durch die Stellung hervor- gehoben werde, hätte es wol nicht bedurft. II 4. Die Erklärung des Coni. senserim *er weist darauf bin , dasz diese Beobachtung schon fr&her bei jener Bewunderung wiederholt zu Rathe gezogen sei% ist für den Schüler nicht verständlich. Dieser Conjunctiv ist derselbe, wie der eines Nebensatzes der oratio oblique. Scipio deutet damit an, dasz er bei seinen früheren derartigen Gesprächen mit Lälius diesen Grund im Sinne gehabt und geäuszert habe ; der Indicativ würde ge- setzt sein, wenn er zu der Erwähnung seiner Bewunderung des Cato jetz t den Grand hinzufügte. II 5 zu extremum actum heiszt es: *das Leben wird mit einer fabula verglichen.' Passend konnte die Frage angereiht werden: wer ist der Dichter? wer die Schauspieler? III 7.

3G6 Lahmeyer : Ciceros Cato maior.

Bei senectutem sine qaerela muste auf diese Verknapfung obne Particip hingewiesen werden , welche nach Ciceros Zeit häufiger vorkommt.

111 8 verwirft der Herausgeber mit Madvig nobilis. Prorsus enim, sagt dieser, perverse duo adiectiva ad suam utrumque conditionem ro- feruntur, tanquam alia sit nobilitas, alia claritas, ad illam Seripbiaa, ad hanc homo iners nequeat pervenire, quum haec ^it sententia, eidem rei utrumque obstare, patriae nimiam parvitatem et ingeuii inopiam. Soll- ten aber nicht vielmehr, wie Haacke (in den N. Jahrb. Bd. LVIIl S. B92) vermutet, dem griechischen Text (Fiat. Rep.) entsprechender die letz- ten Worte (clarus unquam fuisses) zu verwerfen sein, so dass die Stelle lautete: nee hercule, inquit, si ego Seriphius, essen nobilis: nee tu, si Atbeniensis? Dann entspräche nobilis dem ovo^ucctog und stände au derselben Stelle, wie dies bei Plato; das schleppende und neben esses unpassende unquam fuisses fiele weg, und vor allem der Witz erhielte seine griechische Kürze wieder. YllI 25 wird bei videt, wozu aus diu vivendo ein allgemeines Subject (= diu vivens) tu ent- nehmen sei , mit Unrecht auf Herod. I 32 iv xa fiaKQm XQOvca nokl« iati (besser TtoXXa (lev iaxi Idieiv^ ra ^i^ t ig ibiksi) hingewiesen, wo ja das Subject nicht fehlt, sondern statt im Hauptsatze zu stehen, in den relativen Nebensatz gezogen ist. XIV 49 liest der Verf. mit Madvig videbamus in studio dimetiendi paene coeli atque terrae C. Gallan statt mori paene vid. in slud. dim. coeli usw. Den Vorzag der leti- teren Lesart vor der ersteren hat Haacke, dem wir beipflichten, aas- einandergesetzt in den N. Jahrb. 1850 S. 393. XIX 71 vix evellnntar. Die Vergleichung (sie vitam adolescentibus vis aufert) verlangt vi, und dieses passt sehr gut zu evelluntur, während von dem abreisten unreifen Obstes doch wol nicht leicht vix gesagt werden kann. Was die Lesart et cocta anbetrifft, wofür sich bei Burley et tacta findet, so kann ich dem Herrn Herausgeber nicht beipflichten, wenn derselbe in Philologus Jahrg. XI Heft 3. S. 593 sagt, dasz biei dem Obste, wie bei den Greisen, allein die Reife in' Betracht kommen müsse, und dtsi folglich die Aenderung tacta einen nicht blos unnöthigen, sondern ge- radezu ungehörigen und störenden Gedanken in den Zusammeobang bringe. Es hängt die Entscheidung hierüber auch davon ab, ob wir vix oder vi gelesen wissen wollen. Dem cruda steht gegenüber na- tura, dem evelluntur decidunt, dem vi tacta. Wollten >/yir den Ver- fasser beistimmen, so wäre am besten auch et cocta zu streichen, wo- für freilich alle Autorität fehlt. Rauchenstein hält (Philologus Jahrg. XI Heft 3 S. 593) die Lesart et tacta für sehr gefällig, wünscht aber statt et tacta vel tacta. Referent hält diese letztere Aenderung niobt für nöthig, will aber et |acta auch nicht mit matura, sondern mit deci- dunt verbinden. ^Das unreife Obst wird mit Gewalt abgerissen, das reife fällt ab, wenn es auch nur berührt wird.' Die Anwendang auf die Jugend und das Greisenalter verliert auf diese Weise nicbt nur nicht, sondern der Vergleich erscheint um so treffender und schla- gender.

Fulda. Dr Osiermann,

Schwab : deutsche Lieder und Gedichte. 367

Fünf Bücher deutscher Ideder und Gedichte. Von A. von HaUer bis auf die neusele Zeit. Eine Mustersammlung mit Rüchsicht auf den Gebrauch in Schulen. Herausgegeben ton Gustat Schwab. Vierte neu vermehrte Auflage. Leipzig, Verlag von S. Hirzel, 1857.

An Gedichtsammlungen für den Gebrauch in Schulen ist kein Mangel, sondern vielmehr Ueberflnsz: fragt man aber nach wirlilich empfehlenswerlhen Anthologien, so schrumpft die lange Reihe der sich zum Schulgebrauch darbietenden Bücher gar sehr zusammen. Dieser kleineren Zahl aber gehört ohne Zweifel das oben verzeichnete Buch von Gustav Schwab an, ja es darf sich den besten zuzählen.

Nach dem Tode des Verfassers Schwab starb bekanntlich an 4. Nov. 1850 hat Hr Rector Dr J. L. Klee in Dresden die Bearbei- tung der 4n Auflage übernommen und sich durch dieselbe um Sehnte und Haus , um alle Freunde deutscher Dichtung ein dankenswerthes Verdienst erworben. Denn ist es überhaupt wünschenswerth, dasz brauchbaren Büchern, insbesondere Schulbüchern, ihre Brauchbarkeit erhalten, dasz dieselbe durch weitere vorsichtige Verbesserungen er- höht werde, und sollte man überhaupt nicht so leicht, wie es geschieht, das schon vorhandene durch ganz neue Producte zu ersetzen unterneh- men: so gilt das gewis erst recht an derartigen Sammlungen, Antholo- gien, Chrestomathien und wie sie sonst heiszen, die durch wiederholte Durchsicht und aufmerksames nachbessern bei längerem bestehen nur gewinnen.

In diesem Sinne ist Herr Rector Klee an die gern übernommene Aufgabe gegangen : er hat voll Takt und Pietät die Grundlage des Ba- ches nicht angetastet, sondern nur in einzelnen Stücken, was Inhalt und Anordnung betrifft, geändert, namentlich aber das 5e Buch, wel- ches die Dichter seit 1815 behandelt, wesentlich erweitert. Dieses Buch enthält in der neuen Auflage nicht weniger als 19 Dichter, welche bisher nicht vertreten waren, zum Theil noch nicht vertreten sein konnten, und zwar: Pfarrius, Daumer, Mises (Fechner), Fein, Hammer, Sallet, Frey tag, Groth, Fischer, Sturm, Bodenstedt, Wolfgang Müller, Storm, Lingg, Scriba, Roquette,*Heyse, Bodenberg, Treitschke. Es sind das zum groszen Theil Namen, deren Anspruch auf Berücksichti- gung nicht bestritten werden wird: dagegen leuchtet mir bei anderen nicht ein, weshalb sie den Vorzug vor manchem nicht aufgenommenen Dichter verdienen. Ich will nur an Bechstein, Soheuerlin, Kngler, Dräxler-Manfred, Strausz, Prutz, Hartmann, L. v. Plönnies, L. Hensel, Strachwitz erinnern, dabei aber keineswegs dem Urteile entgegentreten, welches der Bearbeiter in seinem Vorwort (S. XII) über die neueste deutsche Lyrik fällt. Vielleicht gestattet ein baldiger Wiederabdroek weitere Rücksichtnahme, die immerhin den Umfang des Baches nicht wesentlich zu vergröszern brauchte.

368 Schwab : deutsche Lieder und Gedichte.

War die Auswahl, welche der verstorbene Schwab getroffen hatte, schon im ganzen eine feine und glückliche zu nennen, so haben Klees Veränderungen diesen Vorzug nur noch erhöht. Man kann über einzelnes leicht andrer Meinung sein, da ja das Urteil Aber die ein- zelnen Gedichte der Dichter so schwankend ist, und jeder gern seine Lieblingsstücke in solchen Sammlungen alle fände. Aber prüft mau sorgfältig und erwägt, dasz eine Auswahl sich doch auch beschränken musz, um nicht unhandlich zu werden, so wird man die meisten Be- denken leicht fahren lassen können. Nur das bleibt bedauerlich, dasz der Spaziergang von Schiller, vielleicht gerade dasjenige Gedicht, das keiner Sammlung für den Gebrauch in Oberklassen fehlen dürfte, durch - ein Versehen nicht zur Aufnahme gelangt ist. Läszt sich einerseits in der Schule dieser Mangel gerade bei Schiller, dessen Gedichte ja fast in allen Familien vollständig zu finden sind, leicht ausgleichen, so wird anderseits auch hier eine folgende Aufiage abhelfen können.

Ist nun ferner die äuszere Ausstattung des Buches masterhaft, der Druck sauber und correct zu nennen, so kann die neue Auflage der Schwabschen Mustersammlung wol allen höheren Lehranstalten, sowie zum Hausgebrauche lebhaft empfohlen werden. Sie wird bei dem deutschen Unterrichte vortrefflich benutzt werden können, wenn neben ihr noch ein Prosa-Lesebuch gebraucht wird. Eine solche Tren- nung aber ist in höher strebenden Schulen nur räthlioh, wenn nicht bei- den Stilgattungen in der Auswahl zu viel Eintrag gethan werden soll oder die Lesebücher zu Folianten anschwellen sollen.

Frankfurt a. M. F. Paldamus.

27.

Bucher zum französischen Unterricht.

Schwalb Elite des classtques frangais avec les notes des meU- leurs commentatetirs, Essen, Baedeker. Vol. 1. AlhaUe^ trägste de Racine^ seconde^ edition, 1854. 2. Le Cid^ trag, de Corneille 1849. 3. Le Misanthrope^ comädie de Moliire. 1849. 4. VAvare^ comedie de Molidre. 1850« b. Boileau Chefs'd^oeuvre poiliques, 1850. Q, Horace^ tragidie de Cor- neille, 1851. 7. Lucrice^ tragidie de Ponsard^ avec des no- tes par Dr A. Scheler. 1852. 8. IpMgänie enAuUde^ iragi- die de Racine. 1855.

Seit einer Reihe von Jahren sind die Schwalbschen Scbulaasgaben französischer Klassiker den Lehrern bekannt, so dasz wenigstens fttr die schon früher erschienenen Bände eine eingehende Besprechung fig- lich unnutz ist. Die meisten Lehrer des Französischen wissen wol ans

Bficher «am fransösisohen Unterricht. 369

eigner Erfahrang, daszdie in diesen Schalansgaben gebotenen sach- lichen and grammatisciien Bemerkungen, ohne zu ausführlich zu sein, doch flicht die bequeme cursorische Leetüre erlauben, über welche man im Französischen nicht immer hinauskommt. So verdienen diese Ausgaben nach ihrer Behandlung alles Lob. Ob die Auswahl derselben den neuerdings in Bezug auf die französische Leetüre mehr und mehr befolgten Grundsätzen ganz entspreche, erlaube ich mir eher in etwas zu bezweifeln, ich neige mich wenigstens zu der Ansicht, dasz der Jugend die gute neuere Prosa müsse vornehmlich zugeführt werden, von poetischen Werken aber auch die Erzeugnisse der klassischen Periode mit vorsichtiger Auswahl darzubieten seien, nicht als ob die- selben schädlich wären wie die leichtfertigen Bühnenfabrikationen der Gegenwart, wol aber fürchte ich, dasz sie die Jugend nicht anspreches. Ich kann hier zum Theil aus eigner Erfahrung reden, und zwar, daaz meine Schüler die Atbalie und vor allem Moli^res Prosa mit lebhaftem Interesse lasen; die Iphigenie mit ihrem Pathos, der der Jugend um seines Stoffes willen nicht zusagende Misanthrop wurden gelesen mit Verehrung vor den Namen der Verfasser, doch ohne warmen Antheil. Dasz ziemlich ein gleiches stattfinden würde bei Corneilles Dramen, musz ich fuglich annehmen; Boileaus schöne Sprache ist für den frem- den kaum herauszufühlen, sein feiner Witz bedarf zu vollem Verständ- nis eine Einzelkenntnis der damaligen Litteraturverhältnisse; die Lo- cr^ce erlaubt, was die poetische Bedeutsamkeit betrifft, mancherlei Ausstellungen, noch mehrere bezüglich des geschichtlichen Inhalts, welcher mir jederzeit etwas bedenklich vorkam. Das sind nun aller- dings keine Bemerkungen gegen die Herausgeber, die Herren Schwalb und Scheler, sondern nur gegen die Passlichkeit der genannten Dichter für den Unterricht. Lehrern aber, welche glauben bei ihren Schülern für jene Werke des goldenen Zeitalters Verständnis und Interesse lu finden oder erwecken zu können, diesen sind die Schwalbschen Ana- gaben langst vortheilhaft bekannt, und es handelt sich so nur darum, sie denselben nochmals ins Gedächtnis zu rufen.

Schwalb BibUothique choisie de la Utt^rature frcmi^aise tn prose. Essen, Baedeker. 1857. T. I. Gmzot Discours sur Vhistoire de la r&oolution d^Angleterre. (6 Sgr.). II. Cm- zot histoire de Charles I depuis son aeenement jusqu^ ä sa mori. (10 Sgr.). III. Lettres et po^sies de FrMMe le Grand, I. (15 Sgr,)

Diese zweite unter Herrn Schwalbs Leitung heraaskommende Sammlung schlieszt sich der ersteren an, ob sie gleich nicht nur im Format, sondern auch in der ganzen Behandlung sich von jener unter- scheidet. Die grammatischen Bemerkungen fallen hier ganz weg, und es sind dem Text nur bisweilen kurze sachliche Erläuterungen beige- fügt, welche bei Werken wie das zweite und dritte durchaus nolh- wendig erscheinen. Gute Prosawerke der Jugend zu bieten, iai in

370 Bficher eom frantösischen Unterricht.

neaerer Zeit das emsige bestreben der mit der französiscben Litteratar vertrauten Manner: verschiedene Sammlungen sind begonnen worden. Die Auswahl scheint mir hier sehr schwer zu sein, denn gleich gewagt ist es, Dinge zu wfihlen , welche zu hoch, wie solche, welche zu nied« rig sind, obgleich man seltener in den letzteren Fehler als in den er- ateren verfallen mag. So musz ich bezweifeln, dasz die Wahl, des Discours glQcklich sei. Um dies schwere Buch mit Nutzen und WoU gefallen zu lesen, erfordert es eine Kenntnis der Geschichte, wie sie von einem Schüler nicht erwartet werden kann ; warum also ihm rai- sonnement Qber Ereignisse zumuten, welche er nicht genau kennt noch kennen kann? So halte ich es für einen weit glücklicheren Griff, wel- chen Herr Schwalb mit der Histoire de Charles 1 gethan hat. Das ist ein Stoff, ii^ welchem so viel äuszere Handlung, soviel Kraft der Lei- denschaft, solch gewaltige Charaktere vorkommen, dasz ungeachtet des ausschliesziich politischen Stoffes doch von einer geweckten Ober- klasse das zu gedeihlichem lesen erforderliche Interesse vorausge- setzt werden kann. Nicht dasselbe kann ich annehmen vom dritten Bändchen, zu welchem in der Kürze noch ein viertes sich gesellen soll. Es ist einem König nicht zuzumuten , dasz er seine Briefe nach den Gymnasiasten zurichte, welche dieselben nach hundert Jahren lesen konnten. Friedrich der grosze steht in der Geschichte als eine gewal- tige Heldengestalt da. In vielen seiner Briefe zeigt er seinen Geist, seine Liebenswürdigkeit im schönsten Lichte; hfinflg aber ist deren Inhalt wieder dergestalt, dasz sie zwar den Geschichtsforscher und reifen Mann aufs wärmste interessieren; aber nicht alles interessante^ ist auch für die Schule brauchbar. Darum würde diese Auswahl aoa Friedrichs des groszen Schriften nur als ein verfehltes Unternehmen erscheinen um des Inhaltes willen, auch wenn die Form^eine solche wäre, wie sie als Muster des klassischen Französisch der Schule geboten werden kann.

Bekannt ist Friedrichs des groszen Abneigung vor dem Ehebnnd mit der Prinzessin Elisabeth von Braunschweig, seiner nachherigen Gemahlin. Mancher hat schon über ein Mädchen seine Witze gemacht, sie verabscheut, und sie nachher doch geheirathet; aber ein anderes ist es , ob solch unglückliche Verhältnisse der Jugend zum Bewustsein sollen gebracht werden, ob man dieselbe geflissentlich in dieses glän- zende Elend einführen soll. Jedenfalls halte ich es für sehr bedenklieh, der Jugend ein Buch in die Hand zu geben, worin sie Stellen findet wie S. 321 j'aime mieux 6tre oocu ou ä servir sous la fontange alti^re de ma future qne d^avoir une hhie qui me fera enrager par des sottises et que faurais honte de produire; S. 33. Vous ponvei croire eneore oombien je serai embarrass6, devant faire Tamoroso peut-6tre sans r^re, et de goüter ä une laideur muette. Si eile voulait tonjours danser snr un pied , apprendre la musique et devenir plntöt trop libre que trop vertneuse , ah ! alors je me sentirais du penchaut pour eile ; roais si eile est stupide, naturellement je renonce ä eile et aa diable; und daselbst: je vous en croirais snr tout au monde hormis snr le

Bücher zum französischen Unterricht. 371

sojet des fenimes, quoiqae je sache bien qne vous les avez fr^quent^e« jadis. S. 45. J'^aime le sexe mais je Paime d^on amour bien volage; je D^en veax que la jouissaoce et apr^s je le möprise. Je tiendrai ma po- rolOf je me marierai, mais apr^s, voilä qni est fait, et bonjoar madame, et bon chemin usw. Männer mögen hier den Unmut über eine erzwuur gene Ehe, die. leichtsinnigen Reden übersprudelnder Jugendkraft ohne Bedenken lesen, aber Jünglingen sind dieselben in keinem Falle za bieten. Aehnlichen unangenehmen Eindruck macht eSy'wenn Fr. dem- selben Grumbkow, welchem er im Anfang diese freundschaftlichen, bis ins Extrem offenherzigen Briefe schreibt, nach seinem Tode eine nicht eben schmeichelhafte Grabschrift verfaszt, und wenn er fast gleichzeitig an Voltaire die grösten Schmeicheleien verschwendet, und gegen AU garotti ihn mit einem Affen vergleicht, und meint, er könne ihn unge- achtet seines verächtlichen Characters doch zum erlernen des FranzÖ* sischen gebrauchen.

Das Französische war Friedrichs Lieblingssprache, aber mag er sich darin noch so gewandt ausgedrückt haben, so blieben doch der ^störenden Fehler und genialen Willkürlichkeiten der königlichen Or- thographie' genug übrig, welche die Akademie in ihrer Ausgabe nicht immer gebessert zu haben scheint. Der Briefstil ist sehr zu solchen Willkürlichkeiten geneigt, und sogar Frau v. S^vign^ ist ^icht frei von denselben, um so weniger ist es wahrscheinlich, dasz ein muster- gültig Französisch gelernt werde an den Briefen geborner Deutscher, wie Friedrich, Grumbkow, Seckenderf , Suhm usw. So fängt ein Brief der Frl. v. Grumbkow an ihren Vater an mit den Worten : Four m^ao- quitter de mon devoir, et en mdme temps ponr ex6cuter ses ordres, j^ai Thonneur de lui mander qne usw. ^S. 43. Friedrich schreibt S. 54 Le Roi ira le quatri^me ä Brunswik. S. 60 ist ein Brief datiert Salzdahlum ädouzeheures. S. 169 schreibt Friedrich: Je ne sais point comment j^ai m^rit^ sa disgcäce; mais sais-je bien que je ne permets pas dans mon pays que usw. Solche königliche Sprachfreihei- ten darf eine Akademie durchgehen lassen, aber nicht ein Lehrer des Französischen. Nach diesem kann ich die Auswahl aus Friedrich des groszen Briefen bei allem Interesse, welches diese Urkunden jedem Freund der Geschichte darbieten, für die Schule nicht für empfehlens-* werth halten.

Brandon Vorschule für die französische Cotwersation. Aus* toahl leichler und unterhaltender Theaterstücke, Zum über- setzen aus dem Deutschen ins Franwsische bearbeitet. Zweite Auflage. 1854. Leipzig, B. G. Teoluier. Zweite Vorschule usw. 1849.

^Der Zweck dieser Bücher, sagt die Vorrede, ist kein anderer als Französisch lernenden, welche sich mit der Formenlehre und den nöthi- gen Regeln der Syntax bekannt gemacht haben, ein Uebersetzungsbuch in die Hand zu geben, welches ohne zu viele grammatische Schwierig-

372 Bücher zum fraoEÖsischen Unterricht.

keiten darzabieten, Anleitung zu einer leichten und gefälligen Umgangs- sprache gibt.' Dasz die Wondungen der täglichen Gonversation durch das französische Lustspiel sich am besten lernen lassen , ist nicht zu leugnen, wenn gleich dem Gebrauche derselben jedenfalls eine tüchtige Kenntnis der Sprache rorausgehen musz, welche sich in der Unterhal- tung über wissenschaftliche Gegenstände, soweit dieselben im Bereich der Schule liegen, am besten gewinnen laszt. Die von Hm Brandon getroifene Auswahl ist im ganzen nicht unglücklich , mehrere der auf- genommenen Scenen und Stücke sind lebhaft, anziehend und dabei, wtis den überrheinischen Stücken nicht immer nachzurühmen ist, rein. So um die beiden Bände zusammenzurechnen, das Huhn, der resende, die Verschwenderin, der taube in I, der launenhafte, die kleinen Lei- den in 11; andere sind etwas langausgesponnere, doch wolgemeinte dramatisierte Anekdoten, wie Vaterliebe und die Jagdpertie Heinrichs IV. in I, die beiden Pagen in II. Echtes Futter für die Boulevards- theater, deshalb für den Zyreck der Schule nicht wol geeignet, sind zwei Worte in I, die Früchte der Erziehung in II ; gegen die Spieler in I Ifiszt sich einwenden , dasz vom Kartenspiel die Jugend nichts zu wissen braucht. Ein entschiedner Fehlgriff ist es, wenn ein Stück wie 'er geht aufs Land' der Jugend geboten wird, ein Stück, welches die abscheulichen Sitten der französischen Hauptstadt in aller Blösze nnd mit der gefahrlichen Prätension darlegt, natnrgeraäss zu sein. Statt dieses Stückes hatte sich sicherlich ein zweckmfiszigeres auffinden ' lassen. '

Barbieux: le livre des demoiselles. Französisches Lesebuch ßr Mädchenschulen. Leipzig, B. G. Teubner. 1857. 381 S.

Der unermüdliche Verfasser gibt hier ein Lesebuch für Töchter- schulen. Die ersten 21 Seiten des Buches mit der Ueberschrift Gran- maire geben kleine leichte Lesestücke, welche zwar einige bereits er- worbene Kenntnisse voraussetzen , aber doch zur Wiederholung der Regeln über die Formenlehre bestimmt sind und darauf bezügliche kurze Anmerkungen haben, sowie die Anmerkungen der nächsten 34 Seiten zur Erlöiiterung syntaktischer Regeln dienen. Ein Wörterver- zeichnis für diesen elementaren ersten Theil folgt. Der zweite Theil bringt moralische Abschnitte, Erzählungen, Naturgeschichte, Reisebe- schreibung, Geschichte, Briefe, Röcröations (ich weisz für die in die- sem Abschnitte vereinigten längeren Geschichten und Stücke aus dem Livre des Gl keinen Namen zu finden) Gedichte, gut gewählte Lese- stücke, nur dasz die Poesie mit 28 Seiten sich hat begnügen müssen will mir etwas wonig scheinen. Den Schlusz bildet ein Wörterbuch zur seconde partio. Das Buch ist von ansprechendem reinem Inhalt, wird der Jugend zusagen und so seinem Zwecke entsprechen.

Borel: des r^fotmes Hfteraires operees par Maiherbe. Programm des k. Gymnasiums zu Stuttgart 1857.

Bachner: Cardanas - Formel. 373

Eine schöne Abhandlung aber Malherbe, den Opitz der Franzosen, welcher durch strenge Gesetzgebung über Reim und Versbau, durch Feststellung des cchtfranzosischen Sprachgebrauchs der späteren Dichtung die feste sprachliche Grundlage gab, auf welcher der Ro- coco-Frachtbau der Litteratur des goldenen Zeitalters sich erhob. Freunde der französischen Litteraturgeschichte werden die schön ge- schriebene Abhandlung mit Nutzen und Vergnügen lesen.

Crefeld. Buchner.

28.

Cardanus iFormel^ deren Verwandlung zur Berechnung der Wur- zeln von Zahlengleichungen von der Gestalt a^ Px Q=o^ und eine allgemeine^ aus jener abgeleitete Form der Wurzeln der letzteren. Lösung des dreihundertjährigen Problems vo'ß Dr E, Büchner^ Professor am herzoglichen Gymnasium zu Hildburghausen. Hildburghausen (Kesselring) 1857. 8.

Um die vorliegende Schrift richtig zu beurteilen, darf man nicht wegen der Titelangabe ^Lösung des dreihundertjahrigen Problems' sich im voraus gegen dieselbe durch die Ansicht einnehmen lassen, als solle hier die Lösung eines noch gar nicht gelösten Problems ange- kündigt werden , während man ja längst auf trigonojnetrischem Wege, wie auch S. 12 und 13 genau nachgewiesen ist, den sogenannten irre- duciblen Fall bei den kubischen Gleichungen bewältigt hat, sondern man musz durch sorgfältige Prüfung der hier gegebenen Lösung des vor ungefähr 300 Jahren zuerst Aufsehen erregenden Problems sieh eine feste Ansicht darüber bilden, ob sie blos eine Wiederholung früherer, längst bekannter Lösungen sei, oder vielmehr nur das In- teresse der Mathematiker fesselnde Gesichtspunkte darbiete und er- sprieszliche die Wissenschaft bereichernde Ergebnisse liefere. Dasi; der letztere Fall stattfinde, da eine vollständige Enthüllung des alten Räthsels gegeben wird, musz, was das allgemeine der Schrift anlangt, von dem unparteiischen, in das Wesen derselben eindringen- den Beurteiler zugestanden werden, obgleich im einzelnen hier und da eine Aenderung wünschenswerth scheinen möchte.

Nach einer in der Vorrede gegebenen geschichtlichen Einleitung werden im ersten Abschnitt die Wurzeln der Gleichung x' Px Q = 0 entwickelt. Es musz, weil ihre Summe gleich Null und das letzte Glied negativ ist, wenn sie alle drei reell sind, eine positiv und zwei negativ sein, weshalb sie durch + P' ^^^ P" ^®- zeichnet werden. Nun wird durch Rechnung auf leichte Weise ge- funden, dasz von den beiden Kubikwurzeln der Cardanischen Formel,

374 Buchner: Cardanus - Formel.

ji ^i

wenn sie den Werlh von p geben soll, die eine = -(- ^-^ ^,

P P" P' 1

die andere = W sein masz. Auch wird nachge-

wiesen, dasz für p' die beiden ohne Kubikwurselseichen darge- stellten Theile:

2 2 y 3 2 2 f^ 3

sowie für p":

2^2*^ 3 2 2 y 3

sind. Diese schönen mit (5) bezeichneten Formeln (S. 3) lehren aus den bereits bekannten 3 Wurzeln einer kubischen Gleichung die bei- den Theile einer jeden ohne Kubikwurzel darstellen. Sie fiaben deaa- nach ein groszes theoretisches Interesse, und insofern auch ein prak- tisches, als es mitunter nothwendig werden kann zu sehen, wie bei bereits bekannter Lösung einer kubischen Gleichung die beiden Theile jeder Wurzel nach Ausziehung der Kubikwurzel einzeln gestaltet sind, was durch gewöhnliche Wurzelausziehung ans der Cardanisohen For- mel im irreduciblen Fall gar nicht , im reduciblen nur mit Mflhe er- reicht wird. Im letzteren Fall sei z. B. x' + 6 x 45 = o gegeben,

wovon die Wurzeln sind: p = 3, p' =- (3 + J^ 61) und p" = (3 >^ 51). Die Cardanische Formel gibt:

3y 3

F 45 , l/ 2057 , 1/45 l/ 2075 ^ 2 4 2 4

und, weil j/20o7 = 45,35416188 ist,

3^ 3.

p == j/45,17708094.. j/o,l 7708084..

= 3,561553.. 0,561553.. = 3.

Da man nun weisz, dasz die Kubikwurzeln die Formen h ^d and 3 ^

]/ n haben müssen, so gibt:

-- + ^ n = 3,561553 und

3 /-

--— / n = 0,561553;

subtrahiert: 2 j/ n = 4,123106

j/^ = 2,061553

17 n 4,25 = -

Büchner: Cardanns- Formel. 375

Also hat man S

r 2 ^ ^ 2^2*^* '^ 2 4 2 2*^

als Formen der beiden Cubikwiirzeln. Dasselbe findet sich weit leich- ter nach obigen Formeln (5). Denn wir haben :

3 . 1

also ist: p'' p' = ^ 51. Daher:

p^ p!1.zlp/— i_ ^ -L i )/— 51. j/— 1 _ 3 _ 1 y~n

22 322 3~22

end P ^^P /- 1 ^ 3 _ 1 /- 51. J/— _l ^ 3 1 /i7. 2 2 322 32"'' i

Dieser Nutzen, den die Formeln aach für den redacibeln Fall haben, ist im Buche unerwähnt geblieben, indem der irreducible den eigent- lichen Gegenstand desselben ausmacht.

Auf eigenthümliche sinnreiche Art wird (Seite 5) nachgewiesen, dasz für eine cubische Gleichung mit 3 reellen Wurzeln die cardanische Formel imaginäre Gröszen bringen musz. Ist x' Px + Q = o eine solche Gleichung, und setzt man in der cardanischen Formel die eine

P P

Cubikwnrzel = y, so ist die andere -— , aIsox = y H , für welche

3y 3y

l/p" Formel x = 2 -- als ein Minimum, bei variablem y, sich erweist.

o

Es können daher durch jene Formel, bei reellen Werthen von y, solche

r/T

Werlhe von x, die kleiner als 2 •- sind, nicht dargestellt werden,

ö

and y musz daher für solche nothwendig imaginär werden. Bei die- ser Nachweisung vermiszt man aber noch den Grund, .weshalb bei

lauter reellen Wurzeln der Fall: x < 2 -- wirklich immer eintreten

3

i/T

(von dem einen Fall x = 2 -- abgesehen), und deshalb die cardani- sche Formel nothwendig dann 2 imaginäre Cubikw nrzeln geben musz. Der leichteste Beweis für letzteres ist dieser: die3Wurselnsind A + B,

2 2 2 ^ 2 *

wobei A und B als ungleich vorausgesetzt werden, so dasz nicht

'^ =: 0 ist. Sind nun A und B reell, so kann, weil sie un-

4 27 ' *

N. Jahrb, f. PhU, ». Pat(L Bd LZXVIII. Bft 7.

25

376 Büchner: Cardanus- Formel.

gleich sind, das imaginäre der beiden letzten Wurzeln sich nicht he- ben , also sind diese beiden im genannten Fall nothwendig imaginfir.. Daher müssen, wenn alle 3 reell sind, A und B imaginär sein, weil, wenn A und B reell waren, 2 Wurzeln der Gleichung, wie eben ge- zeigt wurde, imaginär sein würden. Ausgenommen ist nur der eine

Fall,dasz^ -= 0, also A = B -^ '^ z=:^ - ist: dann

' 4 27 ' 2 3

hebt sich das imaginäre der Wurzeln, welche nun 2A, A und noch- mals — A sind.

Im zweiten Abschnitt wird 'mit Benutzung der mit (5) be- zeichneten Formeln die cardanische Formel zum Zweck des Warzel- ausziehens umgestaltet. Setzt man

y^ + j/^Zr^^^LL + , V^l) „„a

r i^ r ^ 27 2\' 3/

so ergibt sich wegen ^

T ("m + y y-}\ = 1 ( m»+ 3 nf/-]i _ my» + 1 y'^^i') '^ V "^ 3/ J 8 \ ■" 3 ""3 3/

2 4 27 '

da das reelle dem reellen gleich sein musz,

J = -i(m» m y«), also 4Q = m »- m y* u. = ^llll?^

Da die beiden Cubikwurzeln :

. j(m + y ^) and \ (m ~/~\)

zusammen m geben, so ist m immer eine von den jetzt noch als bekannt angenommenen Wurzeln der cabischen Gleichung^ i. B üi X»— 19 X 30 = 0 ist:

x= 7/15 +^^^_j_ 7/15-/=^

Bekannt sind als Wurzeln + 5, 2 und 3. Nimmt man in

, m'— 4Q y«=

m erstens m = 5, so wird, weil Q z= 30 ist,

,125 120 , , ^ .

y 1 ^^ ^ » ®'*^ y = dt 1 ""^

Buchner: Canianas- Formel. 377

Nimmt man zweitens m = 2, so wird:

, m'— 4 Q 8 120 y* = = —- = 64; also y = + 8; und

m 2

ist die Darstellung beider Theile der Wurzel. Nimmt man endlich m = 3, so wird:

, m'— 4Q —27 120 ^^ , , ^

y'= = == 49; also y = + 7.

m 3 . *

DaheriB.i(-3 + 7^)+l(-3-7^) = _3

die Darstellung beider Theile der Wurzel. Die negativen Wurzeln lassen sich also hier ebenso behandeln wie die positiven. Der Verfas- ser hätte einen Unterschied in der Behandlung beider Arten zu machen hier nicht nöthig gehabt, zumal da es wie ein Rechnungsfehler aus- sieht, wenn es S. 16 heiszt: wählt man m = 2, so ergibt sich :

4 0 -I- m' 120 + 8 . . , ^ ^^.

(es ist 0 = 30)

m 1

und dann für m = 3:

4 Q + m" _ 120 + 3'

m 3

und (S. 17 unten) für m = 4:

4Q-|-m' 32+64

(ebenfalls Q = 30)

(0 = 8).

m 4

Auch fällt es etwas auf, dasz (wegen der Gleichung: x' Px 0 = 0) immer nur von einer positiven upd zwei negativeh Wurzeln die Rede ist. Es sollte darauf hingewiesen sein, dasz mit der Gleichung x^ Px 0 = 0 zugleich auch x' Px -(- 0 = 0 gelöst wird, indem die eine negative und zwei positiven Wurzeln der letzteren dieselben wie die der ersteren, aber mit entgegengesetzten Vorzeichen sind. Endlich ist noch zu bemerken, dasz S. 15 in der Rubrik E) die Worte so gestellt sind, als mäste immer bei zwei negativen irrationalen Wurzeln die dritte positive rational sein, während doch sehr oft (z.B. bei x' 7 X 2 ==: 0) alle 3 Wurzeln irrational sind. Indes wird dies dadurch entschuldigt, dasz von derartigen Gleichungen bei dem hier angewandten verfahren gar nicht die Rede ist, sondern nur von solchen, die wenigstens eine rationale Wurzel haben. Brüche hindern dabei nicht. Denn, wäre

25'

378 Bachner: Cardanas - Formel.

, a c

gegeben-, worin die Brüche bereits auf gemeinschaniichen Nenner b gebracht sind, so maltiplicieren wir mit b', also:

bV ^^^Y b*c = 0 und setzen by = x, also:

x' abx b*c = 0, so dasz nun P = a b , Q =2 b'c ist.

Im dritten Abschnitt, worin das vorige verfahren Kom prak- tischen Gebrauch , d. h. zur wirklichen Berechnung der Wurzeln cabi- scher Gleichungen im irreducibeln Fall umgestaltet wird, berechnet der Verfasser die Grenzen, zwischen denen die Wurzeln immer liegen mfissen. Wir beschränken uns hier auf die positive Wurzel, und et wäre besser gewesen, wenn der Verfasser es auch gethan, da far die negativen hinsichtlich der anzuwendenden Grenzmethode Schwierig- keiten, die nicht ganz überwunden worden sind, sieh entgegenstellen, und da nach Berechnung der positiven Wurzel die negativen bekannt- lich leicht durch eine quadratische Gleichung gefunden werden. Die

l/T" positive Wurzel musz immer kleiner als 2 ~- und immer grösser als

3^ ^

^ 4 Q sein. Dasz dies wirklich so ist, wird durch die gegebene Rech- nung nicht ganz evident bewiesen. Es wäre ein beigefügter Beweis wie der folgende wol nicht fiberflüssig gewesen: Wäre die positive

Wurzel X > 2 , so hatten wir ans x' Fx Q = 0:

ö

0 = X (x*— F). Dies mit

l/T X ^ 2 ~ multipliciert und mit x

gehoben: 0 > 2 '^ - (x*— P)

ö

t/t l/T l/T

Q + 2P^->2'^ g-x*. Ausx>2'^ j

4 F

würde folgen : x' ^ . Beides multipliciert

«5

j/ p 8 F l^ F

und gehoben: Q + 2F'^— >-~^

3 3 3

2 l/T

2 ^ -^ 3 3

4 "^ -^ 27

Bflchner: Cardanus - Formel. 379

Ebenso folgt aus X = 2 ~, indem überall = statt ^ steht:

i- = 4; P". Es ist aber , da im irreducibeln Fall ;^ P' > t Q' 4 27 27 4

ist, sowol Q* > P'als i- Q* = :^F' unstatthaft; also ist immer 4 ^ 27 4 27

l/T

3

X < 2 '^ X-. Wäre aber x < j/ 4 Q, so hätten wir: ^ Q = X (x« P)

3

x<^4Q 3

nultipliciert und gehoben : Q <C 1^ 4 Q (x* P)

3 3^ 3

Q +/ j/T0"< /Tq"x*. Ausx</4Q

3

Würde folgen : x* < 2 /Tq*

3

maltipliciert und gehoben :Q + P^4Q^4Q.

3

Pj/4Q<3Q

4 P' Q < 27 0'

i < i Q*. 27 4 ^

3

Ebenso folgt ans x = ^ 4 Q, indem überall = statt <:^ steht, J. P'

1 11

= Q*. Es ist aber, da -- P* > T Q* voransgesetst ist, sowol

i < ~ Q*als auch -- P'= -i unstatthaft. Also ist immer x >

y~f

j/4Q. Durch x < 2 —■ und x > y^Q wird, wie der Verfasser

o

an mehreren Beispielen nachweist, bei nicht sehr groszen Zahlen der Werth von x in so enge Grenzen eingeschlossen, dasz, weil x ein Factor von Q sein musz, in vielen Fallen schon hierdurch der Werth Yon X als unzweifelhaft sich darstellt. Nimmt man aber die im zwei- ten Abschnitt bewiesene Gleichung :

Y* =z m' 4 Q oder y* = x' 4Q = x'— 4Q

m i X 3^t_4Q

noch hinzu , so wird auch bei gröszeren Zahlen dadurch dasz

X

eine Quadratzahl (y*) sein musz, die Bestimmung von x oft sehr leicht. Zugleich findet man y und somit

worin m = x ist, als die beiden Theile woraus x besteht. Von In-

380 Büchner: Cardanas -Formel.

x' 4 Q

teresse dürfte es sein hinzuzufügen, dasz aus = y* folgl:

x' xy* 4 Q = 0, wo?on x' Px Q = o abgezogen gibt: (P y*) X 3 Q = o: also:

SO dasz OS also, wenn alle Wurzeln rational sind, unter den Factoren von 3 Q immer 3 geben musz, die durch Abzng einer Quadratzahl (y*) vou F entstehen und in 3 Q dividiert x zum Quotienten geben.

Mit der Auflösung cubischer Gleichungen ist^ wie S. 24 and 25 gezeigt wird, zugleich die Aufgabe gelöst, die Cubikwurzel ans einem

Binomium vou der Form A + ^ B zu ziehen, indem zu der Gleiehang

3

x'

Sj/A^ B X 2 A = 0 als Auflösung

y A + y B + j/a j/b

gehört, und diese Cubikwurzein sich entweder so wie im dritten Ab- schnitt gezeigt wird, oder nach den Formeln (5) und den auf gewöhn- liche Weise vorher zu suchenden 3 Wurzeln der angegebenen Glei- chung berechnen lassen.

Zum Schlusz stellt der Verfasser die cardanische Formel noch

durch das Maximum 2 und das Minimum j/ 4 Q dar, indem F =:

o

3 1

-- (Max)' und Q-=z (Min)' eingesetzt wird. Er sagt, dasz diese

Bezeicbnungsweise wol auch auf Gleichungen vom vierten Grad ausge- dehnt werden könne: wozu jedoch zu bemerken ist, dasz wegen der drei Coefficienten inx^-|-bx*+cx + d=o zwei Gröszen, oem- lich das eine Maximum und das eine Minimum , nicht wie bei den co- bischen Gleichungen ausreichen würden.

Wir sprechen zum Schlüsse noch den Wunsch ans , dasz es dem Herrn Verfasser gefallen ipöge, die Freunde der Wissenschaft noch durch fihnlicho Arbeiten wie diese, die mit Becht als eine Bereichernng der Theorie der cubischen Gleichungen angesehen werden kann, ii erfreuen.

Moiningen. Märker,

Bmohto Ober gelehrte AnsUllen, Verordniuigeii, statitL Noliseo* 381

Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, statistische Notizen, Anzeigen von Programmen.

Altona]. Der Einladungsschrift zu der am 25. M&rz 1858 gehalten nen öffentlichen Prüfung und den am Tage darauf gehaltenen Abschieds- reden der zur Universität abgehenden Schüler geht vorauf: des C, Cor- melius Tacüus Agricola. Lateinisch und deutsch mit kritischen und er- klärenden Anmerkungen von Dr A. J. F. Henrich sen, zweitem Lehrer. Erste Hälfte. 74 S. gr. 4. Die Arbeit gibt den Text nebst der Ueber- setzung und- Erklärung der ersten 22 Kapitel; in den Anmerkungen ist natürlich auf die Ausgabe von W e x vorzugsweise Rücksicht genommen, doch ist der Verfasser dem kritischen Verfahren desselben ebenso wenig als Kritz überall günstig. Wir behalten uns vor ausführlicher auf die Besprechung dieser Arbeit zurückzukommen. Die Schulnachrichten sind auf 4 Seiten gegeben. Zum 9n Lehrer an der Anstalt war Herr Schüder ernannt und am 3n April 1857 eingeführt worden. Den Un- terricht in der französischen Sprache hatte Hr de Cästres aufgegeben und war dafür Hr Demory eingetreten. Eine Visitation der Anstalt hatte durch den Inspector der holsteinischen Gelehrtenschulen, Etatsrath Dr Trede, unter Anschlusz des Oberpräsidenten Conferenzrath Hein- Eelman vom 8. 12. Febr. stattgefunden. Die Schülerzahl betrug im Sommer 1857 164, nemlich 21 in I, 21 in II, 22 in III, 21 in IV, 32 in V, 34 in VI, 13 in VII; im Winter 1857—58 160, nemlich 21 in I, 25 II, 15 in III, 24 in IV, 35 in V, 24 in VI, 16 in VII. Ueber ungünstige Gesundheits Verhältnisse bei Lehrern und Schülern wird sehr geklagt, 2 Schüler sind gestorben. Zur Universität giengen Mich. 1857 2 Schüler (Theol.) und Ostern 1858 nach dem zufolge des neuen Normativs be- standenen Examen 3 Schüler (2 Theol., 1 Jur.) und wegen Krankheit ohne das Examen 1 (Theol.) Eing, «

Badex.] Bei den zur Zeit tagenden Ständen wurde bei Gelegenheit der Bndgetverhandlung betreffs der allgemeinen Aufbesserung der Staats- diener von der groszh. Regierung für den gelehrten Schulunterricht die Forderung von 58138 fl., um 5600 fl. gröszer, als früher gestellt. Dar- unter befindet sich in § 5 für Besserstellung im allgemeinen die Forde- rung von 12800 fl. statt 8000 fl. , welche letztere Summe der Staat bisher EU den Besoldungen der Lehrer an den Mittelschulen zugeschossen hatte, insofern die betreffenden Schulfonds nicht ausreichten. Die Durchschnitts- aufbesserung der Lehrer an den Lyceen und Gymnasien soll 85 fl., an den Pädagogien 95 fl. betragen. Die Budgetcommission beantragte die Bewilligung, da sie bei der Wichtigkeit des Berufs dieser Lehrer und in Anbetracht der mit beträchtlichen Kosten verknüpften Vorbereitung dazu diese Aufbesserung im Vergleiche zu jener bei den übrigen Bran- chen vorgeschlagenen nur als eine ganz mäszige bezeichnen könne. Der niedere Dnrchschnittsatz erklärt sich durch den Umstand, dasz einzelne Anstalten aus den Mitteln ihrer Fonds die beschlossene Aufbesserung ohne Staatszuschusz zu leisten im Stande sind. Der Antrag wurde ohne Einsprache von der Kammer zum Beschlusz erhoben. Bing,

Oesterreich.] Bei dem lebhaften Interesse, welches ganz Deutsch- land an der Entwicklung des Gymnasialwesens in Oesterreich nimmt, scheint es* uns an der Zeit, über den Kampf, welcher neuerdings sich dort entsponnen hat, ausführlich zx\ berichten. Wir haben früher Band LVIII S. 296—335 und Supplem. XIX S. 118—158 dem Organisations- entwurfe eine eingehende Besprechung gewidmet, wir haben ferner über die angeordneten Ausführungsmaszregeln und Modificationen unsern Le-

382 Berichte über gelehrte Anstalteo, Verordonngen, ttttitt. Noliita.

Bern so genaue Mittbeilangen gemacht, dasz wir glanben, dieselben werden binlänglich im Stande sein dem nachfolgenden Bericht ohne längere Einleitung folgen zu können. Ala der Organisationsentwnrf mittelst Handschreibens vom 0. Dec. 1854 unter einigen wenigen Modi- ücationen (s. diese Jahrbb. Bd LXXII S. 203) die allerhöchste Sanction erhielt, wurde zugleich angeordnet , dasz im J. 1858 eine aus yertranens- würdigen und bewährten Fachmännern verschiedener Kronländer, ao wie aus einigen Facultätsprofessorea zu bildende Commission zusammentre- ten solle, um die Wirkung der Gymnasialeinrichtung zu prüfen imd ihre Anträge über etwaige Verbesserungen zu erstatten. Das Mlnisteriun hat nun aus den ihm yorliegenden Amtsberichten diejenigen Bedenken,' welche gegen die bestehende Organisation am meisten erhoben worden sind, und die sich daraus ergebenden Veränderungsvorschläge susam- mcDstellen lassen und unter d. 10. Oct. 1857 der Redaction der Zeit- schrift für die österreichischen Gymnasien (VlII S. 794 ff.) mitgetheilt, um eine kritische Beleuchtung zu yeranlassen und auch auf diesem Wege die Verständigung über bestehende Meinungsverschiedenheiten an- zubahnen. ■ Die Vorschläge aber sind folgende: 1) dem Unterrichte im Latein werden in jeder Klasse des Untergymnasiums 2 St. wöch. ange- legt, so dasz künftig in der I u. II je 10, in III u. IV je 8 8t. diesem Gegenstande gewidmet werden. Motiviert wird dieser Vorschlag da- durch, dasz das im Org. -Entw. dem Untergymnasium gesteckte Unter- richtsziel, namentlich die nöthigen Wort- und Grammatik -Kenntnisse und die Sicherheit und Fertigkeit in Anwendung derselben, ohne Ver- mehrung der Stundenzahl in der den Erfolg des Unterrichts im Ober- gymnasium ausreichend verbürgenden Weise nicht erreicht werden könne. Ausdrücklich wird dabei das gründliche lernen und vielseitige üben in der Schule selbst als ohne jene Vermehrung unausführbar betont und^^ die vielseitig gewünschte Vermehi*ung der schriftlichen Hausaufgaben zurückgewiesen. 2) Dem Griechischen wird in IV 1 St. zugelegt, dage- gen in V, VI u. VllI 1 entzogen, so dasz also III u. IV wöchentlich 5, Y VIII w. 4 Stunden hätten. Der Grund dafür wird in die unter 6) an- gegebenen Maszregelu gesetzt und eine Schmälerung des bisherigen Er- folgs deshalb nicht befürchtet, weil eine tüchtigere Vorbereitung, welche durch die Vermehrung in IV ermöglicht werde, die Leetüre der Klassi- ker im Obergymuasium erleichtern werde. 3) Für das Dentsche wird in VII die Stundenzahl von 3 auf 2 vermindert, ebenfalls in Folg^ der unter G) zu bezeichnenden Masznahmen und mit der Bemerkung, dass die der Klasse zugewiesene Aufgabe: 'Leetüre einer Auswahl ans dem Mittelhochdeutschen' nur an sehr wenigen Gymnasien der Monarchie praktische Geltung gewinnen möge. 4) Um dem geographischen Unter- richte zu seinem Rechte zu verhelfen, wird folgender Plan aufgestellt: in II soll dem historischeu Unterrichte die Wiederholung der Geographie von Asien und" Afrika, in III von Europa und Amerika, in IV im 1, Sem. die Wiederholung und Fortsetzung d. Geogr. v. Europa mit Ans- Fchlnsz des österreichischen Kaiserstaats voraus(;ehn, im 2. Sem. die Kunde des österreichischen Staats unter Vorausschickung der Haaptmo- mente der österreichischen Geschiehte in Form einer Einleitung mitge- theilt werden. Im Obcrgymnasinm dagegen soll die Geogpraphio der Geschichte nachfolgen, und zwar z. B. in V nach der Yollendnng der alten asiatischen und afrikanischen Geschichte die politische Geogra- phie von Asien und Afrika , nach Vollendung der mittlem Geschichte die Geographie von Amerika angeschlossen werden , in VIII aber nach dem .Schlüsse der neueren Geschichte die , Staatenkunde Europas mit beson- derer Berücksichtigung Oesterreichs , die Geographie von Australien nnd das wichtigste von den Colonien an die Ueibe kommen. Die mathema- tische und phvsische Geogr. bleibt den Lehrern der Naturwissenschaften

BMriekte Ober ^ehrto Anstalten, Verordnungen, Statist. Nottsen. 383

überwiesen. 5) Die geometrische Anschttnungslehre wird in I, II n. in fallen gelassen und die dadurch gewonnene Zeit unverkürzt dem rechnen zugewiesen; die 'zusammengesetzten Verhältnisse' werden aus IV in II, die Gleichungen In Grades mit ^iner unbekannten in III ein- gereiht, in IV aber die verfügbar gewordenen Stunden der Wiederholung des mathematischen Unterrichts der vorangegangenen Klassen mittelst Bchulübungen in Lösung von Aufgaben , dann aber die geometrische An- schauungslehre als Propädeutik zur systematischen Geometrie gewidmet. Die tüchtigere Uebnng im rechnen wird als Grund bezeichnet und die Hoffnung ausgesprochen, dasz dadurch und zugleich, weil die Schüler in IV schon gereifter zur geometrischen Anschauungslehre kommen , die Vorbildung für das Obergymnasium genügender sein werde. 6) Der Un- terricht in der Naturgeschichte und Physik wird im Untergymnasium ganz fallen gelassen, dagegen der Naturgeschichte in V u. VI und der Physik in VII u. VIII je 1 St. w. zugelegt. Die im O.-E. bezeichnete Nothwendigkcit das Üntergymn. als eine Vorschule für die Oberreal- achule und für praktische Lebenszwecke zu betrachten, wird als jetzt durch die neu errichteten Unterrealschulen beseitigt betrachtet, da- gegen der £rfolg jenes Unterrichts in dem Untergymnasium nach der Erfahnmg als ein solcher bezeichnet, dasz man die darauf verwendete Zeit als eine verlorne betrachten müsse. Man. hofft, dasz durch gröszere Concenti'ation des Untergymn> auf die sprachlichen Fächer eine gröszere Bürgschaft für den Erfolg erreicht werde, wobei auf die Möglichkeit den Unterricht mehr in der Hand ^ines Lehrers , des Klassenordinarius, BU concentricren bedeutender Werth gelegt wird; ebenso aber dasz durch die Vermehrung der Stunden im Obergymnasium den Naturwissenschaf- ten, einem nothwendigen Bestandtheile der Gymnasialbildnng , zumal bei gereifterem Geiste und geweckterem gehaltvollerem Interesse für den Gegenstand auf Seite der Schüler und dem gewisseren Vorhandensein der Voraussetzungen eine ausgiebigere Wirkung gesichert werde. ^

Erkennen wir die Weisheit und Hochherzigkeit an , mit welcher das kk. Ministerium diesen Entwurf vor seiner endgiltigen Berathung einer öffentlichen wissenschaftlichen Erörterung unterworfen zu sehen wünschte, wobei nicht zu übersehen ist, dasz ausdrücklich die eindringliche Prü- fung verlangt wird: ^ob und in wie weit diese Modificationen vereinbar seien mit der Aufrechterhai tnng der wesentlichen Grundzüge des O.-E. der österr. Gymnasien, dem diese Anstalten ihren nunmehr bereits zur Anerkennung gelangten erfreulichen Aufschwung verdankten', so müssen wir auch den in der genannten Zeitschrift g^ebenen Besprechungen um 80 mehr unsere Aufmerksamkeit schenken , als wir in denselben eine le- bendige Begeisterung und hohe wissenschaftliche Begabung der Verfasser überall erkennen und denselben einen bedeutenden Werth in der pädag. Litteratur mit Recht beilegen zu können glauben. Als entschiedener Gegner des Modificationsentwurfs tritt zuerst mit groszer Schärfe und Klarheit, aber wissenschaftlicher Ruhe und Würde auf Dr F. C. Lott, Professor der Philosophie an der Wiener Univ. VIII 11 S. 837—857. Indem er zunächst darauf fuszt, dasz wenn die Erfahrung nicht genü- genden Erfolg des Lateinischen im Üntergymn beweise, damit noch nicht bewiesen sei dasz der Grund davon in der Lehreinrichtung, nicht vielmehr in den methodischen Fehlem und individuellen oder localen Gebrechen ruhe, zeigt er dasz die Modification nicht eine blosze Ver- änderung in der praktischen Ausführung , sondern ein Umsturz des Prin- cips und damit des Wesens der Gymnasialeinrichtnng sei; denn wenn einmal die Erfolglosigkeit des naturwissenschaftlichen Unterrichts im Unterg. die Ausartung in Spielerei und das vorgreifen in die höhern Stufen nnr didactischcn Fehlern zugeschrieben werden könne, so werde, wenn dasselbe die Vorstufe unä Vorschule des naturwissen-

3S4 Berichte über gelehrte ÄDstalten, Verordnangen, statiit.

schaftlichen Unterrichts für das Obergymnasiam zu sein aufhören solle« nicht etwa' nur ein nicht mehr vorhandenes praktisches Bedürfnis fortan unberücksichtigt gelassen, sondern damit das Princip, auf wel- chem der Örganisationsentwurf beruhe, die psychologisch und pädagO" gisch nothwendig gebotene Stufenabtheilung des Unterrichts anfge* hoben. Eingehend wird dann unter Hinweisung auf den Entwicklungs- gang, den die Wissenschaft selbst durchlaufen muste, weiter gezeigt^ dasz, wenn die Naturwissenschaften in einer für die Bildung ein ergie- biges Resultat liefernden Weise im Obergymn. betrieben werden sollen, allerdings eine Uebung der dazu gehörenden Anschauung , eine Weckung des Sinnes und Interesses im früheren Alter nothwendig sei, nicht TOn selbst oder als Wirkung anderen, besonders sprachlichen Unterrichts er- wartet werden könne und dürfe, so wie dasz das zeitweilige fallenlas- sen des Unterrichts bis zu seiner Wiederaufnahme nur Schuld der Leh- rer, nicht der Sache sein werde. Indem am Schlüsse dann die Noth- wendigkeit die Naturwissenschaften als Bestanditheil der allgemeinen Bildung zu der ihnen gebührenden Geltung kommen zu lassen, ans den Interessen der menschlichen Gesellschaft abgeleitet und die gegen die- selben erhobenen Vorwürfe, namentlich der des Materialismus, beseitiget werden, kommt der Verf. zu dem Resultate, dasz mit Annahme des Modificationsentwurfes die Wirksamkeit dieses Unterrichts beeinträchtigt und geschwächt werden würde. Uebrigens findet sich in einer Anm. 8. 853 auch die Anwendung derselben wissenschaftlichen Principien auf das fallenlassen der geometrischen Anschauungslehre im Untergymn. In einem Anhange zu dem yorstehtonden Aufsatze S. 857 8Ö0 bezeichnet Professor Dr B o n i t z die Klage über Ueberbürdung der Schüler alt dasjenige Mittel, dessen sich die, welche das durch die dringend- sten und allgemein anerkannten Bedürfnisse beseitigte frühere Unter- richtswesen wieder aufrichten wollen , , am liebsten bedienen , weil sie damit auf den mächtigsten Anklang bei Aeltern und Schülern hoffen können. Indem er sodann die Nothwendigkeit die Realschule von den Gymnasien ganz getrennt zu halten darthut, beweist er durch die sta- tistische Thatsaohe, dasz V5 der Schüler in den Gymnasien stets vor- rücken , wie in den gesetzlichen Forderungen ein Masz , das die Lei- stungsfähigkeit der Jugend überschreite, nicht vorhanden sein könnsi wobei er nicht vergiszt die Convicte als Beweis dafür, dasz bei stren- ger Durchführung der gesetzlichen Finrichtung das leibliche wolbefinden nicht leide, anzuföhren. Aus der unendlichen Manigfaltigkeit der Punkte^ worauf die Klagen über Ueberbürdung hingeführt werden, indem die einen, das Griechische, die andern die Physik, die andern wieder and^ res als den Grund bezeichnen, und aus der Erfahrung entnommenen Thatsachen (z. B. dictieren und auswendiglernen lassen der alten graeos grammatica brevis) wird sodann der Beweis geführt , dasz man die Män- gel nicht der Organisation, sondern der mangelhaften Ausführung, her-- beigefährt durch den Mangel an Vorbildung und harmonischem zusam- menwirken der Lehrer, zuschreiben dürfe und schlieszlich darauf hin- gewiesen, dasz nach den gesetzlichen Bestimmungen die zusammentre- tende Commission nicht über die Aufhebung und Umkehrung der prin- cipiellcn Einrichtungen , sondern nur über die Erleichterimg der zweck- mäszigen Ausführung zu becathen haben werde. Dr J. Grailioh in Wien, der in ders. Zeitschr. 1856, 3 S. 173 ff. die methodische Behand- lung des naturwissenschaftlichen Unterrichts in ausgezeichneter Weite behandelt hat, spricht als Fachmann, welcher aber die sprachliche und historische Bildung in ihrem Werthe zu würdigen versteht und deshalb den Vorzug des Untergymnasiums vor der Unterrcalschule klar und be- stimmt hervorhebt, in seinem Aufsatze S. 867 881, mit eingehender Begründung sein Urteil über die beantragten Modificationen des natur-

fiber gelehrte AnsUlten , VerordDuagen, Statist, Notisen. 385

wiasenschaftlichen Unterrichts aus, und zeigt 1) wie das Untergymna« sium zur lateinischen Schale werden und die bildenden Elemente, wel- che in den Naturwissenschaften liegen und durch andere nicht ersetzt werden können, ihm entzogen werden würden; 2) die Unterbrechung des Unterrichts bringe keinen Schaden , fördere vielmehr das reifen, die innqire Nachwirkung der richtig erworbenen und zweckmäszig geübten Anschauungen, zumal wenn dieselben bei dem übrigen Unterrichte nicht unbeachtet gelassen würden ; 3) der Unterricht namentlich' der Naturge- sohichte im Obergjmnasium werde unmöglich , wenn nicht die Weckung des Sinnes und die richtige Uebung , so wie die Aneignung der bestimm- ten Kenntnisse im Knabenalter im Untergymnasium vorausgegangen; 4) diMS Leben aber und die Fortschritte der Wissenschaft machten die Auf- nahme des naturwissenschaftlichen Elements in die Schulen der allge- meinen Bildung unumgänglich. Kräftig werden am Schlusz die Träger der Naturwissenschaften aufgefordert den Gymnasien und ihrer Gestal- tung ja nicht ihre Aufmerksamkeit zu entziehen. Dr A. Gernerth, welcher in der Ztschr. 1851 S. 684 ff. über die Art der Uebungen in der . geometrischen Anschauungslehi'e und das damit zu verbindende rechnen klare und allgemein anzuerkennende Grundsätz.e aufgestellt und dieselben in seinen ^Grundlehren der ebenen Geometrie' (Wien 1858) in einer Weise , welche die Beachtung in allen pädagogischen Kreisen ver- dient, praktisch durchgeführt hat, behandelt in seinem Aufsatze a. a. 0. S. 881*— 890 die vorgeschlagenen Modificationen im mathematischen Unterrichte und zeigt, dasz einmal die geometrische Anschauungslehre im Untergymnasium, wenn man demselben eine dem Alter angemessene Stufe der allgemeinen Bildung vindiciere, wolberechtigt und unentbehr- lich, sodann aber was wir allenthalben beachtet zu sehen wünschten ~- die leichteste, zugleich aber nothwendige, weil allein eine si6here Aneignung der systematischen Geometrie verbürgende Vorübung sei. Das Resultat seiner Erörterungen ist, dasz durch die Veränderung dem geometrischen Unterrichte ein imheilbarer Schaden zugefügt, für die Arithmetik kein reeller Nutzen gewährt und der O.-E. in seinen inner- sten Grundfesten untergraben werden würde. Ein darauf folgender Auf- satz von J. Matzun, Prof. zu Agram (S. 891 900), war an die He- daction schon vor erscheinen des hohen Erlasses eingesandt^ greift aber in die vorliegende Frage wesentlich ein, indem als Hindernisse, mit wel- ehen in der Uebergangsperiode der Unterricht im Lateinischen zu käm- pfen habe , zum Theil durch Tabellen bewiesen , atif gezeigt werden 1) der Mangel geeigneter Lehrkräfte, der sich indes schon wesentlich gemindert; 2) der Mangel tauglicher Schulbücher und der in Folge davon in den- selben häufig eingetretene Wechsel; 3) der häufige Wechsel der Lehrer nicht allein in den verschiedenen, sondern auch in denselben Klassen. Der IX. Jahrg. bringt im 2n Hefte folgende Aufsätze : zuerst legt die Bedaction S. 97 120, nachdem sie .die Stellung, welche sie bisher zur Organisation eingenommen, gezeigt hat, ihre Ueberzeugung in fol-

f enden Punkten dar: I, indem sie davon ausgeht, dasz nach der ah. anction und der dabei getroffenen Bestimmung die Commission, deren Zoeammentritt in diesem Jahre statt finden soll , sich' nur innerhalb der durch die Organisation gesetzlich gegebenen Grenzen zu bewegen habe, bezeichnet sie die Vorschläge unter 5 u. 0 als solche, welche sie nicht zu den ihrigen machen könne, weil darunter Anträge auf Aufhebung des gesetzlich bestehenden verhüllt . seien. Denn die Organisation sei nicht eine Copie einer fremdländischen Einrichtung, sondern beruhe wesentlich auf den Grundsätzen: Hinstellung der Gymnasien als Mittel- schulen, deren Zweck die vom Leben geforderte höhere allgemeine Bil- dung sei, daher Aufnahme der Mathematik und Natur\vis8enschaften als vollberechtigter Elemente; Abstufung des Unterrichts in seiner Gesamt-

386 Berichte fiber gelehrte Anstalten, Verordnungen, i tttii t. NoiUeft.

heit,* nicht darch Yerlegnng einzelner Fächer in verschiedene Stufen sondern^ durch die pädagogisch und psychologisch, ja natürlich gege- bene in 2 Kreise abgestuften Unterrichtsweisen im Unter- und Obergym- nasien; endlich der Geltendmachung der deutschen Sprache in ihrem Verhältnisse zu den Landessprachen; diese Qrundsätze würden aber durch die in Betreff der Mathematik und Naturwissenschaften gemachten Vor- schläge aufgehoben und damit die' gesamte Organisation beseitigt. II. Die Durchführung der Modificationsanträge werde keine Dauer haben, weil sie nicht auf ^inem Prinoip beruhten, sondern nur das eine bei* behielten, das andere änderten, sodann weil sie den Qegnem der bis- herigen Organisation, möchten sie nun von dem Streben nach Bequem- lichkeit ausgehen oder die Einfachheit und die Gewichtlegung auf das Latein (mit vollem Rechte wird hier nachgewiesen , wie gerade durch die Vermehrung der Naturwissenschaften im Obergymn. dem philologischen Studium die Möglichkeit zu voller Wirkung zu gelangen abgeschnitten werde) zum Qrunde nehmen, doch nicht genügen, vielmehr, weil alle ihr Princip als anerkannt betrachten, aber die consequente Ausführung vermissen würden, eine um so stärkere Opposition hervorrufen müsten; die Hauptopposition aber würden die Forderungen des Lebens bilden, deren Nichtberüc^ichtigung nur die traurigsten Folgen hervorrufen könne. IIL In Betreff der Vorschläge 1. 2. 3. 4 wird anerkannt, dasz sie den Organisationsplan selbst nicht aufheben, aber 1) gewarnt die Früchte nicht zu schnell zu erwarten und die beobachteten Resultate nicht so- fort der Einrichtung zuzuschreiben, vielmehr die Ausführung in gebüh- rende Erwägung zu ziehn; 2) gefordert, dasz wenn in einem Gegen- stande die Resultate ungenügend befunden werden, in Erwägung gezo- gen werde, wo eine Vermehrung der Lehrstunden nöthig sei, ohne einen andern Gegenstand deshalb zu beeinträchtigen. Dabei wird dann auf das Verhältnis der Hausaufgaben zum Unterrichte und die Beschaffung der Mittel zur Bildung tüchtiger Lehrer, wie für die einzelnen Fächer so im allgemeinen, als Gegenstände, welche die Aufmerksamkeit der Commission beschäftigen müssen, andeutungsweise hingewiesen. Auf eigene und fremde Erfahrung gestützt und diese namentlich in Betreff des früheren mit aller Offenheit aber in würdiger Ruhe geltend machend, bespricht Herr Prof. Hochegger in Pavia a. a. O. S. 121 135 die in Bezug auf den lateinischen Unterricht gestellten Anträge und gelangt zu folgenden Resulta^ßn : aus den im Entwurf angeführten Gründen lasse sich keineswegs folgern , dasz das Gymnasium seine Aufgabe in der be- messenen Stundenzahl nicht lösen könne und dasz die wirklich vorhan- denen Mängel nur durch Erhöhung der Stundenzahl zu beseitigen seien; ferner die Vermehrung der Stunden im Untergymn. halte der Schwächung des klassischen Studiums im Obergymn., dessen Erfolg durch die Ver- legung der natui*wissenschaftlichen Fächer in die obern Klassen fast ver- nichtet werde, nicht das Gleichgewicht; endlich das Latein habe nach seiner Stellung im gesetzlichen Lehrplane keinen Anspruch auf aus- schlieszliche Vermehrung seiner Lehrstunden auf Kosten der übrigen Gegensiändo und um so weniger, wenn die Verwendung dieser Mehr- stunden (durch den immer noch vorhandenen und bei aller Anstrengung doch nicht so schnell zu ersetzenden Mangel geeigneter tüchtiger Lehr- kräfte) keine sichere Bürgschaft für dauernden Erfolg biete. Da der Hr Verf. nachgewiesen hat , dasz die Aufgabe des Obergymnasiums bei der dem Latein zugetheilten knappen Stundenzahl za bewältigen auch für den tüchtigsten Lehrer ungemein schwer sei, so macht er den Geg^- vorschlag : wolle man die lateinischen Stunden vermehren , so thue man es, wo es mehr noth sei, im Obergymnasium, aber nur unter zwei Be- dingungen, dasz man keinen andern Lehrgegenstand, z. B. das Ghriechi- sche, beeinträchtige und man sich in der Lage finde die Mehrstanden

Beneble aber gelehrte AostalteD, Verordnangeo, slatisl. Noliien. 387

ordentlichen geprüften Lehrern anzuvertranen. Wichtig, weil in man- chen Punkten von den bisherigen Besprechungen abweichend, ist die folgende Abhandlung von Prof. Just in Wien (S. 135—160), der als Einleitung eine Betrachtung des Schicksals, welches der O.-E. in der öffentlichen Meinung gefunden , vorausgestellt ist. Den Werth der klas- tischen Studien mit Wärn!ke und überzeugend darlegend gelangt der Hr Verf. zu dem Resultate , dasz eine Vermehrung der lateinischen Stunden in I nnd II nicht nothwendig, dagegen in III und IV wünschenswerth sei, nicht wegen der Einübung der Syntax, sondern wegen der begin- nenden Leetüre der Klassiker und der für sie nothwendigen Mittheilun- gen ans den Alterthümern , so wie der Prosodie und Metrik. 3 Stunden weist er hier der Grammatik, 3 der Leetüre, 1 mündlichen Uebungen, 1 den Schulpensis zu. Mit der unter 2 beantragten Veränderung in Be- treff des Griechischen erklärt er sich einverstanden, freilich unter aus- drücklicher Verwahrung, dasz die Reduction wol kaum weiter gehen dürfe, solle dor Gegenstand nicht in seine frühere Kläglichkeit zurück- fallen. Obgleich er sodann den Werth des deutschen Unterrichts ge- bührend würdigt und über seine Betreibung gute Winke gibt, hält er doch dafür, dasz der Ausfall ^iner Stunde in VII wenigstens an den nichtdeutschen Gymnasien zu verschmerzen sein werde [in den früheren Bemerkungen der Red. ist darauf hingewiesen, dasz in Bezug darauf doch ja die Erfahrungen, welche die Universitätslehrer mit den deut- schen Aufsätzen machten, zu Rathe gezogen werden möchten]. Die Stellung des geographischen Unterrichts als eines selbständigen Lehrge- genstandes billigt der Hr Verf. und fordert Berücksichtigung desselben bei der Maturitätsprüfung und das Vorhandensein gewisser Wandkarten in jeder Klasse. Vom geometrischen Anschauungsunterricht stellt er folgende Ergebnisse hin : a) Mangel an Fertigkeit des rechnens im Ober- gymnasium , daher kommend, dasz im Untergymnasium zwei Gegenstände nebeneinander laufen, b) eingebildetes schädliches wissen oder nichtwis- sen und vergessenhaben als Hindernis des Unterrichts im Obergymn.; das erfassen sei in reiferem Alter entschieden leichter und sicherer. Um die Zersplitterung noch mehr zu vermeiden wird in der V Kl. aus- sehlieszlioh Algebra, in VI Planimetrie nnd Trigonometrie, in VII Ste- reometrie vorgeschlagen [Hr Dr Gemerth hat in einem Anhange S. 162 166 mit aller seinem Lehrer gebührenden Achtung eine Widerlegung durch Vertheidigung seiner hier bekämpften Ansichten gegeben] . In Be- treff des 6n Punktes erklärt sich der Herr Verf. für die Belassung der Katurgeschichte im Untergymn., spricht überhaupt derselben als wesent- lidiem Bestandtheile der Bildung das Wort, glaubt aber den Unterricht in der Physik in III und IV beseitigen oder doch sehr wesentlich be- schränken zu können [Auf die abweichenden Punkte, dasz der Ordina- rius den Unterricht in der Naturgeschichte werde ertheilen können, dass die Physik im Untergymnasium nicht passend betrieben werden könne nnd dasz das Verständnis der Naturgeschichte in der höheren Klasse keine physikalische Vorbereitung fordere, gibt Hr Dr Grailich S. 166 168 eine Erwiderung]. In einem Anhange behandelt der Herr Verf. sodann noch die Fragen: 1) ist bei der Aufnahme eines Schülers, der ▼on einem anderen öffentlichen Gymnasium mit einem Zeugnis der ersten Fortgangsklasse kommt, eine Aufnahmeprüfung nothwendig und eine Abweisung oder Zurücksetzung in eine niedere Sllasse gerecht? [Die Bedaction antwortet auf die Bedenken S. 161 f.] 2) Wie wäre der ar- gen Verwirrung in Bezug auf deutsche Orthographie am schnellsten und zweckmäszigsten abgeholfen [S. 163 erklärt sich unter Hinweisung auf Hannover die Red. gegen den vorgeschlagenen Weg : Festsetzung durch eine Commission]. 3) Wie könnte in der Erlernung einer oder der an- deren Landessprache ein besserer Erfolg erzielt werden? Die Sohüler

388 Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, itatift. Notisea.

sollen daza angehalten und schon im Untergymnasinm damit begonnen werden. 4) Wie wird dem modificierten Lehrplane dauernder Erfolg ge- sichert? Die Conferenzen werden hier hauptsächlich empfohlen, scbliesz- lich die Aufmerksamkeit der Lehrer auf die Methode und die Schnlbü- eher hingelenkt. Als ein entschiedener Vertheidiger der beantragten Modificbtionon tritt S. 108—176 Schulr. A. Kräl in Brunn auf, wobei er besonders auf die gegen den O.-K. in Beurteilungen namentlich in der Mützellschon Ztschr. erhobenen Bedenkon und auf das Verhältniss, welchee in den prcusz. Gymnasien die klassischen Studien rilcksichtlich der Stun- denzahl gegen die naturwissenschaftlichen einnehme, fuszt. Die Anfge- biuig der Bestimmung des Untergymnasiums wird nach der Errichtung der Unterroalschulen und der Erfahrung, dasz es für die Oberrealschnle dennoch keine genügende Vorbildung gebe, gerechtfertigt und daraoe sodann die Nothwendigkeit dem sprachlichen Unterrichte zu Tollerer Geltung zu verhelfen gefolgert. Der Herr Verf. bedauert, dasz dai Griechische eine weitere Beschränkung erfahren solle, hält dies aber für ein Opfer, das der Oekonomie des ganzen gebracht werden mtiste, hofft übrigens von der Privatlectüre Ersatz. Diesen übrigens mit Wärme und in eingehender Weise die Sache besprechenden Aufsatz hat Prof. Lott S. 170 180 einer scharfen Antikritik unterworfen, worin wir be- sonders auf den Beweis S. 178 aufmerksam machen, dasz bei Berück- sichtigung der Klassenzahl und der Summe der obligaten Lehrfacher das Verhältnis der Stundenzahl sich in Oesterreich als kein so für die klassischen Studien uaclitheiliges herausstelle. Im folgenden Hefte schlägt Prof. Riepl in Linz S. 189 105 eine Vertheilung der Stunden vor, bei der er glaubt, dasz den entgegengesetzten Forderungen genügt worden könne ohne andere Gegenstände zu beeinträchtigen, wobei nur die deutschen Stunden eine Minderung erfahren, was ohne Schaden möglich sei, auszerdem die Stundenzahl der Naturwissenschaften einen kleinen Abbruch erleiden; nemlich Latein: I 9, II 9, III 7, IV 7, V 6, VI (J (7), VII 5, VIII 5. Deutsch: I 3, II 3, III 2, IV 2 (3), V 2, VI 3 (2), VII 3, VIII 3. Naturgeschichte I 2, II 2, Physik und Naturgeschichte III 2, Physik IV 3 (2), Naturgeschichte V und VI je 2, Physik VII u. VIII je 3. Prof. Kunzek in Wien legt in seinem Aufsatze 8. 190 204 besonders in geschichtlichen Umrissen dar, wie allgemein ge- fühlt das Bedürfnis natnrwissenschafllichcr Bildung gewesen , wie befrie- digt man sich durch die Anerkennung desselben im O.-E. gefühlt und welch ein Wchruf bei dessen Umsturz durch die ganze Monarchie sich erheben werde. Aus Aufsätzen von DrSchwippel, Prof, der Na- turwissenschaften in Brunn, Cholava, Prof. der Philogie in Krakau, und Dr Schieb 1, Prof. d. Naturw. zu Neuhans, werden, S. 204-^211 Auszüge mitpretheilt , in denen einzelne Punkte, welche fUr die Beibe- haltung der Naturgeschichte im Untergymnasinm sprechen, ausführlicher erörtert und namentlich die dazu nothwendigo , aber durch nichts zu ersetzende Methode bezeiclinet wird. Prof. Dr J. Parthe in Leitme- ritz untcrzielit S. 211 220 die für die Verdrängung der geometrischen Anscliaunngslehre aus dem Untergymn. angeführten Grunde: die Schwie- rigkeit des Gegenstandes, die bisherigen geringe Erfolge und die Be- einträchtigung anderer Fächer, einer gründlichen Widerlegung und zeigt, dasz die beantragte Verschiebung nicht gerechtfertigt , ja bedenklich sei. Einloitungswcise wird (8, 220 227) aus einem Aufsatze von Dr Gabriel, Director des kath. Gymn. zu Teschen, mitgetheilt, dasz der- selbe nach 24j. Erfahrung im Schulamte die Ansicht vertritt, wie an der bestehenden neuen Organisation nur sehr wenig und nicht im wesent- lichen abzuändern sei, und mit Wärme und überzeugender Kraft die klassischen Studien gegen ihre Feinde vertheidigt. Im speoiellen stellt der Hr Verf. die Forderung auf , dasz zur Erlernung einer Landessprache

tterieht« Qb^ gelehrte Anstalten, VerordflungeD, Statist NDÜiea« 389

ausEer der Muttersprache mehr Gelegenheit und Yeranlassimg, an den Gymnaeien gehoten werde , erklärt die Yermehrang der Lateinstanden im Untergymnasiam für wünschenswerth , im Griechischen 6 St. für 111, 5 in ly, 4 in den übrigen Klassen für angemessen, hält im Deutschen die Aufrechterhaltung des O. -£. für zu billigen und stimmt den Modifi- cationen für den historischen und geographischen Unterricht bei. In Betreff des mathematischen Unterrichts hält er auch nach Gemerths Auf- satz die Zweckmäszigkeit der Modification für nicht abgewiesen, erklärt sich jedoch dahin, dasz eine Nothwendigkeit dazu nicht vorlieg«, wenn schon der geometrische Anschauungsunterricht in eine spätere Klasse ohne Nachtheil verlegt werden könne. Die Belassung des naturwissenschaft- liehen Unterrichts in wöch. 2 Stunden durch alle 4 Klassen des Unter- gymn. befürwortet derselbe mit Wärme , aber auch mit ernster Hinwei- sung auf die geeignete Methode. Am Schlüsse empfiehlt er endlich noch die Beschaffung zweckmäsziger Compendien und Leitfaden und den Ge« brauch der lateinischen Sprache im altklassischen Unterricht in YII u. VIII. Dr K. Schenkl (gegenwärtig Prof. der klassischen Philologie in Innsbruck) spricht in sehr eingehender, ruhiger und klarer Erörte- rung (S. 228 240) seine UcberzeuguDg dahin ausj dasz eine Vermeh- rung der lateinischen Stunden in III u. IV um 2, in V u. VI um I aller- dings geboten -sei, dasz sich aber diese Vermehrung ohne wesentliche Beeinträchtigung anderer Gegenstände erreichen lasse, wenn in III u. IV dem Unterrichte in der Muttersprache je 1, in III dann dem arithme-. tischen 1 und in IV dem naturwissenschaftlichen 1 St. entzogen, in Y u. VI aber die Zahl der wöchentlichen Lectionen , wie in YII u. VIII auf 27 erhöht werde. Die Beschränkung der Muttersprache glaubt er um so leichter befürworten zu können, wenn der Unterricht in ihr mit dem lateinischen in ^iner Hand vereinigt und der Uebung in derselben in allen Unterrichtsstunden die nöthige Aufmerksamkeit gewidmet werde. Gegen die Verlegung des gesamten naturwissenschaftlichen Unterrichts ins Obergymnasium , gegen die Beschränkung des Griechischen und die Entfernung des Mittelhochdeutschen erklärt sich derselbe auf das ent- schiedenste. — Dr G. Bippart (bekann tl. Prof. der kl. Philologie an der Univ. in Prag) gibt eine umfängliche Erörterung (S. 240 254), wo- rin er unter Vergleichung der in anderen Ländern, namentlich Preuszen, durchgeführten Grundsätze und unter Darlegung der auf der Universität von ihm gemachten Erfahrungen die Stellung, welche das klassische Studium in der Jugendbildung einnehmen müsse , in ihrer Bedeutsamkeit aufzeigt und eine Vermehrung der für sie ausgeworfenen Stundenzahl befürwortet. In Betreff des geographischen und historischen Unter- richts kommt Prof. Ptaschnik in Wien in seinem Aufsatze (S. 254 270) zu dem Resultate, dasz die beantragten Modificationen ganz mit den im O.-E. gegebenen wesentlichen Grundzügen vereinbar sind, dasz aber die Zweckmäszigkeit ihrer Einführung wesentlich von der Art be- dingt sei, wie die Lehrer selbst das Gesetz studieren, achten und be- folgen. Dabei wird auf die Nothwendigkeit naturhistorischer Kenntnisse für die Pflege der Geographie hingewiesen, wie denn auch schon Part he (S. 212) die Bedeutung der geometrischen Anschauungslbhre für dieselbe hervorgehoben hatte. Mit dem eben erwähnten Aufsatze erscheint Prof. Lepai^ zu Iglau (S. 270 f.) einverstanden. In zwei Aufsätzen gibt endlich noch Schulr. Wilhelm in Krakau (S. 271—276 und 5s Heft S. 374 380) sehr beachtenswerthe Winke über die Auswahl, Yertheilung und Behandlung des Stoffes, um die Aufgabe des lateinischen Unter- richts in I und II zu lösen.

Noch ist uns eine kleine Brochüre zugekommen : die (jymnaHalreform in Oesterreich (Leipzig, Steinacker 1858. 32 S, 8). Trotz des Ernstes, mit dem der ungenannte Verf. seine Sachen vorträgt , wird es doch nicht

390 Berichte aber gelehrte Anstalten, Verordnungen, lUtiit. Notiieal

schwer fallen die IroniS zu erkennen , mit welcher er die Ansichten einer, wir wissen natürlich nicht ob zahlreichen Partei, welche das alte Lehr- system zurückführen, dabei aber scheinbar den Bedürfnissen der neue- ren Zeit eine Concession machen möchte, parodiert un^ persiffliert. Zwar glaubt man im Anfange ernstgemeinte VorscblÜge erwarten in dürfen, aber die Folgerungen , welche an den gegebenen Begriff der allgremeinen Bildung und die pädagogisch - psychologischen Prämissen angeschlosseB ' werden , contrastieren so damit , dasz man den Schalk erkennt. Die Kla- gen über die Beaufsichtigung der Lehrer durch den Director und die dadurch bewirkte Herabdrückung des Ansehens und der Stellung, über die Nachtheile, welche der Wechsel derselben nach Klassen und Fächern herbeiführt, über die Forderung der Lehramtsprüfung für alle stehen mit der Wirklichkeit so sehr in Widerspruch , dasz man über die Komik sich nicht täuschen kann. Und wenn nun folgender Abänderungsplan aufgestellt wird:

I II III IV

S

.2

1

'Religion 2

Lateinisch

Deutsch

Geographie 3

Geschichte

Rechnen 2

Geometrie

Physik

Naturgeschichte 2

2 2 2

8 8 8 8 3 3 3 3

1 2 2

1 2 2 1 1

1 2 2 1 1

2

Summe 20 20 20 20

I n III IV

Religion 2

Lateinisch 4

Griechisch 4

Deutsch 2

Geschichte 3

Mathematik 8

Physik

Naturgeschichte 2

Propädeutik

2 4 4 2 3 8

2 3 8 2 2 3 3

2 3 8 2 2 8 3

2

2

Summe 20 20 20 20

zeigt da nicht schon die Wahl der Namen Gymnasium und Lyceam die Persifflage auf diejenigen, welche unter angenommenem Sohein das alte ganz zurückzuführen trachten ? Und läszt sich dieser Zweck yerkenneo, wenn auf die Arbeit zu Hause (die dann doch ohne Correpetitor nicht gehen könnte) so viel Werth gelegt, wenn in der Maturitätsprüfung das Griechische ausgeschlossen wird, wenn es am Schlüsse heisst: ^unsere Nachbarn im Norden und Süden, im Osten und Westen könnten den Plan vielleicht nicht brauchen; aber glücklicherweise haben wir nicht nöthig uns darum zu kümmern. Findet ihn jemand für die Oesterrei- cher aus der zweiten Hälfte des lOn Jahrhunderts zweckmässig, so bat er ihm damit das höchste Lob ortheilt'? Sollte der Hr Verf. fürchten, dasz unsere Anzeige vielleicht manchen vom lesen abhält und dadurch die Wirkung der Ironie vermindert werde , so beruhigen wir ihn mit der Hoffnung, dasz viele seine Schrift schon gelesen haben und manche sie nun gerade ernstlicher ansehen werden.

Ref. hatte sich vorgenommen nur zu berichten, kein eigenes Urteil zu geben. Allein das warme Interesse , das er an Oesterreiclis gedeihen

BaruBktt aber gelehrte Anstalten, Verordnungen, Statist. Notiien. 391

nimiiit, dringt ihn doch d&sn einiges hinznznfiigen. Wir haben früher und Biets die Vortrefflichkeit des Orgauisationsentwurfes mit herzlicher Bereitwilligkeit anerkannt, aber auch die Bedenken, welche uns gegen einaelnes in demselben beigiengen, nicht verschwiegen. Wir können daher nur den Wunsch hegen, dasz derselbe die möglichste Annäherung mr Vollkommenheit empfange. Sollen aber die beantragten Modiüca- tfonen in ihrer Gesamtheit eingeführt werden, so müssen wir dies in- nigst bedauern und beklagen. £s würden dadurch nicht nur die Vor- sfige des Org.-£. aufgehoben, sondern auch weder der realen Seite ihr BMht widerfahren, noch dem klassischen Alterthum. Wir wünschen aüerdinga, dasz die Stundenzahl für die alten Sprachen gemehrt werden k9nne wie weit die Abneigung gegen eine gröszere wöchentliche Stun- densahl und die Lust häusliche Correpetitoren zu gebrauchen vermin- dert worden ist, vei'mögen wir natürlich nicht zu beurteilen aber nioht, dasz dies iu der vorgeschlagenen Weise geschehe. Die lateini- sche Sprache wird eine Bevorzugung vor der griechischen immer behal- ten müssen , aber das griechische Alterthum in der Jugendbildung nicht la seiner vollen Wirkung kommen zu lassen , heiszt wahrlich die Gegen- wart total verkennen. Wir machen den Männern , von welchen die Mo- dificationsanträge ausgegangen sind nicht , den Vorwurf, als hätten sie nicht ernste didactischc Erwägungen geleitet, aber wir bedauern, dasz sie sich vor andere gestellt, die darunter etwas ganz anderes als wahre humane klassische Bildung verstehen, von deren Vorhandensein leider auch in diesen Jahrbüchern nicht unberührte Erscheinungen den Beweis liefern *) Ob und inwieweit das Mittelhochdeutsche in die Gymnasien einzuführen sei, ist eine auch in Norddentschland noch nicht entschie- dene Frage. Wir erkennen an , dasz die Vorschläge in Betreff des geo- graphischen und historischen Unterrichts viel zweckmäsziges enthalten;, in Betreff der Mathematik dagegen stellen wir uns unbedingt auf die Seite des O.-E. Dasz die Naturgeschichte aus den unteren Klassen nicht ent- Isrnt werden dürfe , dasz durch die Verlegung des gesamten naturwissen- schaftlichen Unterrichts in die oberen Klassen dem humanistischen Zwecke des Gymnasiums eine völlij^em aufgeben gleichkommende Beeinträchtigung widerfahren werde, darüber wird wol im ganzen übrigen DeutscUand nur ^ine Stimme herschen.

Die Anregung der freien Discussion durch die hochsinnige Veröf- fentlichung des kk. Ministeriums und die dabei zu Tage gekommenen Erörterungen haben in uns eine gewisse frohe Hoffnung erzeugt und begründet, dasz die gute Sache siegen und eine den Forderungen der Zeit genügende Entscheidung getroffen werden werde. Mögen die Män-

*) Zu dem, was oben S, 274 280 gegeben ist, fügen wir hier die Proben lat. Stils hinzu, welche Prof. Bonitz aus einem ungarischen Programm IX S. 188 mitgetheilt hat. Planum stndiorum pro anno schola- tÜeo 1857, d. h. Studicnplan. Memorisatio vocahulorum et parariigmatum oeemrentium. Tardius omni septimana occupatio scholastica et domesticay d. h. Memorieren der vorkommenden Wörter und Paradigmen. Später jede Woche eine Schularbeit und eine Hausarbeit. Prv futurae vocationis stu^ dh elegerunt theologiam, zum Studium ihres künftigen Berufes wählten sie , Notabiliores altiori loco emanatae ordinationcs anno scholasHco 1857, die wichtigern höhern Orts entflossenen Verordnungen. Decreto Alti C. R, Ministerii ordines intuitu systemisationis professorum doctrinae religio- ni$ in gymnasiis catholicis et salarii eorundem noti redduntur , durch Erlasz d. h. Min. werden die Verordnungen hinsichtlich der Systemisierung der Keligionslehrer an katholischen Gymnasien und ihres Gehalts bekannt gegeben. Examina maturitatis scripturistica sttnt gervata diebus 29. 30. 31. JtUH, orale vero wub praesidio cet.

y. Jahrb. f. Phil. u. Paed. Jtä LXXVIII. Hfi 7. 2G

392 Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, statiit« Noliiig.

ner, welche mit so groszem Mute, so klaren nnd consequenten Princi- pien, so würdevoller Darchföhmiig derselben an der Verbeflserang des Unterrichtswesens in Oesterrelch gearbeitet haben, in dem warmen An- theil, welchen Deutschland an ihren Bestrebungen nimmt und welcher durch die Verlegung der Philologenversammlung nach Wien ihatsäohlioh bekundet ist , einen Antrieb zu festem beharren finden. Sollte der Aus- gang auch jetzt ihren Erwartungen nicht entsprechen , der g^estreute Same Avird nicht verloren sein. Mud. Dieiseh.

Oldenbubg.] Progpramm des Gymnasiums Ostern 1858. Da spe- cielle 'Schulnachrichten' auszer der Uebersicht der Lectionen diesmal nicht gegeben sind , so tragen wir aus dem vorjährigen Programm nach, dasz in die Stelle des ins Pfarramt übergetret^en Collaborator Arens der bisherige 3. Collab. Ram sauer aufrückte und dagegen zum 3. Gol- lab. der Dr Burmeister aus Jever berufen wurde. Die Ordinarien der 5 Ellassen sind nunmehr : I Rector Bartelmann, II Conr. H a g e n a, III Collab. Dr Lübben, IV Collab. Ramsauer, V Müller; sonatige Lehrer : Dr T e m m e (Math. u. Physik), Dr L a u n (Franz.), Collab. Dr Burmeister. Schülerzahl 120; I 11, n 15, UI 25, IV 39, V30.— Voranstehend eine umfangreiche (77 S.) Abhandlung vom Collab. Ram- sauer: zur Charakteristik der aristotelischen Magna Maralia , aus der wir hier folgendes hervorheben. Schleiermacher, welcher zuerst daa Verhältnis der drei unter des Aristoteles Namen auf uns gekommenen Ethiken erörterte, hatte, vorzugsweise von der Seite des Inhalts und der Anordnung im groszen ausgehend , die Magna Moralia für die echte oder doch für die ursprünglichste Darstellung aristotelischer Sittenlehre gehalten. Die entgegengesetzte Ansicht vertrat Spengel Jahrb. der Münchner Academie von 1841. Ihm gelten die M. M. für ein späteres, von den Eud. u. Nie. abhängiges Werk. Den vollständigen Nachweis dieser Ansicht, zu dem er übrigens bereits bedeutendes beigebracht, stellte Sp. einer besondern Bearbeitung des Buches anheim. Hr Ram- sauer zweifelt jedoch, ob die M. M. einer solchen (wenigstens im Ver- gleich mit den Nie.) werth seien und .unternimmt es vielmehr in der vorliegenden Abhandlung 'in der Weise ein Bild der M. M. zu eiitwerfen, dasz der mit Aristoteles irgendwie vertraute Leser in den Stand gesetzt werde, aus den zusammengestellten Zügen ein Urteil darüber zu ge- winnen, ob er hier Aristoteles sprechen, entwickeln und lehren höre oder einen anderen.' 1) S. 2—13) Besonderheiten der Redeweise: daa sonst höchst vereinzelte, hier durchstehende vTciq (für nsQ^); das ^ ov im aussagenden Fragesatz (= 'schwerlich'); die Gewohnheit Sätze mit dem subjectlosen q)riai einzuführen (Bonitz Stettiner Programm 1844 S. 14) ; manches andere , das der Darstellung eine äuszerlich belebtere, oft gleichsam dramatischere Färbung gibt, als der rein sachliche Stil des Aristoteles. 2) (S. 13 20) In der Methode der Entwicklung bemerkt man eine breite, pedantisch vollständige Ausführung der SyUogismen; der Verf. der M. M. hat an der logischen Form als solcher, an' der Va- riation der syllogistischen Einkleidung seine Freude , während Aristoteles sich nie scheut auch der Divination seiner Leser etwas zuzumuten. 3) Eine Vergleichung der entsprechenden Partien Nie. III 1 7; Eud. II 6 11; M. M. I 0 m. 18 ergibt, wie die letzten den gröszern Zusam- menhang aus an einander gereihten Abschnitten bilden, die in sich ver- ständig behandelt sind, deren inneres Verhältnis aber weder ausgespro- chen noch immer klar begriffen wird; es zeigt sich Abhängigkeit (von den Eud.) ohne wahres Verständnis; hier am eclatantesten , aber in ähn- licher Weise auch sonst. 'M. M. entwickeln nicht, sie zählen auf.' So zerfällt die Behandliftig der iynQcctfux M. M. II 4 6 in streng geschiedene Absätze, deren jeder einen besondem Punkt behandelt, während Nie. VII ihren Gang planvoll vorzeichnen ; also überwiegende Sorgfalt in der Ana-

Iwiehte Aber gelehrte Aostalleu, VerordoaDgeo, sUitist. NoÜsea. 393

ffihmng des einzelnen, ohne dasz in entsprechendem Masze die Bezie- hungen aufs ganze festgehalten würden : eine Erscheinung , deren Grund in der Abhängigkeit von der ursprünglicheren Behandlung des Gegen- ftandes in Nie. und £ud. zu suchen. In eingehender Yergleichung mit diaaen werden sodann 1) (S. 36—- 54) die Unvollkommenheiten und Lücken der Darstellung nachgewiesen; 2) (S. 54 f.) diejenigen Eigenthümlich- keiten der M. M. besprochen , bei denen man an eine absichtliche« Mo- dification der Lehre selbst denken kann oder doch eine Neuerung des Bpraehgebranchs anerkennen musz; so die ägsrij lediglich als Bestimmt- heit des aloyov; die bewuste Neigung das aloyov und den Xoyo9 mög- liohst scharf auseinander zu halten (offenbar polemisch, doch unbestimmt gegen wen?); ferner die iniatjjtijj, welche das ganze Gebiet der ttxvjj mit occupiert, u. a. m. Also, nach Hrn. B., vorwiegend allgemeine Be- griffe , in denen sich ein schwanken zeigt , dagegen die gröste Präcision bk den Einzelbegriffen, vielfach bereits an Schematismus streifend. Die Terminologie der (12) ethischen Tugenden erscheint bei den Nie im werden, bei den Eud. schon fixierter, in den M. M. aber bereits voll- ständig fest sie suchen etwas in der Vollständigkeit. Die Bedeu- tung und den Werth der M. M. stellt der Vf. der sehr gründlichen (und daneben im Gebiet der Hypothesen löblich behutsamen) Abhandlung lehlieszlich dahin fest ^das^ sie ein Hülfsmittel sind , die echte aristote- liache Ethik und in zweiter Linie die Eudemien in ihrem Inhalt und in ihrer Zusammensetzung lebendiger zu erkennen.' TV, G,

Beudsbubg.] An diem hiesigen Realgymnasium (d. h. einer Anstalt, die aus drei oberen Gymnasialklassen, einer Bealtertia und Bealsecunda und drei gemeinschaftlichen unteren Klassen besteht) ist im J. 1856 ala Abhandlung zum Programm erschienen: die Divisionsaufgabe m: (a ;;t ^) *'^ wieihodiscker Beziehung, vom Rector Dr Yechtmann (34 S. 4). Aus den Schulnachrichten heben wir hervor, dasz der constitnierte 7e Lehrer F. C. Kirchhoff 1855 zum 3n CoUaborator und der const. He Lehrer H. J. M. Lucas zum 3n Adjuncten, sowie der Schulamtscandidat J. C. fi. Yolbehr aus Kiel zum 2n Adjuncten ernannt Worden ist. Im Win- ter 1855—56 hat die Schülerzahl 153 betragen, nemlich 2 in I, 5 in II, 8 in UI, 4 in R. U, 24 in R. III, 29 in IV, 36 in Y, 45 in YI. Das Progranmi von 1857 enthält eine Geschichte der Gelehrtenschule zu Rends- burg bis 1830, vom Director Prof. Dr P. 8. Frandsen (42 S, 4). Die frühere lateinische Schule existiert seit 1500, wo der erste Rector Joa- ehim Prätorius an dieselbe berufen worden ist; dieselbe wurde 1814 durch eine neue in den Herzogthümern Schleswig -Holstein eingeführte Schulordnung aufgehoben, aber im J. 1819 unter namhaften Opfern def Stadt Rendsburg als Gelehrtenschule wieder hergestellt; die Darstellung verweilt mit Yorliebe bei dem Rectorate des ausgezeichnet tüchtigen Prof. Brodersen. Ein 2r Theil soll das Rectorat des Prof. Kramer (1830 44) und den 10 jährigen Kampf um die Existenz der Lehranstalt enthalten, bis endlich 1854 durch die Errichtung des Realgymnasium! eine Coalition der entgegenstrebenden Interessen, der bestehenden Ge- lehrtenschule und einer beabsichtigten Realschule , zu Stande kam. Im Winter 1856—57 waren 182 Schüler in der Anstalt, nemlich 4 in I, 9 in H, 10 in in, 7 in R. U, 27 in R. III, 36 in lY, 47 in Y, 42 in YI. Die Bibliothek wurde durch 586 werthvoUe Bände aus der Bibliothek des aus Rendsburg gebürtigen, 1689 als königl. Rath in Glückstadt verstorbenen Marquard Gude bereichert; auch der physikalische Apparat erhielt eine zwiefache sehr beträchtliche Unterstützung. Im übrigen heben wir noch die beachtenswerthe , auch anderweitig schon früher befolgte und hier jetzt eingeführte Einrichtung hervor, wornach den Schülern vor den Sommerferien und zu Weihnachten halbjährliche Censuren ertheüt wer- den; zu Michaelis und Ostern vertreten die Yersetzungen gewissermaszen

26*

394 Berichte Ober gelehrte Anstalten, Verordnungen,' staliit. MotixeC

von selbst die Stelle derselben, nnd für die trägeren Schüler sind ne in der Mitte des Semesters ohne Zweifel am wii'ksamsten. -^ Im gegen- wärtigen J. 1658 ist als Abhandlang dem Programm beigeg^en: üAer die Bundesgenossenschaft der Athener , vom Adjuncten Laoas, Ir Thefl, S. 3 12. Die Schale betrauerte den Tod des Rectors and 2n Lehrern, Dr G. Chi*. U. Yechtmann, geb. 1817 za Wittmond in Hannover, 1841 als Hofmeister an der Hitterakademie in Lüneborg angestellt, von dort 1845 nach Eutin berufen, 1848 zum Subrector in Meldorf ernannt, von wo er 1853 in sein letztes Amt gekommen ist. Seine Lectionen wurden vorläufig dem Privatdocenten an der* kieler Universität Dr P. Büttel übertragen. Der erste Schüler gieng, nachdem er das neue Maturitätsexamen bestanden, Mich. 1857 zur Univ. (Jur.)- Die Schüler- zahl stieg auf 204, nemlich 7 in I, 7 in II, 8 in HI, 11 in B. II, 31 in B. UI, 48 in IV, 44 in Y, 48 in VI. Die Dauer der Lehrcurse ist für Bealprima auf 1 J. , für Bealsecunda und Bealtertia auf 1^ J* (früher in allen drei 2 J.) herabgesetzt ; darnach ist es wahrscheinlich, daisz ein Besuch der Bealprima ^in nicht gar langer Zeit' eintreten wird. Die Sammlungen wurden wieder ansehnlich vermehrt. Eing,

BiMTBLN.] Am 10. April starb der ordentliche Lehrer Dr Lobe. Zum Ersatz für denselben wurde der Qjmnasialpraktikant Kellner, aber bald darauf in gleicher Eigenschaft an das Gymnasium in Gatsd versetzt, während in seine Stelle der Gymnasialpraktikant Stähle ein- trat. Folgende Mitglieder bilden jetzt das Lehrercollegium : Dr Sohiek, Direotor, Dr Feuszner, Dr Eysell, Pfarrer Meurer, Dr Hart- mann, Dr Stacke, Kutsch, die beauftr. Lehrer Dr Braun, Ber- kenbusch und Stähle, Zeichen- und Schreiblehrer Storck, Gesangw lehrer Capmeier. Die Gesamtzahl der Schüler betrug im Sommerhalb- jahr 83 (I 12, II 8, UI gymn. 21, III real. 6, IV gymn. 13, IV real. 9, V 14). Abiturienten im Herbst 1857 5, zu Ostern 1858 7. Den Schal- nachrichten geht voraus eine sehr lesens- und beaehtenswerthe Abhand- lung: das Lehen der Johanna d'Arc, genannt die Jungfrau von' Orleans. Zweiter Theil. Vom Gymnasiall Dr Eysell (31 S. 4). L Abschnitt: von der Abreise der Johanna aus Domremy bis zur Krönung Karls in Beims. § 1. Johannas Abschied von Domremy, Anfenthalt in Van- couleurs, Beise nach Chinon. § 2. Johanna in Chinon und Poitiers. ( 8. Johanna in Tours, Blois, Orleans. JDr 0,

Personalnotizen.

KrnennnngeBf BefUrdemagen , Terseizungent

Achtner, Mich., Gymnasiall. zu Laibach, an das E^einseitner Gymnasium zu Prag vers. Acker, Cand. theoL, Lehrer an der Beal- schule zu Beichenbach i. V., zum Lehrer am Gymn. zu Zwickau em. Aschenbach, SchAC, als Collaborator am Andreanum in Hildeshehn angcst. Au ha gen, B., SchAC, als provisor. Collaborator am Gymn. in Stade angest. Bader, Th., SchAC., als ord. Lehrer am Gymn. n Schleusingen angest. Bause, ord. Lehrer am Gymn. zu Paderborn, zum Oberlehrer am Gymn. zu Warendorf ern. Bockemüller, Col- laborator am Gymn. zu Stade, zum zweiten Conrector das. befördert. Fehler, Collaborator am Lyceum in Hannover, zum Oberlehrer em. Franke, Dr A., SchAC.^ als provis. Collaborator am Gymn. zu Lingen angest Fr ick, Dr O., SchAC, als Adiunct am Joachimsthaleoh«] Gymn. in Berlin angest. Giebel, Dr Ch. G. A., Privatdooent , aom

PersonalnotiseB. 395

ao. Prof. in der philos. Facnltät der UniversitKt Halle ern. •— Oott- schar, Joh., Woltpr., provißor. Director am Gymn. zu UnghvAr, zum wirkl. Dir. befördert. Haage, Conrector am P&dag. zn Ilefeld, zum zweiten Rector an ders. Anstalt ern. Hachmann, Oberlehrer am Qynm. zu Anrieh, als Conrector an das Andreanum zu Hildesheim yers. Hahmann, Subeonr. am PSdagog. zu Uefeld, znm Conrector an ders. Anst. ern. Hof f mann, Dr H. O., SchAC, als ord. Lehrer am Priedrichs-Collegium zu Königsberg i. Pr. angest. Hof f mann, Col- labor. am Andreanum zu Hildesheim , in gl. Eigensch. an das Gymn. in Hameln versetzt. Kiene, A., Conrector am Gymn. zu Stade, zum .Rector an ders. Anst. befördert. Knapp, Bened., Suppl. am Gymn. SU Fiurae, zum wirkl. Lehrer an ders. Anstalt ern. Krause, Conr. am Gymn. in Stade, zum ersten Conrector das. befördert. Kruli" kowski, Leo, Suppl. am Gymn. zu Przemysl, zum wirkl Lehrer an ders. Anstalt ern. Lagarde', Dr Paul de, bisher am kölnischen Realgymn. in Berlin, zum ord. Lehrer am Friedrichs- Werderschen Gymn. daselbst ern. Lange, SchAC, als provis. Collaborator am Gymn. zu Aurich angest. Lob er, Collaborator am Gymn. zu Stadef, zum zweiten Conrector an ders. Anstalt befördert. Mejer, SchAC., als proyisor. Collaborator am Lyceum in Hannover angest. Möhring, Conr. am Jobanneum in Lüneburg , zum Oberlehrer der Mathematik und Katurwissenschaften am-Gymn. zu Aurich ern. Müller, R., SchAC, als Collaborator am Pädagog.^ in Ilcfeld angest. Neinhaus, Wilh., Collabor. am Gymn. in Prenzlau, zum ord. Lehrer an der Realschule in Perleberg ern. Ribbeck, DrWold., bisher am Friedrichs - Gymn. in Berlin, zum ord. Lehrer am kölnischen Realgymnasium das. ern. Rokohl, Wilh., Lehrer an d. Realschule in Aschersleben, zum ord. Lehrer am Gymn. zu Dortmund ern. Sauyin, Lehrer, als proyisor. Lehrer der französischen Sprache am Johanneum zu Lüneburg angest. Schädel, Dr, Rector am Gymn. zu Stade, in gleicher Eigenschaft an das Pädagogium in Ilefeld yers. Scheller, Dr, Collaborator, zum Lehrer der Mathematik und Naturwissenschaften am Progymn. in Eim- beck ern. Spandau, Dr C, SchAC, Assistent an der Studienanstalt in Regensburg, zum Studienlehrer an der das. lat. Schule befördert. Stepan, Joh., Suppl. am Gymn. zu Neusohl, zum wirkl. Lehrer an ders. Anstalt ernannt. Stisser, Collaborator am Lyceum zu Han- nover, zum Oberlehrer ern. Yelsen, Dr von, SchAC, als Adiunot an der Ritterakademie in Brandenburg angest. Vetter, O. J., SchAC, all Adiunct am Pädagogium zu Puttbus angest. Winkelmann, C. A., SchAC, als provis. Collaborator am Johanneum in Lüneburg angest.

Praediciertt

Piegsa, Dr, Oberlehrer am Gymn. zu Ostrowo, als Professor. Witte, Dr K., Prof. in der iurist. Facultät an der Univ. zu Halle, als Geh. Justizrath.

PensloBiertt

Clottu, Prof. am Johanneum zu Lüneburg.

Gestorben t

Am 27. Jan. zu Teschen Em. Leonh. Wiener, Prof. am das. kk. evangelischen Gymn., 46 J. alt (geb. zu Riga). Am 5. März zu Bre- genz der pens. Prof. Faustin Enns im 77. Lebdisj. Am 7. März ■a Bologna Lucchesini, Prof. der Homiletik an der das. Univ., 72 J. alt. -^ Am 9. März zu Wien, Dr Ferd. Kornitzer, Assistent der

396 Personalnotisen.

Lehrkanzel für Anatomie, 27 J. alt, bekannt durch seine Unterraohim* gen über den Herzschlag. -* Am 11. März za Wien P. ÜÖl. Keppler, emer. Prof. 4er Religionsw. an d. Univ., im 75. Lebensj. -^ Am 15. Mttn in Petersburg Prof. Ossip Jwano witsch Senkoffski, Docent der arabischen Sprache an der das. Univ., im 58. Lebensj.— An demselben Tage zu Kairo der tüchtige Naturforscher Drvon Neimans aus Bay- reuth, in Begriff nach Wada'i Yorzudringen , um über Dr Vogels Schick- sal GewiszheiVzu erlangen. Am 17. März in Prag P. Frz Schnei- der, Dir. der deutschen Oberrealschule, geb. 1. Oct. 1794. Am 24. März in Ellagenfurt der Lycealbibliothekar Pet. Alcant. Bndik, geb. 18. Oct. 1702 in Mähren. Am 25. März in Prag Frz Mühlwenzelj Prof. am K^einseitner Gymn. An dems. Tage zu Teschen Dr £. Plu- car, Prof. am das. evang. Qymnasium. Am 6. April zu Hermann- Stadt Jos. y. Scharenberg, Präsident des evang. Oberconsistorinms. Am 13. April zu Prag Rozum, Lehrer der böhm. Sprache u. Heraus- geber der altböhmischen Bibliothek. Am 8. Mai in Greifswald d. ord. Prof. d. Philosophie an* der das. Univ., DrE. Stiedenroth, im 04. Lebensj. An dems. Tage in Frankfurt a. M. der Prof. am Gymnasium Ludw. Scholl, 53 Jahr alt. Am 10. Mai in Darmstadt der ausge- zeichnete Förderer des Turnwesens, Oberstndiendirectionsassessor Ado. Spiesz, 49 J. fJt. Am 17. Mai in Zittau der Gymnasiallehrer £. Lange, im 58. Lebensj. An dems. Tage in Berlin der Geh. Med.-B. und Prof. der Anatomie Dr Schlemm. Am 19. Mai in Halle der Universitätsmusikdirector Dr Job. Frdr. Naue, geb. 1790. Am 4. Juni in Heidelberg der ord. Prof. der Geschichte an der das. Univ. Dr Kor tum, geb. 1789 zu Eichhoff in Mecklenburg-Strelitz.

Rechtfertigung.

Herr Director Dr Piderit hat im Februarheft dieser Zeitschrift, das ich erst vor kurzem las, eine Broschüre von mir *zur Gymnasial- reformfrage' besprochen, zu deren näherem Verständnis ich noch fol- gendes hinzuzusetzen mich verpflichtet fühle.

Zunächst musz ich der Annahme begegnen, dasz mir das Frans5- sische durchaus verhaszt wäre- Es war die Sprache meiner Vorfahren; ich habe mich fortwährend praktisch und wissenschaftlich darin ausge- bildet; ich unterrichte darin in einer Stadt, die mehr als jede andere in Eurhessen Werth darauf legt; ich kann mit meinem Erfolge zufrieden sein, und gerade jetzt, wo meine Broschüre selbst von vielen Schülern gelesen ist , mehr als früher ; solche , die von anderen Gymnasien kamen, standen fast ohne Ausnahme den hiesigen nach. Man lege mir dies alt Anmaszung aus; ich suche gar keinen Ruhm darin.

Als ich das von Dr H. Thiersch veröffentlichte Gesuch um Ver- einfachung des Gymnasialunterrichtes zuerst sah, ergieng es mir wie gewis vielen CoUegen. Ich las zuerst die Aenderungsvorschläge , sie kamen mir unüberlegt und widersinnig vor und nahmen mich gegen das ganze ein. Erst als ich die vorausgeschickte Begründung einer genauen Erwägung unterwarf und meine Erfahrungen (nicht blos als Lehrer) hinzuzog, muste ich anerkennen, dasz die Bittschrift allerdings in vielen Punkten Recht hatte. Sind erhebliche Uebelstände vorhanden? Dies war die erste FragC , die ich mir vorlegte , und einen anderen Weg sehe ich nicht, wenn man die Sache nicht umgehen will. Ich fand die ver- schiedenen Uebelstände, die meine Schrift angibt. Eine Wideriegung

Rechtfertigung. 397

ist Ton keiner Seite erfolgt, nnr die YomdilSge zur Abhilfe wurden hier und da besritten; wer aber die Uebelstände einräumt und nur die Mittel zur Abstellung misbilligt, der musz (wenn er überhaupt dazu berufen ist , und das war jeder hessische Gymnasiallehrer) entweder auf andere Mittel sinnen oder beweisen , dasz eine Abstellung unmöglich ist. ' Meine zweite Frage war : worin haben die Uebelstände ihren Grund ? Denn wer ein Uebel heben will, musz Yor allen seinen Grund kennen. Mir schienen hauptsächlich drei Umstände von nachtheiligem Einflusz zu sein: der oft sehr starke Contrast zwischen Haupt- und Nebenfächern, die zu grosze Zahl der Gegenstände und der Umstand dasz manches über die Kräfte des Knaben hinausgehe. Daher meine Vorschläge: die Zahl der Lehigegenstände zu beschränken, die, welche in den oberen Klassen' bestehen bleiben (Griechisch, Lateinisch, Deutsch, Religion, Geschichte, Mathematik), als Hauptfächer einander gleich zu stellen, und dem, was der jugendlichen Faszungskraft nicht entspricht, einen einen andern Platz zu geben.

Das , was ich yon dem zuyielerlei und feinen schädlichen Folgen gesagt habe, ist nirgends widerlegt; ist aber die Prämisse richtig, so kann man dem Schlusz nicht ausweichen, dasz etwas wegfallen müsse. £s fragt sich also nur, was nothwendig, und was entbehrlich sei; das blos wünschenswerthe kann bei der hohen Aufgabe der Geistesbildung nicht in Betracht kommen. Mag man den Ausfall eines Fachs bedauern ; so lange man seine Nothwendigkeit nicht nachweist, ist sein bestehen nicht gerechtfertigt. Unsere früheren Ministerien haben auch manches beseitigt, was sehr wünschenswerth war, z. B. Englisch, ohne Zweifel nach dem ^atze, dasz von zwei Uebeln das kleinste zu wählen sei. Danach beurteile man, warum ich fdr die Ausscheidung des Französi- schen und der Physik stimmte. Kommt man zu dem Resultate, dasz statt ihrer etwas anderes wegfallen könnte , so habe ich nichts dagegen. Gienge es meinen Wünschen nach, so würde hinzugethan, nicht weg- genommen; aber höher steht das wahre gedeihen der Schule. Lieber weniges ordentlich als vieles stümperhaft !

- Für die 'Abschaffung des Französischen schien mir auszerdem noch der Umstand zu sprechen, dasz es bei der gedrückten Stellung, die es einmal haben musz, bei den Schülern zu keinem rechten Ansehen ge- langt, was doch zu den ersten Bedingungen gehört, dasz der Lehrer selbst dadurch gegen andere in Nachtheil kommt, und dasz die Kennt- nisse, die darin erworben werden, von keinem Belang sind. Die Schü- ler der oberen Klassen merken sehr wol, worauf es ankommt und wor- auf nicht, und richten danach ihre Aufmerksamkeit und ihren Fleisz ein. Die Schuld mag zum Theil auch an den Lehrern liegen, viel ändert das nicht an der Sache. Bei den besten wird wenig gelernt, bei den un- tüchtigen sehr wenig. Die französische Sprache ist eine der schwierig- sten unter den in Europa lebenden; nur die allernöthigste grammatische Sicherheit zu geben ist bei zwei wöchentlichen Lehr stunden kaum mög- lich; von Litteraturkenntnis kann keine Rede sein, yon sprechen noch weniger. Man frage sich doch nur ganz ehrlich, wie es mit den fran- zösischen Kenntnissen unserer Staatsdiener steht. Meiner Ansicht nach ist die Stellung, welche der französische Unterricht neben dem klassi- schen Sprachunterricht einnimmt, mit der Würde der Gymnasien nicht in Einklang.

Dem Gymnasium ist seine Zeit kostbar , alles entbehrliche musz dem wichtigeren weichen: dieser Gedanke bestimmte mich auch die Abschaf- fung eines Theils vom deutschen Unterrichte vorzuschlagen , nemlich der Leetüre in den unteren Klassen bis Tertia einschlieszlich , wofür dann der Geschichte mehr Stunden zugewiesen würden. Denn die deutsche Leetüre gibt wenig mehr, als die Schülerbibliothek gibt. Leseübungen

398 Entgegnung.

in Sexta und Orthogri^hie in Sexta und Quinta müssen natürlich blei« ben. Die deutschen Aufsätze können (Prima und Secunda ansgenonnnen) durch U^bersetzungen und geschichtliche Arbeiten ersetzt werden (sind ja auch oft nichts anderes), weil vollkommen dasselbe daduixh erreicht wird: denn das Knabenalter kann nur reproducieren.

Von meinem Vorschlage die Gegenstände mehr zu concentriereii und * die oberen von den unteren Klassen mehr zu scheiden schweigt das Re- ferat ganz. Mein Vorschlag geht dahin die Geographie und Naturge- schichte im Untergymnasium, das bis Untertertia etwa gienge, zu ab- solvieren, den biographischen Geschichtsunterricht auf Quarta zu con- centrieren, das Griechische erst im Obergymnasium mit gröszerer Stundenzahl zu beginnen. Tertia würde dann besser in zwei Klassen getrennt.

Im übrigen berufe ich mich auf das, was ich im letzten Absata meiner Broschüre sage, und wiederhole die Schluszworte : ^werden meine Voraussetzungen widerlegt, oder stehen meine Erfahrungen zu vereinzelt, so bescheide ich mich, dasz irren menschlich ist.' 'Erst die Voraussetzungen, dann die Vorschläge, das ist meine Logik. Was mich aber bewog die Ergebnisse gewissenhafter Erwägung kund zu thun , ohne die von mir Jahre lang gelehrten Fächer (Französisch und Deutsch) zu schonen, das war mein Pflichtgefühl.

Hanau im April. Reinhart Suekier,

Entgegnung.

Zu vorstehendem Aufsatz, den die Redaction dieser Section der Jahrbücher die Güte hatte mir vor dem Abdruck zu etwaiger Erwide- derung mitzutheilen , habe ich nur die Bitte hinzuzufügen, doch alles nur recht aufmerksam zu lesen und dabei die einzelnen Widerspruche nicht zu übersehen, an denen es auch hier nicht fehlt, z. B. oben: ^ich kann mit meinem Erfolge (im französischen Sprachunterricht) zufrieden sein', unten: ^die Kenntnisse, die darin erworben werden, sind von keinem Belang'. Wollte ich auf das einzelne näher eingehen , so müst« icH das früher von mir gesagte wiederholen, wie ja auch Dr Suchiers obige Exposition im wesentlichen nichts weiter als eine Wiederholung der in seiner Broschüre aufgestellten Behauptungen ist. Dessen kann ich mich aber um so eher überheben, als bereits von 'anderer Seite im Februarbeft der pädagogischen Revue gerade Suchiers Schrift (mit der Waitzfchen) gründlichst besprochen ist.

PideriU

Zweite Abtheilung

benKsgegebeii Ton RKdolph Dietsek.

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Ueber Lehrerbildung.

Bedürfte der Gegenstand, mit welchem sich die nachfolgendeu Seiten beschäftigen sollen, noch irgendwie des Nachweises dasz er eine ernste Prüfung verdiene, so wäre auf die Worte zu verweisen, die sich in Palmers anerkannt trefflicher Paedagogik (2. Auflage 485 f.) finden. Der zweite Haupttheil dieses Werkes handelt von dem evange- lischen Scbulamt; der dritte Abschnitt des zweiten Theiles ist über- schrieben: Lehrling, Gebülfe und Meister. Hier sagt nun Palmer für diejenigen welchen das Buch nicht zur Hand ist sei es erlaubt di€k Stelle hier mitzutbeilen folgendes :

^ Sehen wir uns zuvörderst nach dem gelehrten Schulwesen am, 80 finden wir in demselben so gut wie nichts' von solchem Slufengange, Diejenigen, welche nach Beendigung theologischer und philologischer Stadien in den Lehrstand eintreten^ erscheinen eigentlich sogleich alf Meister, d. h. der äuszern Stellung nach, wie denn auch der Hofmeister in Privatdiensten bereits den Meister in seinem Namen trägt. Brauchen etwa die gelehrten Lehrer nicht zuvor Lehrlinge zu sein? oder genügt es als Student im Hörsaal gesessen zu haben, um, nachdem man über Sophokles und Horaz lesen gehört, sofort auch selbst zu lehren? Ge- wis, es ist seltsam, dasz auf die formelle Vorbildung der VolksschaU lehrer so ungemein viel Fleisz verwendet wird, bei den gelehrten Schallehrern niemand hieran denkt. Denn auch die philologischen Vorlesungen sind nicht auf Beibringung des formell -paedagogischen berechnet. Es läszt sich allerdings sagen, dasz die philologische Bildung an sich selbst schon vieles in sich schliesze , was dem deut- schen Lehrer abgeht und darum anderweitig ihm ersetzt werden muss; aber dasz mit alle dem die Lehr- und Erziehungskunst noch nicht ge- hörig bedacht werde, das liegt sowol in seinen Ursachen als in seinen Fruchten klar vor Augen.'

Während es an Zusätzen und Aenderangen - in der 2n Auflage ionst nicht fehlt, ist die angeführte Stelle wörtlich so wieder abge-

rr. Jahrb. f. PM. «. Paed. Bd LXXYIII. Bft S. 27

400 Ueber Lehrerbildung.

drackt, wi% sie in der ersten Auflage (von 1853) stand. Der Verfassfir hat also keinen Grund gehabt sein kurzes und scharfes Urteil irgend- wie zu ändern. Man hätte von ihm erwarten dürfen da^/i er jedem Versuche eine so empfindliche Lücke in unserem Schulwesen zo er- gänzet! aufmerksam gefolgt wäre. Indes das ist wol nicht zu leugnen einer eingehenderen Behandlung wäre dieser Punkt wol werth gewesen , und wenn Palmer recht daran that seine Paedagögik nicht zu einer Schulkunde zu machen, wenn er mit gutem Vorbedacht die Behandlung mancher wichtigen Organisationsfrage ablehnte: hier wäre das hinausgehen über die Notierung eines bedeutungsvollen De^ ficils gewis sehr dankenswerth gewesen, hier hätte. es sich schon ge- lohnt auf Mittel uhd Wege zur Abhülfe hinzuweisen. Nun aber ist das nicht geschehen, und es. ist damit die Aufgabe gestellt diesen Gegen« stand einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen. Habe ich nun seil Jahren mich mit dieser Frage beschäftigt, auch schon bei anderen Ge- legenheiten diesen Punkt, wenn schon nicht eingehend, berührt, so darf ich wol versuchen eiiren kleinen Beitrag zur Lösung dieser Aufgabe darzubieten.

Offenbar sind zwei Fragen zu beantworten : einmal handelt es sich darum, ob Palmers Bemerkung und Tadel gegründet ist, und zweitens, wenn dies wirklich der Fall ist, wie sich eine genügende Abhülfe gewähren läszt.

I. Lehrling, Gehülfe, Meister. Palmer bezeichnet so die drei Hanptabstufungen im Lehramte, die naturgemäsze Gliederung des Stan- des. Und sind das nicht Stufen, die in jedem Berufe wiederkehren, er stehe nun hoch oder niedrig, erfordere mehr geistige oder mehr me- chanische Thätigkeit? Es ist ja nothwendig, dasz der Neuling in den Berufskreis, dem er angehören will, eingeführt werde, dasz er iha praktisch kennen lerne ; er wird ans einem zunächst mehr lernendetf altmählich ein mitausübender unter der Leitung eines andern nnd er- reicht zuletzt die wolverdiente Selbständigkeit der Ausübung, tritt wol auch an die Spitze eines engern Kreises in der Bernfsgenossen- schaft, Dasz nun ein solcher Stufengang in dem gelehrten Schulwesen (wir fassen es hier allgemein im Gegensatze znm Volksschnlwesen) ganz fehle, dasz sich von ihm *so gut wie nichts finde', auf den ersten Blick möchte das nicht zugegeben werden. Denn noch abgesehen da- von dasz zwischen dem untersten Lehrer an einem Gymnasium «nd dem Director doch gewis eine ansehnliche Kluft liegt, gibt es denn nicht Probecandidaten, d. h. geprüfte Lehramtscandidaten, die ein praktisches Probejahr bestehen? Sind* diese nicht den Lehrlingen ver- gleichbar, welche dann zu CoUaboratoren, Adjuncten, kurz zu GehQl- fen aufsteigen?

Aber dennoch lassen wir uns vom Schein nicht blenden! Der von der Universität eben entlassene Schulamtscandidat ist doch im Grunde nie ein Lehrling im Sinne Palmers. Wenn er auch nicht soforl zu voller Wirksamkeit gelangt ist doch überdies in manehen Ge- genden Deutschlands ein solcher Maugel an Schulamtscandidalen, dasi

Ueber Lehrerbildung. 40 t

oft genug von dem Probejahr mindestens zum Theii abgesehen werden miMX, so weit er praktisch wirksam wird, ist er do.ch selbständig. Unter den bestehenden Verhältnissen können die 4 & wöchentlichen Unterflchtsstunden , welche der zu approbierende Candida! ertheilt,^ Bicht als eine eigentliche Lehrprobe angesehen werden.

Aber selbst wenn dies der Fall wäre, was sicher nicht der Fall |8l (wir kommen darauf zurfick): wie steht denn der Candidat des Sehulants zur Schule? Man kann zumeist nur antworten: gar Bioht. Was ist für seine ^formelle Vorbildung' geschehen? So gut wie nichts, wird hier die Antwort lauten.

An Klagen über die jetzigen -Leistungen der Schulen fehlt es wahrlich nicht; wer paedagogische Schriften liest, hat MQhe nicht den Hat zu verlieren, dasz sich überhaupt noch was rechtes und gesundes erzielen lasse. Bald wird über Mangel an religiösem Sinn, bald über Mangel an Zucht, hier wiederum über Unzulänglichkeit der Methode, aber Zersplitterung, über StolTlichkeit, kurz über ungenügende geistige, sittliche, leibliche Entwicklung der Jugend geklagt. Und nicht am wenigsten leiden die höheren Schulen unter diesen Anklagen. Aller- dings fallt ein gutes Theil davon nicht auf die Schule, die sich ja nicht anszerhalb des ganzen Zeitlebens stellen kann und dessen Einflüsse, wol oder übel , über sich ergehen lassen musz. Wenn aber manche Ausstellungen ihren guten Grund haben, wenn sich an factischen Ver- hältnissen nachweisen läszt dasz wir bei aller höheren Ausbildung unseres Schulwesens doch in einzelnen Stücken gegen die früheren larflckbleiben : dann, meine ich, sollte man sich zu allererst ernstlich darum bekümmern, wie es denn mit der Lehrerbildung ausserhe^ Und gewis, Palmer hat recht: so viel für die Bildung der Volksschul- lehrer geschieht, so wenig geschieht für den höheren Lehrstand. Ja man kann mit gutem Gewissen sagen: dort geschieht zu viel, so dasz sieh allgemach die Methodik geradezu verkünstelt, hier aber zuwe- nig, und selbst das ist noch ein Euphemismus.

An Gelegenheit zu wissenschaftlicher Ausbildung fehlt es ttiohl: in dieser Beziehung bieten die zahlreichen Hochschulen Deutsch- lands gewis alles , was der Lehrerstand zu begehren hat. Wenn sich aneh nicht jederzeit jedes wissenschaftliche Gebiet auf der einzelnen Universität in völlig ausreichender Weise vertreten findet, so hat sich theils der Besuch anderer Hochschulen gegen früher erleichtert, theils iyt die wissenschaftliche Litteratur «o reichhaltig und zugänglich, dasz durch das Selbststudium solche Mängel nahezu ausgeglichen werden können.

Aber berücksichtigt die Universität das Bedürfnis des künftigen Lehrers? Kann der Student der Philologie, der Geschichte, der Ma- thematik, der Naturwissenschaft sich auf seinen Lebensbernf vorbereiten, wenn er den^ Schulamte sich zu widmen entschlossen ist? Das läszt sich doch nur verneinen. Er hört Cöllegien, wird Mitglied wissenschaftlicher Seminarien, studiert für sich das alles hat fast nur 3oiag auf seine wissenschaftliche Ausbildung, nicht auf die Sohule.

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402 Ueber Lehrerbildung.

Man dürfte aber nicht antworten, dasz es die Hochschale äbct- hanpt nur darauf abgesehen habe, die wissenschaftliche Vorbil- dung zu vermitteln. Der Theolog hört ja nicht blos Vorlesungen über Exegese, Dogmatik, Kirchengeschichte usw., sondern es gibt auch eine Professur der praktischen Theologie, und kann er nicht in aU& pastorale Functionen praktisch eingeführt werden, er lernt sie doch kennen, er lernt doch eine Predigt machen und halten uud darf sich^ darin unter den Augen und unter der Leitung seines Lehrers üben. Und wie steht erst bei dem Mediciner seine akademische Studienzeit in engster Verbindung mit der Uebung! Vielleicht läszt sich da» bei dem Juristen weniger nachweisen, aber ist nicht längst darauf hin- gezeigt worden, wie gerade hier die Studienzeit oft die Zeit de» nichtstudierens ist? wie der Hauptgewinn oft genug aus den Zeitea nach der Universität, aus der Priixis gezogen wird? Diese That- sache läszt die Vermutung zu, dasz der Studiengang der Juristen eina aufmerksame Revision recht gut vertragen möchte. '

Bei Theologen, Medicinern, Juristen sehen wir übrigens, dass. sie vor dem Eintritt ins volle praktische Leben schon in Ansehung der Prüfungen mehrere Stufen zu überschreiten haben. Der Jurist hat nach bestandener akademischer Prüfung in eine vorbereitende Praxia einzutreten, an welche sich eine zweite Prüfung anschlieszt: der Me- diciner besieht erst nach dem philosophicum sein eigentliches rigoro- sum, der Theolog wird erst Candidat der Theologie und dann Candidal des Predigtamtes.

Und der wissenschaftliche Lehrer? Der Philolog, Historiker^ Mathematiker? Was Prüfungen betrifft ist er freilich besser daran: für ihn ist die wissenschaftliche zugleich die praktische. Wer wollte ihm das nicht von Herzen gönnen in dieser Zeit der Prüfungen? Und doch ist's eher ein Unglück für ihn wie für die Schule, und manch» Unzulänglichkeiten und bedrohliche Misstände sind daraus abculeiten«. Ja wenn man überhaupt von dem Schulamtsexamen abgesehen hätte 1 Aber während man auf der einen Seite durch diese Prüfungen der Schule die freiere Wahl von geeigneten Persönlichkeiten nahm, zu- gleich die ^tudierendep in einer freieren Bewegung innerhalb der Studiengebiete beschränkte, während man einen bestimmten Qualifica- tionsnachweis als conditio sine qua non setzte, übersah man die eine Seite der Sache, und zwar die wich tigste.

Denn wie hoch auch immer zumal für höhere Schulen die wissenschaftliche Tüchtigkeit des Lehrers stehen möge, sie ist doca nur die eine Seite der Sache. Das wissen ist noch nicht das kön- nen, die Wissenschaft ist nicht die Schule, ja selbst die Gabe der Auseinandersetzung und des Vortrages ist lange nicht die Kunst des Unterrichts. Und wie wenig steht nun gar jene scientifische Quali- fication mit der eigentlichen Grundaufgabe aller Schulen, mit der Er-r Ziehung, in Zusammenhang!

Nun ist ja an den meisten Universitäten eine Professur der Pae« dagogik: auch findet wol bei den Prüfungen die Paedagogik Berttck-.

Ueber Lehrerbildung. 403

iiBhllgaDg. Wenn man aber die Sache näher ansieht, so werden (heils die paedagogischen Collegien verhältnismfiszig wenig besacht, theils kaben sie es mehr mit der Wissenschaft, mit dem System za thiin. Selten ist der akademische Lehrer zugleich praktischer Schulmann, ieltener noch ist ihm die Alöglichkeit gegeben seinen Vorlesungen eine praktische Bedeutung zu geben , die Uebung an die Regel zu kflflpfen, die Lehre am Beispiel zu versinnlichen. Wenn einige wenige Aosnahmen abgerechnet werden, so laszt sich wol behaupten: die Paedagogik spielt auf den Universitäten aus innern und äuszern Grün^ 4en eine nur secundäre Rolle.

Ferner können auch nicht die philologischen, mathematisclien, Iriatorischen Seminare als Vorbereitungsanstalten auf die Lehre r- Ihitigkeit des Seminaristen angesehen werden. Ausnahmen sind hier Bar die an einigen Orten (wie z. B. Berlin und Stettin) bestehenden, wo die Mitglieder ausdrücklich zu praktischer UnterrichtsQbung ver- pflichtet sind. Das sind aber Seminarien für Candidaten, nicht für Siodenten. In den eigentlichen akademischen Seminarien handelt ea sich um die Wissenschaft und um wissenschaftliche Methode. Das iai gewis noihwendig und heilsam, aber die wissenschaftliche und die Sehulmethode, das sind zwei Dinge, <Iie sich oft diametral entgegen- gesetzt sind.

So scheint denn dte Schule dasjenige Gebiet, auf welches die Vaiversitat die geringste Rücksicht nimmt; wo aber Rücksicht genom- Buen wird handelt es sich am wenigsten um das, worauf es in der Schule am meisten ankommt. Und wie die Dinge jetzt stehen , ist das ganz natürlich. Ist^s nicht der seltenste Fall , dasz die Universitats- professoren* vorher längere Zeit an Gymnasien oder anderen Schulan- alalten wirkten? Das akademische und das Schullehramt sind zwei YOllig geschiedene Berufszweige geworden. Sie vereinigen sich wol in dem allgemeinen Berufe des Lehrers und Bildners der Jugend, aber diese Einheit ist mehr ideell als wirklich. Vielleicht hängt es damit feaaammen, dasz das paedagogische Element auf den Universitäten mehr mid mehr in den Hintergrund gedrängt und dadurch der Charakter der Seh nie, wa» doch auch die Hochschule bleiben soll, so verwischt worden, dasz man in der That versucht sein könnte zu fragen, ob das mehr eine nolhwendige innere Fortentwicklung der Universitäts- idee sei oder ein Abfall von dieser. Aber lassen wir das jetzt bei Seite liegen und begnügen uns zu behaupten, dasz wer Docent und wer Lehrer werden will, sich jetzt früh entscheidet und in der That 4rüh entscheiden musz. Es kommt wol vor, dasz jüngere Männer erat eine Zeit lang an einer Schule wirken, ehe sie sich habilitieren. Aber ist^s nicht öfter nur die bittere Nothwendigkeit zuerst ein siche- res, wenn auch knappes Auskommen zu suchen, die sie zwingt den entscheidenden Schritt zu vertagen? Ist es ein volles ergreifen einea innerlich mit vollem Bewuslscin gewühlten Berufes? Bisweilen treten wol auch jüngere, seltener noch ältere akademische Lehrer zum SchuUebramt aber: unter manchen Motiven ist eins greifbar genng,

404 Ueber Lehrerbildung.

wenn man an die schmalen Besoldungen der extraordinarii and an dis Privatdocententhum denkt. Der umgekehrte Schritt findel wol auch statt, und wenn man manche Ausnahmen gern gelten Ifiszt, so ist es doch im ganzen nur der Ausdruck davon , dasz die betreffenden nehr der Wissenschaft als der Schule angehören wollten, oder auch wol, dasi sie das rechte Verhältnis zu derselben nicht zu finden vermochten.

Und wje es jetzt in der Wissenschaft steht, w&re es eine sehr unberechtigte Zumutung, wollte man dem akademischen Lehrer eine längere Schulthäligkeit und darauf gegründete praktische Schulerfab- rung als Bedingung auferlegen. Wissenschaft und Universität würden darunter leiden. Ja selbst eine allseitige stete Beziehung der wissen- schaftlichen Unterweisung auf Paedagogik und Schule wäre nicht zu ertragen.

Aber das steht wol fest: es findet sich nichts, worin eine Sorge der Universität für das höhere Schulwesen läge. Selbst was vom pae- dagogischen Lehrstuhl aus geschieht, ist in der Regel für den specielien Zweck unzureichend, da das paedagogische Syste^m erst dannufttst, wenn ein leidliches Quantum an Erfahrung gewonnen ist oder Bin» destens die Gelegenheit Erfahrung zu sammeln ihm zur Seite sieht.

Welche Folgen das hat, F^almer deutet es nur an: vielleiehl iai ein Comroentar zu seinen Worten nicht überflüssig.

Mich dünkt es lasse sich schon behaupten, dasz gerade darin das sogenannte höhere Lehrfach hinter dem elementaren Lehrfache larftck- stebe^ dasz das erstere in der Regel nicht um seiner selbst und des Ber'ufes willen, sondern wegen seines specielleren Lehrinhaltes er- griffen wird. Der Philolog z. B. wird in der Regel nicht Philologi um Schulmann zu wer(len, sondern Schulmann, weil er Philo- log geworden ist; mit andern Disciplinen ^ird-s nicht viel anders sein. Bei der groszen Mehrzahl ist es nicht die Schule, die sie si- eben, sondern die Wissenschaft: das liatflrliche und ersprieszliehe Verhältnis ist auf den Kopf gestellt. Wie viele Lehrer an höherei Schulanstalten würden wol eine Stellung von sich weisen, die ihnen gestattete ihren wissenschaftlichen Studien und Neigungen, ungehiodert durch ein Schulamt, leben zu können! Und nähme man auch nur die Minderzahl an: für die Schule wäre auch eine ansehnliche Hinoriiät noch viel zu viel.

Es erscheint wol als völlig sachgemäsz, dasz dem die Universitit besuchenden Jüngling zuerst sein wissenschaftliches Ziel vor Aogei trete, dasz er diesem mit Kraft und Liebe zustrebe; ja mehr BOch,,es wäre ein Unwesen , wenn der angehende Jurist schon an die kanflig% advocatorische Praxis oder eine bestimmte Branche des Staatsdienstes dächte, wenn der Philolog über seine ersten wissenschaftlichen Spraoli- und Alterthumsstudien nach seiner künftigen Quinta und Quarta schielte. Es gilt vor allem das Rüstzeug zu erwerben: das mnsz die erste Alf- gäbe sein.

Aber demnächst wäre es doch nöthig, den studierenden allmählich auf das hinzuweisen und an das heranzuführen, was er im Leben

lieber Lehrerbildang. 405

sein soll. Ist die Erwerbung des Wissens das erste, so ist doch f ewis aach die Frage nach dem können etwas werth. Diese aber wird nar dann beantwortet, wenn man die Stellang der Wissenschaft sar Schale und in der Schule, die Schule selbst, ihr Wesen, ihre Aufgabe lam Bewustsein bringt. Es ist somit zunächst Gelegenheit zn geben, dasz sich ein paedagogisches Interesse da entwickle wo es noch nicht vorhanden ist, dasz es genährt und gehoben weAe wo es schon da ist. Durch die a u s s c h 1 i e s z 1 i c h e Hingabe an die Wissenschaft, bei welcher der küuflige Lebensberuf weit weniger Lebenszweck als Mittel.zur äuszern Existenz scheint, kann es nicht bewirkt werden. Ist daher nicht anzunehmen, dasz Begeisterung für Schule und Lehramt selbst von denen mit auf die Universität gebracht wurde, welche recht wol voraus wüsten dasz sie später Lehrer werden würden , so musz Gelegenheit geboten werden, dasz solche Liebe und Begeisterung noch erwachse und gedeihe.

So bleibt also den studierenden in der Regel die Schule eine terra incognita. Die Paedagogik als Wissenschaft wird sie schwerlich ge« winnen, weil sie als System nur den anzieht, der im Grunde schon angezogen ist. Auch werden die Studenten gewöhnlich einen ge- wissen Hochmut mitbringen, eine souveräne Verachtung der Schul- wissenschaft. Sie kommen ja eben von der Schule, und ein ab- gehender Primaner wird gewis, so wenig er vielleicht sonst versteht, das Lehrercollegium seiner Schule zu kritisieren verstehen. Da hat er ja seine Schulkunde und sein paedagogisches Programm : so lehren wie es die Lehrer gemacht haben, die ihm zusagten, und die Art und Weise der andern vermeiden. Das liesze sich noch hören, wenn das Urteil des 18jährigen Menschen zufällig den Nagel auf den Kopf trifft: aber nicht selten gestalten sich solche Jugendurteile im Laufe der Zeit gewaltig um. Und wie dann?

Allein was die Hauptsache ist zu einer so tief greifenden, so ins Leben der Nation einschneidenden Berufsthätigkeit, wie die des Leh- rers ist, musz ein tief innerliches Verhältnis gewonnen werden, und dessen Erwerbung ist nicht so ganz und gar preiszugeben. Ein soU dies kann der Student nach Ablauf seiner Studienzeit nicht wol ge- wonnen haben. Er mag in seiner Wissenschaft recht tüchtig gewor- den, mag kenntnisreich und vielseitig gebildet sein, mag die besten ftesnltate für die Zukunft versprechen : wie er sich zu seinem Berufe Verhalten werde, dafür liegen in dem Examen, er mag es noch so glänzend bestehen, keine nur einigermaszen genügende Garantien vor. Zwar wird ein^ ^praktische Lehrprobe' hie und da abgenommen , aber was will diese besagen, da damit kaum der Anlage, so zu sagen, auf den Zahn gefühlt werden kann. Es genügt der eine Grund dagegen: dasz man nicht Ansprüche an praktisches Geschick machen kann, wenn vorher noch keine Gelegenheit geboten war der Praxis nahe zu treten. Andere wol nicht ungegründete Bedenken können hier auf sich beruhen.

Es ist also auch dem Schulamtscandidaten die Schule eine terra incognita. Wie anders bei den Candidaten der Theologie ! Der

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r

hat gepredigt ; dem ist anch gelehrt worden was es aaf sich habe init- Kirche und Kirchenamt, mit Lehrer und Seelsorger, und doch ist er noch kein Candidat des Predigtamtes. Jenen dagegen ward mit dem Nachweis des wissenschaftlichen Besitzes die Anwartschaft auf das Lehramt der Schule. Aber was diese sei und sein solle, was die Wirksamkeit des Lehrers zu bedeuten habe, insbesondere wie alle Schale und wozu sie zu erziehen habe das sind Dinge , auf die er nun erst sein Augenmerk richtet. Vielleicht auch nicht. Denn es ist ja eine bekannte Thatsache, dasz gerade im höheren Lehrstanda eine doch nur zum kleinen Theil motivierte Abneigung gegen alles herscht was Paedagogik ist und heiszt. Vielleicht habe ich ein Stück Commentar zu dieser Thalsache gegeben.

Nun mag das in manchen Ländern eingerichtete Probejahr sein bestehen der Einsicht verdanken, dasz doch irgend etwas geschehen müsse, um die praktische Fähigkeit des Candidaten zu coastatieren. Aber ist^s denn ausreichend? Wird nicht zu viel vorausgesetzt? Wird nicht mindestens angenommen , dasz der angehende Lehrer ein allge« meines Verständnis seiner Aufgabe, ein inneres und äuszeres Verhilt- nis zu seinem Berufe gefunden habe? Ist das nicht häufig eine falsche Voraussetzung? Und gesetzt, sie sei berechtigt, reichen dann die 4 6 Stunden aus ein sicheres Urteil zu gewinnen? Ich musz anch das bezweifeln, wenn nicht von dem Schuldirigenten und andern Glie- dern des Collegiums ein nicht unbeträchtlicher Zeilaufwand beansprucht werden soll, was doch ohne weiteres kaum thunlich ist.

Aber freilich, obwol in allen Buchern zu lesen steht, dasE daa unterrichten gar schwer sei , so schwer dasz ein gewissenhafter Leh- rer sich seilen eine Stunde so recht zu Danke gebe vom erziehen noch gar nicht zu reden , in praxi hält man es für sehr leiAt. Macht doch der Lehrersland alltäglich aus den heterogensten Lebens- gebieten unfreiwillig^ Acquisitionen! Der Stundengeber sind ja wie Sand am Meere: man sollte sie nur nicht Lehrer nennen!

Wie stehen sich die höheren Schulen bei diesen Verhältnissen? Ich glaube nicht sonderlich. Die fortwährenden Klagen über nicht zn- reichende Leistungen-, der Vorwurf dasz unsere Schulen jetzt so selten ein rechtes Vechältnis zur Erziehungs aufgäbe gewinnen, zum Theil sind sie aus jenen Verhältnissen abzuleiten. Denn 'wie viele deutsche Gymnasial- und HealschuUehrer sind wol so glQcklicIi gewesen, in ihre erste amtliche Thätigkeil mehr mitzubringen , als ein tüchtiges wissen und guten Willen? Haben sie nicht in Unterrichtsmethode, in Uebnng der Disciplin, in ihrer erziehenden Wirksamkeit immer und immer wieder versuchen müssen? Gibt es nicht Unterrichtsstunden, die noch heute fast in aller Herrn Ländern wie eine Domäne für Experi- mentierer angesehen werden, wie etwa der Unterricht im Deutschen? Und das nicht blos, weil es damit ein eigen Ding ist und sehr ver- schiedene Ansichten cursieren , sondern auch, weil die meisten Lehrer nur dadurch an dieses Capitel kommen, dasz sie selbst solchen Unter- richt geben sollen. Unwissenheit in methodischen Fragen ist «twas

lieber Lehrerbildoog. 407

gewölinlicbes , eine nur instioctive oder auf einigen traditionell Ober-* kommenen Maximen ruhende Stellung zur Disciplin nicht minder, von der erziehenden Thütigkcit des Lehrers in höchstem und letztem Sinne BttD vollends zu geschweigen.

Durch die von dem üblichen Bildungsgange bedingte Stellnnga- losigkeit zu dem Lehrerbern fe arbeiten sich nun wol fortwahrend tflchtige strebsame Naturen glücklich hindurch. Aber alle diese wer- den willig Zeugnis geben , dasz sie sich eine Stellung lur Sache erst da erringen musten, wo sie dieselbe im Grunde schon einnehmen soll- ten, und sie werden es nicht verreden, dasz ihnen manche schwere Irrung und an welch kostbaren! Material werden die Irthümer be- gangen ! ^ füglich hätte erspart sein sollen. Andere arbeiten sich wol in eine Lehrpraxis ein und mit gutem Erfolge, aber das päda- gogische Interesse bleibt ihnen ein ferner liegendes. So wahr das ist, 80 gewis ists nicht ihre Schuld allein, wenn das Samenkorn nicht aufgeht, das nicht gesäet wurde. Noch andern bleibt selbst die Er- werbung eines partiellen Verhältnisses versagt. Mögen deren nur sehr wenige sein, so bleibt es doch traurig, wenn durch bestehende Ver- hiltnisse ein so unheilbarer Fehlgriff, wie eine falsche Berufswahl ist, erleichtert wird.

Nur noch ^in Wort sei gestattet! Auch auf dem Gebiete der Schule ist es rege und lebendig geworden von Mahnungen : das deut- iche Gewissen, das einen langen Schlummer nimmer vertragen konnte, apricht auch hier laut und vernehmlich. Allerlei Bekenntnisse sind gethan worden: jeder ernstdonkende weisz, wie bei vielem groszen und Forlschritt im Leben der Menschheit verkündenden doch auch an- derseits an den Grundfesten des deutschen Wesens in Kirche, Staat und Familie gerüttelt worden ist und noch gerüttelt wird, wie gar kostbare Güter ernstlich gefährdet sind> Auch die Schule hat Beichte gethan und thut sie noch: sie will ernstlich Hand anlegen, dasz ihrer- aeits das rechte zum guten Ende geschehe. Aber sie bedarf daza eines kräftigen Nachwuchses, sie braucht für ihre Erhaltung und Fort- entwicklung Lehrer, die mitten in ihr stehen, denen Schule und Er- Kiebnng ihr höchstes und einziges Berufsziel ist, die nicht blos Ge- lehrte sondern auch Paedagogen, nicht fertige, im System befangene oder in der Praxis festgefahrene, sondern strebende Männer sind, nicht Bfichermenschen, sondern Männer des Lebens und der That. Und solche kann sie sich nicht allein zuziehen, wie sehr sie immer die Praxis als die beste Schule aller Lehrer bezeichnen möge; sie darf bitten, fk for- dern, dasz ihrem Bedürfnis auch anderwärts Rechnung getragen werde. Der deutsche Lehrerstand selbst, gewis ein hochachtungswerther Stand im deutschen Volke, hat ein Anrecht auf solche Fürsorge.

II. Wenn jemand Mängel aufzudecken oder Bedürfnisse darzulegen anternimmt, so verlangt man von ihm gemeiniglich auch Vorschläge, wie jene beseitigt, diese befriedigt werden können. Dürfte ich mich nun in diesem Falle wol von solcher Verpflichtung lossagen, da gewis die obersten Scbulbehörden, wenn sie einmal Mangel und Bedürfnis

,408 Ueber Lehrerbilduiig.

erkannt, die besten Wege der Abhälfe finden werden: so will iek doch einige Andeutungen hinzufügen , die eben nur aU Anregungen gelten sollen.

Zunächst fragt es sich, was wol von der Universität sn fordern sei, wie sie ihre unzweifelhafte Pflicht, auf die Berufsbildung des höheren Lehrstandes mit Bedacht zu nehmen, am zweckmäszigsten er- füllen könne. Zu diesem £nde müste wol vor allem die Paede gogik in möglichst tüchtiger Weise vertreten sein , nicht blos durch theolo- gische und philosophische Paedagogen oder paedagogische Philosophen, sondern auch denn das System darf der Universität nicht fremd bleiben durch Mfinner von längerer praktischer Erfahrung, und zwar gerade in den Lehrgebieten, für welche auf der Hochschule die Vorbildung gesucht zu werden pflegt. Der Lectiouskatalog dürfte einen reicheren Inhalt in Bezug auf paedagogische Collegien bieten, als dies bisher der Fall war: Vorlesungen wie Schulkunde, Geschichte der Paedagogik, Gymnasialpaedagogik usw. sollten nicht fehlen. Dasi in dieser Beziehung bereits auf einzelnen Hochschulen das nöthigste geschieht ist gern zuzugestehen, aber es ist Ausnahme, nicht RegeL Dasz man anderseits die Verpflichtung fühlt, für die Bildung der Leh- rer mehr zu thun als bisher, beweist, um nur ^in Beispiel anzuführen, die Berufung Sauppes von der Direction des Gymnasiums in Weimar auf den Lehrstuhl der Philologie in Göttingen.

Ein groszes Gewicht aber würde ich auf die Gründung und zweck- mäszige Einrichtung paedagogischer Seminarien legen. Diese könnten vielleicht in mehrere Sectionen zerfallen, von denen jede diejenigen Lehrgebiete umfaszte, welche in der Lehrpraxis zumeist von Einern Lehrer vertreten zu werden pflegen. Hier müste aber durchaus mit der methodischen und sonstigen theoretischen Unterweisung die Ge- legenheit zu eigenerUebung gegeben werden. Wie das am ge- eignetsten geschehen werde, ist freilich eine nicht so leicht zu beant- wortende Frage. Aber man halte nur daran fest, dasz die Universität nur für die Ausübung. des Berufes befähigen will, dasz sie ' niemals schon in denselben hineinstellt: die Seminarpraxis wird noch eine beschränkte bleiben müssen und kaum so complicier- ter Veranstaltungen bedürfen, wie etwa eine vollständige Seminar- schule wäre.

Unter dieser Voraussetzung gewinnt das Universitätsleben für den sich zum Schulamt vorbereitenden einen ganz anderen Inhalt, eine höhert Bedeutung. Der künftige Lehrer und Erzieher findet frühzeitig Anlasz und Gelegenheit, sich mit seiner Lebensaufgabe vertraut zn machen, und seine Studien, denen nichts abgebrochen werden soll, in die richtige Beziehung dazu zu setzen. Damit gewinnt auch eine paedagogische und praktische Prüfung ein anderes Ansehen und We- sen: sie hat auf factischen Voraussetzungen zu fuszen. Es handelt sich nun nicht blos um die Prüfung des jungen Gelehrten, sondern anch des jungen Paedagogen.

Ob aber damit alles geschehen ist? Vielleicht könnte man dabei

Ueber Lehrerbildang. 409

stehen bleiben. Vielleicht liesze sich auch noch ein Schritt thnn, wenn man einzelne Gymnasien nnd Realschulen mit praktischen Leh- rerseminarien verbände and das Probejahr in 1 2 Seminarjahre ver- wandelte. Meines'wissens befinden sich bereits in einigen preuszischen Städten solche Anstalten, die bei weiterer Realisierung des zu Grunde liegenden Principes gewis vorzfigliches leisten würden und die sieh sicher in allen Provinzen herstellen lieszen. Auch Sachsen w&rde dnrch solche Masznahmen gewinnen: jungen Lehrern aber sicher (wenn anders die Seminarien mit Stipendien dotiert würden) damit ein über- aus wichtiger Dienst geleistet werden.

Doch genug. Wird das Bedürfnis erst recht lebhaft erkannt, so wird es an Abhülfe und Fürsorge nicht fehlen, die ja in Deutschland, Gott sei Dank ! dem Schulwesen nicht entgeht. Freilich scheint es wunder- bar, dasz ein solches Misverhaltnis nicht längst GegensTand ernstlicher Erwägung geworden ist : aber auch das ist wol erklärlich. Qenn erst in neuester Zeit ist man auch an das höhere Schulwesen wieder in einer auf den Grund dringenden Weise herangetreten und hat Gesichts- punkte theils gefunden, theils erneuert, die in den Strömungen der letzten Vergangenheit zurückgedrängt waren. Die Erkenntnis des hier erörterten Bedürfnisses ist lediglich eine Consequenz dieser Be- strebungen. Von seiner Befriedigung darf sich das höhere Schulwe- sen die wesentlichsten Vorlheile versprechen; nur darf nicht ein Um- schlag ins Extrem stattfinden. Denn würde der wissenschaftlichen Tüchtigkeit der Lehrer zu Gunsten ihrer paedagogischen Ausbildung Abbruch gethan , so könnte das höhere Schulwesen leicht in die Lage der Elementarschule geratheu, in der die Theoriensucht die seltsam- sten Dinge zu Tage fördert. Das soll aber nicht sein; hier schlieszt ja das eine das andere nicht aus. Ein tüchtiger Schulmann kann da- bei doch das reichste Masz wissenschaftlicher Bildung besitzen; ja mehr noch , seine Tüchtigkeit beruht mit auf diesem Besitze. Auf der andern Seite aber macht jene Wissenschaftlichkeit noch nicht ^en Lehrer, selbst die Lehrgabe noch nicht den Schulmann. Eine Zeit wie die unsrige bedarf solcher : hat sie deren noch genug, so darf sie sich nicht der Sorge für die Zukunft überhoben erachten. Der Staat aber hat die Pflicht sich, so weit es thunlich, die Garantie zu ver- schaffen, dasz das Schulwesen sich in gedeihlicher Weise fortent- wickle.

Frankfurt a. Main. Fr, Paldatnus,

Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, statistische Notizen, Anzeigen von Programmen.

Altenburq.] Nachdem vom dasigen Friedrichs-Gjmnasiam der Prof. Dr Frz Herrn. Reinh. Frank einem Rufe an die UniversitUt zu Er-

410 Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, Statist. Notisei«

langen gefolgt, der Prof. Dr Joh. Heinr. Apetz aber aib 8. NoT^

1857 gestorben war, warden an die Stelle des ersteren Dr Kluge, vor- her Katechet und Walsenhauslehrer in Leipzig und eben zum Lehrer am SchuUehrerseminar in Altenburg .designiert, an die Stelle des letzte- ren aber der Oberlehrer am Paedagogfium zu Halle, JDr Herrn. Garcke, berufen. Das Lehrercollegium besteht demnach gegenwärtig auszer dem Dir. Schulrath Dr H. E. Foss aus den Proff. Zetzsche, Lorenta, Braun, Köhler, Dr Garcke, den ord. Lehrern Dr Sehrwald und Dr Kluge, dem Zeichenlehrer Prof. Dietrich, Gesanglehrer Cantor Gerbei: und Schreiblehrer Gerth. Die Schülerzahl betrug am Schlüsse des Schuljahres 1856—57 136, Ostern 1858 122 (Sei. 27, I 28, 11* 31, IIb 19^ XX c X7), Abiturienten pätern 1858 14 nebst 3 auswärtigen. 'Den Schulnachrichten voraus geht eine Abhandlung desDr Christi. Fried r. Sehrwald: de iribus Horaiii carminibus (2(^ S. 4). Dasz bei der Er- klärung der lyrischen Gedichte des Horatius alles darauf ankomme Zeit, Ort und Veranlassung zu jedem einzelnen zu kennen, darüber ist jeder- mann eben so sehr einverstanden, wie darüber dasz wir oft jedes festen Anhaltpiinktes ermangeln. Wie indes durch vertiefen in den Inhalt und Erwägung der Ueb erlief erungen man doch bei manchem zu einem wahr- scheinlichen Resultate gelaugten könne, davon hat der Hr Verf. der vor- liegenden Abhandlung eine Probe gegeben. Werden auch viele Punkte- nicht für alle die überzeugende Kraft haben, wie für den Urn Verf. selbst, wird man auch manche dabei nothwendig auftauchende allge- meine Frage, wie z. B. die über die Abfassungszeit der Oden überhaupt, zu einem festeren Abschlusz gebracht zu sehen wünschen, ehe man sich alles einzelne aufgestellte vollständig aneignen kann, ja wird man auch die Zurückweisung mancher Ansichteh anderer Kritiker, z. B. Lach- roanns S. 8, etwas zu wenig eingehend finden, so wird man doch der Methode des Hm Verf., der Vertrautheit mit dem Dichter und der fcharfsinnigen Würdigung der Poesie überhaupt nicht Beifall versagen und die Abhandlung als einen beachtenswerthen Beitrag zur Erklärung^ des Horatius anerkennen. Die behandelten Gedichte sind: Od. I 26, das als ein Gratulationsgedicht an den jüngeren Aelius Lamia bei An- nahme der toga virilis dargestellt wird; I 34, in welchem der Hr Verf. eine Allegorie und den Ausdruck der Reue über die Abweichung von den durch seinen Vater ihm eingepflanzten politischen und religiösen Grundsätzen findet (die Conjectur Tartari für Taenari Vs 10 hat doch msSche Bedenken); endlich I 3, welches in zwei selbständige Gedichte

1 8 und 9 40 zerlegt wird; als Veranlassung su dem letzteren wird der Ueberdrusz am politisch thätigen Leben betrachtet, und um die Strophe 17 20 gegen Peerlkamp und Meineke zu retten, die Vermutung geäuszert, dasz Horatius bei einer Fahrt auf dem Meere (der Rück- kehr von Philippi) in dortiger Gegend in groszer Gefahr geschwebt habe. Mögen diese Zeilen dazu beitragen die Aufmerksamkeit tieferer Kenner des Dichters auf die Abhandlung zu lenken. R, D,

Arnstadt.] Nachdem der Oberlehrer Ho seh ke vom dasigen Gym-' nasium , um die Leitung einer neuen Töchter- und Realschule zu über- « nehmen, geschieden und der Candidat des höheren Schulamts A. J. Falke an seine Stelle ernannt worden war, bestand das Lehrerkollegium Ostern

1858 aus dem Dir. Dr Pabst, den Professoren Dr Braunhard und Uhlworm, dem Oberlehrer Hallenslcben, den Collaboratoren Wal- ther, Einert und Falcke, dem Prof. Döbling, Cantor Stade, Zeichen- und Schreiblehrer Wiessner. Die Schülerzabl betrug am Schlüsse des Schuljahres 04 (I 7, II 5, III 12, IV 15, V 25). Abiturien- ten 3. Den Schulnachrichteu ist vorausgestellt ein Vortrag des Colla- borator Einert: über die hohe Bedeutung, welche die Groszlhaten Fried- richs II im siebenjährigen KHege, besonders sein Sieg bei Hoszbachy ftlr die

Beridita ttber gelehrte Anstalten, Verordnuilgen, Statist. Notizea« 411

Eniwiekltmg der deutschen LUteratur gehabt haben (25 S. 4). Die Dar* ttellang ist klar und fleiszig auf die Zeugnisse der Dichter und 8ohrift-> steller gestützt und erfüllt ihren Zweck in ansprechender Weise.

R.D. Bkaünsbebo.] Im September 185§ wurde Professor Braun, erster Oberlehrer am Gymnasium zu Culm, zum Director ernannt, der bis- herige dritte ordentliche Lehrer Häpele aber als dritter Oberlehrer an das Gymnasium zu Culm versetzt. In die durch die Versetzung des Oberlehrers Dr Weierstrasz (Prof. an dem königl. Gewerbe -Institut in Berlin) vacant gewordene erste ordentliche Lehrerstelle rückte der 2e ord. Lehrer Dr Funge; seine Stelle wurde Lindenblatt, bisher ordentlichem Lehrer am Gymnasium zu Conitz, verliehen. Der Schul> amtscandidat G a n d wurde zur aushülflieben Dienstleistung an das Gym- nasium zu Conitz geschickt; dagegen trat der Schulamtscandidat Brand, früher an dem Progymnasium zu Prüm beschäftigt, zur Aushülfe ein. Dem Oberlehrer Dr O tt o ist das Prädieat ^Professor' beigelegt worden. Seit Ostern 1857 ertheilte der Schulamtscandidat Rochel, welcher früher an dem Progymnasium zu Röszel beschäftigt war, Unter- richt am Gymnasium und übernahm später sämtliche Stunden des er- krankten Gymnasiallehrers Brandenburg. Das Lehrercollegium be- stand aus dem Director Prof. Braun, den Oberlehrern Dr Saage, Prof. Dr Otto, Kolberg, Wien, Religionslehrer, Dr Bender, den ordentlichen Lehrern Dr Funge, Lindenblaitt, Brandenburg, dem Wissenschaf tl. Hülfslehrer Dr Bludau, den Schulamtscandidaten Schütze, Brand, Rochel, dem technischen Hülfslehrer Roh de, dem Pfarrer Dr Herrmann, evangel. Religionslehrer. Schülerzahl 345 (I 45, II 61, III 86, IV 68, V 37, VI 48). Abiturienten zu Ostern 3. Zu der im Juli abzuhaltenden Maturitätsprüfung hatten sich 24 Abiturienten gemeldet. Nach Beendigung der schriftlichen Prüfung stellte sich heraus, dasz ein Unter- Secundaner vermittelst gewaltsamer Erbrechung einer verschlossenen Schublade und Oeffnung eines versiegelten Couverts sich die diesjährigen Prüfungsaufgaben verschafft und den Abiturienten ohne Veranlassung von ihrer Seite zugetragen hatte , und dasz dieselben von den Abiturienten mit Ausnahme eines einzigen benutzt worden waren. Es musten daher- 23 für den damaligen Termin von der Prüfung zurück- gewiesen werden. Den Schulnachrichten ist vorausgeschickt: tn'ssen^ Mchafiliche Abhandlung über Ursprung und Heimai der Franken, Vom Ober- lehrer Dr Bender (28 S. 4). Der Verf. hat zunächst die Ergebnisse der vielfachen Forschungen über die Anfänge der fränkischen Geschichte, wie sie gegenwärtig bei den ersten Geschichtsschreibern unserer Zeit als durchaus feststehend bezeichnet werden können, in folgenden Ausdrücken kurz zusammengefaszt: ^Dcr Name der Franken bezeichnet nicht ein neues, von anderswoher in die Gegenden, wo wir sie zuerst finden, herangezogenes Volk, sondern eine aus bekannten altgermanischen Stäm- men, welche von jeher dort heimisch gewesen, erwachsene Völkerver- bindnng. Es schieden sich aber die Franken in Salier und Ripuarier. Allmählich wurden alle Frankenstämme durch das Königsgeschlecht der Merowinger zu einer einigen Monarchie vereinigt. Die Merowinger sind aber ein salisches Herschergeschlecht, die Salier aber selbst nichts an- deres als mit verändertem Namen die (von Augnstus einst nach Gallien versetzten) Sigambrer.' Diese für die Frage über Ursprung und Heimat der Franken entscheidenden Sätze werden in vorliegender Abhandlimg einer prüfenden Beurteilung unterworfen. Um eine sichere Grundlage für die ganze Untersuchung zu gewinnen sucht der Verf. zuerst den Umfang des fränkischen Gebiets geographisch festzustellen, wobei dann schon vorweg namentlich die Frage Erledigung findet, in- wiefern die gäng und gäbe Eintheilung der Franken in Salier und

412 Berichte aber gelehrte Anstalten, VerordinnfeB, stetiet NoUmb.

Ripuarier ihre Berechtigangf habe. Ans der genauen Untersnehiuig ergibt sich, dass man der Eintheilan^ der Franken in Ripuarier und in Salier eine Bedeutsamkeit beigelegt hat, 'welche namentlich dem leiste- reu Namen nicht gebührt , dasz sie auch keineswegs ursprünglich ist, weil es schon Franken gab, eha sich bei gröszerer Aosdehnung ihrer Macht auf beiden Stromseiten jene Unterscheidung herausstellte, dass sie endlich für die Zeit, da manschen von Ripuariern sprechen darf, wiederum nicht erschöpfend ist, weil es ebenso alte Franken gab, welche man weder salisch noch ripuarisch nennen kann: dass also die fränki- schen Stämme vor ihrer Vereinigung zu ^iner Monarchie vielmehr in drei als in zwei Gruppen zerfallen, welche uns in der Zeit Attilas als solche entgegentreten. Der Verf. geht darauf vom Boden der ältesten, fränkischen Geschichte zu den Völkern über, welche unter diesem Na- men eine so bedeutende Stelle in der Weltgeschichte einnehmen , nm nunmehr die einzelnen Theile der oben stehenden Sätze näher zn be- trachten. Als Resultat der Untersiichung ergibt sich folgendes: *£in Theil des am Eingange zum Rheindelta seszhaften Chamayervolkes, welcher um die Ysscl wohnte , führte den speciellen Namen der Salier. Salier, Cbamaver und die benachbarten Tubanten bildeten mit anderen geographisch mit ihnen im Zusammenhange stehenden germanischen Völkern rechts und links vom Niederrheine (als Ampslvariem, Chatten, Sigambrem, auch Ubiern und Gnbernern Stämmen, welche, soweit sie innerhalb der alten kölnischen Diöcesang^renzen wohnten, unter dem ripuarischen Namen zusammengefaszt waren) den fränkischen Völker- Terein. Unter den Einzelnamen der fränkischen Stämme haben der ealische und der sigambrische die gröste Bedeutsamkeit. Die Salier zeichneten sich nemlich durch die Yorgeschrittene Entwickelung ihres Rechtes aus, welches weit über die Grenzen ihrer engen Heimat hinaus unter den Franken Geltung gewann. Aus den rechtsrheinischen Sigam- brem aber gelangte, durch römischen Einflusz begünstig^, ein Fürsten«* geschlecht, die später sogenannten Merowinger, mit ihrem Adel sur Herschaft über alle fränkischen Völker und vollendete in Chlodwig die Stiftung der zu einer welthistorischen Bedeutung bestimmten fränkischen Monarchie.' Diese Ergebnisse sind von dem Verf., dessen Untersuehon- gen überall auf ein gründliches Quellenstudium basiert sind, auf scharf- sinnige und überzeugende Weise begründet und geben über eine wieh- tige Frage, namentlich auch in Beziehung auf die Zahl der Völker, welche fränkisch geworden , einen erwünschten Aufschlusz. Der Verf. scheint uns die Zahl der fränkischen Völker auf das rechte M^sz zurück- geführt zu haben, indem er mit Recht darauf hinweist, dasz eine seit- weiligfe gemeinsame Vereinigung bei drohender Gefahr noch nicht den Abschlnsz eines bleibenden Völkervereins bedinge. Dr 0,

Braünschweig.] Das dasige Obergjmnasium hatte im Schulj. 1857^—06, dem ersten welches es mit dem Progymnasium zu einer Anstalt vereinigt zurücklegte, im Lehrercollegium keine Veränderung erfahren. Die Sohtt- lerzahl betrug beim Beginne des Jahres 286, beim Schlüsse Wb (Ober- gymnasinm I 6, II 10, III 21, IV 31, Summa 77, Progymn. I 29, II 20, III 37, IV 44, V 59, Summa 198). Abiturienten Michaelis 1857 2, Ostern 1858 7. Der im Programm, das übrigens noch immer im Namen nur des Obergymnasiums erscheint, enthaltenen Abhandlung des Oberlehrers von Heinemann: zur ästhetischen Kritik von Sophokles' König Oedipms (32 S. 4) glauben wir mit Recht einen nicht unbedeotenden Werth bei- legen zu können. Mit Scharfsinn und Klarheit geschrieben, ist sie gans geeignet die Unhaltbarkeit gewisser Ansichten und Meinungen aufsn- zeigen und so zur rechten und wohlbegründeten Würdigung des Stückes hinzuführen. Der Verf. hat Mut und Ueberzeugungstreue genug, nra mancher aufs keckste vorgetragenen Behauptung entgeg^zutreten , da-

iMPielrte ah%T gelehrte Anstalten, VerordnangeB, Statist^ Notiiea. 413

fegen andere belAehelte oder mit verächtlichem Lächeln angesehene Bit yertheidigen, nnd oft geschieht beides mit entschiedenem Olück. Wir erkennen auch den Standpunkt, Fehler an einem anerkamiten Meister- werke xn suchen, als YoUkommen berechtigt an, schon an nnd für sich^ hier aber um so mehr, als die Athener dem Stücke nur den sweiten Preis snerkannten. Wenn wir nun mit den gefundenen Resultaten nicht gans übereinzustimmen erklären, so müsten wir eine ausführlichere Dar- legung geben als uus hier der Raum gestattet; deshalb mögen einige AndentuDgen genügen. Wir können zuerst beistimmen , wenn der Hr Verf. den König Ocdipus eine Schicksalstragödie, jedoch in bedeutend modificiertem Sinne, nennt; allein wir finden eben darin den tiefsten Gehalt nnd die ernsteste Tragik, weil so die Heiligkeit der ewigen Ge- setae sum klarsten Bewustsein kommt. Es ist schon an nnd für sich tragisch, wenn der welcher, sich selbst unschuldig wähnend, auf eine geschehene Tbat einen Fluch setzt, sich selbst dann derselben, ja noch viel schlimmeren schuldig findet, nnd es wäre demnach dem Dich- ter kein Vorwurf wegen der Handlung des Stückes zu machen; aber freilich scheint das ^schuldig' nach gewöhnlichen menschlichen Begriffen nicht vorhanden, Oedipus durch Vorherbestimmung der Götter in. die Terübung der Thaten hineingestoszen , dadurch jedoch tritt die Heilig- keit der ewigen Gesetze hervor: ihre Uebertretung kann selbst, wenn sie ohne sittliche Freiheit verübt wird, nicht straflos, nicht ungesühnt bleiben. Mag der Dichter davon im Stücke selbst nichts ausgesprochen haben, die Handlung selbst beweist, dasz er diesen Gedanken in seiner üeberzeugnng unverbrüchlich hegte. Denn kann ein Dichter deutlicher und objectiver seine Üeberzeugnng -aussprechen , als wenn er sie die Person, an welcher er sie darstellen will ,^ selbst anerkennen läszt? Oe- dipus entschuldigt seine Thaten nirgends, er hält sich für strafbar nnd die Schuld eine Sühnung erheischend. Dieser Gedanke ist dem Alter- thnm nicht fremd; er spricht sich in der Sühne aus, deren der unfrei- willige Mörder bedurfte; er liegt der Oedipussage in ihrer sittlichen Fassung zu Grunde, er ist von Sophokles mit gröster Tiefe nnd in nm- fassenderer Weise als von irgend einem andern zur Anschauung ge- bracht worden. Piderit in seinen sophokleischen Studien I bat dies in trefflicher Weise nachgewiesen und eben so klar die Mangel- haftigkeit in diesen Vorstellungen und deren Grund aufgezeigt. £s ist leicht erklärlich, dasz die grosze Menge der Athener diese Idee nicht Terstand oder gegen ihre Anerkennung sich sträubte (obgleich wir viele Gründe für die Zuerkennung des zweiten Preises uns denken können); allenthalben thun dies die natürlichen, gewöhnlichen Menschen, sie wol- len nur dann eine Gesetzverletznng anerkennen, wenn sie mit Be^mst- sein oder in freier, wenn auch irregeleiteter Selbstbestimmung verübt worden ist. Damit wollen wir nun freilich nicht behaupten, dasz die Idee durchaus ästhetisch sei; weil sie mangelhaft ist, weil sie für den menschlichen Verstand keinen vernünftigen Grund hat erst die gött- Hehe Offenbarung hat denselben gezeigt kann sie die volle Befrie- digung nicht gewähren, jedoch ist nicht die objective Darstellung einer erkannten aber räthselhaft unlösbaren Wahrheit und der Gemütshaltung ihr gegenüber nicht echt dichterisch? Ist nicht echt tragisch gerade das volle beugen unter diese Wahrheit, so herb, so unvermittelt, so ' un- gerecht sie scheint? Wir können nicht weiter ausführen und deuten nur noch auf einen zweiten Punkt hin. Die Selbstblendung des Oedipus erscheint dem Hrn Verf. auffallend, ja er kann sie nur rechtfertigen, indem er dem Dichter schon die Idee zum Oedipus auf Eolonos vor- schweben läezt; er würde es für richtiger ansehen wenn Oedipus wie lokaste an sich zum Selbstmörder würde. Wir fragen dagegen: ist nicht dem Alterthume das nichttragenkönnen ein Beweis einer gewissen

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Unmännlichkeit ? ist diese Idee als dem Sophokles ganz fremd zn er- achten, wenn man seinen Aias aufmerksam betrachtet? Würde also Oedipus als der thatkräftige Mann erscheinen, als der er doch dastehen soll, wenn er den Faden des Lebens selbst abschnitte? lokaste, durch und durch das schwache, nur den Eindrücken des Augenblicks ergebene Weib, tritt zu Oedipus in den schönsten Gegensatz. Wir wollen nicht behaupten, dasz dem Dichter bereits der Oedipus auf Kolonos Inder Seele lag, aber die ersten Anfänge der Idee, welche jenen hervorrief» gestehen wir zu. Oedipjis darf dem Dichter nicht ganz verloren seiui darf es nicht dem Zuschauer sein; hinter dem gräsziichen, was an ihm vorgegangen, musz der Möglichkeit einer innern Versöhnung Raum ge- geben erscheinen. Ich wage die Frage aufzustellen : läszt nicht die Schluszsentenz des Chores für den, welcher die Handlang des Stückes ganz erfaszt hat, nicht auf diese Möglichkeit, dasz es mit Oedipus bes- ser werden könne, schlieszen, ja fordert sie nicht geradezu ihn auf zn be- denken: wie nun? Oedipus lebt noch, wenn auch im Elend; das Ende ist noch nicht da. Kann er nicht gesühnt und versöhnt werden oder wird ihn der Götterfluch noch ferner verfolgen? R, D.

.Bbeslau 1857.] In dem Lehrercollegium des königlichen ka« tho'lischen Gymnasiums haben im Schuljahre 1856 57 mehrere Veränderungen stattgefunden. An die Stolle des In Oberlehrers Kabath, welcher kurz nach seiner Pensionierung starb, trat Gymnasiallehrer Dr Görlitz (s. Lcobschütz). Von den Lehrern schieden ferner aus: CoHa- borator UUbrich, der an die Gewerbschulc zu Frankfurt a./O. , Can- didat Dr Völkel, der nach Gleiwitz, und Candidat Sjchönhnth, der nach Leobschütz geschickt wurde. Die Stunden des Collab. Ulibrich übernahm sein Nachfolger Cqllab. Mohr unter Mithülfe des Candidaten Czech, der jedoch bald darauf einem Kufe an die Realschule zu Düs- seldorf folgte, in Folge dessen Candidat Dr Grimm eintrat, die des Candidaten Dr Völkel der Candidat Dr Smolka, der zu Ostern alt Keligionslehrer nach Gleiwitz gicng; Candidat Schönhuth wurde nicht ersetzt. Auch der Schreiblehrer Kector Deutschmann war aasge- schieden und seine Stunden hatten die beiden Lehrer der Vorbereitungp- klassen übernommen. Bestand des LchrercoUegiums: Director Dr Wis- Howa, die Oberlehrer Janske, Winkler, Dr Pohl, Dittrich, die Gymnasiallehrer Idzikowski, Runkel Religionslehrer, Dr Bauche, Dr Kuschel, Dr Schedler, Scholz Religionslchrcr, Dr Baumgart, Dr Görlitz, die Collaboratoren Seh neck, Mohr, Prof. Dr Schmöl- ders, Sprachlehrer Scholz, Hülfslehrer Jaschke, Gesanglehrer Brö er, Zeichenlehrer Schneider, die Schreiblehrer Rieger und Schmidt. Die Schülerzahl betrug zu Anfang des Schuljahres in den Gymnasial klassen 074 (I* 41, I»» 40, II* 55, II»» 85, III- 55, III»» 53, IV* 63, IV»» 53, 50, V»» 53, VI* 72, VI»» 40), in den Vorbereitungsklassen f.9 (VII 30, VIII 20). Abiturienten 21. Den Schulnachrichten ist voraus- geschickt: de philosophia Euripidis pars 1, scr. J. Janske, superiornm ordinum pracceptor (32 S. 4) S. 2Q-— 32 adnotationes, 0. I. De rebus divinis. § 1. Non sunt dii, qui fabulis feruntur. § 2. De doo. Digres- sio I. De animo demisso (Demut). Digr. II. De Aethere, quem Deum Euripideum esse vult Hassius. Aus dem Lehrercollegium des könig- lich en Friedrichs -Gymnasiums schied der bisherige Religions- lehrer Prediger Tusche, der als Garnisonsprediger nach Schweidniti berufen war. Dasselbe bildeten der Director Dr W i m m e r , Professor Dr Lange, Professor Anderssen, Dr Geisler, Dr Grünhagen, Hirsch, Rehbaum, Ladrasch, Tusche, Rosa Zeichenlehrer, Dr Magnus, Privatdocent, die Sprachlehrer Freymond, Whitclaw. Die Frequenz betrug wllhrcnd des Sommersemesters 211 (I 20, II 20, III 41, IV 55, V 30, VI 30). Abiturienten 5. Den Schulnachrichtea

Birfdite aber gelehrte Anstallen, Verordnungen, Statist. Notizen. 415

gehl voran die Abhandlung des Prof. Anderssen: Enhvickehmg aller Eigen$cha/ten_ der Logarithmen und Kreisfunctionen aus dem bestimfaten

_ do

Integral f ~ (28 S. 4). In dem Lehrerpersonal des Gymnasiums

SU St Maria Magdalena haben keine Verändernngen stattgefunden. Dr Schuck und Dr Cauer wurden zu Oberlehrern ernannt. Der Candidat Schmidt bestand sein Probejahr. Das Lehrercollegium bil- deten der Director Dr Schönborn, die Professoren Prorector Dr Lilie, Dr Sadebeck, die Oberlehrer Dr Beinert, Palm, Dr Schuck, Dr Cauer, die CoUegen Dr Beinling, Königk, Dr Sorof, Friede, die Collaboratoren John, Simon, (^skuiglehrer Kahn, Zeichenlehrer Eitner, Schreiblfthrer Jung. Im Sommerhalbjahr sind in den Gjm- nasialklassen 452 und in den Elementarklassen 180 Schüler, zusammen 632 unterrichtet worden (I 48, II* 30, U^ 35, m* 51, lU»» 61, IV 81, y 70, VI 76); während des Winterhalbjahrs haben die Gjmnasialklassen 468, die Elementarklassen 180 Schüler, susammen 648 besucht (I 55, U* 25, IIb 41^ ni« 48, m»> 60, IV 77, V 73, VI 89). Abiturienten 15. Das Programm enthält auszer den Schulnachrichten: Beiträge zur Ge- ecMchte der Schule und des Gymnasiums zu St Maria Magdalena in Breslau, IV. von 1617— -1643, vom Director (38 S. 4). Aus der Zahl der Leh- rer des Elisabeth -Gymnasiums schieden drei Candidaten aus, welche anderwärts eine feste Anstellung fanden: Sasl^e an der Keal- eohule in Rawicz, Passow an dem Paedagogium in Putbus, und Adrian an dem Gymnasium in Görlitz. Später trat auch Dr Franke die ihm schön früher verliehene Stelle am kathol. Gymnasium in Glogau an. Es trat dagegen ein Dr Fe ebner, Mitglied des königl. paedagogischen Seminars. Den Collegen Hänel und Keide ist der Oberlehrertitel verliehen worden. Das Lehrercollegium bestand aus dem Rector Dr Fickert, Prorector Weicher t, den Oberlehrern Professor Dr Kamp- mann, Stenzel, Guttmann, Rath, Prof. Kambly, Hänel, Dr Körber, Neide, dem OoUegen Thiel, dem Collaborator Dr Speck, den Lehrern Seltzsam, Blümel, Mittelhaus, Pohsner, Bräuer, Dr Fe ebner. Die Schülerzahl betrug im Laufe des Schuljahres 574 (I 25, II 33, III 37, IV 41, IV»» 41, V 52, V»> 59, VI« 66, VI»» 62, VII» 71, VII* 64, VII« 33). Abiturienten 6. Das Programm enthält aU wissenschaftliche Abhandlung : Seneca de natura deorum , scripsit Dr C. R. Fickert (21 S. 4). S. 19—21: Senecae loci collati cum Scri- ptora Sacra. Dr 0,

Bhombbbg 1857.] An die Stelle des verstorbenen Gymnasiallehrers Grüzmacher rückte der bisherige Hülfslehrer Marg ein; die Hülfs- lehrerstelle wurde in eine ordentliche Lehrerstelle umgewandelt und dem Dr Günther übertragen, der bis dahin an dem Gymnasium in LIssa gearbeitet hatte. Oberlehrer Fechner erhielt das Prädicat Pro- fessor. Gymnasiallehrer Lomnitzer lehnte das ihm angetragene Di- reetorat der Realschule in Culm ab. Der Schulamtscandidat Siges- mnnd absolvierte sein Probejahr. Das Lehrercollegium bestand aus dem Director Deinhardt, den Professoren Breda und Fechner, den Oberlehrern Januskowski, Dr Schönbeck, den Gymnasial- lehrern Dr Hoffmann, Lomnitzer, Hoffter, Marg, Dr Günther, dem kathol. Religionslehrer Probst Turkowski, dem evangel. Re- ligionslehrer Pred. Serno, deA technischen Lehrer Wilke, dem Ge- sanglehrer Steinbrunn, dem Zeichenlehrer Triest, den ^chulamts- candidaten Sigesmund und Hennig. Die Gesamtzahl der Schüler betrug 319 (I 18, II 34, III* 45, III»» 46, IV 69, V 56, VI 51), und xwar 265 evang., 34 kathol., 20 Israel., 300 Deutsche und 19 Polen.

iV. Jakrb, f, PUL u. Paed. LSSVIII. ffß 8. 2S

416 Berichte Qber gelehrte Anstalten, Verordnungen, stttiiL Noliwi.

Abiturienten 10. Den Sohnlnachricbten g^eht yoraus eine wissenfchaft- licbe Abhandlung vom Gymnasiallehrer Marg: de usu ei significathm epUheCot^m quorundam colores indicantvtm (21 S. 4). Der Verf. behandelt die Adjeetive: puniceust purpureus, ßavttSj fulvus, albus, candiduSf niger^ ater^ pallidus, über welche theilweise aber weniger gründlich als der Verf. schon C. G. Jacob geschrieben hat in quaestionibos epicis Lips. 1839 S. 60 88. Das Programm der Bealschule zu Bromberg, welche von 622 Schülern 'besucht wurde , enthält eine Abhandlang vom Oberlehrer Dr Wcigand: de la mesure de» tyllabes (25 4) fuibtt Anhang (4 S.)> Dieselbe enthält eine Aufzählung der versehiedeneii Vocalverbindungen im Französischen, nebst einer Angabe ob dieselben im Verse einsilbig oder zweisilbig gesprochen werden. Dr

BuDissiN.] Im Lehrercollegium des daaigen Gymnasinms war in dem Schuljahre 1857 58 keine Veränderung vorgegangen. Die SehfU lerzahl betrug am Ende 147 (12 I, 21 II, 27 III, 28 IV, 35 V, 24 VI). 6 Abiturienten wurden Michaelis 1857, 4 Ostern* 1858 entlassen. Den Schulnachrichten des Programms ist vorangestellt eine Abhandlung yom Rector Prof. Dr F. W. Ho ff mann: tractantur loci quidam Nävi TetiO' menti et veteris iuris Romam (52 S. gr. 8). Je geringer noch immer von vielen die klassischen Studien geschätzt werden, um so erfrenlieher ist ein thatsächlicher Beweis, welcher Verlust den übrigen Wissenschaften durch ihren Untergang erwachsen würde, oder vielmehr affirmativ, wie wesentliche Dienste philologische Bildung und Methode den fibrigen Wissenschaften zu leisten im Stande sind. Auf dem Gebiete der Theo- logie sollte man dies als selbstverständlich betrachten, da sie ja anf der Erklärung des Wortes Gottes ganz und allein beruht; gleichwol lassen gewichtige Stimmen die Klage vernehmen, dasz die Zahl der gründlich philologisch gebildeten Exegeten immer seltener werde. In der Jurisprudenz war man in früheren Jahrhunderten von dieser Wahr* heit durchdrungen, jetzt legt man auf das Studium des römisohon Rechts schon einen geringelten Werth und fängt bereits an die gründliche Kennt- nis des Lateinischen nicht mehr für ein Erfordernis zu einem tüchtigw Rechtsgelehrten zu betrachten; die Zahl derer, welche gründliche philo- logische Studien machen, um sich in das Verständnis des römischen Rechts die beste Vorbereitung für den modernen Richter, SachwaltSf und Gesetzgeber selbstthätig hineinzuarbeiten, wii*d immer gerinffer. Wir begrüszen nun die vorliegende Programmabhandlung mit der leb- haftesten Freude , indem sie den Beweis liefert, was gründliche philolo- gische Kenntnis und Methode für die Theologie und Jurisprudeni in leisten im Stande sind. Auf dem theologischen- Felde ist zwar der Hr Verf. insofern kein Fremdling, als er vor 40 Jahren Philologie und Theo- logie studiert hat, das juristische Feld aber hat er erst jetzt betreten, indem ihn die Theilnahme an seines Sohnes akademischen Studien anr Lesung der römischen Reohtsqncllen geführt hat. Die gründliehe nnd klare Prüfung der Worte, des Znsammenhangs und der daraus mit Notb- wendigkeit sich ergebenden Auffassung werden von jedem als muster- haft erkannt werden, wenn er auch selbst nicht überall mit dem Re- sultate einverstanden sein sollte. Wir glauben die Schrift 'nicht besser der Aufmerksamkeit empfehlen zu können, als wenn wir kun ihren Inhalt angeben. Zuerst beschäftigt sich der geehrte Hr Verf. mit dem bekannten so viel besprochenen Gleichnisse Luc. 16, 1 ff. (8. 1—26) und zeigt unter sorgfältiger Prüfung der Ansichten darüber, dass nnr dann das ganze in seinem innem Zusaihmenhang und in seiner Ueber- einstimmung mit dem gesamten göttlichen Worte erklärlich nnd fasi- lieh werde, wenn man Vs 0 ititoe fucftfi^covä xijg udiY.{(iq schreibe: ^ma- chet euch Freunde auszer dem Bereiche des ungerechten Mammon, da- mit, wenn ihr abgetreten sein werdet, sie euch aufnehmen in die ewigen

hH aber f elehrte Aostallen, Verordoan^n, slatist Noüien. 4 1 7

IB.* AnhBogBweiBe wird Iran erörtert d«w Jacob. 2, 18 die Les- tthg (gjtav den Vorzug verdiene. Wenn dann S. 27 38 die be- te Stelle Gal. 3, 19 ff. behandelt wird, so geschieht dies nicht, um in fast unzähligen Erklärungsversuchen einen neuen hinzuzufügen, tm um die Bedingungen aufzuzeigen, unter welchen allein ein IndniB m<»g]ich wird. Die vier Punkte, welche der Hr Verf. als i aufzeigt , sind 1) die Bedeutung von ^Boirnq (er versteht darun- 'otee, welcher hier Christus dem cniQfia 9 inr^y§Xxai gegenüber- It werde), 2) der Zusammenhang von Vs 20 22, 3) der Schlusz iiTgumentation des Apostels, 4) durch welchen Gedanken Vs 20 llatttndigt werde. Beine Erklärung faszt sich in die deutschen ) zusammen: ^ Mittlerschaft ist nicht ohne Parteien, das Wesen I aber beruht in Einheit, kennt keine Spaltung.' Ans den römi-

Beehtsquellen behandelt der Hr Verf. hauptsächlich solche Stel- ro Auslassungen durch die Abschreiber wegen ähnlicher Buchstaben Jifimern Veranlassung gegeben. Ref. ist nicht Jurist, glaubt aber aussprechen zu können, dass die Stellen alle durch die von dem ^erf. empfohlenen Verbesserungen an Klarheit gewinnen. Dig.

1 wird Bests Verbesserung quae ut uirague ad ewn petveniret, rem voluisse aufgenommen. XXXIII 3 vorgeschlagen viro quoque m, IX 13 emn qui sattem sporuam nüi suam per Um rapere ausus (beiläufig S. 43 f. eine Bemerkung über ni und nisi), XI 22 tuior iUter peti n<m poiest, XIX 5 sin atäem alter aliter fecerü. XXIX 1 iestamenti instar est, XL VII 8 ipse extra turbam fuU. XX 14 od legis. XX 10 Augustus VH cos, constitttU, R. D.

oviTz.] Das königliche katholische Gymnasium in Conitz hat in 857 zu Ende gegangenen Schuljahre durch den unerwarteten Tod flten Oberlehrers Prof. Lindemann einen beklagenswerthen Ver- rlitten. Der Lehrer Lindenblatt wurde an das Gymnasium in sberg versetzt, und in Folge dessen ascendierten die Lehrer ;, Heppner, Karlinski und der wissenschaftliche Hülfslehrer izynski resp. in die zweite, dritte, vierte und fünfte ordentliche 'Stelle. Der Schnlamtscandidat Gand wurde dem Gymnasium ishülflichen Dienstleistung überwiesen, der als auszerordentlicher shrer fungierende Candidat Oestreich aber als wissenschaft- Hülf sichrer angestellt. Der Religionslehrer Redner muste wegen eher Erkrankung für das Sommersemester von seinen Functionen den werden ; die einstweilige Verwaltung seiner Stelle wurde dem Tarnowski übertragen. Behufs Verstärkung der Lehrkräfte *x Schnlamtscandidat Dr Schneider in das Lehrercolleginm ein. isherfge zweite Oberlehrer Prof. Wiehert ascendierte in die der bisherige dritte Oberlehrer Dr Moiszisstzig in die zweite er bisherige vierte Oberlehrer Lowinski in die dritte Ober- kelle. Das Lehreroollegium bestand demnach aus folgenden Mit- n: Dr Brtiggemann Director, den Oberlehrern Prof. Wiehert, Itzisstzig, Licent. Redner kathol. Religionslehrer, Lowinski, rdentlichen Lehrern Haub, Tietz, Heppner, Karlinski, lyiiski, dem wissonscluiftlichen Hülfslehrer Oestreich, den mtsoandidaten Gand und Dr Schneider, dem technischen ihrer Ossowski, Snperint. An necke evangel. Relig^onslehrer. •zahl 430 (I 39, IP 22, IIi> 36, Ober-Tertia Coet. a 26, Coet. b ter-Tertia 60, IV« 45, IV* 35, V 63, VI 80). Abiturienten 20. shulnachrichten geht voraus: de pristino ordine versuum quorundam Hervm» Scripsit Antonius Lowinski (16 8. 4). Dr 0.

XM.] In dem 1857 verflossenen Schuljahre haben in dem Lelirer- iift des dasigen Gymnasiums mehrfache Verändeningen stattge- . Der erste Oberlehrer Professor -Braun folgte dem Rufe als

28*

418 Berichte ttber gelehrte Anstalten, Verordnungen, stalifll. Notisen.

Director des Gymnasiums zu Braunsberg; anshülfsweise trat der Can- didat Dr Boruowski ein. Der Oberlehrer Dr Fanck rückte in die erste und der Oberlehrer Dr Seemann in die zweite OberlehrersteDe auf, und es wurde beiden der Professortitel beigelegt; die dritte Ober- lehrerstelle ist dem bisherigen dritten ordentlichen Lehrer an dem Gym- nasium in Braunsberg, Joseph Haegele, yerliehen worden; die nen gegründete fünfte ordentliche Lchrerstelle erhielt Lask'owski; die wissenschaftliche Hülfslehrerstelle verwaltete commissarisch Dr Bor- nowski. Am Schlüsse des Schuljahrs vcrliesz der Religionslehrer Behrendt die Anstalt, um eine Professur am bischöflichen Seminar zu Pelplin zu übernehmen. Zu seinem Nachfolger ist Lioentiat Okroy bestimmt. Die Gesamtzahl der Schüler betrug 417 (I« 21, I*» 30, II 41 , IIb 38, III« 55, III^ 56, IV 44, V 62, VI 70). Abiturienten 9. Das Programm entliält auszer den Schulnachrichten noch zwei Abhand- lungen , die eine unter dem* Titel : die Cidmer Akademie im Jahre 15S4. Ein Beitrag zur Geschichie dieser Anstiät Ton Dr Lozynski (20 S. 4), die andere: die Pseudomorphosen des Mineralreich von Ang. Lai- kowski (10 S. 4). JDrO,

Danziq.] Das dasige Gymnasium erlitt im Schu^ahre 1856— '57 folgende Verluste: Professor Dr Marquardt wurde als Director an das Friedrich- Wilhelms-Gymnasium in Posen berufen, der ordentl. Leh- rer Skusa starb und der Zeichenlehrer Breysig ward pensioniert (starb bald darauf). Neu angestellt wurden als ordentl. Lehrer Dr iL Stein (Herausgeber des Hcrodot), vorher am Friedrich-Wilhelms-Gya- nasinm in Berlin, Dr 11 ug. Sant. Anton, vorher am Paedagoginm ■■ Puttbus, und als Zeichenlehrer der Maler Troschel. Im Schu!(ja]ire

1857 58 schied der kathol. Religiopslchrer Pfarrer Michalski und ward durch den Pfarrverweser Lic. Redner ersetzt. Am 28. MSrs

1858 starb der Professor Carl Theodor Anger, ein als Gelehrter wie als Schulmann gleich achtungs- und liebenswerther Mann, eine Zierde des (Gymnasiums. Das Lehrercollegium bestand Ostern 1858 aus dem Director Dr Engel hardt, den Proff. Herbst, Hirt^hf Czwalina, den ordentlichen Lehrern Dr Brandstäter, Dr Röper, Dr Hintz, Dr Strehlko, Dr Stein, dem Prediger B 1 e c h und Pfarrer Redner, dem auszerordentl. Lehrer Dr Anton, dem Hülfslehrer Fre- diger DrKrieger, dem Zeichenlehrer Troschel, Schreiblehrer F i b e b| Musiklehrer Markuli, Elomentarlehrer Wilde. Die Schülensahl be- trug am Schlüsse

I II« m III« III»» IV iv»> V

1857 30 35 48 48 48 49 55 52

1858 37 34 84 44 49 56 51 52 Zu der dreihundortj. Jubelfeier, welche vom 13 14. Juni, wir hoffen in rechter Freude undgroszem Segen, begangen werden wird, erschien ein sehr umfangreiches Einladungsprogramm, zu welchem nach dem löblichen Vorgange anderer Schulen bei gleicher Gelegenheit aUe ordenfr- liehen Lehrer einen wissenschaftlichen Beitrag geliefert haben. Dasaelba enthält nach einem kurzen Vorwort ein latein. Carmen saeculare von Dr Röper und ein deutsches Festgedicht von Dr Strehlke, dann folgen die Abhandlungen: 1) vom Dir. Dr F. W. Engel hardt: loci Plkumki^ guorum Aristoteles in conscribendis Politicis videtur memor flösse (24 S. 4). Der Beweis, dasz Aristoteles auf die drei Schriften Piatos PoUtikos« «• Rep. und de Legg. oft Rücksicht genommen , thcils nm seine Ansichtei zu widerlegen, tlieils in Uebereinstimmung mit ihnen, wird hier in grSi- tcr Vollständigkeit geboten, dabei jbdoch auch die Auffassang von Piatos Worten , wie sie sich bei Aristoteles zeigt , als nicht überall ge- recht und richtig gewürdigt. Als ein wichtiges Resultat stellt^sich ne- ben der Verbesserung und Erklärung mancher Stellen der Beweis f&r

VI

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8.

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Boridile ftber gelehrte Anstalten, Verordnangen, itatist. Notizen. 419

die Aechtheit aller der drei genannten Schriften des Plato heraas. 2) Vom Prof. Christ. Herbst: lectiones Venusinae (24 S.), eine Fort- ■etsimg der von dem Verf. vor 10 Jahren unter gleichem Titel heraas- gcjgebenen Schrift. Es werden zwar zunächst nur die beiden Stellen I 12, 19—22 und Od. III 1, 1 1 behandelt, aber dabei eine grosze Menge anderer Stellen kritisch and exegetisch beleuchtet und über den Spraohgebrauch des Horaz feine und sichere Beobachtungen gemacht, B. B. S. 2 8 über die Nachstellung der copalativen Partikeln. Die Tertrautheit des Hm Verf. mit dem Dichter, seine Gründlichkeit und aein Scharfsinn machen die Gabe zu einer recht werthvollen. 3) Vom

/2n cos (ha— k.

ain. a). da (20 S.) Dieser Abhandlung ist eine lateinische Trauerode Ton Dr Herrn. Stöin beigegeben, welche eben so wie die oben er- wlhnte ' Festode von Dr Röper den Beweis liefert, dasz unter den Dansigem Lehrern die lateinische Poesie nicht ausgestorben ist. 4) Tom Prof. J. E. Czwalina: iheoremata nonmdla de secundi ordinis su- petßeU cum disciplinae mathematicae elemeniis composüa (18 S.), sehr er-' frenlich als Beweis , dasz auch Mathematiker sich noch der lateinischen Sprache bedienen können und zu bedienen verstehen. 5) Vom ord. Lehrer Dr F. A. Brandstäter: de vocabtäis graecis, maxime paronyndg, im itris locus aiier^ qtd est de significationibus (26 S,), die Beendigung der •ehon früher begonnenen Arbeit, welche durch Gelehrsamkeit, Fleisz «nd Gründlichkeit einen recht wichtigen Beitrag zur iiistorischen Sprach- wlaaenschaft bildet.— 6) Vom Dr Gottli. Röper: M. Terenii Varronis Aamenidum reliquiae (24 S.). Trotz des vielfachen Widerspruclxs erklärt d«r Herr Verf. an seiner im Philolog^s IX S. 260 aufgestellten Ansicht, deax die saturae des Varro in verschiedenartigen Versmaszen geschrie- ben , nicht aber in ihnen Verse mit Prosa gemischt gewesen seien , so langte festhalten zu müssen, als nicht bewiesen sei, dasz die erhaltenen Fragmente sich nicht ohne zu grosze Schwierigkeit in Verse bringen lieazen. In einem prooemium beschäftigt er sich zuerst mit der Schrift t* Ado. Koch: exerdtationes in priscos poetas latinos, Bonn 1851, be- reitwillig viele seiner Meinungen und Emendationen zurücknehmend , in vielen aber auch die Ansichten jenes bekämpfend. Wegen Vahlens Tortrag in Breslau , über den er nur die Notiz in diesen Jahrbb. oben 8. 51 erhalten *) , zeigt er nochmals auf die Möglichkeit hin , alle die aus dem livo9 Xvqaq und der satura n^ql ky%oDikloDv erhaltenen Fragmente metrisch zu lesen. Aus den Eumeniden werden dann mit ausgebreitet- •ter Gelehrsamkeit und umsichtiger Gründlichkeit die 11 ersten Frag- mente nach Oehlers Anordnung behandelt. Wir hoffen, dasz der Herr Verf. die Vollendung bald geben und woran es ja nicht fehlen kann die Kritik sich mit seinen Leistungen in gerecht würdigender Weise beeehäftigen werde. 7) Vom Dr Joh. Sam. Hintz: einige Gedanken Über die Entstehung und Harmonie der synoptischen Evangelien (10 S.), eine auf die Nach Weisung der Uebereinstiramungen (in einem Anhange wird dieee in Betreff Matth. 24, Mark. 13 u. Luc. 21 ausführlich tabellarisch dargestellt) und die Prüfung der Zeugnisse gegründete Vertheidigung der Ansicht, dasz den 3 synoptischen Evangelien allerdings ein Urevan- gelinm zu Grunde liege. 8) Vom DrF. Strehlke: de Oliveto Andreae OryphH (12 S.). Nicht allein der Umstand, dasz Andr. Gryphins ein Schüler des Danziger akademischen Gymnasiums gewesen , hat den Hrn Verf. zur Wahl des Gegenstandes bewogen, sondern die Beschäftigung

*) Jetzt vollständig vorliegend in dem so eben erschienenen in M. Tereniii Varronis saturarum Memppearum reUquias coniectanen (Leipzig, B. G. Teubner).

420 Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnangen, statiiL Notim.

mit den Dichtern des 17. JahrhundertB , deren po'^tische Anlagen nioht auB den deutschen Gedichten, in welchen sie noch zu sehr mit der Sprache zu ringen hatten , sondern mit aus den lateinischen, beorteilt werden müssen. Das latein. epische Gedicht des A. Gryphius OliTetom, das nur in einem einzigen Exemplare vorhanden zu sein scheint, ward dem Hm Verf. ans der Meusebachschen Bibliothek bekannt. Er hat sich entschlossen dasselbe in deuts<5her Uebersetzung herauszugeben« In der vorliegenden Abhandlung gibt er zuerst eine Ueberslcht über den Inhalt und die Anlage, sodann sein Urteil, welches, obgleich die Fehler nicht verscliwiegen werden, doch dahin lautet , dasz Gryphius den KIop- stockschen Messias in vielem übertxoffen habe, in wenigem nur ihm nach- stehe. In den Anmerkungen «werden Proben der zu erwartenden deut- scheu Bearbeitung mitgetheilt. Wii* machen die Litterarhistoriker auf die Abhandlung aufmerksam. 9) Vom Dr U. Stein: vindidarum He- rodotearttm specvnen (20 S.), ein Beweis der gründlichen und umfangrei- chen Studien, welche der Hr Verf. zu seiner Ausgabe des Herodot, de- ren Vollendung wir hoffnungsvoll entgegensehen, gemacht bat. Zuerst «vird bewiesen, dasz für den Namen des acgjptischen Königs MoCqi^ bei allen Schriftstellern die Form Mvgig die besser beglaubigte sei, dass der Name auf den aegyptischen Denkmälern nur als Name des Sees, nicht eines Königs vorkomme, nach Lepsius mere ^ Ueberschwemmnng, , BewUsserung', nach Brugsch aber MeRI oder MIR= ^Becken* sei. Das Vorhandensein dieser Wurzel wird auch in andern Namen aufgezeigt und schlieszlich bemerkt, dasz oi überhaupt in den aegyptischen Namen sehr selten vorkomme. Die Schreibart ^afifjLijtix^g wird der andern' ^afifiitixog wegen ^afifidrixog C. Inscr. 5126 und Schol. Tzetz. ChiL IV 788 Cram. anecd. III p. 350 vorgezogen. Dasz die persischen Na- men 'ivzQatpQivr^g und 'AQta(pQiv7ig zu schreiben seien, wird in Ueber- einstimmung mit Böckh C. I. II p. 116, wenn auch aus andern Gründen, namentlich der persischen Endung frana^ gefolgert. Aus dem constanten Gebrauch der Form aiHTLqog für iit.'HQog wird Her. VII 170 die Noth- wendi^keit Z[it%v&og zu schreiben abgeleitet. IV 170 wird die Schreib- art BayictXsg und 'Aaßvtai vertheidigt. Ferner werden die Volkernamea 'Ttsvvhg^ AvalvLOiy KaßrjXisg, KipvQ^rai behandelt und IX 03 die Ver- mutung naga X(ova noxapiov og i% AdTtfiovog ovgsog giei diä f^g Xm- vCrig Z^QVS h "SIqi^ov Xt.[iiva begründet, wobei freilich die Schwierig- keit nicht verschwiegen, aber ein Irthum des Schriftstellers angenom- men wird. Endlich werden noch Anführungen aus Herodot bei alten Schriftstellern in ihrem Verhältnisse zu dem überlieferten Texte betrach- tet und gewürdigt*). Herrn Dr Stein spricht Kef. seinen herzlichsten Dank für die worthvolle Gabe aus. 10) Vom Dr H. S. Anton: ^uae iniercedai ratio inier Eihicorum Nicomacheorum \11 12 15 et X 1—5 (18 S.)« Durch eine genaue Prüfung sowol der beiden Stollen, als auch der An- sichten des Aristoteles über die Lust überhaupt wird in Betreff der von

*) Beiläufig sei bemerkt , dasz ich die von mir II 8 gemachte Emen- dation tsaa^goav xal d^xa nicht wieder verworfen habe. Sie wurde spä- ter von mir gemacht , als meine zweite Tcxtosrovision bereits erschienen war. Bei einer dritten würde ich sie in den Text gesetzt haben. ISine solche habe ich bisher nicht vorgenommen, theils wegen anderweitiger Arbeiten, theils weil es mir räthlich schien durch abwarten der neuen von Habicht vorgenommenen Collationen einen festeren Halt für die Kritik zu gewinnen. Eine sehr wichtige Frage wird zu lösen sein, ob mit Hrn Stein die Familie, zu welcher S gehört, oder mit Hm Habich die andere zur Grundlage der Recension zu machen sei. Möglieh ist es dasz jene in den Namen genauer und richtiger und dennoch doreh Gram- matiker corrigiert sei.

Bmdkte Ober gelehrte Anstalten , Verordnungen, statiit. NotifeB. 421

Spengel, Brandis und Prantl angeregten Streitfrage das Resoltat gewon- nen» dasK der -grosse Philosoph an beiden Stellen über den Gegenstand an handeln berechtigt gewesen sei. 10) Vom Diac. W. Ph. Blech; de Xcfii Teatatnenti praerogativ'a exegelica (8 S.). Der Täufer Johannes v^d ala derjenige dargestellt, in cidus persona id, quod inter uinanque TestO' Wienium irUersit, nobis ante oculos positum conspicimui, 12) Vom Dr G. A. Krieger: biblische Binweisungen auf die paedagogische Bedeutung des Na- wsens (14 S.) eine recht interessante und belehrende Abhandlung. 13) Vom Prof. DrTh. Hirsch: Gescfächte des Danzigers Gymnasiums feil 1814 (68 S.)« Wenn auch nur die letzte Periode der Geschichte des Gjmna- aloma behandelt wird, so sind doch über die früheren recht gut orien- tierende Uebersichten gegeben. Der Hr Verf. hat den grossen Yortheil über die letzten 44 Jahre zum grösten Theile als Augenzeuge berichten sn können, allenthalben aber gibt sich die scharfe Beobachtungsgabe, die vorurteilsfreie Würdigung von Zuständen und Personen, und die un- verdrossene Gründlichkeit in Sanmilung, Ordnung und Darstellung der Notizen zu erkennen. Die Biographien der Lehrer haben selbst für den lätterarhistoriker einen bleibenden Werth. Allen denen, welche die Wichtigkeit der Schulgeschichte für die Pädagogik zu würdigen verste- hen , sei denn diese Arbeit bestens empfohlen. Wir wünschen dem Dan- aiger Gymnasium, dasz sich mit seinem Jubelfeste eine Fülle des Segens fiber dasselbe ergieszen möge. Die von der wissenschaftlichen Begabung und der Gesinnung seiner Lehrer ein günstiges Zeugnis ablegende Fest-

gabe scheint uns ein sicheres Prognostikon. Yielleicht wird es uns mög- ch über das Jubelfest selbst und über die zu demselben eingegangenen Beglückwünschungsgaben einen Bericht baldigst zu bringen. H, D,

Detmold.] Da an dem dasigen Gymnasium Leopoldinum der An- fang des Schuljahres von Michaelis auf Ostern verlegt wurde, so liegen uns zwei Programme vor, das erste über das Wintersemester 1856—57 and das zweite über das Schuljahr 1857 58. Eine Veränderung im LehrercoUegium ist in dieser Zeit nicht eingetreten, auszer dasz Mich. 1856 der Gesangunterricht dem Musiklehrer Grussendorf übertragen ward und weil der Consistorialrath v. G öUn wegen gehäufter Amtsgeschäfte den Beligionsunterricht zu ertheilen sich gehindert sah , eine Stellvertre- tnng durch die übrigen Lehrer tmter Anwendung von Combinationen eintreten muste. Die Schülerzahl war

I U IE III Winter 1856—57 5 13 11 11 Sommer 1857 4 11 13 0 Winter 1857—58 5 8 7 10 Dem ersten Progpramme ist beigegeben der Schlusz der Abhandlung des Dr C. Weerth: Andeutungen über den Entwicklungsgang der neueren Na» tserphilosophie (24 S. 4), an welchem wir dasselbe, wie an dem ersten Theil zu rühmen finden. Das zweite enthält eine Abhandlung des Prof. Dr Herr mann: die Construction der Antigone des Sophokles (30 S. 4.), eine klare und gründliche Besprechung der einschlagenden Fragen, mit deren Methode und Eesultaten wir nur im wesentlichen einverstanden •ein können.

Deutsch-Cboke.] Mit dem Beginne des Schuljahrs 1856 57 be- gannen die berufenen neuen Mitglieder des LehrercoUegiums an dem königl. katholischen Gymnasium ihre amtliche Thätigkeit, DrWerneke, ▼orher Lehrer am Gymnasium zu Coesfeld in Westfalen, als erster Oberlehrer und Dr Malina, welcher das Probejahr am Gymnasium zu Lieobschütz in Schlesien abgelialten hatte, als wissenschaftlicher Hülfs- ehrer. Dr Milz, welcher während des vorigen Schuljahrs aushülfliche Dienste geleistet, hatte die Anstalt wieder verlassen. Lehrerpersonal: Director Dr Peters, die Oberlehrer Dr Werneke, Martini, Licen.

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422 Berichte Olm gelehrte Aoitalten, Verordnungea , Blalist IMtee«.

tiat Posswinski, die ordentlichen Liehrer Zanke, Krause, Weier- strasz, Dr Malina, techn. Hülfslehrer Härtung, Pred. Weise evang. Religionslehrer. SchUlerzahl: 235 (I 14, II 30, III 42, IV 47, V 57, VI 45). Abiturienten: 3. Die Abiturienten waren die ersten, welche das Gymnasium entliesz. Das Programm enthält ausser den Schulnacbrichten eine Abhandlung vom Oberlehrer Dr Werneke unter dem Titel: das eddische Bigsmal nebst üeberseizung und Eriäutenm' gen (22 S. 4.). Unter den Gedichten der (älteren) Edda hat das 'Bigs- mal* in vorzüglich hohem Grade die Aufmerksamkeit der Geschichtsfor- scher in Anspruch genommen und ist vielfach zur Aufhellung der ehe- maligen skandinavischen Verhältnisse benutzt worden. Dasselbe enthält eine Schilderung der drei ursprünglichen Gesellschaftsklassen , der Skla- ven, der freien und der edlen, und gibt uns ein anschauliches Bild von dem entstehen und der Entwicklung, von dem Leben und Treiben der- selben. Dieses nach seinem Gehalte, wie nach seiner Form ausgeseieh* nete Gedicht hat der Verf. einer näheren Betrachtung unterzogen , indem er glaubt, dasz dabei auch für die Kenntnis der alten deutschen Zu- stände einiger Gewinn abfallen werde. Er hat den Urtext (nach der Kecension von P. A. Munch) mit einer gegenüberstehenden wortgetreuen Uebersetzung gegeben und daran Erläuterungen sachlicher Art geknüpft. Das Lied von Bigr, Rigs-Mäl, dem, wie es scheint, der Schlusz fehlte findet .sich in keinem der Codices der älteren Edda, sondern nur in einem einzigen der jüngeren (Snorra-)Edda, nemlich in dem von Arngrim Johnsen imJ. 1628 aufgefundenen sogenannten Worm- schen Codex, welcher wahrscheinlich aus dem 15. Jahrhundert stammt und gegenwärtig auf dejr Universitätsbibliothek zu Kopenhagen «uf- bewfü^t wird. Allein Sprache und Inhalt weisen ihm unbedenklich einen Platz unter den Gedichten der älteren Edda an, mit denen es denn auch meistens zusammen herausgegeben ist. Vollständig hat P. A. Munch das Gedicht aufgenommen in : 'det norske Folks Historie', wovon G. F. Claussen die beiden ersten Abschnitte in deutscher Uebersetzung her- ausgegeben hat unter dem Titel: die nordisch- germanischen f^ölker, ihre ältesten ffematsitzej Wanderzüge und Zustände, Lübeck 1853. Allein Claussen hat sich begnügt , die Uebersetzung von K. Simrock aus des- sen (stabreimender) Bearbeitung der Edda wiederzugeben und nur gans vereinzelte Veränderungen daneben zu setzen. Der Verf. hat der Vollständigkeit halber dem Gedichte auch die prosaische Einleitung vor- ausgeschickt und läszt dann die Bemerkungen , die er für zweckdienlieh erachtet, im Znsammenhange folgen. Er hält das Gedicht für unvollen- det und nimmt auch in demselben einige Lücken an, die sich bei Ver- gleichung der drei durchaus parallelen Theile ergeben sollen* Was Ort und Zeit der Abfassung des Kigsmal angehe, so meint er weise alles auf Norwegen und ein sehr hohes Alter hin. Für das hohe Alter desselben spreche auszer der ganzen Darstellnngs- und Auffassungsweise, welche durchaus mit der der ältesten Eddalieder übereinstimme , beson- ders die Art der Waffen , die dem Jarl zugelegt werden. Der hohe poS- tische Werth des Gedichts springe gleich bei der ersten Betrachtung in die Augen; die Sprache, hier wie überhaupt bei den besseren Liedern der Edda, zeige die alte Einfachheit und Naturfrische des Volks, unter dem CS entstanden; es sei das knappste Masz angelegt; kein Wort sei überflüssig, alle fielen schwer und wuchtig ins Ohr und geben der Phan- tasie eine reiche Fülle von Bildern und Gestalten, so dasz man bei die- ser kernigen Kraft und majestätischen Einfachheit südliche Milde und Weichheit gern entbehre. Ebenso schlicht sei die Anlage des ganzen« Nachdem der Verf. das Gedicht in seinen einzelnen Theilen betrachtet hat wirft er noch einen Blick auf das ganze zurück und findet bei einer Vergleichung mit den andern, die man zusammen unter dem

Birkhte Okar gelehrte Anstalton, Verordnoiigeii, slatifl. NotisM. 423

Namen der älteren Edda begreift, dass ee unter diesen eine gans Tereinselte Stellung einnimmt. Es gehöre weder su den mythologi- schen Liedern, noch zu den heroischen, noch auch zu den rein didak- tischen (besängen; man könne es ein didaktisch -politisches Ge- laicht mit mythischer Einkleidung nennen und als solches stehe es wol ganz einzig in unserer gesamten Litteratur da. Das Rigsmal, gleichsam das älteste Denkmal germanischer Gesetzgebung, habe einen ebenso reichen dichterischen Inhalt , als es für die Kenntnis des öffent- lichen Rechts bedeutend sei. Denn indem es schildere, wie die Stände durch göttliche Anordnung entstanden und ausgebildet sind, stelle es zu- gleich gerade in dieser Schilderung factischer Verhältnisse die Norm auf, in welcher diese rechtlich nebeneinander bestehen sollen und müs> sen. So gebe uns denn der Dichter statt der trockenen, abstracten Re- gel des Gesetzgebers ein schönes, lebensvolles Gemälde, dem kein an- deres ähnliches in unserer Litteratur an die Seite zu setzen seL

Dr 0,

Dbbsden.] Am Gymnasium Stae Crucis war in dem Schulj. Ostern 1857 «^ eineVeränderung im Lehrercollegium nicht eingetreten. DerCandidat DrTheod. Vogel setzte sein in Leipzig begonnenes Probejahr fort, der Cand. Dr K. G. Lobeck vollendete dasselbe und der Cand. Dr Frdr. K. Huldgren begann es Mich. 1857. Die Schüler zahl betrug am Schlüsse des Schuljahrs 329 (I 33, II 36, III 40, IV 46, V 50, VI 89, VII 35, VIII 26, IX 24). Abiturienten Mich. 1857 3, Ostern 1858 27. Das Programm enthält eine Abhandlung von Dr G. Mehnert: LtUherg und Zwingiis Streit über das Abendmahlsdogma (56 S. 8). Je weniger noch in unsern Tagen über die Natur und das Wesen des Streites über das Abendmahl, den Punkt, in welchem die Differenz zwischen der lutheri- schen und reformierten Kirche am sichtlichsten hervorspringt, richtige nnd klare Kenntnisse herschen, je ungerechter Luther selbst von sol- chen, die sich doch zu seiner Kirche bekennen, beurteilt wird, um so dankenswerther ist eine auf die Quellen , Luthers und Zwingiis Schriften selbst, begründete selbst dem Nichttheologen verständliche Darstellung der Sache, ^an kann dem Verf. das Lob der Gründlichkeit und Klar- heit nicht versagen und wir hoffen , dasz das von ihm selbst dargestellt Resultat: ^die Haltung, welche unser Luther in dieser Streitfrage ange- nommen hat, ist von mancher Seite her mehr oder minder scharf ge- tadelt worden; und es wird sich auch nicht hinwegdisputieren lassen, dasz er zuweilen seinen Gegnern sehr derb und bitter entgegnet hat. Sehr viel von dem scharfen Tone kommt zwar auf Rechnung der Schreib- weise jener Zeit; wer jedoch die Urkunden des Streites sorgfältig liest, wird sicherlich auch die Ueberzengung gewinnen, dasz Luther den in seinem innersten Wesen begründeten Glaubensstandpunkt hätte aufgeben müssen, wenn er von der Auffassung, die er in jenem Kampfe verfoch- ten, zurückgewichen wäre. Der Vorwurf eines zänkisch - eigensinnigen beharrens auf seiner Meinung trifft ihn mit Unrecht' das Eigenthum recht vieler werden und sie zu einer ernsten Prüfung der Wichtigkeit des Dogmas veranlassen werde. R, D.

EiSENACH.] In dem Lehrerpersonal des Karl-Friedrichs-Gjmnasium ist im verflossenen Schuljahre 1857 58 nur die eine Veränderung ein- getreten, dasz an die Stelle des am Schlüsse des vorigen Schuljahres aus dem Lehrerkreise geschiedenen Hauptlehrers der Vorbereitungsklasse, Dr Meister, der an dem Gymnasium in Weimar unter günstigeren Ver- bältnissen in dieselbe Stellung eintrat, Dr Schmidt getreten ist, wel- cher an dem Institute des DrMatthiä in Altenburg bisher Unterricht ertbcilt hatte. Femer wurde der Mathematicus Kunze, welcher ein8t- weilen mit Ertheilung des Unterrichts in der Mathematik und den Na- turwissenschaf t'en beauftragt worden war, zam Lehrer der genannten

424 Boriohte Ober gelehrte AntaUen, VerordJiaBg0B, «laliA Holisai.

WiaseiiBoliaftea proyisorisch bestellt Dm LebrercoUegiom bildoi der Director Hofratb Dr Fnnkbänel, Prof. Dr WeisBenborn, Prof.Dr Bein, Prof.DrWitzschel, Prof.Dr Scbwanitz, Prof. Dr Wittich, Kunze, Dr Schmidt, die Hiilfslehrer Archidiakonus Kobl für den Beligionsunterricbt , Seminarlehrer Schmidt für das rechnen, Bealgym-' nasiallehrer Gascard für KalKgraphie und das turnen, Mosikdirector Helmbold für Gesang. Die Zahl der Schüler betrug 87 (I 10, U 12, III 18, ly 20, y 14, in der yorbereitungsklasse 13). Abiturienten za Ostern: 5. Ein Kescript des groszh. Staatsministeriums spricht aioh in Bezug auf die Maturitätsprüfugen dahin aus, dasz man zur Zeit Bedenken trage , die von den Directoren der beiden Landesgymna- sien beantragte Abschaffung derselben zu genehmigen, dagegen beab- aichtige sie wesentlich abzukürzen. Ein bald darauf folgendes Rescript derselben Behörde lautet: die Abiturientenprüfungen werden bis auf wei- teres abgekürzt und es gelten darüber folgende Bestimmungen: I. Die Abiturientenprüfung zerfallt in eine schriftliche und eine mündli- che. Für die Schüler der Gymnasien bestehen die Aufgaben der schrift- lich e n PrüfuDg 1) in einem deutschen Auf satze , 2) in einer freien la- teinischen Arbeit, 3) in einer eorrecten deutbchen Uebersetzung und in einer formellen wie sachlichen Erklärung einer Stelle aus einem grieehi- schen Klassiker, endlich 4) in einem kürzeren französischen Extempo* rale. Die Gegenstände der mündlichen Prüfung sind 1) Lateiniich, 2) Griechisch, 3) Mathematik , 4) allgemeine Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der alten griechischen und römischen sowie der deut- schen; für Theologen und Philologen 5) Hebräisch. II. Der Maszstab der Anforderungen ist durch das Glassenziel der Prima gegeben. HL Bei Bestimmung der Entlassungscensuren entscheiden Torzugsweise die halbjährlichen Censuren, welche der Schüler während des zwe^'ährigen Unterrichtes in Prima erhalten hat. Die schriftliehe und mündliche Prüfung am Schlüsse des zweijährigen Cursus, bezüglich deren Ergeb- nis bildet einen Anhaltepunkt zunächst für die Censuren des letzten Halbjahres. ly. Bei Feststellung des Grades der wissenschaftlichen Keife sind zunächst die Kenntnicse und Leistungen in den beiden alten Sprachen, sodann in der Matliematik und im Deutschen zu Grunde za legen. Die Censur über das sittliche Betragen ist durch das Urteil sämtlicher ordentlicher Lehrer des Gymnasiums festzustellen, y. Die Entlassungszeug^sse sind nach der beigefügten Form auszustellen« yi. yorstehende Bestimmungen finden auch Anwendung auf die Maturitäts- prüfung derjenigen Inländer, welche ihren Schulcursus auf keinem der beiden Landesgymnasien vollendet haben, jedoch unter folgenden Mo- dificationen: 1) die schriftliche Prüfung erweitert sich durch eine ma- thematische Aufgabe, die mündliche erstreckt sich auch auf Religion, Physik und Geographie; 2) die Censur über das sittliche Betragen ist auf Grund beizubringender zuverlässiger Zeugnisse und unter Hinwei- sung auf dieselben auszustellen. Die Abstufungen der wissenschaftlir chen Keife sind: 1) sehr gut, 2) gut, 3) genügend; die des sittlichen Betragens: 1) sehr gi^t, 2) gut, 3) nicht ohne Tadel. Diese yerord- nung über die Maturitätsprüfung hebt also in entschiedener Weise den Kern und Mittelpunkt des Gymnasialunterrichtes , den in den alten Spra- ehen, hervor und spricht das Princip aus, dasz diese Prüfung zwar in formeller Beziehung beibehalten wird, aber in ihrer Bedeutung zurück- tritt, da sie eigentlich nur zu den Censuren der vorhergehenden drei Halbjahre die des vierton und letzten hinzufügt. Daher wird in dem Entlassungszeugnisse .nicht das specicUe Resultat der Maturitätsprüfung, sondern das Gesamtergebnis der CeiTsuren der vier Halbjahre notiert.— Den Schul nachrichten geht voran eine Abhandlung des Prof. Dr Witz- Bchel: das Fest der Sonnenwende (16 S. 4). Die Zeit der "beiden Sonnen«

Beriohl«. tlb^r gelehrte AnsfadtoD, VehvdooogeD^ alalut NotiSMk 425

wenden war dem Heidenthnme eine festliche, hochheilige Zeit. Die Feier der Wintersonnenwende gieng nach Einführung des Christenthams theils in das Weihnachtsfest über, theils erscheint sie noch immer in Brauchen und Volksglauben, welche an den bedeutungsrollen zwölf Tagen und Nftchten zwischen Weihnachten und dem hohen Neujahre, den sogenann- ten ^Zwölften' haften. Das alte Fest der Sommersonnenwende aber ist noeh vorhanden und geborgen in Ueberresten von uralten Sitten, Ge- wohnheiten und Aberglauben, welche am Johannistage theils noeh im- mer lebendig fortbestehen, theils im Andenken dos Volkes und dessen Traditionen erhalten sind und ohne Zusammenhang mit kirchlichen Ein- richtungen ihre Wurzeln in dem Heidenthnme haben. Als einen sol- chen uralten Brauch nennt der Vf. zunächst die vormals übliche Sitte, in der Nacht vor Johannistag oder auch in der folgenden Nacht in Flüs- sen und Quellen zu baden oder aus heilkräftigen Brunnen zu trinken. Offenbar habe dieser Sitte der Glaube zu Grunde gelegen, dasz in die- ser Zeit dem Wasser eine besonders heilsame und reinigende Kraft in- wohne. Dem Johannisbade aber dürfe man nicht einen christlichen Ur- sprung beilegen, darin nicht eine erst durch christliche Ueberlieferung eingeführte Gewohnheit vermuten. Dieser Vermutung stehe entgegen, dasz dieses Bad, wie viele andere ursprünglich heidnische Gebräuche, des Abends oder in der Nacht vorgenommen sei, abgesehen von der weiteren Verbreitung die es gehabt habe. Dem Glauben an eine be- sondere Wunderkraft und Heilsamkeit des Johannisbados gehe aber auch eine gewisse Scheu und Besorgnis , Angst und Fm'cht vor dem Elemente des Wassers zur Seite, die in der unter dem Volke viel verbreiteten Vorstellung ausgesprochen sei, dasz Seen, Flüsse und Bäche ganz be- sonders am Johannistage ihre Opfer haben müsten. Der Vf. will nicht, wie Grirara, in der Forderung dos jährlichen Opfers eine Hinweisung auf wirkliche dem Nichus in uralter heidnischer Zeit gebrachte Menschen- opfer finden, sondern vielmehr eine Aeuszcrung des erzürnten und un- versöhnten Wassergeistes erblicken, welcher die Ueberschreitnngen der Menschen in seinem Bereiche rächend und strafend verfolge. Demnach faszt er den Sinn und die Bedeutung des Wassercultus , wobei Opfer nnd Gaben nicht fehlen, im ganzen entweder als eine Versöhnung für die dem Wassergeiste zugefügte Gewalt oder auch als einen Ausdruck der Dankbarkeit auch für die Nachsicht, Huld und Milde, welche nicht nur Eingriffe gestattete, sondern auch gesunde und erfrischende Gaben spendete« Das Fest der Sonnenwende habe nun ebenfalls und vielleicht ganz besonders zu den Tagen gehört , an welchen alljährlich dem Was- ser eine allgemeine Verehrung zu Theil wurde. Jener volksthümliche « Glaube an das am Johannistage und zu andern bestimmten Zeiten ge- forderte Menschenopfer könne wol auch hervorgerufen sein aus der Vor- stellung , dasz der Wassergeist , über die unter dem Einflüsse des Chri« stentliums unterlassenen und abgestellten Opfer an diesem Tage erzürnt und aufgebracht , für die vormals freiwillig dargebrachte Verehrung und Qabe nun ein gezwungenes Menschenopfer heische. Der Vf. geht dann au dem-fast durch ganz Europa hin verbreitete!^ sog. Johann is- oder Sonnenwendfeuer über, von dem zwei verschiedene Formen vor- kommen: ^euerräder und Scheiterhaufen, und bespricht dann noch "einige andere in einzelnen Gegenden von Deutschland übrig ge- bliebene Johannisgebräuche , wie Johannisbäume u. a. Alles dieses lasse den Tag der Sonnenwende als einen unscrn heidnischen Vorfahren hoch- wichtigen, heiligen Jahresabschnitt erkennen, dessen im Volke tief wurzelnde Bedeutung ein christliches Fest nach und nach habe verwi- schen nnd ersetzen sollen. Davon überzeuge noch recht deutlich der Volksglaube , welcher diesem Tage eine' ganz besondere Wunderkraft und Zauberpraoht beilege. ^^ 0,

426 Beridita ttber gelehrte Anitalten, Verordnongeo, Btatbt NoIiMi.

Nassau.] Ueber die Nassaalscben Gymnasien berichten wir nach den Programmen aus dem Schuljahre 185(V--67. 1. Dillenburg. Das Lehrerpersonal des Paedagogiums blieb in dem Schuljahre 1856—57, wie schon seit mehreren Jahren, unyerändert. Dasselbe besteht nem- lich aus dem Bector L a d e, Gonrector Ilgen, den Collaboratoren Tho- mas und Friede mann, Pfarrer Ilgen evangel. Religionslehrer, Pfarrer Müller und Pfarrverwalter Beichwein kathol. Beligions- lehrem , Schreiblehrer W i n n e n , Zeichenlehrer Herrmann und Gesang- lehrer Koch. Die Zahl der Schüler belief sich am Schlüsse des Schid- Jahres auf 45 (I 5, U 14, lU 7, IV 19). Den Schulnachrichten geht voraus die Abhandlung des CoUaborators Thomas: de Knguae Laknae casibus (24 S. 4). Der Verf. stellt in dieser Untersuchung eine neue Ansicht über die Natur und Bedeutung der Casus in der lateinischen Sprache auf, zunächst des Ablativ, Dativ und Genetiv. Um nicht den Umfang einer Programmschrift zu überschreiten, will er eine gleiche Untersuchung über Accusativ , Vocativ und Nominativ erst sp&ter fol- gen lassen. Der Verf. bat sidi auf ein schwieriges Feld begeben, des- sen Bearbeitung einen kräftigen Arm erfordert. Aber wenn auch durch seine Auseinandersetzungen diese so schwierige und verwickelte Frage ebenso wenig, wie durch die Behandlung seiuer Vorgänger, zu einem völlig befriedigenden Abschlusz gekommen ist, so ist doch dieser neue Beitrag als eine erwünschte Gabe aufzunehmen. Der Ablativ bezeich- net nach des Verf. Ansicht im allgemeinen, dasz eine Sache als' seiend oder vorhanden seiend (im weitesten Umfange) angenommen wird und in dieser Bedeutung Bezug auf ein Prädikat hat. Also Cic. de legg. I § 22 quid est autem, non dicam in homine, sed in omni caelo atqne terra raUone divinius? Was ist aber, ich will nicht sagen i^ einem Menschen, aondem in dem ganzen Himmel und auf der Erde dieVernunftseiend gesetzt oder gedacht, oder besser: die Vernunft angenommen, göttlicher ? de fin. V 38 ratione , qua nihil est in homine divinius , d. \u welche angenommen (gedacht oder als seiend gesetzt) es nichts gött- licheres in dem Menschen gibt. Aus dieser Grundbedeutung wird dann wei- ter abgeleitet der ablativus causae, instrumenti, conditionis, temporis, loci, comparationis , materiae, pretii. Ein groszer Irthum sei es anzunehmen, dasz durch den Ablativ an und für sich irgend ein logisches Verhältnis ausgedrückt sei. Der Verf. geht darauf zum Dativ über und sucht zu- nächst nachzuweisen, dasz die alte lateinische Sprache den Dativ über- haupt nicht gehabt, sondern dasz dessen Stelle der Ablativ vertreten habe, dasz also erst später der Dativ aus dem Ablativ entstanden sei, während umgekehrt Beisig, G. Hermann, Düntzer n. a. den Ablativ ans dem gpriechischen Dativ, welcher die Bedeutung des lateinischen Dativ und Ablativ in sich fasse,* entstehen lassen wollen. Düntzers Ansicht (Lehre von der latein. Wortbildung) ist bekämpft von Weiszenborn in der Becension (Ztschr. f. d. Alterthumsw. 1836 Decbr. Nr. 148 p. 1189), Beimnitz , Benary u. a. G^en die eine wie gegen die andere Annahme ist geltend zu machen, dasz die Bildung eines neuen Casus, zumal in so später Zeit, wie es beim lat. Ablativ anzunehmen wäre, nicht wahr- scheinlich ist , da die Sprachen im Laufe der Zeit an der ursprünglichen Fülle der Formen eher verarmen als zunehmen. Auszerdem fühjrt das Sanskrit (der Verf. will jedoch von einer derartigen Hiweisnng nichts wissen) darauf, dasz Dativ und Ablativ vom Ursprung her verschieden waren und dasz mithin die vorkommenden Verwechselungen ihrer For- men nur in der Aehnlichkeit derselben und in der nahen Verwandtschaft der Bedeutung ihren Grund haben. Vgl. Haaso zu Beisigs Vorles. § 54« 65. 66. Der Verf. will jedoch nicht blos den Dativ ans dem Ablativ herleiten, sondern glaubt aus mehrfachen Spuren den Schlusz ziehen zu können, dasz sämtliche casus obliqui allmählich aus dem Ablativ, in dem

Baridito Aber gelehrte Anstalten, Verordnnngen, Statist Notiteo. 427

sie gleichsam in folliculo quodam noch unentwickelt und noch nicht nn- tersohieden enthalten gewesen, herYprgegangen und sich 211 selbständi- gen Casus entwickelt hätten. Der Dativ soll sich nun vom Ablativ so unterscheiden, dasz er nicht eine Sache als seiend oder gedacht hin- ■teUe, sondern dasz er sie einer andern Person od^ Sache, die mit irgend einem Pädikat verbunden ist, gegenüberstelle. Diese ursprüng- liche Bedeutung des Dativ lasse sich überall wahrnehmen und sowol hier- aus als besonders aus der völligen Gleichheit der äuszeren Form beider Casus die nahe Verwandtschaft derselben erkennen. Daher sei es auch nicht zu verwundern , dasz man selbst bei den besten Autoren bisweilen da den Ablativ finde , wo man nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche den Dativ erwarten sollte, z. B. Hör. Serm. I 6,67. Cic. Fam.VII 13,2« liiv. XXX 13. XLII 28. Auffallend erscheint es, dasz der Verf. dem Dativ, den er doch vom Ablativ herleitet, nicht auch wie letzterem eine doppelte Form zugesteht, so dasz er e und t hätte, ein Schritt, den freilich Beisig nicht thun durfte, da nach ihm der Ablativ erst aus dem Dativ entstanden ist mit geringer Veränderung der Deutlichkeit we- gen. Dasz aber in den vom Verf. angeführten Stellen der Ablativ die unzweifelhaft richtige Lesart sei, ist schwer zu beweisen, da eine Ver- wechselung von e und t für die Abschreiber sehr nahe lag, wie denn auch das hierbei nicht berücksichtigt, was Schneider S. 200 ff. zur Be- gründung des Dativ in e angeführt hat. Ebenso nimmt auch Haase an, dasz bei der auch sonst nicht seltenen Verwechselung des e und t in Endungen, wie here und ?ierif mare für mari usw. zunächst ein gewisses schwanken entstanden zwischen dem Dativ und dem Ablativ, bis sich das e für den letzteren in der Schriftsprache festgesetzt; demnach könnte in alten Gesetzformeln wol iure , aere usw. für den Dativ stehen. Jenes schwanken habe in der ungebildeten Volksmasse auch später fortge- dauert, daher stehe auf Inschriften patre, corUuge usw. für patri^ coniugiy als längst kein gebildeter mehr solche Dative gebraucht habe. Wie der Dativ, soll nun auch weiter der Genetiv der ältesten Sprache der Kömer gefehlt haben , zumal da dieser in seiner Anwendung und in sei- nem Verständnis schwieriger sei als der Dativ. Der wenigstens mit Substantiven verbundene Genetiv bezeichne nichts anderes, als subiectum aliquod cum praedicato cogitcUione esse coniunctum et in breve contracium» Eine in der That weit gehende und nicht recht verständliche Definition! Zu erwähnen ist, dasz der Verf. in der Darstellung des Genetiv im all- gemeinen mit B u m p e 1 : die Casuslehre in besonderer Beziehung auf die griech. Sprache dargestellt, Halle 1845. übereinstimmt, während er in den meisten andern Fällen von dessen Ansicht abweicht. 2. Hada- mar. Das Personal der Lehrer des Gymnasiums ist in dem Schuljahre 1850 1857 unverändert geblieben. Das Lelftercollegium bildeten: Dir. Beg.-Rath Kreizner, Prof. Schmitt, Prof. Bellinger, Prof. Dr Sporer, ao. Prof. Barbieux, die Conrectoren Bill, Meister, Co- lombel, Dr Deutschmann, Collab. Bogler, Elementarlehrer Wep- pelmann, Zeichenlehrer Diefenbach, Gesangl. Wagner. Den Re- ligionsunterricht ertheilten für die kath. Schüler der Priester Sc hm eis- eis, für die evang. Pfarrer Schellenberg. Als Praktikant ist dem Gymnasium zugewiesen der Lehramtscand. Hetzel. Die Schülersahl betrug am Schlüsse des Schuljahres 131, und zwar 100 kath., 19 evang. 3 isr. (I 16, II 18. HI 18, IV 19, V 16, VI 19, VII 25). Abiturienten Ostern 1856 10. Dem Jahresbericht ist vorausgeschickt eine Abhand- lung vom Dir. Kreizner: de scriptoribus Graecis et Romanis caute legen- dU (17 S. 4). Zunächst wird die Frage behandelt: quinam sint Ubrivel iihrarum partes vel loci de qtabus hoc loco quaeratur^ deinde quos et a quibus legi oporteat. Das Resultat der Hauptfrage ist: ^maneant igitnr antiquitatis Graecae et Bomanae scriptomm libri^ integri et immutati,

428 Berichte aber gelehrte Anstalten ^ Verordnnngen, Btatisl. IfoftuMB.

qaales adhne faemnt, et posthao in manibns noBtromm diieipiil<Mnim; «pectati enim et probatl diatomo saeculorum nsu, in perpetnum ad mentes doctrina, virtute animos excolendoa inexhausti emnt thesanii, qoi nnlla nnqnam alia re compensari yel resarciri queant. Neo vero pericola, qnae hinc illinc rernm verbonimve obecoenitate metni poiM ▼ideantnr, ipsomm imminnant nsnm, qnamdiu, qnae noeere poBsint, oaveri poternnt et sanari disciplinae ratione et consilio ezperientiaque magistri.' Der Vf. hat sich alles gelehrten Apparats enthalten , obgleich, wie er sagt , es nicht schwierig gewesen wäre , das zu wiederholen, was von gelehrten Männern des griechischen und römischen Alterthoms wie der neueren Zeit für seine Ansicht yorgebracht sei. 3. Weilbnrg. Im Lehrerpersonale kamen im Schnlj. 1850—57 folgende Yeränderangea vor: der unter dem 14. März v. J. in den Quiescentenstand versetzte Prorector Schmidtborn verschied am 3. Juni d. J. Elementarlehrer Pnlch wurde an die höhere Töchterschule zu Wiesbaden versetzt; an seine Stelle trat Elcmentarlehrer Sauer von Hochheim, Seallehrer Dr Eickenmeyer wurde zum Conrector ernannt. Der Candidat der Phi- lologie Brandscheid setzte seinen in Hadamar begonnenen Probecnr- •us an dem hiesigen Gymnasium fort. Das Lehrercolleg^um besteht daher gegenwartig aus folgenden Mitgliedern: Geh. Reg.-K. Dr M eti- ler Director, Oberschulrath Muth, Prof. Krebs, Prof. Schenk, die Conrectorcn Schulz, Francke, Stell, Becker, Dr Eickemejer« Collab. Otto, Hülfslehrer Sauer, Gand. Brand scheid, Gesang- und Musiklehrer Drös, Zeichenlehrer Durst, Turnlehrer Lieb ich. Seit» lehrer Stroh. Hierzu kommen die Religfionslchrer Stadtpfarrer und Schulinspector Dörr für die evang. Schüler, Pfarrer Stell für die ka- tholischen. Die Zahl der Schüler betrug am Schlüsse des Schuljahres 114, darunter 104 evang., 7 kath., 3 Israel. (I 16, II 24, III 11, IV 17, y 13 , VI 18 , VII 15). Abiturienten 6. Dem Jahresbericht geht voran eine Abhandlung vom Conreotor Becker: le subjonctif franpaii compari au conjonctif latin (19 S. 4). Kcmarque generale sur le subjonctif. It Du subjonctif employ^ dans les propositions absolues et dana lef principales. II. Du subjonctif eraployd dans les propositions snbordon- n^es. A. Propositions circonstantielles. III. B. Propositions compl^tives« IV. Du subjonctif dans les propositions li^es par le pronom relatif. V. Style indirect. 4. Wiesbaden. A. Der dem Gelehrten -Gymna- sium zur Aushülfe beigegebene Candidat der Philologie Biehl verlieea die Anstalt, da er eine Anstellung in Oesterreich gefunden hatte. An die Stelle des versetzten Eiern entarlehrcrs Christ trat der ElementarL Reichard. Bei dem Anfang des Schuljahres wurde der Candid. Hil le- hr and dem Gymnasium zur Abhaltung seines Probecursus zugewiesen. Am 4. April erlitt die AnAalt einen groszen Verlust durch den Tod des evangelischen Pfarrers und Decans Kirchenraths Dr Schultz, welcher seit 1842 den Religionsunterricht in den vier Unterklassen ertheilt hatte* Nachdem diesen Unterricht der Pfarrer S teub in g .auf kurze Zeit über- nommen, wurde bald darauf der gesamte evangelische Religionsunter- richt dem Kirchenrathe Die tz übertragen, in Folge dessen der bisherige evangelische Religionslehrer der Oberklassen Pfarrer Köhler von der Anstalt schied. Das Lehrercolleginm besteht demnach gegenwärtig ans folgenden Mitgliedern: Oberschulrath Lex Director, den Professoren Schmitthenner, Dr Cnntz, Kirschbaum, Prorector Spiess, Oberlehrer Gl ander, Conrector Bernhardt, den CoUaboratoren Sey- berth, Ebhardt, Wagner, Praktikanten Hillebrand, Elementar- lehrer Reichard, Zeichen- und Turnlehrer Casp^e. Auszerdem er- theilen der Kirchenrath Dietz den evangelischen, Caplan Lorsbaeh den katholischen Religionsunterricht. Die Zahl der Schüler betrug 177, darunter 137 evang., 36 kath., 1 deutsch-kath., 1 Israel. (I 0, II 313, III

Beridiie fiber gelehrte Anstalten, Verordnongen, staust. Notisen. 420

28, IV 13, V 28, yi 27, VIl 45). Abiturienten 8. Den Scbnlnaefarieh* ten geht yoran: de rebus Judaieis, Part. IL De arigine gentiä Judaicaey ▼on dem Prof. Schmitthenner (16 S. 4). A. De gentU Jndaiea« ainsqne, quam incolebat, terrae nominibos, quibus ethnioi soriptorea Qraaoi et Latini usi sunt. B. De origine gentis Jmdaicae qaae tradide- nint ethnici scriptores Graeci et Latini. I. Jndaei oriundi snat a b«» pientibns Indomm. II. Judaei ori^em habent a 8parto Udaeo. III. Anetor gentia Jndaicae, Jadaens, hoiusqae frater Idamaeas annt filii Samiramia. IV. Auetores gentis Judaicae, Jadaens et Hierosoljmna, annt filii Typhonis. Y. Judaei sunt Greta insula profugi. VI. Judaei origtnem ducnnt a Solymis. VII. Judaei sunt proles, Aethiopum. VIII. Jndaei annt Assjrii -convenaa. IX. Judaei sunt colonia Aegjptiomro. Der Titel des ersten im Jahre 1844 als Programm des Gymnasiuma sa Weilbnrg erschienenen Theils dieser Abhandlung lautet: Percensenher eihnid scriptores Graeci et Laürd^ gtä de rebus Judaicis oonanemorarunt vel cemmemorasse dicuniur. Benutzt: Movers, die Phönicier und J. G. MüU 1er Untersuchung der Taciteischen Berichte über den Ursprung der Juden ; in den theo). Stud. u. Krit. 1843, 4. Heft, S. 893 ff. Neues führt die Untersuchung nicht zu Tage; der Verf. selbst macht auf kein weiterea Verdienst Anspruch, als ^ collectionis et compositionis^. B. In dem Realgymnasium zu Wiesbaden sind im Schuljahre 1856 57 folgende Veränderungen eingetreten: der Candidat des höheren Reallehrerfacha Unverzagt gieng nach Paris, um sich dort für die neueren Sprachen aowie auch für die Mathematik und die Naturwissenschaften noch wei* ter auszubilden. Zu dessen Ersatz wurde der Candidat Krebs, bisher an dem Gymnasium zu Hadamar, dem hiesigen Realgymnasium über* wiesen. Auszerdem leistete Aushülfe der Candidat Dr Wenzel. Daa Lehrer collegium der Anstalt bildeten im verwichenen Schuljahre: Dir. Oberschulrath Dr Müller, die Professoren Lüdecking, Ebenau, Greisz, die Conrectoren Dr Cass&lmann, Sandberger, Polack, Collaborator Monges, Sprachlehrer Mi Ine, die Reallehrer Becker, Leyendecker, die Candidaten Krebs, Dr Wenzel, die Zeichenleh- rer Scheuer, ▼. Bracht, Gesanglehrer An t he s. Die Zahl der Schüler betrug 145 (I 9, II 14, lU 24, IV 27, V 28, VI 27, VII 16), Hospi- tauten 13. Abittirienten 4. Den Schulnachrichten geht roran: Franz Bacons Standpunkt und Methode, vom Conrector Polack (29 8. 4). Der Verf. hat den Weg verfolgt , auf welchem Bacon zu seiner Reform und Methode hingeführt ward, und sodann seinen Ausgangspunkt, seine Idee von der Wissenschaft, sein philosophisches Princip und 'seinen Gegen- satz gegen die Hauptrichtungen der Forschung seiner Zeit, sowie den allgemeinen Charakter seiner Methode kennen gelehrt. Die Lösung der zweiten Aufgabe, die inductive Methode selbst darzustellen, soll später folgen. Dr 0.

Personalnotizen.

Ernennanfpen« Befttrderanfpen « Teraelsanfpen t

Baner, Andr., Suppl. am kk. Gymn. zu Pisek, zum wirkl. Lehrer an ders. Anst. befördert. Bippart, Dr Ge., auszerordentl. Prof. der klass. Philologie an der Universität zu Prag, zum ord. Prof. desselben Faches ebend. befördert. Blackert, Dr Ge., Gymnasiallehrer , zu Rinteln in Karhessen , zum wirkl. Lehrer am kk. Gymn. zu Czernowitz

430 Personalnotizen.

em. -^ Cobensl, Jos., Snpplent am Gfymn. San Procolo zu Venediff, zxun wirkl. Lehrer am Gymn. zn Zara em. Dippe, Dr, Oberlehrer am Gjmn. Fridericianum zu Schwerin , zum Hofrath und Referenten dea Hinisterioms für Handels- und Gewerbeangelegenhciten ebend. ernannt. Gamm, Oberlehrer an der Bürgerschule, zum Lehrer am Gymn. zu Zittau em. Herbst, ord. Prof. der Rechtsphilosophie und des österr. Strafrechts an der Univers. in Lemberg, in gleicher Eigenschnft an dia Uniy. zu Prag versetzt. Kalincsak, Job., Rector der evang. Prir yatlehranstalt zu Modem, zum wirkl. Lehrer und provisor. Direotor am evang. Staatsgymn. zu Teschen em. Kleine, Flor., Priester, znm zweiten Religionslehrer am kathol. Staatsgymn. zu Hermannstadt em. -^ Oberweis, Dr Jos., Privatdocent, zum ao. Prof. des deutfchen Pri- yatrechts an der Univ. zu Innsbmck em. Politeo, Ge., Lehrer am Gymn. zu Spalato, an das kk. Gymn. di Sta Eaterina in Venedig ver- setzt. — Schulze, Dr, Lehrer am Progymnasium zu Chemnitz, zum 10« Lehrer am Gymn. Friderician«m in Schwerin ern. Vogel, Dr Theod., Lehrer am Krause* sehen Institut zu Dresden, zum Lehrer am Gjrmn. zu Zittau em. Wolf, Wenz., Snpplent am kk. Gymn. zu Eger^ sum wirkl. Lehrer an ders. Lehranstalt befördert.

Gestorben t

Am 31. März zu Gent Dr J. B. Mareska, Prof. d. Chemie an der das. Universität. Am 13. Apr. zu Neapel der bekannte kath. Missio- nar, Generalvicar für Central -Afrika, Dr Ign. Knoblecher, geb. in Krain am 6. Juli 1810. Am 25. Apr. zu Marburg in Steiermark der provis. Dir. des das. Gymn. Ge. Mally, im Alter von 66 J. Am 11« Jun. in London der ausgezeichnete Botaniker Robert Brown, HitgL vieler gelehrter Gesellschaften , geb. 1773. Am 13. Juni in Wiesbaden der gewesene Director des Realgymn. zu Eisenach, Educationsrath Dr Ed. Mager, bekannt durch seine Lehrbücher und die von ihm begrün- dete pädagogische Revue. In Berlin starb der Generalsuperintend. der Provinz Pommern, evang. Bischof Dr Ritschi, im 75. Lebens j. —^ Am 18. Juni ebendas. der bekannte Archäolog, Akademiker Prof. Dr Theod. Panofka. Am 10. Juni in Jena der Prof. der Med. Gcdi. Hofrath Dr Huschke.

Zweite Abtheilung

hmugcgebcB rra Radtlph Dietseh.

1 ■'

30.

Aede des k. Studienrectors Dr Döderlein, gehalten bei der öfTentlichen Preisvertheilung am 6. August 1858

zu Erlangen.

Hochgeehrte Versammlung!

Unser Schuljahr und mit ihm unsere Jahresarbeit endet mit dieser Stande, zu deren Mitfeier wir Sie geziemend eingeladen. Jeder unserer Zöglinge, deren Pflege Sie bisher mit uns theilten, kehrt für nicht kurzo Zeit aus unserer Ordnung, der er 10 Monate lang gehorcht ohne dabei der Freiheit zu entbehren , unter Ihre ausschlieszliche ßotmaszigkeit sarflck und soll da die angenehme Freiheit genieszen ohne der nütz- lichen Ordnung sich zu entfremden. Möge ihnen beiderlei Zeit zur Freude und zum Segen geworden sein und werden!

Ein Rückblick auf das heute abgeschlossene Jahr mahnt Sie wie uns an den schmerzlichen Verlust eines vieljährigen theuren Amtsge- ■ossen*), der, nach längeren Leiden durch einen sanften Tod den Sei- Digen und uns entrissen, im dankbaren Gedächtnis vieler Herzen fort- lebt. Dies war die einzige nennenswerthe Störung unseres Lebens; mid rechtzeitig hatte die königliche Fürsorge jene geschwächte Lehr- kraft für den Augenblick durch einen tüchtigen Verweser '*"*') , wie für die kommende Zeit durch einen geachteten Nachfolger ersetzt, so dasz die Sache selbst, die der dahingeschiedene vertrat, nicht zu Schaden kam. Auf anderem Wege ward noch ein anderer langverdienter Mit- arbeiter ^*^) von uns genommen , um ein eben so gutes Andenken in Erlangen zu hinterlassen , als er für Erlangen selbst bewahrt. So hat unser Lehrerverein heute ein anderes Aussehen als am Schlusz des Vorjahrs, Jedoch ohne sein Inneres geändert zu haben, da dieselbe Einigkeit der Ueberzeugungen und Gesinnungen herscht wie vordem. Auch eines erwünschten Fortschrittes zu erwähnen fordert schon die

*) Dr Flaminin Gl asser, Professor der Mathematik. **) Alois Zieg- ler, cand. math. ***) Dr Carl Bayer, Gymnasialprof. in Hof.

iV. Jahrb. f, PhU. u. Paed, Bd LXXVIU. Bft 9. 29

432 Rede von Döderlein.

Pflicht der Dankbarkeit. Was ich öfter von dieser Stalte aus als Wunsch aussprach, es möge der Geistesbildung, unserem nächsten und Hauptberuf, eine entsprechende Pflege und Ausbildung des Kör- pers als wolthätiges Gegengewicht zur Seite stehen, durch ein fröh- licheres gedeihen des Turnwesens, das geht seiner Verwirklichang entgegen. Die ebenso erleuchtete als wolwoUende Staatsregierang, welche für die kleinsten Bedürfnisse der Schulen ein gleich offenes Ohr hat, wie unser erhabener Landesfürst ein offenes Aug'e für das, was der Wissenschaft im groszen noth thut, sie hat reichliche Mittel bewilligt um einen Turnplatz nach den gesteigerten Ansprüchen der Zeit und der Kunst herzustellen, und den Unterricht selbst in die Binde eines nicht blos geübten, sondern für die Sache auch begeisterten Leh- rers'^) gelegt. Der Jugend ist es nun anheimgegeben, die dargebotene Hand zu ergreifen und zu beweisen, dasz sie nicht blos jung sondern auch jugendlich sei, und den Satz zu bewahrheiten, dasz eine edle Be- geisterung ansteckend wirkt. Die jüngst gegebenen Proben lassen das erfreulichste hoffen.

Doch will ich hier nicht der Körperkraft eine Lobrede halten. . S i e bedarf keines Lobes, keiner Nachweisung ihrer Unentbehrlichkeit; Denn so oft auch in Zeiten der Barbarei die Geisteskraft der ihr ge- bührenden Achtung entbehrte, so war doch die Körperkraft zu kei- ner Zeit verachtet, auch nicht in den Zeiten allgemeiner Verweich- lichung, wo sie sich vernachlässigt sah. Aber wie Stärke nieht der einzige Vorzug des Körpers ist und sogar in plumpe Rohheil aas- artet, wenn sie nicht mit einem andern Element sich paart, mit Anmat, die oft einem Mangel an Kraft ähnelt, so ist es auch mit Geist nnd Seele. Erst der Verein von Kraft und Milde und das Ebenmasz beider macht den wahren Menschen. Denn die Milde, hinter welcher keine Kraft gleichsam im Hintertreffen aufgestellt ist, wird zur Weichlich- keit und Schwäche, und umgekehrt ein kräftiger Geist und Charak- ter , der die milden Tugenden von sich ausschlieszt als dienten sie nur zur Schwächung und nicht vielmehr zur Ergänzung seines Wesens, taugt wol zum Ideal eines Barbarenvolkes, aber wird nie ein Held im Sinne der wahren Menschlichkeit, geschweige denn für ein chrislHckes Volk. Das sollen und wollen wir Lehrer nicht aus dem Ange rerlie- ren, wollen das starke und das milde Element in unsern Zöglingen gleichmäszig auszubilden bemüht sein, theils im Unterricht und in der Schulzucht, die wir allein zu vertreten haben, theils in der Erziehung, die wir mit der Familie und mit der Kirche theilen. Oder lassen Sie mich diese Doppelaufgabe in die Worte fassen: wir sollen unsere Ja- gend zu Männern und zu Menschen bilden, zu Männern für die Zukunft und jetzt schon zu Menschen. Denn der Mensch beginnt als- bald mit dem ersten erwachen der Vernunft, der Mann erst mit der vollen Erstarkung des Körpers, mit der Reife des Verstandes, mit einer Selbständigkeit seiner Lebensstellung. Ist es Glück und Ehre

*) Max Lechner, Stadienlehrer.

Rede von Döderlein. 433

Bcbon ein Mann zu sein, so ists weder Unglück noch Unehre es noch nicht sa sein, aber Tborheit ist es dem Gang der Natur ungeduldig vorzueilen. Auch genieszt nach Gottes weiser Weltordnung jedes Le- bensalter so viel eigenthümliche Vorzüge, dasz jedes das andere um die seinigeu beneiden kann und dasz oft der Mann mit eben so viel Wehmuth auf seine harmlose Kindheit zurückblickt als der Knabe mit Sehnsucht seinen thatkräftigen Mannesjahren entgegensieht. Darum sehen wir Lehrer in unsern Zöglingen nur das was sie wirklich sind, theils Knaben, theils Jünglinge; beide den Kinderjahren entwachsen, aber beide den Mannesjahren noch fern stehend; beide keines Gängel- bandes mehr, wol aber noch einer vaterlichen Herschaft bedürftig. Es kommt viel darauf an, die gerechten Ansprüche jedes Alters zu be- achten, schon in dem Knaben einen gerechten Stolz zu pflanzen und nicht weniger in dem Jüngling den natürlichen Uebermut niederzu- halten. Und soviel ich als Vorstand wirken kann, strebe ich nach dem Buhm der Liberalität, indem ich jenen rechten Stolz ehre und nähre, aber verzichte auf jene Popularität, die durch das wol- feile und gefährliche Mittel gewonnen wird, den Jüngling als einen fertigen jungen Mann zu behandeln, auf Kosten seiner Selbstkennt- nis und D^mut. Was kann und soll nun eine Schulanstalt, wie dio nnsrige ist, thun, um ihren Zögling einestheils durch Ausbildung der starken Tugenden zum einstigen Mann vorzubereiten, andererseits durch Pflege der milden Tugenden immer mehr zum wahren Men- schen zu machen? Das ist die Frage, die ich in dieser Stunde nicht erschöpfend beantworten, aber durch flüchtige Andeutungen Ihrer Auf- merksamkeit und Tbeilnahme näher bringen möchte.

Der zum Mann heranreifende Knabe und Jbngling soll sich vor allem bewust bleiben, dasz er kein Kind mehr ist. Von dem Kind, in dem die Vernunft noch schläft, ist es ungerecht und thöricht sittliche Beweggründe seines handelns zu verlangen und zu hoffen; es folgl naturgemäsz seinen Gelüsten und opfert diese nur dem Zwang a(if oder der Furcht vor Zwang. Allein wenn der zehnjährige Knabe in das Heiligthum der Schule eintritt, musz die Vernunft, wenn auch noch nicht erstarkt, doch schon erwacht sein; und dies Gefühl darf und soll fflr ihn eine Quelle des Stolzes bilden. So lange er die Sprache der Vernnnft noch nicht einmal versteht, gehört er noch ungetbeilt der Familie an ; versteht er sie zwar, aber glaubt und gehorcht ihr nicht, da kann die Schulzucht eintreten und ihm mit Liebe und Strenge be- greiflich machen, dasz das sollen mehr gilt als sein wollen. Und ein je lebendigeres Ehrgefühl in ihm wohnt, um so mehr sucht er sich mit dem sollen zu befreunden, um jenes verhaszte müssen abzuwenden, das ehemals seine bereits überwundenen Kindesjahre beherschte. Er musz sich schämen in sie zurückzuverfallen; denn Schande ist es, die Sprache der Zuchtruthe zu verstehen und die des Wortes, des Gesetzes, des Rathes, der Bitte nicht zu verstehen. Soll darum die frühere Zucht- ruthe eine Unmöglichkeit in der Schule sein? Mit nichten! Der Knabe ist ihr entwachsen, aber nur so lange als er wahrer Knabe bleibt,

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434 Rede von Döderlein.

nicht freiwillig in die uDvernanrtigo Kinderzeit zurücktritt. So lanlet mein Glaubensbekenntnis über diese Streitfrage der firziehnngskunst; ihm gemäsz bitte und beschwöre ich meine Mitlehrer , nur und nnr in solchem Falle dieses allzu bereit vorliegende Strafmittel anzawep- den. Und so geschiehts auch. Ihr Gebrauch aber ist nicht in böherera Grade unnatürlich als Rückkehr des vernünftigen Knaben in seine nn- vernünftige Kinderzeit.

Derselbe Stolz soll den Knaben auch bewahren vor jenem kindi- schen Wesen, das in der Unfähigkeit zum Ernst besteht, da wo der Ernst an seinem Platz ist. Allein kindisches Wesen überhaupt entstellt den Knaben keineswegs, ist oft sogar der Kindlichkeit verwandt. Und da die Natur keinen Sprung gestattet, keine scharfen Grenzlinien zieht, so darf der Erzieher sich der naturgemäszen Erscheinung fronen, wenn auch ein der Kindheit entwachsener Knabe dann, wenn den Ernst genug geschehen, nicht blos heiter, sondern selbst kindisch sein mag.

Aber wie vom Kinde, dem alle ernste Thätigkeit noch fern liegt, ebenso sollen sich unsere Zöglinge auch vom reifen Manne kennt- lich unterscheiden. Dieselbe Rede und Handlung, die den Mann als klug und weise zeigt, wird im Munde nnd im thun des Jünglings oft zur Altklugheit, bald auf widerliche bald auf lächerliche Weise. Ich könnte hier den Eindruck ausmalen , den ein Jüngling macht, wenn er statt blos Anstand und Höflichkeit zu beobachten, sich als Meister in allen Regeln gelernter Etiquette zeigt und einen weltgewandten, ge- würfelten Salonherrn darstellt. Statt dessen gestatten Sie nnr ans meiner speciellsten Praxis darzuthun, wie sorgsam ich der Altklugheit entgegenarbeite. Ich gebrauche in meinem Unterricht sogar geflissent- lich und ohne Noth und weit häufiger als ich im Leben gewohnt bin vornehme Kunstausdrücke wie sie der philosophische Katheder, nnd Modewörter wie sie die gebildetere Gesellschaft liebt; aber wehe dem Schüler, der diesem Beispiel seines Lehrers folgt im sprechen oder schreiben, er ist vor meinem Spott nicht sicher, den ich sonst nicht leicht im Unterricht anwende. Jenes leidige Beiwerk der modernen Sprache und Gesellschaft soll die Jugend blos wie eine Wissenschaft kennen, nicht als eine Kunst üben. Kein Mensch auszer dem Ver- brecher trägt schwer an dem was er weisz; nur in seltenen Fällen soll er mit den Wölfen heulen, aber in allen Fällen das Wolfsgeheul ver- nehmen und ertragen können. Hört ein siebzehnjähriger Gymnasiast in gebildeter Umgebung von Transscendenz und Immanenz, von Velleitaten und banalen Gedanken sprechen und bedarf kein^ Verdolmetschnng dieser dem ordentlichen Schulunterricht fremden Wörter, desto besser für ihn! versteht er sie nicht, so trifft ihn kein Vorwurf, aber führt er selbst und gar mit Wolgefallen die Transscendenz und Velleität im Munde, dann kann er gewis sein ein Gegenstand des Spottes und des Mitleids zu werden.

Doch beschränkt sich die Jugendlichkeit nicht auf die Freiheit von Altklngheit. Den Jüngling im höchsten Sinn des Wortes erkennen

Rede von Döderlein. " 435

wir an der Glut seines Gefühls, an seiner Erregbarkeit für das grosza und schöne, an der Kraft edler Leidenschaft in Neigung und Abneigung; das ist die Krone des Jünglingslebens, bis sie sich durch die ruhige und später kalte Besonnenheit des reifen Alters abgestreift und abge- löst sieht, wie die schöne Blüte durch die brauchbare Frucht. Wenn Mich der Becher überschäumt, schade um den Wein, der dabei za Grunde geht, aber besser Ueberflusz als Dürftigkeit! Die Bändigung unedler und die Mäszigung edler Leidenschaften,' nicht ihre Unter- drückung, das ist das Meisterstüök der Erziehungskunst. Freilich ein solches Uebermasz von glühendem Gefühl, mit einseitiger aber desto gewaltigerer Liebe einem Gegenstand zugewendet, das ist es nicht, was die beutige Jugendbildung erschwert; darüber klagen nicht blos die Lobredner der alten Zeit, ihrer Jugendzeit; auch die jüngeren Lehrer und nicht in Erlangen, nicht in Baiern, nein, überall, allüberall sehnen sich (falls sie nicht die Buhe eines Kirchhofs für den wün- schenswerthesten Zustand halten) nach Aeuszerungen solcher Leiden- schaftlichkeit, ganz so wie der tüchtige Reiter lieber Zügel als Sporn gebraucht und sich kein allzu frommes Pferd wünscht. Ich will nicht klagen, noch weniger jemand anklagen, nicht die Jugend, die von der Luft ihrer Zeit lebt, nicht die Oberbehörden, deren wohlgemeinte Auf- sicht vielleicht des guten zu viel thut, nicht den Lehrerstand, dem

. das Publicum häufiger unangemessenen als mangelnden Eifer vorwirft, - hier genügt die Andeutung, dasz wir diesen faulen Fleck in unserm Wirkungskreis wol kennen und lieber den Kampf mit einer über- sprudelnden und allenfalls auch unbequemen Kraft aufnehmen möchten, als ihn gegen eine gefahrlose und bequeme Lauheit fortführen.

Drittens soll der tüchtige Jüngling, so wie eine andere Gestalt so auch ein anderes Wesen zeigen als die liebenswürdigste J^ung- frau. Entsetzen Sie sich nicht vor einem verdächtigen, unbeliebten Namen, mit dem ich mich deutlich zu machen suche; die Schule soll den Jüngling vor allem zu einem Verstandesmenschen bilden. Es ist ein trockenes, kaltes Wesen, der Verstand, und oft ein Tod- feind der wärmsten, schönsten Gefühle. Und doch ist er'^s allein, der die Welt regiert und erhält, der wieder Ordnung schafft, wenn sie

- durch blosze Gefühle, auch die edelsten, gestört ist. Nur der kalt be- rechnend« Verstand. des Oberfeldherrn gewinnt die Schlacht, und desto gewisser, je williger sein Kriegsvolk all seine glühende Begeisterung mit blindem Gehorsam seinem kalten Verstand unterordnet. Ist nun der Mann zur Herschaft berufen, im groszen oder im kleinen, so thut ihm vor allem ein scharfer, klarer, geübter Verstand noth. Ihn vor allem soll die Schule bilden, als das unentbehrliche, wie das Brot oder Kleid es ist ; neben ihm als zweites auch den Schönheitssinn, als wohl- schmeckende Zukost und Schmuck. Die sittliche Bildung, jene Haupt- aufgabe der Eltern und der Kirche, darf in der Schule die der Verstandesbildung bestimmte Zeit nicht schmälern. Versöhnen Sie sich, Verehrteste, mit den Verstandesmenschen sie gleichen nur dann dem Mephistophelcs, wenn sie, selbst gemütlos. Feinde dos

436 Rede von Döderlein.

Gefühles sind, dessen Beherscher sie sein sollen. Also alle Ehre dem trockenen Verstände ! Dessen kann der Mann nie zuviel besitzen wol aber die Jungfrau auf Kosten ihrer Weiblichkeit. Hit lieber- treibung, aber nicht ohne tiefen Sinn stellte ein vaterländischer Dich- ter den kühnen Satz auf: seit 6000 Jahren hat noch niemals eine Pran durch Verstandesgründe sich überzeugen lassen so wenig, meint er, als ein Prophet sich durch den scheinbarsten Widersprach irren läszt der selbstredenden Stimme in seinem Inpern za fest zn vertrauen. 'Verstand wie Gefühl können irren, aber diese Zuversicht auf die unmittelbare Eingebung des Gefühls ziert das Weib und ent- würdigt den Mann. Wenn ich daher (lem gefragten Schüler auf seine Versicherung, dasz er das wahre fühle und es nur nicht in Worte fassen noch beweisen könne, zur Antwort gebe: das ist die Rede eines Mädchens, nicht eines Jünglings oder Mannes! so meine ich kein Un- recht zu thun.

Ich bitte Sie einen Blick auf den Weg, den ich Sie führte, zurftck- zuwerfen. Wenn der zehnjährige Knabe und der achtzehnjährige Jüng- ling den Stolz besitzt als vernünftiges Wesen zu handeln , um sich selbst auch als solches behandelt zu sehen, wenn er den Jugendmnt besitzt und den Drang für einen würdigen Gegenstand seiner Liebe zu leben und zu sterben, wenn er die Vers tan des kraft besitzt, um sich nicht blos von dunkeln Gefühlen leiten zu lassen und die bloszen Gefühlsmenschen sogar beherschen zu können ist er dann nicht auf dem Wege ein wahrer Mann, ja wenn ihm das Glück hold ist, selbst ein groszer Mann zu werden? Wenigstens zählten die Helden, welche die Weltgeschichte grosze Männer nennt, mehr oder weniger alle zu den Verstandesmenschen.

Aber ein wahrer Mann ist darum noch kein wahrer Menscii, der grosze Mann noch kein groszer Mensch, so wenig als jede Kraft zugleich eine wolthätige, gottgefällige Kraft ist. Alle starke Tugenden vertragen sich mit der Selbstsucht, und der Mangel an den milden, ,an Seibstbeherschung, an Menschenliebe, an Gottesfurcht hat noch keinem Helden den Namen eines groszen Mannes entzogen. Der wahre Mensch aber beginnt erst mit der Seibstbeherschung, mit der Liebe und mit der Empfänglichkeit für das ideale Leben.

Die erste dieser Eigenschaften, die Herschaft über shch selbst, unterscheidet ihn von der Bestie. Der Mensch ist ein Thier, aber zu- gleich das Gegentheil des Thieres. Die leibliche Verwandtschaft and Aehnlichkeit mit ihm vermag auch der weiseste nicht zu verleugnen noch abzulegen ; diBsto eifriger masz er auf geistige Verschiedenheit von der Bestie hinarbeiten. Er musz noch andere Freuden kennen als die sinnlichen. In dem Grad, in welchem er den Sinnen fröhnt, gleicht er der Bestie, der vornehme Feinschmecker nicht weniger als der ge- meine Trunkenbold. Je mehr natürliche Neigung unser edles deut- sches Volk zu solchen sinnlichen Genüssen von den ältesten Zeiten an verrathen hat, je weniger auch seine Gegenwart diese weltbekannte Nationalschwäche verleugnet , desto freudigere Anerkennung verdient

Rede yon Döderlein. 437

es, weoD die uns anvertraate Jagend, sei es in Folge eigenen Triebes oder unserer Schalordnungen, von aller Art Völlerei sich fern hält. Ich hoffe mich nicht zu irren; denn das ist kein Fehler, der im ver- borgenen schleicht und wuchert, wie so mancher andere. Doch lohnen wir Lehrer auch diese gute Sitte durch möglichste Liberalität in Aas- legung nnd Handhabung der streng bemessenen Schulgesetze, theils aas Klugheit , weil ein allzu straff gespannter Bogen leicht springt, theils aus Liebe zu der Jugend, nm ihr die Jugendzeit nicht za ver- kümmern. An Ernst und Strenge aber fehlt es eben so wenig, so oft wir diese Milde misbraucht and die natürliche Grenze zwischen Froh- sinn und Robheit überschritten sehen. Aber so weit auch der Deutsche in der Mäszigkeit manchem andern Volk nachstehen mag, so unbe- streitbar wird das christliche Gesetz der Menschenliebe bei uns allgemeiner erkannt und geübt als anderwärts. Es ist nicht zu viel 'gesagt, dasz die eigentliche Sittenlehre des Christenthüms , dessen Angelpunkt doch die Liebe ist, nirgend so tiefe Wurzeln geschlagen bat als bei den deutschen Volkern. Lassen wir es uns immerhin ge- fallen, dasz der stolze Englander über den gutmütigen Deutschen höhnt, der ihm, dem unbekannten, zuvorkommend einen Liebesdienst entgegen- bringt, blos weil er ein Mensch ist, während er alles entgegenkom- men wie eine Entwürdigung scheut, weil er ein Mann ist; sein Stolz iaf's keines Menschen zu bedürfen , unsere Freude ist^s mit Menschen freundlich zu verkehren. Nicht dasz wir die christliche Liebe schon ergriffen hätten wie wir sollten; aber ein Blick auf die Völker, welche diesseits und jenseits des Ocean neben den Deutschen die Bildung ver- treten, zeigt uns dort weit weniger Scheu sich nnverhüllt zum Panier des Egoismus zu bekennen, während in unserm Vaterland die grobe Selbstsucht sich nicht so laut und breit machen darf, als sei sie die einzig natürliche Gesinnung, und wenigstens der Glaube, dasz reine Menschenliebe ohne Eigensucht und Eitelkeit nicht blos in's Reich der Heuchelei oder der Träume gehöre, noch besteht. 0 könnten Schul- gesetze und Schulzucht auch diese Gesinnung ebenso wie jene Ent- Ihaltsamkeit und Mäszigkeit pflegen und fördern ! Doch bleibt es kei- neswegs wirkungslos, wenn nicht blos der Religionslehrer die christ- liche Liebe predigt, sondern jeder von uns auch im weltlichen Unter- richt den geheimen Regungen des Geizes, des Neides, der Selbstsucht oder gar der Bosheit noch ernster und eifriger entgegenwirkt als den Ausbrüchen jugendlichen Leichtsinnes and Uebermutes, diesen als Zucht- meister, jenen als Seelsorger.

Der liebevolle Mensch sucht, was nicht ihm selbst sondern an- dern nützt; aber eine verwandte Gesinnung verlangt auszerdem noch etwüs höheres, selbst als das was andern und was allgemein nützt, wenn dieser Nutzen nur dem sinnlichen, dem irdischen Leben gilt. Denn der sterbliche lebt in einer höheren und niederen Heimat zugleich und ^ soll in beiden Burger sein und bleiben; der gemeine nur dem hand- greiflich nützlichen zugewandte Mensch gibt das eine Bürgerrecht auf, der schwärmerische, der Wirklichkeit sich entziehende das andere;

438 AbgraDgsprttfangeD.

der wahre Mensch weill, je nachdem ihn sein irdischer «od ivseerer oder sein innerer und höherer Beruf anweist, bald in der wirklichen Welt, bald im erhabenen Reich der Ideen. Dieser Glaube der edleren Naturen , dasz neben der sichtbaren Welt noch eine unsiohlbare Welt der Ideen nicht blos in weiter Ferne über uns besteht , sondern schon unser irdisches Leben zugleich durchdringen, lautern und zugleich er- heitern soll, dieser Sinn für das ideale ist es, was das Menschen- wesen krönt, ohne der Manneskraft Abbruch zu tbun.

Ich habe die mir selbst gestellte Frage beantwortet, so nnroll- ständig als es in meinem Plane lag, als es Zeit und Ort gestattet. Ent- halten nun die Grundsätze, die ich hier bekannte und als Biohtsohnar unserer Lehrerthätigkeit bezeichnete, nichts, was den herschendet Begriffen von Sittlichkeit und christlichem Sinn widerspricht, und auch nichts , was in bester Meinung doch die Saiten zu hoch spannte und das Gepräge des überschwänglichen an sich trüge, dann dflrfen wir bitten und hoffen dasz auch Sie, verehrteste Anwesende, und besonders Sie, hochachtbare Eltern, Verwandte und Frennde der uns anvertrauten Jugend, nach KrSften und auf alle Weise unser Werk fördern mögen, uns zur Stütze, Ihnen und Ihren Söhnen lom Segen.

Sl.

Abgangsprüfungen.

Die Beobachtung, di« sich seit einer Reihe von Jahren in versohi»* denen Gebieten Deutschlands den Gymnasiallehren und aufmerksamen Freunden des höheren Schulwesens unabweislich aufdrängte, dass di^ Abgangs -(Abiturienten- oder Maturitäts-)prafungen auf das zunichsl vorangehende Jahr, wol auch weiter rückwärts einen nachtheiligea Einflusz üben, indem sie die freie Liebe für die Wissenschaften in einei knechtischen Dienst verwandeln , hat längst den dringenden Ruf ntclb Abhülfe veranlaszt, und es sind wiederholt Stimmen laut geworden, die nur in der Aufhebung des ganzen Instituts eine gröndliehe Hilfe erkannt haben. Neuerdings ist die Frage: ^sind Abiturienten- Prüfungen nothwendig' in dem Märzheft der Zeitschr. f. d. Gym- nasialwesen von Director Dr Schmidt zu Wittenberg mit nein bo- antwortet, dann in der Versammlung mittelrheinisoher Gymnasiallehrer zu Auerbach erörtert und theils (namentlich von Dir. Piderit) be- jaht, theils auch verneint worden. Ich war nicht der Ansicht, dass die nachtheiligen Erfahrungen , welche mit diesen Prüfungen gemacht wurden, die sofortige Aufhebung derselben rechtfertigen dürften; ich hielt es vielmehr (in Uebereinstimmung mit bewährten, umsichtiges

AbgaD^prQrangen. 439

Schalmannern, wie 6. T. A. Krflger'*') und Landfermann^) ffir rathsam, dasz zunächst der Versuch gemacht werde, ob die nicht za llngnenden Uebelstände durch Modification der Prafungen .beseitigt werden können. Die Sache ist wichtig genug, um eine erneute Erör- terung der Frage in dieser Richtung zu entschuldigen.

Vor allem darf man sich über die Bedeutung der mit diesen PrO- fnngen verbundenen Uebelstände nicht täuschen, und sich der Aner- kennung nicht entziehen, dasz hier eine Aenderung dringend geboten ist. Ich glaube von meinen unmittelbaren Erfahrungen ausgeben %n dürfen. Zwar über die Wirkungen, welche in der neusten Zeit in meinem engern Vaterlande die Maturitätsprüfungen (zu welchen die Abiturienten aus allen Anstalten berufen werden) üben, vermag ich nicht KU urteilen; vor etwa 18 Jahren, als ich an diesen Prüfungen theilzunehmen hatte, schienen sie im allgemeinen nicht geeignet die Gymnasialschüler, welche denselben entgegengiengen , ängstlich zu maehen und zu unnatürlichen Anstrengungen und Repetitionen zu ver- anlassen. Im Gegentheil diente die Beobachtung, wie in Folge der nicht sehr hoch gestellten Forderungen , der Wechselfälle des Glücks nnd unerlaubter Hülfe nicht selten Schüler das Examen mit Erfolg be- stunden, denen die Lehrer vom erstehen der Prüfung abgerathen oder das Zeugnis der Reife versagt hatten, zu wunderbarer Ermunterung .das Wagnis zu bestehen, und eine Menge unfertiger Gymnasialschüler oder nothdürftig für die Prüfung einigermaszen abgerichteter Schreiber nnd Militär -Unterärzte drängte sich zu der Prüfung, da ja nach dem ersten mislingen das erstehen einer zweiten, dritten usw. Prüfung un- verwehrt blieb. Meine gegenwärtigen Erfahrungen beschränken sich auf die Concursprfifungen, welche über die mit ansehnlichen Benefl- cien verbundene Aufnahme in das höhere evangelische Seminar zu Tü- bingen entscheiden; und da hier eben die Wirkungen eintreten, welche aonst den Abiturientenprüfungen zugeschrieben werden, so wird es der Sache nicht fern liegen, von diesen speciell zu sprechen. Hier leigt sich denn, dasz wenigstens der gröszere Theil der Promotion das letzte Jahr oder Semester, soweit die öffentlichen Leistungen es snlassen, vorzugsweise dazu verwendet, in den Prüfungsfächern allo erworbenen und noch zu erwerbenden Kenntnisse dem Gedächtnisse nfOglichst einzuprägen. Dieses Streben beherscht und absorbiert fast die ganze Thätigkeit des Geistes, die ganze Musze; und wenn an und fftr sich das letzte Jahr des Seminar- und Gymnasialcursus vorzüglich geeignet schiene auf dem Grund der erlangten Kenntnisse, bei grösze- fer geistiger Reife und allmählich erwachender Selbständigkeit des Geistes nach Neigung und mit Liebe gewisse Studien vorzugsweise zu pflegen, das selbständige forschen und denken lieb zu gewinnen und zu pflegen, und dadurch ebensowol an innerer Tüchtigkeit zu gewin-

*) Zeitschr. f. d. Gymnasialweseii 1849. Aug. u. Sptbr S. 641— Or>0. **) Zur Revision dea Lehrplans höherer Schulen und des Abiturien- ten-Prüf ungsrcglements, Berlin 18^.

440 AbgangsprafuDgen. ,

nen , wie som akademischen Studium , zu wissenschaftlichem deeken in Wahrheit sich vorzuhereiten , ist es das Gedichtnis, das nun vorzugsweise thätig sein musz. Keinem denkenden Freand der Jogend kanu das unpsychologische, zweckwidrige einer solchen Erscheinung entgehen. Vorzugsweise Uebung des Gedächtnisses ist, wie wir wis- sen, dem früheren Knabenalter angemessen; in dem Alter vom 17n, 18o Jahre erwacht, freilich oft in leisen und unbedeutenden Anfingen , das streben und Bedürfnis freier von der Führung der Lehrer eigene Wege zu versuchen, selbständig zu denken, wissenschaftlich zu begreifen, und diesem naturgemäszen Bedürfnis sollten die öffentlichen Einrich- tungen, die Lehrpläne und Lehrmethoden Rechnung tragen. Auf das gleiche weist das Bedürfnis der Universität (vgl. Krüger a. a. 0. S. 658). Die akademischen Vorträge setzen eine gewisse Uebnng in selbständigem, präcisem, wissenschaftlichem denken voraus, und kön- nen ohne solches kaum mit Nutzen gehört werden. Bei solchen Be- dürfnissen nun der Universität wie der geistigen Entwicklung weisen die gegebenen Einrichtungen dem letzten Gymnasialjahr die Uebung und Ueberladung des Gedächtnisses als vorzügliche Aufgabe sa. Darf man sich wundern, wenn unter diesen unnatürlichen Verhältnissen einem groszen Theil das Studium nur eine lästige Pflicht wird, da ihnen die Studie literarum im wahren Sinn, die freie Neigung und Liebe, kaum eröffnet, wieder verschlossen wird?.

Man wendet vielleicht ein, dasz es Pflicht der Lehrer sei, ihre Schüler auf den wahren Zweck der Studien hinzuweisen, von dem niedrigen Motiv des Examens sie abzulenken und mit reiner Liebe f&r die Wissenschaft zu erfüllen. Unstreitig ist dies die Pflicht der Lehrer, der sie sich nicht entziehen sollen, und es wird ihnen auch nicht selten gelingen, den edeln Funken einer reinen Liebe zur Wissenschaft selbst unter dem Schutt, der ihn zu ersticken droht, zu nähren und zo er- halten. Doch über die Verhältnisse vermögen sie nichts; mächtiger als die reinste und edelste Auffassung der Bestimmung sind, verbondea mit den eigenen Wünschen und dem Sporn der Ehre, die WQnscbe, Hoffnungen, Ermahnungen der angehörigen, die alles aufbieten heisxen, um die Prüfung mit Erfolg zu bestehen, die Rathlosigkeit, welche nene Bahn einzuschlagen wäre, wenn das erstrebte Ziel unerreicht bliebe, bei vrelen auch die Nothwendigkeit in solchem Fall auf das akademi- sche Studium ganz zu verzichten. Je gröszeres auf dem Spiele ateht, je unmächtiger wird dem Zwang der Verhältnisse gegenüber die ideale Auffassung der Lehrer sein, und diese selbst können, billig denkend, ihren Schülern nicht den Gebrauch der Mittel vermehren, die nun ein- mal dazu dienen sich des Ziels zu versichern.

Sollen wir nun entweder jene Nachtheile für die unvermeidliche Bedingung erklären, um andre, verhältnismäszig gröszere Vortheile möglich zu machen, oder sollen wir um der Nachtheile willen die ganze Institution sofort verwerfen 7

Keins von beidem. Alle die Vortheile, welche durch diese Prüfungen bedingt sein mögen, der gröszere Sporn zum Fleisx^ der

Abgangsprfifangen. 441

för viele in dem Hinblick auf diese Prüfung liegen mag, die Garantie, welche der Staat und die Hochschule zu erhalten scheint, dass nur be- ffthigle zu akademischen Studien zugelassen werden, das bestimmtere Bewustsein, das die Schule, Schüler und Lehrer, durch diese Schlusz- darstellung von ihren Zielen und ihren Leistungen erhält (vgl. Hützells gründlich eingehende Abhandlung in der Ztschr. f. d. Gymüasialwesen, 1849 Mai S. 332 f.) , wiegen nach meinem dafürhalten den Nachtheil nicht auf, dasz der naturgemäsze Fortschritt in der Entwicklung des Geistes gestört, die selbständige Thätigkeit desselben, die freie Liebe zur Wissenschaft gebrochen und durch ein banausisches Studium, durch den sklavischen Sinn, der des Examens, des Brodes w^gen stu- diert, ersetzt wird. Ich bin weit entfernt zu verkennen, dasz noch immer trotz jener Störungen manche Jünglinge ein edles, reines stre- ben beseelt, oder dasz die menschliche Natur auch viele Fehlgriffe in der Methode und den Anstalten des Unterrichts gut zu machen vermag, aber die Klage, dasz es bei der Jugend an der spontaneen Geistesthä- tigkeit fehle, ist ja eine bekannte, und wer in die früheren Jahrzehnte unseres Jahrhunderts zurückzublicken und sich der Erfahrungen aus jenen Zeiten zu erinnern vermag, wird nicht in Abrede ziehen, dasz in Jenen Zeiten neben manchen , die ihre akademische oder ihre Lebens- aufgabe verfehlten, doch verhältnismäszig mehrere sich fanden, die ohne das Sohreckbild der Prüfungen eben in der Liebe zii den Wissen- schaften und in der gröszeren Freiheit, welche dem Studium gelassen war, den grösten Sporn zu den Studien und die Möglichkeit originel- lerer Geistesbildung erhielten.

Die Prüfungsordnungen, aus der Richtung der Zeit hervorgegan- gen, haben ihrerseits die Tendenz der Zeit trefflich unterstützt; sie haben ein wesentliches beigetragen die geistige Bildung zn nivellie- ren. • Sollte man aber auch diese gröszere Gleichmäszigkeit in den Kenntnissen dem früheren Zustand vorziehen, so ist doch der verhfilt- Dismäszige Mangel an selbstthätiger, origineller, productiver Kraft, Damentlich in den Gebieten welche die freieste und höchste Geistes^ thätigkeit erfordern, ein Vorwurf, welcher der Gegenwart nicht ohne Grand gemacht wird.

Indessen durch die erwähnten Verhältnisse, welche die freiere Geistesbewegung in einer wichtigen Lebensperiode niederdrücken , ist nicht blos die Selbständigkeit der Intelligenz , sondern zum Theil auch des Charakters bedroht. Die Gewöhnung die Studien unter dem Ge- sichtspunkt des Examens nnd des Brodes zu betrachten kann nicht ohne nachtheiligen Einflusz auf die Freiheit der Gesinnung bleiben; sie stellt den Menschen nicht in den Dienst der Wahrheit, sondern der materiellen Interessen.

So wenig ich nun die Nachtheile unterschätze, welche mit Prü- fungen verbunden sind, die den Schüler nöthigen ein umfassendes Material detaillierter Kenntnisse sich gegenwärtig und verfügbar zu erhalten, so wenig möchte ich mit Schmidt sofortige^ Aufhebung solcher Prüfungen empfehlen.

442 Abgangsprufttngeu.

Ich bin darüber vöilig mit La nd form an n (a. a. 0. S. dS) ein- verstanden, dasz es bedenklich wäre eine Institution, welche, aas ei- nem öffentlichen Bedürfnis hervorgegangen, nun bereits im Leben Wur- zeln geschlagen hat, die sich nicht ohne anderweitige Nachtheile be- seitigen liesze , schlechthin aufzuheben , vielmehr scheint es auch mir zum mindesten eines Versuches werth, ob nicht die Zwecke,. welche durch diese Einrichtung erstrebt wurden, durch eine Modification der Prüfung ohne die seither damit verbundenen Nachtheile sich erreichen lassen. Es ist an und für sich nicht ratlisam , in öffentlichen Einrich- tungen unmittelbar. von einem Extrem zum andern überzugehen; hat sich eine Institution als nachtheilig erwiesen, so ist es besonnener, bevor man sie antiquiert, vorerst zu prüfen, ob die Nachtheile we- sentlich und nothwendig mit ihr gegeben (wie allerdings Schmidt S. 188 behauptet) oder ob sie nur mit einer unwesentlichen Form der- selben verknüpft sind. Es ist nicht zu leugnen, dasz, wie die ange- führten Autoritäten mit Uecht annehmen , die Lehrer einer Anstalt am meisten die Befähigung besitzen über die Reife eines Schülers ein Urteil zu fällen; denn dieses Urteil geht am sichersten aus mehrjähri- gen Beobachtungen hervor. Und doch können die Staatsbehörden, die Eltern, die Lehrer selbst den Wunsch haben, dasz das Urteil über Reife und Unreife nicht allein von den letzteren abhänge. Mit Recht bemerkt Landfermann S. 37, die Entscheidung über die Reife ^kann zuvör- derst nicht nach dem jedesmaligen wechselnden subjectiven ermessen eines Lehrercollegiums erfolgen, sondern es musz ihr ein allgemeine- rer , objectiverer Maszstab zu Grunde liegen. Und dasz dieser wirk- lich angelegt werde, dasz nicht das andringen eines bejahrten Schülers oder der Eltern oder eine irrende Pietät und Rücksichtnahme störend auf das Urteil der Lehrer einwirke, erscheint nur dann gesichert, wenn eine ferner stehende, unbefangenere, freiere Autorität, welcher die Handhabung des allgemeinen Maszstabes geläufig ist, bei der Ent- scheidung mitwirkt.' Diese Autorität wäre bei Abiturientenprüfnugea der landesherrliche Commissär, bei Maturitätsprüfungen die Prüfungs- commission. Wofern das Urteil über Reife lediglich den veri^chied»- nen Lehrercollegien anheimgegeben ist, wird je nach dem höheren oder niedrigeren Stand der Gymnasien , welcher auch durch die Bit- ' dungssphäre, aus welcher sie- sich rocrutieren, bedingt ist, und je nach den wechselnden Persönlichkeiten der Lehrer eine nicht unbedeutende DilTercnz des Maszstabes eintreten, und wenn diese auch für das aka- demische Studium nicht besonders nachtheilig werden sollte, so lieg! doch in der Ungleichheit der Behandlung eine Ungerechtigkeit gegen diejenigen , die nach dem Maszstabe einer Anstalt für unreif erklärt würden, während sie nach dem einer andern reif wären. Zudem wird es der Studienbehörde nicht verdacht werden können, wenn sie durch Festhaltung eines gleichen, objectiven Maszstabes auch indirect dahin zu wirken sucht, dasz Anstalten, deren Leistungen niedriger stehen, sich heben. Die Lehrer , denen vor allem daraii gelegen sein musi, dasz der Glaube an ihre Gerechtigkeit und Unparteilichkeit unerachflt-

Abgangsprüfungen. 443

lert bleibe, und die andererseits, je n&ber sie den persönlicben Ver< hSUnissen stehen, um so leichter auch unwillkürlich, den Rücksichten des Hitleids usw. zugänglich und geneigt sind möglichste Milde su flben, deren Entscheidungen jedenfalls von den betroffenen und dem Publicum leicht als parteiisch betrachtet werden können, dürften es gewis Torziehen, wenn auch jeder Schein subjectiver Willkür von ihnen entfernt wird.

Sprechen diese Momente, unter Voraussetzung dasz die oben be- rührten schlechthin zu entfernenden nachtheiligen Wirkungen auf an- dere Weise beseitigt werden können, für Beibehaltung der Maturitöts- Prüfungen, so möchte ich noch von einem andern Gesichtspunkte aus 'rathen zunächst den Versuch zu machen, ob durch eine veränderte Einrichtung derselben die genannten wesentlichen Nachtheile, zu denen sich noch andere mehr zufällige gesellen , beseitigt werden können.

Bereits hat nemlich, unstreitig mit in Folge der Prüfungsordnung gen, welche auf die Masse allseitiger Kenntnisse das Haupt- gewicht legten, auch auszerhalb der Gymnasien eine banausische Arl des Studiums, eine Richtung, die sich von den allgemeinen Studien ab-, lediglich den Fachstudien zuwendet, die auch diese nicht sowol in wissenschaftlichem Interesse, als vielmehr mit Rücksicht auf das Exa- men, d. i. mehr durch Verbreitung über alles was bei der Prüfung vorkommen kann, als durch Ve rtiefung in das einzelne betreibt, die Gewohnheit noch anszer und nach den akademischen Studien sich speciell für die (theologische, juristische, philologische usw.) Prü- fung vorzubereiten, in der Art (wenigstens in Württemberg) sich festgesetzt, und sie wird von den besten jungen Männern auf so unbe- fangene Weise, als wäre ein anderes gar nicht möglich, geübt und ein- gestanden, dasz .man wol zweifeln kann, ob, wenn die Maturitäts- und Abiturientenprüfungen aufgehoben und innerhalb des Gymna- siums die Ursachen des knechtischen Verhältnisses, in welchem viele zur Wissenschaft stehen, beseitigt sind, dann auch die Wir- kung wegfallen wird, die mittlerweile durch die einreiszende Rich- tung der Zeit befördert ward und neue Wurzeln erhielt, ob nicht mit dem äuszeren Impuls des Studiums überhaupt aller und jeder Impuls wegfällt. Ich möchte mit dieser Erinnerung nur aufmerksam machen, dasz wir diese Frage im Zusammenhang mit der ganzen Richtung der Zeit betrachten und beantworten müssen.

Ich faiusz mir darum erlauben jene ganze Art zu studieren, die BUD wenigstens in meiner nächsten Heimat um sich gegrififen hat, obwol sie insgemein als das natürliche und nothwendige betrach- tet wird, als eine illiberale, weder der Würde der Wissenschaft noch der des Menschen angemessene zu bezeichnen. Nicht auf Personen fiällt mein Tadel, da ich junge Männer genug kenne, deren Charakter von dieser Verkehrtheit, wenn sie sich ihr unterwerfen musten, unbe- rührt» blieb, sondern auf die Einrichtungen, die, wenn sie nicht ge- ändert werden, in immer weiteren Kreisen die freie geistige Kraft, das echt wissenschaftliche Streben knicken müssen.

444 Abgangsprafangen.

Wenn die akademischen Stadien in einer angemessenen Prflfang ihren Schlusz gefunden haben obwol auch auf diese akademische Prflfang manche sich eine besondere Zeit der Vorbereitung nehmen, als müsten nicht eben die akademischen Stadien selbst eine solche sein so sollte einerseits in der beginnenden praktischen Laufbahn noch so viel Musze und Lust bleiben um sich mit den erw&hlten Fach- wissenschaften weiter zu beschäftigen, andererseits sollte die nnn fol- gende weitere Dienst- oder Anstellungsprilfung hinsichtlich ihres Um- fangs und ihrer Gegenstände Rücksicht auf das nehmen , was nach der verfügbaren Musze von einem strebsamen jungen Mann wissenschaft- lich geleistet werden kann, und ohne vorgängige specielle Vorberei- lung sollte die Prüfung erstanden werden. Statt dessen ist es gani gewöhnlich, dasz Theologen, Juristen usw. sich eine besondere Zeit wählen, in welcher sie das ganze Gebiet der Disciplinen, welche die Prüfung umfassen kann, wiederholt durchnehmen, dem Gedächtnis mög- lichst alles wissenswürdige (auch wol mehr als dies) einprägen , um für die Tage der Prüfung über ein möglichst reiches wissen verfügen können. Ja selbst für die höheren philologischen Prüfungen , wenn sie von solchen erstanden werden, die bereits in einem geistlichen oder Lehramt sich befinden , wird etwa auf einige Zeit Befreiung von Ge- schäften des Amtes nachgesucht, um eine besondere Vorbereitang für diese Prüfung vornehmen zu können. Was ist nun innerhalb einer solchen Vorbereitungsfrist möglich? Nichts anderes, als dasz mal neben der Ausarbeitung einer wissenschaftlichen Abhandlung, die ge-* fordert wird, das Gedächtnis mit einer Menge von Kenntnissen und Notizen anfüllt, nach denen in der Prüfung gefragt werden kann. Denn von eigentlicher Vorbereitung auf den Beruf selbst kann in so.knrzer Frist nicht die Rede sein, da die wissenschaftliche Tüchtigkeit hief&r nicht das Ergebnis eines Jahrs oder eines Semesters ist. Die wib* senschaftliche Erkenntnis ist nicht eine blos gedächtnismäszige ; aie ist nicht durch die Stärke und Ausdauer des Gedächtnisses ^ wie viel dasselbe in einer gegebenen Zeit aufnehmen und bis auf eine gewisse Zeit präsent erhalten kann, bedingt; die wissenschaftliche Erkenntpif und Tüchtigkeit wächst organisch durch Aufnahme, selbstthätige An- eignung und Durchdringung, eigene Fruchtbarmachung und Weiter- führung des gegebenen Materials. Wie verkehrt verhält sich xn die- sem naturgemäszen Procesz wissenschaftlicher Entwicklung jene vor- hersehende Befrachtung des Gedächtnisses !

Man würde nicht viel gewinnen , wollte man zwar die Ma- turitätsprüfungen aufheben, die übrigen Prüfungen aber mit ihren Gefolge gedüchtnismäsziger, unwissenschaftlicher Vorbereitung be- lassen. Die Bevorzugung des Gedächtnisses, die Last die hiemii dem strebenden Geist aufgebürdet wird , ist das gemeinsame Uebel unserer Prüfungen geworden: sie musz, wo sie sich findet, besei^ tigt werden, nicht um blos den Gymnasialstudien, sondern am aber- haupt allen Studien ihre naturgemäsze, frische, freie Entwicklung zurückzugeben.

Abgangsprafangen. 445

In. den Prüfungen soll nicht sowol das empfangene Material, wie es anverarbeitet in dem Gedächtnis aufgespeichert liegt, vorgezeigt, es soll vielmehr , was zum wirklichen Vermögen geworden , innerlich angeeignet ist, ermittelt werden. Ist es doch eine allgemeine Er- fahrung, dasz das blos ins Gedächtnis aufgenommene Material ffir die fiberwiegende Mehrzahl der Candidaten kein wahrer, bleibender Be- sitz ist; wozu denn auf diese vergänglichen, mit dem inneren Geistes« leben nicht verwachsenen Güter so groszea Gewicht legen? Dagegen wird dasjenige zum wahren Eigenthum, was man nicht blos in der dargebotenen Form aufgenommen, sondern in neuer Form aufgefaszt end sich angeeignet hat, dasjenige, wobei der Geist sich theoretisch oder praktisch selbstthatig erwies, wo er entweder in dem überlie- ferten Material Anlasz zu selbständigen , wissenschaftlichen Forschun- gen erhalten, oder wo er die einzelnen Kenntnisse in der Praxis ange- wendet, sein wissen in ein können umgesetzt hat.

Wenden wir diese Erfahrungen und Grundsätze auf die für die Abiturienten gegebenen Prüfungsordnungen an, auf welche wir uns hier zu beschränken haben, so inüsten sich wesentliche Modificationen der letzteren ergeben; es wären aus der Prüfung diejenigen Fächer auszuspheiden , welche ihrer Natur nach vorzugsweise Gegenstände des Gedächtnisses sind; es müste in den übrigen, die eine verschiedene Behandlung zulassen, die gedächtnismaszige Behandlung ausgeschlos- sen werden, und die Prüfung müste vorzugsweise zu ermitteln suchen, was der Candidat durch das im Unterricht ihm dargebotene, von ihm zu verarbeitende Material geistig geworden ist sein können, nicht sein wissen, mit ^inem Wort: seine geistige Reife.

Unter allen Unterrichtsgegenständen scheinen sich nach den hier dargelegten Grundsätzen keine in höherem Grade zu Gegenständen der Maturitätsprüfungen zu eignen , als die Sprachen und die Ma^he- flnatik. In beiden ist eine gedächtnismäszige Vorbereitung nicht mög- lich, jedenfalls bei richtiger Prüfungsmethode durchaus erfolglos und werthlos. Namentlich sind in den Sprachen Compositionen das sicherste Prüfungsmittel über die erlangten Kenntnisse. Auf sie gibt es keine andere Vorbereitung, als gründliches, längere Zeit fortgesetztes, inner- lich aneignendes Sprachstudium. Denn in dem Masze, als die einer fremden Sprache eigenen Geistesformen uns vertraut , gleichsam ei- gene geworden sind, in dem Masze wird der Gebrauch einer fremden Sprache uns leichter und gewandter werden. Auch bei der Ueber- setsung aus fremden Sprachen in die Muttersprache läszl sich wenig- 'stens durch eine richtige und näher eingehende längere Prüfung er- mitteln, was wahre, lebendige Kenntnis der Sprache, was nur zu dem blBStimmten Zweck der Prüfung eingeübt ist. Um jedoch auch in die- ser Hinsicht das abrichten für die Prüfung unmöglich zu machen, dür- fen nur die Autoren, aus welchen geprüft werden wird, nicht zum' voraus bestimmt sein. Man wird dann wenigstens verhüten, dasz diese Schriftsteller nicht bis zu der höchsten Klasse des Gymnasiums die be- vorzugten sind.

446 Abgangsprüfungen.

Von den übrigen Gymnasialffichem würde ich Geschic^- ), Geographie (Naturkunde), philosophische Propaedeutik unbedingt uas dem Prüfungsplane streichen. Die Prüfung in diesen Fächern wird nicht umhin können, vorzugsweise auf das Gedächtnis sich za rich- ten, wie denn auch nach meinen Erfahrungen hier die ängstlichste Repetition stattfindet. Sollte man glauben auch in der Religion der Prüfung keine andere Art und Richtung geben zu können , als auf die Masse des mitgetheilten wissens, so würde ich keinen Anstand neh- men auch auf dieses Fach bei der Prüfung zu verzichten.

Ich würde aber zur Beurteilung der geistigen Reife sehr groszeil Werth legen auf einen während der Prüfung auszuarbeitenden, su Darlegung des geistigen Gewinns aus dem Schulunterricht und xu selbständigem denken auffordernden Aufsatz. Ich glaube, dasz eiiie solche ohne fremde Hülfe, selbständig aus dem eigenen geistigen Vermögen hervorgegangene Arbeit die sichersten Anhaltpu^te für das Urteil über die erlangte geistige Reife darbieten würde. Frei- lich müste ihr ein voller Vormittag und möglichst die ganze Frisehe der geistigen Kraft gewahrt bleiben. Es schiene mir nicht rath- sam, wenn, wie Landferraann S. 43 vorschlägt, eine während der Schulzeit gelieferte freie Arbeit zur Grundlage für diese^ ^Urteil diente. Denn wie weit eine solche Arbeit auf fremder Hülfe and fremden Ideen beruht, läszt sich auch durch eine nachfolgende münd- liche Prüfung nicht mit Bestimmtheit ermitteln, indem das angeeig- nete fremde leicht den Schein des ursprünglich eigenen annehmen, andererseits Schüchternheit und Ungewandtheit im mündlichen Ausdruck zur Entschuldigung dienen können, wenn die mündliche Ausffihrnng der schriftlichen nicht gleichkommt. Es wären darum wol in vie« len Fällen die prüfenden nicht in der Lage mit Sicherheit zu nr- teilen. Auch möchte ich diese Probe der Geistesreife, die immer- hin eine gewisse Beherschung der Sprache voraussetzt, nicht durch den Gebrauch der lateinischen, überhaupt einer fremden Sprache er-, schweren und zweifelhaft machen.

Maulbronn. Bäundem.

f

*) Während ich im übrigen gröstentheils mit den Grundsätzen einp verBtanden bin, welche Krüger und Landfcrmann in den oben an- geführten Abhandlangen ausgesprochen haben, kann ich dagegen nicht beipflichten, wenn dieselben (Krüp^er S. 650, Landfermann S. 42) auch die Geschichte unter die nothwendigen Prüfungsgegenstände aufuehmen.

Cicero. 447

r Cicero.

Von einem alten SclialmAnne.

Es isl über Cicero so viel geschriebeo worden, dass man alle Uriache hat, Ueberdrasz und Widerwillen zu fürchten, wenn man die Bede wieder auf ihn bringen will. Demungeachtet scheint mir dies Tom Standpunkte des Gymnasiallehrers unerläszlich. Cicero, von jeher der Gegenstand maszlosester Bewunderung, ist in der neuesten Zeit sieht strenger, kahler, masz voller beurteilt, nein er ist mit Hohn und Spott und Verachtung behandelt und dargestellt worden, und zwar ■icht n«ch ^iner, sondern nach allen Seiten hin, als Staatsmann wie tU Red.ier and Schriftsteller, und nicht von Idioten, sondern von M&n* Bern, wie Dramann and Tb. Mommsen, die mit Recht wegen ihrer Ge- lehrsamkeit and ihres Scharfsinns die gröste and allgemeinste Aner- kennung genieszen. Wie wollen wir Gymnasiallehrer es also recht- fertigen, dasz wir den Cicero fernerhin als Hauptgegenstand des Gym- Msialsludiums beibehalten, wenn wir dieses Urteil nicht, natürlich QBter der Voraussetzung dasz wir es für unbegründet halten, fortwäh- rend bekämpfen und ein gerechteres, billigeres, dem Cicero günstige- res an die Stelle zu setzen suchen?

Die Erscheinung ist allerdings sonderbar. Es ist eine anleugbare Tbatsache, dasz die Römer selbst nicht leicht einen ihrer Redner und Schriftsteller, oder, um mich richtiger auszudrücken, dasz sie keinen derselben höher gestellt und allgemeiner gerühmt und bewundert ha- ben als Cicero, und zwar nicht nur seine Parteigenossen, sondern auch •olche, die durch die tiefe Kluft des Bürgerkriegs and des politischen Basses von ihm getrennt waren, und dabei Manner von der unbestrit- lensten Urleilsfähigkeil, wie z. B. Cäsar and Pollio. Nicht minder ansgemacht ist es , dasz die politische Partei , welcher er angehörte, •ich wiederholt unter seine Leitung gestellt hat (im Kampfe gegen Ca- tilina wie gegen Antonius) und dasz auch hier wieder selbst seine Cregner ihn hoch genug geachtet haben, um ihn ins Exil zu schicken, im sich alle mögliche Mühe zu geben ihn auf ihre Seite herflberza- Biehen, and um ihn zuletzt als eins der ersten Opfer der Proscriptionen tM dem Wege zu ränmen. Und demungeachtet soll heutzutage seine Beredtsamkeit in nichts als in den elenden Farbentöpfen (AijxvOo^) be- standen haben, die er sich zu verschaffen gewust, und vollends als"^ Staatsmann soll er geradezu ein Imbecil, soll er schwach, schwankend nnd dabei noch obendrein unredlich, selbstsüchtig, ja sogar grausam gewesen sein. Man höre nur, wie Mommsen sich an folgender Stelle (Bd. 3 S. 597), die wir beispielsweise mittheilen, über ihn äuszert: *als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht nnd Absicht, hat er nacheinan- der als Demokrat, als Aristokrat und als Werkzeug der Monarchie figuriert und ist nie mehr gewesen als ^in kurzsichtiger Egoist. Wo

19. Jahrb. f. PkO. M. Paed. Bd LXXVUl. Hft 9. 30

448 Cif^ero.

er zu handeln scliien, waren die Fragen, auf die es ankam, regelmfiszig bereits abgethan: so trat er im Procesz des Verres gegen die Senats- gerichte auf, als sie bereits beseitigt waren (?); so schwieg er bei der Verhandlung über das gabiniscbe und verfocht das manilische Gt- setz; so polterte er gegen Catilina, als dessen Abgang schon fest stand (?) usw. Als Schriftsteller steht er vollkommen eben so tief wie als Staatsmann. Er war in der That so durchaus Pfuscher, dasz es ziemlich einerlei war, welchen Acker er pflügte. Eine Joarnalisten« natur im schlechtesten Sinne des Worts usw. usw.^

Es ist dies, wie gesagt, eine sonderbare Erscheinung and etwas^ was seine modernen Beurteiler wol etwas vorsichtig machen sollte, zumal wenn sie selbst weder Staatsmänner, noch Redner, noeh Über- haupt Minner des praktischen Lebens sind ; denn wenn es unzweifel- haft ist, dasz Cicero wie jedermann nur vom Standpunkte seiner Zeit und seiner Verhältnisse richtig und billig beurteilt werden kann , so dürfte wol eine gewisse Präsumtion dafür sprechen , dasz hierzu Män- ner , welche seihst Römer, welche zum Theil seine Zeitgenossen, wel- che Staatsmänner und Redner waren , geeigneter und befähigter seiea als Gelehrte der Jetztzeit. Indes ist dies freilich nicht entscheidend. Nicht auf Autoritäten, sondern auf eine sorgfältige Prüfung haben wir ja wie überall so auch hier unser Urteil zu gründen.

Wir erlauben uns unserer weiteren Erörterung zunäehsl einige Bemerkungen über einen Punkt vorauszuschicken, wacher vorzngs* weise von den neueren zum Gegenstand des heftigsten Tadels gemachl worden ist, zugleich der einzige , der auch von den alten gerügt wor- den ist , aber wolgemerkt, nur von solchen, welche auf der entgegen- gesetzten politischen Partei standen. Ich meine die Hinrichtung der Genossen des Catilina , die bekanntlich auf Beschlusz des Senats, aber unter Ciceros Consulat -und sonach unter seiner vorzngsweisen Ver- antwortung geschah. Wir wissen, dasz diese Maszregel ni^t nar von Clodius als Gegenstand der Anklage gegen Cicero benutzt, sondern .auch von Cäsar wiederholt ausdrücklich gemisbilligt wurde und aach sonst viele Gegner hatte. In neuerer Zeit, ist sie nicht nur geradezu für einen Act der Willkür, für einen ^Justizmord' erklärt, sondern auch im allgemeinen zu den nachtheiligsten Folgerungen in Bezug auf Ciceros Charakter verwendet worden. Nun ist hiebt zu bezweifein, dasz die hingerichteten mit Catilina zusammen die Absicht halteovRom an allen Ecken anzuzünden und eine der fürchterlichsten Revolutionen zu machen, von welcher die Geschichte berichtete; eben so wenig dürfte sonach in Abrede zu stellen sein , dasz sie den Tod verdienten, auch wenn das bestehende Regiment, welches sie zu stürzen beabsich- tigten, nicht allzu löblich war, oder wenigstens, dasz ihre Hinrich- tung nichts anderes war, als was in solchen Fällen immer zu gesche-« hen pflegt. Der Tadel Ciceros kann also nur die Form der Verurtei- lung treff'en, und so ist es auch in der That. Man hebt hervor, dasz schon seit den Zwölftafelgesetzen kein römischer Bürger anders als auf Beschlusz des Volks in den jBenturiatencomitien hingeriohtot werden

Cicero. 449

sollte , und dasz folglich der Senat das Recht nicht gehabt, einen rö- nischen Bürger zu verurteilen. Allein man vergiszt, dasz nach der herschenden Ansicht der Senatspartei diese Regel eine Ausnahme fand, wenn den Consuln durch die bekannte Formel (videant consules cet.) eine anszerordentliche Vollmacht verliehen vrorden war (s. bes. SaU losts Cat. 29), ^in^ Vollmacht, die zwar von der Volkspartei fortwäh- rend bestritten und bekämpft, aber von der Senatspartei eben so hart- BAekig behauptet wurde. Heiszt es also, wenn ein Historiker den Cicero wegen dieser Angelegenheit so streng tadelt, nicht eben so Tiel als sich auf den Standpunkt der damaligen Volkspartei stellen? «od zugleich dem Cicero persönlich und allein eine Schuld aufbürden, die, wenn sie überhaupt eine solche ist, wenigstens die ganze Partei trifft? Wie wenig bei Cicero selbst irgend ein Bewustsein von einer Rechtswidrigkeit dieser Verhandlung vorhanden war, geht schon dar- tns hervor, dasz nirgends ein Zweifel daran bei ihm laut wird, dasz es sich vielmehr nur um die Zweckmaszigkeit der Maszregel handelt snd dasz die Anfeindungen, die er deshalb erfährt, immer nur als Pifteimanöver angesehen werden. Mag man also sonst über die Sache denken wie man will: vom moralischen Standpunkte wird man Cicero deshalb kaum irgend einen Vorwurf machen können.

Um indes jenes Urteil richtig würdigen zu können, ist es an- erläszlich nothwendig, dasz wir uns Ciceros Werth und Bedeutung als Staatsmann nod als Schriftsteller im allgemeinen wenigstens durch ei- nige rasche Züge kurz vergegenwärtigen. Es wird dies freilich nur darch Anführung sehr bekannter Dinge geschehen können. Indes es scheint eben, als ob zuweilen gerade die bekanntesten Wahrheiten und diejenigen, welche der einfache gesunde Menschenverstand ergibt, um mit Fries zu reden, am leichtesten unter die Schwelle des Bewustseins herabfielen, und deswegen können wir es nicht vermeiden, sie mit we- nigen Worten wieder nach Gebühr in Geltung zu setzen.

Sofern es sich dabei zunächst um die Verdienste Ciceros als Staatsmann oder vielmehr um die Frage handelt, ob er sich überall nnr als Egoist erwiesen habe, so wird es genügen, wenn wir auf seine' Verwaltung Ciliciens hinweisen, die gewis eine der reinsten, wolwol- londsten, von Habsucht und Willkür freiesten Provincialverwaltungen ist, von denen die römische Geschichte weisz. Und sollten die guten Lehren, die er in dieser Beziehung seinem Bruder Quintus in dem be- kannten Briefe gibt, nichts als Heuchelei sein? Wenn man diesen Rnhm Ciceros hat schmälern wollen, indem man aus einem seiner Briefe an den Atticus bewiesen hat, dasz er sich eine (verhältnis- mt^zig nicht bedeutende) Geldsumme in der Provinz erworben, so scheint dies nur auf einer ganzlichen Verkennung der damaligen Zu- stinde ZG beruhen.

Er soll nun aber als iStaatsmann nicht nnr selbstsüchtig, sondern inch kurzsichtig, ohne/ Einsicht, Ansicht nnd Absicht, unüberlegt, aleo völlig nnbedentend gewesen sein. Wir haben hiergegen schon einiges angeführt, was sich mit einem solchen Urteil schlechterdings

30*

450 Cicero.

nicht vereinigen laszt, namentlich dasz sich seine Partei in den ge« fährlicbsten Zeiten, wie z. B. während seines Consulats, unter seine Führung gestellt, was sie sicherlich nicht gethan haben würde, wenn er so unbedeutend gewesen wäre. Ist aber nicht seinXoqsalat selbst der Glanz- und Höhepunkt seines Lebens eins der denkwürdig- sten und erhebendsten Beispiele dessen, was Wort und Geist ät>er die rohe Gewalt vermögen, mag man sonst über Tendenz und Erfolg des- selben urteilen wie man will? Ist nicht, um von seinem Kampfe mit Catilina und von manchem andern nicht zu reden, sein auftreten geg^ü das Ackergesetz' des Rulltis wahrhaft grosz und bewundernswürdig, wo es ihm lediglich durch seine Beredtsamkeit nicht nur gelang, den Volke eine ihm dargebotene überaus lockende und süsze Gabe sa ent- reiszen , sondern wo er dasselbe gleichzeitig durch diese unpopnlirsta Maszregel zum grösten Enthusiasmus für sich und seine Partei fortxa- reiszen wüste ?

Den Uanptbeweis in dieser Beziehung aber wird immer sein an« porkommen selbst bilden. Man weisz, wie eifersüchtig damals die Nobilität die Ehrenämter hütete, um keinen dazu gelangen sa lassen, der nicht zu der privilegierten Klasse gehörte, und dasz dem Cicero die beiden nnerläszlich scheinenden Mittel zum emporsteigen, Adel und Heichthum, völlig abgiengen. Demungeachtet hat er sich den Weg gebahnt, und zwar lediglich durch sein Talent und seine rastlose Thi« tigkeit. Es wird ihm freilich zum Vorwurf gemacht, dasz er den Pompejus gedient und dem Volke geschmeichelt habe, dasz er ^nacli einander als Demokrat, als Aiistokrat und als Werkzeug der Monarchie figuriert' habe. Aber wQ^sind die Beweise dafür? Wir haben das an- trügliche Zeugnis des auf der Seite der Demokratie stehenden Sallnst (Cat. 23), dasz die aristokratische Partei seine Wahl zum Consalata förderte , weil sie sich in dem bevorstehenden Kampfe gegen Catiliaa auf ihn stützen zu können wünschte. Würde sie dies gethan haben, wenn sie ihn als Ueberläufer kennen gelernt, wenn sie namentlich ge- sehen hätte, dasz er auf die 9eite des Volkes übergetreten, um Consat zu werden? Dasz er sich an Pompejus angeschlossen, können nnd wollen wir nicht leugnen; allein sehen wir nicht beim Ausbruch des Bürgerkriegs an unzähligen Stellen seiner Briefe aufs dentlichste, wia das in ihm aufkeimende Mistrauen mit seiner früheren gewohnten Br^* gebenheit gegen ihn kämpft? was haben wir also für ein Recht Aousia- rungen dieser Ergebenheit in einer früheren Zeit für völlig erhenohall zu erklären, was haben namentlich diejenigen für ein Recht hiena, die dem Cäsar das unbedingteste Lob zu ertheilen pflegen, von dem es bekannt ist, dasz er schon vor dem Triumvirat dem Pompejus mit den ausgedachtesten Schmeicheleien entgegengekommen?

Es bleibt uns übrig, noch ein Wort über ihn als Redner nnd Schriftsteller hinzuzufügen, wo es frei licli doppelt schwierig ist in der Kürze etwas überzeugendes beizubringen. Dasz er aber in dieser Hinsicht wenigstens nicht unbedeutend, dürfte schon daraus hervor- gehen, dasz er beinahe zwei Jahrtausende lang nicht nur, wie schon

Cicero. 451

bemerkt, allgemein gerühmt und bewandert worden ist (so sehr, dasz z. B. ein so feiner Kopf nnd Geist wie Erasmns von Rotterdam den Grfid der Bewunderung für Cicero geradezu als den Maszstab für den Grad der Bildung bezeichnen konnte) , sondern dasz er auch eben so lange mit der römischen Litteratur zusammen als deren Meister den Geschmack und Stil aller gebildetsten Nationen beherscht hat nnd zum nicht geringen Theile noch beherscht. Wie wäre dies denkbar, wenn er nichts weiter als ein ^Pfuscher, eine Journalistennatur im schlech- testen Sinne des Worts' gewesen wäre? Ich glaube aber auch, dasz kein unbefangener gewisse Partien seiner Reden, z. B. die erste Hälfte der Rede für Roscius Amerinus, die Erzählungen in den Verrinen, die Auseinandersetzung des Falls in der Rede für den Milo oder die feine Verspottung der Rechtsgelehrsamkeit in der Rede für Murena, ohne Bewunderung und ohne die Anerkennung zu lesen vermöge, dasz er es mit einem Meister in seiner Art zu thun habe.

Schon dieses wenige, was ich mir erlaubt habe dem geneigten Leser zu vergegenwärtigen, wird, so hoffe ich, zu dem Beweise hin- reichen, dasz das in Rede stehende Urteil mit seinem Gegenstände völlig unvereinbar, dasz es unbillig und falsch sei. Sofern es mir iaiso nur darum zu thun wäre, dieses Urteil abzuweisen, so könnte ich hiermit meine Abhandlung schlieszen. Wir können es indes nicht un- lerlassen wenigstens durch einige Andeutungen einen kleinen Beitrag za einer richtigen, nnbefangenen und allseitigen Würdigung Ciceros za liefern. Es gibt nemlich. wirklich eine Kehrseite bei Cicero, nnd -^es ist von Wichtigkeit, dasz man diese^anerkenne und eine Vermitte- Inng seiner Vorzüge und Mängel suche. Der Fehler der modernen Be- urteilung ist der, dasz sie diese Kehrseite ausschlieszlich und über- dem mit den grösten Uebertreibungen berücksichtigt hat; es würde aber ein eben so groszer Fehler sein, wenn man blos die Lichtseite beachten wollte , wie denn in der That dieser Fehler bisher von den meisten Beurteilern begangen worden ist.

Für eine solche richtigere und billigere Würdigung scheint es mir zunächst von Wichtigkeit, die Periode bis zu seinem Consulat, dieses und vielleicht auch das nächste Jahr nach demselben mit einge- schlossen, von der späteren Periode seines Lebens zu scheiden. Dies- seits dieser Grenze dürfte es kaum möglich sein^ dem Cicero etwas erhebliches vorzuwerfen. Freilich wird man auch für diese Zeit nicht den strengsten moralischen Maszstab anlegen dürfen, vor welchem Oberhaupt wenige Staatsmänner, die sich in bewegten Zeiten zu einer leitenden Stellung erhoben, bestehen werden und dem völlig zu ent- spreehen in der damaligen verderbten, von Parteileidenschaften zer- rissenen Zeit durchaus unmöglich war. Indessen wird man doch zu zagen haben, dasz er einer der reinsten, vorwurfsfreiesten Charaktere war, welche sich damals auf der geschichtlichen Schaubühne be- inregten.

Sein erstes öffentliches hervortreten war bekanntlich die Verthei- digung des Roscias aus Ameria, and wer wollte leugnen, dasz er da-

452 Cicero.

mit nicht nur als Beschützer der gefährdeten Unschuld aofirat, flondeni auch einen anerkennenswertben Beweis von Mut lieferte, indem er dea Kampf mit einem der Günstlinge des Sulla aufnahm. Dasz er die Quästur in Sicilien zum besten und zur Befriedigung der Provins Ter- waltete, geht daraus hervor, dasz die Provinz ihn bei ihrer Anklage des Yerres zu ihrem Patron erwählte. Die Führung dieser Anklage selbst wiederum kann ihm bei einer unbefangenen Betrachtung nllr sum Lobe goreichen. Es handelte sich darum, die Partei, der er angehörte, von einem Flecken zu reinigen, der ihr zur Schande gereichte and ihr den grösten Nachtheil bereiten konnte: wer wollte ihn also tadeln, wenn er sich dieser Aufgabe unterzog? Er schlosz sich von nun an hauptsächlich dem Pompejus an, und mau wird es nicht in Abrede stel- len können, dasz er dies vornemlich gelhan, um sich durch Pompejus zu heben; wir haben indes bereits bemerkt, dasz man ihm hieraus keinen besondern Vorwurf machen darf.

Cicero war in dieser ganzen Zeit von Grund der Seele Anbänger der aristokratischen oder Seuatspartei, von deren Anfrechterhaltung der Fortbestand der Republik abbieng, wie er es sein ganzes Leben hindurch war und seiner ganzen Individualität und Bildung nach nicht anders sein konnte. Dabei versteht es sich von selbst, dasz er ei nicht mit den exclusivsten der Aristokraten hielt, die ihn, so viel an ihnen war, vom Senate entfernt zu halten suchten, sondern mit dem gemäszigteren Theile des Senats. Ein solcher existierte nemlich seit den Bewegungen des J. 91, über welche uns Cicero in dem Prooemium zum dritten Buche de oratore eine so interessante und lehrreiche Kunde gibt, und dieser Thcil war es, der von jeher seit der berühmte Red« ner L. Crassus zuerst diese Richtung eingeschlagen, eine Vermittl^m' mit dem Volke suchte, der zu diesem Zwecke den Ritteirstand an aioh zog, der deshalb auch den Pompejus auf sein Schild hob, -und desaei Interesse Cicero treu und ehrlich verfocht, wenn er sich ebenfalU dem Pompejus förderlich erwies und wenn er mitunter auch g%gnk Glieder der exclusiven Aristokratie feindlich vorgieng.

Freilich würde sich nach Mommsen dies alles ganz anders stellen« Nach diesem war Pompejus seit seinem ersten Consnlat im J. 70 ent- schiedener Demokrat und Feind des Senats, und auch Cicero war es, bis er als Cousul die Farbe wechselte. Dasz dies aber eine unriohtige Auffassung der Verhältnisse, geht, abgesehen von tausend anderen Gründen, schon aus dem bereits angeführten Umstände mit völliger Bestimmtheit hervor, dasz Cicero nach dem ganzen Stand der Verhilt* nisse wie nach dem ausdrücklichen unantastbaren Zeugnisse des Sal- lust als angehöriger der Seuatspartei und lediglich, weil er ein aolober war, zum Consul gewählt wurde.

Beiläufig wollen wir noch bemerken, dasz es eine völlige Ua- richtigkeit ist, wenn Mommsen an der oben angeführten Stelle (Bd. 3 S. 598) behauptet, Cicero sei in den Verrinen erst gegen die Senats- gerichte aufgetreten, als sie bereits beseitigt gewesen. Ein jeder Le- ser der Verrinen weisz, dasz, als Cicero die erste Rede gegeo Verres

Cicero. 453

hiell (die f og. Ael. I), die Senatsgerichte swar verhaszl und bedroht, aber Eur Zeit noch völlig unangetastet waren (s. z. B. c. 8), und dasE in den Beden der sweiten Action das aiirelische Gesetz zwar beantragt, aber noch nicht durchgebracht ist (s. z. B. lib. II c. 71). Eine Unrich- tigkeit gleicher Art ist es , wenn Cicero erst dann gegen Catilina ^ge- poltert' haben soll, als dessen Abgang schon festgestanden. Wer batte denn dann bewirkt, dasz Catilina Bom verliesz und es unter soU ohen UnstSnden verliesz, dasz durch seinen Weggang seine Sache iohon so gut wie verloren war?

Wir wiederholen also: bis zur Zeit seines Consulats ist Cioeros politisches Leben, wenn man nicht einen rigoristischen, fär die damali- gen Verhaltnisse unpassenden Maszstab anlegen will, völlig vorwurfs- frei. Hatte er seine Laufbahn zu dieser Zeit geschlossen, so würde sein Bild zwar auf der einen Seite dunkler und unklarer, namentlich iuch viel weniger individuell ausgeprägt, zugleich aber auf der andern Seite von allen erheblichen Flecken rein geblieben sein.

Anders verhalt es sich aber mit der anderen Hälfte seines Lebens. Wir wollen den Gang seines weitereu politischen Lebens nicht im ein- lelnen verfolgen , da er allgemein bekannt ist. Es wird hinreichen, wenn wir daran erinnern, wie er es seit der Bfickkehr des Pompejus aus Asien und seit dessen Verbindung mit Cäsar und Crassus immer vergeblich versucht, eine seinen Anteeedentien entsprechende politi- sche Stellung zu gewinnen, für welche unter den obwaltenden Um- ständen nirgends Baum war, und wie er sich dadurch erst das Exil und dann immer neue Demütigungen zuzog. Es ist in der That ein peinliches Schauspiel, zu sehen, wie er voll inneren widerstrebens und der unwürdigen Bolle sich völlig bewust, die er spielt, sich um die Gunst des Cäsar bemüht, und wie er dann nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs zwischen den beiden Bivalen hin und her schwankt, um sich endlich, aber auch nur halb, dem Pompejus anzuschlieszen, statt sich das einzige, was ihm noch übrig blieb ganz von dem öf- fentlichen Leben zurückzuziehen und sich, lediglich den Studien zu widmen. Erst nach der Schlacht bei Pharsalus gewinnt er nach und nach den Enlschlusz hierzu. Indessen bedurfte es nur eines schwachen Sdiimmers von Hoffnung, um ihn nach der Ermordung Casars wieder Muf den politischen Schauplatz zu neuen Täuschungen und schlieszlich 10 seinem Verderben hervorzurufen. Und dasz er sich in dieser un- glücklichen Lage auch von wirklichen Inconsequeuzen , von Handlun- gen , die sein Gewissen verurteilte, nicht frei erhielt, dafür liefern die Vertheidigungen des Vatinius und des Gabinius den hinreichenden Be- weis, von Männern, die er vor allen andern haszte und die er früher Bit den heftigsten, leidenschaftlichsten Schmähungen überschüttet hatte, für die er aber gleichwol, um dem Cäsar zu gefallen, öffentlich aufzu- treten über sich vermochte.

Zu Ciceros Unglück wird uns nun aber ferner von allen diesen Schwankungen und Misstimmungen ein mögUchsl vollständiges Bild

454 Cioero.

entrollt in seinen eignen Briefen, die, von dem bexeiehneten Zeitpunkte anfangend (aas der früheren Zeit sind nnr wenige unbedeotende Briefe erhalten) uns besonders in den vertrauten Herzensergieszangei an den Atticus erst seine Besorgnisse wie seine stolzen Gedanket in Bezug auf die Verbindung zwischen Pompejus , Cfisar und Cmssos, dann seine Mutlosigkeit im Exil, seine Demütigung nach demselben, seine fast täglich wechselnden Entschliesznngen nach dem Ausbrach des Bürgerkriegs, seine Unzufriedenheit mit dem Pompejns, seine Klagen über Cäsar und über die schlechten Zeiten, nnd endlich seine Zweifel und seine Unschlüssigkeit nach der Ermordung C&sars aufs deutlichste erkennen lassen.

Diese Kehrseite also haben wir nicht einseitig hervorzuheben um in ihr das wahre Wesen Ciceros darzustellen , sondern , wo mög- lich, mit den oben angedeuteten Vorzügen zu vermitteln, um anf diese Weise ein der Wirklichkeit entsprechendes' Gesamtbild des jedenfalls bedeutenden und merkwürdigen Mannes zu finden. Thun wir dies aber, so werden wir freilich nicht sagen können , dasz er zu den glücklich organisierten Naturen gehöre , die ein völliges Gleichgewicht In sich herzustellen vermögen , die sich immer in der Sphäre einer ungetrüb- ten Klarheit und Sicherheit erhalten, und wir werden ihn in dieser Hinsicht namentlich weit gegen Cäsar zurückstellen müssen, bei dem dieses Gleichgewicht in einem seltenen, von wenigen sterblichen er- reichten Masze stattfindet. Hierzu ist Cicero viel zu reizbar, im Augen- blicke des handelns viel zu sehr dem Eindrucke aller Möglichkeiten unterworfen, aber deshalb auch zn sehr von dem Einflüsse anderer ab- hängig , fremden Lobes und fremder Anerkennung viel zn bedürftig« Aber sind diese Naturen denn wirklich vom sittlichen Standpunkte so viel schlechter als jene? Wir sehen bei Cicero in den Briefen beson- ders deutlich, worauf diese Unschlüssigkeit und dieses schwanken hauptsächlich beruht, nemlich auf nichts anderem als anf einer ge- wissen Ueberspannung der Ideale, der die Wirklichkeit nie vollkom« men genügt nnd die keinen praktischen Entschlusz als untadelhaft an- erkennt: daher diese Unzufriedenheit mit sich selbst, daher dieses fortwährende ^sichverklagen der Gedanken unter einander', daher dem auch diese Unsicherheit, weil der frühere Entschlusz nie zn einer festen Grundlage für den nachfolgenden werden kann. Zum energischen handeln konnte Cicero bei dieser Individualität freilich nur gelangen, wenn seine Kraft von auszen her gewissermaszen suppliert wurde, wenn er sich an einen kräftigeren Geist anlehnen konnte (leider bot Pompejus ihm die Stütze nicht, die er in ihm suchte)) oder wenn er durch den Beifall seiner Standesgenossen oder den Enthusiasmus des Volks gehoben wurde : ist aber eine solche übergrosze Zartheit des Gewissens ohne weiteres ein sittlicher Makel, der auf die obige Art gebrandmarkt zu werden verdient? Wir finden es eben so charak- teristisch für Cicero wie erklärlich, wenn er einmal an einer Stelle seiner Briefe von Cäsar sagt, dasz er auch nicht *den Schatten des schönen' gesehen habe, und so wenig wir dieses Urteil unterschreiben

Cioero. 455

nftohlen , bo wollen wir doch nicht verhehlen , dasK ons eine gewisse Wahrheit darin enthalten zu sein scheint.

Wir dürfen aber auch nicht unerwähnt lassen , dasE der Schatten, welcher aus den Briefen auf Cicero fällt, sich nm ein bedeutendes mildert, wenn wir bedenken, dasz es meist nur die vertrautesten Her- lensergieszungen sind die uns geboten werden, in denen sich der Mensch und zumal ein so reizbarer, wie Cicero, gewöhnlich nhsht besser, sondern vielmehr schlechter darzustellen oder doch seine flhelsten Stimmungen niederzulegen pflegt, um sich ihrer eben dadurch in entledigen, und wenn wir ferner die gröszere OITenbeit und, so zu sagen, Derbheit berücksichtigen, mit. der die Allen, wie von allen Dingen, so auch von ihren innnersten Herzensregungen zu sprechen pflegen. Auch versteht es sich von selbst, dasz neben den für ihn un> gflnstigen Aeuszerungen sich auch andere von entgegengesetzter Art ii eben so groszer Menge finden, die man billiger Weise doch eben so wie jene in Rechnung bringen sollte: was aber von den Gegnern Ciceros gewöhnlich unterlassen wird.

Um nun aber auch auf den Redner und Schriftsteller Cioero noch einmal zurückzukommen, so wollen wir, nachdem wir uns oben über seine Bedeutung als solcher im allgemeinen ausgesprochen haben, nur noch ^ins hervorheben , was sich aus den vorstehenden Bemerkungen ergeben dürfte. Ist es nemlich gegründet, was wir über eine allzu- grosze Reizbarkeit seines Wesens bemerkt haben ^ so dürfte daraus allerdings hervorgehen, dasz er für Productionen weniger geeignet war, zu denen eine längere anhaltende, gleichmäszige , harmonische Stimmung erforderlich ist, also namentlich nicht für dichterische Her- Torbringungen. Und so war er denn auch in der That kein Dichter: wobei wir aber nicht unterlassen dürfen hinzuzufügen, dasz er auch keiner sein wollte und dasz es also unbillig ist, ihm daraus einen Vor- wurf zu machen ; denn seine Dichtwerke sind nichts anderes und sol- len nichts anderes sein als Studien für seine Ausbildung als Redner. Man wird auch wol zu sagen haben, dasz er sich zum ^eculaliven Philosophen nicht eignete, weil auch hierzu eine gleichmäszigere und rahigere Natur gehört als die seinige war. Wenn aber zu groszen rednerischen Leistungen neben den sonstigen Erfordernissen nament- lich die Fähigkeit zur lebendigsten Erregung aller Geisteskräfte, wenn ferner vorzugsweise die Empfänglichkeit für den Eindruck einer froszen der Rede mit gespannter Theilnahme folgenden Menge ge- hört: sollte man da nicht schon a priori sagen können, dasz Cicero ■am Redner vermöge jener Erregbarkeit vorzugsweise günstig orga- nisiert war? Man wird hier und da mehr Masz wünschen können (wo- bei man indes auch nicht vergessen darf, dasz Cicero es nicht mit dem feingebildeten athenischen Volke, sondern meistentheils mit einer rohen stärkere Mittel verlangenden Masse zu thun hatte), auszerdem wird man auch bei ihm die Schranken fiberall wahrnehmen , welche die Beschaffenheit der Sprache und die ganze Richtung der Litteratur jedem Redner in Rom entgegenstellte: demungeachtet wird ihn die

456 Cicero.

Lebendigkeit, die Fälle, die Kraft und der Wollant aeioer Rede fflr alle Zeiten zu einem bewandernswflrdigen Muster der Beredtaamkeit machen und ihm seinen Platz , wenn auch nach dem in vielen Beiie- hungen weit mehr durch die Umstände begünstigten Demosthenes, so doch neben ihm sichern.

«

Für theoretische Schriftstellerei war er, wie schon bemerkt, we- niger geeignet; es kommt aber noch hinzu, dasz er die dahin ein- schlagenden philosophischen und rhetorischen Werke meist in einer Zeit verfaszt hat, wo er durch die Verhältnisse in seinem Inneren vor- zugsweise gedrückt war, dasz sie also nicht, wie seine Reden, das Erzeugnis einer erhöhten Stimmung, sondern der Abspannung und einer gewissen inneren Disharinonie sind.

Dies also ist nach unserer Ansicht das Wesen und die Bedeutiing Ciceros nach seiner Licht- und Schattenseite. Je weniger wir dieae letztere verhehlt haben, um so mehr dürfen wir hoffen etwas sur Widerlegung der Ansicht unserer Gegner beigetragen zu haben, die vielleicht neben einer gewissen allzugroszen Ungunst, die in der neueren Zeit auf die römische Litteratur Überhaupt gefallen ist in nichts mehr ihren Grund hat, als in der Reactiou gegen die alUugroaie völlig unbedingte Bewunderung, die dem Cicero bisher zu Theil ge- worden ist.

Es wird aber, sofern unsere Ansicht die richtige, sonach aick nicht nötbig sein, den Cicero aus unsern Gymnasien zu verdringea oder ihm auch nur eine untergeordnete Stellung in denselben anauwei- sen. Nur so viel möchten wir bemerken, dasz die Reden mehr all bisher in den Vordergrund, die philosophischen und rhetorischea Schriften aber mehr zurückzustellen, erstei;^ also namentlich hänSgjtf als bisher in der Prima zu lesen sein möchten, während die LektAra der philosophischen und rhetorischen Schriften auf die kleinen Abhand- lungen über das Alter und die Freundschaft, welche für Secnnda aahr wol passen, auf die Tusculanen und auf ausgewählte Stücke aua den Officien,.i»s de oratore und Brutus zu beschränken sein dürfte. FIr Prima (aber auch nur für diese) glauben wir auszerdem noch die Briefe empfehlen zu dürfen, theils wegen des allgemein menschliehea Interesses welches sie bieten, theils weil sie das geeignetste MiUel sind die Schüler etwas tiefer in die Kenntnis der Zeit einzufflhrao aad ihnen zugleich eine Probe und einen Vorgeschmack zu geben, wie die Geschichte aus den reinsten gleichzeitigen und urkundlichen Queita zu schöpfen ist.

eipel: Anleitong snm fibersetsen aof dem Peatoohen ins Latein. 457

33«

raktische Anleitung zum übersetzen aus dem Deutschen ins Latein für die obersten Klassen des Gymnasiums. Zugleich Studien zur Geschichte der ersten christlichen Jahrhunderte. Von Fr. Teipel^ Doctor der Theologie und der Philosophie^ Oberlehrer am königl. Gymnasium zu Coesfeld. IL Theil, Zweite verbesserte Auflage. Paderborn, Verlag von Ferdinand Schoningh. 1857.

Es kann gewis nur als eine Vertraaen einflöszende Erscheinung igesehen werden, wenn ein neben der zahlreichen Menge gang- und lochbarer Uebungsbücher und Anleitungen cum Lateinschreiben ge* achter neuer Versuch sich einer so warmen Aufnahme und vielsei- |en Einführung in die Schule zu erfreuen hatte, dasK nach kurser Nt schon das in zahlreichen Reoensionen und amtlichen Conferenz- utokollen ausgesprochene Interesse eine zweite verbesserte Auflage »• Buches nothwendig machte , um die vielfach ausgesprochenen ^Ansehe bezüglich des Stoffes und der zu seiner Uebertragung erfor- »rlichen sprachlichen Anmerkungen baldigst zu erfüllen und zu ver- erthen. Wiewol nun aber der auf dem Gebiete der Theologie wie tr Philologie gleich rühmlich bekannte Verfasser selbst genugsam in \t Vorrede zur ersten Auflage Zweck und Ziel seiner ^Anleitung' •wol, insbesondere auch die Anwendung und Verwerthung des stoff- }hen Inhalts derselben für das Lateinsohreiben erörtert hat, so er- heinen uns doch vor allem seine S. VI IX der Vorrede ausgespro- ,enen Ansichten über die in den letzten Jahren in Folge der Angriffe ner sich fiberstürzenden Ereiferung vielbehandelte Frage des Ver- iltnisses von Christenthum und Heidenthum bei der Leetüre der Klas- lier anf gelehrten Schulen so bemerkenswerth, dasz seine neue ^An- itang' nicht blos von ihrer didaktischen, sondern auch von ihrer .atorischen und paedagogischen Seite aus noch nähere Wür- gnng erwarten darf. Mit Recht durfte der Verfasser den stofflichen teil seines Buches zugleich auch als ^Studien zur Geschichte der atan christlichen Jahrhunderte' bezeichnen, denn es bieten dieselben oht blos für den zunächst ins Auge gefaszten Schulzweck, wie sich iten näher zeigen wird, ein in paedagogischer Hinsicht trefflich äu- gendes Material, sondern sie »müssen auch als selbständige For* hangen und Beiträge zur Geschichte der römischen Kaiserzeit nm so Bhr geschätzt werden, je mehr noch diese weniger gekannte Periode rer Aufhellung entgegensieht, zu welcher auch der groszartige Fort- hritt der Inschriften- und Mpnumentenkunde unter der Hand eines aisters von Fach begründete Hoffnung gibt. Und gerade die in diese »it fallende erste und früheste Entwicklung des Chrislenthnms ist ea er wieder, welche andererseits um so mehr Interesse und Bedeutung il, je mehr sie gekannt zu werden verdient und je lieber sie von o Historikern theiiweise schon ans Mangel gediegener Vorarbeiten

458 Teipel: Ahleitang zum übersetsen aas dem Dentselien iki LiteiB.

übergangen za werden pflegt. So bilden diese ^Stadien' zagleich auch ein anziehendes and belehrendes historisches Lesebuch, um in die erste Kenntnis des ^ unter den Kaisern aufkeimenden und zur her- lichen Blüte gedeihenden christlichen Lebens und schaflfens' einzufah- ren, wobei durch die passende Einreihung von Stücken aus dem klas- sischen Alterthume selbst eine erwünschte Gelegenheit geboten ist, unter anderem auch bedeutende Persönlichkeiten desselben, wie Se- neca(§ 7 S. 33 ff.), Boethius (S. 225 ff.), Cicero 49 S. 210 ff.) in ihrem Verhältnisse zum Heidenthum und Christenthum neben grossen christlichen Lehrern zu betrachten. Damit wird zugleich der paeda- gogi sehen Lösung der Hauptfrage nfiher gerückt, welche den gan- zen Streit hervorgerufen hat: der Förderung nemlich christlicher Ge- sinnung bei der studierenden Jugend. Nicht die Beseitigung oder Schmälerung der klassischen Studien , als der unersetzbaren Factoren einer durch lange Zeiten und unvergleichliche Erfolge erprobten Gei- stesbildung, gilt es, sondern die Durchsäuerung aller geistigen Nah- rung, welche auch den Schulen der Jugend gereicht wird, mit religi5- sen Ideen und Anschauungen; es gilt die Verbindung altklassischer und christlicher Bildung , d. h. erstere von letzterer durchdringen in lassen. Mit Recht hat, der Verfasser schon vor zehn Jahren (vgl. Vorr. S. VI. VII) auf die Praxis aller christlichen Jahrhunderte und ihre Achtung vor dem klassischen Alterthum hingewiesen , mit gutem Foge daher neulich auch Prof. G. Lotholz die Rede Basilius des Groszen *über den rechten Gebrauch der heidnischen Schriftsteller' der Mit- welt wieder vor Augen gestellt. Gewis bleibt es zunächst die Anl- gabe des philologisch gebildeten Religionslehrers bei vermehrter Zahl der Religionsstunden in die schriftstellerischen Schätze des christ- lichen Alterthums einzuführen; die Lectüre von Abschnitten der Kir- chenväter selbst aber in den philologischen Stunden halten wir aii den S. VII angeführten Gründen für bedenklich, da gerade die Zer- gliederung des formellen, des sprachlichen und stilistischen, zu eineai Tadel Veranlassung böte, der öfter den christlichen Autor gegen den heidnischen in Schatten stellen und in den Herzen der Schüler herab- setzen, demnach also das Gegeutheil des bezweckten hervorrufen würde: Unzuträglichkeiten, die sich leider hin und wieder schon bei sogenannten Klassikern selbst ergeben haben , deren Bearbeiter dnreh ihre ununterbrochene scharfe Texteskritik und Interpretation ihr mög- lichstes zur Discreditierung jener in den Augen der Schüler gethan haben. Wenn es demnach darauf anlsommt , ohne die schon vorwir- rende Menge dessen, was alles auf gelehrten Schulen jetzt gelehrt wird, noch zu vermehren oder besondere Stunden dafür zu bean- spruchen, christliche Elemente und Stoffe mit den klassischen Bitdnngs- momenten zu verbinden, so ist gewis der vom Verfasser eingeschla- gene Weg einer der richtigen, i^elche nicht allein ohne neue Belastong und Ueberbürdung zum Ziele führen , sondern sich aach paedagogiseh trefflich bewähren. Vor allem ist wol zu bemerken, dasz der Lehr- nnd Uebersetzungsstoff seines Baches nicht blos nnd aassohlienlioh

Mpd.: Anleitung zum fibersetzen aas dem Deutschen ins Utein. 459

christlichen Inhaltes, vielmehr gerade in dieser zweiten Auflage die Zahl der dem klassischen Alterthura entnommenen Stücke gegen frflher ansehnlich vermehrt worden ist (vgl. §§ 1. 3. 7. 8. 13. 16. 22. 27. 37 u. a. m.). Diese glückliche Mischung von christlichem und klassischem, schon durch den Reiz der Abwechslung der Jugend ange« messen und erwünscht, entbehrt dabei jedoch des nothwendigen MitteU vnd Einigangspunktes nicht: vielmehr ist das Alterthum und das ganze antike Leben der gemeinsame Hintergrund, auf welchem beide Momente sowol in ihrer Gemeinsamkeit als in ihren Gegensätzen um so deut- licher hervortreteu. Ganz und gar verloren würde ^iese gemeinsame Grandlage, wollte man etwa der Abwechslung halber mehr Stoffe aus der neueren Geschichte verwenden, ganz abgesehen davon, dasz es für den Schüler zu schwer würde , dieselben dem Anschauungskreise des Alterlhums zu nähern und (was öfter wol fast geradezu unmög- lich ist) in die sprachlichen Formen desselben umzusetzen. Dagegen hber darf der als Material der Uebersetzungsbücher verarbeitete StoCf der alten Geschichte schon eher sich eine Reduction gefallen lassen, da bei der Interpretation der Klassiker sowol als bei dem eigentlichen GeschichtsYortrage und der Privatlectüre genugsam Gelegenheit zur ausführlicheren Betrachtung gegeben ist »Dazu kommt, dasz nun ge- rade die von dem Verfasser der Natur der Sache nach in Vordergrund gestellte römische Kaiserzeit auch für den Schüler von unverkenn- barem Nutzen ist. Eine Zeit an sich schon, insbesondere dem Schüler, verhältnismäzig weniger bekannt, welche nicht allein die erste christliche Zeit und die erste in der Regel so wenig gekannte Entwicklung des Christenthums in sich schlieszt, sondern überhaupt auch durch die Verbreitung griechisch-römischer Bildung über den Westen Europas der grösten Erscheinung der Weltgeschichte die Wege zu bahnen berufen war, musz durch die Neuheit ihres geschicht- lichen Inhalts für den Schüler eben so spannend und anziehend als durch die Vergleichung ihrer Gegensätze und den Kampf einer alten mit einer neuen Ordnung belehrend und bildend sein. Mit richtigem Takte hatte der Verfasser daher schon in der vorhergehenden Stufe neiner/Anleitung' die schönsten Stellen des griechischen und römi- neben Alterthums über herliche Tagenden, wie Einfachheit der Le- bensweise und Nüchternheit, Dankbarkeit, Freundschaft, kindliche Liene, Bändigung des Zorns, Feindesliebe, Vaterlandsliebe, Heilig- haltung des Eides u. a. m. in einzelnen Anekdoten und Erzählungen gesammelt, um daran einerseits das verwandte und vollendetere des Christenthums anzuknüpfen, andererseits aber die grellen Gegensätze am so achärfer hervortreten za lassen: znr Klarheit der Anschauung und Bewahrung vor jeder verwirrenden Auffassung halten wir dieses Verfahren ganz vorzüglich geeignet.

w^ Diese Mannigfaltigkeit und Fülle des geschichtlichen Stoffes gibt aSer weiter, wie S. V der Vorrede näher ausgeführt wird, vor allem auch Terrain für lateinische Aufsätze, und zwar auch hier wieder bei der Neuheit des Materials in einer Ausdehnung und Abwechslung,

460 Teipel: Anleitang zam öbersetzen ans dem Deatsclbeii ins Litdtt.

dasK dieses Gebiet der Uebnng im Lateinschreiben ein gans neaes Ib- teresse für den Schüler gewinnt und die ewig in der Schale wieder- kehrenden Aufgaben über Themistokles, Alexander den Grossen, die panischen Kriege usw. füglich für einige Zeit dadareh rerschobes werden können. Dabei darf der wichtige Umstand nicht flbersehea werden, dasz bei der Ausarbeitung der Aufsätze sowol als bei der Uebersetzung der Uebungstücke die Schüler die Originale nicht so leicht finden und erreichen, demnach also nicht so leicht aasschreiben können als dies wol sonst möglich ist, zumal der Verfasser auf mehr- seitig geäuszerten Wunsch in der zweiten Auflage nicht blos für eine grössere Mannigfaltigkeit der Materialien (§1.3. 22. 37 sind hinsn- gekommen, § 5. 7 u. a. erweitert) Sorge getragen hat, sondern «ach die sprachlichen Anmerkungen zu vermehren und nach allen Seiten hin verwendbar zu machen bestrebt war. Im allgemeinen und sn- tiächst dürfte die wöchentliche schriftliche Uebersetzung eines abge- grenzten Pensums zur Uebung des lateinischen Ausdruckes mit be- sonderer Berücksichtigung der für die Aneignung eines scharfen and klaren denkens so wichtigen Synonymik, auf welche besonderer Nachdruck gelegt ist, als Hauptzweck von dem Verfasser ins Ange gefaszt sein, ohne zugleich auch das zeitweise extemporieren, d. Ii. die mündliche Wiedergabe theilweise schon übersetzter Stücke ana- zuschlieszen , um die Schüler sich daran gewöhnen zu lassen, etwas rasch lateinisch auszudrücken. Insbesondere sollen namentlich die lateinischen Anmerkungen den Schüler anleiten, in die lateiniathe Anschauung der einzelnen Ausdrücke wie ganzer Redensarten so de- ren Verwendung einzugehen. Weder sollen es die Schüler dabei eben bequem haben, noch es aber ihnen auch zu schwer werden: das denken lernen ist vielmehr auch hier wieder die Haupisaehe. Demgemäsz ist in den Anmerkungen häufig ein mustergültiger Satt aus einem Klassiker gegeben, welcher die dem Schüler nöthige Re- densart enthält, die er sich dann aber selbst heraussuchen und an* rechtlegen musz. So soll z. B. S. 1 die ganze Wendung: 'er anler- nahm es den Beweis zu führen' durch 'suscepit' wiedergegeben wer- den, wozu Anm. 7 so anleitet, wie ähnlich ebendort Anm. 2. 3. 4 and S. 99 Anm. 3, S. 133 Anm. 6 die deutschen Ausdrücke *er beharrte bei der Behauptung, blieb dabei, weisz anzugeben' in gleicher Kfrie durch perseverare und habere ihre Uebertragung finden and nahe- gelegt werden. Verwandter Art sind auch S. 3 Anm. 3, S. 15 Anm. 81, S. 73 Anm. 7, S. 223 Anm. 23, wiewol uns namentlich in der vorleti- ten Stelle dem Schüler etwas zu viel zugemutet scheint. .Ander- wärts wie S. 43 Anm. 2, S. 73 Anm. 1, S. 75 Anm. 13 verweist der Verfasser einfach auf Stellen ans Klassikern, deren Leetüre voraus- gesetzt wird, um darnach das zu übertragende wiederzugeben: ob dieses hinsichtlich des Cato maior so unbedingt vorausgesetzt y^' den kann, mag dahingestellt bleiben. Diesen kurzen Verweisungen gegenüber würden andererseits Anmerkungen wie S. 39 Anm. 35, S. 40 Anm. 36 n. a. wiederum unverhfiltnismäszig lang ersoheinen,

Tfi^: AnleitoDg sam fiberseCzen aas dem Denüoheo ins Latein. 461

wenfl man nicht die Absicht des Verfassers erkennen und billigen aaAste, tbeils, wie es a. a. 0. hinsichtlich dea adjectivischen Gebrauchs des Participinms im Deutschen und dessen Uebertragung durch das lateinische Praesens , sowie die Uebersetzung der synonymischen Be* grilTe des Veohselweise' in eben so bündiger als vollständiger Weise geschieht, den Sprachgebrauch näher erweisen, theils lyie f. B. S. 61 Anm. 29, S. 136 Anm. 14 zeigen, in Beispielen einaben za wollen, wobei natfirlich der lateinische Ausdruck der Quellen, welchen das stoffliche entnommen ist, oft nicht beibehalten nnd in den Bereich der Betrachtung gezogen werden konnte, sondern vielmehr geradezu •Is^ vnklassisch verworfen und durch mustergöltige Wendungen er- setzt werden muste; vgl. S. 163 Anm. 1, S. 34 Anm. 2. Denn nur die Latinitat Ciceros und seiner Zeitgenossen , von denen sich Briefe bei ihm finden, ferner Caesars, Nepos (und wol auch noch Varros) wird als echt klassisch in den Anmerkungen zu Grunde gelegt und ein zurückgehen auf Livius und Plinius meist nur dann erlaubt, wenn sieh sonst kein adaequater Ausdruck findet oder ihr Ausdruck sich anderweitig als klassisch beurkundet : eine AengstlichkeiC und Sorur pvlosität, der wir unsere Anerkennung nicht versagen können , welche aber einestheils einen nicht so leicht zu entscheidenden Contrbvers- piinkt zum Gegenstande hat, anderntheils von dem Verfasser z. B. 8. 247 Anm. 36 zu weit getrieben scheint, wenn sich auch Unter-« Scheidungen wie S. 166 Anm. 22, S. 232 Anm. 9, S. 280 Anm. 16 rechtfertigen lassen und ein glänzendes Zeugnis von der Kritik und Belesenheit des Verfassers ablegen, welcher auch bei der lieber« tragung spater aufgekommener Ausdrücke, für die in den klassi« sehen Schriftstellern unmöglich Beispiele gefunden werden können, •US seinem reichen Schatze immer die mustergültigsten auszuwählen im Stande ist; vgl. S. 163 43) Anm. 7. Deshalb ist auch S. 5 Anm. 23 für ^BibeP nicht das unklassische ^scriptura' (vgl. S. 38 Anm. 32), sondern die nach den besten christlichen Schriftstellern möglichst klassischen Ausdrücke angegeben, wie ähnlich für ^Heiland' S. 4 Anm. 9, ^Taufe' S. 131 Anm. 6; vgl. S. 236 Anm. 7 und 9, S. 255 Anm. 45 n. a. m. , und sicherlich ist es als ein nicht geringer Gewinn ' anzuschlagen, dasz die Schüler auch gute kirchliche Ausdrücke ken- nen lernen.

Schliesziich mögen einige kleine Nachträge ttm so mehr eine Stelle finden, als sie, anderwärtsher uns mitgetheilt, manche von dem Verfasser gemachte Aufstellungen theils bestätigen , theils recti- ficieren. Zu der Redensart gratias agere pro ... (S. 4 Anm. 10, S. 226 Anm. 51) kann noch Gurt. 5, 13 ^maximas gratias agere pro beneficiis' und Plin. paneg. 25'*maxime optandum, ut ea, pro qnibus agnntnr principi gratiae, multa sint' hinzugefügt werden. Ebenso dArfte zu S. 112 Anm. 8 zu ^nobis consulibus designatis' als nicht un- klassisch auf Cic. Tusc. 3, 70 *praetore designato mortuo filio' zn verweisen sein. Ebendort Anm. 6 ist angegeben, dasz ^reddo' in der Bedeutung ^machen' kein Passiv habe: diese Behauptung ist zn aus-

462 Beneble aber gelebrte AnstaUeD, VerordDangen, etatbl* NoIUm.

scbliesslicb ; bei spateren, wie Eutrop. I 9, 18, findet sich allerdings das Passiv in dieser Bedeutung. Dasz nach S. 33 Anm. 17 capnt =s Hauptstadt n u r im Nom.^ oder Acc. vorkommen solle , ist wol eben- falls zu bezweifeln: bei Piin. ep. 10, 81 steht ^sunt in capite Bithy- niae.' Gewis werden diese und andere Besserungen am wenigsten dem gelehrten Verfasser entgehen, *ohne dem Werthe und der Bedeu- tung des ganzen Buches einen Eintrag zu thun, welches bereits, so viel uns bekannt, in Schlesien, Sachsen, Westphalen und der Rhein» provinz Eingang und eine Anerkennung gefunden hat, die um so ge- rechtfertigter ist, je mehr sie durch die ganze Fassung des Textes und die ZweckmSszigkeit der Anmerkungen begründet und verdient wird.

Frankfurt a. M. Jacob Becker.

Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, statistische Notizen, 'Anzeigen von Programmen.

Aachen.] Beim Beginn des Schuljahres 1856 57 traten die com- missarischen Hülfslehrer Dr Lanffs and Enders aus dem LehrercoÜe* giom und wurden anderweitig, jener am Gymnasium zu Coblenz, dieser an dem zu Trier commissarisch beschäftigt. Die dadurch erledigten Lehrerstellen wurden nicht wieder besetzt und die bisher bestandenen Parallel -Cötns der Tertia und Untersecunda aufgehoben. Das Lehrer- collegium bestand" aus folgenden Mitgliedern: Director Dr Schön, Oberlehrer: Dr Menge, Dr Klapper, Prof. Dr Oebeke, Dr Savels- berg, Spielmans Beligionslehrer; ordentliche Lehrer : Oberl. Dr Müller, Ch. Müller, Bonn, Koerfer, Dr Benvers; Hülfslehrer: Pfarrer Nänny, Küppers, Dr Brandt; Stiftsvicar Fuchs HülfsL für kathol. Religionsunterricht, Schreib!. Schmitz, Gesangl. Baut, Zeichenl. Neidinger, Turnl. Bensing. Die Zahl ^er Schüler betrag am Schlüsse, des Schuljahrjes: 379 (I 85, II 05, lU 47, lY 44, V 59, VI 49). Abiturienten: 45. Den Schulnachrichten geht voraus: Stanis- laus ffosius, des berühmten ermländischen Bischofs wid Cardinais ^ Lehen und Wirken y ein Charakterbild für die studierende Jugend unserer Tage^ vom Beligionsl. Spielmans. 48 S. 4. Dr 0.

Abnbbero.] Gleich im Beginn des Schuljahres 1856 57 wurde der Hülfslehrer Dr T e m m e zum ordentlichen Lehrer ernannt und dem Candidaten Hermes die Vertretung der Hülfslehrerstclle übertragen. Der Gymnasial- 'und Beligionslehrer Severin erhielt den Titel eines Oberlehrers. Der Schnlamtscandidat Kork trat sein Probejahr an. Lehrerpersonal: Director Dr Ho egg, die Oberlehrer Pieler, Kaute, Laymann, Severin, die Gymnasiallehrer Noe gger ath, Dr Schur« mann, Dr Temme, techn. Lehrer Härtung, Hülfslehrer Hermes, Candidat Kork, Pfarrer Bertelsmann ev. Beligionslehrer. Schüler- zahl: 207 (I a u. b 41, II a u. b 48, III a u. b 41, IV 22. V 28. VI 2% Abiturienten: 9. Das Programm enthält eine Abhandlung deß Ober- lehrers laymann: de vetustissimo , quo Romani usi sunt^ anno. 9 S. 4. Der Verf. läszt sich in die genaueren Untersuchungen und Streitfragen

Berielite Ober gelehrte Anstalten , Verordnangen, Statist Notixen. 463

der Gelehrten nicht ein, sondern beabsichtigt nnr enm Verständnis der schwierigen Stelle bei Liy. I 19 namentlich für die Schüler, welche diesen Schriftsteller lesen, etwas beizutragen. Dieser Theil der Abh. beschränkt sich daher auch anf den sog. annus Bomulens. Das übrige •oU später folgen. Dr 0,

Athen.] In der Yoranssetznng , dasz unseren Lesern eine Probe ▼on dem bestehen und fortschreiten der klassischen Studien in ihrer griechischen Heimat nicht unwillkommen sein wird, lassen wir hier ab- drucken das Festgedicht der Universität Athen zur.25j. Feier der Lan- dung des Königs Otto, verfaszt von dem Professor der Philosophie und Bibliothekar des Königs Philippos loannu, dessen Mittheilung wir der Güte des Hrn Prof. Dr L. Boss in Halle verdanken.

^M'^ 4Sanq)L}tii slg t^v rjfuxBvrTiTiovTaeTriQida ioQf^p xdSv dnoßatrjQiav

Tov ßaaiXsa}g*'Ob'a}wos,

*EXXu9' ccTitlg ya^'ot^vag hc* alav KCdvatai naaav^ XiyvQo, dh fioXnä "Aifysog xa<&' [nnoßdra %Xsevvav 'Aiov' Sqcdqbv,

'Ev9u NbCXüü in (sid'Qaiv ndqoi&B KiXcsv svciXfnp noXvvpXoiaßov olSfva Not BriX£dag davaog nsQccaag Olg avv iraiat,

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"Oiog i^vg Bv%XBiog ysvid'Xag Tag BizXBaßdx(ov , fiBydl' dz' ^qb^b Nüv ZB Xaotg Bavaglag (iBvalxc^aig ^Iq>i dväüCBi,

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TdS ('"Od-iDV h(pvg vaizaig vioiaiv ^EXXddog viog Javaog q)adv9'fi 'lvdx<o ifoag UiXondg zb väaov TrjXo&BV iX&iOv,

N. Jahrb. /". P/dl. ». Patd, Bd LXXVIII. Bfi 9, 31

464 Beriebte Ober gelehrte AniUllen, Verordnangei, ttalist. NoHfMt;

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Tev fxttTi yXavuoxQOtp xoumvti KoiXd9sg %al Mtsa vag sXata Kai TS ndvxa diLcpiXBQ'aX' 'la%%(a EvpoTQvg ögna^,

Tsv fxttTt 9' av^ig dv* aXae' dxS Iloifihmv avXog nqo%hi Xiytiav, AlnoXog z* av *AQ*adlag dv' co^i;

Iluvi XOQSVH.

Tsv exoTt vaiciv olSfia xocoaig Tf[ivtx* Aiyaiov xawatnxsQOiaiv ^ "Oaaa %v%v(ov ov*o%' inXcaaev l^nj *Psv(MC Kavaxqto,

'AXXd %iA xo^ag /itogy atx' dvxdv BaQßdgoav dxvtofisvai (isd'QOv 'inrcongdvag xdXXmov, 'EXXd^' ig yäv "Ayaysg avd'ig,

UaXXd^og 9' iv äaxBt noXv%X%{xm 'AyXaov üqpt ätifMO vaov , ivd^a IlQoaxoXmg &kov noXiag xaXiecag Ho oaQiaxag,

Xatg'/Avtt^ 09SINI xode ^sxvvg ivtpQwv IlQOCnoXmv vatS inog i^ dndvxaVy 'E% tpQSvog mcxag ngoXbv xsov tt G<S%ov tndvov,

XaiQ'f "Avai OGSINI cvv onotpQovcii xs Za^i daqov AMAAIAi xqicinxip, £%d7Cxov alyXätv ad'Bvagai^Cip alhv

XsiQßCl PtOfKOVl

Bedbübo.] In dein.Lehrercollegiam der rheinischen Bitterakademie haben im Schuljahre 1856—57 mehrfache Veränderungen stattgeftinden. Dem Ober-Director Seal wurde die nachgesuchte Entlassung mit Pen* sion bewilligt. Oberlehrer Dr Goebel, zu Ostern y. J. berufen, um die Stadien - Direction wahrzunehmen, schied mit dem Ende des Schul- jahres aus seiner provisorischen Wirksamkeit wieder aus. Oberlehrer Dr F^auz tibernahm eine Oberlehrerstelle am Gymnasium zu Pader- born. Der Schulamtscandidat Dr Peltzer verliesz nach vollendetem Probejahr die Anstalt. Um diese Verluste zu ersetzen, wurden berufen als provisorischer Dirigent Roeren, bis dahin Oberlehrer am Gymna- sium zu Paderborn, bis zu dessen Berufung der Relig^onslehrer Brück» mann als Stellvertreter fungierte; femer all ordentliche Lehrer Heicks und Dr Caspar, beide als wissenschaftliche Hülf sichrer ^m katholischen Gymnasium zu Köln beschäftigt. Lehrerpersonal: Roeren, prov* Diri-

BiiMil0 aber gelehrte Anstalten, Verordnongen , Statist. Notizen. 465

gent, Bruckmann Religionslehrer, ordentliche Lehrer : Oberl. Becker, Blase, Noel, Hcicks, Dr Caspar, Wissenschaft!. Htilfsl. HUblcr, commiss. Uülfsl. Dr Wiel, Zeichen!. Müller. Schülerzahl: 52 (19, II 10, III 14, IV 14, Vorbereitungski. 5). Abiturienten: 4. Das Pro- gramm enthält: de Aetolia dissertatio, Scripsit G. Becker. 27 S. 4.

Dr 0, Beblin.] Ueber die hier bestehenden Gymnasien berichten wir aus dem Schuljahre 1856 57. 1. In dem Lehrerpersonal des königlichen Joachimsthals che n Gymnasium hatten sehr viele und bedeutende Aenderungen stattgefunden. Prof. Dr Köpke, der älteste Lehrer der Anstalt, beschlosz, nachdem er kurz vorher sein ÖOjähriges Amtsjubi- laeum (40 J. am Joachimsthal) gefeiert hatte, seine Thätigkeit, um Ton da an der wolverdienten Ruhe zu genieszen. Zu derselben Zeit schied Prof. Dr Gie«ebrecht aus seinem bisherigen Amte, welches er mit der ihm übertragenen Stelle eines ordentlichen Professors der Geschichte an der Universität zu Königsberg i. Pr. vertauschte. Diese Veränderungen hatten zur Folge, dasz an Prof. Köpke s Stelle Prof. Jacobs zum Bibliothekar des Gymnasiums ernannt' wurde, und die beiden Adjuncten Prof. Dr Kirchhoff und Pomtow aus ihren Stellen in die Zahl der oberen Lehrer aufrückten. In die dadurch erledigten Adjuncturen traten sofort die Candidaten Dilthey und Dr Schmie- der ein. Eine noch weitergreifende Veränderung war die, dasz der Director Dr Meineke am 1. Juli 1857 sein seit dem 1. Juli 1826 ge- führtes Directorat niederlegte und in den von ihm gewünschten Ruhe- stand zurücktrat. Ein weiterer Verlust entstand für die AnstaU, da Prof. Dr Mutz eil in Folge seiner Ernennung zum Provinzial-Schulrath sein bei der Anstalt geführtes Amt niederlegte. Das erledigte Directo- rat der Anstalt wurde dem Provinzial-Schulrath Dr Kieszling über- tragen und demselben zugleich die Eigenschaft eines Ehrenmitglieds des königl. Schulcollegiums für die Provinz Brandenburg verliehen. In Folge des eingetretenen Directoratswechsels wurde das Amt eines Alum- natsinspcctors, welches zuletzt Prof. Jacobs verwaltet hatte, aufgeho- ben und die damit verbundenen ' Geschäfte wiederum mit dem Directo- rate vereinigt, mit welcheili sie bis 1846 verbunden gewesen waren. Oberlehrer Schmidt und der Zeichenlehrer Bellermann wurden zu Professoren ernannt. Im Laufe des Jahres schieden noch von der An- stalt aus die Schulamtscandidaten Dr Krause, welcher eine Anstellung an der Friedrich -Wilhelms -Schule zu Stettin erhielt, Dr Weber, wel- cbier als Lehrer an die lateinische Hauptschnle zu Halle, und Dr Rib- beck, welcher als Lehrer an das Friedrichsgymnasium versetzt wurde. Als Mitglieder des königlichen Seminars für gelehrte Schulen waren beschäftigt Dr Schwerdt und Dr Dinse. Anszerordentliche Aushülfe leistete wiederholt Dr Jacob i. Das Lehrercollegium bildeten demnach: Director Dr Kieszling, die Professoren Dr Conrad, Dr Passow, Jacobs, Dr Seyffert, Schmidt;. Oberl. Täuber, Prof. Dr Kirch- hoff, Oberl. Dr Planer, G.-L. Pomtow, dieAdj.: Dr Hollenberg, Dr Nauck, Dr Wehrenpfennig, Dr Simon, Dilthey, Dr Schmie- der, Dr Jacobi; Seminaristen: Dr Dinse, Dr Schwerdt, Prof. Fabbrnoci, Oberl. Dr Philipp, Prof. Bellermann, Lehrer Brüg- aer, Lehrer Laszhoft, Musikdir. Dr Hahn, Cantor Wendel. Die Ansahl der Schüler betrug am Schlüsse des Schuljahres: 336 (I* 22, I^* 25, II« 36, II» 43, III* 58, III » 60, IV 45, V 29, VI 18). Abiturien- ten an Mich. 1856: 14, zu Ostern 1857: 8. Vorausgeschickt ist den .Schulnachrichten eine Abhandlung des Adjnnct Dr Simon: die Theorie der Variaiiontrechnung, 35 S. 4. 2. Im Lehrercollegium des Frie- drieh-Wil heim 8 -Gymnasiums war keine Veränderung eingetreten. Lehrerpersonal: Director Dr Ranke, Professor Dr Uhlemann, Prof.

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466 Berichte ttber gelehrte Anstalten, Verordnongren, gtatiil. Biotffm«

Schcllbach, Prof. Yxom, Prof. Walter, Prof. Brescmer, Prof. Zumpt, Prof. Drogan, die Oberlehrer : Böhm, Rehbein, Dr Geis- ler, Dr Luchterhandt, Dr Strack; Lehrer Benst, Oberlehrer Dt Fosz, Borchard, Dr Bads tübner, Dr Bernhardt, Oberl. Ja- ooby, Meyer, Prof. Bellermann Zeichenl., Musikdir. Dr Hahn Ge- sangl., Lehrer Kaweran, die Cändidaten: Siewerth, Rietze, Dr Arendt, Wendlandt, Prediger Martiny, Candidat Dr Pierson. Schülerzahl: 600 (I* 33, !»> 37, II* 54, I1»>C0, III «»38, III*«32, UI*» 53, 111*»« 5(), IV ^ 49, IV« 50. V 65, VI 67). Abiturienten: 40. Den Schulnachrichten geht voran: sludia palaeograpfäca, Scripsit Dr Geisler« 28 S. 4. 3) Das Gymnasium zum grauen Kloster verlor drei Lehrer durch den Tod, den Prof. Liebetreu, den Prof. Müller und den Dr Bremiker. Die durch den Tod des Professor Liebetreu erle- digte Lehrorstelle wurde durch Ascension der folgeren Lehrer und ein- rücken des Streitschen Collaborators Dr Bremiker besetzt ^ und an seiner Statt erlnelt die Collaboratur der bisherigen Hülfslehrer Dr Si- mon. Die durch den Tod des Prof. Müller und des Dr Bremiker er- ledigten Stellen wurden dann durch Anstellung der bisherigen Streitschen Collaboratoren Dr Franz, Privatdocenten an der Universität, und des - Dr Simon besetzt, in die erledigte Collaboratur der vorherige Hülfs- lehrer Dr Hoppe gewählt. Zu Ostern v. J. sind in das Lehrercollegium eingetreten als Hülfslehrer der Prediger Lisco, als Mitglied des königl. Seminars für gelehrte Schulen Dr Hage mann, als Candidati probandi Hülsen und Nitzsch. Dagegen schied zu Ostern d. J. der Hülfsleh- rer Dr Schulz, der an dem Friedrichs - Gymnasium eine Anstellung fand. In die Stelle des Dr Hagemann aber, der schon zu Micliaelis einem Rufe nach Prenzlau folgte,. trat Dr Wollenberg. Den früher vom Prof. Liebetreu ertheilten englischen Unterricht hat Crump über- nommen. Ferner ertheilte von Michaelis bis Weihnachten Dr Lettner Unterricht, den er jedoch wegen Erkrankung aufgeben muste. Der Oberlehrer Dr Hof f mann wurde zum Professor ernannt. Somit haben folgende Lehrer am Gymnasium unterrichtet : 1) die ordentlichen Lehrer: Director Dr Bellermann, Prof. Dr Wilde, Prof. Dr Zelle, Prof. und Licentiat Dr Larsow, Prof. Dr Hartmann, Prof. Dr Curth, Prof. Dr Iloffmann, Dr Bollmann, Dr Kempf, Dr Dnb, Dr Sengebusch. 2) Die Streitschen Lehrer: Collaborator DrFrani, Privatdocent an der Universität, Dr Simon, Mitglied des königl. Seminars für gelehrte Schulen , der Lehrer des Italiänischen Professor Schnackenburg, der Lehrer des Französischen (zugleich auch ma- gistratischer Hülfsl.) Dr Linsen, der Lehrer des Englischen Crump. 3. Die Hülfsichrer: Prediger Lisco, Dr Hoppe, Hülsen, Nitzseh und die techn. Hülfslehrer: Kollef, Dr Lösener, Bellermann II und Riesel. Die Zahl der Schüler betrug- am Schlüsse des Schuljahres 470 (I 58, II» 32, IIb 43^ 52, mbi 31^ mbt 32, IV*« 31, IV«« 30, IV*» nO, V 03, VI 47). Abiturienten zu Michaelis 14, zu Ostern 11. Das I^rograram enthält eine wissenschaftliche Abhandlung des Dr Si- mon: faslorum Romanorum specitnen. 33 S. 4. 'Qua in causa ita ver- satus 8um, ut quae nomina Pighhts (qui cum rerum scriptorum anzilio fastofl explere sc posse dcsperaret, co descendit, ut quasi dilectu in- stituto e fratribus, patribus, avis, atavis, atque etiam e virorum. no- bilium subolc magistratuum collegia reficcret) ad libidinem oerta ratione non ductus exhibuit, omitterem et eorum loco sacerdotes, legfatos, tri- bunos militum, centuriones, atque etiam equites et milites gregarios, quotquot inveniri possent, poilerem.' Das specimen erstreckt sich auf die Jahre 536 u. c. (218 a. Chr.) 537 u. c. 538 u. c. 539 u. c. 540 n. e. Einem jeden Jahre sind ausführliche explicationes beigefügt. 'Sed cum res ardua sit et admodum difficilis , optime et mihi et causae coaeoliiiB-

Bwiebto Aber gelehrte AnstalteD, VerordnangeD, stalijt. NoHzen. 467

se mihi vidobar, si anteqnam periculnm faccrem, spocimen huius libri yiroram doctorum iudicio proponcrcm, iit emendatis iis qai incssent er- roribas expcditum et liberam iter haberem ad ea quae in aniinum in- doxeram exequenda.' 4) Aus dem Lehrercollegium des Friedrichs- Werderschen Gymnasiums schied der Collab. Dr Zinzow, wel- cher einem Kufe als Prorector an das Gymnasium zu Stargard in Ponb- mem folgte. Zugleich verliesz das Gymnasium das Mitglied des Semi- nars fiir gelehrte Schulen, Schulamtscand. Dr Wollenberg, an dessen Steile der Schulamtscand. i^almus trat, welcher aber bald darauf als Adjunct an das Pädagogium zu Puttbus versetzt wurde. Die durch den Abgang des Dr Zinzow erledigte Stelle wurde nach aufrücken der bei- den folgenden Lehrer, durch die Wahl des DrLangkavel zum letzten ordentlichen Lehrer wieder besetzt. Zur Ableistung des pädagogischen Probejahres waren folgende Schulamtscandidaten eingetreten: zu Ostern Dr Thomae, zu Johannis Dr Schmidt, zu Michaelis Rauke und Dr Voswinkel. Dem Collab. Dr Wolff wurde das Prädicat 'Ober- lehrer* verliehen. Auszer dem Director Prof. Bonnel unterrichteten damals am Gymnasium: Prorector Prof. Salomon, Conrector Prof. Dr Jungk I, Subrector Prof. Dr Zimmermann, die Oberlehrer: Dr Keil, Beeskow, Dr Richter, Dr Stechow, Mathematicus Dr Jungk II, Dr Schwartz, Dr Wolff , Mathem. Dr Bertr am, Dr Töpfer; Collabor, DrLangkavel, Zeichen- und Schreibl. Schmidt, als Mitglied des Seminars für gelehrte Schulen Collab. Dr Hir Sehfel- der, als Hülfslehrer: die Schulamtscandidaten Domke, Dr Thomae, Ranke, Schmidt, Heinzo; für den Gesang: die Musikdir. Neit- hardt und Schneider; als Lehrer des stiftungsmäszigcn propädeuti- schen Unterrichts für die künftigen Juristen Geh. Justizrath Dr Ru- dorff. Schülerzahl: 509 (1*38, I»» 31, II« 40, II»» 45, III-» 45, III*« 34, III»»» 39, III»»* 41, IV« 43, IV»» 42, V 58, VI 53). Abiturienten: 32. Den Schulnachrichten geht voraus eine Abhandlung vom Ober- lehrer Dr Richter: Prolegomenon ad Aristophanis l^espas caput iertiwn, 43 S. 4, von welcher in der ersten Abtheilung dieser Jahrbb. bereits eine Beurteilung gegeben ist. 5) In dem Lehrerpersonal des Col- lege royal fran9ais fanden folgende Veränderungen statt: die durch den Abgang der beiden Lehrer Schweitzer und Gerhardt erledig- ten Lehrerstellen, die dritte und fünfte, wurden durch Ascension besetzt. Die dritte Stelle erhielt Prof. Schmidt, die vierte Dr Marggraff, dem zugleich der Titel als Oberlehrer verliehen wurde, die fünfte Dr Woepcke, die sechste Dr Schnatter, die siebente DrGeszner, vorher ordentlicher Lehrer an der Mädchenschule zu Breslau. Die erste der beiden dadurch erledigten Ilülfslehrerstellen wurde dem Dr Bau- meister übertragen, welcher jedoch bald darauf eine ordentliche Leh- rerstelle am Gymnasium zu Elberfeld annahm. An seine Stelle trat als erster Hülfslehrer Dr Wollenberg. Dilthey schied aus und wurde ordentlicher Lehrer und Adjunct an dem Joachimsthalschen Gymnasium. Die Schulamtscandidaten Cr o uze und Busse beendigten ihr Probejahr und verlieszen die Anstalt. Das Lehrercollegium bestand am Ende des Sommersemesters aus folgenden Mitgliedern: Director Prof. Dr Lhardy, ordentliche Lehrer: Prof. Dr Ploetz, Prof. Dr Chambeau, Prof. Dr Schmidt, Oberl. Dr Marggraff, Dr Schnatter, Dr Geszner, Dr Beccard, DrKüttner; auszerordentliche Lehrer : Consistorialrath Fournier, Pfarrer der franz. Gemeinde, Prof. de lallarpe, Dr Franz, Lange, Dr Wollenberg, Busse, Musikdirector Comraer, Zeichenl. Gennorich, Schreibl. Heilmann. De la Harpe verliesz am Ende des Schuljahres die Anstalt, um eine Lchrerstelle in seiner Vaterstadt Lausanne zu übernehmen. Die Zahl der Schüler betrug am Schlüsse des Schulj. 307 (I 23, II 34, IIP 28, III>» 37, IV 55, V61, VI 69).

468 Berichte über gelehrte AofilaUen, Verordnangen, Statut. Notiftep*

Abiturienten 13. Den Schnlnachrichten geht voraus: de Cyro Perta- rwn rege, Scripsit J. Schnatter. 16 S. 4. 6) In dem Lehrercolle- gium des Cölnischen Realgymnasiums fand kein anderer Wech- sel statt, als dasz nach dem Abgange des Prediger Eyssenhard, der die Erledigung der ersten und zweiten Keligionslehrerstelle zur Folge hatte, die erste dem Prof. Dr George, die zweite dem Licentiaten Vt "Kuhlmey verliehen wurde; auszerdem übernahm Religionsstunden in den unteren Klassen Prediger Weitling. Prof. Dr Bar entin ward an die städtische Qewerbschule versetzt und an seiner Stell« die neu als.Hülfslehrer eingetretenen Dr Jochmann und Dr Dütschfce an- gestellt. Dr Pardon hielt sein Probejahr ab. Das LehrercoUegium zählte dann folgende Mitglieder: Director Dr August, Prof. Selck- mann, Prof. Dr Benary, Prof. Dr Pols b er w, 'Prof. Dr Kuhn^ Oberl. Dr Hagen, Prof. Dr George; ordentliche Lehrer: Kersten, Dr Kuhlmey, Dr Hermes, Bertram, Licentiat Dr de Lagarde, Prediger Weitling Religionsl., Gennerich Zeichenl., Strahlendorf f Schreibl., Dr Waldästel Gcsaugl., Dr Natani und Dr Dütschke Mitglieder des königl. Seminars für gelehrte Schulen, Dr Jochmann Hülfslehrer der Physik und Mathematik, Dr Pardon Cand. prob., Schulze Elementar- und Turnlehrer. Die Zahl der Schüler betrug 377 (I 44, II* 17, II »> 27, III« 35, III»» 43, IV* 57, IV»» 53, V 45, VI 56). Abiturienten 12. ' Das Programm enthält eine wissenschaftliche Ab- handlung des ordentlichen Lehrers Lic. Dr de Lagarde: de novo tegta- mento ad versionum orientalium fidem edendo, 20 S. 4. Dr

Bielefeld.] Das Schuljahr 1856 57 gieng nicht ohne wesentliche Veränderungen für die Anstalt vorüber. Dr Liesegang, vierter or- dentlicher Lehrer, folgte einem Rufe an das Gymnasium zu Duisburg; an seine Stelle trat Gymnasiallehrer Bachmann, vorher am Gymnasium zu Herford. Cantor emer. Ohle war durch Kränklichkeit genöthigt, auch die letzten 6 Stunden, welche er nach seiner Emeretierung noch beibehalten hatte , ganz aufzugeben. Lehrerpersonal : Director und Prof. Dr Schmidt, die Oberlehfer Prof. Hinzpeter, Bertelsmann, ' Jüngst, die ordentl. Gymnasiallehrer Oberl. Dr Schütz, Oberl. C oll- mann. Wortmann, Bachmann, Kottenkamp, Hülfsl. Schröter, Cantor Ohle, Pfarrer PI autholt kath. Religionsl. Schülerzahl: 172 (1 6, JI 5, III 17, IV 28, V 41, VI 48, II real. 13, III real. 14). Abi- turienten: 0. Eine wissenschaftliche Abhandlung ist nicht beigegeben.

J)r 0.

Bonn] Die Schülerzahl hatte in den beiden mittleren Klassen des Gymn. seit längerer Zeit das gewöhnliche Masz überschritten. Um diesem Misverhältnisse abzuhelfen , wurde zu Anfang des Sommersem. 1857 eine Trennung der Tertia und Quarta in Parallelcötus angeordnet und aa diesem Zwecke dem Gymnasium neue Lehrkräfte zugewiesen. Aotxer Dr Bessd und Bruders, welche seit Weihnachten aushülflich be- schäftigt waren, traten zu Ostern noch Dr Binsfeld und Grevel- ding als commissarische Lehrer ein. Zugleich übernahm Caplan Sas- sel einige Religionsstunden. Der Schulamtscandidat DrFrey trat sein Probejahr an. Lehrerpersonal: Dir. Prof. Dr Schopen, Oberlehrer: Remacly, Freudenberg, Zirkel, Dr Klein, Dr Dubelmann kath. Religionsl., ordentliche Lehrer: Oberl. Werner, Kneisel, Oberl. DrHumpert, Sonnenburg, Dronke; Lic. Diestel ev. Religionsl., Caplan Sassel comm. kath. Religionsl., die comm. Lehrer: Dir Bins- feld, Bruders, Dr Strerath, Dr Bücheier, Grevelding, Dr Frey, Gesang!. Lützeler, Zeichenl. Philippart. Das Gymnasium zählte beim Schlüsse des Schuljahres 414 Schüler (I* 30, I»> 36, II* 43, IIb 41, in« 32, III b 33, IV a 36, IV »» 34, V 69, VI 60); davon waren 316 kath., 85 evang. Conf., 13 Israel. Glaubens. Abiturienten: 30. Den

BiricUe fiber gelehrte Anstalten, Verordnungen, statisl. Notuen. 469

Schuliiaeliriohten geht vorana eine wissenschaftliche Ahhandlong ▼om Qyninasiallehror äonnenhurg: zoologisch - kritische Bemerkwigen zu Aristoteles Thiergeschidite (27 ß. 4). Der Verf. will hiermit einen Bei- trag liefern zu dem schwierigen Unternehmen, alle Zweige der arinto- telischen Zoologie , nach Erklärung oder Entfernung der störenden Ein- zelheiten, in einer ihres ^oszen Verfassers wUi^digen Weise wieder herzustellen. Die Untersuchung erstreckt sich auf folgende Stellen: Bist. Animal. I 8 p. 491 a 30 Bekk. I 11 p. 492 b 22. I 15 p. 494 a 14. I 8 p. 491 b 26. II 1 p. 499 b 17. Dr 0.

Bbandenbubg.] In dem Lehrerpersonal des Yoreinigten alt- und neustädtschen Gymnasiums trat im Schulj. 1856 57 keine A^endernng ein. Das Collegium bildeten der Dir. Prof. Braut, Pro- rector Dr Bergmann, Conrector Rhode, Subr. Ramdohr, Mathem. Prof. Schönemann^ Musikdirector Täglichsbeck, Collabor. I Dr Tischer, CoIIab. II Döhler, Oollab. III Dehmel, Lehrer Plane. Schtilerzahl 203 (I 18, II 15, III 38, IV 33, V 38, VI 61). Abitu- rienten 7. Das Programm enthält eine kunstgeschichtliche Abhandlung Yom Gymnasiallehrer und Musikdirector Täglichsbeck: die musikali- schen Schatze der St. Kaiharinenkirche zu Brandenburg a. d. Havel, Ein Beitrag zur musikalischen Lilteratur des 16, und 17. Jahrhunderts, 50 S. 4. Durch die allerhöchste Cabinetsordre vom 30. April 1855 wurde die Ritterakademie zu Brandenburg, welche zu Ostern 1849 aufgelöst worden war, wieder in das Leben gerufen und am 21. October 1856 in Gegenwart Sr. Majestät des Königs und Ihrer Königlichen Hoheiten des Prinzen von Preuszen und des Prinzen Friedrich Wilhelm feierlichst wieder eröffnet. Auszer dem Director Prof. Dr Köpke, welcher zuletzt die erste Oberlehrerstelle am Friedrichs-Gymnasium zu Berlin bekleidet hatte, waren als Lehrer berufen worden: der vorherige Subrector am Gymnasium zu Prenzlau Dr Bormann unter Ernennung zum Professor, der vorherige Mathematicus am Gymnasium zu Sorau Scoppewer, der vorherige Lehrer an der Realschule zu Berlin Dr Schulze, die beiden letzten unter Ernennung zu Oberlehrern; ferner als Adjuncten der vor- herige CoUaborator am Gymnasium zu Stettin Dr Schnelle, der vor- herige Lehrer am Gymnasium zu Minden Dr Hoche, als Elementar- uud Gesanglehrer Wachsmuth, als Zeichenlehrer Maler Hertzberg. Der Fecht- und Turnunterricht wurde wieder dem früheren Lehrer Spiegel übertragen. Da indessen die Lehrkräfte für die Bedürfnisse der Anstalt nicht vollständig ausreichten , so wurde noch als ordentlicher Lehrer der vorherige Adjunct am Pädagogium zu Puttbus Dr Koch berufen. Bei ihrer Eröffnung zählte die Ritterakademie 12 Zöglinge und 13 Hospiten; während der letzten Hälfte des Sommersemesters wurde sie von 31 Zöglingen und 12 Hospiten besucht (I 3, II 8, III 14, IV 13, V 3, VI 2). Dem Bericht über das verflossene Schuljahr geht voraus eine Abhandlung von dem Director Prof. Dr Köpke:. über die Gattung der dnofivrj(iovev(jLCita in der griechischen Litieratur, 30 S. 4, Die Be- deutung des Wortes dnofivrjfiovtvita stehe dahin fest, dasz es eine durch Erinnerung überlieferte, in Erzählungsform mitge- theilte Rede oder Aussage bezeichne. In 'dieser Bedeutung eines aus der Erinnerung wiedergegebenen Ausspruches sei das Wort auch in die rhetorische Terminologie übergegangen; und in den ver- schiedenen Progymnasmen werde es gebraucht, um entweder das Thema einer Chrie, die über irgend einen Ausspruch eines berühmten der Wis- senschaft oder dem Staats- und Kriegsleben angehörigen Mannes han- deln soll, oder die Chrie selbst zu bezeichden, soweit sie die Erwäh- nung und Erwägung von Rede oder That oder von beiden zugleich sei» Auszer Xenophon, Piaton und Aeschines, welche ausschlieszlich sich dem Bericht von Reden des Sokrates widmeten, werden als Ver-

470 Berichte aber gelehrte Anstalten, VerordnaDgen , atatisl. Noii

fasser Ton Denkwürdigkeiten (die lat. Uebers. von anoiivtjii,, durch me- morabilia gebe den im griechischen Worte liegenden Sinn nicht einmal nur annähernd wieder) aufgeführt nnd näher behandelt: Empodos, der Samier Lynkeus, Stilpon, Zcnon der Stoiker, Aristodemos beiAthenäns, Diodoros, Dioskurides und FavorinnB bei Diogenes. Dr 0.

BuRGSTEiNFURT.] Bekanntlich wurde hier das evangelische fürstlich Bentheimsche Gymnasium Arnoldiuam mit dem Plane eingerichtet, daaa dasselbe eine Doppelanstalt mit drei gemeinschaftlichen unteren und dann je drei völlig gesonderten oberen Gymnasial- nnd Realklassen werden sollte. Die Heranbildung sollte allmählich durch successive Vermehrung der Klassen und Lehrkräfte erfolgen. Am Schlüsse. des Schulj. 1857 bestanden folgende Klassen: II r mit 4 Seh., Illg 9, Ill^gO, Illr 7, IV 11, y 14, VI 14 (Summa der Schülerzahlen 68); zu Ostern ward die Gymnasialsecunda und die Realobersecunda hinzugefügt. Das Lehrercollegium bildeten damals der Dir. Dr Brom ig, die Oberlehrer Rohdewald und Heuermann, die Gymnasiallehrer Dr Wilms und Klostermann, der Elementarl. Lcfholz, Religionsl. Pastor Schim- mel, und die Candidaten Neumann, Börner und Orth. Den Schul- nachrichten ist beigegeben die Abhandlung des Oberl. Rohdewald: de U8U proverhiorwn apud Aristophanem (38 S. 4). R. D,

Cleve.] In dem Lehrercollegium trugen sich im Schuljahre 1856 57 mehrfache Veränderungen zu. Aus demselben schied der katholische Religionslehrer Kaplan Lowey; an seine Stelle trat der Kaplan Dr theol. Goppeln rat h. Prof. Dr Hopfensack wurde auf sein nach- suchen in den Ruhestand versetzt. Der Oberlehrer Dr Fleischer folgte einem Ruf zu der Stelle eines Oberlehrers an dem Friedrichs - Gymna- sium in Berlin. In die Stellen rückten die Oberlehrer Feiten und Dr Schwalb auf. Die erste ordentliche Lehrerstelle wurde mit dem Ober- lehrer Dr Wulfert, bis dahin am Gymnasium zu Saarbrücken, besetzt. Die erste Oberlehrerstelle konnte, weil der allgemeine Pensionsfond zur Pensionierung nicht ausreicht und die Pension des emeritierten einst- weilen noch aus der Stelle getragen werden musz, noch nicht besetzt werden. Zur Aushülfe wurde indessen dem Gymnasium der Schulamts- candidat Dr von Velsen überwiesen. Lehrerpcrsonal : Director Dr Helmke, Prof. Dr Hopfensack; Oberlehrer: Dr Fleischer, Fei- ten, Dr Schwalb; ordentliche Lehrer: Dr Hundert, Dr Schmidt; Kaplan Dr Coppenrath, Elementarlehrer Tüllmann, Zeichenlehrer Völcker, Musikdirector Fiedler, Scbulamtscandidat Dr vonVelsen. Schülerzahl 88 (I 7, II 13, III 13, IV 18, V 12, VI 25). Abiturienten 7. Das Programm enthält auszer den Schulnachrichten: de Piatonis altero rerum principio. Von Dr A. Hundert (21 8. 4). Dr 0.

CoBLENz.] Als jüngster ordentlicher Lehrer wurde im Schuljahre 1856 57 Stumpf angestellt. Die commissarische Beschäftigung des Candidaten Serf hörte auf; dagegen wurden Dr Lauf fs und Dr Manr zu gleicher Beschäftigung berufen. Candidat Schieffer ist gestorben. Dem Rector der höheren evang. Stadtschule Troost wurde an Stelle des Pfarrers Schütte evang. Religionsunterricht übertragen, ebenso dem Lehrer derselben Schule Rimbach. An die Stelle des zum Pastor in Alf ernannten Vicar Hausmann trat der Vicar Neis. Das Lehrer- personal bildeten nach Ascension: Director Dominicus, Religions- lehrer und Confessionarius Schubach, die Oberlehrer F 1 ö c k , Prof. Bigge, Dr Wesener, Dr Boyman, die ordentl. Lehrer Kloster- mann, Dr Montigny, Baumgarten, Happe, Stumpf, Dr Maur, Hülfslehrer Stolz, die comm. Lehrer Troost, Hilgers, Dr Ehlin- ger , DrLauffs, Dillenburg, Neis, Rimbach, Zeichenlehrer Gotthard, Gesangl. Mand, die Schulamtscandidaten Winz und Dr

ioMile Aber gelehrte Anslalteo, Verordnoiigen, etatisl. Notizem 47t

Conrad. Schülerzahl 534 (I* 22, I>» 27, II« 60, 11* 62, in Ö8, IV 92, y 104, VI 109). Abiturienten 21. Den Schalnachrichten geht ▼oraos eine Abhandlang von dem Oberlehrer Dr Boyma'n: Theorie der toxodromischen Linien auf den Rotationsflächen d^ zweiten Ordnung, welche ebten Mittelpunkt haben. Erste Abtheilung, (28 S. 4). Dr 0,

Coesfeld.] Dr Haperz warde im Schalj. 1856 57 zam ordent« Hohen Lehrer ernannt and so die durch das ausscheiden des nach Deutsch- Crone versetzten jüngsten Lehrers Dr Werneke entstandene Lücke aiiagefüllt. Der Schulamtscand. Stein leistete Aushülfe. Lehrerperso- nal: Director Prof. Dr Schlüter, die Oberlehrer Prof. Kump, Hüppe, Dr Teipel, Buerbaum, die Gymnasiallehrer Bachofen von Echt, Löbker, Esch, Dr Haperz, Hof prediger D o e p i n g ev. Keligionsl.^ Gasangl. F öl m e r , Zeichenl. Marschall. Schülerzahl : 179 (1 53, II 37, III 35, IV 20, V 17, VI 17). Abiturienten 28. Den Schulnac^richten gteht Torans die Abhandlung des Gjmnasiallehr. Bachofen von Echt:

flp (x) . d z quaedam ad integrationem functionis di/ferentialis / . ' ^ t^ . JT P^^^^-

tiß. 23 S. 4. Dr 0.

CoESLiN.] Programm 1857. Die durch den Rücktritt des Ober- lohrers Dr Kienert im Lehrercollegium entstandene Lücke ward durch die Anstellung des Dr Häckermann, vorher Adjunct am Paedago- gpiam zu Putbus , ausgefüllt. Der Hülfslehrer H e i n t z e wurde an dio höhere Lehranstalt nach Treptow a./R. berufen; an seine Stelle trat der Schulamtscand. Bornhak, der bisher an den Schulen der Franke- •ehen Stiftungen in Halle Unterricht ertheilt hatte. Bestand des Leh- rercoUeginros : Director Adler, Prorector Prof. Dr Grieben, Conrector Prof. Dr Bensemann, Subr. Prof. Dr Hen nicke, die Gymnasiall. Dr Hüser, Dr Zelle, Dr Kupfer, Tägert, Dr Häckermann, Zeichen-, Schreib- nnd Turnlehrer Hau ptner, Hülfslehrer Schulamts- eand. Bornhak. Frequenz der Anstalt 268 (I 27, II 38, IIIMO, HI» M, IV 44, V 39, VI 24). Abiturienten 9. Das Programm enthält eine A.bhandlung vom Gjmnasiall. Dr Hüser: Versuche zur Erklärung des i^. Kapitels des Ev.Johannis, 10 S. 4. Gymnasiall. Tägert verfaszte sum Jubiläum der Universität Greifswald die Gratulationsschrift: de

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fknctionibus sin, a?, cos. xe e, e + e in faciores resolvendis, Dr 0,

2 ~2~

Dortmund.] Auch in dem Schuljahre 1856 57 traten in dem Leh- rercollegium einige Veränderungen ein. Der Caplan Nacke, der den Bcligionsnnterricht in den mittleren Klassen geleitet hatte , folgte einem Enfe als Pfarrer zu Mühlhausen. Seine Lectionen übernahm der Caplan Bchlinkert, Pfarrer Kerlen übernahm einen Theil des evang. Reli- gionsunterrichte^. Der erste Gymnasiallehrer Borgardt wurde auf sein oachsnchon pensioniert; seine Lectionen übernahm zum grösten Theile Cand. Wex, sein Probejahr abhielt. Lehrercollegium: Prof. Dr Hildebrand, Pror. und erster Oberlehrer, comm. Dirigent, die Ober- lehrer Dr Böhme, Varnhagen, die ordentlichen Lehrer Borgardt, Dberl. Qr. Gröning, Dr Natorp, Mosebach, wissensch. Hülfslehrer Perschmann, Superint. Consbruch Lehrer d. Engl., die Pfarrer Prümer und Kerlen evang. Religionsl., Pfarrer Wiemann, Caplan Nacke und Caplan Schiin kert kath. Religionsl., Schalamtscandidat Wex. Schülerzahl: 167 (I 9, II 10, III 43, IV 28, V 27, VI 44). Abi- Inrienten 4. Das Programm enthält eine lateinische Abhandlung des Dr Natorp: commentaiio hisloiica de rebus , quae inter Francos ac Saxo- nes a Chlodovaei aetate usque adPipinwn tnorluum intercesserunt, 16 S. 4. Die Gratolationsschrift zur zweiton Säcolarfeier des Gymnasiums zu

472 Bwiolite fiber gelehrte Anslalten, Verordnungen) atttift» NoÜMp.

Hamm enthält; 1) Godofredi Boekme episiola gratuUttaria. 2) Gutiam Hü- debrand specimen lexici Lwiani. 22 S. 4. Dr 0.

DÜBEN.] Mit Anfang des Schuljahres 1856 57 traten im Lehrer- colleginm folgende VeräBderiingen ein: der vorherige fünfte ordentlich« Lehrer Dr Spengler rückte in die dritte Oberlehrerstelle, der vorherige vierte ordentliche Lehrer Hagen in die dritte ordentliche Lehrerstelle auf; der Schnlarotscandidat Dr S c h m i t z wurde als fünfter ordentlicher Lehrer angestellt. Die vierte ordentliche Lehrerstelle blieb unbesetzt. Die dadurch noth wendig gewordene Aushülfe leistete der Schulamts- candidat Sen^chaute. Lehrerpersonal: Director Dr Meiring, die Oberlehrer Kl ve nie h, Ritzefeld, Spengler, die ordentlichen Lehrer Esser, Ciaessen, Hagen, Dr Schmitz, Candidat S^ndc haute, Pfarrer Reinhardt evang. Religionslehrer , Zeichenlehrer N a g e 1 , Gesanglehrer Jonen. Die Zahl der Schüler betrug zu Ende des Schul- jahres 150 (I 26, II 34, III 27, IV 34, V 24, VI 11). Abiturienten 11. Das Programm enthält eine Abhandlung vom Oberlehrer Dr Speng- ler: de Rheso tragoedia (23 S. 4). ^Pro certo statuendum esse censeOi ab arte metrica, cuius quanta sit et elegantia et facultas apud poetam Rhesi, quisquis est, demonstravi, magnum peti posse adiumentum, qno eorum sententia refutetur, qui Rhesum Alexandrinornm aetate factam esse velint.' Der zweite Theil der Abhandlung, in welchem der Beweis geführt werden soll Rhesum tragoediam ita esse comparatam, nt nullo modo ei locus assignarl possit inter veras et gernianas tragoedias (greg^ Gruppe, Vater, Härtung) , soll später folgen. Dr 0.

DÜSSELDORF.] In dem LehrercoUegium trat im Schuljahre 1857 keine Veränderung ein. Dr Küppers begann sein Probejahr. Lehrer: Director Dr Kiesel, Oberlehrer Prof. Dr Creme, Honigmann, Grashof, Krähe Religionslehrer, Marcowitz, ordentliche Lehrer Holl, Kirsch, Münch, Dr Uppenkamp, Dr Krausz, Consistorial" rath Bndde evang. Religionslehrer, Hülfslehrer Stein, Inspector Win- tergerst Zeichenlehrer. Die Zahl der Schüler betrug am Schlüsse dee Schuljahres 275 (I 26, II* 14, II»» 33, III 32, IV 55, V 54, VI 50). Abiturienten 10. Den Schulnachrichten geht voraus: exempJa ad il/usirait- dam concludendi doctrinam ex Piatonis libris coUegit Oar. Kiesel (14 S. 4).

Dr O,

DüiSBUBQ.] Das Schuljahr 1856 57 wurde mit der Einfülirung der beiden neu eintretenden Lehrer, des Dr Liesegang als ordentliehen Lehrers des Gymnasiums und Polscher als ordentlichen Lehrers der Realschule eröffnet. Der ordentl. Lehrer und Zeichenlehrer Feld mann starb im Anfange des Schuljahrs; an seine Stelle ist der Zeichenlehrer Knoff aus Danzig getreten. Lehrerpersonal: Director Dr Eichhoff, die Oberlehrer Prof. H c r b 8 1 , Köhnen, Hülsmann, Dr Nitzsch, die Gymnasiallehrer Dr Liesegang, Dr Foltz, die Hülfslehrer Schmidt, Sperling, Oberlehrer Fulda, Dr Vog.el, Polaoher, Hülfslehrer Werth Gesanglehrer, Knoff Zeichenlehrer, Kaplan Gail- lard. Die Schülerzahl belief sich im Sommersemest|pr im Gymnasium auf 174 (I 20, II« 21, 11»» 19, III 32, IV 32, V 23, VI 27), in der Realschule auf 49 (I 4, II 16, III 29) , in der Vorschule auf 45 Schfiler (le Abth. 26, 2e Abth. 19). Abiturienten 13. Den Schulnacjirichten voran geht eine Abhandlung des Oberlehrers Dr Nitzsch: Herodoiea (14 S. 4). II 3 fiiv VW &Bia xrZ. Confictas illas fabulas, Inquit IJerodotus, non lubet exponere, quoniam neque dixisse quidquam nee dicere posse vidcntur eqrum inventores divina maiestate satis dignmn. Ad intelligendum, quid maxime in caussa fuerit cur Herodotus in rebni divinis commemorandis restrictius agcndnm esse arbitraretur, in censnm vocptur II 45. Unde hoc nescio an recte coniectari liceat, propterea communem omnium deorum heroumque caussam agi, quod de turbata

Beriohle iber gelehrte ÄDstaUen, Verordoungeo, etakul. Ikittiel. 473

divinae hamanaeqne naturae differentia reli^o iniecta sit quamvis stibtl- llter ad humanas rationes in commentis iUis refatandis versäto. Nifi forte navis, nil aliud in canssa esse, nisi quod deprecando (xal tcsqI ,p,hv tovrav xoaavta ijfiiv Unova^ %al naqä rmv d^Biov xal «agä X(OP fiqmnv tiffftsvEta strj) id agat, nt populari oplnioni ob fidem fabulae abrogatam satis faciat atque conccdat. Utnt est, illud mihi ratum fixumqae est, nee deprecatoriam illam Yocem^ad sacra arcana refenri posse, neque vero nllam hoc loco ne significationem quidem sacrorum deprehendi. II 65. III 108. Hoc tantum volui, iisqne adeo fieri non potuisse, quin Herodotus vehementer offenderet in eins modi de- creto, qnod non tarn divinam naturam pie sancteque scrutantis, quam humana vel argumentatione vel opinatione tanquam regula metientis ▼ideretnr, ut nil minus, quam verecundia aliqua ex ipsius rei admira- tione petita atque ex arcanis sacris percepta illius ingenio tribuenda esset. Immo vel haec quum scribebat, penitus,. nisi fallor, insidcbat animo religio horrentis ac reformidantis explicatam eius caussae memo- riam, quam nee enucleate exponere neque ex animi sententia disceptare posset, quin maxiraum periculum adiret, ne turpissima quaequc atque foedissima divinae sanctitati admiscendo contagione quadam coelestes In se iras converteret. Nam quum bestialis naturae caussas ipse quo- qne ex divina auctoritate aliqua ratione repetendas existimaret id qnod in felium impetu ac temeritate iibere professus erat haud sane minus difficiles explicatus habebat sacerdotalis decreti refutatio et sacri ritus in pecore prono ventrique obediente exprobraMo, quam talis controversia , qualem paullo ante adversus eos detrectaverat , qui fana concubitu profanari negassent. Dr 0,

Eisleben-] Programm 1857. Der emeritierte Qnintus Fuhrmann war gestorben, der Prof. und Subrector Dr Kroll pensioniert. Durch die Pensionierung des letzteren wurde das Verhältnis seines Adjuncten Dr Suhle zur hiesigen Schule gelöst und es folgte derselbe einem Rufe an das Gymnasium zu Bemburg. Als Lehrer der Mathematik wurde Prof. Dr Gerhardt berufen, vorher Lehrer der Mathematik am .französ. Gymnasium und der königlichen vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule zu Berlin. Das Lehrercollegium bestand aus : Director Prof. Schwalbe, Conrector Prof. Richter, Subconrector Prof. Dr Mönch, Prof. Dr Gerhardt, den Oberlehrern Dr Genthe, Engel- brecht, Dr Schmalfeld, den Lehrern Dr Rothe, Dr Gräfenhan, Zeichenlehrer Kuprcchi. Aushelfend unterrichteten auszerdem Diaco- nii« Schi unk, Organist Rein. Schiilerzahl £16 (I 25, II 23, III 37, IV 44, V 44, VI 43). Abiturienten 5. Den Schulnachrichten ist voraus- geschickt: varietas lecüonis ad M, TuUii Ciceronis orationes (pro Lignrio, pro rege Deiotaro) e codice Islebensi enotala. Vom Prof. Dr M ö n c h ( 17 S. 4),

Dr 0.

Elbebfelt).] Durch eine bleibende Trennung der Tertia in zwei •eibständige Klassen war eine neue Lehrkraft nöthig geworden, für welche Dr Baumeister, Lehrer am französischen Gymnasium In Ber- lin, gewonnen wurde. Dr Paldamus folgte dem Ruf als Director der neuen Bürgerschule in Frankfurt a. M., in Folge dessen Dr Baumeister mm dritten Gymnasiallehrer ernannt wurde. DrCrecelius, Lehrer am Vitzthumschen Geschlechts - Gymnasium in Dresden, wurde anfangs als Stellvertreter des beurlaubten Oberlehrers Dr Herbst bestellt, nachher provisorisch zum Lehrer ernannt. Während des Sommerhalbjahres lei- stete Aushülfe der Candidat Schinzel, der bisher am Gymnasium in Essen beschäftigt gewesen war. Der erste Oberlehrer Professor Dr C lausen, der vor 25 Jahren an das Gymnasium zu Elberfeld berufen war, feierte sein 25 jähriges Dienstjubiläum. Das Lehrercollegium be- stand aus folgenden MitgUedem: Director Dr Bouterwek, Oberlehrer

474 Berichts Ober gelehrte Anstalten, Verordnnngen, Statist Moli

Professor Dr Clansen, Dr Fischer, Dr Herbst, Gymnasuillehrer Dr Völker, Dr Petri, Dr Banmeister, Dr Petry, Dr Grecelias, Hülfslehrer Schindel, Kegel Gesang- und Schreiblehrer, La ihm er Zeichenlehrer, Kaplan R u m p e n Religionslehrer. Schülerzahl 221 (I 17, II 26, III« 29, IIP 34, IV 39, V 44, VI 32), in der Vorschule 29. Abiturienten 8. Den Schulnachrichten geht voraus : Augustini de diaJeeHca liber, Recensnit et adnotavit W. Crecelius (20 S. 4). Dr 0.

Elbing.] In dem Lehrercollegium des Gymnasiums waren im Schul- jahre I8ÖH^57 folgende Veränderungen eingetreten: der Schulamtacan- didat Heinrichs wurde als fünfter ordentlicher Lehrer angestellt; der Candidat Dal gas trat sein Probejahr an. Der Professor Carl schied ▼on der Anstalt, um das Directorat der höheren Töchterschule in Ma- rienwerder zu übernehmen. In Folge des Abgangs desselben rückte Dr Ben seh in die dritte Oberlehrer- und Professorstelle auf, der Oberleh- i^r Scheibert in die erste, der Lehrer Lindenroth in die zweite, pT Steinke in die dritte, Dr Heinrichs in die vierte ordentliche Lehrerstelle. Mit der provisorischen Verwaltung der fünften ordentlichen Lehrerstelle wurde der vorherige Lehrer an der höheren Bürgersehule zu Graudenz Sonnenburg betraut. Lehrercollegium : Director und Professor Dr Benecke, die Professoren Merz, Richter, Carl« die ordentl. Lehrer Dr Reu seh, Oberl. Scheibert, Lindenroth, Dr Steinke, Dr Heinrichs, Döring Musikdirector , Müller Zeichen- lehrer. Die Zahl der Schüler betrug 203 (I 18, II 15, III 51, IV 35, V 39, VI 45). «Die Privatvorbereitungsschule für das Gymnasium ward von 41 Knaben besucht. Abiturienten 10. Den Schulnachrichten folgt: ITAe- mata zu lateinischen Aufsätzen für Secunda. Von dem Gymnasiallehrer Dr Heinrichs (15 S. 4). Mit Rücksicht auf den von Prof. Dietseh in dieser Zeitschrift Bd. LXXII S. 500 ausgesprochenen Gedanken, dasi man durch die Mittheilung der Themen zu defi freien Arbeiten ein Bild aus dem innern Leben der Schule empfange, hat der Vf., nachdem er einige Worte über die Methode nach welcher in der Secunda des dor- tigen Gymnasiums die lateinischen Aufsätze behandelt werden voraus- geschickt hat, 06 solcher Themata aufgeführt mit alP den Andeutungen! wie sie wirklich in der Klasse gegeben worden sind. Der Verfasser gibt nur solche Themata,^ zu denen in einem dem Schüler leicht zugäng- lichen lateinischen Autor der Stoff vollständig vorliegt, und verlangt, dasz der Anfertigung des Aufsatzes die Leetüre dieses Stoffes voran- gehe. Die Aufgaben stufen sich so ab: 1. einfache Erzählung (wieder- geben des gelesenen mit andern Worten und in andorm Zusammenhange, vorkürzte und erweiterte Darstellung des vom Autor berichteten. 2. Er* Zählung mit Schilderungen (Die Auswahl bleibt dem Lehrer überlassen), verweilen bei anziehenden Einzelheiten. 3. Erzählung mit eingestrea- tcn kleinen Reden (Anfangs so , dasz Reden , die der Autor selbst ^bt, verkürzt wiedergegeben werden, und zwar die directen des Autors in indirecter Rede, die indircctcn in directer, später eigne Erfindung in beliebiger Form). 4. Erzählung mit daran geknüpften Reflexionen (Frage nach Ursache und Wirkung , geschichtliche Parallelen , Charakteristiken der handelnden Personen, Urteile über die Sittlichkeit ihrer Handlungen). 5. Reine Reflexion (deren Stoffe der Geschichte oder dem alltäglichen Leben entnommen). 0. Rein rhetorische Aufgaben (Reden bestimmter historischer Personen bei bestimmten Veranlassungen, Monologe). Philosophische und rhetorische Aufgaben sollten meines erachtens in Secunda nicht gestellt werden. Die Themata selbst sind recht passend gewählt und die denselben beigefügten Andeutungen erscheinen zweok- mäszig und gut. Dr 0.

Emmerich.] In dem Lehrerpersonal hat 1857 keine weitere Verände* rang stattgefunden, als dasz bei der Wiedervereinigung der Secunden der

BerMhCe Aber gelehrte Aostalten, Verordoungeii, statisl. Noäf«i.3475

Sehalarotacandidat Engeln nach zweijjlhriger commissarischer Wirk- samkeit wieder aus diesem Verhältnis austrat. Lehrerpersonal: Director Msttmann, Oberlehrer Dederich, Hottenrott, Dr Schneider, ordentliche Lehrer Dr van der Bach, Knitterscheid, Dr Have- Stadt, Dr Gramer, Candidat Thürlings, Uhlenbruck evangel. Pfarrer , Zeichenlehrer Sweekhorst. Dederich ertheilte auch den Gesangnnterricht , Thürlings den Schreibunterricht. Die Zahl der Schüler betrug am Schlüsse des Schuljahres 141 (I 2Ö, II 22, III 1(5, IV 22, V 26, VI 29). Abiturienten 15. Dem Jahresbericht geht voraus eine Abhandlung von Dr Havestadt: de M, Ttäiii Ciceronis primis prineipiis pkilosophiae movalis (10 S. 4). Dr 0,

Erfurt.] Professor Dr Mensing trat nach ylerzigjähriger Dienst- leit in den erbetenen Ruhestand, ebenso Professor Dr Besler nach aehtondvier zigjährigem wirken in seiner Vaterstadt Erfurt. Den evan- gelischen Religionsunterricht in Prima und Secunda ertheilte von Ostern an Divisionsprediger Dr Bienäcker, gab aber diese Stellung bald wieder auf und erhielt zum Nachfolger Consistorialrath Scheibe. Lehrerpersonal : Director Professor Dr S c h ö 1 e r , Professor Dr Bes- ler, Professor Dr Schmidt, Professor Dr Herrmann, Professor Dr Kritz, Professor Dr Dennhar dt, Professor Dr Richter, Professor Dr Weiszenborn, Dr Kayser, Dufft, Gesanglehrer Gebhardt, Zeichenlehrer Professor Dietrich, die Religionslehrer Consistorialrath Scheibe, Divisionsprediger Dr Rienäcker, Rector Nagel. Schülcr- lahl 211 (I 22, II 31, lU 44, rv 50, V 41, VI 33). Abiturienten 6. Den Schulnachrichten ist vorausgeschickt: de glossematis faUo Taeiti 'Agricolae vnputatis, Coromentatio critica spectans Wexil editionem Agricolae, auctore Fr id. Kritzio (25 S. 4). Dr 0.

WÜRTTEMBERG.] Ucbcr die Gymnasien des Landes im Schuljahre Oct. 1856 bis Sept. 1857 berichten wir nach den Programmen folgendes:

1. Ehingen. Im dortigen Gymnasium, welches in ein oberes und vnteres getheilt ist, hat sich. im Lehrerpersonale gegen voriges Jahr keine Voränderung ergeben. Das untere Gymnasium besuchten 104 Schüler (I 14, IL21, III 16, IV 21 , V 44, VI 18), das obere 76 (I 21, II 14, III 21, IV 20). Gesamtzahl 180. Den Schulnachrichten geht voran eine Abhandlung vom Professor und Cenvicts Vorsteher Himpert: die ünsterblichkeitslekre des alten Testamentes, 1. Abtheilnng (32 S. 4). Der Verf. spricht zuerst von der Beschaffenheit der menschlichen Natur und den Folgen der Sünde für sie, von dem Tode im Sinne und Znsammenhange der h. Schrift, woran sich die Lehre vom Aufent- haltsort nach dem Tode schlioszt. Darauf werden die Stellen des Pentateuchs, die sich auf die Lehre von der Fortdauer beziehen, die Vorstellungen des Prophetenthuras darüber und der poetischen Bücher, die ganz besonders die Weisheitslehre des alten Testaments enthalten, endlich die jüngeren Schriften des sogen, zweiten Canon be- trachtet. Eine Darstellung der Lehre der alezandrinisch jüdi- schen Philosophie, der drei jüdischen Secton, des Talmud, der aristotelisch jüdischen Philosophen und der Cabbala über die Unsterblichkeit soll die spätere Geschichte der Unsterblichkcitslehre bei den Juden behandeln.

2. Ellwangen. In dem Lchrercollegium des Gymnasiums ist keine weitere Veränderung eingetreten, als dasz zufolge der Versetzung des evangelischen Stadtpfarrers Schlager der neuernannte Stadtpfarrer Eggel den Religionsunterricht für die evangelischen Schüler übernom- men hat. Dem Professoratsverweser Gaiszer wurde die von ihm provi- sorisch bekleidete ö.^Profcssorstelle an der oberen Abtheilung des Gym^ nasiums definitiv übertragen. Die Gresamtzahl der Schüler des Gymna- tinina' betrug am Schlosse des Schuljahrs 123, in der oberen Abtheilnng

476 Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, slatigt Nofiien.'

32, in der unteren Ol; die GesamtEahl der mit dem Gymnasium Ter* bundenen Realschule IG, in der oberen Klasse 5, in der unteren 11. Den Schulnachrichten geht voran: Grundrisz der ebenen Geometrie^ erste Abtheilung, von Professor Zorer (24 S. 8)

3. Heiibronn. Der Lehramtscandidat Held wurde sum Vicar an Gymnasium und Rcalanstalt und zugleich als dritter Repetent am Pen- sionat ernannt. Repetent Denk wurde zum Präceptoratsverweser am Ljceum zu Ludwigsburg ernannt und seine Stelle dem Reallehramts- eandidaten Sengei übertragen. In Folge studienräthlichen Erlasses wurde die IVe Klasse des Gymnasiums in eine Klasse mit zweijährigem, die Ve Klasse dagegen in eine Klasse mit nur einjährigem Cursus ver- wandelt. Zu Anfang des Schuljahrs betrug die Schülerzahl beider An- stalten 401, am Schlusz nur 304. a. Gymnasium 204. Obergymn. 39 (VU a. b. 17, VI a. b. 22); Mitteig. 63 (V 18, IV a. b. 45), Unterg. 102 (III 21, II 36, I 45). b. Realanstalt 153 (V a. b. 33, lY a. b. 34, III 25, II 20, I 32). c. Elementarklasse a. b. 61. Zwei Schüler be- standen die Concnrsprüfung für das theologische Studium , sechs andere die Maturitätsprüfung für die übrigen Facultätsstudien. Das mit dem Gymnasium und der Realanstalt verbundene Pensionat war mit 45 Zög- lingen besetzt. Den Schul nachrichten geht voran eine Abhandlung von Rector Dr Mönnich: u^^r den Unterricht in der Geschichte vornehm* Uch auf GelehrienschiUen (38 S. 4). 'Der Grundfehler aller unserer Lehr- pläne , Lehrgänge und Lehrbücher für Schulen liege in dem zu weit und zu hoch gesteckten Ziele, in der allen gemeinsamen Absicht die Ja- gend Universalhistorie zu lehren. Zu weit sei dies Ziel gesteckt, weil man nicht einmal des Stoffes in der Zeit Meister werden könne, die man auf Schulen für die Geschichte zu verwenden habe. Man branehe für die Geschichte der orientalischen Völker, die Aegypter mit einge- schlossen, solle die Darstellung nicht gar zu dürftig und unansehaulieh ausfallen, mindestens ein Jahr, für die der Griechen mindestens an- derthalb, für die der Römer zwei, für das Mittelalter zwei, für die neuere Geschichte vier Jahre. Die Aufnahme aller Zweige der Cultur- geschichte , vom Ackerbau bis zur Philosophie , wodurch man dem Vor- wurf des unvollständigen und lückenhaften zu entgehen suche, eigne sich durchaus nicht und dürfe nicht zur Anwendung kommen ; denn eine solche Behandlung setze eine Reife des Geistes voraus , zu welcher Jüng- linge nimmermehr gelangen könnten , ja zu der sie . selbst wenn es mSg- lieh wäre, gar nicht hinaufgeschraubt werden dürften. Aus dem itt weit und zu hoch gesteckten Ziele ergebe sich mit Nothwendigkeit : un- sicheres und dabei todtes wissen der Thatsachen und unverstandenes, hohles, doctrinelles und dabei hochmütiges, wegwerfendes oder auch an- erkennendes raisonnieren , ja eine mehr oder minder weitgehende Ver- dorbenheit alles wahrhaft historischen Sinnes.' Obwol sich dies schwer- lich bestreiten lassen werde, unterzieht der Verfasser doch das ungenü-- gende der wichtigsten methodischen Palliativmittel , welche zu ersinnen man nicht müde werde , einer etwas näheren Betrachtung und entwickelt dann seine eigenen Grundansichten über den Unterricht in der Goschichte, welche mit den von Hen*n Oberstudienrath von Roth in Stuttgart im vorigen Jahr (siehe Correspondenzblatt für die Gelehrten- und Realschu- len Württembergs Nr. 8 des Jahrgangs 1856) über denselben Gegen- stand ausgesprochenen Ansichten wesentlich übereinstimmen. Beide verlangen entschieden, dasz die Universalgeschichte aufgege- ben und durch Einzelgeschichten der drei Hauptvölker er- setzt werden soll. Nur in der Anwendung der vorgetragenen Grund- ansichten auf die Gestaltung des Unterrichts hat sich der Verf. wieder etwas von dem entfernt , was v. Roth vorgeschlagen hat.

4. Bottweil. An dem Präoeptor Villinger verlor das Gymna-

loriokte Aber gelehrte Anstalten, Verordnungeii, Statist. Notiien. 477

pum seinen ältesten Lehrer durch den Tod. Die erledigte Lehrstelle imrde dem seitherigen Vicar an der Kealanstalt in Ulm , £d. Her, über* brmgen. Die an der Realschule erledigte Lehrstelle, welche der KeaU lehramtscandidat Eggler längere Zeit provisorisch bekleidete, wurde lern Beallehrer Pflanz in Neresheim übertragen. Gesamtzahl der Gjm- iMunssten und Realschüler 136. Den Schalnachrichten geht yoran eine ^handlang von Oberlehrer Lerch: die Berechnung der Kreis - Segmente (82 S. 4).

ß. Stuttgart. Candidat Dorn wurde als Repetent an das Semi- luur Maulbronn versetzt. Der Vicar am O.-G. Dr Haakh erhielt den Titel eines Professors mit der Bestellung als Hülfslehrer am Gymnasium. Die CandidatenRieber und Gurth leisteten Aushülfe für den erkrank- Pr&ceptor Brandaue r. Der kath. Lehramtscandidat Geis auscultierte. Die Zahl der Schüler betrug 505, oberes Gymnasium 132, mittleres 160, unteres 213. Den Schulnachrichten ist vorausgeschickt eine Abhand- lung von Profesor B o r e l : des riformes lUUraires oper^es par Malherhe (10 S. 4). Der Verf. gibt von seinen Beobachtungen über Malherbe, in deren Darstellung er ausgeht von dem was Boileau über denselben Mgt in dem ersten Gesänge de V Art podtique , in wenigen Worten fol- Mnde Resume: ^sans etre un grand po^te, car Pimagination et surtout 10 sentiment lui faisaient defaut, il a, le premier, par Vinstinct du bon teos et par la rt^flexion trouv^ dans ses vers les formes de language, dont les grands po^tes, qul allaient paraitre, devaient revetir leurs inspira- tions sublimes; prosateur m^diocre, il op^ra dans le style, parla seule puiflBance d'une critique inflexible autant qu'^clair^e, nne revolution bienfaisante et durable; enfin, si par Pusage d*une doctrine qni proc^-- dait surtout ndgativement , il a peut-^tre appauvri le language, il V a du moins tSpurd, en dlaguant les ^Mments antipathiques au charact&re na- tional , que la mi^nie de T imitation dtrang^re avait faussd si long-temps. Apr^s le succ&s ddcisif obtenu par Malherbe une snrprise de cette na- tore ne pouvait plus inspirer de craintes sdrieuses, et si Pe^prit versatilo de la nation semble, un moment encore, imiter V emphase espagnole aprös 1' affdterie italienne , cette phase de servilisme litt^raire glisse plus rapidement encore, pour faire ddfinitivement place k la littdrature fran- ehement nationale, qu' allaient inaugurer Corneille et Pascal.'

6. Tübingen. Mit dem Schlüsse des Sommersemesters 1857 hat das neu gegründete Gymnasium bereits das zweite Jahr seines Daseins vollendet. Als bemerkenswerth für die Geschichte dieser Lehranstalt ist hervorzuheben, dasz die im Untergymn. anwachsende Schülermasso das Bedürfnis herbeiführte für die erste Gymnasialklasse noch eine Pa- rallelklasse zu errichten« Als Lehrer dieser Klasse wurde der Lehramts- eandidat Schneider, früher Repetent am Pensionat in Heilbronn, pro- visorisch angestellt, der aber am Schlüsse des Schuljahres die Austält wieder verlassen hat, um eine Lehrstelle am Obergymnasium zu Bistritz in Siebenbürgen anzutreten. Für das neue Schuljahr 1857 58 tritt das gleiche Bedürfnis einer Parallele auch für die 2te Gymnasialklasse ein. Die Schülerzahl betrug zu Anfang des Sommersemesters 1857 163, das obere Gymnasium besuchten 28, das untere 135 Sahüler. Abiturienten Die mit dem Gymnasium verbundene Elementarschule , zugleich auch liisher Vorhereitungsanstalt für die Realschule, zählte 71 Schüler. Den Sehulnachrichten geht voran : die drei ältesten süd- und nordfranzosischen Qmmmatiken von Prof. Wildermuth (39 S. 4). Der Verfasser hatte, wia er im Vorwort sagt, zuerst die Absicht, die französischen Gram- matiken etwa bis zur Gründung der französischen Akademie historisch darzustellen; da sich indessen die Arbeit unversehens weit über den Torgeschriebenen Umfang eines Pi'ogramms ausgedehnt habe, so könne er liier nur den Anfang bieten« Der Begriff franxösisob ist übrigens

478 Berichte fiber gelehrte Anstalten, Verordnungen, statisl. Noliien*

im weitesten Sinne, als romanisches anf gallischem Boden, genommen, 80 dasz er anch noch das proven^alische in sich begreift. Die älteste französische Grammatik, die bis jetzt gedrackt vorliegt, ist der ^Do- natns provincialis ' von Hugo Faidit; sie ist proven^alisch geschrieben und Yon einer gleichzeitigen lateinischen Uebersetzung begleitet (das Manascript aus d. 13. Jahrhundert). Wie der Titel sagt, ist sie dem lateinischen Donatus nachgebildet, doch nicht dem ganzen Umfang nach; sie hat sich nur den zweiten Theil (de octo partibus orationis) als Auf- gabe gestellt. Dagegen ist der eigentlichen Grammatik noch eine Reim- chronik angehängt. Die zweite soll auch aus dem 13. Jahrh. stammen, nemlich 'la dreita maniera de trobar' von Baimond Vidal; sie ist eben- falls proven^isch geschrieben. Der Verfasser der bedeutendsten Ton den alten nord französischen Grammatiken ist ein Engländer, Jean Palsgrave. Er gibt zwar selbst zu, dasz er nicht der erste war der eine franz. Grammatik schrieb, aber jedenfalls ist gewis, dasz man bis jetzt kein älteres Werk dieser Art kennt, das ihm an Bedeutung gleieh käme. Der vollständige Titel seines englisch geschriebenen Werkes ist: 'lesclaircissement de la langue francoyse, compose par maistre Jehan Palsgrave Angloys natyf de Londres et gradue de Paris. Neqne Liuui per noctcm. Anno verbi incamati 1530. Zum erstenmal in Frankreich herausgegeben von F. G^nin. Paris 1852, 4. Palsgraves Grammatik ist der erste Versuch einer umfassenden grammatikalischen Darstellung der französischen Sprache, den wir kennen. Der ganzen Anlage liegt Ewar die richtige Gliedei-ung in Laut-, Wort und Satzlehre zu Grunde, aber in der Durchfühi'ung verwickeln und verwirren sich die verschie- denen Theile oft so untereinander , dasz man nicht selten in Gefahr ist, den Faden zu verlieren.

7. Ulm. Die erledigte Stelle eines Präceptors an der zweiten Klasse wurde dem Verweser derselben , Werner, übertragen. Aushülfe für den beurlaubten Prof. Dr Ha s zier leistete der Candidat der Theo- logie Dr Seyorlen. Gymnasialvicar Bacmeister wurde zum Amts- verweser für den erkrankten Rector Föhr in Eszlingen ernannt; an seine Stelle trat der Lehramtscandidat Lamzarter. Die Zahl der Schüler betrug im Sommersemester 1857 220, Obergymn. 30 (IX a. b. 12, VIII 15, VII 12); Mittelgymn. 81 (VI 22, V 32, IV 27); Unterg. 100 (III 28, II 32, I 40). Die für das Gymnasium und die Bealanstalt zu- gleich vorbereitenden zwei Elementarklassen hatten zusammen 138 Schü- ler. Den Schulnachrichten geht voraus eine Abhandlung von Professor Dr Planck: Parallelen römischer und griechischer Enlwicklungsgeschickie (36 S. 4). Die von dem Verfasser behandelte Frage, wie von einer ursprünglichen gemeinsamen Grundlage aus, die auch in so vielen an- dern sachlichen Analogien sich nicht verleugnet (vgl. Mommsen röm. Gesch. Bd I S. 16 21), dennoch die Entwicklung des griechischen und anderseits des römischen Wesens sich so vorschieden gestaltete, und welches denn das innere Wesen und die bewegende Ursache dieses Un- terschiedes sei, ist von groszom Interesse. Hierbei ist freilich anf dem Boden der römischen Geschichte durch die umfassenden Untersuchungen der letzten Zeit so wel geschehen , dasz es sich in vorliegender Abband' lung im wesentlichen nur um eine kürzere Zusammenfassung und ein noch bestimmteres hervorheben der innerlich bewegenden eigenthümli- chen Entwicklungsmomente handelt. Auf dem Gebiete der griechischen Geschichte aber, welche schon ihrer weit verwickeiteren Natur wegen noch keine gleichen Besultate aufzuweisen hat, tritt die selbständigere und eigenthümliche Auffassung des Verfassers mehr hervor. Das Resultat dieser eben so interessanten als lehrreichen Untersuchung, knrz^zusam- mengefaszt, ist folgendes: 'in Bom ist es der kräftige und selbstgewis in der Scholle wurzelnde, aber auf seinen verständigen Zweck be-

Persona InoliKen. 479

•ehränkte Geist des italischen Banern, der in den Zasammenstosz mit fremden Elementen hinausgesteilt sich aus der anfänglichen Geschlossen- heit seiner unmittelbar natürlichen Cultnsordnung in stetiger Weise im- iner mehr zur geistig politischen und von hieraus schlieszlich zur gleich- mflszig universellen Macht fortbildet und erweitert. In Griechenland »ber, dem natürlichen Berührungspunkte des Orients und Occidents, ist ' es das lichte und jenseitige Element des Orients, das über die anfang- Hohe unmittelbar natürliche Gebundenheit und deren Entzweiung hin- ausweisend in freier abendländischer Weise zunächst zum scharfen he- roischen Gegensatze gegen di^ unmittelbare Natürlichkeit, dann aber mut positiven geistigen Formung eines nach allen Seiten hin empfängli- chen und offenen natürlichen Daseins geworden ist und von hieraus schlieszlich zum allgemeinen theoretischen Bildungselemente der W^elt sich aufgelöst hat.' Der Verfasser stellt hiernach der griechischen Ge- schichtsforschung die Aufgabe, diesen hier nur in den Grundzügen her- vorgehobenen Gang in der Manigfaltigkeit des besonderen und mit derselben vollen Bestimmtheit nachzuweisen , wie dies neuerdings mit der Entwicklung des römischen Geistes bereits geschehen ist. JDr 0,

Personalnotizen.

Erneimaiig^eiif BefOrdernng^en * Tersetsnng^en t

Albini, Dr Jos., zum ordentl. Professor der Physiologie an der Universität zu Krakau ernannt. B e s s d , Dr , Lehrer , zum Oberlehrer am Gymnasium zu Conitz ernannt. Bohle, SchAC. und Geistl., als Oberlehrer am Gymnasium zu Kempen angestellt. Gramer, Lehrer Sn Kempen, als ordentl. Lehrer am dasigen Gymnasium angestellt. > Czermak, Dr Joh. , ordentl. Professor der Physiologie an der Uni- versität zu Krakau, in gleicher Eigenschaft an die Universität in Pesth versetzt. Deuschle, Dr Jul., Oberlehrer am Paedagogium zum Kl. Ü. -L. -Fr. in Magdeburg , zum Professor am' Friedrich -Wilhelms - Gym- nasium in Berlin ernannt. Dobrzanski, Ath., Gymnasialsuppl., snm wirkl. Lehrer mit einstweiliger Verwendung am Gymnasium zu Przemysl ernannt. Dymnicki, Fei., Suppl., zum wirkl. Keligions- lehrer am Gymnasium zu Kzeszow ernannt. Fechner, Dr, SchAC, als Collaborator am Elisabeth -Gymnasium in Breslau angestellt. Fritsch, Dr, SchAC, als ordentl. Lehrer am Gymnasium in Trier angestellt. Frosch, -Weltpr., Gymnasialsuppl., zum wirklichen Lelirer am Gymnasium zu Znaim ernannt. Funge, Dr, ordentl. Lehrer am Gymnasium in Braunsberg, zum Oberlehrer ernannt. Gneist, Dr ^ad., ao. Prof., zum ordentl. Professor in der juristischen Facultät an der Universität in Berlin ernannt. Harms, Dr F., ao. Prof., zum ordentl. Professor für die Philosophie und allgemeine Naturwissen- schaft an der Universität zu Kiel befördert. Hasper, SchAC, als ordentl. Lehrer am Domgymnasium zu Naumburg an der Saale ange- stellt. — Heller, Karl B., Gymnasiallehrer zu Olmütz, in eine er- ledigte Lehrstelle am Gymnasium der theresianischen Akademie zu Wien berufen. Hennings, Dr, Privatdocent der klassischen Philo- sophie an der Universität zu Kiel, hat eine pro vis. Anstellung an der Gelehrtenschule in Melddrf angenommen. Hirner, G. X., Stndien- lehrer in Freysing, zum Professor ernannt. Jordan, Dr, Director dos Gymnasiums zu Salzwedel, folgt dem Kufe als Director des Gym-

i¥. Jahrb. f. Pha. «. Paed. Bd LXXVIII. 9. 32

480 Personaliiotiieii.

nasiumB in Soest. Jnngbenn, Theod., Gymnasialpraktikaiit In Hanau, provisor. zum Lehrer an der dortigen Realschujie ernaiint. »-* Kampschulte, DrWilh., Priratdoc, zum ao. Professor in der philo- sophischen Facultät der Universität in Bonn ernannt. KlemenSi Dr, SchAC, als Collaborator am Magdalenen - Gymnasium in Breslaa angestellt. Kl^sk, K., Gjmnasialsuppl. zu Krakau, zum wirklichen Lehrer am neu systemisierten Untergymnasium daselbst ernannt. Kromayer, Dr, SchAC, als Subrector am Gymnasium in StraUond angestellt. Leonhard, E., Lehramtscand. in München, als Profes- sor der Mathematik am Gymnasium in Hof angestellt. Mäntler, ordentl. Lehrer aui Gymnasium zu Liegnitz, zum Oberlehrer ernannt.*-* Hay, Andr. , Suppl., zum wirkl. Lehrer am Gymnasium zu Rzeszow ernannt. Molbech, K. F., ao. Professor, zum ordentl. Professor der dänischen Sprache und Litteratur an der Universität zu Kiel er- nannt. — Mor, Dr £ug. v., Professor an der Rechtsakademie zu Presz- burg, zum ao. Professor des kanon. Hechts an der Universität zu Lem- berg ernannt. Nedok, Jos., Gymnasiallehrer in Rzeszow, zum Leh- rer am neu systemisierten Untergymnasium in Krakau ernannt. Nitzsch, DrK. W., ao. Professor, zum ordentl. Professor für das Fach der Geschichte an der Universität zu Kiel ernannt. Ödes- calchi, DrAnt. Nobile, provis. Director am Obergymnasium di San Alcssandro in Mailand, zum ordentl. Professor der Philosophie an der Universität zu Pavia befördert. Passow, Dr A., Adjunct in Schal- pforta, zum Lehrer am Paedagogium zum Kl. U.-L. -Fr. in M^deburg ernannt. Passow, Dr W. , Director des Gjrmnasiums in Ratibort folgt einem Rufe als Director an das Gymnasium in Thom. Porko, Ant., O.-Pr., Gymnasialsuppl. in Zara, zum wirkl. Lehrer am Gymna- sium in Capo d^ Istria ernannt. Peters, Dr W., ao. Professor, zum ordentl. Professor in der pliilos. Facultät der Universität in Berlin er- nannt. — Pfefferkorn, Dr, ordentl. Lehrer am Gymnasium in Neu- stettin, zum Oberlehrer ebendaselbst ernannt. Pichler, Rad., Weltpr. und Suppl., zum wirkl. Lehrer am Staatsgymnasium zu Verona ernannt. Pinder, DrMor., Bibliothekar und Akadem. , zum Geh. Reg. -R. und vortragenden Rath im Ministerium der geistlichen Ange- legenheiten in Berlin ernannt. Preu, J. B., Lehramtscand., zum Studienlehrer in Bamberg ernannt. Pfikril, Job., ao. Professor, zum ordentl. Professor an der kk. Rechtsakademie zu Groszwardein er- nannt. — Repich, Nazar.« Suppl. an der kk. Oberrealschule in Mailand, zum wirkl. Lehrer für die lombardischen Staatsgyfnnasien er- nannt. — .Rössel, Dr K., qnlescierter Prorector, zum Bibliothekar bei der Landesbibliothek und Conservator am Museum der Alterthümer in Wiesbaden ernannt. ' Roth, Dr F., Professor der Mathematik am Gymnasium in Hof, in gleicher Eigenschaft aA das Gymnasiumr in Erw langen versetzt. Rulf, Dr Fr., Professor an der Rechtsakademie zn Preszburg, zum ö. o. Professor der Rechtsphilosophie und des österr. Strafrechts an der Universität zu Lemberg ernannt. Rupp, J., Sta- dienlehrer in Freysing, zum Professor ernannt. Schmitt, H. L., Professor am Gymnasium zu Hadamar, zum Director des Gymnasioniii in Weilburg ernannt. Sembratowicz, Dr J6s., Vicerector des griech. - kath. Centralseminars in Wien, zum ö. o. Professor des Bibel- studiums N. T. an der Universität in Lemberg ernannt. Skornt, Job., Gymnasiallehrer zu Tarnow, zum Lehrer an dem neu systemisier- ten Untergymnasium in Krakau ernannt. Spanfellner, J., Studien- lehrer in Bamberg, an die Lateinschule in Straubing versetzt. Stan- der, Dr, SchAC. , als ordentl. Lehrer am Gymnasium in Bonn ange- stellt. — Stein, Dr, Hülfslehrer, als ordentl. Lehrer afn Gymnasium in Münster angestellt. Stolle, Dr, Lehrer in Kempen, als ordentL

Personalnotizen. 481

Lehrer beim dasigen Gymnasium angestellt. Stndzinski, Marc, v., Snpplent, zam wirkl. Lehrer am neu systemisierten Unterg^jmnasiom zu Krakau ernannt. Svobo'da, Dr Wenz., provisor. Director am kath. Gymnasium zu Preszburg, zum wirkl. Director ernannt. Sytko, Jos., Gymnasialsnppl. , zum wirkl. Lehrer am Gymnasium zu Iglau er- oannt. Tersch, Dr Ed., Docent des Kircbenrechts an der theolog. Facoltät der Universität zu Prag, zum ao. Professor ernannt. Thiel, Lic., ao. Professor, zum ordentl. Professor in der theolog. Facultät des Lyc. Hoseanum in Braunsberg ernannt. Tietz, odentl. Lehrer am Gymnasium zu Conitz, in gleicher Eigenschaft an das Gymnasium in Braunsberg versetzt. Vonbank, Joh., Weltpr., Gymnasiallehrer zu Zara, an das Gymnasium zu Laibach versetzt. Zambra, Dr Bern- hard in, Lycealprofessor , zum ordentl, Professor der Physik an der .Universität zu Padua ernannt. Zehme, Dr, Oberlehrer an der Ritter- akademie zu Liegnitz , an das Gymnasium in Lauban versetzt.

Praedlclerl :

Kuhr und Langbein, Oberlehrer an der Friedrich- Wilhelmsschule in Stettin, als Professoren pracdiciert. Mommsen, DrTheod., Professor in Berlin, zum ordentl. Mitgliede der k. Akademie der Wis- senschaften in Berlin ernannt. Röper, Dr G., ordentl. Lehrer am. Gymnasium in Danzig, als Professor praediciert. Thiersch, Dr Frdr.*v., Geh.-H. und Professor in München, zum wirkl. auswärtigen Mitglied der k. Akademie der Wissenschaften in Berlin ernannt.

Penslomfertt

Kery, K., Studienlehrer in Straubing. Schordan, Dr Sign»., k. Bath und Professor def Physiologie und höheren Anatomie an der Universität zu Pesth.

Gestorben t

Nach Nachrichten aus Montevideo starb der berühmte Naturforscher und Gefährte Alexanders v. Humboldt, Aim^ Bonpland, in 8. Fran- cisco de Borja in Brasilien (geb. am 22. Aug. 1773 zu La Rochelle). Im April zu Edinburg Will. Gregory, Professor der Chemie. 1. Mai in Krems der ehemalige Präfect der Gymnasien in Hörn und Krems, P.Heinr. Er hart, im 77n Lebensjahre. Am 31. Mai in Innsbruck Dr Jos. Nowotny, Professor der italien. Sprache und Litt., so wie der deutschen Sprache an der dortigen Universität. Ende Mai zu Trachen- berg bei Dresden der berühmte Ornitholog F. A. L. Thiemmann im 65n Lebenjahre. Am 1. Juni zu Kartau der ehemalige Decan der med. Facultät in Prag Dr Frz Alexis Wünsch. Am 4. Juni zu Fusch Dr Joh. B. Salfinger, Mitglied der theol. Facultät an der wiener Hochschule, vordem Bibliothekar beim kk. Ministerium für Cul- tuB und Unterricht. 11. Juni zu Triest Em. Porth, Geolog der kk. Beichsanstalt. 20. Juni in England der berühmte BotanU^er Old Brompton Für n er (geb. zu Yarmouth 1775). 21. Juni zu Karls- bad Dr Frz Hruschauer, ö. o. Professor der Chemie an der Univer- sität zu Gratz. 25. Juni zu Königsberg der frühere Director des k. Friedrichs-Collegiums, Dr F. A. Gotthold, im 87n Lebensjahre. 26. Juni in Huz-Baba in Syrien Dr Joh. Rud. Roth, Professor an der Universität zu München, im 44n Lebensjahre. 29. Juni zu Catez in Krain Ge. Kobe, bekannt besonders durch seine Forschungen über den

482

Personalnotizeu.

slowenischen Dialect der wciszen Krainer. Am 2. Jnli sn Petth Dr Frz V. Beno d. ä. , k. Rath nnd Jabilarprofessor der Mediein (geb. X775). Am 7. Juli zu Heidelberg Dr Max. Rqth, Professor an der Universität. Am 8. Juli zu Kiel Etatsrath Dr A. F. Götz, Professor der Pathologie und Therapie. Am 9. Juli zu Pesth der Professor Dr Job.. Degen. An demselben Tage zu München der quiesc. Ober- studien> und Kirchenrath, Senior der Ak&demie der Wissenschaften^ Jos. Wissmajr (geb. in Freysing 1767). An demselben Tage zu Göp- pingen Dr Hans Reichardt, früherer Stiftsbibliothekar in Tübingen, Verf. des Buchs 'Gliederung der Philologie', Tübingen 1846 (geb. in Waiblingen). Am 15. Juli in Stuttgart Dr v. Glockner, gewesener Professor der Mineralogie in Breslau, 65 Jahr alt. 16. Juli in Verona der Graf Giov. Girol. Orti-Manara, Geh. -Rath, als Archäolog be- kannt. — Am 10. September in Leipzig Dr Carl Wilh. Sc herb er, dritter Adjunct an der Thomasschule.

Zweite Abtheilung

henasgegeben tob Radolph Dietseh.

34.

Das Studium und die Principien der Gymnasialpaedagogik, mit besonderer Berücksichtigung der Werke von K. Schmidt

und G. T hau low beleuchtet.

Die schnelle Aufeinanderfolge zweier von sehr verschiedenen Seiten ausgehender Werke, die sich eine systematische Behandlung der Gyinnasialpaedagogik zur Aufgabe machen, wird von manchen Schulmännern schon an sich als ein Zeichen der Zeit, und zwar der fortschreitenden Zeit betrachtet werden. Hat man doch schon oft go- ing erinnert, dasz hinsichtlich des paedagogischen Eifers die Volks- schule dem Gymnasium in einer auffallenden Weise den Rang abgelau- fen habe. Man konnte sich freilich sagen, dasz diese Verschiedenheit eine sehr natürliche sei. Dem VolksschuIIehrer ist sein Lefhrstoff keine Wissenschaft; seine Fortbildung an den Stoffen bleibt ein lernen und tben, wird kein forschen. Ganz erklärlich ist es daher, dasz hier jedes Talent, dem die Schranken der Tradition zu enge werden, sich weniger auf die Ausbildung der Lehrstoffe wirft, als vielmehr auf die Theorie der eignen Gesamtthatigkeit: auf Paedagogik und Didaktik. Von dem Gymnasiallehrer fordert man im allgemeinen, dasz er auf der Höhe seiner Wissenschaft stehe. Der von der Universität abgehende Candidat des höheren Schulamtes soll sich allenfalls durch gewisse Talente und Neigungen, nicht aber durch seine Schule wesentlich von dem zukünftigen Docenten einer Universität unterscheiden. Findet er 'Mii&ze und Bücher, so hindert ihn nichts, in etwas langsamerem Tempo dieselben Spuren zu verfolgen, auf denen auch der akademische Docent •einem Ziele nachstrebt. Bei diesen Anforderungen kann man es nicht nur nicht hindern, man bringt es vielmehr mit Fleisz.und gutem Bedacht zu ^ege, dasz der Gymnasiallehrer, bevor er seinen Lehrberuf antritt, be- reits etwas geworden ist, nemlich Philolog, Historiker, Mathematiker usw. Hat man es einmal dahin gebracht, wie es denn jede tüchtige UoSh- scbule dabin bringen sollte, dasz der abgehende Candidat nicht nur mit einer ausreichenden Masse von Kenntnissen beschlagen ist, sondern dasz er

W.Jahrb, f. Phü. ». Paed. Jid LXXVIll. Hft 10. 33

484 Schmidt und Tbaulow : Gymnasialpaedagogik.

einen Charakter gewonnen hat, wie er dem echten Philologen, Histo- riker oder Mathematiker unsrer Tage zukommt : dann darf man sich auch nicht darüber wundern, wenn dieser Charakter ein dauerhaftes Gepräge hat und mit dem Bewustsein des Trägers völlig verschmilsU Eine Umwandlung desselben ist nicht unmöglich aber schwierig and stets mit einem gewissen Kraftverlast verbunden ; also fordert schon die Nationalökonomie des Geistes, dasz sie nur in seltnen Fällen und nur gegen erhebliche Vortheile durchgeführt werde. Daraus folgt aber, dasz man sich dabei beruhigen musz, wenn die tüchtigsten unserer Gymnasiallehrer substantiell Philologen bleiben und nur ac- cidentiell Paedagogen werden. Ein entgegengesetztes Bewust- sein unter der Mehrzahl derjenigen Gymnasiallehrer, die nicht von vorn herein durch halben Erfolg ihrer Studien auf das entsagen ange- wiesen sind, könnte nur mit groszen Opfern erzielt werden. Man han- delt wie die Kinder , die ohne Geld kaufen und noch etwas herans ha- ben wollen, wenn man wähnt, Gymnasiallehrer herrichten zu könnei, die ebenso wie die Elementarlehrer substantiell Paedagogen sind and' sich als solche fühlen , während sie ja in ihrem Fache auf derselben ' Höhe stehen, die man gegenwärtig, wenigstens im Norden Deutsch- lands, für nnerläszlich hält. Da nnn die Gymnasialpaedagogik , derei Frincipien wir untersuchen wollen, gleichgültig ob sie von Universi- tätsprofessoren gelehrt werde oder nicht, jedenfalls in den Stadien der Gymnasiallehrer ihre wirkliche Grundlage hat, so steht offenbar die Entscheidung über jene Frincipien im engsten Wechselverhältnissd mit derWerthschätzung der bisher erreichten wissenschaftlichen Dnrcb- bildnng der Lehrer in ihren einzelnen Zweigen. Kein Fehler würde eine in dieses Gebiet einschlagende Untersuchung werthloser mache% als wenn man dieses Wechselverhältnis auszer Acht liesze nnd sieh einbildete ohne Sorgen und ohne Opfer eine Vollkommenheit über die andere verlangen zu können.

Wir beginnen daher unsere Erörterung mit der Frage, ob es nieht nothwendig und wünschenswerth wäre, die Gymnasiallehrer einige Stufen von ihrer wissenschaftlichen Höhe herabsteigen zu lassen , nm sie zu desto vollkommneren Paedagogen zu bilden. Achten wir den Schrecken, der jeden streng geschulten Philologen bei diesem Gedan- ken befällt, vorläufig für nichts, so lassen sich die Gründe für diese Zerhanung des Knotens dutzendweise finden , und scheinbar sehr ge- wichtige. In England und Frankreich fällt es niemandem ein, dasz man ein fertiger, in den Arsenalen der Kritik heimischer Philolog sein müsse, um Gymnasiasten im Lateinischen und Griechischen za unterrichten. Unsere Theologen , Juristen und Mcdiciner werden nach einem ganz andern Zuschnitt gebildet. Bekanntlich promovieren die beiden erstgenannten Klassen meist gar nicht und die Mediciner meist m^t Dissertationen ohne wissenschaftlichen Werth. Dagegen wird von diesen allen eine grosze Masse positiver Kenntnisse verlangt, die sich encyklopaedisch um einen praktischen Zweck gruppieren. Das Be- wustsein des Mediciners und des Arztes, des Predigers und des Theo-

Schmidt und Thaalow: Gymnisialpaedagogik. 485

lo^D fällt daher gar nicht so weit auseinander , wie das ^des Philolo- gen und des Paedagogen; sollte da nicht bei der Mehrheit das allge- ■ein richtige sein ? Endlich aber kommt noch das hinzu : jene An- forderungen einer wissenschaftlichen Fertigkeit, die sich in der ölTent- liohen Meinung unserer Gymnasialwelt festgesetzt haben, sind keines- wegs in den gesetzlichen Bestimmungen vorgeschrieben, die hier einen groszen Spielraum lassen; sie sind vielleicht kaum im Sinne der ad- Binistrativen Behörden, insofern man diesen als solchen eine bestimmte Aoffassung der betrefiPenden Frage zuschreiben darf; sie fuszen viel- mehr lediglich auf dem Usus einfluszreicher Prüfungscommissionen in Verbindung mit dem mächtigen wissenschaftlichen Geiste, der sich, ohne dasz man lange nach seiner Berechtigung fragte, unter der jüngeren Lehrerwelt Bahn gebrochen hat. Dieser Geist aber ist wieder, für die Philologen wenigstens, ganz besonders eine Frucht der philologischen Seminare. Bei dieser Erkenntnis angelangt, könnten die Gegner des bestehenden Brauches ihren stärksten Trumpf ausspielen, indem sie be- haupteten, was schwer zu widerlegen wäre, dasz die gesamte Ano- malie der neueren deutschen Gymnasiallehrerbildung lediglich darauf inrOckzuführen sei, dasz man philologische Seminare statt paedago- gischer errichtete oder gar den Dirigenten paedagogischer Seminare wie Fr. A. Wolf sorglos gestattete, dieselben durch philologische zu ersetzen oder in Schatten zu stellen.

Statt aller Antwort dürfen wir nur Trapps ^Versuch einer Paeda- gogik' neben seines groszen Amtsnachfolgers ProlegOmenen legen.

Ueberbanpt, was war denn eigentlich damals die Paedagogik, da man das Bedürfnis empfand aus dem theologischen Stande einen besonderen Stand der Schulmänner abzusondern und dem letzteren ■ehr uiid mehr Selbständigkeit zu geben? Was war denn diese ganze leue Institution, die S chule, die man als drittes Element des Völker- lebens neben Staat und Kirche zu stellen begann? Wo war ihre Ge- schichte? Beginnt man doch erst heutzutage zu ahnen, dasz, wenn die Schule wirklich neben Staat und Kirche auch nur mit halber Selbstän- digkeit sich geltend machen soll, sie vor allem eine Geschichte haben musz; dasz diese Geschichte wichtiger ist als die Geschichte der Paedagogik, um eben so viel als etwa die Kirchengeschichte wich- tiger ist als die Geschichte der Theologie ! Wo war endlich damals eine paedagogische Wissenschaft, die sich anständigerweise in das Centrum eines ganzen Zweiges der Universitätsstudien hätte setzen lassen? Früher waren paedagogische Vorlesungen und noch Kant behandelte sie so nichts als ein Complex von Rathschlägen und Winken für junge Theologen, die eine Hofmoisterstelle annehmen oder aqch vielleicht auf einige Zeit sich dem Lehrfache widmen wollten. Was liesz sich aus diesem Stoffe machen? Mit der Basedow^schon und Roasseau^schen Weisheit hatte schon Trapp es versucht; allein man nnste bald einsehen , dasz Tendenzen , Ansichten und Begeisterungs- epidemien keine Wissenschaft machen. Es muste doch vor allen Din- f«a erst- etwas gewust werden, das über sabjectives Belieben er-

33*

486 Schmidt and Thaulow: Gymnasialpaedagogik.

haben ist. Der menschliche Geist ist so beschaffen , dasz .ein solches objectives wissen sich von selbst Bahn bricht und sich der GemOler bemächtigt wie die Neigung zu einem materiellen Besitz. Es hat also niemand über Hemmung der Paedagogik zn klagen; auch das philo- logische Studium in dem Sinne, in welchem Friedrich Aagast Wolf es betrieb, musto sich erst Bahn brechen. Das verschiedene Geschick der beiden Disciplinon in Hinsicht ihrer äuszeren und inneren Entfal- tung kann nur aus ihrer eignen Beschaffenheit erklärt werden. Selbst wenn einzelne Männer, die ein besseres Loos verdient hätten, dem Ter- geblichen Streben das Studium der Paedagogik in Schwung zu bringen zum Opfer fielen, so ist das zu beklagen , aber nicht als ein staatswis- senschaftlicher Fehler der Regierungen, die es geschehen lieszen, sn bezeichnen.

Unterdessen folgte auf Basedow Pestalozzi ; das Volksschalweseo nahm einen ungeheuren Aufschwung, und man kann nicht lengneo, dasz in dieser Zeit namentlich auf dem Boden der Didaktik einige Er- fahrungen gemacht wurden, deren Resultate als positive, lehrbare and ihrer rein theoretischen Seite nach unter allen Umständen gültige Sitze gefaszt werden können , Satze , die sich auch zugleich keineswegs in dem Masze von selbst verstehen, dasz jedes junge Genie sie ohne wei- teres hatte selbst erfinden oder durch noch vortrefflicheres bitte er- setzen können. Hier waren also auch, z. B. in den Principien des Ai- schaunngsunterrichtes, die Keime einer positiven und studierbaren Wis- senschaft allenfalls zu greifen gewesen, wenn es nur gelangen wire^ von dem ungewissen das gewisse, von dem theoretisch - praktischen das rein theoretische auszusondern, und dies, an der Hand statisti- scher Vergleichungen der Resultate , in möglichst exacter Form dar- zustellen. Allein trotz des unverkennbaren Fortschrittes zuni positi- ven, der zwischen Pestalozzi und Basedow liegt, war dennoch die Zell zur Stellung dieser Aufgabe nicht gereift; die Tendenz überwucherte das wissen, statt, wie bei jeder echten Wissenschaft, in der Form des gewusten völlig aufzugehen. Die sorglose Verwechslung und Vermi- schung subjectiver Ansichten und Standpunkte mit allgemeinen Wahr- heiten fand an der Paedagogik ihren schönsten Tummelplatz , and die wenigen Goldkörner in diesem Spreuhaufen, statt durch den oover- kennbaren Gegensatz ihrer Physiognomie gegen das allgemeine Ge- rede zu frappieren und zurückzuschrecken, boten nur einen Rückhalt für die anmaszendste Entwicklung einer Halbwissenschaft, die noch bei der golecktesten systematischen Form niemals ihren subaltemea Charakter verleugnen kann. Unterdessen fiel es auch den Philosophen ein, die Paedagogik in ihrer Weise zur Wissenschaft zn erheben. Der abstract formalistische Begriff der Wissenschaft, welcher seit Pichle und Hegel in der deutschon Philosophie heimisch geworden ist, bildet einen bestimmten und durchgehenden Gegensatz nicht nur gegen dee ursprünglichen Sprachgebrauch, sondern auch gegen die reale Ent- wicklung und die fortlaufende Entwicklungsrichtung der gegebenen Einzelwissenschaften. Während hier exacto and behutsame Forsehoag,

Schmidt and Thaulow: Gymnasialpaedagogik. 487

herscht dort geniale Constraction ; hier klag benatztes Stückwerk, dort VoUendang and Einheit des Gusses; hier Selbstverleugnung, dortSelbst- rerwirklichung ; hier ein bestandiges zusammenwirken aller, dort Au- tonomie des schöpferischen Geistes. Eine Fundamentaltäuschung ist es, wenn man glaubt, jene speculative Wissenschaft verhalte sich zu den positiven Wissenschaften eben so, wie etwa diese zu dem ge- wdholichen ungeschulten Bewustscin. Vielmehr ist jede naturliche and kindliche Auffassung der Dinge an sich schon speculativer Art, da die psychologische Organisation ansers denkens mit Gewalt dazu drängt, jedes Stückwerk in der Phantasie zu ergänzen und eine Ein- heit auch da zu setzen, wo wir sie nicht sehen. Gerade dies specu- lative Element des gewöhnlichen denkens mit seinen schnellfertigen LflekenbQszern wahrer Einsicht ist es, gegen welches die forschende Wissenschaft in einem beständigen und unversöhnlichen Kampfe liegt.

Die speculative Paedagogik hat aber wahrlich vor andern Gebie- ten der Speculation nicht das mindeste voraus ; ihr Werth sei daher welcher er wolle, so liefert sie doch jedenfalls weder empirische Kenntnisse, noch Gesetze, die aus solchen abstrahiert wären; sie un- terscheidet sich von der Yulgärpaedagogik nur darin vortheilhaft, dasz sie auch nicht einmal den iSchein annimmt dergleichen zu leisten, son- dern ihre ganze Aufgabe in consequenter BegrifTsentwicklung findet.

Es handelt sich nun darum zu entscheiden, ob es wirklich ein Unglück oder nicht vielmehr ein Glück war, dasz philologische Se- minare an die Stelle der paodagogischen traten. Zugegeben einmal, dasz die philologischen Seminare ihre Dotationen und ministeriellen Begünstigungen ursprünglich meist der speciellen Absicht verdankten, Gymnasiallehrer zu bilden, dasz sie dagegen sehr bald eine Richtung nahmen, bei welcher der Berufszweck neben dem rein wissenschaftlichen nicht nur zurücktrat, sondern völlig verschwand: so war dennoch das Misverständnis , wenn man ein solches hier finden will, zunächst ein- mal in ganz allgemein national -ökonomischer Hinsicht ein änszerst glOckliches. Die deutsche Philologie, bereits durch Geszner und Brnesti mächtig angeregt, erhob sich seit Fr. A. Wolf zu einer Art von Weltmacht. Es ist nicht zu verkennen , dasz hier mehr vorliegt als ein bloszes übergehen der philologischen Hegemonie auf Deutsch- land. Diese Hegemonie selbst ist bei uns zu etwas anderem gewor- den, als was sie bei den Franzosen, Holländern, Engländern war, und liszt sich an nationaler Bedeutung nur mit ihrer Wichtigkeit für das Italien des fünfzehnten Jahrhunderts vergleichen, während hinsicht- lieh ihres Wesens gerade bei diesem Vergleich die grösten Unter- schiede hervortreten. Wenn man zugeben musz , dasz es mit der *Re- prodaction des klassischen Alterthums' nicht mehr recht voran will, dtss sogar in diesem Sinne vielleicht das goldeq^ Zeitalter der Philo- logie bereits vorüber ist, so kann man nur am so klarer dagegen das Wesen der heutigen Philologie in der Methodik historischer Forschung im weitesten Sinne entdecken. Freilich ist die heutige Philologie in eineai Zersetsangsprocesse begriffen, aber in einem solchen, durch den

48S Sehmidt und Thaalow : Ciymiiasialpaedago^.

sie die fruchtbaren Keime, die auf dem speciellen Felde der Alter« thumswissenschaft gezeitigt waren , über das ganze Feld historiacher, litterarischer und sprachwissenschaftlicher Gebiete ausstreut. Die Liebe zum klassischen Alterthum war die mächtigste Triebfeder zur Entwick- lung einer Methode, die, seit sie einmal gefunden ist, von selbst, wie jede wahre Methode, eine allgemeine Bedeutung annimmt. Was die 'Methode der exacten Wissenschaften für das Gebiet der Natur, das soll die heutige deutsche Kritik, die der Philologie entsprossen ist, fflr die geschichtlichen Wissenschaften leisten und leistet es schon snn groszen Theile. Unterdessen gehört aber gerade «diese Kritik zu den wonigen Elementen deutschen Lebens, die dem Auslande Achtung ab- getrotzt und den deutschen Namen und Einflusz gehoben und verbreitel haben. Und ist dies vielleicht für nichts zu achten? Es ist ein Ge- winn nationaler Kraft nach innen und auszen, so gut als wenn unaar Handel oder unsere Politik neue Bahnen gewinnen würde. Und diese gesamte Machtstellung der deutschen Philologie, die keine Aehnlich- keit mehr hat mit einem Markt todter Gelehrsamkeit, sondern die mehr und mehr die Rolle des pulsierenden Herzens in dem wissenschaftlichen Leben der gebildeten Welt übernimmt: hätte sie entstehen könoen ohne die breite und solide Basis, die Friedrich August Wolf ihr durch die von ihm ausgegangene Studienrichtung der Gymnasiallehrer gab? Zugegeben , dasz die glänzendsten Namen keineswegs etwa dem Gya»» nasium angehören! Könnte es anders sein, da die Entwicklung der Individuen von Masze und Sorgenfreiheit des reiferen Alters so we- sentlich bedingt ist? Man bedenke aber, dasz auch der Schwung and Glanz der Forscher ersten Ranges bedingt ist durch Beifall , Verstind- nis und fördernde Rückwirkung eines groszen Kreises urteilsfähiger Leser und Hörer; und dasz die Seminare, deren beste Blüten der aka- demischen Laufbahn zu Gute kamen, eben dennoch nicht nur nai der Gymnasien willen gestiftet waren, sondern auch wesentlich von kAnf- tigen Gymnasiallehrern erfüllt und so erhalten wurden.

Nun kann aber noch gefragt werden, ob auch das, was von der Vogelperspective eines national-ökonomischen Princips betrachtet, sieh als so glänzend und vortheilhaft erwiesen hat, die Einführung des höhe- ren philologischen Studiums in die Lehrerkreise, nicht dennoch in sei- nem nächsten Gebiete, der Schule, einen Schaden angerichtet hat, der unsichtbar in der Tiefe friszt und aus seiner minder beachteten Sphire dennoch lähmende Einflüsse nach allen Seiten verbreitet? Hat nun doch bemerkt, dasz jüngere Schulmänner, weit entfernt in der Fülle jüngst vergangener Generationen aus dem lebendigen Quell antiken Lebens zu schöpfen, vielmehr oft kaum im Stande sind, den Schrill* steller, den sie erklären sollen, flieszend und zu eignem und fremdes Vergnügen zu lesen uqd zu erklären ; aber ^Fragmente können sie aeni- meln ! ' rief man voll Ironie und Unmut aus. Und wie leicht läsat sich dann die Abnahme der Leistungen bei den Maturitätsprüfungen, die man allenthalben will bemerkt haben , damit in Gausalzusammenhang bringen ! Ohne zu leugnen , dasz in diesen Anklagen einige Wnhrheit

Sehmidt und Thaulow : GynDasialpaedagogik. 489

Hegau möge, wollen wir doch aaf die optische Täuschaqg hinweisen, nach der man so gern die besten der Vergangenheit, die sich allein den Gedächtnis eingeprägt haben, mit dem mittleren Durchschnitt der Gegenwart vergleicht. Meister ihres ganzen Stoffes und durchdrun- gen vom Geiste des Alterthnms waren und sind nur einzelne; der mittlere Durchschnitt aber, mit dem es auch fruherhin in dieser Hin- sicht traurig bestellt war, hat wenigstens Kritik üben gelernt: eine lehrbare und mit Sicherheit auf einen gewissen Durchschnitt der In- dividuen zu übertragende Kunst: das ist mindestens etwas positives, Charakter verleihendes, das auch aus dem minder geistreichen Kopf einen ganzen Mann macht. Auf jeden Fall aber würde, auch wenn man sich durch jene Erscheinungen veranlaszt fände auf den Bildungs- gang der Lehrer versuchsweise einzuwirken, doch diese Einwirkung der Natur der Sache nach noch nicht dem Studium der Paedagogik za gute kommen , sondern sich auf eine BewCjgnng innerhalb des philo- logischen Studienkreises selbst beschränken.

Wir haben oben den halbwissenschaftlichen Charakter der ge- wöhnlichen Paedagogik geschildert. Für den Elementarlehrer, den Inhaber von Privatanstalten für merkantile Zwecke , selbst für einen Theil der Lehrer höherer Bürgerschulen und niederer Gymnasialklassen ist der Schaden, der aus der Beschäftigung mit einem solchen Gegen- stande ^othwendig erwachsen musz, nicht sehr hoch anzuschlagen, in- sofern nur die Ueberscbätzung desselben nicht zu verderblich einwirkt: ein positiver Nutzen, wenn auch nicht für die Wissenschaft, ao doch für die Praxis kann dabei nicht ausbleiben , und wäre er auch nur in der intensiveren Richtung des Geistes auf die methodische Seite der Erziehung und des Unterrichtes enthalten. Die erzeugte Tendenz, wenn sie nemlich gut ist, bleibt jedenfalls das beste an der gan- len Sache.

Ganz anders ist aber das Verhältnis des eigentlichen Gym- nasiallehrers, der seine Stoffe als Wissenschaften faszt und verarbei- tet, wenn er sie auch nicht in der Form der Wissenschaft wiedergibt. Masz er sich ex officio in einen Gegenstand vertiefen, der flach ist; etwas studieren, das so wenige studierbare Seiten bietet; zwischen Ansichten und Lehrsätzen sich bewegen, wo es in jedem Augenblicke gilt fünf grade sein zu lassen , wenn überhaupt etwas stehen bleiben soll: da kann es ohne erheblichen Kraftverlust und Abstumpfung der eben erst wol geschärften Schneide des denkens gar nicht abgehen. Neon Zehntheile unserer ganzen paedagogischen Literatur sind so be- schaffen, dasz der Gymnasiallehrer sie ohne Schaden gar nicht zum ernsthaften Gegenstande seiner Studien machen kann , wenn auch das eine oder andere wohlmeinende und geistreich geschriebene Werk- chen ihn anregen oder erfreuen könnte.

Die theologischen Lehrer der Paedagogik haben vor jenem groszen Haufen dreierlei voraus. Einmal die Anlehnung an das objective Ele- ment der gegebenen Kirchenlehre. Die Aufgabe wird dadurch be- schränkt und läszt sich innerhalb ihrer Schranken in Wissenschaft-

490 Schmidt und Thaulow: Gymnasialpaeda^Of^k.

licher Form lösen. Sodann die Anfl6snng des Gewirres kleinlicher Tendenzen in die 6ine grosze Tendenz der Heilsbedfirfligkeit. Das ., Stückwerk theoretischen Wissens wird conseqaent zum Moment herab- gesetzt und verliert eben dadurch jene gedunsene Fülle, die der ech- ten Theorie am meisten feindlich ist. Die Tendenz selbst wird hier zum Mittelpunkt der Wissenschaft. Endlich aber theilt die Theologie, wenn auch in geringerem Masze, mit der Philosophie den Vorzug einer kunstgerechten und einheitlichen Darstellung ihrer Lehren, die dem Gesamtgebäude einen von der objectiven Richtigkeit des einzelnen theilweise unabhängigen Werth verleiht. Bei all diesen Vorzügen kann es jedoch nicht unbeachtet bleiben , dasz bei dieser Behandlungsweise die Paedagogik stets ein Nebengebiet der Theologie bleiben mass, also auch nicht Mittelpunkt eines eignen und selbständigen Studien- zweiges werden kann. Dasz der Theolog als Lehrer seinen Palmer oder Dursch studieren sollte wird niemand leugnen, und obwol in sol- chen Werken natürlich die Volksschule in den Vordergrund tritt, so werden sie auch dem Gymnasiallehrer, selbst dem Nichttheologen, heil- sam und förderlich zu lesen sein, namentlich wenn, wie bei Palmer, noch die gröste Gründlichkeit historischer und litterarischer Studien hinzutritt. Vielleicht durfte sogar eine christliche Gymnasialpaedago- gik von theologischem Standpunkte noch als eine Lücke in der Littera- tur bezeichnet werden, ohne dasz jedoch damit irgend ein Element ge- wonnen würde, das der speciellen wissenschaftlichen Fachbildung der Gymnasiallehrer Concurrenz machen könnte.

Was nun endlich die Paedagogik der Philosophen betrifft, so hat diese zu einer solchen Concurrenz den entschiedensten Anlauf genom- men. Der Herbartianer Brzoska fordert in seiner Schrift Über die Nothwendigkeit paedagogischer Seminare auf der Universität nicht weniger als elf verschiedene paedagogische Disciplinen , die alle aaf Universitäten entweder durch praktische Uebungen in Seminarien oder durch besondere Vorlesungen geübt und gelernt werden sollen. Et ist nicht nur interessant, sondern auch für die Entscheidung unserer ganzen Aufgabe wichtig, diese Disciplinen kennen zu lernen. Es sind folgende : 1) Encyklopaedie und Methodologie der paedagogischen Wissenschaften; 2) allgemeine Paedagogik; 3) das Unterrichtswesen;' 4) Katechetik (Religionsunterricht); 5) Schulkunde; 6) Schuldisciplin; 7) Schulrecht; 8) Familienerziehung; 9) Geschichte der Erziehung und des Schulwesens; 10) Litteraturgeschichte der Paedagogik ; 11) Staats- paedagogik. Wahrlich , wenn diese Disciplinen alle in einer unseren übrigen Universitätswissenschaften ebenbürtigen Gestalt vorhanden wären, dann würde auch Herbarts Vorschlag nicht mehr so absurd sein, als man ihn bisher gefunden hat, dasz jedes Dorf eben so gat wie seinen Arzt und seinen Geistlichen auch seinen studierten Paeda- gogen haben müste, der gleich dem Arzt in allen schwierigen Fallen cousultiert würde. Wir wagen es kühn zu behaupten, dasz Brzoska bis jetzt der einzige war , der aus der Forderung die Paedagogik zum eigentlichen Mittelpunkt der Studien eines Paedagogen zu machen, also

Schmidt and Thaalow: Gymnasialpaedagogik. 491

aoeh ffir die höheren Schulen sabstantielle, nicht accidentielle Paeda- gogen zu gewinnen, die richtigen Conseqnenzen gezogen hat. Und dieser Folgerichtigkeit entspricht vollkommen die Gründlichkeit sei- ner Beweisführung, namentlich auch was die geschichtliche Seite be- Irifft. In den Stimmen , die Brzoska zur Unterstützung seiner Ansicht gesammelt hat, liegt allein eine Geschichte der Paedagogik verhorgen, die uns, wenn ein längeres Leben ihm ihre Ausarbeitung vergönnt hätte , wes'^ntlich gefördert haben würde. Warum weisz man dessen- ungeachtet nichts von Brzoska? Warum versteht es sich so ganz von seihst, dasz sein Unternehmen ein verfehltes war? Etwa lediglich deshalb , weil bei einer solchen Ausdehnung der paedagogischen Stu- dien gar keine Zeit mehr für die Fachwissenschaften übrig bleiben würde? Nicht doch! Um diesen Einwand zu beseitigen hätten wir ja das Beispiel der theologischen Gymnasiallehrer. Konnten diese ehe- mals und können sie in vielen Fällen noch heute ihre Stellung ge- nügend ausfällen, während sie doch ihr akademisches Triennium haupt- sächlich der Theologie widmen müssen, so würden es die Brzoska^- " sehen Paedagogen vielleicht auch können. Wer selbst ein Gymnasium durchgemacht und sodann irgend eine Wissenschaft methodisch und gründlich studiert und darüber in seiner Art eine gründliche Durch- bildung gewonnen hat, aus dem müste sich am Ende auch ein erträg- licher Gymnasiallehrer durch die Praxis selbst bilden lassen. Wenn weiter nichts gefordert würde als Erhaltung der ostensibeln Resultate in der Maturitätsprüfung , so könnten wir dreist auch junge Juristen oder Mediciner an die Gymnasien schicken, was in der Zeit der Re- naissance gar nichts unerhörtes war. Der Paedagog hätte dann doch vor diesen den nicht ganz geringen Vortheil eben Paedagog zu sein. Die Schwierigkeit, welche sich dem Brzoska^schen Paedagogen in den Weg stellt, ist vielmehr nur die, dasz er noch heute wie da- mals ein unmögliches Wesen ist, weil alle jene schönen Wissenschaf- ten, an denen er sich bilden soll, nur Namen aber keine Wirklichkeit haben. Man wird diese Aeuszerung vielleicht zu stark finden. Neh- men wir daher zu ihrer Erhärtung gleich die Wissenschaft vor, die noch am meisten Anspruch auf Realität hat, die Geschichte der Er- ziehung und des Schulwesens. Brzoska will sie in zwei vollen Se- mestern zu je 6 Stunden lesen , und wir haben keinen Grund zu zwei- feln, dasz sich eine solche Zeit allenfalls ausfüllen Fiesze. Aber auch würdig ausfüllen? Die äuszere Analogie mit der Kirchengeschichte thut es nicht; wir müssen die wissenschaftliche Qualität, den Rang des Stoffes prüfen. Was man so Geschichte des Schul- und Erziehungs- wesens oder Geschichte der Paedagogik nennt, ist meist eine Schma- rotzerpflanze aus der allgemeinen Weltgeschichte, der Culturgeschichte, der Litteraturgeschichte und anderen Geschichten. Wenn man aus sol- chen Werken alles, was sich auf Erziehung bezieht, zusammenträgt, so hat man bereits einen ziemlichen Stoff vor sich, und es macht dabei nur massigen Unterschied, ob der Verfasser hie und da auf die citiert gefundenen Quellen zurückgeht oder nicht. Zu Brzoska^s Zeiten hatte

492 SduBidft und Tbaalow : Gymnasitlpaedagogik.

man ein solches Werk an der Geschichte der Erziehung von Schwärs, einem sehr brauchbaren Buche, das aber wol niemand mit einer gedie- genen liUerarhistorischen oder kirchengeschichtlichen Arbeit gleich^ stellen wird. So lange nicht auch der Litterarhistoriker oder der Ge- schichtschreiber der Philosophie eben so oft zu uns kommen muss als wir zu ihm, bleibt es einfach unberechtigte Anmaszung, wenn man die Geschichte der Erziehung, der Paedagogik oder des Schulwesens als ebenbürtig mit andern Universitatswissenschaften hinstellt/ Und das thttt man doch in der That, wenn man die Geduld der Zuhörer fOr sie ein ganzes Jahr lang täglich eine Stunde lang in Anspruch nehmen will. Konnte aber ein einziger Mann, selbst bei Brzoskas Bewandertheit auf diesem Gebiete, behufs seiner Vorlesungen jenen Sachverhalt ohne weiteres ändern?. Das mäste ein bedeutender Schwarzkünstler sein^ der so eine fertige Wissenschaft aus dem Aermel schüttelte! Der Weg, den man eben jetzt betritt, führt besser zum Ziele: allmähliche Erwei- terung und Vertiefung des Gebietes durch zusammenwirken vieler. Da- zu gehört aber unvermeidlich viel Zeit und Geduld.

Was sollen wir zu den übrigen Disciplinen Brzoskas sagen? Was soll einem ordentlichen Studenten eine Litteraturgeschichte von Büchern, die er besser ungelesen läszt? ein Schulrecht, das aus ejner principlosen Sammlung vou Verordnungen und Erlassen besteht und dessen Hauptsatz jedenfalls lautete: ^die Schule sollte einen Rechts- boden haben, hat aber keinen'? Die einzige Disciplin, deren Anbau Brzoska mit allen Schülern Herbarts gemein hat, ist wol die allge« meine Paedagogik. Diese Disciplin macht den , welcher sie studiert, noch eben so wenig zum Paedagogen , als das Studium der Rechts- philosophie zum Juristen macht; ob man «aber dagegen schlieszen soll, dasz jeder , um ein wirklicher Paedagog oder Jurist zu sein , dieses Studium nothwendig hinzunehmen müsse, ist eine andere Frage. In der Glanzperiode der HegePschen Philosophie hätte man sie schwer- lich ungestraft stellen dürfen. Wer dem ^allgemeinen Stande' ange- hörte, muste natürlich sich über den Zweck seines thuns und treibens philosophisch Rechenschaft geben. Dasz solche Phiiosopheme nicht für alle Zweige des ^allgemeinen Standes' gleich ausgebildet wurden, ist nur dem Drange der Zeit zuzuschreiben, und Thaulow hat darin gewis vollkommen Recht, dasz er seine Ausbildung der Paedagogik nach Hegels Grundsätzen als eine nothwendige Consequenz des gan-. zen Systems ansieht. Leider zeigt nun die Erfahrung, dasz man nicht nur eiu guter Schneider oder Kaufmann sein kann, ohne sich über sein thun und treiben durch Analyse des Zweckbegriffes Rechenschaft ge- geben zu haben, sondern dasz ganz dasselbe in etwas verändertem Masze auch mit dem Mittelschlage der angehörigen des ^allgemeinen Standes' der Fall ist. Es gibt vortreffliche Seelsorger und Redits- gelehrte, die sehr wenig auf Philosophie halten, und wir wüsten nicht, wo z. B. der Engländer Thomas. Arnold sein Collegium über Philo- sophie der Paedagogik sollte gehört haben. Hier handelt es sich auch nicht um Ausnahmen, sondern um die Regel, man möge sie nun glück-

SoluBidt und Thaolow: Gymiasialpaedagofik. 493

lieh oder beklageDswerth finden. So wie es in der Natnr zwischen Hegels ^allgemeinem', Schleiermachera leitendem' Stande und den übrigen Standen gar keine scharfe Grenze gibt, sondern allmähliche Ueberginge , so gibt es auch vom philosophierenden Schuster bis zum Lenker der Staaten in allen Standen einen gewissen Procentsatz philo- sophischer Köpfe, der freilich in den verschiedenen Ständen sehr ver* schieden ist. Dasz derselbe nach oben hin zunehme, ist auch nur bis SU einem gewissen Punkte wahr. Gerade diejenigen, welche die allge- meinsten Interessen vertreten und am meisten Meitend' sind, die Re- genten und Staatsmänner, finden selten Zeit und Ruhe, sich die Prin- cipien ihres thuns philosophisch klar zu machen.

Wer in diesem Sachverhalt lediglich eine Un Vollkommenheit oder gar ein Unglück erblickt, der übersieht eben, dasz ganz dieselben Grundsätze, welche sich in dem einen Kopf zum Bewustsein entfalten, nnbewust auch in den übrigen wirken und walten; ja dasz sogar die- sem instinctmäszigen und rein natürlichen thun erfahrungsmäszig meisl eine gröszere Sicherheit und Taktfesligkeit zukommt, als dem durch Bewustsein vermittelten. Die eine Weise findet an der andern Ferment oder Correctiv , und es gibt keinen Stand , der nicht beiderlei Köpfe zur Erreichung seiner praktischen Zwecke bedürfte. Dasz man di^or Sachlage ungeachtet philosophische Vorlesungen noch beständig durch officielle Anordnungen mit Crethi und Plethi bevölkert , ist ein weit gröszerer Uebelstand, als wenn solche Vorlesungen nur von wenigen benutzt werden. Ein ^philosophisches ZwangscoUeg' ist eine contra- dictio in adiecto.

Die Anwendung dieses Satzes auf die allgemeine Paedagogik wird leicht zu machen sein. Es sollte auf jeder Universität eine Ge- legenheit sein sie zu hören, und es wäre hübsch, wenn alsdann wenig- stens die philosophischen Köpfe unter den zukünftigen Lehrern und Geistlichen von dieser Gelegenh^t fleiszigen Gebrauch zu machen sich bewogen fänden. Würde eine speculative Gymnasialpaedagogik ge- boten , so^ wäre die Theilnahme an dieser den Philologen ganz beson- ders nahe gelegt, aber auch dann noch können wir keinen Umstand erblicken, der zu einer allgemeinen Regel machen könnte, wozu der Matur der Sache nach der eine mehr, der andere weniger Trieb in sich verspürt. Dieser Trieb zur Sache ist im Durchschnitt bei wirk- lich reifen Studenten als ein Maszstab ihres mutmaszlichen Nutzens zn betrachten.

Aber, kann man nun fragen, hat denn der Staat, der die Lehrer als Lehrer anstellt und nicht als Philologen, kein Recht zu verlan- gen, dasz diese sich für ihren eigentlichen Beruf, deu Lehrberuf, tang- lich machen? Unbestreitbar besteht dieses Recht; allein wie ist es auszuüben? Kann es überhaupt ausgeübt werden, ohne wesentlichere Interessen der Gesamtheit zu schädigen ? Es scheint uns , dasz sich hierauf ein ja geben läszt, wenn auch nicht ganz so unbedenklich als unsere Reformer zum grossen Theile sich einbilden. Man denkt zu- meist an Seminare, und hier sind alle mögliche Stufen vertreten, von

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den excenlrischen Forderungen Brzoskas bis zu der einfachen Pflege paedagogischer Uebangen neben den rein philologischen Vorlesungen. Dasz wir solche Ansichten verwerfen , die mit Diesterweg oder gar nach dem Vorbilde der französischen Musterschulen das ganze Univer- sitätsstudium der Philologie im Grunde in einem Seminar wollen auf- und untergehen lassen, bedarf nach den obigen Ausführungen kaum der Erwähnung; was aber von den verschiedenen Zwischenformen, die mit dem bisherigen Studieuwesen irgend einen Compromiss eingehen wollen, zu halten sei, ist schwer zu sagen. Es hängt hier so vieles an Persönlichkeiten und localen Verhältnissen , dasz sich darüber gar keine allgemeinen Regeln aufstellen lassen. Ist doch auch ein aka- demischer Lehrer, der ein philologisches Seminar mit Erfolg zu leiten versteht, eine so seltene Erscheinung, dasz man mit Recht fragen kann, ob nicht auch hier die Dotierung, durch^die man an Aufrechterhaltnng der einmal bestehenden Einrichtung unter allen Umständen gebunden ist, eher als ein Uebelstand, denn als ein Vortheil auf die Daner sich herausstellen dürfte.

Die wahren Handhaben, an welchen der Staat in den Studien- gang der Lehrer eingreifen kann , liegen nicht auf dem Boden der aka- demischen Freiheit, sie liegen hinter derselben: in der Praxis selbst and in den Prüfungen. Man war daher auch unzweifelhaft im ganzen auf dem richtigen Wege, als man in Preuszen z. B. das sogenannte Probejahr einrichtete und in die Prüfung der Candidaten des höheren Schulamtes auch die Paedagogik aufnahm ; allein den richtigen Weg betreten heiszt eben noch nicht so viel als das Ziel erreichen. Begin- nen wir mit der Prüfung! Wie denn, wenn ein tüchtiger Philolog kommt, der gar keine paedagogischen Kenntnisse hat, der Bücher dieses Faches stets nach Besichtigung des Titels mit stillem Absehen bei Seite geschoben, Vorlesungen über Paedagogik nie ohne leises Lächeln angekündigt gesehen , paedagogische Aufsätze in den Neuen Jahrbüchern stets^ als ob sich das von selbst verstünde, fiberschlagen hat? Soll er durchfallen? Der philologische Examinator würde ver- mc^tlich gleichzeitig aus dem Monde zu fallen glauben; es wäre ein novum, inauditum, ein Ereiguis, das dem Laufe der Natur zu wider- sprechen schiene. Und das vielleicht mit Unrecht? Würden nicht in einer solchen Prüfung eine Menge von Fragen vorkommen, die le- diglich mit gesundem Menschenverstand zu beantworten sind ? Würde nicht der, welcher das System des Examinators jedesmal kreuzt, in vielen Fällen ein besserer Praktiker werden als der, welcher die Vor- lesungen desselben gehört hat? Wozu aber endlich ein Examen, in dem man nicht durchfallen kann? Es ist ein Bock ohne Hörner, ein Messer ohne Klinge. Das beste, was man damit machen kann, ist es schleunigst aufzuheben ; das zweitbeste, es neben anderen Formen ohne Inhalt einstweilen ruhig in seiner Nichtigkeit zu belassen.

Die Probelectionen, welche mit diesen Prüfungen gewöhnlich ver- bunden sind, sind noch um so schlimmer, als es den Examinatoren, je ferner sie der Schule stehen , desto eher beifallen kann denselben ein

Schmidt lyd Thaulow: Gymnasialpaedagogik. 495

besonderes Gewicht beizniegen. Candidaten, welche zam ersten Mai in ihrem Leben vor der Front einer Klasse stehen , und noch dazu un- ter so besonderen Umständen, zeigen gewis in den seltensten Fällen ihre wahren Eigenschaften. Alte Directoren, die noch am ehesten hierin einen Blick haben können, werden auch am ehesten wissen, wie ge- waltig sich ein Candidat, namentlich unter geeigneten Hülfen, oft schon in den ersten Wochen der Praxis verändert. Eine Probelection hat our einen Sinn am Schlüsse des Probejahres, und dasz sie dort fehlt, ist ein eben so groszer Fehler, als dasz sie mit der wissenschaftlichen Prüfung am Schlüsse der Universitätszeit verbunden ist.' Das Zeugnis der Directoren und Ordinarien ist schon viel , aber bei weitem nicht genügend; namentlich wenn man bedenkt, dasz die Regierung gerade dafür wieder eine Controle haben sollte , wie jene sich der Candidaten annehmen und sie fördern. Wir wollen die Forderung eines bei den Regierungen abzuhaltenden praktischen Examens am Schlüsse des Probe- jahres hier nicht weiter ausführen als nöthig ist, um daraus diejenige Art der Gymnasialpaedagogik zu entwickeln, die wir als die wichtigste ansehen und die den Namen der ^positiven ' tragen möge. Wenn in einem solchen Examen vou dem Candidaten etwa gefordert würde: ^beschreiben Sie den Stufengang des griechischen Unterrichtes mit specieller Angabe der einzelnen Klassenpensa', oder gefragt: ^in wel- chem Umfang und in welcher Weise kann an unsern Gymnasien die Lehre von den Kegelschnitten behandelt werden?^ ^in welchen Fällen ist nach den bestehenden Vorschriften die Ausstoszung eines Schülers gerechtfertigt?' ^welches sind die Hauptpunkte der Verfügungen vom 6. und 12. Januar 1856?' ^welche Anforderungen sind in der Geschichte für die Versetzung von Secunda nach Prima zu stellen?' *hat der Or- dinarius besondere Rechte und Pflichten in Bezug auf den Unterricht gegenüber andern in seiner Klasse unterrichtenden Lehrern?' usw., 80 würde der Candidat die Antworten entweder wissen oder aber nicht wissen, und so liesze sich schon ermitteln, wie er und seine Vorge- setzten hinsichtlich des Probejahres ihre Schuldigkeit gethan hätten. Unseres erachtens wäre es auch durchaus nicht zu viel verlangt, wenn man hieran Fragen über die parallelen Einrichtungen anderer Länder, noch mehr aber über die geschichtliche Entwicklung unserer Gymna- sien anknüpfte. Von Raumers Geschichte der Paedagogik, Thiersch Aber den Zustand des öffentlichen Unterrichtes, Wieses deutsche Briefe, Hahns Unterrichtswesen in Frankreich sind Bücher positiven and ge- diegenen Inhaltes, die jeder Candidat während seines Probejahres le- sen könnte, ohne deshalb seinen philologischen, historischen, mathe> matischen Studien Lebcwol zu sagen. Er wprde sich dadurch das Probejahr selbst fruchtbar machen, und wo wir nicht sehr irren, würde dadurch ein gesundes Standesgefühl befördert werden, ohue dasz ein erheblicher Schaden zu befürchten wäre. Man halte es nun hinsicht- lich des postulierten zweiten Examens wie man wolle, so zeichnet sich hier jedenfalls sowol Stelle als Stoff der positiven Gymnasialpaeda- gogik in sehr bestimmter Weise ab , wenn sich auch nicht gerade ein

496 Sebinidt and Tbaalow: Gymnasialppedai^^k.

einzelnes Buch nennen läszt, das diesen Bestimmangen entspricht Da» Princip der positiven Gymnasialpaedagogik wäre kein anderes, als das einer wissenschaftlich geordneten Einführung in die geschichtlich ge- gebenen und organisch in einander greifenden Lebensverhältnisse un- serer Gymnasien selbst.

Die beiden jüngst erschienenen Werke Ober Gymnasialpaedago- gik, KU deren Besprechung wir nunmehr übergehen wollen, fallen eben 80 wenig als die bekannten früheren von Lübker, Deinhardt n. a. mil dem positiven Standpunkte zusammen. Sie theilen sich nemlich in die beiden übrigen Standpunkte, deren einen wir als den der niederen, den anderen als den der höheren Tendenzpaedagogik bezeichnen können. Die erstere finden wir da, wo die halbwissenschaftliche Art der ge- wöhnlichen ^lementarpaedagogik, die wir oben charakterisierten, vor- herseht, die letztere in den von theologischen oder philosophischen Prämissen ausgehenden Constructionen.

Es wird den Verehrern der paedagogischen Schriften Karl Schmidts vielleicht hart oder unbillig vorkommen, wenn wir die Gymnasialpaedagogik"^) des in manchen Beziehungen so schön begab- ten Verfassers von vorn herein mit dem Charakter der Halbwissen- achafllichkeit belegen. Schmidts Schreibweise ist geistreich, anre- gend, reich an treffenden Bemerkungen, apophthegmatisch nnd poin- tiert, oft nicht ohne Geschmack. Ein früherer Beurteiler schreibt ihm bezeichnend ^ein wahres Sturzbad frappanter Gedanken und Anregun- gen zu weiterem denken und handeln' zu. Wir haben nichts dagegen einzuwenden. Wir müssen auch die edle Gemfitswärme anerkennen, die allenthalben hervorleuchtet, und' eine Begeisterung, die wol wie- der Begeisterung zünden könnte, wenn man nicht gar zu häufig durch halbwahres, schiefes und völlig verfehltes gestört würde. Schmidt hat seine Stärke auf einem Gebiete, das zwischen belletristischem und erbaulichem Tone die Mitte hält. Er hätte daher weit besser gethan, mit Diesterweg geradezu einzugestehen, dasz die Paedagogik noch keine Wissenschaft sei und auf allzu künstliche Constructionen zu ver- zichten. Dasz er dies nicht thut, fällt um so schlimmer in die Wage, da er sein Buch Gymnasiallehrern bietet.

Was werden denn die jüngeren Gymnasiallehrer, an die der Ver- fasser sich so vertrauensvoll wendet, diese durch Exactheit verwöhn- ten Wesen , was werden sie dazu sagen , wenn sie gleich auf dem er- sten Blatte des Buches als viertes Slotto folgendes mit der Unterzeich- nung * Goethe' finden?

*Wie? Gymnasien nennen die jetzigen Menschen die Stätten, Wo die Jugend versitzt, ach, wo der Körper verdirbt;

Den Ort, wo er würde geübt, bezeichnet der Name.

Bei den Hellenen war That, aber wir roden davon.'

*) Gymnasialpaedagogik. Die Naturgesetze der Erziehung und des Unterrichts in humanistischen und realistischen gelehrten Schulen. Von Br Karl Schmidt. Köthen 1857. 8. 282 8.

Sclunidl and Thaalow: GyniitfialiMiedtgogik. 497

Ist 68 nicht unbillig, den greisen Dichter dieser Zeilen, König Ludwig von Baiern, so der Autorschaft eines seiner gelungensten Bpigramne zu berauben und dabei noch wo möglich durch ^geübt' statt ^geabet' den Vers zu verschlechtern? Diese Verwechslang ist freilich eine Aeuszerlichkeit, aber eine fatale, doppelt fatal, wie ge* sagt, in einem für Gymnasiallehrer bestimmten Buche!

In der Vorrede erklart Schmidt, seine Gymnasialpaedagogik solle ein Beitrag zur naturgemaszen , d. i. zu der aaf das Wesen und die Natur der Menschen gegründeten Erziehung sein. *Sie mnste demnach anf die Natur des Menschen gebaut werden. Da jedoch die Psycho- logen, deren Vorwurf die Natur und das Wesen des Menschen resp. des menschlichen Geistes ist, nicht in Naturbeobachtung, sondern ein- seitig in Selbstbeobachtung allein ihr Ziel zu erreichen glaubten und deshalb so verschiedene Psychologien aufstellten als sie selbst geistig ▼erschieden organisiert waren, muste sie die Hauptgrundsälze der Psychologie selbst in sich aufnehmen.'

Heiszt dies etwa , da sich doch jeder seine eigene Psychologie mache, so wolle auch Schmidt dasselbe thun? Nein, der Anspruch geht offenbar weiter. Lesen wir doch schon auf dem Titel unseres Werkes, dasz es die ^Naturgesetze der Erziehung' usw. enthalte. An die Stelle des subjectiven soll hier ein objectives , an die Stelle der WillkOr etwas allgemein gültiges treten; denn das müssen doch wol Naturgesetze sein, wenn sie überhaupt etwas sind. WiV sehen, der Verfasser hat etwas mitbekommen von der Ansicht, die jetzt gleich- sam in der Luft sich verbreitet, dasz die Psychologie eine Naturwissen- schaft werden müsse; Davon aber scheint der Verfasser gar nichts zn ahnen, dasz dies Streben, mit dem er sich so einsam wfihnt, recht ei- gentlich gegenwärtig das Streben der Zeit unter den Pachgenossen ist; dasz allein das vergangene Decennium mindestens zehn dicke Bande von philosophischen und medicinischen Autoritäten geliefert hat, die alle an demselben Strange ziehen, die alle die Psychologie, freilich nicht so leichten Kaufs als Schmidt, zur Naturwissenschaft erheben, wollen, und von denen ein groszer Theil*weit entfernt davon ist, ein- seitig von Selbstbeobachtung auszugehen. In der That, als Schmidt jene anmaszenden Zeilen schrieb, musz er nichts gewust haben von Waitz, von Lotze, Fichte, Drobisch, Portlage, Volkmann, Lazarus, Jessen, Schultz -Schultzenstein, Domrich und anderen. Alle diese Männer arbeiten mit mehr oder minder Glück an dem groszen Problem, ohne sich freilich einzubilden mit seiner Lösung fertig zu sein. Schmidt allein kam, sah nicht und siegte. Und zwar aliud agendo, so ganz beiläufig, während er eine Gymnasialpaedagogik schrieb, erhaschte er jm Fluge auch die wahren Principien der Psychologie. Und was ist nnn diese psychologische Weisheit? Phrenologischer Unsinn ist der Kern des ganzen. Bekanntlich veröffentlichte Gustav Scheve, der wandernde Schädeldeuter, im Jahre 1855 eine Broschüre des Titels: *die Naturgesetze der Erziehung und des Unterrichts.' Die ominöse Wiederholung dieser Worte auf dem Titel unserer Gymnasialpaeda-

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gogik ist nicht zufällig. Man liest auf S. 99 unseres Werkes : *Qaan- titativ wird die geistige Individualität durch die verschiedene Grösse der einzelnen Geistes vermögen bestimmt. Der Geist ist ein Organismus von verschiedenen, von einander unabhängi- gen, aber sich unter einander bedingenden Vermögen, die als ursprang- liehe, angeborene Anlagen durch die Wechselwirkung mit der Welt zur Entfaltung und Entwicklung gelangen.' Und auf S. 105 kommen sie alle, die Kinder der Phrenologie: ^Verwandte Vermögen stärken, entgegengesetzte schwächen sich. Verwandt sind mit einander: Kin- derliebe mit Wol wollen und mit Anhänglichkeit, Bekämpfungstrieb mit Zerstörungstrieb und mit Festigkeit, Hoffnung mit Erwerbtrieb' Qsw. usw. Schmidt ist ein in den Naturwissenschaften bewanderter Mann und leider ein rechtes Beispiel dafür, dasz auch diese nur den recht bilden, der an der Hand einer erbarmungslosen Methode erst mit seinen Grillen und Vorurteilen sterben lernt, ehe das richtige Leben beginnen kann. Unsere Phrenologie ist nicht anders auf Erfahrung und Beobachtung gegründet als die Astrologie und Chiromantie nebst der Chirogrammatomantie der illustrierten Zeitung. Doch darüber an die- ser Stelle kein Wort weiter! Zur Charakterisierung des spielenden Tones, in dem hier Psychologie getrieben wird, wollen wir nur noch die Lehre von den Temperamenten, die sich auf S. 98 findet, erwähnen. Hier heiszt es : ^ Der Sanguiniker ist leicht beweglich, reizbar, ober- flächlich und flüchtig, flatterhaft und wankelmütig der Augenmensch. Der Afrikaner der Franzose das Kind der Affe = Sangui- niker. Der Choleriker ist lebendig und beharrlich , entschlossen nnd kräftig, leidenschaftlich und rastlos thätig der Geruchsmensch, wenn Geruch specifische Verwandtschaft mit Scharfsinn hat. Der Spa- nier und Italiener das Raubthier usw. der Mann = Choleriker. Der Melancholiker ist beharrlich und nachdrucksvoll , ernst nnd einsam, ausdauernd nnd tieffassend der Gehörmensch. Der Mon- gole und der Deutsche der Jüngling das Nagethier = Melan- choliker. Der Phlegmatiker ist der personificierte geistige Ma- terialismus, ohne grosze Sinnes- und Triebesstrebung, schwerfällig und langweilig, eintönig und einförmig, auch geistig ^mit Reserve' sich bewegend der Geschmacksmensch. Der Holländer der Greis der Wiederkäuer = Phlegmatiker.'

Mit diesen traurigen Elementen unseres Buches stimmt nun auch trefflich die durchgeführte Allegorie von der Lehre als der Nahrung des Geistes, bei der auch die ^Geistesküche' und die * Di- gestionskraft des Geistes' (S. 111) nicht fehlen. Wie eine Schmarotzerpflanze durchrankt diese Allegorie den ganzen Bau des Buches, dringt in die Schematisierung des Stoffes bestimmend ein und verdirbt manchen an sich brauchbaren Gedanken. An manchen Stellen weisz man wirklich nicht, ob man glatten Materialismus vor sich hat oder ausschweifenden Bilderdienst.

Was nun die Tendenz des Buches betrifft, das Ideal von Gym- nasium, welches dem Verfasser vorschwebt, so wird man mandies

^ Schmidt and Thaulow : Gymnasialpaedalfogik. 400

Kapitel lesen können, ohne zu ahnen, dasz überhaupt von Gymnasien die Rede ist; wo aber auch dieses Wort speciell gebraucht wird, kommt doch nichts weniger in Betracht als die historisch gegebenen Verhältnisse der bestimmten Art von Schulen, die man in Deutschland mit diesem Namen bezeichnet. Es wird vollkommen radical construiert, and darin müssen wir wenigstens den Verfasser loben , dasz er dabei auch wirklich auf etwas radical neues kommt; denn das scheint uns aach: wenn man ohne irgend ein Vorbild Gymnasien erfinden sollte, man würde schwerlich auf unsere heutigen Anstalten dieses Namens verfallen.

Schmidt definiert das Gymnasium als ^die Schule für denjenigen Theil der Nation, der durch Kenntnis und Handhabung der Menschheits- gesetze wortführend und leitend in die Entwicklung des Staates oder darch Kenntnis lud Handhabung der Naturgesetze in die Weilerent- wicklung des prActischen Lebens eingreifen will'; er bezeichnet es ferner als ^Vorbereitungsschule zum selbstbewusten kennen und kön- nen'; es soll ^Licht im denken, Warme im fühlen und Begeisterung tur That im Dienste göttlicher Wahrheit, Freiheit und Liebe erwecken, and zwar so weit erwecken, dasz der Zögling, den es entläszt, selbst- bewost in der Wissenschaft als solcher oder in ihrer Anwendung aufs Leben zu arbeiten , vernünftig im Gefühl die höchsten Lebensideen zu ergreifen nnd selbstthätig im wollen und thun religiös-sittliches Leben zur Darstellung zu bringen vermag' (S. 27). Das Gymnasium hat drei Hauptnahrungsmittel, Gott, Natur und Mensch, denen drei Hauptwissen^ Schäften, die der Religion, der Natur und der Geschichte entsprechen. In diesen dreien soll nun wieder je ein concreter und ein abstracter Zweig sein, und die Vorliebe für solches schematisieren, bei dem alles in krystallinischer Regelmäszigkeit sich entspricht, führt auf die sonderbare Zusammenstellung der Mathematik, Grammatik und Dog- matik als der abstracten, logischen, systematischen Glieder neben Na- turwissenschaft , Geschichte und Religion als den concreten Zweigen. Allein in der Weise, in welcher die Mathematik abstract, logisch und systematisch ist, gibt es nichts paralleles zu ihr, wenn dies nicht etwa die fein formale Logik sein sollte. Die Grammatik ist freilich in un- sern Schulbüchern sehr systematisch , wenn auch nicht immer lo- gisch. Die Grammatik als Wissenschaft ist ein unfertiges Gebäude nach Znsammenhang strebender positiver Kenntnisse, das sich kaum, je nachdem es dem linguistischen oder dem philologischen Zweige an- gehört, vom Wesen der Naturwissenschaften oder der Geschichtswis- senschaften trenndn läszt. Wie endlich die Dogmatik in diese Parallele kommt, ist am schwersten einzusehen, da doch die Dogmen in der Re- ligion nicht die Stellung einer Methode, sondern die der Thatsachen einnehmen. Da wir nun die Nahrungsmittel kennen, so ergibt sich auch die Verwendung: derselben , wie es bei solchen Constructionen immer geht, aufs schönste von selbst: ^Die bestimmte Quantität der Nahrungsmittel musz zu jeder Zeit nach der Grösze, Stärke und Kräf- tigkeit der Organe, welche die Nahrung verdauen und zu Geistesblut

Pf. Jahrb. f. Phil. u. Paed. Bd LXXVIII. Hfl lo. 34

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yerarbeiten sollen , berechnet werden.' ... * Welches Nahrungsmitlol endlich bei dem einzelnen für immer vorwiegend geboten werden soll, wird von den individuellen Anlagen desselben bestimmt', oder wie der Sachverhalt noch deutlicher ausgedrückt wird : *Der verschiedene Be* ruf in der Kaste der zum wissen praedestinierten wird durch die ver- schieden machtigen Denkvermögen bestimmt.^ Es wird nun der Unter- schied zwischen harmonischer und uniformer Ausbildung der Anlagen zum Theil ganz treffend nachgewiesen, und daraus abgeleitet, dasz *gegen das Ende des zweiten Kindheitsalters, im 14n Lebensjahre, eine Gliederung des ^inen Gymnasiums in zwei Zweige eintreten mOsse, deren einer mehr die Natur, der andere mehr die Geschichte pflegt, während die Religion beiden gemeinsam bleibt. Die Bedeutung dieser Einrichtung besteht darin , dasz in ihr der Streit zwischen den hnna- ttistischen und den realistischen Anstalten thatsächlie^^anfgehoben nnd beiden streitenden Richtungen gleichmSszig zu ihrem Rechte verhol- fen wird. Leider besteht aber das meiste , was uns über die Einheit und Einigkeit des humanistischen und realistischen Gymnasiums gesagt wird, in schönen Redensarten, die nichts beweisen. Das einzige reelle Element dieser Einheit, auf das somit der ganze Nachdruck dieser Con- structionen fällt, ist die gemeinsame Unterlage, der einheitliche Stamm jener beiden getrennten Zweige: das Elementargymnasi um ond das Progymnasium. Da das Elementargymnasium mit fünfjährigen Kindern beginnt, so umfaszt also unser Buch unter dem Namen einer Gymnasialpaedagogik im Grunde die gesamte Schulpaedagogik and schweift dabei noch sehr beträchtlich auch in das Gebiet derTamilien- erziehung hinüber. Unter den Lehrgegenständen für die fünf- bis sechs- jährigen Gymnasiasten werden auch 6 halbe Stunden wöchentlich für ^zeichnen, ausschneiden, Gesang' usw. aufgeführt. Der eigentliche Grundgedanke des ganzen Systemes steckt jedoch in der EinrichUiDg des Progymnasiums.

Das humanistische Gymnasium, oder sagen wir lieber nach ge- wöhnlichem Sprachgebrauch schlechthin das Gymnasium, hat durch seine Begründung auf die altklassischen Sprachen eine so darchaus eigcnthümliche ideale Anlage, es steht den so vielfach sich zersplit- ternden praktischen Interessen der Gegenwart dermaszen fremd gegen- über, dasz die wahre Vermittlung zwischen Humanismus und Realis- mus wol nur in möglichst scharfer Trennung ihrer Gebiete liegt, wie die Trennung von Wasser und Land eine bessere Harmonie bringt als ein Sumpf, der beides vereinigt. Wir reden hier natürlich nicht von demjenigen Realismus, der innerhalb der Alterthumsstudien selbst, als Gegensatz gegen den Pormalismus, die Bedeutung des geschichtlichen, philosophischen nnd künstlerischen Inhaltes des antiken Geisteslebens in den Vordergrund stellt '^); wir meinen den Realismus, der im In-

*) Es dürfte gerathener sein, obwol auch nicht ohne Uebelstiinde, in dieser Bedeutung nicht von Bcalismus, sondern von Materialis- mus zu sprechen. Die Zweideutigkeit^ welche dieser Ausdruck mit sich bringt, klingt zwar schlimmer, ist aber auch leichter bemerkt und daher

Sclmiidl and Thaulow : Gymnasialpaedij^ogik. 501

teresse der directen Nutzbarkeit für das Leben einen Markt von Kennt- nisaen verlangt. Da das Bedürfnis eines solchen Marktes für praktische Kenntnisse bereits seit dem siebzehnten Jahrhunderte sich in berech- tigter Weise gellend machte, während es doch dem Zeitalter an' Ge- staltungskraft fehlte, um ihm in eigenthflmllcher Weise zu genügen, so ist gerade jene Invasion. der Realien in iie Gymnasien erfolgt, die man jetzt vielfach als eine Krankheit dieser Anstalten betrachtet und unter dem Feldgeschrei nach Concentration des Unterrichtes bekämpft. Es entstanden zugleich sisit der Mitte des vorigen Jahrhundertes die höhe- ren Bürgerschulen, die unter dem assimilierenden Einflüsse der Gym- nasial ein rieh tu ngen zu keiner Consequenz eines wahrhaft eigenthüm- lichen Princips gelangen konnten und noch jetzt zwischen idealer und Qtilistischer Richtung schwanken oder vielmehr auf beiden Seiten hin- ken. Es entstanden und entstehen zahllose Privatanstalten, die das utilistische Princip schon reiner darstellen, ohne doch zur allgemeinen Lösung der Frage viel beitragen zu können. Aus der falschen Parallele zwischen humanistischen und realistischen Schulen ergab sieh für die ersteren ein falscher Maszstab. Namentlich war es die überm&szige Verausgabung von Zeit und Mühe für das Lateinische , die nicht mehr rentabel , also auch unverantwortlich erschien. Dagegen erhoben sich mit den Realien im Bunde die neueren Sprachen. In der sächsischen Reformbewegung von 1847 und 1848 culminierte die Hitze dieses Con- flictes, bis endlich verkündet werden konnte: ^Unser Schluszbericht hat dieses Problem noch vor der Revolution gelöst: nicht mit den alten, sondern mit den n e u en Sprachen musz begon- nen werden.'^) Der damals ausgeheckte Gymnasialplan ist ein wahres Muster von dem, was wir jetzt nicht wollen, namentlich anch hinsichtlich der Zersplitterung der Lehrstunden. Das Lateinische tritt dort erst mit Quarta, das Griechische mit Tertia ein, während in Sexta das Französische mit acht wöchentlichen Stunden sich breit macht und in Quinta mit sechs das Englische einsetzt. Offenbar würde der echte Gymnasiallehrer, dem man eine solche Einrichtung aufzwänge, jene Sexta und Quinta als ein ziemlich indifferentes Vorwerk betrach- ten und das eigentliche Gymnasium erst in den vier oberen Klassen erblicken, die immerhin nach jenem Plane noch einen stattlichen Cursus von sieben Jahren umfassen. Wer einmal diese Bahn betritt, handelt nur consequent, wenn er auch noch das Englische vor das Französische setzt. Man hat alsdann den Stufengang vom naher liegenden zum fer- neren rein durchgeführt und selbst die übliche Anordnung, nach der das Lateinische vor dem Griechischen steht, die bekanntlich vielfach angefochten und auch von Thaulow in seiner Gymnasialpaedagogik ab-

unschädlicher als die des Ausdruckes ^Kealismus'. Letzteren brauchen wir hier stets in Beziehung auf die sogenannten Bealien, die Unterrichts« gegenstände der Healscbulen. Dagegen möge dem FormalpriDcip das Materialprincip in Beziehung anf die Behandlung jedes einzelnen Unter- richtsgegenstandes gegenüberstehen. *) Köchlj, verm. Bl. b. Oymna- sialref. U u. UL Vorw. S. VII.

34*

502 Sohmid) und Tbaulow : Gymnasialpaedagogik«

geändert wird, gewinnt dadorch einen neuen Sinn. Auf diesen Grand- satz stützt sich die Einrichtung des seit 1849 in Leipzig bestehenden modernen Gesamtgymnasiums, in welchem auf die Elementarschule su- nächst eine deutsche Schule folgt, dann eine englische, darauf eine französische und endlich die parallelen Anstalten: das Realgymnasiamr und das gelehrte Gymnasium. Schmidt bemerkt (S. 254) ausdrücklicb, dasz der Lehrplan jener Anstalt dem seinigen am verwandtesten sei. Schmidts Progymnasium hat übrigens nicht weniger als zwölf Klassen, s^ehn halbjährige und zwei einjährige ; es umfaszi also sieben Lebens- jahre, von denen die beiden ersten das Deutsche mit je 8 Stunden vor- walten lassen , die beiden folgenden das Englische mit je 10 Stunden einführen und fortsetzen*. Darauf tritt mit ebenfalls 10 Stunden ab vorwaltender Gegenstand das Französische ein und in den beiden leli^ ten Cursen das Lateinische, das aber nur je 6 Stunden auf sich ver- einigt. Wir möchleu nun wissen, wo hier jene viel gerühmte Aus- gleichung und Einigung des humanistischen und realistischen Princips stecken soll? Von der Eigcnthumlichkeil des Gymnasiums finden wir hier nichts mehr, als dasz überhaupt eine Sprache in den Mittelpunkt der Studien gestellt wird. Ein Einigungspunkt wäre hier nur gegeben, M'enn man sich auf den abstractesten^ formalistischen Standpunkt der Kraftentwicklung stellte; soll aber die Sprache, sollen namentlich die alten Sprachen in das Verständnis der entsprechenden Cnltur einfuh- ren und Mittel und Weg (ur Erschaffung 'der groszen Vorbedingungen unserer geistigen Existenz in ihren edelsten und schönsten Zügen auf- schlieszen, so stehen jene breiten Massen von jahrelangem betreiben des Englischen und des Französischen in sämtlichen Kernstunden des Tages nicht als Vorbereitung zum klassischen Studium da, sondern als ganz fremde Elemente. Wir können sagen als feindliche Elemente. Das ganze Leben des klassischen Alterthums ist ein nationales. Unsere eigene Erneuerung nationalen Lebens hat das Feuer ihrer Begeisterung in den edelsten Führern des deutschen Volkes an dem Feuer der Grie- chen und der Römer entzündet. Und das konnte geschehen, weil das Leben jener Nationen abgeschlossen ist und uns auf praktischem Ge- biete fern liegt. Griechen und Römer sind nicht unsere Concurrenien. Das sind die Engländer und Franzosen doch. Sollen unsere Knaben etwa mit dem Geistesnahrungsmittel der englischen Sprache auch den unerträglichen Egoismus, und Hochmut der englischen Nation als allein berechtigt anbeten lernen? Sollen sie sich an der Marseillaise be- geistern oder an imperialistischen Hochgedanken zum erstenmal einen lebendigeren Schlag des jungen Herzens für grosze und weltbewegende Ideen spüren? 0 nein, das hat Schmidt nicht gewollt, daran hat er nicht gedacht! Sie sollen die Sprachen lernen, die reichen Schätze der Litte ratur sollen ihnen zugänglich werden. Allein wir fragen, was hülfe es ihnen, wenn sie die Schütze der ganzen Weltlitteratur ge- wönnen und nähmen Schaden an ihrem Charakter? Zehn Stunden wö- chentlich sind kein Kinderspiel, und es gibt keinen Gewinn, der nicht bezahlt würde, keine Lichtseite, der nicht ein Schatten entspräche.

Schmidt and Thaulow : Gymnasialpaedagogik. 503

Schmidt, der in seinem gemütliohea, phantasievollen Oplimi^miis von Schattenseiten sich bei seinen schönen Kartenliäusern nichts träumen läszt, der die widersprechendsten Vorzüge auf dem Papier zu gleicher Zeit zu erreichen weisz und fast in jeder Zeile dreimal das unmög- liche leistet, wird schwerlich zu der Einsicht der directen Gefähr- lichkeit seiner Plane gelangen; wir wollen sie aber augedeutet ha- ben. Zu den Unmöglichkeiten dürfen wir dreist auch die Leistungen rechnen, welche dem humanistischen Obergymnasium vorbehalten sind, dem einzigen Theile der Schmidt^schen Phantasieanstalt, dem wir den Mameo eines Gymnasiums zugestehen möchten. Für dieses Obergym- nasium sind im ganzen noch vier Jahrescurse übrig. In diesen ist das Griechische mit zweimal 7 und zweimal 6 Stunden zu beginnen und zu vollenden. Und dabei auszert Schmidt auf S. 178: ^Das wäre ein schlechtes humanistisches Gymnasium , das einen seiner Zöglinge für >eif' erklären könnte, der nicht in die hauptsächlichsten griechischen Kunstwerke eingedrungen und Homers Iliade und Odyssee, so wie mehrere Tragoedien von Sophokles und von Plato die- jenigen Werke, aus denen das göttliche Bild desSokra- ies herauslouchtet, gelesen hätte und damit in die Welt der Ideuo eingeführt wäre , durch die ihm der Gehalt seines eigenen idealen Le- beas offenbar werden musz. Das Griechisehschreiben soll in Einübung der Grammatik, so wie im variieren, excerpie- ren und concentrieren des gelesenen bestehen, um dadurch in den Geist des griechischen denkens einzudringen.' Ihiezu wird F. A. Wolf citiert, der aber freiUch nur von ExempIiGcalion der Grammatik in Tertia und Secunda spricht. Bekanntlich brauchen wir in Sachsen und Preuszen mindestens um die Hälfte mehr Stunden, um es schliesziich daliin zu bringen, dasz unsere Schüler mit einigem Ge- nusz die leichteren Schriften von Plato und die eine oder andere so- phokleische Tragoedie lesen. Griechische Scripta sind in Preuszen neuerdings eingeführt. Ihr Nutzeu ist qualitativ ebenso unverkennbar als ihr Schaden, der in der Verkürzung der ohnehin knapp gemcsseueu Zeit für die Leetüre besteht; wir hoffen, dasz ersterer sich bei genü- gender Erfahrung als überwiegend erweisen möge; sollten unsere Schüler aber auch noch mit variieren , excerpieren und concentrieren des gelesenen sich befassen , so möchte noch mancher Lehrer mit sei- nem Sophokles schliesziich arg ins Gedränge kommen oder nach mehr Stunden seufzen. Doch Kritik rentiert sich hier kaum; wir wollen nor noch kurz berichten , dasz der Verfasser (nach S. 176) auch das Lateinschreiben und das Lateinsprechen beibehalten will, und zwar bei sechsjährigem Cursus zu 4mal 6 und 2mal 7 Stunden, während er doch zugleich wesentlich der materialen Richtung huldigt und das Haupt- gewicht allenthalben auf das erfassen des Geistes der Alten und das eindringen in den Inhalt ihrer Schriften legt, mit einem Worte: auf die' culturgeschichtliche Seite der Alterthumsstudien. Was die Me- thodik betrifft , so wird im Anschlüsse an Döderlein (S. 239 f.) für allen Sprachunterricht ein besonderes Gewicht gelegt auf Wörterleruen.

504 Schmidt and Thanlow : Gymnasialpaedagogik.

Das wäre wieder nicht übel, aber jeder Lehrer, der das g'etrieben haf, wird wissen, dasz es wenigstens keine Sehne Ilmethode ist, und wenft Schmidt (S. 240) daneben anch gleichzeitig Interlinear - Uebersetsnn- gen verlangt, deren Hauptbedeutung gerade darin besteht, dasz sie die Vocabeln aus der Sprache statt die Sprache aus den Voca bell hervorgehen lassen dann wissen wir wirklich nicht mehr, was wir ZV solcher Methodik sagen sollen. Wir sehen einen Kreisel mit den glänzendsten Farbenradien : kein Conplement ist vergessen : nnn tanze der Kreisel, so haben wir aschgrau. Man wird sich nach diesen Ober folgende Stelle, die das Ziel des Geschichtsunterrichtes auf Gymnasien bezeichnet , nicht mehr zu sehr wundern : -

^Eine Uebersicht über d^e allgemeine Geschichte, die zugleich ein Einblick in die Gesetze des Menschengeistes ist , in der die Entwick- lung der Menschheit als ein alle Zufälligkeiten von sich ansschlieazen- d\e8 organisches gans^ erscheint und die nicht nach ausspeculierten hineingetragenen Principien constrniert wird, sondern aus dem that- sächlichen Stoff der Geschichte heraus die weltgeschichtliche Entfal- tung der Menschheit nachweist, beschlieszt den Geschichtscursus des Gymnasiums und ist für den Gymnasiasten zugleich ein Unterricht in der Politik, indem er im Griecheiithum die. individuelle Lebendigkeit des Staatslcbens , dem der objective Hintergrund fehlt, im römischen Staate die objective Gestaltung und Entwicklung mit Vernichtung de? Individnalität, bei den Romanen die Centralisation und bei den Germa- nen Se Individualisierung des Staatsorganismus findet, des Staates, ^er nur dann wahrhaft organisch sich entwickelt, wann er ein Abbild der Natur, ein Abbild des Nenschenorganismus ist, der eben so wenig als das einzelne Individuum nach einem abstracten Ideale vorwärtsgeht, dem sich aber das Individuum zu unterwerfen bat, weil ihm in den Staatsgesetzen seine eigenen Wesensgesetze entgegentreten' (S.2d2f.).

Diese Stelle gehört nicht zu den excentrischen; sie ist vielmehr bezeichnend fär den mittleren Ton des Buches. Wer freilich gewohnt ist zu lesen um etwas zu lernen, das sich im einzelnen jils probehaltig erweisen möchte, für den sind solche Sätze sinnlose Declamationen; ganz anders aber sieht sie der, dem es gelingt in sQszem vergessen der Kritik dem Gesamteindruck rauschender Phrasen und hoher Ge- danken sich hinzugeben, um sein eignes denken an irgend einem der manichfachen Anklänge zu erfrischen , seinen Mut zu beleben und sich von der gehobenen Stimmnng des Autors anstecken und electrisieren zu lassen. Man darf in dieser Hinsicht nicht gar zu streng sein. Man- chen ist ein solcher kleiner Rausch Bedürfnis und eine wirkliche Er- quickung, die ihrer Praxis wieder zu Gute kommt; wer die Menschen beobachtet wird finden, dasz es dabei auf den verstandesmäszigen In- halt sehr wenig ankommt. So zweifeln wir nicht, dasz auch Schmidts Buch manchem Leser willkommen sein werde. Wir rufen ihnen gerne ein prosit zu, können aber kaum erwarten, dasz sich aus der nüchter- nen und besser geschulten Mehrzahl der jungen Gymnasiallehrer man- Mcher anter ihnen befinden werde.

Scbmidt und Thaulow : GymuasialpaeJagogik. 505

Ein ganz anderes Bild eröffnet sich, indem wir uns zu Thaulow und seiner Gymnasialpaedagogik wenden. Der Philosoph ist ohne Zwei- fel praktischer als der praktische Schulmann, nicht nur weil er we- ■iger auf dem Ocean i%r Phantasie umherschweift, wo keine Erfahrung Mehr dem spähenden Auge Ankergrund zeigt, weil er sich enger awr den thalsachlichen Zustand unserer Gymnasien anschlieszt und die Wirklichkeit, wenn auch auf Umwegen, zu ihrem Hechte kommen lüszt, sondern namentlich auch deshalb, weil seine Constructionen, •tatt wie bei Schmidt in tausend Farben zu schillern, eine feste Kich- tang haben und halten und mit der Durchführung eines Frincips Ernst machen. Thaulows Buch hat schon deswegen einen bleibenden Wertb, weil es bei seiner couseqnenten Durchfuhrung IlegePscher Methode zu- gleich eine nicht unbedeutende Ergänzung zu dem Systeme des groszen Metaphysikers nachträgt. ,Dasz dies gerade in eine Zeit fällt, in der die langjährigen Tauschungen über den wahren Charakter des HegeP- gehen Systemes dem verschwinden nahe sind, ist für Thaulows Gym- nasialpaedagogik so ungünstig wie für manche seiner früheren Arbei- ten, ohne uns deshalb zu einem geringschätzigen Urteil Über den inne- ren Werth des Buches zu berechtigen. Es ist uns daher eine wahre Herzenssache hier ülTentlich gegen die Leichtfertigkeit zu protestieren, in der das Buch, von dem wir reden, inZarnckes litterarischem Centralblatt abgemacht worden ist. Dieses Blatt, das bei aller Ungleichheit seiner Elle doch im ganzen wenigstens das Kriterium •eibständiger Wissonschaftlichkeit mit philologischer Schärfe anwen- det, liesz Körners Geschichte der Paedagogik mit einem wol- wollendcn Blicke passieren und fahrt dagegen über Thaulows Gym- oasialpaedagogik mit leidenschaftlichem Eifer los. Von einer eigent- lichen Vertheidigung Thaulows gegen die sinnlosen Invectiven des Kritikers im Centralblatle kann hier natürlich keine Rede sein; wir wfinschen nur, dasz ihm unser Protest gegen jene Behandlungsweise feiner Schrift um so mehr Genugthuung gebe, da er von einem ent- echiedenen Gegner der HegePschen Philosophie herrührt. Inwiefern «ch jener Protest gegen wegwerfende Urteile, jene relative Hoch- eeh&tzung Thaulows wie seines Meisters Hegel mit einer entschiede- oen Verwerfung der dialectischen Methode als einer Methode derSelbst- liaschung vereinige, das ist eine Frage, deren Beantwortung wir H ay m gegen Rosenkranz überlassen wollen; selbst auf eine principielle Erörterung des Wesens jener Methode können wir uns hier nicht ein- lassen.

Thaulow legt nicht nur die HegePsche Methode in ihrer ganzen Strenge seineu Constructionen zu Grunde: er trotzt auf sie. *Die Er- fahrung (§ 41) bringt es nie zum Zweckbegriff, unter welchem alles einzelne zu subsumieren allein das Wesen einer Wissenschaft aus- macht', . . . Vodurch 55) alllfth ein wissen wissen wird, ist der system.itische Zusammenhang.' *Auf diesen systematischen Zusauimen- Itai^ß ^6) ist der ganze Accent zu legen. Er bringt von selbst die dialectische Methode mit sich, d. h. die Ein- und Unterordnung jedes

506 Schmidt nnd Thaulow : Gymnasialpaedagogik.

einzelnen in seinen naturgemässen Zusammenhang innerhalb des gan- zen.' *Es gibt 58) keinen unwissenschaftlicheren Standpunkt als den, bei einem sporadischen wissen zu verharren.' ^Dgr Zweckbegriff 160) befreit von abstract allgemeinen Ansichten und subjecliven "Meinungen. Er ist die Natur der Sache selbst das darstellende Snbject, welches dem Zweckbegriff der Sache folgt, geht in die Sache anf.^ ^Da nach dem Begriff der Entwicklung jede Idee concret ist, so setzt sie ihre Momente durch sich selbst in die Erscheinung, ist erst durch die Totalitat ihrer Momente am Schlüsse ganz. DemgemSsz dul- det diejenige Methode , die nach dem Begriffe der Entwicklung ver- fährt, keine isolierte Betrachtung eines Moments, sondern verlangt, dasz man der Darstellung bis zum Schlüsse folge, um ein einzelnes in ihr richtig beurteilen zu können.'

In diesen Ausdrücken kann man einige^ Annäherung an Trendelen- burg wie anderwärts oft an Schleiermachor finden, sie geht aber nie über die feine Linie der strengsten HegePschen Orthodoxioi hinaus. Zu dieser zahlen wir es auch , wenn Thaulow in § 162 von der ^Thor- heit der Ansicht' spricht, ^dasz solche Methode etwas apartes, irgend eines einzelnen Menschen, etwa Hegels oder Fichtes sei.' Es ist eine der unentbehrlichsten und einfachsten Consequenzen des Hegerscheo Systems, zu fordern, dasz die dialectische Methode nicht nur allge- mein gültig, sondern auch allgemein wirklich sei, Mie Methode, die jeder Mensch in seinem Kopfe voründet, dasz, wenn dasjenige, was Gegenstand der Beurteilung ist, nichts zufälliges ist, es sich noth- wendig nach bestimmten Gesetzen aus sich selbst im Zusammenhang entwickeln musz.'

Thaulow gehört aber nicht nur durch diese äuszere Strenge in der Einhaltung der dialectischen Methode zu den gediegensten Anbin- gern Hegels, welche die Gegenwart noch aufzuweisen hat, sondern namentlich auch durch den Geist der Hingabe an das Objcct, des liebe- vollen, rastlosen Studiums der gegebenen Verhältnisse in ihrer ge- schichtlichen Entwicklung: ein Studium, dessen Resultate sich in der Ueberkleidung des begrifflichen Skeletts mit lebendigem Fleisch und Blut verrathen und belohnen. Können wir uns auch der Anschauung nicht erwehren, dasz aus den hier allenthalben durchblickenden histo« rischen, statistischen und litterarischer^Studien bei Befolgung eines po- sitiven und kritischen Ganges statt des speculativen eine ungleich be- deutendere Arbeit hätte erwachsen können, so müssen wir auch wieder einsehen, dasz ohne Tbaulows speculative Richtung auch seine that- sächlichen Studien ein Element, durch das er unsere Herbartiani- schen Paedagogiker weit überragt schwerlich entstanden sein wür^ den. In diesem Sinne glauben wir daher auch nicht einmal unbedingt den Standpunj^t des Verfassers zu negieren, wenn wir die einzelnen historischen, staatswissenschafllich^ und paedagogischen Sätze seines Buches im ausdrücklichen Widerspruch gegen seine Forderungen haupt- sächlich in Rücksicht auf ihren Werth an sich und nicht auf ihren Werth im System untersuchen. Wird er uns auch nicht zugeben, was wir

Schmidt und Thaulow : Gymnasialpaedagogik. 507

fealhalten , dasz die wahre Wissenschaftlichlieit gerade im behanpten der wie immer sporadischen Thatsache and in der ars nesciendi be- steht, die sich jeder erfahrungsfremden Construction gegenuberstelU: 80 wird er wenigstens das zugeben müssen, dasz die begrifflichen Cou- slructionen, worin auch immer ihr eigenthümlicher Werth erblickt wird, jedenfalls an den unverkennbaren Grundzugen der thatsächlichen Entwicklung ihr Regulativ haben.

Thaulows Motto ist das Wort des Wachtmeisters in Wallen^ Steins Lager:

^Das ist all recht gut,

Dasz jeder das seine bedenken thut; v

Aber, pflegt der Feldherr zu sagen,

Man musz immer das ganze überschlagen.' ' Es folgt eine Widmung an Dein bar dt, als Begründer der Gym- nasialpaedagogik, an Nitzsch als an einen befreundeten Philologen, der die paedagogische Bildung der Gymnasiallehrer zu schätzen weisz, an den Etatsrath Trede, den Inspector der Gelehrtenschulen in Hol- stein, an Karl von Raumer. Das Vorwort zeigt, wie nach Voll- endung der metaphysischen Grundlegung des HegePschen Systems die Ethik, als deren Begründer Schleiermacher gepriesen wird, hätte in den Vordergrund treten müssen, von der die Paedagogik wie die Po- litik abhänge. Es sei begreiflich, dasz die Paedagogik erst spät an die Reihe komme, allein manche Zeichen sprechen auch dafür, dasz der Zeitpunkt einer häufigeren Bearbeitung dieser Wissenschaft nicht mehr sehr fern liege. Das hier gebotene Buch sei aus dem praktischen Be- dürfnisse der Vorlesungen hervorgegangen, die früher 8 Stunden wö- chentlich (!) oder 4 Stunden wöchentlich zwei Semester hindurch (!) in Anspruch genommen hätten : ^Mehr als eine vierstündige Semester- vorlesung darf eine Vorlesung über Gymnasialpaedagogik nicht bean- spruchen und kann ein Docent nur mit Hülfe eines Handbuches diese Wissenschaft in 4 Stunden wöchentlich absolvieren, so musz er seinen Zohörern ein solches schaffen.' Der Vf. beklagt den Znstand unserer Univer^täten, diejmmer weniger im Stande seien, der Ausdehnung der Wissenschaften zu genügen, zum Theil, weil man sich nicht ent- sehliesze Lehrbücher einzuführen und den Vortrag danach einzurichten. In der Gymnasialpaedagogik könne etwas schlechthin befriedigendes förs erste noch gar nicht geleistet werden. *Er ist zufrieden, wenn Freunde und Gegner nur ein tüchtiges streben, Vollständigkeit der An- lage im ganzen, Gründlichkeit im einzelnen in dieser Arbeit anerken- nen werden.' ^Das einzige, was der Verfasser als der Aufgabe nach für ein unantastbares in Anspruch nimmt, ist der letzte Satz des vor- gestellten Moltos, die systematische, die das ganze in einem inneren Zusammenhange darstellende Fassung des Grundrisses, und zwar vor allem um seiner Zuhörer willen. Es setzt der Grundrisz wegen dieser seiner systematischen Form ein sehr anhaltendes und ernstes Studium voraus, worauf es bei akademischen Vorlesungefi vorzüg- lich, vielleicht einzig und allein ankommt.' Weiter kann

508 Schmidt and Thaulow : Gymnasialpaedagogik.

man den Formalismas nicht treiben als hier geschieht. Wenn dem Werth des Stoffes nichts mehr zukommen soll, so mögen wir immerhin wieder zar Scholastik zurückkehren. Die war doch noch vollstan- diger zum ganzen gefugt als irgend etwas , das selbst Hegels System bieten könnte!

^Was nun die allgemeine Richtung betrifft, die sich in diesem Grundrisse ausspricht, so berechtigen die beiden Gymnasialerlasae in «Preaszen vom 7. und 12. Januar 1856, welche den Normalplan für den Gymnasialunterricht vom 24. October 1837 und das Abiturientenprfl- fungsreglement vom 4. Juni 1834 so bedeutend modificieren, auszer so vielen sonstigen Stimmen bedenlender Gymnasiallehrer in letzterer Zeit zu der Annahme, dasz ein Werk, welches aus Sehnsucht nach Vereinfachung des Gymnasialunterrichtes geboren wurde , im Kreise der Gymnasiallehrer einige Freunde finden, nnd dasz einer, der Ge- dächtnis, Autorität und Glauben zum Frincip des Jagend- nnterrichtes und der Jugenderziehung macfit, das denken, die Frei- heit und das wissen (voriaig) in das reifere Jünglings- und in das Mannesalter verlegt, der* Tendenz nach einigen seiner Zeitgenossen nicht unwillkommen sein wird.' Wir fürchten dasz Thaulow in dieser Hoffnung sich tauscht, und dasz gerade die Zeitgenossen, auf welche man die Worte beziehen müste, am wenigsten Lust haben werden, ihre Operationen an die Geböude eines philosophischen Systems zu lehnen. Stichworle vereinigen, aber sie vereinigen doch nur die, welche wirk- lich auch innerlich zusammengehören. Was die prcuszischen Regula- tive vom 7. und 12. Januar betrifft, so suchen bekanntlich 3ie ver- schiedensten Parteien sich dieselben als ihres Geistes Kinder anzu- eignen. Vereinfachung oder Concentration des Unterrichts suchen in Hessen Thiersch und Waitz in der Verwerfung möglichst vieler Fächer, wahrend die prcuszischen Erlasse namentlich auf innere Harmonie der- selben hinweisen; diese fassen die Harmonie, aus welcher Concentra- tion der Wirkung hervorgeht, ausdrücklich in materieller Bedeutung, während bei Thaulow fast nur die formelle hervortritt. Diese nnd andere Differenzen scheinen so erheblich, dasz Thaulow, wenn er überhaupt auf eine Partei reflectieren wollte, was wol kaum seine Ab- sicht ist, weit besser Ihate, gegen den gegenwärtig allenthalben sich regenden paedagogischen Materialismus in bewuste Opposition zu tre- ten jmd die Trümmer der alten formalistischen Phalanx , durch selbst- geworbene Schüler verstärkt, aufs neue in den Kampf zu führen.

In einer 24 Seiten umfassenden Einleitung bespricht der Vf. Noth- wendigkeil und Wesen der Gymnasialpaedagogik: die Lehrer und ler- nenden dieser Wissenschaft, ihren Umfang, Gang, Eintbeilung und die Quellen. Obwol der Plan des Buches leider eigentliche Citate und ge- naue Litteraturnachweise als der mündlichen Erläuterung vorbehalten ausschlieszt, so ist doch der Abschnitt über die Quellen als eine ge- drängle Uehersicht des wichtigsten in freilich oft sehr kurzen Andeu- tungen zu empfehlen. Wir haben hier, wie in dem nächstfolgenden ^ersten Buche', das eine Ueborsicht über die Geschichte der Gymna*

Schmidt und Thaulow: Gymnasialpaedago^k. 509

sien entbilt, Proben der objectiven Studien Thaulows, die afts weit gediegener scheinen als die Art, in der in den 10 ersten Paragraphen des Baches eine ^erste allgemeine Orientierung' gegeben und sodann die Noth]^endigkeit der Gymnasialpaedagogik als Wissenschaft nach- gewiesen wird. Thaulow äuszert, dasz in der groszen Vertrautheit 3) ^^^ allgemeinen Bewustseins mit dem Gegenstande theilweise der Grund liege, weshalb eine Gymnasialpaedagogik als Wissenschaft Iflr selbiges eben nicht vorhanden ist. Einen erwünschteren Anlasz könnten wir nicht finden, um den Unterschied zwischen einer specula- tiven und einer positiven Wissenschaft in helles Licht treten zu sehen. Was ist dem allgemeinen Bewustsein vertrauter als der Ackerbau? Und doch genieszen alle Wissenschaften, die sich auf ihn beziehen, das gr&ste Ansehen. Warum? Weil derjenige, der sie studiert, eini- ges lernt und weisz, was andere nicht wissen. Nun koijrime ein Philo- soph und behaupte, dasz dies wissen gar kein wissen ist^dasz es erst ans einem Princip heraus erfaszt werden musz , dasz das einzige, was ans der Landwirthschaflslehre eine Wissenschaft machen könne, der ihDere systematische Zusammenhang sei; er suche den ZweckbegrifF der Landwirthschaft, entwickle ihn nach dialectischer Methode, lasse, ein Moment nach dem andern, die bekannten Dinge in einem unbekaftn- ten Zusammenhange auftreten: *wir glauben, es würden gar wenige fein, die nach diesem Werke Verlangen trügen, obschon es seinen Werth haben möchte. Umgekehrt liefere uns jemand ein Buch, aus dem wir erfahren, wie sich im Mittel die Gymnasialzeugnisse zu den Erfolgen des Lebens verhalten? Wie viel Procente derjenigen Staats- beamten und anderer Manner, die eine erfolgreiche Laufbahn gehabt haben, gute, wie viele schlechte Schüler waren? In welchen Graden ond Abstufungen? Ob und wie sich beim Durchschnitt ans gröszeren Zahlen die frühe Neigung für verschiedene Fächer geltend macht? Wie sich z. B. in der juristischen, wie in der theologischen Praxis der gute Mathematiker zum guten Philologen verhält? In welchem Ver- hältnis Neigungen zu diesem Mer jenem Fache im Verlauf der Gym- ■asialzeit constant bleiben oder zu wechseln pflegen? Ob der Unter- sehied stadiischer oder ländlicher Abkunft sich in solchen Neigungen verrfith und wie? Welches das mittlere Masz der Arreststrafen oder eingetragener Verweise in den unteren Klassen ist? Ob und wie die Jahreszeiten, Anfang und Ende des Cursus darauf einwirken? .Wie unsere Gymnasfhlschüler im Vergleich mit andern Ständen physisch wachsen? Ob und wie Schnelligkeit oder Verzögerung des Wachs- thoms auf die mitlleren Leistungen im Unterrichte einwirken? Man sieht, dasz sich hundcrt^ähnliche Fragen stellen lieszen, die alle einer zukünftigen Beantwortung harren. In einem Lande wie Preuszen, ja für manche Fragen schon in einer einzigen Provinz, au einer ein- zigen gröszeren Anstalt lieszen sich durch fortgesetzte Beobachtungen hinlänglich grosze Zahlen gewinnen, um ein Resultat ziehen zu dürfen. Doch wir wollen uns hier nicht in Empfehlung dessen, was sein sollte, rerlieren. Fingieren wir aber einmal, dasz es ein Buch gäbe, was

510 Schmidt und Thaulovv : Gymnasialpaedagogik.

freilich kein einzelner binnen Jahresfrist machen könnte, in dem alle jene Fragen auf Grund aktenmäs/jger Forschung und nach guter ala- tislischer Methode beantwortet wären, und dasz noch manches andere aus dieser Gattung mit schlechter aber übersichtlicher Anordnung dar- böte? Wo würde die Verachtung der Gymnasialpaedagogik noch sein? Weggeblasen ! Der eine oder andere Gymnasiallehrer würde sich frei- lich in dieses Buch nicht Gnden können; aber dus gebildete Publicun würde es lesen, Directoren und Schulralhe würden es sUdieren mAs- sen, und ein gewissenhafter Staatsminister könnte es nicht unterlasBea, vor der Unterzeichnung einer Verfügung, die in das Gymnasial wesai umgestaltend eingriffe, den Inhalt jenes Buches erst reiflich za beden- ken. So steht es nun nicht. Was wir bieten können, ist specalative Verarbeitung des bekannten, und für dieses Froduct ist und bleibt der Markt klein, wenig Nachfrage. Die wenigen, welche ein wahrhaftai Bedürfnis fühlen die Dinge einheitlich zu betrachten, sind meist aoch befähigt oder bilden sich wenigstens die Befähigung ein, diesem Be- dürfnis auf eigene Faust genügen zu können. Die Lage des philo- sophischen Marktes in Deutschland ist gegenwärtig wenigstens so be- schaffen, dasz die Zahl der Producenlen mit der der Consumenten so ziemlich gleich ist. Einen andern Grund, warum das allgemein« Bewustsein eine Gymnasialpaedagogik als Wissenschaft nicht kenne, findet der Vf. in dem Umstände, dasz sie bisher in den groszen Cyclu der Wissenschaften, welche in ihrer Totalität auf der Universität ihrea Sitz haben, nicht aufgenommen war. Wir brauchen kaum zq bemer- ken, dasz wir dies nicht so zu verstehen haben, als ob jene äussere Aufnahme allein solche Wunder wirken könne. Im Gegentheil könnte man da gerade die Paedagogik zum Beweise nehmen, dasz das nichti hilft. Schon in den ersten Dccennien des vorigen Jahrhunderts lai Professor Schmeitzcl in Halle paedagogische Collegia. Derselbe Schmeitzel las auch Statistik. Beide Wissenschaften sind seither ii einer sehr ähnlichen Stellung zu den Universitätswissenschaften ge- blieben, und dennoch wie verschiedM stehen sie in der ölTentlichei Achtung! Thaulow setzt natürlich bei der Aufnahme unter die Uni* vcrsitälsstudien auch die entsprechende Behandlungsweise voraus, and als solche musz ihm von seinem Standpunkte aus die speculative er- scheinen, um so mehr, da diese auch die einzige ist, die, in Preusien- wenifl^stens, durch § 20 des Reglements vom 20. April 1831 von allen Candidatcn des höheren Schulamtes mit welchem*ErfoIge ist be- kannt — gefordert wird. *

Die Nothweudigkeit des Studiums der Gymnasialpaedagogik leitet Thaulow zunächst aus der Thatsache ab, dasz durch die Mehrung der Fächer die Alleinherschaft der Philologie aufgehoben ist und nun um der Harmonie des ganzen willen der einzelne sich die Frage nach den Zweck seiner Thütigkeit stellen müsse. Auffallend ist die Wendnag des § 12: ^Die Regierungen, welche Realschulen und Realgymnasien errichtet haben, müsten consequentermaszen neben den philologischen Semiuarien, den früheren ausschlieszlichen Pflanzschulen für angehende

Schmidt und Thaalpw : Gymnasialpaedagogik. 511

GynDasiallehrer , jetzt auch mathematisch -naturwissenschaftliche Se« ninare für selbige errichten.' Dies ist ja in Preuszen, auf das Thaa- low sonst doch so viel als möglich Rücksicht nimmt, längst geschehen ! Mil Recht wird aber ein besonderes GewiclK daraufgelegt, dasz das Gymnasium nicht allein eine Unterrichts-, sondern auch eine Erzie- liBttgsanstaU ist. ^Denn 21) ein Blick auf unsere Zeit wird . . . zei- gen, dasz jetzt nicht so sehr Mangel am wissen unserer Gegenwart sam Vorwurf gemacht werden kann, als vielmehr Mangel an Adel, UBerschütterlichkeit und Energie der Charaktere.' Dasz die Gymna- tialpaedagogik Wissenschaft ist und nicht nur ein Complex von Win- ken, wird daraus gefolgert, dasz das Gymnasium selbst nichts zufalli- gee, sondern eine wirkliche Idee ist. Der Lehrer dieser Wissenschaft ioU wo möglich Director eines Gymnasiums gewesen sein, an ver- eohiedenen Anstalten gewirkt und die Einrichtungen verschiedener Linder kennen gelernt haben. Erfahrung könne nicht zu hoch ange- aohlagen werden, doch reiche sie nicht aus, weil sie es nie zum Zweck- begrilT bringe. Wer auch immer Gymnasialpaedagogik lehre, sei er Philolog wie Lübker und Kapp, sei er Mathematiker wie Deinhardt, oder Theolog oder Staatsmann immer würde er sie als Philosoph sehreiben und bei der Darstellung des ganzen weit über die Grenzen der Erfahrung hinausgehen. Der Umfang der Gymnasialpaedagogik wird als ein sehr groszer geschildert und von den Zuhörern wird sehen eine ziemliche Reife verlangt; am passendsten sei das drittletzte oder vorletzte Semester.

Das erste Buch, die ^Uebersicht über den Verlauf der Gymnasien Ten ihrer Entstehung bis auf den heutigen Tag' soll blos propaeden- titehen Charakter haben und 62) rein referierend verfahren. ^Wollte 08 Kritik üben, so setzte es schon Bekanntschaft mit der Gymnasial- paedagogik voraus und könnte höchstens ganz am Ende folgen.' Daraus sehen wir, dasz Thanlow unter Kritik hier die Richtung des guten und seblechten, wahren und falschen nach einem anderweitig gegebenen Princip versteht. Es gibt aber, abgesehen von der rein philologisch- historischen Kritik, welche die Glaubwürdigkeit der Thatsachen an sich sn prüfen hat, auch noch eine pragmatische, die nur durch Nachwei- sang der wahren Faden des causalen Zusammenhangs das bedeutende vom unbedeutenden, das heilsame vom verderblichen sondert und die wahren Grundsätze so aus den Thatsachen hervortreten laszt, statt sie in dieselben hineinzutragen. Eine kritische Geschichte des Gymnasial- wesens in diesem Sinne möchte wol mehr als propaedeutischen Werth haben; aber selbst was Thaulows Leistung betrifft, so glauben wir, dasz er sie zu gering anschlägt, wenn et dem ersten Buche im wesent- lichen nur die Aufgabe stellt, zur Forderung des zweiton zu treiben. Der Stil dieser Uebersicht ist besonders gedrängt, notizenhaft und oft in blosze Nomenclatur ausartend. Gerade dies mag seine praktische Brauchbarkeit als Grundlage bei Vorlesungen erhöhen, und wir sind überzeugt, dasz kein Zuhörer diesen Theil der Vorträge Thaulows ohne grossen Nutzen hören wird. Wir müssen darauf verzichten, eine ohne-

512 Schmidt und Tbaulow: Gymnasialpaedagogik.

hin so gedrängte Uebersicht im Auszöge mitzatheilen, and wollen an» daher auch nicht mit kleinen Ausstellungen , die sich hie nnd da «■- bringen lassen, aufhalten.

Das zweite Buch, die ^Grundlage des ganzen', spricht *aber Prineip und Bestimmung der Gymnasien.' Hat man sich ein für allemal bei Cob- structipnen a priori dahin beruhigt, dasz man gar nicht mehr den Mass- stab exacter Logik an sie anlegt und die Worte ^beweisen', ^aafwei- sen', ^nachweisen', ^folgen' usw. in einem ganz anderen als dem ge- wöhnlichen wissenschaftlichen Sinne auffaszt, so wird man aaeh ii diesem Buche viel gutes und treffendes , das an sich auch in einer ai- deren Form hätte gesagt werden können, vorfinden. Zwischen deo aieh bekämpfenden Ansichten, nach denen das Gymnasium entweder weseot- lich als Vorbereitungsschule zur Universität oder als selbständige Bil- dnngsschule gefaszt wird, steht der hier entwickelte Begriff, daas daf Gymnasium die Elementarschule des allgemeinen oder leitendeo Stas- des sei, in einer glücklichen Mitte. In der Hervorhebung der elemen- taren Natur des Gymnasiums liegt Überhaupt, wir möchten aagei der moralische Schwerpunkt des ganzen Buches. Seine Vorzüge wie aaiie Schwächen in praktischer' Hinsicht hängen mit diesem Punkte enge Uh aanimen, und wir dürfen wol behaupten, dasz in der klaren Uerao*» Stellung dieses Begriffes nnd seiner «Consequenzen Grand genug Uegt| um zu wünschen , dasz jeder Gymnasiallehrer das vorliegende Werk lesen möchte und dasz in der Subsumierung des Gymnasiums anter den Begriff der Elementarschule das passendste Stichwort für die niehsta Entwicklungsperiode dieser Schulen dürfte gefunden werden. Mil voll- kommenem Recht erklärt sich daher auch Tbaulow gegen die, übrigens auch (z. B. von Kapp) aus HegePschen Principien gefolgerte Dreithei- lung der Schulen nach den Stufen der Anschauung, Vorstellung and des Begriffes. Das Gymnasium. ist sogar in einem eminenteren Sinne Elemen- tarschule als die Bürgerschule oder selbst die Volksschule. ^Daria liegt 202) so wenig etwas kränkendes für das Gymnasiom, dus dies vielmehr seine grosze Würde vor den andern Schulen aosmacht; denn je gründlicher, tiefer nnd umfassender ein Fundament für ein Ge- bäude gelegt wird, um so mehr ist damit angekündigt, wie groai nnd erhaben das Gebäude selbst werden wird.' Durch eine besondere Er- klärung (§ 204) werden wir zugleich darüber beruhigt, dasa Thanlow den leitenden Stand, dessen Elementarschule das Gymnasium sein ioll, nicht mit dem auf Universitäten gebildeten Beamtenstande identifioiert: *Es gibt vielmehr innerhalb jedes einzelnen Standes leitende ; auf dem Lande , in den Gewerben , in der Industrie , in der Technik, Mechanik, im ZolU, im Post-, im Militärfach usw., überall gibt es leitende.' Wir sehen dasz Tbaulow, um mitLandfermann'^) zu reden, den ganzen ^christ- lichen Adel deutscher Nation' auf den Gymnasien versammeln will* Son- derbar ! Sollte man nicht glauben, dasz Thanlow aach mit Landfermana

*) Vgl. zum folgenden die bekannte Abhandlung: ^zur Revision des Lehrplans höherer Schalen' osw. in Mützells Zeitsclir. IX. Jahrg. Oetbr.

Schmidt und Thaalow: Gymnasialpaedagogik. 613

schlieszen mOste, dass es nur 6ine Art von höheren Schalen geben kann? Was ist einfacher als dies? Die Aufgabe, welche die leitenden als solche zu erfüllen haben, ist ein fflr allemal dieselbe. Aof den speciellen Beruf kann und soll die Elementarschule nicht vorbereiten. Also woher die Entzweiung? Oder will vielleicht auch Thaulow keine Zweiheit der Schulen für den leitenden Stand ? Der § 205 schlieszt ganz im Sinne Landfermanns und im Sinne von Thaulows eignen Prä- missen: ^Ein Gymnasium ist in seiner Wahrheit erfaszt immer zugleich anch eine Realschule.' Allein plötzlich werden wir in § 206 belehrt, dasz zu demselben Zweck verschiedene Mittel könnten verwendet wer- den, wie man die Welt sowol von Westen nach Osten als auch von Osten nach Westen umsegeln kann ein Vergleich, der jedenfalls nur sehr unvollkommen passt, da nach anderen Ausdrucken desselben Ab- schnitts es sich hier nicht am Verschiedenheit der Richtung oder An- ordnong der Studien, sondern um ein plus oder minus in der Verstir- kong jener gepriesenen elementaren Grundmauern handelt. Weder das eine noch das andere passt in die Construction und mit Verwunderung lesen wir: ^Wird uemlich statuiert, dasz die Realschule wie das Gym- nasium eine Vorbereitung auf den allgemeinen oder leitenden Stand sei, was gewis statuiert wird, sobald sie Zöglinge auf die verschiede- nen Akademien nnd höherenjl^hranslalten entläszt, so kann eine Be- schränkung . . . stattfinden' ., . So fährt hier die einfache That- sfichlichkeit der Realschulen wie eine Bombe mitten hinein in die Con- struction, die damit begonnen hatte in § 167 feierlichst zu erklären, dasz man von dem factischen Bestand der Schulen völlig absehen müsse! Wer hat also hier etwas zu statuieren, auszer dem Begriff selbst, der Idee, die ja alle ihre Momente aus sich setzen soll ? Sie hat uns keine Realschule gesetzt und sie hat wol daran gethan; weshalb nun eine ▼om Zaune brechen? Die Vermittlung dieses gewaltigen Sprunges liegt bei Thaulow einzig und allein in dem verfänglichen Satze, dass der Zweck aller Schulen derselbe sei. Hätte dieser Satz eine absolute GOltigkeit, so würde er ja auch den Unterschied zwischen Elementar- nnd Fachschulen, auf dem hier alles ruht, wieder aufheben. Ein ein- siger solcher Satz kann wie ein Schwamm , der über ein frisches Ge- mälde fährt, ein ganzes Kunstwerk verderben. Das sind die Gefahren der construierendcn Nelhode ! Wie ungleich sattelfester ist Landfer- mann, der seinen bekannten Aufsatz mit einer statistischen Notiz ein- leitet und überhaupt so viel als thunlich im Geiste der positiven Pae- dagogik verfährt! Es kann also auch nichts helfen, dasz Thaulow nns in $ 208 tröstet: S'ir werden bald die Zeit erleben, wo die Namen Realschule und Realgymnasium verschwinden und das Gymnasium, da es die Vorbereitung für alle Formen des leitenden Standes ist, durch eine Versöhnung der Gegensätze in sich selber den Kampf beseitigt.' Was heiszt Versöhnung der Gegensätze in sich selber? Der Ausdruck erinnert an Schmidt oder Hauschild; allein in deren Sinne kann es doch nicht gemeint sein, weil uns sonst Thaulow, sobald jene Versöhnung wirklich eintritt, eine ganz neue Gymnasialpaedagogik zu schreiben

5 14 Sebmidt aod Tiiaalow : Gymnasialpaedagogik.

halle: die jelzige ist einfacli die eines Gymnasiums, wenn anob in den Specialiläten, wie die späteren Bücher sie ausführen, nicht gerade das preuszische, hannoversche, sachsische oder irgend ein anderes bestehendes Gymnasium genau copiert ist.

Da wir es hier nur mit den Principien zu thnn haben, so könneo wir uns über ThaulQws vier folgende Bücher, welche die specielle Ent- wicklung des gewonnenen Begriffes enthalten, um so kürzer fassen.' Dieselben bedeutenden Vorzüge und dieselben Schattenseilen , die wir bereits kennen gelernt haben, finden sich allenthalben. Im bedenk- lichsten Lichte erscheint woi das aprioristische Verfahren im dritteo Buche, das von der Organisation der Gymnasien handelt. Hier beaiiflht sich der Vf. ein Gesetz für die Anzahl der in einem Lande zn errioh- tenden Gymnasien aus der Idee abzuleiten. Dies gelingt natürlich aach, wie denn noch nie der Versuch etwas aus einer Idee abzuleiten wegen Unthunlichkeit aufgegeben worden ist. Das Gesetz wird nach langen Vorbereitungen endlich in den §§ 224 226 ans Licht gestellt, und zwar mit solcher Sicherheit, dasz der Schluszsatz von § 225 einfaeh verfügt v^Die Staaten haben nach dieser Proportion Progymnasien und Gymnasien zu errichten.' Das Gesetz aber ist dies: in Ortschaflei von 2 3000 Seelen wird der Prediger, wenn keine Rectoratschale da ist, verpflichtet, lateinischen und griecUschen Unterricht zu geben. Eine Stadt von 6 10000 Einwohnern krimi auf ein Progymuasiam An- spruch machen, eine Stadt von 10 30000 auf ein volles Gymnasiam. Wir fragen nun billig , nach welchen Gesetzen ist diese Proportion aufgestellt? wie verhält sie sich zur Wirklichkeit? Bekanntlich ruhen die meisten bestehenden Gymnasien wenigstens in ihren Anfangen auf den verschiedenartigsten landesherrlichen, commuualen, kirchlichen und privaten Stiftungen und Schenkungen, bei denen im ganzen wenig nach der Grösze des betreffenden Ortes gefragt wurde. Vergleichen wir die von Brauns und Theobald aus den Jahren 1836 38 angeführ- ten preuszischen Gymnasien mit der damaligen Bevölkerung der be- treffenden Städte, so finden wir, dasz mehr als die Hälfte aller Gymnasien in Städten unter 10000 Einwohnern lag. Than- low hätte also damals seine Wünsche in dieser Hinsicht weit Qber- troGfen gesehen. Von dieser gröszeren Hälfte (60 gegen 52) lag aber sogar wieder die Hälfte in Städten unter 6000, die also, ohne aaoh nur Anspruch auf ein Progymnasium zu haben, doch ein volles Gymna- sium besaszen. Städte über 10000 Einwohner besasz Preuszen um jene Zeit, in die gerade auch Hoffmanns Werk über die Bevölkerung des preuszischen Staates (1839) fällt, überhaupt nur 44, von denen man zwar nach Thaulows Naszstab einige doppelt und dreifach zfihlen könnte, wobei man jedoch immer in Anschlug bringen musz, dasz, gröszere Städte auch gröszere Anstalten haben. Jedenfalls würde also auch im ganzen für solche Städte kein Mangel gewesen sein. Auszer einigen durchaus industriellen Städten der Ulieinprovinz war alles versehen. An Gymnasien also Ueborflnsz, groszcr Ueberflnss ! Wie steht es aber mit den Progymnasien? Die Hälfte der 59 Stidte

Sckmidt ond Tbaalow: Gymnasialpaedafirogik. 515

TOB 6000 10000 Einwohnern hatte nicht solche , sondern wirkliche «nd Yollstfindige Gymnasien ; die andere Hälfte hatte sich in 14 Pro- gymnasien mit den noch kleineren Städten zu theilen. Während nach Tbaulows Proportion in Prenszen und wol überhaopt in Deutsch- Und mindestens eben so riele Progymnasien da sein sollten als Gymnasien, waren damals achtmal mehr der letzteren. Seitdem hat iich freilich einiges geändert. Manche Städte sind bedeutend gröszer geworden, and diejenigen nachwachsenden kleineren Städte, welche ' ieitdem höhere Schulen errichtet haben, begnügten sich häufiger mit Progymnasien. Im Zuwachs der beiden letzten Decennien stehen sieb in der That beide Zahlen nahezu gleich ; allein was will dieser Zu- wachs im Verhältnis zu der traditionellen Zahl bedeuten? Er macht kaum den sechsten Theil der Gesamtsumme aus. Im ganzen liegen gegenwärtig von 131 anerkannten Gymnasien nur 71 in Städten aber 10000 Einwohirern, 31 in Städten zwischen 6 und 10000 Einwohnern, 99 in noch kleineren Städten oder auf dem Lande. Von den 28 aner- kannien Progymnasien fallen nur 6 auf Städte über 6000 Einwohner, 23 dagegen auf kleinere , zum Theil sehr kleine Orte.

Wenn man nach diesem befürchtet, dasz sich überhaupt von dem Standpunkte unseres Buches über Organisationsfragen nicht viel tüch- tiges sagen lasse , so trifft das doch zum Theil nur die Fdhn ^ler Be- weise, während in der Tendenz sehr viel gesundes, kernhaft und tref- fend ausgesprochenes auch hier sich vorfindet. Wir nehmen keinen Anstand das dringen auf gröszere Betheiligung der Communen am Gymnasialwesen und das idringen auf Errichtung eines Unterrichts- ministeriums hieher zu rechnen. Wenn freilich § 235 bemerkt wird: ^Nur kurzsichtigen hat es entgehen können, dasz an der Spitze eines solchen Ministeriums in thesi am besten ein juristisch gebildeter Mann steht', so wollen wir gern zu diesen kurzsichtigen gehören, ohne damit in einer Angelegenheit, wo alles von speciellen Verhältnissen und Entwicklungen abhängt, das Gegentheil als nothwendig vorauszu- aetzen.

Das vierte Buch, welches den Unterricht speciell behandelt, ist natürlich das ausführlichste von allen. Wir wollen hier nur einiges, was sich zunächst an die Principienfragen anschlieszt, hervorheben. Das allgemeine Bild dieser Ausführungen ist dies, dasz wir allent- lialben einen entschieden formalistischen Stamm sehen , auf den , bald mehr bald minder glücklich verbunden, Reiser der materialen Richtung gepfropft sind. Den schwierigsten Stand hat Thaulow , wie alle ehr- liehen Formalisten, der Mathematik gegenüber, deren formale Bildungs- krafl so überwiegend ist, dasz es schwer hall von diesem Standpunkte aas sich ihres Uebergewichtes gegen die Sprachen anders als durch Blindheit zu erwehren. Zwischen Deinhardt, der in seiner Gymnasial- paedagogik (S. 53) behauptet, dasz die grösten Philosophen der alten und neuen Zeit grosze Mathematiker gewesen, und Axt, der in seinem bekannten Curiosum ^über den Zustand der heutigen Gymnasien' (Wetz- lar 1838) trotz Pythagoras, Plato, DesCartes and Leibnitz den Sats

19. Jahrb. f. Phü, «. Paed. Bd LXXVIII. Bft 10. 35

516 Schmidt and Thaalow: Gynnasialpaedago^k.

drocken liesz (S. 50) : ^kein grosser Philosoph war je aoch eiD grOBMer Mathematiker', versucht Thaulow eine gemäBzigie^ mittlere Sielluig einzunehmen, jedoch offenbar mehr zu Axt hinneigend. Das philo- sophische Studium möchte Thaulow mehr durch Sprachunterricht vad speciell durch Grammatik fördern. Eine entschiedene Ungerechtigkeit ist es wol, wenn es in § 376 heiszt: ^der Inhalt der Mathematik ist nur ^ine Idee, die der Grösze und Aeuszerlichkeit.' Weit mehr sind es wol die Ideen der Relativität und der Folgerichtigkeit, die das eigenthQmliche und gerade das philosophische Wesen der Mathematik ausmachen. In den Vordergrund der ganzen Gymnasialbildnng tritt nicht nur die lateinische Sprache , sondern auch , echt formalistiich, die lateinische Grammatik, die sogar in Quinta durch schreiben von Declinationen eingeübt werden soll. Uebungen im fibersetaen, sprechen und schreiben vollenden den Apparat der Gymnastik des Geistes. Es versteht sich daher von selbst, dasz hier lediglich von der traditionellen Schulgrammatik die Rede ist, ohne irgendwelche linguistische Reformen, die sich mehr für den paedagogi sehen Materia- listen schicken. Merkwürdigerweise aber soll das Grieohisehe nicht nur ein Jahr vor dem Lateinischen in Sexta begonnen, sondern auch mit BerQcksichtigung des sichersten aus der neueren Spraek- wissentchlfl, etwa nach Curtius (§486), gelernt werden. Bin coose« quentes Materialprincip müste hiebei nieht stehen bleiben, sondern der griechischen Sprache überhaupt den Vorrang vor der lateinischen las- sen, mit Homer in Sexta beginnen und auf den Gehalt der Litterator allen Nachdruck legen. So weit geht Thaulow aber nicht. Er llszt nicht nur von Quinta an beständig das Lateinische mit 10 gegen 8 Stan- den vorwalten , sondern verlangt auch für den Anfang eine attiseha Chrestomathie und spricht sogar 421) der griechischen Litteratar *in einem bestimmten Sinne' die ^Basis der Sittlichkeit' ab, die den römischen aberall eigen sei. Uebrigens sollen auch für das Griechi- sche Rückübersetzungen, Exercitien, schriftliche und mündliche Ex- temporalien, so weit die Zeit es erlaubt, statt haben. Charakteristisch ist anch die Behandlung des deutschen Aufsatzes , in der Thaulow die gegenwärtig herschende und an sich wol berechtigte Opposition gtgtm das frühreife producieren auf die Spitze treibt in dem Satze: ^eia Schüler hat noch keine eigentlichen eigenen Gedanken.' Bei Liohia besehen ist das gerade so wahr, als dasz überhaupt ein einaelner Mensch keine ganz eigenen Gedanken hat. Da aber thatsächlieh and unwidersprechlich , wie man in jeder Kinderstube beobachten kamii nicht nur Schüler, sondern auch unmündige producieren und eigene Gedanken äuszern , so handelt es sich hier lediglich um ^ine willkflr- liche Grenze zwischen Stufen, die in der Natur in einander Obergehen. Jedenfalls kann mit der jetzt allenthalben gerühmten Reprodnction in hiezu geeigneten Händen vollkommen eben so viel Misbranch getrie- ben werden, wie mit der gefürchtelen Production. Es gibt vielleiclit keine Aufgabe, die so sehr einen männlichen und weit über das Masi des. Primaners hinaus gereiften Geist erforderte, als eine genaae mid

Schmidt ood Tbaulow: Gymnasialpaedtgo^k. 517

echt dealscbe Uebersetzung eines alten Autors in die Mattersprache. Es ist geschichtlich nachweisbar, dasz unsere Schulübersetzungen sich gans allmählich und unmerklich aus einem bloszen analysieren mit ▼erdeotschen der einzelnen Worte entwickelt haben, woneben eine ■weite Art ganz freier Uebertragungen bestand. Dies beiläufig. Tbau- low weicht, wiederum echt formalistisch , dem prodncieren nicht nach dieser Seite ans, sondern durch Forderung von Disponierübnngen, Schematisierungen und förmlichen Studiums der Rhetorik. Als Be- sonderheiten bemerken wir noch, dasz Thaulow auszer dem Französi- achen auch noch das Englische und das Italienische aufgenommen sehen möchte , wogegen der naturwissenschaftliche Unterricht ganz in dem geographischen aufgehen soll.

Im fünften Buche, welches die Disciplin behandelt, hat Thaulow ei Terstanden, ohne einem die Principien antastenden Eklekticismus IV verfallen, sich eins der besten Stficke der Herbart^schen Paedago- gik, die Unterscheidung von Zucht und Regierung, anzueignen und er- giebig zu behandeln. Das hervorheben des Wertbes würdiger For- men und strenger Ordnung 599 f.) ist eben so anerkennenswerth, als die Forderung gewisser Freiheiten für die Primaner 628), welche den .schroffen Uebergang zu der Ungebundenheit der Univer- sitäten vermitteln möchten. Auch das höchst wichtige Wechselver- h&ltnis der Schule zu den Familien wird gebfirend gewürdigt und dabei namentlich auf die Rede des Directors bei dem öffentlichen Scbulexamen und der Entlassung der Abiturienten Gewicht gelegt. *Der Director hat' 631) *als Vertreter des Gymnasiums das Recht, wie der Prediger , ganz offen und wahr zu sprechen , und hat die Pflicht es zu thun , und kann bei richtiger Benutzung der Verhfiltnisse eine auszerordentliche Gewalt über die Familien ausüben. Wenn einem andern Lehrer als dem Director diese Rede übertragen wird, io scheint man nicht zu empfinden, dasz diese Rede ein wesentlich paedagogischer Akt ist, und einer der bedeutendsten, die dem Gym- , nasinm zu Gebote stehen.' Leider sind nur die schönen Zeiten längst vorbei, in denen ein solcher öffentlicher Akt für das einförmige Leben einer kleinen Gymnasialstadt Epoche machend war und Grosz und Klein sn der festlichen Versammlung herbeilockte.

Im sechsten und letzten Buche bespricht Thaulow die persön- liehen Verhältnisse des Lehrerstandes: die Frage der paedagogischen und philologischen Seminare, Scbulamtsexamen , Probejahr, Anstel- lung usw. Die Tendenz, welche sich durch diesen ganzen Abschnitt hindurchzieht und sich mit edler Freimütigkeit und plastischer Schärfe nnd Gedrungenheit des Ausdruckes in allen Einzelnheiten ausprägt, ist mit einem Worte die: einen würdigen, selbstbewusten und vorneh- men Stand zu schaffen: den esprit de corps im edleren Sinne des Wortes unter den Gymnasiallehrern wach zu rufen und damit der prak- tischen Wirksamkeit des Lehrers eine Grundlage zu geben, wie sie nn- iere Zeit ganz besonders als Gegengewicht gegen die vormals ungekann- ten Lebensmächte, die sich auf allen Seiten erheben, dringend bedarf.

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518 Schmidt und Thaalow: Gymnasialpaedagogik.

Wir bitten noch za bemerken, dasz Thaülows Buch, in dem zwar manches verfehlt, aber weniges nar bedeutungslos und ausser Zusam- menhang mit den wirklichen Interessen und Problemen der Gegenwart ist, bei einer einfachen Recension in einem weit günstigeren Liebte hätte erscheinen müssen als bei unserer Untersuchung über die Prii- cipien der Gymnasialpaedagogik. Es kam uns darauf an, es geborte wesentlich zu der Aufgabe, die wir uns gestellt hatten, gegenüber der formalen Vollendung die materiale Mangelhaftigkeit der ganzen Gymnasialpaedagogik an den zunächstliegenden Beispielen bloszzulegen. Es kam darauf an zu zeigen, dasz eine Paedagogik materiale Wissenschaft sein kann, nicht ist und zu den Aufgab od der Gegenwart gehört.

Scheint es damit als ob die Principienfrage von uns nicht gelöst, sondern zurückgeschoben würde, so hat das seine Richtigkeit; alleiii wir schieben sie mit Bewustsein zurück, und das ist auch eine Losung.

Unter den vielfachen Krisen, mit denen die Gegenwart theils ar- beitend theils phantasierend sich abmüht, gehört die Krisis des höheren Schulwesens nicht zu den Phantomen.

Seit der Stiftung unserer heutigen Gymnasien hat sich nichts mehr verändert, als das was zu ihrem innersten Wesen in engster Beziehung steht.

Das Latein war Weltsprache und ist es nicht mehr.

Die Philologie war Reproduction des klassischen Alterthums und sie ist historisch - kritische Forschung geworden.

Die Schulgrammatik fiel mit der wissenschaftlichen nahe zusam- men — sie haben jetzt nur noch wenige Berührungspunkte, die von einem Decennium zum andern mehr und mehr schwinden müssen. Der Herd der scholastisch -humanistischen Bildung droht sich in einen neuen Herd der Naturwissenschaften selbst zu verwandeln: Grammatik ist schon heute und wird es morgen noch mehr sein eine Natar« Wissenschaft! Die Geschichte wird, je mehr von Fabeln befreit, desto unverdaulicher für die Jiigend. Die elementare Mathematik hat bereila fast jede directe Bedeutung für das Leben wie für die Wissenschaflei verloren, da die Lösung aller Probleme den höhereu Gebieten an- heimfallt.

Trotz alledem scheint der Humanismus für die höhere Jogend- bildung einen definitiven Sieg über das andringen der Realien erfoch- ten zu haben ; allein in seinem eigenen Schosze entbrennt der Streit zwischen der formalen und der materialen Richtung stets aufs neue. Die Reproduction des klassischen Alterthums scheint sich vor der zer- setzeiidou Kritik von den Hochschulen in die Hallen der Gymnasiei flüchten zu wollen. Gewichtige Stimmen dringen auf Einführung der alten Kunst in den Unterrichtskreis des Gymnasiums. Auf dem Boden der Alterthumsstudien selbst liegen allenthalben neben dem ersterben- den die fruchtbarsten Keime. Gibt uns aber diese sichtliche Wahr* nehmung eines neuen Lebens Hut zur Ueberwindung der Krisis, so darf sie doch keinen einzelnen, auch den einsichtsvollsten und höohitge-

Berichte über gelehrte Anstalteo, Verordnungen, statist Notizen. 519

stellten nicht mit der Zuversicht erfüllen, den Knoten zerhauen oder * eine Vermittlung erfinden zu können. Freiheit der Entwicklung, plasti> sches hervortreten der verschiedenen Richtungen, selbst auf die Gefahr momentaner Verwirrung .hin, ist das einzige was retten kann. Wir wünschen nicht, dasz die Lenker des Schulwesens indessen, wie der Reiter dem Maulthier auf schwindligem Pfade die Zügel über den Hals wirft nm Gott und die Natur walten zu lassen , sich zagender Unthätig- keit hingeben. Keine Zeit stellte den administrativen Behörden eine höhere Aufgabe. Nicht etwa nur, weil die Beförderung der Disciplin an den Schulen, der Ordnung, Geschlossenheit und wurdevollen Stel- laiig des Lehrerstandes von der Freiheit der Methoden und Richtungen des Unterrichts unabhängig dasteht, sondern weil jetzt die Zeit ist nicht zu uniformieren , sondern zu vergleichen, zu zählen, zu Consta- tieren mit einem Worte der Administration der Schulen einen Bo- den zu schaffen , wie ihn die Rechtspflege und die Staatswissenschaft besitzen innere Schulstatistik, einen Hanptthcil der positiven Pae- dagogik.

Bonn. A, Lange.

Berichte über gelehrte Anstallen, Verordnungen, statistische Notizen, Anzeigen von Programmen.

Essen.] Am dasigen Gymnasium rückte in dem 1857 geschlossenen Schuljahre Oberlehrer Buddeberg in die erste» Oberlehrer Li tzinger in die zweite, Oberl. Mülhöfer in die dritte, Gymnasiall. Seemann in die vierte, Gymnasiall: Achternbosch in die fünfte ordentl. Leh- reratelle auf nnd der bisherige wissensch. Hülfslehrer Seck wurde als seehster ordentlicher Lehrer angestellt; dem bisherigen wissensch. Hülfs- lehrer am Gymnasium su Minden Petri wurde die siebente neucreierte ordentl. Lehrerstelle verliehen. Für letzteren war jedoch während des Wintersemesters der Schulamtscand. Schinzel vom Friedrich-Wilhelms- G^jmnasium.in Köln mit der interimist. Vertretung beauftragt, welcher zu Ostern an das Gymnasium zu Elberfeld berufen wurde. Candidat Windheuser trat sein Probejahr an. Lehrerpersonal: Director Dr Tophoff, Oberiehi'er Buddeberg zugleich evang. Keligionsl., Oberl. Litzinger, Oberl. Mülhöfer, Gymnasiall. Seemann, Achtern- bosch, Seck, Petri; Hülfsl. U eher feldt, Wa wer kath. Religionsl., ZeiehenL Steiner, Gesangl. Helfer. Schülerzahl: 227 (I 32, II« 33, II»» 28, III 30, IV 29, V 37, VI 38). Abiturienten 13. ~- Mit Geneh- migang des Proyincial-Schulcollegiums fiel die wissenschaftliche Abhand- lang in dem Programm aus und sollte der dadurch ersparte Betrag zu Anachaffungen für die Lehrerbibliothek verwendet werden. Dr 0.

Frankfurt a. O.] Das Friedrichsgymnasinm , welches lange Zeit keinen Wechsel in seinem Lehrerpersonale erfahren hatte, ist in dem 1857 beendeten Schulj. wiederholten Veränderungen in dieser Hinsicht ausgesetzt gewesen. Der zweite Oberlehrer Dr Thiele folgte einem Baf e als Director an die Realschule zu Bannen. In Folge dessen rückte

520 Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnangen, Statist Noiifen,

der Conrector Dr Reinhardt in die zweite OberlehrerBtelle , der Con* rector Fittbogon in die dritte auf, die vierte Oberlehrerstelle aber wurde dem seitherigen Subrector in Guben, Schwarze, ertheilt, so dasz die Ober- und die ordentlichen Lehrer der Anstalt so rangiertes: Director Dr Poppe, Prof. Heydler, Oberl. Dr Reinhardt, OberL Fittbogen, Oberl. Schwarze, Lehrer der Mathem. Dr Janisoh, Subr. Müller, Subr. Dr Fittbogen, Dr Walther, Collab, Behm, Zeichenl. Lichtwardt, Cantor M elcher. Schülerzahl 253 (I 25, II 38, III 42, IV 47, V 53, VI 48). Abiturienten 7. Den Schulnachrichten geht voraus: de rebus Cyprüs (Part. I) scr. Dr Reinhardt (13 8. 4). Oap.- 1. De Cypri situ, figura, magnitudine. Cap. II. De orbibus.

Dr 0. Fbiedlakd.] Dem Programme, womit zur Prüfung am 25. tu 26« März d. J. eingeladen wurde, ist vorausgeschickt: die Sage von^der Tarpeia y nach der Ueb erlief ening dargestellt vom Conrector Dr Kr ahner (36 S. 4). Wir heben ein paar Sätze aus der schätzbaren, leider nicht vollständig gegebenen Arbeit des inzwischen als Director nach Stendal berufenen Verfassers heraus: 'die Sage von der Schuld und selbster- zeugten Strafe der Tarpeia ist eine engbegrenzte und aus dem Zusamt menhnng, in welchen die historische Erzählung sie mit wichtigen Er- eignissen stellt, nicht lösbare, doch ruht auch auf ihr der Reiz einer sinnigen, mehr andeutenden als ausführenden Dichtung, welcher allen jenen römischen Sagen eigen ist, und sie lockt zu immer erneuter Be- trachtiuig durch ihre Wandelbarkeit und Vieldeutigkeit. Denn l>ald schwebt sie anmutig , in halb märchenhaftem Gewände auf der Grenze von Geschichte iind' Mythus und scheint durch leicht eingedrückte Spa- ren dieses oder jenes Gebiet als ihre eigentliche Heimat kund za geben, bald steht sie als düsteres Symbol schwerer Verbrechen und blutiger Sühne am Rande jener Fluchstätte zur Seite der schirmenden and rS- chenden Götter des Capitols; als Träger der ei*nstesten und heiligsten Gedanken begleitet ihr Name das römische Volk durch alle Jahrhunderte der Geschichte und noch heute treibt sie, wie das Volk glaubt, in der Tiefe jenes Felsens, ausgestattet mit ihren alten Attributen, ihr mär- chenhaftes Wesen.' 'Wie Horatia die erste Römerin ist, welche einen von Römern erschlagenen Feind betrauert und zum Zeichen dessen, irat Römersinn fordert, vom eignen Bruder erstochen wird, so ist Tarpeia die erste, welche das Vaterland um Gold verräth, und ihr Tod meist nnd jener locus funestus mahnt fort und fort daran, wie tief das Volk diese Schuld verabscheut; sie ist aber die Jungfrau vom tarpeiisohen Felsen, der Inbegriff des strafwürdigsten, was dort gesühnt wird, onffB- fähr in dem Sinne , wie Seneca (controv. I, 3) ein solches GedankenMld mit dem Namen Tarpeia bezeichnet um es den Begriffen entg^enm- setzen, welche in der Vesta vereinigt sind.' Aus den Schulnaehridi- ten entnehmen wir folgendes: Mich. 1856 gingen 3, Ostern 1857 wieder 3 Schüler zur Universität. , Unter den Lehrern ward der Cantor Pfits- ner durch bedenkliche Krankheit längere Zeit an der Ausübang seiner Berufspflichten gehindert und durch den Cand. Langbein vertreten, der auch, als der Hülfslehrer Hegenbarth ausschied, die Leetfonen desselben in den beiden untersten Klassen übernahm. Es ist als allent- halben nachzuahmen zu bezeichnen, dasz die bei den beiden Privat- redcactus behandelten Themata im Programm mitgctheilt werden. Die Schülerzahl betrug Mich. 1856 119, im Winter 1856—57 129, im darauf folgenden Sommer 127, und im Winter 1^57—58 135, Ostern 1858 131 (18, il 11, III 35, IV 48, V 29). Von dem Director des Gymnasiomt Prof. Dr Roh. Unger erschien auszerdem eine in der gewohnten Weise - des Verf. gehaltene sorgfältige und gelehrte quaesiio de Ansere poita als ' Gratulationsschrift zum 25j« Jubiläiun des Präpositus BucMea» Der be-

ieriokto aber gelehrte Äostalten, VerordDungeB , Statist. NoiiEeD. 521

seichnete Dichter erscheint hiernach nicht als ein abgeschmackter Yer- semacher , gleich einem Bavins und Müvius und als ein . Nebenbuhler Vergils, sondern als ein Gefährte des Antonius, der seine Musze, wie Asinins PoUio, M. Brutus und Memmins, zur Abfassung heiterer Ge- dichte verwandte. - Einges.

Gl ATZ.] In dem Lehrerpersonal des dasigen k. Gymnasiums hat im Schuljahre 1857 keine Veränderung stattgefunden. Es unterrichteten an demselben: Director Dr Schaber, die Professoren Dr Heinisch, Dr Schramm, Oberlehrer Langer, die Gymnasiallehrer Dr Witti- ber, Rösner, Strecke ReligionsL, Beschorner, Collab. Glatze!, Oandid. Dr Schreck, Förster Zeichen- und Schreiblehrer, Snperint. Barth o Id ev. Religionsl. Die Zahl der Schüler betrug 275 (I 18, II 33, ni 28, IV 72, V 04, VI 60). Abiturienten 12. Den Schul nachrich- ten geht voraus : qitaestionvm de lods nonnuUis legum Plalonicarum pari. V. Scfipsit Schramm (18 S. 4). Die behandelten Stellen sind: lib. III p. 677 C. VlII p. 849 B. X p. 898 D. XI p. 921 D. XI p. 933 A. XII p, 953 A. XII p. 952 B. Dr 0,

Gleiwitz.] Mit dem Schlüsse des Schuljahres 1856 schied aus dem Collegium des das. Gymn. der Candidat Dr Schneider, welcher seit 1852 die Stelle eines Hülfsl ehrers vertreten hatte. An dessen Stelle trat der Cand. Dr Volke l. Die neuge^ründete- Collaboratur wurde dem als Hülfslehrer am Gymnasium zu Neisze beschäftigten Candidaten Schneider übertragen. Der Keligionslehrer Hirschfelder wurde an das Gymnasium in Glogau versetzt, dessen Stelle alsbald dem Welt- priester und Candidaten des höheren I ehramts Dr Six^olka übertragen. Hülfslehrer Frenzel ist gestorben. Lehrer: Director Nieberding, Prof. Heimbrod, die Oberlehrer Liedtki, Rott, Dr Spiller, die Gymnasiallehrer Wolff, Schinke Religionslehrer, Huber, Polke, Steinmetz, die Religionslehrer Lic. Hirschfeldcr (bis Ostern), Dr Smolka (nach Ostern), die CoUaboratoren Puls, Schneider, die Schulamtscandidaten Frenzel, Kammlcr, Dr Völkel, Snperint. Jacob, Zeichenl. Peschel. Schülerzahl: 481 (I* 16, I»» 35, II* 38, II»» 16, III« 38, III»» 56, IV* 52, IV« 52, V* 40, 40, VI 98). Abi- turienten 17. Das Programm enthält eine Abhandlung vom Oberl. Dr Spiller: de oratione Agathonis in Convivio Platonico hahita (14 S. 4). .

Görlitz.] Am dasigen Gy tpnasinm wurde im 1857 verflossenen Schuljahre Oberlehrer Dr R ö s 1 e r auf sein nachsuchen pensioniert, dem Gymnasiallehrer Jehrisch dagegen das Prädicat als Oberlehrer beige- legt. Als neue Lehrer traten ein Dr Lieb ig, Wilde und Dr Joachim. Den 15. October wurde die Feier der Einweihung des neuen Schulge- "■blades begangen, das fortan beide höhere Lehranstalten der Stadt, das Gymnasium und die Realschule, umfaszt. Zu dem am 19. November 1856 gehaltenen Redeact lud der Oberlehrer Jehrisch durch das Pro- gramm ein : ein Blick in das Laboratorium eines Lehrers, der mehrere Jahre mU dem ersten lateinischen Unterricht betraut gewesen (lieber die le und 2e lateinische Declination und le lat. Oonjugation. 82 S. 4). Das zu dem Actus am 12. Januar 1857 vom Director geschriebene Programm betraf den Gedankengang von Borat. Epist, I 16 (12 S. 4). Das Lehrcr- collegium bestand aus folgenden Mitgliedern: Director Dr Schütte, Conrector Prof. Dr Struve, den Oberlehrern Hertel, Kögel, Dr Wiedemabn, Jehrisch, den Gymnasiallehrern Dr Höfig, Adrian, Dr Lieb ig, Wilde, Dr Joachim, Pfarrer Stiller kathol. Religious- lehrer, Müsikdirector Klingenberg, Zeichenlehrer Kader seh, Schreib- lehrer Pink wart , Turnlehrer Böttcher. Die Schülerzahl betrug 291 (I 35, II« 30, II»» 34, III* 38, III»» 33, IV 61, V 28, VI 32). Abitu- rienten 11. Eine wissenschaftliche Abhandlung ist den Schulnachrichten nicht beigefügt. 0,

522 Berichte aber gelehrte Anstalten , Verordnungen, statul. HotiMfl*

GfiEiFFENBEBa.] In dem LehrercoUegium des Friedrich - Wilbelmt- Gjmnasiam sind auch im Laufe des Schuljahres 1850 57 mehrere Ver- änderungen eingetreten. Der Prorector des Gymnasiums Dr Wen dt ist Director des Gymnasiums zu Hamm geworden. Mit dem Schlosi des Schuljahrs schied Dr Zerlang, um am Gymnasium zu Soraa in die Stelle eines ordentlichen Lehrers für Mathematik und Naturwissenschaft einzutreten. Lehrer: Director Campe, Prorector Wendt, Conrector Pitann, Subrector Riemann, die ordentl: Lehrer Dietrich, Zelle, Todt techn. Lehrer, Collaborator Grautoff, Hilliger, Collaborator Zerlang. Zwei Rclig^onsstunden in III* ertheilte Superintendent Henckel. öchülerzahl 253 (I 18, II 27, UI« 31, lU^ 42, IV 48, V 55, VI 32). Abiturienten 7. Das Programm enthält: quaestianes 11^ cydideaef von dem Director (24 S. 4). Diese Abhandlung liesz das Gym- nasium zur Beglückwünschung der Universität Greifswald durch den hierzu committierten Director überreichen. 0.

Greifswalo 1857.] Den Gymnasiallehrer Volz verlor das Gym- nasium durch den Tod; an seine Stelle trat als interimist. Lehrer Ne u- mann, Lehrer des städtischen Gymnasiums und der damit verbunde- nen Realschule: Director Prof. Dr Hiecke, Prorector Dr Raflsow, Conrector Prof. Dr Cantzler, Prof. Dr Thoms, die Oberlehrer Dr Reinhardt, DrGandtner, die Gymnasiallehrer Dr Schmitz, Dr Hack ermann, Dr Lehmann, Dr Jung h ans, Volz, Dr Niemeyer, Dr Schumann, Hülfslehrer Hahn, Gesanglehrer B e m m a n n , Zeichen- und Schreiblohrer Hube, Cand. theol. Kottenhahn. Die Zahl der Schüler betrug am Schlüsse des Schuljahres 248 (I g. 13, II g. 80, Illg. 22, IVg. 25, Ir. 1, II r. 13, III r. 28, IV r. 27, V 43, VI 46). Abitu- rienten vom Gymn. 7, auszerdem 9 fremde, von der Realschule 1. Den Schulnachrichton geht voraus eine Abhandlung vom Director Dr Hiecke : über die Einheit des ersten Gesanges der Utas (12 S. 4). Lach- manns Ansicht, der bekanntlich den ersten Gesang der Ilias in drei Theile zerlegt, wird bekämpft. Zugleich Wird auf die Ansicht Jacob *s ('über die Entstehung der Ilias und der Odyssee' 1856) über den ersten Gesang ausführlicher eingegangen und hierdurch ein Schluszurteil vor- bereitet. 'Es ist ein einzig groszartiger Gesang von unsäglicher Schön- heit, von überwältigender Machtfülle des schöpferischen Genius. Hader und Zwietracht in der Menschenwelt, unter den Häuptern, zu denen das Volk aufschaut wie zu Göttern ^ und Zwietracht auch in der Gtöt- terwelt, aber für diese ist, was auf jene wie ein schwerer, unheilvoller Nebel drückt, nur ein leichtes Gewölk, das im Nu sich wieder zer- streut, — das auch wiederkehren wii^l, aber nur um auch wieder sich zu zerstreuen.' Bei der vierten Säcularfeier der Universität Greifswald gab das Gymnasium seinen Gefühlen Ausdruck in einer lateinischen von dem Oberlehrer Dr Reinhardt verfaszten Ode und in einer yon dem Director geschriebenen Abhandlung: der gegenwärtige Stand der ho- merischen Frage, Dem Director und dem Oberlehrer Gaudtner wurde bei der feierlichen Ehrenpromotion die Ernennung zu Doctoren der Philo- sophie zu Theil. 0,

GROsz-GLoaAü.] Veränderungen im Lehrerpersonale des könig- lichen evangelischen Gymnasiums haben im Laufe des Schal- jahres 1856 57 nicht stattgefunden. Gymnasiallehrer Stridde wurde zum Oberlehrer ernannt; Dr Paul erhielt die vierte ordentliche Lehrer- stelle. Der Hülfslehrer Frasz war wegen andauernder Kränklichkeit genöthigt seinen Abschied zu nehmen. Aushülfe leistete der Predigt- amtscandidat Hörn. Lehrer: Director Dr Kl ix, die Oberlehrer Dr Petermann, Dr Rühle, Stridde, die ordentlichen Lehrer Lucas» Beissert, Scholz, Dr Paul, Hülfslehrer Frasz, Dr Munk, Cand. Hörn, Turnlehrer Haase. Die Gesamtzahl der Schüler betrug 270

Berieltto Ober gelehrle AnstaUeo, Verordnangen, statisk Noümb. 623

(I 28, n 43, ra* 30, m»» 44, IV 48, V 45, VI 32), 249 evangeHncher, 1 kathoL, 20 mo^^ischer Confession. Abiturienten 11. Den Schnlnach- ten geht vorans eine Abhandlung vom Gymnasiallehrer Dr Paul: quae- ttimutm Claudianearum particula (17 S. 4). In das LehrercoUeginm des königlichen katholischen Gymnasiums trat mit dem Beginne des Schuljahres 1856 Dr Franke ein, dem die erledigte Collaboratur Torliehen worden war. Der Beligions- und Oberlehrer Emmrich schied aus, um eine Pfarrei in Strehlen zu übernehmen; an seine Stelle trat der Yon dem Gymnasium in Gleiwitz hierher versetzte* Beligionslehrer Lic. Hirschfelder. Das Collegium bildeten der Dir. Dr Wentzel, Prof. Uhdolph, die Oberlehrer Dr Müller, Eichner, Emmrich, T. Raczek, Padrock, Gymnasiallehrer Knötel, Religionsl. Hirsch- felder, der Collaborator Dr Franke, Cand. Bart hei, Divisionspre- digerRühle, Ges^glehrer Battig, Turnlehrer Haas e. Die Gesamt- frequenz betrug 287 (I 51, II 67, III 46, IV 52, V 37, VI 34); davon waren 217 katholisch, 44 evangelifich , 26 jüdisch. Abiturienten 14. Das Programm enthält auszer den Schulnachrichten: deu Slemhüd des Löwen, nach seiner ^historischen Bedeutung skizziert vom Prof. Uhdolph (16 S. 4). I. Ursprung der Astronomie. II. Der Thierkreis. III. Astro- gnosie. IV. Sternennamen. V. Mythologie. VI. Die Opora der Grie- chen. Dr 0.

GuMBnvNEK.] Das LehrercoUeginm des dasigen Gymnasiums bestund im Schulj. 1856--57 aus dem Director Dr Hamann, den Oberlehrern Sperling, Prof. Dewischeit, Prof. Dr Arnoldt, Gerlach, den ordentlichen Lehrern Dr Kossak, Dr Basse, Oberlehrer Brumkow, Haue rh o ff , wissensch. Hülfsl. Dr Wa as. Die Zahl der Schüler betrug 211 (I 12, II 30, III 45, IV 46, V 52, VI 26). Abiturienten 5. Den Schulnachrichten geht voraus: zur Theorie der Casus, Zweites Stück, Vom Prof. Dewischeit (20 S. 4). Der erste Theil dieser Abhandlung steht im Programme des Progymnasiums zu Hohenstein 1846. Nachdem der Verf. zur Beurteilung der Behau dlungsweise des vorliegenden Ge- genstandes in den gangbaren grammatischen Handbüchern einige Be- merkungen vorausgeschickt hat, fügt er zunächst anknüpfend an eine Bemerkung Beckers (ausf. dtsch. Gramm. II S. 53) einiges zur Erklä- rung des genetivus praedicativus (eine Art des gen. qualitatis) hinzu, behandelt dann eine für das Griechische geltende Regel über den Gene- tiv des 'woher' und ^weist das auftreten desselben Casus und unter ähn- lichen Bedingungen im Deutschen nach. 0,

Guben.] Das Gymnasium hat im Schuljahre 1856 57 zwei seiner Lehrer verloren. Der Subrector Schwarze nahm einen Ruf als Ober- lehrer an das Gymnasium zu Frankfurt a. d. O. an, der Zeichenlehrer Wollmann starb. An die Stelle des fünften Oberlehrers Schwarze trat Lehn er dt, bisher ordentl. Lehrer an der Realschule zu Potsdam, Den Schreib- und Zeichenunterricht in den unteren Klassen hat der Lehrer an der Elementar- und Bürgerschule Franz interimistisch übernommen. Lehrerpersonal: Director Kock, Prorector Dr Sausze , Conr. Richter, Oberl. Niemann, Oberl. Michaelis, Oberl. Leh- nerdt, Quartus Heyderaann, Cantor Holtsch, Organist Roch, Zeichenl. Franz.. Schülerzahl 159 (I 11, II 23, lU 28, IV 31, V 39, VI 27). Abiturienten 6. Das Programm enthält: sophokleische Studien, ^ Zweites Beft, Ein zusammenhängender Commentar zum König Oedipus, Von dem Director Kock (48 S. 4). 0,

Gi^TBBSLOH.] In dem LehrercoUeginm hat im Schuljahre 1856—57 keine Veränderung stattgefunden. Dasselbe bildeten der Director Dr Bampel, die Oberlehrer Schüttler, Scholz I (auch Candidat des Predigtamts) ,Dietlein, die ordentl. Gymnasiallehrer Dr Petermann, Andrea (aucfh Candidat des Predigtamts), Scholz II, Hoffmann,

524 Berichte aber gelehrte Aostalten, VerordnaDgeB, stalisl. Noliiei.

Qoeeker, Hülfslehrer Schrimpf (auch Candidat der Theologie), Behiil- amtscandidat Manke. Schülerzahl (Sommer 212} hinter. 190 (I 38, 22, II»» 38, III 36, IV 25, V 24, VI 16). Abiturienten 6, Von den seit Ostern 1853 mit dem Zeugnis der Keife entlassenen 42 Schülern haben sich 32 der Theologie gewidmet. Den Schnlnachrichten geht Yorans eine mathematische Abhandlang vom Oberlehrer Sohöttler: Über eine mit dem goldenen Schnitte in Ztisammenhang steifende Xreisgruppe (10 S. 4). O.

Halle.] Das Lehrercollegium des königlichen Paedagogiams hat im Schaljahre 185Ö 57 mehrere Veränderungen erfahren. Der Gym- nasiallehrer Todt folgte einem Kufe an das neubegründete Gymnasinm JEU Treptow a. d. Bega; an seine Stelle trat der Schulamtscandidat Janke. Zugleich übernahm der Candidat der Philol. Hundt als Hülfs- lehrer eine Anzahl Stunden. Hülfslehrer Hofmeister muste aus Ge- sundheitsrücksichten seine Thätigkeit aufgeben. Statt seiner trat Dr Schwarzlose als Hülfslehrer in das Collegium ein und Dr Loth über- nahm einige Stunden. Lehrerpersonal: Director Dr Kram er, Prof eseor Dr Daniel, die Oberlehrer Dr Voigt, DrDryander, die Gymnasial- lehrer Dr Garcke, Nagel, Dr Schwarz, Keifenrath, Janke, HÖszler, die Hülfslehrer Hundt, Dr Schwarzlose, Dr Lptb, Zei- chenlehrer Voigt, Gesanglehrer Greg er. Die Anstalt besuchten 114 Scholaren (I 23, II« 16, H»» 8, HI 31, IV 19, V 11, VI 6), unter diesen 30 Hausscholaren. Abiturienten 8. Den Schulnachrichten geht vorans: Beitrag zur Behandlung des Lehens Jesu Christi auf dem Gymnasium von Keifenrath (32 S. 4). Aus dem Lehrercollegium der lateinisehen Hauptschule schied der Collaborator Dr Blau, um zu einer joama- listischen Thätigkeit als Kedacteur bei der berliner Börsenzeitung Über- zugehen. Der bisherige Collaborator Prediger Pia th erhielt die nennte Oberlehrerstelle. Neu eingetreten sind die Collaboratoren Opel und Götze, zu Neujahr 1857 der Collaborator Dr Weber. Von den Cand. prob, folgte Dr Leidenroth einem Kufe als ordentl. Lehrer an der höheren Bürgerschule zu Lübben; Schwarz übernahm eine Stellang an der höheren Bürgerschule in Burg. Das Lehrercollegium bestand sonaeh am Schlüsse des Schuljahres aus dem Kector Dr Eckstein, nenn Ober- lehrern: Inspector Dr Liebmann, Professor Weber, Scheuerlein, Dr Arnold, Dr Fischer, Dr Oehler, Weiske, Dr Imhof ondPre- diger Plath, und ans neun Collaboratoren: Dr Schwarz, DrRoeeekf Martin, Schulz, Frahnert, Drosihn, Opel, Götze, Dr Weber. Die Gesamtzahl der Schüler betrug 632 (I« 30, I^ 36, II« 34, IIi» « 27, II»» « 27, Ilc 41, III« 42, III»» 44, IV« 55, IV»» 65, 67, V* 64, VI« 57, VI»» 37), unter diesen 376 Stadtschüler, 200 Alumnen, 47 Orphani. Abiturienten 15. Das Programm enthält eine wissenschaftliehe AUiand- lung Yom Oberlehrer Scheuerlein: Ober die Norm der Subardinaüom und der Coordination des Casusgebrattchs im lateinischen Satze (26 8. 4). Der Verf. liefert hiermit den ersten Versuch, die freie Bewegung des Sprachgenius auf einem weiten Gebiete unter die Norm eines festen und faszbaren Gesetzes zu stellen und der sonst als Willkür oder Eigen- sinn des Latinismus bezeichneten einzelnen Erscheinung die Nothwen- digkeit der logischen Regel zu Terleihen. Diesem Aufsätze soll eine Reihe anderer über einzelne bis jetzt noch nicht erledigte Cardinai- punkte des lateinischen Sprachgebrauchs folgen. § 1. Die gegenseitige syntaktische Stellung oder die syntaktische Bezogenhcit der Casus im Satze (Die Casus des gegenseitigen Contactes: Nominativ, Aocosativ, Dativ, die Träger der Acte oder der äuszercn Erscheinung eines Be- griffs treten in die erste , der Genotivus und Ablativus , die Accidens- wie die ad-(in-)häienten Begriffsangaben in die zweite Reihe). § 2. Die Verschiedenheit der Function des Ablativ von der des Genetiv (Der

Beriehle aber gelehrte Anstalten, Verordnnngen, statisl. Notixen. 5i5

Ablativ enthält das Accidenz der Sphäre eines änszeren Actes, des Actes der Erscheinung in der Reihe der Thatsachen, der Genetiy die Accidenzbegriffe eines innerlichen in uns vollzogenen Actes , des Actes der Erkenntnis und Auffassung). § 3. Norm der Subordina- tion sonst coordinierter Satztheile. A) Subordination bei substanzielier Identität und Inhalts- usw. Zugehörigkeit der nomina. B) Norm der Subordination bei nominibus von geschiedener, syntaktisch von einan- der abgeschlossener Substanz, die aber in äuszerer possessiver, beson- ders reflexiver Zusammengehörigkeit stehen. § 4. Norm der Coordina- tion statt der Subordination. Der Verf. , welcher sich nicht mit einer Soszerlichen Kenntnis dürrer Sprachschabldnen begnügt und also eine •eingehendere Beschäftigung mit dem Wunderbau der lateinischen Sprache nicht als etwas überflüssiges betrachtet, hat sich übrigens weniger die volle Erledigung als die Anregung der ihn bewegenden Frage zum Ziel gesetzt. 0,

Hamm 1857.] Der Director des Gymnasiums Dr Lieb al dt folgte einem Rufe als Director an das städtische Gymnasium zu Sorau; Pro- fesqpr Rempel wurde nach dessen Abgang commissarischer Dirigent, bis mit dem neuen Jahre Dr W e n d t , Prorector an dem Gymnasium in Greifi'enberg, als Director eintrat. Das Lehrercollegium bestand ans dem Director Dr Wen dt, den Oberlehrern Prof. Rempel Rector, Professor Dr Stern, DrTrosz, den -ordentl. Lehrern Oberlehrer Dr Haeden- kamp, Oberlehrer Hopf, Paulsiek, Dr Breiter, Brenken Gym- :uasial - Elementarlehrer , den auszerordentl. Lehrern Pfarrer Platz - hoff evangel. Religionslehrer und Kaplan Küsterarent kathol. Re- ligionslehrer. Schülerzahl 112 (I 4, II 10, III 32, IV 11, V 27, VI 28). Abiturienten 2. Eine wissenschaftliche Abhandlung ist dem Programm nicht beigegeben. Dagegen ist zur Feier des zweihundertjährigen Jubi- läums des königl. Gymnasiums zu Hamm am 28. Mai ein Einladungs- programm mit folgendem Inhalt erschienen: 1) Zur Geschichte des Oym- nasiums, vom Dii-ector Dr Wendt (21 S. 4). 2) Chronicon S, Michaelis monasterü in pago Virdunenst Ex antiquissimo codice nunc primum integrum edidit Ludovicus Trosz (28 S. 4). 3) Carmen saeculare^ Tom Professor Dr Stern (43 Strophen im alcäischen Versmasz).

0.

Heoinoen (bei Sigmaringen) 1857.] Der Religionslehrer Schanz bat eine Pfarrei übernommen ; an seine Stelle trat in commissarischer Eigenschaft der Vicar der Stadtpfarrkirche zu Sigmaringen Bantle. Lehrerpersonal : Rector Dr Stelzer, Professor Dietz, Beneficiat Si- benrock, G.-L. Sauerland, G.-L. Dr Wahlenberg, G.-L. Dr iSchunck, Reallehrer Nüszle, geistl. Hülfslehrer Bantle, Musiklehrer Burtscher, Schreiblehrer Bürkle. Die Zahl der Schüler betrug 129 (I 11, II 15, III 14, IV 22, V 30, VI 37). Abiturienten 3. Den Schul- nachrichten geht voraus : Wanderung in den Trümmern von Pompeji. Von Professor Dietz (30 S. 4). Was der Verf. nicht aus eigner Anschauung nnd mündlichen Berichten hat, ist zumeist der Schrift Overbecks 'Pom- peji in seinen Gebäuden' usw. entnommen. 0.

Heiligenstadt.] Das 1857 beendigte Schuljahr wurde mit ver- mehrten Lehrkräften begonnen. Dem Schulamtscandidaten Peters wurde die provisorische Verwaltung der 8n Lehrerstelle übertragen ; der interimistisch beschäftigte Lehrer Schneiderwirth wurde definitiv als siebenter ordentlichej Lehrer angestellt; Schulamtscandidat Haber trat sein Probejahr an. Lehrerpersonal: Director Kramarczik, die Oberlehrer Burchard, DrGaszmann, die GTmnasiallehrer Füttere r, Wald mann, Behlau, Schneiderwirth, Schulamtscandidat Peters, Dr Kirchner evangel. Reli^onslehr er, Arend Schreiblehrer, Ludwig Cksanglehrer, H u n o 1 d Zeichenlehrer, Haber Schulamtscandidat. Schü-

526 Berichte Aber gelehrte Aostalten, Verordnangen, Statist. NoIiieD.

lerzahl 185 (I 23, II 31, m 48, IV 82, V 24, VI 27). Abiturienten 6. Das Programm enthält eine Abhandlang vom Gymnasiallehrer Schnei- derwirth: letzte Schicksale- Hannibals von der Schlacht bei Zama bis zu seinem Tode (28 S. 4). Dr 0.

Hebford.] Programm des da sigen Gymnasiums 1857. Der ordentliche Lehrer Bachmann gieng an das Gymnasium in Bielefeld über. An seine Stelle trat der auszerordentl. Hülfslehrer am Gymna- sium in Minden Faber. DrFritsche hielt dein Probejahr ab. Leh- rerpersonal: Director Dr Schöne, die Oberlehrer Professor Werther, Dr Hölscher, Dr Knoche, die Gymnasiallehrer Wehner, Dr M&r- ker, Bachmann, Haase Gymnasial-Elemcntarlehrer , Pastor Kleine evangel. Religionslehrer, Dech. Heising kathol. Beligionslehrer, Dr Fritsche Cand. prob, und interimist. Hülfslehrer. Frequenz 140 (I 20, II 12, III 38 , IV 27, V 22, VI 30). Die Vorbereitungsschule war Ton 16 Schülern besucht. Abiturienten 4. Den Schulnachrichten folgt: Quaesiiunculae Lysiacae. Scripsit Dr Hölscher (14 S. 4). Dr 0.

HiRSCHBEBO.] Programm des Gymnasiums 1857. Den Ge- sanglehrer Cantor Hoppe und den Gymnasiallehrer Scholz verlor die Anstalt durch den Tod. Ein Verzeichnis der Lehrer ist in den Sc^ul- nachrichten nicht roitgethcilt. Die Zahl der Schüler betrug 100 (I 8, n 15, III 23, IV 33, V 35, VI 46). Abiturienten 3. Den Schul- naclurichten geht Toraus eine Abhandlung yom Oberlehrer Dr Mos zier: quaestionwn Petronianarum specvnen, quo poema de bello civili cum Pharsü" Ua Lucani comparatur (16 S. 4). 0.

Kempen.] Am 7. October 1856 wurde die bis dahin als Progyrnnm- sium bestandene höhere Lehranstalt als Gymnasiuip eröffnet. Zu den bis einschlieszlich Secunda schon vorhandenen Klassen wurde zunächst die Unter-Prim'a hinzugefügt. Seit Ostern nahm Dr Stolle, früher Vor- steher des Progymnasiums, an dem Unterrichte Theil, wodurch die Lehr- kräfte in angemessener Weise vervollständigt wurden. Das Lehrercol- legium bilden Dr Hötnig der commissarische Dirigent der Anstalt, Dr Stolle, Cyamer, Hecker, Kamp, Dr Genies, Dr Keussen, Dr Paessens, Ferlings, Grobben. Die Schülerzalil betrug am Schlüsse des Schuljahres 108 (I 15, II 33, III 10, IV 10, V 13, VI 27), darunter 113 katholische, 3 evangelische Schüler. Den Schulnachrichten geht voraus eine Abhandlung des Dirigenten: aber den gesddchüiehen Unterricht an Gymnasien (28 S. 4). Der Verf. spricht zuerst von dem Zwecke, dann von dem Umfange und der Vertheilung des ge- schichtlichen Stoffes, ferner von der Methode, und läszt schliesziich noch einige allgemeine Bemerkungen über die Hülfsmittel folgen.

Ih 0,

KoELN.] 1857. Die Candidaten DrMaur, Heicks, Dr Conrads und Dr Caspar sind in Folge anderweitiger Berufungen bald nach dem Anfangfe des Schuljahres aus ihren Stellungen an dem königlichen katholischen Gymnasium geschieden. An die Stelle der ausgeschie- denen traten die Candidaten Dr Milz, welcher früher an dem Gymna- sium zu Deutsch - Crone beschäftigt gewesen war, Dr Vorm-Walde, welcher sein Probejahr an dem Gymnasium zu Emmerich abgehalten hatte, Dr Busch, welpher das an dem Gymnasium zu Duisburg be- gonnene Probejahr hier beendigte, luid der Probecandidat Zons. Dem früheren Elementarlehrer Baum wurde die Schreiblehrerstelle übertra- gen. Lehrerpersonal: Director Dittges, Oberlehrer: Prof. Dr. Ley, Pütz, Dr Saal, Kratz, Dr Keisacker, Dr Vosen Keligionslchrcr; ordentliche Lehrer: Prof. Kreuser, Bheinstädter , Oberl. Vack, Riegemann, Oberl. Schaltenbrand; Chargd commiss. Lehrer; wissensoh. Hülfslehrer: Gorius, Dr liangen, Dr Fritsch, Grund- hewer, Dr Milz, Dr Vorm Walde; Probecandidaten: Dr Busoh,

Berichte ttber gelehrte Anstalten, Verordnungfen, statisl. NotizeB. 527

Zons; Bourel Zeichen]., Baum Schreibl., DiTisionsprediger Hanger eyang. Religionsl. Die Zahl der Schüler betrag za Anfang des Schal- jahres 610, gegen Ende 566 (I* 36, I»> 52, II* 67, II »> 79, III 85, IV 99, y 86, VI 103), and zwar 558 Katholiken, 5 evangelische, 3 Israeliten. Abitarienten 35. Den Schalnachrichten geht voraas eine Abhandlung des Oberlehrers Prof. Dr Ley: Grundlagen zur Begründung der gomome* iritchen Funktionen (12 S. 4). Die hier aufgestellten Grundlagen sind ein Auszug eines von dem Verf. bearbeiteten und nächstens erscheinen- den Lehrbuchs der Goniometrie und Trigonometrie. Die Darstellung in ihrem wesentlichen Inhalte soll nicht gerade neu sein, es soll nur auf einfachem und natürlichem Wege die Allgemeingültigkeit der gewonne- nen Formeln nachgewiesen werden, und die gegenwärtige Herleitung ninächst den analytischen Begpründungen durch unbestimmte Keihen ent- gegengestellt werden. Von dem königlichen Fried rich-Wil- lielins- Gymnasium wurden der Hülfslehrer Binsfeld und derSchoI- amtscandidat Scher fgen abberufen, und ersterer an das Gymnasium sn Bonn, letzterer an das zu Trier versetzt. Der Schulamtsc. Kocks, der sein Probejahr antrat, wurde deshalb alsbald selbständig verwendet; ebenso setzte der Cand. Wacker die an der höheren Bürgerscliule be- gonnene Probezeit an dem Gymnasium fort. Dr Eckerz und Feld wurde der Oberlehrer-Titel verliehen. Lehrerpersonal: Director Dr Kne- bel, Prof. Ho sz, Oberl. Dr Pfarrias, Reg. -R. Grashof evang. Religionsl., Dr Schlünkes kath. Religionsl., die Oberl. Oettinger, Haentjes, Dr Probst, Dr Eckertz, Feld; Gymnasiall. DrWein- kauff; Hülfslehrer: Berghaus, Dr Scheck, Schulamtsc. DrKocks, Zeichenl. Bourel, Gesangl. Weber, Probecand. Wacker. Die Zahl

•der Schüler betrug im Winterhalbj. 397, im Sommers. 382 (I* 30, I»> «0, II« 40, II »> 40, III 68, IV 58, V 51, VI 65). Abiturienten 29. Da das Local des Gymnasiums bisher jeder äuszeren Bezeichnung seiner Bestimmung entbehrte, so wurde, um zugleich dem Gefühle der Dank- barkeit gegen den Stifter, der Anstalt, König Friedrich Wilhelm HI, einen angemessenen Ausdruck zu geben, eine Marmortafel, mit goldener

/ Inschrift über dem Portal eingefügt und den Schülern die Bedeutung dieser Gedenktafel in einer Ansprache des Directors zum Bewüstsein gebracht. Den Schulnachrichten geht voraus eine wissenschaftliche Abhandlung: de Tacito dialogi^ qui de Oratoribus inscribitur, auctore. Disseruit Dr Fr. Weinkauf. Part. I. (45 S. 4). 'Quidquid commune vel simile esse vidi in dialogo et in scriptis Tacitinis, ita congessi ut qnom Taciti ars et sermo multis exemplis monstretur tum eiusdem dia- logum esse videri vel ipso conspectu efficiatur.' Der index (S. 15-^6) enthält 3 Theile: I. Pars rhetorica (synonyma, adliteratio, opposita, mdlitteratio oppositorum, adlitteratio et adnominatio, complosio sylla- barum, homoeoteleuta , homoeoteleuta mitigata, polyptota, anaphora, oratio variata, amplificatio membrorum, gradatio, chiasmus, conlocatio Tocabulorum , metonymia , adiectiva). U. Pars grammatica (declinatio et eoniugatio, usus genetivi, verba, breviloquentia^ ellipses. Quae re- ■tant libellus insequentis anni scholasticus ezhibebit. 0,

KÖNIGSBERG i. Pr..] a. In das Lehrercollegium des k. Friedrichs- Collegium*8 sind neue Mitglieder nicht eingetreten; Licent. Dr Sim- sen ward die bisher interimistisch von ihm verwaltete ordentliche Leh- rerstelle definitiv übertragen. Lehrerpersonal: Professor Dr Horkel Director, die ^Oberlehrer Professor Dr Hagen, Professor DrMerleker, Dr Lewitz, die ordentl. Lehrer Oberlehrer E b el, Dr Zander, Profes- sor Dr Zaddach, Lic. Dr Simson, die wissenschaftl. Hülfslehrer Di- visionsprediger Hintz, Dr Hoffmann, Dr Müller, Kreutzberger Bchreib- und Zeichenlehrer, Meiszner Gesanglehrer. Schülerzahl 281 (I 29, II 46, lU 54, IV 48, V 56, VI 48). Abiturienten 12. Das Pro-

528 Berichte aber gelehrte Anstalten , Verordnungen, statisl. Notivatt.

gramm enthält eine Abhandlung vom Oberlehrer Dr Lewits: de FlajsU losephi fide atque aucioHtaie (20 S. 4). ^Ilium vero, licet a nullo adhno id de losepho observatum invenerim, ego qoidem existimo suif testimo* niis fluaqae narrationo frandis culpacque esse convictam neqae a grayls- Bimo crimine proditionis erga pati'iam prorsus absolvi posse. Bed effe* cisse me puto talem yiram, tarn subdolae astatiae et calliditatia , qoar lern se in agendo ostendit, ea yitae fortnnaeque conditione, qaali osiif est, Teritatem, ubicumque aliquid gravius de se vel de suo popolo enar- ret, dicere nee potuissc nee voluissc, semperque dieta ac facta eiiu sabae- qui ex proximo suspicionem ac dubitationem , -fidem procnl retineri ne- cesse est.' Das zweite Kapitel handelt: de ingenio losephi atque eni- ditione et de opinionibns religiosis; utrum mentem habuerit oboaeoatam snperstitione ac praeiudiciis , an veritatem perspicere et dicere pro ha* mani animi infirmitate potuerit. b. Im LehrercoUegiam des alt- städtisch en Gymnasiums ist im verflossenen Schuljahre keine Ver» änderung eingetreten. Dasselbe besteht aus folgenden Mitgliedern: Dr Eilend t Director, den Oberlehrern Professor Müttrich, DrNitkai Fats check, den ordentl. Lehrern Dr Kräh, Dr Richter, Dr Reti- laff, Schumann, Professor Dr Nesselmann, Schulamtscandidat 0r Seidel, Elemontarlehrer Rosatis, Zeichenlehrer Stobbe, .Cantor Pätzold. Die Zahl der Schüler betrug am Schlüsse des SchoUahrs 351 SchiÜer (I 47, II« 24, II»> 22, Ul« 47, IIIJ> 46, IV «5, V 58, VI 47). Abiturienten 20. Vorangeschickt ist den SchulnachHchten eine Abhandlung Ton Dr Richter: de eupinis Latinae linguae, P. // (15 S. 4). Der erste Theil derselben ist in dem vorjähi'lgen Programm enthalteni der Schlusz soll im nächsten Jahre folgen. Cap. VIU. De üb, qoae Bupinorum loco ponuntur. I. De iis, quae consilium obiecthe denotanft«

1. De infinitivo. 2. De gerundio et gerundivo. 3. De nonnullia mtoa»- tivis, quae fere sunt yerbalia et abstracta. II. Exponitur, qnomodo poit verba movendi consilium eubieciive signilicetur. 1. De lingulis vooabalii«

2. De enuntiationibus. c. An dem Kneiphöfischen Stadt-Qjm« nasium beendigten die Schulamtscandidaten Brandt und DrDiestel ihre Thätigkeit; die Stelle eines wissenschaftl. Hülfslehrers wurde dem Gandidaten v. Drygalski tibertragen. Der Oberlehrer Dr Wiehert erhielt den Professortftel. Das Lehrercollegium besteht aus dem Direetor Dr Skrzeczka, den Oberlehrern Professor. Dr Koenig Froreetor, Witt, Dr Schwidop, Professor Dr Wiehert, Dr Lenta, Cliple- vius, den ordentlichen Lehrern Weyl, Dr Knobbe, dem SchoUunta* candidaten v. Drygalski, Dr Seemann, Zeichen- und Schreiblehrtr Gl um, Musikdirector Pabst. Schüler zahl 305 (I 30, 11 56, III« 35» UIi> 35, IV 55, V 52, VI 41). Abiturienten 10. Auszer den Sohnl- nachrichten enthält das Programm eine Abhandlung Tom Professor Dr Wiehert: de dauaula rhetorifa latina. Part. I (34 S. 4). Dr 0,

Kbbuznach.] In dem Lehrercollegium ist im 1857 verflossenen Sehnl- jahre keine Aenderung eingetreten. Dasselbe bildeten der Dir. Prof. Dr Axt, die Oberlehrer: Prof. Grabow, Prof. Dr Steiner, Seyffert, Waszmuth, Dellmann, Möhring, Gymnasiallehrer Oxd, B^aplan Weiszbrodt, kath. Religionsl., Zeichenl. Caner, Schulamtso. Wein- mann. Die Zahl der Schüler betrug 182. Abiturienten 7. Das Pro* gramm enthält eine Abhandlung von E. F. Waszmuth: über das detd» ecke Schulwesen im Zeitalter der Reformation (29 S. 4). Der Verf. fobrt aus , welches das Hauptziel war , das die durch die deutschen Reforma- toren gegründeten Schulen zu erreichen gesucht haben, und auf welche Weise die Schulen durch religiöse Uebungen und durch Unter- richt ihre Aufgabe zu lösen bemüht waren. Die Disciplinarverfassiuig jener Schulen , ebenso die persönlichen Verhältnisse der Lehrer in jener Zeit sind unberührt gelassen. Zum Schlusz werden noch einmal die

BerMftcf Qber gelehrte Anstalten, Verordnungen, Statist. ^Notises. 529

Punkte hervorgehoben, in welchen sich das Schulwesen der Refor- mationszeit vom jetzigen Schulwesen auf den ersten Blick un- terscheidet: 1. Die Schulen der Reformation waren kirchliche Anstal- ten. 2. Die lateinischen Schulen sind, wie die Volksschulen und die Universitäten, streng confessionell. 3. Die Schulen zu 'besuchen ist im Reformationszeitalter niemand gezwungen, obwol Luther es für eine Pflicht der Obrigkeit erklärt» wenigstens dahin zu wirken, dasz "talentvolle Knaben von gewissenlosen Eltern der Schule nicht vor- enthalten werden. 4. Der Lehrplan der lateinischen Schulen ist viel einfacher als der jetzige. Alle geistige Kraft concentriert sich auf das erlernen des Lateinischen. Griechisch und Hebräisch wird mir dürftig getrieben» Mathematik noch dürftiger. 5. Die lateinischen Behulen der Reformationszeit umfaszten alle Stände, alle Berufs- ar4en.r Hieran wird die Frage geknüpft aber nicht beantwortet: ver- dient der -einfache Schulorganismus der Reformationszeit mit seinen Volkschulen, seinen alle Stände und Berufsarten umfassenden latoini- sehen Schulen» seinen Universitäten den Vorzug oder unser vielgliedri- ger Schulorganismus mit seinen Elementarschulen, Gymnasien, Univer- ntäten, Bürgerschulen, Reabchulen, Gewerbeschulen, polytechnischen Anstolten ? 0.

Lauban.] ImLehrercollegium des G. hat es im 1857 verflossenen Schul- jahre keine Veränderung gegeben. Dasselbe bilden der Dir. Dr Schwarz, Gonrector Haym, die Oberlehrer Dr Beisert, Faber, Collaborator Dr Peck, Candidat Fährmann, Vertreter des CoUab. Fla de» Colla- borator Dr P r ü f e r , Cantor und Musikdirector B ö 1 1 g e r, Kaplan Kreuz kath. Religionsl. Die Zahl der Schüler betrug 144 (I 29» H 30, III 29, IV 37 , V 19). Abiturienten 14. Das Programm enthält eine Abhand- lung des Schulamtscandidaten Fährmann: die Sckicksaieidee in den Tragoedien des Sophokles (14 S. 4). Dr 0,

Leobschütz.] Von dem dortigen königlichen katholischen Gymnasium wurde Gymnasiallehrer Dr Görlitz nach Breslau ver« setzt. Candidat Schönhuth leistete Aushülfe. Collaborator W i s s o w a wurde zum Gymnasiallehrer befördert. Lehrerpersonal: Director Dr Kruhl, die Oberlehrer Dr Fiedler, Schilder, Dr Winkler, Rell- ejonslehrer Kirsch, die Gymnasiallehrer Tiffe, Dr Welz, Stephan, Wissowa, Collaborator Kleiber, die CandidatenMeywald, Schön- huth, Zeichenlehrer Kariger, Rector Elpel. Frequenz -379 (I 32, n 64, UI 69, IV 73, V 70, VI 81). Abiturienten 10. Den Schulnach- liehten ist. vorausgeschickt eine Abhandlung vom Oberlehrer Dr Wink- ler: de primis chälifatus temporibus ex nohüissimis Arabum scriptwribu» Aterüut (14 S. 4). Dr 0.

LiEONiTZ.] Ein Wechsel im Lehrerpersonale fand in dem könig- liehen und städtischen Gymnasium in dem 1857 verflossenen Sehnljahre nicht statt. Das Lehrereollegium bestand aus dem Dfrector J^rof. Dr Müller, Prorector Dr Brix, Conrector Balsam, Oberlehrer Matth.äi, den Gymnasiallehrern Mäntler, Göbel, Hanke, Har- neeker, Uülfslehrer Dr Dahleke, Kaplan König, Zeichenlehrer Fahl, Cantor Franz, Premier -Lieut. Scherpe Turnlehrer. Die Zahl der Sehüler betrug 251 (I 29, H 89, III 51, IV 53, V 53, VI 27). Abi- torienten Michaelis 1856 4, Ostern 1857 5. Vorausgeschickt ist den Behnlnachrichten als wissenschaftlicher Theil des Programms eine Ab« liandhing von dem Prorector Dr Brix: de TerenHi fabuUs post RicK BenÜeium emendandis (18 S. 4). -^ Die königliche Ritter-Akade- mie verlor den Professor Franke durch den Tod. Dem Dr Schö- aermark wurde das Prädicat als Oberlehrer verliehen. Das Dirscto- rinm der Ritter -Akademie und des St Johannis- Stifts besteht aus dem Bc^emngs-Präsidenten Graf Zedlits-Trfitzsehler als CurAtor und

530 Berichte .aber gelehrte Anstalten, Verordnungen, Statist. üottiiD.

dem Director «Professor Dr Sauppe. Mitglieder des Lehrereolleginms; I) wissenscfhaftliche Lehrer: a) ordentliche: Professor Dr Saappe Director, die Professoren Dr Scheibel, Gent, Dr Platen, die Ober- lehrer Hering, Dr Schirrmacher, Dr Zehme, Dr Schönermark, Dr Freiherr v. Kittlitz erster Ciyilinspectbr, Weisz zweiter Ciyfl- inspector; b) auszerordentliche: Oberkaplan ^Ritter kathoL Beligions- lehrer, Premier-Lieat. v. Hugo militär^ Inspector; II) technisehe: Rittmeister a. D. Hänel Stallmeister, Premier - Lieut. a. D. Soherpe Fecht- und Turnlehrer, Red er Oesanglehrer , Blätterbaner Zeichen- lehrer; III) St Johannisstifts-Beamto : Premier-Lieatn. Elbrandt Ren- dant, V. Bornstedt Controlenr , G r ö g e r Hausmeister und Kanzelift. Gesamtzahl der Schüler 136, 44 Zöglinge, 02 Schüler, und swar 180 evangelische, 6 katholische (I 22, II 34, III« 34, Uli» 23, ly 23). Abiturienten 10. Das Programm enthält eine Abhandlung des Oberkdür rers Dr Schön er mark: on the Lake School of English Poitry (288. 4).

Dr 0.

Ltck.] Programm des Gymnasiums 1857. Der Gymnasial- lehrer Kiszncr folgte einem Rufe als Rector der Stadtschule zu Bar- tenstein; in die wissenschaftliche Hülfslehrers teile rückte Dr Botzon ein. Die entstandene Vacanz versah theilweise der Schulamtzoandidai Kopetsch; mit dem Anfange des Jahres trat auch der Schalamts» candidat Guerikc ein. Am Schlüsse des Schuljahres schied der Ober- lehrer D i e s t e 1 aus der Anstalt. Lehrerpersonal : Professor Fabian Di- rector, die Oberlehrer Chr^e sein ski, Kostka, Diestel, Go^tiitsa, Dr Horch, Oberlehrer Menzel, Dr Botzon, Guerike, Kopetsoh, Pfarrer Preusz. Die Zahl der Schüler betrug 230 (I 21, II 85, Ili« 28, lU»» 38, IV 43, V 44, VI 30). Abiturienten 16. Den Schalna«^ richten geht voraus eine Abhandlung des Oberlehrers Kostka: über Se leiblich und menschlich gedachten Götter bei Homer (34 S. 4). Dieselbe ent* hält eine nach der in den alten Erklärern (Eustath. S. 38, 3 zu Uiad. 1, 43 und Schol. zu Iliad. 12, 521) gegebenen Andeutung geordnete Za* sammenstellung der die Leiblichkeit der homerischen Götter betreffenden Hauptstellen aus der Ilias und Odyssee. Cap. I. Die Götter und Men- schen nach ihren hervortretenden Eigenschaften. Cap. II. Die onsteib- lichen Götter, a^avanla, ^ Cap. III. Die unsichtbaren und sichtbaren Götter, (inafioQtpmaig. ivagysia, Cap. IV. Die ^Bol dv&QoawondiSg und avd'Qmnonad'sis. Cap. V. Die &Bol qtigrsQOi ,dvdQ(Sv, Der Verf. hat diese Zusammenstellung zunächst für gereiftere Schüler bestimmt, die mit den Hauptpartien dieser beiden (Gedichte schon einigermaazen be- kannt sind, wobei er durch mögliche Beibehaltung der Ausdrücke md Worte des Dichters zugleich das sprachliche Interesse und die Bekannt Schaft mit dem griechischen Texte zu fördern l)eabsichtigt. O.

Mabienwebdeb.] Oberlehrer Raymann am dasigen G^ymnasinm starb im 1857 verflossenen Schuljahre; Hülfslehrer Dr Flemming Ist an das Gymnasium zu Tilsit versetzt worden; an des letzteren Stelle ist der Candidat der Theologie Rothe getreten. Das Lehrercolleginm bildeten im verflossenen Schuljahre: Professor Dr Lehmann Direotor| die Oberlehrer Prof. Dr Gützlaff, Professor Dr Schröder, Gross, Raymann, die ordentlichen Lehrer Dr Zeysz, Reddig, Henske, Gräser Lehrer fürs Französische und Englische, Berendt Zeiehen- nnd Schreiblehrer, Cantor Leder Gesanglchrer , die wissenschaftliehen Hülfslehrer Cand. Schröder und Rothe. Die Zahl der Schüler be- trug 335 (I 27, U 41, III« 30, lU»» 46, IV 74, V 71, VI 46). Abitn- rienten 1 1 . Die wissenschaftliche Abhandlung ist von dem Director Dr Lehmann geschrieben: sprachliche Studien über das Nibelungenlied. Zw€^ tes Heft, Satzstellung (23 S. 4). In dem vorjährigen (ersten) Hefte die- ser sprachlichen Studien über das Nibelungenlied hatte der Verf. da«

Keriolite Aber gelehrte Anstalten, Verordnungen, Statist. Notiien. 531

C^nmdgesetz der Yoransscbickting in Bezug auf die Kebensätze höherer Grade untersucht und war zu dem Resultat gelangt, dasz die in den altklassischen Sprachen unbekannte Regel, nach welcher kein Nebensatz Tor seinem ihm snperordinierten Nebensätze stehen darf, im Mittelhoch- deutschen vielfache, aber auch im Neuhochdeutschen noch mehrfache Ausnahmen aus triftigen Oründen erleide. Diesmal untersucht derselbe dms Grundgesetz der Yorausschickung blos in Bezug auf den Nebensatz des ersten Grades und spricht you der den altklassischen Sprachen gleichfalls unbekannten Regel des Deutschen, nach welcher in gewissen Fftllen auch ein Nebensatz des ersten Grades, falls ein anderer Neben- satz desselben Grades bereits dem Hauptsatze vorangeht, demselben nicht auch noch darf vorausgeschickt werden, oder mit andern Worten, nach welcher der Nachsatz nicht mit einem Nebensatze beginnen darf. § 1. Vorder- und Nachsatz. Vorder- und Nachperiode. § 2. Einlei- tungen der Nachperiode. § 3, 4 und 5. Entwicklung der Regel für die 8atzstellnng in Vorder- und Nachperiode. § 6, 7, 8 und 9. Ausnahme- falle im Nibelungenliede. § 10. Schlnsz. Mehr als zwei Nebensätze und mehr als ein Hauptsatz, 0.

Minden.] In dem Lehrercollegium des Gymnasiums und der Real- schule waren auch in dem 1857 verflossenen Schuljahre manichfache Ver- änderungen eingetreten. Der Gymnasiallehrer Dr Hoc he folgte einem Bufe an die Ritterakademie zu Brandenburg und der wissenschaftliche Bülfslehrer Polscher einem Rufe an die Realschule zu Duisburg. Die Tscanten Stellen wurden den Candidaten Haupt und Sardemann eommissarisch übertragen. Zur Erstehung des Probejahres waren dem Öyttinasium zugewiesen die Candidaten Faber, Sardemann und Haupt. Lehrerpersonal: Director Wilms, Prorector Zillmer, die Oberlehrer Dr Dornheim, Dr Güthling, Plantsch, Schütz, die Gymnasiallehrer Schütz, Meierheim, Hülfslehrer Petri, Gymnasial- lehrer Kniebe, die Candidaten F aber, Sardemann, Haupt, Pastor Dieckmann kathol. Religionslehrer. Frequenz 274 (Ig. 13, II g. 17, III g. 30, I r. 10, II r. 16, III r. 17, IV 44, V 52, VI 44, VII 31). AI« Lehrer für die neuerrichtete mit dem Gymnasium verbundene Vorbe- reitungsklasse wurde der Gymnasial - Elementar - Hülfslehrer J o h a n s - mann ernannt. Gymnasial -Abiturienten 3, Real - Abiturienten 2. Den fichulnachrichten geht voraus: die Kegelschnitte f in analytisckgeometriscker Darstellung f vom Oberlehrer Dr Dornheim (32 S. 4). Dr 0,

Neustettin 1857.] Die bisherige interimistische Hülfslehi'erstelle am dasigen Gymnasium wurde definitiv in eine etatsmäszige ordent- liche Lehrerstelle verwandelt und dieselbe dem bisherigen wissenschaft- lichen Hülfslehrer Frank übertragen. Zu Michaelis schied mit der ge- setzlichen Pension aus dem Kreise des Lehrercollegiums dei Oberlehrer nnd Pastor Dr Kosse. Zur provisorischen Ausfüllung der hierdurch entstandenen Lücke trat der bisherige Lehi'er am Gymnasium zu Alt- stettin Rüter ein. Der Schulamtscandidat Lesch folgte nach bestan- denem Probejahre einem Rufe an die höhere Lehranstalt zu Birkenruh in Liefland. Lehrer: Director Dr Röder, die Oberlehrer Prof. Beyer, Dr Kosse, Dr Knick, Dr Hoppe, Krause, Dr Heidtmann, die Gymnasiallehrer Dr Pfefferkorn, Franck, techn. Gymnasiall. Bech- lin. Schülerzahl 243 (I 25, II 37, HI 47, IV 50, V 50, VI 34). Abi- turienten 9. Das Programm enthält eine Abhandlung des Oberlehrers Krause: de fontibus et auctoritate scriptorum historiae Augustae, Pars, I (24 S. 4). Cap. 1. Hadrianus. Cap. 2. Aelius Yerus. Cap. 3. Anto- ninus Pius. Cap. 4. Antoninus Philosophus. Cap. 5. L. Antoninus Verus. Cap. 6. Avidius Cassius. Cap. 7. Commodus. Cap. 8. Per- tinax. Cap. 0. Didius lulianus. Cap. 10. Septimius Severus. Cap. 11. Pescennius Niger. Cap. 12. Clodius Albinus. Bei dem Jubiläum^ der

N. Jahrb. f, Phä, u. Paed. Bd LSXYIII. 10. 36

532 Beriohte fiber gelehrte Anstalten, Verordnnngen, ttalist. IMiMV«

Universität Greifswald überbrachte der Oberlehrer Dr Heidtmann eine GlUckwunschaddresse unter Beifü^ng einer von ihm verfaasten Epistola critica ad virum perillastrem O. F. Schoemanniim : über teftv^e- rige Steilen der Schrift des Cicero de nat, deorum, Dr 0.

Rastenbubo.] Im 1857 verflossenen Schuljahre haben keine Ter* änderungen im Lehrerpersonal stattgefunden. Die neubegründete 7e ordentliche Lehrerstelle ist durch Yocation dem früheren Hülfslehrer Fabricius definitiv übertragen. Das LebrercoUegium bilden der Di- rector Techow, die Professoren Klupsz, Brillowski, Weil, Küh- nast, die Oberlehrer Claussen, JUnsch, die ordentlichen liehrer Fabricius, Richter, Küsel, Thiem, Raths. Schülerzahl 311 (I 41, II 59, III* 46, III»> 30, IV 52, V 50, VI 33). Abiturienten 21. Den Schulnachrichten geht voraus : deutsche Kirchenlieder in Polen» Abth» /| vom Professor Dr Kühnast (26 8. 4). Der Verf. beginnt die Verw Öffentlichung eines Verzeichnisses der mehr als zweitausend Ueber- Setzungen deutscher evangelischer Kirchenlieder in das Polnische. Seine Aufgabe ist einen annüherungsweise vollständigen Ueberblick über die* Ben Schatz zu ermöglichen, der seit länger als hundert Jahren keine specielle Beachtung gefunden hat. Ein Theil der Quellen des polnischen evangelischen EÜrchenliedes, die vor der Mitte des vorigen Jahrhundertt noch vorhanden waren, ist bereits dem Untergange anheimgefallen. Der Zweck der Uebersicht ist ein lediglich praktischer. Die Giiinds&tsey nach denen der Verf. gearbeitet hat, ergeben sich aus der Arbeit selbst«

Dr 0.

Staboabd.] Am Anfange des 1857 verflossenen Schuljahres wordea Prof. Dr Hornig als Director des Gymnasiums und Dr Zinsow ab Prorector eingeführt. Letzterer verliesz am Schlüsse desselben die An- stalt , indem er einem Rufe als Director an das Gymnasium in Wetdar folgte. Lehrerpcrsonal : Director Prof. Dr Hornig, Prorector Dr Zin« Kow, die Oberlehrer Dr Schirlitz, Dr Engel, die Gymnasiallehrer Dr Schmidt, Essen. Runge, Dr Kopp, Dr Ziemssen, Hülfslehrer Frederichs, Zeichenlehrer Keck, Musikdirector Bischoff. Schüler- zahl 217 (I 14, II 18, III 36, IV 40, V 60, VI 49). Abiturienten 2. Statt einer wissenschaftlichen Abhandlung enthält das Programm : Aeol^ schule und (Gymnasium, Antrittsrede des Directors (18 S. 4). Dr O,

Thobn 1857.] Aus dem LebrercoUegium des Gymnasiums schied Dr A. Prowe, um dem Rufe als Director der höheren Töchtersohnle zu Thom zu folgen. Lehrer personal : Director Dr Laub er, die Ober- lehrer Professor Dr Paul, Professor Dr Jansen, Dr Fasbender, Dr Hirsch, Dr L. Prowe, die ordentl. Lehrer Dr Bergenroth, Dr Brohm, Pritsche, Dr A. Prowe, Müller, Böthke, Dr Winkler, Decan T schiedel kathol. Religionslehrer, Garnison-Prediger Braan- schweig evangel. Religionslehrer, die Zeichenlehrer Völoker und Templin. Die Frequenz der Anstalt war 346 (I 24, II gynuu 22, II real. 16, III gymn. 43, III real. 23, IV* u. »> 88, V* u. »» 08, VI 83). Abiturienten 10. Den Schulnachrichtcn folg^ eine Abhandlung des Ober- lehrers Dr Fasbender: Ahrisz einer Einleitung in die beschreibende Geo^ metrie (32 S. 4). Statt einer wissenschaftlichen Abhandlung haben wir hier die Bearbeitung eines Zweiges eines Lehrgegenstandes. Dieselbe ist hervorgenifen durch die Rücksicht auf den in den dortigen Real- klassen zu ertheilenden Zeichenunterricht, um damit den SehÜlem, welche an diesem theilnehmen, eine gedruckte Uebersicht der darin be- handelten einleitenden Begri£fe und Darstellungen aus der beschreiben- den Geometrie in die Hand zu geben. Dr 0,

Tilsit.] Der Oberlehrer des dasigen Gymnasiums Heydenreich wurde im Schuljahre 1857, nachdem er 40 Jahre hindurch der Anstalt seine Dienste geleistet, auf seinen Wunsch hin emeritiert. Zur Üeber-

Beriehte über gelehrte ÄDstaUen, Verordnungen, statUt. Notizen. 533

nähme der yaoant gewordenen mathematischen Stunden iat Dr Flem- ming'ans Marienwerder ins LehrercoUegiom eingetreten« Durch die Anstdlnng eines neuen HUlfslehrers , Skrodski, ist es möglich ge- macht die Seconda und Prima in den Hauptleotionen in zwei abgeson- derte Cötus KU theilen. Das Lehreroollegium bildeten der Director Professor Fabian, die Oberlehrer Schneider, Clemens, Dr Dü- ringer, die ordentl. Lehrer Dr Kossinna, Pöhlmann, Dr Scha- per, Meokbach, Gisevius, Hülfslehrer Schiekopp, Zeichenlehrer Behberg, Gesanglehrer Colli n. Die Zahl der Schüler betrug 284 (I 35, n 42, UI« 38, m»> 42, IV 41, V 41, VI* 23, VI»».22), Abitu- rienten 16. Den Schulnachrichten geht voraus eine Abhandlung von Dr Kossinna: über die KriegsmadU der Spartimer und Athener in der ersten Periode des peloponnesischen Krieges (21 S. 4). Der Verf. hat sich zur Aufgabe gestellt zu untersuchen, welches die Kriegsmacht der beiden Parteien im pelogponnesischen Kriege war, hat sich aber dabei auf die erste Kriegspei-iode bis zum Frieden des Nicias beschränkt, und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil bei den vielen Phasen, welche dieser Krieg durchmachte, nur die erste Periode noch eine ziemlich sichere Abwägung der ursprünglichen Kräfte beider Parteien zulasse, während am Ende die Verhältnisse sich umkehrten. Dabei sieht er zu- gleich von denjenigen Kräften ab, welche die beiden Hauptstaaten durch Hinzuziehung ihrer Bundesgenossen erhielten, da diese zum Theil eine selbständige Politik verfolgt hätten, wie Perdikkas, König von Mace- donien, der von der einen Partei zur andern schwankte, theils im Laufe des Krieges durch Neutralitätsverträge von der Betheiligung an dem- selben zurückgetreten, wie die Akamanier, theils endlich, was freilich nur von den athenischen gelte, abgefallen seien, wie die Lesbier, und dadurch der Hauptmacht den doppelten Kachäieil verursacht, diese nemlich nicht blos durch Entziehung der eignen Kräfte geschwächt, sondern sie auch in die Nothwendigkeit versetzt hätten, die zu ihrer Unterwerfung erforderlichen Streitkräfte dem Hauptkampfe zu entziehen« Der Verf. betrachtet zunächst Spartas und Athens Macht gesondert, wobei die Ermittlung der letzteren leichter ist als die der spartani- . sehen, weil wir in der Hauptquelle bestimmteren Angaben begegnen, die zu machen Thucjdides sowol durch den ofifenen Charakter der athe- nischen Politik als auch durch sein nahes Verhältnis zu den Ereignis- sen, an denen er selbst als Feldherr theilnahm, in den Stand gesetzt wurde. Nachdem der Verf. nun die Streitkräfte und die finanziellen Hülfsquellen beider Hauptstaaten Griechenlands für sich gemustert hat, findet er als das Ergebnis einer Vergleichung beider, dasz Sparta bei einem viermal gröszeren Gebiet und einer ziemlich gleichen Volksmenge nur in Betreff des Fuszvolks im Vortheil gewesen sei, und dies weniger durch die Zahl als durch die kriegerische Ausbildung und praktische Bewährung der Hopliten. Da aber die Spartaner anfangs gar keine Reiterei gehabt und die im achten Jahre des Kriegs errichtete schlecht gewesen und kaum halb so stark erscheine, als die der Athener trotz mancher Verluste noch geblieben sei, da ferner ihre Seemacht nur dem sechsten Theil der athenischen gleichekommen und endlich die zur Kriegs- führung nothwendigen Geldkräfte ihnen fast gänzlich gefehlt, so könne wol kein Zweifel darüber obwalten, dasz Athen als der mächtigere Staaft erscheine und Sparta gänzlich besiegt haben würde, wenn beide für sich den Kampf ausgefochten hätten. ,Da nun aber jeder dieser Staaten als Haupt einer Symmachie in den Kampf trat, wodurch die Machtverhält- nisse beider in eine andere Lage kamen, so werden auch noch die Hülfs- quellen erörtert, welche beide Hauptstaaten in ihren Bundesgenos- sen zum Beginn und zur Fortsetzung des Krieges fanden. Zu diesem Behufe werden zuerst die Bundesgenossen, welche sich um Sparta und

36*

534 Personalnolizen.

Athen grappierten, namhaft gemacht, und es wird dann die Frage zu beantworten gesucht, welche Contingente an Truppen und Schi^en sie stellten und welches ihre sonstigen Leistungen namentlich an Geldbei- trägen waren. Bei Sparta werden zunächst die Mitglieder des eigent- lichen peloponnesischen Bundes yon denjenigen Bundesgenossen unterschieden, welche sich erst später als Feinde Athens an Sparta an- geschlossen hatten; bei den Athenern werden drei yersehiedene Klassen von Bundesgenossen unterschieden: 1) yoUkommen selbständige, 2) nur der Form nach selbständige, 3) tributpflichtige oder unterthänige (Dazu kommt noch das eigentiiümliehe Verhältnis Thessaliens zu Athen). Dr O.

Personalnotizen.

Anttellsiigeii s

Bursian, Dr C, Priyatdocent , zum auszerordentHchen Professor in der philosoph. Facultät der Uniyersität zu Leipzig ernannt. Zarncke, DrFrdr. , auszerordentlicher Professor, zum ordentl. Pro-' fessor der deutschen Sprache und Litteratur an der Uniyersität bu Leipzig ernannt.

Oettorbens

Am 22. April starb zu Erlangen Dr Christian Flamin Hein- rich August Glaszer, geb. den 10. December 1805 zu Jodig in Ober- franken, seit 1833 Professor der Mathematik am Gymnasium in Erlangen. Am 5. September ebendaselbst der durch seine zahlreichen Schraten bekannte Philosoph Dr Johann Friedrich Koppen im 84n Lebeni« jfthre. Er war am 21. April 1775 zu Lübeck . geboren , seit 1807 Pro- fessor der Philosophie in Landshut, seit 1827 in Erlangen und seit 1845 auf sein ansuchen in Ruhestand yersetzt *). Am 6. October eu Zittau der Gymnasiallehrer C. Frdr. Aug. Gamm im 41n Lebensjahre. Am 11. October in Berlin der berilhmte klassische Schriftsteller Qeh.- Bath Karl August Yarnhagen yon Ense im Alter yon 74 Jahren.

*) Die an seinem Grabe yon dem Prof. Dr yon N ä gel sb ach ge- haltene treffliche, das Wesen des Verstorbenen in ergreifender Klarheit schildernde Bede ist im Druck erschienen.

Zweite Abtheilung

hentHsgegebeH ?•■ Rid^lph DielscL

35.

Ueber die Bedeutung der Raumanschauung auf dem Gebiete

der Sprache.

Als geistig-sinnliches Wesen in die Mitte zweier Welten gestellt und durch seine Doppelnatnr zum Bindeglied und Vermittler derselben bestimmt, fühlt der Mensch den Drang und die Kraft iil sich, das gel« stige zu versinnlichen und das sinnliche zu vergeistigen. Ist nun auch seine gesaipte Thäligkeit eine geistig -sinnliche, so dasz aUe seine Werke und Schöpfungen , wir erinnern unter andern an die der Kunst, gleichsam Abbilder seinerselbst sind, so tritt doch in keinem dersel- ben dieser Doppelcharakter des Menschen und sein eigenthnmliches Wesen mehr hervor, als in der Sprache '^j , dem anmittelbaren Organe des Geistes und gewissermaszen der Vorbedingung und Grundlage aller geistigen Lebensäuszernngen. In der Sprache, dieser Welt von Lauten, offenbart sich der denkende menschliche Geist in der Form der Vorstellung. Die tausendfältigen Eindrücke der Dinge, ihrer Eigen- tchaften und Thätigkeiten, welche durch die Sinne mit dem Geiste des Menschen vermittelt werden, verwandelt er mit innerer Nothwendig- keit in ebensoviele Vorstellungen und verkörpert diese als geistig- sinnliches, geselliges Wesen in artikulierten Lauten; ja auch'^die gei- stige Welt findet durch immer gröszere Vergeistigung und Vertiefung der zunächst die Dinge der Auszenwelt bezeichnenden Wörter ihren angemessenen Ausdruck. Die Art und Weise, wie dies geschieht, wie

*) Wie die Sprache im allgemeinen , so ist auch jedes einzelne Wort ein treues Abbild des Menschen. Denn wie wir beim Menschen Leib, Seele und Geist unterscheiden , so können wir dieselbe Dreitheilung auch bei dem einzelnen Worte nachweisen. Jedes Wort hat nemlich zuerst seinen Leib an dem hörbaren Laute, seine Seele an dem Merkmale, welches es ursprünglich bezeichnet, und endlich seinen Geist an dem Begriffe, zu dem die Merkmalsvorstellung allmählich sich erweitert und erhebt. Vgl. Magersche Revue Is Heft 1858 ^über das dreifache Moment eines jeden Wortes,'

N. Jahrb. f, PhU. u. Paed. Bd LXXVIII. ffft II. 37

536 lieber d. Dedeotong d. Raumanschaaung auf d. Gebiete d. Spricke.

der menschliche Geist die Auszen- und Innenwelt in Vorstellangen verwandelt and diese durch angemessene und bedeutsame Laute ver- körpert, bildet eine der anziehendsten Seiten der Sprachwissenschaft. Im nachstehenden wollen wir es versuchen, an einem Beispiele nachzuweisen, wie sich die Sprache durch metaphorische' Anwendang der zunächst Gegenstände der Sinnenwelt und ihre Anschauungsformen bezeichnenden Wörter erweitert und vertieft. Die im Menschen anfangs noch schlummernde geistige Kraft wird durch die vermittelst der Sinne auf sie einwirkende Auszenwelt, ihre manigfaltigen Formen, Farben und Schälle zum Bewustsein ihrer selbst und zur eigenen, gegen die Eindrücke von auszen reagierenden Thätigkeit geweckt. Diese erste Thätigkeit aber besteht in der Bildung der Vorstellungen und ihrer gleichzeitigen Verkörperung in der Sprache. Da nun die Sprache von der Auszenwelt und der Welt des realen ausgeht und sich an ihr ent« wickelt, so finden wir in ihr die Grund Verhältnisse der Wirklichkeit, wie der Mensch sie anffaszt und sich vorstellt, wieder, so dasz sich ein durchgehender Parallelismus zwischen sein , denken und sprechen nachweisen läszt *), Wie demnach der menschliche Geist in der Wirk- lichkeit sein und werden oder Substanzen und ihre Thätigkeit anter- scheidet, so finden sich in der Sprache zunächst als erste and wichtig- ste Wörter das Substantivum und Verbum, woran sich das Adjectivan als Bezeichnung der Qualität des seienden anscblieszt. Diese anmit- telbar sinnliche Gegenstände bezeichnenden Wörter, von Aristoteles qxoval atKiavxiiuicly von den neueren Grammatikern bald Begriffs-, bald, und zwar richtiger Stoffwörter genannt, bilden die eine Hauptgrappe der Redetheile. Ihnen steht eine andere Gruppe von Wörtern gegeo- über, welche dazu dienen, blosze Anschauungs- und Denkformen sa bezeichnen, d. h. formale Verbältnisse und Beziehungen, unter welchen das Subject die Dinge anschaut oder sich denkt, im Gegensatz gegeo die ersteren von den allen gxoval äari^oiy von den neueren Formwör- ter genannt. Dahin gehören vor allen die Wörter zur Bezeichnung der Anschauungsformen des Raumes und der Zeit, ferner der Kategorien der Quantität, der Modalität und des logischen oder ideellen Redever- hältnisses. Wenn sich auch die Grenzen dieser beiden Hauptklassea der Wö^er, welche vielfach ineinander übergehen, nicht genau ange- ben lassen , wie denn von Aristoteles bis heute unter den Grammati- kern selbst die grösten Abweichungen in der Bestimmung der Rede- theile stattfinden **)y so musz doch die durchgehende Verschiedenheit

*) So entspricht die Anschaunng oder Einzelvorstellnng sprachlich der Wurzel, wirklich der Einzelexistenz; der Begriff nach Inhalt und Umfang sprachlich dem Worte, wirklich dem Wegen nnd der Gattaag; da9 Urteil sprachlich dem Satze , wirklich dem synthetischen Grandver- hältnisse oder der Relation; der Schlusz sprachlich dem zusammenge- setzten Satze, wirklich der realen Gesetzmäszigkeit, endlich das System sprachlich der zusammenhängenden Rede, wirklich der Gliederung der Dinge. Vgl. Fr. Ueberweg System der Logik und Geschichte der logi- schen Lehren. **) Wälurend Plato blos ovofia und ^ijfta, Substanti-

JJf/bet d. Bcdeulnng d. Rausnflnscliouung anf d. Gebiete d. Sprache. 537

der beideu Hauptgrappen, welche auf einem mit dem seitt gegebeneo natarlidieD Unterschiede beruht, festgehalten werden. Die roanigfaU ligen Dinge der Aaszenwelt stehen nemlich in den manigfalligsten Be- xiehangen zueinander; wir schauen sie nebeneinander im Räume, nach- einander in der Zeit an, wir erkennen sie vermöge der uns angebornen Kategorien als die einen durch die andern und für die andern seiend. Die bedeutendsten Sprachforscher, wie Bopp, Heyse, Wflllner, nehmen daher für die Formwörter besondere Wurzeln , verschieden von denen der Stoifwörter, an. Während der LautstofT der letzteren durch unmit- telbare Sinneseindrucke der Gegenstände, die sie bezeichnen, begrün- det ist, haben die Formwörter als zur Bezeichnung der Beziehungen der Stoifwörter untereinander und zum Subjecte dienend einen sub- jecliven Ursprung und werden von den sogenannten Lautgebehrden, welche wie die sichtbaren Gebehrden einem andern etwas andeuten aollea, hergeleitet '^). Sind somit die Formwörter hinsichtlich ihres ur- aprünglichen Lautstoffes von den Stoffwörtern verschieden, so stimmen sie dagegen in einem andern auf dem Gebiete der Sprache höchst wichtigen Punkte überein. Der Mensch, welcher bei der Sprachschöpf- ong von der Sinnenanschauung ausgeht, erweitert die Sprache auf dem Wege der Metapher, indem er vermöge der Einbildungskraft die Wörter von ihrer sinnlichen Urbedeutung zu geistigen, abstracteren hinüberführt. Auf dem Staudpunkte, worauf der wortschaiTende Mensch steht, ist derselbe noch nicht im Stande, rein geistige, unsinnliche Begriffe zu bilden; er faszt vielmehr das geistige,. unsinnliche in Bildern auf und schafft sich zum Ausdruck desselben analoge Gegenbilder oder stellt es durch die sinnliche Form dar, in welcher es sich äuszert *'^y Obwol die Sprache sich im Laufe der Zeit immer mehr vergeistigt und vertieft, so geht die ursprüngliche Bildlichkeit doch nie ganz verlo- ren ^^'*'). Daher kommt es, dasz besonders in den Stammspracben so

▼am und Verbam, als die constitoierenden Theile des loyog aufzählt, Aristoteles dagegen noch die Partikeln {avvdsafiog) and das ag&Qov (d. i. Artikel und Pron. dem. a. rel.) hinzufügt, nehmen die neueren bald 6, bald 0, bald 10 usw. Redetheilc mit den verschiedensten Namen an. Tgl. Magers Revae Bd. III S. 321 371 ^die grammatischen Kategorien.' *) Dabin gehören Laute wie st, ps, scb, he, holla, oder an Thiere gerichtet : brr, hottoh. Insofern der sie gebrauchende Mensch damit je- desmal ein bestimmtes begehren ausdrückt, vertreten sie die Stelle gan- zer Sätze. **) Vgl. als Belege für den ersten Fall goth. vitan (wis- sen and sehen); Vernunft neben nehmen; Begriff und begreifen neben greifen; heiter (hell und freudig); angustia (Enge und Angst); illustris and clarus (hell and berühmt) ; Candidas (weisz und redlich) usw. Als Beispiele für den zweiten Fall dienen liysiv and Ao'yos, sprechen und denken, Rede und Vernunft; frohlocken neben goth. laikan, hüpfen; %qbCv zittern und fürchten ; erschrecken neben ahd. scricchan = sprengen ▼gl. Heuschrecke asw. ***) Die Sprache ist durch and durch bildlich; wir sprechen in lauter Bildern, ohne es in den meisten Fällen zu wis- sen. Freilich herscht in dieser Hinsicht ein groszer Unterschied anter den Sprachen, indem einige mit Aufgabe des sinnlichen Elementes zu höherer Vergeistigung durchdringen , andere dagegen , wie z. B. die ara^

37*

538 lieber d. Bedeattfng d. RaumanschauuDg auf d. Gebiete d. Sprteke.

viele Wörter nnd zwar meistens Vcrba eine doppelte Bedeutung, eine ursprüngliche, sinnliche und eine oder auch mehrere abgeleiteie, me- taphorische haben. Und diese Uebertragung findet nicht blos vom sinnlichen auf das geistige, sondern auch in der Bezeichnung des sinn^ liehen selbst statt, indem die Sprache fiberall das leblose zu beleben sucht *).

Ganz derselbe Vorgang nun, den yrir bei den StofTwörtern er- blicken, läszt sich auch bei den Formwörtern nachweisen. Auch hier erreicht die Sprache mit wenigen Mitteln vieles, indem sie die ur- sprünglich zur Bezeichnung der Anschauungsform des Raumes dienen- den Formwörter auf dem Wege der Metapher vergeistigt und vertieft. Die beiden Formen, unter welchen wir sein und werden anschauen, sind Raum und Zeit. Sowie der Raum die Form des beharrenden seins der Dinge oder der Materie ist, abstrahiert von dem raumerfüllenden Stoff, so ist die Zeit die Form des werdens oder der Verfindernng, ganz abstract genommen, abgesehen von dem werdenden oder sich verändernden Stoffe. Bei weitem die wichtigste der beiden Anschau- ungsformen ist für uns auf dem Gebiete der Sprache die Anschaunngs- form des Raumes. Als entschieden vorwaltende, mit den Augen ange- schaute Form kommt sie dem Menschen zuerst zum Bewustsein und findet daher auch zuerst in der Sprache ihren Ausdruck, so dasz anter allen Formwörtern die zur Bezeichnung des Ortes, an welchem ein Ding, oder der Richtung, in welcher eine Thätigkeit wahrgenommen wird, dienenden als die ersten und ursprünglichen zu betrachten sind. Was die Form dieser ursprünglichen Adverbia des Ortes angeht, so hält es schwer dieselbe genau anzugeben, da sie sich wie die Wurzeln der Yerba selten oder nie in reiner Urgestalt alß selbständige Wörter in den wirklichen Sprachen finden , sondern als Wurzeln in den Pro- nominen, den Endungen der Casus und manchen abgeleiteten Adver- bien verborgen stecken'*''''). Zur Erklärung des Ursprunges derselben mag folgendes dienen. Indem wir festhalten, dasz alles ursprüngliche in der Sprache aus unmittelbarer Anschauung, nicht aus künstlicher Berechnung entstanden, finden wir es natürlich, dasz der Mensch, der die Aufmerksamkeit eines andern auf einen bestimmten Punkt im Raum hinlenken wollte, mit der Hand oder sonst wie darauf hinzeigte und dgbei Laute, wie etwa i, li, ta usw. aussprach. Bald dienten diese Laute zur Bezeichnung des Punktes selbst. Der Uebergang von diesen ursprünglichen O.rtsadverbien zu den persönlichen und hinzeigenden Fürwörtern ist sodann ein ganz natürlicher und leichter. Während

bische Sprache die sinnliche Urbedeutung in den Wörtern , welche on- sinnliche Yorstellungenen bezeichnen sollen , weniger aufgeben.

*) So werden Benennungen von menschlichen oder tbierischen Kör- pertheilen auf unbelebte Dinge angewendet: Bein (des Stuhles); Fusi, Rücken (des Berges); Zahn (von Sägen, Kämmen); Zunge (der Wage); Pflanzen nach Tbi^ren oder Thiergliedern benannt: Fuchsschwanz, Bocks- horn, Mäuseohr, Bocksbart, Hahnenfusz, Bärenklan, Storchschnabel usw. S. Heyse System der Sprachwissenschaft S. ft8 ff. ♦*) S. Wtillncr

'über Ursprung und Urbedeutung der sprachlichen Formen' S. 146 ff.

Ueber d. Bedcatang d. Raümauschaaang auf d. Gebiete d. Sprache. 539

das örtliche Adverbium den bloszen Punkt im Raum bezeichnet, drückt dagegen das Pronomen das den Punkt einnehmende etwas, sei es Per- son oder Sache, aus. Allmahlich tritt aber mit der zunehmenden Ver- geistigung der Sprache die sinnliche Vorstellung der Oertlichkeit zu- rQck und verwandelt sich in den abstracteren Begriff der verschiede- nen Verhältnisse , in welchen die Gegenstände der Rede zu der Rede und somit zu dem Gedanken selbst stehen oder der grammatischen Personen und syntaktischen Redeverhältnisse. Jede Sprachänszerung ist ursprünglich Mittheilung eines Gedankens durch ein redendes Indi- viduum an ein angeredetes und für diese in der Rede selbst auftreten- den Individuen musz ein auszer ihnen liegender angeschauter oder rorgeslellter Gegenstand oder ein drittes charakterisiert werden. Diese aus der subjectiven Form der Rede entspringenden Unterschiede kann das Substantiv nicht ausdrücken, da es die Substanz immer nach seiner objectiven Seite ohne Rucksicht auf das Redeverhältnis bezeich- net. Es treten daher eigenlhümliche Formwörter, pronomina personalia und weiter demonstrativa an seine Stelle. Die letzteren, welche nicht eigentlich Vertreter des Subjectes sind, sondern nur Bestimmwörter desselben, sind meistens, wie a. B. dieser und jener*), durch Ableitungen von den Urpronominibus gebildet. Auch die pronomina interrogativa, relative , determinative sind von Ausdrücken für Anschauungsverhält- nisse entlehnt oder gebildet und lassen sich daher auf die ursprüngli- chen Formen für die Raumanschauung zurückführen **). Dasz ferner die Casusendungen neben den Fürwörtern und gebräuchlichen Ortsad- verbien ihre gemeinsame Wurzel in den Uradverbien für die Ortsbe- zeichnung haben , ist bereits oben erwähnt worden. Die casus obliqui nemlich, welche hier in Betracht kommen, lassen sich auf die 3 räum- lichen Beziehungen, in welche ein Gegenstand zu einem andern treten kann, zurückführen.. Der Gegenstand der Beziehung kann der Aus- gangspunkt, das woher, der Zielpunkt das wohin, der Rnhepunkt das wo für das Subject oder dessen thun oder Zustand sein ***). Aus diesen Raumanschauungen entwickeln sich dann die abstracteren lo- gisch-grammatischen Beziehungsbegriffe der Casus. Endlich sind noch die Präpositionen zu erwähnen, welche ursprünglich Ortsadverbia sind, nnd später mit Substantiven vereinigt bestimmte Ortsverhältnisse be- zeichnen t). Aus den bisher betrachteten Formwörtern des Ortes ent-

*) Dieser abd. deser ist durch verstärkeDden Zusatz aus dem ur- sprünglich einfachen Deutewort ^der' erwachsen, ebenso jener, ferner lat. bic, is, ille, iste, idem und gr. oöe , oviog, Ixtivos nsw. **) Vgl. Grimm deutsche Grammatik III. B. zu Anfang und WüUner a. a. O. ***) Am reinsten treten diese ursprünglichen Bedeutungen der Casus noch in der Construetion der Stadtenam^u und einiger wie Städtenamen con- strulerter Wörter im Griechischen und Lateinischen hervor, vgl. MaQU- 9'mvi, HaXafiCvi, ^yg^t ot-aotj xafiotl und lat. domi, humi, Romae, Co- rinthi, in denen i und ae nach Form nnd Begriff dem sanskritischen Locativ auf i entsprechen ; auf die Fragen wohin ? Romam , Athenas. Statt des Genetivs auf die Frage woher ? tritt im Lateinischen der Abla- tiv ein, z. B. Roma, Athenis, Syracusis usw. f) Vgl. Organismus der Sprache v. Ferd. Becker S. 420 ff.

540 lieber d. Bedeutang d. Raumanschauang aaf d. Gebiele i. Spraehe.

wickeln sich nun die Formwörter für die Zeit und weiterhin fOr rein geistige logische Beziehungen durch metaphorische Anwendung. Zuerst gehören hierher die adverbialen Bestimmungen der Zeit. Die Anschau- ung der Zeit oder der Form für das nacheinander des Werdens kommt. dem Menschen erst nach der Raumanschauung zum Bewustsein, wie wir das noch jeden Tag bei Kindern bemerken können, bei welchen sich schon wenige Wochen nach der Geburt die Raumanschaaung daria knnd thut, dasz sie den Gegenständen mit den Augen folgen. Die An- schauungsformen von Zeit und Raum entwickeln sich aus und mit dem Begriffe der Bewegung. In der Zeit wird das innere, in dem Räume das äuszere Moment der Bewegung angeschaut. Beide zusammen- genommen machen das Masz der Bewegung aus, und alle Thätigkeit gehört, je nachdem sie entweder als eine innere oder als eine iuszere Bewegung gedacht wird , der Anschauungsform der Zeit oder der An- schauungsform des Raumes an. Raum und Zeit sind daher nicht nur WechselbegrifTe, die sich nur fassen lassen, indem einer vom andere unterschieden und damit durch den andern bestimmt wird, sondern sie stehen auch ursprünglich und an sich in Beziehung zueinander. Denn schon im ersten Ursprünge erhält die Zeitvorstellung dadurch eine Be- ziehung zur Raumvorstellung, dasz sie nur entsteht, indem wir untere sich folgenden Vorstellungen von unserm ruhig stehen bleibenden Ich unterscheiden und damit jene diesem gegenüberstellen. Das gegenflber der Dinge ist aber eine räumliche Bestimmung. Andererseits sind es dieselben Dinge, welche raumlich nebeneinander befindlich, zeitlich aufeinander folgend und zugleich in räumlicher und zeitlicher Bewe- gung begriffen erscheinen. Daraus ergeben sich jene immanenten Be- ziehungen zwischen beiden Sphären, welche es möglich machen, die räumliche Bewegung durch die zeitliche und umgekehrt zu messen*). Es ist daher in der Natur der beiden Anschauungen gegründet, dasi Ausdrücke zur Bezeichnung der einen auch für die andere gebranobt, also die Zeit als Raum (Zeitraum) und die Gegensätze des Zeitverhill' nisses als Gegensatze des Raumverhältnisses gedacht werden. So ent- spricht dem Gegensatz von Vergangenheit und Zukunft der Gegensats der räumlichen Richtung (woher und wohin); und die Sprache beaeick- net den ersteren häufig durch den letzteren, z. B. il vient d^arriver oad il va partir. Insbesondere entsprechen die GröszenverhSItniase der Zeit (Dauer und Wiederholung) den GrÖszenverhältnissen des Raomes (Ausdehnung und Zahl) in solcher Weise, dasz sie in der Sprache meistens gar nicht unterschieden werden, z. B. in ^Zeitraum' und ^Zwi- schenraum', eine ^lange und kurze Rede' und ein ^langes nnd kurzes Seil', eine * Stunde Weges' und eine ^Stunde Zeit', das ^Ende der Mauer' und das 'Ende des Jahres'**).

Die Wörter, welche hier zuerst in Betracht kommen, sind Adver- bia und Präpositionen. Unter den Adverbien stehen diejenigen, welche

*) Vgl. Glauben und Wissen, Speculation und exacte Wissen* Bchaft usw. V. Hermann Ulrici S. 109. **) Vgl. Ferd. Becker «. a. O. S. 192.

Uflber d. Bed6«tiiiig d. Raamanscbaoang aaf d. Gebiete d. Sprache. 541

von Demonstrativ- und loterrogativpronomen gebildet sind, oben an, weil mau in ihnen die Weise erkennt, wie die Sprache die objectiven Zeitbestimmungen überhaupt darstellt. Daraus nemlich, dass die Zeit- verbfiltnisse durch demonstrative Adverbien bezeichnet werden, er- hellt, dasz die Sprache die objectiven Zeitverhältnisse überhaupt unter die der sinnlichen Anschauung näher liegende Anschauungsform dea Raumes stellt und das wann als ein wo darstellt. Während manche Adverbien wie hier, da; lateiu. hie, hinc, ibi, ubi, iude; griech. iv^ix^ Sv&evj o&gv usw. sowol Ort als Zeit bezeichnen können und so den leichten Uebergang von der Ortsbestimmung zur Zeitbestimmung dar- thnn, weisen die meisten übrigen Zeitadverbien durch ihren prono- minalen Ursprung 'wenigstens auf die ihrer Bildung zu Grunde liegende Raumanschauung hin. Es ist nemlich kaum zu zweifeln, daBz die Zeit- adverbien jetzt, nun , latein. hnnc, iam, tum, tunc, olim, vvv ebenso wie dann, wann, quando, quondam, griech. ore, Tor£, nots von ver- loren gegangenen Pronomen abstammen '^). Klar ersichtlich ist die Ab- stammung von dem Demonstrativpronomen in adbuc, hodie, heute (ahd. hiute aus hin > tage), heuer (ahd. hinre aus hin-jare), vorhin, nachher u. a.

Das Zeilverhältnis des Praedicates zn einer andern Thätigkeit wird in der Sprache auf sinnliche Weise als ein räumliches Verhältnis- und die Zeitbestimmungen in denselben Formen dargestellt, welche das Orlsverhaltnis (wo) bezeichnen. Das Verhältnis der Gleichzeitigkeit wird, wenn die Zeitbestimmung als Zeitpunkt gedacht wird, durch Praepositionen ausgedrückt, welche die räumliche Nähe bezeichnen, z. B. nsgl dvöiv '^Xiovy am Abend, am Montage, bei Sonnenaufgang, nm Ostern, ä midi, ä sept heures, to day, to morrow, der Zeitraum durch Praepositionen, welche den räumlichen Gegensatz von innen und auszen bezeichnen, z. B. iv öelnvci)^ dia ßlov^ im Sommer, en hiver, dans la nuit. Den Gegensatz der vorangehenden und nachfolgenden Zeit stellt die Sprache als Gegensatz einer räumlichen Dimension dar durch die Praepositionen tvqo und ano, ante und post, vor und nach, die Zeitdauer aber als Ausdehnung im Räume, z. B. vom Morgen bis zum Abend. Wir haben bereits oben bemerkt, dasz die Vergangen- heit als die Richtung woher und die Zukunft als die Richtung wohin angeschaut wird. Allein dieser Unterschied in der Bezeichnung der Zeit wird nicht immer festgehalten, sondern die mit Praepositionen der Richtung woher gebildeten Ausdrucke bilden entschieden die Mehr- heit, z. B. latein. de tertia vigilia, de die, de nocte, franz. de jour, de nuit, demain, de bonne heure, d6ja , engl, of late, of a sunday, ndt. van dage, van abend. Endlich werden die Zeitverhältnisse auch durch Casus, insbesondere den Genetiv und Dativ, ausgedrückt, so dasz auch hier, da den Casus ursprünglich Raumanschannng zn Grunde liegt, die Zeit als Richtung im Räume angeschaut wird.

Die Sprache bleibt aber hierbei nicht stehen, sondern indem sie

*) Grimm d. Grammatik UI 120. 165. 249 ff.

542 lieber 4. Bedentmig 4. Rannanscbauang aof i, Gebiete d. Spraöha.

in ihrer Vergeistignng^ and Vertiefnng immer weiter gebt, verwendet die die ursprünglich rgumliche Verhfiltnisse bezeichnenden FormwÖr* ter auch zur Bezeichnung der rein geistigen , logischen , insbesondere caosalen Beziehungen. Die allgemeinsten Verhältnisse des Grundes, der Ursache und des Zweckes bezeichnet die Sprache durch Formen, welche sie von den Demonstrativ- und Relativpronominen entlehnt und meistens mit Praepositionen verbindet, z. B. da, dann, daher, deswe- gen, deshalb, daraus, davon, darum, dadurch, damit, dazu, also, wo- her, warum, weshalb, wodurch, wozu ; latein. hinc, inde, ideo, idcirco, * propterea, unde, quid, quocirca, quare, quapropter; griech. roOev, Z^svy r/, dta r/, elg vi, dio^ diori'j engl, why, wherefore, there- fore usw. Offenbar liegen auch diesen Ausdrücken Raumvorstellangen, insbesondere die der Richtungen woher und wohin zu Grunde. Da nemlich die Sprache, wie überall, so auch hier von der Wirklichkeit und der unter die Sinne fallenden Auszenwelt ausgeht, schaut sie die Kategorien der Causalität und des Zweckes, die erste als ein hervor- gehen des einen aus dem andern, die zweite als ein übergehen zu einem andern , der Wirkung in der Natur, an und bezeichnet sie ver- mittelst metaphorischer Anwendung durch Formwörter für raumliche Verhältnisse. Auszer den eigentlichen Praepositionen, wie von, ans, SU, für, durch, um, an, in, bei, nach, mit, kommen auch sehr viele ao- eigentliche, wie wegen, um willen, halber, vermittelst, kraft, ver- möge, latein. causa, gratia , ergo, propter, griech. %(xQtv^ engl, for the sake of , for tbe purpose of, by means of, on account of usw. bei der Bezeichnung des Grundes, der Ursache, des Mittels and Zweckes zur Anwendung, welches darin seinen Grund hat, dasz die eigentlichen Praepositionen zur Unterscheidung dieser Verhältnisse nicht ausreichen. Statt der Praepositionen bedienen sich die alten Sprachen zur Bezeichnung causaler Verhältnisse mehr der bloszen Casus. Insofern aber die Casus ursprünglich von Raumanschaoao- gen aasgehen, liegt auch dieser Bezeichnung die Raumanschanang zn Grunde.

Eine besondere Bedeutung erhält endlich die Raumanschanang durch die Uebertragung auf Thatigkeiten, die an sich nicht mehr räumliche Bewegungen oder auch nicht einmal sinnlich anschanliche Thäitigkeiten sind, so wie auf sinnliche Gegenbilder, welche nicht sinnliches bezeichnen. Was die ersteren angeht, so werden sie in der Sprache noch mehr oder weniger wie räumliche Bewegungen mil dem Gegensatze einer raumlichen Richtung woher und wohin gedacht und diese Richtungen theils m den Verben selbst durch Vorsilben und Praepositionen bezeichnet, theils durch Praepositionen vor dem Ob* jecte der jedesmaligen Thätigkeit ausgedrückt. In Stammsprachen, wie die deutsche, wo die sinnliche Grundbedeutung der Verben nooh verstanden wird, ist diese Ausdrucksweise besonders häußg, und die Sprache gewinnt dadurch auszerordentlich an sinnlicher Kraft, an An- schanlichkeit und lebendiger Färbung, indem sie die nicht sinnlichen Begriffe und ihre Beziehangsverhftltnisse in den lebendigen Kreis der

lieber d. Bedenloag d. RaaroanschanoDg auf d. Gebiete d. Sprache, 643

Biunlichen Anschauung zurückführt*). Aus den vielen Beispielen nur einige: zu- und absprechen, zu- und abnehmen, ab-, auf-, bei-, um- und zukommen, unter -geben, -jochen, -stehen, vorstellen, er -werben, -stehen, -setzen, -bitten, -langen, und mit Praepositionen vor dem Objecte: an einen denken, nach einem verlangen, auf etwas hoffen, sinnen, auf jemanden vertrauen, bauen, vor etwas erschrecken, an einer Sache gelegen sein, von einem abhangen, sich in etwas fügen, von einer Krankheit genesen ; latein. amittere, perire, invenire, inficere, snccurrere, sub venire, explicare, opprimere, inculcare, insultare; gr. ano - ßdlXsiv , -ßXbcuvj -yiyvcioKsiVj -mveiv, ava-ßalvsiVj -ayeiv^ "öidovai^ -cciQSiVy -xeia^aiy xccta-ßalveiVf -ßdXXsiv^ -yi^yvdamivy ^lafißciveiv usw.

Endlich werden die rSumlichen Richtungen (ab und zu, nach oben and nach unten usf.) auch als sinnliche Gegenbilder benutzt, z. B. in Zu- und Abneigung, Ab -sieht, -trünnig:, -gefeimt, -geschmeckt, -gemergelt, zu-fallig, -länglich, -traulich, -träglich, -thulich, vor-sich- tig, -bildlich, -eilig, -läufig, -nehm, -witzig, nach-ahmen, -drücklich, -stellen, Ueber-mut, -flusz, -band, -spannt usw.

Fassen wir das Ergebnis unserer bisherigen Betrachtung zusam- men , so ist es kurz dieses. Die Raumanschauung erstreckt ihren Ein- flusz über einen bedeutenden Theil des Sprachgebietes. Nicht nur liegt sie den meisten Formwörtern, unter andern den sämtlichen Pro- nominibns, vielen Adverbien der Zeit, der Qualität und Quantität, den eigentlichen Praepositionen und Conjunctionen zu Grunde, sondern' auch die Casusformen 'der Substantiva und die Personalendungen "*"*) der Verba sind, und zwar die ersteren direct, die letzteren indirect (Vermittelst der Pronominalstämme) , von der Raumanschauüng herzui> leiten. Ueberdies werden die zur Bezeichnung der Raumanschauüng dienenden Formwörter zuf Bildung sinnlicher Analoga (Gegenbilder) und zur Bezeichnung der räumlicheu Richtungen (woher und wohin) nicht sinnlicher Thätigkeiten , die in der Sprache noch mehr oder we- niger wie räumliche Bewegungen gedacht werden , verwandt.

Frankfurt a. M. H. Wedewer.

*) Hierin liegt ein eigentLümlicher Vorzug der Stammsprachen vor den abgeleiteten. Während nemlich in den ersteren die figürlich ge- brauchten Wörter noch deutlich auf die erste sinnliche Bedeutung hin- weisen oder doch leise an dieselbe erinnern und deshalb von yortreff- licher Wirkung in der Poesie sind, vgl. unterjochen, untergraben, ein- flöszen, ausschweifen, erbrechen, aufbrechen, ausbreiten, entfalten, ent- hüllen, begreifen, erklären usw., haben dagegen in den abgeleiteten Sprachen die Wörter beim Uebergange aas der Stammsprache ihre bild- liche Bedeutung meistens verloren und dienen nur noch zur Bezeichnung nnsinnlicher Thätigkeiten (vgl. im Französischen expliquer , opprimer, snpprimer, conniver, retorquor, recalcitrer, inculquer, supposer, tra.duire, insister, circonscrire , exage'rer, insulter usw.). **) Vgl. Curtius ^die Bildung der Tempora und Modi' und Bopps ^vergleichende Grammatik*.

544 Üv und fii^ im Zusammeiihaog mit den ModalfoimeB.

36.

Der Gebrauch von ov und (t^ in seinem Zusammenhang mit den Modalformen der Sätze, und mit besonderer Be- rücksichtigung der neuesten Thearie von F ritsch.

1. Wie bei den Modusformen und av ist es auch bei ov und (m^ Slil den Gebrauch derselben im einzelnen durch Anlegung irgend einer Grundbedeutung für erklärt anzusehen. Man mag aber diese aufstellen wie man will, man wird keine finden, nach welcher nicht in einer Menge ganzer Gebrauchsweisen (irj zulässig erscheinen musz , in wel- cher es doch nur ov gibt und umgekehrt. Wird daher auch solch eine Grundbedeutung als im usus durchführbar nachgewiesen , so ist, selbst wenn die Klassen des letzteren vollständig gesondert wären, damit wenig erreicht. Denn jenes als Resultat wird sich doch keine andere der aufgestellten oder aufstellbaren Grundbedeutungen entreiszen las- sen; jede wird dasselbe für sich beanspruchen, und die Hauptfrage wird dennoch offen bleiben, wo nothwendig ov, wo fii) gesetzt wer- den müsse. Nach allen Definitionen. nemlicb wird, wie auch der Aus- druck falle , in den beiden Negationen immer yfol ein Reich des ab- stracten oder ideellen und ein Reich des realen geschieden sich zei- gen. Was ist damit aber gesagt, wenn derselbe Satz in derselben Bedeutung, welcher, so lange er im Infin. stand, firi zur Negation hatte, in der Form mit ou nothwendig ov erhält? Also die Form der Sätze bildet auch ein Moment. Nebensätze im Partie, mit oS^,- wie tag ov% eldcig r=r ^a Is ob', müsten nach allen Definitionen mir mit fin negier- bar sein, ja schon Hauptsätze im Opt. c. av^ im Praeter, o, avj wäh- rend doch nur ov möglich ist. Wäre nun auch höchstes Ziel der For- schung die Gewinnung einer unantastbaren , überall siegreich za wie- derholenden Definition, so bliebe diese dennoch hier nicht blos nutslos, sondern auch ohne alle Gonlrole der Richtigkeit , so lange man nicht vorher alle Einzelheiten des usus geordnet und festgestellt hat in welchen Modalformen und welchen Bedeutungen entweder nur ov oder nur fiif stehen könne, und so die allerdings vorhandenen Fälle , wo eine Wahl erlaubt ist, möglichst einschränkt. Damit sind wir an die Satzlehre gewiesen. Hier folgen wir aber am sichersten derjenigen Eintheilnng, welche als eine historisch gegebene in der griechischen Moduslehre vorliegt, haben also den Zusammenhang des Gebrauchs der Negationen mit den Modalformen der Sätze nachzuweisen. Da wir auch früher schon immer die Negation als besonderes Kriterium der Modusgeltung berücksichtigt haben, bedarf es hier vielfach nar einer Zusammenfassung und Verweisung, und haben wir hier nur auf ein- zelne'noch nicht behandelte Salzgattungen, so wie auf scheinbare Aus- nahmen näher einzugehen. Dabei liegt uns augenblicklich weit mehr an den Fällen, wo eine Fixierung möglich ist, als an denjenigen, wo der individuellen Auffassung die Wahl mehr offen blieb, wie beim

Ov and fei; im Zasammenhang mil den Hodalformen. $45

Inf. and Partie, als Objectssätzen. Zugleich ist es unvermeidlich die neueste Theorie von Fritscb zu berücksichtigen, tbeils weil seine ^Partikellehre' überhaupt auf die neueren sprachvergleichenden For- schungen sich zu stützen behauptet, theils weil hier die ConsequenEen der bisherigen Behandlungsweise vielleicht am deutlichsten sich zei- gen , endlich weil jene auf die allgemein verbreitete Grammatik von Kost schon Einflusz gewonnen hat. Mit den wirklich auf historischer Grundlage ruhenden Forschungen Baeumleins werden wir auch hier notbwendig in Anerkennung des Sachverhalts meist zusammentreffen, wenn auch das vorgesteckte Ziel etwas verschieden ist. M advig hat vielfach Fixierungen auf gleicher Grundlage aufgestellt, aber theils ist anch hier die Basis seiner Satzeinlheilung nicht deutlich, so dasz z. B. die Consecutivsatze sehr unvollständig behandelt sind, theils wird huuflg der wirkliche Grund der Fixierungen nicht klar, während bei einer der historischen Grundlage folgenden Aufbauung der Sätze und ihrer Modalformen die Bestimmung von ov oder fii^ auch bei kurzer Fassung mehr als blosze Sache des Gedüchtnisses werden masz.

2. Fritsch stellt S. 136 138 Grundbedeutungen voran. Es soll oi; real, fitj theils logisch theils moralisch verneinen (letzteres soll das prohibitive firj sein). Es wird dafür auf die Dreilheilung der Sätze des Gruifdes verwiesen; aber inwiefern diese eine gleiche für die Negierung hervorrufe ist nicht ausgeführt, noch warum denn auch nicht drei Negationen dafür in der Sprache sich finden; noch ist, was notbwendig war, jene zwiefache Bedeutung des fii^ auf eine einheit- liche zurückgeführt. Dann wird der Gegensatz zwischen Conj. und Indic. in einer Weise aufgestellt, dasz danach nicht blos der zwischen Conj. und Opt. verschwindet, sondern ov nnd fitj die Haupleintheilung bilden , zu denen die Modi nur allerlei nicht näher bestimmte Neben- beziehungen ausdrücken sollen. Den im Griechischen so viel geglie- derten und so viel bezeichnenden Ausdruck der Modalformen, der ja auch ohne Negationen besteht, letzteren unterzuordnen, ist ein verun- glücktes Beginnen. Fritsch ist sofort gezwungen Bedeutungen zu construieren von Verbindungen, die gar nicht existieren, als ov z^d'vqKTiy oder doch nirgends selbständig erscheinen können, als fiti Ti&vrjTie. Folgerecht wird dann festgestellt, dasz häufig |xi} eine Be- hauptung (!) nur mit bescheidener Zurückhaltung, ov mit gröszerer Entschiedenheit negiere. Danach wäre jedes weitere suchen nach Un- terschied überflüssig und in Stellen wie Protag. 341 B müste sicher livj statt ov stehen : liScog ovv ro xaXsnbv ot Khoi iJ %a%ov vJtoXa(ißa- vovaiv rj SXXo T(, 0 av ov (lav&civHg (= vielleicht nicht, etwa nicht). Fritsch führt zum Beweise nur zwei Stellen an. Von diesen wird bei Hdt. 1, 32 eben nur behauptet, dasz dort statt ä<ftB ovdh btolriaag auch fitiSi stehen könne = ^meine ich, scheint es', bewiesen aber wird das nicht ; es ist aber geradezu unmöglich , und hierin musz je- der uns beistimmen, der sich gewöhnt hat auf die Gründe zu achten, nach welchen in jeder Satzart, gemäsz ihrer Entstehung, nur bestimmte Modalformen möglich sind. Die zweite Stelle ist Dem. cor. p. 376, 6

546 Oi and (i'q im Zasammenhang mit den Modalformen.

ijv di OihitJtoq ovxb xoxt xqsIxtcdv ovxs slg xriv ^Axxmriv IX^siv övifa- TOg, firjxs OsxxaXcäv aTtokov&ovvxcov j f4i}r£ Btjßaloav ödvxav. Fr. behandelt diese Stelle ausführlich, aber falsch. Er citiert BuUm. Gr. § 148 , 2 N. 1 , nach welchem nur deshalb firi stünde , damit die Nega- tion nicht als blosze Wiederholung des voraufgehenden ovr« erscheine : also etwa wie bei oidslg oirnoxe. Fr. verwirft das mit Recht, erklärt aber selber firjxe = ^da denkbarer Weise', während ovxe sei == *da entschieden \ Der von Fr. verlangte Sinn würde aber viel- mehr auszudrücken gewesen sein durch ovr' Sv äKokovd'., aufzniösen in einen Opt. c. av. Buttm. und Fritsch irren beide schon in Auf- fassung des Sinns ; der Zusammenhang leidet gar keine Auflösung mit *da', weil über das durchlassen usw. selber eine Behauptung gar nicht beabsichtigt wird. Es ist vielmehr das Partie, mit Venn' auftnlösen, woran man nur deshalb nicht gedacht hat, weil man in diesem Falle an ein *wenn sie durchgelassen hätten' dachte. Der Sinn ist aber: ^Philipps Lage war damals der Art, dasz nur dann für ihn die Mög- lichkeit bestand seinen Zweck zu erreichen , w e n n diese Völker ihn durchlieszen, resp. mit zogen.' Ob sie es gethan haben würden, wenn Fh. es versucht hätte, darüber wird gar nichts behauptet; also das *wenn' = st c. Impf. Ind. , aber nicht st c. Plusq. Conj.

3. Die Gesetze des usus sind in kürzester Form folgende:

Von Hauptsätzen hat der Urteilssatz ov, der Begehrungs- satz fii^.

Von den Nebensätzen, und zwar 1) den Substantivsätzen (=JSubjects- oder Objectssätze), haben 1) die sogenannten eigent- lichen, die mit oxi nnd tag^ ot5, 2) die finalen (oTrcog) ftij. 11) in den Adjectiv- und Adverbialsätzen (Attributivsätsen) ist zu scheiden zwischen denen, welche in einem Causalnexus zum Haupt- sätze stehen, und denen ohne Causalnexus. Letztere, welches ur- sprünglich selbständige, nur relativ angeknüpfte Sätze sind, zeigen ov nnd fi^, je nachdem sie in ihrer Selbständigkeit Urteils- oder Be- gehrungssätze waren. Zweitens, die in Causalnexus, d. h. in dem Verhältnis von caussa oder effectus zum Hauptsatz stehenden Neben- sätze, zerfallen a) in solche, welche das efficiens und b) in solche, welche den effectus des Hauptsatzes bringen. Das efficiens bringen Grund und Bedingung, den effectus Folge und Absicht. Von diesen ist bei Absicht und Bedingung die Negation (ir^j bei Grund und Folge ov. Die Concessivsätze sind eine Nebenart derjenigen, welche das efficiens bringen; demgemäsz haben sie oi wenn sie auf dem Verhältnis eines *weil', firj wenn sie auf dem eines ^wenn' be- ruhen.

Alle diese Regeln gelten für alle in diesen Sätzen möglichen Mo- dalformen, eben so ohne Rücksicht darauf, welches das einleitende Re- lativ sei, so dasz auch die für die Conj unctionen geltenden Gesetze in ihnen eingeschlossen sind.

Bei Fragen steht in den directen a) in Nominalfragen diejenige Negation, welche der Satz ohne die Fragform haben wftrde,

Ov nnd fti} im Zasammenluing mit den Modalformen. 547

d. h. nur beim Conj. (ii]^ aber bier nothwendig; b) in Satzfragen (d. b. wo ja oder nein als Antwort erwartet wird) bei positiver Ten- denz ov, bei negativer iitj.

Wird eine Frage ind irect, so bleibt im allgemeinen die Nega- tion der direclen, nar dasz die auf nein gericbtete Tendenz des fi'q hier wegfällt, sobald el oder ein anderes Fragwort die Einleitung über- nommen hat, d. h. c/heiszt sowol ^ob^ als ^ob nicht'. Sftind aber in der directen Frage ein ov% , welches nicht durch die (positive) Ten- denz der Frage hervorgerufen war , sondern schon dem in Frage ge- stellten Urteile angehörte, so wird dies bei sl eben so oft fti^ als es ov bleibt, ohne wesentlichen Unterschied. Jedenfalls fällt dies für Bestim- mnng einer Grundbedeutung nicht ins Gewicht. Die adverbialen indirecten Fragen können nur fitj haben; es fragt sich aber, ob dies vorkommt (vgl. el äv und el ov Nr II).

Participia und Adjectiva erhalten diejenige Negation, welche der Nebensatz, in den sie aufzulösen sind, haben würde, also nur, wenn sie eine Bedingung oder Absicht aussprechen, fitj. Zu erster er Art gehören auch Begriffsbestimmungen wie oi iitf aya^ol, to (iti xa- Xov; finale Participia sind negativ sehr selten. Nie aber hat der Satz, in welchem sie stehen, an sich Einflusz auf die Negation. Die Participia mit dg haben, auch wenn sie mit ^als ob' = ^als wenn' aufzulösen sind, doch fast immer ov, wo sie nicht Objectssätze sind. Der Grund ist, dasz durch dg schon eine mens alius angedeutet ist,, der Satz also mit derjenigen Negation steht, mit welcher er im Ge- danken des alius stand, nach demselben Gesetze, das für Anfügung ab- hängiger Sätze im Griechischen überhaupt gilt.

Beim Inf in. ist firj (wegen der abstracten Bedeutung jenejs) we- nigstens niemals falsch; umgekehrt ist ov durchaus nicht selten und nach gewissen Verbis vorzugsweise in Gebrauch. Die Scheidung die- ser Fälle übergehen wir. Auf die Bestimmung einer Grundbedeutung hat dies schwanken keinen Einflusz, da diese schon von anderswo musz gewonnen sein und hier alle möglichen bequem sich durchführen lieszen. Im übrigen ist als allgemeine Bestimmung nur die zuverläs- sig, dasz bei ov der Gedanke mehr objecti viert erscheint, in seiner ursprünglichen Fassung belassen, also namentlich, wo der Satz als schon mit ov ausgesprochen gewesen bezeichnet werden soll. Auch von den Fällen , wo die Bedeutung des Satzes offenbar fii^ zu fordern scheint, findet sich nach del manchmal ov. PI. Phaed. 63 D öelv de ovdlv Toiovxov nqoa^piquv ta q^agfidufp: direct freilich klar = ov Set. Hyper. Eux. col. 25. Lycopbr. p. 25,6 olfiai 66tv[ov dtKcc^HV^ d. h. wenn sonst beim Inf. lieber ov stehen würde, wie nach gyriidy oJfiai, hindert das öeiv oder vielmehr nur die Stellung, in welcher ov nach dem indirecten öeiv steht, dies nicht.

Diese Regeln sind theils unzweifelhaft, theils sollen sie unten er- wiesen und in ihrer Nolhw^endigkeit dargethan werden. Sind sie aber richtig, so leuchtet ein, dasz mit einer graduellen Scheidung zwischen ov und fiif (ßi^ = ^möglicherweise nicht') nichts gesagt ist. Eben so

548 Ov mid (irj im Zasammenbang mit den ModalforAea.

wenig mit Aufstellung und Rückführung auf eine Grnndbedeufnng. Ein SatKtheil musz vielleicht nach derjenigen Bedeutung, die ihm in der Unterordnung als Theil des ganzen zukommt, (iri erwarten lassen, hat aber doch und zwar nothwendig ov, weil griechisch das Gesetz gilt, einem als früher selbständig gewesen zu denkenden Satzlheile io der Abhfingigkeit diejenige Negation , wie überhaupt diejenige Modal- form zu lassen, die er vor seiner Vereinigung mit dem Hauptsatz ha- ben muste. Dies ist es, was die griechische Modnslehre so durchsich- tig und lehrreich macht. Es ist ein Verhältnis, als ob ein Minuszeichen vor einer Klammer stünde, während lateinisch und deutsch die 0|rera« tion als vollzogen zu denken ist, wobei denn die Deutlichkeit ia Ub- terscheidung der Modalformen wol schwinden muste, auch wenn die reichen Mittel des Griechischen dort vorhanden gewesen wären. So musz auch bei mg c. Part. c. ov das Verhältnis, in welchem dieser Satz zum Hauptsätze steht, noch als Factor hinzugezogen werden. Endlich ist es unhaltbar, dem fi^ logische' Bedeutung, correspoo- dierend mit gewissen Anwendungen des lateinischen Conj. , zuzu- schreiben , so häufig man auch auf solche Annahme stöszt. Denn von den vier logischen Verhältnissen der Nebensätze haben zwei ov, zwei fiijy und die Verallgemeinerung und Unbestimmtheit, mit der man den Ausdruck ^logische Verbindung' von einer Art des latein. Conj. ans- gehend braucht, findet im Griechischen keinen Anhalt, hier so wenig wie in der Moduslehre. Die Behauptung endlich, dasz or. obliq. jemals firj bewirke, hat man einfach zu leugnen.

Versuchen wir nun, vor Begründung des einzelnen, die Con- strnction der Grundbedeutungen nach obigen Gesetzen, so ist die einfachste Satzform, in welcher firj erscheint, allerdings der Be- gehrungssatz und die auf nein gerichtete Frage, insofern also die prohibitive Anwendung die erste. Dennoch darf diese nicht als Grundbedeutung genommen werden , weil aus ihr sich weder die coa- ditionale noch die beim Infin. herleiten läszt. Analog ist beim Optat., obwol dieser in einfachster Satzform dem Begehrungssatze angehört, meist geradezu als Wunsch gebraucht wird, weder letzterer noch überhaupt ein Begehren als wesentliche Bedeutung durchznführen. Aehnliche Analogien würde die Casuslehre bieten. Sonach fassen wir ft^ als Negation von etwas, das als dem Reich des gedachten ango- hörig ausgesprochen wird, über dessen Verhältnis zur Wirklichkeit gar nichts behauptet werden soll: so bei Begehren, inclusive Absieht, und bei Bedingung, beim Infin. als dem abstracten Begriff des Verbi. Anszerdem ist die allgemeine Negation ov; dies steht, wo überhaupt etwas behauptet wird, also nicht blos beim Indic. , sondern wo irgend ein Verhältnis zur Wirklichkeit als bestehend behauptet wird.

Ferner musz noch die allgemeine Bemerkung voranfgeschiokt werden, dasz von den Tragikern und Rednern an bei Partie, und Relat. nicht selten firi erscheint, nm einen innern Cansalnexns (= wenn flBr weil) anzudeuten, als Vorspiel zn dieser Verwendung des latein. Conj. Dabei ist jedoch festzuhalten : 1) dasz die frühere Sprache dies

Ov and fiif im ZasammeDbaog mit den Modalfornan. 549

nicht kennt; 2) dasz es auch jetzt nichts nothwendiges ist, was bei Sophocles ziemlich oft, bei Demoslh. manchmal erscheint; 3) dasz dies bei Schriftstellern römischer Zeit immer zunimmt, so dasz nicht blos Partie, and i^tsl dort mit fi^ stehen, nar weil sie dem caosalea Conj. bei cum entsprechen, sondern sogar on; 4) dasz die Modus- formen aber immer dieselben bleiben, wie früher bei ov.

Als grobe praktische Regel für den Schüler genügt anfangs, dasz Hfl zu setzen sei l) wo im Lateinischen ne steht (obwol das Verhält- nis von ne and non ein anderes ist, da non das ne in sich enthält); 2) bei Bedingung und Absicht, wo das Latein ne nur bei den diese bei- den Verhältnisse bestimmt bezeichnenden Conjunctionen hat; end- lich bei Infinitiven und bei solchen Fragen die ein nein als Antwort wollen.

4. In e i n f a ch e n Sätzen ond somit in allen Hauptsätzen fällt die Scheidung von ov und juff mit der yon Urteilssatz und Begehrungssatz zusammen. Sie ist sogar, abgesehen von dem Verhältnis des Imper. zum Indic, die einzige, welche die Sprache ursprünglich für diese beiden Satzarten hat. Ob die Uebcrzeugung eine ^fesle', die Behauptung eine ^absolute' sei oder nicht ist ganz gleichgültig, und Fritsch öffnet mit solchem Ausdruck nur der Unbestinymtheit wieder Thor und Thfir. Der Urteilssatz hat nothwendig ov nicht blos auch beim Opt. c. av und Praeter, c. ccv (welchen letzteren Fr. ganz übergeht, und allerdings müsle e r hier ^rj erwarten), sondern auch im Epischen beim Opt. ohne av und dem Conj. mit und ohne av pro Fut. Nach Fri tscK wäre freilich II. 1, 162 statt ovdh Ma)(iai, auch firiSi denkbar: = ^dürfte (wegen des Conj.) auch ferner wirklich (wegen ov) nicht', so dasz also firidi wäre = ^dürfte denkbarerweise nicht'. Setzt man nun auch den Indic. und die übrigen hieher gehörigen Nodalformen einmal mit ov und dann mit ^rj^ so erhält man eine buntscheckige Masse von Möglichkeiten behauptet, welche die Sprache doch nicht kennt und für die es an Kriterien der Scheidung fehlt; es würde z. B. ov c. Opt. c. av mit einem jut; c. Indic. doch so ziemlich zusammen- fallen, und ein ^t^ c. Opt. c. Sv enthielte gar ein potenziertes ^dürfte'. Ferner bringt Fritsch für seine Behauptungen keine Beweise, noch können solche je gebracht werden. Mit einer ihm geläufigen Formel, dasz *bis jetzt' dergleichen Beispiele noch nicht aufgefunden seien, sucht er die Möglichkeit solcher zu retten. Er glaubt solche zu er- kennen in den ^Schwur Sätzen', aber diese sind ja auch entweder Urteils- oder Begehrungssätzo. So hat ov S. Oed. R. 660 so wenig etwas auffälliges wie jede andere Behauptung, die durch einen Ausruf betheuert wird. Ar. Av. 194 (icc yijv, firi*ym vorifia KOfitlfoxsqov f^KOvöa Ttov soll nach Fr. S. 136 milder sein als ov ; es ist aber ohne Frage dort viel stärker, will jeden ^Gedanken daran dasz' usw. abwehren. Es ist nur eine lebhaftere, wenn auch ungenauere Aus- drucksweise der Volkssprache , auf einer Brachylogie beruhend. So auch II. 15, 41 {iri nrjiialvBi und die Futura Ar. Eccles. 991 firj tf' ag>rfio} and 11. 10, 329 fi^ inoixrjcBXcci ^ wo man aicht des Rückzugs

550 Ov and fti^ im Zasammenhang mit den ModalformeB«

bedarf das Fut. gleich einem Conj. (metail) za fassen, eben weil der Sinn eine s t & r k e r e Ausdrucksweise fordert. Ein paar Stellen, welche Fr. für seinen Zweck halte anführen können und müssen, sind: PI. Theaet. 193 A ^cox^. imyiyvciaKsi ßeoöoQOv Kai S.y oq^ dl fifidiu- Qov und ib. 197 B {olov) [iidtiov nQicc(iev6g rtg (iti (poQoi; aber das sind parataktische Indic, dem Sinne nach einem Vordersatz mit d gleichstehend. Ferner PI. Phaed.%106 D öxoky yciq äv zi iXXo qt&ogav II ri 8i%oixo^ et x6 ys a^dvaxov (p^oQccv öi^ezcct: hier würde fiif als mil- derer Ausdruck glänzend passen. Jedoch ist es wol die einzige Stelle eines Opt. o. Sv als Hauptsatzes mit fii;, so dasz man sich wundern mnsz , dasz sie den Interpreten noch nicht Anstosz gegeben hat. Man kann , da offenbar die Form mit ausgesuchtester Feinheit gebildet ist, sie im selben Verhältnisse zu ov (i'q c. Conj. {(^X^^V = ^^^) ^^^ ^^^ Opt. c. av (ov) zum Indic. stehend erklären, oder auch sagen, dasi fif^ als mit dem dixea^ai, in 6inen Begriff verschmolzen angesehen werden soll (vgl. über et ov c. 5), d. h. von dem Begriff des fi^ dixecd'cii wird behauptet, dasz er keinem andern Dinge znkommen könne, wenn usw. = oxoXfi av xi akko (iri Sixeö^ai liyoiro oder li- yoiiiev. Für beide Fassungen steht das Beispiel allein. Jedenfalls würde statt des f(i} kein ov denkbar sein , mag man über Bedentnag beider urteilen wie man wolle. Das ov müste vor av stehen! Dann aber entstände eine Nebeneinanderstellung zweier sich aufbebeudea Negationen, die vor Demosth. vermieden wird.

^ Die Wunschsätze sind nach Fr. Objectssätze , also elliptisch^ Finalsätze. Dann aber hindert nichts, mit noch mehr Recht die Conj. der Aufforderung so zu fassen, denn in seiner einfachsten Gestall, d. h. in Gegenwart, steht der Finalsatz im Conj.; der Opt. erscheint erst in Vergangenheit als Relation ex niente alius. Auch ist der Unter- schied beider Modi im Finalsatze bei weitem nicht so entschieden wie im Begehrungssatzo, so dasz man eher umgekehrt abzuleiten versnoben müste. Jedenfalls werden Finalsätze erst dadurch möglich, dasz es dieselben schon als formell selbständige Sätze (in Gegenwart) gegeben haKe. Es gibt sogar noch Beispiele solcher, vgl. Syst. S. 71. Die ganze Annahme, der man übrigens hier nicht zum erstenmal begegnet, führt die Consequenz mit sich, dasz alle Begehruugssätze ursprüng- lich Nebensätze gewesen seien. Dem widerspricht aber nicht blos der Imperativ , sondern die griechisch so erkennbare Entstehung der Ne- bensätze überhaupt. Es kann ein Satz eben so gut durch einen Act des Begehrungsvermögens wie des Urteilsvermögens hervorgerufen sein; die Modi sind nicht auf eins dieser beiden beschränkt. Ein formeller Unterschied beider Satzarten zeigt sich ursprünglich nur in den Negationen, und somit ist das jitif beim Wunsche einfach das pro- bibitive. Viel nölhiger wäre es gewesen bei aq>sXov zu bemerken, dasz iirj hier nur wegen der Anwendung des oig)6Xov als utinam sieh eingedrängt hat; denn wörtlich ist äq>£kov ein Urteilssatz, der ov er- forderte, und steht synonym einem löst ohne av =1^= debes, ^müstest' pro deberes. So denn II. 22, 481 <og fi^ ätpiXkB xeniad'ai statt ä^.

Ov und fi^ im Zusammenhang mit den Modalformeo. 551

fii}. So denn aach firi i%ifyi€g S. 0. C. 1713. Aehnlich , durch Tor- wiegen des Sinnes über die Form , ist su erklären , dasz beim Fnt. pro Imper. manchmal [i'q (ür ov steht ^ aus der ursprünglich conjuncti- Yiflchen Bedeutung des Futur, also anders als oben (irj c* igyqaa; z. B. Lys. 29, 13 und mehrmals selbst bei Demosth. Auszer diesen speciellen Pillen aber wird ein Urteilssatz , auch wo er zum Ausdruck eines Be« feblfl dient, nur ov haben können. So z. B. ov x^Q^*i ^^ e^m, denn ausgesprochen ist nur: ^du kannst'. Fritsch möchte auch hier gern neben dem ^strengeren' ov ein fiif sehen , tröstet sich aber wieder da- mit^ dasz nur ^bisher' noch kein Beispiel gefunden sei, was offenbar fflr andere nicht genügt und sicher kein historisches Verfahren ist. Es wird nie ein solches Beispiel gefunden werden. Was endlich bei fii} £g>sXov die Vergleichung von niSg ovx ätpeXov II. 18 ^ 367 soll, ist aicht abzusehen , da das gar kein Wunschsatz ist und mit demselben .Rechte diese Struetnr bei jedem andern Verbo verglichen werden könnte.

Fritsch S. 144 führt noch ^Betheueningen und Schwursatze^ als eine dritte Satzgattung auf, aber auch das sind entweder Urteils- oder Begehrungssfitze. Durch iirj c. Opt. wünscht der schwörende usw. etwas herab auf sich für den Fall, dasz es anders sei, und den demzu- folge bracbylogisch möglichen Indic. mit iirj haben wir bereits gesehen. AlLd was der Mensch spricht, also alle Sätze, sind getragen durch einen Act entweder des Erkenntnisvermögens oder des Begebrungs- Vermögens. Dahin gehören auch alle Aeuszerungen des Gefühlsver- Bögens, sobald sie nemlich in artikulierter Rede erscheinen, also auszer den Interjectionen. Eigene Formen dafür zeigt die Sprache nur im Imper. gegenüber dem Indic. Aber auch der Imper. ist nichts als die kürzeste und häufig noch verkürzte Form der II pers. sing. Indic. des zugehörigen histor. Tempus. Auch rvt^fai entsteht ;ius tii- fffaöOf durchgegangen durch tv^lfocg; vgl. aldoi aus alöog^ loyoi aus loyo-(B)g^ di%at aus 6Ua-g. Ein Element, das Befehl bedeutete, e^fr- hilt der Imper. nicht, wie das auch die etymologische Forschung zu- gesteht. Das Verhältnis ist kein anderes als das des Vocat. zum No- minativ. Für die übrigen Modalstufen hat sich eine feste Form beider Satzarten durch Einschränkung des Conj., durch av oder nicht av beim Opt. und Praeter., aber erst allmählich gemacht. Nur in den Negationen ist von Anfang her eine Scheidung ausgesprochen.

5. Die Eintheilung der Sätze bei Fritsch können wir künftig- lutt übergehen, da sie weder vollständig ist noch irgendwie begründet, aleherlich auch nicht auf historischer Basis beruht.. Unsere Scheidung iBl) Substantiv- oder Objects- und Subjectssätze und 2) Adjec- tiv- und Adverbialsätze (= Attributivsätze) beruht darauf, dasz ein Satz in einem andern entweder selber Subject oder Object werden, oder aber zu einem vorhandenen Subjecte, Objecto oder Praedicate als nähere Bestimmung hinzutreten kann (ein Praedicat kann nicht durch einen Nebensatz vertreten werden , weil dieser da- durch sofort an die Spitze des Satzes treten , also Hauptsatz werden würde). War der Satz, welcher Subject oder Object zu einem andern

iV. Jahrb, f, PUL %. Paed, Bif LXXVIII. HßU, 38

552 Oi und f*^ im Zusammenhang mit den Modalformcitf.

wird, vorher ein Urteilssatz, so entstehen die sog. eigentlichen Substantivsätee, d. h. die mit ori nnd (og; war er ein Begehrangs- satz, so haben wir die F i n a l s ä t z e.

Der Beweis dieser Entstehung liegt in den Gesetzen der hier gil- tigen Modal- und Tomporalformen. Diese bleiben in den eigen t- liehen Snbstantivs^zen nemlich dieselben, welche der Satz direct haben würde, und damit ist das Factum, dasz hier nur ov erscheint, vollkommen erklärt. Ein firj ist nur in ov fii^ möglich und dort das liri jedenfalls als einem Finalsatz angehörig zu fassen. Fritsch mengt hier ganz fremdartige Salzarten ein: es sei ag (irj ^bisher' iiar als final ^beobachtet' und Zu (iri nur als conditional; aber das sei höeh- stens eine der Deutlichkeit (?) wegen gemachte ^Unterscheidung' (aber doch von der Sprache selber, und die Nothwendigkeit derselben liegt bei gehöriger Beachtung des Modusgebrauches auf der Hand); *es bedürfe noch fernerer, genauerer Beobachtung.' Eine solche aber, wird nur zeigen können, dasz ou und dg := *dasz' in der guten Sprache nie mit fiij stehen, d. h. nie wo sie Urteilssdtze subordinie- ren, dasz [iri dagegen bei Plutarch ziemlich oft, bei Lucian eioigemal, bei Apollodor Einmal vorkommt. Uerm. ad Vig. 458, 8(fö statoiert freilich oti fi^ ^enlaxBVKSv und scheidet es als quia non credideril von Ott ov = quod non credidit, aber nur nach 6iner Stelle aus Nov. Test, und Lucian. Aber nicht blos für die attische Prosa ist das un- haltbar, sondern für die ältere Sprache überhaupt, für Homer so gal wie für SophocI., so manches auffällige fitj letzterer auch hat. Herrn. ad Vig. p. 806 behauptet freilich auch ganz allgemein firj = *wol nicht', gestützt auf ein fi^ c. Partie, nnd einen Relativsatz aas Pausao. (denn II. 15, 34 [li} nrjfAcilvei haben wir schon wie Ar. Av. 194 dls stärker negiert gezeigt), aber p. 808 erklärt er doch avtog fi^ dv- vcncci für unmöglich. Fritsch dagegen ist vor solcher allerdings Üivermeidlichen Consequenz nicht zurückgewichen, aber dann bedurfte es endlich doch wol der Beweise, wenn er historisch nnd nicht blos dogmatisch verfahren wollte. Was er beibringt erklärt er selber conditional, es gehört also nicht hieher. Endlich die Behauptung, dasz die herkömmliche Lehre ov beim Inßn. nicht kenne, ist nnbegreiflich, da Madvig und bes. Baeumlein schon Ifnge die Fälle , wo dies sogar häufiger sei als ftij, förmlich aufgeführt haben. Zur Bestätigung un- serer Ansicht dient noch, dasz auch ou == Veil' nur mit den'Modis des Hauptsatzes und dem Opt. or. obliq. erscheint, und zwar niir mit ov, auszer bei Plutarch usw« Auch ein conditionales fi^q ist hier un- möglich, obwol doch bei insl und oxe. Darin zeigt sich eben, dasz on=: ^weil' griechisch als reiner Objectssatz gefaszt ist, in der- selben Verwendung des Accusativbegriffs, nach welcher quod und qnia selber zu V eil' werden; dagegen deutsch bildet Veil' Adverbial- sätzte, wie *da', iitsl^ ore, Von abgekürzten Satzformen gehören hier noch her ovx ou (o)^, oTCfog) und j^^ ou^ je nach der Modalforn, in welcher man das Verb suppliert. Ein vorhandenes Beispiel eines m^ = *gesetzt dasz' (pv) toll unten bei der paralaktischeo Form

Oi and f»if im ZusammenhaBg mit ddn Modalformen. 553

der Bedingungssätze aofgefülirt werden. Ueber Substantivaatoe mit sl eingeleitet und mit ov vgl. Ei av cap. I.

6. Die Finalsätze haben in der guten Sprache nur fAi^, \^%ß sich als Ausdruck eines Begehrens sofort erklärt. In ihrer einfachsten Form, d. h. in Gegenwart stehend und im Conjuuctiv, sind nemlich dia Finalsätze nichts ala objoctivierte Begehrungssätze: ^ich ibne dies , jenes soll geschehen'. Conjunctioneu dhr Absicht gab es nrsprünglich so wenig wie für die übrigen rein logischen Verhält* Bisse, und es gibt noch Stellen ohne sie: II. 6, MO isclfietvov, T6v%ea dv(o. II. 23, 70 &cc7tte fis TteQrjao}. PL Rep. 5, 457 C kiys di}, fdw. Hierdurch erklärt sich auch das bei Homer häufige iii^ für Z^taag (ilti^ Sci>g 11% d. h. war der Satz negativ, so konnte die Conjunction leichter fehlen, so dasz schlieszlich ftif und ne wol selber als Conjunctionen angesehen wurden. -— Werden diese Conjunctive in Vergangenheit Optative (was Fange wenig zwingend schien und nie nothwendig wurde wie im Latein), so ist das nichts als der Opt. or. Qbliq., wie auch der Opt. der indirecten Frage den RQckschlusz so gut auf einen Coujunctiv wie auf einen Indio, der directen erlaubt. Auch. das steht nicht im Wege, dasz obige Beispiele ein ^daroit% kein ^das?^' erfor- dern, deutsch also nicht Objects- sondern Adverbialsätze sind. Denn (analog wie bei or^/weil') wurden die Sätze mit ^damit'. urspri^ng- lioh ebenso in accusativischer Keotion gefaszt wie die mit ^dasz^. Im Latein ist gar kein Unterschied beider Arten ; auch im; Qeut^cben sagt man in gehobener Rede z. B. ^kämpfen dasz' für Mamit' wip ^streben dasz'. So steht auch ivctj das attisch nur ^damit' ist, bei Ho- mer noch === ^d as z ' : II. 6 , 564 rcc q>QOvi(ovy iva Safielti»

Dagegen der In die. Fut. im Finalsatz läszt sich nicht auf einen ursprünglich selbständigen Satz zurückführen ; er ist von vorn berein auf einen subordinierten Satz berechnet wie die Bedingungsvorder- sätze ; die Bedeutung seiner Modalform gilt nicht an sich, sondern nur im Verhältnis zum Hauptsatz. Insofern ist der Indic. Fut. der eigent- liche finale Modus , als welcher er sich auch dadurch erweist, daaz er bei beliebigen anderen Relativis die allein mögliche Modalform, der Conj. und Opt. nur bei den zu Conjunctionen gewordenen r^iat. Adv. möglich ist. Weil von abstracterem Sinn , wird jene Form da- her erst später gebräuchlich (bei Homer nur zweimal) als die des Conj. Das Futur steht, weil das erstrebte von der Handlung des Hauptsalzes •ns etwas vorausliegendes, zukünftiges ist; nicht enthält er. eine für sich giltige indicativische Behauptung. Daher steht er nicht, wp, wie bei ^damit', der Finalsatz als ein relativ angeknüpfter, ursprüng- lich selbständiger Begehrungssatz angesehen werden kann, sondern im allgemeinen nur nach solchen Verbis, deren Begriff, analog den Verbia transit. , einen Satz als Object voraussetzen, d. h. nur nach den Verbis des strebens, inclus. des strebenden sagens. So wird OTifiog c. Ind. Fut. die eigentliche Form für substantivische Final- sätze (= ^dasz'). Wie nun in der alten Sprache die später nur für die adverbialen (= ^damit') möglichen. Formen auch accusativische

38*

554 Ov and fii} im Zusammenhang mit den Modalformen.

Reolion ertragen (da nemlich oncng c. Fat. alt selten und tva alt auch für ^dasz' steht), so Qndet sich manchmal auch oniog c. Fat. =sMa- mit', aber nur wie im Deutschen ^kämpfen dasz' für ^ damit \ also prägnant und in gehobener. Rede; so namentlich bei Sophocles, z. B. El. 956 vvv elg ci ßUitm^ onoDg fiij xcero^viqöBig %xavsiv,' El. 1295 tfi|- fiaiv^ ovTODc OTcmg firizriQ Ce fti] iTtiyvtiasrai. Phil. 1069 fi^ fCifocXivCöi OTtong fc^ tfiv ^piv öi>aq>d'eQBtg, Bringt man in Anschlag, wo solcho Fälle vorkommen, wo nicht, so wird durch sie die Grundauffassaog nur verstärkt. Der Opt. Fut. wegen or. obliq. , also auch einfach nach Vergangenheit, ist freilich viel seltener als beim Conj. , doch «eigen Xen. und die Redner eine ziemliche Zahl, z. B. Is. Trap. 22.

Nun verlangt P ritsch auch in Finalsätzen ov als möglich, wio auch Stallb. ad Apol. 25 B, vgl. ind. s. v. ov, die Behauptung Hermannt ad Vig. p. 833 weit überschreitend, dies tbut, freilich ohne irgend einen Beweis. Auch Fritsch führt nur 6in Beispiel an, und das gilt nicht^weil es gar keinen Finalsatz zeigt: Xen. Cyr. VI 2, 30 fA^ id- Crjfci mg ov% riöimg aa&evörjctcs. Nach der Erklärung von Fritseh =r= ^schlecht' würde man fii^ ov% fiöifog erwarten müssen. Das o^ scharf als quomodo gefaszt, leidet der Sinn nicht. E# ist vielmelur deUm hier ganz in deutscher Weise = ^glaubt nicht, denkt aicht' gefaszt, so dasz mg einem pn synonym ist, keinem oitong, vgl. Stell, a. Phaed. 11 Nr 4. Dagegen finden sich Stellen , die Fr. sehr wol hätte brauchen können , einige bei Plutarcb , wo jedoch da« ov einer ähn- lichen forcierten Rhetorik der späteren Zeit zuzuschreiben ist, wie die Et ov cap. V erwähnten Fälle : comp. Ale. Cor. 1 rcov , on»g o v do- ^ovöi driiiayrnysiv^ TtQOTtriXaKt^ovrmv xovg icoXXovg, Lys. 17 vov g)6ßop bttctriCctv ^vÄcrxa, onmg ov naqBtOt v6[iiaiia. Timol. 9 Ku^X'ldavtovg ipQOvrlieiv ixiXevevy onfog ovx htißi^aoixo UtiuUag TifioXimv, CorioU 19 Sadtottov xal öKonovvrmv, orctog xov xe Ma^Mov ov noirfiovtatj xov xs d^fiov ov TCaQi^ovöiv inxaqixxBw xolg drjfAayayyotg. Letzterei ist ein finales Vie', eine indirecte Frage, die aber als final ebenfalls (Äff haben müste. Dagegen comp. Ag. Pomp. i^svQe xqoutov^ £ \jui(t iaelvovg ßlailHyuöiv (ot vofioi)^ iii^e OTtiog ov ßkitlfmöiv kv^ffiovxai (der Conj. conditional, mit fehlendem äv).

Ferner hätte für den Standpunkt von Fritsch Erwähnung ver- dient entweder bei den Objects- oder den Finalsätzen Lyc. Leoer. 63 ti d^ oXmg {itidiv xovxmv TtSTtolrjKBVy ov fiavla dipcov xovxo liyuvj ng ovdhf Sv yivrixai naqa xovxov. So bei Baiter und S., aber ohae Form noch Sinn. Var. lect. Bekk. iyivsxoj Saupp. yivoixo. Es paaat allein av in ys- zu verwandeln : ovdhv ysyivtixai = ^dasz das Ver- gehen keine Folge gehabt habe'. Die Entschuldiger müssen sieh auf etwas factisches stützen ; ein Satz mit av wäre ohne Gewicht, fibea- 80 wären, wenn doch nicht unsere Scheidung dieser Sätze be- folgt ist, noch einige Fälle beizubringen eines auffälligen ov, beson- ders aus Subjectssätzen (als welche nur Urteilssätze möglich sind) and aus Schriftstellern, die oncDg gleich mg und ou verwenden^ wie Soph. z. B. Oed. R. 1030 (1059) ovx «v yivoixOy onmg ov ipavä tov-

Ov und (ifj im Zasammenhang mit den Modalfomen. 555

fiov yivog; vgl. Stell, a. Fhaed. V Nr 6End. Hier gilt die Analogie von sunt qui. Göbe der Haaptsatz statt des fieri ein facere und somit eine persona efficiens, so würde fti; eintreten. Ebenso Hdt. 2, 160 ovdefäctv faq ilvtn firixavi^Vy ontaq ov 7tqoad"qcovzai^ analog ov% iaxtv onmg ov. Finalsitze, nicht durch Conjanctionen eingeleitet, werden in Gegen- salz anderer Adj.- lAid Adverbialsätze betrachtet werden. Hier isl am Schlusz der Substantivsatze nur noch zu bemerken , wie die ge- wöhnliche Meinung, dasz fiif durch or. obliq. hervorgebracht werde, unhaltbar ist, da noch immer kein Beispiel von ou fttf c. Opt. or. obliq. weder aus Prosa noch aus PoSsie der guten Zeit hat beigebracht wer- den können. Die Entstehung jener Meinung rührt her von Fällen, wo fkfj etwas erstrebtes, also finales bezeichnet, so wie andererseits die Behauptung, dasz firf milder negiere, auf seinen conditionalen Gebranch sich wird zurückführen lassen.

7. Die Adjectiv- und Adverbialsätze bringen zu einem schon vorhandenen Satztheile eine nähere Bestimmung, während die Substantivsälze einen der zur Existenz des Hauptsatzes als Satzes nothwendigen' Bestandtheile selber bildeten. Adverbialsätze sind die durch ein indeclinables Relativ eingeleiteten ; dieses kann nun entwe- der Ort oder Zeit oder Art und Weise bezeichnen. Adj.- und Adver- bialsätze sind daher zunächst nichts als ursprünglich selbständige, jetzt relativ angeknüpfte Sätze, so dasz sie die Modi wie die Negation aus ihrer Selbständigkeit beibehalten: Dem. cor. 89 cot/ diafuiQxoisv %ccl (lij [jiBxdcxoisv, D. 25, 82 fcoiog Ttg xaXotx^ Sv öixa£cDg 6 xqIq xcr- xaqctxog^ o xotiog ix^^g, orco fiifcs yrj (pigoi Ttaqnov (iifc^ ino^avovxa di^ocito, D. 20, 167 o fi^ ni^^e, D. Chers. 51 « j^ii/rs yivoixo ovxe liyeiv S^iov. Zweitens aber kann zwischen Haupt- und Nebensats ein Causalnexus bestehen, auf welches Verhältnis sich alle logi- schen Beziehungen zwischen Hauptsatz und Nebensatz zurückführen lassen. Wörter, die da ursprünglich Absicht, Folge, Grund und Be- dingung ausgesprochen hätten, kann es schon deshalb nicht geben, weil es keine Sprachwurzel von rein logischer Bedeutung gibt, son- dern alle nur sinnlich wahrnehmbare Verhältnisse bezeichnen. Die Conjnnctionen entstehen erst durch Fixierungen im Gebrauche gewöhn- licher Adverbia. Das Griechische, hier besonders lehrreich für Er- ftissung des Latein und der modernen Sprachen , zeigt den Ausdruck aller logischen Beziehungen sehr erkennbar als ursprünglich nur Sache der Modalformen und somit auch der Negationen. Und auch später, als allmählich auch hier Relativadverbia zu Conjunctionen sich fixieren, bleiben die Modalformen dieselben bei diesen wie bei gewöhn- lichen Relativis. Also nicht die Conjunctionen regieren die Modi, son- dern jene sind nur ein neuer Exponent des ursprünglich allein durch letztere ausgeprägten Verhältnisses. Daher ist es auch falsch, wenn manchmal einem Relativ imputiert wird statt einer Conjunction zu stehen oder eine solche in sich zu tragen. Das Deutsche wegen seiner gerin- geren Befähigung zu modalem Ausdruck ist eben nur oft genöthigt da Conjunctionen zu setzen, wo grieehiseh dieModnsfornen völlig genügen.

3 Ov und fii} im ZasammenhaDg mit den Modalformen.

Das Causalverhältnis beruht auf dem von oansa und effectos.

blicht und Folge bringen das efTeclum, Bedingung nnd Grund

IB effliciens des Hauptsalzes. Eine Nebenarl der letzteren beiden sind

ie Conceaai vsälze, die theils einem wenn, theils einem weil

orrespon diesen, immer aber zugleich etwas als Grund mögliebes aaf-

/tellen und doch es als wirkenden Grund wegleugnen.

EITectum so dasz

damit

Ef/icicns weil (obglüicli)

wenn (wenn auch).

Von diesen vier Vorhällnissen zeigen nur die beiden unteren, die sab- jeotiven, eigene Modnsformen, welche nicht schon in aeibstfindigen SAtzeft erscheinen: die finale und die conditionale Modas- reihe. Die beiden oberen, als immer Behauptungen enthaltend, lei- geo* die Modusreihe des einfachen Urteilssatzcs, also nur ov. Die conditionale Reihe ist wesentlich dadurch gebildet, dasi hier das demonstrative Sv fehll, welches die Hauptsätze (auszer beim Indio, erster Stufe) sämtlich zeigen, wenn man nemlich statt des Futur des- sen älteren Ausdruck, den Conj. c. av, gesetzt sich denkt. Freilich ist gerade wiederum dem Conj. dieser Nebensätze das av gewöhnlich ge- worden; da nun gerade, wo es auf Bezeichnung der Zukunft ankommt, nicht sl c. Fut. zu stehen pflegt, sondern iav c. Conj., stammt dies Streben, dem Conj. hier civ beizugeben, sicher ans eider Zeit, wo allein durch av die Beziehung auf die Zukunft beim Conj. deutlicher hervor- zuheben war. So bezeichnet ein Glied der Reihe 1) Indic, 2) Conj. c. av, 3) Opt. ohne av, 4) Praeter, ohne av, Negation Überall fi^, immer einen Bedingungssatz, einerlei ob derselbe durch $1 oder og^ hui, &q usw. eingeleitet sei. Dasz bei on = ^weil' keine dieser Modusformen möglich ist, zeigt dies als in Rection eines Substantif- salzes flehend. Auf das Verhältnis der allgemeinen relativen Sätse brauchen wir hier nicht einzugehen.

Von den Modis derFinalsätzo ist allein der Indic. Ful. (fi^ so allgemeiner Anwendung fähig und bei allen Relativis verwendbar. Es ist derselbe, der auch zum Ausdruck der Beschaffenheit dient; nor in der Negation liegt die Scheidung. Der Conj. und seine or. obliq., der Opt., so wie der auch sonst hier eingeschränkte Ind. Praeter, (ohne av) sind nur bei schon zu Conjunctionen gewordenen Adverbiis mög- lich, d. h. nur wo die Absicht schon anderweit bezeichnet ist. In der geformtesten Prosa, bei den Rednern, erscheint dann Xva reichlich hun- dertmal gegen 6in ortfo^ = Mamit'; dies OTrcog mit av nur ein paarmal. Dies av geht ferner auch auszerhalb der Redner nirgends in die or. obliq. mit hinüber, d. h. bleibt uie beim Opt., wio- manchmal in der conditionalen Reihe. Ein Analer Opt. o. av steht immer dem Fntnr synonym. Beiläufig sei noch erwähnt, dasz av einmal beim Prietar. steht Isae. 11, 6, ja sogar einmal Zvä c. Fut. Isao. 8, 16, oTttoq c. Praetar. auszer Aristoph. auch Dem. 36, 20.

Die Final- und ConditionalsätKe sind auch die einzigen jener vinr,

Ov und ^1} im Zusammenhaog mit den Modalformeo. 5ö7

welche keine Vertretung durch coordinierte Satse vertragen, wie ^da- her' für *80 dasz', *denn' filr ^weil% ^jedoch' für ^obgleich'. Sie also sind von vorn herein als subordinierte geschaffen, ^enn es auch ursprünglich überhaupt nur einfache Sätze geben konnte, wes* balb auch keine Sprache ein ursprüngliches Relativ hat noch haben kann. In gewisser Weise ist dennoch jene Vertretung möglich und war nothwendige Aushülfe bis zur Entstehung jener Satzformen. Bei ^damit' durch ^sollen': ^ich thue dies, jenes soll geschehen'. Von daher ist gerade die Structur mit dem Conjunctiv geblieben. Aber wenn relativ angeknüpft, ist diese nur möglich bei selber schon tlie Absicht aussprechenden Conjunctionen. Im Bedingungssatz ist solche Vertretung noch weniger ausreichend, wovon bei der Parataxe.

Kückschlüsse vom Latein her, dessen Gesetze man als die allge- mein giltigen ansah, haben nicht selten die unbefangene, historische Auffassung für das Griechische gehindert ; so auch hier, wenn z. B. mit einem lateinischen Conjunctiv man auch ein fttf für möglich hält und danach erklärt. Es zeigt die Trübung auch der Umstand, dasz man die Relativadverbia der Zeit den Conjunctionen beizählt, die des Ortes nicht. Das Latein nimmt wie historisch so syntaktisch-sprachlich eine Kittelslufe ein zwischen dem Griechischen und den modernen Sprachen. Im Latein sind die Conjunctionen für die logischen Verhältnisse obwol fester, doch noch keineswegs so fest wie im Deutschen. Es heisztz. B. ut immer Vie'; quamquam kann auch noch Vie sehr auch' heiszen. Aber sobald die Relative, Adjective wie Adverbia in jenen logischen Beziehungen verwendet werden, tritt in allen vier Fällen der ^Con- junctiv' ein. Daher ut == ^so dasz' c. Conj. ; ebenso quum, ante- quam usw. in der Erzählung, wo nemlich gewöhnlich doch irgendwie zusammenhangende Handlungen zusammengestellt und mehr als blosze Zeitbestimmung gegeben werden soll. Ebenso der Conj. bei gewöhn* Hohen Relativis. Der Indic. bei quod und quia erklärt sich aus der ursprünglichen Fassung dieser Sätze als Objectssätze ; sie stehen zu qnum wie ozi zu ineL Der Indic. bei ubiubi, quisquis usw. (und so-, mit bei quamquam), statt dessen man wegen der Bedeutung der Wie- derholung, die auf ein Venu' zurückzuführen ist, den Conj. erwarten könnte, erkläii sich dadurch, dasz diese Bedeutung schon durch ein ande- res Element, die Ansetzung des Indef. (denn darauf läuft die scheinbare Verdoppelung hinaus, vgl. o(Sug)y beschafft ist und dies der lateinischen Sparsamkeit genügt. Ebenso cumque = qunmque. =3 Mmmer'; vgL ubique, quisque usw. Die einfachen Relative würden für diese Bedeutung des Conj. bedürfen. Griechisch dagegen ist dafür die con- ditionale Modusreihe nöthig, mag og oder oaug stehen. Si selber ist schon -hinlänglich Conjunction geworden, um auch mit dem Indic. stehen zu können. Bei quum = Venn , so oft' zeigt sich in Vergan- genheit ein schwanken, da der Indic. auch eine blosze Zeitbestimmung, der Conj. auch die Fassung als ^da, weil' möglich macht. Endlich hat das Latein noch eine Erweiterung des Gebrauchs seines Conj. bei sunt qni usw., eine Verflüchtigang, welche das Griechische nicht kennt

558 Ov and fc^ im Zusammenhaiig mit den ModalformeD.

Hienach sind alle Schlüsse und Folgerungen von einem lateiaiBcben Conj. aus, namentlich für die Sätze der Folge und des Grandes, i«- rückeuweisen, sowol für die Modi wie für die Negation. Nur Absicht und Bedingung bringen fii;.

8. Ueber die Folgesätze, so weit sie nicht durch cmftc ein- geleitet sind, also eine Folge aus der Beschaffenheit einer Person oder Sache, eines Ortes usw. ausdrücken, ist Stell, a. Phaed. I 5 7 ge- handelt, so dasz es nur einer Notiz bedarf. Die Beschaffenheit kann abstract bezeichnet werden durch Angabe einer aus ihr zu erwarten- den Handlung ohne Behauptung , dann steht der Indic. Fut. ; oder sie wird dadurch bezeichnet, dasz zufolge ihr ein Urteil bestehe, dann die Modi des Urteilssatzes. In beiden Fällen ist die Negation so lange ov, als die Folge nicht zugleich als erstrebte dargestellt werden soll; im andern Fall wird der Satz final, also mit iii^: Soph. Aj. 659 x^'tfMi viv, iv&a (iii xig otf/frai. El. 380. 0. R. 796. 1412. 1437. Trach. 800, und zwar nicht blos beim Futur, sondern auch bei den Modis den Ur- teilssatzes* Von letzteren findet es sich am häufigsten beim Opt. c. afv, da dessen Bedeutung hier mit der des Futur zusammenfällt, am selten- sten beim Indic: Is. Panath. 85 ^(r;|^vofii^ ai/, slyQag>Biv btiiBiqävy TtBql 00 V f(9}de2^ av ixoXfiriaev, ovxong avaia^'qtmg öuxBCfitpf, laoor. 10 , 10 äcTtSQ ei ri$ n^oöitoiotto Hgatiöxog elvai a^Atjrcov, ivrav^ ncixceßalvavy ov firidelg av alkog a^iciösis; vgl. Stell, a. Phaed. I 7. Dem. Lept. 160 xqti towvra %cA Xiyeiv Kai ikitl^uv, olg (iridelg ov vBfiBatioai. Dem. 23, 86 o yQceqxov löla totovrov^ o (iri nä<Si %al viuv iiSrai (erstrebte Bedingung). Hdt. 2, 135 iTtsdij^irjöB Poöcmig fivrmi^lov Tiaxakmiad'ai^ 7tolri(ia 7toiri<Saiiivri Tovro, to [iri rtyyxdvst allm ^tv- Qflfiivovy xQvxo ava^Bivai, Is. Paneg. 89 ßovXrfiBlg xotovtov iivti(uiov TiaxaliTtBiv y 0 fiii xrjg av^Qdimivr^ (pvCBmg iaxiv. Dem. Ol. II 16 ^fr- ^vfiBt ÖLanQa^aa&at rairta^ a [iriÖBlg nmnorcB alkog MaxBdovfOv (k^ ailBvg, Man wird diese fiij der orat. obliq. zuschreiben wollen, es kann aber kein einziges Beispiel eines oxi c. Opt. beigebracht werden. Nur wenn die mens alius zugleich ein Streben, eine Absicht ist, er- scheint fii^; folglich ist dies das entscheidende. Oft stehen ov und fuf sich sehr nahe; z. B. würde Sioiiai aXXov koyov^ ög fu nBlOBi negatif ausgedrückt: *der mir keine Scrupel liesze% so wurde allerdingt eu möglich sein als objective Angabe dör Beschaffenheit des nöthigen Ao^'o^, aber natürlicher jedenfalls wäre firj, ^Eine Sache ist so be- schaffen, dasz' gäbe ov, ^Es macht jemand eine Sache so beschaffen, dasz sie' gäbe fti^. Wird das wirkende selber eine Sache, so fragt es sich, ob sie als Werkzeug eines beabsichtigenden ihre Wirkung übt oder nicht. Hdt. 9 , 109 iöldov xal %qvCov änXstov xal CxQtnofy xov IfifUe ovÖBlg Sq^biv^ aXk^ { inBlvri enthält freilich auch die Ab- sicht des schenkenden Xerxes , insofern gewis auch mens alias ; aber es soll nicht so sehr die Absicht des schenkenden als vielmehr die Be- schaffenheit des Geschenkes an sich angegeben werden. Dagegen i. B. Xen. Mem. 1 , 1 , 10 xo loiJtov ccbI x^g iifiiQag tiv^ onov TtUictoig (Ulr iU» awicic^at^ könnte negativ ausgedrückt nur fiij erhalten. S. PhiL

Ov und iitf im ZasammeDbang mit deo Modalfornea. 569

408 i^oida yccQ vtv ncevrog Sv Xoyov xockov ^lyoinay ifp fi^ ^riilv dlxaiov ig tiXog (lilkn nomv, El. 436 %^'^Hyv vtv iv^ci fii/ Ttov^ TtQoagiaiv^ aber 866 [irj (le naQayayjjg^ SV' ot; Ttagetaiv aqmycd. 0. C. 1402 xoiovxov, olov ovöe ^sC^s. Hdl. 3y 40 OTtißäle avtcagy ox<»g l^tlKitt. i^^Ei ig dv^Qoinovg (qaomodo); dagegen ib. 3,83: Mch trete zn- rück anter der Bedingung, dasz (von euch der Satz unbestritten bleibt, dasz) ich' usw. = iit* Ate vit^ovöevog vfAciv aQ^Of^ai (= offre).

9. Bei den Folgesa tzen mit äats bedarf nicht blos die Nega-> tion einer näheren , Bestimmung. Zunächst erklärt Fritsch den Un- terschied der Bedeutung zwischen der Infinitivstructur und der mit mod. finitis nicht als auf diesen Modalformen beruhend anerkennen können , sondern dieser beruhe auf ov und fii^. Aber erstens existiert dbch auch ein Unterschied,, wo eine Negation gar nicht steht, und di^ 8er wird doch gütig bleiben, wenn solche hinzutritt. Zweitens aber läszt sich die Negation bestimmen. Fflr ov beim Infin. lassen sich genug Beispiele beibringen, bei äc%s nicht minder wie sonst. Aber Fritsch sieht sich genöthigt bei den modis finitis, und zwar allen, fiij für möglich zu erklären , ohne dasz er freilich auch nur 6in Bei- spiel beibrächte, und dennoch gibt es deren, und^das Gesetz ist durch-« aus nach der Bedeutung des Satzes bestimmbar. Die Nichtbeachtung aber, welche Fritsch den Modalformen beweist, rächt sich bitter da- durch, dasz er ganz wie selbstverständlich den Mndic., Conj. Opt.' hier als möglich erklärt, d. h. bei äats= Ho dasz'. Also das Ge- setz, wonach allein ein Opt. ohne äv hier möglich wird, ist nicht auf- gefunden ; der Conj. , da es diesen hier weder gibt noch geben kann, bleibt natürlich unerwiesen, aber man wird vertröstet.

Der Unterschied der Structuren mit dem Infin. und mit mod. fini- tis erklärt sich durch die Entstehung derselben. Der Infin. steht nach üöxe aus denselben Gründen wie nach ologvs, olog und xoiögj z. B. Hom. Od. 2, 60 i^ftttg d' ov TOioi afiwiftev, also wegen des Begriffes des könnens, der Fähigkeit, äcze ist Relativ zu ovxoDg wie oaze zu og oder 6. olog zi dfn = rolog eliii, olog xt itoulv. Bei Homer heiszt cSars nur V i e', so dasz man allgemein selbst da, wo die Uebersetzung mit *so dasz' gienge, jene Erklärung beizubehalten pflegt. Daher sind die Sätze mit Si6xe c. Inßn. insoweit gar keine Folgesätze, als sie von einer Folge gar nichts behaupten, sondern nur eine Beschaffen- heit der Handlung des Hauptsatzes durch etwas von ihr zu erwar- tendes angeben, und genau genommen nicht mit ut zu übersetzen sind, sondern mit ad c. Gerund. Nur insofern kann man auch mit Härtung sagen, dasz der InKn. eine nothwendige Folge bezeichne, denn häufig braucht diese gar nicht vor sich gegangen zu sein. Immer aber ist hinzuzunehmen , dasz in der späteren Zeit nicht selten dei' Infin. auch von Folgen erscheint, über deren Verhältnis zur Wirklichkeit wirklich etwas^ behauptet werden soll , rein als bequemere Form des Ausdrucks. Ferner soll &axs c. Infin. immer nur eine nähere Bestim- mung des Hauptsatzes, namentlich oft blos eine graduelle angeben, während cStfrs c. mod. finit. eine selbständige Geltiug gleioh eioMi

560 Ov and ^i{ im Zasammeuhang mit den Modalformen.

HaupUatE beansprucht. Der Infiu. mit äv ist aufzulösen theila in den Opt. c. äv = können (so auch bei Svvacd'aij das ja gern im Opt. c. av statt des Indic. steht), theils ins Praeter, c. av in der Bedeatnog^ wo dies die Vergangenheit eines Opt. c. av bezeichnet. Die Negation steht unter denselben Kegeln wie sonst beim Iniin. , d. h. ist meist fii{ doch auch ov gar nicht selten. Ob die auch von Rost angenommene Scheidung nach dubitativ and apodiclisch dafür gelten soll hängt da- von ab , ob solche überhaupt noch haltbar erscheint. Durchfahrbar ist sie natürlich immer, auch wenn man in den Belegstellen ov und (m^ vertauschen würde, so gut wie die vouUost daneben noch stehen ge- lassene durch die ^Verbindung in 6inen Begriff' für ov.

Die modi finiti bei ä(Sxe erklären sich, sobald man dies Rela- tiv in ^und so', ^und daher' auflöst. Daher Gnden sich ausser dem gleich XU erklärenden Opt. ohne av nur der Indic, der Opt. c. &v und das Praeter, c. av. Dagegen der Conj. n i o, dieser passt nur in solcher Bedeutung des äcte^ wo auch der Imperativ folgen kann, nicht bei iiate = ^so dasz'; nur vom Latein aus kann man ihn hier als mög- lich gedacht haben. Jene drei obigen Nodusformen aber sind unver- ändert dieselben, in welchen die Folge, als selbständiger Satz hinge- stellt, würde behauptet sein. Daher auch ihre Bedeutung dem Infin. gegenüber die ist, dasz sie eine Behauptung über die Existenz der gefolgten Handlung aussprechen. Daher auch ihre Negation stets nur ov (Dem. ep. 3 vgl. unteii). Der Opt. c. äv ist nicht aus dem zu erklären, was der blosze Opt. hier bedeuten würde plus av, sondern steht gerade besonders nach Gegenwart, wo schon deshalb der Opt. ohne äv gar nicht gienge. Man würde ihn also von einem Falle aus erklären, der selber gar nicht möglich wäre. Der blosze Opt. ist sehr selten und nur dann möglich, wenn sein Hauptsatz selber schon optativisch ist, entweder als orat. obliq. oder als Bedin- gungsvordersatz. Im ersteren Fall musz selbstverständlich die Neg*« tion ov sein, im zweiten fifj. Es ist also falsch zu sagen, wie Rost, die modi finiti überhaupt hätten ni« fnl]. So würde das einzige Bei- spiel, das Rost und die Grammatiken überhaupt von ihm haben, nur fifl haben können.: Xen. Oec. 1 , 13 » xig XQ^to togI äifyvQlm &<st9 »a- xiov xo aüfia i%ot , da SiGxB :^=: ^u n d w e n n' ist ; vgl. Dem. Mid. 109 a xiq XQ^fo xa nkovxmj od fti? ^tiaexai. Symp. 194 C etxiCiv ivtvxotQf ovg (fiff) i^yoio coqHyvg. Der Opt. mit firi kommt höchst wahrschein- lich gar nicht vor , aber es war auch der Fall seiner Möglichkeit za bestimmen. Zum Beweise findet sich einmal Dem. ep. 3 S. 1478 ein iiifxe fiTf c. Fut. : el ovxcog S^exs, ciaxB firi duxXkceyiiaovxai, Die bei- den anderen Fälle , die ich von märe c. Opt. ohne äv überhaupt nooh habe finden können, sind Fälle der orat. obliq.: Xen. Hell. 3, 5, 23 ikoyl^ovxo, oxt lx€^vro, äcxe ovdh ^äötov ^ri, Is. Trap. 11 aitay* yikXovxeg oxt nal £axvQOi ovxcag (isxafiilei rmv TteitQayfiivav y Siftt Ttlaxziq dedfoxmg eTt}. Isoer. 6 , 84 ist nur Conjectur von Baiter in der edit. Paris. Bei Lucian gibt es ein paar Stellen, die aber streng attiaoh Opt, 0. &p werden mflsteo. (Fortsetzung im nächsten Jahigang.)

Güstrow. Gf. Aken^

Werk» Ober mittelalterliche Kunst. SOT

JHe miUelaUerliche Kunst in Wesiphalen. Nach den porhan"

denen Denkmälern dargesteüi von W. Lübke^ Nebst einem

Atlas Ulhogr. Tafeln. Leipzig T. 0. Weigel. 1853. X n.

442 S. 4. Mittelalterliche Kunstdenkmale des Österreichischen Kaiser-,

Staats j von G.Heider^ R, v. Eitelberger^ J. Hieser.

Stuttgart Ebner. 1S56 u. 1857. Band I (9 Lieferungen). 4.

Die mittelalterlichen Baudenkmale Niedersachsens von dem

ärchitekt. Verein für das Königreich Hannover, Hannover

Rümpler. 1856. Heft l. 4. Kunst des Mittelalters in Schwaben^ von Heideloff. Stall-,

gart Ebner. 1855 u. 56. Heft 1—5. 4. Handbuch der kirchlichen Kunst -Archaeologie des deutschen

Mittelalters von H. Otte. de Auflage. Leipzig T. 0. Weigel.

1854. XIV u. 367 S. gr. 8.

Mehrere Male habe ich darauf hingewiesen (zuletzt in diesen Jahr- ehern fi^LXVI S. 377 ff.), wie zwecknüszig es sei, wenn die Lehrer r beiden oberen Gymnasialklassen in den cuttor-historischen lieber- ;hten , welche in den Geschichtsleciionen. am Schlusz einer joden Hode gegeben werden, den Schülern ein Bild von der Entwicklung r Künste, vorzüglich aber der Architektur, zu verschaffen sich be- Iben. £s ist nicht meine Absicht da» giSsag^te zu wiederholen, doch nn ich es mir nicht versagen, die betreffenden Lehrer auf eini|!:e erke aufmerksam zu machen, in denen die Denkmäler des speciellen limatlandes oder die Kunstgeschichte überhaupt behandelt' ist uod roh deren Studium der Lehrer selbst eine lebendige Anschauung der rtfchiedenen Kunstepochen, deren Haupteigeothümlichkeiten usw. ge- ttnt, lind dadurch sich befähigt, den Schülern dieses Gebiietrin.fr acht» rer Weise zu erschlieszen und in das innere Verständnis der Künste Hrke einzuführen.

! Von den 4 Werken, welche sich mit einzelnen Ländern beschaf- :en, ist Nr 1 vollendet, welches uns die uralte Heimat der kühnen iihsen eröffnet, deren Land in knnsthistorischer Beziehung bisher *ni incognita war. Nach Vollendung tüchtiger historischer Vorstu- »n durchwanderte Hr L. Westphalen 1861 zu Fusz Aind verwandte ■n 2 Jahre auf die Ausarbeitung dieses Buchs , welches dem Leser allen seinen Theilen das höchste Interesse einQöszt. Zuerst begeg*- t uns eine vortrefflich geschriebene Einleitung über den Entwick*- Igsgang des westphSlischen Landes^ an lf eiche sich eiue Charakter itik dier westph&lischen Kunst anschlieszt.. Nachdem die trotzigen cbaen jn langen Kriegen von den Pranken unterworlen und. bekehrt if^n waren^ sehen Wir die.lUasten.kifcUicIieo Stiftangei wier Pab

562 Werke fiber mittelalterliche Konst.

derborn, Dortmund, Soest, MQnster (Mimigardevort) , Minden, Osna- brflck und zahlreiche Klöster (namentlich Corvey) emporblfiben. Durch diese Stiftungen wurde die rohe Kraft des altsächsischen Heidenthumfl gebrochen und mit dem Ghristenthum drangen die Strahieo einer höhe- ren Gesittung und eines edleren geistigen Lebens ein. Eine Periode des rinjg^ens und strebens begann, aus welcher glanzende erneuerte Schöpfungen im lln und 12n Jahrhundert hervorgiengen. Unrerging- liche Verdienste erwarb sich Bischof Meinwerk von Paderborn (1009), welcher viele Kirchen baute, die zwar die Nachklange der antikei Zeit erkennen lassen, aber ein neues Leben ofTenbaren, welches die alten Gliederungen erfüllt. Im 12n Jahrhundert beginnt die Macht mehrerer westphalischen Städte und die Entfaltung eines kriftigen Bürgerthums. Voll stolzen Mutes verbanden sich die Stfidte zu gegen- seitigem Schutz und zur Beschirmung ihres Handels, bis die Hansa die hervorragendsten Gemeinwesen umschlosz. Von jener Zeit, in welcher die Städte gegen die Bischöfe und weltliche Dynasten zahlreiche Feh- den führten, geben nur die groszen Baumonnmente einen klaren Be- griff, und man kann wol sagen, dasz sich in den Kirchen, Rathhiusem und Hallen von Soest, Dortmund, Münster usw. ein Abbild des in den kräftigen Gemeinden herschenden Geistes abspiegelt. Ein je regeres Leben hier sich entfaltete, um so mehr tr»ten die alten Klosterstiftnngea in den Hintergrund, und wenn auch Kunst und Wissenschaft in den groszen Abteien gepflegt wurden, so giengen doch aus ihnen keine lebenerweckenden Impulse mehr nach auszen hervor.

Von diesem historischen Rahmen wendet sich der Vf. zu der Physiognomie des Landes, von dessen Beschaffenheit auch die geistige Entwicklung bedingt ist. Ohne einen länderverbindenden Strom, ohne einen geschichtlich bevorzugten Hauptort, vielfach von Gebirgen ler« rissen , muste Sachsen in eine Menge von Einzelgruppen zerfallen , so wie auch der Sachse selbst sich gern isoliert und in dieser Isoliening die sicherste Bürgschaft für seine Unabhängigkeit erkennt. Dazu ist der Sachse ernst, dem fremden abgeneigt, im eignen Wesen scharf und tief. Daraus folgte, dasz Westphalen in der Kunst eine nflchtemey in allem bescheidene Richtung einschlug, dasz es lange an der Tradi- tion der hergebrachten Kunst festhielt, sowol an dem romanischen als an dem germanischen Stil, bis gegen das Ende des 16n Jahrhundertif wo die andere Welt schon von dem ringen eines neuen Geistes doreb- zuckt war. Auch die frühzeitige hohe Ausbildung der Malerei und dk Unterordnung der Sculptur unter die malerischen Gesetze leitet Hr L sehr treffend ans dem inneren Charakter des Volksstammes her.

Darauf schildert Hr L. die Stellung einer jeden einzelnen Kumt in Westphalen. Die Architektur war höchst einfach und schmucklos bis in das 12e Jahrhundert, wo eine höhere Entwicklung beginnt, die sich zuerst in dem Gewölbebau kundgibt. Bald darauf wurden die alten Basiliken (wie S. Patroclus und S. Peter in Soest, Gaukirche in Paderborn, Abtei Loccum, die Dome von Münster und Osnahjrflek, & Reittold in Dortnnnd) verdrängt dorch Kirchen von 3 gleich luAes

Werke fiber miUelalterliche Knoiit. 563

Schiffen romanischen Stils , welche der Vf. Hallenkirchen nennt nnd aU eine der westphölischen Erde eigenthamliche Schöpfang nachweist (S. Mariae zur Höhe in Soest, der Dom von Paderhorn und der Mflnster TOB Hameln nsw.) , denn die anderen derartigen Kirchen Deatschlands l^liören sämtlich der germanischen Periode an. Es waren schlichte Bauwerke, aber mit dem Charakter der Kühnheit und des Ernstes, 4em Volk am meisten entsprechend (1150 1250). Diese Form, wurde aoeh in der Folge festgehalten , als der germanische Stil Eingang ge- funden hatte, der hier nicht luftig und uelgegliedert wie anderwfirts anflritt, sondern einfach, derb, massenhaft breit sich hinlegend (Dom Yon Minden, S. Mariae zur Wiese in Soest, S. Lambert und Mariae in llflnBter, S. Johannis und Mariae in Osnabrück usw.). Mit der Nüchtern- hmt der Kirche contrastieren seltsam die kleinen brillanten Schöpfun- getk der Soulptnr, gröstentheils von reichem Farbenschmuck bekleidet.

Bei der Schilderung der einzelnen Bauwerke wird die oben an- gadeatete Eintheilung zu Grunde gelegt. Der 2e Theii umfasst die bildenden Künste und ist vom Vf. mit besonderer Vorliebe bearbeitet. Sehr zahlreich sind die Meisterwerke der Maierei, die bisher so gut wie nnbekannt waren, so wie die Scnipturen in Holz, Stein und Me- tall. Die Schilderung ist rflcksiohtlich der Klarheit, Schärfe nnd Kürze mnsterhaft za nennen , und vorzüglich zu rühmen ist die allenthalben hervortretende innerliche Auffassung, so dasz kein nur irgend bedeut- sames Moment auszer Acht gelassen wird, welches Aufklärung dar- bietet. Im Atlas enthSlt Tafel 1 eine compendiose Architekturliarte Westphalens, Tafel 2— 24 Grundrisse und Aufrisse der Kirchen, 25 27 schöne perspectivisohe Abbildungen von Kirchen und Rathhänsern, 29 und 30 geben Proben von alten Wandgemfilden. Alle Abbildungen sind geeignet zur Grundlage kfinsthistorischer Forschungen auch denen «a dienen, welche durch zu grosze Entfernung und andere Gründe von dem Besuche der westphfilischen Monumente abgehalten sind.

Nr 2 4, die ich, weil sie noch unvollendet sind, für jetzt nur kurz schildern will, sind sämtlich von Hrn L.s Arbeit verschieden, denn sie geben nicht wie jene eine historisch systematische Uebersicht , in welche jedes einzelne Werk an seinem Platze eingereiht und gewür- digt ist, sondern sie behandeln die einzelnen Bauwerke in willkürlicher Reihenfolge. Was das äuszere betrifft, so sind Nr 2 und 3 höchst ge- schmackvoll und wahrhaft prächtig ausgestattet und auszer den Stahl- stichen mit zahlreichen eingedruckten Holzschnitten geschmückt; viel einfacher Nr 4; Klarheit, Sauberkeit und Schärfe der Abbildungen sind aber bei allen zu rühmen. Der Text ist durchschnittlich am ans- führlichsten bei Nr 2, am knappsten gehalten bei Nr 4.

Was zunächst Nr 2 betrifft, so sehen wir hier mit Bewunderung eine Reihe groszentheils unbekannter Kunstwerke des österreichischen Kaiserstaats. In den beiden ersten Heften wird die Cisterzienserabtei Heiligenkrenz herlich dargestellt und sehr vollständig, ja vielleicht im Verhältnis zum ganzen zu ausführlich beschrieben, mit einer ge- lehrten Einleitung fiber den Cisterzienserorden ; im dn Heft folgen die

564 Werke über miUeUiteriicbe Konsi.

niigariBchea Bauwerke aus den Zeilen Stephans des Heiligen, so wie die späteren von Anjou und Corvinus. Groszes Interesse flösst uns die Benediktinerabtei S. Jak ein (von 1209), sodann das Kloster glet-» ches Ordens Tibany am Plattensee (1054), der gr6ste Don Uilgarjis in Filnfkirchen mit seiner fünfschifügen Krypte u. a. Daran aobliesEt sich in der 6n Lieferung der Dom von Trient, die Barbarakirche ia Kuttenberg und eine grosze Metige kleinerer Knnstwerke.

Nr S führt uns zuerst in die kleine romantische Stadt der alten Tübinger Pfalzgrafen Herrenberg, welche eine Fülle von angeahnten Herlichkeiten in sich birgt. Ein ganzes Heft behandelt schwübisohe Malerei und im letzten zeigt sich uns die kunslhistorisoh reiche SUdfc Eszlingen. Nf 4 wird eröffnet mit 2 imposanten Kirchen. in Hildea-^ heim, nemlich S. Godehard und S. Michael, beide mit 2 Chören nach Osten und Westen. Um so einfacher ist die Kirche. von Wallenhorst bei Osnabrück, und den Schlusz bildet die Klosterkirche von Fredes- loh bei Eimbeck. Die Zeichnungen sind einfache Steindrucke, aber von geistreicher Auffassung, und machen eben so wie die bei aller Präcision erschöpfenden Beschreibungen dem hannoverischen Arobir tekten -Verein alle Ehre. Mögen diese 3 Unternehmnngen in der be* gonnenen Weise fortschreiten zur Ehre des deutschf» Nalnens ! .

Im Gegensatz zu den 4 kurz beschriebenen Werkea «mfasüHrO. in Nr 5 das gesamte deutsche Vaterland. Wie grosz das Bedflvfiua eines solchen Buches sei, zeigt die Nothwendigkeit einer 3a Ausgabe, welche als eine totale Umarbeitung der früheren zu bezeiohneii und welche vollkommen geeignet ist, die von dem Vf. ausgespi^oeheae Bestimmung zu erfüllen,, nemlich ein vollstfindiger Leitfaden für An- fänger und Laien zu sein, den Männern von Fach aber als Uandboeh zum schnellen Ueberblick des bisher gewonnenen liiterarisoben und monnmentalen Stoffes zu dienen. Für den ersten Zweck empfiehlt sieh das Buch durch einfache und lichtvolle Darstellung, welche jedem «in klares Verständnis gewährt, auch wenn er aller Vorkenntnisse erman- gelt. Den zweiten Zweck erfüllt das Buch vermittelst seiner grossen Vollständigkeit. Sowol die alten Quellen als die neue Litteratur hat der Vf« mit Sorgfalt studiert und die Hanptresultate in gedrängter Kürze wiedergegeben. Dabei zeigt er einen richtigen Tadel für die Wahl des richtigen, denn überall hat er das erprobte heransgefanden aad dasselbe von dem schwankenden scharf geschieden. Darum haben manche neue obwol geistreiche aber noch nicht hinlänglich bewflhrte Ideen keinen Eingang in den Text gefunden, welche Vorsicht man nur billigen mnsz. Die äuszere Ausstattung ist glänzend, angemessen der berühmten Firma von T. 0. Weigel, welche sich um die Kunstge- schichte Deutschlands bereits grosze Verdienste erworben hat and dieselben täglich erhöht (man denke z.B. nur-an das herliche Pracht- werk von E. Foerster, Denkmale deutscher Baukunst, Bildnerei und Malerei vor Einführung des Christentbnms bis auf die neueste Zeit). 13 gut ausgeführte Stahlstiche (z. fi. die Abtei Laach , mehrere char rakteriatische Gemälde von Eyck, Holbein, Zeitblom, Dürer, EragOMo

Werke fiber mittelalterliche Kaust. : S65

von Vischer, Statuen and Elfenbeinarbeiten) dienen sam schönen Schmnek and 362 dem Text eing^edruckte Holzschnitte erleichtern das Vorstan- Dis wesentlich. Hin und wieder wünschte man einen gröszeren Masz- Stab, so S. 7 (Doppelkapelle von Freiburg), S. 38 (Kanzel von Wech- selbnrg) usw. Nur in dieser einzigen Beziehung verdienen die Holz- schnitte in de Caumonts ab^cedaire ou rondiment d^arch^ol. den Yor- zng, nnd wir bedauern, dasz Hr 0. dieses Buch nicht gekannt hat.

Der Inhalt ist auszerordentlich reich, aber so gut gegliedert, dasz man leicht in dem Buch heimisch wird. Es sind 3 Haupttheilc: I) Denkr male der Kunst: A) das Kirchengebäude, B) innere Einrichtung und Ansschmöckung der Kirche. II) Geschichte der Kunst : A) Baukunst (romanischer und germanischer Stil), ß) bildende und zeichnende KOnste. III) Hulfswissenschaflen : A) Epigraphik, B) Heraldik, C) Iko- nographie. Eine chronologische Zugabe, ein Glossarium und ein Orts- register sind sehr erwünschte Beilagen. Dasz bei einer so grossen Masse vcfrNalerial einzelne Notizen Berichtigung gestatten ist ganz natürlich, z. B. wenn es heiszt, dasz auf der Wartburg eine Doppel- kapelle gewesen oder wenn die Nürnberger Schloszkapelle zu dieser Bauform gerechnet wird denn wenn "2 Kapellen über einander lie- gen, so sind sie deshalb bekanntlich noch keine Doppelkapellen zn nennen. S. 32 waren auszer der als piscina dienenden Wandvertie- fung auf der Epistelseite hinter dem Altar die zahlreichen Wand- schreine auf der anderen Seite zu erwähnen, welche theils als reli- qniarium dienten, theils die heilige Hostie bewahrten, was in den Dorf- kirchen sehr gewöhnlich war. S. 99 wird die Bartholomäuskirche in Paderborn als spätromanisch genannt usw. In den Verzeichnissen der Kirchonbauten fehlen manche, z. B. bei den romanischen vermiszle ich die Kirchen von Oberbreisig, Oberaltrich bei Straubing, Wächters- winkel in Franken, Prüflinz bei Begensbnrg, Treffurt u. a. Bauten an der Werra, Breitenau an der Fulda, Kaufungen bei Casset, Ichters- hansen bei Arnstadt, mehrere Bauten im Fürstenthum Waldeck wie Twiste, Adorf, Bergheim usw. Auch bei den germanischen Kirchen wären manche nachzutragen, so wie mehrere Monographien^ welche anzuführen die Bestimmung dieser Zeitschrift verbietet. Die Werke Nr l 4 bieten eine reiche Nachlese dar.

Nach dem gesagten bedarf es kaum der besonderen Versicherung, dasz durch die angezeigten Werke dem Lehrer die Kenntnis der mittel- alterlichen Kunst sehr leicht gemacht wird. Die Entschuldigung, dasz man ans Mangel an dem nöthigen Material davon absehen müsse, fällt als ungiltig jetzt hinweg. Die Lehrer des groszen Kaiserstaats haben in Nr 2, die Westphalens in Nr 1 n. s. f., alle aber in Nr 5 die zuver- lässigsten Führer. Mögen sie an deren Hand die alten heimatlichen Kunstwerke flciszig studieren und der lernbegierigen Jugend das Ver- ständnis unserer groszen Naiionaldenkmale jnroffnen.

W. Rein.

566 Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen , statist. Notisen.

Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnungen, statistische Notizen, Anzeigen von Programmen.

HiLDBüBOHAusEN.] In deiD Schuljahre 1857 58 fand in deiq Leh- rercollegium keine Veränderung statt; dagegen wird mit Beginn des nenen Cursus der bisherige fünfte Lehrer Pfarryic&r Schneider ala vierter Lehrer an dem Gymnasium in Meiningen eintreten; an dessen Stelle ist der bisherige Realschul- und Progymnasiallehrer Heim in Saalfeld zum fünften, ebenso der bisherige provisorische Gymnasiallehrer j Keszler zum sechsten Lehrer ernannt worden. Dr Emmrich erhielt I den Titel Professor. Das Lehreroollegium bestand also während des verflossenen Schuljahres aus folgenden Mitgliedern: Dr Doberena Director , Dr Reinhardt Schulrath, den Professoren Dr Büchner und Dr Emmrich, Rittweger, Pfaf'rvicar Schneider, Keszler, Müller Lehrer des Französischen, Hofmaler Keszler Zeichenlehrer, Bodenstein Elementar-, Sing- und Turnlehrer. Die Gesamtzahl der Schüler betrug am Schlüsse des Schuljahres 112 (I 7, II 4fe, III 12, IV M3, IV b 20, V 18, VI 28). Mit dem Zeugnisse der Reife wurde nur ^iner zur Universität entlassen, während die Zahl der im Laufe des Schuljahres aufgenommenen 41 betrug. Den Schulnachrichten geht voraus: MiUheilungen aus dem Archiv des Hildburghäuser Gymnasiums, Von Professor Dr E mmrich (12 S. 4). Bei Durchforschung des Gym- nasial-Archivs fand derselbe in einem alten Actenband die Gesetze der dortigen Rathsschule vom Jahr 1610, die er hier in ihrer ursprünglichen Fassung hat abdrucken lassen. Dr 0,

KÖNiGSBEBG i. d. N. 1857.] Das Lehrercolleg^um erlitt keine Ver- änderung. Dasselbe bildeten der Director Dr Nauck, Prorector Dr Märkel, Professor Dr Haupt, Oberlehrer Mathem. Heyer, Gymna- siallehrer Dr Boeger, Subr. Oberlehrer Schulz, Collaborator Oberl. Niethe, G.-L. Dr Nasemann, G.-L. Wolff. Die Zahl der Schüler betrug 236 (I 23, II 25, III 56, IV 45, V 44, VI 43). Abiturienten Ostern 1856 7, Ostern 1857 3. Das Programm enthält eine wissen- schaftliche Abhandlung vom Prorector Dr Märkel: de Aihenagoras Ubro apologetico , qui «Qsaße^a nSQl Xf^iatiotvdSv inscribUur (20 S. 4).

0.

LissA.] Im Schuljahre 1857 wurde am dasigen Gymnasium dem Gymnasiallehrer Martens die 7e Lehrcrstelle definitiv übertragen. Der Kaplan v. Karwowski, welcher den kathol. Religionsunterricht über- nommen hatte, wurde bald darauf an die Domkirche zu Posen berufen und durch den Vicar v. Psarski ersetzt. Der Cand. prob. DrPle- banski übernahm den Unterricht in der polnischen Sprache und Litte- ratur und wurde bald darauf mit Dr Günther als Hülfslehrer ange- stellt. Gymnasiallehrer Dr Methner gieng nach Berlin, um sich bei der dortigen Central-Tufnanstalt als Turnlehrer auszubilden. Zu seiner Vertretung trat der Cand. probandus Gruhl ein. Bestand des Lehrer- collegiums : Director Z i e g 1 e r, Professor 0 1 a w s k i, Professor Tschepke, Professor Matern, Oberlehrer v. Karwowski, G.-L. Dr Methner, Oberlehrer Marmd, G.-L. Martens, G.-L. Stange, die Hülfslehrer Töplitz, Dr Günther, Dr Plebanski, Prediger Pflug, evangeL Snperint. Grabig, Prediger Fr o mmberg er, Prediger Petz old, Vicar V. Psarski, Candidat Gruhl, Zeichenlehrer Gregor. Die Zahl der Schüler betrug am Schlüsse des Schuljahres 830 (I 30, 11 42. III« 37, III b 58, IV« 37, IV»» 37, V 63, VI 35). Abiturienten 7. Den Schul- nachrichten ist beigegeben: Probe eines lateinischen Vocahulariums ^ ent- worfen von Dr Methner. Vorbemerkungen (10 S. 4) und Beilage

eriehte Über gelehrte AnstaUen, Verordhaiigen, Statist. Notisev. 567

n^ S. 8). In den Vorbemerkungen werden die Hanptmomente hervor- Dhoben, um deretwillen ein selbständiger, rationeller Betrieb des Vo- tbellernens in den untern und mittlem Gjmnasialklassen als dringend »thwendig erscheine. Es soll dieses einmal dem Schüler der untern id mittlem Klassen Gelegenheit zur Uebnng seines Denk- und Ur- sOsvermögens an einem positiven, für dieses Alter fasziichen Stoff ge- Uiren, andererseits der Einübung der grammatischen Formen und der eetüre unterstützend und fördernd zur Seite stehen , wie auch noch ir die spätere Zeit den Schüler befähigen, die lateinischen Schulauto- m ohne öfteres Zeit raubendes nachschlagen des Lexicons zu lesen« leraus ergabt sich das Princip,' welches der Vf. bei der Anordnung id Auswahl des lateinischen Wortvorraths befolgt hat. Um jenes *sten Zweckes willen, der auch seiner pädagogischen Wichtigkeit we- &n hauptsächliche Berücksichtigung verdient, hat sich der Vf. dafür lischieden , nach dem Vorgange von W i g g e r t und von L. Döderlein m alphabetische Anordnung mit Berücksichtigung der Etymologie zu runde zu legen. Eine solche principlose Reihenfolge verdiene für den weck eines Vocabularinms den Vorzug vor jeder andern. Denn «s solle . dem Schüler Gelegenheit geboten werden, sein Begriffsvermögen an sm Sprachmaterial zu üben und zu bilden. Würden ihm nun aber die ocabeln schon nach bestimmten Principien geordnet vorgelegt, so falle ese höchst ersprleszliche Selbstthätigkeit für ihn weg, er lerne mehr 1er weniger mechanisch das schon als solches zusammengestellte zn- tmmengchörige auswendig, sei es nun dasz es nach Sachen oder nach 'ammatischen Eintheilnngsprincipien verbunden sei , während eine al- labetische Anordnung ihn nöthige, nach den von dem Lehrer gegebe- in Anweisungen jene Zusammengehörigkeit selbst zu finden, das zer« reute gleichartige zusammenzusuchen, mit einem Worte auf der vor- iglich Kraft und Gewandtheit übenden Palästra des Geistes, dem dis- >nieren , sein herankeimendes Denkvermögen zu üben. Bei einer sach- ^hen Anordnung sei eben einem blos mechanischen auswendiglernen hür jind Thor geöffnet, und der Hauptzweck , Denkübungen mit esen ^Gedächtnisübungen zu verbinden, bleibe auf solchem Wege lerreichbar. Wenn nun so die alphabetische Anordnung jenen Haupt- itzen des Vocabellemens, die (|jeistige Gymnastik, dem Knaben mög- sh mache , so erfülle sie auch die andern Anforderungen ganz in dem- Iben Masze, wie jede andere Anordnung, da sie ja dasselbe Material ete. Vor der sachlichen Anordnung zeichne sie sich noch dadurch ts, dasz bei ihr nicht blos nacheinander und gesondert einzelne Rede- teile gegeben werden, sondern verschiedene in wechselnder Folge, so ISE der Sinn für die Unterscheidung derselben von vom herein geübt erden könne, wie auch stets hinreichende und mannigfaltige Beispiele IT Einübung der grammatischen Regeln sich fänden. Die alphabetische Dordnung gewähre aber auch noch einen andern wesentlichen Vortheil, m eine rein sachliche nicht haben könne , nemlich den , da^z sie die Tortbil^ung, die Ableitung und Zusammensetzung zur klareren Anschau- iig bringe, indem sie die etymologische Verwandtschaft der Worte be- leksichtige und auch so wieder geistbildend und das Verständnis der prache fördernd wirke. Die alphabetische Ordnung schliesze nun aber ich eine andere Gliederung nicht aus, nemlich die des ganzen Sprach- «terials in Hinsicht auf Form und beg^rifflichen Inhalt, die nach dem tandpunkte der verschiedenen Altersstufen, der verschiedenen Klassen, aber hat der Vf. vier Abtheilungen von Vocabeln angenommen, je eine ir Sexta, Quinta, Quarta, Untertertia, und zwar so, dasz die Zahl sr zu erlernenden Vocabeln mit jeder hohem Klasse abnimmt. Nach eichen Principien diese Sonderang vorgenommen ist, ergibt sich ans sr beiliegenden Probe selbst. In der Auswahl der Worte bat sieh

Ff, Jahrb. f. Pm. u. Paed. Bd LXXyill. 11. 39

568 Beriehle Ober gelehrte Anstalten , Verordnongen, ttatiel. Nöiiises.

der Vf. soviel als möglich auf dasjenige beschränkt, was der Schüler bis Untertertia hin für seine grammatische Heranbildung und seine Le- etüre am nothwendigsten braucht. Bei der Angabe der Ableitungen sind nur diejenigen aufgenommen, die als allgemein feststehend oder wissenschaftlich erwiesen angesehen werden können. Hinsichtlich der Uebersetzung der einzelnen Worte ins Deutsche ist, soweit es mög- lich war, nur «^ine trefiPende Bezeichnung hinzugesetzt. Der Ve^. stimmt in den meisten Beziehungen , wie in der allgemeinen Anordnung, so auch in der Ausführung im einzelnen mit Döderlein überein. Nur zwei Mängel des Döderleinschen Werkchens scheinen ihm dasselbe für den praktischen Gebranch in der Schule weniger empfehlenswerth sn machen: einmal das weglassen aller Angaben des Genetirs, des Qenue, der Themata Verbi, die in einem auch für die untersten Klassen be- stimmten Schulbuche nicht wol zu entbehren seien; und dann der Aus- fall der deutschen Uebersetzung bei den verschiedenen von einem Stamme abgeleiteten Wörtern. Die Unterscheidung der vier Klassen von Worten für die verschiedenen Stufen ist ausdrücklich durch äussere Zeichen angegeben. Die für Sexta bestimmten Worte sind gesperrt ge^ druckt, die för Quinta haben keine besondere Bezeichnung, die fär Quarta einen einfachen Strich ( ) in der Spalte , auf welcher das latei- nische Wort steht, die für Untertertia ebendaselbst einen Doppelpunkt (:), wie aus nachfolgendem Beispiele ersichtlich ist.

Xgo, egi, actum 3

age wohlan! actum I i n. actio

actor t

actuosus

agHis, e

agmen, Inis n. agito 1.

exagito 1.

ambigo, ere

ambiguus t

ambäges, is f. t

oOgo, coegi, coac'tum 3 cogito 1. dego, degi 3.

exigo, egi, actum 3.

exactus

exiguus, a, um ex3men, inis n. examino 1.

perago etc.

prodigo etc.

prodigus

prodigium t

redigo etc. i

subigo etc.

transigo etc t

treiben, führen.

apage weg damit!

die Handlung.

das Thun, die That.

der Schauspieler, actus, us.

sehr thätig.

behend, agilitas.

der Zug; das Heer«

hin- und hertreiben« agitatfo.

verfolgen.

in Zweifel sein, streiten.

zweideutig, streitig.

Umweg, Umschweif. pl.

zusammenbringen , zwingen.

denken, cogitatio. excogito.

zubringen (vitam).

heraustreiben , fordern.

genau.

gering.

Schwärm; Zünglein an derWage«

abwägen, prüfen

vollenden.

forttreiben, verschwenden.

verschwenderisch .

das Wunderzeichen.

zurücktreiben, mit Gewalt zu etwas

bringen, durcharbeiten; unterwerfen. '

durchstoszen , beendigen. .

Möge der Vf. seine Arbeit, von der er uns eine so schöne Probe gege- ben, mit gleicher Sorgfalt recht bald ganz zu Ende führen (das l^Uie- gende Speeimen reicht von a c, 27 S. 8). Sie wird, so fortgeführt, den besten Vocabularien dieser Art würdig zur Seite stehn , ja es lässt

BUrielife aber gr^lehrte ADstalten, Verordnnngen, sfatisl. Notiies. 569

sieh erwarten, dasz sie bei ihren besonderen Vorziigen für den prakti- schen Gebrauch in der Schule noch empfehlenswerther sein wird , als die seiner Vorgänger. Dr 0.

LüCKAu.] Durch die Errichtung der Gymnasialsezta war eine Lehr- kraft nothig geworden und in Folge dessen Collaborator Hanow ange- stellt. Es unterrichteten im Jahre 1856—57 an dem Gymnasium der Director Bfelow, Conrector Prof. Dr Vetter, Subr. Bauermeister, Mathem. Fahland, Dr Lipsius, Cantor Oberreich, Wenzel, Vogt, Collaborator Dr Wagler, Collaborator Hanow , liülfslehrer Bausch und Hülfslehrer Berger. Die Zahl der Schüler "betrug 195 (I 10, II 20, III 32, IV 44, V 44, VI 45). Abiturienten 5. Den Schul- nachrichten geht voraus eine Abhandlung yon Dr Lipsius: über den einheitlichen Charakter der Heltenika des Xenophon (32 S. 4). Der Verf. ist mit seiner Betrachtung auf den Standpunkt gelangt , den schon Grenzer, Dellbrück, Valckmar, Peter, obgleich zum Theil von anderen Voraussetzungen ausgehend, vertreten haben. Er hat darzn- thun versucht, dasz die unsymmetrische Gestalt der Hellenika keines- wegs unverträglich sei mit der Art und Weise , wie Xenophon seine übrigen Schriften abgefaszt und ausgeführt hat ; er hat der Ansicht das Wort reden zu müssen geglaubt, dasz Xenophon auch in seinen grie- chischen Denkwürdigkeiten von Anfang bis zu Ende rmt ^in ganzes zu geben beabsichtigt habe. 0.

Lübeck.] Der Einladung zu den auf den 24 26. März 1858 ange- ordneten öffentlichen Prüfungen und Redeübungen im hiesigen Katha- rineum gehen voraus: Beiträge zur Kritik von Aeschylos Sieben vor The- ben, Part. II, /^. 78—162, 270—349, von Professor Dr Carl Prion (<K) S. 4). Es schlieszt sich dieser wichtige Beitrag zur Kritik und Er- klärung des Aeschyleischen Stücks an das frühere Programm desselben Verfassers an. Die angehängten Schulnachrichten (S. Ol 85) sind von dem ^inen Grnndtone einer schmerzlichen Klage um den Mann durch- drungen, der wie für das Gemeinwesen Lübecks überhaupt, so insbe- sondere für die Schule während länger als eines halben Jahrhunderts ein reicher Segen gewesen ist; es Ist der am 4. Octobcr v. J. verstorbene Syndikus Dr Karl Georg Curtius, Vater der beiden in schöner Wirk- samkeit stehenden philologischen Universitätslehrer Ernst und Georg Curtius in Göttingen und Kiel, dessen Leben in kurzen Zügen ohne Zweifel auch hier verzeichnet zu werden verdient, schon um des leben- digen Interesses und der groszartigen Fürsorge willen, die er dem Schul- wesen Lübecks in so langer Zeit zugewendet hat. Geboren den 7. März 1771 und von 1782 90 Schüler des Katharineums, studierte er in Jena die Rechtswissenschaften und hatte das Glück unter Schillers Augen, dem 'Dichter selbst durch poetische Arbeiten näher getreten , die edle Flamme der Begeisterung für alles gute, wahre und schöne zu nähren, die ihn im weiteren Verlaufe seines vielbewegten und arbeitsvollen Le- bens in stetig stillem Zuge zu den Füszen seines Heilands führte. In seine Vaterstadt zurückgekehrt, wurde er im Mai 1801, dreiszig Jahre alt, in das Syndikat berufen, ein Amt, mit dem die Pflege und Leitung des lübeckischen Schulwesens von jeher verbunden gewesen ist, und er- hielt schon im November 1804 in Gemeinschaft mit Syndikus Gütschow nnd Senator Overbeck den Auftrag, wegen Wiederbesetzung des durch den Tod des Rectors Oehn erledigten Rectorates am Katharineum Vor- schläge zu machen. Seitdem leitete er ununterbrochen die Angelegen- heiten dieser Schule, zunächst in Verbindung mit den vorgenannten Senatsmitgliedem , später als Präses der im October 1837 unter Zuord- nung bürgerlicher Deputierten gebildeten Schuldeputation. Seit der Reorganisation des Katharineums hat er alle Directoren eingeführt, am 1. Juli 1800 den Director Mosche, am 4. Nirrember 1816 den Director

39*

570 Berichte über gelehrte AnsUlten , VerordnaDgen, statiil. Notisea.

O'ÖTingy am 17. October 1831 den Director Jacob und am 12. Octoher 1854 den Director Breier. Auch war seit dem J. 1828 den beiden Syn- dicis als Mitgliedern der Schnldeputation der Vorsitz bei den Stipen- diatenprüfungen übertragen , eine Function , die später auf ihn «Uein libergieng und der er seit der Zeit beständig vorgestanden mit Aus- nahme zweier Fälle (1853 und J854), wo der jetzige Präses der SchoJU deputation, Herr Senator Roeck, seine Stelle vertrat. Er vereinte in schönem Gleichmasze den imponierenden Ernst männlicher Würde mit herzgewinnender Freundlichkeit. Das Verhältnis zwischen den Schulen und diesem ihrem Archen hatte sich zu einem Pietätsverhältnisse schön- ster Art gestaltet, und kein Lehrer, mochte er der untersten Volks- schule oder der höchsten Anstalt des Staats angehören, konnte sich in persönlichen oder amtlichen Anliegen ihm nahen, ohne die herzlichate Theilnahme, Trost, Ermunterung, Rath und Beistand zu finden. Niemale fehlte es ihm an Zelt und Geduld, den Prüfungen und öffentlichen Acten so vieler seiner Pflege vertrauter Anstalten beizuwohnen, und aaoh man- cher Schüler hat bei solchen Gelegenheiten ein köstlich Wort aas sei- nem Munde fürs Leben mitgenommen. Ein solcher Mann, der täglich an der heiligen Schrift sich erbaute und an des klassischen Alterthnms Herlichkeit Geist und Herz erfrischte, der die alten Sprachen gründ- lich kannte und die neuern in Schrift und Rede meisterlich handhabte, der in den Regionen der Sternenwelt so g^t heimisch war wie in den Ziffern, die Haus und Gemeinwesen zusammenhalten, den die Mnsen nicht an der pünktlichen Verrichtung trockener, täglich wiederkehrender Geschäfte hinderten und die nüchternen Alltagsarbeiten nicht lähmten noch in seinem 86n Jahre Jubellieder zu dichten, der den Griffel sn führen verstanden wie den Degen, der die Tonkunst pflegte und anf dem Turnplatze der Jugend schattende Bäume pflanzte ein solcher Mann konnte mit gleicher Liebe alles umfassen, was dem heranwach- senden Geschlechte zum Heile, zur Zierde und zum Nutzen dient, konnte mit derselben Treue und väterlichen Fürsorge hier das Wohl der Armen- kinder und Waisen, dort der höheren Studien zugewandten Schuljugend bedenken. Und noch aus den letzten Jahren weisz die Schulschrift es dankbar zu erwähnen, dasz das Eatharineum durch seine warme Theil- nahme und seinen kräftigen Fürsprnch für seine Vorbei-eitungsklassen eine neue feste Lehrstelle und noch sonst vermehrte Lehrkräfte bekom- men hat, dasz die Organisation der Rcalklassen der ursprünglichen Idee geraäsz vollendet worden und dasz zu den fünf Oberlehrern der seobste hinzugekommen ist, dasz endlich die Schule durch bedeutende bauliehe Veränderungen an Raum und zweckmäsziger Einrichtung ungemein ge- wonnen hat. Grewis ist die Erinnerung an eine solche , der Pflege des Schulwesens mit treuer Liebe und ernster Sorge gewidmete lang^ Thätig«- keit in der weiten deutschen Lehrerwelt eine wolthuende und erhebende. Was die Veränderungen im letzten Schuljahre betrifft, so ist die oberste Realklasse der Anstalt, die früher der Tertia des Gymnasiums parallel lief, unter dem Namen Selecta der zweiten Gymnasialklasse oder^ecnnda gleichgestellt worden. Das seit Ostern 1856 unter die ordentlichen Lehrgegenstände der Realschule, zunächst in Quinta, anf- genomme Latein ist nun auch in Quarta eingeführt und wird demnächst nach Tertia vorrücken. Für den historisch - geographischen UnterrioEt ist ein vollständig neuer Stufengang eingerichtet worden. Für Obersexta sollen biographische Erzählungen aus allen Zeitaltem dienen, in Qninta eine Uebersicht der merkwürdigsten Begebenheiten nach Art des kleinen Bredow gegeben, in Quarta alte, in Tertia mittlere und neuere Geschichte gelehrt werden. Umfassender, tiefer und eingehender wird dann in Se- cunda das Altertlinm, in Prima Mittelalter und neue Zeit noch einmal behandelt. In den Realklassen kommt auf Quinta die alte Geschichte,

Berichte Aber gelehrte Anstalten, Verordniingen , Statist. Notizen. 571

snf Quarta Mittelalter und neuere GesdKchte. In Tertia wird die Ge- schichte des Mittelalters, in Selecta die neuere Geschichte in weiterem Umfange zum zweiten Male vorgetragen. Der geographische Unterricht, der in Secunda ahschlieszt, hat einen ähnlichen Gang in beiden Anstal- ten: Quinta neben allgemeinen Grundbegriffen Europa, Quarta die übri- gen Erdtheile, Tertia und Secunda dieselbe Folge. Von den Lehrern haben der Oberlehrer Dr Holm und der Lehrer des Englischen, Pea- eock, einen Twöchentlichen Urlaub, jener zu einer Reise nach Italien, dieser nach England und Schottland gehabt. Der zweite Lehrer des Französischen, John Mussard, ist während eines einjährigen Urlaubs in seiner schweizerischen Heimat am 7. December 1857 zu Solothum gestorben. Die Schülerzahl betrug im Sommerhalbjahr 1B57 in I 19, II 21, III« 32, IV« 37, 26, Sei. »5, Uli» 31, IV* 38, V»> 16, VI* 85, VI* 30, VII 20, zusammen 330; im Winter 1857—58 in I 17, II 21, in« 30, IV« 37, V«-27, Sei. 23, I1I»> 30, IV»> 38, V»» 17, VI* 85, VI« 85, VII 20, zusammen 330. Darunter waren im letzten Halbjahr 103 auswärtige, neralich in den Gymnasialklassen 50, in den Realklassen 46, in den Vorbereitnngsklassen 7. Gestorben waren 2 Schüler, 1 Primaner und 1 Septimaner. Bing,

BifAaDEBÜBO.] Von Veränderungen im Lehrerkreise ist das Päda- gogium zum Kloster Unser Lieben Frauen auch im 1857 ver- flossenen Sdfaulj. nicht ganz frei geblieben. Dr Danneil war mit der eommissarischen Wahrnehmung einer Oberlehrerstelle an dem Gouver- nanten-Institut zu Droyszig auf ein Halbjahr beauftragt. Die meisten Lehrstunden desselben übernahm der Schulamtscandidat Gloel. Zum geistlichen Inspector am Kloster wurde Prof. Dr Scheele ernannt, der zugleich der Vorsteher eines Convicts von geistlichen evangelischen Can- didaten sein soll. Der Oberlehrer Dr Schmidt ist als Director des Gymnasiums nach Herford berufen. Zu dem Lehrercollegium gehören folgende Mitglieder: der Propst und Director, Dr th. Prof. Müller, Vorsitzender des Convents und der Kircheninspection, der geistliche In- spector Prof. Dr Scheele, Conventual, auch Vorstand des neu gestif- teten Convicts geistlicher evangelischer Candidaten und Mitglied der Kircheninspection, Prorector Prof. Hennige, Conventual und Vorstand des Alumnats, sowie Culinarius und Hausinspector , Prof. Dr Hasse, Conventual, Prof. Michaelis, Conventual, Oberlehrer Dr Feldhü- gel, Oberl. Dr G ö t z e , DrDeusohle, Dr Krause, DrLeitzmann, Dr Danneil Predigtamtscandidat , Dr Arndt, Banse, Hülfsl. l)r Steinhart, Hülfsl. Ortmann, Hülfsl. Friedemann, Gesanglehrer Ehrlich, Zeichenl. v. Hopffgarten, Schul am tscand. Gloel. Die Schülerzahl betrug 425 (I 26, II 45, III« 30, III»» 38, IV« 42, IV»» 54, V*58, V»» 46, VI« 52, VI»» 34). Abiturienten 11. Den Schulnachrichten ist vorausgeschickt eine wissenschaftl. Abhandlung von Dr Deuschle: der platonische Politikos, Ein Beitrag zu seiner Erklärung (36 S. 4). Die Hauptaufgabe und das eigentliche Ziel dieser Arbeit ist , die Schwie- rigkeiten hervorzuheben und zu lösen, welche der Politikos demjenigen bereitet, der ihn mit andern platonischen Dialogen, vor allen dem So- phisten und der Politeia vergleicht, und demjenigen, der ihn zwischen den Sophisten und Parmenides einzureihen und darnach die Entwicklung des platonischen philösophierens zu bestimmen gedenkt. Jene Schwie- rigkeiten betreffen theils den Inhalt, theils die Darstellungsform (künst- lerische, logische und sprachliche). I. Hauptinhalt, Grundgedan- ken und Zweck des Politikos (Hier treten erhebliche Differenzen zwi- schen der Auffassung des Verfassers und der von Snsemihl zu Tage, weshalb der Inhalt des Dialogs nochmals selbständig besprochen wird). 1. Der Mythos. 2. Beispiel und Masz, sowie Begriffsreihen, welche sich als Träger der dialektischen Entwicklung des Dialoge» darstellen. 3.

572 Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnangeii, ftititl. NotisM.

Folitische Erörterung. Aas ^er Betrachtang des Inhalts des Dialogs ergebo sich der Grundgedanke und Zweck desselben ron selbst; voll- ständig feRtstellcn lasse cf sich erst durch die folgenden Theile der Un- tersuchung, welche später in dem Philologus yeröffentlichi werden sol- len.— Aus dem Lehrercollegiuin des königlichen Domgymnasiums schied der Caudidat Dt Frey dank, der als Hülfslehrer am Qymnasiam zu Torgau beschäftigt wurde; Krasper wurde zum Oberlehrer ernannt; der Lelirer Grunow wurde in den Ruhestand versetzt. Lehrerpersonal: Director Prof. Wiggert, die Professoren Wolf, Dr Sucre, Pax, die Oberlehrer Dr \Volfart, Ditfurt, Sauppo, die Lehrer Hase » Gorgas, Schüustedt, die Hülfslehrer Hildebrandt, Vogel, L^- rer\roise. Schreib]. Brandt, Gesangl. Bebling. Die Schülerzaid betrug 350 (I 39, H 44, IIP 19^ IIP 30, IV« 38, IV»» 41, 37, V«» 51, VI 51). Abiturienten 21. Das Programm enthält auszer den Scholnaoh- richten; kurze Darstellung des römischen Kriegswesens, Zum Gebraudke heim lesen römischer Schriftsteller in den oberen Gymnasialklassen. Vom Lehrer Karl Schönstedt (23 S. 4). Dr 0.

Mkininoen.] Am 17. Juni 1857 wurde Professor Panzerbieter der Anstalt durch den Tod entrissen. Pfarrvicar Köhler wurde schon während der Krankheit desselben beauftragt, intorimistisoh als Lehrer einzutreten. Auszerdem waren die beiden provisorischen GymnasiaUeh- rer Schaubach und Kresz auch im J. 1857 58 am Gymnasinm tbiitig. Professor Well er rückte in die erste, Professor Märker in die zweite und Professor Henneberger in die dritte Lehrerstelle auf. Ebenso ist die definitive Besetzung der drei unteren Lehrerstellen in Ostern d. J. bereits vorfügt. Professor Bernhard, Vorsteher eines Krziehungsinstitnts, ertheilte den Unterricht im Englischen, welcher im vorigen Jahre ansgofallen war. Die Zahl der Schüler betrag am Schlosse des Öclmljahres 119 (I 10, II 20, III 17, IV 29, V 14, VI 23). Abitu- rienten 10. Den Schulnachrichten ist vorausgeschickt eine wissenschaft- liche Abhandlung des Gymnasiallehrers Kresz: de aitributo graeco obser^ vationes (17 8. 4). Die Beobachtungen des Verfassers erstrecken sich auf die Stellung des Attributs bei Herodot, aus dessen erstem Bache die betrclTcnden Stellen gesammelt sind. Es wird gezeigt, in wie weit die verschiedene Stellung des einem Substantiv beigefügten Attributs in den pfegebencn Stellen den von Matthiä und Krüger aufgestellten Regeln entspricht oder nicht. Dr 0.

Mersebuko.] In das Lchrercollegium trat ein der Mathematieue Dr Witte, bisher Hülfslehrer an der Kealschule der Frankesohen Stif- tungen zu Halle. Lehrer: Rector Scheele, Conrector Osterwald, Subrector T h i e 1 e m a n n , Dr G 1 o e 1 , Dr -^W i 1 1 e , die CoUaboratoren Dr Schmekel, Goram, Domdiaconus Opitz, Musiki. Engel, Zei~ chenl. Naumann, Schulamtscandidat F ins eh. Schülerxahl 161 (I 18, II 25, III 32, IV 42, V 34 und 10 in der Vorbereitnngsklasse , welohe die Stelle der Sexta vertritt). Abiturienten Mich. 1850 6, OsteTn 1857 1 . Das Programm enthält : quaestionem de priore vaHdnUf quod leg&ur Genes. 49, 10, hemislichio instituit Dr Gloel (11 S. 4). 0.

MÜHLiiAusRN.] In dem Lehrerpersonal hat im 1857 verfloMenen Schuljahre keine Veränderung stattgefunden. Dasselbe besteht ans dem Director Dr Haun, dem Prorector Prof. Dr Am eis, dem Conreelor Dr II asper, dem Subrector Dr Schlesicke, Snbconrector I Reeke, Subconr. II DrDilling, Collab. Meinshausen, DrBob^, Diaconns Barlös ins, Zcichenl. Dreiheller, Gesangl. Schreiber, Schreibl. AValtcr. Die Schülerzahl betrug am Ende des Schuljahres 101 (I 5, II 5, III 19, IV 30, V 42). Abiturienten 4. Den Schulnachriehten ist angefügt eine Abhandlung: on Englißh and french versication byDrBobe (10 S. 4). Ö.

BtriioliCe Ober gelehrte Anstalten, Verordnangea, statiit. ICotiie«. 673

MÜNSTEB.] Vom dasigen k. G^^nasinm worden im Scha^j. 1850 57 die Lehrer Grimme und Pause als ord. Lehrer an das Gymnasium EU Paderborn befördert. Dr Stein, welcher vorher als Candidat sein Probejahr beendet hatte, und Gansz, bis dahin Htilfslehrer am Gjmn. zu Essen, wurden als wissenschaftl. Hülfslehrer angestellt. Dr Djck- boff, Dr Niehues, Dr Hichter, ten Djck, Dr Eemper traten ihr Probejahr an. Dr Tenckhoff, der das Probejahr vollendet hatte, blieb noch bei der Anstalt beschäftigt. Dem Oberlehrer Dr Bon er wurde das Prädicat 'Professor' beigelegt. Einer der ältesten Lehrer, Oberlehrer Limb er g ist gestorben. Lehrerpersonal: Dir. Dr Schulte, Prof. Lückenhof, Prof^ Welter, Prof. Dr Boner, die Oberlehrer Dr Koene, Dr Füisti^g, Lanff, Dr Middendorf, Hesker, Hölscher, die Gymnasiallehrer Dr Schipper, DrBeckel, Dr HÖl- scher, Oberl. Dr Grüter, Dr Schürmann, Oberl. Dr. Offenberg, Dr Salzmann, Dr Hosius, Schildgen, Bisping, DrTücking,Dr Stein, Gansz, Auling, ev. Pfarrer Lüttke, Cand. Dr Tenckhoff, die Probecandidaten DrDyokhoff, Dr Niehues, Dr Richter, ten Dyck, Dr Eemper (31 Lehrer). Die Anstalt besuchten im Laufe des Schuljahres 630 Schüler (I* Abth. I u. 2 46, I^ Abth. 1 u. 2 70, II* Abth. 1 u. 2 74, II »> Abth. 1 u. 2 79, III« Abth. 1 u. 2 78, III»» Abth. 1 u. 2 62, IV 1 u. 2 85, V 69, VI 67), unter diesen 572 kath., 55 eyang., 3 Israel. Abiturienten 44. Den Schulnachrichten geht voraus eine Ab- handlung des Gymnasiallehrers Dr Beckel: fiöer die Stufenfolge des Ge- schichtsunterrichts an den Gyinnasien (25 S. 4). Die von Camp e in Mützells Zeitschrift in verschiedenen Aufsätzen ausgesprochenen Ansiebten wer- den widerlegt. Doch gesteht der Verf. zu , dasz . die Aufsätze Campes bei allem einseitigen und verkehrten , das sie enthielten, voll lehrreicher Fingerzeige und mannigfach treffenden Urteiles seien, dasz sie manche Anregung und Belehrung und für manche Ansicht schärfere Begrenzung und Bestimmtheit gewährt, wie denn überhaupt Löbell und Campe auf dem Gebiete der geschichtlichen Methodik groszes geleistet hätten.

Dr 0,

MÜNSTERBiFEL.] Das Lchreroollegium hat im 1857 verflossenen Schuljahre keine Aenderung erfahren. Dasselbe bildeten der Direotor Katzfey, die Oberlehrer Dr Hagelüken, Dr Hoch, Dr Mohr, Roth Keligionslehrer , Dr Thisquen, Cramer, Dr Frieten, Sydow. Die Zahl der Schüler betrug 156 (I 23, II 53, III 21, IV 26, V 16, VI 17). Abiturienten 8. Eine Feier für das Gymnasium bot die Einweihung des erzbischöflichen Seminars dar. Den Schulnachrichten folg^ eine Abhand- lung des Directors: Oher den Unterricht in den mathemaäschen Wissen- schaften. Entbehrlichkeit der Schultafel (11 S. 4). Dr 0.

Naumburg.] Aus der Mitte der Lehrer des Domgymnasiums schied Dr Thilo, um eine wissenschaftliche Reise nach Italien zu ma- chen. Seine Stelle wurde provisorisch dem Schulamtscandidaten Dr Holstein übertragen. Das Ordinariat der neuen Vorbereitungsklasse, die zu Michaelis in das Leben trat, erhielt provisorisch der Schulamts- candidat Hasper. Conrector Hülsen erhielt das Praedicat 'Professor'. Der französische Lehrer Laubscher übernahm eine Lehrerstelle an dem evangelischen Lehrerinnen-Seminar in Droyszlg; seine Lectionen wurden dem Marienprediger Richter übertragen. Lehrerpersonal : Dlrector Dr Fort seh, Domprediger Mitzschke, Professor Hülsen, Conrector Dr Holtze, Subrector Dr Schulze, die Gymnasiallehrer Silber, Dr Opitz, Candidat Dr Holstein, Candidat Hasper, Musikdirector Claudius, Pastor Richter, Zeichenlehrer Weidenbach, Schreib- lehrer .Künstler. Schülerzahl 246 (I 28, II 30, III 41, JV 55, V 55, in der Vorbereitungsklasse 37). Abiturienten 15. Den Schulnachrichten geht voraus eine Abhandlung vom Domprediger Mitsachk»: die

574 Berichte über gelehrte Anstalten, Verordnangen, statitt. Neiista.

Prindpien des ProlestanUsmus in ihrem F'erhältnisse zum KaihoHcUmua (31 S. 4). Dr 0.

Neisse 1857.] Der Hülfslehrer Schneider wurde als Collaborator an das OjcAnasium zu Gleiwitz berufen. Der Candidat Dr Regent leistete Aushülfe, so dasz die Trennung der beiden Cötus der Sexta wieder eintreten konnte. Das Lehrercollegium bildeten der Director Dr Zastra, die Oberlehrer Köhnhorn, Dr Hoffmann, Kastner, Otto, die Gymnasiallehrer Schmidt, Seemann, Religionslehrer Got sch- lich, DrTeuber, CoUaborator Mutke, die Hülfslehrer Wutke und Kleineidam, Candidat Dr Regent, Zeichenlehrer Barthelmann, Gesanglehrer Jung, Turnlehrer Wutke. Qie Zahl der Schüler betrog am Schlüsse des Schuljahres 448 (I 29, II« 27, 11^ 59, III 59, IV 78, yi 44, yt 42, VI» 59, Vi* 51). Abiturienten 16. Den Schuhaachrich- ten geht voraus: die Wahrheit als Princip im Unterrichte auf kaihoUschen Gymnasien, Von Dr E. T e u b e r (23 S. 4). Der Verf. will xeigen , wie in jedem Unterrichtsgegenstande des Gymnasiums der Schüler durch die Wahrheit zur Wa^heit, d. h. zu Gott hingeleitet, und der Herr verherlicht werden könne auch in der Wissenschaft. Dr

Neü-Ruppin.J Das Lehrercollegium, in welchem in dem 1857 ver- flossenen Schuljahre kein Personalwechsel stattgefunden hat, bestand ans folgenden Mitgliedern: Director Starke, Professor Könitzer, Ober- lehrer Krause, Oberlehrer Dr Kämpf, Oberlehrer Lenh off, Leh- mann, Uoffmann, DrBode, Dr Schillbach, Zeichenlehrer Schnei- der, Musikdirector Möhring, Elementarlehrer Seile. Die Zahl der Schüler betrug 276 (I 22 , II 25 , III 53 , IV 59 , V 52 , VI 65). Die Vorbereitungsklasse wurde von 16 Schülern besucht. Abiturienten 10. Das Programm enthält auszer dem Jahresbericht: die Lösung der zu- sammengesetzieren Gleichungen des zweiten Grades mit zwei unbekannten. Ein algebraischer Excurs pir die Schule von J. S. n it z er, Professor (22 8. 4)«

0,

Neusz.] Im Lehrercollegium fanden in dem Schuljahre 1856—57 folgende Ergänzungen und Beförderungen statt. Nachdem Bondolf die dritte ordentliche Lehrerstelle erhalten hatte, wurde der wiasen- Bchaftliche Hülfslehrer Waldeyer als vierter ordentlicher Lehrer an- gestellt; nach dem abieben des Dr Poeth rückte Roudolf in nie zweite, Waldeyer in die dritte ordentliche Lehrerstelle auf. - Der Schulamtscandidat Sommer hielt sein Probejahr ab, wurde jedoch schon während desselben als eine volle Lehrkraft verwendet. Den or- dentlichen Lehrern Dr Ahn und Quossek wurde das Praedieat ala Oberlehrer ertheilt. Lehrerpersonal: Director Dr Menn, Eschweiler Religionslehrer, Oberlehrer: Dr Bogen, Hemmerling, DrAhn, Qnos- sek; ordentliche Lehrer: Roudolf, Waldeyer; wissensohaftl. Hülfs- lehrer: Köhler, Syr^e, Sommer; Hart mann Gesanglehrer, per« Zeichen- und Schreiblehrer, evangel. Pfarrer Leendertz. Schülerzahl 206 (I 53, II« 31, IIb 23, III 31, IV 33, Y 33, VI 51, obere ReaUdasae 4, untere 7). Abiturienten 25. Dem Jahresbericht geht voran eine Ab- handlung vom Oberlehrer Hemmerling: welcher Mittel bedient sich Homer zur Darstellung seiner Charaktere? (10 S. 4). Es wird nur das wesentlichste hervorgehoben und statt einer eingehenden Erörterung werden oft nur Andeutungen gegeben. Der Verf. will in seiner Ab- handlung auch nur einige Beiträge zu jener Untersuchung liefern, die nicht einmal überall das Interesse der Neuheit bieten können. O*

Nordhausen.] Eine Veränderung im Lehrerpersonale fand zu Neu- jahr 1857 statt, wo der Conrector Prof. Dr Theisz einem Rufe zur Ilebernahme. des Direotorats am Stifts - Gymnasium in Zeitz, folgte. Oberlehrer Dr Rothmaler wurde zum Conrector, Oberlehrer Dr Haake zum zweiten, Mathematicus Dr Kosack zum dritten und der

•Itoriidite über gelehrte AnstaUen^TerordDODgen, Statist. Nolifeii« 575

ordentl. Lehrer Dihle zum vierten Lehrer ernannt; die sechste ordent- liche Lehrerstelle erhielt der hiesige Reallehrer Teil provisorisch. Das LehrereoUegium bildeten: Director Dr Schirlitz, Conrector Prof. Dr Theisz, Conrector Dr Rothmaler, Oberlehrer Dr Haake, Mathem. Dr Kosack, die Gymnasiallehrer N i t z s c he, Dihle, Reidemeister, Mosikdirector Sörgel, Schreib- und Zeichenlehrer De icke. Elementar- lehrer Dippe. Schülerzahl 288 (I 15, II 21, lU 28, IV 34, V 62, VI 64, Vorbereitungsklasse 64). Abitnrienten 4. Den Inhalt des Programms bildet anszer den Schulnachrichten eine Abhandlung des Oberlehrers Dr Haake: quaestionum Homericarwn capita duo (18 S. 4). Cap. I. De par- ticnla äga, Cap. II. De coninnctivo et futuro. Adduntur qnaedam de nomine 'TnBQicov. 0,

Oels.] Das Schuljahr 1856 57 hat der hiesigen Anstalt wiederum Veränderungen des Lehrerpersonals gebracht. Collaborator Dr Liebig und Hülf sichrer Wilde sind beide an das Gymnasium zu Görlitz abge- gangen. Die Stelle des ersteren wurde dem bis dahin am Stettiner Ctymnasium als Mitglied des dortigen paedagogischen Seminars beschäf- tigt gewesenen A. Gas da verliehen, zur 2n Hülfslehrerstelle Dr Petzold berufen, der bis dahin ein Privatinstitut in Neustadt geleitet hatte. Lehrer: Director Dr Silber, Prorector Dr B r e d o w, Conrector Dr Böhmer, Ober- lehrer Dr Kämmerer, die Collegen Rehm, Dr Anton, Dr Schmidt, * Cantor Barth, Collaborator Gasda, die Hälfsl. Keller und Petzold, Pfarrer Nippel kath. Religionslehrer. Schülerzahl 252 (128, 1130, III« 26, III*» 37, IV 49, V 46, VI 36). Abiturienten 4. Das Programm ent- hält auszer den Schulnachrichten und der Schulordnung des Gymnasiums : die Sadewitzer Petrefacien. Mit einer biograpHschen Skizze über F. Oswald, Von dem Prorector Dr Bredow (19 S. 4). Dr O,

Oppeln.] Das Lehrerpersonal am königlichen katholischen Gymna- sium hat sich im Laufe des Schuljahres 1856 57 nicht verändert. £s unterrichteten Director Dr Stinner, die Oberlehrer Dr O c h m a n n , Dr Eayszler, Gymnasiallehrer Dr Wagner, Oberlehrer Peschke, evangel. Religionslehrer Husz, die Gymnasiallehrer Habler, DrRes- ler, Dr Wahner, Candidat Roehr, Prediger Sy ring, Licent. Swien- tek, Zeichen- und Schreiblehrer Buffa, Gesanglehrer Kothe, Turn- lehrer Hielscher. Frequenz im Sommensemester 389 (I 32, II 52, III 69, IV 76, V* 43, V*» 44, VI 73). Abiturienten 8. Den Schulnach- richten ist vorausgeschickt eine Abhandlung von Dr Wahner: zur Qe- schichte Jacob /, Königs van Groszbritannien und Irland. Nach einem Ma- nuscript eines deutschen Zeitgenossen (16 S. 4). Der Verf. hat bereits im Magazin für die Litteratur des Auslandes (1856 Nr 78. 79. 147) einige Artikel, dem genannten Manuscript entnommen, der Oeffentlich- keit übergeben, indem er zugleich einige kurze einleitende Notizen über dasselbe vorausschickte. Nachdem er hier bei der Besprechung dessel- ben etwas mehr in das Detail eingegangen ist, theilt er in dieser. Ab« handlung zuvörderst nur das mit, was das Manuscript in dem Kapitel über den König und seinen Hof berichtet , und verbindet hiermit zugleich auch die in andern Theilen der Handschrift hie und da zerstreut stehen- den und hierauf Bezug habenden Stellen. Hinsichtlich der Anordnung des Stoffes hat der Verf. im allgemeinen, so weit es angeht, den Gang des Manuscripts beibehalten. Dr 0,

OsTBOWO.] In dem LehrereoUegium fand in dem 1857 verflossenen Schuljahre keine Veränderung statt. Dasselbe bestand aus: Dr Enger Dir., den Oberlehrern Dr Piegsa, Dr Jerzykowski, Tschackert, Stephan, Gladysz kath. Religionslehrer, Polster, Dr v. Broni- kowski, den Gymnasiallehrern Regentke, Cywinski, DrZwolski, Kotlinski, Märten, den Hülfslehrem Roll, Dr Lawicki, Lu- kowski, Schabert evang. Religionalehrer« Der SchaUuntflcandidat

576 Berichte über gelehrte ÄDstalten, Verordnungen, stttist NotiKfl«

Dr Kaffler starb bald nach seiner Ankunft in Ostrowo. Am SohluMO des Schuljahres besuchten die Anstalt 250 Schüler (I 28, II 36, III« 14, III»» 37, IV« 41, IV»» 16, V* 25, V»» 15, VI« 23, VI»» 15). Abiturienten 9. Die drei untern Klassen sind in parallele Cötns, VI IV« fUr die Schüler polnischer , VI IV »» für die Schüler deutscher Abkunft getheili. In diesen ist die Unterrichtssprache die deutsche , in jenen die polniscfaie mit Ausschlusz der Geographie, die in beiden Cötus deutsch gelehrt wird. In den beiden Tertien wird die Keligionslehre , das Polnische, Französische, die Mathematik und Naturgeschichte, zusammen in 10 wöchentlichen Stunden, in I u. II die Religionslehre, das Polnische, Hebräische und Griechische, zusammen in 10 wöchentlichen Stunden in polnischer, alles andere in deutscher Sprache gelehrt. Den Schulnnch- richten geht voraus eine wissenschaftliche A))handlung von dem Director Dr Enger unter dem Titel: Aesdiylia (18 S. 4). Kritische Bearbei- tung des Chorgesangs aus Aeschylus Choephoren V. 579 639.

Dr 0.

Paderborn.] In dem Lehrerpersonal ^e% Gymnasium Theodoriannm haben im Schuljahi-e 1856 57 einige Veränderungen stattgefunden« Der Oberlehrer Schwnbbe rückte in die dritte, der Oberl. Kören in die vierte Oberlehrerstelle auf; die fünfte ist dem bisherigen Oberlehrer an der Ritterakademie in Bedburg, Dr Fdaux, verliehen worden. Ueber- dics hat behufs einer Theilung der drei frequentesten Klassen eine Ver- mehrung der Lehrstellen stattgefunden, in deren Folge Grimme die neiigegründete sechste, DrVolpert die neugegründetc siebente ordent- liche Lehrerstelle, sowie der Schulamtscandidat Hülsen b eck die erste und Leinemann die zweite Hülfslehrerstelle erhielten. Auch hat der bisherige geistliche Lehrer am Progymnasium in Rietberg, Hövelmann, Aushülfe zu leisten übernommen. Oberl. Roeren folgte einem Rufe als Director an die rheinische Ritterakademie zu Bedburg. Die erle- digte Lehrstelle übernahm vorläufig Baus e, bisher Hülfslehrer am Gym- nasium zu Münster. Mit dem Anfang des neuen Jahres rückten Dr F^aux in die vierte, Bäumker in die fünfte Oberlehrerstelle, SchUth in die zweite, DrOtto in die dritte, Dr Giefers in die vierte ordent- liche Lehrerstelle auf und Bause wurde die fünfte ordentliche Lehrer- stelle definitiv übertragen. Gymnasiall. Dieckhoff erhielt das Pr&dicat eines Oberlehrers. Lehrerpersonal: Director Prof. Dr Ahlemeyer, die Oberlehrer Prof. Dr Leszmann, Prof. Dr Gundolf, Schwnbbe, Dr F^aux, Bäumker, die ordentlichen Lehrer Oberl. Dr Dieckhoff, Schüth, DrOtto, Dr Giefers, Bause, Grimme, Dr Volpert, Ilörling, Kirchhoff, die Hülfslehrer Hülsenbeck, Leinemann, Hövelmann, Schreibl. Kurze, Zeichenl. Heithecker, GetangL Spanke, die Präceptoren Honcamp, Kumpernatz, Wolf, Base- ler, Münster. Schülerzahl 545 (I« 67, I>» 56, 11*^ 33, II«« 33, II* 63, III«* 36, III«« 36, III»» * 36, III»»« 36, IV 53, V 62, VI 44). Abi- turienten 58. Den Schulnachrichten ist vorausgeschickt eine Abhand- lung des Oberl. Dr F^aux: die Berührung9punkte dreier Ebenen in fran- zösischer Sprache (16 S. 4). Dr 0,

Pforta.] In dem Lehrercollegium ist keine Veränderung einge- treten. Der Adjunct Dr Corssen wurde zum Professor ernannt; dem Professor Kobcrstein wurde von der philosophischen Facultät m Breslau honoris causa das Doctordiplom verliehen. Lehrer: Reetor Dr Peter, Professor und geistl. Inspector Niese, Professor Dr K o ber- ste i n, Prof cpsor Dr Steinhart, Professor Dr J a c o b i, Professor Keil, Professor Buddonsieg, Professor Buchbinder, Professor Dr Cors- sen, Adjunct Dr Pur mann, Adjunct Dr H eitle, Adjunct Dr Pas so w, Adjunct Dr Euler, Musikdiroctor Seiffert, Zeichenlehrer Hess feld, Schreiblehror Karges. Die Zahl der Schüler betrug nach Ostern 1857

Berichte aber gelehrte AnstaitoD, VerorduiuigeD, atttitt. Notiies. j577

185 (I 42, II« 29, III» 34, III« 41, mb 39). Abiturienten 22. Dem Jahresbericht geht voraus eine mathematische Abhandlang yon Professor Buchbinder: Untersuchungen über die Cissoide (63 6. 4). Dr 0,

Posen.] In dem 1857 yerflossenen Schuljahre haben in den äusse- ren und inneren Verhältnissen des Friedrich-Wilhelms-Gymna- einms wesentliche Veränderungen stattgefunden. Zu Ostern begannen die Vorbereitungen zu dem Neubau, in Folge deren ein Theil des alten Ojmnasialgebäudes abgebrochen und die Uebergiedeluug mehrerer Klas- sen in ein gemiethetes Nacnbarhaus nöthig wurde (Die Einweihung des neuen Gymnasialgebäudes fand am 15. October 1857, dem Qe- burtstage des Königs, in feierlicher Weise statt). Mit dem Beginn des Jahres schied der Director Hcydemann, der seit Ostern 1850 die Di- rection des Gymnasiums geführt hatte, aus seinem Verhältnisse zur Anstalt, um das Directorat des Gymnasiums in Stettin zu übernehmen. Nachdem die Verwaltungsgeschäfte interimistisch den Professoren Mar-

. tin und Müller übertragen gewesen waren, wurde Marquardt, bisher Prof. am Gymnasium zu Danzig, zum Director ernannt. Mit dem I.Juli wurde die bisher getrennt bestehende Vorbereitungsklasse (Sexta) defi- nitiv mit dem Gymnasium vereinigt, und in Folge dessen am Gymna- sium eine zwölfte ordentliche Lehrerstelle gegründet und der bisherige Hülfslehrer Hi eis eher zum zwölften Gymnasiallehrer ernannt. Zu Michaelis verliesz Dr Kraner die Anstalt in Folge eines Rufes an das städtische Gymnasium in Potsdam. An dessen Stelle wurde der bisher an der städtischen Kealschule zu Posen angestellte Lehrer Moritz zu der elften Lehrerstelle berufen, während Dr.Starke in die neunte, Pohl in die zehnte Lehrerstelle ascendierten. Der in dem vorigen Oster- programme enthaltenen Ankündigung zufolge wurde Ostern 1 856 eine Elementarklasse an dem Gymnasium eingerichtet und für dieselbe der Lehrer Wende aus Kalt-Briesnitz in Schlesien berufen. Die Klasse wurde mit 46 Schülern eröffnet; Michaelis 1856 war bereits die Einrich- tung einer zweiten Elementarklasse nöthig, für welche der Lehrer Friedrich berufen wurde. Bestand des Lehrercollegiums : Director Dr Marquardt, die Professoren Martin, Dr Müller, Bchönborn, DrNeydecker, die Oberlehrer Müller, Ritschi, die GymuMialleh- rer Dr Tiesler, Dr Starke, Pohl, Moritz, Hielscher, Lehrer Hüppe, Divis.-Pred. Bork, Kaplan Grunwald, Lehrer Wolinski. Die Zahl der Schüler des Gymnasiums betrug im Winterhalbjahre 356 (I 14, II 32, III« 37, III*> 50, IV 68, V- 35, V^ 43, VI 67); die Ele- mentarklasse I besuchten 52, Elementarkl. II 31 Schüler. Abiturienten

.5. Den Schul nachrichten ist vorausgeschickt: ßeitrag zur Flora von Po- sen, Vom Oberlehrer Ritschi (24 S. 4). Im Lehrercollegium des Marien-Gymnasiums fanden im Laufe desselben Schuljahres fol- gende Veränderungen statt: mit dem Anfange desselben ti*aten die bei- den Candidaten Dr Szulc und Dr Wolfram behufs Ableistung ihres Probejahres in das Lehrercollegium ein. Der Vicarius Kantorski übernahm die Stelle des zweiten Religionslehrers und Subregens des mit der Anstalt verbundenen Alumnats. .Mit Neigahr trat der Candidat Dr ^azarewics sein Probejahr an; dagegen verliesz bald darauf Dr Wolfram die Anstalt, um an der Stadtschule zu Inowradaw eine etatsmäszige Stelle einzunehmen. Lehrerpersonal; Director, Reg.- und dchulrath Dr Brettner, die Oberlehrer Prof. Wannowski, Spiller, Czarnecki, Schweminski, Dr Rymarkiewicz, Ir Religionslehrer nnd Regens Dr Cichowski, Oberl. Figurski, ord. Gymnasiallehrer Dr Steiner, Szulc, Dr Ustymowicz, Weolewski, Laskowski, Zeiehenl. Schön, Gymhasiall. v. Przybörowski, Dr Wituski, 2r Religionsl. u. Subr. Kantorski, evang. Religionsl. Pred. Schönborn, Candid. Dr Szulc, Cand. Dt iiaearewiox. Schülerzahl 501 (I« 32,

578 Berichte Aber gelehrte Anstalten, Verordnungen, stetitl. Molitefe.

Ib 18, II* 39, n»» 44, III« 44, ni»> 53, IV« 46, IV>» 47, V 75, VI 67, VII 36), 478 kath., 22 eyang., 1 jüd. Abitarienten 15. Das Programm enthält aaszer den Scholnachrichten : Choepkoris ex graeco irtmHaiis de atudh, quod proximis quatuor superioribus saeculis in Graed» legendü PoUnd ixuuumpseriniy et de tragoedüs e graeco in lingwm poUmicam conversis bre- viaimam dtspukUiunculam praemmt Weclewski (29 8. 4). Nachdem der Vf. yon dem Studium des Griechischen in Polen überhaupt gespro- chen , zählt er die Uebersetzungen der griechischen Tragiker anf (Anti- gene und Oed. Col. sind zweimal , der Oed. rex , die Electra des Bopho- cles, der Orest des Euripides Einmal übersetzt worden). Der Vf. selbst hat auszer den Choephoren auch schon den Agamemnon des Aesohylns ins Polnische übersetzt. Das Progi'amm der Ke also hui e zu Posen enthält eine historisch - philologische Abhandlung vom Oberlehrer Dr Haupt: über die Midiana des Demosthenes (24 8. 4). Die Beleidignng des Demosthenes durch Midias soll geschehen sein an den Dionysien des Jahres Olymp. CVII 3 und die Rede, wie es von Dionys. t. Halie« überliefert ist, Olymp. CVII 4 niedergeschrieben sein. Der Verf. Ter^ spricht in einer zweiten Abhandlung nachzuweisen, wie die übrigen Zeit- bestimmungen sich mit dem gefundenen Resultate leicht in Ueberein- stimmung bringen lassen, und ebenso auch das Geburtsjahr des DeMO- sthenes zu ermitteln. Auszerdem enthält das Programm noch eine zweite Abhandlung vom Director Dr Brenn ecke: die Lehre vom Wwrfe, Ein Capitel aus der mathemat. Physik (4 S. 4). Dr 0,

POTSDAM.] In dem LehrercoUegium ergaben sich im Laufe des 1857 ▼erflossenen Schuljahres mancherlei Veränderungen. Der Schulamtsean- didat Dr Hagemann schied aus; gleichzeitig trat Dr Reuscher als zweiter ordentlicher Lehrer ein. Um Michaelis trat 8ubrector Prof. Helmholtz in den Ruhestand; die erledigte Stelle wurde dem Oberi. Dr Erahner, bisher Lehrer an dem Friedrich- Wilhelms-Gymnasinm m Posen, übertragen. Der Hülfslehrer Dr Arndt folg^ einem Rufe an das Gymnasium zu Clausenburg; mit der Uebemahme seiner Unteriehtt- stunden, sowie mit der Leitung des Gesangunterrichts wurde derSchoI- amtscandidat Karow beauftragt. Der Schulamtscand. Wegen er hielt sein Probejahr ab. Lehrerpersonal: Director Dr Rigler, Conr. Prof. Schmidt, Prof. Meyer, Oberlehrer: Dr Krahner, Rührmundf Müller; ordentl. Lehrer: Dr Friedrich, Dr Reuscher, Jftnicke; Schreibl. Schulz, Zeichen!. Abb, Gesangl. Storbeck. Hülfsl. Ka- row. Schülerzahl 264 (I 21, II 37, lU 57, IV 56, V 53, VI 40). AM- turienten 9. Den Schulnachrichten ist vorausgeschickt eine Abhandlnng ▼om Oberl. Rührmnnd: Über die korazischen Oden Jll 24. 25. 1 6 14 (16 S. 4). Dr. O.

PüTBus.] Im Laufe des Schuljahres sind in dem Lehrerpereonal des königlichen Paedagogiums folgende Veränderungen Torgegangen: Adjunct Dr Häckermann folgte einem Rufe an das Gymnasium lu Cöslin; an seine Stelle trat Passow. Adjunct Dr Anton tibemahm eine Lehrerstelle am Gymnasium zu Danzig ; an seine Stelle trat A^jnnet Crain aus Wismar. Dr Bournot nahm eine Stelle an der Realschule SU Colberg an, starb aber bald; die erledigte Adjunctur wurde Dr Kal- mus, bis dahin Mitglied des paedagog. Seminars zu Berlin, übertragen. Zu Neujahr 1857 trat der Schulamtscandidat Wähdel sein IVob^abr an. LehrercoUegium: Director Gottschick, Prof. Biese, Prof. Dr Brehmer, Prof. Dr Gerth, Pastor Cyrus, die Adj. Dr Koch, Pas- sow, Crain, DrKalmus, Vetter, Zeichenl. Kuhn, Musiki. Müller» Schulamtscandidat Wähdel. Schülerzahl 101 (I 10, II 22, IDE 27, IV 20, V 12, VI 10). Abiturienten 4. Das Programm enthält: über tSe Berechnung der miitleren fVindrichiung , vom Prof. Dr Brehmer (8 8. 4) (Gratalationsschrift zur Jubelfeier der Universität Greifswald). Dr O.

Biriolile fiber gelehrte Anstalten, Verordnungen, Statist. Notise«. 579

Quedlinburg.] Das Lehrercolleginm , in welchem in dem 1857 ver- floflsenen Schaljahre keine Veränderung stattgefunden hat, hildeten der Director Prof. Richter, Prorector Prof. Schumann, Conrector Dr Schmidt, Suhrector Kallenhach, die Oherlehrer Dr Matthiä» Goszrau, Pfau, Pastor Eichenberg Religionslehi*er, Gymnasiallehrer Schulze , wissenschaftl. Hülfslehrer Forcke, Schreib- und Zeichen- lehrer Bincke, Musikdirector Wackermann. Schülerzahl 246 (I 18, II 28, lU 52, IV 47, V 52, VI 49). Abiturienten 5. Das Programm enthält eine Abhandlung von Professor Schumann: von dem Gewitter und den datnit verbundenen Erscheinungen. Fortsetzung (27 S. 4). Der erste Theil dieser Abhandlung ist abgedruckt in dem Programme vom J. 1848. Dr 0.

R^TiBOR.] Seit 1846 hat eia fortwährender Wechsel in den Mit- gliedern des Lehrercollegiums stattgefunden. Der Director hat wäh- rend seiner Amtsführung seit Michaelis 1854 nicht wenigef als sechs neue Lehrer eingeführt, von welchen mit Beginn des nächsten Schul- jahres nur noch diner in Thätigkeit ist.. Auch das 1857 verflossene Schuljahr hat es zu der erwünschten Stetigkeit nicht gelangen las- sen. Der Hülfslehrer Dr Schreck wurde an das Gymnasium zu Glatz versetzt ; der an seine Stelle getretene Schulamtscandidat Scholz schied bald wieder aus ; ihn ersetzte der Schulamtscandidat Dr Storch, Der ordentliche Lehrer Zander wurde der Anstalt durch den Tod ent- rissen. Lehrerpersonal: Professor Dr Passow Director, Prorector Kel- ler, Conrector König, die Oberlehrer Kelch, Fülle, die ordentlichen Lehrer Reichardt, Kinzel, Wolff, Zander, die Hülfslehrer Dr Klemens, Dr Storch, Lic. theol. Storch kathol. Religionslehrer, Superint. Redlich evangel. Religionslehrer, Curatus Strzybny, Lieutn. Schäffer Zeichenlehrer , L i p p e 1 1 Gesang- und Turnlehrer. Schul er- aahl 413 (1 30, II 60, III« 32, III »» 37, IV« 45, IV 39, V 92, VI 78). Abiturienten Michaelis 1856 5, Ostern 1857 13. Den Schulnachrichten ist vorausgeschickt eine Abhandlung von Zander: Gliederung der Ja» hanneischen Schriften (24 S. 4). Dr 0.

Recklinohaussn.] Das Schuljahr 1857 begann mit wesentlichen Veränderungen im Lehrercollegium. Oberlehrer Berning wurde auf sein nachsuchen pensioniert. Dr Hötnig, welcher im Herbst 1854 zur Stellvertretung des erkrankten Oberlehrers Heumann berufen worden war und nach dem Tode desselben seine Thätigkeit in provisorischer Stellung fortgeführt hatte, folgte einer Berufung als Director des neu- erhobenen Gymnasiums zu Kempen. In Folge dieser Vacanzen erhielt der Matheroaticus Hob off die Stelle des zweiten Oberlehrers, Püning die des dritten, sodann der geistliche Lehrer Dr Grosfeld die Stelle des ersten, Uedinck die des zweiten ordentlichen Lehrers. Die dritte ordentl. Lehrerstelle wurde dem Geistlichen Stelkens übertragen, für welchen bis zu seinem Eintritt Candidat B o e s e fungierte. Für die vierte Lehrerstelle wurde zu vorläufig provisorischer Uebemahme Cand. Baeck berufen, bisher Präceptor am Gymnasium zu Münster. Das Leh- rercollegium bilden der Director Bone, die Oberlehrer Prof. Casperf^ Hohoff, Püning, die ordentl. Lehrer Dr Grosfeld, Uedinck, Dr Stelkens, Baeck, Gesangl. Feldmann, Zeichenl. Busch. Schüler- zahl 146 (X 38, II 35, III 29; IV 19, V 12, VI 13). Abiturienten 21. Das Programm enthält auszer den Schulnachrichten: disguisitiones histo- ricae de statu rerum ecdesiasHcanan in marcis Winedis imp, Ottone 11^ von Dr Grosfeld (18 a 4). 0,

Rostock.] Als Einladungsschrift zu der öffentliohen Prüfung und Bedeübung der Schüler des hiesigen Gymnasiums und der Realschule am 25. und 26. März d. J. (1858) erschien die zweite Hälfte der vor- trefflichen Abhandlung des Lehrers Dr G. Wendt: die freie deutsdie

580 Beriolite aber gelehrte Anstalten, Verordnungen, Bfalist Noümb.

Arbeit in Prima. II (61 S. gr. 4) , deren erste Abtheilung bereits früher von uns in diesen Jahrbüchern besprochen worden ist, anf die wir aber im ganzen in einem besonderen Aufsatze zurückzukommen beabsichtigen. Die Schulnachrichtcn (30 S.) berichten unter anderem auch über das 25j 'ährige Directoratsjubiläum des Professor Dr Bachmann am 10. No- vember 1857 (was mit der ihm überreichten Votivtafel bereits in diesen Jahrbüchern Hft 6 S. 340 f. mitgetheilt ist). Es unterrichten gegen- wärtig an der Anstalt 21 Lehrer, nemlich auszer dem genannten Di- rector die beiden Condirectoren DrMahn und Dr Busch, zugleich auszerordentl. Professor an der Universität, Dr Brandes, Dr Bram- merstadt, Glasen, Witte, Dr Wendt, Rover, Schäfer, Wendt, Raddatz, Dr Holst en , Dr Krüger, Pastor Balck, Dresen sen., Dresen jun., Hesse, Hagen, Dr Robert, Wahnschafft; die bei- den letztgenannten und Hr Pastor Balck scheinen der Anstalt nur ala auszerordentliche Lehrer anzugehören. Nach der Reihenfolge ihres Amts- antritts , wonach die Lehrer hier sämtlich aufgezählt werden , sind die beiden Condirectoren die ältesten, unter denen Dr Mahn fast 40 Jahre an der Anstalt arbeitet. Nach dem übersichtlichen Lehrplan werden ini Gymnasium im ganzen 217, in der Realschule 158 Stunden wöchentlich ertheilt. Die Themata der deutschen Arbeiten werden in löblicher Weise für die drei oberen Gymnasial- und die oberste Realklasse mitgetheilt Ostern 1857 wurden 45 Schüler aufgenommen, darunter 13 auswärtige, von denen 24 in das Gymnasium, 21 in die Realschule eintraten. Der Schülerbestand wai^ daher im Sommer 1857 dieser: im Gymnasium I 31,

II 23, III 38, IV« 28, IVb 35, V 39, VI 40, zusammen 230; in der Realschule I 5, II 34, III 47, IV 56, V 45, zusammen 187. Michaelif 1857 wurden 82 Schüler (12 auswärtige) aufgenommen, von denen 18 ins Gymnasium und 14 in die Realschule kamen; der Bestand war also im Winter 1857 58 dieser: im Gymnasium I 19, II 20, IH 32, IV« H IV >> 34, V 40, VI 40, zusammen 225; in der Realschule I 8, II 37,

III 50, IV 52, V 46, zusammen 193. Zur Universität giengen Ostern 1857 9 ab, von denen 4 Theologie, 2 Jurisprudenz und 3 Mediein Btn- dieren; Michaelis 1857 giengen 2 zum Studium der Mediein ab, ansier» dem ward einer, der das Gymnasium nicht besucht hatte und sich dem theologischen Studium widmen will, im Maturitätsexamen geprüft nnd reif befunden. Zu anderweitigen Berufsbestimmungen giengen eh Jo- hannis v. J. 9, zu Michaelis v. J. 11, zu Weihnachten v. J. 13, zu Ostern d. J. 22 ab. Zum Schlüsse wird ein Verzeichnis der Schulprogramme und sonstigen Gelegenheitsschriften seit Ostern 1833 gegeben. Eing,

RoszLEBEN.] Am Schlüsse des Cursus schied aus dem Collegintti der Kloster schule der bisherige erste Adjunctus Dr Krosehel nnd gieng als ord. Lehrer an das Gymnasium zu Erfurt. In seine BteÜe rückte Dr Gieseke auf, und für die zweite Adjunctur wurde Dr Mül- ler berufen, bisher Lehrer an dem Erziehungs - Institute des Prof. Dr Zenker in Jena. Lehrerpersonal: Rector u. Prof. Dr Anton, Pattor und Prof. Dr Herold, Prof. Dr Sickel, Prof. DrSteudcner I, Dr Steudenor II, Dr Krosehel, Dr Gieseke, Oberprediger Wetael, Cantor Härtel. Schülerzahl 100 (I 20, II 27, III 39, IV 11). Abitu- rienten 12. Das Programm enthält eine Abhandlung des Dr Arnold Steudener: das Symbol des Zweiges in seinem antiken und in seinem moder- nen Gebrauche (Ein Deutungsversuch). 34 S. 4^ Dr 0.

Saarbrücken 1857.] Oberlehrer Dr Wulfert wurde an das Gym- nasium zu Cleve versetzt und statt seiner der Candidat DrTheobald dem Gymnasium überwiesen. Lehrerpersonal: Director Peter, Ober- lehrer: Prof. Dr Schröter, Schmitz, Köttgen; G.-L:DrLey, Küpper, Pfarrer Ilse, wissenschaftl. Hülfsl. Goldenberg, Lehrer Simon, Cand. Dr Theobald, Hollweg Lehrer der Vorbereitongs-

fiericlile Aber gelehrte Anstauen^ Verordnnngen, statisl. NotisM. 581

klasse. . Schülerzahl 153 (I 3, II 3, IIP 16, III«> 4, IV« 23, IV»» 8, V 26, VI 37, Vorbereitangsklasse 23). Abiturienten 1. Den Schalnach- richten geht voraus eine Abhandlung vom Obdrlehrer Schmitz: de biöHopolis Romanorum '{JLl S. 4). Dr 0,

Sagan.] Das Lehrercollegium ist im 1857 verflossenen Schuljahre unverändert geblieben. Dasselbe bildeten Dr Floegel Director, Prof. BDd Oberl. Dr Kays er, Gymn.-Oberl. Franke, die Gymnasiallehi'er Leipelt, Varenne, Dr Hildebrand, Schnalke, Dr Michael, kathol. Heligionsl. Matzke, evangel. Keligionsl. Alt mann, Cand. Dr B e n e d i X, Gesang-, Zeichen-, Schreib- und Rechenlehrer Hirschberg. Die 2iahl der Schüler betrug am Schlüsse des Schuljahres 166 (I 10, 16, II*» 17, III 28, IV 27, V 34, VI 34). Abiturienten 7. Das Programm enthält als wissenschaftliche Abhandlung: de versibus aliquot Homeri Odysseae disputatio altera» Scripsit W. C. Kayser (15 S. 4).

Dr 0.

Salz WEDEL.] Der Hülfslehrer Dr Brandt folgte einem Rufe als Lehrer der Handlungsschule in Magdeburg; an seine Stelle trat der Schulamtscand. Peters, zuletzt am Domgymnasium in Halberstadt be- sehäf tigt. Lehrer : Rector Prof. Dr J o r d a n, die Oberlehrer G 1 i e m a n n, DrHahn, Dr Beszler, die ordentl. Lehrer Förstemann, Rabe, Dr Henkel, Stade, Hülfslehrer Peters, Zeichen- und Schreiblehrer Aid er. Die Zahl der Schüler betrug 179 (I 21 , II 30, III 33, IV 29, V 40, VI 26), Abiturienten 6. Den Schulnachrichten g^hen voraus: j?et- träge zur Kritik de$ Lucretius, Von Dr C. Winck^lmann (28 S. 4). Der im Sept. 1854 durch den Tod seinem Wirkungskreise am dortigen Gymnasium entrissene Subcomfector und Oberlehrer DrWincke Im ann beschäftigte sich nach dem ericheinen der Laohmannschen Ausgabe des Luoretius längere Zeit mit einem gründlichen Studium dieses Dichters und schrieb seine von Lachmann abweichenden Ansichten über die Kri- tik und Exegese desselben zum Behuf des Abdrucks in einer philologi- schen Zeitschrift nieder. Er war damit bis zum Anfang des fünften Buchs gediehen, als der Tod ihn von seinem Tagewerke abrief. Der Director Jordan hat sich der Besorgung des Abdrucks des Manuscripts unterzogen, von dem er nur hier und da einige minder bedeutende Be- merkungen weggelassen hat. 0.

ScHLEUSiNGEN.] Das Lchrcrpersonal hat bis 0. 1857 keine Veränderung erlitten. An dem Gymn. unterrichteten im verflossenen Schuljahre folgende Lehrer: Director Prof. Dr Härtung, Conr. Dr Altenburg, Oberlehrer Voigtland, Dr-Merkel, Bierwirth, Mathem. Geszner Alumnen- inspector, Archidiaconus Langethal, Cantor Hesz, Sextus Wähle. Schülerzahl 137 (I 16, II 19, III 37, IV 40, V 25). Abiturienten 8. i>em Jahresbericht vorangeht: de usu antiquae loeutionis in Lucretii cor' mine de rerum natura obviae, Partie. I partem elementarem continens. Scripsit Dr Altenburg (31 S. 4). ^Lucretium multis novatis, priscis, longe arcessitis vocibus uti, iisque tum propter egestatem linguae Lati- nae, ut ipse testatnr, tum propter rerum novitatem; nee potest negari, enm multum contulisse ad linguam Latinam et excolendam et novis vo« cabnlis ditandam.' 0.

ScHWEiDNiTZ.] Auf dem Wege zur Schule ward am 7. April 1856 der älteste Lehrer des Gjrmnasiums, Oberlehrer Türkheim, nur wenige Schritte von dem Schulhause entfernt von einem Herzschlag getroffen, der seinem Leben nach wenigen Stunden ein Ende machte. In Folge des ablebens desselben rückten der Oberlehrer Rösinger in die erste, Dr Golisch in die zweite, Dr Hilde br and in die dritte, Weyrauch in die vierte Stelle. Zu Michaelis trat Frey er als fünfter College ein. Am Schlüsse des Jahres legte G.-L. Weyrauch sein Amt nieder. Der Candidat Wild wurde mit dem Unterricht in der französ. Sprache in

582 Berioble aber irelehrte AnslaUen, Verordnangeo, sUtist NotitM.

Tertia und Qnarta betraut. LehrerperBonal : Director Dr Held, Prof. 'GattmauD, Conrector Dr S c h in i d t, Oberl. Rösinger, DrQoliseb, Dr Hildebrand, die G.-L. Weyrauch, Freyer, Hülfsl. Biscboff, Archid. Rolffs evangel. Keligionslehrer , Oberkaplan Taubits katbol. Beligionslehrer , Turnlehrer Zimmer. Die Gesamtzahl der Schüler be- trug 311 (I 87, II 37, III 50, ly 65, Y 58, VI 64). Abiturienten Mieh. 1856 6, Ostern 1857 6. Den Schulnachrichten geht voraus eine mathe- matische Abhandlung von Dr Hildebrand: Sttmmierung des Ausdmekg

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in inftn.y worin n eine gerade Zahl ist (16 S. 4). Dr 0.

Soest 1857. J Der Oberlehrer des Ar chigymnasiums Dr Saiden - stück er wurde der Anstalt durch den Tod entrissen. Der katholische Beligionslehrer Dechant Nübel ist aus seinem Lehrerverhältnisse ge- schieden; an seine Stelle trat der Kaplan Lille tte ein. Lehrer: Di- rector Dr Patze, die Oberlehrer Prof. K o p p e Prorector, Lo rem, Dr Seidenstücker, Vorwerck, die Gymnasiallehrer Schenck, Stein- mann, Dr Kriegeskotte, Gronemeyer, Pfarrer Daniel erangel. Beligionslehrer, Dechant Nübel und später Kaplan Lille tte katboL Beligionslehrer. Schülerzahl 178 (I 27, II 36, III 31, IV 30, V 80, VI , 24). Abiturienten 11. Den Schulnachrichten geht voraus eine Abband- ' lung des Oberlehrers Lorenz: über Composition^ Charaktere , Idee dee Sophokleischen König Oedipus (19 S. 4). Die Beantwortung der gerade bei diesem Drama interessantesten Frage nach der dem Drama zu Grunde liegenden religiösen und sittlichen Anschauungsweise hat der Verf. für jetzt noch zurückhalten müssen, um den Umfang einer Programmtcbrift nicht zu überschreiten. Das gelieferte enthält im ganzen nicht viel neue«, liefert aber für Schüler eine Beihülfe zum Verständnis des behandelten Dramas. Dr O,

SoRAu 1857.] Der bisherige Director Dr Seh rader wurde wmn Provinzial - Schulrath in Königsberg ernannt. An seine Stelle trat Dr Liebaldt, bisher Director des Gymnasiums zu Hamm. .Der Matbe- maticus Scoppewer folgte einem Bufe an die Hitterakademie in Bran- denburg ; die Stelle desselben wurde interimistisch durch den Candidaten Quapp verwaltet. Lehrer: Director Dr Liebaldt, Conr. Prof. Len- nius, Subr. Pr Pasc hke, Oberlehrer Dr Klinkmüller, Dr Moser, Cantor Magdeburg, Dr Lüttgert, Cand. Quapp, Organist Hein- rich, Zeichenlehrer Berchner. Schülerzahl 177 (I 20, II 18, III 35, IV 30, V 39, VI 26). Abiturienten 4. Den Schulnachrichten geht yorans: de Minerva, quaiem Homerus ftnxerit^ disseritur, Scripsit P a s c h k e (24 S. 4). 'Primum hoc spectabam, ut nominis rationem diligenter explorarem, Te- ramque, quae illi subesset, notionem investigarem , deinde, nt fabnlas de illa dea ab Homero allatas examinarem atque internam deae natnnun eiusque cultum illustrarem.' 0.

Stendal*] Zur Vermehrung der Lehrkräfte, welche in Folg^ der gestiegenen Schüler -Frequenz nöthig geworden war, traten zwei neue Hülfslehrer ein. Kern und Dr Schmidt. Den ordentlichen Gymna- siallehrern Schötensack und Schäffer wurde das Prädicat ^Ober- lehrer' verliehen. Der Director Dr Heiland folgte einem Bufe nach Weimar als Director des dortigen Gymnasiums. Mit der interimisti- scben Wahrnehmung der Directoratsgeschäfte bis zur Ankunft des be- rufenen Gymnasialdirectors zu Herford Dr Schöne wurde Prof. Eieb- 1er als ältestes Mitglied des CoUegiums beauftragt. Schnlamtscandidat Härter wurde aus Torgau als interimistischer Hülfslehrer benifen« Am Schlüsse des Schuljahres schieden aus dem Lehrercollegium Oberi. S-ehäffer, der als Snbrector an das Gymnasium zu Prenzlau gieng, und Hülfslehrer Kern, um in das Lehrer - Seminar zu Stettin einzutreten.

BeridiM flier gelekrte AnitalUm; VerordninigeB^ statigt. NoIiseM 582

Dfts Lehrercolleginm bildeten fm J. 1856 57 der Dir. Dr Heil and, Cotar. Prof. E i c h 1 e r, Subr. Prof. Dr S c h r a d e r, die Oberl. Prediger B e 6 1 i t z, Dr Eitze, Schötensack, Seh äffer, die ordentlichen Lehrer Dr Berthold, Backe, die Hülfsl. Dr Schmidt, Kern. Die Zahl der Sehüler betrag 282 (I 31, II 32, III 39, IV 60, Y 69, VI 51). Abitnrien- ten Ostern 1857 5. Das Programm enthält anszer den Schnlnachrichten: Leoiüogus zur lutherischen Bibelübersetzung des neuen Testamentes für Gym* wuiasten vom Oberlehrer Prediger Beelitz (16 S. 4). 0.

Stettin.] Michaelis 1856 schieden von dem vereinigten königL nnd ■tiidtischen Qymnasium die Seminarmitglieder und HUlfslehrer Rüter und Gas da, jener an das Gymnasium zu Nenstettin, dieser an das za Gels berufen. Dagegen begannen ihre Thätigkeit die Schulamtscandidaten DrBresler und Ho che. Kurze Zelt darnach folgte der 5e Collaborator Dr Schnelle einem Knfe an die Kitterakademie zu Brandenburg, worauf seine Stelle Dr Bresler erhielt. In das Seminar trat ein Schulamts- eandidat Kern. Lehrerpersonal: Director Hejdemann, die Professoren Giescbrecht, Dr Schmidt, Hering, Graszmann, Dr Yarges, Oberl. Dr Friedländer, Musikdirector Dr Löwe Lehrer der Mathem., Oberl. Dr Calo, die Gymnasiallehrer Stahrl, Dr Stahrll, Balsam, die Collab. Pitsch, Dr Ilberg, Bartholdy, Kern I, Dr Bresler, die HUlfslehrer Dr Weiszenborn, Hoche, Korn II, SchreibL Neu- kirch, Maler Most, Tnrnl. Briet. Die Zahl der Schüler betrug im Sommer 1857 521 (I- 16, I»> 33. II* 25, 11»» 56, III* 37, 111^ 40, IV* 59, rV»> 68, V* 46, V»» 41 , VI* 58, VI»» 42). Abiturienten 22. Den Schulnachrichten geht voraus eine Abhandlung des Oberlehrers Dr Frie d- länder: zur Erklärung der Psalmen (17 S. 4). Was bei der Lesung der Psalmen in der Oberprima zur Erläuterung, abgesehen vom gramma- tischen und lexikalischen Unterrichte, den Schülern gegeben werden solle, ist hier faszlich zusammengestellt, so dasz die Schrift den Schülern für diesen Theil des Unterrichts als Hülfsbuch dienen kann. Bei der Bäcularfeier der Universität Greifswald übergab der Director im Namen des Gymnasiums eine Glückwnnschschrift , welche eine lateinische Wid- mung, ein deutsches Gedicht des Prof. Giesebrecht, ein lateinisches des Collab. Dr Ilberg und eine Abhandlung des Prof. Dir Schmidt de origine interpunctionum apud Oraecos enthielt. 0.

Stbalscnd.] In dem Lehrercolleginm hat keine weitere Veränderimg stattgefunden, als dasz Prof. Gramer in den Ruhestand getreten ist. Das Lehrercolleginm bildeten 1857: Dir. Dr Nizze, Prof. Dr Gramer« Prof. Dr Schulze, die Oberlehrer Dr v. Gruber, Dr Freese, Prof- Dr Zober, Dr Tetschke, die G.-L. Dr Nizze, Dr Bietz, Dr Roll- mann, y. Lühmann, Dr Kromayer, Zeiohenl. Brüggemann, G^- sanglehrer Fisch er. Schülerzahl 247 (I 19, U 31, III 35, IV 30, V 37, VI 46, VII 49). Abiturienten II. Das Programm enthält: Prof. Dr Zober: zur Geschichte des Stralsunder Gynaiasiums von 1680-^1755, Fünf'' ter Beitrag. Fortsetzung (20 S. 4). 0*

ToRGAü.] In das Lehrercolleginm trat als auszerordentlicher HUlfs- lehrer ein der Schulamtscand. Dr Freydank, welcher zugleich von Dr Schnitze die Stelle des Pensionats- Inspcotors übernahm. Der Lehrer Biltz ist in eine höhere Lehrstelle an der Realschule zu Potsdam über- gegangen; an seine Stelle ist der Schulamtscandidat Ebeling gewählt. Am Gymnasium unterrichteten: Dr Gras er Director, Prof. Dr Ayndt., Prof. Rothmann, die Oberlehrer Dr Handrick, Dr Franckc, die Gymnasiallehrer Kleinschroidt, Hertel, Giesel, Dr Dihm, Mi- chael, Biltz, Dr Schulze, Hülfsl. Dr Freydank, Cantor Breyer,' Httlf sl. Lehmann, Archidiaconus Bürger. Frequenz 289 (I gymn. 20, I real. 8, II g. 26, U r. 21, III* g. 26, III»> g. 20, III r. 11, IV 58, V 57^ VI 33). Abiturienten 8, und zwar 7 Gymnasial -Primaner, 1 Real-

iV. Jahrb, f, Phil, tf. Paed. Hd LXXVIll. ffft \\, 40

584 Berichte Ober gelehrte Anstalton^^erordtiiiiifeft, sUrtiit MoHim;

Primaner. Das Programm enthalt: 1) Geichkhte der VartäHomreckmmg, Von F. Giesel (45 8. 4). 2) Eine poetische Zugabe und Nachtickien über die Anstalt. Von dem Director. 0.

Tbeptow a. d. R.] Den 2ft. M&rz 1857 warde die biaherige höhen Lehranstalt als öffentliches Gymnasium anerkannt and den Namen *Qym- satinm Bugonhagiannm' zn führen ermächtigt. Lehrer: Dr Geier Pro- reetor and provisor. Dirigent des GjmnasiamB, Taascher, Bredow^ Friedemann, Ziegel, Todt, Heintze, Schalz, Nicolas, GeBeh, Brandrnp. Das Programm enthält aaszer den Schalnachrichten über die Realschule und den Statuten für das Bugenhagen^sohe Gymnaiinm •ine Abhandlung von Heintze: Verguck einer Parallele zwischen dem Sophokleischen Orestes und dem Shakspearischen Hamlet (37 8. 4).

Dr O.

Trieb.] Prof. Steininger wurde auf sein nachsnchen pensioniert; der evang. Religionslehrer Pfarrer Beyschlag schied ans seinem Yer- hültnisse zu der Anstalt aus, indem er einem Rnfe als Hofprediger des Groszherzogs von Baden folgte. An die Stelle des letzteren trat Pfarrer Bloch. Die Candidaten Dr Conrads und Enders traten als eommb- •arische Lehrer ein, zu Anfang des Sommerhalbjahrs anch Candidat Schorf gen. Der Cand. Greveldnig schied nach beendigtem Probe- jahre aus, um eine commissarische Beschäftigung am Gymnasium la Bonn übernehmen. Die Lehrer des Gymnasiams während des SchnQah- res 1856—57 waren: Director Prof. Dr Locrs, Prof. Steininger, Prof. Dr Hamacher, Oberlehrer Dr Koenighoff, kath. Religionsl. Korzilius, Oberl. Houben, Gymnasiall. Simon, OberLFleach, Gymnasiall. DrHilgers, Gymnasiall. Schmidt, kath. Religidnslehrer Fisch, GymnasialL Blum, Gymnasiall. Giesen, evang. Religionsl. Pfarrer Blech, commissarische Lehrer: Dr Conrads, Enders, Hol- ler, Houben, Scherfgen, Piro; Gesangl. Hamm, Zeichen!. Kraus, Sohreibl. Paltzer. Die Zahl der Schüler betrug im Sommerhalbjahre 479 (I« 21, I»» 20, 11« 4:^, ni> 54, III 90, IV 90, V 81, VI 80), danuttf 4^5 kath., 42 evang., 2 israel. Abiturienten 20. Den Schulnaohriehten geht voraus eine Abhandlung vom Oberlehrer J. Flesch-: iAer die Be- wegung der Himmelskörper (33 S. 4). . O.

Trzemesznc] Am Anfang des 1857 vergangenen Schaljahrea starb der Gymnasiallehrer Zimmermann. Die Sehulamtscandidaten Ton Wawrowski und Dr Nehring traten ihr Probejahr an. Am 28. März fand die feierliche Entlassung des bisherigen Directors der An- stalt, des jetzigen Rcgierungs- und Schulrathes Dr Milewski sn P«h •en, statt. Die interimistische Leitung der Anstalt wurde dem Profossor Dr Szostakowski übertragen und derselbe später definitiv zam Di* rector ernannt. Das LehrercoUegium besteht aus dem Director Professor Dr Szostakowski, dem Religionslehrer Lic. Kegel, den Oberlehrern Molinski, Dr Sikorski, Ktossowski, den Gymnasiallehrern Pam* puch, V. Jakonvicki I, Berwinski, v. Krzesinski, Thomcsek, Szyma/iski, Jagietski, den interimist. Gymnasiallehrern ▼. Jako- wicki II, Dr v. Wawrowski I, den Sehulamtscandidaten t. Waw- rowski II und Dr Nehring, Pastor Werner und Gesangl. Klanse. Frequenz 477 (!• 40, I»» 38, II* 49, II «> 29, III* 46, HI» 53, IV« 41, XV b 42, V 69, VI 70), unter diesen 439 kathol, 21 evangel., 17 israel. Abiturienten 24, Den Schulnachrichten geht voraus: einige Betraehimt- gen über die ältesten Zustände Lithauens und deren Umgestaltung im tSn und 14n Jahrhundert. Vom Gymnasiallehrer Berwinski. Das Resultat der Betrachtung ist, dasz seit der Zoit, wo Lithauen sein geschichtliches Leben begann, das Heidonthum und das Ruthcnonthum zwei wichtige Faotoren seiner politischen Entwicklung bildeten. Durch die Kraft des erstoren war Lithauen ans seinem rahigen, selbstgenügsamen Schlammer

Baiiiihie über gelehrte Anstalten, VerordnoiigeD, staüit NotiMik 585

an einem bewegten, thatenreichen Leben geweckt und gestärkt, um einerseits gegen den äusseren feindlichen Andrang der Kacbbarn seine politische Selbständigkeit sa wehren, andererseits sein Ländergebiet sa vergröszem und dadurch neue materielle Hülfsquellen für sich su eröff- nen; kurz im Heidenthum lag die Kraft des Widerstandes. Durch den Einflusz des anderen entwickelte sich dagegen Lithauen nach innen zu, schuf die Formen seines politisch - staatlichen Daseins um und gewann neae Lebenskräfte. Mit dem Tode Olgerds beendigie Lithauen seinem ersten groszen Umgestaltungsprocess ; bald aber , seit der Berufung Jagiellos auf den polnischen Thron, drangen zwei neue, den bisherigen ▼ollig entgegengesetzte Potenzen, das römische Christenthum und daa Polenthum, als Bildungselemente in das staatliche Leben des Volkes ein, und hiermit begann ein zweiter groszer Umgestaltungsprocess seiner politisch -staatlichen Zustände. Dr 0.

Wbsbl.] Die Lehrkräfte des Gymnasiums wurden mit dem Anfang des Schulj. 1857 durch den Hinzutritt des Dr Richter als ordentlichen Gymnasiallehrers und des Pf. Sardemann als auszerordentlichea Lehrers und zweiten evang. Seligionslehrers verstärkt. Ein Börsonen- wechtel ist sodann in dem LehrercoUegium nicht vorgekommen, auszer dasz für den als Gärnisonpf. nach Coblenz berufenen Caplan Schür- mann der Caplan Holt als kath. Beligionslehrer angestellt wurde. Lehrerpersonal: Director Domherr Dr Blume, Oberlehrer Professor Dr Fiedler, Dr Wisseier, Dr Heidemann; Gymnasiallehrer Dr Kuller, Ehrlich, Tetsch, Dr Pröller, Dr Bichter, Dr Lipke; auszerordentliche Lehrer: Pf. Dr Lochmann evang. Religionsl. , Pf. Sardemann ev. Religionsl., Caplan Holt kath. Rdigionsl., Gesangl. Lange, Zeichen!. Du ms. Schülerzahl 208 (I 14, 11 27, Ul 48, IV 35, y 40, VI 44). Abiturienten 6. Das Programm enthält eine Abhandlung TOm Gymnasiall. Dr Müller: einiges über den Leiiungswideretand der Me- talle (24 S 4). Die wichtigsten Fragen, welche sich an die Abhängig- keit des Leitungswiderstandes von der Temperatur der Metalle knüpfen, hat der Verf. blos gelegt und Mittel und Wege dargestellt, welche zur Ergrüodung dieser Fragen fuhren können. 0.

Wetzlar.] Auch in dem 1857 verflossenen Schuljahre sind nur wenige vorübergehende Störungen in der Lehrthätigkeit eingetreten. Eine Ergänzung des Lehrercollegiums trat im Anfang des Schuljahres dadurch ein, dasz an die Stelle des pensionierten Gymnasiallehrers Herr der Hülfslehrer Hansen als ordentlicher Lehrer berufen und für den nach Neuwied berufenen Kaplan Rademacher der Kaplan Quer- bach zum kathol Religionslehrer ernannt wurde. Dr Theobald wurde Ostern 1857 zur AushiUfe an das Gymnasium za Saarbrücken berufen. Xehrerpersonal : Director Dr Zinzow, Professor Dr Kleine, Ober- lehrer Graff, Professor Dr Schirlitz, Oberlehrer Elsermann, Ober- lehrer Dr Fritsch, Gymnasiallehrer Rüttger, Hansen, Hülfslehrer Dr Theobald, Kaplan Querbach, Cantor Franke Gesanglehrer, Maler Stuhl Zeichenlehrer. Schülerzahl 125 (1 10, 11 27, 111 19, lY 23, y 21, VI 25). Abiturienten 6. Den Schulnachrichten geht voraus statt einer wissenschaftlichen Abhandlung: die Erziehung der Jugend für ihren himmHscben und irdischen Beruf. Antrittsrede des Directors (18 S. 4).

Dr 0,

Wittenberg.] Im Lehrerpersonale ist weiter keine Veränderung eingetreten, als dasz der Schulamtscandidat Kappe sein Probejahr an- getreten hat. Das Colleginm bildeten der Director Prof. Dr Schmidt, die Oberlehrer Prof. Wensch, Prof. Dr Breitenbach, Dr Bern- hardt, Dr Becker, die ordentlichen Lehrer Stier, Dr Wentrup, Adjunct Förster, Zeichen- und Schreiblehrer Schreckenberger, Gesangl. Stein, Candldat Knappe. Die Zahl der Schüler betrug am

40*

686 Berichte aber gelehrte AmUlteD, VerordDoegen, ttatifl. Möliud.

ßcliluase dea Schnlj. 1857 282 (I 37, 11 47, UI 70, IV 54, V 42, VI SSf), Die Maturitätsprüfung bestauden 14. Den Schalnachrichten geht Toraos : de locU quibusdam Horatii Carminum Ubri primi commentatianes. Scr. Prof« Dr Breitenbach (22 S. 4). Die behandelten Stellen find 1, 29 ff^ 2, 13 20 , 2, 38 tf. , 2, 41 ff. , 2, 45 ff. , 3, 1 ff. , 12, 19 ff. , 12, 31 ff., 12, 45 ff., 12, 4*J ff. Die neue Ausgabe des Horaz von Bitter (Q. Ho- ratins Fiacous. Vol. prius : Garmina et Kpodi. Ad Codices saeculi noni decimique exacta commentario critico et exegetico illustrata edidit Franp ciscus liitterus. MDCCCLVl. Lipsiae, W. Engelmann) hat den Verf. BU einer neuen Prüfung dieser Stellen (ea potissiroom , quae ad singu- lorum carminum argtimenta spectarent) veranlaszt. 0.

Zeitz.] Das bedeutendste Ereignis des 1857 verflossenen Schilf, war das ausscheiden des Kectors Dr Webrmann, welcher das Stifts-Gym- nasium verliesz, um die Stelle des Provinzial-Schulraths in Stettin la übernehmen. Als dessen Nachfolger wurde der bisherige Conreetor am Gymnasium zu Nordhausen, Professor Dr TTheisz, bemfen. Lehrer- personal: Director Professor Dr Thcisz, Professor Dr Ho che, Con- reetor Fe hm er, Subrcctor Müller, Oberlehrer Dr Rinne, die Gymna- siallehrer Dr Bech, Dr Langgnth, Cantor Nelle, Licent. Btroe- he\. Schülerzahl 127 (16, II 14, lU 29,^ IV 19, V 36, VI 23). AM- turienten 6. Den Schulnacbrichten geht voraus: das grnmmaäsdie Qe- schlecht vom allgemein -vergleichend- sprackwissenschaflUchen Standpunkte tut dargestellt vom Oberlehrer Dr Rinne (24 S. 4). J>r 0,

ZÜLLicHAU 1857.] Die ordentlichen Lehrer der Steinbartsoheii Erziehuhgs- und Unterrichtsanst alten bei Z Ulli chaa, LÖwe und Krukenberg, erhielten die Bestätigung für die Berufung zur 3n und 4n ordentlichen Lehrerstelle und der Hülf sichrer Riese für die Be- rufung zum Zeichenlehrer. Der Schulamtscandidat Dr Lindner ver- blieb auch naeh Vollendung seines Probejahres als wissenschaftl. HUlfs- lehrer in der Anstalt. Der wissenschaftl. Hülfslehrer Hanow wurde zur Verwaltung einer am Gymnasium in Luckau neu zu begründenden Lehrerstelle berufen. Ersatz für diese Lehrkraft gewährte der Schnl- amtscandidat Dr Schäfer. Lehrerpersonal: Director Dr Hanow, Ober- lehrer: Dr Erler, Schulze; ordentliche Lehrer: Fun ck, Löwe, Kru- kenberg; wissenschaftliche Hülfslehrer: Waisenhausprediger Mar- quard, Schloszpredigcr Lobach, Dr Lindner, Schulamtscandidat Dr Schäfer, Hülfslehrer Schilling, Musikdirector Gabler Gesanglehrer, Hülfslehrer Riese. Schülerzahl 266 (I 43, II« 30, III» 86, III« 43, III i> 43, IV 41, V 17, VI 13), darunter Zöglinge des Hauses 126. Abi- turienten 23. Den Schulnachrichten geht voraus eine Abhandlung vom ordentlichen Lehrer Krukenberg: über das gegensätzliche Partkip hei Homer (8 S. 4). C. F. Nägelsbachs Anmerkung zu Ilias A 13i und K. \V. Krügers Bemerkung in der poetisch-dialektischen Syntax § 60, 67, 4 haben dem Verf. Veranlassung gegeben, zunächst alle diejenigen Stellen Homers einer Prüfung zu unterwerfen, in denen das Partioipium mit der Partikel nhg in Verbindung tritt; sodann ist die Untersuchung auf den gesamten ((cgeusätzliohen Gebrauch des Participiums bei Homer ausgedehnt worden. Der Verf. hat in dieser Arbeit keinen andern Zweck, als das von Krüprer in der poetischen Syntax § 56, 13 gege- bene etwas weiter auszuführen. Vr 0,

PeraonalBOllien. £67

Personalnotizen.

firncnnungen , Beförderungen, Tersetzungen i

Allgayer, Dr, Hector des Gymnasiums zu Eszlingen, unter Vor- behalt seines Titels und Rangs zum Pfarrer in Kocherthlim ernannt, Arendt, G., SchAC, ab ordentl. Lehrer am franz. Gymnasium in Ber- lin angestellt. Bachmann, J., Lic. th., Privatdocent in Berlin, zum ordentlicher Professor der Theologie an der Universität zu Rostock er- nannt. , ordentlicher Lehrer am Gymnasium zu Stendal , an das

Gymnasium zu Gütersloh versetzt. - Bahnsen, Dr Frz Wilh. Yi- burg, 8r Lehrer an der Gelehrtenschule zu Meldorf, an die Hamburger ,Bealschn1e berufen. Bar ton, Jos., Weltpr. und Dir. in Ofen, zum Schulrath für Ungarn ernannt. •— Bauer, J. J., Lehramtscandidat, als ßtudienlehrer an der latein. Schule in Ansbach angestellt. Beckmann, .P. N. A., an der Gelehrtenschule zu Meldorf vom 8n zum 6n Lehrer befördert. Bess^, Dr, Oberlehrer in Conitz, in gleicher Eigenschaft an das Gymnasium in Culm versetzt. Bitz, SchAC, zum Adjunot an der Ritterakademie . zu Brandenburg ernannt. Braun, Dr W., 8chAC. aus Baden, als wirkL. Lehrer am Gymnasium in Zara angestellt. «— B res 1er, Dr, CoUaborator am Gymnasium zu Stettin, zum wissen- schaftlichen Hülfslehrer befördert. Britzelmayer, J., Assistent aus Augsburg, zum Studienlehrer am Max. - Gj^mnasium in München er- nannt.— Büttel, DrTh. H. P. aus Mecklenburg-Strelitz, interimistisch in Rendsburg angestellt, zum CoUaborator an der Gelehrtenschule in Meldorf ernannt. Chyle, P., provisor. Director am Gymnasium zu Iglau, zum wirkl. Director ernannt. Claus sen, O., Collaborator an der Gelehrtenschule in Plön, zum Compastor in Giückstadt ernannt. Crecelius, Dr W., interimistischer Lehrer, als ordentl. Lehrer am Gym- nasium in Elberfeld angestellt. Decker, Aug., Lehrer am Gymna- sium zu Sambor, als Lehrer an das Gymnasium in Troppau ernannt. Dondorf f, Dr, SchAC, als Adjunct am Joachimsth. Gymnasium in Berlin angestellt. Dragoni, J., Gymnasialdire^tor in Kaschau, zum Schulrath für Ungarn ernannt. Drizhal, Jolu, Gymnasiallehrer in Lagos, zum Lehrer am Untergymnasium zu Skalitz ernannt. Faber, Mor., SchAC, zum Collegen am Gymnasium in Lauban ernannt. Gargurevich, Frz, Gymnasiallehrer zu Sondrio, zum Lehrer am , Gymnasium zu Spalato ernannt. Gloel, SchAC, als ordentl. Lehrer am Paedagogium zum Kl. U.-L.-F. in Magdeburg angestellt. Götze, L., Collaborator an der latein. Hauptschule in Halle, als ordentl. Leh- rer an das Gymnasium in Stendal versetzt. Gottschar, Weltpr», Gymnasialdircctor zu Unghvar, zum Schulrath für Ungarn ernannt. -^ .Querini, N. Nob. in Venedig, zum Statt halterei secretär ernannt, aber aus der Direction der vcnetian. Gymnasien in den Ruhestand versetzt. Halder, K., Professor der klass. Philologie in Pcsth, zum Schulrath für Ungarn ernannt. Hansen, Dr D. R., Collaborator an der Ge- lehrtenschule in Meldorf, zum Diaconus in Kellinghusen ernannt. Hennings, Dr ph. P. D. Chr., als Hülfslelirer für die Lectionen des Dr Bahnsen an der Gelehrtenschule zu Meldorf, dann an dem Christianeum in Altena angestellt. Her aus, Dr K., früher am Gymnasium zu Hanau, als ordentl. Lehrer am Gymnasium zu Hamm angestellt. Hörn, Dr Fr., als Hülfslelirer an der Gelehrtenschule in Plön angestellt. Ho- ^vorka, W., Supplent, zum Lehrer am Staatsgymnasium in Herraanu- stadt ernannt. Hub er, J., Weltpr., Supplent in Fiume, zum Lehrer , am Gymnasium in Cilli ernannt. Janota, Eng., Priester, Neben- lehrer, zum wirkl. Religionslehrer am Krakauer Gymnasium ernannt. -^ .Janowski, DrAmbr., provisor, Director dj9s Lembejrger 2n Gymna-

688 PersoMlflotiseft.

siamB, znm wirkl. Director ernannt. Kaas, Ge., Sapplent am Oym- nasiam zu Gratz , znm wirkl. Lehrer ebendaselbst befördert. K a 1 1 sen, O., 6r Lelu'er an der Gelehrtenscliule zu Meldorf, u. 20. F«br. znm 5n Lehrer beflSrdert. Kajser, Vicar am Gymnasium zu Stutt- gart, zum Oberprftceptor an der latein. Schule in Urach ernannt. Köhler, Dr J., Schulreotor u. Gymnasialinspector in Tirol, in gleicher Eigenschaft nach Böhmen versetzt. Kosminski, AI«, Lelurer am Gymnasium in Tarnow, als Lehrer an das Gymnasium zu Sambor ver- setzt. — Klumpar, Jo., Director des Untergymnasiums zu Lug08| zum wirkl. Director des Untergymnasiums in Skalitz ernannt. La- cher, Th. , Priester, Studienlehrer in Günzburg, an die latein. Schule in Freisingen versetzt. Leitgeb, Dr Hub., Gymnasiallehier zu CiUi, als wirkl. Lehrer am Gymnasium zu Görz angestellt. Linsmayer^ A. , Studienlehrer, zum Professor am Max. - Gymnasium in München er- nannt. — Malina, Dr Th. J., SchAC, als ordentl. Lehrer am Gyma«« sium in Deutsch -Crone angestellt. Martin, Br., Collaborator aa der latein. Hauptschule in Halle, als Lehrer an das Gymnasium in Prenzlau berufen. Mayciger, Job., Supplent, als wirkl, Lehrer am Gymnasium zu Marburg in Kärnthen angestellt. Mehltretter, E«, Lehramtscandidat , als Studienlehrer «n der latein. Schule zu Neulmiv a. d. Donau angestellt Menzel, W., provisor. Director de« Gymna- siums zu Görz, zum wirkl. Director des Gymnasiums zu Triest ernannt.

Meyer, V., SchAC, als ordentl. Lehrer am Gymnasium zn Weeel angestellt. Miller, M. , Lehramtscandidat, als Studienlehrer an der latein. Schule zu Freising angestellt. Miillenhoff, Dr K. Y., Pro- fessor in Kiel, zum ordentl. Professor für deutsche Sprache und Littera- tur an die Universität zn Berlin berufen. Muncke, SchAC, als ordentl. Lehrer am Gymnasium in Gütersloh angestellt. Nack, Frz, Supplent am Gymnasium zu Preszburg, zum Lehrer am Gymnasium m Sambor ernannt. Nacke, Dr Jos., Lehrer am Gymnasium zu Leit- meritz, zum Lehrer der Mathematik und Physik am Kleinseitner Gym- nasium in Prag ernannt. Kowicki, M., Lehrer am Gymnasium zu Sambor, an das a](|tdem. Gymnasium zu Lemberg versetzt. Oest* reich, Wissenschaft^ Hülf sichrer am Gymnasium in Conitz, zum ordentL Lehrer befördert. Panighetti, Dr Jo. , gepr. Lehramtscandidat, zum wirkl. Lehrer am neu organisierten k. k. Gymnasium zu Ykensa ernannt. Paulsen, J. F., SchAC, zuerst zum Hülfslehrer, dann zum 8n Lehrer an der Gelehrtenschule in Glückstadt ernannt Pessl, H. V., Lehramtscandidat, zum Professor der Mathematik an der Studiea- anstalt in Freising ernannt. Pi^tkowski, Job., Director des Gym- nasiums zu Stanislawow, zum Director des akadem. Gymnasiums in Lemberg ernannt. Piro na, Jao, provisor. Director am Gymnasium zu Udine, zum wirkl. Gymnasiallehrer ernannt. Polanski, Thom., Weltpr. , provisor. Director des Gymnasiums zu Sambor, nun definitiv ernannt. Rick, K. , Supplent am Gymnasium zu Marburg in Kärn- then, zum wirkl. Lehrer ebendaselbst befördert. Rössler, Dr £. F., Privatdocent in Göttingen , zum 2n Bibliothekar an der Universität in Erlangen ernannt. Rossetti, Frz, geprüfter Lehramtscandidat, zum wirkl. Lehrer für die venetianischen Staatsgymnasien ernannt. Rot- tock, H. L., Lehrer aus Walldorf in Eutin, zum Rector und 2n Lehrer am Realgymnasium zu Rendsburg ernannt (von der philos. Facultät lu Kiel 17. August zum Dr creicrt). Rüter, wissenschaftl. Hülfslehrer am Gymnasium zu Neustettin, zum ordentl. Lehrer daselbst befördert

Scarabcllo, Caj., Pr. , provisor. Director am Staatsgymhasium zu Verona, zum wirkl. Gymnasiallehrer ernannt. Schnelle, Dr K.| Adjunct an der Ritterakademie zu Brandenburg, als ordentl. Lehrer an daa Gymnasium au Hamm versetxt. Schob er 1, J., Studienlehrer in

PertonalnotiBeii. 589

München, zum Profeisor am Max. - Gytenasiam daselbst ernannt. Schramm, W. , SchAC. , als Oberlehrer am Gymnasium zu Dortmund angeheilt. Schröter, Dr,' Privatdocent, .zum ausEerordentl. Professor in der philos. Facultät der Universität zu Breslau ernannt. Schuh, Lehramtscaudidat aus Nürnberg, zum Studienlebrer an der latein. Schule des Maz.-Gymnasram»* in München ernannt. Skrodzki, Hülfslehrer am Gymnasium zu Tilsit, zum ordentl. Lehrer daselbst befördert. «^ Sobola, Job., Director des kathol. Staatsgymnasinms zu Herrn annstadt, zma Director des neu zu eröffnenden k. k. kathol. Gymnasiums zu Pesth ernannt. Stein, Dr, Hülfslehrer am Gymnasium in Münster, zum Oberlehrer am Gymnasium in Conitz ernannt. Stimpel, A., Gymna- iialdireotor in Triest, zum Sehulrath und Gymnasialinspector in Tirol ernannt. thor Straten, Dr W., als Hülfslehrer an der Gelehrtea- Bohnle in Glückstadt angestellt. Toma Scheck, Dr £. y., Ministerial- rath im Ministerium des Cultus in Wien, zum Prftses der Staatswissen- sehafd. Prüfungscommission ernannt. Use^er, Dr H. , SohAC. , als A4)iinct am Joachimsth. Gymnasium in Berlin angestellt. Vlaeowich, Nie-, Supplent am Gymnasium zu Capodistria, zum wirkl. Lehrer da- selbst befördert. *- Vogel, Dr, wissenschaftL Hülfslehrer am Domgym- nasium zu Magdeburg, zum ordentl. Lehrer befördert. Vyslouzil, Dr W., Supplent, zum wirkl. Lehrer am Gymnasium zu Tarnow ernannt. -«-Wagner, Dr K., Professor am Gymnasium iil Darmstadt, zum g^osz- herzogl. Oberstudlenrath daselbst befördert. ^.Weingarten, Lio. theo!., SchAC., als Adjunot am Joachimsth. Gymnasium in Berlin angestellt. -— Wild au er, Dr Tob., Gymnasiallehrer in Innsbruck, zum ordentl. Pro* fessor der Philosophie an der dasigen Universität ernannt. -~ Woja- c e k , W. , Corrector beim Schulbücherverlag in Wien , zum Lehrer am kathol. Gymnasium zu Leutschau ernannt. Wolf, Jos., Supplent am Gymnasium zuEger, zum wirklichen Lehrer daselbst befördert. , The od., Lehramtscandidat, zum wirklichen Lehrer am Gymnasium zu Iglau ernannt. Wolfram, SchAC, als wissenschaftl. Hülfslehrer am Domgymnasiupi zu Magdeburg angestellt. Zanella, Jac, gepr. Lehramtscandidat, zum wirkl. Lehrer für die vtt|etianischen Staats- gymnasien ernannt. Zikmund, Wenz., Weltpr. und Lehrer am Gym- nasium zu Pisek, an das Altstädter Gymnasium zu Prag versetzt.

Praedicleriiiigen und fchrenerwelsani^en :

Beisert, ordentl. Lehrer am Gymnasium zu Glogau, als Oberlehrer praediciert. Brand stäte'r, Dr, Oberlehrer am Gymnasium zu Danzig, als Professor praediciert. Hörn, Dr J. F., Rector der Gelchrtenschule in Kiel, zu dem den ordentl. Professoren an den Universitäten Kiel und Kopenhagen zustehenden Rang erhoben. Kolster, Dr W. H., Rector der Gelehrtenschule in Meldorf, erhielt den Titel Professor. Meth- ner, Dr, ordentl. Lehrer am Gymnasium zu Lissa, als Oberlehrer prae- diciert. — Nipperdey, Professor Dr K. , in Jena, als Hofrath prae- diciert. — Raabe, ordentl. Lehrer am Gymnasium zu Culm, als Ober- lehrer praediciert. Schleicher, Professor Dr A., in Jena, als Hof- rath j)raediciert. Seebeck, Staatsrath Dr K. J. M. , Curator der Universität Jena, als Geh. Staatsrath praediciert. Wentzke, ordentl. Lehrer am Gymnasium in Culm, als Oberlehrer praediciert.

Pensioniert t

Aldenhoven, Dr C, Conrector an der Gelehrtenschnle zu Ratze- burg, in Gnaden mit Pension entlassen. Feldmann, Dr F. F.^ 5r Lehrer am Christianeum zu Altena, in Gnaden mit Pension entlassen. Muth, Jos., Oberschulrath und Professor am Gjrmnasium zu Weilbiug. Reindl, A., Professor am Max. -Gymnasium ixi München, auf ein

590 PjenoiRainotisett.

Jahr. Roth, Dr C. L. v., Oberstudienr. und Rector des GjnuiMiiiiliB in Stuttgart, unter Verleihung des Titels und Kanges eines Pr&laten in Buhestand versetzt.

Gestorben i

Am 28. Juli zu Neapel der Geschichtschreiber* Carlo Troya, Mit- glied der Academla della Crusca. Am 31. Juli in Krakan Dr Jos. Muczkowski, Professor der Bibliographie und Bibliothekar an der Universität. Am 7. August in Königsberg der Professor der Botanik und Director des botan. Gartens Dr £. Meyer. ■. Am 12. August in Eichstädt Domprobst Dr Th. Popp, Mitglied des histor. Kl. der Aka- demie zu München, im 81. Lebensjahre. Am 13. August zu Aaerbaclt in Hessen-Darmstadt Geh.-Bath Dr Andr. Schheiermacher, Verfas- ser des bibliogr. Systems der gesamten Alterthumskunde (18dS) und f^nsgezeichneter Orientalist, geb. 6. Februar 1787 in Darmstadt. Am 15. August in Gieszen der auszerordentl. Professor der Mathematik an der Universität Dr Frdr. Zamminer im 41. Lebensjahre. Am 10. August in Berlin der Oberlehrer am Cöln. Realgymnasium Dr Herrn. Heinr. Roh. Hagen. Am 23. August zu London der Vorstand dtf numismatischen Abtheilung des brit. Museums, Cureton, im 74.' Le- bensjahre. — Am 8. September zu Jaworowo der Professor der Theologie in Krakau, Dr.Joh. Staroniewicz. Am 10. September su Genua der berühmte Gieogr. Mannocchi. Am 17. September lu Bern der Professor der Philologie Ed. Schnell. Anfang November in Zfirieh der durch tüchtige statistische und geogr. Arbeiten rühmlichst bekannte Staatsarchivar Gerold Meyer von Knonau. r

Zweite Abtheilung

herausgegeben toh Rudolph Dietsch.

Bericht über die Verhandlungen der 1 8ti Versammlung deut- scher Philologen, Schulmänner und Orientalisten in Wien,

24— 28. September 1858.

(Nach den in der Ztscbr. f. Österreich. Gymnasien mitgctheilten

ofticiellen Berichten.)

Wenn auf der Breslaner Versammlung der Anlasz, Wien für das nivchste Jahr zu wählen, mit freudiger allgemeiner Beistimmnng er- griffen wurde t so bekundete sich darin unverkennbar das lebhafte und weitverbreitete Interesse an den Neugestaltungen, welche das letzte Jahrzehend den Studieneinrichtungen Oesterreichs gebracht hat. Dem entsprechend zeigte sich der wirkliche Besuch der diesjährigen Ver- sammlnng; denn mit der Zahl von 360 Mitgliedern, welche die letzte Fortsetzung des gedruckten Verzeichnisses ausweist, gehört sie zu den zahlreichst besuchten unter den bisher stattgefnndenen. Allerdings gab hiezu Wien selbst an Männern aus allen Leb^sstellungen, welche den philologischen Studien oder dem Untemchte an Mittelschulen In- teresse widmen, ein bedeutendes Contingent (137), aber doch nur % der Gesamtzahl, und mit Einrcchnung der aus den verschiedenen Kron- ländern Oesterreichs hieher gekommenen Theilnehmer (84), unter denen selbst die entlegensten wie Siebenbürgen und Dalmatien nicht unver-

- treten geblieben waren, erst zwei Drittel der ganzen Versammlung; ein volles Drittel der Versammlufag bildeten, abgesehen von einzelnen Gästen

. aus weiter Ferne (England, Norwegen, Türkei, Ruszland), Mitglieder aus dem auszerösterreichischen Deutschland. Das benachbarte Schle- sien war unter diesen am zahlreichsten vertreten (66), dem zunächst das Königreich Sachsen, aber aus keiner Gegend Deutschlands, selb»** bis zu so entfernten Punkten wie Frankfurt a. M., Lübeck, Greifswald, Elbing fehlte es an Zeichen thätiger Theilnahme. Das Verzeichnis der Mitglieder zeigt uns eine bedeutende Zahl von Männern, deren Namen in der gelehrten Welt einen g^ten Klang haben oder deren Stellung in der Studienverwaltung in ihren Staaten ihren Ueberzeugnngen Einflusz auf die Schuleinrichtungen gibt. So waren die Referenten über Gjm- nasialangelegenheiten in Preuszen, Darmstadt, Nassau, die Herren Geh. Räthe Brüggemann und Wiese aus Berlin, Oberstudienrath Wag- ner aus Darmstadt, Reg.-Rath Firnhaber aus Wiesbaden, Schulrath Stieve ans Breslau zur Versammlung gekommen und betheiligten sich besonders lebhaft an den didaktischen Discussionen. Unter den Philo- logen, die zur Versammlung gekommen waren, erinnern wir an Haase

Pf. Jahrb, f, PML u. Paed. Hd LXXVIII. \2. 41

592 Bericht üb. d. Verh. d. 18n Vers, dealscher Philologen usw. in Wien.

aus Breslau, Halm und Thomas aus München, Eckstein und Pott aus Halle, FI eck eisen aus Frankfurt a. M. , Hertz und Schäfer aus Greifswald, Leop. Schmidt aas Bonu, Teuffol aus Tübingen, ferner au den Veteranen unter den philologischen Historikern Wachs- mut h aus Leipzig und den geschätzten Criminalisten Geh.-Rath Ab egg aus Breslau; die orientalische Abtheilung hatte hochgeachtete Namen wie Flügel aus Dresden, Fleischer aiifi Leipzig, Bernstein aus Breslau, K ö d i g e r aus Halle, Wüstenfeld aus GÖttingen aufzuweisen. Der berühmte Keisende Barth aus London, der allgemein anerkannte Historiker Norwegens Munch aus Christiania beehrten die Versammlung durch ihre Theilnahme.

Der Sitte dieser Versammlungen gcmäsz empfiengen die Mitglieder bei ihrer Einzeichnung in das Album der Gesellschaft ein paar zu die- sem Zwecke veröffentlichte Druckschriften. Das ProfessorencoUeginm der philospplilschcu Facultät der Universität begrüszte die eintretenden durch ^gpicilegium criiicum phüologis ei paedagogis Germaniae die XXV. m, SepL a. MDCCCLFllI Vindobonae conveniutn ageniibus nomine ei aueiori- tale conlegarum ordinis philosophici Findobonensium xenion ohtulerunt H. Bo flitz, E. Iloffmann, professores Fiudobonenses , G. Linker y Pro- fessor Cracovieusis^ (27 S. 4). Nach einer an die Versammlung gerich- teten lateinischen Begruszungsodo von G. Linker enthält diese Mo- nographie (S. 5 14) Bemerkungen Linkers zu einigen Stellen des Horatius (Carm. 1 12 und 37. II 2 und 13. III 5 und 6. IV 4 und 9) und eine deutsche Uebersetzung von Horat. cnrni. III 0; sodann (8. 15 22) Bemerkungen von Ho ff mann zu Verg. Aen. VII 22. IX 218. 380. 391. X 70. Cic. in Cat. I 2, 4 und (S. 22—27) vonBonitz am Plat. Theaot. 102 B. 202 B. 205 D. 102 E. Aristot. Eth. Nie. a 5. 1097 a 25. ^ 3. 1150 h 10. Eth. Eud. ri 3. 1238 a 35. Aus der noch jugend- lichen Stiftung des philologischen "Seminars an der hiesigen Universität wurden der Versammlung zur Bcgrüszung in einem ^specünen emendatio- nwn phUologis et paedagogis Germaniae die XXV. Sept. a. MDCCCLVIll Vindobonae convenluvi agentibus venerabtmdi obtulerunt seminarii philologici Vindobonensis sodales* (10 S. 8) erklärende und berichtigende Bemerkun- gen zu verschiedenen Schriftstellern des Alterthums dargebracht (Hora. H. y 224. Od. d 103—105. Aesch. Agam. 404. Choeph. 166. 760. Eur. Or. 758. Plat. Phil. 20 D. Euthyd. 277 A. 295 B. Thuc. I 0. 93. III 8. Strab. d 6, 5. Caes. b. g. I 47. II 20. IV 3. 27. VII 47. Tac. bist. III 74). Von Dr K. Reichel, Prof. am hiesigen akademischen Gym- nasium, wurden überreicht * Studien zitm ParzivaP (24 S. 8), welche einen für die Auffassung des ganzen Gedichtes wesentlichen Punkt einer neuen und eingehenden Betrachtung unterziehen. Auszcrdem hatte der Prof. am akadem. Gymnasium zu Prag, F. Puuly, in dem so eben erschie- nenen ersten Bande seiner Ausgabe der Sc/iolia Horatiana eine Widmung^ an die Versammlung gerichtet ^philologis huius anni mense Septemhri Vin" äobonam conventuris «.'

Die Eröffnungssitzung der Versammlung wurde durch die Anwesen- heit von Notabilitäten aus yerschiedenen Lebenskreisen ausgezeichnet. Se Excellenz, der Unterrichtsminister Hr Graf Leo von Thun beehrte nicht blos die Eröffnungssitzung durch seine Anwesenheit, sondern be- wies durch seine Theilnahme an allen Sitzungen der Versammlung jenes warme und aufrichtige Interesse für deren Zwecke , dem es zu verdan- ken w.ar, dasz die Versammlung deutscher Philologen und Schulmftnner in Wien gehalten wurde. Bereits nach der ersten Sitzung begab sich auf Antrag des Directors Dr Eckstein aus Hallo eine Deputation der Versammlung zu Sr Excellenz, um für diese Gesinnung ihren Dank aus- zusprechen.

Auf die Bedeutung , welche es habe, dasz zum ersten Male in einer

Borielit ah. d. Vera. d. 18n Vers. deaUcber Plulologev asv. ii Wien. 593

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österreichischen Stadt und im Mittelpnnkte des österreichischen Kaiser- staates die Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner zusam- mentrete, wies schon der Präsident derselben, Professor Dr Miklo-

Bich, in seiner .Eröffnungsrede hin: * Wie freuen wir uns Männer,

deren Namen uns schon längst geläufig sind, nun auch persönlich ken- nen zu lernen und, wenn auch nur kurze Zeit, ihres Umganges zu ge- niesKcn! Ja dasz die Versammlung an diesem Orte tagt, erfüllt uns mit hoher Befriedigung, denn es erinnert uns an den gewaltigen Um- schwung der Dinge, mit welchem in diesem Lande eine neue Aera an- gebrochen ist.' Doch wir könnten dies eigenthümliche Moment, welches die diesjährige Versammlung vor vielen der vorausgegangenen auszeich- net, nicht eingehender und treffender bezeichnen als es in der Ansprache geschehen ist, mit welcher Se- Excellenz der Unterrichtsminister Hr , Graf Leo von Thun bei dem Festmahle das vom Geh.-Rathe Brügge- maan ihm gebrachte und von der Gesellschaft mit Begeisterung aufge- nommene Hoch erwiderte. Wir erfüllen eine angenehme Pflicht gegen unsere Leser, indem wir den Wortlaut, wie ihn die Wiener Zeitung vom 2. October Nr 22G mitgetheilt hat, hier wiedergeben.

^Mcine Herren! Ich sage Ihnen meinen aufrichtigen Dank für die Ehre, die Sie mir so eben erwiesen haben. Gestatten Sie mir bei die- sem Anlasse mit einigen Worten den Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu geben, welche Ihre Anwesenheit in Wien und meine Theilnahme an Ihrer Versammlung in mir erwecken. In einem Kreise von Gelehrten, deren viele bereits durch ihre Leistungen dauernden Rnhm und begrün- deten Anspruch auf den Dank der Mit- und Nachwelt sich erworben haben leuchtende Vorbilder für die jüngeren Männer, die ihnen auf ihrer ehrenvollen Laufbahn rüstig nachstreben , stehe ich ein Laie, dem es nicht vergönnt^ war einzudringen in das Heiligthum der Wissen- schaften, deren Schätze Ihren Geist erfreuen. Allein die Stellung, welche die Gnade meines Herrn und Kaisers mir anvertraut hat, ist mir seit einer Ueihe von Jahren zur dringenden Veranlassung geworden , meine Gedanken mit den Bedingungen des gedeihens und mit dem Einflüsse der Philologie auf die allgemeinen Bildungszuständo zu beschäftigen. Wir leben in einer Zeit, in welcher die materiellen Interessen, grosz- artige industrielle Unternehmungen und was sie zu fördern geeignet ist, einen noch nie gekannten Aufschwung genommen haben. Fast drohen sie die Alleinherschaft an sich zu reiszen, und es fehlt nicht an solchen, die auch aus den Schulen alles zu verweisen geneigt wären, was nicht unmittelbar jener Richtung dienlich ist. Deshalb bedarf in unseren Ta- gen die Philologie einer besonders tüchtigen Vertretung. Denn nach der Religion, dieser wahren Führerin der Menschen, die den reichen wie den armen, den gelehrten wie den ungelehrten über das irdische erhebt und zum Bewustsein seiner höheren Bestimmung führt; nächst der Philosophie, dieser Wissenschaft aller Wissenschaften, die aber ihrer Natur nach doch nur einer verhältnismäszig geringen Zahl von auser- wählten zugänglich sein kann, ist vor allem die Philologie geeignet die Geister über das gemeine zu erheben. Sie ist die Bewahrerin der älte- sten Schätze einer hohen Cultur, sie enthält die Vorbedingungen des Aufschwunges der Kunst in *allen ihren Zweigen, sie liefert der Ge- schichte, dieser groszen Lehrmeisterin der Menschheit, unentbehrliche Grundlagen, sie bietet jedem die Schlüssel zu tieferem Verständnis sei- ner Muttersprache und lehrt ihn sie erfolgreich gebrauchen. Deshalb ist Ihre wohlthätige Wirksamkeit violleicht ij^och deutlicher wahrnehm- bar in ihrem Einflüsse auf ganze Geschlechter als auf einzelne Personen. Wie viel würde ein Volk verlieren, ans dessen Schulen die Philologie verdrängt würde! Durch den veredelnden Einflusz, den die Philologie auf alle lebenden Sprachen übt, hat sie für Oesterreich noch eine be-

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594 Bericht fib. d. Verb. d. iSnVcrs. dealscher Philolo|^n usw. in Wie«.

sondere Bcdentnn^. Es gibt keinen Staat in Enropa, in welchem so viele bildungsfähige Völker verschiedener Zunge nebeneinander wohnten als in Oesterreich, wo die Gesetze in zehn Sprachen kundgemacht, Schul- bücher, und zwar nicht nur für Volks- sondern theilweise Belbst fBr Mittelschulen, in zehn Sprachen verfaszt und gedruckt werden. Jeder Volksstamm hängt mit Begeisterung an seiner Sprache und ein nicht geringer Theil der geistigen Bewegungskraft Oesterreichs lieg^ in dieser naturgemäszen Begeisterung. Soll sie aber höheren Zwecken dienlich sein, so musz ihr wissenschaftliche Nahrung geboten werden, und diet musz zunächst durch gründliche philologische Studien geschehen. Wer immer seine Muttersprache zu lehren unternimmt, wer auch nur für den Gebrauch der Volksschulen eine Grammatik herstellen, die'^Orthographia feststellen will, der gelaugt bald zur Einsicht, welche wissenschaftliche Vorarbeiten dazu erforderlich sind und wie sie nur an der Hand gründ* lieber philologischer und sprachvergleichonder Studien geliefert werden könneu. In dem Maszo , als diese Studien in Oesterreich allgemeine Verbreitung finden, werden auch jene seiner Volkssprachen, denen es an einer älteren Litteratur gebricht , sich mehr und mehr innerlich ent- wickeln und an Eignung für höhere Zwecke zunehmen, und in dem- selben Masze werden die Einseitigkeiten verschwinden, die in sprach- licher Beziehung noch hie und da zum Vorschein kommen, und sie wer- den nur von einem edlen Wetteifer ersetzt werden, die Sprache nicht etwa durch künstliche Mittel zu erhalten und zu erweitern, sondern auf naturgemäszem Wege die Bildung des Volkes zn fördern. Die tiefere Einsicht in die unverwüstliche Naturkraft, die jeder lebenden Sprache innewohnt, und die Erkenntnis des steigenden inneren Werthes der Er- zeugnisse der heimischen Litteratur wird den Gemütern jene Bemhignng gewähren die erforderlich ist, damit verschiedene Sprachen friedlieh nebeneinander bestehen. Aber auch die Wissenschaft wird grossen Ge- winn daraus ziehen, wenn einmal alle die Sprachen Oesterreichs mit jener Methode bearbeitet werden, die nur durch gründliche philologische Studien gewonnen werden kann. Nicht mindere Erfolge hat die Philo- logie nach ihrer realen Seite von der Verbreitung dieser Stndien in Oesterreich zu erwarten. Wie grosz sind die noch unausgebeutcten Schätze römischer Alterthümer in Siebenbürgen, Ungarn, Dalmatien, Istrien des schon mehr durchforschten lombardisch -venetianischen Königreiches nicht zu gedenken. So läszt sich gewis behaupten, dasi auf dem Gebiete der Philologie groszartige Aufgaben vorliegen, die sn lösen vor allem Oesterreich berufen ist. Oesterreich kann und wird diese Aufgaben aber nur dann ir)sen, wenn es dabei Hand in Hand mit Deutschland vorgeht. Oesterreich steht mit seinen wesentlichen, dem deutschen Bunde angchörigen Ländern von jeher mitten in der Cultur- geschichte Deutschlands. Seine weiten östlichen Ländergebiete aber haben seit Jahrhunderten die Schutzmauern Deutschlands und seiner Civilisation gegen die verwüstenden Ueberfälle barbarischer Horden ge- bildet. Sehen wir doch heute noch die südlichen Grenzmarken Oester- reichs in einer ganz militärischen Organisation. Sind doch in Sieben- bürgen und Ungarn die Spuren und Nachwirkungen der immer wieder- holten Türkenkriege noch deutlich wahrnehmbar. Dennoch hat die Phi- lologie auch in jenen Ländern stets Stätten sorglicher Pflege gefunden. Beweise dafür liefern die blühenden Schulen der Sachsen in Siebenbürgen und die litterarischen Schätze der berühmten Stifte in Ungarn. Allein niemand kann verkennen , dasz in jenen Ländern die Verhältnisse dem gedeihen der Wissenschaft ungleich ungünstiger waren als in Dentsch- land. Und kaum waren die letzten Türkenkriege geendigt, so brach der Sturm der Revolution in Frankreich aus, welcher die Welt erschtitterte, und von den Drangsalen der Kriege , welche aus ihr hcrvorgiengen , so

Bcffiolifcab. d. Verb. d. Idn Vers, den tsoher Philologen usw. in Wie«. 595

sehr auch alle Theile Deaischlands darunter gelitten haben, wurde kein Staat schwerer getroffen als Oesterreich. Sein Haushalt wurde zerrüttet, seine innere Entwicklung gewaltig ' gehemmt. Inzwischen brach auch das h. römische Keich deutscher Nation zusammen. Oesterreich zog sich auf sich selbst zurück und es trat eine Periode ein, in welcher seine Beziehungen zu Deutschland minder innig wurden als in irgend einer früheren Zeit. In unseren Tagen hat sich ein neuer Sturm er- hoben, und wieder wurde kein Land schwerer davon getroffien als Oester- reich. Aber in der Stunde der höchsten Nuth hat die Vorsehung uns einen Kaiser geschenkt, der mit dem Mute jugendlicher Zuversicht die drohenden Gefahren besiegte. Mit fester Hand hat er die auseinauder- fallenden Theile des Kelches enger wieder verbunden und mit weiser Sorgfalt zugleich alle Beziehungen Oesterreichs zu Deutschland gepflegt. Nicht nur auf dem Gebiete der materiellen Interessen sind wichtige Schritte geschehen, um die Einigung immer mehr herzustellen, sondern auch auf dem Gebiete geistigen strebens ist ein Wechselverkebr wieder entstanden, wie er seit Jahrzehenten nicht bestanden hatte. Wie sehr dieser Wechselverkebr auch jenseits der Grenzen Oesterreichs Anklang findet, dafür sehe ich einen Beweis' in dieser hochansehnlichen Versamm- lung deutscher Philologen, Orientalisten und Schulmänner. Die Gemein- samkeit wissenschaftlicher Bestrebungen in Deutschland und Oesterreich ist eine Idee, deren fortschreitende Verwirklichung ich mit freudiger Theilnahme beobachte. Ihre Anwesenheit, meine Herren, in Wien dient mir zur Bürgschaft, dasz Sie alle, welchf Gauen Deutschlands, welche Gegenden Oesterreichs Sie aUch Ihre Heimat nennen mögen, in dieser Beziehung meine Gefühle theilen. Deshalb habe ich Sie mit doppelter Freude in Wien begrüszt und deshalb rufe ich mit doppelt herzlicher Freude ein Hoch dieser geehrten Versammlung.'

Wir können den Eindruck nicht beschreiben, den diese durch kei- nerlei rhetorische Mittel gehobenen , sondern einzig durch das Gewicht der Gedanken wirkenden Worte auf die gesamten Anwesenden hervor- riefen, und wer irgend während der Tage der Versammlung und nach derselben unverholene Aeuszerungen von fremden und einheimischen zu vernehmen , die allgemeine Stimmung bei den wissenschaftlichen wie 'den geselligen Zusammenkünften zu beobachten Gelegenheit hatte, wird erklären müssen, dasz jener Idee der 'Gemeinsamkeit wissenschaftlicher Bestrebungen in Deutschland und Oesterreich' die diesjährige Versamm- lung eine wesentliche Förderung gebracht hat.

Erste allgemeine Sitzung, 25. September. Präsident: Prof. Dr F. Miklosich. Nachdem der Präsident in den einleitenden Wor- ten die Versammlung begrüszt und auf die Bedeutung ihres tagens in Wien hingewiesen hatte, gieng er zur Behandlung des von ihm gewähl- ten Themas über : ^dak Verhältnis der klassischen Philologie zu den moder- nen Philologien,^ Aus dem weiten Bereiche, welches durch diese Frage eröff'net wird , wählte er als Beispiel ein einzelnes Moment heraus , das nationale Epos, um an dessen Betrachtung zur Anschauung zu bringen, wie die philologische Forschung über die verschiedenen aber stammver- wandten Völker sich gegenseitig zu unterstützen vermöge. Die bündige und wohlmotivierte Erklärung über das Verhältnis der klassischen Philo- logie zu den modernen, die sich hieran knüpfte, geben wir nach ihrem Wortlaute: 'in allen hier angedeuteten Punkten wird im ganzen die alte Philologie den modernen Philologien mehr geben als von ihnen empfan- gen: denn nicht nur ist sie Erkläi'erin eines auf einer ursprünglichen Stufe stehenden Lebens , sie ist auch als eine seit Jahrhunderten von einer langen Reihe durch Scharfsinn und Gelehrsamkeit hochberühmter Männer gepflegte Wissenschaft gründlich und nach allen Richtungen ins Detail bearbeitet. Wenn nun schon in dem was, in dem Materiale die

596 Berioht fib. d. Verh. d. 18a Vevs. deiilacber Philologien asw. in

modernen Philologien von ihrer älteren Schwester Tielfacb abhängig sind, 80 ist dies in noch höherem Masze der Fall hinsichtlich des wie, hin- sichtlich der Methode Die Grundsätze der Kritik, der liermenentik sind zwar einfach, allein die Anwendung derselben will gelernt, will geübt »ein. Wie sehr dies der YßM ist zeigt die Beobachtung, dasi es nicht unbedeutende Littcratuien gibt, in denen man keine Ahnung davon hat, dasz es nicht nur erlaubt sondern geboten ist, verschiedene Quellen snr Herstellung wahrer Texte zu benützen, noch weniger daron dasz et Gesetze gibt, nach denen dies zu geschehen hat. Dasz die deutsche Philologie unter den modernen am höchsten steht, hat sie einzig der gründlichen Pflege zu danken, welche in Deutschland den klassischen Studien zu Theil wird. Nicht die für deutsche Litterator auch be- geisterten Romantiker, sondern in der Schule der klassischen Philologie gründlich gebildete Männer haben sie auf die Stufe gehoben, auf der Hie gegenwärtig steht. Klassische Bildung hat es den Deutschen mög- lich gemacht, auch um andere Philologie sich grosze, bleibende Ver- dienste zu erwerben : ich erinnere nur an die Arbeiten deutischer Ge- lehrten über französische Litter atur, deren Trefflichkeit Baron de Boi- ein in der Versammlung zu Bonn mit so beredten Worten anerkannt hat. Klassische Studien erweisen sich daher als unerläszlich aoch auf solchen Gebieten, auf denen manche ihrer entbehren zn können yer- meinen.'

Auf die Einleitnngsrede des Präsidenten folgten die nothwendigcn geschäftlichen Dinge: Emenming des Secretariats der Versammlnng (Prof. Thomas aus München , Director K 1 i x aus Grosz-Glogau ,' Prof. Hoffmann aus Wien, Prof. P. Leonhard Achleu tner aus Krems- münster), Ernennung der Commission zur Berathung über den Versamm- lungsort für das nächste Jahr.

Prof. Dr K. Halm (Director der köuigl. Hof- und Staatsbibliothek) aus München spricht über den neuen Thesaurus linguae Itüinae, Die Idee, einen Thesaurus linguae latinae zu begründen , ist von bedeutenden Ge- lehrten schon wiederholt angeregt und durchsprechen worden , jedoch mit dem Plan eines solchen Werkes hervorzutreten hielten verschiedene Bedenken ab, der Mangel an kritischen Texten von so manchem Antor, die Schwierigkeit einen tüchtigen Redacteur zu finden , die Beschaffung der nöthigcn Geldmittel zur Herstellung der langjährigen Vorarbeiten. Das letzte Bedenken ist durch die hochherzige Munificenz Sr Majestät des Königs von Baiern jetzt glücklich beseitigt, der zur Fördemng eines solchen Unternehmens die Summe von 10000 Gulden ans seiner Cabinetscassa angewiesen hat. Damit lassen sich die Redactionskosten auf die für die Vorarbeiten berechnete Zeit von zehn Jahren decken und CS steht noch eine bedeutende Summe zur Honoriemng von Special- arbeiten zur Verfügung. Mit der Redaction des Thesaurus wurde Dr Franz Bücheier in Bonn betraut, zur Entwerfnng des Planes ein Comit^ gebildet, bestehend aus den Professoren Halm, Ritschi nnd Fleokeisen und dem Redacteur. Was den Umfang des Thesaurus betrifft, so hat derselbe den ganzen lateinischen Sprachschatx xn um- fassen, also auch die aus anderen Sprachen entnommenen und iatint- sierten Wörter. Das Ende der Latinität festzustellen ist schwierig. Natürlicherweise ist das mittelalterliche Latein ausg'eechlossen , wol aber bat die Latinität noch den Untergang des weströmischen Reiches über- lebt, indem die Bildung der Schriftsteller des sechsten Jahrhunderts nach Christus noch ganz auf Roms Sprache nnd Litteratur beruht. Als annähernde Grenze kann die zweite Hälfte des sechsten Jahrhunderts bezeichnet werden. Von der ältesten Litteratur bis zum Ende des Augusteischen Zeitalters bedarf man zur Herstellung eines Thesaurus ling. ist. genaue Speoiallexica ebenso von den Hauptrepräsentanten der

Beriefat üb. d. Verb. d. 18n Vers, dentscber Philologen usw. ia Wien. 597

ersten Kaiserzeii, Lucanus, -Soneca, Plinius, Taciins, Martialis and Juvcnalis; solche sind auch für Fronto und Auluä Qellius wünschens- werth und für die Schriftsteller, die einen besonderen sermo vertreten, wie Petronius nnd die scriptores historiae Augustae. Eine besondere Beachtung verdienen auch die Grammatiker, nicht blos als ergänzende Quelle für die altere Litteratnr , sondern auch für die noch so wenig gekannte technische Sprache der Grammatik. Von den übrigen Schrift- stellern der Kaiserzeit genügen genaue ihre Eigenthiimlichkeiten er- schöpfenden Auszüge. Hier werden am füglichsten einzelne Gattungen zusammengenommen, wie die christlichen Dichter, Rhetoren, Panegyri- ker , Aerzte usw. , nur dasz einzelne Schriftsteller eine gröszere Auf- merksamkeit als andere ihrer Gattung erheischen, wie Claudianus, Aa-^ fionius, Ammianus Marcellinus, Symmachus, TertuUianus usw. Für die Latin ität der Juristen bleibt auch nach dem Manuale von Dirksen noch viel zu thun, wie z. B. der codex Tbeodosianus eine noch unerschöpfte Fandgrubc der Latinität ist. Auch die lexica mediae el mfimae UUinitaiig bedürfen einer Durchforschung, die noch manche Reste der Volkssprache aus denselben ans Licht ziehen wird. Die Anordnung des Thesaurus ist die alphabetische; in der Behandlnng der einzelnen Artikel wurde dorn Kedactcur eine möglichst vollständige Geschichte eines jeden Wortes nach Form wie Begriff zur Aufgabe gestellt. Zur Geschichte eines Wortes sind einerseits die verwandten Sprachen heranzuziehen, wenn der gleiche Stamm noch unverkennbar zu Tage liegt, andererseits das fortleben eines Wortes durch Anführung aller Umwandlungen, die es in den Töch- tersprachen erlitten hat, nachzuweisen. Etymologische Controversen sind ausgeschlossen. Die erklärende Sprache des Thesaurus ist die la- teinische , aber die Hauptbedeutungen eines Wortes sind ' auch in der deutschen roitzutheilen. Das Onomasticon, das alle in Autoren und Inschriften überlieferten Namen umfassen soll, wird als gesonderter Theil des Thesaurus erscheinen und von einem eigenen Redactcur bearbeitet werden, wofür Herr Dr Emil Hübner in Aussicht genommen ist. Es darf kein Repertorium für historische und antiquarische Notizen wer- den, sondern bat blos die sprachliche Seite der nomina ins Auge zu fassen. Da ein so urhfängliches Werk nur durch Arbeitstheilung zn Staude kommen kann , so lag es dem Comite' nahe genng, an die Ent- werfung einer Instruction für die zu erwartenden Specialarbciten zu denken. Eine solche wird mit einem einladenden Circular bald ge- druckt werden; sie ist so kurz als möglich gehalten und gibt auszer den unab weislichen Bestimmungen über die äuszere Form der in geson- derten Blättchen anzulegenden einzelnen Artikel zumeist nur solche Vor- schriften und Winke y die sich nach verschiedenen gemachten Proben praktisch als zweckmaszig erwiesen haben. Damit die äuszere Form möglichst eingehalten werde, sollen die Mitarbeiter auch Proben von Speciallcxica oder Auszügen , die aus Schriftstellern verschiedener Zei- ten entnommen sind, erhalten. Noch berührte der Redner verschiedene Einwürfe > die man gegen die Ausführung eines solchen Unternehmens erheben könnte. Zunächst besprach er die Frage, ob das Unternehmen in Betracht, dasz es für so manche lateinische Schriftsteller noch an sicheren ki'itischen Texten fehle , nicht als ein verfrühtes erscheinen dürfte. Dagegen wurde bemerkt: 1) dasz das Hauptwerk für die Kennt- nis der ältesten Prosa , die priscae latinüatis monumenia epigrapMca von Ritschi, fast vollendet und für eine Sammlung jener Dichtcrfragraente bis auf Augustus, die in den Sammlungen von Ribbeck und Vahlen noch nicht vorliegen , bereits Vorsorge getroffen sei ; 2) dasz die Vollendung des corpus inscriptionum lai'marum wol gleichen Schritt mit der für die Vorarbeiten des Thesaurus berechneten Zeit halten werde und dasz man gerade von den Herausgebern des Corptis i, /. eine besondere Unter-

598 Berieht üb. d. Verb. d. 18n Vers, deutscher Philologea nsw. in Witt.

Btützang hoffen dürfe ; 3) dasz die Bearbeitung oder Vollendung mehre- rer kritischer Ausgaben in sicherer Aussicht stehe. Was noch nicht in Angriff genommen sei müsse freilich erst angeregt werden, allein gerade darin liege ein Hauptwerth des ganzen Unternehmens, dasz es mittel- bar andere hervorrufen werde, durch die empfindliche Lücken auf dem Gebiete der lateinischen Litteratur ausgefüllt wür4en. Nur kurz wurde ein zweiter Einwurf berührt, ob das Werk nicht wegen der go eben er- scheinenden neuen Ausgabe des Lexicon von Forcellini für ein über- flüssiges zu halten sei. Dieser Einwurf sei von »Seite derer nicht zu besorgen, die nur die von groben Fehlern strotzende araUo gelesen hätten, durch die der neue Herausgeber das Unternehmen angekündigt habe. Diesem sei es zunächst darum zu thun, das vorhandene Material bei Forcellini, und zwar zumeist aus den Arbeiten deutscher Gelehrten zu ergänzen; das sei jedoch nicht die Hauptaufgabe des neuen The- saurus, bei der es sich um eine in lexicalischer Beziehung kritische Ke- Vision der gelesensten Autoren und um eine systematische nicht eklek- tische Ausbeutung der übrigen handle. Da eine solche in dem neuen Forcellini nicht versucht sei, so könne auch von einem Coneurrens- untemehmen nicht die Rede sein. Als letzten Einwurf erörterte der Redner die Frage, ob die dem Comit^ für die Herstellung 'der Vorarbei- ten zur Verfügung stehenden Mittel wol zureichend erschienen. Da- gegen wurde bemerkt dasz diese zwar an sich nicht ausreichten, aber wenn das Unternehmen kräftig unterstützt werde allerdings alB hin- reichend erscheinen , , um eine Ausführung zu versuchen. Um die für die Honorare von Specialarbeiten verfügbare Summe nicht zu sehr zu zersplittern werde das Comit^ für die Herausgabe solcher Speciallexica, die dem buchhändlerischen Betrieb einen lohnenden Absatz lieferten, Sorge tragen; solche seien ein Lexicon über Plautus, Vergilius und Tacitus, ein rhetorisches und eine Sammlung der lateinischen Glossare. Die Buchl^ndlung , mit der man über den Verlag des Thesaurus in Unterhandlung stehe, werde auch diese Werk^ in Verlag nehmen und anständig honorieren. Sodann könne sehr viel durch die Programme der deutschen Gymnasien geleistet werden, wenigstens für diejenigen Schriftsteller, von denen man nur »Auszüge bedürfe. Eine besondere Unterstützung müsse man auch von Seite der philologischen Seminarien erwarten; durch sie könnten viele Beiträge von jüngeren Kräften ver- mittelt werden, die man um so mehr hoffen dürfe, weil ein junger Mann durch die Uebernahme einer solchen Arbeit sehr viel neues lernen und auch Stoff zu anderen Ausarbeitungen gewinnen könne. Bei dem groszen Zweck um den es sich handle seien sicherlich zahlreiche Bei- träge, die nicht honoriert zu werden brauchten, zu erwarten; das schönste wäre, wenn das Unternehmen sich auch anderweitiger höherer Unterstützung erfreuen sollte, in der Art, dasz ein und die andere Specialarbeit als Beitrag zum groszen Werk von höherer Seite her ho- noriert würde. Das bedeutendste, was in dieser Beziehung geleistet werden könnte, wäre die Herausgabe eines Lexicon Ciceronianu/H; ein neuer Nizolius könnte aber ohne höhere Unterstützung nicht zu Stande kommen. Der Redner schlosz , indem er allen Anwesenden in der Versammlung, die im Stande seien, sei es durch Rath oder durch Aufmunterung oder durch selbstthätige ßeihülfe, zur Förderung des Unternehmens beizutrugen, dessen kräftige Unterstützung bestens empfahl.

Nach Beendigung des Vortrages sprach der Vorsitzende den Dank der Versammlung aus für die Regierung, die ein solches Unter- nehmen unterstützt und für die Männer die ihre Kräfte demselben widmen. Die gesamten Anwesenden erhoben sich zum Zeichen ihrer Beistimmung.

Bericht fib. d. Verb. d. ISaVers. deutscher Philologon usw. in Wien» 599

Der Präsident liesz sodann das Verzeichnis der Namen der bis dahin eingetroffenen Mitglieder vorlesen und schlug dann der Versamm- lung zum Vorsitz in der paedagogischen Section den als Leiter solcher Versammlungen erprobten Director Dr Eckstein aus Halle vor. Die- ser aber lehnte, als mit einem groszen Theil der Anwesenden nicht hin- länglich bekannt, den Vorsitz ab und schlug seinerseits dazu den Prof. Bonitz vor; der Vorschlag erhielt die Beistimmung der Versammlung.

Zweite Sitzung, 27. September. Stellvertreter des Präsiden- ten: Prof. Bonitz. Dir. Eckstein als Keferent der in der vorigen Sitzung ernannten Commission berichtet, dasz die Commission als Ver- sammlungsort für das nächste Jahr Braunschweig glaube vorschla- gen zu sollen uud die Directoren Krüger in Braunschweig und Jeep in Wolfenbüttel als Präsidenten der Versammlung; unter dem Vorbehalte des Ergebnisses der in dieser Hinsicht vom gegenwärtigen Präsidium zu führenden Correspondenz fand der Vorschlag allgemeine Billigung.

Prof. Dr G. Linker aus Wien spricht ^über das prohoemium von Tacitus Agricola.^ Er gieng davon aus , wie diese Partie als eine allge- mein bekanute und interessante wol auch zur mündlichen Verhandlung geeignet erscheinen könne, um so mehr bei der gegenwärtigen Versamm- lung, in welcher man die zwei letzten hochverdienten Herausgeber des Tacitus (Halm und Haase) selbst erblicke. Kleinere Schäden der ge- nannten Stelle seien seither schon sicher geheilt (so in cap. 3 durch die Correcturen rediit animus; set quanquam; votum securitatis res publica; pauci ut ita dixerim); einer geringen Nachhülfe scheine auch noch cap. 1 med, zu bedürfen, wo zu schreiben sei pronwii magis magisque in aperlo nach dem Muster von Sali. Jug. 5, 3 quo ad cognoscendwn onrnia inlustria magis magisque in aperto sint.

Noch ungelöst sei dagegen die Hauptschwierigkeit, welche am Ende des In Capitels die Worte bieten: ai nunc narraiuro mihi vitam defuncli hominis venia opus fuit , quam non petissem incusaiurus tarn saeva et infesta virtulibus tempora» Legimus usw. (so die codd. Vatic), Weder nunc im Vergleich mit dem folgenden nunc cap. 3 in., noch die Bedeutung der venia in Verbindung mit opus fuit, noch endlich legimus werde sich nach der handschriftlichen Schreibung verstehen und rechtfertigen lasse^. Vor einem jeden Besserungsversuch aber sei es unumgänglich erst durch eine Betrachtung des Zusammenhanges überhaupt sich eine Ansicht zu bilden über den Gedanken im allgemeinen, welchen wir gerade an un- serer Stelle zu erwarten haben. Zwei Fragen seien in dieser Beziehung schon in der manigfachsten Weise erörtert worden: 1) ob hier eine venia publica principis oder eine venia privuta legentiwn bezeichnet werde, und 2) ob diese venia unmittelbar auf die Zeit des schreibenden (also die letzte Zeit des Nerva) oder auf die vorhergehende Zeit (des Domi- tian) sich beziehe. Beides bisher ohne rechten Erfolg wegen der Ver- nachlässigung einer dritten nicht minder notluvendigen Frage nach dem Object dieser venia : ob Tacitus die^lbe auf sich allein beziehen oder das Verhältnis der schriftstellerischen Biographie zu seiner Zeit über- haupt an unserer Stelle bezeichnen wolle.

Eben dieses letztere werde durch den Zusammenhang auf das ent-. schiedenste verlangt : nicht so sehr durch die oben bezeichneten Worte als durch das bisher nicht beanstandete mihi sei der Gedankengang an unserer Stelle am meisten verdunkelt worden. Tacitus könne hier noch nicht von sich reden uud am wenigsten schon von dem speciellen Plan der beabsichtigten Biographie, 'während er erst ganz am Schlüsse der Vorrede seiner persönlichen Absichten gedenke; und auch dort werde erst sein Plan historischer Schriftstellerei überhaupt bezeichnet (die me- moria prioris servitutis ac testimonium praeseniium bonorwn), ehe der nächste kleine Zweck einer Biographie des Agricola Erwähnung ünde.

600 Bericht üb. d. Verb. d. 18d Vers, deutscher Philologen usw. in WUi.

Alles vorhergehende sei ganz allgemeiu gehalten, eine Erörterung über die Stellung des Schriftstellers (resp. Biographen) zu seinem Publi- cum (d. h. in der Kalserzeit zu dem princeps). Auch in unserem ge- sunkenen Jahrhundert, beginne Tacitus, treten mitunter noch Schrift- steller auf, welche den Vorgang alter guter Sitte sich zum Master uehmcu die facta moresque clarorum virorum zu schildern, obgleich, was bei den Alten Regel war, bei uns nur Ausnahme \&i{quotiens invidiam). Aber das Verhältnis des Publicunis hat sich geändert. Unser Ideal in dieser Beziehung ist die Zeit der Republik : beatos quondam scripioret romanosl *) (dies der Inhalt des Abschnittes sei apud priores facÜlme gignunlur, zuerst richtig interpungiert bei llaase). In diametralen Ge- gensatz dazu stellt der Schriftsteller seine Zeit (a/ usw.). Diese ist wieder eine doppelte: einmal die überstaudcno Schreckensperiode unter Domitian {at tacere), sodann die letzte Zeit unter Nerva (nunc de- mum excusaius). Am Anfange des erstereu Abschnittes aber, welchen gerade die besprochenen räthselbaften Worte bilden, können wir eben nur einen allgemeinen Gedanken der Art erwarten: ^im Gegensatze EU der glücklichen Freiheit der Väter war die jüngstvergangene Zeit unter Domitian die schwierigste Periode der Schriftstellerei' : allein für diesen Gedanken bilden die gleich folgenden Beispiele von der Ver- folgung des Arulenus Rusticus und des Herennius Senecio die passen- den Belege.

Ob es möglich sei aus der zerrütteten Ueberlieferung unserer Stelle die ursprüngliche Hand des Tacitus wirklich im einzelnen noch herzu- stellen, will der vortragende nicht behaupten, aber nach der vorliegen- den Schreibung führe die nothwendige Herstellung jenes allgemeinen Gedankens etwa auf folgende Emendation: ^at 7iuper narrtUuro (ohne fiuhi) vitam defuncii Jiominis venia opus fuity quam non peüsse incusabatur,'* Nuper mit Beziehung auf die Zeit des Domitian habe, wenn gleich aus anderen Gründen, schon Niebuhr vorgeschlagen (K). Schriften I 331); man könne auch vergleichen Juv. IV 0. Und da die wii'kliche Ein- richtung einer Prohibitivcensur den Zeiten des Alterthums überhaupt fremd gewesen , so führe dies zugleich auf die allein mögliche Erklk- ruug von fuil :=: fuUsset. Das ganze sei eben als bittere Ironie zu ver- stehen. ^In der jüngst vergangenen Zeit wäre es eigentlich erforder- lich gewesen , selbstN für die Biographie eines verstorbenen erst die verzeihende Nachsicht (des princcps) einzuholen. Da die bezüglieheii Schriftsteller dies natürlich nicht thatcn, so verfielen sie der Anklage. Es wurde gewissermaszen damals die Uebertretung eines gar nicht vor- handenen Gesetzes gestraft.' Incnsahalur sei nicht gerade unpersönlich aufzufassen: der damit verbundene Infinitiv bezeichne eben den Anlaas der Anklage **).

Die nächstfolgenden Worte ergebeik sich somit natürlich als Aus- ruf (wie schon Wex gewollt), entsprechend dem vorausgehenden adeo virtiUes Udem temporibus optime qestimantur quibus faciUime gignuntur. Nur lasse sich zweifeln , ob die Worte tarn saeva ei infesia mrtuiibui iempora (mit Ergänzung von erani) so für sich alleinstehend hinläng- lich gerechtfertigt seie;. Dazu komme dasz das folgende legimu» offen- bar corrupt sei und sich nicht etwa durch einen Hinweis auf die acta iUurna rechtfertigen lasse, was Niebuhr a. a. O. schon mit Rocht als «ine nur im Scherz mögliche Erklärung bezeichnet habe***). Vielleicht

*) Vgl. das Wort des Corbulo bei Tac. ann. XI 20 beatos quondam duces romanosl **) Vgl. Tac. ann. III 30 Trebellienum incusans popu^ larium iniurias inidtas sinere und die von Boetticher lex. Tac. S. 269 an- geführten Beispiele von deferre m. d. inf. ***) S. cap. 2 a. E. o idit und cap. 45 max nosirae duxcre Uelvidium in carcerem manus usw.

Berielit fib. d. Verb. d. 18n Vers. deo(8€her Philologen usw. io Wien 99\

sei hier eben zu schreiben: ^/am saeoa et infesta virtutibus tempora egi- mu8 ' und am Anfange des nächstfolgenden Satzes ein 'wir alle wi8«eir*| 'wir alle erinnern uns'*) zu ergänzen. Mit einer nochmaligen Appel- lation an das Urteil der Versammlung schlosz der Redner.

Ueber diesen Vortrag entspinnt sich eine längere Discussion.

Zunächst macht Professor Haase aus Breslau geltend, wie nach seiner Auffassung das ganze prohoemium nur als eine Apologie der politischen Biographie dem gesunkenen Interesse der Zeitgenossen de» Tacitus gegenüber zu verstehen sei. Die Worte tm'M venia petendo fuii halte er für unverdächtig und beziehe sie auf das Verhältnis des Taci- tus zu seinem Publicum überhaupt. Die Bitte um venia sei eben schon indirect im vorhergehenden enthalten und so finde das Perf. petenda fuii seine natürliche Erklärung. Dazu würde Tacitus den besprochenen Ausruf nicht mit tarn sondern mit adeo eingeleitet haben. Das folgende lefjbnus sei am einfachsten mit Beziehung auf die Protocolle des Senats aufzufassen. Der Verdoppelung v5n magis stimme er bei. Director Eckstein aus Halle greift die sprachliche Möglichkeit der Verbindun- gen pclisse iticusabatur und tempora egimus an. Bei der Bitte um venia denke auch er an eine Klage des Tacitus über das Publicum sein«r Zeit. Prof. Halm aus München vertheidigt ebenfalls die hsl. Schrei- bunp:, will aber die Bitte um venia mit Beziehung auf die Glaubwürdig- keit des Schriftstellers aufgefaszt wissen, Schulrath Stieve au» Breslau vertheidigt den Oejjfensatz zwischen narraturus und incusattti'ijis^ Director Beneko aus Elbing namentlich das doppelte nunc: an der ersten Stelle erscheine es allgemein = nostra memoria und erst an der zweiten trete es in Beziehung zu der unmittelbaren Gegenwart des schreibenden. Director Capellmann aus Wien will bei fuii wieder an eine frühere Abfassung der Schrift unter Domitian denken. Auch die Verdoppelung von rnagis im vorhergehenden sei zu beanstanden, da es sich hier nicht um einen sondern um zwei BegriflTe handle. Prof, Teuf fei aus Tübingen weist dieses Bedenken zurück. Nur im folgen- den halte auch er eine Aenderung für unnöthig. Nttnc habe an beiden Stellen verschiedene Bedeutung wegen der verschiedenen Gegensätze, einmal zu den priores, d. h. zu der Periode der Republik, sadann im folgenden zu der Zeit des Domitian.

Zum Schlosse dankt Prof. Linker den genannten Rednern für ihre vereinten Bemühungen die dunkeln Worte der besprochenen Stelle auf- zuklaren. Doch fühle er sich durch die eben vorgetragenen Gründe noch nicht veranlaszt von seiner Ansicht über die Corruption der Stelle abzugehen. Dasz Tacitus etwa auch von einer Bitte um venia mit Be- ziehung auf sein Publicum im ganzen habe sprechen konneu, sei an sich nicht unmöglich: aber es sei erst noch zu erweisen, dasz ein sol- cher Gedanke gerade an unserer Stelle statthaft sei, an welcher wir im folgenden durchaus nur von der saevitia principis hören. Dazu wolle Tacitus hier überhaupt seine Zeitgenossen weit weniger anklagen , als wegen ihres gemeinsamen Geschickes beklagen. Dasz derselbe bei den Zeiten der Republik nur an das Verhältnis des Schriftst^lers zu dem ganzen Volk, bei der Erwähnung der Kaiserzeit dagegen an das Ver- hältnis zum princeps denke, könne als hinlänglich gerechtfertigt er^ scheinen» Von den sprachlichen Einwänden scheine ihm nur die Be- merkung über tarn von Gewicht: doch werde sich auch dieses vor den folgenden Adjectiven wol vertheidigen lassen. Oder solle man mit Rücksicht auf das vorausgehende adeo virtides - gignuntur etwa vor tarn eine Lücke ansetzen und ergänzen: iia quam non feeunda magnorum in.* genioruntj tarn saeva et infesia virtutibus tempora? üebrigens wie man

*) Vgl. im folgenden memoriam quoque ipsam . . perdidissenms usw.

602 Bericht üb. d. Verh. d. 18n Vers, deutscher Philologen osw. in VITiei^

auch über diese Worte denken mög#, so werde doch dadurch die Nö- Üiignng zur Ausstoszung des vorhergehenden mihi nicht widerlegt Auch habe keiner der aufgetretenen Redner das passende in der Anknüpfung der gleich folgenden Beispiele nachgewiesen, welche nothwendig an un- serer Stelle einen allgemeinen Gedanken in der oben bezeichneten Art erfordern. Dazu sei eine förmliche Bitte um venia hier um so weniger zu erwarten, da am Schlüsse derselbe Gedanke ohnebin schon ausge- sprochen sei {aut excusatus). Und noch imiucr vermöge er nicht abzu- sehen, wie man einem sorgföltigen Schriftsteller den zweifachen Gebrauch von nunc in so unmittelbarer Folge zutrauen könne. Der Bedner ver- wahrt sich endlich nochmals gegen den Vorwurf allzu groszer Kühn- heit: bei der Herstellung elfter überhaupt in Verwirrung gerathcnen Stelle könne es nicht darauf ankommen , die einzelnen Buchstaben der vorgeschlagenen Aenderung nachzuzählen.

Nach Beendigung dieser Discussion folgte noch der Vortrag des Prof. Dr L. Lange aus Prag ^über das zweite Stasimon in Sophokles' Kö^ tag Oedipus,^ Derselbe gieng von der Tbatsacbe aus, dasz nicht etwa, wie Schneidewiu gemeint habe, ein absichtliclies Helldunkel über diesen Chorgesang ausgebreitet sei, sondern vielmehr durch Corruptelen der Sinn des Dichters an einigen Stellen ganz und gar verdunkelt sei. In der ersten Strophe berichtigte er das kd^a der schlechteren Hand- schriften und des Schneidewin-Nauck' sehen Textes in den Dativ la^^r, auf den die Corruptel des Cod. Laur. A, Xccd'Qai unverkennbar hinweist. Liest man lof^cr, so wird nicht allein der menschliche Ursprung der vofioi viplnodsg geleugnet, sondern zugleich die menschliche Ohnmacht gegenüber denselben stark betont, da nun gesagt wird dasz die sterb- liche Menschennatur jene Gesetze nicht in Vergessenheit versenken kann. Auszerdem erklärte sich L, gegen die attributive Verbindung von fuiyag und d'eog im Sinne von numen divinitm und schlug vor p^iyag praedicativ zu d£o'$ zu construieren, so dasz die Macht des Gottes gegen- über der Ohnmacht der Menschen durch zwei Praedieate, ein positives- p>tyciQ und ein negatives ovdh yrjqda'Keij nachdrücklich hervorgehoben werde.

In der Antistrophe stellte er rücksichtlich der Anfangsworte vßQig ffVTSvsi xvqavvov die Behauptung auf, dasz der Dichter im Gegensatz gegen die vom Chore begehrte iva^nxog dyvs^a die vßqig mit ihren Folgen schildern wolle und durch den Ausdruck tv^awov zunächst nur den Uebertreter und Verächter der Gesetze bezeichne; dasz aber So- phokles gerade den Ausdruck zvqavvov absichtlich wähle, damit, wenn auch der Chor dabei nur an lokaste denke, die Zuhörer, welche weiter sähen als der Chor und durch die Scenc zwischen Oedipus und Tiresias bereits über die Schuld des Oedipus aufgeklärt seien, die Anwendbarkeit dieses Satzes vßq^g tpvzBvsi zvqavvov auch auf Oedipus wahrnehmen sollten. Weiter entwickelte er dasz, wenn zvquvvog mit Absicht ge- wählt sei, auch im folgenden vom zvQctvvog die Rede sein müsse, und schlug zu dem Knde vor das Komma hinter dem nach Art einer Ana- phora voranffostellten^vjS^&ff zu streichen und für das apostrophierte slcavaßäa' (das auf vßqig bezogen wird) itaavaßdg (vom zvQccvvog zu verstehen) zu schreiben, eine Aenderung, die durch die handschriftliche Tradition und namentlich durch die Scholieu bestätigt wird. Die me- trischen Mängel der beiden Verse dnQOzdzav sCaavaßdg \ dnozoiiov nQOvaiv Big dvdynav beseitigte er dadurch, dasz er mit Erfurdt a%q6'- xaxov, mit Nauck anozfiov vorschlug, die Lücke vor letzterem Worte aber nicht durch alnog (Arndt) oder änqav (Nauck), sondern durch dx^dg ergänzte. Hierbei zeigte er dasz dTigozazov d%[tdg der ange- messenste Ausdruck für eine schwindelnde Höhe sei, die man nur er- reiche, um sofort wieder hinabzustürzen, und dasz der ganze Satz vom

Bericht ab. d. Verh. d. 18n Vers, deiif scher Philologen oswriii Wieii. 603

Sturze des Tyrannen nicht blos im Sinne des Chores anf lokaste, son- dern auch im Sinne des Dichters und der Zuschauer auf Oedipns passe. Er benutzte dabei den späteren nach dem Sturze des Oedipus vom Chore ^ vorgetragenen Gesang v. 1186, der eben jenen Gedanken,, den der Chor früher als allgemeine Sentenz mit Hinblick auf lokaste ausgesprochen hatte, auf Oedipus selbst anwendet. In der darauf folgenden Bitte des Chores erklärte der vortragend^ das Wort ndlcciaficc, das noch keine befriedigende Erkläi*ung gefunden habe, für corrupt und schlug vor dafür vöfiiofia zu schreiben, so dasz der Chor im Gegensatz gegen die vßgig und den von ihr erzeugten xvQavvog um die Aufrechterhaltung der vofioi vtJf^noSsg bitten wüi'de, die er in der Strophe gewünscht hatte stets beobachten zu können.

Die Interpretation des zweiten Strophenpaares konnte L. nicht aus- führlich entwickeln. Er rouste sich begnügen, die Textesveränderungen und die neuen Erklärungsweisen kurz anzudeuten. Die Gedanken des zweiten Strophenpaares schlieszen sich eng an den Schlusz des ersten an. Wie dort der Chor um Aufrechterhaltung der Gesetze bittet, so bittet er hier um Bestrafung des Uebertreters der Gesetze, d. h. also gleichfalls um Wahrung des Ansehens der Gesetze. Dieser Gedanke ist in Form einer Verwünschung ausgesprochen, die mit dem Worte jjitdaff * endigt, hinter welchem ein Punkt zu setzen ist. Der dann folgende dreigliederige Satz mit sl ist nicht etwa eine zweite Protasis zu der Verwünschung wie ihn die Herausgeber auffassen, sondern der Vorder- satz zu der Frage rtg iti not' usw. Aus dem Umstände, das2 un- mittelbar vorher der Gesetzesübertretcr verwünscht ist und dasz die den Nachsatz bildende Frage auf jeden Fall eine Aeuszerung des Unwillens enthält, ist zu schlieszen dasz der Gedanke jener dreigliederigen Prota- sis der sei: 'wenn er (der Gesetzesübertreter) nicht bestraft wird.' Die- sen Gedanken bietet das erste Glied augenscheinlich, sobald man es mit Triclinius ironisch faszt : ' wenn er nicht seinen gebürenden Lohn nach Hecht erhält' ; das zweite Glied bietet ihn eben so deutlich, sobald man ^Q^stai passiv auffaszt: 'und wenn er nicht von unfrommen Handlungen abgehalten werden wird' (natürlich durch Strafe) ; das dritte Glied bietet ihn gleichfalls, nur darf man (lara^ojv nicht durch impie sondern dureh frustra erklären (ftara«/): 'oder wenn er nicht das unantastbare um- sonst antasten wird', d. i. 'oder wenn er nicht bei der Antastung des unantastbaren scheitern wird.' Die den Nachsatz bildende Frage ist corrupt, da ^Q^srai erweislich Glossem ist und nach Beseitigung des« selben ein Verbum finitum fehlt, welches in dem gleichfalls verdächtigen ^v(i(S gesucht werden musz. Welches Verbum finitum darin stecke er- gibt der Sinn der jene Frage erläuternden Frage: ft ya(f at roiaidi TCQcc^fig Tifiiaiy rC Set (is xoQSvstv; denn da der Vordersatz in positiver Form den Gedanken des früheren dreigliederigen Vordersatzes wieder- holt, so musz auch der Nachslatz eine Variation des früheren Nach- satzes sein. Durch x^Qfvsiv wird man aber auf den Begriff des Opfers geführt, das mit dem Chorreigen verbunden war, und so wird der Ge- dHnke sein müssen: 'wenn der Frevler nicht bestraft wird*, wer wird dann noch opfern?' Dafür spricht auch der Gedankengang der zweiten' Antistrophe, die Schluszbitte daselbst und die Motivierung derselben. Demnach sei zu schreiben: rCg hi not' iv zotad- aviiq \ d^cti ßeli^ ipvxag aftvveiv; 'wer wird noch unter solchen Umständen opfern, die göttliche Strafe von seinem Leben abzuwehren?' BiXri ist der geeignete Ausdruck für göttliche Strafe, insofern darunter nach dem Sprachge- brauche der Tragiker, insbesondere auch des Sophokles, die strafenden Blitze des Zeus zu verstehen sind. Der Gedankengang der^ zweiten Strophe ist also folgender : ' wenn jemand frevelt gegen die v6(ioi vipi- nodsg, so ergreife ihn das Verhängnis. (Denn) wenn er nicht bestraft

604 Bericht fib. d. Verh. d. 18n Vors. deutsclier Philologen aiw. in Wie«.

wird, wer wird dann noch, um die Strafe von sieh abznwehrcn, den Gfötlefn opfern? Denn wenn nolclie Frevel geehrt sind, wozu soll ich (der Chor) Chorreigen tanzen?'

Wie nun durch diese beiden unwilligen Fragen der Verfall der Opfer und der damit verbundenen Festlichkeiten im Falle der Niehtbegtrafnng des Frevlers (und der damit eintretenden Lockerung des Ansehens der voiioi vilfiTtodsg) in Aussicht gestellt wird , so stellt der Chor in der eweiten Antistrophe den Verfall der Mantik, der anderen Seite des Wechsel Verhältnisses zwischen Göttern und Menschen, das auf Opfern von Seiten der Menschen und auf Offenbarung von Seiten der Götter beruht, in Aussicht. Demnach musz auch die Protasis (t firj zddt %h- QodfiTtva I Ttaoiv agfioasi ßQoroCg den Sinn haben, 'wenn diese Frevel nicht bestraft werden.' Diesen Sinn hat die Protasis wirklich , sobald man ;i;f&^odftxra praedicativ zu ocguoaei versteht im Sinne von: 'als mit Fingern gewiesene Beispiele' (natürlich göttlicher Strafe). Eine Be- richtigung verdient auszerdem noch die Motivierung der Schluszbitte: ip^Lvovxa yäg Acctov ^eacpoct* i^aigovaiv jjdrj. Denn diese Worte ent- flprechen weder mit ncclatd, das übrigens als Glossem zu beseitigen ist, noch ohne dasselbe dem Metrum der Strophe in der vom vortragenden festgestellten Form: rig m not' iv xotad' dvvjQ | ^vofi ßslrj "iffvx^^ ^fivvs.y. Die in der Antistrophe fehlende Silbe vor &eü(para glaubte derselbe nicht sowol durch den Artikel rd als vielmehr durch die Ne- gation ov ergänzen zu sollen, welche wegen der Schluszsilbe von Aatov leicht ausfallen konnte. Natürlich ist, wenn man ov einschiebt, der mit yuQ eingeleitete Satz als eine unwillige Frage aufzufassen und demge- mäsz hinter •qdri ein Fragezeichen zu setzen.

Es war dem Uedner nicht möfiflich anzuführen, wie die Frage : 'wer wird noch opfern?' ferner die Drohung: 'ich werde nicht mehr die Orakel ehren', endlich die Motivierung der Schluszbitte: 'warum mis- »chtet man nicht bereits die Laischen Orakel?' cinerpeits vollkommen passend und dem Gange der Tragoedie angemessen im Sinne des Chores «nf lokaste passen, anderseits eben so gut auch auf Oedipus anwendbar seien, der, wie aufmerksame Zuschauer wol wissen konnten, sowol Opfer als Orakel vernachlässigt und nicht mit der geburendcn Achtung be- liandelt hatte.

Die Discussion fand am folgenden Tag statt. Dr Schmalfeld erklärte dnsz er vipiTtodt-g , dessen Dichtigkeit L. vorausgcsetst habe, für falsch halte des Metrums wegen, dasz er den mit Bezug auf vßgtg in V. 874 gebrauchten Ausdruck Anaphora nicht recht verstehe, dasz er den Sinn einer gefahrvollen Ilölie, den L. durch dyiQOzcczov da^dg aus* zudrücken suche, darin nicht finde, sondern lieber alnotdxav dngav lesen wolle, und dasz er nicht sicher sei , ob die Scholien die vorgeschlagene Lesart slaavtxßdg wirklich bestätigen. Reg.-Rath Firnhaber erkannte die eonservative Kritik an, die L. in Bezug auf die erste Strophe geübt habe, billigte namentlich das vorgeschlagene Xdd'oc^ konnte sich jedoch mit dem Heere von Conjecturen nicht befreunden, zu denen die Anti- strophe Veranlassung gegeben habe. Er meinte femer mit Kücksicht auf die von L. angenommene Zweideutigkeit der Worte des Chores auf lokasto einerseits und auf Oedipus andererseits, dasz man von der Orandidee der Tragoedie und des Chorgesanges ausgehen müsse and dasz es ihm nicht gewagt dünke anzunehmen, dasz der Chor die Worte wissentlich mit Bezug auf Oedipus gebrauche, nicht unwissentlich wie L. angenommen habe. Prof. Ilaase gieng von dem Gedanken aus, dasB unser Chorgesang ein wichtiges Document sei für den Zusammen- hang des bürgerlichen mit dem religiösen Leben, des mensclilichen mit dem göttlichen Kechte, dasz daher die Annahme einer politischen Ten- denz unseres Chorgesanges und einer Besiehnng desselben auf SSeit-

Benoblüb.d. Verb.d. ISnVers. deulsciier Philologen dsw.tnWMi. 603

ereignisse sehr nahe lie<^e. Schneidewin habe solche politische Angpie- langen, die man allerdings nicht überall suchen dürfe, nur deshalb ver- worfen, weil er politische Tendenzen und Anspielungen in -der Tragoedie für iinpoetisch gehalten habe. Nun könne der Chor offenbar nicht wis> sentlich den Oedipns meinen, weil er diesen noch später für unschuldig halte; auch könne Sophokles nicht eine solche Zweideutigkeit eintreten lassen, wie L. angenommen habe; also halte er noch immer die Ansicht Musgrave^s fest, dasz der Chorgesang mit Beziehung auf das übermütige frevelhafte Betragen des Alcibiades gedichtet worden sei. Namentlich weisen darauf hin die Ausdrücke rvgavvog, diürjg «(poßrjxog, das vom bürgerlichen Rechte zu verstehen sei wegen dccifiovcov ^^rj csßcav^ das im G^egensatze dazu auf das göttliche Recht hinweise, ferner z^^a, so- dann die Ausdrücke iv toiadf, «f zoiaids ngd^fig, rdSs j^Fipddfiitr«, die Buf etwas vor den Augen der Athener vorgefallenes zu beziehen am nächsten liege; endlich sei auch itdlaiaiicc Xveai in diesem Zusammen- hange unverdächtig, da es der technische Ausdruck für das auseinander- bringen zweier Ringer sei, und der Chor eben darum bitte, der Gott mogo das dem Staate heilsame ringen der sich im Staate gegenüber- stehenden Parteien nicht auflieben. Besonders klar werde die Beziehung des Chorgesangos auf Alcibiades, wenn man die Schilderungen des An- docides, Thucydides und Plutarch von dem gewaltigen ringen des Staa- tes IcHc , in welches derselbe durch Alcibiades versetzt sei. Uebrigens verstehe es sich von selbst dasz man, wenn der Chorgesang auf Alcibia- des zu beziehen sei, annehmen mü^se, Sophokles selbst oder ein an- derer habe ihn für eine zweite Aufführung des Oedipus Tyrannos in der Zeit des Alcibiades gedichtet und an die Stelle des bei der ersten Aufführung dort gesungenen für uns verlorenen Liedes gesetzt. Prof. Bonitz machte geltend dasz die Deutung, die L. dem Worte TVQccvvog gebe, diejenigen Bedenken nicht beseitige, die er früher gegen Schneidewins Auffassung dieses Wortes geäuszert habe, indem auch L. eine Zweideutigkeit bei diesem Worte bestehen lasse. Auszerdem glaube er nicht dasz (i€Y<xg praedicativ gefaszt werden könne, weil bei aller Freiheit der tragischen Dichter im Gebrauch und Nichtgebrauch des Artikels es schwerlich statthaft sei iv rovxoig &s6g für 6 iv Tovvotq ^sog zd sagen.

Prof. Lange vertheidigte den Vers vipinoSsg ovQVLviccv durch Hin- weisung auf ganz ähnliche bei Euripides vorkommetide Verse und klärte das Misverständnis in Bezug auf den von vßgig gebrauchten Ausdruck Anaphora dadurch auf, dasz er darauf hinwies, wie er nicht gesagt habe vßgig sei eine Anaphora, sondern nur, es sei na'ch Art einer Ana- phora vorangestellt. Genauer gesprochen verhalte es sich mit der Wie- derholung von vßgig ebenso wie mit der von ^hov in der Schluszzeile derselben Antistrophe. Gegen den von Regiefungsrath Firnhaber in Betreff der Textesconstitution der ersten Antistrophe gebrauchten Aus- druck *Heer von Conjecturen' müsse er protestieren, da er, abgesehen von der Ergänzung der Lücke, nur einen Buchstaben {(OfKg&totxov für dyLQOzaTciv) geändert habe. Die Ergänzung einer Lücke sei immer mis- lich , er habe in dieser Beziehung vor allem auf die Uneulänglichkeit von ccinog und aitgav aufmerksam machen wollen und halte auch jetst noch daran fest, d&sr. der Begi'iff dufid dem Gedankenzusammenhange angemessener sei. Er brachte dafür einen (von Plutarch erwähnten) Ansspruch des Hippokrates bei, in dem gesagt werde dasz td eoifiavcc TCQOfXd'ovrce fisXQ'' ''^VS ^^9^9 d^ifi-qg ov% ierrjnfv dlXtc fhtsi %ai tot* XccvrB-vetai ngog xovvavtlov (Plut. qu. symp. 6,7, 5). Natürlich sei (YX^f/ ein relativer Begriff, und wie er in dem Ausdrucke des Hippo* krates den höchsten Grad körperlicher Blüte oder Reife bezeichne, so t)ezeichne er an unserer Stelle den höchsten Grad dessen wovon die

606 Bericht Ob. d. Verb. d. ]8n Vers, deatschcr Philologen usw. in Wien.

Rede set, nemlich der rvgavv^g, stets aber bezeichne es den hSchtten Grad mit dem Nebenbegriife der Qefalir des Umschwnnges zum schlech- teren. Damit sei auch zugleich das Bedenken Schmal felds erledigt, welcher den Begriff ocTtfirj nicht für ausreichend gehalten habe , sondern den Begriff des gefahrvollen durch das Adjectivnm ainotäxTiv habe hineinbringen wollen, eine Conjcctur, die im Vergleich mit den von ihm selbst vorgeschlagenen Aend^rnngen viel zu kühn sei. Der Einwurf von Prof. Bonitz, dasz man nicht sagen könne iv tovroig d'sog für 6 iv tovtoig dsog, besnhe auf einem Misverständnis , denn er habe nicht behauptet dasz iv romoig ^eog, sondern nur dasz ^tog Subject sei; iv zovTOig gehöre zu fiiyocg, ähnlich wie an der Stelle des Oedipos Tyrannos (v. 651), wo es von Kreon heisze vvv r' iv Sonoi i^iytev xarcr^deffat, was den Ausdruck voraussetze Kgicav iv ognm fkfyag icxCv, Der andere Einwurf von Prof. Bonitz, die Doppelsinnigkeit des Aus- druckes xvqavvog betreffend, führe ihn zur Bestreitung der gegnerischen Auffassungen der Tendenz des Gegensatzes im ganzen. Viele« würde in dieser Hinsicht den Opponenten klarer geworden sein, wenn sie die Ausführung der Interpretation des zweiten Strophenpaares gehört hütten. Da die Zeit nicht erlaube dieselbe nachträglich mitzutheUen, so wolle er nur bemerklich machen, dasz die von ihm angenommene Doppel- sinnigkeit des Wortes z-ügawog sehr weit verschieden sei von der Un- klarheit, in welcher Schneidewin das Wort xvgavvog gelassen habe nnd die von Prof. Bonitz allerdings mit Recht gerügt worden sei. To^oir. vog sei eben eift an sich zweifacher Auffassung fähiges Wort, werde von Oedipus selbst in dieser Tragoedie sowol im guten als im schlech- ten Sinne gebraucht, sei hier aber entschieden im schlechten Sinne ge- braucht und lasse daher an sich betrachtet sowol den Gedanken an lokaste wie an Oedipus zu. Im übrigen glaube er, die Annahme einer durchgängigen Doppelsinnigkeit des Chorgesanges in der Art, dass der Chor bei seinen Worten nur an lokaste denke, während die Worte anch auf Oedipus passeo, würde weniger auffällig erscheinen, wenn er sie auch in dem zweiten Strophenpaar näher hätte verdeutlichen können. Jedenfalls halte diese Ansicht die Mitte zwischen der Firnhabers and ITaases. Mit F im h aber anzunehmen, dasz der Chor selbst wissent- lich den Oedipus meine, sei unmöglich, weil der Chor noch später an die Unschuld des Oedipus glaube. Mit Haase aber anzunehmen, dasz die Worte weder auf lokaste noch auf Oedipns, sondern anf Alcibiades gehen, sei ein verzweifelter Ausweg, den man nur dann einschlagen dürfe, wenn es sich als völlig unm<)glicli erweise den Chorgesang ans dem Zusammenhange der Tragoedie heraus zn interpretieren. Die Mei- nung, dasz Sophokles unter den voaoi vip^nodfg die bürgerlichen Ge- setze verstehe und dasz diese mit dem göttlichen Rechte identisch seien,' sei unbegründet, da Sophokles auch sonst zwischen göttlichem nnd menschlichem Rechte unterscheide und die einzelnen Ausdrücke wie die Idee der Tragoedie dafür spreche, dasz hier nur von den vofioi Sygmtpoty den göttlichen ewigen Sittengesetzen, die Rede sei. Es werde dies na- mentlich durch den Anfang und den Schlusz des Chorgesanges bestätigt, die entschieden sich auf Religion und göttliches Recht nnd nicht anf menschliche Satzungen bezichen. Sei es nun hiernach von vom herein nicht wahrscheinlich , den Chorgesang auf Alcibiades als den Störer der Staatsrcgiemng zn deuten, so müsse diese Ansicht um so mehr zurück- gewiesen werden, da sich schwerlich alle Einzelnheiten des Gesanges unter dem Gesichtspunkte der Anspielung auf Alcibiades deuten Hessen, während gerade diejenigen Einzelheiten, die Haase für seine Ansicht geltend mache, mindestens eben so gut auf lokaste, beziehungsweise auf Oedipus anwendbar seien. Endlich sei es doch willkürlich eine Inter- pretation, die 9U der weiteren Annahme einer zweiten Aufführung» des

Bericht fib. d. Verh. d. 18n Vers, deutscher Philologen osw. in Wien. 607

Stückes mit theilweise verändertem Texte führe wovon anderwärts auch nicht das mindeste bekannt sei , einer Interpretation vorzu- ziehen, die darauf ausgehe den Chorgesang aus dem Zusammenhange der ganzen Tragoedie zu erklären und in ihm die Kunst des die tra-. gische Wirkung berechnenden Dichters nachzuweisen. Er halte also auch dieser Ansicht gegenüber an seiner Auffassung fest; er habe vor- nehmlich zeigen wollen, wie die Exegese sich freihalten müsse von dem Glauben an die Auctorität der überlieferten mitunter unbewie- senen Auffassungen , wie aber anderseits auch die Kj'itik sich binden müsse an eine das ganze wie das einzelne im Zusammenhange er- wägende Interpretation. Er hoffe dasz durch seinen Vortrag, sowie durch die über denselben entstandene Discussion die Berechtigung und der Nutzen eines solchen exegetisch -kritischen Verfahrens klar gewor- den sein werde.

Die dritte Sitzung, 28. September (Präsident: Prof. Dr P. Miklosich), ward durch einen Vortrag des Professor Dr K. Schenkl aus Innsbruck eröffnet, welcher in lateinischer Sprache die oft ange- regte Frage behandelte, ob der letzte Kömer Boethius ein Christ oder Heide gewesen sei. Nachdem er darauf hingewiesen, wie das ganze Mittelalter einstimmig den B. für einen Christen und einen Ver- theidiger des kathol. Glaubens gehalten, begann der Redner seine Er- örterung mit der Bemerkung, dasz die gewöhnlich dem B. zugeschrie- benen theologischen Schriften nicht als ein Beweis für das Christen- thum desselben dienen könnten. Denn wenn man bedenke, dasz die Ueberschriften dieser Bücher selbst in den wenigen Handschriften, die man bisher verglichen, nicht genau übereinstimmen, dasz sich laut den Katalogen einzelner Bibliotheken noch mehrere bisher unedierte thcol. Schriften imtcr dem Namen des B. vorfinden, dasz sich so manches in diesen Schriften enthaltene schwerlich auf B. beziehen läszt, dasz diese Bücher nirgends von den Zeitgenossen erwähnt werden, dasz endlich der Stil dieser Bücher nicht mit dem der echten Werke übereinstimmt, so müsse man billig zweifeln, ob diese Schriften wirklich dem B. an- gehören, wenn gleich nicht geleugnet werden soll, dasz sie in seine Zeit zu setzen seien. Dagegen stehe. das Christenthnm des B. durch andere sichere Beweise wol auszer allem Zweifel. Das sicherste Zeugnis sei das des Ennodias, Bischofs von Pftvia, welcher in seiner Schrift Parat' nesis didascalica da, wo er den christlichen Jünglingen diejenigen Män- ner jy erführt , welche ihnen als Vorbilder im wissenschaftlichen Streben und christlichen Leben dienen können , unter vielen anderen , die sich als treue Söhne der Kirche bewiesen, auch den B. nennt. Wenn man ferner die Briefe betrachte, welche Ennodius und Cassiodorns an B. geschrieben, so könne man ihrem Inhalte und ihrem Tone nach gewis nicht annehmen, dasz sie an einen Heiden geschrieben seien. Dazu komme dasz B. der Familie der Anicier angehörte, welche sich schon durch eine lange Keihe von Jahren als treue Anhänger des Christen- thums bewiesen, dasz der Vater des B. sowie er selbst und seine Söhne die höchsten Würden im Staate bekleidet, zu einer Zeit wo kein Heide mehr dergleichen Stellen erlangt hat und die Formeln, durch welche den Magistraten die Würden ertheilt wurden, durchaus ein christliches Gepräge trugen, dasz endlich B. der Schwiegersohn des Sjmmachus war, dessen christliches Bekenntnis über allen Zweifel erhaben sei, wie denn auch damals Ehen zwischen Heiden und Christen durch Kirchen- und Staatsgesetze verboten waren. Sodann bespricht der Redner in längerer Auseinandersetzung denjenigen Punkt, der hier die grösten Schwierig- keiten bereitet, nemlich das Werk de consolatione philosophiae^ welches B. kurz vor seinem Tode geschrieben und das, wie jetzt wol allgemein anerkannt ist, nicht die Grundsätze einer christlichen Philosophie, son-

iV. Jahrb. f. Phil. u. Paed. Vd LXXVIII. Hft 12. 42

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dem die eines besonders auf dem Neopltitonismns bernhcnden Eklekti- cismus enthält. Boethias habe es sich zur Aufgabe gestellt, das Stu- dinm der Philosophie, welches zu seiner Zeit tief gesunken war, wieder zu heben und deshalb den groszartigen Plan gefaszt, alle Schriften des Aristoteles und Piaton ins Lateinische zu übersetzen und durch Com- mentare zu erklären. Mit diesen Studien stehe nun das obengenannte Buch im innigsten Zusammenhange, das einerseits ein Vermächtnis dei B. an alle diejenigen bilden sollte, welche an seinen Bestrebungen Aa- theil genommen hatten, auf dasz sie den hohen Werth des Studiums der Philosophie erkannten, andererseits zur Rechtfertigung dieses Stu- diums und seiner selbst gegen die frechen Beschuldigungen der Magie dienen sollte, welche man eben dieser Studien wegen gegen ihn erhoben hatte. Indem nun B. im Angesichte des Todes über diejenigen Dinge philosophierte , deren Erkenntnis für den Mensehen von der grötten Wichtigkeit ist, und sich über alles irdische erhob, habe er dies Stu- dium und sich selbst glänzend gerechtfertigt und so den SchlusEstehi seinem wirken aufgesetzt. Dasz übrigens niemand an diesen Studien des B. etwas auszusetzen fand, ersehe mau ans den groszen Lobsprfi- chen, die ihm alle Zeitgenossen, besonders aber Ennodius ertheileq. Endlich könne man auch aus einzelnen Citaten uiid Anspielungen, die in diesen Büchern vorkommen, erkennen, dasz sie nur von einem Chri- sten geschrieben sein können. Am Schlüsse weist der Verfasser durch eine genaue Erörterung der damaligen politischen und religiösen Ver- hältnisse nach, dasz die Meinung des Mittelalters, B. sei für den Glau- ben gestorben, insofern berechtigt sei, als in dieser Zeit die religiösen und politischen Verhältnisse so eng mit einander verschlungen sind, dass es unmöglich ist dieselben irgendwie von einander zu trennen.

Director Eckstein entgegnete in lateinischer Sprache, dasz die Beweise des Prof. Schenkl die Sache wol als wahrscheinlich aber nicht als vollkommen gewis erscheinen lieszen. Geh.-Rath Brügge- mann bemerkte, dasz er für seine Person wol glaube B, habe dem christlichen Bekenntnisse angehört , die endgiltige Lösung der Frage aber Ton einem umfassenden Studium der Geschichte dieser Zeit erwarte. Auszerdem bemerkte noch Prof. Haaso, dasz die Verhältnisse dieser Zeiten sehr verwickelt seien und dasz nicht selten bei den Männern derselben eine gewisse Unklarheit, ein hin- und herschwanken sieh offenbare, welches eine endgiltige Entscheidung erschwere. Man müsse daher genau und reiflich erwägen, ehe man etwas feststelle. Professor Schenkl sagte hierauf den betreffenden Herren seinen Dank für ihre Bemerkungen und erklärte, dasz er vor dem Drucke die einzelnen Be- weise nochmals prüfen, wenn etwas fehlen sollte es hinzufügen und so hoffentlich wol die Sache auszer allen Zweifel setzen werde.

Prof. Dr Leop. Schmidt aus Bonn besprach in einem Vortrage (aber die Lysianische Rede im Platonischen Phaednts) die in neuerer Zeit vielfach erörterte Frage, ob die in dem Platonischen Phaedrus als Lysia- nisch mit^ctheilte erste Rede über die Liebe , der sogenannte Erotikos, so wie sie vorliegt von Lysias herriihre und von Plato nur als Beispiel der verkehrten zeitgenössischen Beredtsamkeit aufgenommen sei oder ob letzterer sie vielmehr für die Zwecke des Dialogs frei gebildet und dabei die Weise des berühmten attischen Redners nachzuahmen gesucht habe. Nach Abweisung zweier unhaltbaren und in der That längst aufgegebe- nen Versuche, die Frage in vermittelndem oder ausweichendem Sinne zu beantworten, macht er darauf aufmerksam, dasz in voller Ueberein^ Stimmung mit der Zeit, in welche das Gespräch verlegt werde, Lysias iu dem Erotikos jedenfalls noch in seiner Jugendmanier befangen auf- trete, während dieser zugleich manche charakteristische Dinge mit dem Stil und der Ausdruckswcise der erhaltenen Ljsianischen Reden gemein

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hmbe , wie der vcrstorbcno HUnisch in einer 1827 erschienenen Preis- Behrift nachgewiesen. Allein eben dieser Umstand kann anf den ersten Blick doppelt gedeutet werden: Hänisch 8cU)st hat daraus die Schlusz- folgorung gezogen, dasz anch jener von Lysias herrühre; dagegen haben Stallbatim und K. F. Hermann in der getreuen Wiedergabe Lysianischer Stileigenthümlichkeiten vielmehr ein Merkmal der vollendeten Nachah- mnngskunst Plato's gefanden. Die Meinung der beiden letztgenannten MAnner scheint die gegenwärtig allgemeinere zu sein; der vortragende ist entgegengesetzter Ansicht und glaubt sie näher motivieren zu müssen. Zuvörderst glaubt er dasz die Stimme des Alterthnms, welches den £ro- iikos für ein Werk des Lysias erklärte, für uns von nicht geringem Gewichte sein müsse, da die alten Kritiker viele Mittel der Kenntnis Tor ans voraus hatten. Namentlich gilt dies von dem grösten Bewun- derer und allem Anscheine nach auch grösten Kenner des Lysias unter den Griechen, Dionysios von Halikamass, der auch den Erotikos nicht etwa blos der Kürze halber vom Standpunkt des Dialogs aus als Lysia- , niieh bezeichnet, indem er den Plato selbst, nicht den Sokrates, als Be- kämpfer des Redners nennt. Wenn aber gegen den Lysianischon Ur- sprung dos P>otikos deshalb ein Einwand erhoben wird, weil derselbe unter die Briefe des Lysias gesetzt wurde und littcrarisch aufbewahrte Briefe aus der klassischen Zeit dos griechischen Alterthums gewöhnlich unecht sind, so ist dies ohne Bedeutung, da die sogenannten Briefe des Lysias mit donon anderer Schriftsteller und namentlich Redner gar nicht in dine Kategorie gestellt werden können. Demnach könnten nur zwin- gende innere Gründe uns bewegen, von den alten Kritikern abzuweichen. Die Gewohnheit Plato's, den bei ihm auftretenden Personen selbster- fandene Reden in den Mund zu legen und dabei Ton und Charakter der jedesmal darzustellenden nachzubilden, kann nicht angezogen werden, da er hier einen mit seiner Persönlichkeit unter den Zeitgenossen wenig hervortretenden Schriftsteller zum Gegenstande seines Angriffs macht, bei dem zugleich die nngcnügende Form der Darstellung ein viel wich*- tigercs Moment war als sonst. Der Erotikos aber verhält sich zu den erhaltenen Schriften des Lysias keineswegs wie eine geistreiche Nach- bildung zu ihrem Originale, sondern wie das frühere Prodnct eines SArift- stcllers zu späteren; denn er stimmt mit ihnen in einer Anzahl von sprach- lichen (Gewöhnungen über^in, wie sie jedem Autor unverlierbar ankleben, nicht in dem geistigen Habitus, und darum ist die Uebereinstimmung nur dem zergliedernden Grammatiker, nicht dem unbefangenen Leser erkennbar. So ahmt Plato nicht nach. Wol aber gewinnt man für alles eine ungezwungene Erklärung , wenn man den Erotikos für ein wirk- liches Erzeugnis der früheren Lebensepoche des Lysias hält, das seine ungestümen Verehrer bei dem wachsen seines Rufes hervorzogen: auf diese Weise ist Plato's Angriff noch mehr gegen diese gedankenlosen Verehrer als gegen den Meister gerichtet.

Nach Beendigung des Vortrags nimmt Prof. Vahlen ans Wien das Wort, nicht sowol um den Inhalt des Vortrags zu bestreiten, als nm einiges hinzuzufügen. Er weist namentlich auf drei Punkte hin. Erstens die Lysianische Rede im Phaedrus sei nicht blos von ihrer rhetorischen Seite zu betrachten, sondern auch in Betreff ihres ethisch niedrigen Ge- haltes. Zweitens anf die Zeugnisse der Alten über den Lysianischon Ursprung sei nicht so groszes Gewicht zn legen, da dieselben oft nicht auf bestimmter Ueberlieferung beruhten, sondern nnr auf Schlüssen aus Plato selbst. Dagegen verdienten drittens einige einzelne Züge in der Platonischen Darstellung Beachtung, welche deutlich Plato*8 Absicht be- wiesen, die Autorschaft des Lysias anszer Zweifel zn setzen.

Prof. Schmidt dankt dem ebengenannten für die Ergänzung, die derselbe zn dem Vortrage gegeben: wenn er ihm gewissermaszen Unvoll-

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strindigkeit vorgeworfen, so sei diese UDvollständigkeit eine beabsich- tigte nnd dem vortragenden wol bewuste. Kr habe nur diejenigen seiner Meinung nach zur Erhärtung der aufgestellten Thesis völl^ ausreichen- den Beweismomente hier beibringen wollen, welche sich in einer allge- meinen Darlegung ohne eingehen auf einzelne platonische Stellen mit- theilen lieszen. Nur auf zwei von Prof. Vahlen berührte Punkte will er noch kurz zurückkommen. Das eine ist die Autorität des Dionysios von Hai., welche er nicht umhin kann als eine in der vorliegenden Frage gewichtige anzusehen , da Dionysios vollständiger als sonst jemand im Alterthum die Thätigkeit des Ljsias in ihren Verzweigungen übersah; das andere der Grundgedanke des Phaedrus. Er hat auf diesen als controvers nicht weiter eingehen wollen, möchte aber den von ihm ge- brauchten Worten nicht die Auslegung gegeben sehen als bewege sich der Dialog blos um die Gegenüberstellung wahrer und falscher Rhetorik ; vielmehr sei der verbindende Begriff desselben die Seelenleitong.

Zuletzt hält Prof. A. W. Zumpt aus Berlin einen Vortrag über den Ursprung der tnbunicischen Gewalt der römischen Kaiser, V^ann Augustus nnd die nachfolgenden Kaiser die tribunicische Gewalt angenommen ha* ben, ist vielfach von den bedeutendsten Gelehrten erörtert worden; auch über die Befugnisse, welche dieselbe gewährte, ist gesprochen worden: der Ursprung ist bis jetzt unberücksichtigt geblieben und doch bietet derselbe einige Schwierigkeit dar. Es wurde ausgegangen von Tacitns Annal. III 56, wo die Erfindung der tribunicischen Gewalt dem Aagnstns zugeschrieben wird. Damit steht scheinbar im Widerspruch Dio's (42, 20) Bericht, der schon dem Dictator Caesar im J. 48 v. Chr. die tribuni- cische Gewalt zuschreibt. Derselbe erzählt ferner, dasz auch im J. 49 V. Chr. Caesar die tribunicische Gewalt erhalten habe (44, 5); dann von Augustus, dasz sie ihm zu drei verschiedenen Malen gegeben worden sei, im J. 36 v. Chr. (49, 15), 30 v. Chr. (51, 19) und endlich 23 v. Chr. (53, 2), von welchem Jahre an bekanntlich Augustus die Jahre sei- ner tribunicischen Gewalt zählte. Irgend eines dieser bestimmten, zum Theil durch andere Autoren unterstützten Zeugnisse zu verwerfen wird nicht möglich sein, eine Vereinigung aber nur dann thunlich, wenn man ein allmähliches entstehen der tribunicischen- Gewalt, wie die Kaiser sie besaszen, annimmt. Diese allmähliche Entstehung stimmt auch voll- kommen mit der Natur der Sache überein, und dasz die tribunicische Gewalt der Kaiser eine ganz andere, eine viel höhere war als die, welche die einzelnen Tribunen früher gehabt hatten, ist unzweifelhaft. Nach diesen Principien wurde die Entwicklung der tribunicischen Gewalt von dem Zeitpunkte an, wo Caesar zuerst sie erhielt, bis zum Jahre 23, wo sie der Inbegriff der kaiserlichen Macht wurde, gegeben und die all- mähliche Erweiterung derselben auf die genaue Interpretation der be- treffenden Stellen Dio^s begründet. Caesar erhielt zuerst die Gewalt, wie die Volkstribunen selbst sie hatten, aber auf Lebenslang: später wurde sie ihm in Bezug auf die Unverletzlichkeit erweitert. Augustus erhielt zuerst die schon für Caesar erweiterte tribunicische Gewalt auf Lebenslang: sie wurde für ihn vergröszert erstens durch besondere Be- fugnisse, die er als oberster Richter des Reiches erhielt, zweitens da- durch, dasz ihm die Initiative der Gesetzgebung zugesprochen wurde. Jetzt erst enthielt die tribunicische Gewalt alle jene Befugnisse, die wir später in ihr finden und die Augustus vollkommen berechtigten sie gleich- sam zum Symbol der kaiserlichen Majestät zu erheben.

Der Vortrag des Prof. Zumpt, dessen Skizze wir im obigen nach der gefälligen Mittheilung des Um Verf.- gegeben haben, konnte, da die für die Sitzung anberaumte Zeit bereits verflossen war, nicht zu Ende geführt werden; ebenso konnten einige andere der Versammlung an- getragenen (so von Dr Schmalfeld in Eisleben über die angeblichen

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politischen Beziehungen in den sophokleischen Tragoedien, von Prof. Krensor in Köln üb(>r homerische Kritik und über einen nothwendigen Fortifchritt der Philologie, von Prof. Dr Boller in Wien über die Be- siehungen zwischen Iran und Turan) nicht zur Ausführung kommen.

Zum Schlüsse nahm der Prilsident das Wort: 'H. V.! Die Zeit WiBeres Zusammenseins ist zu Endo und die Stunde des Abschieds naht heran. Unsere verehrten Gäste werden sich nach allen Achtungen zer- streuen und wir wünschen von ganzer Seele , dasz sie uns ein frcund- liehes Andenken bewahren. Wir, die zurückbleibenden, werden dieser wenigen Tage immer gedenken als einer nicht nur fröhlich sondern auch nfitzlich hingebrachten Zeit ; denn die vielfache Anregung, die wir Ihnen Terdanken , wird, so hoffen wir, für Wissenschaft und Unterricht nicht rerloren gehen. Empfangen Sie dafür unseren wärmsten Dank. Wir hoffen dasz die hier angeknüpfte Verbindung keine vorübergehende, sondern eine bleibende sein wird. Wir alle geben uns den Hoffiinngen hin, die gestern von einem hochgestellten, gewis von uns allen hoch- rerehrten Mann ausgesprochen worden. Von dem immer steigenden Interesse, welches sich an Fragen des öffentlichen Unterrichtes in allen seinen Stufen in allen Kreisen knüpft, haben Sie sich selbst überzeugt. Der Empfang, welcher der Versammlung zu Theil geworden, gibt davon Zeugnis. Ich halte es für meine Pflicht hier öffentlich auszusprechen, dasc ich in allen diese Versammlung betreffenden Angelegenheiten bei allen, ohne irgend eine Ausnahme, die gröste Bereitwilligkeit gefunden habe; die dabei gemachten Erfahrungen sind meinem Herzen auch des- wegen theucr, weil sich dabei der Charakter meiner Landsleute im schönsten Lichte gezeigt hat. Die höchsten Behörden des Staates und des kaiserlichen Hofes und die Commune Wiens, ihren allgemein ver- ehrten Bürgermeister an der Spitze, haben mit einander gewettcifort, um Ihnen, meine hochverehrten Herren, einen Empfang zu bereiten, der würdig sei solcher Gäste und einer Hegiening, welche die Wissenschaft und ihre Vertreter ehrt, einer Regierung die da weisz, dasz wissen Macht igt. Vor allem aber sei der Tribut unseres ehrfurchtsvollsten Dankes dargebracht Seiner Majestät unserem allergnädigsten Kaiser und Httrm. Aüerhöchstdie selben haben nicht nur zu gestatten geruht, dasz die Ver- sammlung in dieser Jlaupt- und Kesidenzstadt zusammenkomme, sondern aneh alles angeordnet, was derselben förderlich sein könnte. Es ist dies Ausflusz der Ueberzeugung unseres Kaisers, dasz jeder wahre Fortschritt rom Unterricht ausgeht. Möge es unserem erhabenen Herscher vergönnt sein auch die reife Frucht des Samens zu sehen, der im ersten De- eennium Allerhöchstseiner glorreichen Regierung gestreut worden, und m5g^ einst der jüngste Sprosse seines erlauchten Hauses , dessen Ge- burt vor kurzem von Millionen mit Jubel begrüszt worden, einst über ein Oesterreich horschen, in allen Theilen blühend durch Kunst und Wissenschaft.'

Nachdom sodann Geh.-Rath Wiese ans Berlin im Namen der ver- sammelten dankend erwidert hatte, erklärte der Präsident die 18e Versammlung deutscher Philologen, Schulmänner und Orientalisten für gesehlossen.

Für die Verhandlnngcn der paedagogischen Soction wa- ren folgende Thesen gestellt: I) In der Erziehung ist der rechte Idealis- mus zugleich der einzig rechte Realismus. Dr Franz Schmalfeld. II) Von den Schriften Piatons eignen sieh zur Lcctürc auf der ober- sten Stufe des Gymnasiums : 'die Apologie des Sokrates, Kriton, Laches, Protagoras, Gorgias', zulässig sind 'Enthyphron und Mencxenus'; von den übrigen platonischen Schriften ist keine zur Gymnasial-Lectüre ge- eignet. H. Bonitz. III) A) Die Odyssee ist vor der Ilias zu lesen. B) Abkürzungen (Epitomao) altklassischer Werke eignen sich nicht für

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den Schulgebraucb. C) Ausgaben altklassischer Werke mit zweckmäszi- geu Anmerkungen eignen sich mehr für die Schulen als blosze Textes- ausgaben. D) Die Leetüre des Sophokles sollte füglich nicht gepflogen werden an Anstalten, wo nicht wenigstens täglich eine Stunde der- grie- chischen Sprache gewidmet wird. Dr Anton Göbel. IV) A) Ist die alte und mittelliochdeutsohe Sprache und Litteratur an den Gymna- sien beizubeh^en oder nicht? Wenn in der jetzigen armen Form, so lieber nicht; wenn beizubehalten, so ist sie auszudehnen 1) auf eine gründlich durchdachte und deswegen möglichst einfache und über- sichtliche Grammatik; 2) auf ein reiches Lesebuch, bestehend aus Stücken, die nicht etwa der Sprachforschung dienen, sondern für die litterarisch- humanistischen Zwecke geeignet sind; in denen namentlich auf die alten österreichischen Dichter Rücksicht zu nehmen wlire, als nebst den Nibelungen auf den trefflichen Walter v. der Vogelweide, Seifried Helb- ling, Peter Suchenwirth, Oswald von Wolkenstein usw. bis Behaim von den Wienern herab. Nur durch eine so reiche Auswahl, die dem Lehrer auf mehrere Jahre Abwechslung des Stoffes böte und selbst den Schüler zur Privatlectüre anreizte, liesze sich diesem Untcrriehtszweige aufhelfen,

B) Sowol im Lateinischen als Griechischen ist der bisherige Grundsatz festzuhalten, möglichst ganze Autoren oder doch ganze Werke der- selben zu behandeln; aber neben diesen wären reiche Chrestomathien aus dem reichen geistigen Leben dieser Völker zu bieten. Die Auswahl aus Dichtern sowol als Prosaisten böte sich den kundigen leicht dar. Gestehen wir nur dasz die Beschränkung auf wenige Autoren, die man selbst wieder auf Exccrpte rcduciert hat, den Schülern den Gesichts- kreis der alten Litteratur gewaltig verengt, ich möchte sagen verschliesst.

C) Ein besonderer Gegenstand der Besprechung wäre die Frage: ist von Piaton auszer den Stücken ^Eriton und Apologie' und 'eine zum Lebens- ende des Sokrates gehörende Auswahl aus Phaedon' in den Mittel- schulen noch irgend ein anderer Dialog ganz zu lesen und zu inter- pretieren? oder sin(^ Chrestomathien aus seinen übrigen Werken allein zweckmäszig, Auszüge, in denen blos die huma^stischen Zwecke dieser Schulen , die Erfindung der Eingänge , die Feinheit in Gedanken nnd Ausdruck berücksichtigt werden? Der Einsender behauptet einfach die Unzukömmlichkeit der Aufnahme ganzer platonischer Gespräche in die Lesungen der Mittelschulen aus zwei Gründen: 1) wegen der eigen- thümlichen von unseren Begfriffen und ihren Ausdrücken so verschiede- nen philosophische^ Terminologie; 2) wegen der zerschnittenen Frage- form des platonischen Sokrates, welche Form, für philosophische Dle- cutierungen oder Begründungen passend, aber für unsere Darstellongs- weise (sage man was man wolle), dann für unsere humanistischen Zwecke, endlich für das Alter unserer Schüler einförmig, ermüdend, labyrinthisch, den Gedankengang ewig zerstreuend ist. D) Als eine förmliche Lücke in unserem humanistischen Unterrichte bezeichnet der Einsender dieses den Mangel eines gediegenen Lehrbuches über Stilistik und glaubt auf die Abfassung und Einführung eines solchen dringen zu miissen. Nemlich an die im Untergjmnasium geendigte Sprachlehre schlieszt sieh eng die Lehre über die allgemeinen Eigenschaften der Schrift- und Sprachwerke, ihre Tugenden und Fehler. Von -da ist in der 7n und 8n Klasse der Uebergang zur Behandlung der streng ästhetischen Be- griffe des schönen, erhabenen, tragischen, komischen, humoristischen, dee Witzes und Scharfsinnes in Gedanken und im Ausdrucke. Alles mit gründlicher Unterscheidung der Begriffe und einem reichen Vorrath an Beispielen. E) Wir bedürfen ein Lesebnch über griechische und römische Litteraturgeschichte und über die Schriftsteller, auf welches bei Behandlung der einzelnen Autoren zu verweisen ist, über Antiqui- täten «US dem völkergeschichtliohen Standpunkte, .über die

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Mythen, von wohor sie eingeführt worden, welche Veränderungen sie und ihre Hedoutiint^ erfahren haben? F) Ich finde dasz der prosaische Theil unserer Lesebücher durch die bisherige Natur der Sache sehr mangelhaft ist und durch Aufnahme gediegener Stücke und Ueber- setzungen aus Werken des Auslandes ergänzt werden musz. Theo- dor Mayer, Gymn.-Dir. V) Das prüfen der einzelnen Schüler im Laufe des Unterrichts hat einen doppelten Zweck, und zwar zuerst und vorzüglich für die Gesamtheit der Schüler den Unterrichtsstoff darch die Wiederholung desselben in unmittelbarem Verkehre mit den Schülern nach Bedürfnis zu ergänzen , fasziicher und anschaulicher za machen; den zweiten, sich zugleich von den Fähigkeiten der einzelnen Schüler zu überzeugen und auch individuell nach Bedürfnis auf sie ein- wirken und schlieszlich ihre Leistungen beurteilen zu können. Die Uich- UgBtcIlung dieses doppelten Zweckes gibt zum Theil die Richtschnur an für das Verfahren des Lehrers beim Unterrichte selbst, vorzugsweise aber für die Methode welche beim prüfen, d. h. bei der prüfenden Wie- derkolnng des Lehrstoffes befolgt werden soll, und für die thätigo Theil- oahmo des Lehrers dabei. Die entgegengesetzte Auffassung des ge- nannten Zweckes gefährdet den scientifischen und den moralischen Zweck des ganzen Unterrichts. Dr Alois Capellmann. VI) Dem ge- deihen des gesamten Lateinunterrichtes sind lateinische Sprechübungen von wesentlichem Nutzen. Diese Uebungen sind methodisch zu leiten, und zwar haben sie sich auf den unteren Stufen des Gymnasiums vor- nehmlich auf memorieren von klassischen Sentenzen , Stellen und kleineren Lesestücken zu beschränken; auf den mittleren Stufen hat reprodncieren der vorher genau erklärten Abschnitte der Klassiker hinzuzutreten; auf den oberen Stufen endlich soll der Inhalt der fprachlich und sachlich interpretierten Lesestücke aus lateinischen nnd griechischen Klassikern in freier lateinischer Rede wiedergegeben wer- den, und an solche Inhaltsangaben können sich bei geeignetem StofTo lateinische Discussionen über Gedankengang und Form der betreffenden Abschnitte anschlieszen. Lateinische Interpretationen der Klas- siker sind auch auf den obersten Stufen nur mit groszer Vorsicht an- zuwenden und lateinische U ebersetz ungen griechischer Le- sestücke in der Kegel auf die leichteren Prosaiker zu beschränken. In den Lehrer-Seminaricn ist auf lateinische Interpretations- und Dispu- tierübungen ein besonderes Gewicht zu legen. Franz Hoch egger. TU) Nachdem bereits in drei Versammlungen der Philologen und Schul- männer Deutschlands , zu Jena 1846 , zu Berlin 1850 und zu Altenburg 1854, die Beibehaltung der freien lateinischen Arbeiten beschlossen nnd in Bezug auf die Methode derselben in der letzten auch einige Andeu- tungen und Winke gegeben worden, erlaubt sich der unterzeichnete der Versammlung folgende, jene Andeutungen näher erläuternde Sätze zur Besprechung vorzuschlagen: 1) Die Uebungen in den freien lateinischen Arbeiten müssen auszer der allgemeinen Grundlage des gesamten Unter- richts in dieser Sprache noch eine besondere Basis in der Anleitung zum Lateinisch-Denken erhalten. 2) Hierzu führt nicht das übertragen ans dem Deutschen ins Lateinische allein (am wenigsten wenn dazu Stücke aus modernen deutschen Schriftstellern zu Grunde gelegt werden), auch nicht die blosze Leetüre an und für sich , sondern die Benützung derselben zum Lateinsprechen in der Atl dasz gelesene Stücke, nament- lich ciceronianischo, die für sich ein ganzes ausmachen, sowol in rhe- torischer als sprachlicher Hinsicht mit den Schülern lateinisch so weit durchgesprochen werden, dasz sie von denselben formell und materiell ganz zu eigen gemacht werden können. 3) Auf dieser Basis ^ sind dann jene Uebungen in gewissen Stufen [Reproduction , Amplifica- tion, Imitation (im engeren Sinne)] bis zum völlig freien latoi-

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nischen Aufsätze fortzuführen. Flock, Oberlehrer, am Gymnasium zu Coblenz.

Erste Sitzung, 25. September. Präsident: Prof. Bonitz. Es werden nach dem Vorschlage des Präsidenten durch Abstimmung zur Verhandlung bestimmt: II (mit Einschlusz von IV C), III C, IV D und E, VI (mit Einschlusz von VII), und da die von Hrn Hochogger aufgestellte Thesis für diese Sitzung noch nicht gedruckt vorlag, in der Abfolge: II, VI, III C, IV D und E.

Darauf nimmt der Vorsitzende das Wort, um die von ihm ge- stellte Thesis (II) zu begründen: Discussionen über didaktische Gegen- stände werden häufig sowul für die thätigen Theilnehmer derselben als für das etwa blos zuhörende oder lesende Publikum dadurch ermüdend, dasz zu einer Verständigung man deshalb nicht kommen kann, weil über die Gesichtspunkte selbst, von denen aus die Frage zu entscheiden ist, nicht Einheit und Klarheit besteht; der einzige Gewinn von derlei Dis- cussionen ist oft nur, dasz sich eben jene Unsicherheit über die Prin- cipicn deutlich herausstellt. In den vorliegenden Worten hoffe icl^ eine solche Thesis aufgestellt zu haben, für welche die entscheidenden Prin- cipien schwerlich Gegenstand erheblicher Verschiedenheit der Ansichten sein können, so dasz bei Gemeinsamkeit der Ausgangspunkte eine An- näherung an Entscheidung möglich sein wird^ andernseits berührt meine Thesis mittelbar Punkte in der noch bestehenden Schulpraxis der Platon- lectüre, denen ich nicht beistimmen kann. Es sei mir also erlaubt die Gesichtspunkte, von denen die Auswahl der Schriften Piatons ausgehen musz, in Kürze darzulegen. Zwei Gesichtspunkte erscheinen mir von entscheidender Wichtigkeit zu sein. Erstens man darf nicht zur Leetüre solche Schriften Piatons wählen, die für den Gedankenkreis und die Bildungsstufe der Schüler noch nicht zugänglich sind; zweitens man hat solche Schriften Piatons zu wählen , durch welche die Hochachtung, in der Piatons Name durch Jahrtausende sich erhalten hat, wirklich in der leseuden Jugend begründet wird. Es versteht sich neben diesem, daQS jener Spruch von der vcrecundia, die der Jugend gebüre, bei der Aus- wahl zur Leetüre aus Piaton ebenso gilt wie bei ^en anderen Schrift- stellern.

Erwägen wir nun weiter, was aus diesen Gesichtspunkten, über deren Giltigkeit schwerlich ein erheblicher Zweifel erhoben werden dürfte, folgt. Zunächst jener erste Grundsatz: zugänglich und ver- ständlich für die Bildungsstufe der Schüler in den oberen Klassen müs- sen die Dialoge sein, die man zur Leetüre wählt. Daraus folgt dasz solche Dialoge, in denen die Piaton eigenthümliche und ihn charakteri- sierende Lehre dargestellt ist, Dialoge, die nur durch die Einsicht in diese verständlich werden, von dem Gymnasium ausgeschlossen bleiben müssen. Ich sage: die dem Piaton eigenthümliche Lehre. Es steht durch die Nachrichten des Aristoteles fest, dasz das unterscheidende der platonischen Lehre von der sokratischen Weise des philosophierens darin liegt, dasz für Piaton die allgemeinen Begriffe eben als solche zugleich unbedingt real sind. In welche unlösbaren Schwierigkeiten, in welche Inconsequenzen eine solche Hypothese dann verwickelt, wenn von die- sem aufsteigen zu den höchsten Allgemeinbegriffen zurückgekehrt wer- den soll zur Erklärung des wirklichen, kann mehr als ein Dialog Piatons genügend zeigen. Gewis kann «lan es nun nicht als Aufgabe des Gym- nasialunterrichtes betrachten, er solle den Versuch anstellen dasz sich die Schüler in jenen Zustand des denkens lebhaft versetzen, in welchem das erstaunen, die Bewunderung des logischen Allgemeinbegriffes so grosz war, dasz er als solcher sogleich für ein Svtag ov erklärt wurde, also der Begriff einer Zahl, dvofg, xqidq ^ darum, weil er Object eines bestimmten erkennens ist, auch ein 6v sein müsse. Dialoge also, welche

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nur durch die vollständige Versetzung in das oigenÜiümlicho der plato- niBcbeu Lehre vcrstäudlich werden, sind von der Gymnasiallectüre aus- Boschlleszen. Mag es immerhin sein, dasz in einem wolUgeleitotcn philo- sophisch-propaedeutischen Unterricht das eigenthümlicho der platoni- schen Lehre eine Bedeutung für die Auffassung der Logik erhält; aber man kann unmöglich die Wirksamkeit eines groszen Theiles des grie- chischen Unterrichtes davon abhängig machen, dasz gerade ein ausge- seichneter Erfolg des philosophisch - propaedeutischen; Unterrichts das Verständnis der dargebotenen Lectiire ermöglicht habe.

Anderseits soll die Leetüre platonischer Dialoge wirklich die Ach- tung begründen, welche der geistigen und sittlichen Grösze Piatons ge- bürt. Daraus wird für eine Auswahl zweierlei sich ergeben: erstens es können nur ganze Dialoge gelesen werden. Ein groszer Theil der eigentbümlichen Kunst platonischer Composition liegt in dem innern Zusammenhang jedes einzelnen Dialogs, so dasz dieser sich als ein wohlgegliedertes in sich vollendetes ganzes erkennen und auffassen läszt. Es heiszt der schriftstellerischen Bedeutung l'Iatons das beste, es heiszt ihr die Blüte cntreiszen, wenn man wagt den Schülern, die Piaton zuerst kennen lernen sollen, platonische Dialoge zu zerbröckeln. Merklich anders ist das Verhältnis bei einem Geschichtscbreiber ; hier ist es viel eher möglich eine einzelne Partie hervorzuheben und durch blosse Erzählung des Zusammenhangs zu ergänzen; ja selbst bei der Form der Abhandlung wird der Eindruck auf den lesenden nicht in dem Grade vom lesen des ganzen abhängen, wie bei jener eigenthünilichen Konstforro, welche von niemand anderem in d e r Meisterschaft beherscht ist wie von Piaton. Dialoge also, die man nicht ganz lesen kann, lese man gar nicht; es tindet sich dessen, was sich unverkürzt lesen läszt und was durch die Auffassung des ganzen einen bedeutenden Eindruck macht, genug, um nicht ein solches Surrogat nöthig zu machen. Zwei- tens ergibt sich aus diesem Grundsatze die Ausschliesznng solcher Dia- loge, deren platonischer Ursprung bestritten wird , und zwar hauptsäch- lieh ans dem Grunde bestritten wird, weil man in diesen Dialogen die ▼ollständige Kraft platonischen Charakters, die Tiefe der Gedanken, die ▼ollendete Kunst Piatons nicht erkennt oder nicht zu erkennen glaubt. Die Frage , ob die Anzweifelung berechtigt ist oder nicht , ist bei der Frage über die Auswahl eine vollkommen gleichgiltige. Es ist ganz einerlei, ob der Ion wirklich von Piaton geschrieben ist oder nicht, ob Hipp. mai. unecht ist oder Hipp, min., da beide zu.^lcich sich nicht füg- lich für echt halten lassen, oder ob beide unecht sind; denn was an diesen Dialogen die Gründe zu Zweifeln darbietet, das sind ja eben die Gründe, um dcrenwillen sie sich nicht eignen, dasz der Schüler aus ihnen zuerst ein Bild Piatons bekomme; dies Bild wäre gewis nicht das richtige. Ganz anders, wer schon Piaton ans der Gesamtheit seiner übrigen Werke kennt; für diesen ist es möglich, entweder selbst in früheren Versuchen Piaton wieder zu erkennen oder zu entscheiden, dasz sie nicht l'latons Werke sind.

Endlich jener allgemeine Satz über die verecnndia, welcher un- sittliches aus der Leetüre unbedingt auszuschlieszen befiehlt, würde bei einem Schriftsteller von solchem Adel des Geistes und Charak- ters, wie er Platou auszeichnet, kaum erheblich in Betracht kommen. Lides der sittliche Adel und die sittliche Reinheit auch Piatons trägt das Gk)präge griechischer Anschauungsweise, und nach einer Seite hin zeigt sich eine schreiende Differenz; eine grosze sittliche Verirmng wird manchmal nur schonend behandelt, manchmal erhält sie selbst eine Darstellung, die, so idealisierend sie auch sein mag, doch durch die Lebendigkeit der Farben und Glut der Darstellung zur Jugend- lectüre sich nicht eignet. Dialoge Piatons, welche in der augedeuteten

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Beziehung zu Bedenken Anlasz geben, sind von der SchollectUro anbe- dingt anszuschlicszen.

Sammicren Wir nun, was aus den allgemein dargelegten drei Grund- sätzen sich im einzelnen ergibt. Nach dem ersten müssen von der Gymnasiallectüre ausgeschlossen bleiben nicht blos Theaet. , Krat., Polit., Soph., Farm., Phileb., Rcp., Tim., Legg. , sondern ebenso auch Phaedrus, Symposion und der in den Gymnasien nach meiner lieber- Zeugung zum Nachtheil des Interesses an griechischer Lectüre weit ver- breitete rhacdou^)) von dem es nicht möglich ist irgend einen Anfang des Verständnisses zu gewinnen, ohne das genaueste eingehen iu das schwierigste, ja zum Theil überhaupt kaum entwirrbare Gebiet der pla- tonischen Philosophie. Durch den zweiten Gesichtspunkt würden jene kleineren Dialoge entfernt, wie AIcibiados, Hippias I a. II, Ion« Von dem dritten Gesichtspunkt wäre nur etwa Gebrauch zu machen bei Dia- logen wie Charmides, Lysis, Symposion, Phaedrus. Die beiden letzten fallen schon aus einem andern Grunde, nemlich wegen der Schwierig- keit des Inhalts, auszerhalb des Bereiches der Gymnasiallectüre. Dasz der gleiche Grund in Wahrheit auch für den Charmides gilt, dürfte sicli aas einem eigenthümlichen Vorgänge in der Erklärung dieses Dialogs seit Schleiermacher crschlieszen lassen. Wenn im Charmides auf die imarijfiri iniati^firjg in einer täuschenden Weise hingeführt wird, so hat eine Bemerkung Schleiermachers über die Wichtigkeit dieses Gedankens dazu geführt, dasz von ihm an bei allen Erklärern Piatons und plato- nischer Schriften ausnahmslos dieser Gedanke als ein wichtiger Punkt in der platonischen Lehre vorkommt**). Zu meinem erstaunen ist man in dieser Ansicht nicht irre geworden durch die seltsame Erscheinung, dasz dieser wichtige Gedanke nicht nur in weiter keiner eiuzigen Stolle sonst bei Piaton ausgesprochen wird, sondern überall das gerade Gegen- theil, nemlich dasz für ini,at7Ju,r} und hnCazac^u^ ein anderer Gegen- stand gar nicht denkbar sei als ov\ von einem solchen sich in sich spiegeln des donkens ist vor der aristotelischen Philosophie nicht die Rede. Dieser eigenthüralicho Vorgang in der Erklärung dos Charmides darf wol als Symptom betrachtet werden von Schwierigkeiten, welche die Kräfte des Gyronasialschülers übersteigen. Beim Lysis wird die Zartheit des ganzen da, wo noch eine langsamere Leetüre unvermeid- lich ist, schwerlich den vollen Eindruck machen, sondern man wird mehr Anstosz nehmen an den langdauemden , wenigstens scheinbar sophisti- schen Erörterungen über die vielfache Bedeutung von tpClog , über die nicht zu voller Klarheit geführt zu werden scheint. Trotz des geringen Umfangs würde ich diese beiden Dialoge zu jenen rechnen, deren Schwie- rigkeit es nicht rathsam macht .sie im Gymnasium zu lesen, obgleich diese Schwierigkeit der vorher bezeichneten nicht gleichgeordnet wer- den könnte.

Hiedurch kommen wir zur Beschränkung auf diejenigen Werke, die ich in meiner Thosis als allein angemessen glaubte bezeichnen zu sollen. Gegen die Leetüre der Apologie und des Kriton hat sich nie eine Stimme erhoben, es ist also auch nicht nöthig jenes lebenswarme Bild von Sokrates ganzer Persönlichkeit oder jene Darstellung aus seineu letzten Lebcnntagen zur Loctüro zu empfehlen. Es zeigt sich immer das? diese Schriften, aufmerksam gelesen, ihres Eindrucks auf die Ja- gend nicht verfehlen. Protagoras ist durch seinen Inhalt den Schü- lern vollkommen zugänglich; es ftndet sich im Prot, schlechterdings keine Erörterung, die einen philosophischen oder philosophisch -historischen Unterricht als vorausgegangen erforderte. Die Discussionen bringen die

*) Später hat der Redner noch den Euthydemas und Menon nach- getragen. **) Vgl. Bonitz, plat. Stadien 8.53 Anm. 52.

Bcrioht üb. d. Verii. d. ]8n Vers, dentscher Philologen usw. in Wien« 617

gewöhnliclie Unbestimmtheit nnd Unklarheit in der Auffassang allge- mein üblicher Begriffe aus dem sittlichen Gebiete zur Evidenz. Die Öchöler der>itufc, auf welcher platonische Dialoge zur Leetüre kom- men, können sich hieran wol spiegeln; denn denjenigen Schlingen, in welche der Mitunterredner des Sokr. vereint, würden sie alle oder doch fast alle ebenfalls verfallen. Und während nichts im Prot, die Bildnngs- stnfe der Schüler übersteigt, ist es leicht möglich das Interesse während der Leetüre des gesamten lebensfrischen Dialogs zu bewahren, wenn man zu rechter Zeit die scharfe Gliedening des ganzen bemerklich macht. Das gleiche gilt von dem Inhalte und Gange des Gorgias. In einer einzigen Partie könnte man eine erheblichere Schwierigkeit finden , in jener nemlich, wo durch die begriffliche Unterscheidung von ijdtJ und dya^ov die wissenschaftliche Grundlegung zu den weiteren Folgerungen gewonnen wird. Indessen auch diese schwindet, sobald man sich aus dem Zusammenhange überzeugt , dasz Piaton hier ridv in der speciellen Bedeutung dos 'begehrten' gebraucht. Der Gorgias ist nicht schwie- riger als Protagoras, sondern nur umfangreicher, und daraus ergibt sich allerdings als Bedingung seiner Wahl zur Leetüre, dasz schon eine gröszere Leichtigkeit des lesens erworben und hinlängliche Zeit verwendbar sei.

Diese Dialogo haben das empfehlenswcrthe , dasz man aus ihnen einen wirklichen Eindruck des platonischen Charakters erhält. Jeder derselben führt uns zugleich durch Darlegung der Sophistik, Kritik der Rhetorik, ^ritik der Politik jener Zeit, zu den cultur- historisch wich- tigsten Erscheinungen jener Periode, und dies in einer Weise, dasz man Bwar auch nicht vor Schülern genöthigt sein wird, alles was Piaton sagt als unbedingten Ausdruck der Wahrheit hinzustellen, aber alles wol darlegen kann als Ausdruck eines sittlich - edlen Geistes, der die Erscheinungen seiner Zeit streng richtet.

Lesbar sind allerdings Enthyphron und Menexenus; aber der Menexenus gehört seinem gröszeren Theilo nach einer Litteraturgattung an, die man nicht durch die Lectüro platonischer Schriften vertreten sehen will, sondern für welcltc andere Leetüre vorhanden ist; und bei Euth. ist das misliche, dasz über einen äuszerst wichtigen Begriff, den der Frömmigkeit, Zweifel und Coilisionsfälle vorgebracht werden, ohne dasz sich aus dem ganzen ein hinlänglich deutlich bezeichneter Weg der Lösung ergeben will. Zwar ist im Euth. ein Weg der Lösung vor- handen, aber er ist bei weitem nicht in der Klarheit bezeichnet, wie in dem zur SchuUectüre von mir empfohlenen vorher nicht weiter charak- terisierten Laches. Soll aber ein Dialog von den Schülern mit In- teresse gelesen werden , so musz es ihren eigenen Kräften möglich sein aus den zerstreuten Fäden ein Gewebe wirklich zu gestalten ; ist es nöthig dasz der Lehrer ihnen erst dieses Kunststück vormache, wie die Lösung eines Käthsels, auf welche niemand von selbst verfallen wäre, so ist damit nicht mehr erreicht als durch ein Spiel des Scharfsinnes nnd des Witzes , das im Augenblick des zuhörens interessiert und dann vergessen wird ; dergleichen gehört nicht in die Schule.

Ans den zahlreichen Dialogen Piatons, für deren Leetüre .zu gewin- nen mir viel wünschenswerther ist als davon abzuhalten, kann ich dem- nach zur SchuUectüre doch nur jene fünf geeignet und die anderen bei- den zulässig aber nicht empfehlenswerth finden; ich habe mich in aus*- drücklichen Gegensatz gestellt gegen Phaedon. Die Vorliebe für Phaed, als SchuUectüre ist eine unleugbare Thatsache; man sehe buohhänd- lerischc Ausweise nach, welche Hefte von commentierten Ausgaben und leider noch mehr, welche Bändchen jener beliebten Verbindung des Tex- tes mit der Uebersetzung die meisten Auflagen erlebt haben , so wird man finden dasz an Gymnasien vorzugsweise käufig Phaedon gelesen

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wird. Man wird aas der letzten Thatsache zugleich sehen w i e er ge- lesen wird; denn am yerbreitetsten sind Verbindongen von Text nnd Uebersetznng. Diese grosze Zuneigung haben dem Phaedon zwei Um- stände erworben. Der eine verdient die yollste Anerkennung^, nemlieh am Anfang und Schlnsz des Phaedon finden sich über das Lebensende des 8okrates Erzählungen von einer erhabenen Weihe; diese wüstscht man in die Leetüre einzuführen. Diese Stellen sind jedoch yon so ge- ringem Umfang, übrigens solcher Leichtigkeit, dasz es zu verwundem wäre wenn man sie nicht lieber in die Chrestomathien aufnehmen sollte, die vor dem lesen eines zusammenhängenden Schriftstellers doch einmal nnentbehrlich sind. Zweitens ist der im Phaedon behandelte Gegenstand unverkennbar ein Anlasz seiner Bevorzugung für die Schulleotüre; die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele gibt Berührungspunkte mit dem Inhalte des christlichen Glaubens. Aber gerade dieses Moment sollte vielmehr zu ernstlichen Erwägungen und Bedenken Anlasz geben. Ein- mal ist es nicht richtig dasz im Phaedon von der Unsterblichkeit der Seele gehandelt werde, sondern von deren Ewigkeit; dasz die wesent- liche Verschiedenheit dieser platonischen Lehre von der christliehen ge- wöhnlich verwischt wird, ist der Einsicht nach beiden Seiten hin nicht förderlich. Ferner Piatons Beweise für seine Lehre beruhen ausschliesz- lieh auf der Annahme der Ideen und werden, ohne diese Voraussetzung, zu einem bloszen Gerede, das kaum auf Wahrscheinlichkeit Anspruch hätte. So wenig wie die irrige Identification jener platonischen Lehre mit der christlichen zu billigen ist, so wenig dürfte es empfehlenswerth sein auch nur zu dem Scheine Anlasz zu geben, als ob diese Lehre mit der Annahme der platonischen Ideen in irgend einem Zusammen- hange stehe. Das zweite also von den Momenten, welche dem Phaedon diese Verbreitung in der Schule verschafft haben, hätte vielmehr zu Be- denken Anlasz geben sollen. Aber abgesehen hieven ist Phaedon durch den früher bezeichneten Gesichtspunkt der Schwierigkeit von der Schul- lectüre ausgeschlossen. Denn es ist nicht nur alles, was in ihm über- haupt Beweiskraft hat, auf die Ideenlehre basiert, sondern es kommen noch speciell darin Discussionen vor, und zwar in ganz untrennbarer Verbindung mit dem übrigen, über die mislichste Partie der Ideenlehre, die Kelationsbegriffe, das grössere, das kleinere usw., Erörterungen, über die sehr viel scharfsinniges bereits geschrieben, aber wie mir scheint Klarheit noch nicht erreicht, vielleicht auch nicht erreichbar ist. Einen Dialog nun, in dem solche Erörterungen einen untrennbaren Theil bil- den, zur Leetüre den Schülern geben soll das heiszen, man will diesen Theil herausreiszen , obgleich er für Piaton nothwcndig war, oder will man ihn unverstanden lassen und entweder Langeweile hervorrufen oder die Meinung er sei verstanden? Zu solch halbem wissen darf der nicht rathen, der den platonischen und sokratischen Charakter achtet. Des- halb wünschte ich den Phaedon nicht auf den Lectionsverzeichnissen der Gymnasien zu sehen, denn ich bin jedesmal besorgt^ dasz der Lehrer das eigene Interesse an dem Gegenstande verwechselt mit dem Interesse, das er in Schülern wecken soll; höre man doch, in wel- cher Weise an die Leetüre solcher Dialoge in späteren Jahren zurück- gedacht wird.

Dies die Gründe meiner Auswahl; ea würde mir erwünscht sein, wenn gerade zur Vcrtheidigung des Phaedon, da hierin meine Ansicht einer verbreiteten Praxis entgegentritt, die etwa vorhandenen Gründe geltend gemacht würden.

Prof. Dr Beer aus Wien: ich bin praktischer Arzt, allein ans ganz besonderer Liebe fürs Griechische habe ich mir erlaubt der Dis- cussion beizuwohnen. Vollkommen einverstanden mit dem, was in Be- treff der verecondia bemerkt ist, glaube ich bezüglich der Thesis selbst

BmUki flb. d.Verh. d.lSnVers. denUcher Philologen osw.iBWiei. 619

unterscheiden zu müssen, welches Zweck man mit der Leetüre Piatons ▼erbindet. Wenn es sich darum handelt, der Jagend ein klares Bild der philosophischen Ansicht Tlatons beizubringen und man sie dazu für reif hült, so dürfte die Leetüre der vorgeschlagenen Dialoge nicht hin- reiehen. Wenn man dagegen das sprachliche und formelle des Piaton der Jugend an^s Heiz leg^n will, bin ich vollkommen einverstanden dass diese Dialoge hinreichen, der Jugend einen klaren Begriff von der Le- bendigkeit platonischer Sprache und Rundung seiner Form zu geben. Allein es g^bt ja auch einen dritten Zweck und nach meiner Ueber- leugnng einen Zweck, den man sehr im Auge behalten musz, nemlich es handelt sich ja auch darum , dasz man die Jünglinge auch auf das ■aehliehe, nicht philosophische aufmerksam mache, was sie für ihren künftigen Beruf aus Piaton benützen können. Für angehende Aerzte, denke ich, dürften einzelne Fragmente ans Timaeus sehr nützlich wer- den; für den, der sich den Rechten widmet, glaube ich dasz ganze Ka- pitel aus den Legg. , der Rcp. wichtig sind ; ebenso kommen in dieser einzelne selbst für Aerzte wichtige Stellen vor, die auf die Gymnastik der Griechen helles Licht werfen, und ich glaube dasz solche Stellen für die, welche sich diesem Fache widmen, von groszer Wichtigkeit sind. Die von dem Hm Vorsitzenden bezeichneten Schriften mögen vollkom- men, hinreichen, um von der Sprache und den formellen Gesichtspunkten Piatons der Jugend einen Begriff zu geben, aber nicht einverstanden bin ich, dasz keiner mehr für geeignet zur Schuilectüre erklärt wurde; denn es wäre wünschenswerth, dasz reiferen Jünglingen auch aus Legg« und Rep. jene Sachen ans Herz gelegt werden, die für ihren künftigen Beruf von groszem Einflusz sind. Uebrigens musz ich mich genau an- schlieszen an die vom Hrn Präs. ausgesprochene Ansicht rücksichtlich des Phaedon, weil ich als ehemaliger Erzieher erfahren habe, dasz man diesen sehr leicht misverstehen kann.

Prof. Schmalfeld aus Eisleben: was meine Erfahrungen von den ▼ou Hm Prof. Bonitz verlangten Dialogen betrifft, so musz ich bei- stimmen, musz aber erklären dasz Gorgias nicht für alle Schüler passe. Was den Phaedon betrifft, so sind meine Erfahrungen diese: ich habe zweimal versucht den Phaedon zu lesen, ein paar Schüler schienen ge- folgt zu sein; als -ich fertig war liesz ich den ganzen Gang des Dia- logs hersagen, was habe ich nun gehört? Nur meine eigenen Worte, gewis zum deutlichen Beweise dasz diese Primaner nichts verstanden, sondern blos receptiv sich verhalten hatten. Ich glaube dieser ans der Erfahrung geschöpfte Satz möchte wol verdienen hier ausge- sprochen zu werden, um der Thesis des Hm Prof. Bonitz noch die Bestätigung der Erfahrung hinzuzufügen. Was den zweiten Vorschlag angeht , bruchstUcks weise auch aus anderen Dialogen etwas zu lesen um künftigen Medicinern zu dienen, so ist erstlich zu sagen, dass das Gymnasium überhaupt nicht dazu da ist, um für bestimmte Be- mfsfääier eine bestimmte Vorbildung zu geben , zweitens aber alles, was bruchstücksweisc gelehrt wird, das ist meine Erfahrung, bleibt Brachstück, und am Ende nicht einmal das, es bleibt davon gar nichts übrig.

Dir. Benecke aus Elbing: indem ich mich einverstanden erkläre mit der Ansicht des Hrn Thesenstellers über die Auswahl der Dialoge, die für die Schule lesenswerth sind, ebenso auch Über die Gründe der Verwerfung der übrigen , glaube ich dagegen , dasz sich im allgemeinen nicht feststellen lasse, ob man den einen oder den anderen lesen könne oder nicht. Es kommen subjectivo Gründe in Betracht. Wenn man eine kleinere Prima hat, so tritt in verschiedenen Jahrgängen ein sehr groszer Wechsel ein; man wird mit einem Jahrgang einen Dialog lesen können, mit einem anderen nicht. Was insbesondere den Phaedon be-

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trifFt, möchte ich auch eine Erfahrunjg: mittheilen, die nicht in lieber- einstimmung steht mit dem, was Hr Prof. Bonitz sowol als der geehrte Hr Vorredner darüber g'esagt haben. Ich glanbe dasz, wenn man platonische Dialoge liest, nicht die Frage sein kann zn welchem Zwecke man sie liest sie müssen natürlich gelosen werden, am sie zum Verständnis zu bringen. Wenn dies geschehen soll, ist es unam- gänglich nöthig, auf den philosophischen Inhalt einzugehen. Ich habe mich, obgleich ich ähnliche Verwerfungen wie die des Hrn Prof, Bonitz öfter gehört habe und aus der eigenen Schulzeit mich erinnerte ihn nicht mit sonderlicher Erbauung gelesen zu haben, nicht abhalten lag- sen eine Probe zu machen, und habe gefunden dasz die Schüler wol Interesse für die Sache haben. Die Frage, die der Phaedon behandelt, interessiert die Schüler für sich, und dies ist vielleicht auch mit der Grund, weshalb der Phaedon zur Schullectüre besonders verwendet wird. Ich habe mich bemüht den Gedankengang und Zusammenhang fortwäh- rend zur Klarheit zu bringen und die Untersuchungen nicht erst am Ende zusammenfassen, sondern von Stunde zu Stunde darzulegen und festzuhalten, und habe gefunden dasz die l^chüler mit stetem Interesse gefolgt sind und dasz auch, wenn man von Schülern nicht mehr ver- langt als sie leisten können, also wenn man kein vollständiges Ver- ständnis Piatons von ihnen verlangt, die Schwierigkeiten zu heben sind. Ich habe selbst den Beweis zu geben gesucht, dasz die Schüler wol im Stande seien den ganzen Phaedon im Zusaipmenhang zu recapitulioren. Freilich musz ich bemerken, dasz ich nicht blos dabei stehen geblieben bin die Beweiiie, welche Piaton für die Ewigkeit der Seele gibt, zum Verständnis zu bringen, sondern ich habe mich eingelassen diese Be- weise zu prüfen, wie ich glaube dasz dieses stets geschehen musz, ich habe nicht gesehen dasz die Hochachtung vor Piaton wäre beeinträchtigt worden, weil, wenn die Schüler zur Kenntnis gelangen dasz die Be- weise Platoils unzureichend sind , sie auch zu der Kenntnis kommen dasz überhaupt diese Frage nicht Gegenstand eines philosophischen Wissens, sondern des religiösen Glaubens ist. Ich habe nicht gesehen dasz die Hochachtung vor Piaton wäre verkümmert worden, weil dieser Dialog wie manche andere stets als Kunstwerk den Schülern achtbar bleiben wird , und weil die Jugendfrische, mit der Piaton an die Unter- snchung der philosophischen Probleme geht, besonders geeignet scheint das philosophische Interesse auf eine der Jugend angemessene Weise zu erwecken.

G. R. Wiese ans Berlin: der Leetüre Piatons begegnet bei den Schülern gewöhnlich ein sehr groszes Interesse. Der Name 'platonische Ideenwelt', diese Bezeichnung, wobei Idee sehr leicht mit Ideal ver- wechselt wird, bereitet in der Jugend Erwartungen vor, als ob sie in ein Heiligthum höherer Erkenntnis eingeführt würden. Man kann nicht sagen, dasz dieser Erwartung ein Ertrag der Leetüre verhältnisroftszig entspricht. Das wird wol allgemeine Erfahrung sein. Das hat Ter- schicdene Gründe: vorweg den, dasz sehr häuüg die Schüler für die Leetüre Piatons nach ihrer speciellen Kenntnis nicht reif genug sind. Den Piaton zu lesen, müssen die elementaren Vorbedingungen alle vor- handen sein. 'Aber ich glaube es rührt auch noch von einem anderen Dinge her. Dasz man sich bestimmte Zwecke setzen sollte bei der Leetüre eines solchen Schriftstellers , braucht nicht erst bewiesen zu "werden , aber sie müssen recht deutlich erfaszt werden. Sie können sehr verschieden sein, Piaton soll den Schülern die Art des wahren philosophierens zeigen im Gegensatz zu der Afterphilosophie der Sophi- sten. Der Hr Vorsitzende hat diesen Gesichtspunkt ganz wahr berück- sichtigt, wenn er Prot. Gorg. Lach, nennt ich würde übrigens kein Bedenken tragen den Hipp. min. hinzuzufügen. Eine Beschränkung moss

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überall, so auch nach diesem Gesichtspankt auf Schulen, eintreten, man wird den Kratylus und Sophistes liicht lesen. Gcwis kommt es sehr auf die Generation der Schüler an; man kann Talenten füglich zumuten aaeh schwerere Dialoge durchzugehen, aber die sind selten und es gilt für einen Fehler nur mit den talentvollen Schülern sich zu beschilftigen. Die Lehrer sind freilich dazu geneigt, aber man soll die Beschränkung eich auferlegen sich immer mit der grüszeren Mehrzahl, welches die mittelmäszigen sein werden, zu beschäftigen. Ein anderer Gesichts- punkt ist, dasz die jungen Leute Kespect vor der Philosophie und In- teresse an philosophischen Dingen empfangen. Das kann die Schule in ihnen erregen Philosophie selbst zu lehren, dazu ist die Schule nicht der Ort dazu sage ich können diese Dialoge vortrefHich dienen. Es gibt aber noch einen anderen Gesichtspunkt. Bekanntlich tritt Piaton mit seiner Person ganz zurück und gibt alle Ehre seinem Lehrer Se- kretes, dessen Verherlichung , wie es scheint, eins der Hauptziele ist, die er mit seiner ganzen Thätigkeit anstrebt. Sie wissen dasz eine der wichtigsten Fragen die ist , ob die Tugend lehrbar ist. Kein einziger Dialog bringt sie zum Abschlusz, die Discussion schlieszt oft n|^t einem non, liquet. In der Rcp. kömmt sehr deutlich eine Lösung dieses Problc- mes vor: die Tugend ist nicht lehrbar wie eine Wissenschaft, die Tu- gend ist nur Ichrbar durch Tugend wenn sie persönlich erscheint und durch die hinreiszende Gewalt des persönlichen Lebens Liebe und da- dnrch den Trieb, dieselbe Bahn zu wandeln, sich ebenso der Wahrheit und ihrer Erforschung hinzugeben, in der empfänglichen Seele erweckt, und dabei zeigt er deutlich auf den hin, den er eben zum Mittelpunkt seiner philosophischen Erörterungen macht. Dieses ist ihm eine solche persönlich gewordene Erscheinung der Tugend, die persönlich gewordene ' Tugend. Aus solchen Giüuden ist es auszerordentlich wichtig die Dia- loge danach zu wählen, dasz der Jugend, die so viele Empfänglichkeit fiir alles persönliche hat, ein recht lebensvolles Bild von Sokrates ge- geben wird. Dazu reichen die kleineren Dialoge gar nicht aus, die können eher etwas ermüdendes haben. Ich glaube daher es ist nöthig, was Hr Dir. T h. Mayer unter III C sagt, zu Chrestomathien seine Zu- flucht zu nehmen. Ich weisz was sich gegen sie sagen läszt und bin kein Freund davon sie bis in die oberen Klassen fortzusetzen; wenn aber gesagt wurde, die Stellen des Phaedon über Sokrates sollten in den unteren Stufen gelesen werden, so scheint mir dieses verfrüht, dazu ist der Gegenstand viel zu wichtig um ihn in usum iironum zu verwen- den, sondern was sonst gelehrte Einleitungen, die in der That oft recht übel sind, thun, wäre da an der Stelle, wenn ein lebendiges Bild einer .solchen Persönlichkeit erzeugt werden soll. Dasz ein Auszug aus sol- chen Dialogen wie Phaedon der Sache Eintrag thue, kann ich nicht denken. Ich erinnere an das Buch von Ritter und Preller, das mit groszem Nutzen auf Gymnasien gebraucht worden ist; das sind auch Auszüge, wo die Probestücke zuletzt ein ganzes Bild geben. Es kömmt übrigens auch da auf das Geschick des Lehrers an. Es sollte der An* fang und Schlusz aus Phaedon herausgenommen werden, ich würde so- gar kein Bedenken tragen darein Züge ans dem Symposion einzuweben, damit es recht lebendig würde , da beide Dialoge als ganze allerdings keineswegs sich zur Leetüre eignen, hierin bin ich vollständig mit Hrn Prof. Bonitz einverstanden. Es ist bei Phaedon häufig eine gewisse Täuschung; die Schüler lieben es mit Sachen , die über ihren Horizont gehen, beschäftigt zu werden, und es ist nicht ohne weiteres zu ver- werfen, man zeigt die Schwierigkeit und reizt sie sich würdig zu machen durch vermehrte Anstrengung. Aber ich habe nicht im Sinne Bonitzens Gründe zu widerlegen, der Phaedon eignet sich nicht für die Schale. Meine Meinung also ist dasz diese Dialoge, für die Schule hinreichen.

622 Beridit fib. d. Verh. d. 18d Vers, dentochcr Philologren usw. ii Wie».

Der Ion ist so fein nnd für das jn^ndliche Gemüt dorchans nicht un- angemessen, dass ich ihn nicht entfernen möchte. Man mnsz doch dem Lehrer Ooncessionen für seine persönlichen Neigungen machen, insofern sie mit der Hauptaufgabe der Schule nicht in Widerspruch stehen. Dann aber solche Partien, in denen die Persönlichkeit des Sokrates klar heraus- tritt, wobei ich Stellen ans Phaedon und einigen anderen Dialogen Auf- nahme wünschte.

Prof. Hochegger aus Pavia bemerkt gegen das vom Vorredner gesagte : erstens glaube ich dasz ein vollständiges Bild des Sokrates aus solchen Bruchstücken sich unmöglich wird zusammensetzen lassen, die Bruchstücke werden immer nur zu kenntlich sein und die Fäden der Verbindung nicht leicht auffindbar. Zweitens können alle Punkte, die Piaton über das Leben des Sokrates yorbringt, nur insofern in ihrer wahren Bedeutung gefaszt werden, als sie in Bezug genommen werden zu dem genauen Gedankengang der Dialoge selbst; herausgerissen aus ihrem genauen Zusammenhang werden sie in ihrer Bedeutung beein- trächtigt; daher kann ich dem Vorschlage einer solchen Chrestomathie nicht Jastimmen und glaube, wenn man den Schülern eine Idee von platonischer Philosophie , nicht ein philosophisches System geben will, dasz wirklich die Beschränkung auf jene fünf Dialoge zweokmäszig ist.

G. R. Brüggemann aus Berlin: die erfreuliche Theilnahme an der Discussion dieser Thesis zeigt , dasz wir auf einem sehr interessan- ten Gebiete des praktischen Schullebens uns befinden. Piaton ist sprach- lich und inhaltlich zu bedeutend als dasz nicht jedes Gymnasium die Aufgabe hätte, seine Schüler einen Blick in ihn thun zu lassen. Mit den zwei Grundsätzen, die der Hr Präs. ausgesprochen, erkläre ich mich einverstanden, ferner dasz alle Dialoge auszuscheiden sind, welche die ▼erecundia in unserem Sinne verletzen. Nicht zugänglich sind daher für unsere Schulen Phaedr. Symp!, ebenso unzweifelhaft ist es dasz keine gelesen werden können, die in den Mittelpunkt platonischer Haupt- principien führen. Es wird keinem verständigen Schulmann einfallen Parm. Sopb. Theaet. zu lesen. Diejenigen Dialoge, die unzweifelhaft zunächst als anwendbar zu betrachten sind, hat der Hr Präsident nach seiner tiefen Kenntnis des Piaton als zweckmäszigste bezeichnet, Apol. Krit. , er hat den Euthyphron ajs zulässig bezeichnet; für den möchte ich auch das Wort reden. Ich theile die Bedenken vollständig. Wir wissen ja alle, dasz Euthyphron mit der Auflösung des Begriffes der Frömmigkeit sich beschäftigt nnd schlieszt ohne einzelne Merkmale an- zugeben; aber der ganze formale Gang des Dialogs ist so leicht und faszlich und ein so prägnantes Bild der sokratischen Dispntiermethode, dasz er formell sich ganz trefflich eignet; freilich müssen die Lücken ausgefüllt werden, das oaiov musz zum Verständnis kommen. Ich scheue aber nicht, je mehr die formale Gewalt und die ideale des Alter- thums den Schülern Hochachtung einflöszt, den Blick auf das Christen- thum zu lenken, und dazu bietet dieser Dialog die Anhaltspunkte, um zu zeigen dasz wir, wo der Begriff als das festzustellende aufhört, an- dere Mittel haben, diesen zu ergänzen und in seiner Tiefe darzustellen. Ich halte für ganz geeignet mit Kriton den Enthyphton zu verbinden, damit die Gesichtspunkte hervorgehoben werden, die in den ganzen Gang des sokratischen Lebens den Schülern den Zugang eröffnen. Prot, und Gorg. sind als zur Leetüre geeignet bezeichnet worden. Ich stimme bei was das Verständnis betrifft, spreche aber bei Prot, aus wieder- holten Erfahrungen. Mit dem gröstcn Interesse treten die Schüler ein in das Haus des Kallias, und das ngoatonov xriXavyBgj ^it dem es er- öffnet wird, fesselt die Jünglinge; auch die Interpretation des bekann- ten Gedichts erhöht ihre Aufmerksamkeit, aber sie sinkt bei der eigent- lichen dialektischen Partie, obgleich der Inhalt vollständig zngänglich ist.

Btrkbl ab. -d. Verb. d. 18n Vers, deutscher Pbilologen usw. in Wieii.«623

Ich will mich damit niclit ge^en die Leetüre des Prot, erklären, sondern liabe nur andeaten wollen was bei dem, was ich über Phaedon sagen möchte, in den Vordergrand tritt. Phaedon habe ich wiederholt ge- lesen, aber ich schene mich nicht das Bekenntnis ausznsprechen , dasz ich nie zufrieden gewesen bin. Es fehlte nicht au Theilnahme, nicht an Aufmerksamkeit , aber die Schwierigkeiten sind zu grosz , als dasz man selbst geförderte Primaner in das volle Verständnis des Gedanken- kreises einführen könnte. Macht jemand den Versuch, so wird er ganz andere Primaner vor sich zu haben glauben, sobald die letzten Mo- mente von Sokrates Tod eintreten. Nach diesen Erfahrungen kann auch ich mich nicht für Phaedon aussprechen. Wenn er dcmungeachtet 80 häufig gelesen wird, so hat der Hr Präs. das Hauptmotiv mit Recht hervorgehoben: unsere eigene Theilnahme, die Freude des erklärens, lassen uns auch die Theilnahme des Schülers erwarten. Wäre der mittlere Thcil zum Verständnis zu bringen, so würde ich bezüglich der Ewigkeit der Seele eben so wenig Scheu tragen wie bei Euthyphron, auch diesen Punkt den Schülern zum Bewustsein zu bringen, damit sie lernen welch wahrheitsvollcn Inhalt sie am Christenthum ha^n und mit welchem Resultate dieses dem Alterthume gegenüber dasteht. Uebrigens ist die Schulzeit so eng auch im zweijährigen Cursus der Prima, dasz, wenn die Dialoge Krit., Euth., Ap., Prot, gelesen werden, ▼ollständig der Kreis erschöpft ist, und sind diese verstanden, jeder Schüler mit Vergnügen aus der Schule scheidet, um nun in tiefere Hallen der Wissenschaft zu treten, die Piaton geboren ; und diese Liebe sn erwecken , dazu reichen diese Dialoge hin , und sie zu erwecken bleibt unsere Aufgabe.

Prof. Schenkl aus Innsbruck: wenn nach dem, was bereits gesagt worden ist, wir die Ansichten summieren und eine eigene Ansicht dazu fügen, so ist es die dasz sich die Leetüre Piatons auf die bezeichneten Dialoge beschränken musz. Jedoch möchte ich dabei aufmerksam ma- chen dasz Euth., wie der Vorredner bemerkt hat, von groszer Bedeutung f&r die Leetüre ist. Im Euthyphron ist der entscheidende Bruch mit dem Heidenthum geschehen, an vielen Stellen ist eine Bresche in das- selbe geschossen, so dasz eine Kluft geöffnet ist, die nimmer geschlossen werden kann. Wenn er nicht so formvollendet ist wie der Laches im ganzen kam er mir etwas roher vor wenn auch ein positives Restdtat wie im Lach'es sich nicht erkennen läszt, so sind doch einzelne Züge gegeben. Den Menexenus möchte ich nicht anempfehlen; er ist sehr kalt und die Sprache gegenüber Isokrates ungerundet; dabei bleibt noch die grosze chronologische Schwierigkeit. Unbedingt möchte ich den Phaedon nicht ausgeschlossen sehen. An unseren Gymnasien frei- lich fällt er weg; mit fünf griechischen Lehrstunden ist es unmöglich bis zum Verständnis desselben zu führen; hingegen an auswärtigen Gymnasien, wo die Stundenzahl für das Griechische gröszer, an kleine- ren Gymnasien eine geringere Schülerzahl ist , da möchte ich ihn nicht wegfallen lassen. Es ist richtig bemerkt worden, dasz für das christ- liche wii* eine Brücke haben müssen, und es gilt ganz gewis, dasz im Gegensatz zu den übrigen Philosophemen er ein ganz erfreuliches Gtegen- bild bildet; wenigstens ist das fortleben der Seele ausgesprochen und Schlieszt sich an den Gedanken einer Belohnung und Bestrafung. Das ist etwas, was ihn im ganzen Alterthum einzisr hinstellt; daher ich ihn nicht ausgeschlossen, aber die Schwierigkeiten wol ins Auge ge- faszt wünsche.

Präsident: es sei mir erlaubt, da niemand weiter das Wort be- gehrt hat, auf einige Punkte kurz zu entgegnen, namentlich solche, wo meine Aeuszerungen eine andere Auffassung erfahren haben. Was ich Über das Verhältnis zum christlichen Glauben und über Mangel haftig-

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keit des Inhaltefl zu Phaedon nnd Euthyphron bemerkte, ist von einem der geehrten Herren Vorredner pegen meine Absicht aafgefaszt worden. Nicht weil der Inhalt des Phaedon mangelhaft nnd ungenügend ist im Vergleich mit dem des christlichen Gianbens, nicht in diesem Sinne, sondern weil gar leicht der Schein einer viel näheren Verwandtschaft entsteht als sie wirklich vorhanden ist, dieses ist der Grand gewesen, warum ich, abgesehen von der philosophischen Schwierigkeit und, wie ich trotz der die Haupthindernisse nicht treffenden Entgegnungen noch überzeugt bin, von der philosophischen Unausftihrbarkeit der Leetüre, Bedenken hegte. Aehnlich heim Euthyphron; nicht weil die Auffassung des &so(piXeg und oaiov etwas ungenügendes ist denn das wäre nur der Einwand, der die klassische Litteratur überhaupt, Piaton aber am wenigsten träfe sondern weil die Form des Dialoges es viel weni- ger möglich macht dasz der Schüler aus eigener Kraft ihn verstehe, vielmehr die Nothwendigkeit gegeben ist, dasz der Lehrer ihn auf je- dem Schritt leite und an der Hand führe, dieses ist es weshalb ich ihn zwar nicht ansschliesze, aber minder empfelilenswerth finde; nicht das nnchristliche , d. h. der Mangel gegenüber der Fülle des christlichen Glaubens, sondern der leicht täuschende Schein einer gröszeren Aehnlichkeit als sie wirklich besteht war es , worauf ich Gewicht legte und die Aufmerksamkeit glaubte lenken zu sollen. Ueber Hipp., Ion u. ä. und über die gewünschte gröszere Freiheit in der Wahl beateht mit einem anderen Hm Vorredner gewis kaum eine eigentliche Mei- nungsverschiedenheit; denn wenn man mit den Schülern mehr lesen kann, so ist es ja nicht ausgeschlossen dasz, nachdem schon die rich- tigen Grundzüge für ein Bild Piatons gewonnen sind, auch manches auf- getragen werde von geringerer Bedeutung. Ich gehe aber von der Voraus- setzung aus , dasz für mehr als zwei kleinere oder einen gröszeren und einen kleineren Dialog, höchstens zwei kleinere und einen gröszeren die der öffentlichen Schnllcctüre gewidmete Zeit nicht ausreicht. Unter der Voraussetzung solcher Beschränkung findet gewis der Grundsatz An- wendung, dasz für die Schule das beste eben gut genug ist. Diesem Grundsatz gegenüber musz auch eine Neigung des Lehrers zu einem oder dem anderen Dialog nachstehen. Es gibt andere Mittel seinem Interesse für Hipp, oder Ion zu genügen, als dnsz man durch ihn die Schüler in Piaton einzuführen sucht. Hierin also ist mein Zweifel be- gründet, durch die Finanzen der Zeit, welche gebieten dasz man immer das nothwendige vor dem vielleicht angenehmen thue. Was endlieh Chrestomathien über das Leben des Sokrates betrifft, so gestehe ich ganz unverholen , dasz ich mich nicht in der Lage befinde darüber mit ja oder nein ganz bestimmt zu antworten; denn ob eine solche Zusam- menfassung etwas erhebliches zu leisten vermag, wird sich nur ans einem gemachten Versuch ersehen lassen. Die Schwierigkeiten eines solchen Versuches liegen nicht blos darin dasz man Bruchstücke an einander zu reihen unternimmt, sondern dasz man es nuch innerhalb dieser Bruch- stücke mit sehr verschiedenen Graden der Entfernung platonischer Dar- stellung von der historischen Objectivität zu thnn hat. Das Beispiel, das der Hr Vorredner gleichsam als einen bereits gemachten Versuch erwähnte, nemlich Ritter - Preller, würde mir nach dieser Seite hin nicht überzeugend sein. Ich brauche nicht zu sagen wie hoch ich dieses Buch schätze als Hülfsmittel für jemand, der in der Geschichte der älteren griechischen Philosophie für die Philosophen, deren Schriften wir nicht mehr haben, die Hauptstellen beisammen zu haben wünscht; für die Schriften von Piaton und Aristoteles habe ich über dieses Buch gleich nach seinem erscheinen dargelegrt, dasz es schwerlich eine Aus- wahl getroffen hat, die zu einer einigermaszen bestimmten Auffassung dieser Philosophen führen könnte. Da also dieses Beispiel mir nicht

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«Qsreicht, so wage ich nicht früher über diesen Vorschlag za urteilen «18 ein Versuch seiner Ausführung vorliegt, könnte aber auch, wenn derselbe gelänge, diese Leetüre kaum zur eigentlichen Leetüre Piatons rechnen, und halte die Frage darüber als nebensächlich im Vergleich zu der behandelten Hauptfrage, in der sich mehr Einverständnis als Gegensatz scheint gefunden zu haben.

Zweite Sitzung, 27. September. Präsident: Prof. Bonitz. Der Vorsitzende theilt mit, dasz eine Keihe gedruckter Thesen, erst jetzt eingereicht von Dr Georgens und Deinhardt, Vertretern der Heilpflege- und Erziehungsanstalt im Schlosse Liesing bei Wien, an die Hitglieder der Versammlung vertheilt sei, und bemerkt, dasz der um- fassende Stoff der bereits zur Discussion angenommenen Thesen eine Behandlung derselben nicht wahrscheinlich mache, und dasz die Herren Tbesensteller den Gegenstand demnächst in einer besonderen Schrift entwickeln werden. Hierauf erhält Prof. Hochegger das Wort zur Begründung seiner Thesis.

Hochegger: unter den Klagen, die man in jedem Jahre über die Gymnasien von ganz Deutschland am meisten hört, ist gewls die über den immer sichtlicher werdenden Verfall des Latein, besonders in Bezag auf die Fertigkeit und Gewandtheit sich mündlich und schriftlich latei- nisch auszudrücken, eine der bedeutendsten. Dieser Umstand hat mich Teranlaszt, meine Thesis der hochansehnlichen Versammlatig vorzulegen. Es ist nemlich wichtig, auf alle Mittel hinzuweisen, die fähig sein kennen , dem sinken der Gewandtheit im lateinischen Ausdruck kräftig entgegenzuwirken. Dasz aber ein sinken dieser Gewandtheit ganz gewis vorhanden ist, wird nicht geleugnet werden können; denn nicht nur in der heutigen Versammlung wird darüber die Sprache sein, sondern auch in früheren Versammlungen wurde darauf mehrfach mit Entschiedenheit hingewiesen, und viele Regierungen fanden sich veranlaszt, durch die fichulorgane auf diesen Mangel hinzuweisen. Als eins der Mittel, um dem gedeihen des gesamten lateinischen Unterriclits neuen Aufschwung au geben, erachte ich nan Sprechübungen, musz aber von vorne- herein meine Aeuszerung gleich beschränken, nämlich Sprechübungen In sehr genauen Grenzen. Es kann nach meiner tiefsten Ueberzeugiing durchaus nicht in Frage kommen , etwa das Gymnasium wieder zur ehe- maligen lateinischen Schule umgestalten zu wollen. Ein derartiger Vor- gang scheint durch den gesamten historischen Gang unserer europäischen Cultur unmöglich, und es würde nur zum Ruin der Bildung beitragen, -wenn irgendwo dessen Ausführung versucht werden sollte. Der Grund- satz, dasz das Gymnasium nicht lateinische Fachschule sei, sondern allgemeine höhere Bildung vermitteln soll, steht in ganz Europa fest. Es kann also demzufolge wol auch davon nicht die Rede sein, alle Ge- genstände oder auch nur einen gröszeren Theil derselben im Gymnasium lateinisch vortragen zu wollen ; es kann nach meiner Ueberzeugung nicht einmal die Rede davon loS^, die lateinische Sprache und Philologie selbst im Gymnasium durchaus lateinisch zu tradieren. Von den unteren Stu- fen ist dies begreiflich; aber es waren viele und sind noch manche, die wenigstens in den mittleren Klassen den lateinischen Unterricht in latei- nischer Sprache ortheilt wissen wollen, so dasz eine lateinisch abgefaszte Grammatik den Schülern gegeben werden, für die griechische Sprache das Medium des Verständnisses die lateinische bilden soll ; dasz ferner theil- weise auch die Geschichte lateinisch vorgetragen und in den oberen Klas- sen die lateinische Sprache bei der Interpretation angewendet werden soll u. a. m. Ich glaube , dasz diese Vorschläge nicht zum Nutzen des latei- nischen und griechischen Unterrichtes ausgeführt werden könnten. Es handelt sich doch vor allem um genaues erfassen des Sprachmaterials und Verwendung desselben: Schwierigkeiten genug; wenn den Schülern

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nun noch die zweite Schwierigkeit aafgebürdet werden soll , sich zn diesem Behnfe eines Mediums zu bedienen, dessen sie noch nicht voll- kommen mächtig sind, so kann von einem glücklichen Erfolge nicht leicht die Rede sein. Ich musz ferner darauf hinweisen,- dasz, wenn irgend welche Schuleinricbtung es versuchen wollte, auf ähnliche Weise dem Latein wieder seine ehemalige Geltung zu erringen, oder darauf hinzuarbeiten , dasz in der Schule selbst in der Kegel lateinisch gespro- chen werde , eine solche Einrichtung für die Bildung der Schüler und ihre Universitätsstudien keine besonders günstige sein würde. Es ist eine unleugbare Thatsache, dasz auf den Universitäten lateinische Vor- träge beinahe verschwunden sind; man kann sagen in allen Facultäten, selbst mit Inbegriff sehr vieler theologischer. Man gehe die Lections- cataloge der verschiedenen Universitäten durch und man wird sehr schwer auf lateinische Vorträge stoszen. Es ist dies dnrch die Natur und den historischen Gang unserer ganzen Bildung derart bedingt, dasz selbst die vorzüglichsten Werke über philologische Gegenstände in den Nationalsprachen verfaszt werden. Ja man ist noch weiter gegangen, sogar jene Ausgaben der Klassiker, die theils für Schüler theils für Männer veröffentlicht werden, die sich noch nach der Schule an den herlichen Früchten klassischer Cultur erquicken wollen, sind in der Regel mit deutschen Anmerkungen versehen. Ich habe nur an die Haupt-Sauppe- sche Sammlung zu erinnern und glaube, dasz in diesem Unternehmen ein bedeutsames Zeichen der Zeit zu erkennen ist. Also von einer Aus- dehnung des Latein zu Uebungen im sprechen in dieser Beziehung kann nicht die Rede sein. Noch weniger, wenn nicht einmal die Gegenstände der) Gymnasialunterrichts selbst in lateinischer Sprache gelehrt werden können, kann ich von dem Gebrauch der lateinischen Sprache zu d&c gewöhnlichen Conversation einen gedeihlichen Erfolg erwarten, ich glaube schon deshalb, weil dazu die Grundlagen, die klassischen wenigstens, im Gymnasium vollkommen fehlen. Es kann doch niemandem einfallen, jene Schriftsteller im Gymnasium zu lesen, die den Stoff für derartige Uebungen zu geben geeignet sind. Ausgeschlossen müssen sein Petro- nius, Apulejus, Juvenal, Martial, selbst Terentius und Plautus werden schwerlich allgemein zur Geltung kommen. Woher soll nun das Material genommen werden, um sich geläufig und elegant über die gewöhnlichen Dinge des alltäglichen Lebens auszudrücken? Es ist allerdings möglich, beinahe alle unserer Zeit eigenthümlichen Dinge gut lateinisch auszu- drücken; man roüste aber eben nach den Werken greifen, die derlei bieten; ja man könnte sich nicht einmal auf die beispielsweise genann- ten Autoren beschränken; man müste wol auch noch nach dem codex Theod., dem ed. Diocl. greifen, wo eine reiche Auswahl von Ausdrücken für Kleidung, Küche, Keller usw. vorkommen. Es wird niemandem ein- fallen, derlei im Gymnasium betreiben zu wollen; hat man aber keine klassische oder wenigstens echt lateinische Grundlage zur Conversations- sprache, so ist es sicher besser, die Sache gar nicht zu versuchen. So- mit, wenn von Uebungen im lateinisch sprechen am Gymnasium die Rede sein soll, so ist dieses nur in sehr beschränktem Sinne möglich. Ich glaube ncmlich in folgender Weise: es ist ein richtiger Grundsatz, dass eine Sprache durch sprechen gelernt werden musz. Dieser Grundsatz, der bei neueren Sprachen durchaus angewendet wird, kann nicht gan« unrichtig sein beim Studium der alten. Früher fiprcchen, dann schreiben; wer richtig und mit einiger Gewandtheit zu sprechen fähig ist, wird leicht fähig werden, seine richtig gesprochenen Gedanken auch richtig schriftlich wiederzugeben. Daher glaube ich, der Ausgangspunkt beim lateinischen Sprachunterricht wie bei jedem andern sei vor allem das aneignen des Sprachschatzes der Worte; das richtige Vocabcllerncn in methodischer Weise. Auf dieses memorieren ist nun vor allem das

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gröste Gewicht zu legon. Ich erlaube mir beisufügen , dasz bedeutende Männer schon ocit lauge diese Meinung vertreten, und dasz die dazn geeigneten Schulbücher sich allmählich immer mehr Eingang verschaf- fen. Hand in Hand mit dieser mehr mechanischen Aneignung des Sprachmaterials hat die stufenweise fortschreitende Verwcrthuug dessel- ben durch Satzbildung zu gehen. Es ist also das Verfahren, mündliche Uebongen in den Formen mit den Vocabeln derart anzustellen, dasz man 82tze damit bilden lUszt, das einzig richtige. Daran schlieszen sich kleinere Stellen, kleinere Lesestücke in methodischer Folge, die memo- riert und verwerthet werden müssen. Ich glaube, dasz ein Lesebuch, das für die unteren Klassen dauerhaften Bestand haben soll, reiches Material für die Schüler zu bieten hat, dasz' besonders klassische Sen-. tenzen , die sich dem Qemüt und Gedächtnis des Knabens für das ganze Leben eindrücken, in reicher Auswahl vorhanden sein müssen, dasz diese genau zu memorieren und ohne Veränderung einzuprägen sind, ferner dasz bedeutsame, dem Verständnis auch auf dieser Stufe zugäng- liche Stellen aus Prosaikern, ja auch aus Dichtern stufenweise immer mehr heranzuziehen seien , und dasz man dann auf kleinere Historien, kleinere Fabeln usw. überzugehen habe; eine Auswahl derart würde un- bedingt dem Gymnasium zu groszem Vortheil gereichen. Hat nun der Sebüler so einen bedeutenden Schatz klassischer Gedanken in klassischer Form sich angeeignet (denn memoriert soll nichts werden, was nicht verdient bewahrt zu werden ; also echt klassische Stellen der Form und dem Inhalte nach), hat der Schüler sich eine Fertigkeit im Ausdruck dadurch erworben, indem er alltäglich genöthigt ist diese Sätze wie- derholt zu sprechen, hat der Lehrer die Gewandtheit durch lateinische Fragen lateinische Antworten hervorzulocken , so wird jene Scheu , die allgemein zu finden ist, sich lat. auszudrücken, allmählich verschwinden, ^s kommt sehr viel darauf an , erstens dasz der Lehrer selbst überzeugt sei von dieser Methode, zweitens Lebendigkeit genug habe um dieselbe Ueberzeugung auch in seinen Schülern zu erwecken. In den mittleren Klassen tritt nun die Loctüre der Klassiker und zwar nicht in Brnch- etüeken ein, sondern ganze Werke von Klassikern. Es ist nun gcwis die erste Forderung, dasz die Schüler zu dem Verständnis dieser Werke geleitet werden, dasz sie in der Uebersetzung sich mit ihrer Mutter- sprache am klassischen Ausdrucke messen. Bei Wiederholungen aber, die doch nothwendig auch hier eintreten müssen, ist es ganz zweckmäszig, den Inhalt der gelesenen Stücke von den Schülern in lat. Sprache wie- der erzählen zu lassen. Hat der Lehrer dabei auch Aufmerksamkeit darauf, durch eingestreute Fragen zu trennen, zu theilen, darauf hinzuarbeiten, dasz nach und nach das Urteil des Schülers sich bilde, dasz er die in den Lesestücken vorkommenden Phrasen selbständig zu verwerthen und umzukehren fähig wird , so ist auch hierdurch viel gewonnen. An solche Bepetitionen können sich füglich Imitationen anschlieszen; in den schrift- lichen Uebungen ist namentlich jener Sprachschatz zu verwerthen, den die Schüler in den mündlichen Uebungen sich bereits angeeignet haben. Es ist nicht gut, wei>n die schriftlichen Uebungen nicht parallel gehen mit den mündlichen, wenn man den Schülern als Haus- oder Schulauf- gaben deutsche Aufsätze vorlegt, die in keinem Zusammenhange stehen mit dem, was aus den Klassikern gelesen wurde. Eben diese wechsel- seitige Unterstützung von Lectür«} mündlichen und schriftlichen Uebimgen, kann allein dem Zwecke lebendiger Sprachaneignung fordorlic*!! sein ; da- her sind Uebungsbücher , wie wir sie entstehen sehen, für Ncpos-, für Caesarloser, ganz gewis am Platze. Das meiste hängt natürlich aticli hier wieder vom Lehrer ab; kein Buch, sei es auch noch so gut, kann den lebendigen Eindruck der Rede des Lehrers ersetzen. Es wäre dann eine sehr schöne Uebung , wenn nach dem Schlüsse der Leetüre längerer

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Abschnitte der Inhalt des ^nzen in lat. Sprache zusammengefaszt , die Theile in lat. Sprache dargelegt würden. Von da ans kann übergegangen werden auf die Discossion einzelner Punkte, z. B. bei der Miloniana, wie die enarratio zu dem ganzen Gang der Rede stehe, welche DifFerens- punkte zwischen der enarratio Ciceros und der Darstellung des Asconius besteben. Aehnliche Versuche können ebenfalls bei anderen Autoren gemacht werden. So bieten die Dichter ein weites Feld dafür; z. B. nehmen wir einen Cyclus horazischer Oden, etwa die sechs ersten des 3n Buchs; den Gedankengang dieser sechs Oden der Reihenfolge nach durchzugehen, die Frage einzuwebeu, welche Vereinigungspunkte haben diese Oden oder haben sie keine, dies gibt die passendste Gelegenheit zu fruchtbringender lat. Sprechübung. Denn ähnliche Fragen können ganz gut in lat. Sprache behandelt werden, wenn natürlich -vorher bei der mündlichen Intei'pretation der gesamte Gang dieser Lesestücke ge- nau den Schülern dargelegt wurde. Auf diese Weise glaube ich, dMs fort und fort auch das Ohr an die Sprache gewöhnt und zugleich ein groszes Material für die schriftlichen Uebungen selbst gewonnen wird, so dasz die Schüler der Krücke des Lexicons immer mehr enthoben werden. Es ist ohnedies didaktische und paedagogische Forderung, dasz bei den schriftlichen Uebungen in den unteren und mittleren Stn- fen Grammatik und Lexicon nie zur Hand genommen werden dürfen, d. h. bei den Schulaufgaben; es soll nemlich nur der Sprachschatz ver- wendet werden, den der Schüler sich angeeignet hat. Auf diese Weise glaube ich, dasz das Lateinsprechen allein zweckmaszig betrie* ben werden kann. Ueber dieses hinaus kann unser Gymnasium, wie es jetzt allgemein in Europa bestellt ist, nicht wol gehen. Ich habe hinzugefügt, dasz ^lat. Interpretationen auch auf dön oberen Stufen des Gymnasiums zu beschränken sincl'. Ich glaube deshalb: wollte man irgend einen lat. Klassiker ohne deutsche Interpretation gleich ähg erstemal lateinisch zu interpretieren anfangen, st> würde man ganz ge- wis auf ungemeine Schwierigkeiten stoszen und nicht den geho£ften Gewinn haben. Die erste Forderung bleibt stets diese, dasz das Lese- stück dem Schüler so vertraut werde dasz ihm kein überhaupt lös- barer Zweifel übrig bleibt. Durch das Medium der lat. Sprache aber kann man nicht immer sicher sein, dasz der Schüler wirklich zum Verständnis gelangt sei, sondern häufig werden die Worte des Lehrers wiederholt ohne verstanden zu sein. Ferner fordert die Interpretation der Klassiker einen gewissen Vorrath von technischen Ausdrücken, die wol vorhanden sind, aber in jenen Werken, die am Gymnasium selten und dann nicht in hinreichender Ausdehnung gelesen werden können. Es ist neralich schwer mit den Schülern sehr viel rhetorisches , sei es von Cic. oder Quint. , zu lesen ; die Zeit dafür ist zu beschränkt. Es fehlt also auch hier, glaube ich, die Grundlage , so dasz eigentliche lat. Interpretation der Klassiker nicht besonders gerathen sein dürfte. Ebenso scheint es zu stehen mit den Uebersetzungen aus der griechi- schen in die lat. Sprache. Niemand wird verkennen dasz ein bedeu- tender Gewinn daraus erwächst, wenn man mit Auswahl derlei Ue- bungen vornimmt. Ausgeschlossen unbedingt sind die Dichter. Es wird niemandem einfallen Homer lateinisch übersetzen zu lassen, Soph. noch weniger; es kann überhaupt nnr von Prosaikern die Rede sein. Selbst bei diesen möchte es vielfach sehr- schwer sein; ich erinnere an Thucyd., der hie und da gelesen wird. Man hat bei der Uebersetznng in die deutsche Sprache Mühe genug und die Reden müssen gewöhnlich übersprungen werden. Es ist also die Leetüre des Thucyd. an und für sich nicht anzurathen. Aber auch die Prosa der Erzählung ist nicht derart, dasz sie lateinisch sich besonders leieht geben liesze; dasselbe ist wol der Fall mit den meisten Dialogen Piatons. Die schiirfsinnige,

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feina, dialektische Durchführung, die Menge abstracta, die mit Leich- tigkeit im Griechischen gebraucht werden, könnten selbst einen Cic. Bur YerzweifluDg bringen, so dasz man ähnliche Dinge Schillern nicht anmuten darf. Es beschränkt sich also die Auswahl meist auf einiges »OS Xenophon, einige leichtere plat. Dialoge, Apol. Krit. u. a. m. ; ich verweise z. B. nur auf die Anmerkungen Sejfferts zu den Memor. An diese Uebersetzuugen können sich eben so gut wieder Disputationen anschlieszen , z.B. die Frage , welchen Begriff von Tugend legt Xen. dem Sokr. in den Mem. in den Mund u. a. .Eins möchte ich dabei auch hier erinnern. Selbst bei den leichteren prosaischen Schrift- stellern soll wenigstens eine deutsche Uebersetzung der lateinischen zur Seite gehen; es ist sonst nur zu leicht der Fall, dasz manches nicht vollständig verstandene einfach nachgesagt wird. Dagegen glaube ieh, damit im Gymnasium derartige Uebungen fruchtbringend vorge- nommen werden können, ist es vor allem Aufgabe der Lehrersemina- rien, die Lehrer selbst zu solchen Uebungen heranzubilden. Bei den Lehrerseminarien natürlich fallen alle jene Bedenken weg, die im Gym- nasium sich geltend machen. Es ist Pflicht der Seminarien, dafür sehr viel zu thun und der lat. Interpretation und lat. Uebersetzung g^iech. Ellassiker ein viel gröszeres Feld einzuräumen, als ihnen bisher einge- ^ räumt worden ist. Auf diese Weise glaube ich, dasz man auch be- gründeten Klagen mit gutem Erfolg entgegenarbeiten und jene Leichtig- keit und Gewandtheit im lat. Ausdruck erreichen kann, die auch unter den jetzigen Verhältnissen wünschenswerth ist.

Präsident: ich halte es für nothwendig dasz, um nicht die Dis- onssion ins unbestimmte verlaufen zu lassen, zwei Haupttheile des eben gehörten Vortrags bestimmt auseinander gehalten werden. Erstens hat fir Prof. Hochegg er sich über die Stellung des Gymnasiums zu den früheren Einrichtungen einer lat. Schule und andererseits zu dem in der Zeit begründeten allgemeinen Zustand der Wissenschaften kurz aus- gesprochen, offenbar von dem Gesichtspunkt ausgehend, dasz eine Mittel- eehole ihrem ganzen Charakter nach nicht etwas frei construicrbares, ■ondern etwas ausdrücklich durch den gesamten wissenschaftlichen Charakter der Zeit gegebenes ist und aus ihm nicht herausgerissen werden kann; er hat hienach manche um vieles weitergehende Gedan- ken und Wünsche in Betreff des lat. Unterrichtes sogleich auszer Frage gelassen und sie nicht undeutlich als unerreichbar bezeichnet. Dies ist die eine Seite des Vortrages. Die zweite hat die Frage behandelt: welches sind die' Mittel , durch deren Anwendung die im Lateinischen , wünschenswcrthc und erreichbare Gewandtheit des Schreibens und Spre- chens wirklich wird erreicht werden. Ich schlage der verehrten Ver- sammlung vor, dasz zunächst dieser zweite Punkt zur Sprache komme, der erste führt in die Gefahr eines unbestimmten verlaufens. Dieser Eweite Haupttheil nun bietet folgende zwei Seiten der Discussion dar: erstens, ist gegen die. vom Hm Prof. Hochegger vorgeschlagenen .Mittel an irgend einer Stelle etwas einzuwenden? zweitens, ist auszer diesen noch anderes zu empfehlen?

Benecke: ich bin mit der Fragetheilung vollkommen einverstan- den, wünschte aber für die Sache geschieden Latein sprechen und la- teinische Interpretation, also: lateinisch reden und Methode derselben und dann lateinische Interpretation der Klassiker.

Präsident: einverstanden. Also zunächst sind die von Hm Prof. Hochegger vorgeschlagenen Mittel zur Gewandtheit im Lateinspre- chen irgendwie zu bestreiten oder au einer Stelle zu ergänzen und zu erweitern.

Schmalfeld: ich musz zuerst mir die Frage erlauben, ob, wemi ich folgendes erwähne, ich richtig verstanden habe. Wenn jemand

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Quarta hat, hat er den Alcibiades von Nepos gelesen* £r fragt also: quis fuU Alcibiades? Der erste antwortet: Alcibiades fidt Aihenientis, Qut. £r fragt weiter: qvibtts rebus excelluit Alcibiades? Nein, exeelluU geht nicht, es muüz praestilil heiszen. £r wird mir yielleicht antwor- ten: vel vitäs vel virtutibus. Ich gebe weiter fort nnd komme nach Tertia, weil ich davon einige Erfahrungen habe. Wir haben gelesen das le Buch von Caes. bell. civ. Nun frage ich: quae fuit causa j cur Caesar Rubiconem transieril? Der Schüler wird anfangen nnd sagen: quia quia . Nun was denn quia? Quiasenaius decrevity ut videretU cansuleSf ne quid res publica detrimenti caperet. Gut, sage ich, was heisst das? £r wird das nicht recht wissen und die Sache bleibt stecken. Kr wird doch vielleicht fortfahreu : ut eadem esset potestas consulis , quae fuit aliquando dictatorum^ ut consul esset cum inperio in ipsa urhe. Also nun frage ich, ist dieses die Weise? Nun würde ich* weiter fra- gen: quis restitit Caesari in Italia? Der Knabe wird antworten: Do- mitius, (Gelächter).

Hochegger: es versteht sich von selbst, dasz die Art der Frage von dem Lehrer abhängt. Auf diese Weise auf keinen Fall.

Schmal feld: auf diese Weise nicht?

Präsident: ich erlaube mir an etwas zu erinnern. Der geehrte Redner hat auf die Frage ablehnend geantwortet, weil die Frage dem Inhalt seines Vortrags nicht entspricht. Hr Prof. Ho 0*11 egger hat erklärt , er wolle vom gelesenen auf dieser Stufe Reproductionen und Erzählung des Inhalts; an diese Erzählung des Inhalts würden sieh Fragen anknüpfen. Der Eindruck des lächerlicl^en, den die vorher vor- genommene Fragestellung unverkennbar machte, liegt insbesondere darin, dasz man dem Schüler die Frage möglichst auf ein Wort stellt, das er zu sagen hat. Was Hr Prof. Hochegger verlangt hat ist folgendes: in der Klasse, in welcher Caesar gelesen wird, hat es der Schüler zu versuchen einen kleineren Complex der Erzählung lateinisch dem Inhalte nach wiederzugeben. An diese Grundlage schlieszt sich eine ganz an- dere Art von Fragen an, als wenn man eine historische Erzählung in eine Katechese verwandeln wollte. Insofern entspricht die Frage nicht dem von Hm Prof. Hochegger empfohlenen, sie ist Bestreitung des ' vorgetragenen.

Schmalfeld: nun meine ich, wenn auf diese Weise einzeln abge- fragt ist, kann nun dieses dazu treten, dasz nach zehn, zwanzig Ka- piteln der Hauptinhalt lateinisch vorgetragen wird mit einiger Beihülfe von Seite des Lehrers. Das erste war Vorübung zu dem zweiten; denn es wird nicht gleich anfangs möglich sein, dasz die Schüler dieses la- teinisch sagen, wenn man nicht den Inhalt gleichsam katechetisch ans ihnen herauszubringen sucht.

Präsident: es sei mir gestattet das, was Sie gesagt haben, in bestimmten Gegensatz zu formulieren. Sie erklären: eine solche Keca- pitulation des Inhalts, z. B. auf der Stufe, auf welcher Caesar gelesen wird, ist nicht möglich, ihr hat voranzugehen jene Katechisation, durch die man die einzelnen Worte möglichst hcrausfrägt.

Hochegger: ich glaube dasz bei befähigteren Schülern auch ohne ein solclies berausfragen der Inhalt längerer Abschnitte wieder zu be- kommen ist; die Befähigung indes ist sehr ungleich; sollte der Schüler stocken, so hilft eben der Lehrer nach.

Präsident: ich erlaube mir das Wort zu nehmen. Es handelt sich um eine ITnterrichtspartie , die ich lange Zeit genug selbst geführt habe, so dasz ich aas Erfahrung weisz was erreichbar ist. Ein repro- ducieren des Inhalts erreicht mau gewis nicht, wenn man diese Ke- production eben einfach als Aufgabe stellt, z. B. wir haben zehn Ka- pitel gelesen, das nächste Ma^ ist der Inhalt davon lateinisch anzugeben.

itridit üb. d. Verh. d. 18d Vers, dentscher Philologen ntw. itf Wieo. 631

So ist es allerdings Dicht erreichbar nnd da ist der Einwand yollkom- men richtig. Aber der Lehrer , der den Caesar liest , hat sicherlich grammatische Stunden und hat Compositionen , wie man es hier nennt, oder Extemporalien schreiben zu lassen. Wenn er als Material für die grammatischen Stunden und für die Compositionen denselben Stoff ver- wendet, so wird dadurch möglich ich spreche aus eigener > Erfahrung die mündliche Keproduction zu erreichen; nur darf sie eben nicht als Aufgabe gegeben sein, die man den Schülern blos zur eigenen Arbeit gibt, sondern durch andere mittelbar jener zu gute kommende Arbeiten mnsz geholfen werden. Die Hülfe, die Hr Dr Schmalfeld vorschlägt, ist mir aus Erfahrungen nicht bekannt und ich hege Zweifel ob sie sich durchweg so sehr empfehlen wird.

Schmalfeld: ich habe noch zu bemerken, dasz in der praktischen Ausführung sich manches anders macht. 'Ich erlaube mir noch folgen- des hinzuzufügen: die gröste Schwierigkeit entsteht bei den ersten An- fKngen des Lateinschreibens. Da habe ich bei der geringen Praxis, die ich hier habe, folgendes als das beste Mittel gefunden. Ich musz aber wieder an die Katechese erinnern. Ich nehme ein ganz triviales Thema. Ich gebe z. B. quaenam fuerunt merüa Miltiadis in cimlatem Atheniensium? Wenn man dies Thema aufgibt und sagt: nun setze dich hin und be- arbeite das Thema; der arme Schüler ist in höchster Noth'; mir ist das so gegangen in meiner Schulzeit und anderen ebenso. Da g^bt es ein Mittel und das ist jene Katechese. Wenn ich sage: quis fuii Mäiiades? wird der Schüler antworten: Miltiades fuit AtheniensiSj qui vidi apud Marathona, Quem vicit MiUiades apud Maralhona? usw. Wenn ich diese einzelnen Punkte, die der Schüler weisz, blos in einzelnen Sätzen, in welcher Ordnung sie auch stehen, alle durch das abfragen aus der ganzen Klasse heraus habe, so suche ich die Disposition heraus- zubekommen dadurch, dasz ich die Aufgabe zur nächsten Stunde stelle und sage: in der nächsten Stunde bringen Sie aus dem Material, das Sie durchgenomiAcn haben, die Disposition zu ihrer später zu liefern- den Arbeit. Dabei kommen verschiedene Irthümer vor, aber wenn man nächstens wieder fortfährt , fast alles lateinisch , dann wird die Arbeit leichter. Ich glaube durch dieses Verfahren zunächst zam Zwecke des Lateinschreibens habe ich das Lateinsprechen wesentlich gefördert.

Eckstein: ich bin in der seltsamen Lage dasz ich dem Herrn Thesensteller fast überall beistimmen musz, anderseits aber mich frene meinen Schmalfeld nach einer bestimmten Seite hin rechtfertigen za können. Die Herren scheinen das katechisieren nicht recht verstanden zu haben, aber Seh mal fei d ist nicht auf den Kopf gefallen, ich habe auch die Sache so gemacht aus dem Grunde, damit die Buben latei- nisch hören, damit sie sich gewöhnen Latein zu verstehen, damit sie Stoff haben. Variieren der einzelnen Sätze, umgestalten in andere Pe- rioden, aber immer mit anderen Ausdrücken, das ist so lächerlich nicht. Das erste scheint mir doch zu sein, dasz die Knaben auch Latein hören lernen und das geschieht auf diese Weise gewis am besten. Dann möchte ich aber alles, was vom memorieren gesagt ist, als eigent- lich nicht zum Lateinsprechen gehörig, ausgeschieden wissen. Was der Herr Präsident gesagt hat, dem stimme ich vollkommen bei. Nun aber habe ich so einige kleine Ketzereien gefunden. Nemlich die Kepro- duction auf der mittleren Stufe scheint mir in Italien viel weiter ge- fördert zu sein als in Deutschland. Ich glaube nicht, dasz unsere Ter- tianer in gewisser selbständiger Weise einen längeren Abschnitt ans Caesar zu reproducicren im Stande seien. Wenn sie das in Italien können, dann gratuliere ich. Ich glaube auch daSz das etwas zu viel verlangt ist, dasz diese Knaben längere Abschnitte wiederzugeben noch

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nicht berufen und noch nicht befähigt sind. Das wird nur höchst selten sein; darauf wird man mit rechtem Nutzen erst in den oberen Klassen eingehen können und da stimme ich vollkommen bei. Die lateinischen Disputationen, die wir als jüngere Lehrer noch vielfach geleitet haben, haben wir zum Theil überwunden, gewis mit Recht; denn da sind die meisten geistig nicht dabei, und wir müssen doch Uebungen haben, die eine volle Theilnahme erwecken. Deshalb bin ich seit Jahren darauf gekommen gröszere Abschnitte aus Schriftstellern, z. B. eine kleinere Ciceronische Rede, als Aufgabe zu stellen für latein. Sprechübungen, den Gedankengang zu entwickeln, die vom Schriftsteller selbst gemach- ten Abschnitte herauszusuchen, in die Technik der Form selbst oinzu- gehn. Das gibt einen fruchtbaren Stoff. Der Knabe hat es gelesen, hat es mit fiischem Gedächtnis gelesen, um darüber reden zu können, ganz anders als er es sonst gelesen hätte. Dagegen glaube ich in an- derer Beziehung widersprechen zu müssen. Ich glaube nemlich nicht, dasz man von diesem Lateinsprechen sehr viel Nutzen für die latein« Compositionen zieht , ich meine nicht Composition bestimmter Texte, sondern freie Compositionen , und möchte von Ihnen erfahren ob die freien latein. Aufgaben, die Sie Ihren italienischen Schülern gegeben, viel dadurch gewonnen haben. Es ist dies eine Gewissensfrage, aber antworten Sie mit einem ehrlichen ja oder nein I

Hochegger: jedenfalls, je mehr diese Sprechübungen angewendet wurden.

Eckstein: daran zweifle ich nicht, aber ob der Fortschritt so grosz war, das bezweifle ich. Ich berufe mich nemlich auf die Methode der Alten. Durch reden hat niemand schreiben gelernt, auszer etwa irthümlich schreiben; schreiben kann man nur lernen durch schreiben. Daher möchte ich auf diese Sprechübungen für die Compositionen nicht zu viel Gewicht legen.

Hochegger: ich glaube, dasz eine gewisse Leichtigkeit und Frische des Gedächtnisses für die Compositionen erreicht wir4.

Eckstein: ob dies das Latein lebendig macht zweifle ich. Dasz das Interesse geweckt wird gebe ich zu; dasz einer Lust bekommt, auch im Lateinschreiben mehr zu leisten, glaube ich ; aber den unmittelbaren Einflusz, den glaube ich in Abrede stellen zu müssen, den mittelbaren gebe ich vollkommen zu.

Hochegger: ich glaube wir sind in dieser Beziehung einig, denn ich habe den unmittelbaren Einflusz nicht unbedingt behauptet, sondern die Sprechübungen eben als Mittel neben andere Mittel hingestellt.

Prof. Dr Keichel aus Wien: ich habe mir, als Herr Dr Schmal- feld sprach, um das Wort zu bitten erlaubt, um eine Erklärung xu geben über das, was Hr Prof. Hochegger und wir alle unter Repro- duction in den mittleren Klassen verstehen. Es hat seitdem auch die Entgegnung des Herrn Dir. Eckstein eine solche nöthig gemacht. Unter Reproduction nach dem lesen von einigen Kapiteln Caesars oder einer Biographie des Nepos Verstehen wir nicht Aufgaben wie quae fuerint merita Miliiadis in civilatem Aiheniensium , sondern der Lehrer hat die Aufgabe ein deutsches Stück selbst zu machen, wobei möglichst Bedacht genommen ist in der Uebersetzung das gelesene Latein zu verwerthen. Wir verbieten dem Schüler dabei den Gebrauch von Wör- terbüchern und setzen voraus, dasz er das gelesene sich eingeprägt hat« Durch diese Composition wird er auf das gelesene zurückgeführt. Herr Prof. Bonitz hatte zugesetzt 'was man Extemporalia nennt', das hätte darauf führen können, danz von freien latein. Aufgaben in Tertia nicht die Rede sein kann.

Regierungsrath Firnhaber aus Wiesbaden: indem ich mich genau an die voin Herrn Präsidenten verlangte Ordnung halte, erkläre ich

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Baulichst, dasz ich mich mit den von dem Herrn Thesensteller aasge- sprochenen Gedanken fast durchweg in Uebereinstimmung befinde. Es ist dagegen nichts einzuwenden, höchstens aber einiges zu veryollstän- digen. Zunächst aber ist mir vorgekommen, als ob die hier behandelte Frage über das Lateinsprechen eine Sache sei, die dem Herzen jedes Schulmannes nahe liegt, der mit Betrübnis gesehen, wie weit man zu- rück statt vorwärts gekommen ist. Ich will auf die Gründe nicht ein- gehn, weisz aber in der That nicht, wie bei der Beschränkung der Stunden und Ausfüllung des Unterrichts mit anderen Gegenständen es möglich werden soll, ein Ziel von einiger Ergiebigkeit zu erreichen. Dennoch mnsz es Aufgabe des Lehrers sein, dasz er zu diesem zu ge> langen suche, und ich musz metner Erfahmng nach sagen, dasz man aas solchen Sprechübungen einen Gewinn ziehen kann und wird für die latein. Compositionen und Aufgaben. Aber freilich setze ich dabei den Schluszsatz der Thesis voran: ^in den Lehrerseminarien ist auf lateinische Interpretations- und Disputierübungen ein besonderes Ge* wicht zu legen % d. h. der Lehrer ist das ganze, der Lehrer musz Kennt- nisse haben und Kraft und Aufopferung. Dieses würde ich voransetzen and musz darauf aufmerksam machen, Vie betrübend es ist dasz so liäi^fig junge Lehrer selbst nicht so heimisch in diesem Gebiete sind, nm den Unterricht selbst auf der untersten Stufe mit Sicherheit zu führen. Denn es scheint richtig: angefangen musz werden auf der untersten Stufe, und es musz deshalb herbeigezogen werden das memo- riereu von Vocabeln, Sentenzen usw. Es ist eine richtige Bemerkung, dasz auf das auswendiglernen von Vocabeln nnd auf das abhören der- selben groszer Werth zu legen ist, eine Aufgabe, die zwar schwierig ist, aber so nothwendig , dasz darauf nicht oft genug hingewiesen wer- den kann. Das repetieren, das Hr Director Eckstein hervorgehoben hat, ist von Wichtigkeit, und dieses möchte man hier vermissen, nem- Hoh dasz in den mittleren Klassen , nachdem das Pensum gehörig ist Torgenommen worden, die Schüler veranlaszt werden ihr Exemplar zu- Bumachen. Der Lehrer musz dann zuerst selbst recitieren gegenüber den Schülern und dann sehen, ob die Schüler im Stande sind durch das Ohr selbst auch wieder zum Verständnis zu kommen. Dies war mir ein Verfahren, das zum rechten Ziele geführt hat; es soll ja durch das Ohr eine Sprache kennen gelernt werden. In Uebereinstimmung mit dem Herrn Thesensteiler halte ich ferner die wechselseitige Beziehung Ton Uebersetzungen, Exegese nnd Composition, ferner die Beschränkung auf kleinere immer fort zu behandelnde Kreise für wesentliche Momente; man suche -z. B. aus der Miloniana seine Themata abzuleiten und auch für die Aufgaben zu freier schriftlicher Composition diesen Stoff nach allen Seiten durchzuarbeiten. Ich habe selbst in dieser Beziehung einen Beitrag geliefert in meinen ^Materialien zum übersetzen', in denen die Miloniana die Grundlage bildet. Natürlich musz der Lehrer sich mit allem Eifer der Sache hingeben, er musz den Stoff vollständig beher^ sehen, nm auf jede Frage des Schülers zur Antwort gerüstet zu sein. Nun bin ich ferner der Ai^sicht, wenn ich mich daran halte ob anderes noch zu empfehlen sei, dasz man wieder zurückkehren möge ~yiel« leicht stehe ich allein zum Gebrauch von Klassikeraasgaben mit latein. Noten; ich weisz wol

Präsident: es gehört dieses in den zweiten Punkt, den der latein. Interpretation ; ich bitte also es bis dahin aufzuschieben.

Wiese: auch ich beginne mit der Erklärung, dasz ich im wesent- lichen mit allen Thesen des Herrn Prof. Hochegger einverstanden bin, denke aber, unsere Versammlungen sind besonders wichtig dazn, dasz gemachte Erfahrungen mitgetheilt werden. Nirgends wird so viel als empfehlonswerth vorgeschlagen, als auf dem paedagogischen Gebiet^

634 Berieht fib. d. Verb. d. 18n Vers, deutsoher Philoloj^ asw. in Wiea«

Mancher kommt mit einem tvq7[%a nnd es erweist sich doch als nichljg. Dann wird man ihn zu respectieren haben, wenn er sagt nsmxiSBvwXy und wenn sich auch sein Vorschlag nicht gleich zur Nachahmung em- pfiehlt, so gibt er doch Anregung. Ich würde deshalb für sehr er- wünscht halten, wenn aus der praktischen Erfahrung heraus die hier versammelten Schulmänner Mittheilungen machten , inwiefern sie das Ziel erreicht haben. Es gibt ja viele Wege; der Mittelpunkt ist der- selbe, der Radien sind viele. Ich möchte mir in Anerkenntnis dessen, dasz die Vorschläge durcliaus praktisch sind , doch auch eine kleine Ergänzung erlauben. Es heiszt es sollen auf den mittleren Stufen re- produciert werden 'genau erklärte Abschnitte der Klassiker'. Ich habe in langjährigen Uebungen sehr befriedigende Resultate erzielt mit einer Art Reproduction , bei der eine genaue Erklärung nicht vorangegangen war. Ich habe diese Uebungen in Secunda und Prima angestellt fol- gendermaszen : jeder Schüler muste in jedem Semester einen soge- nannten freien Vortrag lateinisch halten. Die Freiheit ist übrigens nicht sehr grosz. Dabei unterschied ich zwei Stufen. Die erst in die Klasse gekommen waren , bekamen zu Anfang des Semesters jeder sein Thema, einen Gegenstand atls dem klasBischen Alterthum oder auch aus der späteren Latinität, um ihnen Gelegenheit zu geben auch Schriftsteller, die sonst nicht gelosen werden, kennen zu lernen. So muste einer die Briefe des Plinius durchgehen; was dort und in gprie- chischen Schriftstellern über den Tod des älteren Plinius steht, muste er zusammenstellen und darüber einen lateinischen Vortrag halten, mochte er ihn memoriert haben oder sich der Freiheit überlassen; oder über die Christenverfolgungen unter Trajan, wozu ich andere- Data gab. Das thaten die Schüler mit groszem Vergnügen. Es vmrde durch den Schüler lateinisch vorgetragen und die übrigen hatten die Aufgabe streng aufzumerken, weil, sie dann zur Mitthätigkeit herange- zogen wurden. Aber nicht blos Schriftsteller der klassischen Zeit ver- wendete ich, sondern auch spätere, ja ich bin bis in die neueste Zeit herabgegangen, habeMuret, Facciolati, Ruhnkenius, Ernesti, Gesner, Hemsterhuys benützt. Diese schönen Biographien zu lesen hat den Schülern, denen ich die Aufgabe stellte; Freude gemacht, und sie stan- den der Klasse gegenüber als solchen, die dieses Buch nicht hatten, aber Interesse hatten ein gutes Argument zu hören, in einem gewissen An- sehen, So angeleitet musten sie sich des Ausdruckes bedienen, den sie vorfanden. Aus der neuesten Zeit benützte ich Sachen von Sohömann wie die über den letzten braunschweigschen Herzog oder die Schrift von Lange in Pfo^^ta: de severilale disciplinae Portensis, Dann kamen oft andere und baten ich möchte ihnen das Buch geben, es hätte sie in- teressiert, sie möchten es auch lesen. Im zweiten Semester kamen die wirklich freien Vorträge, es wurde ein Thema besonders historischen Inhalts gegeben, die Klasse war in Abtheilungen getheilt, welche von den verschiedenen Seiten des Gegenstandes Rechenschaft zu geben hat- ten, die einen über die inventio usw. Dieses wechselte und sie waren sehr aufmerksam. Dann nahm ich selbst df^a Wort, um übergangenes zu besprechen. Ich habe dieses nie bereut, sondern gute Folgen ge- sehen, und die Wirkung auf das Latoinschreiben wurde dadurch ganz erheblich gesteigert. Wie gesagt, es ist eine Erfahrung, die ich habe mittheilen wollen, ich bescheide mich dasz es nicht allgemein empfeh- lenswcrth sein mag, aber ich möchte Anregung geben, dasz andere auch mittheilen, was sie auf diesem Gebiet gethan haben.

Director Kl ix aus Glogau: ich bin zwar bange gegen einen solchen Dialektiker mich zu erklären wie llr Dir. Eckstein ist, aber den- noch musz ich erklären, dasz man doch durch das sprechen auf das schreiben kann einwirken. Ich gebe den Schülern Anweisungen, wie

Berieht üb. d. Verh. d. 18n Vers, doiitschcr Philologen usw. in Wien. G35

sie zu verfahren haben, am die Aufgabe zn machen nnd knüpfe dabei an die Lcctüre an. Es kam z. ß. zur Frage, wie ist Caesar zur Allein- herschaft gelangt? Nun exponieren wir, der Gegenstand wird latei- nisch durchgesprochen und dann gehen wir zur lateinischen Aufgabe, Ich habe wöchentlich eine Stunde dem gewidmet und glaube viel er- reicht zu haben.

Brüggemann: ich glaube allerdings mit meinem verehrten Colle- gen hier zur Seite (Wiese), dasz es darauf ankommt Erfahrungen mit- asutheilen; über das Ziel sind wir einig, aber die Wege sind zu finden. Nach meinen Erfahrungen ist im Lateinsprechen wenig oder nichts zu erreichen , wenn man dieses erst von Secnnda an würde eintreten las- sen. J)er Grund dazu musz schon in den unteren Stufen gelegt wer- den, von Sexta, Quinta, Quarta musz vorbereitet if^rden , dasz die Schüler Mut bekommen und die Fertigkeit im denken des Inhalts, um lateinische Worte zu brauchen. Das Lateinsprechen scheitert so häufig daran, dasz die deutschen Gedanken sich nicht wollen fügen in den Gedankenausdruck aus dem Lateinischen. Da wurde der wichtige Punkt hervorgehoben, das variieren von der untersten Stufe an; dazu kann der Lehrer in Sexta viel thun, wenn er die Schüler gewöhnt nicht schriftlich sondern mündlich kleinere lateinische Sätze in alle Formen zu verwandeln in die es geht. Alles musz mündlich in der Stunde vorkommen und der Schüler sich so gewöhnen, dasz eine Veränderung ihn gar nicht mehr schreckt. Ich habe dabei zunächst im Auge die Bildung des Sprachgefühls, dasz er gleich heransfindet: hier ist eine kleine Veränderung vorgenommen, dies hat diese Veränderung bewirkt« Wenn diese Uebungen mit Vocabellernen verbunden werden, so dasz diese zn kleinen Sätzen zusammengestellt werden, die bekannten Ei- genschaftswörter reproduciert werden usw. , so wird der Schüler schnell sor Production gebracht, an der er Freude hat. In Quarta und Tertia es dahin zu bringen , dasz klassische Stellen aus Prosaikern und Dtch- tem memoriert und durchaus behalten werden zur Reproduction von Fonfi nnd Gedanken ist sehr wichtig. Denn das ist ein gesunder Kern, der in der Ruthardtschen Methode gelegen hat, das durcharbeiten von solchen kleineren Abschnitten. Das reproducieren g^öszerer Ab- schnitte wird kein fruchtbringendes Resultat geben. Es ist zu schwie- rig, lieber Verwandlung von oratio directa in indirecta, das wird Früchte geben. Von Secunda an ist das reproducieren das einzige Mittel, um zu einem guten Ausdruck im schriftlichen zu kommen. Ich schliesze mich ganz dem vom Herrn Thcsensteller gesagten an. Ciceronische Reden passen hier vollkommen. Auch aus Livius lassen kürzere Erzählungen sich reproducieren, vielleicht noch besser als es bei Cicero möglich, dessen Periodenbau gröszere Schwierigkeiten bie- tet. Was Prima betriflft , so sind von meinem verehrten CoUegen frachtbringende Uebungen mitgctheilt worden. Ich versuchte öfters, wenn die Tusculanen gelesen wurden, sie zu benützen, um wich- tigere Disputationen reproducieren zu lassen, und da habe ich keine Theilnahmslosigkeit wahrgenommen. Wenigstens sobald ich sie bei einem wahrnahm, .forderte ich ihn auf, nun in der Exposition oder Definition fortzufahren, und es waren sehr erfreuliche und lebendige Standen.

Eckstein: wir kommen ja in lauter Misverständnisse. Mein ver- ehrter Chef hat die Disputationen so verstanden, als wenn ich diese Uebungen meinte die er meinte und die ich auch anstelle. Nein, ich meinte jene alten Zopfdispntationen , die

Brüggemann: ich nehme dieses Mis Verständnis gleich zurück.

Hoch egger: ich musz erwähnen, dasz auch ich an derlei Dis- putationen durchaus nicht gedacht habe, sondern nur an die von

636 Bericht ub.d. Vorh. d. ]8n Vers, dealscher Philologen usv. iilWien.

Herrn Geh. -Rath Brü^gemann angeführten, wie ja auch mein Bei- spiel zeigt.

Auf Anfrage des Vorsitzenden wird die Discussion über den ersten Punkt durch die Versammlung für geschlossen erklärt und die über den zweiten Punkt, die Anwendung der lateinischen Sprache zur Interpretation , erüfFuet.

Firnhaber: wenn wir gedruckt lesen : 'lateinische Interpretationen der Klassiker sind auch auf den obersten Stufen mit groszer Vorsicht anzuwenden^ so wird dies , da eben hinzugesetzt ist 'mit groszer Vor- sicht', einer weitern Discussion entbehren können. £s ist gesagt auch 'auf den oberen Stufen', und wenn ich früher erinnerte ich hätte gern Ausgaben mit lateinischen Noten, so ist das nicht so arg, wenn man die Sache genauer betrachtet. Ich glaube dasz selbst auf der ober- sten Stufe kein griechischer Schriftsteller soll lateinisch interpretiert werden, sondern höchstens bei der Kepetition, wenn man sicher ist dasz die Schüler des Stoffes vollständig Meister sind, für die Ueber- setzung und die Interpretation die lateinische Sprache angewendet werden kann. Dagegen bin ich der Ansicht, dasz man manche la- teinische Schriftsteller in Prima, vielleicht auch in Secunda sogleich würde lateinisch interpretieren^ können. Durch etwa zwanzig Jahre gelang es mir Erfolge zu erzielen, indem ich Schriftsteller wie Teren- tius im untersten Cursus einer zweijährigen Prima lateinisch interpre- tierte. Diese Erwähnung soll nur darauf hinweisen dasz, wie es über- haupt Sache des Lehrers ist, sich ganz und gar hinzugeben der eige- nen Ecfipfindnng von dem Zustand seiner Schüler, so man auch hier die Entscheidung von dem sicheren Takte des Lehrers über den Zu- stand seiner Klasse und selbst von dem speciellcn Einflüsse der Fre- quenz der Klassen musz abhängen lassen. Nun möchte ich die Klas- siker gern mit lateinischen Noten haben, nemlich ich möchte dasz der Schüler sich präparierte mit Hülfe dieses Mediums, dieses benützte ich als Mittel zur Erreichung des Zieles. Wir sehen ja doch bei einigen Ausgaben, dasz das verrufene Notenlatein nicht gar so schlecht ist. So hatte wenigstens der Schüler eine Hülfe aus der Präparation für d6n lat. Unterricht ; der Schüler war gezwungen auö der Präparation sich lat. Ausdrücke und Wendungen zu merken, z. B. bei dem Sophokles von Wunder und Hermann, während er jetzt z. B. bei dem Schneide- win'schen nicht dazu gezwungen ist. Ich meine dasz eben diese latein. Anmerkungen als Hülfsmittel der Präparation dienen sollen, nicht am den Schriftsteller lateinisch zu erklären.

Eckstein: ich glaube dem geehrten Vorredner in dieser Beziehung ganz entgegentreten zu müssen. Die Ausgaben der Klassiker mit lat. Noten sollen ein Hülfsmittel sein für das Verständnis und sollen bei -der Präparation schon einen Gewinn geben. Der besteht darin, dasz die Schüler schlechte lat. Redensarten und eine schlechte lat. Ueber- setzung gewinnen, während sie in anderen Ausgaben eine gute deutsche haben. Es wird wenig Ausgaben geben, aus denen für die Latinität etwas gewonnen wird. Es kommt auf die Klarheit des Verständnisses an, und wir müssen darnach trachten dasz wir vom Schüler eine gute, geschn>Rckvolle Uebersetzung erhalten. Das ist das wichtigste, denn darin ist der Kern des Verständnisses. Erreichen wir das, was brau- chen wir seolisbändige Commentare mit allen schönen Redensarten, die man vor dreiszig Jahren zur Bewundcning hinstellte? Eine tüchtige Uebersetzung! und da brauchen wir keine Noten. Ich glaube dasz einzelne von den Ausgaben , die mein verehrter Freund erwähnt hat, in dieser Beziehung keine Empfehlung verdienen. Der Wunder'scho Sophokles hat bei jeder etwas schwierigeren Stelle die lat. Ueber- setzung; was ist da der Gewinn für die Präparation? Ein paar Phra-

Bwichl üb. d. Verh. d. 18n Vers, deulsclier Philologen usw. in Wien. 637

senl Die Herroann^schen Ausgaben können wir nicht in die Hftnde der Schüler geben, die gehören in die Semiuarien. Daher glaube ich werden wir diese Frage abthun, da doch die Benützung von Ausgaben mit lat. Noten von problematischem Nutzen ist. Sind die Schüler fanl, 80 blicken sie hinein während der Lehrer fragt und lesen das er- götzlichste Zeug heraus; das ist amüsant .für die andern, aber ohne Nutzen. Ich meine, bleiben wir entweder bei den reinen Texten oder yerurteilen wir die deutschen Anmerkungen nicht! Aber wenn wir deutsch interpretieren, keine lateinischen Noten!

Präsident: die Frage, ob lat. oder deutsche Anmerkungen zu den Klassikern in der Schule vortbeilhaftcr sind, ist vom geehrten Vor- redner nach mehreren Punkten hin so beleuchtet worden, dasz ich bei- stimmen musz. Ich füge noch eins hinzu. Man vergleiche über die- selbe Schrift desselben Schriftstellers eine Schulansgabe mit lat. Com- mentar , die recht geachtet ist , und eine mit deutschem , z. B. den Protagoras von Stallbaum und den von Sauppe. Man frage, welche Art der Commentierung setzt an den Verfasser des Commentars die höheren Anforderungen und welche trägt mit minderem Aufwand von Mitteln mehr dazu bei, dasz man genau und selbstthätig eindringe! Ich glaube dasz man bei keiner dieser zwei Fragen sich für die lat. Anmerkungen entscheiden kann. Es steht in drei Seiten lat. Anmor- kangen, die wie in jener Platonausgabc in leidlichen Phrasen sich binziehen, bei weitem nicht so viel dem wissenschaftlichen Inhalt nach und wirkt nicht so anregend zum nachdenken für den Schüler als dort auf c'iner Seite. Man mag ferner versuchen lat. Anmcrkun- l^n 00 knapp zu schreiben wie deutsche, es wird mislingon; man mag es versuchen auf manche Wendungen im Gedanken und Ausdruck lateinisch hinzuweisen: man kann es, aber es fehlt dem Schüler das GkfUlil dafür und man erklärt ein unverständliches durch ein zweites. Deshalb betrachte ich das jetzige überwiegen der Ausgaben mit deut- schen Anmerkungen als ein thatsächliches Ergebnis paedagogischer £rfahrunpcn, dem sich gar nicht widersprechen läszt und das seine gnten Gründe hat.

Oberlehrer Flock aus Coblenz : das lat. interpretieren ist eine Unterart des Lateinsprechens. Ich glaube aber , dasz man für das Lateinsprechen mit den Schülern folgende zwei Grundsätze festhalten mnsz, nemlioh dasz das Lateinsprechen nur dann angewendet werden darf, wenn sowol die Sachen dem Schüler bekannt sind als auch die sprachüblichen Mittel. Daraus folgt nun unmittelbar, dasz man das Lateinsprechen nicht dazu benützen darf, um den Schülern schwierige Stellen denn darauT wird sich die Interpretation von Schriftstellern beschränken müssen klar zu machen.

Firnhaber: ich bemerke, das'z nicht die Vergleichung der Aus- gaben mit lateinischen und der mit deutschen Anmerkungen an sich in Frage ist, sondern nur inwiefern der Gebrauch von Ausgaben mit latei- nischen Anmerkungen ein Hülfsmittel für das Lateinspreclien sein könne; als solches habe ich die lat. Anmerkungen angekündigt als Ergänzung zu den in der Iloch egger 'sehen Thesis bezeichneten Mitteln. Es wird mir niemals in den Sinn kommen Plato nach lat. Ansgaben zu lesen; ich bin auch nicht 'der Ansicht dasz Thucjdides aweckmäszig mit lat. Commentar gelesen werde , obgleich ich sonst glaube dasz er seinem grösten Theile nach leichter lateinisch übersetzt wird als Xenophon. Davon ist nicht die Rede, aber das wird nie- mand bestreiten dasz, wenn wir Ausgaben mit präcis gefaszten latei- nischen Noten finden könnten, in denen die Fehler der früheren ver- mieden wären , ihr Gebrauch den Schülern eine Unterstützung fiir die Gewandtheit im Latein sein würde; hätten wir z. B. einen Horaz-mit

638 Bericht Ab. d. Verh. d. 18n Vers, deatscher Philologen obw. in

solchen präciscn Anmerkungen , so sollte dadurch keineswegs abge- schnitten werden, dasz der Lehrer bei seinen Schülern auf HersteU lang einer vollkommen treffenden deutschen Uebersetznng dringe. El scheint also, meine Herren, dasz ich misverstanden bin; aber in der Beschränkung, wie ich sie jetzt ausdrücklich bezeichnet, wird ein Mis- yerständnis nicht mehr möglich sein. Im Anschlnsz an die Thesis dei Hm Hochegger sehe ich in dem Gebrauche von Ausgaben mit lateinischen Noten ein besonderes Hülfsmittel für das Lateinsprechen, weil der Schüler hierdurch bei der Präparation genöthigt ist lateinisch zn denken.

Wildauer: ich glaube es sei noch in Betracht zn ziehen, dasz das Latein nicht Zweck des Unterrichts , sondern nur Bildungsmittel ist. Es kann daher nicht Aufgabe des Unterrichts sein, daaz die Schüler zur gröstmöglichen Fertigkeit gebracht werden, sondern es handelt sich darum den Unterricht so zu gestalten, dasz daraus der möglichst reiche Ertrag für allgemeine Bildung hervorgehe. Latein zur Interpretation zu verwenden scheint ganz unzweckmäszig. Es ist eine Versündigung am Genius der klassischen Schriftsteller und eine Verschuldung gegen die Muttersprache. Ein griech. Klassiker wie So- phokles ist werth zum innigsten Verständnis gebracht zu werden. Nun ist aber der einzige Weg, durch den man zu tieferem Verständnis kommt, eine treue Uebersetzung , die den Gedanken des griechischen Originals in seiner genauen Begrenzung nach dem Masz seiner Tiefe möglichst treu wiedergibt. Ich würde also die deutsche Interpretation empfehlen, weil das Gymnasium den gesamten Bildungsstoff in der Muttersprache frei verwerthen soll. Gebundenheit an das klassische Original führt zur Meisterschaft im freien Gebrauch der Muttersprache selbst und zur freien Verwerthung jedes Bildungsstoffes. Dazn ist die lat. Sprache vorhersehend behaftet mit dem Charakter der Verstän- digkeit und wird nur dazu dienen Verstand wieder zu wecken. Wenn wir aber klassische Originale zu interpretieren haben, haben wir den Schüler nicht blos von Seite des Verstandes zu fassen , denn da fassen wir ihn an einer Handhabe, an der er sich am wenigsten festhalten läszt; der junge Mensch ist Phantasie, Gefühl nnd Stre- ben. Es handelt sich darum edle Gefühle zu beleben, die Phantasie zu bilden. Das aber gelingt nur durch das Afedinm der Matter- sprache, die jedermann durch den täglichen Verkehr geläufig ist, denn, wie Herder sagt, unsere Zustände und Gefühle, unsere^ gesam- ten Gedanken und unser wahres wissen sprechen sich allein in der Muttersprache aus.

Die Anfrage des Vorsitzenden an die Versammlung, ob die- selbe die Discussion für geschlossen erkläre, ruft noch eine Frage des Dir. Eckstein hervor über die Bedeutung der 'grossen Vorsicht', mit welcher Prof. Hochegger die lat. Interpretation auf der ober» sten Stufe zulassen wolle. Die vom Vorsitzenden ausgesprochene Vermutung, dasz diese 'grosze Vorsicht' vielleicht einem ausschlieszen gleichkomme, wird von Dir. Eckstein und Prof, Hochegger sn- rückgewiesen. Die Erklärung des Professor Hochegger, dasz die lateinische Interpretation nur 'in sehr engen Grenzen' zulässig sei, kann, weil die Zeit zum Schlusz der Debatte nöthigt, nicht näher be- stimmt werden. Die Versammlung beschlieszt mit aufgeben dieses Punktes in der folgenden Sitzung die Thesen III C, IV D und E zu erörtern.

Dritte Sitzung, 28. September. Präsident Prof. Bonits.

Prof. A. Goebel aus Wien zur Motivierung von III C: die That- sache, dasz in dem Urteile über den Gebrauch von Ausgaben der alten Klassiker grelle Widersprüche an den verschiedenen Anstalten

IotMiI IIb. d. Verii. d. 18n Vers, denlsoher Philologen asw. in Wien. 639

bestehen, indem die einen Schulmänner nur einfache Textesausg^ahen snlassen, andere Ausgaben mit zweckmäszigen Anmerkungen dringend empfehlen, liesz wünschenswerth erscheinen, wenn diese Frage in der geehrten Versammlung, iu der ein grosser Kreis der gelehrtesten nnd erfahrensten Schulmänner sich findet, zur Sprache käme. leb kann mir nicht herausnehmen einen läng^eren Vortrag über diesen Gegenstand zu halten, als wollte ich eine solche Versammlung beleh- ren; mein Zweck war einfach diese Frage in Anregung zu bringen, nnd ieh folge nur dem bestehenden Brauche, wenn ich meine Behaup- tung durch Darlegung der Gründe näher zu beleuchten versuche. Es hendelt sich zunächst um die Beantwortung der Frage: welche Aus- gaben sind als zweckmäszig anzusehen, welche nicht? Meiner Ansicht nach find nur die Ausgaben mit Anmerkungen als zweckmäszig anzu- aehen, in denen dem Schüler nichts weiter als die nöthige Nachhülfe gegeben wird, dasz das Verständnis 'des Sinnes je nach der Stufe des Scbülers erreicht werde. In ein inniges Verständnis des Klassikers an dringen ist ein Ding der Unmöglichkeit für die Schule; wer 20mal die Odjssee gelesen hat, wird zum 21. Male etwas neues finden nnd immer tiefer in den Sinn eindringen. Es ist also lediglich das zu er- alelen, dasz der Schüler auf dem Standpunkt , auf dem er sich befindet, die nöthigen Aufschlüsse erhalte, und zwar so weit die Mittel, die ihm an Gebote stehen, lexikalischer, grammatischer, historischer Art, nicht ausreichen. Weiter gehen zu wollen würde zu einer Beihe von In- eonsequenzen führen. Mit dem nemlichen Recht , womit der eine Heransgeber die Schüler tiefer in die Grammatik einführen will, könnte der andere ihm ästhetische Belehrungen,' ein dritter historische nsw. bieten wollen, und so würden Commentare von unendlicher Ausdeh- iinng entstehen. Gewis verkenne ich nicht, welch unendlich hohen Werth z. B. die Anmerkungen Nägelsbachs zur Ilias haben; aber es wSre dies nicht eine Ausgabe nach der angedeuteten Feststellung für den Schulgebrauch. Die Ausgabe des Nepos von Bremi hat wesent- Heh das Studium der lateinischen Sprache gefördert, aber es wäre keine Ausgabe, wie ich sie für Schüler in Vorschlag bringen möchte; aber Ausgaben mit solchen Erklärungen, die den Schüler in den Stand setzen zum Verständnis, wie es auf seiner Stufe gefordert wird, zu gelangen, so weit die ihm zu Gebote stehenden Mittel nicht ausreichen, •o commentierte Ausgaben erachte ich für besser als blosze Textes- ansgaben. Ich nehme den ersten Beweisgrund vom Lehrer selbst. Weisz der Lehrer in der Hand seiner Schüler gute Commentare, so , iat dies gleichsam eine Controle des Lehrers selbst. In ähnlicher Weise, wie der Lehrer ganz anders sich vorbereiten wird, wenn er tfichtige Schüler als wenn er schlechte hat, wo die Versuchung nahe Hegt dasz er sich gehen lasse, ebenso wird der Lehrer, wenn er ■weckmäszige Commentare in den Händen der ' Schüler weisz , darin noch einen besonderen Anlasz haben, sich sorgfältig vorzubereiten und der Gewinn für die Schüler wird ein nicht geringer sein. Es ^vird der Lehrer zweitens weit mehr den* Schülern beibringen können; es ist ihm die Erklärung theilweise schon vereinfacht und er wird mehr lesen können, als ohne derartige Erklärungen in den Händen der Schüler. Gewis will ich damit nicht das flüchtige lesen vertheidigen, allein ein allzu statarisches lesen, wo der Text als bloszes Substrat an grammatischen usw. Excurson verwendet wird, taugt eben so wenig. Gehen wir weiter auf die Folgen, die der Schüler unmittelbar ans dem Gebrauche solcher Ausgaben entnimmt, so meine ich wir trennen die Frage in zwei Fälle. Entweder gebraucht der Schüler Hülfsmittel, die man nicht gern in seinen H&iden sieht, wohin be- sonders die Uebersetzungen gehören , oder er gebraucht sie nicht.

iV. Jahrb. f. Phil. u. Paed. Hrf LXXVIII. Hfl I?. 44

640 Bericht flb. d. Verb. d. I8n Vers, deuttofaer Philolof en usw. WieOw

Gebraucht dor Schüler sie nicht, so wird er geht es ja doch selb«! dem gediegensten Philologen so nnd um so mehr je tiefer er eindringt häufig dastehen, ohne vorwärts kommen zn können. Was ist da die Folge für den Schüler? Er quält sich ab und kommt zu keinem Ziele, zur klaren Einsicht der Stelle gewis nicht, und doch ist es ein Hauptziel alles Unterrichtes, dasz die geistige Klarheit gefördert werde. Er fühlt sich unbehaglich, verliert Lust und Liebe an der Sache; cur Privatlectüre wird er sich am allerwenigsten angezogen fühlen, wenn er nur den Text in Händen hat. Ich appelliere an die Erfahrungen eines jeden aus seiner Studienzeit. Wer nicht gut commentierte Aas- gaben erhielt, fühlte sich schwerlich zu Privatstudien hingezogen. Gans die entgegengesetzten Folgen werden sich ergeben, wenn der Schüler gute Ausgaben mit Commentar in den Händen hat; er wird eher siir Klarheit gelangen, diese Klarheit spornt ihn immer weiter, die Freude am Studium wird erhöht, das Privatstudium angeregt, kurz der Erfolg wird viel erfreulicher sein als sonst. Wie aber, wenn die Schüler nun zu Hülfsmitteln greifen, die man so gerne entfernt wünschte, besonders Uebersetzungen? Dann treten alle jene üblen Folgen ein, welche dieser Gebrauch nach sich zieht, und die grosze Mehrzahl der Schüler wird über kurz oder lang nothgedrungen dazu kommen , gar nicht mehr zu studieren oder aber zu solcl\en Hülfsmitteln die Zuflucht zu nehmen. Die traurigen Folgen moralischer Art brauche ich nur kurz anzudeuten: Trägheit, Flüchtigkeit, Leichtsinn steigert sich, die Wahrheitsliebe wird ertödtet, das flüchtige studieren wird eine Un- gründlichkeit auch in anderen Dingen hervorrufen; wenn ein solcher Schüler selbständig etwas thun soll, gelingt es nicht, er gewöhnt sich an Unsicherheit, an ein ewiges sich helfenlassen von anderen. Und sehen wir auch auf die buchhändlerischen Erfahrungen eben bezüglich unserer Frage. Seit gut commentierte Ausgaben, besonders in der Haupt -Sauppe* scheu Sammlung vorhanden sind, ist es eine bekannte Thatsache dasz der Vertrieb der Uebersetzungen , wie sie in gewissen Fabriken gemacht worden sind und gemacht werden, bedeutend abge- nommen hat.

Man könnte nun verschiedene Einwürfe machen; ich verkenne das nicht; die wichtigsten wären etwa folgende: die Aufmerksamkeit des Schülers in der Lehrstunde wird durch Anmerkungen unter dem Texte geschwächt. Ich glaube dasz dieses nur ein illusorischer Einwand ist. Wenn die Anmerkungen so beschaffen sind wie ich andeutete, wenn sie kurz und einfach auf das hinführen, was der Schüler nicht wissen konnte, dann wird der Schüler zu Hause diese Anmerkungen sorg- fältig angesehen haben und es nicht erst in der Schule thun ; er wiä sogar den Text aufmerksamer durchgearbeitet haben als sonst; es wird ein eigenes Interesse für ilm haben zu hören, ob der Lehrer die Stelle auch so faszt, ob er eine entgegengesetzte Auffassung hat nnd welche Gründe dafür, so dasz im Gegentheil die Aufmerksamkeit erhöht wird. Freilich wenn man an Ausgaben dächte mit zwei Zeilen Text auf der Seite und sonst nur Anmerkungen, so würde jener Einwand berechtigt sein. Man könnte femer einwenden, es würde der Er- klärung des Lehrers vorgegriffen. Allein der Lehrer hat ja eben nur die Aufgabe, dem Schüler die Sache nahe zu legen; ist dieses l^ereits theilweise anderweitig geschehen, desto besser, seine Aufgabe ist ver- ' einfacht und es ist ihm mehr Zeit gegönnt noch allerlei andere, sehr wünschenswerthe Bemerkungen anzuschlieszen. Man sagt auch öfters, es ist ganz unnöthig Ausgaben mit Anmerkungen zu Grunde zu legen, denn es kann ja der Lehrer in der Stunde vorher das betreffende Kapitel mit den Schülern durchgehen und sie auf wichtige Schwierig- keiten aufmerksam machen« Diesen Einwurf halte ich für noch we*

Barieht fib. d. Verli. d. 18n Vers, deutscher Philologen asw. in Wien. 64 i

-niger gerecht als den früheren. Denn wie kann der Lehrer den Schüler auf Schwierigkeiten aafmerksam machen, wenn das betreffende Stück dem Schüler noch ganz fremd ist. £& bliebe nur übrig, dasz ihn der Lehrer durch näheres hineinführen auf den Standpunkt stellte, seine Bemerkungen verfolgen zu können. Damit hat er ihm aber den grösten Theil der Präparation vorweggenommen. Dieses wären ungeföhr die wichtigsten Einwendungen, die meiner.Ansicht nach geltend gemacht werden können. Es sollte mir zur Freude gereichen, wenn erfahrenere Schulmänner ihre ^ Ansichten , Gründe für oder wider vor- bringen und wenn namentlich gediegene Schulmänner ihre Erfahrungen auf diesem Gebiete mittheilen wollten.

Der Vorsitzende schlägt vor, die Discussion der Thesis in der Alt zu theilen, dasz zuerst die zweckmäszige Einrichtung von Schul- aasgaben mit Anmerkungen zur Erörterung kommen, sodann ihr Ge- brauch mit dem der bloszen Textausgaben in Vergleichung gestellt wer- den solle; Dem Vorschlage wird vom Dir. Eckstein und vom Prof. Schröpf aus Wien widersprochen und der Gegenstand ungetheilt zur Discussion gestellt.

Director Schober: ich glaube, wenn wir zum Ziel gelangen wollen , müssen wir darauf dringen , streng zu scheiden zwischen öffentlicher und Privatlectüre , denn für jede von beiden ist das Stre- ben des Lehrers ein verschiedenes; es müssen also auch die Hülfs- mittel andere sein. Wir werden zugeben dasz es für die Schnllectüro kochst wichtig ist, dasz die Schüler an Selbstthätigkeit gewöhnt wer- den. Wollen wir ihnen deshalb die Hindernisse beseitigen? Keines- wegs. Sie sollen auf eine Bahn mit Hindernissen geführt werden, an ihrer Ueberwindung ihren Geist stärken. Darum werden wir es vorziehen, ihnen blosze Texte in die Hand zu geben. Denn mag die Schwierigkeit für den Schüler grosz sein, die Lösung harrt seiner am nächsten Tag; aber wir schaffen ihm Freude, wenn er in die Schule kömmt und dem Lehrer beweisen kann: ich habe das mit den einfachsten Hülfsmitteln gefunden; denn wenn er auch aus falschen Prämissen dennoch einen Schlusz zieht, so beweist er dasz er mit nachdenken gearbeitet hat. Diejenigen Herren unter den Anwesen- den, die gleich mir ihre CO im Rücken haben, werden sich erinnern dasz zu unserer Gymnasialzeit nichts geboten war als eine tüchtige grammatische Vorbildung, eine reiche Phraseologie und das Wörter- buch. Da setzten wir uns hin und arbeiteten, dachten was dort die Commilitionen herausbringen mögen, und hatten die gröiste Freude, wenn der Lehrer sagte: du hast gearbeitet. So wurden wir an Selbstthätigkeit gewöhnt. Das ist gerade das Unglück unserer Ju- gend, dasz ihr alle Wege zu leicht gemacht werden. Ein lebendiges eindringen in den Autor, das war der Gewinn, den wir zogen. Anders steht es wenn wir fragen, was sollen wir bei der Privatlectüre machen? Ich habe es so eingerichtet dasz, wenn ein Semester hin- durch eine Schrift eines Autors gelesen ist , damit der Kreis der Leetüre erweitert werde , dieser den Schülern zur Privatlectüre über- lassen wird. Aber sie müssen in den mittleren Klassen monatlich, in den oberen vierteljährlich Rechenschaft geben. Da empfehle ich die Haupt'sche Sammlung. Sie bietet zweckmäszige Einleitungen, welche den Zusammenhang der Schriftsteller mit ihrer Zeit und dem Yorher geleisteten darlegen, schöne Uebersichten des Inhalts geben, aber ich glaube sie gibt zu viel in den Anmerkungen. Denn was soll sie der PriVatlectüre ? Nicht die Schwierigkeiten beseitigen, der Schü- ler soll auch kämpfen, aber den Weg, wie er die Schwierigkeiten über- winden kann, soll die commentierte Ausgabe andeuten. Also während ich die Einleitungen dieser Sammlung im ganzen billige, wünschte ich

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weniger Anmerknngen , am wenigsten Hinweisungen auf Grammatiken. Die Schüler lesen sie nicht nach und sie machen die Ausgaben nur theuer. Diese Unterscheidung also halte ich für nöthig, und meine Ansicht geht dahin: kritische Texte für die Schule und commentierte Ausgaben für die Privatlectüre.

Eckstein: ich erbitte mir über ein paar incredibilia in der trefflichen Entwicklung des Herrn Thesenstellers Aufschlusz. Das erste incredibile ist eine Erfahrung, die meiner Erfahrung dorchaus widerstreitet, dasz seit der Verbreitung der Ausgaben mit Anmerktun- gen das Verlangen der Schüler nach wolfeilen Uebersetsungen , die in Blättchen zerschnitten bequem in die Bücher gelegt werden können, gesunken wäre. Wer die Augen aufthut, wii'd Gelegenheit das Gegen- theil zu beobachten in Hülle und Fülle haben; wer auf ConYicten haust, wird, wenn er die Schränke der Schüler durchmustert, solche Uebersetzungen , die sich forterben , in Fülle finden , daher ist es mir ein incredibile gewesen, dasz die Lust nach Uebersetzungen geschwrui- den wäre. Ferner möchte ich etwas anderes in der Begründung doch nicht so hervorgehoben wissen, weil es auf uns ein sehr übles Licht werfen könnte. Herr Prof. G o e b e 1 hat gemeint , wenn die Schüler Ausgaben mit Anmerkungen hätten, dann werden wir uns besser priU parieren müssen. Ich behaupte das Gegentheil: wenn die Schüler Ter- schiedene Teztausgaben haben, dann werden wir uns besser präpa- rieren müssen , uns genau umzusehen haben , dasz wir auf jede Les- art, auf jede Frage vorbereitet sind und ihnen sagen können, das passt nicht deshalb und deshalb I Es würde mir das nicht behauen als Grund gegen die Teztausgaben. Ja Herr Prof. Goebel hat noch eine weitere Consequenz gezogen, die mir auch als ein incre- dibile erschienen ist, nemlich dasz, wenn der Schüler Ausgaben mit Noten in den Händen hat, er den Lehrer besser controlieren kann und darum die Aufmerksamkeit gespannt ist. Ich glaube es fällt doch keinem Schüler ein, das wissen des Lehrers zu controlieren, und wenn er was immer für Anmerkungen hat, er wird doch dem Lehrer die gröszere Einsicht zutrauen. Ein anderes incredlbfle war mir dieses, es schien als ob Herr Prof. Goebel von der Voraus- setzung auRgienge , dasz die durch solche Ausgaben erleichterte PrS- paration dem Schüler schon das volle Verständnis geben könne, ja geben solle, damit dann der Lehrer desto schneller vorwärts zu kom- men im Stande sei. Habe ich recht verstanden? (Goebel: nein.) Dann will ich schweigen. Aber auf einen groszen Unterschied hat schon Herr Director Schober aufmerksam gemacht. Schul- und Pri- vatlectüre, Klasse und Haus. Ich glaube es müssen noch festgehalten werden die verschiedenen Stufen der Schüler selbst, Anfänger, mitt- lere, höchste Stufe. Auch da wird zu entscheiden sein, ob blosse Texte oder Ausgaben mit Anmerkungen den Vorzug verdienen. Femer halte ich die Frage für ganz und gar nicht so bedeutend. Mir ist 68 völlig gleichgiltig , ob die Schüler Ausgaben mit oder ohne An- merkungen haben, mir ist es völlig gleich was sie für Texte haben, eben darum, weil ich eine gewisse Freiheit und in Norddeutschland auch Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse der Schüler haben will. Daher glaube ich dasz eine so hohe Bedeutung, als hier auf diese Frage gelegt wird , gar nicht darauf zu legen ist und denke dasz ans der Verschiedenheit der Texte vielfache Anregung von Seite des Lehrers erreicht werden kann. Mir scheint ferner, als ob der Herr Antragsteller den Unterschied zwischen cursorischer und statarischer Leetüre festgehalten wissen wolle. (Goebel: nein!) Da bin ich stille. Wir haben nur ^ine Leetüre, die dem Schüler das Verständ- nis des Textes öffnet; sind sie reif, so haben wir keine Schwierig-

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keiten zu heben, sind sie nicht tüchtig, so werden wir länger yer- weilen.

Schulrath Stieve ans Breslau: mehreres von dem, worauf ich die Aufmerksamkeit richten wollte, ist bereits gesagt, üebrigens will ich bekennen, dasz ich zu denen gehöre, die Ausgaben ohne An- merkungen wünschen. Ich würde mich geneigt finden lassen auf An- merkungen einzugehen, wenn der Herr Thesensteller genau bestimmt hätte, was er unter Ausgaben mit 'zweckmäszigen Anmerkungen' ver- steht. Darüber wird man so leicht nicht einig werden, und mit der Hinweisung darauf, dasz sie erörtern sollen was die Schüler nicht wissen, ist die Sache nicht abgethan. Ich glaube dasz man auch diese Bemerkungen entbehren kann. Wenn dem Schüler das gegeben werden soll , was er aus seinen Büchern nicht findet , da kann der Lehrer eintreten : nicht so dasz er die Lection früher durchgeht , son- dern so dasz er auf die Btclleiii , für die es den Schülern an Mitteln gebricht, aufmerksam macht und dem Schüler das an die Hand gibt was er braucht. Dieses ist nothw endig um unendliche Zeit, zu er- sparen, welche die tüchtigsten Schüler bei der Präparation auf solche Stellen verwenden würden. Wenn das geschieht, ist es nicht nöthig ihm einen Text mit Anmerkungen in die Hand zu geben. Üebrigens habe ich allerdings auch das gefunden, wovon Eckstein sprach: es kommt nicht darauf an, ob die Schüler Anmerkungen haben oder nicht. £8 gilt hier wie so oft auf paedagogischem Qebiet: ^^ines schickt sich nicht für alle.' Je nachdem sie die Anmerkungen gut verarbei- ten, mag man sie ihnen geben. Im allgemeinen musz man sich da- gegen erklären.

Professor Daniel aus Halle: Herr Director Schober bezeichnete mit Recht eine Abnahme der Freude an Selbstthätigkeit bei unserer Jugend als groszen Schaden und erklärte deshalb Ausgaben mit An- merkungen für bedenklich. Ein nicht geringer Schaden ist gewis das ▼iel beklagte und viel beobachtete , dasz bei unserer Jugend wie in der ganzen Zeit ein rechter und zu billigender Sinn für Autorität ab- nimmt. Auch von hier aus dürften sich für die unterste und mittlere Stufe Gründe gegen die Anmerkungen erheben lassen. Meine Herren, Sie kennen alle jene alten, guten Geschichten von Schulmeistern, die selbst vor Königen nicht den kürzeren ziehen oder die zweite Stelle einnehmen wollten; sie haben erklärt: in der Schule ist der Schul- meister der erste und wenn selbst der König liineinkommt. In die- sen Anekdoten liegt eine gute Lehre, die wir auch brauchen kennen.' Ich glaube dasz, höchstens Prima ausgenommen, der Lehrer den Schü- ler nicht einführen darf in die Reihe der Interpreten, zwischen denen er %n wählen habe. Er musz für ihn vor der Hand die einzige Autorität bleiben und in dieser Unterwerfung allein kann er heran- reifen zu einer höheren Bildungsstufe, wo ihn das nicht mehr irrt, dasz der Lehrer nicht infallibel ist. So glaube ich auch, dasz von diesem paedagogischen Gesichtspunkt aus blosze Texte gewis für die mittlere Stufe angezeigter sind. Ich brauche mich wol nicht dagegen KU verwahren , als ob ich einem bramanenhaften Kastengeist das Wort geredet hätte.

Schulrath Czerkawski aus Lemberg: die Ansicht des Herrn Thesenstellers würde sich wahrscheinlich einer besseren Aufnahme er- freuen , wenn die Begründung von einem anderen Gesichtspunkte aus- gegangen wäre. Ich thcile d^e Meinung meines geehrten Vorredners Eckstein, dasz gegen die Begründung viel einzuwenden sei und glaube dasz die einseitige Begründung selbst der in der Thesis ausge- sprochenen Wahrheit geschadet hat. Ich glaube nemlich dasz, wenn es sich darum handelt, ob ein oder das andere Buch, ein oder das

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andere Hülfsmittel beim Untemcht gebraucht 'werden soll oder kann, vor allem der paedagogisebe Gesichtspunkt festgehalten werden musK. In dieser Beziehung erachte ich nun dasz der Gesichtspunkt, den der Herr Antragsteller festgehalten hat, nemlich der der Erleichterung des Studiums, welches dem Schüler zugeführt werden soll, kein paeda- gogischer und kein richtiger ist. £s kann nicht Aufgabe des erziehen- den Unterrichtes sein, dem Schüler jede Arbeit zu erleichtem, ja ihn jeder Arbeit zu entheben, im Gegentheil musz der erziehende Unter- richt darauf gerichtet sein, die Selbstthätigkeit anzufachen und za erhöben. Wenn daher die Entscheidung der Frage gegeben werden soll, ob blosze Texte oder Ausgaben mit Anmerkungen, so musz die Frage gelöst werden, ob die eine oder die andere Art von Ausgaben die Selbstthätigkeit in höherem Grade anzueifern und zu unterhalten fähig sei. Stellt man diese Frage, so wird man leicht zu jener Ent- scheidung kommen, welche die Thesis fordert. An sich betrachtet scheinen wol Textausgaben so beschaffen zu sein, dasz sie vor allem Selbstthätigkeit anregen, weil sie, so scheint es, dem Schüler durch- aus kein Mittel an die Hand geben, um ihm die Arbeit, die wir voraussetzen und fordern, zu ersparen. In dieser Beziehung würde man für die Texte sich entscheiden , und ich bin selbst der Ansicht dasz Textausgaben allerdings vorzuziehen sind, wenn nicht Ausgaben mit zweckmäszigen Anmerkungen vorhanden sind, d. h. solchen, welche die Selbstthätigkeit weit entfernt zu untergraben im GegenÜieil an- regen. Nun glaube ich aber, dasz es gerade solche Anmerkungen geben könne und dasz, wenn diese Anmerkungen zweckmässig sind, dann solche Ausgaben weit über den bloszen Texten stehen. Aller- dings wenn es sich blosz um ein halbweg leidliches übersetzen han- delt, um ein oberflächliches verstehen, so können wir mit Textans- gaben immer ausreichen. Nun ist aber jedem Schulmanne bekannt, dasz die Autoren in grammatischer, stilistischer und antiquarischer und überhaupt in aller Beziehung oft ganz neue und interessante Sei- ten darbieten , auf die der Schüler beim unmittelbaren lesen nicht kommt. Findet er aber geeignete Hinweisungen auf diese oder jene Hülfsmittel, wird er veranlaszt sie zu brauchen, so erschlieszen sich für ihn ganz neue Seiten des Verständnisses, das Interesse wird er- iföht und er wird zu eigner Selbstthätigkeit angeregt und lernt den Schriftsteller lieben, und das, was der erziehende Unterricht beab- sichtigt, ist erreicht. Ich habe gesagt, dasz diese Anmerkungen gram- matischer, stilistischer und antiquarischer Natur sein müssen, sie dürfen ihn aber nicht, wie der Herr Antragsteller meinte, blos über das was er nicht wissen kann, einfach belehreu, ihm blos das ein- fach zuführen was er nicht webz. Im Gegentheil, jene Anmerkun- gen, glaube ich, werden den ersten Preis haben, welche an- und hin- deutend sind. In dieser Beziehung würde ich der Ansicht des Herrn Director Schober nicht beistimmen können, der erklärte, dasz Hin- weisungen auf Grammatiken zu nichts führen. Ich denke es ist Auf- gabe eines gut geleiteten Unterrichtes, den Schüler zu verhalten dasz er diese Hülfsmittel gebrauche, dasz er nachschlage. Er wird sie freilich nicht gebrauchen, wenn er überzeugt ist, er werde keine Rechenschaft zu geben haben. Weisz er das, so wird er dazu grei- fen. — Auszerdem will ich noch auf einen Umstand aufmerksam machen. Wird nicht durch den Gebrauch commentierter Ausgaben der Schüler angeleitet mit der Zeit gelehrte Hülfsmittel zu benützen und zu verwerthen? wird 'nicht dadurch erreicht was wir au er- reichen streben, dasz dem Schüler der Weg gezeigt ist, wie er einst Autoren selbst lesen, in den Sinn selbst eindringen soll? Man soll nicht erschrecken vor dem Gedanken,' dass dieses nicht ganz gelingen

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wird ; in der Schule wird nichts vollkommen gelingen y aber ein alter Weiser hat gesagt: die Hälfte ist besser als das ganze; dieses passt ganz auf den erziehenden Unterricht. Wenn wir das erreicht ha- ben, dasz dem Schüler die Bahn gezeigt ist, wie er zu dem höhe- ren Ziele gelangen kann, so haben wir erreicht, was unsere Auf- gabe ist.

Benecke: das gedeihen alles Unterrichts nnd ebenso die Er- klärung der Klassiker hängt davon ab , dasz der Lehrer in innigen und lebendigen Wechselverkehr mit seinen Schülern tritt, dasz er gegenwärtig ist in den Gemütern der Schüler und von diesem Ge- sichtspunkt aus operiert, dasz er die eigentlichen Bedürfnisse des Schülers kennen lernt. Ich glaube dasz Ausgaben mit Anmerkungen diesen lebendigen Wechselvcrkehr nicht befördern sondern hindern. Der Lehrer kann , wenn der Schüler durch die Anmerkungen über allerlei Schwierigkeit hinweggehoben ist, offenbar nicht wissen, ob er aus eigener Kraft oder durch fremde Hülfsmittel dazu gekommen ist, er lernt die Bedürfnisse des Schülers nicht kennen und kann sie nicht befriedigen. So würde sich die Sache verhalten, wenn die Anmer- kungen fleiszig benützt würden. Ich habe aber diese Erfahrung nicht gemacht. Was die Anmerkungen den Schülern bieten ist meistens nicht das was sie suchen; sie fühlen sich von ihrem eigenen Bedürf- nisse mehr abgelenkt und pflegen die Anmerkungen , wenn nicht stille - SU übergehen , doch nicht sehr zu beachten.' Das eigentliche Be- dürfnis wird ihnen am ersten durch eine Uebersetzung befriedigt und deshalb brauchen sie neben Ausgaben mit Anmerkungen die Ueber- setzungen nach wie vor. Sie werden aber gewissermaszen dazu ge- trieben, wenn man verlangt sie sollen so präpariert sein, ^ dasz sie das Pensum im ganzen verstanden haben. Diese Forderung, glaube ioh, geht über den Horizont der Schüler. Ich bin zufrieden, wenn sie geleistet haben was sie leisten können, und nicht blos das was sie wissen ganz entschieden zeigen, sondern auch was sie nicht wissen; denn dann ist das Bedürfnis der Schüler viel leichter zu befriedigen, als wenn es verhüllt ist.

Schulrath Enk v. d. Burg aus Wien: nach allem was wir ge- hört haben , glaube ich , dasz die Verhandlung auf den Punkt gekom- men ist, den ein Vorredner bezeichnete, nemlich es könne die Frage, ob blosze Texte oder Ausgaben mit Anmerkungen, nicht von der ge- trennt werden, welche Anmerkungen zweckmäszig sind. Es ist dieses schwer zu bezeichnen und ich erlaube mir noch einen Schritt weiter fsa gehen: um zu untersuchen, ob eine Ausgabe zweckmäszig ist, müste man jede einzelne untersuchen. Ich erlaube mir, um meiner Ansicht etwas concretere Form zu geben, auf eine zufällig mir be- kannte hinzudeuten: die der Metamorph, von Siebeiis. Ich glaube dasz eine solche Ausgabe der Stufe, die bei ans die fünfte Klasse einnimmt, vollkommen entspricht, weil sie nicht das Verständnis den Schülern so nahe legt dasz sie nichts mehr zu denken hätten , son- dern ihn^l zwcckmäszigerweise nur das unentbehrliche gibt. Sie macht aufmerksam durch Fragen und weist nicht auf Grammatiken, die nachzuschlagen weder Brauch der Schüler ist noch ihnen fug- lich zugemutet werden kann, sondern sie gibt, wenn eine gramma- tische Beziehung zu besprechen ist, kurz die Regel an, der Schü- ler kann nachschlagen wenn er will. Sie macht durch kurze Fra- gen aufmerksam : hier ist etwas ungewöhnliches , etwas im prosai- schen Sprachgebrauch nicht vorkommendes usw. Dieses zu bemerken, wird dem Schüler interessant sein und den Vortrag des Lehrers unter- stützen. — Nach dem gesagten würde ich also mir nicht getrauen im allgemeinen ein Urteil über die Zweckmäszigkeit zu fällen, son-

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dem für jede einzehie und für jede Stufe die Fragte besonders unter- suchen.

Wiese: meine Herren 1 Es ist über den Gegenstand maaobes gesagt worden, dem ich mich von Herzen anschliesze. Ich will mit Uebergehung solcher Seiten der Sache, die mir zwar wichtig schei- nen, aber schon berührt sind, auf einiges noch nicht berührte auf- merksam machen. Wir haben alle die ErfahruDg, dasz im allgemei- nen nicht genug gelesen wird. Die Zeit reicht eben, nicht aus, die Klassen sind voll, und so musz das Pensum beschränkt werden. Was ist in einer Stunde alles zu thuni Ein gewissenhafter Lehrer darf keinen übersehen, er musz den Schülern, er musz dem Gegenstände gerecht werden. Deshalb ist nichts zu wünschen, als dasz alles ent- fernt wird, was die Erreichung des eigentlichen Zieles verhiodert. Ich habe die Erfahrung dasz Lehrer, um solche Hindernisse eines freien Ganges auf das Ziel los zu beseitigen, von den Schülern ver- langen, dasz sämtliche, und wären es 70, 80, dieselbe Ausgabe be- sitzen. Es besteht in Preuszen keinerlei Zwang, sondern ist jedem Lehrer überlassen, sich an eine Ausgabe ich spreche zunächst von den mittleren und oberen Klassen zu halten wie &r will, nnd man hat keine Gründe, diese Freiheit bedenklich zu finden. Es g^ eben auch da: practica est multiplex. Ich habe also die Erfahrung, dasz Lehrer von allen Schülern die Anschaffung derselben Ausgabe verlangen; damit ist Zeit erspart, denn das kommt immer vor, dass die Schüler zum Theil aus g^ten, zum Theil aus frivolen Gründen fragen: in meinem Buche lese ich so, wie stehVs damit? Damit geht viel Zeit verloren, und der methodische Gang, den der Lehrer sich vorgezeichnet hat, wird unterbrochen. Vor allem sollen die Schüler aus der Schule die Gewöhnung an ein methodisches Verfahren mit» nehmen. Dieses wird nicht erreicht, wenn der Lehrer stets gestört wird. - Noch weiter als diese gehen andere, die verlangten, die Schüler sollen überhaupt keine Ausgabe mit Anmerkungen haben, aon- dern reine Texte in derselben Ausgabe, z. B. der l'eubner* sehen, nnd ich kann nur sagen dasz damit wirklich mehr Zeit gewonnen wird« und bei einem Lehrer, der volle Selbständigkeit hat und sich nioht will stören lassen, der das will was Benecke als Aufgabe bezeich- net,, nemlich in nicht gestörten geistigen Verkehr mit seinen Sohü- lem treten, wird in der That so mehr erreicht; und dieses bezeichne ich als wünschenswerth. Dabei sind jedoch immer im Auge au be- halten Persönlichkeiten und die Verhältnisse der Anstalten. Es gibt Primen mit wenigen Schülern, da kann man sich freier bewegen; aber diese sind selten, denn unsere Gymnasien sind in den oberen Klassen meist überfüllt. Also mein Wunsch ist allerdings, dasz in der Schnle nichts vor dem Schüler liege als reine Texte; die Integrität des Au- tors wird ihm viel weniger verkümmert, er lernt ihn viel besser kwoh neu, als wenn allerlei Zugaben da sind und die Einfachheit des Ver- hältnisses stören, die im Unterricht am gedeihlichsten ist. Dabei wird ein gewissenhafter Lehrer es nicht unterlassen, ihnen g#t oommen- tierte Ausgaben zu empfehlen ich komme hiermit auf den Unter- schied, der schon hat besprochen werden müssen. Jeder, der in Prima unterrichtet hat , wird wissen , dasz sich in diesen Klassen streb- same Schüler von reiferem denken finden. Warum sollen diesen s. B^ die Bentley'schen Anmerkungen zum Horaz vorenthalten werden? In der Klasse jedoch würde ich sie nioht wünschen. Rücksicht auf den Kostenpunkt ist allerdings auch zu - nehmen. Man könnte nemlioh sa- gen, dann wird sich jeder Schüler in der obersten Klasse zwei Aus- gaben anzuschaffen haben. Ja , ein Zwang wäre es nicht, und wir haben häufig die Einrichtung, dasz empfälenswerthe Ausgaben mit

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Anmerkungen in ziemlicher Zahl in den Schülerbibliotheken vorhanden sind. Uebrigens sind diese Ausgaben jetzt so leicht anzuschaffen, so wolfeil, dasz auch für die wenigsten dieses eine grosze Zumutung ist, sich neben dem bloszen Texte noch etwas mehr anzuschaffen. Solche Ausgaben nun, die man empfehlen kann, sind in der That nicht häufig. £s ist schon besprochen, wie häufig den Schülern durch diese Anmerkungen die Selbstthätigkeit verkümmert wird. Ich habe darin bestimmte Erfahrungen; diejenigen Ausgaben sind die besten, die den Schriftsteller aus sich selbst zu erklären suchen , den Sprach- gebrauch so behandeln, dasz sie auf ähnliche Stellen derselben Schrift oder desselben Autors verweisen. Da ist es Sache des Lehrers streng SU sein und die Präparation gehörig zu controlieren. Wir könnten die Frage, wie man Uebersetzungen unschädlich machen könnte, auch einmal behandeln. Es ist dieses ein Uebel, dem wir kaum gewach- ten zu sein scheinen und gegen welches, wie gegen die Misbräuche der Anmerkungen, strenge Controle der Lehrer das einzige Mittel ist. Die Hauptaufgabe ist eine gute Uebersetzung. Wird darauf ge- hörige Sorgfalt verwendet, so können die faulen Schüler sehr leicht ertappt werden; sie müssen nachweisen, warum sie den Ausdruck so oder so wählen. So kann man ihnen den Misbrauch verleiden und Freude zur Selbstthätigkeit wecken. Ausgaben also , wie die frühere Matthiae^sche der Epistolae selectae von Cicero , haben das g^te , dass der Heransgeber sich bemühte Parallelstellen nur so zu wählen, dasa Cicero aus sich selbst erklärt wird. Ich habe die Erfahrung, dass diese Ausgabe bei gehöriger Verwendung sehr g^t wirkt. Jedoch ge- hören solche Ausgaben für das Haus, nicht für die Schule.' Hat der Behüler in der Schule Anmerkungen vor sich, so liest er oft, wie gestern schon von Eckstein erwähnt wurde, das dümmste Zeug heraus, und was er findet gibt er als Antwort. Wie viel kostet dann dieses Zeit in der Schule? Ein geschickter Lehrer kann dieses aller- dings vermeiden, aber wir müssen auf das uns beschränken was das beste ist. Für die Schule also nichts als blosse Texte, und zwar wo- möglich alle in derselben Ausgabe. Denn dasz die Kritik nicht ausge- schlossen werden kann, versteht sich von selbst; dasz sie aber so ein* geschränkt werden musz, dasz nur solche Lesarten beurteilt werden, hei deren Verwerfung doch Belehrung herauskommt, versteht sich von selbst. Ich würde es als einen groszen Gewinn für die Förderung der Alterthumswissenschaft betrachten, wenn wir diese Hindernisse besei- tigten; es wäre ein wesentlicher Fortschritt, in den Klassen nichts als die reinen Texte zu gestatten.

Proreetor Keller aus Batibor: indem ich, was das Princip be- trifft, vollkommen einverstanden bin mit dem, was Schober und Beneoke gesprochen haben, femer den Nutzen, den ich den An- merkungen nicht bestreite, nur dann anerkennen kann, wenn dieselbe eommentierte Ausgabe von allen Schülern gebraucht wird, erlaube ich mir auf eine Erfahrung aufmerksam zu machen, die ich wol nieht allein gemacht habe. Welche Schüler haben Ausgaben mit An-r jnerknngen? nicht die ärmeren und fleiszigen, sondern regelmässig die wolhabenden imd bequemen. Ich frage ferner, wozu haben sie dieselben gekauft? Schon ihrem Charakter nach nicht um sich m belehren« sondern um sich die Arbeit zu erleichtem. Ich habe die Erfahrung gemacht, dasz nicht blos auszerhalb der Schule grosser Nachtheil entsteht, sondern auch in der Schule selbst; denn zu glei- cher Zeit sind jene im Besitz der common tierten Ausgaben befind» lichen Schüler die weniger aufmerksamen, dagegen werden alle, de- nen jene Unterstützung versagt ist, sich angezogen 'fühlen sich dort Rathes zu erholen , und so wird durch diese Ungleichheit eine Thei-

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long der Aufmerksamkeit und individuell ein Mangel an SelbsttliKtig- keit erseugt. Hätten alle Schüler dieselbe commentierte Ausgabe in Händen, dann würde dieser Uebelstand gehoben werden; so lange dies nicht der Fall ist, werden wir uns entschieden an die bloszen Texte iialten.

Director El ix aus Grosz - Glogau : es ist auf den Unterschied der yerschiedonen Stufen der Schüler aufmerksam gemacht worden; ich erlaube mir noch auf einen andern Unterschied hinzuweisen , auf den der verschiedenen Schriftsteller. Ich glaube dasz die Blüte der Gym- nasiallectüre immer in Homer und Horaz ruht, in diesen sollen die Schüler ganz heimisch werden. Recht in das Verständnis eingeführt wird aber nur, wer den Text ohne alle Anmerkungen liest. Aue meine Schüler haben für Horaz und Homer dieselbe Ausgabe ohne Anmerkungen ob sie zu Hause andere haben ist mir gleichgütig -«-, ich würde mich schämen, wenn in den Händen meiner Schüler die Crusius^sche wäre. Dagegen gibt es andere Schriftsteller, bei deren Leetüre man die Anmerkungen kaum entrathen kann; dahin gehört Sophokles und mehrere Schriften von Cicero. Ich unterrichte seit sieben Jahren in den oberen Erlassen und habe es immer ohne Hübe durchgesetzt, dasz alle Schüler dieselbe Ausgabe haben; im Sophokles die Schneldewin^sche , bei Cicero die der Reden von Halm, ebenso de nat. deor. von Schömann. Nun kann ich nicht fassen , wie mehrere gesagt haben , die. Arbeit werde durch die Anwendung solcher Ausgaben erleichtert; im Gegentheil verlange ich von allen Schülern, dasz sie die Anmerkungen studieren. Der Wechsel verkehr wird lebendiger, denn ich setze Dinge voraus, die ich beim Gebrauche der bloszen Text- ausgabe nicht voraussetzen dürfte, und indem ich diese in meine Fra- gen an die Schüler hineinziehe, finde ich, dasz die Früchte bedeuten- der sind, als ohne dieses Mittel erreichbar wäre. Darum, wenn es mög- lich ist , und dasz es möglich ist kann ich versichern , dasz die Schüler dieselbe Ausgabe haben, so wird es bei einigen Schriftstellern empfeh- lenswerth sein, Ausgaben mit Anmerkungen zu gebrauchen. Ausser dem angedeuteten Gebrauche der Anmerkungen bringen auch die Einleitun- gen in den genannten Ausgaben ihren Nutzen. So sind die muster- haften Einleitungen von Halm mir ein sehr wesentliches Mittel gewe- sen, die Schüler in das historische einzuführen. Ich habe sie sogar zu stilistischen Uebungen benützt und habe sowol mit ihnen als der Schömann^schcn Einleitung zu nat. deor. ganz überraschende Resultate erzielt, weil die Schüler dadurch veranlaszt wurden das gelesene in seinem ganzen Umfange nochmals durchzustudieren. Und so kann man noch manches verbinden, um den Zweck der Leetüre möglichst voll- ständig zu erreichen.

Flöok: es ist mehrfach der Satz ausgesprochen worden, dass es ganz einerlei sei, ob der Schüler Ausgaben mit Anmerkungen oder blosze Texte in den Händen habe. Ich möchte diesen Satz noch durch folgende Bemerkung begründen. Hat nemllch der Schüler die Noten nicht unter dem Texte , so verschafft er sich dieselben durch Speciallexica. Es gibt deren eine grosze Zahl, zu Nepos, Caesar, Xenophon , Homer. In diesen Speciallexicis sind alle schwierigen Stellen und viele nicht schwierige mehr erklärt und übersetzt, als es dem Lehrer lieb sein musz. Könnten wir erreichen, dasz der Schüler, der Ausgaben mit passenden Noten in Händen hat, sich weniger veranlaszt fühlte sich solche Speciallexica anzuschaffen, so wäre dieses eine weitere Empfehlung für die Ausgaben mit Anmer- kungen.

Goebel: die meisten der Entgegnungen, welche meine Begrün- dung der angestellten Thesis erfaluren hat, beruhen auf einem Mis-

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Verständnis des Wortes zweckmäszig. Ich habe dieses Wort nur knn erläutert. Wäre die Frage über die Bedeutung dieses Wortes näher erörtert worden , so würden wol viele Entgegnungen verschwunden sein. Man hat gesagt , mein Streben schiene dahin zu gehen , durch die Anmerkungen dem Schüler die Arbeit zu erleichtern. Ausdrücklich sagte ich, sie sollten nur das geben, was dem Schüler nach den ihm SU Gebote stehenden Hülfsmitteln nicht zugänglich sein kann. Es ver- steht sich von selbst, dasz zweckmäszige Anmerkungen dem Schüler die Sache nicht ohne weiteres in den Mund legen dürfen, sondern ihm zum eigenen nachdenken anregen müssen. Desgleichen glaube ieh liegt in meinem Antrag geradezu schon , dasz ich dieselbe Ausgabe m den Händen aller Schüler voraussetzte. Wie die Anmerkungen dann einzurichten sind , dasz sie je nach der verschiedenen Stufe der Schü- ler und den verschiedenen Schriftstellern anderer Art sein müssen, liegt in der Bestimmung 'zweckmäszig', deren nähere Erörterung fiir die Discussion wünschenswerth gewesen wäre. Ein paar einzelne Be- merkungen erlaube ich mir gegen Hm Dir. Eckstein. Ich habe nicht behauptet, dasz die Eselsbrücken verschwunden sind; das weiss ieh nur zu gut , dasz noch sehr viele vorhanden sind ; aber man kann doch von Buchhändlern erfahren, dasz die Verbreitung mancher Bändchen der Sauppe'schen Sammlung dem Vertriebe der entsprechenden Bändchen der Stuttgarter Uebersetzungen und der Engelmann'schen Ausgaben Ab- bruch gethan habe. Ferner was den kitzlichen Punkt hinsichtlich der Controle der Lehrer durch die Schüler angeht, so ist nicht jeder Sehul- mann ein Eckstein. Es gibt Schulmänner , die zu Zeiten Ausgaben in Händen gehabt haben, ja selbst in der Schule, wo auf der einen Seite der Text, auf der anderen die deutsche Uebersetzung abgedruckt ist. Im übrigen gestehe ich, aus dieser Discussion viel gelernt zu ha- ben, und bin den Herren, die das Wort ergriffen haben, zu hohem Dank verpflichtet.

Einer Bemerkung des Dir. Eckstein, dasz bei dem forterben der Uebersetzungen eine Abnahme ihres buchhändlerischen Vertriebet noch nicht ein Beweis für die Abnahme ihres Gebrauches sei, entgeg- net der Vorsitzende durch Anführung eines einzelnen Beispieles , wo bei einem der gelescnsten platonischen Dialog^ gleichzeitig der bedeutende Absatz der Text-Uebersetzungs- Ausgaben sehr erheblich ab- genommen und eine mit zweckmäszigen Anmerkungen versehene sofort nach ihrem erscheinen grosze Verbreitung gewonnen habe; man dürfe aus einem solchen Falle wol schlicszen, dasz gar manche Schüler denn doch die zweckmäszige Unterstützung ihrer Präparation der verderb- lichen durch die Uebersetzung vorziehen, wenn ihnen eben die erstere zugänglich sei. Nachdem hierauf Director Eckstein dem Professor Goebel dafür gedankt, dasz er diese Frage zur Anregung gebracht habe, wird die Discussion über Thesis UI C von der Versammlung für geschlossen erklärt.

Obgleich nach Beendigung dieser Discussion nicht mehr eine volle halbe Stunde für die Verhandlungen übrig war, beschlosz die. Ver- sammlung die von Herrn Dir. Theodor Mayer aufgestellte Thesis IV D über Stilistik zur Erörterung zu bringen, und es wurde daher der Verfasser der Thesis aufgefordert, dieselbe in gedrängter Kürze zu begründen.

Director Th. Mayer aus Melk: indem diese Thesis von einer groszen Zahl der verehrten Anwesenden als der Erörterung wffrdig ei^achtet worden ist, erkenne ich eine Art von Billigung der ganzen Frage , und möchte sagen ein nicht ungegrüddetes Vorurteil für eine bejahende Antwort; denn wäre sie rein verwerflich, so würde sie gar nicht zur Sprache gekommen sein. Ich habe nur kurs 2U fassen» in

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welcher Beziehung ich meine Thesia aufj^estellt habe. Wir in Oester- reich haben traurige Erfahrungen gemacht, wir sind noch zum guten Theil aus den Zeiten der instüuUo nd elogventiamy wo wir alles lernten, was nicht ehqueniia war und uns zur förmlichen Stnmmheit gebracht hat. Diese Zeit ist Yorüber und wir bewegen uns in neuer Sphärei die ich anerkenne, weshalb ich förmlich ausschliesze in der Stilistik die JBeengung der schaffenden Geister in Regeln. Obgleich ich et sweckmäszig finde dasz in Geschichte, Drama usw. gewisse wesent- liche Erfordernisse beibehalten werden, so musz ich doch dem indivi- duellen Geiste des Schriftstellers so ungeheuren freien Baum lassen, dasz ich ihn nicht in Gesetze einschnüren kann. Es wird ihm jedoch immer nöthig sein , davon Act zu nehmen. In der Geschichte wird es immer nöthig sein, alles in einem gewissen ruhig durchdachten, viel zusammendrängenden Stil zusammenzufassen, allein die Gesichtspunkte! von denen der Historiker usw. ausgeht, werden sich ewig nicht in Ge- setze zwängen lassen, sondern jeder wird seinem Geiste, seiner For- schung usw. eine individuelle Rechnung tragen und der Leser, Hörer, Beschauer wird diese schätzen. Von dieser Seite kann die Stilistik nicht behandelt werden. Meine Ansicht ist nun diese : nachdem im sogenannten Untergymnasium die Lehre von der Sprache, die Sprach- lehre im allgemeinen beendigt sein musz, dasz an sie gewisse Regeln des Ausdrucks, nicht der Sprache sich anschlieszen , welcher Aus- druck nichts anderes hat als folgende Rücksichten: 1) welcher Aus- druck ist deutlich, welcher undeutlich zur Bezeichnung des Gedankens? Durch viele Beispiele zu erörtern. Zur Deutlichkeit des Ausdrucks trägt mit bei die Lehre vom eigentlichen Ausdruck, der proprietas ver- borum, wie wir sie früher nannten, nemlich jenem Ausdruck, der alle Sjnonyma, folglich alle mit Nebenbedeutungen verbundenen Worte aus- schlieszt und für jeden Gedanken den eigentlichen Ausdruck, der wirk- lich nur einer ist, zu wählen im Stande ist. Diese Wahl, dieses Stu- dium ist für junge Leute von auszerordentlicher Wichtigkoii, und die Synonymik ist in einer Ausdehnung zli treiben , wie man sie bis jetzt gar nicht kannte. In dieser wird wirklich noch immer eine gewisse Anleitung zum Gebrauch der Präpositionen und Bindewörter nöthig sein, die von vielen Menschen und vielen Schriftstellern nicht genau beobachtet werden. Wenn ich vom eigentlichen Ausdruck gesprochen liabe, gehe ich mit vieler Ruhe über, obgleich ich auf Widerspruch sn stoszen fürchte wegen der Trivialität, auf den uneigentlichen, welcher der tropische heiszt, und hier behandle ich die abgedroschene Lehre von der Metapher, deren Tiefe einen Philosophen zu dem Geständnis gebracht hat, dasz er das Ende der Metapher gar nicht zu fassen ver- möge, so dasz ich sagen kann, das Gebiet der Metapher stöszt an das Gebiet der Mystik an , die ^ines für alles und alles für ^ines setzt und alles in solche Verbindung bringt, dasz in derselben endlich alles auf- geht. Von dieser Lehre des eigentlichen Ausdrucks würde ich unter- scheiden und angemessen finden die Lehre vom angemessenen Ausdruck blos in Bezug auf Sprache, von der Angemessenheit des Ausdrucks zur Sache und zur persönlichen Ansicht des Schriftstellers, abgesehen von solchen Beziehungen, die auf andere Felder gehören, z. B. durch Courtoisie oder Klugheit. Hat matt dieses Kapitel vollendet, so kommt man auf die Lehre vom trockenen und blumenreichen Ausdruck, von dem kurzen Stil wie wichtig sie ist, ist aus dem gestern behan- delfen Prooemium des Tac. ersichtlich vom kurzen, gedankenge- driingtcn oder weitläufigen Ausdruck, vom einfachen, verschlungenen Ausdruck und vom fehlerhaften Stil , wobei zu bemerken ist , dasz ich nicht fehlerhaft finde, wenn der Schriftsteller den barocken Einfällen seiner Phantasie freien Raum läszt. Es kommt dann eine Lehre von

Beri<^t üb. d. Verb. <L 18n Vers, dealscber Philologen nsw. ia Wien. 651

verschiedener Natnr, vom florierten AuJ^dmck^ die so leicht ist be- seitigt worden durch die Bezeichnung: Frage, Antwort, Ausruf, was soll das sein? die Natur gibt es selbst. Und doch ist sie von alten Bhetoren, im Lateinischen von Cicero,' im Griechischen von Dionjsius auszeror deutlich wichtig gefunden und mit aller Weitläufigkeit behan- delt worden und haben sich daraus Männer zu Rednern gebildet. Der figurierte Ausdruck gibt nichts als eine künstliche Wendung des Qe^ dankens, entfernt vom einfachen, natürlichen Ausdruck, künstliche Wen- dung zu irgend einem Zwecke, Und wenn der künstliche Ausdruck auch nur studiert würde, um die Feinheiten eines oder des anderen Schriftstellers oder eines Menschen , der uns damit kommt , zu durch- schauen, so wäre für die Klugheit des einzelnen viel gewonnen. Daran schlieszen sich ästhetische Begriffe vom schönen und erhabenen an nsw», die gegenwärtig in keiner Theorie behandelt werden. Vom Vorsitzen- den an die bereits verflossene Zeit erinnert, bricht Dr Mayer hier seinen Vortrag ab.

Prof. Schröpf aus Wien: wenn man die Stilistik wissenschaft- lich behandeln will, ruht sie auf der Basis der Grammatik, der JjOgikj der Psychologie, der Aesthetik. Diese sind nicht vorhanden in den Mittelschulen, also gibt es auch keine Stilistik als Wissenschaft in den Mittelschulen. Aber die Schüler sollen zu einem ordentlichen Stile ge- leitet werden, sie sollen die Befähigung erhalten Aufsätze zu schreiben. Das ist etwas ganz praktisches und nichts wissenschaftliches, obgleioh mit der Wissenschaft in enger Beziehung. Die Grundlage hierzu n^osz eine gehörige Mustersammlung von geeigneten Aufsätzen sein, die etwae in sich abgeschlossenes und in den Gedankenkreis der Jugend passendes enthalten. Aber diese Sammlimg musz anders beschaffen sein als die bisherigen, denn die meisten bisherigen bestehen in Sammlangen guter Aufsätze ohne einen die Auswahl und die Anordnung regelnden Ge- danken. Diese Sammlung müste systematisch sein, vom leichteren zum schwereren fortschreiten und nach und nach die verschiedenen Darstellungsformen dem Schüler vor die Augen führen. Allerdings wird auch dann, wenn eine derartige Sammlung vorhanden ist, der Lehrer manigfache Bemerkungen dazu machen, er wird die Schüler noch mündlich auf das, was in den Aufsätzen zu finden ist, auf- merksam machen. Die Schüler sollen diese Bemerkungen sieb ein- prägen, so dasz sie daraus nach und nach ein ganzes bekommen, wiu eine Uebersicht geben würde, die sich einer Theorie nähert. Aber wenn dieser stilistische Unterricht schon in den mittleren Klassen be- ginnt, etwa in der vierten, fünften Klasse, so wird man die Wahr- nehmung machen können , dasz die wenigsten Schüler die Fähigkeit haben, derartige Bemerkungen ordentlich niederzuschreiben und in ein ganzes zu vereinigen. Wenn nun der Lehrer durch ein Büchlein ihnen dasjenige an die Hand geben kann, was er sonst auch mündlich er- klärt, oder wenigstens Anhaltspunkte dazu, gleichsam ein Memoriale zum Lesebuch, so wird es nützlich sein. In diesem Sinne mag ioh den Schulgebrauch einer Stilistik vertheidigen als Memoriale zum Lese- buch, aber nur in diesem Sinn, in jedem anderen würde das theoreti- sieren schädlich sein.

Brüggemann: in Prenszen ist eine Mustersammlung erschienen für die oberen Klassen, die in Bezug auf die Auswahl sehr viel Aner- kennung gefunden hat. Beigefügt ist ein kurzer Abrisz der Bhetorik, Poetik und Litteraturgeschichte. Bei der ersten Anfrage, die au die Staatsbehörde gestellt wurde über die Benützung desselben, wurde von ihr die Erlaubnis zur Einführung ertheilt, jedoch dazugefügt, dasz es keinem Lehrer gestattet sei die Khetorik, Poetik oder Litteraturge- schichte systematisch vorzutragen. Ich spreche hier keineswegs als

652 Berieht ab. d. Verh. d. ISnVers. dealscher Philologeo usw. ie WM.

Organ einer Staatsbehörde nnd bitte , was ich zor Bestreitung dieser Thesis anführe, lediglich als meine Privatmeinong anzusehen, wie ich hier überhaupt keine andere Stellung habe, als jedes andere Mitglied der geehrten Versammlung. Dasz Begriffe nnd Erklärungen, wie der Herr Antragsteller sie bezeichnete, dem Gjmnasialunterricht nicht fremd bleiben können, bedarf keines Nachweises; was wäre es für ein Ziel der erreichten Bildung, wenn ein Primaner nichts wüste, was eine Me- tapher usw. ist, was wäre es für ein Ziel, wenn er nicht einige RecheA- Bchaft von eigentlichem und uneigentlichem Ausdruck geben könnte, was wäre es für ein Ziel , wenn nicht von Sexta bis Prima er darüber aufgeklärt und über den Unterschied vom uneigentlichen Ausdruck be- lehrt würde? Aber etwas ganz anderes ist die Frage, ob es mit in die Aufgabe des Gymnasiums gehört, dergleichen Disciplinen systema- tisch nnd als besondere Disciplinen abzuhandeln. Meine Her* ren! lesen, verstehen, in sich aufnehmen, ist Haupterziehungsmittel im Gymnasium, eine Wissenschaft im Zusammenhang vorzutragen und Prin- cipien zu erklären ist Aufgabe der Universität, und für sie sollen unsere Schüler fähig gemacht werden. Ich kann es nicht unterlassen, nochmals auf das hinzuweisen, was ich am Schlüsse der vorjährigen Philologenversammlung gesagt habe: nicht gesättigte Schüler sollen wir entlassen, sondern mit Hunger und Durst nach Gerechtigkeit und wissen; soviel soll gegeben werden, dasz sie vor Lust nicht wissen wohin sie sieh wenden sollen, wenn sie auf di% Universität kommen* Ich will das praktische noch näher erläutern. Ich will vorausschicken, alles was der Herr Antragsteller verlangt, ist Aufgabe von Sexta bis Prima, aber überall nach dem Standpunkt der Klasse. Vom uneigent- lichen Ausdruck musz der Schüler etwas erfahren. Wenn in den Lese- stücken der Quinta oder Quarta das Wort ^Trieb' vorkommt, warum sollte der Lehrer nicht dem Schüler vom Trieb im Mühlrad, im Thier, im Geist sprechen und ihn ahnen lassen, dasz hier ein all dieses durch- dringender von ihm nur vorzufühlender Begriff liegt? Warum sollte nicht bei poetischen Stücken auf den poetischen Ausdruck hingewiesen werden, ja es musz darauf hingewiesen werden, wenn anders diese Klassen ihre Aufgabe erfüllen sollen. Kann man in Secunda nnd Prima vermeiden, auf die nothwendigen Eigenschaften eines guten Stiles Rück- sicht zu nehmen? Es musz an jeder Stelle geschehen , die Anlasz bie- tet, und aufsteigend die systematische Auffassung vorbereitet aber nicht vollendet werden; denn dazu g^ehört Kenntnis der psychologischen nnd logischen Principien, ohne welche Stilistik und Rhetorik unmöglich sind. Ich kann nicht dafür stimmen, dasz in den oberen Klassen eine Muster- sammlung, angelegt nach den Gesichtspunkten dieser systematischen Stilistik und Rhetorik, gebraucht werde. Die Mustersammlung musz dem Schüler das beste aus unserer neueren deutschen Litteratur vor- führen, was durch Inhalt und Form und Darstellung als mustergiltig anzusehen ist, mag es für die Erklärung stilistischer, poetischer oder rhetorischer Regeln passen oder .nicht. Darum , dasz diese Stücke Mu- sterstücke sind, werden sie Anlasz bieten auf die Erörterung der Re- geln zu kommen, die zu erörtern sind. Gestatten Sie dem I.<ehrer die Freiheit, sich einen bestimmten Plan zu machen, bei Erklärung prosai- scher Stücke diesen oder jenen Gesichtspunkt hervorzuheben, gestatten Sie die Freiheit, aus poetischen Sammlungen die Stücke zu wählen, die sich an analoge griechische oder lateinische anschlieszen , um nothwen- dige Yergleichungen eintreten zu lassen, um auf die Begriffe poetischer Gattungen, auf die Unterschiede des Ausdruckes, auf die Gesetze metri- scher Composition aufmerksam zu machen. Die Zeit drängt; ich meine also: alles, was der Herr Antragsteller verlangt, soll berücksich- tigt werden nach dem verschiedenen Standpunkt der Klassen von Sexta

Bericht fib. d. Verb. d. 18n Vers, deatscber Pbilologen mw. ia Wiei. -€53

bis Prima , aber wenn auch zur systematischen Anffassnng vorbereitet wird , vollendet soll sie selbst in Prima nicht werden. Der Primaner soll wissen, dasz es eine Stilistik, Poetik, Ehetorik gibt, die ihn weiter beschäftigen wird, wenn ihm in weiteren Kreisen das, bei dem es sich am wissenschaftliche Grundlegung handelt, wird zugeführt werden kön- nen. Ich fürchte dasz bei der kurzen Zeit , die für die vaterländische Litteratur bestimmt ist, der Einwirkung auf Gemüt und Verstand der Schüler ein groszer Eintrag geschähe, wenn wir von diesen Lesestanden etwas abziehen und sie zur trockenen Darstellung einer systematischen Disciplin verwenden würden.

Eckstein: ich wollte nur meine Verwunderung aussprechen, dass das als ein Fortschritt bezeichnet wird, was ich für einen entschiedenen Rückschritt halten müste.

Präsident: die Zeit setzt unseren Discussionen ein Ende, nicht die Sache selbst; denn wenn wir auch den eben vorliegenden Gegen- stand als abgethan betrachten wollten, liegen uns noch andere Fragen vor, die in Betrachtung zu ziehen die Versammlung beschlossen hatte. Aber die Zeit unserer Berathungen ist bereits verflossen. Ich hoffe dasz an die Besprechungen » welche wir in der kurzen Frist dieser drei Tage geführt haben, die verehrten Mitglieder der Versammlung gern zurückdenken. Es hat sich über mehrere Fragen eine überwiegende Einigkeit gezeigt, und dies waren durchweg solche, deren Entscheidung von eingreifender Wichtigkeit für das praktische Schulleben ist. Wenn bei dem einen in der gestrigen Sitzung verhandelten Gegenstande, über die Mittel zur Förderung 4es Lateinsprechens, ein Principienstreit , sn dem ein möglicher Anlasz vorlag, von der Versammlung selbst abgelehnt wurde, so geschah dieses gewis nicht in Gleichgiltigkeit gegen die pae- dagogischen Principien des Gymnasialunterrichtes, sondern in der be- gründeten Ueberzengung, dasz eine Versammlung nicht der Ort ist, über Principien zur Verständigung zu führen, dasz sie vielmehr der Ort ist, wichtige Erfahrungen auszutauschen und dadurch gegenseitige Beleh- rung zu schaffen. Der verehrte Vorsitzende der 18n Philologenversamm- lung, mein werther College Herr Prof. Miklosich, wies bei Eröffnung der Sitzungen auf die eigen thümlich günstige Lage hin , in welcher diese Versammlung von Schulmännern sich befinde, indem sie nicht genötliigt ist, die bejahende oder verneinende Beantwortung, zu der sie bei Discussion einer Frage gelangt ist, sogleich zur gebietenden Norm zu machen. Die Wahrheit dieser Bemerkung wird sich bei unserer heu- tigen Discussion über den Gebrauch bloszer Texte oder commentierter Ausgaben bestätigt haben; denn es zeigte sich, wie schwierig es ist, nach verschiedenen dabei einzuhaltenden Gesichtspunkten zu festen Ab- grenzungen einer allgemeinen Norm zu gelangen. Indessen ist hiermit der Wertb dieser Verhandlungen nur von der negativen Seite bezeich- net, ihre positive Bedeutung liegt jedenfalls in dem, was wir aus ihnen zu unserer eigenen weiteren Wirksamkeit hinzubringen. Man beruft sich im Schulleben und musz sich berufen auf die Erfahrungen, die man in der Lehrthätigkeit macht; aber man kann nicht mehr erfahren . als man versucht, und was man erfahre hängt von der Weise ab wie man versucht. Darum wird die Mittheilung thatsächlicher Erfahrungen von denkenden Schulmännern zu einer Anregung auf die Mittel zu den- ken, welche zur Erreichung desselben Zieles führen können. Dasz wir aus den in diesen Tagen gehaltenen Besprechungen solche Anregung reichlich in unsere weitere Lehrthätigkeit hinübernehmen, das ist meine feste Ueberzengung, und ich drücke gewis die Gesinnung der Versamm- luüg ans, wenn ich sage, <dasz wir den Männern, die uns geeignete Gegenstände vorgelegt haben, zu Dank verpflichtet sind. Möchten sich viele von uns über ein Jahr im Norden Deutschlands wiederfinden and

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dort fortsetzen, was hier begonnen ist. Indem ich die paedagogischea Verhandlungen unserer gegenwärtigen Vefsammlong schliesze, habe i<^ den verehrten Mitgliedern ni^ht blos für das Vertrauen zu danken, welches mich mit dem Vorsitze betraute, sondern noch mehr dafür, dasz die verehrte Versammlung selbst mir^ die Erfüllung des ehrenden Auftrages leicht gemacht hat. Denn indem ohne mein Zuthun die Discnssion stets an der Sache selbst streng festhielt, ist es möglich geworden über wichtige Fragen, wenn nicht überall zur Entscheidung, 60 doch zu klarer Darlegung der Gründe für und wider zu gelangen.

L Register über den Inhalt.

Abgangsprüfungen 31 , S. 438—46. Altenhurg: de locut. Lncretiana S. 581.

Anton: quae intorcedat ratio inter Eth. Nicom. VII 12—15 et X 1—5, S. 421.

Barbxeux: le livre des demoiselles 27, S. 372. Beckel: über die Stufenfolge des Geschichtsunterrichts S. 573. Bender: Ursprung und Heimat der Franken S. 411. Berichtigung zu S. 45 von Kayser in Sagan S. 246. Berumski: über die ältesten Zustände Lithauens S. 584. Bildung 'dos Gefühls 22, 8. 343—53.

Borel: de r^formes litt^raires oper^es par Malherbe 27, S. 372 f. S. 477. Brandon: Vorschule für die französische Conversation 27, S. 371 f. Briefe über neuere Erscheinungen auf dem Gebiete der deutschen Philo- logie 6, 8. 112—123. 170-^84. 216—34. 255—64. Buckenau : über Burcard Waldis S. 340. Büchner: die Cardanusformel 28, 8. 373—80. Burckhardt: die Seelenlehre des Tertullian 8. 285.

Carpenler: types of mankind 9, 8. 149.

Cicero. Von einem alten Schulmann 32, 8. 447 56.

Lälins. Erkl. von Lahmeyer 25, 8. 363—66. Curtius: de aoristi graeci reliquiis 8, 8. 143 47. , JST. Ge., Leben S.569.

Delius: Shaksperes Werke 11, 8. 247—54.

Deuschle: der platonische Politikos 8. 571.

Dewischeit: zur Theorie der Casus 8. 523.

Dietz: AVanderungen in Pompeji S. 325.

Dütmar und rölter: historischer Atlas 17, 8. 282—84.

idv c. optat. Anhang zu 1 , 8. 139 4.

e/ av und H ov, die ^trncturen geordnet und jede im Zusammenhang

nachgewiesen 1, 8. 1—15. 95—102. 135—39. Eineri: die Bedeutung der Schlacht bei Roszbach für die deutsche Lit-^

teratur 8. 410. Engelhardt: loci Platonici, quor. Aristot. in Politicis memor fuit 8. 418. Englmann: Uebungsbuch zum übersetzen aus dem Deutschen ins Latein«

19, 8. 324 f. < Ewald: Lehrbuch der hebr. Sprache 2, 8. 15 28.

hebr. Sprachlehre fiir Anfänger 2, 8. 102—112. Eysell: Leben der Johanna d*Arc II 8. 394.

N, Jahrb. f. Phü. «. Paed, Hd LXXVIll. Hft 12. 45

656 Regster fiber den Inhalf.

Fasbender: Abrisz einer Einleitnng in die beschreibende Geometrie S. 23*2. Fricke: de necessitudine qua singnlae inter se continentiir disciplinae

S. 246. Friedländer: scholae hebraicae 2, S. 214 16. zur Erklärung der Psalmen S. 583.

Gebhard: Uebertragnngen einiger deutscher Gedichte ins Latein. S. 190. Gliddony s. Nolt.

Gobineau: essai sur rin^galitä des races humaines 9, S. 153 55. Gödeke: Grundrisz zur Geschichte der deutschen Dichtkunst 18, 8.295

—324. Das Studium und die Principien der Gjmnasialpaedagogik 34, S. 483

—519. Die Gymnasialreform in Oesterreich S* 389 f. Die Gymnasien und ihre neuesten Gegner in Kurhessen 5, S. 79 ^95.

Haupt: über die Midiana des Demosthenes S. 477.

Heideloff: die Kunst des Mittelalters in Schwaben 37, S. 561.

Heider usw.: die mittelalterlichen Kimstwerke des österr. Kaiserstaats

37, S. 561. Heinemann, v., zur ästhetischen Kritik von Soph. O. R. S. 412 f. Heinrichs: Themata zu lateinischen Aufsätzen in Secunda S. 474. Hemmei'ling: welcher Mittel bedient sich Homer zur Darstellung seiner

Charaktere S. 574. Henrichsen: senatus Romani sub primis quinq. Caes. fortuna ao digni*

tas S. 185. Hertlein: spec. novae edit. luliani Caesarum 8. 196 f. ^ Hiecke: über die Einheit von Hom. II. I und der Stand der homerischen

Frage S. 522. Himperi: die Unsterblichkeitslehre des A. T. 8.475. Hirsch: Geschichte des Danziger Gymn. seit 1814 8. 421. Höfler: Lehrbuch der allgemeinen Geschichte. I, 7,8. 123—^3. Hötnig: über den geschichtl. Unterricht am Gymn. 8.526. Hoff mann: tractantur loci N. T. et veteris iuris Rom. 8. 416 f. Holizmann: Untersuchungen über das Nibelungenlied, s. Briefe. Horrmann: die Construction von Soph. Antig. 8. 421. Ht/perideSf Auffindung einer neuen Rede 12, 8. 254«

Indigenous races of the earth 9, S. 150 52. n

loannu: gricch. Ode auf das 25 jähr. Jubelfest der Ankunft des Königs

Otto S. 463. Jubiläum des Dir. Dr. Bachmann in Rostock 8. 840 f., des Dir. Dr

Münscher in Hersfeld 8. 237—43.

Kleike: die Begründung der Breslauer Realschule am Zwinger 21,

S. 327—30. Knorr: Reinaert de Vos und Reinecke Yos 8. 235. Köpke: Über die Gattung der anofivrjaoveviiaxa S. 469 f. Kossinna: die Kriegsmacht der Athener und Spartaner im peloponnes.

Kriege 8. 532. Kostka: über die leiblich und menschlich gedachten Götter bei Homer

S. 531. Krdhner: die Sage von der Tarpeia 8. 520. Krause: de fontibns et auctoritate scriptt. bist. Aug. 8.531. Kress: de attributo graeco S. 572.

Krukenberg: über das gegensätzliche Particip bei Homer 8. 586« Kaknast: deutsche Kirchenlieder in Polen 8. 532.

Regiftar aber den InhiU. 657

Latein. Ungarisches oder ciceronianisches? 15, S. 274 ^280.

Laiham: the natural history of the varieties of man. Man and his migrations. the ethnology of the british colönies. -~ the ethno- logy of Europe. of the british islands 9 , S. 148 f.

Lehmann: sprachliche Stadien über das Nibelungenlied. II. S. 539.

lieber Lehrerbildung 29, S. 399—409.

Lemes: Göthes Leben und Schriften 18, S. 295—324.

LewUz: de iide Fl. Josephi S. 527. ' Ley: Grundlage zur Begründung der goniometrischen Functionen S. 526.

Lipsius: der einheitliche Charakter von Xen. Hellen. S. 569.

Lübke: die mittelalterliche Kunst in Westphalen 37 , S. 561.

Maturitätsprüfungen. Normativ in Holstein S. 336, in Weimar S. 423 f.;

s. Abgangsprüfungen. Mehneri: Luthers und Zwingiis Streit über die Abendmahlslehre JS. 423. Meihner: Probe eines latein« Vocabulariums S. 566. Mezger :^\iehT. Lesebuch und Über Ruth 2, S. 203—212. filf, s. ov,

MÜberg: memorabilia Vergiliana S. 289. Das Mittelhochdeutsche als Unterrichtsgegenstand auf den Gymnasien 23,

8. 453—459. Der Modificationsentwurf und seine Besprechungen in der Zeitschrift für

die österr. Gymnasien S. 381—392. Männich : über den Unterricht in der Geschichte, besonders auf Gelehrten-

Bchulen S. 476. Müüenhoff: die Weltkarte und Chorographie des Augiistus S. 245. Munscher: Bemerkungen zu der Schrift von Dr Thiersch usw. 5, S. 84

—87.

Nägelshach: hebräische Grammatik 2, S. 155—170. Niemeyer: über Herders Cid 14, S. 272. Nüzsch: Herodotea S. 472. KoU nnd Gäddon: types of mankind 0, 8. 149 f.

OUe: Handbuch der kirchlichen Knnstarchäologie des Mittelalters 37,

S. 561. ov und fi'7} im Zusammenhang mit den Modalformen der Sätze. Ir Art.

36 , S. 544—560.

Pansch: Entlassungsrede 8. 235 f.

Patschke: de Minenra Hom. S. 582.

Piderit: zur Kritik und Exegese von Cic. de orat. 8. 332.

Planck: Parallelen römischer und griechischer Entwicklungsgeschichte

8. 478. Piatz: die Götterverwandlungen bei Homer 8. 186 189.

Ramauer: zur Charakteristik der aristotelischen Magna MoraliaS. 392.. pie Bedeutung der Baumanschaunng auf dem Gebiete der Sprache 35»

8. 535—543. Rechtfertigung von Suchier und Entgegnung darauf von Piderit S. 396 f. Rede von Döderlein 30, S. 431—438. Reizius: Blick auf den gegenwärtigen Standpunkt der Ethnologie 0,

8. 152. Richter: de supinis latinae Unguae II 8. 527. Riedel: de Antigoni Gonatae vita 8. 331. Röper: »L Terenti Varronis Eumenidnm reliqniae 8. 419. Roihy C. L., kleine Schriften 13, 8. 256-272.

45*

658 Register aber den lahtU.

Schetferlein: über die Norm der Subordination und Coordination des

Casusgebrauchs in der latein. Sprache S. 524. Schmidt: Gymnasialpaedagogik 34, S. 483 f. Schramm: quaest. de Plat. Legg. part. Y S. 521. Schraut: die Bedeutung von ydq in den vorgeschobenen Sätzen S. 193

196. Schwab: die lateinische Wortfolge S. 191 193. , 6=., fünf Bücher deutscher Dichtung 26, S. 367 f. Schwalb: ^lite de classiques fran<^ais und Bibliotheque choisie de la

littdrature fran^aise 27, S. 368—371. Schwanz: Eigils Leben des h. Stnrmius und die Anonymi Tita S. Lulli

S. 331. Sehrwald: de tribus Horatii carminibus S. 409. Simon : fastorum Romanorum specimen S. 466. Sonnenburg: zu Aristoteles Thiergeschichte S. 468. Spangenberg: Untersuchungen über das Geschichtswerk des Poljbios

S. 335. Spengler: de Rheso tragoedia S. 472.

Spruner: historisch -geographischer Schulatlas 16, S. 280 284. Stallbaum: brevis recognitio iudiciorum de Hör. Sat. I 10 exordio

S. 288. Stein: yindiciae Herodoteae S. 420. Stier: hebräisches Vocabularium 2, S. 212—214. Strehlke: de Andreae Gryphii oliveto S. 4l9f. .

Suc/iier: zu der von Thiersch angeregten Gymnasialfrage 5, S. 87 88. Süpfle: Aufgaben zu lateinischen Stilübungcn. II. 20, S. 325 f.

Teipel: praktische Anleitung zum übersetzen aus dem Deutschen ins

Latein. 33, S. 457—462. Teuber: die Wahrheit als Princip im Unterrichte S. 574. Thaulwv: Gymnasialpaedagogik 34, S. 483 ff. Theokrits Idyllen. Erkl. von Friizsche 24 , S. 359—363. Thiersch, H., Zurückführung des Gymnasialunterriohts zur Einfachheit

5, S. 80— 81. Thomas: de linguae latinae casibns S. 426. Thucydides III 44, S. 139—142.

ühdolph: das Sternbild des Löwen. ünger: de Ansere poeta S. 520.

Verhandlungen der 17n Philologenversammlung in Breslau S. 37 73,

der 18n in Wien S. 591—054. Verordnungen. Kurhessen S. 339.

Vilmar: Kritik der Schrift von Thiersch usw. 5, S. 87—88. Völter^ 8. Dittmar.

Wahner: zur Geschichte Jacobs I S. 575.

PVaitz: zur Frage über die Vereinfachung des Gymnasialnnterrichts 5*.

S. 00-05. Waszmuth: über das deutsche Schulwesen im Zeitalter der Reformation

8. 528. Weclewski: de tragoodiis ex Graeco in linguam polonicam conversis

S. 577. Weinkauff: de Taciti dialogo de oratoribus S. 526. Wemeke: das eddische Rigsmal S. 421—423.

Wernick: Geschichte der deutschen Nationallitteratur 3, S. 29 35. IVüdertnuih : die ältesten süd- und nordfranzösischen Grammatiken S. 477.

Refpster der Mitarbeiter. 659

Wiizschel: das Fest der Sonnenwende S. 425. Wunder: de Aeschyli A^^amemnone 8. 286.

Ziller: die Regierung der Kinder 10, S. 199—200.

II. Register der Mitarbeiter.

Aken^ Dr, Gymnasiallehrer in Güstrow, 1. 14. 36.

Mlihriy Dr, Prof. in Halle, 10.

AndrescHy Dr, Oberlehrer in Berlin.

Bä'utnlein] Dr, Ephorus am evangel, Gymnasium zu Maulbronn, 13. 31.

Becker, Dr, Trof. in Frankfurt a. M., 33.

Buchholz, Dr, CoUaborator in Clausthal.

Büchner, Dr, Dir. der höheren Töchterschule in Crefeld, 4, 27.

Campe y Prof. Dr, Director in Greiflfenberg.

Corssen, Dr, Prof. in Schulpforta.

Crecelius, Dr, Lehrer am Gymn. in Elberfeld.

Cron, Dr, Prof. in Au^burg,

BeuschlCy Dr, Prof. in IBerlin.

Dinier, Dr, Oberlehrer in Grimma.

Bödcrlein , Dr , Hofrath , Prof. und Studienrector in Erlangen , 30.

Dünizery Dr, Oberbibliothekar und Professor in Köln, 18.

Eberz, Dr, Prof. in Frankfurt a. M.

FMe, Dr, Oberlehi'er am Progymn. zu Neustadt in Westpr.

falscher, Prof. in Nürnberg.

Oidionsen, Dr, Gymnasiallehrer in Oldenburg.

Goszrau, Dr, Oberlehrer in Quedlinburg, 2.

Hartmann, Dr, Prof. in Sondershausen, 19. 20.

Hausdörffer , Dr, Conrector in Eutin, 8.

llense, Dr, Director in Salzwedel, 11.

Hertzberg, Dr, Director in Eibingen.

Kappes, Lyceallehrer in Freiburg im Breisgau.

Kayser , Dr, Prof. in Sagan.

KlosSy Director der Turnlehrerbildungsanstalt in Dresden.

Klotz ^ Dr, Prof. in Leipzig.

Laluneyer, Dr, Conrector in Lüneburg.

Lange, Dr, Prof. in Duisburg, 34. ^

Löbker, Oberlehrer in Minden.

Lübker, Dr, Director in Parchira.

Mähly, Dr, Privatdocent in Basel.

Märker, Dr, Prof. in Meiningen, 28.

Mezger, Prof. in Schönthal.

Müller, Lic. Dr, Prof. in Grimma.

Ostermann, Dr, Gymnasiallehrer In Fulda , 24. 25.

Paldamus, Dr, Director der höheren Bürgerschule in Frankfurt a. M.,

21. 26. 29. Peter, Dr K., Consistorialrath und Rector der Schulpforta. Hein, Dr, Prof. in Eisenach, 37. Roszier, Dr, Gymnasiallehrer in Bautzen. Ixühnnundt, Dr, Oberlehrer in Potsdam. Schmid, Dr, Director in Halberstadt.

660

OrUregiitor sa den BerieliteB.

Schottin, Dr, Gymnasiallehrer in Bautzen. Sommerbrodt f Dr, Director in Anclam. Spangenberg f Dr, Gymnasiallehrer in Hanau. yibnary Dr , Gymnasiallehrer in Hanau , 15. Voübrecht, Dr, Rector in Otterndorf. Wedener^ Prof. und Insp. in Frankfurt a. M., 35. JVeiszenbom, Dr, Prof. in Erfurt, 9. 12. Wolter, Dr O., Gymnasiallehrer in Hildesheim, 23. Zacher, Dr, Prof. in Halle, 6.

m. Ortsregister zu den Berichten.

Aachen 462. Altenburg 409. Altona 381. Arnsberg 462« Arnstadt 410. Athen 462. Baden 185. 381. Bedburg 464. Berlin 465. Bielefeld 468. Bischofsheim 185. Bonn 408. Brandenburg 469« Braunsberg 411. Braunscbweig 412. Breslau 414. Bromberg 415. Bruchsal 185. Budissin 285. 416. Burgsteinfurt 470. Carlsruhe 186. Cassel 331. Cleve 470. Coblenz 470. Coesfeld 471. Cöslin 471. Conitz 417. Constanz 189. Danzig 418. Detmold 421. Deutsch - Crone 421. Dillenburg 426. Dortmund 471. Dresden 285. 423. DTlren 472. Düsseldorf 472. Duisburg 472. Khingen 475. Eisenach 423.

Eisleben 473. Elberfeld 473. Elbing 474. Ellwangen 475. Emmerich 474. Erfurt 475. Essen 519. Eutin 235.

Frankfurt a. O. 519. Freiberg 286. Freibur^ 189. Friedland 520. Fulda 531. Cilatz 521. Gleiwitz 521. Görlitz 521. Greiffenberg 522. Greifswald 522. Grimma 286. Grosz-Glogau 522. Guben 523. Gütersloh 523. Gumbinnen 523. Hadamar 427. Halle 524. Hamm 525. Hanau 332. Hedingen 525. Heidelberg 189. Heilbronn 476. Heiligenstadt 525. Herford 526. Hersfeld 235. 335. Hildburghausen 566. Hirschberg 526* Holstein 336. Kempen 526. Kiel 235. Köln 526.

Königsberg i. d. N. 566. in Pr. 527.

Kreuznach 528. Kurhessen 339. üahr 190. Lauban 529. Leipzig 288. Leobschütz 529. Liegnitz 529. Lissm 566. Luckau 569. Lübeck 569. Lyck 566. Magdeburg 571. Mannheim 190. Marburg i. H. 340. Marienwerder 530. Meiningen 572. Meiszen 289. Merseburg 572. Minden 531. Mühlhausen 572. Münster 573. Münstereifel 578. Maumburg 573. Nassau 426. Neisze 574. Neu-Ruppin 574. Neu. Stettin 531. Neusz 574. Nordhausen 574. Gels 575. Oesterreich 381. Offenburg 19U Oldenburg 392. Oppeln 575. Ostrowo 575. Paderborn 576. Pforta 576.

Namensra^gter so den PeraonalnotizeD.

661

Planen 209. Posen 577. Potsdam 578. Pntbus 579. üuedlinbnrg 579. Rastatt 193. Rastenbnrf^ 532. Katibor 579. Recklingbanseh 579. Hcndsbarg 393. Rinteln 394. Rostock 340. 579. Roszieben 5S0. Rottweil 475. Saarbrücken 580.

Sagan 581. Salzwedel 581. Schleasingen 581. Schweidnitz 581. Soest 582. Soran 582. Stargard 532. Stendal 582. Stettin 583. Stralsund 583. Stuttgart 477. Thorn 532. Tilsit 532. Torgan 583. Treptow 584,

Trier 584. Trzmesno 584. Tübingen-477. Ulm 478. l^eilburg 428. Wertbeim 196. Wesel 585. Wetzlar 585. Wiesbaden 428. Wittenberg 585. Württemberg 475. Zeitz 586. Zitton 290. Züllicban 586. Zwickau 290.

IV. Namensregister zu den Personalnotizen.

Abt 73. Achtner 394. Acker 394. Ahn 291. Albini 479. Aldenhoven 589. AUgayer 587. Amati 291. Angeleri 73. Anger f (842. Apetz t 77. Arendt 587. Aschenbach 341. 394. Aubagen 394. Bachmann 587 (2). Bader 394. Bück 197. Bänmlein 73. Bahnsen 587. Bahrdt 291. Barthold f 133. Barton 58/. Bartsch 133. Bauer 429. 587. Banse 394. Bayer 73. Beckel f 342. Becker 74. Beckmann 587. Beisert 589. Bcllinger 291. BelvigUeri 291.

Bene, v., f 482. Benedict f 74. Berduschek 341 Bergmann 293. Bermann 74. Berndt 74. Bertagnini 294. Bess^ 479. 587. Biasoletto f 294. Biehl 74. Bigge 70. Bill 341. Binde 341. Binder 133. Bippart 429. Bltz 587. Blackert 429. Blase 293. « Bloomfieldt f 76. Blümel 291. Bockemüller 394. Bogler 341. Bohle 479. Bohnstedt 291. Bonpland f 481. Bortoli 291. Brandscheid 74« Brandstäter 589. Braun 587. Brcdow 197. Breiter 197. 291. Bresler 133. 687.

Britzelmayer 587. Brodnik 74. Bronikowski 74. Brown f 430. Brühl 197. Buchner 76. Bndik f 396. Burckhardt 291. Bürger 293. Bursian 534. Busch t 294. Büttel 587. Candotti 133. Cantieny f 294. Cassetti 138. Chapsal f 198. Charge 197. Chmel 293. Cholevius 198. Chyle 587. Claussen 587. Clebsch 291. Clodigh 291. Clottu 395. Cobenzl 430. Coiz 74. Conrads 133. Corradini 74. Gramer 479. Crecelius 587. Grenzer f 198. Cnreton f 500.

662

Namensregister la den Personalnoti&en.

Czermak 479. Danko 74. Decker 587. Degen f 482. Dehn f 294. Demel 74. Denicotti 291. Denkovzky f 294. Deuschle 197. 479. Diestel 197. Düthey 74. Dippe 430. Dobrzanski 479. Dondorff 587. Dragoni 587. Drbal 291. Drizhal 587. Drogan f 294. Drosihn 74. Drygalski 197. Dümraler 197. Dymnicki 479. Slbert 291. Ebhardt 341.

Egger 74. Eichendorff, J.V., f 77.

Eickemeyer 341.

Enns t «^Ö&» Erhart f 481. Escherich 74. Exner 76. Faber 587. Fabricius 291. Fährmann 74. Fechner 479. Fecht 74. Feldmann 589. Fikenscher f 77. Fischer 201. Fleischmann 74. Flügel 293. Francke 342. Franke 394. Frick 394. Fricderaann 197. Fritsch 479. Frosch 479. Fürsteuau 74. Fütterer 74. Funge 479. Furner f 181. Fusinato 291. Claleotti f 294. Gamm 430. f 534. Gargare vich 587. Garke 291. Geier 197.

Giebel 394. Gilbert 291. Girschner 291. Glaszer f 534. Glockner, v., f 482. Gloel 587. Gneist 479. Götz + 482. Götze 587. Gotthold t 481. Gottschar 395. 587. Gregory 481. Gricpenkerl 74. Grieszhaber 76. Grün 74. Gruhl 74. 291. Guerini 587. Gnidi 74. Haage 395* Hachmann 395. Hagemann 74. Hagen f 530. Hahmann 395. Halder 587. Hanow 341. Hansen 587, Harms 479. Hasper 479. Haupt 74. Hauser 198. Hecht 74. Heerwagen 74. Heintze 74. Heller 479. Hennings 479. 587. Heraus 587. Herbst 430. Hertel 293. Hctzel 291. Heuffel + 77. Hilliger 291. Hirner 479. Hirschf^der 342. Hoffmann74(2).395(2). Holzinger 74. Hörn 587. 589. Horstig 74. Hovorka 587. Hruschauer f 481. Huber 587. Hupe 74.

Ilnschke (Jena) f 430. Jäger 133. Jagielski 74. Jahn 291. Jandaurek 291. Janota 587.

Janowski 587. Jaseniecki 291. Jenko t 294. Jerzykowski 74. Ilberg 342. Iluicki 291. Intra 291. Jordan 479. Junghans 342. Junghenn 480. Jystel t 294. Haas 588. Kalincsak 430. Kalis 291. Kallsen 588. Kalmus 342. Kampschulte 480. Karow 197. Karpinski 291. Kayser 588. Kellner 291. Keppler f 396. Kcry 481. Kieser f 294. Kleiber 291. Kleine 430. Kleineidam 291. Kleiszner 291. Klemens 480. Kl^sk 480. Klucak 74. Kluge 291. Klumpar 588. iCnapp 395. Knappe 74. Knoblecher t 430. Knoch 74. Kobe + 481. Köhler 588. Koppen t 534. Köstlin 292. Kolster 589. Koncinsky 74. Kofinek 75. Kornicki 292. Kornitzer f 395. Kortüm t 396. Kosminski 588. Kräh 292. Krahner 75. 292. Krause 75.197. 842. 395. Kreizner f 77, Kreuz 76. Kries f 198. Kromayer 480. Kroschel 75. KraUkowsU 395.